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data, Google
&
Geidih
der
enropäifchen Staaten.
Herausgegeben
von
A. H. 8. Herren und F. A. Ukert.
Geſchichte des preuſſiſchen Staats
von
G. A. H. Stenzel.
Dritter Band.
Hamburg, 1841.
Bei zriedrich Perthes.
u,
Geſchichte
des
preuffifhen Staats
von
Suftav Adolf Harald Stenzel,
Dritter Theil.
Von 1688 bis 1739,
Hamburg, 1841.
Bei friedrid Perthes.
On ® trop Iong-temps cru la froideur senle impartiale: gräces au
del, bien loin de defendre Padmiration, Phistoire des hom-
mes Pinspire, quelque-fols; d&s-Ior, pourquoi voudrait- on
&touffer aba aocens d’enthousinsme? C’ost ia verild qu'on Iui de-
mande, et quand cette vörit6 eat de fen, est-ce done avec la
glaoe d'une froide impassibilit4 qu’on en fera sentir les flammes 7
Stgur hiatoire de Russie K. X. ch. 2.
In haltsverzeichniß.
Fuͤnftes Buch.
Friedrich DIL v. J. 1688— 1713.
Seite
Erſtes Hauptflüd. Vom Regierungsantritte deſſelben
68 zur Erwerbung ber Koͤnigskrone 1688 — 1701.
Strritigkeiten
Bortfegung des framoͤſiſchen Krieges + ..
Uneinigkeit unter den Deutfhen . - onen nn.
n Inhalts verzeichniß.
— — Dppoftion gegen des Könige Aufvend ...
— — zai .... ... .....
ZZ gefängtice Abführung .
Xuguft, König von Pol .. u... .o...
Wefignahme von Quedlinburg «onen nero ne.
- — Rochhanfen u... ....
—ÜÜ -eeeennne
Gewessung de Geoffhaft Hopeaftein »
Zweites Hauptfike. Von Erwerbung ber Königs:
Trone bis zum Tode des Königs Briebrich I. 1701—1713.
BWota’s Dentſchrift·
—. geheime Bafinstione .
Gutachten bee Minifer- 0 - . »
Inhaltsverzeichniß. m
ur Jern atrauer san.
Inhaltéverzeichniß. ix
Seite
Gaius . .29
Regifrr Gabe - 230
acich⸗ 196
L xob..
Seghes Buch.
redrich Wuhein L 1713 -1740.
Ceitı
*
Erſtes —e* Vom Regierungsantritte .beffeiben
bis un floctpolmer- Frieden: 1713 — 1720.
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Inhaltsverzechniß.
Betrag zur Zieilang Der fApmeöliärbeitfen Proningen .. 166
Krieg in Ponmaern “
Domatıenererhpadhtung
KUld u. Wartenberge Gunfl = » -
ZTod der Königin Sophie Charlotte
Genrrolfeuertafn angfement > > -
Bingen Bl. 0
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Gewerbthaͤtigkeit .- .
Hanich Deingarfen-
Se. .
Sechſtes Bud.
Feiebrich Wilhelm L. 1713 — 1740.
Erkes Hauptfiid.. Vom Begierungsantritte deſſelben
bis pm ſtocholmer Frieden: 4713 — 1720.
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333358333286888
x Inhaltéverzeichniß.
Seite
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Inhaltoverzeichniß.
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Inhalté verzeichniß.
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Aufnahme ber. Austwanderer u Vrerſia
Anſiedelung ...
Dlderlegung falſcher Gerüchte
Wicberbenölkerung Lithauens.
Sewerde und Manufacturen -.-
Beſchraͤnkung der Wollausfuhr
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Dollgelöefen «0 0 ee een:
Beigiofät bs "Rnige.. .
—— — Gnodenwagl . . .
Concordienkirchen .
Inpaltsverzeihniß. zum
Drittes Hauptſtuͤck. Vom Friebensfchluffe mit Schweden
bis zum Tode Friedrich Wilhelmd 1720— 1740. -
xiv Jnhal toverze ichniß.
Inpaltsverzeichniß.
e
od Anguſts n...................
Sandriß zwifhen Sachſen, Rußland und Deſterreich . - -
Gtanislaus und Auguft zu Königen ausgerufen .
652
. 655
Unterhanblungen Wilhelms mit Auguft . 660
Sas atrieg gegen Frankreich 666
Stanitlaus in Danzig . 658
Belagerung von Danzig . 659
Ucergabe 202... . 661
Gtanislaus in Königeberg 667
Feldzug am Rhein - onen 662
Binterquartiere ber Preuffen im Kötnifhen - oo. 0 0. 668
Titan (ämantane 9 PÜR onen “66%
Neue Borfhläge - «000er nennen ee 666
668
669
adprdti
Bunhtberufang ber —8 —
Fricbenspräliminarien zu
Pebgeimandat
Wolfe Burädberufung
Breundtiche Berältniffe goifcyen bem Könige und dem Keonpeiagen En
An Tannen geek fand 2 220000 087
Fünftes Bud
Erftes Hauptftüd.
Kurfürft Srievric TIL v. I. 1688 bis zur Erwerbung
der Koͤnigskrone im J. 1701.
Brig), welcher feinem Water, dem großen Kurfuͤrrſten, 29. Apr
im Der Begierung der von ihm hinterlafienen Länder folgte, 1688
war deſſen zweiter, von ber erfien Gemahlin, Louiſe von Dras -
nien, am 11. Juli 1657 gebprener Sohn. Bei feinem von
Kindheit an ſchwaͤchlichen, dann etwas verwachienen Körper
—— ſchon frlih große Sorgfalt zur Erhaltung feines Lebens
versendet werben. Wenn nun auch bie eben fo zärtliche als
verfiändige Mutter keinen Unterfchied zwifchen ihren Kindern
gemacht wiffen wollte, fo trat doch der zweitgeborene gegen ben
ältern Bruder, den Rurpringen Karl Emil, an ſich fen, noch
mehr aber wegen langſamer Gutwidelung koͤrperlicher und gels
1) Die Quellen ber Geſchichte Friedriche M. find noch Aufferft man»
gelhaft. Pufendorf de rebus Frideric IH. — Fragmentum
antographo autoris editum. Ban ITBR Lee mer Ga 10
aur Urkunden und
unb Stoatgeſchichte / eigentlich gute Actenaude
Züge Gütthers Lchen Friedrichs L N Detail u. 1 m enthält
me fammelte Nachrichten
So imäflen viele einzelne Gcheiften
manches
cn Lohmann.
Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats: TIL 1
2 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤck
ſtiger Fähigkeiten zuruͤk. Beide Knaben waren dem trefflichen
geheimen Rathe Dito von Schwerin, einem wiſſenſchaftlich
böchft gebitbeten, durch langiaͤhrige Staatsdienſte geprüften,
lreng vechtfchaffenen, veligiöfen, auch im Erziehungsweſen fehr
einſichtsvollen Manne übergeben worben, ber feine Pflichten ges
voiffenhaft erfuͤllte. Sp fchwer es ihm wurde, ben heftigen und
eigenwilligen Kurprinzen zu leiten, den er oft nur durch Die
Furt vor dem flrengen Water bändigen Eonnte, fo ſcheint bie:
fer doch für feinen hoffnungsvollen Exftgeborenen-befondere Vor⸗
liebe gehabt zu haben.
Für den fünfjährigen Friedrich wurbe der Licentiat Eber:
hard von Dankelmann aus Lingen, ein durch grünblide Stu:
dien und Reifen durch England, Frankreich und Italien viels
feitig gebilbeter, talentvoler junger Dann '), ber dem großen
Kurfürften auf einer feiner Reifen nach Holland vortheilhaft
befannt geworben war, ald Studiendirector angenommen (1663).
Die Kurfürftin, welche neben Schwerin mit recht mütterlicher
Aufmerffamkeit über die Erziehung ihrer Kinder wachte, em:
pfand ed zwar übel, als ihr hinterbracht wurde, Dankelmann
fahre das neunjährige rischen während des Unterrichts öfters
an, fie erkannte aber doch, daß es biefer damit gut meine, um
ihn in Kenntniffen weiter zu bringen. Nach ihrem Tode (1667)
nahm fi Amalie von Dranien, die Großmytter des Prinzen,
der Aufficht an und klagte ebenfalls fiber Dankelmanns ‚Heftig-
keit gegen ein fo ſchwaͤchliches Kind. Diefer fcheint aber die
Strenge doch nicht übertrieben, vielmehr bei feinem eigenen Aufferft
kraͤftigen Charakter fi nur bemüht zu haben, den Prinzen an
etwas angeſtrengtere Wituten zu gewöhnen, als Firſtenſoͤhne
zu üben pflegen. Das erkannte auch der ‚große Kurfuͤrſt, der
I bald (1665) zum Titulasrathe, darauf (1689) zum halbers
ſtaͤdtiſchen Regierungörathe, dann (1676) zum kurmaͤrkiſchen
Regierungsrathe ernannte und als Vergeltung vielfaͤltiger Dienſte
mit Verleihung der Anwartſchaft des auf dem Falle ſtehenden
ehemals limpurgiſchen Lehns Hauſen bei Hall in Schwaben
2) 8 mr im 3.108 or un at em nF oh
Jahre in Utrecht über eine Abhandlung de jure emphyteusis mit großem
Deifall dicputict; fo erzählt wenigftens Buffer in (ehem: [20203
Freiherr von Dankelmann, Berlin 169. 4.
Srebrigs IIL Sugendjahre. Eberh. v. Dankelmann. 3
beishate , wirtich an, indem er deſſen Geſuch um Entlaffung
no, md ihn darauf zum Kammer» und Lehnsrathe ers
nannte ')
In ber That war Friedrich fehon als Knabe, ungeachtet
einiger ihm natürlichen Heftigkeit, doch im Ganzen weit fanfs
ter und fügfamer, ald ber herriſch, öfters bis zur MBoßheit eis
geufinnige Kurprinz und baher immer eher als biefer bereit,
bei Meinen Vergehen ben erzirnten Water für fich und auch
für feinen ältern Bruber um Verzeibung zu bitten,
Aufferdem, daß er von Schwerin früh und angelegentlich
za Religionsübungen angehalten wurde, an denen er benn ims
mer fehr feft hielt, lernte er neben ben gewöhnlichen Kennts
niſſen, der Geſchichte und Geographie auch franzöfifch, polniſch
und, wie es damals üblich war, lateiniſch, muſſte auch wohl,
zeha Jahre alt, am Geburtötage des Waters eine lateiniſche
Dration herfagen und als zwölfjähriger Knabe lateiniſch fpre=
üyen, wozu er fich, wie es fcheint, williger finden ließ, als ber
Blerige Kurprinz, dem das ein Gräuel war?).
Die Spannung, welche bald zwifchen den Kindern erſter
&e und der wenig liebenswärbigen zweiten Gemahlin des
großen Kurfürften eintrat, dann beren Vorliebe flr ihre eigenen
Kader, der Tod bes Kurprinzen (1674), gehäffige Mätihe:
em, —* und Kabalen am Hofe, welche bie letzten
des Kurfürften verbitterten, knuͤpften das Band en⸗
gen Vertrauens zwiſchen dem rathloſen nunmehrigen Kurprin⸗
zu Friedrich und feinem Führer Dankelmann noch feſter. Uns
Äritig waren die mannichfachen Kenntniffe, welche fih Fried⸗
ih erwarb, und bie, bei aller Schwäche des Charakters, doch
Giftocife Beiträge die kouialich preuſſiſchen u. ſ. w. Staaten
RB II. 1. &. 526. Gosmars und Klaproths Staates
tath S. 374.
9) Ergiehungsjonmal Dtto’s von Schwerin, — Geſchichte
dei preuffifchen Staats unter Friedrich Wilpelm. Th. L ©. 564 ff. ©. 6es f.
Des Karpring euflärte, ala er auf Befehl feineb Waters Latenif fpreigen
folte: er wolle midt fiubicen, Ale bie flubieten und Lateinifeh fpeächen
wären Bärenhäuter, 4
4 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck.
im Ganzen edlere Richtung ſeines Lebens großentheils Frucht
der Anſtrengungen dieſes dem Prinzen voͤllig ergebenen Man⸗
nes, der auſſerdem fein eigenes kleines Vermoͤgen aufopferte,
um ben durch Einfluß ver Stiefmutter oft druckenden Geldver⸗
tegenheiten feine Zoͤglings abzubelfen. Vaterlich war ee für
des Prinzen Gefunbpeit beforgt, und als biefer in Bolge bes
boͤchſi befchwerlichen Winterfelbzugs gegen bie Schweben (1679)
töptlich erkrankte und hoffnungslos baniederlag, pflegte ihn
Dankelmann mit treuer Exgebenheit, ohne Schonung feiner eis
genen Geſundheit ’).
Bei einer andern Gelegenheit, als der Kurprinz (1687) von
einem Stedfluffe befallen wurde, bei bem ihm ber Athem ſchon
ganz ausblieb, wagte es allein Dankelmann, gegen aller anwefenben
Aerzte Rath, ihm eine Ader öffnen zu laſfen, worauf der Prinz
wieber zu fi) kam und vielmald öffentlich erklärte, daß er
naͤchſt Gott dem Dankelmann bie Erhaltung feines Lebens
ſchuldig fei ). Diefer vergalt auch fo viele ſich aufopfernde
Treue durch völlige Hingebung. Im Jahre 1683 veranlafte
er den Kurflrften, dem Kurprinzen 30,000 Thaler aus den
Beige, Eubfingaien und den flaßfurtifchen Salzkothen
zu geben ).
Neben vieler Gutmäthigkeit, welche fo leicht mit Charak⸗
terſchwaͤche vereint if, trat bei bem Prinzen fchon fehr früh
eine, allerdings bei koͤrperlich nicht Wohlgeflalteten gewöhnlis
he, große Citelfeit und ein Streben nach Aufferem Giame hers
vor, welche oft dazu dienen fol, den Mangel aufferorbentlicher
Geiſtesgaben zu verdeden. &o fliftete der Prinz bereits als
zehnjaͤhriger Knabe einen Orden de ia generosite, ber feinen
Hang zur —— und zum Glanze trefflich und faſt er⸗
ſchoͤpfend bezeichnet. Er entwarf und zeichnete bie Infignien
des Ordens ſelbſt, erkundigte ns dann fehr genau nach ben
Gexemonien bei ber Aufnahme der Iohamniterritter in ons
nenburg und fchlug in ber Kirche in Altlandoberg, wo er fich
häufig bei dem Präfidenten, Otto. von Schwerin, aufpielt, nach
1) Sosmar und Klaproth ©. 251.
D Beffers Fr dv. Dankelmann S. 26. Anmerk. Nach
Anderen fung Dankelmann die Ader ſelbſt.
8) Oiſtoriſche Beitraͤge N. 1. ©. 526.
Triedrichs IL Jugendijahre. 5
finlihen Orgelſpiele, auf einem großen Stuble figend, rechts
dab Schwert, ins das Grucfir auf fammtenem Kiffen, unter
aller Zoͤrmlichkeiten, angefehene Hofleute zu Bits
tem fine Ordens, bewarb fid auch, fechzehn Jahre alt, fehr
uchirhdtich bei dem Könige Karl IL von England um ben
s
H
Ei
—
Tr
ſterreich
och beſtimmter durch feine Vermaͤhlung
mar. Dem großen Kurfuͤrſten trauete man nicht, wohl aber
dem Kunpringen *), und es galt für einen Meiſterſtreich bes in ber
hamoͤveriſchen Gefchichte fo berühmten Minifters Grote, daß er
biefe Bermählung durchfegte, um durch ben Einfluß ber Prin-
fin den einfligen Wiberfpruch ihres Gemahis gegen bie Kurs
würde ihres Vaters zu befeitigen. So fehen wir ben Kurprins
1) Tagebuch Sqaverins ia Oriichs Friehrich Wilhelm I. 6.6115
2) Pufendorf IIL $. 17 fagt, ber große Kutfärft habe feinen
verſprochen gehabt, obgleich das Haus Braunſchweig ber aͤrgſte
geweſen. Diefe Sparen dauerte doch noch, giems
6 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck.
gen ſchon bei Lebzeiten des Waters, ber jedoch in den letzten
Sabrın ſich ebenfalls von Frankreich entfernte, für Defterreich
gewonnen, befien Gefanbter, der Baron von Freitag, ihn auch
auf fehr unehrenwerthe Weife unter dem Vorwande, die nach⸗
theiligen Beſtimmungen des väterlichen Teſtaments zu befeitis
gen, zu bem geheimen Verſprechen bewog, ben vom Kaifer dem
großen Kurfürften abgetretenen ſchwiebuſer Kreis nad biefes
Tode wieber herausgeben zu wollen.
J Die Gemahlin des Kurprinzen war von dieſem, man
kann fagen in jeber Beziehung, fo verſchieden, daß fie wohl
nie einen fo außsgebehnten Einfluß auf ihn gewann, als man
erwartet haben mochte. Jedenfalls wurben jeboch durch dieſe
Ehe die Berhältniffe des brandenburgiſchen Haufed zum hannoͤ⸗
verifchen freundlicher, konnten indeß, feit dem Emporloms
men beiber Staaten, durch gegenfeitige Eiferfucht, dann noch
länger durch bie perfönliche gegenfeitige Abneigung ihrer Kür:
ſten nie recht innig werben ).
Die Gefinnungss und Handlungsweiſe Friedrichs TIL in
zeligiöfer und felbft rein menſchlicher Beziehung ſchildert und
ein Vorfall aus dem Anfange feiner Regierung (1690). Das
mals Iebte man in Berlin am Hofe fehr heiter. Der Junge
prachtliebende Kurfürft eilte von Vergnügen zu Wergnügen, ein
Beft folgte ſchnell dem andern. Das Läflige der fräter fo fleis
fen Etikette war, vieleicht durch den Einfluß der Kurfürflin,
welche möglichft große Ungezwungenheit in der Gefellfchaft
kiebte, noch weniger bemerklih. Bei einer, den bamaligen
Geiſtlichen ohnehin ſehr anſtoͤßigen Maskerade fcheint das Maß
des Schicklichen doch fo weit Lberſchritten worden zu fein; daß
darüber viel geſprochen wurde. Der Hofprebiger Cochius, ein
ſtrenger Mann, der nicht glaubte, nur bie leichte Pflicht zu has
ben, Alles was der Fuͤrſt that ober geflattete, hoͤchlichſt zu los
ben, ſuchte dem Kurfuͤrſten mimndlich Vorflellungen zu machen,
aber bie Hofleute, welche bad vermutheten, verhinderten feine
Borlaffung. Als Cochius bad fah, predigte er am naͤchſten
Sonntage in Gegenwart des Kurfuͤrſten fehr fcharf gegen dad
1) Erman Mömoires pour servir à Vhistoire de Sophie Char-
lotte ete. Berlin 1801, enthalten alles bis jett über biefe Fuͤrſtin
Bekannte fleißig gefammelt.
. Setedeid I. als Kurfuͤrſt. 7
„ anfatt Öffentlich fo großen Lärm zu machen?"
ie Bemerkung bed Grafen Dohna: Cochius koͤnne das ia
ſucht haben, bedachte ber Kurfürft, baß ber Hofprebis
feine Pflicht gethan und achtungsiwerther fei, als bies
welche felbft die Kanzel durch Schmeicheleien nur vers
Er ließ ihm daher mit vielen Dankbezeigungen 600
und bie Anwartfhaft auf eine einträgliche Stelle für
ſehenen au
PL
J
HH
Hr
BER
H
*
—
[321
Hi
d Entſchuldigungen zu bewegen, Gelb und Patent
: y
gung .
zwei Gegenftänbe, bie Friedrich IIL während
Lebens mit Ausdauer verfolgte, erſtens, Exhöhung feines
, dann Unterftügung des Proteflantismus. Go oft es
verwidelten Staatöverhältniffen auch ummöglid wurde,
ſenden Entſchluͤſſen beide Zwecke zu vereinigen,
eine gegen ben andern zurücktreten muffte, fo
fagen, baß er Feinen von beiden je ganz aus
x.
hung feines Anſehns ſuchte er durch Wergrößes
Glanzes, mit dem er fi umgab, und durch Wer
ig feiner wahren Macht zu bewirken. Wenn nun auch,
der Eigentplimlichkeit des Zürfen gemäß, daB Streben nach
Glanz vorherrſchte und dem Scheine felbft num zu oft Wefents
liches geopfert wurde, fo geſchah das body nicht durchaut, viels
mehr bemerkt man in feiner Haltung bei ber oft ſehr ſchwieri⸗
1) Dohna Mömoires p. 155. Das Andenken der Cchmeidhler mag
‚ober veraditet werden, bas bes Ehrenmannes im ehren ⸗
velen Andenken bieiben.
ft,
€
8
8 37733
Heiti
838,
8 Bud V. Erfies Haupeftäd.
gen Stellung zu den europäifchen Mächten, bann in bem, was
—E Ausbilbung des Heers geſchah, und ſelbſt ira
der forgfältigen Benutzung jeder guͤnſtigen Gelegenheit zur
Ausdehnung feines Landergebieis, fortwährend, daß ihm die wah⸗
ı ven Grundlagen der Macht feined Haufe nicht in dem Maße
unbefannt waren, als es ben Anfchein hat. Es laͤſſt fi) auch
nicht ganz leugnen, baß felbft der Glanz und bie zur Erhöhung
deffelben gewählten Mittel nicht allein biendeten, fonbern ge⸗
wiffermaßen doch das Anfehn des Staats felbfi vermehrten,
eben weil ein, wenn auch felbſt zuweilen verfehltes Streben
alle diefe Fürften vom Water zum Sohne und zum großen En⸗
tel, jeben auf feinem eigenen von dem andern fehr verichiebes
nen Wege, aber doch alle überhaupt vorwärts trieb, während
ambere fuͤrſtliche Häufer, denen dieſes Streben entweber ganz,
mangelte ober doch nicht fo vom Geflecht zu Geſchlecht beis
wohnte, weit hinter den Hohenzollern zurldblieben, wie eine
Vergleichung beffen, was ber brandenburgiſch⸗preuſſiſche Staat
durch bloße glückliche Wechſelfaͤlle ober nu durch Heirathen bins
nen bundertundfunfzig Jahren gegen andere Staaten geworben,
ſehr deutlich zeigt.
Die Richtung aber, welche Sriebrich IN. zue Erreichung
feiner Zwede — beſtand zunaͤchſt einerſeits im Anfchliefs
fen an Deſterreich, andererſeits in Unterſtuͤzung ber Entwürfe
Wilhelms von Dranien auf den englifchen Thron. Das Ans
ſchlieſſen an Deſterreich war fon, wie wir gefehen haben, bei
dem wibrigen Familienzwiſte, in dem Gegenfage des Kurprin⸗
zen gegen bed großen Kurfürften Hinneigung zu FZrankreich,
noch mehe aber in feiner wahrhaft beutfchen Gefinmmg bes
gründet, bie er niemals verhehlte. Hierzu kam ein gewiſſer
Wetteifer, es in allen Dingen foviel als möglich dem großen
Feinde Deſterreichs, Ludwig XIV., gleichzuthun, dem er auch bas
her noch durchaus abgeneigt war. Eng damit verbunden war
der aufrichtige Proteſtantismus des Kurfuͤrſten, der ſich ſogleich
in ber lebhaften Theilnahme für bie evangeliſchen franzoͤfiſchen
Flüchtlinge, in der nachdruͤclichen Unterſtuͤtung der proteſtan⸗
tifchen Sade in England und fo lange er lebte, Überall, wo
katholiſche Fürften ihre edangelifhen Unterthanen brüdten,
Eriebrichs ITL Regierungsanteitt.
meer bi) auch dort des gemeinfhflihe Daß deg ee
terlänbifhen „Herzen näher, mit welcher er bereits verbunden
wer, daun auch zur Erreichung feiner eigenen Zwecke bie nuͤt⸗
Ishfte und enblich feinem. Proteſtantismus am wenigften hins
derfich ſchien.
In den norbifchen, fo verwidelten Verhaͤltniſſen hielt er
fich möglich parteilos und ſuchte, foviel er vermochte, ben
Trieben zwifchen ben proteftantifhen Mächten zu erhalten, war
perſalich mehr für Auguft von Sachſen und Friedrich von
Dinemark, als Fürfl, Proteſtant und wegen feine ältern Buͤnd⸗
wies für Schweden, muffte indeſſen ben Umſtaͤnden nadıges
ben, die er bei unzureichender und anderweitig durch feine
Bnkeifie wis Da Deſterreich gegen Frankreich beſchaͤſtigter Macht
Sleich nad dem Tode feines Waters in Potsdam wurben
auf Befehl des nunmehrigen Kurfürften alle Brüden bei
Stadt aufgezogen, alle Thore gefperrt, in Berlin alle Thore
518 zu feiner Ankunft gefchloffen und fämmtliche Truppen für
ifa.beeibigt, den fremden Höfen, auch dem Baar Peter I. fein
Regierungsantritt beſonders angezeigt ). Dann ließ er fi
wer in der Kurmark, hierauf gelegentlich in großen Zwiſchen⸗
tänmen, perfönlic, wie e8 gewöhnlich war, in ben zehn Haupts
orten der übrigen Provinzen huldigen ). Hierbei und bei dem
fürlihen Leichenbegängniffe feines Vaters zeigte er ſchon feine
große Reigung zu aufferorbentlicher Pracht und feine Vorliebe für
glänzende Geremonien in einem fruͤherhin unbefannten Maße).
DPufendorf L5£.2,
9) In Pommern und Neumark erft im I. 1699.
9 Pauli V. ©. 858—874, —— offentuich bekannt
eaqhten Beſchreibungen. Bei der preuſ ‚Hulbigung in
wurte der wegen des Rünftigen Südfale ber Provim an Polen zu Ice
10 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
Die Guͤltigkeit des legten Teſtaments feines Waters ließ
er von fämmtlichen Mitglievern des geheimen Raths unterfus
hen “und flieg es bemgemäß um, weil es ben Grundgeſetzen
des Haufes, namentlich dem Teſtamente des Kurfürften Als
brecht Achilles (v. I. 1473) und den gerauifhen Hausverträ=
gen (v. d. I. 1598 umb 1613) entgegenlaufe und das in ih⸗
nen enthaltene ernftlihe Werbot aller Zertheilung von Land und
Leuten, worauf bie Macht und der Glanz bed kur⸗ und fürft-
lichen Haufes Brandenburg einzig und allein gegründet und über
zweihundert Jahre als Grundgefeg heilig und unverbrüchlich beob⸗
achtet worben, mit einem Male über ben Haufen werfe. Dies
fer hier offen ausgeſprochene Grundfag ‚gibt bie allgemeine
Richtung der Handlungsweife aller Regenten Preuffens feit
dem großen Kurfürften, ja faft aller Hohenzollern in Branden⸗
burg beutlih an. Die Größe und ber Glanz des Haufes
find es, in denen jeber von ihnen fein Gluͤck findet, woflr er
Dpfer bringt und nad) augenblidlihen Abweichungen wieber
einlenkt. Seit fie in bie weiteren Kreife der größerem Gtaa-
tem geiveten find, feit ihnen, was im Norden wie im We—
ſten gefchieht, nicht mehr gleichgültig fein Tann, oft wichtig üft,
ſeitdem richten fie ihr Augenmerk forgfältiger auf dad Werks
zeug der Größe und bed Glanzes ihres Haufes, aufben Staat,
fie ſuchen ihm jede mögliche Vervollkommnung zu verfhaffen
und ebenfo jeden möglichen Nugen aus ihm zu ziehen. Das
iſt der preuffifche Staat mit feinen Zürften!
Apell Dann verglich fich Friedrich I. mit feiner Stiefmutter,
1689 welcher ex, ohne ummürbiger Rachfucht Raum zu geben, auf
Dankelmanns Rath, niit aller ſchicklichen Eprerbietung begegnete ')
ſtende Gib von bem bed Deutfchen wenig kundigen polniſchen Bevollmaͤch-⸗
tigten unbeutliä und leife, baher von wenigen ber Amefenden nachge-
ten fie weiter nicht. Pufendorf IL $. 24.
1) &. den Brief Friedrichs II. an feine Stiefmutter und deren Ants
wort v. Juni 1689 in Schönings Leben Ratmers &. 99. In ber
Schrift: Wal und Ungnabe zweier Staats. Minifter, S. 9 wird e8 als
anne Werbienft gerähmt, daß er den Frieden in ber Eurfärftlichen
Bamitie hergeſtellt und Friedrich mit feiner Stiefmutter autgeſohnt habe.
Teſtament des großen Kurfürften. 1
mb ihe auffer anderen Vortheilen und Nutzungen jährlich
HMO Taler ausſetzte. Sie farb indeſſen bald nachher
(16. Zoguft 1689), was dem Kurfhrften umflreitig den Vers
sid mit — Brlibern erleichterte, obwohl erſt nach vielen
x und nach Ueberwindung mehrfacher ihm vom
Icfafihen Hofe auf nicht fehr ehrenhafte Weife erregten Schwies
rigteiten, indem biefer fih weigerte, das Zeflament bes großen
Kufkren auözuliefern, wenn nicht alle Intereſſenten form⸗
lich darun eintämen, was, wie man wohl wuffte, nicht gefchehen
wide, weshalb denn — ſehr Hug davon abftand.
Hu
u Peer mit dem Haufe —— — ſtand je wie
Wirfehen werben, mehrfach auf — Weiſe gegen —— hans
derulz
Rand natürlich, daß Deſterreich ben thätigen Euporkoͤmmling
zit Gfmfocht betrachtete, und ebenfo, bag biefer ſich dadurch
der beiben jüngeren 12,000 Thaler jährlich auf. beftimmte Do»
mainenämter verſchrieben erhielten"). Der perſoͤnlich fo rechts
1) Grofentfeils Worte des mic durch den um preuffifche Geſchichte
Pr weichen fon Buchhoiz Ih. IV. S. 184 einen wichtigen
gab,
42 Bud V. Erfies Hauptſtuͤck
Ude als gutgefinnte Kurfürft war darüber, wie er bem Fuͤr⸗
fien Leopolb von Deffau fchrieb, ungemein erfreuet: weil er
dadurch ben alten Grund, worauf des Hauſes Macht und
Aufn fo Tange ber gerahe, von Neuem befeftigt und das
d der Natur mit feinen Brübern von Störungen be
en hatte.
Der Kaifer erkannte indeſſen bie Reverſe ber Markgrafen
nicht eher an, als er den ſchwiebuſer Kreis zurück erhalten
Hatte. Diefer Gegenfland war bald nach des Kurfinflen Re
gierungsantritte vom äfterreichifhen Hofe in Anregung gebracht
worben, welcher auch behauptete, Friedrich IL habe feinen als
gegebenen Revers (v. 28. Febr. 1686), durch wel:
chen er ſich gegen eine verhältnißmäßig geringe Summe Gel⸗
des zur Rüdgabe des fchwiebufer Kreifes verpflichtet, als
Kurfürft von Neuem, wahrſcheinlich mündlich, anerkannt. Da
biefe Angelegenheit vom Kurprinzen fehr geheim, ohne Zuzie⸗
bung ber Minifter feines Waters und ger auf — rechts⸗
verbindliche Weiſe behandelt worden war, fo hatten ihm erſt
nad feinem Regierungsantritte feine Käthe zeigen Tönnen, Bd
er ohne fein Wiſſen betrogen worben und es befler fei, ben
ganzen Vertrag und das Bänbniß feines Waters mit Defterreich
(0. 22. März 1686) aufgugeben, als ben Bevers zu erfülen.
Er verlangte deshalb (1690) den ihm binterliftigerweife abs
gelodten Revers zuruͤck, allein der Faiferlihe Hof verweigerte
bie ‚Herausgabe. Vergeben waren alle Bemihungen Dankel⸗
mannd, der Kaifer gab nicht nach und wollte „ehe von
Schwiebus Befig ergreifen, Friedrich dagegen das Land haupt:
ſaͤchlich auch deswegen behalten, weil «8 ihm ſehr leid that,
zwanzigtauſend Proteſtanten der wenig toleranten kaiferlichen
Regierung aufzuopfern. Der kaiſerliche Hof bot Geld, Fried⸗
rich lehnte es ab und verwarf die Gültigkeit bes ihm beirüge:
riſcherweiſe abgelodten Reverſes, weil er als Kurprinz bei
Lebzeiten feines Waters Leine vechtmäßige Gewalt gehabt: wel⸗
her oͤſterreichiſche Minifter e3 denn zugeben werbe, daß ber Sohn
des Kaiſers bei beffen Lebzeiten folche Verpflichtungen eingehe?
Freitag habe ihm nichts von den Anfprüchen gefagt, bie fein
Vater in dem geheimen Vertrage aufgegeben, ſondern nur,
Schwiebufer Kreis. 13
ap fein Bater Schwiebus erhalte, um ihn von Frankreich abs
michen. Wolle man Schwiebus mit Gewalt in Beſitz neh⸗
way, fo werbe er Gewalt entgegenfegen unb Öffentlich bekannt
meder, wie unwuͤrbig man gegen ihn gehandelt. Ohnehin
fü da Betrag ſeines Vaters fehr vortheilhaft für ben Kaifer,
üben die jägernborfer Domainen jährlich 12,000 Thaler, die
Awichufer nur 2000 Zhaler abwuͤrfen. Wolle man aber
Gdeichus durchaus zurlid haben, ſo werde er feine Anfprliche
af Eegeig, Brieg, Wohlau, Sägerndorf und Beuthen wieder
Alle Proteflatii
tungen heifen indeſſen zu nichts. Der Kaifer beharzte unerſchuͤtter⸗
id) anf Schwiebus, und wollte der Kurfürft nicht völlig mit
it brechen, fo muffte er nachgeben. Nachdem er daher bie
ia zugefagten 100,000 Xhaler, ferner 14,000 Thaler für
ingeläfte Mandgüter, indgefammt 255,000 theinifche Gulden
erhalten, nachdem der Kaifer ihm als Schadloshaltung für den
Bertuft im ſchwediſchen Kriege (1675-—1679) die Anwartfchaft
af Dffresland und auf die gräflichen Herrfchaften Limburg
wb Ededfeld in Franken, welche auf dem Falle der Erledis
924 fanden und bem Rurfärften gelegentlich ber Stellung
dv 600 Mann gegen die Tuͤrken (6. März 1693) zugefagt
weten waren, wirklich audgefertigt hatte, wurde endlich ein
receß über die Müchgabe des fhwiehufer Kreis 24, sit
48 obgeäloffen *). Bei der Vollziehung beffelben weigerte fich 10. Yan.
anghine Rath Paul von Fuchs in das Document etwas 1695
dem obigen Keverſe des damaligen Kurprinzen und von
a der branbenburgifchen Anfprüche auf Jaͤgerndorf,
Lopig, Brieg und Wohlau zu fegen: weil ber &everd eine
dem Kurfürſten Höchft disreputirliche Sache fei, von welcher in
a Kine Oipur beiden fol. So ſehr num auch die kaiſer⸗
üben Deputirten darauf Stangen, gaben fie doch endlich nach,
da Difeb Wergichts bereitß im Satiöfactionsreceffe vom 7. Mai |
1686 ımd im Metrabitionbreceffe vom 20. Decemb. 1694 Er⸗
Währung gefchehen, wogegen bie brandenburgiſchen Deputirten
ach mehrflimbigem Dispufiren geftatteten, daß im Allgemeinen ,
des Keverſes, doch ohme Nennung bed Namens des Kurpinzen,
N Pufendorf IL $. 7. ff. und 8. 18.
14 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
gedacht werde‘). Im dieſem Vertrage verſprach ber Kalfer auch
zuerft, dem Kurfürften und deſſen Erben den Zitel eines Her⸗
3088 in Preuffen, doch ohne Präjubiz des beutichen Drbens,
ertheilen zu laſſen, was auch feitdem wirklich, ohne Ruͤckſicht
auf des deutfehen Drdens Proteflationen gefpah*). Nur erfk,
in den Jahren 1696 und 1697, erfannte der Kaifer bie Mes
verfe ber bei bem Teſtamente bed großen Kurfuͤrſten betheiligs
ten Prinzen als gültig an). Diefe fo ſchwierige Angelegen-
heit, welche mehr als irgend eine andere die Bamilie auf das
tieffte innerlich zu fpalten und fo mit dem Staate zu ſchwaͤchen
drohete, war von nun an bucch bie Einficht und Feſtigkeit des
Kurfürften und feiner Räthe, fowie durch Friedrichs IU. Freis
gebigkeit gegen feine Brüder für immer befeitigt. Von den
Stiefbrüdern ded Kurfürften, welhe ihm nun vielfah als
tapfere Kriegsmaͤnner dienten, hatten nur bie beiben lteren,
Philipp Wilhelm, von feiner Beflsung Markgraf Brandens
burgs Schwedt genannt, und Albrecht Briebrich, Heermeiſter in
Sonnendurg, Rachkommen, beren letzter männlicher Sproß im
Jahr 1788 ſtarb.
Obwohl der junge Kurfuͤrſt die höheren Staatsbeamteten
feine® Vaters umberänbert beibehielt*), fo war doch fogleich
der entſcheidende Einfluß des bereits am 20. Mai 1688 zum
wirklichen geheimen Staats» und Kriegsrath ernannten Eber-
hard von Dankelmann auf alle irgend wichtige Angelegenheiten
offenbar, und die unter dem großen Kurfürften einflußreichften
Minifer traten gegen ihn weit in den Hintergrund.
1) Handfögeiftliche Rachrichten aus den Roten über bie Betrabition
bes ſchwiebuſer Kreiſes.
2) Theatrum Europaeum T. XIV. p. 798.
8) Daher gab auch wohl erft im Gept. 1699 ber Kalfer dem Kür-
fürften als ſolchem und bann als König von Böhmen bemfelben bie Be⸗
Icpnung mit Kroffen, Zuͤllichau, MWBoberberg, Gommerfelb, Kottbus,
Bestom und Storkom. 'Theatr. Europ. XV. 549,
4) Im der Schrift: Fall und Ungnabe zweier Gtaats-Minifter, S. 9
wird das Beibehalten ber alten erfahrenen Minifter als Verdienſt Dankel⸗
mann bargeftellt, ber es bahin gebracht, baf ber Kurfuͤrſt alles Misver⸗
grögen, was ihm als Kurprimen verurſacht worden und vorgegangen,
auf bie Batalität des Beiten geworfen.
Ausmärtige Berhättniffe 15
Ian den inneren‘), wie in den auswärtigen Angelegen-
heiten verfolgte der Kurfurſt dem zulegt von feinem Water eins
veſchlegenen ‚ blieb mit Deſterreich in gutem Vernehmen
und emeuerte nach und nach die aͤlteren Buͤndniſſe mit ben
Gmmelfanten, mit Daͤnemark, Schweden, Sachſen und Han⸗
meer. In Polen hätte ihm eine Partei ruͤckfichtlich feiner
Eomerainetät Über Preuffen gern Hinberniffe in ben Weg ges
legt; doc war eine andere Partei für ihn; auch gewann er
den König, dem alternden Johann Sobieski, durch feine Bes
tetwiligkeit, ihm gegen die Kürten zu unterflügen und bie
Bittwe des Markgrafen Ludwig von Brandenbing, die reiche
migirilfge Erbtochter, dem diteften Sohne de Königs zu
vernählen®), und bewog ihn zur Erneuerung der Verträge von
Bohlan und Bromberg, worauf er (24. Mai 1690) bie Huls
digumg Preufims in Königsberg annahm. Er Inüpfte auch
frambliche Verbindung mit den Zaaren Johann und Peter an,
ofne dech daß Ältere Bundniß feines Water (v. I. 1656) mit
den Rofkowitern erneuern zu wollen’).
Anh darin folgte er dem Beiſpiele feines großen Waters,
dab m Bertpeibigungsbündniffe mit mehreren, ja allen krieg⸗
führenden Mächten zugleich hatte. Sole Werträge wurden
damals überhaupt in großer Anzahl geſchloſſen, ohne bag man
in de Siegel großen Werth auf fie gelegt hätte, ben fie auch
ritt verbienten. Sie wurden don weiter ausſehenden Fuͤrſten,
wie die brandenburger waren, verhandelt und eingegangen,
um freundliches Vernehmen einzurichten ober zu erhalten und
fir mögliche Fälle aus ihnen Nugen zu ziehen. Die augen:
1) Die erfte Inſtruction, welche Friedrich IL. für ben geheimen
Wat} unterzeichnete, ftimmt fat wörttih mit der feines Waters überein.
Goimar mb Klapzoth ©. 222.
DPufendorf L 9.5ff. Zaluski epist, T. II. 2. p. 1150.
dungnidh Preuffen unter Johann II. ©. 277. Wilken im Berliner
Nihikl, genentogiichen Kalender v. 3. 1822, ©. 24 aus Bunblings
beaöfcifttichern Leben Priebriche II. Aus dem, was ich barüber im
ale che aındn, ergibt ſich, daß Friedrich IIL der Ber
werbung Jakob Goblestrs nicht fo entgegen war, wie Andere nie
Do in in Staateſachen Wieles Werftellung.
9 Pufendorf I. . 4.
data, Google
&
Auswärtige Berhäieniffe L 73
Flams By. Kb mir Ike pam Einen
m eh ER Te u Ber ug u
— — — u im,
6 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤc.
biietfihen höheren SIntereffen waren dann ber Maßſtab, nach
dem die Verbindlichkeit folder Vertraͤge beurtheilt wurbez doch
muß man fagen, daß Friedrich TIL fie nicht ganz fo leicht
wie fein Water betrachtete, vielmehr eingegangenen Verpflich⸗
tungen, foviel nur irgend möglich, aus eigener Gewiffenhafe
tigkeit gern nachkam, daß auch, vorzüglich unter Danfelmanns
Leitung, die auswärtigen Angelegenheiten mit mehr Seftigkeit
und felbft Aufeichtigkeit gehandhabt wurden, als das fpäter
der Fall war.
Zunaͤchſt fuchte er nichts mehr ald Wilhelm von Dranien
in feinen Abfichten auf den englifhen Thron zu unterfkügen
und ben Entwirfen Frankreichs entgegen zu arbeiten, dennoch
ſchonte er dieſes oͤffentlich, bat auch, bei ber Geburt feines
einzigen Sobns, bes nachherigen Königs Friedrich Wilhelm
(14. Aug. 1688), Ludwig XIV., Pathenſtelle zu vertreten ’),
um bie Vortheile bed von feinem Water abgeichloffenen gehei⸗
men Bundes fo lange ald möglich) zu geniefien. Die noch
rüdftändigen 450,000 Livres Subfidien”) ergriff er ald Vor⸗
wand, vor beren Berichtigung Fein neues Buͤndniß mit Lud⸗
wig XIV. einzugehen. Diefer aber weigerte bie Bezahlung
aus Miötrauen gegen bie nicht ganz unbefannten Gefinnungen
des jungen Kurfürften, indem er nicht bem wollte Gelb zah⸗
Ien, ber gegen Frankteichs Intereſſen handele. Doc ließ ſich
Friedrich IIL. hier weder durch Verſprechungen ‚gewinnen, noch
ſppaͤter durch Drohungen ſchrecken und vom feinen Entwürfen
abwendig machen.
1688 Schon im Januar, kurz vor feinem Tode hatte ber große
Kurfürft den Eberhard von Dankelmann und auf deſſen Rath
auch ben damaligen Kurprinzen in das Geheimmiß der Unters
nehmung Wilpelms von Dranien gegen befien Schwiegervater,
den König Jakob, gezogen, wovon bier auffer ihnen nur noch
— wuſſte, denn mehrere geheime Raͤthe, welche von
Frankreich Penfionen zogen ober Geſchenke erhielten und dieſe
Vortheile nicht aufgeben mochten, waren für
Beibehaltung der Verbindung mit Ludwig XIV. Dankel⸗
1) Auch bie Stände der Kurmark und Preuffens. Gätther ©. 19,
2) Wilken im Berliner Kalender v. I. 1825 ©. 10, aus Gund«
Lings handſchriſtlichen Angaben.
Wilhelm von Dranien. 17
man, wie der Kurprinz billigten da Unternehmen vollkom⸗
wa, als nothwenbig zur Erhaltung der Freiheit Europas
und des Proteftantismus, welche man durch Jakobs Katholis
Fre Hinneigung zu. Frankreich für aufs Höcfle ges
Im Mai, bald nach dem Tode bes großen Kurfürften,
tan Bentink, der Vertraute Wilhelms, nach Berlin unter dem
Bormande, Friedrich IH. zu feinem Regierungsantritte Glück
m winigen, wirklich um von ihm 6000 Dann ‚Hülfstruppen
u Vertheidigung Hollands zu erbitten, weil Wilpelm fürds
ie, Frankreich werde das angreifen, während es durch bie
mit ihm nach England bergefchifften Truppen entbloͤßt waͤre.
Der Kurfuͤrſt war bereit, Dankelmann ebenfalls fehr das
fir, der eben anweſende Landgraf Karl von Heſſen⸗Kaſſel
wire nach und nach in das Vertrauen gejogen und gewons
ae, ebenfo durch Friedrichs perfönliche Anweſenheit in Anna⸗
bung der Kurfürſt von Sachſen, der doch Feine Truppen dazu
gehen wollte. Nachdem Friedrich IM., der, um Argmohn zu
wermiden, durch ben ‚geheimen Rath Paul von Fuchs mit
Brink in Celle verhandeln ließ, fich über bie ganze Unter
"bang grimblich unterrichtet, auch ben Bund feines Waters 30. Juni
mit den Generalftanten erneuert hatte und ber ‚Herzog von 1688
ik fir diefelbe gewonnen worben war, kam ex noch fehr
ghein mit Wilhelm in Minden zufammen. Diefer verſprach
im nicht nur dad, was im Teſtamente feines Großvaters bes
fimmt war, fondern weit mehr zu vermachen und Friedrich
wilige ein, 6000 Dann in holändifhen Solb zu geben,
wide in der Mitte Septemberd an ber Grenze fein und
am wern ber Kurfürft in feinem eigenen Sande angegriffen °
werden würde, zurücgerufen werben follten ').
Der in Unterhanblungen Aufferft geſchicte Wilhelm ſtimmte
gar den eifrig katholiſchen Kaiſer für ſich, ja ſelbſt der Papſt
nocenz XL war aus heftigem Haffe gegen Lubwig XIV.
N Pufendorf L $. 68. ueber die unmittelhare Theilnahme ber
am ben Greigniffen in England felft f. Schöning im .
m Rogmers ©. 65. Rach Pufendorf muͤſſte man annehmen, baß
franbenburgifche. Dragoner mit übergefhifft worden wären, doch war da6
he der Fall, S. Militair- Wochenblatt v. J. 1838, Kr. 30.
Gtenzel Geſch. d. Preuffifch. Staats. IH. 2
18 Bud V. Erſtes Haupefäd.
für ihn und beſchwichtigte fogar die Gewiſſensſcrupel des ängft-
lichen Kaiferd durch die Worftellung, König Jakobs Unterneh⸗
men gegen ben Proteftantiämus in England werbe nicht zum
Vortheile der katholiſchen Kirche unternommen, fondern ums
die Univerſalmonarchie Frankreichs zu gründen‘), Das war
der empfinblichfte Vunct für das Haus Defterreih. Die Rüftun-
gen Wilhelms und der mit ihm verbundenen deutſchen Fürften
wurden durch bie von Frankreich in Deutfchland angefan=
genen Händel verdekt, wenn fie aud nicht völlig unbefannt
blieben, ! \
Ludwig XIV. bemühete fich fortwährend feine Partei uns
ter dem deutfchen Fuͤrſten zu verſtaͤrken und theils bie eigene
Macht auf Koften Deutſchlands zu erweitern, theils dieſes fo
zu fpalten, daß es feinen ehrgeizigen Entwürfen nicht hinder⸗
lich fein koͤnnte. Der Herzog von Hannover war mit ihm ver
bindet, doch ohne perfönliche Hingebung. Friedrichs II. Neis
gung zu Defterreich war in Paris nicht unbefannt, man bachte
indeffen wohl noch ihn umzuflimmen. Den charakterfhwachen
Kurfürften von Baiern hoffte Ludwig XIV. (doch jegt noch
vergeblich) zu gewinnen. Zunächft wendete er alle Mittel an,
ben ihm völlig ergebenen Cardinal Wilhelm von Fü
— von —& auf den — Stuhl von
Köln an die Stelle des Kurfürften Marimilian Heinrich, zus
gleich Biſchofs von Hildesheim, Münfter und. Lüttich zu brin⸗
gen, deſſen Tod nahe bevorftand. Damals wurden bie ein⸗
träglichften und wichtigften Bisthuͤmer, auch wohl wie in dies
fem und vielen anderen Faͤllen mehrere, ja vier bis fünf zus
gleich, nicht im Intereffe der Gläubigen oder ber Kirche, ſon⸗
bern mächtiger fürftlichen Samilien und einzelner Prinzen der⸗
felben verliehen, für bie man dann nicht weiter zu forgen
hatte. Die übrigens fehr frommen katholiſchen Fürften fanden
1) Dohna M&m. p. 78 aus ben von feinem Großvater hinterlafe
fenen Papieren. Die Königin Chriſtine war Bermittierin, Ar Pufen-
dorf 1.69 und J. F. Crameri historiae Friderici L
a a Städ 8—9, p- 21.
der Papft unmittelbar gefe
ui Ranle’s Zweifel (Päpfte Ip. II e. 171, Anmerk.
die Borm, vhdfichtiid) deren ex ſicher Recht Hat, nicht bie Sache.
eubwig XIV. . 10
vet 3 bie Päpfte aber, wenigſtens eben fo ſehr
Bidfchten, ungeachtet aller entgegenfichenben Kicchenfagungen
ie Einwilligung zu
kadwig w batte es nun aller Gegenbemühungen des
Leiſes und der Holländer ungeachtet glädlich durchgeſetzt, daß Sommer
Wihelm von Fürftenberg zum Coadjutor des von biefem vdi⸗ 1
&g geleiteten Erzbiſchofs — wurde, Deſterreich dagegen bes
ti hintertrieben). Im Köln dagegen, wo bie
ie Witglieder bes Capitels fo hoch ftieg, daß der Graf Kaus
rit den Fuͤrſtenberg in der Verfammlung einen Landesverraͤ⸗
* ſchalt, waͤhlte dieſen dennoch ber größere Theil des Gapis29. Jull.
‚ die Minderzahl dagegen den Prinzen Clemens, Bruder
Surfürfien von Baiern. Diefen fichzehnjährigen Prinzen,
der bezits zwei Wiöthlimer hatte, beftätigte ber Papft und das
ad uhm ihn an”), —e— durd Defterreich bewogen, daß
von tern noch einmal von Frans
ee Beide Parteien lieſſen ihre
Gelehrte weitiäufig ausführen, doch kam es
an, fondern was den Mächtigen vortheilhaft fehlen.
war zum Aeuſſerſten entſchloſſen, erftens, um
Behauptung Sürften]
— ZE
8
gugeg
Ai
—
8
ei
*
vom I. 1684 ihm auf zwanzig Jahre gelaſſen, nicht
einen Friedensſchluß auf immer abtreten wollten. Cr
jeg gegen das eich, bamit nicht vorher Defters
ih durdy feine Siege die Türken zum Frieden nöthige, zus
hoffte er wohl auch, die deutſchen Fuͤrſten von etwaiger
Unterflügung von Dranien abzuhalten. Auffer ber
Bu
g
2
1) Pufendorf I 5. 11 - 18.
DBazl.a.a.D. 515. > .
2
20 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤck
kdiner Erzbiſchofswahl muſſten noch die Anſpruͤche der Her⸗
zogin von Orleans auf den Nachiaß ihres Bruders, des Ice
ten Kurfürften von der Pfalz aus dem Haufe Simmern Vor⸗
wand geben, Ludwig XIV. ließ Truppen zur Unterflügung
Bürftenbergs in das Kölnifche einruͤcken.
So gern nun Friedrich UI., eben mit dem Unternehmen
Wilhelms auf den engliſchen Thron beſchaͤftigt, ben Frieden
erhalten haͤtte, ſo weigerte er ſich dennoch um den Preis der
rudſtaͤndigen, obwohl fo anfehnlichen franzoͤſiſchen Subſidien
den. Fuͤrſtenberg zu unterftügen, ſuchte vielmehr die Brangofen
von ——e— Koͤlniſchen abzuhalten, weil er beforgte, es
werde dann mit der wichtigen Hauptſtadt Koͤln wie früher
mit Strasburg gehen. Er lieg in Paris vorflellen, bag
bie Expbifcpofßwahl eine Reihöhausangelegenbeit und babei
Fr Einmiſchung ungesignet fe. Was denn König Ludwig
fogen wirbe, wenn einer fireitigen parifer ober Igomer
—— der Belle entfcheiben ober eine ber Parteien
Waffen unterftügen wolle? Er erhielt die ſtolze Ants
mer, — Ehre und das Intereſſe des Koͤnigs geſtatteten nicht
eine Beleidigung zu ertragen.
September Dhne zu zögern erflärte Ludwig dem Reiche den Krieg,
1688 fie zwei Herne in Die Pfalz einbreihen, bemächtigte fi) ders
felben bis zu den Eingängen bes Schwarzwalbes, befegte die
Wormd
Dctober Meichöftädte Kaiſerslautern und Speier, bald auch
und Heilbronn, belagerte und nahm Philippsburg und Hei⸗
delberg. Der Kurfürft von Mainz öffnete den Franzoſen vers
vätherifcherweife feine Hauptfeſtung *), Fuͤrſtenberg befegte
mit gerorbenen Truppen mehrere koͤlniſche Orte, der charak⸗
terſchwache Kurfürft von Baiern fepwankte*), das von Frank⸗
reich aufgereizte Dänemark wolte Hamburg und Lübeck anfals
len, Dberbeutfeplanb ſiand offen, weil fid die Truppen ber
Reichsſtaͤnde in Ungarn befanden; fo blieben hauptfächlich nur
die Proteflanten Norbbeutfchlands zum Schutze de Reichs
übrig. Diefe waren aber auch ihrer Pflichten für das gemein
1) Pufendorf I. $. 88.
2) Wie nahe er daran war ben ihm gebotenen Lockungen zu erliegen
ne ka) “ng Ye I fa Mi.
Sranzöfifher Krieg: 21
ſene Baterlanb wohl. eingeben, vor allen Friedrich II Der
dögerte felbft nicht und mahnte auch Kurfachfen, Celle und
Sefe-Kaffel auf: er habe befchloffen, Ales zur Erhaltung
des Keichs daran zu fegen; ba er allein es nicht vermöge,
beffe er vorzliglich auf fie. Wolle ber Sachfe mit dem Heffen
nad, der Wetterau ziehen, fo wolle er mit bem Lüneburger
Köln und den Niederrhein bedien. Mit ganzer Kraft müffe
die Sache angegriffen werben unb man ſich mit ben treulofen
Srangofen wicht in Unterhandlungen einlaffen. Johann Georg
von Anhalt⸗ Deſſau, der wadere patriotifche Dheim Friedrichs IIE.,
fügte, den Kurfuͤrſten von Gachfen ermunternb, hinzu: bei
einer ſolchen Gefahr muͤſſe man mehr auf das allgemeine Befte,
als auf augenblidliche vom Feinde etwa gebotene Vortheile
ſchen). Friedrich TIL fuchte auch Karl XI. von Schweben von
defien Bunde mit Frankreich zu trennen. Er bewog ben
Sfr und bie Seemaͤchte dem Miniſter Grafen Drenſtierna
iinm Jahrgehalt von 20,000 Thalern auszufegen, bie, um
ae zu erregen, ber Semaptin beffelben uͤbe —
Der Kurflnft von Sadıfen war auch wirklich, obgleich
fin Kerpring fich noch in Frankreich befand, fofort bereit. und
fhidte eilig 7000 Dann, zu denen $riebri II. 2000 Mann
foben Tieß, nach Frankfurt am Main, dann vereinigten fich
beide Lurfuͤrſten mit dem Herzoge Ernſt Auguft von Hannover
md dem Landgrafen von Heilen Kaflel in Magdeburg dahin: 12. Det.
deß fie, eingedenk ihrer Pflichten gegen das Reich, in welches 1688
bie frangöfifchen Heere eingebrochen, und um ihren Mitfürften
Beiftand zu leiſten, zur gewuinſchten Wertheibigung bes Vater⸗
landes und ber Glieder beffelben ihre Truppen wollten binnen
Ki Wochen zwifchen Gießen, Marburg und Wetzlar 21,000
Bern ſtark zuſammen floßen laffen. Die Generalftaaten folls
tn dazu 20,000 Mann ftellen ).
Unterbeffen hatte Friedrich II. bereit 6200 Mann unter
dem Generalen Schomberg und Grumblow an ben Niederrhein
1) Pafendorf L$. 85. . \
9) Aus Gundling, Willen im Wertintr Kalender v. 1822, ©. 22.
9) Pufendorf L$. 86,
22 Bud V. Erſtes Haupefiäd.
geſchickt und die Wermehrung ber Kreistruppen zum Schuge
der ſchwach befegten Stabt Köln thätig betrieben. Von diefer
batten bie Sranzofen ſchon eine Erklaͤrung verlangt, baß fie
nur franzöfifhe Truppen aufnehmen wolle, ald nach Uebers
windung mannichfacher Schwierigkeiten, namentlich bed Widers
firebend der franzöfiihen Partei in der Stabt und der Aengſt⸗
lichkeit des Biſchofs von Mimſter, der Geneval Schomberg
3. Gert. auf Friedrichs IM. Befehl 1200 brandenburgifhe und eben
1688 ſo viel julichſche Mannfhaft als Rreistruppen pineinfügete,
die Stadt fo vor einem plöglichen Hebyefale fiherte und in
Wahrpeit rettete ).
Als nun’ bald darauf Wilhelm "von Dranien, durch bie
brandenburgifchen Truppen in Holland gefichert, gegen feinen
Schwiegervater nach England abfegelte, wenbeten die Franzos
fen, die Jefuiten und die fangtifhen Katholifen in Rom, Mas
drid und Wien Alles an, um Verdacht gegen bie Proteflanten
zu erregen, als fei Gefahr für bie Fatholifche Kirche vorhans
den, vorzüglich um den. Kaifer von Eräftigen Entſchluͤſſen abs
zubalten. Obgleich ihnen die Kaiferin entgegen war, fo bes
wirkten fie doch, daß ber ſchwache Kaifer zögertE, ſich zu ent⸗
ſcheiden ). Vergeblich ftelte Friedrich TIL. in Wien vor: von
einer Gefahr für die katholiſche Kirche koͤnne gar nicht hie
Rede fein; Frankreich fuche nur Spaltung; Wilhelm, Lud⸗
wigs XIV. bitterfter Feind müffe von Deſterreich umterftügt wers
den; er zeigte bie Gefahren der Trennung, ermahnte zur en⸗
gen Verbindung, drängte wiederholt zu kraͤftigem Entfchluffe
und erflärte enblic aufgebracht: ex wolle feinerfeitd thun, was
er vermoͤge, doch allein koͤnne er bie gemeine Sache nicht hal⸗
ten; alle ‚Kraft müffe fi dazu vereinigen, aufferbem er ſelbſt
feben, wie er fich ſchuͤtze ). Erſt als die Nachricht vom voͤlli⸗
gen Gelingen ber Unternehmung Wilhelms und vom Gturze
Jakobs in Wien eintraf, erhielt der franzöftiche Gefanbte Bes
fehl, Regensburg zu verlaffen und man Tann, wie im Jahre
1672 von Zriebrih Wilhelm“), hier von deſſen Sohn fagen,
1) Pufendorf L5. 22
OD Pufendorf L 5. 87. ff.
8) Pufendorf L 88. IL 2
4) Geſch. d. preuſſiſchen Gtante. II. ©. Sit.
Franzoͤſiſcher Krieg. 23
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ichteramt bed Streitö übergeben, vergeblich wurbe
II. für feine Neutralität die Ausfiht auf Erwerbung
, die Zahlung fortdauernder Subfibien, ja die Statt:
— von Holland an Wilhelms Stelle verſprochen, vers
düh Cleve mit ſchweren Kriegöfteuern bebrohet, dann wirds
belegt ). — haͤtte der Kurfluſt gern die Neutralität
fir fine cleveſchen und weftfälifchen Provinzen erwirkt, doch
ur fh von der Vertheidigung des Reichs lodzuſagen. Die
waren auſſerordentlich aufgebracht uͤber ſeine in
Dehaland gegen fie gethanen Schriite, über fein Bimbniß
mit Bilpelm von Oranien und Holland, beſonders aber über
fine Slikrung, daß er feine Truppen zu den übrigen Ver⸗
binbeten nicht nur aus Eifer für die Erhaltung bed mit uns
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Ruhige XIV. einen Zügel anzulegen?). Als fie droheten, feine
Linder mit Feuer und Schwert zu verheeren und daran er:
innerten, daß fie unter des Kurfürften Water bis Minden ges
Innen, auch wohl nach Berlin kommen Fönnten, erklärte ex
ale Unterhanblungen fuͤr abgebrochen, den Bund vernichs
tt, daß er Gott und ber gerechten Sache dad Uebrige ans
beinftelle, befahl dem franzöfiichen Gefanbten Graouvelle Bers
in, ſeinem Geſchaͤftstraͤger aber Paris zu verlaffen und begab
1) Pafendorf I. 5. 41. f. Louvois meinte, bie beutfihen Zür«
Aug aa wur bunt) Genalt und Burke jar Benunft gebradt werben,
2) Dohna p. 79.
4.» Bud V. Erſtes Hauptftäd.
ſich felbft nach dem Haag, um bie zu treffenden Maßregeln
mit den Generalftaaten zu verabreden. Ex ließ zur ſchnelern
Verbindung bei Wefel zwei Brüden über den Rhein ſchlagen,
gewann ben Biſchof von Münfter zum Bunde gegen Frank⸗
‚veich, ließ 20,000 Mann marfchiren'), gab auf feiner Rüͤck⸗
veife aus dem Haag den Generalen Schöning und Barfuß in
Weſel gemeflenen Befehl, mit den Holländern in Uebereinftim-
mung zu verfahren, und zeigte dem Kaiſer an, ba feine Trup⸗
pen, faft das Doppelte der Zahl, zu ber er fich verpflichtet, auf
dem Marfche wären.
Es lag dem Kurflrften vor allen Dingen daran’), bag
die Franzofen aus dem Erzbisthume Köln vertrieben wurben,
wo fie Kaiſerswerth, Werla und Armöberg befegt hatten, von
da feine clevefchen und weſtfaͤliſchen Länder bebroheten, dieſen
bereit3 250,000 Thaler Kriegsſteuer aufgelegt hatten und im
Cleveſchen raubten und brannten. Ex legte eine gleiche Kriegs⸗
fleuer auf den Theil des Kölnifchen, welcher im Befige Fürs
ſtenbergs war, drohete auch feinerfeits mit Feuer und Schwert
und bemächtigte ſich Meflingäpaufens und Dorftens, um ben
Franzoſen darin zuvor zu kommen. Der franzöfiihe Bes
fehlshaber, welcher Werla mit 500 Mann befegt hatte,
drohete, die Umgegend zu verbrennen Der Kurfürft lieg ihm
unerfchroden fagen: wenn er auch nur ein Haus anbrenne,
werbe er ihn mit feinen 500 Mann ind Feuer werfen lafien!
" Halb durch Vertrag, halb durch Lift bewogen räumten bie
Branzofen num das Weftfälifche, verbrannten jeboch ſechzig Haͤu⸗
fee im Glevefchen, worauf General Schöning Befehl erhielt, eben
fo viele Häufer der Anhänger Fuͤrſtenbergs im Kölnifchen zu ver⸗
20. März brennen. Vermoge eines befonbern Vertrags mit dem Statthalter
1689 der fpanifchen Niederlande befegten 800 Brandenburger Geldern”).
1) Sähönings Leben Natmers ©. 96 hat 26,858 Mann; bas
war wohl ber Beſtand aller branbenburgifchen Truppen am Rhein und
in ben Niederlanden, mit denen im Solde ber Generalftaaten.
2) Die Kriegsgefhichte, vorzüglich nad Hennerts (vortrefflichen)
Beiträgen zur brandenburgiſchen Kriegsgeſchichte unter Friedrich I.
Berl und Stettin 1790. 4. Lelder reichen fie nur bis zur Groberung
VBonns. Vergi Pufendorf IL 49 ff.
8) Dumont IV. 2. p. 220.
Sranzöfifher Krieg. 3
Sarg ungewöhnlich früh im Jahre begannen die Brans
Vakaeı in Berbindung mit ben Hollaͤndern ihre Bewegungen,
tüen unter der oberften Leitung bes eben fo Friegögefehidten
8 thligen Generals Schöning bie vereinzelten Pleinen fran⸗
Hiden Zruppemabtheilungen vor fih her, ſchlugen fimfunds.
wemig Schwabronen bei Uerdingen völlig und jagten fie dis
ER das fich fogleich ergab. Die Franzofen räumten nun
alle nicht haltbare Pläge im Jülichſchen auffer Rheinberg und
Kaiferewerth und zogen fich indgefammt unter Pleinen Gefechs
ten verheerend nach Bonn zurück. Die minfterfhen Truppen
bemächtigten ſich der Päffe an ber Muhr, doch verfuchte die
nun freiere Beſatzung von Köln vergeblich, bie Branzofen aus
der bühler Schanze, Bonn gegenüber auf dem rechten Rheins
— zu vertreiben. Schöning gewann indeffen den Befehls⸗
haber in Rheinberg, daß biefer bie Feſtung übergab.
Erſt ald die Flammen der brennenden Städte und Dörfer
der Pfalz gen Himmel ſchlugen und das Geſchrei und Weh⸗
Hagen der umglüdtichen Bewohner zur Rache gegen die frans
Wüden Barbaren aufrief, erwachte auf dem Reichötage allges
mein des tief verlegte beutfche Gefühl der Fürften. Friedrich III.
war über die Verwuͤſtung der Pfalz und feiner clevefchen Laͤn⸗
ber fo erbittert, daß er ſich im Regensburg auf das fchärffte .
über das barbarifche unter chriſtlichen Nationen unerhörte Vers
fahren der Franzoſen aubließ und fomit bie firengen Gutachten
zum Keichskriege gegen Frankreich hervorrief und unterflügte.
Da erſt, nach bebächtiger Zögerung und reiflicher Webers 3. April
legang erklärte dee Kaifer, aufgebracht -fid in feinem Sieges: 1689
inge gegen bie Tuͤrken in Ungarn aufgehalten zu fehen, auf
Berlangen des Reichs an Frankreich den Krieg mit ungewoͤhn⸗
Ui Heftigen Aeuſſerungen Über das Verfahren der Franzoſen:
bie feine Religion, Alter, Geſchlecht und Stand fchonten, we⸗
der Treue noch Glauben hielten, ja felbft bei Tartaren und
Zürken unerhörte Grauſamkeiten verübten und nicht nur für ,
Redye= fordern wie die Türken für Chriſtenfeinde zu halten wären.
Nicht zufrieden bamit, ben Reichsedicten gegen alle Reiches
unterthanen beizutreten, welche den Franzoſen auf irgend eine
Beife Beiſtand leiſten, ja nur in Handels⸗, ſogar nur in
brieflicher Verbindung mit ihnen bleiben winben, erließ Fried⸗
26 Bud V. Erſtes Hauptfläd. J
rich III. Edicte deſſelben Inhalts auch für das Herzogthum
Preuffen, rief alle feine Unterthanen aus Frankreich und fran⸗
zoͤſiſchen Dienften zurlick, belegte alle franzoͤfiſche Güter in
feinen Ländern mit Befclag und befahl, alle franzöfifche Unz
terthanen, bie fih in feinen Staaten aufhielten, gefangen zu
fegen ). Ex vermittelte noch fehr angeſtrengt felbft durch Trup⸗
penbewegungen bie Streitigkeiten zwifchen Dänemark und Hol-
ſtein⸗ Gottorp, beffen fih Schweden und Hannover annahmen
und Dänemark mit Krieg bedroheten, durch einen zu Altona
abgefcploffenen Vertrag, drängte Wilhelm III. von England,
Frankreich den Krieg zu erklären, konnte aber von biefem bie
ihm fo nöthigen Subfidien und die Uebertragung ber Statt⸗
halterſchaft in ben vereinigten Niederlanden auf ein Mitglied
feines Haufed nicht erwirken. Obgleich ex Wilhelm bei beffen
Gelangung auf den englifchen Thron fo nachdruͤcklich als erfolg-
reich unterftiigt, obgleich er noch eben Dänemark bewogen hatte,
7000 Dann in Wilhelms Solde nach Irland gehen zu Iaffen,
fo wurde: ihm doch hier nur mit Undank gelohnt?).
Der Kaifer hatte unterdeſſen fein Bündni gegen Frank:
12 Matrei mit Holland. abgefchloffen, dem fpäter England, Savoyen,
1689 Spanien und einige Reichöflften beitraten, und fo konnte fich
der Kurfürft nun, um Kaiſerswerth und Bonn zu belagern,
felbft zum Heere begeben, welches mit ben Holländern, nach
dem Zugange von 6000 Mann münfterfcher Truppen, einige
und breißigtaufend Mann flart war. Der Oberbefehl war
bier dem Kurfuͤrſten Friedrich IIL felbft, am Oberrheine zur
Belagerung von Mainz aber dem Kurfuͤrſten von Baiern mit
dem Herzoge Karl von Lothringen Überlaffen.
Unter dem Kurfuͤrſten Friedrich III. befehligten hauptſaͤch⸗
lich die Generale Schöning, Spam, Meinpard, Schomberg
und Barfuß. Das franzöfifche Heer nahm eine Stellung von
vierzig Meilen Länge ein und Tonnte baher auf Feinem Puncte
echt Eräftigen Widerftand leiſten.
Gleich nach feiner Ankunft in Wefel, wo der Hof blieb,
1) Pufendorf IL 48, Theatr. Europ. XI. p. 659 ff. Ebict
vom 18, April 1689.
2) Pufendorf II. 17 f. und Sb ff.
Kalferswerth. Bonn. 27
begab ſich bes Kurfürft und zwar nicht, wie er in Berlin zu22 Int
Ihe gmohnt war, prächtig und mit großem Gefolge, fons 1689
dem ciſach felbgemäß zum Heere vor Kaiſerswerth, das feit
zwei Augen befchoffen — und verſtaͤrkte den Angriff, nach⸗
dan bie branbenbutrgifche Artillerie angekommen mar, bermaßen, 24. Juni
dub fh aum zu feiner großen Freude nach weniger als vier⸗
wbgwenzig Stunden ber Gommanbant zur Uebergabe genoͤthigt
füh, jedoch mit ber Beſatzung freien Abzug erhielt. Die Fer
fung wurde dem Kurfürften Clemens von Köln übergeben, fo
Unternefmungen, benn im Heere wie am Hofe ae
dan guthergigen Kurfürften Kraft, Parteien zu: zügeln”), bie
a5 yerfönlicher Feindſchaft und nur um ihren Gegner zu
ſdeden oder doch wehe. zu thun, bad Öffentliche Beſie zu ot oft
as Spiel festen. Endlich wendete ſich der Kurfinft im Eins
Weflänteiffe mit den verblndeten Generalen gegen Bonn, ben
inige feften Pla, welhen die Franzofen noch am heine
beiten, in dem jedoch ber tapfere Adfeld mit einer 8000 Mann
Fam Befagung lag. Schöning beftand darauf, Bonn vom
Tüten Ufer ber zu bombarbiren, womit aud die Holländer
ud Minferfchen einverflanden waren, weil fie meinten, nach
Bebrennung der ſtarken Magazine würde ſich bie Feſtung, in
de zahlreiche Reiterei lag, ergeben möüffen. Ungeachtet ber
lgsgengefeisten Anficht des Königs Wilpelm von —
und anderer Kriegeverlänbigen wurbe bas ins Werk gefegt.
Dar General Barfuß führte den Angriff auf die buͤhler Schanze 4. Juli
N) Wie reäittich und offen das Verfadren Friebrichs M. war, zeigte
a fein Anerbieten an den Kurfürften Glemens von Köln, alle von den
Beandeaburgern eingenommenen kdiniſchen Feſtungen zur Hälfte mit kol⸗
len Zruppen befegen zu wollen. Pufendorf II. 5. 53.
NRinds Leben Kaifer eopotbs IH. p. 1013.
„I Die Stadt Reuß kaufte von Schöning gezwungen bie Plänberung
beffen
Weil detam. Gchöning behielt feine 1000 Thlr. Pufendorf IL 6.58.
28 Bud V. Erſtes Hauptftäd.
aus. Zum Gläde fprang während der heftigen Beſchieſſung
und als eben der Sturm angeordnet war, dad Pulvermagazin
der Schanze. Sogleich erflürmte fie Barfuß, während bie
durch jenen Unfall in Verwirrung gebrachte Befagung nur an
ihre Rettung dachte, jeboch zum größefien Theile gefangen wurbe,
indeffen Andere im Rheine ertranfen und nur eine eine Ans
zahl nach Bonn entkam. Um bie Eroberung biefer damaligen
Feſte dem Verlangen ber Verbündeten gemäß zu befchleunigen,
gab der Kurfürft nun, boch nur ungern, nach, daß die Stadt
24. Zul hombarbirt wirde. Von ber bühler Schanze aus gefchah das
1689 mit 161 Stüden unter der Leitung bes branbenburgifchen
Dberften Weiler fo überaus nachdruͤcküch, daB nad) einer hal-
ben Stunde die Stabt bereits an mehreren Orten in Flammen
Fand. Die Kirchen, das Gymnaſium, der Furfürftliche Palaft,
viele Magazine, ja faft alle Häufer der Stadt bis auf zwan»
sig ſanken ſchnell in Afche, ber tapfere Commandant aber zog
feine Zruppen aus ber brennenden Stabt in die Auffenwerke,
ergab fich. wie der Kurfuͤrſt beforgt hatte, ungeachtet daS fuͤrch⸗
terliche Bombarbement vier Tage hintereinander fortdauerte,
dennoch nicht, beſchwerte ſich vielmehr mit Recht bitter darüber,
dag man die Stabt verbrenne und nicht bie Feſtungswerke an⸗
greife. Man verfehlte katholiſcherſeits nicht, das Gehäffige
bes Verfahrens gegen Bonn fogleih auf bie Eiferſucht der
Proteftanten zu werfen '), welche baran ficher nicht den gering»
ſten Antheil hatte.
Nun gaben die untereinander hoͤchſt uneinigen Generale
fehr verfchiedene Gutachten barıber, ob einfache Einſchlieſſung
ober Belagerung des Piatzes zwedimäßiger ſei. Schöning, um
1) Wagner vita Leopoldi, T. II. p. 1007. ie groß das gegen-
feitige Mistrauen war, zeigten die Bewegungen am Beihätage zu Be:
gensöurg 1691 auf bas bloße Geriäht, daß Gngland, bie Generalftaaten
und Brandenburg einen befonbern Vertrag gegen bie Katholiken, vor⸗
aaguch gegen Minfter, gefäloffen hätten. Friedrich IIT. erflärte das
(27. Zunt 1691) für eine boshafte Erdichtung, daß er nicht an Saͤcula⸗
riſationen denke unb bereit fe, mit dem Biſchofe von Mänfter und allen
geitüchen Fürften Verpflichtungen eingugehen, weiche bie katholiſchen Fur ·
fien zur Sicherheit ihrer Religion vorfchlagen würden. Auch Defterveich
lehnte bie Veſchuldigung ab, als wenn bie Katholiken über Silhelms ILL.
Ipronbefteigung mißvergnägt wären. Theater. Europ. XIV: p.86 u.87.
Belagerung Bonns. 20
beneifen, wie mangelhafte Anftalten Schomberg getroffen,
bewog tan Kurfuͤrſten, bie Lage des Platzes in eigener Perfon
zu beiätigen. Es begleitete ihn auffer Schöning und Ebers
hard von Dankelmann, weil aus Berfegen 1000 dazu bt
ÄgteBeter nicht bereit waren, nur noch eine Feldwache. Den
Zuspfen war biefe Erkundigung verrathen worben. Als der
Kufak fih der Feſtung oft bis auf 500 Schritte vom Glatis
nihete, wurde ſiark auf ihn gefeuert, fo daß viele Kugeln
mabe bei ihen einfchlugen und Eberhard von Dankelmann ihn
üfkadig bat, fein Leben nicht außzufegen. Mit einem auch
dem fämädfen Fitſten aus dem hohenzollerſchen Haufe eigens
Himlicen Muthe beachtete er biefe Vorſtellungen nicht, fons
den sitt ruhig weiter und gerieth durch einen ihm bei Pop
wiiterf gelegten Hinterhalt in der durch Hecken und Gräben
fe burbrochenen Gegend felbft in Gefahr gefangen zu wers
den Er ließ hier eine Reboute aufiwerfen, welche die Brans
denbunger auch gegen einen Ueberfall und heftigen Angriff der
Gramgofen tapfer behaupteten. Indeflen wurbe bie Feſtung vor ⸗
Mag nur . eingeſchloſſen, denn der Kaifer verlangte Unters
die Belagerung von Mainz. Der Kurfürft erwies
date: — keinen Mann miſſen, und beſchloß, trotz der
Uneimigkeit der Generale, dem Gutachten Sgoͤnings, Spaens
de rinſerſchen Befehlshabers Schwarz und einiger Anderen
gaih, die Belagerung Bonns zu unternehmen. Er ordnete 16. Zug.
De fe am, legte dazu bie Zruppen in einem Halbzirkel um 1689
— ſchio ihn enger ein und ſein Oberſt Weiler eroͤff⸗
drei Tage darauf das Feuer gegen die Werke. Der Kurs
s 1 vg auf mögliche Befchleunigung der Arbeiten, weil
irtiere im Luxemburgiſchen nehmen wollte, ins
—— von Waldeck den Marſchall d' Humieres bis an
die Grenze der Champagne zurldgebrängt hatte, auch die
Sramofen in der Feſtung bereitö Mangel litten und ihre Pferde
Kaum hatte er aber dem thätigen "General Schds
FA Dberbefehl als Zweiten übertragen, als bereits ber
1 Boufflerd mit einer ſtarken Heeresabtheilung von ber
Bofel her zum Entfage ber Feftung beranrlickte, daB adıt Meis
fen davon befindliche von ben Kaiferlichen beſetzte Kochheim 27, Aug.
Minste und ſich bis auf vier Meilen näherte. Der Kusflcfl,
=
Hei
8. St.
1689
9. Sept.
80 Bud V.. Erſtes Hauptſtuͤck
welcher bie Gefahr dieſer Bewegung begriff, ſchictte ſogleich
Schoͤning mit 10,000 Mann ab und befahl ihm, die Frans
zoſen Eräftig anzugreifen und Über die Mofel zurkdzuwerfen.
Boufflers erwartete Schönings Ankunft nicht, zog ſich viel
mehr bei beffen Annäherung wieder über bie Mofel zuruͤck.
Sogleich trat auch Schöning feinen Rädmarid nah Bonn
wieder an.
Während feiner Abweſenheit hatten bie Belagerungsarbeiz
ten nur ſchwach fortgefegt werben innen. Asfeld wehrte ſich
tapfer und machte mehrmals flarke, "öfters glüdtiche, immer
kraͤftige Ausfälle. Bu gleichen Beit baten die Kaiferlihen vor
Mainz dringend um Unterfiägung. Großmüthig gab ber Kurs
fürft fein Intereffe vor Bonn auf und befahk dem General
Barfuß, eilig mit 6000 Mann nah Mainz zu marfchiren.
Barfuß, der zehn Jahre Länger als Schöning biente, ſowie
Meinhard von Schomberg, der mit biefem in gleichem Grabe
fand, hatten fich dem hoͤchſt ſtolzen und unerträglich herrfch-
füchtigen Kriegsmanne nicht unterorbnen und feinen Befehlen
nicht Folge Teiften wollen, ja feit einiger Zeit fogar die öffent
lichen äufferen Formen bdienftlicher Achtung gegen ihn verlegt
und Schöning fich barlber doch vergeblich bei dem Kurfürften
beklagt *). Die Ernennung deſſelben zum erften Befehlshaber
nach dem Kurflicften hatte den Rangſtreit unterbrüden follen,
aber ben General Barfuß nur noch mehr gereizt. Die 6000
Dann waren abmarfchirt und am folgenden Tage war Schoͤ⸗
ning von feinem Zuge gegen Boufflers zuruͤkgekehrt. Bar
fuß, der noch im Hauptquartiere war, hatte ihm nichts anges
zeigt, worhber fi Schöning bei dem NKurfürften beſchwerte
und biefem gerabezu fagte, er werbe Barfuß niederftechen, wenn
diefer ihm (wie früher mehrmals) die kriegeriſchen Ehrenbezei⸗
1) Wie weit das ſchon früher ging, erzählt Dohna p. 78. Schontng
verbot feinem Neffen, ber im Bregiment der Barbe befehligte, dem Mars
ha Schomberg / wenn biefer ‘vor bem Begiment erfeheinen wäcbe, bie
kriegeriſchen Ehren zu erweifen, worauf Schomberg nun bem Dohna
baffelbe verbot, wenn Schoͤning vor ben Grands Mousquetairs erſcheinen
wuͤrde. Es Lam zu groben Ausfällen und faft zu Morb und Todtſchlag.
Diefe Herren riefen laut, vor der Front, Ihren Regimentern zu, den
Gegnern Etine Chrenbezeigungen zu erweiſen.
D
Belagerung Bonne 3
gegen verweigere. Als ſich nun Barfuß bei bem Kurfürſten
beulaubte, befahl ihm dieſer, ben Schoͤning Anzeige vom
Barfug ihm der Kurfürft
befohlen haͤtte, wuͤrde er es noch nicht gethan haben. Schoͤ⸗
#
3
g
|
un de De egen abgenommen, Schöning aber verhaftet; er vers
vor ein Kriegögericht geflellt zu werben. Der Kurfückl,
ungimfig für Schöning aus, welcher auf fein Gut in der
Remmark verbannt wurde, feinen Abfchied nahm und in fächs
ſiſche Dienſte trat”), wogegen ber fächfifche General Heino
Heinrich Flemming ald Generalfeldmarſchall in brandenburgifche
überging °), ein Tauſch, bei dem ber Kurfürft nur zu fehr vers
1) Bom 6. Aug. 1688. Auch wenn feine. Entteibung ftattfand,
fon die Duelfanten ohne RBeitfäufigkeiten hingerichtet, entteibte Adelige
auf dem Schindanger verſcharrt, Bürgerliche an den Galgen gehängt
werben.
2) Den Vorfall erzaͤhlt am beften Schoͤnings Leben Ragmers
S. 171 ff. Beniger genau Hennert ©. 117 u. Pufendorf I. 56.
3) ©. über ihn (Königs) alte und neue Denkwuͤrdigkeiten der
32 Bud V. Erſtes Hauptftüd.
for, indem er für einen Feldherrn nur einen tapfern Solbaten
und Hofmann erhielt. Es zeigte fih hier, wie viel bie Um⸗
gebungen bed Kurflrften über ihn vermochten, denn obgleich
Schoͤnings hochfahrendes Wefen und abflogender Stolz ihm
natütlih viel Feinde gemacht hatten, fo duͤrfte dad formale
Unrecht wenigftens ſchwerlich auf feiner Seite und es faum zu
verantworten geweſen fein, baß ber wahrſcheinlich tuͤchtigſte
General des branbenburgifchen Heers ber Kabale ber ihm
untergebenen, auf ihn eiferfüchtigen Mitgenerale aufgeopfert
wurbe. -
a Die Uebergabe von Mainz geflattete den auf bem Marfche
9 befindlichen Branbenburgern nach Bonn zuruͤckzukehren und
nach erhaltener Nachricht, daB auf Anſuchen des Kurfürften
14,000 Kaiferliche, imeburger und Heſſen anlommen würden,
ließ diefer fogleich die Laufgräben auf drei Seiten von Bran⸗
benburgern, Hollaͤndern und Münfterfchen eröffnen und die
Arbeiten thätig betreiben. Er felbft befuchte die Laufgräben
täglich und ermunterte die Truppen durch fein Beifpiel und
freigebige Belohnungen. Die Befagung, ungeachtet fie Man-
gel an Lebensmitteln Kit und zahlreiche Kranke hatte, fo dag
viele Soldaten zu den Belagerern überliefen, fiel dennoch oft
aus und Asfeld verteibigte die Feſtung möglichft tapfer und '
einſichtsvoll.
2a. Sept. Nach dem Eintreffen der 14,000 Mann Verſtaͤrkung wurde
dad Feuer gegen den Platz allgemein mit großer Heftigfeit ers
Öffnet und mit Erfolg zehn Tage hindurch fortgefegt. Der
Kurfinft ordnete num, nachdem die Laufgräben aller tapfern
Gegenwehr ungeachtet bis an ben Zuß des Glacis vorgeruͤckt
waren, nach gehaltenem Kriegsrathe den Sturm auf ben bes
deckten Weg an. Diefer wurde von den Brandenburgern mit
großer Tapferkeit ausgeführt; fie bemächtigten fich nicht nur bes
bebediten Wegs, fondern von ihrem Muthe unter den Augen
ihres Fürſten fortgeriffen, auch der nächften Werke, drangen
bis zum Hauptwalle vor und festen fich dort feſt. Auch die
Angriffe der übrigen Heeredabtpeilungen hatten günftigen Er—
folg. Dennoch wollte der heldenmuͤthige, jegt noch dazu ſchwer
preuſſiſchen Armee, ©. 147. Gr war ein guter Officer, nur nicht mit
""Göning.zu vergleichen.
Eroberung Bonns. 33
veraunbete Asfeld, befien Beſatzung von 8000 Mann bis
auf 1500 Dienfifähige geſchmolzen war, eher flerben, als daß
die, wie der Kurfuͤrſt anfänglic) verlangt hatte, nach alter
Eite der Befiegten, mit weiſſen Stäben in den Händen, abs
Heben und bie Feſtung räumen ſollten. Der Kurfürft, welcher
Zupierfeit auch am Feinde zu ſchaͤtzen wuflte und unnlged
Öuergieffen gern vermieb, bewilligte ihm daher den Abzug 12.
mit friegerifchen Ehren und ſchickte feinen eigenen Leibarzt zu
dem, wie ſich dann zeigte, töbtlich verwundeten Commandanten.
So hatten fich denn die Verbimbeten aller feſten Pläge
am Rheine wieber bemächtigt unb bie Zeit der Winterquartiere
war herangekonnnen, tiber beren Vertheilung nun ber herkoͤmm⸗
Üde Sterit begann. Wir haben bereitö gefehen ), daß diefe
damals im Reiche fo vertheilt zu werben pflegten, daß die
Untheile zu einem gewiſſen Gelbbetrage angefchlagen wurben,
melden die dazu bezeichneten Länder liefern mufften. Dem
Sufürken hatte der Krieg gegen drei Millionen Thaler gekoſtet
wd obmohl er faft boppelt fo viele Truppen als andere Keichs⸗
Made geftellt, doch ſchon im vergangenen Winter nur Winter:
martine zum Werthe von 525,000 Gulden befommen; jegt
apfınd ex es nun fehr übel, daß 6000 Lüneburger Quartiere
abilten, aus denen fie eine Milion Gulden ziehen konnten,
whrend man ihm für feine 25,000 Dann deren zu weit
grüngerem Betrage angewiefen”). Alle Vorſtellungen beim
Safer waren ohne Erfolg. Als er um einen Theil der Quarz
tige im Juͤlichſchen nachfuchte, antwortete ber Paiferlihe Mi⸗
“ie Freitag: mit Juͤlich werde des Kaiſers Augapfel berührt.
Die Raiferin Eleonore, geborene Prinzeffin von Pfalz:Neuburg,
hate das für ihr Vaterland durchgefeßt. So muffte Friedrich IM.
10000 Mann feiner Truppen auf das linfe Rheinufer ziehen,
fir die 15,000 Mann, welche auf dem linfen Ufer blieben,
raten ihm noch Spanien und bie Generalftaaten Winterquar—
fine zum Werthe von 300,000 Gulden ab’). Im Anfange des
1) Preuſſiſche Gef. St. IL. S. 868.
9 Pufendorf 1. 5. 49.
‚9 Pufendorf II. 60. Wie groß fein Gelbmangel war, entnehmen
Wie aus der Inftruction, weiche Meinhard von Schomberg (7. Aug- 1689)
fit, als er zu Wichelm HIT, geſchict wurde. Das Heer koſte monat
Stenzet Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IT. 3
22
32 Bud V. Erſtes Hayptftüd.
Tor, indem er fix einen Selbherm nur einen tapfern Solbatın
und Hofmann erhielt. Es zeigte ſich hier, wie viel bie Um:
gebungen des Kurfürflen über ihn vermochte, denn obgleich
Schoͤnings hochfahrendes Wefen und abftogender Stolz ihm
natürlich viel Feinde gemacht hatten, fo binfte das formale
Unrecht wenigftens ſchwerlich auf feiner Seite und es kaum zu
verantworten geweſen fein, bag der wahrfcheinlich tüchtigſte
General des brandenburgifchen Heers ber Kabale der ihm
umtergebenen, auf ihn eiferfüchtigen Mitgenerale aufgeopfet
wurde.
a Die Uebergabe von Mainz geftattete den auf bem Marſche
befindlichen Brandenburgern nach Bonn zurüdzufehren und
nad erhaltener Nachricht, daß auf Anfuchen des Kurfürften
14,000 Kaiferliche, Lüneburger und Heffen ankommen winden,
ließ biefer fogleich die Laufgräben auf drei Seiten von Bram
benburgern, Holländern und Münfterfchen eröffnen und bie
Arbeiten thätig betreiben. Er felbft beſuchte bie Laufgräben
täglich und ermunterte die Truppen durch fein Beiſpiel und
freigebige Belohnungen. Die Beſatzung, ungeachtet fie Man
gel an Lebensmitteln litt und zahlreiche Kranke hatte, fo daß
viele Soldaten zu den Belagerern überliefen, fiel dennoch oft
aus und Asfelb verteidigte bie Seflung möglichft tapfer und
einſichtsvoll.
a. Sept. Nach dem Eintreffen der 14,000 Mann Verſtaͤrkung wurde
das Feuer gegen den Platz allgemein mit großer Heftigkeit er⸗
öffnet und mit Erfolg zehn Tage hindurch fortgefegt. Der
Kurfinft ordnete nun, nachdem die Laufgräben aller tapfem
Gegenwehr ungeachtet bis an den Fuß bed Glacis vorg
waren, nach gehaltenem Kriegsrathe den Sturm auf den Der
decten Weg an. Diefer wurde von den Brandenburgern mit
großer Tapferkeit ausgefuͤhrt; fie bemächtigten ſich nicht nur bed
bebedten Wegs, fondern von ihrem Muthe unter ben Augen
ihres Fürften fortgeriffen, auch ber nächften Werke, brangen
bis zum Hauptwalle vor und fegten ſich dort feſt. Auch dit
Angriffe der übrigen Heeresabtheilungen hatten günftigen Er:
folg. Dennoch wollte der heldenmüthige, jegt noch dazu ſchwer
preuſſiſchen Armee, ©. 147. Er war ein guter Officer, nur nicht mit
Schoͤning zu vergleichen.
Eroberung Bonns, 33
verambete Asfelb, defien Beſatzung von 8000 Mann bis
auf 1500 Dienfifähige geſchmolzen war, eher flerben, als daß
dieſe, wie der Kurfuͤrſt anfänglich verlangt hatte, nach alter
Cie der Beſiegten, mit weiſſen Stäben in den Händen, abs
zeher nd die Feſtung räumen follten. Der Kurfürft, welcher
Apfekeit auch am Feinde zu fchägen wuffte und unnuͤches
Butsergieffen gern vermieb, bewilligte ihm baher den Abzug 12. Det.
at kisgerifcpen Ehren und ſchickte feinen eigenen Leibarzt zu 1689
dan, wie ſich dann zeigte, töbtlich verwundeten Commandanten.
So hatten ſich denn die Verbimdeten aller feften Plaͤtze
an Rheine wieder bemaͤchtigt und die Zeit ber Winterquartiere
war herangekommen, über deren Vertheilung nun ber herkoͤmm⸗
Ühe Ehrrit begann. Wir haben bereits gefehen *), daß dieſe
bumals im Reiche fo vertheilt zu werben pflegten, daß die
Ltheile zu einem gewiffen Geldbetrage angefchlagen wurben,
melden die dazu bezeichneten Länder liefern mufften. Dem
hatte ber Krieg gegen drei Milionen Thaler gekoftet
md obwohl er faft doppelt fo viele Truppen ald andere Feichs⸗
Püde geteit, doch ſchon im vergangenen Winter nur Winter:
Arten zum Werthe von 525,000 Gulden befommen; jegt
and er es num fehr Übel, daß 6000 Limeburger Quartiere
ein, aus benen fie eine Million Gulden ziehen konnten,
wihrend man ihm fir feine 25,000 Mann deren zu weit
Hrügerem Betrage angewiefen?). Alle Vorſtellungen beim
Safa waren ohne Erfolg. Als er um einen Theil der Quar⸗
fer im Jülichfchen nachfuchte, antwortete der Faiferlihe Mi⸗
Ber Freitag: mit Jülich werde des Kaiſers Augapfel berührt.
De Kaiferin Eleonore, geborene Prinzeffin von Pfalz: Neuburg,
hate das für ihr Waterland durchgefegt. So muffte Friedrich III.
10000 Wann feiner Truppen auf das linke Rheinufer ziehen,
fir die 15,000 Mann, welhe auf dem linfen Ufer blieben,
tan ihm noch Spanien und die Generalftaaten Winterquars
fere zum Berthe von 300,000 Gulden ab’). Im Anfange des
1) dreuſſiſche Geſch. Wh. IL. ©. 863.
9 Pufendorf 1. $. 49.
‚9 Pufendorf II 60. Wie groß fein Gelbmangel war, entnehmen
R end der Jaſtruction, weiche Meinharb von Gchomberg (7. Aug. 1689)
"eit, ala er zu Wilhelm III, geſchiet wurde. Das Heer Lofte monai
Stenzet Gef. d. Preuffifc. Staats, LIE, 3
34 Bud V. Erftes Banptftäd.
1690 folgenden Jahres fielen num bie Franzoſen in das Juͤlichſche ein,
verheerten es ſchrecklich und wirrben das noch weit mehr gethan
haben, wären fie nicht von ben Brandenburger, die in Geldern
fanden, hinausgejagt worden; dann fommten bie 10,000 Brans
benburger vom rechten Ufer bei der Eröffnung des Feldzugs
nicht frlih genug auf dem Plage fein, was fehr nachtheilig war.
“ ,,.,Imbefien weber die geringe Anerkennung, die Friedrich IH.
beim Kaifer fand, noch der Undank König Wilhelm’s ımb bes
Kurfürften Clemens von Köln und bie Eiferfucht Luͤneburgs
konnten ihn von feiner Vertheidigung Deutſchlands gegen Frank⸗
reich abbringen. Er erflärte nur zu offen, es wären ihm durch
ben franzöfifchen Refidenten in Hamburg fehr vortheilhafte Be⸗
dingungen zum Bunde angetragen worden, er habe aber er=
wiebert: wer ihm noch einmal ein foldes Schreiben bringe,
den wolle er aufhängen laffen. Doch ging er vom Heere nach
Steve, wo er fi) wie in Minden Hulbigen ließ, und kehrte
7.Rov.nach Berlin zuruͤck, wo er ald Steger mit großer Pracht em⸗
pfangen wurde. Allein auf bie Eroberung Rheindergd, Bonns
und die Befreiung des Kurfuͤrſtenthums Köln wurden neum
Medaillen zu Ehren Friedrichs IL. geprägt’). .
Der Kaiſer ſetzte den Krieg gegen Frankreich laͤſſig fort,
1690 um feine uͤber bie Tuͤrken errungenen Siege, bie feinem Haufe
größere Vortheile verfprachen, defto Fräftiger zu verfolgen. Er
meinte wohl, das Reich müffe für fich ſelbſt forgen und bie
Bürften ſchon ihrer felbft wegen fi wehren; auch hatte er
den obwohl immer treulofen Herzog von Savoy gegen Frank⸗
reich gewonnen. Allein die Verbindeten erſchlafften ebenfalls.
Die Sachſen erfchienen erft im Auguft aus den Winterquar-
tieren und fanden nur zwei Monate Hindurch im Felde. Weber
fie noch die Heffen wollten über ben Rhein gehen, wenn ber
Kaiſer nicht für Proviant forge. Den halben Sommer bin=
durch wurde geſtritten, wo bie Heffen fechten folten; biefe
ſaßen unterdeffen ſtill in ihren Quartieren. Der Leitung des
Ganzen fehlte Einheit. Friedrich II. wollte den Oberbefehl
ich 50,000 Thir. (?), der König möge ihn durch Gubfibien unterftägen,
Kazners Lehen bes Marſchalls von Schomberg IL. &. 275. Pufen-
dorf IM. $. 82 gibt an: monatlich über 200,000 Thlr.
1) Guͤtther S. 23 5.
Eranzöfifer Krieg. 35
wozu ber Kaifer ben allerdings geeigmetern
——* beſtimmt hatte; unter and felbft neben
jahrenen, rauhen Kriegsmanne konnte ber Kerfuͤrſt
MUB der Dem farb und Friedrich II. einem
je der WBerbündeten im Haag gemaͤß nun den Ober⸗
übernehmen wollte, weigerten fi) die Heſſen, ihm zu
und mufften anderweitig verwendet werden. Die
eier woliten nicht aus ihrem Lande gehen,
und Münfterfhen unter dried⸗
le blieben. Der Kaifer gab ben Reich:
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und ben Feind anzugreifen. Des kaiſerliche Minifter
ſelbſt ſah daB ein und meinte: fo gehe es immer,
wm dick Köpfe segierten, deren jeber feiner Anficht fols
gen wolle; bei einer ſolchen Verwirrung koͤnne nur Gott bei
fen. Der fpanifche Gefandte Aufferte: der Kaifer habe Räthe,
de warig danach fragten, ob ganz Deutſchland zu Grunde
gehe, wen nur in Ungarn eine elenbe Hütte erobert werbe‘).
Nest fehlugen bie Franzoſen die engtiſch⸗hollaͤndiſche Biotten, gu
mb der Marfſchall von Luxemburg ben Fürften von Watbet 1
&peine in den Winterquartieren, welche fie exft zu Ende bes.
Bonats Juli verlieffen. Die Hollaͤnder machten nun dem Kurs
fürfen darlıber Vorwurfe. Diefer, eben aus Preuffen in Mefel
Umgetroffen, rechtfertigte ſich und warf die Schuld auf ben
bring Hof, der ihn genöthigt habe, feine Xruppen auf dem
rechten Rheinufer unterzubringen. Run wurde Spanien für
feine Niederlande beforgt und der Generaiflatthalter berfebn, 6. Sept.
Rarquis von Caſtagnaga ſchloß mit dem Kurfürften einen
Beitrag, durch welchen ſich biefer verpflichtete, fuͤr monatlich
100,000 holländifcke Gulben 20,000 Mann feiner Truppen zur
Unterflügung des verbinbeten ſpaniſch⸗ hollaͤndiſch⸗ engliſchen
Heers fuͤr die Dauer des Kriegs fortwaͤhrend auf dem linken
Kyeinufer zu laſſen und keinen abgeſonderten Frieden noch
1) Pufendorf II, 5. 38.
—
3*
36 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
id mit Frankreich einzugehen‘). Um nun dem
Vorwurfe zu entgehen, daß er zwifchen Mofel und Maas, wo
die muͤnſterſchen und juͤlichſchen Truppen genügten, —S&
ſitzen wolle, ging er uͤber die Maas und verſtaͤrkte
ba8 „eer der Werbimdeten in Brebent fo, daß Peer
fich ungeachtet ihres Siegs zuruͤckzogen. Gern hätte es ber
Kurfürft zur Schlacht gebracht, wiederholt brang er darauf,
doch wollten bie Holänder und Spanier nichts wagen, es war
kein feſter Plan, Feine Entſchloffenheit bei den MWerbiindeten,
dazu Rangflreit und anderweitiger Swift unter ben Befehls⸗
habern, deren jeber von feinem Kriegäheren befonbere Verhal⸗
tungöbefehle hatte, wie weit er bem Sberbefehlöhaber gehor-
famen follt. So war Alles gehemmt, bie Franzoſen hatten
ziemlich freies Spiel, verheerten das Luͤttichſche, ſetzten Aachen
in Schreden, gingen ſogar fiber den Rhein und plümberten
bier eine Strecke Landes. Aller Eifer, alle Bereitwilligkeit
unb ‚Hingebung $riebrich& IIL war vergeblich, weder am Dbers
noch am Niederrheine geſchah etwas, auffer daß bie Länder
von ben eigenen Truppen außgefaugt wurben unb die Feld⸗
herren fich bereiherten; kaum daß man bie Franzoſen nöthigte,
über den den Bela zuruͤckzugehen.
Dann erneuerten ſich die Klagen üͤber bie Sinterquar⸗
tiere; ber Kaiſer hatte verſprochen, Die Brandenburger wie
feine eigenen Zruppen zu bedenken, allein während er biefen
Winterquartiere zum Betrage von fünf Millionen Gulden ans
weifen Tieß, —2 die an Zahl ſtaͤrkeren Brandenburger
deren nur zum Belaufe von 300,000 Gulden. Damit war
Beiedrich M. nicht zufrieden, weil er, wenn ihm auch alle
zugeſicherten Subfibien bezahlt würden, dennoch jährlich eine
Milion Thaler zufchieflen muͤſſe. Was Spanien gebe, reihe
Baum für 5000 Mann aus. Doch warn alle Vorſtellungen
vergeblich). Die Franzofen eroberten Mons und ſchlugen
Waldeds Nachtrab bei Leuſe.
Im den folgenben Feldzugen wurde am Rheine und in
wenig ausgerichtet, der Krieg beiberfeitö von Jahr zu
1) Dumont VIL 2, p. 269. Pufend, II. 5.82 hat 7. a.
9 Pufendorf IL 5. 19.
Eranzsfifher Krieg ”
Zahe ſchlaffer geführt’), vorzüglich von den Deutfchen, welche
—— inmer ſpaͤt, oft erſt im Juli verlieſſen
wd xgen Ende September wieder bezogen, deren Generale
weing, durch die beſonderen Befehle ihrer Fuͤrſten gebunden,
——— ſchwer, oft gar- nicht bewogen werben
rung
win. & — wohl, bag während eines Gefechte ein
General mit dem andern in Wortwechfel und fo weit kam,
dep beide zu ihren Piftolen griffen ). Die brandenburgifchen
* Randen abgeſondert unter den beiden Feldmarſchaͤllen
Fenming und Spaen, welche unabhängig von einander han⸗
delten, daß auch jeber für ſich feine Berichte nad Berlin
fhidte und Kr dort Befehle erhielt. Hierzu Tom, daß bie
Amwinde de deutfche Fürften gegen ihn aufbracte. Der
liſerliche Hof berief vergeblich Eriegserfahrene Männer, um zu
efefhen, was Jeder wuſſte, daß Zerfplitterung ber Kräfte und
Bugel an gegenfeitiger Unterftägung Urfache an ben geringen
Crigen war. Dan konnte dem nicht abhelfen. Am Alm,
fm war eö, Wenn Die Bürften felbft mit zu Selbe gingen, wa
indeſen ve Kurflrft, mit Ausnahme einer kurzen Zeit im
31692, auch nicht mehr that. Der Markgraf Ludwig von
Baden ade es daher, als er in biefem Jahre ben Dbers
beicht über das Reichsheer übernahm, ſehr vorfihtig zur Bes
dingung, daß Fein Kurflirft dabei anwefend fein folle?).
So war es nicht zu verwundern, baß die Sranzofen Fort⸗
färitte machten, dab Würtembergifche plünderten, felbft in
Franken eindrangen und nur durch bie geſchickten Bewegungen
des Markgrafen Lubwig von Baden zum Rüuͤckzuge genöthigt
wrden. König Wilhelm IIL befehligte an ber holldndifc-
belgiſchen Grenze mit mehr Thaͤtigkeit / konnte aber den Der:
D) Wagner T. a m, AB bes fee ren Die Schwaben
Riten mit den Sronten über den Borrang, bann wollten bie Sachſen
nicht.
2) Wie Ragmer gegen den Grafen von ber Lippe. Schoͤninge
Rune: ©. 120. °
3) Wagner vita Leopoldi T. II. p. 218 f. 221 u. 248.
3 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
1692 luſt Namurs, wobei drei Bataillone Brandenburger gefangen
wurden '), nicht verhindern und empfand die Ueberlegenheit des
kriegsgeſchickten Marſchalls von Luremburg hart, als ihn biefer
1693 bei Steinkirchen, dann bei Nieberwinben ſchlug und Ghazleroi
eroberte. Nach beffen Tode wurde hier das Gleichgewicht
wieder hergeſtellt. Unter König Wilhelm eroberte General
1695 Coehorn, Fräftig unterfiligt durch bie tapferen Brandenburger,
Namur wieder und der König fagte felbft: „Das ift ſchoͤnes
Fußvolk, doch ift es noch tapferer als ſchoͤn“, und zum Feld⸗
marſchalle Flemming: „Es if ſeker, bat juge Truppen ben gröts
fin Part an der Eroberung haben. Id bin dem ‚Herm Kors
förften fehr obligirt und ju ale?).” Auch am ber Eroberung
von Gafale im Montfersatfpen nahm eine brandenburgiſche
‚Heerdabtheilung unter dem Markgrafen Philipp Theil. Doch
wurde von Jahr zu Jahr der Krieg läffiger geführt, und auch
27. Aug. die förmliche Erneuerung bed großen Bündniffes gegen Frank⸗
1695 reich (vom 12. Mai 1689), woran Friedrich IIL wieder Theil
nahm, war ohne Wirkung‘). Savoyen trat von ben Ber:
bündeten ab, die Deſterreicher mufften Italien räumen. Erſt im
September war das deutſche Reichsheer am Rheine vereinigt,
mit dem Ludwig von Baden fich den einbrechenden Sranzofen
wiberfegen Tonnte. +
Bu gleicher Zeit fochten 6900 Brandenburger unter dem
General Barfuß fehr auögezeichnet in Ungarn. Der Kurfürft
hatte fie bem Kaifer (durch Vertrag v. 24. Decemb. 1690) *)
1) Der Kurfürft Friedtich IIL Hatte ſich zur Armee begeben unb
befepligte im Luͤttichſchen, doch nur fehr kurze Zeit feine Truppen unter
dem Könige Wilhelm, verließ das Heer jedoch, als er fah, daß nichts
unternommen werben wärde. 'Theatr, Europ. XIV, p. 302.
2) Schönings Ragmer ©. 172 und Theatr. Europ. XIV. p. 794.
Auch bei Niederwinden fochten bie Brandenburger unter dem Markgrafen
Karl Philipp brav, und als (1694) Wilhelm II. Huy im Luͤttichſchen
eroberte, verbankte er das hauptſaͤchlich ber Tapferkeit ber Brandenbärger,
weshalb er bem Kurfüzften bie Hälfte bes in ber Feſtung befindlichen Ge
ſchuͤtes ſchentte. Theatr. Europ. XIV. p. 602.
8) Dumont VIL 2. p. 856. Wie er fortwährend für Eräftige
Bortfegung bes Krieges tätig war, fehen wir aus Theatz. Kurop, XIV.
P- 618. 636. 798.
4) Pufendorf IL. 5. 37.
Tuͤrkenkrieg. 3
E00 Thaler rückfländiger und 150,000 Thaler jähes
Ihe Suffdien Aberlaffen und fie felbft bei Kroffen gemuftert, 1691
take die ſchoͤne, auserleſene Mannfchaft fehr günftig auf .
ya und den General Barfuß und alle Dfficiere und
Game anfehnlicy beſchenkt. Bei Salankemen, als Mark: 2. Au
Fitinig von Baden bie Türken aufs Haupt flug, hie 1691
afefih, ungeachtet ein Sechstheil von ihnen blieb oder
wundert wurbe, fo auſſerordentlich brav, dag es ber Mark
gain mem Schreiben an ben Kurfürfien mit dem größeften
de anerlanıte ). Als nun ber Kaifer verlangte, daß bie
Zuppenahl wieder vollſtaͤndig gemacht würde, dazu aber die
Babegelber nicht hergeben wollte, zugleich eine augenblidliche
Epamung wegen der Nüdgabe des ſchwiebuſer Kreiſes ein-
hat, muffte Barfuß Die Truppen in ihre Heimath zurldführen, 1692
was der Kaifer zu fpät bereuete. Der Kurfürft hatte auffer
der Rannichaft über 100,000 Thaler dabei aufgeopfert. Wer:
möge eined dann abgefchloffenen Vertrags *) gingen wieder 6000 6. Ra
Baar Brandenburger unter bem General Brand nad) Ungarn, 1692
Welten fid) bei der obwohl vergeblihen Belagerung Belgrads
{er won, blieben auch in den folgenden Jahren dort, nahmen
a dem Siege Eugend von Savoyen bei Zenta Theil und 11. S
Tebeten erſt nach dem im I. 1699 für Defterreich hoͤchſt vortheils 1697
Yaft abgefchloffenen Farlowiger Frieden in ihr Vaterland zuruͤck.
Der Krieg mit Frankreich war ſchon früher beendigt wors
der. Bernachläffigt vom Kaifer, der die Verfolgung des Zür:
kenkriegs vortheilhafter für fih fand und nur Frankreich auf
Koften Deutſchlands möglichft Lange zu befchäftigen fuchte,
Üt Das Reid) ungemein. Vergeblich ftelte Markgraf Ludwig
won Baden bie traurige Lage des Reichsheers, deſſen Mangel
an Selb unb Lebensmitteln freimuͤthig vor. Als fi fünf
Reichskteiſe in Frankfurt zufammenthaten, um im Kriege 60,000,
ins Frieden 40,000 Mann zur Vertheidigung gegen Frankreich
aufzuftelen, fah bad ber Kaifer nicht einmal gern, vieleicht
beforgt, daß dieſe Waffen ſich aud einmal gegen ihn wenben
1) Theatre. Europ. T. XV, p. 3 fl. Vergl Schönings Ecben
Ratımas ©. 124.
2) Buch holz IV. S. 210. Vergl. Theate, Europ. XV. p- 636.
40 Bud V. Erſtes Hauptftäd.
koͤnnten). Welcher Reichöftand ſollte da noch Eifer zeigen?
Vergeblich waren dazu alle patriotifhen Ermahnungen Fried⸗
richs III. und fein eigenes Beifpiel. Nur die Thaͤtigkeit König
Wilpelms IIL, eines Mannes, der ſich immer erft nach feinen
Niederlagen groß und recht gefährlich zeigte, weil er unermuͤd⸗
lid war, bot an der holländifhen Grenze den Franzofen Wis
* . derſtand. Udbrigens fpielten diefe faft überall den Meifter, fie⸗
In, fo oft fie wollten, über den Rhein in Deutfchland ein,
und baß nach ihrem Abzuge der Markgraf Ludwig von Baden
mit den Brandenburgern und Münfterfchen auch über den Flug
ging und Ebernburg eroberte, bot body Feinen Erſatz. Die
Franzoſen hätten noch weit mehr thun koͤnnen, wenn fich nicht
Ludwig XIV. felbft, um bei dem herannahenden Ende König
Karls I. von Spanien freie Hand zu erhalten, fehr gegen ben
Wunſch des Kaifers zum Frieden geneigt hätte. Ludwig XIV.
bot dem Reiche günftige Bedingungen, fogar die Rüdgabe von
Straßburg an und fuchte Holland vom Bündniffe zu trennen.
Schweden übernahm die Vermittelung, bie Berathungen wurs
9. Mat den auf dem Schloffe Ryswid in der Nähe des Haags eroͤff⸗
1697
net. Friedrich TIL war eher geneigt, in Verbindung mit Hols
land und zwar als Friegführende Macıt, ald im Vereine mit
dem Kaifer Frieden zu fchlieffen, denn die Reichsbevollmaͤch⸗
tigten wollten ihn nicht beſonders berüdfichtigen, fondern nur
allgemein als Reichsſtand anfehen. Dagegen erflärte fein Ges
fandter, Graf Schmettau: fein Here habe in feinem Namen
Krieg gefuͤhrt, ſich gleich anfangs der Gefahr des Waterlandes
entgegengefegt, 20,000 Mann geftelt und immer für kraͤftige
und heilfame Maßregeln geftimmt. Cr fegte ed mit Buftims
mung König Wilpelmd und der Holländer wenigſtens durch,
daß er in dem Friedensvertrag jebeö der beiden Mächte mit
Frankreich eingefhloffen, genannt und ber Friede von St. Ser⸗
main (vom 29. Juni 1679) ausdruͤcklich befldtigt wurde*).
9. Jull So gelang ed den Franzofen, nachdem fie uͤber die Pra-
Iiminarien mit England und Holland einig geworden, bag
* Spanien, erſchredt Über den Verluſt von Barcelona, zutrat,
1) Wagner vita Leopoldi T. IL’ p. 858.
2) Dumont VI. 2. p. 883, 5. 15. und p. 899, 5.14 Lam-
berty .p. 3 ff.
Ryswider Friede. 4
ver Friebe abgefchloffen und mun das durch Defterrcihe Shulb 20. N
all fehende Reich gendthigt wurde, unter weniger glnfligen 1697
dafielbe auf Grundlage des weſtfaͤliſchen und ö
ninweget Friedens zu thun. Frankreich gab Kehl, Ppilippss 20. Det.
burg, Die Pfalz und die aufferhalb des Eiſaſſes gemachten
Ramionen zuruck, wogegen ipm Strasburg und die Souverai⸗
" metät Über das Eiſaß flilfpweigend — wurde. Hierzu
bedung Ludwig XIV., welcher damit die Intereſſen der Deutfchen
am beften trennen Eonnte, durch eine dem vierten Artikel des Fries
dens eingefchobene Clauſel, daß in den von ihm zuruͤckgegebe⸗
nen Drtſchaften die roͤmiſch⸗katholiſche Religion in ihrem jegigen
Zuſtande bleiben folle, indem er biefelbe, ‚gegen die Beflimmungen
des zwanzigjährigen Waffenſtillſtands, in faft zweitaufend Orts
ſchaften, wo fie nicht gewefen, gewaltfem eingeführt, den Evans
geũſchen ihre Kirchen genommen und beren Geiſtliche vertrieben
den, chenſo der Kurfürft von ber Pfalz. Vergebens proteſtir⸗
ten dagegen bie sangen Sürften, vorzüglich Sachſen und
Friedrich II. erklaͤrte Öffentlich: allein habe er
nicht im Felde bleiben koͤmen, wie zum eigenen großen Nach:
ie fin Mater mach bem mlnmeger Frieden. Er babe ſich
unter allen Reichöftänden zuerft vor den Riß geftelt, Buͤnd⸗
niſe geſchloſſen und veranlafft, auch uͤber 20,000 Mann groͤß⸗
ade auf eigene Koſten gehalten und ſich fo gezeigt, daß,
wen man einig geweſen, die Sache einen beſſern Ausgang
angenehme Spannung, was bie ſchlauen Franzoſen eben bes
weit hatten und ber bei Unterhanblungen bamals jo wenig
Mbarffinnige kaiſerliche Hof nicht begriff .
1) Theatr. Europ. XV. p. 240. Wagner vita Leopoldi T. II.
P.30. 3.3. Mofer in feinem Berichte von ber Clausula artionli IV
42 Bud V. Erſtes Haupeftüd.
In fo mannihfade Verhaͤltniſſe und ſelbſt ſchwierige Be⸗
ziehungen Friedrich II. während biefer Zeit mit feinen Nach:
bam und anderen auswärtigen Fuͤrſten kam, fo wuffte er ſich
doch überal mit Würde zu benehmen, mit Nachdruck zu hans
bein und das Anfehn zu behaupten, welches fein Vater fo wohl
begrümbet hatte. Sein Hauptaugenmerk ging dahin, die Ruhe
im Norden zu erhalten und wo möglich mit allen nordifchen
Maͤchten in gutem Vernehmen zu bleiben, ohne doch feiner
Würde etwas zu vergeben. Als bei bem Auöbruche bed Kriegs
gegen Frankreich die. bereitö oben erwähnten Streitigkeiten zwi⸗
ſchen Daͤnemark und Holſtein⸗Gottorp, befien fih Schweden
und Hannover annahmen, ben Ausbruch eines norbifchen Kriegs
nicht nur beforgen lieffen, fondern hoͤchſt wahrſcheinlich mach⸗
ten, verhandelte ex durch ben Minifter von Fuchs fo geſchickt
als angefivengt bie friedliche Beilegung zwiſchen den erbitterten
Parteien, und als von diefen fchon die Hand an das Schwert
gelegt worben, fo ließ er im Vereine mit Miünfter ald Direc⸗
tor des mefifälifchen Kreife Oldenburg und Delmenhorft bes
fegen und feine aus Preuffer im Anmarfche befindlichen Trup⸗
pen bei Halberftabt Halt machen, wodurch er wefentlih zum
Abſchluſſe des biligen altanaer Vertrags (30. Suni 1689) und
zur Erhaltung des Friedens beiting ').
Um biefelbe Zeit entfkanden von einer andern Seite große
Beforgniffe einer Störung ber Rufe Rorbbeutfchlands, ald ber
letzte Herzog von Sachſen⸗Lauenburg aus bem anhaltifchen
29. Sept. Stamme zu Schladenwerth in Böhmen flarb und zugleich die
1689 ſes Haus, dann Sachſen und Dedienburg Anfprlihe auf das
erledigte Lamb erhoben. Schon ber große Kusfünft hatte daran
gebacht, es zu erwerben und mit dem letzten Herzoge eine Erb⸗
verbrüderung verabredet, wogegen fich indeſſen ber Fuͤrſt Jo⸗
bann Georg von AnhaltsDefjau ald Agnat erklaͤrte. Diefer
pacis Ryswicensis Frkf. 1731. 4. hat alles Hierhergehdrige gefammelt.
Hoyer in feiner Geſchichte König Friedrichs IV. von Dänemark S. 122
fagt, ber ſchwediſche Gefandte habe ſich ruͤckſichtlich Gtrasburgs umd bes
vierten Artikels den Franzoſen fo gut als verkauft, twas fehr wohl möge
uch iſt, doch zeigt fich dieſer fonft wackere Geſchichtſchreiber ein wenig
parteifd gegen Schweden.
1) Dumont VIL 2. p. 281. Begl. Pufendorf U, 5. 34.
Der Norden. Lauenburg. 43
trat num feinem Neffen, dem Kurfürſten Friedrich, vermoͤge
geheunen Abkommens feine Anfprüche auf Lauenburg für
näher au Anhalt gelegene Landſtriche ab und traf fogleich nach
dem Zobe des Herzogs Auftalt, fich in ben Beſitz Lauenburgs
ſonders damit Kurſachſen das nicht vermoͤchte.
war ihem jeboch bereits auvorgefommen, indem es ſchon
vor
Zege
ergriffen hatte. Nun bemaͤchtigte fi Herzog Georg
3
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282
AT,
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jegen Taiferliche Sequeſtrirung, Friedrich IU. für Ans
doch lag ihm vor allen Dingen daran, daß ber Friede
ücht geflört werde. Dazu ermahnte er nachdruͤcklich und fo
der Weg ber Unterhandlungen eingefchlagen , durch welche
dem Herzoge von Lüneburg gelang, den Kurfürflen von
GSadyjen, der wegen ber polnifhen Krone Geld nöthig hatte,
wit einer Gelbfumme zu befrieigen und Lauenburg ohne alles
Sgestüche Recht an fein Haus zu bringen '). 1697
‚Us es nach dem Abgange ber meclenburg⸗guſtrowſchen
rich Wilhelm zu einem heftigen Erbfolgeſtreite kam, der Kaiſer
die Verwaltung bed Landes an ſich nahm und nach
einem Reichshofrathsſpruche ben Herzog Friedrich Wilhelm in
ben Beſitz deſſelben ſetzte, proteftirten nicht nur Schweden,
Brandenburg und Zelle, als Dirertoren bes nieberfächfifchen
Reife, dagegen, fonbern lieſſen auch gemeinfchaftlid) 3000
Mann Zruppen einrüden, entbanden bie Unterthanen von ber
dem Herzog Friedrich Wilpelm geleifteten Pflicht und fchafften
den Taiferlichen Sefandten mit Gewalt fort. Das nahm ber
Kaifer dermaßen übel, daß er den Gefandten ber brei Fuͤrſten
den Hof verbot, ed ald ihm ſchimpflich, im römifchen Reiche
unerhoͤrt und gegen Völkerrecht und Vernunft erflärte, daß bie
treißaußfchreibenden Fürften fich gegen ihre von Gott geordnete
"58
1) Pufendorf II. 5.94 f. Rinds Leben Eropohs ©. 1115.
Büfdings Mogayin VII. ©. 487.
[zu Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck.
Obrigkeit ſetzten, und Genugthuung verlangte. Die Fuͤrſten vers
theibigten ihr Verfahren in Schriften, beren nun wie gewoͤhn⸗
lic) viele für und gegen erfchienen. Auf engliſche und hollaͤn⸗
diſche Wermittelung wurde der Kaifer beſchwichtigt, indem
1698 Friedrich II. eine genugthuende Erklärung im Nam ber uͤbri⸗
gen Kreisdirectoren gab, worauf fpäter die Erbſchaftsangelegen⸗
beit friedlich erledigt wurbe ').
Bei allen diefen vielfachen Beſchaͤftigungen verlor Fried⸗
rich TIL die Vergrößerung feiner Macht nie aus den Augen.
Bas fich nicht fogleih ausführen lieg, wurde aufgefchoben,
doch auch fin die Zukunft Ausfichten erhalten ober neue eroͤff⸗
net. Wir haben gefehen, wie ſchwer ed den Kaiferlichen wurbe,
den ſchwiebuſer Kreis von ihm zurüczuerhalten und wie er
doch noch eine Ausfiht auf einige Entſchaͤbigung fir die Ver⸗
luſte feines Vaters im ſchwediſchen Kriege erhielt. Er erneuerte
Zult auch die ſeit dem J. 1442 beſtehenden Vertraͤge über die Even⸗
tualerbhuldigung und dad Erbfolgerecht feines Hauſes in Meds
. Det. lenburgꝰ). König Wilhelm III. trat ihm feine Anfprüche auf
2.
1693
23.
1
rich Wolfgang, letztem Grafen von Geyer in Franken, der
694 Neufchatel und Vallengin ab und Friedrich erhielt von Hein⸗
ihn, zärtlich beforgt fuͤr feine evangelifchen Untertanen, zum "
Schutz berrn annahm, als Geſchenk die Zuſicherung der Erb⸗
11. Zuttfolge in deſſen Grafſchaft). Er erneuerte mit Karl XL,
1696 „dann mit Karl XII. die dlteren Schugblinbniffe, gab Gollnow
1698
i nad) Entricptung des Pfandſchillings an Schweden zurück und
berichtigte fpäter (22. Dechr. 1698 und 31. März 1699) durch
Verträge die in mehrern Puncten ſtreitige Grenze gegen das
ſchwedifche Pommern‘). Zugleich wurde mit Schweden die Strei⸗
tigkeit wegen ber Eventualfucceffion in Pommern beigelegt und '
1) Yeatr. Efrop. XIV. p. 506. XV. p. 60. Mi f. un
XVI. p. 187. Rinds &ropob ©. 1885.
2) Dumont VIL 2, p. 37.
8) Der Graf übergab am Friedrich ſchon im I. 1704 bie Regierung
der aus 28 Dörfern beftehenben Graffchaft und befielt ſich mc bie Gin:
kunfte auf feine Sebensgeit vor. Buchholz IV. ©. Bi2.
4) Ale diefe Verträge find ungebrudt, f. Söll XI. &. 208.
Theatr, Europ. XIV. p. 636. Guͤtther ©. 66.
Innere Berhättniffe. Eberhard v. Dankelmann. 45
ft zwölf Jahre nach dem Antritte feiner Regierung nahm daher
Sriehrih III. die Erbpulbigung in Pommern und ber Nas
&)).
Ja der innern Regierungsform wurde nichts Beſentliches
gelodert Der Kurfürft empfahl nicht mehr, wie es fein Vater
seen, im Zalle feiner Abmwefenheit die einer Gefahr am meis
Am bloßgeſtellten Provinzen den benachbarten Staaten, weil
Erfahrung als unwirkfam erkannt hatte unb uns
unter feiner Würde hielt. Den Ständen beflätigte
er den nn dv. 3.1653, ohne boch allgemeine Landtage
der Marken zu verfammeln, mur bie Stände ber Neumark _
wurden im J. 1690 berufen, um zu ben vom Kurfürflen vers
langten freie em aufferorbentlichen Unterftügungsgelbern fir
des Heer 30,000 Thaler zu bemwilligen‘). Der
uenerte noch daS Vorrecht des geheimen Mathe, ——
anf gene Autorität und Unterfſchrift beffelben, ohne feine Be⸗
Häigung vollziehen zu Iafien, was feit ber Regierung feines
Sohnes nicht mehr gefchab. Um ben Geſchaͤftegang im geheis
men Rathe zu befchleumigen, verordnete er (28. Zebr. 1697),
dab bie — deffelden fidh täglich verſammein follten °).
Die aubwärtigen und eigentlich alle Hauptangelegenheiten
des Staats leitete Eberhard von Dankelmann, ben der Kurs
fürft im 3. 1692 zum Praͤſidenten ber Regierung in Gleve
mb im I. 1695 bei offener Tafel unter ben fchmeichelpafteften -
Autdchefen zum Oberpräfidenten, mit bem erften Range am
Hofe über dem Feldmarſchall und Oberkadͤmmerer, ernannte.
&r fagte in der von ihm felbft aufgefehten Beſtallung unter
den erſinnlichſten Lobfprlchen: daß Dankelmann ein vollſtaͤn⸗
diges Erempel einer ungefärbten Treue, umabläffiger Applicas
tion in Beförderung der 2 hoire des Kurfürften und bes kur⸗
fürflichen Haufes und aller anderen eines großen Herm Dies
wen wohlanftänbigen Zugenben und Qualitäten fei, daß er,
1) Theatz. Europ. XV. p. 550.
2) Die Berfammlung fand im Märg in Küftein fatt, der Abſchled if
BE vom Kanzler und ben Bäthen ber neumaͤrkiſchen Begierung
9) Toemar md Klaproth ©. 226.
46 Bud V. Erſtes Haupeftäd.
der Kurfärft, alle zur Werwaltung ber Oberpräfibentenftelle ers
foderliche Eigenſchaften ımter der ganzen Zahl feiner Diener
bei Keinem in einem vollkommnern Grabe gefunden, als bei
Dankelmann, ber allein durch feine Rathfcläge zu dem Glanze
und ber Größe, in welder der Staat unter ihm vor allen
feinen Vorfahren hervorleuchte, naͤchſt Gottes Segen das Meifte
beigetragen, was ihn, den Kırflrften, denn bewogen, ihn zu
. einer ber vornehmften Wirben zu erheben, um jebermänniglich
darzuthun, mit was gnäbiger Dankbarkeit er die ihm von ſei⸗
ner zarten Jugend an geleifteten Dienſte erkenne, durch welche
er zur Furcht Gottes, zur Liebe feiner Untertfanen und bem
daraus entfpringenden gerechten und gütigen Regimente arıges
führt worden, und wie geneigt er fei, bem Dankelmann ımb
deſſen Angehörigen biefe Dienfte zu vergelten, welche billig
naͤchſt denen von Bott und ſeinen Xeltern erlangten Wohltha⸗
ten, fie’ die wichtigſten zu halten, fo ihm und feinem Lande
jemalen erwieſen werden firmen !). Ale Einwendungen Dans
kelmanns gegen bie Annahme der ihm zugebachten hoben Würde
waren vergeblich, er erhielt auch noch bie Erbpoſtmeiſterwuͤrde,
die Hauptmannfchaft zu Reuftabt am ber Dofle und nach umb
nach mehrere ‚erledigte Lehen und gekaufte Güter, nachdem er
100,000 Thir., welche ihm der Kunfürft gleich nach feinem
Begiermmgbantritte ſchenken wollte, abgelehnt hatte, um Land
und Unterthanen nicht zu befchweren. Der Kalſer ernannte
ihn mit feinen Brüdern (1605) zum Freiherrn ımbs hatte das
Diplom feiner umentgeltlichen Grhebung in den Grafenſtand
bereits entwerfen laſſen, buch -fchlug Dankelmann diefe ibm
zugedachte Ehre fowie die Graffchaft Spiegelberg, welche ihm
der Kurfuͤrſt ſchenken wollte, aus. Saͤmmtiiche wichtige
Staats, Hauss und Hofangelegenheiten und die Verwaltung
1) &. ben Auszug aus ber Weflallung in bem Verichte bes Ober
Descaatınd in Foͤrſters Leben Friedrich Wilhelms I. urkundenbuch,
. 12.
2) Mehrere biefer Zhatſachen finden ſich angeführt in ber Schriſt :
Ball und Ungnabe zweier Staats: Miniftres in Teutſchland, aus dem fran-
söfificgen Original Überfegt. Gölln bei Peter Marteau zum erften Male
1712 und 1718 wieder gebrudt. Die hiefige Steiwehrſche Bibllothek
befigt zwei verſchiedene Abdräde. -
Eberhard v. Dankelmann., Einwanderer. 47
der Finanzen waren ihm allein sder zunaͤchſt Übertragen und
a dã dem ee ee
ken in der That faft Regent des Landes. Da er auf ben
Beiland feiner eferfüchtigen Collegen nicht fehr zechnen Forte,
ſtütte er fich vorzüglich auf feine ſechs Brüder, von benen
zudhft durch ihn drei wirkliche geheime Mäthe, die drei übrb
gen ebenfalls in anfehnlichen Aemtern waren, fänmmtlich wackere
= tüchtige Männer, welche bie ihnen geworbenen Begim⸗
Risungen verdienten, ihre Aemter ehrensol ausfüllten und
netirlich auch Urfachen zum Neide und Veranlaſſungen zur
—— und zur Verleumdung tes mädtigen &nflingd
wurden ').
Unter feiner Leitung wurbe im Eimerftändniffe mit feinem
Herm in allen Ruͤckſichten für‘ die innern Verhaͤltniffe das forte
Ber, dann diejenigen Franzoſen, welche bald "nachper. aus
—⏑⏑ Glsten bc, fanden
ſerteihrend günftige Aufnahme und Unterſtichung; ihre Rechte
amd en wurden gefehlt und vermehrt und grͤßtentheils
Kranken und —E ber unb Armen
maßerhafte Einrichtungen getroffen, wi —* ohne Einfluß
auf andere Korperſchaften blieben). Auch dieſe Fluchtlinge
bradten wicht nur ihre Gewerbthaͤtigkeit und erartühteiten,
dern auch, nicht unbebeutenbeb Bermögen in DaB Sand, weis
Geb allein Don zeitaufenb aus Dich gelommenen
peei Millionen Thaler betragen haben fol.
Rach öffentlichen Angeigen beliet ſich im 3. 1697 bie
1) Der Geremonienmeifter Beffer in feinem Ontäter Eberharb
Dealeimannı fingt daher 1694 von ben ſicben Wrübern und deren Water:
Drei find geheime Näth und drei find Präfidenten
Beh Aertängten Amt, ÄR Kanzler ſeyn und Bath. —
gane Griehenlond hatt ehmald fieben Welfen,
ee fe Denbinaen elleim!
2) Mömeires des Refugies, Buchholz IV. ©, 816 3 nenne
mar das Collöge und bie Charite.
48 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤc.
Zahl ber franzoͤſiſchen Einwanderer mit den Wallonen im Mags
deburgiſchen auf zwölftaufenb, im I. 1700 betrug bie Baht :
der Franzoſen allein, ohne Dfficiere und Soldaten, beinahe .
funfgehntaufend, doch war fit unſtreitig weit größer, indem
dabei diejenigen nicht mitgegählt wurden, welche zerſtreut in
einzelnen Ortſchaften wohnten, wo fie Feine foͤrmliche Colonie
bifdeten und franzäfifche ‚Kirchen hatten; auch nahmen viele
von ihnen Kriegsdienfte, wie denn in fünf Regimentern bie
meiften Dfficiere und Soldaten Emigranten waren. Die feit
d. 3 1689 eingewanderten, im I. 1697 vierhundert Familien
ſtarken Pfälzer baueten das feit der furcdtbaren- Zerftdrung
v. 3. 1631 größtentheil noch wüft liegende Magdeburg wies
der auf und befchäftigten ſich in der Umgegend bei Stendal
und Burg mit Tabatks⸗, Gemirfes und Obftbau '); auffer ihnen
wurden auch viele Wallonen und Schweizer in der Marl ans
gefegt?). Die Franzoſen, .auffer denen, welche in Staates _
und Kriegädienfte traten, beſchaͤſtigten fi) mehr mit Wollens,
Seidenz, Leders, Gold» und, Gilberfabrifen und Manufacs '
turen, weöhalb bie Regierung Walfmühlen, Preffen, Faͤrbe
rein und Waarenmagajine anlegte, bie Audfuhr ber Wolle,
ja fogar.bei dem Steigen des Preifed (1709) bie Verarbeitung
derfelben Durch Leinweber für- Bauern, und. bie Einfuhr rother
und blauer Tuͤcher (1693) verbot, welde..von. den Franzoſen
in folder Güte verfertigt wenden, daß fie zur Bekleidung der
Garde und felbft des Hof bienten. Es wurden durch biefe
Einwanderer dreiundvierzig Arten von Gewerben und Fabrika⸗
ten, die früher im Lande nicht vorhanden waren, einheimiſch
gemacht, und bemnad) viele Gegenftänbe verfertigt, welde ehe:
dem aus Srankreih, Holland und England bezogen worden
waren. Die ihnen ertheilten Privilegien (im I. 1690) ein
eigenes Oberbirectorium, Gonfiftorium, Appellationds und Res
viffondgericht (1692) und manche andere Begünftigungen erregs |
tem natürlich den Neid der Eingeborenen der Provinzen. Boll |
1) Oiſtoriſche u. ſ. w. Beitraͤge L S. 198 ff. Daß bie Brangofen in
Sqhwoedt, Vierrahdems und Blumenhagen ben Tabadsbau erweiterten und
verbefferten, nicht aber einführten, geigen bie Denkwuͤrdigkeiten der Mark
Brandenburg Wb. II. ©. 129. N
2) Bedmanns Befheeibung der Kurmark I. &.. 165. |
|
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Franzoͤſiſche Einwanberen a0
von der bei dem deutſchen gewerbtreibenden Bürger feftgewur⸗
weiten Anficht, daß er ein auöfchließlihe® Recht auf das Geld
derimigen habe, die feiner Waaren bebürften, befchwerten ſich
die Berner‘ oftmals darüber, daß ihnen die fo hoch begüns
igten Fremdlinge die Nahrung entzögen; jedoch nur durch
Edmäp: und Spottſchriften, die faft durchaus platt genug
muren, konnten bie Deutſchen Öffentlich ihre Abneigung zeigen.
Jadeſſen kann ungeachtet der zahlreichen Vortheile, welche in
vieles Hinficht, vorzüglid für Fabriken und Manufacturen,
dem durch eine große Anzahl tüchtiger und ausgezeichneter
Dffiiere und Civilbeamten die Einwanderung der Branzofen
fir die brandenburgifchen Staaten gehabt, dennoch nicht ges
kuguet werden, daß eben ihre Nationalität und im Allgemeis
nen höhere Bildung fie völig von den Deutfchen ſchied, unter
denen fie lebten, und daß durch Einrichtung von Golonien mit
Ggenen Kirchen, Schulen und Gerichten diefe Abfonderung ein
volles Jahrhundert hindurch gewiß zum Nachtheile des Staats
cchalten wurde, bis ſich dann mit ber fortgefchrittenen beuts
Km Bildung und der langen Gewohnheit‘ des Bufammens
lebens durch zahlreiche wechfelfeitige Familienbande das fremde
Elment weſentlich auflöfte. Wieleidht ift aber eben die mehrs
fehe Bermifchung der Eingeborenen der Mark und befonderd
der Hauptftabt mit fremden und vorzüglich franzöfiiben Eins
munderern eine ber etſten Urfachen geweſen, welde ben Ein⸗
wohnern jedenfalls Berlins ein fehr leicht erfennbares Gepräge
aufgedruckt hat, das fie von jeder andern Hauptſtadt unters
ſcheidet und auf der Grundlage beutfher Biederkeit eine geis
Bige Bewegung ja faſt leichte Aufregung bemerkbar werden
Ufft, welche in dem Grabe ſchwerlich irgendwo noch in Deutfchs
land gefunden werden dürfte; wie es denn überhaupt ein Grunds
ſat der preuſſiſchen Monarcie feit dem großen Kurfürften ges
mefen ift, die bei den Deutſchen fo hartnädig feftgehaltene
nationale und provinzielle Abfchlieffung, ruͤcſichtlich der Eins
wohner und Beamteten möglichft zu befeitigen und auch in
teligiöfer Hinſicht weit billiger und milder als Fatholifhe und
ſelbſt viele proteftantifche Staaten zu verfahren. Daher hat
auch der preuſſiſche Staat von jeher eine große Anzahl treffe
Über Beamteten gehabt, bie aus andern Ländern flammten,
Gtenget Befc. d- Preuſſiſch. Staats. IL 4
0 Buy V. Erſtes Hauptſtuͤc
indem eB ihm fortwährend darauf ankam, ohne Beruͤckſichtigung
der Nationalitaͤt und dann auch der Religion jedes Verdienſt
anzuerkennen, jedem Talente den Weg zu oͤffnen und Alles
fuͤr ſich zu benutzen.
Auch die von ihren Zürften wegen ihres Glaubens vers
1688 folgten Waldenfer aus Piemont, been bereits fein Vater Schuß
verfprochen, nahm er auf und gab achthundertundvierzig ders
felben Wohnfitze; doch trieb diefe ſchon im folgenden Jahre bie
heiffe Sehnſucht nach den heimatbligen Bergen und Thälern
fort, um Theil an bem verzweiflungdvollen Bagftüde zu nehmen,
ſich ihre alten, ihnen unrechtmäßig genommenen Wopnfige mit
den Waffen wieder zu erlämpfen ’). -
Vorzuͤglich großen Antheil hatte Eberhard von Dankel⸗
mann an Allem, was für Kimfte und Wiffenfchaften geſchah,
. bie er felbft kannte und fehääte, zunächft an der fo wichtigen
Stiftung der Univerfität Halle. Diefe Stadt hatte dadurch,
daß fie nicht mehr Sig des Abminiſtrators des Exzftiftd Mag:
deburg war, fehr viel verloren. Nun batte ſchon der Kurfürft
und Erzbiſchof von Mainz und Magdeburg, Albrecht, Bruder
des Kurfürften Joachim L von Brandenburg, hier eine Univers
fitdt errichten wollen, um ber Reformation entgegen zu wirken,
dazu auch bereits im I. 1531 ein paͤpſtliches Vrivilegium ers
halten, war aber durch das unwiderſtehliche Ueberhandnehmen
der Reformation an der Ausführung gehindert worden. Milie
la Fleur, der geheime Kammerdiener ded legten Abminifirators
war dann (1680) vom großen Kurfürften als Sprach⸗ und
Epercitienmeifter angeftellt worden und eine. franzoͤſiſche Colonie
hatte ſich (1685) bier feftgefegt. Der Kurfürft Friedrich HI.
errichtete Darauf (1688) eine Ritterakademie unter dem Gtalls
meiſter Anton Günther von Berghom, bem ald Director Exer⸗
citien⸗ und Sprachmeiſter untergeorbnet wurden. Schon der
1) Dieterict, Me Waldenſer ©. 165 ff. Gugen von Savoyen
ſchreibt 22. Sept. 169 (mas. Dieterici unbekannt geblieben) über fie an
den Grafen Bucelin (Werte I. ©. 25): Das Soauderbarſte ift aber,
daß biefe großmüthigen Leute dem Herzoge von Bavopen mit einer uners
Teütterlichen Treue beiftehen und die Drangfale gänzlich vergeffen, die ihnen
ehemals ber Herzog wegen Ihrer Religion zugefügt hat! (Cine treffliche
Sehre für Banatiter, werm biefe belehrt werben Ehnnten.)
Die Univerfirät Halle _ Ir) 3
große Kurfuͤrſt Hatte kurz vor feinem Tode tm Gefpräde mit
dem berühmten Johann Georg Graͤvius geäuffert, er wolle im
Veneburgiſchen eine neue Univerfität gründen, ohne daß jeboch
zu Ausführung irgend etwas gefchehen wäre‘). Durch mans
4ald Umfände kam jetzt bad zur Reife, was damals nur
Gaenle, Wunſch ober Abficht war. Zwei Männer fehr vers
ihnen Art, jedoch, man kann — Ha) einem Haupt⸗
öde frebend, trugen zumaͤchſt viel dazu bei.
Der aufferorbentlich vorurtheilsfreie, lebhafte und ſarka⸗
fiſche 5 ‚Junge Doctor der Rechte Chriſtian Thomafius in Leipzig
hatte in Schriften und Borlefungen durch feine ſcharfen und
feirifpen Angriffe auf Heuchelei und Pedanterei, welche das
wald auf deutfchen Univerfitäten veichlich zu finden waren, Aufs
Kin regt umd fich natürlich den Haß Vieler, bie ein dem
finigen entgegengefegter Geift befeelte, zugezogen. Mehrfach
von der theologifchen und philofophifchen Facultät bei ber Ober⸗
behörbe als Veraͤchter der Religion und Läfterer der Obrigkeit
veflagt, und von diefer bebrohet, konnte er fich nur mit Mühe
kpaupten. Wie fanatifche Drthobore pflegen, wurbe er, weil
anidt Alles glaubte, was, wie jene meinten, zur Seligkeit
hörte, des Atheismus angeflagt und von Geiftlihen auf ben
Lemgeln, von Profefforen auf ben Kathebern und in Schriften
heftig befehdet. Er ließ den Muth nicht finken und feine
feden Angriffe auf herkömmliche Anfichten und Vorurtheile rie⸗
fen inner mehr und mächtigere Feinde hervor. Als der bänifche
Hofprediger Mafius in einer befondern Schrift (1688) Aber
den Vortheil, welchen die wahre Religion (d. h. das Luthers
am) dem Zinften gewähre, die Behauptung aufftelte: fie
tinig und allein erhalte den wahren Frieden des gemeinen
Seſens, und fie den Fuͤrſten beſonders deshalb empfahl, weil
fi lehte, die Gewalt der Finften komme unmittelbar von Gott,
meihalb dieſe fie, wenn nicht aus Gottesfurcht, doch es
witlihen Vortheils wegen zu ber ihrigen machen möflten, da⸗
bei auch zu verfichen gab, die katholiſche und teformirte Relis
1) Diefe Thatſache iſt nicht zu berweifeln , da Grävfus das Geſagte
ae —e— feiner de dem’ großen Kurfürften felbft im 3. 1687
gerdmeten Ausgabe bed
Eucan bezeugt. Hofbauer arte der
4*
52 Bud V. Erſtes Haupıfäd.
‚gion machten die Unterthanen zu Aufruͤhrern, fo wiberlegte
das Thomaſius. Er zeigte, daß der Vortheil, welden dem
Zürften eine Religion gemwähre, ein fchlechter Maßſtab für ipren
Werth fei, rechtfertigte die reformirte Religion von ben ihr
gemachten Borwirfen und erflärte die Lehre, Gott ſei bie
unmittelbare Urfache der Majeftät, für. abgefhmadt, der
Vernunft und ber heiligen Schrift fremd. Zwar komme bie
Majeftät urſpruͤnglich von Gott, allein bie Zuftimmung des
Volks, als mittelbare Urſache derfelben, gehöre ſchlechterdings
dazu, wie dad ſchon Pufendorf gelehrt hatte. Mafius bewog
ben König von Dänemark, fi am kurſaͤchſiſchen Hofe über
Thomaſius zu beſchweren.
Setzte das den Kurfuͤrſten von Sagſen ſchon in Ver⸗
1689 legenbeit, fo brachte es ihn noch mehr auf, daß Thomafius
die Heirath der reformirten Schweſter Friedrichs III. der vers
wittweten Herzogin von Mecklenburg⸗ Guͤſtrow mit dem luthe⸗
riſchen Herzoge Moritz Wilhelm von Sachſen⸗Zeitz vertheidigte,
waͤbrend fie von den ſaͤchſiſchen Theologen ſcharf angegriffen
wurde. Der Streit wurbe noch heftiger, ald ber Propft
Miüder in Magdeburg, welder, obwohl ohne fih und die fürſt⸗
lichen Perfonen, denen es galt, ausdruͤclich zu nennen, unter
dem Xitel: „Bang des eblen Lebens durch fremde Glaubens»
lehre“, gegen bie Ehe verfchiedener Glaubensgenoffen ald uns
chriſtlich gefchrieben hatte, darauf gefangen nad) Spandau abs
geführt wurde. Thomaſius zeigte dagegen, daß eine ſolche
Ehe göttlichen und menſchlichen Rechten gemäß und nicht gegen
die heilige Schrift fei, auch daß die Fürften hierin nicht von
ihren Theologen abhingen. Der frühere Gönner des Thoma:
fius, der kurſaͤchſiſche Hofmarſchall von Haugwig war darüber
fo aufgebracht, daß er meinte, Thomaſius habe durch feine
Schrift verdient auf den Königftein gebracht zu werden. Zu
derſelben Zeit begann der wahrhaft fromme Auguft Hermann
Franke in Leipzig Vorlefungen über die Bibel und die Hinder⸗
niffe des theologifhen Studiums zu halten und vorzüglih auf
guten Wien, Meinheit des Herzens, Tiefe des Sinnes, Heiz
Ugfeit der Andacht und werkthätige Froͤmmigkeit ald wahres
eſen des Chriſtenthums zu bringen. Die zu allen Zeiten
für fittficpe Ideen leicht zu begeifternde Iugend ſtroͤmte zahlreich
Ehriſtian Xhomafine: 53
in feinem Hörfaal und fon das muffte ihm Neid, Haß
wb Berfolgung ber alten, in ihrem Formelweſen ergraueten
Peanten, wie viel mehr der Heuchler zuziehen. Thomaſius
um fi) des bebrängten und mit der Schlechtigkeit der Men⸗
fen unbelannten Mannes mit juriſtiſchen Kenntniffen, Scharfs
fime und fepneidenden Sarkasmen ruͤſtig an.
Us nun der Kurfürft von Sachfen dem Thomaſius bei 1690
wweihundert Thalern Strafe alle öffentlichen und Privatvorles -
fungen und die Herausgabe irgend einer Schrift verbieten ließ,
üben auch die Nachricht zukam, daß man fich feiner Perfon
vfihern wolle, begab er fi nach Berlin. Der Kurfürft
Friedrich IN. hatte, obgleich er die Schrift zur Wertheibigung
der Heirath feiner Schweſter mit dem Herzoge von Sachſen⸗
ig nicht einmal von Thomafius zugefhict erhalten, dieſem
dennoch hundert Ducaten geſchenkt; jegt fehlte er ihn, machte
ihn zu feinem Rathe, gab ihm fünfhundert Thaler Gehalt und
gefattete ihm in Halle Borlefungen zu halten. Obgleich ihn
auch hier feine Neider und Gegner verfpotteten und fragten,
& er auch Zuhörer mitgebracht hätte, da er in Halle feine
finden würde, fo hatte er doch deren ſchon In der erften Stunde
über fünfzig, weil er feine Worträge deutſch, zugleich fehr faß-
ih und anfpredend hielt und fortwährend auf Entwidelung
der geiſtigen und fittlichen Fähigkeiten binarbeitete.
Seine Wohnung faffte bald die Zahl der Zuhörer nicht
mehr, der Magiftrat gab ihm daher einen größern Hörfaal auf
der Wage. Thomaſius ging gleich von dem Gedanken aus,
deß hier eine Univerfitdt gegründet werden müffe und trug zu
deren Verwirklichung auch durch feine ſtark befuchten philofos
dhiſchen und juriffifchen Worträge ſicher fehr viel dei '). Als
am der Kurfürſt nach Halle Fam und bier eine ziemliche Ans 1691
il flubirender Grafen, Breiherren, Adeliger und Anderer fand,
füfte er auf Dankelmanns und de berühmten Theologen, des
frommen Philipp Jakob Spener in Berlin Rath den Ents
Muß, bier eine Univerfität zu fliften. Es war das ein Be
drfrig füre feine Staaten. Leipzig und Wittenberg waren eif⸗
ig intheriſch und es daher den Branbenburgern bereits verbo:
1) Eudens Shriſtian Thomaſtus Bartin 1805.
54 . Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
ten zu Wittenberg zu flubiren, Duisburg und Frankfurt waren
seformirt, Königsberg zu entfernt. .E& wurden daher fogleich
der in Erfurt feines Amts entfegte und aus dem Erfurtifchen
verbannte Auguft Hermann Franke, der Stifter des Waiſen⸗
hauſes, der Theolog Joachim Juſtus Breithaupt, der berühmte
Juriſt Samuel Siryk, Chriftopp Gelarius für die claſſiſche
Philologie, Friedrich Hoffmann und Georg Emft Stahl für
die Medicin und andere Gelehrte, als Kanzler aber ber bes
rühmte Veit Lubwig von Sedendorf berufen. Am 20, Juni
1692 erhielt die Univerfität ihr Privilegium vom Kurfuͤrſten,
mit dem 1. Ianuar 1693 begann die foͤrmliche Immatricula⸗
tion ber Stubirenden, welche zahlreich eintrafen. Das Faifers
liche Privilegium erfolgte am 19. October 1693 nad vielen
er Zau Bemähungen und Koften, am 11. Juli 169%, feinem Ges
169% Gurtötage, befdtigte des Kurfurſt Friedrich II. die Univerfitätss
flatuten, ‚weihete fie_ mit großer Pracht, wie er fie liebte,
und einem “Koftenaufwande von mehr ald 20,000 Zhalern,
feiri en und übernahm felbft das Rectorat. Bei der
Einweihung zählte fie 765 und ſchon im I. 1704 befanden
ſich bier 2000 Studirende und die magbeburgifchen und hals
herftädtifchen Stände unterftügten fie durch die Stiftung von
Freitiſchen, wozu (1704) eine allgemeine Kirchencollecte bes
willigt wurbe. Der Gtiftungsfonds betrug anfänglich 3500,
bis 1704 7000 Thaler‘) und wurde bis zum Jahre 1786 nicht
erhöhetz Nebeneinkünfte und Aemter, Titel und perſoͤnliche Zus
lagen und Geſchenke belohnten auögezeichnete Verdienfte. Zur.
Grimbung einer Bibliothek wurden auffer den Doubletten ber
kurfuͤrſtlichen Bibliothek in Berlin, im I. 1699, 600 Thaler ges
ſchenkt und ihr einige Nebeneinkünfte, im Betrage von jährlich
etwa 150 Thalern, uͤberwieſen.
Das, was Friebrich IN. durch die Stiftung der Univerfität
‚Halle nicht nur für Preuffen, fondern für Deutfdland und die
Wiſſenſchaften überhaupt gethan, wird ihm allein fchon eine
1) Hofbauers Geſch. d. Univerf. Halle ©. 62, ber zugleich zeigt,
daß ber Ertrag ber Accfe fchon im I. 1697 feit ber Stiftung um
8000 Zhlr., im I. 1706 um 12,000 Thir. geftiegen war, da er vorher
noch nit 20,000 Thir. und nun 82,000 Zple. betrug, daß alfo bie
Univerfität dem Staate weit mehr eintrug ald fie Eoftete.
Samuel v. Pufendorf. Lorenz Beger. 55
bunfbare Erinnerung erhalten; daß er, deſſen Staat noch wicht
vwd Bilionen Ginwohner zählte, ſich nicht ſcheuete, zwei von
feh den fo mächtigen Fuͤrſten wegen verbädtiger Grunds
füge vertriebene, auögegeichnete Profeſſoren anzuſtellen und
ie Sitkſamkeit feinem Staate zu fihern, das wird ds
zen Zeil ihres Ruhms auf das Andenken des freifinnigen
Süßen und feiner trefflichen Rathgeber werfen und zeigen, baß
a hoch über denen ftand, welde folhe Männer verjagten.
Den berühmten Iuriften, Philoſophen und Geſchichtſchrei⸗
ber Baron Samuel von Pufendorf hatte ex bereits im I. 1688
ws ſcwediſchen Dienſten mit einem anſehnlichen Gehalte als
Hiſtoriographen in bie ſeinigen gezogen, das Leben ſeines Va⸗
tb, des großen Kurfuͤrſten, zu ſchteiben, wozu ihm das Archiv
nicht nur geöffnet, fondern die Benugung felbft der geheimften
Vahandlungen geflattet wurbe. Pufendorf wurde dadurch in
dm Stand geſetzt, die Staatögefchichte des großen Kurfürften
fo fa erfepöpfend volftändig und wahrhaft zu bearbeiten, daß
fein anderes Werk Über einen Zeitraum der brandenburgifchen,
ia ber deutfchen Gefcichte im diefer Hinſicht mit dem feinigen
verglichen werden Tann. Die Sreimüthigkeit und Treue bed
Geſchichtſchreibers fegt dabei nicht weniger in Erſtaunen als
des Bertrauem und die hochherzige Gefinnung des Kurfürften,
der das ihm überreichte Werk noch durch ein Geſchenk von
10000 Thalern belopnte und dann auf feine Koften druden
Üg. Als Pufendorf (1694) flarb, wohnten der Kurfürfl, def .
fa Semaplin und das ganze Lurfürftliche Haus feinem Leis
Genbegängniffe durch Abgeordnete bei ).
Auf gleiche Weiſe konnte auch bed von Danfelmann bes
tinſtigten gelehrten Alterthumsforſchers Lorenz Beger koſtba⸗
18 Werk über die griechiſchen Münzen und Gemmen des kur⸗
furſtlichen Cabinets in drei Bänden in Folio erſcheinen (1606
1701), ein dauerndes Denkmal der Freigebigkeit Friedrichs II.
für wiſſenſchaſtliche Zwecke.
Selbſt Kenner und Liebhaber der Künfte, trug Dankelmann
auch viel bei zur Errichtung der Akademie der bildenden Künfte,
derm Ausführung im I. 1696 nad dem Mufter ähnlicher
1) Königs Berlin III. ©. 346,
56. Bud V. Erſtes Hauptftäd
Anftalten in Rom und Paris begann. - Er felbft trat als Pros
tector an die Spitze derfelben. Lehrer mit hoͤchſt anfehnlicen
BBefoldungen von fechshundert bis taufend und funfzehnhunbert
Zhalern wurden angeftellt und der als Bildner und Baumes
ſter gleich ausgezeichnete Schlüter nach Italien gefhidt, um
Abgüffe der dortigen berühmten Antifen für die neue Akade⸗
mie zu kaufen. Der Zwed folte fein: den im biefem Lande
faft ausgetiigten Kuͤnſten ber Malerei, Bildhauerei und Archi⸗
teftue aufzuhelfen. Dazu wurden auch jährlich Preisaufgaben
befannt gemacht. Zugleich folte die Vereinigung ber beften
Künftler ſich der Übertriebenen Anmaßung Einzelner wiberfe
gen und diefe Anftalt für die Kunft fein, was eine Univerfität
für die Wiſſenſchaften ').
Auſſerordentlich viel geſchah für die Vergrößerung, den
Anbau und die Verfchönerung Berlins. Die von feinem Bas
ter angelegte Dorotheenftabt bauete er weiter aus, die ſchoͤne
Friedrichsſtadt legte er felbft (feit 1688) an und beförberte ih⸗
sen Anbau durch Verſchenkung ber Baupläge und andere Bes
günftigungen. Die Leitung hatte der fehr tüchtige und vers
diente Oberbaubirector Nering und nur nad; ben von biefem
gebilligten Niffen durfte gebauet werden. Als er (im I. 1695)
farb, Hatte die Friedrichsſtadt ſchon breibundert Häufer. Nering
bauete auch (1692 — 1695) in hudrotechnifcher Hinficht, von
dem Ingenieur Gayart, und ruͤckſichtlich der Ornamente durch
Schlüter unterftügt, die (hundertundſechzig Fuß lange) for
genannte lange Brüde mit fächfifchen Quaderfleinen. Nah
feinem Plane wurde auch (1695) der Grundflein zu dem pracht⸗
vollen Zeughaufe gelegt, welches. dann Johann de Bodt anderd
ausbauete und nach Schlüter und Hulots Angabm verzierte
Noch viele andere mehr oder weniger bedeutende und ſchoͤne
1) Theater. Europ. XV. p. 730. Königs Berlin S. 24 u. 65
Wilken im Berliner Kalender v. 3. 1822, S. 195, auß ben bort. an
geführten Schriften vorzuͤglich der Einleitung zur berliner Kunftausftel:
lung d. 3. 1804. Auffallend ift, daß in der Histoire de Tacadenie-
Berlin 1752, p. 3 unfreitig aus der: kurzen Grzählung, welchergeſtalt
König dricdrich I die Cocietät des Wiſſenſchaften geftiftet. Bertin 1711,
als Gründungsjafe der Xlademie ber bilbenben Künfte das Jahr 1691
angegeben wird.
Akademie der Künfte Berlin. j 57
Bauten, vorzuͤglich Kirchen, wurben vom Kurfuͤrſten, andere von
Privatleute in Berlin unternommen, aufferbem aber noch die
Edle in Potsdam, Boͤtzom, Friedrichsfelde, ehemals Rofens
file, Dranienburg umd fpäter Schönhaufen, theils neu gebauet,
theis erweitert, für die Kurfürftin das Schloß in Liegenburg
ton Shlüter, die Gärten dazu aber von Simeon Godeau, eis
nem Böglinge Le Notre's, des Schöpfer von Verfailles, nach
defien Biffen angelegt ’).
Die fhon ziemlich anfehnlihe Zahl von Baumeiſtern,
Ralern und andern Künftlern, welche bei dem Zode be gros
sen Kurfürſten in Berlin vorhanden waren, vermehrte ſich
fihe bei der Neigung Friedrichs LIT. zu allen Künften, welche
feiner Prachtliebe ſchmeichelten und bei deſſen bis an Ver⸗
cwendung veichenber Sreigebigkeit in der Belohnung der Mei⸗
fer, die ihm zus gefallen wufften. Unter ihnen zeichneten fich
ab der Landſchaftsmaler Bega, bie Geſchichtsmaler Auguftin
Leweſten und beffen Schüler Belau aus Magdeburg, die Sees
füdmaler Eitefter aus Potsdam, die Miniaturs, Portraits und
Email: Maler Gebrüder Huaut, Bockhorſt und Gerike aus
Spandau, welcher auf kurfürſtliche Koften ausgebildet worden
war. Die meiften von ihnen waren als Hofmaler mit fechös
hundert bis tauſend Thalern Beſoldung angeflellt. Weniger
bedeutend waren die Kupferſtecher Hainzelmann und Blefenborf.
Vehtere diefer Künftler waren, wie wir fehen, Eingeborene und
Eher älterer tÜchtiger Meiſter, die ubrigen andere Deutfche,
hollinder und Franzoſen ). Der aus Paris berufene Schwede
Halı arbeitete ald geſchickter Stempelfchneider für ben gerabe
finer Thaͤtigkeit befonderö geneigten Hof, an bem alle größeren
md auch viele weniger bebeutende Ereigniffe, 3. B. des Kurs
pinen erſtes Beſteigen eines Pferbes, durch Mebaillen verewigt
ander),
1) Ricolat’s Beſchreibung der Meftbengftäbte Berlin und Potsdam.
Bilten im Berliner Kalender d. I. 1822. Mila’s Berlin. J
2) Königs Berlin IL S. 319. Nicolai Beſchreibung don
= f.w., ®b. I. ©. 47 des vierten Anhangs. Kuͤnſtler unter
Brit L_ Wilken im Berliner Kalender v. 1822 ©. 87 ff. °
I) Bätthers Leben Friedrichs J. Hat fie ſaͤmmtlich wohl ziemlich
deiſtindig In Kupfer geftochen mitgeteilt und erläutert. Auf diefer, vom
58 " Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
Vorzugsweife aber wurde bie Tonkunſt und zwar beſon⸗
der durch bie herrliche Kurfürftin Sophie Charlotte begimfligt.
Diefe fböne und geiftreiche Fuͤrſtin war es, welche bie wahre
geſellſchaftliche Feinheit und bie Liebe zu den Künften und Bif:
fenfchaften nach Preuffen und Geift und Würde in bie von
ihrem Gemahle fo fehr geliebte Etikette brachte‘). Cine Tod
ter Ernſt Auguſts von Hannover und der Prinzeffin Sophie,
der eben fo gebildeten als ehrgeizigen Enkelin Jakobs von
England, der Tochter des unglüdlipen Friedrich von der Pfalz,
ber die boͤhmiſche Krone nicht hatte behaupten Fönnen, aus
einem Haufe, in weldem «bie Liebe zu Künften und Wiſſen⸗
ſchaften im damaligen franzoͤſiſchen Geſchmade des Zeitalter
Ludwigs XIV. bereits einheimifch geworden war, hatte von frü⸗
her Jugend an Leibnig, der im Dienfte ihres Waters fand
und fie auch in Berlin öfters befuchte, in ihr ben Ginn für
die Wiſſenſchaften und vorzüglich für bie Philoſophie gerocdt,
der fie nie verließ. Bei leichter und lebhafter Auffaffungs
fähigkeit und dem eigenen Drange nach weiterer Ausbildung,
war fie mit feinem Zweige der Kiteratur ganz unbekannt, be
faß felbft gelehrte Kenntniffe?). Die begierig fie war, ſich
gründlich zu unterrichten und tiefer als gewöhnlidy in Alles ein:
aubringen und bie erſten , Gruͤnde der Dinge zu erfaffen, bezeugt
felbſt Leibnig, indem er ihr einft fagte: „Ca ift nicht möglid)
Sie zufrieden zu ſtellen; Sie wollen das Warum von Barum
wiſſen.“ Sie hatte zwei Jahre in Paris zugebracht und war
des Franzoͤſiſchen, das fie dem Deutfchen vorzog, fo volllom⸗
3. 1701 ſigt. der Kurpeing, geharniſcht und mit einer großen Perrift
auf einem flattlichen deoſſe / bie Meitgerte in der Hand, die Umfchrift IR:
Praeludia regni,
* 1) Worte Friedrichs des Grohen in feinem Memoiren pour servir &
Vhistoire de ia maison de Brandenbourg, fo wie faft alles hierher
Gehdrige gefammelt, angeführt und erläutert in Erman Mömoires pouf
serrir & Vhistoire de Sophie Charlotte reine de Prusse, Bergl. dau
Geringe Merkrürdigteiten aus der branbenburgifcien Gefchichter er
Stuͤck. Breslau 1798.
2) ©ie führt in einem Schreiben an ben-Iefuiten Vota den Gt
gorius von Ropiang, Theodoret und andere Kirdjenväter und beren Keufl-
zungen über Goncilien an.
Die Rurfärfiin Sophie Charlotte ”
ma mächtig, daß Franzoſen wohl fragten, ob fle deutſch vers
Rebe. Anh im Engliſchen und Stalienifchen unterhielt fie fi.
Bei item Verheirathung, wie ed damald gewöhnlich war, ein
Opfer der Politik ihres Vaters, ohne Zuneigung zu einem
Senafie, der ihr zwar mit der hoͤchſten Auffern Achtung begegs
etz, deſen Neigung zum Glanze und zur Pracht fie jedoch
derchaus nicht theilte, ja oͤfters befpdttelte, wie fie ſich übers
haupt zu deſſen großer Kraͤnkung über viele Foͤrmlichkeiten
kiht und ungenirt hinwegfegte, würde fie eine unabhängige
tage im Kreife geiftreicher unterrichteter Männer einem Throne
vetgezogen haben ').
Burhdgezogen von ber ihr Iäftigen Etikette des Hofes, vers
faumelte fie durch Bildung und Geift ausgezeichnete Männer,
de fie fehr wohl zu würbigen und mit feinem Tacte außzus
wählen wuſſte, ohne Rüdfiht darauf, ob fie durch Geburt
er Rang hoffähig waren, ohne Unterfchieb der Religion und
Ationalität in ihrem Luflorte Lietzenburg (bald Charlottenburg),
wo ihr der Kurfuͤrſt, wie ſchon erwähnt, feit dem I. 1695
turh Gälliter hatte einen Palaft aufbauen Iaffen, ben dann
der von ihr ſehr hochgefchägte Erſander von Goͤthe ausſchmuͤcte
mb erweiterte ). Hier erſchien fie mit einigen auserwaͤhlten
Hfdamen in einfacher Kleidung, nebenbei befchäftigt mit weibs
Ahen Arbeiten. Statt des Spiels, der täglichen Seſchaͤftigung
gifedarmer Menſchen, wurde bie Unterhaltung ohne Zwang
ghrt, fie erfreuete fich der Gefpräche, auch wohl Streitigkeiten
ter intereffante Fragen, die fie vorzüglich aus dem Gebiete
1) Ne aoyez pas, ſchricb fie an eiönig, que je prefäre ces gran-
dan e& ces couronnes, dont on fait tant de cas, aux charmes des
atreiiens philosophigues, que nous avons eus & Charlottenburg.
Roenbei bemerke ich, daß alfo kietenburg doch micht erft nad) bem Tode
ter Königin Charlottenburg genannt worben tft, wie man faft allgemein
at. Werl. Dohma p. 285. Daß fie während der Ardmunge
errmonie eine Prife Taback genommen, was ihr eine Zurechtweiſung Ihres
tur ſcht verletzten Gemahls zugezogen, wird allgemein erjaͤhit.
2) Ricolat’s Beſchreibung von Berlin Bd. II. S. 7635 jest das
Cie Schloß genannt, zum Unterfchiede von dem durch Friedrich II. dort
etzuten neuen Schloffe. Cine Nachricht von der Erbauung des alten
Söiofied im Theatz. Europ. XVI. p. 251 ſcheint von einem Gegner
Coaitera herzurũhren, da alles Verdienſt Böthe beigelegt wird.
60 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤc
der Philoſophie und Religion aufzuwerfen pflegte, ‚und wuflle,
durch ihre wuͤrdevolle Haltung die dad Maß tıberfchreitende
Lebhaftigkeit und Empfindlichkeit ber einanter bekaͤmpfenden
Gegner zu mäßigen. Doc) herrfchten in ber von ihrem Geiſte
belebten Umgebung, wie in ihren Briefen bei aller Feinheit
viel Heiterkeit und Scherz; felbft Sarkasmen waren nidt ver:
bannt. In vertraulichen Herzensergieffungen walteten oft Laune
und Muthwille vor. Schmeichler konnte fie nicht leiden. DR
ließ fie fih new erfchienene Werke vorlefen, oder über fie
Bericht erflatten. Hier war ihr wohl, hier fühlte fie
ſich glädlic.
Ihre vorurtheiläfreien Anfichten uͤber Religion und Politik,
da fie es nicht mit der abfolut unumſchraͤnkten Monardjie hielt
und fi darlıber unummwunden Aufferte, verfchafften ibr bad
in Deutfhland den Namen der republifanifchen Königin.
Schrieb fie doch einft, als der Jeſuit Bote fich entſchuldigte,
bei einer Unterhaltung mit evangelifchen Geiſtlichen über Reli
giondgegenftände in ihrer Gegenwart zu bigig gemorden zu
fein: fie wundere ſich nicht, daß er im Lande der Freiheit in
kurzer Zeit eine Menge von Dingen gehört habe, welche man
im Lande der Auctorität in vierzig Jahren nicht zu hören be
komme ). ” -
Ihr angenchmfler Zeitvertreib war bie Beſchaͤftigung mit
Mufit, fie fang felbft vortrefflich, componirte Bunfigemäß und
ſpieite bie Cymbel. Viele berühmte Tonkünftier, Sänger und
Sängerinnen, der als Klavierfpieler, Geiger und Tonſ her be
kannte Kammermuſicus Rind, der Kammermuſicus Gtider
und der Violoncelliſt Attilio Arioſti wurden nad) Berlin geru⸗
fen. Im J. 1695 erhielt ein Schauſpieler, Sebaſtian di Ci,
mit feiner Truppe die Erlaubniß, Komoͤdie zu fpielen, Ballete
zu tanzen und feinen Balfam und chemiſche Medicamente
zu baben; fpäter wurbe in ben koͤniglichen Ställen ein Opem
faal eingerichtet und auch im liebenburger Schloſſe Prem
aufgeführt.
Eigentligen Einfluß auf bie Staatsregierung und Bu
waltung fſcheint fie weber gefucht noch befeffen zu haben. Diet
1) Erman p. 47.
Ederhards dv. Dankelmann Fall. 61
mar immer in der Hanb des Kurfürſten und ber Günftlinge
tefelen, jet noch Eberhards von Dankelmann. Diefer, der
die Gutmüthigkeit feines Herrn Fannte, veranlaffte ihm zur
Grleffung eined Reſcripts an die Juſtizbehoͤrden, welches bies
fan die Freiheit gab, micht durch widerfprechende Gabinetds
befehl den Lauf der Juſtiz hemmen zu laſſen. Ebenfo bewog
@, dur) die Unterfchleife der Kammerbebienten, welche von
im bewirkte Ausfertigungen in Geld» und Gnadenſachen dem
Surfürften unterſchoben, veranlafft, daß diefer befahl, es folle
fan Decret und Vollmacht ohne Dankelmanns Gegenzeichnung
gälig fein‘). Diefe in unbefchränkten wie in conftitutionellen
Bomarien fo notwendige und in Preuffen noch jegt befles
bende Gontrafignatur ber dafuͤr verantwortlichen Minifter vers
mhrte alerdings die Macht Dankelmannd ungemein, jedoch,
man muß es fagen, nur im Intereſſe einer guten Verwaltung
des Etats. War er nun wegen feiner hohen Stellung ſchon
werdſich beneidet, wegen feiner Rechtichaffenheit und Uneigens
nitigteit von Vielen gefürchtet, fo verboppelte fi) doch bie
All und die Erbitterung feiner Feinde durch bie Art feiner
Haltıng und feines Benehmens. B
Von Natur fo ernft, daß man ihm mie lachen fah, bei
Gum durchgreifenden Charakter und ftarten Gefühle feiner
Zatt verachtete er das feiner unwurdige Treiben und bie am
Hefe feineß Fürften gewoͤhnlichen Raͤnke des vornehmen unb
grngen Hofgefinded, dazu faſt erbrüdt von Geſchaͤften, die
© mit der größten Anftrengung nicht bewältigen konnte, trat
& hohſahrend auf, benahm fich gegen Andere rauh, fagte,
fine Kechtſchaffenheit ſich bewufft, unummunden unb ſcho⸗
mungölos feine Meinung, verlegte fo wohl auch manchen -Beflern
und wendete Aller Waffen gegen fi. Dennoch winde er ſich
haben behaupten koͤnnen, wenn er nur die ihm doch fo wohl
bilunte Schwaͤche ſeines Herrn geſchont und dieſen nicht zu
ricſchtslos behandelt hätte. Er konnte, wie das bei Er⸗
ie nur zu gewöhnlich ift, ben Hofmeiſterton fogar
gegen ben Kurfüften nicht ablegen und verfuhr fehr eigen
1) Aus Gunblings Handferift Wilken im Berliner Kalender
"INS, 155. .
@ Bud V. Erſtes Hauptſtuͤch
maͤchtlg Er ging wohl fo weit, ihm und der kurfuͤrſtlichen
Bamilie die Reife nach Frankfurt a. d. D. zur Meſſe zu unter⸗
ſagen, weil die Kafle nicht wohl beſtellt ſei, und brachte,
indem er, wie es ſcheint, durch ſeine Rauheit gegen die
Guͤnſtlinge der Kurfuͤrſtin verſtieß, auch dieſe auſſerordentlich
gegen ſich auf ).
Im der That muſſte es bei dem Aufwande, den ber glaͤn⸗
zende Hofftaat und bie Freigebigkeit des Kurfürften veranlafften,
Dankelmann wohl oft fehr ſchwer werben, den an ihn gemach⸗
tem Anfoderungen zu genügen. Won ben franzöfiihen Emi⸗
granten wurde eine -anfehnlihe Summe aufgenommen. Auſſer
ben bereit vorhandenen nicht leichten Abgaben mufften zu der
vom großen Kurfürften (1. Januar 1686) errichteten Marine
Chargen⸗ und Rekrutenkaſſe (14. Det. 1688) alle vom Kurfür
ſten beflätigte Beamteten zehn Procent ihrer Beſoldung ent⸗
eichten, andere ohne Befolbung nad ihrem ange, Juden
drei bis zwanzig Thaler geben, und wegen unvermeibliher
Nothwendigkeit von Jedem (13. April 1691) noch ein Viertheil
des erften Jahrgehalts an die Kaffe gezahlt werben. In den
Warten wurden (im März 1690) bie Stände (Mitterfhaft
und Städte) verfammelt, um als freiwillige Beihuͤlfe für dad
‚Heer eine auſſerordentliche Unterftügung von 20,000 Thalem
gu geben, konnten jedoch erft durch ſcharfe Schreiben zur Ent
richtung der Summe vermocht werden. Die Städte geſtanden
babei, daß die Steuer zwar hoch fei, indeſſen wären fie durch
ben (vom großen Kurfürften) eingeführten ganz billigen modus
accisae von dem ihnen bevorfichenden Ruin errettet (Edit
d 29. Mai 1690).
Dann wurde (1. Mai 1691) zur Unterhaltung bes Head
eine Generallopffteuer (ganz wie im 3. 1679) ausgeſchrieben
Es waren ber Kurfürft mit taufend Thalern, feine Gemahlin
1) &o berief er im I. 1695 den Maler Werner aus der Chor
ohne bes Kurfürften Wiſſen zur Directorſtelle der neuen Atabemie da
Künfte, uud der Xuffict über bie Gemälde und bie in den Auflrf
uchen Gchlöffern zu bewirkenden Verſchoͤnerungen, mit einer Befolbung
von 1000 Thlrn. NRicolai’s Berlin, Anhang 4, ©. 85.
2) Dohna p. 157.
Eberhards v. Dankelmann Fall. Finanzen. 6%
wit finfpundert, ein wirklicher geheimer Rath, wie ein Graf,
mit ſchig Thalern, dann herab jeder Thuͤr⸗ und Brauerknecht
und hedelaͤufer mit einem Thaler, jeder Schiffsknecht, Hands
werfögefelle, Thorwärter mit zwölf Grofchen, der Bauer mit
** — ſelbſt Weiber, die um Tagelohn dienten, mit
Sofgen angeſetzt. Dieſe Generalkopfſteuer wurde zu
*5 bald darauf nochmals (2. Januar 1693) ers
ben. Diesmal waren ber Kurfürft mit zweitauſend Thalern,
fine Gemahlin mit der Hälfte angeſetzt, eine große Menge frü⸗
ber nicht vorhandener Hofchargen aufgeführt, die Steuer im
Algmeinen für die höheren Klaſſen erhöhet, nur wenige nie
triger angefchlagen. Das Stempeledict des großen Kurfürſten
wa 3. 1682 wurbe zweimal (10. Mai 1695 und 16. Octob.
1697) emeuert wegen des, hieß es, zur Wertheibigung vom
ab md je auch zur Erpaltung Her edlen Breipeit unteps
Bazaenen
Vielfach et durch ungemeine Hinderniffe hatte Dam
kinzan bei unermiblicher Shätigfeit vermittelft der Einrichtung
da Heflanmer zur Verwaltung der Domainen, vorzüglich durch
ten Beifland bes fehr tüchtigen von ihm als geheimer Kams
mmath angeftellten Kraut die Einkünfte der Domainen und
dr dazu gehörigen Gefälle in einem Jahre um 148,000
Yalız vermehrt, fo daß bie nach Abzug aller zur Erhaltung
u Berbefferung derfelben, zum Ankaufe neuer Giter und
u Befofdung ber Beamteten verwendete Summe im Betrage
# 366,000 Thalern einen reinen Ueberſchuß von 847,000 Tha⸗
ken obeearf . Doc reichte daB Alles während des Kriegs
fr da glängenben Hof und bie Habfucht der Hofleute nicht
=. Ale wünfchten den verhafften Dankelmann, ben fie fpotts
weft den Großen nannten, zu flürgen. Am’ thätigfen war
Yakei der Freiherr von Kolb, aus ber Pfalz, nach einem alten
Edloſſe feiner Familie von Wartenberg genannt. Als geheimer
Aut} und Dberftotmeifter des Pfalggrafen von Simmern, war
“zu Sendungen an verſchiedene Höfe gebraucht worben und
bette ſchon dem großen Kurfüsften (1632) fo zugefagt, daß
1) Seſchichte der verbeſſerten Einrichtung der. Domalnen, tn den
ditruichen u. f. 10. Beiträgen U. 1. ©. 25.
% Bud V. Erſtes Haupt ſtuͤck
ihm dieſer eine Beſtallung als Rath mit ſechshundert Thalern
Penfion gab und ihm geſtattete in pfaͤlziſchen Dienften zu blei⸗
ben. Nach dem Tode feiner Herrin, ber verwittweten Pfalz
graͤfin, bei feiner Anwefenheit in Berlin im Fruͤhjahre 1688
hatte er durch fein angenehmes Aeuffere und durch fein gemandtes
hoͤfiſches Benehmen dem damaligen Kurprinzen dermaßen ge
falen, daß ihm diefer die Fortdauer der Stelle für die Zukunft
verſprach, ihm bald darauf als Kurfürft dad Gehalt derfelben
vermehrte, dann (1690) zum Hauptmanne von Oranienburg,
(1691) zum Schloßhauptmanne, (1694) zum Dompropfte von
Havelberg, (1696) zum Dberftalmeifter und bald darauf zum
Oberkammerherrn, fiher nicht ohne Dankelmanns Zuthun, ers
nannte. . Diefer Pannte die Hergendgüte feines Herrn, der ihm
"fo viel verbankte, bebachte aber nicht, dag Eitelkeit Dankbar⸗
keit aufwiegt und daß ſchwache Zinften weit cher hart und
ungerecht find, als kraͤftige. Es mochte ihm wohl angenehm
fein, daß ihm, dem mit Arbeit überhäuften Minifter, ein Ans
derer die Mühe erleichterte, feinen Herm zu beſchaͤftigen und
zu unterhalten. Der eben fo ſchlaue ald gewanbte und vors
zuͤglich gefcpmeidige Kolb nahm bie Gelegenheit wahr, fih feſt
in der Gunft des Kurfürften zu fegen und nad) und nad ben
allmächtigen Minifter aus derſelben zu verdrängen. Es ſcheint,
als wenn dieſer ſuͤr einen Augenblid eine theilmeife Ahnung
des ihm bevorftehenden Schickſals gehabt hätte. Bei einem
Feſte, das er dem Hofe gab, erzählt man, befand er fi), wähs
rend die Übrige Geſellſchaft tanzte, mit dem Kurfürften in feis
nem Arbeitszimmer. Als diefer hier einige Gemälde aufmerk⸗
fam betrachtete, fagte Dankelmann plöglich zu ihm, Alles was
bier fei, werde ihm bald gehören. Als der Kurfürft Erklaͤrung
biefer ihm räthfelbaften Aeufferung verlangte, erwiederte Dans
Telmann, er werde in Ungnade fallen, gefangen gefegt, allein
nach Anerkennung feiner Unfhulb ihm alle feine Aemter und
Würden und was man ihm entriffen, zurldgegeben werben.
Der Kurfuͤrſt betroffen, noch voller Verehrung flr Dankelmann,
ergriff ein auf dem Zifche liegendes Teſtament und ſchwur,
daß das nie eintreten werbe. he er vollendete, unterbrach ihn
Dankelmann, indem er ihm verfiherte, das Geſagte werbe
doch geſchehen und es ſtehe nicht in des Kurfürften Macht, es
Eberharbs v. Dankelmann Fall 6
ee Die Vorausfagung ging nur zur Hälfte in Er⸗
Denkelmann beobachtete gegen ben ſchwachen Furſten forts
wäend nicht das gehörige Maß. Die Hofleute und vorzügs
ih Solb reiten den Kurfürften fo viel fie vermochten, unters
groben des Guͤnſtlings Stellung immer mehr, wedten bie
Eifafucht des eiteln Herm über Dankelmanns Anfehn und
regten ihn fo vielfach, daß er wohl einmal heftig auffuhr und
fogte: „‚Dankelmann will den Kurflrften fpielen, doch ich werde
ifem zeigen, daß ich felbft ‚Here bin!“
&o bedurfte es bald nur noch eines Anfloßes, um ben
58 dahin fo gewaltigen Minifter vöNig zu flürzen. Die Ver⸗
dee der mächtigen Familie hatten zu Ehren der fieben Brüder
durch den berlihmten Stempelſchneider Raimund Falz eine
Schaummze prägen laffen, auf deren einer Seite das Sieben⸗
gfim, in dem ein Stern von vorzuͤglicher Größe Über einer
Eandfeaft fand, in deren Hintergrunde eine Stadt war, mit der
Unfhrift: Intaminatis fulget honeribus. Auf der andern Seite
fand: Pleiadi fratram, qui principi ept, max. Friderico III. elect,
Brand. se suague omnia prisca solduriorum lege devoverunt; unten
war der wachthaltende Kranich bed Dankelmannfchen Wappens?).
Bas war natürlicher, ald daß Hofleute wie Kolb, ben
wenn au als Menfchen, doch nicht als Hofmann beffern,
dur Dankelmannd Stolz wie fo viele Andere verlegten Gras
fen Chriſtoph von Dohna benugten, um biefem zu fchaden.
Sie verbreiteten, Dankelmann habe die Schaumänze felbft
ſalegen Iaffen und die auf ihr unter dem Siebengeſtirn befinds
Yihe Stadt ſolle Berlin vorftellen. Das Letztere mochte auch
wohl der Fall fein, fo unaͤhnlich die Darftelung auch felbft dem
damaligen Berlin war. Dohna muſſte feine Künfte anwenden,
un die Medaille, wie ganz abſichtslos, in bie Hände des Kurs
1) Pdilnait Memoiren L ©. 288. Gosmar und Klaproth
6.254. Daß ſich Dankelmann bei biefer Gelegenheit habe durch den Gib
de Kunfürften ſicher ſtellen wollen, iſt nicht glaublich, ba er ja die Wollen«
Yung des Gäpwurs nicht zugeben wollte, waß er bod) leicht gefonnt Hätte.
tag eine ſoiche Handlungeweiſe auch nicht in feinem Charakter.
% Hätte ja thun Ennen, was fpäter Kolb that, um ſich ſicher gu ſtellen.
2) ©. bie Abbildung der Mebaille bei Bütther ©. 491.
Stenzel Geld. d. Preuſſiſch. Staats. IH. 5
Hi
27. Rov.
0 BuHV. Erſtes Hanptfie
fürſten zu bringen. Der mit ſolchen Ding vertraute Hof:
mann zeigte fie daher einft von fern einem Mohren, einer Art
von Lufligmacher am Hofe, weil er wuffte, baß biefer eilm
würde, fie ihm zu entreiffen, wa auch gefchah. Während fih
nun Dohna fheinbar bemühte, die Schaumlinze wieber zu be
kommen, der Mohr fie zu behalten, näherte ſich ber Kurfürft
und fragte nach dem Gegenftande des Streits. Dohna er
zählte, der Mohr habe ihm eihe Medaille genommen unb wolle
fie ſelbſt nicht für ihren Geldwerth zuruͤckgeben, worauf der
Kurfünft, felbft Freund, Kenner und eifriger Sammler von
Scaumünzen, fie zu fehen verlangte. Dohna erwieberte bos⸗
haft: „Sie werben nichts fehen, da Eure Kurfärftliche Durd-
iaucht Seibft fie Haben fchlagen Laffen." „IHR fagte der Kun
fürft darauf empfindlich, nachdem er fie genau betrachtet hatte,
ich hätte diefe Medaille fhlagen laſſen? Ic weiß nicht, was
das ift," und brach ab’).
AS Dantelmann bald darauf bemerkte, daß er bie Gunft
feines Herrn verloren, bat er unter dem Vorwande, daß et
bei geſchwaͤchter Geſundheit der Ruhe bebärfe und fih den
fehweren Arbeiten feines Amts nicht mehr gewachfen fühle, um
„feinen Abſchied, wiederholte das, als fein Geſuch nicht ſogleich
erfüllt wurde, und erhielt Pr Entlaffung *) durch eine Urkunde,
in welcher der: Kurfluft fe feine Zufriedenheit mit den ihm von
zarter Kindheit an in guten und trüben Zeiten durch Dankel⸗
mann geleifteten treuen und ımermübeten Dienften nebſt ſeiner
Huld befundete und mit der Erflärung, daß feine —
kein Zeichen der Ungnade ſei, ihm feinen Rang, dad erbli
Pofhmeifteramt, die Praͤſidentenſtelle in Cleve und der
mannſchaft zu Neuftabt am ber Doffe ließ und ihm eine Per
„fion von 10,000 Zhalern gab, bamit er als ehrlicher Mann
leben koͤnne, ohne fein eigene Vermögen anzugreifen. Bugleid
R flete ihn der. Rurfnft frei, in Glee, Meufabt-an ber Doft
ober auch in Berlin zu leben ).
3 Dohna p. 191. ä
2) Die Schrift: Mall und ungnade zweier Staats⸗ Miniſtres © 18
gibt ben 22. Non. 1697.
8) Die Gntlaffungs -Urkunde vom 27. Rov. 1697 fieft voüRduh
in Gosmars und Klaproths Staats Kath S. 877.
Eberhards v. Dankelmann Ungnade. 67
Bald darauf wurde ihm verboten, fi) ohne befonbern
Aufıag mit fremden Miniſtern ober Barfürfllicen Beamteten
in Beiefwechfel ober Unterrebungen einzulafien, ihm dann be:
pin, alle noch in feinen Händen befinbliche S i
veroiefen. Da man ben Kurflaſten num beſorgt machte, Dans .
kimamı konnte ſich von da wegbegeben und Gtaatögeheimaiffe “ dee.
mibrauchen, fo wurbe er plöglich mitten in ber Nacht durch 1
— der Garde, Tettau, auf die roheſte Weiſe ver⸗
der Miniſter und anderer Rechtsgelehrten über feine
pe vorzüglich aber weil feine Nähe feinen Feinden
m gefährlich fchien, nach Peis gebracht und fein Vermoͤgen
wm alle feine Befigungen ‚unter voͤllig unpaltbaren Borwänden
nit Beſchiag belegt.
erft triumphirien die Feinde des geflärzten Oberpraͤ⸗
Durch
gfinheren/ ſondern derſelbe ſoll fortgefegt werben.” &o wurde
denn eine große Anzahl von allgemeinen ober ſofern fie ſpeci⸗
fit waren, theild unbegründeten, theild boshaften, ja niedri⸗
gen und wahrhaft laͤcherũchen Beſchuldigungen gegen Dankel-
mann gefammelt nnd vorgelegt.
Im Allgemeinen wurde ihm vorgeworfen, er habe feit bem
Regierungsantritte ded Kurfürften die Leitung aller Staatss,
Gril⸗, Militairs, Hofſtaats⸗ und Kammerſachen als Präfident
an fih gezogen, deshalb auch feine Contrafignatur bei allen
Colegien Aingeführt, Bieles eigenmächtig vefit, w als Herrn
58 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤck
Vorzugbweife aber wurde die Tonkunſt und zwar beſon⸗
ders durch die herrliche Kurfürftin Sophie Charlotte begunftigt.
Diefe ſchoͤne und geiſtreiche Sürflin war ed, welde die wahre
geſellſchaftliche Feinheit und vie Liebe zu den Künften und Wiſ⸗
fenfhaften nach Preuffen und Geift und Würde in die von
ihrem Gemahle fo fehr geliebte Etikette brachte '). Eine Tochs
ter Ernſt Auguſts von Hannover und ber Prineffin Sophie,
der eben fo gebilbeten als ehrgeizigen Enkelin Jakobs von
England, der Zochter des unglüdlihen Friedrich von der Pfalz,
der die boͤhmiſche Krone nicht hatte behaupten Tinten, aus
einem Haufe, in welchem bie Liebe zu Künften und Wiſſen⸗
fbaften im damaligen franzoͤſiſchen Geſchmacke des Zeitalters
Ludwigs XIV. bereitd einheimiſch geworden war, hatte von früs
her Jugend an Leibnig, ber im Dienfte ihres Vaters ftand
und fie auch. in Berlin oͤfters beſuchte, in ihr den Sinn für
bie Wiſſenſchaften und vorzüglich für die Ppilofophie geweckt,
der fie nie verließ. Bei leichter und lebhafter Auffaffuugss
fähigkeit und dem eigenen Drange nach weiterer Ausbildung,
war fie mit keinem Zweige der Literatur ganz unbekannt, bes
ſaß felbft gelehrte Kenntniffe”). Wie begierig fie war, ſich
gründlich zu unterrichten un tiefer als gewöhnlid in Alles ein⸗
ubringen und die erften, Gründe der Dinge zu erfaffen, bezeugt
felbſt Leibnig, indem er ihr einft fagte: „Es ift nicht möglich
Sie zufrieden zu ftellen; Sie wollen das Warum von Barum
wiffen.” Sie hatte zwei Jahre in Paris zugebracht und war
des Franzoͤſiſchen, das fie dem Deutfchen vorzog, fo vollloms
3. 1701 figt der Kurpring, geharniſcht und mit einer großen Perruͤcke
auf einem ſtattlichen Moffe, bie Reitgerte in ber Hand, die Umfchrift iſt:
Praeludia regni,
» 1) Worte Friedriche des Großen In feinen Memoires pour serrir &
Ihistoire de ia maison de Brandenbourg, fo wie faft alles hierher
Gehoͤrige gefammelt, angeführt und erläutert in Erman Memoires pour
servir & Phiatoire de Sophie Charlotte reine de Prusse. Bergl. bazu
Herings Merkwürdigteiten aus der brandenburgifcen Geſchichte , erſtes
Stüd. Breslau 1798,
2) Sie führt in einem Schreiben an den Jeſuiten Wota den Gre—
gorius von Nazianz, Theodoret und andere Kirchenväter und deren Aeuſſe⸗
rungen über Goncilien an.
Die Kurfärflin Sophie Charlotte ”
men mächtig, bag Franzoſen wohl fragten, ob fie beutfch vers
Rebe. Auch im Engliſchen und Stalienifchen ımterhielt fie ſich.
Bäi ihrer Verheirathung, wie es bamald gewöhnlich war, ein
Dpfer der Politik ihres Waters, ohne Bumeigung zu einem
Grmahle, der ihr zwar mit der böchfen Auffern Achtung begege
nete, deffen Neigung zum Glanze und zur Pracht fie jedoch
turchaus nicht theilte, ja öfters befpättelte, wie fie fid Über
haupt zu beffen großer Kraͤnkung uͤber viele Foͤrmlichkeiten
lit und ungenirt hinwegfegte, wuͤrde fie eine unabhängige
Loge im Kreife geiſtreicher unterrichteter Männer einem Throne
vorgegogen haben ').
Zuruͤckgezogen von ber ihr laͤſtigen Etikette des Hofes, vers
fenmelte fie durch Bildung und Geiſt ausgezeichnete Männer,
die fie fehr wohl zu würbigen und mit feinem Tacte auszus
waͤhlen wuffte, ohne Ruͤckſicht darauf, ob fie durch Geburt
oder Rang hoffähig waren, ohne Unterſchied der Religion und
Rationalität in ihrem Luſtorte Lietzenburg (bald Charlottenburg),
wo ihr der Kurflrft, wie ſchon erwähnt, feit dem I. 1695
durch Schlüter hatte einen Palaft aufbauen laffen, ben dann
der von ihr ſehr hochgefchägte Erſander von Göthe ausſchmuͤckte
md erweiterte). Hier erfchien fie mit einigen auserwaͤhlten
Hefdamen in einfacher Kleidung, nebenbei beſchaͤftigt mit weibs
fen Arbeiten. Statt des Spiels, der täglichen Befhäftigung
gfedarmer Menfchen, wurde die Unterhaltung ohne Zwang
geführt, fie erfreuete fich der Geſpraͤche, auch wohl Streitigkeiten
über intereffante Fragen, die fie vorzüglich aus dem Gebiete
1) Ne croyez pas, ſchrieb fie an Eelbnig, que je prefäre ces gran-
dar et ces couronnes, dont on fait tant de cas, aux charmes des
@tretiens philosophiques, que nous avons eus & Charlo
Rebenbei bemerke ich, daß alfo Liepenburg doch nicht erft nach dem Node
ir Königin Gharlottenburg genannt worben ift, wie man faft allgemein
agbt. Wergl. Dohna p. 285. Daß fie während ber Krönungss
armonie eine Prife Taback genommen, was ihr eine Zurechtweiſung ihres
tur fehe verlegten Gemahls zugezogen, wird allgemein erzaͤhlt.
Y Nicolat’s Beſchrelbung von Berlin Bb. II. S. 768; jett das
«ir Schloß genannt; zum Unterfdiede von dem durch Friedrich IL dort
etaueten neuen Schioffe. Cine Nachticht von der Erbauung des alten
Sötoffes im Theatz. Europ. XVI. p. 251 ſcheint von einem Gegner
Cauiters heruruͤhren, da alles Werbienft Gothe beigelegt wird.
60 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤc.
der Philofophle und Religion aufzuwerfen pflegte, und wuſſte
durch ihre wirrbevolle Haltung die dad Maß uͤberſchreitende
Lebhaftigkeit und Empfindlichkeit der einanter bekaͤmpfenden
Gegner zu mäßigen. Doc herrſchten in ber von ihrem Geifte
belebten Umgebung, wie in ihren Briefen bei aller Feinheit
viel ‚Heiterkeit und Scherz; felbft Sarkasmen waren nicht vers
bannt. In vertraulichen Herzensergieffungen walteten oft Laune
und Muthwille vor. Schmeichler Eonnte fie nicht leiden. Oft
ließ fie ſich new erfcienene Werke vorlefen, ober uͤber fie
Bericht erflatten. Hier war ihr wohl, bier fühlte fie
fih glüdig.
Ihre vorurtheilsfreien Anfichten uͤber Religion und Politik,
da fie es nicht mit der abfolut unumſchraͤnkten Monarchie hielt
und fi) daruͤber unumwunden Aufferte, verſchafften ihr bald
in Deutfhland ben Namen der republikaniſchen Königin.
Scrieb fie doch einft, als der Iefuit Vota fich entſchuldigte,
bei einer Unterhaltung mit evangelifchen Geiftlichen über Reliz
giondgegenftände in ihrer Gegenwart zu hitzig geworden zu
fein: fie wundere ſich nicht, daß er im Lande ber Freiheit in
kurzer Zeit eine Menge von Dingen gehört Habe, welche man
im Lande ber Auctorität i in vierzig Jahren nicht zu hören bes
tomme').
Ihr angenehmfter Zeitvertreib war bie Beſchaftigung mit
Muſik, fie fang ſelbſt vortrefflich, componirte kunſtgemaͤß und
ſpielte bie Cymbel. Viele beruͤhmte Tonkunſtler, Sänger und
Saͤngerinnen, der als Klavierſpieler, Geiger und Tonſetzer be⸗
kannte Kammermuſicus Rind, der Kammermuſicus Stricker
und der Violoncelliſt Attilio Arioſti wurden nach Berlin geru⸗
fen. Im J. 1695 erhielt ein Schauſpieler, Sebaſtian di Scio,
mit feiner Truppe bie Erlaubniß, Komödie zu fpielen, Ballete
zu tanzen und feinen Balfam und chemiſche Medicamente feil
zu baben; ſpaͤter wurde in ben koͤniglichen Staͤllen ein Dpern⸗
ſaal eingerichtet und auch im liegenburger Schloſſe Opern
aufgeführt.
Eigentligen Einflug auf die Staatsregierung und Vers
waltung ſcheint fie weder gefucht noch befeflen zu haben. Diefe
1) Erman p. 47.
Eberhards v. Dankelmann Fall. 6
wer immer in ber Hanb des Kurfürſten und ber Guͤnſtlinge
teffelben, jegt noch Eberhard von Dankelmann. Diefer, der
die Gutmüthigkeit feines Herrn Fannte, veranlaffte ihm zur
Erlaffung eines Reſcripts an die Juſtizbehoͤrden, welches dies
fen die Freiheit gab, nicht durch widerſprechende Gabinetds
tefehle den Lauf der Juſtiz hemmen zu laffen. Ebenſo bewog
&, durch die Unterfchleife der Kammerbedienten, welche von
ihnen bewirkte Auöfertigungen in Geld» und Gnadenfachen dem
Surfürften unterſchoben, veranlafft, daß biefer befahl, es ſolle
tin Deeret und Vollmacht ohne Dankelmanns Gegenzeihnung
gältig fein’). Diefe in unbefchränkten wie in conftitutionellen
Nonarchien fo nothwendige und in Preuffen noch jetzt beſte⸗
hende Eontrafignatur der dafuͤr verantwortlichen Minifler vers
mehrte allerdings die Macht Dankelmanns ungemein, jedoch,
man muß es fagen, nur im Intereffe einer guten Verwaltung
des Staats. War er num wegen feiner hohen Stellung ſchon
mendli beneidet, wegen feiner Rechtſchaffenheit und Uneigens
nügigteit von Vielen gefürchtet, fo verboppelte ſich doch bie
Zahl und die Erbitterung feiner Feinde durch die Art feiner
Haltung und feines Benehmens.
Bon Natur fo ernft, dag man ihn mie lachen fah, bei
Ainem durchgreifenden Charakter und ſtarken Gefühle feiner
Baht verachtete er dad feiner unwuͤrdige Treiben und die am
Hofe feines Fürften gewöhnlichen Raͤnke des vornehmen und
geringen Hofgeſindes, dazu faft erdrüdt von Gefchäften, bie
mit der größten Anſtrengung nicht bewältigen konnte, trat
er hochfahtend auf, benahm fi gegen Andere rauh, fagte,
feiner Rechtſchaffenheit fi) bewufft, unummwunden und fchos
nungslos feine Meinung, verlegte fo wohl auch manchen Beſſern
und wendete Aller Waffen gegen fih. Dennoch winde er fi
habm behaupten koͤnnen, wenn er nur bie ihm doch fo wohl
belannte Schwaͤche feined Herrn geſchont und biefen nicht zu
tdfihtölo® behandelt hätte. Er Tonnte, wie das bei Er⸗
hen nur zu gewöhnlich iſt, den Hofmeifterton fogar
gegen den Kurfürften nicht ablegen und verfuhr fehr eigen
1) Aus Dunblings Panbfärit m Wilken im Berliner Kalender
"I1822 ©. 155
@ Bud V. Erſtes Haupeftid
maͤchtlg NEr ging wohl fo weit, ihm und ber turfuͤrſllichen
Familie die Reife nach Frankfurta. d. D. zur Meſſe zu untere
fagen, weil die- Kaffe nicht wohl beftellt fei, und brachte,
indem er, wie es fcheint, durch feine Rauheit gegen die
Günftlinge der Kurfuͤrſtin verſtieß, auch biefe aufferordentlich
gegen fih auf‘).
Im der That muffte es bei dem Aufwande, ben ber gläns
zende Hofftaat und bie Freigebigkeit des Kurfürften veranlaſſten,
Dankelmann wohl oft fehr ſchwer werben, ben an ihn gemadhs
tm Anfoberungen zu genligen. Won den franzdjifhen Emis
granten wurde eine -anfehnliche Summe aufgenommen. Auffer
ben bereits vorhandenen nicht leichten Abgaben mufften zu ber
vom großen Kurfürften (1. Januar 1686) errichteten Marines
Chargen⸗ und Rekrutenkaſſe (14. Oct. 1688) alle vom Kurfürs
fen beftätigte Beamteten zehn Procent ihrer Befoldung ents
richten, andere ohne Befoldung nach ihrem Range, Juden
drei bis zwanzig Thaler geben, und wegen unvermeiblicher
Nothwendigkeit von Jedem (13. April 1691) noch ein Viertpeil
bes erften Jahrgehalts an bie Kaffe gezahlt werden. In den
Marken wurden (im März 1690) die Stände (Ritterfhaft
und Städte) verfammelt, um ald freiwilige Beiplilfe für das
‚Heer eine aufferorbentliche Unterflügung von 20,000 Thalern
zu geben, Tonnten jedoch erſt durch ſcharfe Schreiben zur Ents
zihtung der Summe vermocht werden. Die Städte geftanden
babei, daß die Steuer zwar hoch fei, indeſſen wären fie durch
ben (vom großen Kurfürften) eingeführten ganz billigen modus
accisae von bem ihnen bevorftehenden Ruin errettet (Edict
© 29. Mai 1690).
Dann wurbe (1. Mai 1691) zur Unterhaltung bes Heers
eine Generalkopfſteuer (ganz wie im J. 1679) ausgeſchrieben.
Es waren ber Kurfürft mit taufend Thalern, feine Gemahlin
1) So berief er im I. 1695 ben Maler Werner aus der Schwetz
ohne bes Kurfürften Wiſſen zur Directorſtelle ber neuen Akademle bee
Künfte, umb ber Aufſicht über bie Gemälde und bie in ben kurfuͤrſt⸗
den Sclöffern gu bewirkenden Berfcönerungen, mit einer Befolbung
von 1000 Thlrn. NRicolai’s Werlin, Anhang 4, S. 85.
2) Dohna p. 157.
Eberhards v. Dankelmann Fall. Finanzen. 63
nit fünfpundert, ein wirklicher geheimer Rath, wie ein Graf,
mit ſechzig Thalern, dann herab jeder Thuͤr⸗ und Brauerknecht
und Haideläufer mit einem Thaler, jeder Schiffsknecht, Hands
werfögefelle, Thorwaͤrter mit zwölf Grofchen, der Bauer mit
at bis zwölf, felbft Weiber, die um Zagelohn bienten, mit
dir Grofchen angefegt. Diefe Generalfopffleuer wurde zu
gleichem Zwecke bald darauf nochmals (2. Januar 1693) ers
hoben. Diesmal waren der Kurfürft mit zweitaufend Thalern,
fiine Gemahlin mit der Hälfte angefegt, eine große Menge frü⸗
ber nicht vorhandener Hofchargen aufgeführt, die Steuer im
Agemeinen fuͤr bie höheren Klaſſen erhöhet, nur wenige nie
briger angefchlagen. Das Stempeledict ded großen Kurfürften
vom 9. 1682 wurbe zweimal (10. Mai 1695 und 16. Detob.
1697) erneuert wegen bed, hieß ed, zur Wertheibigung von
Lad ud Leuten auch zur Srpaltung der edlen dreiheit unten
Anmmenen Kriege.
Bielfach gehemmt durch ungemeine Hinberniffe hatte Dam
teimanın bei unermüdlicher Thaͤtigkeit vermittelft der Einrichtung "
ber Hoftammer zur Berwaltung der Domainen, vorzüglich durch
den Beifland bed fehr tüchtigen von ihm als geheimer Kams
merath angeftelten Kraut die Einkünfte der Domainen und
der dazu gehörigen Gefälle in einem Jahre um 148,000
Doaler vermehrt, fo daß. die nach Abzug aller zur Erhaltung
ud Berbefferung derſelben, zum Ankaufe neuer Güter und
iu Befolbung ber Beamteten verwendete Summe im Betrage
[1 5 306,000 Zhalern einen reinen Ueberichuß von 847,000 Thas
abwarf?). Doc) reichte das Alles während des Kriegs
Far Ka Hof und die Habfucht der Hoflente nicht
ws. Ale winfchten ben verhafften Dankelmann, ben fie fpotts
weile den Großen nannten, zu flürzen. Am thätigfen war
dabei der Freihere von Kolb, aus der Pfalz, nad) einem alten
Sähloffe feiner Familie von Wartenberg genannt. Als geheimer
Kath, md Oberſtallmeiſter bes Pfalzgrafen von Simmern, war
© zu Sendungen am verfchiebene Höfe gebraucht worden und
hatte ſchon dem großen Kurfürften (1682) fo zugefagt, daß
1) Gefechte der verbefferten Eimichtung der Domalsen, tn den
diſtoriſchen u. f. w. Beiträgen H. 1. ©. 25.
604 Bud V. Erſtes Haupt ſtuͤck
ihm dieſer eine Beſtallung als Rath mit ſechshundert Thalern
Denfion gab und ihm geſtattete in pfaͤlziſchen Dienften zu blei⸗
ben. Nach dem Tode feiner Herrin, ber verwittweten Pfalzs
graͤfin, bei feiner Anwefenheit in Berlin im Fruͤhjahre 1688
batte er durch fein angenehmes Aeuffere und durch fein gewandtes
böfifches Benehmen dem damaligen Kurprinzen dermaßen ges
fallen, daß ihm diefer die Bortdauer der Stelle für die Zukunft
verſprach, ihm bald darauf als Kurfürft das Gehalt berfelben
vermehrte, dann (1690) zum Hauptmanne von Oranienburg,
(1691) zum Schloßhauptmanne, (1694) zum Dompropfte von
Havelberg, (1696) zum Oberftallmeifter und bald darauf zum
Dberlammerhern, ſicher nicht ohne Dankelmannd Zuthun, ers
nannte. Diefer kannte die Herzensguͤte feines Herrn, ber ihm
fo viel verbankte, bedachte aber nicht, daß Eitelkeit Dankbar⸗
keit aufwiegt und daß ſchwache Zürften weit eher hart und
ungerecht find, als kraͤftige. Es mochte ihm wohl angenehm
fein, daß ihm, dem mit Arbeit überhäuften Minifter, ein Ans
derer die Mühe erleichterte, feinen Herm zu beſchaͤftigen und
zu unterhalten. Der eben fo ſchlaue als gewandte und vors
züglich gefchmeidige Kolb nahm die Gelegenheit wahr, fich feft
in der Gunft des Kurfürften zu _fegen und nach und nach ben
allmaͤchtigen Miniſter aus berfelben zu verdrängen. Es ſcheint,
als wenn bdiefer für einen Augenblid eine theilweife Ahnung
des ihm bevorſtehenden Schickſals gehabt hätte. Bei einem
Sefte, dad er dem Hofe gab, erzählt man, befand er ſich, waͤh⸗
end die Übrige Gefellſchaft tanzte, mit dem Kurfürften in feis
nem Arbeitszimmer. Als dieſer hier einige Gemälde aufmerks
fam betrachtete, fagte Dankelmann ploͤtzlich zu ihm, Alles was
bier fei, werde ihm bald gehören. Als der Kurfürft Erklärung
biefer ihm räthfelbaften Aeufferung verlangte, erwieberte Dans
kelmann, er werbe in Ungnabe fallen, gefangen gefegt, allein
nad Anerkennung feiner Unſchuld ihm alle feine Aemter und
Würden und was man ihm entriffen, zurüdgegeben werben.
Der Kurflirft betroffen, noch voller Verehrung für Dankelmann,
ergriff ein auf dem Zifche liegendes Teſtament und ſchwur,
daß das nie eintreten werde. Che er vollendete, unterbrach ihre
Dankelmann, indem er ihm verficherte, das Gefagte werde
doch gefchehen und es flehe nicht in des Kurfürften Macıt, es
Eberhards v. Dankelmann Fall 6
ee Die Vorausfagung ging nur zur Hälfte in Er⸗
.
Dankelmann beobachtete gegen ben ſchwachen Fuͤrſten forts
während nicht daB gehörige Maß. Die Hofleute und vorzügs
lich Kolb reisten den Kurfürften fo viel fie vermochten, unters
gruben des Guͤnſtlings Stellung immer mehr, wedten bie
Eiferfucht des eiteln Herm über Danfelmanns Anfehn und
teten ihn fo vielfach, daß er wohl einmal heftig auffuhr und
fogte: „‚Dankelmann will den Kurfuͤrſten fpielen, doch ich werde
im Kir, daß ich felbft Herr bin!“
So bedurfte es bald nur noch eines Anfloßes, um ben
bis dahin fo gewaltigen Minifter voͤllig zu flürzen. Die Ver⸗
ehrer der mächtigen Familie hatten zu Ehren ber fieben Brüder
durch den berlihmten Stempelſchneider Raimund Balz eine
Shamminze prägen laſſen, auf beten einer Seite das Sieben⸗
eim, in dem ein Stern von vorzüglicher Größe uͤber einer
Landſchaft Rand, in deren Hintergrunde eine Stabt war, mit der
Unfgrift: Intaminatis fulget honoribus. Auf der andern Seite
fand: Pleiadi fratram, qui principi ept. max. Friderico III. elect,
Brand.se suague omnia prisca solduriorum lege devoverunt; unten
war der wachthaltende Kranich des Dankelmannfchen Wappens?).
Was war natürlicher, ald daß Hofleute wie Kolb, den
wenn auch als Menfchen, doch nicht als Hofmann beffern,
dach, Dankelmanns Stolz wie fo viele Andere verlegten Gras
fin Chriſtoph von Dohna benugten, um dieſem zu fchaden.
Sie verbreiteten, Dankelmann babe bie Schaumänze felbft
(lagen laſſen und die auf ihr unter dem Siebengeſtirn befinds
le Stabt folle Berlin vorſtellen. Das Lebtere mochte auch
wohl der Fall fein, fo unaͤhnlich bie Darftelung auch felbft dem
damaligen Berlin war. Dohna muflte feine Künfte anwenden,
wm die Mebaille, wie ganz abſichtslos, in die Hände bes Kurs
ig Memoiren L ©. 288. Gosmar und Klaproth
&.256. Dos fih Dankelmann bei biefer Gelegenheit Habe durch den Gib
We Kusfürften ficher flellen wollen, iſt nicht glaublich, da ex ja bie Wollen-
hang des Schwurs nicht zugeben wollte, was er body Leicht gefonnt hätte.
Uberhaupt Tag eine ſoiche Handlungeweiſe auch nicht in feinem Charakter.
& Hätte ja thun Emmen, was fpäter Kolb that, um ſich ſicher gu ſtellen.
© der Medaille bei Guͤtt her ©. 491.
Stengel Gef. d. Preuſſiſch. Staats, IN. 5
Bu V. Erſtes Hauprfie
fürſten zu bringen. Der mit folden Ding vertraute Hof
mann zeigte fie daher einft von fern einem Mohren, einer Art
von am Hofe, weil er wuflte, daß dieſer eilen
wurde, fie ihm zu entreiffen, was auch geſchah. Während fi
nun Dohna ſcheinbar bemühte, die Schaumdinze wieder zu bes
Tommen, der Mohr fie zu behalten, näherte fi) der Kurfürft
und fragte nach dem Gegenftande des Streits. Dohna ers
zählte, der Mohr habe ihm eifhe Medaille genommen und wolle
fie ſelbſt nicht für ihren Geldwerth zuruͤckgeben, worauf der
\ Kurfinft, felbft Freund, Kenner und eifriger Sammler von
Schäumünzen, fie zu fehen verlangte. Dohna erwieberte bos⸗
. Yaftı „Sie werben nichtd fehen, da Eure Kurfürftliche Durch»
laucht Selbſt fie Haben fhlagen laffen." „Ich? fagte der Kur⸗
fürft darauf empfindlich, nachdem er fie genau betrachtet hatte,
ich hätte dieſe Medaille fehlagen Iaffen? Id weiß nicht, was
das ift,“ und brach ab).
Als Dankelmann bald barauf bemerkte, baß er die Gunft
feines Herrn verloren, bat er unter dem Vorwande, daß ex
bei gefchwächter Geſundheit der Ruhe bebürfe und fi den
ſchweren Arbeiten feines Amts nicht mehr gewachfen fühle, um
2. ‚Kon feinen Abfchied, wiederholte daB, als fein Geſuch nicht fogleich
1697. erfünt wurde, und erhielt feine Entlaffung *) durch eine Urkunde,
in welcher der- Kurfuͤrſt fe feine Zufriedenheit mit den ihm von
zarter Kindheit an in guten und trüben Zeiten durch Dankel⸗
mann geleifteten treuen und unermüdeten Dienften nebft feiner
Huld befundete und mit ber Erklärung, daß feine Entlaffung
Bein Zeichen der Ungnabe fei, ihm feinen Rang, das erbliche
Poftmeiferamt, bie ientenftelle in Gleve und die Haupt
mannfchaft zu Neuftabt an ber Doffe ließ und ihm eine Pen⸗
ſion von 10,000 Zhalem gab, damit er eis ehrlicher Mann
leben koͤnne, ohne fein eigenes Vermögen anzugreifen. Bugleich
ſtellte ihm der. Kurfürft feet, in Eleve, Rear an der Doffe
ober auch in Berlin zu leben ).
\ 1) Dohna p. 191.
2) Die — Ball und Ungnabe zweier Staats-⸗iniſtres ©. 18
gibt ben 22. Kon.
1. Sn. 1097 fait wERlablg
in Gosmars und Klaproths Staats: tath ©. 877.
Eberhards v. Dankılmann Ungnade. 67
ſohlen, alle noch in feinen Händen befindliche Staatspapiere
verfiegelt dem Kurfürften zu uͤberſchicken, und er aus Berlin,
das er zum Wohnorte ermählt, nach Neuſtadt an der Dofe
verwieſen. Da man ben Kurfäzften num beforgt machte, Dans -
kelmann koͤnnte fich von da wegbegeben und Staatsgeheimmifi “ Der
misbrauchen, fo wurde er plöglich mitten in der Nacht durch 1
den Dberften der Garde, Zettau, auf die roheſte Weiſe ver⸗
haftet, nach Spandau, zwei Monate danach auf ein bloßes
Gutachten der Minifter und anderer Rechtsgelehrten über feine
Straffaͤligkeit, vorzüglich aber weil feine Nähe feinen Feinden
zu gefäprlich fehlen, nach Peitz gebracht und fein Bermögen
und alle feine Befigungen ‚unter völlig unhaltbaren Vorwaͤnden
nit Besten belegt.
Nun erft triumppirten bie Feinde des geſtuͤrzten Oberpraͤ⸗
festen. ie betrieben ben Proceß beffelben mit bem größeften
Eifer. Die gefchicteften Juriſten wurden ausgewählt und bem
Hoffiskal Möller zugegeben, welcher, als es ihm unmöglich
wurde, die Anklage rechtlich zu begrlmden (im 3. 1700),
den Befehl erhielt, bei zweitaufend Ducaten Strafe ben Proceß
Binnen vier Wocyen zu Ende zu bringen. Er ſchrieb in der
—S ſeines a Bene in das Protofol: Heiliger Gott,
gerechter Richter! Artikel kann ich machen, aber woher ſoll ich
die Beweiſe nehmen? Ich habe ein oorpus aotorum verlangt
and nichts erhalten. Niemand will das Herz haben den ſchlech⸗
ten Zuſtand des Proceffes Seiner Kurfärftlichen Durchlaucht zu
offenbaren, fondern derfelbe fol fortgefegt werden.” So wurde
denn eine große Anzahl von allgemeinen oder fofern fie fpecis
firt waren, theild unbegruͤndeten, theils boshaften, ja niebris
gen und wahrhaft laͤcherlichen Befdhulbigungen gegen Dankel
mann — and vorgelegt.
Im Allgemeinen wurde ihm vorgeworfen, er habe feit dem
Regierungdantritte ded Kurfuͤrſten die Leitung aller Staats,
Cvil⸗, Militairs, Hofftants» und Kammerſachen ald Präfident
an fi gezogen, deshalb auch feine Gontrafignatur bei allen
bolegien eingefuͤhrt, Vieles eigenmaͤchtig verfügt, 1a als Herm
68 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
benommen, ohne ihn ſei nichts zu erlangen geweſen und er
zuletzt mehr als ber Kurfürft venerirt worden, er habe fich
gegen den Kurfürften wiberfeglich, ungehorfam unb ungiemlich bes
tragen, fi) in die kurfuͤrſtlichen Bamilienangelegenheiten gemifcht
und den Kronprinzen auf feinen Weg zu führen gefucht, einen
“ feiner Domeſtiken zu deſſen Lehrer gemacht‘), in Verhandlun⸗
gen mit Deſterreich, Mecklenburg⸗ Schwerin und Sachſen das
Staatsintereffe vernachläffigt und eigennügig gehandelt, ben
Kurfürften durch Anlegung einer Schleufe an ber Saale, bed
Saigers und Schmelzwerts in Neuftabt an ber Doffe, bed
Bergwerks bei Wettin und burch Unterftügung der afrikaniſchen
Handelsgeſellſchaft zu unnuͤtzen Geldausgaben veranlafit, feine
Angehörigen übermäßig befördert, drei feiner Bruͤder in ben
geheimen Rath gebracht und zu ben wichtigften Gefchäften vers
wendet, Über anbere Minifter übel geſprochen, fie in Miscrebit
gebracht, fie bei einer Wirthfchaft, wo er den Scherenfchleifer
vorgeftelt, durch ein fatirifches Gedicht beſchimpfen laſſen, in
Koͤnigsberg, ald er zu fpät in bie Kirche gekommen, habe er
verlangt, die anderen Minifter follten ihm einen Plag aufs
heben, und bei einer andern Gelegenheit zu einem gefagt: Der
Herr weiß den Kurfürften immer umzuflimmen; und dergleichen
Armfeligkeiten mehr, welche-feine Feinde anzuführen nicht ers
roͤtheten, bie aber noch ausführlicher mitzutheilen man ſich billig
ſchaͤmen muß.
Bon dem Xheile der ihm gemachten Worwürfe, über wel⸗
en wir erſt feit Kurzem”) bie Wertheidigung Dankelmanns
kennen gelernt haben, veinigte er ſich fehr genligenb und es ift
nicht zu zweifeln, daß er das auch von ben Übrigen vermochte,
1) Den durch daffifche Bildung und ausgebreitete Kenntniffe ausge ⸗
richneten I. Br. Cramer, ber ſchon im I. 1690 als geheimer Legations ·
Secretair angeſtellt war, als magdeburgiſcher Regierungs- und Gonfiftos
zialrath entlaffen wurde und als preuffifcjer Sefibent im I. 1715 in
Amſterdam flach. Gosmar und Klaproth S, 273 und 296. Gein
Historiae Frideriei I. Borussorum regis e numismatibus fragmentum
ſteht in Küfters Collectio opusculorum historiam Marshicam illu-
strantium, Stüd 8 u. 9, ©. 18—45.
2) Bericht des Oberprocurators an ben Konig, v. 16. Mai 1702,
im Urfundenbudje zur Lebensgefdichte Friedrich Wühelms L von Fr.
Börker, Bd.L S. 8 ſ. Vergl. Sosmar und Klaproth S. 258 ff.
Dankelmanns Proceß. 69
ie unflreitig that, ba nichts Wefentliches gegen ihn bewieſen
werben konnte und er fortwährend feine Unſchuld behauptete.
&8 Spricht ſicher ſchon für feine Rechtlichkeit in den Verhand⸗
lungen mit dem Kaiſer, daß er ben ihm von biefem tarfrei
ertheilten Grafenftand nicht annahm. Die Worwände, unter
denen feine Güter und fein uͤbriges Wermögen eingezogen wurs
ben, beweifen, daß man noch nach zwölf Jahren feinen Rechts⸗
grund gegen ihn hatte. Da heifft es bei einem preuffiifchen
Gute, daS er auf Verwendung ber Dberräthe gelegentlich der
Huldigung von dem Kurfürften, dem es als heimgefallenes
Lehn gehörte, gefchenkt erhalten: das fei ein Domainenftüd
gewefen, eben fo bei einem andern von Dankelmann mit Ges
nehmigung bed Kurfürſten erfauften. Gute: das fei feit
300 Jahren Lehn gewefen. Sein Haus in Berlin wurde
ihm genommen: weil e8 dem Kurfürften zum unentbehrlichen
Gebrauche nöthig, auf Abfclag einer an den Oberpraͤſi⸗
denten habenden Prätenfion, doch nach zwölf Jahren war bie
Pritenfion noch nicht zum Vorſchein gelommen; 237 Küre
im Kohlenbergwerke zu Wettin, weldhe Dankelmann gekauft
und womit er das Bergwerk in Aufnahme gebracht, bas
fonft zu Grunde gegangen wäre, wurben eingezogen: weil
es ein Regale bes Fürſten fei, während doc alle übrigen
Gewerke ihre Kure bebielten, von benen ber Zehnte als
Regale entrichtet wurde '). Gegen keinen der Brüder Dan:
lelmanns, bie man boch ficher ebenfalls gern geflürzt hätte,
lbonnte etwas aufgebracht werben, fie blieben fämmtlich, vorzlig«
fd) der Generalkriegscommiſſarius, Daniel Lubwig, in ihren
zum Theile hohen Aemtern und wurben ferner in Staatsan⸗
gelegenheiten verwendet *).
Seine Feinde und der Kurfuͤrſt ſelbſt würden eine Ange
legenheit, welche fo großes Aufſehen machte, daß unter Anderen
fogar König Wilhelm IIT. von England mehrfach fein Erftaus
nen und feine Unzufriedenheit Über dad gegen Dankelmann
beobadptete Verfahren dußerte?), nicht fortwährend mit dem
1) Foͤrſters Friedrich Wilhelm I. urkundenbuch, Bd. I. ©. 6.
9 Sosmar und Klaproth ©. 266 ff. und ©. 879.
9 Dohna p. 209 und 216,
70 Bud V. Erſtes Haupefiäd.
Schleier de tiefften Geheimniffes bedeckt und ihr Werfahren
vor-den Augen der Welt ficher gerechtfertigt haben, wenn fie
es gekonnt hätten. Dan verbreitete eine Menge von Geruͤch⸗
ten über Dankelmannd Verbrechen, die jedoch nicht geglaubt
wurden, und felbft Friedrich IL war der ganz irrigen Meinung, .
der Oberpräfident fei in Ungnabe gefallen, weil er fih den
Bemühungen des Kurfuͤrſten widerſetzt habe, die Eönigliche
Würde zu erlangen, während ihm noch nach feinem Falle ein
fo bebeutender Minifter wie Fuchs gerade einen Vorwurf baraus
—X für den Kurfürſten nach der Koͤnigskrone geſtrebt zu
by .
Nach fünf Iahren (1702), al auf Dankelmanns wieder⸗
holtes Anfuchen feine Sache aufs Neue unterſucht wurde, fcheuete
fih ein rechtichaffener Oberprocurator nicht in einem Berichte
an ben König dem fchlechten Buftand des Proceffes darzulegen.
Dennoch wurde Dankelmann in die umfaflende Amneftie, welche
der Kurfuͤrſt bei Annahme ber Koͤnigswuͤrde erließ, nicht eins
1702 gefchloffen. Vielleicht erſt auf ben Bericht des Oberprocura⸗
tors und, auf Worbitte des Grafen Chriſtoph von Dohna, der
eben feinem eigenen Sturze nahe fih nun erft feines Benchs
mens gegen Dankelmann fhänıte, wurde: biefem geflattet, zu
feiner Erholung bis auf eine halbe Meile im Umkreiſe von
„1707 Deig frifche Luft fchöpfen zu. duͤrfen, und erft nach zehn Jahren,
als der König in ber Freude feines Herzens über die Geburt
feines erſten Enkels viele Gnabensbezeugungen ertheilte, ers
barmte ex fich auf Vorbitte der Kronprinzeffin feines alten Lchs
xers und geftattete ihm unter der Bedingung, fi Berlin nicht
über zwei Meilen zu nähern, und gegen einen Revers (30. Nov.
4707), daß er wegen feinet Gefangenfchaft gegen Niemand
Rache Üben wolle, ſich Kottbus zum Wohnfige zu nehmen und
aus feinem ihm unrechtmaͤßig vorenthaltenen Vermoͤgen jährlich
2000 Thaler zu ziehen), Der König erböt ſich fogar, ihm
1) Sosmar und Klaproth ©. 253 und 379.
2) Uebrigens war feine Freiheit von der Beit an fo eingeſchraͤnkt, daß
er weniger einem freien Menſchen als einem Gefangenen, welder feine
Ketten mit ſich fchleppet und nicht aus dem Geſichte gelaffen wird, gleichet,
indem er in bem Eleinen Bezirke von Cottbus, als bem einzigen Orte,
wo er ſich dasf fehen laſſen und fpagieren gehen, verwieſen. So In ber
Kolb von Wartenberg. ' 74
einen Theil feiner eingezogenen Güter zuruͤckzugeben, wenn ex
auf den Übrigen Theil Verzicht leiften wolle, wozu fi Dans
lelmann bereit erklärte unter der Bedingung, daß feine Uns
ſchuld öffentlich anerkannt würde, was jedoch Auftand fand ').
Ef Friedrich Wilhelm I. übte halbe Gerechtigkeit gegen den
feit ſechzehn Jahren fo behandelten Mann, febte ihn völlig in
Breipeit und vief ihm nach Berlin in der Hoffnung, von ihm
wichtige Auffcplüffe über die Finanzen des Staats zu erhalten,
worin er fich jedoch täufchte, Indem Dankelmann nun alt, ges
beugt und feit fo vielen Jahren ben Gtaatögefpäften entfrem⸗
det war. Die ihm genommenen Güter erhielt ex nicht zurüd.
Während Friedrich gegen Dankelmann zeigte, daB die ſchwaͤch⸗
fen Fürften oft darum am bärtefien find, um nicht ſchwach zu
—— beweiſt Dankelmanns Beiſpiel, wie gefaͤhrlich fuͤr
ann auch rechtſchaffenen Unterthanen bie ungewöhnlich hohe
he — eines ſonſt wohlgeſinnten und guͤtigen, aber uns
ten Fürſten ift, wenn, gleichviel durch weſſen Schuld,
Pr überfcpritten wird, welche fchon im buͤrgerlichen Leben
ten Herm immer vom Diener trennen ſollte.
Rum nahm ganz unbedingt Kolb von Wartenberg bie erſte
Stelle am Hofe als Oberkammerhert und in ber Regierung
und Berwaltung, ald, wie man zu fagen pflegte, Alles ver:
mögender Guͤnſtling des Kurfürften ein, ohne body in das ges
heime Rathöcollegium eingeführt und anfänglich fogar ohne
zum Minifter ernannt zu werben. Er erhielt auffer feinen uͤb⸗
rigen Aemtern (1697) bie Aufficht über alle Eurfürftliche Luft:
häufer, das Protettorat der neuerrichteten Kunſtakademie (1698)
und bie GeneralötonomiesDirection, wurde (1699) vom Kaifer
in den Reichögrafenftand erhoben, Oberhauptmann aller Scha⸗
tußendmter, Generalerbpoftmeifter, Marſchall von Preuffen
und (1701) Premierminifter. Won allen biefen Aemtern bezog
a an Gehalt jährlich, wie man fagt, 100,000 Thaler ') und
Schriſt Fall und Ungnade u. ſ. w. ©. 14 Bergl. Gosmar und
Kaproth ©. 381.
1) Gewöhnlich, werben 120,000 Thir. und mehr angegeben, allein
die Schrift: Fall und Ungnabe zweier Staats- Winifter, welche gegen
Rob gerichtet itt, ſpriche ©. 18 mus von: aufs mindefte jährtüch
72 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤch
erwarb durch die Gunſt ſeines guͤtigen Herrn ein
wie man behauptet, von mehreren Millionen. Vorſichtiger als
der rechtfchaffene Dankelmann und wohl burch deſſen Schickſal
gewarnt, bewog er ben, man muß es fagen hierin mehr als
35. Dct.nyr nachgiebigen Kurfuͤrſten mit beffen eigenhänbiger Unters
1699 frift und unter beffen Giegel, fdmmtlihen Vedörden bes
kannt zu machen: ba er nicht wolle, daß diejenigen, welche
ihrer Pflicht mit Treue und Eifer wahrnähmen, durch falfche
Berichte ind Ungluͤck geftürzt würden, und er durch unzweifel⸗
hafte Proben überflffig verfichert fei, daß fein oberſter Kaͤm⸗
merer das Befte des Kurfürften und beffen Haufe mit unge
färbter Treue ſuche, aber unmoͤglich alle ihm obliegenden amts
lichen Verpflichtungen erfüllen koͤnne, fo folten bei Verſaͤum⸗
niffen und Wernachläffigung der Furfürftlichen Intereffen nicht
er — der Dberfammerhere — fondern bie ihm zugeorbneten
Subalternen daflır einzuftehen haben; ferner verfprach er bei
feinem kurfuͤrſtlichen Worte und Glauben, wenn bei bed Obers
kaͤmmerers Werwaltung ber Domainen und Schatullghter Uns
richtigkeiten in ben Rechnungen vorfämen, folle doch niemals
diefer, wenn er auch bie barlıber auögefertigte Verordnung res
vibirt und contrafignirt, zur Verantwortung gezogen werben,
ſondern ber Verfaffer der Goncepte. Damit biefe dem Grafen
Wartenberg, beffen Frau und Kindern im Voraus ertheilte
immerwährende Decharge befto mehr Werbinblichkeit habe und
von Jedem beachtet werbe, damit ſich auch unter dem Vor⸗
wande, fie fei hinterruͤcks erſchlichen, Keiner unterfichen koͤnne,
feine eigene Verantwortlichkeit auf den Wartenberg zu werfen,
fo follte diefe Decharge in allen Collegiis, in denen etwas
von Kamerals, Schatulls, Dekonomie» und Rechnungsfachen
vorkomme, bekannt gemacht, und baß es gefchehen vom Director
jedes Collegiums barauf angemerkt werben '). Schwerlich konnte
eine Verfügung erdacht werben, welche zugleich. die Schwäche bed
Herrn und die Macht de Günftlings fo deutlich bekundet hätte.
Wartenberg, ber, wie es bei ‚Hofleuten gewöhnlich ifk,
100,000 Zhlem. und von 400,000 Thin. als Werth der Juwelen feiner
Frau. Vergl. übrigens Gosmar und Klaproth ©. 880 ff.
1) Die Urkunde in Börfters Beiebrich Wilhelm I. Bo. I. S. 30.
Roth von Wartenbergs Gunfl. 73
kein Intereſſe Hatte, als ns auf feine hohen Gtelle zu bes
baupten, wiberfprach ben Anfichten und Meinungen feines
Herrn nicht, fehonte feine Schwächen und ſchmeichelte feinen
Eichlingneigungen, war immer flgfam unb gewandt, daher
angenehm, bald unentbehrlich, und behielt auch da noch die
Gunft des Fuͤrſten, als ihn diefer nur zu fpät für den Staat
von ſich entfernen muffte. War aber früher ſchon der Hof bes
Kurflrften, wie alle Höfe, der Schauplatz von Schlichen und
Ränken gewefen, fo übertraf er doch num bald in Kabalen und
Squrkenſtreichen die übrigen. Die wenigen Männer, welche
& mit dem Staate wohl meinten, ſchwiegen, da fie nicht a
fen Eonnten, etwas zu bewirken, und ihre Verſuche, Wars
a und deſſen Anhang zu. flürzen, fie nur in Gefahr
ala der Kurfürft zur Befchleunigung ber —X ve
db geheimen Raths verordnet, daß dieſer fich micht mehr
wöchentlich, fondern täglich verfammeln folte, vorzüglich wenn
Hauptpoften anfämen und abgingen, dann aber dennoch (Juli
1698) fand, daB die Staats, Kriegs⸗ und andere Sachen
von Wichtigkeit nicht jedesmal fo zeitig fertig wirden, als
möglid, wäre, fo befahl er, daß bie eingehenden Schreiben
wicht durch einzelne Räthe, fondern bei ihm durch den Grafen
Bertenberg und bie geheimen Raͤthe Barfuß, Fuchs und
Sqhmettau an gewiffen Tagen follten verlefen, uͤber wichtige
Sachen ein Beſchluß gefafft, bie Übrigen an ben geheimen
Bath gefchidt werden. Wenn der Kurflict fih auf einem bes
nachbarten Luftfchloffe aufhielt, folte der von jenen Miniftern,
welcher fich bei ihm befinde, was in ber Regel mit dem Gras
fen Wartenberg der Fall war, die zu feiner Abtheilung gehoͤ⸗
tigen Sachen an ſich nehmen, die übrigen durchlaufen, begut⸗
achten und den übrigen drei Miniftern ſchicken. Wartenberg
hatte die Hof⸗ und gefammten Finanz⸗, Barfuß bie Kriegs⸗
und Fuchs die Staats⸗, Juſtiz⸗ und Lehnsfachen. Schmet⸗
tan war vierzehn Jahre hindurch Gefanbter im Haag‘). So
batte denn Wartenberg nur noch jene beiden Männer einigers
maßen neben ſich.
3) Sosmar und Klaproth ©. 226.
" 74 , Bus V. Erſtes Hauptftäd.
Nun iſt es aber bei aller offenbaren Schwäche bed. Kurz
fürften gegen feinen Günftling dennoch merkwürdig, daß bie
Öffentlichen Angelegenheiten im Ganzen ihren frühern Gang
gingen und daß fo wenig als früher irgend eine günftig ſchei⸗
nende Gelegenheit verfäumt wurde, alte Rechte wahrzunehmen,
Anſpruͤche zu verwirklichen oder für die Zukunft neu zu bes
gründen, mit einem Worte, dad Anſehen, die duffere Macht
und den Glanz des Staates zu behaupten und zu vermehren.
Es zeigt ſich hier vecht deutlich, wie vorzüglich feit dem großen
Kurfürften, dad zwar mehr ober weniger kraͤftige aber boch
amauögefegte Vorwaͤrtsſtreben feiner Nachfolger, man möchte
faft fagen, unwillkuͤrlich geworden , daß felbft die Schwäche
fien, bei Übrigens fo offenbaren Weweifen der Erfchlaffung, in .
biefe Richtung hinein und von ihr fortgeriffen wurden. Das
iſt es auch, was für den Preuffen in diefer Beziehung einiger
maßen die Strenge des Urtheild über Friedrich IL, deſſen Hof
und innere Verwaltung milden muß. Der übrigens fo
ſchwache Mann hat das vor Allem volle Geflhl der Wichtig⸗
keit des aͤuſſern Anfehens, begreift aber doch auch, daß der
Glanz nicht ganz der Erweiterung wirklicher Macht ermangeln
dürfe, auf die er fich flügen müffe. Dabei braucht man als
lerdings nicht in Abrebe zu flellen, daß bie fo verwidelten
Staatöangelegenheiten während des fpanifchen Exbfolge- und
bes nordiſchen Kriegs von Dankelmann unftreitig wären mit
weit richtigerem Blicke aufgefafft, mit weit fefterer Hand und
in weit wirrbigerer Weife zu einem viel höhern Biele hingelei⸗
tet worben und bad Haſchen nach leerem Glanze würde gewiß
nicht fo ſehr die Oberhand erhalten, ‚vielmehr ein ſtaͤrkeres Ge⸗
gengewicht in dem wirklich Nothwendigen und Nüglichen ges
funden baben, als das unter Wartenberg der Fall war. Dens
noch wurde, wie gefagt, auch jegt nicht Alles verfäumt.
As mit Johann II. der legte König von Polen flarb,
der biefen Zitel noch mit Ehren führte, lag dem Kurfürften,
wie dem Haufe Defterreih vorzüglich viel daran, jeden franzoͤſi⸗
ſchen Bewerber fern zu halten. Defterreich hatte zwar bem Koͤ—
nige Johann verfprochen, für deffen Alteften Sohn, Sacob, bei
der Wahl zu wirken, doch war biefer in jeder Beziehung zu
wenig geeignet, fo daß der Kaifer bald den Kurfürflen von
Auguft, König vom Polen. Quedlinburg 75
Gad ſen unterftügte, welcher zur katholiſchen Kirche überging
und den Iacob Sobiesfi und deffen Anhang durch Gelbvers
fehungen gewann ’). Wergeblich rief die ftärkere Partei am
Bahltage den. Prinzen von Conti zum Könige aus, Augufl,
den bie Gegenpartei gewaͤblt hatte, behauptete ſich gegen Conti,
weichen Ludwig XIV., befchäftigt mit Worbereitungen zum Bes
mutung der nahe beoorfichenben ſpaniſchen Thronetledigung, nur
Mina umterſtutzte.
Friebrich IH. trug ſeinerſeits viel dazu bei, daß die fräns
Hihe Partei, welche feine Wermittelung nachgefucht hatte,
durch Berfonblumgen geſchwaͤcht und dann wenigftend aͤuſſer⸗
&d mit Auguſt ausgeſöhnt. wurde”). Diefe Ereigniſſe gaben
im auch Gelegenheit zu einigen Erwerbungen. Augufi von
Sachſen, ein ohnehin Höchft prachtliebender und verfehwgnderis
fh Herr, der num durch die Erlangung der polnifchen K-
tigsfrone zu moch weit größeren Ausgaben als früher verans
left und gendthigt wurde, bemuͤhete fich auf alle nur mögliche
Beife Gelb zu erhalten. Unter Vermittelung eines Juden),
dem er ımbefchränkte Vollmacht zum Unterhandeln gegeben
batte,-trat er daher zu Ende bed Jahres 1697 *) drei zwifchen 1697
Sahfen und dem brandenburgiichen Firſtenthume Halberftabt,
Äritige Aemter, ferner bie Erbvogtei uͤber das Reichsſtift
Duchünburg und bie Reichsvogtei und das Schultheißenamt
der Reichöftabt Norbhaufen an Friedrich III. erb⸗ und eigens
tzimlich fir 300,000 Thaler, fowie das Amt Peteröberg bei
Halle fir 40,000 Thaler ab.
As nun zu Anfange des Jahres 1698 Friedrich II. dies. San.
Astifin von Quedlinburg, eine geborene Prinzeffin von Sach⸗ 1698
fm:Beimar, von dem Kaufe, mit welchem fie bereits unter -
der Hand bekannt geworben, in Kenntniß ‚fette, wiberfprach
1) ©. meine Beiträge zur Seſchichte Polens und ber Bamilie &os
Hat in Schloffers und Berhts Archive‘ V. ©. SH.
9) Zaluski epist, II. p. 406u.487. Theatr. Europ. XV. p. 311.
I) Sramers Denkwuͤrdigkeiten der Gräfin Aurora von Koͤnigsmark,
us einem Schreiben ber Gräfin Eöwenpaupt an ihren Gemahl, v. 18. Mai
197. 8. I. ©. 199.
4) Der Vertrag bei Dumont VI. p. .. 816; ohne Tag und Drt
Austellung.
76 Bud V. Erſtes Hauptftäd.
fie, fuchte bei ben berzoglich fächfifhen Haͤuſern Schutz und
wendete fih an ben Kaifer. Zugleich wurde auch ber Verſuch
gemacht, durch bie Stabt Quedlinburg eine Summe Geldes
für den König Auguft zu erhalten, um fo den Vertrag mit
Brandenburg rüdgängig. zu machen; endlich wurden fremde
Zruppen erwartet. Friedrich IL, der die Kauffumme bereits
bezahlt und ſolche Hinberniffe nicht erwärtet hatte, auch bes
forgen mußte, auf biefe Weiſe in einen Iangausfehenden Pro:
ceß verwidelt zu werden, ohne je zum Biele zu gelangen, ließ
, fogleih zwei Compagnien unter bem Oberften Doͤhnhof nach
2 Sys uedlinburg marfchieren. Am frühen Morgen erfchien ein
698 piafender Poftillon am Depringer Thore; als das von der Blir-
gerwache arglos geöffnet wurde, drangen bie Brandenburger
ein, ruͤckten auf den Markt und befegten bie Thore neben ber
Buͤrgerwache. Der Magiftrat quartierte die Solbaten gegen
das Verbot der Aebtiſſin ein, welche fogleih die Einwohner
‚ber Vorftäbte aufbieten, von ihnen das Schloß und die Thore
der, Vorftädte befegen und das Archiv verfiegeln lieg. Gegen
den Kurfürſten protefliste fie und befchwerte fich über ben ge:
waltfamen Ueberfal. Diefer erflärte, die Rechte des Stifte
felgen, ſich aber auch bei feinem erworbenen Rechte gegen bie
ihm von ber Aebtiſſin erregten Hinderniffe behaupten zu wol=
len. Selbft König Auguft war anfänglic über ein fo durchs
greifendes Verfahren unzufrieben. Friedrich 1. entſchuldigte
fi damit, daß er erfahren, ein ſaͤchſiſches Haus (nämlich
Weimar) habe Quedlinburg befegen wollen, bem er fo zuvor=
gekommen. Doc ließ er auf Verlangen des Königs, um ben
Schein der Gewalt zu vermeiden, die Stadt räumen, welche
ihm darauf am folgenden Tage. von Seiten Kurſachſens feier⸗
lich übergeben wurbe. Die Proteflation der Aebtiffin wurbe
nicht angenommen, worauf biefe das Kirchengebet für das
Haus Brandenburg verweigerte und, wie früher, für das
Kurs und fünftlihe Haus Sachen beten ließ. Ale Bemühun-
gen Friedrichs III., den Widerſpruch der Aebtiffin, die nach
Weimar gegangen war, burch grimbliche Darlegung des Sach⸗
verhältniffes und andermeitige Vorſtellungen zu eigen, was
6. Sept.ren vergebens; fie blieb bei ihrer Proteftation. So ließ er
1698 denn durch Bevollmaͤchtigte bie Erbhuldigung von der Stadt
Quedlinburg. " 71
ännehmen, und als bie Stifts⸗-Geiſtlichen und Beamteten fie
vderweigerten, wurden fie noch vor dem Ablaufe bed Monats
durch Suspenſion vom Amte und militairiſche Grecution in
isren Häufern dazu gezwungen, jedoch ohne daß dann noch
weitere Strafen — worden wären.
Viele Streitigkeiten uͤber Patronats⸗, Beſteuerungs⸗ und
andere Rechte Brandenburgs, als nunmehrigen Exbvogts, mit
der Aebtiſſin ließen zwifhen Beiden kein gutes Wernehmen
auflommen, weil bie Aebtiffin ben Unterſchied ber Iandeshos
heitlichen Erboogtei und Erbſchutz⸗Herrſchaft, welche Kur
fahfen, als Stifter ber Abtei, in Anfprud nahm, und der
Stiſtsbogtei, welche Sachſen als Lehn vom Stifte trug, nicht
anrlennen wollte. Indeſſen waren bie Zeiten für die landes⸗
bekeitliche Gewalt ber von gelehrten Juriften unb ruͤckſichtslo⸗
fen Kriegsleuten unterflügten Zürften zu guͤnſtig, als daß ihnen
bitte mit Erfolg durch —— Proteſtationen und Deductionen
werden innen
Ein fo nachdruͤckliches Gefahren, wie ed $riebrih DL
vorzüglich in Nachahmung feines Waters anmwenbete, wurdeben
ambenhungifhen Fürften gleichſam zur Gewohnheit, es war
don dort, wenn jemald, boch ficher erfi nach langer Zeit zu
halten nur hoffen Tonnte, eben ein Rechtsſpruch fein würde,
indem auch bort oft gang andere Intereffen als bie ber Ges
vorherrfchten. Uebrigens darf man wohl mit Sichers
beit annehmen, baß in bei weiten ben meiften Fällen bie Für
fen ſelbſt von ihrem Medhte überzeugt waren; fo entfprach es
1) Am vollftändigften findet man bie ſtreitigen Gegenſtaͤnde ausge
fihet in einer 118 Geiten in Jollo ſtarken Cchrift des kurbrandenburgiſchen
Imzalts vom 13. Febr. 1700, und ber 71 Seiten ſtarken branbenburs
Sihen Gegenvorftellung vom 3. 1701. Den gefammten Vorgang erzaͤhlt
@n zuverläffigften Frĩt ſch in feiner Geſchichte des vormaligen Reichs:
fie und de Brabt Ductasurg, Dmeblinburg 1828, IH. 2. Bieics
Theatr, Europ. XV. p. 411 und 557. XVI. 2. p. 247.
78 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck
denn ganz ihrer Sage, eher zuzugreifen und basım zu proceffi>
ven, als umgefehrt zu verfahren, obgleich befonders Fiesris
gern gewaltfame Maßregeln vermieb und fie nur dann eintues
ten ließ, wenn ex Fein Mittel zu finden glaubte, aufferbem zu
feinem guten Rechte zu gelangen. War man erft im Beſitze,
fo dehnte ſich freilich das Mecht des Zürften Leicht ans, weil -
es dieſem doch fehr unbillig fcheinen mochte, daß neue Erwer⸗
bungen mehr Vorrechte ald bie alten Stammländer haben foi
ten und weil es natlrli war, daß dieſelben Regierungs= und
Verweltungsnormen, welche in diefen herkoͤmmlich galten ober
eingeführt wurben, fih auch auf bie neuen Erwerbungen
verbreiteten.
Auch über das zugleich mit ber queblinburger
erkaufte Schultheißenamt in ber Reichsſtadt Norbhaufen ents
\ fand daher nach einiger Zeit Streit. AUS Friedrich Nachricht
7. Bebr..fchen Schuß geben wollten, ließ er in aller Stile einige Bas
1703 gaillone aud Magdeburg und Quedlinburg vor TageSanbruch
in die Stadt rien, die Buͤrgerſchaft entwaffnen, dem Magi⸗
firate die Schlüffel nehmen, Rathömitglieder feffegen und die
Aruppen bei ben Bürgern einquartieren, jedoch mit ber Ver⸗
fiherung, die. Reichöunmittelbarkeit der Stadt nicht beeinträch-
tigen zu wollen. Der Kaifer fand das, wie man fi) bamals
noch misbiligend ausdrückte, „geihwinde Verfahren” bed Kur⸗
fürften übel, befahl die Soldaten abzuführen und ben Weg
Rechtens einzufchlagen. Das fehien Zriebrich II. ſehr weit
außfehend, weshalb er darauf nicht einging, dagegen bie Stabt-
mauern auöbeffern Heß und dem Magiſtrate erklärte, nichts
gegen beffen Privilegien thun, aber auch nicht zugeben zu wols
Ion, daß hier eine Komödie wie mit Hildesheim gefpielt werde,
wo bei ben Streitigkeiten der Buͤrgerſchaft mit dem Biſchofe
das Haus Braunſchweig⸗ Luͤneburg die Schutzherrſchaft erwors -
ben und bie Stabt mit Truppen befegt hatte, Indeſſen wurde
auf Bermittelung der Nachbarn vertragen, daß nur zwei Com⸗
pagnien Brandenburger in der Stadt bleiben folten, und auch
diefe verfprach der Kurfürft abzuführen, fobald Braunſchweig
feine Truppen aus dem Limeburgifcen zurückziehen und Han⸗
nover erklaͤren volrbe, nichts gegen Norbhaufen unternehmen
Norbhaufen. Eibing. 709
n wolln · Als im Jahr 1710 Hildelsheim hanndͤverſche
—* einnahm, ließ Friedrich in Nordhauſen die Beſatzung
vertaͤrken und, als die Einwohner ſich widerſetzten, noch zwei
Bataillone einlegen ?).
. Augufis Thronbefteigung gab dem Kurfürften Sriebrich AU.
auch Beranlaffung, die ihm von feinem Water uͤberkommenen
Rechte auf Elbing geltend zu machen. Man wird ſich erins
nem, auf welche Weife die Schweden und Polen den großen
Kurflrflen um den ihm durch den welauer und bromberger
Vertrag ald Pfand zum Betrage von 400,000 Thalern zuges
nenert. Bevollmaͤchtigte beider Theile ſollten binnen ſechs Mo⸗
naten zuſammentreten, indeſſen vergingen acht Jahre, ohne
daß es geſchah, denn ber König Johann II. wies dieſe ges
biffige Sache von fich ab an den Meichtag und ber Reichstag
a den König. So lange Iohann TIL Tebte, war an eine
Ausgleihung nicht zu denken, wohl aber eis Auguft von
Sachſen gewählt worben war, der mit Friedrich I. in freund⸗
ſdaftlichem Bernehmen ftand. WBahrfcheinlich verabrebeten beibe Jun
dFirſten auf einer mit vieler Pracht in Preuſſen veranftalteten 1698
Jagd die zus ergreifenden Maßregeln®). "Nachdem bie Genes
tale Barfuß und Brand, unſtreitig um den Zuſtand der Stabt
in erſorſchen, ſich öffentlich nad Eibing begeben hatten und
freundlich vom Magiſtrate empfangen worben waren, erhielt
der General Brand den Befehl, ſich derſelben durch Neberrums
peling zu bemächtigen, doch fo viel als irgend möglich Bluts
dersieflen zu vermeiden‘). Brand näherte ſich in ber Rad Yı DO.
mit 800 Mann Fußvolk und 300 Dragonern ber Stadt, 1698
in welcher Tags zuvor einige ımb zwanzig branbenburgifche
Dffiiere Hatten Meiterftiefeln anfertigen und auf einen Wa .
gm laden laſſen, welcher bereits des Morgens um brei
1) Lamberty I. 427. XII. 520.
9 Buchholz IV. S. 810."
3) Theatr, Europ. XV. p. 407. Daß man daB damals grandte
beugt Lamberty T. L-p. 95.
4) Dohna:p. 205.
s
80 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤc.
Upr beſpannt auf dem Markte ſtand, beim Fahren aus ber
Stabt auf der Zugbruͤcke ſtehen bleiben, deren Aufziehen wehren
und den Brändenburgern das Eindringen moͤglich machen. folte.
Allein der Präfident der Stadt, Ramfay, hatte Nachricht von
dem Anmarfche der Brandenburger erhalten, die Schlagbäume
in der Vorflabt befegen laſſen und gab erft um ſechs Upr bie
14. Det. Erlaubniß zur Eröffnung des Thors. Als baher Brand feinen
1698 Anſchlag entdect fah, ruͤckte er offen. gegen die Stabt und
zeigte ihr an, er habe Befehl fie als Hypothe bis zur Erler
gung des Pfandfcillings in Befig zu nehmen. R
Die Stadt proteflirte gegen bie Beſetzung und Zahlung,
ſchickte Abgeorbnete an ben Kurfürften und bat um Friſt,
während ber umentfchloffene Brand, um kein Blut zu vers
gieflen, ſich etwas zuruͤck und nad und nad bis auf 4000
Mann Verſtaͤrkungen an ſich zog. Zugleich wenbeten. fich
die Elbinger an ben polnifhen Hof, an bie Großen, an
die Städte Danzig und Thom um Hülfe, -bocp ohne Erfolg,
Verwendungen bei Friedrich II. waren vergeblich, weil biefer
fich auf fein klares Mecht berief und das in einer ausführlichen
Audeinanderfegung dem Könige von Polen barlegte'). Die
Stadt febte ſich unterdeſſen thätig in Vertheidigungsſtand, der
Woiwode von Kulm Iud bie (polniſch) preuſſiſchen Landraͤthe
24. Det. nach Graudenz zum Landtage, ald Brand von Neuem vor bie
1689 Stadt rüdte und fie auffoberte, fi zu ergeben,’ boch aber
mals acht Tage Frift (bis zum 3. November) gab, weil feine
Belagerungbanſtalten noch nicht vollendet waren. König Aus
guft, der etwas für bie öffentliche Meinung in Polen thun
mußte, obgleich er ohne Zweifel unter der Hand völlig einvers
fanden mit Friedrich TIL war, ermahnte bie Elbinger in einem
30. Det. Schreiben, fid) tapfer zu vertheibigen, den Tod der Knecht⸗
‚1698 [daft vorzuziehen, und verſprach ‚Hüilfe, ſchickte fie aber nicht.
3. Rov. Die Stadt ſchlug nochmals die Ergebung ab, erhielt noch auf
drei Zage Friſt, während deren ein abermaliger Verſuch, fie
. Rov.in der Nacht zu überrumpeln, buch die Wachſamkeit ber Bes
fagung mislang. Einige Musketen⸗ und Kanonenkugeln wurden
gewechfelt, einiges Blut flog. Als nun bie Mittel zum
1) Theatre. Europ, XV. p. “or.
Elbing. 81
Bombarbenent und zur Bereitung glühenber Kugeln ankamen,
baiger Entſatz ja nur Unterfikgung nicht zu boffen war, mahın
* folgende Tage an, die Brandenburger ruͤckten ein, dje Abs 1698
mahnung des Kaiſers kam zu ſpaͤt. Der Kurfuͤrſt verſprach,
alle Privilegien, Rechte und Freiheiten der Stadt aufrecht zu
erhalten, fie ruͤckfichtlich der Gapitulation zu fchligen, ihre Wers
theibigung auf feine Koften zu übernehmen und fie nur
als Unterpfand, bis ihm bie Pfandfumme bezahlt fei, zu
behalten.
at Habe bie Sefehrung num au oft ara, baß bes
gleichen Pfandfchaften aus allerlei Rechtögrimben und manches
li Vorwanden in ben dauernden Befitz des Inhabers Iberges
gangen warenz hier durfte baffelbe um fo eher befürchtet wer⸗
den, als bei dem damaligen Zuftande Polens nicht vorauszu⸗
ſchen war, wann bie feit dem Jahre 1657 fchulbige Pfand»
funme an Brandenburg werbe entrichtet werben koͤnnen,
es mochte immer fraglich bleiben, ob nicht felbft dann
tung der föntbigen Summe erhoben hatte. pol kam J
Erinnerung an bie für Polen fo deminbigenden Umflände, uns
tee denm ber große Kurfürft, der ehemalige Wafal Polens,
den Abſchluß der —S von Welau und Bromberg dur»
wiegt hatte, was bie ganze Angelegenheit noch: gehäffiger
machte. Man kann ſich daher nicht wundern, baß bie Aufrer
gung in Polen fehr groß war, als bie Nachricht von der
lebergabe Elbings ankam. Der König hatte ſchon vorher bie
She Refibent in Warſchau erhielt Befehl, fih wegzubegeben)
Der Kurfürft beantwortete die ihm in dem Erlaſſe ge: 22. Rov
machten Vorwuͤrfe, behauptete, fie flammten von finen Fein: 1698
Stengel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. M.,
82 Bud V. Erſtes Hauptftäd.
den ber, welche ihn mit Polen in Krieg verwideln wollten,
lehnte den ihm gemachten Vorwurf, den Krieg begonnen zu
haben ab und ertiärte, Elbing nach erhaltener Zahlung ber
Pfandſumme fofort räumen zu wollen. Won beiden Theilen
"wurde indeffen die Wermittelung bes Kaiſers angenommen,
welchen fehr viel daran lag, daß, während ber bevorfichens
den Erledigung des ſpaniſchen Xhrons, kein Krieg im Nor
je ausbraͤche, ber befonders Brandenburg hätte beunruhigen
en.
Bei ben Verhandlungen waren die Polen ber Meinung,
bie Rechte Brandenburgs wären ber Republik unrechtmäßig von
deren Vaſallen abgebrungen worben, ber fic) mit beren Feinden
verbunden und nicht zur Belohnung Elbing fodern dürfe, da er
zur Strafe ganz Preuffen zu verlieren verdient habe. Nur
darum habe er fo lange gefchwiegen, weil ee wohl gewußt,
wie er zu der Hypothek gelommen. Durd die Souverainetät
über Preuffen, durch Lauenburg und Bütow als Lehn und
Draheim als Hypothek fei er übermäßig belohnt. Dann wurs
den ale Vorwürfe, Beſchwerden und Foderungen feit vielen
Jahren her von ber Entführung Kalkſteins an gegen Brans
denburg vorgebradt, aud daß Preuffen vom Kurfürften ges
gen befien Privilegien zu hoch befleuert werde, daß er dem
"Baar von Moflau den Titel eines Großfürften von Lithauen
gegeben, daß ein Graf Schlieben habe 30,000 Thaler Strafe
entrichten müffen, weil er feine Tochter habe vom Bifchofe vom
Kiero taufen laſſen und bergleichen mehr. Auf alle diefe un»
weſentlichen Einwuͤrfe lieſſen fich jedoch bes Kurfürften Bevoll⸗
maͤchtigte kluger Weiſe gar nicht ein, ſondern erklärten kurz⸗
weg: fie wären nicht beauftragt zu disputiren, ſondern bie
Schuld einzufodern. Endlich, weil die Polen ſich durchaus
zu nicht mehr ald 300,000 Thalern verfteben wollten, lieffen
auch fie von ber ganzen Summe 100,000 Thaler fallen, wozu
12. Dec. ſich ſchon der große Kurfuͤrſt bereit erfidrt hatte‘), und ſchloſ⸗
1699 fen einen Vertrag ab, welchen der Kurfuͤrſt genehmigte und
bei bem Drängen des Polen bald darauf noch Abends bei
1.nn Badelfchein die Stadt räumen ließ. Polen verpflichtete fich,
- 1) Zeiuukf gpiet. T. IL 9. 888 |.
Eibing. 8
dem Kurflirften drei Monate nach gehaltenem nächften Reiches
tage 300,000 Thaler zu zahlen, wofuͤr es ihm unterdeffen bie
moflowitifche Krone und einige andere Kleinodien des Krons
ſchatzes als Pfand auslieferte. Wenn die Zahlungsfriſt nicht
dingehalten werde würde, ſollte der Kurfürſt das Recht haben,
bis dahin bad Gebiet von Eibing einzunehmen ').
Die Stadt follte ihre Privilegien verlieren, erhielt indeſ⸗
fen nur einen firengen Verweis wegen der Gapitulation und
muffte ungeachtet fie ihr Verfahren vertheidigte, nun im Frie⸗
den 330 Mann und im Kriege 2000 Mann Befagung unters
halten und noch 3000 Ducaten an Gefchenken für die Großen
aufwenden ).
Bald nachher kam ed noch zu unangenehmeren Verwicke⸗
lungen wegen Elbings. Denn als Polen, wie vorauszufehen
mar, die Pfandſumme nicht zahlte, wollte Friedrich dem Ver⸗
trage gemäß das elbingifhe Gebiet befegen und ließ ſich nur 1702
durch dringende Borftellungen des Primas zurüdhalten, wels
der bie Zahlung verſprach, aber auch nicht Leiflete. Als der
ſchwediſche Krieg ausbrach, bot Friedrich der Stadt zu bes
m Verteidigung 300 bid 400 Mann Befagung an, doch
lchnte fie dad abi, und ald daher die Schweden näher rüds
ten, ließ Friedrich mit 1200 Mann das ihm verficherte eis
bingiſche Gebiet und fogar die Worftädte beſetzen, worauf aus
der Stabt mit Kanonen gefeuert wurde. Als fih im J. 1703
die Schweden der Stabt bemächtigt hatten und eine ſchwere
Sontribution auflegten, lieh iht Friedrich 20,000 Thaler ohne
infen und 50,000 Thaler zu ſechs Procent auf acht Jahre
und blieb im Beſitze des Geblets von Elbing wie feine Nach⸗
figer. Es kam nie an Polen zuräd’).
Aufferdem kaufte Friedrich IM. (1699) von dem Sürften
1) Lengnich Preuffen unter Auguſt I. Codex diplom. Polon.
T. IV. p. 514, and) in Zaluski epist. T. IT, p. 893. Auguft ratis
fiirte bie Urt. am 9. Januar; aud) bei Dumont VIL 2. p. 474
2%) Lamberty L p. 95. Theatr. Europ. XV. p. 786.
3) Diefe Vorgänge insgefammt hat mit Wenugung der hierher dehd ·
Di Dacia Ey ausführlicften beſchrieben Fuchs in feiner Geſchichte
Wings 29. m. 2. ©. 37 7.
6
8 Buch V. Erſtes Haupeftäd.
von Schwarzburg⸗ Sondershauſen bad Amt Dietenborn im
Harze und zog die aus den Aemtern Lohra und Kiettenberg,
drei Städten, einem Flecken, zwei Kloͤſtern, einundfunfig
Kitterfigen, fünfundviergig Amis⸗ und vierzehn Adelsdör⸗
fern beftehende zum Furſtenthume Halberſtadt gehörige Graf⸗
fhaft Hohenftein ein. Diefe hatte Graf Iohann von Witte
genftein, ber brandenburgifche Principalgefandte bei den weſt ⸗
fälifchen Friedensverhandlungen (und Water von achtzehn Kins
dern) von dem Kurfürften Friedrich Wilhelm, welcher mit dem
Umfange berfelben nicht bekannt war, als Lehn erfchlichen,
dann (1651) als Pfand zum Betrage von 150,000 Thalern
erhalten. Rach dem Tode bed Grafen Johann wollte der
große Kurfürft die Grafſchaft von deſſen Sohne Guſtav ablös
fen, was biefer hintertrieb, worauf Friedrich Wilpelm (1664)
* förmlich erklaͤrte, Graf Johann babe ihn hintergangen, und
feinen Söhnen im Teftamente und einem eigens deshalb nies
dergelegten Aufſatze empfahl, fich Durch bie erſchlichene Goncefs
fion dereinft von der Einziehung der Graffchaft nicht abhalten
zu laffen. Indeſſen bewog Kurfürft Friebrich III. erft im
3. 1688 ben Grafen Guſtav und beffen aͤlteſten Sohn gegen
fehr 'anfehnliche ihnen bewilligte Vortheile auf die Abtretung
det Graffchaft einzugehen, was aber Auguft, der zweite Sohn
des Guſtav ruckgaͤngig machte und ein kaiſerliches Mandat
erwirkte, welches feinen Vater für einen Verſchwender erflärte
und ihm einen Vormund anorbnete. Als fi indeſſen Graf
Auguft nun in den Beſitz der Grafſchaft fegen wollte,
Fam ihm der Kurfürft zuvor umb zog fie ein. Später ins
deffen fpielte Graf Auguſt am berliner Hofe nod eine
ße Role und wuſſte fich hinlaͤngliche Entf&äbigung zu
erwirken ').
So war denn in biefer erflen Periode der Regierung
Friedrichs III., ungeachtet des Wechſels feiner Gimſtlinge, in
allen Beriehungen zu den auswärtigen Mächten die achtung⸗
gebietende Stellung, welche der große Vater errungen, behauptet
1) Theatr. Europ. XV. p. 555, wohl aus dem Gchreiben des Kur⸗
fürften Friedrich Wilhelm an ben Kaiſer, welches auch im I. 1699 gedruckt
erſchien. ©. auch Buchholz, Ih. IV. S. 285.
Bohenſtein. 8
und auch im Innern auf dem eingefchlagenen Wege mit
Erfolg fortgefhritten und das Anfehen des Zürften in jeder
Rüdficht wirkfam erhöhet worden. Jetzt aber wurden bie euros
paͤiſchen Verhaͤltniſſe viel verwidelter ald bisher, fie erfoberten
einen fcharfen Blick und eine fihere und kraͤftige Hand, um
aus den. Umftänden alle möglichen Wortheile für das Empor
Eommen des noch fo jungen und für feine hohe Beftimmung
ſchwachen Staats zu ziehen. Friedrich II. griff, feiner Neis
gung und ber Schwäche feines Charakters gemäß, nad dem
Ganze — dem Scheine — und doch förderte er auch fo noch
das Auffiveben feines Reiche.
Zweites Hauptftüd.
Bon ber Erwerbung ber Königäkrone bis zum Tode
König Friedrichs I. (1701—1713.)
Bei der Richtung nach einer ſchimmernden Auffenfeite,
welche die Reigung Friedrichs I. ſchon früh genommen hatte,
war ed, man kann faft fagen, bad Biel feines Lebens, die Eds
nigliche. Würde zu erhalten und dann glänzend zu behaupten.
Darin vereinigten fih wie in einem Mittelpuncte alle Wins
ſche des Kurfürften und die Koͤnigskrone bezeichnete eben fo
den Gharacter ber Beſtrebungen feiner männlichen Jahre,
wie der ordre de la generositö feine Jugendneigungen auds
drüdte.
Die Behauptung, daß Ludwig XIV. fchon dem großen
Kınfürften gerathen, fi vom Reihe unabhängig zu machen
und bie Königöfrone anzunehmen, ſcheint nicht unbegründet "
su ve ’), da es im franzoͤſiſchen Intereſſe lag, Deſterreich einen
Eugen Schreiben v. 10. Bebr. 1701. an ben Brafen Kaunig (Werte L
e.: Dan muß ſich immer erinnern, daß der König (Friedrich L).
ſich jeßt die Krone aufgefegt, wozu Trankreich immerhin ſchon feinem.
86 Bud V. Zweites Hauptftäd.
Nebenbubler zu erwecken, ber fi) nothwendig hätte an Frank⸗
weich halten müffen. Doc Eonnte bei Friebrich Wilpelms
ſpaͤterer Trennung von Ludwig XIV. und feiner Hinnei⸗
gung zu Defterreich nicht daran gedacht worden, das aus⸗
auführen.
Man erzählte fich dann, der große Kurfürft Habe auf dem
Todtenbette feinem Sohne die Erhebung Preuffens zum Koͤ⸗
nigreihe angerathen, ferner hätten bie Erwerbung ber Kurs
würde durch das Haus Braunfchweig '), dann die Selangung
Wilhelms von Dranien auf den englifhen Thron, daß ihm
dieſer bei einer Zufammenkunft im Haag (1695) feinen Arm
feffel hinſtellen laſſen, endüich bie Erwählung Augufls zum
Könige von Polen Friedrich ML Veranlaſſung und Anreizuns
gen gegeben, die koͤnigliche Würde zu erwerben. Es wird auch
angeführt, daß bei Gelegenheit des Rangſtreites zwifhen ber "
Republik Venedig und dem Kurfürften während der Friedens⸗
verhandlungen zu Ryswik (1697) die Holländer gegen Fried⸗
sich III. geäußert hätten, wenn er ald ihr mächtiger und wes
gen der Nachbarfchaft ihnen fo nothwenbiger Freund ruͤckſicht⸗
lich Preuffens den Königlichen Titel annähme, fo werbe der
Rangftreit mit ber Republik fogleich beendigt fein”). Ale dieſe
Umftände mögen den Kurfürften theils mit veranlafft, theils
darin beftärft haben, feine Bemühungen um die Koͤnigskrone
unabläffig zu erneuern, allein fie legten figer nicht ben erſten
Grund dazu.
Friedrich III, hatte den Ruhm feines großen Waters vor
fi. Bon diefem war der Hauptanftog und die Richtung zum
Vorwaͤrtsſtreben des Haufe Hohenzollern gegeben, der Grund
‚Heren Water ben Vorſchlag gemacht. Vergl. oben Banb II. der Preuffifch.
Geſchichte, &. 413, Anmerk. 2. Gugen war unzufrieden bamit und miss
a Seen Dream und wollte, daß man mit Friedrich J. behutſam
um 2
1) Wagner vita Leopoldi T. IL. p.628. Die Eiferſucht zwiſchen
beiden Käufern war noch im I. 1690 aufferorbentlich groß. S. d. merk⸗
würbigen Inftructionen Xleranders von Dohna an ben ſchwediſchen Hof
* bei Pufendorf II. 5. 58. Seitdem wohl nur ;ehvas gemildert.
Bergl. Buchholz IV. ©. 236.
2) Joh. Peter Ludwig, opusc,'miscell. T. L prae£. p. 14.
Die Königetrone. Urſachen. 87
zu dem neuen Gebaͤude gelegt worden. Der Sohn hatte das
gange Gefühl der Bebeutung feiner Stellung fein Ehrgeiz trieb
ihn an, nicht hinter dem Vater zurückzubleiben. Um ed diefem
gleichthun zu koͤnnen, mangelten ihm jedoch Kraft, Ausdauer
und felbft jene freilich fehr zweideutigen Eigenſchaften ber
Männer, welche in ber Wahl der Mittel zur Erreichung ihres
Zwecs nicht ſchwanken, enblich begünftigten ihn die Staates
verhältmiffe feiner Zeit nicht ganz fo wie feinen Water, er
tote nicht wohl auf anfehnliche Länbererwerbungen wie biefer
hoffen, obgleich er, wie wir gefehen haben und weiter finden
werden, diefe nicht aus ben Augen verlor, Konnte er alfo
feinem Vater nicht im Weſentlichen als Staatsmann und
Krieger gleichen, fo ſchien es dagegen möglich, ihn durch den
Glanz einer erworbenen Krone wo nicht zu übertreffen, doch
wenigſtens zu überfizahlen. Der Gedanke war, wie gefagt,
bereits frlher geweckt worben, der Königstitel fagte Friedrichs
großer Eitelkeit aufferorbentlich zu, brachte ihn aber auch in
Beziehung zur Republik Polen dufferlih in eine andere Stels
lung, als die eines Herzogs war, welche unmittelbar an bie
chemalige nun um fo weniger je wieber berzuftellende Vaſal⸗
Imfcpaft erinnerte, erhob ihn über feine bisherigen Standess
genoffen im Reiche und gab ihm ald König, dem roͤmiſchen
Kaifer und dem Reiche gegenüber, ein anderes Verhaͤltniß
weil ſich häufig nicht unterſcheiden ließ, was er ald Kurfürft
und was er als König gethan, vereinigte nun unter einem
gemeinfamern Namen alle Erwerbungen des Haufes, alle Uns
terthanen als Preuffen, brach für ihn und feine Nachfolger
geoiflermaßen die Brüde für jeden mögliben Ruͤcſchritt ab
mb trieb unabläffig vorwärts '). Er ſchien zu feinen Nach⸗
felgen zu fagen: „ich habe euch einen Titel erworben, macht
1) Der preuſſiſche Geſandte Schmettau erwieberte bem Kölner Gapktel,
ds biefes die Herausgabe der von den Preuffen eroberten Feſte Speinberg
verlangte: fein, Herr bebürfe als König mehr atethanen als fer
Lamberty V. p. 52, Daher meint Eugen in bem eben angefhihrten
Gäreiben vom 10. Februar 73. man möüffe behutſam mit Briebrih L
umgehen. Hier fid) einmal die Wergrößerung feiner Staaten in ben Kopf
88 Bud) V. Zweites Hauptftäd.
euch beffen wuͤrdig, ich habe den Grund zu eurer Größe ges
legt, vollendet daB Berk!‘ ')
Wir wiffen nicht genau, wann die erften beftimmten
Entwürfe zur Erlangung ber —EX bei Friedrich IL
ausgebildet hatten 'und wann bie erfien Schritte, um fie zu
erreichen, gethan wurben. Schon im Mai bes Jahres 1690
verbreitete ſich in Polen das Gerlcht, der Kurfürſt firebe nach
der Krone ?). Es ift auch kaum zu bezweifeln, daß ſchon
von dieſer Zeit an, ei ungewöhnlich geheim, Baclber
verhandelt wurde. Weil nach ber damals roͤ⸗
miſchen Reiche noch geltenden Anfiht nur ber roͤmiſche —
das Recht hatte, die —8 Würde zu ertheilen, fo lag Fried⸗
rich IIL., der, wie wir gefehen haben, fon als Kurprinz bem
Kaifer ergeben war, Alles daran, diefen baflır zu gewinnen. Uns
flreitig, wenigftend zum Theile ſchon daher, feit dem Anfange
feiner Regierung das fefle Halten an dem’ Kaifer, daher bie
kraͤftige biefem gegen Frankreich geleiftete Unterflügung, daher
endlich noch die wenn auch zögernde Nachgiebigkeit bei ber
Herausgabe des Schwiebufer Kreifes.
Die erften Unterhandlungen wurden bis zum Jahre 1695
hoͤchſt geheim von Eberhard von Dankelmann geleitet und
Bio wahrſcheinlich wuffte auffer dem Kurfürften nur biefer
und vielleicht fein Bruder in Wien etwas davon. Dann trat
wegen ber mecklenburg⸗ Aare Angelegenheit eine Spans -
nung mit bem Kaifer ein, welche erſt nach Dankelmanns Falle
aud durch Friedrichs IIL Nachgiebigkeit — beigelegt wurde.
Jet, allerbings wohl mit veranlafft durch bie Erwählung des
Zriedrich DIL befreundeten Auguft von Sachſen zum Könige
von Polen, wurde der frühere Entwurf wieber aufgenommen,
ber Rath Bartholdi als Geſandter nach Wien gefchickt und
die Angelegenheit lebhaft, doch auch wieder fo geheim betries
ben, baß wahrfcheinlich auffer Kolb von Wartenberg Feiner ber
brandenburgiſchen Miniftee irgend etwas davon wuflte. Un-
1) Worte Friedricht des Großen in ben Mämoires pour servir &
Thist. de Brandenbourg. .
vs 9 Zaluekt epbt T. LP. 119. Budhols IV. ©. 28 eiit
2 ’ agners allgemeine Angabe ſtimmen
würde. Yita Leop. T. IL > 628. dba
Die Königstrone. Unterhandlungen. — Vota. 89
freitig wurde König Auguft von Polen für den Entwurf ges
wonnen und das mag beffen Beichtvater, dem Sefuiten Vota
Due gegeben haben, eine Denkfchrift darüber abzu⸗
)
Vota war ein Mann von audgezeichneten Talenten, Men:
ſchenkenntniß und Gewanbtheit, zugleich eitel genug, diefe Ei⸗
genſchaften gern geltend zu machen, was am beften bei Unters
banblungen gefchehen Tonnte, deren Durchführung er dann als
Ehrenſache betrachtete und fie um fo eifriger betrieb. König
Johann IIL Sobieffi Hatte ihm die Erziehung feiner Söhne
übergeben und ihn ſchon feit dem Jahre 1685 zu wichtigen
geheimen Staatsſendungen gebraucht, fo daß er ſich bald in
Barfhau, bald im Lager am Ufer des Dniefter, in Rom und
Neapel oder in Wien befand. Es ift wohl möglich, daß er
auch Berlin befucht hatte; ficher waren ihm die innern Ver⸗
haltniffe des kurfuͤrſtlichen Hauſes und Hofs befannt genug.
Bota fehte in einer Denkfchriſt bie Vortheile auseinander,
melde die Annahme der Königäwirde für driedrich DIL haben
würde. Der Zweck biefer Denkfchrift · ſcheint erſtens darin bes
Kanden zu haben, den Kurfinften zu veranlaffen, nicht den
Zitel eines Königs von Preuflen, was wie ſich vorausfehen ließ
in Polen lebhaften Widerfpruc finden und auch ben König
Anguft verhafft machen würde, ſondern ben eines Königs ber
Bandalen ober der Wenden zu wählen, vielleicht auch weil
das einen Bwiefpalt mit den evangelifcpen Reichen Schweben
und Dänemark hätte herbeiführen und dadurch bie im Norben
eatſtehende brandenburgifche Macht fogleich iſoliren und hindern
müſſen, ſich jemals gegen Polen und den Kaifer zu erlären.
Der zweite noch wichtigere Hauptpunct ber Denkſchrift
ging aber darauf hinaus, daß ber Kurfuͤrſt die Lönigliche Würde
nicht vom Kaifer, fondern vom Papfle annähme ). Der
1) Pater Bota, von Ricolai, in Biefters neuer Berliner Donate
ſqͥcift Rovember 1799, ©. 845. Doch Hat biefer den Hauptpunct der Vor ⸗
fine, ba ieh ih fe vom anf bs Phnaie Kühe eben
laſſen, nicht angeführt. Ucher Vota's Werhältniß zur Familie Sobieſti
Ve Ki bie Radieidten aub bem Coßtfäifäen Banalien-cchloe entichnt.
2) Dies war bisher, fo viel ich weiß, völlig unbefannt, iſt mir aber
us völlig zuneriäffig mitgethellt worden.
na run Buguiis von Gedfen unweifelbere Haupt ber
E m nimıihen Teiche bewogen werben wäre, doch
u rtuuitier Zuerfenwung der Rechte des Heuptes der
nung Nre im diefer Begiehung, mit dem päpftühen
x. u Umertuntäung zu treten. Das würde zundchfi |
x ipent anfab, böclichft beleidigt und ihm den Anträ
x ale für immer umzugänglih gemacht haben.
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tragt gegogen werben. Diefe war nicht eher confirmirt wors
den, als fi ihre Vermaͤblung mit dem damaligen Kurprinzen
eufhieb, während fie früher einem Batholifhen Prinzen bes
Rümmt war ’). Wenn fie num aud im Innern von bem
eigentlichen Kerne, welder bie Grundlagen jeder wahren Bes
Uigion ausmacht, feft überzeugt war, fo unterhielt fie fi) doch
wit gelehrten und geifireihen Männern auch verſchiedener
Qtaubenöbelenntniffe gern über Religionswahrheiten, duldete
ine fehr freie Unterſuchung derfelben und Aufferte fich bei ihrer
großen Lebhaftigkeit ſehr ruͤckſictslos. Um Mittel zur Be⸗
Kunpfung der Zweifel des von ihr auch perfönlich hochgeſchaͤtz⸗
ten Bayle ging fle oͤfters Leibnig an und der gelehrte Hofs
prediger Jablonſki muffte auf ihren Befehl mit biefem über
“t- @seinigung ber beiden proteflantifchen Hauptconfeſſionen
4 Werkwaͤrdigkeiten aus der brandenburgiſchen Seſchichte.
Die Königskrone Der Jefuit Vota. 9
unterhandeln. Dan weiß nun, wie viel Leibnig an einer Vers
Gnigung ber feit der Reformation getrennten Proteftanten uns
ter ſich und dann auch derfelben und der Katholiten lag, wie
thatig er daran arbeitete, wie viel er in biefer Hinſicht nach⸗
geb, daß er felbft unter gewiſſen Bedingungen die eberfle
Gerichtsbarkeit des Papſtes als menſchliche, jedoch heilfame
Einrichtung anzuerkennen bereit war. Man mochte baher
boffen, die Kurfürftin, welche man, wo nicht für gleichgültig
gegen die Religion überhaupt, doch gegen bie verfciebenen
Olsubensbefenntniffe hielt, dann auch ben Kurfürften, biefen
vorzüglich durch bie Konigskrone, nicht unſchwer fuͤr den Ka⸗
thelicismus gewinnen. zu koͤnnen. Den Haͤuptern glaubte man
wirden dann wohl leicht die charakterloſen Hofleute, bie ges
berfamen Beamteten und dann bad Bolt nachfolgen. Der
fnft fo feine Jeſuit fiel bier in einen doppelten Irethum, ber
mod) jest wohl Hin und wieber von Katholiken getheilt wird,
efiens, weil viele aufgeflärte Proteftanten nicht Alles glauben,
wos der Katholik, ja fireng genommen vieleicht nicht einmal
As, was die öffentlich befannt gemachten Giaubensbekennt⸗
niſte enthalten, fo meint man, fie glaubten gar nichts; zwei⸗
im bamtheilten die Iejuiten den Charakter Friedrichs IL.
nicht richtig. Weil er dem Scheine ungemeine Opfer brachte,
auflerorbentlich eitel und fo ſchwach war, baß er aus den
Pinden eines Günftlings in bie des andern fiel und ohne
fin ſolchen gar nicht leben zu koͤnnen ſchien, fo glaubten fie,
& habe durchaus nichts, woran er feft halte, und bedachten
nicht, daß religiöfe Ueberzeugungen bei aller übrigen Charakters
fände ſehr ſtark fein koͤnnen, weil fie auf einem andern
Grunde al die Stärke des Charakters ruhen; Es ſcheint auch
richt, als wäre Friedrich III irgend geneigt gewefen, auf die
Vorſchlage Vota's einzugehen.
Bisher waren die mit dem kaiſerlichen Hofe ſeit mehreren
Achren betriebenen Verhandlungen fo geheim gehalten worden,
daß noch am 8. Februar 1698 der Minifter von Fuchs, dem
doch fonft die wichtigſten Gtaatsangelegenheiten anvertrauet
wurden, im einem von ihm gegebenen Bedenken es dem Ebers
hard von Dankelmann zum Vorwurfe machte, dem Kurfürften
fortwährend angelegen zu haben, bad Project wegen Exlans
92 ‚Bud V. Zweites Hauptſtuͤc.
gung ber preuffiichen Königswäde beim kaiſerlichen Hofe durch⸗
zufegen: „was zu erhalten doch eine pure lautere Unmoͤglich⸗
keit geweſen“ ). Erſt einige Zeit darauf erfoberte der Kur⸗
fürft die Gutachten ſaͤmmtlicher Minifter über den Gegenſtand
und biefe erklärten fih, wohl mit Ausnahme Wartenbergs,
ſaͤmmtlich mit vielen angeführten Gründen gegen den Entwurf,
zum Beweife, daß felbft bie Männer in der nächften Umge-
bung des Kurfürfien deſſen eigentliche Gefinnung und Abfic:
tem nicht genau kannten. Diefer widerlegte in einem eigens
bändigen ausführlichen Auffage, welcher eine genaue Kenntniß
der Lage der europäifchen Staaten Fund gab, mit vieler Ein
ſicht die Gruͤnde feiner Minifter und fuchte zu zeigen, wie"
vortheilhaft bei dem veränderten Werhältniffe der Staaten bie
Annahme der Töniglichen Würde für fein Haus fein würde ).
Namentlich konnte er den wichtigen Einwurf, dag ein koͤnig⸗
licher‘ Hofftaat zu große Koften verurfachen wuͤrde, damit zus
rldfiweifen, baß berfelbe bereits Königlid eingerichtet fei.
Wirklich giebt die gewiffermaßen officielle, gedruckt erſchie⸗
mene *) Beſchreibung des Beilagers Herm Friedrichs, Hefſen⸗
caſſelſchen Erbprinzens mit ber Markgräfin Louiſe Dorothea
Sophie, einzigen Tochter bes Kurflrften, im Mai und Juni
des Jahres 1700 ein unverwerfliches Beugniß von ber bis in
das Unglaublige gehenden Pracht und Ueppigkeit, welche bei
den häufigen Feſten am Hofe des Kurfürften herrfchten, weil
er daS beſonders liebte und fich felbft eifrig mit Anordnung
1) Sosmar und Klaproth ©. 252.
2) Dankelmann, von Ricolat, in Biefters neuer Berliner Mor
natsfcheift Rovember 1799, ©. 342, aus den dem MWerfaffer hochſt freifinnig
geſchrieben, früßer war eine actengemäße Darftellung der Berhandlungen
in 2—3 Bänden bezwedt worden. Berge. Jeniſch Darftellung bes
18, Jahrhunderts DB. IT. ©. 971.
8) Clin an der Spree in ber kurfuͤrſtlichen Hofbuchdruckerei, 42 ©.
in Folio. Schon im I. 1695 wurden für golbene und füherne Borben
— 43,000 Thir. autgegehen, Nicolai’s Ber
in
Die Koͤnigskrone. Prachtfeſt. 9%
des Ganzen und oft ber unbebeutenbften Ginzelheiten befchdfs
igte. Im der Enleitung wir gefagt, es fei bekannt, daß ber
Kurflrft während feiner num zwölfiähtigen glädfeligften Res
sierung auffer brei Leichenbegängniffen, zwei Beilagen, der
Zaufe des Kurprinzen, der Imveſtitur des engliſchen Hoſen⸗
bendordens unb der Eimveifung ber Univerfität Halle aud)
uch zehn Erbhulbigungen, verſchiedene Werfprechungsceremos
nien und abſonderlich noch mandherlei große Berwirthungen ber
iu ihm gefommenen hohen Herrſchaften, des Baren Peter,
dee Könige von England und Polen und mehrerer Kurfürſten
und Fürften des Keichs kurz nach einander auszurichten Ges
Iegenheit gehabt und babei dergleichen Magnificenz und Anftalt
hären laſſen, daß, wofern nach eines vömifchen Belbhaupts
mans Urtheile, es einem Helden nicht weniger ruͤhmlich, feine
Rafel wohl anzuſchicken, ber Kurflnft fi von feinen praͤchti⸗
gen Ausrichtungen ganz fiher mit eben dem Rechte Ruhm
md Verwunderung verheiffen koͤnne, als er durch glüdlihe
diegs⸗ und Friebenspanblungen fih ſchon vorlängft bei gang
Europa in Vertrauen und Anfehen geſetzt. Dieſes Feſt habe
&ber alle anderen übertroffen. Nachdem im Ianuar die feiers
Ühe Anfprache um bie Prinzeffin gewelen und bie Werlobung
wirt worben, folgte nun das Beilager.
Der game Kurflrtliche Hofftaat, wobei allein vierzig Pas
gm, ferner alle Garden, als die Leibgarbe zu Pferde und zu
Bike, die hundert Schweizer, bie Grandemusquetoits, Gends
Varmes und Grenabiere, bann bed Kurprinzen und des Marks
gefen Philipp Regimenter zu Pferde und zu Zuße wurben
ds neu, vorzuͤglich aber die Gensb’armes und Grands⸗
mdquetaied, welche ſaͤmmtlich von Abel mit ——
waren, hoͤchſt prächtig, jene n Blau mit Silber, biefe in
Sqariach mit Gold gekleidet. Alle Kleivungen ber Herrſchaf⸗
tn und ber meiften Hofleute verfchrieb man aus Frankreich
und anberen Ländern, nicht beöhalb, wird gefagt, weil man
dergleichen nicht hätte in Berlin aufbringen koͤnnen, fonbern
dadurch auch dem Fremden an umferer Freude mit Theil zu
geben. Daher wurden auch zu ben Dpern der berühmte kai⸗
falihe Sänger Ballerini, ber Hautboiſt ded Königs von Por
ie, Te Rifch und der Zpeorb und Sautenif de Gt. Buc aus
% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
Frankreich Berufen, ferner bie in Berlin befindlichen großen
Muftter, die beiden Riecks, Altilio, Volumier und Andere
verwendet, zum Ballete aber lauter gräflihe, freiherrlihe und
adelige Perfonen gewählt, felbft der Kurprinz und die beiden
Markgrafen Albrecht und Gpriftian Ludwig befanden fi unter
den Zänzern, Über welche ber Markgraf Albrecht die Direction
übernahm.
Bum Beilager brachte der Landgraf, auffer feiner Ges
wmahlin,. dem Erbprinzen und beffen Schweſter Sophie, feine
erſten Minifter, Hofleute, Hofdamen, Pagen, Zrompeter, Las
Taien und 30 Mann Leibgarde, insgefammt gegen 300 Pers
fonen und über 350 Pferde mit.
Schon an ber Grenze in DOfterwiel wurden fie von bem
Schloßhauptmann von Prinz nebft einem Meinen Hofſtaate
empfangen und feierlich uͤber Halberftabt, Magdeburg und
Brandenburg in achttägiger Reife nach Spandau geführt, vom
wo fie am 28. Mai ihren feierliben Einzug in Berlin hielten,
wo fie der Kurfürft mit feinen Garden und brei Regimentern
und dem ganzen Hofftaate, den anweſenden neun fremden Ges
ſandten und ber in ihre Zünfte getheilten Buͤrgerſchaft prächtig
empfing. Die Brautkutfche war aus Garmoifinfammet ins
und auswendig mit überaus ſchweren golbenen Grepinen, das
Geſchirr der acht Pferde mit breiten goldenen Borden auf Cars
moifinfammet befegt, mit filbernen im Feuer ſtark vergoldes
ten Blehen, Budeln und Schnallen befplagen und mit
dicken goldenen Quaften behängt, die Zügel und Leinen bes
fanden ganz aus Goldgeflechte. Der Schenktiih war von
unten bis oben aufgethürmt mit großen filbernen und vergoldes
ten: in Augsburg verfertigten Gefäßen von großer Schönheit,
fhwerem Gewichte und koſtbar getricbener Arbeit, die Tafeln
mit filbernen vergolbeten Geſchitren befegt. An der fürfts
lichen Tafel wurden am 28., 29. und 30. Mai in vier vers
ſchiedenen Gängen zu je 46 Speifen auffer den Früchten
und dem Gonfecte aufgetragen und fo -oft bie vornehmflen
Herrſchaften tanken, jedesmal ſechs Städe, bei dem Trin⸗
Ten ber anderen fürftlichen Perfonen drei Stiide gelöl. Sechs
andere Zafeln waren für bie Srauenzimmer, bie Minifier und
die Hofleute angerichtet. Spazierfahrten fanden in einem mit
"Die Koͤnigskrone. Prachtfeſt. %
Bol Pichn befpannten Wagen ftatt, dem achtzig Kutſchen
Dad Kleid ber Braut war bem alten Herlommen nach
weiß von Siberfläd, ihr Fuͤrſtenmantel befland aus einem
ganz goldenen Nee. Den Schweif des fieben Ellen langen
Diamanten nen und Perlen, weiche De Damme mag, a sie
Biionen Thaler an Werth.
Bei dem Hochzeitmahle hatte ber fehr erfahrene Kuͤchen⸗
meifter Chriſtian, als wenn er feine ganze Wiſſenſchaft
ausfchätten wollen, mehr als 500 ber außerlefenften Spei⸗
fen mit den Entremets aufgefellt, aufferdem noch 86 Tafeln
fir die Hofbebienten angerichtet. Nah der Tafel ‚wurde
der Brauttanz bei brennenden Fackeln getanzt, von ber
Braut in ihrem vollen Brautfhmude, wobei ſechs Kams
merfräulein ihre Schleppe und, unter Führung von zwei
Narſchaͤllen mit filbernen Staͤben, 24 der vornehmften bes
„geitenden Hofleute die Wachsfackeln trugen, mit allen an
weienden fuͤrſtlichen Perfonen, worauf fie wegen der Schwere
ihre Kleides, wie es heißt, in etwas ermübet war, wes⸗
— ſchon gegen drei Uhr Morgens zum Braut⸗
Ein Ballet und ein zu dieſem Feſte von Tauter großen
Rinfilern beſonders verfertigtes Gingfpiel wurde in einem
gend dazu erbaueten Theater mit prachtvollen Decorationen
in italienifcher Sprache gegeben. Die Mafcyinen nebft dem
Aheater hatte ber hannoͤveriſche Baumeifter Zomafo Giufti eins
gerichtet; der Zert war vom Abbate Mauro, die Muſik und
Eymphonien von dem Kapellmeifter der Kurfürftin Altilio
Arioſti, die Tänze, welche vom Kurprinzen, den Markgrafen
md mehreren Grafen, Freiherren und Adeligen aufgeführt
wurden, vom Hoftanzmeifter Deönoyerd, die Arien vom Kams
mermuſikdirector Ried. Dann folgten bis zum 8. und 9,
Juni Heerſchau ber Regimenter und deren Uebungen, Waske—
% Bud V. Zweites Hauptfiäd.
Kämpfe von Bären, Buͤffeln, Auerochfen, wilben
en Wölfen und Fücfen im Hebgarten, sub Be Sau.
werke, Illuminationen, Luflfahrten nach Oranienburg, Sch
haufen, Roſenthal und Charlottenburg und mancherlei z
führungen und Darſtellungen, Operetten und Concerte, bei denen
die Goͤtter Griechenlands und Roms nach damaliger Sitte
eine Hauptrolle fpielten. Sicher wurde an manchem koͤnig⸗
lichen Hofe eine folche Pracht, Fein ſolcher Aufwand entfaltet,
als am kurfuͤrſtlichen Hofe Friedrichs IN.
acbei
ſche verwirklicht zu fehen, fand aber faft unuͤberſteigliche Hin
derniſſe. Es wird — er habe den Auftrag erhalten,
einem der einflußreichſten ihm entgegenwirkenden kaiſerlichen
Minter, der für —X galt, 200,000 Gulden
ten, ber treue Beamtete habe jeboch bad Geſchenk abgelehnt
und ermwiebert, er halte ben Kurfürften gewiß ber Krone wuͤr⸗
big und dem Kaiſer zugethan, ba man aber nit von
allen Nachkommen einer gleichen Gefinnung verſichert fei, fo
glaube er einen Verrath an dem Kaiſer zu begehen, wenn er
deffen Zuftimmung erwirke. So fand bie Angelegenheit ohne
weiter vorzurucken und ber Kurfürft war faft ohne Hoffnung,
widelung berbeiführten, was zu bewirken alle Feinheiten und
übrigen großen Mittel der Unterhänbler, ſelbſt die Unterftügung
der Sefuiten ſicher nicht vermocht hätten.
Die deutfchen Fürfien waren zwar: immer noch merklich
durch Religionsparteiung, noch weit mehr aber dadurch ges
trennt und zugleich mit dem Reiche ohnmaͤchtig, baß fie Fein
patriotiſches Gefühl befeelte, jeder nur an fid dachte und wie
ex auf jede Weife feine Macht vergrößern ober fein Anfehen
erhöhen inne. Aus biefen perfönlichen, dann aus verwandt⸗
ſchaftlichen Verhaͤltniſſen entflanden unzählige Zwiftigkeiten,
Bündniffe und Gegenbinbniffe und fo unauflösliche Verwir⸗
rungen, daß man kaum noch von ber Schwäche bes Reichs
reden Tonnte, da es wirklich nur noch der Form nach vorhan⸗
den war. Auffer vielen anderen Streitigkeiten regte bamald
Hannoͤveriſche Kur. 97
einen großen Theil der deutſchen Bürften die hannoͤveriſche Kurs
angelegenheit auf. Der Herzog Ernſt Auguſt, Gemahl ber
ehrgeigigen Sophie, ber Tochter des unglädlichen Friedrich von
der Pfalz und Enkelin König Jacobs von England, hatte auf
Veranlaffung König Wilhelm II. fehr angelegentlich die Kur⸗
winde gefucht, dem Haufe Deſterreich große Opfer gebracht,
fih beim Entfage Wiend gegen bie Osmanen, bann im Kriege
gegen Frankreich um daſſelbe vielfache Werdienfte erworben und
zu noch weit Groͤßerem verpflichtet. Das hatte den Kaifer,
obwohl ungern, dennoch bewogen, bem Herzoge, mit Einwil⸗
Ügung feined ditern Bruders Georg Wilhelms von Zelle, die
Kurwurde für feine Nachkommen in abfteigenber Linie zu ers
theilen (22. März 1692.) Im Algemeinen erregte ſowohl
bie Sache felbft, ald das dabei vom Kaifer beobachtete eigen»
maͤchtige Verfahren große Unzufriedenheit bei ben Kurfüͤrſten ),
weil in ihrem Gollegio nun überhaupt eine Stimme mehr,
dann Eiferfucht, vorzüglich bei ben katholiſchen Fuͤrſten, weil
nun eine evangelifche Stimme mehr im Kurcollegio war und
viele Fürften ihrer Meinung nach gegrlnbetere ober boch eben
fo gute Anfprüche auf eine ſolche Ehre hatten, ald Ernſt Aus
sul. Hauptfächlich war die Altere braunſchweigiſche Lite,
vornehmlich der Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel über
die Erhebung der juͤngern Linie feines Haufe erbittert. So
ſcloſſen die Herzoge von Braunſchweig, der König von Dis
nemark als Herzog von Holflein, die Herzoge von Mecklenburg,
der Landgraf von Heffen: Kaffel, der Markgraf von Baden,
die Bifchöfe von Würzburg, Hildesheim, Minfter und andere
Ehrften (16. Januar 1693) einen Verein unter dem Namen
der gegen die neunte Kur correfpondirenden Furſten. Selbſt
im hannoͤveriſchen Haufe proteflisten vier der jüngeren Söhne
Ernſt Auguſts gegen das zugleich mit der Rurwürbe einge:
führte GErfigeburtörecht, gingen in kaiſerliche Kriegsdienſte, bie
ben im Felde und flarben in der Fremde. Als der neue Kurs
für das Reichserzbanneramt als Erzamt erhalten follte, erhob
1) Pufendorf IIL 5.17 fagt: Doch ber große Kusfürft habe, ber
Religion wegen, ſchon feine Eimoilligung gegeben, fein Sohn das gehal«
ten, body war, wie fon angeführt, keine rechte Freundſchaft zwiſchen
beiben Häufen. ©. auch Rinde Leopold ©. 1148.
Stenzel Geh. d. Preuſſiſch. Staats. II. 7
go Bud) V. Bweites Hauptſtaͤc
Sefuit ging bei einer offenbar doch nur oberflächlichen Kenntniß
des wahren Charakters Friedrichs III. davon aus, biefer werde
die koͤnigliche Würde um jeben Preis zu erhalten fuchen. Es
wäre nun ſchon ein großer Triumph geweſen, wenn das nach
dem Uebertritte Auguftd von Sachſen unzweifelbare Haupt ber -
Proteftanten im roͤmiſchen Reiche bewogen worben wäre, doch
mit ausdruͤcklicher Anerkennung der Rechte bed Hauptes ber
katholiſchen Kirche in diefer Beziehung, mit dem päpftlihen
Hofe in Unterhanblung zu treten. Das würbe zunaͤchſt ben
Kaifer, der dad Recht Könige zu ernennen ald ihm unzweifels
boft zuftehenb anfah, hoͤchlichſt beleidigt und ihn ben Anträgen
des Kurfürften für immer unzugänglic gemacht haben. Wenn
Friedrich III. dann nur noch durch den Papft zum Ziele feiner
Wünfche gelangen Fonnte, fo ließ ſich vorausfehen, daß dieſer
keinem Proteftanten die Töniglihe Würde ertheilen, ſondern
als erſte Bedingung dazu die Annahme des katholiſchen Glau⸗
bens verlangen würde. Friedrich TIL zeigte Aufferlid eine fo
übermäßige Eitelleit, daß man glauben durfte, er werde ihr
jebed Opfer bringen, um fo mehr, da er zwar wirklich fehr
aufrichtig teformirt, Übrigens aber höchft duldfam war. Hiers
bei mochten bie religioͤſen Anfichten der Kurfürftin mit in Be
tracht gezogen werden. Diele war nicht eher confirmirt wor
ben, als ſich ihre Wermählung mit dem damaligen Kurprinzen
enfchied, während fie früher einem katholiſchen Prinzen bes
fimmt war i). Wenn fie nun auch im Innern von bem
" eigentlichen Kerne, welcher die Grundlagen jeder wahren Res
Tigion ausmacht, feft überzeugt war, fo unterhielt fie fi) doch
mit gelehrten und geiſtreichen Männern auch verſchiedener
Glaubensbekenntniſſe gern über Meligionswahrheiten, duldete
eine fehr freie Unterfuhung derfelben und Aufferte ſich bei ihrer
großen Lebhaftigfeit fehr ruͤckſichtolos. Um Mittel zur Be—
kaͤmpfung der Zweifel des von ihr auch perfönlich hochgeſchaͤtz⸗
ten Bayle ging fie öfters Leibnig an und ber gelehrte Hof⸗
prediger Jablonfli muffte auf ihren Befehl mit diefem Über
die Vereinigung der beiden proteftantifchen Hauptconfeſſionen
1) Herings Merhoärbigkeiten aus der brandenburgiſchen Geſchichte.
1. Std, ©. 3.
Die Königskrone Der Jeſuit Wota. 9A
unterhandeln. Dan weiß nun, wie viel Leibnig an einer Wer
einigung ‚der feit der Reformation getrennten Proteftanten uns
ter ſich und dann auch derfelben und der Katholiten lag, wie
thdtig er daran arbeitete, wie viel er in diefer Hinfict nach⸗
gab, daß er felbft unter gewiffen Bedingungen die oberfie
Gerichtsbarkeit des Papftes als menſchliche, jedoch heilfame
Einrihtung anzuerfennen bereit war. Dan mochte daher
toffen, die Kurfürftin, welche man, wo nicht für gleichgültig
gegen die Religion überhaupt, doch gegen bie verfchiedenen
Glaubensbefenntniffe hielt, dann auch den Kurfürften, biefen
vorzüglich durch die Koͤnigskrone, nicht unfchwer flr den Kas
tholitismus gewinnen. zu Pönnen. Den Häuptern glaubte man
winden dann wohl leicht die charakterlofen Hofleute, bie ges
berfomen Beamteten und bann das Volk nachfolgen. Der
fonft fo feine Jeſuit fiel hier in einen doppelten Irrtpum, der
mod jet wohl Hin und wieder von Katholiken getheilt wird,
erftens, weil viele aufgefiärte Proteftanten nicht Alles glauben,
wos der Katholif, ja fireng genommen vielleicht nicht einmal
Aled, was die öffentlich befannt gemachten Giaubensbekennt⸗
niſſe enthalten, fo meint man, fie glaubten gar nichts; zwei⸗
tens beurtheilten die Sefuiten ben Charakter Friedrichs M.
nicht richtig. Weil er dem Scheine ungemeine Opfer brachte,
ufferorbentlich eitel und fo ſchwach war, daß er aus ben
Händen eines Günftlings in bie des andern fiel und ohne
tinen folchen gar nicht Ieben zu koͤnnen ſchien, fo glaubten fie,
a habe durchaus nichts, woran er feft halte, und bedachten
nicht, daß religiöfe Ueberzeugungen bei aller übrigen | Gharakters
ſowaͤche ſehr ſtark fein Können, weil fie auf einem andern
Grunde als die Stärke des Charakters ruhen. 8 fdeint auch
nicht, als wäre Friedrich III. irgend geneigt gewefen, auf bie
Vorſchlage Vota's einzugehen.
Bisher waren bie mit dem kaiſerlichen Hofe feit mehreren
Jahren betriebenen Verhandlungen fo geheim gehalten worden,
daß noch am 8. Februar 1698 dee Minifter von Fuchs, dem
doch fonft die wichtigſten Staatsangelegenheiten anvertrauet
wurden, in einem von ihm gegebenen Bedenken ed dem Ebers
hard von Dankelmann zum Vorwurfe machte, dem Kurfürften
fortwährend angelegen zu haben, dad Project wegen Erlan⸗
92 ‚Bud V. Bweites Haupeftüd.
gung ber preuffiichen Rönigswwürbe beim Baiferlichen Hofe durch⸗
zufegen: „was zu erhalten doch eine pure lautere Unmoͤglich⸗
keit geweſen“ '). Erſt einige Zeit darauf erfoberte der Kur-
fürſt die Gutachten ſaͤmmtlicher Minifter über den Gegenftand
und dieſe erfiärten fi, wohl mit Ausnahme Wartenbergs,
ſaͤmmtlich mit vielen angeführten Gründen gegen den Entwurf,
zum Beweife, daß felbft die Männer in ber nächften Umge
bung des Kurfürften deſſen eigentliche Gefinnung und Abfichs
ten nicht genau kannten. Diefer wiberlegte in einem eigens
haͤndigen ausführlichen Auffage, welcher eine genaue Kenntniß
der Lage der europäifchen Staaten fund gab, mit vieler Eins
fiht die Gründe feiner Minifter und fuchte zu zeigen, wie
vortheilhaft bei bem veränderten Werhältniffe der Staaten bie
Annahme der Föniglichen Würde für fein Haus fein würde ).
Namentlich konnte er den wichtigen Einwurf, daß ein koͤnig⸗
licher Hofflaat zu große Koften verurſachen würde, bamit zus
rüchweifen, daß berfelbe bereits koͤniglich eingerichtet fel.
Wirklich giebt die gewiffermaßen officielle, gedruckt erſchie⸗
nene ) Beſchreibung des Beilagers Herrn Friedrichs, Heflens
caſſelſchen Erbprinzens mit der. Markgraͤfin Louiſe Dorothea
Sophie, einzigen Tochter bes Kurflrften, im Mai und Juni
bes Jahres 1700 ein unverwerfliches Zeugniß von ber bis in
das Unglanblihe gehenden Pracht und Ueppigkeit, welche bei
ben häufigen Feſten am Hofe des Kurfuͤrſten herrſchten, weil
er das beſonders liebte und fich felbft eifrig mit Anordnung
1) Eosmar und Klaproth ©. 252%.
2) Donkelmann, von Ricolat, in Bieflers neuer Werliner Dos
nateſchrift November 1799, S. 842, aus ben dem Verfaſſer hoͤchſt freiſinnig
von bem großen Befdrberer vaterlaͤndiſcher Gefchichtätunde, bem Mtinifter von
‚Hergberg anvertraueten 20 Foliobänben Kronacten des geheimen Gtaatss
Archivs. Leiber hat Nicolat erſt fpäter und nur aus ber Geinnerung
geſchrieben, fruͤher war eine actengemäße Darftellung der Verhandlungen
in 2— 3 Bänden bezwedt worden. Vergl. Jeniſch Darftellung des
18. Jahrhunderts St. IM. ©. P71.
8) Söln an der Spree in ber kurfuͤrſtlichen Hofbuchbruderei, 42 S.
in dollo. Schon im I. 1695 wurden für goldene und fiberne Borben
der Lakaien und Trabanten 43,000 Thit. ausgegeben. Nicolai’s Bers
lin L. S. 225.
"Die Koͤnigskrone. Prachtfeſt. 9
des Ganzen und oft ber unbedeutendſten Einzelheiten befchäfs
figte. In der Enleitung wird gefagt, es fei befannt, daß ber
Kurfürft während feiner nun zwölfiährigen glüdfeligfien Res
u. auffer drei Leichenbegängniffen, zwei Beilagen, ber
des Kurprinzen, ber Snsefhtur des engliſchen *
per unb der Einweihung der Univerfität Halle
noch zehn Erbhuldigungen, verfchiebene Pr
nien und abſonderlich noch mancherlei große Bewirthungen ber
in ihm gefommenen hohen Hertſchaſten, des Baren Peter,
der Könige von England und Polen und mehrerer
und Fürften des Reichs kurz nach einander auszurichten Ges
Itgenheit gehabt und babei dergleichen Magnificenz und Anftalt
finen laſſen, daß, wofen nad eines rdmiſchen Feldhaupt⸗
Europa in Wertrauen und Anfehen ei: Dieſes Feſt babe
cher alle anderen uͤbertroffen. Nachdem im Januar bie feier⸗
Üihe Anfprache um die Prinzeffin gewefen und die Werlobung
giſtiert worben, folgte num das Beilager.
Der ganze kurflirſtliche Hofflaat, — allein vierzig Pas
9, ferner alle Garden, als bie Leibgarde zu Pferde umb zu
I, die hundert Schweizer, bie Grandemußquetoiss, Gens⸗
Vormes und Grenadiere, dann des Kurprinzen und bed Mark⸗
ofen Philipp Regimenter zu Pferde und zu Buße wurden
burhgehenbs neu, vorzliglic) aber die Gensb’arımed und Grands⸗
— welche ſaͤnmtlich von Abel mit ——
boͤchſt praͤchtig, jene in Blau mit Silber, dieſe in
— mit Golb gekleidet. Alle Kleidungen ber Herrſchef⸗
tm und der meiften Hofleute verfchrieb man aus Brankreich
mb anderen Ländern, nicht deshalb, wird gefagt, weil man
Vergleichen nicht hätte in Berlin aufbringen Finnen, fonbern
auch den Fremden an unſerer Freude mit Theil zu
Im, 1e Kiſch und ber Theorb und Lauteniſt be St. Luc
9% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
Frankreich berufen, feruer die in Berlin befindlichen großen
Muftter, die beiden Rieds, Altilio, Volumier unb Andere
verwendet, zum Ballete aber lauter gräfliche, freiherrlihe und
abelige Perfonen gewählt, felbft der Kurprinz und bie beiden
Markgrafen Albrecht und Chriſtian Ludwig befanden ſich unter
den Tänzern, Uber welche der Markgraf Albrecht die Direction
übernahm.
Zum Beilager brachte der Landgraf, auffer feiner. Ges
wehlin,. dem Erbprinzen und deſſen Schweſter Sophie, feine
erften Minifker, Hofleute, Hofdamen, Pagen, Zrompeter, Las
kaien und 30 Mann Leibgarde, indgefammt gegen 300 Pers
fonen und über 350 Pferde mit.
Schon an der Grenze in Ofterwiel wurden fie von dem
Schloßhauptmann von Prinz nebft einem kleinen Hofftaate
empfangen und feierlich über Halberftabt, Magdeburg und
Brandenburg in achttägiger Reife nach Spandau geführt, von
wo fie am 28. Mai ihren feierliben Einzug in Berlin hielten,
wo fie der Kurfinſt mit feinen Garden und brei Regimentern
und dem ganzen ‚Hofftante, ben anwefenden neun fremden Ges
fandten und ber in ihre Zünfte getheilten Buͤrgerſchaft prächtig
empfing. Die Brautkutſche war aus Carmoifinfammet ins
und auswendig mit überaus ſchweren goldenen Grepinen, das
Geſchirr der acht Pferde mit breiten goldenen Borden auf Cars
moifinfammet befegt, mit filbernen im Feuer ſtark vergoldes
ten Blechen, Budeln und Schnallen beſchlagen und mit
dicken goldenen Quaften behängt, die Zügel und Leinen bes
fanden ganz aus Goldgeflechtee Der Schenktiſch war von
unten bis oben aufgethürmt mit großen filbernen und vergolbes
ten in Augsburg verfertigten Gefäßen von großer Schönheit,
ſchwerem Gewichte und koſtbar getriebener Arbeit, die Tafeln
mit filbernen vergoldeten Gefchirren befegt. An der fürfle
lichen Tafel wurden am 28., 29. und 30. Mai in vier vers
ſchiedenen Gängen zu je 46 Speiſen auffer den Früchten
und dem Gonfecte aufgetragen und fo -oft die vornehmſten
Herrſchaften tranken, jedesmal ſechs Gtüde, bei dem Zrins
ten der anderen fürftlichen Perfonen brei Stüde gelöfl. Sechs
andere Zafeln waren fuͤr bie Frauenzimmer, die Minifier und
bie Hofleute angerichtet. Gpazierfahrten fanden in einem mis
"Die Königekrone. Prachtfeſt %
Fra beſpannten Wagen ftatt, dem achtzig Kutſchen
Das Kleid der Braut war dem alten Herkommen nach
weiß von Silberſtuck, ihr Fürftenmantel beftand aus einem
ganz goldenen Netze. Den Schweif des fieben Ellen langen
Kcides trugen ſechs Kammerfräulein, welche aufferdem, weil
das Kleid einen Gentner ſchwer war, von zwei Brautpagen
unterflügt wurden. Der Unterrod und bad gange Leibftüd
war über und über mit Diamanten befegt und ihre Krone bem
Werthe nach koͤniglich. Dan ſchaͤtzte den Schmuck ber großen
Diamanten und Perlen, welche bie Prinzeffin trug, auf vier
Vilionen Thaler an Werth. J
Bei dem Hochzeitmahle hatte der ſehr erfahrene Küchens
meiſter Chriſtian, als wenn er feine ganze Wiſſenſchaft
ausſchutten wollen, mehr als 500 ber auderlefenften Spei⸗
fen mit den Entremets aufgeſtellt, aufferdem noch 86 Zafeln
fir die Hofbebienten angerichtet. Rach der Tafel wurde
der Brauttanz bei brennenden Fackeln getanzt, von ber
Braut in ihrem vollen Brautſchmucke, wobei ſechs Kam⸗
merfräulein ihre Schleppe und, unter Führung von zwei
Narſchaͤllen mit filbernen Stäben, 24 der vormehmften bes
glitenden Hofleute die Wachöfadeln trugen, mit allen an
weſenden fuͤrſtlichen Perfonen, worauf fie wegen der Schwere
ifteß Kleides, wie es heißt, in etwas ermübet wär, weis
vb man fhon gegen drei Uhr Morgens zum Braut
eilte.
Ein Ballet und ein zu dieſem Feſte von lauter großen
Kinfiern beſonders verfertigtes Singſpiel wurde in einem
ägmd dazu erbaueten Theater mit prachtvollen Decorationen
in italieniſcher Sprache gegeben. Die Maſchinen nebſt dem
Theater hatte der hannoͤveriſche Baumeiſter Tomaſo Giuſti eins
gerichtet; ber Text war vom Abbate Mauro, die Muſik und
Eymphonien von dem Kapellmeifter der Kurfürſtin Altilio
Ariofi, die Taͤnze, welche vom Kurprinzen, ben Markgrafen
und mehreren Grafen, Freiherren und Abeligen aufgeführt
wurden, vom Hoftanzmeifter Deönoyers, die Arien vom Kam⸗
mermufifbiretor Ried. Dann folgten bi8 zum 8. unb 9.
Juni ‚Heerfchau der Regimenter und deren Uebungen, Mast
% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
oben, Kämpfe von Bären, Büuͤffeln, Auerochfen, wilden
Schweinen, Wölfen und Fuͤchſen im Hetzgarten, große Beuers
werke, Iuuminationen, Luffahrten nad Dranienburg, Schöns
haufen, Roſenthal und Charlottenburg und manderlei Auf
führungen und Darftellungen, Operetten und Goncerte, bei denen
die Götter Griechenlands und Roms nad bamaliger Sitte
eine Hauptrolle fpielten. Sicher wurde an mandem koͤnig⸗
lichen ‚Hofe Feine ſolche Pracht, Fein ſolcher Aufwand entfaltet,
als am Furfürftlichen den Bote Briedrichs II.
Unterbeffen arbeitete Bartholdy als brandenburgifher Ges
fandter in Wien mit großem Eifer daran, feines Herm Wüns
ſche Beruiefiht zu fehen, fanb aber faft unlıberfteiglihe Hin⸗
derniſſe. Es wird erzählt, er habe ben Auftrag erhalten,
einem ber einflußreichfien ihm entgegenwirkenden Taiferlichen
Minifter, der für Habfüchtig galt, 200,000 Gulden anzubies
ten, ber treue Beamtete habe jeboch das Geſchenk abgelehnt
und erwiebert, er halte den Kurfürften gewiß ber Krone wärs
dig und dem Kaiſer zugethan, da man aber nit von
allen Nachkommen einer gleichen Gefinnung verfihert fei, fo
glaube er einen Verrath an dem Kaiſer zu begehen, wenn er
beffen Zuſtimmung erwirke. So flanb die Angelegenheit one
weiter vorzuräden und ber Kurflnft war faft ohne Hoffnung,
das Ziel feiner heißeften Wunſche zu erreichen, als bie euros
paͤiſchen Staatöverhältniffe durch ihre aufferorbentliche Ver⸗
widelung berbeiführten, was zu bewirken alle Seinheiten und
übrigen großen Mittel der Unterhaͤndler, felbft bie Unterflügung
der Iefuiten ficher nicht vermocht hätten.
Die deutfchen Fuͤrſten waren zwar immer noch merklich
durch Religionsparteiung, noch weit mehr aber dadurch ge=
trennt und zugleih mit bem Reiche ohnmaͤchtig, daß fie Fein
patriotiſches Geflhl befeelte, jeder nur an fich dachte und wie
er auf jebe Weife feine Macht vergrößern ober fein Anfehen
erhöpen koͤnne. Aus biefen perfönlichen, 33 aus verwandt⸗
ſcaftlichen Verhaͤltniſſen entſtanden umzaͤhlige Zwiſtigkeiten,
Bimbniffe und Gegenbimdniſſe und fo —— Verwir⸗
rungen, daß man kaum noch von der Schwaͤche des Reichs
reden konnte, da es wirklich nur noch ber Form nach vorbanz
den war. Auffer vielen anderen Streitigkeiten regte damals
Hanndverifähe Kur. " 97
einen großen Theil der deutſchen Bürften bie hannöverifche Kurs
angelegenheit auf. Der Herzog Ernſt Auguft, Bemapl ber
ehrgeijigen Sophie, der Tochter des unglücklichen Friedrich von
der Pfalz und Enkelin König Jacobs von England, hatte auf
Veranlaffung König Wilhelms II. fehr angelegentlich die Kurs
winde gefucht, dem Haufe Deſterreich große Opfer gebracht,
fi beim Entfage Wiend gegen bie Osmanen, dann im Kriege
gegen Frankreich um daffelbe vielfache Verdienſte erworben und
zu noch weit Größerem verpflichtet. Das hatte den Kaifer,
obwohl ungern, dennoch bewogen, bem Herzoge, mit Einwil⸗
Ugung feines dltern Bruders Georg Wilhelms von Zelle, die
Kurwinde für feine Nachkommen in abfleigender Linie zu ers
theilen (22. März 1692.) Im Allgemeinen erregte ſowohl
bie Sache felbft, als das dabei vom Kaifer beobachtete eigen,
möctige Verfahren große Unzufriedenheit bei den Kurfüften ),
weil in ihrem Gollegio nun überhaupt eine Stimme mehr,
dann Eiferſucht, vorzüglich bei den katholiſchen Fuͤrſten, weil
nun eine evangelifdhe Stimme mehr im Kurcollegio war und
viele Fürften ihrer Meinung nach gegründetere oder doch eben
fo gute Anfprliche auf eine ſolche Ehre hatten, als Ernſt Aus
guſt. Hauptſaͤchlich war die ältere braunfhweigifche Linie,
vomehmlich der Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel uͤber
die Erhebung der jüngern Linie feines Hauſes erbittert. So
fHloffen die Herzoge von Braunfhweig, der König von Dis
nemark als ‚Herzog von Holftein, bie Herzoge von Mecklenburg,
der Landgraf von Heffen: Kaffel, der Markgraf von Baden,
die Bifchdfe von Würzburg, Hildesheim, Minfter und andere
dürſten (16. Januar 1693) einen Verein unter dem Namen
der gegen die neunte Kur correſpondirenden Furſten. Selbſt
im hannoͤveriſchen Haufe proteſtirten vier ber jüngeren Sipne
Emſt Augufis gegen bad zugleicn mit der Kurwürde einge:
führte Erfigeburtörecht, gingen in kaiſerliche Sriegöblenfte, bil blie⸗
ben im Feide und ſtarben in der Fremde. Als der neue Kur⸗
fürft das Reichserzbanneramt als Erzamt erhalten ſollte, erhob
1) Pufendorf IL z. 17 ſagt: Doch ber große Kurfuͤrſt habe,
Bieligion wegen, ſchon feine Einwilligung gegeben, fein an das —
Hufen. ©. auch Rinds Leopold ©. 1148.
Stengel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. II. 7
98 Bud V. Zweites Haupeftüd.
ſich das Haus Wuͤrtemberg als Inhaber der Reihöfkurmfahne
dagegen uhb deſſen Staats⸗, Redtös und Geſchichtsgelehrte
erfhöpften ſich in gelehrten Debuctionen über biefe Reichsalter⸗
thuͤmer, während, wenn es darauf ankam, fei ed Reichäbanner
ober Reichöfturmfahne zu ergreifen, Niemand daran wollte. So
blieb diefe Angelegenheit noch viele Jahre (bis 1708) umerledigt.
Die gegen die hannoͤveriſche Kur vereinigten Fuͤrſten, vor⸗
zuͤglich der zum Xeufferften entfcloffene Herzog Anton Ulrich
von Braunſchweig ⸗ Wolfenbüttel waren (1694) durch den Kai⸗
fer nur mit Mühe von einer Vereinigung mit Frankreich ab⸗
gehalten worden, allein fogleidh nach dem ryswiker Zrieben
ſchloß Anton Ulrich ein Bimbnig mit Ludwig XIV. und be
wog auch bie übrigen Fuͤrſten, dem beizutreten. Gie errichtes
ten (19. Auguft 1700) einen Fuͤrſtenverein ; Frankreich erflärte,
fie bei ihren Rechten fehlen zu wollen, und hatte auf biefe
Weiſe eine gümftige Gelegenheit, den natürlichen Einfluß des
Kaifers auf das Reich fehr zu ſchwaͤchen ').
Eine andere Hauptfchwierigfeit in der Lage des Kaifers
entfprang aus der Berwidelung ber nordiſchen Angelegenheiten.
In Schweden war (1697) der funfzehnjährige Karl XIL feis
nem frengen Vater auf dem Throne gefolgt. Der dem Kna⸗
benalter kaum entwachfene Juͤngling ſchien den Nachbarn Bein
Hinderniß fir ihre Entwürfe gegen Schweden. Peter von
Rußland begriff, daß ein Land ohne die Mittel feine Übers
flüffigen Erzeugniffe abzufegen, ohnmaͤchtig bleiben müffe, und
firebte, wie am ſchwarzen Meere, fo noch eifriger an der.
Dfifee nach dem Beſitze eines Hafens; biefe Küfte aber war
damals ſchwediſch · Auguft von Sachfen fuchte als König von
Polen einen wo möglich gefahrlofen Krieg als Vorwand, um
feine ihm ergebenen fächfifchen Truppen im Lande Behalten,
und feine weitausfehenden Entwinfe zur Gründung einer erbs
lichen Herrſchaft, endlich wohl gar zur Theilung Polens aus:
führen zu koͤnnen. Dem felbftfüchtigen, vergnügungsgierigen,
wollüftigen Manne galten Eide, Ehre und Treue nichts ).
1) Wagner vita Leopoldi T. IL p. 181. Bergl. p 689 ff.
Rind S. 1897.
2) Mer das urtheil zu hart Anbet, der Anbioe Mugufts Gefchiäkte,
kreilich nicht nach den fonft adhtungewerthen fächffähen Befchictfehrei-
Der Norden. ”»
Der uͤbrigens gutartige, eitele König Friedrich IV. von Daͤne⸗
mark wimſchte wie fein Water Chriſtian V. bie feinen Vor⸗
fahren von ben tapferen Schweben entriffenen Provinzen wies
der zu erobern, Schweden für immer zu ſchwaͤchen und bie
ihm fo nahe verwandte als verhaffte holfteinsgottorpfche Linie _
au unterbrüden, vorzüglich feit ber junge ‚hergog Friedrich bie.
drei Sürften fo verichiedenem Zwecke und ihrer noch weit
mehr verfchiedenen Sinnedart hatten fie doch insgeſammt ein
gemeinfchaftliches Intereſſe gegen Schweden. Patkul, ein liev⸗
Unbifyer Ebelmann, reizte fie zur Vereinigung an umd vers
mittelte diefe. Er hatte fich ald Abgeordneter des lievlaͤndiſchen
Dels in Stockholm gegen bie willfhrlihen Mapregeln Karls
AL dreiſt geäuffert, war feiner Gefangennehmung nur durch
dlige Flucht entgangen umd zum Tode verurtfeilt worden, was
Karl XIL nicht aufhob.
Patkul, ein gewandter, entfchloffener und Alles zu unters
nehmen fähiger, baher hoͤchſt gefährlicher Menfch,- hatte ſich
voller Rachſucht gegen Schweden nach Berlin begeben, wo
& dem Feldmarſchali von Flemming und deffen Sohne, König
Luguſts Lieblinge und Gefanbten am brandenburgifchen ‚Hofe,
die Eroberung Lievlands vorſchlug, dadurch in Beziehungen -
gm Könige Auguſt trat, dem biefer Entwurf einen erwimſch⸗
tm Vorwand zum Kriege gab. So wurden durch Patkuld
Bermittelung (24. März 1698) zwifden Auguft und dem
Könige von Daͤnemark, dann (26. Juli 1698 und 24.
Auguft 1699) zwifchen diefem und Rußland, endlich ebendas
felot (21. Nov. 1699) zwifchen Peter und Auguft gegen
Karl XU. Bündniffe abgefchloffen, während Auguft verftellter
Beife ein Bündnig mit dieſem verhandelte. Die Verbuͤnde⸗
ten befchloffen, ohne Weiteres mit Schweben zu brechen und
dem Baar einen feſten Fuß an ber Dftfee zu verichaffen, wes⸗
ben. Schon 1. Nov. 1708, alfo lange vor ber Schlacht von Pultawa
G. Zuti 1709) drädt er an Mariborough den Dunſch aus, feine Ver⸗
Wötteiftung auf den polnifcen Abroa für ungültig zu erflären, ba feine
Bevollmächtigten die Blanketa gemisbraudht, bie er ausgeſtellt: dans la
os d’amuser ce Prince (Karl XIL) pour gagner ie temps. Schu⸗
Imbungg Ecben I. ©. 858, wne man 1 wit allen
100 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
halb Auguft fo bald als moͤglich Lievland und Eſthland angreis
fen folte. Den Kurfürften von Brandenburg wollte man we⸗
gen des gemeinſchaftlichen Intereffe in die Verbindung ziehen ').
Diefer ging aber wegen feined Bundes mit Schweben nicht
darauf ein, obwohl er mit allen gegen Schweben Verbimde⸗
ten in fehr gutem Vernehmen ſtand und namentlich mit bem
Baar, bei deffen mehrmaliger Anwefenheit in feinen Staaten er
ihm alle Beweife von Freundſchaft und Hochachtung gab, ihm
Artileriften, die zur Eroberung Aſows weſentlich beitrugen,
ferner Gewehrfabritenmeifter und Ober⸗ und Unterofficiere zur
Einuͤbung des ruſſiſchen Heers fhidte, was der Baar dankbar
anerkannte ).
Karl ZU. hatte man zwar vorſichtig genug die Blnbniffe
ſeines Vaters ſowohl mit Brandenburg (v. 23. Juni 1698) ’)
als mit ben Niederlanden, Zranfreih und England theild ers
neuert, theils erweitert, dachte aber doch nicht daran, daß er
fo plöglich, nicht nur ungerechter fonbern zugleich verrätherifcher
Weiſe angegriffen werben würde, wie es geſchah.
Vatkul hatte nämlich Einverftändniffe in Riga. Eine
dort von ihm geleitete Adelspartei wartete nur auf Annaͤhe⸗
rung bes fachſiſchen Heer6, um ſich gegen Schweden zu ers
klaͤren. Im der Weihnachtszeit des Jahres 1699 follte daB
audgeführt werben, body traten mehrfache Zögerungen ein; der
1) ©. des ehrlihen Hoyer Leben König Friedriche IV. von Däne
mark IH. I. ©. 21 ff. Peters J. Tagebuch I. 5.2 ff. Denkwuͤrdigkeiten
für bie Kriegskunſt, zweites Heft, &.157—138. Rorbbergs Seſchichte
Karls XIL Bd. L S. 50 der framdſiſchen Ueberfegung, der doch bie ges
nauen Daten noch nicht kannte. Wergl, Eunbblads Kari XIL Xp. I.
©. 82 der beutfchen Ueberfegung.
9) Königs Berlin II. ©. 73. \
3) Das Buͤndniß vom 23. Juni 1698 erneuerte mit Kari XI. ben
. Vertrag, weldyen Kurfürft Sriebrich IIL am 11. Juli 1696 mit Karl XI.
(von diefem ratiſicirt 8. Aug. 1696) geſchloſſen hatte, welcher ſelbſt die
Erneuerung bes zebnjährigen geheimen Bünbniffes enthielt, weiches ber große.
Kurfürft am 10. Bebruar 1686 mit Schweden eingegangen war. Schoͤll
I. &. 387 und XII. &. 208 fannte den Inhalt nicht. Es war ein gegen ⸗
feitiger Vertheibigungsbund, Schweden follte dazu 7000 Dann, Brandene
burg 6000 Mann ftellen. Gin geheimer Artikel enthielt bie Verpflichtung
beiber Theile zur Aufrechthaltung ber deeligionefrriheit im beutfchen Bteiche.
Karl XIL 101
ſchwediſche Commandant ſchoͤpfte Argwohn und machte Gegen-
anſtalten. Der Verſuch, mit 7 — 8000 Mann Sachfen im
Ianuar ohne Kriegserklaͤrung zu Üüberrumpeln, mislang durch Ianıar
die Wachſamkeit der Schweden 1700
Karl war eben auf der Iagb, wo er, feiner natürlichen
Berwegenheit gemäß, Bären nur mit Knuͤtteln befäinpfte, als
er Nachricht von dem verrätherifchen Angriffe Auguſts erhielt.
& eilte nad) Stodpolm und fagte zum Senate: „Ich habe bes
ſchloſſen, nie einen ungerechten Krieg zu führen, aber einen
gerechten auch nur mit bem Untergange meiner Feinde zu en
den!" Er rüflete eilig. Bald darauf rüdten bie Dänen, Mir
welche Schweben durch Auguft von Polen für hinlaͤnglich bes
ſcaͤftigt hielten, in die Beſitzungen feines Schwagers, bes
Herzogs von Holſtein⸗Gottorp ein, zerftörten die von dieſem
angelegten Schanzen und belagerten Zönningen. Fuͤr ben
Herzog traten auffer Schweden und Holland, die Gewähr:
leiſter des altonaer Vertrags, hauptſaͤchlich Hannover und
elle auf, zunaͤchſt weil Dänemark ſich gegen bie neunte Kur
allart hatte, wogegen dieſes obwohl vergeblich auf ben
Beifland der correſpondirenden Fürften hoffte Der Kaifer
wönfäpte friedliche Beilegung, Kurfürft Sriebrih IM. von
Brandenburg wollte es weder mit Schweden verderben, mit
dem er verbindet war, noch mit Dänemark, mit bem ers. Apriı
&m ein geheimes Buͤndniß abgeſchloſſen ), weigerte einigen
taufend Sachſen, die Auguft nad; Daͤnemark ſchicken wollte,
den Durchzug *), zog felbft 10,000 Wann in einem Lager
bei Lenzen an ber Elbe zufammen, um fo ben Frieden zu ers
halten, ohne mehr zu thun. Die englifch = bolländifhe Flotte
ging unterbeffen durch den Sund, bombardirte vereinigt mit
der ſchwediſchen Kopenhagen, Karl landete in Seeland und4. Aug.
ewang vierzehn Tage darauf den Frieden zu Travendahl, 18. Ang.
durch deffen von den Kurfürften von Sachſen und Brandens
burg vermittelte Bedingungen er feinen Schwager fiher ftelte,
Dinemart ſchwaͤchte, demüthigte und vom Bunde mit Ruß⸗
1) Hoyer L ©. 18. Es war bie Erneuerung eines ſchon im
Apr 1692 abgefehloffenen MWertheibigungsbünbniffes; ber Zutritt gegen
Squoeden wurde bem Kurfürften offen gelaffen.
9) Lamberty I. p. 90.
102 Bud V. Zweites Hauptſtuͤc
land und Sachſen abzutreten nöthigte ). Darm ging er nach
Riga, weldes Auguft foͤrmlich belagerte, allein nun ſchnell von
dannen zog. Karls Schwager, ber Herzog von Holftein, wollte
mit den Schweden gern in Sachſen einfallen. Auguft gerieth
in große Angſt; 8000 Dänen marfchtrten zu feinem Schutze
6. Rov. hin ); ein Vertheidigungsbuͤndniß ſchloſſen die Miniſter Fried⸗
1700 ichs IE: mit den feinigen *), zwei drandenburgiſche Regimens
tee wurden nad) Sachen geſchickt und die nach Memel flüchs
tende ſaͤchſiſche Beldartillerie Karl XIL nicht ausgeliefert *).
Karl hatte jedoch andere Abfichten, wendete ſich gegen ben
30. Rov. Baar, der Narwa belagerte, und ſchlug mit feinen Schweden
deffen flnfs bis ſechsmal ftärkeres Her. Dennoch bedrohete
der Herzog von Holſtein Sachfen noch einige Zeit und ließ
bei Stettin ein Lager für 12,000 Mann abfteden. In Pos
len parteiete fi) die Nation immer offener gegen und für
Augufl.
Während auf diefe Weife ber Norben fo gewaltfam aufs
gerhttelt wurde, daß bie Erſchuͤtterung allg Nachbarn und zus
naͤchſt Brandenburg, den Kaifer und bad Reich mit großen
Beforgniflen erfüllen muffte, zogen fih im Weften die Stoffe
zu einer nicht minder großen und für den Kaifer weit drohen⸗
dern Bewegung zufammen. Das längft erwartete Ende Karls
DI. von Spanien nahete augenfcheinlich heran.
Kaiſer Leopold war feft überzeugt, er allein habe gerechte
Anfprüche auf fämmtlihe mit dem Erloͤſchen der Habẽburger
in Spanien erlebigten Staaten und Beſitzungen, zweifelte
lange gar nicht daran, daß er fie erhalten werde, und vers
fdumte daher lange die von ber einfachſten Kiughelt gebotenen
Maßregeln, um feine Rechte zu ſichern. Ludwig XIV. hatte
1) Dumoat VIL2p. 480. Hoyer L ©. 82.
9 Hoyer J. S. 37 f.
8) Gr ſteht in den Oiſtoriſch⸗ polktifcen Weiträgen me 1.
Dee Vertrag ift nicht ratificirt, doch für verbinbiid Behalten worden.
Dohna p. 286. Schoͤll kennt ihn nit.
4) Schmettau erflärte im Bang: die Belegung Sachſens werde Bran«
denburg nicht zugeben, vielmehr mit aller Macht wehren. Lamberty
I. p.164 Berg. Hoyer I. &.48. Daß 2000 Mann brandendurgiſche
Truppen nach Sachſen geſchickt wurden, erzäplt Lamberty I. p. 521.
Spanifhe Erbfolge. 103
hinreichende Vorwaͤnde, eine fo glmflige Gelegenheit zu benu-
gen, um wenigfiens einen Theil der weichen Erbſchaft für fein
Haus zu erwerben und dem Kaifer zu entziehen. Dem Könige
Wilhelm IN. von England lag zur Erhaltung bed Gleichge—
wichts der europälfhen Mächte daran, daß weber Frankreich
noch Defterreich die ganze Erbſchaft erhielten, er arbeitete daher,
ſeitdem mit bem Tode des Kurprinzen von Baiern bie Hoff-
nung erlofcyen war, fie ungertrennt auf biefen, den Großneffen
Karlö II., zw bringen, in Verbindung mit den Holländern an
ner Theilung der Erbſchaft und gewann Ludwig XIV. dafür.
Die Hauptländer, ald Spanien, die Golonien und Belgien
foltten dem legten Wertrage (vom 25. März 1700) gemäß an
keopolds zweiten Sohn, Karl, die italieniſchen Nebenländer an
Sranfreich fallen. Der Kaifer weigerte ſich aber darauf einzu:
sehen und war entfchlofien, es auf bie Entfcheidung der Waffen
anlommen zu laffen. Die Geemächte, welche die Theilung
wolten, hatte er gegen ſich, auf dem treulofen Herzog von
Savoyen, in deffen Haufe die Wortbrüchigkeit erblic war,
konnte ex nicht bauen, der Kurfürfl von, Baiern, ben er vers
nchläffigt hatte, war für Frankreich, ebenfo die gegen die
neunte Kur correfponbirenden Fuͤrſten, hauptſaͤchlich Anton
Uri) von Braunſchweig; dem Könige von Dänemark wurden
von Frankreich große Anerbietungen gemacht ’); ber Kurfürft
ven Sachfen war im Kriege mit Schweden beſchaͤſtigt und
imnde durch frangöfifches Geld wenigftens in große Verfuchung
geführt; der Herzog von Holftein erhielt von Lubwig XIV.
monatlich 15,000 Xhaler, um feinen Schwager, den König
Karl KIL. auf die franzöfiiche Seite zu ziehen. So blieb dem
KLeiſer, um auffer ‚Hannover noch eine bebeutende Unter
Rügung zu finden, Niemand übrig, ald der Kurfürft Fried⸗
rich IL von Brandenburg, welcher 30,000 Mann bewaͤhr⸗
ter Zruppen auf ben Beinen hatte ). Diefer benugte
D Hoyer L. S. 42 ff.
N Schönings Leben Ragmers ©. 196, aus dem Verpflegungs-
Mglement. Lamberty I. p. 168 meint, baß weder ber König von
Goglenb noch bie Geueralſtaaten das Königtpum anerkannt Haben wuͤr⸗
— man nicht Zriedrichs Beiſtand zum bevorſtehenden Kriege
10% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
Die Verlegenheit des Kaiſers, um von biefem bie lange Zeit
ſchon fo nachdruͤcklich erfirebte Koͤnigswuͤrde zu erlangen. Es
iſt nicht unwahrfceinlich, daß unter der Hand auch bedeutende
Geldfummen an Faiferlihe einflußreiche. Beamtete gegeben oder
doch verfprochen wurden, um fie für bad Unternehmen zu ges
winnen, welches im Gabinete des Kaiferd nicht mit Unrecht
auf lebhaften Widerftand traf.
Je mehr aber die franzoͤſiſche Partei am ſpaniſchen Hofe
die Oberhand gewann, je dringender bie Seemaͤchte des Kai⸗
ſers Zutritt zum Theilungsvertrage verlangten, je näher der
Tod Karls IL, ben man jeden Tag erwartete, bevorftanb, je
aufrubrbeopenber die unruhigen Ungarn wurden, deſto höher
flieg die Gefahr für den Kaifer, während der Kurfürft unter
feiner Bedingung von feinem Verlangen nach ber Koͤnigskrone
abgehen wollte, ja wohl befürchten ließ, ex könne ſich ſogar
mit Frankreich verbinden '). Unter diefen Umfländen wurde
durch einen an fi unbebeutenden Zufall des Kurfürften Be—
mühung von einer Seite unterftügt, welche ſcheinbar Fein Ins
tereffe haben konnte, fie zu fördern, wahrſcheinlich aber doch,
wie wir bereits angeführt haben, weitaußfehende Entwärfe
damit verband, nämlich von den Jeſuiten.
Als der preuſſiſche Gefchäftöträger in Wien, ber geheime
Rath Bartholdy, glaubte alle Mittel zur Erreichung feines
Zwecs erfolglos erfchöpft zu haben, rieth er dem Kurflrften,
diefer möge fi in einem eigenhändigen Schreiben an ben
Kaifer felbft wenden. Durch zufällige Berwechfelung ber Zahl,
welche in der Depefche als Chiffre den Kaifer, mit ber welche
den Sefuiten Wolf bezeichnete, wurde nun der Kurfürft vers
anlafft, an diefen eigenhändig zu ſchreiben. Der Pater Wolf,
ein geborener Baron von Lübingshaufen, früher als Geiſtlicher
im Gefolge des kaiſerlichen Gefandten Grafen Lamberg in
Berlin und in hoher Gunft bei dem Kaifer, wurde dadurch
für das Unternehmen gewonnen und beförderte es nun eben
fo thätig, als für fi durchaus uneigennügig. Ex wechſelte
» Au iſt das wohl worden, ob aber ernftlih? Villare
Fer p- 462. Am 30. Rov. 1697 ſchrieb bie Gräfin edwenhaupt
herr Shpocher, ber Gräfin Aurora von Königemart, Bereit) IL. wolle
ſich mit Frankreich verbünden. Kramer L ©, 197.
Pater Wolf. 105
mit dem Kurfürſten mehrere eigenhändige Briefe und es iR
ſeht wahrſcheinlich, daß feine Vorflelungen und fein Ordens⸗
einſluß auf den in Religionsangelegenheiten fehr befchränkten
Kaifer manche in biefer Rüdficht den Wuͤnſchen des Kurflirs
fien 'entgegenftehende Hinderniffe befeitigten. Immer höher
fig mit der fleigenden Werlegenpeit des Kaifers die Hoffnung
Bolfs, das Biel zu erreichen und in feinen legten Briefen
fituliete er ben Kurfürften ſchon: Durchlauchtiger Kurfürft,
Snädiger Herr: beinahe König! ') Dennoch gab hoͤchſt
wahrſcheinlich erſt die Nachricht von dem am 1. November int. Rov.
Mabrib erfolgten Tode Karls IL und dem von ihm hinters 1700
laſſenen Teſtamente, in welchem er Philipp von Anjou, den
Enkel Ludwigs XIV., zum Erben aller von ihm hinterlaffenen
Staaten und Länder einfegte, den Ausfchlag zu Gunften der
Kronangelegenheit Zriebrihs IL Am 16. November wurde 16. Rov.
der geheime Kronvertrag zwiſchen Friedrich III. und dem Kaifer
abgeſchloſſen. Im biefem erneuerte der Kurfürft zuvoͤrderſt das
geheime Bimdniß feines Vaters mit dem Kalfer (vom 22.
Rirz 1686) und verſprach, nicht nur wirkliche Leiftung des
derin zugefagten Beiftandes, fondern auch vertrauliches Zuſam⸗
menhalten und fo viel ald möglich gemeinfchaftliche Maßregeln
auf Reichs⸗ und Kreistagen; ferner zur Behauptung der Ges
ungen Philippsburg und Kehl nicht nur beim Reiche zu ars
beiten, fondern eine Compagnie. Fußvolls auf eigene Koften
als Befagung zu geben und zu unterhalten,. bie Erlebigung
der haumöverifchen Kurfache zu befördern, gegen feine Batholis
ſchen Unterthanen wegen Bedruͤckung der Proteflanten in ans
deren Ländern Feine Repreffalien anzuwenden, wogegen ber
Kaiſer verfprach, fi) zu bemühen, daß die evangelifchen Reeli⸗
ginöbefchwerben ben Teichsgeſetzen gemäß erörtert und beiges
1) &. Yater Wolf, von Ricolat, in der neuen Berliner Monatsſchriſt
9.3.1799, Ih. 2, ©. 821 aus ben Kronacten. Wergl. Dohna p. 27%,
dem ber König felbft bas Misverftändniß erzählte. Was ich über Wolf
abweichend unb ergängenb fage, verdanke ich zuverläffigen Mittheilungen.
Pr bat, wie aus der obigen Bufanmenftellung hervorgeht, die Miche
ie Bufalls
106 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
legt würden. Im Falle wegen ber, Wpanifen Erbfolge Krieg
entftände, folle, wie im Jahre 1686 vertragen worben, der
Kurfürft 8000 Mann jedoch nunmehr auf eigene Koſten
fielen und nur zus Wertheibigung feiner eigenen Länder zurüds
berufen bürfen, aud andere Zürften zum Bunde mit dem
Kaifer zu bringen fuchen. Alle ihm ſchuldigen Subfidien ers
ließ der Kucfürft, follte jedoch während der Dauer des Kriege,
— im Jahr 1686 vertragen war, jaͤhrlich 150,000 Gulden
halten, und verfprach auch ben Kaiſer in der Wiederzu⸗
in der böhmifchen Kurſtimme bei dem Reichstage zu un
Da der Kurfürft mn, fährt der Vertrag fort, dem Kal-
fer vorftellen laffen, daß er aus verfchiebenen Gründen bie
Abficht habe, feinem Haufe den koͤniglichen Zitel zu erwerben
und den Kaifer gebeten, ihm dazu behilflich zu fein, indem
ee wohl erkenne, baß er fich, nach dem Beiſpiele anderer ſou⸗
verainen Könige, die im vorigen Zeiten biefe Würde erlangt,
beöhalb vornehmlich an den Kaifer als hoͤchſtes Oberhaupt der
Chriſtenheit zu wenden habe, auch nicht gemeint fel, ohne befz
fen Approbation fich folhen Nitel zu arrogiren und zur Kroͤ⸗
zung zu fehreiten, fo babe der Kaifer, in Betracht ded uralten
klaͤre auch aus kaiſerlicher Macht und Volllommenheit, wenn
ber Kurfürft diefer erlangten Approbation zufolge fih wegen
feine Herzogthums Preufien zum Könige ausrufen und kroͤnen
laffen, baß er, ber Ralfer und fein Sohn ber vänifhe Sönig,
auf erhaltene Anzeige ihn unverzögert ins und aufferhalb des
Reichs für einen König in Preuffen ehren, wuͤrdigen und ers
kennen und ipm diejenigen Prärogativen, Zitel und Ehren ers
weiſen wolle, welche andere eusopdifche Könige vom Kaifer
und kaiſerlichen Hofe exhielten, aud zu befördern, daß daſſelbe
von anderen Maͤchten gefchehe, Alles jedoch, wie der Kurfürſt
fich bereit8 gegen den König von Polen verpflichtet, ohne
Präjudlz fir diefe u fowie für das Reich. Die übrige
Hälfte deb Vertrags beficht aus Beſtimmungen über die gegen-
Rronvertrag. . 107
feiig und gegen Andere zu gebrauchende Titulatur und zu bes
vbachtende Etikette )
Rum wurde ſchleunigſt und mit großer Anſtrengung Alles
aufgeboten, sam bie Zeierlichkeit der Annahme der Königewinde
und der Krönung mit der groͤßeſten Pracht in Königsberg zu
begehen. Am 17. Detember brach Fridric mit fine Om 17. Der
mahlin, zweim feiner Brüder, dem Kronpringen, dem Hofe 700
‚ Raste, drei Gompagnien Garde du corps, 100 Mann
fGtweiger Garde und insgefammt fo zahlreichem Gefolge von
Berlin auf, daß dieſes in vier Xbtheilungen reifen muſſte, weil
& auffer den vielen koͤniglichen Pferden deren noch 30,000
zum Vorſpann bis Königäberg bedurfte, wo ber Kurflrfl am
9. December —— Die Kroͤnungsdecorationen orbnete 29. Dec.
der Baubfrector Erſander von Göthe, die Geremonien haupt:
Inge aber ber Pie felbft an *) and neben ihm bie Gra⸗
fin Wartenberg und Rottum, ber geheime Rath Ilgen und
der Geremonienmeifter Beſſer, welcher uns eine ausführliche
Beſchreibung ber Belerlichkeit hinterlaffen hat.
Am 15. Januar wurde unter Glodengeldute, Kanonen: 19, Sun.
denner und dem Sauchzen des Volks durch Heroide verkündet: 1701
% fei durch die allweiſe Vorfehung dahin gediehen, daß daB
bisherige ſouveraine Herzogthum Preuffen * einem toͤnigreiche
wfgerichtet und deſſen Souverain Friedrich König in Preuſſen
modem.
Am 17. Januar ſtiftete Friedrich, wahrſcheinlich im Ge 17. San.
Sſade zu dem’ polnifchen weiflen, den preuffifhen ſchwarzen
Werden, zu deffen Kanzler der Graf Wartenderg ernannt
de, den darauf der König vom Throne den anwefenden
und anderen Prinzen und mehrerm Generalen und
wngefehenen Gtaatsbeamteten verlieh.
Der 18. Januar war zum Krönungstage beflinnmt, bie 18. Ian.
und Kieinodien ald Reichs⸗Krone, ⸗Schwert,
1) Die Urkunde in Rousset Supplem, T. IL P. 1. p. 461, und
Yan in Börfkers Höfen und Gabfnetten Ip. I. Urfunbmb, ©. &,
der fie zuerſt mitgeteilt zu haben glaubte.
sun Doku p. 276, ber ſich in ber näheren Umgebung bes Königs
108 Bud V. Zweites Hauptftüd.
s Scepter, sApfel, ⸗Siegel und Banner waren dazu fehr koſtbar
von Gold mit vielen hoͤchſt werthvollen Edeiſteinen ange
fertigt worden. Der König trug ein Scharlachkleid mit Dia-
mantenknoͤpfen, deren jeder 3000 Ducaten Eoftete, der Mantel
von purpursfarbenem Sammet voller in Gold geflidter Kronen
und Adler, wurbe vorn von einer Agraffe zufammen gehalten,
welche aus drei Diamanten, 100,000 Thaler werth, beſtand.
. Die Krone hatte flat des Laubwerks lauter dicht aneinan>
dergefügte Diamanten, beren einige 80 bis 130 Graͤn hielten.
Man fchägte den gefammten Krönungsfhmud auf viele Mili-
onen Thaler an Werth.
Der König wurde in feinem Schlafgemache mit dem koͤ—
niglichen Drnate beBleidet, ging dann in ben Audienzfaal, ſetzte
ſich hier felbft die Krone auf das Haupt, nahm dad Scepter
in die Hand, vertheilte die übrigen Infignien, begab ſich in
das Gemach der Königin, feste diefer ihre Krone auf und
ging fo mit feiner Gemahlin in den Aubienzfaal zurüd. Beide
Mojeftäten festen fid auf den Thron und wurden von ben
‚Hofs und Staatsbeamteten, den Ständen und Gorporationen
feierlich ehrfurchtsvoll begrüßt. Dann ging der große Bug,
ber König mit der Krone auf dem Haupte und bem Seepter
in in ber Hand unter einem praͤchtigen von vierundzwanzig Edel»
leuten "getragenen Baldachin in die Schloßkirche, wo ber Ius
theriſche Dberhofprediger, Bernhard von Sandra, und ber
seformirte, Benjamin Urfinus, welche Beide ber König vorher
aus Moctvolllonmenheit und nur für dieſe Ceremonie zu Bis
ſchoͤfen ernannt hatte ), den König und die Königin auf die Stirn
in Zorm eines Kreifes falbten. Durch diefe bei der Krönung
beobachtete Form der Geremonie wollte der König anzeigen,
daß er die koͤnigliche Würde nicht durch die Salbung erlange,
vielmehr Eundgeben, daß er fie allein von Gott dem Herm
annehme. Durch eine Proclamation erhielten ale Gefangenen
im Reiche, auffer den Beleidigern ber göttlichen und menſch⸗
Then Majeſtaͤt, abfichtlihen Todtſchlaͤgern und Schulbnern
ihre Freiheit. Krönungsmebaillen, über 6000 Thaler an Werth,
1) ©. Herings biographiſche Radyrihten von einigen gelehrten und
berühmten Männern, zweites Städ. J
Krönung. 109
wurden auögewworfen und achtzehn verfchiebene Medaillen auf
das fo wichtige Ereigniß geprägt ).
Bei der Tafel dienten fiebenundzwanzig Kammerjunker,
fämmtlich Oberſtlieutenants und Hauptleute. Unter vielen
Geremonien muffte jede Speife, jedes Getränt durch drei bis
dire dienende Hände der vornehmen Beamteten gehen, che et»
md an bie Pöniglichen Majefläten kam, welde von golbenen
Satffein fpeiften. Ein mit Schafen, Reben, Berkein, Hafen,
Häbnen und anderm Geflügel gefühter und, in Nachahmung
der Kaiſerkroͤnung zu Frankfurt, auf freiem Plage am Spieße
goratener ganzer Ochs, als Zeichen von Seiner Majeftät ſich
über Alles erſtreckenden Herrichaft, wurde dem Wolke preisge⸗
geben mit dem Beine, welcher aus zwei Springbrunnen fprang.
Auminationen und Gaftmäpler in allen Hauptftäbten der Pros
Yinen, Sampfiagben im Hetzgarten *) und Beuerwerke wechſel⸗
tm zur Erluſtigung des Hofes ab, wogegen ber Gottesdienſt
md die Einweihung ber reformirten Kirche die religisfe Geite
de Feſts zeigten. Wei den Feſten und Predigten wurbe im
Geſchmacke jener Zeit ein großer Theil vorzlglid ber biblifchen,
dem ber griechiſchen und roͤmiſchen Geſchichte und ber alten
Shtterwelt verwendet und ber neue König umabläffig von Ju⸗
dm und Ghriften als ein zweiter Salomo begrüßt.
Nachdem der König noch in der Iutherifchen Schloßfirche
ud aus deren Kiechengefäßen, als Ausbrud feines Wunſches zur
Bereinigung beider Belenntniffe, das heilige Abendmahl genoffen
hatte, brach er am 8. März von Königsberg nad; Oranienburg 8. März
af und hielt von hier aus am 6. Mai feinen überaus glängen» „1701
den Einzug in Berlin durch fechs dazu erbauete Eprenpforten.
1) Sätther ©. 185 ff.
2) Ge waren damals belicht und ſchon im I. 1698 ein Circus mit
madtvollen Amphitheater in Berlin erbauet zu Kämpfen von Wären,
fen, Fächfen, Swen, tieren, Auerochſen und wilden Schweinen,
Nam aud) in Königsberg ein Detgarten eingerichtet. uf jenen prägte
dal eine Medaille. S. Wilken im Berliner Kalender vom 3. 1822,
©. 115, bie Mebeille bei Gütther S. S1. Im I. 1705 erhielt ber
Lnig durch einen Wenſchen, den ex deshalb nach Tunis geſchict hatte,
ri Panther, Affen und andere wilde Thiere für dem Debgarten, auch
en Menfhenfurffer. Königs Berlin I. ©. 160.
410 Bud V. Ameites Hauptſtuͤck
Jede Provinz brachte ihren Gluͤckwunſch und ein, wie
man angab, freiwillige Geſchenk als Kronfteuer, bie Kurraark
hatte es eben fo freiwillig bis auf 160,000 Thaler erhöhet ').
In Koͤnigsberg bereitö hatte zuerft der König von Polen
dem Könige Friedrich Gluͤck gewuͤnſcht, in Berlin geſchah bad
nun, nad gemachter Anzeige von ber vollgogenen Krönung,
von dem Kaifer ), den Königen von England und Dänes
mark °), welche fi ſchon vorher damit einverftanden erflärt
batten, von dem Baar Peter, den Generalftaaten, ben ſchwei⸗
‘zer Gantens, Gavoyen, Fiorenz, Kurpfalz und Hannover,
denen dann nach und nach bie Übrigen Staaten, Kır: Mainz
und Xrier (1703), Portugal (1704) und Venedig (1710)
folgten. Der Meiſter bed deutſchen Ordens wendete fi mit
feiner Proteflation (v. 11. Febr. 1701), weil das Unternehmen
gegen Taiferliche Decrete, Kammergerichtemandate und Achter
klaͤrung fei, dennoch ohne Erfolg an ben Kaifer und an bie
Kurfürften; nur Baiern und Köln waren flr den Drden *).
Im Warſchau hatten bie polnifhen Großen zu fpät eine Bes
vathung gehalten, um die Krönung Friedrichs zu hindern, dies
fer jedoch einen förmlichen Revers gegeben, baß die koͤnigliche
Wuͤrde für Polen ohne Präjubiz fein folle *), was Wiele bes
ruhigte; bald darauf wars gefchehen und auf dem Reichötage
zu Warfchau proteflisten der Kronmarfchall, der Kanzler und
der Unterlanzler von Lithauen und der Landbote von Sendo⸗
mir ohne Erfolg. Eben fo vergeblich waren bie bitten Er⸗
1) Beffers preuffifche Kroͤnungegeſchichte. Gin en ber Spree 1708,
auffer 26 Geiten Zuſchrift 92 Weiten Wolle. Der Gofkupferficcher a.
Wolfgang lieferte die dazu gehörigen 20 großen Kupferſtiche. Seſſer
erhielt 2000 Thlr. für feine Arbeit.
2) Der kaiſerliche Gefanbte wurde in Berlin mit Ehrenbezeigungen
dberhäuft umd erhielt einen Bing 15,000 Thirn. werth. Lamberty
p. 882.
8) Ehriſtian V. war ſchon vorher einverftanden, dann auch Frieb⸗
rich IV. Hoyer L ©. 40.
4) Lamberty L. p. 283 und VI. p. 90, Theatz. Europ. XVL
p. 187.
5) Der Meverh bei Zalunki eplat. III. p.16 erſt vom Kurfücften,
dann 21. Febr. 1701 vom Könfge: regni anno I.
Krönung. Anerkennung. 111
Siefungen der polniſchen und lithauiſchen Großen, welche höhs
niſch daran erinnerten, baß Friedrichs MWorfahren mehrfache
Geſandtſchaften abgeorbnet hätten, um eine Stelle unter den
yolnifpen Reichsſtaͤnden zu erhalten ). Daraus eben hätten
fie fehen ſollen, daß Polen nur durch wen anders als durch
fi ſelbſt geſunken war, während ber Herzog in Preußen flieg.
Der Fürft Johann Rabziwiß proteflitte in Paris vor Notar
und Zeugen *), der Primas dagegen wuͤnſchte Friedrich I. auf
beffen Anzeige von ber Krönung Gluͤck zur Emeuerung bes
(due Sage nach) alten koͤniglichen Titeis in Preuffen und
nannte ihn Majeftät ). Karl XI., anfänglich unwillig über
driedrichs Werbindung mit Auguft von Sachſen und Polen
und dem Könige von Dänemark, Heß in Regensburg Auffern:
mar koͤnne dem Kaifer nicht zugeſtehen Könige vor der Fauft
mg zu machen ſobald er wolle. Gehe das durch, fo werde
et, Karl, dereinft auch feinen Schwager zum Könige von
Shleönig erflären laffen, wovon dieſer auch bie Hälfte wie
Friebrich vom preuſſiſchen Sande ald Gouverain befige. Doc
mrde diefe Spannung, wie wir fehen werben, bald befeitigt.
Der Krieg allein hinderte die Anerfennung von Selten Franke
wihs und Spaniens, die fpäter erfolgte.
Der Papft Clemens XI. proteftirte gleich nach feinem
Segierungsantritte in einem Gonfiftorio ei. April 1701) in
Wigen Ausdrüden gegen den Kaifer, ber daß neue Königthum
rihtet, ohne zu beachten, daß es nur bem heiligen Stuhle
, Könige zu. ernennen. Friedrich fei ein offenbater
Feind der katholiſchen Kirche und befige Preuffen nur durch
fall eines feiner Vorfahren und deſſen Ufurpation geheilig⸗
tr Riechengliter. Er (der Papfi) erklärte, nie feine Zuſtim⸗
mung dazu geben zu wollen, und ermahnte, obwohl, wie wir
gefehen, ohne allen Erfolg, Friedrich nicht als König anzus
alennen. Dieſes in der Sache höchft anmaßende und auch
in der Form Höhft unfhtliche und für den Keiſer und die
1) Zaluski epist. T. II. p. 1 fi, 26 und 197.
9) Lamberty L p. 888. ®ergl p. 881 f.
9) Zaluski a. a. D. p. 14, auf ein Gchreiben Friedrichs vom
7. Januar, in welchem ex bie erfolgte Krönung amzeigte.
112 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
weltlichen Fuͤrſten beleibigende Verfahren, welches noch dazu
vom päpftlichen Hofe unbefonnener Weiſe möglichft veröffents
licht wurde, brachte nicht nur proteftantifche fondern auch ka⸗
tholiſche Fuͤrſten, vor allen aber natürlich den neuen König
auf. Der bald fo berühmte Profeffor der Rechte Johann
Peter Ludwig in Halle, der bereits für eine in Beziehung auf
die Annahme der Löniglichen Würde gefchriebene und Fried⸗
rich J. gewidmete Abhandlung böglichft belobt, befchenft und
zum Rath ernannt worden war, ein eben fo gelehrter als
f&arffinniger - Mann und im Gtreite gefährlicher Gegner,
zeigte in einer befondern Abhanblung: Über das Recht, Könige
zu ernennen, daß das wohl dem Kaifer aber durchaus nicht
dem Papfte zuftehe. Im einer andern mit dem Titel: „poaͤpſt⸗
licher Unfug über das Recht Könige zu ernennen”, befi
er mit fo vieler Gelehrfamkeit als Bitterfeit die päpftlichen Ans
maßungen, weltliche Fürften und vorzüglich Könige zu ernens
nen, welche felbft die meiften katholiſchen Gelehrten verworfen,
zeigte, daß das päpfllice Breve, auf welches als ſchmutzige
fo oft widerlegte Leichtfertigkeit nur ein Wort zu erwiebern
unter der Würde Friedrichs I. fei, alle Könige und vorzüglich
die Batholifchen beleidige und beleuchtete Styl und Inhalt defs
felben mit hoͤhniſchen Sarkasmen: als Paul V. die Republik
Venedig in den Bann gethan, habe fie ihm nur folgende
Worte erwiedert: Es if das Wort eines Schmaͤhenden, weis
ter nichts! daß ber Papft, der in feinem Breve an Lubwig
XIV. ') diefen ermahnte, Friedrich I. nicht anzuerkennen, dem
Könige von Frankreich Seelengroͤße beilege, fei ganz natürlich,
ba er fie in beffen Widerflande gegen päpftlihe Anmaßungen
oͤfters kennen gelernt. Daß der Papft gegen die nicht von ihm
ernannten Fürften fage: „fie herrſchen, aber nicht durch mich!"
das habe bereits ber heilige Bernhard dem Papfte Eugen allein
. in Beziehung auf Päpfle zugerufen!
Von biefer Schrift wurden deutſch in kurzer Zeit 4000 |
Eremplare verkauft, lateiniſch wurde fie den in Italien
tämpfenden preuſſiſchen Zruppen zur Verbreitung mitgegeben
und von Seiten des römifchen Boote kluger Bir nichts |
1) Im Theatr. Europ. XVI. p. 140.
j
Der Papft. - 113
darauf erwibert *). Als aber-bei der Wahl Karls VI. der Gars
dinal Albant, Nuntius des Papfted gegen Friedrichs J. Königss
winde proteftiren wollte und ber preuſfiſche Geſandte, Chriſtoph
von Dohna, das erfuhr, fo erklaͤrte dieſer, wenn der Garbinal
mar Biene mache, das zu verfuchen, fo werbe er es bereuen,
da er in Beziehung auf ihn als Gefandten zur Kaiferwahl
aur ein italienifcher Edelmann und die Zeit vorlber fei, in
welcher man den Päpften dabei Einmifhung geſtattet. Dohna
droßete, fich eines fo handgreiflichen Beweiſes bedienen zu
wolen, daß ber. Neffe des Papfted Bein Vergnügen daran Haben
mmmehe noch prächtiger als vorher und wo möglich fo gläns
ib einzurichten, als irgend ein anderer koͤniglicher Hof war.
Hauptſachlich aus biefem Grunde ertheilte er: den anfänglich
mr fir die Dauer der Krönungdceremonie ernannten Biſchöfen
dieſe Würde (zu Ende des Jahres 1702) auf ihre Lebenszeit
mb gab ihnen anfehnliche Einkünfte. Aus denfelben Gräns
im, welche feinen Water veranlafften, an der Wereinigung der
kiten getrennten evangellihen Glaubenspartelen zu arbeiten,
bemüpete auch er fich, fie zu bewirken, doch nicht durch Ges
welt und Zeichen. ber Ungnabe, fondern durch Ermahnung und
ö des geringen Unterſchieds zwiſchen beiden Bekennt⸗
Gen ). Er ließ, wenn er auch die Reformirten mehr bes
Sinfligte, doch im Allgemeinen Geroiffenöfreiheit und man fah
bi Anftellungen am ‚Hofe und im Staate nur fehr wenig auf
. 13. P. Ludwig Neniae pontifis Romani Clementis XI de
jore regis appellandi Opuscul, T. I. p. 130.
9) Dohna p. 318.
3) Zalande Reatin ©. 9.
Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. LIT. 8
114 Bud V. Zweites Hauptftäd.
den Unterfehleb im Bekenntniſſt. Er wollte daher auch (1706),
daß bie varteilichen Namen Lutheraner und Reformirte aufs
hoͤren und beide Kirchen ſich hinflihro evangeliſch nennen folls
ten’). Eben deshalb ſuchte ex, fo lange er lebte, neben ber
Vereinigung der beiden proteftantifchen Gonfeffionen die Liturs
gie der engläfchen Hochkirche einzuführen, welche feiner Vor⸗
ellung nad dem Gottesdienſte und dann dem Hofe ein höhe:
res — Anfehe gab. Selbſt bie Koͤnigin von England
wurbe. in das Intereſſe gezogen ımb ber Biſchof Urſinus fos
wie ber berlihmte Hofprediger Jablonſty mufiten mit den Erge
bifchäfen won Ganterbury und York darüber verhandeln. Diefe
ſahen ſehr bald, daß deu Engländern mehr an ber Grimbung
des Bifchöflihen Regiments ais an der Liturgie lag unb ber
daflıe ebenfalls fehr eingenommene Jablonſky muffte num einen
Eatwurf zum Einführung der englifchen Kirchenverfaſſung ma⸗
en, wie fie der fouverainen Macht des Königs unnachtheilig
wire. Dem gemäß follten bie preuffiihen Biſchofe nicht viel
mehr als die ehemaligen (feit 1632 abgefchafften) Generals
fuperintendenten fein, die Aufficht über Kirchen und Schulen
und Lehre und Leben ber oberen und unteren Beamteten an den⸗
ſelben und über ne als Praͤſidenten des Gonfiftsriums eine
Art Greichtöbarkeit haben, ferner bie Prüfung der Gandibaten
und bie Ordination ber Geiſtlichen bewirken. Es waren ſchon
die noͤthigen Gelbfummen bereit zu Stiftung von Stellen in
Drforb und Gambridge für drei seformirte Stubirende aus ben
preuffiichen Staaten, ald der König flarb und bamit der ganze
Entwurf ohne weitere Folgen blich °).
Die jaͤheliche Erneuerung bed Krönımgöfeftes, zu weicher
eine befonbere Steuer m (1102) auögefchtieben wurde, wezu bie
Städte der Mark allein 5000 Zhaler 'gaben *), wurde wit
großer Pracht gefeiert, befonder im 3. 1703, bei ber feiers
Uchen Einweihung bed ſchwarzen Ablerorbens in ber Schloßs
Eapelle in Berlin unter kirchlichen Geremonien und Muſik.
Der König faß auf dem Throne, bie Drbensritter in ihrem
1) Wilten im Berlinee Kalmber vom 3. 1822, ©. il.
2) Herings Merkwärbigleiten, 2, 3. u. 4. Stuͤck.
8) König IL ©. 180.
Gofſtaat. 116
bamats Hädf peg Gofume on Ihn Pläten, ber Bifäer
Urfinus hielt das Gebet, bie Drbensflatuten wurben verlefen,
der Bft Seapolb von Def und ber Graf von Bein Ele
genftein leiſteten als neu aufzunehmende BRitter den Eib auf
denötette um und Lüfte fie und der Bifchof ſprach den Gegen.
Be nen wen zum Anhand Dieb Babe
gt j
So abgeneigt Friedrich L dem Könige Ludwig XIV. war,
fo fehr bemühete er ſich doch, es ihm in allen irgend moͤg⸗
Uden Müdfichten gleich zu thun. Die fleiffte Etikette wurde
fehr förmlich eingerichtet und felbft bei dem damals gewöhns
fünf Oberberofbsräthen, einem Hlfloriographen, Archloar,
en
im J. 1712 211,000 Thaler. -
Im Zahre 1706 wurden die Ausgaben für den fünlg:
18
ſechs Pferde, der Grand maitre be la Garderobe 4000 Tha⸗
* fechzehn Kammerherren 20,000 Thaler, zweiunddreißig
1) Gat ther S. 19.
2) Nicolai Seſcheelbang von Bertin II. S. 876. ©. ben Kupfew
Mic) im Berliner Kalender v. I. 1822 voch einem gleiihgeitigen Bilde,
8*
116 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
Kammerjumfer 25,000. Thaler, vier Leibmebic 200 bis 1000
Thaler Gehalt. Dazu kamen aber noch vier Hofmedici, femer
fehöunbreißig Kammermuſſkanten, fünfundfechzig Küchen», breis
uubzwanzig Relers, acht GonditoreisMebiente ).
Ein Franzes wurde zum Intendant des plaisire de Sa
Majest6 ernannt unb übemahm ed (1706) für 6000 Thaler
fähelichen Zuſchuſſes eine framzoͤſiſche Schaufpielergefellfchaft zu
errichten, um in Berlin und den koͤniglichen Luftfdhlöffern zu
ſpielen; dfters wurden bazu frembe Kimfiler verſchrieben
Selbſt eine Öffentlich erflärte Maitreffe ſchien Friedrich I.
ein nothwenbiger Theil der Etikette eines Königlichen Hofes im
Geiſte Ludwigs XIV. zu fein, obwohl er felbft von Natur
durchaus nicht zu Ausfchweifungen dee Art geneigt war, übris
gend auch vermöge feiner firengreligiöfen Grunbfäge ſehr auf
Sittlicpkeit an feinem Hofe hielt und ſelbſt feiner Bamilie keine
Unregelmaͤßigkeiten nacfah. &o wurde denn bie Brau bed
Srafen Wartenberg, Tochter eines Weinſchenken Rickers und
Wittwe' des ehemaligen Kammerbienerd Sidekap dazu erforen,
die Geliebte des Königs verzuftellen, eine Aufferft eitele und
hochfahrende Frau, weiche ihren Dann unbedingt beherrſchte.
Die Königin Sophie Charlotte, welche ihren Gemahl ge=
mau Tannte, war durchaus nicht eiferfüchtig auf die Gräfin,
befpöttelte nur die Schwaͤche ihres Gemapls und bie ihr uns
angenehme Wahl, die ex getroffen; inbefien war fie doch ges
aöthigt, die Wartenberg in ben engern Kreis ihrer Geſellſchaft
aufzunehmen, um durch bie Verwendung ber mächtigen Frau
Erlaubniß und Mittel zur Reife an ben Hof ihres Waters zu
erhalten. ° Sie rachte fi dann dadurch, daß fie die Gräfin
Öffentlich nur franzoͤfiſch anredete, was diefe, wie Jeder wuſſte,
nicht verſtand und ſie daher verlegen und in den Augen des
Hofe laͤcherlich machte ). Das ganze Verhältnig des Königs
und der Wartenberg befland darin, daß die Gräfin in ber
Daͤmmerung während bed Winters in einigen Zimmern, waͤh⸗
1) König IL ©. 808 f.
im Dal im Bern Kalender v. 3. 1822, ©. 281 f. Schon
. wor unf auf Beranlaffung ber damals noch Iebenben
Königin Goppie Charlotte barüber verhandelt worden 9
3) Pöllnig neue Nachrichten I. ©. 85.
Künfle 4117
rend des Sommers in einem Fleinen Garten des Schloſſes eine
Gtunde lang mit bein Könige aufe und abging. Auch bier
ſchmeichelte die Kunſt, wie ed damald gewöhnlich war, wo fie
zum Dienen herabgewuͤrdigt wurde. Schlüter ließ über ein
denſter des Portals, unter welchem der Eingang in das Zim⸗
mer war, in welchem ſich der König mit der Gräfin Warten⸗
berg aufzuhalten pflegte, ein Basrelief fegen; Venus rubet
auf einem entfchlafenen Löwen und hält in der Linken ‚die
Seule des Herkules, mit der Cupido fpielt ?). .
Unter den „zahlreichen Gebäuden, welche bie Ernnerms
an die Prachtliebe des Fürften und ben Geſchmack feiner Baus
meter und übrigen Kuͤnſtler lange erhalten werden, ragen
des von Nering (1695) begonnene, von Johann de Bodt,
eintm franzöfifcyen Auswanderer, im I. 1706 vollendete Zeugs
haus und das im J. 1699 von Gchter großartig angefans
gene und großentheild ausgeführte, dann von beffen Neben
buhler Eofander von Goͤthe unharmonifh und weniger ſchoͤn
vollendete koͤnigliche Schloß in Berlin hervor, an deſſen eine
gegen daB jetzige Mufeum hin freiftehende Ede ein 500
Fuß hoher Thurm zur Waſſerkunſt erbaut werben folte, ber
aber, weil ber alte Grund zu ſchwach war, vor der Wollen
dung abgebrochen werben muflte (1706), was Schluͤters Feinde
benutzten, um ihn zu flänyen 9). Der weitere Ausbau ber
neuen Stadttheile Berlins, ſowie mehrerer Luffäläffer und
der Stadt Potsdam wurbe thätig fortgefeht ). -
Unter den vielen Kunſtwerken fleht als noch undbertrefs
fened Meifterwert allen anderen voran die eherne Reiterftatue
des großen Kurfüsften, welche ber König nach Schlüter Ans
gaben und Mobelle von Jacobi gieſſen und unter großen Feier⸗
1) Die Gräfin Wartenberg, von Ricolai, in ber neuen Berliner
Nonateſchrift v. I. 179, Ip. 2. ©. 417. Das Batrelief war 1799
ach am derfeiben Stelle. Gegen Pöllnig Aufferte ſich der König ſelbſt
über fein Verhaltniß zur Wartenberg. S. deff. neue Radjrichten, I. & 15.
9 ©. die Unterfuhungs: Protokolle in ben Denkwürbigkeiten ber
Mark Brandenburg x. I. v. 3,17%, ©. 479,.3p. IL ©. 810, usb
über Gchlüter befonders Nicolai a. a. D. vierter Anhang, ©. 74.
8) Ueber die Erweiterung unb Berfhönerung Berlins auffer Ri«
colai und Mila, Wilken im Berliner Kalender v. 1822.
118 Bud V. Bweites Hauptſtuͤck.
Kcpkeiten, wie fie bei der Auſſtellung ber Bildſaͤule Ludwigs
XIV. in Paris beobachtet worben waren '), auf ber von ihm
in Nachahmung des PontsNeuf in Paris erbaueten fogenanns
ten langen Bruͤde über die Spree (1703) aufftellen ließ”).
Unterdeffen rüftete Defterreich und Frankreich mit aler Macht
zur GEreingung und Behauptung ber fpanifchen Staaten. Lud⸗
wig XIV. hatte das Teſtament Karls IL für feinen Enkel, den
Herzog von Anjou, ald König Philipp V. nach reiflicher Ueber⸗
legung angenommen, hauptfaͤchlich weil der Krieg jedenfalls
wäre unb ex diefen lieber um die ganze fpanifche
Monarchie und deren Nebenländer, als um nur einen Theil
derfelben führen wollte. Die Spanier nahmen Philipp an,
die Befehlshaber in Skilien, Neapel und Mailand gehorchten
ihm, der Herzog von Savoyen gab bem franzöfiichen Heere
unter Gatinat freien Durchzug und 8000 Mann Hülfstruppen,
der Herzog von Mantua nahm die Franzoſen auf, die Übrigen
Mächte Italiens ſchwankten, Tonnten zu keinem gemeinfamen
Entſchluſſe kommen und blieben parteilos. Gin zweites franz
zoͤſiſches Heer unter Villeroi zog ſich am Oberrheine, ein drittes
unter Boufflers gegen bie ſpaniſchen Niederlande zuſammen. Dies
fan übergab der vom Kaifer vernachlaͤſſigte und gekraͤnkte, daher
von Ludwig XIV. leicht gewonnene Kurfinſt von Baiern, als
Statthalter derfelben, das Land und die Feſtungen und warb
mit franzöfiichem Gelbe ein Heer in Baiern ’). Auch fein
Bruder, ber Kurfürſt von Köln, ohne Rüdficht barauf, was
der Kalfer für, Ludwig ZIV. aber gegen feine Erwählung ges
than, ſchlug ſich dennoch auf die Seite der Franzoſen, ruſtete
. mit von ihnen erhaltenen Hülfsgelbern für fie am Niederrheine
1) Theatr. Europ. XVL p. 248. Gütther ©. 207. Auch die
vier Gefangenen gu ben Füßen des Roſſes waren nicht vergeffen, über deren
duch die Mappen feiner Feinde bei der Gtatue Ludwigs XIV.
ſich der Kaiſer fo ſehr befhtwerte. Wagner T. II. p. 62.
9 Pblinig Memoiren L ©. 10 u. 12.
8) Bermöge Vertrags d. 9. März 1701 folte er 15,000 Marm flellen
für monattich 40,000 Ihie. And) Köln erhielt Subſidien. Im Bertrage
bei Martens, Recueil Supplem. T, L p. CXI ſteht nichts davon,
wohl aber in bem meuerbings erfäjlenenen, wegen wieler archivallſchen Rache
an Memeires militaires rölatite & la suoosssion d’Espagne
Spanifher Erbfolgekrieg. 119
unb übergab ihnen, nachdem fie Seldern befegt hatten, als
„burgunbifchen Kreiötruppen”(!) feine Seflungen, damit fie nicht Rovember
vom Hollänbern ober Deutfchen befegt wirrden ’). Der Herzog „1701
Anton Ulrih von Wolfenbüttel hatte im Bunde mit Frani.
reich durch gleiche Mittel 12,000 Mann, der Herzog vom
Gotha 6,000. Mann aufgeſtellt. Diefe follten insgefammt auf
28,000 Mann gebracht und von einem franzöfifcyen Generale
befehligt werben ). Mit ihnen hatten, wie erwähnt, mehrere
Landesherren, welche gegen bie neunte Kur waren, einen rs
Benverein abgeſchloſſen und Frankreich ihnen Hülfe als zur
Behauptung Ihres —* zugeſagt. Die Hauptabficht Lud⸗
Br
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Beiſtand dem ‚Haufe Defterreich zu
fich auch ſchon der ſchwaͤbiſche und
und 14,000 Dann ausgerüſtet; bie
baierifche wollten zutreten®). Lud⸗
Fuͤrſt, welcher bie Proteflanten in feinen
druͤckte und verfolgte, erbot ſich gegen bie
Reichöfftrften, ihnen Beiſtand gegen Defterreich zu
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7
ebenſo der König von Dänemark,
1) M&motres mülitsires L p. 141.
2) Mömeires militzires L p. 659.
S) Lamberty L p. 422 u. 439. La Lande histoire de ’Em-,
4) Lamberty L p. 688. Gr verlangte für 8000 WMann vom
Kaiſer ein Städ von Schlefien, weiches jaͤhrlich 40,000 Thlr. träge. Der
180 Bud V. Zweites Hauptftäd.
Boheen bie autgebehnten un Alan unb eflae gang
angelegten Entwürfe Lubwigs XIV. vollflänbig gelungen
würbe der Kaifer nicht mur Feine Hllfe vom Reiche —
haben, ſondern auch noch von den am heine, in Niederſach⸗
fen und Baiern bis auf 109,000 Mann 'gebrachten Zruppen
der mit Frankreich verbi Sürften vielleicht bebrohet und
bald gezwungen worben fein, auf bie Hoffnung zu verzichten,
auch nur einen Theil der ſpaniſchen Erbſchaft zu erhalten.
Auffer dem Kaifer hatten faſt alle europaͤiſche Fuͤrſten
Philipp V. als König von Spanien anerfannt. Indeſſen war
Leopold gleich anfangs entfchloffen, es auf das Aeußerſte ans
kommen zu laffen. Ex ſchickte 30,000 Mann unter dem Prin
zen Eugen von Savoyen über bie Alpen, andere Truppen an
den Rhein und arbeitete thätig daran, ſich Verbuͤndete zu vers
ſchaffen. Es gelang ihm auch zuerft durch Wilhelms IN. von
England und König Friedrichs in Preuffen Wermittelung und
durch höhere Subjidien und Verſprechungen, als Frankreich
bot, vom Könige von Daͤnemark 8000 Mann, ſpaͤter bis auf
20,000 Mann zu erhalten‘), dann mit dem gegen Ludwig XIV.
immer feindlich gefinnten Könige Wilhelm II. und den von
dieſem geleiteten und durch die —2— ne Bekiend
7. Seyt. an ihren Grenzen bedroheten Hollaͤnl
1701 Haag abzuſchlieſſen, in welchem ihm (m — Bei
friedlichen Wege zu verfhaffende Genugtpuung für feine Ans
ſpruͤche auf die fpanifche Monarchie zugefagt wurde ). Den:
noch wuͤrde der Kaifer dadurch ſchwerlich wefentlichen und noch
weniger hinreichenden Beiftand erhalten. haben, wenn nicht
nach dem Tode Jakobs IL Ludwig XIV. aufgebracht über
Wilhelms Buͤndniß mit dem Kaifer und weil er es dem flers
benden Verbannten verfprochen, deſſen gleichnamigen als Präs
tenbenten bekannten Sohn als König von Großbritannien ans
erfannt hätte. Das neigte die engüſche, aufferdem zur Weis
behaltung des Friedens geneigte Nation, welche nun erbittert
Kaifee wollte nicht, bot aber 600,000 Thlr. ſogleich und monatlich
100,000 Thix. für 24,000 Mann. Gin wahrer Menſchenhaudel.
1) Hoyer J. ©. 444. “
2) Dumont VIIL 2 p. 89.
Bändniffe und Rüftungen. \ 121
über daS für fie eben fo beleibigende als unrechtliche Verfahren
Ludwigs gegen ihren von ihm früher fon anerkannten König
dieſen Präftig gegen Frankreich unterflühte und fo erſt das große
Bindniß gegen daſſelbe wirffam machte.
In Deutſchland hatte fogleich mit Annäherung der Fran⸗
dofen der Kurfurſt von der Pfalz 10,000, König Friedrich,
vermöge feiner Verträge mit dem Kaifer, 7000 Mann an ben
Rein geſchict und biefe nach und nach verftärkt, wodurch es
möglich wurde auf Werlangen des Domcapitels, gegen ben
Bilen des Kurfünften, die Stadt Köln durch eine Beſatzung
von preuffifchen, münfterfhen und pfaͤtziſchen Truppen gegen
Durch beſondern
Der König wuͤrde ſogleich jetzt und dann im Laufe des
Kriegs noch mehr als er ſchuldig war fir den Kaiſer gethan
und ſich der Sache gegen Frankreich mit noch größerem Eifer
angenommen haben, wenn er nicht fortwährend durch fehr
edlen Urfachen daran wäre gehindert, entmuthigt und
veftinmmt wosben. Gleich anfangs hegte er, nicht ohne Grund,
Beforgniffe vor Karl XI. und Bam zugleich in Berlegenheit
durh die Rüflungen Anton Ulrichs von Wolfenbüttel, und
fa die fo zerſtuͤkelten Provinzen feiner Monardie zu —8
dat im Dften und Weſten hoͤchlichſt gefaͤhrdet. Er ruͤſtete da⸗
ber mit aller Macht um fein ‚Heer von 30 auf 40,000 Mann
der Grenzen, in allen Provinzen eine Landmiliz aller waffen
fähigen Vannſchaft vom 18. bis zum 40. Jahre, welche jeden
Sonntag Kriegsübungen anftellte, obgleich dagegen die Geiſt⸗
lichen den Kanzeln eiferten, weil der Sonntag nicht dem
Knige fondern Gott gehöre”).
Um bie lebhaften — zu beſeitigen, welche fin ben
1) Dumont VII. 1. p. 96. Der hat bie Separatartikel, welche
fd Lamberty XL p. er fehlen. Die porhergegangenen Verbands
fangen ſ. bei Lamberty il. p. 49 ff.
2) Königs Berlin II, ©. 111 u. 189. Welche drüdende Masß ⸗
tegtin zur MWermehrung bed Heeres getroffen wurden, zeigt Baczko
Sriciihte Preuffens Bb. VI. ©. 815.
12 Bud V. Zweites Hauptſtae.
Kaifer, Hannover und für Friedrich I. aus ben kriegeriſchen
Anſialten Anton Ulrichs von Wolfenbüttel entfprangen, der
zwar gemeinſchaftlich mit feinem ſchwachen Bruber Rudolf Aus
guft regierte, in der That aber Alles allein leitete, drang Fried»
rich L abwohl vergeblich in ihn, feine Truppen dam Sal au
überloffen, ber feinerfeits mit gleich geringem
Herzog Georg Rubolf mit der Acht zu ſchrecken und den Fi
ton Ulrich gaͤmlich von der Regierung auszufhliehien ſuchte h.
AB ale friebligen Mittel erichdpft waren und bie Gefahr für
Norbdeutfchlend immer höher flieg, wurde zur Gewalt geſchrit⸗
ten. Limeburgiſche umb hannoͤveriſche Truppen überfielen plögs
Apel lich in der Nacht die in den Bainterquatieren befindlichen zer⸗
1702 Apeueten molfenbättelfchen, — fih aller Städte und
vieler ber geworbenen Soͤldner. Der Herzog Anton Ulrich
flüchtete nach Gotha, fein faſt gefangen gehaltener Bruder
muffte ſich fügen und auſſer 3500 Mann Truppen die er be
halten durfte die übrigen dem Kaiſer uͤberlaſſen. Die vom
Herzoge von Sachſen ⸗Gotha geworbenen 6000 Mann nahm
Sriebrich K in feine Dienke*), auch der Kurfürſt von Sachfen
. batte endlich dem Kaifer 8000 Wann zugeſagt; fomit waren
die Beſorgniſſe vor weiteren, Unsuhen in Norddeutſchland vor⸗
laͤufig befeitigt. Auch die Kreife in Oberdeutſchland auffer dem
baierifchen wurben nach und nad für ben Kaifer geivonnen,
fo indgefammt das Reich fir ihn geffimmt unb von dieſem
bann der Krieg an Frankreich erklaͤrt.
Noch drobender als bie braunſchweigiſchen Bewegungen
war der Unmile, welden Karl XH. darüber bezeigte, daß
Friiedrich I. dem Kurfürften Auguft Beiſtand zur Vertheidigung
f Friedrich
rief dieſe zwar ſogleich zur ®) und ſuchte dadurch Karl XIT.
zu befänftigen, ging auch bie Seemaͤchte an, ben nordiſchen
1) Hoyer L S. 68. Wagner vita Leopoldi T., p 644.
Lamberty IL p. 106.
—S Friedrich entſchuldigte ſich mit
ber Rothwendigkeit fein —— wu — —B ——
8) Lamberty I. p. 521. Fe L. 7. sn.
Kari XU, 123
fdwigtigen, ja fie fchloffen fogar einen geheimen Vertrag, den 12, Zau
nordifchen Krieg gu verhindern *); doch wirkte alles bas wenig 1701
auf den eifernen Karl, welcher nun einmal beſchloſſen hatte,
Anguf, welcher (9. März 1701) ein neues Bänbnig mit Pes
tee L’gegen ihm gefchloffen hatte, vom Throne zu floßen, was
Sriebrich I. fehr ungern fah. Friedrichs L Beſorgniſſe waren
uch im J. 1702 fo groß, daß er Zruppen nah Preufien
rüden ließ. Da blieb ber von Frankreich gewonnene Herzog
von ‚Holftein (19. Juli 1702) in ber Schlacht bei liffew.
Sal XIL übernahm die Obervormundfcheft über deſſen uns
mindigen Sohn, feinen Neffen, und gerieth dadurch in neuen
Eheit mit Dänemark’). Man vermieb fo ängfllich, Schwe⸗
den zu beleidigen, baß bie zu ben Füßen ber Statue des gros
ben Kurfürfien befindlichen damals vorläufig aus Gips gefers
figten gefeffelten Sklaven fogleich weggenommen wırden, als
die in Berlin befindliche Gemahlin des bei Karl XII. fo eins
Äofreichen Minifterd Piper darin eine verlegende Anfpielung
af die Schlacht bei Fehrbellin finden wollte. Erſt jetzt ges
lang es endlich ben vereinigten Bemühungen der Seemaͤchte,
6 die Streitigkeiten mit. Dimemark vermittelt und, weil 29. Iuli
Kal XI. gern Zriedrich I. vom Könige Auguft trennen wollte, 1703
im Haag die älteren Buͤndniſſe zwiſchen Schweden und Bran⸗
denburg erneuert wurben. Beide Fuͤrſten gewährleifteten eins
ander ihre Staaten, verſprachen bie echte ber Proteflanten
mn in Polen aufrecht zu erhalten und daß feiner bie
deinde des andern unterſtuͤten oder auch nur freien Bug durch
feine Länder geſtatten wolle. Karl erkannte zugleich ben Ks
nigetitel Friedrichs I. an, wogegen diefer fi) insgeheim vers
pichtete, die Republik Polen, im Fall fie an dem von Aus
Huf gegen Schweden erregten Krieg Theil nehmen wolle, nicht
in unterflügen (wozu er eigentlich vermöge des welauer und
bromberger Vertrags verbunden war). Priebri übernahm
1) Hoyer 1. &. 60. Der Vertrag bei Dumont VIL 2, p. 484,
d. 12 Sul 1701, hat nichts davon.
9 Hoyırl.@&. 6%
124 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck. .
auch bie Gewaͤhrleiſtung beffen, was für -Holftein-Gottorp mit
Daͤnemark vertragen worben ). Wahrſcheinlich willigte er
auch, weil Karl XI. durchaus darauf beftand, unter der Hand,
in bie Abfegung des abermals in der Schlacht bei Pultusk ges
ſchlagenen Auguft.
Diefer geheime Vertrag erregte großes Miötrauen bei den
Verbimbeten Friedrichs, vorzüglich bei Auguft und Peter I.
Des Zaaren Gefandter befcpwerte ſich fogar offen darüber, weil
der. König verſprochen, mit Schweden Feinen Vertrag zu ſchlieſ⸗
fen, wurde indeffen durch die Verficherung beruhigt, diefer ber
treffe nur die Anerkennung der koͤniglichen Würde‘). Seit
dem war Friedrich L weſentlich in gutem Vernehmen mit Karl
und vereinigte fi mit dieſem nach einigen Jahren, wie wir
fpäter fehen werden, noch genauer. ‘
Auf der andern Seite aber kam Friedrich I. gleich anfangs
in eine fehe unangenehme Spannung mit ben Generalfaaten.
König Wilhelm II. hatte uneingedenk beffen, was das Haus
Brandenburg Au ihn gethan und gegen fein dieſem gegebenes
Verſprechen in feinem Xeflamente (vom 18. Detober 1695)
fehr geheim ) alle älteren Teftamente aufgehoben und den En⸗
kel der jüngeren Schweſter feines Vaters, den ummimdigen
Prinzen Johann Wilhelm Frifo von Naflau Diet (geb. 1687)
zu feinem Erben eingefegt, während ſich Friedrich L, dem daB
1) Lamberty Il. p. 679. Der Vertrag ſelbſt bei Nordberg
T. II. N. 79, daraus bei Mertens Supplem. T. I. p. 26. Ginzelne
Autitel Zaluski epist. T. IIL p. 553 unb ber untergeſchobene Vertrag,
Lamberty II. 383, worin, baß ſich Friebrich für Gtanislaus und
Polen ben Krieg erklären follte. Doch ftimmte ber preuffiiche Gefandte
mit dem hannöverifhen bei, als ber ſchwediſche bie Nothwendigkeit der
Abfegung Augufts darlegte. Lamberty'IH. p. 342. Grft im Jebruar
1707 erkannte Friedrich I. den Gtarislaus förmlich als König an.
2) Lamberty II. p. 679 u. 683. Theater. Europ. XVI. p.250.
Roch im I. 1705 war ber Inhalt fo geheim, daß man glaubte, Fried⸗
rich habe barin feinem Kronprimen bie Schweſter Karls XII zugefichert
und ſich das polniſche Preuffen abtreten Laffen, was ber Primas Öffentlich
behauptete, obwohl Preuſſen widerſprach. Lamberty II. p. 630.
3) Der Graf CEhriſtoph von Dohna war hauptfählih um Wils
beim IIL. gu bewegen fein Zeftament zu machen, nad) England geſchict
werben, doch wie man nachher fah, zu ſpaͤt. Mämoires p. 219,
Dranifhe Erbſchaft. 125
ganz unbekannt ed als Sohn der Altern Schweſter, als
äinzigen rechtmäßigen Erben betrachtete, gleich nach bem Tode
—F Wilhelms (fl. 19. März 1702) von ben Generalſtaaten
die Einweifung in bie Exbgüter verlangte und bie Graffchaft
Eingen in Befig genommen ’). Mit welchem Unwillen muffte
& ihn num nicht erfüllen, als das Zeflament (9. Mai 1702)
eöffnet wurde. Er hatte ſich ſchon dadurch beleidigt gefühlt,
daß bie Generalſtaaten ihm ben Herzog von Mariborough als
Befehlöhaber ihrer Truppen (freilid fehr mit Recht) vorgezo⸗
gen hatten ?), aufferdem waren fie fowie bad Volk mehr für
den Prinzen Wilhelm Friſo, ald für den König, in deſſen,
ds eines maͤchtigen Fuͤrſten Händen, fie natuͤrlich ſehr ungern
die, auſſer dem von Ludwig XIV. weggenommenen Füuͤrften⸗
thume Drange im füblichen Frankreich, durch bie geſammten
Niederlande zerſtreueten mannichfaltigen und fehr bedeutenden
Ebſtucke des Hauſes Dranien gefehen hätten. Für einen Mit⸗
Ir war Preuffen zu angefehen und einen Herm wollten fie
Die Verhaͤltniſſe der fehr verſchiedenen nach Wilhelms III.
Zde zur oraniſchen Erbſchaft, wie man fie nannte, gehörigen
Giter und Gerechtfame waren zum großen Theile fo ungewiß
ud venwidelt, daß man im Allgemeinen 'gar nicht. und oft
in Eingelnen kaum über deren Beſchaffenheit und bie Rechte
deienigen entfcheiden konnte, welche Anfprliche darauf erhoben.
& waren Familienteſtamente vorhanden, welde einander, es
waren im Laufe der Zeit von ben Beſitzern Verfügungen ges
ttffen worben, welche ben Zeflamenten wiberfprachen. Cine
war, welde Güter zum gamilien sFideicommiffe
hörten und welche nicht. Friedrich I. verlangte nun (14. Mai
1702) von ben Generalftaaten ald Teſtamenlsvollſtreckern die
Rımmung berfelben und Ausantwortung ber ihm durch ditere
1) Im Theatr. Europ. XVI. p. 732. Dann bei Lamberty
1860. XII. p. 52. 268. XIN. 34. XIV. 121. 210. 245 u. ſ. w. findet
Dan ausführliche Debuctionen, die ben ungemein verwidelten Gegenftanb
Steffen. —* Hatte bereits als König Wahelm IIL fid) feinem
Ge yur Weflgergreifung von Meurd und Bingen
2) Mömoires militeires T. II. p. 69. Bergl. Lamberty IIL.p.24.
126 Buch V. Bweites Hauptfläd.
Teſtamente feiner Meinung nach zuftehenden Foekonmisgtt,
ſowie die von Friedrich‘ Heinrich, feinem mltterlihen Groß⸗
vater herſtammenden Juwelen und Geräthe, ferner Meurs als
füon feinen Vorfahren gehörige von Motig von Dranien uns
rechtmäßig beſeſſenes Lehn von Clebe, und Lingen, weil das
zum Reiche gehöre, welches im weftfälifchen Frieden Branden⸗
burgs Bechte anerkannt, weshalb er Beſitz ergriffen und fich
habe huldigen laſſen. Die Generalſtaaten beklagten den Zwiſt
und wollten, daß vorläufig Alles bliebe, wie es beim Tode
Wilhelmd IB. geweſen, womit ber Koͤnig zufrieden war, aber
vorher bie Außlieferung der von ben Holldndern befehten Bes
ſtung Meurd verlangte. Nur bie Theilung bee Juwelen und
des Hausgeraͤths wurbe jest (1702) bewirkt.
Darauf ließ fid der König mit der zum Reihe gehörigen
Grafſchaft Montfort belehnen und nahm fie in Bells. Die
Irrungen wurden von Jahr zu Jahr ſtaͤrker und broheten von
ſchriftũchen Auseiranderfegungen zu gewaltthaͤtigen Aeufſerungen
uͤberzugehen, da immer mehr Beſchwerden uͤber Eigenmaͤch⸗
tigkeiten des Konigs laut worden, der in Crevelt ein neues
Gericht für die Graffpaft Meurs eingeſetzt hatte, in Sennep
- einen Bol für fich erhob und fich ſeinerſeits wegen einer Dienge
von vereinzelten Beeintraͤchtigungen durch bie Bereralflaaten
fr unrechtmäßigerweife ſehr verlegt hielt). ine Dents
ſchrift folgte ſchnell ber andern und rief neue Gegenſchriften
hervor. Der König legte endlich (1706) einen letzten Entwunf
zum frieblichen Abkommen vor, verndge deſſen auf ſeinen Ans
theil 233,874, auf den des Prinzen 261,917 Floren, alfo der
größere Theil, jährliche Einkünfte kommen ſollte, auch die uͤbri⸗
gen Puncte waren ſo, man kann ſagen, uneigen⸗
io von ihm beantragt, daß man erflaunen muffte, als bie
Mutter des Prinzen jeden Vorſchlag ablehnte und dabei bes
barrte, es folle Alles bis zu deſſen Großjaͤhrigkeit im damaligen
Zuſtande bleiben. Der König war darlıber hoͤchſt unzufrieden.
Neue —— klagten gegenfeitig an und reizten beide
Theile auf. Briebrich I erhielt darauf (1707) vom Reihe bie
Belehnung wit der zum Fuͤrſtenthume erhobenen Gxaffchaft
4) Lamberty IT. p. 860.
Oraniſche Erbſchaft. . 127
Mans und auch bie Hersfhaften Heerſtall und
wurden ihm zugefprochen. So bauerte die Spannung, wurbe
me für Augenblide beſchwichtigt und dinderte das "während
des Kiegs fo wichtige innige Einverflänbnig Friedrichs L mit
Wenn nun bei ben lange ungewiſſen, dann nur auf kurze
det einigermaßen geficherten —— zu Schweden im
aa er De en a den Holluindern im
=
E
en, was ben jungen emporfiwebenben State noͤthig war,
en
7525
Il |
fich
janzmaßregeln nicht —ð wieder füllen. So
an Sparfemteit ci ae an eine ordentliche Staates
1) Lamberty II, p. 126.
128 Bud V. Zweites Hauptfläd.
einzugreifen und bie fir feinen Staat wichtigen Intereflen zu
verfolgen. °
Daher, um bei dem oft druͤkenden Mangel auf jede
Weiſe Geld zu erhalten, . die nicht im Intereſſe des Staats
fondern der Finanzen nothwendigen, immer uhfangreihern
Subfidienverträge mit anderen Mächten zur Stellung einer von
. Iahr zu Jahr geößern Anzahl von Truppen, baher bei den
Verhandlungen barüber nur noch ein Zeilfchen um höhere
Summen, oder um Zahlung von Rüdftänden bis zur Ent⸗
ſchaͤtigung für das Agio der bedungenen Gelbforten, das Her⸗
vorſuchen aler möglichen kleinen Anfprüche, um daher unbes
deutende Boitheile zu erreichen; bei jeber Vertheilung ber Wins
terquartiere Beſchwerden, dann allerhand mehr ober weniger
begründete Foderungen ber mannichfachften Art’). Es if
nicht Habſucht des fo freigebigen Fürften, fondern das immer
dringendere Beblirfniß nach Gelb, was aus biefem erfahren
fpricht ; dann erwacht von Zeit zu Zeit fein fo reizbares Selbſt⸗
gehuͤhl, er empfindet eine Weleibigung boppelt als Känig*),
was er Überall geltenb macht, er weiß recht gut, wie viel auf
ihn, auf feine Truppen ankommt; er befieplt ihnen plöglich
‚Halt zu machen, ex brohet, fie zurkdzurufen, dann ſchmeicheln
Marlborongh und Eugen feiner Eitelfeit, dann wenden ſich
die Falten Hollaͤnder an fein deutſches Herz, an fein Ehrge⸗
fühl und nie. vergeblich! und auch hierbei wird wieder das
Intereſſe des eigenen Staats hintangeſetzt).
Man ficht daraus, wie gewöhnliche und edlere Richtungen
der, Fürften dem Staate nachtheilig werben Tonnen, wenn fie
mit zu vieler Schwäche gepaart find. Doch kannte er die Ins
tereſſen ſeines Staats recht gut und hätte ſich gleich anfangs
S*—2n Lamberty IL. p. 297.
9) Gore’s Erben Marlboroughs Ws. L ©. 181 u. 829. Lam-
berty IL p. 405.
8) Rach der Eroberung vom Katferswerth wollte Bruriborough, über
die Maas gehen, bie Preuffen aber hatten befondere Befehle, wie lange
fie im Felde bleiben folltenz das wurbe aufgehoben gegen das Verſprechen,
die Königin von England wolle baffelbe Geremoniel, welches für andere
gekroͤnte Häupter im Gebrauche, auch für Friedrich I. einführen. Darüber
verftrichen vierzehn Tage. Gore’s Marlborough L ©. 188
Kaifersmwerth. Rheinberg. Geldern. 129
gem freien Handel mit Frankreich während bed Kriegs und
Entfhddigungen für Berlufte im Cleveſchen ausbebungen, wenn
die Verbündeten es zugegeben '). Als bie Holländer ihm Nach⸗
richt von ihrer gegen Frankreich erlaſſenen Kriegderflärung gas
bem und verlangten, aud er fole nun den Krieg erklären,
weigerte er fich, weil dad Cleveſche noch von ben Franzofen
befeßt und zu ihrer Vertreibung Peine Ausſicht ſei ). Unters
deſſen hatte der Krieg bereit feinen Anfang genommen.
Am Rieberrheine wurde von den Werbimbdeten, vorzüglich 1702
den Holländern und den 20 Bataillonen und 15 Schwadro⸗
nen Preuffen unter General Heyde, während der General
Sof Lottum die 5000 Mann im Solde der Seemaͤchte abs
geſondert befehligte, Kaiferäwerth mit großem Verluſte ange Mitte Apr.
Fiften, da es die Franzoſen zwei Monate hindurch fehr tapfer
Vertheibigten, weshalb bei dem Mangel an Munition bereits
an die Aufhebung der Belagerung gedacht wurbe. Gluͤcklicher⸗
weile befand fich ber König eben in Cleve, ließ fogleich alles
Rhige liefern und erfyarte, wie fid ein waderer Kriegsmann
adrüdt, feinen Waffen beim Beginne des Feldzugs dieſe
Blame *). Doc) wurde bie Feftung erfi als Steinhaufen von 18. Zuni
den Franzoſen übergeben. Dann eroberte Marlborough mit
tzatigem Antheile der Preuffen Venloo, Stephanswerth, Rure⸗
monde und Lüttich; der Kuͤrfürſt von Köln fluͤchtete nach Lu⸗
sembung. Rheinberg wurde eingefchloffen, bald barauf Bonn. 7. Febr.
Soufflers Hatte die außgebehnte Grenze mit unzureichender 1703
Rat nicht vertheidigen Lönnen und Geldern aufgegeben, um
Brabant zu retten. Rheinberg ergab ſich ben Preuffen nach
fir tapferer Wertheiigung, darauf an Marlborough Bonn,
20 Nagmer bie Preuſſen befehligte. Obgleich der Comman⸗ 14. Mai
dant von Rheinberg während der Belegung die Evangelifchen
zu Gunſten der Katholiken hart gebrüdt und beeinträchtigt
u Lamberty IL. p. 96. Gr wollte, daß ihm Geldern zugefichert
9) Lamberty XI. p. 19.
3) Ragmer in feinem Lehen von Schöning ©. 197. Die Preuffen
verloren 924 Mann, bie Holländer 1900 Mann. Die Memoires mili-
taires IE p. 69ff. geben ben Verluſt der Werbünbeten gar auf 9700 M. an.
Stengel Geſch. d. Preuffifch. Staats. HL. ‚ 9
130 Bud v. 8Sweites Hauptſtuͤc.
hatte, ſo wurde dieſen dennoch bei der Uebergabe Alles zuge⸗
fühert, was fie auch unrechtmaßig im Befige hatten ).
Unterbefien hatten die Preuffen allein unter Lottum feit
dem Monat April Gelbern eingefchloffen, welches fich bid zum
12. Dec. 12. Dec. hielt, dann von ihnen befeßt und zum großen Vers
1703 druſſe der Verbündeten behalten wurde). Während dem brang
eine franzoͤfiſche Armee unter Villars in Deutſchland ein, ver⸗
einigte fi mit dem Kurfürften von Baiern und zog bie Do⸗
nau hinab gegen den Markgrafen Ludwig von Baden und
den Faiferlihen General Styrum. Der Marquis b’Upffen
20. Sept. griff bei Höcflädt den General Styrum an und nöthigte ihn
zum Rüdzuge. Dann von Villars und dem Kurfürften vom
Baiem mit Uebermacht angegriffen ımb geſchlagen, zog er
fich mit Verluft alles Geſchuͤzes und Gepdds nach Nördlingen
zurüd. Bei diefem Rüdzuge erwarb ſich der junge Fuͤrſt Leo⸗
polb von Deffau, ber die vom Rheine zur Unterfiigung bed
Kaiferd nach Baiern geſchickten fünf Regimenter Preuſſen bes
fepligte, zuerſt großen Ruhm. in Sohn Johann Georgs
von Deffau und der Mutterfehwefter des Königs hatte fi ber
achtzehnjahrige Juͤngling als Dberſt eines brandenburgiſchen
Regiments zuerſt bei ber Belagerung von Namur (1695) bann
bei den Belagerungen von Kaiferswerth, Benloo, Ruremonde,
Stephanswerty und Bonn (1703) durch unermüdliche Thaͤ⸗
tigkeit und unbezwingbaren Muth ausgezeichnet. Der Sproffe
eined uralten Zürftenhaufes hatte er, gegen den Willen der ſtol⸗
‚ sen Mutter, feine Verheirathung mit einer Bürgerötochter durchs
gefeßt, die der Kaifer dann in den Reichsfürſtenſtand erhob.
- Bon ihr flammen die Heldenföhne Leopolds, welche mit ihrem
Vater unter drei Königen für Preuffen fo glorreich gefohten,
ihr Enkel, Franz von Deffau, dad Mufler eines deutſchen
Fuͤrſten und das noch jegt biähende Haus. Leopold war ein
rauher ſtrenger Kriegsmann, wie man fie damals brauchte, ber
ſelbſt viel Teiftete und viel vom Anderen foberte, ohne alle wiſ⸗
ſenſchaftliche Bildung, bie er daher verachtete, dufferlich eins
fach, derb bis zur Grobpeit, rauh dis zur Roheit und fo bem
1) Lamberty IL p. 415.
2) Lamberty II p. 45 vergl. Gütther S. 204
Leopold von Deffau Hoͤchſtaͤdt. 131
Oolhaten wert, dem er gleich, übrigens ſehr verfelagen, das
bei, wenn nicht im Angriffe von ſtuͤrmiſchen Muthe hingerifs
fen, wo es galt, in ber größeften Gefahr kalt, befonnen, feiner
maͤchtig, vol tuͤchtiger Einſicht in das Weſen des Kriegshands '
werks in welches er dann ſchoͤpferiſch eingriff.
Er hatte mit einigen brandenburgiſchen Bataillonen die
Franzofen angegriffen, welde, als fie biefe Truppen mit ges
ſchultertem Gewehre anrlıden fahen, ſich zuruͤkzogen. Als er
dann den Rüdzug Styrums zu deden Befehl erhielt, als bie
franzöfifche Reiterei ein baireuthiſches Kuͤraſſierregiment und elf
neufiiihde Schwadrone warf, er mit feinem Fußvolke nun
bloßgeftellt war und von allen Seiten angegriffen wurde, ba
galt es Faffung und Entfchloffenheit. Die franzöfifche Reites
tei, berichtet Billard felbft, durchbrach einen Theil des Nach
tabs, allein bie Übrigen Bataillone machten feſtgeſchloſſen je⸗
desmal, fo oft die Reiterei fie auch auf einem Rüdzuge von
beinahe drei Wegftunden gegen einen Wald hin angtiff, ein fo
furchtbares Feuer, daß fie nicht ein einzige Mal durchbrochen
werben Tonnten und von ihr endlich nur noch begleitet wurden.
Erft als noch Infanterie und Geſchuͤtz dazu kam, war es mögs
fi, die Preuffen in Unordnung zu bringen, worauf fie nicht
ohne Verluſt den Bald erreichten, wobei der General Natzmer
mit 900 Preuffen gefangen ’),, die übrige Armee größtens
theils gerettet wurde. Dies war naͤchſt der Zapferkeit und
feſten Haltung der Truppen bie Folge der einfichtövollen Ans
nungen keopolds, weicher feine Grenabierbataillone an bie
dlanke der übrigen fo aufftellte, daß er dieſe dedte und daß
et fpaniifche Reiter jedesmal vor die bedrohete Fronte ſetzen ließ.
Vohl zehnmal muſſte fo der feindlichen Meiterei die Stirn ges
boten werben. Alles gefchah wie auf dem Uebungöplage und
egte, wie wir gefehen haben, felbft die laute Bewunderung
des außgezeichnete Einfiht und Tapferkeit gern anerkennenden
beften Feidherrn der franzoͤſiſchen Heese*). Hier lernte Leo⸗
pold die Schwaͤche der eigenen und felbft der weit beſſeren frans
1) Theatre, Europ. XVII. p. 105
9) Villers Mömolres I. p. 1185 fen Beridt au sd Lam-
berty IL p. 601. erg. Wagner vita Leopold I. T.II. p-696.
9*
.132 - Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
zoͤſiſchen Neiterei gegen tüͤchtiges Fußvolk einfehen, verachtete
jene wie allen Glanz, hielt ſich an dieſe und wurde der wahre
Schöpfer des preuſſiſchen Fußvolks, deren Anerkennung ſchon
damals die Eiferſucht der übrigen Truppen unter ben Ber:
bündeten erregte und zur Nacheiferung reiste‘).
1704 Im nächften Jahre ſtellte Friedrich I. nod 7000 Mann
mehr, ald im vergangenen und vermehrte auch feine Trup⸗
pen im Reiche auf 12,000 Mann, tiber welche Fürft Leopold
von Deffau den Oberbefehl erhielt ). Der Kurfürft von
Baiern vereinigte fich mit den Zranzofen unter Tallard und
Marfin. Mariborough unternahm zur Rettung Deſterreichs
feinen kuͤhnen Marſch aus Holland nach Baiern. Ludwig von
Baben belagerte Ingolftabt, während Maärlborough auf bem
linken, Eugen von Savoyen, unter welchem Leopold von Defz
fau auf dem vechten Flügel die vereinigten Baiern und Fran-
18. u. zoſen bei Hoͤchſtadt angriffen. Leopold überfchritt unter vers _
1704 heerendem Feuer ben vor ihm flieffenden Nebelbach, warf das
franzöfifche Fußvolk und eroberte mehrere Geſchuͤtze, ald bie
baieriſche Reiterei die der Verbimdeten unter dem Herzoge von
Wuͤrtemberg in ſchmaͤhliche Flucht zuruͤk warf, den Preuffen
in die Seite fiel, ihnen bie eroberten Kanonen wieder nahm
d fie zum Müdzuge zwang’). Vergeblich fehte fi ber
unerſchrockene Fürft mit den Preuffen auf 200 Schritte
ruͤckwaͤrts, nochmald mit großem Verluſte zurüdigeworfen, ſah
man ihn im bichteflen Gedränge, wie er durch Beifpiel und
Suruf die weichenden Truppen anhielt, baß fie fih nicht in
regellofer Flucht auflöften, worauf er die Bataillone geſchloſ⸗
fen in den Wald zurückführte. Ein zweiter Sturmangriff miß-
lang ebenfalls durch die Unentfchloffenheit der Reiterei der Ver⸗
bindeten, zum dritten Male wurden deren Reihen durchbrochen.
Eugen flog in Werzweiflung herbei, doch der Fürft Leopold
behauptete fi) mit unglaublicher Kalthlütigfeit, flelte die Drd⸗
numg wieder ber, führte bie Preuffen von Neuem zum Angriffe
vor und warf bie Franzoſen zurüd*). Eugen, ber fo gern
1) Säutenburgs Leben L. S. 129.
2) Theatr. Kurop. XVII. p. 105.
8) La Lande hist, de Charles VI. T. I. p. 478.
4) Gore's Markhorough U. ©. 26. Wagner IL. p. 778.
Sieg bei Hoͤchſtaͤdt. 133
das Berbienft Anderer anerkannte, ſchrieb darüber an den Rs
nig, daß die preuſſiſchen Truppen ein unfterbliches Lob vers
dient: „von welchem ich felbft Beuge bin, vorzüglich was bie
auf dem rechten Flügel geftandene Infanterie betrifft, deren
Dfficiere und Soldaten mit unerfchrodener Herzhaftigkeit ges
fohten und die feindlichen Angriffe etliche Stunden aufgehal
ten, biß endlich mit Gottes Hülfe, durch dad entfeßliche Feuer
gebachter Infanterie der Feind in eine ſolche Eonfufion gebracht
worben, daß er ihrer Bravour nicht länger zu widerfiehen ges
wufft, fondern in unglaublicher Confuſion die Flucht ergriffen.”
Vorzüglich hob er hervor: „die heidenmüthige Conduite bed Ges
nerald Fürften von Anhalt, ber auf keinerlei Weiſe feine Per:
fon geſchont oder vor einiger Gefahr ſich entfärbt, fondern im
Gegentheile mit großer Unerfchrodenpeit feine Leute in das
daͤrteſte Treffen geführt, bergefalt, daß man ihm die Sewin-
nung der vortrefflichen Wictorie zu feinem unfterblichen Nach⸗
tuhme großentheils zuzuſchreiben hat').“ Eugen bemerkte noch,
daß der Haß, welchen die Franzoſen gegen die Preuſſen zeig⸗
ten, viel zu der, wenn auch aͤuſſerſt vorfichtig geleiteten Hige
des Fürften und feiner Truppen beitrug.
Unterbeffen war ber gegen Ludwig XIV. wie gegen den
Kaifer treulofe Herzog von Savoyen wieder zu biefem uͤberge⸗
tretm und wurde von ben Branzofen hart gedrängt. Er muffte
Beiftand erhalten. Zugleich hatte Rakotzi den Krieg ber Unzufries
denen in Ungarn degen ben Kaifer erneuert. Man konnte nirgends
die fo nothwenbigen Truppen erhalten, als in Berlin. Doch der,
1) Defters gebruct, au) bei Lamberty IH. p. 105. Theatr.
Europ. XVII. p. 107. In einem andern Briefe (v. 19. Aug. 1704 an
den Grafen Gtrattmann, Werke I. ©. 131), von bem er ſicher nicht
vorausfah, daß er nad) 100 Jahren gebrudt werden würde, fagt er:
daß ihn in feinem Dienfteifer nichts mehr veigen koͤnne, als bas muſter⸗
bafte Beifpiel von Tapferkeit, weldes ber Fuͤrſt von Anhalt dem gefamms
ten Heere durch unbefchreiblichen Muth, Aufmerkfamkeit und Anftrengung
gegeben. „Ich habe, fährt ex fort, bie Ausbrüce bes Brührung nicht ges
funden, mit benen ich das ausgezeichnete hoͤchſt ſeltene Benehmen dieſes
Bürften zu rüßmen mich verbunden fand. Pir meine gange kriegeriſche
Saufbahn iſt biefer heiffe Tag am MWeforgniffen, aber auch an Grmun
terung unb Erhebung gleid merfwürdig, bie mir das fat unnachahmiliche
Beifpiel dieſes Bürften verfchafft." . ’
1A Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
wie wir gefehen haben, wegen ber norbifchen Angelegenheiten
immer noch heforgta') und noch mehr über daB Benehmen
ber ‚Holländer bei der oranifchen Erbſchaft aufgebrachte König
ſchien nicht zu gewinnen. Marlborough, ber eben fo gewanbte
Hofmann , ald tapfere und gefchidte Krieger begab ſich daher
November felbft nach Berlin und wuffte ben König fo geſchickt zu bes
1704 handeln, baß ihm: diefer für 300,000 Thaler Subſidien von
ben Seemächten, Unterftügung feiner Anſpruͤche auf Neufchatel
und Ballengin und Gewährleiftung der Sicherheit feiner Laͤn⸗
der während ber Eutfernung der Truppen, 8000 Mann auf
ein Jahr bewilligte*) und bie großen Anerbietungen, welche
Frankreich machte, um ihn vom Bunde zu trennen, fogleich
ablehnte ).
Leopold von Deflau führte dieſe Truppen unter Eugene
Dberbefehl nach Italien, während die übrigen unter dem Ges
nerale Arnim bei Marlborough blieben. Bei dem heftigen
16. Aug. Angriffe auf des Großpriors Vendome Lager bei Gaflano, als
1705 während bed fürdterlihen Gemetzels nach boppelter Berwuns
dung Eugens die Kaiferlihen den Muth verloren, zeigte Leos
polb eine verwegene, bis zur Tollkuͤhnheit gehende Zapferkeit,
indem er mit feinen Truppen durch. den Ritorto, einen -tiefen
mit Waffer gefüllten Kanal hindurch flürmte und ungeachtet
unerhörten Verluſts nicht eher abließ, als ihn Eugen felbft zus
therief. „Der Fuͤrſt von Anhalt, fehrieb diefer dem Herʒoge
von Marlborough, firengte ſich ebenſo an, wie bei Hoͤchſtaͤdt;
immer der Erſte im Feuer, wachſam auf alle Bewegungen und
1) Wie groß die Beſorgniſſe, Karl werde nach Sachſen gehen, im
3. 1705 ſelbſt bei dem mit Schweden eng verbündeten Luͤneburg waren,
weigt Lamberty IL. p. 464.
2) Lamberty II. p. 457 u. 342, wo er einen Auszug aus dem
Vertrage gibt, ben er v. 28. Det. 1704 batirt, was wohl 27. November
heiffen muß. Marlborough bei Gore I. ©. 116 ſchreibt v. N. Rod,
baß ber Vertrag eben unterzeichnet werben folle und feine Kutſche anges
ſpannt zur Abreife vor ber Thür ſtehe. Marlborough erhielt drei Pferde
unb einen Hut mit einer Agraffe 24,000 Ihlr. werth vom Könige ges
f@entt. Theatre. Europ. XVIT. p. 107. * ſelbſi Saat, Geſchente
von hohem Werthe erhalten ju haben, a. a. D.
8) Theatr. Europ. XVIL. p. 106.
Caffano. Zurin. Romillies. 135
immer jebem Erfoderniſſe nach ber Natur der Sache zuvor-
Tommend ')."
Gegen Ende des Jahres flieg des Königs Unzufriebenheit
mit den Holländern Über die oraniſche Erbſchaft unb bie fäus
mige Zahlung der Subfidienz ferner beklagte er fih, daß ihn
Kaiſer Iofeph, der feinem Water (feit 5. Mai 1705) gefolgt
war, ohne daß dies für die Verhältniffe der Eriegführenden
Mächte eine wefentliche Werhinderung bewirkt hätte, nicht mit
fo vieler Aufmerkſamkeit behandele, wie Leopold, Drei Regi-
menter hatte er ſchon vom Oberrheine zurüdgerufen, was bie
Generalſtaaten beforgt machte, andere Fürften würben baffelbe
tun. Nur die Alles gewinnende Perſoͤnlichkeit Marlboroughs,
der wieder felbft nach Berlin Fam, konnte ihn bewegen, bie
beflchenden Verträge zu verlängern und feine Zruppen noch
in Italien und Flandern zu laflen, wo fie ben Verbuͤndeten
fo hoͤchſt nöthig waren’).
Der Herzog von Savoyen konnte in feinem Berichte über
die Schlacht von Zurin, welche ihn aus der hödhften Bedraͤng⸗ 7. Seyt.
niß gerettet, die Tapferkeit der Preuffen nicht genug loben‘). 1706
„Der Finft von Anhalt, ſchrieb Eugen dem Grafen Sinzendorf,
hat mit feinen Zruppen bei Zurin abermald Wunder gewirkt.
Zweimal traf ich ihn im flärkfien Feuer felbft an ber Fronte
derfelben unb ich kann es nicht bergen, fie haben an Muth
und Ordnung bie meinigen weit übertroffen. Für die Bequem:
tichkeit folher Truppen muß man fo viel ald möglich forgen.
Die Preuffen verdienen es umd es iſt fein Preis zu hoch, wos
durch ich ihr Ausharren erfaufen Tann *).” Kurz vorher nah⸗ 28. Mai
men bie Preuffen, welche Lottum in Brabant befehligte, eh⸗
renvollen Theil an Marlboroughs großem Siege bei Romillies
über Billeroi.
1) Eugens Werke I. ©. 148. Sein Bericht bei Lamberty
ID. p. 506. Wagner vita Josephi p. 40.
2) Lamberty II. p. 785 u. 758. Gore's Marlborough Th. IL
©. 285 u. 319. Marlborough erhielt vom Könige einen mit Diamanten
reich befehten Degen.
3) Cein Schreiben an Friedrich L bei Lamberty IV. p. 171.
Wagner vita Josephi p. 9.
6 Batı II. ©. 19.
136 Bud V. Zweites Hauptftäd.
Neue Zwiſtigkeiten umter den Verbimdeten entftanben uͤber
das erledigte Bisthum Münfter, welches der Kaifer und ber
Papft ungerechterweife dem Biſchofe von Osnabrüd verſchaf⸗
fen wollten, während die Mehrzahl im Capitel nebft den Ge
neralftaaten, Preuffen und Pfalz fir ben Biſchof von Pader⸗
bom war. Friedrich L wurde darlıber auf ben Kaifer, und
dag man ihm die von ben Franzofen gemachten Zriebendans
träge verheimlicht hatte, auf die Verbuͤndeten überhaupt fo ers
zuͤnt, daß er, auch beforgt wegen ber norbifchen Berhältniffe
feine Truppen auf dem Marfhe nach dem Dberrheine Halt
machen ließ und fich ganz von den Verbündeten los fagen
wollte’). Wirklich gab ber Papft ber gerechten Sache bed
Biſchofs von Paderborn erft nad, ald die Generalftaaten ers
klaͤrten, den Bifchof von DOsnabrüd unter Feiner Bedingung
anerkennen zu wollen und ihren in Italien befindlihen Trup⸗
pen Befehl gaben, in ben Kirchenftaat einzurucken und Con⸗
tributionen zu erheben). Marlboroughs einnehmende Perföns
lichkeit wuſſte indeffen abermals Friedrichs I. Unzufriedenheit
1707 zu beſchwichtigen ). Ex trug weſentlich dazu bei, daß Karl XII.
in.Sachfen abgehalten wurde, ſich für Zrankreih gegen den
Kaiſer zu erflären, fich dagegen mit Preuffen enger verband,
feinen Weg gegen den Baar nahm, fo die gegen Frankreich
verbiindeten Mächte von ihren Beſorgniſſen befreiete und zus
gleich Friedrich I. den Gedanken aufgab, ſich ernftlicher in bie
norbifchen Verhaͤltniſſe einzulaffen. Seitdem nahm fi ber
König des Kriegs gegen Frankreich wieder eifriger an, vorzüg-
lich ſehr patriotiſch, als nach dem Tode Ludwigs von Baden
bei ber Uneinigfeit ber Befehlshaber des Reichäheers *) Villars
Mai in Schwaben eindrang und ber Baiferliche Hof faft nur daran
1707 dachte, bie gebrüdten Ungarn zu unterwerfen und ihrer Freis
1) Er -Magte auch über rüdftändige Subfibien und, daß eudwig von
Baden bie preuſſiſchen Zruppen umlommen laſſe. Lamberty IV.
p. 4 u. 56.
2) Lamberty IV. p. 187 u. 414.
3) Er ſchrieb am 4. Juni 1707 feiner Gemahlin: jett fei Briebrich 1.
ſo fehe für einen Ginfall in Frankreich geftimmt, baß ex ſchon verlangt
habe, das Fuͤrſtenthum Orange durch feine Truppen befegen zu laſſen.
4) Wagner vita Josephi p. 155.
Neufhatel 137
beit zu berauben, den Krieg gegen Frankreich aber von feinen
Verbimdeten allein führen zu laſſen). Die Generalftaaten,
welhe zu dem inbolenten Reichätage und dem traurig beſchaf⸗
fenen Reichöheere fein Wertrauen hatten, baten den König
dringend, ein hochherzigeß Beifpiel zu geben und Zruppen
nah Schwaben zu ſchicken. Sobald es das gemeinfchaftliche
Vaterland und die Ehre galt, war Friedrich I. ſogleich bereit,
Meinliche' Rüdficten aus ben Augen zu laffen®). Der Kurs
fürft von Hannover drängte an der Spige bed Reichäheers Vils
las über den Mhein zurld. .
Seht gelang es dem Könige auch zu feiner großen Freude feine
Anfprüce auf Neufchatel und Vallengin verwirklicht zu fehen.
As Lehen der alten Fürften von Chalons, deren Rechte durch
Bermählung der legten Erbin an dad Haus Dranien und fo an
Knig Wilhelm IN. von England gekommen waren, hatte biefer
fie im 3. 1694 an den damaligen Kurfürften Friedrich abge: -
treten, welcher ſich in feinen mehrfachen Verträgen mit anderen-
Nähten, vorzüglih mit England und den Generalftaaten,
diefe Anfprüiche zu ſichern fuchte. Als nun die bejahrte Bes
fgerin der Herefchaften, Maria von Orleans, Herzogin von
Nemours, ald Erbin ihres verftorbenen Bruders, des Herzogs
von Longuevilke, ihrem Tode nahe war (1706), hatte der Kurs
fürf den Grafen Ernft Metternich, feinen Gefandten in Res
gensburg, nach Bern geſchickt, wo berfelbe auch Theilnahme
fand. Nach dem Zode der Fürftin machte auffer vielen ande
tn vorzliglich der bereitö von feinem Schwiegervater, bem letz⸗
tn Herzoge von Longueville zum Erben eingefegte Prinz Lud⸗
wig Franz von Conty Anfprüche auf die Herrſchaften und
wurde von Ludwig XIV. unterftügt, während England und
die Generalftaaten, fowie im Algemeinen die angefeheneren
ſcweizer Gantone, welche ben mächtigen katholiſchen Nachbar
1) England warf-baher im 3. 1711 dem Kaifer vor, biefer habe in
Spanien auf -eigene Koften und im legten Jahre ein einziges Regiment
den 2000 Mann, (England dagegen von 1705—1711 56,000 Mann un:
uralten und über brei Millionen Thaler Subſidien mehr gezahlt, als es
verſprochen.
9) Sore's Marlborough II. ©. 15. Lamberty I IN. p. 49.
Berl. daſ. p. 4 u. VI. p. 87.
8. Rod.
1707
138 Bud V. Zweites Hauptftüd.
fuͤrchteten, für den proteſtantiſchen, entfernten und feine Bes
forgniffe erregenden und wohlwollenden Friedrich L waren.
Der franzöfiihe Reſident fegte Alles in Bewegung, verkündete
unausbleibliches Unglüd, ging felbft nach Neufcyatel und drohete,
als er hier die Stimmung der Einwohner fir Preuffen fand,
daß Fein Winkel der Erde fie vor dem Zorne feines Königs
fügen werde. Dagegen verfprachen ihnen die Seemächte kraͤf⸗
tigen Schug. Metternich war ebenfalls fehr thätig fir feinen
Herm und am 3. Novemb. 1707 erklärten als hoͤchſtes Tri⸗
bunal bie verfammelten Stände, von benen viele Einzelne
durch ihnen gewordene oder zugeficherte Begimftigungen ges
wonnen waren, bie Anfprüche Friedrichs I. zu beffen großer
Freude für bie gegrünbeteften, nahmen ihn als rechtmäßigen
erblihen Herrn unter der Bedingung, daß er ihre fämmtlichen
Breipeiten und Rechte beftätige, an und uͤbergaben deſſen Ge:
ſandten Metternich bie Regierung, welche biefer fogleich ald Statt-
halter übernahm und am folgenden Tage feinem Fürſten huldigen
lieg. Nur eine katholiſche Gemeinde weigerte fich, wurde aber durch
fünf Compagnien Landmiliz ebenfalls (25. Novemb.) zur Hulz
bigung bewogen. Seitdem befaß Friedrich dieſe Grafſchaften
als fouverainer Prinz von. Dranien, Neufchatel und Valengin.
Er beftätigte ihre Privilegien und erflärte, die Neutralität des
Landes erhalten zu wolen, was Lubwig XIV. nicht annahm,
vielmehr Kriegsvoͤlker abſchickte), um ben Prinzen von Gonty
zu unterftügen. Doc, die Schweizer widerfegten fi) deren
Einruͤcken und in feiner damals uͤbeln Lage muffte Frankreich
es vermeiden, fih nod mehr Feinde zu machen; es geſtand
fo wie die Werbimdeten Neufchatel die Neutralität zu?).
Neue Schwierigkeiten erhoben ſich wegen ber Truppenſtel⸗
1) 3u Ende bes Jahres 1708. Villars Mem. IL p. 494. La
Lande II. p. 289.
9 Peter v. Hohenhart (kudwig) preuſſiſches Neuburg.
‚Halle 1708. Ric. Hieron. Gundling hiſtoriſche Nachricht von der
Graffchaft Reufchatel. Frkf. u. keipz. (1708). Deffelben Erlauterung
bay. FIrkf. 1708. Ueber die Verſaſſung Sernoulli Beſchreibung bes
Bürftentpums Welſch · Reuendurg S. 415 ff. Vergl. Lamberty IV.
p- 505. V. p. 56. Friedrich beflagte ſich doch, als Bern Gubfibien ver⸗
Tangte, über bie vielen Koften, weldhe ihm biefe Erwerbung verurfacht.
Dubdenarde | 139
lungen im nächften Jahre. Der König beftagte fih, dag er 1708
fgon 9000 Mann Rekuten habe nach Italien [ciden müſ⸗
fen und im laufenden Jahre wieder 4000 nöthig wären, dann
daß ihm fortwährend die ruͤckſtaͤndigen Subfldien vom Kaifer
und den Generalftaaten vorenthalten wirden'). Der Kron⸗
yriny winfchte alle preuffifchen Truppen 20,000 Mann ſtark
vereinigt am Rheine bei der Reichdarmee unter feinem Schwies
geroater, dem Kurfürften von Hannover, zu befehligen; doch
wurde der König dahin gebracht, für einige ihm neubewilligte
Bortpeile bie Truppen in Italien zu laſſen, was er fpäter (1710),
noch mehr aufgebracht über die hinter feinem Rüden mit
Grankreich geführten Unterhanblungen der Verbündeten, doch
dein den perſoͤnlichen Bitten Eugens in Berlin und nur
ſhwer nachgab *) und fie nody verftärkte, auch (im J. 1709)
feine Truppen am Rheine um 6200 Mann im engliſchen Solde
dermehrte,
Die Truppen fochten unter Lottum und Nagmer in der
Shlaht bei Dubenarde ungemein brav. Drei Bataillone, 11. Juli
welche von bem Franzoſen geworfen worden, fehten fi einige 1708
hundert Schritte ruͤckwaͤrts und rüdsen durch Eugen geführt °
don Neuem mit großem Nachdrucke und Erfolge vor. Epds
ta, als das preuffifhe Fußvolk im Rüden von den Franzoſen
agegriffen wurde, boten fie auch fo uuerfcüttert dem Feinde
de Stitn und hielten zwei Angriffe beffelben aus, bis bie
Raht einbrach?). Sie hatten nach Marlboroughs Brrichte
den größeften Antheil an bem erfochtenen blutigen Siege. Auch
ki anderen Ereigniſſen dieſes wichtigen Feldzugs, namentlich
bi den Belagerungen von &ile und Xournay, dann in ber
furhtharen Schlacht bei Malplaquet zeichneten fich die Preufs 17. Sept.
fen unter Lottum in Anweſenheit de Kronprinzen aus und 1709
hatten nach Eugens Beugniffe den meiften Antheil an dem
N) Lamberty V. 42 fl.
2) Eugens Werke TI. ©. 115 u. 117. Der König überhäufte ihn
ait wahrhaft koniglichen Eprenbegeigungen, wie er fchreibt.
9) Sedendorfs Erben I. ©. 73, der war dabei. Schönings Lehen
Rıtmerd S. 285 f. u. 293. Des Augenzeugen Schulenb urg Bericht,
ü deſſen Erben I. &. 350.
10 Bud V. Bweites Hauptſtuͤck
. glüdlichen Erfolge’). Auch war ein preuffifches Meiterregiment
(im 3. 1708) bei dem Zuge des Grafen Daun gegen den
Dapft, wodurch biefer gezwungen wurde, fi dem Kaifer zu
fügen. Im 9. 1710 befehligte Leopold von Deffau bie Preuf-
fen, ‚hatte großen Antheil an der Einnahme von Donai und,
eroberte mit ihnen das von 8000 Sranzofen tapfer vertheibigte
8. Rov. Are, worüber ihm Marlborough große Lobfprüche ertheilte ?).
1710 Nun aber entwidelte fich durch verfchievene Umftände eine
Krifis, welche den Waffen der Verbündeten gegen Frankreich
doͤchſt nachtheilig wurde, nachdem diefe, vorzüglich ber Kaifer,
übermüthigerweife ihre oberungen am ben gebemüthigten
und wiederholt um Frieden bittenden Ludwig XIV. zu einer
unbilligen Höhe gefteigert hatten. Marlboroughs und feiner
Partei, ber Whigs, Anfehn war feit einigen Jahren in Eng-
land bei ber Königin und bem Volke immer mehr gefallen,
fie hatten (1710) ihren Pla den Tories räumen müffen und
bes Feldherrn Sturz war fchon entfchieden, als er fi noch
nicht entichlieffen Tonnte, den mit fo großem Ruhme und Ers
17. Aprit folge geführten Oberbefehl nieberzulegen. Da ſtarb auch Kais
1711 fer Joſeph I. und fein zum Könige von Spanien außgerufener
Bruder Karl war der Erbe aller oͤſterreichſchen Staaten und zus
gleich der Anſpruͤche feines Haufe auf die fpanifhe Monars
ie. Von dieſem Augenblide an verlor für England der biss
ber zu Gunften des Haufes Habsburg gegen bie Uebermacht
Frankreichs geführte Krieg feinen Iwed. Zr die Herftellung
einer Macht, wie fie Karl V. befeffen, war ber Krieg nicht
unternommen worben. Den ausbrüdlichen Abfihten Englands
gemäß follte die ſpaniſche Monarchie Keiner befigen, der zugleich
zömifcher König und Kaifer oder König von Frankreich wäre,
Die erledigte Kaiferkrone reizte Auguft von Polen, fie feinen
Sohne verfchaffen zu wollen, wobei er auf die Unterftigung
bes Zaars, Dänemarks, Preuffens und Hannovers hoffte >);
endlich erregte der mit neuer Kraft ſich wieder entzündende
norbifche Krieg auch mancherlei Beforgniffe. Schon hatten die
1) Shönings Leben Natzmers ©. 311 ff.
2) Marlboroughs Schreiben in Ragmers Leben S. 325.
8) La Lande III. p. 77.
Aufloͤſung bes großen Bändniffes. 141
engliſchen Miniſter, die Gegner Marlboroughs, mit Frankreich
Unterhandlungen angeknipft und dieſes dadurch zur Anſtren⸗
gung der letzten Kräfte ermuthigt, ſo daß es ben Verbundeten
dinlanglichen Widerſtand bot und nichts von Bedeutung unters
nommen werben Tonnte.
Bereits am 8. Detober ſchloß das englifche Mimiſterium e. Oct.
insgepeim, ohne feine Verbundeten davon zu benachrichtigen, 1711
die Friedenspraͤliminarien für fih und für eine allgemeine Bes
endigung des Kriegs mit Frankreich. Dazu follte im Januar des
naͤchſten Jahrs zu. Utrecht ein Congreß gehalten werben. Ver⸗
geblich ging Eugen felbft nach London um eine Veränderung
dieſet Befchlüffe zu bewirken. . Marlborough .gab gezwungen
den Oberbefehl an Ormond ab, welcher ſich noch” einige Zeit
fo fielen muffte, ald wolle er mit den Verbündeten unter Eus
gen gemeinfame Sache machen. Ad Eugen nun beſchloß 29. Mai
Quesnoy zu belagern, weigerte Ormond Xheilnahme an ben -1712
Feinbfeligkeiten- zu nehmen, benachrichtigte den franzöfifchen
Rerfhal Billard davon und zeigte Eugen an, daß für bie
agliihen Hülfstruppen ein Waffenſtillſtand abgeſchloſſen fei.
Die im englifhen Solde befindlichen gegen 50,000 Mann, vor *
ziglich Preuffen unter Leopold von Deffau, dann bie Dänen,
Holdnder, Sachfen, Hannoveraner, Holfleiner und Lütticher
weigerten fich diefen anzunehmen. Quesnoy ergab fi, Dr⸗ 8. Zu
mend Iehnte geradezu jede Unterflügung gegen Landreci ab,
dropete für Bezahlung und Unterhalt der Soͤldner nicht mehr
fergen zu wollen und trennte fih mit 12,000 Mann Englän 17. Zuti
dem völlig von Eugen; bei dem jedoch bie beutfchen Soͤldner
bäcben, deren Nationalgefühl vorzüglich Leopold von Deffau,
der treue Verehrer des Dberfelbheren, angeregt hatte’).
Unterbeffen war ber Stiebenscongreß in Utrecht eröffnet 29. Ian.
worden. Friedrich I. war, wie oben erwähnt, ſchon fehr mis⸗
vegnügt darlıber geweien, daß man ihn, gegen bie beftehens
den Verträge, nicht zu ben von Frankreich feit dem I. 1706
ageknüıpften geheimen Zriebendunterhandlungen gezogen. Er
hatte fi) dann die Präliminarartikel zu verfchaffen gewuſſt,
1) Eore’s Marfborough VI. ©. 251. Lamberty VI. 172.
Ormond Hätte gern geſchiagen / er burfte nicht. Villars Mm. II. p. 868.
142 Bud V. Bweites Hauptſtuͤc
welche Holland rückfichtlich ber oranifchen Erbſchaft vorgeſchla⸗
gen und war fehr aufgebracht ‚darüber, bag man für ihn weis
ter nichts bebungen, als die Anerkennung bed Beſitzes von
Neufchatel, nicht Uber auch dad Fürftenthum Drange und die
zur Erbſchaft gehörigen Güter in der Franche Comts, welche
die Generalftaaten felbft, als Teſtamentsvollſtrecker, bis zur
voͤlligen Ausgleihung des Streit verwalten wollten, ferner,
daß bie Generalftaaten das ehemals fpanifhe Oberquartier und
die Feflung Geldern für ſich verlangten‘). Er hatte deshalb
fon im 3. 1709 Eugen und Marlborough vorfchlagen laſ⸗
fen; Maßregeln zu ergreifen, um die undankbaren und übers
müthigen Holländer in die gehörigen Schranken zurädzubrins
gen?) und war auf ben Gedanken gekommen, felbft mit Franke
reich zu verhandeln, was durch die Wermittelung des Bruders
feiner dritten Gemahlin, des Herzogs von Medienburg-Schwes
rin, fehr geheim betrieben wurde. Frankreich hoffte damals,
durch Rüdgabe des Fuͤrſtenthums Orange und jährliche Sub⸗
fidien, Friedrich I. vom Bunde abzuziehen und daß dann auch
andere Fuͤrſten deſſen Beiſpiele folgen würden, wollte aber
nach dem Tode Joſephs I. und in Rüdficht der Lage Englands
nicht mehr fo günflige Bedingungen bewilligen. Die Hols
Iänder befhwichtigten Friedrich 1. durch Nachgiedigkeit und ins
dem fie fi auf feine Großmuth beriefen. Eugens perfoͤnliche
Anwefenheit in Berlin (1710) wirkte ebenfalls viel. So wurs
den dieſe Verhandlungen abgebrochen ?).
Er hatte noch einen Verſuch gemacht, fich perfönlich mit
dem Prinzen Johann Wilhelm Friſo über die oranifche Erb⸗
1) Die Generalſtaaten und England Iäugneten bie übrigens wahre
Sache. Lamberty VI. p. 87 ff. Torcy Mem. L p. 804 wo ber
Entwurf. $. 21-28.
2) Inftruction des Königs für den Kronprinzen v. 5. Juni 1709 in
Börfters Friedrich Wilhelm I. Th. I. ©. 135.
3) Pdlinig Mem. J. ©. 668, mit Einzelnheiten, welche bie Wahr:
heit ber Sache kaum bezweifeln laffen. Bergl. Coxe's Marlborough V.
©&. 225. Lamberty VI p. 10. n. 87. Daß ein toͤmiſcher Abgeord⸗
neter ben König von dem großen MWBünbniffe Mzupiehen verfudht habe,
erfuhr Eugen, Werke II. S. 115. Schreiben v. 4. April 1710. Der
König habe das aber mit Abfchen verworfen.
Unterhandblungen zu Utrecht. 143
ſchaft zu vergleichen, fi (1711) in den Haag begeben, als
unglüdlicherweife ber Prinz ibel der ſtiumiſchen Weberfahrt
über den MorebyP ertrank und eine hochſchwangere Gemahlin
binterließ, welche dann einen Sohn gebar, was bie enbliche
Beilegung der Angelegenheit weit binausfchob. Friedrich J.
war viel zu großmuͤthig um Vortheil von dem augenblicklichen
Ungluͤcke der nun verwittweten Prinzeffin zu sieben, inbeffen,
da er weiter Fein Mittel fand, fo wurde durch einen Beſchluß 28. Juli
der Generalfiaaten im Einverfländniffe mit dem Könige, doch 1711
mit Vorbehalt aller Rechte der Exben beftimmt, der König
ſolle auffer dem, was er ſchon inne habe, noch jährlid) 50,000
Zloren, die Mutter und der Prinz indgefammt jährlich 150,000
Zloren und noch 150,000 Floren auf einmal aus dem Ertrage
der Gier der Erbſchaft erhalten‘). Erſt weit fpäter winde
diefe Angelegenheit voͤllig erledigt.
Dem utrechter Gongreffe theilte der Graf Metternich auf
Befehl ded Königs ausführlih mit, was bisfer vom Frieden
denke, umd zog den Schluß, daß - dad große Buͤndniß ge
brochen fei, was ihn nöthige, an feinen eigenen Vortheil zu
denfen. Das engliiche Minifterium wendete Alles an, ihn für
den Frieden zu flimmen und gab ihm Hoffnung, nicht nur bie
Stadt, fondern aud das Dberquartier Geldern zu erhalten,
welches die Generalftaaten für ſich ausbebungen hattenz ferner
boten fie Gewaͤhrleiſtung für Neufchatel und Wallengin, und
für Frankreich 200,000 Livres, wenn er biefem feine Rechte
auf das Fürflenthum Drange abtreten wolle; doch trauete der
Koͤnig den Engländern nicht und fein rechtlicher Sinn misbil⸗
ligte die Trennung bderfelben vom Bunde‘). Er verlangte, 5. März
ais jeder der Verbündeten bei ben Briebenöverhanblungen feine 1712
Eeberungen vorlegte, feinerfeits, Anerkennung als König und
als fowverainer Fürft von Neufchatel und Wallengin, das Fürs
hastpum Dranien und alle Güter der Haͤuſer Chalons, Orange
mb Chateau Belin als. rechtmägiger Erbe berfelben; zur Ents
ſchaͤdigung für erlittene Verluſte aber einen Theil ber Brande
1) Lamberty VI. p. 5%.
2) Lamberty VIL p. 514. Gr lieh bu feinen Gefanbten
Bennel in Eondon am 19. Juli Borftellungen gegen de Zrennung Gnglanbs
cea den Bunbesgenoffen madjen.
144 Bud V. Zweites Hauptfiäd.
Comte mit dem Schloffe Iour, ferner Stadt und Land Gels
dem, Hanbelöfreiheiten für feine Unterthanen, dann, daß ben
naͤchſten Verwandten ber noch in ben preuflifhen Staaten bes
findlihen Emigranten bie freie Auswanderung aus Frankreich
geftattet, allen aber ihr dortige Eigenthrm zurücigegeben werbe
und man fie ald koͤniglich preuffifche Untertanen betrachte.
Zugleich druͤckte Friedrich den Wunſch "aus, der König Lud⸗
wig XIV. möge den in Frankreich befindlichen Reformirten die
Geroiffensfreiheit wieder gewähren; endlich verlangte er bie
Aufpebung ber Claufel zum vierten Artikel des ryswicker
Friedens ').
17. Juni Die Königin von England machte bei Eröffnung bes
1712 Parlaments die Friebendbebingungen mit Frankreich -befannt
und äufferte, die Anfprüche des Königs von Preuffen würden
franzoͤſiſcher Seits Feine großen ‚Hinderniffe finden und fie,
die Königin werde Alles thun, um einem fo guten Werbünde-
ten zu verfchaffen was fie vermöge. Der König druͤckte ihr
darüber feine Freude aus, wünfchte zu wiffen, worauf er mit
Sicherheit rechnen koͤnne und was feinetwegen zwiſchen Eng⸗
land und Frankreich vertragen wuͤrde, indem das legtere
nichts mittheilen wolle. Es würde ihm wuͤnſchenswerth ges
wefen fein, wenn bie Königin ihre Erklärung mit den Waffen
unterftügt; ex babe gefchwiegen bis fi Ormond geweigert,
am Kriege ferner Theil zu nehmen und verlangt, der Fürft
von Anhalt ſolle fi) mit den Preuffen von ben Verbimbeten
trennen; was biefer ohne Befehl des Königs nicht gedurft, da
Preuffen mit England, den Generalftaaten und Defterreich zu
gemeinſchaftlichem Kriege und Frieden verbindet fe. Das
möge die Königin nicht-übel auslegen, dagegen bie Bezahlung
der Truppen balbigft befehlen”)., Nm ſchlug Villars eine
2. Suti Abtheilung von Eugens Heere bei Denain, zwang biefen, "die
1712 Belagerung von Landrecis aufzuheben, nahm vier Feflungen
und hinderte den ohne hinlängliche Unterftügung gelaflenen
Eugen, fih mit Exfolg zu wiberfegen. Man muflte fih zum
Briten neigen, deffen Abſchluß Friedrich I. indeffen nicht mehr
erlebte,
1) Lamberty VII p..4 fl.
2) Lamberty VI. p. 455 ff.
Meute. j 185
uUnnerdeſſen benutzte er die Anweſenheit feiner Truppen in
diefen Gegenden, um ſich in den Beſitz der Stabt und Feſtung
Neurs zu fegen, in welcyer die Generalftaaten feit langen eis
ten eine Befagung hielten. Der König hatte, weil bie Bürs
ger ihm ungeachtet eines vom Reichöfammergerichte in Wetz⸗
lar ausgewirkten Befehls nicht hulbigen wollten, bie Stabt
einſchlieſſen laffen, als die Vormünder des Prinzen von Nafs
fan eine Zurhdinahme des Reichskammergerichtsdecrets bewirk⸗
tm und die Generalftanten die Aufhebung der Einfchlieffung
winfhten. Der König beharrte indeſſen bei feinem Entfchluffe
und drohete die Stadt zu bombardiren. Die Generalftaaten
gaben ihm endlich den Givilbefig der Stadt nad), worauf er
verlangte, fie follten ihre Beſatzung abberufen und die Eins _
wohner ihm bulbigen. Zugleich wurde eine Menge anderer
freitigen Puncte der Erbſchaft wieder in Anregung gebracht
und die gegenfeitigen Berührungen der preuffiichen Beamteten
and der hollaͤndiſchen Befagung verurſachten neue Zwiftigkeiten.
Der König gab daher dem Fürften von Deſſau, ber nach bes
eadigtem Feldzuge bie Truppen in die Winterquartiere um Aachen
verlegt Hatte, Wefehl, fich der Feſtung zu bemächtigen. Dies
fer verfuhr mit bem ihm natürlichen Nachdrucke, überfiel in
dr Naht das Schloß, nahm die hollaͤndiſche Befagung , die % Nov.
dagleichen nicht vermuthen konnte, gefangen, brohete ber Stadt 1712
mi Bombarbement, erzwang bie Hulbigung und fegte dann
die hollaͤndiſchen Truppen in Freiheit. Die Generalftaaten bes
fich zwar bitter uͤber dieſes gewaltfame Verfahren, eben
b beſchwerten ſich die übrigen Wormlnder bed Prinzen von
Muffeu, doch wurde damit nichts erreicht, als daß Preuffen
fin Recht darlegte und bewies, dab Befagungsreht Hollands
Mi gegen die Meichögefege, worauf bis Ende des Jahres noch
me hollaͤndiſche Befagung neben ber preuffifcen, bie das
Pin allein inne hatte, in ber Stabt blieb, bis auch fie
).
In mehrfacher Verbindung und Wechſelwirkung mit den
&rigniffen des fpanifcpen Exbfolgefriegs ftanden, vorzhglich für ,
den ppeuffifchen Staat, wie wir fehon gefehen haben, bie
1) Lamberty VII. p. 566 ff. u. 592 ff.
Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL. 10
146 Bud V. Zweites Hauptftäd.
norbifchen Verhaͤltniſſe. Diefe waren an fih ſchon wegen ber
verfchiebenen Abfichten Peters von Rußland, Friedrichs von
Dänemark und Auguftd von Polen und Sachſen, Karl XII.
gegenüber verwidelt genug, wurben es aber noch mehr durch
die Beziehungen zu den Mächten, welche den fpanifhen Erb⸗
folgefrieg führten. Die gegen Frankreich verbündeten Fürften
wünfchten den Frieden im Norden herzuftellen, weil ber Krieg
dort, bei Annäherung an bie Grenze Deutſchlands bie Füh⸗
zung des Kriegs gegen Frankreich erſchwerte und unficher machte.
Vorzüglich feit Ludwig XIV. im entfciedenen Nachtheile gegen
die Verbündeten war und daher den ſiegreichen Karl auf jede
Weiſe an fich zu ziehen ſuchte ), um dadurch dem Kriege eine
ganz neue Wendung zn geben, kam Alles darauf an, den vers
wegenen Schweden vom Weſten ab nach dem Dſten hinzulen⸗
Ten. Aufferdem fürchteten die Verbündeten, der zu jebem Schritte
fähige Auguft von Sachfen möchte ſich, wie er mehrmals drohete,
wit Frankreich vereinigen.
Karl dachte wirklich nur daran, feinen perſoͤnlichen Empfins
dungen nachzugeben und Rache an denen zu nehmen, welche
ihn auf fo unrechtmaͤßige Weiſe angegriffen hatten. Die gro⸗
Ben Erfolge feiner Waffen hatten feine Neigung zum Kriege
erhöpet, ihm bie Zuverſicht der Unuͤberwindlichkeit feines Heers
gegeben und Verachtung feiner Gegner eingeflößt. Selbſt
furchtlos, ja bis zur Tollkuͤhnheit verwegen, glaubte er mit
feinem Heere, das ihn anbetete und blindlings vertrauete, Als
les unternehmen zu ?önnen, was ihm einfiele. Wider den
prunkenden und lufigierigen ehr⸗ und gewiſſenloſen Auguſt, ber
ihm auf fo verrätherifche Weife überfallen hatte, war der ein⸗
fache, der Wolluſt unzugängliche ehrliche Kart vorzüglich aufs
gebracht und entfcloffen, ihn vom Throne zu flogen. Er
jagte fi mit ihm in Polen herum, bis ſich bier eine Partei
gegen Auguft bildete. Won allen deutſchen Fürften war babei
auffer Auguſt, deffen Sachſenland doch durch weitere Entfer⸗
nung und. fremde Grenzen gebedt ſchien, Feiner durch feine
Lage unb eingegaugene Werbinbungen näher beteiligt, als
1) Auch bie Sie wefasitgen derzese arbeiteten daran. Lam-
berty I. e· 7.
Kari XIL gegen Augufl. Polen. 147
Dieſer war, wie wir gefehen haben, weit mehr fuͤr Dä-
nemark und Auguft geftimmt, weshalb auch erft im J. 1703
Karl XII. nicht ohne Schwierigkeiten und Opfer bewogen wurbe,
die preuffifche Koͤnigswuͤrde anzuerkennen. Friedrich hätte ſich
dieleiht, da er Auguſts verzweifelte Sache doch aufgeben
muffte, num näher mit Karl verbunden, doch der Werfuch, den
@ balb darauf machte, die Hand der Schwefter und wahr
ſcheinlichen Erbin Karls für feinen Kronprinzen zu erhalten,
hatte feinen Erfolg, weil Hannover, bad nebft Belle in enger
Verbindung mit HolfleinsGottorp und Schweden war, unb
eine Partei in Schweden felbft das hinderte). So blieb
zwiſchen Preuffen und Schweden ein immer noch einigermaßen
geipannted Verhaͤltniß. Wäre Preuffen bamald von einem -
wahrhaft ſtaatsklugen Minifter geleitet worden, fo würde es
feine Zruppen nicht für das Intereffe der gegen Frankreich vers
bimdeten Mächte faft nur um leicht verfchwendeter Subfidien
und einiger Nebenvortheile willen hingegeben, fondern fih auf
&rfülung feiner Verpflichtungen gegen Defterreich beſchraͤnkt und
feine übrige ganze Macht auf die ihm vortheilhafte Anordnung
der norbifchen Angelegenheiten verwendet haben’), aus denen
& für füch viel mehr Ruten ziehen Fonnte, als aus dem glüds -
lichſten und offenbar nur zum Wörtheile Deſterreichs, Englands
md Hollands geführten Kriege mit Frankreich.
Peter I., fogar von Dänemark verlaffen und mistrauifch
gegen den verfchwenderifchen Auguft, der die Subfidien nicht
auf das ‚Heer, fondern für feine Maitreffen verwendete, knuͤpfte
anter Bermittelung des preuffifhen Gefandten in Moskau Fries
densverhandlungen mit Schroeden an und wollte fi mit einem
Hafen in Finnland begnügen. Unter diefen Umftänden vegte 1704
um ſich zu vetten der zu Allem fähige Auguft felbft in. einer
Unterhanblung mit Karl XII. die Theilung Polens an. Es
if bekannt, daß Karl Guſtav von Schweden während feines-
1) Lamberty III. p. 856. Gofanbers von Goͤthe Neffe, der
af Eilierodt, damals in preuffifchen Dienften, war deshalb nach Schwe ⸗
ben geſchickt worden. ”
Dan ſcheint doch einen Augenblick daran gebadht zu Haben, we⸗
im I. 1705 Marlborough, ber Friedrich bavon abe
. S. 286, "
10*
148 Bud V. Bmweites Hauptſtuͤck.
Kriegs mit Polen in neuerer Zeit zuerſt daran dachte, Polen
zu theilen, um dadurch ſeine Zwecke zu erreichen. Wer haͤtte
aber ahnen koͤnnen, daß nicht ein Feind, ſondern der eigene
König einen ſolchen Entwurf würde wieder aufnehmen koͤnnen.
In der That erbot fi Auguft zum Frieden und durd eine
Theilung Polens Karl XU. Genugtpuung zu geben. Als bad
ohne Erfolg war, ſchloß er mit dem Baar ein neues Buͤndniß
gegen Karl’). Viele ohnehin durch den von ihnen nicht ver=
anlafften Krieg Aufferft verlegte und gebrüdte Polen, als fie
den Anfchlag ihres Königs zur Tpeilung des Reichs erfuhren,
wurden mit Recht fo erbittert auf ihn, daß fie fih in War-
ſchau conföberirten und den Thron für erledigt erflärten, waͤh⸗
rend fie dagegen von Augufts Partei für Verräther ausgeru⸗
fen wurden.
Karl XII wollte Jakob, den aͤlteſten Sohn König Ios
Harms DI. Sobiesti auf ben Thron fegen, ber mit feinen beis
den jüngeren Brüdern in Ohlau in Schlefien lebte, welches
ihnen der Kaiſer verpfänbet hatte. Jakob hatte, aufge
bracht über bie ungerechte Behandlung, welche er von Auguft
- erfahren, fih ſchon im I. 1701 in Karls XU. Schug beges
ben. Auguft erhielt Nachricht davon und ließ ihn in Ohlau
‚ Überfallen und mit feinem Bruder Konftantin auf ben Koͤnigs⸗
flein bei Dresden bringen. WBergeblih bot nun Karl wiebers
holt Alexander Sobieski, dem dritten Bruder, welcher der Ge—
fangennehmung durch die. Flucht entgangen war, bie Krone
an?). Als dieſer ſich weigerte fie anzunehmen, veranlaffte ex
12. Juli die Erwäplung des Stanislaus Lescinski, Palatins von Pos
1704 fen. Ueberall wohin bie ſchwediſchen Waffen, die Yurcht
vor ihnen ober das Intereffe für fie reichte, wurde Stanislaus
anerkannt, auch auf Drohung Schwedens, um nicht feinblich
behandelt zu werben, in bem bamald fo wichtigen Danzig.
Um diefe Stadt, für welche fich des Handels wegen bie Sees
möchte fehr intereffirten, vor ſchwediſchen Erpreſſungen und
1) Hoyer, J. ©. 106 Der neue Bund wurbe 80. Zoguft 1704
au Barſchau gefchloffen.
6 mens Betehgs dur Oefhte er Bam Gobiesti in Sötof-
fers und Berhts Ardive, Wo. V. ©. 345.
Karı XI. gegen Auguſt. Poten. 149
Auguſts Rache zu fügen, ſchloß Friedrich J. einen geheimen 26. Seyı.
Vertrag mit ihr unb verpflichtete fi, ohme daß dadurch ipe 170%
Verhaͤltniß zu Polen geändert werben folle, ihr auf zehn Jahre
beizufichen, als wenn fie feine Stabt wäre, ihr 2000 Mann
und noͤthigenfalls noch mehr Truppen auf ihre Koften zu übers
laſſen, welche der Stabt ſchwoͤren ſollten. Der König gab ihr
Gewähr für alle Folgen, bie aus ihrem Zutritte zur Partei
des Stanislaus entfpringen koͤnnten und feine Truppen erhiel⸗
tem freiem Durchzug durch das Gebiet der Stadt, welche ver
möge eines abgefonderten Artikels ihm unter ber Hand Rekrutirun⸗
gen in ihrem Gebiete erlaubte und ihm jährlich 5000 Thaler
Schuggelb zahlte, wogegen der König bei feinen Subfidienver-
trögen mit den Seemächten diefe zur Gewaͤhrleiſtung feines
Bündniffes mit der Stadt Danzig bewog). Als nun bie
Schweden unter mandyerlei Vorwaͤnden ihre Geldfoderungen
an Danzig erneuerten, fo fand das durch Friedrich I. einigen
Shut.
&o ſehr fih nun auch Peter L und Auguſt bemühes
ten, Dänemark zum Kriege gegen Schweden zu bewegen und
Preufien in ihr Bündniß zu ziehen, fo war dad doch vergeblich,
weil Friedrich I. nichtö gegen Karl XIE. unternehmen wollte
und durch die Gewanbtheit Marlboroughs und Eugens bei
deren mehrfacher Anwefenheit in Berlin, wie wir gefehen :
haben, immer tiefer in das Intereffe der Verbümdeten gegen
Frankreich verwidelt wurde, fo daß er nur kurze Zeit daran
denken Eonnte, ernftlicher in bie norbifchen Angelegenheiten eins
zugreifen, welche ihm unftreitig weit mehr Ausfichten zur Ver⸗
größerung boten, als auch der glüͤcklichſte Erfolg eines Kriegs
mit Frankreich. Doch wurde, wie man verficert, Damals von
Seiten Preuffend Karl XU. vorgefchlagen, zur Befeitigung des 1705
Streited zwiſchen beiden Königen von Polen an Stanislaud
Lithauen, an Auguft Polen zu geben, was indeſſen Karl XI.
ebenfo wie den Antrag des daruͤber aufgebrachten Auguft vers
1) Lamberty IV. p. 254. Anfänglich nahmen bie Geemächte,
Defberreich und Preuffen, Danzig in ihren Schug, dann aber, als fie bie
Beingungen des geheimen Vertrags mit Preuffen nicht erfuhren, vers
weigerten fie die Gewaͤhrleiſtung. Gralat hs Geſchichte von Danzig
®». IL &. 250. J
150 Bud V. Bweites Haupefiäd.
warf, das polnifhe und brandenburgifche Preuſſen vereint am
Stanislaus zu geben, wogegen auch bie Seemächte waren ').
Indeſſen ſcheint feitdem der Gedanke an eine Theilung Polens
im preuffifchen Gabinete eine Zeit lang durch ben Minifter Is
gen wach erhalten worden zu fein und nur daraus bie Politik
Preuffens im Norden richtig erklärt werden zu koͤnnen.
Neue Streitigkeiten zwifchen bem herzoglichen Haufe Hols
fein» Sottorp und dem Könige von Dänemark Über den Befitz
des Bisthums Luͤbeck broheten, als der König Friedrich IV.
fich Eutins mit Gewalt bemaͤchtigte, hier mit einem Wieder
ausbruche des Kriegs, indem Holſtein die Gewaͤhrleiſter des
travendahler Friedens, unter denen Preuffen, aufrief?). Der
unermödliche Patkul nahm biefe Gelegenheit wahr und ent
warf nun in Dresden als zuffifcher Bevollmächtigter nebft dem
ſaͤchſiſchen Generale Flemming ein Buͤndniß mit Dänemark,
um Schweden Alles, was es feit 130 Jahren erworben, zu
entreiffen. Auch Friedrich I. folte daflır gewonnen werben,
17. Dee. als Patkul ganz; unerwartet gefangen gefegt wurde, weil er
1705 ſich bei dem Könige Auguſt durch offene Vorſtellung Über die
Verſchwendimg ber von Peter I. erhaltenen Subfidien verhafft
gemacht hatte und mit dem kaiſerlichen Hofe in Unterhandlung
getreten war, um biefem 13,000 in Sachfen befindliche Ruffen
in Sold zu geben. Es wird behauptet, er fei der Art, wie
die Staatsangelegenheiten am Hofe Augufts betrieben wurden,
Aberbrüffig gewefen und da feine wie aller Fremden Sicherheit
in Rußland nur vom Leben Peters I. abgehangen, habe ex
unter dem Scheine, an einem neuen Bündniffe gegen Karl XEL,
zu arbeiten, fich mit diefem ausföhnen und zuvoͤrderſt unter
preuſſiſcher Vermittelung den Frieden zwifchen Rußland und
Schweden herftellen wollen, daher auch vorher bie ruffifchen
Zruppen in Sachſen dem Könige von Preuffen angeboten.
. Der Minifter Ilgen und deffen Schwiegerſohn Marfchall waͤ⸗
ven auf feine Entwuͤrfe eingegangen’)... Wie dem nun auch
4) Lamberty II. p. 688. Hoyer L S. 10%
2) Lamberty II. p. 630 f. Hoyer 1.8.19 ff.
3) Schulenburgs Leben L ©. 44 ff. enthält neue, wichtige Auf⸗
ſchiaffe über Patkuls Umtriebe, obwohl ber Werfaffer parteiih für den
in jeder Megiehung moraliſch verächttichen Auguft if ”
Karı XII. gegen Auguſt. 151
fä, die Schweden ſchlugen bald darauf den ſaͤchſiſchen Gene»
tal Schulenburg bei Frauſtadt aufs Haupt, Dänemark konnte 15. Ber.
nicht mehr auf den Beiftand des felbft unmittelbar bedroheten 1706
Sachſens rechnen und verzichtete gegen Entfhädigung auf das’
Bisthum Luͤbeck, zu Gunften des Adminiſtrators von Holſtein⸗
Gottorp, für den ſich auch Friedrich L erflärt Hatte.
Karl beſchloß nun in Sachſen einzubrechen, ba er auffers
bem Fein Mittel fand, den König Auzuſt völlig zu bezwingen.
€ zog von Dſtrowo aus an die ſqleſiſche Grenze. hin bis
Rawa, uͤberſchritt fie hier, weil ber Kaifer den Sachſen ges
Rattet Hatte, durch Schlefien zu geben, um Schweden anzugrels '
fen, ohne Anfrage, ruͤckte ſchnell Über Herenftadt auf Steinau,
ging bier uͤber die Oder, dann bei Loͤwenberg und Greifenberg
vorbei uͤber den Queis in bie fächfiiche Laufig und weiter.
Biberftand fand er nirgends, wohl aber wurde er in Schle
fin von Seiten der Proteflanten mit großer Liebe empfangen.
Den evangelifhen Schlefiem war es, wie wir weiter oben
gefehen Haben !), nicht gelungen, im weftfälifchen Frieden für
die Erhaltung ihres Glaubens mehr zu erwirten, als völlig
freie Religiondübung in den vier Fuͤrſtenthumern Liegnig, Brieg,
Bohlau und Dels und in der Stadt Breslau, ferner brei foge:
nannte Friedenskirchen vor den Städten Schweidnig, Jauer
und Glogau, endlich daß in den dem Kaifer unmittelbar zus
Rehenden Fuͤrſtenthumern nur die evangeliſchen Grafen, Herren
und Adelige und zwar nur in ber Nachbarfchaft aufferhalb des
Standes follten ihren Gottesbienft diben dürfen, ohne in Stra:
fen zu verfallen, während ſich gegen die übrigen Bewohner ber
Kaifer das fogenannte Reformationsreht, d. h. fie zu feinem
Glauben oder zum Auswandern zu zwingen, vorbehielt. Uns
geachtet der rührendften und bemüthigften Bitten der evangeli⸗
fhen Unterthanen und der Werwendung ber Zürften ihres
Glaubens wurben ihnen, unter thätiger Betreibung ber Überall
gegen die Proteftanten fo feinbfeligen Iefuiten, in ſaͤmmtlichen
unmittelbaren Zörftenthlimern burch eine fogenannte Reductions⸗
conmiſſion ipre Kirchen, allein in Niederfchlefien gegen 600, ges
nommen, ihre Geifllichen aus dem Lande gewiefen und ihnen
1) IL 6.5.
152 Bud V. Zweites Hauptftäd.
(1669 und 1680) auch dee Beſuch aller auswärtigen Kirchen,
welcher früher nur erfchwert worden war, bei hoher Strafe
gaͤnzlich verboten. Im Innern des Landes, vorzüglich im Ges
birge, wurde in Wäldern und fonft abgelegenen Drten. ber
. Gotteddienſt verrichtet. Alle Strafgebote konnten das nicht voͤl⸗
lig verhindern, ba gemäßigte Katholiten felbft die Härte fols
cher Verfügungen misbilligten. Andere Proteftanten, vorzügs
lich au Sberſchleſien, zogen haufenweile 12 — 20 Meilen
weit zu einer evangelifchen Kirche. Selbſt die im I. 1669
vom Kaifer noch geftatteten Hausandachten wurden von ben
Beamteten häufig geftört, Beſchwerden nicht angehört ober
blieben unbeachtet. Gegen bie kaiſerliche Erlaubnig wurden
die Evangeliſchen gezwungen, in Fatholifchen Kirchen taufen
und trauen zu laſſen; wo fich das nicht durchführen ließ, wurs
den fie mit hoben an die katholiſchen Kirchen zu entrichtenden
Tauf⸗, Zraus und Begräbnißgebühren befteuert. Sie mufften
die katholiſchen Feiertage mit feiern, die Kirchen mit befuchen,
an bem Gottesdienſte und den Proceffionen mit Theil nehmen.
Schreiender Drud und Gewaltthätigkeiten wurben dabei von
einzelnen Beamteten, Gutöbefigern und Herrſchaften verübt.
Als nun viele Evangelifche auswanderten, fo befahl der Kais
fer fie zuruͤkzurufen und gab Zuficherungen, die vieleicht ans
faͤnglich aufrichtig gemeint waren, allein gegen eigenmaͤchtige
und fanatifhe Beamtete und Herrſchaften nicht fehlten. Die
Sewalttpätigkeiten des Abts von Gruͤſſau gingen fo weit, bag
ex feinen Unterthanen in zwei Dörfern (Reichhennersdorf und
Bieber) endlich (1687) eine Friſt von vier Wochen fehte, um
katholiſch zu werden und bie bemüthigften Bitten, fie, fo hoch
ex wolle, mit Frohndienften zu belaften, allein bei ihrem Glau—⸗
ben zu laſſen, nicht beachtete. Sie wanderten daher, 800
Köpfe ſtark, aus und begaben fich in bie Oberlaufig und in
das Brandenburgifhe, wie ſchon vorher (1673) 800 Leobs
ſchuͤtzer ausgewandert waren. Auch bei Erbauung ber drei ſo⸗
genannten Friedenskirchen und der "Einrichtung ihres Gottes⸗
dienſtes wurden fie vielfach chifanirt und gefränft.
As nun nach dem Ausfterben der Piaften von Liegnig,
Brieg und Wohlau (1675) deren Länder ald dem Kaifer heim⸗
gefallen angeſehen wurben, gab biefer zwar ben Ständen
Die Proteflanten in Schleſien. 153
(15. Juli 1676) die feierliche Verficherung, daß er bie ber augs⸗
burgifehen Gonfeffion zugethanen Stände der drei
mer wider ben prager Nebenreceß, den weflfälifchen Frieden
und die darauf erfolgten kaiſerlichen Refolutionen zu befchwes
ten oder befchweren zu laſſen nicht gemeint fei, allein von bem
Srundfage ausgehend, daß ihm nun aud) in dieſen brei Fürs
Renthümern das fogenannte Reformationsredht wie in den Übris
gen zuftehe, obwohl er das noch im 3. 1666 dem Herzoge Friedrich
von Liegnitz abgeſprochen hatte, wurden nun die evangelifchen
Parren der Rammergliter nach dem jebesmaligen Abfterben ih⸗
18 Inhabers, dann im 3. 1692 alle Pfarren Ianbeöherrlichen
Patronats mit katholiſchen Geiſtlichen befegt, den Städten ihr
h t flreitig gemacht, daß viele ihre evangelifchen
Sirhen verloren, und daſſelbe, obwohl nicht mit fo guͤnſtigem
auch gegen die Patronatrechte der evangelifchen Ritz
terſchaſt verſucht. Ale obrigkeitlichen Aemter und Magiſtrats⸗
felen in den Städten wurden mit Katholiten befeht, den
Pupilln katholiſche Vormuͤnder gegeben, bei gemifchten Ehen
muſſten, wenn auch mr der Water Fatholifch war, alle Kinder,
©0 der Vater evangelifch, wenigſtens die Töchter katholiſch ers
gen werben. Klagen und Beſchwerden fowohl der Unter
thanen als evangelifcher Fuͤrſten, vorzüglich ber brandenburger
ud Sachſens, waren entweder völlig vergeblich ober bewirks
tm nur Baiferliche Befehle, die man nicht ausführte, offener .
Biderftand bed Volks, wo er fich zeigte, wurde leicht mit Ges
welt unterbrüdt, ſchwere Strafen über wiberfpänftige Evange⸗
Üfhe verhängt und foviel ald möglich ohne viel Auffehn zu
megen gethan, um ben Proteflantismus in Schlefien völlig
au zurotien *).
Schon der große Kurfuͤrſt hatte (1660 und 30. Maͤrz
1676) den Kaiſer an die ſchoͤnen Worte ſeines trefflichen Ahn⸗
derm Marimilian IL erinnert: daß Gott allein Herrſcher über
das Gewiffen fei. Noch mehr hatte fich Friedrich III. der
dangeliſchen Schlefier angenommen und (12. Ianuar 1703)
dem Kaifer gefchrieben: die unmäßige Bekehrungsſucht ber
1) Words, bie Mechte der evangellſchen Gemeinden in Schleſien
14 Bud V. Zweites Hauptftäd.
katholiſchen Geiftlichkeit habe oͤfters Werorbnungen gegen die
Soangelifchen erwirkt, doch fei auf Verwendung feines Waters
und anderer evangelifchen Zürften Milderung eingetreten. Er
babe den Katholiten in feinen Landen Manches Über den vers
tragenen Fuß vom 3. 1624 eingeräumt und dulde Kloͤſter,
Stifter, Pröpfte und Geiftliche, auch wo er das nicht näthig
babe, doch nur auf fo lange, als am anderen Orten gleiche
Verträglichkeit herrſche. Seit einiger Zeit nun wären in Uns
garn, der Pfalz und Schlefien unbarmherzige Neuerungen vor⸗
gegangen, die Beamteten und Geiſtlichen brädten aus erceffis
ver Bekehrungsſucht die zur gänzlihen Vertilgung der Evans
gelifchen ehemald ergangenen dann aber fuspenbirten Verord⸗
mungen, unfreitig ohne des Kaiferd Wiffen, in Aushbung.
Die vielen Auswanderungen der Schlefier in das Branden⸗
burgiſche bezeugten den Drud binlänglih. Ehemals hätten
fie in fiebzehn Städten Kirchen gehabt, jetzt kaum noch in
fünf, feit dem 3. 1675 wären an 50 Kirchen eingezogen und
bie Evangelifhen würden unmäßig gebrüdt, wie er näher nach»
wied. Daher habe der König nicht umhin gekonnt, feiner Vor⸗
fahren und amberer evangeliichen Staaten Beiſpiele gemäß,
dem Kaifer die Religionsbeſchwerden ber Evangeliſchen in
Schleſten. Ungarn und der Pfalz zu überreichen und fi bes
fonders für Schlefien nochmals zu verwenden, namentlich fire
zwei unmöndige geborene Schleſier von Köderig, die er zu
feinen Pagen angenommen, ba’ er hoffe, ed werde nicht Ernſt
fein, was der wohlauifche Landeshauptmann geradezu erklaͤrt:
es komme nicht darauf an, daß fie geftelt, fondern daß fie
im katholiſchen Glauben erzogen würden! Es wiederholte bald
darauf feine Verwendung für bie Evangeliſchen in Ungarn und
Gölefien (6 Det. 1705) '). .
&o gut gemeint biefe wie anderer evangeliſchen Staaten
Verwendungen fein mochten, fo konnten fie doch nur im Eins
geinen und hoͤchſtens den Erfolg haben, dag die Beamteten
Anfteuirt wurden, bei ihrem Verfahren alles Auffehn und das
durch die Verwendung ber evangelifchen. Fürften zu vermeiden.
Im Ganzen dauerte der Baum zu ertragende, Drud fort. Als
1) Echleſiſche Kirhenpiftorie IL. ©. 436 u. 445.
Kari XI in Sachſen. 155
daher Karl XIL. bei Steinau fiber die Oder ging, waren ums
Hhlige edangeliſche Schlefler am Ufer bed Stroms verfammelt,
amgaben den König weinend, wuͤnſchten ihm taufendfachen
Segen und beſchworen ihn, ſich ihrer zu erinnern, bie wegen
"Ared Glaubens unterbrüdt würden, was ihnen der König auch
mit Hand und Mund verfprad. Nachdem er in Altvans24. Sept.
Räbt Auguft zum Frieden gepwungen, ben dieſer im Voraus 1706
beiäloffen nicht zu halten und nur eingegangen war '), um
die Schweden moͤglichſt bald aus feinem Erbiande zu entfers
wa, lagerte fi, während feine Generale den Krieg gegen
Per L fortführten, Karl mit feinem Heere bequem in Sache
fen, zunaͤchſt dazu veranlafft durch Auguſts zweideutiges, ja
verätperifches Benehmen, dann durch bie Werwidelung bee
politifchen Berhältniffe der weftlichen Mächte. Einerfeits mufften
der Kaiſer und die Seemächte die Entfernung Karls XI. wins
fen, damit nicht die durch feine Anweſenheit erregte Beſorg⸗
RG die zunächft bebroheten deutſchen Zürften, Gachfen und
Brandenburg und deren Nachbarn, dann wohl das Weich ind»
gſaumt von der Tpeilnahme am Kriege gegen Frankreich abs
biete, dann aber befhrchteten bie Werbindeten, Karl werbe ſich
wohl gar bewegen laffen, unmittelbar einzugreifen und fi
wit Frankreich verbinten, was bem gefammten bis bahin
won ihnen glücklich geführten Kriege eine voͤllig veränderte Ges
Ralt gegeben haben würde. Das machte bie Lage des Kaifers
Wäft peinlich. Ungarn war im Aufftande, die Evangelifchen
in Schlefien in großer Bewegung, die Baiern griffen haufens
wie zu den Waffen, Villars rüdte mit einer franzoͤfiſchen
Anne bis zwölf Meilen von Nürnberg vor und Iud Karl XIL
in, zu ihm zu flogen, Ludwig XIV. that Ale, diefen zu ges
winnen und erkannte auch den Stanislaus Lescinski ald Rd
zig von Polen an”). Ganz Europa fah mit ber hoͤchſten
Spannung auf den jungen allen Lockungen auſſer denen des .
Ehrgeizes unzugänglichen ‚Helden, der mit 20,000 Mann feis
mr unbefiegten Krieger mitten in Deutfchland. fland, wohin er
1) Hoyer l. &. 117.
9 Soyer L ©. 143. Lamberty L p. 569. Gore’s Maris
keougp III. &. 286. Villars Mem. I. p: 224, vergl, TIL p. 284.
16 . Bud V. Bweites Hauptfläd.
ohne Anfrage gegangen war, ohne Erlaubniß einzuholen blieb.
Das Schidfal Europas ſchien in feine Hand gegeben zu fein.
Im feinem Hauptquartiere. zu Altranſtaͤdt, einem unbebeutens
den Dorf unfern Leipzig, fah man die Zünften und Staats:
männer faft aller europäifchen Höfe ſich drängen. Friedrich I.
ſchickte den auf mehrfahen Sendungen an fremde Höfe ers
probten wiſſenſchaftlich fehr gebildeten und hoͤchſt achtbaren ges
heimen Rath Freiherrn von Pringen und den ſchlauen Genes
tal Grumbkow hin.
Karl wollte feinen Weg geben und einen proteftantifchen
Bund mit England, Preuffen, Dänemark’) und Hannover
ſchlieſſen. Marlboroughs perfönlicher Gewandtheit gelang es,
indem er den einflußreichen Grafen Piper durch eine Penfion
gewann, bie deffen Gemahlin annahm, ben König davon abs
zubringen und jedenfalls fo weit flr die Verbuͤndeten zu ges
winnen, daß er fich jeder Einmifhung in ben Krieg wegen
der fpanifchen Erbfolge enthielt?). Friedrich I. erkannte (wie
* Hannover) den Stanislaus als König an”) und es gelang
ihm darauf, vorzüglich durch Marlborough, mit Karl ein
16, Aug. immerwährendes auch beider Nachfolger verpflichtende8 Bünd-
1707 nig zu gemeinfcpaftlicher Verteidigung ibrer Länder zu ſchlieſſen,
wozu ber gegenfeitige Beiſtand auf 7000 Mann beftiimmt
wurde, welche unter Umftänben vermehrt werben follten. Haupts
ſaͤchlich vereinigten ſich beide Könige, dahin zu arbeiten, bag
die Proteftanten in Ungarn, Polen, der Pfalz und Schlefien
Ferner nicht‘ gebrüdt würden. Finde Friedrih L angemeffen,
zu Gunften der von anderen Fürften gebrücdten Lutheraner und
1) Hoyer L ©. 148. .
2) Marlboroughs Leben von Gore. II. ©. 286 u. 302.
8) Tagebuch Peters I. $ 15% Noch im I. 1705 Hatte Friedrich
das verweigert, wie feine bem König Auguſt gegebene Erklaͤrung zeigt.
Theatr. Europ. XVII. p.186. Zaluski epist. IL p. 645. Do) am
9. Febr. 1707 gratulicte er Stanislaus auf beffen Schreiben vom 29, Mon.
1706, zur Königlichen Würde, ebenfo Kaiſer Joſeph. Zaluski epist,
II. p. 808. Es wurde damals wieder ein untergefchobener Vertrag ber
Tannt gemacht, nach weldem Friedrich an Gtanislaus Truppen und
Geld gab, dieſer ihm dagegen das polnifhe Preuſſen abtrat. Lam-
» berty IV. p. 444. .
Karl XD. für bie ſchleſiſchen Proteflanten. '157
Reformirten Repreffalien gegen feine katholiſchen Unterthanen
anınenden, fo verfprach Karl, mit ihm gemeinfchaftliche Sache
u mahen. Im Frieden mit Frankreich folle die den Evangelis
fihen fo nachtheilige Glaufel des vierten Artikels im ryswicker
Frieden vernichtet, der weftfälifche Friede aber aufrecht erhals
ten, England und Hannover dieſem Bertrage beizutreten eins
geladen werben. Im einem abgefonberten Artikel wurben bie
Streitigkeiten beider Höfe über das Directorium des nieberfächs
filden Kreiſes daburdy befeitigt, daß jährlich zwifchen beiden
gemehfelt werben ſollte ). König Friedrich I. war über das,
was hauptſaͤchlich Marlborough in Altranftävt ausgerichtet, fo
froh, daß er diefem einen Ring ſchenkte, welcher 1000 Pfund
Sterling wert) war).
Auch an den Bemühungen Karls, den Proteflanten in
Sölefien ihre Religionsfreiheit zu ſichern, nahm Friedrich I.
ſowie die Königin von England und bie Generalftaaten leb⸗
haften Antheil. Der Kaifer fah fich in feiner ſchwierigen Rage
bei der Drohung des entfchloffenen Karl, ald Schirnwogts der
Proteftanten in Deutſchland, auf feinem Rüdmariche in Schle
fin zu bleiben, biß feine ſeibſt von gemäßigten Katholiken fe
geht gehaltenen Foderungen erflllt fein würden ), genöthigt,
den unter bem Namen der altranftäbtifchen Gonvention befanns un.
im Dertrag -abzufcliefen. Durch Diefen wurde beftimmt, 1, St
1) Martens, Recueil Supplem. T. I. p. 78 aus Nordberg
T. I. p. 481, N. 117. Doch hat Rordberg bie Btatification ber
Egaratartikel nicht, weiche am 26. Auguft erfolgte. Der Vertrag wurde
Kalte von Wartenberg, Jlgen und Pringen in Berlin abs
2) Gore IL ©. 816. Marlborough hatte auch mit dazu gewirkt,
daf Gricbeich I. Reufchatel erhielt. Daf. &. 866.
3) Der humane und rechtliche, allerbings bem xömifchen Stuhle und
da Jeſuiten daher auch ſehr verhaffte Eugen ſchrieb 29. Dec. 1706 an
tn Grafen Gingendorf: „Die Zoderungen bes Königs von Schweden
Degen der eeipeit der Proteftanten in Schleſten find an ſich gar nicht
irertrieben. Wenn ich Alles verſtehe, fo geht es mic doch nicht ein, wie
man die geheiligte Seligion zum Dedmantel des politifchen Intereffe oder,
um mich deutlich zu erflären, Ungeredhtigkeiten machen kann 1 Das wärs
den ihm der ee EST un bie Jefuiten Leicht haben beutlich machen
158 Bud V. Bweites Haupifke,
bie Meligiondfreiheit der Evangelifgen, wie weit fie im ws
faͤliſchen Frieden fefigefegt worden, fole erhalten und Alles in
den Stand gefegt werben, wie es bamald geweſen. Daher
erhielten die Evangelifhen in den Füuͤrſtenthuͤmern Liegnig,
Brieg, Wohlau, Dels und Breslau 118 ihnen feitbem ents
tiffene Kirchen zuruck und niemals follten ipnen Kirchen oder
Schulen wieder genommen werben. Gie durften in ben brei
Briedendlicchen fo- viel Pfarrer als nöthig anſtellen, dabei
Zhürme bauen, Glocken brauchen und Schulen errichten. Die
Evangeliſchen waren nicht mehr verbunden, had Entrichtung
der Stolgebühren, die katholiſchen Geiftlihen zu Amtöverrichs
tungen zu gebrauchen, fondern durften fich ber ihrigen bedienen.
Auch katholiſche Einwohner in evangelifhen Pfarrfprengeln
folten, was dem Geiftlihen gehöre, entrichten, ben evanges
liſchen Mündeln keine katholiſchen Worminder aufgebrungen,
fle nicht zur katholiſchen Kirche gezwungen ober gar in Klöfter
geſteckt werden; Kirchenſachen der Evangelifchen gehörten von
mm an vor bie neu zu errichtenben evangelifchen Conſiſtorien.
Die Öffentlichen Aemter fohten auch von Evangeliſchen vers
waltet werben duͤrfen und dieſen nicht verwehrt werden, ihre
Güter zu verkaufen und auszumwandern ').
Ohne Beachtung der gegen Gewiſſensfreiheit und jedes
rechtliche Verhaͤltniß zwiſchen Katholiken und Evangeliſchen ges
3*. Ki wöhnlichen Proteftation des Papftes *) wurde nach vielfachen Vers
1709 panblungen von ben kaiſerüchen und ſchwediſchen Bevollmaͤch⸗
tigten ein Eyedutionsreceß abgefchloffen, welcher nähere Be—
flimmungen Aber die Ausführung der in der altranftädter
Convention feftgefegten Puncte enthielt, in welchen nod manche
einzelne günftige Beftimmungen für die Evangelifchen erwirkt
wurden. Sie erhielten die Stadtliche und Schule in Golbs
berg zuruck und es wurde ihnen geflattet noch ſechs Kirchen, _
in Sagen, Freiſtadt, Hirſchberg, Landshut, Militſch und
1) Dft gebrudt, aud bei Lamberty T. IV. p. 473 ff. Die
NRadpoeifungen, wo bie hilerher gehörigen Actenftäde gu finden, hat
Walther Silesia diplomatica T. L_p. 100 f. Dis meiften fiehen im
dei Schleſiſchen Kirhenfiftorie. Frkf. 1708, 2 Die.
2) Werve Element XL vom 10. Sept. 1707. Schhleſtſche Kirchen-
hiſtorie WB. IL. ©. 46.
Die polnifhe Krone 159
Zeſchen in der Art wie bie drei älteren Friedenskirchen zu
erbauen, woflr fie indefien noch Über 400,000 Floren an ben
keiſerlichen Hof, theils als freiwilliges Geſchenk, theils als
Darlehen, auch am Schweden nicht unbedeutende Summen
atrihteten. Dennoch war ihre freubige Begeiſterung unges
mein groß und es immerhin ein ſchoͤnes Zeichen der im Gans
ven gemäßigten Gefinnung Joſephs J., daß er auch nachdem
Karl XIL nicht mehr zu fürchten war, den Vertrag ausführte ').
Peter J. hoͤchſt aufgebracht über den König Auguft, den Bel
a der Trenloſigkeit befhulbigte, bot num die pofnifce Krone 2707
dem Prinzen Eugen von Savoyen an, ber fie eben fo heſchei⸗
den alß Flug ablehnte”). Zakob Gobiesfi bewarb fih, nad
dem er in Freiheit gefegt worden war, bei Karl XIL um ben
Felnifhen Thron, was dieſer uͤbel aufnahm, weshalb er fi
zun mit Peter J. verband, der ihm große Wortheile zuſicherte. Juni
ba Abrathen des Kaiferd, feines Schwagers gab er indeſſen
feine Entwürfe wieder auf?) und Peter trug mit gleich une
Sanfligern Erfolge dem Ragoczi die Krone an‘), ald Karl bes Iuli
tits aus Sachſen ahmarſchirte, durch Polen gegen ihn 308,
dann bei Pultawa gefchlagen wurde unb auf das türlifche Ges
biet flüchtete,
Auguft hatte nie daran gebacht, ben in Altranfläbt
Eingegangene Brieben zu halten, war fortwährend mit Peter L
in Berbinbung geweſen und hatte deffen Unwillen zu beſchwich⸗
tg gefucht. Weide wendeten, ſobaid Karl XIL Sachſen vers
kaffen hatte, Alles auf, Dänemark zum Kriege gegen Schwe⸗
den zu bewegen, während ſich Friedrich IV. lieber in Venedig
bergnögte. Erſt, als Karl ſich in die Ukraine vertieft hatte,
1) Nordberg T. IL p. 252 hat recht, indem er fagt, daß von
Am Siegen Karld dieſer ber ſchonſte und von allen Trophaͤen bie eins
ie dauernde gewefen.
2) Schreiben Cugens an ben Grafen Wratislav vom 10. Mai 1707
(Werte VIII. ©. 26) und an Marlborough vom 11. Mat: 1707 bei
Gore II. ©. 360. Wergl. Peters L Tagebuch. $. 152.
8) Deine Beiträge zur Geſchichte der Bamilie Gobiesli in Shloſ ⸗
ftra Archive Bd. V. SS. B4B gehen berdher neun uah onfpeniäe Rah
übten Bergl: Lamberty IV. p. 486.
4) Lamborty IV. 487. Nordberg IL 2 16%
160 Bun Y. Zweites Pauprküd
uni wenige Tage vor ber Schlacht bei Pultawa, erneuerten Fried⸗
Fe rich IV. und Auguft ihr altes Angriffsbuͤndniß gegen Schwe⸗
den, im welches aud Rußland aufgenommen und Preuffen
und Hannover zum Beitritte eingelaben werben follten ').
Weide Könige begaben ſich nah Berlin, um Sriedri I. für
das Buͤndniß zu gewinnen. Diefer empfing und bewirthete
fie mit großer Pracht, ging aber wegen feines eben erſt mit
Schweden abgefchloffenen ewigen Bimdnifles und feiner Theil
nahme an dem Kriege gegen. Frankreich auf bie ihm gemachten
Anträge nicht ein, auch beflanden der Kaifer und die Gees
möchte auf die Neutralität der deutfchen Provinzen Schwedens.
7. Zuti Ex ſchloß daher nur ein Wertheidigungsbindniß ab, in wels
chem er den Königen von Polen und Dänemark alle mit feis
ner Parteilofigkeit verträgliche Unterftügung zufagte, angeblich
bis mit dem Ende des fpanifchen Erbfolgekriegs die Neutralis
tät ber fchwebifchebeutfchen Provinzen aufhören wuͤrde ).
As nun die Nachricht von der Niederlage Karls XIL bei
Pultawa fich verbreitete, ſetzte ſich Auguſt unſchwer wieder in ben
Beſitz des polnifchen Throns. Der ſchwediſche General Kraſſow,
welcher zum Schutze Stanislaus mit 9000 Mann in Polen ges
blieben war, zog ſich von Kalifch über Driefen, gegen Friedrichs I.
Willen durch deſſen Gebiet’), doch ſchnell und mit guter
° Manndzuct nad Pommern zurid. Dänemark, welches (22.
Dctob. 1709) ein neues Schutz⸗ und Zrugbinbnig mit Peter J.
gefchloffen *), bereitete ſich, in Schonen einzufallen und erklärte
Schweden unter ben nichtigften Vorwaͤnden den Krieg. Unter
1) Hoyer I. ©. 175 gibt einen Auszug. Lamberty V. p. 418,
ben Sähött XII. 229 anführt, hat nichts davon.
9680 Shölt XII. ©. 230. Pöllnig Mem. L S. 512 ſpricht
nur von einem Freundſchaftsbuͤndniſſe, ohne Datum und Gegenftand näher
zu bezeichnen. Hoyer I. S. 176 und KRecbg geben 15. Juli an.
„ Lamberty V. p. 418, auf den Schoͤll ſich bezieht, hat bort nichts
davon.
8) Guͤtther ©. 398, Anmerk. c. Borzägli Hoyer L S. 187
daß Priebrich I. mit Dänemark vertragen, Kraffow folle gehindert werben |
nad} Pommern zu gehen, allein Auguft habe bie mit der Peft behafteten
Schweden ziehen Laffen.
4) Hoyer I, ©. 187. Peters I. Tagebuch 5. 216.
Die ſchwediſch⸗deutſchen Provinzen. 161
diefen Umftänden kam es den gegen Frankreich verbuͤndeten
Mächten weniger darauf an, Schwebend deutſche Provinzen zu
teten, als nad Erneuerung des nordifhen Bundes zwiſchen
Peter, Friedrich IV. und Auguft nur zu verhindern, daß nicht
zugleich) mit der Ausfiht auf die leichte Beute, welche dieſe
Provinzen boten, der Krieg im Norden von Neuem aufflams
men und zunächft Preuffen, Hannover und Sachſen verans
laſſen möchte, ihre gegen Frankreich fechtenden Truppen abzus
berufen, was Dänemark zum Theil ſchon gethan hatte.
Preuffen, als naͤchſter Nachbar, konnte bei einer Unternehmung
der nordifchen Verbündeten gegen die ſchwediſch⸗deutſchen Pro:
vinzen nicht gleichgültig bleiben und es entftand der natüxliche
Berdacht, es habe felbft eine Abficht darauf, wie das bei dem
obwohl ebenfalls mit Schweden verbimdeten Hannover wirklich
der Fall war. Friedrich I. indeffen, obgleich durch bie Lage
fäned Staats darauf angewiefen, jede günflige Gelegenheit
zur Wergrößerung beffelben zu ergreifen, war indeffen weit
davon entfernt, aus bem Unglüde Karls XI. unmittelbaren _
Bortheil für fi zu ziehen und ſich ber deutſchen Provinzen
deffelben zu bemaͤchtigen). Er wuͤrde ſich vieleicht, um den
Krieg von der unmittelbarften Nähe feiner Staaten abzuhalten,
des Entwürfen der norbifchen Verbündeten wiberfegt haben,
wenn er nicht zu tief in ben Krieg gegen Frankreich verwidelt
gewefen wäre. Das hinderte ihn nun wieder bier entfcheidend
aufzutreten und er fah ſich genöthigt, durch Unterhandlungen _
zu verfuhen, was er durch dad Schwert leichter vermocht
hätte. Allerdings war für jebt die Frage wegen eines Ans
griffs auf das ſchwediſche Pommern noch nicht auf die Spige
geftelt, man durfte noch hoffen fie friedlich loͤſen zu koͤnnen
umb zuletzt fehlen die Macht der norbifchen Verbündeten allers
dings zu groß für ihn, um allein gegen fie aufzutreten. Fort⸗
während lagen ihm Auguft, Friedrich IV. und Peter L immer
dringender an, ihrem Bunde gegen Schweben beizutreten. Pe⸗
ter Fam unſtreitig hauptſaͤchlich deshalb mit ihm in Marien
werder zufammen und wied ihn, wie erzählt wird, hier auf
1) Doch ‚wollte ex nicht, daß bie Seemaͤchte etwas Gewaltſames
gegen Daͤnemark unternehmen follten. Hoyer L ©. 185.
Stengel Geld d. Preuſſiſch Staats. TIL 11
162 Bud V. Zweites Hauptftäd.
Pommern hin, was Friedrich L ablehnte und Kurland vers
langte, worin Peter und Dänemark nicht willigen wollten, ja
Dänemark weigerte fi, ihm das polnifhe Preuffen, ja mur
Ermland zu verſprechen, um nicht bie Polen zu fehr aufzus
1. Nov. bringen. So fol nur ein wenig bedeutendes, Vertheidigungs⸗
1709 bandniß zwiſchen Peter L und IFriedrich I. abgeſchioſſen wor:
dem fein). [
Auf die von Karl XIL bei Friedrich I. als einem ber Ge
waͤhrleiſter des altranftädter Friedens erhobene Beſchwerde über
Augufts Ruͤckkehr nach Polen, erwicberte diefer: er wolle in
Kuhe bleiben und ſich in diefe Angelegenheiten nicht mifchen.
Von Pommern, Wismar und Bremen aus bedroheten bie
Schweden nun fortwährend Polm und Sachſen. Peter IL,
der Baum aufferhalb feiner Wälder und Wäften eine Stellung
unter ben choflifieten Nationen eingenommen hatte, fprach fchon
als Herr Europa’8 und brohete einen. Heerhaufen nach Poms
mem zu ſchicken ). Die norbifchen Verbimbeten und Preuffen
wendeten fih daher insgefammt an den Kaiſer und bie Sees
möchte und verlangten Sicherheit für Schleswig, Juͤtland und
Deutſchland. Dem gemäß fchloffen diefe zur Erhaltung ber
31. marz Ruhe des Reicht das fogenannte erſte haager Concert *), wel⸗
1710 ges den daͤniſchen Provinzen Jutland und Schleswig und den
ſchwediſchen Provinzen in Deutfchland die Neutralität gewährs
leiſtete. Won diefen Ländern aus follten weder daͤniſche noch
ſchwediſche Truppen Beindfeligkeiten Uben duͤrfen. Dielen Ver⸗
trag nahmen im Allgemeinen, obgleich nicht in allen einzelnen
Puncten die norbifchen Werbimdeten und bie ſchwediſche Te⸗
15. Zutt gierung an *). Friedrich J. ſchrieb, als fid 11,000 Schweden im
Pommern in Bewegung fehten, an beren Dberbefehlöhaber,
den Feldmarſchall Gyllenſtierna und warnte ihn vor einem
1) bLamberty V. p. 482 Hoyer 1. S. 185. Söll XIIL
©. 23 2. Det. ohne feine Quelle anzufügen. Der Vertrag
wurde 21. Det 0. St, d. $ 1. Roo. u. St. abgefdhloffen. Der Sur
N halt iſt nicht gemau befannt. Vergl. Dohna p. 208.
9) Lamberty’s ®orte VL 816.
8) Damont VII. 2. p. 39.
4) Nordberg IL p. 420.
Haager Eoncert. Entwurf zur Theilung Polens. 163
Einfalle in Polen, den man dem haager Eoncerte gemäß nicht
bulben könne ¶ Da man inbeffen einfah, daß fih die Bes
ſtinmmungen des Concerts nicht würden ohne Waffen aufrecht
erhalten laſſen, vielmehr Daͤnemark und Auguft ımter dem
Borwande von Beforgniffen vor Schweden ihre Truppen aus
dem franzöfifhen Kriege zurücrufen wollten, fo fchloffen der
Kaifer und die Seemaͤchte, König Friedrich I. und mehrere
beutfche Sürften einen zweiten Wertrag im Haag, in welchem
Pr fih verpflichteten 15 68 16,000 Mann aufzuftelen, um die 4. Mai
Ausführung des erfien Wertrags gu fihern. Zugleich wollten 1710
die Verbimbeten gegen Frankreich 8000 Mann der demgemaͤß
nun zur Vertheldigung ber ſchwediſch⸗ deutſchen Provinzen fibers
Flüffigen ſchwediſchen Truppen in ihren Sold nehmen ®).
Wahrſcheinlich um diefe Zeit, als die nordiſchen Werblins
deten glaubten ohne Beforgniffe vor Schweden fein zw koͤn⸗
nen, foR Ilgen der Minifter Friedrichs I., welcher hauptſaͤch⸗
Bd die auswärtigen Angelegenheiten leitete, einen Plan zur
— fcheint. Demgemaͤß ſollte Polen zwiſchen dem Zaar,
Vreuſſen und dem Könige von Polen in drei Theile getheilt x
werben und feber den feinen mit voller Souverainität befigen,
der Zaar (auffer dem fchwebifchen Livland) noch einen Strich
son Eithauen, Friedrich I. das polnifche Preuffen und Samos
gitien erhalten, das Übrige dem Könige Auguft erblich verblei⸗
FR Um das auszuführen foüte ſich der Baar des ganzen
eich bemaͤchtigen, den dazu geftimmten und geeigneten pols
nifchen Großen vorſchlagen, zum Wohle der Nation die nach⸗
a —— iu ändern and Das id m
1) Nordberg IT. p. 422.
9 Lamberty VL p. 298 ff. u. 810.
8) Forſters Briebrich Wilhelm I. 3b. IL. ©. 114 gibt aus
Briefe Secendorfs an Gugen
Eugen geſchickten ten Plan v. 3. im (fol 1710 heißen
&s
164 Bud V. Zweites Haupefiäd.
der angegebenen Art zu theilen, dann aber den beiden anberen
Königen ihren Antheif übergeben. Die Senatoren und Gros
Gen folten fich nicht verfammeln, fondern nur einzeln ihre
Stimmen abgeben bürfen, bie Zuſtimmenden belohnt, die Gegs
‚ner als Widerfpänftige behandelt werden und die drei Verblins
deten in Polen 60,000 Mann zur Aufrechthaltung des Ver⸗
trags halten. Dem Kaifer wollte man bad zipfer Land geben
und die fpanifche Monarchie gewährleiften, den Hollaͤndern den
jungſt errichteten Barrierevertrag umd alle möglichen Handels⸗
vorideile auf der Dflfee, Danzig und Riga aber zu unabhän-
gigen Freiftädten machen. Diefer unter ben bamaligen Um—
ſtaͤnden mit fehr ſchlauer Berechnung entworfene Vertrag kam
aber nicht zur Ausführung, zunaͤchſt wohl, weil Karl XIL. die
30. Rod. Beftimmungen des haager Concerts als Begimſtigung feiner
1710 geinde und als Mittel ihn zu entwaffnen anfah. Vergeblich
ſchickte Friedrich L, den die Jortſchritte Peters beforgt mach⸗
ten, den Brigadier Erſander von Goͤthe nach Bender!) mit
dem Vorſchlage, dem Auguſt die Krone zu laſſen und fich mit
dieſem und Preuſſen gegen Rußland zu verbinden. Karl XIL
hatte Fein Zutrauen zu dem treulofen Auguft, bewog vielmehr
die Pforte, den Krieg an Rußland zu erflären. Er rechnete
auf Stanislaus Anhang in Polen und wollte diefen von Poms
mern aus durch den General Kraffom gegen Auguſt unters
fügen laffen und fo feinen Angelegenheiten einen Umſchwung
geben. Daher erklärte er, daß er ein Recht habe, Unters
flügung zu fodern, wenn feine Staaten angegriffen wuͤrden,
da er aber fehe, daß er von feinen Freunden nichts zu hoffen,
fo proteftice ex gegen ben parteiifchen Vertrag, vertraue auf
Gott und feine gerechte Sache und halte Den für feinen Feind,
der es verſuchen würde, ihm bie Anwendung der Mittel zu
unterfagen, welche Gott in feine Hand gegeben‘). Als er
nun für Pommern ben Schu des Reichs in Anfprud nahm,
warf ihm Defterreich vor, die Neutralität abgelehnt zu haben ).
1) Königs Berlin II. ©. 234.
2) Nordberg IL. p. 424. Lamberty VL p. 819.
9) Nordberg I. p. 554; der Kaiſer habe Karl XIL. als Haupt
der Proteftanten gefürditet, doch wollte ex auch nichts gegen ihn tun.
Karl XIL verwirft die Neutralität Pommerns. 165
Den norbifchen Verbimbeten war die Verblendung Karld XIL
ſehr willkommen, weil fie nun ziemlich unbeforgt deſſen Pros
vingen in Deutſchland angreifen und burch diefelben bie biß«
berigen Verbuͤndeten Schwedens, Hannover und Preufien ah
ſich ziehen konnten. Der König von Dänemark, beſchaͤmt durch
feinen ungeſchickt begonnenen, ſchlecht geleiteten und ſchmach⸗
voll beendeten Angriff auf Schonen, war fon geneigt, Fries
ben mit Schweden zu fchlieffen, als er vom Zaar burch große
BVerfprechungen zur Fortſetzung bed Kriegs bewogen wurbe.
Der Kurfinft von Hannover lich. ihm 800,000 Thaler. Er
verabredete mit dem Könige von Polen, Stettin, dann auch Iuni
Stralſund anzugreifen. Der Baar überließ ihm dazu 6000 1711
Mann, weldye bei Elbing flanden‘). Das dem zweiten hass
ger Eoncerte gemäß zur Behauptung der Neutralität Norddeuſch⸗ März
lands zu errichtenbe. Heer kam nämlich ungeachtet aller Ver⸗
handlungen nicht zufammen, weil nad Verwerfung der Neus
tealität durch Karl XIL, der Baar, Dänemark und Auguft
verlangten, die Neutralitätätruppen folten zu den ihrigen ges
gen Schweben flogen. Vergeblich mahnten die Seemächte und
der nieberfächfifche Kreis von einem Angriffe auf Pommern ab,
vergeblich wurden dazu 6000 Mann Defterreicher bei Grün
berg zufammengegogen). Der Tod Kaifer Joſephs änderte, 17. April
wie wir bereitö gefehen haben, dad gefammte Werhältniß der
Berbündeten gegen Frankreich. In England fielen die Whigs,
Zoried eilten Frieden zu fchlieffen, der Zaar erlangte glüds
den wenn auch wenig ehrenvollen Frieden am Pruth und 21. Joli
fpäter defien Beſtaͤtigung, Dänemark und Sachſen droheten,
ihre dem Kaifer durch den Rüdtritt Englands völlig unents
behrlichen Truppen aus Flandern zuruͤckzuziehen. Da willig⸗
ten der Kaifer und die Seemaͤchte unter der Hand in die Vers
Ktätöverhanblungen hatten ein Ende "
Rum wurde bie Lage Preuſſens ſchwieriger als vorher.
1) Hoyer J. ©. 218.
2) Wagner p. 858. Nordberg II. p. 457. Lamberty
VI. p. 442, 452 u. 482. Peter I. und Auguft thaten natärtich was fie
vermochten, bie Wüdung bes Reutralitaͤtcheeres zu verhindern.
ı 166 Bud V. Zweites Hauptfiäd.
An eine Vertheidigung Pommern gegen bie norbifhen Ver⸗
bündeten konnte Friedrich J. während ber größefte Theil feines
‚Hrerd gegen Frankreich ſtand, nicht denken. Ohne alfo Schwes
den fügen zu koͤnnen, muffte es zufehen, daß Andere die ihm
fo günftig gelegmen Länder verheerten und beren Feſtungen bes
lagerten. Wenn man fieht, auf wie nachläffige Weiſe diefer
Angriff von bem nordifchen Verbündeten ausgeführt wurbe, fo
wird man fich leicht überzeugen, daß 20,000 Preuffen in Vers
bindung mit dem Schweden ohne große Aufrengun —
Pommern zeiten und ed mit ber gefammten Macht der
" Schwedens aufnehmen Finnen.
26. Spt. - Die Dänen, Ruffen und Sachſen legten fi) vor Stral⸗
1711 fund und ſchloſſen einen Vertrag zur Theilung ber fimaiit-
deutfchen Provinzen. Auguft folte Pommern und Rügen, doch
auch Preuffen, wenn es zuträte, einen Theil davon, Dänemark
für eine Summe Geldes die Hälfte Bügens bekommen, ferner
Bremen, Verden und Wismar nehmen, davon fin Geld Wis⸗
mar an Medienburg und ein Stud des Bremenfchen an Hans
nover Üüberlaffen, welches fih num gegen Schweden erflärte,
Lioland wollte wo moͤglich Auguft haben und Schweden ſollte
ale früher Dänemark entriffenen Länder zurkdgeben. Augufl,
welcher wuffte, daß bie Seemächte daB nicht zugeben wuͤrden,
betrog mit biefer Außficht den König von Dänemark, welcher
bie größefte Laſt des Kriegs trug, was biefen, als er es ers
fuhr, fehr aufbrachte‘). MWergeblich bot ber Baar an Fried⸗
ih L Elbing und Stettin, wenn er Belagerungsgefhüs zur
Eroberung ber pommerfchen Feſtungen liefen wuͤrde. Briebrich
ging nicht nur nicht darauf ein, fonbern verweigerte aud dem
fachſiſchen Belagerungsgeſchute den Durchgang durch fein Land
nach Stralfund”). &o hatte die Belagerung wegen ber ſchlech⸗
ten Anftalten der Belagerer keinen Fortgang und muflte aufs
gehoben werben. Die daͤniſch⸗ ſaͤchſiſch⸗ Seen Truppen
blieben in Pommern, fperrten entfernt Stralſund unb Stettin,
dann auch Wismar. Nur mit Mühe fühnte der Baar den
König von Dänemark wieder mit Augufl aus, ber bafür an
1) Hoyer L @&. 219.
2) Lamborty VI. p. 611 f. u. 686.
Krieg in Pommern. 167
. ganz Rügen abtrat, was doch erſt erobert wers
Dagnus Gteenbot landete mit 6000 Ram
mit
FE
R
FF
Hu
lag damals und lange noch viel bavan, frgen!
in Deutſchland zu faſſen, daher langten na
Mann Ruffen in Pommern an, fperrten
fund und Gtettin, faugten das Rand auß, vers
Ey
do 1712
& und
den Mai
EIER
Are;
Pt;
E le
FH
HR
H dar
es wegen ber Folgen nicht that und 100,000
Ruffen zahlte”). Wismar vertheidigte ſich taps
fer gegen bie Dänen, weldhe es (feit Juli 1712) einfchlofien
und belagerten; befto leichter wurbe dieſen die Einnahme Bre⸗
wens, wo fi auch Stade nach kurzer Belagerung ergab.
Rum wollten nad) langen Berathungen Di Bun ee Eh
fin Stralſund bombarbieren und dann Rügen angreifen, doch
ds die Schweden Berftärtung hinſchickten, unterblich ed. Steen⸗
bed ging plöglic) und ungehindert von den Ruffen‘ und Sachs
fen von Stralfund in das Mecklenburgiſche; bie Dänen zogen
Rh zuruick. Auguft beforgte einen Einfall in Polen oder Sach⸗
fu, Breenbodt aber wendete fiy gegen bie Diner, ſchlug fie
bei Gadebuſch aufs Haupt und ging ken ‚Holftein, wohin
HE
8
J
&
Bergnügens, voller Eifer ee eriöten, immer weient
—E so, Der König von Dänemark vers
handate heimlich mit Ein Bundesgenoffe betrog ben andern.
D) Sralath Fee 6.29%. Nordberg II.
P- 65%: Lamberty VII p. 495 f.
8) Hoyer L S. 281. Peters J. Tagebuch $. 820 f.
4) Hoyer I. S. 285. Verhandlungen mit Yannover, Wolfenbüttel
HeffensKaffel über bie Neutralität Rorddeutſchlande und Gequeftration
a m Gäpoeen genommenen Pläge, doch ofme Grfolg. Der Ce
&
sogen die Dänen gegen Wismar und Bremen '). Januar
168 Bud V. Zweites Hauptfläd.
liche Zwecke im Auge, kam er bier in einem fo unſcheinbaren
Wagen an, daß er unbemerkt blieb und durch einen Beſuch
zu Buße den König auf dem Schloffe überrafchte. Er foll
dieſem abermals große Anerbietungen gemacht haben, wenn er
gegen Karl zutreten wolle; body blieb ber König bier parteis
108 fo lange er lebte‘).
Während Friedrich J. fo in verhaͤltnißmaͤßig für ihn ſehr
» wenig fruchtbarer Theilnahme an ben großen europaͤiſchen Bes
wegungen feine Truppen verwendete und feine Kräfte erſchoͤpfte,
wurbe die Schwäche ber innern Verwaltung ebenfalls nur
Aufferlich durch den Glanz des Hofs, durch prunkvolle Feſte,
koſtbare Bauten und Befoͤrderung ber Künfte und Wiſſen⸗
ſchaften verdeckt, welche der Eitelkeit des Zürften dienten. Bei
der an Verſchwendung grenzenden Zreigebigkeit Friedrichs, bei
der prächtigen Hofhaltung und ber Macht und Habſucht des
Guͤmſtlings und feines Anhangs fonnten die gewöhnlichen Eins
Elnfte. des Landes auch mit Hinzurechnung ber bebeutenben
Subfidien, die er von fremben Mächten erhielt, nicht auds
reichen, ja es iſt bie Frage, ob dieſe überhaupt genügten, die
Koften der baflır geftellten Zruppen zu beſtreiten ; ſicher erſetz⸗
ten fie dem bamald noch ſchwach bevoͤllerten Lande nicht ben
Verluft fo vieler Träftigen Männer, welche in Flandern, am
Rheine und in Italien blieben, wenn gleich ein Theil davon aus
geworbenen Fremdlingen befland. Daher nun ber, wie wie
ſchon bei Eberhard v. Dankelmann gefehen haben, fo ſchwierige
Stand des Finanzminifters, der dann auch noch von Zeit zu
Seit mit der natuͤrlichen Güte und Rechtüichtkeit bes Bürften
felbft zu kämpfen hat. Als bei der Annahme des neuen Kas
lenders im 3. 1701 elf Tage im Februar weggelaffen wurden
und man bem Könige vorſchlug, dafür aud ein Neuntel ver
Beſoldung dieſes Quartals abzuziehen, erwiederte er in feiner
echt eigentlich von Natur fo gutmüthigen Weiſe: „Ich will,
daß meine Leute mic) nicht chikaniren, ich fie aber auch nicht *)."
Bum Beweife, daß man recht gut zufe, worauf es bei
dem Staatshaushaite anfanı, dient wa ber Kurfürft in feis
1) Königs Berlin IL ©. 285.
2) Büfhinge Magain VL ©, 486.
’
Finanzen. 169
nem Ebicte (v. 17. März 1698) übes bie Domalnenverwals
tung ausſprach: ein wohlbeftelltes Regiment beruhe auf nichts
gewiſſer und fefter, als auf einer acturaten Delonomie, wos
durch ein Regent fi bei Freund und Feind, bei Nachbaren
und Unterthanen confiderabel mache, bagegen durch uͤbele Hauss
haltung und Adminiſtration der Finanzen bei Jedermann in
Verahtung gerathe! Allein biefe Grundfäge waren, wie wir
hon geen, ſehr verſchieden von dem wirklich beobachteten
Daher muffte fortwährend auf neue Mittel zur Beſtrei⸗
bei Einführung der Accife auf die ‚Hälfte verringerte Grund⸗
urde vermöge Receſſes mit ber Landfchaft der Marken
15. Mai 1704) zwar auf ein Drittheil herabgeſetzt,
alkin der Hufen⸗ und Giebelſchoß dafür (18. Sept. 1704) in
ln Marken und zwar faft ganz zu der Höhe vom I. 1687
wieder eingeführt und ben Ständen ibergeben, von denen ein
Aubſchuß die Aufficht uͤber das gefammte —e erhielt,
a en häufiger
werdenden Anleipen des Zinften Birgfhaft für die aufges
nemmenen Gapitalien und Binfen zu leiften‘). Die Pt
beit der Städte wurde (4. April 1698) auf Kaufs und Hans
desleute beſchraͤnkt, welche jedoch bie Hälfte des
*
8
nehmen die Könige den Zoll? von ihren Kindern ober von
Fremden? Da ſprach Petrus: von ben Fremden. Jeſus ſprach:
fo find die Kinder freil Die fürftlihen WBeamteten werden in
der Bibel ebenfalls Gruͤnde für das Recht bes Tuͤrſten zur
Erhebung des Zolles von feinen Kindern gefunden und in Exs
mangelung berfelben auslegende Unterftütung bei den nach und
nach immer bienfhoilligern Schriftgelehrten gefunden haben *).
H Baſchings Magazin XIL ©, 489, vorzuglich Thiele S. 665.
2) Oiſtoriſch· politiſche Beiträge u. |. w. 36. I. S. 78 von bee Bolle
freiheit einiger kurmaͤrkiſchen Ctähte.
"10 Bud V. Bweites Haupefiäd.
Das Königreich Preuffen hatte noch feine auf ben Sands
tagen verfammelten Stände und ihnen Friedrich diefe auch (im
3.1690) von Neuem zugefichert, doch dienten fie faft nur zur
Bewilligung von Abgaben, wogegen man ihnen die Eingaben
eher .
400,000 Thaler getragen, jegt nur 240,000 Thaler, wogegen
allein das in Preuffen fiehende Kriegsvolk 480,000 Thaler
was er verlangte ').
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kon Thalern aufgebracht, dazu von jeder Hufe Landes
ſchen und verhältnigmäßige Abführung vom
liegenden Grimden von Vieh, Bewerben und
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Jahre 1701 an wurde bie auſſerordentliche
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1) Baczto Bd. VL ©. 817.
2 Thile S. 95.
8) Königs Berlin II. ©. 121.
4) Zhile ©. 108, .
5) Königs Annalen ber Juden in ben preuffiihen Gtaaten ©. 164.
Finanzen Steuern " 11
2. Aug. 1707 und 19. Der. 1710) zur Unterhaltung bed Heers
‚ wobei der König mit 4000 Thalem, feine Ges
mahlin mit ber „Hälfte angefeht wurbe. MBeamtete begablten
einen Monatögehalt; die Abfiufungen der Anfäge waren gegen
früher ſehr vermehrt; Pferdes, Dchfens, Kühes und Schweines
ine nich
a. Dei 1705) wınden die Anfäge im Algeneinen noch er⸗
doͤbet und weiter ausgedehnt.
Die Stempeleditte wurden (1. Mai 1700) emeuert, *
Kartenftempel für die Armen in Berlin ausgeſchrieben, ber
Gebrauch —— (1702) bei zehn Thalern Strafe
verboten und das Poftporto fo erhoͤhet, daß es in Preuffen
Gegenſtand einer Landtagsbeſchwerde wurde.
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kaien aber, Handwerksgeſellen und geringe Leute zwoͤlf Groſchen
erlegen. Bald darauf wurde bie Steuer auf Caroſſen auf ans
berthalb bis drei Thaler gefleigert, von der Perrltenfteuer aber
Prediger, Schulbediente, "Studenten, Schüler und Kinder uns
ter zwölf Jahren (welche alſo aud ſchon Perrüden zu tragen
172 Buch V. Zweites Hauptfläd.
pflegten) außgenommen. Zur Beitreibung wurde (22. April 1701)
mit militairiſcher Execution gedrohet, daher dieſe beiden Steuern
dem zum Perridens und Garoffen-Infpector ernannten Franzo⸗
fen Lauverdaugier in Pacht gegeben. Nun muffte jede Verrucke
geftempelt fein und bie einheimiſchen Urfprungs ſechs, die fremden
fünfundzwanzig Procent vom Werthe erlegen. Im folgenden Jahre
(4. April 1702) wurde das, weil es nicht ben erwartefen
gehabt und viele Klagen entfianben, wieber aufgehoben, bie Ca⸗
toffen-Steuer blieb und die Verruͤcken wurden nad) dem Stande
derer befteuert, welde fie trugen, fo daß Hofs und Staats⸗
beamtete bis zum Generalmajor jährlich zwei und einen halben
Thaler, bis zum Major zwei Thaler und fo herab bis zwölf
Groſchen jaͤhrlich zahlten.
Bei dem immer ſteigenden Geldmangel wurde dem Kö⸗
nige vorgeſtellt, welch ein nutzbares Commercium mit Schweins⸗
borſten anzurichten ſei, und daß in ſeinen Staaten faſt die
beſten derſelben vorfielen, daher (4. Sept. 1708) der Steuer⸗
und Commercienrath Creutz dem Publico und ben Unterthanen
au Gute auf ſechs Jahre privilegirt, alle Bahmes und Wildes
ſchweinsborſten außfchlieglich allein aufzukaufen. Es wurbe
bei Gonfiscation verboten, bie Schweine durch Abſchneiden von
Borften, Brennen ober Schneiden an ben Opren zu zeichnen,
ferner da die Schweine alle Jahre vierzehn Tage vor ober
nad Johannis die Borſten verldren, welche bisher umgelom⸗
fin ausraufen und von jedem Schweine beſonders mit einem
Faden zuſammen binden, an des Creutz Commiſen abliefern
und von dieſen erſt ſollten ſie die einheimiſchen Bůrſtenbinder
ſollten nicht duͤrfen aus den Borſten Maurerpinſel machen.
Dem Anzeiger von Uebertretungen wurden zehn Thaler gebo⸗
ten. Als die fo gebulbigen Unterthanen doch über eine fo
drlidende Verordnung und namentlich fiber deſſen unbeftimmte
Saffung binfichtlich des Preifes ber Borſten unzufrieden ') wurs
1) Königs Berlin IL. ©. 161 u. 191. Das Uebrige meiflens
wörttih aus ben darüber erlaffenen Gbicten.
Finanzen. Steuern. 173
den, fo erſchien (4. Juni 1709) ein neues Edict. Wer den
Commercienrath Creug ober deſſen Commiſen mit ſchimpf⸗
lichen ober ehrenruͤhrigen Worten, wie geſchehen, angreife, folle
fofort ohne weiteren Proceß mit Gefangenſchaft oder anderen
Leibesftrafen belegt und ebenfo, gegen. bie Uebertreter bes
Schweineborſtenhandlungs⸗Privilegiums verfahren werben. Die
Eigenthuͤmer der gefchlachteten Schweine wurden bei Strafe
angehalten, die Borſten nicht umkommen zu laffen, fondern
dem Greug abzuliefern, die Verpflichtung zu Ausraufung der
Borften von lebenden Schweinen um Johannis, wiederholt
und dabei erflärt, daſſelbe fei der Gefundheit der Schweine
nicht nachtheilig.
So konnte denn ein gewandter Abenteurer, ber ſich Dos
minico Caetano Gonte de Ruggiero nannte und im glänzen
dem Aufzuge nach Werlin Fam, bei den Grafen Wartenberg
und Wittgenflein und dann beim Könige Eingang ald Alchy⸗
miſt gewinnen, indem er Hoffnung erregte, durch feine Kunſt
leicht Gold zu erhalten. Taetano Iegte auch, wie gewöhnlich,
als fertiger Taſchenſpieler eine Probe feiner Kunft ab, vers
ſprach Millionen, erhielt eine Wohnung im Fürftenhaufe und
wurde völlig freigehalten, erhielt aber Fein Geld, weil man
nicht glauben Tonnte, daß er es nöthig habe. Er verlangte
nun 50,000 Thaler Vorfhuß, um die Materie zum Golbmas
en zu kaufen. Als man ihm diefe nicht geben wollte, ging
er nad) Frankfurt am Main. Der König, der von der Kunſt
des Mannes überzeugt war‘), ſchickte feinen Kämmerer. Mars
Ina von Pa der duch feine Verſchwendung verarmt
fo Hoffnung fah, fi zu reiten, fogleih ab, ben
wieber zu holen, was ihm auch gelang, weil Gaetano
nichts mehr wünfchte. Obgleich nun fehon von mehreren Hös
fen Anzeige am, daß er mehrere Fuͤrſten betrogen und fi
der Beſtrafung nur durch die Flucht entzogen, fo glaubte man
das doch nicht. Der König empfing ihn fehr gnäbig, gab
ihm ben Rang als Generalmajor und ſchenkte ihm fein mit
1) Daher wurbe vom Minifter Buchs in ben Klagpuncten gegen
Dantelmann die Goldmacherei nur leife berührt. Cosmar und Klaps
roth ©. 271. Der Kronpring wollte nicht baran glauben, was fein
Bater übelnahm. Baßmanns Leben Frichrich MipeimsL Bd. LE. 27.
al:
‚174 Bud V. Zweites Haupeftäd.
Brillanten beſetztes Wild. Als er aber zur Beit
kein Gold fertig hatte, flüchtete er nach ‚von wo ee
abermals bewogen wurde, wieder nach Berlin zuruͤckzukehren,
"dann aber nach Hamburg flüchtete, wo ihm der König ber
Proteftation des Magiſtrats ungeachtet aufheben und nach
Küfrin bringen lleß. Auch bier wuflte er ben König und
die angefehenften Männer zu bienden, daß diefe feſt an feine
Kunft glaubten, nur der nachherige geheime Math Kraut nicht.
zubalten, bis man ihm ben Proceß madıte und, weil er dem
Könige viel Geld gekoſtet, (23. Aug. 1709) ihn in Küſtrin
in einem Kleide mit Flittergold aufhängen ließ ').
Ratirlih wurde unter foldhen Finanzverhaͤltniſſen die
Aufmerkſamkeit au auf einen höhern Ertrag der Domainen
gerichtet. Es wurden daher (6. Dec. 1697) Gommiffarien
zus Unterftügung des Kammerweſens in allen Provinzen ers
nannt und ihnen eine tuͤchtige Inftruction gegeben. In feinem
bereits oben amgefhhrten Edicte (v. 17. März 1698) gab Fried»
rich den Hauptgrunbfag einer jeden für den Staat fo noths
guten jperwaltung an und verficherte, jeht folle
das Einkommen der Rammergüter und Domainen hauswirths
dh genutzt und richtiges Gleichgewicht zwiſchen Einkommen
und Auegaben gehalten werben. Es wurde daher eine Doer
direction alle Domainen angeorbnet, welche aus den Grafer
Bartenberg und Lottum nebſt anderem Kaͤthen befland zumi
zugleich die Dberaufficht über die Bol, Scent⸗ Salz · Dan
deißs, Steht, Mlnze, Bernfleins, Bergwelös, Zis
den Acın. Bel Bas
manns Leben Friedrich Wipdms I. Mb. L ©. 27 ff. und Pöll m;
Demeicen L. ©. Aa. Andy der Balgen war nad) diefem mit Golbpargoi
bekicht wıb Gactamo wuche In einem vhmnlfchen aus Bolbpapier verfertäne
Domalnenvererbpadtung. 176
Her, bie Unterhaltung der Feſtungen, die Acchfe, Voltzei
Fabriken, Handwerke und die Känmereien ber Staͤdte hatte.
Bald barauf übergab ein gewiſſer Luben von Wulffen
(1. Mai 1700) einen Entwurf zur Verbefferung der Domai⸗
angebauet werden koͤnne. Die Pächter und Adminiſtratoren
Hätten bisher die beſten Stuͤcke, wo früher Dörfer geweien,
zu Vormerken gemacht umd ben Mauern entzogen, bie doch
große Laften trügen umb auf ben zwei bis drei Meilm ent
legenen Vorwerken Dienfte verrichten muͤſſten, was fie ruinire
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176. Bug V. weites Haupıfät.
ſuchung des Gegenftandes aus den boͤchſten Staatsbeamteten
beſtehende Gommiffion, hunter biefen die Minifter Wartenberg,
Fuchs, Jigen, erklärten ſich indeffen günflig fir die neue Eins
richtung und es wurde (28. Nov. 1702) fogar ſcharf vers
boten über bie Erbpacht uͤbele Meben zu führen. Am eins
ſichtsvollſten und gemäßigtften war das Gutachten bed ums
fihtigen Kraut, welcher die Erbpacht bei wüften Strichen, bie
» Beitpacht aber bei angebaueten für vortheilhafter hielt, vorzügs
lich wenn bie zu großen Aemter mehr zergliebert würden. Er
machte aufmertfam darauf, daß zwar durch ben Verkauf des
Inventariums und ber zum Theile koſtbaren Gebäude auf eins
mal eine ‚bedeutende Summe Geldes einkomme, baß aber ber
Nachtheil gleich darauf eintrete. Luben vertheidigte feine Ents
würfe nicht ohne Einficht und betheuerte feine Hoffnung ver
wirklichen, ben Ertrag um 200,000 Thaler erhöhen und viele
neue, Dörfer anlegen zu koͤnnen. Der von ihm nachgewiefene
Ueberfhuß Fam indefien aus dem verfauften Inventare ber.
Bei dem lauten Gefchrei gegen Luben wurde nun eine neue
Commiffion (im I. 1703) zur Unterfuchung der Erbpachts⸗
fache ernannt und obwohl in einzelnen Zaͤllen die Wortheile
und der höhere Ertrag der Erbpacht anerkannt wurden, fo
urtheilte die Commiffion doch nur, daß fie im Allgemeinen
vorteilhafter als Beitpacht fei, wenn auch lange nicht in dem
Maße, ald behauptet worben. Alle Provinzialcollegien waren
gegen bie Erbpacht; Luben vertheibigte fich indeſſen gegen bie
von den Amtskammern gemachten vielen zum Theile laͤcher⸗
lichen Ausftellungen und gegen feine täglich zahlreichen Geg⸗
ner Aufferft geſchict und zeigte fi als einen fehr unterrichtes
ten, mit bem wichtigen Gegenſtande nicht nur oberflächlich bes
kannten, fondern wirklich vertraueten Mann. Er hob unter
andern hervor, wie fehr der Bauer durch den Pächter. gedruͤckt
werde, wenn er wie ein Leibeigener oft vier Tage Spanns
dienfte zehn bis dreißig Meilen weit im fchlechteften Wege
verrichten muͤſſe, während die Erbpacht das in einen jährlichen
Geldzins verwandele. Er zeigte, wie vortheilhaft die Vereins
zelung ber großen Güter durch Erbpacht auf befiere Bewirth⸗
ſchaftung des Bodens und Vermehrung des Viehftandes wirke,
daß feit Einführung der damaligen Verpachtungsweiſe vor
Domainenvererbpadhtung. 177
manig bis breiffig Jahren viele hundert Tonnen Butter hits
tn aus Holland veifchrieben werben muͤſſen, was nun nicht
mehr nöthig fei. Die Pächter, welche ſich ungemein bereichert
hiten, wären aus Gigennug gegen bie Erbpacht, deshalb
nähmen ſich die Amtskammern berfelben an. Die Vortheile
der Erbpacht ftellten ſich in ber That immer mehr Heraus und
ungeachtet aller Hinbernifle war ber Ertrag ber in Erbpacht
gegebenen Domainen in den Marken, in Magdeburg, Halbers
Rat, Pommern und Hohenftein um mehr ald 88,000 Thaler
geſtiegen. Der König belohnte daher im 3. 1705 den Luben
mit einen Geſchenke von 8000 Thalern. Mit den bis zum
3. 1709 verkauften Inventariens, Erbſtands⸗ und Gautionds
gebern, insgeſammt über 600,000 Thaler, waren größten
teils Schulden bezahlt und verpfänbete Güter eingelöf wors
den. Der König war nun voͤlllg baflız gewonnen und befahl
die weitere Ausführung im Mai 1710. Luben follte die Erb⸗
pacht im Cleveſchen einführen und noch am 22. October 1710
wurden die dortigen Domainen zur Erbpacht Öffentlich ausge⸗
boten. Allein fchon gegen das Ende biefes Jahrs gewannen
bie Gegner der Vererbpachtung fo vielem Einfluß, daß der
Kammerpräfibent von Kamecke ed wagen konnte, im November
1710 ein Gutachten abzugeben, welches, ohne auf die Vor
düge der Zeitpacht einzugehen, ſich vorzüglid barauf fügte,
daB bie Domainen unverdufferlich, die Vererbpachtungen aber
eine Art von Verdufferung wären. Es fei ferner bei der Vers
abung große Zerfplitterung und daher emblich zu befürchten,
daß die Erbpächter nicht mehr zahlen koͤnnten. Gr wies nad,
daß die pommerſchen Aemter in ben letzteren Jahren ber Zeit⸗
pacht gegen 12,000 Thaler mehr ald während der Erbpacht
wirklich eingetragen, baß die Einrichtung felbft gegen 13,000
Zhaler gekoſtet; dazu wären bei der Vererbpachtung viele Ac-
des, Contributions⸗ und andere Freiheiten bewilligt worben,
welche num ben anderen Kaflen entgingen; daher erflärte er
fi gegen bie’ weitere Vererbpachtung ber Domainen im Clever
hen und der Graffhaft Mark’). Diefe Veränderung hing
1) Die befte und zuverläffigfte Auskunft über biefen hoͤchſt wichtigen
und geſchichtuich merkwürdigen, faft in allen preuffifcen Gerdichtsbüchern
miftellten Gegenftand gibt bie Geſchichte ber verbefferten Cinrichtung der
Stengel Seid. d. Preuſſiſch. Staats. II. 12
178 Bud V. Amweites Hauptſtuͤck
aber genau mit der viel wichtigern zufammen, welche durch
den Sturz des lange fo mächtigen Guͤnſtlings bewirkt wurde.
Die Vorfücht, mit welcher der Graf Kolb von Warten⸗
berg einen großen Theil der Stantögefhäfte, bie er nicht zu
verwalten verflanb, Andern überließ, bie Gewandtheit, mit
der er nur bie übrigen und noch mehr feinen Herrn behandelte,
deſſen Schwächen er vollkommen Tannte, die Geſchmeidigkeit,
mit welcher er in deſſen Anfichten ohne zu widerſprechen einging,
die Shgfamkeit, mit ber er deſſen Saunen ertrug, bie Geſchick
lichkeit, mit welder er ihn zu. vergnügen und Unannehmlichs
keiten von ihm entfernt zu halten wuflte, dann endlich ſelbſt
die Schonung, mit welcher er denjenigen begegnete, ‚die er nicht
als feine Feinde zu betrachten veranlafft war, ihn nach
und nach fo des Königs Gunft geſett, daß 4 (nes
und bald unmöglich fehlen, ihm biefelbe zu entreiffen. Der
König befahl (1. Febr. 1702), daß ale eintommenden Sachen
gerabezu an den Grafen Wartenberg und ben geheimen Rath
Ilgen geben, erbrochen und an die Departements vertpeilt,
mur die ber aubwärtigen Angelegenheiten in Gegenwart bed
Königs eröffnet und bie vorläufigen Werfügungen von Its
gen fogleih ausgefertigt eben fetten Der deidmar⸗
amteten,
1702 aud ben en Dohna's) einen Werfuch, Wartenberg zu
Der Hofmarſchall von Wenſen nahm daher bie Ges
Bgenheit wahr, dem Könige zu fagen, Wartenberg miöbrauche
feine Macht, erlaube ſich viele Ungerechtigkeiten unb große Ex
preffungen, deren Ertrag er in die Pfalz ſchaffe und baflr
Guͤter Taufe, während die Gräfin ihr Geld nach England
ſchicke. Ausgaben hätten fle nicht, weil fie bei Hofe wohnten
und in Allem frei gehalten würden. Die Rechnungen bed Ks
peeuffifchen Domainen in ben Hiſtoriſchen u. ſ. w. Beiträgen die peeuffls
Km u nm Staaten betreffend, TH. IT. Bb.1. &. Bf, aus den Acten
Gine volftänbige Geſchichte wäre hoͤchſt wünfdentwertg.
I Dahan 2287, welcher über bie eigentlichen Gründe feiner im
3. 1702 erfolgten Gntioffung leicht hiageht.
Kolb von Wartenbergs Sunf. 17
chenmeiſters würben zeigen, daß des Grafen Tafel mehr koſte,
ais die des Königs. Wenfen erbot fich, aues von ihm Anges
führte zu beweifen'). Der König hörte iin ruhe an, —
aber dem Dberkaͤmmerer, welcher, eintrat, als Wenſen
das Zimmer verlafien hatte," Ale, was dieſer gefagt, 23 er⸗
Üärte, er glaube nichts davon, weil Wenſen ein boshafter
Menſch fe. Wartenberg kannte den König genau und bat
daher zu deſſen großer Rührung, body, wie er vorausfah, obne
Erfolg fr ihn. Wenfen wurde als Stastögefangener nach
Küfkrin gebracht, Barfuß mit einer Penfion entlaflen, Lottum
ahielt ben Dberbefehl der preuffiihen Zruppen in Flandem,
bie von Dohna's gingen auf Ihre Güter in Preuffen ).
Die Macht des Guͤnſtlings wear nun fefler als je ges
grlnbet, fein Anſehn fo groß, bie Furcht, ihm zu misfallen,
S
von Wartensleben, welcher früher in kaiſerlichen, heſſiſchen und
gothaiſchen Dienften geflanden und fi in Ungam, Stalien
und am Rheine fehr ausgezeichnet hatte, ein gutartiger und
dem Oberkaͤmmerer aͤngſtüch gefigiger Mann, wurde zum
1) König II. S. 118, der in der Anmerkung aus alten Ccheiften
dieſer Beit anführt, Wenſen habe gefagt, Martenbergs Tafci koſte Jähr
&d, 80,000 Zhlr.
2) Sosmar und Klaproth ©. 288, wo bas Sahr 1708 u
-. Dem PR 280.
12*
180 Bud V. Zweites Hauptfiäd. .
großen Werbruffe der preuffifchen Generale als wirkficher ges
heimer Kriegsrath, Generalfeldmarſchall, Statthalter von Ber⸗
lin und Befehlshaber der vier Bataillone ber koͤniglichen Garbe
angeſtellt, als folcher ungeröhnlicher Weife unter Trompeten
und Paufenfcplag prociumirt und auf des Königs Veranlaſſung
vom Kaifer in: den Grafenfland erhoben '). &o wie. diefer
das Kriegswefen, fo erhielt an Lottumd Stelle ber Graf von
Wittgenftein, der Sohn des Grafen Johann, ein harter, hoch⸗
fahrender, eigennügigee Mann, die Finanz⸗ und Kammerges
ſchaͤfte ). Der geheime Rath Ilgen, ein eben fo unermuͤd⸗
ücher arbeitfamer, als erfahrener Geſchaͤftsmann leitete mit
vieler Umficht die auswärtigen’ Angelegenheiten und wuſſte fich
durch die große Vorficht, mit welcher er ben Hofintriguen fern
blieb, allein von allen einflußreihen Männern erfiend Range
unter ber wandelbaren Gimfllingsregierung Friedrichs I., wie
unter deſſen Rachfolger bis an feinen Zob zu behaupten).
Bar num au die Königin über Dankelmann unzufries
ben gewefen, fo batte fie ihn doch ſicher achten müffen, was
bei deſſen Nachfolger in der Gunft ihre Gemahls nicht der
Ball war. Sie beklagte nicht ſowohl feine ihr nur zu bes
Fannten Schwächen, fonbern daß er bei dem WBedürfniffe nach
einem Günftlinge nicht beffer gewählt habe. Bei ihrer Neis
gung zum Spotte mögen in ihrem Kreife farkaftifhe Aeußes
rungen nicht gemangelt haben*); fie felbft behandelte ihren
Gemahl durchaus Tall. So wurde daB Werhältniß unter
1) Königs alte und neue Denkwürbigkeiten ber preuſſiſchen Armee
S. 155. Pöltnig Memoiten I. ©. 856.
9) Pdlinig Mem. L ©. 859. Man nannte dann bie drei Grafen
Wartenberg, Wartensiehen und Wittgenftein, wegen ber Anfangsbuchftaben
ihrer Ramen bie brei großen MWueh) des Landes.
8) Gosmar und Klaproth S. 398. Gr verbat es fih im
3.1699 als ihn Friedrich aum geheimen Bu ernennen woRte und muffte
erſt im 3. 1701 eintreten.
4) Dohna p.310 exzaͤhlt, bie Königin habe zu ipm über Wartenberg
oefagt: c'est un franc bagatellier et vraiment une bete. Dohna ante
wortet: il faut quil ait du genie infiniment puisqufl a trours le
" secrät de se rendre n&oessaire & son maltre. Man teiß, daf fie ihres
Gemapts Schwaͤchen nicht verſchonte. Erman p. 242. Diefe Einzelne
heiten gehören jedoch nicht in die Geſchichte bes preuffifcken Staats. -
Tod ber Königin Sophie Charlotte, 181
beiben Gatten endlich auf leere aͤuſſere Foͤrmliqhkeiten bes
ſchraͤnkt, body begegnete ihr. der König immer hoͤchſt achtungs⸗
voll. Auf einer Reife nach Hannover zu ihrem Bruder, bem
Kurfürſten Georg, erkrankte fie und fühlte fich nach kurz vor
übergegangener Beſſerung bald ihrem Ende nahe. Sie blich
bei volllommenem Bewuſſtſein und völlig gefaſſt. Dem Geiſt⸗
lichen, welder fie hatte zum Tode vorbereiten wollen, ließ fie
auf deſſen Anfrage Tags darauf fagen: es fei nicht nöthig,
daß er ihr noch zufpreche, fie wiſſe, was er ihr bei einer fols
en Gelegenheit fagen koͤnne, fie habe fih das Alles ſchon
felbft gefagt, thue das noch immer und hoffe, bei ihrem Gotte
ganz wohl daran zu ſein. Einer ihrer vorzüglich geliebten
‚Hofbamen, die in Thraͤnen zerfloß, fagte fie: „Beklagen Sie
mich nicht, denn ich werbe jegt meiner Neugier genug thun
über den Grund der Dinge, welchen Leibnig mir nie erflären
Tomte umd ich verfchaffe dem Könige den Anblid eines Leichens
begängniffes, bei welchem er Gelegenheit haben wird alle Pracht
zu entfalten.” Sie empfahl dem Kurfürften, ihrem ‚Bruder,
noch die Gelehrten, mit denen fie Umgang gehabt hatte, und
verfchied 1. Febr. 1705 ). „Meine Einbildungskraft, ferieb 1, In.
Leibnitz bald darauf (4. März 1705) an den General Schu⸗1
lenburg, ſtellt mir fortwährend biefe Fuͤrſtin mit ihren unvers
gleichlichen Volllommenheiten vor und fagt mir, daß fie und
geraubt find *)."
Der fo gutartige König, der feine Gemahlin wirklich
ſchaͤtzte und mehr liebte, als man glaubt, fühlte den Schlag,
der ihm durch ihren Tod getroffen, weit flärker, als man ver
muthet hatte. Dieſer Empfindung und feiner Neigung zum
Glanze gemäß ließ er ihr ein Über ale Maße prachtvolles und
koſtbares Leichenbegängniß halten ?), wozu er die Anordnungen
felbft traf, ferner das Schloß in Charlottenburg vollenden,
1) Erman vor und nad p. 242, Vergl. Pöllnig Mem.L 6. 899 ff.
und Memoires de Brandenbourg,
2) Der Brief vom 4. März 1705 in Schulenburgs Erben I. ©. 204.
3) Bütther S. 224-262 aus ber damals erſchienenen Befchreibung.
Es wurben adjt Medaillen auf ihren Tod geprägt. Das Leidhenbegängniß
toftete 200,000 Zhlr., welche mit Mühe aufgebracht wurben. Königs
Berlin III, ©. 148. Vergl. Pöllnig Dem. I. ©. 408.
182 . Buch V. Zweites Hauprftäd.
auch ah a5, varaal 1108) don Brand zur gleichnami⸗
“ batte dem Könige nur einen Sohn, ben Kronprinzen
Friedrich Wilhelm (geb. 4. Auguſt 1688) hinterlaffen. Diefer,
von feiner Geburt an ein hoͤchſt gefundes, fräftiges ‘Kind, ents
immer blieben. Man muß fagen, daß in dem Knaben und
Sngfinge fih ſchon früh der fpätere Mann volftändig zeigte.
Er war geiftig wie phyſiſch in feinem ganzen Weſen ſcharf bes
grenzt, wie auß Stein gehauen. Der vortrefflichen Frau von
Boesuleh, einer wegen ihres Glaubens aus Frankreich auge
Proteftantin, wurde der mit bei Fuͤrſtinnen fort
ungewöhnlicher Zärtlichkeit geliebte Prinz von ber damaligen
Kurprinzeffin anvertraut. Er fleigt zum Benfter hinaus unb
drohet, ſich herabzuftürzen, wenn man eine ihm zugebachte
Bächtigung vollziehen wolle. Im Hannover, fünf Jahre alt,
verträgt er ſich nicht mit feinem Vetter dem Kurprinzen und
nachherigen Könige Georg I. und Eonnte ihn von da an’nie
leiden, ungeachtet er ſpaͤter deſſen Schwefter heirathete. Man
muſſte ihn wieder nach Berlin bringen. Allein die Sanftheit .
der Madame Rocoulles wirkte auf ihn fo wenig, als die nach⸗
ſichtige Schwäche der geiſtreichen Mutter. Seine Fähigkeiten
find befchränkt auf das, was wir natürlichen Menſchenverſtand
nermen. Seine Neigungen find felih entfchieben ausgeprägt.
Vorliebe fuͤr die Einzeinheiten der Kriegelibungen, vorzüglich
für große Soldaten und für Gelb, Abneigung gegen allen
Zwang, den er ſich nicht ſelbſt auflegt, gegen bie Wiſſenſchaſt,
ja gegen Bildung jeder Art, bis auf derem Auffere Beichenz
und in den erfien Augenblicken eg Eigen=
wille und geflihliofe Härte drängen ſich hervor, wie auf der
andern Weite derbe, faft bis an Rohheit freifende Grabheit im
Haltung, Sitte und Rede, Widerwille gegen alle duffere Pracht,
gegen jeden Schein und Heuchelei, unermüblihe, völig auf
das Prabtiſche und Nuͤtzliche gerichtete Thaͤtigkeit, ein’ von ein⸗
fachen ſtreng religiöfen Vorſtellungen feiner Pflichten unter⸗
1) Königs Berlin IU. ©, 288. Nicotai II. S. 768.
Friedrich Wilhelm als Kronprinz. 183°
Rähter und rechtſchaffener Sinn, ber oft vom Leibenfchaft aus
genblicklich uͤberfluthet, doch nach eingetretener Ruhe immer
a a — Die zärtliche Mutter ſchuͤttete
wohl ihe Herz aus, wenn fie einer ihrer vertrauten Hoſdamen
ſchrieb, wie bekkunmert fie fl, daß der, Prinz, ben fie für,
lebhaft und heftig hielt, ſich hartherzig zeigte: „Mein Gott,
eig in einem fo zarten Alter; andere Lafter kann man vers
Fingern, dieſes wädft!" ') Bie er als Knabe den erſten maͤnn⸗
lichen Anzug, ein mit Gold ſtark beſetztes Kleid erhielt, ließ
& ſich baffelbe ziemlich zufrieben anziehen, als man ihm aber
auch einen Schlaftod von Brocat gab, betrachtete er biefen ges
may von allen Seiten und warf ihn bann als zu präcdtig in
daB brenmende Feuer des Kamins*). Der Graf Dohna, fein
GSouverneur, war ein ganz waderer Mann, aber felbft fehr
ſparſam und verftand es nicht, fi des Knaben zu bemaͤch⸗
tigen. Die noch vorhandene Rechnung dıber des zehn⸗ bis
wwölfjährigen Prinzen Ducaten, d. h. „fen Zafengel . A
wie fparfam er war, auffer für feine Compagnie Ga
welche er ausſchmuͤckte und tüchtig — . Johann Ps
rich Gramer, fein erſter Lehrer, ein fehr unterrichteter und
deutfch gefinnter Mann, war hoͤchſt aufgebracht über die Vor⸗
ia, weiche überall am ‚Hofe die Franzoſen fanden. Ex Eonnte
*5* verzeihen, daß ber Abt Bouhours in einer Schrift
die Frage aufgeworfen hatte, ob ein Deutfcher @eif haben
Enne? und fehrieb zur Vertheidigung feines Vaterlandes ein
Bat, in welchem er in feiner Bitterkeit vieleicht auch weiter
Eng, als recht war‘). Cr mochte nun wohl in bie Geele
1) Erman Sophie Charlotte p. 126 ff.
2) Faßmanns Leben Friedrich Wilhelms J. ©. 11.
8) In Röbenbeds ſchaͤtbaren Beitraͤgen zur Geſchichte Friedrich
I und Triedriche IL. era 1856. Sp. ©. 131.
4) Dohna p. 2385.
5) Eosmar und Klaproth S. 295, aus bem fon Mehreres
oben Im erften Hauptitäd über Cramer erwähnt if. Yörfter führt bie
Gärift: Vindicise nominis Germanici oontra quosdam Germanorum
ebtzectatores Gallos, T. L. p. 91 ans body war es aicht Beſchraͤnktheit,
daS Gramer Tateinifäy ſchrieb: framzoſiſch wollte ober Eonnte er midk, _
dentſch Hätte et Bein Brangofe gelefen, alfo eher noch lateinſch.
184 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
ſeines Zoͤglings den, deſſen ganzer Art und Weiſe zu denken
und zu handeln und überhaupt zu fein, ohnehin fo natür⸗
lichen Widerwillen gegen bie Zranzofen gepflanzt haben, ber
ihn nie verließ. Da half es denn freilich nicht, daß die zaͤrt⸗
liche aber völlig franzoͤſiſch gebildete Mutter felbft ein Gefpräch
zwifchen ihe und dem Prinzen über ben Telemach bed Fenelon
auffegte, in welchein fie ihm trefflihe Regeln gab und ihn
auf feine Fehler aufmerkfam machte, denen fie nicht die Kraft
hatte, Widerſtand zu leiften, ober daß fie fih von ihm aus
guten ihm bildenden Büchern vorlefen lieg und fi mit ibm
darüber unterhielt’).
Gramerd Nachfolger, der Franzoſe Rebeur, war ein völ-
liger Pedant. Der lebhafte Prinz muſſte weitläufige Auszüge
aus dem alten Teſtamente von der Genefis an nieberfchreiben,
mit deutfcher, franzöfifcher und Iateinifcher Ueberfegung und
dem lutheriſchen Texte, wodurch fich Friedrich Wilhelms forts
waͤhrende Abneigung gegen das alte Zeflament und gegen ges
lehrte Pedanterei fehr leicht erklärt *.. Der von dem Biſchof
Urfinus befonderd für ihn aufgefegte Katechismus enthält
357 Fragen, wozu bie Antworten mit 778 Bibelverfen als
Beweiſen belegt find). So lernte er, ungeachtet aller weits
Iäufigen Inftructionen für feinen Unterricht und ber vor dem
verfammelten ‚Hofe angefellten Prüfungen*), ungeachtet an
Dohna's Stelle der Obeiſt von Finkenftein fein Oberhofmei⸗
ſter wurde, Beger eine mit großer Gelehrfamfeit ' erläuterte
prächtige Auögabe von Florus römifcher Gefchichte für ihn vers
anftaltete und er zum Rector der Univerfität Frankfurt ernannt
wurbe *), Aufferft wenig und war eigentlich ohne alle auch nur
1) Bei Erman p. 158,
9 ©. bie Rachricht bei Foͤrſter Ih. J. ©. 92,
8) Kosmann unb Heinfius Denkwůrdleteuen der Mark Bran⸗
denburg IH. IV. ©. 111.
4) Die Inftruction Dohna’s vom 1. Behr. 1695 bei Börfter Th. 1.
S. 7. Die hochtrabenden Reben bei Ginführung beffelben, daf. S. 88 ff.,
das Prüfungsreglement ©. 111.
5) Bei ber zweiten Jubelfeler der Univerfität im I. 1706. Guͤt⸗
her ©, 262—269 mit ben acht dazu geprägten Medaillen. Er wurde
aud Doctor der Bechte in Orford.
Friedrich Wilhelm ale Kronprinz. 185
oberflächliche wiflenfchaftliche Kenntniſſe, ſprach und ſchrieb
weder gut franzoͤfiſch noch deutſch, dagegen war er in Leibes⸗
übungen, im Reiten und vorzüglich in Allem, was zur Uebung
der Truppen gehört, fefl. Bei ber Compagnie Gabetten, bie
er als Hauptmann auf dem ihm eingegebenen Amte und
Schloſſe Wufterhaufen, und dem Regimente, welches er von
feinem fechzehnten Jahre an befehligte, fah er höchft genau
auf alle, auch die kleinſten Einzelnheiten ber Bekleidung, Bes
waffnung und Uebung. Seinem ſcharfen Blide entging in
diefer Beziehung Fein vorhandener Mangel, fein gemachter
Fehler. Selbſt die bis an fein Ende erhaltene, auch wegen
ihrer Koftbarkeit faft unerklaͤrliche Liebhaberei feines Lebens,
die Neigung zu langen Soldaten, hatte er ſchon als Knabe
amd muffte diefe Leute oft vor feinem Water verbergen, wenn
diefer nach Wufterhaufen kam.
Bon feinem. fiebzehnten Jahre an ließ ihn der König an _
den Sitzungen des Staatsraths Theil nehmen, ohne ihm body
irgend wefentlichen Einfluß auf den Gang der Regierung unb
Berwaltung zu geftatten, über welche er von feinem Water
wohl weniger verfchieben dachte, als er fie verſchieden von dies
ſem einzurichten und auszuführen entſchloſſen war. Er hatte
fih eben zum ‚Heere in den Niederlanden begeben und follte
auch England befuchen, als feine Mutter flarb. Nun betrieb
der König ſehr eifrig die Vermaͤhlung bes achtzehniährigen
Kronprinzen, welche auch nach deſſen Rüͤckkehr aus den Nies
derlanden, wo er der Eroberung von Menin beigewohnt hatte '),
mit der Prinzeffin Sophie Charlotte, neunzehnjährigen Tochter
des Kurfinfien Georg von Hannover unter glänzenden, ve
Wochen dauernden Feſtlichkeiten vollzogen wurde).
Der ein halbes Jahr nach der Geburt erfolgte Tod bes 23
erften Prinzen aus diefer Ehe, dann bie von ber Umgebung
des Königs erregte Beforgniß, bie Kronprinzeſſin werde weiter
keine Nachkommenſchaft erhalten, veranlafften diefen, daß er
felbft fich zu einer britten Wermählung bereben ließ. Es wurde
1) Saͤtther ©. 896.
2) Königs Berlin II. S. 168. Preuſſen muffte dazu 100 Ochſen
nad) Berlin ſchieen
186 Bud V. Bweites Hauptfiäd.
dazũ die beeiundzwangigiährige Schweſter Karl Leopolds, Her⸗
3098 von Mecklenburg⸗ Schwerin, Sophie Louiſe, gewaͤhlt und
23 Rov.bie Wermählung zwar durch Ballette und bie Oper Alerander
1708 Fin Rorolane fehr glänzend‘), aber um fo weniger wahrhaft
froh gefeiert, als ber König nod vorher von bem Kronprinzen
erfuhr, daß fih beffen Gemahlin in gefegneten Leibesumftänden
befinde, womit ber Hauptgrund, ber ihn zu feiner dritten Bers
mählung Hi
nigin, welche bisher an dem Pleinen ‚Hofe ihre Bruders fehr
Wanglos gelebt hatte, ſich mit dem fivengen, ihr fehe latigen
Geremoniel in Berlin und ber ihr fremden und für fie nicht
paſſend aus gewaͤhlten Umgebung nicht befreumben Tonnte, vor
zuͤglich aber, daß fie nebſt ihrer Freundin, dem frömmelnden
Sräulein von Brävehig und ihrem Beichtvater Porft bis zum
Fanatismus eifrig Iutherifch und ben Reformirten abgeneigt
war”). Sie fuchte felbft ihren Gemahl zum Lutherthume zu
bekehren, welcher, obwohl aufrichtig reformirt, doch gemäßigt
an einer Vereinigung beider evangelifchen Glaubensbekenntniffe
fortwährend" arbeitete. Bei einer Unterredung fagte ihr ber
König: „hen: Sie glauben, daß ich (als Reformirter) verdammt
werbe, daun nmen Cie ja nach meinem Tode nicht ſagen?
ber felige König!" Sie fluste darüber zwar anfänglich, erwies
: derte aber bald: „Ich werbe fagen: ber liche verfiorbeneRähig®).“
Nun parteiete fich der Hof fir umd gegen die Königin. Dex
=önig ſah ſich gendthigt, gegen bie Anmaßung ber lutheriſchen
Umgebung feiner Gemahlin gewaltfam einzuſchreiten und ihren
Beichtvater Porft und den fonft fo achtbaren Franke, ber aus
"Halle zu ihr gekommen war, aus Berlin zu verbannen.
Ale biefe Umſtaͤnde verbitterten dem Könige das Leben
ungemein unb machten ihn auch wohl angwöhnifch gegen die,
1) Saͤtther ©. 859. Anfängtid fol bie Pringeffin von Raffan
auf die mit
Hoffnung gemacht u. ſ. w. — neue Radır. J. S. 126.
FA feinem Schwager das medien«
burgiſche Wappen in bas preuffifde auf.
2) Wilken im Berliner Kalender von 1822. ©. 210.
3) Pöltnig neue Denkwärbigteiten I. S. 142.
’
Dritte Vermaͤhlung Friedtichs L Die Peſt. 187
welche ihm zur britten Wermählung gerathen, während ber
Kronprinz umd fein Anhang biefe ohnehin natüzlicherweife haffte.
Endlich Brach auch bie Peft in Preuffen aus. Sie hatte ſich
angeht zuerſt im 3. 1702 nad) der Schlacht von Pinczow
in — ſchwediſchen Lazarethe gezeigt und dann Immer weiter
derbreitet. Schon im J. 1704 war auf Mittel, fie von Preufs
fen abguhalten, gedacht, im J. 1707 gegen Polen eine firenge
Auarantaine angeorbnet, bie Bruͤken abgetragen, bie Wälder
verbauen und im folgenden Jahre alle Verbindung mit Polen
abgebrochen worden. Dennoch zeigten fi einzelne Spuren
; berfelben bereit im October biefed Jahres, von da an in meh⸗
men preuffifchen Ortſchaften. Der darauf folgende Winter
mar ſehr ſtreng, eine unerhörte Misernte folgte, große Korns
tfeuerung trat ein, bie Peft griff immer weiter um fi, war
im Auguft 1709 in Königsberg und zu Ende bes Jahres
durch ganz Preuffen verbreitet. Die ſtrengſten und gewalts
fenften Berflügungen zur Abfperrung der angeſteckten Ortfcpaften
and Kranken wurden wie gewöhnlich von den fir ihre eigene
kriſtem — — Behoͤrden uͤbereilt getroffen, ohne
genaue Kenntniß der Krankheit und ohne zu überlegen, ob
nicht bie Gegenmittel dem Lande nachtheiliger wären, als das
Übel ſelbſt . Die Landesregierung flüchtete von Königsberg .
nach Welau. Die Grenzen wurden befegt, Dörfer verpallifadirt,
wit Gräben umzogen, angeſteckte Häufer in den Städten ſoll⸗
Redten Drte an einen gefunden geben. Alle Bande der Ge
ſelſchaft und Sittlichkeit waren gelöft, bie Roheit der Maffe
trat ungeſcheuet hervor, unterftigt und hervorgerufen durch die
mbefonnenen Verfügungen ber Behörden. Kinder verlieſſen
i verpefteten Aeltern und dieſe ihre Kinder; zulegt wurde
um jeben Preis der legte phyfiſche Genuß gefucht. Selbſt
ie verhängten Todesſtrafen wirkten nichts, als Wermehrung
Eiends und der abſcheulichſten Ausſchweifungen. Wurden
Galgen erbauet, um diejenigen im Sarge daran zu
Abfperzung Half, ſchon weil fie nicht vdllig durdhgefäprt wer:
gar nichts. Es war faft wie 120 Jahre fpäter, als man
wie 120 Jahre früher verſuhr.
gs garyr
f
HR
188 Bud V. Zweites Hauptftüd.
hängen, welche geftorben fein würden ohne Arznei zu nehmen.
Das Sanitätscolegium gab (4. Nov. 1709) dem Könige unter
den Urfachen ber Verbreitung der Peft an, baf die meiſten
Peftprediger unmoralifche Menfchen und die Peflärzte medi-
castri et empirici wären, dazu komme bie ſchlechte Juſtiz
und Polizei. Bei und, fahren fie fort, hat dad Unrecht durch
Verjährung das Bürgerrecht gewonnen. Em. Majeſtaͤt Können
fiber glauben, daß bie bei und im Schwange gehende Jufliz
die Materie ift, welche ſowohl die peftilemzialifche Seuche, als
alle Landplagen erzeugt und ernährt. Wolle der König an der
Wahrheit zweifeln, fo möge er fg gerecht fein, das Collegium
zu entlaffen, aufferdem ihm die Leitung der Anorbnungen über
tragen. Vom Auguft bis zum 8. December 1709 flarben in
Königeberg 7000 Menfcen, “aufferdem foll Preuffen bis zum
Ende der Krankpeit im September 1711 .247,000 Menſchen,
d. dh. ein Drittheil feiner damaligen‘ Bevölkerung verloren
baben, Lithauen wurde faft wuͤſt). Auch in Pommern
wuͤthete zu gleicher Zeit die Peft ſtark, einige Heinere Städte
farben faft aus; in Danzig farben 32,600 Menfhen‘). In
Berlin fperrte man aus Angft bei Annäherung der Peft bie
Thore. Während biefer Bebrängnig wurde aber hier die Ans
Zuti wefenbeit ber beiden Könige von Dänemark und Polen höcft
1709 prächtig begangen und durch eine Menge hoͤchſt gefchmadtofer
Werke in Profa und in Verfen gefeiert, die Könige mit den
drei Weiſen Morgenlands und bie eben geborene Tochter des
Kronprinzen mit dem Jeſuskinde verglichen’).
Die Klagen der Unterthanen uͤber ben herrſchenden Drud
und das überhandnehmende Elend wurben jest immer Lauter
und eine Menge von Bittfchriften und Vorſtellungen kamen
ein, welche zugleich die auffallenbften Beſchuldigungen gegen
die damaligen Machthaber enthielten, weshalb (17. März 1709)
ein Edict gegen dad muthwillige Suppliciren erſchien. Der
1 K. E. Mangelsdorf preuffifche Rationalblätter Bd. J. &. 115
aus ben Actn. Hagens Beiträge zur Kunde Preuffens Th. IV.
2) Halens pommerſche Provinglaltlätter II. ©. 52.
> 8) Königs Berlin I. S. 208. Pöllnig Mem. I. ©. 513.
Der Berfaffer biefed Gebichts erhielt 1000 Ducaten geſchenkt.
Die Peſt. Die Gräfin Wartenberg. 189
König war misvergnuͤgt darüber, daß er fid überhaupt wieder
verheirathet und fühlte fich ungluͤcklich durch die religioͤſe Rich
tung, welche feine Gemahlin genommen hatte; zugleich machte
ihm die Gräfin Wartenberg durch ihre alle Grenzen überfleis
gende Anmaßung vielen Verdruß. Er hatte noch bei feiner
dritten Bermählung in einem neuen Rangreglement dem Grafen
den Rang vor allen nicht regierenden Fürften, und dee Gräfin
vor allen umverheiratheten oder nicht an regierende Herren vers
maͤhlten Prinzeffinnen beigelegt’). Die Herzogin von Holftein
fol ihr den Vorrang für 10,000 Thaler, welche ihr ber König
zahlte, abgetreten haben. Doch genügte bad ihrem Stolze
. noch nicht. Bei der Taufe ber Tochter des Kronprinzen ereig⸗
nete es fich num allerdings ungewoͤhnlicherweiſe, daß die Ges
mahlin des holländifchen . Gefandten Lintlo den Vorrang vor
der Graͤfin Wartenberg nahm, woruͤber es zum förmlichen
Handgemenge zwifchen beiden Damien Fam, welches vorläufig
iu befeitigen der Oberceremonienmeifter von Beffer viele Mühe
hatte. Es kam fo weit, daß der König den Generalftaaten
drohete, feine Truppen aus Flandern zuruͤckzuziehen, wenn bie
Frau von Lintlo nicht der Gräfin Wartenberg förmlich Abbitte
leiſten woürde*). Der Uebermuth biefer Frau’ flieg nun noch
höher. Sie vergaß -fich fo weit, der Königin böchft umver⸗
fhämt zu begegnen und brachte es durch ihr Betragen endlich
dahin, daß alle anweſende Gefandten ſich über fie befchwerten
und fie die Gunft des Königs voͤllig verlor, daß er ihr in
Gegenwart der Königin Vorwirfe Über ihr Betragen machte
und ihr mit firengen Maßregeln drohete, wenn fie baffelbe
nicht ändern würde ?).
Nun gewannen die Feinde des maͤchtigen Günftlings feften
Fuß, fie fammelten fi um ben Kronprinzen, bem bie Vers
fhwenbung und bie ganze Regierungs⸗ und Wermaltungsweife
feines Waters fehr zuwider, der auch aufferdem befonbers auf
den Grafen Wittgenftein hoͤchſt aufgebracht war, well diefer
für einen ber Beranlaffer zur dritten Heirath des Königs anz -
1) Sosmar und Klaproth &.278. Königs Bert II. ©. 195.
H'Pblinig Diem. L ©. 514,
3) Dohna p. 306. Pöllnig Mem. I. ©. 589.
190 Bud V. Zweites Hauptfiäd.
gefehen wutde. Doc war es ſchwer, Eingang bei dem Könige
zu gewinnen. Diefer war nämlich bei den vielfachen Verfein⸗
dungen und Kabalen an feinem ‚Hofe fo argwöhnifc geworben,
daB er gar nicht mehr auf Anklagen achtete, von denen er
irgend glauben Tonnte, fie hätten in Privatfeindſchaft ihren
Grund. Dan muffte ſich daher zweier ‚Herren von Kamede
bebienen, deren einer, Paul Anton, ein fehr einfacher Mann
ohne Geiftesgaben vom Könige zum Pagen angenommen ward,
ihn als Luftigmacher unterhielt, durch Ehrlichkeit und Ans
fpruäetofiteit deflen Sunft und Vertrauen gewann und
rand Mattre de la garderobe geworben war ). Der
be fein viel kluͤgerer und weit befjer unterrichteter Vetter ),
Ernft Bogislav von Kamede, war Kammerjunker, als Luthes
zaner erzogen, dann reformirt geworben, was bem Könige fehr
gefiel, hatte geſelliges Talent und fpielte fo geſchidt mit dem
Könige Schach, daß biefer bie Partien gewann, ohne zu bes
merken warum, erzählte gut, wuſſte immer etwas Neues und
unterhielt den König, der ihn (1709) zum wirklichen geheimen
Mathe ernannte, obgleich ihn Wartenberg nicht leiden fonnte *).
Vor allen Anden hatte der Oberhofmarſchall, Graf von
BWittgenftein, durch feine Härte fih allgemein perſoͤnlichen Haß
zugezogen. Ex hatte zum großen Nachtheile bes Handels und
der Gewerbe die fremde Salzeinfuhr verboten, die Einrichtung
eines hohen Salzimpoſts (13. Dit. 1708) von ſechzehn Groſchen
für den Scheffel bewirkt und, wie man fagte, ſich aus dem
Ertrage eigenmaͤchtig, ohne bed Königs Vorwiſſen eine Bulage
von 5000 Tpalern auf den Etat gefegt. Ihm vorzüglich legte
man bie Schuld bavon bei, daß Preuffen während ber großen
Pefinoth nicht unterflügt worden war. Run war (15. Dit.
1705) vorzüglich auf feinen Betrieb ein Generalfeuerkaffenregs
lement exlaflen worben, vermöge deſſen jeder Hausbeſitzer
genoͤthigt war, ſein Haus zu einer beſtimmten Summe bei
dem General⸗ Land⸗ und Stadtfeuerkaſſen⸗Collegio in Berlin
1) Dohna p. 811 ff. J
2) Pdllnig Mem.1. 8.545. Cotmar und Klaproth &.285
gebt an, Paul Anton fei der geſchiete Ocjadhfpieler gewefenz vergl. ©. 298.
8) Daher vielleicht, daß ſchon im März 1709 Marlborough meinte,
Wartenberg fei nicht mehr der Algewaltige. Gore Wi. IV. ©. A16 I.
Wittgenſteins Saıı 19
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Beflrafung verboten, —— au ſprechen. Der Kit.
terſchaft wurde zwar dann (21. Rin 1708) auf ihr Geſuch
nachgegeben, daß deren Unterthanen nicht follten zu Beitraͤgen
genöthigt fein,
ihm janen Haͤuſer ohne Belaſtung ihrer
übrigen Unterthanen (28. März 1710 bei 1000 Thalern Strafe)
auch ohne: ig von €
deeijahren en aus den Kreiskaſſen. Wenn
im Haufe eines een | Feuer auskaͤme und babei Löniglicher
derer Nachbarn Häufer in Aſche gelegt
wirden, X ve Edelmann den Schaden erfehen muͤſſen.
Diefe Einriätung fand insgefammt viel Widerſtand und wurde
ur durch Strenge durchgeſetzt. Es brannte nun die Stabt
Stoffen dermaßen ab, daß innerhalb der Ringmauer gar Feine
Häufer oder andere Gebäude mehr übrig bleiben. Der König
Werorbnete daher (2. Aug. 1708), daß den Burgern und Eins
wohnern aus ber Generalfenerkaffe follten 70,000 Thaler ges
zahit werben, aufferdem fchenkte ex ihnen Bauholz und Kalk,
befreiete fie auf zehn Jahre vom * Kopfgeld, Wache,
laufig Hetten errichten und traf Anordnung, wie nach einem
entworfenen Plane die Stadt zwedimäßig und maſſiv wieber
aufgebauet werben koͤnne. Die Kroffener erhielten aber bie
ihnen auögefegte Summe nicht und als fie fi) an den Grafen
Vittgenſtein wenbeten, wurden fie hart und ſtreng abgewie⸗
far. &iegingen nun ben Kronprinzen an. Dieſer brachte bie
192 Bud V. Zweites Hauptftäd.
Sache durch den Grand Maitre de la garderobe Kamede vor
den König. Wartenberg erklärte ſich auch gegen Wittgenflein,
eine Commiffion wurde zur Unterfuchung eingefegt, und nach
dem (am 23. Der.) abgeftatteten Berichte erfhien Abends
27. Dec. cin Lieutenant mit 20 Mann vor bem Haufe des Obermars
1710 ſchalls und nahm ihn in Verhaft. Vergebüch betpeuerte er
2.
feine Unfhuld, er muffte den Schwarzenablerorben abgeben,
de in Begleitung von zwölf Gardes du corps unter lau⸗
tee Verwünfhung und Schmähung des Volks, deſſen Haß
zum Ausbrudy Fam, nach Spandau gebracht, ohne. vorher noch
an feine Schwiegermutter, bie Oberhofmeiſterin der Königin,
ſchreiben zu dürfen '). -
Es wurde dem Grafen vorgeworfen, die oͤffentlichen Gel⸗
der zu ſeinem Nutzen verwendet zu haben, er wies jedoch nach,
daß e8 Im Intereſſe des Königs gefihehen ſei, und behauptete,
jaͤhrlich noch einige taufend Thaler aus feinem Vermoͤgen zu=
gefegt zu haben, weil fein Gehalt nicht gereicht, indem die
‚Hoffeierligkeitin zu koſtbar gewefen und er. allein zur Hochzeit
des Kronprinzen 8000 Thaler habe verwenden muͤſſen. Das
gegen fol ihm in feiner Dienftverwaltung mancherlei Unrichs
tigkeit nacpgewiefen worben. fein 9).
Nun drang man in der König, auch Wartenberg zu ents
laſſen. Es: wurde ihm das ſehr ſchwer, weil er ihn liebte;
29. Dec. doch endlich gab er nad. Am Tage) der Abführung Wittgen
eins nach Spandau, ließ er ihm durch den Minifter von It
gen die Siegel abfodern, alle Theilnahme an Staatögefchäfs
tn unterfagen und ihn auffodern, um feinen Abſchied zu
1) Die Daten ser oe oiie Ne- dei: Ball und ungnade zweier
Staats⸗ Minifter ©. 19.
> 2) Pölinig Mm L &.548. Deffelben neue Nachrichten IH. J.
©. 168, wo ebenfalls der 27. Dec. 1710 als Zag feiner Arreticung ans
gegeben iſt. Ueber die Gut dei. Wardet karn man bie je mie
ſicher urtheilen.
3) polintit Mem..L ©. 553 ſagt zwei Tage dareuf, naͤmlich nach
Wittgenfteins Falle; ads ihm Königs Berlin I. ©. 218. Gosmar
und Klaproth ©. 390 geben das I. 1711, mit Unrecht. Das legte
von Wartenberg unterzeichnete Edict, was ich gefunden, iſt v. 15. Dec. 1710,
während am 30. Dec. 1710 Kamecke bereits contraſignirte.
Wartenbergs Fall 198
Bitten. Widerſtrebend gehorchte Wartenberg und erhielt nun ben
Befeht, fi mit feiner Gemahlin auf fein Gut Woltersdorf
zwei Meilen von Berlin zu begeben. Er benahm fich durchs
aus gefafft und klug. Er babe nie etwas gewollt, ald was
der König und nur beffen Befehle auögerichtet. Ex bat nur,
diefem noch vor feiner Abreife feinen Dank für die ihm jeder⸗
zeit bewiefene Gnade abftatten zu dinfen. Der König gab
das zu, fo ſchmerzlich es ihm war. Der Günſtling vergoß
Tränen. Der König war tief gerührt, ja erſchuͤttert; ſchon
entſtanden Beforgnifle, er werde daB vorige Vertrauen wieber
apalten, doch der König umarmte den Grafen und fagte, fo
wehe es ihm thue, fobere doc dad Wohl des Staats feine
Entfernung. Er gab ihm noch Beweiſe der zaͤrtlichſten Freund⸗
ſchaft und zog beim Weggange des Grafen einen Ring, ——
Dhaler werth, vom Finger und gab ihm den mit dem Erſuchen,
ihn als Zeichen feiner Hochachtung beftändig zu bewahren ').
Bon Woltersdorf aus, wohin Wartenberg fi ſogleich ber
gab, ſchrieb er dem Könige hoͤchſt wehmuͤthig und bat ihn, for
wohl diefes Gut, als den Garten feiner Frau, nebft allem
Porzelain, dad es enthalte, als Geſchenk annehmen zu wollen.
Der König nahm Beides fehr gütig an und bezahlte es. Den-
no wäre Wartenberg beinahe feflgenommen worben, meil
man Beforgniffe hatte, er werde das misbrauchen, was ihm
in feinee Stellung bekannt geworben war. Dem ehrlichen
Kamede, wie man den Grand Maitre de la garderobe
| nannte, war aber Wartenbergs ängfiliche Gemüthsart genauer
bekannt, weshalb er der Meinung war, man ſolle ihm lieber
eine gute Penſion mit der Verpflichtung geben, Frankfurt am
Main nicht zu verlaſſen, fo werde er unſchaͤdlich fein. Das
fimmte auch mit der Gefinnung des Königs überein, welcher
ihm eine jährliche Penfion von 24,000 Thalern mit Anfall an
deſſen ihn üiberlebende Gemahlin auöfegte. Er fol Millionen
und feine Frau allein gegen eine halbe Million Thaler an
1) Das Datum der Zuſammenkunft, 6. Januar, gibt bie Schrift:
Fall und Ungnabe zweier Staats: Miniftred ©. 19, auch, daß Ihn ber
König mit einem Binge von großem Werthe beſchenkt. Am 7. Januar
fi Wartenberg abgereift und am 8. Januar das Dorf Moltersdorf abe
Stengel Geld. d. Preuſſiſch. Staats, II. 13
19 Buch V. Zweites Hauptfitd.
Diamanten mitgenommen haben. Auch ber goldene Oberfams
merheren » Schlüffel und das Patent als Obererbpoſtmeiſter wurs
den ihm noch auf dem Wege nach Frankfurt abgefobert; er
gab Beides ſogleich zurüd ’).
Die Unterfuhung gegen den Grafen Wittgenflein wurde
fortgefegt, ex muffte 24,000 Thaler bezahlen *) und bie preuffi-
ſchen Staaten verlaffen, worhber bie beutfchen Reichögrafen
vergeblich Beſchwerde erhoben, da man preuffifcher Seitz ſebr
chtig behauptete, wer dem Könige biene, fönne auch wie
deffen Unterthan behandelt werben. Eigentliche Verbrechen find
ihm nicht öffentlich bewiefen worden. Diefe Männer fielen
mehr ober weniger ſchuldig oder unſchuldig, wie Andere gefal⸗
ten waren®), an einem Hofe, wo bie Willkuͤr nur dutch bie
perſoͤnliche Milde des Fuͤrſten gelindert wurde.
Nun wolte der König feinen oberflen Miniſter weiter
haben, fondern das felbft fein. Er befahl (27. Der. 1710),
jeder geheime Rath folle das Mundum contrafignicen, wozu
er das Concept gegeben. Den Schläffel de Dberkaͤnunerers
erhielt der ehrliche Kamede und verfah deſſen Aut, ohne ben
Zitel, Rang und die Einkimfte feines Vorgaͤngers zu erhalten;
fein Wetter befam die Verwaltung ber Poften, doch nur bie
Hälfte der früher damit verbunden gewefenen Einkünfte, näms
lich 1200 Thaler. Oberhofmarfchall wurde ber verdiente Mi-
nifter von Pringen, Ilgen befam bie auswärtigen Angelegens
heiten und bie Juſtiz, Blaspiel das Kriegsweſen.
1) polinit Mem. I. S. 552. Die Höhe der angegebenen Geld⸗
ſummen dürfte wohl ſeht übertrichen fein.
21 Pöllnig Mem. L ©. 557 fast 80,000 Thies Königs
Berlin II. S. 219, nur 24,000 Thir., ebenſo Gosmar und Klap⸗
roth ©. 286.
3) 3. B. ber geheime Rath Hamrath, welcher im 3. 1707 in un⸗
gnabe fiel, gefangen nach Peit gebracht, im J. 1711 in Freiheit gefegt,
allein [yon am 27. März 1718 von Friedrich Wilhelm I. zum Regierunges
präfidenten und Director bes Fuͤrſtenthums Halberſtadt ernannt wurde,
was gewiß nicht gefchehen wäre, wenn er fidy Unterfhleife erlaubt gehabt
hätte. Gosmar und Klaproth ©. 896 und Königs Berlin II.
©. 186. ‚Sehe merkwürbig ſind die Geläuterungen, weiße Mofer in
feinem potriotiſchen Archive SH. IX. ©. 408 ff. gu dem Untel dee con
ſtoeſchen Iuriftenfacltät gegen Yamrath gab. Gr yeigt, wie parteliſch
der gegen ihn gewonnene beſtechliche Urtelsabfaffer verführt.
Wartenbergs Fall. 195
Jetzt tat eine andere Verfahrungdmeife ein. Es wurden
(17. Januar 1711) wegen der allgemeinen und unaufhoͤrlichen
Klagen, welche entflanden waren, bad Senerfaffencollegium ub
(6. Wärg) der Hohe (im I. 1708) eingeführte Salzimpoſt auf⸗
gehoben, auch (171%). bie franzöfifche Hofkomoͤdiantengeſellſchaft
entlaffen. Set wurbe ber König auch wohl hauptſaͤchlich durch
den Krowprinzen ') und weil die Vererbpachtung der Domais
nen gewiffenmaßen eine Werdufferung, alfo unrechtmaͤßig und
zum Nacıtpeile des Haufes fei, bewogen, bie cleveſchen Dos
mainen (30. Dec. 1710 und 6. Zebr. 1711) und zwar nicht
auf ſechs, ſondern auf zwölf Jahre ig Zeitpacht zu geben.
Damit hörte Die Vererbpachtung ganz auf und zmölfiährige Zeit:
pacht wurde allgemein dingeführt ?).
Der König konnte indefien feinen Stnfling nicht vergep
fen, an den er ſich gewoͤhnt hatte und war ‚beseit, ihn wieder
aurhlommmen zu Iaffen, wenn er feine Zrau nicht wieber mach
Berlin, noch weniger an. ben Hof bringen wolle, Er drohete
damit feinen Umgebungen, wenn er umzufrieben war, und
Bartenberg wuͤrde wielticht. feine Stelle wieder erhalten haben,
wenn ex einerfeits fich hätte von feiner Frau trennen koͤnnen
und nicht andererfeits ſo klug geweſen wäre, ‚fern von einem
Sdauplatze zu bleiben, der vielen Anberen noch weit gefaͤhr⸗
licher geworben war, als ih. Als ex. geflorben war (März
1742) und feine Leiche, wie er verlangt, nach Berlin gebracht -
wurde, um in ber Parochialkirche beigefegt zu werben, fah ber
König dem Zuge vom Sphloffe aus tiefgerußet zu, vergoß Tbra⸗
nen und ließ ſich Drei Tage hindurch von Niemanden fprechen ’).
Der König hatte unter, vielen Bekuͤmmemiſſen, welche
1) Königs Berlin I. ©. Bi.
2) Luben bat vergebeich, ihe nit ungehtet gu vabamınen, doch
weiß dd) nicht, daf ihm perſdnlich etwas geſchehen wäre. Oiltoriſch · pou
tiſche Beiträge u. ſ. w. Ip. I. 1. ©. 50.
8) Poltnig Man. L ©. 561 und beffelben neue Nachrichten I.
©. 348, Gosmar und Klaproth ©. 286. Die Schrift: Kal und
Ungnabe zweier Staats-Miniſtres erfchien wahrſcheinlich kurz vor War ⸗
tendergs Tode Im I. 1712. Im ber Wortebe ſteht, ein Minifter Habe
auf Anfrage wegen derrn oͤſſentlichen Zelibietens geantwortet, man möge
behutſam bamit verfahren, weil fie viele verhaffte Wahrheiten enthalte.
13*
1% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
Ähm bie Lage feiner Staaten, die Erſchoͤpfung ber Kaſſen und
des gefammten Landes, ber Krieg gegen Frankreich und bie
Beforgnig von neuen Unruhen im Often, endlich der gänzliche
Mangel häuslichen ehelichen Gtüds verurfachten, noch ben
Zod feiner beiden erften Enkel zu ertragen, beren jedem er als
Bünftigem Thronerben den Zitel eines Prinzen von Dranien ges
geben, die aber kurze Zeit nach ihrer Geburt flarben. Run
wurde ihm. zu feiner ungemeinen Freude (24. Januar 1712)
noch ein Enkel geboren. Obgleich nun der Tod ber beiden: dl-
teren Prinzen den weitläufigen Geremonien mit Schuld ge
geben wurde, welche bei der Zaufe dieſer kleinen Kinder beobach⸗
tet worben waren, fo wurben dieſe Foͤrmlichkeiten dennoch jest
(31. Januar) mit vielen Feſtlichkeiten wiederholt; ber Prinz hatte
bei der Geremonie eine Meine Krone auf dem Haupte und ein
Kleid von Silberſtuck mit Diamanten befegt an, deſſen Schleppe
ſechs Graͤfinnen trugen. Es wurde ihm ber Name Friedrich ges
geben, die Nachwelt hat ihn fpäter den Großen genannt ').
‘Dann war Friedrich I. Längere Zeit kraͤnklich, weshalb das
Kroͤnungofeſt (1713) nicht mehr fo feierlich ald gewoͤhnlich de⸗
gangen wurde, und flarb am 25. Februar 1713, 55 Jahre alt.
Im der Verfaſſung hat er weſentlich nichts geändert, bie
unbeſchraͤnkte Gewalt wurde behauptet, den Ständen, wo fie
noch in alter Form, wie in Preuffen befanden, fein Einfluß
auf Regierungsrechte geftattet; fie waren nur dazu, die Steu⸗
ern zu bewilligen und Anleihen zu verbürgen und wurden auch
wohl dazu gezwungen, wenn fie ſich nicht fügen wollten. Man
barf bei biefer Foriſetzung des von feinem Vater eingefhlages
men Ganges nie vergeſſen/ baß eben, wenn Preuffen fi uns
ter ben damaligen Umftänden erheben und einen europdifchen
Staat bilden wohte, es nur auf dem Wege der unbeſchraͤnkten
Gewalt feiner Fürften dazu gelangen Tonnte. Nur fo war es
möglich, die mannichfaltigen einander oft fo wiberfrebenden In⸗
tereffen ber verfchiedenartigen Provinzen bed Staats zur Eins
beit zu bringen und eben die Gründung einer wirklichen Mo—
narchie zu bewirken, während bei der Gelbfländigkeit der ein»
zelnen Provinzen mehr ein Zöberativftaat entflanden fein würbe,
1) Sütther S. 486 . Küfters Iugendiehen bei großen
Kusförften in Beat RR
SFriedrichs L Ende. Die Werfaffung des Staats. 197
welcher jebe nachbrüdtliche gemeinfame Maßregel unendlich ex
ſchwert, jedes fo nothwendige, Träftige Ergreifen des gimfligen
Augenblids zur Vergrößerung, für ben Zürften unmöglich ges
macht haben würde. Ganz anders war die Aufgabe flr ba
Haus Defterreich, welches verſchiedene große Reiche befaß und
jedem mehr Eigenthümlichkeit in ber befondern Entwidelung
laſſen Tonnte und muſſte, ald Preuffen, weldes von geringen
Anfängen ausging und nur durch die Vereinigung ‚der Regie⸗
rungẽgewalt der vielen zerſplitterten kleineren Theile in ber
Hand des Fürften die Einheit bewirken konnte, weiche dem Ges
fammten Kraft gab. 5 -
Hierzu hat Friedrich L viel gethan, ſchon durch ben ges
meinfamen Namen, ber doch nun zunaͤchſt alle Provinzen ums
faffte, die trog ihrer tpeilweifen Verbindung mit dem Kaifer
und dem Reiche eine preuffifche Monarchie ausmachten. ES
bildete fich neben dem, was als provinzielle Eigenthlimlichkeit
übrig .blieb, nach und nach das Allgemeine aus, was man
dann Preuffenthum nannte, naͤmlich das, allen verfchiebenen
Theilen der Monarchie gemeinfchaftliche, nach und nad immer
ſtaͤrker werdende Selbftgefühl, einem größern Reiche ans und
vor Allem zufammenzugehören. In bdemfelben Maße wurde
freilich das Band, welches biöher die meifien Provinzen mit
‚dem deutfchen Reiche zufammengehalten, immer loderer, unb
warum follte man es nicht ausſprechen: bie Eriftenz ber preuffis
ſchen Monarchie machte bie Fortdauer des deutfchen Reichs
von Jahr zu Jahr weniger möglich; ohnehin war bad aber
auch nur noch fcheinbar vorhanden, ein wahrer Schatten. So
ging nichts verloren, es keimte ein neuer Präftiger Sproß aus
dem Wurzelfiode des vermorfchten Stammes auf.
Darauf ift auch die gefammte innere Einrichtung gegrims
det. So unbefchränkt allgemein den vom Könige auögehenben
Befehlen, ebenfo wird denen ber Beamteten in ihrem Geſchaͤfts⸗
kreiſe gehorcht, Alles bickt fi von felbft ober es wird gebeugt.
Die vorgefundene Einrichtung bed geheimen, Raths behielt er -
im Allgemeinen bei, bie Aenderungen, welde er, wie wir ges
fehen haben, in ber formellen Behandlung der Gefchäfte traf,
bezogen fich nur auf bie Bereinigung berfelben in ben ‚Händen
feiner Guͤnſtlinge und derjenigen, welche biefen zufagten.
198 Bud V. Zweites Haupeküd..
Die Juſtizverfafſung und Verwaltung betreffend, fo wur⸗
den, wie ſchon angeführt, die framoͤſiſchen Coloniſten in allen
Provinzen inögefammt (19. Iuli 1690) unter ein Oberbirectos
rium geftelt, ihnen eigene Ober⸗ und Untergerichte (14. April
1699), ferner eine feanzöfifche Gerichts⸗ und Procegorbnung
gegeben und (2. Det. 1709) als Oberappellationdgericht das
oranifche Zribunal durch die aus dem Zinftenthume Drange
geflüchteten Parlamentsräthe gebildet und.ihm baher auch Meurs,
Lingen und Tecklenburg untergeben.
Die von dem großen Kurfürften bereits im I. 1658 volls
sogene, allein fchon im folgenden Jahre fuspendirte, dann von
Zeit zu Zeit wieder in Anregung gebrachte neue Kammerge⸗
richtsordnung wurde, wie es bei Juſtizreformen gewöhnlich if,
von Jahr zu Jahr, dann von Jahrzehnt zu Jahrzehmt verzͤ⸗
get. Die Schwierigkeiten find an fich ſchon, die Peinlichkeit
an formellen Gefchäftögang gewöhnter Recptögelehrten ift nicht
weniger groß, beide werben mit jedem Jahre größer und felbft
die Macht des unbefchränkten und das Rechte wollenden Fürs
ſten bricht ſich am der befonderö bei einer ſolchen Staatsver⸗
faffung doch auch nicht im jeber Beziehung nachtheiligen Pes
danterei derjenigen, welche, wenn fie es micht anders vermoͤ⸗
gen, doch das Recht gegen bie fouveraine Gewalt mit fehligens
den Formen zu umgeben fuchen. Unterbefien hatte. (16. Der.
1702) der Kaiſer bem Könige bad privilegium de non appel-
lando, vermöge deſſen von ben Zöniglichen Gerichten bis zu
einem Betrage von 2500 Soldgulben nicht burfte an bie Reichs⸗
gerichte appellirt werben, auf ale Reichslaͤnder auch aufferhalb
ber Kurmark audgebehnt, worauf nun (4. Dec. 1703) ein
Oberappellationägericht angeorbnet und nach und nach einges
richtet, aus welchem nachher bad Tribunal entftand ') Balb
darauf wurden (1. Juli 1704) alle Xppellationen an das
Reichskanmergericht in Wetzlar, weil baffelbe wegen bed Kriegs
mit Frankreich gefchloffen, bis zu deſſen Wiedereröffnung vers
boten und auch fpäter wohl nicht ohne Schwierigkeiten geflats
tet ). Nach vielen Anfirengungen vwurbe endlih (Mai
1) Hymmens Beiträge Ip. VI. @, 225. Geſchichte des Srinmals.
2) Theatr. Europ. XV. p. 107.
Juſtiz 199
1709) die neue Kammergerichtsordnung befannt gemacht. Dem⸗
nach follten ein Präfivent und zehn Raͤthe zur Hälfte vom
Ritterſtande fein und wöchentlich drei Sigungen halten. Doch
wurde fortwährend an der Verbeſſerung bed Werks vorzüglich
von ‚Heinrich von Cocceji gearbeitet, die Revifion aber erſt nach
dem Zobde bed Königs vollendet. Schon am 22. Auguft 1693
wurde befohlen, wer Kammergerichtörath werben wolle, folle
vorher Proberelationen machen und vom Kammergerichte ges
prüft werben. Eine neue Wechſelordnung wurde (19. Dec.
1701) erlaffen und fpäter (18. Mai 1709) revidirt. Etwas
Durchgreifendes für bie gefammte Verwaltung der Suftiz konnte
indeffen bei den großen entgegenflehenden Schwierigkeiten lange _
noch nicht bewirkt werden.
Die Griminalgefeggebung war immer noch ſehr ſtreng
Es wurde (16. Det. 1696) daB Ältere Edict (v. 12. Ianuar
1684) erneuert, vermöge beffen Diebftäple am Furfürftlichen
‚Hofe mit dem Tode beſtraft, Männer durch ben Strang, Weis
bee durch das Schwert gerichtet ober gefadt, d. h. in Säden
erſaͤuft werden und keine Begnabigung flattfinden follten. We
gem zahlreicher Diebfläple und allgemeiner Unficperheit in Ber⸗
In wurbe dad am 8. Febr. 1699 erlaffene Edict, jeder Soldat, -
der durch Einbruch ober Einfleigen einen Diebflahl, wenn auch
noch nicht von zehn Thaleın Werths beginge, folle ohne Par-
don gehängt werden, ohne Unterſchied auf alle Diebe ausge⸗
dehnt (23. Aug. 1700), dann (7. Nov. 1705) erneuert mit
dem Zufage, daß Diebe und Dieböhehler vor dem Haufe, in
dem fie geftoplen, aufgehängt werden follten, gleich viel, wie
hoch der Betrag bes Diebſtahls fe, Es war aber in biefem
Jahre auch fo weit gekommen, daß am 28. Juni bie berliner
Bürger während des ganzen Tags die Straßen befegt halten
mufften, bamit bei dem Leichenbegängniffe ber Königin Sophie
Charlotte Feine Unruhe entflänbe, weil fich zu biefer Zeit eine
Rotte Räuber in die Refidenz geſchlichen, welche auch "bei, Tage
in die Häufer drangen, bie Bewohner banden und vor ihren
Augen Ales taubten'). Im demfelben Jahre wurbe befohlen,
1) Merkwürdigkeiten ber Stefibenz Briebricheftaht (Berlin) in Küster
collecũo opusculorum eic. Stüd 89, ©. 8.
200 Bud V. Bweites Hauptftäd.
bei Wilddieberei, wenn ber völlige Beweis fehle, zum Reini:
gungseibe zu fchreiten ober zur Tortur, jedoch mit gehöriger
Beobachtung ber Grabe‘). Delinquenten, welche aus ber
Hauptſtadt verwiefen waren und Urfehde gefchworen hatten,
aber dennoch‘ zuruͤckkehrten, follten wit dem Tode beſtraft werden
(9. März 1711).
Wichtig wegen der folgenden Ausbreitung, welche neue,
anfänglich nur für bie Reſidenz getroffenen Anorbnungen, bei
eine Verfaſſung, wie die des preuffiihe Staates, haben
mufften, war (1693) die Errichtung des Polizeidirectoriums in
Berlin, welches nun unter dem Kammerrathe Kleinforge und
dem Amtrathe Por im koͤniglichen Schloffe feinen Sig hatte
und bei dem zwei Marktmeifter und funfzehn Auffeher ange
ſtellt waren, ‚ben Aufs und Verkauf der Lebensmittel zu bes
auffihtigen®). Um fie ber öffentlichen Verachtung und ber
Beſchimpfungen, benen fie ſich wegen ihres gehäffigen Amts
außgefegt fahen, fo viel als möglich zu entziehen, beftimmte
der Kurfürft (14. Febr. 1693), daß fie ihres Amts wegen für
Beine unehrlihen Leute zu halten wären und auch ihre Kinder,
wie bie anderer unbefcpoltener Aeltern in die Innungen aufge
nommen werben bürften; zugleich wurden fie von mehreren .
ftädtifchen Laften und Abgaben entbunden. Weil nun unter
dem Namen ber Polizeibiener grobe Gewaltthätigkeiten verübt
wurben, fo erhielten fie eine gleiche, fie kenntlich machende
Kleidung. Soldaten follten (7. März 1693), wenn fie gegen
Die Poligeiordnung handelten, mit Zuziehung ihrer Dffiiere
ober des Auditeurs vor bad Polizelamt geftellt werben, welches
zugleich alle Gewichte und Längen» und Hohlmaße, nach des
nen verfauft wurde, mit dem Polizeiftempel zeichnete.
Wir haben bereits angeführt, wie gut ber König bie
Nothwendigkeit eined georbneten Staatshaushalts erfannte, zu⸗
gleich aber auch gefehen, wie wenig er im Stande war, bie
dazu nötigen Einrichtungen zu treffen und zu erhalten, weil
er bei feiner Prachtliebe die Ausgaben ganz unverhältnigmägig
und größtentheils unnöthigermeife vermehrte, dadurch aber
1) Mangelsborf Bb. I. Heft 2. ©. 166.
2 Königs Berlin IL. ©. 854.
Polizei Finanzen. 201
einerfeits in feinen Beziehungen zu fremden Mächten abhäns
gig wurbe, andererfeitö feine Unterthanen mit Steuern übers
binbete. Bu ber Lieblingeſchwaͤche des Zürften kam bie Herr:
ſchaſt der Guͤnſtlinge, welche fih gereiß oft auf unrechtmaͤßige
Beife bereicherten und bei nicht außreichenber Beſolbung ſchon
in den Anfoderungen, welche der verſchwenderiſche Hof auf ein
glänzendes Auftreten machte, eine Entſchuldigung für Unterſchleife
fanden; das dehnte fich hoͤchſt wahrſcheinüch zur großen, Beein⸗
traͤchtigung ber Unterthanen, auch auf einen nicht unbedeutenden
Theil der übrigen Beamteten aus, welche bei ber Unregelmaͤßig⸗
keit dee Befoldungszahlungen ohnehin oft in große Noth kamen.
Wie zahlreiche, an fich Aufferft ſchwere, durch die Erhe⸗
bungsweiſe ben Unterthanen noch laͤſtigere Steuern mannich⸗
facher Art oft übel genug,erfonnen wurden, haben wir bereits '
außeinanbergefegt, fowie auch, was zur Erhöhung des Er
trag der Domainen durch bie Vererbpachtung verfucht und
dann wieder durch die Erbpacht erreicht werden ſollte. Man
wollte berechnet haben, daß auch der drmfte Bettler in Berlin
zu der dort fehr hohen Acciſe für das, was er zum Lebens⸗
unterhalte gebrauche, jährlich ſechs Thaler beitragen müffe ').
Die Beränderungen bei dem Poſtweſen bezwedten auch mehr
die Erhöhung der Einkünfte, als bie Befbrderung des Hans
deis &o burfte (feit 18. Dec. 1689 und 20. April 1691)
kein Brief oder Paket unter zwanzig Pfund ſchwer durch Fracht⸗
fuhrleute und (feit 2. Juli 1710) bei zehn Thalern Strafe
auch nicht von Privatleuten beförbert werben. Cine neue Pofte
ordnung wurde (10. Auguft 1712) gegeben, in welcher bie Poft
die Gewähr für das ihr amvertrauete Gelb übernahm. Die
Bollbeamteten erhielten Vorſchriften, an Pofltagen die Fuhrleute
aufzuhalten, damit biefe der Poſt nicht die Paffagiere entzögen ).
1) Theatr. Europ. XVII. p. 108. Das ift wohl fehr übertrieben.
Der Ertrag der Accife flieg in Berlin vom I. 1690 bis 1705 von
58,000 Thit. auf 170,000 Xhle., alfo auf mehr als das Dreifache.
Königs Berlin IL ©. 862. Die Zahl ber Einwohner flieg vom
3. 1688 bis 1713 von 20,000 bis auf 50,000. Wenn nun aud) bie Er⸗
hebungsfoften noch in Anſchlag Tommen, fo würden doch nur 8—4 Thir.
auf den Kopf zu rechnen fein, weit weniger natürlich auf Arme.
N Könige Berlin IL ©. 71.
202 Bud V. Zweites Hauptftäd.
Es beftanden unter Friedrich L, wie unter deſſen Vater,
" zwei „Hauptabtheilungen ber Einkünfte, beren eine der Unter
baltung bes Kriegsweſens, die zweite der des fürflichen Hau:
ſes und Hofs gewidmet war. Don ber Höhe ber dem Krieges
wefen beftimmten Summen koͤnnen wir nichts Beftimmtes
angeben umb mur vermuthen, baf fie, auch ohne die Subſidien,
wohl eher mehr als weniger wie zur Zeit feines Vaters, alfo
vieleicht gegen zwei Millionen Thaler betragen haben mögen.
Die anderen ober fogenannten Domainenintraden begriffen in
ſich die Einkünfte der Poft, Minze, Stoͤr⸗ und Bernflein-
fifperei, des Salz⸗ und Muͤhlſteinhandels, ben Ertrag anderer
‚Hoheitörechte und bie Stempel⸗ und Legationsgelder. Sie
beliefen ſich, jedoch ohne Abzug ber Verwaltungskoſten und
Beamtetenbefoldungen, beim Antritte ber Regierung Fried⸗
ichs IL. auf 1,533,795 Thaler. Davon wurden 134,973 Tha⸗
ler zur Schatulle, 136,988 Thaler zum Unterhalte der Burflerfts
Tichen Familie und 226,310 Thaler zur Hofrentei verausgabt.
Von ber noch übrigen etwas über eine Million betragenden
Summe war ber größefle Theil zum Beſoldung fämmtlicher
Staatsbeamteten, ferner 78,183 Thaler aufferordentlich zum
Unterhalte der Garnifonen und Feflungen, 35,200 Thaler für
die Marine, 147,015 Thaler zu Abführung von Domainens
ſchulden und Verbeſſerungen auögefest. Die im 3. 1711
von den Provinzen an bie Hofkammer in Berlin eingefchickten
seinen Ueberſchuͤſſe beliefen fi, nach Abzug ber Provinzials
bebieniffe, im J. 1711 auf 764,766 Xhaler, im 3. 1712
auf 820,000 Xhaler ').
Die baaren Befoldungen der eigentlichen Hofſtaatsbeam⸗
teten betrugen (ohne bie ſehr bebeutenben Lieferungen von
Naturalien zur Speifung derfelben) im 3. 1688, 54,589 Tha⸗
ler, im 3. 1712 (mit den Koſt⸗ und Raudfuttergelbern)
157,647 Xhaler. Im J. 1706 beliefen fid die ‚Hoflammer:
ausgaben auf 1,626,241 Thaler, davon kamen auf den ‚Hof
flaat 367,758 Thaler, ‘aufferdem aber in bie Königliche Scha⸗
tulle und an bie Prinzen und Prinzeffinnen bes Eöniglichen
1) Mittheilungen meines verehrten Freundes, des Profeflors Btiebei
in Berlin aus den Acten, welche doch nur Wrucftüde mit nidt ausrei:
chender Angabe enthalten.
Sinanzen. 203
Haufe umd deren Hofftaat 180,000 Thaler, auf Befolbungen
der geheimen und anderer Räthe und Provinzialregierungen
155,467 Zhaler, auf Befoldungen bei der Kammer und Aem⸗
tem, 259,389 Thaler, auf Tonfiſtorien, Prediger, Akades
min, Kirchen, Schulen, Kiöfter, Hospitaͤler und Stiftungen
62,463 Thaler * Die koͤniglichen Geſandtſchaften an- fremden
‚Höfen Tofleten im I. 1712, 211,000 Thaler, davon bie utrech⸗
in Sriedenögefanbtfehaft alein 105,000 Thaler *). Eonach
möften fich die Ausgaben am Ende ber Regierung des Königs
wohl auf mehr als viertehalb Millionen Thaler berechnen laſſen,
wobei man bie anfehalichen Gubfiblen wird mit in Anfchlag
bringen müffen.
Aullerdings hatte der König dem Staate einigen Zuwachs
vefhafft durch bie Grafſchaft Lingen, durch bie bem Grafen
Die Wilhelm von SolmssBraunfeld, jedoch mit Uebernabme
wurde. Dan darf wohl fagen, wie die Eolonifation des Sans
de8, fo gehörten auch bie Juden gewiffermaßen zu den Finanz
gegenftänden und wurben auch bemgemäß behanet De
Kurfürf ſettte gleich nach feinem Regierungsantritte eine Juden
ommiffion ein, welche aus ben geheimen und Kammergerichts⸗
N) Königs Berlin II. ©. 295 u. 301.
D Königs Berlin II. ©. 816.
204 Bud V. Zweites Hauprftäd.
Mäthen beſtand, vor der fich alle Juden mit ihren alten Ges
Leitsbriefen ftellen follten, um nicht allein neue zu Iöfen, fondern
auch 20,000 Thaler für bie erneuerte landesherrliche Gnade
zu zahlen. Im ber Mark befanden fi) damals 132 Juden⸗
familien auffer einigen wenigen in kleineren Städten. Die
Stadt Frankfurt a. d. D., wo ſich die meiften Juden aufs
hielten (43); während in Berlin weniger (nur 31) waren,
gab dem Kurfürfien fechzehn weitläufige Grimde an zur
Unterftügung ihrer Bitte: fie von dieſen Blutegeln zu be
freien und barob zu fein, daß bie Stabt von biefem Unges
ziefer möchte gereinigt werben, doch ohne Erfolg. Es wurde
(27. Sept. 1689) den Juden in allen Ländern abermals bes
fohlen, für bie Erneuerung ihrer Privilegien und Jubenpatente
die Summe von 16,000 Zhalern, und nochmals im I. 1690
*0,000 Thaler zu entrichten. Dennoch vermehrte fih ihre
Zahl bei der milden Begegnung, welche fie in ben branden⸗
burgifchen Ländern verhältnigmäßig gegen andere Staaten es
fuhren, fortwährend. Im J. 1690 waren in der Neumark
116 Familien. Im Fürſtenthume Halberſtadt erhielten im
3. 1691, 75 amilien Schugbriefe; im I. 1706” befanden
ſich hier 98 Familien in 98 eigenen Häufern; in den Marken
im 3. 1700 470 Familien, von biefen faft die Hälfte (230)
in ber Neumark; in Pommern 52, im Herzogthum Gleve 81,
in der Graffchaft Mark 62, in Preuffen nur wenige. Im
3. 1697 wurde ihnen im Halberftäbtifchen, im I. 1699 in
allen Provinzen des Staats verboten, ferner noch liegende
Gruͤnde zu erwerben. Auf dem platten Lande durften fie nie:
mals wohnen.
Vielen Einfluß auf die Begünftigungen der Juden hatte
der Hofjuwelier Joel Liebmann, der dem Kurfürften und dann
Könige vorzüglich Juwelen lieferte, fowie nach deſſen Tode
(1705) feine Frau, welche unangemeldet zum Könige gehen
durfte. Schon im J. 1697 hatte Friedrich die Anlegung einer
Synagoge in Berlin geftattet, wo biöher ber jübifhe Gottes:
dienft nur in Privathäufern gelbt werben burfte. Darüber
waren unter ben Juden felbft viele Streitigkeiten ausgebrochen.
Erſt im 3. 1712 wurde ber Bau einer allgemeinen Synagoge
nach vielen von ben beiden Parteim ber Juden in Berlin
Juden. 2
erhobenen Schwierigkeiten burchgefeht. Ein lreglement
wurde (7. Dec. 1700) fie fie erlaſſen. Vergleitete Juden ſoll⸗
ten daB doppelte Schutzgeld der Schußjuben geben, wer nicht
ehrlichen Erwerb nachweiſen konnte, binnen vier Wochen das
Land räumen, keiner, auffer denen es im I. 1600 geflattet
worden, Kramlaben und Buden haben, fir. ben Leibzoll 1000
Ducaten Schutzgeld entrichtet, biefes nicht einzeln, fonbern von
der ganzen Judenſchaft durch die Worftcher erhoben, noch zehn
wohlhabende Familien, jede fir Zahlung von 50 Ducaten
aufgenommen , Grundſtücke jedoch nicht ferner erworben, die
Da nun die Juden von den Chriſten nur beim Kammer⸗
gerichte belangt werben konnten, fo beſchwerte ſich der Magi⸗
frat in Merlin ‚baräber umb bat darum, felbft Sachen bis zu
50 Thalern Werth entfcheiden zu duͤrfen, was ber Fuͤrſt, ins
dem er —E alter Art als fein Staatseigenthum
betrachtete, nicht nachgab und bie geringeren Griminals unb
Sriurienfachen, feit 1706 Gelbfachen dis 100 Zpaler Werth,
—*&*& und einer eigenen neuerrichteten Judenconmiſſion
Viele einzelne Beſchwerden über bie Juden liefen von
a fo weit es Verordnungen ver⸗
mochten, abgeſtellt.
Nichts war für dieſe gefäßrliher als ber Haß der Chris
fin, der von Zeit zu Seit, faſt nur vom ehemaligen Juden,
den dann heftigfien Wiberfachern ihrer alten Glaubensgenoſſen,
durch die Angaben, als fehmäheten fie ben ‚Heiland und bie
pe Religion, von Neuem angefacht wurde. Auf bie Ans
ige eineß ehemaligen Juden, welche ein anderer bekehrter
Jüde Seftätigte, daß bie Yuben in einem Gebete „Ans ben
Heiland täglich Läfterten und vor ihm außfpieen und bann von
dem Drte wo fie fländen aufs und wegfprängen, wurde das
BR (1702) & erbittert, daß fie, wie fie Hagten, weber in
206 Bud V. Zweites Hauprftüd.
noch in Staͤdten ihres Lebens ſicher waren, weshalb
der Sönig (13. Sept. 1702) allen Dbrigkeiten verbot, die Ju⸗
den. auf bloße Befchulbigungen zu flrafen, dann (4. Januar
1703) befahl, fie in feinen Staaten gegen Gewalt und öffent:
lie und heimliche Kraͤnkungen zu fchligen, weil er bereits
eine Unterfuhung bee gegen fie erhobenen Befchnibigungen an⸗
georbuet. Diefe wurbe zu gleicher Zeit in Kuͤſtrin, Pommern,
Magdeburg und Halberftadt mit Zuziehung eifriger Theologen
geführt und darauf (28. Aug. 1703) ein Edict an alle Prä-
taten, Grafen, Herren u. f. w. Unterthanen, Gläubige und
Ungläubige erlaffen, in welchem ber König fagte: er und alle
Statthalter Gottes auf Erden möfften nebft der Werhereiichung
des Namens Gottes auch den Hauptzwed haben, nicht nur
das’ zeitliche Wohl der ihnen anvertraueten Unterthanen zu be⸗
fördern, fondern auch dafir forgen, bag, wo nicht alle zu
Bott beichet, doch ihr Gericht einftns nicht ſchwerer werde.
unterwärfig gemacht,
und wünfche — daß es endlich von ſeiner Blindheit moͤge
Heiland gebracht
Chriſti, nicht zum weltlichen des Königs, ber auch bie Herr⸗
ſchaft über die Gewiſſen der Menſchen dem Herrn aller ‚Herren
einzig uͤberlaſſen und daher die Zeit ihrer Erleuchtung gebulbig
abwarten müffe, die Geiſtlichen jedoch ermahne, dad unglaͤu⸗
u Volk mit South zu bekehren; bagegen fei ‚er aber
bie Boeheit derer zu wehren, bie fich gegen
A erheben wollten. Er führte nun bie Beſchuldigung
Juden. 207
dad Gebet „Alenu“ kuͤnftig laut einem Vorbeter ſolle nachge⸗
ſprochen werden; wer es noch heimlich oder in ſeinem Her⸗
zen ſpreche, ben wolle er ber göttlichen Allmacht überlaſſen
Yen und werbe Ghriftus feine Ehre zur rechten Zeit ſchon
zu reiten wiſſen. Diefes Edict murbe von da an bis zum
3. 1730 öfter wiederholt und von Neuem eingefchärft. Bon
Zeit zu Zeit erneuerten ſich die Angaben, daß in jkbifhen Bits
chern ber Heiland geläftert werbe, was neue Unterfuchungen verans
laſſte. Aufferordentlich merkwürdig fir die damalige Zeit blei⸗
ben die Grundfäge von Duldung, welche (5. März 1707) ein
Refeript des Königs an bie. Univerfität Frankfurt, nach bem
fehr befonnenen Gutachten derfelben über die angeblichen Gots
teöläferungen im Buche Rabboth'), kund gibt, daß naͤm⸗
lich der König es gelehtten Männern uͤberlaſſe bie darin viels
leicht verſteckte böfe Abficht ber Iuben, worüber Gott allein
das Gericht zukomme, herauszufuchen ımb ihnen zur Ueber⸗
jengung vorzuftellen. Man ſieht daraus daß doch wenigftens
nicht alle gelehrte Theologen den fanatiſchen Haß gegen bie,
Juden noch theilten, ber freilich wohl noch viele Geiftliche ges
gen fie befeckte. Auch das berüchtigte Buch des gelehrtm Ei⸗
fenmenger: das entbedtte Judenthum, weiches eine Sammlung
aller läfterlichen und laͤcherlichen Meinungen ber Juden .liber
das Chriſtenthum aus ihren zum Theil fehr feltenen Büchern
enthielt und bad fie auf jede Weiſe zu unterbrücen bemüht
waren, was ihnen auch beinahe gelumgm wäre, hatte nicht die
—e— Wirkung, welche fie beforgten. Zwei Bände in
Quart werben nie ein Volk aufregen.
Bettejuden wurden (1702) mit Landesverweifung, Staup⸗
befen, ober Beflungsarbeit bebrohet. Die Haupträdficht, melde
bier, wie vieleicht überall die gelindere oder härtere Behand⸗
lung ber Juden beftimmte, war bad Gelbbebürfnig, nächfibem,
doch ſchon hier bie Durch bie Beit gemilderte Gefinnung, weiche ſich
nach und nach von der alten firengen Orthoborie zur reinern Er⸗
faffung bes wahren Kerns bes Chriſtenthums zu erheben anfing*).
1) Die Beſchlagnahme des Buches wurde zugleich autechobm Die
Worte bes Edicts find woͤrtuch dem besfalfigen Antrage des Profeffors
entiehnt.
D) (Königs) Annalen ber Juben in dem preuffifchen Staate, vor ⸗
28 | Bud V. Zweites Hauptſtuͤck >
Bei fo vieler Strenge, welche wir in ber —
gebung dieſer Zeit finben, iſt es oh fee erfreulich, zu Teben. DB
(22. Mai 1709) den Beamteten verboten wurde, bie Unters
tbanen ferner zu ſchlagen und zu prügeln, fie (14. Nov.
1688) bei Wolfsjagden hbermäßig zu beſchweren und mehr als
150 Mann zugleich dabei aufzubieten. Für die Erlegung eines
alten Wolfe wurden ſechs Thaler, flr einen jungen drei Thaler bes
zahlt (8. Dec. 1707). Der Abel muffte feine Jagdgerech⸗
tigfeiten bemweifen unb bazu wurbe (8. Juli 1689) sine befons
dere Commiſſion niedergefegt. Die Elenthiere wurden mit
Auerochſen aus Preuffen in die Wälder der Mark gebracht und
(8. Juli 1689) bei 500 Thalern Strafe verboten, fie zu
fbieffen. Auch die den Wäldern fo nachtheiligen Biber wurden
an ber Elbe gefchont und ihre Erlegung verboten, bamit fie ſich
vermehren koͤnnten, überhaupt aber zahlreiche Wübfchonmgds
ebice erlaffen und das von feinem Vater (1686) gegebene Vers
bot, Nachtigallen zu fangen, erneuert (28. März 1693) mit
dem Befehle, bie bereits gefangenen binnen zehn Tagen bei
Strafe fliegen zu laſſen.
Die Gewerböthätigkeit machte gegen früher umgemeine
Vortſchritte, hauptſaͤchlich, wie wir ſchon angeführt haben,
durch bie —— Franzoſen. Um die einheimifpe
Babritation zu felgen und zu heben, wurbe im Geifte jmer
Zeit (1693) bie Einfuhr ander Tuͤcher, ferner wegen ber
Spiegelglasfabrit in Neuflabt an der Doffe, fremdes Gpiegels
glas (9. Mai 1695), wegen der in Berlin errichteten Glass
hütte wiederholt alles frembe Glas, wegen bes Meffinghams
mers zu Neuftabt Eberswalde und anderer Metallhaͤmmer (21.
Dec. 1702 und 10. Sept. 1705) die Einfuhr von Meffing
und (10. Aug. 1709), fremdes Kupfer (12.
Mai 1703), fremdes Eifen auffer dem ſchwediſchen Dfemund
verboten, bie im J. 1701 feſtgeſetzte Accife auf frembe wollene
und halbfeidene Waaren (18. Sept. 1708) erhöhe. Bon
einem Franzofen wurden Verfuche, ben Seibenbau zu betrei-
ben (1698) gemacht und eine Maulbeerplantage bei Berlin
gägtih in der Mark Wrandensurg ©. 104 ff. „Gätten wir doch mehe
Werte über einzelne Gegenftände ber preuffifcien Geſchichte, welche mit
den fleifigen Sanunlungen Königs verglichen werben Könnten.
Jagb. Gewerbe. Muͤnzweſen. 209
angelegt, bann war baflır auch die Akademie ber Wiffenfchafs .
ten, beſonders ber gelehrte Rector Friſch thätig ').
Der Anbau des Tabads in ber Mark, dem Magde⸗
Öungifchen und Pommern nahm zu und es wurben feit 1690
mehrere Gonceffionen zur Errichtung von Tabacksſpinnereien in
Küfrin, Magdeburg und Kolberg ertheilt. Der Verkauf bes
Zabads wurde (22. Dec. 1688) ben in einzelnen Provinzen
Privilegirten nicht nur für dieſe Provinzen (mie 28. Nov.
1687 beftimmt war) fondern in allen Übrigen gleichmäßig ges
ſtattet, um bie Freiheit des Handels nicht zu hemmen *).
Für Erhaltung und Ausdehnung des Handels ſehen wir
den Fürften mehrmals, in feinen Unterhandlungen mit fremben
Maͤqhten thätig. Die afrikaniſche und amerikanifhe Handels
wmpagnie behielt er bei und nahm ſich ihrer fehr an, ba fie
ſehr verfallen und in Schulden gerathen war. Aus dem in
den afrikanifchen Befigungen erhaltenen Goldflaube wurben im
3. 1692 die legten Ducaten geprägt. Die Zwiſtigkeiten zwi⸗
ſchen der brandenburgiſchen und daͤniſch⸗weſtindiſchen Compag⸗
mie über die Inſel St. Thomas wurden (1692) auögeglichen,
und die brandenburgiſche erhielt mehr Bequemlichkeit zum
aftikaniſchen und amerifanifchen Handel), auch endlich (1694)
ihre von den ‚Holländern weggenommenen Pläge in Guinea
zuruck, Alles vorzüglich bei dem fpanifchen Exbfolgefriege
ohne wefentlihen Nugen für bad Land, dem biefe Unternehs
mungen mehr Tofteten, al einbrachten *).
Durch ein Edict (12. Januar 1691) wurde zur Werhüs
tung der totalen Berrättung des auf gänzliche Kipperei hinaus⸗
laufenden Muͤnzweſens der mit Kurfachfen und Braunſchweig⸗
Lüneburg im I. 1691 zu Leipzig abgefchloffene Münzvertrag
befannt gemacht und alle nicht wenigftens nach bem Leipziger
1) Königs Berlin II. ©. 91 u. 212.
2) Geſchichte des Tabacksweſens in den preuſſiſchen Gtanten in
Röbenbeds Beiträgen I. ©. 229.
8) Theatr. Europ. XIV. p. 302 u. 626.
4) Königs Berlin II. ©. 34. Friedrich hatte bis zum J. 11
120,000 Zhte. zugefipoffen. S, vorzüglich denfelben a. a. D. S. 348.
Rauld, thr Worfleher, wurde fpäter nach Spandau gebracht.
Stengel @efd. d. Preuffiih. Staats. IT. 14
210 Buch V. Zweites Hauptfiäd
Buße geprägte Mingen, ferner Kauf, Verkauf und Ausfühe
tung ungemünzten Goldes und Silbers erſt den Juden, dann
überhaupt verboten und die Ablieferung. beffelben an die Münze
befohlen (7. Auguf 1690).
Das ‚Heer war in ben verfchiebenen Zeiten ber Regierung
Friedrichs von verfchiebener Stärke. Im I. 1689 befland es
aus etwa 26,000 Mann am Rheine und 6000 Mann in ben
Niederlanden im hollaͤndiſchen Solde zur Unternehmung nach
England, alfo aus etwa 32,000 Mann, ohne diejenigen, welche
vorzüglich zur Befegung der Zeflungen im Lande blieben, fo
dag bie garize Macht wohl 40,000 Mann betragen haben
Bann’). Nach dem ryswicker Frieden wurde bad Heer auf
kurze Zeit vermindert, dann wieder vermehrt. Im J. 1701
wor es 30,000 Mann ſtark und koſtete an Sold jährlich ets
was über anderthalb Milionen Thaler. Im I. 1705 war e8
42,000 Mann’) ſtark und müffte nad) gleichen Maßftabe ets
wa 2,230,000 Thaler Sold erhalten hab. Im I. 1709
waren 23,000 Mann in Flandern, 8000 Mann in Stalin,
" 13,756 Mann in ben Feſtungen und im Innern des Landes,
zuſammen 43,756 Mann, hierzu kamen in Preufien 5000 Wis
branzen und 2000 Invaliben, alfo betrug bie bewaffnete Macht
50,000 Mann, wobei 40 Generalofficiere ’).
Die Eitelkeit Friedrichs veranlaffte ihm zahlreiche verfchie:
denartige Abtheilungen prächtiger Leibwachen zu errichten. Wir
finden (1692) Garde du Corps (die ehemalige Zrabantens
garbe), deutſche und franzoͤſiſche Grands-Mousquetairs, in
welchen beiden Corps jeder Gemeine Lieutenautsrang hatte,
Grenadiers & cheral, Gemsdarmes, bie Lei zu Buß,
welche aus ber preuffifchen und kurmaͤrkiſchen Garde beftand,
das Leibregiment Dragoner, daB Leibregiment zu Pferde, dazu
1) Schönings Leben Ragmers S. 96, der noch aufferbem 11,000 Bann
meben den 6000 ann im hollänbifdien Solbe annimmt, alles als volle
aäplig. Hennert dagegen berechnet für 1692 nur 13,410 Dann am
&feine, 1693 11,000 am Dbere, 8000 am Riebersfeine, wohl effectio.
Bergl. Raymer ©. 139.
2) Ragmers Leben ©. 196 u. 272 aus officellen Quellen.
3) Ragmers Beben ©. 323, officieller Bericht.
Herr. 211
ta noch im J. 1698 die Grenadiergarde. Alle dieſe Kegi⸗
menter waren ſehr koſtbar ausgeruͤſtet, bekleidet und befolbet.
Wie vielen Ruhm die Truppen insgeſammt üͤberall ers
tungen, wo fie in offener Feldſchlacht oder im Angriffe und
Vertpeidigung feſter Pläge') kaͤmpften, haben wir bereits ers
fahren. Alle Nachrichten geben an, daß bie Pike und das
Buntenfchloß unter Friedrich MIN abgeſchafft, bas franzöfifche
Schloß eingeführt und das Bajonnet angenommen ’) worden,
welches boch nicht während des Feuerns, fondern erſt nachher,
wenn es zum Handgemenge kommen follte, aufgefchraubt
wurde. Bei ber nun eingeführten Stellung von vier Mann
hoch, wurde dad Pelotonfeuer, in dem die beiden vorderen
on aufs Knie fielen, für bie damaligen Zeiten vorzligs
ſtark *).
Die Aufbringung und Ergänzung der Maunfhaft ges
ſchah durch Werbung und ſchon im I. 1691 muſſte ein Ebict
gegen die Gewaltthätigkeiten erlaſſen werben, welche fich babei
Dffiiere auf dem Lande erlaubten. Wegen der Unficherheit
des Ergebniſſes bei dem biöherigen Verfahren wurde (24. Nov.
1693) ein eigenes Werbungsinterimöreglement gegeben, nad)
welchem bei Beziehung der Winterquartiere alle Regimenter
und Bataillone eine genaue Lifte des Abgangs beim Generals
ommiffariate einreichen mufften. Diefes vertheilte die Lieferung
des Abgangs auf die Provinzen, welchen frei flanb, bie Mann⸗
ſchaft (doch Fein unnliges Gefindel, Unterthanen, Kinder und
Dienftboten) felbft zu werben. Zr jeden Geworbenen zahlte
der Dfficier zwei Thaler Handgeld und fohte ſich aller übrigen
biöher tiblichen Pladereien enthalten. Auf diefe Weiſe konnte
man des Erfages des jährlichen Abgangs ziemlich gewiß fein.
Dennoch entftanden über Gewaltthätigkeiten der Werbeoffidere
im J. 1695 Bewegungen unb e8 wurden breifle und aufrübs
terifche. Reben, felbft von Geiftlichen, gehört und deshalb
der Magifter und Inſpector Stenger in Zittflod feines
Amtes entfegt.
1) Hennert ©. 9.
2) Geh renh or ſt) Betrachtungen über die Kriegskunft IH. TIL &.407.
8) Hennert S. 23.
14*
412 Bud V. Zweites Houptſtuͤck
Zur Ergänzung und Vermehrung bed Heers um 12,000
Mann im I. 1704 wurbe durch ein Reglement (v. 11. Mir)
vorgefchrieben: jeder Inhaber einer Compagnie folle funfzehn
Mann gegen vier bis fünf Thaler Handgeld für zwei bis brei
Jahre auf eigene Koften werben. Jede Schäferei, in welcher
zwei Knechte dienten, bie Erb» und Preimüller, Erb⸗ und
Braukruͤger, Erblehn⸗ und Freifhulzen, Branntweinbrenner
je zehn Meiſter jeder Zunft, je drei Handwerker des platten
Landes ftellten einen Mann zwifhen zwanzig und vierzig Jah⸗
ven; was dann noch von ben 12,000 Mann abging, wurde
auf die Provinzen vertheilt. Die zur Landmiliz enrollirten
Jungen Leute wurden (10. Auguft 1704) von ber Einftellung
in bie Zeldregimenter befreit. Schon im folgenden Jahre
(26. Nov. 1705) wurde indefien, weil viele junge Leute bei
der Landmiliz Dienfte nahmen, ober, um bem harten Feld⸗
dienfte zu entgehen, das Land verlieffen, die Zahl der Erſatz⸗
mannſchaften insgefammt auf ben ganzen Staat fo vertheilt,
daß Städte und das platte Land bie Lente aufbringen und im
die Feftungen liefern mufiten. Denjenigen, welche freiwillig auf
ſechs und mehr Jahre Dienfte nahmen (capitulirten), wurden
beſondere Vortheile zugefihert. Allein den 10. Sept. 1708
wurde, weil in vorigen Zeiten die Dfficiere verpflichtet gewe⸗
fen, ihre Gompagnien vollzaͤhlig zu erhalten, ohne baß dem
Lande zugemuthet worben, die Mannfchaft aufzubringen oder
abzuliefern, bie Werbung wieder auf den alten Zuß gefeht.
Land und Stäbte erboten ſich, biefe moͤglichſt zu unterflügen,
für jeden zu flellenden Mann acht Thaler Handgelb zu geben,
ihn nad; Ablauf der dreis biß fechejährigen Dienfkzeit Toflens
frei in das von ihm gelernte Handwerk aufzunehmen und für
fo viel Jahre, als er gedient, von Stadt⸗ und Dorfälaften zu
befreien. Demgemäß wurde mun jeber „Heereßabtheilung ein
verhältnigmäßiger Diſtrict im Lande angewiefen, das Bermös
gen ber Audgetretenen confiscirt, unanfäffige junge Leute, die
Tein Gewerbe erlernt, mufften von der Obrigkeit den Werbern
„abgeliefert werben. Auch das hatte bei dem ſtarken Abgange
aller kaͤmpfenden Heere Feine Wirkung und noch fn demfelben
Sabre muſſte man bie zu liefernde Exfagmannfchaft wieder auf
die Provinzen vertheilen. Fuͤr jeden nicht geſtellten Bann
He. 213
warden funfzig Thaler gefobert. Endlich (14. Det. 1711)
wurde den Provinzen geflattet, auch kleine Leute und auch
Ausländer, wenn fie nicht von fremben Truppen befertirt wären,
abzuliefern. Diefe Einrichtungen näherten ſich ſchon dem Aushe⸗
bungöfufteme, welches Friedrich Wilhelm. förmlich einrichtete ).
Der Dienſt muß doch ſtreng und ſchwer, der Schreden
vor bemfelben bei dem Aufferft ſtarken Werlufte in Schlachten
und Belagerungen groß, daher bie Defertion zahlreich geweſen
fein. Schon 9. October 1688 wurbe ein Patent dagegen ers
laſſen und Mitwiffer und Hehler mit einer Strafe von 500
Thalern bebropet. Wer einen Deferteur zuruͤckbrachte, erhielt
zwei bis fünf Thaler. Faſt jährlich erſchienen Edicte diefer
Art und (feit 12. Februar 1702) Generalpardonsebicte für
diejenigen Deferteurö, welche ſich innerhalb einer beftimmten
Seit elten. Es kam endlich fo weit,‘ daß ein Patent (dv. 5.-
Mai 1711) erklaͤrte: da bie bisherige wiewohl abſcheuliche Tos
desſtrafe des Stranges gar Feine Furcht, Schrecken noch Beis
ſpiel geben wollen, fo ſollten ertappte und der Deſertion übers
wiefene Soldaten binnen vierundzwanzig Stunden ohne Gnabe
vor dem Regimente fuͤr Schelme erfiärt, ihe Degen vom Hens
ter zerbroden, ihnen als unwürbig in ehrlicher Geſellſchaft
weiter zu fein, die Nafe und ein Opr abgefchnitten, darauf
ieber an eine Karre gefchmiebet unb Iebenslänglich zur ſchwe⸗
zen Seftungsarbeit verwendet werben. Bald darauf erflärte
ein Edict, (7. October 1712) auch jene Strafe habe als ors
dentliche "Strafe nichts geholfen und fegte daher feft, ber
Strang folle die ordentliche, das Abfchneiden der Ohren aber
Gedoch nicht mehr‘ der Nafe), Brandmarken, Gaffenlaufen und,
Feſtungsbau aufferordentliche Strafe fein. Dan fieht wohl,
daß es graufamer Mittel bedurfte, um ein Heer mit einer
Kriegszucht zu gruͤnden, wie fie dann vollendet unter Fried»
rich Wilhelm I. im preuffifchen einheimiſch war. Die Zufams
menfegung des Heers aud fo verſchiedenartigen Beſtandtheilen
durch Werbung noͤthigte dazu. Doch machte der Zürft die
Dfficiere verantwortlich dafuͤr, wenn ein Golbat in Bolge
1) Ridbentrop, Verfaſſung des preuffifchen Cantonsweſens ©. 15,
eine Jugendarbeit des Verſaſſers.
214 Bud V. Bweites Haupeftäd:
uͤbeler Behandlung ungefund wurbe ober flard. Wer von dem
Landesherrn ſpoͤtuſch ſprach, wurde mit Gefängniß, wer ehren
rührig, mit dem Zobe befivaft.
Als Lehrer der mathematifchen Wiſſenſchaften bei den Ca⸗
detten wirb der Oberfllieutenant Johann Heinrich Behr genant,
ein vielfeitig wiſſenſchaftlich gebildeter Mann, der Über Krieges
baukunſt fchrieb und Theil an dem Anbau ber Friedrichsſtadt
hatte, von ber eine Straße feinen Namen erhielt’). Der Ins
genieur Oberft Gayart, ein Schüler Vaubans, verbefferte bie
Werke mehrerer Feſtungen). Sonft fcheinen die Officiere nicht
viel Unterricht gehabt und gebraucht zu haben, doc befahl der
König im I. 1704, die Feldmeffer folten die Karten der aufs
genommenen Feldmarken fo zeichnen, daß fie zufammenges
flogen und. zu militairiſchen Zweden benugt werben koͤnnten.
Zur Verforgung Priegsunfähiger Soldaten errichtete zuerft Fried⸗
rich I. Ingalidencompagnien und beſtimmte dazu bie Einfünfte
des Amts Thorin ®).
Was Friedrich L im Anfange feiner Regierung für Kuͤnſte
und Wiſſenſchaften gethan, haben wir fon berührt. Auffer
ber Akademie der Kuͤnſte und mechanifchen Wiffenfchaften, zu
der Dankelmann ben Grund gelegt und bie 12. Juli 1699
unter dem Protectorate Kolbe von Wartenberg eingeweihet
wurde, grümbete er auch die Akademie ber Wiffenfchaften in
Berlin. Beranlaffung zur Stiftung der Akademie, oder, wie
fie anfänglich Hieß, Societät der Wiſſenſchaften gab die Vers
fammlung mehrerer gelehrten Männer in Berlin, welche Fried⸗
sich beauftragt hatte, bie Ausführung des Reichötagsbefchluffes
über Annahme des verbefferten Kalenders zu berathen. Leibs
nig benutzte dad, um bei dem Fürften den Gedanken an bie
Errichtung einer Gefellihaft der Wiffenfhaften anzuregen, und
erhielt von biefem den Auftrag, darüber ein Gutachten abzus
geben. Leibnig that das und fagte darin: der Zwed der
Societät muſſe fein, der Menfchen Gtüdfeligkeit zu befördern,
welche hauptfächlich in der Weiäheit und Zugend, dann in ber
1) Ricolai’s Berlin II. vierter Anhang, u ©.
2) Derfelbe a. a. D. ©, 55.
3) Königs Bein IL. ©. 172.
Wiffenfhaften. Akademie 215
Geſundheit und ben Bequemlichkeiten des Lebens beflche. Das
laffe ſich am beflen durch Vereinigung dazu geeigneter Männer
unter dem Schuge eines aufgeflärten und großmüthigen Fürs
ſten erreichen, wodurch in zehn Jahren fo viel erreicht werden
koͤnne, als fonft in Jahrhunderten. Die erfie Grundlage des
menſchlichen Glüds bilde die gute Erziehung ber Jugend. Es
fei eine Schande zu fehen, wie viele koſtbare Zeit verſchwendet
werde, um Unnüges ober auf Ummegen und ſchlecht Nügliches
zu lernen, was man leichter auf zwedmäßige Weile fih_zu
eigen machen koͤnne. Die dazu entworfenen Vorſchriften koͤnn⸗
ten zugleich für bie Ration und für den Kronprinzen angewens
det werden, wie bie Ausgaben ber Glaffiter, welche man fix
den Dauphin beforgt habe. Durch Kupferftiche lieſſen ſich viele
ſowohl ſchoͤne als mechanifhe Kimfte deutlich machen, noch
mehr durch Sammlung von Naturs und Kunftgegenftänden.
Alles Wichtige, was man von biefen wifle, ſollte, ohne Ges
ſchichte, Alterthuͤmer und Sprachen zu vernachläffigen, aus
guten Büchern und noch mehr bei erfahrenen Männern jedes
Slaubens und Landes, naͤchſtdem auch alle Erfahrungen, welche
die Erhaltung der Geſundheit bezweckten, gefammelt, neue
Beobachtungen angeftellt und von Aerzten erfragt werben.
Dazu müffe man bie Körper der Menſchen, der Thiere, der
Pflanzen und anderer Gegenflände ber drei Naturreiche, welche
» Mittel zur Heilung, Ernaͤhrung oder zu Inftrumenten für ben
Menſchen gäben, genauer anatomifh, chemiſch und vorzüglich
mikroflopifch unterfuchen, wodurch man ſchon viel entbedt
babe. So werde man bald einen Schatz von Kenntniffen über
das Innere der Natur fommeln. Diefe Beſchaͤftigungen wim⸗
den auch für den Lands und Bergbau, für Manufacturen,
Künftler und Handwerker, den Handel und bie ſchoͤnen Künfte
fehr nüglich werden durch Werbefferung Älterer und Einfühs
zung neuerer Fabriken und Gulturweifen des Bodens. Bei
dem Kriegäwefen hänge, naͤchſt ber Zucht, Uebung und dem
Unterbalte, alled Uebrige, nämlich die Bereitung der Waffen,
der Kriegsbebtirfaifie, ber Befeſtigung und des Geſchitzweſens,
von den Grundfägen der Mathematit und Phyſik ab; auch
würde es wichtig fein, eine Schule fir Chirurgie in der Art
der Kriegsfpulen zu gründen. Vielfachen Schug würde man
216 . Bud V. Zweites Hauptftäd.
gegen unvorhergeſehene Unglücsfälle durch Feuer und Waſſer
erhalten, endlich die Verbreitung des Glaubens und der Bil⸗
dung bei entfernten Voͤlkern bewirken koͤnnen durch mathema⸗
tiſche und mediciniſche Kenntniſſe, welche den Miſſionarien
Eingang verſchafften. Durch die Freundſchaft des Zaars Pe⸗
ter koͤnne man Männer bis China und Indien ſchicken, welche
die Koflen durch gewinnbringenden Handel beiten und neue
Kenntniffe und Erfahrungen mitbrächten.
Um alles das auszuführen, möffte die Gefellfchaft aus durch
ihre Verdienfte angefebenen von Eifer für die Zwecke derfelben
befeelten Männern beftehen, Briefwechfel mit dem Auslande
einrichten, auch wohl einzelne zu Forſchungen ausfchiden, dann
nach Art der Franzoſen und Engländer Denkwindigkeiten und
Tagebucher befannt machen, aftronomifche Unterſuchungen und
über die Abweichungen der Magnetnabel, was fo wichtig fir
die Geographie und Schifffahrt fei, und vorzüglich über die
Wirkungen von Mebicamenten anftellen. Die unentbehrlichen
Geldmittel werde bie Gefellfchaft, auffer dem, was "Friedrich
bereitö gethan, durch den ihr zum Verkauf überwiefenen neuen °
Kalender, durch das Privilegium flr Einführung guter, von
iht verfertigter Schulbücher, auch etwa durch Vapierſabrika⸗
tion und Handel erhalten. Viele milde Stiftungen zur Bes
förderung der Studien koͤnnten fir ſolche Zwede des Fürs .
ſten herbeigegogen werden, und für Niemand werde dadurch
eine Laft entftehen ').
Es lag in den damaligen Verhältniffen, daß Leibnig die
fogleih in das Auge fallende, für dad Leben unmittelbare
Nuͤtzlichkeit und Anwendbarkeit der Wiffenfchaften vorzugsweife
bervorhob, da der feine Baden, der fie mit bem geifligen
1) Ale Actenſtuͤcke auffer ber Inftruction befinden ſich in der Histoire
de l’Academie Royale des sciences et belles lettres, Berlin 1752 in 4.
Das Gutachten des Eeibnig hat Scheid im Originale mitgetheitt, doch
muß es fpäter corrigirt worden fein, weil es glei mit ben Morten
anfängt: Le Roy m’ayant fait ’honneur, am Gnde Sa Majests fagt
unb: le but glorieux que le Roy se propose eto. Run nannte ſich
Friedrich aber nach dem Gtiftungsbriefe, ber offenbar nach dem Gutachten
verfertigt iſt, ganz natürlich Kurfückt. MWergl. bie Denkfchriften vom
3. 1700 in Leibnigs beutfchen Schriften, herausgegeben von Guh—
rauer 8b. I. ©. 267.
Wiffenfhaften Akademie 217
een verband, vieleicht weniger bemerkt und beachtet worden
Friedrich ging auf diefe Vorfhläge ein, erließ (10. Mai
1700) ein Evict wegen des Kalenderverlage; in feinen Landen
zu Gunften der Akademie und unterzeichnete deren Stiftungs⸗
brief (11. Juli), indem er ald Zwed und Grundfag im Wes
fentlihen alles das wiederholte, was Leibnig gefagt, erflärte
ſich zu ihrem Protector und verfprach, ihr ein Obfervatorium
bauen zu laffen. Aus eigener Bewegung aber fügte er hin
zu: bei der Societaͤt folle unter anderen nuͤtzlichen Stubien,
was zur Erhaltung der beutfchen Sprache in ihrer anfländigen
Reinigkeit auch zur Ehre und Zierde der beutfchen Nation ges
reiche, abſonderlich mit beforgt werden: alfo, daß es eine
beutfchgefinnte Societät der Scienzien ſei, dabei auch bie ganze
deutſche und ſonderlich unferer Lande weltliche und Kirchen⸗
diſtorie nicht verabfäumt werben ').
Im der Inftruction der koͤniglichen Gocietät der Wiffens
ſchaſten führt er befonderd an, daß er fich ber gemeinen Ans
gelegenheiten der evangelifchen Kirche allezeit angenommen und
fein Abfehn dahin gerichtet, daß mittelft ber Gocietät bei uns
glaͤubigen ober fonft im Irrthume ſteckenden Völkern die Bahn
zu deren Belehrung bereitet und den Evangelifchen Feine Nach⸗
Iäffigkeit aufgebürbet werden koͤmne. Nach dem Mufter der
Eöniglichen englifchen Societät folte die Geſellſchaft aus einem
Condilium und anderen Mitgliebern befichen. Das Goncilium
bifdete den eigentlichen Kern, ſchlug dazu geeignete Mitglieder
dem Fuͤrſten vor und kuͤndigte die Vorträge in den drei Haupts
fähern, der Phyſik und Mathematik, der beutfchen Sprache
und der deutfchen Geſchichte an. Er wiederholte, die Socies
tät follte zugleich eine beutfchgefinmte fein, ſich den Ruhm und
die Aufnahme ber deutſchen Nation Gelehrſamkeit und Sprache
vornehmlich mit angelegen fein laffen, unb baflr forgen, daß
1) Aud) daß fie bie Verbreitung des rechten Glaubens und bed wahren
bei noch unbelehrten Voͤlkern befördern folle, fagt ber
Gkiftungebrief. Dazu wird in der Histoire de PAcademie p. 4 bemerkt:
on sera un peu surpris de volr la propagation de la foi Chrötienne —
mise au nombre des objets d’une soci6t# des sciences. Darüber wun ⸗
derte man ſich im I. 1752.
218 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck
bie uralte deutfche Hauptſprache in ihrer natürlichen Reinigkeit
und Selbftändigfeit erhalten werde und nicht ein ungereimter
Miſchmaſch und Unkenntlichkeit daraus entfiche. Er verfprach,
darauf ſehen zu laſſen, daß in dem Ausfertigungen ber Bes
börden fremde und übel entlehnte Reben vermieden, dagegen
gute deutſche Redensarten erhalten, hervorgefucht und vermehrt
würden, auch ſolle die Gocietät mit deutfcher Benennung und
Beſchreibung der vorfommenden Dinge und Wirkungen von
in alerhand Lebensarten erfahrenen Leuten unterftügt und in
Archiven und Regiftraturen die alten abgegangenen ober in ben
Provinzen bei dem Landmanne noch üblichen fonft unbekannten
Wörter gefammelt und mitgetheilt werden, indem barin ein
Schatz des deutfchen Alterthums, auch ber Rechte und Ges
wohnheiten unferer Vorfahren und ber Urfprimge und Hiftos
vien verborgen flede. Auch daS wichtige Wert ber ‚Hiflorien,
fonderlich der deutfchen Nation und Kirche, vorzüglich in feinen
Landen, empfehle er der Societät, bamit Alles richtig befchries
ben, mit bewährten Beugniffen und zwar fo viel ald möglich
aus Urkunden und gleichzeitigen Scribenten dargethan werbe,
beſonders aber das wahre Altertfum bes evangeliihen Glau⸗
. bens, die Nothwendigkeit und Beſchaffenheit ber evangeliſchen
Reformation gegen die Verdrehung der Widerfacher behauptet,
der Deutfchen Ehre gerettet und ihm, dem Fuͤrſten, der wohl
erlaubte Ruhm werde, baß unter feiner Regierung dergleichen
gute Dinge in feinem Lande gefliftet und hervorgebracht wors
ben. Dazu follten in beutfcher oder lateiniſcher Sprache Aufs
füge, dann größere Werke von ber Gocietät herausgegeben
werben und drei Hauptgegenftände haben, 1) Phyſik und Mas
thematik, nebft Aftronomie, Mechanik und Chemie; 2) deuts
ſche Sprache; 3) Literatur, mit deutfcher Staats⸗ und Kirs
chengeſchichte. Uebrigens follte bie Akademie für annehmliche
Vorfſchlaͤge zur Verhuͤtung großen Landſchadens buch Waſſer
und Feuer vom Publico eine billige Gegenleiſtung erfahren.
Die Bibliothek, die Kunfl» und Uhrkammer ſollten der Socie⸗
tät die nöthigen Buͤcher und Infrumente, aus den Thier⸗
und Lufigärten aber und den Seughäufern, Schmelz⸗, GSlas⸗
und anderen Hütten und Werkpäufern, Auskunft über fremde
Thiere, Gewäcfe und Naturalien, Modelle von Maſchinen
Biffenfaften. Akademie. 219
und mechaniſchen Werken gegeben und ein Obſervatorhume er⸗
bauet, verdienſtliche Beſtrebungen der Mitglieder durch eine
Medaille, durch Befoͤrderung und Begnadigung belohnt wer⸗
den. Am folgenden Tage, feinem Geburtstage (12. Juli),
ernannte er Leibnitz zum Praͤſidenten der Akademie, ohne daß
dieſer genoͤthigt wurde, feine Stelle als hannoͤveriſcher gehei⸗
mer Rath aufzugeben.
Die der Akademie beſtimmten Gebaͤude und die Stern⸗
warte wurden zwar zu bauen angefangen, jedoch wegen Gelds
mangels während des fpanifchen Exbfolgefriegs erft im I.
1710 voßendet. Die der Geſellſchaft überwiefenen Einkünfte
betrugen auch nicht fiber 400 Thaler jaͤhrlich). Ungeachtet
fie nun ausgezeichnete Mitglieder, wie den Alterthumsſor⸗
fer Beger, den gelehrten Bibliothekar La Groze, den Driens
taliften Jablonski, Ancilon, ben Sprachforfher Friſch, den
Afronomen Kirchner befaß und bie Zahl ihrer Mitglieder -
auſſer Deutfcland, in England, Holland und Stalien auf ges
gen 80 gefliegen war, fo erſchien doc erfi im J. 1710 bez
erſte Band ihrer Schriften und zwar lateiniſch, mit dem -
Xitel: Miscellanes societatis scientiarum ad inerementum
scientiarum.
Die Wuͤnſche und Vorſchriften des Königs für die Reins
heit der deutſchen Sprache hatten wenig oder keinen Erfolg.
keibnitz konnte noch fpäter fagen: „Der Mifhmafch hat abfchens
lich überhand genommen, fo daß die Prebiger auf der Kanzel,
die Sachwalter auf ber Kanzlei, der Buͤrgersmann im Schreis
ben und Reben mit erbaͤrmlichem Franzöfiicpen fein Deutſches
verderbe ).“ Auch am Hofe Friedrichs I. war es nicht andere.
Am 3. Juni 1710 erfolgte nun die enbliche Einrichtung
der Eöniglich preuffiichen Societät der Wiſſenſchaften, in wels
1) eeibnit fchlug bie Unternehmung einer Botterie dazu vor. Vergl.
deffen Gryählung von ber Abſicht der Societaͤt ber Wiffenkhaften, was
fie bisher geleiftet und wodurch fie verhindert worden. Leibnigs deutſche
Schriften Bd. IL ©. 284. Es fehlte immer am Gelbe. Leibnig machte
mehrfache Vorſchlaͤge wie bem abzuhelfen.
2) Eelbnigs Gedanken über die Ausübung und MWerbefferung ber
beutfchen Sprache, aus beffen Werfen bei ben Disoours lus dans T’As-
semblde publigue de l”’Acadenie 26. Janv. 1792.
220 Bud V. Bweltes Haupıfia
her erſtens die gefammte Verfafjung georbnet und fefter ges
fleüt, ferner die Befhäftigungen in vier Klaſſen unter vier
Directoren getheilt wurden, 1) Phyſik, Medicin, Chemie; 2)
Mathematit, Aftronomie, Mechanik; 3) deutfche Sprache und-
vorzüglich beutfcpe Gefchichte; 4) Piteratur, vorzüglich des
Drients, zur Bortpflanzung des Evangelüi unter ben Ungläus
bigen. Am 19. Januar 1711 wurde das Gebäude ber Alabes
mie feierlich eingeweihet und jedem Mitgliede von dem Minis
fier von Pringen, einem eifrigen Beförberer der Wiſſenſchaften
und Tenntnißreichen Manne, als dem MWertreter bed Königs,
die dazu geprägte Mebaille übergeben.
Die Akademie bemühete fo ohne wefentlichen Erfolg (feit
1709), die Anpflanzung von Maulbeerbäumen zu befördern '),
ging aber nicht auf ben ihr (1711) vom Könige gemachten
Borſchlag zur Anfertigung eines Woͤrterbuchs in der Art des
der franzöfifchen Akademie ein. Bu einem von ber Akademie
zu gleicher Zeit gewolnfchten anatomifchen Theater fehlte das
Geld und der Tod des Königs traf kaum irgend eine Anſtalt
fo hart als biefe.
Aufferdem fliftete der König in Berlin (1705), unter
der Aufficht des Grafen von Wartenberg noch, eine koͤnigliche
Akademie ober Fuͤrſtenſchule fuͤr feine Vaſallen, fremde Fürs
fin, Grafen und Herren, deren jedoch Feiner von anderer als
abeliger Geburt und nicht unter fechzehn Jahre alt fein dürfte.
ürften und Grafen fpeiften von Silbergeſchirr an einer Dion»
dern Tafel, alle erhielten Unterricht in Leibesübungen, Ges
febichte, Philoſophie, Mathematik und Phyſik, Arqhitektur,
Befeſtigungokunſt, in den neueren Sprachen, auch der deut⸗
ſchen, auf deren Reinigkeit beſonders geachtet werben follte.
Die Penfionen betrugen bei einem Fuͤrſten 600 Thaler, dann
herunter bis zum Adel 300 Thaler. Es wurben bei bers
felben als Profefforen angeftellt der nachher fo berlichtigte
Jatob Paul Sundling für Staatöreht und Gefhichte, I. €.
Pfeiffer für roͤmiſches und beutfches Recht, 3. H. Hertten⸗
flein flr Natur⸗ und Voͤlkerrecht, C. M. Spener für Ges
PR —* fat Zt dat sem Ränge Ban minbe
die Grgtehung der Mautbeerbäume betreffend,
enden Ya; Ofen D. 29.
Wiffenfhaften. Bibliothek, 221
nealogie und Heralbit, P. Naudé für Geometrie, P. A. Mie
cheli für italienifhe, I. Briand für Geographie und ftanzöfle
ſche Sprache). Es mag die ganze Anftalt zu prächtig anges
legt gewefen fein und bie Jugend zu fehr verwöhnt habenz
fie verfiel bald wieder ?).
In Halle legte er auf Bitten ber Gemeinde eine refor⸗
mirte Schule (1700) an, verwandelte biefe dann (1712) in
ein Gymnasium illustre und begabte es °).
Wegen des großen Andrangs wurde (25. Auguſt 1708)
verboten, Untüchtige zum Studium zugulaffen, weil das dar⸗
über faft in Verachtung gerathen, indem Jeder ohne Unterſchied
der Ingeniorum oder Gapacität flubiren. und auf öffentliche
Som unterhalten fein wolle; lieber ſollten fie eine Profeffion
rn die koͤnigliche Bibliothek in Berlin geſchah verhälts
nigmäßig viel. Ihre Einkünfte wuchſen durch die Vermehs
rung ber ihr überwiefenen Diöpenfationsgelder im I. 1702
bis auf fiber 1800 Thaler, woraus indeffen auch gegen 300
Taler an Befoldungen befiritten werden muſſten. Viel
Verdienfte erwarben ſich um bie Vermehrung, Anordnung und
Verwaltung der gelchrte geheime Rath Ezechiel Spanheim
und die Bibliothelare Beger und La Croze. Go wurden viele
zum Theil ſehr koſtbare gebrudte Werke und Handfchriften
aus allen Theilen der gebildeten Welt erworben, hauptfächlich
für 12,000 Thaler die von Spanheiinfche Bibliothek, ferner
die morgenländifchen —— des Profeſſor Rave und
die 46 Wände Informazioni politiche, die ein venetias
nifher Senator gefammelt. Die wiflenfhaftlihen
bungen bes Auslands konnten dadurch ſchon fehr befördert
werden und Bayle nannte die koͤnigliche Bibliothek bereits
1) Rad; den gieidgeltigen äfentichen Ankünbigumgen jebet der Ger
nannten vermittelft befonderer Programme v. 3. 1705.
D) Königs Berlin IM. ©. 159. Wahrſcheinlich entftand aus ihr
mad) dem Tode des Königs bie Anſtalt des Directors Briand dor bem
frankfurter Thore bei Berlin. Gr gibt im 3. 1718 in einem befonbern
Programme an, baß fid in ihe bereits ſechs ruſſiſche Prinzen, ſeche deut⸗
fe und tuffifche Grafen und mehrere Barone und Cöelleute befinden.
9) Dreihaupts Saalkreit Wo. IL. ©. 209.
222 Bud V. Zweites Hauptftüd.
im J. 1702 in einem Schreiben an feinen Freund La Groge:
une des plus belles bibliothöques de I’ Europe. Dur eine
Verfügung (vom 16. Oct. 1699) wurden alle Buchhändler des
Staats verpflichtet, zwei Eremplare der von ihnen verlegten
Werke an die Bibliothek abzuliefern ). Im 9. 1706 waren
zehn privilegirte Buchbrudereien in Berlin mit vieleicht zwans
sig Preffen, welde wohl ziemlich für die geſammten literäris
ſchen Erzeugniffe der Mark ausreichten, indem ſich in ben
hbrigen Städten felten Buchbrudereien befanden. Bereits im
3. 1696 durften fie nichts ohne Vorwiſſen eines Secretairs
Bifyer druden, des, wie es ſcheint, erften hiefigen Genfors ).
Auffer durch koͤnigliche Unterfiigung, oder indem fich einzelne
Gelehrte gewiſſermaßen felbft für ihre Beftrebungen aufopfers
ten, erfchienen indeffen nur fehr wenige wiffenfchaftliche Werke,
weil diefe feinen Abfag gefunden haben würden. Leichenpres
digten, Zrauers, Hochzeits⸗ und andere Gelegenheitögebichte”
“wurden zahlreich auf Koften der Verfafler oder vornehmer Leute
gedrudtz theologifche Gtreitfchriften und Predigten mochten
noch am meiften gekauft werben ?).
Die Stelle eines Hiſtoriographen erhielt nach des beruͤhm⸗
ten Pufendorf Tode (1694), Teiſſier, ein feanzöfifcher Emis
grant, mit 500 Thalern Beſoldung. Er gab eine kurze
Gefchichte der Markgrafen von Brandenburg in Fragen und
Antworten heraus (Berlin 1705), uͤberſetzte auch des Gernitius
Leben der Markgrafen von Brandenburg (1707) und Pufens
dorfs Leben des großen Kurfünften in das Franzoͤſiſche. Sein
Nachfolger war Karl Ancillon. Den’ Titel, und, mehr war
eigentlich das Amt überhaupt nicht, führten noch der Lehrer des
Königs Friedrich, Iohann Friedrich Gramer, der berühmte
Johann Peter von Ludwig unb der nachher fo berlichtigte I.
Paul Sunbling*). Im Ganzen hat biefe Anftellung von Hiſto⸗
riographen feit Pufendorfs Tode deshalb verhältnigmäßig wenig
für die Geſchichte des Staats genligt, weil, abgefehen von ber
1) Wiltens Geſchichte der Königlichen Bibliothek ©. 48 ff.
N'Königs Berlin IT. ©. 71.
8) Königs Berlin IL ©. 897 f.
4) Erman Sophie Charlotte p. 189.
Wiffenfhaften. Kunft. 223
nicht immer paflenden Wahl ber dazu auserfehenen Gelehrten,
wan ‚diefen nicht wie bem Pufenborf einen beftimmten, in fich
begrenzten, wenn auch immerhin ihrer freim Auswahl übers
laffenen Gegenftanb zu bearbeiten gab und ihnen dazu, wie
jenem berfhmten Gelehrten, die freie Benutzung des Staats⸗
acchivs geftattete, zu welchem bie Hiſtoriographen wohl in ber
Regel in keiner nähern unmittelbaren Beziehung flanden. So
konnten fie benn bei dem beſten Willen, weil ihnen der unents
behtliche Stoff fehlte, meiſtens nicht viel mehr leiften, als
ieer andere Gelehrte, und das iſt eine der Haupturfachen der
dufferft mangelhaften Befchaffenheit der preuſſiſchen Geſchichte
fa feit dem Regierungsantritte Friedrichs HI °).
Bas Friedrich J. für die Kunft that, haben wir ſchon ans
geführt und mirffen dazu bemerken, daß ungeachtet der Bildung
des Fürſten und einiger wenigen Großen, boch ſicher der grös
heſte Theil der damals hervorgebrachten Werke der Kunſt jeder
Art, ihre Entſtehung zunächft dem Streben nad) Glanz übers
haupt und ber Sucht, es in Allem fo viel als möglich Lud⸗
wig XIV. gleich zu tun, verbankte. Daher eben, abgefehen
vom Beitgefhmade an fich, der Zwang, ber den Kuͤnſtlern
noch aufferdem in Beziehung auf Pracht und Schimmer aufs
erlegt wurde, bem fich auch die tüchtigften an einem Hofe
fügen mufften, deſſen Kabalen fogleich ihre Eriftenz bedroheten.
Erfreulich if ed, melben zu Binnen, daß ungeachtet ber in
den letzteren Regierungsjahren eingetretenen größeren Spars
ſamkeit, doch ber berlihmte Pebne noch im I. 1711 als Hofe
maler mit 1100 Thalem Gehalt angeftellt wurde’).
Noch mehr al fir die Bibliothek wurde fir bie Kunſt⸗
Tanner verwendet. Wenn gleich Taufende von Seemuſchein
md Schneden an den Srottenmacher Baratta, die alten Ges.
wehre an bie Küſtkammer, die gegeichneten Grumbriffe an den
Dberingenieur Nehring abgegeben werden mufiten, fo vers
mehrte fich doch die Kunſtkammer von 600 auf 1500 Nums
1) Ich muß es lebhaft beklagen, daß es befonbers über bie Gefchichte
Briehriche I. fo wenige zuverläffige Quellen gibt, welche es geftatter häts
ten, bie übrigen vorhandenen Rachrichten mehr zu ſichten, als es fo
aöglich geroefen.
D) Ricolai’s Berlin, viester Anfang, ©. 7%.
224 Bud V. Zweites Hauptfiäd.
mern. Alles dahin Gehörige muffte aus den koͤniglichen
Schloͤſſern dahin abgeliefert werben, viele Staatöbeamtete mach⸗
ten Geſchenke, Sammlungen mehrerer Art wurden ganz ges
Tauft oder theilmeife erworben. Sehr vortheilhaft war, daß
der Bibliothekar Lorenz Beger (1693) die Oberaufficht über
Kunſt⸗ und Raritdtenfammer, befonders über die Münzen und
Antiken erhielt. Durch ihn wurde die anfehnliche Bellorifche
Sammlung in Rom erworben unb er Tonnte fo fein berühmte
Pracptwer? liefern '). Im Charlottenburg befand ſich ein ſehr
großes koſtbares Porzellancabinet ’).
Wenn es nun aus allem bem offenbar ift, daß durch
Friedrich L eine nicht geringe Anzahl von zum Theile ausge⸗
zeichneten Künftiern und Gelehrten Unterhalt und Mittel fans
den, durch mehrere vortrefflihe Werke der Kunſt und Wiſſen⸗
ſchaft ihr und ihres Bürften Andenken auf die Nachwelt zu
bring, wenn man auch zugeben muß, daß bie Regierung
feines Sohnes, obwohl ohne allen Sinn daflır, diefen dennoch
nicht völlig wieder vernichten konnte, wenn man auch gern
befennt, baß die ſchoͤnen und großartigen Bild⸗ und Baus
werke Friedrichs I., ja felbR vieleicht deffen Streben dadurch,
fowie überhaupt in der Welt eine höhere Stelle einzunehmen,
auf den baflır empfaͤnglichen Sinn des kurz vor feinem Tode
geborenen Prinzen, des nachherigen großen Königs, nicht uns
bedeutenden Einfluß gehabt haben mag, fo darf man doch auch
nicht leugnen, daß Friedrichs L Schöpfungen in einem Vers
haͤltniß zur Mark fanden, wie diefe und die Hauptflabt zur
Monarchie, ein Wunderwerf, das nur durch Jahrhunderte lang
fortgefegte Anſtrengung unbefchränkter Fürften das werden
Tonnte, was es geworben. Das fehlte der Kunft und Wiflens
ſchaft hier; für die Hauptftabt arbeiteten ale Nachfolger, auch
Zriedrich Wilpelm L, für Kunft und Wiſſenſchaſt dieſer gar
wicht, ober nicht verhaͤltnißmaͤßig.
Es war vorzüglich in ber legten groͤßern Hälfte‘ ber
Regierung Friedrichs 1. dad Streben nach Prunk fo vorherr⸗
1) Ledeburs Geſchichte ber Kunftlammer in Berlin, in beffen
Archive Bb. IV. ©. 17.
2) Im Theatz. Europ. XVII. p. 108 befindet fih eine Abbildung
beffelben. T. XVL p. 151 eine Nachricht vom demſelben.
Wiffenfhaften und Künfte 225
ſchend, daß wie ſchon erwähnt, was für Kunft und Wiffens
ſwaft gethan wurbe, nicht derentwillen geſchah. Es waren
fremde, vorzüglich franzoͤfiſche Sitten, Sprache, Literatur,
Tracht und Bildung überhaupt, welche unter den höheren und
nach und nach auch bei den niederen Ständen der Hauptftabt
als Mode überhand nahmen '), während an die geeignete Aus⸗
bildung des Volkes faft gar nicht gebacht wurde. Stadt⸗ und
Dorfſchulen und Lehrerfeminare für fie waren nöthiger als
Hofakademien, mas man freilich erſt hundert Jahre fpäter
einfah. Zudem hatte natuͤrlich Vieles nur eine fhöne Auſſen⸗
feite, glänzenden Tinch, der bald abfiel und das Innere in
alter Geftalt, Roheit und Unfauberkeit zeigte. Auf der einen
Seite Zreigebigkeit, welche an Verſchwendung grenzte, auf ber
andern oft Mangel am Nothwenbigen und auch bei der Vers
ſchwendung zuweilen noch Schein. Friedrich I. ſchenkte zwar
bem Yufenborf für deſſen Geſchichte des großen Kurfürften .
10,000 Thaler, allein dad Gelb wurde nicht ausgezahlt, weil
€8 nicht vorhanden war. Nufendorf folte daher. jährlich
1000 Thaler erhalten, als er aber farb, waren erft 6000 Tha⸗
ler abgetragen. Seine Wittwe follte nun jährlich nur 500 Tha⸗
ter abfchläglih bekommen, wogegen aber die ihr bewilligte
Penfion geftrichen wurde. Au die 500 Xhaler wurben ihr
wabrfcheinlich nicht regelmäßig bezahlt, alle ihre Witten waren
erfolglos, fie muffte in Dürftigkeit leben’). Dagegen erhielt
der bänifche Profeffor Iacobäus für das dem Fürften übers
reichte Musaeum regium im I. 1697 100 Ducaten, der
Dr. Wallis 60 Pfund Sterling und eine golbene Kette für
eine überfendete Predigt, Zeiffier für die Ueberfegung von Eer⸗
nitiuß Leben der brandenburgiſchen Kurfürften 400 Thaler )3
allein Kimftler und Muſiker mufften vielfach Über die Rüds
flände ihrer Beſoldungen klagen *).
1) ©. bie Beiträge in Königs Berlin IIL ©. 879. Da hieß es
dem: wer nicht framzoſiſch Tann, der kommt zu Hof nicht an.
2) Königs Berlin II. ©. 346.
8) Königs Berlin II. &. 72, Vergl. Küster bibliotheca Bran-
denburgica T. L p. 814
4) Wilken im Berliner Kalmber d. 3. 1822 ©. 104 aus Königs
fe Aetenauszügen. Hierher gehört audy, was Morgenftern
Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IT, 15
226 Bud V. Zweites Hauptftäd.
Ungemein viele Schwierigkeiten und mannichfachen Ver⸗
druß verurſachten ihm bie Religions⸗ und Kirchenangelegen.
beiten ber -Proteftanten im Auslande und been Zwiftigkeiten
in feinen eigenen Staaten. Friedrich felbft war, wie bereits
bemerkt worden, from und bem reformirten Glaubensbefennt:
niffe aufrichtig ergeben ’). Er fchrieb dem Herzoge Anton
Ulrich, dem er Glüd zur Vermählung der Enkelin beffelben
mit dem nachherigen Kaifer Karl VL wimſchte, er wurde es
gern gefehen haben, wenn biefe dem Beiſpiele der Prinzeffin
Karoline von Brandenburg⸗ Anſpach (nachherigen Gemahlin
König Georgd II.) gefolgt wäre, welche die Bermäplung mit
Karl ausgeſchlagen, um ihrer Religion treu zu bleiben‘). Er
begümftigte auch wohl bie Reformirten etwas vor den Luthe⸗
zanem®), ohne doch biefe im Staatsdienſte wefentlich zurüd=
zufegen, da er vielmehr fortwährend bemüht war, beide Pars
teien zu vereinigen. Er felbft zeigte durch die Vermaͤhlung
feiner Schwefter mit einem Iutherifhen Fürften, durch die Stif⸗
tung der lutheriſchen Univerfität Halle, durch die Geremonien
bei feiner Krönung, durch feine dritte Vermaͤhlung mit einer
lutheriſchen Prinzeffin, wie fehr ihm daran lag, vermittelft
feineß eigenen Beiſpiels zur Ausföhnung der Bekenner beider
Gonfeffionen beizutragen. Im Auslande fuchte er auch unabs
läffig beiden gleihen Schug zu gewähren, fo viel er nur vers
mochte. Wir haben bereitS gefehen, was er beöhalb in feinen
Bündniffen mit Schweden (1696, 1703 und 1707) vertrug.
über Friedrich Wilhelm I. ©. 156 erzählt. Der Dberhofmarfhall von
* Peingen habe unter Friedrich I. 40,000 Thlr. Befolbung und Schulden
gehabt, unter Friedrich Wilhelm L nur 12,000 Thir. und fei gut aus -
gekommen, boch wohl auch weil er regelmaͤßiger bezahlt wurde.
1) Hering, von ber Meligiofität Friedrichs I. In deſſen Merkwoͤr⸗
digkeiten aus ber brandenburgiſchen Geſchichte, Stüd 4-6, hat bie beften
Rachrichten darüber zuſammengeſtellt.
2) Polinit Dem. L ©. 462. Gr hatte in bie Vermaͤhlung ges
willigt unter ber MWebingung der SReligionsfreipeit der Pringeffin, die
fi auch durch die Iefuiten von ihrem Glauben nicht abivendig mas
en ließ.
8) Königs Berlin IIL ©. 70.
Religion und Kirche. 227
Er nahm ſich der flüchtigen Franzoſen, auch ber Walbenfer,
ſo eifrig wie fein Water an und verlangte (fon 24. Januar
1689), Frankreich folle alle aus den eingenommenen Ortfchaften
vertriebenen Proteftanten wieber in ihre Rechte —
eſtirte mit anderen Fürſten gegen bie berlichtigte Glauj
zum vierten Artikel des ryswiker Friedens und brang —
rend auf deſſen Aufhebung ). Er klagte (1704) laut über bie
vorzüglich feit dem Tode König Wilhelms III. eingetretene
immer ſtaͤrker werbende Verfolgung ber Reformirten im Fuͤr⸗
ſtenthume Drange, öffnete ihnen fein Sand und unterflügte fie
wie bie früheren franzöfifchen Flüchtlinge’). Auch bei dem
utrechter Frieden fuchte er ben Proteftanten in Frankreich Si⸗
Derheit zu verſchaffen.
— minder lebhaft beſchwerte er fich über bie Bedrůckung
und Verfolgung der Evangeliſchen in der Kurpfalz, in Ungarn
* und Schlefien. Ex dropete endlich (1704 und 1705), ba Feine
Abhlılfe anders zu hoffen, weil es gegen alles Recht auf Aus⸗
rottung ber Evangelifchen abgefehen fei, fo wolle er die ihm
von Gott in die Hanb gegebenen Mittel ergreifen und bie
Katholiken in feinen Ländern eben fo behandeln, wie bie Evans
geifäen in der Pfalz behandelt würden, bamit die Katholifen
biefe Angelegenheiten in Regensburg betreiben möchten. Er
Heß alle Batholifchen Kirchen, Stifter, Kloͤſter, Pfarr⸗ zu
Shulhaͤuſer und geiſtlichen Pfruͤnden aufzeichnen.
führte wenigſtens zu einem Vertrage (1703) zwiſchen Im
und Kurpfalz zur Erhaltung ber Gewiſſensfreiheit und der
5 bem 3. 1624 befefienen Kirchengüter ber evangelifchen
ger *).
1) Mofers Bericht über die Glaufel zum vierten Artlkel des rys ⸗ "
driebens ©. 5.
2) Derſelbe S. 78, 183.
8) Lamberty XIIL p. 12.
4 Mofer a. a. D. S. 97. a eu
u. 183. Berg. Buchholz IV. ©. 276. Er ſchicte dem veformice
tem Prebigern der Pfalz 1000 Thir. und efuhte Bart KU, ſich
der Seligioncſache in der Pfalz mit anzunchmen. Theatt. Europ.
XV. p 46.
15°
228 Bud V. Bweites Hauprftäd
Wie er fich vorzüglich der evangelifchen Schlefier annahm,
haben wir bereit gefehen, fowie daß freilich Karls XU. Schwert
mehr vermochte, ald Friedrichs Vorſtellungen. Seine Bemlis
bungen, bier ben Reformirten gleiche Rechte mit ben Lutheranern
zu erwirken, waren erfolglos‘). Bei Eugens Anweſenheit in
Berlin (1710) ging er dieſen an um deſſen Verwendung bei
dem kaiſerlichen Hofe für die Evangelifchen in Ungarn”). Dem
lithauiſchen Krongroßfeldheren Sapieha empfahl ex die evanges
liſchen Kirchen in ben Fuͤrſtenthuͤmern der verfiorbenen Pfalz:
grafin bei Rhein, geborenen Prinzeffin Radziwill, feiner Schwaͤ⸗
gerin ®). Im Rheinberg fegte er nach deſſen Einnahme bie
Evangelien in den Befig aller Rechte, bie fie vor bem
3. 1672 gehabt Hatten *).
Durch einen Vertrag mit ber Stabt Köln (16. Ianuar
1709) bewirkte er, daß ber preuſſiſche Reſident fih der protes
flantifchen Kirche der Garniſon zum ottesbienfte bedienen
hurftez ber päpftliche Nuntius proteflirte, der König beſchwerte
ſich über den Nuntius; der Kaifer genehmigte den Vertrag
nicht‘).
So fehr er ſich num auch bemlihete, durch eigene Beweiſe
von Dulbung bie Lutheraner ben Reformirten zu nähern, fo
waren Beide doch viel zu fehr gegen einander erbittert, ald bag
auch die aus ben wohlwollendſten Abfihten ergriffenen Maß⸗
regeln hätten eine Ausfdhnung bewirken Tönnen. Eben fo
vergeblich waren Strafen, welche natürlich nur die Aeufferungen
des gegenfeitigen Widerwillens unterbrückten. Auch darf nicht
geleugnet werben, daß bie Beguͤnſtigungen, welche bie Refors
mirten mehrfach vor den Lutheranern fowohl im Staate als
durch beſonders für fie erbauete neue Kirchen, erfuhren, ferner
‚bie Hinneigung des Fürften zu ber veformirten Form bed Gots
tesdienſtes nicht eben geeignet waren, bie Lutheraner günftig
1) Lamberty V. p. 76.
2) Eugens Were Th. IL ©. 116.
8) Theate. Europ. XVIL p. 744.
4) Gbenbafelbft ©. 185.
5) Lamberty V. p. 262. Berl. Buchholz IV. S. 278.
Religion und Kirde. 229
zu flimmen. So verbot Friedrich (1705) die, wie es im Edicte
beifft, Argerlichen, mit dem reinen Gottesdienſte fireitenden
Geremonien, fo bei Austbung der Gottesverehrung bei ben
Lutheranern, befonderd in dem alten Kirchen üblich waren.
Die lutheriſchen Hauptkirchen in Berlin Tehrten fich nicht
daran, blieben bei ihrer Gewohnheit und man förte fie nicht
weiter. Das Edict über die Appellationen in Kirchenfachen
und bie vielfach wiederholten Verorbnungen gegen bie Ents
heiligung des Sabbaths hoben das Anfehn der Geiftlichkeit
dermaßen, daß fie eine den fürftlichen Perfonen zum Ver⸗
grügen erbauete Schaubühne, während die Schaufpieler be
reits angefleibet waren, um bie Worflelung zu geben, fofort
abbrechen ließ °).
Vorzüglich erregten zwei Gegenftände große Unruhe, ers
find der Exorcismus ober das Zeufelaustreiben bei der Kin
dertaufe, zweitens die Privatbeichte. Der fromme Spener hielt
den Exorcismus für eine unnüge und leicht anftößige Geremonie,
welche billig ganz abgefchafft werben follte”). Die Lutheraner,
welche das Teufelauötreiben bei ber Zaufe für unumgänglich
nothwendig zur Seligkeit hielten, wollten durchaus nicht bavon
ablaffen, wogegen Friedrich ſich ale Mühe gab, es abzufchaffen.
Er lieg daher im I. 1692 ein Bedenken über den Eyorciömus
bei der Kindertaufe (742 Seiten in Quart) druden, um ben
Iutherifchen Prebigern zu bemweifen, was felbft einige Theo⸗
Iogen ihrer Confeffion von der abergläubigen Geremonie des
Erorcismus gehalten und wie fie biefelbe völlig verworfen
hätten. Natürlich rief dad nur Gegenfchriften hervor, ohne
die Lutheraner zu bekehren. Der Buchbruder Liebpert in
Berlin, welcher, wie es fcheint, eine berfelben gedruckt
hatte, wurbe fireng beſtraft ). Ein Edit (v. 3. Januar
1703) verordnete, daß Fein Candidat bed Prebigtamts ans
geſtelit werben folle, ber nicht vorher erklärt habe, er wolle
1) Königs Berlin IL ©, 55 fr.
2) Sqhedets Kicchengeſchichte ſeit der Reformation Th. VIIL
©. 3.
3) Königs Berlin DI. ©. 41.
20 Buch V. Zweites Hauptſtuͤc.
auf Werlangen der Xeltern deren Kinder auch ohne Exorcis⸗
mus taufen. j
Noch lauter wurde ber Streit über bie allgemeine Beichte.
Die Iutherifchen Geiftlichen wollten bie Privatbeichte aus Ges
wohnheit, Gewiſſensgruͤnden und au wohl, wie man ihnen
vorwarf, ihres Einkommens, wegen, nicht aufgeben, wobei
man nicht vergeffen darf, daß ihre Einkünfte im Allgemeinen
gering genug waren. Andere widerſetzten fih ihr heftig. Bu
diefen gehörte ber Magiſter Schade, Prediger an ber Nicolais
kirche in Berlin, ein fehr frommer, unbefcpoltener Mann und
waderer Kicchenlehrer, welcher Gewiſſensbiſſe über bie Private
beichte und Abfolution empfand, und feine Anfichten und Ueber⸗
zeugung, ohne Rüdficht und leidenſchaftlich verfocht. Ex Iehete,
die Seligkeit ober Begnadigung fuͤr begangene Fehler erlange
man nicht (wie fo Mancher damals glaubte) durch Beichtſitzen,
fondern durch die Beſchaffenheit der Innern Rührung des Her⸗
zens. Er lud feine Beichtkinder zur allgemeinen Beichte, er⸗
mahnte vor dem Genuffe bed Abenbmahls mit Wärme zur
Befferung und ficherte erft fin den Fall des Haltens der ges
fafften guten Vorſaͤtze Vergebung ber Sünden zu, was feiner
Meinung nach bei der Privatbeichte nicht gehörig. beachtet
wurde, indem bie Leute glaubten, nach erhaltener Abfolution
durch den Geiflichen wären ihnen ihre Sünden vergeben.
Damit noch nicht zufrieden, predigte und ſchrieb er ungefcheut
gegen bie Privatbeichte ald einen Höllenfluhl und Satans⸗
umb Seuerpfuhl und jchalt bie Iutherifchen Kirchen, in welchen
fie gehalten wurbe, Babel und Hure! Das Gonfiftorium wollte
ihn abfegen, bee Magiftrat und der fromme, in hohem Anfehn
flehende Spener, fowie ein großer Theil ber Gemeinde vers
wenbeten fi) flr ihn, Andere waren ihm heftig entgegen. Ein
Theil der Bürger wurde durch ihn für die allgemeine Beichte
gewonnen. Dadurch geftügt und durch feine Gegner gereizt,
eiferte er dermaßen gegen die Anhänger ber Privatbeichte, daß
es wenigftens fchien, als wenn er ihnen bie Seligkeit abfpräche,
woran er wohl nicht dachte. Das wurde ihm verwiefen und
durch ein Edict (30. Iuli 1698) der Würgerfcpaft freigeftelt,
die Beichte nach biöheriger Art beizubehalten ober abzuftellen.
Eine Conmiſſion wurde niedergefegt und in einem anbern
Religion und Kirche, 231
Edicte (16. Nov. 1698) entfchieb der Kurfuͤrſt den Streit: aus
landesfuͤrſtlicher und oberbiſchoͤflicher Macht, wie es barin heifft.
Er verbot Schade's Tractaͤtlein und ließ ed, weil es ohne
Cenſur gedruckt war, confisciren. Die Privatbeichte folle bleis
ben für die, welche fie gebrauchen wollten, für Andere aber,
welche Skrupel dagegen hätten, nicht ferner abgehalten werben.
Zum Erſatze des Beichtpfennigs zahlte Friedrich jedem Beichts
figer der drei Hauptkirchen Berlins 200 Thaler. Schade
farb aus Verdruß; bei feinem Leichenbegängniffe wollte ber
Poͤbel feine Wohnung zerftören '). Die Parteien blieben mit
dem erregten Haſſe. Strenge Verorbnungen fruchteten eben fo
wenig, wie Strafen.
Wir haben gefehen, daß der Propſt Müller in Magbes
burg wegen feiner beleibigenden Schrift Uber die Verheirathung
der reformirten Schwefter Briebrich mit dem lutheriſchen Her⸗
zoge von SachfensZeig gefangen nady Spandau gebracht wurbe.
Bänkereien und Angriffe der Lutheraner auf die Reformirten
wurden (1691) verboten und daruͤber bei dem kurſaͤchſiſchen
‚Hofe Beſchwerbe erhoben. Das Verbot, diejenigen anzuftellen,
welche in Wittenberg ſtudirt hatten, wurbe (4. März 1690)
erneuert, wegen ber Bitterkeit, welche bort in Schriften gegen
bie Reformirten herrſche. Eine verleumderiſche Schrift unter
dem Namen eines reformirten Katechismus ließ Friedrich in
Berlin und Halle öffentlich durch den ‚Henker verbrennen und
erklaͤrte (28. März 1698): er wolle Niemand in feinem Ges
wiffen kraͤnken, allein auch nicht gefchehen laffen, daß man
feine Religion mit handgreiflichen und zum Theile gotteslaͤſter⸗
lichen Unwahrheiten belabe, da er ben Wunſch habe, daß alle
Religiondverbitterung gänzlich gehoben und wenigftens bie
Evangelifhen zur chriftlichen Vertraͤglichkeit gebracht wuͤr⸗
den ). Auch die Schrift des hamburgifchen Profeffors Ed⸗
zardi gegen bie Kalviniften ließ der König (1705) im feinen
Staaten confisciren und durch ben Henker auf dem Markte
1) Shrödhe — ſeit ber Reformation Th. VII.
©. 280. Königs Berlin II. ©
2) Theatr. Europ. XIV.rp. 794.
232 Bud V. Zweites Hauptflüd,
verbrennen‘). Ein Menfc wurde wegen Gottesläfterung ges
koͤpft 9).
Eine allgemeine Verordnung (5. Nov. 1703) wurde über
die Genfur ber theologifhen Schriften erlaffen, um Zwift und
Streit zu verhindern. Keine derfelben durfte uncenfirt erſchei⸗
nen und Feiner feiner Unterthanen etwas im Auslande ohne
Cenſur druden Taffen.
Ein Edict (8. und 16. Febr. 1700) über die Bifitation
der Kischen, Schulen und Hoßpitäler wurde erlaffen, bie Kir
chenrechnungen mufften in beftimmter Friſt abgelegt werden,
bei Verluft des Patronats. Eine Predigerwittwenfaffe wurde
(2. April 1691) eingerichtet; jeder Geiftliche gab dazu jäprlich
einen Thaler und jede Wittwe erhielt zehn Thaler ?).
Aus allen den angeführten Werhältniffen beider evangelis
ſchen Glaubenẽgenoſſen in Preuffen ergibt fih abermals, daß -
Sürften nur mit der größten Vorſicht ſich in Gegenftände
mifchen dürfen, welche bie Religion, ja nur ben Gottesbienft
angehen, wenn fie nicht flatt des Dankes, den fie zu verbies
nen glauben, Undank und wohl gar Haß ernten wollen.
Selbſi bei fonft unerſchuͤtterlich treuen Unterthanen, welche fich
den auögebehnteften Gebrauch ber unbefchränkten Gewalt nicht,
nur gefallen Laffen, ſondern vielleicht ſelbſt befördern, wirb das
Eingreifen in die zarteflen Werhältniffe des Dafeins wenigftens
ſchmerzlich gefühlt werden und oft bittere Empfindungen weden.
Wenn auch alles Andere zu Gunften des Fürften aufgegeben
iſt, will man doch den freien Ausbrud feiner veligiöfen Uebers
zeugungen vetten, und nicht felten wird bie Verlegung derfelben
einen Widerſtand hervorrufen, der ſich dann nur zu leicht mit
ganz anderen ihm urfprünglich völlig fremden Beziehungen
verſchwiſtert, die fich hinter dem Ausdruce des Heiligften vers
1) Theatr. Europ. XVIL p. 186. Königs Berlin IL. ©. 157.
Bergl. Buchholz IV. ©. 82.
D Königs Berlin TIL. ©. 41.
8) Die zahlreichen von mic mit dem Datum angefüßrten Edicte
ftehen bekanntlich in Mylius Sammlung, wo fie meiſtens unfdwer zu
aa Woher ich andere entiehnt, habe ich zu den einzelnen Gbicten
angeführt.
Sriedrichs J. Tob. 233
ſteden, was der Menſch im Staate behaupten muß und ihm
nie verfümmert werben follte.
Nachdem nun alle vielfachen Bemühungen Friedrichs L
eine Vereinigung, ja man Tann fagen, felbft nur eine Annds
herung der beiden evangelifchen Glaubensbekenntniſſe zu bewirs
ken erfolglos gewefen waren, muffte er noch den Kummer has
ben, in feinen legten, ohnehin ſchon vielfach getrübten Tagen
zu fehen, daß auch das Opfer, welches er durch Wermählung
mit einer Iutherifchen Prinzeffin gebracht hatte, nicht nur völ-
fig wirkungslos blieb, fondern daß bie Bekehrungsſucht ber
unglüdlichen Sau ihm bie legten Tage feines Lebens verbits
tete. Diefe wurde melancholiſch und endlih wahnfinnig, wos
vom dee König doch laͤngere Zeit nichts erfahren haben fol.
In dieſem Buftande Pam fie unerwartet, ald ber König im
Armfluhle ruhete, Halb angekleidet in deſſen Zimmer, warf eine
Glasthuͤr entzwei, durch welche fie fich wahrfcheinlich verwuns
dete, und üiberhäufte ihren Gemahl mit heftigen Vorwuͤrfen.
Diefer, erfchredt durch die weiſſe blutbefledte Geftalt mit ers
freuten Haaren, wurde vor Schreden und Gemuͤthsbewe⸗
gung Trank, erfreuete fich noch der Beweiſe von Liebe und
Theilnahme, welche ihm die Berliner gaben, fah nach einigen
Boden fein Ende herannahen und bereitete ſich gefaſſt und
Sriftlich auf den Tod vor. Er dufferte unter Anderm: ed wäre
die Welt doch nur ein Schaufpiel, das bald zu Ende gehe;
wer nicht mehr als dieſes hätte, wäre übel daran. Er fegs
nete noch feinen Sohn, feine Schmwiegertochter, feinen Enkel
Friedrich, dankte feinen Miniftern für deren Treue, gedachte
feiner ungluͤcklichen Gemahlin mit Xheilnahme, ließ, als
er den letzien Augenblick nahe fühlte, den Kronprinzen rufen
und farb in deſſen Gegenwart, 25. Febr. 1713, nach⸗
Pi 5 55 Jahre 7 Monate gelebt und 25 Jahre regiert
atte
Was man auch von den großen Schwaͤchen dieſes gutar⸗
tigen Fuͤrſten ſagen mag, und wir haben fie nicht verhlift, er
2) Pöltnig Mm. L ©. 607.
a Batther ©. 444 aus gleichreitigen von ihm angeführten Mes
richten.
2 Bud V. Bweites Hauptfiäd.
Hat den von feinem Vater überfommienen Staat doch weiter
gebracht und, indem er bem getiennten Provinzen den gemeins
famen Namen unter ber glänzenden Koͤnigskrone Preuffens
gab, feine Nachkommen aufgefordert, diefe zu fügen, zu flärs
Ten, auch weiter, — vorwärts! zu fireben. Doc war ed ein
Gluͤck fuͤr das junge Reich, daß der Sohn anders war, ganz
anders als ber Water!
Sechstes Bud
Erftes Hauptftüd,
Friedrich Wilhelm L von feinem Regierungsantritte,
25. Zebruar 1713, bis zum Abfchluffe des floc-
holmer Friedens, 1. Bebruar 1720.
Friedrich Wilhelm 1.9), nachdem er am Todtenbette feines eben
verblihenen Vaters, für den Augenblid überwältigt von kind⸗
lichen Gefühlen, unter Thraͤnen feinen Iebhaften Schmerz aus⸗
1) Für die Geſchichte Friebrich Wilhelms J. haben wie durch Faß ⸗
manns, Mauvillons, Martinitres und vorzüglih Foͤrſters
kebensbeſchreibungen beffelben, fowie dann durch einzelne Schriften weit beſ⸗
ſere Materialien, als für bie Geſchichte feines Waters, auch ſchon deshalb,
weil für die Geſchichte Friedrich Wühelms die inneren Angelegenheiten des
Staates von uͤberwiegender Wichtigkeit waren und man biefe großentheils
aus der Mylius’fchen Ebictenfammlung Eennen lernt. Erman, im Les
ben der Königin Sophie Charlotte (&. 148) hat noch nicht gang unrecht,
wenn er fagt: jusquiei lo regne de Frederic Guillaume n'est connu
que par des compilations informes, des anecdotes parses, reculeil-
lies par la curiosit publides par la lögdret# et souvent defigurdes
et exngerdes par la malignits. für bie Bamiliengefdichte find die Md-
moires de Bareyth viel wichtiger als für die Staateseſchichte · Pönif
ſtinunt mit ihr oft ſehr auffallend überein.
236 Bud VL Erſtes Hauptftüd, '
gerät hatte‘), ging raſch durch bie gebrängte Menge der im
Vorſaale wartenden Beamten, ohne fie zu beachten, in fein
Zimmer, befahl fogleich den Etat des Eöniglichen Hofſtaates zu
bringen, und gab ihn durchftrichen dem Oberhofmarfchall von
Pringen mit der Bemerkung zurüd, er hebe damit alle Hofs
ämter feines Vaters auf, doch fole fi) Feiner der Beamteten
vor dem Leichenbegängniffe deffelben entfernen. Pringen, ein
fehr gebilbeter, wohlgefinnter und milder Mann, war über das
ihm fo unerwartete Verfahren bed neuen Herm dermaßen bes
troffen, daß er Fein Wort fprechen konnte als er in ben Vor⸗
faal zuruͤckkehrte, und natürlich verurfachte eine fo gewaltſame
und rüdfichtölofe, wenn auch theilweis unumgänglich nothwen⸗
dige Handiungsweiſe ben zahlreichen Beamteten, welche ploͤtz⸗
lich Aemter, Befoldungen und Penfionen verloren und fih nun
mit ihren Zamilien zum Theile in die druͤckendſte Noth verfegt
fahen, großen Kummer und erregte lautes Wehklagen ’).
Die Thore Berlins wurden fogleich gefhloffen. Am fol-
genden Tage ließ ſich der König von der Beſatung den Eid
der Treue leiften®), traf bie nöthigen Anorbnungen zum Leis
henbegängniffe feined Vaters und begab fi) mit ben Genera⸗
len Dörfflinger, Löben und Krummenfee nach Wuſterhauſen,
wo er als Kronprinz gelebt hatte und fi auch als König
noch immer gern aufhielt‘). Hier fah er zunächft alle Beſol⸗
dungs⸗ und Penfionsliften duch, erwog jeben einzelnen Po=
ſten, verminderte, was zu vermindern, ſtrich ganz, was über-
flüffig fhim, ohne Schonung, ohne Anfehn der Perfon, es
mochte nun ben Markgrafen Philipp Wilhelm, feinen Ohelm,
oder ben Fürften Leopold von Deffau, feinen Freund, ober einen
Stallknecht und eine fünfundfechzigiährige Wittwe mit neun Kin⸗
dern treffen. Wir entnehmen aus ben noch vorhandenen Beſol⸗
dungs⸗ und Verpflegungsliften der Stabs⸗ und Generalftabs:
1) Baßmann 1. ©. 40.
2) Pöllnig Mm. I. ©. 4.
3) Theatrum Europaeum v. 9. 1718. p. 259.
4) Pölinig Dem. IL. ©. 6.
Regierungsantritt. Erfparungen. 237
bebienten und ber Penfionen und Gnadengehalte, welche mehs
rere Offiziere und andere Beamtete inögefammt zum Betrage
von 276,000 Thalern erhalten hatten, daß biefe auf 55,000
Thaler herabgefeht, alfo über vier Fuͤnftheile erſpart wurden ').
Das lebte Zeichen des Glanzed und der Pracht, welches
an bie Regierung Friedrichs I. erinnerte, war das Leichenbes
gaͤngniß, welches Friedrich Wilhelm, feinen Vater zu ehren,
mit großem Aufwande veranftaltete. Allein ſchon bie Anwe⸗
fenheit ber ungewöhnlich ſtarken Anzahl von 9600 Mann
Truppen, welde dabei verwendet wurden, gab dem Aeuſſern
der Zeierlichkeit einen neuen Charakter”). Dann wurben viele
Hofbeamtete, der Oberceremonienmeifter, die zahlreichen Kam⸗
mers Herren, ⸗Junker, «Diener und sPagen, bie 24 Hoftrom ⸗
peter, deren jeder monatlich 30 Thaler bezog, die 2 Hofpaus
ter, die 100 Schweizer, viele Lakaien, Kuͤchen⸗, Keller:
und Stalbediente, Haiducken und Laufer, wie bie meiften
Künftler und Gelehrten, entlaffen ober ihre, Penfionen und
Gehalte geftrichen und das koſtbare Regiment Garde da Corps
aufgeloͤſt). Dem einzigen noch lebenden Biſchofe, Urfinus,
den ber König nicht leiden konnte, weil er fehr gefucht und
hochtrabend ſprach und ihn ald Prinzen den brandenburgifchen
Zebibja zu nennen pflegte, wurbe feine bebeutenbe Beſoldung
ſehr gekürzt. Auf feine deshalb an den König gerichtete Vor⸗
flelung erhielt er mit Anfpielung auf die Worte: „als vor
Zeiten", mit welchen er alle feine Predigten anzufangen pflegte,
abfchlägige Antwort, welche fpöttifcher Weiſe mit eben den
Worten: „als vor Zeiten" begann ). Die Wittwe des Juden
Lipmann, welche man befcpuldigte, den freien Zutritt, ber ihr
1) ©. diefe Actenſtucke vom 14. März u. 1. April 1718 In der ſchaͤt⸗
baren Sammlung Roͤdenbecks (Beiträge zu ben Lebensbeſchreibungen
Sriedrich Wilhelms J. u. ſ. w.) Th. L S. 9.
Die ausfuhrliche ‚Btörelbung bi Faßmann L ©. 42-85 md
Gütther S. 453478,
8) Ragmers sa ©. 852.
4) Herings biographiſche Rachrichten, 2. Städ ©. 14. König
in der hiſtoriſchen Schilderung Berlins, Thl. IV, 1, ©. 10 fagt aber
mit Unrecht: dev Biſchof verſchwand.
238 Bud VI. Erſtes Hauptſtuͤck.
von dem verſtorbenen Könige geſtattet war, zur Uebervorthei⸗
lung deſſelben beim Juwelenverkaufe und auch wohl bei an⸗
deren Geldgeſchaͤften gemisbraucht zu haben, wurde auf ihrer
Flucht nach dem Auslande ergriffen und muſſte einen Theil
‚Ihres Vermoͤgens fuͤr ihre Freiheit opfern’). Die koſtbare Ges
remonienPleibung ber Ritter bes ſchwarzen Adlerorbend wurde
abgeſchafft, die Feſte ſehr eingefchränkt ober ganz eingeftelt,
viele Juwelen und koſtbares Hausgeraͤth, vorzüglich bie ſchoͤ⸗
nen Pferde mit ihrem prächtigen Geſchirre verkauft”), überall
durch genaue im die Fleinften Einzelnheiten eingehende Aufficht
über alle Zweige der Staats⸗ und Hofverwaltung, wie über
Küche, Keller und Stall, fowie durch bie num eingeführte
frenge Wirthſchaftlichkeit an Ausgaben erfpart ). — Der ges
raͤuſchvolle Hof wurde plöglich ſtill und einſam. An bie Stelle
der Verwendung trat Sparfamkeit, an bie ber Pracht, bie
größte Einfachheit, am die der glänzenden Hoffefte traten Wacht⸗
paraben und Heerfchau. Statt ber koſtbaren Kleider zahlrei⸗
her Hofbeamteten fah man nur Uniformen ber Offiziere, bie‘
den König umgaben und Iener Dienft auch als Kammerher⸗
ven mit verfahen*). Die Stelle mächtiger Günftlinge nahmen
die Generafabjutanten ein; ſtatt der leifen Tritte und Worte
ſchleichender Hofleute ertönte der laute Tritt und Befehl der
Kriegemänner. Die behagliche Ruhe wich der raſchen Thaͤtig⸗
keit, die Auffichtslofigkeit der Orbnung, bie falfche, freunbliche
‚Heiterkeit dem natlırlichen, rauhen Exnfte, die nachſichtige Milde
der unerbittlichen Strenge. Der Hof in feiner völligen Um⸗
wanblung zeigte ein Abbild feiner Fiuſten. Der milde und
ſchwache Jriedrich I. war geſchieden, ber ſtarke, Träftige Fried⸗
1) Faßmann J. ©, 42 Die Befäuligungen gegen fie find allge
mein und fie wurbe nad) einer damals noch beliebten Bitte wahrſcheinüch
ohne alle unterſuchung geſtraft. Daß fie ſich noch im Jahre 1715 in
Berlin befand und der König ihr die Judenſchule übergeben wollte, bee
weift beffen Gchreiben in (Rönige) "Annalen ber Zuben in den preuffle
ſchen Staaten, S. 258.
2) Königs Berlin IV. 1. © 9.
8) Bapmann J. G. 92 ff. Pillnig I. S. 8.
4) Morgenfiern S. 148,
Erfpazungen. Dankelmann. 239
rich Wilhelm regierte. Den Zert zur Hulbigungsprebigt wählte 2. Mai
er felbft: Meine Augen fehen mach den Zreum im Lande, daß 713
fie bei mir wohnen und habe gern fromme Diener (Pfalm
101, 6).
Großes Auffehen erregte es, als man ganz unerwartet
den alten fiebzigiährigen Oberpräfidenten Eberhard von Dans
Telmann neben dem Könige in die Kirche gehen und auf deſſen
Befehl den Rang vor allen Miniftern einnehmen fah. Er war
Tages vorher fehr geheim von Kottbus nad Berlin gekom⸗
met, vom Könige berufen, ber fid vor und nach der Kirche
mit ihm lange unterhielt und ihm befahl, alle Mitglieder des
koͤniglichen Haufes zu befuchen. Auch ihm wurden viele Bes
fuche abgeftattet und ſchon hofften die Einen, fürchteten bie
Anderen, er werbe wieber in Thaͤtigkeit oder wohl gar an bie
Spige ber Verwaltung treten, allein das gefchah nicht. Sei
es, baf der alte fiebzigiährige Mann ſich den Gefchäften,
denen er feit fechzehn Jahren ganz entfremdet war, nicht mehr
gewachſen fühlte; ober felbft begriff, daß feine Verwaltungsart
nicht mit ber des Königs übereinftimme, ober fanb biefer in
ihm nicht, Wad er erwartet‘ haben mochte, genug, Dankel⸗
mann blieb ohne Anftellung und Einfluß, erhielt auch ſeine
Güter nicht zuruͤck ).
Der König richttte feine erſte Sorge bei Anordnung ber
Verwaltung auf die Finanzen. Er fand an ber Spige berfels
ben die Hoflammer, unter welder das (1698 errichtete) Dos
mainenbirectorium fland, welchem in den Provinzen bie Amts-
kammern untergeben waren. Ex zog nun bie bis bahin durch
die Hoffammer und das Domainendirectorium getrennte Ver⸗
waltung ber Givileinfünfte in_ein Collegium, unter dem Nas
mean Gmneralfinangdirectorium,, zuſammen und ertheilte diefem 27. März
ein eigenes Reglement. "Die Hauptleitung erhielt der ehema: 1713
lige Auditeur feines Regiments, v. Creutz, als wirklicher ge⸗
heimer Staats⸗ und Kriegsrath. Mitglieder wurden, für Hoiz⸗
1) Theatr. Europ. v. J. 1718 p. 200. poltnit L ©. 19
fagt, der König habe ihm feine vorigen Stellen angeboten, was fehr une
wahrſcheinlich iſt. Vergl. (Bendenborf) Gharakterzüge aus bem Lehen
Friedrich Wiügelms L Sammlung 8. &. 20. Dankelmann ſtarb in Ber
fin 1722 im 80. Saher, a
240 Bud VI Erſtes Hauptflüd,
und Forfifachen der Oberjägermeifter, für die Schatullgliter und
oranifchen Erbfolgefachen der geheime Kriegsrath von Kraut,
für die Poft:, Münze und Bergwerköfachen der geheime Rath
Grabe, ferner die geheimen Kammerraͤthe von Goͤrne und Wal⸗
ter, lauter Männer, welche der König aus untergeorbneten
Aemtern erhob. Die befonderen Kaffen blieben zwar befichen,
mufften aber alle Ueberfchliffe vierteljährlich an die Generalcivits
Taffe abliefern ’).
Nun vertheilte der König alle zur Landesregierung gehoͤ⸗
3. Apru rige allgemeine Angelegenheiten bepartementsweife unter die
1713 wirklichen geheimen Räthe, was aber nicht in bie einzelnen
Fächer ſchlug und dem Könige vorgelegt werben muffte, wurde
nad Provinzen an die befonderd dazu beftimmten fech Minis
ſter verwiefen, fo daß der Graf Dohna die Neumark und Poms
mern, von Ilgen Preuffen, von Pringen Geldern, Meurs,
Lingen und Tecklenburg, von Bartholdi die Marken, von
Blaspiel Minden, die Grafſchaft Mark und Ravensberg, und
von Kamede Magdeburg und Halberfladt erhielt?).
Dur firenge Ordnung, genaue Auffiht und ruͤcſichts⸗
Iofe Erfparungen konnte ber König ſchon zu Ende des weis
ten Monats‘ feiner Regierung uͤber eine halbe Million Thaler
zur Unterhaltung zweier neuer Grenabierbataillons ammeifen,
alle Regimenter ergänzen, vor Ablauf des erften Jahres feiner
Regierung ſechs neue Regimenter errichten?) und fein ‚Heer
von 30,000 auf etwa 45,000 Mann bringen *).
Wie die inneren, fo nahmen ihn bie auswärtigen Angeles
genheiten unb zwar fogleich mehr als in irgend einer andern Zeit
feiner fiebenundzwangigiährigen Regierung in Anſpruch. Waͤh⸗
rend ber Krieg wegen ber fpanifchen Erbfolge gegen Frankreich
’ 1) Biſtorlſch⸗ politiſche Beiträge u. ſ. w. Ih. II. S. 19.
9) Gosmar und Klaproths Staaterath ©. 229 ff.
9) Königs Bela IV. 1. ©. 12 u. 17.
4) Hiftorifchpolitifche Beiträge I. &. 825. ®eiebrid IL du Mi-
talre p. 835 gibt am, Friedrich Wilhelm habe 88 Bataillone Fußvolk
und 53 Schwabronen Reiter, insgefammt 80,000 M. gefunden. Biel⸗
— Beſtand, ohne Invaliden und Beſatungen. Vergl.
Gtaatsverwaltung. 24
#4 im Wellen zum Enbe neigte, drohete im Dften ber Krieg
der nordiſchen Verbimbeten gegen Karl XH. von Schweden
weiter um fih zu greifen. .
Obwohl, wie wir fehen werben, der König Beinen Theil
der Staatöverwaltung feinen Miniftern völlig überließ, viels
mehr überall felbft, nicht nur wirkſam eingriff, fondern auch
nicht zugab, daß felbft unbedeutende Dinge ohne fein Wiſſen
unb Wollen gefhahen, fo waren doch die auswärtigen Anges
legenheiten diejenigen, welche er am wenigften zu leiten unb
zu behandeln verftand. Seiner ehrlichen, offenen und heftigen
Ratur wiberfirebten die Schlangenmwinbungen damaliger Staatts
weiöheit, wo er nicht gerade durchſchreiten Fonnte, Geheimniffe
bewahren und fi wohl gat verftellen folte. Dazu mangelte
ihm noch die fo nothwendige Kenntniß der damaligen Verhäfte
niſſe der europaiſchen Staaten. Er fah recht gut ein, daß er
im feinem Minifter Ilgen, welcher ſchon unter Friedrich I. viele
Jahre hindurch die auswärtigen Angelegenheiteri geleitet hatte,
einen Mann befige, der biefem wichtigen Amte vollfommen
gewachſen fei'). Ilgen hatte nicht nur die noͤthige Worbils
dung, fonbern :audy große Erfahrung und Geſchaͤftskenntnig
war Sehe ſchlau, ungemein vorfihtig und verftand es vortreffs
Hd), feine Abfichten zu verfteden und alle nöthigen Mittel zur
Erreicjung des von ihm feſtgehaltenen Ziels anzuwenden, fi
noͤthigenfalls zweideutig auszubrüden, mit glatten Worten bins
zuhalten, ober dem Gegner zu entfchlüpfen, ihr auszuforfchen,
durch die größten Betheuerungen vom rechten Wege abzufen-
Em und unter den feierlichften Werfiherungen ‚zu hintergehen.
Ihm galt dad Alles gleich und man hielt ihn daher mit Nedyt
für faiſch, allein er war unbeſtechlich, "diente dem Intereffe fels
ned Königs treu und wuſſte biefen zum Vortheile des Staats.
lange wirktich zu leiten, ohne das zu feinen; übrigens hatte
er e8 bei den Unterhandlungen mit. Männern und Bürften zu
thun, welche noch weit weniger gewiſſenhaft waren, als er.
Da König hatte daher, obgleich ex den liftigen und in mancher
Hinfiht gewiffenlofen Mann perſoͤnlich nicht achtete, dennoch
voßes, durch günflige Erfolge gerechtſertigtes Vertrauen in ſei⸗
1) Gosmar und Kiaproth ©. 281. ‚
Gtengel, Geld. d. preuſſiſchen Staates. M. 16
242 Bud VI Erfies Hauptſtuͤck
a Minifiers Einficht, und man darf im Allgemeinen mit Zu⸗
»erficht annehmen, baß er in dem Gange, ben bie auswärti-
gen Verhaͤltniſſe Sreafind jetzt nahmen, ihm weit mehr folgte,
als ben Weg angab ').
.x Bir haben bereits gefehen, wie durch bie Trennung Eng»
lands von dem großen Wunde gegen Frankreich ber 33
Erbfolgekrieg für den durch fo viele Niederlagen erſchoͤpften, ja
Dis auf Aeuſſerſte gebrachten Ludwig XIV. eine weit günfti-
gere Wendung erhielt, als dieſer aufferbem je bitte hoffen
tönnen. Es ließ ſich voraudfehen, daß der bald von allen fei-
am Bundesgenofien verlaffene Kaifer, ohne Mittel, die von
ähnen geftellten Sölonerhaufen. zu bezahlen, dem Krieg nicht
uerde mit Ausfict auf Erfolg fortführen koͤnnen, und .«b
mochte dem Rönige von Preuffen daher. billiger Weiſe nicht
Herargt werden, daß er Maßregeln nahm, aus biefen Unſtaͤn⸗
nen für fich foniel Voꝛtheil alg moͤglich zu ziehen. Dem. eng»
üſchen Gabinete lag, um ben Kaifer zu:tchmächar,:baran, daß
Preuſſen einen vortbeilhaften Frieden erbicke.. Cä,foite daber
das ehemals. ſpaniſche Dberquastier Geldern bekommen, - wad
3 fehr wuͤnſchte, obgleich daB. weber bie Generalfinaten. noch
der Kaifer gern fahen. Schon kurz vor dem Tode Friedeichs 1.
‚hatten indeffen bie Generalftsaten (30. Ian. 1713). hr. ges
heim einen zweiten Barrierevertrag mit Gngland ‚geichloffen,
und auf deſſen Verlangen ben erfim Barrierevertrag (vom 28.
Detbr. 1709) aufgehoben, in weichem feflgefegt war, bag Ober⸗
geldern an die vereinigten Niederlande fallen fole?). Die Ges
neralſtaaten hätten eB gerne in ben Händen des Kaiſers ges
fehen, weil Preuffen ihnen ein weniger angenehmer Nachbar
war, allein Friedrich Wilhelm erhielt zugleich durch England
bie Verficherung, daß auch Frankreich ihm Obergeldern Iaften
ET ol. Deshalb beſtand er in einem Schrelben an Die Gene:
1) ©. über in Benekendorf VL S.
©. 47. Cecmdorfs Briefe an Gugen find Igene
Sqhlauheit und bdaß man ihm nicht trauen kome. Bergl. auch Loens
en a 1 S.
was bei Benekendorf X. S. 68 ſteht.
29) Dumont VII. 1. p. 822. ®ergl. Lamberty VIII. p. 6.
utrechter Frieden. ‚243
ralſtaaten um fomehr barauf, es zu behalten, weil Frankreich
das Firfientyum Orange und bie zu Neufchatel gehörigen Gt
tee in ber Bourgogne an fich genommen. Er meinte, dem
Konige Ludwig XIV. gehöre zwar Geldern nicht und biefer
babe es daher auch nicht abtreten koͤnnen, bei tıberwiegender
Macht aber koͤnne man nicht immer fo genau auf das Recht
fehen und müffe Rüdfiht darauf nehmen, wie fi) etwas paffe-
Die Generalſtaaten hätten ja zu bem Barrierevertrage ebenfalls
nicht die Zuftimmung des Kaiferd, fondern Frankreichs ver
Tangt, fo habe auch er es gemacht, was ihnen Übrigens nichts
ſchade, fie vielmehr von biefer Seite ficher ſtelle; auch könnten
fie ihm Geldern wohl gönnen. Die Generalſtaaten wollten ihm -
indeffen hoͤchſtens nur einen Theil von Dbergeldern laſſen und
ben größten Theil dem Kaifer verfchaffen, womit auch England
bereits einverfianden war. Als aber der kaiſerliche Gefanbte
Sinzendorf auf das ganze Land beſtand und von Feiner Thei⸗
lung mit Preuffen etwad hören wollte, wurben die Engländer,
welche den Abfchluß bed Friedens beeilten, ungebulbig unb ber
Graf Strafford (ehemals als Milord Raby Gefanbter in
Balin) drobete endlich, wenn ber kaiſerliche Geſandte nicht
binnen vierundzwanzig Stunden nachgebe, fo folle Preuffen
ganz Dbergelvern erhalten‘). Das wirkte, und es wurbe nun 2.
‚April
rifegen dem faiferlihen und. dem preufffiäen Gefandten ein 1713
geheimer Vertrag folgenden Inhalts gefchloffen: Da ber Kais
fer den Königen von Preuffen verſprochen, Boberungen, welche
diefelben an Karl I. von Spanien gehabt, auf fich zu nehs
men, und biefe deshalb einen anfehnlichen Theil des Obers
quartier vom fpanifchen Geldern inne behalten, fo überläfft
der Kaifer zur Stiftung und Erhaltung guten Vernehmens
und in Anfehung ber ftattlichen Verdienſte, welche fich ber vers
florbene König Friedrich I. um das Haus Defterreich und das
gefammte Gemeinwefen erworben, dem Könige Friedrich Wil⸗
beim L ben Xheil von Obergeldern, welchen diefer inne hat,
namentlich Stadt, Wogtei und Amt Geldern mit ben dazu ges
hoͤtigen Städten und Aemtern mit aller Hoheit, wie fie das
1) ©. dieſe Unterhandlungen bei Lamberty VII. p. 43. Bergi.
Martiniöre I. p. 61.
16*
24 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤck
Erzhaus Deflerreich und ber lette König von "Spanien befefe
fen. Mehrere befondere Beftimmungen orbneten ‘die Werhälte
niſſe der Fatholifhen Einwohner, denen der ausfchließliche Bes
fig aller Aemter bei ber Landesregierung, ben Ständen, Obrigs
Teiten, Magiſtraten und Gerichten gefichert wurde, dann bie
Rechte des Landes Überhaupt dem Fuͤrſten gegenüber, dem Ver⸗
trage von Venloo vom Jahre 1543 gemäß, welchen der Ko⸗
nig zu beſchwoͤren verſprach. Dagegen verzichtete der König
auf alle von ihm gemachten Anfoderungen und verfprach, feine
Zruppen aus der Beflung Venloo und dem Fort St. Michael
zu ziehen). Damit waren alle Haupthinderniffe des Friedens
11. Apr für Friedrich Wilhelm hinweggeräumt und er ſchloß an dem⸗
1713 felben Tage, wie England und die Generalflaaten, Portugal
und Savoyen in Utrecht feinen befonderen Frieden mit Frank⸗
reich, auf Grundlage des weftfälifchen Friedens. Ludwig XIV.
trat ihm in Vollmacht feines Enkels, König Philipps von
Spanien, das ſpaniſche Oberquartier Gefbern ab und erfannte
ihn als Fürften von Neufchatel und Valengin, wogegen Fried⸗
rich Wilhelm I. auf das Fuͤrſtenthum Orange und .bie dazu
gehörigen Güter und Herrſchaften in ber Dauphine und range
Tomte verzichtete und die Genugthuung ber Erben des berflors
benen Prinzen von Naffau ruͤdſichtlich deren Anfprlche auf die
oranifchen Erbgüter übernahm. Dur einen befonderen Artis
Bel erfannte Ludwig XIV: für ſich und ben König von pas
nien bie Königliche Würde in Preuffen an’).
So hatte denn Preuffen an der Grenze feiner cleveſchen
Provinz ein ziemlich fruchtbares Laͤndchen mit etwa 50,000
gewerbfleißigen Einwohnern erworben’), auffer den erhaltenen
Subſidien freilich ein ficher fehr ungendgender Erſatz fuͤr die
vielen während bes fpanifcen Grbfolgefrieges gebrachten Opfer
1) Der Vertrag aus dem Original mit ber Talfert. Btatification dom
Mai in den Hiftor.spolit. Beiträgen Tg. IL ©. 216. Lamberty
T. VII. p. 45 und T. IX. p. 4. und Martinidre T. IL. p. 70
alfo, indem fie befaupten, ber Kaifer habe ihn nicht ratificht. Ohne
die Btatification iſt er bei Dumont VII. 1. p. 387.
9) Dumont VILL 1. p. 886.
3) ©. Hifior.«polit. Beiträge II. ©. 236.
Soberungen an Holland. 245
und daS Xufgeben gerechter Anfprüche auf anfehnliche Gtde
der oraniſchen Erbguͤter. Seitdem ließ Friedrich Wilhelm nur
noch 6000 Mann als Reichöcontingent am Rheine fichen, fo
lange ber Kaifer den Krieg gegen Frankreich fortführte, fuchte
aber gegen ‚Holland eine Menge von Anfoberungen geltend zu
machen, welche er aus verſchiedenen Rechtögründen zu: haben
glaubte. Sein Bater war durch Vertrag mit ‚Spanien unter
Gewährleiftung der Generalftaaten und! Englands (20. Detbr.
1697) mit einer Foderung von 108,000 Thalern- auf: die Pres
vote Mond angewiefen worden. Durch die feit vielen Jahren
rückſtaͤndigen Zinfen war die Summe auf 200,000 Thaler ges
fliegen. Als Mond nicht zahlte, Tieß er ben Grafen dEspi⸗
nois feſtnehmen, nach Wefel bringen und erflärte, ihn vor ers
haltener Bezahlung nicht in Freiheit ſetzen zu wollen. Er ers
bob im Luremburgifchen, welches die Generalſtaaten ſequeſtrir⸗
ten, um es nach Abſchluß des Friedens dem Kaifer zu uͤberge⸗
ben, Gontributionen, als wenn-nod Krieg wäre, kehrte fich
nicht an die ihm von ben Generalfiaaten gemachten Borftelluns
gen, drohete mit mititairifcher Erecution und hob Geifeln aus'y "
& legte einen Zoll in Well an der Maas an, worüber fih
die Generalftaaten ebenfalls vergeblich beklagten, und verlangte
von dieſen noch eine jährliche Rente von 80,000 Thalern aus
der oranifchen Erbſchaft, während ſich daB Haus Naſſau über
Friedrich Wilhelms eigenmächtige Abtretung des Fuͤrſienthums
Drange an Frankreich befehwerte”). Er wollte fi ber von
den Hollaͤndern befegten, als zur oranifchen Erbſchaft gehoͤri⸗
gen Feſtung Grave bemaͤchtigen, was doch vorher ruchbar und
duch Verſtaͤrkung der Befagung verhindert wurde), Er bes
möchtigte fich ber mitten im httichfchen liegenden Baronie -
Heerftall, welche ihm ber Itticher Lehnhof zugefprochen, und
ũeß fih von den Einwohnern hulbigen, während gemäß des
mit feinem Water (28. Juli 1712) abgeſchloſſenen Vergleichs
Alles im damaligen Zuſtande bleiben folte*). Vergeblich was
1) Lamberty VII. p. 197.
2) CEbendgl. p. 7I2
Ebenbeſ. p. 715.
4) Ebendaf. u. p. 769
246 Bud VL Erſtes Haupiftüd.
ven alle Borftellungen der Generalftaaten. Der vielfache Streit
"und die Gemwaltthätigkeiten, welche fih der König erlaubte,
machten eine Beendigung der Erbfchaftdangelegenheit‘ immer
wuͤnſchenswerther. Die Generalftaaten fehlugen den Weg Rech⸗
tens vor. Der König erklärte, diefen nicht zu fürchten, wenn
dabei fein koͤnigliches Anfehen nicht beeinträchtiget und unpars
teiifch verfahren werbe, verlangte aber vorher, freien Zugang zu
dem oranifchen Archive. Er proteflirte gegen ben dritten Bars
rierevertrag (v. 15. Novbr. 1715), welcher einen Theil Ober⸗
gelderns ben Generalſtaaten überwies '). Darliber wurde (1716)
ein Grenzvertrag abgefchloffen ). Er erhob gegen Holland eine
Boderung von beinahe zwei Millionen Gulden Einquartierungss
gelder aus den Jahren 1672—78 her. Die Generalftasten
berechneten fie nur zu 70,000 Thalern und mit den Zinſen
auf faft 1,300,000 Thaler, worauf im Jahre 1685 der große
Kurfürft bereits verzichtet. Der preuffifche Gefandte erwicberte,
ber Verzicht gehe nur bie Boderungen des Kurfürften, .nicht die
feiner Untertbanen an. Ueber diefe und noch mehrere ähnliche
oft weit her gefuchte Anfoderungen wurde nach vielfachen Vers
bandlungen und zahlreichen von Preuffen übergebenen Denk⸗
fehriften (5. April 1717) ein Vertrag gefchloffen. Die Genes
ralſtaaten verpflichteten fih 1,223,000 Gulden in halbjäprigen
Abfchlagefummen je von 100,000 Gulden zu entrichten, wos
mit ſich der König begnuͤgte ). Auch uͤber eine proviſoriſche,
wit den Generalſtaaten gemeinſchaftliche Verwaltung der Herr⸗
ſchaft Heerftall vertrug er fih (10. Decbr. 1717) 9. Ueberau
war Friedrich Wilhelm aufmerkſam auf feine Rechte und Ans
forliche, verfolgte fie unermüdlich, ſuchte Wortheile zu erhalten,
die fi darboten, Foderungen nachdruͤcklich geltenb zu ninben,
auch wohl mit Gewalt durchzuſetzen.
iy Lamberty IK p. 58.
9) Gbendaf. p. 436.
8) Def. X. p. 168.
4) Derf. X. p. 174. Man vergleiche arch über die) Gtreitigteiten
und Wertsäge Frictich Wipelms mit den ABenerali Martiniäre I.
p. 77 fi., P- 186 ff. u. 818 ff, der jchoch nicht mehr als Lamderty hat.
Der nordiſche Krieg. MT
Dee Kaifer und daB Beich fehten den Krieg gegen
fenheit des trefflichen €:
gen Villars beendeten und —— mit dem Kaifer (6. Maͤrz
1744) zu Raſtadt, dann mit dem Reihe (7. Sept. 1714). zu
Baben Frieden flog. Geldern wurbe darin dem Könige von.
Preuffen beftdtigt '). .
Es waren aber gleich anfangs — die —
des Weſtens, ſondern die bed Oſtens, welche bie Aufmerkſam⸗
keit Friedrich Wilhelms vorzugsweiſe in Anſpruch nahmen; num
tonnte ex fie Diefen ungetpeilt widmen. Karl KIL hatte, wis
wir bereits?) erzählt haben, bie ihm durch bad haager Concert
gewaͤhrleiſtete Neutralität feiner beutfchen Provinzen verworfen.
Der General Steenbod war von Pommern aus nach Mediens
burg gegogen und, nachdem er bie Sachſen bei Gabebufch .ges
fölagen, in das Holfteinfhe eingedrungen, wohin ihm das
50,000 Wann flarke ‚Heer ber vereinigten Ruffen,. Dänen ms
Sachſen folgte. Der Abminifirator von Holfein:Bottorp
eigentlich deſſen Miniſter Goͤrz öffnete ihm, als —— er
gezwungen, bie Feſtung Toͤnningen und bebung ſich einen Theil
von ben auf Koſten des Königs von Daͤnemark zu macenden
Eroberungen aus, während ex biefem verficherte, parteilos blei⸗
ben zu wollen „ Die nordiſchen Verbimdeten. ſchloſſen Ton⸗
ningen ein. Sowohl England als die Generalſtaaten wuͤnſch⸗
ten friedliche Beilegung bed nordiſchen Kriegs, noch mehr der
Kaifer und die deutſchen Reichöfürften, am meiſten Preuſſen,
indem die Reihölande fortwährend ben Durchmärfchen und
Berwüftungen der fremden Kriegsheere auögefegt und zunaͤchſt
bie preuffifchen — unabläffig bedrohet waren. Es hats
ten fich beöhalb bereits im December bes Jahres 1712 Be
vollmächtigte vom Kaifer, Preuffen, Hannover, Braunfchweig,
Münfter und HeffensKaffel in Brahnfchweig verfammelt, doch
verzögerte ſich die Eröffnung des Congreffes bis zum Früh⸗
Braut:
a ee as bis ihm —— DE Wo
von Savoyen unb bes
4) Dumont VII. 1. p. 415 u. 436.
2) Din ©. 162 u. 164.
8) Hojer 1. ©. 248.
is
28 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤc
Unge des Jahres 1714). Unterbefien war Steenbock gende
16. Dal thigt worden, Toͤnningen zu räumen und fih mit feinem noch
1713 11,000 Baun ſtarken Heere den nordiſchen Verbuͤndeten zu ers
geben. Um vor biefen-Kürften bie .deutfchen Provinzen zu reis
ten, blieb den Schweden, welche Feine Truppen weiter im Belde
hatten, nun nichts weiter übrig, als fid; dem Schutze des Kö⸗
nigs von Preuffen zu übergeben, um fo mehr, ald bie Dänen
bereitS daran waren, ſich auch der Beſitzungen des unmimdis
- gen Herzogs von Holſtein⸗Gottorp unter dem Worwande zu bes
mädtigen, ber Vormund befielben, ber Adminiſtrator, fei mit
Steenbock einverftanden gewefen und habe ihm freiwillig Töne
uingen geöffnet, welches bie Dänen nun einſchloſſen *).
. Karl XII. hatte fchon früher eingefehen, daß er, wenn ir⸗
genbwoher, nur von Preuffen wirkſame Unterftügung hoffen
. Eönne, umb baher wiederholt Friedrich L. kurg vor beffen Node
um Beiftand erfucht, zu welchem dieſer vertragemäßig verbuns ⸗
den. war. Num wendete er ſich auch an Friedrich Wilhelm J.)
unb, hätte es natürlich gern gefehen, wenn biefer nicht aur mit
7000 Mann, wozu ihn das in Atranädt (16. Aug. 1707)
mit feinem Vater abgefcloffene ewige Bündnig verpflichtete,
ſondern mit feiner ganzen Macht Pommern geſchuͤtzt hätte.
Friedrih Wilhelm L befand fich nach dem Abſchluffe des Fries
dens mit Srankreich zwar nicht in einer fo ſchwierigen Lage,
wie fein Water, er konnte bald über fein ganzes von ihm ſo⸗
gleih, wie wir angeführt haben, auch noch verftärktes Heer
gebieten, allein, wer mochte es ihm verargen, wenn er, noch
Bazu im Anfange einer Regierung, welche fo viel zu ordnen
hatte, ſehr vorfüchtig verfuhr. Er alein hätte es jegt mit den
drei verbuͤndeten nordiſchen Mächten aufnehmen und Alles. aufs
Spiel fegen müflen für einen Fuͤrſten, welcher feit Jahren in
der Tuͤrkei war und feine Unterthanen faft fich ſelbſt und feis
1) Lamberty VII. p. 329. Es wurden zwar ſchon im Decem⸗
ber 1712 Befchtäffe gefaſſt die Neutralität des Beichs zu fihern, doch
spe ar. ‚Def P- 291. Wergl, die Radridhten vom norbifchen Kriege
Bortfg. L ©. 154.
2) Nordberg IIL p. 16.
3) @bendaf. p. 18.
Kart XIL und Eeledrih Wilhelm L 9.
men Geinden Äberlieg, für eine Sache, welde ipn eigentlich
unmittelbar nichts anging, wenn fie ihm auch nicht gleichgüils
tig war, und alles das lediglich, um im gädlihften Falle mit
den größten Opfern, ficher mit dem Ruine eines großen Theils
feiner eigenen Länder, Schweden einige Provinzen zu retten.
Die Leiftung der 7000 Mann Bunbeshülfe würde Karl XIE.
fo gut als nichts genügt, Preuffen aber für wefentlich fremde
Intereſſen in einen. höchft gefährlichen Krieg verwidelt haben.
Bon der anderen Seite lagen ihm die norbifchen Verbuͤn⸗
beten dringend an, fich mit ihnen zu vereinigen und Theil an
ber Beute zu nehmen, welche die auffer den Zeflungen ganz
vertheidigungsloſen beutfchen Provinzen Schwedens fo bequem
darboten. Peter I. kam felbft zu ihm nach Berlin und ließ
es, um ben König auf die Seite der nordiſchen Verbündeten
zu ziehen, ſicher nicht an Verfprechungen fehlen, welde ihm
nichts koſteten. Obgleich aber der König bie fir den Handel
feines Staates fo große Wichtigkeit Stettind und der Oder⸗
mundungen volltommen begriff und deren Befis fehr wwünfchte,
fo war er doch rechtlich genug gefinnt, aus der traurigen Vers
legenheit Schwedens Beinen Vortheil für ſich ziehen zu wollen.
* kam ihm zunaͤchſt darauf an, den Krieg von feinen Grens
zen zu entfernen und beöhalb "bie Neutralität der deutfchen
Provinzen Schwebens zu bewirken. Es fchien das in jeber
Art nicht nur der paffendfle, fondern der einzige Weg, dem
Könige Karl XI. diefe Länder zu erhalten, und auſſerdem wide
Briedrih Wilhelm den Uebergang der Zeftungen Pommerns,
namentlich Gtettins, in fremde Hände fehr ungern gefehen
haben. .
Karl XIL gab daher dem General MWellingt, Gtatthalter 1713,
von Bremen und Verden, Vollmacht, mit Preuffen bie Map:
regeln zu verabreden, welche zur Sicherheit der beiderfeitigen
Staaten gegen feine Feinde zu ergreifen fein möchten, mit dem
Verſprechen, was Wellingk demgemaͤß abgeſchloſſen haben würde,
zu beflätigen ').
Eben hatten die nordiſchen Verbündeten in Bandebed bes 20. Ian
ſchloſſen, ſich Ruͤgens zu bemaͤchtigen und Stralfund zu eu
1) Nordberg T. I. p. 19.
20 1:Buh VI. Etſtes Haupttach 2
obern, durch ruſfiſche Truppen-unter. Menſchikoff Ekettin en⸗
zugreifen und es nach ber Eroberung dem Könige von Preuſ⸗
fen zu übergeben, welcher hoffentlich Theil an ber Belagerung
. Mehmen, ober biefe wenigftens durch Geſchuütz und Munitien
unterflügen würde. Auf diefe Art hoffte der Zaar Preuſſen in
21. Juni das noꝛdiſche Bündniß zu ziehen‘), als zu gleicher Zeit Wels
1713 lingk in Hamburg mit dem Adminiſtrator von ‚Holfein» Gots
torp vertrug, dieſer folle in Vereinigung mit einer neutralen
Macht Wismar und Stettin befegen, das übrige Pommern
aber neutral bleiben”). Friedrich Wilhelm nahm den ihm von
Menſchikoff in Beziehung auf Stettin gemachten Antrag nicht
3. Jall an, ſchloß vielmehr in Berlin mit dem Adminiſtrator von Hol⸗
flein einen Vertrag, daß Wismar und Stettin jebed von zwei
Bataillonen Preuffen und zwei Bataillonen holftein gottorps
ſchen Zruppen während der Dauer bed Krieges befeht und
auch dann nicht eher als nach Erftattung ber dadurch erwach⸗
fenen Koſten an Schweden zurückgegeben werben ſolle. Strals
fund und Rügen wollen beide Zürfen gegen jeben Angriff
ebenfo fihern, wie Stettin und Wismar. Zugleich verſprach
der König, er wolle in Berbinbung mit ben Generalſtaaten
und England dahin wirken, baß das Haus Holſtein⸗ Gottorp
vom Könige von Dänemark volftändig in alle feine Rechte
wieder eingefegt werde und Genugthuung für ben ihm zuges
fügten Schaden, Schweden aber unter anfländiger Bebinguns
gen Frieden erhalte; endlich verficherte ber König, bie wirt
famſten Mittel zur Aufhebung ber Einfchliegung Toͤnningens
ergreifen zu wollen®). Wirklich räumte der König von Dänes
mark auf Friedrich Wilhelms I. Verlangen, obwohl ungern, ben
Adminifirator deffen Bisthum Luͤbek wieder ein, behielt aber
das dem jungen Herzoge von Holfteins Gottorp zugehörige
Schleswig ‘). .
1) Tagebuch Peters L $. 889.
2) Theatrum Europaeum v. 3. 1713 &. 609. Hojer I. S. 364
hat einen Auszug.
89) Dumont VIEL 1. p. 892. Bergl. Hoier I. ©. 264.
}
4) Lamberty VII p. 815 ff.
Sequeſtrationsdertraͤge. 251
Tetzt war der einzige guͤnſtige Augenbli fuͤr die Schwe⸗
den gekommen, weſentlich ohne Opfer, auf' die einfachſte und
billigſte Weiſe ihre deutſchen Provinzen durch Annahme des
mit Preuffen geſchloſſenen Vertrags zu retten. Die nordiſchen
Verbündeten wuͤrden ſchwerlich gewagt haben, etwas’ dagegen
zu unternehmen, weil fie uneinig untereinander waren unb
ficher Alles vermieden hätten, um nicht den König von Preufs
fen ganz von fih ab auf bie fehwebifche Seite hinüber zw
drängen. König Auguſt würde gern in bie Neutralität ber
ſchwediſch⸗ deutſchen Provinzen gewilligt haben, da ihm an bes
ren Befige wenig, ſehr viel aber baran lag, daß Karl XIL
nicht von ihnen aus Polen und Sachfen bedrohe oder gar ans
greife. Wäre aber der Wertrag erſt vollzogen geweſen, fo
wide felbft Karl XI. nicht im Stande geweſen fein, ihn rüds
gängig zu machen. Unglüdlicher Weife für Schweden weigerte
fich jedoch Meyerfeldt, der Statthalter Pommerns, in feiner
Lage allerdings mit Recht, ohne ausdruͤcklichen Befehl feines
Königs Stettin zu räumen und fremde Truppen aufzunehmen,
beſchloß vielmehr mit feiner 4000 Mann ftarten Befagung und
4000 ftettiner Bürgern, welche Dienfte thaten, die Feſtung .
auf bad Aeuſſerſte zu vertheidigen, was Karl XIL., ald er Nachs
richt davon erhielt, vollfommen biligte'). Friedrich Wilhelm J.
gab jegt die Hoffnung auf, durch Schweden zur Abwendung
des Krieges in Pommern zu gelangen, neigte ſich auf die Seite
der norbifchen Verbündeten und erflärte den holfteinifhen Mi⸗ 5, Zur
niſtern Goͤrz und Baffewig, fie wüfften, daß er bei Gchlies - 1713
ßung des berliner Vertrags (v. 3. Juli) lediglich die Abſicht
gehabt, die ſchwediſchen Beflungen in Deutfchland vor dem
ihnen bevorftehenden Angriffe der norbifchen Verbuͤndeten zu
fihern, dem Könige Karl die Befagungen derfelben zu anders
weitiger Verfügung zu erhalten, die völlige Verheerung Poms
mernd zu verhindern, die Ruhe in Niederfachfen berzuftellen
und eine fefle Grundlage zum norbifchen Frieden zu legen.
Da fi num Meyerfelbt weigere, den Vertrag anzunehmen,
die Truppen ber nordifchen Verbundeten aber, bei ihrem Rüds
marfche aus Holftein, Pommern verheeren und dann Stettin
1) Nordberg ID, p. 24. Xagebud; Peters L $. 889.
232 Buch VL Erſtes Hauptſtuͤc.
belagern wuͤrden, welches auf keinen Entſatz hoffen koͤnne, ſo
bliebe ihm nichts übrig, als im Einverſtaͤndniß mit den nors
diſchen Verbündeten für fein eigenes Intereſſe zu forgen und-
mit diefen ruͤckſichtlich der pommerſchen Feſtungen Verbindlich⸗
keiten einzugeben, deren mögliche Unannehmlichkeiten lediglich
Meyerfeldt werde zu verantworten haben ). Die holſteiniſchen
14 Zau Miniſter erwiederten, wenn ſich kein anderes Mittel ausfindig
4713 machen laſſe, ben Beinden Schwedens Stettin aus den Sins ö
den zu winden, fo bäten fie den König von Preuffen, Ale
anzuwenben, was nöthig fei, um Meyerfelbts Hartnädigkeit
zu Überwältigen, wolle er das, fo winden ſie ihrerſeits dem
König, von Schweden Überzeugen, daß Dreuffen e8 gut mit
ihm meine, aufferdbem müfften fie glauben, dieſes habe nicht
uf, die über Stettin getroffene Werabrebung zu halten, fei
vielmehr mit den Feinden Schwedens in Verbindung getreten”).
Vriedrih Wilhelm verftand fehr wohl, daß bie holfteinifchen
* Minifter ihn ſelbſt veranlaſſen wollten, Stettin mit Gewalt
anzugreifen, wodurch er wahrſcheinlich nicht nur mit ben nor⸗
diſchen Berbindeten, fondern auch mit Karl XIL in Feindſchaft
gerathen fein würde. Er ließ daher die Minifter erfuchen, ſich
deutlich zu erklären, ob Schweden damit zufrieden fein und
es nicht als Beinbfeligkeit anfehen werde, wenn er ben norbis
ſchen Verbimdeten Gefchlig und Kriegs» und Mundbedarf zus
kommen laſſen wide, um Stettin angreifen zu fönnen, denn
für dieſen Ball hatte ihm fchon Peter I. tie Belegung Stets
ins nach der Eroberung angetragen. Die holſteiniſchen Mis
niſter erwieberten, fie blieben bei ihrer vorigen Meinung, doch
komme Alles auf Friedrich Wilhelms Abfihten an, bie fie zu
wiffen wünfchten, da fie über Karls Meinung nichts Beflimms
tes fagen konnten )·
1) Das Schreiben im Theatr. Europ. v. J. 1718 ©; 612 uab bei
Nordberg II p. 25.
2) Theatr. Europ. v. 3. 1718 p. 618.
8) Dafelöft S. 614. Wedgen nadhtfeiliger Gerichte, bie verbeeitet
worden, erttärte Preuffen am Beidhttage, 6. Auguft, 1718, ber King
wänföje Srieden und Bellegung ber norbifdjen Gtreitigfeiten, wenigftene
arf Dam Boden des eich. (Ex habe dab Uingiäl von Pommern abtsn
Sequefrationsverträge Aber Stettin. 233
Unterdeffen ruͤkten die 24,000 Mann flarten Ruffen vers
heerend durch Medienburg in Pommern ein, verbrannten Garz
und Anklam und legten ſich vor Stettin‘). Menſchikoff ımb der
vertraute Minifter König Auguſts, der General Flemming,
kamen, unflteitig veranlafft durch die holfleinifchen Minis 28. Jau
fer”), überein, die Ruffen follten Stettin erobern und es dann 1713
dem Könige Auguft und dem Adminiftrator von Holflein, als
GSequefter, übergeben; wolle jedoch der König von Preuffen
gegen Zahlung einer beftimmten Summe (ald Belagerungsko⸗
ften) an Peter und Auguft an des Letztern Stelle treten, fo
ſolle er im Vereine mit dem Adminiſtrator Stettin beſetzen.
Darauf ging Goͤrz für feinen Herrn fo weit ein, daß er mit 20.Xug.
Menſchikoff vertrug, König Auguft ſolle ruͤckſichtlich der Feſt⸗
fegungen des berliner Vertrags (v. 3. Juli) an Friedrich Wil⸗
helms Stelle treten und im Vereine mit holſteiniſchen Truppen
. Stettin nach der Eroberung fo lange befegen, bis ihm wir
-den 200,000 Thaler ausgezahlt worden fein”). Nun belagers _
ten bie Ruſſen mit Zuziehung von. 60 fächfifchen Geſchuͤ⸗ Sept.
den Stettin, das die Beſatzung im Vereine mit den Bürgern
tapfer vertheidigte. Die Stadt litt durch das fürchterlihe
Bombarbement der Belagerer fo auſſetordentlich, dag Meyers -
feldt, am fie nicht in einen Steinhaufen verwandeln zu: laffen,
auf Zureden der Holfteinifchen Miniſter fich bereit erflärte, die 30. Sept.
Zeſtung zu räumen, wenn ihr die Neutralität berilligt und
fie von holfteinifchen und preuffifchen Truppen befegt wuͤrde.
Die Bürger leifteten dem Herzoge von Holſtein ben Eid der
Treue; auch zwei Batailone der Beſatzung ſchwuren ihm, die
übrigen raͤumten die Feſtung und wurden nach Schweden ges 4. Dat.
bracht *).
den wollen, werbe übrigens neutral bleiben. Made. dom nord. Kriege
Bat. LE.18. .
1) Hoyer. L & 264 Tieatr. Europ. a. a. D. p. 617.
2) Friedrich Wilhelm I. beſchuldigte in einem Gchreiben v. 27. März
1715 an ben Abminiftrator, den Baron von Goͤrz, daß dieſer ihn habe
bewegen wollen, Geſchatz und Munition zur Belagerung Stettins zu Lies
fern, was er aberwenweigert. Lamberty VII. p. 816.
8) Nordberg IIL p. 27. Bergl Hojer L ©. 264
4) Zagebud) Petexd I. 5. 848.
254 Bud VI. Erſtes Hauptftäd.
Friedrich Wilhelm hatte bie Belagerung Stettins durch
die Ruffen ungern gefehen umb war fehr unzufrieden bamit,
dag man ftatt feiner den König Auguft zum Theilnehmer an
der ‚Siequeftration angenommen. Am meiften mochte er fuͤrch⸗
" ten, ber Schluͤſſel der Ddermündungen Könnte in ruffiſche Hände
Tommen, wa8, Peter I. vieleicht auch beabfichtigte. Gr begab
ſich daher nah Schwedt zu dem Fürſten Menſchikoff in das
ruſſiſche Lager und verhandelte mit ihm über Stettin‘). Mens
ſchikoff und Flemming fuchten beide für fih und ihre ‚Herren
baares Geld; das befaß Friedrich Wilhelm. Sie verlangten
anfänglich von ihm über 800,000 Thaler Belagerungskoften,
ließen fid, aber bald mit der Hälfte zufriebenftellen *) und Men⸗
ſchikoff ſchloß zur Befoͤrderung des Friedens und Herſtellung
der Rube in. Deutſchland im Namen der nordiſchen Verbunde⸗
ten folgenden Vertrag.
WMachdem die norbifchen Berbündeten fich genöthigt gefehen,
alle ſchwediſchen Provinzen in Deutſchland einzunehmen und
mit Stettin anzufangen, fo übergibt der Baar die Feſtung dem
Könige vom Preuffen, welcher verfpricht, fie nicht vor dem
Einftigen Frieden ben Schweden wieder einzuräumen. Üben
das fol mit Stralfund und Wismar gefhehen, und ber Kds
nig von Preuffen Anfalten treffen helfen, daß keine. ſchwedi⸗
ſchen Zruppen weiter nach Deutſchland gebracht werden. Gos
bald alle feſte ſchwediſche Plaͤte in Deutfhland dem Könige
von Preuffen werden als Sequeſter übergeben fein, wollen die
nordiſchen Verbündeten ihre Truppen aus Pommern abführen
und nichts Beindfeliged gegen bdaffelbe unternehmen, wogegen
ſich der König von Preuffen verpflichtet, nicht zu geflatten umb
es noͤthigenfalls mit ben Waffen zu hindern, das fchmebifche
Truppen von Vorpommern aus etwas Beinbfeliges gegen Pos
Im, Sachſen und Schleswig-Holftein unternehmen, oder wenn
fie anderweitig dieſe Länder angegriffen, fi nad) Vorpommern
zurückzuziehen. Der König von Preuffen verfpricht au, im
1) Daß er vorher ben General Bord nach Schwedt geſchickt, gibt
Benekendorf VL ©. 63 an. Es iſt fehr glaubwürdig.
2) &o exzäßlt glaubwiirbig bie preuſſiſche kurze Smformation bei
Lamberty IX, p. 248.
Sequrftiationdverträge über Stettin. ° 255
norbifchen Kriege neutral zu fein; wenn aber ber König von
Schweden aus diefem Sequeftrationdvertrage Veranlaffung neh⸗
men follte, ihn feindlich zu behandeln, fo wollen ihm die nor⸗
diſchen Verbuͤndeten gegen Iebermann beiftehen und nicht eher
Frieden mit Schweden fließen, ehe Friedrich Wilhelm zureis
chende GSenuthuung für den ihm zugefügten Schaden erhalten.
In zwei geheimen abgefonberten Artifeln wurde noch vers
glichen, ‚daß Preuffen den ganzen Strich Pommernd von ber
Dder bis an die Peene mit den Städten Demmin, . Anklam
und Wolgaft befegen und wie Stettin nicht vor dem Frieden
den Schweden wieder einräumen fole. Berner verfprach Fried»
rich Wilhelm, bie. Belagerungsloften im Betrage yon 400,000
Thalern terminweife halb an ben Saar, halb an ben König
Auguft zu bezahlen, wie eine befonbere Uebereinkunft es feft:
ſtelle, Peter Dagegen, daß er Preuffen im Befige Stettins er⸗
halten und "Angriffe. auf baffelbe als gegen ihn gerichtet: ans
fehen woRe‘). ..
Gleich am folgenden Tage mih dem Abſchute dieſes Ver⸗
trages ruͤckten zwei preuſſiſche. Bataillone in Stettin ein und
bildeten mit: den beiden ſchwedifchen, welche dem Adminiſtrator
geſchworen hatten, bie Beſatzung,—bis die letzteren bald dar
7. Dct.
1713
auf durch zwei :heifteinifpe Batadllone abgelöft wurben. Gries "
rich Wilhelm bewog nun bie Ruſſen und Sachfen, baß fie
Pommern: mit: ber Erklaͤrung⸗ raͤumten, nicht gegen baffelbe
unternehmen gu. wollen, fo ‚lange auch Schweden feinerfits
von da aus nichts unternehmen werbe.
‚Hätte fich der ſchwedter Vertrag ganz ausführen mb be
haupten laffen, fo würde Friedrich Wilhelm in dem Beſitze
der ſchwediſchen Zeftungen die ihm fo wichtige Erhaltung bes
Friedens in feiner Hanb gehabt haben und es Schweden fat
unmöglich geworben fein, ihn zu flören. Er wuͤnſchte das
fehr und fehrieb daher ben Generalſtaaten: der Grund zur
Neutralität Pommerns fei nun gelegt, vorzüglid wenn bie
Sqhweden würden auch Wismar und Stralfund in chen ber
1) Dumont VIIL 1. p. 407 mit ben beiden wichtigen Separat ⸗
entiten, weiße bei Nordberg IM. p. 32 fat. Be va Runen
ve Lt. 46.
26 Bud VI Erſtes Hauptſtuͤc.
Art wie Stettin beſetzen laſſen und’ Karl XI., wie er hoffe,
erklaͤren, von Pommern aus nichts gegen bie Verbündeten uns
ternehmen zu wollen‘). Eben dad zeigte er dem Reichsſtage
9. De. an?). Dem Könige Karl flellte er vor, Gtettin würde nach
1713 und nad zerſtoͤrt und in die Hände der nordiſchen Verbuͤnde⸗
tem gefallen fein, wenn er nicht in Verbindung mit dem Ads
miniftrator das mit vieler Mühe durch .einen Vertrag gehins
dert hätte, deſſen Inhalt er angab, und Karl zugleich erfuchte,
fi zu verpflichten, von Pommern aus ferner Feine. Beindfeligs
keiten üben zu wollen, fix welchen Fall Menſchikoff und Flem⸗
ming verfprochen hätten, die Provinz zu räumen’). Karl
antwortete fogleih, er fei von den Worgängen um Stettin
nicht gehörig unterrichtet, danke aber vorläufig für bie vom
Friedrich Wilhelm gezeigten guten Abſichten Diefer bewies
auch immer noch, daß er es mit Schweden gut meine. Er
erfiärte dem Adminiſtrator zu deſſen Beruhigung fchriftlich,
238. Dct. bem berliner Vertrage (v. 3. Juli) Genüge leiften und ihn nach
Kräften vollziehen zu wollen*), worauf biefer den ihm mits
geteilten ſchwedter Vertrag (v. 6. Det.) billigte und fih noch
beſonders verpflichtete, die vom Könige von Preufien zu ber
zahlenden 400,000 Thaler wieder zu erflatten umd aufferdem
noch 200,000 Thaler an den König Auguft zu zahlen ). Fried⸗
ich Wilhelm verwenbete ſich ſogleich ais Gewährleifter bed als
tonaer Vertrags und des Travendahler Friedens, auf Bitten
des Abminifirators, für ben jungen Herzog von Helfen bei
dem Könige von Dänemark, welcher Zönningen fortwährend
1) Lamberty VIIL p. 816. "Theatrum Europaeun ».3. 1718
©. 626.
2) Preuffen Habe an Peter verfprodjen, baß bie brei nordiſchen Mächte
von Pommern aus nicht beunruhigt werben follten, wogegen es biefe auch
"wicht angreifen wollten. Nachrichten vom norb. Kriege -Bortf. 2. ©. 117.
8) Norädberg II. p. 86.
A) Schreiben des Adminiſtrators an Friedrich Müpelm v. 18. Aprü
1715 in ber Rachricht vom nordiſchen Kriege Jortſ. 8. ©. 310.
5) Schrelben Fricdrich Wilhelms, v. 27. März 1716, an ben Ad
winiſtrator in ben Nochrichten vom nordiſchen Kriege Bortf: 8. ©. 801.
und im Thestr. Europ. v. 3. 1716 &, Bi
Sequeſtrationsvertraͤge. 267
eingeſchloſſen hielt, und drohete, mit ben übrigen Gewaͤhrlei⸗
ſtern der Werträge die wirffamften Moßregeln zum Schutze
Holſteins zu ergreifen. Er lud den Kurfürften von Hannover
ein, gemeinfchaftlich mit ihm Zoͤnningen zu retten. Man be⸗
fuͤrchtete ſchon den Ausbruch eines Krieges zwiſchen Preuſſen
und Dänemark ').
Der König von Dänemark war fehr unzufrieben über dem
ohne feine Zuziehung von Menſchikoff und Flemming mit Fried⸗
rich Wilhelm J. in Schwedt geſchloſſenen Vertrag *) (v. 6. Det.),
weil fi der König von Preuffen im berliner Vertrage (v.
3. Juli) dem Haufe Holfteins Gottorp geneigt bewiefen und
dann” drohend bie Aufhebung der Einfchliegfung Toͤnningens
verlangt hatte. Cr beſchwerte ſich vorzüglich darüber, daß ber
Sequefter Preuſſens auf ale ſchwediſche Beftungen in Deutſch⸗
land auögebehnt worben und bewirkte dadurch, daß der Zaar,
welcher Preuffen ganz auf die Seite der nordiſchen Werbindes
tem ziehen wollte, dem ſchwedter Vertrage feine Genehmigung
verfagte und fie nur ertheilen zu wollen verfprach, wenn die
dem Könige von Dänemark anftögigen Artikel geändert und
Wismar und Stralfund vom preuffiichen Sequefter ausgenom⸗
men würden”). Friedrich Wilhelm, der die Fruͤchte des ſchwed⸗
ter Vertrags nicht aufgeben wollte, fuchte dagegen zu zeigen,
ber besliner Vertrag (v. 3. Juli) mit HolfleinsGottorp bes
ſtimme nichts Nachtpeiliges für den Baar, gelte auch nicht
mehr, feitbem Meyerfelbt bie Annahme beffelben verweigert,
endlich habe er felbft vom Zaare nicht bie Genehmigung des
berliner, fonbern des ſchwebier Vertrags verlangt. Für Hole
ſtein⸗Gottorp hoffe er noch durch ben braunfchweiger Congreß
1) Lamberty VII p. 218 ff.
2) Tagebuch) Peters L 5. 846. Der fagt, auch König Auguft fei
unzufrieden damit geweſen, während Hojer L &. 264 das Gegentheil
angibt; dod Tonnte Pets da8 beffer wien
3) Peter 5. 346 feines Tagebuchs und Erklaͤrung bes ruſſiſchen
GSefandten Goloftin v. 13. Dec. in den Rachrichten vom nord. Kriege,
Sortf. L ©. 140. Wergl. Nordberg II. p. 35. Gtralfund war
fruͤher an Auguft und den König von Dänemark verſprochen worden, als
lein Menſchikoff hatte ſich von Preufien gavinnen laſſen.
Stenzel, Geſch. d. Preuffifh. Staats. TIL 17
Der.
1713
258 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤc.
Stine Bellegung der Streitigkeiten ) ;ʒ doch blieb biefer ohne
alle Wirkung, weil Schweden auf völige Wiederherſtellung
feiner deutſchen Provinzen in deren vorige Beſchaffenheit bes
fand. Preuffen that nichts mehr für —E Toͤn⸗
7. Bebr. ningen muſſte fich nach langer Einſchließung ergeben, worauf
. 3714 die Dänen die Seflungswerke zerflörten. Weil Friedrich Wis
helm num ben ſchwedter Vertrag nicht ändern wollte, gab er
18. März dem Zaare eine allgemeine Verficherung, Beinen neuen Vertrag
mit dem Haufe Holfein gegen das JIntereſſe der nordiſchen
Verbündeten eingeben zu wollen, womit Peter I. zufrieden
war). Zugleich drängte ber immer gelbbebürftige König Au»
guft um Bezahlung der ihm zugeficherten 200,000 Thaler unb
drohete endlich, feine Truppen wieder in Pommern einrüden
zu laſſen, worauf fie Friedrich Wilhelm entrichtete und das
Kari XU. anzeigte’). Das wenig ſtaatskluge Benehmen bies
ſes Fuͤrſten, defien flarrer Eigenwille es ihm burchaus unmoͤg⸗
lid) machte, ſich den Beitumftänden zu fügen, entſchied jegt
über Preufjens Stellung und über das Schickſal ber deutſchen
Provinzen Schwedens.
Friedrich) Wilhelm hatte als forgfamer Wirth bereit im
Januar dem General Bord, welcher die preuffifchen Truppen
in Stettin befehligte, angezeigt, er verhandle mit bem Admi⸗
niftrator von Holftein und werde mit biefem wahrſcheinlich
übereinfommen, daß deſſen beide Bataillone aus den
ten des beſetzten Theils von Schwediſch⸗Pommern unterhalten
werden, bie Ueberſchuͤſſe aber an Preuſſen fallen folten*).
Karl XU. wurde, nachdem er genauere Nachrichten von dem
ſchwedter Vertrage und beffen Ausführung und wohl auch von
dem babei gegen HolfteinsGottorp beobachteten Werfahren Fried⸗
rich Wilhelms erhalten hatte, mißtrauifch gegen dieſen, glaubte
auch wicht, daß an Peter und Auguft wirklich 400,000 Tha⸗
ler bezahlt worben wären, und hielt dad nur für einen Vor⸗
1) Nordberg III. p. 85. Lamberty VIIL p. 79.
2) Tagebud; Peters L 5. 846.
8) Am 6. Dec. 1713 u. 23. Maͤrz 1714. Nordberg III. p. 125,
4) Nordberg II. p. 125.
Sarantievertrag Peters I. u. Friede. Wil L 289 .
wand, um ihm Stettin vorzuenthalten ). Er ſchrieb daher
an den König von Preuffen, er habe fon den hamburger
Vertrag WBellings mit dem Abminiftrator von Holftein (v. 21. er
Juni 1713) gemisbilligt, wolle daher auch mit dem, was der
Konig in Schwedt (6. Det. 1713) vertragen und der Baar
nicht einmal genehmigt , nichts zu thun haben, weil «8 ohne
feine Zuftimmung mit feinen Feinden verhandelt worden. We⸗
gen der 400,000 Xhaler, für welche Friedrich Wilhelm Ents
ſchaͤdigung in Anfprucd nehme, möge biefer fi an Holſtein⸗
Sottorp halten”). Dieſes war aber ohne alle Ausficht, fie
ie bezahlen zu Finnen. Karl verbot auch dem ſchwediſchen
Senate ausdrücklich, den Frieden zu verhandeln und beſtand
vorläufig auf Rüdgabe aller feiner deutſchen Länder.
Das machte den König von Preuffen, beffen Liebe zum
Gelbe fehr groß war, wegen ber von ihm wirklich vorgefireds
ten 400,000 Thaler und anderweitig aufgewenbeten Koften bes
forgt, brachte ihn gegen Karl auf und wenbete.ihn völlig von
Schweden ab und den norbifhen Verbimbeten, vorzüglich dem
Zaare Peter I. zu, welder ihm mehrmals Stettin angeboten
‚hatte, deſſen Beſitz er num ſehnlich wuͤnſchte. Er ging daher
nunmehr auf deſſen Vorſchlaͤge ein und ſchloß mit ihm einen 12. Si
Sarantievertrag, in weldem Peter J. bem Könige
für den Eimftigen Frieden Stettin und den dazu gehörigen
Diſtrict, biefer dem Zaare die Provinzen Ingermannland und
Garelien mit den Städten Wyborg und Narwa, ferner Eſth⸗
land mit der Stadt Reval gewäprleiftete?). . Seitdem war
Bean, wenn auch anfänglich noch nur fehr geheim, feft
mit Peter L und gegen Schweben verbunden, dieſes aber, ohne
es zu wiſſen, aller Ausficht auf Ratıng feiner deutfchen Pros
vinzen beraubt.
1) Tagebuch Peters I. 5. 873. Berge. Yapmann 1. ©. 19.
2) Nordberg II. p. 127.
8) Tagebuch Peters 1. $. 846. Peter vatificitte biefen Vertrag am
16. Sept., ex if von allen Geſchichtfchreibern Preuſſens und auch von
Schoͤli, Hist. des traites etc. (vom biefem wohl abfcttich) übetfehen
worden, verändert aber natürlich bie Anſicht über das nun zwiſchen Preufe
fen und Schweden eingetvetene Werhältnig völlig.
17°
27. Juni
20 Bus VI. Erſtes Hauptſtuͤc.
Jetzt ruſtete ſich Friedrich Wilhelm ſehr thaͤtig zum Kriege.
1714 x beſebl den drei Miniftern Dohna , Jigen und Pringen Über
bie ganze Staatsmaſchine zu wachen und auf die uͤbrigen ge⸗
heimen Raͤthe ein Auge zu haben. Waͤhrend feiner Abweſen⸗
beit ſollten fie ihm wöchentlich Bericht Über innere und aubs
wärtige Staatdangelegenheiten erflatten, dringende Sachen durch
Stofehen melden, Anfragen auf einen gebrochenen Bogen ſchrei⸗
ben: „da ich Marginalin beifchreiben werde!" Auch die ans
deren Minifter folten woͤchentlich, aber nur kurz, ſchreiben:
npaffixt nichts, fo ſchreiben fie nit.” Die allgemeinen Angeles
genheiten des Staats empfahl er fir ben Fall des Kriegs
faͤmmtlichen geheimen Räthen und feiner Gemahlin. „Wenn
was paffirt, was ind Land Krieg fol angeben unb von gro⸗
Ser Importanz fol an meine rau gefagt und um Math ges
fragt werden, fonft ſich fein Menfc in meine Affairen meliren
als bie geheimen Raͤthe, fonft Fein Menſch.“ Es follte Fein
Geld auögegeben werben, als was in den Etatö ftände; komme
ein aufferoidentlicher Fall, fo folle feine Frau gefragt werben;
genehmige fie e8, fo müfle fie es auch unterſchreiben (18. Aus
) ).
en derfelben Beit fanden die ſchmachvollſten Auftritte uns
ter den holftein⸗ gottorpſchen Miniftern felbft ftatt, was Immer
mehr bazu beitragen mochte, daß ber König Holſtein und
Schweden ald umrettbar aufgab. In bem durch den Krieg faft
völlig erfehöpften Schweden fehnte ſich Alles nad dem
and verzweifelte an Karls XI. Ruͤdkehr aus ber Zürkei: Der
Senat wollte Briebensverhandlungen anfnlipfen, der König ver⸗
— es. Der Senat wollte der Schweſter des Königs die Res
[haft übertragen, fie verweigerte bie Uebernahme. Da
— en den Plan, den Prinzen Karl Friedrich von Hol⸗
flein, Karls XI, Scweflerfohn, mit Hülfe Peters J auf den
fchwedifchen Thron zu erheben. Er ließ das durch ben von
Baſſewitz dem Baar antragen, biefer aber wollte nicht darauf
eingeben. Weil nun Goͤrz fürchtete, feine Anfchläge Könnten
an Karl XII, verraten werden, fo bewog er ben Secretair
des Baſſewitz, die in deſſen Händen befindlichen geheimen Pas
1) Sosmars und Klaproths Staaterath ©. 223 u. 225.
Sir. . ö 261
piere zu entwenden. Das geſchah, der Secretair fluͤchtete,
Baffewig holte ihn ein und erfuhr nun, daß Goͤrz Urheber
des ihm gefpielten Streichs war. Er ging fogleich nach Schwe⸗
den und, als er fich dort nicht mehr fuͤr ſicher hielt, nach
Berlin, wo ihn der König ſchuͤtzte. Dem Baron von Goͤrz,
welcher Furz vorher noch den ſchwarzen Adlerorben erhalten
hatte, lag Alles baran, Baſſewitz verächtlich zu maden. Cr
ſchrieb diefem daher (14. Juli) einen Brief voller Schmähuns
gen: ein fo infamer Menſch könne nach den mildeften Gefegen
nur durch den Henker für feine Nieberträchtigkeiten beftraft wers
den. Baffewig antwortete, indem er Alles, was er erhalten,
doppelt zurldigab. Görz kam felbft nah Berlin, allein der
König befahl ihm: weil er Brouillamini unter ben preuffifchen
Miniftern mache, Berlin binnen 10 unb ben preuffifchen
Staat binnen 24 Stunden zu räumen, und, als das nicht
wirkte, ließ er ihm durch feinen Günftling, den General
Grumbkow, drohen, ihn mit Gewalt fortzufchaffen. Görz
verlangte nun von Grumbkow bie Bezahlung von 4000 Tha⸗
lem, welche biefer im Spiele an ihn verloren, und erklärte
es für eine Lüge, daß er Brouillamini unter ben preuſſtſchen
Miniftern angerichtet, indem biefe ohne ihm uneinig genug
wären‘). Der König wurde über dieſe Händel fo verbrießlich,
daß er allen Mitgliedern des geheimen Raths, fie möchten aus:
wärtige oder Landesſachen bearbeiten, jeben Privatverfehr, ja
jede Unterhaltung mit den in ber Reſidenz befindlichen Geſand⸗
ten verbot. Sie und ihre Familien folten diefen weder Beſu⸗
che machen noch annehmen, mit ihnen auch bei Gaftereien und
Mapizeiten nicht zufammenfommen, noch Briefwechſel führen.
Die, fremden Gefandten verwies er in Geſchaͤften ausſchließlich
an ben erflen Minifter der auswärtigen Angelegenheiten (Il
gen) und ließ ihnen "offenherzig anzeigen, er habe feinen ges
ringen Verdruß davon gehabt, daß einer und ber andere der in
Berlin beglaubigten Minifter ſich in bie inneren Sachen des Fönigs
lüchen Hauſes gemengt, die preuffifchen Minifer mit einander
zu brouillicen, gegen einander aufzubegen, wo nicht gar einige
berfelben bei ihm in übeln Ruf zu bringen und zu flürzen ges
1) Hofer L &. 27%. Lamberty VII. p. 878 u. IX. p. 367.
Nordberg IIL p. 118.
Zul
1714
9. Aug.
262 ‚ Bug VI. Erſtes Hauptftäd.
ſucht, wozu fie gewiß von ihren Herren keinen Auftrag hät»
ten, weshalb er es auch an feinem Hofe nicht dulden, viels
mehr folhen Intrigum und Kabalen ſchicklich begegnen und
feinen Miniftern wiber ſolch ungebührlich Beginnen Ruhe ſchaf⸗
fen wolle‘). Aus biefem heftigen und wie ſich fpäter zeigte,
doͤchſt uͤbereilten Werfahren des Könige konnte man doch fchon
abnehmen, daß er ſich immer mehr vom ſchwediſch⸗ holſteini⸗
ſchen Intereffe entfernte, und ber General Grumblow war
ſicher nicht muͤſſig, ihn noch mehr dagegen einzunehmen. Arg⸗
25. Xug. wöhnifch ließ er unter dem Vorwande bes. Durchmarſches noch
1714 cin Regiment in Stettin einruͤcken, bie Werke ausbeffern, neue
anlegen und Wolgaft, Anklam und Demmin befegen, wovon
11. Sept. er jedoch felbft an Karl XI. Nachricht gab mit ber Erklaͤrung,
er werde die Feſtung mit deren Bezirk behalten, bis er fein
Geld wieberbefommen, da ihm das Haus Holften eine Si⸗
perheit für bie Btüdzahlung gemähre ').
Karl W. hatte feit dem Frieden Peters I. mit der Pforte
(24. Juni 1714) keine Ausficht mehr, die Osmanen nochmal
. zum Kriege gegen bie Ruffen aufregen zu können, welche ims
mer mehr Fortfchritte gegen Finnland machten. Der Tod ber
Königin Anna (14. Aug.) vaubte ihm immerhin eine Gtüge,
Georg L von Hannover nahm die alten Entwürfe feines Haus
fes gegen Bremen und Verben wieder auf, Holfteins Gottorp
war von Dänemark ganz unterbrudt, Preuffen fchien ſich Pom⸗
mernd bemaͤchtigen zu wollen, Schweden erlag beinahe unter
der Laſt des Kriegs. Karl verließ daher bie Türkei, Fam nach
22. Ro0. einem Nitte von 14 Tagen in Stralfund an und dachte nur
daran, feinen vielen Feinden Widerſtand zu leiften und Rache
am ihnen zu nehmen. Hätte er ed nur über ſich vermocht,
dem Wunſche Friedrich Wilhelms nachzugeben und diefem Stets
tin und bie Obdermimbungen für immer ober als Pfand zu
überlaffen, fo winde biefer ohne Zweifel feine mit Peter L
1) Gosmars u Klaproths Staaterath ©. 290. Doch wurde
das für bie kaiſerliche Geſandtſchaft fon am 29. Dec. 1714 ausbräde
lich, für die übrigen Gefanbten ſtillſchweigend zurädgenommen.
9, Theatr. Eurep. v. 3. 1714. &. 888. Rachricht vom norbifchen
Kriege, Bortf. 1. ©. 288.
Karl XIL in Stralſund. 263
(12. Iunt 1714) eingegangenen ungerechten Seftfegungen fallen
gelaffen '), ſich vieleicht mit Kari zur Vertheidigung der Abrls
gen fehwebifchsbeutfchen Provinzen verbindet haben, ſicher
wenigftend parteilos geblieben fein, allein beide Könige waren
zur Nachgiebigkeit gleich wenig geeignet. Den einen lodte
fein wohlverftandener Vortheil, den andern trieb rüdfichtslos
fein gutes Recht.
Karl XII. zeigte fogleich dem Könige. feine Rüdkehr und
den Wunſch an, mit ihm in gutem nachbarlichen Einverftänds
niffe zu leben ?). Friedrich Wilhelm Tieß ihn durch den Gras
fen von Schlippenbach bewillkommnen und zugleich anzeigen, er
hoffe, Karl werde ihm bie fir. Stettin auögelegten 400,000
Zpaler zurlderftatten, weil er bie Feſtung und ben von ihm
befegten Theil Ponmernd vor erhaltener Bezahlung nicht zus
rüdgeben werde; zugleich erbot er fih, an Karl noch mehr
Gelb vorzuſtregen und Stettin bis zur Zuruͤchzablung bes ges
fanmten Gapitals als Pfand zu behalten; endlich begengte er
die Hoffnung, Karl werde von Pommern aus weder Dänemart,
noch Sachſen und Polen angreifen, wogegen Preuffen feinerfeits
Alles aufbieten werde, die Könige von Dänemark und Polen
von einem Ahgriffe auf Pommern abzuhalten’). Karl XIL,
Be mi wie ſchon erwähnt, gar nicht glaubte, daß die ihm für
Stettin abgefoberten 400,000 Thaler wirklich bezahlt worben
wären, weigerte fih, auf diefe Worfchläge einzugehen. Beide
Zheile rüfteten unabläffig. Friedrich Wilhelm wolte Stettin
amd bie Odermimbungen unter dem Vorwande behalten, daß
er Sicherheit für bie von ihm dafuͤr außgelegten 400,000, Tha⸗
ler haben müffe, von denen er fehr wohl wuflte, daß fie Karl XIL
Damals nicht bezahlen konnte; diefer wollte von feinen Ländern
durchaus nichts abtreten, ja nicht einmal vorläufig in Friedrich
Wilhelms Händen laflen, weil er in deſſen Vertrag mit den
nordiſchen Verblindeten nicht eingewilligt.
1) as if das um fo wahrſcheinticher, ba ———
von Peter J. trennte und in Verbindung mit I. Frieden
mit Schweden ſchloß. Vergl. auch Hojer L ©. 275.
2) Lamberty IX. p. 267. Nordberg IIL ®eilage No. 97.
3) Nordberg III. p. 174.
264 Bud VL Erſtes Haupifikk.
Der Landgraf von Heffen, deſſen Erbprim fi eben mit
Januar Karl XII. jüngerer Schweſter verlobt hatte, fuchte zwifchen
1715 beiden Königen zu vermitteln. Nachdem er fih mit Karl in
Stralſund beſprochen, ſchlug er in Oranienburg bei Berlin vor,
felbſt die Bezahlung der Summe von 400,000 Zhalern in bes
flimmten Terminen zu gewährleiften und das von Preufien dann
geräumte Stettin mit heffifchen Truppen bis zum Frieden zu bes
fegen. Zugleich verſprach Karl XIL ohne Friedrich Wilhelms
Genehmigung durch deſſen Provinzen keinen Einfall in Sachſen
zu unternehmen, wenn Preuffen Sicherheit gegen Angriffe der
Sachſen auf Pommern gebe. Diefer Vorſchlag behagte dem
Könige von Preuffen ſchon deshalb nicht, weil ihm dadurch
die Ausfiht auf ben Beſitz Stettins entging. Er fuchte daher
tebruar Vorwaͤnde, ihn abzulehnen und antwortete nach einigen Ta⸗
gen: er habe zwar Grund, dem Könige Karl zu mißtrauen,
weil man vorfchlage, bie von ihm auf einmal entrichtete Sum⸗
me in Zerminen zu erſtatten; doch wiirde er Stettin den beſ⸗
fiſchen Zruppen überliefern, wenn er nicht im fehtwebter Ver»
trage (v. 6. Dct. 1713) verfprochen, es nicht vor dem Abfchluffe “
des Friedens an Schweben zurldzugeben; bie nordiſchen Wers
biinbeten würden aber heſſiſche Truppen wegen ber nahen Fa⸗
milienverwandtſchaft wie ſchwediſche betrachten. Indeſſen wolle
er wegen Stettins, das er zu behalten nicht beabfichtige, bie
Gewäprleiftung Frankreichs und Heſſen⸗Kaſſels annehmen, wenn
ſich Karl XI zugleich verpflichte, von Pommern aus nicht nur
nicht in Sachſen, fondern auch nicht in Polen einzufallen, was
zu verhindern Preuffen dem Könige Auguft verſprochen. Karl
möge fich nur überzeugen, daß der ſchwedter Vertrag lediglich
in Schwedens Intereffe abgefchloffen fei. Karl XIL erwiederte
fogleih, indem er die von Preuflen gemach chten Einwendungen
ſchlagend genug wiberlegte: Friedrich Wilhelm babe ja —8
geſtanden, die 400,000 Thaler nicht auf einmal bezahlt zu
ben, deshalb koͤnne ex alfo auch die terminmweife ame
berfelben nicht ablehnen. Der ſchwedter Wertrag, welcher bie erft
nad dem Frieden zu bewirkende Rüdgabe Stettind an Karl
beſtimme, fei ohne deſſen Zuziehung abgefcloflen, aud von
Peter I. nicht genehmigt worben, alfo mäffe Friedrich edrich Wülpelm,
wenn er fein Gelb erhalte, auch Stettin
Spannung zwiſchen Preuſſen u. Schweden. 265
Zamilienverbindung zwifchen Schweden und Heſſen koͤnne kei⸗
nen Anſtoß erregen, da man ja in Stettin Truppen des eben
fo nahe verwandten Haufes Holſtein aufgenommen. In Sach⸗
fen koͤnne Karl mit und ohne Stettins Befig einfallen, doch habe
er nicht die Abficht, hoffe auch, ber König von Preuffen werde
die Verträge, die deſſen Vater mit Schweden geſchloſſen, und
er (Briedeich Wilhelm) beftätigt, eben fo genau wie dieſer hal⸗
ten. Alles had war vergeblich. Preuffen beftand vorzüglich
darauf, Karl folle ſich verpflichten, auffer Sachſen auch Polen
nicht anzugreifen, worauf biefer nicht einging, weil ihm das
techtmäßig gar nicht verwehrt werden Eonnte‘). Er rüftete
fortwährend, fo viel er vermochte. Die in ihrem Handel durch
ſchwediſche Kreuzer beeinträchtigten Seemächte ſchicten eine Flotte
in bie Oſtſee. Friedrich Wilhelm hielt die in Deutſchland für
Karl geworbenen Rekruten an, verweigerte auch, wie Georg L,
dem aus der Zärkei in ihr Vaterland zurädehrenden Schre⸗
den den Weg durch feine Staaten?). Er ließ ein Magazin
für 15,000 Dann in Stettin anlegen und verftärkte unter der Behrwar
Hand die Beſabung der Befte dermaßen, daß alle Häufer aufs 1715
fee denen der Geiftlihen mit feinen Truppen belegt waren.
Der Adminiftrator befchwerte fich vergeblich daruͤber als vers
tragswidrig. Friedrich Wilhelm erwiederte, auch Holftein halte
den Vertrag nicht, er müffe Maßregeln ‘ergreifen, das nicht zu
verlieren, was ihm ber Vertrag ſichere ). Ein unfruchtbarer
Briefwechfel zwiſchen Preuffen und dem Adminiſtrator, voll
gegenfeitiger Vorwürfe *), folgte ohne weitere Wirkung.-
Mit dem Anbruche der milden Witterung ließ Karl XII.
durch den General Düder dem General Bord, Commandans
ten von Steftin anzeigen, er wolle bei Wolgaft ein Lager aufs
1) Nordberg IIL p. 179. Theatr. Europ. v. 3. 1715. &, 801
und vorgügli) Lamberty IX. p. 266. Man muß damit ben eiwas
fpäteren Briefwechſel Eroiffy's mit Ilgen vergleichen bei Lamberty IX.
p 278.
2) Theatr. Europ. v. 3. 1715 p. 817.
8) Ebenbaf. p. 809 fl.
4) Rachrichten vom nord. Kriege, Fortſ. 2. ©. 409 u. Bortf. 8.
©. 298.
Im
266 Bud VE Erftes Haupeftüd.
felagen, weBhalb es bie preuffifche Beſatzung (ein Lieutenant
und zwölf Mann) balbigft räumen möge. Bord verweigerte
das, weil Wolgaft zum Sequefter gehöre. Friedtich Wilhelm,
dem. jest daran lag, einen Vorwand zum Kriege gegen Schwes
den zu erhalten, erflärte, es nicht räumen zu koͤnnen, weil er
dem Könige von Polen verfprochen, Feine Bewegung gegen
Sachfen zu geflatten; angewendete Gewalt werde er als Frie⸗
densbruch anfehen *). : Unterbeffen hatte Karl bereits einige Com⸗
pagnien Fußvolks gegen Wolgaft anruͤcen laſſen, mit bem
Befehle, Feine Feindfeligkeiten auszuüben, um Preuffen Feine
Beranlaffung zu Beſchwerden zu geben. Die Heine Befagung
308 ungehindert ab. Der General Bord ging felbft nach Ber»
In und ſtattete Bericht von dem Vorgange ab. Friedrich Wils
helm begeigte fich fehr aufgebracht, nahm jeboch die von dem
franzoͤſiſchen Geſandten angebotene Vermittelung unter der Be
dingung an, daß fie zugleich ber Kaifer mit übernehme und
Karl Wolgaft räume. Man fah wohl voraus, daß Beibdes nicht
geſchehen werde. Er ſchickte den General Bord nach Strals
fund, Karl XII. aufzufodern, Wolgaft binnen 24 Stunden zu
zäumen, ſonſt werbe er es als Friedensbruch anfehen. Indeſ⸗
ſen wurde er überführt, Wolgaſt, als auf dem linken Ufer der
Peene gelegen, gehöre nicht zum Sequefter, und ſtand daher
Eenftein alle Päffe an der Peene unterfuchen, die Werke Wol⸗
Kind auöbeffern, durch brei Schanzen vermehren, an welchen
VBürger und Bauern arbeiten mufften, und mit Kanonen aus
bem fchwebifchen Arfenale in Stettin“) bewaffnen, die Befagung
aber verftärken. Bald ruͤckte auch auf feine Veranlaffung eine
ſaͤchſiſche Heeresabtheilung zur Verſtaͤrkung der Befagung Wol⸗
1) Lamberty IK. p. 266. B
9) Nordberg IL. p. 185. Doch war Wolgaft dem ungeachtet
im ſchwedter Vertrage ausbrüdlich genannt.
3) Daß Yreuffen das Arfenal mit Gewalt genommen, fagt Sroiffy
I feinen Schreiben vom 9. Juni 1715 dem Binifter Igen. Lamberty
IX. p. 99.
Spannung zwifhen. Preuffen u. Schweden. 267
Eins und Beobachtung heran, fo daß balb 13,000
Bann die Infel bewachten ').
Karl verlangte, Friedrich Wilhelm ſolle von der Befeſti⸗
gung der Inſel Wollin ablaſſen, weil ihm ber ſchwedter Ver⸗
trag (v. 6. Det. 1713) dazu Fein Recht gebe, fonft werde er
ſelbſt ſich der Pläge mit Gewalt bemäctigen und nicht mit .
gekreuzten Armen zufehen, wie man ihn durch Feſtungswerke
fo eng einſchließe, daß er ſich nicht bewegen könne. Mehrere
Wochen vergingen, ohne baß er Antwort erhielt, auffer daß
ihm im Allgemeinen verfichert wurde, er argwöhne mit Unrecht,
Sriebrich Wilpelm, als Freund Schwedens, werde etwas ges
gen befien je unternehmen. Der Baron Knyphaufen,
—2 Seſandter in Paris, Hatte hier geäuffert, wenn fih
Frankreich) Schwedens annehmen wolle, werde fein König w
treten unter der Bedingung, daß man ihm Stettin laſſe.
befien nahmen Schweden und Preuffen bie eh
reiche an und Rottenburg, deſſen Gefandter in Berlin, flug
vor, Schweden folle die 400,000 Thaler Belagerungskoften an
Preuffen erflatten, dieſes dagegen Stettin an Schweden oder '
an eine neutrale Macht übergeben, Karl aber verfprechen, nicht
in Sachſen einzufallen, wozu Frankreich noch die Gewaͤhrlei⸗
flung übernehmen wolle, daß er auch Polen nicht angreifen
werde. Auch bie von Preuffen vorgefchlagene Vermittelung des
Kaiſers ließ fi Karl gefallen. Friedrich Wilhelm aber erwies
derte, ex werbe fich mit dem norbifchen Werbündeten vereinigen,
wenn Karl bis zum 10. Mat nicht erfläre, weder in Sachſen
noch in Polen einfallen zu wollen. Der franzoͤſiſche Gefanbte
gab noch Hoffnung, diefe Erklärung von Karl zu erhalten und
der —F von Preuſſen wiederholte die Verſicherung feiner Ans
nahme ber Vermittelung Frankreichs und des Kaiſers als die⸗
fer ihm, wie vorauszuſehen war, ſchrieb: es zieme ſich nicht,
daß ein. fremder Fiuſt ( Frankreich) fi in Reichsangelegenhei⸗
tem miſche; das fei bed Kaiſers Sache. Der Abminiftrator ver»
langte fortwährend vergeblich die Herftellung des alten Verhaͤlt⸗
niſſes der preuſſiſch⸗ holſteiniſchen Befagungen in Stettin. Preufs
fen erklärte, den Sequeftrationsvertrag nur im Intereffe Schwe⸗
dens eingegangen zu fein.
1) Thestr. Europ. v. 9. 1715. ©. 817 u. 389.
268 Bud VL Erſtes Hauptftäd.
As nun Karl auf feine Vorſtellungen gegen bie Befeſti⸗
gungen der Infel Wollin und auf feine Erklärung, bie Juſel
Ufedom nicht entbehren zu koͤnnen, Feine Antwort erhielt, Preufs
ſens Benehmen auch immer zweibeutiger, er aber immer uns-
gebuldiger wurbe, fo ließ er bie Miündungen der Ober und
der Veene durch feine Schiffe verfchließen und landete während
22. April eined ſtarken Nebeld mit 3000 Mann auf Uſedom. Er lieg
4715 feine Truppen, das Gewehr auf der Schulter, gegen bie Stadt
und bie neuerbaueten Schanzen mit] dem Befehle vorrüden,
nichts Feindſeliges zu unternehmen. Als darauf bie 20 Mann
ſtarke preuffifche Beſatzung Feuer gab, ftürmten bie Schweben
die Schanzen und bemädhtigten ſich ihrer, wie ber Stabt Ufes
dom und ber Infel leicht. Die gefangenen Preuffen wurden
gut behandelt, mit Waffen und Gepäd nad Anklam gebracht
und dem bortigen preuffifchen Gommanbanten übergeben '). Ges
gen den König Friedrich Wilhelm entſchuldigte fih Karl das
mit, daß Ufedom nicht mit zu dem, obwohl von ihm nicht
angenommenen, Sequefter gehöre”) und für ihn unentbehrlich
geweſen fei, um feine Truppen gehörig verlegen zu Finnen,
Der König von Preuffen, welcher Uſedom als zum Sequeſter
gehörig anfah, betrachtete diefen Vorfall als Bruch deſſelben
und alö einen ficher nicht durchaus unwilllommenen Vorwand
zum Kriege mit Karl XU. Ex war um fo aufgebrachter dar⸗
über, als ihm eben noch die Gefandten Frankreichs und Schwes
dens betheuert hatten, Karl winfche Frieden mit ihm. Der
ſchwediſche Sefandte erhielt Befehl, bie Reſidenz binnen 24
Stunden zu räumen. Er erwiederte, fein Here habe ihm
dazu nur 12 Stunden Beit gegeben”). Der General Bord
muffte die 500 Mann flarke holfteinifche Befagung von
27. April Stettin entwaffnen und ald Friegögefangen nach Berlin brins
gen). Ale preuffifche Unterthanen wurden bei Lebensſtrafe
1) Lamberty IK. p. 272. %ergl. Nordberg II. p. 188 f.
2) Cs ift wirklich fo wenig als Wollin in dem ſchwedter Vertrage
v. 6. Oct. 1713 genannt.
3) Nordberg III. p. 189.
Rachricht dom nordiſchen Kriege, Jortſ. 3. ©. 208. Thestr.
geindfeligteiten swifchen Preuffen u. Schweden. 269
aus ſchwediſchen Dienften abberufen‘), 32 preuffiiche Batail⸗ 28. Aprit
lone und 27 Schwabronen rüdten mit 115 Feldgefhügen in 1715 -
ein Lager bei Stettin, wohin ſich aud der König begab, nach⸗ 28. April
dem er vorher (26. April) in einer Inftruction flr ben geheis
men Rath Alles, was nothwendig ſchien, angeorbnet hatte. Er
fogte darin: „Es fol an meine Frau von Allem gefagt und
fie um Rath gefragt werben. Dieweil ich aber ein Menſch
bin und kann todtgeſchoſſen werben, fo befehle ich Allen, für
Fritz (den Kronprinzen) zu ſorgen, bavor fie Gott belohnen
wird, und ich gebe Allen, von meiner Frau an, meinen Fluch,
daß Gott fie ſowohl zeitlich als ewig flrafen möge, fofern fie
mich nach meinem Tode nicht im Gewölbe der Schloßkirche
begraben. Sie follen dabei kein Feſtin machen; bei Leib und
Leben Feine Geremonien und Feſtin, als daß fie follen die Res
gimenter in der Reihe dad Gewehr nehmen und ſchießen laſ⸗
fen. Ich bin verfichert, daß ihr Alles mit der größten Eracs
titübe von ber Welt beftellen werdet, wofür ich allezeit eifrig,
fo Tange ich lebe, euer Freund fein werbe‘)." .
Vreuffen und Hannover erlieffen als nieberfächfifche Kreis 2, mRei
directoren Schreiben an ihre Mitftände, fich gegen den König
von Schweden, der ben Krieg im Reiche weiter verbreiten wolle,
zu feßen®). Die bisherige ſchwediſche Regierung in Stettin
Iöfte Friedrich Wilhelm (24. Mai) auf, entließ ihre Mitglieder
nach Stralfund und orbnete eine Interimöverwaltung an. Die _
Geiſtlichen weigerten fi, das darüber erlafene Patent von
der Kanzel (10. Juni) befannt zu machen, worauf es bie
preuffifchen Feldprediger verlaſen; als aber die Bürger ſogleich
bie Kirchen verlaffen wollten, wurden dieſe fo lange, bis es
geſchehen, verfchloffen gehalten und bie Thuͤren mit Wachen
befegt ).
Europ. v. 3. 1715 S. 820, wo der 26. April. Faßmann I. S. 126.
fagt, bie Holfteiner wären nach Cleve gebracht worden.
1) Rachricht vom nord. Kriege, Fortſ. 8. S. 186. Patent.
2) Sosmars u. Klaproths Gtaatsrath S. 223.
8) Theatr. Europ. v. 3. 1715. p. 328.
4) Nordberg II. p. 190. Radhricht v. norb. Kriege, dortſ. 8
©. 20.
270 Bud VI Erſtes Hauptfiid,
Immer ftärker vhdlten die Truppen der verbündeten Mächte,
vorzüglich Preuffens, heran und nad) und nach wären 30,000
Mann gegen Karl X. vereinigt. Diefer hatte zwar ein Blnds
8. ge niß mit Frankreich gefchloffen, welches ihm den Befig feiner
A745 ginder gemährleiflete und bie Rüderhaltung ales deffen, was
ihm in Deutfchland entriffen worden war, fowie 680,000
Thaler jäprlicher Hülfsgelber für bie Dauer bes Krieges vers
ſprach, allein Frankreich war felbft durch ben langen Krieg über
bie fpanifche Exbfolge erſchoͤpft. Hierzu fam, daß König Ges
org I., als Kurfinft von Hannover, ſich, obwohl anfänglich
17.Mai u. fehr geheim, mit dem Könige von Dänemark verband, dem norbis
26. Juni (em Bunde zutrat und an den Baar Peter Efthland, Ingermann ⸗
land und Garelien, an Friedrich Wilhelm die Hälfte des ſchwe⸗
difhen Pommerns, an Dänemark den holfteinsgottorpfchen Ans
theil von Schleswig gewährleiftete, einige Regimenter zur Er⸗
oberung Wismars zu ſtellen und an Schweden den Krieg zu
erflären verſprach, wogegen ihm der König von Dänemark num
fir 600,000 Thaler baar und 271,000 Thaler ruͤckſtaͤndige Gons
teibutionen Bremen und Werden, was er im I. 1712 Schwes
den entriſſen, abtrat‘). So mehrten fi auch von dieſer
" Seite die Feinde Schwedens und es hatte felbft von England
num nichts Guͤnſtiges mehr zu erwarten. Einen ſchwachen
Schimmer der Hoffnung, baß fich wenigftens zwiſchen Preufs
fen und Schweden der Friebe werde erhalten laffen, gab bie
Ankunft des aufferorbentlichen franzöfiichen Gefandten Grafen
Croiſſy. Er Fam, geſchickt von feinem Bruder, bem Minifler
J Torcy, welcher gern für Karl XI. etwas thun wollte, nach
10. Dei Stettin. Friedrich Wilpelm, der ihn bier ſprach, verlangte,
weil ihm die Ruſſen Wolgaft und Ufebom fowie Stettin bis
zum Frieden anvertrauet, Karl fole Alles wieber in den Zus
fand fegen, im welchem er es bei feiner Ankunft gefunben.
1) Hojer I. &. 280. Der BVertrag felbft iſt noch nicht gedruckt.
Berg. Lamberty IX. p. 295. Die Ratificationen bes Vertrags wurben
d 17. Jull ausgewechſelt. Giniges von biefen Werträgen ſteht auch in
des ruſſiſchen Gelandten Wfavolowati Denkfärift v. 25. Dec. 1719 in
Montgon memoires T. II. piöces just. N. 20. Es ift das wohl bas
Bandniß, weides in Sedenborfs Lehm L S. 102 als ben Februar
abgefäjloffen angeführt wird.
Seanzöfifche Bermittetung. 21
Geoiffy ging nad Stralſund und fuchte von hier aus ben Ks
nig von Preuffen von einem Angriffe auf diefe fehr ſtarke Be ze. mai
flung abzuhalten, an deren Eroberung, ſeitdem bie Infel Rüs
gen vor einem Angriffe gefichert, nicht mehr zu denken ſei.
1715
Karl winfche aber den Frieden. Friedrich Wilhelm erwieberte, 24. Mat
Karl wolle Feinen Frieden, fondern Krieg. Croiſſy betheuerte
gegen den Minifter Ilgen, Karl wimfhe in gutem Einver⸗ 29. Mai
Rändniffe mit Preuffen zu leben. Ilgen erwieberte, bas hätte
er früher beweifen ſollen, jebt fei es zum Aeuflerften gekom⸗
men, man inne fi auf Karld Wort nicht verlafien. Ver⸗
geblich waren alle Bemühungen Croiſſy's, Karls Benehmen zu
rechtfertigen, vergeblich bot er bie Gewaͤhrleiſtung Frankreichs,
daß Karl Alles erflllen werde, was Preuffen gefodert. Das
wurde als ungenügend abgelehnt, Karl habe den. Krieg durch
feinen Angriff auf die Infel Ufevom eröffnet. Croiſſy muffte,
ohne auch nur das Geringſte bewirkt zu haben, wieder abreis
fen’). Das gefammte Verfahren Preuſſens zeigte, daß es
keine friedliche Beilegung wolle”). Der berliner Hof fuchte
jedoch durch ein Manifeft, mit dem Zitel: „Kurze Information
wegen des von Sr. Königl. Majeftät in Preußen übernommes
nen vorpommerfchen Sequeftri?)", fein feit bem I. 1713 ges
gen Schweden beobachtetes Verfahren barzulegen und in ein
efmfiger Licht zu fielen. Der König fei durch ältere und
1. Iuni
19. Iuni
21. Juni
neuere Bimdniſfe feines Haufes zur Vertheidigung Sachfens
umd Polens verbunden, habe den Sequeſtrationsvertrag ledig⸗
lich im Intereſſe Schwedens angenommen, nur um biefem
Stettin und Pommern zu erhalten, und durchaus uneigennägig
gehandelt. Karl dagegen habe Stettin ohne Bezahlung zurlds
verlangt, die Preufien auf Uſedom angegriffen, auch in das
4) Der Briefwechfel iſt oft abgebrudt, bei Lamberty IX. p. 278
#. am volftändigften, in den Nachrichten vom nord. Kriege, Kortf. 1.
e. au in Büfhings Mogayin XX. ©. 235. MWergl Nordberg II.
p- 195.
9 E. die Schreiben bes ſchwed. Miniſters Muͤllern d. 27. April
und 11. Juni 1715 bei Lamberty IX. p. 272 f.
8) Bei Lamberty IX, p. 284 und wahrfdeintih daher, wie bie
meiſten Xctenftüde bei Martiniere L p. 198. SDentfc in den Rade
richten vom nord. Kriege, Bortf. 3. &. 241.
272 Bud VI Erſtes Hauptſtuͤck
preuſſiſche Pommern einfallen und ben Krieg in Polen erneuern
wollen. Natüurlich wurde ber geheime Vertrag (v. 12. Juni
1714), in welchem Preuffen an Rußland beffen ſchwediſche Er⸗
oberungen, dieſes an Preuffen Stettin und bie Odermuͤndun⸗
gen gewaͤhrleiſtet hatte, nicht angeführt. Es war ben Schwe⸗
den nicht ſchwer, fich zu rechtfertigen, umd auch ohne Kennts.
niß des Vertrags zwifchen Rußland und Preuffen (v. 12. Suni
1714) die ihnen gemachten Vorwürfe zuruͤckzuweiſen, worauf
Preuffen eine Erwiederung bekannt machte. Doch nicht mit ber
Seder, ſondern mit anderen Waffen muffte bie Entſcheidung
herbeigeführt werden. Auch Heſſen⸗Kaſſel wurde jegt lau, als
Karl feine Schwefter, die Gemahlin des Erbprinzen, nicht zur
Thronerbin erflären wolte und Preuffen und Hannover ſich
dem Marfche ber beffifchen Truppen nach Pommern widerfegs
ten’). Der Adminiſtrator hatte, als Biſchof von Luͤbeck, an
Karl XU. holfteinifche Regimenter überlaffen; die Dänen bes
maͤchtigten ſich feines Bisthums.
Karl XIL hatte mit großer Anſtrengung alle Anſtalten ges
toffen, um Stralfund ſowie die Infeln Rügen und Ufebom
buch Schanzen, Schiffe und Truppen fo gut als irgend mögs
233. Juni lich zu vertheidigen, auch Anklam nach einem Bombarbement
1715, genommen unb 2oig befeßt *). Dagegen waren 24,000 Dis
“nen durch Medienburg vorgerlikt, von denen 5000 Mann mit
3500 Preuffen vor Wismar blieben, während die Übrigen nad
Pommern gingen; borthin kamen auch unter dem General
Wackerbarth 8000 Mann Sachſen. Dänen und Sachſen gins
gen, ohne bebeutenden Widerftand zu finden, uͤber die Recknitz,
zugleich mit ihnen 24,000 Preuffen über bie Peene. Karl W.
wich nach einigen unbebeutenden Gefechten nur umgern ber
großen Usbermacht und zog fih nach Stralfund zurid®), wo
17. Jali ſich das geſammte über 50,000 Mann ſtarke Heer ber Vers
bündeten vereinigte. König Friedrich Wühelm führte in Ans
3) Hojer I. &. 279.
2) Baßmann I. ©. 129. Die Schweden hatten “ wirklich beſett,
da fie e8 nachher verließen. Bafmanns Grzählung bed Krieges iſt übrie
gens ungenau, chronologiſch verwwirrt und parteiifch gegen Sqhweben.
8) Hojer I. &. 292. Theatr. Europ. v. 3. 1715 p. 341.
Belagerung Stralfunds. 273
weſenheit des Koͤnigs von Dänemark den Oberbefebl‘), bie
Hauptleitung aber hatte zunaͤchſt umter ihm als —8
Stralfund bringen zu können griffen bie Preuffen olgajt S;Jui:
an. Die 160 Mann flarke Befagung übergab den Pen for 80. Jau
glei und zog ab. Am folgenden Tage nahm General Arnim
mit 2000 Preuffen und Sachſen, unterſtuͤtzt von ber daͤniſchen
Flotte, Ufeom. Karl XI. fah, daß —28 unthunlich fe,
und zog unter leichten Gefechten zuruͤck ). Id darauf wurde
die ſchwediſche Flotte von ber bänifchen — und bie 8. Aug.
Peenemimderfhanze, nachbem fie von der 450 Mann flarken
ſchwediſchen Befagung gegen das heftige Gefchlitfeuer der Preufs
fen 17 Zage hindurd).tapfer vertheidigt worden war, von bies
fen durch einen fehr bintigen Sturmangriff erobert‘). Anhal⸗ 21. Aug.
tender Regen machte num bie Straßen unwegfam, fo daß nur
mit großer Anftrengung das ſchwere Geſchuͤt zu Lande von
Anklam vor Stralfund gebracht und Anflalten getroffen wers
ben konnten, um zugleich Rügen mit angreifen zu koͤnnen.
König Auguft muſſte einen großen Theil feiner Truppen nach
Polen gegen die ihm feinbfeligen Parteien fhiden, was auch
bie Ankunſt von 10,000 Mann Ruffen verzögerte, welche im
1) Börfers Fricdrich Wilhelm Thl. IT. ©. 84 fat, din Sqhrelben
1 ink. a. 11.20 ATS 0m Beta, weidhes daß gu beoelfen
ſcheint.
2) Siher. Rubin vom mac. See, But ortf. 8. ©. 388. Theatz.
Europ. v. 3. 1715_p. 340 ff. Bon ben 74 Betellunen und 118 Gihenar
beonen vor Stralſund, waren 36 Wataillone und 40 Scqhwadronen Preuf-
fen, die übrigen Acrppen meiftens Dänen,
3) Baßmann L ©. 148.
4) Theatz. Europ. a. a. D. S. 843. Noräbeie In ms
Stengel, Ge. d. Preuſſiſch. Staats. IIL 18
Ex] 1 Bud VI. Erſtes Haupefiäd.
\ Anzuge waren; allein alles bad Tomte Schweden nicht retten.
1. Copt. Es war erfhöpft; Ludwig ZIV., der es allein noch durch eis
1715 nige Geldfendungen unterftägt hatte, ftarb. Eine engüſche
24. Sept. Flotte erſchien in ber Oſtſee und verfiärkte die bänifche, welche
einen abermaligen Sieg über die ſchwediſche erfocht, fo daß biefe
October nicht mehr See halten konnte. Hannover erflärte unter- uns
würbigen Vorwaͤnden ben Krieg an Schweben, erhielt von den
Dänen Bremen und Werden und verflärkte dieſe mit 10,000
Mann vor Wismar, welches nun zu Waſſer und zu Lande
eingefchloffen wurbe ').
19. Dt. Et in der Raist vom 48. zum 19, Deiober eröffneten
bie Dänen und Preuffen ımter ber Leitung des Generald Wa⸗
derbarth die Laufgräben; boch wuͤrde e& bei ber unter fo vielen
Verzögerungen ſchon weit vorgerücten Jahreszeit den Verblins
beten noch lange ſchwer geworden fein, Gtralfunb mit Erfolg
anzugreifen, wenn nicht ein gämfliger Zufall ihnen bie Mittel
verſchafft hätte, ſich in den Wefig ber ſehr flarken ſchwediſchen
Linien vor ber Feftung zu fegen. Dieſe reichten auf bem rech⸗
ten Flügel der Verbündeten noch aufferhalb ber ftralfunder
Auffenwerke dis an die See und verhinderten jede Annäherung
an bie Stadt. Mun hatte ber preuſſiſche Oberſt und Generals
abjutant von Koͤppen ) in feiner Jugend als ſchwediſcher Gar
dett in Stralfund geſtanden, ſich oft im Meere gebadet und
bemerkt, daß diefeß zur Zeit ber Ebbe einige bunbest Schritte
von den Feſtungswerken zurkdtrete. Das erzählte. er dem Ges
nerale Seckendorf, welcher den Aufferften rechten Fluͤgel ter
Belagerer beſehligte. Dieſer theilte es dem Könige von Preufs
fen mit, zog auf deſſen Befehl von mehreren Ueberlaͤufern ges
4) Theatr. Europ. v. 3. 1715 p. 345 fi.
2) Bafmann L ©. 148 u. Pöllnig Dem. L ©. 65 nennen
diefen, Briebrih IL. in den Mdm. de Brandenb., wie Preuß (Briebe
rich der Große als Sqhriſtſteller S. 62) fagt mit Sedht, den Oberfien v.
Gaudi, wobei er ſich auf Baſcz ko im preuffifchen Medhive v. I. 1794
HL LG. 164 ff. ftägt. Se ben beiben angenfeinlich gleidhpeitigen Btes
lationen im Theatz. Rarop. 0.3.1716 ©. 850 u. 351, weide Yafmann
unfteeitig vor ſich hatte, wirb auch Rippen genannt, und Bargko’s Angaben
ainerenen Dies Beugnß gar nicht; ber folgt einer puciten fehe beräier
Eroberung Stralfunde. 275
nauere Erfundigungen ein, unterfuchte die Gegend ſelbſt, fand,
daß fich das Meer auf diefer Seite burchwaten laffe und machte
darnach mit Genehmigung bed Königs, doch fehr geheim, eis
nen Entwurf zum Angriffe. In ber Nacht vom 4. bis 5. 5. Rov.
November muffte Köppen mit einem ſtarken Haufen Freiwilli- 1715
ger die Schanzen auf ber Seefeite umgehen, während kurz vors
ber auf dem entgegengefeßten linken Flügel bie Dänen einen
falſchen Angriff machten, um die Aufmerkſamkeit der Belagers
ten dahin zu lenken, und Secendorf zu Lande 6000 Preuffen
und Sachen zum Hauptangriffe geradezu auf die Schanzen
des rechten Flügels führte. Sobald Köppen daB Zeichen feis
ner Ankunft gegeben hatte, drang Seckendorf im Sturme vor,
fand aber trog der Ueberrafchung dennoch fehr tapfern Wider
fland, bis Koͤppen im Rüden der Schweden innerhalb ihrer
Scanzen erfcpien, worauf bie hier ſtehenden drei Regimenter
faſt vöNig auifgerieben wurden. Ihre Lager, 25 Kanonen und
viele Munition fiel in bie Hände ber Sieger‘).
Unterbeffen hatte Peter I. ſich mit Dänemark (17. Sept.),
barauf mit Hannover (9. Nov.) und mit Preuffen (11. Nov.)
verbindet und fo ben Verein aller dieſer Fürſten gegen Schwes
den möglichft feſt begrimdet. Gerlichte verbreiteten fi) von
eines: beabfichtigten Theilung Schwebens, und mwenigftens ift fo
viel gewiß, baß jeber ber Verbuͤndeten einen Then biefes bas
mals fo weit auögebreiteten Reiches Preuffen Stettin und die "
Dermünbungen) in Anſpruch nahm und fi) das, was er
wollte, zu fihern fuchte. Peter verſprach, für den Krieg in.
Pommern 15 Batalllone und 1000 Dragoner zu ſtellen ).
Ungeachtet aber num bie ſchwediſchen Linien vor Strals
find im der Gewalt ber Werblindeten waren, fahen fie doch
ein, daß fie ſich der Feſte nicht winden bemächtigen Binnen,
fo lange die Infel Rügen in ſchwediſchen Händen wäre. Der
1) Beriht im Theatr. Europ. v. 3. 1715 S. 850. Daraus in
Secendorfs Leben I. ©. 106.
2) Zagebud) Peters I. $. 881. Vergl. Hojer L S. 292, der am
meiften vom Inhalte angibt. Diefe Werträge find noch nicht vollſtaͤndig
befannt. S. auch das ſchon angı Memoice von Wfefolovstt dv. 25.
Der. 1719 u. Lamberty IX. p. Nur was bie beiben Letten ans
geben, hat Nordberg IIL p. 211.
18*
11. Rov.
1715
15. Rov.
16. Rov.
276 Bud VL Exftes Haupifäd.
Fürft Leopold von Deffan machte zum Angriffe auf Rügen
den Entwurf und traf mit großer Vorficht die dazu möthigen
Anordnungen. Spanifche Reiter follten vor die Front gefegt
werben, bie einzelnen Rotten mit aufgepflanztem Bajonnete aufs
marfchiren, das Pelotonfeuer erft 150 Schritte vom Feinde ers
öffnen, in der Nähe von 60 bis 70 Schritten geſchwind
feuern, bann fi mit dem Bajonnete behaupten. Die Bravour,
bieß es in bem beöhalb erlaffenen preuffifchen Tagesbefehle,
wird nicht zu commanbdiren fein, weil es lauter ehrliche Leute
find, von denen man nichts anders naͤchſt göttlicher Hülfe und
Beiſtand zu vermuthen bat. An Retraite wird nicht zu den⸗
Ten fein, was man ben Gemeinen befonberd einprägen muß ').
Unter dem Hberbefehle Leopolds von Deſſau gingen in
ber Könige von Preuffen und Daͤnemark 24 Bas
taillone und 36 Geſchwader, zufammen etwa 20,000 Mann
auf einer Zrandportflotte gegen Rügen ab, gegen Palmerort,
zogen fo bie Schweden dorthin und landeten, ohne auf bedeu⸗
tenben Widerftand zu flogen, am vierten Tage Nadmittags
um vier Uhr etwas nördlicher dei Strefow. Leopold ließ foz
gleih um fein Lager einen tiefen, auswärts mit fpanifchen
Keitern befränzten Graben.ziehen, weil er einen baldigen Ans
griff Karls fiher erwarten Tonnte. Diefer erfolgte au. Karl
hatte kaum Nachricht von der Landung ber Preuffen erhalten,
als er mit ber größten Schnelligkeit, was irgend an Zruppen
zue Hand war, während ber Nacht zufemmenzaffte und fo
ſchon am frühen Morgen bes naͤchſten Tages?) vor vier Uhr mit
412 bis 1500 Mann Fußvolls und Reiterei und 8 Kanonen
feinen Feinden gegenüber fand und fogleih zum Angriffe
ſchritt. Mit gewohnter Tapferkeit bringen Karl und feine
Schweden vor, werben von einem furdtbaren Feuer empfans
gen, weichen aber erft vor ben ſpaniſchen Reitern zurld‘, fes
ten fich wieder auf 80 Schritte davon, ruden, ihr König am
1 0 Se SBAR. eralnae ut —A
In Bäfgings Mogain Thi. XX, ©. 241.
2) Nordberg IIL p. 220 fogt: König Karl fer noch am
bumgstage zwifdhen 7 und 8 Uhr Abends angerädt unb
in der Macht ſtattgefunden ; was nicht gang sichtig iſt.
Eroberung Rügen. 271
ber Epige, wieder an, räumen bie fpanifchen Weiter weg, bis
vor ben tiefen Graben. Karl erflaunt, bad war ihm uners
wartet, doc) „feifch daran“ ruft er, feine Schweden fpringen
in ben Graben, fie fleigen einer auf die Schultern des andern
und beginnen bie Schanzen zu erklimmen. Karl erhält einen
Schuß auf die Bruſt, er dringt vorwärts, eine Kanonenkugel
wirft fein Roß am Rande des Grabens nieder; ed faͤllt auf
feinen Herm, welcher halbtodt hervorgezogen wird. Run
fehlt die Leitung; in der Finfterniß tritt Verwirrung ein, die
von den Auſtrengungen des Nachtmarſches und_des Angriffs
erſchoͤpften Truppen werben von bem Übermächtigen Feinde
mit Kugeln überfhüttet. Die preuffifche Reiterei bricht vor -
und wird dennoch zweimal von ben Schweden zurückgetrieben,
welche fi, noch 500 Mann flart, in bie alte Faͤhrſchanze
aurädzichen, wo fie ſich mit den noch übrigen Truppen, 700
Mann flart am darauf folgenden Tage den Verbündeten erges 17. Ron
ben mufften, nachdem Karl mit dem Ueberreſte nach Stralfund 1715
übergefahren war ').
Rügen wor’ mın in ber Hand ber Werbünbeten. Jetzt 8. Der.
war der Fall Stralſunds vorauszufehen. Croiſſy hätte das
gen verhindert. Er zeigte daher mit Karls Bewilligung dem
preuffifchen Hofe an, er habe von Seiten Schwedens annchms
bare Anträge zu machen. Ilgen antwortete, er möge kom⸗
men, wenn es aber nur gefchebe, um Zeit zu gewinnen, werbe
man ihm bie Ruͤckkehr nach Stralfund nicht geftatten. Ber
geblich wendete fi) Croiſſy an Waderbarth um einen Paß 7. Dec.
umd begab fich endlich ohne diefen in bad preuffifche Lager.
Er hatte hier nur eine kurze Unterredung mit dem Könige, dem
er in Karls Namen die Uebergabe von Wismar zur Sequeftras
tion anbot, was Friedrich Wilhelm ablehnte, weil e& ſich ohne
hin werde ergeben muͤſſen. Groiffy trug nun darauf an, Stral⸗
fund einem Reichöfürften, den der Kaifer wählen werde, zu
übergeben. Ilgen verlangte die Uebergabe ohne Bedingung.
Sriedrich Wilhelm ‚erklärte gerabezu, wenn Schweden nicht
"Lipland, Ingermannland und Eſthiand, ganz Pommern, Bre:
men und Berden, und für ben Herzog von Holftein auch Schles.
1) Bericht im Theatz. Europ. v. 3. 1718. p. 854.
5. Dec.
1715
278 Bud VL Erſtes Hauptftüd.
wig abtrete, fo fei am Leinen Frieden zu denken. Croiſſy bes
gab fi alfe, ohne etwas bewirkt zu haben, nach Hamburg ').
Nach mehrtägiger heftiger Beihieffung, aud mit glühen-
ben Kugeln, erfilitmten die Verbuͤndeten die Gontrescarpe. Alle
Tapferkeit der Schweben und die zahlreichen Ausfälle ihres un⸗
ermhblichen Königs waren erfolglos. Es wurde Breſche ges
fhoffen und Als zum Sturme in Bereitſchaft geſetzt. Die
Lage Stralfunds war traurig. Hinderte die große Winterkaͤlte
die Belagerer, fo war fie doch auch den Belagerten fehr nach⸗
theilig. Jetzt nahm Beſorgniß vor einer Erftünmung der Stadt
und natlırlich bei dem Mangel” allee Hoffnung auf Rettung
2. De. die Entmuthigung der Bürger Überhand. Karl verließ daher
unter großer Gefahr die nicht mehr zu behauptende Feſtung
und ging nad) Schweden. Stralfund ergab fih am folgenden
Tage und wurde wie Rügen und Pommern bieffeit ber Perne
26. Dec.
April
1716
dem Könige von Dänemark eingeräumt, welcher ſich huldigen
ließ ).
Wismar, welches anfaͤnglich von Preuſſen, dann ſeit dem
Juni 1715 von Dänen und Hannoveranern eingeſchloſſen war,
zu benen zulegt noch Ruffen fließen, ergab fich endlich. Als
ſich der dänifche General Dewig nun weigerte, zwei Bataillone
Kuſſen mit ald Befagung aufzunehmen, kam es zwifchen ben
beiberfeitigen Truppen ſchon zu offenen Feindſeligkeiten ), ein
Anzeichen, wie loder bereit daB Band geworben war, welches
1) &. Lamberty IX. p. 277 ben Briefwechſel Groiffg's mit Ile
gen. Bergl. noch p. 688 u. Nordberg IIL p. 223 u. Gcoifp's Schrei -
ben an Jigen bei Nordberg T. IL Preuves p. 297. No. 217.
Pr S. das Tagebuch der Belagerung im Theatr. Europ, v. 3. 1715
840 ff: Nordberg II. p. 229. Hojer I. &. 291 erzaͤhlt, bie
Befatım habe aus kaum 5000 Mann, bem Ueberrefte von 80 Begimene
tern beftanden. Nur 1000 Schweden waren barunter, welche, weil man
fie bi Mat 1716 nicht abholte, von Preuffen als Gefangene behandelt
wurben. Theatr. Europ.’ v. J. 1716 p. 140. Der bänifde General
Dewit erhielt vom Könige von Preuſſen einen Brillanten, 12,000 Tple.
werth, Seckendorf und Wackerbarth auch Eoftbare Ringe, jeder Hauptmann
200 Ile. Ragmers Lehen ©. 366 aus hanbfäiftl. Radır.
8) Hofer I. ©, 811. Peters I. Tagebuch) 5. 888. Schreiben Fried⸗
Eh les 18 I. an Seckendorf nom 18. Mai 1716 bei Börfter IL
Beendigung bes Krieges. Politik 29
bie Verbündeten bisher vereinigt hatte. Wirklich trennten fi
dieſe auch, fobald ein jeder von ihnen feine Zwede erreicht,‘
Preuffen naͤmlich Stettin und die Obermimbungen, Hannover
die Herzogthuͤmer Bremen und Verben erhalten hatte’). Rös
nig Auguft, befchäftigt mit den inneren Unruhen Polens, that
auch nichts mehr gegen Schweden, feitdem er es nicht weiter zu
fürchten hatte. Nur ber Baar und Dänemark wollten noch mehr
exobern, Beide mufften noch vor ber Rache Karls beforgt fein
unb blieben daher allein ihm gegenüber gewaffnet auf dem
Plage. Der braunſchweiger Gongreß blieb ohne Ergebniß,
keinem Theile war es rechter Ernſt gewefen und das warf nun
einer bem andern vor?). Jetzt, nachdem nun Schweben kei⸗
nen Fuß breit Landes mehr im beutfehen Reiche befaß, hörte
bier der Krieg von felbft auf. Der Gongreß felbft war uͤber⸗
fFlüffig geworden. Preuffen brüdte dem regensburger Reichötage
fein Erſtaunen aus, daß Schweden Uber den Verluſt feiner
beutfchen Provinzen fo großes Aufhebens mache, da es doch
frůher geäuffert, fie wären ihm mehr zur Laſt als zum Bor:
ee © Wal ſe mu, um bie Dänen im Zaume zu
halten "
Es trat jegt nicht nur bei den norbifchen Werblimdeten feit
dem Sinken der ſchwediſchen Macht, fonbern bei den europaͤi⸗
ſchen Staaten überhaupt, ſeitdem nach Beendigung bed fpani-
fehen Erbfolgefrieges unb dem balb barauf erfolgten Tode Lub⸗
wigs XIV. alle Beforgniffe vor ber Uebermacht Frankreichs vers
ſchwunden waren, für ein halbes Jahrhundert eine ſolche Wan:
delbarkeit ber politifchen Verhältniffe ein, wie fie bis dahin
nicht gefehen worben war. Die Politik der meiften größeren
1) Darüber Elagte bie zuffifche Denkſchrift bei Lamberty IK.
p- 628. Run fie mit ruſſiſcher Hülfe erhalten, was fie gewollt, thäten
fie nichts mehr.
29) Martiniere I. p. 281.
8) Gbendaf. p. 285. Wei Börfler IL ©. 46 if ein Verzeichniß
der Kriegskoſten des Feldzugs d. I. 1715 für Preuffen, inbep wird man
baraus kaum mit Sicherheit entnehmen Können, wie hoch fie ſich wirklich
belaufen, body ergibt ſich, daß 200,000 Thir. an ben Baar und 400,000
ZHir. an den König Auguft gezahlt, aufferdem auch bedeutende Ges
ſchenke gemacht wurden.
20 Bud VL Erſtes Hauptfiäd. -
Reiche wurde nämlich nicht mehr dutch dauernde Staats⸗, ia
ſelbſt nicht einmal SamiliensIntereffen beflimmt, fondern wech⸗
felte nach ben augenblidtichen Intereſſen, Leidenfcpaften und
Saunen ber Zürften ober ihrer Rathgeber, Günftlinge und Mais
treffen oft fo plöglich, daß man diejenigen, welche feit langer
Zeit Zeinbe geweſen, fich gegen bie vereinigen fah, welche frü⸗
ber ihre natürlichen Werbindeten gefchienen. Ein allgemeiner
Argwohn ift daher fortwährend rege und geſtattet auch unter
Verbündeten nicht, daß Vertrauen aufkomme, ja auch fie bes
wachen einander wie Feinde und find immer bereit, die Wafs
fen, welche fie vereint gegen einen Dritten brauchen wollen, ges
gen einander zu wenden.
Zunaͤchſt für Defterreih, Frankreich und England hatte
ber utrechter und raſtadter Friebe Verhältniffe begründet, deren
Erhaltung ihnen Allen wichtig war. Deſterreich hatte die ka⸗
tholifchen Niederlande, Neapel, Sardinien und Mailand, ches
malige Nebenländer Spaniens, erworben, ohne daß Philipp V.
fie abgetreten, ja nur mit bem Kaifer Frieden gefchlofien hätte.
In bemfelben utrechter und vaftadter Frieden war einerfeits bie
ewige Trennung ber Kronen Frankreichs und Spaniens feftge
ſetzt, anbererfeits bie Nachfolge des Haufes Hannover auf den
englifhen Thron und daher bald barauf nach bem Tode ber
Königin Anna (12. Aug. 1714) Georg J. von Hannover’ als
ihr Nachfolger anerkannt worden. Gegen Ludwigs XIV. Wil-
len hatte fi) nach bdeflen Tode (1. Sept. 1745) fein Reffe,
der Herzog von Drleans, der Regentfchaft des Reichs und ber
—— über ben korperlich ſchwachen fünfjäfrigen Sub
. emaͤchtigt.
Dieſen drei Maͤchten gegenüber bewegte Spanien Europa
Der Cardinal Alberoni, ein Mann von unrubigem und unters
nehmendem Geiſte und jebes Mittels zur Erreichung feines
Zweckes fähig, befaß die Gunft bes ſchwachen Königs Philipp
von Spanien, dann ber zweiten Gemahlin befielben, ber Koͤ—
nigin Giifabeth, weldhe ihm ihre Erhebung verdankt. Er lei⸗
tete bie ſpaniſchen Angelegenheiten und entwickelte die Kräfte
des Staats nachdruͤcklich durch innere Verbeſſerungen. Den
König Philipp gewann er für ben Gebanten an Gerftetung
der alten großen fpanifchen Macht, auch wollte biefer feinen
Politik Peter L 281
Bericht auf Frankreich, für den Fall, daB der junge Lud⸗
wig XV. flürbe, nicht gelten laſſen und hielt dafür, mehr Recht
auf die Regentfchaft zu haben, als ber Herzog von Orleans.
Das trennte bie beiden bourbonifchen Häufer. Die Königin '
Elifabeth wollte ihre beiden Söhne verforgt wiffen, indem bie
Söhne ber erſten Ehe ihres Gemahls das Erbfolgerecht in
Spanien hatten. Alberoni richtete baher fein Augenmerk? auf
bie Wiebererwerbung der an Defterreich gelommenen fpanifchen
Nebenländer in Italien; dafuͤr war König Philipp wie beffen
Gemahlin. Georg L muffte an ſich gegen bie Vereinigung
Frankreichs und Spaniens in ber Hand Philipps V. fein; dazu
fürchtete er ben Prätendentenz ben konnte Frankreich und Spas
nien unterfiügen, allein ber ‚Herzog von Orleans muffte Bei⸗
fand gegen Spanien fuchen und näherte fih England. Spas
nien allein Tonnte bad Haus Hannover noch durch ben Praͤ⸗
tenbenten bedrohen. Defterreich fuchte die mit fo großen Opfern
erworbenen italieniſchen Länder zu fchligen; es war eben im
Kriege mit den Türken; fo hatte der Kaifer, der ‚Herzog von
Orleans unb Georg I., und zur Erhaltung der Ruhe Europas
auch die Generalftaaten weſentlich gemeinfchaftliche Intereffen
gegen Spaniens Entwürfe und ſchloſſen wechfelfeitige Bünbs
niſſe untereinander.
Diefe Verhaͤltniſſe der weftlihen Staaten Europas blies
ben nicht ohne Einwirkung auf bie öftlichen. Unter den Fürs
ſten feiner Zeit ragt vor Allen Peter I. hervor. Er hat ein
hohes Ziel, feine Nation der Barbarei zu entreiffen und mit ihre
eine Stelle unter den gebildeten Staaten Europas einzunehmen.
Mit unerfchlitterliher Willenskraft entzieht er fih den Genhfs
fen des Lebens, ſcheut Feine Anſtrengung, ſich Kunftfertigkeiten
anzueignen, Feine Beſchwerden, etwa zu lernen, kein Opfer,
unterrichtete Männer um fi zu verfammeln, und bann mit
eiferner Hand fein Volk zur Bilbung zu zwingen und die Macht
feines Staats zu erhöhen. Ex begreift, daß ohne Handel bie
inmere Kraft eined Staats fich nicht entwideln Tann. Wir
wiffen, wie gern er einen Hafen am ſchwarzen Meere gehabt
hätte, wie er mit Karl XIL nur deshalb brach, um einen Has
fen an der Dfifee zu erwerben. Dahin geht in Beziehung auf
auswärtige Berhältniffe all fein Trachten. Er war anfänglich
282 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤck.
ſehr unzufeieden über Menfchikoff, dag er Stettin ben Preuſ⸗
fen und Holfteinern übergeben; ex hätte von feinen Ruſſen fo
gem Wismar befegen laſſen, man glaubte, um es zu behalten;
jetzt hatte er ein Auge. auf Mecklenburg. Mit großem, boch
nur zu gerechtem Argwohne wurben bald alle Schritte des raſt⸗
108 unternehmenden Mannes beobachtet. Der Herzog Karl
Leopold von Medienburg war, wie früher fein Bruder Fried⸗
- sich Wilhelm über die Ausdehnung feiner fürftlichen Rechte im
heftigen Streite mit feinen Landſtaͤnden. Hannover unterftügte
biefe, ber. Herzog wendete ſich an ben Baar, vermäßlte fi) mit
19. April deſſen Bruders Zochter und erhielt zu feiner Unterflügung
1716 20,000 Ruffen, welche, vermöge einer mit dem Könige von
Dänemark getroffenen Werabredung, im Vereine mit ben Däs
- nen und unterflügt von einer englifchen Flotte in Schonen
landen und biefes für Dänemark erobern follten. Die Ruffen
wurden in Medienburg auf bie Güter ber Lanbflände verlegt
und hauſeten hier wilfürlih. Doch die Stände Tiefen ſich
von ihrem Mechte nichts, abdringen. Gem hätte der Baar
Medienburg an ſich genommen und ben Herzog anderweitig,
entfehäbigt, allein weber Dänemark noch Hannover wollten den
Moskowiter zum Nachbar, ber Kaifer ihn nicht zum Reiches
fürften‘). Der verftändige Friedrich Wilhelm war ungeachtet
aller Aufferlich freundlichen Bezeugung ſchwerlich für eine Ver⸗
änderung, welche feinen Rechten auf Medienbürg und bem
Intereffe Preuffens fo fehr entgegenftanb; uͤberdiez würde auch
ihm ber Baar ein umbequemer Nachbar geweſen fein. „Hatte
er bie erfie günftige Gelegenheit ergriffen, um fein Reich burch
den Befit des für ihn fo wichtigen Stettind und ber Odermüns
dungen zu erweitern, fo fuchte er fich das fo Erworbene nun auf
jede Weife zu fichern. Dann, als der Kurfürft Johann Wilhelm
von Pfalz:Neuburg (8. Suni 1716) geftorben war und ihm fein
Bruder Karl Philipp, ber legte Neuburger, ohne männliche Erben
folgte, dachte Friebrih Wilhelm wohl daran, Juͤlich und Berg
zu erwerben, was feine Vorfahren an Pfalz:Neuburg aufgege:
ben hatten, ein Gedanke, der ihn in feinem ganzen Leben nicht
1) Hojer I. ©. 811 ff. Der Kaifer hatte auch den Baar nicht
sum beutfchen Neihefäcften haben wollen, was biefer für Eivland zu wer⸗
ben angefragen, weil das ehebem zum Beide gehört.
Auflöfung des norbifhen Bundes. «283
wieder verließ. Won Karl VI., dem Sohne einer Prinzeffin
von Pfalz: Neuburg, konnte ein König von Preuffen ficher Feine
unterſtuͤtzung zur Vergrößerung feiner ohnehin fir Deflerreich
ſchon oft laͤſtigen Macht, am wenigften aber auf Koflen von
Pfalz⸗Sulzbach, der nächften Erben von Pfaljs Neuburg hofs
fen. Er wendete ſich daher, fo wenig er die Franzoſen leiben
Tonnte, dennoch an Frankreich). War num auch ber Regent
unzufrieben damit gewefen, daß Preuffen die Vermittelung
Groiffys? für Schweden verworfen, fo hatte er doch jegt mehr
unmittelbar für.fich zu forgen, gab Schweden von dem er
nichts mehr hoffen konnte, und das in ſeiner Ohnmacht ihm
nur laͤſtig fiel, auf, gewaͤhrleiſtete in einem geheimen Vertrage 4.
dem Könige von Preuffen den Befig Stettins und Pommerns T
bis an bie Peene und ficerte ihm Werwendung für eine zu
erwirkende Genugthuung beim norbifchen Frieden und 600,000
Thaler Hülfsgelder für den Ball eines Krieges zu. Beide
Mächte gewäbrleifteten einander zugleich Alles, was fie im weft:
fälifhen Frieden erworben und auch bie Zriedensfchläffe von
Utrecht und Baden. Frankreich verfprach, bas Reich nicht ans
zugreifen, und Friedrich Wilhelm, es zu hindern, fich zu ir
gend einer Zeit gegen Frankreich zu erklaͤren; blos für den Fall,
daß das dennoch gefchähe, behielt ex fich tod nur feine Pflich⸗
ten als Reichsfuͤrſt vor).
Die ſeit dem Einmarſche der Ruſſen in das Medienburs
giſche und der Bedruͤckung der Landftände durch fie entflandene
noch geheime Spannung mit Hannover ?) wurde immer flärker,
als die Zahl der Ruffen fi bis auf 40,000 Mann vermehrte,
welde, verbunden mit 26,000 Dänen, einen Einfall ih Scho-
men machen folten. Nach vielen Zögerungen, deren Schuld
1) St. Simon T. XIV. p. 145, 151 u. 230. Der feildert Bricds "
rich Wilhelm I. aeg, wie er beffen Behandlung ber ausrnärtigen Ans
gelegenheiten Tante. B
2) Der Inpalt des Wertrags if erft durch Flansan IV. p. 143
befannt geworben. Schöll annte T! XII. p. 266 das Datum defs
feiben nit. L&montey T. I. p. 116 gibt 14. Gept. Mir iſt ver
fihert worden, ex fei vom 4. Sept.
3) Bon da an rechnet bie ruſſiſche Denkfchrift Mfefoloustt's dv. 25.
De uns ai Spannung mit Gngland. Bei Montgon, piöces just.
T. I. No. 20.
in
3° Bug VL Erſtes Haupıpüd.
Dänen und Ruffen einander vorwarfen, waren bie Truppen
17. Sept. endlich in Seeland verſammelt, ald Peter I. ganz unerwartet
A716 drei Tage vor dem zur Einſchiffung fetgefegten Termine ers
Härte, die Jahreözeit fei zu weit vorgerüdt, um bie Lanbung
noch auszuführen; man müffe ben Frühling abwarten. Alles
Andringen de Königs von Dänemark und bed engliſchen Abs
mirald Norris war nicht im Stande, Peter J. zu vermögen,
mit feiner gefammten Macht uͤberzuſchiffen; hoͤchſtens wollte es
nur einen Theil feiner Truppen dazu hergeben. Es war ben
Dänen ſchon aufgefallen, bag Peter I. anflatt 20,000 Mann
40,000 mit fich gebracht hatte. Er hatte aufferdem feine Uns
zufriedenheit barlber bezeugt, bag man ihm nicht hatte den
‚Hafen von Karlskrona uͤberlaſſen wollen, und es war ſchon
Verdacht entflanden, er verhandele einen abgefonderten Frieden
mit Schweden. Georg I. argwöhnte, er ſtehe in Werbindung
mit dem Prätendenten, und nährte wahrfcheinlich die Verſtim⸗
mung ber Dänen. Nach mehrtägigem Streite wurbe plöglich
die Beforgniß Taut, die Ruſſen koͤnnten bie Abficht haben, fich
Kopenhagens und des Sundes zu bemaͤchtigen. Soglei war
Alles auf und unter den Waffen, ben König und die Haupts
fladt gegen bem zweibeutigen Freund zu vertheidigen. Georg I.
fol dem Admiral Norris den Befehl gegeben haben, Gewalt
zu brauchen, wenn bie Ruffen fich weigerten, in Schweden zu
landen. Norris fol bereit geweſen fein, fi der ruffifchen
Flotte zu bemächtigen. Die Dänen wollten unerwartet über
bie Ruffen herfallen, allein ber König erlaubte es nicht, bat
2%. Sept. jeboch den Zaar, feine Zlotte und fein Heer aus Seeland abs
zuführen. Peter ‚verließ böchft aufgebracht bie Infel‘) und
ſchickte feine Ruffen, ungeachtet der Kaifer dagegen proteflirte,
nad Medienburg in die Winterquartiere, man glaubte, nicht,
allein zur Unterflügung bed Herzogs gegen deſſen Lanbftände,
fondern auch um fi ber Feſtung Wismar und des Hafens
zu bemädtigen. .
So löfte fi das Buͤndniß der nordiſchen Mächte gegen
Schweden völlig auf und Peter hegte die größte Verachtung
gegen Auguft von Polen, Geringſchaͤzung gegen ben König
1) Hojer K ©. 318, Tagebud) Peters L 5. 202 — 9 406.
Bund zw. Franke, Engt. u. d. Generalſtaaten. 285 °
von Dänemark und bitteren Haß gegen Georg von England;
nur mit Preuffen blieb er in gutem Benehmen, welches nad)
feiner Rüdkehr aus Dänemark durch eine mehrtägige Zuſam⸗ Rovember
menkunft mit Friedrich Wilfelm L in Havelbeng noch mehr 1716
befeftigt wurde ').
Die eigenthlimliche Lage bed Herzogs von Drleans als
Regenten Frankreichs vermehrte bie Verwickelungen. Er fah,
daß ihn ber König von Spanien gern geſtuͤrzt hätte, wogegen
ſich Georg L bei feiner mit Rußland eingetretenen Spannung
* immer mehr zu ihm neigte, um bem Prätendenten ben Bei⸗
fand Frankreichs zu entziehen. Verbanden fie fi, fo hatte
der Regent nichts mehr. von Spanien und Georg L nichts vom
zu 'flchten. Schweden war bereits feit dem
Bunde Frankreichs mit Preuffen (4. Sept. 1716) aufgegeben,
und fo gelang es dem gewanbten Günftlinge des &egenten,
dem AbbE Dubois, ein gegenfeitiges Wertheibigungsbimbniß 4. Ian.
zwiſchen England, den Generalſtaaten und Frankreich abzufchliee 1717
Ben. Zugleich verpflichtete. fich der Regent, den Prätendenten .
— fortzuſchaffen und ihn auf keine Weiſe zu un⸗
Ein nicht weniger großer Wechſel der politiſchen Verhaͤlt⸗
niſſe bereitete ſich im Norden vor. Während Karl XII. durch
die vereinigten Flotten und. Heere ber gegen ihn verbundeten drei
Mächte von Seeland aus bedrohet war, hatte er ben Baron
Goͤrz, der feine Gunſt vollfemmen gewonnen) (Juli 1716)
nad) bem ‚Haag und dann nach Paris gefhidt, um Hülfgels
ann mit Kinen Dinikem Sioen cab Prlaken Ines vom
. Roo. Baar im Havelberg unb ſchentte biefem
tnfderz Beafiicahine us die praͤchtige Jacht / welde fein Water
er ——— Safmann L ©. 172,
Tagebuch Peters J. bei Bacmeifter II. &. 115. Beilage 10. König
SHE TV A: 6: 5 it nie de Mk an. Daß Peter dort mit Preufe
fen ee eeſe, fogt St. Simon XV. p. 128. E⸗
*
ẽ*
ER
Fi
SD (Mofers) Matung ker Eher u. m. des Frelherrn von Goͤrz
©. 75. Berg. Lamberty IX. p. 637.
286 Bud VE Erſtes Hauptftüd.
der für Schweben zu erwirken. Als bad nicht gelang, fuchte
Goͤrz das ihm bereits befannte gegenfeitige Mistrauen ber nors
diſchen Verbündeten zu benugen, um deren Gefinnungen ges
gem Schweden genau zu erforſchen und mit dem, welcher bie
meiften Vortheile böte, bie Grundlage zum Frieden mit Karl XII.
zu legen. So trat er auch in Verbindung mit dem ruſſiſchen
Dtober Gefandten Kırain im Haag, um nicht nur einen Zrieden,
1716 ſondern wohl gar ein Buͤndniß zwiſchen Schweden und Rußs
land zu bewirken, worauf Kurakin um fo mehr einging, als
der offene Bruch wegen bed mislungenen Landungsverſuchs
zwifchen Peter, Dänemark und England balb bekannt wurbe.
\ Der Baar follte alle feine Eroberungen, auffer Finnland, bes
halten, dafuͤr aber Schweben unterftügen, um von Dänemark
und Hannover größere Entfchädigungen zu erlangen‘). Goͤrz,
ein hoͤchſt umternehmenber Menfch, verhandelte zugleich, wahrs
ſcheinlich ohne Karls Wiſſen mit dem Prätendenten, um biefen
mit ſchwediſcher und ruffifcher Hülfe auf den engliſchen Thron
zu fegen. Areskin, der Leibarzt Peters L und Wetter bed Gras
fen von Mare, ließ den Beiftand Rußlands hoffen. Der ſchwe⸗
diſche Gefandte Gyllenborg in London war ebenfalls thätig da⸗
bei, doch ſcheint, daß er und Görz jebenfalis nebenbei für fidh
von den Sacobiten Gelb zu ziehen fuchten, beffen fie fo ſehr
bedurften, um ben Aufwand zu beftreiten, in bem fie ſich fehen
lieſſen, wozu ihnen Karl XIE wenig ober wichts geben konnte.
Diefe Umtriebe hatten ben Abfchluß ber Zriple-Alliang zwiſchen
England, Frankreich und ben Generalfiaaten (v. 4. San. 1717)
befehleunigt, wurden jedoch entbedt, Gylienborg in Lonbon
und Goͤrz in Arnheim auf..einige Zeit fefigenommen und von
Georg I. Altes öffentlich bekannt gemacht. Karl XIL und Pe
ter 1. erflärten inbeffen, von biefen Anfchlägen nichts zu wiſ⸗
fen"). Jeder der eJemaligen norbifchen Verbündeten warf bem
1) Mofers Gbrz ©. 165 mit Beilagen.
2) St. Simon XIV. p. 297 u. XV.p. 9%. Hojer L ©. 821.
Lamberty X. p. 17. Mofers Goͤrz ©. 172. Cs iſt möglich, doch
kaum wahrſcheinlich, daß Peter I. u. Karl XI. gar nichts von biefen
Umtrieben gewuſſt Haben follten. Indeſſen fie lieffen fie gehen ohne ſich da -
für bloß zu ſtellen.
Peter I. . 287
andern vor, geheim abgefonderte Sriedensverhandlungen mit
Schweden angelntipft zu haben, weil dad Jeder, auch Preufs
fen feit dem November 1716 gethan hatte’). Die Spannung
zwiſchen den ehemaligen Freunden wurde immer größer, als
Peter I. zögerte, feine Truppen aus Medienburg zu ziehen.
US ihn der Kaifer foͤrmlich Dazu auffoderte, fagte er zu dem
Abgeordneten Georgs L: „ich bin Willens gewefen meine Zrups
pen wegzuſchicken, ba ich aber höre, "daß es ber Kaifer vers
langt, will ich fie in Mecklenburg laſſen und möchte wohl fe '
ben, wer fie herausjagen ſollte.“ Ex wolle gehen, aber wenn
bie Hanmoveraner Miene machten, ihn zu vertreiben, werde er
eher noch 70,000 Mann anrüden lafien?). Ein gürft, der
erſt anfing, feine Nation einigermaßen äufferlich der Barbardi
zu entreiffen, konnte es wagen, fo frech im beutfchen Keiche
zu beutfchen Reichöfärften zu fprechen. Allein er Tannte feine
Stärke und die Schwäche Deutſchlands, welche in ber großen
Zahl faft umabhängiger Herrſchaften beſtand, welche ebenfalls
oft genug die kaiſerlichen Befehle verachteten und ohne Rüͤck⸗
ficht auf Ehre und Unabhängigkeit des gemeinfamen Vaterlan⸗
ed nur durch armfeligen, perfönlichen Eigennus regiert wur⸗
den. Gr wuffte ſehr wohl, dag Friedrich Wilhelm nicht die
Hand dazu bieten würde, gegen ihn Gewalt zu brauchen, wie
Georg I. weite”). Nur langfam ruͤckten die Moskowiter aus
Mettenbung ab, indem fie auf dem Wege nach Polen die größs
ten Kusfiweifungen begingen.
Der Baar sing felbft nach Paris, um’ den Regenten zu .
S
Mofers in S. 168. Die Pringeffin Wilhetmine d. Prenffen
erbte in cn Denboltittten (Min: de Bra 1 p 81) Kr BI
habe gegen das (Ende des Jahres 1716 den Grafen Ponlatsraki mach
Berlin geſchict, ber einen geheimen Vertrag mit Friedrich Wilhelm ger
ſchloſſen, wonach ganz Schwediſch- Pommern hätte preuffifch und fie Karls XII.
Gemahlin werben follen. Iſt ſehr unwahrſcheinlich. Vergl. doch Peters
Togebuch Th. II. ©. 974 u. Nordberg IH. p. 338.-
DH Mofers Goͤrz ©. 187. Peters I. Tagebuch 5. 408. Bergl.
Lamberty X. p. 104 und St. Simon XV. p. 126, daß ber Kals
fe, Dänemark und Georg I. die Ruffen hätten wollen aus Deutfchtand
jagen.
3) St Simon XV. p. 98 u. 1%0.
288 ‚Bud VL Erſtes Haupifäd.
gewinnen. Rußland und Schweben wollten Frieden fchlieffen,
Schweden folte für feinen Verluft und Preuffen für Stettin
auf Koften Dänemarks und Hannovers Entſchaͤdigung erhalten,
allein der Herzog von Orleans wollte nichts gegen Georg L
15. Aug. thun und es wurde in Amfterbam nur flüchtig ein geheimeß
1717 Bundniß zwiſchen Frankreich, Rußland und Preuſſen geſchloſ⸗
ſen, in welchem Peter und Friedrich Wilhelm die Vermit⸗
telung des Regenten zum Sieben mit Schweben annahmen
und biefer verſprach, fein Buͤndniß mit Schweden nach deſſen
Ablaufe nicht zu erneuern. Im Allgemeinen ſicherten die —
Maͤchte einander Unterſtuͤtzung gegen fremde Angriffe zu, doch
ſollte das Wie? in Beziehung auf den Baar, weicher Subfis
dien, und auf Preuſſen, welches die Gewaͤhrleiſtung für Stets
tin verlange, in einem befonderen Vertrage näher befiimmt
werben‘). Wefentlih gewann Peter I. durch diefen Vertrag
nichts, ald daß er Rußland fir die Zukunft den Weg zur en⸗
geren Verbindung mit Frankreich bahnte und dieſes immer mehr
von Schweden ablenkte?). Er ging von Paris nach dem Haag,
4 Seyt. wo er in einer geheimen Bufammenkunft mit Goͤrz ben Ab⸗
ſchluß feine® Friedens mit Schweden beſprach, welden Goͤrz
binnen drei Monaten nach feiner Ruͤkkehr nach Schweden zu
bewirten verfpradh. Alle Feinde Schwedens wenbeten fi am
Sörz um abgefonderte Frieden zu fchlieffen. Georg L wollte
Verden Faufen, Bremen als Pfand behalten und dafür bewirs
Ten, bag Schweben Stettin zurhdlerhielte. Der preuſſiſche Ge=
ſandte Knyphaufen im Hang hatte kaum von den Unterhand«
lungen zwiſchen Rußland und Görz gehört, als er dem vor
drei Jahren fo ſchimpflich aus Berlin entfernten Diplomaten
einen Paß bahin anbot ). Friedrich Wilhelm Plagte, daß ihn
Dänemark und Hannover in ben Krieg gezogen und nun ver=
laſſen hätten. Der Baar fuche ben Krieg zu verewigen unb
1) Dumont VIIL p. "490 mit den geheimen befonberen til.
9) Hojer I ©. 821 ff. SCHW, überfhägt bie Wichtigkeit dieſes er⸗
ſten Buͤndniſſes zwiſchen Frankreich und Rußland. Vergl. Lömontey
hist, de la regence T. I. p. 115.
, B) &. Poniatowstl's Brief v. 28. Aug. 1717 an Görg in Mofers
Bl ©. 524.
Unterhandlungen mit Schweben. 29
Alles fire ſich zu behalten, doch wuͤnſche er im Vereine mit
dieſem Frieden zu fchlieffen. Et verlangte Stettin und Pom⸗
mern bis an die Peene und verſprach bafüır, dem Könige Georg
fo viel als möglich hinderlich zu fein, den Baar aber zu bes
wegen, gelindere Saiten gegen Schweden aufzuziehen ). Uns
ter dem angenommenen Namen eined Barons von Mannsdorf
kom Görz nach der Komthurei Liegen unfern Berlins, wo ihm
mit vieler Aufmerkſamkeit begegnet wurde und ber Miniſter Its
gen mit ihm unterhandelte, bis Peter I. nah Berlin fam‘).
Friedrich Wilhelm verlangte burchans Stettin und Vortheiie
für Rußland, bot jedoch baflz vergeblich 100,000 Thaler an
Goͤrz, welche dieſer ausſchlug, weil er wuffte, daß Karl auf
üdgabe aller ſchwediſchen Befigungen, in Deutfchland beftand.
Darauf wollte Friedrich Wilheim nicht eingehen, well er mir
einen Theil derfelben inne batte und auch biefen heranszuges
-ben nicht geneigt war. Peter L befefligte in Berlin feine Vers Seytbr.
bindung mit Sriebrih Wilhelm; Beide verſprachen einander, 1717
nur gemeinfchaftlich, unftreitig auf Grundlage des früheren Ver⸗
trag8 (v. 12. Juni 1714), mit Schweden Frieden zu ſchlieſſen.
Sogleich brach der König feine befonderen Werhandlungen mit
Goͤrz ab, welcher Über Peteröburg, wo er mit dem Saar zus
fammentraf, nach Stockholm ging und Karl XII. für den Frie⸗
dendentwinf mit Rußland ſtimmte. Sehr geheim wurde bies
fer num auf der Imfel Aland durch Görz für Schweden und Wal
durch Oſtermann für Rußland und Preuffen mit Ausfchlieffung 1718
aller übrigen Mächte verhandelt”). Als König Auguft erfahs
ten, daß Preuffen Unterhandlungen mit Schweden angefnüpft,
machte er das bekannt, indeſſen hatte fi, wie gefagt, jeder
der norbifchen Verbuͤndeten baffelbe vorzuwerfen *).
Peter J. und Karl XIL waren darin bald einig, nicht nur
1) Mofers Gör ©. 258 ff. u. St. Simon XV. p. 227 u.29&
DH Mofer a. aD. S. 267 ff.
HMofer a. a. D. ©. 276. Vergl. St. Simon XV. p. 242.
4) St. Bimon XV. p. 337 meint: Preuffen habe in Werbindung
mit Rußland und zugleich für ſich allein mit Schweden verhandelt. Auch
Wüpelm und Peter traueten einander nicht, obgleich noch mehe
als ben Andern. Bergl. Bt. Simon a. a. D. p. 861.
Stengel, Gſch. d. Preuſfiſch. Staats. M. 19
220 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤck
Zrieden, ſondern aud) ein Schug- und Zrugbimbniß abzufälicf
ſen. Karl Lievland, Elan, Ingermamiland und
fl
nislaus auf den polnifcen Thron zu fegen und Auguſt zur
——— auch Norwegen an Karl XI. zu laſ⸗
fen, verlangte dagegen Stettin mit einem Theile Worpommerns
Fr Vreuſſen; doch konnten die Feſtungswerke gefchleift werden.
wollte indeſſen dem Könige von, Preuffen hinreichende
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Stanislaus, an feinen Feinden in Deutſchland Rache
en’).
— König Karls und unter ben fchwebifchen Gros
zwei Parteien, die eine hielt es für wortheilhafter,
England, Be pad, wenn mi Rußkand Frieden
wide; "baburdh winden die Unterhandlumgen auf
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nicht wohl wollte, er und ber Kaifer waren zugleich —8
niſch und aus mehreren politiſchen und kirchlichen Grimden ges
fpannt mit Preuffen.
1) Die beften Nachrichten darüber enthält das —e —
von Bacmeifter Abl. IIL ©. 10
wurf dv. 26. Aug. ſteht &. 870. Berg. Hofer J.
Belebensentwurf bei Montgon. IL pidone just, No, 22,
-2) Bacmeifter a. a. ©. S. 278. Hofer I. ©. 881.
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58
Spannung mit b. Könige Augufl m. d. Kalfen LOS
Sohn zur katholiſchen Kirche bergen fir fo wurden bie
Beſorgniſſe der Gvangelifchen größer und Frledrich Wilbelm
erbot fi nun, als maͤchtigſter evangelifcher Reichsfuͤrſt, das Dis
rectorlum wenigftens fo lange übernehmen zu wollen, bis Kurs
fachfen wieder an einen evangeliſchen Fürften fallen winde. Das
niſtrator des Bisthums Naumburg und Schweſtermann König
Diedrich Wilhelms, bewog (1717), ebenfalls zur katholiſchen
Kirche uͤberzugehen, worauf das naumburger Capitel das Bis⸗
thum fuͤr erledigt erklaͤrte, welches König Auguſt an ſich nahm.
H Mofers Bericht u, ſ. w. ©. 819.
2) Theatr, Barop. » 3. 118 p.7 0, Auch Hannover ſuchte das
Directorium as fid) zu ziehen. Gbendaf. p- 1
1717
292 Bud VI. Erſtes Hauptſtuͤck.
Nun trat aber ber. Herzog Morig Wilhelm, durch feine Ges
mahlin und den Profeſſor Hermann Franke bewegen, bald bars
auf (1718) zur evangeliſchen Kirche zurück, werauf König
Friedrich Wilhelm, obwohl vergeblich, vom Könige Auguft vers.
langte, «8 folle ihm auch das Bistbum Naumburg zurlcges
‚ geben werben‘). Auch bad Kreiöbirectorium machte er dem
Könige Auguft, freitig ).
Aud) der bebrlcten Evangeliſchen in Dolm nahm ſich ber
König an, als auf dem Reichstage zu Warſchau (1716) allen
Diffidenten (Nichtkatholiken) verboten wurde, auffer ihren als
ten Kirchen neue zu bauen und man darauf die feit dem Jahre
1632 von ihnen errichteten niederriß und ihnen die Verrichtung
ihrer Andacht nur in Privathäufern ohne Geſang und Prebigt
geftattete, ja (1717) ihnen alles Stimmrecht in der Landbo⸗
tenftube bei Zribunalen und Commiffionen nahm. Friedrich
Wilhelm verwendete fi nicht nur in Polen (1719) für die
Evangelifhen, fondern ging auch den König von England deös
halb an und empfahl ipm ben Staroften von Unruh, den Abs
georbneten ber gebrüdten Diſſidenten, welche man in Polen
voͤllig außrotten wolle’).
Bel der fo entflandenen Spannung mahnte Friedrich Wils
belm (1718) drohend die ruͤckſtaͤndigen Binfen der von feinem
Vater der Stadt Eibing vorgefcoffenen 50,000 Xhaler ein,
welche im 3. 1715 nur bie zum I. 1712 abgetragen worden
waren, geflattete aber nicht, daB aus dem von ihm befegten
elbinger Gebiete Beiträge bazu erhoben würden. Vergeblich
verwendete fich der polnifche Hof deshalb. Preuffifcherfeits
wurbe angegeben, das elbinger Gebiet habe durch Einquarties
zung, Miswachs und Ueberſchwenunungen zu viel gelitten, was
der polnifche Hof widerlegte und nachwies, bie von Preuffen
eingelegte Reiterei koſte dem Gebiete allein jährlich 50,000 Tha⸗
ler. Preuffen erwiederte, die Eriegerifche Zeit mache Schug ges
gen ſchwediſche und ruſſiſche Einfäle nöthig‘).
1) Theate. Europ. v. 3 1718 p. 25.
2) Ebendaſ. p. 126. oe
3) Faßmann I. ©. 254.
4) Bads-Sefä. Eihinge Thi. IT. 2. ©. 168.
Spannung mit d. Könige Auguſt u. d. Kaifer. 293
Mit dem Kaiſer entftand eine nicht minder unangenehme
Spannung, al fi der König der evangelifchen Pfälzer nach⸗
drüdlih annahm. Der eifrig Fatholifche Kurfürft Karl Phi
Hipp von ber Pfalz drückte feine evangelifchen Unterthanen hart,
verbot ihnen bei hoher Strafe den Gebrauch des heibelberger
Katehismus und nahm ihnen endlich das fogenannte Schiff
ihrer Hauptlicche in Heibelberg. Auch der Kurfürft von Mainz
beeinträchtigte feine evangelifchen Unterthanen in ihren Rechten.
Die evangeliſchen Fürften machten ſchriftliche Vorftellungen ohne
Erfolg und trugen be&halb die Führung biefer Angelegenheit
den Kurfürften von Brandenburg und Hannover und bem
Landgrafen von HeffensKaffel auf, welche, weil Worte nicht
halfen, zu Gegenbebrüdungen ſchritten. Friedrich Wilpelm 1.
Tieß fofost (1718) die reiche Abtei Hammerdleben- im Halber⸗
ftaͤdtiſchen und (1719) den Dom zu: Minden, fo: wie noch drei
Kiöfter, welcye nicht beweifen Eonnten im 3. 1624 fi) öffent:
lich zur Fatholifhen Kirche befannt zu haben‘), fequeflriren,
bis die Evangelifchen in ber Pfalz wirden Genugthuung ers
halten haben, Der Kurfürft von der Pfalz beſchwerte fich dar⸗
über bei dem Kaifer und dieſer machte dem Könige Vorſtellun⸗
gen über fein eigenmächtige Verfahren. Der preuffifche Abs
Kannegieter in Wien erwieberte, die Evangelifchen
würden feit 70 Jahren von den Katholiken unterdrüdt, alle
Vorſtellungen deshalb wären vergeblich gewefen. Der König
deutete fogar in einem Schreiben am, ber Kaifer fei mit ber
katholiſchen Geiftlichkeit einverflanden. Das wies Karl VE (19.
Ian. 1720) ernſt zurid: der Kurfürſt von Brandenburg vers
lege durch Repreffalien, die nur dem Reichsoberhaupte zuftäns
den, die Faiferliche Würde und greife in deſſen oberſtes Richs
teramt. Der Kaifer babe nie geglaubt, der König, als hohes
Reichsmitglied, werde fo undankbar fein; auch beleibige ders
felbe alle katholiſche Zürften durch unſchickliche Ausbrüde. Er
befahl dem Könige, das Kloſter Hammersleben wieder herzus
fielen, zugleich aber auch dem Kurfürften von der Pfalz, die
Evangeliſchen in ihre Mechte wieder einzufegen, worüber diefer
fo aufgebracht war, daß er feine Reſidenz von ‚Heidelberg nach
1) Bafmann I. ©. 222,
Bud VL Erſtes Hauptfäd.
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Evangeliſchen ſo erzuͤrnt, daß er ihm den
worauf Friedrich Wilhelm baffelbe dem kaiſerlichen
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Stammes, nicht zum Beſite des Herzogtfumß gelangen
der Baar Peter L dafjelbe für feine Nichte, Anna Iwanowna,
bie Wittwe des letztverſtorbenen Herzogs, behielt, weshalb der
im 3. 1715 bereits fechözigiährige, unverbeiratpete
dem Herzoge von Sachſen⸗Weißenfels, zu verfihaffen, die pols
niſchen Großen dagegen, es einzuziehen und zur Krone zu ſchla⸗
gen, bamit eb, wie bereits im I. 1589 befchloffen, in Par
Iatinate und Starofteien verwandelt, in ihre Hände käme. Das
gegen waren, auſſer ben Kurländern felbft, ter Baar und Fried⸗
rich Wihelm, bie es gern für den jungen Markgrafen Briebs
rich von Brandenburg · Schwedt gehabt hätten, welcher bie Ders
wittwete Herzogin beirathen follte, worliber fie berrits einen
befonderen Wertrag gefchloffen hatten. Deshalb wenbeten fich
1) Mauvillon IL. p. 2. Es dauerten jchoch bie Zwiſtigkeiten noch
‚Lnger, benn noch am 9. Iumt 1724 ſchrieb Secendorf an Cugen, für
die aoch nicht zurädgegebenen Ginkänfte von Hammersieben wolle ber S⸗
ig ben Geiftlichen genugthun. Wörkters urtundenbuch IL. &. 6.
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1) Pölinig Diem. IE ©. 161 fagt: Veter I. habe den Standen
den Borſchlag gemacht.
2% Bud VI. Erſtes Hauptftäd.
hauſe von Selten Polens bewiefenen Affection und wegen der
dem Markgrafen von Schwedt entgegenftehenben unuͤberwindli⸗
chen Schwierigkeiten von dem Entwurfe abgehen. Endlich gab
König Auguſt zu verſtehen, er hätte fehr wohl Veranlaffung,
fih ihrer gemeinfhaftlihen preuffifchen Unterthanen ans
zunehmen, damit biefe nicht in ihren Freiheiten und Rechten
gegen die Verträge gekraͤnkt wuͤrden ’).
Saft zu gleicher Zelt (29. März 1719) machte ber preufs
ſiſche Hof eine Erklaͤrung befannt, in welder ex feine von ihm
für Polen dargelegte Sreundfchaft zu beweifen und erbichtete
Beſchuldigungen zu wiberlegen fuchte, namentlih als ob er
und der Baar fo ſtarke Rüflungen gemacht hätten, um Polen
zu theilen und Städte und Länder von bemfelben abzureiffen.
Gleich bei feinem. Regierungsantritte fei eine feiner erften Sor⸗
gen gewefen, daß der welauer Vertrag zwifchen Preuffen und
Polen beftätigt, der König und die Republik Polen zu dem
keiten feiner Huldigung in Koͤnigsberg eingelaben und
in die Eibeöformel die Eventualhulbigung für Polen mit aufs
würde, ba er bereit geweſen wäre, fie an Polen zu
Landgraf von Heſſen⸗Kaſſel gemacht, den Angriff or Polen nicht
zu hindern. Deshalb fei auch Stralfund von den Werblindes
ten belagert und mit Hülfe des Koͤnigs von Preuffen erobert
worben, obgleich Karl XII diefem Vorſchlaͤge gemacht, wie er
eine aber die andere polniſche Provinz an ſich bringen koͤnne.
An Erſatz deffen, was Preuſſen bei dem langwierigen ſchwe⸗
diſchen Kriege gelitten, habe die Republik Polen gar nicht ges
dacht, vielmehr noch die Zölle in Polen und Lithauen erhöhet,
was er nicht erwiebert. Nun befulbige man ihn, er fuche
hing, das Bisthum Ermiand, PolnifchsPreuffen, Pomerels
len und Danzig an fi zu ziehen, man werbe das aber nie
erweiſen koͤnnen. Er habe foger gefucht, Danzig zu (hüten,
1) Die Schreiben bei Faßmann I. ©. 288 u. 240, auch bei Mar-
Hnlöre p 306 L
Kurland. - 297
während biefes ſich weigere, bie vom feinen preuſſiſchen Uns
terthanen vorgefiredten Kapitalien und Intereffen zu bezahlen,
wogegen er habe firenge Maßregeln ergreifen mliſſen. Auch
wegen Kurlands werde in Polen verbreitet, der König wolle
es mit Preuffen verbinden; er verfichere dagegen, daß weber bei
Lebzeiten noch nad) dem Tode des Herzogs Ferdinand dem Koͤ⸗
nigreiche Polen etwas von Kurland und Semgallen ſolle entriſſen
werden und in einem beſonderen Vertrage mit dem Zaare ſei aus⸗
bedungen, daß keiner von ihnen ſich eine Dberherrſchaft uͤber das
Herzogthum je anmaßen ſolle; er hoffe auch, daß man nach der
Erledigung Kurlands auf die großen, mehrere Millionen betragens
den Anfprüche feiner durch Abflammung und Verheirathung mit
dem Furländifchen Herzogshaufe mehrfach verbundenen Verwand⸗
tem Rücdficht nehmen werde. Daß man bie Stände von Kurland
angegangen, fei nicht unerhoͤrt, wie er nachwies; daß aber die
Polen das Herzogthum, wie fie 1589 befchloffen, auflöfen
wollten, fei gegen ben Unterwerfungsvertrag beffelben, wonach
es ein Herzogtum bleiben muͤſſe. Preuffen habe die Verträge
mit Polen unverlegt gehalten, wogegen baffelbe feinbfeliger
Beife unter ganz nichtigen Vorwaͤnden bie koͤnigliche Würde
nicht anerfannt habe, welche doch in ben Beziehungen zu Pos
len nichts geändert hätte Er rüfle, weil er Öffentliche und
geheime Beinde babe, welche das Gluͤck und. Wachsthum feis
nes Haufed mit neibifchem Auge anfähen, gebe aber fein Es
nigliches Wort, daß er ber polnifchen Nation nie ben gering
ringſten Schaden zufügen werde ).
Dann (28. Aprif) antwortete Friedrich Wilhelm auf Kb
nig Augufls Schreiben (vom 16. März). und uͤberſchickte ein
Eremplar der von ihm erlaffenen Erklärung, zu deren Bes
kanntmachung er ſich wegen ber in Polen über ihn verbreites
ten Irrthuͤmer genöthigt gefehen. Uebrigens beſchwerte ex ſich
über bie Beſchuldigung, daß er Kurland für ſich erwerben
wolle, fo wie über die Aeußerung: man koͤnne das Aufneh⸗
men des Haufe Brandenburg nicht ertragen, und daß am Ende
des Schreibens König Auguft „von feinen und bed Koͤnigs ges
1) Die preuffifde Ablehnung der Beſchuldigungen u. ſ. w. bei Faß⸗
mann. 6. 42.
Bud VL Erſtes Hauptſtuͤc
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Prinzen Ragogy mit biefem nach Fraukreich
unter dan Namen eines Barons von
ter Sriedenöverhandlungen
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(ausffex den oͤſterreichiſchen) vorzüglich
fer Metternich, oft zu Ziſche geladen
3) Rad) Yafmann E ©. 820 hat er das ſelbſt geflanben.
1) Bafmann I. S. 251.
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300 Bud VL Erſtes Haupefäd.
dieſen barlıber zu unterhandeln, und nur bie traurigen Folgen,
welche das haben koͤnne, fo wie fein Widerwille gegen die Bas
tholifche Religion hätten ihn bewogen, bem Könige den abs
ſcheulichen Anfchlag zu entdecken, wie er denn auch zur evan-
gelifchen Kirche Üibertreten wolle. Es komme Alles darauf an,
die Sache hoͤchſt geheim zu halten, er koͤnne aus Briefen bed
Prinzen Eugen und bed Feldmarſchalls Flemming beweiſen,
daß er die Wahrheit rede und bitte nur, ihn nad Holland ges
ben zu laffen, um dort die Entwürfe des Kaiferd hintertreiben
zu innen. Der König war duch die ſcheinbare Treuherzig⸗
keit Glements fo für ihn geftimmt, daß er ihm verficherte, er
glaube Alles, und nicht nur verfprach, es unverbruͤchlich geheim
zu halten, fondern auch, daß feiner Perfon, die Angelegenheit
möge eine Wendung befommen, welche fie wolle, dennoch nichts
geſchehen folle. Ueber das, was er gehört hatte, aufferordentz
ũch unruhig, verbot er bei Lebensſtrafe feiner Begleitung, auch
nur zu fagen, daß er auögeftigen, und hatte am naͤchſten
Abende eine zweite Zuſammenkunft mit Element. Diefer legte
ihm jetzt angeblich eigenhändige Briefe des Prinzen Eugen und
bes Feldmarſchalls Flemming vor. Der König glaubte deren
‚Handfchriften zu erkennen, vertrauete ihm nun völlig und bes
trachtete ihn aͤls feinen Retter. Clement benahm ſich dabei
fehr klug und fepeinbar umeigennägig, indem er 12,000 Tha⸗
ler, melde ihm ber König anbot, unter bem Vorwande aus
ſchlug, er habe auch nichts verdient, was bem Könige eine
hohe Idee von dem Charakter Elements beibrachte. Diefer
trat zur teformirten Kirche fiber und nahm dadurch. ben Obers
bofprebiger Jablonski und den König noch mehr für ſich ein.
* In Berlin knipfte Element mit mehreren Menfchen Vers
bindungen an, welche ihm fir feine Abſichten dienlich waren,
erftlich mit dem Baron Heidelamm, dem Sohne eines ehemas
Hgen Kammerdieners, dann Schagmeifters und Finanzraths des
großen Kurfürften, endlich Barons, der feinem Sohne eine
glänzende Erziehung gegeben und ein bedeutendes Wermögen
hinterlaffen hatte. Auch diefer hatte fchon dem großen Kurfürs
ſten ald Kammerjunker gedient, war dann von Friedrich L bei
Sefandtfchaften verwendet worden, aber durch zu großen Aufs
wand, auch weil ihm ber König Friedrich Wilhelm die von
Element. 801
Friedrich J. ausgeſetzte Penſion geſtrichen), ſchon im I.
1714 fo heruntergekommen, daß er fi hatte als Spion nah
Stralſund ſchicken laſſen. Heidekamm kannte natuͤrlich bie koͤ⸗
nigliche Familie, die Miniſter und den ganzen Hof ſehr genau
und konnte alſo dem Clement viele wichtige Nachrichten geben,
was er auch in beſonders nachtheiliger Weiſe uͤber die Perfon .
des Koͤnigs, auf den er erbittert war, gethan haben ſoll. Von
einem gewiſſen Lehmann, der den Titel eines ſachſen⸗ weimaris
fen Refidenten hatte und mit mehreren Räthen in ben Dos
mainens und Finanzcollegien in genauer Verbindung ftand, ers
bielt „Element Auskunft Über die Finanzen, von einem Secre⸗
toire bed Feldmarſchalls von Wartensleben, einem gewiſſen
Bube, uͤber das Kriegsweſen. So war es ihm moͤglich, Vie⸗
les, was damals ſehr geheim gehalten wurde, dem Koͤnige
mitzutheilen, als wenn er die Nachrichten aus Wien oder
Dresden erhalten haͤtte. Dann reiſte Clement nach dem
Haag ab. ö
Der König war ſeitdem aufferorbentlich verftimmt, traus
rig und mistranifh. Er ſprach mit Niemand von ſeiner Ums
gebung, lub in Potsdam Beinen angefehenen Mana, fordern
nur „ehrbare und wohl gewanderte” Bürger zu feiner Abends
geſellſchaft ) und hatte unter. feinem Kopflifien ſtets zwei ges
ladene Piſtolen liegen. Diefer Zuftand war feinen Umgebuns
gen hoͤchſt drücend, doch nur ber Zürft Leopold von Deſſau
wagte es endlich ihn geradezu, unter ben flärkfien Betheueruns
gen unbebingter Treue, um die Urfache feines Kummers zu bes
fragen und ihn fo dahin zu bringen, bie von Glement erhals
tenen Nachrichten mitzutheilen. Der Zürft erklaͤrte diefen fos
gleich für den ſchaͤndlichſten Betrüger, indem weder er, noch;
wie er überzeugt fei, ber Prinz Eugen an fold einen verbres
cheriſchen Plan gedacht hätte. Ex verlangte, bem Ankläger ges
genübergefielit zu werden und beſchwor den König, alle Mit⸗
tel anzuwenden, ſich deſſelben zu bemächtigen. Wirklich muſſ⸗
1) & fügt Bafmann I. ©. 280 ausbrädiih. Mauvillon I.
p. 362 u. Benetenborf IX. ©, 114 fagen, die Penfion ſei fogar von
Bekari —— worben, was an ſich fehon fehr unwahrſchein ⸗
2) Morgenſtern. S. 186.
se Bus VL Grhes Haupiid
ten der Herr von Marfihall und Jabionski) mit dinem
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reife zu widerfegen. Der Major Dumoulim muffte Clement
iten, welcher, nachdem ex ſich noch faft einen Monat im
Haag aufgehalten, ſogleich, nachdem ex. zur Ruͤckreiſe nach Ber⸗
Un in Gleve angelommen war, feftgenommen ”) unb bald nach
Spanbau gebracht wurde. Er beftand die beiden erflen Wer
böre
General v. Bord, dem er vollfommen vertrauete, nach Wien
und Dresden, um Auskunft Über dieſe Angelegenheit zu erhale
ten und beide ‚Höfe betheuerten natlrlih, ſoichen Abfcheuliche
1) &o wird ſich bie Sache wohl verhalten, —
Pölnig, yweimal von Berlin nach dem Haag gegangen und zweimal yurhet
nad) Berlin geholt worden iſt. Vergl. Men. de Bareith ĩ. p. 23.
2) Dos muß za Ende bes Jahres 1718 geſchehen feins Bapmann
fagt L p. B21 ex habe 17 Monate gefeflen. Vergi. ©. 231 u. Bene
tendorf IK. ©. 120. Gr wurde am 18. April 1720
Mäm. deBareith I, p. 24 fpredjen nur von ſechemonatilcher
doch iſt die Werfafferin darin nicht genau.
Element. 23
gen
beiten volllg fremd au fein, doch erflaunte ber Pring Chu °
über die aufferordentliche Geſchicklichkeit, mit der feine Hand⸗
ſchriſt nachgeahmt war. AS auch das den König nicht volle
Tommen überzeugte, fo wurbe Element gezwungen, in bed Ze
anbere deöperfi Spans
deun gebracht ) wurden, Wehe ——
heſteten gefundenen Briefe wurden
So namen a e ee
nachtheilige Aeuſſerungen in Briefen des Miniſters
gereizt, die Gelegenheit wahr, dieſen zu ſtuͤrzen,
men auch.gelang, ba Kamecke, welcher bie beiden Be⸗
Befeh Königs
EEREST
Ann
*
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Monate nach Spandau und wurde dann nach Poms
je Gater verwiefen. Auch der Minifter von Blas⸗
geflürgt, und fogar deſſen Gemahlin, Oberhofs
Königin, und von diefer fehr gefchägt, Bam auf
nach Spandau und wurde bann nad Sine von
2134
357
1) Iablonstt wurde 1719 fuspendirt, ah 11. Jali als unſchri⸗
dig wicder eingefeht. Derings Rad. L ©.
9) Am ausführtihften umb noch immer nun enäftt en Re
tau — Den. 0 U. ©. 121. Berg. König IV. 1. ©. 82; duch
ten find Gingelpeiten entflellt worden.
3) Dan Tann das Ausführliche der dabei flattgehabten ummürbigen
Umtsiebe in ben Mem, de Bareith T. I. p. 26 ff. u. 89 ff. nachleſen.
Kamecke war im Februar 1719 bereits entlaſſen; Goͤrne kam an beffen
|
34 Bud VL Erſtes Haupeftüd.
Der König war ſeitdem fo argwöhnifh, daß er noch
lange Zeit nachher ſich nicht nieberlegte, ohme feinen Degen
und ein Paar gelabene Piftolen in feiner Nähe zu haben.
Er ließ bie Briefe ‚Öffnen, welche nach Berlin _Tamen und
von bier abgingen und war gegen feine Umgebungen HöhR
mistrauiſch. Es zeigte fich recht Mar am Giement, wie ges
faͤhrlich ein am ſich ohnmaͤchtiger Menſch ohne Stand, Fas
‚milimverbindungen und Vermögen ben unbeſchraͤnkten Fürs
fin im einer Zeit werben Eonnte, in welcher jeber dem ans
dem zu mißtrauen Urfache Hatte und doch das Wohl des
Staats allein faft von dem. Willen deffen abhing, der an deſ⸗
fen Spige fland. Daher eben Fam es auch, daß der Wechſel
der Anfichten oder der Perfonen Über:daB Schilfal der Völker
entſchieb. Es mar auch jetzt wieber der Ball, denn während
der vielſeitigen Spannung unter ben europaiſchen Mächten und
der am berliner Hofe durch Clement veranlaflten Unruhe kam
die.Machricht von dem Tode Karls XII. aw, welcher (11. Dec.
4718) ‘vor der Feſtung Friedrichshall erfchoffen worden war.
Dat bewirkte eine große Veränderung in’ ben noch ſchwebenden
riebenduerhandlungen, - obgleich diefe zwiſchen Schweden und
Bupland auf ber Infel Aland und zwar feit dem April 1719
fogar mit Zuziehung Preuffens fortgefegt wurden. Allein die
Königin Ulrike Eleonore, Schweſter und Nachfolgerin Karls,
neigte ſich mehr zum Frieden mit Hannover, wofuͤr aud) Frank⸗
eich thätig war, unter beffen Vermittelung die Präliminarien
— nicht nur zum Frieden, ſondern bald darauf ſogar zu einem
Blndniffe mit Hannover und an demfelben Tage aud auf
engliſche Vermittelung die Präliminarien des Friedens mit
Preuffen abgefchloffen wurden‘), wodurch ſich Friedrich Wils
heim ‚auch von ber Werbindung mit Peter Iosmachte, deſſen
Entwürfe ihm zu weitausfehend waren ?). Noch zögerte Schwes
den mit dem endlichen Abfchluffe, als der Morbbrennerzug der
ruſſiſchen Flotte, welche an ber ſchwediſchen Küfte 1500 Doͤr⸗
1) Schöll Bist. des traitds T. KIIL p. 288.
2) Deẽhalb beſchwerte ſich auch ber preuſſiſche Geſandte Wianolonski
in einer Dentſchrift au den Ring eng 1. une Kabm babe, daf
Georg aud) den König Friedrich Atem von deffen Bunde mit Btußlanb
loegemacht, in Montgon. Memoires T. II. p. justif. —
Erlede mit Schweden. \ "305
fer, Schlöffer umd Städte in Aſche legte, bie Königin buch „ 1. gebr.
fumaßfifde "und englifche Vermittelung auch zum Brieen 1720
mit Preuffen ftimmte, welcher auf folgende Bedingungen
greifchen der Ober und Peene und ben Infeln Wollt und Ufes
bom an Preuffen mit dee Bedingung der Erhaltung aller Pri⸗
vifegien der Einwohner, ber freien Uebung ber Religion nad
der ungeänderten augsburgifpen Confeſſion unb ber biäferigen .
Zreipeit vom Sundzole ab. Der König von Preuffen vers
ſprach, während des Kriegs Rußland auf Beine Weiſe —*
Schweden beizuſtehen, odet deſſen Anſchlaͤge zu befoͤrdern,
neuerte die alten Bimdniſſe mit Schweden und zahlte Beet
ben bis Ablauf des Jahres zwei Millionen Thaler. Auch Damm
und Golnow wurden an Preuffen abgetreten, welches fi, wie
Georg L dafür zu verwenden verſprach, daß Schweden einen
billigen Frieden, namentlich Rügen und das Übrige Pommern
von Dänemark zurldigeftellt erhielte. Preuſſen verſprach auch,
feine Befagung, fobalb mit Dänemark Frieden gefchloffen wors
augsburs
giſchen Eonfeffionsverwandten '). Bald barauf (31. 5 wurde 81. Mai
am Preuſſen auch der Licent, welchen bie Schiffe in Stettin 14. Juni
zu entrichten hatten, von Schweden abgetreten”), welches dann 1720
mit Dänemark und mit Rußland ——— ſchloß. 0. Sept.
So war denn ber Norden’ auf Koften des unglüdlichen got
Schwedens und de Berge von Holflein beruhigt. Jeder der
Verbündeten hatte, und man kann wohl fan, 1 keiner rechts
mäßiger Beife, mehr oder weniger Land erworben, Preuſſen
das ihn fo wähle, fon Ba großen Kurfürften fo fehns
lich erfirebte Stettin ben DObermündungen. Friedrich
diſc
noch zwei Millionen Thaler bezahlt, deren dieſes arme Land
fo ſehr bedurfte, endlich, zufrieden mit dem, was ihm zuge⸗
1) Dumont T. VIIL 2. p. 21.
2) Dumont a. a. O. p. 2%.
Stengel, Geld. d. Preuſſ. Staats III. 20
306 Bud VI. Zweites Hauptftüd.
fallen, nicht baranf bringen ber daß ihm auch Wolgaft und
Rügen abgetreten würde, was vielleicht möglich geweien wäre
mac, bunchzufegen ). Im folgenden Jahre (1721) nafın ber
König in dem neuerworbenen Lande bie Hulbigung ein und
Heß ber flettiner Buͤrgerſchaft die ihr während des Krieges ab⸗
genommenen Waffen zuritgeben, fie mit Ober» und Unterges
ehe und fliegenden Fahnen vor ihm zur Muſterung erſchei⸗
nen und war über fie fo vergnügt, daß er fie wit Wein zu
ihrer Eieinlen beſchenkte .
Zweites Hauptſtuͤck.
Regierung und Verwaltung des Staats.
Friedrich Silhelm I. Hat bie preuſfiſche Monarchie 27 Jahre
Deutfe fi Liter darüber Hnagfe 4
— biwegſedten, eb ihnen auf irgend eine
9) Bapmann L ©. 881.
Der unumſchraͤnkte König. 307
Fee ohne fie zu verwenben. E gleicht dem reichen Marne,
deffen fühlt, was er damit vermöchte, aber fein Gelb viel zu
fieb gewonnen hat, als daß er ed ausgaͤbe.
Die unauögefegt auf den Krieg gerichtete Thaͤtigkeit Fried⸗
rich Wilhelms ift dennoch durchaus frieblih. Da er nun faſt
keinen Krieg führt, auch auffer Stettin Leine Croberungen
macht, fondern feine Schatzkammern füllt und ein verhältnigs
mäßig unglaublich ftarke ‚Heer ausbildet, vom Kleinſten zum
Groͤßten Alles bereit hätt, als wenn der Sturm jeben Auges
bil losbrechen koͤnnte, fo ift ber Hauptgegenſtand feiner Ges
ſchichte, darzuftellen, was er in biefes Beziehung ımb wie er
es gethan. Wir werben daraus lernen, daß Preuffen nicht
nur durch feine Kriege, daß es wenigftens eben fo febr durc.
feine Regierung und Verwaltung groß geworben iſt, daß, was
man auch dagegen fagen mag und fo wenig glänzend es er⸗
ſcheint/ mancher Federſtrich einen Schwertſtreich, mandyer Dro⸗
rien Dinte einen Tropfen Bluts aufwog, ben er erſparte.
Man iſt in Preuffen vielleicht nicht erfenntlich genug gegen bie
Kriegsmaͤnner, aber: ſicher und) weit weniger iD biejenigen
ber betounberung .
ausdachten und —& ausflihrten ober —* halfen.
Ihre Namen liegen, wie bad Andenken an ihre Verdienſte
i im Staube der Acten vergraben ober finb mit dieſen
der Vernichtung und fo ber Vergeffenheit preiögegeben.
Der König betrachtete ſich in jeder Beziehung als umums
ſchraͤnkten Herrn der ihm von Bott übergeben Unterthanen,
Das entſprach zugleich feinem veligisfen Sinne und feiner hef⸗
tigen Weife, welche keinen Widerſpruch duldete. Vorſchlaͤge
te er wohl an, er foberte auch feine Kaͤthe dazu auf: „ich
bin doch König und Herr“, fagt er, „und kann machen, was
ich will!“ Denn Gehorfam verlangt er, augenblidlichen, uns
bedingten, blinden Gehorfam, Won Natur rechtſchaffen, if
er ſich keiner böfen, vielmehr guter Zwecke bei ber Aubhbung
feiner Macht bewufft, darum erträgt er Teine ihm von Men:
ſchen gejegten Schranken, er bricht fie gewaltfam nieder. Er
20*
308 Bud VI "Zweites Hauptfiüd,
weiß es aber und iſt vol davon, daß ex Gott Bechenfchaft
ſchuldig. Das allein beugt zumeilen feinen @igenwillen, ober
ſchaͤrfer, als er aufferdem geweſen wäre. Ex hat gelefen: „Wer
Blut vergiefft, deſſen Blut fol wieder vergoffen werden” und
begnabigt daher um Blutſchuld nie. Doch iſt er auch von Natur
Seen, oft ges, gereizt auch graufam ), nicht als —
ber 5i8 zum Minifter, vom gemeinen Solbaten bis zum Ges
Edelmann gegen
nicht
iſt das Recht ſelbſt und deſſen von Gott eingeſetzter Verwalter.
Er iſt immer uͤberzeugt, daß er recht habe und verfährt darum
—— Cihen Es iſt ſchwer, faft unmoͤglich, ihn vom
er nur ſeines Staats wegen ‚lebte. ehe Tab in kinm Be
danken und Handlungen unzertrennlih. Sein in funzen Sa⸗
gen, Si mn In wenigen Böorken sam Banbe ber Ihm gem:
ten Berichte, Vorſtellungen, Gefuche von ihm
göchin Me BaSch, Gr, vn dm ie Baung
dem.fofort gehorfamt werben muß *). Gein Beberflrich ordnet
8) Man fehe 191 derſelben in Fo ‘ L us
Ar aa Erfters Friedrich Eilhelmn
- Der unumfhräntte König.
und ändert bie Verfaſſung und Verwaltung des
‚Heereß, ber Binanzen, der Kirche, enfcbe üben £
Gut, Ehre, Leib und Leben. on oben herab foll
tergebene feinem Vorgeſetzten eben fo gehorfam fein
© täfft (1719) bie Mägde, dern Tros und Ungehorſe
gleichriel 0b geringen ober. vornehmen Herrſchaſten mit
ui
Feriz $
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fin
Fi
Es
zii
s
g
37
bringen.
In feinem einfachen Rode, auf feinem hölzernen Sches
me, im Umgange fo aller Foͤrmlichkeiten Beind, gerade wie
ein Soldat, bieder und herzlich wie ein Landedelmann, hat er
doch einen großen Begriff von bem Anſehen, das fih auf
Macht gründet, daher ift er unabläffig befenat, © diefe zu erhoͤ⸗
hen. Dabin zielen alle feine Beftrebungen. Ex muß daher.
Alles wiſſen, was in jedem Beige ve Email vom Groͤß·
ten bis zum Kleinſten gethan wird, er muß erfahren, was in
jedem Theile feines Staats vorfält, opne ihn barf nichts gethan
werben. Er arbeitet von früh bis fpät, er fchläft Baum und
faft nur Fre ihn — die e fölchteten Ziege, Wind und
Better, Eis und Schnee nicht abz umverweichlicht, ohne Bes
achtung ber einfachften Bequemliäteit iſt er auf, zu Wagen
oder zu Pferde, immer eilig, nichts geht ihm zu ſchnell; fo
bietet er allen Befchwerden Trotz. Daffelbe verlangt er von
feinen Beamteten, feinen Dienern, weil er fie dafuͤr bezahlt,
daß fie arbeiten follen. Er felbft überwacht Alles unabläffig.
Ale Diener, bald alle feine Unterthanen zittern vor ihm, wie
feine Kinder. Er ertpeilt ben Staatöminiftern bie derbſten oft
gröbften Verweiſe ), drohet ihnen mit hohen Strafen, fegt ke
ab, fit fie auf die Feflung, wie er ben Thorſchreiber
Potsdam, welcher die Bauern vor dem Shore warten um
ohne es zu Öffnen, mit einem: „guten Morgen, Herr Thor:
ſchreiber!“ eigenhändig aus dem Bette pruͤgelt). Er wollte,
bie ganze Nation follte fo einfach Ieben und fo thätig und bes
triebfam fein, ald er. Was feine Unterthanen erwarben, fland
1) Er ſprach auch wohl in’ber Art: „mein hundefdttiſches Gabinets«
mintfterium" u. f. w. Seckendorf journal secret p. 10.
2) Benekenborf I. ©. 185.
310 Bud VL Bweites Haupefiüd.
thin zut Werfügung frei je meht fie arbeiteten, um fo mehr
verftärkten fie feine Macht. .
Keiner der preuſſiſchen Fuͤrſten Hat, ſeitdem bie Monars
hie in den Kreiß ber größeren europäifchen- Staaten zu treten
anfing, die wahren Grundlagen aller Macht, Gold und Eifen,
ganz aus ben Augen verloren, doch auch Feiner fie unmittel⸗
barer fefigehalten, als Friedrich Wilhelm I. Ueberdies ent
ſprach das feinen Neigungen. Geld und Soldaten liebte ex
ſchon als Knabe. Vor allen Dingen gehörte aber zue Ent -
widelung ber Staatsmacht auffer der Sparſamkeit bie forgfäls
tigſte Aufmerkſamkeit zur Erforſchung und Benutung jeder
möglichen Hülfsquelle, die genaueſte Ordnung in der Verwal⸗
tung unb unabläffige Aufficht zur Erhaltung derſelben. Was in
biefen drei Rüdfichten der preuſſiſche Staat vor anderen Auds
gezeichnetes geleiftet, das rührt zunächft von ihm her, was ex
darin neu gefchaffen, gehört ihm. Die Räthe und, Minifter,
fo groß Ihre Werdienfte im Einzelnen waren, halfen ihm nur,
wa ber Kern, von dem Alles aus⸗, auf ben Alles zus
ging.
Einen eigentlichen Hofftant hielt er nicht... Won allen Ober»
bofbeatnteten feines Waters behielt er nur den Oberhofmarſchall,
Breiperrn bon Pringen, doch nicht ſowohl als folgen, fondern
als Minifter mit ſtarker Gehaltsverminderung'), feit deſſen Tode
(1725) nur einen Hofmarſchall, ferner einen Oberküchenmeifter,
4 Gmerale als Kammerherren, 4 Kammerjunker meiſtens
zur Aufwertung bei der Königin, 16 Pagen, von denen täge
ch nur zwei Dienfte leifteten, 2 Xeibpagen, bie immer um
thn waren und ihm Überall begleiteten, 5 Kammerbiener, 6
Lakaien und 12 Nägerburfen, welche, wie auch zuweilen Gtes
nadiere, bei der Tafel aufwarteten*).
An die Stelle der zahlreichen Hoffeierlichkeiten an Na—
mens⸗ und Geburtötagen ber koͤniglichen Familie, am Jahres
tage ber Krönung feines Waters, bie der Sohn als ummüge
1) Bon 40,000 auf 12,000 hie.
2) Rach Faßmann L &, 861 Wilken im Berliner Kalender v.
1823 &. 28 aus dem Adreplalender v. 1715. Morgenftern ©, 144
u. Yölinig wenig abweichend.
Der unum ſchraͤnkte König. 311
und koſtbare Ceremonie nicht wiederholte, traten die taͤglichen
Bachtparaden und die häufigen Muſterungen der einzelnen Res
gimenter, ausnahmsweiſe von Zeit zu Beit die Heerfchau über
mehrere zugleich. Dem Könige war alles Geremoniell fo. zus
wider, daß er (1729) auf feiner Reife nach Sühbeutfhland,
fo gem er ein bereits amgerichtetes koͤſtiiches Mahl. in Leip⸗
sig zu fi genommen hätte, doch ohne Aufenthalt weiter reiſte,
weil ipn die Komplimente bes Generald Hopfgarten vertrieben,
welcher ihn empfing ) Einfah und ungezwungen in feiner
Kleidung wie im Umgange mit feiner Frau, feinen Kindern,
Generalen, Miniftern, mit Jedem, ſowohl zu Haufe wie in
Geſchaͤften, auf der Jagd, auf Reifen, überall, wurde das bald
allgemeine Sitte, der Aufferliche Unterfchieb der Stände vers
ſchwand in Berlin groͤßtentheils. Man machte nicht mehr,
wie früher, nichtebebeutende Komplimente, fah keine Staais⸗
perücken mit fteifen Köpfen unb gefpreizten Manieren, nichts
von Gepränge und Foͤrmlichkeiten, welde damals an anderen
Höfen bie halbe Welt zu Schaufpielern machte. Man aß und
trank, fpielte, kam und ging ohne fi über das Geremoniell
zu ängfligen®).
Der König felbft war in ber Regel, wenn nicht Reifen
eine Ausnahme veranlafften, nach Verhaͤltniß der Jahreszeit
um 5, 6 oder 7 Uhr auf und las regelmäßig in Amabei
Greuzbergd täglicher Andacht’). Dann erfchienen feine Cabi⸗
netöräthe oder Serretaire, wie er fie nannte, und bielten ihm
nvei oder mehrere Stunden hindurch Vortrag. Verſiegelte Sas
en wurden in feiner Gegenwart eröffnet, gelefen und meiftens
gab der König eigenhändig kurzen Beſcheid darauf. Während
dem, ober gleich nachher, kleidete er ſich an, hörte darauf feine
Minifter, Officiere und wer fonft ein Anliegen hatte, und hielt
um 10 Uhr die Wachtparade, bei der ihm gewöhnlich fremde
Geſandten oder auch andere vornehme Fremde vorgeftellt wur⸗
ben. Bon hier begab er fi in ben Stall (auf ber breiten
Straße), erteilte Befehle und ging aufs Schloß zurld. Waͤh⸗
1) Benetenborf VI. ©. 105.
2) Eoen Beine Gchriften Thl. I. Abthi. 3. ©. 32 ff.
3) Morgenftern ©. 160.
312 Bud VL Zweites Hauptfiäd. =
sub bier Bethltigungen nahme, wenn er gut gelaunt
Wittfchriften an. Um 12 Uhr fpeifte er, vier Gerichte,
Sausmannstof, —— wie ſie auf dem Liſche wohls
babender Bürger und Sutsbeſiter gewöhnlich
. gen begleitet und immer aufmerffam auf Alles, was ihm bes
gegnete, ertheilte nach feiner Ruͤckkehr die Parole, beforgte noch
—E und ging um 5 ober 6 Uhr in feine Abend⸗
geſellſchaft *).
fie faft das eigentliche geheime Gabinet oder doch ben geheis
men Staatsrath Friedrich Wilhelms J. nennen.
Der — — gern mit feinen Beamteten und Unter⸗
und liebte eine moͤglichſt ungezwungene Unterhaltung,
fowohl bei ber ã als beſonders Abends, wenn er
von ben Anſtrengungen des Tages einigermaßen ermuͤdet, fich
erholen wollte. Schauſpiele und Concerte fanden nicht ſtatt,
daher lud er in Berlin und Potsdam zu ſeiner taͤglichen Abend⸗
geſellſchaft, welche in ber Regel von 5 bis 9 Uhr dauerte,
feine Generale, Staböofficiere und Minifter, auch wohl aus⸗
wärtige Geſandte, wie ben kaiſerlichen Sedenborf, den Hol⸗
länder Ginkel zuweilen, ausnahmsweiſe fonft. einen und ben
anderen Mann, ber ihn intereffirtes doch burfte num, wer ges
rufen war, erfcheinen. Weil ber König gem Taback rauchte,
fo fah er es gern, wenn das jeder Gaft that, oder
wie ber $ürft Leopold von Deſſau und der kaiſerliche Gefanbte
Sedendorf eine von ben holländifchen Thonpfeifen in den Mund
nahm, voelche auf bem Zifche lagen. In Pleinen geflochtenen
Koͤrbchen ftand hollaͤndiſcher Taback, in Fupfernen Pfaͤnnchen
glimmender Torf, auf einem Nebentiſche aber ein Topf mit
guter Butter, ferner Brot, Braten oder Schinken, wovon ein
jeder Gaſt nach Belieben nehmen konnte, und dazu auf ſeinem
1) Benekendorf L ©. 88.
9) Bafmann I. ©. 859. Benekendorf J. S. 1. Morgen
ftern S. 161.
Der Hof. Das Tabadscollegium. 313
Plage einen weißen Krug mit budfleiner Bier und einem Glaſe
erhielt, um es ſich felbft einzuſchenken Alle Bediente mufften
das Zimmer verlaffen und burften nicht eher, als ber König
das Zeichen dazu gab, wieder erfcheinen. Die Unterhaltung
im Zabad&collegio wurde über bie verfchiebenften Gegenftänbe
ganz zwanglos geführt, auch Schnurren vorgetragen, gefcherzt,
gefaßt, genect, aufgezogen und gelacht. Nur heimlich durfte
Niemand mit dem Andern fprechen, weil das ber fehr argmöh:
niſche König nicht gern fah unb barlıber, wie auch fonft über
andere, unbebeutende Gegenftänbe in heftigen Zorn gerathen
Eonnte'). Hier im Kreife ihm bekannter und vertrauter Mäns
ner ließ der König, welcher Überhaupt von Natur nicht zus
rödhaltend war, feiner Laune oft freien Lauf, fprach von feis
nen Entwürfen, feinen Anfichten über Perfonen und Gegens
fände, ſchuͤttete auch wohl fein durd Staats» und Familien»
angelegnheiten bewegtes ‚Herz aus. Es lag num wohl In ber
Natur der Sache, daß der König in diefem Kreife nicht nur
mancherlei Nachrichten, fondern auch Anfichten mitgetheilt und
fo Eindruͤcke erhielt, welche für einzelne Perfonen, wie für.feine
Regierungdmaßregeln ımb felbft für die gefammte Leitung ber
Staatsangelegenheiten hoͤchſt folgenreich fein konnten. Dft kam
es, vorzüglich was auswärtige Angelegenheiten und bie Wers
haͤltniſſe zu fremden Höfen betraf, weit weniger barauf an,
‚wie die Minifter den Gegenfland vortrugen, ald was bie vom
Könige gern gefehenen Generale ober feine Generaladjutanten
dazu meinten. Deshalb war es befonders für bie fremden
Minifter fehr wichtig zu erfahren, was in ber Abenbgefellfchaft
gefprochen wurde, und noch mehr ein ober das andere Mitglieb .
derfelben zu getoinnen, um gelegentlich dem Könige das, was
gemimfät wurde, zu ham, ober ihn fo zu flimmen, wie man
Doch durfte das nur wit großer Vorſicht geſche⸗
ben, * er ſehr mistrauiſch war, vorzüglich, wenn er beforgte,
man wolle ihn leiten. Darum hatten bie einfachen, ehrlichen
alten Dfficiere, oder die, welche fich als folche darflellten, auf
ihn weit mehr Einfluß, als die verfhlagenften Menſchen, weil
er biefe ſcheuete.
H.Faßmann I. ©. 879. Benekendorf I. ©. 137.
314 Buch VL Bmeites Hauptftäd.
In der biöherigen Landesverfaſſung änderte er anfänglich
nichts. Er war der Erbe einer unumſchraͤnkten Gewalt, und
wäre er ed nicht gewefen, er würde fie dennoch gelibt und feis
nem Sohne hinterlafien haben. Bei der Hulbigung in Preufs
fen hatte er zwar die Landſtaͤnde berufen, doch mit dem aus:
druͤcklichen Befehle, ſich aller Befchwerben zu enthalten und bie
Beduͤrfniſſe des Landes als Wänfche an ihm gelangen zu laſ⸗
fen. Die Stände begannen ihre Verhandlungen mit bem
Sage, daß man ja dem allmächtigen Gotte feine Verheiſſun⸗
gen vorhalten koͤnne, der bemungeachtet allmächtig bleibe, und
baten den König, es auch nicht ungnäbig zu deuten, wenn
fie ihm ihre Privilegien und die Verheiffungen feiner Voraͤltern
vorhalten würden. Der König gab darüber ſowohl hier, als
wahrfcheinlich in anderen Provinzen, die Verficherung, daß er
die Rechte ber Stände wie im Allgemeinen die ganze Landes-
verfaffung aufrecht erhalten und Beinen Unterthanen in dem,
was er billig und fügfid als Recht anfehen Tönme, beeinträdye
tigen wolle; allein wirklich waren bie Stände faft ohne alle
Bebeutung, wurden nur der Form nach, und, wo biefe uns
bequem war, gar nicht berüdfichtigt ). Selbft als Grebits
anftalten waren fie der willfitlichen Gewalt preiögegeben, . fo
bald ſich biefe nur bie Mühe nehmen wollte, fid ber Stände
zu bedienen.
Einige Jahre nach feinem Regierungsantritte fand Pr ins
deffen der König, doch lediglich aus finanziellen Rüdfihten,
veranlafft eine nicht umwichtige Neuerung in ber Lanbeöverfafz
fung zu machen und bie Art an eine durch ihr Alter wenig⸗
ſtens ehxwurdige, obwohl nun fchon voͤllig morſche Eimichtung,
nämlich an das Lehnweſen zu legen.
Seitdem ber ewige Landfriebe die Fehden abgeſtellt hatte,
fehlte es der Ritterſchaft im Lande meiftens an Gelegenheit zu
Kriegöthaten, weshalb fie häufig in fremde Dienfte zog. Als
mun aber fchon im fechzehnten Jahrhunderte die Feuerwaffen
immer gewöhnlicher wurden und bie eifernen Rüftungen gegen
ſie nicht mehr gehörig ſchuͤtzten, trat dad Ungeeiguete ber bis⸗
© 3. Voigt Darfiellung der ſtaͤndiſchen Verhaͤltniſſe Oftpeeuffens
Das Lehnweſen. 315
herigen Kriegöverfaffung immer ſtaͤtker hervor und der gewors
bene Söldner nahm balb die Stelle der unbrauchbar geworde ⸗
nen geharniſchten Ritterſchaft, wie ber eben fo wenig tauglis
Gen alten Landmiliz ein. Seitdem wurde e8 immer häufiger,
daß ber Abel, ber fih mit gemeinen Gölbnern zu bienen
ſchaͤmte, dem Füuͤrſten bie Roßdienſte bezahlte; fo kamen bie
Lehnpferbgelber auf’). Mit ber Errichtung flehender Heere
wurde bie Laſt des Krieges auch während des Friedens auf
das Volt geworfen, ber fleuerfteie Adel trug davon nichts, ja
er genoß noch den Worzug, baß feine zahlreichen Mitglieder
als Officiere unterhalten wurden unb blieb dabei im Seſite
ber Guͤter, für welche ex den Kriegsdienft übernommen hatte.
Er war zwar verpflichtet, bei der Werheirathung ber fuͤrſtũ⸗
hen Fraͤulein, ferner in ReichBangelegenheiten und einigen bes
fonberen Bänen boch nur aufferorbentlich zu feuern, doch wurde
daS von den Finſten felten, von ben Königen von Preuffen
gar nicht mehr verlangt, weil es fo unbebeutend war, daß bie
Koften der Ausfchreibung und Erhebung: der fo Meinen hers
koͤmmlichen Summen dern Betrag wohl gar Überfchritten ha⸗
ben volirden. Das hatte Friedrich Wilhelm I. wohl überlegt,
und erließ daher, ohne ſich um die Einwilligung bes Ritters
ſtandes zu beklunmern, ja ohne ihm nur zu fragen, ein Edict,
daß er wegen ber befchwerlichen Laſt, welcher die Nitterfchaft,
Baſallen und Lehnöleute bei der auf ihren Lehnglitern haftens
den Lehns qualitaͤt und den davon abhängenden Lehnsmuthun⸗
gen, Inveflituren, Verfolgung der gefammten Hand, Conſen⸗
fen’ und Gonceffionen unterworfen wären, deren Vernachlaͤſſi⸗
gung oft den Werfal bes Lehns oder fchäbliche Proceffe nach
fi führe, Die allergnäbigfle Entſchlieſſung gefafft, alle und
jede Adels⸗, Schulzen⸗ und Bauerlehen im Königreiche Preufs
fen und in feinen Kurs und anderen Ländern auf ewig für
Allobial und Erbgüter zu erklaͤren und den Lehnsverband mit
Allen, was den Lehnrechten und Herfommen anklebe, ober
wodurch die Wafallen ihre Lehen verbienten, aufzuheben und
zu erlaffen, auch alle von feinem Water ober ihm ertheilten
Anwartfcaften, wenige ausgenommen, zu caſſiren, bie Be
1) ©. Band 1. ©, 482 fi.
6. Ian.
1717
"316 Bud VL Zweites Hauptftäd.
theiligten aber anberweitig zu entſchaͤdigen. Fuͤr bie ben bis⸗
berigen Sehngütern abgenommenen kaſien unb nun bewilligten
Vortpeile erwarte er von ber Bitterfchaft eine billige Gelbfum- _
me, weshalb er ber kurmaͤrkiſchen befahl, nach 4 Wochen Ah;
georbnete nach Berlin zu ſchicken mit einer Erklärung, wie viel
fie jährlich zu entrichten daͤchten). Die kurmaͤrkiſche Ritterfchaft
erkannte die Verpflichtung zum Ritterdienſte für den Fall ber
Nothwendigkeit an, fo wie auch, daß bei den furchtbaren Rüs
lungen der Mächte diefer Ball jeden Augenblid eintreten koͤnne.
was eine beftänbige Unterhaltung ber bei ber jegigen Art ber
Ktlegführung unbrauchbaren Roßdienſte nöthig machen würde,
weshalb die Verwandlung derfelben in eine billige Gelbfumme
eine nötige und fchulbige Sache fel; allein fie hatte auch meh⸗
vere Bedenken gegen eine fo burchgreifende Veränderung ber
gefanmten Verhältniffe des Grundbefiget. Der König gab
daher, wie er fagte, um ungleiche Deutungen zu befeitigen
und feine eigentliche Abſicht bei der Lehnöveränderung darzu⸗
Febr. thun, folgende Kefolution: Bamilienrechte und Erbfolgeorbmung
ir der Sehen follen bleiben und in biefer Beziehung bie Gliter nur
unter gleichen Bedingungen wie früher mit Schulben befdywert
werben koͤnnen. Die Ritterfchaft behält bie Rechte über ihre
Güter dem legten ihr barlıber ertheilten Lehnbriefe gemäß, auch
dab Jagdrecht und, jedoch nur aus koͤniglicher Gnade, bie freie
Verfügung über ihr gehörige Eichen: ‚und Fihtenwalbungen.
Lehnöverbrechen und demgemaͤß Beraubung ber Güter hören
auf. Er verlangte für jedes Ritterpferd jaͤhrlich 50 Thaler als
geringe Anerlennung, da jeber Lehnsmann bei Erfaufung eis
nes Lehngutes wegen des nicht mehr zu leiftenden Ritterdien⸗
ſtes 1000 Zpaler gewinne, von denen er bann jäprlih 5 Pros
cent entrichte. Die Ritterſchaft muͤſſe ſchon deshalb ein rais
fonnables Quantum feffegen, damit der jährliche Kanon nie
erhöhet werbe, was er, fo lange er lebe, nicht zu thun ver⸗
ſprach. Güter, die auf dem Falle ftänden (nahe daran waren
an ben König als Lehnsherrn zurüdzufallen) nahm er von ber
Alsbification aus; binnen 4 Boden erwarte er ihre Er⸗
1) Bafmann L. ©. 190.
D
Das Lehnweſen. 317
ten vom 1. Juni d. J. an in allen Provinzen jährlich 40 Zplr.
für jedes Nitterpferb entrichtet werben, wogegen er noch mans
Ge ihm bis jeht auftehende Nutbarkeiten aufgeben wolle. Das
nahm bie kurmaͤrkiſche Ritterfchaft an und erhielt Dagegen eine
me6 Ranbbuche zu Erhaltung des Credits ber ehemaligen Sehn-
giter”), auch follte nach einem ſpaͤteren Edicte das Bulbigungss 25. Behr.
mb der Ritterfihaft gegen den Sandeshern 1720
ferner von Lehen ber Körperfchaften, Collegien, Gemeinden,
Innungen und Gewerke mufften, ſelbſt wenn fie Feine Dienfte
e. 1) Be Bafmann I. S. 194, auch im Theatz. Europ. v. 3.1717
115.
9) 6. Teil. ©. 69.
8) Bafmann L ©. 1%.
4) Sbendaf. IL. ©. 434.
B. Aug.
1721
318 Bud VL Zweites Hauptflüd.
davon zu leiften oder Behmmaare dafuͤr zu entrichten, alfo auch
nichts abzulöfen hatten, ein Lehnskanon an ben König entrich⸗
tet werben '). Darauf wurden auch alle Schulzen- und Bauern:
lehen ber Kurmark gegen einen ‚iehrühen an ben König gu ent⸗
richtenden Kanon für Erbgüter erklärt. Die Summe ber Lehn⸗
pferde betrug in bee Mark 917, für die alfo zabrlich 36,650
Thaler entrichtet werben muſſten.
Nicht uͤberall war der Abel fo nachgiebig als in ben Mar-
Een. Im Magdeburgiſchen wibesfegte fih ein heil ber Bits
terfchaft der ihnen neuen umb allerdings aufgebrungenen Be
fleuerung mit aller Kraft und wenbete fi an ben Kaifer, ber
ſich ihrer ‘bei feiner damaligen Verſtimmung gegen ben König
33. Bebr. nachbrüdlich annahm und dieſen, weil bie Lehnaufhebung gegen
1718
December
1722
alled Becht, » Bribet un Difenam im Beide, auch gegen
maßen erbitterte, daß er feinen Miniſtern Bet alle übrigen
Domainenproceffe fallen zu laſſen, aber die aller berjenigen
Edelleute, welche fich weigerten, den Lehnskanon zu entrichten -
und an ben Reichshofrath aupellirt hätten, mit aͤufferſtem Rache
deude fortzufegen und fie moͤglichſt zu chicanicen, um ihnen
ben Kigel ya -wertzeiben,. weite: an begleichen gottiofes und
Banon auf ihre Unterthanen: zu ſchlagen und fo ihre Steuer
freiheit, die ſie für gerährbet bielte, zu behaupten®). Als fie
aber (1725) fogar ein Decret zur Aufrechthaltung ihrer Rechte
i ben Reichöhofrathe erwirkte, ber an Kurſachſen und mehs
rere Reichskreiſe den Befehl zur Erecution gegen den König
gaby gerieth dieſer fa auffer fih, um fo mehr, ba, wie er
behauptete, nur acht Adelige ihm entgegen wären. & aiturte,
1) Faßmann IL ©. 498,
2) Theatrum Europaeum v. 3. 1718 ©. 137.
3) In feinee Inſtruction für das Generalbirectorium v. Dec. 172%
n ee) Zetnerf on Eugen, 7. Apr. 1725, Börfters urkundenbuch
Das Lehnweſen. 319
das proſtituire ihn und fege Ihn auffer Reſpect bei feinen Un⸗
terthanen. Man wolle ihn zu einem unvorſichtigen Schritte
bringen, dann mit dem ganzen Reiche über ihn herfallen und
ihn ind Unglint ftürgen‘). Inbefien, da ber König. bald dar
auf anfing mit dem Kaiſer in ein beſſeres Vernehmen zu Toms
men, fo fanb bie Ritterfchaft in Wien Teine hinveichende Uns
terſtuͤtzung weiter. Die Meiften zahlten, Einige aber blieben
fo hartnaͤckig, daß noch nach vielen Jahren ihr Lehnskanon jes
beömal durch militatrifche Ererution beigetrieben werben muffte”)
In Preuffen dauerte der Wiberſtand auch dis zum 3.1732,
denn erſt da erhielt (18. Dec.) der Abel vom Könige bie Aſſe⸗
curatien vüdkfichtlich ber Werwanbelung der Lehen in Erbguͤter)
Allerdings mochte es dem Könige fehr unangenehm fein, Wi⸗
derftand bei einer Einrichtung zu finden, die er nicht nur dem
Lande im Allgemeinen, fonbern auch bem Abel für
hielt, indem im anderen Ländern bie Bafallen große Summen
an den Lehnsherrn gezahlt hatten, um freie Werfügung über
Ihe Rehen zu ahaltn; auch muß wıan geflchen, baß bei ben
aber lag es ganz im Geiſte ber Ritterfchaft, fich, ohne weitere
Unterfuchung über veränderte Verhaͤltniſſe, bei ihrer Struer⸗
freiheit zu erhalten; jedenfalls konnte es von ihr in Frage ges
ſtellt werden, ob bie ihr neu aufgelegte Sof zur Erleichterung
bitteren empfinden, als fie jährlich mit der wiederkehrenden
1) Sedendorf an Eugen a. a. ©. ©. 32.
2) Buchholz Drandenb. Gef. ZH. V. S. 196,
9 — V. S. 463. Daher Roden bei Preuß, driedrich IL
©. 420 angibt, die Echnbarkeit in Preuffen fei im I. 1738
ann he
320 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck
Steuer den Nachtheil und nur in einzelnen Faͤllen bie unbe⸗
ſtreitbaren Vortheile der neun Einrichtung wahrnahm.
Wie wenig auch in anderen Rüdfichten ber König geneigt
war, bem Abel das Geringfle nachzugeben, was feiner unbes
ſchraͤnkten Gewalt in den Weg trat, zeigte er zu derſelben
det, in weiche er jene wichtige Umänderung ber Sehen
5
tage er Einführung des feften Hufenſchoſſes: *
verderblich hoͤhſt bedenklich für des Koͤnigs Intereſſe und
alıger Weiſe Eoftfpielig” und proteſtirte dagegen (31. Ian. 177)
mit den Worten: „toutle pays sera ruine." Der König fchrieb
derte, das fei gegen bie von ihm ben Gtänden gegebenen Res
verſe. Vas ber Abel fagen werbe? Erſt nachdem nadjbern baber wenige
Drittheil herabgefegt und num (1719) die Ausfuhr berfe
bei Leibes⸗ und Lebensſtrafe verboten. Er machte e8 —8
mainenkammer ſehr zum Vorwurfe, daß fie im Jutereſſe ber
ELandſtaͤnde gegen dad koͤnigliche Intereſſe gehandelt: Wir geben
ja den Kammern nicht um deswillen Beſoldung, hieß es, daß
fie vor bie Landſtaͤnde ſprechen, mit Ihnen eine Bande, und,
was das alleraͤrgſte, Partie wider uns ſelbſt machen ſollen ).“
Erlaß vom 14. Ian. 1728 bei Rötended Le».
Der Aber. 321
Bo fie feine Wilke nicht beſchraͤnkten, wollte er bie
Rechte der Stände wohl befichen laſſen, doch machten bie
Kriegs⸗ und Domainenkammern mancherlei Gingriffe, wozu
noch kam, daß bie Landraͤthe (feit 1723) zugleich Deputirte
der Stände und Untergebene ber Kammern waren, alfo beide,
einander oͤfters entgegenſtehende Intereffen nicht zugleich ver»
treten Tonnten, wobel natlrlih wohl in ber Regel das ber
Stände am meiften leiden mochte.
Auch fonft wollte er von den fchon damals laͤcherlich ges
worbenen Anfprlchen bed Adels auf Geburtsvorrechte nichts
wiffen. Im 3. 1715 beſchwerte fi) der aus altem freiherelis
hen Gefchlechte entfproffene Herr von Strundede in Cleve
darüber, daß der vom Könige ernannte Regierungsrath von
Pabft (von viel jimgerem Abel) feinen Plag nicht nur in der
Regierung auf ber Ritterbank feinem Patente gemäß, fon
bern auch in ber Kirche auf dem nur ritterbürtigen Beamteten
gehörigen Sige einzunehmen fich unterflanden und ihn, unge
achtet der ihm gemachten Worftellungen, bag er von neuem
Adel fei, nicht verlaffen, was allgemeines Auffehen erregt und
ihm (Strundede) und die Ritterbürtigen, über welche fih Pabſt
gefeßt, genöthigt habe, ſich aus ber beutfchen Kirche hinweg
in die franzoͤſiſche zu begeben. Er bat daher, da des Königs ho⸗
bes Intereſſe darunter verfire, der getreuen Nitterfchaft alte
Prärogativen und den Unterſchied zwiſchen ritterbürtigen Raͤ⸗—
then und neuem Abel allergnäbigft beizubehalten und zu eini⸗
ger Encouragirung der getreuen in ber Seelen affligirten rit⸗
terbürtigen Bedienten dem von Pabft nachbrüdlicht zu injun⸗
giren, daß er feine demenfurirte Ambition einfchränfe und in
der Kirche fich mit feinem vorigen Plage begnügen laffe. Der
König verfügte darauf eigenhändig: „Dieſes fein thorheit,
in Berlin ift fein Rang, in Kleve mus feiner fein. wen Pabſt
über mir figet in der Kirche fo bleibe doch was id bin, mein
extraction bleibet allezeit ')!" Demungeachtet war ber König
dem Strundebe nicht gram, ernannte ihn vielmehr fpäter zum
DOberpräfidenten der clevefchen Regierung und brauchte ihn zu
wichtigen Geſchaͤften. Bir werden bei mehreren Gelegenheiten
1) Schreiben und erfolgte Refolution bei Benekendorf VIIL@. 71.
Stengel Gef. d. Preuffiih. Staats. TIL 21
322 Bud VI Zweites Hauptflüd,
feben, daß der König, wenn irgend eine, fiher fehr wenig
Rüdficht auf den Geburtöadel nahm und fich in heiterer Laune
bei mehreren Gelegenheiten über ihn Iuflig machte. Daß er
ihn jedoch in einem gewiſſen Aufferen Anfehen erhalten wiſſen
wollte, befundete er durch ein Edict (v. 3. 1739), welches er
bei Gelegenheit eines befonderen Vorfalls erließ, in welchem
ex angefeflenen Adeligen und folchen, welche Erbrechte auf abes
ge ehemalige Lehngüter hätten, verbot, ſich zu unterſtehen,
eines geringen Bü ‚gerd oder Bauers Tochter ober Wittwe,
oder wohl gar eine unehrbare Perfon zu heisathen; doch wurs
den von dieſem Werbote unbefcholtene Töchter bürgerlicher Of⸗
fitiere und vornehmer Raths⸗, Gerichts⸗ und fonft geiſtlicher
und weltlicher Beamteten aus genommen .
Wenn der König mit dem einzigen eigentlich bisher noch
bevorrechteten Stande fo willkuͤrlich verfuhr, fo wird man fih
‚wohl denken Finnen, daß er den Städten, ja Überhaupt allen
Körperfchaften und Klaffen der Bewohner nicht ſchonender bes
gegnete, wie wir auch mehrfach befonderd darzulegen Berans
laffung finden werben. Ihre Verfaffung wurde indefien wer
ſentlich nicht verändert, eben fo wenig als bie Lage der Bauern;
wo dieſe wie in der Uckermark und ‚Hinterpommern leibeigen
waren, blieben fie es ).
Welt durchgreifendere Anordnungen traf der König in der
Verwaltung des Staats, was auch nach der, vorzüglich in der
on Hälfte fo ſchlaffen Regierung feines Vaters um fo nds
iger war.
Für die Verfaffung feines Hauſes grümbete er "eine wich⸗
18. Aug tige Einrichtung durch ein von ihm erlaſſenes und bekannt ges
1713 machte Edict, in welchem er bie von feinem Water im 3.
-1710 getroffene Dispofition beftätigte, vermöge der alle vom
ihm neuerworbenen Fuͤrſtenthumer, Graf⸗ und Herrfchaften und
1) Benekendorf V. S 197.
2) Geſinde · und Bauernordnung v. 24. Aug. 1722 I. 1. Sie koun⸗
ten von einem Hofe zum anbern verfegt werben, keine Werjährung ſchutte
* 8 Zriedrich Milpelm L beftätigte alle deechte der Verrſchaſter
wie ber Sanbtagsabicteb v. J. 1653 fie feſtſtellte, und danach follte auch
die Leibeigenſchaſt fortbauern.
Hausgefeg Verwaltung. 3
darüber
druͤchlich zu wachen. Kaum hatte er dieſes Hanögefeh geges
ben, als er fih auch ſchon veranlafft ſab, ſelbſt dagegen zu
handeln. Er gab (17. Oct. 1713) das Domainenemt Biegen
den Ehrften Bereits, — des mit dieſem getroffe ⸗
nen Abkommens über Stettin,” wie wir bereits angeführt has
ben, zu Lehn, doch fe zur Aufrechthaltung bes Haugefer
a u
zu ben Domainen gebracht werben, was auch unflreitig
auf zu adten, wenn ein anfehnlices But zu Baufen fei, ob es mit Boss
theil gefchehen koͤnne und 5 Procent vom darauf gewenbeten Kapital trage.
Kieinere Güter al⸗
3% Bud VL Zweites —
geſammten Etat aller Ausgaben durch, verminderte und vers
mehrte die Beſoldungen der Ben je nachdem er mit
ihnen zufrieden war, feßte einzelne ab, indem er ihren Namen
ausſtrich und andere dafür anſetzte.
Bir haben bereits angeführt, daß er gleich nach feinem
Regierungsantritte bie Landeöregierungsangelegenheiten depar⸗
tementsweiſe unter die geheimen Raͤthe und die Verwaltung
der einzelnen Provinzen unter ſechs Miniſter vertheilte. Bald
nachher vereinfachte er das noch mehr und brachte die ge
» fammte Gioilverwaltung des geheimen Raths in brei Abtheis
lungen, naͤmlich der auswärtigen Angelegenheiten, ber Finan⸗
zen und ber Juſtiz, und fegte ihnen geheime Staatsraͤthe vor,
weiche Minifter genannt und Ercellenz tituliet wurden,
insgeſammt aber das Staatöminifterium bildeten‘). Seitdem
waren bie meiften Gefchäfte dem geheimen Rathe oder Staats⸗
rathe entzogen. Statt ſich noch, wie feit 1714, zweimal in
dee Woche zu verfammeln, genügte nun, baf er nur einmal
wöchentlich zuſammenkam ?). .
Obgleich jeber Minifter, wie eigentlich Jedermann, Zutritt
zum Könige hatte und die große Menge der täglich eingehens
den Sachen eine ziemliche Anzahl von Männern beicäftigte,
fo bildeten doch nur zwei Räthe fein Cabinet. Nur diefe beis
‚den’ Gabinetöräthe hatten das Vorrecht, dem Könige bie ums
"mittelbar an ihn eingegangenen Sachen vorzutragen und feine
Befehle zur Ausfertigumg darauf eben fo zu en —
rend die uͤbrigen Raͤthe und Secretaire ſich mit der
gung und Copirung derſelben und mit der ek 6 —*
tigten. Einer der Cabinetsraͤthe hatte den Vortrag für bie
—E Angelegenheiten, das Kriegs⸗ und Juſtizweſen und
die Privatcorrefpondenz, ber andere für das Kamerai⸗ und Fi⸗
nanzweſen und bie allgemeinen Lanbesangelegenheiten )).
Die eigenhänbigen Marginalrefolutionen bed Königs was
sem durchgehends kurz und fo beflimmt,. baß über feinen Wil⸗
len Bein gweifel obwalten konnte zumellen berb, hin und wies
1) Sosmar und Klaproths Staaterath S. 229,
9) Ebanbaf. ©. 242.
8) Benekendorg II. ©. Bi; vergl, Morgenftern ©. 148.
Berwaltung. Das Gabinet. 3235
der mit Verweiſen ober ihnen gleichen Nebenbemerfungen verfes
ben, immer ſehr unleferlich, zuweilen faſt gar nicht zu ent⸗
)
Die neumaͤrkiſche Regierung berichtet, daß im Regierungs⸗
gebäube zu Kuͤſtrin Fein Raum vorhanden fei, bie Acten ges
doͤrig zu verwahren unb trägt barauf an, es um eine Etage
zu erhöhen, was 2057 Thaler koſten werde, wovon bie Lands
fände würden die Hälfte tragen koͤnnen. Auch die Kriege:
und Domainenlammer findet es nöthig, dad Generaldirecto⸗
zium fragt deshalb bei bem Könige an. Er ermiebert: „ich
gehbe nit ein Pfennig. Platz genuch auf dem ſchlohs, ba
Tan das ganze berliniſche, Varififhe und Londonſche Archiff
gelaffen werden!" Das Generalbivectorium fragt an, ob ber
Sn zue Anfertigung eines hoͤchſt nothwendigen Dammes
durch die morafligen Belhe im Amte Stepnig die Summe
von 487 Thalern genehmigen wolle, welche ohne Befchwerung
der übrigen Kaffen von ben Damms, Brüden» und Bollgels
been genommen werben koͤnnten. Der König ſchrieb auf bie
Vorſtellung: „Narren Poffen”, was dann ber Kabinetsrath ober
Secretair durch: „Sr. Königl. Majeftät fei es bedenklich, das
Geld dazu gehen zu laſſen!“ überſetzteꝰ). J
Vorzůgliches Vertrauen genoſſen als Cabinetsraͤthe und
dann als Miniſter erſtens Samuel von Marſchall wegen ſei⸗
ner erprobten Treue und Redlichkeit, welche der Koͤnig hoch⸗
ſchaͤtzte und belohnte, dann Auguſt Friedrich von Boden, we⸗
gen ſeiner geindlien Finanzkenntniß, durch walche er ſpaͤter
noch Friedrich II. im Schleſien ſehr nuͤtzlich wurde ).
Den auswaͤrtigen Angelegenheiten ſtanden zwei geheime
Staats: und Gabinetöminiftet vor, welche mit einem in Reiches
juſtizſachen erfahrenen ber vielen Reichstags⸗ und Reichspro⸗
ceßangelegenheiten wegen bazu gezogenen Juſtizminiſter das
2 nt —— ſ bei Foͤr ſter urkundenbuch Ahl. I. ©. SA ff.
konnte fie nicht immer entziffern. Foͤrſter Thl. DIR,
©. — —
2) Bei Foͤrſter a. a. O. ©. 34 u. 48.
3) Benetendorf I. ©. 56 ff. u. 55. Gosmars u. Klaps
woths Staaterath ©. 417 u. 419.
26 Bud VI. Bweites Haupfäd. j
Gobinetömintfterium bildeten, durch welches auch *57
vorzůeglich Stunbesehögungsfahen an ben König gelanı
Die g der auswärtigen Angelegenheiten —
wir bereis geſehen haben, ber erfahrene, —— un vn
ſtellte Ilgen. Neben ihm ſtand ber von ihm fehr verfciebene,
offene, freundliche und großmäthige Breihere von Pringen, ber,
weil ihm fein Oberhofmarſchallamt wenig Zeit koſtete, als
Staatsminiſter aufferorbentlich viel arbeitete, indem ihm auch
die Kichens und Schulfachen übergeben worden waren. Weil
er Indeffen, wenn es die Sache exfoberte, dem Könige freinnks
thig wiberfpracdh, fo konnte ihn biefer, der das ſchwer erttug
nicht recht leiden und Bimbigt {fm mehrmals in be Befigteit
den Dienft auf, was ſich Pringen gefallen Meß. Sobald es
Benelenborf X. ©. 68 die Gchiiberung beiber Miniſter. Im den lege
dem Yetten 1 Mchaun mcg von Menrknbesf, fondern aus verſchiede ⸗
nen Drudfcriften Gefammeltes. .
D) Benetendorf VL ©. 71. Staaterath S. 408 und vorzägiidh
©. 281, wo bie vom Könige am 8. Dec. 1728 ertheilte fehr verftänbige
Safteuction” empneht, bob beide, Work und Kupppaufen, gemeinfhafttich
dandela und in Ban laden eh Lnglem, u I Ken, vafefern fl
Auswärtige Angelegenh Finanzverwalt. 327
hatte und daher vielfach bei Staatsgeſchaͤften zu Mathe gezo⸗
gen wurbe. Bork war ein durchaus ehrlicher biederer Mann,
Beind aller Verflellung, darin das wahre Gegenteil von Is
« gen, beöhalb und als Militeir dem Könige ungemein werth,
aber als Minifter der auswärtigen Angelegenheiten, was er
nach Ilgens Tode (1728) wurde, feiner Stele, wie er auch
feibft einfah, unter den damaligen Umftänden, namentlich dem
verſchmitzten Taiferlichen Gefandten Sedendorf gegenüber, nicht
ganz gewachfen'). Als Knyphauſen feinen Abſchied mahın
(1739), wurde Heinrich von Pobewils neben Bork Gabinetös
minifter. Sein Name und feine Berbienfte um find
wie bie Tpulemeiers”) an die Gefchichte Friedrichs des Großen
gekniwft. Unſtreitig bildet die Geſchichte der Verwaltung ber
auswärtigen Angelegenheiten die ſchwaͤchſte Seite in der Res
gierungögefchichte des Königs, wie man befonbers nach Ilgens
Zode fah. Priebri Wilhelm befaß, wie wir weiter unten
noch näher nachweiſen werben, viel zu wenig gründliche Kennt»
niß der auswärtigen Verhaͤltniſſe, Ruhe und Selbſtbeherr⸗
ſchung, gab ſich viel zu fehr feiner augenblidlichen Heftigkeit
und mancyerlei vorgefaflten Meinungen bin, war endlich viel
zu gerabe umb ehrlich, um es in Unterhanblungen mit Mens
ſchen aufnehmen zu koͤnnen, die um jeben Preis, ohne bie
Wahl der Mittel in Anfchlag zu bringen, ihr Biel zu errei⸗
chen fuchten.
Deſto audgezeichneter trat ber König in Allem hervor,
was er zur unmittelbaren Erhöhung ber Staatsmacht, im
Staats haushalte und Heeresweſen wirkte. Ex hat allerdings
nicht Alles neu gegründet, er fand bie Anfänge bereits vor,
bie hauptſaͤchlichen Gegenftände, auf welche ſich die preuſſiſche
Monarchie ſtuͤtzte, waren ſchon von feinem Großvater deutlich
genug hervorgehoben und auch von feinem Vater nicht durch⸗
aus, wenigfiend nicht in Beziehung auf dad Heer, vergeſſen
worden. Allein die eigentlich gefammte fefte Einrichtung ber
1) Benekendorf VI. S. 51 ſchidert ihn ausfägrlich; vergl. doch
die Geld. des Staatsratha ©. 281 u. 412.
2) Ahulemeier, Ilgens Reffe, war dem Bork an die Seite gefeht,
obwohi nur mit dem Zitel als Math. Geſch. des Staatsrathe ©. 281.
328 Bud VI. Zweites Hauptfüd.
Finangen und des Heeres verbankt Preuffen doch erſt dem Ko⸗
nige Friedrich Wilhelm L, am meiften ber durch feines Waters
Verſchwendung und Schwaͤche fo fehr zerrütteten Finanzen,
denn, was er in Beziehung auf fie geſchaffen, das iſt recht
eigentlich, und fo weit das für irgend einen Koͤnig moͤglich,
auch ausſchließlich fein eigenes Werl. Er fah nicht blos ein,
dag Ordnung und Sparfamteit im Staatshaushalte umumgängs
lich nöthig fei, um bie zur Erhaltung und Vermehrung des
‚Heeres nöthigen Mittel zu ſchaffen, fondern er liebte auch das
Sch von früher Jugend auf. Seine Mutter fürchtete ja ſchon,
ex wuͤrde geizig werben. Er wurbe ed auch‘). Ihm war ber
gefülte Schatz nicht allein Mittel zum Zwecke, fondern auch
felbft Zweck. Ex finnt daher unermüblid darauf, nit nur
auf alle irgend denkbare Weiſe fo viel Geld, als zur Unterhals
tung bes Staats nöthig ift, herbeizuſchaffen, fondern fo viel
als möglich baar niederzulegen und wo möglich nicht wieder
auszugeben. Ex verfagt ſich daher viele Genüfje*) -und fobert
das auch von Anderen. Die Einfachheit feiner gefammten Les
bensweiſe fagt nicht nur übrigens feiner Natur zu, ſondern
er will babei auch fparen’). Darin if er ganz unbarmherzig.
"Wir haben gefehen, wie ſchonungslos er Gehalte und Penfios
nen herabfegte und frih. Mit den Jahren wurde er noch
karger — gegen fich und feine Familie, wie gegen feine Mis
niſter, gegen Iebermarin. Gelb darf man von ihm nicht vers
langen, wenn er gut gelaunt bleiben fol, beflo beſſer ift der
angefchrieben, der mehr abliefert, als er erwartet. Dadurch
erwirbt man ficher feine Gunft. Als er feine Bedienung, Hof⸗
ſtaat kann man es nicht nennen, einrichtete, behielt ex auffer
1) Der Belege dafuͤr find zu viele, als daß ſich das leugnen lieffe,
was aud) einige zu nachſichtige Geſchichtſchreiber gethan Haben, es zu ver=
+ hüllen. Vergi. weiter unten die Darftellung ber Finamverwaltung.
2) Sriebri) II. in den Memoires de Brandenbourg Pr 223.
8) Bald nad) feinem Regierungsantritte befahl er den Rammercoller
‚gien, kein weißes, feines, ſondern orbinaires Gonceptpapier zu Ausfertis
gungen zu gebrauchen. Der Quark ift nicht das ſchoͤne Papier werth,
follen ſchlecht Papier nehmen, das iſt mic gut genug. Wenekendorf
VIIL ©. 80.
Sinanzverwaltung Sparſamkelt. 9
4 Kammerherren, welche Generale waren, jeden mit 2000
Xhalern, 4 Kammerjunker, jeden mit 1000 Thalern bei. Bon
ben 5 Kammerbienern erhielt jeber 400 Thaler jäbrlih, von
ben 2 Leibpagen jeder 10 Thaler, von den 6 Lakaien jeder
8 Xhaler monatlich‘). Diefe wurden nach einigen Jahren
gewöhnlich durch ziemlich einträgliche Aemter entfchädigt *), bie
Leibpagen traten in bie Armee ein. Ex ließ aus der Hofflaates
kaſſe monatlich 1000 Xhaler für den Stall, 1000 Thaler für
den Keller, 1000 Thaler für Befoldung und Kleidung ber Hofs
bebienten und 1000 Thaler für feine Tafel auszahlen, was
für diefe täglich 33% Thaler betrug®). Dabei uͤberwachte ex
Ales bis auf dad Kleinſte. Es muffte ihm täglich der Klıs
chenzettel fir die Tafel vorgelegt werben, in welchem nicht nur
jede Speife*) mit ihrem Preife, fondern bie Koften jedes eins
zelnen Beſtandtheils derfelben bis zu einem Viertel Pfunde Butter,
und einer einzelnen Gitrone für 8 Pfennige, weiſſem Kohl für 6
Pfennige angegeben werben mufften. Solche Küchenzettel, wels
che gebrudt 9 Detavfeiten betrugen, fah der König durch und
bemerkte wohl, was ihm zu theuer ſchien“). Unangefchnittene
Braten und Pafteten ließ er aufheben, um fie kalt zu ſpei⸗
fen®). Obgleich er koſtbare Gerichte und Saucen auf feinem
Tiſche nicht duldete, fo aß er fie doch gern und nahm es fehr
gut auf, wenn. er von Miniftern und Generalen zu Tiſche ges
laden wurde, wozu er dann auch wohl noch einen ober ein
Paar oder einige Dfficiere, die er wohl leiden mochte, mitbrachte,
1) Morgenftern ©. 144.
D) Benetenborf I. ©. 8.
8) Morgenftern ©. 157.
4) &o war es noch bei Friedrich IL Preuß Tl L ©. 860.
5) Bei Rödenbed I. ©. 189 ein Kuͤchenzettel v. I. 1735 im Be⸗
trage zu 31 Thir. 16 Gr. Es war Mittag: und Abendeffen für den Kd⸗
nig, deſſen Gemahlin und Bamilie, deren Gefellfchaft und Bedienung, 19
Pagen und einige Generale. Mer König hatte eigenhändig bemerkt: 1 Thir
gu viel. Wergl. bie Defignation dee Speiſen für jeden Tag bes Jahree,
aus benen ber König dann wählte. Königs BerlinIV. 1. S. 230—82
Berliner Kalender v. I. 1823. ©. 88. Anmerk.
6) Bafmann I, ©. 859.
339 Buch VI Aweites Hauptfäd.
Bwar biefer Gelegenheit dem Wirthe immer,
fich nicht zu viele Sohn zu machen, indeſſen wurde babei als
ierdings wohl in ber Regel beffer, als an ber koͤniglichen Ta⸗
fel gewöhnlich war, gegefien und auch getrunfen; vorzüglich
ver — et ber feinem Koche 400 Thaler Gehalt
gab, wuſſte fich dadurch bei ihm fehr in Gunſt zu fegen und
zu erhalten‘). Aud nahm er gern Geſchenke von Lebensmit⸗
teln und Delicateffen an, beſtellte fich auch wohl bei dem Felb⸗
fiber des Regiments von Dönhof eine Tonne recht gutes von
weinlichen Zenten gepöfeites Rindfleifch, weil er das bei dem
Generale von Dönhof in Dfipreuffen fehr gut gegeſſen ). Aus
allem beim wird man bie Vorliebe erklaͤrlich finden, mit wels
der fi der König der Einrichtung feines Finanzweſens
Er hatte, wie wir bereitS anführten, gleich nach dem Ans
n. Min
1713 titte feiner Be Regierung bie Hoflammer und das Domainabis
vectorium unter bem Namen eines
eines Generalfinanzdirectoriums
in ein Gollegium zufammengezogen, welchem bie Domalnens,
Hei, Bo, Jar, Bat, Ming» und
untergeben und bem fir bie Provinzen bie Amtskammern uns
tergeorbnet waren. Auffer dieſem fanb er noch das Generals
kriegscommiſſariat vor, unter welchem bie Kriegscommiſſariate
in den Provinzen flanden, welchen Alles, was bie Einquartie⸗
zung und Verpflegung der Armee, die Unterhaltung ber Bes
ſtungen betraf, ferner bie Acciſe, bie Handwerks⸗ Yabrikens
und Dolielangeisgeneiten und die Aufficht über die ſtaͤdtiſchen
oblag
Er errichtete bald darauf zur Reviſion aller Rechnungen
irıı die Generalsechenfammer, welde er dann, um fie ganz unabs
von anderen Behoͤrden zu machen, unmittelbar unter
6. Sant hängig
ir fich ſtellte und ihr das Recht gab, Rechnungsfuͤhrer und Mit
glieder anderer Finanzeollegien perſoͤnlich vorzufodern, um bei
II und Erlaͤuterungen zu
1) Benekendorf II. ©. 112 u. 119.
9) Bel Hörfter urkundenbuch I. &. 88 v. 3. 1786.
8) @eit 1717 als völlig abgefonbertes Gollegkum, während fie fräher
geoiffermaßen mit dem Generalfinangbirectortum und bem Generafkrieges
Sinangverwaltung. Generalrechen kammer. 331
Hoqhſt aufgebeacht war er barlıber, als er auf feine mänbs 6. San.
Uche zufälige Frage nach der Inftruction der kurmaͤrkiſchen 1717
Amtöfammer von bdiefer erfuhr, fie habe keine. Er äufferte
fogleich in einem eigenhändigen Schreiben an bie Amtskammer
feine große Unzufriedenheit über das Finanzdirectorium, daß
es ihm das nicht feit 4 Jahren angezeigt hätte, währenb bie
Uthauifch-preuffifhe Kanuner eine Inftruction erhalten. „Gott
iſt mein Beiſtand“, fuhr er fort, „denn ich babe die Sache
fo wunderbar erfahren, daß ſolche Schelmereien mit mir vors
gehn, da ich hinter das Licht geführt werde. Tot on tard er
beein ſchiagen, ehe man ſich es vermuthet.” Er befahl, mit
Zuziehung der geheimen Mäthe von Goͤrne und Gröben eine
Inſtruction für alle Kammern zu entwerfen, ex wolle am Rande
Bemerkungen bayı madyen; dann gab er Die einzelnen Punkte
berfelben an.
Vornehmlich folten die Yntlente, Pächter und Böller
gute Gaution ftellen, ohne Auffchub zahlen umd ber Präfident
und bie Kammern mit ihren eigenen Mitteln dem Könige vers
antwortlich fein. Sie follten Vorſchlaͤge machen zur Erhöhung
des Ertrags, er ald Herr werde dann thun und laflen, wie
& ihm gefalle und fie auffer Verantwortung fein; wenn bie
Kammer aber Feine Vorfchläge mache, fo fei fie verantwortlich,
den König beſtohlen zu haben. Er ging dann alle Einzelns
heiten der Verwaltung, Auffiht, Fechuungslegung und ber
—— durch und ſchaͤrſte überall bie genaueſte Sorg⸗
„Die Herren”, endete er, „werben wohl mein Sentiment
verſtehn, da es doch nicht (ierlich) und ottografiſch ges
ſchrieben if. Die Kammerpräfidenten Goͤrne und Kamede ſol⸗
len mir nach empfangene Inflruction ſchwoͤren in meiner Ges
genwart, daß fie alles, was Menfchen"unb treuen Dienern
eommiffarlate in Berbinbung war. un erhielt fie ztoc Abtpeilungen, als
Generaikriegs » und Generalbomainen-Redhenlammer, beide unter dem Präs
PRO I von — — — Im I. 1725 erhielt fie den Ramen Generall
sechentammer, ben fie fpäter beibehielt. Matthias
Seuiiet Yemen SAL. 1 6. 2 Anmerk.
—
332 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck
möglich iR, thun wollen, ühe nahlben Km fühtte
zwar (7. Januar) die Amtskammer die alte Inftruction,
De an Lage vorher Inder Gile nie hate auffnben Bis
nen, ein und bemerkte, daß fie faft Alles enthalte, was der
König eben anbefohlen, doc) woRe fie auch fogleich einen neuen
Entwurf anfertigen und vorlegen. Der König ſchrieb darauf:
ex habe bie alte Charteke nicht burchgelefen, fie fei fücher micht
gehalten worben. Gr wolle eine neue Inſtruction publiciren:
und „wofern biefe nicht ſtricte gehalten werben wird, fo wirb
n,
Schon unter dem 30. Januar erhielten ſaͤmmtliche Amts⸗
Tammern bie neuen Inftructionen, welche ausführlicher und bes
ſtimmter abgefafft, doch wefentlich durchaus auf bie vom Rds
nige in feinem Schreiben angegebenen Punkte gegründet waren ?).
10, Min Mit den Amtsfammern vereinigte ber König gleich bars
auf bie — von den dorſtbeamteten beſonders behandelten
Jagd⸗, dorſi· und Grenzſachen, welche woͤchentlich zweimal, bei
Die höheren Erlaſſe wurben ſeitdem nicht mehr an bie er
beamteten, ſondern an die Amtskammern gerichtet und es war
nun moͤglich, viele wuͤſte Stüde anzubauen und Waiden für
daB Vieh zu gewinnen, was riet durch bie Rivalität beider
Behörden verhindert worben war. Die dorſtkaſſe ſchickte von
jest an auch ihre Gelder an bie Renteikaſſe der Amtskam⸗
mern und biefe an die Generalfinanzkaffe.
Nachdem der König den Minifter von Kamede aus dem
21. cr.
4719 Finanzdirectorkum entlaſſen hatte“), brachte er auch bie Ges
1) Dos merkwuͤrdige
"bei Köbenbed L ©. 17.
gang von feiner Hand geſchrichene Actenſtac
2) Cabal. ©. 20.
8) Im den Liſtoriſch· politiſchen Beiträgen Th. III. &. 127 fi
4) Beglement v. 21. Behr. 1719, chendeſ. ©. 140 Beil. 10, ade
Seneraldirectorium. 333
ſchaͤfte dieſer Behörde in mehrere Abtheilungen. Der. geheime
Rath von Göme erhielt die gefammte Werwaltung aller
Domainen und bie Direction bes Salz⸗, Bergwerks⸗, Zoll⸗
und Licentwefens mit dem Vortrage uͤber biefe Gegenftände
im geheimen Mathe; der geheime Rath von Kraut bie Münz⸗,
Bernſtein⸗, oranifche Dekonomie⸗ und elbingifche Zerritorialſa⸗
chenz den übrigen Raͤthen wurden bie Amiskammern ber eins.
zeinen Provinzen zugetheilt. Der geheime Rath von Kreuz
blieb an der Spige bes Finanzdirectoriums, war Generalcons
troleur, contrafignirte alle von bemfelben erlafjenen Schreiben
und hatte die Generalaufficht über alle Amtsfammern, die For⸗
mirung ber jährlichen Etats und alle Geld⸗ und Kaſſenſachen.
Ungeachtet diefer Vereinfachung der Behörden unb ber
beftimmten Anordnung ihrer Gefcyäfte erreichte ber König doch
vorzüglich beöhalb feine beabfichtigten Zwecke nicht ganz, weil
umabläffiger Zwiefpalt zwiſchen dem Generalfinangbirectorium
und Generaltriegscommiffariat, wie zwiſchen ben Amtskam⸗
mern unb ben Kriegscommiffariaten blieb.
Nach veiflicher Weberlegung befchloß er daher, beide Bes
börden aufzuheben, ihren gefammten Gefchäftöfreis einem neu
errichteten Gollegio mit dem Titel eines General⸗Ober⸗Finanz⸗
Kriegs⸗ und Domainendireteriumd zu übergeben und. bamit
Aled, was Finanzen und Erhaltung des Heeres anging, zu
vereinigen.
Nachdem er die von ihm ſelbſt auögearbeitete Inſtruction
des Generaldirecteriumd, wie man «8 kurz nannte und wir
es nun auch nennen werben, auf dem Jagdhauſe Schoͤnebeck 10. Bu.
vollzogen hatte, befahl er ſchriftlich!) von Potsdam aus dem
Winiſter Ilgen, dem Generalkriegscommiſſariate und dem Ge⸗
meralfinangbirectorio anzuzeigen, dee König ſei über ihre bishe⸗
rige Dienfte ſehr misvergnuͤgt, vorzüglich wegen beider vielfaͤl⸗
tigen Colliſtonen, welche fo weit getrieben worden, als wenn
en Collegien nicht gleihmäßig Diener und Untertanen de
Königs, fondern ganz verfchiebener ‚Herren wären, beren Ins
dem Se. Mejefät den von Görne munmeheo in Dero wirklichen geheimen
Beth anflatt des von Kameden aufgunehmen gut befunden u. f. 1
1) Das Actenftüd bei Nödenbed L ©. 38.
14 Ian.
723
3 Bub VL Zweites Hauptftüd.
tereffen einander gänzlich zuwiderliefen. So fei es denn ges
tommen, daß beide Gollegien gegeneinander, beibe alfo gegen
ben König und auf deſſen Koften Abvocaten angenommen, was
zur ſchaͤdiichen Vernachlaͤſſigung der koͤniglichen —— ud
—— Animoſitaͤt gefüͤhrt, wovon er mehrere Beiſpiele
anführte. Ex laſſe num jeden vernuͤnftigen Menſchen urtheilen,
ob das eine Verbeſſerung der koͤniglichen Einkünfte zu nennen
und nicht auf lauter windige Sachen uud Flotterien hinaus⸗
j zufe
gehalten und Partei genommen; nun müſſe derjenige toll und
wahnfinnig fein, ber dem Könige raten wolk, Leute zu bes
Generalcommiſſariat ſchoͤben, während doch das Finanzdirecto⸗
rium nur den Rendanten nicht gehoͤrig auf die Haut gegan⸗
gen und die Heiligen mehr angebetet als
Königs einfegen und mehreren Einzelnen anzeigen,
welche befondere Stellung und warum fie ihnen der König
Der von Buchs ſolle beim Generaldirectorium bleiben,
Rommergerichtöpräfibentenftelle aber der von Coccen em
halten. Der geheime Math von Wieregg folle aus Rüdficht
auf feinen Schwiegervater Präfvent der kurmaͤrliſchen Kriegs⸗
Seneraldirectorium. 335
und Domainenfammer fein, fih aber meritirt machen und
nicht zu viel & P’Hombre fpielen, fid im Lande mit liegenden
Grimden im Betrage von 30,000 Thalern anfäffig machen,
act, diligent und prompt in feiner Arbeit und nicht fo lang⸗
fam unb fo faul fein, als er bisher geweſen, fonft werde er
den König zum Feind haben. Wenn ber geheime Rath Happe
fi nicht applicire, wozu er Verſtand genug habe, und wieber
wie biöher ohne koͤnigliche Erlaubnig von Berlin wegreife,
werde er caffirt; werben. Die Herren follen arbeiten, wofür
wir fie bezahlen. Nachdem bie Kanzelliften abgetreten ,. folten
die neue Inftruction des Generaldirectoriums vorgelefen, bie
alten Siegel abgefobert und bie neuen überliefert werden.
Das wurbe vollzogen. Die biöher geheimgehaltene Ins
firuction *), welche ber König unftreitig allein’ entworfen hatte, 1 a
war ohne folgerichtigen Plan abgefafft, oft unufanmepän 4
gend, voller Wiederholungen und Einzelnheiten, ungleich, über
manche Gegenftände fehr ausführlich, uͤber andere nur kurz.
Hin und wieber waren Ermahnungen, Borwürfe und heftige
Aeufferungen über Unterfcleife und mancherlei nicht zur Gas
he Gehoͤriges eingeſtreut, auch wurden wohl mögliche Eins
wenbungen befeitigt. So warf der König (Artikel 17) ben
beiden nım aufgehobenen Behörden vor, Edicte gegeneinander
publicirt zu haben, weil eine ber anberen etwas habe entzichen
wollen, um bei ipm Parade und ihn glauben zu machen, bie
Einkünfte wären vermehrt. Er beſchuldigte etliche Beamtete
3 B. die Jaͤgerei mit allen dazu gehörigen Bebienten, daß
Ku Diebe fien, doc) mit Unmcht, fügt er Hinzu, da ihre Be⸗
Rallungsbriefe Urfache find. Cr ermahnte (Artitel 26) die
Behörden zur Einigkeit untereinandet und zum unermädeten
Fleiße, dann wirden fie alle Hände vol zu thum und um
* zu amüfiren nicht noͤthig haben, mit Proceſſen gegeneinan⸗
vr a Bien Kim Die armen Juriften, die armen Teu⸗
‚ feste er Hinzu, würden bei biefer neuen Berfaffung fo
ig werden, wie daß fünfte Rad am Magen. Da
PR... —* In BIER: va ofen Abbruck dieſes für bie innere
era Brei ungemein wichtigen Xctenftüds, der er in feinem Ere
ben Beiebrich Wilhelms I. Thl. II. ©, 178256 witgetfeilt Hat.
336 Bud VL Zweites Hauptftüd.
Einmenbung einzelner von ihm angeflellter Räthe, daß fie fich
bisher nicht mit allen Gegenfländen der Art, fondern nur mit
einzelnen Zweigen beſchaͤftigt hätten, begegnete er dadurch, fie
hätten doch Ale Verftand und Gapacität und würden fo bald
die nöthige Gefhidlichkeit erwerben, indem fie Nachrichten aus
den Acten erhielten. Innerhalb eines Jahres müſſe ein Jeder
. wu allen Zweigen fähig fein. Alle dieſe zum eigentlichen We⸗
fen der Infruction nicht gehörigen Nebendinge characteriſiren
bie Weife, wie der König Gegenflände der Art zu behandeln
pflegte.
Das Weſentliche der neuen Einrichtung beftand barin,
daß er bie biöher getrennten wichtigen Verwaltungszweige ber
beiden num aufgehobenen Behörden vereinigte, die Gefchäfte
des neuen Generaldirectoriums beflimmt feftgefeßt, nach Abs
theilungen genau georbnet, überall unabläffiger Fleiß, unaus⸗
gefegte Aufficht zur ſtrengſten Pflicht gemacht und bie Maßres
geln zur gegenfeitigen Ueberwachung ber Beamteten gegen Vers
untreuung und Hintanfegung des Töniglichen Intereffe fehr ver⸗
mehrt wurden, um alle irgend möglichen Exfparungen zu ma=
chen, die Einkünfte in jeder Beziehung, die ſich erfinnen lieffe,
zu erhöhen, endlich, was unnachfichtlich beigetrieben worden,
wirklich zur Verfügung zu erhalten.
Bur Erreichung biefer Zwecke enthält die Inſtruction, bes
ren Grundgedanke, ungeachtet der immer nur unwefentlichen Maͤn⸗
gel ihrer Abfaſſung, überall deutlich hervorfpringt, eine große
Menge anf Erfahrung und tlchtige Kenntnig ber zahlreichen
von ihr umfaflten Gegenftände geftügte, durchaus Mare und
praktifche Beftimmungen, welche dieſes wichtige Werk zu einem
submvollen Denkmale der Einficht, Thätigkeit und Willens⸗
kraft Friedrich Wilhelms I. machen. Es war vieleicht nicht
minder mühfam; es zu gründen, als ein Heer zu errichten
Bum Praͤſidenten be neuen Generaldirectoriums, welchen
er ben Bang zunäcft nach dem Gtaatsminiflerium gab, ere
nannte ex fich felbft, um ihm, wie er ſich ausbrädt, mehr
Lüfte, Auctorität und Nachbrud beizulegen und feine uners
müıdete Aufmerkſamkeit auf alle bemfelben uͤbergebene Gegen»
Generaldirectorium. Jnſtruction. 37 "
Rände zu eigen. &x war aber auch wirklicher Präfdent bie
Ahthı
ex fünf wirkliche geheime Raͤthe zu Vicepräfibenten und diri·
girenden Miniſtern, mit deren perſoͤnlicher Ver—
für Alles, was bei dem Generaldirectorium geſchah, ferner für
jebe Abtheilung, mit dem naͤchſten Range nach ben wirklichen
geheimen Kaͤthen, einige, Indgefammt vierzehn, dann fiebzehn
Räthe ), deren jeber für das verantwortlich war, was zu feis
ner Abtheilung gehörte. Bier geheime Secretaire und neun
Kemzeliften und einige Kopifien wurden bem Generalbirectos
rium zugegeben. Zu erledigten Anftellungen bei dem Gollegio
ſollten die fünf Minifter Vorſchlaͤge machen; es müflen aber
fo gefchidte Leute fein, verlangte der König, als pet ms
breit zu finden und zwar von evangelifdhsreformirter
riſcher Religion, die freu und veblich find, ofen 2öpfe hab
von Gommercien, Manufacturen und anderen dahin gehörigen
Sachen gute Information befigen, babei auch ber Feder mach⸗
tig, ‘vor allen Dingen geborene preuſfiſche unterthanen find,
ausnahmsweiſe wohl auch ein ober zwei Fremde, kurz es mhfe
fen ſoiche Leute fein, die zu Allem fähig find, wozu man fie
gebrauchen will! Zum Erſatze von Erledigungen bei den Kriegs⸗
und Domainenämtern in jeder Provinz follten immer Beamtete
aus einer anderen Provinz vorgeſchlagen werben.
Die Eintheilung des 18 Gemeralbiretoriums in Departements
wurde ſogleich und mit einigen Abänderungen noch genauer im
September beffelben Jahres angeordnet, das erfte, unter dem vom
Könige vorzůglich begimftigten Minifter von Grumbkow, erhielt
Preuffen, Pommern und die Neumark, ferner die Grenzfachen,
Ausradung und Räumung der Brüche, dann Marſch⸗ und
Berpflegungsſachen des ‚Heered; zum zweiten, unter dem Dis
niſter von Creug, gehörte bie Kurmark und Magdeburg nebſt
dem Proviantwefen; zum dritten, unter dem Minifler von Görne,
die Provinzen Cleve, Meurs, die Grafſchaft Mark, Geldern
1) Ramiich nach der im Sept. 1723 getroffenen Abänderung bei
König Thl. IV. 2, ©. 21, wide noch einige Pr betraf, welche ich
oleich als zur Juſtruction gehörig mit angeführt Hat
Stengel, Gefc. d. Preuſſiſch. Staats. M. 22
38 Bud VL Zweites Hauptfikd,
und Neufchatel, ferner bie orauiſche Succeſſiondſache, daB
Salzs umb Poſtweſen; zum vierten, unter dem Binifler von
Provi Ha .
fein Departement beflimmt, an bem auch bie daflelbe betref⸗
fenden Juſtizſacen vorgetragen wurden; am fünften age jeder
Bode waren fie fämmtlic gehalten, die Generalkaſſe zu revi⸗
diren weil dee König fich wegen rhdftändiger Gelber an bie
fte
vollenden, ben Bericht barüber anfertigen unb gegen Abend
dem Könige ſchicken. Waren ber Gefchäfte zu viele, um vor
zwei Uhr beendet zu werben, fo wurden bie Mitglieder auf
nicht
tal ſechs Monate feines Gehalts, und das zweite Mal wurbe
kaſſiri: „dem mir fie bezahlen, daß fie arbeiten follen“,
es.
Wenn von Zeit zu Zeit Gommiffionen in die Provinzen
gelchieft würden, um ben Zufland ber Domainen zu unterſuchen
un Bertölige au Berbefferungen zu machen, fo follte das
Generaldirectorium den Präft:
Die
geſchaͤfte des Generaldirectoriums, nämlich Contribution, Actife,
1) Me der im der Jaſtructien dazu beimmte buſter von Kraut
fon im Auguft 1723 flach.
Ye. noch befonbers Darüber bes Kdnige Gabinetdocher v. 2%. Jaunar
1728 an den Minifter von Pringen, in weicher ber Rönig alle Cimeln«
heiten Hinfichtlidh der Speifung der Viniſter und Bäthe feftfegt, bei Sene ·
tendorf XL. ©. 88.
Seneraldirectorium, Inſtruction. 339
Stempelpapier, Bol, Poſt, Salz, Münze, Domainen in ihrem
ganzen Umfange, Manufacturen, Handel, Polizei, Stäbte und
deren Kaͤmmereiweſen, bie Werpflegung des Heeres, Einquar⸗
Kirrunge Servis⸗ und Fouragegelders Sachen. Man lernt
Daraus ziemlich volftändig des Königs Anfichten über die bes
zührten Gegenflände kennen, welche faft die gefammte innere
Verwaltung des Staats umfaſſen. Ueberall ift fein Blick auf
das Beientlihe, auf pimktliche Ordnung und wirkliche Vers
mehrung der Einkünfte gerichtet. Bei dem Artikel über bie
jährlichen Etats gab er eine genaue Anweifung zu beren Ans
fertigung, fuchte feine Abſicht dabei fo deutlich als möglich zu
machen und endete: „Die Herren werben kam, 8 & fei nicht
möglich), aber fie follen die Köpfe darauſtecken, und
wir ihnen hiermit ernfllih, es fonder Raifonniren möglich zu
machen.“ Dreißig Tage nach Ablauf des Quattals mufiten alle
— unter Verantwortlichkeit der Minifter in ber Kaffe bes
wen!) muſſten mit dem Ende jebed Jahrs alle in ihr Des
partement gebörige Rechnungen über Tönigliche Gelder abneh⸗
men, fie nad) einem vorgefchriebenen Schema überfichtlich zufams
menfaflen, vor Zrinitati einreichen und bie Oberrechenfammer
diefe bis vier Wochen nad Zrinitatid abnehmen, bamit dann
ber König Generalquittung ertheilen konnte. Da dem Könige
fehr daran lag, nicht Hintergangen zu werben, fo ſcharſte ex
das in der Inftruction befonders ein: „Wir wollen bie Flatte⸗
zien durchaus nicht haben, fondern man fol und allemal bie
reine Wahrheit fagen, und nichts hinter dem Berge halten
noch und mit Ummwahrheiten unter die Augen gehn!” Gpäter
(7. Juni 1727) befahl er, ihm zwar bei Unglhdöfällen jeders
zeit bie reine Wahrheit zu fagen, allein es öffentlich fir un»
bedeutend unb bereits gehoben auözugeben: und follen bie
Sachen niemals fhlimm, fondern allemal nicht gefährlich ges
1) In der Juſtruction werben fortwährend noch Amtslammern und
a a he
sub Domelnenlammern vereinigt wurben, fo habe ich biefe nun gewoͤhn ·
Ude Bezeichnung gleich hier gewaͤhlt. —*
30 Bud VE Zweites Hauptftäd.
macht (argeftelt) werben‘). Er verfichert ſchließlich in der
Inſiruction Aue, wenn fie ihm gehorfam fein würden, feiner
Gnade, auch daß er Feiner gegen fie angebrachten Beſchuldi⸗
gung Glauben beimeffen, viel weniger fie condemniren wolle,
ohne fie in Gegenwart ihres Anklaͤgers mimdlic vernommen
zu haben, biejenigen aber, die nicht in allen Stüden ber Ins
ftruction nachleben, fondern es wieber auf ben alten Schlen⸗
drien Tommen laſſen wollen, die mögen fi) nur im Voraus
Rechnung machen, daß wir es ihnen nicht ſchenken, ſondern
ihren Ungehorfam und Widerfpänftigkeit auf gut ruffiſch be
firafen werden. Er befiehlt endlich, die Inſtruction hoͤchlichſt
geheim zu halten unb ba er genoͤthigt fei, zur beſſeren Einrich⸗
tung ber Binanz» und Domainenverwaltung Mancherlei zu vers
orhnen, was von ben meiften Leuten ungleich angefehen wers
den möchte, fo fole dad Generalbirectorium es fo einrichten,
daß das daraus entftehenbe, obwohl ganz umverbiente ODdium
nicht auf den König falle, ber fich die Liebe feiner Untertha-
nen amd bie Freundſchaft der Nachbarn zu erhalten wünfche,
fondern auf dad Generaldirectorium ober eins unb bad andere
Mitglied deffelben.
So fehr er num die Eontrolen der Beamteten Über Beamtete
Häufte, fo war ihm das doch noch nicht genug. Er begriff ſehr
gut, daß wenn die Beamteten fi) unter einander verfländen,
es fowohl ihm als felbft den Miniftern beim beften Willen uns
moͤglich werden wide, Miöbräude und Unterfchleife zu vers
hüten. An jene furchtbare Ueberwachung durch die Deffentlich⸗
kelt ) dachte damals Niemand, weil ja die Verpflichtungen ber
Beamteten als deren Geheimniß betrachtet wurben. Daher
machte es der König dem Generafdirectorium mehrfach zur
1) Bei Röbented L e. 9%, -
2) Wie Friedrich Wühelm I. fie laut Gabinetsordre v. 4. Bebr.
. 1804, bie Genfur betreffend, wanſchte MMollte man eine geiiffe und
g
übrig bieiben, die Rachlaͤſſigkeit oder Treuloſigkeit öffentlich en
Staatsdiener zu entbedten. Hingegen bleibt bie Deffentlichteit das
Mittel, ſowohl für die Btegierung felbft, als auch für das Publikum ger
‚gen die Sorgloſigkeit oder unlauteren Abſichten der WBehörben, und fie
verbient Daher befbrbert und in Schut genommen zu werden.
Kriegs: und Domainentammern. 3
Pflicht, Spione zu halten und fleißig geheimen Briefwechſel
mit Pächtern, Bürgern, Schulzen und Bauern in den Pros
vinzen einzurichten, um zu erfahren, was geſchehe, ob wir.
licper Grund bei vorfommender Verminderung ber Einnahme,
bei geſuchtem Nachlaß und hergleihen mehr vorhanden fei, ‘
weil man dadurch oft beffer unterrichtet werde, als durch die
Berichte der Kammern, ja er ging. fo weit, zur Werhindes
zung ber Ablöfung ber von ihm erfauften mansfeldiſchen Güs
ter dem Generalbirectorium zu befehlen, einen Verſuch zu
machen, ob es nicht der verwittweten Fuͤrſtin von Manzfeld
Bathaeber und Bebiente durch Präfente auf feine Seite ziehen
*
Um den Gefchäftögang gehörig einzuleiten und zu ordnen,
wohnte er ben erfien Sitzungen bis zum Ende bei, dann ließ
er zur fleten Erinnerung in dem Verſammlungsſaal fein Bild
in 2ebenögröße aufftellen, wie er mit dem Gommanboflabe auf
das Bild die Göttin der Gerechtigkeit mit der Wage zeigt, auf
deren einer Schale das Wort Kriegös, auf ber anderen das
Wort Domainenkafle ftand ).
Zu gleicher Zeit wurden in. ſaͤmmtlichen Provinzen auf
gleiche Weiſe, ftatt der biöherigen Kriegscommiffariate und Amts⸗
kammern, Kriegs und Domalnentammern eingefegt, welche
alle Amstögefchäfte jener beiden Gollegien erhielten, insgeſammt
unter bem Generalbirectorium fanden und ſich nicht ummittels
bar ſondern nur durch biefes an ben König menden durften.
Auch fire fie gab der König (26. Ianuar 1723) eine ausfuͤhr⸗
liche Inſtruction 9, welche mit ber bed Generaldirectoriums in
ihren Grundfägen und Ausführungen, fo weit es eben für bie
Provinzen angemeffen war, durchaus übereinftimmt, überall
dieſelben nachdrücklichen Vorſchriften zu Erſparungen, zur Er⸗
2) Marie Gleonore, Mutter des im I. 1712 geborenen Würften
Heinrich Franz III. Friedrich Wilhelm L hatte viele verpfänbete Güter
‚an ſich gebracht.
2) Rodenbeck J. ©. 22.
3) Die Iaftruction für die kurmaͤrkiſche Kammer bei Koͤdenbeck k
©. 81 87. Bieles iſt im ihe wörtlich wie in ber Jaſtruction für das
Ceneraldirectorium.
#2 Bud VL Zweites Hauptfläd.
böhung der Einkünfte, zur firengen MBeitreibung ber Gefäße,
. genauen Rechnungsablegumg, feften Orbnung, unabläffigen Thaͤ⸗
tigkeit und forgfamen Ueberwachung.
Die Kriegs⸗ und Domainenfammern erhielten den Rang
vor allen anderen Provinzialcollegien auffer ben Regierungen,
die Kriegs⸗ und Domainenräthe aber den Rang von geheimen
unb Regierungsräthen vor allen anderen Räthen, mit denen fie
Übrigens in gleichem Range waren. Cr befahl ihnen zugleich,
Aufeultatoren ohne Gehalt anzuftellen mit Ausficht auf Fünftige
Beſoldung, geringere Bedienungen bei dem Collegium wolite
er an den Meiftbietenden unter ben dazu Geeigneten verfaus
fen; nur Rendanten (weil diefen viel anvertrauet werben muffte),
follten nichts zahlen, fondern Meblikeit, Treue und Brauche
barkeit genügen, und daß fie Gaution ſtellten. Thorfchreiber=,
Polizei⸗, Landreiters und dergleichen Poſten erhielten Invalis
den ober audgebiente -Unterofficiere und Soldaten auf Vorſchlag
eines Generalabjutanten.
Die Sigungen dauerten täglich von ſieben, im Winter
von acht Uhr bis halb zwölf und wieder von zwei bis ſechs
Uhr. Wer eine Stumde zu fpät Fam, zahlte 60 Thaler
Strafe, wer ein Mal, ohne fich deshalb völlig rechtfertigen zu
koͤnnen, ausblieb, verlor bie Hälfte feiner Jahrsbeſoidung,
zum zweiten Male wurde er infam Taffirt. Wenigſtens ein
"Mal wöchentlich muffte ein umftändlicher Bericht an dad Ges
netaldirectorium abgeftattet werben, ſowohl fiber die Gefchäfte,
als Über Alles, was fonft vorging, wie jeder Bediente feine
Pflicht erfüle, wie die Felbfrächte fländen, wie hoch die Ges
treidepreffe, und wie ſich der Adel aufführe. Er verlangte
ſtrenge Wahrheit und brohete fonf wit den aßlerfchärffien
Strafen.
Die Kreiscommiffare erhielten den Titel Landräthe, hatten
in Ihren Kreifen das Steuerweſen unb die Polizei zu verwals
ten und flanden in dieſer Beziehung unter den Kammern, waͤh⸗
rend fie zugleich Abgeordnete der Stände waren.
Die Polizei in den Staͤdten beforgten bie Steuerräthe,
welche nun Kriegsräthe genannt und benen von den Heineren
Städten mehrere zugleich untergeben wurden. Sie hatten bie
Zoll⸗ und Acciſeſachen unter fi) und die Aufficht über die
Kriegs: uud Domainenfammern. a3
mg ber Städte, jedoch ohne ſich in Sufig
Mogifivate, weiche unter ihnen flanden, nichts in Stadt⸗ und
Känmereiangelegenheiten thun, und konnten nur durch fie an
die Kammern berichten, deren Befehle fie auch durch ben Kriegs⸗
zath erhielten. Somit war die Selbftänbigkeit der ſtaͤdtiſchen
lich bereifen, Alles forgfältig unterfuchen, Bericht erſtatten und
von ſechs zu ſechs Jahren neue Pachtanfchläge fertigen. Alles
bad wurde feit dem Jahre 1724 in ſaͤmmtlichen Provinzen,
Bunchgeführ,
Der eigentliche Mittelpunkt, um ben ſich die raſtloſe Tha⸗
tigkeit des Königs im umaufhörlichen Kreislaufe bewegte, von
dem er immer auöging, auf ben ſich Alles bezog, war das Heer
und befien möglichfte Vermehrung und Vervollkommnung. Gr
pflegte daſſelbe mit einer ſolchen Vorliebe, ja einer ihm fonft
fremden Zärtlichkeit, daß man faft fagen konnte, ber gefammte
Staat unter ihm ſei nur für feine lieben blauen Kinder
(fo nannte ex feine Solbaten) ') vorhanden gewefen, alle neue
Einrichtungen nur dazu getroffen worden, um fie in recht gro⸗
Ber Zahl , mögtit anfehnlicher Länge, tlchtiger Büftung,
Uebergeugung, daß barauf das
Anfehen des Staats beruhe, zugleich bed Königs tägliche Bes
1) In einem Schreiben an die Gerviscommiffion in Berlin, aus ben -
Acten im Berliner Kalender v. 1823. &. 187. Anmerk.
2) 8 wird behauptet, bei ber Belagerung von Tournai im fpanis
ſchen Erbfolgekriege Hätten zwei englifhe Generale gemeint, ber König
von Preuflen Eönne nicht wohl 15,000 Wann ohne unterhalten,
der anmefende bamalige Kronprinz Friedrich Wilhelm I. bagegen fehe
wolle. Daß. habe In Denn geit e8 abe zu malen, Friedrich IL. in
den Memoires de
Brandenbourg p. 225. Benefendorf VIIL@.15, ‘-
Dee Borfl mng (ih aan Bahn, allein ſchwerlich iſt er Urſache der
großen Bermehrung ber Heeresmacht geworben.
3 Bud VL Zweites Yaupıkäd..
fihdftigung und feine bis zur Leidenſchaſt getriebene Lichhaberei.
Er hatte fie von Jugend auf.gehabt, fe fieg mit den Saho
sen immer höher und wurbe durch feine Umgebungen, vorzhgs
Uc den Firften Leopold von Deflau, genährt, der fie völlig
theilte. Was Eonnte auch Männern, die unbefchränkt befehlen
wollten und unbebingten Gehorfam foderten, mehr zufagen,
als Soldaten? Und waren biefe nicht zugleich das fichere Dits
tel, auch im Imnern alles irgend Ausführbare burchzufegen?
Selbſt ohne wiſſenſchaftliche Bildung und ohne allen Sinn
daflır, dabei gerade und durchgreifend, ſchaͤtte der König nichts
böser, ja faſt überhaupt weiter nichts, als den ehrlichen, treuen
tapfern Soldaten, der den Befehl feines unbeichränkten Herm
ohne ——— blindlings gehorſam und mit Nachdruck
Er vertrauete ber von ihm vorausgeſetzten Bine:
keit eine Kriegemänner unbedingt in Allem, fie mochten übris
gens fo unwiſſend fein, als fie wollten, was durchaus ba für
eine Schande galt, wo Kenntniſſe und Bildung verachtet und
zuchdigeflogen wurden. Wenn fie nur ihren Ramen ſchreiben
‚Sonnten, fo genligte das nach Leopolds von Deſſau Meinung
vollkommen für einen braven Kriegsmann, wer mehr wuſſte,
wurde ald Zintenfledfer, Schmierer, —— Der
Konig folgte dem Beiſpiele des ſein "raupes Benehmen dis zur
Boheit treibenden Kriegshelben, dem als Mufter auch bie
übrigen Officiere nacpahmten, und ſich bes Gebrauchs der uns
freumblichften, gröbften Formen im täglichen Verkehr des Les
bens, wie vorzüglich bei Ertheilung von Befehlen befleißigten *).
Die Militaird erlaubten fid gegen den Civilſtand fehr viel,
weil fie vom Könige gefchligt wurden”). Ein Dfficier ſah ſich
gewiſfermaßen ald Mitregent an und glaubte, überall wills
ãurlich befehten zu Können ). Der König ing, mit ihnen bis
zum Hauptmanne herab wie ein Kamerad, mit den Subal-
1) Benefendorf VL ©. 18. König I. ©. 110. Wergl
Saßmann I. ©. 7495 bei dem muß man oft Aſchen ben Bellen leſen.
2) Am 29. April 1721 verbot der König den Officeren, ſich in Po«
+ Ugeifachen zu milden ober bie Waglfrate übt zu befanden. Berg.
Hofmann I. ©, 7IO uns
9) Benctenborf IV. 20.
Das Heer. Die Generaladjutanten. 35
ternen wie ein Water um‘). Jider Soldat hatte freien Bus
tritt zu im”).
Er felbft trug bald, mit feltenen Ausnahmen, faſt nur
bie einfache Uniform feines Leibregiments ), eben fo feine:
Söhne bie Uniform ihrer Regimenter, ſobald er fie, was frühe.
zeitig geiäch, zu Dfficieren ernannt Hatte und nad und nach
“ aufrhden ließ.
Er verbot (14. Febr. 1718) allen Behörden bei 100
Ducaten Strafe, fo oft am ein Regiment und Soldaten ges
fehrieben wurde, ſich des Worts „Miliz" und wenige Wochen
Darauf (18. April 1718) ſich des Worts „Militair” zu bebienenz
Dfficiere und Soldaten der Regimenter follten fe heiffen.
Er felbft ordnete und leitete. Alles, was den gefammten
Kriegsſtaat anging*). Richt die unbebeutendfte Kleinigfeit durfte
——* ohne ſein Vorwiſſen geſchehen. Auſſerdem, daß einer
"ber beiden Cabinetsraͤhe den Vortrag in Kriegsangelegenheiten
— befanden ſich fortwaͤhrend um ben König oder doch in
deffen Nähe zwei Generalabjutanten, zur Vollziehung feiner Bes
fehle und dadurch fehr mächtige und auch auf andere Theile
der Verwaltung oft einflußreiche Männer. Am laͤngſten bes
kleidete dieſe Stelle vom I. 1715 bis zum Tode bed Königs
der DOberfilieutenant, dann Oberſt und Gemeralmajor von
Derſchau, der ſich ihm als Kronprinzen (1709) in der Schlacht
von Malplaquet durch unerfchrodene Tapferkeit empfohlen Hatte.
Ein, obwohl —S nicht umgebilbeter, dabei ehrlicher
Mann, war er bo als firenger und fehr thätiger Soldat, ber -
die Befehle feines en pünktlich und mit Aufferfter Barſch⸗
heit vollzog, fehr gefürchtet *).
Später (1734) war ber von Haad, ben der König we⸗
gen feiner ungemeinen Länge anfänglich als Junker zum Leibe
1) Benekendorf I. 125.
9) Zaßmann L ©. 740.
8) Ebendaſ. I. ©. 238.
4) Ebendaſ. I. ©. 722.
5) Benekenborf IL ©. 37 umd Reinbecks Echen in Büfhings
Beiträgen. I. ©. 209. " B
’
'
36 " Bud VI Zweites Hauptſtück
9, ,
Schon tm I. 1715 hatte er-fein Heer auf 10,000 Reis
ter und 35,000 Dann Fußvolls, indgefammt auf 45,000 Mann
dafiartt Im Jahre 1721 beſtand es aus 12,335 Reiten
und 38,544 Mann Fußvolls, insgeſanmt mit ber Artillerie,
den 8 Mann Pontonieren, 5 Mann Mineuren und 100 Kas
delten aus 51,311 Mann *); im I. 1725 aus 15,000 Res
tem und 47,500 Mann Fußvolk, intgeſanmmt aus 64,263
1) Benekendorf IL S. 46.
2) Derſelbe V. 108.
8) In ben Hiſtoriſch⸗ pollt. Weitedgen Abl I. &. 825 werten 55
Gäpvabeonen Reiter zu 9914 Dann und 50 Bataillone Bußoolts zu 85,186
Wenn, mit Artillerie insgefammt 45,409 und Thl. II. ©. 632 v. I. 1716
die 55 Gchwabronen, allein bereits 54 Batalllone Jußvolks zu 600 Dann
und 10 Gompagnien Artillerie angefühtt.
4) Ebenbaf. Ahl. I S. 827, nämlich 80 Sqhwadronen Beiter und
55 Batalllone Fußvolls.
9 König I. ©. 230 nämlid) 65 Batalllone Zußvolfs und 100
Sqhwabronen Beiter, ferner 115 leichte Dragoner, 113 Hufaren, 140
Kononiere, 200 Mann Prelcompagnie, 252 Kabeiten. Es ergibt ſich
hieraus, daß nicht erft im I. 1780 die Ouſaren errichtet wurben.
6) Bei Börfter, Urkundend. IM. ©. 275. Richt erſt in ben legs
‚ten Jahren, wie Benelendorf IV. 11 fagt und es wohl nur von der
Wermehrung verſteht, und zulegt 6 nicht 5 Schevadronen, wie berfeibe
DI. &. 106 meint.
Vermehrung bes Heeres. 37
Sqhwadronen· Im 3. 1740 wurde das ‚Heer auf 18,500 Hels
ter, 64,500 Bann Zußoolts, und mit den Garniſonen, den Lands
regimentern.und der Artillerie auf 89,000 Maxn angefchlagen ')-
Die Ergänzung und‘ Vermehrung des Heeres murte
(na) dem Patente vom 23. Juni 1713) von den Megis
matten in ihren Standquartieren durch Werbungen, und,
wie «8 heifft, auf eine andere Weiſe, nämlich weil bie Bes
ſchleunigung nothwendig ſchien, durch gewaltfame. Wegnahme
der fingen bienftfähigen Mannfchaft bewirtt. Es begaben
ſich daher gleich anfangs viele junge Leute in das Ausland,
worauf der König (17. October 1743) verorbnete, daß Aus⸗
getretene, wenn fie nicht binnen drei Monaten zurückkchren
worden, als Deſerteurs nach den Kriegsgeſetzen beftraft wers
den und ihre Obrigkeiten, Aeltern und Verwandten für fie
haften folten. Da bemungeachtet bei fortgefegter gewaltfas
mer Werbung viele Unterthanen aa er abe vol
ftänbig war, fo wurde (9. März 1714) bekannt gemacht, es
werde vom 1. Juni an alle (gewaltfame) Werbung aufhören
und Niemand zum Kriegsdienfte genöthigt werden. Dificiere
folten bei Kaffation, wenn Erfagmannfchaften geworben wirs
den, nur Sreimillige gegen Handgelb annehmen, mit Gewalt
aber allein Iüberliche Bürger, Bauern oder Dienftboten, bie
nicht gut thun wollten, ımb von ber Obrigkeit bezeichnet wärs
den, dies jedoch nicht als gewaltfame Werbung gelten. Diefe
Bufiherung wirkte wenig. Deshalb beftimmte ein Ebict (v. 19.
Zebr. 1718) weil ungeachtet der angebroheten Strafen dad
Land immer mehr von Einwohnern entblößt werde, fo folle
aus Gnade nochmals eine Friſt von äwel Monaten für die Zus
ructtehrenden bewilligt, dann aber die in früheren Edicten ans
gedroheten Strafen ausgeführt werben. Deshalb folle jede
Obrigkeit bis zum 1. Juni ein "genaues Verzeichniß ohne
Unterfpieb aller derjenigen, welche fidy entfernt hätten, einzeis
chen, mit Angabe ihres Vermögens und der Orte, wo fie fi
1) $riebrid II. Du Militaire p. 340 gibt 67 Bataillone Fußvolks
und 111 Schwadronen Reiter, wobei 6 Schwadronen Huſaren, endlich
4 Garnifonregimenter und 1 Xrtillerieregiment, insgefammt 72,000 IR.
Das Dbige ift nad) den amtlichen eiſten. Faßmann I. 720 gibt fir
1735 nur 63,000 M.
38 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck
aufhalten möchten, damit fie koͤnnten ergriffen und auf ewig
zur Feſtungs⸗ und ‚anderen ſchweren Leiderſtrafen verurteilt:
werben. Wer nicht binnen zwei Monaten zuruͤckehre, ſolle
fir infam erklärt, fein Rame an ben Galgen gefchlagen und
alles ihm Gehörige eingezogen werben. Das Edict wurde an
allen öffentlichen Drten angefchlagen, in allen Kirchen verlefen.
Es erregte für alle Abweſende algemeine Beforgniffe und wurbe
deshalb (30. April) dahin erläutert, daß es ſich nur auf die
jenigen begiehe, welche wegen ber Werbungen abwefend wären.
Die gewaltfamen Werbungen unterblieben doch nicht, wie ſich
ſchon daraus ergibt, daß fie noch mehrmals (18, Februar
- 4724 u. 1. April 1724) verboten werden Hufften. ,
Die Beforgniß vor gewaltfamer Einziehung zum Dienfte,
wie ber Solbatendienft vorzugsweife genannt wurde, war bens -
noch fo-groß, daß der König, um nicht Coloniften und Hands
werker von der Einwanderung, bie er ſehr wünfchte und bes
förderte, abzufchreden (15. Septbr. 1717 und 8. Febr. 1721)
die Wollarbeiter für frei von ber Rekrutirung erklärte und bie
Einrichtung traf, daß jedes Regiment im Lande warb, und
diejenigen, welche e8 nicht fogleich einflellen Tonnte, nachdem
fie zur Fahne geſchworen, vorläufig wieder in ihre Heimath
. eontließ. Diefe mufften zum Abzeichen rothe Haldbinden tras
gen und wurden ber Zuwachs genannt. Sie ftanden dann
nicht mehr unter der Drtsobrigkeit, ſondern unter der ihres
Regiments. Da fi nun oft viele junge Burſche, ja Knaben
von mehreren Regimentern zugleich in einer Ortſchaft befanden '
and Feiner Herrſchaft noch Obrigkeit auffer benen ihrer Regi⸗
menter gehorchten, fo führte das zu fehr vielen Unordnungen 9).
Um ben Beftand ber kriegspflichtigen Mannſchaft genau zu
wiffer, wurden (feit 1720) Verzeichniffe aler im Lande Ges
borenen, Getraueten und Geftorbenen angefertigt und durch bem
Drud befannt gemacht .
Die Haupturfache jedoch ), welche die wahre Vervoll-
1) Bafmann I. ©. 7215 vergl. Na. Benekendorf IL S. 76.
2) Baßmann I. ©, 696, II. ©. 728, wo er überbie Ungenauig ·
teit Diefer &flen, wie eb feeint, ait Hecht Mlgt.
8) Briebrid) IL. Du Milltaire P. 885 fügt, ſchon früher Habe ber
Aushebung. 340
komnmung bes Heeres hinderte, unauſhoͤrliche Zwiſtigkeiten mit
allen benachbarten und ſelbſt entfernten Staaten herbeiführte,
den König und fein Heer überall verhafft machte, endlich bie
Urfache . zahllofer Verdrechen wurde und umfäglices Unglüd
über Einzelne und ganze Bamilien brachte, war die nach und
nach biß zur höchften Leidenſchaft gefteigerte Sucht nach langen
Leuten ). Allerdings mochte er anfangs dafuͤr halten, daß
ein großer, ſtarker Körper die Beſchwerden des Dienfles beffer
ertragen Tönne, als ein Bleiner, auch erfreuet wohl jebed Auge
der Anblid ftattlicher Mannſchaft, allein das artete bald ders
maßen aus, daß auf weiter nicht? als auf Körperlänge, aber
nicht auf Kriegstüchtigkeit gefehen wurde. Der General Sedens
dorf, ‚welcher im I. 1724 der Mufterung von achtzehn Bas
taillons (auffer den drei Bataillons Garde) bei Berlin beis
wohnte, fchrieb an den Prinzen Eugen, bie Truppen wären
merklich größer, ald im vergangenen Jahre, benn da man ben
‚Soldaten nicht nach der Länge im Dienfte, ſondern ber Gtas
tur beurtpeile, fo koͤnne es faſt bei den Regimentern nicht hoͤ⸗
ber gebracht werden, er zweifle aber, ob die Dfficiere dabei
Vorteil hätten, ba ihnen oft ein einziger Mann
500 Thaler koſte. Nun fei zwar befohlen, die Werbungen -
einzuſtellen, und bie Regimenter nur in ihrem Stande zu ers
balten, daß nad) Verhältniß der Größe eines abgehenden wies
der ein eben fo Langer geftellt werben muͤſſe, doch blieb das
nicht dabei”). Schon im I. 1725 waren Soldaten, welde
Zeldzüge mitgemacht, aber nach damaliger Anficht nicht bie
. gehörige Länge hatten, verabfchiebet und das „Heer beftanb faft
Markgraf Philipp als Chef der Artillerie befonders lange Leute gefucht
umb auögejeichnet lange Grenabiere in feinem Regimente gehabt, dem fei
Leopolb von Deffau nachgefolgt.
1) Der General Schulenburg fehreibt an Secendorf 23. Det. 1731
bei Förfter Uekundens. IM. S. 78: Il (ber König) Iniasera prendre
ses sujets pourvu qu’il puisse garder et prendre de tems en tems
quelques grands hommes. Jamais on a vu un pareil avenglement,
$riebrich II. Du Militaire, p. 344. Vers Vannee 1780 In fureur des
@rands hommes parvint A un point, que Ia postärit6 aura peine A
le creire,
2) Bei Börfter urkundenb. IT. ©. 11.
30 . Bud Vi. Zweites Hauptftüd.
nur auß neuer Wannſchaft, die mit dem Kriege ganz unbes
kannt war
Borziglich aber um in feinem Leibregimente, welches durch
Auswahl der Mannſchaft, fo. wie in Ausrüflung und —2
tigkeit Mufter für das Heer fein ſollte, dann wenigſtens im
erſten Gliede aller Regimenter die laͤngſten Leute zu haben,
welche in der Welt zu erlangen waren, opferte er, ber ges
naue, bis zum Geize fparfame Wirth unbedenklich viele Tau⸗
fende von Tpalern, nach und nach Millionen’), und geflattete
die geöbften Gewaltthätigkeiten gegen feine und anberer Für⸗
ſten Unterthanen. Sonft fo fireng bei Nichtvollziehung feiner
Befehle, fah er deren Nichtachtung nach; fonft ein Mann von
Wort, nahm er feine Rüdfirht auf gegebene Zufagen, fegte die von
ijhm ſonſt fo hochgeachteten Vorſchriften der Religion bei Seite,
beugte das Recht"), machte Aemter und Gunſtbezeigungen feil
wb Beh BG bon frnben Mächten gu bern Bortpeie Faß
förmlich 'erfaufen*) mit einem Worte, diefe unheilvolle, alle
verftändige Grenyen überfchreitende Schwäche behertſchte ihn
. ‚völlig, fo wie anbere Fuͤrſten durch Günftlinge oder Buhlerins
men vegiert worben find, Er Fonnte in ber Regel Äherhaupt
Bleine Leute nicht leiden und nur ausnahmsweiſe ſchaͤtzte er
en ee den Bbrfen Waldow mb
Des Leibregiment, deſſen Oberſt er felbft war, beſtand aus
1) Seckendorf an Eugen bei Börfter Urkunbenb. IL 88.
9) Schhulenburg a. a. D. bei Förfter Urkundenb. IL S. 7a
Nous ruinens l’armde, nous envoions des millions de chex nous pour
emimener des gens & s0c et à coud6e et dont nous ne saurons tirer le
taolndre service.
9) Safmann I. ©. 740. ©. arch weiter unten die Darſtellang
der Suftigperfoffung.
4) Bedenborfi Leben III. ©. 161. Das Ginzelne wird weiter ums
ten belegt werben.
5) Benetenborf IT. 96.
6) Derfelbe IV. 88.
Das Leibregiment. . 31.
3 Bataillenen (jedeb von 800 Mann) und 5— 300 Una
girten d. hi noch nicht Eingeſtellten, welche wegen ihrer blauen
Be de Bin Gpen und zum Cifage des Lgengs
lern monatlihe Zulagen von 5 bis 10, bis 20 Thalern ?).
Beil es bei der damaligen Beſchaffenheit Votsdams nicht
moͤglich vo, gut, untergubringen und ber König ihnen
en ein bequemes Lager
potsdamer Bettgelder eingeführt, welche, wie fon
die gefammten Marken, zulegt jaͤhrlich 10,000 The
aufbrachten
Der König bauete auffesdem Einzelnen von ihren Hänfer,
Bier:
zu trinken, wor ihnen als ber Geſundheit nachtheilig verboten
und nur denen, welche daran gewöhnt waren, unter ber
geflattet. war der König fehr beforgt für ihre Ges
fümdpeit und ihr Wohlergehen, felbft für ihre regelmäßige Leis
besbewegung, unterhielt fi gern mit ihnen und erkundigte
ſich nach ihren Verhältniffen. Dan kann fagen, daß er mit
aller Vorliebe eines Liebhabers an dem Leibregimente hing und
Dante Tat 3 IB 1739 2468 M. und 559 M. Un
Bergl. Bapınann I.
2) Bafmann I. 723. Benekendorf IV. 58 ff. gibt die Ger
des Regiments.
3) König I. ©. 87.
32 . Bug VL Zweites Haupefiäd.
daß iben wahtſcheinlich auf ber 0 ganym Bet niet nähe ging,
«is der langen Sren
befam ex deren von allen, die etwas von ihm wiänfchten, ihn
verführen, oder ſich ihm erkenntlich bezeigen wollten. Als ex
am Peter I. das koflbare, von feinem Water gefammelte Berns
fleincabinet und dad von bemfelben fr 100,000 Thaler ers
kaufte ſchoͤne Jachtſchiff geſchenkt hatte, verfprac ihm biefer
jährlich 100 lange Kerle, ſchicte ihm auch bald 150
und fuhr jährlich damit fort?), wogegen ihm ber
— geweſen waren und den Dienſt erlernt hats
ten, zuruͤckſchickte) und auſſerdem noch auf Veters Bitte
ae Küingenhärter und Klingenpolirer aus der
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Einige Bine 5 der Art find komiſch, fo z. B. als De neue Zierm ber
in Berlin kurz vor feiner Vollendung einftärgte und
Könige enblich gefagt.wurbe: ein gres Ungii Due m Be ea
Tas denn ? — „Der Peterethurm iſt eingeftärgt 4 — Der König bleibt
gelaffen: „ich dachte Wunder was es wäre und glaubte der Flügelmann von
Slafenapp wäre tobt! — Alle Grenabiere, bie jemals unter des Könige
Leibcompagnie geftanden, find abgefdübert, und ſtehen in ben Gängen des
—*— aufgemacht, fagt Jaßmann I. ©. 729. Bene ·
endor!
9) Benekendorf IV. 41. KönigL ©. 52
8) Mauvillon IL p. 89.
4) Kdnig I. ©. 21%.
3) Derſelbe ©. 213.
Das Leibregiment. 363
(16. Juni 1731) dem Oberfilientenant von Hertzberg, einen
Meifter Kingenfhmieb mit einem Vorſchlaͤger, einen Meifer
‚Härter mit einem Gefellen, einen Schleifer nebſt einem Ges
fellen, einen Senſenſchmied und einen Geſellen, die er der
Kaiferin gegen einen raiſonnabeln Accord auf ſechs Jahre in
Dienfien zu üıberlaffen verfprochen, aus der Gtabt
oder einem anderen Drte, wo möglich mit Güte zu übers
. wenn das nichts fruchte, dieſe Leute aufzubeben und
mit einer Escorte nach Potsdam zu ſchicken. „Ihe miiſſt
aber bei Leib und Sehen nichts babei verfäumen, fonbern Als
les eimichten, daß mein Wie geſchehe.“ Cigenhändig hatte
er noch dazu gefegt: „Ihr müfft fie abfolut ſchaffen ).“ Diefe
preuſſiſchen Fabrikanten und ‚Handwerker follen die Grundlage
zur Gewehrfabrik in Zula gelegt haben. Schwerlih würde
der König zu bewegen gewefen fein, feine freigeborenen Unter
thanen fat wie ruſſiſche Leibeigene zu behandeln, wenn ihn
nicht die ruſſiſchen langen u dazu gebracht hätten.
Als der Abminiftator des Herzogthums Medienburgs
Schwerin und die Landflände winfcten, der König möchte
feine Truppen aus ihrem Lande ziehen, fo unterftügten. fie daS
Gefudy durch fech8 lange ſchoͤne Kerle für feine Garde). Der
General Secendorf hatte dadurch ſchon früh, deö Ringe Gunſt
gewonnen, daß er Ihm ſolche Leute verſchaffte. Als er (1726)
angelegentlidy bemliht war, Preuffen vom Bunde mit England
ab auf die Seite des Kaiſers zu ziehen, ſchlug er dem Prinzen
Eugen vor, den Generalen und Oberfien Gersdorf, Dänbof,
Sydow und Derfhau, welche mehr als die Minifter vermöchten
und beren er. fich zu gewiflen Zeiten bebienen müffe, etliche
große unnüge Raitzen und bergleichen zu ſchenken, weil man
dem Könige Bein angenehmeres Gefchen? machen koͤnne, als
mit folben großen Siguren, wie bisher Rußland, England,
Frankreich, Dänemark und Schweden gethan und auf biefe
Art des Königs Gemüth gewonnen’). Bei dem Könige koͤnne
1) Bei König II. &, 198.
2) Sapmann L ©. 788.
3) Bei Hörfter WBRG— S. Bergl. Benekendorf
IV. S. 41 u. Secendorfs Lehen
Stengel, Geſch. d. ana, 6: —8* OL 3
D
354 Bud VL Bweites Hauptftäd.
man mit großen Leuten mehr mehr ausrichten, als mit allen Rai:
fonnements und Rechtsgrunden ).
Als der franzoͤſiſche Gefandte dem Könige fir den Schutz,
welchen er dem Stanislaus Lescinsfi, dem Schwiegervater Lud⸗
wigs XV., angebeipen laffen, einen mit Brillanten befegten
Degen bat, flug er diefen and und zeigte‘ dem Gardinel
— an, ein Dutzend langer Kerle wuͤrde ihm lieber fein,
verbroß ihn ſehr, als er fie nit erhielt. Dagegen
ihn gewäl
ausseungen, und alB ex fe nicht ah, foderte er 30,000
"netens ergänzte der König feine Garde, Indem ex für
diefelbe bei der Mufterung der Übrigen Regimenter bie längften
Soldaten auswählte und den Befehlshabern erſetzte, was fie
ihnen an Handgelb gefoftet hatten, ober auch noch mehr baflız gab.
So nahm ex. (1731) aus 11 Regimentern im Lager bei Welau
1) Wei For ſt er Urkunbenbuch III. &. 187 vom Sept. 1726.
2) Die Lifte bei König L S. 29. Gr bezahlte 18,922: Thle., wähe
da zwanzig jeder
a ertenbonfe Eiten ML. IT. © 164. Kamen, koͤrſter IL
4) Bei gortter Thi. IL ©. 298 Kunert
Werbung. 355
die Stelle derjenigen, welche ber König auswählte muffte bis
zum naͤchſten Jahre in ben Regimentern durch Andere der Art
erfegt werden ). b
Wehe dem Regimentschef, der bei der Muſterung feines
Regiments nicht einige neue lange Rekruten vorflellen konnte.
Sein und der Hauptleute Glüd oder Unglüd hing davon ab.
Dem Major von Katt gab der König bei einer Mufterung auf-
der Stelle den Abfchieb, weil er nur einen und zwar eben
nicht langen Rekruten zeigen konnte ). Der General Sedens
dorf ſchrieb dem Prinzen Eugen ſchon im I. 1725, daß ein
Officer ſich nicht empfehle, der auf die Erhaltung alter Knechte
(Soldaten) bedacht fei, ba nur diejenigen vorgezogen und be⸗
foͤrdert wuͤrden, welche die meiſten Rekruten angeworben, bie
einzig und allein nach ihrer Laͤnge und Statur geachtet
würden’).
Die dritte Art der Ergänzung wurde durch Werber bes
wirkt, welde fi bemühten, überall lange Leute aufzufuchen
und fie dem Könige zu überliefern, ber fie gern bezahlte. Das
geiff num mit der hauptfächlic durch des Königs Beiſpiel ims
mermehr uͤberhandnehmende Liebhaberei und ſchon - geroiffers
maßen Verpflichtung der Regimentschefs ineinander, die ſich,
wie ihre Hauptleute, um jeben Preis bemühen mufften, auch
in ihren Regimentern möglichft lange Leute zu haben, wenn
auch nur den Abgang berfelben zu erfegen, was doch nicht ges
nügte. Es war für jeden gewiflermaßen eine Ehrenfache, mög:
lichſt viele ſchoͤne, wohlgewachſene und lange Soldaten in feis
mem Regimente zu haben. So wurde es benm freilich gegen
das Ende feiner Regierung bahin gebracht, dag man nur we⸗
nige Regimenter fand, die im erſten Sliede kleinere als 5 Fuß
6 Zoll lange Leute gehabt hätten. Gewöhnlich waren fie 5
Tuß 9—11 Bol, ja die Flügelmänner 6 Fuß lang‘).
1) Seckendorf an Eugen bei Börfter urkundenbuch IL. ©. 89.
2) Benetendorf II. S. 89 u. 23.
3) Bei Förfter urkundenbuch V. ©. 88.
4) Benetendorf IV. &. 29. Friebrich IL du Militaire p. 344
fagt fogar; le plus petit homme de Farnee avait cing pieds six pou-
ces, bien mesurds, was kaum glaublih und wohl mit Menekendorf wie
oben zu beſchraͤnken fein wird. 23.
356 Bud VL Zweites Hauptfidd.
Daher nım allgemeine Jagd nach langen Leuten im Lande,
wo man ben freieften Spielraum hatte und die Veruͤbung der
größten Gewaitthaͤtigkeiten, weil man wuffte, daß der König
dem nachfah '). Ein wohlhabender Brauer in Queblinburg
wurde (1718) aus feinem Haufe geholt unb erft entlaffen,
nachdem er für 120 Thaler einen anderen langen Mann ges
felt und an Geſchenken fo viel außgegeben, daß es ihm an
taufend Thaler Foflete*).
In der Grafſchaft Mark wurden (1720) einige Gemeins
nen von den Werbern auf das Schloß gebracht. Es kam dar⸗
über zum Aufflande und zu blutigen Köpfen. Die Werber
waren in Zodesgefahr und muſſten ihre Beute fahren laffen.
Die Sache war indeffen fo Öffentlich geworben, daß ber Kö—
nig fie durch eine Gommiffion unterfuchen Tieß. Bei Geifttiche,
welche gegen: · das Unweſen ber Werber geeifert, wurben gefangen
nad Berlin gebracht und mit ber Wache vor das Confiſtorium
ae wo der durch feine Härte bekannte Minifter Katſch
fie verurtheilte, des Amts entfegt und mit einer Leibesßrafe .
belegt zu werben. Der König begnügte ſich inbefien, fie uf
andere Pfarren zu verfegen. Es wurbe von Beſtrafung
Werber nichts Bekannt; fie trieben ihr Weſen ungefcheut vn.
Im Mogdeburg wurden Bürger, welche en ſ—
* Das ee auf uoit einem ——
reichen Kaufmann, dem Verwandten eines Staatsminiſters.
Die Magdeburger foberten N als
gewehre, zu Hülfes 18 wurben” ſchwer, viele leicht, doch auch
einige Dinger verwundet, der Kaufmann aber in Freiheit ges
fegt. Der Commandant ſtellte die Ruhe her. Der König
1) Koͤnig L S. 9.
9 Britt Geld. v. Quchliaburg IL. S. 71.
8) Mauvillon I. S. 28. Bapmann I. S. 829. Etwas abe
weichend König I. ©. 1005 au) Suchh olz IV. ©. 168 Anmerk.
Werbung. 357
misbilligte das Verfahren der Dfficiere und verbot (18. Febr.
1721) gewaltfame Werbungen, beftrafte fie aber nicht’). Das
ber Eonnten die Werber e& wagen (1729), einen fehr reichen
gutgewachfenen Bingermeifter eines kleinen Stäbtchend im Cle⸗
veſchen wegzunehmen, ben ber König erſt, als ex es zufällig
erfuhr, in Freiheit feste”).
Frei von ber Werbung überhaupt follten Studenten, Kimſt⸗
ler, Kaufdiener (auffer wenn diefe Letzteren von befonderer Länge),
Einwanderer, Reifenbe und diejenigen Eingeborenen fein, welche
zu Mein waren). Es wurde au (17. April 1724) die ge
waltfame Werbung angefeffener Bürger, Bauern, Fabrikarbei⸗
ter und unerwachfener Lehriungen verboten, doch alles bad im
Ganzen wenig beachtet. Langen Leuten wurbe dennoch überall
nachgeftellt und vorzüglich erlaubten fih die Dfficiere be in
‚Halle liegenden Regiments bes Zürften Leopolb von Deffau
febr vie, weil fie wufften, daß fie in biefem einen mächtigen
Vertreter bei dem Könige finden wärben, deſſen Nachficht in
ſolchen Dingen ohnehin allgemein bekannt war. Einer ber da⸗
figen Hauptleute bemerkte nun, daß ein wohlgewachfener.
Schwede, der in Halle flubirte, ungemein große und, wie er
‚meinte, zur Fuͤhrung einer Muskete beſonders geſchickte Hände
"hatte, und erklaͤrte ihm daher ganz einfach für feinen Rekru⸗
ten. Der General von Löben machte ihn indeſſen glüdlicher
Weiſe frei). Die Beſchwerden der Univerfität wurden mei ⸗
ſtens gar nicht berudfictigt, weil der Fuͤrſt Leopold ihr
und ben Studenten überhaupt fehr abgeneigt war und leicht
Vorwaͤnde gegen fie beim Könige fand). Als fie fi daher
(1731) befchwerte, daß ein Student ber Rechte von einigen
Soldaten Abends auf Öffentlicher Straße angefallen, in einen
1) Rauvillon II. ©. 28.
2) Zaßmann L ©. 776.
3) Bafmann a. a. D. ©. 775.
4) Safmann L S. 777.
5) Hoffbauer Geld der Univerfität Halle ©. 190. Vergl. den
Auffag in Bäfhings Beiträgen zur kebentseſch. u. ſ. w. I. ©. 221
u. vergl. S. 216 ff.
358 Bud VI Zweites Hauptftüd.
Wagen geworfen und zum Thore Binauögefepafft worben fei,
ſchrieb ber König auf die Worftelung: „Sollen nicht raiſon⸗
niren, iſt mein Unterthan ')1"
Es war freilich kaum zu verwunbern, baß der König fo
verfuhr, da man von ber Kanzel und im Schriften ihm nur
w Häufig fagte, er thue recht daran, und ben Unterthanen
Lehre vom Leidenden Gehorfam einprägte. Faßmann, fein
ee meint: Werbungen wären ein Regale bes
Bürften, wer barliber fehr Mage, verfünbige fi) an Bott, nur
vernünftiges Klagen fei erlaubt. Dann beweift er aus ber
heiligen Schrift, daß es eim göttliche Mecht der Könige fei,
Knechte und Mägde, Söhne und Efel wegzunchmen. Wie
Sott, müffe man aud dem Könige, als deſſen fichtbarem
Statthalter, gehorchen. Wenn: Gott nun riefe: mein Sohn,
du ſollſt Soldat werden und die Muskete tragen? Er legt
. bann ausführlich bar, der Landesherr müffe am beflen willen,
was dem Lande nuͤtze.
Endlich, um den vielm Misbräuchen der Werbungen zu
fleuern, den häufigen Beſchwerden darlıber abzubelfen und zus
gleich die Kriegäpflichtigkeit im Inneren des Staates zu orbs
nen, richtete ber König (1733) daB Kantonfuftem ein. Er
verfpeilte nämlich das ganze Land: nach Bezirken unter die
einzelnen Regimenter, und in biefen Bezirken bie einzelnen vors
ber zu diefem Zwecke verzeichneten Beuerftellen unter die Haupts
mannfchaften. Zur Ergänzung derfelben war von nun an jeder
Bürger und Bauer kantons⸗ d.h. Eriegsbienftpflichtig, andgenoms .
men einzige Söhne, ferner Söhne ber Beiftlichen und der Königs
lichen Beamteten, biejenigen, welche ein Vermögen von 6000
Thalern nachwiefen, die erſte Generation der fremben Colonis
flen, Unterthanen, welche mit Genehmigung des Regimentsins
habers die Grundherrfchaft auf dem Lande zu nothwenbigen
wirthſchaftlichen Gefchäften hatte anlernen laffenz endlich bers
imige Sopn, welcher des Vaters Wirthſchaft und Nahrung
übernejmen wollte.
1) Bei Börfter urkundenhuch X. S. 71.
9 Theil J. S. 766.
Kantouwefen. 359
Zahrich ſchiete jebes Hegitnent Dffiiere mit dem Lande
rathe in feinen Kanton zur Eintragung ber kantonspflichtigen
Knaben und Löfchung der Verabſchiedeten oder Geflorbenen.
Alle Enrollirte blieben von nun an, bis fie wirklich bei dem
Regimente eingeſtellt wurben, unter ber Gerichtsbarkeit ber .
Grundherrfchaft: Verabſchiedete Eingeborene muflten mit ih⸗
ven Kindern wieber Unterthanen ihrer ehemaligen Herren wers
ben‘). Da ed nun ber Länge der Mannſchaft und der aus⸗
wöärtigen Werbung wegen durchaus unbeflimmt war, wie viele
in jedem Jahre außgehoben werben follten, fo hing es völlig
von ber Wilke der Regimentsinhaber ab, wie viele und wen
fie ausheben wollten. Dabei fanden bie größten Cigenmäd«
tigkeiten unb Erpreſſungen flatt. Die Inhaber der Regimes
ter und Hauptmannfchaften waren in ihren Bezirken Beine
Könige, fie hoben ganze Colonien aus, fehten fie, ald wären
& Bao ung —— auf ihre Güter und behielten vor⸗
zuůͤglich die Kleineren, welche nicht das nöthige Maß —
als Bediente, Köche und Reitknechte. Die Landraͤthe konnt
ſich ihnen nicht widerſetzen, nur der Koͤnig dem Uebel ableiten,
und es war fehr fraglich, ob er nach gemachter Anzeige darauf
eingehen würde, und wenn er es auch that, fo blieb es im:
mer wegen ber Folgen gefährlich, fo mächtigen Männern zu
nahe getreten zu fein. Freilich verbot der König dergleichen
wiederholt, beſtrafte auch einmal den Grafen Dohna mit Ar»
reſt, doch wirkte das natürlich wenig?) Unterblieben doch uns
geachtet des Kantonfyftemd die gewaltfamen Werbungen ſogar
auf ber Univerfität Halle nicht, weil man immer noch lange
Leute ſuchte. Selb der vom Könige perſoͤnlich ſehr geahtete
Dropft Reinbeck Tieß feinen Sohn, einen langen jungen Mann,
dem fchon. mehrfach nachgeſtellt worden war, aus Beſorgniß
vor Gewaltthätigkeiten, denen er in Halle außgefegt fein koͤnnte,
in Iena flubiren®). Die Univerfität Halle ftellte dem Könige
1) Ribsentrop Werfaffung des preuſſiſchen Gantons« Wefens hiſto⸗
riſch bearbeitet. Minden 1798. Die frügeren Beiten bis auf Friedrich IL
Find fehr mangelhaft beasbeitet und wenig mehr als im Myllus gegeben.
2) Benelendorf IL. ©. 85. Vergl Mauvillon J. &. 219 ff.
3) Reinbeits Leben in Bäfhings Welträgen Thl. I ©. 169.
360 Bud VI. Bweites Hauptſtuͤc.
vor, daß bie Hälfte der in Jena Studirenden feine Unterthas
nen wären, bie erſt, nachdem fie dort ihr Geld verzehrt haͤt⸗
ten, auf eine kurze Zeit nach Halle kaͤmen, um bier Freitiſche
und Stipendien zu genießen. Darauf befahl der König (1734),
wer nicht drei Jahre in Halle ftubirt habe, folle in feinen Staas
ten nicht angeftellt werben, was indeſſen, wie alle Zwangs⸗
maßregeln in Angelegenheiten der Wiſſenſchaften, ohne günftis
gen Erfolg war. Als ſich bald darauf ergab, daß feit zwei Jab⸗
zen 200 Stubenten von Halle nach ber neu eröffneten göttins
ger Univerfität gegangen wären, und die Univerfität Halle (1737)
bat, es möge keinem Tantonpflichtigen Inländer vor Entiaſſung
aus feiner Kriegsbienftpflicht geflattet werden, bie Univerfität
zu beziehen, ober biefe fidt gendthigt fein, ihn auszuliefern,
weil ſolche Vorfaͤlle dem Befuche der Anflalt fehr nachtbeilig
würden, fo erließ der König eine Bekanntmachung (24. Aug.
1737): Da ber auswärtige Ruf erfcpollen, fich auch die gemeis
nen Zeitungöfchreiber dergleichen Blame audzubreiten an vielen
Orten ſtraſbar unterftanden, als wenn bie auf ber Uni
. Halle befindlichen Studenten Feine Sicherheit vor ben gewalts
famen Werbungen hätten, fo werde hiermit allen Ausländern
u allein Sicherheit während ihres Aufenthaltes, fondern auch
auf ihrer Hinreife und bei ihrem Abgange verſprochen. Den⸗
nod war bie Furcht zu groß, dieſe Univerfität freilich ohnehin
im Verfalle, und andere und beffere Anſtalten in ber Nähe,
als daß Ausländer befonbere Weranlaffung hätten finden koͤn⸗
nen, gesabe eine preuſſiſche Univerfität zu befuchen ’).
So fland es um die inländifchen Werbungen. Allein bie
preuffiichen Staaten waren viel zu Blein, bie Vers
mehrung des ‚Heeres unb bie fleigende Sucht nach langen Leu⸗
ten viel zu groß, als daß hier hätte eine hinreichende Menge
geliefert werben Binnen. Dazu muffte alfo auch dad Ausland
1) Hoffbauer Geld. der — Och © 191. BapmennL
7125 fagt: werbe nicht völlig
qui regardoieni
fermes qu’ils faiapient waloir le plus qu'ils pouvoient.
Ausiändifhe Werbungen. 31
dien. Einzelne Männer trieben das Geſchaͤft, dem Könige
lange Leute zu verfchaffen, förmlich: als Gewerbe, wie der dann
unglüdtih geworbene geheime Rath Wille an ber polnifchen
Grenze und der preuffifche Reſident Evers in Hamburg. Dies
fer hatte fich zur Lieferung langer Kerle verpflichtet ımd wurde,
weil er nicht Wort gehalten und wahrfcheinlich ſchon Geld das
für empfangen hatte, auf Lebenszeit nach Spandau gebracht ').
Selbſt preuffifche Gefandte an fremden Höfen lieſſen ſich dazu
misbrauchen. Der geheime Rath €. W. v. Borde, preuffle
ſcher Geſandter in England, miethete ſich, ohne ſich zu erken⸗
nen zu geben, den James Kirkland, einen beſonders Langen
MWenſchen, auf drei Jahre als Lakaien, ließ ihn auf ein Schiff
bringen und nach Potsdam fchaffen. Derjenige, welcher ihn
mit Lebensgefahr geſchafft hatte, erhielt 1000 Pfund Sterling
und bie Gefammtloften beliefen fih auf 9000 Thaler *).
Im 3. 1713 lieg fih in St. Germain ein Deutfcher als
Rieſe fehen, welchen Faßmann im I. 1726 in Potsdam beim
Xeibregimente fand, wo er doch erfi ber vierte oder fünfte
Mann vom rechten Flügel war®). Gin langer katholiſcher
Geiftlicher war von den Werbern in Italien aufgehoben und
unter das Leibregiment geſteckt worden; er kam ungeachtet viels
facher Verwendung nicht los. Mit großen Koften und noch
größerer Gefahr holte ein Major einen langen Moͤnch aus
Rom und brachte ihn nach Potsdam *).
Der König ſchickte eine große Anzahl von Officieren, wel⸗
he da gefährliche, zuweilen aber hoͤchſt einträgliche Geſchaͤft
der Werbung übernahmen, um im ginfligen Falle ihr Glüͤck
zu machen, mit förmlichen Aufträgen, Päffen und öfters mit
Empfehlungäfchreiben, zuweilen auch geheim, durch halb Eu:
ropa®). Ebenfo verführen. im Kleinen bie Begimentöchefs. .
1) Maubillon 1.87.
2) Attenfide bei König L ©. 88.
8) Jaßmann I. S. 728.
4 ie wie das bewirkt wurde, klingt vomanfaft. Benelen
dorf IV. s.
2 Bepmann IJ. S. 781. Benetenborf van. S. 23. und DI.
©. 89.
362 mu VL Zweites Haupefüd.
Gewaltthaͤtigkeiten erlaub⸗
ten”), ja ſogar fremde Truppen zum Meineide und zur Deſer⸗
tion verleiteten. leyu tem, Daß, foalde& einen Langen Set
ig Ausländern die i
capitulationswibrig zurldigehalten werben. Dem’ General =
ckendorf, dem ber König fehr viele lange Leute verbankte,
lang es zwar auf Veranlaffung bes Talferlichen Hofes —
die Freilaſſung eines maildndifchen Edelmannes und (1736)
eines loͤwener Studenten zu bewirken, „allein“, ſchrieb er dem
Kaiſer, „ein ſolch Geſchaͤſt koͤnnte einem Menſchen das Leben
abkurzen·)l
Wurde doch nicht einmal das mit den benachbarten Staa⸗
ten abgeichloffene Kartell gehalten, wenn der Deferteut ein
langer Menſch war‘). Ale-fo beeinträchtigte Staaten erneuer⸗
ten wiederholt ſtrenge Verbote gegen fremde Werbungen. Dars
über Tonnte fid) der König fehr ereifern, denn fonderbarer Weile
hielt er e8 fr unrecht, wenn man ihm lange Leute verweigerte,
da er von Gott auf fie ein ausfchließliches Recht zu haben
glaubte, indem fie Niemand fo gut als er zu ſchaͤtzen wiſſe ).
1) Secendorfe Sehen III. S. 196. .
S Zaßmann L e. 784,
9 Bafmanı L 6. mi fagt, man habe fie gehalten aber Fr
eiſt ihre Verlängerung bewirkt. Vergl. Benelendorf II. ©. 98
Maupilton II. ©, 215.
4) Seckendorft Erben II. ©. 163.
5) Raupillon IL. ©. 216.
6) Morgenftern ©, 208.
Auständifhe Werbungen. 363
Daher eben hielt er Mancherlei für erlaubt und fah es feinen
Dfficieren nad), was ex bei ruhiger Ueberlegung ganz anders
wuͤrde angefehen und ficher Niemandem gegen ſich geftattet ha⸗
ben; daher wurde er denn auch mit feinen Nachbaren unauf⸗
hoͤrlich in die unangenehmſten Zwiſtigkeiten verwidelt.
Die preuffifchen Werber nahmen (1723) einen Brauer
von einem Gute in Polen weg, bad bem Generale Flemming,
bem Bruder des ſaͤchſtſchen Minifters, "gehörte Seine Bes
ſchwerde blieb ohne Erfolg; es kam darüber zu verdrießlichen
Haͤndeln und zu einem Duelle, in welchem ein Lieutenant v.
Putlig vom Regimente Schlippenbach erfepoffen wurde’). Ein
preuffiiher Officer‘) wurde in Sachſen als Werber. langer
Soldaten ertappt und zum Zobe verurtheilt. Friedrich Wil⸗
helm Tieß fogleich durch ben Miniſter von Katfch dem fächfls
ſchen Gefandten Suhm fagen, wenn man das Urtel vollziche,
werbe er gegen ihn Repreffalien gebrauchen und ihn hängen
laſſen. Suhm war: fo beforgt, der König möchte dad wahr
machen, baß er eiligft Berlin verließ. Der König Auguft bes
ſchwerte fi a ln Aber ein fo voͤlkerrechtswidriges Benchs
men. Friedrich Mühelm, deſſen Hige fich unterbeffen gelegt
hatte, gab nun an, bie — beruhe auf einem Misverſtaͤnd⸗
niffe, —X habe ſich ſolcher Drohungen nicht bedient. So
wurde dieſe Angelegenheit noch beigelegt.
Im 3. 1727 ſchicktte der König den Lieutenant von
Wietersheim, angeblich als Jagdjunker in feinen eigenen _
Geſchaͤften, in das Mainzifche, um dort einen fehr langen
Kerl anzunehmen, ber nicht gutwillig Dienfte nehmen wollte.
Sedendorf muſſte es beim mainzifchen Hofe vermitteln, daß
ex aufgehoben und dem Wietersheim Übergeben wurde ). Als
in demſelben Jahre ein aus dem Mainziſchen gebuͤrtiger Sol⸗
dat des marwitziſchen Regiments entlaufen war, ſo ließ der
General Marwitz den Water deſſelben, einen Gemeindeſchaͤſer,
1) Ausführlich bei Mauvilion II. S. 80.
2) Pblinig Dem. II. &. 250 nennt den Hauptmann von, Ratmer.
Maupillon II. S. 188 fagt: ein unterofficier. Vergl. Sedendorfs
Briefe an Eugen bei Foͤrſter Thl. IT. ©. 404 u. 414.
3) Des Königs Schreiben bei Börfter Thl. TIL ©. 250.
364 \ Bud VL Zweites Haupeftüd.
in einem mainziſchen Dorfe durch preuſſiſche Soldaten aufhes
ben und feine ‚Heerde wegtreiben, was ber König billigte und
dem Kurfürften von Mainz auf deſſen Vorſtellungen erklärte,
das Regiment habe dad Recht, ben Deferteur und. beffen Ber
mögen aller Orten aufzuſuchen, alfo auch die Schafe feftzuhal:
ten. Wenn der Soldat wiebergefchafft worden, follten fie zus
rüdgegeben werben ). ö
Als im 3. 1731 preuffifhe Werber einen langen Bauer
von den Gütern des Staroſten Mielöfi in Polen wegnahmen,
ließ biefer einen preuffifchen Unterofficier an ber Grenze aufs
—* und weigerte fih, ihn zuruͤckzugeben, ehe er-feinen Bauer
jebererhalten. Nun ruͤckte ein preuffiiches Regiment ein und
— auf des Mielski Gütern ſehr uͤbel. Dieſer fiel darauf
mit 30 Polen in das preuffifche Gebiet ein und vergalt Gleis
ches mit Gleichen. Der König Auguft legte jest die Sache
auf Worbitten des Mielsfi bei, der einen bemüthigen Brief
an ben König von Preuffen: forieh 9).
Solche und Ähnliche Vorfaͤlle wieberholten fi nur zu
häufig auf allen Grenzen. Alle benachbarten Länder waren in
Furcht und Schreden vor ben Gewaltthätigkeiten ber preuffis
ſchen Werber, welche allgemeine Exbitterung erregten. Die
ohnehin ſchon vorhandene perfönliche und politiihe Spannung
Friedrich Wilhelms mit feinem Schwager, dem Könige von
England Georg II. kam zum Ausbruche und beinahe zum Kriege,
als Georg es ſich nicht wollte gefallen laſſen, daß preuſſiſche
Werber hanndoeriſche Unterthanen auf Reifen wegnahmen, ja
. fie felbft in ihren Wohnungen überfielen und aufhoben, wäh
rend Friedrich Wilhelm auf Feine Vorftellung achtete ). Als
der preuffifche Major von Quadt im Heffen-Kaffelfchen auf ge
waltſamer Werbung ertappt und feftgenommen, doch anſtaͤndig
behandelt wurde, ließ Friedrich Wilhelm fogleich zwei heſſiſche
Dfficiere auf der — anhalten und nach Magdeburg auf
die Citadelle an einen Ort bringen, den zu beſchreiben man
1) Forſter Ahl. IL ©. 802
2) Raupillon IL. ©. 287.
3) Gedendorfs Leben IL. ©. 165.
Auslaͤndiſche Werbungen. 365
ſich ſchaͤmte). Im Baiern waren bie preuffifchen Werber
mehrmals In Gefahr, vom Volke todtgeſchlagen zu werben, und
im Bistum Aichſtaͤdt transportirte man einen Officer über
bie Grenze, nachdem man ihm feine Päffe abgenonmen ).
Kur⸗Sachſen, Köln und «Hannover und HefensKaffel waren
daher (1732) nahe daran, ein Buͤndniß zum Schutze gegen die Ges
waltthaͤtigkeiten der preuffiichen Werber zu fchlieffen. Da end»
lich verbot der König (17. März 1732) feinen Regimentöchefs
die Werbung durch Gewalt oder Lift in allen Ländern, in bes
nen darlıber Befchwerde geführt worden, und bezeigte feine Miss
billigung mit dem Verfahren des von Quabt, ba nach feinem
Willen nur mit Genehmigung des Landesherrn ober Statthals
ters freiwillige Werbung ftattfinden ſolle). Man wuflte ins
deſſen ſchon, daß das nicht‘eben ernftlich gemeint fe. Daher
feute fich auch ein’ preuſſiſcher Lieutenant Wollenfpläger nicht,
einen langen Kerl ber hollaͤndiſchen Garde in Maftricht zur
Defertion zu verleiten. Sein Hauptmann hatte feit einer Reihe
von 20 Jahren ſchon 20 Mann auf diefe Weife verloren, lockte
daher ben Wollenfchläger auf das hollaͤndiſche Gebiet und ließ
ihn bier feflnehmen. Eben waren aud ein Weiter und ein
Die Generalftaaten vergeblich barlıber beihwert, daß ihnen
10 Mann ebenfo weggeführt worden waren und bei einer ähns
lichen Gelegenheit das wiederholt. Daher war ed jegt ebenfalls
vergeblich, daß der preuffifche Mefident um die Auslieferung
Wolenfchläger bat; biefer wurde vielmehr nad gehaltenem
Kriegsrechte (21. Ian. 1733) eföoffen, fein Sergeant aber
entlaffen. Sobald die Nachricht davon nach Berlin kam, fo=
derte der hollaͤndiſche Gefandte ſogleich alle dort befindlichen
hollaͤndiſchen Dfficiere auf, ſich fehleunigft zu entfernen, weil
er mit Recht fürchtete, der König möchte fie in der erfien Hitze
1) Sedendorfs Leben II. &. 179. MWergl. Börfters urkunden ⸗
UL 6, 501.
9) $apmann L ©. 787. ‚
8) Bei Sörfter Thl. II. ©. 807 Anmerk.; ‚vergl, bei demſelben
II. S. 302. J
366 Bud VL. Bweites Hauptftüd.
feines Zorns erſchieſſen laſſen. Wirklich ließ biefer auch for
gleich durch die Befchlöhaber der erzmgpläge 4 Dfficere und
etwa 20 hollaͤndiſche Soldaten, bie fich auf feinem Gebiete
3. anhalten, nach Weſel bringen und drohete, an ihnen
Seckendorf mahnte dringend ab von Repreſſalien. Er hatte
eben dem Koͤnige den laͤngſten Mann in deſſen Leibregimente
verehrt und erklaͤrte nun, der Kaifer mifle ben Generaiſtaaten
beiftchen. Nachdem bie erſte Hige verraucht war, gab ber Ki
nig die Officiere frei, behielt aber die Soldaten als preuffifche
Die Holländer foderten ernfllih deren GEntlafs
fung; mehrere Heine Anſtoͤße und Misverſtaͤndniſſe kamen dazu
frei gelaſſen wurden. Als das aber die Generalſtaaten fo aufs
nahmen, als haͤtte es der König gezwungen gethan, bereuete
dieſer es und nur mit unſaͤglicher Mühe der Vermittler wurde
dieſe Angelegenheit durch gegenfeitige Entſchuldigungen ausge:
glihen. Der König vergaß aber bie ihm in feinen Werbern
zugefügte Beleivigung nicht und ließ im folgenden Jahre (1734)
zwei hollaͤndiſche Unterofficiere aus Maftricht, welche auf bad
preuſſiſche Gebiet kamen, um einen Solbaten, welcher fih aus
dee Beftung dorthin begeben hatte, zurädzubringen, unter bem
Bermanbe aufnüpfen, daß fie in feinem Lande Gewalt ge
Zus die Acbtiffin von Quedlinburg wiberfegte fih den
preuſſiſchen Werbungen und ließ (13. Juli 1733) ein Patent
gegen bie gewaltfamen Werbungen bes marwigifchen Regiments
1) Gedenborfs Leben IIL. S. 181. Bergl. Bafmann Le. 785
u Maupillon IL ©. 860.
Auständifhe Werbungen. 367
anſchlagen, ber König aber ließ es abreiffen, (18. But) durch
den ‚Henker verbrennen und ungehindert fortfahren ).
dm feanzöfifepe Geſandte Ghetardie beſchwerte fich heftig
über bie Gewaltthätigkeiten der preuſſiſchen Werber umb ir
. England wurde dem preuffihen Gefandten Borde erklaͤtt,
man koͤrme ihn nicht mehr als Gefandten dulden, weil ex Leute
gegen bie Sandeögefege geworben ).
In fo große mb mod weit zahlreichere Unannehmlichkeis
ten verwidelte den König allein bie umbezeichenbare Sucht nach
langen Soldaten. Er war auch .auf diejenigen Staaten, wels
che ihm nicht frei falten lieſſen, fo erbittert, daß er fi, wo
Sr Ic‘ an ihnen zu rächen ſuchte. Als bie Hamburs
ger ben von ihm ſehr gefpägten Propfl Reinbet zu der hoͤchſt
äintsäglichen Stelle eines Hauptpaftors ihrer Michaeliskirche
wählten, fchlug ber Knie ab, ihm zu entlafien und ſchrieb:
platt abgefchlagen. Die Hamburger wollen mic meine beften
Prediger aus dem Lande holen amd wenn ich irgendwo einen
Lumpenkerl anwerben laſſe, wird eim Lärm darüber gemacht!“
Er gab aber dennoch an Beinbedt nicht die geringfte —
digung*). As bie Generalſtaaten ben König durch ihren Ges
fanbten Ginkel, ven ex fonft wohl leiden mochte, baten, ihnen
den berüfenten Suriften ‚Heineseiuß, bamals Profeffor zu Halle,
zu überlaffen, ſchlug ex es ab: weil fie feine Fihpelmänner { in
ihrem Gebiete werben lafjen wollten, habe er auch Feine Pros
fefforen fr fie‘). Man ficht, daß er feine Geiftlichen und
—
jelben Geſichtspunkte betrachtete, ſich
Kranken a und fie fo ziemlich als feine Leibeigenen
anfe
Sehne Leidenſchaft für Tange Soldaten wurde auch durch
die Jahre ht an — Sie blieb gleich ſtark bis an feis
nen Zob. Alle Verſuche, fie zu mildern, ober ihm doch we⸗
1) Zritſch Geſch d. Quedlinburg Thi. IL ©. 79.
2) Grtenborfs Sehen II. ©. 24.
8) Steinbeis Lehen in Bäfhings Weltvägen L &. 177.,
4) König I. ©, 122.
368 Bug VI. Zweites Hauptfüd.
nigſtens von der Rachſicht gegen bie empörenden Gewaltthaͤ-
tigfeiten feiner Werber abzubringen, waren ohne Erfolg. Durch
den General Schulenburg wurde mit Sedendorfs Beihülfe bem
Könige ein Brief in die Hände gefpielt, welcher auf ihn und
feine Officiere die Stellen der Bibel anwendete: Mer einen
Menſchen fliehlet und verfauft, daB man ihm bei ihm findet,
der fol des Todes fterben (DM. Mof. 21, 16). Wenn jemand
funden wird, ber aus feinen Brüdern eine Seele flichlet aus
den Kindern Ifrael und verfegt oder verkauft fie, ſolcher Dieb
ſoll erben (V. Mof. 24, 7); und: Den Gerechten iſt Fein
Geſetz gegeben, fondern ben Ungerechten — — den Menfchens
dieben umd fo etwas ber heilfamen Lehre zuwider it (J. Tim.
4, 10). Alles war eben fo wirkungslos, wie die Prebigt des
Magifter Rüben in Quedlinburg, welcher (25. Ian. 1730)
bei Gelegenheit des Evangeliums vom Hauptmann von Kas
pernaum gegen Menſchendiebſtahl ſprach, worüber ein Protos
koll abgefafft und nad Berlin geſchickt wurde, ohne daß ihm
doch weiter etwaß geſcheben zu fein ſcheint ').
Obgleich die Hauptleute, welde für die Vollſtaͤndigkeit
ihrer Gompagnien verantwortlih waren, dadurch bedeutende
Einkünfte hatten, daß fie oft bie ‚Hälfte der Leute beuslanben
Eonnten, während fie den gefammten Solb fortbezogen, fo war”
doch die Nothwenbigkeit, Tage Leute zu flellen, für fie ſehr
drüdend und veranlaffte, ja nöthigte manchen zu Ausgaben,
welche ihn zu Grunde richteten‘). Manches Regiment verwen:
bete in einem Jahre 16—13,000 Thaler auf lange Refruten.
Einzelne wurben von ben Hauptleuten, waren fie 5 Zuß 10
300 lang, mit 700, 6 Fuß lang mit 1000 Thalern, noch
länger noch viel theurer bezahlt, und diefe Ausgaben führten
zum Bruce ber eingegangenen Gapitulationen und zu Erpreſ⸗
fungen im Sande’). Vom J. 1713 bis 1735 ſollen 12 Mi
lionen Thaler für Werbungen in das Ausland gegangen fein*).
1) Secendorfs Erden IT, ©. 165.
e. Fl Sedcendorfs Schreiben an Gugen bei Foͤrſter urkundenbuch IL
8) Seiebrih II, du Militaire‘p. 844.
* 4) Baßmann L &. 784.
Kriegszudt. 369
Aufferdem beftand dadurch nach und nach ein Immer grös
Berer Theil, ja die Hälfte des preuffifchen Heeres auß freiwil⸗
lig ober gewaltfam geworbenen Fremden, zum Theil dem Aus⸗
wurfe aller Nationen’). Dazu kam das rauhe Benehmen und
bis zur Grauſamkeit firenge Verfahren der Dfficiere*) nad
dem Mufter des Fürften Leopold von Deffauz das machte aber
auch ben preuffifchen Kriegsſtand auf das Aeuſſerſte verhafft
und nur die fchärfiten bis zur Graufamkeit gehenden Strafen
konnten in einem ſolchen Heere den Widerftand brechen, den
Gehorſam und die Kriegszucht aufrecht erhalten. Die Krieges
atitel, weldpe ber König gleich nach feinem Regierungbantritt 2 au
elieh, athmeten daher diefe Strenge.
Wer fi mit Worten oder Raiſonniren dem Obers ober
Unterofficier widerfegte, muſſte dreiffig Mal Gaſſen Taufen,
wer ben Degen entblößte, wurde erfchoffen. Kartens und Würs
felfpiel wurden mit Spiesruthen beſtraft; auf faft allen uͤbri⸗
gen Vergehen, wie auf gewaltfamem Einbruch und Dieberei,
fand der Tod. An demfelben Tage wurde ein Edict zur Vers
bütung der Defertion erlaffen. Jede Nacht vor dem Ausmars
ſche muffte der Wirth und deſſen gefammtes Gefinde wachen
und durften nicht geftatten, daß ein einquartirter Soldat ſich
wegbegäbe. Auf dem platten Lande und in offenen Städten
mufften Tages vor dem Ausmarfche alle Wege und Päffe von
ben Einwohnern befegt und es durfte Niemand ohne Pag
durchgelaſſen werben. Defertirte dennoch ein Soldat, fo trus
gen die Obrigkeiten und Einwohner die Schuld und weil alle
angedroheten Strafen nichts geholfen, fo wollte der König fich
an fie um Schabenerfag halten. . Wer einen Deferteur ertappte,
bekam 10 Thaler. Jeder Beurlaubte muſſte (2. Aug. 1722)
bei Lebensſtrafe in jeder Ortſchaft, durch die er kam, ſeinen
Paß bei der Obrigkeit, dem Prediger oder Kuͤſter und auch
1) Im Segkmente des Prinzen Guftav von Deffau war ein Moͤnch
aus Genua, ber im Preuſſiſchen Almoſen für die in der Türkei gefanges
wen Ghriften gefammelt hatte, gemeiner Reiter. Seckendorf an Gugen
bei Foͤrſt er Urkundenbudh II. ©. 89. Gin Viertheil des Heeres war
rathoiiſch. Faßmann I. ©. 781.
2) Gedendorf an Eugen in Foͤrſt ers Urkundenbuche II. ©. 39.
Gtenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 24
3m Ana Ya Ameites Haupifiäd,
we wu a ira angreifen wurde, ). Damit
1 Nie peut at der Deiertend um fo leichter
en ne Ara uiid Zur Minig (29. Juni 1723)
sein di wie öÊh in elen Drtfpaften
Ar eg ua ion ur Kein Würger
na nic Az Sakasen, ber micht
x
ie
*
132235
ir
Ä
{ i
} f
Hirt
april
Verbrechens Uiberführt worden, ohne des Königs Befldtigung
zu erwarten, aufgehängt werben. Ber vom eines Gelbaten
Anfiht zu befertiven wuffte und es richt anzeigte, wurde
(&. Aug. 1726) mit Leibes⸗ und Lebensſtrafe bebrobet.
Von Zeit zu Zeit wurde ein Generalpardon für alle Des
ſerteurs bekannt gemacht, welche ſich binnen einer beffimmten
n, ja ſogar (12. Febr. 1721) denen,
mei Monaten zuruͤckkehren wörden, auffer
wenn fie im erften Gliede fländen 30 The
bis 10 Waler baaren Geldes zugefihert 9).
an IL ©. 6%.
®. 627.
Kriegszucht. 31
Das war immer noch weit wohlfeiler als bie Ergänzung durch
neue Werbungen '). Da indeſſen, wie es endlich (15. Geptbr.
1736) hieß, alle ditern Edicte gegen Deferteure nicht genug
geholfen, fo wurbe bei 200 Thaler Strafe befohlen, wer einem
Unterofficieve ober Soldaten begegne, folle nach deren Paffe fras
‚gen und bei der Weigerung, ihn zu zeigen, fogleidy Anzeige bei der
näcjften Behörde machen”). Ban ſieht aus ſolchen äufferften,
und zum Theile ganz unausführbaren Vorfepriften, wie ſchwer
es war, bie Zruppen bei ben Fahnen zu erhalten, und wir
erfahren auch noch befonders, dag im I. 1730 70 bis 80
aus dee Wallachei, Polm und Ungarn gebürtige Grenadiere
des Leibregiments, welde, wie ber zeitgenöffiiche Geſchicht⸗
ſchreiber Friedrich Wilhelms L fagt, den glüdfeligen Zuſtand,
worin fie lebten, nicht vecht bebachten, ſich mit einander ver
ſchworen, bewaffnet auszubrechen und fo zu entkommen. Des
wurde indeſſen verrathen, einer erhängt, einen anderen Nafe
und Ohren abgefchnitten, bie übrigen mufften 36 Mal Gaſſen
Taufe; einige entleibten fi ). ud 18 bis 20 bei dem Bes
gimente Leopold von Deffau in Halle befindliche &uffen
wollten, als fie zum griechiſchen Gottesdienſte, ber fhr fie wie fin
Katholiken befonbers angeordnet war, nach Berlin gingen, mit Ge⸗
walt ausbrechen, wurben jedoch wieder eingefangen und beftraft *).
Seinen Officieren gegentiber betrachtete ſich der König, .
kun tegiementögemäß nicht als König, fondern als Dffls
de. AS er einft in ber Tabaksgeſellſchaft den Major von
1) Son i. I. 1716 wollte er 4—600 Mann von ben Marks
grafen von Ansbach unb Waireuth Faufen und 30 Thlr. für jeden nadens
ben Kerl geben.
9) Bafmann L ©. 792 bemerkt ſelbſt, daß bie Ausführung ſchwie⸗
rig fei, es werte auch bamit nicht fo genau genommen.
"9 Faßmann I. ©. 1010, Wativillon I. ©. 288 fagt 12
ſch wiederholt.
Begimente
worben, an das Dominitanerfiofter in
4) Bapmann I. &. 791.
3” Bud VE Zweites Hauptifiäd.
überall, wo ex fonft angetroffen wurbe, vorzeigen '). Damit
der Defertion gefeuert ufb bie Deferteurs um fo leichter er⸗
tappt werden koͤnnten, erließ der König (29. Iuni 1723) ein
goen Edict, welches monatlich in allen Drtſchaften von
der Kanzel abgeleſen werben muffte. Kein Bürger oder Baur
ſollte einen Unterofficier oder Soldaten, ber nicht feinen rich⸗
tigen Paß vorzeigen koͤnnte, paſſiten laſſen, ſondern ihn feſt⸗
nehmen und an das naͤchſte Regiment abliefern. Wenn ein
Soldat defertirte und es vom Sfficiere auf dem Lande oder
in ben Städten befannt gemacht wurde, fo follten Bürger und
Bauen fofort auffigen, die Sturmgloden Iduten, die Päffe
befegen und dem Deferteur weiter zu Buße und zu Pferde
machfegen. Doc murde (16. Aug. 1727) den Dfficieren vers
boten, von ben Stäbten, in welchen Garniſonen flanden, zu
verlangen, daß bie Bürger Pferde zum Nachſetzen der Deſer⸗
teurs befonbers hielten, dieſe follten vielmehr gemiethet wers
ben. Für jeden ertappten Deferteur wurden jeht 12 —
zugeſagt. Wenn dagegen Beamtete, Edelleute, Bürger und
Bauern nicht alles Mögliche anwenden würden, um den Des
ferteur zur gefänglicen Haft zu bringen, fo follte das Dorf
100 Thaler, bie Stadt 200 Thaler, der Landrath ober Edelmann
100 Ducaten Strafe geben. Im Balle das Dorf arm, fo follen
bie zwei vornehmften Bauern, wenn bie Stabt arm, fo fellen
die acht vornehmſten Bürger zwei Monate karren. Wer einem
Deferteur durchhelfen würde, follte ſogleich, nachdem er des
Verbrechens überführt worden, ohne des Königs Befldtigung
zu erwarten, aufgehängt werben. Wer vom eines Soldaten
Abfipt zu deſertiren wuffte und es nicht anzeigte, wurde
(5. Aug. 1726) mit Leibess und Lebensſtrafe bebrohet.
Von Zeit zu Zeit wurde ein Generalpardon für alle Des
ſerteurs bekannt gemacht, welche ſich binnen einer beſtimmten
Erik ſtellen wurden, ja ſogar (12. Febr. 1721) denen, welche
eilig binnen zwei Monaten zuruͤckkehren wirben, auffer
Straflofigkeit, wenn fe im erſten liebe Ränden 30 ho»
m und fo herab bis 10 Thaler baaren Geldes zugeſichert *).
1) Bei Saßmann IL. ©. 654.
3) @bendaf. I. ©. 627.
Krlegszudt. Fr
Das war immer noch weit wohlfeiler als bie durch
neue Werbungen). Da indeſſen, wie es endlich (15. Septbt.
1736) hieß, ee Altern Edicte gegen Deferteure nicht genug
geholfen, fo wurde bei 200 Thaler Strafe befohlen, wer einem
Unteroffiiese ober Solbaten begegne, folle nach deren Paſſe fras
‚gen und bei der Weigerung, ihn a zeigen, fogleldy Anzeige bei der
nähen | Behörde machen”). Man ſieht aus ſolchen aͤuſſerſten,
und zum Theile ganz unausfuͤhrbaren Vorſchriften, wie ſchwer
ri die Truppen bei ben Fahnen zu erhalten, und wie
erfahren auch noch befonders, daß im I. 1730 70 bis 80
aus bee Wallachei, Polm und Ungarn gebürtige Grenabiere
des —— — Io der eitgenöffre Geſchicht⸗
ſchreiber Friedrich Wi L ſagt, den gluͤckſeligen Zuſtand,
worin ſie lebten, bergen? recht bebachten, fi mit einander vers
ſchworen, bewaffnet auszubrechen unb fo zu entlommen. Des
gimente Leopolb& von Deflau in Halle befindliche &uffen
wollten, ald fie zum griechifchen Gottesdienſte, der fuͤr fie wie fir
Katholiken befonders angeorbnet war, nach Berlin gingen, mit Ges
walt —e wurden jedoch wieder eingefangen und beftwaft‘).
1) Sqhen i. I. 1716 wollte er 4—600 Bam von den Mark
grafen von Ansbach) und Baireuth kaufen und 30 Thir. für jeben nadens
den Kerl geben.
2) BafmannL ©. 792 bemerkt ſelbſt, daß bie Ausführung ſchwie⸗
zig fei, es werde auch damit nicht fo genau genommen.
8) Faßmann I. ©. 1010, Mauvillon I. S. 288 fagt 12
Moun, doch hat ſich dergleichen wobl mehrmals wiederholt. Daß das
vollzogen worben, zeigt Foͤrſter IL ©. 301 aus einer Cable
netsorbre Friedriche IL d. I. 1749, in welcher der König befichtt, einen
Gefangenen in Spandau, welchem wegen eines bei Friedrich Wilhelms J.
Begimente gemachten Defertionscomplots Naſe und Opren abgefchnitten
worden, an das Dominitenerkiofter in Halberftabt ausgaliefern.
4) Bapmann I. &. 791. 2a*
372 Buch VI. Zweites Hauptfiäl.
Vegas mit dem für Gelehrte beſtimmten Ekelnamen belegte
‚und biefer, welcher tüchtig getrunfen hatte, das Schimpfwort
dem Könige zurlidigab, fo erflärte biefer, daß er als recht⸗
ſchaffener Officier das nicht auf ſich figen laffen koͤnne und
GSenugthuung verlange. Es wurde nur mit Mühe vermittelt,
daß ſich ein anderer Officier fir ihn ſchlug '). Bei einer ans
deren Gelegenheit befahl. der König dem Oberſten Marwig,
dem Major Maffow in Gegenwart mehrerer Dffiiere einen
tüchtigen Werweiß zu geben, daß biefer gegen ihn (den König)
als feinen Dberften (in der Trunkenheit) alle Subgrbination
aus den Augen gefegt. Maſſow müffe willen, baß er Major
wäre, der König aber Oberfter ).
Die Uebungen der Mannfcaften im Marſchiren unb
Feuern wurden unauögefegt betrieben. Leopolb von Deffau,
welcher weit mehr Einſicht in das Weſen des Kriegs beſaß,
als der König, wurbe der eigentliche Schöpfer jener volllom⸗
menen Krieggausbildung des preuſſiſchen Fußvolks, welche das
mals Alles in Erſtaunen fegte”). Er arbeitete vorzüglich das
bin, beffen Ueberlegenheit im Heinen Gewehrfeuer zu bewirken,
fo dag fein Feind ber Wirkung beffelben wiberftchen könne,
Die fo zerbrechlichen hölzernen Labeftöde wurden baher mit
eifernen vertaufcht, deren Schwere die Patrone leicht feftpfeopfte.
Den Arm des Bajonnets ließ er verlängern, bie Klinge defs
felben etwas ſchraͤg ausbiegen und bann das erfte Glied (feit
1733) mit aufgeſtecktem Bajonnete, bie zwei hinteren ohne dafs
felbe feuern; das vierte Glied ſtand müffig‘). Er wollte bas
ber, wie es zulegt bei ben Grenabieren geſchah, nur brei, ja
es wird behauptet, weil auch das dritte Glied nie gut feuern
Tonnte, nur zwei Glieder bilden, um bie Seuerlinie zu ver
1) Morgenftern.
2) Bei Hörfter Thl. IT. ©. 297 i. d. Anmerkung. Dadurch wird
das Werfahren des Königs gegen ben Kronprinzen, bei deſſen Wluchtver«
ſuche fehr gut erflärt, und erfheint, wie feldft das Verfahren gegen Katt,
in einem weit milderen Lichte. ö
8) ®eiebrid) IL. Du Militaire p. 886.
9 GBeht en hor ſt) Betraditungen über die Kriegefmft I. ©. 129.
riebridh II, Da Militaire p. 843.
Kılegsäbungen. 373
grögern. Die Soldaten wurden num abgerichtet pelotons, dis
vifionds und bataillonsweife mit einer früher unbekannten und
nicht fir möglich gehaltenen Schnelligkeit zu feuern, alle Griffe
des Gewehrs mit der größten Pünktlichkeit zu machen und
dazu noch höchft genau Im Gleichſchritte zu marſchiren.
‚Hierzu kam bie größte Sorgfalt für voͤllige Inſtandhal⸗
tung ber durch das ganze ‚Heer gleichen fehr guten Waffen und
die peinlichfle Aufmerkſamkeit auf die Kleidung und deren Reins
lichkeit. Die Truppen wurben jährlich neu gefleidet, das Fuß:
volk blau, die Reiterei weiß, die Hufaren roth). Ein befon-
deres Montirungsreglement wurbe (30. Iuni 1713) erlaſſen
Sommer. Die Mäntel waren abgefchafft, feit fie im I. 1708
bei ſtarken Maͤrſchen hatten zuruͤcbleiben müffen und fo für
entbehrlich galten). Die Monturen waren im Einzelnen bes
trachtet etwas kurz und eng. Die Prinzeffin Wilhelmine bes
merkt, (1728) als bei bem Beſuche bed Königs von Polen in
Berlin Polen und Sachſen in prächtigen Kleibern aufgetreten,
bie Preuffen ihres Waters hätten in ihren- einfachen Uniformen
einen großen Contraſt gebildet. Die Röde wären fo kurz und
Tnapp geroefen, daß fie nicht gewagt hätten, fih zu rühren,
aus Furcht fie zu zerreiffen *); allein ein Boll Tuch Erſparniß
war viel bei einer großen Anzahl. Auf die kleinſten Einzeins
heiten wurde mit einer Genauigkeit gehalten, welche freilich
oft rein pebantifch war. Der König winde fich felbft auf bie
Wacht geſchickt haben, wenn er fih in einem Kleidungs⸗
flüce, das nicht montirungsmäßig war, betroffen hätte‘).
1) Pöllnitz Mämoires T. L Lettre 1. p. 26.
2) Girtacy Geld. d. preuſſiſchen Heered ©. 836.
8) Seiebrid) IT, Du Möitzire p. 348.
4) Mömoires de Bareith I. p. 116. Sie hat überhaupt eine fpige
5) Aeuſſerung Behrenhorfts in feinen Betrachtungen. J. ©. 125.
Auch Secendorf in feinem Schreiben an Cugen i. I. 1725 bei
374 Buch VL Bmeites Hanptfiäe.
& ſah vom befiner Cöieie ab einen Dir, ben, Bohn
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Gavehren, wenn es mit ber größten Pimktlichkeit auf
Commando jebe Bewegung, jeden Griff des Gewehrs fo
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marfchteen, nicht gut feuern.” Die Oberfien follten
als wenn er immer zugegen wäre; auch der Dienft in
ö Bernifonen fol fo ac arhlier wen, als wenn der
ben Xhoren Ban, zugleich fehr forgfäktig auf Reinlich⸗
keit und Puten der Kleivung und Waffen gefehen werben.
en iO uhgt Ans Rahee wie tus Tesacat Tat,
werbe ich den Befehlöhaber und alle Dfficiere baflız ſcharf ans
Are
1) Benekendorf W. S. 1.
2) Friacich II. Du Militeire p. 849.
Kriegsübungen. J 35
fee Bm Bring (eng beat un Di Blair
Die Reiterei, Dragoner und Güraffiere beflanden ebenfalls
aus langen Leuten. Sie wurden nicht gehörig ausgebildet und
mehr zu * als zu Pferde gelbt. Sie feuerten vortrefflich,
denen 1odn gepuste Waffen, Beug und Pferde, bie doch etwas
zu bod und mohlgenährt, dabei zu ſchwer waren, Tonnten
aber leider nicht reiten. Leopold hatte bei der hoͤchſtaͤdter
Schlacht eine uͤbele Idee von der Meiterei erhalten. Sein
durchdringender Verſtand fah, was Fußvolk gegen fie vers
möchte, und er. war felbft ein ſchlechter Reiter). Das Res
giment Gensbarmen in Berlin galt fir das Mufterregiment
unter ber Reiterei bes Heeres.
Eine Infruction für Ober⸗ und Unteroffiiere wurde die⸗
fen gedrudt, doch mit der Verpflichtung gegeben, fie geheim
Die Dffiiere ber Meiterei lagen zerfireut in ben Eleinen
Städten, verſtanden durchaus nichts vom Reiterdienſte und
Leopold von Deffau *), und Kriegserfahrung hatte nur noch
der Gmeral Schwerin ).
Der König muflerte jährlich die einzelnen Regimenter in
deren Stanbquartieren, auffer in Königsberg, Berlin und Mags
beburg, wohin mehrere Regimenter ber Umgegenb gezogen
„wurden. Die Uebungen und Bewegungen waren nicht eben
durchaus auf den Krieg berechnet, wurben aber aufferorbentlich
1) Bei Börfter Thi. II. ©. 816.
2) Beiebridh I. Du Milltaire p. 845. Vergl. Benekendorf IV.11.
Behrenhorſt SHLL ©. 188.
8) Faßmann L ©. 189.
4) Beirig IL. a. 0. D. pᷣ. 341, 845 und 847.
5) Diefer war aus medlienburgifden Dienften, nachbem er vorher in
hellandiſchen Dienften unter Eugen und Marlborough gebient hatte, in
bed Felbmarſchalls Grafen v.
376 . Bud VL 3weites Hauptfläd,
genau und mit großer Sicherheit ausgeführt ). Dem Blicke
bes Königs entging nichts, doch kam es vorzüglich darauf an,
ob viel neue lange Refruten da waren, dann war er mit dem
Chef und dem Regimente zufrieben.
Man glaubte nicht, daß mit einem folhen Heere viel
vollführt werben Tönnte, und meinte, die Soldaten würben
‘alle davon laufen. Der König war aber fehr erfreut, daß
im Prachtlager von Mühlbery (1730) täglich von jedem ſaͤch⸗
ſiſchen Regimente über hundert befertisten, während, wie er
behauptete, von ber preuffiichen Armee iahrüch nur zweihundert
bis zweihundertfunfzig davon liefen ).
Durch den Dberften Walrave ließ der König unter ber
Leitung des Generals Lottum bie Feſtungswerke Wefels (1717),
unter Leitung Leopolds von Deffau die Werke Magbeburgs
vollenden, dann vorzüglich die Werke Stettins (feit. 1721)
und auch Memels vermehren). Er errichtete auch eine
Abtheilung von 40 Ingenieurofficieren unter bem Dberfien
Walrave, legte Pulvermühlen und (1723) eine große Ges
wehrfabrit bei Spandau an‘), füllte feine Arfenale mit
Selb» und Belagerungsgeſchuͤtz und hatte treffliche Artillerie»
officiere *).
Die Kadettenſchulen in Magdeburg und golberg vereinigte
er und verlegte ſie nach Berlin, wo er ihr den Hetzgarten
einraͤumte und geſchickte Lehrer anſtellte. Auch die gemeinen
Soldaten ließ er im Chriſtenthume, Leſen und Schreiben un⸗
terrichten ) . Ausführliche Sold⸗, Marſch⸗, Einquartierunges
und Verpflegungsreglementd ordneten forgfältig, was ben
1) driedrich II, Du Militaire p. 348,
2) Friedrich Wilhelm I. an Seckendorf bei Börfter II. S. 289.
8) ®riebri IL. Du Militaire p. 847. König I. ©. 102. Be-
netenborf IV.62. Fapmann'l.&.206. S. 758 zäflt er 10 Feſtungen
und 23 befeftigte Pläge. Roch i. I. 1718 wurben
für 15 fefte Pläge ausgegeben. Bei Röbenbed I. ©. 121.
4) ©. Ricolai Belhreibung Berlins &. 1022 und ©. 1169.
5) Frichrich U. Du Milltaire ©. 847 gibt nur 80 au. Bergi
Giriacy ©. 312, ferner Baßmann L ©. 755.
6) König l ©, 136.
Sefungen. Verpflegung Gold, x”
Xeuppen In jeder Beziehung gebuͤhrte ). Die Beſoldung der
höheren Dfficiere wurde gegen fruͤher nicht verringert und daß
Beurlaubungsfgftem vermehrte felbft das Einfommen der Haupt»
Teste, deren Solb nicht hoch (monatlich 40 Thaler) war, fehe
bebeutenb, und es wirbe noch anfehnlicher gemefen fein, wenn
bie Koften ber Werbungen nicht fo bebeutenb gewefen wären.
Dagegen war bie Lage der Subalternofficiere, auf deren Schuls
tern eigentlich bie ganze Laſt des Dienftes ruhete, mit 13 Thir.
18 Gr. oder 11 Thlr. monatlichen Soldes nicht zu beneiden *).
Wohlthätig aber war ed, daß der König den Sold der ges
meinen Soldaten auf 2 Thaler monatlich erhoͤhete. Die
Reiter erhielten 2 Thir. 12 Cr. bis 3 Xhle.”). Anfänglih
bekam jeber Soldat auf dem Marſche noch 2 Grofchen tägliche
Zulage, was aber ald zu koſtbar abgefchafft wurde, wogegen
das Land fin jeden 2 Pfund Brot täglich unentgeltlich lies
fern muffte. Weiter follte den Soldaten nichts gegeben
werden
Auffallend begüinftigt war freilich das Selbregiment, denn
bier erhielt der Hauptmann, ns ohne Beurlaubungs⸗
eintuͤnfte, monatlich 100 Thaler, und jeder Genabier, ohne
die perfönliche Zulage vieler zu reinen, 4 Thaler monatlich.
Der Kinkg ſah fehr darauf, daß die Zruppen auch an Gelb
und Montirungeftüden Alles puͤnktlich bekamen, was ihnen zus
gefichert war‘). Daher war in ber regelmäßigen Auszahlung
des Soldes für den Gemeinen von je fünf zu fuͤnf Tagen nie
eine Stodung. Er wollte auch nicht, daß feine Unterthanen
auf Märfchen oder fonft gedruͤkt wärben und verbot (7. Juni
1) Die Verpflegung hatterfeit 1728 das Generalbirectorium unter
ed re u
henden Anosbnungen gu ändern.
9 Eiriacy ©. 808 und 822.
5) Die Welolbungstabellen bei Giriacy ©. 814 q. Beneken⸗
borf IV. ©. 106.
4) Shite kurmaͤrkiſche Sandfteuerverfaffung. &. 475.
5) Befehl vom 3. 1730 bei Börfter ZH. IT. S. 816. Vergl.
Benelendorf V. 113, wie gut das Armatur» und Montirungeweſen
durch den General von Maßorw eingerichtet worden.
ma Bub VI. Ameltes Haupıkäd,
4713) den Dfficieren bei Gaffation, u Wagen und Vor⸗
Landraͤthen aber mehr
geweigert, des Königs Leibregiment aufzunehmen unb wollten
ch weiter nicht fin Unterbringung der Garnifon forgen. Der
König befahl daher (30. April 1722) dem Magiftvate, alle
teilen, welche die Sache zu umterfuchen hatte, was aber viele
Schwierigkeit fand, weil biefe ganze Angelegenheit in großer
Unordnung war. Die Gommiffion flug vor, eine Maiz⸗
und Schrotſteuer aufzulegen. Der König verwarf dad, weil
es eine neue Auflage fei, bie den Soldaten und Bürger treffe,
5
en wifüge sn u u nn
leute 35 bis. 40 Thaler und fo herab. Das Serviögelb bes
Bahr 122 36:00 Dialer und dazu gab bie Generals
fe
1) Zpile ©. 117. Dieſe wohlthätige Gimrichtung zur gleichere⸗
Bertpelung dpr Saft wude I, 3. 1716 geizofen- Au
Verpflegung. Gold, 9
daher (im 3. 1737), fe folten aus ben Barnden und \
weggebracht werben und in der Stabt bie
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im Kriegsdienfte unbrauchbar oder alt geworde⸗
EITITER
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praftifher Sinn fand dann fehe wohl, daB die Unter
und Verpflegung in befonderen Gebäuden, fowie bes
tung ſehr koſibar, und daß es viel vortheilhafter
ie ihn und für bie Invaliden ‚fein würde, wenn er fie im
unterſtuͤte, jedem aber die Freiheit lieffe, was er bes
nad Belieben anzuwenden und fi einzurichten, wie
er es am beften fände. Wie viel er im biefer Rüdficht ges
Hl
ft
than, iſt nicht bekannt, ſchwerlich war es inbeß bei der großen
Baht der Invaliden und des Könige Sparſamkeit hinreichend *).
Bas er den Kämmereien ber Stäbte aufbiden Tonnte,
that er. Zur Verpflegung der alten kranken Soldaten war in
——— ein Haus gekauft und gum Lazarethe eingerichtet wor⸗
den. Generaldirectorium bat um Bewilligung ber Koſten
von 500 ei Der König antwortete (2. Septbr. 1734):
Plat abgeſchlagen. Die Kämmereil“ (nämlich der Stabt koͤnne
8 tragen) °).
Weit mehr geſchah zur Werforgung ber zahlreichen, von
Dfficieren und Soldaten hinterlaffenen Waiſen. Der König
fliftete (1722 und 1734) dazu bad große potsbamifche Waiſen⸗
1) Wilken im Berliner Kalender 1823 &. 188 aus den Acten.
9) $afmann I. ©. 556. ©. König L ©. 18, ber das gu ver
Mahn ie 8 Benekendorf V. S. 121 gibt aber an, es fei doch
Perg underſorgten Invaliden aicht üserhäuft, freilich auch
fein Sing gmaein, Doch je Summen für
——e— nicht für bie Dfficiere, welche daher hätten Math
fen.
8) Bei Börfter Urkundenbuch J. ©: 78.
30 Bud VL Bweites Hauptftäd,
haus und empfahl deſſen Erhaltung allen feinen Nachkommen,
ja wenn, was Gott verhliten möchte, fein Stamm auslöfchen
foßte, noch denen, welchen Gott dann bie Regierung uͤberrei⸗
en werbe, drohete ihnen auch anberenfalld mit feinem Fluche
und Gottes ſchweren Strafgerichten. Er begabte es mit Ra:
pitalien, Eigenthum und Einkünften mancherlei Art und ver
wehrte biefe von Zeit zu Zeit noch bis kurz vor feinem Tode.
‚Her in einem fehr auögedehnten, vier Geſchoß hoben, einen
großen gs —— von ihm bereits im J. 1724 er⸗
ide wurden mehrere hundert Solbatenfinder beis
derlei —ã— reinlich und gut gekleidet, genaͤhrt, angemeſ⸗
ſen unterrichtet und dadurch ſicher eine große Menge von
Menſchen zu nüglichen und brauchbaren Mitgliedern ber menſch⸗
Tichen Geſellſchaft gebildet ). — Das waren bie Einrichtungen,
welche der König traf, um ein immer zum Kriege bereite,
ſtatkes, in jeder Beziehung ſchlagfertiges Heer zu haben. Wie
vieler anberweitigen Anordnungen bedurfte es aber nicht, um
das zu bewirken, was er fi) vorgenommen hatte. Die Worte:
— die ung⸗ welche Friedrich Wilhelm I. öfters an den
ihm übergebener Worfellungen feste, bezeichnen kurz
Sc Drau" und fefene den hans: der von ihm ans
Be ee In Gelbfadhen war er fireng,
Die gefamniten Gtantseinkünfte theilten fih in zwei Haupt:
zweige, in die Kriegs⸗ und in bie Domainengefälle; jene flof
fen in die Kriegs⸗ biefe in die Domainenkaſſe. Die erfim
waren lediglich zum Unterhalte ber Truppen beflimmt und es
gehörten zu ihnen bie Gontribution, das Kavalleriegelb; bie
+ Zehnpferbegelder, bie Kriegsmetze und bie Acciſe.
Die Gontribution, welche von ben Bewohnern bed plats
ten Landes entrichtet wurde, fie mochten koͤnigliche ober Adels⸗
unterthanen fein, war in ben verſchiedenen Provinzen ungleich,
meiſtens nach dem Betrage ber Ausſaat angefchlagen ). Der
1) König L ©: 258 u. 817. Bafmann L ©. 551. Bene
Bendorf V. &. 127. Ricolat &. 1287. Das gefammte Perfonal,
weidhed , opme das Geſinde ber Dfficianten zu rechnen / im 3. 1786 vom
Daiſenhauſe erhalten wurde, machte 5376 Köpfe aus. l
9) Rodens Rachricht von bem Finanzweſen, bi Preuß Beibrich IL
"Finanzen. KL
Sönig befahl mm (19. Novbr. 1715); daß die vielen Tr
Eontribution ausgefchrieben werben follten. Vergeblich machten
die Stände (1716) dagegen Vorftellungen, vergeblich baten bie
Staͤdte (1717), die von ihnen feinem Water nur auf zwölf
Sabre bewilligten Schloßbaugelber, noch bazu nach beffen Vollen⸗
dung nicht zu ben dauernden Abgaben zu ziehen und einen
Unterfchieb zwiſchen der ordentlichen und ber aufferorbentlichen
ober zeitwierigen Gontribution, ve fie Schloßbau⸗ und Le⸗
gelionegelb rechneten, zu machen ').
In Preuffen beftand bie Gontribution im fogenannten
Schöffe, Kopfgelbe, Viehſchat (Homs und Klauenfleuer),
Servis⸗ und Reitergelbern. Sie wurde in ben Jahren 1715
bis 1718 durch eine befondere Gommiffion unter dem Grafen
Truchſeß zu Waldenburg, ohne die Stände zu berufen, nach
einer in ein Kataſter gebrachten Abſchaͤtung ded gefammten
Ertrag der Güter auf die Hufen vertheilt. Gegen biefe Eins
richtung fegte ſich aber vorzüglich der Adel der Provinz, bei
welcher Gelegenheit dann der König ſich fo nachdruͤcklich über
die Souverainetät gegen bie Autorität ber Junker ausſprach.
Die allgemeine Verſicherung bed Königs bei feinem Regierungs⸗
anteitte, es ſolle Niemand über Gebühr befchweret werben,
war von einigen Ortfchaften fo auögelegt worden, als fole'der -
drüͤckende zur Gontribution gehörige Hufens und Giebelſchoß
aufhören, allein fie wurden balbigft (24. Iuli 1713) bebeutet,
daß dieſer wie der (eben zur Contribution gehörige) Grund⸗
und Fundſchoß der Städte (8. Septbr. 1713) wie biöher auch
erhoben werben würde. Den Magiftraten wurde befohs
Im (25. April 1714) die Schoßgelder mit ben Regiſtern
jährlih bei 20 — 50 Thaler Strafe vor Martini eins
zufchiden. Dem Generalbirectorium trug der König auf, für
gleichmäßige Vertheilung der Gontribution zu forgen, baher
die Katafter in Ordnung zu bringen, bamit nicht ingenb ein
hl. IV. S. 415 gibt darüber, für den damaligen Prinyen von Preuffen
verfertigt, gute und genuͤgende Auskunft,
1) Th ile Steuerverfeffung ©. 55 fl.
Bud VL Bweltes Hauptſtuͤck
382
Theil feines Staats gegen den anderen Üiberbiirbet, vielmehe
Laft mit gleichen Schultern getragen werbe ').
Einquartierungss
Biefe (m I 1716) zufanmengezogen umb in bie Staͤdte
verlegt worben war, freiwillig eine beftimmte Gelbfumme ents
richtete, welche aber nicht dauernd fein, fonber aufpiren folte,
fobald die Reiterei ind Feld rlden müffte. wurbe für bie
Kurmark (im 3. 1717) auf jährlich Dan —
Diefe Einrichtung wurde im I. 1724 völlig durchgeführt umb
tete Abgabe unter dem Namen ber Kriegemetze wurbe
zen Groſchen, von jebem Geeffel Roggen, Mehl» sder
1) Robens Rachricht bei Preuß a. a, D. ©. 415.
2) Benetendorf M. S. 110. Thile & 99. Das Kavalleries
betzug für bie Mark 5000 Ahlx. jährlich mehr als bie fröpere
5) Thile ©. 108.
Acclfe. . 383
vom Gerſtenwalze 6 Grofchen, vom Waizenmalze 8 Groſchen
gegeben werben muflten.
Die Sehn- und Bitterpferdgelber betrugen, wie ſchon ds
angeführt worden, 40 Thaler jährlich fl jedes einzelne. Wie
hoch fich bie geſammte Summe des Eitrags belaufen, iſt nicht
Öffentlich bekannt geworben.
Die Acciſe war, wie bekannt, im I. 1682 von dem
großen Kurfürften) in den Städten ber Kur» und Neumark
auftatt der Gontribution und von Friedrich L (Im I. 1695)
aud in Preuffen eingeführt worben. Frledrich Wilhelm I.
dehnte fie ungeachtet mancher Widerfprüche und Widerſetzlich⸗
keit (17161718) auf die Provinzen Magdeburg, Halberftabt,
Cleve, Mark und Meurs, dann (im I. 1720) auf Minden
und Ravensberg aus”); in Geldern konnte das wegen ber
Privilegien des Landes nicht gefchehen?). Diefer, über alle
frühere Erwartungen ergiebigen aber zugleich aud fo ſchwer
zweckmaͤßig zu benugenden Qußlle der Staatseinkünfte widmete
der König aufferordentliche Aufmerkſamkeit, erſtens an fich,
wegen ihres Betrags im Allgemeinen, und auch ber durch fie
bewirkten Erhöhung des Ertrags ber Domalnen, zweitens, weil
er buch fie verhindern wollte, daß das Gelb nicht aus dem
Lande ginge, und brittens, was damit zufammenhing, weil er
durch fie vorzüglich, vermittelft hoher Beſteuerung auslaͤndiſcher
Producte und Waaren, bie Mittel fuchte, die Manufacturen
feines Landes in bie bol⸗ zu bringen. „Die größte Sorge
muß dahin gehen", fagt er in der Inſtruction des Generaldis
rectoriums und der Domainenlammern,” baß die Tarifs accurat
gemacht und auch in denfelben alle auslänbifche wollene und
anbere Waaren hoch und bergeflalt impoſtirt werden, damit
die in unferen Landen fabricirten Waaren wohlfeller gegeben
und verkauft werden Sinnen, als ausländifche, und daß
biefe dann von felbft wegbleiben, wenn fie um die Hälfte
theurer find. Ebenfo muß fremdes Bier, Wein, Branntewein,
Effig, Korn, Butter und gemeiner Käfe nit hohen Impoſten
1) S. oben Thl. IE ©, 420.
2) König IL ©. 5.
D) Roten ©, 482.
39 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck
belegt werben, damit bie inlaͤndiſchen Lebensmittel um die
Bär wohlfeiler gekauft werben önnen, bagegen muß man
Ausfuhe der Waaren und bed Getraibes begümfligen ).“
Lead wo es mit Vortheil für die Töniglichen Kaflen ges
ſchehen ionnte, muffte die Xccife eingeführt werben.
Jetzt eigentlich fingen die vielen allgemein laͤſtigen Formen
der Acciſeeinrichtung am, bie genaueſte bis auf das Kleinſte
gehende Beauffichtigung, um jeden irgend möglichen Unterfchleif
derjenigen zu verhindern, welche fie zu entrichten, bie gehäufte
Ueberwachung und firenge unnachfichtliche Beſtrafung jeber
Bernachlaͤſſigung oder Weruntreuung derjenigen, welche fie zu
empfangen batten, das heifft, der koͤniglichen Accifebeamteten.
Es begann jener unerhörte und faſt unglaubliche Krieg nicht
nur des Volks, nein felbft aller Beamteten gegen den Staat
und beffen Accifebeamteten. Auf der einen Seite gehäufte, im
Nothfalle von Waffengewalt unterſtuͤtzte Wachſamkeit und die
Beſteuerung jedes Gegenſtandes, der gebraucht ober verzehrt
wurde, Alles, um die Einnahme möglichft zu erhöhen; auf der
anderen Seite jebe zu erfinnende Lift, um bie Aufmerffamkeit
der Accifebeamteten zu täufchen oder jebed andere noch vers
werflichere Mittel, wie ber Lügen, des Meineibs, ber Bes
ſtechung, um, wie e8 ber Staat nannte, zu befraudiren. Das
Ehrgefühl eines Ieben, am meiften ber rechtlichen Leute, wurde
ſchwer verlegt, wenn fie ſich bei der firengen Unterfuchung,
welcher ihre Sachen von Seiten ber Acciſe an den Thoren
der Stäbte unterworfen wurben, gewiſſermaßen ſchon im Voraus
as Betrliger bezeichnet fahen. Eine tiefe Erbitterung griff
immer weiter um fi. Jeder, vom hoͤchſten bis zum geringften
Beamteten, noch viel mehr aber dad Wolf und der Handels
treibende machte fi ein Vergnügen daraus, bie Accife zu
umgehen, nicht immer der zu bezahlenden Summe, fonbern
oft nur der vielfachen Iäftigen Formen ihrer Erhebung und ber
Alles verlegenden Eigenmacht grober Actifebeamteten wegen.
Es gehörte Feine geringe Ausdauer und Kraft dazu, das Bolt
am folchen Zwang zu gewöhnen, aber an beiden fehlte es
1) ©. ven Auszug bes Werichts v. 14. Sept. 1713 gegen audlän-
diſche Waaren bei König II. ©. 183.
Finanzen. Accife 385
Friedrich Wilhelm I. nicht und wenigftens mmıß man gefchen,
daß feine Binanzmaßregeln, fo drüdend, gehäffig und felbft
gemalttpätig fie waren, boch ohne Unterfchied Jedermann trafen,
‚ia, daß er fogar feine Bamilie und fich felbft ifnen unterwarf.
Schon 8 Tage nach feiner Thronbeſteigung (4. März 1713)
befahl er, baf alle Gegenftände der Werzehrung für ihn, bie
Koͤnigin, das Pöniglihe Haus, den Hofſtaat, alle Beamtete
und Unterthanen in Berlin ohne irgend eine Ausnahme beim
Eingange. in die Stabtthore veraccift und daher auch alle feine
und des koͤniglichen Haufe Keller, Küchen, Heus, Stroh⸗ und
- Sagbiwagen bis zum geringſten Bauerwagen an den Thoten
angehalten und burchfucht werden ſollten). Das wurde fogar
(28. Nov. 1729) auf eingehende Unterofficiere und Golbaten
ausgedehnt. Alle, vorzüglich fremde Waaren, welche auch im
Lande fabricirt werben konnten, entrichteten, wenn fie zu ben
Jahrmaͤrkten kamen, die gewöhnliche und noch eine erhöhete
Accife, wobei die genaueſte Aufficht zur Abftellung jebed Uns
terſchleifs zur Pflicht gemacht wurde Das Militair muſſte
den Accifebeamteten auf beren Verlangen Beiſtand leiſten.
Defraubationen wurden mit hohen Strafen belegt, von welchen
der Angeber ein Viertheil erhielt (1. Ian. 1720), Es wurden
(6. Sept. 1713) erlaſſen eine Inſtruction für den Generals
controleue bei der Accife, dann (31. Ian. 1714) neue Ins
ſtructionen für die Viſitatoren und Thorſchreiber in Balin,
(20. April 1714) eine Inftruction für die Wifitatosen in ben
Sandftäbten und (1. Nov. 1738) ein ausführliches Reglement
und Verfaſſung des ganzen Acciſeweſens in Berlin auf mehr
als 100 gefpaltenen Boliofeiten mit Specialinftructionen für
die erften, zweiten und britten Aeifenfpeeuren, deren zwei
Kammercontroleuse waren, für den dritten Kammercon⸗
troleur, ben Obervifitator und bie anderen Beamteten. Die
Thorſchreiber folten (1723) nicht blos in berfelben Gtadt
häufig von einem Thore zum anderen, fonbern auch aus einer
Stadt in die andere verfegt werben, um ihre Gevatters und
Bekanntſchaften und andere Anleitung zum Unterfchleife zu
verlieren.
1) Das tft auch in ber Inftruction bes Generaldirectoriums wiederholt.
Stengel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats III. 25
336 Bud VL Bweites Haupefüd.
Ein neuer Aecifetarif wurde (13. Nov. 1713) für Berlin
‚gegen bad boöhafterweife ausgeſtreuete falfhe Gerücht von
Erhöhung der Accife in ber Reſidenz als Urfache von flattges
Habten Bankbrlchen, indem feit 13 Nov. 1713 nichts höher
befteuert worben fei, auögenommen (30. Nov. 1714) bie Eis
fenwaaren. Dadurch wurde freilich die Wahrheit der Geruͤchte
gar nicht wiberlegt, indem bie Sirkung des erhöheten Tarife
allerdings auch unmittelbar weit über ein Jahr hinaus gewirkt
haben Tonnte.
Um den Ertrag ber Aeciſe in Merlin, wo fie natirlich
am einträglichften war, noch mehr zu erhöhen, wurbe biefelbe
(feit dem 3. 1719) nicht mehr nach bem fehr ſchwankenden
dabei abermals dem Gerlichte, als fei fie durchgehends erhöhet
worben, widerſprochen, indem man bei ber neuen
vielmehr bezwede, bie Zare folle durch Abfchägung ungetreuer
Arcifebeamteten nicht zu hoch werden, was doch wohl auf
andere Weiſe zu verhindern geweſen wäre.
Ein newer Victualienwaaren⸗ Tarif wurbe (5. Febr. 1720)
für Berlin und (1. Ian. 1721) für je kurmaͤrkiſchen Städte,
fpäter (29. Decemb. 1736) ein neues Accifereglement für bie
Kurmark auffer Berlin gegeben. Schon in den Tarifen von
brikate zum Wortheile ber Stäbte. Das inde auf auf
plate Same angebehnt, eine —— Acciſe
Fremde Meffinge und Kupferwaaren jeder Art waren
det 1710) bi Rebe und Bchenöfrafe verboten. “
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Pr;
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Bar:
Finanzen. Rekrutenkaſſe. 387
bir rend allein nicht in Städte bringen,
mufften fie veraccift werben ).
micht umbedeutende Wichtigkeit erhielt unter Friedrich
Wilhelm I. auch die Rekrutenkaſfe. Wir haben bereits er
zählt, daß unter Friedrich I. die von Civilbeamteten bei Ans
tretung ihres Amts nach Verhaͤltniß ihrer Befolbung bezahlten
Summen in die Ghargens und Marineaff kamen. Sriebrich
Wilpelm L hielt genau barauf, daß das auch wirflich geſchah
und verbot daher (2. Ian. 1720), irgend einem Beamteten
feine Beſoldung eher zu zahlen, als er die Chargen, Stem⸗
pels und Kanzlei⸗Jura berichtigt. Er befahl bald barauf
(20. Ian. 1720) auch allen Magiſtratsperſonen der Städte,
weil fie nun nicht mehr, wie früher gewöhnlich war, wechſeln,
fondern fortwährend im Amte bleiben follten, eben fo wie
feinen Givitbeamteten einmal den vierten Theil ihrer einjährigen
Beſoldung in bie Chargenkaſſe zu zahlen. Weil das aber im
Ganzen nur fefigefegte Summen (den vierten Theil des erſten
Jahrgehalts) betrug und dem Könige nicht genligte, auch zur
Erhaltung und Vermehrung feines Leibregiments nicht aus⸗
reichte, fo vereinigte er (9. Dec. 1721) die dazu errichtete
KRekrutenkaſſe mit ber aͤlteren Marinekaſſe und verordnete, daß
kimftig Niemand weiter Marines und Ghargengelber be
zahlen, vielmehr, wer ein Amt, ein geiſtliches oder weltliches
Beneficium, Anwartſchaft, Stanbeserhöhung, Privilegium,
Indult oder eine andere Gnade erhalten, von ber fonft jene
Selber entrichtet wurden, von jetzt eine leibliche Geldfumme
erlegen folle, deren Betrag zu beflimmen ex fich vorbehielt.
Ehe die Rekrutenkaſſe befriedigt war, durfte Niemand in
den Genuß feines Amts eingefegt, Fein in biefer Beziehung er»
gangener Erlaß geflempelt (10. Ian. 1722), von ber Kaffe
bei Strafe de doppelten Betrags nichts ausgezahlt (28. Ja⸗
nuar 1725), Feine Beförderung ober Gnadenverſchreibung aus⸗
H Bergl. Thile, ©. 620 von dem abgefchafften Misbrauche der
Accifefreipeit. uud wem der Incl Bicnalln auf fine Diner fäddt
und ber MBeg durch © täbte führte, muffte ec anfänglich (1717) nur um
Bertin, dann (1788) überall bie Acciſe bezahlen. Mort Tann man recht
ternen, wie nad) und nach und aus welchen angeblichen Gründen bie
Freipchen bes Abeis engefceäntt wunben. *
388 Bud VL Zweites Hauptftüd.
gefertigt (24. Ami —D ja ſogar alle gerichtliche Wolle
machten mufften bei der Rekrutenkaſſe gegen Entrichtung von
6 Groſchen geftempelt werben (9. Behr. 1726); Fein Abvocat
Date janhen, der fein Patent nicht bei der Rekrutenkaſſe
eloͤſt hatte.
9 Ber nun um irgend ein Amt, Privilegum, ——
ſchall, der zugleich Director der Rekrutenkaſſe war, wenden
und eine Summe dafuͤr bieten, welche ber König oft erhöhete,
eine Unterſuchung flatt, ob der Wittfkeller zu bemfelben geeig⸗
net ſei. Wer, mit Ausnahme ber Rendantenſtellen, um irgend
eine ber geringeren Bebienungen bei ben Provinziakollegien
einfam, muffte fi mit ber Rekrutenkaſſe abfinden, und wer
dazu geſchickt war und bad Meifte bot, erhielt fie*).
überbot Einer ben Andern, und ber König war zuweilen
faunt, zu fehen, daß unbebeutende Stellen von 10
monatlichen Gehalts mit 600 Thalern bezahlt wurden ).
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immer weiter außgebehnt. Als das Generaldirectorium (1
anfrug, ob eine Stadtkaͤmmererſtelle in Landsberg an
Warta Einem, ber baflır 300 Thaler geboten, ober einem An-
dern, ber daflır bereitö 100 Thaler gezahlt und abjungirt fei,
en follte, antwortete der König: „Wer das Meifte
1) Zaßmann L ©. 718.
für bie Kriegs: und Domainenlammern bei Möbene
—
bed ©. 84
8) Zaßmann L ©. 714 f., der einige Gingelnheiten zum SBelege
anfaͤhrt.
4) Bei Jorſter urkundenbuch I S. 60.
Finanzen. Rekrutenkaſſe. 389
Als dem Könige (1736) vorgeftelt wurde, er habe zwar
Bürgermeil in Kottbus für angebotene 200 Thaler ers
theilt, num biete ein Anderer 500 Thaler, der Lippach aber noch
50 Thaler mehr, entfchieb der König: „Wer das Plus zahlt") 1"
Das Generalbirectorumm zeigte (1734) an, baß zu ber
noch umbefegten Zollcontroleurſtelle in Kroſſen ſich Mehrere ges
meldet, bie 500 bis 600 Thaler geboten, wogegen bie Witwe
des verftorbenen Oberzollverwalters Großmann gebeten, bie
Stelle ihrem aͤlteſten Sohne für 200 Thaler zu laſſen, in Bes
teacht fie zehn unerzogene Kinder und ihr Mann für bie Stelle
bereitö 400 Thaler bezaplt habe. Der König entfchieb: „Wer
600 Thaler und mehr zahlt, fol haben "I
Auch Juden, welche heirathen wollten, mufften ſich vors
ber bei 1000 Thaler Strafe mit der Rekrutenkaſſe abfinden
(18. Aug. 1722). .
Bu den großen Summen, welche die Refruten des Leib»
regiments Tofteten, reichte indeſſen ber Betrag dieſer Einkünfte
dennoch nicht aus; daher wurden der Rekrutenkaſſe auch bie
Summen überwiefen, welche ber König in Abolitionsfällen,
ober als willkirliche Strafen bei Injurien, fleifchlichen Ver⸗
gehen und in Sachen beflimmte, bie oh nicht N iu gerichtlichen
Unterfudung gelommen waren ’). der Schöppenftuhl
in Minden einen halliſchen rd — wegen Duels
zu 200 Thaler Strafe an die Univerfitätäkaffe verurtheilte,
zog bie Rekrutenkaſſe auch diefe Summe ein *).
Von dem bei anderen Fürften beliebten, obwohl allgemein
fo nachtheifigen Mittel, fich durch Verringerung des Gehalts
der Mimze zu bereichern, hielt fich Friebrich Wilhelm I. fehr
einfihtövoN frei. Erſt im 9. 1737 ließ er zum Betrage von
1) Bei Foͤr ſter urkundenbuch I. ©. 81.
2) Ebendaſ. ©. 78.
8) Benekendorf führt Thl. VII. S. 56 ein Beifpiel der Art an,
daß ein Herr v. Geuber, um ſich nicht einem fiscaliſchen Proceffe wegen
nicht ganz ſchicklichen Benehmens in ber Kirche feines Guts auszufegen,
1000 Thaler an die Rekrutenkaffe zahlte.
4) Hofbauer Geſch. der Univerfität Halle ©. 186.
390 Bud VI Zweites Hauptfiüd.
Zhalern Scheidemuͤnze zu geringem Werthe fhlagen ).
flagen
Ausdehnung der Wirkfamkeit der Kekrutenkaſſe, allerdings nur
Beamteten, aber zugleich auch ben Magiffcaten, yo er
Sigel) fin Bet hatte, eine nicht e SER au fges
Nur bie Perhdlens und Karoffenfteuer fchaffte ex
G. — 1717) ab, wahrſcheinlich weil ſie nach Abzug der
188: und Verwaltungskoſten wenig eintrug, feitdem, vor
rathung einer Prinzeffin des koͤniglichen Hauſes auögefchrieben
wurde, hat er ſo wenig als ſein Vater erhoben, weil die
Gantebution fon hoch genug war’). Den nicht fehr bebeus
tenden Beitrag, weldhen feine zum vömifchen Beiche gehörigen
Provinzen gu ben Sehatım des Reichöhofrath8 und des Meichs
Tammergerichts zu entrichten verpflichtet
waren, hat er ad aus dem Ertrage ber Eontribution bes
zahlt ). Dagegen erließ bie Königin bei ihrem Regierunges
antritte Paniöbriefe an 44 weibliche geiftliche Stifter zur Vers
forgung ber von ihr empfohlenen Perfonen für bie erſte Stelle,
welche erlebigt werben wire)
Bu dem zweiten Haupttp gie ber Stastseinkünfte wurden
auffer ben Einkünften von ben Domainen felbft, noch bie
vom Galzs, Berg-, Huͤtten⸗ und Poſtweſen, von ben Böllen
unb vom Gtempel gerechnet, welche insgeſammt in bie Dos
malnenkaffe flofien.
1) S. Faßmann I. ©. 680. Doch befahl ex dem GBeneralbirec-
torium in deſſen Iaftruction Gcheibemünge zu prägen, wenn es auch jährs
lich ein paar taufend Thaler koſte, alfo nicht zum Gewinn.
9) Bafmann I. ©. 578 hebt das ſehr hervor.
8) So fagt Roben in fe Rachricht bei Preuß, Thl. IV. ©. 429.
4) Roden a. a. D. S. 480. Thile &. 590.
5) Theatr. Europ. v. 9. 1718 ©. 259.
Finanzen. Salz Bälle 391
108 Salzweſen betreffend, fo fagte des König in einem
Edicte (13. Sept. 1719), ex Habe bermamanen, daß einige von
der Mitterfhaft, Magiſtraten und Gchulgen in ber Kurmark
Städten und Dörfern Proberegifter verfertigen laſſen, wie viele
Derfonen, Rinds und Schafvich an jedem Orte vorhanden,
und wie viel Salz jeder Hauswirth vierteljährlich nöthig habe;
fo viel preuſſiſches Salg befahl ex nun Jedem bei Steafe zu
Taufen'). Bald basauf (18. Mai 1720) verbot ex bei Gons
fiscation bed Fuhrwerks und des Salzes in ber Grafſchaft
—e anderes als — Salz zu verkaufen ?).
Dem Generaldirectorium trug er auf, bad Salzweſen, über
welches bisher viele Ringen wegen ſchlechter Padung uud
Suüullung ber Sonnen entflanden, befler einzurichten, Betrlges
veien und Unterfhleifen zu ſteuern, auch alle erfinnliche Vor⸗
kehrungen zu treffen, daß weder luͤneburgiſches und polnifches,
noch audi Salz ferner eingeführt werde, und alle Mas
ſchinen und Reſſorts fpielen zu laſſen, daß andere Länder, vor⸗
zuͤglich Polen, ihr Salz aus dem Preuſſiſchen naͤhmen; dann
(12. März 1723) verbot er alle Einfuhr fremden Salzes ohne
Ausnahme bei Strafe des Balgens. Endlich (feit 16. März 1725)
erhielt jedes Haus ein Buch, in welchem ber Bedarf deſſelben
für jeden Kopf und jedes Stud Vieh verzeichnet war, fo viel
muffte nunmehro Jeder nehmen und .für jede nicht abgeholte
Mege Salz 4 Groſchen Strafe zahlen eber Leibesſtrafe dulden.
Auf diefe Weife erreichte er, was er fo fehr wiänfchte, eine
durchaus fichere und erhöhete Einnahme, auf die er mit Bes
ſtimmtheit rechnen Fonnte.
Auch das Berg: und Huͤttenweſen empfahl er dem Ges
neraldirectorium. Es follte fehen, ob das Kohlenbergwerk zu
Bettin, welde 20,000 Thaler eintrag, nicht 30,000 Thaler
Pacht zahlen koͤnne.
Die goͤlle wurden bei ber großen Achnlickeit ihrer Be
ſchaffenheit mit der Accife wefentlich völlig in bemfelben Geifte
1) Bei Faßmann IL ©. 400,
2) Ebendaf. I. ©. 534.
392 Bud VL Bweites Hauptfüd.
behandelt und verwaltet. Cine burchgefehene.neue Zollrolle,
in welcher bie Zahl ber früher zollpflichtigen Artikel faft um
das Zünffache vermehrt war, wide mit einer ausführlichen
Inſtruction (7. Aug. 1713) erlaffenz zahlreiche Edicte gegen _
Zolldeftaudationen folgten einander. Doch muffte der König
(5. Dee. 1718) den Adeligen und Schulzen befehlen, ben
: Bollbeamteten auf berem Verlangen gerichtliche Unterftügung
angebeihen zu laffen, und verbieten, fie mit Schmähreben zu
belegen, mit Schlägen zu bedrohen ober wohl gar zu mißs
handeln. Das murbe (3. Ian. 1720) für die Schuhen und
Gemeinden in koͤniglichen und abeligen Dörfern wieberholt und
fie im Weigerungsfalle mit fiscalifcher Strafe bedrohet). Man
fieht daraus, wie" verhaſſt dem Wolke allgemein die firmgen
Sollmaßregeln waren. Der Abel der Mark folte zwar vermöge
bed Landtagsabſchieds vom I. 1653 für die Erzeugniffe feiner
Süter zollfrei fein, doch wegen ber Unterſchleife zwiſchen dem⸗
felben und den Kaufleuten in ben Städten wurde (4. Febr. 1718)
beftimmt, daß nur feine unverfauften zu Markte gebrachten
Producte zollfrei fein folten, nicht aber bie von ihm bereits
verfauften‘). Den Staͤdten, welden Friedrich I. nod einen
Theil ihrer alten Zollfreipeiten gelaffen, wurde fie (10. Juli 1715)
ganz genommen und nur die Stabt Stendal, ber fie der Kö—
nig anfänglich (27. Bebr. 1714) beftätigt hatte, behielt fie
einige Jahre länger ?).
- Die alten Stempelebicte wurden erneuert und (6. Ja⸗
nuar 1714) der Stempel von 100 Thalern Werth auf 12
Groſchen gefegt; dann (12. Febr. 1718) anflatt der 18 Pfen-
nig⸗ Stempel 3 Grofcyen- Stempel eingeführt, wovon auch
(18. Gebr. 1724) Arme nicht frei waren. Aue koͤnigliche Bes
amtete mufften (1. März 1717) Stempelpapier zu ben viers
teljäprlichen Befoldungsquittungen nehmen*), was (25. Ja⸗
nuar 1723) auch auf Monatöquittungen felbft für diejenigen
1) Bei Faßmann II, S. 465.
2) Ebendaſ. IL ©. 168.
3) Hiftor.spolit. Beiträge Thl. J. ©. 75 u. 82.
4) Bei Faßmann IT. ©, 146.
. Finanzen. Stempel. Poſt. 393
- auögebehnt wurde, welche nur 30 Thaler jährlichen Gehalts
haltung ber Stempelverorbnungen ſtreng zu forgen und verbot,
weber von Reichen ober Armen Memoriale, noch bei ben Kaffen
Geldquittungen auf ungeftempeltem Papiere anzımehmen, auch
ungeftempelte Karten bei erhöheter Strafe zuzulaffen.
Das Poftwefen, welches nach bem Abgange des Mis
niſters von Kamede (1719) unter dem Generalfinanzdirectorium
geblieben war und dann (1723) unter dad GeneralsOber-Bis
nanzs Kriegs und Domalnendirectortum Fam, war vorzliglid
durch den Poſtrath Grabe fehr verbeffert und erweitert”) und
(it 1710) auc das früher unbekannte Ertrapofiwefen einges
Vortrag. Doch blieb das Pofldepartement gewiſſermaßen für
fi beftehend, ohne daß ſich das Generalbirectorium in beffen
Geſchaͤſtsbetrieb, Rechnungs: und Laſſenweſen miſchte. Aus
den Ueberſchuͤſſen wurde jährlich eine beſtimmte Summe in
die Kaffe des Generaldirectoriums abgeliefert‘). Mehrere von
Zeit zu Zeit erlaffene Verordnungen zur Verbefferung des Poft-
weſens verbankt Preuffen daher bem verdienten Poflrathe
Grabe. So wurde (19. Febr. 1719) befohlen, daß die Stuns
den von ben Poftillionen follten gehalten und fie daher ſchnell
abgefertigt, behalb auch (6. März 1719) die Upren richtig
geftelt werben, doch wurden erft fpäter (8. Juli 1732) bie
Stundenzettel eingeführt. Alle Poften follten bei gutem und
ſchlechtem Wetter in jeber Stunde eine Meile, reitende aber
5 Virrtelmeilen zurüdlegen; das ließ ſich der fhlechten Wege
halber nicht — Bei gutem Wetter folten: daher
(18. Aug. 1736) auch Ertrapoften nicht mehr ald in zwei
Stunden 1% Meile zu fahren genöthigt fein.
1) Bei Faßmann IL ©. 662.
2) Matthias Poſtweſen in ben preuffifchen Staaten I. S. 23.
8) Matthias Poften und Poſtregale I. ©. 182 ff. -
4) Matthias Poſtweſen I. &. 26.
Bud VI Zweites Hauptftäd.
König befahl in ber Inſtruction des Generalbirectos
Stationen zu errichten,- wenn bie Sof
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Paketen herrſchaftlicher Sachen, bei Ver⸗
„ bie eine Ede bes Couverts fo fubtil
(wie bei auslaͤndiſchen Poften gewöhnlich) aufge
ſchnitten und im Nothfalle zum Erbrechen gefchritten werben
(43. Zufi 1719), endlich wurde (20. Mai 1730) die Porto:
freiheit wegen ber Untexfchleife fehr beſchraͤnkt. Im einem Ums
kreiſe von 8 Meilen um Berlin durfte die Poftbehörde (3. Ja⸗
nuar 1727) keine Stafetten oder Kurierpferde ohne Befehl des
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terfchrift des Könige). Mehrfach wurden bie in ber Poſt⸗
orbaung v. I. 1712 gegebenen Vorſchriſten eingefchärft, bes
fonders auch (25. Apr. 1729), ben Paffagieren höflich zu be:
gegnen, denn bei erhobener Klage würden die Poftämter große
Sefahe Laufen und Fein Mittel finden, das ihnen
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Danzig (1716) auf”). Man muß es immer anerkennen, daß
tüchtige Männer vorhanden waren und von bem Fuͤrſten aus⸗
1) Berg. Baßmann I. ©. 588.
2) Matthias voſtweſen I. ©. 70.
9 Dal. ©. 118.
Finanzen. Poſt. Domainen. 395
findig ey‘ wurden, welche ber Vervollkommuung bes Dofls j
wefens ihre Sorgfalt wibmeten. Wenn es vom ber einen
Seite auch) ſehr nachtheilig war, dag man biefe fo wichtige
damald nicht, wenn nicht zugleich ber daraus entfpringenbe
unmittelbere Vortheil fir bie landesherrlichen Kaſſen hervors
ſprang. Dan fah nocd nicht fo gut wie fpäter, baß Alles,
was befonder8 zur Hebung und Erleichterung des Verkehrs
diene, auf andere Beife dem Stante von großem Wortheile fei.
Das Hauptaugenmer? des Königs bei der Finanzverwal⸗
tung iſt jedoch auf die Domainen gerichtet. Hier iſt er
seht eigentlich zu Haufe. Mit großem Behagen ergeht ex ſich
in zahlseihen die kleinſten Einzelnheiten betreffenden Anorbs
“nungen. Er fieht auch hier ummittelbar, was er ſchafft und
wirft. Die neuen Wirthfchaftögebäube, bie au:
Simpfe, bie gut angebaueten Felder, der zahlreiche wohlge:
näprte Viehſtand gewähren ihm große Freude. Man Tann
fagen, naͤchſt dem Heere pflegte er die Domainen am ange
legentlichſten mit wahrer Zuneigung. Er ertäfft fo zahlreiche
Verorbnungen in in Der Beziehung, daß fie ein eigenes Geſetz⸗
buch abgeben Tönnten.
Wir haben ſchon erzählt, dag er bie Domainen (im
3. 1713) zu einem Samilienfibeicommiffe erhob und gefehen,
aldirectorium
ertheilte, die Erhöhung des Ertrags zu bewirken, erftens durch
firenge Ordnung und Sparfamkeit, zweitens, durch Verbeſſe⸗
rungen in jebem Smeige ber Landwirthſchaft und Auffindung
und Benugung jeder irgend vernadhläffigeen Huͤlfsquelle.
Er verordnete (11. März 1717), daß nur gegen diejeni⸗
gen, welche in ber Kurmark Güter, bie ald Domainen in
Anfpruch genommen worben, noch nicht feit 50 Jahren befäßen,
bie Proceffe fortgeführt, fie aber denen, welche fie laͤnger inne
396 Bud VL Zweites Hauptftüd.
hätten, ohne weiteren Anforuch gelaffen werben follten, denn
er hatte von biefen Procefien meiftens nur Koften und felten
einen günftigen Erfolg.
Die unter feinem Vater eingeführte ımb bann wieder
aufgegebene Erbpacht fchaffte er voͤllig ab, umb führte Dagegen
allgemein bie Verpachtung auf 6 Jahre ein. Die Anfpläge
mufften forgfältig abgefafit, genau geprüft, Cautionen fefiger
ſtelit, das Pachtquantum wo möglich durch öffentliche Licitation
erhöhet werden. Der größeren Gleichmaͤßigkeit wegen follte
(3. Ian. 1720) der berliner Scheffel, ferner, bei durchgehends
zu veranftaltenden Wermeffungen fo viel als möglich ein gleis
Ges Hufenmaß allgemein eingeführt, bie Beſchaffenbeit ber
Arder nad) dem Beträge der Ausſaat unb des Extras genau
zu beanffihtigen, bamit bie Inventarien nicht verfchledhtert,
die Aecker gut geduͤngt, auch auf den Vorwerken Miſthaufen
mit Miftpfügen gehalten, Stroh fleißig eingeſtreuet und der
Dünger zur rechten Zeit weggefahren wuͤrde.
Schon früher (22. Aug. 1717) hatte er befohlen, daß
ihm jährli) genau im Einzelnen angegeben vwolirbe, was zur
Vermehrung der Einkünfte, zur Aufnahme und Beförderung
der Unterthanen, buch Urbarmachung wuͤſter Stuͤcke geſchehen.
Das Generaldirectorium ſollte mit unermüblichem Fleiße darauf
denken, wie ber Ertrag ber Domainen jaͤhrlich erhöhet werben,
wo man mit Nugen neue Vorwerke gründen, Kühmellereien
anlegen und wüßte Brüche anbaufähig machen könne. Es follte
mit den Sal,ſchiffen, welche Teer au Preuffen zurldfamen,
von ben dortigen Domainen Butter, Käfe, Wachs und Honig
nach Berlin ſchaffen unb die berliner Materialiften und Höfer
anhalten, das zu faufen. Den havellänbifhen Luc, einen
großentheils nicht zu benugenden Sumpf und Moraft bei
Friefad, ließ er (1718—1724) durch Abzugögräben, indgefammt
von 67 Meilen Länge, auf ſeine und der übrigen Grundbe⸗
figer Koften, die er dazu zwang, wie fie fpäter einfahen, zu
ihrem und der ganzen Umgegend großem Wortheile, entwäffern
1) Baßmann I. ©. 565.
Domalnen. 397
und nutzbar machen. Ex kaufte hier mehrere Grundſtuͤcke zu
denen, welche er bereits Gefaß, gränbete das Amt Rönigöperf,
und richtete eine Muſterlandwirthſchaft, vorzüglich aber durch
oſtfrieſiſches Rindvieh eine Muſtermilchwirthſchaft auf hollan⸗
diſche Weiſe ein. Er übernahm das Amt auf einige Zeit als
Vribatmann Telbft und erweiterte es nad und nad durch
mehrere Vorwerke, fo daß enblich gegen 15,000 Morgen bes
wirthſchaftet wurden und ber jährliche Ertrag fi auf mehr
al 14,000 Thaler belief. Er forgte dafür, daß von hier aus
die Rindviehzucht auf den anderen Aemtern verbeffert würde,
und befahl, daß von biefen ordentliche Bauerdtoͤchter auf 2
Jahre nach Koͤnigshorſt geſchickt würden, um hier die Butter
und Käfe verfertigen fo gut zu lernen, als bie Holländer.
Hatten fie davon Beweiſe abgelegt, fo erhielt jebe vom Könige
ee a a nam 6 eher einen Mann
finde fie unp 1 6 fo bie LT verbefferte Milchwirthſchaft Im Lande weiter
nei verlangte ex jedoch, die Kammern follten ſich
aller winbigen Vorſchlaͤge gänzlich enthalten und vorher genau
überlegen, was ausfühsbar und bem koͤniglichen Intereſſe vor⸗
theilhaft ſei. Er machte ihnen das auch völlig deutlich, indem
er ſagt: Wenn auf einem Amte eine neue Brauerei angelegt
werden fol, welche 2000 Thaler koſtet und 1500 Thaler Pacht
Bit 10 men Bi Bien des Gapitals, zu 5 vom Hundert,
00 Thalern in am Abyng gebracht werben, fo ar
Yo —* Ertrag bleiben. Wenn nun aber dadurch in
einer benachbarten Stadt an ber Accife 1400 Thaler ausfielen,
fo wide nichts gewonnen, fonbern noch bie 2000 Thaler bers
hätten. Wenn bagegm
gelegtes Brauhaus jährlich 200 Thaler trlge und 100 Thaler
1) Riedel, urbarmachung bes havellaͤndiſchen Luchs, in den Mine
tiſchen Forſchungen Bd. L ©. 57 ff. Aus der wohlgemeinten
des Könige entftand durch Misbrauch ber Pächter dann ein dort ganz
ungewöhnlicher Geſinde · Dienſtzwang, unb zwar unter Friedrich IL Man
fieht daraus abermal6, wie ein ſehr großer Thell der Dienfte unſerer
Bauern entftanden tft.
398 Bud VL Zweites Hauptftüd.
anderweitig an ber Acciſe verloren ginge, fo blieben doch
100 Zhaler Profit. Solche Verbeſſerung ſei dem wahren Ins
tereffe gemäß. Stutereien, wo fie keinen Wortheil brachten,
‚ober wohl gar mehr Tofleten, a a nd
Schelme fein, wenn fie nichts deſto weniger alle zuſanmen in
ein Horn blafen koͤnnten, um uns zu beirlgen!”
nur 1 Thaler, für einen Lagerwolf nur 12 Groſchen bezahlt.
Die Wölfe vermehrten ſich daher fo, baß ber König dem Ge
neraldirectorium beſonders auftrug, eine rechte WBolfsiegborbs
nung für alle Provinzen anzufertigen und vorzüglich in Preuffen
häufig Jagden anzuftellen, weil bort faft mehr Wölfe als
wären. Es wurbe baber (22. Febr. 1724) für die
Erlegung eines Wolfe auf koͤniglichem ober abeligem Grunde
2 bis 6 Xhaler, dagegen auf fläbtifchem Grunde 5% 5 pr
Thaler und zwar im Iegteren Falle aus ber ftäbtifchen Kaffe
sahen befohlen. Won ben öffentlich anzuflellenden a
wurden (30. Ian.) Zude, Zeugs und Strumpfmacher völlig
befreiet und deren Stelle burch Andere erfeht, welde baflır
vom Magiftrate fir den Tag 6 Groſchen bekamen.
Der König liebte die Iagb von Jugend auf, wie ber
Fürft Leopold von Deſſau, boͤchſt leidenſchaftlich. Schon fein
Vater hatte ihm daher das beſonders dazu gut gelegene Bus
ſterhaufen gefchenkt, und fie machte fpäter auffer ben Uebumgen
der Zruppen faft feine einzige öffentliche Mergnägung aus.
Es wurden Reigerbeigen, Rebbimers, wilbe Schweinds und
Yarforcejagden gehalten und bafür ſelbſt einiger Aufwand
nicht geſcheuet. Auf Wind und Wetter wurde Feine —
genommen, was freilich verwoͤhnten Hofleuten, beſonders aber
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Kar s
und ber
Mark. waren 10 Saugärten. Auch verminderten fie fi we⸗
nig, obgleich zumeilen auf einer Jagd gegen 1000 ja biß ges
gen 1900 und jahrlich 3500 bis 3600 wilde Schweine erlegt
Baptveiche Wildfeponungsebiete erſchienen (11. März 1713,
13. März 1715). Es wurde bei 50 Thalern verboten, einen
en
ihrer Erlegung Riemand entſchuldigen koͤnne, wurde auch daB
Fangen und Schießen ber fo ſchaͤrlichen Fiſchottern verboten.
Ber in den koͤniglichen Jagden einen Hirſch ober Keiler fchoß,
muffte baflr 500 Xhaler, für ein Rebhuhn 150 Thaler, für
einen Luchs 100 Thaler, für einen Hafen 50 Thaier bezahlen.
Aynbumg gebrohet.
Um das aus den Königlichen Forften im Preife zu
abhalten, durfte (14. Febr. 1722 und 6. Febr. 1726) Fein
1) Baßmann I. &. 882 ff. Benefendorf IIL 1. u. IX. 25.
Sestere aus Fapmann.
400 Bud VI. Zweites Hauptflüd.
Abeliger fein Hol; wohlfeiler verfaufen, als in der koͤniglichen
‚Holztare feflgefegt worben war. Auffallend ift es, daß man
in den Wäldern fo ſchaͤdliche Thiere, als ber Biber, nicht nur
begte, ſondern förmlich audfegte, wahrſcheinlich weil man ben
Nachteil, ben fie verurfachten, nicht genau kannte. Daß bas
Schießen ber. Luchfe ‚verboten wurde, erklaͤrt fih vieleicht
daher, dag man überhaupt, wo irgend möglich, alle Gelegens
beit, auch Hochwilb zu erlegen, abfehneiden wollte.
“Der verftändige König fah ungeachtet feiner angelegents
lichen Bemuͤhung, dad Heer zu verflärken und ben Schag
zu füllen, ſehr wohl ein, wie wichtig bie Erhaltung ber Uns
‚teethanen fei und welde gefährliche Folgen es nach ſich ziehen
müffte, wenn fie durch übel eingeiäet | Wirthfchaften und
gar zu ſchwere Laften entkräftet würden. Er befahl daher dem
Generalbirectorium ausbrüdlih, dafür zu forgen, daß alle
Unterthanen im Wohlftande ‚erhalten und bie Kriege: und Dos
mainenleiftungen nicht höher angefegt würben, als fie getragen
werben koͤnnten, ferner nicht mur auf bie Stäbte, ſondern auch
auf den Landmann zu fehen, daher auch keine Vorfihläge zu
machen, durch welche auf der einen Seite fo viel ausfallen
müffe, als auf der anderen mehr geleiftet werde. Dieſes Bes
fireben, Bürger und Bauern gleihmäßig zu ben Laſten herans
zuziehen, ohne fie zu uͤberbuͤrden, brüdt fi) in allen feinen
“ Verordnungen aus. Er befahl, bie Bauern, wo es irgend
angehe, anftatt der von ihnen zu leifienden Dienfle auf ein
Dienſtgeld zu fegen. Daher verbot er auch (16. Dt. 1717)
ohne feinen eigenhänbigen, oder in feiner Abwefenheit ber
oberften Behörde Befehl, an irgend Jemand, wes Standes
er fei, auf bem Lande Vorfpann zu geben, denn unter feinem
Vater war diefer fo gemiöbraucht worben, daß ſich jeder Bes
amtete bis auf dem geringften Kornfchreiber, der mit Weib und
Kind eine Luftfahrt machen wollte, eine Vorſpannpoſt erwirkte ).
„Ich will nicht", ſchrieb er an eine feiner Kammern, „baß die
Herren (Räthe) in den Provinzen mit meiner Bauern Pferden
ſpazieren fahren"). Zugleich forgte er angelegentlic für den
1) Baßmann I. S. 588.
9) König I. ©, 12.
\ . Anbau bes Landes. “01
Bauerhöfe,
mit ben — den wir bereits kennen gelernt haben
und allerdings bald in der Art und Weiſe, wie noch lange
nachher ſein großer Sohn. Man kannte damals die richtigen
Orunbfäge der freien Volksvermehrung weit weniger als jegt
und glaubte durch Zwangsmaßregeln mehr auszurichten als
doch möglid) war. Man gab große Summen fremder Golos
zißen msn aus, begimftigte biefe vor — Eingeborenen,
die dadurch verſtimmt werden muſſten, und bewirkte ba
durch meiſtentheils nur unbedeutende Erfolge im Verhaͤlt⸗
niſſe zu den aufgewendeten Mitteln, welche, wenn ſie waͤ⸗
zen im Lande felbſt für Eingeborene verwenbet worden,
den. Indeſſen fcheint es faft, als wenn Friedrich Wil⸗
helm I. das ſchon erwogen, und anfaͤnglich bie Dr ge
habt Hätte, die Wermehrung der Bevoͤlkerung und den beffe
E Ynbazı meiste be$ platten Landes ohne Goloniften
zu bewirken. -
Er ordnete (29. Juni 1714) eine Revifion der Landes⸗
matrikel und Schoßblicher der Kurmark an und befahl, ben
Anben der wüften Höfe, Hufen und Feldmarken binnen 6
Monaten zu bewerkftelligen. Als das, obgleich an ſich unauss
führbar, auch noch durch den Abel, bie Pächter und Beam
teten, wie er biefen vorwarf, verhindert wurbe, fo erließ er
(31. März 1717) eine gefchärfte Verordnung, baß alle wüften
Höfe, Hufen und Feldmarken der Kurmark dis zur naͤchſten
Srachzeit durch die Befiger, und wenn das nicht gefehehe, durch
bie Sanbräthe befegt und biejenigen, weiche daß hinderten, bes
ſtraft werben folten. Die Prediger mufften von den Kanzeln
anzeigen, daß Jeder, der nur wolle, wuͤſte Höfe annehmen
koͤnne, die ihm fogleich angewieſen werben würden; zugleich
verlangte er zu willen, was feit feinem Befehle (v. 29. Juni
1714) angebauet worden fel. Gleich darauf (30. Juni 1717)
foderte ex über 1008 AtutSborf ine genaue Angabe, wie viel
Einwohner es im I. 1624 gehabt, und Vorſchlage, wie biefe
Zahl ohne Nachtheil für die Domaineneinkünfte wieber erreicht
Gtenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL. 26
“02 Bud VI. Zweites Bauprfüd.
werden Einne ). —— S— 21. Mir
ATT), alle ieren Otellen —— hr Beate
ar die auf wirften Belbmarfen entftanhenen Bormerfe ni nicht zu
Bien fowoht ganze als halbe Bauern, Eoſſaͤten, Suͤdener,
», Dienfts ober andere Bewehrsiente angefegt, nur möffte
Hier Banernater mit de anbeen Subehbe bag Dorfes {0 ein
theilt werden, daß Jeder dabei Ieben und bie Contribution umd
andere öffentliche Laſten tragen könne. Die Gerichtsobrigkeiten
ſollten fih nicht umterftehen , unter bem Vorwande, bie Son
aufgenommen wirden, als ſich freiwillig —8 auch ſollten
wime deldmarken, dis anderen Dörfern zugelegt worden, noch
zur -Beit nicht wieder neu befegt werben. Adelige, welche fonft
keine Kitteraͤcker Hätten, folten zwar, dem Landtogsabſchiede
von 1653 gemäß, zu ihrem nothbinftigen Unterhalte einige
conteibutionäpflichtige
1) Bei Bafmann II, @, 198.
2) Dos Begtere ebendaf. II. ©, ae
BSeanzoͤſiſche Golonten. 403
Rekrutierung und dergleichen tragen. Man ficht, Di unge
rg dieſer Miderung, ber Koͤnig dennoch burchgreii
die Ritterſchaft verfuhr. Zu gleicher Beit (15. Be em
flirt er, es nicht mehr anfeben zu koͤnnen, daß die weißen
Stellen der mittels und ummittelbaren Stätte unbehemet lägen.
Jedem, ber hie. Mittel dezu nachweiſen wände, ſollten Dusch
koͤnigliche Eommmiffere mit Bupiehung der Prtdohrigkeit Bat
pläge angereiefen und zugleich in —— die Strobdoͤcher
ab» und bie Scheunen weggeſchafft werd
Aules dad genügte noch nicht, Sr fußte daher fremde
Anbausr in fein Land zu ziehen. Er hatte zwar berin das
Beiſpiel ſeines Waters und Großvaters war ſich, dennoch ſcheint
er reiflich nachgedocht zu haben, ehe er zur Berufung frember
Aufichler ſchritt. Er mochte die vielen damit verknüpften Rabı
cieren verliehen, im Gasen auf foßt den vierten Zheil herab ⸗
zu loden. Es wanderten auch aus den Colonien ber Uders
mark bereits fo viele Franzoſen nah Dänemark, daß ber
d. Berzeichniß bei Möbended 1. &. 109. Dort von
1992 —* auf 547 Shte. monatlid.
26*
. \
404 Bud VL. Zweites Hauptftüd.
Kvsnig davon bemächtigt werben muffte. Er trug baber feinen
Miniftern auf, bie Urſachen zu unterfuchen und Mittel dage⸗
gen vorzufcplagen. Als mm (December 1717) der Graf Dtto
Magnus von Dänhoff geftorben war, unter bem bisher bie
franzöfifchen Golonien geftanden hatten, fo ließ ber König
die in Berlin wohnenden Franzoſen verfammeln unb flelte
> ihnen frei, aus feinen Miniftern benjmigen zu wählen, zu dem
fie das größte Zutrauen hätten. Das wurde mit großer Freude
iommen, allein ber König zugleich (3. Januar 1718)
Ionien von Lanbleuten an, weigerte fih Fa ihnen bie er
betenen franpöfifchen Prebiger zu geben, fiellte fie vielmehr
unter daB deutſch⸗reformirte Kirchenconfiflorium und forgte das
deutſchen Sprache zugleich mächtig wären”). In Berlin
gründete ex (9. 2 Min 1719) ein neue Kollegium. unter bem
Namen eines Grand directoire ober Conseil frangois, welches
unter dem Worfige Forcade's fr das allgemeine Beſte der Co—
lonien wachen, erledigte Stellen — Gnadengehalte ver⸗
vereini
neuerte er (29. Fehr. 1720) 8 früher m Cunfien der frangd:
Üfchen Fluͤchtlinge von feinen Vorfahren erlaffenen Ebicte und
Declarationen, Privilegien, Freiheiten unb gungen und
beſtimmite, au; Hinftig folten alle Grangofen, melde ihr Be:
terland ber Religion wegen verlafien würben, fih ber Bor
1) Faßmann L S. 206.
2) Oiftorifäe Radeit von ber Otiftung ber feangöfiiäen Golo-
nien bei Gelegenheit des Hunbestjäßrigen Sublläums v. 29. Dit, 1785. ©. 50.
8) Hiftorifhe Nachricht ©. 41 ff. Faßmann l. S. 37.
\
Anbau ber Städte 405
theife des Naturalifationdebictd (v. 13. Mai 1709) und der
früher. bewiligten Begünftigungen, namentlich funfzehnjähriger
Freiheit (mit Ausnahme der Accife) von allen Laften und
Steuern zu erfreuen haben, auch nur unter franzöfiicher Ges
richtsbarkeit fliehen. Das nahmen bie Sranzofen mit großer
Dankbarkeit auf und wurden dadurch völlig beruhigt, fanden
auch bei dem Könige gegen gewaltfame Aushebungen, welche
von ben DOfficieren von Zeit zu Beit verfucht wurden, wirk
famen Schug '). Weberhaupt nahm er fich ihrer fortwährend
mit vieler Güte an, erhöhete ben Penfionsetat ihrer Geiftlichen
bis auf 15,000 Thaler, fliftete 2 neue Golonien, in Stettin
(1724) und in Potsdam (1723), beſchenkte fie reichlich und
te ihnen einige befondere Vorrechte ein. Der berliner
olonie erleichterte er ben Bau ber Miofterlicche (1726), ber
Kirche in der koͤpniker Vorſtadt (1727) und der Hospitalkicche
in Berlin unb ber Coloniallicche in Königsberg und Frankfurt.
Auch bei ihren mannichfachen Zwiftigkeiten mit ben Landesbe
hoͤrden nahm er fich ihrer nachdruͤcklich an, erhielt fie bei
ihren Vorrechten, namentlich im Gebrauche ihrer Sprache und
bewirkte dadurch, daß ihre Zahl vorzuͤglich in Berlin und ben
angefehenen Städten durch neue Ankömmlinge wuchs und er
9.
Indeſſen glaubte der Koͤnig auch auſſerdem noch Anſtal⸗
ten zur Vermehrung der im Ganzen fpärlichen Bevölkerung
feiner Länder treffen zu müffen. Durch ein Patent (vom 15.
März 1711) verſprach er allen Anbauern jeder Nation in Eds
niglichen Städten aller Provinzen 15 Jahre Freiheit von Ein
quartierung, Serois und allen bürgerlichen Laſten, nach Be⸗
lieben auch wieder auszuwandern und ficherte ihnen Anftellun
gen in allen Aemtern, zu denen fie geſchikt wären. Um ben
Widerausbau ber Städte zu befördern, erflärte er (20. Novbr.
1721) die wüften Bauſtellen, welche die Befiger nicht anbauen
wollten, dem Staate verfallen und befahl, die, welche inner
bald eines Jahres (bis zum 24. Dctbr. 1722) nicht bebauet
fein würden, zu verpadten. Den Anbauern verſprach er
1) König Le. 9.
2) Liſtoriſche Rachricht ©. 44 fl.
406 Bud VL Aweites Hauptftüd.
«20. NRovbr. 1721) zus Unterſtichung 12 bis 15 Procent ber
Koften zu erflatten und, ihnen. freies Bauholy zu geben. Bus
gleich erhielten fie 6 bis 8 Jahre Freihelt von bürgerlichen
Laſten nad die Aufnahme zu Bürgern und Meiſtern flr 1 Thaler.
Er ließ cin Werzeichniß der würften Stellen in einzelnen Stäbten
anfertigen und es wurden beren in Stendal 365, in Sahh⸗
webel 191 umd überhaupt fehe viele in der Altmark ‚gefunden.
Später (14. Dechr. 1731) derſprach er den Anbauern in kurmaͤr⸗
Städten dis zum December 1735 23 Procent der Baus
often zu erſtatten. Er bemihete fich auf verfchiedene Weiſe durch
bewilligte Freiheiten von Abgaben unb Unterlügunger, daß
\ Shgehreumme Exdbte nen und ſchoͤner, als fie geweſen, wieder
aufgebauet wurden, wie namentlich bid zum J. 1725 Kroſſen
Shelin, Serlöhe in der Graffchaft Mark, Kalbe,
ben, Seehauſen und iefenburg in Preuffen, Luckenwalde und
Unna. Später erhoͤhete er die Unterfiligungäfmume, wie zum
Aufbau von Plettenberg, Werkerfelde und Hamm. Kür Eichen
gab ex 26,000 Ihaler, für Templin fiber 30,000 Thaler ber.
Wer in Stendal ein neues Haus baucte, konnte baflır Ober⸗
gerichtsrath, Advokat oder Buͤrgermeiſter werben oder auch ſonſt
ein Amt ober einen Titel erhalten ').
Auffer dem Anbau des Städte im Allgemeinen betrieber bes
fonber& den Ausbau und bie Erweiterung ber berliner Frledrichs·
Madt und von Potsdam weit eben fo Iebhafter Worliebe als
Rachdruck. Die von ſeinem Water angelegte Triedrichtſtadt
gählte damals wahefepeintich wenig fiber dreihundert Hauſer
Frirdrich Wilgelm fehte men (23. Mai 1721) 10,000 Thaler
. Materflligungegelber und unentgelttiche Verabfeigung von Heiz,
Kalt und Steinen für Diejenigen aus, welche ſich hier anbauen
würden, und fuhr damit umunterbrochen fort. Er lieg nicht
me Telbft mehrere Häufer bauen, fordern befahl daſſelbe auch
Durgern umd Beamten. Das wurde voczuglich feit dem
$. 1725 mb nod mehr feit dem I. 1732 thätig betrieben.
Im 3. 1721 waren 697, im I. 1725 ſchon 719 bewohnte
D Buchholt Ah. V. ©. 108.
Aubau ders Städte - 407
Haͤuſer mit 12,000 Einwohnern in des Frledricheſtadt vorhan⸗
den ). Die Oberanffiht erhielt der Generalabjutant v. Der⸗
ſchau, der Alles anwendete, um feines Herm Abfichten auf
jede Weiſe durchzuſetzen. Er legte dem Könige von Zeit za
Beit die Namen derjenigen ver, welche er für geeignet hielt, um
neue und möglichft f@dıne Häufer zu bauen. Sobald der König
das Gollegim,. bei bene er angeftellt war, bezeugte bie Wahr⸗
beit der Angabe, allein weil Derfchau das Gegentheil behanps
tete, ge ur auf fan Besfelung ben Beigeib: „Der Ser
Ib, ſoll bauen 9)"
As der Miniſter von Marſchall dem Oberſten Derſchau
bemerkte, os dadurch viele Menfchen zu Grunde, gerichs
und in ſtarken Wortwechſel mit ihm gerietb, fo
SESTBgaSE 73
——
Elyızz!
BHEm
FIRE
Fäseayg
HIN
SliH
Si7E ih
Er
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h
i
i
€
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der Erflärung anzeigte, er ſei nicht im Stande cin Hans,
in einem Moraſte zu bauen, fo berief fich diefer
dem Willen des Königs, bey auch dem Gchwies
Nüßlerd, dem beräßenten Kanzler von Lubewig in
, befehlen werbe, ihm einige taufend Thaler zum Haus⸗
baue zu geben. 218 Müßler dad abiehnte, weil fein geijiger
Schwiegervater das ſehr fıbel nehmen werde, erwieberte Derfchan:
gB2
ip
H
1) König I. ©, 181.
2) Cbrndef. 1, ©. 260. ,
408 Bud VL Zweſtes Hauptfüd.
„So bauen Sie ganz auf Ihre Koſten!“ und ließ ihn flchen.
Nüßter bat die Königin, welcher er erhebliche Dienfte geleiftet,
um ihre Verwendung, allein Derfchau nahm deren Firſprache
ſeht übel auf und erklaͤrte: Nüßler fole und muͤſſe bauen.
Diefer ftellte jetzt dem Könige feine Lage vor, daß er feit vie
len Jahren Dienfte geleiftet und nicht bie geringfte Beſoldung
befommen und bat demüthigft, ihn mit dem koſtbaren Haus⸗
baue zu verfchonen. Der König befchieb ihn darauf (1. Febr.
1733): daß berfelbe fonder Raifonniren auf ber ihm angewies
fenen Stelle auf ber Friedrichsſtadt ein Haus bauen, ober Sr.
Majeſtaͤt allerhoͤchſten Ungnade gewärtigen folle! Mit großer
Mühe brachte Nüßler dad Geld dazu auf, muflte 60 Fuß
lange Stämme zum Roft einrammen laſſen, der ihm allein
4000 Thaler Foftete, und bauete fa für 12,000 Thaler ein Haus,
welches 2000 Thaler werth war. Neben ihm hatte ber ges
heime Rath von Klinggraͤff ein eben fo großes Haus bauen
müfjen, welches Nüßler, bamit es nicht in eines ihm unanges
nehmen Nachbars Hände kame , fpäter für 800 Thaler kaufte ').
Auch die- Generale Graf Truchſeß und Schulenburg, ber Lands
jaͤgermeiſter Graf v. Schwerin, ber Minifter von Happe und
andere angefehene Männer wurden genöthigt, hier zum Theile
prächtige Häufer und Paldfte zu baum. Go wurde vom J.
1721 bis 1737 hier der Bau von 985 neuen Häufern durch⸗
gefegt, daß fich deren Oefammtzahl in ber Briedrichöfabt auf
1682 belief). Faſt täglich befah der König die Fortſchritte
ber Bauten unb munterte nach feiner Weiſe auf und trieb zur
Beſchleunigung an. Berlin, weiches im I. 1726 mit ber
12,000 Dann ſtarken Garniſon 73,000 Einwohner hatte,
zaͤhlte deren im 3. 1740, 98,000 9.
Verhaͤltnißmaͤßig für die Größe der Stadt geſchah noch
weit mehr für Potsdam. If diefe Stadt überhaupt faſt nur
eine Schöpfung der brandenburgifchen Zürflen, fo iſt fie unter
.1) Rüfters Erben in Bihfhings Beiträgen I. ©. 821. —* 1.
©. 261 behauptet, ——, hebe ſich zuweilen (duch Geld) gewinnen
laffen vom Bauen zu entbinden.
2) Ricolat Beſchreibung don Berlin ©. 188.
3) Erman Gophie Charlotte ©. 52.
Friedrichs ſtadt. Potsdam. 409
diefen vorzüglich das Werk Friedrich Wilhelms I. Er brachte
fon im 3. 1713 .einige Compagnien dahin, weldhe den
Stamm feines nachherigen Leibregiments bildeten; dieſes, dann
feine Liebe zur Jagd, welcher er bier obliegen konnte, und feine
Reigung zum ungezwungenen Leben waren die Urfachen, daß
er ſich faft beftändig in Potsdam aufhielt. Potsdam war bei
der Verſtaͤrkung des Leibregiments, nach und nach auf 3 Bas
tailone ohne die Ausrangirten, viel zu klein, um eine fo zahl⸗
reihe Mannſchaft gehörig unterzubringen, weshalb vorläufig
ein Bataillon (bis 3. I. 1738) nah Brandenburg verlegt
werden muffte. Das nöthigte den König (feit dem 3. 1717)
zur Errichtung mehrerer Gebäude, dann (feit 1721) die Stabt
zu erweitern. Daran wurde ungeachtet der burch den moraflis
gen Boden entgegenftehenden Schwierigkeiten mit aufferordents
licher Anftrengung gearbeitet unb eine bedeutende Anzahl von
Gebäuden auf Eönigliche Koften ſchnell vollendet. So entflans
den die Nifolais und bie Garniſonkirche, die Gewehrfabrik,
die Kafernen fie verheirathete Soldaten, und das große Sol⸗
datenwaiſenhaus, aufferdem viele Privathäufer, welde er Dies
gem und Goleniflen auf feine Koften neu bauen ließ.
ger, welche felbft bauen wollten, unterflügte er bier Are
gern mit den bazu nöthigen Materialien, baaren Vorſchüſſen,
dem vierten heile der Koften und nach Umfländen durch Praͤ—
benden, Kanonikate, Schulzengerichte und andere Beguͤnſti⸗
gungen. Dabei hielt er fireng auf genaue Regelmäßigfeit der
Gebäude, welche von einerlei Höhe und gleichem aͤuſſeren Ans
ſehen und bis auf den Anſtrich der Thüͤren und Benfter gleiche
artig fein mufften. Seit dem I. 1733 nahm er eine zweite
Srweiterung der —* vor, um das dritte Bataillon des
noch aufnehmen zu koͤnnen und bauete auſſer
an Privathäufern die Garnifonfchule, das große Reit und
Epercierhauß, die heilige Geifts die katholiſche und eine grie⸗
chiſche Kirche und das Gommandantenhaus. Endlich begann
ee (1737) noch eine dritte Erweiterung der Stadt durch das
fogenannte hollaͤndiſche Quartier für bie aus Holland verfchries
benen Handwerker und für die Sammets und Seidenmanus
facturen, doc konnte bad, weil ihm ber Tod uͤbereilte, erft
Friedrich II. ausführen. Was die unter ber Reitung des Baus
Bud Vi Zweites Haupikäd.
49
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BEIMBERIHSNE.
1) Nicolai Beſchreibung &. 1114 fi.
9 Bacıte VE S. 419.
Tpätigkeit bei der Wefichtigung
König im I. 1726 Thi.
6 Zage diadurch.
Preuffen 41
bei feiner Amvefenbeit in Preuſſen smzäplige Weder, Höfe und
Dörfer wüß gefunden, fo machte er (19. Moobr, 1718) vor
Wſtufungen, ob fie aus ber Fremde oder aus feinen übrigen
Provingen, ob auf eigene oder auf ſeine Koſten Timen, und
eben fo Die Bauergehöfte bameten ud mit Wieh beſetzten, auſſer
dem nöthigen Bauholze noch 9 Freijahre bis af eins hetab won
allen Leitungen und Laften, verfprach auch Deruͤcſichtigung
unvorperpufehender Unglücsfälle. Nach Ablauf der Breitahte
folten fie von der Hufe beſten Acers bis zu ſchiechtem jährlich
14 pis 10 Thaler entrichten und in der Nähe koͤniglicher Vor⸗
werke einen Morgen Feldes abaͤrnten, dad Heu vom einem
Morgen BWiefe eindringen, auch einen Tag Miſt fahren mıifs
fen, uͤbrigens allen anderem Unterthanen gleich gehalten werden.
Wer wenigftens 2 Hufen bauete, abet var Benkhaffung
* —* Acker⸗ und Hausbiehes unb Geatlorns and
erſten nöthigen Lebensmittel, 147 Thaler 20 Groſchen
2 Zuſchuß. Die Coloniſten ſollten in krine Leibeigenfchafi
gef, fondern wie die Unterthanen in bee Kurmack und ans
deren Prosinyen, wo bie Leibeigenſchaft nicht eingeführt war,
gehalten, auch weber fie, noch ihre Kinder und Ihe Grube
wider ihren Wien zu Soldaten genommen, Bagegen nım des
Aderbaus und ber Viehzucht kundige Leute aufgenommen wers
ben, welchen von ihrer biöherigen Obrigfeit beſcheinigt wor⸗
ben, daß fie ſich bisher redlich gendhrt hatten ). Uns auch
wohlhabende Ausländer anzuziehen, befreiete er fie (21. Mood.
- 4718) niht nur auf 3 Jahre von allen bürgerlichen Laſten,
ſondern verſprach ihwen auch Zulaſſung zu Eivils und Kriegds
bienfben, und baf fie Preutſen wieder folten mit Abzugöfseiheit
verioffen koͤnnen, wenn es ihnen dort nicht gefallen würde. Er
fagte Höfe feiner vormaligen leibeigenen Unterthanen erblich
an Goloniften zu, welche Zeugniffe ihrer vorigen Guts herrſchaft
beibringen wuͤrden, hob die Leibeigenfchaft auf ben preuſſiſch⸗
lithauifchen Domainen (10. Juli 1719 und 20. Aprit 1720)
auf, gab den Bauern die Güter erblih und erlaubte ihnen,
1) Bei Bafmann I. ©. 489, wo doch das Data 1719 falſch iR.
ır$ Derp
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N
überreicht Mallsene bie neue
‚dmann a 0 D. ©. 587.
wo
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Preuffen. 43
Bauern gegeben, ber fogleich an dem naͤchſten Baume aufges
kniwft werben follte. Die übrigens im Ganzen vortheilhaften -
Bedingungen bewogen doch im naͤchſten Jahre (1722) mehrere
taufenb Goloniften aus Schwaben, Franken, ber Wetterau
und Nieberfachfen nach Preuffen zu gehen, wohin fi auch
der König wieder begab, um ihre Anfehung zu orbnen'). Im
folgenben Jahre (1723) lub er Handwerker aller Art, vorzügs
Üe) Tuch⸗ Bafhr, Beugs, Fries und Steumpfiniiker, Huts
madyer, Lohgerber, Zimmerleute, Tiſchler und Maurer ein, ſich
in den m veeufihen Städten anfäffig zu machen, und noch bis
bereits vorhanden wären”). Durch Patente (1723 und 1724)
verfprach er allen Goloniften, welche fich in Preufien nieders
laſſen winden, die Erbauung lutheriſcher unb reformirter Kir
en, den Handwerkern und Manufacturiften unentgeltliche
Bürgers und Meiſterrecht in den Städten, daſelbſt Pläge zum .
Anbau und auffer dem Bauhoize entweder bie noch nöthigen
Baumaterialien oder 15 Procent nach Schägung des Haufes,
auch zehnjaͤhrige Befreiung von Einquartierung und buͤrger⸗
he, denen aber, welche ſich nicht anbauen Pe
Jahr Befreiung, den Tuch⸗, Raſch⸗, Beuge, Brieds,
— und Hutmachern vom Tage ihrer Verheirathung
auf drei Jahr Vorſchüſſe. © erhoͤhete bie vorzüglich den
, die fih in den 52 preuffichen Städten anfegen
wirben, bewilligten Beglmfligungen noch in mehreren Stüden,
vorzüglich, fir Wollfabrikanten und ficherte jeder Familie für
jede Meile 16 Groſchen Reiſckoſten zu. Alle Landlaͤufer das
gegen und Pranger, welche weder etwas von der Lanbwirths
ſchaſt verfländen, noch ein Handwerk gelernt hätten, wurden
zuruͤdgewieſen und, wenn fie ſich einſchlichen, über die Grenze
gebracht, auch wohl beftraft. Der König fol feit dem 3. 1721
auf Anfegung neuer Goloniften 5 Millionen Thaler gewendet
haben. ‚Die zugleich einerfeits zweckmaͤßigen, ——* ſtren⸗
gen Maßregeln wirkten ſo viel, daß im J. 1728 in den
D) Faßmank I. S. 889.
2) Ebendaſ. I. S. 840.
42 Bud VL Zweites Hauptftüd.
biefelben an tlchtige Landleute zu verkaufen. Dagegen ver
pflichtete er fie (10. Juli 1719) eiblich, ihre Güter nicht an
ders als nach genehmigten Verkaufe oder mit ihrem Tode zu
verlaffen, aus ihren Kindern den Züchtigften zur Landwirth⸗
ſchaft und Erben des Guts, die anderen zu ehrlichen Handthie⸗
rungen zu erziehen, keinen aber ohne Genehmigung ber Kams
mer aus einem Amtsbezirke in ben anberen, noch weniger aus
dem Königreiche Preuffen, fogar nicht in eine andere Provinz
des Staates ziehen zu laſſen. Leider fegte er auch ihre Dienfle
nicht feft, fondern behielt ſich daruͤber die Beftimmungen vor,
unterwarf die Kinder der Bauern dem Dienftzwange, fo daß
die Freiheit unter folchen Beſchraͤnkungen nur, geringen Werth
hatte und aus eigentlicher Leibeigenfchaft zur milberen Erbun⸗
terthänigkeit wurde‘). Doch minderte er (1723) in 2 Aem⸗
tern bie Dienfte bedeutend). Es fanden fih, durch das Pa
tent vom 19. Novbr. 1718 bewogen, auch mehrere taufenb
Goloniften in Preuffen ein). Imbeffen war das nicht hin
reichend; der König ordnete daher eine Commiſſion unter feis
nem eignen Worfige zur Unterfuhung des gefammten Zuflans
des ber preuſſiſchen Domainen an. Demgemäß erhielten bie
Ehen Präfidenten ber Kammern zu Zilfit und Königsberg
(März 1721) ihren Abſchied. Es wurden Ingenieurs nach
Preufien geſchickt, das ganze Königreich zu vermeſſen und Ges
neral⸗ und Specialfarten. bavon anzufertigen. Er begab ſich
ſelbſt bin (Juni 1721), erließ den fehr gebrlidten Unterthanen
bie Keſte ihrer ſchuldigen Steuern ganz ober wenn fie etwas
bemittelt waren, zum Theile und bewilligte ihnen aud wohl
noch einige Freijahre ). Weil viele Goloniften gezwungen
wurden, mehr Land anzubauen, als fie wollten, wander⸗
ten fie wieder aus, was (1721) bei Todesſtrafe verboten und
bis 200 Xhaler fuͤr Auffangung eines jeben ausgewanderten
1) Baczko VI. ©. 420.
9) Ebendaf.. ©. 425.
8) Zaß mann I. ©. 445,
4) Ebendaf. I. ©. 834. Im I. 1781 überreicht Wallrave bie neue
Karte von Preuffen. Bafmann a a. D. ©, 587.
Dreuffen. 43
Bauern gegeben, ber fogleich an dem naͤchſten Baume aufges
Intıpft werben follte. Die übrigens im Ganzen vortheilhaften °
Bedingungen bewogen body im naͤchſten Jahre 922) mehrere mehrere
tauſend Goloniften aus Schwaben, Franken, ber
unb Nieberfachfen nach Preuffen zu gehen, wohin 160g auch
dee König wieder begab, um ihre Anfegung zu ordnen). Im
folgenden Jahre (1723) lub ex Handwerker aller Art, vorzuͤg⸗
Üch Tuch⸗ diaſch⸗ Zeugs, Fried- und Strumpfilisker, Huts
madher, ‚ Bimmerleute, Tiſchler und Maurer ein, ſich
in den prauffifchen Stäbten anfäffig zu machen, unb noch bis
400 der Landwirthſchaft kundige nicht ganz unvermögende Fa⸗
milien, fir welche bie ihnen beffimmten Höfe auf dem Lande
bereitö vorhanden wären’). Durch Patente (1723 und 1724)
Handwerkern un! anufacturiſten
Bürgers und Meiſterrecht in den Stäbten, bafelbft Pläge zum
Anbau und auffer dem WBauholze entweder bie noch nöthigen
Baumaterialien oder 15 Procent nach Schägung bes Haufes,
u zehnjaͤhrige Befreiung von Ginquartierung und bürger
lichen Laften, denen aber, welche ſich nicht anbauen wollten,
— Befreiung, ben Tuch⸗, Raſch⸗, Zeug⸗, Brieds,
Strumpf⸗ und Hutmachern vom je ihrer Verheirathung
auf drei Jahr Vorſchüſſe. Ey ahihee die vorzüglich m
Hanmerkem, bie ſich in den 52 preuffihen Städten anfegen
würden, bewilligten Begünftigungen noch in mehreren Stüden,
vorzüglich fir Wollfabrifanten und ficherte jeder Familie für
jede Meile 16 Groſchen dieiſckoſten zu. Alle Landläufer das
gegen und Pragger, welche weber etwas von der Landwirth⸗
ſchaſt verfländen, noch ein Handwerk gelernt hätten, wurben
zurhdgewiefen und, wenn fie fi) elnſchlichen über bie Grenze
gebracht, auch wohl beſtrafi. Der König fol feit dem 3.1721
auf Anfegung neuer Goloniften 5 Millionen Thaler gewenbet
haben. ‚Die zugleich einerfeits zwedimäßigen, —* ſtren⸗
gen Maßregein wirkten fo viel, daß im X. 1728 in den
1) Faßmank I. ©. 889.
2) Ebendaſ. I. ©. 840.
46 Bud VI. Zweites Sanpıiäe.
boten und Dörfern Pertffens 20,000 neue Jawillen aufges
wonemen wotden waren '). Den wch blieben ünmer noch viele
„ten Koften und Bemuhamgen fo vollkommen wuͤrde vntferodhen
Yaben, als man gewöhnlich glaubt, wenn nicht das Schickſal
ihn wie feinen Broßoater und Kater begünftigt Hätte, din
Unduldſamkeit der Katholiken eine große Anzahl neuer —
wanderer zu erhalten, welche nur durch Ginubensbrud bews⸗
gen wurden, ihr Vaterland zu verlaſſen.
Ian Erzſtiſte Salzburg) hatte ſchon im funzehnten Jahr⸗
hunderte die Lehre des Johann Huß viele Anhänger gefunben,
welche Ab bald nach dem Anfange ber Reformation Luther
ober minderer Strenge gezwungen fahen. Zulett hatten ſich
fit unebe pere Zahıen die letzten gemäßigten Erzbiſchoͤfe
damit begnügt, treue, thätige and gehorfame Unterthanen zu
haben, ohne bern Glaubensmeinungen genau zu. unterfucen,
obwohl ihnen recht gat bekannt war, daß dleſe von denen ber
katholiſchen Kirche fehr weit abmichen. Allein dem im 9. 1727
gewählten Erzbifofe Leopold Anton FZreiherrn von Firmian
2) Budhol; V. ©. 148. Wergl, Baczko VI. S. 425, der nd
mauncherlei ‚Hinderniffe angibt, welche die Goloniften fanben.
2) Ueber dieſes Greigniß find viele Schriften erſchienen, bie naskcih
und weniger den Charakter von Parteifäriften haben.
Die Salsburgen 746
log vichts mehr am ‚Bergen als bie kotholiſche Bleliglen In fe
nem Beiftende in das Land und trug ihnen auf, nachzufor⸗
ſchen, wo Anhänger ber augsburgiſchen Confeffion wären, und
diefe zu bekehren. Die Jeſuiten verfubren babei nicht wit
ihrer fonft befannten Lebensklugheit. le verlangten, um bie
Katholiken von ben Lutberanern zu unterſcheiden, bie Bauern
folten den im katholiſchen Deutfälante üblichen "Onıßı „Be
lobt fei Jeſus Chriftl"" gebranden und ein Scapälier tragen,
dann durchſuchten fie alle Häufer und Hütten auf das Gtzengfie,
um ketzeriſche Mücken zu entdecken und unterfagten ade Zuſam⸗⸗
menkunfte). Dos. erbitterte bie Butheraner, fie weigerten ſich
ienen Gruß zu gebrauchen und das Scapulier gu tragen, fpote
teten Über die katholiſchen Kirchengebraͤuche, fehten ihre Bufanıı
menfinfte fort und theilten einander luthtriſche Sucher mit.
Der Erzbiſchof ließ darauf (1720) einen Bauer, Johann
Lerchner, wegen des Gebrauchs verbotener (uheife) Bäder
einkerkern, bald nochher aber wisber in Freiheit ſetzen und dar⸗
auf, angeblich wegen oͤffentlicher verletender Aeuſſerungen über
den katholiſchen Glauben, abermald gefangen feken unb ihm
ohne weitere Unterfuchung befehlen, das Sand gu verlaſſen.
Er und ein anderer Bauer, bei dem mon verhatene Bücher
gefunden, wanderten aus, beide baten in Regensburg bie Ges
fanbten ber evangeliſchen Fuͤrſten am Beichbtage (7. Yanuar
beobachtete Verfahren. wang
tem fich (11. Februar) bei dem ſalzburgiſchen Ceſandten v. Zil⸗
lerberg in ——⏑ —— Do ven been Ant
gewanderten ihr Vermoͤgen und ihre Kinder auögeantwortet
werben möchten, Billerberg erwiederte ihnen unter beieibigens
1) Gärtner ©. 21.
2) Sbendaf. S. 8.
416 Bud VI. Zweites Hauptftüd.
den Vorwuͤrfen, der Erzbiſchof habe befoplen, in biefer Ange
legenheit von den evangelifchen Fuͤrſten Feine Eingabe amzunch⸗
men, weil er fi) von feinen Mitfländen noch dazu in Sachen
feiner Unterthanen nicht wolle gleichfam zur Verantwortung
ziehen Laffen. Die beiden Ausgewanderten hätten öffentlich
auögerufen: „Ich bin lutheriſch,“ was einer Revolte nicht un:
ähnlich. Die evangelifchen Gefandten wendeten ſich (22. April
1730) an den Erzbiſchof mit ihrem Gefuche und .einer Be
ſchwerde Über den v. Zillerberg: daß ihnen gar nicht eingefallen
ihre katholiſchen Mitftände zur Verantwortung zu ziehen, fie
hätten aber als Theilnehmer am weſtfaͤliſchen Frieden das Recht
Erinnerung zur Abftelung von Ueberfchreitungen . beffelben zu
‚machen ). De Erzbiſchof würdigte fie keiner Antwort, fons
den ließ ihnen durch feinen Gefandten erwiebern, wenn fie
fih in ihren echten verleht Helm, A: möchten fie fi an
den Kaifer und an das Reich wenben. Der Kurfürfl von der
Pfalz antwortete auf zwei Schreiben ber evangelifchen Fuͤrſten
in dieſer Sache gar nicht.
Immer ſtaͤrkere, zuweilen wohl. übertriebene Beſchwerden
liefen über ben Drud und die Graufamkeiten ein, welche im
Salzburgiſchen von den, durch fanatifhe Geifliche einerfeits
gereizten und durch bie ihnen willkommene Widerſetzlichkeit der
Lutheraner anbererfeltd formal geficherten Beamteten unter dem
Dedmantel der Religion verübt. Es war eine von ben uns
feligen Zwiſtigkeiten, welche fich ohne gegenfeitige Humanität
und Duldung nicht ausgleichen laſſen. Der Erzbiſchof und
deſſen Beamtete verſtießen zuerſt gegen die daran feit vielen
Jahren gewöhnten Bauern und biefe tobten und laͤrmten nım,
weil fie ſich in dem Heiligſten, was fie hatten, gefährbet ſa⸗
ben und gaben den Fuͤrſten die offenbar fehr erwinfchte Ver⸗
anlaffung, fie für Empoͤrer zu erflären und unter biefem Vor⸗
wande ohne alle Schonung gegen fie zu verfahren. Aufferbem
bebiente man ſich der Ausſagen einzelner Bauern, bie man ge
lehrt prüfte, um darzuthun, fie wären und Beine
augeburgifche Gonfeffionsverwanbte, alfo aud in biefer Hin
D Gärtner S. 8%
Die Salzburger. 47
ſicht ohne Recht ) Die —— Lutheraner des Erzſtifts
mochten nicht ohne Veranlaſſung ber evangeliſchen Geſandten
in Regensburg bie ‚Hoffnung hegen, fie würden bie freie Ucbung
ihrer Religion erwirken, worauf ihnen ber weſtfaͤliſche Frieden
keinen Anfpruch gab, indem fie fi nicht vor dem I. 1624
öffentlich zur augsburgiſchen Gonfeffion befannt hatten. Der
Erbiſchof zen | bielt ale Mittel fir recht, um bie Luther
raner ſeines Landes zur katholiſchen Kirche zurldtzubringen, ers
i weſtfaͤliſchen
Fcrieden geſicherte Abzugsfreiheit ganz zur entziehen. Beſchwer⸗
den einzelner Lutheraner wurden nicht beachtet; ſich zu vers
. fammeln war verboten; fie thaten es heimlich; fie ſchicklen Abs
georbnete mit Wollmachten nach Regensburg, welche hier (16.
Suni 1731) den evangelifchen Gefandten ihre Bitte und Ber
ſchwerden vortrugen: man zwinge fie dad Abendmahl unter
einerlei Stat zu genießen, Rofenkänze und Scapulier ums
zuhaͤngen, die Heiligen an— und firafe bad Verſaͤum⸗
niß bes Tatpotifchen Kirchenbeſuchs mit 2 Gulden. Die ka⸗
tholifchen Geiftlichen durchſuchten jedes Haus und bemühe-
ten fi, Ale zu ihrem Glauben zu bringen, verböten das
Zleifchefien an ben Bafttagen, und beftraften Uebertreter mit
10 bis 40 und mehr Gulden. Man zwinge fie unter Ans
drohung von Gefangenfchaft bei Waſſer und Brot und Ver⸗
bannung zum Abfale vom lutheriſchen Glauben. &ie baten
um Verwendung bei dem Erzbiſchoſe, evangelifche Geiſtliche
anftelen ober ungehindert außwandern und ihre Güter verkau⸗
zu dürfen. Drei der Abgeordneten gingen nach Berlin ?).
Zugleich börte man einzelne drohende Aeufferungen der
Lutheraner in Salzburg, welche auf Unterfiligung der evanges
lüſchen Fuͤrſten hofften, daß man ihnen werde erlauben müfs
fen, ihre Religion Sffentlih zu üben. Es wurbe daher den
Beamteten befohlen, das biöherige Verfahren gegen die Luthes
raner einzuftellen, befonderö feine Gewalt zu brauchen, dages
gen den Gefinnungen, Gefpräden und Handlungen der Bauern
in Geheim genau nachzufplren. Die Päfle und Feſten des
1) Gärtner S. 52 f. ©. 175.
2) Cbendaſ. ©. 51.
Stengel, Geſch. d. Preufiich.-Ctaate. II. 7
"418 Bud VI Zweites ˖ Hauptſtuͤck
Landes wurden ſo viel als moͤglich beſetzt und verwahrt, weil
man offenen Aufruhr befürchtete‘)... Dann (1. Juli 1731)
wurden Gommiffarien angeorbnet, angeblich um die Beſchwer⸗
Ven der Intherifhen Bauern gegen Beamtete zu erfunden und
abzuſtellen, wirklich aber wohl um zu erfahren, wie viel der
Unterthanen fich zum Lutherthume Öffentlich bekennen würden.
Unterdeffen hatten die Bauern bereitd 25 Männer gewählt,
um als ihre Sprecher nach Wien, Regendburg und zu ben
evangeliſchen Fürften zu gehen. Ganz natürlich fuchten fie fi)
in zohlreichen Verfammlungen unter einander eng zu verbuͤn⸗
den und den Schug auswärtiger Fürften zu erhalten.
As die Sommiffarien ihnen eröffneten, ber Erzbifchof habe
fie abgeorbnet, um ihre Beſchwerde freng zu unterſuchen,
wurde das mit lautem Jubel und Preifen ber Weisheit und
Gerechtigkeitsliebe bes Zürften vernommen, wobei fie zugleich
* erflärten, ihm getreu und gehorfam zu fein. Sie legten ihre
Beſchwerden uͤber die Gelberpreffungen und Mishandlung ber
Beamteten und Geiftlichen offen bar, bekannten fi zur evan⸗
gelifhen Religion und verfprachen Gehorfam. Gelbft bie
Gommiffarien fanden, was über den Drud der Beamteten
geſagt war, nicht unbegründet. In einem Drte war ber Bas
tholifche Geiſtliche unerachtet ‚ihrer Ermahnungen fo heftig,
daß er in ihrer Gegenwart von der Kanzel herab in bie bits
terſten Schmähungen gegen bie Lutheraner ausbrach, fo daß
fi die Gommiffarien wunderten, wie ed bie verfammelte Ges
meinde ohne Murren und Zumult mit anhören konnte. An
mehreren anderen Orten verfuhren bie Geiftlichen nicht beffer,
fpieen, wie der Bericht fagt, Gift und Galle von ber Kanzel
und einer Batechifirte im Zorne bie Leute mit Schlägen. Die
niedere, umerfättliche Habfucht diefes Geiſtlichen, der feinen
Beichtkindern öffentlich verboten, ſich mit leerem Beutel dem
Altare zu nähern, hatte ihm deren Herzen völlig entfrembet?). .
Es wurden 20,678 Perfonen gefunden, welche fid ungeachtet
1) Gärtner ©. 58.
2) Bärtner S. 76. Der gefammte Bericht über bie Gommiffren
©. 61-78 ift hoͤchſt merkwürdig und ſicher hat Gärtner in feiner Stel⸗
lung nur das gefagt, was er als ehrlicher Mann nicht verſchweigen konnte.
Die Salzburger. 49
aller bevorftchenden Bebrängniffe als augsburgifche Confeſſions⸗
verwanbte angaben, und wir erfahren auch nicht, daß die Uns
terfuchung die geringften Folgen gegen die von den Commiſſa⸗
tien als unwurdig erfannten Beamteten und Geiftlichen hatte.
As ſich die Lutheraner von den fanatifchen Geiftlichen
in ben Kirchen fortwährend mit ben gröbflen Schimpfreben
belegen hörten, fo befuchten fie dieſelben gar nicht mehr und
prebigten an gelegenen Orten, in Wäldern und unter freiem
Himmel felbft. Weil fi die Geiftlichen weigerten, die neus
geborenen Kinder der Lutheraner zu taufen, fo tauften diefe fie
felbft. Das Conſiſtorium befahl darauf, daß den Bekennern
der neuen Religion, denn’ augsburgifche Confeffionsverwandte
- wollte man fie nicht nennen, die Sacramente und ihren Leichen
die geweihete Exde verfagt würden ), was gegen bie ausdruͤd⸗
lichen Beftimmungen des weflfälifchen Sriebens verſtieß. Nas
tirlicp reigte ein ſolches Werfahren bie lutheriſchen Bauern
immer mehr. Es iſt fehr glaublih, daß man von Ihnen nur
harte Worte über ben Erzbiſchof, deſſen Beamtete und die
Ratholiten indgefammt hörte, daß fie bie Schwankenden durch
Ueberrebung, auch wohl durch Drohungen zu bewegen fuchten,
fih fir augsburgiſche Confeffionsverwandte zu erklären, dag
fie ſich fo eng ald möglich an einander anfchloffen und vieleicht
ſelbſt entſchloſſen waren, ihre Häupter, wenn man Hand an
fie lege, zu fchligen, ober, wenn fie gefangen gefegt würden,
zu befreien und überhaupt "der Gewalt Gewalt entgegenzus
fegen, wie Einzelne in ber Heftigkeit prablten, ohne daß jedoch
wirkliche Gewaltthätigkeiten von ihnen veruͤbt worden wären’).
Einerfeits mochte nun wirklich der Erzbiſchof Beforgniffe
vor einem Aufftande haben, auch hatte er Urfache zu fürchten, .
die an Tyrol grenzenden Gemeinden, namentlich die Bewohner
des Marktfledens Zillerthal wuͤrden in diefem Falle ſich für
die Lutheraner erflären?), andererſeits war es ihm gewiß nicht
unangenehm, bie geringfte, obwohl durch fein eigenes erſt uns
kluges dann unrechtliche Verfahren hervorgerufene Ungefeglichs
1) Gärtner ©. 80 ff.
2) Ebendaſ. &. 9. Berg. ©. 106.
3) Ebendaſ. ©. 9.
. 27*
40 Bud VI. Zweites Hauptfiäd.
keit als Auftuhr zu betrachten; ex vermehrte daher feine Zrupe
fegen und erhielt gegen feine angeblich aufrühreriſchen Unter»
Auguft u.thanen, auf fein ſchon im Juli an ben Kaifer gefchidtes Gefuch,
1731
obwohl zögernd 3600 Mann Taiferliher Truppen‘), welde
er im Lande vertheilte, durch fie alle Auswege befegen ließ
und Niemand ohne Pag durchzulaſſen befahl. Er befchwerte
fi bei dem Reichstage uͤber die angebliche Empörung feiner
Unterthanen, welde durch die proteftantifchen Gefandten wes
nigftens mittelbar aufgereizt worben wären, was jedoch ber
preuffifche Gefandte v. Dankelmann, ben man vorzüglich in
Verdacht zu haben vorgab, durchaus in Abrede fielte, fo wie
denn niemald ber geringfle Beweis fir die Wahrheit dieſes
den Evangelifchen gemachten Vorwurfs hat aufgebracht werben
koͤnnen. Die Abgeordneten ber Bauern waren an ber öfters
veichifchen Grenze feftgenommen worben. Der Erzbifhof bat
den Kaiſer um ihre Auslieferung zur peinlihen Unterfuchung,
nicht wegen der Religion, fondern wegen Aufruhrs. Gr
befahl den Pflegern, wenn Verſuche gemacht werben follten,
diefe Gefangenen zu befreien, felbft daS Leben ber Rebellen
nicht zu fchonen.
Bugleih mit den Truppen überfcjidlte ber Kaifer dem
Erzbiſchofe (26. Aug. 1731) ein Edit zur
in welchem er fie als Empörer zum Gehorfam gegen ihren
Landeöperen auffoderte und hinzufügte, wenn fie gegen biefen
Religionds oder andere rechtmaͤßige Beſchwerden zu haben
glaubten, fo erlaube und befehle er ihnen, dieſe bei ihm als
Kaifer und oberftem Richter frei, fiher und ungehindert anzu>
bringen?). Den Bifchof ermahnte er, bie Laften der Unter
1) Der gemäßigte Prinz Gugen ermahınte den Erzbiſchof, ja moglichn
behutſam gu Werke zu gehen.
2) Bei Gärtner ©. 113 in ber Anmerkung. Gärtner fagt mit
Unrecht, der Kaifer habe es dem Erzbiſchofe frei geftellt, ob berfelbe das
Patent publicixen wolle ober nicht; ber Kaiſer überließ ihm nur Art und
Weife der Publication, fanb es aber befremdend, baß fie gar nicht flatts
fand. Berg. &. 349, 256 u. 869. Entſcheidend find bie &. 368 in
d. Anmerk. angefüprten Worte des Kaiſers bei ucderſendung des Patente,
Die Salzburger. 421
thanen moͤglichſt zu erleichtern und ſich in biefer Sache genau
an die Reichsgeſetze zu halten. Der Erzbiſchof machte aber
daß Faiferlihe Edict nicht befannt, aus Beforgniß, feine Uns
terthanen würden ihre Beſchwerden an ben Kaifer bringen,
wie dieſer geftattet, ja befohlen hatte, und ließ vielmehr die
Nädelsfüprer, wie er fie nannte, in ihren Wohnungen Übers
fallen und feftnehmen, bie Uebrigen aber entwaffnen, was na
tuͤrlich zu neuen Verfammlungen der gährenden Volksmenge
und manchen gewaltfamen Vorſchlaͤgen Einzelner Veranlaffung
gab. Dennoch geſchah von diefen nichts, ald daß fie um
Breilaffung der Gefangenen baten, wenn ihr Verbrechen blos
die Religion angehe, auſſerdem bächten fie nicht daran, fich
der Beftrafung berfelben wegen anderer Verbrechen zu wibers
fegen. Der Exzbifchof verbot (30. Aug. 1731) wieberholt alle
ferneren Rottirungen und heimliche Zuſammenklinfte, Bedro⸗
bungen und Befcimpfungen bei Leib» und Lebensſtrafe· Die
Evangeliſchen fuhren indeß fort, ihre Religionsübungen öffent:
lich zu halten, zu prebigen, ihre Kinder zu taufen unb ihre
Leichen zu begraben, indem Einzelne unter ihnen bad Prebigts
amt Übernahmen. Im Ermangelung der Glocken berief die
Zrommel oder eine Bahne, bie umher getragen wurbe, ober
din Bote die Verfammlung zum Gotteßbienfte, wobei bann,
wie in anderen Werfammlungen bin und wieber bie feligfle
Jungfrau Maria, der Papft und die Fatholifche Kirche geläftert
wurden, wie bie Katholiken Luther und befien Anhänger laͤ—
ſterten; man machte wohl den Vorſchlag, die Bilder der Hei⸗
ligen zu zerſtoͤren, weil man glaubte, bie Katholiken beteten
fie wie Goͤtzenbilder an. Die Tatholifchen Geiſtlichen beſchwer⸗
ten fi, daß die Lutheraner immer zahlreicher wuͤrden. Die
katholiſchen Fefltage wurden nicht mehr gefeiert, viele Kirchen
flanden leer, wer flüchten Tonnte, flüchtete.
Die evangelifchen Gefandten in Regensburg nahmen ſich
fortwährend ihrer Glaubensgenoſſen an, warfen dem Erzbifchofe
mit Recht vor, fie hart ja graufam behandelt und nicht bes
wiefen zu haben, daß fie Aufrührer wären. Man habe fie
blos der Religion wegen ergriffen, vor Gericht geftellt, fie mit
Kerker, Feſſeln und um Geld geftraft, ihnen die Uebung ihrer
Religion ald Verbrechen angerechnet und ihnen ihre Kinder
42 Bud VL Bmweites Hauptftüd,
* vorenthalten; fie vechtfertigten durch die Weigerungen ber fas
-tholifcpen Priefter die eigene "Taufe und Begräbniffe ber Lu⸗
theraner. Daß dieſe fi am bie evangeliſchen Fürften um
Beiſtand gewendet, fei Fein Hochverrath. Den
habe man keine Paͤſſe gegeben und fie dann eingelerkert, waͤh⸗
send ber ſalzburgiſche Gefandte ungehinderte Auswanderungs⸗
freipeit verfprochen. Diefer nahm jegt fein Wort zurüdl unter
dem Vorwande, aufrübrerifche Unterthanen hätten einen Ans
fpruch darauf! - Zugleich wendeten ſich bie evangelifhen Ge
fandten (27. Det. 1731) an den Kaifer, befhwerten fih über
das gewaltfame unvechtliche Verfahren des Erzbiſchofs, der bie
Auswanberungsfreiheit verweigere, und thaten bar, wie fehr
das gegen bie ausdruͤclichen Beſtimmungen des weflfälifchen
Friedens verſtoße. Sie wollten rebelliſchen Unterthanen nicht
das Wort reden, koͤnnten aber nicht mit anfehen, daß ein
Mitftand die Religionsfriebensfchläffe drehe. Dex ſalzburgiſche
Geſandte habe im Juli die Auswanderungdfteipeit den Luthes
ranern zugefichert, während doch Feiner anders ald mit Hinters
laffung von Weib und Kind und Vermögen flüchten koͤnne.
Man werfe ihnen vor, fie nähmen Dinge an, welde mit ber
augsburgiſchen Confeffion nicht übereintämen und hätten fi
gegen ben Landesherrn vergangen, auch nicht um Auswan-
derung, fondern freie Religionsuͤbung gebeten. Allein daß ber
Glaube einfältiger Bauern, welche biöher weber evangelifche
Geiſtliche noch Schullehrer gehabt und nur von ihren Aeltern
und aus einigen Buͤchern Unterricht empfangen, noch fehr uns
volltommen fei, koͤme Niemand wundern. Wenn katholiſche
fogar von ihren Geiftlichen und Schullehrern von Kindheit an
unterrichtete gemeine Leute daruͤber von evangelifhen Prieſtern
wie die Salzburger von Fatholifchen eraminirt würden, möchten
auch fie wohl die leichteften Fragen feltfam und unfoͤrmlich
genug beantworten. Was die Profelgtenmacherei angehe, fo
zeigten fie, wie ungefcheuet biefe vielmehr von Katholifen ge-
trieben werde. Sie verlangten fchlieglih eine von beiden
Glaubensbekennern gemifchte Localcommiſſion zu Unterfuchung
der Sache. und jedenfalls Auswanderungsfteiheit). Die ges
1) Das merkwuͤrdige Actenftüd auch bei Gärtner ©. 163 ff.
@being I. ©. 778.
Die Salzburger. 423
fanımte Angelegenheit würde ſich indefien wahrfcheinlich noch
lange bingezogen haben, wen nicht zu gleicher Zeit der bran⸗
denburgifche Gefandte von Regensburg aus Bericht über diefe
Angelegenheit nach Berlin erſtattet hätte. Ex erhielt ſogleich
(13. Det. 1731) Verhaltungsbefehle: weil ber falzburgifche
Sefandte in Regensburg fi) auf eine fo impertinente Weiſe
gegen die Vorftelungen bezeige, welche ihm gemacht worden, fo
werbe ed nicht fhaben, wenn ihm mit Ernſt und nachdruͤck⸗
lien Declarationen begegnet, auch deutlich zu verſtehen ge:
geben werbe, die evangelifchen Zürften und Stände bofften
zwar, ber Kaifer werde ber heftigen Werfolgung der Evanges
Ufchen ohne Verzug fleuern, wofern aber der Erzbiſchof nicht
ablaffe, fo wirben auch die evangelifchen Fuͤrſten und Stände
folcyes ihren Tatholifchen Unterthanen wieber empfinden laſſen,
" die Verantwortung aber denen laſſen, welche dergleichen vers
“ anlafft hätten. Ex fei bereit, das in feinen Randen zu voll: .
ziehen, wen auch die übrigen evangelifchen Zürften bafjelbe zu
gleicher Zeit thun wollten’).
. Von diefen Schritten erhielt der Erzbiſchof Kenntniß und
machte baher am 11. Nov. dad vom 31. Det. batirte Emis
grationspatent befannt”). Da ein großer Theil feiner Unter»
thanen, die er mit vielen Schmähungen und unerwiefenen Bes
ſchuldigungen überhäufte, unter dem Vorwande von Religions
bebrüdung und anderen. Drangfalen fich gegen ihn empört und
ſich zur augsburgiſchen Confeffion erklärt, er aber Feine andere
als die Fatholifche Religion dulden, die unruhigen, aufruͤhreri⸗
ſchen und wiberfpenftigen Leute vielmehr gaͤnzlich von der Wur⸗
zel aus vertilgen und daher auswandern laſfen wolle, fo befahl
er Allen, bie fich zu den beiden auffer ber Batholifchen im
Reiche gedulbeten Religionen befannt hätten, fofort auszuwan⸗
dern und bei fchwerer Strafe an Gut, Leib und Leben das
Gebiet des Erzſtifts Bünftig zu meiden. Ale Unangefeffene,
welche bad 12. Jahr erreicht, follten bei unausbleiblicyer Strafe
ohne Gnade binnen 8 Tagen mit hintantragendem Sad und
Pal abziehen. Kein Unkatholiſcher fole für Bürger und
? 1) Bi Göding I. ©. 165.
DM) Bei Gärtner S. 198.
424 Bud VL Bweites-Hauptfäd.
Meifter gehalten werden, vielmehr alle auswandern. Ange
feffene Bauern ſollten aus füticher Gnade nach Maßgabe ihres
Vermögens binnen einem,’ zwei und drei Monaten auswan⸗
dern. Wer das im feftgefehten Termine nicht thue, folle von
den Beamteten bei hoher Strafe gefangen gefegt und mit mis
litairiſcher Hülfe fortgefchafft werden. Gegen Ketzer und Res
bellen, bie zu Feiner der im Reiche gebufbeten brei Religionen
gehörten, behielt. er fih die Beftrafung vor.
Dieſes Patent machte allgemein großes Aufſehen und ſelbſt
Katholiten fahen ein, daß ed dem welfäliicyen Frieden ges
radezu entgegen fei, indem biefer denen, welde auswanbern
wollten ober dazu gezwungen wurden, eine breijährige Friſt
zum Verkaufe ihrer Güter umd zur Beauffihtigung der Vers
waltung derfelben während biefer Zeit ließ. Auch follte nach
diefem Keiner wegen feines Glaubens verachtet, ober von Kauf⸗
mannfeaft, Handwerken, Zünften, Spitälern, auch fonfigen
Rechten und Gewerben, noch weniger von Öffentlichen Gottes⸗
Adern und ehrlichen Begraͤbniß audgefchloffen werben. Dazu
war bad Patent in fo beleibigenben Ausdruͤcken fir die Evans
geliſchen abgefafft, daß es der falzburgifche Gefandte in mil»
derer Form nachbruden ließ und fo veriifät den evangeliſchen
Geſandten Übergab, in der Hoffnung, die Proteflanten wirben
dann bad Driginal nicht fuchen; allein in Regensburg war bes
Dennoch wurden nach Werlauf von 8 Tagen, ungeachtet aller
Klagen Über die Kürze der gelaffenen Friſt, im harten Winter
bie Lutheraner, zum Theile ſchwache Weiber und Mädchen,
wo ımb wie man fie zum Theile nadt und bloß traf, unter
Mispandlungen und Erpreffungen von Solbaten zu mehreren
‚Hunderten zufammen getrieben. Viele konnten gar nichts,
Keiner von feiner Habe mehr als er tragen Eonnte, mitnehmen.
Alein weit entfernt dadurch abgeſchreckt und abtrimnig zu
werben, wie man wohl gehofft hatte, entflammte das den Eifer
der Lutheraner nur noch mehr und erbitterte fie gegen eine fo
1) Gärtner ©. 27 ſucht das unredliche Verfahren Salzburgs mur
ſchwach zu entſchuldigen.
Die Salzburger. 42
tyranniſche Regierung, welche alle Dienftboten im Winter fort:
trieb und fo den Angefeffenen alle Dienerfchaft fir die Dauer
‚ beffelben entriß. Ia ber Erzbiſchof Serfahe fo fo gewiſſenlos, daß
er diefe Leute, an die baterifhe Grenze treiben ließ, che er
noch die Erlaubniß für fie ausgewirkt hatte, diefe uͤberſchreiten
zu biirfen, fo daß bie Unglüdlichen im December wochenlang
an der Grenze liegen muflten, ehe man fle ducchließ ').
Bu derſelben Zeit (Mitte Novembers) kamen die Abges
orbmeten ber Salzburger in Berlin an und baten ben König
um Schutz für ihre Glaubensgenofien. Der König ließ fie
durch bie Gonfiftorialsäthe Rolof und Reinbeck prüfen, und
biefe fanden, daß es Feine Schwärmer und Gectirer, fondern
Lutheraner wären. Der König, dem das zugleich Gewiſſens⸗
ſache war, erflärte ihnen daher, er wolle fie, wenn ihrer auch
etliche Tauſend wären, in feinem Sande aufnehmen ?). Fr
liefen bei dem Kaifer bie Iebhafteften MWorftellungen
harte und ungerechte Verfahren des Erzbiſchofs von —*
der deutſchen evangeliſchen Fuͤrſten, von Schweden, Dänemark,
England und den Generalſtaaten ein, mit Androhung eines
gleichen Verfahrens gegen ihre katholiſchen Unterthanen, was
den Erzbifchof wenigftens bewog, den Auswanderungstermin
der Anfäffigen bis auf bie Mitte des April zu verlängern und
zu verfprechen, fie follten auch bie Kinder unter 12 Jahren
mitnehmen dürfen. Er blieb dabei, daß fie wegen Empörung
fein Recht auf eine dreijährige Ausswanderumgöfeift hätten.
Die kaiſerlichen Raͤthe waren felbft unzufrieden Über ben Erz
biſchof, befhwerten ſich (Ian. 1732), daß der Erzbifchof daB - .
Baiferliche Edict (vom 26. Aug. 1731) nicht bekannt gemacht,
misbilligten das Auswanderungdpatent ald gegen ben weſtfaͤ⸗
Gfchen Frieden und das Verfahren bes Erzbifchofs, wogegen
fi diefer nur ſchwach vertheidigen Eonnte. Der Kaifer befahl
nochmals fein Edit (vom 26. Aug. 1731) befannt zu machen
und verlangte Einreichung der Arten, welche den Aufruhr bes
weifen ſollten ®),
1) ©. Gärtner ©. 223.
9) Gbding ©. 165. Vergsl. ©. 595.
8) Gärtner ©. 236 ff., A8 u. 255.
426 Bud VI. Bweites Hauptfiäd.
Auch bie Öffentlich durch den Drud bekannt gemachte
Vertheidigung des erzbifchäflichen Verfahrens genügte nicht in
Wien, wegen Unfoͤrmlichkeiten in ber Unterfuhung und bem
Verfahren und weil namentlich der Hochverrath weder durch
Beugenausfagen noch Geſtaͤndniſſe dargethan fei'). Der
dreijährige Auswanderungätermin fei auch allen Unterthanen
gefichert ohne Rüdfiht, ob fie behauft oder unbehauft wären.
Auch andere katholiſche Zürften wollten des Erzbiſchofs Ver⸗
fahren nicht billigen und machten ihm bittere Vorwürfe. Die
evangelifchen Zürften hielten dem Erzbiſchofe fein unrechtmaͤßi⸗
geb Verfahren ſcharf vor, wiefen ihm babei das unrechtliche
Benehmen feiner Beamteten gegen bie Evangelifhen nah umd
enthuͤllten die ganze Unzulänglickeit der öffentlichen Wertheis
digung bes Erzbifchofß, ber demungeachtet fein Patent nicht
zuruͤnahm.
Die Hauptſache war indeſſen, daß Friedrich. Wilhelm ſich
der Lutheraner kraͤftig annahm. Er bezeugte ſich in einer oͤf⸗
fentlichen Bekanntmachung (2. Febr. 1732) bereit, den, weil
fie ihrem Glauben nicht entfagen wollten, auf das Heftigfte
bebrängten und verfolgten Evangelifchen aus Erbarmen feine
bülfreiche Hand zu bieten und fie in feinem Königreiche Preufs
fen unterzubringen. Er erfuchte daher den Erzbiſchof, alle
biefe Auswanderer als Fünftige preuſſiſche Unterthanen zu be
trachten und fie ungehindert mit ihrem Vermögen ziehen zu
laffen, ging auch alle anderen Fürften an, ihnen freien Durch⸗
zug zu geflatten. Den Auswanderern ficherte er durch befons
ders angeorbnete Commiſſare täglich für ben Mann 4, für eine
Frau oder Magd 3, für ein Kind 2 Grofchen für die Dauer
ihrer Reife, ferner bei ihrer Anfegung in Preuffen alle Frei⸗
beiten und Rechte zu, welche andere Goloniften erhalten hatten,
endlich kraͤftigen Schuß gegen unrechtliche Vorenthaltung ihres
Vermoͤgens *). Der preuffiiche Geſandte v. Dankelmann über
gab dieſes Patent (10. März) dem falzburgifhen Geſandten
in Regenöburg mit der Bemerkung, wie fein König mit herz
lichen Mitleiven vernommen, bag man im Salgburgifcyen
1) ©. Bärtner ©. ber.
2) Bei Gärtner S. 287 und Böding L ©. 262.
Die Salzburger. 427
mit feinen Glaubendgenoffen fo unchriſtlich und graufam vers
fahre, was ihn um fo mehr befremde, da er papiſtiſchen Uns
terthanen alle Vortheile der anderen Unterthanen angebeihen
laſſe. Er fei entfchloffen, die proteftantifchen Salzburger aufs
zunehmen und als feine kuͤnftigen Unterthanen anzufehen, werde
aud, wenn man ihren Abzug bindere und fie gegen den weſt⸗
fälifhen Frieden kraͤnke, alle in feinen Händen befindliche Mit
tel brauchen, fie Mage und ſchadlos zu halten‘), Auch am
kaiſerlichen Hofe ließ er das (18. März) vorftellen, während
ex bereits (1. März) feinen papiſtiſchen Unterthanen im Mags
deburgifchen, Halberftädtifhen und Mindenfchen hatte anbeuten
Taflen, weſſen fie fich zu verfehen haben würden, wenn man
im Salzburgiſchen mit den angefangenen Graufamkeiten weiter
fortfahren wolle. Das und die Ermahnung des Kaiſers
(7. Apr. 1732), zugleich bie ſogenannten Raͤdelsfuͤhrer in
Freiheit zu fegen, bewog ben Erzbiſchof und die Fatholifchen
Zürften zur Nachgiebigkeit, man ließ die Lutheraner aus dem
Salzburgiſchen, obwohl vielfach gekränkt, doch ungehindert
ziehen, auffer daß bie Beamteten bei Schäkung*ihter Güter
böcft gewiſſenlos verführen und fih viele Erpreſſungen er⸗
laubten.
daſt alle Ausgewanderte ſchlugen bie Richtung nach Bere
fin ein und wurben auf dem Wege von ihren evangelifchen
Glaubensgenoſſen, ja felbft von Juden, in jeder Art oft auf
die ruͤhrendſte Weife auch durch gefammelte Almofen (im Bes
trage von 80,000 $lor.) unterflügt?). Die preuffiichen Bes
vollmächtigten kamen jedoch anfänglich in große Werlegenheit,
als fie mit dem Auftrage 4000 Eoloniften zu übernehmen,
nachdem fie deren 6000 angenommen, deren noch viel mehr
fanden. Indeſſen befahl der König fogleich, fie folten fo viele
annehmen, als ihrer wären, wenn fie ſich auch auf noch 10,000
beliefen’). Er felbft, wie bie Töniglihe Familie und die hoͤch⸗
ſten Staatsbeamteten begegneten ihnen bei ihrer Ankunft in
Berlin auf das Wohlwoliendſte.
1) Bei Göding L ©. 809.
9) ©. nad Gärtner ©. 304 ff.
3 Goͤcking I. ©, 296 ff.
N
428 J Bud VL Zweites Hauptſtuͤck.
Vergeblich ſuchte man fie indeſſen zu bewegen, ſich zum
Theile Im Magbeburgifchen, —S in der Dat
und in Pommern unterbringen zu laſſen; fie beftanden darauf,
insgefammt nach Preuffen zu gehen"), wo denn auch nah
und nach 15,500, bie Meiften (10,000) 18 Meilen hinter
Koͤnigsberg, Im preuffifchen Lithauen, um Memel, Tüfit, Gums
binnen und Infterburg angefiebelt wurden. Nach bem’Bor:
ſchlage des Miniſters v. Göme, dem der König bie Leitung
Koffotengüter mit einer Hufe oder Baurrgliter mit zwei Hufen
Ackers mit zum Aderbaue noͤthigem Viehe und Geraͤthſchaften.
Diejenigen, welche größere Dinge beſeſſen, wie denn freilich,
meinte der Minifter, bie bortigen (falzburger) Bauern ganz
andere Kerle als bie hiefigen (preuffifchen) geweſen, konnten
mifche Shter Taufen, deren viele und billig zu haben waren.
in die Städte; Bergleute. aufzunehmen, hatte der König fih
gleich anfangs geweigert, weil er bei der Beſchaffenheit feiner
Staaten gar fein Mittel hatte, fie irgend angemeffen unter
zubringen. Die Ausführung der fo unternommenen Anfieblung
vieler taufend Menſchen hatte fehr viele Schwierigkeiten.
Knechte und Maͤgde wollten nur bei ihren Landsleuten, nicht
. aber auf den koͤniglichen Vorwerken dienen, wo fie unſtreitig
viel firenger behandelt wurden. Es war fehr ſchwer, fo viele
wuͤſte Höfe fogleich anzubauen, das Land mit feiner von dem
Salzburgifchen fo unendlichen Werfchiedenheit fagte den Colo⸗
niften großentheils nicht zu, viele wurden im erflen Jahre
trank und nur ihre fromme Ergebung konnte ihnen ihre Lage
erträglich machen. Die Gewohnheit that dann das Uebrige ’)-
Bur Widerlegung ber von eifrigen Katholiten verbreiteten
falfchen Gerüchte über die ſchlechte Begegnung, welche bie
1) Gbding L ©. 66.
2) ©. aus Gdrne’s Berichte über ihre Unterbringung König J.
©. 217.
Die Salzburger.
49
Salzburger in Preufen erführen, baß fie Bi amd, duch
Arppen —— erfäf erfäuft und bei einem Ginfalle der Polen
viele niebergehauen worben wären, machte ber König a Ds Dis
tober 1732) befannt, daß er alle wegen der Religion vertrie⸗
benen Salzburger in feinen Schug genommen, ihnen
worden. Dur das Polnifche habe er fie mit flarker Be
bedung geleiten laſſen, endlich für das Erſte 4 lutheriſche Pres
digen angeftellt und werde noch mehrere hinſchicken. Das bis
jegt etlichen Tauſend gegebene Land fei eben und fruchtbar,
babe guten Adler, Wiefen, Weide, Fifchereien und Wälder; man
koͤnne, weil bort Alles fehr wohlfeil fei, fchöne Güter in Menge
kaufen, was auch mehrere Salzburger bereits gethän. Ex laſſe
ihnen noch mehr Häufer und Kirchen, ja ganze neue Dörfer
bauen. Familien und Werwandte blieben fo viel als möglich
dufanımen , Jeder behalte feine Handthierung, die er getrieben.
und fie wänfcpten nichts mehr, ais daß ihre In ber Finferniß
durüd® gebliebenen Brüder möchten erleuchtet und zur Erkennt
niß gebracht werden ').
Wirklich brachten Viele zum Theile anfehnliches Wermögen
mit, und der König forgte daflır, daß fie auch das erhielten,
was fie im Salzburgifchen zuruͤckgelaſſen hatten. Er ließ Alles
verzeichnen und foberte e8 dem Erzbifchofe durch ben Legas
tionsrath v. Plotho (1734) ab. Obwohl durch den Verkauf
1) Bei König a a. D. ©. 2%.
436 Bud VL Zweites Hauptflüd.
von 2000 Bauerhöfen im Salzburgiſchen der Preis berfelben
fehr fank, auch ficher Vieles untergefchlagen wurde ') fo be
wirkte der König doch, daß fie gegen 4 Millionen Gulden er⸗
bielten, nachdem davon 7—800,000 Gulden Abzugögelber an
den Erzbifchof erlegt worden waren”).
Allein auf die Wiederbevoͤlkerung Lithauens verwendete
er 6 Milionen Thaler, 60,000 wüfte Hufen, 6 Städte, 332
Dörfer und 59 Domainendmter wurden angebaut. Mit wah
ver Rührung und Iebhafter Anerkennung ſchildert Friedrich IL
als Kronprinz von Infterburg aus in einem Briefe an Voltaire
die Verdienfte feines Waters um Kithauen, wie diefer 12 bi
15 entoölferte Städte, 4—500 unbewohnte und wuͤſte Dörfer
gefunden und bei deren traurigem Anblid von lebhaften Mits
leibe ergriffen, befchloffen habe, das Land wieder zu bevoͤllern
und es durch die größten Anftrengungen und einſichtsvollſten
Anordnungen dahin gebracht habe, daß bad gefchehen und es
beffer angebauet worben, als je vorher. Lithauen, fährt er
fort, hat über eine halbe Million Einwohner, mehr Gtäbte
als früher, mehr Heerden al ſonſt, iſt reicher und fruchtbarer
als irgend eine Gegend in Deutfihland. Und alles das ver
danft man allein dem Könige, er hat es nicht nur befohlen,
fonbern felbft der Ausführung vorgeftanden, Alles entworfen
amd vollzogen, Feine Sorgfalt und Anflrengung noch Gchäge,
Verſprechungen und Belohnungen gefpart, um einer halben
Million denkender Wefen das Leben zu fihern, welche nur ihm
allein ihre Einrichtung verbanken ®).
Mehrmals haben wir ſchon bemerkt, dag ber König bei
der Bemühung, feine Staaten ftärker zu bevölfern, nicht nur
auf das platte Land, fondern mit gleicher Sorgfalt auf bie -
Städte fah. Vielleicht ohne die Theorie bes Merkantilſyſtems
zu kennen, handelte er ‚nach bemfelben. Ex hielt, wie wir
ſchon bei feinen Acciſeeinrichtungen anführten, ben Grunbfag
1) ©. die Thatſachen bei Göding I. ©. 280.
D) Gärtner ©. 470 f. Selbſt Kinder wurben ihnen zuruͤcbehalten
dagegen brachten fie auch Kinder ohne beren Aeltern mit.
3) Bom 27. Zuti 1757 in den Oeurres posthumes der bafder
Ausg. 2. L ©. die.
Gewerbe und Manufacturen. 431
feft, daß die Menge des Elingenden Geldes reich made, baß
man alfo alle Aufmerkſamkeit dahin richten müffe, fo viel Gelb
als möglich vom Auslande zu ziehen, und fo wenig als mögs
lich dahin zu fhiden. „Nur daß bad Geld im Lande bleibt,
ift ber lapis philosophorum”, ſchrieb er (16. Juli 1717) an
feine geheimen Räthe'). Das war die eigentliche Aufgabe bed
Finanzmannd. Man glaubte bahin zu gelangen, indem man
die Einfuhr vorzüglich derjenigen Gegenftände, welche im Lande
felbft verfertigt oder ganz entbehrt werben konnten, fo wie die
Ausfuhr der umverarbeiteten Landesprodukte fo hoch ald moͤg⸗
lich befteuerte ober verbot, damit die inländifchen Gewerbetreis
benden den ihnen nöthigen Stoff wohlfeil erhielten und doch
nicht durch die Concurrenz der Fremden litten. Jedenfalls
fehlten weder bem Könige Macht, Willen und Ausdauer, um
Alles, was irgend thunlich ſchien, durchzuführen, noch den Uns
terthanen bie nöthige Fuͤgſamkeit, um mit fi falten zu lafs
fen. Im feiner Inftruction für das Generalbirectorium fagt
der König: dieſes wiſſe hinlänglih, von wie großer Wich⸗
tigkeit die Errichtung guter, wohl eingerichteter Manufachuren
feiz baffelbe werde ſich alfo alles Aufferften Fleißes angelegen
fein laffen müffen, daß fo viel als nur möglich ale Gattungen
von Wollen⸗, Eifen-, Holz und Ledermanufacturen, "bie noch
nicht im Lande vorhanden, eingerichtet würden.
Zunaͤchſt und fortwährend am meiften befchäftigten ihn
die für fein Land in jeder Beziehung fo wichtigen und gegen
das Ende der Regierung feines Vaters fehr berabgelommenen
Wollmanufacturen. Weil gleich mit feinem Regierungsantritte bie
gemaltfamen Werbungen viele Handwerker aus dem Lande
verfcheucht hatten und ſich mit Abſchaffung des glänzenden
Hofſtaats das Gerlicht verbreitete, der König achte Manufacs
turen und Handel nicht und werde fie auch nicht beguͤnſtigen
und felgen, fo widerſprach er in einem umfländlichen Edicte
(3. Juni 1713) Öffentlich und nachdrädlich dieſem gefafften
ſchaͤdlichen Vorurtheile, that bad Gegentheil dieſer boshaften
Ausftreuungen dar und verſprach dem Entdeder bed Urhebers
dieſes verleumberifchen Gerüchte eine recht Eönigliche Belohnung.
1) Bei König IL ©. 187.
432 Bud VI. Zweites Hauptftäd.
Er mahnte Manufacturiſten von der Auswanderung ab, vers
ſprach ihnen, volfommenen Schutz und denen, welche gute
Babriten anlegen wuͤrden, aus ben beſonders dazu beflimmten
Bein Unterftügung, Belohnung und Beförderung.
balb habe er auch der Generalität und allen Dfficieren bei
Vermeidung koͤniglicher Ungnabe anbefohlen, Feine Montirungss
ftüce aus fremden Landen, fondern aus inländifchen Fabriken
zu nehmen, was auch die Civil⸗ und Hofbebienten in Anſehung
ihrer eigenen Kleivungen und Lioreen thun follten. Königliche
Beamtete und Bafallen follten Fein anderes als rothes und
blaues, im Lande fabricirtes, auch. zu Livreen nur inlänbifche
Zücher, Zeuge, Strümpfe und Hüte gebrauchen '). Kurz darauf
verbot er fcharf, Manufacturiften mittelft allerhand Verſpre⸗
ungen aus feinem Lande wegzuloden und befahl in ben
Städten dagegen ernfiliche Vorkehrungen zu treffen.
Dur eine befondere Gommiffion ließ er fogleich alle
kurmaͤrkiſche Stäbte bereifen und ben Zuftand der Gewerbe und
vorzüglich der Wollenwebereien in benfelben unterfudden. Die
fer wurde fehr Mldglich gefunden, die geringe Zahl der Tuch⸗
‚ macher war angeblich wegen Theuerung ber Wolle ohne Nah⸗
rung, doch wagte die Commiſſion nicht ein allgemeines Aus⸗
fuhrverbot vorzufchlagen, was auch bie nordiſchen Kriegser⸗
eigniſſe auf günfligere Gelegenheit zu verſchieben riethen ).
Bor allen’ Dingen ſuchte der König die Bekleidung des
Heers aus inländifhen Zeugen zu bewirken. Der von ihm
zum Mitgliebe des Generalfinanzdirectoriumd ernannte geheime
Rath Kraut unterftügte ihn dabei durch kaufmaͤnniſche und
Gewerbökenntniffe und Thätigeit ungemein. Diefer übernahm
(1743) auf feine Koften und Gefahr die Gründung einer Ans
ſtalt, welche die ganze Armee und auch bie Officiere mit Tür
chern zu ben Montirungen verfehen und einer Meuge von Ars
beiten Brot geben follte, das dann fogenannte Ragerhaus ?).
1) Hiftorifdepolit. Beiträge I. ©. 199. Röbenbe@ L ©. 1&
2) Liftorffdepolit. Weite. L ©. 200.
8) Ebendaf. I. S. 201 ff.; ferner bei König Thi. I. ©. 188 ff.
findet man bie beften Nachrichten über bas Lagerhaus und deſſen Geſchicher,
daher auch in Krünig Encyklopaͤdie unter d. IB. Eagerhaus.
Das Lagerhaus. "483
Der König gab bazu das von ‚feinem Water der nun aufgeho⸗
benen Ritterafademie überwiefene geräumige Gebäube in der
Klofterfirage in Berlin ber und unterftügte aufferdem durch
Verordnungen, um ben Abfag zu fichern, weshalb auch (1714)
ein Montirungsreglement für das ‚Heer erlaffen wurde. Die
Begimenter durften zwar Tuch und Boy zu Röden aus ben
Landftädten, mufften aber nebft den feinen Tuͤchern auch bie
damals üblichen Zeuge Kirfey zu Kamifslern, Beinkleidern
und Aufſchlaͤgen ſowie Zutteretaminets für die Dfficiere aus
dem Lagerhaufe nehmen.
Ein Edict (1714) erneuerte alle feit dem 3. 1611 em
laſſenen Verordnungen zur Beſchraͤnkung ber Wollausfuhr,
und der König traf mehrere Einrichtungen zur Anlegung von
Wol-Spinnereien und Webereien, Walfen und Zärbereien.
Wollfabrikanten und deren Gefellen und Leute wurden von der
Werbung befreiet. .
Im Lagerhauſe wurden theild felbft. Wollmaaren vers
fertigt, theilö den Tuch⸗ und Zeugmachern Wolle und Gefpinnfte
geliefert und ihnen das verfertigte Tuch wieder abgenommen.
Mit großen Koften wurden aus Holland, Lüttich und Jüͤlich
ſpaniſche Wollweber verfcprieben, welche es mit den aus‘ dem
franzöfifhen Golonien im Lande befindlihen Mollarbeitern
dur Mitverwendung fpanifcher Wolle dahin braten, daß
bereits im J. 1716 das ganze Heer mit ben aus dem Lagers
baufe hervorgegangenen Zeugen reglementögemäß bekleidet wers
den konnte. Dennoch verlor ber fo thätige als einſichtsvolle
Kraut 50,000 Thaler bei ber Unternehmung '), und bewog
daher, weil fie bei zunehmendem Alter feine Kräfte überftieg,
indem er noch 100,000 Thaler aus feinem eigenen Vermögen
Darauf ſtehen ließ, ben König (1717), die kurmaͤrkiſche Lands
ſchaft zu nöthigen, ebenfalld 100,000 Thaler dazu herzugeben.
Der König gewährleiftete dad Kapital und Kraut und bie
Landſchaft theilten den Gewinn. Es ſchien nun Alles darauf
anzulommen, daß bie Wolle einen niebrigeren Preis erhielte,
’
1) Alfo muß was von ben großen Wortheilen, melde die zuffiiche
Hanbelägefellfchaft feit 1716 durch großen Abfag von Zucen nach Buße
Hand gewährt haben folk, übertrieben fein. Buchholz Thi. V. &. 190.
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Gtaate, IIL 28
434 Bud VE Zweites Hauptftäd.
alfo die Außfuhr verboten ober bod hoc) beflenert wärbe.
Der König ging mit aͤuſſerſtem Widerfireben auf diefen von
einigen Räthen bed Generalfinanzbirectoriums gemachten Vor⸗
flag ein. Er fah, wie er ſich ausbrüdte, daß dadurch feinem
getreuen Turmärkifchen Adel das Mefler an bie Kehle gefeht
werde. „Hole der Zeufel lieber meine zeitliche Wohlfahrt, als
daß fo viele Leute Bettler werben und ich reich!“ Könne man
den Abel gutwillig zur Einwilligung bewegen, fo wollte er
das geftatten; doch follten auch die übrigen geheimen Räthe,
die Feine Royaliften (d. h. unbedingt fir feine Vorfhläge ges
ſtimmt) wären, ſich noch aͤuſſern. Erſt als dieſe einftimmig
darin waren, daß damit nicht bie Abſicht verknupft ſei, ben
Abel und beffen Privilegien zu ſchmaͤlern, befahl er den Land»
räthen, welche ſich bereit8 im December des vergangenen Jahr
erboten hatten, bie Ermäßigung des Preifed der Wolle in den
verfehiebenen Kreifen um ein Viertel bis zu einem Drittel defien
nochzugeben, was fie im I. 1716 gegolten, mit Vollmachten
der Landſchaft nad Berlin zu kommen, um barlber abzus
ſchlieſſen). Doc ſcheint alles das Beine Wirkung gehabt zu
baden. Ale Wollausfuhr zu verbieten, verſtieß gegen bie
Privilegien des Adels und in ber Mark gegen den Landtages
abfchied von 1653, auch fürchtete man, nicht alle Wolle verar:
beiten zu koͤnnen. Doc fehritt man auch dazu und verſuchs⸗
weife wurde zuerft im I. 1718 zwei magbeburgifchen Kreifen,
dann (16. März 1719) allen Städten ber Kurmark, und ends
lich (24. Mai 1719 durch ein von allen Kanzeln verlefenes
Edict) Jedermann, auch bem Adel, die Ausfuhr aller Wolle
bei einem Thaler Strafe fuͤr jedes Pfund, ja den Wollhaͤndlern
und Juden noch aufferdem bei Confiscation, Leibes⸗ und Les
- benöftrafe verboten. Natürlich fiel nun ber Preis der Wolle,
Kurz vorher (26. Apr. 1718) war ber gefammten Ritterfchaft,
den Krieger und Givilbeamteten und allen Unterthanen ohne
Ausnahme in allen preuffifchen Staaten verboten „worden,
fremdes rothes ober blaued Tuch, nun (1. Mai 1719) wurde
ihnen verboten, mit Ablauf des Jahres überhaupt fremdes
Tuch zu verwenden und befoplen, mus inlaͤndiſches Tuch zu |
1) König I. ©, 188.
|
Bollmanufacturen. 435
ber Ihrigen Kleibung, Livreen und Kutfchens und Wagenbe ⸗
fölägen zu brauchen. Der Berkauf-jeer Elle fremden Zus
wurde mit 10 Thalern, die Werarbeitung jeder Eile beffelben
zum erften Male mit 25 Thalern, dann mit dem Verlufte des
Innungsrechtes beflraft. Beamtete und Magiftratäperfonen,
welche ausländifche Tücher wiſſentlich verlangt, gefauft und
verarbeiten laſſen, verloren eine halbs bis einjährige Beſoldung.
Die Hälfte der Straffumme erhielt ber Angeber, dem Ver⸗
ſchweigung feines Namens zugefichert wurde. Auch ber Ges
brauch ausländifcyer wollener Strümpfe, Hüte, Knöpfe, Hands
ſchuhe, wurde allen Unterthanen ohne Ausnahme bei Gonfiss
cation berfelben verboten. Um iben Abſatz ber inländifchen
Wollfabrikate zu erzwingen, wurden nach und nad (18. Nos
vernber 1721) der Gebrauch fremder gemalter unb gebrudter
Bige und Kattune, Gingangs, gebrudter und gemalter ganze
und balbleinener Zeuge, dann 14. Juli 1723) balbwollener
und (6. Sept. 1723) halbſeidener Waaren nach Verlauf von
8 Monaten bei 100 Thalern Strafe und dem Pranger, bie
Verarbeitung derfelben bei 5 Thalern Strafe für jede Ede
verboten). Im I. 1723, mit Einfegung des Generalbirectos
riums, wurbe die Ausfuhr aller Wolle in allen Provinzen bei
10 Thalern Strafe für jedes Pfund und Werluft des Wagens
unb ber Pferde, ja bei Strafe des Galgens verboten und dem
Angeber 500 Thaler Belohnung zugeſichert ). Die Geſichts⸗
punkte, von welchen er ausging, gibt er in feiner Inſtruction
für das Generaldivectorium an, indem er ber allgemeinen Bes _
ſchwerde begegnen will, daß die Wolle nichts gelte. In der
Kurmark befinden fi), fagt er, fo viele Wollarbeiter, daß fie
277,000 Stein verarbeiten, fo daß nur noch 4500 Stein vom
gefammten Ertrage übrig bleiben. Um biefe zu verarbeiten,
follten neue Tuchmacher und Strumpfwuͤrker angeſetzt, dieſe
aus Liſſa, Goͤrlitz, Heſſen, der Schweiz und Holland gewor⸗
1) ©. G. C. Erasmi kurzer Auszug aus ben preuſſiſchen u. f. w.
Bandesreceffen, Edicten u. f. w. 1. Thl. enthaltend die Rachrichten alter
und neueſter Werfaffungen wegen Wolle und Wollmanufacturen. Berlin
und Potsdam 1731. ©. 24, 83, 145 ff. Es ift 318 Seiten 4 ſtark.
9 Hifor.spolit. Beiträge I. &. 204.
28*
436 Bud VI. Zweites Hauptfiäd.
ben, tüchtigen Gefellen ein Stuhl gekauft und ein inlänbifches
Mädchen zur Frau gegeben werden; bann ſchieſſt das Lagerhaus
die Wolle vor, und die Familie ift eingerichtet. Dazu erbot
ex ſich 24,000 Thaler anzuweifen und, wenn e8 eifrig betrieben
werde, noch 100,000 Thaler von der kurmaͤrkiſchen Landſchaft
zu nehmen und dem Lagerhaufe ohne Binfen vorzufchieffen.
Er hatte ſchon im 3. 1717 allen Wollarbeitern, welde
in fein Land kommen wollten, auffer dem nöthigen Holze zum
Häuferbau, Freiheit auf 3 Iahre von der Gonfumtiondaciife,
auf 6 Jahre von allen bürgerlichen Laften, von der Einquars
tierung und für fie und ihre Kinder von ber Werbung zuge
fichert. Durch wiederholte Patente (27. Sept. 1717, 15.
März 1718, 26. März 1719) lud er abelige und bürgerliche
Rentiers, Kaufleute, Manufacturiften, Künftler und nuͤtzliche
Handwerker, vorzüglich Wollweber ein, in feine Staaten zu
Tommen und fiherte ihnen noch größere Freiheiten und Be
günftigungen, den Rentiers den erimirten Gerichtsſtand und
* Bulaffung zu Aemtern, Allen aber den freien Abzug zu. Zeug,
Züchere, Schaus und FärbereisOrbnungen wurden erlaffen, viele
fremde Raſchmacherfamilien in das Land gezogen, ihnen und
den Wolfabrikanten Vorſchuͤſſe gemacht, die Ausfuhr ber ins
laͤndiſchen Tuͤcher durch Prämien befördert, die Einfuhr ber
medienburgifchen Wolle verboten. Nach Krauts Tode traten
deffen Erben ihr Kapital von. 100,000 Thalern am Lagerbaufe
an das potsdamſche Waifenhaus ab, gaben ſpaͤter noch
130,000 Thaler dazu ber, auch die Landſchaft verzichtete zu
des Waiſenhauſes Gunften auf die ihr zuſtehenden 100,000 Tha⸗
ler. Der König verftärkte das Kapital des Lagerhauſes ſelbſt
mit 100,000 Thalern und gab noch 200,000 Thaler zur Ans
fegung mehrerer Stühle und Arbeiter her. Seitdem wurde
das neue koͤnigliche Lagerhaus durch eine befondere Commiſſion
zum Beſten bed großen potsbamer Waifenhaufes verwaltet.
Im 3. 1720 wurben in Berlin 35,000 Meine Stein Wolk,
im J. 1732 ſchon 76,000, im J. 1734 aber fafl 82,000 vers
arbeitet. Im I. 1738 hatte das Lagerhaus 4730 Arbeiter,
konnte jedoch den Bedarf für daS fehr verſtaͤrkte Heer nicht
volftändig ſchaffen ).
1) König II. ©. 188,
BWollmanufacturen. 437
"Franz Rouffet, welder ſchon zu Ende bed vorigen Jahr⸗
hunderts in Brandenburg bie erfie Manufattur feiner, wollener
Zeuge nach englifcher Art angelegt hatte, wurbe vom Könige
nad Berlin berufen, wo er auf feine Koften die erfte ſpaniſche
Wollſpinnerei einrichtete und feine Tücher daraus verfertigte.
Unobläffig aud) um ben weiteren Ausbau der Städte beforgt,
nahm der König (feit 1732) viele der Religion wegen ihr
Vaterland verlaffende proteftantifche Böhmen, Woll⸗Weber und
Spinner auf, ließ ihnen auf feine Koften in ber Friedrichöſtadt
Häufer und eine eigene Kirche bauen und fegte fie auch im ber
Umgegend Berlins und Potsdamd an ').
Fremden Manufacturiften und Fabrikanten, welche ſich in
der Friedrichsſtadt anbauen wollten, verſprach er Meiſterrecht,
5 Jahre Befreiung von buͤrgerlichen Laften und ber Einquars
tierung, jeder Samilie auf 2 Jahre je 15 Thaler zur Haus⸗
miethe, für jede Meile Transportloften 8 Groſchen, den Ges
fellen freies Meifterwerben, denen, welche fih anbauen wollten,
die Bauftele, Kalk, Bauholz und 48 Thaler baared Geld.
Den Verfertigern geblümter Wollſtoffe, feiner Zöpferwaaren
und geſchickten Gerbern noch aufferdem für jeden Kopf ihrer
Bamilie 2 Groſchen auf jede Meile Zulage, endlich die Er⸗
bauung von Kirchen und Schulen, und wirklich fanden fi
fehr viele ſolcher Arbeiter ein ).
Im 3. 1735 ließ der König alle Zunft und Gifbebriefe
ſaͤmmtlicher in Wolle arbeitenden Fabrikanten durchfehen, von
Misbräuchen fäubern und die Koften der Aufnahme in bie vers
ſchiedenen Grade um mehr ald zwei Drittheile herabfegen, bob
auch dad Nahrungdgeld, welches bie Wollarbeiter jährlich ge
wiffermagen als Gewerbefteuer zur Acciſekaſſe zahlten, auf.
Wie entfchloffen er war, Arbeitfamfeit überhaupt, vorzüglich
aber die unmittelbar fo nothwendige und ihm baher ungemein
am Herzen liegende Wollfabrikation durch alle ihm zu Gebote
flehenden Mittel zu befördern, zeigte er in einem Edicte (vom
14. Zuni 1723), durch welches er verlangte, alle Hößerweiber,
Hanbwerköfrauen und Bürgerötöchter, die in Öffentlichen Buben
1) Ricolat’s Berlin ©. 256. König Il. ©. 19.
D) König IL ©. 196.
2 Bud VL Bweites Hauptfiäd.
auf den Maͤrkten oder Gaſſen Waaren feil hätten, follten nicht
müffig fin, fondern unterbeffen Wolle und Flachs fpinnen,
feiten ober nähen. Den Magiftraten befahl er, allm Höte
Finnen anzuzeigen, nur wer wöchentlich gegen. baare Bezahlung
din Pfund Wolle fpinne und an Fabriten (in Berlin an ba
Lagerhaus) abliefere, diirfe ferner Hoͤterei treiben, wer feines
Geſpinnſt liefere, woruͤber monatlich ein Zeugniß beizubringen
folle nur die Hälfte des Stands ober Marktgelbes entrichten,
unfleißige aufs Rathhaus geführt werben; Handmwerkers und
Durgerfrauen, die müffig fäßen, follten die Rathöbiener tägs
ich auffchreiben und das erfle Mal der Bärgermeifter die Acts
tern und Männer benachrichtigen, dad zweite Mal fie aufs
Rothhaus fodern und Öffentlich verwarnen, das britte Mal
den Kriegs» und Domainenkammern davon Bericht erflatten.
Er hatte (17. Bai 1717) ben franzöfichen Coloniſten gefkattet,
hmacher, def
zu ihrem Nachtheile diefe ehedem im Lande unbefannten Schuhe
umb Pantoffein häufiger gemacht wxden, verbot er (5. Juli 1717)
deren Berfauf bei Strafe der Gonfidcation ). Gr be
(1738) allen feinen @efandten an auswärtigen Höfen, Auch
was fie zu ihrer Equipage an Reibung, Silberzeug u. f. w.
gebrauchten, aus Berlin kommen zu laſſen ). Bon einer Be
beit in Kottbus ſchidtte das Generaldirectorium (1732) um
Könige ein halbes Schock roher feiner Leinwand ein.
‘König erwieberte: „Beine Leinwand ift nichts nuͤtze, follen .
machen wie Schlefifche zu Kolleret.“
Die Bemühungen, Seide im Inlande zu gewinnen, hatten
faſt gar keinen günftigen Erfolg. Der König fah enblid) ein,
daß alle darauf gewendeten Koften weggeworfen fein würden,
weshalb er auf die ihm gegen das Ende feiner Regierung des⸗
halb gemachten Worfchläge nicht eingehen wollte”).
Der Tabalsbau follte gefördert werden (1713 u. 1719)
durch Exhöhung ber Acciſe bed fremden Tabaks auf das Day
1) Safmann IL ©. 202.
2) König IL ©. 81.
3) Gbenbaf. II. &. 200.
Gevwerbe. 49
pelte und Dreifache der früheren Säge; doch hatten alle Bes
wenig Erfi
das durch Verbot fremder Tabake unterftügte Monopol welches
im 3. 1719 die Oberhofs und Kriegöfactoren Moſes und Elias
Gumperz auf 12 Jahre befamen, welche bafür jährlich 2000 Thas
Ir an die Rekrutenkaſſe zu zahlen hatten, bewirkte nur Vers
ſchlechterung der Waare und allgemeine Klagen darüber. Das
Generaldirectorium zeigte in einem Gutachten (v. 3: 1724)
ſeht grümbliche Einficht in das wahre Weſen der Fabrikations⸗
verhältniffe, indem es dem Könige vorftellte: wie alle Monos
pole, bei denen zur Beguͤnſtigung eines Menſchen vielen Huns
derten ihꝛe Nahrung entzogen werde, fo fei auch dieſes an ſich
dem ‚Handel, den Untertbanen und aud dem Könige nachtheis
lig. ‚Ein höherer Gewinn fir den Inhaber des Monopold
laſſe fich nur durch Erhöhung des Preiſes, Fertigung ſchlechter
Waare und Bedrückung der Confumenten erreichen unb ber
Vortheil werde allein von ben treuen Unterthanen erpreſſt.
Ein folder Gewinn für bie Löniglichen Kaffen ſei aber Feine
Verbefferung der Einkünfte; es werde daher zwedmaͤßiger fein, "
den Tabakshanbel wieber frei zu geben und eine mäßige Accife
von fremdem Tabake zu nehmen, was jährlich 6— 7000 Tha⸗
ler und Eünftig nod mehr einbringen werbe. In ber That
wurde (1724) bie Einfuhr der fremden Tabake gegen erhöhete
Accife wieder geflattet. Im I. 1735 gab der König ben
Rauchtabakſpinnern ein Privilegium und im I. 1736 legte
ein Stradburger, Samuel Schod, in Potsdam bie erfle
Schnupftabaksfabrik an und fegte viel davon nach Leipzig ab.
Nun erſt begann auch im Brandenburgifchen bie eigentliche
Babrifation des Rauchtabaks). Die nachher ſehr reich gewor⸗
denen Bankiers Splittgerber und Daum unterflügte ber König
durch baare Vorſchuͤſſe zu ihren Gefchäften und auögebehnten
Unternehmungen im Handel und Anlage von Fabriken und
nahm perfänlich lebhaften Antheil an deren Fortgange?). Ex
übergab ihnen (1714) auf 6 Jahre ben Kupferhammer in
1) Rbdenbed J. ©. 238 f.
2) König IL ©. 202.
40 Bud VL Zweltes Hauptftäd.
Neuftabt Eberöwalbe, zugleich wurde bei 200 Thaler Strafe
alles fremde Meffing und die Ausfuhr des im Lande befinds
lichen verboten. Alle vorhandenen Meſſing und Kupferwaaren
mufften binnen 6 Wochen bei 200 Zhaler Strafe mit einem
Stempel verfehen werden. Auch fremdes Glas wurde (1713
u. 1720) verboten, weil das inländifce beffer als dab boͤh⸗
mifche und nicht theurer fei ’).
Daß bei ben aus der Denkweife des Königs
ben Zwangsmaßregeln ber Handel, welder vor allen Dingm
der Freiheit bedarf, nicht gebieh, war ganz natuͤrlich. Es
Heß fi weder damals noch fpäter der Grundſatz
an andere Völker nur verkaufen, ihnen aber nichts ablaufen,
das heißt, von ihnen nur Geld ziehen, ihnen aber nichts davon
wieder zurldigeben zu wollen. Durch bie hohen Zoͤlle ſitt der
‚Handel ungemein, weil bie Rachbaren den Drud duch Ges
genbrud erwieberten. Ueber das ſaͤchſiſche Zollamt in Goms
mern war der König fo aufgebracht, daß er befahl, der Saale
einen folden Lauf zu geben, daß fie bis zu ihrem neuem Eins
fluffe in die Elbe das ſaͤchſiſche Gebiet nicht berühre. Ein
Kanal fol bereitö zu graben angefangen worben fein, als der
Streit guͤtlich beigelegt wurbe?).
Bon ben Befigungen in Afrika, welche weit mehr koſteten
als fie einbrachten, wollte ber durchaus verftändige und alas
phantaſtiſchen Unternefmungen abgeneigte Fuͤrſt nichts wiſſen
und fuchte fi ihrer daher gleich nach feinem Regierungsans
tritte zu entlebigen. Er bot fie vergeblich den englifchen und
hollandiſchen Handelsgeſellſchaften für 150,000 Thaler zum
Kaufe ober gegen die jährlichen Zinfen dieſer Summe zur Vacht
m. Ale ihm zur Beibehaltung der Befitungen gemachten
Vorſchlaͤge wies er kluͤglich mit der Erklaͤrung zurüd, daß er
keinen ‚Heller dazu hergeben werbe. Er geftattete hollaͤndiſchen
Kaufleuten unter preuffifcher Flagge am der Küfte von Guinea
Handel zu treiben und gerieth darüber in unangenehme Häns
1) Berg. Sapmann I. ©. 562.
a Gala fagt: ein etliche Meilen Langer Kanal; allein bie
Saale beräptte nur auf 1% Wellen Länge mit ihrer linken Gelte bes
gem ehemals füchfichen Kunte Gommuern gehörige fächfäiche Gebiet bei Wocky-
Handel, " 41:
del mit des holländifchen Handelsgeſellſchaft und den Generals
ſtaaten, welche das mit Recht nicht zugeben wollten. So
blieben die Befagungen von Arguin und Großfriedrichsburg
viele Jahre — ohne alle Unterſtuͤtzung, verlaſſen von
Preuffen und im Begriffe von den fehr geſchmolzenen Bes
fagungen aufgegeben zu werben, enblich fiel Großfriedrichsburg
in bie Hände der Schwarzen. Der König trat daher zufolge
mehrerer Verträge (hauptfächlih vom 13. Aug. 1720) alle
Befigungen, welche bie preuſſiſch-afrikaniſche Gefellſchaft jemals
in Afrika befeffen, der hollaͤndiſch⸗weſtindiſchen Handelögefells
ſchaft ab umd erhielt im Ganzen baflır 7200 Ducaten und
12
Ein Derfug) der kaiſerlichen oſtendeſchen Gefellfchaft für
eine an bie Refrutenkaffe gezahlte Summe unter preuffifcher
Flagge Handel mit Dftindien und China zu treiben, war an
fs fie Preuffen ohne weſentliches Intereffe und mislang bei
em Widerficeben ber Engländer und Holländer, mit welchen
Ma König dadurch wieder in Misverftänbniffe gerieth *).
Eine ruffifhe Handelscompagnie wurde im I. 1716 in
Berlin errichtet) und (1728) ein Hanbelövertrag mit Sachſen
abgefäloffen, nach welchem unter beſtimmten eftfegungen und
einem befonderen Ackifetarif der Handel mit wollenen Waaren
Tuͤcher auögenommen) in Sachſen und Brandenburg frei bes
trieben werben follte. Das einzige Wefentlihe, was auffer
der befieren Einrichtung des Poftwefend unmittelbar zur Bes
förderung des Handeld und Verkehrs im Innern geſchah, bes
ſchraͤnkte ſich auf einige zwedimäßige Verordnungen, wie denn
befohlen wurbe, das berliner Ellen⸗ und Scheffelmaß und Ges
wicht überal im Lande einzuführen.
Die Juden lebten unter Friedrich Wilhelm I. überhaupt
in drödenden Berhältniffen, um wie viel mehr bei fo großer Bes
ſchraͤnkung des Handels. Der König erließ für fie (20.Mai1714)
1) ©. die Geſch. d. preuſſiſchen Geemacit bei Pauli Thl. VIL
©. 519 fi. b
2) Gedendorfs Ehen Thi. IV. ©. 250. Berg. Forſters lim
tundendu DI. ©. 272.
9 Adaig 1. ©. 58.
42 Bud VI. Zweites Haupeftäd
ein neues Reglement und wollte anfänglig, fle ſollten fi,
wie in älteren Zeiten, durch ein Abzeichen an ihrer Kleidung
kenntlich machen, was fie jedoch mit 8000 Thalern ablauften,
Durch 3000 Thaler, welche fie dem Könige zaplten, bewirkten
fie, daß alle noch vorhandenen jüdiſchen Privatfchulen in Ber:
ln abgeſtellt unb bie von ihnen neuerbauete Synagoge allein
zum jüdifchen Gottesbienfte beflimmt wurde. Ihre Vermehrung
beförberte der König nicht‘), vielmehr muflten im 3. 1717
die Juden, welde ſich aus Polen ohne Eclaubniß in bie Neu⸗
mark gefchlichen hatten, das Land räumen. Im I. 1728
legte ex ben einheimifchen Juden anflatt bed Schutzgeldes jaͤhr⸗
lich 15,000 Thaler, aufferdem 4800 Thaler an die Rekruten⸗
Baffe zu zahlen auf. Damals befanden ſich in den preuffifchen
Staaten 1191 Familien. Die Verhältniffe der fremden Juden
blieben wie früher. Im Kriege gegen Schweben wurden dem
Könige mehrere Juden durch von ihnen bewirkte Lieferungen
Ammunition (1717) die Erlaubniß, gleich anderen königlichen
Diener einen Degen zu tragen, und wurbe gleich darauf zum
erfreuen. hatten. Ginzeine Worfälle reisten den König gegen
bie Juden, vorzüglich als im 3. 1724 ber für reich gehaltene
Mönziude Veit mit einem Rüdftande gegen bie Königliche
. Kammer von mehr ald 100,000 Tpalern ftarb, was den Ads
nig fo aufbrachte, daß er die gefammte Jubenfchaft, welche er
im Verdachte der Mitſchuld hatte, in der Synagoge verfam:
meln und in Gegenwart bes Dberhofpredigers Jablonsky mit
dem großen Banne belegen lie‘). Seit biefer Zeit verfuhr
er zuweilen auf bloße Verbachtögrlinde fehr hart ja graufam
gegen die Juden, ließ auch für fie über bem gewähnlk
U Faßmann L &. 912 fagt, der König habe fie als ſchaüche:
Volt mehrmals aus bem Sande ſchaffen wollen, body hätten fie zu große
Patrone, welche das abwendeten.
2) Buchholz Thl. V. ©. 161. Was dabund bewirkt worden,
finde ich nicht angemerkt.
Handel. Rechtsderwaltung. 443
Geh” Galgen noch einen befonderen Galgen von Eifen errich⸗
ten. Das fogenannte Hauficen war ihnen wie anderen herum⸗
laufenden Krämern (1713), ebenfo ber Handel mit Wolle und
Wollgarn verboten, fie durften (1723) nur mit in ber Pros
vinz estauften alten Kleidern in den Städten handeln, nicht
aber auf dem Lande, auch ohne befondere Erlaubniß Feine
Häufer befigen und nicht mehr als 12 vom Hundert Binfen
nehmen‘). Der König ſetzte (1725) die Strafe des Außpeits
ſchens und ber Brandmarkung auf wiflentlichen Kauf von ges
ſtohlenen Sachen, aͤhnliche firenge Strafen auf Betrug. Im
3. 1730 gab er das erſte Generaljubenprivilegium unb ein
Meglement für die Judenſchaft in allen koͤniglichen Landen,
und feit dem 3. 1739 ließ er bie von ben Juden biöher zur
Mefrutenkafle jährlich erlegten inögefammt 20,500 Thaler an
Das potäbanfche Waifenhaus zahlen ”).
Das Heer und die gefammten Finanzangelegenheiten nab⸗
men des Königs Aufmerkſamkeit fo vorzugsweiſe in Anfpruc,
daß er bei feiner unglaublichen Thaͤtigkeit zwar bie uͤbrigen
Berwaltungszweige nicht unberuͤhrt ließ, allein doch in keinem
berfelben fo durchgehende Anordnungen treffen konnte, als in
jenen. Er hatte bei der Eintheilung des geheimen Rath in
drei Departements dem britten die Suftizangelegenheiten
übertolefen. Es waren ber Rechts⸗ und Gerichtöverwaltung 4
geheime Staats⸗ und Juſtizminiſter vorgefeht, für Rechtsſachen
aber, die an ben geheimen Rath gelangten, ber fogenannte
geheime Juſtizrath, welcher aus Mitgliebern des geheimen
Rath8 beftand und gewiffermaßen als eine Abtheilung deſſelben
angefehen werben konnte ). Den bauptfächlichften Einfluß auf
bie Jufligangelegenheiten hatte der gelehrte und fleißige Minifter
v. Plotho ).
1) Bafmann I. ©, 918. unter dem großen Kurfürſten durften
fie 24, dann 18 Procent nehmen. Man fagte nun dem Könige, fie wär
den keine Ghriften, weil diefe nur 5—6 Procent nehmen bürften; fo fegte
er ber Juden Zinsfuß auf 12 Procent herab.
2) Königs Annalen ber Juden ©. 249 ff.
3) Gosmar und Klaproth ©. 234 Anmerk.
4) Büfchings Beiträge zur Lehensbefhreibung u. f. w. L ©. 908.
4 Bud VL Ameltes Hauptſtaͤc
Bon Natur rechtlich wollte ber König, daß Jebem gleich-
mäßig fein Recht und zwar fo ſchnell als möglich werde.
Sein einfacher Verftand begriff die Verwidelung vieler Redhts«
angelegenheiten und bed bamit zufammenhängenben Proceßgan⸗
ge nicht; feinem geraben Sinne widerſtrebten Chikanen, feinem
ducchgreifenden Wefen nach wollte er Alles vereinfachen ımd
feonel beendigt wiſſen; bei feiner Heftigfeit griff er denn wohl
durch und handelte gewaltfam, auch despotiſch, immer in ber
Meinung, vecht zu handeln. „Die fhlimme Juſtiz ſchreiet gem
Himmel und wenn ichs nicht remedire, fo lade ich felbf die
Verantwortung auf mich”, ſchrieb er (10. März, 1713) bad
nach feinem Regierungsantritte dem Miniſter v. Kalſch, ins
dam er ihm auftrug, über die bereitö unter feinem Vater bes
rathene Juſtizverbeſſetung ſchleunigſt feine Meinung zu fagen )
Schon nad drei Monaten (21. Iuni 1713) erfhien barauf
bie allgemeine Ordnung zur Verbeſſerung des Juſtizweſens
welche in ben folgenden Jahren durch mehrfache Erklärungen
und Erklaͤrungen der Erklärungen erläutert wurde. Er drüdte
dabei die Abficht aus, durch Sammlung und Feſtſtellung ber
in jeber Provinz geltenden Rechte vorzüglich der Willkuͤr der
Richter Schranken zu fegen. Doch wurbe das nie völlig aus⸗
geführt. Er bezeugte (28. Nov. 1714), daß er es gern fehen
werde, wenn man ihm Worfchläge zur Verbefferung des Pros
cehverfahrend machen wirzde. Deshalb follten alle Yufigolle
gien, wie er ſchon bei ber Ordnung zur Werbefferung des
Zuftizwefens befohlen, bei Vermeidung fchärferen Einfehens
binnen 3 Monaten ihre Erinnerungen einſchicken.
Da es ihm Aufferft unangenehm war, durch Appellationm
feiner Unterthanen an bie Reichögerichte in der Aushıbung feis
ner Ianbeöherrlichen Gewalt befchränft zu werden, fo ließ er
(25. Ian. 1718) ale in den Provinzen feiner Staaten herger
brachten privilegia de non appellando (vermöge deren nur in
Sachen, welche bie Höhe einer beffimmten Summe überfitegen,
von ben landesherrlichen Gerichten an bie Reichögerichte ap
pellist werben durfte) fammeln umd.fuchte fle ſebr angelegentlih
Seſchicher des Lammergeriches in Dymmens Beiträgen SU IL |
©. 12 1.
Rehtsverwaltung 45
vom Kaiſer gleichmäßig für alle feine Länder zu erwerben, weil
er die Bebeutung jenes Privilegiums nicht kannte, uyb glaubte,
wenn er es erhalten, fo wuͤrden feine Unterthanen fi gar
nicht mehr an die Reichögerichte wenden dürfen. In Gelbern
befahl er (6. Juli 1717) alle Untertbanen, welche fih an Ge
richte wenden würben, bie nicht unter ihm fländen, eremplas
riſch zu beftrafen®). Ale Gerichte und Magiftrate der Kurs
mar? mufften (16. Oct. 1728) ihre Stadtrechte binnen vier
Wochen einſchicken, fonft follten fie, fo weit fie gegen bie Lanz
deögefege wären, unkräftig fein.
Ungeachtet ber vielen entgegenfiehenden Schwierigkeiten
wurde doch einiges Gute gewirkt, eine Criminalordnung für
die Neumark (8. Juli 1717) und für das Fürftentpum Hals
berftabt (4. Sept. 1720), ferner (27. Juni 1721) ein vers
befferteß Landrecht fie Preuffen, (23. Sept. 1718) eine Vor⸗
munbfchaftsordnung für die Kur» und Neumark, (4. Febr. 1722)
eine Goncurd» und Hypothekenordnung, (25. Sept. 1724) eine
verbefferte Wechfelordnung und (3. März 1739) ein neues
Juſtizreglement für die Fuͤrſtenthuͤmer Magdeburg und Halbers
ſtadt gegeben.
Im der Criminalorbnung der Neumark fland die Saubere
noch mit unter den Verbrechen. Die Zortur follte zwar im
Beifein aller Gerichtöperfonen flattfinden, aber nicht über eine
Stunde unausgefegt dauern, auch auf das en des
Scharfrichters babei fehr forgfältig gefehen werben. Doch ſcheint
das nicht beobachtet und bie Zortur ziemlich willkuͤrlich anges
wendet worden zu fein, wie bei untergefchlagenen Geldern,
um zu erfahren, wohin fie gelommen. Wir erfahren aud,
daß er diejenigen, welche die Tortur audgehalten, damit nicht
frei laſſen wollte, vielmehr, verlangte, daß Verbrecher, wo
Verdacht der: Gomplictät vorhanden fei, fo lange gefoltert
wirden, bis fie die böfen Buben entdeckten, welche mit ihnen
unter einer Dede lägen ?).
Er befahl (29. Det. 1714 und 28. Apr. 1717), daß alle
Verordnungen nicht mehr im Namen bes Juftigbehörden, fons
1) $afmann IL.&. 200.
2) Saßmann I. 1052 u. 1076.
446 Bud VL Bweltes Hauptſt uͤc
dern in feinem Namen ausgefertigt, auch in allen Edicten ge
mau das Land bezeichnet werben folle, ne — beträfen.
Mehrere geſchah auch für die ©
faflung. Der König trug (8. Nov. 1714) vn —
ſterium auf, binnen 14 Tagen einen Entwurf zur Bereinigung
des Kammergerichtd mit bem Appellationdgerichte ober Zritw
nale einzureichen: wie fie ihn vor Gott, dem Lande und ihm
verantworten koͤnnten. Doc war dad wegen ber verſchiedenen
Appellationdrechte ber Provinzen an bie Feichsgerichte unars⸗
führber. Dagegen vereinigte der König (1. Juli 1716) di
im 3. 1653 errichtete ravensbergiſche Appellationsgericht umd
das (im I. 1709 errichtete) oranifche Tribunal mit dem Ober⸗
tribunale in Berlin '). Hier errichtete er auch (8. Aug. 1718)
anftatt des bisherigen Hofgerichts ein Kriegs⸗ Hof⸗ und Gr
minalgericht, welches zugleich unter dem Generalauditeur bie
Appeliationen von den Criminalurteln ber Regimentegerichte
zu entſcheiden hatte. Später wurden bie bürgerlichen Crimis
nalfachen davon getrennt, feitdem bildeten der Generalanbiteu
und zwei Oberaubiteurs das Generalaubitoriat zur Annahme der
Appellationen und Beftätigung der Urtel ber Regimentögerkhte.
Das fon von FZriedrich L eingerichtete Kriegsconſiſtorium für
angeklagte Militairs in Eheſachen, über welche ben Regiments⸗
gerichten keine Entſcheidung zuſtand, bildeten die Mitglieder
des Generalauditoriats und der Feldpropſt oder einer der in
Berlin ſtehenden &egimentöfelbprebiger”). Im Coͤclin fee
der König (1720) ein Seheitt anftatt bes früheren vier
Land» und Burggerichte ein’).
Er erließ (16. April 1725) eine ausführliche Werorbnung
wie bei dem Hofe und Kammergerichte der Kurmark das Iu
fligwefen eingerichtet und wie verfahren werben ſolle. Die
Landreiter, über deren Brutalität vielfach geklagt wurde und
daß fie bei Erecutionen mehrentheils betrunken wären, ſollten
mit Caſſation beftraft werden. Ex verbot bem Kummergerigte
auch (13. Ian. 1728), Patente bekannt zu machen, bie nicht
1) Hymmens Beiträge Thl. VL ©. 239.
9) Benelenborf V. S. 99 ff. vor. v. ©. 10% .
. 9 Benelendorf VIL ©. 98.
Rechtsverwaltung. 47
von ihm eigenhändig vollzogen worben und mwohl gar irgenb
etwaß baran eigenmächtig zu ändern. Bände es Erinnerungen
nötig, | fo ſolle es darüber berichten.
Bei Herenprocefien (3. Dec. 1714) folte mit der nöthigen
Behutfamkeit verfahren werben, indem durch die Zortur Mans
her unſchuldigerweiſe um Leib unb Leben gebracht worben.
Weil dem Könige aber obliege zu fehen, daß nicht unſchuldiges
Blut vergoften werbe, folle ber Hexenproceß genau unterfucht
und verbeffert, bis dahin die Erlaubnig zur Tottur und zur
Zodesſtrafe vor der Vollziehung an ben König geſchickt, auch
aller Gerichtspöfe und Barultäten Gedanken wegen guter Eins
richtung dieſes Proceſſes zufammen getragen und begutachtet
werben. Dem Könige werde ed zu gnäbigem Gefallen gereis
Gen, wenn Jemand etwas beizutragen vermöge, was zur Er⸗
reichung des heilfamen Zweckes dienen koͤnne. Alle noch vors
handenen Pfähle, an welden Heren verbrannt worben, fellten
weggenommmen und alle Herenproceffe verboten werben. Dens
noch erfannte (10. Der. 1738) dad Griminalcollegium des
Kammergerichtö, daß ein Mädchen wegen Buͤndniſſes mit bem
Zeufel zwar eigentlich mit dem Tode, indefien wegen Unge⸗
wißheit ber Sache und möglicher Verſtandesverruͤckung beffer
lebenslaͤnglich in das Spinnhaus nad Spandau zu bringen ſei h.
Beil der König nun gehört hatte, in mehreren Ländern
dauere ein Proce nicht über ein Jahr und des ihm fehr ans
gemeflen ſchien und auch feiner Ungebulb zufagte*), fo erließ
er wieberholte Befehle, die Proceffe abzukuͤrzen, auch (8. De⸗
tober 1717) eine ſummariſche Proceforbuung und befahl
(11. Nov. 1717) jährliche Einfendung der Proceßtabellen, ohne
doch feinen Endzweck zu erreichen, vorzüglich aud weil ba&
mit Gelbausgaben verknüpft war, welche er, auffer für das
Kriegsweſen, überall vermied, wo er nicht reichliche Binfen
hoffen konnte.
Ein Hauptübel der damaligen Juſtizverfaſſung beftand
darin, daß bie vier Miniſter, umter welche bie Geſchaͤſte vers
1) Beorg v. Raumer Nachricht von Herenproceſſen, in den Maͤr⸗
Hilden Forſchungen Thl. L ©. 265 f
2) Bapmann I. ©. 989.
448 Bud VL Zweites Hauptftäd.
theilt waren, zur Erſparung von Befolbungen meiſtens noch
Praͤſũ tellen bei ben Obergerichten bekleideten, daher mit
Geſchaͤften überhäuft waren, woraus Verzögerungen der Pros
ceſſe, Klagen und Beſchwerden entflanden, denen burch bloße
Refcripte, fo drohend fie fein mochten, nicht abgeholfen werben
Tonnte '). Die Juſtizcollegien waren zahlreich befegt, doch von
2% bis 22 Mitgliedern des Kammergerichts waren nur 6 be
folbet und erhielten felbft feine Sporteln; bie meiften hatten
ihre Stellen erfauft, arbeiteten daher nachläffig. Jeder Rath
bessetirte für eine Partei, die Abvocaten und Procuratoren
verwirrten bie Sache fo viel als moͤglich und zogen fie in bie
Ränge. Jeder neue Juſtizminiſter entwarf neue Verfahrungss
normen, die der König genehmigte und die oft nur die Ber
wirrung vermehrten. Der König fah auf die ihm vielfach ges
machten Vorftelungen fehr wohl die Rothwenbigkeit einer voll
fländigen und allgemeinen Zuftizerbefferung ein, nur war es
ſchwer bei feiner mit ben Jahren immer mehr zunehmenden
Sparfamkeit ihn zu dem babei unvermeiblichen Ausgaben zu
vermögen. Was in biefer Hinficht gefchah, verdankt Preuffen
vorzüglich dem Samuel Cocceji, einem Manne von ausgebreis
teten Rechtöfenntniffen, unermüblicher Thaͤtigkeit, großem Scharf
finne und a ie Rechtfchaffenheit.
Sammel Cocceji, der Sohn des Profeſſors der Rechte an
der Univerfität Frankfurt, Heinrich Coccejus, wie ex fich ſchrieb,
war im I. 1701 an berfelben Univerfität Profeffor der Rechte
geworben und hatte ſich neben feinem Water fo audgezeichnet,
daß König Friedrich I. Beiden aus eigener Bewegung (7. Sep⸗
tember 1702) den Adel unter dem Namen Gocceji von Cocq
ertheilte, den Sohn aber (1704) zum Regierungsrath und
(1711) zum Director der halberftäbtifchen Regierung, Friedrich
Wilpelm I. jedod (24. Mai 1714) zum geheimen Iufliy: und
Tribunalrath und darauf, nachdem er noch (1716) als Ge
fandter an dem Laiferlichen Hofe geweſen wär, (1722) zum
-Präfidenten des Kammergerichted ernannte. erhielt (16.
&
)e. bei Benetendorf VL. ©. 82. bie Gefchichte des Iaftie
winifterkums unter @riebrid; Mühelm I, MWenekenborf fpricht hier ans
mer Grfahrung und höchft zuveriäffig.
Rechtsverwaltung. 49
April 1725) vom Könige den Auftrag, das Jufliswefen beim
Kammergerichte, fo wie bereits in Vreuſſen gefchehen, einzus
richten. Gocceji wurde dann (3. Juni 1727) zum wirklichen
geheimen Staatsrathe ernannt und ihm der Wortrag aller Ju⸗
fligfachen im geheimen Rathe übertragen, bald nachher (1731)
erhielt er aud noch das Präfibium bed Obertribunald, war
Chef des geiſtlichen Departementd und Gurator der Univerfls
täten‘). Als nun nach dem Abgange zweier Suftizminifter
nur nody zwei, Gocceji und Broich übrig waren, welche bei
allen ihren Nebendmtern bie ihnen aufgelegten Arbeiten uns
möglich bewältigen Tonnten, fo wurde dem Könige vorgeftellt,
die Juſtizverzoͤgerungen rührten davon her, daß die Minifter
zugleich felbft Präfibenten ber Gollegien wären, uͤber deren
Verzögerungen Beſchwerde geführt werde. Das fah er ein
unb wurde dadurch bewogen, ben Cocceji, welcher bei der Ge
neralität viele Freunde hatte und num feine Präfidentenftellen
abgab, (1737) zum Ministre Chef de justioe vorzüglich zur
Einrichtung der Iufizcolegien mit bem Bortrage für die Ci⸗
vifjufigfachen zu ernennen, bem Minifter von Arnim den Vor⸗
trag in Griminals und Lehnöfachen, dem Minifter von Brandt
das geiftliche Departement, Beiden zufammen mit ber geringen
Befolbung, bie Cocceji als Minifter gehabt hatte, zu uͤbertra⸗
gen. Cocceji aber erhielt die Summe feiner vorher bezogenen
Befolbungen auch nad Abgabe der Präfidentenftellen aufferors
dentlich aus ber Eöniglichen Schatulle. Er richtete num (19.
Mai 1738) dad Kammergeriht fo ein, daß es aus einem
Präfidenten, einem Bi —— 10 beſoldeten Räthen (5
auf ber Adeligen und 5 auf ber Gelehrten Bank) und 16
aufferorbentlichen Räthen befland und 3 Senate bildete. Bis
an des König Tod wurde an Verbeſſerung der Kammerge⸗
richtsordnung und deö ganzen Juſtizweſens gearbeitet, doch fand
Coccek bei feinen Gollegen, fo lange Friedrich Wilpelm I. lebte,
zu viel Widerſtand, um mit feinen Entwürfen fo durchdringen
zu koͤnnen, als er es dann unter Friedrich IL vermochte.
1) Sosmar und Klaproth ©. 408. Buͤſching in Ruͤßlers
Leben, Beiträge Thl. I. S. 304 erzaͤhlt, daß Goccejt durch feine Verhei ⸗
rathung mit ber Tochter des General Bechefer bei Friedrich Wilhelm J.
fehe gewonnen habe. Vergl. Benetenborf VI. ©, 7.
Stenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 29
450 Bug VL Zweites Hauptftüd.
Die entfernt der Abnig war, abfihtih das Bet zu
Fiscus
anſehnliches Plus zu hoffen. Der König fehrieb auf den An
trag fechömal: „Rare — Narr — Rarel wenn Du nicht eine
Dberſten Sohn wäre, wide id Dir 100 Prügel geben
laſſen ')I" So wollte er auch bie ſehr bedeutenden Trigowi⸗
Günftlingen, welche weniger ferupulds waren?). Der Marks
graf Albrecht von Schwedt hatte die Familie von Röbel mac
einer einfeitigen Ware aus ben ihm wohlgelegenen Gütern
Friedland und Zrilig heranswerfen laſſen und das von ihm
beliebte Kaufgeld niedergelegt. Auf Bitten ber vom Möbel,
bie nichts weiter zu leben hatten, erhielten fie wenigſtens bie
Binfen dieſes Kapitals und die Vollmacht, bie ihnen gemalt:
thätig genommenen Güter im Wege Rechts wieber zu foden’).
Griminals und Fiscalſachen hatte der König im
J 1718 dem Minifter von Katfch ausſchließlich übergeben.
und bie Fiscale in den Provinzen folltn
nach dem Befehle des Könige (22. Dec. 1716) Wächter zur
Aufrechthaltung der ie fein. Da er mm felbft fireng
darauf hielt, daß feine Befehle genau befdlgt wuͤrden und biefe
oft übereilt, in Laune ober in einem Anfalle von Hef⸗
tigkeit gegeben worden waren und dann als Gefege galten, fo
1) Benelendorf VIL ©. 98.
2) Rorgenftern ©. 111.
3) Def. ©. 118.
Rectöverwaltung. Fléecalat. “1
Dienofiten u ulthigen, Aufferfk gefährliche Männer, vorige
lich wenn fie, boöhaft wie der Minifer von Katſch, die etwaige
augenblidlige, Verftimmung des Königs 98 für ihre Abfihten bes
und ermimute plöglich (1731) einen gemeinen Reiter, Namens
Wagner, zum Generalfiscal, Dieſer war friiher Schulrector
in Blankenburg, dann in Petersburg Hofmeifter von Menſchi⸗
koffs Sohne geweſen, nach befien Falle in Preuffen den Wer⸗
bern in bie Hände gefallen und feit einigen Jahren Soldat,
Der König, — von ben unbedeutendſten Gegenſtaͤnden
Keuntniß nahm, war auf ihn aufmerkſam geworben und ers
nannte ihn plöglich zum Generalfiscal. Diefer Menſch verfubt
fen
ſelbſt auf einige Zeit feſtgenommen wurde, aber dennoch fein
Amt wieder erhielt, indeffen bald nachher farb. Sein Nach:
folger, der geheime Juſtigrath Gerbett, war nicht minder thaͤ—
tig und überhäufte den König mit Denunciationen, kam aber
doch auch nah Spandau.
Die Unters oder ‚Hoffiscale in den Provinzen waren für
dieſe nicht minder gefährlich und bie Behörden in fortwäßtender
Beforgniß vor ihren Angaben Dam fieht daraus, wel’ ein
großes Weduͤrfniß der König hatte, ſich der Pflichterfuͤllung
feiner Beamtelen zu vergewiſſern, ohne welde er gar nichts
ausrichten Tonnte, und baß er dadurch, wie wir oben anfüͤhr⸗
ten, zur Einrichtung eines Spionirſpſtems und hier zu ber
Ausbildung des Fiscalats kam. Es war unter unbefchränkten
Fünfter ſicher eine der ſchwierigſten Aufgaben, pflichtgetreue
Bearatete zu bilden, dom denen zuletzt wirklich der Gang der
Maſchine adhing, den man Staat nannte,
Der König hatte (2. März 1717) befohlen, daß ihm_alle
Untel in Griminalfachen, wem fie Leib und Leben, Ehre, "Gut
1) S. Benekendorf VL ©. 5 u. M. S. MY. Katſch wird alle
gemein als rachgierig und boshaft geſchildert. .
29
42 Bud VI. Zweites Hauptſtuͤc.
turd) befondere Worfälle veranlafft, an ber Griminalgefehges
bumg. Iſt er doch unbeſchraͤnkter ‚Herr, fein Wort Befehl,
fein Befehl Gefeg. Er erträgt felten, und nur wenn feine
erſte Aufwallung ſich gelegt hat, —— aber in Crimi⸗
für ale Provinzen), die Strafe —S an
in Säden) der Ki in Hinrichtung durch
das Schwert zu verwandeln. lee Geburt unehelicher
Kinder folte mit Staupenſchlag und Landesverweiſung gebäßt
werben. Ber von einer Schwangerfchaft der Art hörte, wurde
bei Strafe verpflichtet, Anzeige davon zu machen. Weil Sans
deöverweifung, Staupenf&lag und Brandmarkung nichts ges
aufgreifen wuͤrde, gleichviel ob Verbrecher ober wicht,
ee ee fie, wenn fie Über 18 Jahre alt,
aufzufnhpfen, wenn unter 18 Jahren, in Waifenhäufer
terzubringen. An allen Grenzen, wo Zigeuner waren, mu
Galgen errichtet werden. Die, wie es im Geſetze beifft,
allgemein gewordene Sodomiterei, gleichviel ob
vollbracht, wurde mit bein Feuertode beſtraft (4. April 1725)
An den Worten ber Schrift: wer Menſchenblut
deß Blut fol auch durch Menſchen vergoffen werben (
9, 6.), bielt ex als an Gottes Gebot feft, aufferbem
er bie firenge, folbatifche Zucht aud im ganze Staate
sen wiffen. Aus biefem Gefihtspunkte muß man das
EEE
Rechtöverwaltung. 453
ihm (28. Juni 1713) erlaſſene Mandat gegen Duelle, Ins
jurien, Selbſtrache und Friedensſtoͤrung betrachten, durch wels
ches er daB ſcharfe Edit feines Vaters (v. 6. Aug. 1688)
ernenerte. Cr ermahnte zuboͤrderſt, Jeder folle fi) bemühen,
die Ehre eines rechtſchaffe nen Solbaten mehr durch Tapferkeit
gegen bie Beinde des Königs und des Waterlandes gls in uns
nügen Haͤndeln zu erwerben, da Gott ſich die Rache vorbehals
ten und dazu Könige umd Obrigkeiten auf Erben verordnet.
Bel nun Zweifel entfianden wären, wie es zu halten fei,
wenn preuffifche Dfficiere von Untertpanen fremder Herren zum
Duell gefobert würden, fo ſetzte er feſt, ber Officer, welcher
fih in diefem Zalle flüge, folle zwar nicht ald Duellant bes
tradhtet, jeboch, wenn er feinen Gegner entleibe, nach gemei⸗
nem Rechte mit dem Tode beflraft werben und der König
wolle einen ſolchen nie begnadigen. In feinem Lande wurde
die Ausfoderung eined Beamteten, felbft wenn fein Duell dar⸗
aus erfolgte, theils mit anfehnlicher Geldfrafe zu milden Sweden
ober breijährigem harten Gefängniffe, theils mit der ‚Hälfte des
dreijährigen Einfommens und breijährigem Gefängniffe, beim
Mangel an Vermögen jedoch mit fechöjähriger Feftungäftvafe,
die Ausfoderung gegen Dbere doppelt fo ſchwer gebüft, und
weiter folte Niemand Genugthuung für erlittene Beleidigun⸗
gen zu verlangen haben. Der Gefoderte, welcher es nicht ans
zeigte ober gar annahm, wurde auch wenn Fein Due ſtatt⸗
fand, eben fo wie ber Foderer beftraft. Duell ohne Entlei-
bung hatte für Honoratioren Werluft aller Aemter und zehn:
jaͤhriges Gefängniß, wovoh zwei Jahre bei Waſſer und Brot,
für ‚Geringere acht Jahre Feftungsbau zur Folge und alle Ein:
künfte der Dueanten fielen während dieſer Zeit an den Fiscus,
auffer daß Frauen und Kinder der Delinquenten noch bürftigen
Unterhalt befamen. Leichen ber entleibten Honoratioren wurs
den vom Schinder an einem unehrlichen Orte begraben, bie
der Unabeligen an den Galgen gehängt. Der Entleiber wurde,
wenn er abelig war, ehrlos und mit bem Schwerte hinges
vichtet, ber Umabelige gehängt. Zeugen beim Duelle verloren
auf Lebenszeit den vierten Theil aller ihrer Güter.
Auf Realinjurien, als Ohrfeigen, Fauſt⸗, Peitfchen-
und Stodſchlaͤge bei heftigem Streite, fland ein: bis zwei⸗
454 Bud VL Zweites Hauptflüd.
jähriges, wenn ohne Streit, vierjaͤhriges; auf Schlaͤge mit
Vorbedacht funf⸗ʒ auf folde emerliz fechejaͤbriges Gefäng:
niß. Fr tbbtlihe Wunden wurden (22. März 1717) bie
jenigen erklaͤrt, an welden ber Verwundete vor dem neunten
Tage farb; auch beſtimmte der König (11. März 1718), daf
Arunken deit fein Grund zum Milderung, fondern zur Schärfung
ber —— Strafe fein und in dieſem Falle auftatt dei
, anftatt des Galgens das Rad zum
kaunt — ſolle; gleich darauf (12. März 1718) bei einem
beſonderen Worfalle, um wie er fagte das Land von Biut⸗
ſchulden zu befreien, fegte ex fefk, wer ben Anderen mit bem
Degen entleibe, folle ald Todtſchlaͤger angefehen werben.
Der General Sedendorf, weichen der König laͤngſt als
tüchtigen Dfficier und gewandten und ihm fehr gefäligen Mann
f&hägte, verwendete fih für den Major von Damit, welcher,
wie es fcheint, einen anderen Dfficier im Duelle getödtet Hatte.
Der König antwortete (25. März 1718): „Es würde mir be
ſonderes Vergnägen machen, feinen Bitten ju deferieen, wenn
nit Menſchenblut, wovon ich keinen in ber Weit losſprechen
kann noch werde, hierunter wäre h.“
Em Major von Neuendorf, ein wiſſenſchaftlich fehr gebll
deter und waderer Mann, hatte das Ungläd, bei einem Gaflı
mahle nach ſtarkem Trinken mit feinem Bruder Über eine Erb⸗
ſchaſtsangelegenheit in Streit zu gerathen umb ihn im Zwei⸗
kampfe fo gefährlich zu verwunden, daß biefer in der naͤchſten
Nacht darauf farb. Er wurde vom Kriegögerichte zu dreijaͤh⸗
iger Feſtungsſtrafe verurtheilt, doch ber sachfüchtige General⸗
aubiteue und Miniſter Katfch, vom dem fi) Neuendorf nicht
hatte bei dem Verhoͤre wollen unanfländig behandeln Iaffen,
bewog ben König ihm zum Tode zu verurtheilen. Wergeblrh
waren alle Borbitten: Brudermord und Blutvergießen muß
man mit dem Tode büßen!" ſchrieb der König auf daB weh
müthige Geſuch um Gnade, welches Neuendorf ihm hatte über
geben um &r wurde auf dem Neuenmarkte in Berlin hin:
1) Förfters urtundenbuch III. ©. 239.
N Benekendorf IX. ©. 68. Pöllnig Rem. IL ©. 178.
Nechtsverwaltung. 455
Als ein Dfficier den anderen Im Duelle erftochen hatte
und fi) durch die Flucht veitete, ließ der König deſſen Bild
den Galgen fehlagen und feine beträchtlichen Güter in Poms
mern einziehen. Der Dfficier ging in fächfifche Dienſte und
gewann die Gunſt König Auguſts. Als nun Friedrich Wil
beim bei Augufts berühmten Prachtlager zugegen ımb gerade
bei guter Laune war, warf fi der Officier vor ihm nieder
und ber König Auguft verwendete fich ſehr angelegentlich fie
defien Begnadigung. Obgleich nun Zriebrih Wilhelm ben
König von Polen wirklich liebte, fo erwiederte er doch ernſt,
er werbe fich ihm bei allen Gelegenheiten gen gefällig beweis
fen, nur habe er ein heiliges Gelübde gethan, Blutſchulden
nie zu vergeben. Er Tönme nichts thun, als des Dfficierd Bild
vom Galgen nehmen laffen und ihm die Einkünfte feiner Guͤ⸗
tee wieder einräumen, laſſe er fich aber je auf preuffiſchem
Gebiete betreten, fo werde ihm ofme Gnade der Kopf abges
ſchlagen werden! Er durſte auch, fo Lange Friedrich Wilhelm
lebte, nicht in fein Waterland zuruͤckkehren 9).
Selbſtmoͤrder, gleichviel ob zusehmingsfähig oder nicht,
folten (22. Januar 1732) durch den Schinder begraben wers
den, was auch auögeführt wurde ?).
Raub, Dieberei, Betrug umd Beruntreuungen haſſte er
als ehrlicher Mann und zugleich fehr guter Wirth aufferor:
demttich und ficafte fe umverhältnißmäßig hart. Ueberführte
Dieböhehler befahl er (26. Det. 1720) ohne fernere Weitlaͤuf⸗
tigkeit des Proceſſes und ohne Anfehen ber Perfon mit Aus⸗
ſtelung am Pranger, Staupenfhlag, Brandmarkung und
Landeöverweifung zu beftrafen. Ex fehärfte (5. April 1723)
bie gegen Räuber und Diebe beftehenden Edicte, und weil bie
Räuber die Glodenftride abfchnitten, befahl er, es follten bie
Wächter Schießgewehre und jeder Wirth und Knecht Waffen
haben, auch Feuerzeichen errichtet, die Mäuber und Diebe ver»
folgt und im Nothfalle getöbtet werben. Fremde Diebe auf
Märkten wurben ohne Anfehen des Werthes der geflohlenen
Sachen und ob dad Verbrechen vollkommen ausgefuͤhrt fet oder
1) Benekendorf XI. ©, 61.
2) Derſelbe VIIL 67.
456 Bug VL Bweites Hauptftüd.
nicht, auf ben Eid zweier ——
weitere Anfrage bei dem Koͤnige oder den
—— * ewig des Landes verwieſen (26. Juli 1715,
welche geflohlene Sachen kauften und umentgeltfich
1725). Wilbdiebe in koͤniglichen Gehegen wurden nad kur⸗
zem Proceffe ohne Gnade aufgehängt, der Angeber erhielt 10
Thaler Belopnung (2. März 1728), — (23. Maͤrz 1730)
nn und deren Hehlern 6 Jahre Karrenflafe ber
Ber Ammunition flapl, wurde wie ber Hehler ges
Fe oh Schr. 1730).
Bankerutierer follten (14. Juni 1715) als Diebe und
Zalſcher betrachtet und ohne Unterfcieb der Perfon nach Ums
fänden mit bem Pranger, ewigem Gefängniffe, Feſtungsar⸗
beit, Staupenfchlag und Landesverweiſung, ja mit dem Strange
befteaft werben und die Fiscale von Amtswegen gegen fie ver
fahren, auch wenn die Gläubiger es nicht wollten. Das
wurbe noch gefchärft (4. Bebr. 1723). Alle Behörden folten
auf ben Verdacht von Bankeruts amtlich einſchreiten und bei
beträglichen Bankerutierern die Verhehlung eines Theils des
Bermögens zur Verkuͤrzung der Gläubiger, es möge num aus⸗
reichen oder nicht, mit dem Strange beflzaft werben. Bar
ber betrügliche Bankerutierer tobt, fo wurbe feine Leiche durch
den Henker auf dem Schindanger begraben. Braun der Kaufs
fie fit
Hondlungsfachen mit Acht zu haben (17. April 1728). Auch
das wurde noch verfchärft (20. Mat 1736). Schon bei brins
gendem Werbachte bed Bankeruts, 3.3. bei Nachfuchung eines
Moratoriums fanden Arreſt und Beſchlagnahme der Güter
flatt, wurden Stedbriefe exlaffen, das Concursverfahren bes
fhlamigt, gegen vorfägliche Bankerutierer wie gegen "Diebe
en die nöthige Kenntniß und Einficht i in das Proceßs
wefen war ihm das corpus juris aͤuſſerſt zuwider, bie Weit:
laͤuftigkeit des Verfahrens oft unerträglich. Es ſchwebte ihm,
fagt fein gleichzeitiger Lebensbeſchreiber, bie ehemalige Gluͤck-
KRechtsverwaltung. 457
[gi de Date Sad vor Aug, dem zur Beit der
Richter und Könige alle Weitläuftigkeit im Rechte und Bes
richten ganz unbelannt waren, und bie Aelteſten ımter ben
der
en Weſe
gend auch wohl verzeihlich, daß fin einfacher gefunder Men:
ſchenderſtand irre wurbe an ben, ungeachtet des corpus juris
ders bie Abvofaten, verminderte deren Anzahl fo viel er Fonnte,
und hätte fie gern alle vertilgt, zwang fie auch, um fie Öffente
* zum Geſpoͤtte zu machen, ſchwarze Röde mit einem bis
bie Anie veichenden Me il
dem —* zu wohnen, damit die Bauern füchtig
würben *). Aus biefen Gruͤnden gebrauchte er benn feine Machts
vollkommenheit im volften Umfange, caffirte, aͤn⸗
derte, ſchaͤrfte, milderte auch wohl, doch ſicher ſeht felten, die
ihm vorgelegten Urtel. Aber auch. hier hatte feine an Grau⸗
famkeit grengende Strenge ihren Grund nicht in perfönlier
Rachfucht, fondern in feinem lebhaften Hafle gegen bad Laſter
überhaupt, ferner in feinem heftigen Zemperamente und in feis
ner natürlichen Härte, wobei man jest auch nie vergeffen barf,
dep bie Sitten nach hundert Jahren überhaupt milder gewor⸗
id.
Gegen einen Witbpretöbieb erfannte das Gericht auf den
Reinigungseid oder Torturz der König befahl, ihn zu hängen.
Ein des beabfichtigten Diebftahls verbächtiger Jude war ohne
Erfolg gefoltert worden und behauptete fortwährend, unfchuls
dig zu fein. Der König erklärte, ex wolle den Boͤſewicht auf
fein Gewiffen nehmen und befahl, ihn zu hängen). Ein Pros
viantmeifter mit 12 Thalern monatlichen Gehalts und zahls
’
1) Bafmann L ©. 948.
9) Derfebe I. S. 953. König I. ©. 16, 49. u. U. ©. 267.
8) Baßmann I. ©. 1074.
458 Bud VI. Zweites Hauptftüd,
reicher Familie hatte einen Kaffendefect von 3000 Schale
gemacht. Gr erbot fi, den Betrag mit feiner Gaution und
feinem Haufe zu decken umb bat mır um einigen Naclaf.
—* Forieb auf bie Eingabe (1720): „Ich ſchente bie
Schuld, ſollen aber aufhängen Laffen ’)." Bet dem Tode eines
Beamteten fanb ie Bi
Dee König ſaribe „Soll nicht einen Pfifferling erlaffen, ſollen
alles wegnehmen, was übrig if, Möbeln und Häufer 1”
Schon auf feines Waters Befehl wurden Hausdiebe an
einen Galgen vor dem Haufe des Beſtohlenen gehängt, blieben
daran vom Morgen bis zum Abende, worauf fie an den eigent ⸗
lichen Galgen vor ber Stadt gehängt wurben. Doch erregte
das in den Häufern, vor benen das gefchah und in ber Nach⸗
barſchaft fo-großen Abfchen, daß es bald auffer Gebrauch kam’).
Nun hatte der König bei den preuffifchen Domainen vorzüg-
w anf den lithauiſchen Aemtern mehrere wichtige Unterfchleife
und Betrkgereien entdeckt unb deshalb mehrere Raunners and
Amtsbebiente gefänglich einziehen laſſen. Unter ihnen befand
fi der Kriegs⸗ und Domainenrath von Schlubhut, weicher
von dem zur Ginrichtung ber falzburgifchen Emigranten bes
ſtimmten koͤniglichen Geldern nach Ginigen 800, nad) Anderen
11— 30,000 Thaler untergefplagen hatte‘). Das Griminak:
collegium in Berlin erkannte, weil ber Berbrecher bie gefammte
Summe aus feinem Wermögen erflatten konnte, nur auf einige
Jahre Feſtungsarreſt. Der König wollte das nicht befldtigen,
fondern verfchob bie Entſcheidung bis zu feiner Ankunft in
Königsberg, wo er jährlid die Truppen zu muſtern und neh
feinen neuen Anlagen zu fehen pflegte. Hier lieg er
ann den Kriegörath; vor fich kommen, hieit ihm fen
1) Bei Börfter urkundenbuch I. S. 51. v. I. 1720.
2) Gbendaf. ©. 52.
8) Gbendaf. ©. 199. Faßmann IL ©. 1073.
4) Benelendorf VII, 14 fagt von 11 oder auch 30,000 Zpalra.
Yölinig Mem. IL ©. 889 erzaͤhlt weniger genau.
Suflijverwaltung. 459
brechen vor und Lünbigte ihm am, er werbe ihn hängen Iafien.
Schlubhnut erwiederte: es fei nicht Manier, fo mit einem -
preuſſiſchen Edelmanne zu verfahren, er werbe bie fehlende
Summe Geldes erſtatten. „Ich will bein ſchelmiſches Geld nicht
haben,” erwieberte der König aufgebracht und ließ ihn auf die
Hauptwache fhaffen, vor dem Seffiondzimmer der Kriegs»
und Domainentammer fogleih einen. Galgen errichten, bie
Mitglieder des Collegiums im Sitzungszimmer verfaumeln und
den Schlubhut vor ihren Augen aufhängen.
Einige Zeit darauf ereignete es fih, daß bem Minifier
vom Happe von befien Mebienten and eitem
Schranke ein Beutel mit 5000 Thalern geflohlen, bad
jedoch früh entbedt und das Gelb bis auf 80 Xpaker wieder
hexbeigefchafft wurde. Der König befahl fogleich bie genauefle
Unterfuhung. Beide Griminalcollegia entſchieden, daß Haus⸗
diebſtahl als Derlegunggber befonderen Treue und wegen ber
Leichtigkeit der Aushbung weit härter als ber von fremden
Diebm begangene zu beſtrafen und nicht auf die Höhe bes
Betrags, fondern auf die Verletzung ber Treue zu fehen ſei.
Das an dem Kriegsrath Schlubhut vom Könige ſelbſt vollzo⸗
gene Urtel fhlichterte auch das Collegium bermaßen ein, baf
eb erkannte, jeder Hausdieb, der feiner Herrſchaft auch nur
Gegenſtaͤnde 3 Xhaler an Werth entwenbe, fei des Tobes
ſchuldig, und daher begutachtete ber Bediente müffe an einen
vor dem Haufe des Minifters befonberd zu erbauenden Galgen
gehängt werden. Der König beftätigte daS und es wurde
vollzogen '). Das gab ihm zugleich Weranlaffung zu einem
fürchterlichen Gdicte (0. 9. Januar 1736): Hausdiebe, welche
Koften, Ihren, Schränke, Schatullen und bergleihen er⸗
braͤchen, follten ohne Rüdficht auf die Groͤße des Diebſtahls
binnen acht Zagen an einen Galgen vor der Thüre des Be
flohlenen gehängt werden. Gefchab ber Diebſtahl ohne Ers
brehung und betrug über 50 Thaler, auch wenn fie erfegt
wurden, fo wurde auch dad mit dem Strange, betrug er fo
unter 50 Xhaler, mit vierjäpriger Seftungsarbeit beſtraft. Auf
/1) Benetenborf VIL ©. 81. B. war damals Mitglied des
Griminalcollegiums, fpricht alfo gang aus eigener Erfahrung.
460 Buch VL Zweites Hauptſtuͤck
jeden Diebſtahl in fremden Wohnungen durch Einſteigen und
Einbruch, ohne Ruͤckſicht der Größe des Betrags, ſtand der
Salgen, geihab er mit Waffen, das Rab. So wurde eine
Dienfimagd des geheimen Raths Truzettel, weiche 3 Thaler 12
Srofden gehoßie, vor beffen Haufe aufgehängt ').
Rath Nüßler drang darauf, die Angelegenheit er genau zu un
terfuchen unb nicht zu fchnell zıf verfahren, allein bie meiften
Gtimmen ber burch des Königs Zorn eingeſchuͤchterten Grimi-
nalraͤthe verurtgeilten ihm zu vierjähriger Feſtungsſtrafe. Der
König ſchrieb als Entſcheidung an den Rand des Urtels: „Ein
Dieb, welder 10 Zhaler fliehlt muß hängen, Heſſe aber bat
4000 Thaler geftohlen, alfo fol er aufgehangen werben!" Das
wurde auch vollgogen, indem zugleig dem Unglüdlichen eine
Zafel umgehängt wurde, auf welcher fland, baß er dem Rs
vor umd es ergab fh, baß Sefle gar feinen vorfägtihen Bi
trug — vielmehr unſchuldig hingerichtet war’).
Even fo Hatte ein Amtmann Bu wegen ——* reſtirender
Vachtgelder — Jahre in Kuͤſtrin geſeſſen, als man bei nd
herer Unterſuchung fand, er ſei gar nichts ſchuldig und habe
noch 500 Thaler zu fobern .
Ein gewiſſer Wilke war durch Vermittelung des Miniſters
Grumbkow, der lange hoch in der Gunſt des Koͤnigs ſtand,
Steuerrath in Zuͤllichau geworden und hatte ſich dadurch,
er oft lange Leute aus Polen für bie Garde verſchaffte, bei
dem Könige fo beliebt gemacht, daß ihm biefer den Geheime:
1) Benetendorf VIL ©. 81.
9) NRüflers Leben in Buſqhinge Beiträgen 3. Lebent
wuͤrdiger Perſonen Thl. I. S. 825. Ereeinbeck denugte das, ui
Aid alle den König vor Ueberellung zu warnen, und
mad) und lich das gelindere Urtel bed Gerichts
Bardına a. 4. O. S. 209.
8) Benekendorf VII. ©. 45,
gef ba:
ım in ein
—*
volfteden.
Juſtizverwaltung. 461
rathötitel gab. Er wurde num angelagt, er habe ſich bie Re⸗
kruten zu thener bezahlen lafien und auch aufferdem Unter
fchleife gemacht. Der ohnehin ſchon aufgebrachte König wurde
durch den Generalfiscal Gerbett noch mehr gereist und beide
Criminalcollegien in Berlin mufften ihr Gutachten darüber abs
geben. Da nun feine eigentlichen Weruntreuungen erwieſen
waren, fo trugen die Collegia auf einige Jahre Feſtungsſtrafe
am. Der König entſchied darauf eigenhändig: "Dbwehtih be
rechtigt wäre, den &... ben Wille hängen zu laſſen, fo will
ich doch aus angeflammter Huld, Gnade vor Recht ergehen
Iaffen, jedoch ſoll er noch Heute um 9 Uhr dad erſte Mal vor
ber Haudvogtei, das zweite Mal vor dem GSrumbkowſchen
Haufe, das britte Mal vor dem fpanbauer Thore von dem
Schinder zur Staupen geſchlagen und nachher auf zeitichens
in das infame Loch nad) Spandau gebracht werben ).“
Bei einem folchen Verfahren Tofteten bed Königs Üübereilte
Befehle nicht felten unfaulbigen Leuten Gut, Ehre und Les
ben, weshalb der Vortrag des Griminalbepartements ſchon früh
ſehr Idftig war, und ber Miniſter von Katſch deſſelben entles -
digt zu fein wünfchte, worauf es ber bamalige Kammergerichtös
präfibent Gocceji befam und num Minifter wurde‘). Allein
auch Cocceji konnte in biefer Beziehung wenig ober gar nichts
wirken, und es fam wegen ber gewoͤhnlich unverhältnigmäßis
gen Schärfung ber Griminalurtel bahin, daß das Zuftizminis
flerium und das Griminakollegium es für rathſam hielten,
die dem Könige vorzulegenden Urtel nach Möglichkeit zu maͤßi⸗
gen und dadurch, wenn fie dann auch von Ihm gefchärft wir
den, immer noch im Glelfe wahrer Gerechtigkeit zu bleiben.
Das hatte aber bei dem Könige, der ein auſſerordentliches Bes
daͤchtniß beſaß und eben fo argwoͤhniſch war, bie uͤbele Folge,
daß er gegen die Griminalcollegia mistrauiſch wurde’). Als
nun ein Musketiere des damals Doͤnhofiſchen Regiments durch
Einbruch einen gewaltfamen Diebftahl von 6000 Thalern bes
gangen, fo verurtheilte ihn das Criminalcollegium geſetzlich
1) Benetenborf.a. a. D. ©. 86. Der hat das mit angefehen.
2) Defele VI. ©. 5.
8) Derſelbe VII. 4. Der fpricht Hier aus eigener Erfahrung.
462 Bud VL Imeites Hauptſtuͤck
zum Galgen. Dee Gentral Doͤuhof, welcher einen jungen,
wohlgebitbeten, vorzüglich aber 6 Fuß langen Menſchen nicht
gern verlieren wollte, ſtellte fogleich dem Könige vor, bad Gris
minaltolleglum derfahre offenbar ungerecht, da es erſt vor Kun
zem einen Kriegsrath, det 80,000 Thaler geſtohlen, nicht gum
Salgen verurteilt, der größte Theil des eben von dem armen
verführten (und 6 Fuß langen) Musketiere geftohlenen Gelbes
aber ſich noch vorgefunden habe. Der König, ber ſich des
Vorfalls mit dem Kriegsrathe fogleich erinnerte und wicht gern
einen fchönen Kerl aus feiner Armee verlieren wollte, beſchied
Togleich den Director und Me Mäthe bes Griminalcollegiums
vor fich. Diefe wohnten in ber Stadt zerſtreuet, waren noch
ſaͤnnntlich in ihren Schlafröden, eilten indeffen, fich anzuklei⸗
den und auf das Schloß zu gehen, worüber boch eine geraume
Beit verfloß. Die große Umgebulb bes ohnehin ſchon gereizten
Königs flieg darlıber noch Höher. Als ihm gemelbet wurde,
vier der Räthe waren bereits anweſend, ließ er fie, ohne bie
Ankunft der uͤbrigen abzuwarten, vos ſich kommen, indem er,
wie gewöhnlich, auf einem hölzernen Stuhle foß umd feinen
Stock in der Hand hielt, Anfänglich zeigte er ihnen (fcheinbar)
mit vieler Gelaffenheit bie Urſache ihrer Vorbeſcheidung am,
fragte aber zulegt zornlg: „Ihe S....., warum habt ie fe
erkannt?" Als fih nun einige don ihnen wegen des gefällten
Urteld vechtfertigen wollten, verlor. ber eine durch den Etod
des Königs ein Paar Zähne, die anderen aber mufiten mit
biutigen Köpfen zur Thlre greifen und bie Treppe, bis za
welcher bee König fie verfolgte, hinunter eilen. Diejenigen,
welche gluͤclich genug gewefen waren, mit ihrem Ankleiden zu
fo&t fertig gu werben, entgingen dem Schickfale ihrer Collegen
Uebrigens hatte das für ſaͤmmtliche Raͤthe weiter Leine Folgen.
Der König mochte, nachdem fein heftiger Born fich gelegt hatte,
feine Uebereilung einfehen, und perfönlipen Haß hegte er nicht,
In der erſten Aufmwallung hatte er ein begangenes Unrecht zu
ſtrafen geglaubt). Es wurden aber burch ein ſolches —8
fahren die Beamteten dermaßen eingeſchuͤchtert, daß ſich jeder
gewoͤhnte den Befehl des Königs augenblicklich blinblings und
1) Benetenborf VN. S. 92 ff.
Rechtsverwaltung. 463
buchſtaͤblich zu befolgen. Als bie Handwerksburſchen zur Bes
ſchleunigung des Zhunmbaues der Peterskiche auch während
des fogenannten blauen Montags arbeiten folten und ſich defs
fen weigerten, kam es zum Aufſtande, wobei mehrere verhaftet
wurben. Der General Glafenapp ald Commandant an 1 Ben
lin berichtete dad an den König und fragte an, was
den Gefangenen thun foll. Der König fchrieb wie — *
lich mit feiner ſehr unleſerlichen Hand auf den Bericht ſogleich
den Beſcheid, von bem Glafenapp weiter nichts entziffern
Tonnte, ald: „Rädel aufhenten ehe ich komme.“ Er wurde am
folgenden Morgen um 10 Uhr erwartet. Niemand Eonnte den
raͤthſelhaften Befehl erklären, bis man ſich befann, daß ein
übrigens in dieſe Angelegenheit gar nicht verwidelter Dfficier
der Gamifon Rädel heiße. Glafenapp ließ dieſen einziehen
und zum Tode vorbereiten. Gluͤcklicherweiſe kam ganz kurz
vor ber Vollſtreckung ber Cabinets ſecretair Marſchail an und
erklaͤrte des Könige Befehl, daß diefer den Rädelsführer
gemeint habe. Glafenapp ließ exfreuet den Lieutenant Mädel
108 und fogleich einen der Gefangenen aufhenken, beffen rothe
‚Haare ihn ald Raͤdelsführer zu bezeichnen fdienen '). -
Die fürchterlichften Erecutionen, auſſer dem Hängen und
Siam, daB Rädern von unten u das Aufärabflechien,
mit glühenden Zangen kneifen und Bungenuöfchneiben riſſen
nicht ab in Berlin, die Gefängniffe Ar die Feſtung Spandau
wurden nicht leer ). Nur wenn Verbrecher ſchoͤne und zum
oͤfters durch Bittſchriften von Xdvolaten, melde in fine Ins
gen Orenabiere übergeben, zu Eingriffen in
1) Morgenftern ©. 65.
9) König IT. S. 208. Im I 1739 befanden ſich in Spandau 110
Gefangene, barunter zwei 27 u. 29 Zafre alte Jaͤger, har wegen ge ·
ſtohlener beebhuͤhner zeltlebens zu figen verdammt waren; ein Wudhaͤnd ⸗
ler, ber geſtohlene Rebhühner gekauft hatte und 6 Jahre figen muſſte.
Mehrere faßen auf Zeitlebens, weil fie ſich verwundet hatten, um nicht
Spießruthen zu Laufen.
3) König I. S. 68 Anmerk.
464 Bud VL Zweites Hauptfiäd.
auf das Edict erfehien,. dag ber Advokat, welcher durch einen
potsdamer Grenabier eine Bittfchrift wuͤrde überreichen laſſen,
neben einem ‚Hunde aufgehängt werben folle ')-
Auch polizeiliche Wergehen wurden ſtreng beſtraft. Ber
Öffentliche Laternen einſchlug ober befchäbigte, bezahlte 200 Ihe
ler Strafe, erhielt fcharfen Staupenſchlag und wurde auf 10
Jahre des Landes verwiefen (28. Febr. — | ter (18, Ge.
1732) wurde das durch Brandmarkung auf der Stirn vers
ſchaͤrft, und bei Soldaten mit 36 Mal Gaſſenlaufen burh
Strafe verboten, das dann (19. Sept. 1731) auch auf Dhasan
ausgebehnt und mit 100 Ducaten an ben Fiscus, 300 Du-
caten zu milben Sweden ober Feſtungsſtrafe belegt.
Beil unter dem Vorwande des Geſundheittrinkens ein
großer Misbrauch vorgehe und der Weg zur Wöllerei gebahnt
werde, fo wurde es durch ein Edict (u. 31. März 1718) völlig
abgefhafft und follte von Niemandem, wes Standes er fe,
men würde, ernſtlich angefehen und Anderen zum Grempel bes
werben.
Das Polizeiwefen in feinem gefammten Umfange wınde
von den Kriegs⸗ und Domainenkammern- verwaltet. Sie hats
ten darauf zu fehen, daß das Getreide nicht zu theuer wuͤrde;
deshalb waren Magazine angelegt, um in wohlfeilen Zeiten
Kom zu Laufen, in theuren aber zu verkaufen. In ben Städten
verfertigten ber WBefehlöhaber ber dort liegenden Truppen und
der Steuerrath des Orts, auf dem Lande die Kammern jährs
lich die Fleiſch⸗, Bier⸗ und Brottaren. Die Kammern hats
ten auch auf bie Erhaltung ber Feuerordnung zu fehen, daß die
1) Benetendorf I. S. 118. Doch iſt das Edict nicht in der
yliusfchen Cammlung erſchienen und unfkreitig fogleidh unterbrätt
worden.
"Polizeiverwaltung. Kirche. 465
Straßen Ben ou gepflaftert und bie Brunnen in guten Stand ges
jt würden.
" Ratirlich war bie pollgelliche Thaͤtigkeit vorzugemweife auf
bie "Hauptflabt gerichtet, von wo fid) dann durch —e——
bewaͤhrte weiter verbreiteten. Cine neue Jeuer⸗
ordnung wurde für Berlin (1717) gegeben, die Straßenbe⸗
Ieuchtung (1732) verbeſſert und eine neue Polizeiordnung ers
Durch Erziehung und einfacye gefunde Natur war ber
König wie feine Vorfahren aufrichtig religid® und dem Glau⸗
ben feiner Kirche, wie ihm berfelbe eingeprägt worden war,"
und er ihn aufgefafft hatte, eifrig ergeben, ohne body einen
wefentlihen Unterſchied zwiſchen Reformirten und Lutheras
nem zu maden und ohne bie Katpolifen zu brüden, as,
ihm ber Propft Meinded (29. Mai 1730) meldete, ber feit
vielen Jahren mit großen Koſten erbauete und faft vollendete
Thurm der Peteröfiche in Berlin fei durch Einfchlagen des
Blitzes zugleich mit der Kirche abgebrannt, ſchrieb er zuruͤck:
Ich werde gewiß weifen, daß ich Gott lieb habe und werde,
wo es Menſchen möglich iſt, alles in Jahr und Tag in Stand
fegen, daß der Gottesbienft wieder Tann an felbigem Drte ‚ges
halten werben, wozu ich weber Mühe noch Geld fparen
werbe '.." Er bauete auch theild in Berlin und Potsdam,
theils an anderen Drten eine große Anzahl von Kirchen.
Er felbft beobachtete den Gottesdienſt genau und bielt
ſtreng darauf, daß es auch von feiner Familie, feinen Beams
teten und Dfficieren geſchah. Vor Beendigung des von ihm
regelmaͤßig an jedem Sonntage beſuchten Gottesdienſtes durfte
Niemand die Kirche verlaſſen. Theologie war auch bie einzige
Wiſſenſchaft, vor welcher er einige Achtung hatte. Er ließ füs
- gar Erbauungsbuͤcher auf feine Koften drucken und unentgelts
Tich unter Arme und Soldaten vertheilen. Nur durch Werke,
welche in dad Zach der Theologie fhlugen, konnten Gelehrte
1) Baſchings Beiträge I. ©. 161.
Stengek, Gef. d. preuſſich Staats. m. 30
466 Bud VL Zweites Hauptfiäd,
genbeiten
Minifter. Anfänglih war Pringen, dann (1725) Anyphaus
fen, barauf (1730 bis 1738) Cocceji, endlid Brand Chef des
geiſtlichen Departements. Im Ganzen hielt er an dem Be
fiehenden, was er von feinem Worfahren uͤberkommen und
reichsgrundgeſetzlich war, iR fo weit e& nicht feinem Geifte
der Ordnung widerſprach. Diefer fuchte er Überall Geltung
m 743 gründete daher (10. Juli 1713) ein evangeüſch⸗
reformirtes Kirchendirectorium unb erließ (24. Det. 1713) eine
evangelifchsreformirte Inſpections⸗ und Presbpterials, Giaffis
cal⸗ Spimnafiens und Schulordnung für alle Provinzen, auffer
u Bär jede Provinz follte das Kirchendirectorium einen ober
mehrere im Leben und Lehre untabelhafte Infpectoren wäh
den und ber König befiätigen. Diefe Inſpectoren erhielten die
Aufficht über die gefammte Amtöverwaltung und den Lebens
wanbel ber Prediger und Lehrer und Über die gefammten Kir⸗
chen⸗ Spur und Schulgebäude, deren Stiftungen und
Vermögen. In den auf Anordnung bed Directoriums bewirks
ten Socalvifitationen, nahmen fie die Rechnungen ab, gaben
Anweiſungen, ertheilten Ermahnungen und mufften dafür for:
gen, daß an jedem Drte, wo eine veformirte Gemeinde war,
auch eine ſolche Schule eingerichtet wurde.
Kirchenvorſteher, ohne Rangunterfchted aus der Gemeinde
gewaͤhlt, follten mit dem Prediger unter deſſen Borfige des
Dresbpterium ausmachen. Diefe Preöbyterien verfanmels
ten fih zu beflimmten Seiten und beriethen, ee
ferung der Sitten und Erbauung der Gemeinde dienlich,
Te luft übe Sirdene un Gduinhlub: Sem
waltung ber Stiftungen, bed Vermoͤgens und der Kirchen⸗
Dächer, follten Verbrechen, welche Öffentliche8 Aergerniß und Ver⸗
enlafung a cn gegeben, anzeigen,
die Kischenvorftcher auch auf der Prediger und Lehrer Lebendwan⸗
3) Benekendorf 0.6.68 ff. u. ©. 79.
Kirche. 467
del und Lehre achten. Wichtige Gegenſtaͤnde brachten fie durch
die Infpertoren an das Directorium.
Die Paftoren und die Worfteher follten Studer ermahnen
und firafen, doch anfänglich privatim mit Schonung, bann,
bei großen Laftern, fcharf vor dem Preöbyterium, endlich folls
ten fie vom Abendmahle auögefchloffen und zur oͤffentlichen
Kirchenbuße verurtheilt, doch, weil Belehrung nicht daB
Werk weniger Stunden, auch unterrichtet werben, daß es mit
Aufferlicher Bezeugung nicht abgethan ſei. Die Almofenpfleger
forgten für paſſende Bertheilung der Almofen und legten. Rech
nung mit den Kirhenrehnungen vor dem Preöbyterium ab.
Der König befreiete fie (17. Det. 1713) von @inquartierung,
Baden und Servis.
Jährlich folte in einer reformirten Parochie zum Beſten
ber Kirchen, Schulen und Gemeinden und zur Abftellung von
Unorbnungen eine Glaffical:Berfammlung aller zur Infpection
gehörigen reformirten Prebiger und Aelteften gehalten iverben,
zu welcher der Infpertor den Tag anfehte, welcher am Orte
der Berfammlung von ber Kanzel mit der Auffoberung vers
kundigt wurde, in ber Kirche zu erfcheinen. Der Infpector
prüfte die Jugend über die Grundlagen bed Chriſtenthums
und foberte Jeden, ber etwas. zum Weiten ber Kirchen und
Säulen, ober Klagen und Beſchwerden über Amtövermaltung,
Lehre und Lebenswanbel der Beiftlichen und Schullehrer anzus
bringen habe, auf, das zu thun ‘). Weil die Zahl der refor⸗
mirten Kirchen auffer im Cleveſchen nicht fo groß war, daß
jede Provinz mehr als eine Kiaffe ausmachen Eonnte, fo ges
nügte bad, doch durfte das Divertorium auch allgemeine Sy⸗
noben außfchreiben, wenn es wollte.
Die Gymnaſien und Iateinifhen Schulen in Berlin,
Frankfurt a. D. und Halle follten bei ihrer Einrichtung bleiben
und Muſter fir die in anderen Städten anzulegenben Schulen
1) Wie nöthig das war, zeigt ein Befcript des Tönigäherger Gonfifto:
ziums ». 3.1728 in Borat preuſſiſcher Kirchenregiſtratur S. 289,
FH ungeifttiches Leben und Wandel. mehrerer Prediger, welche bei (es
fundpeitteinten das KRunda mit den Glocken lauten laſſen, andere fn den
Sircen Sembbinfplee yefetiet und ncht beriehen grobe Exceſſe bes
gangen haben follen. 90°
408 Bud VL Zweites Hauptfikd.
‚werben. Es folte in Tateinifchen und beutfchen Schulen vors
zuͤglich die Furcht des Herrn als der Weisheit Anfang beiges
bracht und in allen einerlei Schulblicher und Vorfchriften ges
braucht werben. Inſpectoren und Paftoren follten die Aeltern
ermahnen, dafuͤr zu forgen, baß ihre Kinder die Grundlagen
des Chriſtenthums verſtehen, fertig lefen und nothbürftig fchrei-
ben lernten und Ben Öffentlichen Gottesbienft fleißig befuchten.
Zum Anfange und Ende des Unterrichts folte ein Gapitel aus
der heiligen Schrift gelefen, ober ein Malm gefungen und
gebetet werben. Züchtigung folle man mit Mäßigung anwen⸗
‚ben, body daß wegen uͤbermaͤßiger Lindigkeit und Verzaͤrtelung
der Jugend keine Klagen fürkaͤmen. Die Kirchendirection oder,
in deren Namen, bie Infpectoren, beftimmten die Prüfungen
und konnten Rechenfchaft von. ber Amtöverwaltung aller Kir⸗
chen⸗ und Schulbeamteten fodern. Bei der Beſtaliung mufite
fich jeder zur Unterwerfung unter biefe Inſpectionsordnung
‚verpflichten.
Auch eine Inftruction und ein Reglement für die Locals
vifftationen ber Kirchen in der Kurmark wurde (5. März u
6. Mai 1715) erlaffen und mehrfad (27. Gept. 1736) Ges
neraloffitationen aller Prediger angeftelit, auch (29. Sept. 1736)
dem Directorium befohlen, ſtrenge Aufficht Aber fie zu üben
und nur tlichtige anzuftelen. Die Infpectoren follten bei Gafs
fation jährliche Gonduitenliften Über ale Prebiger und Berichte
Über die Viſitation der Schulen einfchiden. Die Infpectoren
erhielten auch (30. Sept. 1718) die Auffict über bie Stu
denten ber Theologie, welche fih in ihre Heimath begaben,
ſollten fich fleißig mach ihrer wiffenfchaftlichen Ausbilbung er:
kundigen, fie eraminiren und im Katechifiren üben. In Preuffen
wurde (3. April 1734) eine erneuerte unb erweiterte Verord⸗
nung Über das Kirchen» und Schulweſen erlaffen ) und (22
Aug. 1736) zur Beförderung bed wahren thätigen Chriſten⸗
thums der Oberhofprebiger Quandt ald Generalfuperintenbent
angeftellt, um über firenge Vollziehung des Kirchen⸗ und
Schulveglements zu wachen”). Ohne koͤnigliche Genehmigung
1) Srneuert und erweitert 25. Oct. 1735 in Arnoibts Hiforie
Königäberger Untverfität Ahl. J. Beilage 54.
2) König IL ©. 148. Der König Hatte früher dem Dr. Epfins
Kirche. 4600
durfte kein Prediger aus Berlin verreiſen (2. Sept. 1736).
Zu Küfern und Schulmeiftern folten auffer Schneidern, Sein»
webern, Schmieben, Rademachern und Bimmerleuten keine
‚Handwerker angenommen werben (10. Nov. 1722).
Die Kirchenbuße wurde (30. März 1716) angeorbnet ges
gen Hurerei, Ghpebrud, Diebſtahl, Meineid, Fluchen, Läfle
zung, Steffen und Saufen, Entheiligung des Sonntags, Uns
gehorſam gegen Aeltern, Öffentliches Aergerniß. Es wurde das
au beobachtende ausführliche Verfahren vorgeſchrieben, beſonders
auch dem allgemeinen Wahne zu fleuern, daß die Kirchenbuße
keine göttliche Anordnung, fonbern nur menſchliche Erfindung
ſei. Im den Kirchen follten daher in Aller Gegenwart Fragen
an Bußfertige über ihre Reue und Beſſerung gerichtet, dann
die Abfolution ertheilt und ‚fie wieber in den Schoß der Ges
meinde aufgenommen werben. Die Kirchenbuße follte Feine
Strafe, fondern Abbitte und Ausſoͤhnung mit ber Gemeinde
fein. Es wurde (4. Dec. 1717) wieberholt, daß bei dem jetzt
großen Werfalle des Chriſtenthums die Buße nicht als Strafe,
fondern als Wohlthat für den Simder anzufehen ſei. Daher
wurden alle unnöthigen und anftößigen Geremonien, Laͤſterun⸗
gen und Schmähungen der Geiftlichen verboten und follte alles,
was weltlichen Zwang und Beſchimpfung vermuthen laſſe, ver»
mieden und das öffentlic, erklärt, auch nicht fogleich bei dem
erfien Vorfalle bie Ausfchlieffung aus der Kicchengemeinfchaft
verfügt, fondern, wenn dieſe nöthig fei, das vorher ben Ins
ſpectoren und bem Gonfiftorium angezeigt werben. Eine bes
fondere Verordnung (4. Febr, 1718) ſchrieb den Infpectoren
vor, nicht fogleich, fondern erſt, nachdem alle Grade der Er:
mahnungen vergeblich gewefen, die Ausſchlieſſung vom heiligen
den Auftrag gegeben, in Lithauen den Zuſtand der Lehrer und Gemeinden
ga unterfuchen. Er fand zwei Prediger, bie Feine Bibel im Haufe,
ja kaum ober gar nicht darin gelefen hatten. Der eine hatte auf ber
Univerfität bei einem Studenten gewohnt, der eine Bibel befeflen, war
Übrigens feinem 8ojaͤhrigen Water abjungirt, in deſſen Haufe alfo auch
eine Bibel geweſen. Boromski preufffcke Kirchenregiſtratur ©. 222.
Bergl. ©. 240 über die zur Belegung erledigter Pfarren getroffenen
Vorkehrungen.
468 Bub VL Zweites Haupifikd.
werben. Es folte in lateiniſchen und deutſchen Schulen vor
zuͤglich die Furcht des Herrn als der Weisheit Anfang beiges
bracht und in allen einerlei Schulblicher und Vorfchriften ges
braucht werben. Imfpectoren und Paftoren follten die Aeltern
ermahnen, dafuͤr zu forgen, baß ihre Kinder die Grundlagen
des Chriſtenthums verſtehen, fertig leſen und nothblrftig ſchrei⸗
ben Iernten und Ben öffentlichen Gottesbienft fleißig befuchten.
Zum Anfange und Ende des Unterrichts follte ein Gapitel aus
der heiligen Schrift gelefen, oder ein Palm gefungen und
gebetet werben. Züchtigung folle man mit Mäßigung anwen⸗
‚ben, doch daß wegen übermäßiger Lindigkeit und Verzaͤrteling
der Jugend Feine Klagen fürkimen. Die Kirchendirection oder,
in deren Namen, bie Infpectoren, beftimmten die Prüfungen
und konnten Rechenſchaft von. der Amtöverwaltung aller Kir⸗
chen⸗ und Schulbeamteten fobern. Bei ber Beftallung muſſte
fich jeder zur Unterwerfung unter. biefe Inſpectionsvrdnung
verpflichten.
Auch eine Inſtruction und ein Reglement fuͤr die Local⸗
viſitationen ber Kirchen in der Kurmark wurde (5. März m
6. Mai 1715) erlaffen und mehrfach (27. Sept. 1736) Ge
neraloffitationen aller Prediger angeftelit, auch (29. Sept. 1736)
dem Directortum befohlen, ſtrenge Aufficht Aber fie zu üben
und nur tlichtige anzuflelen. Die Infpectoren follten bei Gafs
fation jährliche Conduitenliften Über alle Prediger und Berichte
Über die Viſitation der Schulen einfchiden. Die Infpectoren
erhielten auch (30. Sept. 1718) die Aufſicht über die Stu
denten der Theologie, welche ſich in ihre Heimath begaben,
folten ſich fleißig nach ihrer wiffenfchaftlichen Ausbildung ers
kundigen, fie examiniren und im Katechiſtren üben. In Preuffen
wurbe (3. April 1734) eine erneuerts und erweiterte Verord⸗
nung über das Kirchen und Schulwefen erlaffen *) und (22,
Aug. 1736) zur Beförderung des wahren thätigen Chriftens
thums der Oberhofprediger Quandt als Generalfuperintenbent
angeftellt, um über ſtrenge Vollziehung bes Kirchen⸗ und
Schulreglements zu wachen”). Dhne koͤnigliche Genehmigung
1) Erneuert und erweitert 25. Det, 1735 in Arnoldts Gifkosie
Univesfität Spt. I, Beilage 54,
2) König IL ©. 148. Der Mönig hatte früher dem Dr. Epfius
Kirche. 4600
durfte kein Prediger aus Berlin verreiſen (2. Sept. 1736).
Bu Küftern und Schulmeiſtern follten auſſer Schneidern, Bein
webern, Schmieden, Rademachern und Zimmerleuten keine
angenommen werben (10. Nov. 1722).
Die Kirchenbuße wurde (30. März 1716) angeordnet ges
gen Hurerei, Ehebruch, Diebftahl, Meineid, Fluchen, Läfte
zung, Steffen und Saufen, Entheiligung des Sonntags, Un
gehorfam gegen Aeltern, Öffentliches Aergerniß. Es wurde bad
au beobachtende ausführliche Verfahren vorgefchrieben, beſonders
auch dem allgemeinen Wahne zu fleuern, daß die Kirchenbuße
keine göttliche Anordnung, fondern nur menſchliche Erfindung
ſei. Im den Kirchen follten daher in Aller Gegenwart Fragen
an Bußfertige über ihre Reue und Befferung gerichtet, dann
bie Abfolution ertheilt und fie wieber in den Schoß der Ge
meinde aufgenommen werben. Die Kirchenbuße follte Feine
Strafe, fonbern Abbitte und Ausſoͤhnung mit der Gemeinde
fein. Es wurbe (4. Dec. 1717) wieberholt, daß bei dem jet
großen Werfalle des Chriſtenthums bie Buße nicht ald Strafe,
fonben als Wohlthat für den Simder anzufehen fe. Daher
wurden alle unnöthigen und anftößigen Geremonien, Läfterun:
gen und Schmähungen der Geiftlichen verboten und ſollte alles,
was weltlichen Zwang und Beſchimpfung vermuthen laffe, vers
mieben und das Öffentlich erklaͤrt, auch nicht fogleich bei dem
erſten Vorfalle bie Ausfchlieffung aus der Kirchengemeinfchaft
verfügt, fonbern, wenn dieſe nöthig fei, das vorher ben Ins
ſpectoren und dem Gonfiftorium angezeigt werben. Eine bes
fondere Verordnung (4. Febt. 1718) fehrieb den Infpectoren
vor, nicht fogleich, fondern erſt, nachdem alle Grade ber Er⸗
mahnungen vergeblich geweſen, bie Ausfchlieffung vom heiligen
ben Auftrag gegeben, in Eithauen ben Zuſtand der Eehrer und Gemeinden
gu unterſuchen. Ge fand zwel Prebiger, bie Feine Bibel im Haufe,
ja kaum oder gar nicht darin gelefen hatten. Der eine hatte auf der
Unfverfität bei einem Gtubenten gewohnt, der eine Bibel befeflen, war
Übrigens feinem SOjährigen Water abjungirt, in deſſen Haufe alfo auch
keine Bibel gewefen. Boromski preuſſiſche Kirdenregiftratur S. 222.
Bergl. S. 240 über die zur Belegung erlebigter Pfarren getroffenen
Borkehrungen.
470 Bud VL Zweites Hauptftüd.
Abenbmahle, zu verhängen '). Allen Griminakcollegien wurbe
(25. Juni nn) befohlen, die Kirchenbuße ben Geiftlihen zu
überlaffen; die für gefallene Mädchen wurde indeflen (1720)
aufgehoben ). Schr wohlthätig war die auf den Worfchlag
des Kirchendirectoriums von ihm (13. Aug. 1716) angeosbnete
Stiftung ber evangelifch sreformirten Prediger Wittwens und
Waiſenkaſſe in der Kurmark ’),
&o wie der König indeſſen als unbeſchraͤnkter ‚Herr in
allen übrigen Gegenftänben verfuhr, fo handelte er auch gegen
bie Kirche und, wie überoll, meinte er es auch dabei ganz gut
und beabfihtigte das an ie ohne Rüdficht auf diejenigen zu
nehmen, welche darunter litten. Er befahl allen Geiftlichen
nachdruͤcklich, in jeder Predigt die Treue und den Gehorfam,
welchen die Unterthanen dem Könige zu erweifen ſchuldig, vors
zuſtellen und auf bie daraus fließende wilige Abtragung ihrer
Leiftungen an ihn mit gehörigen Eifer zu dringen. ‚Die ißs
cale folten befonbers Acht haben, daß die Prediger das thds
ten. Bald darauf wurde ihm angezeigt, der Dberhofprebiger
Quandt in Koͤnigsberg habe zweimal in feinen Predigten ums
terlaffen, die Unterthanen an ihre Pflicht zu erinnern. Der
König verwies ihm, der anderen Prebigern mit gutem Bei:
fpiele vorangehen folle, das auf das Schärffie, befahl ihm ge
borfam zu fein ober zu gewärtigen, daß ſolches auf andere
Weiſe an ihm werde geahndet werben (31. März 1723) *).
Am 18. December 1714 verorbnete er, weil fo viele zes
formirte und lutheriſche Prediger ihre Predigten fo ungemein
lang einrichteten und nur durch verbrießliche Bieserbolungen
deffelben Gegenftandes fo verlängerten, daß den Zuhörern bie
Aufmerkſamkeit und Andacht entgehe, die Predigt folle bei
1) Auch bei Faßmann IL ©. 268.
2) Chentaf. I. S. 827.
8) Rach dem Gbicte wurden aus ben Ueberfchüffen ber Kirchenkaſſe
2 Procent an bie Witwenlaffe gegeben, ferner bei jeder Anflellung und
wenigftens 1 Procent, von Werbefferungen und Zulagen 2 Thaler,
ee ea vom Behai Daͤhrlich wurde noch eine Kir⸗
—æ dafur
9 —— VOL. S. 8.
Geſange und dem Gebete nie über eine Stumbe bauen.
follten — (21. Jan. 1716) nur noch Edicte in Kirchen:
fachen vom ber Kanzel, bie übrigen Bekanntmachungen aber
vor dem Gottesdienſte vom Küfter vor der Kanzel verlefen
werben. Als das nicht gehörig beobachtet wurde, bezeugte er
€10. April 1717) darüber fein Misfallen, befahl Gehorſam und
Beſtrafung ber Uebertreter, auch derjenigen, welche biefe Ver⸗
orbmung, auzapfen oder fich Über fie beſchweren würden; weil
auch daS Wiehfterben nachgelafien, Tönne die befondere Mitte
deshalb ausgelaſſen und nur im Gebete allgemein miterwähnt ,
werden. Später (22. Febr. 1720) follten nur Pönaledicte
und Kirchenfachen von der Kanzel verlefen werben.
Er hätte beide evangeliſche Gonfeffionen gern vereinigt ),
wenn‘ füh dad hätte wie bie Abſchaffung einiger Geremonien
vermittelt firenger Befehle durchfegen iaſſen, was doch unmögs
lich war. Er that auch einige Schritte deshalb bei bem kurs
ſaͤchſiſchen Confiftorium, obwohl mit eben fo geringem Exfolge,
als er fich in der Schweiz bemühete, bie Spaltung unter ben
Evangeliſchen zu vermindem *). Er wollte auch (1725), dag
feine Hofprebiger, Noltenius, Iablonsfi und ber Felbpropfl
Gedikr an ber Bereinigung beider Eonfeffionen arbeiten follten ),
doch waren die Schwierigkeiten noch zu groß, auch der Probſt
Reinbeck felbft dagegen ). Der König that alfo das Beſte,
was er unter folchen Khättiffen thun konnte, er machte
zwiſchen den Bekennern beider Gonfeffionen keinen Unterſchied,
bewies vielmehr beiden Achtung und Vertrauen und forgte für
beide gleichmäßig, ja es wird behauptet, es hätten die Pre
wenigſtens ber damaligen lutheriſchen Dreiger in in Bers
lin im mehr zugeſagt, als bie ber reformirten ). Seine Ger
In einem Schrelben an ben kamburger Magiſtrat » 20. Dec.
m aflıt er das bi Bafmanıı. ©. 916.
2) Rauvillon U. ©. 22.
8) König L ©. 188.
4) Büfdings Beiträge zur Lebensbeſchreibung u. ſ. w. I. ©. 150.
5) Benstenbosf IL ©. 64. Faßmann I. ©. 908.
412 Bud VI Zweites Hauptfiäd.
mahlin blieb lutheriſch, feine Kinder ließ er von reformirten
und lutheriſchen Geiſtlichen in den Religionskenntniſſen prüfen '),
geitattete auch, daß feine Tochter Charlotte bei Ihrer Verheirathug
ee ee uew latheſche:
Er feierte (1713) dad Jubelfeſt der Annahme des vefors
mirten Giaubensbekenntniſſes im Brandenbuirgifchen, wie (1717)
das der ‚Reformation, (1730) ber Webergabe ber augsburgifchen
Gonfeffion und (1739) der Einführung der Reformation in der
Mark. Als ber geößtentheils veformirte Magiftrat in Frank
furt a. D. aus Partellichkeit gegen bie Lutheraner eine reſor⸗
mirte Selbſtmoͤrderin mit Gewalt auf dem Iutherifchen Gottes
ader begraben ließ, wurde fle auf Befehl des Königs wieder
ausgegraben, auf dem veformirten Kirchhofe beerbigt und ber
Magiſtrat muffte 2000 Thaler Strafe zu Erbauung des Thur⸗
mes ber berliner Petrikirche bezahlen, ber veformirte Major
aber, der den Magiſtrat mit ber Befagung unterſticht, wurde
caſſirt ). Der König erneuerte feines Vaters und Großvater:
- Rerbot, in Wittenberg zu ſtudiren, wegen ber bortigen fried⸗
häffigen‘, die Einigkeit unter den Evangelifchen ftörenben Grund»
füge. Auch die alten Ebicte (v. I. 1614, 1662 und 1667)
jur Friedens unter beiden Rellgionsverwanbten
erneuerte er (31. Juli 1714) und verbot, als neue Gtreitig
keiten entflanden (10. Mai 1719) den Prebigern, gegen ein
ander zu prebigen.
Die Lehre von ber befonberen Gnabenwahl, welde ben
Lutheranern fo anſtoͤßig war, nahm er felbft nicht an, fonbern
nur die allgemeine Gnadenwahl wollte er gelten laſſen ). Weil
mun, heiſſt es in einem Edicte (v. 19. Mai 1719) diefe Mo
terie von der Gnadenwahl unfelige Trennung verurfacht und
wohl nach wie vor unausgemacht bleiben, jet aber wieder
1) daßmann L ©. 927. '
©) Phlinig Men, IL p. 290.
8) Bafmann L ©. 1064.
4) Bag. was Bafmann I. &. 907 daruͤber fagt unb den dort
erzählten Borfall. .
Kirche. 473
mit Heftigfeit auf der Kanzel verhandelt werde, fo befahl: er
bei Suöpenfion vom Amte oder anderer willfinlicher Strafe
von biefem Streite auf der Kanzel gänzlich abzuftshen, bie
Biscale folten bie dawider Hanbeinden als offenbare Veraͤchter
Eöniglicher Befehle a As aber (21. April 1723) ber
König den lutheriſchen Prebigern überhaupt verbot, Streitfra⸗
gen, bie Verſchiedenheit der evangelifhen Kirchen betreffend,
vorzüglich bie Lehre von der Gnadenwahl auf bie Kanzel zu
bringen, baten bie angefehenften Berlins,
Seite, Roloff und Reinbeck im Namen aller Übrigen, ber
König möge doch, wie der große Kurfürft (6. Mai 1668). ges
ftatten, ſoiche Gegenftände mit Befcheibenheit .abzupanbeln, die
Einwuͤrfe der Reformirten zu beantworten unb ben Ungrund
ihrer Lehre aus der Bibel zu zeigen").
Als Erdmann Neumeifter, ein hamburgifcher Geiftlicher
beftig gegen bie Calviniſten -und. deren Vereinigung mit den
—æã — ſchrieb, fo beſchwerte fich der König (1726) nach⸗
behcflich bei dem Magiftrate in Hamburg, daß die dortigen
unruhigen Iutherifchen Priefter auf den Kanzeln und in Druda
und Schmähfchriften bie veformirte Religion verleumberifch vers
unglimpften und verlangte Neumeiſters eremplarifche Beſtra⸗
fung‘). Auch bei dem Herzoge von Weimar befchwerte er
ſich über eines Geiſtlichen Schrift gegen die Reformirten, was
biefem einen ſcharfen Verweis vom Herzoge zuzog ). 5
Weit wirkfamer zur gegenfeitigen Annäherung beider evan⸗
geliſchen Kirchen war bie Stiftung von Concordien⸗ oder Si⸗
multankirchen, in melden abwechſelnd lutheriſcher und re⸗
formirter Gottesdienſt gehalten wurde, und es kann wohl fein,
1) ———
u. ſ. mL. 151. Der Erfolg if unbefannt.
2) Das Schreiben aus der europaͤiſchen Fama bei Faßmann L
6.016. Die Schrift Reumeifters wurde unterbrädt, weil auch bie
evangelifchen Fuͤrſten von Segensburg ſich beſchwerten. Verbannt wurde
Reumeifter nicht. Mauvillon IL ©. 22 fagt, er fei dazu verustheitt
worden. Gr feierte auch fein SOjäpriges Amtsjubelfeft und ſiarb in Hams
— 1756. Wergl. Steinbeis Leben bei Bäfhing a. a. O. Thl. J.
152.
9 Rauvilton n. &. 2387.
7 Bub VI. Zweites Hauptſtac
(26. Aug. 1729), damit ſich, wie es heifft, Niemand weiter
baran zu feanbalifiren habe, bei ben Begraͤbniſſen ber Luthes
raner ein Erucifie ober ſonſt ein Kreuz der Leiche vorzutragen
In dem Reglement (v. 25. Febr. 1733), wie der Bots
tesdienſt in der im I. 1730 abgebrannten Petrikirche in Ber
kin gehalten werben folle, wurbe beflimmt: bie Kirche folle
um bald 9 angehen und um: halb 11 mit der Predigt und
dem Gebete geenbigt fein,. darauf Worbitten, Dankfagungen,
Aufgebote, baß Generalbeichtgebet, das Water Unfer und der
De ee er J
heben, aber kein Kreuz ſchlagen muͤſſe. Auch nach ber Bor
. bereitung zum Abendmahle folle ee der
hehe. Die fo vielen Misbraͤuchen unterworfene Privatbeichte
wurde abgeftellt, und die Generalbeichte allgemein y
führt. Die Prediger wurden ermahnt, nicht auf das duf:
fere, nichtige Ceremonienwerk, fo noch aus ber katholiſchen
Kirche herſtamme, zu feben, als fich vielmehr Aufferft angelegen
fein zulaffen, die ihnen anvertraueten Seelen mehr und mehr zu |
1) Benetenborf IL. 65. Ohne Zwang nicht!
Kirche. Bottesbienfl, 475
einem yigafcren Weſen und thaͤtigen Chriſtenthume zu
en’).
it bie Gonfifiorlalpräfidenten die Prediger näher ken ⸗
(1736) allen Predigern in ber Kurmark befohlen, fi) in Bers
ün vor dem Conſiſtorium und vorzüglich vor dem geheimen
Rothe von Reichenbach zu ſtellen, fich über ihre, fogenannte
e betreffende Lehre zu erklären und des Königs Mes
fehl darüber zu hören. Haufenweiie kamen bie Prediger nach
Berlin, weshalb man biefen Vorgang bie Prieflerrevue nannte.
Es wurden Vorträge über jene Gegenftände gehalten und viele
Zutheraner geftanden, daß fie Fein nothwendiges Stuͤck der
Religion wären, und daher ben Wünſchen des Königs darin
nachgegeben werben koͤnne. Einige erinnerten wohl, daß es
unſchuldige und nicht ganz unnlige Dinge wären und fragten,
ob benn die Reformirten nicht auch etwas nachgeben wollten,
indem auch bei ihnen Mittelbinge wären, welche einer Aendes
rung bebürften. Alle wurden zu sechtfchaffenem und eremplas
riſchem Wandel ermahnt, manche gewarnt, einige erhielten fcharfe -
Verweife. Der König befahl num die Abfchaffung aller ihm
anftößigen Geremonien (27. Sept. 1736), baß feine ernſtliche
Intention fei, das Abfingen ber Gebete und des Gegend,
ſowie die Worte der Einfegung des Abendmahls in Städten
und auf dem Lande ein für allemal abzuftellen, wogegen bie
Worte der Cinfegung bed heiligen Abendmahl und bes Ges
iger
König ein gleiche Reglement wie flr die Petrikirche auch fir
die Iutherifche Kirche im -Herzogthum Magdeburg und im Fürs
ſtenthume Halberftabt bekannt machen. Obwohl nım mehrere
jer fih unterwarfen, fo fand doch im Allgemeinen das
Reglement fo vielen Widerftand, daß ber König, welcher nicht
gewöhnt war, nachzugeben, ohne im Geringſten Rüdficht auf
die ihm von der Geiftlichkeit zu Magdeburg, Halle und Hals
1) Safmann II. ©. 746.
D) Buchh olz V. ©. 166.
gebracht worben fei, benjenigen aber, welche einiges Be
denken babei hätten ober eine Gewiſſensſache daraus machen
Ten. : Hierauf gaben 55 Geifilkhe der Gtabt und des Her
vhs Magdeburg die ihnen abgezwungene Erklaͤrung des
mit. wiberfirebendem ‚Herzen umb mit zum Zeile
Dank! nichts von päpftlichen ober abergläubifchen, fonbern von
apoftolifchen Eeremonien.” Der Königzeigte mm auf den dar
über abgeftatteten Bericht des —— demſelben (16. Rev.
1737) an, daß ex ben Prediger Braun bereits wirklich caffıt
unb einen Anderen an deſſen Stelle "Benominict, worauf ie
übrigen Prediger verwiefen wurden, ba auch fie auf die ge
ſten Intereffe ;
ten‘). Auch in ben übrigen Provinzen fuchte ber König die
anfaheffung de im anftößigen Eeremonien zu bewirken.
50,000 evangelifche Schlefier hatten ve den Bedruͤcungen,
1 Bafmann SHL J. S. 747 ff. und zum Theil aus ifem Era:
mer zur Seſchichte iche LOS
Bricric IL.
wern bie Bälebereinführung ihrer Geremonien.
Kirchen. Gottesdienſt. 47
denen fie fortwährend noch in ihrem Waterlande ausgefegt was
en, auf der Grenze auf branbenburgifchem Gebiete einige Kir⸗
hen, Pfarr⸗ und Küfterhäufer erbauet, welche faft nur von
ihnen befucht wurben. Als der König bie lutheriſchen Ges
braͤuche abfchaffte, nahmen bie Katholiken dieſe Gelegenheit
wahr, verboten ben Lutheranern, ihre Kinber in den Grenz
kirchen taufen zu laſſen und brobeten, beren Beſuch zu vers
wehren, weil in ber Mark Leine Lutheraner mehr wären. Der
Dropft Reinbet bat daher bie Königin um Verwendung für
Beibehaltung ber alten Gebräuche in den Grenzkirchen. Die
Königin wagte dad nicht, weil der König nichts davon hören
wolle. Doc ſcheinen Jablonski und Reinbeck, die der König
ſehr achtete, es durchgeſetzt zu haben, daß er nachgab; jeden
falls blieben bie anderwaͤrts abgefchafften Gebräuche in ben
Grenzkirchen, was den Katholifen bie Weranlaffung nahm, den
Gottesdienſt der Lutheraner hier zu ſtoͤren ').
Im Allgemeinen hielt er fonft am hergebrachten Glauben
und wollte nicht, daß bavon abgewichen wuͤrde). Seinen
einfachen Verſtande wiberfivebten theologifche und-philofophifche
Spigfinbigkeiten, da es ihm bier allein auf Glauben zur Se
ligkeit, nicht aber auf ein wiſſenſchaftliches Exgreifen ber Ges
genſtaͤnde ankam. Beſondere Veranlaffungen und Eindrüͤcke
verflärkten oder ſchwaͤchten biefe für das häusliche Bebirfniß
fo durchaus genügenbe Frömmigkeit und deren Uebungen, darch
welche doch, wie man meinte, gewiffermaßen Gott verföhnt
und der Suͤnder gerechtfertigt wurbe. Daher hatten ber aufrich⸗
tig fromme Franke und andere vom Könige als wahrhaft
fromm erkannte Männer auf ihn zumeilm nicht geringen
Einfluß.
1) Reinbeds Eben in Wäfdings Beltcägen I. ©. 198. Mergl.
bayı D. Brüpbuß Geſchichte ber Parodie Prittag (Grünberg 1841)
©&. 202. Dort tft auch eine‘ Abbildung der ehemaligen Grenzkirche im
tfchichergiger Oberwalbe, auf brandendurgiſchem Gebiete, eine Hütte unter
uralten Eichen.
2) Morgenftern ©. 19%. Er glaubte getreulich, mas ihn he
Geifttichen von Bott, Engeln, Teufen, Bimmel und HölLe gelehrt hats
ten, ja die Furcht vor dem Teufel war wenig geringer, als bie Liebe ”
‚gen Gott.
«78 Bud VL Zweites Hauptftäd.
Die großen Anſtrengungen, denen ſich der König bei der
Verwaltung des Staats, wie auf feinen Reifen und Sagben
ſchonungslos unteryog, fo wie bie gewaltigen Mahlzeiten, welde
er hielt, und wobei denn auch fehr viel getrunken wurde, hatten
im 3. 1727 feine Gefundheit fehr erfhüttert und er fing an
Tränktich und bypochondrifch zu werden. Franke mochte bie
Gelegenheit wahrhehmen, um ibn auf manches in der erfim
Aufwalung begangene Unrecht aufmerffam zu machen ımb
auf reine chriſtliche Geſinnung zu dringen. Der Koͤnig nahen
nachbrüdlich ausführen. Während ber Mittagstafel ſprach
Franke erbaulich, nach ihm der König zu feiner Familie, fein
Karmmerdiener flimmte einen Choral an und alle Ammefenden
mufften einftimmen. Der König dachte fogar einige Zeit baran,
abzudanken, ſich nad Wufterhaufen zuruͤckzuziehen, und ber
mit feiner Familie als einfacher Landwirth zu leben ). Ins
Piefiften nicht recht vertrug, hinter welchem er oft Heuchelei
argwoͤhnte, deren abgeſagter Feind er war. Als der lutheriſche
Prediger Schubert in Potsdam, welcher Privatandaqhten el,
dann: „Ihr koͤnnt ruhig fortfahren, 16 finde nichts Anftöpie
ge." Bon dem Profefior —— in oe hatte er gehört,
dieſer halte Betſtunden. Der König meinte, Böhmer
1) Mömeires de Bareith I. p. 98. Die Peigefn dat me tunen,
and Die eine fe fpie Zunge: En un moi der nous
les religieux de a pe eto, So wie hir
Dee de ——— be Ro
— niederzulegen, aufzufaſſen fein. Es war kein Sqherz, ſos⸗
ben Dirkung augenblidtider Bergl. Dorgenftern
211. Er malte fh) dann lebhaft aus, wie er als Bandebeimann Ichen
Hi
,
Airche. Secten «9
Ehe das fen, es wäre Kae Heucheli und er halte nihes
davon ’).
Ueberhaupt war er allen Secten abgeneigt, weniger wohl
wegen ihrer Grimbfäge, weiche er meifiens nicht kannte, als
um die beſtehenden Glaubensbekenntniſſe rein zu erhalten und
weil er als unbefcränkter Fürft natuͤrlich dahin firebte, in
jeder Beziehung Gleichfoͤrmigkeit in die geſammte Staatsorgas
nifation, alfo auch foviel irgend thunlich in die Glaubensbes
Eenntniffe und deren Uebung zu bringen. Dennoch duldett er
fie, fobald ihre Lehren nur myſtiſche und ihnen dunkele Ges
genftände, nicht aber den Staat betrafen ?), und zeigte fich bei
dem gegen mehrere angeblich fchwärmerifche Secten
Unterfuchungen fehonend °). Doch wurben nicht nur (31. Jan.
1727) Büuͤcher mit atheiftifcgen Grundfägen unterfagt, fondern
(30. Nov. 1735) die Gonfiscation der Bücher des famdfen
Dippel und anderer Sectirer angeorbnet und bie
berfelben bei 2000 Thalern verboten. Daffelbe geſchab (2. Jum
1736) bei 100 Ducaten Strafe ruͤckſichtlich der Werthheimfchen
Bibel, welche gleich darauf (15. Iumi) bei 100 Thaler Strafe
confischrt wurde, weil bie in den Buͤchern Moſis von dem
wahren Meffia als Heilande der Welt enthaltene Verheiſſung
faſt —— verdrehet und entkraͤftet ſei.
Die Mennoniten duldete er anfaͤnglich in Preuffen
(2. Apr. wie wo fie fi), wie überall, durch vortreffliche
Einrichtung ihrer Wirthſchaften und als gehorfame, ſtille und
fittlich muſterhafte Unterthanen auszeichneten. Allein bei feiner
Anmwefenheit in Preuffen (1732), mismuthig durch die großen
Verheerungen, voelehe bie Heuſchrecken bort bewirkt hatten,
unb wohl von irgenb einem feiner Generale gegen bie Men⸗
moniten gereizt, weil biefe ihren Religionögrundfägen gemäß .
dem Kriegsdienſt für unchriſtlich hielten, ftatt deſſen aber eine
anfehnliche Abgabe entrichteter, zwang er deren Vorſteher, daB
ihnen ertheilte Privilegium zurückzugeben, befahl ihnen (22. Febr.
1732), bei Strafe der Karre innerhalb dreier Monate Preuffen
1) Benetenborf VIIL S. 65.
9) Buchholz V. ©. 160.
8) König I. ©. 381.
480 Bud VL Bweites Yauptkäl.
zu verlaffen, und trug ber Kummer auf, an ihre Stelle gute
Thriſten zu fuchen, bie den Solbatenftand nicht verabfcheueten ').
In Koͤnigsberg jedoch ſollten fie eonvivendo gebulbet werden,
doch. befonderd Wolls, und Zeugfabriken anlegen (22. Sept.
1732). Auch die früher duldſamer behandelten Unitarier oder
Socinianer in Preuffen ſchraͤnkte er ſtreng auf das ihnen von ſei⸗
nen Vorfahren ertheilte Privilegium ein, und wollte ihnen kris
nen förmlichen Gottesdienſt unter keitung eines Prebigerd und
Schulmeiſters geflatten ).
Aus gleicher Quelle, ſcheint es, floß eine · andere Verfi⸗
gung. Als der Generalfiscal anzeigte, auf dem Gute des Ges
nerais Linger habe ein Prediger gegen den König und ben
General ehrenrührige Reden ausgeſtoßen und fei ein Socinia⸗
‚ner, fo verfügte der König eigenhändig: „Was er wiber mid
geiprochen hat, vergebe ich ihm und hoffe, Ringer werbe ein
gleiches thun; iſt er aber ein Socinianer, fo fol man ihn eine
mauern." Natuͤrlich leugnete der Geiſtliche, ein Socinianer zu
fein, was auch nicht bewiefen werben Eonnte, weil ber Gene
valfical feine Denunciation nur auf mehrere zweibeutige Worte
gründete, deren fo dr Preige im Beftfänften bein he
ben folte”). Auch der Paflor Baumgarten in Halle wurde
ihm angegeben, ein Socinianer zu fein, das heiffe, Grunbfäge
von Leuten zu haben, die es mit ber ganzen chriſtlichen Kirche
aufnähmen. Der König, welder nicht zweifelte, daß Baum
garten ein fehr langer, kraͤftiger Menſch fein aa lleß iha
ſogleich kommen, um ihn als Unterofficier in fein Leibregiment
zu nehmen, fand aber zu ſeinem großen Erſtaunen nur einen
Heinen ſchwaͤchlichen Mann, und fagte baher zu ihm: „Gehe er
in Gottes Namen und Ichre er fleigig fort, er kann Fein Socinia ⸗
ner fein, er wäre mir ber Mann danach, ber es mit der gangen
chriſtlichen Kirche aufnehmen wollte, dazu iſt er viel zu ſchwach ).“
—8 * ©. 427. Bersl Bafmann I. ©. 912, weihe
denſelben der Vertreibung ber Mennoniten angibt. ergl Bor
B CIE peuiTide Riegamelkatıe ©. 9. j
2) Bor ows ki preuffifche ———— © 248.
8) Benekendorf IL &. 76.
4) Denkwuͤrdigkeiten der Mark Brandenburg v. 3.1799. Xi. L. & 391.
Kirche. Secten. Wolf. 481
Aus biefem Gefichtöpunfte wird man den berüchtigten
Vorfal mit dem Profeffor Wolf betrachten müffen, der damalß
- fo viel Auffehen machte. Chriſtian Wolf, feit dem 3. 1706
Profeffor der Mathematit an der Univerfität Halle, hatte feit
dem 3. 1709 auch Vorlefungen über philofophifche Wiſſen⸗
ſchaften gehalten, welche vielen Beifall fanden. Seine Philos
ſophie misfiel indefjen ben Theologen ebenfo, wie deren Theo⸗
Togie ihm. Beide ſchonten einander nicht; ed entfland gegen
feitige auch perſoͤnliche Erbitterung und es war, wie zu allen
Beiten, den Theologen leicht, durch felbftgegogene Folgerungen
aus an fi unſchaͤdlichen Sägen und durch willkuͤrliche Deus
tung des Sinnes derfelben bie Philofophie Wolfs gefährlich zu
finden. Der Streit wurde öffentlich, als Wolf das von ihm
geführte Rectorat (12. Juli 1721) nach damaliger Sitte mit
einer feierlichen Rebe feinem Nachfolger, dem Profeffor der
Zheologie Lange übergab. Wolfe Rede über die praktiſche
Philofophie oder Moral der Ehinefen war den Xheologen fo
anftößig, daß der Profeffor Breithaupt am folgenden Tage
Dagegen prebigte und Hermann Franke, ald Decan der theolos
gifhen Facultät, ſich das Concept derfelben ausbat. Molf
weigerte fi, das herauszugeben, erbot ſich aber zu allen
mimblichen Erläuterungen, welche die Zacultät fodern werde.
Nachdem darauf von beiden Seiten mehrere Schriften vers
Öffentlicht und Beſchwerden bei dem geheimen Rathöcollegium
in Berlin erhoben worden waren, wo fich ber Gurator der
Univerfität, der Miniſter von Pringen, dem Profeffor Wolf
geneigt zeigte, wendete fi die theologifhe Facultaͤt unmittels
bar an ben König, der biöher von dem Streite nichts gewuſſt
hatte, bat ihn um eine Unterfuhungscommiffion und reichte
einige kurzgefaſſte Befchuldigungspunfte gegen Wolf ein. Ehe
noch der König die erbetene Commiſſion ernannte, kamen aus
Halle die bei ihm in hoher Gunft ftehenden und fireng auf
Drdnung auch im Gottesdienfte und Chriſtenthume haltenden
Generale von Nagmer und von Löben, welchen man bie Wols
fiſche Philoſophie unftreitig als hoͤchſt gefährlich gefchildert Hatte,
nach Berlin. Es ift fehr glaublich, daß dem Könige, um ihn
gegen Wolf zu reizen, vorgeftellt worden, nach ber Wolfifchen
Ppilofophie duͤrfe ein entlaufener Solbat rechtmäßig nicht ges
Gtenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IL * 3
[:] Bud VL Bmeites Haupiiäd,
ſtraſt werden, weil er feiner Prädeftination nad nicht anders
babe handeln koͤnnen). Genug, ber König erließ (8. Nov. 1723)
ein Refcript an die Univerfitdt, daß ihm binterbracht worben,
der Profeffor Wolf fole in öffentlichen Schriften und Bor
lefungen ſolche Lehren vortragen, welche ber im göttlichen Borte
— Seine Schriften wurden (1727) 55* auf
Betrieb des Profeſſors der Theologie, Joachim Lange, bei
Strafe ber Karre verboten, dagegen muſſten xs ſehr zahl⸗
reiche und ſehr umfangreiche Werke unter den Titeln:
liſches, moſaiſches bibliſches u. |. w. Licht und Recht genaumt
welche keinen Abſatz fanden, von jeder Kirche im Branden⸗
burgiſchen aus deren Wermögen angeſchafft werben *).
Der Paftor Fiſcher, welcher feine Bedenklichkeiten über
1) Benetendorf IT. &. 28 befdulbigt ben Profeflor Gundling in
‚Halle, daß biefer feinen Bruder, den geheimen Rath, Bofnarren m. f. m.
Yaul Gundling, veranlafit habe, dem Könige das Obige vorzuftellen!
Y) Bi Cramer zur Geſch. Friedrich Wilhelms L u. f. w. S. 72.
3) Hofbauer in ber Geſch. d. Univerfität Halle S. 199, und König
in der Vefchreibung Berlins unter Friedrich Wilhelm I. Thl. IL ©. 190
hätten bie aus Sotſcheds Hiftor. Lobſchrift auf Wolf in Bifcings Beir
gere Drau gerufen, nicht wiederholen follen, ba fie Bfcing Sp. U. ia
der Vorrede aus guten Gründen zuruͤkgenommen.
4) König I. ©. 120. Diefe Werke Eange's befichen ans einer
Verntichen Anzahl von Bolianten, .
9) Bacıko VI. ©. 442.
Rarhotiten. 483
und Jablonsti (10. Juli 1733) nicht verflattet, Ihre Soͤbne
nach England gepen zu laffen, weil dort Keine Drthoberie der
Religion flatuirt werde und es ein Gtmdenland fei, fie moͤch⸗
ten fie lieber nach Halle oder nach Frankfurt ſchicken. Der
König klagte zugleich fehe darüber, daß eb ben Reformirten
a Tate he ee
machen koͤnne).
Bon mancher vorgefafften Meinung, befonders von feinem
Vorurtheile gegen Wolf, kam der König, wie wir ſeben wer⸗
den, in feinen fpäteren Jahren auf Vorſtellung waderer und
einfichtövoller ‚Börologen zuruͤck, ein Beweis, wie ſehr feinem
„Bergen eigentlich eine ſoiche ‚Härte, wie er 8 gegen dieſen
beruͤhmten Gelehrten bewieſen, fremd wer, und daß er, nur
durch Vorſtellungen feiner Umgebungen gereizt, in einem bei
ihm fo gewoͤhnlichen Anfalle von Zorn gehandelt hatte.
Obwohl er dem Katholiiämus abgmeigt war, fa ſtͤrte
Indeſſen bi emoS Um die Gewerke de Seife Bahn I
Dresben vo (1726), daß er den Katholifen verbot, in Ben
lin ferner eigene Häufer zu erwerben; fle durſten nur bie bes
halten, weiche fie bereits befagen?). Auſſerordentlich brachte
es ihm auf, als er nach dem Tode feined Gefanbten, bed Gre
fen Metternich in Regentburg (1728), erfuhr, biefer Werräther
fei lange vorher heimlich Batholifch geworben, was ex ſelbſt
kurz vor ſeinem Tode dem Könige anzeigte, mit ber Behaup⸗
tung, jebem vechtfchaffenen Katholiten fiche es frei, ib In Re
ligio
Recht meinte, weder in Gottes Wort noch bei einem reche
1) Naczko VI. ©. 469 Beilage AIII.
2) Bafmann J. & 914.
484 Bud VL 3weites Hauptſtuͤck
(offenen Theologen jemals gefunden worden ). Er unterfagte
daher (1729) allen katholiſchen Provinzialen die geiſtliche Ge
richtsbarkeit und bie Vifitation der Kirchen und aud (1732)
bei fchwerer Strafe, Proteftanten an fih zu -ziehen und Pros
elyten zu machen. Gelbft von ber katholiſchen Kirche zur
evangelifchen uͤbergetretene Geiftliche follten nicht zu Prebigern
und Schulmaͤnnern berufen werben.
Nur wenn katholiſche Fürften ihre evangelifchen Unters
thanen verfolgten, glaubte er mehrmals biefen feinen wirkſameren
Beiſtand leiften zu koͤnnen, als indem er feine katholiſchen Un
terthanen bebrohete oder gar in ihren echten befchränfte, wie
‚wir bereit8 gelegentlich ber Streitigkeiten mit Kurpfalz gefeben
Haben. Zu den unpeitvoflen Greigniffen, welde damals die
Umtriebe vorzüglich der Iefuiten herbeiführten, die auf jede
Weiſe bie Katholifen gegen bie Proteflanten veizten, gehörten
bie Vorfälle in Thorn, welche wir, da fie eine Stadt betveffen,
die jegt zum preuſſiſchen Staate gehört und auch Friedrich
Wilhelms I. Denk: und Hanblungsweife in biefer Beziehung
ar hier kurz erzählen wollen.
In Thorn hatte der Proteſtantismus ſchon früh viele An
Hänger gefunden, denen durch ein Privilegium König Sigis.
mund Augaft (1557) die öffentliche Religiondfreipeit und den
Befig ihrer Kirchen gefihert und dann durch Reichetagsbe
ſchlüſſe und Wahlcapitulationen der Könige beſtaͤtigt worden
war. Im Anfange des 17. Jahrhunderts hatten die Jeſuiten
hier ein Collegium errichtet und ſeitdem, im Vereine mit der
immer mächtiger werbenben katholiſchen Seiſtlichkeit und den
ſchwachen Königen, immer größere Eingriffe in die Rechte der
Evangeliſchen gemacht, ihnen eine Kirche nach ber anderem,
endlich fogar ihre Pfarrkicche genommen, fo baß ihnen nur .
noch die Marienkirche und das Gymnafium biieb, wodurch na⸗
tärlich viel Erbitterung bei den Evangeliſchen entfland. Es
würde num für bie Andacht wie für die Erhaltung des inneren
Friedens fiher ſehr erſprießlich fein, wenn wenigſtens an Drs
ten, wo bie Sekenner mehrerer Glaubensbefenntniffe gleiche
Rechte haben, jebe derſelben ihre gottesdienſtlichen Verrichtungen
1) Bei Foͤr ſter Tl. II. S. 255 u. 255.
horn. 485
und Zeierlichkeiten innerhalb der ihnen audſchließlich gehörigen
und dazu beftimmten Räume pielte, weil namentlich die öffent:
liche Proceffion fo häufig Veranlaffung zu unangenehmen Reis
bungen gegeben hat. Das war auch hier ber Fall.
Am 16. Juli 1724 hielten die Katholiten auf dem Kirch⸗
bofe der den Proteftanten entriffenen Pfarrkirche zu St. Jakob
‘ine feierliche Proceffion. Aufferhalb des Kirchhofs flanden
einige lutheriſche Birger, ferner junge Leute aus der Nachbar:
ſchaft und Kinder mit entblößten Häuptern. Ein Iefuiters
ſtudent fuchte ſie mit ehrenrührigen Worten und Ohrfeigen
zu zwingen, auf bie Knie zu fallen. Weil das binging, fo
miöhandelten die Studenten zwei Stunden nach ber Proceffion
andere Bürgersföhne und Knechte auf der Strafe. Darliber
kam es zum Auflaufe und der Mädelöführer unter den, Stus
denten wurde von der Stabtwache feſtgeſetzt. Am folgenden
Tage verfammelten ſich viele Sefuiterftubenten und drangen
auf Loslaſſung ihres Mitgefellen, mishandelten die Bürger auf
der Straße, und es Fam wieder zum Auflaufe. Abermals
wurde durch die Wache der Anführer feftgenommen, während
ber erfiere auf Verlangen bed Schulpräfeten bereit in Freiheit
gefegt worden war. Die Studenten wollten nun fogleich mit
Gewalt den zweiten befreien und als das nicht gelang, fielen
fie haufenweile auf der Straße mit bloßen Säbeln die Bürger
an und fchleppten einen beutfchen Stubenten in ihr Collegium,
bis die Stabtwache fie auseinander trieb. Der Pater Rector
des Sefuitencollegiums weigerte ſich, den beutfchen Studenten
frei zu geben, wenn nicht zuvor ber polnifche entlaffen würde.
Während dem Lam es zwiſchen dem erbitterten Wolle, welches
vor dem Sefuitencollegio fland und von ben Stubenten, welche
Steine auf baffelbe warfen, gereizt wurde, zw Thaͤtlichkei⸗
ten, welche ſich auch, als ber beutfche Student in Freiheit
gefegt worden war, durch das Steinwerfen und Schieſſen aus
dem Gollegio erneuerten, worauf das wüthende Volk das Ges
bäube ſtirmte, alles Hausgeraͤth theils zerftörte, theils auf einen
* Haufen warf und verbrannte, bis bie Stadtwache kam und
Als
zerſtreuete.
Die Katholiken behaupteten, ein Jeſuiterſtudent habe
einem Lutheraner, welcher ber Proceſſion mit bededtem Haupte
46 Bud VL Zweites Haupefiäd.
gugefehen, den Hut vom Kopfe genonmten, wäre darauf nach
bee Proceffion von ben Lutheranern germishanbelt unb in ben
Stadtkerker gefchleppt, die Werwendung ber Gtubenten um
Sreitaffung fpndbe zurkcigewiefen, noch ein zweiter feflgefeht,
von den Übrigen dagegen ein Iutherifcher Stubent mit in das
Aefuitencolegium genommen und befcheiben verwahrt worben.
Darauf fei Tumult entflanden, dus Gallegtamn gefhrnt, bie die
Antdse vet, Bilder der ‚Heiligen verfpottet unb verbrammt
vr wurde indeſſen erwieſen, daß Vieles in ber legten
Darftellung ımwahr und Mehreres übertrieben vn. En o
bobene Klage ernannte der Hof eine Gommiffion, ber
fiscal muffte die peinfiche Anklage gegen die Stadt —
obgleich hier Bein Aufruhr ober eine Beleidigung des Koͤnigs
fattgefunden hatte. Die Befagung ber Stadt wurde verſtaͤrkt,
der Commandant feftgenommen und nach umb nach 80 Perſo⸗
nen gefänglidy eingezogen. Die Sommifflon faß vom 16. Sept.
dis zum 15. Dct., koſtete der Gtabt gegen 3000 Ducaten;
66 Perfonen blieben gefangen. Das Binigliche, durch 40 Des
putirte aus dem Senate unb ben Lanbbeten verſtaͤrkte Affefs
foriafgericht faͤlte darauf (16. Nov.) ohne ber Stadt Thorn
Wertheibigung zu hoͤren, folgendes Urtel: Weil die augtbur⸗
sam Confeffionsverwandten zu Thorn einen Jeſuiterſtuden⸗
ten wegen geringer Urfache gemiöhandelt und feftgenommen unb
der Mogifirat ihn nicht wieber Ioßgelaffen, barauf ein Zummalt
entſtanden, die Schule und das Sefuitencollegium exbrochen,
Altaͤre zerhauen, Bilder der Heiligen verbrannt, mehrere Je⸗
faiten verwundet, von ben Behoͤrden aber das nicht gehindert
und geſtraft worden, fo follten der Praͤſdent und Wicepräfldent,
wenn ihr Vergehen von ſechs Zeugen meltlihen und ihnen
gleichen Standes beſchworen werben würbe, das Leben verwirft
a, die Lutheraner der Stadt Thom alle Koſten tragen
und allen verurfachten Schaden erſetzen, mehreren ber 8
einigen vorher die rechte Hand abgeſchlagen und ihre Körper
werbrannt, mehr als 40 andere ihrer Aemter entfegt und mit
Gefangenfchaft und Gelbfirafe belegt werben, von jegt an die
Hälfte deb Raths der Schöppen und Gechözigmänner —
fein und den Evangeliſchen auch die Marienkirche und
Thorn. 487
Gynmaſlum genommen werben. Der Bath, zu Danzig und
die Könige von Dänemark, Schweden und Großbritannien
verwendeten ſich fir die Stadt. Friedrich Wilhelm flellte
(28, Nov.) dem Könige Auguft vor, daß bie Thorner feinen
‚Hochverrath begangen, ſondern daß nur ber niebrigfte Pöbel
einen Tumult gegen die Iefuiten erregt und von biefen gereizt
worben feien. Das fürchterliche Urtel fei nicht von Liebe zur
Gerechtigkeit, fondern von unverföhnlichem Haffe der Iefuiten
gegen die Evangelifchen eingegeben. Ex ald Theilnehmer am
Frieden von Dliva fei Gewaͤhrleiſter der Rechte der Thorner
und ber Dotifäpeeufien und bitte daher um neue unparteiiſche
ſuchung. Er wiederholte ſeine Vorſtellungen in Warſchau
und theilte ſein Schreiben an den Koͤnig Auguſt den Sönigen
von Großbritannien, Dänemark? und Schweden und dem Baar
Peter mit. Diefem Lebteren fagte er: bie Beklagten wären
mit ihrer Vertheidigung nicht hinlänglich gehört und auf fo
ungerechte und fchreiende Weiſe verfahren worden, daß wenige
Beiſpiele von einer fo graufamen Ungerechtigkeit zu finden waͤ⸗
zn. Es geht auch, fährt er fort, bie Rage des roͤmiſch⸗ka⸗
tholiſchen Gieri in Polen fo weit, daß derfelbe nicht allein die
Stadt Thorn ruiniren, ſondern auch alle Diffibenten ausrotten
wolle und fich deſſen offen rühme. Der König von Polen
laſſe dem Geiftlichen dabei ben vollen Bügel ſchießen; bie evans
geüſchen Mächte koͤnnten dad nicht mit anfehen. Cr foberte
fie auf, fich mit ihm zu vereinigen und befondere Abgeordnete
nad Polen zu fchiden, um das über dem Haupte der Stabt
amd der Evangelifhen in Polen und Lithauen ſchwe⸗
bende Unglüd abzuwenden.
Zahlreiche Truppen umgaben inbefien bie unglüdliche
Stadt. Die Jeſuiten drangen auf Befchleunigung der auf
15. Dec. angefegten Vollziehung des Urteld. Die Verurtheil⸗
ten baten um rechtliche Gehör und Vorftellung der Zeugen
und erboten ſich zum rechtlichen Beweiſe ihrer Unſchuld. Alles
war vergeblich. Schon am 7. Dec. wurde ber Praͤſident
Möbner, dann noch 9 Bürger gelöpft, nachdem vieren von
ihnen vorher noch die Hände waren abgehauen worden. Sie
litten den durch Ungefchidlichkeit des Scharfrichters doppelt
fhmerzlichen Tod ſtandhaft und Heffen ſich weder burch Ueber:
488 j Bud VI Zweites Hauptfiüd.
redung und Verſprechung, noch ungeſtuͤmes Zuſetzen verſchie⸗
dener Didensbruder zum Abfalle von ihrem Glauben bewegen.
Nur der Bicepräftdent Zerneder wurde auf vielfältige Verwen⸗
dung des Adels, der Iefuiten und der CErecutionscommiffen
vom Könige begnabigt, body muffte er 60,000 Gulden Strafe
erlegen; Andere wurden mit Gefängniß, Leibeds und Geldſtra⸗
fen belegt, dem Sefuitencollegium ber angerichtete Schaden
reichlich erfegt, den Evangeliſchen ihre Kirche genommen und
mancherlei Erprefjungen verlibt. Ale Evangelifhen wurden
mit Entfegen über ein fo umgerechtes und graufames Verfahren
erfünt!). Der König Friedrich Wilpelm J ſchrieb (9. Ian. 1725)
an ben Kaifer, klagte, daß feine Vorſtellungen nichts gefruch⸗
tet und daß die Sage des roͤmiſch⸗ katholiſchen Clerus in Polm
durch das ihm aufgeopferte unſchuldige Chriftenblut noch bei
weitem nicht gefättigt fei, bag man vielmehr dem oliviſchen
Brieden entgegen der Stabt Thorn alle Privilegien und den
Evangeliſchen ihre Kirchen und Schulm genommen. Er bat
den Kaifer, ſich mit ihm ber Sache ernftlic anzunehmen und
verfprach ihm Träftige Unterfiigung?). An bemfelben Tage
ſchrieb er an den König Auguft, klagte über das Bluturtel in
Thorn, wodurch unſchuldiges Blut vergoffen, bie Leiber ber
bingerichteten Märtyrer gemishandelt und der olivaer Friede
gekraͤnkt fei, und verlangte, daß Thorn feine Rechte ungekraͤnkt
behalte, drohete auch auſſerdem alle dem göttlichen Gefege und
Voͤlkerrechte angemeffenen Mittel anzuwenden. Zugleich foberte
er bie Abftelung vieler anderen Befchwerben, freien Durchgang
des hallefchen Salzes durch das Elbingſche, vertragsgemäß
Abſtellung der ZöNe in Polen und Lithauen, Auslieferung der
Deferteurd und Berichtigung der Grenzen’). Der König
Auguſt entſchuldigte fich in Regensburg gegen bie evangelifchen
Furſten, daß er gehofft habe, das Urtel werde nicht buchfläb:
lic) vollzogen werden. Auch gegen bie Verwendung Preuffens
zeigte er, daß ihm hier die Hände gebunden wären, ba bie
1) 3. 9. Bernede's Zpornifße Chroniten goeltt Xufl. ©. 45 fi
2) Faßmann L S. 1085.
8) Martinidre DI. p. 18.
Thor. Glauch a. 489
polnifhen Großen fich gegen bie Diffibenten erflärt hätten
und daß ihm Fein Begnadigungdrecht zuſtehe ').
Peter 1. fol bereit gewefen fein, mit 30,000 Mann zum Bors
theile der Diſſidenten einzufchreiten,, doch flarb er (8. Febr. 1725)
und fo Eonnte für die Evangelifhen in Polen wenig bewirkt
werben. Die Polen aber waren dermaßen erbittert Über Fried⸗
rich Wilhelm I. und die durch ihn veranlafften Verwendungen
der evangelifchen Fürften, daß fie Maßregeln gegen ihn neh⸗
men wollten, wovon fie doch wieber bie Zerrüttung ihres eiges
nen Reichs abgehalten haben mag?). Ueberall aber und unabs
laͤſſig verwendete fich dennoch Friedrich Wilhelm fortwährend
fire feine von fremden Füuͤrſten gebrüdten Glaubenögenoffen
und fiel dadurch befonders dem Kaifer hoͤchſt laͤſtig, der uͤbrl⸗
gens fo viele Urſachen hatte, ihn ſchonend zu behandeln’).
Eine von den mehrfachen Weranlaflungen, welche Friedrich
Wilhelm erhielt, ſich der Evangelifyen in den Staaten bed
Kaifers anzunehmen, gab die Behandlung, welche fie in Schles
fien erfuhren.
Johann Miſchke, Paftor in dem den Herren von Keffel
gehörigen Dorfe Glaucha im Fuͤrſtenthume Dels, hatte fi)
fehr eifrig der unglüdlichen Witwen und Waiſen angenommen
und bier, unterftügt von vielen anderen milbthätigen Menfchen
mit Erlaubniß der Gutöherrfchaft und Genehmigung des Hers
3098 von Dels im Geifte der Handlungsweiſe Hermann Frankes
(1720) ein Witwen und Waifenhaus gegründet, in welchem
12 Witwen Unterhalt und 24 arme meift verwaifte Knaben
auſſerdem noch Elementarunterricht erhielten. Durch die wach⸗
fenden Almofen, welche er aus Schlefin, Sachſen und dem
Brandenburgifchen bekam, konnten nad und nach 65 arme
Kinder und aufferdem noch 17 abelige und bürgerliche Schüler
als Koftgänger aufgenommen, Lehrer angeftellt und der Unters
richt fo weit audgebehnt werben, daß wohl Einer ober der
Andere zum Beſuche der Univerfität reif wurde. Die Kathos
1) Benekendorf X. ©. 7. Berg, Martinidre Il. p. 13 =,
2) Montgon II p. 406.
8) Gbenbaf. L p. 268 u. IL p. 875.
ausländifi
ber Pfarrer Miſchke wurden nach Halle an das Waiſenhaus
berufen, alle in evangelifchen Ländern gut verforgt‘). Die
Herren von Keffel baten ben Kaifer, bie Lehrer zurkcklonmen
laſſen und bie Anftalt fortfegen zu bünfen. Zriedrich Wilhelm,
an den fich bie Vorſteher derfelben und Hermann Franke ge
wendet hatten, fchrieb (18. Mai 1727) ganz eigenhändig an
den General Sedendorf: ex miſche ſich nicht in großer Herrn
Hausangelegenheiten, allein, ba e8 eine Gewiſſensſache fei, fo
ſchike er ihm Franke's Schreiben, es um Jeſu Willen zu
empfehlen, daß der Kaiſer Barmherzigkeit habe. Der Kaiſer
meine e3 gut, allein bie Iefuiten feien zuwider, die das Reich
des Satan vermehren wollten. Sedendorf ſchickte das Schrei
ben mit Weglaffung der Ausfälle gegen die Jeſuiten an ben
1) Buchs Kirchengeſchichte des gurſtenthums Deis ©. 506, ein durch
Benugung guter Quellen hoͤchſt zunerläffiges Wert.
doch ausdruͤcklich, fie weber zum Aufenthalte von Armen, noch
zu einer Schule zu verwenden. '
Be dem Könige von Sardinien verwendete fi Frichrich
Bitpelm wie feine Vorfahren wiederholt und mit einigem Er⸗
folge für die gedruͤckten Waldenſer *). ann be —
in einem zwiſchen ihm und dem DR von Ansbach
—— Dorfe Altenhauſen einen evangeliſchen Geiſtlichen feſt⸗
wieder
deutſchen Drbens In Magdeburg, Cleve und Moͤrs vorzulaben,
ihnen bie Foderung des Geiſtüchen in Altenhauſen vorzulegen
und fie mit Sequeſtration aller Guͤter zu bebrohen, wenn ber
Orden u Genugthuung gebe, wozu biefer fo gezwungen
Auch für die edangeliſchen Ungarn in ber neutraer Ges
ſpanſchaft, denen ihre Kirchen und Schulen genommen unb
bie Uebung ihrer Religion unterfogt worben war, verwendete
er fih (1734) *), und was er für die Salzburger gethan, has
ben wir bereits oben erzählt, wie und, 8 — u Böhmen fih
die gedruckten Evangeliſchen zu ihm we
So ſehen wir, daß Friedrich at L % Stelle, welche
1) Be Förfter Spt. IL ©. 9.
9 Dieterici’s Waldenfer &. 818, 82% u. 830, in den Jahren
1714, 1724 ü. 1780. Er war audy bereit, 500 Famillen der fo unvers
antwortlic behandelten und zum Auswandern gezwungenen Waldenſer in
der Neumark unterzubringen, doch find nur Wenige in die Mark ge
Tommen. .
8) Rauvillon IL ©. 298.
4) Mauvbillon I. ©. 868. Schon Friedrich I. Hatte ſich im
I. 1700 für fie verwendet. Daf. ©. 871.
5) Dahin gehört noch ein merkwuͤrdiges Schreiben bes Könige vom
1. Apcti 1762 an Sechendorf bei Joͤr ſt or IIL ©. 308 ff.
und wo irgend möglih an ihre Spibe zu treten,
eine Richtung, welche in Verbindung mit dem nach allen Geis
Men den haar eb gen
auch diefem Könige bei aller fonftigen Strenge ia Härte gegm
Jeden, ben ex fire faul, Lüberlih oder ſchlecht hielt, dennech
beimohnende milde Sinn gegen wirklich Arme und Gebrechliche,
vorzüglich gegen verwaifte Kinder. Friedrich Wilhelm ließ da⸗
ber daS von feinem Water gro Keibeihebofpitel —
und —— — das Spinnhaus vor
Armenfonds vermehrte er anfehnlic *), und wollte überhaupt,
daß das gefammte Armenwefen ordentlich eingerichtet würde *).
Er übertrug es daher endlich (1739) dem Minifter v. Brandt
und dem geheimen Rath v. Reichenbach und erkannte e& fehr
an, als biefe Männer fich bereit erflärten, dieſe ſchwierigen
1) Safmann L ©. 555. König I, ©. 40. Mila, Bei
von Berlin ©. 242.
9) Babmann I.&, 555. König L ©. 119 u. 155. Ricolai IL
©. 681.
8) König LE. 14
4) Bapmann L ©. 554.
Hofpitäter. Wiffenfhaften. 493
Arbeiten * Gottes Willen ſonder zeitliche Abſichten zu uͤber⸗
nehmen ').
Die Pflicht, ſich der Elenden und Kranfen zu erbarmen,
und die Notwendigkeit, ben Hllfsbeblirftigen beizufpringen,
trat unmittelbar hervor und nahm nicht nur den Menfcyen
und CEhriſten, fondern auch den Fürften in Anſpruch. Ganz
anders verhielt es fich mit ben Wiffenfchaften und deren Pflege.
Der einfache, unausgebildete Verftand bed Königs, welder
nur auf das für den Staat unmittelbar Nügliche fah, hatte
Feinen Begriff von Dingen, beren praktiſche Anwendbarkeit
nicht fofort einleuchtete. Selbſt ohne wiffenfchaftlihe Bildung,
umgeben von Officieren, benen fie faft durchaus fremd war,
unter ihrem und Leopolds von Deffau Einfluffe, ber fie vers
achtete und ihm umabläffig einprägte, daß fie für den braven
Soldaten, ia für alle gehorfamen Untertanen Aberfläffig, ia
nachteilig, daß es für diefe hinreichend fei, wenn fie ihren
Ramen fehreiben und wenn einige rechnen Lönnten*), war es
ganz natlrlic, daß er die Wiffenfchaften geringihägte‘). Cr
behauptete daher auch, ein accurater Rechnenmeifter thue ihm
fiherere Dienfte als alle Schreibmeifter (Schriftfteller) *).
Bon Staatswifienfchaften wollte er gar nichts wiffen, auch
nicht haben, daß feine Untertanen ſich mit ihnen befchäftigten
und bie Zeit verſchwendeten, weshalb er ben Drud der bers
liner Zeitungen verbot, welche daher in den Jahren 1713 und
1714 gar nicht erſchienen, erft im I. 1715 wieber begannen,
wahrfcheinlich weil er wünfchte, daß von den Thaten feines
‚Heeres im Feldzuge gegen Karl XIL etwas befannt werben
möchte. Sie enthielten dann überhaupt nur Auszüge aus ans
deren Zeitungen ‘und unter dem Artikel von Berlin alltägliche
- Begebenheiten und Epecutionsanzeigen ).
1) König L &. 816. Er ſchenkte im I. 1735, als er von einer
ſchweren Krankheit genefen, 10,000 hir. an bie Armenhäufer, Hofpitäler
unb miben Stiftungen Berlins. König a. a. D. ©. 257.
D) Benetenborf VIT. &. 5. König IL ©. 109.
8) Histoire de PAcademie p. 56.
4) Benelenborf VII®. 116.
5) Ebendaf. VII, ©. 6. König IL ©. 129.
Bud VL Bweltes —
15:
asanıı Hi
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EEHITETR
Fr
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ii
1) Baßmann L ©. 618.
2) Histolre de l’Aendanie p. 67. König 1. ©. 2.
8) Man finbet die vielen zerſtreueten Nachrichten gefammelt in (Rd:
nig6) Erben und Thaten Jakob Paul Freier von Gundliag, Ber
lin 179.
Gundling. 46
Der Miniſter v. Danfelmann hatte ihn nach Berlin gejogen,
dem in mancherlei Gefellfchaften, vorzüglich zu dem Infligen
Bein und Bierſchenken Blenſel kam, wo er mit feiner Ges
lehrſamkeit prahlte und die Gäfte durch Erflärung ber neueſten
politiſchen Ereigniſſe ergögte, dafirr im Trinken frei gehalten,
fid) den Trunk angewöhnte und zugleich wegen feiner fchmmupie
gen Kleivung und Pebanterie zum Gelächter und mit bem
wen ı er Per gern daB Wichtigſte wiflen *) und auch wohl
baben. Bei der in feiner Umgebung allgemein herr⸗
— und durchaus nicht ſchaͤndenden Unwiſſenheit konnte
er ſelten die gewunſchte Auskunft erhalten, ex ſuchte daher
einen Menſchen, Ber Ihm bie an den Bekungen und ber Be
ſchichte wiffenswirbigen Nachrichten vorträge. Der Minifter
Grumbkow flug dazu den Paul Gundling vor, welcher das
vauf zum Hofrathe und Zeitungsreferenten angenommen wurde
und Fe Tafel am Pöniglichen Hofe erhielt. Seitdem befand
ex fich täglich in der Gefellichaft des Königs, welder anfing,
vor den außgebreiteten Kenntniffen Gundlings eine gewiffe
Achtung zu faflen, fo daß er fih oft und gern mit ihm uns
terhielt. Er ertpeilte ihm daher fchnell hinter einander bie Tk⸗
tel als Kammers, Krieges, Geheimers, Oberappellationds und
Kammergerichtörath mit ber Freiheit, allen Sitzungen biefer
Eollegien beizmoohnen, feine Deinung zu fagen und ihm Bes
richt zu erflatten. Dadurch wurbe er bei bes Perfönlichkeit
des Königs ein fehr geflschteter Mann, dee Anderem hätte
2) Baßmann I. S. 960.
496 Bud VL Zweites Hauptftäd.
hoͤchſt gefährlich werben Finnen, obgleich ex wirklich Niemandem
SImbeffen wurde er num ungemein ſtolz und wedte
fo doppelt den Neid feiner Umgebung. Die unwiflenden Dffis
dere in der Gefelfchaft des Königs fahen ed ungern, daß bie
fer vor Kenntniffen Achtung erhielt, die ihnen fehlten und bie
fie geringfchägten. Es lag ihnen daran, die Gelehrten herab
zuminbigen und Gundlings Schwaͤche, feine Reigung zum
Trunke, gab ihnen dazu die befte Gelegenheit. An der Zafel
des Königs wurde Überhaupt nach deſſen Beifpiele ſtark ge
trunken, Gundling vielfady dazu veranlafft ſich zu übernehmen,
worauf man ihm nicht eben auf feine Weife nedte und ver
fpottete, was Beranlaffung zum Lachen gab und dem Könige
gefiel, welcher gern Jemand in feiner Nähe hatte, der ihn
durch Späffe und Schwaͤnke erheiterte. Um ihn lächerlich zu
machen, ernannte ihn ber König (3. Nov. 1717) zum Ober
ceremonienmeiſter und ſchenkte ihm einen fo prächtigen Anzug,
als der entlaffene Oberceremonienmeifter Beſſer unter Friede
richs L Regierung getragen; bann befahl er (19. Febr. 1718)
dem Minifter von Kamecke, den wohlgelahrten unb weifen und
mit univerfalen Meriten würdigen Oberceremonienmeifter und
geheimen Rat) Gundling bei dem bamaligen Generalfinanzs
directorium einzuführen, wo er das Departement aller Seiden⸗
wirmer im ganzen Rande haben follte. Alle in und auſſerhalb
Berlins befindlichen Kirchhoͤfe befahl der König mit Maulbeer⸗
bdumen zu bepflanzen und verfchrieb (27. Febr. 1718) die
Nugungen derfelben an Gundling. Ein Edict (9. Ian. 1719)
beftimmte, die Koften der Bepflanzung der Kirchhöfe mit Maul⸗
beerbäumen binnen 6 bi8 8 Wochen follten aus dem Kirchen
vermögen beftritten werben.
Diefen Mann, mit dem, vorzüglich wenn er betrunken
war, bie Umgebungen des Königs, ja biefer zuweilen ſelbſt,
die allerfadeften, plumpften, ja pöbelhafteften, nur mit ber
damaligen Roheit ber Sitten einigermaßen zu entfchulbigenden
Späffe trieben, den man nach und nach als Hofnarren anzus
ſehen ſich gewöhnte, ernannte der König (5. März 1718) an
Leibnigens Stelle zum Präfidenten ber Akademie der Willen:
ſchaften, wie er ihn fpäter (25. Sept. 1724) durch ein foͤrm⸗
liches den Adelöftand verſpottendes Diplom: vor erſt nur in
Gundling. Akademie. 497
ben ®reiherrenftand erhob, während feine großen Verbienſte
laͤngſt meritist, daß er mit bem Grafenftand beehrt wide.”
Nicht minder machte er die allerdings wirklich ganz leere Kam»
merherrenvolitde lächerlich, indem er (1726) Gundling bazu
ernannte. Dennoch bat biefer, wenn auch gefchmadios, einis
ges Nügliche durch feine Arbeiten fire brandenburgifche Gefchichte
gewirkt, wozu er Anderen unzugängliche Hülfsmittel hatte. Die
Drudtoften mufften dann wohl von Officieren hergegeben wers
*. Eng dem armen Menſchen zu arge Poflen gefpielt
jatten '). "
Später (19. Ian. 1732) ernannte der König einen ges
wiffen Graben zum Stein, der fi auch als Hofnarı im Las
bakscollegium muffte brauchen laffen, zum RBicepräfibenten der
Afademie und gab ihm 200 Thaler Befolbung aus den Ein
kuͤnften diefer Anftalt. Wirklicher Präfident derfelben wurde
(1733) der gelehrte Iablonsfi. Die Akademie der Wiſſenſchaf⸗
tem hatte durch Gundlings Ernennung, wegen der Gunft, in
welcher ex bei dem Könige flanb, wenigftens fo viel gewonnen,
daß fie auf ihre Fortdauer, wenn auch nur unter ben druͤckend⸗
ſten Verpältniffen, hoffen konnte. Sie fegte langfam und in
großen Zwifchenrdumen die Herausgabe ihrer Schriften fort,
von denen der 2. Band im I. 1723, der 5. erftim I. 1737
erſcheinen konnte. Im Tabakscollegio war die Akademie nur
Segenftand des Spottes, wie ibr denn auch von daher bie
Aufgabe zufam, die Urfache des Braufens des Champagnerd
zu erflären, ber fie damit auswich, daß fie ſich zu den nöthis
gen Verfuchen- 50 Flafchen diefed Weins ausbat ?).
Während die Übrigen Mitglieder der Akademie ihre Pens
fionen verloren, wurde aus denen, welche dazu brauchbar was
ten, (1723) ein Collegium medico-chirurgieum (feit 1725
Dbers Collegium medicum ?) eingerichtet und (feit 1724) wur⸗
den auf dem anatomifchen Theater öffentlich unentgeltliche Vor⸗
1) König IL ©. 127. Das Verjeichniß feiner Schriften in feiner
ebensbefäireibung ©. 148.
2) Willen im Berliner Kalender v. 3. 1828. ©. 230.
3) König I. ©. 182. Bergl. Hieron. Gundlings Hiſtorie ber
Gelahrtheit Thi. IV. S. 5658.
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. III. 32
498 Bud VI. Bweites Hauptflüd.
leſungen in beutfcher Sprache über Chirurgie und Anatomie
gehalten‘). Nach dem Mufter des Gollegiums in Berlin wur
den in mehreren großen Provinzialftäbten Collegia chirurgiea
und medica eingerichtet, an welche die zahlreichen Leichen bins
gerichteter Miffethäter, ferner der in der Charite oder im ben
Buchthäufern Geftorbenen abgeliefert, fowie überhaupt auch alle
Leichen der Soldaten geöffnet wurden ). Bei diefen Collegien
mufften alle diejenigen geprüft fein, welche als ausübende Aerzte
ober Chirurgen auftreten wollten. Der König ließ auch auf
feine Koften junge Chirurgen in das Ausland reifen, um fid
dort Kenntniffe und Fertigkeiten zu erwerben, bie fie nach ihrer
Rückkehr anwenden Tönnten. Gin neues allgemeines Medici
nalebiet wurde (1725) vom DbersCollegio medico heraudge
geben und, um ben Abfag zu fichern, jeder Arzt, Stadt» und
Landphyſicus, Wundarzt, Apotheker und Bader, und jede Heb⸗
amme verpflichtet, ein Eremplar für einen Thaler zu Laufen.
Eben dad war mit dem Dispenfatorium und der Medicinals
tage der Ball.
Acht Chirurgen, aus benen die erledigten Regimentsfelbs
ſcheerſtellen im Heere befegt wurben, bezogen aus ben der Ala⸗
demie überwiefenen Kalenderftempeleintünften jährlich 1800 The
ler). Ale diefe Angelegenheiten ſtanden unter dem Minifer
von Greutz *).
Wie fehr der König überall auf praktiſchen Nutzen fah,
zeigte fih, als er der Akademie der Wiffenfchaften (1735)
2000 Bände der koͤniglichen Bibliothel aus den Faͤchern ber
Aftronomie, Mathematik, Phyfil und Medicin und feltene Ras
turalien uͤberwies. Als fi) die Abgeordneten ber Gocietät für
eine ſolche flattliche Verehrung bedankten, ermahnte er fie, allen
Fleiß anzuwenden, um den Endzwed zu erreichen, um deſſent⸗
willen fie gefliftet wäre, nämlich bie Ratur und deren Kräfte
zu erfennen und ſich auf folhe Erfindungen zu legen, welche
capable, bie Küstfte und Wiſſenſchaften immer höher empor zu
2) Bafmann L ©. 348.
2) Ebmbaf. I. &. 557.
8) Ebenbe. 1. €. su.
9 8xbnig LE. 181.
Alademie. Chirurgie Bibliothek. 49
bringen und zwar folde, die der Welt zum wahren Nutzen
gereichten, keineswegs aber in bloßer Windmacherei und in
falſchen Traͤumereien beftänden, womit ſich viele Gelehrte auf:
zuhalten pflegten ').
Nicht beſſer als der Akademie der Wiffenfhaften ging es
der koͤniglichen Bibliothek. Diefe hand, wie früher, umter dem
Chef des geiftlihen Departements. Im Anfange (feit 1714)
erhielt fie zwar zu ihren etwa 1000 Thaler betragenden Eins
Bünften noch jährlich 100 Thaler Zuſchuß vom Könige, der
diefe jedoch ſchon im I. 1719 wieder ſtrich. Die kaͤrglichen
Beſoldungen der Beamteten wurden aus den Bibliotheksgel⸗
bern vermehrt, allein aus Untbärigkeit der Bibliothekare, denen
es wohl ſchwer werben muffte, freudigen Muth zu bewahren,
jährlich weniger Bücher gekauft, daher das dazu beflimmte
Seid aufgefammelt. Piöglih (1722) ſtrich der König alle
Befoldungen der Bibliothefbeamteten und wies dem Generals
major v. Glaſenapp jährlich 1000 Thaler auf bie Bibliotheks⸗
gelber an. Vergebiich bemühete fich der Minifler von Pringen,
als Director der Bibliothek, das durch die Vorſtelung ruͤck
gängig zu machen, der König und deſſen Water hätten bie
Befoldungen in den von ihnen gegebenen Beftallungen zuge:
fichert. Nur der Bibliothekscafſirer Mieg beielt 60 Thaler
Befoldung, und der General Blafenapp bezog bis an des Ks
nigs Zod jährlich die ihm aus den Bibliotheksgeldern beftimms
tem 1000 Thaler. Weil nun die Beamteten keine Befoldung
mehr hatten, bekuͤmmerten fie ſich aud wenig um die Biblio:
thel. Ein gewiffer Hakemann, welcher aufferordentlicher Pros
feſſor in Helmftäbt gewefen, von dort aber wegen Spöttereien
über die chriſtliche Religion fortgejagt worden, dann vom Mis
niſter Grumbkow als Kundfcpafter im ſchwediſchen Kriege ge
braucht worben war, erhielt den Zitel eines Kriegsrathes und
Bibliothelard mit 400 Thalern Befoldung, wurde aber nur
dazu gebraucht, um im Tabakscollegio mit Gundling zu dis⸗
putiren und fo bie Dienfte eines Hofnarren mitzuverſehen.
Nachdem er 100 Thaler zum Ankaufe von Büchern unters
1) Faßmann L ®&. 542 gibt 8000 an. Wilkens Seſchichte
der koͤnigl. Bibllothek ©. 81.
32*
500 Bud VL Zweites Hauptfüd.
ſchlagen, ging er nach Wien und wurde katholiſch, kam nach
vielen Jahren wieder nach WBufterhaufen, machte große Fode⸗
rungen, erhielt wirklich eine Profeſſur in Halle und nah
vielen Lüberlichen Streichen den Staupbefen '). Unter bie
fen Umftänden kam es dahin, daß für die koͤnigliche Biblie-
ihek im I. 1734 nur für 4 Thaler, im J. 1735 für
5 Thaler, in vielen Jahren gar Feine Bücher angefchafft
werden konnten. Aus dem Verkaufe der Dubletten muſſten
die Koften der Heizung ber Lefes und Arbeitözimmer und
die umbebeutenden Buͤcherankaͤufe befritten werben. Einige
neue Werke uͤberwies der König der Bibliothek, unter ande
ren ben vom Hauptmann Michal gezeichneten Atlas von
Schwaben, welchen er mit 400 Ducaten bezahlt hatte. Aus
der vom Minifter v. Plotho binterlaffenen Bibliothek wollte
ex zwar einige Werke gegen Dubletten der Königlichen Biblio
thek eintaufchen, allein Fein baares Gelb dafuͤr verwenden.
Auffer den 2000 Bänden an bie Alabemie der Wiffenfchaften
muffte die Bibliothek aud (1737) ale Muſikalien an den Mus
Sydow abgeben. Allein fireng wurde auf die von
indeſſen ficher von fehr geringer wiflenfhaftlicher Bedeutung
waren. Die Anzahl ber Bände der Bibliothek betrug bei dem
Tode des Königs wahrſcheinlich etwas fiber 72,000, die Zahl
dee Handſchriften, welche feit dem großen Kurfürften wenig
vermehrt worben waren, kaum 2000 Bände ).
Baft ebenfo wie der koͤniglichen Bibllothek ging es ben
Univerfitäten. In Halle war Vieles von den Entwürfen
FZriedrichs I. noch nicht ausgeführt. Zu dem fehlenden anates
mifchen Theater gab der König zwar das Gebäude des ehema ⸗
lügen frftlihen Schauſpielhauſes her, allein ber Profeffor der
Anatomie war genöthigt, es auf feine eigene Koflen einzurich⸗
ten, welche dann immer ber Nachfolger den Erben feined Bors
gängers erſetzen muſſte. Glüdlicherweife unterhielt das Wai⸗
fenhaus ein kliniſches Inftitut, welches fowie eine oͤffentliche
1) Faßmann L &, 1027.
2) Biltens Geſch. der koͤnigl. Bibliothek ©. 68 ff.
Bibliotheken. Univerfitäten. 501
Bibliothek der Univerfität noch immer mangelt. Die unges
nügenden Einklmfte der Untverfität erhöhete der König (1733)
um 300 Thaler, fo baß fie nun 7000 Thaler jährlich betrugen.
Defto freigebiger ertheilte man Titel, welche nichts koſteten,
doch ber Eitelkeit fchmeichelten und gern angenommen wurden,
ungeachtet bie Profefforen in Halle wie in Königsberg nach den
Statuten den Rang vor Zitularräthen hatten. Dem aus Alts
dorf nad Nicolaus Hieronymus Gundlings Tode (1729) an
beffen Stelle (1732) berufenen Profeflor Hoffmann gab ber
König zu den 100 Thalern aus ber Univerfitätölaffe noch
400 aus der Schatulle und ftellte auch, ganz feiner praftifchen
Richtung gemäß, (1727) zuerft Profefioren der Kameralwiſſen ⸗
ſchaften (in Halle mit 400 Thalern Gehalt) an '), obgleich
diefe häufig wegen der eigenthuͤmlichen Misverhältniffe und
‚wegen Mangels an Lehrtalent ben Erwartungen, die man von
ihrer Wirkſamkeit hegen mochte, nicht entſprachen. Auch eine
Profefjur der deutſchen Beredtſamkeit gründete der König in
Hale’).
Die Profefforen der Iurisprubenz hatten die Einkünfte
von ihren Arbeiten bei der Bacultät, welche damals noch als
gemeiner als fpäter Spruchcollegien waren; bie Profefloren
der Medicin bezogen die anfehnlichen Promotionsgeblihren und
übten ihre Kunſt als Aerzte aus; allein bie Profefforen ber
theologifchen und vorzliglich der philoſophiſchen Facultät befans
den fich defto uͤbeler. Alle noch fo fehr klagenden Vorftellun:
gen waren jedoch vergeblich, weil ber König meinte, ein Kehrs
amt wife auch ohne Beſoldung ein anftändiges Einkommen
geben. Das wurde num gemisbraucht, indem Männer ohne
die nöthigen Kenntniffe und Eigenfchaften Profeffuren erhielten,
wenn fie fich dazu erboten ohne Gehalt zu verlangen, worauf
fie fowie auf Nebeneinkünfte fpäter doch hofften. Daher bes
fand die juriſtiſche Facultät, bei weldyer auf die meiften Ne
fte zu vechnen war, oft aus 10 bis 12 ordentlichen
Profefforen. Zum Gluͤcke waren aus der Regierung Friedrichs 1.
noch Männer wie Thomafius, Böhmer, Wolf, Ludwig, Hoff:
1) Hofbauer L. S. 158 ff. Faßmann I. 568.
2) Gundlings Hiftorie der Belahetheit Sp. IV. ©. 5470.
502 Bud VL Zweites Hauptfäd.
mann in Halle noch Mitglieder der Univerfität, deren Ruf fie
aufrecht erhielten, wobei es freilich flr diejenigen, welche füch
durch ein günfligeß Unterkommen im Auslande aus ihrer bes
drängten Lage hätten veiffen Finnen, fehr druͤckend war, daß
fie der König nur ſchwer ober auch wohl gar nicht entließ, ja
fogar bei ſchwerer Ahndung verbot eine fremde Vocation anzus
nehmen oder gar wegzugehen, weswegen bie ganze Univerfität
verantwortlich fein folte'). Sie wurden noch verpflichtet,
Öffentlich unentgeltliche Vorträge zu halten, ihnen dazu (im I.
1735) 4 Locale angewiefen, den Ungehorfamen Strafe gebros
bet, und weil die Studenten dieſe wahrfcheinlich nicht immer
mit Sorgfalt gehaltenen Vorleſungen nicht hören wollten, fo
wurden die bazu gezwungen, welche Freitiſche hatten, denen
zugleich das Honorar der Privatvorlefungen erlaflen werben
muffte*). Der Beſuch der Univerfität litt, auffer durch bie
ſchon oben angeführten Gewaltthätigkeiten der Officiere bed in
‚Halle liegenden Regiments, beſonders noch durch die Verban⸗
nung Wolfs.
In mancher Hinficht ging es der Univerfität Frankfurt noch
Übeler. Obgleich ber König als Kronprinz (1706) dad Rectoret
derfelben übernommen hatte, fo behandelte er fie dennoch ſehr
geringſchaͤtzend. Er nöthigte fie (1718), ben dafigen Reitſtal
und die damit verbundene Ritterafabemie zu unterhalten, auch
dem Stalmeifter 200 Thaler jährlicher Beſoldung aus den
Untverfitätögeldern zu zahlen, nahm ihr (1719) durch Gas
binetöbefehl 1000 Thaler und (1721) noch 1325 Xbaler,
alfo 2325 Thaler jährlicher Einkuͤnfte, welche fie bem
wiſſenſchaftlichen Sinne des großen Kurfürſten verdankte,
endlich auch die RWrannteweinbrennereigerechtigfeit auf dem
Carthaus und den Bier» und SBranntweinverlag auf ber
Schleuſe bei Wrigen, die Befreiung vom neum Biers und
dem Kriegömalzgelbe, welches Alles die Univerfität von alten
Beiten her befeffen ). Kurfürft Johann Georg hatte für Frei⸗
1) Die Werfügung in Arnolbs Siſtorie der konigebergiſchen Uni
verfität Thi. J. Beilage Nr. 68.
9) Hofbauer ©. 181.
u. a rufen Dit, ber Dninefatt unh Et Bunftent u. &. Die:
Univerfitäten. 603
tifche armer Studirender ber Univerfität ein Kapital von 20,000
Spyeciesthalern (zum Betrage von 14,666 Thalern) zugefihert,
deffen Binfen fpäter mit 1200 Thalern auf den neumärfifchen
Bol zu Frankfurt angewiefen worben waren. Der König hob
dad (1723) auf und zwang die Univerfität, aller ipm gemachten
Vorftellungen ungeachtet, ſich daflır mit 12,000 Thaler Kapis
tal zu begnügen, wodurch die Freitiſche fehr befchränkt wurden.
Einen nicht unwiſſenden aber halb verrückten Doctor
Bartholdi, der wegen feines ungebuͤhrlichen Betragens gegen
den Minifter v. Pringen in der Hausvogtei gefefien hatte,
ernannte der König zum Profeffor der Rechte an ber Univers
fität Frankfurt, obwohl diefe vorflellte, daß es im Gehirne bes
Bartholdi nicht richtig fei. Er fing hier allerlei Händel an,
verurfachte der Univerfität viel Verdruß, wurbe barauf in ein
Hoſpitai gebracht, und muffte dort endlich wie ein Rafender
feftgefchloffen werben). Ein. gewiſſer Arnold von Dobrölew
ein prager Auguftiner, welcher in Berlin zur evangelifchen
Kirche Übergetreten war, wurbe zum Hofrathe unb Profeffor
in Frankfurt ernannt, war aber fo unwiſſend, bag ihm ber
König eine Sreiftelle im joachimsthalſchen Gymnafium gab,
um dort noch den gehörigen Schulunterricht zu erhalten ?).
Der Magiſter Salomon Jakob Morgenftern hatte in Halle
bei einem Glaſe Waſſer und einer Pfeife Tabak vor Iärmenden
Studenten Borlefungen Über Geographie und Geſchichte gehalten,
eine Staatsgeographie und ein der Kaiferin Anna von Rußland
und den Grafen Oftermann und Muͤnnich gewibmetes Staatörecht
des ruſſiſchen Reichs gefchrieben und war baflır reichlich belohnt
worben. Im der Hoffnung, an dem in Moskau zu errichtenden
Gymmafium angeſtellt zu werden, wollte er fich dahin begeben. Bei
feiner Durcreife durch Potsdam gab er fih am Thore ald Ma-
gister legens an und erregte durch diefe ungewöhnliche Bezeich⸗
nung, ſowie durch fein auffallend komiſches Aeuſſere, die Aufmerk⸗
1) Baßmann I. ©. 1020.
HMorgenfiern ©. 83. Wie fehr die Univerfität Frankfurt freilich
ſchon feit der Gtiftung von Halle herabgefommen mar, zeigt ber frei⸗
zeng op. Jat. Mofer in feiner Lebensgeſchichte TG. I. 8. KAufl-
. 187.
50% Bud VL Zweites Hauptſtuͤck
farmfeit de wachthabenben Officiers ber ihn dem Könige mel: _
dete. Diefer bedurfte gerabe eines Vorleſers in feiner Tabals-
geſellſchaft. Der Profeffor Faßmann, der einige Zeit dazu ges
dient, ſich aber nicht länger hatte wollen als Rarıen mishan⸗
dein laffen, war (um 1732) entflopen, Graben zum Gtein,
zugleich Wicepräfident der Akabemie der Wiſſenſchaften, fort:
während betrumfen, mehrere Andere ohne Witz und Kenntaiffe,
nur für die platten Späße der Gefeliſchaft auf einige Zeit zu
gebrauchen ?), alfo muſſte Morgenftern erfcheinen. Geine fr
mifche Figur gefiel dem Könige, ber bei ihm auch (mit Recht)
die nöthigen Kenntniſſe voraudfegte, ihm baher anbeutete, er
durfe nicht weiter reifen. Morgenftern, ein böchft gutartiger,
gelehrter Pedant, ber jedoch nicht bie Abficht hatte, als Hefs
narr feine Laufbahn zu machen, ſchuͤtzte feine Ausfichten in Ruf
land vor, allein der König erklärte kurzhin, was die Kaiferin,
koͤnne auch er geben, verlieh ihm den Hofrathötitel, freie Woh⸗
nung und 500 Thaler Gehalt; fo mufite er bleiben, fuͤgte fc,
obwohl innerlich fehr ungern, in feine Lage und hielt fi da
ber auch im Ganzen, wenn er nicht, was jedoch feltener als
bei Gundling gefchah, betrunken gemacht worden war, ziemlich
im Anſehen ).
Um die Gelehrten insgeſammt auf der Univerſitaͤt Frankfurt
lächerlich zu machen, ernannte ihn der König zum Vicekanzler
derfelben und führte ihn in eigener Perfon durch eine Disputation
* ein, weil ihm gefagt worden war, es werde hier nicht genug
diöputirt. Der König kam daher (10. Nov. 1737) in einem
Iogbwagen, neben welchem Morgenftern ritt, nach Frankfurt,
befah am folgenden Zage bie Meffe, nahm Abends eine Mufit
an, welche ihm 183 Studenten brachten und ertheilte ſelbſt
den Befehl, was bei tapferm Wegen der Hieber auf den Gteis
nen und Schreien auögerufen werben folle: „Vivat dem Königs
lichen Haufe, den Pöniglichen Waffen und dem Herrn Morgenſtern.
1) Man fehe über fie Flügels Geſchichte der Hofnarren &. 226 ff.
über Jaßmann befonders ©. 285 ff. und Ricolai in der neuem beri
Monatſchrift Mai 1807 ©. 257.
2) Ricolat am angef. Drte S. 288 gibt die genauchen Rodeich: |
en über Morgenſtern.
Morgenftern in Frankfurt. 505
Pereat allen Feinden des Königs und dem Aſtralikus (Spott
name des Hofnarren und Vicepräfidenten der Alabemie, Gras
ben zum Stein)!"
Am Dienflage muffte Morgenſtern feine Disputation:
„Bernlinftige Gedanken von der Narrheit und ben Narren“ vers
theibigen; ben Profeſſoren wurde durch bie Pedelle befohlen,
zu erfcheinen und zu opponien. Morgenſtern, der das Er⸗
niebrigende der Wolle, welche er fpielen muffte, fehr wohl
empfand, das aber nicht merken laſſen durfte, muffte auf dem
Katheder in einem geflidten blaufammtenen Kleide mit fehr
großen vothen Auffchlägen und other Weſte erſcheinen, bie
Silberſtickereien an den Knopfloͤchern, den Taſchen, den Beins
Eleidern und ben Iwideln der Strumpfe beflanben aus lauter
Hafen. Eine große Perle bebedte den Kopf und ben
ganzen Rüden; flatt des Degens hatte er einen Fuchs⸗
ſchwanz an ber Seite und auf bem Hute flatt der Federn Has
fenhaare.
Der König kam frühzeitig In das Auditorium und ließ
die noch fehlenden Profefforen, auch den berühmten Johann
Jakob Mofer, geheimen Rath, Director der Univerfität und
Ordinarius der Juriftenfacultdt durch einen Unter», dann, als
er nicht gleich Fam, durch einen Oberofficier holen. Ex grüßte
dann Wofer, und beſchwerte fi), daß noch weiter Niemand
anweſend fei, obgleich er die Zeit zur Disputation gar nicht
beflimmt hatte. Er wartete num noch und fagte zu den um»
flehenden Dfficieren: Morgenftern wäre kluͤger ald alle Profels
foren, dann zu Mofer, mit dem er ſich unterhalten hatte: wenn
man einen Hafen haben will, muß man ihn von ben Unis
verfitäten holen. Gundling fei gelehrt gewefen, allein mit Mor⸗
genftern nicht zu vergleichen. Ein Quentchen Mutterwig iſt
beffer als ein Zentner Univerfitdtöweißheit! Weil Mofer nicht
gern opponiren wollte, fo fagte der König: „Ia das ift auch
ein ſolcher Heuchler wie der Schinmeier (ein Prediger in Stets
tin, welcher einige Tage vorher bei ihm in Ungnabe gefallen
war). Was iſt's denn? Jeder Menſch hat feinen Narren, ich
habe den Soldatennarren; einer (er deutete auf Mofer) hat
den geiftlihen Hochmuthönarren, ein anderer einen anderen.
506 Bud VL Aweites Hauptftäd,
Es iſt ja nur ein erlaubter Spaß ).“ Der König rief den |
Studenten zu: „Scheuet euch nicht, Jungen, tretet mäher
und beweift Dorgenftern, daß er ein Rare if." Nun ging es
ſehr tumultuariſch zu, daß Morgenflern es nicht mehr aushal⸗
ten Tonnte. Der Rector muffte geholt werben, ber im der
Eile die Peruͤcke eines Unterofficiers auffeste und die Rube
herſtellte. Morgenftern beſtieg das Katheber und rief den Pro
feſſor Roloff zum Opponiren auf. Mofer begab ſich
Roloff disputirte tüchtig mit Morgenflern, trieb ihn
die Enge und brachte durch gute Einfälle den König
mals zum Lachen. Dann disputirte ber Hofrath Flei
Morgenftern. Der König unterhielt fih mit bem
Roloff und erkunbigte ſich, weil er zu ber Beit ber
feinem Vorurtheile gegen Wolf zuruückgekommen war
Studenten auch fleißig Philofophie hörten. Als
verneinte, fo wollte der König befehlen, daß alle Studenten,
ehe fie zu Fachwiſſenſchaften Übergingen, vorher Philoſophie
bören müfften, aufferdem nicht befördert werben ſoliten. Ex
felbft erklärte fich fin einen großen Liebhaber der Philofophie
und meinte, es ſcheine doch, daß Morgenflern eine gute Log
verfiche. Als darauf bereits eine ganze Stunde verfloffen war,
ließ er die Disputation abbrechen, machte gegen ben Vicckam⸗⸗
ler Morgenftern ein großes Gompliment, brebete fi um, pfif
und Eatfchte in die Hände, was alle Anweſende nachmachten ’).
Es wide den Univerfitäten und den damaligen Gelehr⸗
ten, gegen bie ber König vielfach) durch bie ihn umgebenden
Dfficiere gereizt wurbe, noch uͤbeler ergangen fein, wenn nicht
wadere und gelehrte Geiftliche wie Jablonski, Reinbed und
He
if:
3233
sh
. Raooloff, welche ber König fehr achtete ), und auch der kenut⸗
1) Denkwuͤrdigkeiten der Mark Brandenburg v. I. 1799 ZH. 1.
©. 891.
O Bis hierher gibt Mofer, welcher amvefenb war, bie zuneriäffigfe
achricht von biefem Vorgange in f. ebensbefchreibung Ahl. 1. ©. 168 f-
8) Rachſt Mofers Rachrichten dürften. die Benekendorfé
VIIL ©. 56 als jene ergängenb Glauben verbienen. Dieſer gibt mur icrig
bas 3. 1785, flatt bes 3 1787 am.
4) Königs Berun IL. ©. 19.
Univerfitäten. 507
nißreiche Oberft Gamas, ber bei ihm viel galt"), ihmToft bes
fänftigt und dadurch von nachtheiligen Verfügungen, zu denen
er in der erfien Aufwallung nur zu fehr geneigt war, abges
hatten hätten.
So fehe er nun gegen Dinge eingenommen war, bern
Nugen er nicht einfah, fo leicht war er fir alles wirklich
Nügliche zu gewinnen. Gein Leibarzt Gundelsheim, ein Res
fegefährte Tourneforis, brachte es fo dahin, daß der vor dem
potöbamer Thore gelegene Hopfen» und Küchengarten zum
botanifchen Garten eingerichtet wurbe und baf alle —
ſchen Gewaͤchſe aus den königlichen Gärten in Schönpaufen,
Charlottenburg, Potsbam und Honslardyk bahin gebracht und
einem Dberauffeher übergeben werben mufften *).
Vorzüglich die Aufficht über die Studirenden und Gans
didaten ber Theologie gab zu mehreren Verfügungen Berans
laffung, au (30. Sept. 1718) über den Umfang ihrer Stu⸗
bien und bie mit ihnen anzuftellenden Prüfungen. Um den
Beſuch der inlaͤndiſchen Wniverfitäten zu befördern, follte jeder
lutheriſche Theolog wenigftens 2 Jahre in Halle flubirt haben
(9. Ian. 1726) und Niemand zu einem Pfarramte befördert
werben, ber nicht 3 Jahre auf inlaͤndiſchen Univerfitäten und
Gymnaſien, in Brankfurt, Halle, Königsberg, Duisburg, Zins
gen und Ham ober auf den reformirten Univerfitäten Utrecht
amd Baſel ſtudirt haben winde (1. Nov. 1727). Jeder
Student, der ein Stipendium bezog, follte jährlich eine Ars
beit, welche Beweis feiner Fortſchritte gäbe, an bie Facultaͤt
abliefern und nach Ablauf von 3 Jahren biöputiren, fonft feine
Anſtellung erhalten (14. Mai 1726).
In einer günftigern Sage befand ſich die Univerfität Rbs
nigsberg, vielleicht zum Theile wegen ihrer größeren Entfernung
von Berlin; wenigſtens verringerte der König ihre Einkünfte
nicht, befreiete fie vielmehr (1716 und 1722) von ben Quars
tiergelbern und vergüitete ihr (1718) bie genommene Acciſe⸗
2) Mofers kin I 0 168 f O auh über In be Bon
rede zu der Correspondanoe de Fröderie TI. » et Mad. de
Camas.
2) König L ©. 51, aus Küfters Berlin II. ©. 202.
508 Bud VI. Zweites Hauptſtuͤck
freiheit aus feinen Kaffen’). Dagegen befahl er (1717) den
Vrofeſſoren, wöchentlich vier Stunden Öffentliche Borlefungen
zu halten, wenn fi) aud nur ein einziger Zuhörer einfinde,
und aufferdem für jede ohne hinlänglihen Grund ver
fhumte Ihnen ehoas vor ber Befobumg abpmichen un
Univerfitätsvermögen zu uͤberweiſen ). Gr — wie
Vader (4732 und 1735) Fr gegen unfleißige Docenten ofme
Rachſicht zu verfahren, bern Namen, bis fie fih gebeffet,
im Verjeichniſſe ber Vorleſungen wegzulaffen, ihre —*
Beſoldung en und an arme Studirende zu
len, endlich ihm Anzeige zu machen, damit er ae an
ſtelle. Die Zahl der Profefforen wurde fehr vermehrt, bie
theologiſche durch bie fünfte bis fibente, bie juriflifche durch
die vierte, bie mebicinifche durch die fünfte ordentliche Profek:
fur’). In der pbilofepbifien wurden auffer den Profefloten
der Gelehrtengefchichte, der Alterthuͤmer und der deutſchen Be:
—* zuerſt mehrere auſſerordentliche Profefforen angeſtellt ).
Sehr zweckmaͤßig wurde (1737) die Profeſſur der Anatomie von
der Profeffur der Botanik getrennt, allein vergeblich auf ein ana
tomifches Theater gehofft, bis endlich, gerade wie in Halle, im J
1738 der Profeflor Büttner ein ſolches auf eigene Koften erbaueke,
deren Exftattung an feine Erben durch feinen Nachfolger ihm zu
gefichert wurde *). Seit dem I. 1732 flieg in Königsberg die
Zahl der Stubirenden von 300 auf 600, was wohl nicht mit
Unrecht ald ein Beweis der erhöheten wiffenfchaftlichen Beifum»
gen ber Univerfität angefehen werben duͤrfte °).
Nur durch theologifche Auffäge war ed Gelehrten möglich,
fi des Könige Gunft zu erwerben und Unterftügung zu ers
halten. Der junge vierzehnjährige Dr. Baratier, ein wahres
1) Arnolde Hiftorie der koͤnigebergiſchen Univerfität Tl. 1. S. 112
9) Bei Arnold I, Beilage 68 vergl. ©. 189.
8) Dafelbft Thl. I. S. 257 u. 287.
4) Dafelbft Thi. II: ©. 418 f. .
5) Dafelbft II. S. 289.
6) Bericht des Susi Fouts in Rinigiberg v. 30. Si
1786 in Königs Berlin IN. ©. 1
Univerfitdt Königsberg. Lectüre. 509
Wunder von frübzeitiger Entwidelung, glaubte fi dem Kb
nige am beften zu empfehlen, indem er (1735) Auffäge über
bie Mittel, die Juden zu befehren und Widerlegungen ber
Zeinde der Religion, der Gottheit und des Heilands ſchrieb.
Wirklich wurde er auch vom Könige anfehnlich beſchenkt und
erhielt eine Penfion, um fid weiter ausbilden zu Können ’).
Selbſt der alte, berühmte Arzt, Friedrich Hoffmänn, ſchrieb
deshalb (1738) einen Inbegriff der Hauptartikel des chriſt⸗
lim Glaubens, den er dem Könige überfhidte, welcher ihm
fagen ließ, er habe das ſchoͤne Buch felbft gelefen und finde
es vortrefflich ?). Unter folchen Umſtaͤnden muffte bie litera⸗
riſche Bildung finfen. Bas noch von wiſſenſchaftlichen Wer⸗
ken erſchien, war eine Frucht der Regierung driedriche Lund
der nicht ganz zerflörten Anfalten.
Die Hauptlectlire machten bie gefämadiofen Todtenges
ſpraͤche Faßmanns aus, ber einige Zeit hindurch zu dem
‚Hofnareen und Zeitungsleſern bes ‘Königs in ber Tabaksge⸗
fellſchaft gehörte, ſich aber diefer ſchmachvollen Lage durch bie
Sucht entzog und das Leben des Königs beſchrieb, welches
eine Menge fehr zuverläffiger Nachrichten über ihn und feine
Umgebungen enthält. Obwohl nun daB Werk im Zone ber
tiefften Unterthänigkeit gefchrieben if und im Außbrude ber
Demuth zuweilen an Satire zu fleeifen fcheint, fo wurde
8 dennoch fiscalifch verboten”). Aufferdem fand man des
Graben zum Stein Geſpraͤche im Reiche der Geiſter, die res
denden Thiere und ähnliche Schnurren und die zahlreichen
fliegenden Blätter über die häufigen Hinrichtungen von Ver⸗
brechern. Selbſt kriegswiſſenſchaftliche Werke Tonnten nicht
erfcheinen, wo man im Heere flolz auf den Mangel an Kennts
niffen wer, biefe verachtete und dem Gefpötte bei jeder Ges
legenheit preisgab, weshalb die wenigen, welche wiflenfchafts
liche Bildung befaßen, diefe zu verfleden genöthigt waren.
Im feinen lehten Lebensjahren ließ der König das ſpaniſche
1) König I. ©. 125 und Baratiers Schrelben ©. 164.
©. aud) Über Baratier, Hofbauers Geld. d. Univesf. Halle S. 288.
2) Das Schreiben bei König a. a. D. S. 157.
3) Benetenborf VIIL ©. 6.
510 Bud VL Zweites Hauptfihd.
Kriegdreglement auf feine Koſten druden, aufferdem nur Pre
bigten, Gebet» und Andachtebůcher '). |
Etwas mehr ald fr die Univerfitäten geſchah fr die bir
heren Schulen. Das joachimsthalſche Gymnaſium bauete der
König neu auf, fiellte durch eine Werordnung (v. 30. Sept.
1718) die Damals noch aufgeführten Komödien und bramatis
ſchen in denſelben ab und ordnete eine jährliche oͤffent⸗
liche Pruͤfung der Schüler an, wobei rg ber Umfang der
nötpigen Kenntniffe fir Diejenigen, welche Theologie ſtudiren
wollten, feftgefegt wurde.
Weit mehr that der Koͤnig fir Schulen, in welchen ge
Schreibens und Rechnens. Es wurbe wiederholt (23. Dt,
4717 und 19. Dec. 1736) durch ein allgemeines Edict den
Acltern bei nachdruͤclicher Strafe befohlen, ihre Kinder vom
Drtsalmoſenkaſſe gegeben, das Edict in jedem Dorfe ange
ſchlagen werden umd Patrone, Geiftlihe und Infpectoren auf
die Wolziehung deffelben ſehen . Ale Rekruten follten be
ihren Regimentern ſchreiben und leſen Iernen und im Ebrinen
thume unterrichtet werben ).
Allein mit bloßen Verfügungen und Befehlen ließ fih
bier nicht viel ausrichten, daher griff ber König für fein Preuffen
und Litauen dieſe wichtige Angelegenheit auf wirkfamere Weile
an. Er hatte bei feinen mehrfachen Reifen vorzüglich m
Lithauen bie aufferorbentliche Unwiſſenheit deö gemeinen Man
nes kennen gelernt und beſchloß daher, hier eine bamerhafte
1) König Xp. IL ©. 19 ff. Vergl. Röbenbeds Beiträge L
©. 880, der mehrere Predigten anfüprt, welde auf Specialbefchi dei
Königs gebruct wurden.
N) Be Bafmann IL S. 286. Berg. Boromsti’s preufkfde
©. 174.
9 Benekendorf VIL S. 81.
Symnafien und Landſchulen. 511
gute Schulverfaffung als daB einzige Mittel einzurichten, um
dem bort herrſchenden Elende zu fleuern. Ex befahl daher
(2. Juli 1718) der Regierung, den Kammern und dem Gons
fiflorium nachdruͤdlich, mit vereinten Kräften endlich der Un:
wiſſenheit des Volks abzubelfen und den wadern Dr. Lyfius
in Königsberg und den werkthätig frommen Franke in Halle _
mit dazuzuziehen. EB wurden, immer angeregt von bem uns
ermüdlichen Könige, nach und nad fünf Entwürfe gemacht,
deren Ausführung aus verfchiedenen Grimden fdpeiterte, allers
dings auch wohl, weil ber König keine bedeutende Summe
baaren Geldes aufwenden mochte. Die Einwanderung frems
der Goloniften, hauptſaͤchlich der Salzburger, denen er die Er⸗
bauung von Kirchen und Schulen verfprochen, brachte biefe
Angelegenheit von Neuem in Anregung. Die Kammern wolls
ten nicht, wie bezwedt wurde, die ganze Koſtenlaſt auf die
opnebin ſchon fo ſtark befleuerten Untertpanen legen laſſen.
Endlich räumte vorzüglich des Königs eigene Beharrlichkeit die
entgegenftehenben Hinberniffe weg und feste das laͤngſt bezweckte
fegensreiche Werk durch, indem er (1735) 40,000 Thaler her⸗
gab, von deren Zinfen Schullehrer unterhalten werden follten.
Er kam felbft (1736) nach Preuffen, um bie neuen Einrich⸗
tungen zu unterfuchen, ſchenkte noch 10,000 Thaler Kapital
zu bemfelben Zwede wie die obigen und befahl die Ausfühs
rung bed bereits feit 3 Jahren gemachten Entwurfs, wonach
die Unterthanen nach Verhaͤltniß ihres Wermögens zur Eins
richtung und Erhaltung bed Schulwefens mit beitragen follten.
Die firengfien Befehle wurben deshalb erlafien und im I.
1738 waren im koͤnigsbergiſchen Kammerbepartement, ohne bie
ſchon früher vorhandenen 320 Kirchſchulen, bereitd 385, in
Kithauen 275 Dosfichulen, alfo insgeſammt 1160 Dorfſchulen
eingerichtet.
An den Drten, wo Schulgebäude fehlten, wurben fie neu
exbauet, wozu der König die Baumaterialien bergab, während
die Gemeinden die Fuhren dazu verrichteten. Daffelbe wurde
für die Schulen in den Abelöbörfern befohlen, fo daß bie
Sculbautn im I. 1740 größtentheils vollendet waren‘).
4) Doch waren viele derfelben ſchon im I. 1741 wicder baufällig.
Boromwski’s preuffifhe Kirchenregiſtratur S. 176 — 187.
512 Bud VI Zweites Hauptftüd.
Lehrer fanden fi, feit in ben koͤnigsberger Schulen bie Lehr
methode verbeffert worden war und in ben bafigen Armens
ſchulen 1500 Kinder, aufferdem noch in bem umter Friedrich L
von waderen Männern eingerichteten Fridericianum 1100 Kins
der von 100 Stubirenden Unterricht erhielten‘). Auf ben
Dörfern folte feit 1734 Niemand mehr confirmirt werben, ber
nicht Iefen konnte und mit den Grundlagen des Chriſtenthums
befannt war). Hierdurch erwarb fi der König
Berdienſte um fein Preuffen und Lithauen, ——
man auch über feine allerdings aus beſchraͤnkten Anfichten
vorgegangene Verachtung der Gelehrſamkeit und der Faden
Künfte urtheilen mag, fo barf doch auch auf Feine Weiſe ver-
kannt werden, baß der Glanz, weldyen diefe um bie Fuͤrſten
verbreiten, von denen fie begimfligt werben, oft nicht viel
mehr als gehaltiofer, der Eitelkeit ſchmeichelnder Schimmer ifl,
während das unfcheinbare Verdienſt, durch Gründung zahlres
her Landſchulen daB Volk der Roheit und Unwiſſenheit ent:
zogen zu haben, dem Ruhme ber Stiftung prunkender Alkade⸗
mien für Gelehrte an Werth wenigftens gleichlommen därfte
Allerdings geſchah In den Übrigen Theilen der —d
weit weniger fir bie Landſchulen und, wie es ſcheint, über
haupt nicht viel. Mit blößen Werorbnungen war, wie fih
bald zeigte, nichts Wefentliches auszurichten und Gelb zur
Grimdung von Schulen und zur Bildung tüchtiger Lehrer war
vom Könige ſchwer zu erlangen. Der Propft Reinbeck bat
ihn, bie koͤlniſche Schule in Berlin, welde, feitdem fie im
3. 1730 abgebrannt mar, im Rathhaufe gehalten wurde, neu
aufbauen zu laflen. Der König bewilligte zwar (1737) den
Platz dazu, aber nicht die noch nöthigen 3000 Thaler Ba
koſten, weshalb die Schule in ihrem unbequemen Locale blei⸗
ben muſſte ).
1) Sold becks Rachrichten von ber Univerfität zu Konigtberg unb
den dafelbft befindlichen Sad. und Enlepungeanfalen ©. 208
2) Berit v. 80. Juli 1736 bei König U. ©. 132. Doch daͤrſte
wenigftens biefe Angabe noch genauer zu prüfen fein.
3) Reinbe®s Leben in Bäfhings Beitraͤgen zur Echensgefdiidhte
u. ſ. w. Ahl. L S. 19.
Säulen. Künfte 613
Nach fhlimmer als den Wiflenfchaften ging es den Kuͤn⸗
fien. Ienen ließ fi doc irgend eine nügliche Seite abge:
winnen, ben Künften aber da, wo fein Sinm und Gefchmad
für fie war, gar feine‘). Gleich im I. 1714 wurden bie
Einkünfte der Akademie der bildenden Künfte von 1000 Thas
tern auf 300 Zhaler gefegt und ihr aufferdem bie Werpflich-
tung auferlegt, fr bie ihr eingeräumten Zimmer über dem
Eöniglichen Marftalle jährlich 50 Thaler Miethe zu entrichten,
was ihr doch auf ihre Vorſtellung erlaffen wurde). Die
Feſte, welche fonft von ihnen verherrlicht worden waren, hat:
ten aufgehört; bei den Kriegsübungen, den Jagden und in
Affembleen, welche von einzelnen Großen gegeben wurben, be:
durfte man ihrer nicht. Doch ließ ber König (1719) eine und
zwar fehr große Medaille zu Ehren feine Heeres fchlagen *)
und eine ungemeine Menge von Silbergeräth anfertigen, das
wohl weniger durch Schönheit als durch Schwere bes koſtba⸗
von Metalls auffiel. So wurden unter Anderem 10 Kronleuch
ter, jeder für 6000 Thaler, 20 Wandleuchter, jeder für 5000
Thaler, ferner maffive filberne Zifcpe und was man vorzüglich
bemerkte, ein im weißen Saale bes berliner Schloffes anges
brachter Balkon für die Muſiker von maflivem Silber vers
fertigt, welcher 7270 Mark wog und gegen 95,000 Thaler
Toftete ).
Die einzige Kunft, welche fih) noch einiger Nachfiht des
Königs erfreuete, war bie Malerei, wahrfcheinlih weil er
ſelbſt in feiner Jugend etwas zeichnen gelernt hatte und ſpaͤ⸗
1) Les arts Ubéraux tomberent en decadence, Frederic II. des
Moeurs etc. p. 422.
2) Witten im Berliner Kalender v. 3. 1823. ©. 232,
8) Foͤrſter I. ©. 303 fagt, fie habe 5 Zoll im Durchmeſſer,
fei im Golde 500 Ducaten werth geweſen unb bei (feltenen) feierlichen
Gelegenheiten verſchenkt worden.
4) Actenftüde bei König IL. ©. 106. vergl. Benekendorf II.
©. 53. Nicolai in feinen freimüthigen Anmerkungen zu Zimmer
manns Fragmenten &. 67. fchlägt den Werth des Silbergeraͤths wohl
ziemlich genau zu 1,376,000 Thix. an. Andere, ſelbſt bie Prinzeffin
Wilhelmine, geben runde und größere Summen.
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TI. 33
- 514 Bud VI. Zweites Hauptftäd.
ter viel malte, vorzüglich feit dem I. 1729, während ihn bie
Gicht peinigte und feine lebhafte Gefcyäftsthätigkeit hemmte,
Zwei Malergehlitfen Halfen ihm bei Wereitung ber Farben
und bienten zu ben nöthigen Handreichungen. Weidemann,
der Director ber berliner Akademie der bildenden Künfte, bem
allein er von allen Mitgliebern derfelben eine Befoldung von
600 Thalern gelaffen, entwarf die Umriffe des Delgemaͤldes,
welches der König dann Tolorirte, aber felten ausfüͤhrte. Da
durch wurde das Illuminiten von Kupferſtichen, das Aut
ſchneiden amd Ladiren kleiner Bilder in Berlin fehr gewöhns
lich. Ron Kunft Eonnte freilich babei nicht die Rede fen,
obgleich ber König wirklich glaubte, ald Maler etwas leiſten
zu koͤnnen, worin ihn auch die Schmeichelei feiner Umgebum-
gen und Anderer beftärkte, welche er einigemal, wie man en
zählt, dadurch in unangenehme Werlegenheit ſetzte, daß ex den
Werth feiner Gemälde von ihnen tariren ließ und fie ihnen
dann für die natürlich hoc; genug angegebene Summe überließ.
In der Regel verſchenkte er indefien feine Gemälde‘), Bon
Weidemann ließ er fich felbft oft gu Geſchenken, allein auch
alle Generale feines Heeres malen und dieſe in Potsdam in
einem befonderen Bimmer aufftelen; auch ale langen Grene
diere feines Leibregiments wurden auf feinen Befehl vorzüglich
von Merk in Lebensgroͤße gemalt und in den Gängen des
Schloſſes aufgehängt’). Merl malte auch des Königs Hunde
und das von ihm eriegte Wilbpret, ein geiwiffer Degen bie
Schlachten des großen Kurfürften, bei benen bie Pferde er
träglich, die Menfchen aber alle einander wie Brüder ähnlich
waren. Der einzige Kuͤnſtler, ber unter Friedtich Wilhelm
als Maler genannt. zu werden verdient, war der bereit von
feinem Water als Hofmaler angeftelte Pesne, dem er feine
Befolbung von 1500 Thalern ließ. Vorzüuglich die Königin
hielt ihn hoch, und befchäftigte ihn mehrfach), ohne daß er
1) Benekendorf J. ©. 107 u. XL @. 69. König IL, 162
2) Rach dem Tode bed Königs wurden fie weggenommen. Bene:
tendorf XL ©. 77.
8) Sie lich ſich mehrmals und i. I. 1735 auch dem jungen Pro
feſſor Baratier, wahrſcheialich auch biefen von Peöne malen. Gunblings
Malerei. Muſik. 615
ſich bei der verpältnigmäßig nur geringen Begimſtigung ber
Kunſt in Berlin noch weiter vervolfommnet hätte, indem auch
er dem damaligen unfänftierifhen Gefdhmade nachgeben und
von der Geſchichts⸗ zur Bildnißmalerei übergehen muſſte ).
Auch der Markgraf Karl liebte die Kimſte und befchäftigte
Maler, Kupferftcher und Bildhauer. Die zum Xheile fehr
ſchonen Gemälde, welche der König in den Schloͤſſern zer:
ſtreuet von feinem Water geerbt hatte, beacdtete ex nicht”).
‚Br Bildhauer, fofern fie zur Verzierung der neu erbaue⸗
ten Kirche und öffentlichen Gebdube und Thore dienten, gab
es mancherlei Beſchaͤftigung. Der Tod feines riefenlangen
Grenadiers Jonas, des Fluͤgelmanns vom Leibregimente,
ſchmerzte ihn fo, daß er einem Bildhauer befahl, den Jonas
im voͤlliger Lebendgröge mit Montur und Gewehr fo viel als
möglich ähnlich in Stein auszubauen °); and ließ er einige
Öffentliche Denkmäler, wie das des großen Kurfürften in Ras
thenew, ambere in Köslin und in Berlin errichten. Die
Kunſt im höheren Sinne waltete Hier fo wenig ob, wie bei
den zahlreichen Bauten des Königs *).
Auch von der Muſik war er, auſſer fofern fie zur Er⸗
hoͤhung des Jagbvergnäigens biente und zu feinem Leibregis
mente gehörte, kein befonderer Freund, obwohl fie von ber
Königin, als deren einzige Ergöglichkeit, geliebt wurde *). Bei
Hiftorie der Gelahrtheit Spt. IV. ©. 54085 fie habe mehrere Gemätbe
der Art mit 150 und mehr Ducaten bezapit.
1) Friedrich IL a. a. DO. p. 422. König IL 163.
2) König IL S. 167 ff. u. 169.
3) König L ©. 161.
4) $riebri IL a. a. O. p. 42%. Les menuisiers s’6rigärent
en sculpteurs et les magons en architectes. Das Werzeichniß ber wer
nigen Künftier Berlins unter Friedrich Wilhelm I. f. in Ricolai’s Be
ſchreibung Anhang 4. &. 86.
5) Benelendorf XL ©. 67. Berg. König I. ©. 177 f.
Dem widerſpricht auch nicht, was Nicolai inf. Anekdoten vom Briebridh IE.
‚Heft II. &. 148, von Priebric Wilhelms angeblicher Muſttileb haberei
angeführt hat. Deffen Sparſamkeit gegen Bocatelli bei Benetenborf XIH.
©. 48 zeigt, wie wahr das oben Gefagte if. Vergl. Faßmann I.
©. 851. Die Mufiktiebpaberei der Königin bezeugt Lotn in feinen Schrif⸗
ten 3. Abtheilung S. 28. Sie hat wohl gmnääft auf Beeid IL geisistt.
3
516 Bud VL Bweites Hauptfiäd.
Goffeierlichkeiten mufften die Mufiker des Leibregiments bie
fehlende Kapelle vertreten und baher nahm er gegen bas Enbe
feineß Lebens (1736) den Kapellmeifter Sydow in feine Dienfte
und befahl ihm in Potsdam eine Muſikſchule anzulegen, in
welder Waifentnaben Unterricht erhielten, um dann ald Haut:
boiften unter die Regimenter vertheilt zu werden. Gloden:
foiele dagegen liebte er und ließ in- Holland für Berlin und
Potsbam mehrere mit großen Koflen verfertigen.
Allem, was feiner Meinung nach den Müßiggang befoͤr⸗
derte, war ber unermuͤdet thätige König durchaus abhold, da⸗
her auch allen den Bolköbeluftigungen, welche er nur als Ver⸗
anlaffung zu Verſchwendung der Zeit und des Geldes anfah.
Deshalb unterfagte er (28. Mai 1727) die Schießuͤbungen
der im fechzehnten Jahrhunderte gegrümbeten Schligengilbe ber
Reſidenz, allermagen: er bad Tüberliche, uͤppige Weſen abgeſtellt
voiffen wolle. . Das Gefuch der bei biefen Feſtlichkeiten buch
den Abſatz ihrer Waaren intereffirten Handwerker wies er zu
ruͤck, weil das Scheibenfchießen überhaupt von keinem Nuten
fei. Die von den Schüigenkönigen getragene ſilberne Kette
und die Schuͤtenplaͤtze wurden verfauft ): Auch Thee⸗ und
Kaffeeſchenken verfchwanden, fo bag man nur an zwei Orten
in Berlin Kaffee verfaufte .
ESo kam aud das Theater, welches in ben letzten Lebens
jahren Friedrichs I. aufgehört hatte, nicht wieber empor. Doch
erhielten Seiltänzer, Taſchenſpieler und andere Gaukler und
herumziehende Schaufpielergefellfchaften, welche anderwärts we:
der während der Meſſen und Jahrmaͤrkte, noch fonft geduldet
wurden ®), von Zeit zu Zeit Erlaubnig, in Berlin Vorflels
kungen zu geben; nur ſollte nichts Scandaleufed und Aerger⸗
liches auf der Bühne erfcheinen. Naturlich erhoben fich die
1) Wilken im Berliner Kalender v. I. 1823 S. 111, aus Küfters
—— — S. 586 f. Auch die 40 Thaler, welche Friedrich dem
Sqhatenkonige in Fuͤrſtenwalde bewilligt, zog ber König und wahrfdein
lich überall In der Mark alle Gunfibegeugungen ber. Art ein. Golts
Ghronit v. Fuͤrſtenwaide S. 832, Das Gchießen hoͤrte auf.
9) König II. &. 299.
3) Adtenftüde bei Börfter Thl. J. ©. 806 f.
Schaufpiel, 517
Komoͤbianten nicht uͤber gewöhnliche Poffenreißer. Ein ges
wiſſer Eggenberg, der ſtarke Dann wegen feiner bemunderungss«
wirbigen Körperkraft genannt, ſetzte indeſſen den König durch
Beweiſe derfelben in fo großes Erftaunen, daß er (1717) bie
Erlaubniß erhielt, uͤberall im Reiche feine Stärke zeigen zu
Sinnen. Er muffte fi bei dem Könige in Gunſt zu erhalten,
fo daß hm biefer die Einrichtung ber Affembleen in Berlin
übertrug. Der König bewirkte nämlich, da er zu ſparſam
war, um in Berlin ſelbſt Affembleen zu geben, daß biefe der Reihe
nach von Generalen und Miniftern auf. deren Koften für ben
gefammten Adel der Hauptftabt veranflaltet wurden, wo auch
ex mit feiner Familie zu erſcheinen pflegte und getanzt, gefpielt
und Tabak geraucht wurbe. Im bein weniger belebten Pots⸗
dam gab der König felbft während eines Theils des Winters
einige Affembleen ber Art"). Da num das Vlelen laͤſtig war,
fo beflimmte der König, daß 24 von ihm bezeichnete Generale,
Minifter und fremde Gefandte Jeder 30 Thaler an Eggenderg
zahlen folten, der nun.für bie Einrichtung der Affembleen im
Zürftenhaufe zu forgen hatte. Wer fonft Theil nehmen wollte,
muffte, mit Ausnahme der Hauptleute und Subalternofficiere,
8 Groſchen Eintrittögelb, wa fie, 16 Groſchen Karten:
geld geben.
Bel num Eggenberg ein Haus in der Frierichöfabt
bauete und dadurch den König iberpeugte, er wolle fein erwor-
benes Gelb nicht im. Auslande verbringen, fo gab ihm biefer
den Titel eines Töniglichen Hofkomoͤdianten und geftattete ihm,
in Berlin, ober wo er fonft wollte, mit einer Geſellſchaſt
dem Titel nach: „wirklicher koͤniglicher Hoflomddianten” Vor⸗
ſtellungen zu geben, doch keine gottloſe, aͤrgerliche oder dem
Ehriſtenthume nachtheilige Dinge, ſondern lautes innocente
Sachen zum honetten Amdıfement vorzuſtellen. Die Oberaufe
fit erhielt der General Alerander v. Dönhof. Die Komöbis
anten befamen Beſoldungen von wöchentlich 9, bis 34 Thaler
aus Töniglichen Kaffen. Es wurden von ihnen nicht nur Poſ⸗
1) Benekendorf 1. S. 154. Morgenftern ©. 184. Doch
gaben hr Bapmann I. S. 882 auch hier Dfficiere Affembleen der
Reihe nad.
518 Bud VL Zweltes Hauptfläd.
fen und fogenannte Luſtſpiele, fondern auch Dpern in
Königsberg und Cleve, auch wohl in anderen
Landes aufgeführt. Um Theilnahme daran zu
hielten (1732) alle Beamtete Befehl, Bilets —* ke
den Collegien in Berlin wurde bei namhafter Strafe
daß täglich einige ihrer Mitglieder ber Reihe nad dem
foiele beiwohnen follten, dies iebod bald darauf
rudgenommen. Auf Sittlichkeit —*
König feinem Bildungägrabe nach
Urtheile darin befiimmt zu traum. Als er
Beſuche einer Vorftellung von Morionettenfpie
anftändige Rebe eines berfelben aufmerkſam gemacht wurde,
fand er ſogleich auf, verließ den Saal und befahl biefer
Truppe, binnen 24 Stunden bie Stabt zu verlaffen ).
Ucberhaupt haſſte er, feiner Gemahlin, was damals unter
Bürften ſehr felten, unverbrüchli treu, Ausfchweifungen des
Ki An
Hin
lichen Laſters beſchuldigt wurde, ließ er al
nad Spandau bringen. Der Kalfer war barüber unzufrieden,
befahl dem Könige, dem Grafen in Freiheit zu fegen und bie
Sache an ben kaiſerlichen Hof zu bringen. Der König lich
ihn aber nicht eher los, als nachdem der Graf eine anſehn⸗
lie Summe bezahlt hatte‘). Den Herzog Eberhard Ludwig
von Bürtemberg bewog er, feine beruͤchtigte Beifchläferin weg
zuthun und feine Gemahlin wieder zu ſich zu nehmen )
Deftere unerwartete Nachfuchungen wurden in Berlin ans
geſtellt und Iüberliches Gefindel zu Hunderten aufgegriffen und
in die Zuchthaͤuſer gebracht‘). Streng gegen fih, war ex es
1) Wilken im Berliner Kalender v. I. 1828 ©. 113 ff. u. 185,
„ Fa noch ungebrudte Nachrichten benugt hat. Bol Foͤr ſter IL
2) Hojexs Leben König driebrichs IV. von Dinmart, pl L
®. 500.
9) Spittlers Geſch. Mürtembergs ©. 898.
4) Bafmann I. &. 965,
Sittlichkeit. Fleiß. 519
auch gegen Andere; ja er verbot fogar Überhaupt, bag bie
Leute Sonntags Schenken ober Wirthöhäufer befuchen folten,
bob das aber wieder auf, ald ihm vorgeftelt wurbe, ber
Sonntag fei für den Arbeiter der einzige Tag der Erholung.
Patrouillen gingen Abends in Berlin herum und griffen die⸗
jenigen Bürger auf, welche fi nad 9 Uhr noch in Gaſt⸗
und Wirthöhdufern befanden.
Selbft unermübet thätig, verlangte er, daß es ein Jeder
fein folle, und, gewöhnt an Uebung der unbefchränkten Ges
walt, firafte er wohl fogleich mit eigener Hand den, welchen
ex für einen Müßiggänger hielt. Daher ging der Schreden
vor ihm ber‘), Jeder beflügelte. feine Schritte, wenn er ben
König kommen fah, und fuchte fi) feinen Bliden, wenn es
irgend möglich war, gu entziehen. Die Einwohner der Fried»
richsſtadt, welche er oft befuchte, um ben Fortgang ber Baus
ten gu fehen, flüchteten dann ſogleich, verſchloſſen Thuͤren und
Benfter, und die Straßen waren dbe und leer“). Dumpfs
Stille herrfchte unter den Bewohnern Berlins, Alles war
eingeſchuͤchtert. Die Freude wagte nicht, ſich laut zu aͤußern ).
1) Bafmann L S. 905 ergäßtt, daß ein Beamteter, welcher uns
erwartet zum Könige gerufen wurde, bermaßen erſchroden, daß ex ſogleich
zu Boden gefunfen und gefborbeu fe. Wergl. ©. 961 und Morgens
ftern ©. 76 u. 71.
2) Man fehe Benekendorfs Erzaͤhlung I. @, 121, ber freilich
meint, bie Leute wären im Irrthume geweſen.
3) König 1. ©. 117. In Frankreich glaubte men im I. 1726,
die Preuffen würden ihren König wegen biefer Tyronnel und Thorheiten
abfegen. Montgon. Mem. T. I. p. 326. Natärlid dachte Riemand
hier baran. Nach einem englifchen Gefandtfhaftsberichte in Raumers
Beiträgen Thl. III. S. 533 deſchwerte fid der König, daß man ihn all:
gemein fir einen Tyrannen ausgebe. In weldem Grade er es war,
zeigt ein Bericht v. I. 1734, ebendaſ. S. 566, nach welchem ex fort:
während zwei mit Galg geladene Yiftolen neben ſich Legen Hatte und fie
auf biejenigen Bedienten abfeuerte, welche einen Befehl nicht zu feiner
Zufriedenheit vollzogen hatten, wodurch einer ein Auge verlor und eines
andern Füße graufam verlegt wurben. Man hielt ihn bamals für gelſtes ⸗
ſchwach. Lömontey T. I, p. 24. Im I. 1726 bemerkt Villars
in feinen Mm. T. III. p. 275. Il est certain qu’en beaucoup de
choses ce prince montroit une oervelle derangee. Diefe Angaben hat
520 Bud VL Drittes Hauptftüd.
Das waren bie firengen, in vieler Hinficht jedoch vor
trefflichen und ihrer Zeit und den Verhältniffen nicht durchaus
unangemeffenen Einrichtungen, welche Friebrich Wilhelm zur
Verwaltung feines Staates traf, um freilich durch zum Theile
fehr drüdenden Zwang ber Bewohner die Macht ımb das Ans
fehen eines preuſſiſchen Königs nach Wermögen nicht nur feſt
zu begründen, fondern auch zu erhöhen.
Drittes Hauptſtuͤck.
Vom Friedensfchluffe mit Schweden, 1. Febr. 1720,
bis zum Tode König Friedrich Wilhelms, 31. Mai 1740.
Nachdem wir gefehen haben, was Friedrich Wilhelm L im
Innern feinee Länder gefchaffen und eingerichtet, und auf
welche Weiſe er biefe verwaltet, wenden wir und zur Betrach⸗
tung der, wenn auch für Preuffen unendlich weniger einfluß⸗
reichen dufferen Verhältniffe des Staats während ber letzteren
zwanzig Regierungsjahte bed Königs. Die Theilnahme Preuf⸗
fens an den bunten Verwickelungen ber europdifchen Staaten
war dennoch nicht ganz bedeutungslos, vorzüglich aber deshalb
noch befonders merkwürdig, weil fie in der beftimmteften Wech⸗
felwirfung mit den innerfien Familienverhältnifen des koͤnig⸗
lichen Haufe ftanden. Das Tann freilich um fo weniger in
Erſtaunen fegen, als der unbefchränktefte Ausüber der koͤnig⸗
lichen und väterlichen Gewalt oft feiner Zeibenfchaft bie Bügel
man laͤcherlich finden wollen, allein in Foͤrſt ers urkundenbuch Tpt. IL.
©. 146 ſchreibt Seckendorf an Eugen 28. Behr. 1733: „Der Gencral
Grumbkow hat mir im größeften Bertrauen gefagt, baß der König in
großer Gefahr, verwirrt zu werben u. f. w.“ Das waren Bolgen ber
umgebänbigten Heftigleit, welcher ex ſich bingab, und man ift baer ges
möthigt, manche feiner Handlungen lediglich daraus gu erflären; ex war
dann feiner wirklich nicht mächtig.
Die europäifhen Staaten. 521
um fo leichter ſchießen ließ, weil er überhaupt fah, daß augens
blickliche perſoͤnliche Intereffen der Fürften fortwährend die
Ruhe Europas erfchlitterten. Wenigſtens hat die Darftellung
dieſer Verhaͤltniſſe Preuffens, fa viel Unangenehmes und Bits
driges ihr auch beigemifcht fein mag, doch einen im innerften
Grunde edlen und fpäter Teuchtend ſich erhebenden Kern, wähs
end das Treiben der Übrigen Höfe meiftens nur die nadte
Armfeligkeit des alltäglichen Lebens zeigt. .
Mit dem Jahre 1720 ſchien allgemeine Ruhe unter den
europäifchen Staaten einzutreten. Das erfchöpfte Schweden
hatte endlich Überall den Frieben mit größeren ober geringeren
Dpfern errungen und hörte nun auf, in Europa Eiferfucht
und Furcht zu erregen. Gegen Spanien, welches (1717) dem
Kaifer Sardinien, und ein Jahr darauf (1718) dem Herzoge
von Savoyen Sicilien genommen, waren England. und Frank⸗
eich zu Waffer und zu Lande fo Träftig und. erfolgreich einges
fehritten, daB König Ppilipp V. fi den Bebingungen der
Quabrupelalianz ’) (26. Ian. 17230) unterwarf, Sarbinien
dem Herzoge von Savoyen ald Könige, Sicilien aber dem Kaifer
übergab und dagegen für Don Carlos, feinen ältefien Sohn
zweiter Ehe, die Anwartfchaft auf die mit dem Tode des In
habers zu erledigenben Herzogthlmer Toscana und Parma ers
hielt, Gleich darauf (13. Jum 1724) verbimdete ſich Phis
tipp V., angetrieben von feiner Gemahlin, mit feinen bishes
rigen Feinden, Frankreich und England, und leitete eine Dops
pelheirath ein, um die Samilienbande mit dem jungen Könige
Ludwig XV. und dem Haufe Orleans möglichft feſt zu knipfen.
Die zwifchen Spanien und Defterreich feit 20 Jahren ſchwe⸗
benben Streitigteiten ſollten, weil beide noch keinen Frieden
geſchloſſen, fondern nur einander zu befriegen aufgehört hatten,
alsbald auf einem Gongreffe in Gambray ausgeglichen werben ?).
Der Kaifer verzögerte indeffen unter mancherlei Vorwaͤn⸗
1) Zwiſchen Frankreich, England und bem Kaifer vom 2. Aug. 1718,
wozu bie Generalftaaten 16. Febr. 1719 traten.
2) Eine gute Ueberficht ber politiſchen Werhättniffe glst Schoͤll in
feiner Ausgabe von Kochs Histoire des traités de Paix etc. T. II.
p. 188 ff. mit Angabe ber Quellen.
522 Bud VI Deittes Hauptitäd.
ben gegen bie eingegangenen Werträge, bie bes
" Don Carlos mit Parma und Piacenza und gab (19. Dec. 1722),
zum großen Verbruffe der Holländer und Engländer, einer in
Dftende errichteten Hanbelscompagnie auf 30 Jahre ein aus
ſchließliches Privilegtum zum Handel mit Ofls und Weſtindien
und den afrlkaniſchen Küften. Deshalb wurde der
erſt im 3. 1724 eröffnet und es erhoben fi bald fo große
Schwierigkeiten, dag man an einem günfligen Ausgange ber
Unterhandlungen zweifeln muffte. Da brachte es zunaͤchſt ein
gewanbter politifher Abenteurer, ein gewiffer Ripperba, ein
geborener Holländer, welcher in Staatögefchäften feines Water:
landes nach Spanien geſchickt worben war unb hier bie
Gunſt König Philipps V. gewonnen hatte, plöglich dahin,
daß ein Wechſel in dem politifchen Spfleme ber europdifdgen
Staaten eintrat: Ripperda war vom Proteflantismus zum
Katholicismus übergetreten, wie er fpäter Muhamebaner wurde
und zulegt Stifter einer neuen Secte werden wollte. (in
ſolcher Menſch war fähig, Alles zu unternehmen, was feinem
Ehrgeize eine Laufbahn öffnete. Die Königin von Gpanim
wurde ungebulbig Über bie Zögerungen in Gambray und nit
trauete Frankreich, wo eine Hofpartei ihre fehr entgegen war.
Daher wurde (Nov. 1724) Ripperda nach Wien gefchidt, wo
ex höchft geheim mit dem Kaifer Karl VL verhandelte. Karl
hatte ſchon mehrere Jahre vorher (19. Apr. 1713) auf Grund:
lage der bereit von feinen Vorfahren getroffenen Seſtimmun
gar, die öfterreichifche Exbfolgeorbnung in ein, feiner Abſicht
nach unaufldsliches Hausgefeg, daher pragmatiſche Sanction
genannt, bringen und in feinem Staatsrathe förmlich befannt
machen laffen. Nach biefem Geſetze follten bie gefammten
oͤſterreichiſchen Erblande ungetheilt auf feine männlichen und
in deren Ermangelung auf feine weiblichen Nachkommen fallen.
Ein Sopn, der ihm geboren wurbe, ſtarb, zwei Töchter, dern
ältefte Maria Therefia war, blieben leben. Dem für dm
Stanz feines Baufet wie beſonders auch für feine aͤlteſte Tod:
ter fehr beforgten Water war von jetzt während feines Übrigen
Lebens nichts wichtiger, als ihr die Nachfolge in allen feinen
Staaten zu fihern, da nach und nach bie Hoffnung, einm
männlichen Erben zu erhalten, immer mehr ſchwand. Er lie
Die europ. Staaten. Pragmatifhe Sanction. 523
daher dieſe pragmatiſche Sanction in allen einzelnen öfterreis
Hilden Erblanden (von 1720— 1724) foͤrmlich annehmen,
unb wendete Alles auf, ſcheuete Bein Opfer, vergaß alle ihm
äugefügten Beleidigungen, um die Gewaͤhrleiſtung des Erb⸗
folgegefeges wo moͤglich von allen europäifchen Staaten zu ers
halten. Das war unter allen Umfländen ein Mittel, ihn zu
gewinnen. Aufferdem wiünfchte er fehr, bie oftendifhe Hans
aufrecht zu erhalten. Ripperda wuffte das und
wurde im feinen Bemühungen durch einen der Zufälle unter»
ſtuͤzt, welche damals fo oft die Schickſale der Staaten we
nigftend für. den Augenblid beflimmten. Ganz unerwartet
ſchnell beſchloß naͤmlich der Herzog von Bourbon, welcher die
Staatdangelegenheiten Frankreichs unter bem Namen des 15jähs
rigen Königs Ludwigs XV. leitete, biefen früher, als vorher
beabfichtigt worben war, mit der Tochter bes Stanislaus Les⸗
cinsli zu verheirathen. Die fiebenjäprige Braut des Königs, April
die Tochter Philipps V., wurde daher nach Spanien zuruͤck 1725
gefickt, und daB vom fpanifhen Königshaufe natlırlid als
eine hoͤchſt ſchimpfliche Beleidigung aufgenommen. Die franz
zoͤſiſchen Prinzeffinnert, die Braut des Infanten Don Garlos
und die Witwe König Ludwigs mufften nebft den franzoͤſiſchen
Sefandten und Eonfuls ſogieich Spanier verlafen, der Gons
greß in Gambray Iöfte fich auf und nad 2öjähriger bitterer
Feindſchaft fchloffen Defterreih und Spanien nicht nur eilig
Frieden, fondern auch ein Bimdnig und einen Handelövertrag 30. April
ab. In dem öffentlichen Friedensſchluſſe gewaͤhrleiſtete Philipp V. Fr
die Erbfolgeorbnung, welde der Kaifer in der pragmatiihen .
Sanction angeordnet, biefer dagegen bie Erbfolge in Spanien,
wie fie im utrechter Frieden feftgefeßt worben war. In bem
geheimen Bündniffe fagten beide Theile einander gegenfeitigen
Beiſtand zu für den Fall, daß fie angegriffen werben wuͤrden.
Der Kaifer verſprach auch, durch feine guten Dienfte den Koͤ⸗
nig Philipp V. zu unterftügen, wenn biefer barauf dringen
wuͤrde, daß der König von England fein (angebliches) Vers
ſprechen halte, Gibraltar und Port-Mahon an Spanien zus
rlickzugeben, wogegen König Philipp den Schiffen des Kaiferd
und der Unterthanen deffelben nicht nur freien Eintritt in alle
Häfen, ſondern auch für den Handel nach Indien, ben cas
524 Bud VI. Drittes Hauptflüd.
nariſchen Infeln und Spanien alle Bortheile zuficherte,
den am meiften begänftigten Nationen, namentlich ben Hob
Iändern und Engländern früher bewilligt worden waren.
Sobald die Höfe von Paris und London Nachricht von
dem Bimdniffe zwiſchen Spanien und dem Kaifer erhalten
hatten, wurben fie dufferft beforgt, weit weniger uͤber bas,
was fie wufften, als Über bad, was man vor ihren geheim
hielt. Ihe Argwohn hatte freien Spielraum. Jeder trance
den Anderen daB Aergſte zu. Defterreih ımb Spanien
der einen, Frankreich und England auf der anderem
fehlten ihre Abgeorbneten durch ganz Europa, um durch jedes
irgend: wirkſame Mittel Werbindete au werben. Es trat
der einer von ben Beitpuncten ein, in welden bei ber
teiung der Mächte erften Ranges bie Mächte zweiten Ranges
den Außfchlag geben koͤnnen, daher in ihrer Bedeutung un
wenn fie diefelbe gehörig zu würdigen und zu benugen wiffen').
Peter der Große war geftorben, für beibe Theile Tonnte daher
Fein Zürft unmittelbar gefährlicher werben, als Friedrich Wil
helm I. Sein Gebiet grenzte zugleich an Schlefien und Han
nover. Er konnte 50,000 Mann ind Feld ftellen.
So feft und unabläffig aber auch der König von Preufien
im Allgemeinen auf Vermehrung und Veroolfommnung feine
Heeres, auf Erhöhung der Staatseinkünfte, überhaupt auf
Ordnung im Staate und auf alles das hielt, was er über:
fehen konnte und als zweckmaͤßig anerkannte, fo ſchwankend
war er in feinen Verhaͤltniſſen zu anderen Mächten. Hier
Tannte er den Grund und Boden nicht genau genug, auf dem
er fland. Er fah, daß man faft nie etwas ganz Wahres,
-jebenfalld das Wahre nie ganz erfahre, daß man ſich auf
nichts vöNig verlaffen koͤnne. Es mangelte ihm jener durch
das Dunkel und die Verwirrung dringende Scharfblid, das
fefte im Auge Behalten des Ziels, baher die Fähigkeit zur ride
1) Das faflte Villare Mém. T. II. p. 275 fehr gut auf. Rad:
dem er mandjerlei Nachtpeiliges von ber Perfönlichkeit Friedrich Wilhelms
gefagt, fährt er fort: allein er hat 70,000 Mann, 50 Milicnen im
Schate und ift fo mächtig als alle übrigen Kurfürften gufammengenom:
men: et par cette raison pouvait emporter la balance pour ia peix
ou pour la guerre!
i
Friedrich Wilhelm I. 525
tigen Würdigung ber Berhältniffe und zu dem daraus hervor
gehenden fiheren Ergreifen des Augenblids, um fich die Ums
fände dienftbar zu machen und aus ihnen für feinen Staat
den möglich größten Vortheil zu ziehen. Er handelte hier
ohne beftimmten Plan und warf fich bei feiner natärlichen
Heftigkeit, durch Eindrlide des Augenblicks bewogen, ſchnell
von einer Seite auf die andere. Daher ließ er ſich auch hier
nicht durchaus von Anderen leiten‘). Er fühlte ſich, wie wir
gefehen haben, uͤberall in feinen Staaten als unbeſchraͤnkten
Herrn, und: man wiürbe fehr irren, wenn man aus feinem
einfachen Weſen und aus ber Ungezwungenheit, mit welder
er wie ein damaliger Landiunker auftrat?), fogleih ſchließen
wollte, er habe wirklich Feine Anfprüche gemacht. Ein fo eins
faches Aeuſſere entfprad feiner Natur und Bildung; er ent»
iedigte fi damit völlig eines zundchft ihm umbequemen Zwan⸗
ged, während er feinen Umgebungen nichts geftattete, was er
irgend für eine Berlegung der ihm als Könige gebührenden
Achtung. hätte halten Binnen. Diefe waren indeffen, auffer
den fremden Gefandten, feine Unterthanen, denen er mande
derbe, jegt für unanſtaͤndig oder grob geltende Aeufferung
nachſah, weil er gar nicht daran dachte, daß fein Anfehen
darunter leiden Eönne, was auch wirklich gar nicht ber Fall
war. Mit viel größerer Vorficht mufiten ihn Fürften behans
deln, um fo mehr, je mächtiger fie waren. Gegen fie hielt
1) Der General Schulenburg druͤckt das fehr beffimmt gegen Grumb«
Low in einem Briefe an Grumbkow vom 22. Oct. 1731 aus bei Körfter
ht. I, &. 74: Un homme, qni ne se gouverne que par la passion,
se repent presque toujours de ce qu'il a fait. @r verlangte blinden “
Gehorfam, und wenn biefer geleiftet wurbe und bie Angelegenheiten äns
derten fi, fo verwünfchte er bie, welche ihn nicht zuruͤckgehalten hatten.
Vergl. Seckendorf an Eugen bei Börfter Ahl IL. ©. 144. lieber
die Weränderlicfeit des Königs klagen feine Umgebungen häufig. Gedens
dorf im 3. 1726 in Foͤr ſters Urkundenbuch II. ©. 59, 65 u. 158.
Derfelbe fagt.1. Apr. 1727: auf den König koͤnne man nie gewiß rech⸗
nen, er changire in einem Tage vielmal fein Sentiment. Bei Börfter
‚Höfe und Gabinete Urkunden. Thl. J. ©. 69. Ebenſo ber engliſche &er
fandte in Raumers Beitr. Thl. III. ©, 511, 512 u. 555 v. I. 1730.
2) Vortrefflich geſchildert vom Grafen Meannteufel 80. Aug. 1731
an Grumblow in Sedendborfs Leben Ahl. IV. Anhang &. 836,
s26 Bu VL Deittes Leu
deren erhöhen Eonnte, verfchmähete er fogar den Schein nicht,
dem er doch fonft fo abhold war. Als ber Baar Peter (1717)
mit feiner Gemahlin von Amfterbam durch die preuſſiſchen
Staaten nach Rußland zuridreifte, wies er 6000 Thaler zur
Bezahlung ber Reifekoften von Wefel bis Memel an unb be
fahl, damit fo zu wirthſchaften, daß es ausreiche: „Nit einen
Pfennig gebe mehr dazu, aber vor ber Welt follen fie von
30,000 bis 40,000 Thalern ſprechen, das es mir fofle!“ SI
der That betrugen bie Koflen aber nur wenig uͤber 3000 The:
ler’). Er vergaß es auch den Polen nicht, daß fie ihm den
koͤniglichen Titel verweigerten. Dabei wurde er nach und nach
ie argwoͤhniſch. Sehr aufmerkſam auf die unbebeutendfien
Kleinigkeiten, babei von einem aufferorbentlichen
Gedächtniffe, muſſte er oft bemerken, bag nicht Alles, was a
befohlen, ober doch micht fo gefchah, wie er es angeorbnet.
tung gefunden haben. Aufierdem war es nicht felten, daß ber
König bei feiner ungemeinen Heftigleit ſehr uͤbereilt etwas vers
bot ober befahl, was er fpäter gern zurldgenommen hätte,
daher fo lange überfah, wenn es nicht eben beobachtet wurde,
biß er dad bei einer neuen Aufwallung des Zorns als Unge
1) Gedendorfan benKaifer 1. Aug. 1726 bei For ſter Urkumbend. IL
©. 116, daß der Krontractat (v. 1700) wegen des Geremoniald dem
opneradhtet
2) Der König an Secendorf 28. Aug. 1718.
9 Bel König IL ©. 46.
Friedrich Wilhelm J. 597
horſam hart firafte. Seitdem ihn Glement fo gewandt hinter⸗
- gangen, war er auch gegen den größten Theil feiner Umges
bung mistrauifch. Noch lange nachher ſchlief er nicht anders
als mit Degen und geladenen Piftolen in feiner Nähe’). Das
her litt er nicht, daß in feiner Nähe heimlich gefprochen wurbe
und Eonnte darüber in heftigen Born gerathen). Bei feinen
Spazierritten ließ er diejenigen, welche ihm ſchnell auswichen,
um in eine andere Straße zu fommen, wohl durch feine Bes
dienten anhalten und fich vorführen. Jeder, wer es auch war,
folte ihm frei in die Augen fehen und auf Fragen fogleich
antworten, fonft argwöhnte er ein boͤſes Gewiſſen. Beſonders
die auswärtigen Angelegenheiten beunruhigten ihn daher fehr.
Er hatte ſchon fo viel erfahren, daß er mit ber ihm natürlichen
Offenheit und Rechtfchaffenheit nicht auskomme. Ilgens Schlaus
heit hatte er fhägen, aber ihn nicht achten lernen. Die Ans
wendung ber bem Diplomaten gewöhnlichen, aber des recht⸗
fehaffenen Mannes unmlirbigen Mittel hatte er nachfehen müfs
fen, aber nicht billigen koͤnnen.
Indeſſen fo wenig ber König fein Verhaͤltniß zu dm
übrigen Staaten richtig aufzufaflen, die Bedeutung feines
50 — 70,000 Dann ftarten Heeres und feines gefhliten Schatzes
bei ben damaligen Werwidelungen völlig zu wärbigen wuffte
und dadurch im rechten Augenblide große Wortheile fuͤr ſich zu
erwirken verftand, fo weit war er doch bavon entfernt, feine
eigenen SIntereffen Fremden aufzuopfem, ja er fuchte fogar
immer die ihm günflig ſcheinenden Umftände zu benugen, um
ſich eine Ausfiht auf Ländererwerbungen zu eröffnen. Das
war bier fortwährend fein letztes Ziel; — auch er will weiter,
vorwärtö! Er wirb weder der einen, noch der anderen Partei
Dpfer bringen, ohne ſich dafuͤr Wortheile auszubebingen ’);
1) Mempires de Bareith T. I. p. 27.
2) Zaßmann L ©. 960.
8) Der König an Secendorf 4. Aug. 1724 bei Förfter Urkunden:
buch III. S. 248. Gr wünfde Herſtelung und Beibehaltung der Dar⸗
monie mit bem Kalfer: „wobei Cr. Kaiſerl. Majeftät Freundſchaft mir
jebergeit gar lieb unb angenehm fein wird, jeboch daß felbige nicht & mes
depenses gereichen möge!" Berg. ben Bericht v. Juli 1788 in Raus
imers Beiträgen Thi. II. S. 566.
528 Bud VL Drittes Hauptflüd.
nur ift fein Geſichtskreis nicht weit, und eigentlid, ein Bid nur
auf einen Punkt hin gerichtet. Ex hatte einmal daran gebacht,
Kurland zu erwerben. Seitdem das faft aufgegeben mar,
fuchte er ſich nur noch für den nahe bevorfichenden Hall des
Ausfterben8 der Kurlinie Pfalz-Neuburg bie Nachfolge in den
Herzogthümern Juͤlich und Berg zu fihern, auf welde a,
als Theil der cleveſchen Erbſchaft, durch die früheren Verträge
feines Haufes rechtmaͤßige Anſpruͤche zu haben glaubte. Des
war für ihn ziemlih, was für ben Kaifer die pragmatifce
Sanction. Allein hier kamen fortwährend bie dazu nöthigen
Schritte mit ‚feiner natuͤrlichen Rechtfchaffenpeit, feine tief ge
wurzelte Anhaͤnglichkeit an den Kaifer und feine deutfche Ges
finnung mit feinem lebhaften Wiverwillen gegen alles Franzoͤ—
ſiſche und feiner perfönlichen Abneigung gegen bad Haus Han
nover in Streit; dann verwidelte ipn feine unglüdfelige Lich:
haberei für Lange Leute in umabläffige Händel mit feinen Rad:
barn und machte ihn doc) wieder auch gewiffermaßen von dieſen
abhängig; endlich fpringt er im leidenfchaftlicher Aufwallung
leicht von einem Aeufferften zum andern über und exfcheint
ſchwankend, charakterlos, ja leichtfinnig, indem er immer felb-
ſtaͤndig handeln wi. Fortwaͤhrend beforgt, daß framder Ein
fluß auf ihm gebt werden koͤnnte, wird er in ber That folk
immer von gewandten Menfchen geleitet, welche ihn gefcidt
zu behandeln, feinen Neigungen zu fehmeicheln umb den Aus-
brlchen feiner Leidenſchaften auszuweichen wiflen‘), fo ſchwer
ihnen bas auch immerhin werben muffte und fo oft auch ihre
Berechnungen an ben zumellen durch die unbedeutendſten ei:
nigkeiten veranlafften heftigen Entſchließzungen des Königs
1) Memoires de Bareith I. p. 23. „Es gehört große Affibeität
dazu, wenn man bed Königs Affection behalten will, daß man ſich auf
führen muß, als wenn man in feinen Dienften ftände ," ſchrieb Secendorf
im Apr. 1727 an Eugen bei Foͤr ſt er Höfe und Gabinete Urkunden Thi. L
S. 99 unb bemfelben Schon am 14. Det. 1726 in Börfters Urkumdentod
Spt II. zur Gefch. Friedrich Wilhelms I. S. 153: daß es unmöglich ba
dem Könige In ber Länge auszuhalten. Vergl. daf. ©. 10 v. 3. 172,
a Sasige Demcae ef möffe kennen lernen und beffen erſt
evitiren.
Grumbkow. 529
fepeitern mochten '). Schrieben ihm aber nach feiner Uebers
zeugung Ehre und Gewiſſen eine beflimmte Handlungsweife
vor, fo war Feine Macht in ber Welt im Stande, ihn davon
abzubringen ?).
Am beften verftandb der General Friedrich Wilhelm v.
Grumblow, den König zu behandeln. Gr hatte fih von
früher Jugend am Hofe König Friedrichs L, wo fein Water
Dbermarfchall gewefen war, dann in ben Kriegen gegen Frank⸗
reich und auf den holändifchen Univerfitäten Utrecht und Leiden
im Umgange mit Hofs, Kriegs⸗ und Staatsmännern und Ges
lehrten auögebilbet und ohne gerade aufferorbentlichen Verſtand
und tiefe Einſichten zu befigen, doch durch vielfache Erfahrung
ine genaue Kenntniß der Menſchen und ber Höfe erworben.
Durch Wis, muntere Einfälle und dem Anfceine nach große
Geradheit und unbefangene Freimuͤthigkeit vorzuͤglich bei einer
gutbefegten Zafel, bie er fehr liebte, unb an welcher der König
gen Theil nahm, war er diefem ein fehr angenehmer und
balb unentbehrlicher Gefelfchafter geworben. Friedrich Wilhelm
ernannte ihn daher auch glei) nach feinem Regierungsantritte
zum Dinifter und Generallieutenant, dann (1723) zum Bice-
praͤſidenten der erften Abtheilung des Generalbirectoriums.
Grumbkow war einer von ben Männern, welche fi nur zu
häufig in der Gunft der Juͤrſten befinden, an ſich nicht böß«
artig, ein Lebemann, ber auch Anderen ein Vergnügen gönnte,
feinen Untergebenen freundlich begegnete und baher von vielen
Menſchen geliebt wurbe, ein Seinfchmeder, der gern leder
fpeifte, daher feinem Koch 400 Thaler Befolbung gab, und
eben fo gut als flarf trank, auch fo ungemein viel Wein vers
tragen Tonnte, daß er ben Beinamen Biberius erhielt; ein
Egoiſt, dee eben fo wenig feinen Fuͤrſten, als deſſen Haus
unb Sand liebte, fonbern nur bemühet war, durch ale ihm zu
1) Seckendorf fereibt am 27. Dec. 1782 an Eugen bei Foͤrſter
Spt. II. ©. 144: man made ſich von bed Könige Gemüth eine ganz
faiſche Idee, wenn man glaube, es Ehnne von Jemand, wer es aud.in
der Welt fei, vegiert werden.
2) Wozu wir fpäter mehrere Belege geben werben, 3. B. bie Wer:
mählung des Kronpringen mit der Prinzeffin von Braunſchweig.
Stengel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats, TIL, 34
530 Bud VI. Deittes Hauptfläd.
Gebote ſtehenden Mittel, beſonders auch durch bie Menſchen
welche er beförberte, und denen er gefälig war, fich bei dem
Könige in Anfehen zu erhalten, enblich, weil feine, obwohl bie
böchfte aller Befoldungen damaliger preuffiiher Staatsbeam⸗
teten") nicht außreichte, um feinen Aufwand zu beflreiten, ber
fleglih und fo Werrätper feines Herrn und feines Landes ).
Nicht weniger galt der dem Könige durch Blutöverwantts
ſchaft, mehr durch große Aehnlichkeit der Gefinnung naheftes
hende Fuͤrſt Leopold von Deffau. Beide waren firenge Herrn
ihrer Untergebmen, gute Wirthe, die nichts als Gelb und
Soldaten ſchaͤtten, alles Uebrige, vorzüglich Künfte und Wif
ſenſchaften und bie aus ihnen bervorgehende Bildung verach⸗
teten. Der &ürft gefiel ſich dabei in möglichfter Raubeit der
Sitten und prägte das dem Könige ein, ber in ihm den m
probten Kriegsmann verehrte, deſſen Tapferkeit und Verdienſie
um das gefammte Kriegsweſen er höchlichft anerfannte. Das
bei war Leopold eben fo ehrgeizig und kuͤhn, als ſchlau und
verftand es fehr wohl, wo er mit Gewalt nicht durchbringen
konnte, jebe Lift anzuwenden und feine geiftige Ucberlegenpeit
über ben König vielfach zu benugen, indem er ald Gouvernam
von Magdeburg ſich oft mehrere Wochen ununterbrochen in
Potsdam oder Berlin aufbielt. Er galt daher mit Recht fr
einen gefährlichen Feind, weil er Beleidigungen nicht vergaß,
fie vielmehr, ohme eben in der Wahl ber Mittel zu ſchwanken,
guverläffig fo nachdruͤclich als möglich raͤchte ). Auffer Grumbs
1) Berzeichniß v. I. 1728 bei König IL ©. 50, wo 10,821 Khir.
„angegeben find. Benekendorf VIL ©. 100, ber als Vormund feiner
Kinder das genau wiffen konnte, fagt, ex habe jäpriich noch 12,000 Khir.
Tafelgelber erhalten, wohl erſt fpäter. Ueber ipn f. Benetenborf VIL
©. 85 ff. Sedenborfs Lehen II. S. 11 u. 96. Gosmar ©. 36,
Hat nur Xeufferlichkeiten.
D) Actenftäd bei Förfter Ip. IIL ©. 110 u. 127, vorzüglich 282
und bann 827 u. 851.
9) Benetendorf IV. ©. 85 f. Dis Morkgräfin von Bairexth,
Mim. I. p. 4, ſchiidert ihn noch ſchwaͤrzer, ala ex wer und gibt ihm
(p- 84) unerweidliche und auch, zur Ehre des Furſten ſei ed gefagt, um
" glaubliche Anſchiage gegen das Leben bes Kronpringen Cchuid, Leapo
war vom der kaiſerlichen Parteh
Die Königin Sophia. 5
kow und dem Fuͤrſten Leopold. fah der König, wie wir bereits
angeführt haben, mehrere Officiere gern, von benen einige, vors
zuͤglich feine Adjutanten, auf Einzelnheiten ber inneren Berwals
tung und Hin und wieder auf auswärtige Angelegenheiten,
doch nie fo dauernden und entfcheidenden Einfluß erhielten,
als jene beiden Männer, welche damals und noch längere Zeit
in gutem Ginverfländniffe mit einander lebten, bis dann ihre
Nebenbuhlerfcgaft ſich in die bitterfte Feindſchaft verwandelte.
Auffer ihnen galt die Königin Sophia bei ihrem Gemahle
vie. Sie war nicht ſchoͤn, aber gut gewachfen. Ihre eble,
ja majeftätifche Haltung, die Sicherheit ihres Benehmens, die
Bildung ihres Geiftes und bie Unbefcholtenheit ihres Lebens
flößten eben fo allgemeine Achtung, als ihre wohlwollende Güte
dazu Liebe und Verehrung ein‘). &ie hielt, was an einem
‚Hofe von fo groben Sitten um fo nothwenbiger war, fireng
auf Anftand und in ihrer Gegenwart durfte fich Niemand einen
groben Scherz erlauben‘). Der König achtete fie fehr und
war ihr unverbrüchlich treu, lebte aber ungezwungen mit ihr,
indem er fie meiftens „Bielhen", In Gegenwart Anderer auch
wohl „ Madame” amedete, fie fonft feine Frau, felten Königin
nannte, während fie in Gegenwart Anderer ihn nur „Ihre
Majeſtaͤt“ anzebete. Die Erziehung ber vielen Kinder, bie fie
ihm geboren hatte, überließ ihr der König ganz. Selbſt
Freundin der ſchoͤnen Kimfte, forgte fie für bie Austifdung
ihrer Kinder unb bielt fie weit firenger als ber Water, ber
ihnen viel nachfah”), wenn fie nur nicht gegen feine Lieblinge»
neigungen verftiegen, das heißt, wenn fie fparfam waren und
Soldaten liebten. Es geſchah wohl, wenn eind der Kinder
umgezogen gewefen war, daß es ber König felbft der Mutter
brachte, um es abzuſtrafen ). Wir haben fehon gefehen, wie
1) S. Polinit Mem, 1. Brief p. 80. Lotn Meine Schriſten,
3. Abtheil. ©. 28. Wergl. Möm, de Bareith I. p. 12 Die Tochter
ſpricht ſcharſ.
2) Zaßmann L &. 869.
8) Faßmann L ©. 927 u. 930.
4) Eöhne wie Lüfter, auch wenn jene als Dffickere bereits in Unis
form gingen. Morgenfiern S. 196.
+
532 Bud VL Deittes Hauptſtuck
großes Wertrauen der König in feine Gemahlin feste, als er
vwoährenb feines Feldzugs gegen Schweden feinen Miniſtern
verbot, etwas ohne ihre Einwilligung zu unternehmen.
Als der König (im Ion. 1719) " Brandenburg plöglich
lebenogefaͤhrlich erfrankte und feine Gemahlin ſich deshalb eilig
zu ihm begab, glaubte er fich dem Tode fo nahe, daß er fein
Teſtament machte und die Königin während der —æe
keit des Kronprinzen zur Regentin, ſeinen Schwiegervater, den
Koͤnig Georg J. von England, und den Kaiſer zu Vormuͤndern
ernannte. Gr unterzeichnete das, ohne feine Guͤnſtlinge, dem
Zürften Leopold und den General Grumblow zu erwähnen,
weil dieſe, obwohl er nach ihnen geſchickt hatte, nicht eilig
genug anlamen. Aus Beforgniß, fie möchten ihm Bormwirfe
machen, ließ ex daher, als fie am folgenden Morgen anlangten
und ex fich bereits unerwartet beffer befand, die Königin und
alle bei der Anfertigung des Teſtaments gegenwärtigen Zeugen
ſchwoͤren, deſſen Inhalt nie verrathen zu wollen. Die beiden
ſchlauen Männer errietben aber aus der fichtbaren Verlegenheit
des Königs den Inhalt, weil man ihnen fo ungewöhnlicher
weife ein Geheimniß daraus machte. Sie wenbeten Alles an,
beforgt, indem man bamald ſchon an einem langen Leben des
Königs zweifelte, der fi, von innerer Unruhe getrieben, in
Arbeiten, Anſtrengungen auf Reifen und bei
der Jagd und der Tafel uͤbernahm. Auch bie Königin mufite
ihrerſeits ben König mit großer Worficht behandeln, um nicht
Be Argwohn zu erregen, ald vermöge fie. viel über ihn;
auch fie hatte wie bie übrigen Umgebungen von einzelnen Aus⸗
brüchen feiner Heftigkeit viel zu leiden, ertrug das jedoch mit
großer Faſſung, fo ſchwer es ihr werben mochte‘). ie fing
an noch mehr Einfluß auf den König zu gewinnen, indem fie
ihm lange Rekruten für fein Leibregiment verſchaffte und auch
1) Mömeires de Bareiih L p. 25. Berk Pöllnig L
p. 114, etwas abweichend in Rebenumftänden. » !
2) Mömoires de Bareith E p. 119 u. 128.
Die Königin Sophia. 53
ihr Vater, König Georg I, feinen Schwiegerfohn mit mehr
als gewöhnlicher Aufmerkfamkeit behandelte‘). Der König _
war bamals durch Kränklichkeit und den Vorfall mit Clement
hypochondriſch geworben und lebte gar gegen feine frühere
Gewohnheit fehr zurückgezogen, zeigte ſich felten öffentlich und
fpeifte nur mit feiner Gemaplin und feinen Kindern. Den
Vorſchlag, welchen ihm Leopold von Deffau und Grumbkow
machten, feine aͤlteſte Tochter mit Leopolds Neffen, dem Mark:
grafen von Schwebt, zu verbeirathen, nahm er fo kalt auf ”
und bie Königin begegnete ihnen Beiden fo flolz, daß fie fuͤrch⸗
teten, des Königs Gunft völig zu verlieren, und ſich daher
bemüheten, den ihre Beſorgniſſe erregenden Einfluß ber Ko⸗
nigin zu untergeaben. Durch Klaͤtſchereien, befonderd durch
aufgefangene und geöffnete, fowie durch in der Clementſchen
Sache mit Beſchlag belegte Briefe gelang es ihnen wirklich,
den König fo aufzubringen, daß er ben Minifter v. Kamede
und bie Frau v. Blaspiel nach Spandau ſchickte, den Minifter
v. Blaspiel abfegte, und der Königin, obgleich biefe fid in
gefegneten Leibesumftänden befand, fehr rauh begegnete‘).
Ueberhaupt fanden ungeachtet der Einfachheit bed Hofes uns
ter denen, welche Einfluß fuchten ober behaupten wollten,
fo viele Umtriebe ftatt, ald an anderen Höfen. Das lag zus
naͤchſt an der Perſoͤnlichkeit des Königs und der Königin, ſo⸗
wie an dem Verhältniffe, in welchem Beide zu einander flans
den. Die Königin war, ſeitdem ihe von ben Günftlingen
ihre Gemahls ein fo arger Streich gefpielt worben war, fehr
auf ihrer Hut gegen fie, denn der König geftattete ihr fo wer
nig Einfluß, daß er (1721) ihr nicht einmal mehr die Wahl
der Erzieherin ihrer Alteften Tochter überließ”). Den Stolz
der Königin verlekte, das Selbftgefühl der Mutter kraͤnkte eine
fo unbiliige Beſchraͤnkung aufferorbentlich. Ihr Ehrgeiz firebte
nach Erhöhung des Anfehens und der Macht Hannovers und
Dreuffend, bie ihr faſt gleich nahe fanden; daher, wie aus
1) Memoires de Bareith Ip. 80.
2) Ebendal. p. 38.
8) Gbendaf. p. 65.
534 Bud VL Drittes Hauptfüd.
den fonft natärlichen Zamilienrhäfihten, wünfchte fie Längf
eine innige Verbindung beider Häufer, wodurch fie ſelbſt auch
jellen
"wohl ihr Verhaͤltniß zu ihrem Gemahle günfliger zu fi
hoffte. Mag fie nun fchon mit darauf gewirkt haben, dab
Wilpelm fein Bünl baiß mit Dein 1. aufgeb —
auf bie Seite ſeines Schwiegervaters, bed Königs Georg L
von England wendete, und in Verbindung mit diefem Frieden
mit Schweden ſchloß, — viel iſt gewiß, daß eine Doppelheirath
beiden & (dem Kronprinzen Fried⸗
ſch
Ausdauer durch alle ihr zu Gebote ſtehenden Mittel zu ver⸗
Zun wirklichen ſuchte. Sie benstihete ſich auch, ihren Water und
1723
1723
Bruder dafuͤr zu ſtimmen, und bewog beöhalb ihren Gemafl,
nad) Hannover zu reifen, wo er fehr gut aufgenommen wurde,
worauf auch fie ſich dahin begab’). ,
Bwar gelang es ber ang nicht, Ihren Water ſogleich
zur völligen Einwilligung in bie Doppelbeirath zu bringen,
Detober doch bewog fie ihn endlich durch viele Vorſtellungen und Bits
ten, nach Berlin zu kommen, wo bann zwiſchen ihm und
Friedrich Wilhelm I. ein Bundnißß und bie Doppelheirath bes
febloffen wurde”). Der König von England vermittelte auch
die Beilegung ber offenen Spannung zwiſchen —* Bis
helm L und dem Kaifer, fo daß Beide einander wieder Ges
fandte zuſchickten. Fuͤr dad unglüdlihe Thorn verwenbeten
fi Friedrich Wilhelm und fein Schwiegervater. Dur ihr
freundliches Vernehmen flieg das Anfehen —— obgleich
fie vom Zeit zu Zeit manchen Sturm der Leidenſchaft ihres
Gemahls aushalten muflte, beffen Argwohn auch durch bie
Berleumdungen ber unwuͤrdigſten Art, felbft wenn diefe alles
Augenblid
irgend denkbaren Grundes ermangelten, für ben
1) Menolres de Bareith L p. 78 f.
2) Die Saucfn Reine ft in Im Deabateögkkn ©. 50,
es ſei am 12. Det. 1723 unterzeichnet worben. (Genaueres if bardber
nicht befannt.
Dreuffen. Der Kalfer. . 835
nur zu leicht erregt werben konnte ). ie ſchien eines bauerns
den Einfluſſes auf den König um fo ficherer, als bie —
genoͤthigt wurde, wenigſtens dem Scheine nach, ſich ganz auf
bie Seite der Königin zu ſchlagen, welche nun Alies anwen⸗
bete, um ben falfchen und treulofen Mann gegen ben maͤch⸗
tigen Einfluß des Fuͤrſten zu en ).
In diefer Lage befand fi bu das Königlich preuffißche Haus,
als durch das unerwartete wiener Bimdniß bed Kaiferd mit
Spanien, König Georg I. von England und ber franzöfiihe
‚Hof in bie Aufferfte Beforgniß geriethen und es beiden Theilen
von hoͤchſter Wichtigkeit —** ein Buͤndniß en B-
föllegen, welches damals 64,000 Many Zruppen befe
denen es eben fo — in die Erblande Koͤnig Georgs 8 vw.
. — einfallen to:
Mit dem Galle m war der König von Preuffen zwar duffers
lich ausgeſoͤhnt, allein wirklich herrſchte zwiſchen Beiden fort»
während noch große Spannung, welche durch mehrere Vor⸗
faͤlle genäprt wurde. Der Fürft von Dſtfriesland war mit
der Stadt Emden, dann mit den Ständen feines Landes über
die Ausdehnung ber flrftlichen Rechte nach und nad) in Immer
beftigere Swiftigkeiten gerathen. Der Kaifer hatte ſich des
Fuͤrſten angenommen und befonder& brohend (1723) befohlen,
daß die feit 40 Jahren in Emden zum Schuge der- Stadt bes
findlihen und von diefer aufgenommenen preuffiihen Zruppen
abziehen ſollten ). Vergeblich waren die dagegen gemachten
Borſiellungen; der Kaifer befahl die Abführung der Beſatzung
in einem noch ſchaͤrferen Schreiben (10. Aug. 1724), worauf
der König im Gegentpeile (Dec. 1724) bie Beſatzung von
Emden um 300 Mann verftärkte, nicht ſowohl für die Stände
und gegen ben Fuͤrſten, ald um die Stadt Emden gegen einen
1) Mömoires de Bareith I. p- 82.
2) Ebenbof. p. 88.
D Wiarda oftfrieffhe Geſchichte Tpt. VII. ©. 107 ff, 127 u. 177.
Iunt
1724
Zebr.
1725
Aug.
1725
‚536 Bud VL Drittes Hauptfiäd.
ucherfall fiher zu fellen ). Ferner hatte es den König ſehr
verbroffen, daß ihm der Reichöhofrath (1722) befohlen, die
Graffgaft Tedienburg, welche fein Water (im I. 1707) von
dem Grafen von Solms und Braunfels auf hie, ara
deſſen Anfprüche auf Yülih und Berg fürdtete”); allein bie
vielen in der magbeburgifchen Sache und im Gtreite mit der
Aebtiffin von Quedlinburg gegen ihn erlaffenen Reihöhofrathes
verfügungen erbitterten ben fehr argwöhnifchen Fuͤrſten, weis
her fi durchaus nicht Leicht davon uͤberzeugen konnte, je
unrecht zu haben“), dermaßen, baß er zum Generale Seden
dorf fagte: ber Reichshoftath ſuche ihn um Land umb Leute
au bringen, feine landesfuͤrſtlichen Rechte zu entreigen und bie
Unterthanen über ihn zu erheben, damit fie allen ſchuldigen
Refpect verlören. Man zwinge fogar die Parteien, gegen ihn
zu Magen. Die Aebtiffin von Queblinburg habe ſich mit ihm
vergleichen wollen, allein ber Reichsfiscal fie zur Anflellung
der Klage genöthigt ).
Bei biefer Stimmurg des Königs gegen ben Kaiſer und
für feinen Schwiegervater wurde er veranlafft, diefen in Han
1) Biarba VIL ©. 186 u. 2%.
O Buchholz Thl. V. S. 88 u. 91.
8) Seckendorf an Eugen 26. Ian. u. 9. Juni 1724 in Börfters
urkundenb · IL. ©. 6. u. 7.
4) Gedendorf an Eugen 10. Märg 1725, chendal. ©. 22.
5) Derfeibe an benfeiben 17. Behr. 1725, ebenbaf. ©. 19.
Preuffen. Der Kaifer. Hannover. 537
nover zu befuchen. Des Königs Georg L Beforgniß, die wie⸗
ner Verbimbdeten möchten zu Gunften des Prätendenten etwas
gegen ihn unternehmen, war nach bem Tode Peters I. noch
gefliegen, indem er fürchtete, deſſen Nachfolgerin Katharina
werde ſich mit dem Kaifer verbinden, um Hannover für ihren
Schwiegerfohn, den Herzog von Holſtein⸗Gottorp zu erobern,
zum Erſatze für das bemfelben vom Könige von Dänemark
entriffene Schleswig. Georg I. wendete daher in Verbindung
mit Frankreich Alles an, um den König von Preuffen zu ges
winnen. Kein Mittel wurbe gefpart, Beſorgniſſe erregt, daß
60,000 Kaiferliche und Ruffen Hannover angreifen wollten,
auf die bevorftehende Erledigung von Juͤlich und Berg, und
für den Fall eined Kriegs auf die Erwerbung von Schlefien
hingewieſen, wozu ihn 70,000 Engländer und Franzoſen burch
einen Angriff auf Brabant unterfligen folten’). Aus Frank
reich und Hannover wurben lange Rekruten für dad Leibregis
ment verfprochen“) und auf Volziehung der Doppelheirath
Hoffnung gemacht ). Die Königin that unftreitig ihrerfeits,
was fie vermochte, vorzüglich um ihren Lieblingswunſch, die
enge Samilienverbinbung beider Häufer zu verwirklichen; mehs
rere Minifter, namentlich Ilgen, waren aus Gtaatögrlmden
für Preuffens Anfhluß an England und Frankreich. So wurde
au Hannover zwiſchen biefen und Friedrich Wilhelm I, feinerfeits 8, Sept.
durch den Minifter Johann Chriftoph v. Wallenrodt, ein Binbs 1725
niß folgenden Inhalts abgefchloffen. Die drei Mächte verbanden
ſich auf 15 Jahre gegen Jedermann zur gemeinfchaftlichen Ges
währleiflung und Vertheidigung aller ihrer Staaten in und
auſſerhalb Europas, fowie aller ihrer Rechte, daher für den
Ball, daß einer von ihnen angegriffen würde, England und
Frankreich jedes 12,000 Mann, Preuffen 5000 Mann zu flels
Ien. Zur Erhaltung bed gegenfeitigen Vertrauens folte Feiner
der Verbuͤndeten irgend einen Vertrag mit einer fremden Macht
1) Secendorf an Eugen 50. Mai 1726 a. a. D. ©. 59.
2) Memoires de Bareith L p. 194. Seckendorf an Eugen 11.
Det. 1725 bei Börfter a. a. D. ©. 51.
8) Das ſagte der König fpäter dem Gedendorf, wie biefer an Eugen
ſchrieb Bei Börfer Urkundens. IT. @. 77.
838 Bud VL Drittes Hauptftäd,
eingehen, ja felbft bie ihm deshalb etwa gemachten Anträge den
Anderen mittheilen. Andere Staaten, zunaͤchſt die Generals
flaaten, wollte man zum Eintritte in das Buͤndniß einladen. |
In drei abgefonderten Artikeln verfprachen bie Werbimbeten
erſtens, veranlafft durch die Exeigniffe in Ahorn, für die Aufs
rechthaltung ber Beftimmungen bes Friedens von Diiva zu
forgen, zweitens daß bie Könige von England und Preuffen,
wenn wegen ihnen in Deutfchland geleifteter franzoͤſiſcher Hälfe
an Frankreich der Keichskrieg erklärt werben follte, ihr Reiche
eontingent nicht zu flellen, fondern im Vereine mit Frankrrich
zu handeln, jedoch follte (drittens), wenn bie beiben Könige
dennoch genöthigt wären, ihr Keichecontingent zu flellen, bab
nicht als Bruch diefes Vertrags angefehen und deſſen übrige
Beſtimmungen bennoch erfüllt werden '). Unftreitig enthielt ber
Vertrag no mehrere geheime biß jest nicht befannt gemachte
Artikel. In einem berfelben verfprachen England und Frank
zeich ihre Verwendung ruͤckſichtlich Julichs und Bergs zu Gun
ſten Preuffend nach dem Auöfterben ber pfalzsneuburger Linie
eintreten zu laflen, wenn das aber nicht ausreiche, die Ge
queftration biefer Provinzen zu verhindern, dem Könige zu fe
nem Rechte zu verhelfen und für ihn 40,000 Mann zu flellen ).
Friedrich Wilhelm, welcher, wenn er erft für einen Gegenftand
gewonnen war, leicht in Feuer gerieth, hätte ben Krieg Tieber
fogleih, oder doch fo bald als möglich angefangen. Er fah
fehr gut ein, daß ſich bei einem Vertheidigungskriege mit ink
1) Dumont T. VIILP. IR. p. 127 und öfter, vergl Schoͤll ZHL IL
©. 203. Doch hat feiner, auch nicht Montgon. Mem, T. I. pitces
Justificatives p. 549, bie geheimen Artikel, bie ex doch vermmuthe
©. 865, von benen aber auch Schoͤll nichts weiß. Eines biefer Artika
geſchieht Erwaͤhmmg in einem Gchreiben Seckendorfs an Gugen v. 17.
Dec. 1725 bei Börfter Urkundens. IL S. 55. Daß auch die Doppel:
heirath darin befchloffen worden, behauptete ber ic
dnem Schrelben an feine Tante, die Königin von Cugland in ben Dim.
de Bareith T. I. p. 167.
an Eugen 20. Aug. 1726 in Börfters Urkumdens. IL
©. 19. —S darüber noch Gedtendorfs Schreiben vom Apra
und Mai 1727 an Eugen und ben Kalfer in Foͤrſters Höfen mb Ge
binetten, —— L ©. 84, 101 u. 118.
Hanndverifher Bund. 539
: gefammt 29,000 Mann Hülfötruppen nichts außrichten laſſe und
ı daß feine offenen Länder dem erſten Angriffe auögefegt fein
wirden. Er meinte daher, wenn man den Kaifer Über den
‚Haufen werfen wolle, müffe man ihn unmittelbar angreifen,
er wolle 40 bis 50,000 Mann ftellen, Schlefien nehmen und
70,000 Franzoſen und englifche Truppen follten ihn durch einen
Angriff auf Brabant und am Rheine unterftügen‘). Frank⸗
reich wollte ſich darauf nicht einlaffen und es wurde barlıber
nichts abgeſchloſſen
Der nunmehrige Schwiegervater Ludwigs KV., Stanis-
laus Lescinski, traf ſchon Einleitungen, um den polnifchen Thron Nov.
wieber zu befteigen. Er ſchickte feinen Vertrauten, ben Gras
fen von Rottenburg, nad, Berlin mit ber Nachricht, er fei im
Begriffe feine Erbgüter gegen das Herzogthum Kurland zu
vertaufchen, was er dem Könige von Preuffen fir Reufchatel
ambot, welches er fir ben Herzog von Bourbon wünfcte,
bem er es verbankte, daß feine Tochter Königin von Frankreich
geworben war. Friedrich Wilhelm war nicht ganz abgeneigt,
wolinfchte aber eine näher gelegene Provinz als Kurland, näms
Lich das noch Übrige fepwebifche Pommern. Die bald folgen
den Berwidelungen machten, daß biefe Entwuͤrfe fcheiterten *).
Noch che ein Monat verflofien war, hatte man bereits in
Wien den Zutritt Friedrich Wilhelms I. zum hannoͤveriſchen
Bunde erfahren ®) und gleich die ganze Gefahr fir Defterreich
begriffen, wenn Preuffen vereint mit England und Frankreich
umd mehreren Reichöfürften ben Kaifer angreifen follte, wie
man befürchtete. Es wurde daher Alles aufgeboten, um
Sriedrich Wilpelm vom hanndverifchen Bunde abzuziehen, weil
dieſer den Faiferlichen Erbländern am gefährlichften werden und
man ihn zu gewinnen noch am erften hoffen konnte. Dazu
1) &o war wohl bie allgemeine Werabrebung für den Aufferften
all, wie der König es an Secendorf erzaͤhlte. S. deſſen Schreiben
am Gugen v. 22. Ian. 1727 in Börfers Urkundenb. II. ©. 844. Veral
WVällars Mömoires T. M. p. 239 u. IV. p. 47.
2) Lömontey T. IL. ©. 235 u. 208.
) Nämlich 29. Gept. ſchrich «8 Eugen an Secendorf in Körfters
urtuntent II. ©. 60.
1725
540 Bud VL Drittes Hauptfiäd.
wurbe ber General von Sedendorf beflimmt, ein don dm
Könige längft gefhägter, eben fo tüchtiger als unter ber Mad:
der Gerabheit verfchlagener, babei ausnehmend gewanbter, in
‚vielfachen Umgange mit Menfchen fehr erfahrener Kriegs: mb
Staatsmann. Er kannte bed Könige Denk⸗ und Handlungs
weife genau, war raſtlos in feinen Bemühungen, fchendr
keine Anftrengung, vweber Wind noch Wetter, unterzog fih
allen Beſchwerden, ertrug ben Mangel jeder Bequemlichkeit,
um fo viel irgend möglich immer in bed Königs Gefellfett
zu fein, vekrſtand es vortrefflich, ſich in deſſen viele Eigenhe:
ten zu ſchicken, bei der Wachtparabe und während ber Tafel
auf der Jagd und im Tabakscollegio die paſſenden Gelegenhe
ten zum Schweigen, Sprechen und Handeln wahrzumehmen,
auch die Umgebungen des Königs für fi zu ſtimmen, wie a
benn Fein fonft noch fo verwerfliches Mittel ſcheuete um fen
Biel zu erreichen ').
Schon feit einem Jahre hatte er den General Grumblon
durch reiche Gefchenke gewonnen, daß dieſer ihm von Allem,
was ber König that und was am Hofe vorfiel, Nachricht gab’).
Durch diefen ebenfallß fehr gewandten und hoch in ber Gumf
bes Königs ſtehenden Mann, der alle Schwächen feines Herm
vollkommen kannte und ihn danach zu behandeln wuflte, ſuchte
Sedendorf unftreitig zuerft noch vor feiner Ankunft in Berlia
auf den König zu wirken, um ihm bad neue Bündniß nad
und nad zu verleiden und ihn unvermerft von bemfelben abs
zubringen, was aud einen nur zu günfligen Erfolg battz.
1) Seine zahlreichen von Foͤr ſter bekannt gemachten Briefe gen
die Belege zu Obigem. Einzelnes wird im weiteren Verlaufe befonbers
Hervortreten. Der Darſchall Schrlenburg fchildert in feinem Sehen l
©. 458 Gedenborfs ausnehmende Habfucht. Sein Pr ne dem Bu:
ſuche einer Lebenebeſchreibung des Feldmarſchalls Grafen von Bedmborf
4 Thie. urtheilt nachſichtiger. Doch verſchweigt ex feines Heben Behlr
nicht ganz und misbilligt bie von biefem angewendeten Drittel zum Zweit
ga gelangen. Hier f. Thl. IL ©. 18.
2) Gedendorf an Gugen im Juni 1726, daß er feit 2 Safe
Grumblow gewonnen, alfo während biefer im Zwiſte mit Leopold von
Deffau geftürgt zu werden fürchtete, in Börfters Urkundens. IL ©. 66.
Wergl. Memolres de Bareith I. p. 9. wo bas ſchon fleht, doch mid
geglaubt wurde.
Sedendorf. 54
Als ihm daher nicht lange nad) dem Abfchluffe des hannoͤveri⸗
ſchen Vertheidigungsbuͤndniſſes England und Frankreich zu
einem Angriffsbünbniffe zu bewegen fuchten, fo ging er, obwohl
kurz vorher noch eifrig zum eiligen Losſchlagen bereit, dennoch
um fo weniger barauf ein, als er es bereitö zu bereuen ans
fing, ſich überhaupt in eine Verbindung mit ihnen eingelaffen
zu haben‘). Zu dem baldigen Erkalten feiner Freundſchaft
gegen die neuen Verbimbeten trugen auffer feinem in biefer
Beziehung gewöhnlichen Wankelmuthe?) mehrere und aud) ges
wichtvolle Urſachen und Veranlaſſungen bei.
Zuvoͤrderſt konnte er als ein gerader, einfacher Mann bie Frans
zoſen überhaupt durchaus nicht leiden und Iegte fich nur fehr ſchwer
ben Zwang auf, das nicht Überall merken zu laffen. Hatte
er das body oft geradezu berb genug gefagt und gezeigt. Lie
er doch unfern Berlins bei einer großen Heerfchau über neun
Regimenter (1720) in Anwefenheit des franzöfifyen Gefandten
Die Profoße in grimen Röden und gelben Weften und Strümpfen,
dazu mit Auffchlägen, Huͤten und Haarfäden von entfeglicher
Groͤße erſcheinen, um baburch bie damalige franzöfifche Kleis
dermode zu verfpotten, denn ber Gefandte und deſſen Gefolge
hatten ähnliche Huͤte und Auffchläge und wurden nun natlre
lich von den Zuſchauern auẽgelacht ). Ex legte dazu einen
hohen Werth darauf, ein ehrlicher Deutfcher zu fein, und das
ſchien fi mit einem franzoͤſiſchen Buͤndniſſe nicht wohl vers
einigen zu laſſen, deflo mehr aber mit ber Treue eines Reiches
fürften. Vor dem Kaiſer hatte er einen tief eingewurzelten
großen Reſpect, fo oft er ihm auch widerſtrebte oder nicht
nachgab. Er, dem Ungehorfam von Unterthanen dad größte
Verbrechen ſchien, folte nun die Faiferliche Majeftät, feine ihm
als Reichsfuͤrſten von Gott gefehte hohe Obrigkeit mit umwer⸗
1) Seckendorf an Eugen in Börfters Urkundend. IL ©. 79
2) Eugen an den Grafen Rabutin 27. Nov. 1725 in Cugens We
ten VL. ©. 65: Die preuffifchen Buͤndniſſe find ohnehin von keiner Lane
gen Dauer, weil ſich diefer ‚Hof in feinen Erwerbungsahfihten nicht gern
die ‚Hände binben läßt.
8) Faßmann I. ©. 288 gibt das Jahr 1719, König ia der
fävelbung Berlins vidtiger das I. 1720 an.
52 " Bud VL Deittes Hauptſtuͤc
fen helfen — das wäre zu große Unrecht gewefen. ZBenn
er ſich das fo ruhig überlegte, fah er noch aufferdem, wie ges
faͤhrlich es fein würde. Mit ben 29,000 Dann, zu denen
fi die hannoͤveriſchen Verbündeten insgeſammt zu ihrer Ber
tbeidigung verpflichtet hatten, ließ ſich doch, wie ſchon gefagt,
nichts ausrichten. Gin bloßer Vertheidigungskrieg hätte feine
überall offenen Länder zunächft und am haͤrteſten getroffen.
Ein Angriffskrieg hatte auch feine Schwierigkeiten; dem BSei⸗
flande der Verbuͤndeten miötrauete er; ber Erfolg war unficher,
die Gefahr für feine lieben blauen Kinder, für feinen nicht
weniger geliebten Schatz gewiß.
Dann hatte er auch auch noch Beforgnife wegen Ruß
lands und Polend. Hier war eine große Erbitterung gegen
ihn, weil er fih der Proteftanten in X Thorn fo nachdruͤckũch
angenommen hatte‘), und wie er mit ber Kaiſerin Katherine |
fiehen würde, war noch nicht durchaus gewiß, um fo mehr, old |
diefe ſich rüftete, Dänemark anzugreifen, um ihreme Schwis
gerfohne Entſchaͤdigung zu verfchaffen, worauf eine englifhe
Blotte in die Oſtſee gegangen war, es zu fügen, weöhalb fih
Rußland auf bed Kaiferd Seite neigte. Unter allen Umſtaͤr⸗
den fegte-von allen Verbimbeten Preuſſen fih der größten Go
fahr aus und zwar für unfichere Ausfihten, eigentlich für
frembe
Intereffen.
Den Ausſchlag aber gab dennoch dad Verhaͤltniß Friedrich
Wilpelms J. zu Georg I. Er hatte nie Zuneigung zu Kam
Schwiegervater, deſſen ſtolzes, hofmeiſterndes
nur ſehr ungern ertrug. Nun hatte er gehofft, ber —
von England werde nach dem Abſchluſſe des Vertrags die
Verabredungen wegen ber Doppelheirath ihrer Kinder erfüllen,
allein biefer zog bad fortwährend hin®). Daher gereuete eb
Friedrich Wilhelm bald, das Buͤndniß eingegangen zu fein.
Srumblow that, was er vermochte, das ohnehin leicht zum
regende Mistrauen des Königs zu weden und beffen reges
Ehrgefuͤhl zu reizen. Ex war bei weitem weniger mächtig, als
feine beiden Verbündeten, um fo mehr machte er auf völlige |
1) Montgon Memoires T. II p 406
2) Gedenborf an Eugen bei For ſter urkundenb. IL S. 78.
Spannung mit Hannover 543
Glelchheit Anſpruch. ES verbroß ihn, daß feine beiden Vers
bimbeten ihm nicht mittheitten, was fie abgefondert mit ein
ander vertragen hatten. Bald fuchte ex nur Wormände, um
ſich den ihm, wie er glaubte, gelegten Schlingen zu entziehen.
Er wollte fich feiner unnötigen Gefahr ausfegen, ohne völlig
ſicher geftellt zu fein, und, wo möglich, überhaupt den Krieg
vermeiden. Er nahm baher bie Gelegenheit der Unterhands
Tungen über den Beitritt ber Generalftaaten zum hamoͤveriſchen
Bunde wahr umd richtete fehon im December bei ber Tafel '
mehrere Fragen an bie Gefandten Englands und Frankreichs. December
Bern er fi gegen den Kaifer erfläre, fo werbe biefer ipm 1725
bie Polen und Mufen auf den Hals ſchicken, indem feine
Staaten offen wären. Db England und Frankreich ihn in
dieſem Falle decken koͤnnten? Ex werde Krieg für die Herren
‚Holänber haben, damit biefe Thee, Kaffe, Käfe und Por
zellan theurer verkaufen Könnten. Die Holländer, Flagte er,
wollten nichts für ihm thun, während er Alles für fie thun
ſolle. Wenn die oftendifche Gompagnie (zum Bortheile Hols
Iands) vernichtet werde, bleibe ber Kaifer doch Kaifer, wie
jest. „Ih will nicht fo blind in ein Angriffsbinbniß treten,
wohl aber alle Geheimniffe wiflen, fo gut als die Könige
von England und Frankreich, und zwar als ihnen Gleicher.
Die Hauptfache if, dem Kaifer Provinzen zu nehmen, aber
welye? und was wird davon auf meinen Anteil kommen?
Bo find die Xruppen? wo bie Mittel zur Kriegführung? Will
man ben Zanz anfangen, fo muß — man ihn anfangen. Nach
dem Kriege wird Frieden. Wird man mich vergeffen? werde
ich ber Letzte fein, ber uͤbrig bleibt ?')" Damm legte er ihnen
18 Artikel als Zufag zu dem hanmöverifcen Wertrage vor.
De Sim derfelben war: „weil ihr keinen Angriffskrieg wollt,
fo müßt ihre mir bei einem Vertheidigungskriege meine Staa⸗
ten gewährleiften *). Dazu follten bie beiden Könige ihm eine
bürgerliche Gaution von monatlich 300,000 Zhalern für den
Fall flellen, daß er wegen bes hannöverifhen Bundes ange
griffen und eine Provinz verlieren wände, ferner ſich zur Stel
1) L&montey T. IL. p. MA.
2) Villars Mea. T. IV. p. 47.
Ri
1726
m
1726
44 Bud VL Drittes Haupifkd.
lung von mehr ald 24,000 Mann (wie ber Vertrag feſtſtellte)
verpflichten. Wegen Schleswige und der oftendifhen Gefels
ſchaft follte man Preuffen aus dem Spiele laffen. Er wieder⸗
holte, als er Feine Antwort erhielt, diefe Anträge drei Mos
nate fpäter und wurde immer ungebuldiger ').
Zugleich wurde er immer unzufriebener mit feinem Schwie⸗
gervater, weil dieſer den näheren Anträgen Über die Doppels
heirath fortwährend auswich. Hiezu Fam noch ein befonders
unangenehmer Vorfall. Der König Georg hatte auf Vorbitte
feiner Tochter, der Königin Sophie, welche bie
ſchaft ihre Gemahls fehr wohl kannte, dieſem bie jährliche
Lieferung einer Anzahl ‚langer Rekruten verfprochen. Das
hannoͤveriſche Minifterium ſtellte fie aber, obwohl mehrmals
darum angegangen, unter leeren Worwänden nicht, was ben
König fo aufbrachte, daß er feinen Offitieren befahl, im Han⸗
noͤveriſchen ale für fein Leibregiment geeignete große Leute weg⸗
zunehmen. ine ſolche Gewaltthätigkeit erregte natürlich ein
aufferorbentlicheS Auffehen. Georg L verlangte bie Breilaffung
feiner -Unterthanen, Friedrich Wilhelm dagegen beſtand darauf,
fie an ehalin, Der gegenfeitige Widerwile flieg bis zus
vaſſe ).
In dieſer Lage der Werhältniffe und bei der ihm dund
Grumbkow ſchon bekannten Stimmung Friedrich
kam der General Sedendorf wie zufällig, um einer Heerſchau
tat beizuwohnen, nach Berlin, wo er balb nachher (Juni) als kai⸗
fesliher Gefandter auftrat. Er gab nun dem Könige und beis
fen Dfficieren häufig Befte, bei benen gut und ſtark gegeffen
und noch ſtaͤrker getrunken wurde *), wodurch er ben König
offenherzig machte und von ‚Hannover immer mehr abwendete
Der König, der nicht leicht etwas auf bem ‚Herzen behalten
konnte, am wenigften, wenn er gereist war, erzäplte üben füs
gleich, wie man ihn zum hannoͤveriſchen Bunde gebracht, er
fei zugleich aufgebracht geweſen über mehrere Teichshofrathe⸗
1) Gedendorf an ben Kaiſer 80. Nov. 1726. Zörflers uk
denb. IL. 192. .
2) Mömoires de Bareith L. p. 94.
3) Ebendaſ. p. 9.
Spannung mit Hannover. 545
mandate, geſtand, baß er fich Üibereilt, jedoch eigentlich weiter
nicht gewollt, als den Prätendenten von England fern halten
und dem Könige Georg Bremen und Werden fichern. In bie
ſchleswigſchen und oſtendiſchen Händel werbe er fich nicht
mifhen. In dem Reichshofrathsproceſſe, fagten ihm feine Mi⸗
nifter, habe er recht. Er fei bereit, ſich mit dem Kaifer naͤ⸗
ber zu verbinden unb bie pragmatiſche Ganction zu gewährs
leiften, alle Streitigkeiten wegen Dofrieslands, der Graffchaft
Tedlenburg und der magbeburgifhen Ritterfhaft ließen ſich
beilegen, doch muͤſſe man ihm, wie anderen Königen begegs
nen, ihn im der juͤlichſchen Exbfolgefache unterflügen und das
jus de non appellando für alle feine Länder geben '). Bald
darauf Aufferte er gegen Sedendorf: England und Frankreich häts
ten ihn betrogen, wollten ihre eigentlichen Abſichten nicht ans
geben; er folle die Kaftanien aus dem Feuer holen, wozu er
Beine Luft babe. Der Kaifer möge fi) mit dem Prätendenten
nicht einlaffen, Preuffen und Georg I. deutfche Provinzen nicht
angreifen; dann fei Alles gut; zu mehr habe er fich nicht vers
pfuchtet ). Sedenborf benutzte diefe günftige Stimmung und
verlangte Gelb für bie preuffifchen Minifter, wie benn auch
Georg J. fon 2000 Pfund Sterling gefhidt habe. Man
dinfe den König diesmal nicht aus den Händen gehen laſſen,
weil er ſich fonft ficher in bie englifhen und franzoͤſtſchen
Hände werfen und zu gefährlichen Dingen verleiten lafien
werde. Er vieth, in dem meclendurgiſchen Gtreite zwiſchen
dem Herzoge und deſſen Ritterfchaft , in welcher Hannover bie
Baiferliche Commiffion hatte, daneben auch Preuffen zum Mits
Prien zu machen, um dadurch Beide mit einander zu vers
5.
Run erſt, als Frankreich und England beſorgt wurden,
Zriedrich Wilhelm möchte ſich vom hannoͤveriſchen Bunde tren⸗
1) @ntenborf an Cage 80. Mai 1726 bei Forſter Urkunbenb,
Abl. IL ©. 59.
2) Derfelbe an benfelben 12. Juni 1726 daſelbſt S. 68.
8) Seckendorf an Eugen 5. Juli 1726 ebendaſ. &. 75. Eugen gab
bie geheimen Berhaltungsregein über einzelne Punkte an, um Preuffen
von Hannover zu trennen, daſelbſt ©. 71.
Stengel, Geld. d. Preuffiich. Gtaats. TIL 3
1726
546 Bud VI. Drittes Hauptfiäd.
"nen, erhielt er von ihnen folgende Erklaͤrung: wegen Scles
wigs und ber oflendifchen Compagnie wolle man feinen Bei⸗
Hand nicht in Anſpruch nehmen. Er folle fih nur ruhig ver⸗
halten, die Generalftaaten wilden die oſtendiſche Sache
ſchon ausmachen. Andere Urfachen zum Kriege wären nicht
vorhanden, daher Fein Verluſt zu flrdten (alfo auch Feine
Sicherſtellung deshalb nöthig). Sie hätten die Abficht gar
nicht, ben Kaifer angreifen und, fo lange er. lebe, bie Rechte
feines Hauſes kraͤnken zu wollen, allein nach feinem Tode ſolle
eine freie Kaiferwahl eintreten, indem biefe Würde fonft zu
einem Anhängfel des Haufes Deflerreich werde. Für ben Fall
des Kriegs wollten fie 54,000 Mann für Preuffen ſtellen.
Diefe den von ihm eingegebenen Punkten meiftentheild aus⸗
weichenbe Erklärung genügte dem Könige nicht; Frankreich und
England wollten ihm auch die Bebingungen, unter benen fie
fi‘) verbimbet, nicht mitteilen, was ihn verdroß *). Die An
näherung Rußlands an Defterreich wurde immer deutlicher;
die Abficht der Kaiferin Katharina, Dänemark angreifen zu
wollen, war gewiß und Georg I. ſchob die Vollziehung der
Doppelheirath immer weiter auf. Friedrich Wilhelm wurde
dem hannoͤveriſchen Bunde ſtets abgeneigter und mehr für
den Kaifer gewonnen, deſſen Handlungsweife, fo weit ſich ber
König daruͤber befchwerte, Sedendorf zu vertheibigen ober doch
zu entſchuldigen bemühet war. Der König hatte feinen Leib
arzt, den berühmten Stahl nad) Petersburg geſchickt, um der
Kaiferin feinen Wunſch zu einem Bünbniffe zu bezeugen, mas
günftig aufgenommen wirde ’). Es Fam ihm jetzt nur noch
darauf an, auf ſchickliche und nicht ganz unehrenwerthe Weiſe
von den hannoͤveriſchen Bundesgenoffen auf die Seite bed Kai⸗
ſers überzugehen.
Schon brei Tage, nachdem Sedendorf als Taiferliher Ges
fandter in Berlin angefommen war und bereits mit Sigen
233. Juni über einige Hauptpunkte gefprochen hatte, wurde auf de Rös
1726 nigs Veranlaffung eine geheime Zufammenkunft auf dem Gute
" 4) Zagebuch Sedcendorfs vom 25. Juni bis 5. Juli 1786. Bei
Sörfter urkunbenb. IL ©. 77 ff.
2) Montgon Mömoires IT. p. 428.
\
Unterhandlungen mit dem Kaifer. 547
bes Minifterd v. Katſch im der Nähe Potsdams veranfaltet,
an welcher aufler dem Könige und Katſch nur Sedenborf,
Grumblow umd bie vechtfchaffenen aber in Weltgefhäften uns
erfahrenen, doch kaiſerlich gefinnten Oberſten Flans und Kleiſt
Theil nahmen. Nachdem die Speifen aufgetragen worden,
ließ der König die Dienerfchaft abtreten und erflärte, daß er
den fie Beinen ehrlichen Mann hielte, welcher bad Geringſte
wieberfage, was hier gefprocgen werde. Er ließ fih dann
offenherzig über die Urfachen feiner Unzufriedenheit mit bem Kais
fer aus und daß er ſich in Hannover durch große Verfprechuns
‚gen habe verleiten laſſen, bis bahin mitwirken zu wollen, bie
Toiferliche Macht zu beſchraͤnken, ja ihn von allen Seiten plögs
lich anzugreifen. Er babe indeffen bald gefehen: ex folle die
Kaſtanien aus dem euer holen, wozu er Feine Luft gehabt.
Er wolle mit Frankreich "und England nichts mehr zu thun
haben. Wenn der Kaifer nicht den Prätendenten unterſtuͤtze
und Hannover angreifen wolle, fo werde er (Friedrich Bil
helm) nit nur fein Freund fein, fondern auch die pragmas
tiſche Sanction gewährleiften. Juͤlich und Berg laffe er ſich
aber, wenn ber Fall eintrete, nicht nehmen, und werbe cher
alle feine Länder und Armeen auffetzen, wolle fi jedoch dar⸗
über eher mit dem Kaifer als mit England und Frankreich
verfländigen. Er verlange im Reiche nicht mehr Anfehen als
andere Kurfürften. Der Kaifer möge ihn etwas glimpflicher
behandeln, dann werbe er gehorfamer fein, als viele Andere.
Seine Blauröde ftänden dem Kaifer zu Dienften ). Einige
Tage darauf muffte Ilgen dem Seckendorf bie Bedingungen
zu einem engen Bunde zwifchen Preuffen und bem Kaifer vors
legen: Preuffen bleibt in ber ſchleswigſchen und oftendifchen
Sache neutral, ruffifhe und polniſche Angelegenheiten werden
im gemeinſchaftlichen Einverſtaͤndniſſe behandelt; der Kaifer ges
waͤhrleiſtet ale preuffifche Erbfolgeordnungen, der König bie
pragmatiſche Sanction und dazu ſtellt ber Kaifer 20,000 Mann,
der König 10,000 Mann; der König verlangt das jus de non
1) Gedenborfs Tagebuch bei Börfter Urkundenb. IL ©. 86. Bergl.
deſſen Beief an Gugen v. 12. Juni 1726 bafelbft ©. 68, wo ſchon
weſentuch baffelbe. R
3
6. Aug.
1726
548 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc.
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nig moͤglichſt gegen England zu rei
um die Doppelheirath zu verhindern
Sedendorf fah fehr gut, daß gerade Julich und Berg
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Aequivalent ein. Num gelang es dem wiener Hofe, die Kaiſerin
1) Gedenborf bei Börfter urkundenb. IL ©. 97.
2).Des Katfers Infiructin v. 9. Iuli 1726 bei Joͤrſter a. a.
D. ©. 107.
3) Die Inftruction Kaiſer Karis VI. v. 24. Jull 1726 bei Börfter
a. a. O. S. 110,
4) Secendorf an ben Kaifer 1. Aug. 1726 bei For ſter a. a. D.
©. 119.
'
Unterhandlungen mit bem Kaifer. 549
Katharina zu bewegen, dem wiener Buͤndniſſe (v. 30. April
1725) formlich beizutreten, wogegen ber Kaifer die Entwürfe
des ‚Herzogs von Holfteins@ottorp zu unterflügen verfprach ').
Darauf hatte ſich Friedrich Wilhelm I. nicht einlaffen, ia fos
gar den ruffifchen Truppen ben Zug durch feine Staaten nicht
jatten wollen. Dennoch kam durch beider Staaten Miss
uen gegen Polen ein Vertheidigungsbuͤndniß zu Stande, 10. Aug
welches ber Graf von Marbefelb in Petersburg abfchloß, in 1726
dem beide einander alle ihre Länder gegen jeden Angriff ge
währleifteten. Im einem geheimen Artikel wurde beftimmt,
Dreuffen fole feine guten Dienfte anwenden, um für ben Her⸗
zog von Holſtein⸗ Gottorp eine Entſchaͤdigung für das von
Dänemark eingezogene Schleswig zu erwirken, im Falle eines
Kriegs aber neutral bleiben. Dagegen gab der Herzog feine
Anfprüce auf Stettin und feine Proteflation gegen bie Bes
lehnung Preuffens mit demfelben auf”). Vergeblich hatte
Friedrich Wilhelm vorgefchlagen; dem Herzoge von Hoiſtein
Kurland als Entfhäbigung zu geben”). Auch durch biefes
Blndniß näherte fich Friedrich Wilhelm dem Kaifer im⸗
mer mehr.
Bon der anderen Seite bemüheten fich die Königin und
deren Bater, der König von England, fehr, ihn bei dem hans
növerifchen Bunde zu erhalten, ohne daß fi doch Georg wes
gen ber Doppelheirath beflimmt erflärt hätte. Der Fürft von
Deffau 'erzäplte an Gedendorf, bie Königin habe unterftügt
vom feanzöfifyen und bänifchen Gefandten, ihren Gemahl fuß-
fälig gebeten, fich durch anberweite Werbinbungen ber Breunds
ſchaft ihres Waters und ber Verbimdeten deffelben nicht vers
1) Dumont T. VII, P. IL. p. 181; ebenfo Montgon T. IT.
Es find noch unbefannte geheime Artikel des Vertrags zu Gunften bes
Oerzogs von YHolftein dabei, und der König von Polen fol fehr geheim
beigetreten fein, was mir doch nicht glaublidh iſt, er Hätte denn nach Mer
leben wieber abtreten wollen. Hojer Thl. II. ©. 117. Von ben ger
heimen Artitein fpricht Secendorf bei Börfter Urkundenb. IL ©. 185.
2) Dumont T. VII, P. IL p. 185 wie Mantgon M&m. T. II,
plöces justif. N. 27. Bergl. biefen p. 406 und Hojer Thl. I. ©. 118.
Söll SH. XIL. ©. 819 Eemmt nur einen gepeimen Artikel.
8) Seckendorf bei Börfter a, a. ©. ©. 119.
550 , Bud VL Drittes Hauptſtuͤc.
luſtig zu machen‘). Die Verhandlungen gingen dennoch fort,
weil Sedendorf auch feinerfeitd Alles in Bewegung fegte, um
den König für Deflerreih zu gewinnen. Gr ſchrieb (1. Aug.)
an den Hoflanzler, Grafen v. Sinzendorf: für den Fall, def
die Sachen zu Stande kämen, würde den koͤniglichen Minis
ſtern eine reelle allerhöchfte kaiſerliche Gnade zu verfichern fein,
naͤmlich an Ilgen, als den vornehmften, an deffen Schwieger⸗
fohn Knyphauſen, der noch gefährlicher, und an Grumbkow,
welcher den meiften Zutritt zum Könige habe. Die übrig
Generale und Oberften, Gersdorf, Dänhof, Sydow, Derſchau
u. ſ. w., welde mehr als alle Minifter vermöchten und deren
ex fich zuweilen bedienen müfle, koͤnne man mit etlichen großen
unnügen Raigen und bergleichen Waare beibehalten, ba man
ficher dem Könige kein angenehmeres Präfent thun koͤnne, als
wenn man ihn mit dergleichen großen Figuren erfrene, wos
durch aud Moskau, England, Frankreich, Daͤnemark und
Schweden des Königs Gemüth gewonnen *).
Je mehr ſich die Verhandlungen Ihrem Biele näherten,
je mehr der Tag ihres Abfchluffes heranrlidte, um fo flaͤrker
lag die Königin ihrem Gemahle an, fie völlig abzubrechen
Es war Alles vergeblich. Er gab fogar den Apı i
und Jülich auf, beſtand aber unerſchuͤtterlich auf Berg. Secken ·
dorf und der Kaiſer waren in ber peinlichſten Verlegenheit,
bie Foderung des Königs konnte nicht bewilligt werben, denn
" der Kaifer hatte eben in einem geheimen Vertrage an Kurs
16, Aug. pfalz, welches dem wiener Vertrage (v. 30. April 1725) zus
1726 getreten war, verſprochen, wenn an Pfalzs Neuburg ober
Sulzbach die Erbfolge in Juͤlich und Berg flreitig gemacht
ober diefe Länder mit Kriegsgewalt gewonnen werben follten,
fi dagegen mit aller Macht zu fegen und dem rechtmäßigen
Befiger und Erben auf fo lange, bis er fie wieder erhalten
wärbe, eine Refibenz in Insbrud mit flandeSmäßigem Unter:
1) Seckendorf an Eugen 20. Auguft bei Börfter Uckundens. IL ©. 127.
2) Bei Förfter a. a. D. S. 121. Daß auch England Gelb an
die preuffifcen Miniſter gegeben, vermuthet Seckendorf bei Börfter
xy. II. &, 391. Im Iuli 1726 ſchreibt er, Eagland habe 2000
Pfund nad Berlin geſchickt; bei Börfter a. a. D. S. 77.
Unterhandlungen mit dem Kaifer. 551
halte zu geben’). Doch hinberte dad einen Mann von fo
zweideutiger politifcher Gefinnung, wie Sedendorf war, durch⸗
aus nicht, dem Könige endlich Berg zuzufagen. Noch ſechs
Zage vor dem Abſchluſſe des Vertrags verficherte der franzoͤ⸗ 6. Dit.
fiſche Gefandte Rothenburg in einer Audienz, daß Georg I. eine 1726
ſchriftliche gimflige Erklärung wegen ber Doppelheirath geben,
und, um die Kriegöbeforgniffe zu heben, 80,000 Mann aufgeftellt
werben folten, Friedrich Wilhelms Länder zu fügen‘). Der
fonft ſehr vorfichtige Ilgen wurde fo eifrig, daß er (10. Dct.)
zu dem Baiferlichen Gefandten Sedendorf in Wuſterhauſen
fagte: er möchte lieber auf dem MRüdwege nach Berlin den
Hals brechen, ald durch Schließung der Faiferlichen Zractaten
die koͤnigliche Familie kraͤnken und die fo wichtige Doppels
heirath verhindern ).
Dennoch brachte Seckendorf den König dahin, daß er und 12. Ott.
feine Minifter Ilgen, Bork und Knyphaufen den geheimen 172
Vertrag von Wufterhaufen unterzeichneten. Die Grundlage
deffelben bildeten der Kronvertrag (v. I. 1700), das ewige
Buͤndniß (v. I. 1686) und die durch des Kaiferd pragmas
tifche Sanction (im J. 1713) eingeführte Exbfolgeorbnung.
Beide gewäprleifteten einander alle ihre Länder und ber Kaifer
verſprach für diefen Fall 12,000, der König 10,000 Mann,
diefer doch nicht nach Stalien oder Ungarn, zu flellen. Rufs
ſiſche und polnifche Angelegenheiten wollten beide Mächte einans
der vertraulich mittheilen. Rüdfichtlich der jülich-bergichen Erb⸗
folge verfprac ber Kaifer, Alles anwenden zu wollen, daß
nach dem Abgange ber pfalzsneuburgifhen Pinie dad Herzog:
thum Berg und bie Grafſchaft Ravenftein an Preuffen abge
treten werde. Spaͤteſtens binnen ſechs Monaten wollte.er Pfaly
Sulzbach zur Einwiligung bewegen, baß alsdann Berg an
Preuffen eingeräumt würde; vermöchte er das nicht, fo ſollte das
ganze Bimdniß als nicht gefchloffen zu betrachten fein und
1) Die Hierher gehörigen Artikel des fonft ungebrudten Vertragé
ſ. bei Börfter Thi. IL ©. 71.
2) Sedendorf an den Kaifer Bei Forſter a. a. D. S. 19.
3) Gedendorf an ben Kaifer 10. Oct. 1726 bei Foͤr ſter a. a. D.
©. 191.
552 Bud VL Drittes Hauptfüd.
auch bis dahin Feine Wirkung haben. Auch in anberen Exb-
folgerechtöfachen verſprach ber Kaifer den Köniz zu begimfligen,
ihm die Belehnung mit Stettin zu ertheilen und bie Erledi⸗
gung ber preuffifchen Geldanſpruͤche an Spanien zu befördern,
wogegen ber König durch feine Stimme den Kaifer bem
Reichstage moͤglichſt zu unterflügen verficerte, wie ſchon der
Vertrag von 1686 5. 1 es feflgefegt hatte.
In einem abgefonderten Artikel wurde beflimmt, im Fale
der König von Preuffen für den Kaifer und zugleich für dad Reih
Zruppen fiellen muͤſſe, fo folten ihm vom Reichscontingente
wenigſtens 2000 Mann erlafien werben, weil ex für den Kaiſer
mehr Truppen übernommen, als im I. 1686 und 1700 bes
ſtimmt worden ’). So ließ alfo auch ber Kaifer bier zum
Nachtheile des Reichs fo viel nah, ald ihm zu feinem befons
deren Vortheile zugefichert worden war.
Zur befonderes Belohnung erhielt der König 24 der
längften, ſchoͤnſten und jingfien Männer zum Geſchenke, bie
befreundeten Dfficiere 12 Kerle von nicht fo erceffiver Länge *)-
Auch der gelehrte geheime Rath Gunbling, der in der Abend-
geſellſchaft des Königs und an beffen Tafel fehr wider feinen
Willen den Narren machen müffe und, wenn eitie Baiferliche Mas
terie vorkomme, dem Könige falſche Grunbfäge beibringe, ba
men ihm ald Drakel in Staatdangelegenheiten glaubel ers
hielt eine mit einigen Diamanten befegte goldene Medaille *); der
Miniſter Grumbkow aber 1000 Ducaten jährlicher Penfion *).
Jetzt wurde ber Kampf der öfterreichifchen und ber englifch-
1) De fer if mehrmals verfälfcht abgebrudt wor
den, edht hat ihn guerft Börfter im urkundenbuche zur Gefch. Briebrich
iheims 1 xp I. 6.159 miigapeit, gm @eben TH. m
richtize Datum, während der unedte Wertung vom 12 Det. 1727 der
List in.
2) Schreiben Seckendorfs an Eugen v. 80. Dit. 1726 in Förfkers
uckundeab. IL. ©. 178, vergl. ©. 189 vom 26. Rod.
PA aa Börfter a. a. ©. S. 172, vergl. Zy W.
4) Eugen an Seckendorf bei Börfter Thl. W. ©. 825, vergl. 851,
wo es ausbrücklich ſteht.
Wuſterhauſer Vertrag. 553
franzoͤftſchen Partei am berliner Hofe noch flärker. Zar den
Kaifer waren Grumbkow und ber General Bork, denen ber
König fehr vertrauete, und ber Faiferlihe Gertendorf, den er
audnehmend gern fah, ber Fürft Leopold von Deffau und feis
ner Neigung nach der König felbfl. Für das hannoͤveriſche
Bündnig waren Ilgen und Kupphaufen ‘), vorzüglich aber
die Königin, welcher der König täglich die Verzögerung ber
Doppelheirath vorwarf. Sie war Über ben ber Hauptfache
nach ibr ſicher bald bekannten wufterhaufer Wertrag fo ers
bittert, daß fie Grumblow erflärte, fie werde ihm das nie
verzeihen und ihn ewig verfolgen). Als fie bald barauf
durch den Tod ihrer Mutter Ausficht auf eine Erbfchaft, man 18. Rov.
fagte von drei Millionen Thalern, hatte, was auf ihren Ge 1726
mahl großen Eindrud machte, fing fie an, fich mehr zu fühlen
und gab ihre Sache durchaus nicht verloren”). Weide Pars
teien wenbeten- alle ihnen zu Gebote fichenden Mittel an,
den König völlig auf ihre Geite herüberzugiehen. Der frans
zoͤſiſche Gefandte behauptete fehon zwei Tage nach ber Uns
terzeihnung bed Vertrags, mit deflen Hauptpunfte befannt
zu fein, unb daß Frankreich wohl wiffen werbe, ſechs Mos
nate hindurch Pfalz» Sulzbadh von einer Crfldrung abzus
halten ).
Auf die Nachricht vom Bunde Friedrich Wilhelms mit Nov.
dem Kaifer verlangten England und Frankreich eine Erklärung 1726
von Preuffen, ob es noch am hannöverifchen Bunde halten
1) Villare Mem. T. II. p. 275.
2) Gedendorf bei Börfter urkundenb. IL ©. 156.
8) Sedendorf bei For ſter urkundenb. III. ©. 888.
4) Seckendorf an Eugen 14. Det. 1726 bei Förfter Urkundenb. IT,
Berwandten unter einander uneinig wären. Auch Seckendorf meinte in
dem oben angeführten Schreiben: wenn ber König feinen Zweck wes
dom
554 Bud VL Drittes Hauptfiäd.
wolle. Fricdrich Wilpelm weigerte ſich, feine Verhandlunge
mit Defterreih und Rußland den hanndverifchen Werbinbetn
mitzutpeilen und erfldrte, fein Vertrag mit Defterreich enthalte
nichts gegen ben hannöverifchen Bund’). England und Frank
December. reich erboten ſich nun, ipm nicht nur Berg, fondern aud Se
lich zu verfchaffen und ihn auf ihre Koften in den Befitz dieſa
Provinzen zu fegen, allein auf des gut Taiferlich gefinnten
Generals v. Bork Rath lehnte der König das ab, wollte
fih mit Berg begnügen und im Bunde mit dem Kaifer bier
ben?). Diefer wendete in ber That, um feinem im wuſter
baufer Vertrage gegebenen Verſprechen nachzukommen, ale
Mühe an, das Haus Sulzbach zum Verzichte auf Berg zu
Sunften Preuffens zu bewegen, unb bot baflır jaͤhrlich 53,000,
ja 100,000 Thaler und der Pfalzgräfin für ihre Mitwirkung
Januar jährlich 50,000 Thaler, allein ohne allen Erfolg). Die Be
1727 forgniffe Riegen immer höher, daß im naͤchſten Fruͤhjahre der
Krieg auöbrechen würbe*). Für dieſen Fall dachte der Kaiſer
wieder daran, dem Könige für Berg Bremen und Verben zu
geben, was man dem Haufe Hannover nehmen wollte. Er
boffte felbft, wenn die Ruffen Kurland an einen preuſſiſchen
Prinzen gäben, wide Friedrich Wilhelm das ald Entfchaͤdi⸗
gung für Berg anfehen. Allein diefer, obgleich für den Kaifer
geffimmt, war nicht zu bewegen, fih auf ein Yequivalent
für Berg einzulaffen, lehnte auch als ſolches bie Güter in
Litauen, welche der Pfalzgräfin ald geborner Prinzeffin von
Rabzivill gehörten, ab, weil fie unter polnifcher Hoheit Räns
1) Seckendorf vom 18. Nov. 1726 bei Börfter Urkundenb. IL, S. 187.
der machte den Entwurf zu Friedrich Wilpelms Antwort. Wie aufgebracht
man in England war, beyeugt ber öfterreichifhe Gefandte Palm in einem
Schreiben an Seckendorf v. 14. Rov. 1726 in Börfters Döfen. Ich
denb. Thl. J. S. 20.
9) Seckendorf in Börfters urkundenb. IL S. 197 v. 3. Dec. 1786.
3) Montgon Mem. II. p. 149 u. IV. 173. Der ‚Kalle au
graubart ©. 22. Jan. 1727 bei Börfter ZH. IIL ©. 830. Bergl.
. 7.
4) Gedenborf an Eugen v. 22. Yan. 1727 dof. ©. 346.
Neutralitätsplan. 555
en‘). Die Anſtalten zum Kriege wurden immer drohender.
Der König hielt 40 Bataillons und 150 Escadrons bereit
nd fagte: „Kein Engländer oder Franzoſe fol fiber und Deutfche
sebieten, meinen Kindern will ich Piflolen und Degen in die
Biege geben, daß fie die fremden Nationen abhalten. Die
fterreichiſche Erbfolge miüffen alle deutfche Bürften gewährs
eiften. Wenn die Franzoſen ein Dorf in Deutfchland angrei⸗
en, fo müffte der deutfche Fürft ein Cujon fein, welcher nicht
ven legten Blutötropfen daran fegte”)." AB aber bei Exöffs28. Ian.
tung bed Parlaments der König von England erflärte, Defter 1727
:eich und Spanien hätten fich verbunden, den Prätendenten
inzufegen, Gibraltar und Port Mahon au Spanien und den
nglifcheindifchen Handel an die ofiendifhe Compagnie zu übers
iefern, Rußland fei zugetreten?), ber Kaifer aber diefe Bes
yauptungen .in einer veröffentlichten Denkſchrift Lügen frafen
äeß*) und man glaubte, er wolle im Fruͤhjabre Hannover ans
greifen; als darauf der König von England im Fruͤhjahre mit
20,000 Engländern nach Hannover kommen und bort mit bies
fen, ferner feinen Hannoveranern, den Dänen und Schweden
ein Heer von 82,000 Mann aufftellen wollte, indem bie Kds
nige von Schweden und Dänemark bereit waren, dem bannds
verifchen Bunde beizutreten, fo machte das ben König von
DPreuffen ‚wieder ſchwankend *). Die Königin und die hannd-
verifche Partei an feinem Hofe feßte ihm auch ſtark zu, der
Kaifer ziehe ihn mit Berg nur aufz Kurpfalz würde nie eins
willigen; Frankreich und England dagegen wollten es ihm forts
während fihern. Die Doppelheirath war noch nicht aufgeges
ben, bee im wufterhaufer Vertrage beftimmte Termin von ſechs
1) Seckendorf bei Börfter Tl. IIL ©. 881, 355, 883 u. 889.
29) Gedenborf a. a. D. S. 333 bis 335.
3) S. dieſe berüchtigte Rebe in Rousset Recuell T. IM. p. 827.
A) Die Actenſtaͤce daf. S. 349 u. 853. Palm muffte England
verlaffen.
5) Secendorf bei Börfter II. ©. 346. Bergl. Palme Bericht
vom beabfichtigten Kriege in Börfters Höfen und Gabineten. Urkunden ⸗
su L ©. 20.
656 Bud VL Drittes Hauptflüd.
beftliemt, wuflte oft nicht, wo Ähm der Kopf fland. Dhachu
von unrubiger Gemüthsart, wurde er von Beſorgniſſen ba
Krieg
Floh ihn felbft in der Nacht. Piöglich glaubt.:e "einen Ans
weg gefunden zu haben, er fpringt von feinem naͤchtüche
280 Se auf und fchreibt die Hauptgebanken felbft nieder Dirk
27 gingen darauf hin, ben Frieden im Reiche zu erhalten mb |
daher beiden Theilen die Mittel zu nehmen, biefe und ihn m |
Gefahr zu bringen. Der Kaifer folte erklären, daß weder
noch Rußland die Feindfeligkeiten gegen die hamoͤveriſden
Verblindeten anfangen und Hannover felbft angreifen, der 8:
nig von England aber, daß er mit feinen Werbimbdeten nichts
Beinbfeiget gegen das Reid und des Kaiſers Exblande vor
wolle”). Er verpflichtete fich gegen ben Kaifer, des
ig Georg, und gegen dieſen, ben Kaifer zu einer for
dien Grftdrung zu bringen. erde Georg darauf Peine be |
flimmte, oder nah englifcher Hoffärtiger Manier gar Feine Aut:
wort geben, fo verſprach er (Friedrich Wilhelm) dem SKaifer,
fein ganzes Heer in vier Wochen aufzuflellen, die Friedens
1) Gedenborfs Bericht v. HM. Die 1726 on Cagen bei Bäcker |
. m
2) Lauter junge ſtarke Leute, bie wenig Gelb vom Könige erhalten
benen es baher wohl ſchmeckt. Seckendorf an Cugen 15. Sehr. 1727, ,
&örfter Urkundenb, TIL S. 877.
8) Montgon T. III. p. 895. Das Schreiden bei Maupilier
ZH. II. ©. 182. Wergl. Pöllnig Mm. IL p. 246.
Reutratitätsplan. 557
körer mit Hülfe der Übrigen Kreife zum Gehorſam zu bringen
nd das Reich, doch mit Ausnahme Brabant, vor ausläus
ifchen Truppen zu bewahren‘). Dem Kaifer wie bem Könige
von England war das gleichmäßig unangenehm, doch erwieberte
Beorg L, er denke nichts gegen Deutfchland zu unternehmen:
Die gefammte Angelegenheit betreffe nur den Handel der ofls
ndiſchen Gompagnie, doch müffe ex fid mit feinen Verbuͤndeten
verathen*); dieſe meinten, ber Vorſchlag ſei zu vortheilpaft fir
ven Kaifer, welcher feinerfeit8 fah, daß ihm mit Hannover ber
inzige verwundbare Fleck Georgs I. entzogen wurbe, und baber
jlaubte, Friedrich Wilhelm fei von biefer Seite zu feinem Vor⸗
lage gebracht worden”). Auf Seckendorfs Werlangen vos Mär
icherte nun ber König noch, wenn während der. Zwiſchenzeit,
saß er auf feine Neutralitätsoorfchläge Georgs L. Antwort ers
varte, bie oͤſterreichiſchen Erblande von hannöverifchen Truppen
ıngegriffen werben follten, fo wolle er bem Kaifer, wie im
3. 1700 vertragen, doch nur unter ber Bedingung beiftehen,
aß auch ihn, wenn er beöhalb angegriffen werben follte, der
Raifer unterfilige und fich zugleich verpflichte, Hannover nicht
ınzugreifen. Dennoch wollte fich der Kaifer daruͤber nicht ers
Yären. Daher meinte Friedrich Wilhelm, wenn Defterreich fos
leich Hannover und HeffensKaffel angreifen wolle, fo müfle er
nit anderen Evangelifchen glauben, daß mehr babinter flede,
ils nur eine Beſchwerde uͤber das beleibigende Benehmen bed
Rönigs von England im Parlamente und daß man wohl gar
yarauf ausgehe, die Proteflanten über den Haufen zu werfen,
vogegen biefe Maßregeln nehmen miflten, bamit die Kathos
ifen nicht durch Wernichtung zweier protefantifchen Reichs⸗
Hände zu mächtig würden. Der kaiſerliche Minifter Sinzendorf
uchte zwar den König zu beruhigen, indem er verficherte, der
1) Gedenborf bei Foͤr ſter pl. IIL ©. 368.
2) Derfelbe baf. S. 886.
3) Derfelbe daſ. ©. 406 u. 414 Wergl. Eugene Schrelben v.
2. März daf. ©. 391. Wie fehr man in England hoffte, den König
‚on Preuffen wieder vom Kaifer ab und auf bie hanndveriſche Geite zu
ichen, beyeugen Palme Berichte v. 11. Febr. u. 10. März 1727 In
joͤr ſtere Höfen. Urkundend. I. ©. 56 u. 62.
1727
558 Bud VI Drittes Hauptflüd,
Unterfhieb ber Religion habe nicht ben mindeſten Antheil an
den gegen England zu nehmenten Maßregein und ber Kaiker
gehe durchaus nicht darauf aus, die Macht der Proteflantes
zu ſchwaͤchen. doch war der Argwohn bed Königs wach, m
zu befürchten, er werde, wenn es zum Kriege kommen fohtı,
Air fo gimfig, .ald er fi) Aufferte, für den Kaifer handels').
Apr
17277
obwohl er biefem eine neue Friſt von drei Monaten nachget,
um bie im wuſterhauſer Vertrage bebungene Werzichtleikun
Pfalz⸗Sulzbachs auf Berg zu bewirken‘), wogegen ihm be
Kaifer die Erecution in ben oſtfrieſiſchen Unruhen auftrug )
Beide Theile, die wiener und die hannoͤveriſchen Werbiz
beten, waren alſo gegen den von Friedrich Wilhelm gemadte
Vorſchlag der Neutralität Deutſchlands, jeder; weil fie den
Gegner zu vortheilhaft fei. Der Srühling kam. Ein auge
bidtic lebhafter Zwift entſtand zwifchen Friebrich Wilhein
und dem Könige Auguſt wegen preuffifchen ‚k
daß ber fächfifche Gefandte Suhm Berlin verließ). De
König von England druͤckte die Hoffnung aus, Friebrid BE
helm werde Hannover vertheibigen, wollte ſich aber wegen te
Neutrakität nicht exfiärenz ebenfo arbeitete Secendorf, def e
befeitigt wurde*). Bald darauf wurde von England gereden
behauptet, geheime Artikel des wiener Vertrags, —*
daß der Infant Don Carlos bie aͤlteſte Tochter des Kaiſes
heirathen und eine Univerſalmonarchie gruͤnden ſolle. Friedüich
Wilhelm möge feine Truppen ‘bereit halten. Er ermicen,
anfänglich habe man nım von Dftenbe gefprochen, nun rede
man ganz anders. Er glaube nicht, baß ein. fpanifcher Prig
1) ©. bie Gchreiben Gedenborfs bei Foͤrſter Urkundens. IL
©. 885, bie preuffifhe Erkiarung daf. ©. 418 v. 25. Miıg un ia
deſſen Höfen. urkundenb. I. ©. 67.
2) Des Kaiſers Schreiben v. 15. März und Secendorft d. 26. Min
bei Foͤrſter ZpL TIL S. 898 u. 416.
8) Biarba ZH. VII. &, 862.
e an Geteberfe dreiten v. 24 Dlleg 1787 bei Bäcker SAL IL
5) Derfelbe daſ. Ipt. HI. ©. 402, 404 u. 407.
Neutralitätsplan. 559
sie Erzherzogin Maria Thereſia heiraten fole‘). An den
jerrenhäufer Vertrag koͤnne er ſich nicht halten, weil er zu
Ende bes Jahrs 1725 und im März 1726 wieberholt Erlaͤu⸗
erungspunkte eingegeben und barauf ohne Antwort geblieben
ei, ja man babe ſich auch auf feinen Antrag zur Sicherung
Hannovers nicht beftimmt erflärt. Der engliſche Gefandte
serlangte nun zu wiffen, was ber König thun werde, wenn
Yie Ruffen Dänemark wegen Schleswigs angreifen würden, das
Zeorg I. dem Könige von Dänemark gewährleiftet habe.
Kriedrich Wilhelm erwiederte, das fei noch weit, und dem tras
yendahler Frieden gemäß fei Georg I. verpflichtet, ſich vielmehr
ed Herzogs von Holftein anzunehmen”). Somit hatten bie
janndverifchen Verbindeten feine Hoffnung mehr, daß Preuffen
ie unterflügen vwoinde, weil Friedrich Wilhelm durchaus bie
Neutralität des Reichs behaupten und fi in die oflendifcyen
ind holfteinifchen Angelegenheiten nicht miſchen wollte. Doc
verlangte er num vom Kaifer zu wiflen, wer bie Rüflungs-
‘often bezahlen werde’). Endlich erklärten bie Gefandten Engs 17. Apr.
ande, Frankreichs und Hollands, welches zum handverifchen
Bunde getreten war, fie hätten das Reich nicht angreifen wols
en*). Der Kaifer wendete feinerfeits Alles an, dem Könige
»a8 Herzogthum Berg zu ſichern, Pfalz⸗Sulzbach war jedoch auf
!fine Weife zur -Werzichtleiftung zu bewegen. Der Kaifer
neinte, Friedrich Wilbelm folle felbft Minifter nach Wien
chicken, um ſich zu uͤberzeugen, wie Ernſt es ihm in ſeinen
Berhandlungen ſei. Der König wollte fi) darauf nicht ein⸗
aſſen; ex blieb bei feiner Foderung und überließ alles Uebrige
vom Kaifer®).
H Doch bat er ben Kaiſet darüber um eine beflimmte Erklaͤrung
md wollte, daß Maria Thereſias Lünftiger Gemahl ein Deutfher fel.
Bei Foͤr ſter in deffen Höfen. urkundent. I. ©. 76.
D) Gedenborfs Bericht an den Kalfer vom 4. April 1727 in Bör«
ters Höfen. urkundenb. I. S. 69.
8) Grdendorf an Eugm vom 4. April 1727 ebendaf. S. 75: „Das
Bun IR Sir das erfte Mobile, wonach ſich bie Gonfilia richten.”
Seckendorfs Schreiben vom 17. April 1727 ebenbaf. ©. 98.
9 De Safe en Gedibenf u. 18. Apck edel. ©. 8,87 u.
02, dann 111.
560 Bud VI Drittes Hauptſtuͤc.
Es if} hoͤchſt wahrfceintic, daß durch das ſchwankende
Benehmen Friedrich
werben muͤſſen, bier allein konnte Georg I. den Kaiſer und
der Kaiſer ihn angreifen. Friedrich Wilhelm war entſchieden
Dagegen und bei feiner Macht, hoͤchſt wahrfeinich and) ns
von anderen patriotifcgen Sürften unterftügt, würde er de
Seite, auf weldhe ex fi) gewenbet hätte, den Ausfchlag ge
geben haben. Seine ven, beiden Dartcen wufle aber fär,
für wen fi Preuffen erflären wuͤrde. Der längft erwartde
(und den 17. Mai eingetvetene) Tod der Kaiferin von Rußland
St. Ma mochte ebenftl auf ben Saifer wirken; genug, er füLOB gar
1727 unerwartet Präliminarartikel mit den hannoͤveriſchen Werbin
allein bald fehen muffte, daß feine Stellung baburdh välig
verändert, feine augenblickliche Wichtigkeit verfhwunden mb
fo der rechte Beitpunct verloren fä, für feinen Staat weats
In gutem Benehmen gelanden, io zog fich ihr Nachfolger, Pe
„ ober bie, welche ihm leiteten, auf einige Zeit von der
—W Politik zuruck. Bald "nachher farb gang une
1727 wartet König Georg J. Friedrich Wilhelm hatte
geroater nicht geliebt, doch, da er einen Theil feiner Kinder
1) Dumont T. VIIL IL p. 146.
9) Sedendorf Hatte fie fhon am 7. Mai dem Könige mitgetpeht.
©. deſſen Schreiben an ben Kalfer in Börfters Höfen. Urkundeni. L
©. 109.
Pasifer Pröliminarien. 561
jahre in ‚Hannover verlebt, gewiſſernaßen geachtet und einiger
maßen gefcheuetz mit feinem Schwager Georg IL hatte er
fich ſchon ald Knabe nicht vertragen koͤnnen und mochte ihn
nie leiden. Alles das erfehlitterte ihr ſehrz dazu kam in Bolge
der ſchonungsloſen Anftrengungen im Arbeiten, Jagen, Efien
und Trinken, koͤrperliches Unwohlfein und Hypocdondrie Er
dachte wohl einige Tage daran, die Regierung nieberzulegen
und fi) auf ein Landgut zurldzugiehen, body mit der wiebers
kehrenden Gefunbheit war das bald vergeffen ).
Für Defterreich machten es die politifhen Verwidelungen
immer noch winfchenswerth, den König von Preuffen an ſich
zu ziehen, jedenfalls ihn von dem hannöverifchen Haufe dauernd
zu trennen. Georg I. that nichts, um bie Samilienbande fefter
zu Inhıpfen, während Frankreich fih mehr bemühete, Preuffen
vom Bunde mit Defterreih abzuhalten. Friedrich Wilhelm
ſuchte nichts, als ſich Bergs für den Fall des Abgangs ber
pfalzeneuburgifchen Linie auf jede Weife zu fihern. Der Kals ‘
fer zeigte ſich geneigt, zu thun, was in feinen Kräften flände,
wollte aber nicht Über ziemlich allgemeine Werficherungen bins
ausgehen, welche noch viele Auswege offen Heßen. Indeſſen
als er fi) den Seemächten näherte, fing er an, mit Spanien
gefpannt zu werben, zugleich muffte er immer beforgt fein,
England und Frankreich; möchten Preuffen durch bie Ausficht
auf den Beſitz Juͤlichs und Bergs gewinnen, während er ſich
nicht nur mit Friedrich Wilhelm verbunden, fondern ihn auch
zur Gewährleiflung feiner pragmatiſchen Sanction bringen
wollte. Daher muffte Sedenborf fortwährend mit dem Könige
auf Grundlage des wufterhaufer Vertrags verhandeln ).
Unterbeffen föhnte fich König Auguft von Polen, ber feine
eigenen Zwege verfolgte und auch wegen der Anſpruͤche der
Gemahlin ſeines Sohnes, einer Tochter Kaiſer Joſephs L,
gegen Kaiſer Karls VI Öfterreichifche Erbfolgeordnung war,
mit Friedrich) Wilhelm aus und fuchte ihn für feine Abfichten
zu benugen. Der Feldmarſchall Flemming kam nad Berlin,
1) Memoices de Bareith L p. 99. ®dllnig Mem, II. p. 254.
2) ©. bie preufffchen Puncte v. 18. Sept. 1727 mit Hlinugefügter
Erklarung des Kalfers in Börfters Urkundenb, Thi IT. ©. 207.
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. II. 36
562 Bud VL Drittes Hauptfiäd.
der fächfifche Geſandte Suhm Lehrte bahin zur‘). Die ge
- fammten Streitigkeiten wegen ber Werbungen wurben nieders
18. Jan. geſchlagen. Ganz unvermuthet veifte der König von Preufien
1728 nach Dresden, wo er von bem prachtliebenden Auguft währent
eines Monats auf das Glänzendfte bewirthet und ihm an
dem Uippigen Hofe jeder Sinneögenuß geboten wurde, inden
Auguft nichts fehlen ließ, um ihn völlig an ſich zu ziehen‘)
„Sonſt ift die hieſige Magnificence fo groß”, fhrieb a an
Sedendorf, „daß ich glaube, fie habe bei Louis XIV. ummög:
Uch größer fein koͤnnen, und was bad lüberliche Leben betrifft,
fo bin ich zwar nur zwei Tage hier, aber ich fann in Wahr:
heit fagen, daß dergleichen noch nicht gefehen, unb wenn der
feelige Franke lebte und bier wäre, wuͤrde er es nicht ändern
koͤnnen ).“ Dann fegt er zu einem anderen Schreiben eigen
Bebruar haͤndig hinzu: „Ich gehe zukommende Mittwoche nach Haufe,
1728 fatiguirt von allen guten Tagen und Wohlleben; es iſt gem
Bein chriftlich Leben hier, aber Gott ift mein Zeuge, daß ih
kein Plaifir daran gefunden und noch fo rein bin, als ich von
‚Haufe hergelommen ).“
Dpgleich der König zugleich Aufferte, er und ber König
von Polen hätten ſich dad Wort gegeben, daß bei biefer Zu
ſammenkunft von keinen Geſchaͤften geſprochen werben folk,
fo verurſachte dieſe Reiſe doch allerlei Geruͤchte. Man ven:
muthete, es werde an einem Buͤndniſſe zwifchen dem Kaifer,
dem Zaare und ben Königen von Polen und Preuffen gear
beitet®). Doch fol nur zwiſchen ben legten Beiben ein Ver
trag geſchloſſen worden fein, durch welchen ſich Friedrich Sil⸗
beim verpflichtet‘ habe, erſtens eine Truppenabtheilung gegen
Polen zu fiellen, um dieſes bahin bringen zu helfen, daß ber
1) Sedenborfs Leben Thl. IV. ©. 8.
N ©. Faßmann J. 8.375 ]_ Pöllnig Mem. IL p. 255
Mä&moires de Bareith I. p. 105.
8) Vom 16. Ian. 1728 bei Foͤr ſter Thl. M. & 254
4) Wom 8. Bebr. ebenbaf- ©. 261.
&) Villars Mm. T. IL p. 845 u. 851. erg p. 857 un
Montgon M&m. T. VI. p. 177 u. 867.
Auguf von Sachſen und Polen. 563
polnifche Thron erblich für das Haus Sachſen erflärt wirbe,
zweitens, dem Könige Auguft vier Milionen Thaler zu leihen,
wofle ihm biefer die Laufig als Pfand überlaffen und des
Königs ältefte Tochter Wilhelmine heirathen wolle. Zur grös
Beren Sicherheit ſollte der Kurprinz bie barlıber aufgenommene
Urkunde in Berlin mit unterfcreiben ). Wirklich begab ſich
König Auguſt mit feinem Sohne dahin und wurde prächtiger
als fonft Jemand empfangen, indem der König deshalb 16,000
Mann Truppen zufammenziehen und allein für 16,000 Thaler
Silberzeug von Augdburg kommen ließ”). Der Graf Rutowski,
natuͤrlicher Sohn König Auguſts, wurde als Felbmarfchall in
preuffifhe Dienfte genommen, lernte bier die Einrichtung des
Heeres kennen und übertrug fie dann auf bie fächfifchen Trup⸗
pen’). Der in Dresden verabrebete Vertrag Tonnte indeſſen
nicht vollzogen werben, weil fih der Kurprinz durchaus weis
gerte, ihn zu unterzeichnen, was vieleicht ber Grund zu dem
dauernden Widerwillen war, den Friedrich Wilhelm gegen ihn
begte ).
Fortwaͤhrend warben, wenn auch nicht mehr fo angelex
gentlich als früher, der Kaifer und die hannöverifchen Verbin:
beten um Friedrich Wilhelm. Diefe boten mehr ald jener,
doch mistrauete ihnen ber König, und wollte lieber vom Kais
fer weniger annehmen, allein, wie er zutrauensvoll meinte,
dabei beflo ficherer gehen. Dem Baiferlichen Hofe kam nun
Alles darauf an, zwifchen bem Könige Friedrich Wilhelm und
deffen Schwager Georg IL einen völligen und unheilbaren
Bruch herbeizufühzen und, wo möglich, ihre perſoͤnliche Abs
neigung bis zur umverföhnlichen Feindſchaft zu fteigern. Dann
1) M&moires de Bareith T. L p. 105. Weiter ift meines Wiffens
davon nichts bekannt. In Gedendosfs Leben Thl. IV. S. 7 wird
befauptet, es fei ein MWertheibigungebunb gieifcen Preuffen und Gadhfen
geſchloſſen, ein deutſcher Fuͤrſtenbund und bie Theilung Polens von Auguft
beabfichtigt worden.
2) ©. Bafmann I. ©. 879. Pöllnig Mem. II. p. 260.
3) Morgenftern ©. 183.
4) Ex nannte ihn nur Mantelſack und Pa ihn fonft mit Spott⸗
namen Seckendorf journal secret p.
36*
Mai
1728
556 Bud VL Deittes Hauptfiüd.
‚Hofe anbing, ließ es nicht an Drohungen und Berfprechunge
fehlen). Seckendorf tractirte wöchentlich die Dfficiere des
Leibregiments wie den König”. Diefer, von beiden Seiten
—* wuffte oft nicht, wo ihm der Kopf fland. Dhnebin
von unruhiger „ wurbe er von Belt
und her getrieben, einen Ausweg zu fuchen, durch welchen ci
Krieg In Deutfcpland vermieden werden koͤnne. ‚Der Schlaf
floh ihn ſelbſt in der Nacht. Plöglich glaubt. ick
1727 gingen darauf hin, den Frieden im Keiche zu erhalten unb
daher beiden Theilen bie Mittel zu nehmen, bife® wab im in
Gefahr zu bringen. Der Kaifer follte erklaͤren, daß weber a
noch Rußland die Feindfeligkeiten gegen bie banmöverifden
Verbiindeten anfangen und Hannover felbft angreifen, der Kb
nig von England aber, daß er mit feinen Werbindeten nichts
Beindfeligeß gegen das Reich und des Kaiſers Erblande vor
nehmen wolle‘). Er verpflichtete fi gegen ben Kaifer, ben
König Georg, und gegen biefen, den Kaifer zu einer fol
fein ganzes Heer in vier Wochen aufzuftellen, bie Friedens⸗
1) Gedtenborfs Bericht v. 24. Der. 1726 an Eugen bei Börker
an IE Be er an Zee Zn BIETEN SEN
2) Sauter funge ſtarte Leute, bie wenig Gelb vom Könige erhalten,
Denen 28 bafer, wohl Te —* — an Cugen 15. Betr. 17,
Börfter urkundenb. TIL
8) Montgon T. —* Das Schreiben bei Maupilion |
pt. I. ©. 182. Bergl. het Mia. IL p. 246.
Reutratitätsplan. 557
törer mit Hülfe der Übrigen Kreife zum Gehorfam zu bringen
nd das Reich, doch mit Ausnahme Brabant, vor ausläns
ifchen Truppen zu bewahren‘). Dem Kaifer wie dem Könige
von England war das gleichmäßig unangenehm, doch erwieberte
Yeorg L, er denke nichts gegen Deutfchland zu unternehmen.
Die gefammte Angelegenheit betreffe nur ben Handel ber ofls
mdifchen Gompagnie, doch muͤſſe ex ſich mit feinen Verbündeten
yeratben?); biefe meinten, ber Worfchlag fei zu vortheilhaft für
yen Kaifer, welcher ſeinerſeits ſah, daß ihm mit Hannover der
‚inzige verwundbare Fleck Georgs I. entzogen wurbe, unb baber
zlaubte, Friedrich Wilhelm fei von biefer Seite zu feinem Vor⸗
‚lage gebracht worden”). Auf Sedenborfs Verlangen vers März
ficherte nun der König noch, wenn während der. Zwiſchenzeit,
daß er auf feine Neutralitätävoriläge Georgs J. Antwort ers
warte, bie öfterreichifchen Erblande von hannöverifchen Truppen
angegriffen werben ‚follten, fo wolle er dem Kaifer, wie im
3. 1700 vertragen, boch nur umter ber Bedingung beiftehen,
daß auch ihn, wenn er beöhalb angegriffen werben follte, ber
Kaifer unterftlige und fid zugleich verpflichte,: Hannover nicht
anzugreifen. Dennoch wollte ſich der Kaifer daruͤber nicht ers
Elären. Daher meinte Friedrich Wilhelm, wenn Defterreich fos
gleich Hannover und Heffen-Kaffel angreifen wolle, fo muͤſſe er
mit anderen Evangelifchen glauben, bag mehr babinter flede,
als nur eine Beſchwerde uͤber das beleibigende Benehmen des
Königs von England im Parlamente und daß man wohl gar
darauf ausgehe, die Proteflanten über den Haufen zu werfen,
wogegen dieſe Maßregeln nehmen müflten, damit bie Kathos
lüken nicht durch Vernichtung zweier proteftantifchen Reiche
fände zu mächtig würden. Der kaiſerliche Minifter Sinzendorf
fuchte zwar den König zu beruhigen, indem er verficherte, ber
1) Gedenborf bei Börfter Apl. IIL ©. 868.
2) Derfelbe daſ. S. 886.
3) Derfelbe daf. S. 404 u. 414. Bergl. Gugens Schreiben v.
12% Fate ©. 891. Wie ſehr man in England Hoffte, den König
von Preuffen wieder vom Kaifer ab und auf bie hanndveriſche Seite zu
sieben, bezeugen Palmıs Berichte v. 11. Febr. u. 10. Vin 1727 In
Börfkters Höfen. Urkunden. I. ©. 56 u. 62
558 Bud VL Drittes Hauptflüd.
unterſchied ber Religion habe nicht ben mindeſten Antheil an
den gegen England zu nehnienten Maßregein und der Kaifer
gehe durchaus nicht darauf aus, bie Macht ber Proteflantn
zu ſchwaͤchen. doch war der Argwohn bed Königs wach, und
+ zu befürchten, er werde, wenn ed: zum Kriege kommen fohte,
Aprü
17277
nicht fo gimfig, als er ſich aͤuſſerte, für den Kaifer handeln‘),
obwohl er diefem eine neue Friſt von drei Monaten nachged,
um bie im wuſterhauſer Verttage bebungene Berzichtieiftung
Pfalz⸗Sulzbachs auf Berg zu bewirten?), —* ihm der
Kaiſer die Execution in ben oſtfrieſtſchen Unruhen auftrug )
Beide Theile, die wiener und die hannoͤveriſchen Verbin
deten, waren alfe gegen ben von Friedrich Wilhelm gemadtn
Vorſchlag der Neutralität Deutſchiands, jeder; weil fie den
Gegner. zu vortheilhaft fei. Der Frühling kam. Ein auge
bliclich lebhafter Zwiſt entſtand zwiſchen Friedrich Wilhelm
und dem Könige Auguſt wegen preuſſiſchen Werbeunfugs, fo
daB ber fächfifhe Gefandte Suhm Berlin verließ). De
König von England drüdte die Hoffnung aus, Friedrich Bi
beim werbe ‚Hannover vertheibigen, wollte fi) aber wegen be
Neutralität nicht erklaͤren; ebenfo arbeitete Sedendorf, daß fe
befeitigt wurde‘). Bald darauf wurde von England gerabga
behauptet, geheime Artikel des wiener Vertrags, beflissumten,
daß der Infant Don Carlos die aͤlteſte Tochter des Kaiſers
heirathen und eine Univerfalmonarchie gründen ſolle. Frieduich
Wilhelm möge feine Iruppen ‘bereit halten. Er erwiederte
anfänglich habe man nur von Dfende geſprochen, num rebe
man ganz anders. Ex glaube nicht, daß ein. fpanifcher Prig
1) &. die Gchreiben Gedenborfs bei Foͤrſter Urkunden IIL
©. 885, die preuffifihe Erkierung daf. ©. 418 d. 25. Min und ie
deſſen Höfen. urkundenb. J. ©. 67.
2) Des Kaifers Schreiben v. 15. März und Gedlenborfs d. 26. Bl
bei Börfter Ahl. M. ©. 898 u. 416. ,
9) Wiarda ZH. VII. &, 862.
, A, Grämdere Ohren v. 28 Min 1727 Wi Böchse cu. m
5) Derfelbe daf. pl. I. ©. 402, 408 u. 407.
Neutralitätsplan. 600
bie Erzherzogin Maria Therefia heirathen ſolle). An den
herrenhaͤuſer Vertrag koͤnne er ſich nicht halten, weil er zu
Ende des Jahrs 1725 und im März 1726 wiederholt Erlaͤu⸗
terungspunkte eingegeben und barauf ohne Antwort geblieben
fei, ja man babe fi auch auf feinen Antrag zur Sicherung
Hannovers nicht beffimmt erflärt. Der engliſche Gefandte
verlangte nun zu wiſſen, was der König thun werde, wenn
die Ruffen Dänemark wegen Schleswigs angreifen Iminden, das das
Georg I. dem Könige von Dänemark gewährleiftet habe.
Friedrich Wilhelm erwiederte, daS fei noch weit, und dem tras
vendahler Frieden gemäß fei Georg I. verpflichtet, ſich vielmehr
des Herzogs von Holftein anzunehmen?). Somit hatten bie
banndverifcen Verbündeten Feine Hoffnung mehr, baß Preuffen
fie unterflügen vwinde, weil Friedrich Wilhelm durchaus bie
Neutralität des Reichs behaupten und ſich in die oſtendiſchen
und holſteiniſchen Angelegenheiten nicht miſchen wollte, Doch
verlangte er num vom Kaiſer zu wiſſen, wer die Ruͤſtungs⸗
often bezahlen werde’). Enudlich erflärten bie Gefandten Eng: 17. Apr.
ande, Frankreichs und Hollands, welches zum handverifchen
Bunde getreten war, fie hätten das Reich nicht angreifen wols
Im‘). Der Kaifer wendete feinerfeits Alles an, dem Könige
das Herzogthum Berg zu fihern, Pfalz⸗Sulzbach war jedoch auf
Leine Weiſe zur -Verzichtleiftung zu bewegen. Der Kaifer
meinte, Friedrich Wilhelm fole felbft Minifter nah Wien
ſchicken, um fs zu überzeugen, wie Emft es ihm in feinen
Verhandlungen fei. Der König wollte fih darauf nicht ein»
laſſenz; ex blieb bei feiner Foderung und überließ alles Uebrige
dem Kaifer‘).
1) Dody bat er ben Kaiſer darüber um eine beflimmte Erklaͤrung
und wollte, daß Maria Thereſias künftiger Gemahl ein Deutſcher fel.
Bei Foͤr ſter in defien ‚Höfen. Urkundenb. I. ©. 75.
2) Cedendorfs Bericht an ben Kaifer vom 4. April 1727 in Böre
fters ‚Höfen. Urkundenb. I. ©. 69.
8) Gedenborf an Cugen vom 4. April 1727 ebendaf. S. 75: „Das
Geld iſt Hier das erſte Mobile, wonach ſich die Gonfilia richten.”
4) Gedenborfs Schreiben vom 17. April 1727 ebendaf. ©. 98.
5) Der Katfer un Gedenbonf ©. 16: Rack ebenbaf. ©. 86, 87 u.
102, dann 111.
560 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc.
Benehmen Friedrich
gefafften und fefigehaltenen vortrefflichen Gebanken, unter allen
Unsftänden Deutfepland vor Krieg zu bewahren, der Ausbruch
ines allgemeinen Srirgs, zu meiden bie winner und
hannoͤveriſchen Werbinbeten geruͤſtet und bereit waren,
dert wurde. Deutſchland hätte der Gchauplag
werden möffen, bier allein konnte Georg J.
der Kalfer ihm angreifen. Friedrich Wilhelm
Dagegen und bei feiner Macht, böchft wahrſcheinlich
von anderen patriotifchen Furſten unterflügt, wuͤrde ex
i ex ſich gewendet hätte, den Ausſchlag
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verändert, feine —E
te Il, Br a, N ige Doc be
hatte
geroater nicht geliebt, doch, da er einen Theil
1) Dumont T. VOL IL p. 146.
2) Gedenborf Hatte ‚fie ſchon am 7. Mai bem Könige mitgethelit.
©. deſſen Schreiben an ben Kalſer in Börfters Höfen. urkandeni L
©. 19.
Pasifer Präliminarien. 564
jahre in ‚Hannover verlebt, gewiffermaßen geachtet und einiger
maßen gefcheuetz mit feinem Schwager Georg IL hatte er
fi ſchon als Knabe nicht vertragen Finnen und mochte ihn
nie leiden. Alles das erſchuͤtterte ihn fehrz dazu Fam in Folge
der ſchonungsloſen Anftrengungen im Arbeiten, Jagen, Eſſen
und Trinken, koͤrperliches Unwohlfein und Hypocondrie Er
dachte wohl einige Tage baran,. bie Regierung nieberzulegen
und fi) auf ein Zandgtıt zurldhzugiehen, doch mit ber wieders
kehrenden Gefundheit war das bald vergeffen ').
Für Deſterreich machten es die politiichen Verwidelungen
immer noch wuͤnſchenswerth, den König von Preuffen an ſich
zu ziehen, jebenfalls ihn von dem hannoͤveriſchen Haufe dauernd
zu trennen. Georg IL that nichts, um die Bamilienbande fefter
zu Intpfen, während Frankreich fich mehr bemühete, Preuffen
vom Bunde mit Deſterreich abzuhalten. Friedrich Wilhelm
ſuchte nichts, als fi Bergs für den Ball des Abgangs ber
pfalzsneuburgifchen Linie auf jede Weife zu fihern. Der Kais
fer zeigte ſich geneigt, zu thun, was in feinen Kräften flände,
wollte aber nicht über ziemlich allgemeine Verficherungen hins
auögehen, welche noch viele Auswege offen ließen. Indeſſen
als er ſich den Seemaͤchten näherte, fing er an, mit Spanien
gefpannt zu werden, zugleich muflte er immer beforgt fein,
England und Frankreich möchten Preuffen durch die Ausſicht
auf den Befig Juͤlichs und Bergs gewinnen, während er fi
nicht nur mit Friedrich Wilhelm verbünden, fondern ihn auch
zur Gewährleiftung feiner pragmatiſchen Sanction bringen
wollte. Daher muflte Sedendorf fortwährend mit dem Könige
auf Grundlage bes wufterhaufer Vertrags verhandeln *).
Unterbeffen föhnte ſich König Auguft von Polen, der feine
eigenen Awege verfolgte und auch wegen der Anfprüche der
Gemahlin feined Sohne, einer Tochter Kaifer Joſephs L,
gegen Kaifer Karls VI. Öfterreichifhe Erbfolgeordnung war,
mit Friedrich) Wilhelm aus und fuchte ihn für feine Abfichten
zu benugen. Der Feldmarſchall Flemming kam nad Berlin,
1) Memoires de Bareith L p. 99. Pölinig Mm, II. p. 254.
2) ©. bie preuſſiſchen Puncte v. 18. Sept. 1727 mit hingugefägter
Grktärung des Kaifers in Börfters Urkundens, Thi. I. ©. 207.
Stengel, Gef. d. Preuſſiſch. Staats. TIL. 36
562 Bud VL Drittes Hauptſtück.
ii —— ———
8. San. gefchlagen. unvermuthet reiſte der König von Preufin
' Fir ar ——— Augufi während
:
ä
&
T
il:
fo bin ich zwar nur zwei Tage bier, aber ich fann in Mate
heit fagen, baß dergleichen noch nicht gefehen, und wenn ber
ru ap le ee ei
Tönnen®).”" Dann ſetzt er zu einem anberen Schreiben eigen
Bebruar haͤndig hinzu: „Ich gehe zukommende Mittwoche nach Haufe,
1728 fatiguirt von allen guten Zagen und Wohlleben; es if gan
Bein chriftlich Leben hier, aber Gott iſt mein Zeuge, daß ih
kein Plaiſir daran gefunden und noch fo rein bin, als ich ven
‚Haufe bergelommen 9.”
Obgleich der König zugleich dufferte, er und ber Rdn
von Polen hätten fi dad Wort gegeben, Daß bei Diefer Bun
ſammenkunft von feinen Geſchaͤften gefprochen werden folk,
fo verurfachte diefe Reife doch allerlei Gerüchte. Man ven
muthete, es werbe an einem Bündniffe zwifchen dem Kaifer,
dem Zaare und ben Königen von Polen und Preuffen gear
beitet‘). Doc fol nur zwiſchen den legten Beiden ein Ber:
trag gefchloffen worden fein, durch welchen fi Friedrich Wil:
beim verpflichtet habe, erſtens eine Zruppenabtheilung gegen
Polen zu fielen, um dieſes dahin bringen zu helfen, daß ber
2 Gedendorfs Leben Thl. W. ©, 8.
©: Bafmannı. 8.375 X Pöllnig Mm. IL p. 255.
Mini 2 Bad 7. p. 105.
8) Bom 16. Ian. 1728 bei Börfter Ahl. M. ©, 254
4) Vom 8. Bebr. ebenbaf. ©. 261.
5) Villars Mem, T. II. p. 845 u. 851. Werl. p. 867 um
Montgon Mm. T. VI. p. 177 u. 867.
Auguft von Sachſen und Polen. 563
polniſche Thron erblich für das Haus Sachfen erflärt würde,
zweitens, dem Könige Auguft vier Millionen Thaler zu leihen,
woflr ihm biefer bie Laufig ald Pfand überlafien und bed
Königs Ältefte Tochter Wilhelmine heirathen wolle. Zur grös
Seren Sicherheit follte der Kurprinz die darlıber aufgenommene
Urkunde in Berlin mit unterfchreiben ). Wirklich begab fi
König Auguft mit feinem Sohne bahin umd wurde prächtiger
als fonft Iemand empfangen, indem der König beöhalb 16,000
Mann Truppen zufammenziehen und allein für 16,000 Xhaler
Silberzeug von Augsburg kommen ließ”). Der Graf Rutowsli,
natürlicher Sohn König Augufts, wurde als Feldmarſchall in
preuffiiche Dienfte genommen, lernte bier die Einrichtung bes
Heeres Eennen und übertrug fie dann auf die fächfifchen Trup⸗
pen’). Der in Dresden verabrebete Vertrag konnte indeſſen
nicht vollzogen werben, weil fich ber Kurprinz durchaus weis
gerte, ihn zu unterzeichnen, was vielleicht ber Grund zu dem
dauernden Widerwillen war, ben Friedrich Wilhelm gegen ihn
hegte ).
Fortwaͤhrend warben, wenn auch nicht mehr fo angele⸗
gentlich als früher, der Kaiſer und die hammoͤveriſchen Verbins
deten um Friedrich Wilpelm. Diefe boten mehr als jener,
doch mißtrauete ihnen der König, und wollte lieber vom Kai⸗
fer weniger annehmen, allein, wie er zutrauensvoll meinte,
dabei befto ficherer gehen. Dem Laiferlihen Hofe kam nun
Alles darauf an, zwifchen dem Könige Friedrich Wilhelm und
deſſen Schwager Georg IL einen völligen und unbeilbaren
Bruch herbeizuführen und, wo möglich, ihre perſoͤnliche Abs
neigung bis zur unverföhnlichen Feindſchaft zu fleigern. Dann
1) M&moires de Bareith T. L p. 105. Weiter iſt meines Wiſſens
davon nichts bekannt. In Gedendorfs Leben Ahl. IV. S. 7 wird
behauptet, «8 fei ein Werteibigungsbunb zwiſchen Preuffen und Sachſen
gefchtoffen, ein beutfcher Fuͤrſtenbund und die Thellung Polens von Auguſt
beabfichtigt worben.
2) ©. Faßmann I. ©. 879. Pöllnig Mem. II, p. 260.
8) Morgenftern ©. 188.
4) Er nannte ihn nur Mantelſac umd belegte ihn fonft mit Spott⸗
namen. Beckendorf joumal secret p. 4.
36*
Mat
1728
Mai
1728
564 Bud VL Drittes Hauptftäd,
hatte Defterreich nicht eben mehr viel von Preuffen zu fürchten,
und konnte es fogar mit leichter Mühe für ſich gewinnen
Das war nun Sedendorfs Aufgabe. Er unterzog ſich ihr mi"
allem ihm eigenen Talente unermüdlich, ſcheuete Fein Ban
aud das verwerflichfle nicht’), und erreichte fein Ziel, indem
er wenigſtens fehr viel dazu beitrug, um, wenn nicht haͤus⸗
liches Gluͤck, doch bie Einigkeit der Föniglicpen Tamile zu
firen, den Gatten gegen bie Gattin, ben Water gegen ten
Sohn zu reizen, die fehnlihen Wünfche einer vortrefflichen
Mutter zu vernichten umb bie SJugendjahre eines genialen
Smglings zu vergiften, ber indeſſen vielleicht durch die ifen
geworbenen Prüfungen noch mehr befähigt und durch bie as
duldeten Leiden gereizt wurbe, bem ‚Haufe Defterreich bie haͤr⸗
teften Schläge beizubringen und die Größe und Macht Preuf
ſens großentheild auf deffen Koften zu grlmben.
Auf Sedendorfd Rath, um Hannover Verdruß zu ver
urfahen, gab der Kaifer das Gonfervatorium für den Herzog
Chriſtian Ludwig von Medienburg gegen deſſen Bruber, dem
Könige von Preuffen, ald Herzoge von Magdeburg. Hannover
weigerte fich indeſſen — den m Bi ber *
ſeine Werber zur großen Unzufriedenheit — fri
Abneigung beider Könige wollte jeder gern, baß ber ander
ihn darum anginge, ober ſich bewuͤrbe. Beide waren voll flar
ten Selbfigefühls, und daher glaubte num Friedrich Wilhelm,
fein Schwager meine es gar nicht ernftlich damit. Sedendorf,
ber des Königs ſchwache Seite genau kannte, nahm bie Gele
genheit wahr, ihm vorzuftellen, eine englifche Prinzeffin werde
großen Aufwand verurfacdhen und. hohe Anfprlche machen”),
1) S. die Auszüge des Grafen Secendorf gefeime Ausgaben be .
treffend dei Foͤr ſter Thl. IIL ©. 231.
9) Secendorfs Leben Thl. W. ©. 34 Mauvillon ILp. 288.
8) Memoires de Bareith T. I. p. 128:
Heirathsangelsgenheiten. ö 565
wogegen manche weniger ſtolze Bamilie es ſich zue Ehre rech⸗
zen werde, mit feinem Haufe in Verbindung zu treten. Er
flug, wie fon früher für die zweite Tochter des Königs
Friedrich den Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach,
fo jegt für die dritte, Sophie, den Erbprinzen Karl von
Braunſchweig, der bereits um fie geworben, hauptfächlich aber
für den Kronprinzen beffen Schweſter, und für bie ältefte
Tochter Wilhelmine, welche den Markgrafen von Schwedt
durchaus nicht heirathen wollte, ben Herzog von Sachſen⸗
Weißenfels zur Vermählung vor‘). Diefer kam auch nad
Berlin und wurde vom Könige aufferorbentlich freundlich,
befto zuruͤckſtoßender aber von der Königin behandelt, welde
die Verheirathung ber Wilhelmine mit dem Prinzen von Wales,
ihrem Neffen, durchaus nicht aufgeben wollte. Als ber Herzog
von Weißenfels das erfuhr, fo wollte er als Mann von Ehre
fogleich zuruͤcktreten. Der König aber wurde ber das Be⸗
nehmen feiner Gemahlin gegen. ben Herzog und über feines
Schwagers Verzögerung ber Doppelheirath fo aufgebracht,
daß er feiner Gemahlin fagte, fie folle darlıber eine entfcheidende
Erklaͤrung von ihrem Bruber und ihrer Schwägerin fordern:
neben fie eine gänflige Antwort, fo zerreiße ich jedes andere
Band; wenn fie fi aber nicht beftimmt erklären, fo werde
ich nicht weiter ihr Narr fein, fondern meine Tochter (Wil⸗
helmine) geben, wem ich wil. Euer Weinen und Schreien
wird mich nicht hindern, meinem Kopfe zu folgen *)."
Die Königin Fam nun leider auf ben Gedanken, den
Kronpringen Friedrich zu veranlaffen, an bie Königin von
England zu fehreiben und dieſer zu verfprechen, ihre Tochter
zu beirathen, wenn fie die Wermählung ihres Sohnes, des
Prinzen von Wales, mit feiner Schwefter Wilhelmine durchs
fegen wide. Auch die Königin Sophie ſchrieb an ihre Schwäs
gerin und ließ diefe Briefe durch einen Courier des englifchen
Gefandten beforgen, bie anderen, welche fie dem Könige ges
zeigt Hatte, fhidte fie durch die Poft ab. So bewog bie Rös
nigin ihren älteften Sohn, allerdings aus Liebe für ihm, doch
1) Sedendorfs Erben Thl. IL. ©. 212.
2) Mimoires de Bareith T. I. p. 127.
366 Bug VL Drittes Hauptftüd.
ohne des Waters Wiffen, zu einem Schritte, der ihn band,
ohne am fih gültig zu fein, und ihn, wenn er befannt wurde,
dem firengen und durchaus nicht ungerechten Unwillen bes
Vaters preisgab. Die Königin hatte aber nun einmal ihren
Entfhluß gefaſſt und begegnete Seckendorf und Grumblom,
gegen die fie mit Recht aufgebracht war, oͤffentlich auf die be
leidigendfie Weife, was biefe ihr auf geheimen Wegen veihlih
vergalten.
Endlich nad langem Zögern ſchrieb die Königin von
England, ihr Gemahl fei fehr für ‘bie Doppelheirath, dech
koͤnne er darüber nichts feft beflimmen, ehe er diefe Angelegens
heit dem Parlamente vorgelegt habe Die Königin Sophie
möge indeffen feft dabei beharren. Diefe gerieth faft in Ber
zweiflung über eine fo unbeſtimmte Antwort. Der König aber
wurde fo aufgebracht, daß er nun ben geheimen Vertrag mit
dem Kaifet, über den Sedendorf längft mit ihm verbandeit
batte, um fo eher abſchloß, als eben der Miniſter Ilgen ge
florben war, ber allein ihm noch hätte bewegen koͤnnen, nicht
fo ſchnell den trügerifchen Vorfpiegelungen des kaiſerlichen Hofs
zu vertrauen‘). Diefem geheimen berliner Wertrage wurde ber
23. Dec. Kronvertrag vom I. 1700 zum Grunde gelegt. Beide Fürfen
1728 traten in ein ewige Buͤndniß und gewährleifteten einander
für ſich und ihte Exben ihre. Staaten, Länder und Befigun
gen (Friedrich Wilhelm noch befonderd die vom Kaifer durch
die pragmatifche Sanction errichtete Exbfolgeordnung), und
verfprachen einander, Defterreich mit 12,000, Preuffen nit
10,000 Mann zu unterftügen, in Beziehung auf Polen und
den vegenöburger Reichötag gemeinfchaftlich zu handeln und
— auch mitzutheilen, was fle mit Rußland abſchließen
‚den.
Rüdfichtlich der jülich-bergfchen Erbfolge beftimmten beide
Theile fo geheim, daß auffer ihnen am Niemand etwas mit:
1) Sigen ſtarb am 6. Dec. 1738. Gosmar u. Klaprot h Gtacte
rath S. 8945 er konnte daher nicht den barauf am 28. Dec. abgefchlsf
fenen Bertrag unterzeichnen, wie ber übrigens fo flefige Preup in
Frledrichs Jugendleben u. ſ. w. S. 67 irrigerweiſe behauptet. Auch
ftehen in dem einzigen Abbrucke bei Foͤr ſter urkundenb. IL S. 215 aur
Bork und Knyphaufen unterzeichnet.
Berliner Vertrag. 567
getheilt werben duͤrfe: Preuffen folle, fo lange noch die brei
damals vorhandenen pfalzneuburgifchen Bruͤder ober männliche
Erben bderfelben (worauf nicht zu rechnen war) leben würden,
; Alles im jetzigen Zuſtande laſſen; wenn aber bie Linie Pfalz⸗
Neuburg ausgefiorben fein, oder vorher noch Zülih und Berg
an bie Linie Pfalz Sulzbach übergeben haben würde, dann
wolle der Kaifer feine eigenen (fehr zweifelhaften) Anfprische
darauf bekannt machen, welcye er baher jest ſchon, fo weit fie
, Berg und Ravensberg angingen, an Preuffen, fo weit fie
Zuͤlich beträfen, an Pfalz⸗Sulzbach abtrat, und verſprach
dann, jedes ber beiden Häufer bei den ihnen. beflimmten Laͤn⸗
dern kraͤftigſt zu ſichern. In einem abgefonderten Artikel ver»
band fich der König von Preuffen noch, wenn der Kaifer Feine
männlichen Erben hinterlaffen folte, demjenigen deutfchen Prins
zen, welcher befien aͤlteſte Tochter heirathen wuͤrde, feine Stimme
bei der Kaiferwahl zu geben. So hatte ber König für fein
Verlaſſen des hanndverifhen Bundes vom Kaifer nichts als .
allgemeine, hoͤchſt unbeftimmte Zuficherungen für die Zukunft,
ohne allen wirklichen Vortheil für fi.
Bald darauf wurde die von Seckendorf vielfach betriebene 30. Mai
Vermählung') der zweiten Tochter des Königs mit dem Marl» 1729
grafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach verhaͤltnißmaͤßig
fehr glänzend gefeiert), und der König gab bei biefer Geles
genheit die nach dem Abfterben des legten Grafen von Limpurg
(11. Aug. 1718) ihm zugefallene und feitdem von ihm vers
waltete Grafichaft feinem: Schwiegerfohne ’).
Die Spannung zwifhen Friedrich Wilhelm L und beffen
Schwager Georg IL war durch die Teilnahme Preuffens an
ber medienburgifchen Commiffion bush beffen, wenn auch
nur (obwohl ficher genug) vermutheten Anſchluß an bad kai⸗
1) Als die Pringeffin ſich entſchloß, den Markgrafen zu heirathen,
fo machte ber König ſogleich aus, fie folleifm aus Ansbach fchönes Mehl,
er wolle ihr dagegen Schinken und geräucherte Würfte ſchicken; bei welchen
liebreichen und zärtlichen Gonverfalien, fegt Bafmann (I. S. 394) Hinzu,
Allen, bie fie angehört, faft bie Thränen aus den Augen gebrungen.
2) Baßmann a. a. ©. Mauvillon II. p. 219.
3 Bafmann a. a. D. ©. 96.
Auguft
1739
Sevtbr.
36 Bag VL Drittes Haupißid.
ferfiche Intereffe, endlich durch die Gewaltthaͤtigkeiten ber prauf
fiſchen Werber gegen hannöverifche Unterthanen fo hoch gefie
gen, daß beibe Schwäger einander nicht mehr fehonten, fiber
einander Öffentlich fpotteten und endlich zu ben Waffen griffen’).
Georg ließ alle preuffifchen Officiere und Soldaten im Hanne:
verifchen anhalten, Friedrich Wilhelm 45,000 Mann zu einem
Lager bei Lenzen an der Eibe zufammenziepen. Georg EL bet
bie im englifchen Solbe ftehenden Heſſen, Braunfhweiger und
Gothaer auf, die Generalſtaaten wollten 8000, Dänemark 10,000,
Branfreih 30,000 Mann fielen, auch Schweden zutreten ).
Dogegen bot der Kaifer dem Könige von Preuffen 30,000
Mann Hülfstruppen an’), weil ihm daran lag, bag fich die
beiden Schwäger nicht ausſoͤhnen möchten. Dazu fchürten
der Fürft von Deffau und Sedendorf in Berlin, wie ander
hohe Staatsbeamtete in Hannover, dad Feuer moͤglichſt am.
Sum Side riethen verftändigere und rechtlichere Männer an
beiden Höfen vom Aeuſſerſten ab. Man hätte einen Krieg ge
führt, ohne zu vwiffen, warum und wozu Endlich durch
neue politifhe Verwidelungen bewogen, war auch ber Kaifer
October ſuͤr friedliche Beilegung. Friedrich Wilhelms Zorn legte fih,
1729 die Herzoge von Braunfchweig und Gotha vermittelten ſchieds⸗
April
1730
richterlich, daß beide Theile, Preuffen und Hannover, die von
ihnen feftgenommenen Untertanen des Anderen in Freiheit fegen
ſollten. So wurde der Streit beigelegt, doch ber gegenfeitige
Haß blieb‘).
Die neue Verwidelung ber europäifchen Angelegenheiten,
welche ben Kaifer empfindlich berührte, entſtand daher, def
1) Sedendorfs Leben Thl. W. ©. 168. Auch das Teſtament
Mnig George L und bie Werlaffenfchaft feines MWrubers, des Herpogs
Ernſt Auguft, gab Weranlaffung zu Zwiſtigkeiten mit Preuffen. Faß⸗
mann L ©. 402.
2) Hojer I. ©. 215. Seckendorfs Leben a. a. D. ©. 209.
. 8) Villars Möm. T. DI. p. 411.
4) Montgon Mem. T. VII. pieces justif. N. 29. Bergl. des
Königs Schreiben vom 29. Märg 1780 bei Börfter Zip. IL ©. 278,
und Bafmann I. & 403. Mic fehr fi Secendorf beumipete, dicke
Ausföhnung gu verhindern, yeigt beffen Leben Thl. IK ©. 172 ansführtid
Vertrag von Sevilla. 569
biefer, um Frankreich und Spanien zur Gewährleiftung feiner
oͤſterreichiſchen Exbfolgeorbnung zu bringen, fich weigerte, bie
in Paris (31. Mai 1727) und in Folge berfelben mit den
hanndverifchen Verbündeten eingegangenen Präliminarartitel zu,
vollziehen, vorzüglich aber nicht geftatten wollte, daß fpanifche
Zruppen mit dem Infanten Don Carlos nah Italien gingen,
um biefem bie ihm beftimmte Nachfolge in Toskana und Parma
zu fihern. Die Königin von Spanien war ungeduldig und
nicht mit Unrecht argwöhnifch. Es gelang daher dem Cardinal
Fleury, der Frankreich regierte, ebenfo leicht, fie wieder vom
Kaifer abzuziehen, als fie zu ihm Übergetreten war, und fie
zu bewegen, in Sevilla für Spanien mit Srankreich und Eng:
land einen Vertrag zu ſchließen, ber hauptfächlich zum Zwecke 9. Ron.
hatte, bie oftendifche Handeldcompagnie wirffem und für immer 1729
zu unterdrücken, bafüc dem Infanten Don Carlos Tosfana -
und Parma durch Belegung der Hauptorte mit 6000 Spas
niern zu fihern. Auch die Generalftaaten traten biefem Ders
trage (21. Nov.) bei‘).
Der Kaifer, der fo alle Hoffnung verlor, feine pragnas
tifche Sanction gewährleiftet zu fehen, war fehr aufgebracht
barüber, daß fremde Mächte ohne feine, bes Reichsoberhaupts,
Genehmigung eine ‚Heeresabtheilung in die italienifchen Her⸗
zogthuͤmer bringen wollten, ſchickte fogleich felbft Truppen in
dad Maildndifche, rief feinen Gefandten aus Madrid ab und
bemühete ſich thätig und nicht ohne Erfolg, mit einzelnen
deutfchen Furſten Buͤndniſſe zu ſchließen). Es war wieber
ziner von den Augenbliden gefommen, in welchen eine Macht
yweiten Ranges ihr Gewicht geltend machen konnte; doch dem
Könige Friedrich Wilhelm ging die Fähigkeit, dad angemeffen
zu benugen, faft durchaus ab. Er hielt treu an Deſterreich,
1) Damont T. VII. P. I. p. 158 u. 160. Es iſt fehr wahr⸗
cheinlich, daß die Königin von Spanien gehofft hatte, der Kalfer werbe
eine Erbtochter ihrem Sohne Karl geben, was wohl ber eigentliche
Dauptgrund zum wiener. Bertrage (d. 80. Apr. 1725), ſowie bes Kaiſers
Ibneigung nun Urfache zu dem Vertrage von Sevilla war. Vergk Vil-
ars Mem. T. II. p: 899.
2) Sedendorfs Lehen ZH. IV. ©. 186.
570 Bud VL Drittes Hauptfläd.
lobte gegen Sedendorf den Kaifer, daß biefer fich in Stalin
und Luremburg in Verfaſſung fee und meinte, bie deutſchen
Fürften müfften das öfterreichifche Erbfolgegeſetz gewaͤhrleiſten
„Wollen bie Hunde aber das nicht thun“, fuhr er fort, „fo
muß man rechte Mafregeln nehmen und ben Kurfürſten ven
Hannover und den Heffen fragen, ob fie ihr Eontingent ſtellen
wollen oder nicht. Weigern fie ſich oder wollen ſich nidt es
klaͤren, ſo muß man die Läufe und Motten nicht im Pele
wuchern lafjen, damit nicht der ganze Pelz verborben werte.
Die Dispofition bazu, worauf es anfommt, fol nicht fehlen.
Die Provinz Oberyffel geht mit in den Kauf’). Der Kailr
möge den Auguft von Sachfen gewinnen. Friedrich Wilhelm
aber werde ed nicht leiden, daß Luxemburg und bad Reich an
gegriffen winden; wenn's losginge, müfften 30,000 Rufen
tommen. „Ich bleibe ein treuer Deutfcher und für Kaifer und
Reich bis in den Tod! Der Kaifer wird auch erkenntlich
fein). Wenn die Schweden fih in Reichsſachen miſchen
wollen, werde ich fagen, man müffe fie abfolut vom Deutſchen⸗
Reiche Boden ſchmeißen. Stralfund, und was dazu gehört,
mag man dem Herzoge von Holflein zur Entſchaͤdigung für
Schleswig geben. Es mag geben, wie ed will, fo ſollen we
nigſtens die hannoͤveriſchen Länder zuerſt total ruinirt werben ?).*
Unterbeffen wurbe, wie ſchon erwähnt, ber Zwiſt Preuffens
mit Hannover Aufferlich beigelegt.
Im genauer Verbindung und Wechſelwitkung mit ber
Verwidelungen ber europaͤiſchen Staaten fanden die innerfter
Verhältniffe der koͤniglichen Familie, was bei nur oberflaͤchlicher
Betrachtung ber Eigenthimlichkeit des Königs und feines Haus
wefend um fo auffallender erſcheint, als man wohl geneigt fein
möchte, gerade bier beide fo verfhiedene Gegenflände als voͤl
lig von einander getrennt zu betrachten. Wir haben fchon em
zählt, daß fich Friedrich Wilhelm I. wefentlich gar nicht ım
die erſte Erziehung feiner vielen Kinder bekuͤmmerte, fie vielmehr
1) Schmborfs Schreiben v. 29. Dec. 1729 bei Foͤrſter Ahl. FIL
S. 275.
2) Derfelbe v. 23. Maͤrz 1730 ebendaf. ©. 276.
3) Dedelbe v. 24. März a. a. D. ©. 277.
Erziehung. 5741
durchaus ihrer Mutter überließ‘). Diefe war nach bamals
allgemeiner, auch am hanndverifchen und preuffifchen Hofe gels
tender Gewohnheit durch Branzofen nach beren Weiſe gebilbet
worden. Unter ber Aufficht der Frau v. Kamede wurde daher
der am 24. Jan. 1712 geborene Kronprinz Friedrich zunächft
der als Proteftantin aus Frankreich geflüchteten Frau v. Ros
coulles, ber ehemaligen Erzieherin feines Waters, einer vors
trefflichen Dame anvertrauet, bie dem Prinzen zärtlich liebte,
was ihr biefer noch nad) 20 Jahren durch dankbare Verehrung
erwieberte”). Zunaͤchſt durch fie, die nur franzoͤſiſch ſprach ®),
gewann der Kronprinz in ben früheften Jahren feine große
und dauernde Berliebe für die damals bereits hoch ausgebil ⸗
dete franzöfifche Sprache, daß er fie immer weit befjer ſchrieb
und ſprach, als bie beutfche, welche bamald noch das ganze
Gepraͤge der Geſchmadlofigkeit trug, die bei ihr im 17. Jahr⸗
hunderte überhand zu nehmen angefangen hatte, indem es für
ſchoͤn gehalten wurbe, wie damals recht viele Iateinifche, fo
jegt dazu noch vecht viele franzöfifche Redensarten und Wörter
unter bad Deutfche zu mifchen.
Mit feinem fiebenten Jahre wurde er dem General Gras
fen von Finkenſtein als Dberhofmeifter übergeben, einem faft
6Ojährigen Höchft rechtſchaffenen Manne, der ſich durch feine
Zäpferkeit, befonderd in der Schlacht bei Malplaquet, fehr
auögezeichnet hatte und dem Könige von deſſen Jugend an
durch Iongiährige treue Anhänglicheit werth, übrigens gemeflen,
1) Daß der Prinz MWilpelm, der zweite dem Keompringen fo fehr
vorgezogene Sohn bes Könige, viele natürliche Anlagen befeffen, biefe
aber erſt nach feines Waters Tode habe ausbilden koͤnnen, bezeugt Biele⸗
feld in feinem Briefe v. 4. Juli 1758,
2) Erman, Sophie Charlotte &. 127. Ich werde mich oft, um
überflüffige Anführungen zu erfparen, auf Preuß Friedrichs bes Großen
Jugend, Berlin 1740, beziehen. Der fleißige, um bie Gefdichte Briede
richs IL ſehr verdiente Dann hat, wie ſich Jeder überzeugen ıfann und
ich überall gefunden Habe, mühfam gefammelt, fo viel er vermochtes das
bleibt fein Hauptverbienft und wird gern anerfanntz leiber wird ber Geift
des Fürften burch eine Menge von forgfältig vorgeführten Aeufferlichkeiten
und Rebenſachen fo verbedit, daß man wenig von ihm bemerkt.
3) Polinit Mem w. Briefe 1. Brief ©. 30.
572 Bud VL Drittes Hauptfläd.
Talt und ganz Soldat war. Unter dieſem fland als Unterhof:
meifter der Oberft v. Kalkſtein, der fich als heiterer Geſel⸗
ſchafter und fparfamer Wirth bem Könige befonders empfohlen
hatte, doch übrigens ben Gelehrten nicht abholb war '). AL
Präceptor wurde Duhan be Jandun, der Sohn eines franz
fifchen nach Berlin geflächteten Proteftanten angeſtellt, welcher
dem Könige in ben Saufgräben vor Stralfund als Führer eins
jungen Grafen v. Dohna befannt geworden war. Er hatte
fi in Berlin mehrfeitig, doch ganz in damaliger franzoͤfiſchet
Weiſe, wiſſenſchaftlich ausgebildet und Geſchmack an den ſcho⸗—
nen Kuͤnſten gewonnen.
Wie der Vater feinen aͤlteſten Sohn und kuͤnſtigen Nach⸗
folger erzogen wiffen wollte, entnehmen wir aus der Juſtruc
tion, bie er deshalb dem General v. Finkenſtein und bem
Oberft v. Kalkſtein (13. Aug. 1718) ertheilte und welche in
vielen Puncten wörtlich mit derjenigen Übereinffimmt, bie für
ihn felbft (1695) feinem Oberfihofmeifter ertheilt worden war’).
Charakteriftifch ift ſchon, daß Kalkftein, welcher nichts ohne
Finkenſteins Genehmigung vornehmen folte, ausdrücklich als
Officier auch hierin auf die Suborbination hingewiefen wınte;
font it fie nach Friedrich Wilhelms unceremonioͤſer Weiſe ver
wo fein Vater ſagt: „wir, des Kurprinzen Liebden
— Mutter, unſere herzgeliebte Gemahlin Liebden“
beißt es bier nur: „ich, mein Sohn, meine Frau.“ De
fittlihen und religiöfen Grundfäge und darauf bezüglichen Bor:
ſchriften find weſentlich diefelben, doch verlangt der König noch
beſonders, daß feinem Sohne eine rechte Liebe und Furcht vor
Gott, ald die einzige Säule unfer zeitlichen und ewigen Wohl:
fahrt, recht beigebracht, hingegen aber alle ſchaͤdliche Sectn,
atheifts, arrian⸗ und focnianifhe, als Gift für zarte Gemi-
ther, aufs Aeufferfte gemieden und ihm vor ber katholiſchea
Religion, als welche mit gutem Zug zu denfelben zu vechnen,
1) Preuß S. 10. ©. über beide Männer” auch Gramer zur
Geſch. Friedrich Wilhelms I. u. f. w. S. 89.
9) Bel Sramer ©. 3, Börfter in Friedrich Wilhelm J. Thl. I.
S. 35% hat beide Inftructionen, doch nicht gang genau, verglichen.
Erziehung. 573
fo viel als immer möglich ein Abſcheu gemacht und beren Uns
grund und Abfurbität vor Augen gelegt werbe.
Er befahl ferner dem Oberhofmeifter, bie Namen aller
Dfficiere, wie auch Anderer, bie zu dem Prinzen kommen
Könnten, auf einen Zettel zu fegen, „ba ich bann ſchon fagen
werde, welche eingehen follen oder nicht, denn er muß mit
allen Leuten umgehen lernen, und gewohnt werben und nicht
eingeſperrt bleiben“. Beſonders folle ihm eingeprägt werben,
diebe, Hochachtung und Vertrauen zu feinen Aeltern, die es
auf der Welt am beften mit ihm meinten, nicht aber knech⸗
iſche Zurcht vor feinem Vater zu haben. Wenn er unartig
wei, fole man ihn immer mit ber Königin ſchrecken, nie aber
nit bem Könige.
FZriedrich J. hatte bemerkt, daß naͤchſt Gottesfurcht nichts
nehr zum Guten antreibe, ald Begierde zum Ruhme und zur
Ehre; Friedrich Wilhelm I. fegte dazu: „und zur Bravour!“ und
mahnte zugleich zur Menage, Sparfamkeit und Demuth,
yamit der Prinz ein guter Wirth werde und ſich dazu nach
ınb nach bequemen lerne.
Ruͤckſichtlich der Wiſſenſchaften faffte er feine Foderungen
viel Tünzer als fein Vater. Die lateiniſche Sprache, weiche
Friedrich I. damals nicht mit Unrecht für ſehr nöthig bielt,
ollte der Kronprinz nicht lernen, fondern fi im Franzöͤſiſchen
ind Deutfchen eine elegante und kurze Schreibart angewöhnenz
vagegen hieß ed: „Die Rechenkunſt, Mathematif, Artillerie und
Defonomie muß er aus dem Fundamente erlernen, bie alte
Biftorie kann ihm nur überhin, biejenige aber von unferen
Zeiten und von 150 Jahren ber muß ihm aufs Genauefte
veigebracht werben, wie auch Natıns und Völkerrecht, Geos
zraphie und was in jebem Lande merkwürdig, die Gefchichte
Preuffens und der benachbarten Länder. Abſonderlich haben
ich beide (‚Hofmeifter) Aufferft angelegen fein zu lafen, meinem
Sohne die wahre Liebe zum Solbatenflande einzuprägen und
hm zu imprimixen, baß nichts in ber Welt einem Prinzen
Ruhm und Ehre zu geben vermag, ald ber Degen, und bag
x vor ber Welt ein verachteter Menſch fein würde, wenn er
olchen nicht gleichfalls liebte und die einzige Glorie in dem⸗
elben fuchte;" weshalb ipm Die Kriegserercitia ſpielend bei ben
574 Bud VE Drittes Haupeftäd.
Recreationäftunden beigebracht werben follten. Vorzuͤglich ver
bot er, ben Prinzen zu verzärteln, oder gar zu weichlich zu
gewoͤhnen, und wie Faulheit, ald woraus Verſchwenden und
Durchbringen entfiche, eins ber größten Lafter fei, fo foRtn
die Hofmeifter dem Prinzen davor den allergrößten Ekel n
der Welt beibringen, auch mit ihren Köpfen dafür haft,
daß ſinnliche Ausſchweifungen verhütet würden,
Drei Jahre darauf (1721) ertheilte der König eine ge
naue Inftruction, wie fein aͤlteſter Sobn Friedrich feine Stu
dien in Wufterhaufen halten fole‘). Diefe beginnt folgendes
maßen: „Am Sonntage fol er bed Morgens um 7 Uhr auf
flehen. Sobald er die Pantoffeln anhat, fol er vor dem
Bette auf die Knie nieberfallen und zu Gott beten und zwar
Taut, daß Ale, die im Zimmer find, es hören können.” Er
ſchreibt num das kurze Gebet vor, dad ber Prinz auswendig
lernen und vor bem Vaterunſer beten muſſte. Dann folle
ex fich gefchwind wafchen, ankleiden und puben: „und mu
das Anziehen und das kurze Gebet in einer Viertelftunde fir
und fertig fein!” Dann fol er fieben Minuten frübftirden,
darauf alle feine Domeftiten und Duhan hereintommen, de}
große Gebet Inieend halten, Duhan ein Capitel aus der Bibd
Vefen und ein gutes Lied fingen, bis drei Wiertel auf adt,
dann mit dem Prinzen das Evangelium vom Sonntage lefen,
kurz erklaͤren und anführen, was zum wahren Ghriftenthume
nöthig ift, auch etwas von des Hofprebigers Noltenius Re
techismus repeticen, barauf um nem Uhr zum Water ber
unterfommen, und mit biefem in bie Kirche geben; Abende
wieder in Gegenwart aller Domeftifen Enieenb beten und bamn
ein Lied fingen.
Diefelben Andachtsuibungen auffer dem Kirchenbeſuche
wurden, verbunden mit dem Religionsunterrichte, für Die We |
chentage beflimmt, für jebe Stunde von ſechs Uhr früh bis
fünf Upr Nachmittags vorgefchrieben, wie fich der Prinz be
fadtigen folte, und befonderö wiederholt auf Reinlichkeit go
rungen.
Der Kronprinz zeigte num ſchon im zarten Alter aufier
1) Bei Gramer ©. 20 v. 8. Sept. 1721.
Erziehung. 575
wbentliche Faͤhlgkeiten), feffte und lernte Alles, was ihm
vorgelegt wurde, mit ber größten Beichtigkeit, war munter und
yutartig und verrieth ungemein vielen Geiſt ). Wenn wir
am gefehen haben, baß Friedrich Wilhelm aufrichtig herkoͤmm⸗
ich fromm war, nur Solbaten achtete, Gelb fchägte, ſehr viel
uf Keufchheit, aufferdem auf Ordnung und Reinlichkeit hielt,
:ndlich ale Wiflenfchaften und Künfte, welche nicht unmittels
saren Vortheil brachten, gering ſchaͤtzte oder gar verachtete
ınd in feiner gefammten Art und Weiſe einen aufferorbentlicyen
Begenfag gegen feinen Water bildete, fo finden wir bald, daß
»er Gontraft zwiſchen ihm und feinem Sohne nicht minder
zrell war, benn biefer wurde weder fromm noch fparfam, war
yann unorbentlich und ausſchweifend, und fhägte bie fchönen
Rünfte mehr als die Soldaten.
Für die veligiöfe Ausbildung bes lebhaften und, wie fich
sald zeigte, geiftreichen Prinzen war ſicher die vorgefchriebene
trenge Form der Gotteöverehrung wie des Unterrichtö und ber
Ylaubendnorm Aufferft nachtheilig. Ein flarrer Dogmatismus
jatte die Glaubensfäge ber evangeliſchen Kirche förmlich vers
nöchert. Das vom Hofprediger Andred, dem erften Religionss
‚ehrer des Kronpringen, verfaffte Glaubensbekenntniß, weldes
die Prinzeffin Wilpelmine (1724) nach dreiftünbiger öffentlicher
Prüfung ablegte, war gedrudt 18 Bogen ſtark, mit fcholaftis
her Theologie und wunberlichen Spitfindigkeiten Iberfünt®),
ınd fiher fo wenig den Beblrfniffen der Prinzeffin, wie fein
Anterricht dem Geifte des Prinzen angemeffen. Wegen feines
tarren Fefthaltens an ber Lehre von der unbedingten Gnaden⸗
wahl verlor er die Gnade des Königs. Allein auch der Hofe
orediger Nolten, der an feine Stelle trat, vermochte nicht des
Prinzen Widerwillen gegen die bamalige Art des Religionsuns
serrichtö zu diberwinden, ber um fo höher flieg, ald er zuweilen
auf Befehl feines Vaters zur Strafe Pfalmen und den Katechis⸗
1).6. den englifden Beriät v. 1. Sept. 1716 in v. Raumers
Beiträgen Thi II. ©. 492.
2) Lotne Heine Schriften L 8. Abſchnitt ©. 27.
8) Sramer ©. 47, wo über Andrei und Molten Nachrichten
576 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck
Damp gepräft worden war, und bad Slaubenöbelenntsif
abgelegt hatte, genoß er bes heilige Abendmahl *).
In bemfelben Jahre war e&, baf ber König, durch win
Mittagseſſens nur von Gott gefprochen; nach Zifche pre
Bat der König feiner Familie, welche fehr aufmerffam zuhe
sen muflte, bann flimmte fein Kammerbiener einen Kirdenge
fang an, alle Anwefende muſſten mitfingen. Die Prinzeifn
Wilhelmine und der Kronprinz, Beide jung, lebhaft, wigig um
zum Spotte fehr geneigt, konnten das Lachen oft nicht gan
unterbrüden; brach das num aus, fo wurden fie mit ad
Zluͤchen der Kirche belaftet und mufften das mit zerknirſchta
Miene von Büßenden anhören; was zu erkünfteln ihnen at
ſchwer, allein ſicher auch oft genug für bad, was es war, ec
kannt wurbe und baher ben aller Heuchelei durchaus abgeneig:
tem Water auch noch hoͤchſt mistrauiſch gegen Beide machte‘)
Daher war es nicht zu verwundern, baß ber fo ſtreng refigiäk
König den Prinzen endlich fir völlig irreligids, ja für einm
Atheiſten hielt, was er hoͤchlichſt verabfcheute.
Allerdings Iernte ber Prinz reiten, fechten und eperciren,
erhielt, als er fünf Jahre alt war, eine Compagnie Cadetten
neun Jahre alt ein Beughaus mit Kanonen, wurbe von feines
1) Bei Gramer ©. 82 v. 5, Ian. 1727.
D) Bapmann LE. 915.
&ı Mämoires de Bareith I. p. 99.
Der Kronprinz 67
Bater fruͤh mit in bie Provinzen zur Heerſchau und auf bie
zahlreichen Iagben genommen, rüdte auch nach und nad) als
Officier (bis 1728) zum Obriftlieutenant hinauf; aber alle Bes
möhungen, ihm Geſchmack fir ben geiftlofen Mechanismus
ber Damaligen Kriegeübungen beizubringen, waren vergeblüch.
Er wurde weber ein guter Schüg noch Reiter '); ber Mater,
muffte bald verzweifeln, aus ihm einen guten Soldaten zu
bilden, das Beſte, was nach feiner Vorftellung ein Menſch,
vorzüglich ein Prinz werben konnte.
Nicht beffer fland e& mit der Sparſamkeit des Kronprin⸗
zen. Bis zu feinem fiebzehnten Jahre Tcpeint er gar Fein Geld
zu feiner eigenen Verfügung erhalten zu haben. Geit dem
3. 1718 waren jährlih 360, dan bis 1729 600 Thaler für
kleine Ausgaben beftimmt, Über welche die genauefte bis auf
Pfennige gehende Rechnung gelegt und von ben Hofmeiſtern
quittirt werden muffte, worauf fie ber König noch durchſah
und öfters nur mit tabelnben Ranbbemerfungen genehmigte *).
Zrog biefer ausnehmenden Beſchraͤnkung zeigte fih ber Prinz
unintereſſirt und freigebig. ALS ex in feinem funfzehnten Jahre
mit feinem Vater zum erfien Male nach Magdeburg kam, nahm
er das ihm für folhen Fall von der Stadt herfömmlicherweife
angebotene Geſchenk erſt auf deſſen Befehl an, erklaͤrte bas
aud ben Abgeordneten und daß er ed verwahren wolle, um
€5 bexeinft bei feiner Regierung ben armen, ohnehin niit Abs
gaben beſchwerten Bürgern wieder auszutheilen. Als ihm bei
der Durcreife die Stadt Staßfurt 200 Ducaten verehren
wollte, nahm er fie nicht an, fondern ließ fie den armen Bürs
gern wieber geben, verbot aber feinem Hofmeifler, dem Könige
etwas davon zu fagn’). Weil ihn fein Water doch wirklich
für einen Kronprinzen gar zu aͤrmlich hielt, fo machte er bei
feiner Neigung zum Wohlleben und Glanze bald Schulden;
alfo glaubte der König, er werde auch Fein guter Wirth, weit
eher noch ein Verſchwender werben.
1) Preuß ©. 15 au geämten nd ungebdten Rack
\ 2) Preuß ©. 2.
8) Seckendorf an Eugen 27. Jull 1725 in Foͤr ſters urkundenb. IT
43.
©
Stengel, Geld. d. Preuffifch. Staats. TIL. 37
A. April.
1727
876 Bud VI Drittes Hauptfiäd.
mus auswendig lernen muffte, was doch Nolten burchans
nicht billige. Daher Fam es denn, daß bie beiden Hofmeife,
als der funfzehnjährige Kronprinz zum Abenbmahle gehen folte,
drei Monate vorher anfrugen, ob er- nicht noch mehrere Stunden
zu feiner Information im Chriſtenthume verwenden folle, a
bisher, indem ex bavon feit acht Monaten wenig profitir,
worauf der König verfügte, daß Nolten jeden Montag Na
mittag und Dienftag früh den Prinzen unterrichten fol ').
Erſt dann, nachdem er Öffentlich vor ber Gemeinde des bes
liner Doms geprüft worden war, und das Glaubensbekenntniß
abgelegt hatte, genoß er das heilige Abendmahl ?).
Im demfelben Jahre war es, daß der König, durch vielm
Verdruß und Börperliche Anftrengumgen Pränklich, durch ‚Hermann
Frankes eindringliche Ermahnungen zur Erkenntniß feiner Sän
den gebracht umb hypochondriſch einige Tage hindurch baran
dachte, die Regierung niederzulegen. Taͤglich wurde während
des Mittagseffens nur von Gott geſprochen; nad Tiſche pre:
digte der König feiner Familie, welche fehr aufmerkſam zuho
zen muffte, dann flimmte fein Kammerdiener einen Kirchenge
fang an, alle Anwefende muſſten mitfingen. Die Prinzeſſia
Wilhelmine und der Kronprinz, Beide jung, lebhaft, wigig und
zum Spotte fehr geneigt, Tonnten das Lachen oft nicht gan
unterdrüden; brach das nun aus, fo wurben fie mit allen
Flüchen der Kirche belaftet und muſſten das mit zerknirſchte
Mime von Büßenden anhören; was zu erfünfteln ihnen of
ſchwer, allein ſicher auch oft genug fuͤr dad, was es war, em
kannt wurde und baher ben aller Heuchelei durchaus abgeneigs
tem Vater auch noch hoͤchſt mistrauiſch gegen Beide machte”),
Daher war es nicht zu verwunbern, daß der fo fireng religiöie
König den Prinzen endlich für völlig irreligids, ja für einm
Atpeiften hielt, was er höchlicft verabfcheute.
Allerdings lernte ber Prinz zeiten, fechten und eperciren,
erhielt, als er fünf Jahre alt war, eine Compagnie Gabdetten,
neun Jahre alt ein Zeughaus mit Kanonen, wurde von ſeinen
1) Bei Gramer S. 82 v. 5. Ian. 1727.
D Faßmann L ©. 915.
9) Mömoires de Bareith I. p. 99.
Der Kronprinz " 877
Water früh mit in bie Provinzen zum Heerſchau und auf bie
zahlreichen Jagden genommen, rüdte auch nach und nad) als
Dfficier (bi6 1728) zum Obriftlieutenant hinauf; aber alle Bes
amühungen, ihm Geſchinack für den geiifen IR Mechanismus
der damaligen Kriegsübungen beizubringen, waren vergeblich.
Er wurde weber ein guter Schütt noch Weiter '); ber Water,
muffte bald verzweifeln, aus ihm einen guten Soldaten zu.
bilden, das Beſte, was nad, feiner Vorſtellung ein Menſch,
vorzüglich ein Prinz werben konnte.
Nicht beffer ftand es mit der Sparſamkeit bes Kronprins
zen. Bis zu feinem fiebzehnten Jahre ſcheint er gar Fein Gelb
zu feiner eigenen Verfügung erhalten zu haben. Seit dem
3. 1718 waren jährlich 360, dann biß 1729 600 Thaler für
Heine Auögaben beflimmt, über welche bie genauefte bis auf
Pfenmige gehende Rechnung gelegt und von den Hofmeiſtern
quittirt werben muffte, worauf fie der König noch durchſah
und öfters nur mit tabelnden Randbemerfungen genehmigte ).
Zroß biefer ausnehmenden Beſchraͤnkung zeigte fih der Prinz
unintereffist umd freigebig. Als er in feinem funfzehnten Jahre
mit feinem Vater zum erften Male nach Magdeburg fam, nahın
er dad ihm für ſoichen Fall von der Stabt herkoͤnunlicherweiſe
angebotene Geſchenk erſt auf beffen Befehl an, erklärte das
aud ben Abgeorbneten und baf er es verwahren wolle, um
es bereinft bei feiner Regierung den armen, ohnehin mit Abs
gaben befchwerten Bürgern wieder auszutheilen. Als ihm bei
der Durcpreife die Stabt Staßfurt 200 Ducaten verehren
wollte, nahm er fie nicht an, fondern ließ fie den armen Bürs
gern wieber geben, verbot aber feinem Hofmeifter, dem Könige
etwas davon zu fagen’). Weil ihn fein Water doch wirklich
für einen Kronprinzen gar zu drmlich hielt, fo machte er bei
feiner Neigung zum Wohlleben und Glanze bald Schulden;
alfo glaubte der König, er werbe auch Fein guter Wirth, weit
eher noch ein Verſchwender werben.
1) Preuß ©. 16 aus geärutten und ungebrudten Quelen.
2 preuß ©. er.
2 Seckendorf an Eugen 27. Jull 1725 in Foͤr ſters urkundenb. IT
Snei, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. UII. 37
378 Bud VI Drittes Hauptſtuͤck
Der Prinz liebte bie fehönen Kimfte und ——
zeichnete und blies die Floͤte was ber König für ganz über
fffig, ja als Zeitverſchwendung für nachtbeilig hielt; er hatte
Gang zum bequemen angenehmen Leben mit beiteren, geif-
reichen auch leichfertigen Genoffen, was dem Vater höchft zu
—— —
ter gegen den Sohn aufzubringen. Die Gottloſigkeit
ihm den Himmel, der Mangel an Liebe zum Soldatenſtande
und an Wirthſchaftlichkeit per das in Gefahr, wofür der Ki
nig wmnabläfftg arbeitet, jedes Opfer bringt, ja faſt nur lebt;
das mühfem gefemmelte Geld, fürchtet er, werde für allerlei
Tand, als Kuͤnſte und Wiffenſchaften und in luſtiger Gefel-
ſcaſt verſchwendet, das Heer aufgelöft werden. Und doch if
8 noch mehr, was von des Kronpringen früher Tugend auf
die Spaltung —— und erweitert, nämlich indgefemmst
Beider verſchiedene Natur.
Der König liebte feine Gemahlin und Kinder wahrhaſt,
ie berzlih '), und doch beherrſchte ihn bie Heftigfeit feines
Zauperaments fo Hark, daß er fie furchtbar tyranniſirte. Er
möchte von feinen Kindern geliebt werben, daher muß bie Mut:
ter fie firafen, mit der Mutter müffen fie gefchredt werben,
nie mit dem Water, das fchreibt er ausbrädlich vor, und doch
lichen fie nım. bie gütige, verftändige Mutter und fürchten der
— engen Data, ber fie oft prägelt, wie er denn bes
von deſſen fechötem Jahre an nidt
Fe Pi konnte und ihn felten fah, ohne ihn zu miöhen
ſich dem firengen ihm auferlegten Zwange unterwerfen und fich
an bie Lebensweiſe bes Vaters gewoͤhnen, jeber Bequenetichteit
und jebem feiner Neigung entfprechenben Genuſſe entfagen,
fehh auf fein und am allen fo anflrengenben Beſchwerden Zpeil
nehmen, denen ſich ber König ohne Schonung für feine eigene
Sefundpeit unterzog, weshalb er, der Prinz, mit 14 Jahren fo
1) Dafür werden wir trog des oiberfpredhenben Verfahrens
Seweiſe finden. ©. auch Memoires de Bareih L p. 88. 111.
2) Memoires de Bareith I. p. 22.
Der Kronpeinz. 8579
alt und fteif ausfah und baherging, als ob er ſchon viele
Beldzüge mitgemacht hätte‘). Die rauhe Begegnung, —
ber heranwachſende Jungling dabei unausgeſetzt erfuhr,
letzte deſſen aufkeimendes, bald ſtarkes keiten und achte
ihn noch widerfpänftiger gegen feinen Water. Um fo inniger
ſchloß er fi) mit feiner gleihgefinnten Schweſter Wilhelmine
an bie treffliche Mutter am, bei ber fie wenigſtens allen dieſer
möglichen Schug gegen ben Ungeftüm bed Waters fanden.
Der Königin war es, in ihrer ebenfalls sicht beneidends
werthen Lage ein Beblirfniß des Herzens, ihren beiden aͤlteſten
Kindern, von benen fie zuerft verſtanden wurde, ihre Wünfche
und Hoffnungen und Alles mitzutheilen, was fie vor ihrem
Gemable nicht offen zeigen konnte, ober auch wohl ihr fo Bi
ſchmerʒlich bebrängtes Herz auszufßlitten. Die Raubeit und
Härte, mit welder fie oft felbft behandelt wurde, regte A
Empfindlichkeit endlich fo auf, daß fie ſchwach genug war, wohl
für einige Zeit zu vergeffen, was fie ihrem Gemahie gegen ihre
Kinder ſchuldig war. Sie verbot, was er befahl. Bei ihr wurs
den dann bie vielen Eigenheiten des Königs und feiner Umges
bungen von ben Kindern beſprochen und befpöttelt und die Könis
gin nahın Theil und ergägte fib daran. Beide Kinder, ohnehin
fehr frlih geiftig gewedt und aufmerkfam auf ———
chen und Bloͤßen, dazu durch Härte vielfach gereist,
wenn fie bei dem Vater waren, an fpöttifcen Minen un
boshaften Bemerkungen nicht fehlen. Es war bie einzige
Rache, welche fie nehmen konnten”). Sie reisten aber ihren
Vater dadurch noch mehr und zu deſſen Ummillen kam nach
und nach ein immer ſtaͤrkerer Wiberwille. Als der Kronprim
fünfzehn Jahre alt war, ſchalt ihn ber Water aus, fo ns er
ihn ſah. Nun fuͤrchteten Ale, die es mit ber Koͤnigin und
dem Prinzen gut meinten, ber Wiberwille des Waters werde
ſich dauernd feflfegen und riethen ihr daher, ben Prinzen zu
bewegen, fid feinem Vater unterwürfig zu bejeigen, was fie
bisher nicht hatte zugeben wollen. Sie veranlaffte ihn daher,
1) Seckendorf an Eugen im Juni 1725 bei Börfter Urkundenb. IL
©. 4,
2) M&moires de Bareith I. p. 231. ®ergl. p. 158.
37*
580 Bud VI. Drittes Hanptftüd.
einen ebrerbietigen Brief an ben König zu fehreiben, was die
fen, der von Natur gutmüthig war, auf einige Zeit befänftigte
und ein befiered Vernehmen herflellte‘). Doch bauerte des
nicht lange; Kiätfchereien allerlei Art gegen die Prinzeffin
Wilhelmine, unberufene Angebereien, der Prinz fei den Ei
daten abgeneigt und werde, wenn er zur Regierung Tomm,
alle Heereeinrichtungen ummerfen, er verſchwende und fei des
gerade „Gegentheil des Vaters, ſtoͤrten das gute Werhältaif
bald wieder und brachten ben König von neuem gegen fan
beiden aͤlteſten Kinder auf. Der Kronprinz und feine von
ihm fehr gelichte Schwefter Wilhelmine, mit welcher er treulich
aufammenbielt, würden wieder wie früher vom Vater gemit-
handelt ). Als er fand, daß der Kronprinz, deſſen Tafel a
fehe Pärglich befellen ließ, fich filberner breiginfiger Gaben
anftatt eiferner zweizinkiger bebiene, wie er es befohlen, ſchlug
er ihn’). Er wollte ihn daher nicht mit nach Dresden nehmen,
wohin er fih, um den König Auguft zu beſuchen, begab, un
wurde nur durch beffen eigene, unter ber Hand von ber
Prinzeffin Wilhelmine vermittelte Bitte dazu bewogen, es ja
tun‘).
An dem fippigen, allen finnlihen Genuͤſſen hingegebens
Hofe, wo ber Vater nur durch bie Feſtigkeit feiner Srund
fäge feiner beabfichtigten Verführung entging, erlag ihr de
fechzehnjährige Juͤngling. Er gemöhnte fich ſeitdem an Aus
ſchweifungen mit dem zweiten Gefchlechte, was ihn ſchon durch
die Ausgaben, welche es verurfachte, in neue Mishelligkeiten
mit feinem Vater verwidelte, der, wie er bad erfuhr, al
Geind aller Luͤderlichkeit, nun noch einen Grund mehr erhielt,
feinem Sohne zu zürmen, den er nun wieder heftig anli
und mit firengen Verweiſen überhäufte. Seine Hofmeifter em
1) M&moires de Bareith I. p. 90.
2) Ebendaf. p 96.
8) Bericht des framoͤſiſchen Gefandten BRotpenburg v. Mai 1727 ia
Villars Men. T. II. p. 296.
4) Möm, de Bareith I'p. 101. Mill vermittelte es berh
den ſachſiſchen Geſandten Sum, ini
Der Kronprinz und ber König. 581
hielten Befehl, mehr als je uͤber feine Aufführung zu wachen ').
Doc) half die nichte. Bei der Anwefenheit des Königs von
Polen in Berlin, verliebte er fich mit allem Feuer des Juͤng⸗
lings in beffen natürliche Tochter, die ſchoͤne und geiftreiche
Gräfin Orzelska, und trat mit ihr in ein fo vertrautes Ver⸗
haͤltniß, daß es für fie von Folgen war”).
Der Kronprinz, welcher, wie feine Mutter, die Muſik
fehr liebte, hatte -am dresdener Hofe ben berlihmten Floͤtenblaͤ⸗
fer Quanz gehört, der nun auf Vermittelung der Königin von
Zeit zu Zeit nach Berlin kommen durfte, um ihm Unterricht
auf der Flöte zu geben, welche Friedrich bald meifterhaft blies
und mit wahrer Zärtlichkeit als ZTröfterin in zahllofen einfas
men, traurigen Stunden feines Lebens liebte. Als ber König
nach Preuffen ging, ſchidte König Auguſt auffer Quanz noch
drei feiner beſten Virtuoſen auf kurze Zeit nach Berlin, wo fie
in Montbijou die Königin und deren Umgebung, vorzüglich
aber ben Kronprinzen durch ihre Leiftungen entzuͤkten. Dies
fer, wenn er ben Vormittag in ber engen Uniform im Zopfe
auf dem Uebungsplage zugebracht hatte, entlebigte ſich Nachs
mittags feiner Laft und vergnügte ſich, nach franzöfifcher Mode
feifirt, im brofatenen Schlaftode mit feinen heiteren, gelehrten
und Eunftgebildeten $reunden. Dann erſchreckt wohl der weit
hin fallende Tritt des Waters die Iuftige Geſellſchaft. Eilig
Tüchtete, wer flüchten konnte, fehnel wurden Bücher und Mus
alien auf die Seite geſchafft, der Schlafrod mit der Unis
’orm vertaufct. Doch verrathen noch liegengebliebene Bücher,
auch wohl ber Schlafrod oder die Frifur, bie fo ſchwer ver=
hotene Erheiterungsweife, und was gefunden wird, entgeht
dann ber Vernichtung burch ben heftig erzuͤrnten und ſchelten⸗
ven Vater nicht”). Bald Tann der Kronprinz fi gar nicht
Mai
1728
1728
nehr vor bem Vater fehen laſſen. Endlich fchreibt er diefem Sept.
»emuͤthig, ex habe es lange nicht unternehmen mögen, zu feis
en lieben Papa zu kommen, vorzüglich weil er einen noch
1) M&moires de Bareith I. p. 104 u. 112.
2) Preuß ©. 88.
3) Ebendaſ. &. 52. Der oben erzählte Vorfall ereignete ſich im
Sommer 1730.
1728
1729
582 Bud VE Drittes Hauptfiäd.
ſchlechteren Empfang als gewoͤhnlich befürdte, bitte alfo tm
lieben Papa, ihm gnädig zu fein, wiſſe fich nicht das Min
deſte vorzuwerfen, bitte indeffen unterthänigft um Begehung |
wenn er wider fein Wiffen und Wollen etwas gethan, wei
den Vater verdroffen, und hoffe, diefer werde den vom Sohn
währgenommenen graufamen Hab fahren laſſen und wiede
fein gnaͤtiger Water fein. Er verfprach, nie mit Willen ja
fehlen und ungeachtet der Ungnade mit unterthänigflem Re
ſpecte feines lieben Papa gehorfamfter und getreuefter Die
und Sohn zu fein.
Der König ohnehin hoͤchſt mistrauiſch und nur zu af
bintergangen, glaubte (und; kaum mit Unrecht) nicht an de
Aufrichtigkeit ſeines Sohnes und erwieberte: der Prinz fei a
eigenſinniger und böfer Kopf, der feinen Water nicht liebe, ie
dem er, fobald der abweſend, nit thue, was dieſer wolk.
„Bum andern, fährt ber König fort, weiß ex wohl, daß ih
krinen effeminirten Kerl leiden kann, der Beine menfchlicye In
eiinationen hat, ber fih (nicht) ſchaͤmt, nicht reiten noch [die
fen Tann und babei malpropre an feinem Leibe, feine Has
wie ein Nare ſich frifist umd nicht verfchneidet.” Das habe a
tauſendmal verwiefen, doch umfonft, ohne Beſſerung. Dam
warf er bem Prinzen vor, hoffärtig, recht bauernflolz, nicht
popular und affabel zu fein; auffer Einigen mit keinem Mens
ſchen zu fpreen, mit dem Geſichte Grimaffen zu ſchneiden
als wenn er ein Narr wäre, und daß er nicht des Waters
Willen thue, als fobald er mit Gewalt dazu angehalten werde,
nie auß Liebe; endlich, daß er zu nichts Luft habe, als feinem
eigenen Kopfe zu folgen, und endete: „biefes ift die Antwort”
So blieb diefer Schritt wefentlich ohne Wirkung ).
Als der Kronprinz fein achtzehntes Jahr antrat, wurde
er mändig erftärt und ihm anftatt feiner Hofmeifter, der vier
gigiährige Obriſtlieutenant v. Rochow, ein ehrlicher, adt
barer Soldat von firengen Sitten, übrigens ohne Bedeutung,
und ber dreißigiährige Lieutenant, Baron v. Keyferling, zu
gegeben, ein Mann von höchft rechtlicher Gefinnung, durch
wiffenfchaftliche Beſtrebungen und Reifen vielfeitig gebildet,
1) Bei Gramer ©. 83.
Der König gegen den Kronprinzen. 583
mehrerer Sprachen mächtig, berebt, ein heiterer, lebenbluſtiger
Gefelfchafter und dem Kronprinzen bald fehr befreundet ').
An diefen kettete ſich auch in ber traurigen Lage vol Mitges
fuͤhls, ein gewiſſer Keith, Page des Königs, der ihm oft Nach»
wicht von dem gab, was bei dem Water vorging, und ihm das
durch fo manche Unannehmlickeit erfparte; er wurde jedoch,
weil man das argwöhnte, als Dfficier balb nach Weſel vers
fest und ein Lieutenant v. Katte, ein nicht ununterrichteter
junger Wuͤſtling, umbefonnen, doch voller Geift, Leben und
Munterkeit, wurde num Vertrauter des Kronprinzen und Ges
fährte feiner Ausſchweifungen.
Der König mißhanbelte den Kronprinzen und beffen ältere
Schweſter Wilhelmine bei jeder Gelegenheit auf bie allerärgfie
und unwuͤrdigſte Weiſe; oft wollte er fie gar nicht mehr fehen )
Nur heimlich, während der König auf ber Jagd war, burften
fie es wagen, zur Mutter zu ſchleichen, immer zitternd, durch
ben Vater überrafcht und gemishanbelt zu werben, denn bies
fer, der feine Kundſchafter überall hatte, wuſſte febr wohl,
daß die Königin hinter feinem Rüden ihre Kinder darin bes
flärkte, bei der von ihr fo fehr gewänfchten Doppelheirath mit
den Kindern König Georgs IL zu beharren umd fich nicht nad
dem Willen ihre Vaters zu verheirathen. Die Öfterreichifche
Partei, Grumbkow und Sedendorf, ließen dagegen nicht ab,
ihn gegen das Haus Hannover zu reizen.
Endlich gingen bie Mishandlungen des Königs gegen ben
fiebzehnjährigen Kronprinzen fo weit, daß biefer nicht glaubte,
fie länger ertragen zu Sinnen. „Sch bin in ber dufferften Vers
zweiflung”, fchrieb er feiner Mutter, „ber König hat ganz
vergeffen, daß ich fein Sohn bin und mich wie den gemeins
ſten Denfchen behandelt. Ich trat diefen Morgen wie gewoͤhn⸗
lich in fein Zimmer, er fprang ſogleich auf mich los, ſchlug
mich auf die graufamfte Weife mit feinem Stocke fo wuͤthend,
daß er nicht eher als vor eigener Ermattung aufhörte. Ich
habe zu viel Ehrgefühl, um eine ſolche Behandlung auszuhals
ten, bin aufs Aeuflerfte gebracht und entſchloſſen, dem auf
1) Pöltnig Mem. I. p. 279. vergl. Mem. de Bareith I, p. 153.
2) Mem. de Bareith T. I. p. 156.
SIanuar
1730
‚#2
588 Bad VL Drittes Haupifüd.
Water gebeten zu haben, ihn auf Reiſen gehen zu laffen, ws
biefer, ber feines Sohnes Abſicht —e — rr und ifa
immer auf Zheilnahme an einem Feidzuge im Falle eines ent:
vertröftete ).
Die Königin, welche gefegneten Leibe und ohnehin ſchea
fo tief bekümmert war, daß ihre Zochter Wilhelmine ben Pr»
zen von Wales nicht heirathen follte, wurde durch biefe
Beforgniffe ſchmerzlich erſchuͤttertz dennoch gab fie ih
lingspian nicht auf, war vielmehr, ohne dag es
wiſſen follte, baflır unabläffig thätig, weil fie ihres
große Unbeftändigkeit kannte. Die Prinzeffin Wilhelmine
ſchwichtigte vorläufig ihren Bruder durch bie dringend;
rer Die Umgebungen des Königs und ber
den Kammerbienern und Kammerfrauen und der
—ES ſpionirten im Solde des anderen Ale aus,
einer ber Gatten that. Beide wurden ſogleich von
terrichtet, wa von dem anderen nicht voͤllig geheim
Der König wendete alle Mittel an, um feine Zochter
Vermählung mit dem Markgrafen von Schwedt zu zwingen
Endlich muſſten fich daher auf feinen gemeffenen Befehl, mit
der Androhung, bie ſtrengſte Rechenſchaft deshalb zu fobern,
ploͤtzlich bie Dinifter Srumblow und Bork und der Graf v.
Ef
Ai
Spielball ſeiner Familie zu fein, die ihn unwuͤrdig behandelt
habe. Ein für allemal wolle er feine Tochter Wilhelmine vers
helrathen; als letzte Gnade geftatte er nur noch einmal nach
England zu fchreiben, um vom Könige Georg eine rate
Erklärung über die Wermählung der Wilhelmine mit dem
Prinzen von Wales zu verlangen. Falle diefe nicht nach des
1) Mömoires de Bareith T. I. p. 160 vergl. p- 158.
2) Seckendorfs Relation bei Börfter Thl. IT. ©. 1.
8) Engliſcher Geſandtſchaftsbericht in v. Raumers Beiträgen TI.
Heitathsangelegenheiten. 585
Könige Wunfche aus, fo folle Wilhelmine den Herzog von
Sacfens Weißenfels oder den Markgrafen von Schwedt heis
zathen, bie Königin aber ihr Ehrenwort geben, fi) dem Wil
len ihres Gemahls ferner nicht widerfegen zu wollen, ſonſt
werbe biefer für immer mit ihr brechen und fie unb ihre uns
volırdige Tochter, die er dann nicht für bie feinige anerkennen
wolle, nach Oranienburg verweilen, wo fie ihre Hartnädigkeit
beweinen Tonne. Die Königin war hoͤchlichſt uͤberraſcht, ins
beffen antwortete fie gefafft: die Pflicht der Frauen fei, ihren
Männern gehorfam zu fein, doch nur in gerechten und billigen
Dingen. „Der König aber,” fuhr fie fort, „handelt anders, er
mil meine Tochter mit Gewalt gegen ihre Neigung zur Vers
naͤhlung entweber mit einem ihrer unwürbigen ober mit einem
war adıtbaren, doch zu unvermögenben Manne zwingen und
ie unglüdtih machen, ohne Nugen für den Staat, ja zu defs
en Nachtheile. Ich werde an meinen Bruder nach England
chreiben, aber auch, wenn die Antwort nicht gimſtig fein follte,
werde ich meine Einwilligung zu ber vorgeſchlagenen Heirath
vennoch nicht geben, lieber mag meine Tochter taufenbmal tobt
ils unglüdlic fein." Doc) fagte fie im Weggehen, indem fie
inen zornigen Blid auf Grumblow warf: „Ich Elage nicht den
tönig an, ich weiß, wen ich eine fo übele Begegnung vers
anke ). Sie find der Urheber alles meines Unglüds, möge
nein Fluch auf Sie und Ihre Familie fallen *).” Zugleich hatte
jr ber König einen Brief in den haͤrteſten Ausbrüden ges
Hrieben, was fie zwar ſchmerzlich bekuͤmmerte, aber dennoch
icht davon abbrachte, ihren Plan burchfegen zu wollen. Sie
eß durch den Kronprinzen einen Brief an bie Königin von
ngland fehreiben, in welchem biefer feinen Kummer darlıber
usdruͤckte, daß die im Vertrage zu Hannover (3. Sept. 1725)
zfchloffene Vermaͤhlung feiner Schwefler mit dem Prinzen
on Wales nicht vollzogen würde, und fein gegebenes Ehren
‚ort wieberholte, daß er nie eine andere Prinzeffin ald ihre
1) Mämoires de Bareith T. L. p. 163.
2) Englifer Geſandtſchaftabericht v. 17. Ian. 1730, wo auch, daß
H Grumblow gegen bie Königin hart und unziemlich ausgebrüdt, was
u Berk verwiefen, in v. Raumers Beiträgen II. &. 496.
25. Ian.
1790
SS VL Deiszes Haez:ii
Zocker Amalie beirafben \werbe, wenn fie (bie
pie bet = ann Srieſe am dern
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machen
Auf feinen Befehl muſſten daher die beiden Minifter Grumbies
und Bork und der Graf v. Finkenfein fi nedmals *
Königin begeben und ihr anzeigen: der König wolle gar it
mehr von ber Familienverbindung mit England hören, es k
ihm daher jede Antwort, welche von bort kommen möge, *
kommen glei i
fl. Die Königin antwortete kurz: fie werde, fo lange ſe
1) S. Yöllnig Mem. IT. p. 323. Die Königin Hatte es tes
heſſen ⸗ kaſſelſchen Gefandten Diemar gefagt. Auch war der preuffifce ⸗
fivent Beidenbah in London im Solde Deſterreiche. Gedenborf bi
törfter Thl. II. ©. 234.
2) Memoires de Bareith 1. p. 171.
Heitathsangelegenheiten. 587
inen Athemzug habe, nie ihre Einwiligung geben, ihre Tochter
ınglüdlih zu mahen’ und einen von ben genannten beiden
Prinzen zu heirathen. Darauf Iegte fie ſich als frank wieder
vieder und der König gab nach, daß fie ſich erſt nach ihrer
Niederkunft ſolle entfcheiden müflen ).
Zu derſelben Zeit wurde der Koͤnig hoͤchſt erzuͤrnt, als er
rfuhr, daß der Kronprinz von den Kaufleuten Splittgerber
ind Daum 7000 Thaler gelichen hatte. Er ſchlug ihn graus
am’) und gebot durch ein Öffentliches Cdict (22. Ian. 1730),
»as Geldleipen an Minderjährige fo allgemein heilig zu hals
en, daß felbft weder dem Kronprinzen noch anderen koͤnig⸗
ichen Prinzen bei Leib⸗ und Lebensſtrafe etwas gelichen wer⸗
ven folle.
Endlih kam die Antwort der Königin von England an,
n welcher fie bezeugte, ihre Gemahl fei fehr geneigt, feinen
Sohn mit der Prinzeffin Wilhelmine, aber auch zugleich feine
Tochter mit dem Kronprinzen zu verheirathen. Die Königin
»ekummerte es ungemein, daß wieber Fein beflinmter Zeitpunkt
angegeben war; ben König reizte es zu ben beftigften Aeuffes
zungen. Er flug den jegt achtzehnjährigen Kronprinzen blus
ig und zog ihn bei den Haaren im Zimmer umher’). Wil:
jelmine follte fi binnen drei Tagen für einen der beiben ihr
⸗orgeſchlagenen Prinzen entfchieden, dann mit Gewalt gezwun⸗
zen werden, ben Herzog von Weißenfelö zu beirathen. Der
Rönig überfchhttete feine Gemahlin mit allen Schmäpungen,
die ihm der Augenblick eingab. Sie ertrug Alles und fuchte
»bwohl vergeblich, ihm durch die zärtlichften Worflellungen zu
:ühren. Er wollte nun feine Tochter mit Gewalt zur Vers
jeirathung mit dem Markgrafen von Schwedt zwingen, doch
yeffen Mutter, die Schwefter des Furſten Leopold von Deffau,
1) Das fagt ſchon der englifche Gefanbtfchaftsberict v. 19. Ian. bei
Raumer III. ©. 496. Der König verſprach dergleichen wohl, ‚vergaß
:8 aber leicht wieber bei heftigen Aufwallungen.
2) Englifher Bericht v. 19. Januar 1730 bei Raumer a. a. D.
Das Edict, deſſen diefer Bericht ſchon erwähnt (menn das Datum des
Berichts genau ift), muß alfo fpäter als es erlaffen worden, datirt fein.
3) Memolres de Bareith 1. p. 172.
1 586 Bud VI. Drittes Hauptftüd,
Zochter Amalie heirathen \werde, wenn fie (die Königin), in
die Vermählung ihred Sohnes mit feiner Schweſter wilig.
Auch bie Königin Sophie bot in einem Briefe an ihren Bw
der Alles auf, um ihn zu einem günftigen Entfchluffe zu be
wegen. Mit Zittern wurden bie Tage bid zur Antwort as
England gezählt und vielfach im Cabinette der Königin be
zathfchlagt, was im unguͤnſtigen Falle zu thum fei, weil man
vom Könige das Aeuſſerſte fücchtete. Vergeblich ſtellte fic de
Königin krank und hütete fünf Tage hindurch dad Bette, in
Gemahl erfuhr dennoch, daß fie ed nicht war, und ficher and
durch Sedendorf, was ber Kronprinz nach England geſchrit
ben‘). Das reiste ihn um fo mehr, als ihn ohnehin jeder |
Widerſtand aufbrachte, wie viel mehr die Widerfeglichkeit fü |
nes Sohnes. Die Taiferlicy gefinnten Umgebungen des Ki |
nigs hatten ihn auch, indem fie feine Liebe zum Gelbe benut⸗ |
ten, jedenfalls fehr gegen eine Vermaͤhlung des Kronpringe |
mit einer englifchen Prinzeffin eingenommen, weil biefe größeren
Aufwand machen werbe, ald an feinem Hofe gewöhnlich war.
=. au Auf feinen Befehl mufften baher die beiden Minifter Grumbioe
30 und Bork und der Graf v. Finkenſtein fi nochmals zu
Königin begeben und ihr anzeigen: der König wolle gar nichu
mehr von der Zamilienverbindung mit England hören, es fü
ihm daher jede Antwort, welche von dort kommen möge, vol⸗
kommen gleichgültig und er werbe nicht davon abgehen, feine
Tochter Wilhelmine mit dem Herzoge von Weißenfels oder
dem Markgrafen von Schwedt zu verheirathen. Ex verlang
‚ unbedingten Gehorfam. Wenn fid bie Königin widerfek,
wolle er fi) von ihr trennen, fie auf ihren Wittwenfig ver
bannen, die Prinzeffin Wilhelmine in eine Zeftung fperren und
den Kronprinzen enterben, indem der Ungehorfam feiner Fe
mitte ein hoͤchſt gefährliches Beiſpiel für feine Unterthane
ſei?). Die Königin antwortete kurz: fie werde, fo lange fr
1) ©. Pölinig Mem.. II. p. 823. Die Königin hatte es ben
heffen » kaſſelſchen Gefandten Diemar gefagt. Auch war der preuffifcge =
fident eichenbach in London im Golde Deſterreiche. Gedenbosf bei
Börfter Thl. II. ©. 284.
2) Memoires de Bareith I, p. 171. |
Heirathöangelegenheiten. 587
einen Athemzug habe, nie ihre Einwiligung geben, Ihre Tochter
unglüdlih zu mahen’ und einen von ben genannten beiben
Prinzen zu heirathen. Darauf legte fie fih als frank wieder
nieder und ber König gab nach, daß fie fich erſt nach ihrer
Niederkunft folle entfcheiden müffen ').
Zu derfelben Zeit wurde der König höchft erzuͤrnt, als er
erfuhr, daß der Kronprinz von den Kaufleuten Gplittgerber
und Daum 7000 Thaler geliehen hatte. Er fchlug ihn graus
fam ?) und gebot durch ein Öffentliches Edict (22. Ian. 1730),
das Geldleihen an Minderjährige fo allgemein heilig zu hals
ten, daß felbft weder dem Kronprinzen noch anderen Tönigs
lichen Prinzen bei Leib» und Lebensſtrafe etwas gelichen wers
ben folle.
Endlich kam bie Antwort der Königin von England an,
in welcher fie bezeugte, ihr Gemahl fei fehr geneigt, feinen
Sohn mit der Prinzeffin Wilhelmine, aber auch zugleich feine
Tochter mit dem Kronprinzen zu verheirathen. Die Königin
bekuͤmmerte es ungemein, daß wieber Fein beflimmter Zeitpunkt
angegeben war; den König reiste es zu dem heftigften Aeufles
rungen. Er ſchlug den jest achtzehnjaͤrigen Kronprinzen blus
tig und zog ihn bei den Haaren im Zimmer umher ). Bil
heimine ſoůte ſich binnen drei Tagen für einen der beiden ihr
⸗orgeſchlagenen Prinzen entſchieden, bann mit Gewalt gezwun⸗
zen werben, ben Herzog von Weißenfels zw heirathen. Der
Rönig überfchhttete feine Gemahlin mit allen Schmähungen,
die ihm der Augenblick eingab. Sie ertrug Alles und fuchte
»brwohl vergeblich, ihn durch die zärtlichfien Worftellungen zu
ühren. Er wollte nun feine Tochter mit Gewalt zur Vers
yeirathung mit dem Markgrafen von Schwedt zwingen, doch
veffen Mutter, die Schwefter des Fürften Leopold von Deffan,
1) Das fagt ſchon der engliſche Gefandtfchaftsberiät v. 19. Ian. bei
Taumer III. ©. 496. Der König verſprach dergleichen woht, ‚vergaß
8 aber leicht wieber bei heftigen Aufwallungen.
2) Engliſcher Bericht v. 19. Januar 1730 bei Raumer a. a. O.
das Ebict, beffen dieſer Bericht ſchon erwähnt (wenn das Datum bes
gerichts genau ift), muß alfo fpäter als es erlaffen worden, batirt fein.
8) Memolres de Bareith I. p. 172.
Bebruar.
588 Bud VI Drittes Hauptftäd.
weigerte fi, fo fehr fie die Vermaͤhlung wuͤnſchte, bennoh
entfchloffen, ihre Einwilligung gegen den Willen der Königin
zu geben‘). Des Königs Heftigkeit flieg immer höher, er
mishandelte den Kronprinzen und die Prinzeffin Wilhelmme
koͤrperlich faft fo- oft er fie fah, bie Königin nicht weniger
durch die Fränkendften Worte und Drohungen.
Endlich, doch nur um Zeit zu einem neuen Verſuche in
England zu gewinnen, vwilligte die Königin gegen ihren Ge
mahl ein, die beabfichtigte Verbindung der Prinzeffin Wilke:
mine mit dem Prinzen von Wales aufzugeben, ſchlug bagegm
vor, fie nicht mit ben ihr vorgefchlagenen Zreiern, fondern mit
dem Erbprinzen von Baireuth zu vermählen, worein ber 8
nig, obwohl fehr ungern wiligte. Gogleih wurde von de
Königin und deren Anhange noch ein letter Verſuch gemadt
und Alles aufgeboten, den König von England zu einem nt:
ſchluſſe über die Doppelheirath zu bringen. Der Kronprig
war entfchloffen nach England zu flüchten, weil ex bie ent:
ſetzlichen Mispandlungen, denen er. täglich außgefegt war,
nicht mehr ertragen konnte. Er wollte dazu die Gelegenheit
einer Reiſe feines Vaters nach Dresden benutzen, doch tief
er ſich durch die Bitten feiner Schwefter nochmals zuräd:
halten 9).
Die hochſchwangere Königin wurde durch allen dieſca
häuslichen Kummer nun wirklich gefährlih krank. Sobalt
ſich der König davon überzeugt hatte, wurde er und zugleis
durch die rührenden Zufprachen feiner Gemahlin lebhaft ex
griffen und gerieth faft in Verzweiflung. Er bat fie in Ge
genwart aller ihrer Damen um Verzeihung für allen Kummer
den er ihr verurfacht, und zeigte, daß nicht fein Herz, fondern
hauptſaͤchlich feine Umgebungen an dem unheilvollen Familien
zwifte Schuld wären. Auf Bitten feiner Gemahlin verzieh a
gerührt feiner Tochter Wilhelmine, ja felbft dem Rronprinze
alles Vergangene, doch folle biefer feine Aufführung ändern,
ſich gehorfam zeigen und dann auf väterliche Liebe rechne
.
1) Memoires de Bareith I: p. 179. vergl. Pölnig Mem, I. 301.
2) Memeires de Bareith I. p. 186.
Heirathsangelegenheiten. 589
Tonnen‘). Die Königin wurde darüber fo beruhigt und ers
freuet, daB fie nach drei Tagen auffer Gefahr war.
Asbald begannen, unſtreitig durch die täglichen Klaͤtſche⸗
teien ber Umgebungen, welche alle unbefonnene und leichtfertige
Handlungen und Xeufferungen des Prinzen dem Könige zus
trugen, deffen Miöhandlungen von Neuem. Er gerieth barlıs
ber ganz in Verzweiflung. „Ich bin ber unglüdklichfte Menſch!,
fagte er zu feiner Schweſter, welche ihn beruhigen wollte,
„vom Morgen bis zum Abend mit Spionen umgeben, welche
jebeö meiner Worte und jede meiner Handlungen boshaft vers
drehen. Die unfchuldigften Erholungen find mir verboten,
ich getrane mir nicht etwas zu leſen. Die Muſik if mir uns
terfagt und nur zitternd und verfledt darf ich mich dieſen Vers
gnuͤgungen hingeben. Endlich, als ich eines Morgens in das
Bimmer des Königs trat, faſſte er mich bei ben Haaren, warf
mich auf den Boden nieder, ſchlug und fchleppte mich endlich
ungeachtet alles Widerftandes an das nächte Fenſter, und
ſchlang eine Schnur des Vorhangs um meinen Hals, um
mic zu erwürgen. Glüdlicherweife hatte ich mich aufgerich⸗
tet, hielt ihm die Hände und ſchrie. Ein Kammerdiner kam
mir zu Huͤlfe und rettete mi. Das muß endigen. Katte iſt
mir vöNig ergeben und wird mit mir gehen, Keith auch zu
mir fommen. Der Königin werde ich nichts fagen, da fie es
ihrer Kammerfrau mittheilen und biefe es verrathen wuͤrde.“
Nur mit großer Mühe erlangte feine Schwefter, daß der Kron⸗
prinz die Ausführung feines unlberlegt genug entworfenen
Fluchtplans bis auf die Ankunft der aus ‚England erwarteten
Nachrichten verſchob ).
Die Bemuͤhungen ber Königin und ihres Anfangs waren
jier von günftigem Erfolg geweſen. Der Prinz von Wales
yatte feinen lebhaften Wunſch bezeugt, die Prinzeffin Wilhel⸗
nine zu beirathen, endlich hatte König Georg befchloffen, ben -
Ritter Hotham als aufferordentlichen Gefandten nach Berlin
1) M£moires de Bareith I. p. 189. Damit ftimmt im Mefentlichen
er engliſche Gelanbefafsbesät v. 7. März 1730 überein bei Raus
ıer IIL ©. 49,
2) M&moires de Bareith I. p. 190.
.590 Bud VL Drittes Hauptflüd.
zu ſchicken. Nur mit großer Ueberwindung ertrug ber Im
prinz bis dahin die täglichen Miöhanblungen feines Water.
4. April Endlich kam ber Ritter Hotham in Berlin an unb warb fr
1730 ben Prinzen von Waled um bie Hand ber Prinzeffin Wilhel
' mine, indem er bie Hoffnung auöbrüdte, König Friebri Bi
belm werde auch in die Wermählung des Kronprinzen mit der
Prinzeffin Amalie willigen, wenn gleich immerhin bie Hoc
des Prinzen von Wales zuerfi gefeiert würde. Der Kiig
war barlıber fehr erfreuet, antwortete hoͤchſt verbindlich, weite
aber in bie Vermählung feined Sohnes mit ber Prinzen
Amalie nur dann willigen, wenn ihm Juͤlich und Berg gefihet
und der Kronprinz zum Statthalter von Hannover ernamt
wide ). Er benachrichtigte ſogleich feine Gemahlin von da
beabfi&jtigten Wermäplung ber Tochter umd brachte bei de
Tafel diefer und des Prinzen von Wales Gefunbheit zum
großen Schrecken ber oͤſterreichiſchen Partei aus. Hotham m
fuchte ihm jedoch gleich darauf, ben ihm vom Könige Geo
gemachten Vorſchlag nicht eher bekannt zu mahen, als a
Kenntnig von den damit verbundenen Bedingungen genommen.
Der König verſchob das bis auf feine Rüdtehr von Potsdam,
wohin er ſich eben begeben wolle. Dort wurbe unfireitig vos
Sedenborf und Grumblow Alled angewendet, um den in alles
folchen Beziehungen hoͤchſt unbeftändigen Fuͤrſten gegen bie
Verbindung zeit England von Neuem einzunehmen. Er be
flog daher aud auf Secendorfs Wermittelung feine beitte
Tochter Charlotte dem Prinzen Karl von Braunſchweig zu ge
gen, befien Vater Echwager ber Kaiferin wer, und weite
nad wenigen Togen nichts mehr von ber Vermäbleng ber &
Vermaͤhlung des Prinzen von Wales bie Verlobung bes Kron
prinzen mit ber Prinzeffin Amalie ftattfinde, daß er Bein
Mitgift für die Tochter Friedrich Wilhelms verlange, dagegen
feiner Tochter 100,000 Pfund Sterling mitgeben werde; dafız
beftehe er auf bie Entfernung Grumblows alB inch Werräthers,
wie er aud aufgefongenen Briefen deſſelben an ben preuſſiſchen
ı) Sefandtfchaftsbericht dv. 5. Apeil 1730 bei Raumer IL & 508
Unterhandlungen mit Hannover. 591
Refidenten Meichenbach in London beweilen koͤnne. Friedrich
Wilhelm willigte unter ber früher angegebenen Bedingung in
ie Doppelheirath, wonach alfo der König von England bie
Roften des Unterhalts für beide Paare uͤbernehmen folte; auch
volle er den Binifter Grumbkow entlaffen, wern man beffen
Berrätperei beweifen Tönme '). Der König Georg war bereit,
vom Kronprinzen als feinem Schwiegerſohne bie Gtatthalters
haft von Hannover zu übergeben, doch follte ee dann mit
einer Gemahlin auf einige Zeit nah England kommen”).
Während der englifche Gefandte darüber Bericht nach London
ırftattete, wenbete Sedendorf, dem ber König faft nichts vers
chwieg, Alles an, um biefen von der Unſchuld Grumbkows
m überzeugen (ben ex ſelbſt ſowie den preuffiichen Reſidenten
n England mit Baiferlihem Gelbe beſtochen hatte) und ben
Krgwohn zu erregen, England fuche nur dem treuen ehrlichen
Mintfter zu entfernen, um mehr Einfluß am preuſſiſchen Hofe
u erhalten. Die aufgefangen Briefe wirden, wie die des
Betruͤgers Clement untergefchoben fein. Er fagte auch dem
mf Erhaltung feiner väterlichen Gewalt fo eiferfüchtigen Koͤ⸗
tige, der Kromprinz werde als Statthalter Hannovers gang
mabhängig von ihm werden ), umd brachte es aller Gegens
sorftelumgen der Königin bald dahin, daß ihm der König ges
adezu fagte, feine Tochter möge immerhin nad; Englard ges
ven, allein fein Sohn folle nie eine Engländerin heirathen.
kr Tieß daher durch den Minifter v. Bork bem engliſchen
Sefandten fagen, baß er bie "Statthalterfchaft für den Kranz
singen ablehnen mirffe, weil es feinen moͤchte, als koͤnne er
einen Sohn nicht felbft ernähren, aud werde biefer feinem
tande-baburch entfrembet werben. Dennoch ſchwankte er, von
veiben Seiten bebrängt, fortwährend unb wollte unter neuen
1) Memoires de Bareith L p. 19% ff. ausfüprliher Pölinie
#&m. IL p. 305 29.
2) Englifger Geſandtſchaftabericht d. 26. April u. 6. Mai 1730 in
. Raumers Beträgen II. ©. 507.
3) Yöttnig Mem. TI. p. 811 u. 316 f.
1730
592 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck.
für fich ausbebungenen Vortheilen auch bie Vermaͤhlung be
Kronprinzen mit der Prinzeffin Amalie zugeben ').
Ein Verſuch, den ber Kronprinz machte, um, wäh:
Junt er mit dem Könige das prachtvolle Luſtlager König Augm
bei Muͤhlberg befuchte, durch deſſen Minifter v. Hoym Pir:
und Pferde zur Flucht zu befommen, mislang, weil er bit
nicht erhielt. Er gab daher dem engliſchen Legätionsferdir
Guy Dikens, welcher nach London ging, den Auftrag, zu u:
forfchen, ob er dort Schuß finden werde, oder in Franka)
derweilen ſolle Eben fo wenig konnte Auguſt für feine eigt
nen Intereſſen ben König Friedrich Wilhelm von der keiſe
lichen Partei abziehen. Nach deſſen Ruͤckkehr verlangte Sole
geheimes Gehör, um bie aufgefangenen Driginalbriefe Grumt
Toms vorzulegen, welche deſſen Verrath bewiefen. Seckender
der das erfahren, fuchte des Könige ohnehin fo leicht ang
baren Argwohn gegen den von dieſem fo gehaflten Georg I
moͤglichſt zu entflammen und die Güte des Kaifers, ber ie |
ja das Hergogthum Berg gefichert, hervorzuheben. Alle Scwi |
hen und Leidenfchaften des Königs wurben benußt, um ik
gegen bie Verbindung mit England einzunehmen, vorzügks
damit er feines eigenen Wohld wegen nicht den treuen m,
daher verleumbeten Grumbkow entlaffe und eben fo wenig a
bie Wermählung des Kronprinzen mit der Prinzeffin Amalı
wilige; das werde ihn von England abhängig machen, fein
‚Hof mit Umtrieben erfüllen, die Audgaben ungemein bermes
ven und fein Anfehen völlig ſchwaͤchen. Als nun Hotham der
14. Zuti bereitö fo verſtimmten Könige die aufgefangenen Briefe Grunt
1730 kows wit dem Ausbrude ber Uebergengung übergab, dire
werde fofort entlaffen werben, und binzufeßte, allerdings jü
1) Engliſcher Bericht v. 13 Mai 1730 bei v. Raumer Tp IL
S. 510 ff.
2) Die wichtige Informatio ex actis, welche Preuß in femme
Vriedrich der Große Thl. IV. &. 470 zuerft mitgetheilt, aber noch *
nauer in Friedrichs des Großen Jugend u. f. w. &. 98 gegeben has
verglichen mit dem englifdjen Gefanbtfcjaftsberichte v. 16. Zul 1730 de
d. Raumer Thl. II. ©. 516.
Eludtpläne. 593
iner der Briefe in Chiffern abgefaſſt), allein man habe hin
aͤnglich gefdhidte Leute, um fie zu entziffern, fo gerieth ber
tönig in fo heftigen Zorn, baß er dem Gefandten die Briefe
ns Gefiht warf und den Fuß aufhob, ald wolle er ihm einen
Eritt geben, was er doch unterließ, aber fogleich das Zimmer
verließ, indem er bie Thuͤr gewaltfam hinter fich zumarf. Eine
olche Begegnung erbitterte den natürlichen Stolz des englis
chen Gefandten höclihft. Gr erklärte allen Gefandten, daß
adurch in ihm alle gefrönte Häupter beleidigt wären, und
oollte fofort Berlin öffentlich verlaffen. Der König bereuete
ogleich feine Mebereilung, ließ ſich durch den bänifchen und
oländifhen Gefandten bei Hotham entfchuldigen und erklaͤ⸗
en, baß er durchaus nicht die Abficht gehabt, ihn zu beleibis
sen, ihm auch, wenn er bleiben wolle, jebe Genugthuung ges
vom werde. Allein weder das, noch die bringendfien Bitten
»es Kronprinzen vermochten etwas über ben Engländer, wels
ber mit echt in ſich feinen König beleidigt fah. Diefer befahl
hm jedoch, mit der vom Könige angebotenen Gemugthuung
ufrieben zu fein, welcher ſich barauf vurch den Minifter Wort
oͤrmlich entſchuldigen ließ. Indeſſen verlangte Hotham feine
yaldige Abberufung und erhielt fie”).
Der Kronprinz verlor damit jede Hoffnung, die Hand
iner englifchen Pringeffin zu erhalten, was ihm allerdings
nehr Staatdangelegenheit, als Herzensſache war, weil er nur
vaducch hoffen Eonnte, fich der perfönlichen Abhängigkeit und
ıoch mehr ben ihn faft eben fo druͤckenden Gelbverlegenheiten
u entziehen, in welchen er fich fortwährend befand, Er bes
chloß nun, bie erſte gimflige Gelegenheit wahrzunehmen, um
rad England zu flüchten, wo ihm Hotham gute Aufnahme
ugefichert hatte”), und fich fir immer der graufamen Behand»
ung zu entziehen, die er wieder fortwährend von feinem Was
er erfuhr. Der engliſche Geſandtſchaftsſecretait Guy Ditens,
1) Einen Auszug ‚aus den Briefen gab ber Befandte an die Königin,
Sie waren im Februar 1730 geſchrieben. Memolres de Bareith I,
«212. 09.
2) Pdlinig Mem. IL p. 805—825. Mdmoires de Bareith I,
“194 gg. .
8) Gedendorfs Bericht bei Foͤr ſter Thl. W. ©. 9.
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Ctaats, IIL 38
boe Bud VI. Drittes Hauptſtuͤc.
welcher umterbefien aus London zurädgekchrt war, rieth ieh
dem Kronprinzen fehr ab, dahin zu flüchten, weil bad bie Ber
würfuiffe zwifchen feinem Water und dem Könige Georg um
vermehren wide, doch wolle man feine Schulden bezahlen.
Nun dachte der Prinz daran, vorläufig nach Holland ut
von ba ımflreitig fo bald ais möglich nach England zu gehen ').
Er glaubte dad auf einer Meife möglich zu machen, bie der
König mit ihm nach Ansbach und zum Beſuche einiger für
deutichen Fürften unternehmen wollte, und traf dazu die nöthig
ſcheinenden Anftalten mit feinem Freunde, dem unbefonnenes
Katte, der hoͤchſt leichtfinnigerweife, um ſich wichtig zu
machen, von feinem Verhältniffe zum Kronprinzen ſchwette
fo daß deffen Abfichten in Berlin faft allgemein umd ob
Zweifel auch dem Könige längft vor ihrer Ausführung befamt
Zu waren*). Deshalb muſſten die Herren v. Rochow, Bor
1730
denbrod und Waldow während ber ganzen Meife mit dem
Kronprinzen in bemfelben Wagen fahren, und hatten firenge
Befehl, ihn nicht aus den Augen zu laſſen. Schon in Ans
bad) wollte ber Kronprinz entweichen, was indeflen fein Schwer
ger, der Marfgraf, verhinderte, zu dem er im Vertrauen von
feiner ungtüdlichen Lage gefprochen und Pferbe, ald zum Spe
Herritte verlangt hatte, welche ihm biefer, beforgt vor den
möglichen Folgen, verweigerte. Der König hielt Fein Maf
mehr in feinem Benehmen. Er hatte den Prinzen in Gegen
wart mehrer Fremden gefchlagen und ihm wieberholt gefagt:
„Wenn mein Bater mich fo bebandelt hätte, wie ich Euch be
bandle, fo wide ich taufendmal für eins entflohen fein, abe
Ihr habt Fein Herz und feid nur ein Poltron I“ Co Konnte
1) Gr Hatte wieder 15,000 Thaler Schulden gemacht. S. vog-
bie Informatio ex actis bei Preuß und Gedendorfs Bericht, bie zumm
Wffigften Yauptquellen für bie Geſchichte biefer Worfälle. Die Rebenfaden
hauptfädhti aus den Mämoires de Bareith und bes Pölinig finde
ſich dazu fleißig bei Preuß gefammelt.
2) Das beugen bie engliſchen Berichte bei Raumer Zpt IL
&. 520 u. 622. Daß Grumbloto den König davon benatheiähtigt &. SS.
8) Mämeolree de Barelih I. p. 284. Die englöfchen Derichte fagen
mehrmals, baß ber König den Kronprinzen gefchlagen a. a. D. &. 507
u 517 im Mei und Jul. J
Verſuch zur Flucht. 595
bed Prinzen Entfhluß gu flüchten, nicht wankend werben.
Auf der fortgefeßten Reife nach Augsburg und Ludwigsburg
murben daher die noch für noͤthig gehaltenen Worbereitungen
dazu fortgefeht. Endlich während der König mit feinem Ges
folge in dem Dorfe Steinfurth unweit Sinzheim in Scheunen
hbernachtete, Tieß der Kronprinz durch ben Pagen Keith, dem
Bruder des nad Weſel verfegten Lieutenantd Keith, unter
dem Borwande, daß er zum Wergnügen in bie nächfle Stabt
seiten wolle, wo Markt war, Pferde beforgen, um nach Straßs
Auguft
burg zu gehen, und erwartete fie in einen rothen Rod und 520
Mantel nach franzoͤſiſchem Schnitte gekleidet, welche er ſich
waͤhrend der Reife hatte verfertigen lafien, als bereits feine
Begleiter erſchienen und ihn baten, die Uniform wieder anzus
iegen, ehe ber König etwas davon fehe. Im biefem Augens
hlide brachte Keith die Pferde, der Kronprinz wollte fi auf
:ins berfelben ſchwingen, wurde aber von feiner Umgebung
abgehalten, zuruͤck in die Scheune gebracht und gendthigt, feine
Uniform anzuziehen. Der Dberſt Derſchau hinterbrachte for
gleich, was geſchehen war, dem Könige, der fich jedoch nichts
nerken ließ, weil hinreichende Beweiſe der Schuld fehlten '),
md früh nach Mannheim aufbrach, allein fehr unruhig wurde,
18 er dort feinen Sohn nicht antraf, der doch vor ihm hatte
yahin abreifen follen. Das rührte den Pagen Keith, welcher
ihm zu Pferde gefolgt war, er warf fi zu den Füßen des
Rönigs nieder und entdeckte, daß er fich habe bereben laſſen,
Ahr den Kronprinzen Pferde zu deſſen Flucht zu beflellen. Als
viefer nun ankam, ließ fich der König dennoch nichts merken,
jefahl aber bei Leib und Leben deſſen Begleiter Bubdenbrod‘,
Baldow und Rochow, ihn Tags und Nachts nicht aus ben
Yugen zu laffen. Am naͤchſten Tage in Darmfladt fagte er 6. Aug.
ndeſſen zum Kronprinzen, ex wundere ſich ihn hier zu ſehen,
ndem er geglaubt habe, er wäre ſchon in Paris, worauf dies
er erwiederte, wenn er gewollt, fo hätte ex ſicherlich in Frank⸗
ich fein koͤnnen ). Der König befahl darauf den Begleitern
»es Prinzen, dieſen am nächften Tage bei der Ankunft vor
1) Me&moires de Bareith I. p. 287.
2) Sedendorfs Bericht &. 3.
38*
1730
596 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc
Frankfurt nicht in die Stadt zu laſſen, ſondern fogleich in das
nach Berlin gefchrieben hatte, die aber aus Verfehen an einca
Vetter deffelben, den Werbeofficier Katte in Nirmberg gelse:
men waren, bie Beweiſe von ber beabfichtigten Flucht '). Rum
Tonnte ex fich nicht mehr faflen. Als er die Jacht, auf wer
8. Aug. cher ex den Rhein hinab reifen wollte, betrat und feinen Gope
1730 erblidte, fiel er über biefen her und würde ifn erwärgt je
hätte. faffte ih
Stode das Gefiht blutig, daß Friedrich ausrief: ee Se ee
Geſicht eined branbenburgifchen Prinzen re ſolche Schmah
erlitten )." Auf dringende Bitten feiner Begleiter, welde Is
benögefährliche Mishandlungen de Prinzen befürdteten, ge
ſtattete der König, daß biefer auf ein anderes Schiff gebradt
Staatögefangener behandelt. Als der König in Bonn dem
Kurfürften von Köln einen Beſuch abftattete, befahl ex den
Begleitern des Prinzen, biefen lebendig oder tobt wieder auf
das Schiff und dann nach Meurs zu
Der Prinz war auf Alles gefafft, und weit entfernt, feine
Abſicht zur Flucht zu bereuen, hielt er fie durch die umwuͤrdig
Begegnung, welche ex von feinem Vater erfuhr, vielmehr für
gerechtfertigt. Nur das vorauszufehende Schickſal feiner Freunde,
bie Theil an feinen Entwürfen gehabt, erregte feine Ichhaften
Beſorgniſſe und vermochte ihn, fi zur Wermittelung an der
11. Aug. von ihm mit Recht töbtlich gehafften Sedendorf zu wenden |
1730 Er fagte dieſem offen, wenn fein Vater fortfahre, ihn als
sebnjährigen Prinzen mit Schlägen zu behandeln, werde @
feinen Entſchluß dennoch ausführen, es möge koſten was d |
wolle. (Wirklich war ein neuer Verſuch zur Flucht in Mans
mur durch die Nähe einer Schildwache mislungen.) An Er
haltung feines Lebens liege ihm wenig, nur bebauere er bier
1) Mömolres de Bareith I. p. 237.
2) Getendorfe eeben Spt. TIL ©. 285.
i
Gefangenſchaft des Kronprinzen. 597
ienigen Pfficiere, welche von feiner Angelegenheit Kenntniß
zehabt und unfchulbigermeife unglüdlich würden, während doch
er allein fie zur Theilnahme beredet. Wenn ihm der König
Begnabigung für diefe verfpreche, dann wolle er Alles ent
beden, wo nicht, fo möge man ihm ben Kopf abfchlagen, er
werde Niemanden verrathen. Er bat Sedendorf, mit dem
Könige darüber zu ſprechen und ihm wo möglich aus dieſem
Babyrinth zu helfen, was er ewig dankbar erkennen werde.
Sedendorf, ber wohl einfah, daß dad Unternehmen des Prins
zen nichts als ein unüberlegter und unter den obwaltenden
Umftänden wohl verzeihlicher Jugendſtreich war, und daß der
König in feiner Heftigkeit zu weit ging, theilte wirklich in
Meurs die Nachricht von bes Prinzen Reue dem Könige mit,
welcher darauf verficherte, er wolle gegen alle Theilnehmer
Snade für Recht ergehen laffen, wenn der Prinz offenherzig
und ohne Falſch, woran er doch fehr zweifele, Alles entdecken
wuͤrde. Als er aber gleich darauf erfuhr, der Lieutenant Keith
fei bereitö feit einigen Tagen aus Wefel geflüchtet, und er
nicht mit Unrecht deffen Theilnahme an des Kronprinzen Uns
ternehmen vermuthete '), entrüftete er fih von Neuem, ließ
feinen Sohn nad Wefel und dann vor fi bringen, und 12. Aug.
fragte ihn drohend, warum er habe beferticen wollen. Der 1730
Kronprinz antwortete entichloffen: „Weil Sie mich nicht wie
Ihren Sohn, fondern wie einen nieberträchtigen Sklaven bes
handelt haben!" „Ihr feid alfo nichts als ein feiger Deferteur
ohne Ehre“, fagte der König. „Ich habe fo viel Ehre ald Sie”,
erwieberte der Prinz, „und nur das gethan, was Sie mir huns
dertmal gefagt haben, Sie wirrden es in meiner Stelle thun!“
Der König durch diefe ihn wegen ihrer Wahrheit ſchneidend vers
legende Antwort in bie Aufferfte Wuth geſetzt, zog den Degen,
um feinen Sohn zu durchbohren. Der Generalmajor von der
Mofel, warf ſich augenblidtich zwifchen Beide und rief: „Durchs
bohren Sie mich, aber ſchonen Sie Ihres Sohnes!” Das brachte
den König zur Befinnung, er ließ den Prinzen abführen. Der
General Mofel machte ihm nun lebhafte Vorftellungen über
fein Verfahren: er fei immer Herr feines Sohnes, aber er
1) Secendorfe Bericht S. 4.
‚590 Bud VL Detttes Hauptflüd.
zu ſchicken. Nur mit großer Ueberwinbung ring De dm
ins bis dahin bie täglichen Mispanblungen feines
4. Apriı Endlich kam ber Ritter Hotham in Berlin an — warb fir
1730 ben Prinzen von Wales um bie Hand der Prinzeffin Wilke
' mine, indem er die Hoffnung audbrldte, König Friebri Bis
belm werde au in die Vermaͤhlung des Kronprinzen mit der
Prinzeffin Amalie willigen, wenn gleich immerhin bie Hochzeit
des Pringen von Wales zuerfi gefeiert würde. Der Köniz
war barlıber fehr erfreuet, antwortete hoͤchſt verbindlich, weite
aber in die Vermählung feines Sohnes mit der Prinyefin
Amalie nur dann willigen, wenn ihm Jülich und Berg gefichert
und der Kronprinz zum Statthalter vom Hannover ernanıt
wide). Er benadhrichtigte fogleich feine Gemahlin von be
beabfiitigten Wermäplung ber Tochter und brachte bei da
Tafel dieſer und des Prinzen von Wales Gefunbheit zum
großen Schrecken ber öfterreichifchen Partei aus. Hotham er
ſuchte ihm jedoch gleich darauf, den ihm von Könige Geocz
gemachten Borfchlag nicht eher bekannt zu machen, ald a
Kenntnig von den bamit verbundenen Bebingungen genommen.
Der König verſchob das bis auf feine Rüdkehr von Potsdam,
wobin er ſich eben begeben wolle. Dort wurbe unflveitig vos
Sedendorf und Grumblow Alles angewendet, um ben in alles
folchen Beziehungen hoͤchſt unbefländigen Furſten gegen tie
Verbindung wit England von Neuem einzunehmen. Gr bo
flog daher auch auf Sedendorfs QWermittelung feine beitte
TZochter Charlotte dem Prinzen Karl von Braunſchweig zu ge
gen, befien Vater Schwager ber Kaiferin war, und wollt
nach wenigen Tagen nichts mehr von ber Wermäßlung ber dr
teften Tochter mit dem Prinzen von Wales willen. Hothau
zeigte ibm mun an, König Georg wolle, daß am Tage de
Vermaͤhlung des Prinzen von Wales die Verlobung des Keor
Dagegen
feiner Tochter 100,000 Pfund Sterling mitgeben werde; baflz
beftehe er auf bie Entfernung Grumbkows als eines
wie er aud aufgefangenen Briefen beffelben an ben presffifchen
1) Geſandtſchaſtebericht v- 5. Apeil 1730 bei anmer M. & 508
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Unterhanblungen mit Hannover. . 59
Refidenten Reichenbach in London beweifen koͤnne. Friedrich
Wilhelm willigte unter der früher angegebenen Bedingung in
»ie Doppelpeirath, wonach alfo der König von England die
Roften des Unterhalts für beide Paare Übernehmen folte; auch
volle er den Minifter Srumbkow entlafien, wenn man beffen
Berrätherei beweifen Tönse '). Der König Georg war bereit,
»em Kronprinzen als feinem Gchwiegerfohne die Gtatthalters
haft von Hannover zu uͤbergeben, doch follte er dann mit
einer Gemahlin auf einige Zeit nad England kommen 7).
Während der englifche Gefandte darüber Bericht nach London
flattete, wendete Sedendorf, dem der König faſt nichts vers
chwieg, Alles an, um bdiefen von der Unſchuld Grumbkows
u überzeugen (ben er ſelbſt ſowie den preuffiſchen Reſidenten
n England mit kaiſerlichem Gelde beſtochen hatte) und den
Argwohn zu erregen, England fuche nur ben treuen ehrlichen
Minifter zu entfernen, um mehr Einfluß am preuffifchen Hofe
im erhalten. Die aufgefangenen Briefe würden, wie die bed
Betrligerd Clement untergefhoben fein. Ex fagte aud dem
nf Erhaltung feiner väterlichen Gemalt fo eiferfüchtigen Koͤ⸗
vige, ber Kromprinz werde als Statthalter Hannovers ganz
mabhängig von ihm werben ), und brachte es aller Gegens
vorftelungen ber Königin bald dahin, daß ihm der König ges
adezu fagte, feine Tochter möge immerhin nach England ges
ven, allein fein Sohn folle nie eine Gngländerin heirathen.
3 Tieß daher durch den Minifter v. Wort dem englifhen
Sefandten fagen, daß er bie "Statthalterfchaft für den Krens
rinzen ablehnen mitffe, weil es ſcheinen möchte, als koͤnne er
einen Sohn nicht felbft ernähren, auch werbe biefer feinem
!ande dadurch entfrembet werben. Dennoch ſchwankte er, von
eiden Seiten bebrängt, fortwährend und wollte unter neuen
1) Mömoires de Bareith L p. 198 ff. ausführlicher PdLIniE
tm. IL p. 305 29.
2) Gnglifcher Gefandtfdhaftsberiht d. 26. April n. 6. Mai 1790 in
. Raumers Beiträgen II. ©. 507.
3) Yöttnig Mem. II. p. 811 u. 816 f.
Mai
1730
592 Bud VL Drittes Haupeftäd.
für fi) außbebungenen Wortheilen auch die Vermaͤhlung det
Kronprinzen mit der Prinzeffin Amalie zugeben ').
Ein Verſuch, den der Kronprinz machte, um, waͤhrend
Iuni er mit dem Könige bad prachtvolle Luftlager König Augufs
bei Müblberg befuchte, durch deſſen Minifter v. Hoym Pit:
und Pferde zur Flucht zu befommen, mislang, weil er dir:
nicht erhielt. Er gab daher bem engliſchen Legätionsfenee:
Guy Ditens, welcher nach London ging, ben Auftrag, zu e:
forſchen, ob er dort Schuß finden werbe, oder in Frankteih
derweilen ſolle . Eben fo wenig konnte Auguft für feine eige
nen Intereffen den König Friedrich Wilhelm von ber Baile:
lichen Partei abziehen. Nach deſſen Rückkehr verlangte Hothan
geheimes Gehör, um die aufgefangenen Driginalbriefe Grunt:
kows vorzulegen, welche deſſen Verrath bewiefen. Seckender
der das erfahren, ſuchte des Königs ohnehin fo leicht eng
baren Argwohn gegen den von biefem fo gehafften Georg IL
möglihft zu entflammen und bie Güte des Kaifers, der ihr
ia das Hergogthum Berg gefichert, hervorzuheben. Alle Sms
den und Leidenfchaften des Königs wurben benußt, um ie
gegen bie Verbindung mit England einzunehmen, vorzügis
damit er feines eigenen Wohls wegen nicht ben freuen um
daher verleumbeten Grumblow entlaffe und eben fo wenig u
die Wermählung des Kronprinzen mit der Prinzeffin Amebe
wilige; das werbe ihn von England abhängig machen, feinz
Hof mit Umtrieben erfüllen, die Ausgaben ungemein bermei- |
ven und fein Anfehen völlig ſchwaͤchen. Als nun Hotham dea
14. Jull bereitö fo verſtimmten Könige bie aufgefangenen Briefe Grumt:
1730 kows mit dem Ausbrude ber Ueberzeugung übergab, dieſe
werde fofort entlaffen werben, und binzufeßte, allerdings fi
1) Englifher Bericht v. 1% Mai 1730 bei v. Raumer Sp IL
©. 510 ff.
O Die wichtige Informatio ex actis, wide Preuß in feam
Vriedrich der Große Thl. IV. &. 470 zuerſt mitgethellt, aber noch ⸗
mauer in Friedriche des Großen Jugend u. f. w. &. 98 gegeben har
verglichen mit dem englifcen Gefanbtfchaftsberichte d. 16. Suti 1730 ki
dv Raumer Spt. II. ©. 516.
FSluchtplaͤne. 593
einer ber Briefe in Chiffern abgefafit '), allein man habe bins
länglich geſchickte Leute, um fie zu entziffern, fo gerieth ber
König in fo heftigen Zom, daß er dem Gefanbten die Briefe
ins Gefiht warf und den Fuß aufhob, als wolle er ihm einen
Tritt geben, was er doch unterließ, aber fogleich das Zimmer
verließ, indem er die Thuͤr gewaltfam hinter fi zuwarf. Eine
ſolche Begegnung erbitterte ben natürlichen Stolz des englis
ſchen Gefandten hoͤchlichſt. Ex erklärte allen Gefandten, daß
daburch in ihm alle gefrönte Häupter beleidigt wären, und
wollte fofort Berlin öffentlich verlaffen. Der König bereuete
fogleich feine Uebereilung, lieg fi durch den dänifchen und
hollaͤndiſchen Gefandten bei Hotham entſchuldigen und erklaͤ⸗
ven, baß er durchaus nicht bie Abſicht gehabt, ihn zu beleidis
gen, ihm auch, wenn er bleiben wolle, jede Genugthuung ges
ben werde. Allein weder bad, noch die dringendften Bitten
bes Kronpringen vermochten etwas über ben Engländer, wel⸗
cher mit Recht in ſich feinen König beleidigt fah. Diefer befahl
ihm jedoch, mit ber vom Könige angebotenen Genugthuung
zufrieden zu fein, welcher ſich darauf durch den Minifter Bork
förmlich entſchuldigen ließ. Indeſſen verlangte Hotham feine
balbige Abberufung und erhielt fie ?).
Der Kronprinz verlor damit jebe Hoffnung, die Hanb
einer engliſchen Prinzeffin zu erhalten, was ihm allerdings
mehr Staatsangelegenheit, als Herzensſache war, weil er nur
dadurch hoffen konnte, ſich der perfönlihen Abhängigkeit und
noch mehr den ihn faft eben fo drüdenden Gelbverlegenheiten
zu entziehen, in welchen er fich fortwährend befand, Ex bes
ſchloß nun, bie erfte günftige Gelegenheit wahrzunehmen, um
nad England zu flüchten, wo ihm Hotham gute Aufnahme
zugefichert hatte”), und fi für immer der graufamen Behands
Iung zu entziehen, die er wieder fortwährend von feinem Bas
ter erfuhr. Der englifche Gefandtfchaftäferretait Guy Dikens,
1) Einen Auszug aus ben Briefen gab ber Gefanbte an bie Königin.
Sie waren im Februar 1730 gefcrieben. Memoires de Bareith I,
p- 212. 0q.
9 Pblinig Mem. IL p. 805—325. Miämoires de Bareith I,
p- 194 sqq. -
3) Gedtendorfs Bericht bei Förfter Ahl. W. ©. 9,
Stengel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats, IIL 38
Juli
1730
D
5 Bud VI. Drittes Hauptſtuͤc.
welcher ımterbeffen aus London zuruckgekehrt war, rieth ide
dem Kronprinzen fehr ab, dahin zu flüchten, weil das die Ber
würfniffe zwifhen feinem Vater und dem Könige Georg am
vermehren würde, doch wolle man feine Schulden begabten.
Nun dachte der Prinz daran, vorläufig nach Holland ud
von ba umftreitig fo bald ald möglich nach England zu gehen ').
Er glaubte dad auf einer Meife möglich) zu machen, bie der
König mir ihm nad) Ansbady und zum Befuche einiger füd⸗
deutfchen Fuͤrſten unternehmen wollte, und traf dazu die nöthig
ſcheinenden Anftelten mit feinem Freunde, dem umbefonnenes
Katte, der hoͤchſt Teichtfinnigerweife, um fi wichtig zu
machen, von feinem Verhaͤltniſſe zum Kronprinzen ſchwatzte
fo daß deſſen Abfichten in Berlin faſt allgemein und ohre
Zweifel aud dem Könige Iängft vor ihrer Ausführung befanzt
waren”). Deshalb mufften die Herren v. Rochow, Bub:
denbrod und Waldow während ber ganzen Reife mit dem
Kronprinzen in demſelben Wagen fahren, und hatten firengen
Befehl, ihm nicht aus den Augen zu laſſen. Schon in Ank
bad) wollte der Kronprinz entweichen, was indeſſen fein Schwes
ger, der Markgraf, verhinderte, zu dem er im Vertrauen von
feiner unglücklichen Lage gefprochen und Pferde, ald zum Spe
Herritte verlangt hatte, welche ihm biefer, beforgt vor der
möglichen Folgen, verweigerte. Der König hielt kein Mi
mehr in feinem Benehmen. Er hatte den Prinzen in Gege:
wart mehrer Fremden gefchlagen und ihm wieberholt gefagt:
„Wenn mein Vater mich fo behandelt hätte, wie ich Euch be
bandle, fo wuͤrde ich taufendmal für eins entflohen fein, abe
Ihr habt Fein Herz und ſeid nur ein Poltron "Co Eonzt
1) Gr hatte wieder 15,000 Thaler Schulden gemacht. &. neog
bie Informatio ex actis bei Preuß unb Seckendorfe Bericht, bie zuner
WAfigften Hauptquellen für bie Gefhtdhte biefer Worfälle. Die
Hauptfädtid ans ben M&molres de Bareith und det Pöltnig fine
ſich dazu fleißig bei Preuß gefammelt,
2) Das bezeugen bie engliſchen Berichte bei Kaumer SpL IL
©. 520 u. 52%. Daf Grumbloio ben König davon bendthrichtigt ©. SSL.
8) Nemelro⸗ de Bareith I. p. 284. Die englifden Berichte fagn
mehrmals, ann et
u 617 im Mai und Iull. :
Verfud zur Flucht. 5 595
des Prinzen Entſchluß gu flüchten, nicht wankend werben.
Auf der fortgefegten Reiſe nach Augsburg und Ludwigsburg Auguft
wurden daher die noch für nöthig gehaltenen Worbereitungen
dazu fortgefegt. Endlich während der König mit feinem Ges
folge in dem Dorfe Steinfurth unweit Sinzheim in Scheunen
übernachtete, ließ der Kronprinz durch ben Pagen Keith, dem
Bruder bed nach Weſel verſetzten Lieutenants Keith, unter
dem Vorwande, daß er zum Vergnügen in bie naͤchſte Stadt
reiten wolle, wo Markt war, Pferde beforgen, um nach Straßs
burg zu gehen, und erwartete fie in einen rothen Doc und 5, Aug
Mantel nach franzoͤſiſchem Schnitte gekleidet, welche er ſich
während der Reiſe hatte verfertigen lafien, als bereits feine
Begleiter erſchienen und ihm baten, bie Uniform wieder anzu⸗
legen, ehe der König etwa bavon fehe. Im biefem Augens
blide brachte Keith die Pferde, der Kronprinz wollte ſich auf
eins derfelben ſchwingen, wurde aber von feiner Umgebung
abgehalten, zuruͤck in die Scheune gebracht und gendthigt, feine
Uniform anzuziehen. Der DOberft Derſchau binterbrachte fos
glei, was gefchehen war, dem Könige, der fich jedoch nichts
merken ließ, weil hinreichende Beweife der Schuld fehlten '),
und früh nach Mannheim aufbrach, allein fehr unruhig wurde,
als er dort feinen Sohn nicht antraf, ber doch vor ihm hatte
dahin abreifen folen. Das rührte den Pagen Keith, welcher
ihm zu Pferde gefolgt war, er warf fi zu ben Süßen bes
Königs nieder und entdeckte, daß er ſich habe bereden Laffen,
für den Kronprinzen Pferde zu deſſen Flucht zu beftellen. Als
diefer nun ankam, ließ fich der König dennoch nichts merken,
5efahl aber bei Leib und Leben deſſen Begleitern Bubdenbrod,
Baldow und Rochow, ihn Tags und Nachts nicht aus ben
Kugen zu laſſen. Am naͤchſten Tage in Darmfladt fagte er 6. Aug.
ndeſſen zum Kronpringen, er wunbere fih, ihm bier zu fehen, 1730
ndem er geglaubt habe, er wäre ſchon in Paris, worauf dies
er erwieberte, wenn er gewollt, fo hätte ex ficherlich in Frank⸗
eich fein koͤnnen ?). Der König befahl darauf den Begieitern
ved Prinzen, diefen am nächfien Tage bei ber Ankunft vor
1) Memoires de Bareith L p. 237.
2) Sedendorfs Beriht ©. 3.
38*
596 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck
Frankfurt nicht in bie Stabt zu — ſondern ſogleich in das
zum Abfahren bereite Schiff zu
In Frankfurt erhielt Dr Fr durch Briefe des Krow
prinzen, welche dieſer an feinen Freund Katte uͤber Nuͤrnberg
nah Berlin gefchrieben hatte, die aber aus Verſehen an einen
Vetter beffelben, ben Werbeofficier Katte in Nürnberg
men waren, die Beweife von ber beabfichtigten Flucht '). Rn
konnte er fich nicht mehr faffen. Als er die Jacht, auf we;
8. Aug. cher er ben Rhein hinab reifen wollte, betrat und feinen Soha
1730 erblickte, fiel er Über biefen her und würde ihn erwuͤrgt ber
ben, wenn ihn nicht der General Walbow davon
hätte. Er faſſte ihm bei den Haaren und ſtieß ihm mit dem
Gtode dab Geficht blutig, daß Friedrich autrie: „Nie bat bat des
Geficht eines brandenburgiſchen Prinzen eine ſolche Schmach
erlitten )." Auf dringende Bitten feiner Begleiter, welche Is
benögefährliche Mishandlungen des Prinzen befürdhteten, ge
flattete ber König, daß biefer auf ein anderes Schiff gebradt
Begleitern des Prinzen, biefen Iebenbig ober tobt wiebr auf
das Schiff und dann nad Meurs zu bringen.
Der Prinz war auf Alles gefafft, und weit entfernt, fein
Abſicht zur Flucht zu bereuen, hielt er fie durch die unwuͤrdige
Begegnung, welde er von feinem Vater erfuhr, vielmehr für
gerechtfertigt. Nur das vorauszufehende Schicfal feiner Freunde,
bie Theil an feinen Entwörfen gehabt, erregte feine Iebhaften
Beſorgniſſe und vermochte ihn, fih zur Wermittelung an den
11. Aug. von ihm mit Recht tödtlich gehaflten Seckendorf zu wenden.
1730 Er fagte diefem offen, wenn fein Vater fortfahre, ihn als ade:
'gehnjährigen Prinzen mit Schlägen zu behandeln, werde a
feinen Entſchluß dennoch ausführen, es möge koſten was es
fe.
haltung feines Lebens liege ihm wenig, nur bebauere er die
1) Mömoires de Bareith I. p. 237.
2) Ordenborfe Erben Ahl. IIL ©. 286.
Gefangenſchaft des Kronprinzen. 597
jenigen Dfficiere, welche von feiner Angelegenheit Kenntniß
gehabt und unſchuldigerweiſe ungluͤcklich würden, während doch
er allein fie zur Theilnahme berebet. Wenn ihm der König
Begnabigung für diefe verfpreche, dann wolle er Alles ent
deden, wo nicht, fo möge man ihm den Kopf abfdlagen, er
werde Niemanden verrathen. Er bat Sedendorf, mit dem
Könige darlıber zu fprechen und ihm wo möglich aus biefem
Labyrinth zu helfen, was er ewig bankbar erkennen werde.
Seckendorf, der wohl einfah, daß das Unternehmen des Prin
zen nichts als ein unüberlegter und unter den obwaltenden
Umftänden wohl verzeihlicher Jugendfireih war, und baß ber
König in feiner Heftigkeit zu weit ging, theilte wirklich in
Meurs die Nachricht von des Prinzen Reue dem Könige mit,
welcher darauf verficherte, er wolle gegen alle Theilnehmer
Gnade für Recht ergehen laffen, wenn ber Prinz offenherzig
und ohne Falſch, woran er doch fehr zweifele, Alles entdeden
würde. Als er aber gleich darauf erfuhr, ber Lieutenant Keith
fei bereits feit einigen Tagen aus Wefel geflüchtet, und er
nicht mit Unrecht deffen Theilnahme am des Kronpringen Uns
ternehmen vermuthete '), entrüftete ex fi von Neuem, ließ
feinen Sohn nah Wefel und dann vor fi bringen, unb 12 Aug.
fragte ihn drohend, warum er habe befertiren wollen. Der 1730
Kronprinz antwortete entfchloffen: „Weil Sie mich nicht wie
Ihren Sohn, fondern wie einen nieberträchtigen Sklaven bes
handelt haben!" „Ihr feid alfo nichts als ein feiger Deferteur
ohne Ehre”, fagte ber König. „Ich habe fo viel Ehre als Sie",
erwiederte der Prinz, „und nur bad gethan, was Sie mir hun⸗
dertmal gefagt haben, Sie würden es in meiner Stelle thun!“
Der König durch diefe ihn wegen ihrer Wahrheit ſchneidend vers
letzende Antwort in die Aufferfle Wuth gefeht, zog dem Degen,
um feinen Sohn zu durchbohren. Der Generalmajor von ber
Mofel, warf ſich augenblicklich zwifchen Beide und rief: „Durchs
bohren Sie mich, aber ſchonen Sie Ihres Sohnes!" Das brachte
den König zur Beſinnung, er ließ den Prinzen abführen. Der
General Mofel machte ihm mun lebhafte Vorftellungen über
fein Verfahren: er fei immer Herr feined Sohnes, aber er
1) Sedendorfs Bericht ©. 4.
598 Bud VL Drittes Hauptftäd.
dürfe ihn nicht verurtheilen, ohne ihn zu hören, endlich begek
ex eine Todfünde, wenn er deſſen Henker werde. Er bat im
den Prinzen durch getreue und zuverläffige Männer verhörm
zu laſſen und ihn nicht mehr zu fehen, weil ihn ber Anbiif
feines Sohnes auffer fih bringe. Der König fah das m
folgte ihm und feßte felbft Brageartifel auf, über welche n
den Prinzen durch den Oberflen Derſchau verhören ließ.
Der Prinz, welcher ſich nicht getrauete, von feiner bear
fihtigten Flucht nach England etwas zu geftehen, fagte ans,
er babe über Landau und Straßburg nad Paris gehen, den
unerkannt Kriegäbienfte nehmen, fih in Italien außzeicne
und feined Baterd Gnade wieder erwerben wollen. Woher n
das Geld genommen, dad er an Katte und Keith gegeben
wollte er nicht geftehen. Mit diefer an ſich fehr unwahrſchein
lichen Angabe und der augenfcheinlichen Abſicht, die Wahrket
nicht zu geftehen, Eonnte der König nicht zufrieden fein. Seit
dem jeboch auffer dem fchriftlihen Beweiſen auch das eigen
Geſtaͤndniß des Kronprinzen vorlag, baß er habe flüchten wer
Ien, was fein Vertrauter, ber Lieutenant Keith in Weſel and
glüclich bewerkſtelligt hatte, während ber unbefonnene Katz
bei feinem Verweilen in Berlin feftgenommen worben war,
bildete ſich bei dem Könige entfchieden die Meinung aus, diefe
ganze Angelegenheit, bei welder nur Officiere betheiligt we
ven, müffe militalrif und zwar als Defertionsfache beham
beit und barlıber aach ben Kriegsartikeln geſprochen werden‘).
Wenn man erwägt, daß ber Koͤnig nichts Hoͤheres und Ehren
wertheres Tannte, als den Kriegsmann, daß er felbft mit dem
vollen Bewuſſtſein unbefchränkter Gewalt fich feinen Dfficierm
gegenliber, doc mehr als deren Pelbhauptmann betrachtete
und fogar perfönliche Verlegung ber ihm gebührenden Ehre:
bietung nicht als Monarch wie ein Staatsverbrechen, fondern
nur als Dberſt wie ein Vergehen gegen bie Kriegszucht an
1) Daß der König nicht erſt nach den Werhören in Kuͤſtrin auf die
fen Gebanten gelommen, wie bie Pringeffin Wilhelmine (Memoiren de
Bareith I. p. 255) annimmt, fcheint mir das Benehmen des Königs vom
erften Anfange an und auch das ſchon 31. Auguft von ihm bewirkte Aus
fioßen beffelden aus dem Heere, ſowie bie ganze Art ber angeflellten Bro
Höre zu beweiſen.
Des Kronptinzen Gefangenſchaft. 59
einem Major feines Peibregiments rügte, daß er ſich endlich
ſelbſt fireng den von ihm erlaffenen Kriegsordnungen fügte,
fo wird man bie Zorm feines Verfahrens gegen feinen Kron⸗
prinzen, ber in feinen Augen boch hauptſaͤchlich Dfficier war,
nicht durchaus umangemeflen finden. Wenn man weiter bie
Strenge ber Kriegdartitel überhaupt, und bei der damaligen
Beſchaffenheit und Bufammenfegung des großentheild aus ges
waltſam Eingeſtellten und Lanbfireichern beftchenden Heeres
befonderd die Schärfe der auf Heereöflucht geſetzten Strafen
bedenkt und nun das böfe Beifpiel in Anfchlag bringt, wel
ches hier der Kronprinz und noch zwei Dfficiere gegeben, fo
wird man des Feldhauptmanns Beforgnifle wegen der Folgen,
fowie feinen aufferordentlihen Unwillen erklaͤrlich finden. Wenn
man endlich ſich erinnert, wie bei flarrem Eigenwillen der Ko—
nig überhaupt feinen Widerſpruch, noch weniger Widerſetzlich⸗
keit ertragen konnte, wie feine natürliche, wngevandigte Hef⸗
tigkeit oft in eine bi an Wahnfinn grenzende Wuth überging,
dann wird man vielleicht etwas nachfichtiger uͤber die rohe
Härte des Vaters urtheilen, der in feinem bisher ſchon als
irreligiöß, unſoldatiſch, verſchwenderiſch, ausſchweifend, falſch
und ungehorſam betrachteten Sohne, nun einen’ eidbruͤchigen
‚Heereöflüchtling fah, der ſich der Gewalt feine® Vaters auf
ehrlöfe Weife entziehen wollte, um ſich ihr im Auslande und
zwar in England, bei dem ihm fo verhaflten Schwager, dem
Könige Georg II. zu widerfegen.
Er befahl daher fogleich feiner Gemahlin, als einer Mits
ſchuldigen des Prinzen, fofort ihr Luſtſchloß Montbijou zu vers
laſſen und ſich in ihren Zimmern im Schloſſe aufzuhalten,
ließ fie zwar durch ihre Oberhofmeifterin auf bie Unglücksbot⸗
ſchaft vorbereiten, fchrieb Ihr jedoch fhonungslos ): „Ich habe
den Schurken, den Frig, feftnehmen laffen und werde ihn be
handeln, wie es feine Werbrechen und feine Feigheit verbimen.
Ich erkenne ihn nicht mehr ald meinen Sohn an, er hat mid)
und mein ganzes Haus entehrt. Ein folder Elender verbient
nicht mehr zu leben!” Bei feiner Ankunft begegnete ex ihr mu.
nicht wie ein ungiädlicher Water, fondern bei feiner unbezaͤhm⸗
1) Mömeires de Bareith I. p. 226. Pöllnig Mim. IL. ©. 854.
600 Bud VL Drittes Hauptfiäd.
baren Heftigkeit wie ein Tyrann, klindigte ihr ben Tod be
Sohnes an, belegte feine Tochter Wilpelmine als vermuther
Theilnehmerin an ihred Bruders Vergehen, mit den miedrig
ſten Schimpfworten, pruͤgelte fie halb tobt, und winde ſie mit
Büßen getreten haben, wenn es nicht ihre Geſchwiſter umd ve
Königin mit allen übrigen Anwefenden verhindert hätten. Bi
helmine liegt ohnmädtig auf einem Stuhle und die Hofdamı
find beſchaͤftigt, fie durch kaltes Waſſer und Riechflaͤſchchen
zur Befinming zurüdzubringen, die Königin gebt faffungslss,
Taut wehklagend und die Hände ringend im Zimmer auf und ab,
die übrigen Kinder weinen zu ben Füßen des Könige mb |
fuchen ihn zu erweichen '). Er gefteht endlich, der Kronprig |
lebe noch, ſchwoͤrt aber und drohet, ihn hinrichten zu Lffemn |
und dody, in einem ſolchen Xugenblide, wagt es die Diem |
hofmeiſterin der Königin, die Frau v. Kameke, ihm zu fe |
gen: „Sie haben Sich hia jest ehmas darauf zu Gute gethen,
ein gerechter und gotteöfürchtiger Fuͤrſt fein zu wollen, und |
Gott hat Sie mit Wohlthaten überhäuftz aber wehe Ihnen
wenn Sie von Gottes heiligen Geboten abgehen. Fuͤrchten Ex
feine Gerechtigkeit, die Philipp U. und Peter I beſtraſte
welche dad Blut ihrer Söhne vergoffen haben, wie Sie er
thun wollen; ihr Mannöftamm ift mit ihnen erlofchen, übe
Staaten find unglüdlih, und fie zum Abſcheu des menfd
lichen Geſchlechts geworden. Faſſen Sie Si! Ihr erfier Zom
iſt vergeiplich, aber er wird zum Verbrechen, wenn Gie ifa
nicht zu überwinden ſuchen!“ Der König fah fie erflaunt an,
ohne fie zu unterbrechen; endlich fagte er: „Sie find fehr Kühn,
daß Sie gegen mich eine ſolche Sprache führen, doch nehm |
ich e8 micht übel. Ihre Abfihten find gut. Sie ſprechen fir
müthig zu mir und dad vermehrt meine Achtung für Cie.
Beruhigen Sie meine Frau!"
Dann begab er fih zum Verhoͤre, welches er durch ben
Gemeralaubiteur Mylius und den Generalfiscal Gerbett mit
|
1) Daß die Martgraͤſin (Mömoires de Bareith T. L p. 244 og.) hir
nicht übertrieb, zeigt ber engliſche Geſandtſchaftbericht vom Gept. 1730
bei Raumer II. ©. 525, da er im Weſentlichen mit dem von the Ger
fogten übereinftimmt. Bergl. Polinit Min. IL p. 856, |
Dis Kronpringen Sefangenfhaft 601
vom Lieutenant Katte anzuſtellen befohlen. Katte fiel gleich
sei feinem Eintritte zu den Fuͤßen des Königs nieber, beflen
Buth bei dem Anblide des Unglüdlichen von Neuem erwachte,
Br riß ihm das Sohanniterfreug vom Halfe, ftieß ihn mit dem
Kuße und ſchlug ihn mit dem Stocke und der Fauſt blutig,
38 ihn Grumblow bat, ſich zu mäßigen und zu geflatten,
Yaß ber Verbrecher verhört werde. Katte geſtand ſogleich Alles,
vas er wuflte: er babe bem Prinzen nach deſſen Flucht vor
yem Zorne feines Vaters nad England folgen wollen, doch
nie irgend einen Anſchlag gegen den König oder gegen ben
Staat gehabt. Der König wollte ihn foltern laſſen, um zu
erfahren, ob bie Königin und die Prinzeffin Wilhelmine darum
geroufit, was jeboch durch Seckendorf abgewenbet wurde. Es
maren glücticherweife von der Königin, der Prinzeffin Wil⸗
heimine und been Anhange alle ihnen und dem Kronprinzen
gefährliche Papiere vöNig vernichtet worden '), deshalb konnte
der König über die Einzelnheiten ber unglüdlihen Angelegens
heit wenig mehr erfahren, als er bereits wuſſte und Satte und
ber Kronprinz außfagten. Diefen hatte der König (31. Aug.)
aus bem Heere gefioßen,. dann nach Mittenwalde und balb 4, Seyt.
barauf nad Kuͤſtrin bringen laſſen. Bei den mit ihm durch 1730
Mylius, Gerbett und Grumbkow in Gegenwart mehrerer andes
ven Dfficiere angeftellten Werhören benahm er ſich gefafft,
ſtellte fich fogar iuſtig. Seine Ausfagen flimmten wefentlich
mit denen Katte's überein. Nur für diefen, der unſchuldig und
allein von ihm verleitet fei”), bat der Prinz. Grumblow,
der fich fogleich überzeugte, daß bie wichtigſten Papiere
meggebracht worden waren, drängte den Prinzen zu Aus
fagen über einige Punkte und erhielt nur beleidigende
Antworten vol ſtolzer Werachtung, was ihn dermaßen ers
bitterte, daß er dem Kronprinzen mit ber Folter brobete,
momuf ihm diefer antwortete: ein Henker wie Grumbkow
!önne nur mit Vergnügen von feinem Handwerke even. Er
rinerfeits habe Alles geftanden, bereue es aber, „weil ich“,
1) Mämoires de Bareith I. p. 255. Pöllnig IL ©. 870.
2) Seckendorfe Vericht v. 5. Gept. bei Foͤrſter W ©. 11.
602 Bud VL Drittes Hauptkäd.
fuhr er fort, „nicht mötpig babe, mid zu erniedrigen, un
einem Schurken, wie Sie find, zu antworten ')I"
Das der König nicht milder mit denen verfuhr, weide
in bie Angelegenheiten des Kronprinzen auf irgend eine ve:
daͤchtige Weiſe verwicelt waren, wirb man ſich Teicht vorkt
len Tonnen. Die Prinzeffin Wilhelmine durfte ihr Zuzme
lange Zeit hindurch nicht verlaffen. Ihre Hofdame und bem
Bruber, ein geheimer Rath v. Bülow, ein geborener Haze
veraner, ber ald preuffiicher Gefandter in Schweden gencia
war, mufften binnen zwei Stunden nad Lithauen abgche,
wohin fie verbannt wurden, weil man fie im Verdachte hatte,
für die Doppelheirath zu fein ).
Der Minifter v. Knyphauſen, der von der Partei de
Königin und im Verdachte war, dem Kronpringen Geld vw
ſchafft zu haben, erhielt Befehl, mit feiner Gemahlin bias
24 Stunden Berlin zu verlaffen und ſich nach Liegen aufs
Sopanniter » Commende zu begeben.
Der Kammerherr v. Montolieu, welder dem Kronpeis
zen gegen des Koͤnigs Edict (vom 22. Jan. 1730) eine Ger
fumme geliehen, erhielt Hausarreſt, wurde verurtheilt, fein GR |
zu verlieren, und muſſte auſſerdem 1000 Ducaten an ie
Rekrutenkaffe zahlen. Als er ſich fpdter (1731) heimlich vo
Berlin wegbegab, befahl der König, ihm als muthmwilige |
und boöhaften geflüchteten Banquerottmacher durch ben Gar
ralfiscal den Proceß zu machen und fein Bildniß an den Sb
gen zu heften. Duhan de Jandun, der Lehrer und Sramı|
und Hanau, ber Auffeher der Bibliothek des Kronprinza
wurden nach Memel verbannt, feine Begleiter, die Heus
v. Rochow und Keyferling, muflten zu ihren Regiments
zuruck; fein Rammerbiener, obgleich er bie Flucht in Etis
furth gehindert hatte, wurde in Ketten nach Spandau gefühl
Ein junges fechzehnjäpriges Mädchen, bie Tochter eines Sar
tors in Potsdam, welche angeblich in ben Eoncerten des Ste
prinzen ‚gefungen, doch im Verdachte vertrauteren Umgangs sd
1) Mämoires de Bareith I. p. 253. Pöllnig IL ©. 368.
2) Sedendorfs Bericht v. 5. Sept. bei Forſter M. S. 8. Pal
nit IL ©. 865.
Des Kronprinzen Gefangenſchaft. 603
bm war, wurde öffentlich in den Straßen der Stadt aufges
yeitfept und auf ewig in bad Spinnhaus nah Spandau abs
jefuͤhrt, ihr Vater abgefegt. Zwei Dfficiere, welche mit Katte
ind dem Kronprinzen in Verbindung geweſen und im Ver⸗
achte einiger Mitwiſſenſchaft waren, wurden feſtgenommen
md nach erlittener ziemlich langer Haft aus dem Heere ges
toßen'). Um des Lieutenants v. Keith habhaft zu werben,
ollte ber preuffifche Gefandte in England fogar eine gute Bes
ohnung aufroenden diifen ), was doch erfolglos war; des⸗
valb wurde er in oͤffentlichen Blättern vorgelaben und, als
x nit erfhien, in efligie aufgehängt, fein Bruder, ber
Dage, feftgenommen, bald freigelaffen und als Züfelier in ein
Regiment eingeftellt ).
Der Kronprinz wurde in Kuͤſtrin in einen fchlechten blauen
Rod gekleidet, voͤllig wie ein Staatögefangener, doch mit gros
jer Strenge behandelt. Den Verhaltungsbefehlen feines Was
ers gemäß muffte bie Thuͤr feines Gemachs fortwährend vers
chloſſen fein, durfte während des Tages nur dreimal geöffnet
verden und niemals länger als vier Minuten offen bleiben.
Niemand folte bei Lebensſtrafe mit ihm ſprechen Das Eſſen
vurbe Mittags für ſechs, Abends für vier Grofchen aus der
Sarküche geholt und Alles Mein gefchnitten, weil der Prinz
veber Meffer noch Gabeln erhielt. Ebenfo waren ihm Tinte
ınd Federn *), fogar die Flöte und auffer der Bibel und einis
jen Andachtöfchriften auch Buͤcher verfagt, die feinigen vers
auft und er, mit der ganzen Lebendigkeit des jugendlich thätis
jen Geiles, der Einfamkeit feines Öben Zimmers und Abends
ogar ber Finſterniß überlaffen‘). Dennoch blieb ex feſt.
7 Dr Belege für obige Angaben f. in Preuß driedrichs Jugend
2. A
2) Urkunde in Preuß Priebrid IL Urkunden. I. ©. 157. Der
tönig febft gab das Signalement des Keith an.
3) Acenftüd bei Börfter Friedrichs Jugendjahre S. 69, vergl.
Dreuß Friedrichs Jugend &. 84.
4) Inftruction v. 19. Sept. 1730 in Preuß Urkundenb. II. ©. 158.
5) Preuß ©. 102. Memoires de Bareith L p. 254, wo wie bei
oditait Mem. IT. p. 867 taͤglich nur vier Groſchen angegeben werben.
604 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc.
Ie allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefknh
tet und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheils mit Unre |
gehafft war, um fo allgemeiner war die Theilnahme für te
freundlichen, liebenswuͤrdigen Prinzen, ber fo Vielen bie kr
baftefte Hoffnung für eine glüdlichere Zukunft gab, deſſen Us
befonnenheiten man um fo leichter entfchuldigte, je brüdmle
Jeder die harte Strenge des Waters empfand und je wenige
unbefannt ed war, wie viel auch der Sohn dadurch gelitin
hatte. Er fand daher faft uͤberall mitleidige Herzen, weche
trotz aller. Gefahr es wagten, ihm fehr geheim die irgend mög
lichen Mittel zu feiner Erholung zu verfchaffen '), auch fem
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anſtriche von He
lerkeit ſchreiben zu Tönnen, der doch den Schmerz über da
Verluft feiner Geliebten, fo nannte er feine Flöte, nur way
verhüllte, da auch diefe ihn jegt nicht tröften konnte *).
Bon allen befreundeten Zinften, denen ber König burd
feine Geſandten mitgetheilt hatte, daß er fih genoͤthigt gie
ben, feinen Kronprinzen feftzunchmen, weil ex habe heimid
entweichen wollen, Tiefen Verwendungsſchreiben ein und wor
zuͤglich im protefantifchen England erwedte des Prinzen Schid:
fal lebhafte Iheilnahme ?). Doch erwiederte der König ei
alle diefe Verwendungen, er Eönne fie in einer häuslichen Ir
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es fich indeß
fen ſchuldig zu fein, durch genaue Unterſuchung Öffentlich ja
beweifen, ex babe feinem Sohne keine rechtmaͤßige Urfache ge
geben, der väterlichen Gewalt heimlich zu entfliehen. Uce
feinen Schwager, ben er für einverflanden mit dem Kronprie
zen hielt, und Über dad gefammte Haus Hannover war er ſe
erbitterty daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen woht,
auf den Untergang Englands zu trinken, was biefer vice
Thraͤnen Loftete‘). Er wollte durchaus von gar Feiner, we
ber doppelten noch einfachen Verbindung feiner Kinder mi
1) ©. die Eimzelaheiten bei Preuß S. 121.
9) Mömeires de Bareith I. p. 259.
8) Gingelnheiten bei Preuß ©. 104.
%) Secendorfe Bericht bei Börfker II. ©. 11.
Des Kronprinzen Gefangenſchaft. 606
enen ſeines Schwagers etwas hören und ließ das dem engli⸗
chen, ja ſogar den uͤbrigen fremden Geſandten foͤrmlich ers
laͤren. Natinlich erhielt ex darauf eine empfindliche Antwort:
x babe zuerſt Eröffnungen über eine Verbindung gemacht,
uf welde fih Georg nur aus Liebe flr feine Schweſter und
us Zuneigung für deren Jamilie eingelaffen ').
Es war indeffen wirklich Friedrich Wilhelms Abſicht,
en Kronprinzen kriegsrechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch
ie Thronfolge dem vom Water begünſtigten Prinzen Wilhelm
ufallen muffte; doch wurden mancherlei Zweifel in ihm wach
mb bie natürliche und wahrhaft ſtarke Liebe des Waters zum
Bohne erregte einen heftigen Kampf mit der ſtarren Strenge
es Feldhauptmanns gegen den flüchtigen Dfficier, des unbes
chraͤnkten, keinen Widerſpruch duldenden Fuͤrſten gegen den wis
erfpänfligen Unterthanen, des frommen Mannes und fparfamen
Birth8 gegen den von ihm religids und moraliſch faſt aufges
ebenen Verſchwender. Es fcheint, daß er fich deshalb unter
er Hand Bechtögutachten geben ließ?) und biefe ihn verans
aften, dem Kronprinzen ben Vorſchlag machen zu laſſen, auf
ie Ipronfolge zu verzichten, was dieſer aber entſchieden vers
oeigerte *.
Endiich, nachdem die Acten geſchloſſen waren, ſetzte der
tönig ein Kriegsgericht nieder, welches unter dem Vorſitze
ines Generallieutenants von ba herab aus drei Dfficieren je⸗
es Ranges bid zum Hauptmanne einfchlieglich, ferner dem
3eneralaubiteur, dem Generalfiscal und dem Aubiteur des Res
iments Gensb’armen befand, zu welchem Katte gehörte, um
ber biefen und ben Kronprinzen zu ſprechen. Obgleich aber
er König das wiederholt befahl, fo weigerten ſich die waderen
Ränner des Kriegsgerichts dennoch, über ben Kronprinzen ei
rtel zu fällen und wollten das nur Über Katte thun. So⸗
1) GSefanbtfchaftsbericht in ber neuen berliner Monatsſchrift HL 9.
. 889 u. 842. Vergl. Seckendorfs Bericht bei Börfter pt. I. S. 9.
2) Eines berfelben Me BEERer im Bebbriäe Sugenbjeprrn
. 110. Bergl. Nicolai Anechoten Heft IL
8) Secendorfe Bericht v. 9
604 Buch VL Drittes Hauptſtuͤck
Se allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefkuh
det und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheils mit Unrek
gehaſſt war, um fo allgemeiner war bie Theilnahme für de
freundlichen, liebenswuͤrdigen Prinzen, ber fo Wielen bie k&
haftefte Hoffnung fr eine glüdtichere Zukunft gab, deſſen Ua
befonnenheiten man um fo leichter entfchuldigte, je brüdete
Jeder die harte Strenge des Water empfand umd je wenige
unbefannt ed war, wie viel auch der Sohn dadurch gelten
hatte. Er fand daher faft uͤberall mitleidige Herzen, welde
trog aller. Gefahr es wagten, ihm fehr geheim bie irgend mip
lichen Mittel zu feiner Erholung zu verſchaffen ), auch fin
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anſtriche von He
terkeit ſchreiben zu koͤnnen, der doch den Schmerz fiber da
Verluft feiner Geliebten, fo nannte er feine Flöte, nur weriz
verhuͤllte, da auch dieſe ihn jegt nicht tröften —
Von allen befreundeten Firſten, denen ber König bh
feine Sefandten mitgetheilt hatte, daß er fi genöthigt gee
ben, feinen Kronprinzen feflzunehmen, weil er habe heimih
entweichen wollen, liefen Verwendungsſchreiben ein und
zuͤglich im proteſtantiſchen England —— Priy © Sat }
fal lebhafte Theilnahme *). Doch erwiederte der König ai
alle diefe Verwendungen, er Fönne fie in einer häuslichen In
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es ſich inde⸗
fen ſchuldig zu fein, durch genaue Unterfuhung öffentlich j
beweifen, er habe feinem Sohne keine vechtmäßige Urſache ge
geben, der väterlichen Gewalt heimlich zu entfliehen. Uce |
feinen Schwager, den er für einverftanden mit dem Kronpris:
zen bielt, und über dad gefammte Haus Hannover war er ſe
exbittert, daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen wohn,
auf ben Untergang Englands zu trinken, was biefer vice
Thraͤnen koſtete ). Er wollte durchaus von gar Feiner, we
ber doppelten noch einfachen Verbindung feiner Finder wit
1) ©. bie Einzelnheiten bei Preuß ©. 11.
2) Mömoires de Bareith I. p. 259.
8) Gingelnhelten bei Preuß ©. 108.
¶) Secenborſe Bericht bei Iorſter I. ©. 11.
Des Kronprinzen Gefangenſchaft. 606
senen ſeines Schwagers etwas hören und ließ das dem englis
chen, ja ſogar den uͤbrigen fremden Geſandten foͤrmlich er⸗
laͤren. Natirlich erhielt er darauf eine empfindliche Antwort:
x habe zuerſt Gröffnungen über eine Verbindung gemacht,
nf welche fi) Georg nur aus Liebe flr feine Schwefter und
8 Zuneigung für deren Jamilie eingelaffen ').
Es war indeffen wirklich Friedrich Wilhelms Abſicht,
von Kronprinzen kriegsrechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch
sie Thronfolge dem vom Water begünfligten Prinzen Wilhelm
ufallen muffte; doch wurden mancherlei Zweifel in ihm wach
md bie natürliche und wahrhaft ſtarke Liebe des Vaters zum
Bohne erregte einen heftigen Kampf mit der flarıen Strenge
»es Feldhauptmanns gegen den flüchtigen Dfficier, bes unbes
chraͤnkten, Beinen Widerſpruch duldenden Fürften gegen den wis
verfpänftigen Unterthanen, des frommen Mannes und fparfamen
Births gegen den von ihm religios und moraliſch faſt aufges
zebenen Verſchwender. Es fcheint, daß er ſich deshalb unter
ver Hand Rechtsgutachten geben ließ?) und dieſe ihn verans
af, dem Kronprinzen ben Vorſchlag machen zu laſſen, auf
vie Ihronfolge zu verzichten, was biefer aber entfchieben vers
veigerte").
Endlich, nachdem die Acten gefchloffen waren, ſetzte der
Rönig ein Kriegögericht nieder, welches unter dem Worfige
ines Generallieutenants von da herab aus drei Officieren jes
sed Ranges bis zum Hauptmanne einfchließlich, ferner dem
Seneralaubiteur, dem Generalfiscal und dem Aubiteur des Res
iments Gendb’armen beſtand, zu welchem Katte gehörte, um
iber biefen und ben Kronprinzen zu fprechen. Obgleich aber
ver König das wiederholt befahl, fo weigerten fi) bie waderen
DRänner des Kriegsgerichts dennoch, über den Kronprinzen ein
Irtel zu fällen und wollten das nur über Katte thun. &os
1) Gefanbtfchaftsbericht in bir neuen berliner Monatsfchrift Thl 9.
3. 839 u. 842. Bergl. Secendorfs Vericht bei Foͤr ſter Thl. W. S. 9.
2) Eines derſelben ſteht bei Börfer ———
5. 110. Bergl. Ricolat Anecboten Heft IIL
8) Gedendorfü Berkht v. 9. ae 9%
606 Bud VI. Drittes Hanptküd.
wohl bad, als die Zeit, bie niemals ganz erlofchene väter
Liebe und die unerſchrockenen einbringlichen Vorſtellungen reit:
ſchaffener Männer, befonders des alten, frommen Feibme:
ſchalls Natzmer und des Fuͤrſten Leopold von Deffau (der m
beſonderes Gutachten darlber abgab) ‘), daß der König mike
berechtigt fei, ohne förmlichen Proceß den Thronfolger am fe
ben zu flrafen, endlich auch wohl die allgemeine Verwenden
aller befreundeten auswärtigen Höfe, wirkten nach und nah
auf ben haldflarrigen Sinn des Königs. Als diefer einft übe
den Widerfpruch feiner Generale heftig wurde, riß ber Frd
marſchall Buddenbrock, feit ſechs Jahren fein täglicher Geb
ſchafter, feine Wefte auf und zeigte feine entblößte Brut m
den Worten: „Wenn Em. Maojeftät Blut verlangen, fo ur
men &ie meins! Ines befommen fie nicht,, fo lange ih ms
ſprechen kann!“ was ben König fo erfhltterte, bag er cm
Beitlang ſchwieg und dann weit milder fprah ). Cabt
Sedendorf, der ja nun feinen Zweck, Preuffen vom Hazk
Hannover zu trennen, erreicht hatte, und bem bie von ihn
felbft vielfach genährte Spannung zwifchen dem Bater und ber
Sohne zu weit ging, that, was er vermochte, um bem Rz
zu beſchwichtigen, was auch endlich gelang, als ungeachtet wir
derholter koͤniglicher Befehle das Kriegsgericht durchaus nich
dahin zu bringen war, über den Kronprinzen zu ſprechen
81. Da. Erſt als Gedenborf gewiß war, ber König werbe feinen Eok
1730 begnadigen, überreichte er das laͤngſt in feinen Händen bein:
Hiche kaiſerliche Verwendungeſchreiben für den Kronprinzen mi
ſchlug auf des Königs Befehl, feine Meinung zu fagen, ver:
ee möge dem Kronpringen burch einige Generale eröffnen, da
er zwar aus koͤniglicher und väterlicher Gewalt durch ein Triege
recht über feine Conduite fprechen, doch, weil der Kaifer Ber
bitte eingelegt, Gnade vor Recht wolle ergehen laſſen, were
er feine begangenen Fehler fchriftlih abbitte und fi) in Ge |
genwart mehrerer Generale, Minifter und Landflände auflat
des Eides veverfiren wolle, in Zukunft auf Feine Weiſe den
1) Ee iſt nach einer mir gegebenen guverläffigen Werficherung mod
vorhanden. .
2) Ricolat Anecboten ‚Heft EI. S. 827, vergl. Preuß ©. 105.
Katte's Verurtheilung. 607
Befehlen bed Königs zuwiderzuleben, vielmehr ihnen zu ges
vorfamen, auch ohne Vorwiſſen feines Waters weber ins noch
ufferhalb des Reichs Briefwechſel zu führen und im Balle er
vaB braͤche, fich felbft der Krone und Kur verluflig zu erklaͤ⸗
en. Darauf koͤnne der König ihn aus ber Gefangenfcaft
jefreien, doch daß er Küſtrin nicht verlaffe, vielmehr bei
ver Kriegs» und Domainenkammer arbeite. Gute zuverläffige
Männer müfften den Prinzen umgeben und auf feine Beſſe⸗
ung wirken ').
Nun ſprach das Kriegägericht über bie in ber Angelegens
jeit betheiligten Dfficiere und verurtheilte den Lieutenant Katte
ur Ausfloßung aus dem Heere und Iebenslänglicher Fekunge-
trafe ). Der König war damit fehr unzufrieden. Nachdem
er fi) entfchloffen, den Kronprinzen zu begnabigen, muffte ihm
oc ein Opfer fallen. Er beftätigte daher wohl den Spruch,
d weit er die übrigen Dffidere betraf: was aber den Lieutes
aant Katte anlangt, fuhr er fort, fo fei er zwar nicht ges
vohnt, die Kriegärechte zu ſchaͤrfen, vielmehr wo möglich zu
nindern, allein Katte fei nicht nur hberhaupt Officer, fonbern
ogar, was einen großen Unterſchied ausmache, bei ben bem
Rönige und deſſen Haufe beſonders eiblich verpflichteten
Bensv’armen, habe dagegen mit ber Einftigen Sonne (dem
Rronprinzen) complotirt, anſtatt e8 anzuzeigen, zur Defertion
nit fremden Miniftern und Gefandten zufammengeftedt, daher
viffe der König nicht, was für kahle Raifons das Kriegsrecht
jenommen und ihm nicht das Leben abgefprochen hätte. Auf
diefe Art werde er fi auf feinen eidlich verpflichteten Officer
md Diener mehr verlaffen koͤnnen, vielmehr jeder, weil Katte
o leicht und gut burchgelommen, glauben, daß ihm desgleichen
yefchehen muͤffe · Der König fei auch in feiner Jugend durch
vie Schule gelaufen und habe das lateiniſche Spruͤchwort:
lat justitie et pereat mundus gelernt, deshalb wolle er von
Rechtöiegen, daß Katte, obſchon er nach ben Rechten vera
1) Gedenborf Schrelben bei Preuß Urkmbenbuch II. S. 164.
2) Geſandtſchaftaberichts in ber neuen berliner Monatsfcheift Thi. 9.
B. 8415 bier ausdrüdtic, daß über den Kronpringen gar kein Urtel ges
prochen worben.
1. Roo.
1730
6. Rov.
608 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck
dient hätte, wegen bes begangenen Majeflätsverbreheni wi
glühenden Zangen geriffen unb aufgehängt zu werben, bemd
in Gonfiberation feiner Familie mit dem Schwerte vom !da |
zum Tode gebracht werben folle. Bei der Eröffnung bike
Sentenz befahl er dem Katte zu fagen, es tbue bem King
leid, e& fei aber beffer er ſtuͤrbe, ald daß die Gerechtigkeit ui
der Welt Fäme ’). Vergeblich waren des unglücklichen juys
Mannes, ſeines Vaters, des Generallieutenants v. Ratte, w
feines möütterlichen Großvaters, des alten Generalfeibmarfäskt
Grafen Wartensleben bemüthige und herzzerreißende Bits
um Gnade. Der König war unerbittlic, ließ Katte wink
nah Küfirin bringen, um unter ben Zenftern der Bolt
des Kronpringen hingerichtet zu werben, ber das mit us
Freund fehen muffte. Latte nahm mit wenigen Woran b
ſchied vom ihm. Der Prinz rief ihm tief ergriffen zu: #
bitte taufendmal Werzeifung, im Namen Gottes Berpiher
Verzeipung!” Katte erwiederte: Nichts von Verzeihung, TE |
ich flerbe mit taufenb Freuden für Sie!" Der Kronprinz |
in Ohnmacht und auf dem alle fiel das Haupt Katie"
Der König hatte dem Zelbprediger Müller von dem Kegimm
Gensd’armes, welcher ben Lieutenant Katte zum Tode weit
zeiten und mit ihm nach Küſttin geben muffte, befohln, vd
er viel Gutes von ihm gehört und daß er ein rechticafe:
Mann fei, nach der Erecution zum Kronprinzen zu gehen
ibm vorzuftellen, daß, wer Gott verlaffe, auch von biis
verlaffen werbe, und ihm ind Gemiffen zu reden, in fih A
sehen, fich zu befehren und Gott Inieend und mit zerfuifäts
Heryen um Verzeihung ber ſchweren Suͤnde zu bitten, ie ®
begangen, inbem er Leute verführt, deren einer das jeht v
1) Genauer ald bei Benelendorf ©. 88, bei Preuf &.%
2) ©. Preuß ©. 98. Ob der Kronprinz bie Gincicptung ui h*
auſehen Tinnen, üft giemlich gleichgültig. Mer Water wollte e& alaa
eb gefchah aber Wieles nicht ganı fo wie er es befohlen.
Der Kronprinz in Küftein, 609
dem Leben geblißt habe. Das muͤſſe doch fehr vorfihtig ges
ſchehen und, weil der Prinz ein verfchlagener Kopf fei, wohl
Acht gegeben werben, daß er wahre Reue zeige. Ferner fole
ſich Müller bemühen, den Prinzen von der unbebingten Gna⸗
denwahl abzubringen, ben Ungrund biefer Lehre aus der hei⸗
ligen Schrift dartfun und, weil ber Prinz ein ingenieufer
Kopf fei, deſfen Eimofirfe kurz und" grämblic; widerlegen.
Wenn das bem Prinzen zu Herzen gehe, fole Müller bei
diefem in Küftrin bleiben.
Gleich nach der Hinrichtung Katte's ließ der Kronprinz
ben Prediger. Müller rufen, war aber dermaßen erfchlittert,
baß er fich nicht recht fammeln Tonnte. Nachmittags war der
Prinz fehr bewegt, ald ibm Müller mehrere Puncte vorbielt,
melde Katte ihm aufgetragen. Katte bat darin den Prinzen
unter Betheuerung, daß er ihm feine Schuld wegen feines
Todes beimeffe, doch in ſich zu gehen, Gottes Hand und Bor
'ehung zu erkennen, ſich feinem Vater zu unterwerfen und bier
'eın gehorfam zu fein, auch nicht denen zu folgen, welche feis
sen Leidenſchaften ſchmeichelten, fondern denen, welche fih
hnen vwiberfegten. Der Prinz zeigte fortwährend dem Pres
iger viel Zundgung und Vertrauen, erflärte, daß er fein Un-
‚echt einfehe und ſich auch in ben Verhoͤren ſehr "vergangen
vabe, das fei aber gefchehen, weil ihm Niemand beweglich
ind ohne harte Drohungen zugerebet, wodurch es denn zum
Keufferfien gekommen, was er bereue. Schwerer war es, ihn
‚on ber Lehre der unbebingten Gnadenwahi abzubringen, doch
uch von deren Unhaltbarkeit ſchien er fi bald zu überzeugen,
o daß der Prediger ben König inftändig bat, barmperzig zu
ein und dadurch ben Prinzen zu beruhigen, welcher fonft wes
en anhaltender und zunehmender großer Traurigkeit rettungs⸗
8 in eine ſchwere Gemuͤthskrankheit verfallen würde.
An demſelben Tage befahl, auf Müllers frühere Berichte, der
n Grunde feined Herzens wirklich gutartige, ja eigentlich weiche
zater biefem, zu dem Prinzen zu gehen, und ihm, wenn er
or Gott verfpreche, baß er feine Sünden von Herzen bereue
nd feinen Vater um Verzeihung bitte, anzuzeigen, der König
8. Rov.
17.
volle ihm zwar noch nicht ganz verzeihen, doch aus ber ſchar "
ın Haft entlaffen und ihm Leute geben, bie feine Aufführung
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 39
604 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc.
Ie allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefüxd-
tet und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheild mit Unrecht
gebafft war, um fo allgemeiner war bie Theilnahme für den
freundlichen, liebenswürbigen Prinzen, ber fo Vielen die kb:
baftefte Hoffnung für eine gluͤcklichere Zukunft gab, deſſen Un;
befonnenheiten man um fo leichter entfchuldigte, je brüdender
Jeder die harte Strenge des Waters empfand und je weniger
unbefannt es war, wie viel auch der Sohn dadurch gelitien
hatte. Er fand daher faft Überall mitleidige Herzen, welde
trog aller. Gefahr es wagten, ihm ſehr geheim bie irgend mög
lichen Mittel zu feiner Exholung zu verfihaffen '), auch feine
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anftriche von
terfeit fchreiben zu koͤnnen, der doch den Schmerz über ben
Verluſt feiner Geliebten, fo nannte ex feine Flöte, nur wenig
verhüllte, da auch diefe ihm jet micht troͤſten konnte *).
Von allen befreundeten ürften, denen der König burg
feine Geſandten mitgetheilt hatte, daß er fich genöthigt geie
ben, feinen Kronprinzen feſtzunehmen, weil er habe heimfid
entweichen wollen, liefen Werwendungsfchreiben ein und vor
zuͤglich im proteſtantiſchen England erwedhte des Prinzen Schids
fal lebhafte Zheilnahme *). Doch erwiederte der König auf
alle diefe Verwendungen, er Fönne fie in einer häuslichen An
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es ſich inder
fen ſchuldig zu fein, dur genaue Unterfuchung Öffentlich zu
beweifen, er babe feinem Sohne keine rechtmäßige Urſache ge
geben, der väterlichen Gemwalt heimlich zu entfliehen. Ueber
feinen Schwager, den er für einverflanden mit dem Kronpris:
zen hielt, und über dad gefammte Haus Hannover war er fo
enbittert, daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen wollte,
auf ben Untergang Englands zw trinken, was diefer viel
Thraͤnen koſtete ). Er wollte durchaus von gar Feiner, we
ber doppelten noch einfachen Verbindung feiner Kinder wit
1) ©. bie Einzelnheiten bei Preuß ©. 121.
9) Mömoires de Bareith I. p. 259.
8) Gingelnheiten bei Preuß ©. 104.
%) Seckendorſe Bericht bei Foͤrſter II. ©. 11.
Des Keonpringen Gefangenſchaft. 605
Denen feines Schwager etwas hören und Tieß das dem englis
Then, ia fogar den übrigen fremben Geſandten förmlich ers
klaͤren. Natırlich erhielt er darauf eine empfindliche Antwort:
er habe zuerſt Gröffnungen über eine Verbindung gemacht,
auf welche ſich Georg nur aus Liebe fuͤr feine Schwefter und
aus Zuneigung für deren Jamilie eingelaffen ').
Es war indeffen wirklich Friedrich Wilhelms Abficht,
ben Kronprinzen Priegörechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch
die Thronfolge dem vom Water begünfligten Prinzen Wilhelm
zufallen muffte; doch wurden mandperlei Imeifel in ihm wach
und bie natürliche unb wahrhaft ſtarke Liebe des Vaters zum
Sohne erregte einen heftigen Kampf mit ber ſtarren Strenge
des Feldhauptmanns gegen dem flüchtigen Dfficier, des unbes
ſchraͤnkten, feinen Widerſpruch duldenden Firften gegen den wis
derfpänftigen Untertanen, des frommen Mannes und fparfamen
Wirths gegen ben von ihm religiös und moraliſch faft aufges
gebenen Verſchwender. Es ſcheint, daß er fich deshalb unter
ber Hu 8 Reqtsgutachten geben ließ *) und biefe ihn verans
lafften, dem Kronprinzen den Vorſchlag machen zu laffen, auf
bie —— zu verzichten, was dieſer aber entſchieden vers
weigerte ®)
Endlich, nachdem die Acten gefchloffen mn, feste der
König ein Kriegögericht nieder, welches unter dem Vorfitze
eined Generallieutenants von da herab aus brei Dfficieren jes
des Ranges bis zum Hauptmanne einfchließlich, ferner dem
Seneralauditeur, dem Generalfiscal und dem Auditeur des Bes
giments Gensb’armen beftand, zu welchem Katte gehörte, um
über diefen und den Kronprinzen zu fprechen. Obgleich aber
der König das —— befahl, fo weigerten ſich die wackeren
Männer des uͤber den Kronprinzen ein
Urtel zu faͤllen und weten Dt ur db Sat Ka &os
1) Sefanbtfhaftsberit in bir neuen berliner Monatsfchrift Thl 9.
©. 889 u. 342. Bergl. Gedendorfs Bericht bei Foͤr ſter IHL IN. S. 9.
2) Eines Berlin Ihe bei Böcker in Beeteiäs Sogenbiagern
©. 110. Bergl. Ricolat Anecboten Heft IL
8) Gedenborfs Bericht v. 9. WBW
604 Bud VL Drittes Hauptfläd.
Se allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefärd-
tet und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheild mit Unrecht
gehafft war, um fo allgemeiner war bie Theilnahme für des
freundlichen, liebenswürbigen Prinzen, ber fo Vielen bie kb:
baftefte Hoffnung für eine glüdlichere Zukunft gab, deſſen Us
befonnenheiten man um fo leichter entſchuldigte, je brüdende
Jeder die harte Strenge des Waters empfand und je wenige
unbekannt ed war, wie viel auch ber Sohn dadurch gelitien
hatte. Er fand daher faft uͤberall mitleibige Herzen, welche
trog aller. Gefahr es wagten, ihm fehr geheim die irgend mög
lichen Mittel zu feiner Erholung zu verſchaffen '), auch fänz
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anftriche von He
terfeit fchreiben zu koͤnnen, der dod den Schmerz Über der
Verluſt feiner Geliebten, fo nannte er feine Flöte, nur wenig
verhüllte, da auch dieſe ihn jegt nicht tröften konnte ).
Von allen befreundeten Sürften, denen der König durch
feine Geſandten mitgetheilt hatte, daß er fih genöthigt geie
hen, feinen Kronprinzen feflzunehmen, weil er habe —
entweichen wollen, liefen Verwendungsſchreiben ein und
zuͤglich im proteſtantiſchen England —
fal lebhafte Theilnahme *). Doch erwiederte ber Sin e auf
alle biefe Verwendungen, er koͤnne fie in einer häuslichen An
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es ſich indeſ⸗
fen ſchuldig zu fein, duch genaue Unterſuchung öffentlich zu
beweifen, er habe feinem Sohne keine rechtmäßige Urſache ge
geben, der väterlichen Gewalt heimlich zu entfliehen. Ueber
feinen Schwager, den er für einverflanden mit dem Kronprin
zen bielt, und Über das gefammte Haus Hannover war er fo
enbitterty daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen wolte,
auf den Untergang Englands zu trinken, was biefer viele
Thraͤnen koſtete ). Ex wollte durchaus von gar Feiner, we
der doppelten noch einfachen Verbindung feiner Kinder mit
1) ©. die Ginzelnheiten bei Preuß ©. 121.
9) Mömoires de Bareith I. p. 259.
8) Gingelnpeiten bei Preuß ©. 108.
4) Cedenborfs Bericht bei Wörter II. ©. 11.
Des Keonpeinzen Gefangenfchaft. 605
benen ſeines Schwagers etwas hören und ließ das dem englis
ſchen, ia ſogar den übrigen fremden Gefanbten foͤrmlich ers
klaͤren. Natuͤrlich erhielt er barauf eine empfindliche Antwort?
er babe zuerft Eroͤffnungen über eine Verbindung gemacht,
auf welche fi) Georg nur aus Liebe für feine Schweſter und
aus Zuneigung flr deren Yamilie eingelaffen ’).
Cs wor indeffen wirklich Priebrich Wilhelms Abficht,
den Kronprinzen kriegsrechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch
die Thronfolge dem vom Water begünfligten Prinzen Wilhelm
jufallen muffte; doch wurben mancherlei Zweifel in ihm wach
und bie natürliche und wahrhaft ſtarke Liebe des Vaters zum
Sohne erregte einen heftigen Kampf mit der flarren Strenge
des Felbhauptmanns gegen den flüchtigen Dfficier, bes unbe
Ihräntten, Teinen Ziderfprud) bulbenden Fürften gegen den wis
derfpänftigen Unterthanen, des frommen Mannes und fparfamen
Wirths gegen den von ihm religioͤs und moraliſch faſt aufges
zebenen Verſchwender. Es ſcheint, daß ex fi) deshalb unter
der Hand Bechtögutachten geben ließ *) und dieſe ihm verans
lafften, dem Kronprinzen ben Vorſchlag machen zu laffen, auf
die Tpronfolge zu verzichten, was biefer aber entſchieden vers
weigerte *).
Endlich, nachdem die Acten geſchloſſen waren, ſetzte der
Rönig ein Kriegögericht nieder, welches unter bem Vorſitze
eines Generallieutenants von da herab aus brei Dfficieren jes
3.8 Ranges bis zum Hauptmanne einfchließlich, ferner dem
Seneralaubiteur, dem Generalfiscal und dem Aubiteur bed Res
ziments Gensd'armen befland, zu welchem Katte gehörte, um
äber biefen und den Kronprinzen zu ſprechen. Obgleich aber
ver König das wiederholt befahl, fo eigerten fh die waderen
Männer des Kriegsgerichts dennoch, Über ben Kronprinzen ein
Artel zu fällen und wollten das nur uͤber Katte thun. So⸗
1) Veſandtſchaftsbericht in ber neuen berliner Monatsfcheift SH. 9.
3. 889 u. 342. Bergl. Secendorfs Bericht bei Joͤr ſter Thl. W. S. 9.
2) Eines derſelben ſteht bei Foͤr ſter ae Sogenbfafren
S. 110. Bergl. Ricolat Anechoten Heft IIL
8) Gedenborfö Bericht v. —— —
606 Bud VL. Drittes Hanpıkäd.
wohl bad, als bie Zeit, die niemals ganz erlofchene vaͤterliche
Liebe und bie unerſchrockenen eindringlichen Vorſtellungen recht⸗
ſchaffener Männer, beſonders des alten, frommen Felbmar:
ſchalls Natzmer umb des Fürften Leopold von Deffau (ber cin
befonderes Gutachten darüber abgab) ‘), daß der König mict
berechtigt fei, ohne foͤrmlichen Proceß den Thronfolger am ke
ben zu firafen, endlich auch wohl bie allgemeine Verwendung
aller befreundeten auswärtigen Höfe, wirkten nah und nad
auf den halsflarrigen Sinn des Königs. Als diefer einſt über
den Widerfpruch feiner Generale heftig wurde, riß der Feld
marſchall Bubdenbrod, feit ſechs Jahren fein täglicher Geſel⸗
ſchafter, feine Wefte auf und zeigte feine entblößte Bruſt ut
den Worten: „Wenn Ew. Majeftät Blut verlangen, fo uch⸗
men Sie meins! Jenes bekommen fie nicht, fo Tange ich noch
ſprechen kann!“ was den König fo erſchuͤtterte, daß er eine
Beitlang ſchwieg und dann weit milder ſprach ). Geht
Sedendorf, der ja nun feinen Zweck, Preuffen vom Haufe
jover zu trennen, erreicht hatte, und bem bie von ihe
felbft vielfach genährte Spannung zwifchen dem Bater und dem
Sohne zu weit ging, that, was er vermochte, um den König
zu beſchwichtigen, was auch endlich gelang, als ungeachtet wie
Bepolter Eöniglicher Befehie das Kriegegericht durchaus nicht
dahin zu bringen war, über den Kronprinzen zu ſprechen
s1. det. Erſt als Seckendorf gewiß ‘war, ber König werde feinen Sofa
1730 begnabigen, überreichte er das längft im feinen Händen befind⸗
liche kaiſerliche Verwendungsfcpreiben fir den Rronprinzen ımb
flug auf des Königs Befehl, feine Meinung zu fagen, ver:
er möge dem Kronprinzen durch einige Generale eröffnen, 24
er zwar aus Töniglicher und väterlicher Gewalt durch ein Kriege:
recht über feine Gonduite fprechen, doch, weil ber Kaiſer Bor
bitte eingelegt, Gnade vor Recht wole ergehen Iaffen, wene
er feine begangenen Fehler fchriftlih abbitte und fi in Ge
genwart mehrerer Generale, Minifter und Lanbflände anflatt
des Eides reverfiren wolle, in Zukunft auf Beine Weiſe den
1) @8 if mad) einer mir gegebenen guverläffigen Merfiderung mod
vorhanden. »
2) Ricolat Aneedoten ‚Heft II. ©. 827, vergl. Preuß ©. 108.
Katte's Verurtheilung. 607
Befehlen bed Königs zuwiberzuleben, vielmehr ihnen zu ges
orſamen, auch ohne Vorwiſſen feined Waterd weber ins noch
afferhalb des Reichs Briefwechſel zu führen und im Falle er
108 bräche, ſich felbft der Krone und Kur verluftig zu erklaͤ—
en. Darauf koͤnne der König ihn aus der Gefangenſchaft
vefreien, doch daß er Küſtrin nicht verlaffe, vielmehr bei
see Kriegs⸗ und Domainentammer arbeite. Gute zuverläffige
Männer muͤſſten den Prinzen umgeben und auf feine Beſſe⸗
ung wirken ').
Nun ſprach dad Kriegögericht über die in ber Angelegens
seit. betheiligten Dfficiere umb verurtheilte den Lieutenant Katte
ur Ausſtoßung aus dem ‚Heere und lebenslänglicher Feſtungs⸗
hrafe?). Der König war damit fepr unzufrieden. Nachdem
r ſich entfchlofen, den Kronprinzen zu begnadigen, muſſte ihm
‚och ein Dpfer fallen. Er beftätigte daher wohl den Spruch,
o weit ex die übrigen Dfficiere betraf: was aber ben Lieutes
iant Katte anlangt, fuhr er fort, fo fei er zwar nicht ges
vohnt, die Kriegrechte zu ſchaͤrfen, vielmehr wo möglich zu
nindern, allein Katte fei nicht nur überhaupt Officer, ſondern
ogar, was einen großen Unterſchied ausmache, bei ben bem
tönige und deffen Haufe befonders eidlich verpflichteten
Sensd’armen, babe dagegen mit ber künftigen Sonne (dem
tronpringen) complotirt, anflatt e8 anzuzeigen, zur Defertion
nit fremden Miniftern und Gefandten zufammengeftedt, daher
oiffe der König nicht, was für kahle Raiſons das Kriegärecht
‚nommen und ihm nicht das Leben abgeſprochen hätte. Auf
iefe Art werbe er ſich auf keinen eiblich verpflichteten Dfficier
nd Diener mehr verlaffen koͤnnen, vielmehr jeder, weil Katte
> Teicht und gut durchgekommen, glauben, daß ihm beögleichen
eſchehen müffe- Der König fei auch in feiner Jugend durch
ie Schule gelaufen und habe das lateiniſche Spruͤchwort:
at justitia et perest mundus gelernt, deshalb wolle er von
techtöwegen, daß Katte, obſchon er nach ben Rechten vers
1) Gedendorf Gchreiben bei Preuß Urkmbenbuh IL. ©. 164
2) Gefandtfcaftöberichts in ber neuem berliner Monateſchrift Hl. 9.
3. 8413 hier autdruͤcich, daß über bem Sronpringen gas fein Urtel ges
wochen worden.
1. Ron.
1730
608 Bud VL Deittes Hauptfiäd.
dient hätte, wegen des begangenen Majeftätsverbrechens mit
glüpenden Zangen geriffen und aufgehängt zu werben, benned
in Tonſideration feiner Familie mit dem Schwerte vom Lehen
zum Tode gebracht werden folle. Bei der Eröffnung dieſer
Sentenz befahl er dem Katte zu fagen, ed thue dem Könige
leid, es fei aber beffer er flürbe, als daß bie Gerechtigkeit aus
der Welt kaͤme i). Wergeblic) waren des unglüdlichen jungen
Mannes, feineß Waters, des Generallieutenants v. Ratte, und
feines mütterlichen Großvaters, des alten Generalfelbmarfchaßs
Grafen Wartensleben bemüthige und herzzerreißende Bitten
um Gnade. Der König war unerbittlic, ließ Katte vielmcht
nach Küftrin bringen, um unter den Fenſtern der Wohnung
d Euumpligen jugeien zu man, de bit mi ie
en follte.
6. Ro. Katte, der fich wilig und chriſtlich ergeben zeigte, wurde
zur Hinrichtung vor dem Gchloffe vorbeigeführt, in weiden
der Kronprinz gefangen war und am Fenfier ben unglücklichen
Freund fehen muffte. Katte nahm mit wenigen Worten Ab
fepleb von ihm. Der Prinz rief ihm tief ergriffen zu: „Ih
bitte taufendmal Werzeihung, im Namen Gottes Verzeihung
Katte erwiederte: „Nichts von Verzeihung, Prinz
ich flerbe mit taufend Freuden für Sie!" Der Ko fat
in Ohnmacht und auf dem Wale fiel dad Haupt Katte6’).
Der König hatte dem Belbprebiger Müller von dem Regimente
Gensb’armes, welder den Lieutenant Katte zum Tode vorbe
reiten und mit ihm nach Kuͤſtrin geben muffte, befohlen, weil
ex viel Gutes von Ihm gehört und bag er ein rechtſchaffener
Mann fel, nach der Eyecution zum Kronprinzen zu gehen und
ihm vorzuftellen, daß, wer Gott verlaffe, auch von biefem
verlaffen werde, und ihm ins Gewiſſen zu reben, in fi ww
geben, ſich zu bekehren und Gott Inieend und mit zerknirſchten
Heryen um Verzeihung ber ſchweren Stube zu bitten, bie a
begangen, indem er Leute verführt, deren einer das jegt mit
1) Genauer ald bei Ben ekendo rf ©. 88, bei Preuf &. 95.
9) ©. Preuß ©. 98. Ob ber Kronprinz bie Hinrichtung mit habe
anfehen koͤnnen, ift ziemlich gleichgültig. Der Water wollte es allerbingie
es geſchah aber Wieles nicht ganz fo wie er es befohlen.
Der Kronprinz in Kuͤſtrin. 609
vom Leben gebüßt habe. Das muͤſſe doch ſehr vorfichtig ges
chehen und, weil ber Prinz ein verfchlagener Kopf fei, wohl
Acht gegeben werben, daß er wahre Reue zeige. Berner fole
ih Müller bemühen, den Prinzen von der unbebingten Gna-
venwahl abzubringen, ben Ungrund biefer Lehre aus ber hei⸗
igen Sceift darthun und, weil ber Prinz ein ingenieufer
Ropf fei, deſſen Einwuͤrfe kurz und 'grimblic widerlegen.
Benn das dem Prinzen zu Herzen gehe, fole Müller bei
‚iefem in Küftrin bleiben.
Gleich nach der Hinrichtung Katte's ließ der Kronprinz
sem Prediger. Müller rufen, war aber dermaßen erfchüttert,
ya er fich nicht vecht fammeln konnte. Nachmittags war der
Prinz fehr bewegt, als ibm Müller mehrere Puncte vorhielt,
velche Katte ihm aufgetragen. Katte bat darin ben Prinzen
ınter Betheuerung, daß er ihm Leine Schuld wegen feines
Todes beimeffe, doch im fi zu gehen, Gottes Hanb und Vor⸗
chung zu erkennen, ſich feinem Vater zu unterwerfen und bier
em gehorſam zu fein, auch nicht benen zu folgen, welche feis
em Leidenfchaften feomeichelten, fondern denen, welche fich
hnen widerfegten. Der Prinz zeigte fortwährend dem Pre
Jiger viel Zuneigung und Vertrauen, erflärte, daß er fein Un-
‚echt einfehe und ſich aud in dem Verhoͤren ſeht vergangen
yabe, das fei aber gefhehen, weil ihm Niemand beweglich
ınd ohne harte Drohungen zugerebet, wodurch es denn zum
Keufferften gefommen, was er bereue. Schwerer war ed, ihn
von ber Lehre der unbebingten Gnabenwahl abzubringen, doch
nuch von deren Unhaltbarkeit ſchien er ſich bald zu überzeugen,
o daß ber Prediger den König inftändig bat, barınerzig zu
ein und dadurch den Prinzen zu beruhigen, welcher fonft wes
yen anhaltender und zunehmender großer Traurigkeit rettungs⸗
08 in eine fchwere Gemuͤthskrankheit verfallen würde.
An demfelben Tage befahl, auf Müllers frühere Berichte, der
m Grunde feines Herzens wirklich gutartige, ja eigentlich weiche
Bater diefem, zu dem Prinzen zu gehen, und ihm, wenn er
»or Gott verſpreche, daß er feine Suͤnden von Herzen bereue
ind feinen Vater um Verzeihung bitte, anzuzeigen, ber König
8
volle ihm zwar noch nicht ganz verzeihen, boch aus ber fhars "
en Haft entlaffen und ihm Leute geben, bie feine Aufführung
Stenzel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats. III. 39
610 Bud VL Drittes Hauptfläd.
überwachen ſollten. Ex ſolle dann nur noch Gtabtarreft haben
und vom Morgen bis zum Abend bei der Kriegd» und Des
mainenkammer und der Regierung fowohl in oͤkonomiſchen
Sachen arbeiten, ald Rechnungen abnehmen, Acten nachleſen
und Ertracte machen. Vorher müffe er aber einen koͤrper⸗
lichen Eid ohne Gedankenvorbehalt nicht nur nachmurmeln.
fondern laut und deutlich ſchwoͤren, des Könige Befehle und
Willen genau wie ein treuer Diener, Unterthan und Gotha
nachzuleben; wenn er jedoch wieder umfchlagen, auf bie alım
Sprimge kommen und den Eid brechen würde, folle ex Kront
und Kur bei der Erbfolge, auch nad Umftänden wohl gar
das Leben verlieren ımb Feine Entſchuldigung flattfinden. Uebi:
gend möge er fich gebulben, bis Alles zu ber neuen Eimmid-
tung bereit fei. „Gott gebe feinen Segen“, ſchloß der Koͤrig
„unb der Heiland helfe, daß diefer ungerathene Sohn zu feine
Gemeinſchaft gebracht, fein Herz zerknirſcht, erweicht und ge
ändert, auch dem Satan aus den Klauen geriffen werben möge”
10. Rod, Müller erhielt vom Kronprinzen die Zufage, ſtandhaft ba
1730 dem ernftlichen Vorſatze der Lebensbefferung und im Gehorfem
gegen feinen Water verbleiben zu wollen, und erfreuete ihm
darauf durch die Nachricht von feiner Begnadigung; doch
wollte der Prinz vorher die Eibesformel uhb die dazu gedoͤti⸗
14. Ron. gen Puncte fehen. Unterdeffen foderte der König den Felt:
1730 prediger Müller auf, unabläffig an des Prinzen Bekehrung ju
arbeiten und ihm vorzüglich den ſchweren Irrthum von te
unbebingten Gnadenwahl zu benehmen ).
Die vom Könige angeordnete, aus dem geheimen Rath
v. Thulemeier und fieben Generalen und Oberften beſtehende
Commiſſion begab fi daranf nach Küftrin ymd uͤberſchicke
dem Prinzen die vom Könige eigenhändig aufgefeßte Eidesfer:
mel, indem fie ihm 24 Stunden Zeit zur Ueberlegung gab,
ob er mit gutem Gewiſſen zu ſchwoͤren denke. Der Kronprinz
ſchidte die Eidesformel ſchon früher mit den Worten zurid,
daß der Eid ihm zu halten nicht ſchwer, weil ex feft entihlef:
1) Bias Ir ——— — Friedrichs —E welcher ein |
merkwuͤrdigen ſel über ehemaligen Aufenthalt des gedachtea
Königs in Küftein enthält. SWBerlin 1788.
Der Kronprinz frei in Kuͤſtrin. 611
fen ſei, ſich in Bufunft voͤlig nad des Königs Willen und
Befehle zu richten. Er leiftete ihn auch am naͤchſten Sonn⸗ 19. Rov.
tage in Gegenwart der Gommifflen, erhielt anflänbige Civil 1730
Meldung, wohnte bem Gottesbienfte bei, genoß ba8 heilige
Abendmahl und bat feinen Water fehriftlich, ihm zu verzeihen,
wie er fich deffen Gnade gaͤnhlich unterwarf). Er wurde
nun fo weit in Freiheit gefegt, daß er in ber Feſtung umher⸗
gehen, fie aber nicht ohne Fönigliche Erlaubniß verlaffen durfte.
Im einer 18 Bogen langen Inftruction, welche beflimmte,
daß er Tünftig gar nicht mehr zum Kriegsdienfte, fondern nur
zu Regierungsgeſchaͤſten gebraucht werben folle (mogegen er
jedoch dem Könige, als ihm fehr ſchmerzlich, Vorſteliungen
machte), wurde angeordnet, was er täglich als Affeflor bei
der dortigen Kriegds und Domainenkammer thun und daß er
auch alle Berichte derfelben mit unterfepreiben fole. Um ihm
die franzoͤſiſche Tracht zu verleiden, erhielt er eine koſtbare
nad ber neueften franzoͤſiſchen Mode verfertigte Kleidung,
doch wurde ihm verboten, franzöfifch zu ſprechen und zu fehreis
ben, damit er fi die Liebe zu ausländifhen Manieren abge
wöhne, wie der König zu Sedendorf fagte”). Es wurde dem
Prinzen ein befonder6 für ihn eingerichtetes ‚Haus übergeben
und fie eine paffende und anſtaͤndige, doch nur aus Civilbe⸗
amteten beflehende Umgebung zur Uebermachung, Geſellſchaft
und Bedienung deſſelben geforgt”).. Der König ließ durch
feine Gefandten an auswärtigen Höfen befannt machen, er
habe feinen Sohn auf von diefem bezeugte herzliche Reue bes
gnadigt und ihm zur Prüfung feines Gehorfams die Stadt
Küfkrin zum Aufenthalte angewiefen. Dem Kaifer verficherte
er, nur beffen Verwendung verdanke ber Kronprinz bie erfolgte
Begnabigung*).
1) Bei Körfter Friedrichs Jugendjahrt S. 126.
2) Sedtendorfs Bericht bei Börfter Ahl. II. S. 10 u. 11.
3) Der geheime Rath v. Wolden wurde Hofmarſchall des Kron⸗
pringen. Der König nannte feinen Sohn in Briefen an Wolden deſſen
Untergebenen, in Preuß Urkundenb. IL ©. 169 u. 1700. 5. u. 11. Aus
guft 1731.
4) Preuß Friedrichs Sugenb ©. 120. Die Schreiben bei Börfter
iedrichs Jugendjahre ©. 115 ff. x
39
612 . Bud VL Drittes Haupefüd
21.Rov. Der Kronprinz wurde nun als jüngfler Krieg und De
1730 mainenrath "bei dem Gollegium eingeführt. Ais der Binifin
v. Srumblow glei) am folgenden Tage dem Könige zwi
vom Kronprinzen ganz eigenhändig gefchriebene Kammerrelatie
nen und eine dritte nur umterfchriebene übergab und anftug
ob daS ferner fo gehalten werben folle, fchrieb der König
barunte: Brig fol nicht blos unterfhreiben, er fol feihk
— 8*
Der Prinz arbeitete nun regelmaͤßig bei ber Kammer, er
hielt vom Kammerbirector Hille Unterricht in Finanz⸗, Han:
dels, Manufactur⸗ und Polizeifachen und vom ——
Hünide in der Landwirthſchaft und Domainenverwaltung, und
Iegte unfkreitig hier den Grund für die einem preuffifchen Ri
nige fo unumgänglich nöthige Kenntniß der wichtigſten Ber:
waltungszweige”). Mancherlei Erholungen durch Saͤlle und
Feſtlichkeiten verfchafften ihm feine Umgebungen ,
der Kammerpräfibent v. Mimchow und deſſen Samilie, welde
Alles, was fie vermochten, beitrugen, um ihn zu erheitern
Auch die Flöte wurde wieder fleißig geblafen. Er ya ana
neuen Freund in dem Hauptmanne v. Knobelsdorf, ber wegen
feiner ſchwaͤchlichen Gefunbpeit, und um gen ei feine Neigung
zur Malerei und Baukunſt leben zu koͤnnen, den
Februar aufgab’). Seinem jungen Freunde Natzmer ſetzte ber Kron-
A731 pring wohl auseinander, daß Preuffen, um fi aus bem
Staube zu erheben und an bie Spige des Proteſtantismus zu
treten, benachbarte Länder, zunaͤchſt Weflpreuffen, des 8
ſammenhangs mit Oſtpreuſſen wegen und um den Polen einen
Baum anzulegen, dann bad fehwebifhe Pommern und Jülich
und Berg erobern muͤſſe ).
Dennoch war ihm biefe eingefchränkte Lebensweife in
Fern Küftein bald Aufferft zuwider), und er wendete Alles an,
1) Bei Börfter Briedriche Jugendiahre ©. 185.
2) Preuß Friedrichs Jugend ©. 124 ff.
3) Ebendaſ. ©. 122,
4) Bei Foͤrſter Thi. II. ©. 17.
5) Hille an Grumbkow 4. April 1781 bei Körfker TH. IE. ©. 21.
Bolden an Grumbkow 28. Apr. 1781.chendaf. S. 41.
Der Kronprinz frei in Küſtrin. 613
was er vermochte, um ſich ihr fo bald als möglich zu ent⸗
ziehen. Er fah jetzt wohl ein, baß er das nur durch feinen
Water koͤnne bemühete ſich daher auf jede Art, diefen günftig
fir fih zu fimmen. Das folgfamfte Eingehen in des Waters”
Anfichten, die Ausdrüde der größten — die hoͤchſten
Betheuerungen, wie hoch er die Gnade des Vaters ſchaͤtze,
und ſonſt vorſichtiges Benehmen in Beziehung auf dieſen ),
führten ihn, wie es (dien, dem Biele nicht merklich oder doch
nicht ſchnell genug näher”). Nun wuffte er fehr wohl, daß
feinem Water die ſchon oft erwähnten Entwuͤrfe zu Heiratbe⸗
verbinbungen mit dem Haufe Hannover hoͤchſt verhaſſt waren,
und daß er feine Gemahlin und ſeine aͤlteſten Kinder im Ver⸗
mit. beffen Abfichten und den poliifchen Verdatniſfen ber
europdifchen Staaten, aber im Grunde immer voll von Stre⸗
ben nach Macht, erflärte er [eriftlich dem General Crumblom, April
ex verzichte auf jede Heirath gegen feined Vaters Willen, wolle 1731
ganz auf deſſen Abfihten eingehen und fogar Die ältefte Xodhe
ter des Kaifers, Maria Therefia, heirathen, ohne doc bie
Religion zu ändern, was er um keinen Preis aus weltlichen
Rüdfichten thun werde. Er glaubte, ber Faiferliche Hof nehme
Beine Ruͤckſicht mehr auf den Herzog von Lothringen und es
fei fein anderer geeigneter katholiſcher Prinz vorhanden. Wenn
der Prinz von Wales dann die Prinzeffin Wilhelmine von
Preuffen heirathe, fo werde England bie pragmatiſche Sanction
unterflügen, er aber zu Gunften feines jüngeren Bruders Wil⸗
beim auf die preuſſiſchen Staaten verzichten, fobald pan ihm
werde bie Mittel angewielen haben, fir bie Zeit der Lebens⸗
dauer des Kaiſers anftändig zu leben’). Grumbkow war über
diefen Vorſchlag wie aus den Wolken gefallen und ſchickte ihn,
2 On garde le decorum. Hille an Grumbkow bei Börfter III.
"nm sn hm dv Pan A
Grumblow im April an Hile auseinander, ehendaf. ©
3) Ebendaſ. ©. 21.
614 Bud V. Deittes Hauptftäd.
unftreitig nach mit Seckendorf genommener Kuͤckſproche, eilig
nach Küftrin zur, um ihn zu verbrennen, weil er ben Rs
nig Aufferft erbittern würbe. Mie werde eine Erzherzogin einen
anderen ald einen katholiſchen Prinzen von altem Gchret und
Kom heirathen, und auch in die Heirath der Prinzeffin Bir
helmine von Preuffen mit dem Prinzen von Wales fei von
Georg UI. immer nur unter der Bebingung eingewiligt wor
ben, daß ber Kronprinz die Prinzeffin Amalie von Englası
heirathe . Grumbkow verſprach, alles Mögliche “beizutragen,
um ben König wit dem Kronprinzen außzuföhnen; Alles Tomme
darauf an, daß Beide einander einmal fähen. Er kenne bei
Her des Königs, deffen Zärtlichkeit ſich dann ſicher auf eine
den Prinzen überrafchende Weiſe zeigen werbe').
Der ſcharffinnige Eugen, welcher mit Seckendorf glaubte,
der Kronprinz. habe feine Erklaͤrung nur gegeben, um de
oͤſterreichiſchen Partei am berliner Hofe eine Falle zu legen
meinte doch, man ‚erkenne daraus, wie aus den ihm vorher
ſchon befannten Eroberungsentwuͤrfen des Kronprinzen: „was
vor weit ausſehende Ideen dieſer junge Here habe, und wie
wohl felbige noch flüchtig und nicht genug überlegt feim, fo
muͤſſe es ihm doch an Lebhaftigkeit und Wernunft gar nit
fehlen, mithin er mit ber Beit feinen Nachbarn um fo gefaͤhr⸗
licher werben bürfte, werm er von feinen bermaligen Prins
Be nicht abgebracht werde ).“
er König ſchickte nun dem Prinzen geiflliche Bücher,
Fon Vefer ſich ſehr unterwärfig bebankte, und verficherte,
daß es fein größtes Vergnügen fei, dem Willen des Königs
aud darin nachzuleben, nicht aus Zwang, fondern aus der
aufrichtigen Abfiht, ihm zu gefallen, unb in ber Hoffnung
feine Gnade dadurch wieder zu erlangen. Der König erwie⸗
derte darauf in dem erflen Briefe, den er feit dem unheilvol⸗
3. ar len Fluchtverſuche an feinen Sohn ſchrieb: „Wollte Gott, Ihr
1731 hättet meinen väterlichen Rath und Wilen von Jugend auf
befolgt, fo wäret Ihr nicht in ſolch Unglüd verfallen, denn
die verfluchten Leute, die Euch infpirirt haben, durch die welt:
1) Grumbkow bei Foͤrſter IIL ©. 25.
2) Eugen ebendaf. ©. 27.
Prinzeſſin Wilhelmine 615
lichen Bücher klug und weife zu werden, haben Eu bie
Probe gemacht, daß alle Eure Klugheit und Weispeit zu
nichts und zu Quark geworden.” Er wife mebr, als der
Prinz bei der Commiffion auögefagt, zum Beweife, daß Falſch⸗
beit zu nichts helfe: „Gott gebe aber“, fuhr er fort, „daß
Euer falſches Herz durch Euren Arreft möge vollkommen ges
beſſert werben ’)." Wal darauf geſchah ein Schritt, welcher
wirkfamer zus Befreiung des Kronprinzen war, als alle Bits
ten und Demüthigungen, denen er fih unterziehen muſſte.
Ungeachtet fo vieler bitteren Erfahrungen hatte die Rds
nigin, welde ihres Gemahls Wankelmuth in allen Dingen,
bie weder bad Heer noch bie Finanzen angingen, fehr wohl
Tannte, dennoch die Hoffnung nicht aufgegeben, ihre Tochter
Wilpelmine mit dem Prinzen von Waled zu vermäßlen. Gie
prägte diefer, welche noch fortwährend auf ihr Zimmer bes
ſchraͤnkt war, auf das Nacbrhdlichfte ein, ſeſt au bleiben,
allen Stinmen Trog zu bieten und jeden Vorſchlag zu einer
anderen Heirath abzumeifen, ja fie ſoͤhnte fich fogar mit dem
ihr tödtlich verhafiten Grumbkow ſcheindar aus, als biefer
feinen Beiftand zur Erreichung des ſehnlich gewimfchten Ziels
zuficerte‘). Doc war das ohne allen glinftigen Erfolg. Auf
eine ſtolze Anfrage Friedrich Wilhelms über die Vermählung
der Pringeffin Wilhelmine mit dem Prinzen von Wales erfolgte
eine noch flolzere Antwort Georgs IL: wenn nicht bie Wer
mäplung feiner Tochter mit dem Kronprinzen ftattfinden folle,
werde er feinen Sohn vor Ablauf des Jahrs vermählen.
Friedrich Wilhelm antwortete mit umgehender Poſt: er habe
befchloffen, feine Tochter noch vor Ablauf von zwei Monaten
zu vermählen und bereitö Alles dazu vorbereitet. Die Königin
war in Werzweiflung, allein, ungeachtet fie wieder auflers
orbentlich durch die harte Begegnung zu leiden hatte, bie fie
von ihrem Gemahle erfuhr, der dadurch aud von Neuem hef:
tig auf ben Kronprinzen erbittert wurde, gab fie ihre Hoff:
1) Bei Preuß Urkundenb. II. ©. 166. Vergl. Wolden an Grumb«
tow v. 5. Mai 1731 bei Börfter II. ©. 48.
2) Memoires de Bareith I. p. 281 s.
616 Bud VL Drittes Yauptflüd.
mungen auch jegt noch nicht auf‘). Indeſſen waren alle Bor:
Kelungen, Bitten und Thränen vergeblich. Auf Befehl des
Königs muffte Grumblow in Anwefenheit der Minifter Bork,
Podewils und Zhulemeier der Prinzeffin Wilhelmine vorftellen,
fie reize ihren Vater von Neuem gegen ben Kronpringen, fie
folle daher, nachdem jede Ausſicht zur Vermählung mit dem
Prinzen von Wales verfhwunben fei, nunmehro ben Exbprin-
sen von Baireuth heirathen, ben bie Königin ja früher feibk
vorgefchlagen und gegen ben fie feinen Wiberwillen haben
koͤnne, weil fie ihn noch gar nicht gefehen. Wenn
fam fei, wolle ihr der König doppelt fo viel als ü
ſchwiſtern geben, ben Kronprinzen gleich nach ihrer
in Freiheit fegen, alles Vergangene vergeffen und ih:
ber Königin gut begegnen. Weigere fie fi, fo zeigte er
Befehl des Könige vor, fie fogleih nad Memel zu bringm
und bie rau v. Somäfelb. ihre Hofdame, und ihre übrige
Dienerfchaft mit der aͤuſſerſten Strenge zu behandeln.
Auf die Bedingung, daß der König feine Gemahlin beſſer
behandeln, ihren Bruder in Freiheit fegen und den Hausfrie⸗
ben herſtellen wolle, unterwarf ſich enblich die Prinzeffin bem
Willen ihres Vaters und bat nur darum, daß fie die Einwil⸗
ligung ber Königin erwirken birfe. Auf dringende Vorſtellun⸗
gen der Minifter wiligte fie endlich ohne Bedingungen in de
Mitte Mei Königs Willen, und die Minifter ſchworen ihr zu, daß fie
1731 Alles, was fie vermöchten, thun wuͤrden, damit ber König bie
ihr zu Gunſten der Königin und bes Kıonprinzen gemad-
ten Verfprehungen halte?). Nun begegnete ber im Grunde
gutortige König feiner Tochter fo väterlih gütig, ald wenn
nichts vorgefallen wäre, bie Königin aber wollte fie in ber
erften Hige nicht mehr für ihre Tochter anerkennen, und ſchwor
ihr ewigen Haß. Doc berubigte fie fi bald und fand fi,
;
BH
1) Mömoires de Bareith I. p. 289. Daß ber König fo weit ging
feine Gemahlin mit dem Gtode ſchlagen zu wollen, wurde der Prim
aeffin eräßlt daf. p. 2915 wie übermüthig ſich der an Secendorf ven
Taufte Rommerbiener beö Königs, der für höchft tren gehaltene Eoersmann,
gegen bie Pringeffin Wilhelmine benahm, ſ. baf. p. 292.
2) Mömoires de Bareith I. p. 294 «,
Verlobung der Prinzeffin Wilhelmine 617
obwohl fehr widerſtrebend, In das Unvermeibliche, doch allein
aus Iebhafter Furt vor bem Könige‘). Diefer Tieß feinem
Sohne (wahrfcheinlich in einer augenblicklich — Verſtim⸗
mung) durch den geheimen Rath Wolden ſagen, der
ſolle fi gewöhnen, ein ſtilles Leben zu führen, ſich das frans
zoͤſiſche und englifche Weſen aus dem Kopfe fchlagen, alle
Petitmaitreß, franzöfifche und politifche Falſchheit laffen, nur
feines Waters Willen thun, dem treu, nichts als preuffifch
fein, ein beutfches ‚Herz haben und Gott fleißig anrufen. Er
folle auch wiffen, daß feine-dltefte Schwefter fi) in vier Wos
hen mit dem Erbprinzen von Baireuth verheirathen unb das
durch mit England voͤllig gebrochen werde. Auch ber Krons
priny folle heirathen, wenn es bem Water belieben werde,
aber feine engliſche Prinzeffin, doch werbe ihm aus etlichen
bie Wahl gelafien werden *). Der Kronprinz ließ dem Ks
nige, weil er felbft nur einmal monatlich ſchreiben burfte, feine
volle Zufriedenheit mit Allem bezeugen, was der König thue,
ee unterwerfe fich blindlings allen Befehlen deſſelben und hoffe,
dieſe Ausjöhnung werde au für ihn ein Vorbote ber Königs
lichen Gnade fein’). Wirklich aber war er anfangs fehr miss
oergnuͤgt über daB Schidfal feiner Schwefter, bie er gem auf
dem engliſchen Throne gefehen hätte‘). Als er indeſſen erfuhr,
wie ftolz ſich gegen feinen Water der König von England bes
ıommen, biligte er die Wahl feiner Schwefter und feines
Baterd Verfahren als von den Gefegen der Ehre vorgefchries
ven‘). Er felbft wurde dadurch fo gereist, daß er fich aufs
ichtig von England abzuwenden anfing®). Die feierliche Vers
1) M&moires de Bareith L p. 803, vergl. p. 812 u. 813.
2) Wolben an Grumbkow v. 2. Zuni 1731 bei Börfter IIL ©. 46.
3) Wolben an ben König v. 26. Mai 1731 kei Preuß Urkundenb.
L ©. 167, R. 37, wo Beile 1 flatt v. 3. Mai, unftreitig dv. 25. Mai
1 leſen iſt. Vergl. Preuß Friedrichs Jugend S. 129 und Woldens
zrief bei Foͤſter IT. ©. 46.
4) Hille an Grumblow vd. 19. u. 26. Mai u. 2. Juni bei Foͤrſter
U.®. ff.
5) Derfelbe an benf. v. 26. Mai baf. ©. 44.
6) Derſelbe v. 5. Juni 1731 daf. ©. 48.
Prinz 25. Mai
1731
618 Bud VL Drittes Hauptftüd.
lobung der Prinzeffin Wilhelmine mit dem Exbprinzen ven
3. Junl Baireuth fand flatt, der große Schmerz der Königin wurde
1731 oper verdoppelt, als an demfelben Tage die beftimmte Gench-
migung des Königs von England zur Vermäplung ihrer Zod-
ter mit bem Prinzen von Wales eintraf, ohne daß zuglaäd
die Vermählung des Kronprinzen mit einer englifchen Pris
zeſſin verlangt wurbe. Noch jest hoffte die Königin, obwohl
ohne Erfolg, die bereits eingegangene Verbindung ihrer Zoch⸗
ter mit dem Erbprinzen von Baireuth zu trennen ').
Der König war für den Water diefes Prinzen, ben Mark:
grafen Georg Friedrich Karl, eingenommen. König Friedrich L
batte (1703) von. dem Markgrafen Chriftian Heinrich befien
Erbfolgerecht auf das Baireuthiſche, wenn bed regierenden
Markgrafen Chriſtian Ernſt Linie ausferben würde, für ein
Summe Geldes und Abtretung des Amts Weverlingen erkauſt
daher. die Feſte Plaffenburg mit feinen Truppen befegen laſſen
weil er aud dem Markgrafen Chriftian Ernft 600,000 Ze
ler geliehen. Als dieſer (1712) flarb und fein Sohn werig
‚Hoffnung haste, noch männliche Nachkommen zu erhalten, fo
verließen die Söhne des ſchon vorher (1708) verſlorben⸗
Markgrafen Chriſtian Heinrih (1715) Weverlingen, fagter
dem Könige Friedrich Wilhelm den von ihrem Vater (1703;
eingegangenen Vertrag auf und fingen (1716) bei dem Feiche
bofcathe einen Proceß darlıber an. Der Reichshofrath ſprea
für fie, Friedrich Wilhelm ſchloß jedoch (1724) mit ihnen einer
Vertrag, gemäß befien fie für die Verzichtleiflung des Köniz!
auf die (1703) vertzagene Erbfolge Weverlingen an ihn je
rüdgeben und ber aͤlteſte von ihnen, Karl, ſich verpflichtete
fobald er werde zur Regierung gekommen fein, jaͤhriq
50,000 Thaler von den dem Könige fchuldigen 600,000 Ihe
lem zu bezahlen. Das that der Markgraf Karl wirklich, fer
dem er (1726) zur Regierung gelangt war, indem er fih ze
gleich aufferordentlich einfchränfte. Das hatte dem felbft fpan
famen Könige Friedrich Wilhelm fehr gefallen, weshalb a
auch in die von feiner Gemahlin obwohl nicht in .ernftliche
Abfiht vorgefchlagene Wermählung feiner Tochter mit dem
1) Mömoires de Bareith L. p. 312.
Baireuth. Friedrich Wilhelm. 619
Sohne des Markgrafen willigte). Er war in biefem Puncte
in viel zw rechtlicher und frommer Mann, als daß er hätte
nun noch bewogen werben koͤnnen, die eingegangene Verpfliche
ung dufferer Vorteile wegen wieder aufzugeben). Ehe er
ıber nun dem Kronprinzen mehr Freiheit gab, wuͤnſchte er,
mmer noch voller Argwohns gegen ihn, ber Prinz ſolle ſich
iber feine Verheirathung erklaͤren.
Durch dad erwachte Selbſtgefuͤhl war allerdings. bie Neis
nung des preuſſiſchen Thronerben für England geſchwaͤcht,
vennoc würde die Mutter wohl im Stande gewefen fein, vers
sunden mit den vielen Vortheilen, welche bie Verbindung mit
iner englifchen Prinzeſſin in jeder Rüdfict bot, ihm für eine
olche zu flimmenz allein ber König war ganz entfchieben das
jegen und Friedrich gefangen ganz in beffen ‚Bänden, auch
vereit, feine Freiheit durch jedes mit: feiner Ehre vertraͤgliche
Ipfer zu erfaufen. Grumbkow ſchlug nun bei einer Reife
urch Küftein dem Prinzen vor, ſich für. eine von drei ihm
ur Auswahl genannten Prinzeffinnen zu erklären. Friedrich
ntſchied fi) für eine von diefen, die fechzehniährige Tochter
ed Herzogs Ferdinand Albrecht von Braunſchweig ⸗Bevern,
Schwefter des Herzogs Karl, feines künftigen Schwagers,
inter ber Bedingung, daß fie weder einfältig noch wibrig fei?).
Inftreitig hatte die öfterreichifche Partei und jest unmittelbar
Srumblow zu dieſer Wapl viel beigetragen, benm die Prin⸗
effin Elifabeth Chriſtine war die Nichte der Gemahlin Kaifer
darls VI. und fon einen Monat vorher hatte ber Prinz
Eugen gemeint, ber Kronprinz werde von feinen gefährlichen
troberungsgedanken nicht anders als burd eine Bermählung
zit einer bevernfchen Prinzeffin abgebracht werden‘). Grumbs
1) Buchholz Thl. V. ©. 85.
2) Das im Iuni 1731 noch ein Verſuch dazu gemacht werben follte,
uffte der SKeonpring. Gedtendorf an Gugen d. 19. Juni 1781 bei
drfter II. ©. 75.
2 mi sotte ni degoütante. Gedtendorf an Eugen v. 19. Juni 1731
aD.
4) Eugen an &edenborf v. 12. Mai 17313 doch ſieht man aus der
rt der Erwaͤhnung des Gegenſtandes, daß davon ſchon früher die Rede
eroefen. Die Mutter der Pringeffin Eliſabeth war bie Schweſter ber
:aiferin.
Suni
1731
. 60 Bud VI. Drittes Hauptfiüd.
kow, welcher jegt, nachdem ſich der Kronprinz (dem
mach) vertrauungsvoll an ihn gewendet, Alles that, um ihe
mit dem Könige auszufshnen, hatte ihm zugleich durch der
Kammerdirector Hille veranlafft, den König um —— a
bitten, ihm bei deſſen Worlberreife nach —e bie
kuſſen zu bünfen, Der König ließ ihm aber — Pen
er ſolle in Kuͤſtrin bleiben: „und werde bie Zeit ſchon willen,
wenn. das böfe Herz wahrhaft gebeffert und Beine Heuchelä
mehr darin zu finden iſt.“ Uebrigens bezeugte ex feine Ze
friedenheit damit, daß fein Sohn ſich als Untergebene ;
feiner Borgefegten Bufriedenheit anlaffe. Diefer wollte darüber
voͤllig verzweifeln, daß er durch alle feine beiviefene Unterwir
figfeit nichts erreiche, inbem er gar kein Ende feiner Enticfun
aus ber Balcere (Küftrin)“ ſehe ).
ohne ihn: zu ſehen. Aus Preuffen zuruͤckgekehrt, ließ er ke
daher fagen, er werbe nach Gonnenburg zum Ritterſe
gehen und aud nach Küftein Fommen und ihn fehen, um fi
mit eigenen Augen zu Überzeugen, ob er fich gebeffert habe ode
nicht. Ex möge fich nur nicht verfiellen, denn das werde be
König nicht gut aufnehmen. Gr folle in feinem Quartim
bleiben, bis ihn fein Water werde holen laſſen, der, ohne fit
| lange aufzuhalten, wieber wegfahren wolle’). Als ber = Kick
| 15. Xug. (an feinem Geburtötage) nur in Begleitung Grumbkoꝛ
1731 Derſchau's nach Kuͤſtrin gekommen und im —— —
hauſe abgetreten war, befahl er, ben Kronprinzen — ze
bringen. Diefer erſchien ſogleich und fiel feinem Bater x
\ Zügen, welcher ihm befahl, aufzuflehen und ihm ausführkt
' feine Fehler und Vergehen vorhielt, befonbers, bag er wid
HE
! 2) Getnbort un Saan d. 19: Juni 1781; en passant. Dr
j Sönle re Muterung ber Kenppen mad) Prrufn und baag ı
\ 5. Juli das — bei Welau. Königs Berlin I. ©. 208.
i 2) Wolben an Grumblow v. 25. u 178, vergl. beufelben ı
21. —* bei Foͤrſter III, ©. 49 u. 60.
Der König an Wolben v. 5. u. 11. Aug. 1731 in Preuß ir
unten Te oe 17 |
Der König in Küfein 62
Unwürdiges nicht aus Leichtſinn, fondern vorfäglic gethan,
and fich ihm widerfegt: „Ihr habt gemeint, mit Eurem Eis
yenfinne durchzukommen, aber höre, mein Kerl, wenn Du
zuch fechzig und ficbzig Jahr alt wäreft, fo ſollteſt Du mir
richts vorfchreiben. Da ich mich bis dato gegen Jedermann
outenirt, wird es mie am Mitteln auch nicht fehlen, Did)
jur Raifon zu bringen.” Vorzuͤglich aufgebracht zeigte er fi)
10% barlıber, daß ber Prinz, als ihn ber König vaͤterlich ers
nahnet, ale Schulben anzugeben, um fie dann fämmtlich zu
»ezahlen, doch nicht fo viele Hunderte befannt, als es Zaus :
ſende gewefen. Diefes Mistauen habe ihn am meiften ges
!ränkt, während doch Alles, was ex für die Vergrößerung bes
Haufes, des Heers und ber Finanzen thue, nur für feinen
Sohn wäre, wenn ber ſich deſſen würdig made. Er fragte
yann den Kronprinzen, ob er nicht habe nach England
ven wollen, und ſchilderte ihm, als biefer es bejahete, bie
chrecklichen Folgen, welche ba$ für die Königin, die Prins
yeffin Wilhelmine und fir Hannover gehabt haben wuͤrde, da
x zum Aeuſſerſten entſchloſſen geweſen und wenn es ihn Les
hen und Sand hätte koſten folen. Seht fei Fein Mittel, den
Rronpringen in Kriegs⸗ und Givilgefcpäften zu gebrauchen, als
>aß er feinen Fehler auf jede Weiſe gut made. Knieend bat
darauf der Prinz, ihn auf die härteflen Proben zu ſtellen, er
wolle Alles auöfichen, um feines Vaters Gnade und Achtung
vieber zu gewinnen. Der König fragte darauf feinen Sohn,
ob er Katte oder biefer ihn verführt? Ohne Zögern antwors
:ete der Prinz: „Ich habe ihn verführt”, worauf der König
agte: „Cs ift mir lieb, daß Ihr einmal die Wahrheit fagt."
Nicht ohne derbe Bitterkeit und fcharfen Hohn hielt er ihm
»ann noch feine Fehler vor, bie franzöfiihen Manieren, bie
Misbilligung der Handlungen feines Waters, die Neigung zu
Schmeichlern und den Widerwillen gegen ehrliche Männer und
‚eigte ihm dann die fhredlichen Folgen des Glaubens an die
ınbebingte Gnadenwahl, worauf der Prinz hoch und tpeuer
serficherte, daß er nunmehr ganz ber Meinung feines Vaters
yeiffimme. Diefer ermahnte ihn jegt zärtlich zur Frömmigkeit
md verzich ihm in Hoffnung auf beffere Aufführung alles
62 Buch VL Drittes Haupeflüd.
Vergangene gaͤnzlich, was ber Kronprinz mit ber größten Se
mirthöbewegung annahm und weinend feine® Waters Fü
kuͤſſte. Als er ſich gleich nachher zum Geburtätage glüdwin
ſchend nochmal zu des Königs Füßen niederwarf, umarnte
und füffte ipn biefer, und als der König fih in dem Wegen
feste, Eüffte der Prinz in Gegenwart vieler hunbert BRenihen
feine Waters Füße, worauf ihn diefer wieder umarmte m
verficherte, er glaube, des Prinzen Reue ') fei aufrichtig, ub
wolle num weiter für ihn forgen, was biefem unausfprechlihe
Freude verunfachte. Er fchrieb gleich darauf an feinen Bater,
verficherte ihm feiner Ergebenheit umb banfte ihm für die be
willigte Verzeihung und wiebergefchentte Gnade. Der kaiſe⸗
liche, holdnbifpe und ſachſiſche Gefanbte beſuchten ihn und
der.geheime Rath v. Wolden gab ihm bei dem Könige des
19. Aug. beſte Beugniß?). Als biefer darauf einen Schneider und einen
1731 Schuhmacher nach Küftrin ſchicte, um feinem Sofme Mef
zu Kleidungeſtuͤken zu nehmen, fo ſchrieb ihm biefer, dei e
dankbar Über feine Vaters Zärtlichkeit nur daran denke, iz
Zukunft fih ganz in deſſen Willen zu fügm. Er gef
feinen Fehler offen ein und fagte alles das aufrihtig aus,
wos bie Gommiffare bei den Verhören nicht hatten von ihm
erhalten koͤnnen. Er geftand auch, daß er verſprochen habe
nur eine engliſche Prinzeſſin zu heirathen, wenn bie Verwäb
lung feiner Schwefter mit dem Prinzen von Wales burchgefegt
würde. „Ich habe bis jegt nicht geglaubt”, fagte er zu feinem
Hofmarfcpale v. Wolden, „daß mein Vater bie geringfie ie
für mich hätte; jegt bin ich überzeugt davon, daß er fie hal
Sonft miöhandelte er mic) wegen einer Kleinigkeit mehr cu
jegt wegen, ich muß es geflehen, eines Hauptverbrechens
1) Grumblows Bericht bei Körfter IIL ©. 50, wo Zreme Fr
wohl ein Drudfehler?
2) Wolden v. 18. Aug. bei Preuß Urkundens. II. S. 170.
8) Pile an Grumblow v. 20. u, 21. Aug. bei Foͤrſter Thl IL
©. 58. Wörfter fagt in der Anmerkung, er habe den hier erwifee
Wrief des Kronpringen an den König Ipl. I. &. 890 mitgeteilt, allce |
der bort beſindliche Wrief ſpricht von gang anberem Begenftänben unb #
doeties 0. 22. Gt 1781. Bergl. Bolden an Grumbon a. a E
Des Kronprinzen Begnadigung. 63
In einer neuen Inftruction fagte der König, daß er jegt 21. Aug
nach angelobtem blinden Gehorfam und bezeugter Beſſerung 1731
beſchloſſen, dem Kronprinzen feine väterlihe und landesherr⸗
liche Gnade in etwas angebeihen zu laffen und danach bie
erſte Inſtruction abzuändern, die Betflunden bes Morgens
und bes Abends follten mit Singen und Beten andaͤchtig fort
gefegt werden. In ber Kammer erhielt ber Prinz nun wirk⸗
lich Sig und Stimme, faß zur linken Hand des Präfidenten,
unb unterzeichnete mit dieſem zugleich. Auf beſonders jedesmal
deshalb nachzuſuchende Erlaubnig des Königs durfte er eins
von fieben benachbarten Domainenämtern in Gefelfchaft eines
Kammerraths bereifen, der ihn in allen Bweigen der Lands
wirthſchaft praktifch unterrichten muflte, aber ohne Schmaus
fereien, auch durfte er Feine Nacht aufferhalb Küftrins ſchlafen;
übrigens follte er zum Vergnügen jagen, reiten und fahren,
wozu ihm der König Pferde und Wagen fchidte, doch nie
allein fein, mit Niemand, am wenigften mit einem Frauen⸗
zimmer allein ſprechen, nie allein fchlafen und an Niemand,
als an den König und die Königin unzueröffnende Briefe
ſchreiben. Er durfte täglich zwei Gäfte bitten umd wöchentlich
zweimal zu Gafte gehen, doch follte kein Frauenzimmer dabei
zugegen fein. Sranzöfifche, auch deutſche weltliche Buͤcher,
Mufit, Spiele und Tanz blieben feharf verboten. Der Prinz
ſollte ſich gewöhnen, bei allen Dingen felbft auf feine Leute,
Pferde, Sattel und Zeug Achtung zu geben, fie in Orbnung
halten, auf der Jagd dad Gewehr laden und putzen und ders
gleichen mehr, überall mit Hand anlegen und nicht Alles durch
andere Leute verrichten laſſen). Vom 1. Sept. an gab ihm
der König monatlich 221 Thaler, wovon aber auch Fourage
für die Pferde, Wohnungsmiethe, Koftgeld für acht Bediente,
Holz, Waͤſche und Beleuchtung beftritten werden mufften ).
Dem fcharffinnigen Prinzen entging es nicht, daß fein
Verhältniß zum Könige fi ohne Grumbkows und Geden:
dorfs Einfluß nicht fo günftig wuͤrde geſtellt und daß biefe
1) Bei Preuß Urkundenb. IT. S. 161.
2) BWolben bei Börfter IT. ©. 61.
624 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck.
ebenfo verſchlagenen als in Verfolgung ihrer Zwecke nf
Iofen Männer immer wuͤrden Gelegenheit haben, bas
Vernehenen zwifden Vater und Sohn wieder zu fiören
*
ihm tauſend Unannehmlichkeiten zu bereiten. Dbgleich er Beide
hinlaͤnglich durchſchaute, haſſte und verachtete, war ex denmq/
in feiner traurigen Lage, wie wir bereits erzählten, gemäthigt
geweſen, ihre Verwendung nachzuſuchen und hatte deren Wir
Tung aud zu feinem Vorthelle erfahren. Er beſchloß das
fortzufegen, ein möglichft gutes Vernehmen mit ihnen herbei:
auführen und fie zur Erleichterung feiner Lage zu bemuten,
ohne ihnen doch einen tieferen Blick in bad Innere feines
ſens zu geftatten ober ihnen gar die Entwinfe, welche er
feine Zukunft als König haben koͤnnte, zu enthüllen.
beiden Männern, welche ohne weitere Rüdfiht nur für
eigenes Intereffe die Zwecke ber oͤſterreichiſchen Politik ver
folgten, lag um fo mehr baran, ſich des Kronprinzen zu ver
fichern, weil fie längft einen ploͤtlichen, fruͤhzeitigen Tod feines
Vaters beforgten. Grumblow hatte für einen ſolchen Fal
vom Haffe der Königin Sophie und bed Kronprinzen Alles
f®
#
-fürcpten und auch für Sedenborf war. es nicht glei
21. Aug.
1731
%. Aug.
1731
gleichgätig,
einen dann mächtigen Feind zu haben. Beide ergriffen daher
nun bereitwillig jede Gelegenheit, fih um ben Kronpringen
zu ziehen ſuchte.
Der Kronprinz ließ Grumblow baber jetzt bitten, übe
offen anzugeben, auf welche Weife er ſich flr die Zußunft zu
benehmen haben werde, um ben König von feinem vol
menen und blinden Gehorfam zu überzeugen‘). Grumbkow,
der den König vollkommen Tannte, bezeugte feinen lebhaſten
Wunſch, die Einigkeit zwifchen diefem und bem Kronprinzen
voͤllig hergeſtellt zu fehen, und verfprach dazu fo viel als mög:
lich beizutragen. Ein natürliches, einfahes, adtungsuoles
e 1) Wolden an Grumbkow v. 21. Aug. 1781 bei Börfter Zu IL |
. 59.
Der Kronprinz und Grumbkow. 6235
Benehmen ohne Zeichen von Verlegenheit werbe dem Könige
am meiften gefallen und eö paflenb fein, dieſen immer Majes
ſtaͤt zu nennen, auch ihm bei jeber paffenden Gelegenheit zu
bitten, doch ja zu — ob ihm —— — In der Uns
terhaltung muß ber Kronprinz genau auf defien Fragen ante
worten, {" nicht wiberfpregen, nichts verſchweigen, feine
Meinung, wenn fie ber des Königs entgegen iſt, mit aller
ſchiclichen Vorfiht in hoͤflicher Form fagen, nicht Partei gegen
ihn nehmen und vorzüglich, ſelbſt in den unbebeutendften
Dingen, einen fpöttifhen und ſcherzenden Ton vermeiden, ohne
doch finfer und zuruͤchhaltend zu erfcheimen. De heiterer deſto
lieber iſfs dem Könige. Der Prinz muß ſich in Feine Anges
Tegenheit ber inneren Staats verwaltung und der auswaͤrtigen
Angelegenheiten auf irgend eine Weiſe miſchen, ja nicht einmal
Neugierde, doch im Verkehre auch nicht Gleichgültigkeit ober
gar Langeweile zeigen, lieber in der Gefelfchaft von Dfficieren
als Anderer fein, Müdficht auf diejenigen nehmen, bie der Ks
nig außzeichnet, die Unterhaltung mit erfahrenen Männern
von geſetztem Alter fuchen, bie Königin ja nicht dem Könige
Aufferlich vorgehen, feiner Schweſter Wilhelmine mit Zurhds
haltung, ben übrigen Geſchwiſtern freundlich und natüxlic,
feinen Schwaͤgern artig, höflich, doch mit einer Beimiſchung
von Ernſt begegnen, bei ber erften Anweſenheit in Berlin in
einer VBerfammlung ber bort anwefenden Generale und Ober⸗
officiere feine Reue bezeugen, ſich des Königs Misfalieh zuges
zogen unb ihm Anfloß gegeben zu haben, darauf betheuen,
daß cr dab, fobalb ſich bazu Gelegenheit finde, gern mit fer
nem Blute ausloͤſchen wolle, endlich den in Kuͤſtrin abgelegten
€id num vor allen Anweſenden geous erneuern; das werde
den Koͤnig am meiſten erfreuen
Der Prinz folgte ben — ehenn einfiht8vollen Rath⸗
ſchlaͤgen, ſchonte ber Schwächen feines Waters, ging aͤuſſerlich
ganz auf deſſen Lieblingdideen ein, bereifte fleißig bie ihm ans
gewieſenen Aemter, machte, unterftügt von erfahrenen Mäns
nen, Veranfclagungen zur vortheilhaften Anlegung von Vor⸗
werfen und überhaupt zur Erhöhung bed Ertrags ber Dos
2) Guben m 26. Aug 17ER I Büren a Le. 54
Stenzel, Geld. d. Preuſſiſch. Staatt. M.
1731
626 Bud VI. Drittes Hauptfüd.
20. Ro. Denmoc durfte er nicht einmal zur Hochzeit feiner Schwes
Her Wilhelmine mit dem Erbpringen von Bairench nad Bas
kin kommen, was ihm erſt auf Woldens Witte‘) am vierte
Tage der deshalb veranflalteten Feſtlichkeiten geftattet wurde.
Auf einem Balle, zu dem auſſer mehreren Civiibeamteten auch
berliner Kaufleute und einige andere honette VPerſenen birngess
83. Nov. lichen Standes nebſt beren Eheliebſten eingeladen wasen‘), ex
Wien er in gauem KXieide zur. großen Ueberrafhung ub
dreude feiner
N Preuß urkundenb. IL & Hi ik “in m. 1}
. Gbrker DIL ©. 62
olben in Brumbins Pr De IT ae HL
©. 6m 68. Bodendorfa deben pl EI,
9) Bile an Grumblew be Jdeſter· wi. Tom
4) olden an ben König v. 10. Ror. 1781 cbendal. SSLI. 6.592.
6) Preuß Friedricha Tugend S. 146 aus ber berliner Beltung-
Helrathsangelegenheiten bed Keonpringen. 627
freundlich anfnahm ). Der lebbaſte umbefonnene ängling
war während ber Stuͤrme faft zum Manne berangereift. Um
ſtreitig that der Prinz, was ihm Grumblow ruͤckfichtlich ber
vor ber Generalität abzulegenden Erklaͤrung und ber Wieder⸗
holung bes Eides angerathen hatte, jedenfalls baten am fols
genden Tage fämmtlihe in Berlin amwefende Überofficiere 24. Ron.
unter Anführung des alten Fuͤrſten Leopold von Deffau den 1731
König um die Wieberaufnafime bed Kronpringen in das Heer.
Als diefer num in ber Uniform bes Golziſchen Infanterieregis
ment) mit dem Könige bei ber Heerſchau erſchien, bezeugte
das Volk laut feine Freude”).
Bald darauf kehrte ber Kronprinz, dem fein Bater mım 4. Dec.
monatlich 500 Zhaler gab, nach Tuͤſtrin zuräd und ernenerte
die Betpeuerungen feiner tiefften Reue, feines unverbruͤchlichſten
Gehorſams und feiner vollkonmenſten Aufrichtigkeit ), ſetzte
bier feine Arbeiten in dem ihm fruͤher angewieſenen Beichäftss
kreiſe noch drei Monate fort unb erwarb fi durch feine
Application immer mehr bed Vaters Zufriedenheit, ber ihn
durch mancherlei Geſchenke an Kleidimgsfihden und Haußges
raͤth erfreute und Wirthſchaftlichkeit ampfahl.
um Sen von ber Königin noß immer wenn gleich fehe
geheim verfolgten Entwurf einer Vermaͤhlung bed Kronpringen
mit einer engiiſchen Prinzeffin, ja felbft des Prinzen von Wa⸗
led mit einer jängeren Schweſter deffelben vbllig zu vernichten
und ben Kronpringen ganz für Defterrei zu gewinnen, betrieb
ber Baiferlihe Hof fehr angelegentlich, doch nur unter bet 29. Ian.
Hand, deſſen Wermählumg mit ber Prinzeffin Euſabeth von 1732
Braunfanveigs Vevern. Gedendorf follte das mit Aufferfter
Vorficht, ohne daß bem Kaifer dadurch bei England, dem er
ſich bereits wieber fehe genaͤhert hatte, Verdeuß erwedt würde,
zu erreichen, auch auf alle mögliche Weiſe bed Kronpringen
1) Mömcires de Bareiih I p. 847.
2) Defien Chef er im Behr, 1782 wurde. Preuß Friedricht Ius
gend ©. 146.
8) Gnglifcher Gefandtichaftsbericht bei Raumer Thl. IT. ©. 562
4) Preuß Urkundenb. IL. S. 186 ff.
40*
hsangelegenheiten des Ktonprinzen. 629
daß ſtille und beſcheidene Frauen bie wenlgſte Uns
it in ber Ehe verurſachten). Dieſer erwiederte in 11. gebr.
"eiben voller Uebermuth und Garfasmen, er ſei be 1732
zu thun, um durch Gehorfam, auch in Dingen,
ven Anfichten geradezu widerfprächen, feines Waters
« behalten, doch möge bie Pringeffin, wenn er fie
nehmen müffe, bei ihrer Großmutter erzogen werben,
wolle lieber ein Hahnrei fein ober. unter bem Pan⸗
den, als eine dumme Frau haben, welche ihn durch
alt vafend mache und bie zu zeigen er ſich ſchaͤmen
doch werbe er ihr und ihren Aeltern mit allem dufferen
ze begegnen, wolle aber lieber die jüngere Schweſter
:, von ber man fage, fie habe wenigſtens gefunben
enverſtandꝰ). Als ihm Grumbkow Vorftellungen dar⸗
‚gemacht hatte, wieberholte ber Prinz baffelbe einige 10. ger.
darauf’). Als nun die Prinzeffin mit ihren Aeltern
Serlin kam und Grumblow fie gefehen, fchilderte er dem
veinzen ihr Aeufferes nicht ſehr vortheilaft, bamit dieſer
ei feiner Ankunft hüͤbſcher fände‘). Auf Sedendorfs
‚nlaffung fügte er hinzu, der Kaiſer wuͤnſche zwar bie
ath ſehr, nicht aber dafuͤr angefehen zu werben, als ob
um bed Königs Familienfachen intriguire, rathe daher zu
‚6, damit ber Kronprinz frei wählen fönne*). Eben hatte 19. gehr,
ser endlich an feinen Water gefchrieben, daß er fi) ganz in
‚tem Wien füge, felbft wenn die Prinzeffin nicht ſchoͤn ſeiz
ar wuͤnſche er, fie vorber zu ſehen. Der König hatte das
oller Freude beren Aeltern mitgetheilt*), ald bes Kronprinz
1) Seckendorfe Relation an Eugen bei Foͤrſter Thl. U. ©. 157.
2) Cbendaf. ©. 161.
8) Ebendaſ. ©. 162.
© Grumbkow an Wolden ebendaf. ©. 169.
5) Seckendorfs Relation ebendaf. &. 157.
Seckendorf an Eugen v. 23. Jebr. 1732 a. a D. S. 79 und
0)
Grumbloto an den Kronprinzen v. 20. Behr. ebendaf. S. 166. In Secen⸗
dorfs angeführten Briefe d. 23. Jebr. wich angegeben, des Kronprinen
028 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck
Vertrauen zu erhalten, ihn, imterftügt von Srumblow, für
as‘ kaiferliche Haus völlig und dauernd zu gewinnen umb
ihm Grundſaͤtze zur Befeſtigung einer unzertrennlichen Freund»
ſchaft zwiſchen Preuffen und Defterreich beipubringen fuchen.
Dazu fei in des Prinzen bermaligen Bedinftigkeit nichts ges
eigneter als Gelb, weshalb ber Kaifer bis 2500 Dus
eaten: bazu beftimmt habe, fie bem Kronprinzen zukommen zu
jaffen, doch fo, baß ber König feinen Argwohn ſchoͤpfe ).
Der König, welcher aufferdem wohl die Vermaͤhlung des
Kronprinzen nicht fehr beeilt Hätte”), wurde jetzt unftreitig von
Grumbkow und Sedendorf dazu veranlafft, ſowie auch wohl
durch den Wunſch, ihn va früher eingeſchlagenen Abwegen
zurhdzubringen und vor weiteren Verirrungen zu bewahren.
4. Febr. Er fchrieb feinen eben von einer Unpaͤßlichteit wieder gnefenm
1732 geben Sohne Zeig fehr herzlich, theilnehmend und Liebevoll:
daß er auf nichts denke, als auf des Prinzen Bohlfein, nd
daher wünfche, er möge fich noch bei bed Vaters Lebzeiten
derheirathen. Da habe er nun bie ältefle Prinzeffin von Be
vern wohl aufgezogen, mobefte und eingezogen gefunden, wie
Frauen fein müfften. „Ste if", fuhr er fort, „nicht Haptid
und nicht ſchoͤn und ein gottesfuͤrchtiges Menfch." Gr woll⸗
das Gouvernementshaus. in Berlin für den Kronprinzen ein
richten laſſen und ihm fo viel geben, baß ex allein wirthfchaften
önne; er folle ſich num balbigft erflären, keinem Menfcen
etioas bavon fagen, und wenn der erwartete Herzog von
Sotheingen, der Moftige Sihwisgefohn deb Kaifes im Berl
eintreffen werde, auch dahin kommen ). Grumbkow ſchrieb
zu gleäher Beit geheim an ben Prinzen und fuchte ihn zu
1) Eugen an Geitenborf v. 29. Ian. in Börfters Höfen, mim
e. Fr und 9. März 1752 in Yörfters Frichrich Walrpelm
&
2) Wie das Schreiben des Kdnige v. 4. Wehr. 1792 vermuthen LA;
auch bei einer anderen Gelegenheit Aufferte es der König. on bem neue
Werhättniffe bes Rronpringen zur Frau d. Srochem hatte der Kinig um
fireitig auch Kenntnif. &. Schulenburgs Brief an Grumbkow v. 4 Du
tob. 1731 bei Körfter Thl. DI. ©. 65.
8) Sbenbaf. Thi. UL ©. 77.
Heirathsangelegenheiten des Ktonprinzen. 629
überzeugen, daß flille und beſcheidene Frauen bie wenigſte Uns
gemäclickeit in der Ehe verurfachten '). Diefer erwieberte init ger.
einem Schreiben voller Uebermuth und Sarkasmen, ex fei bes 1732
zeit, Alles zu thun, um durch Gehorfam, auch in Dingen,
welche feinen Anſichten geradezu widerfprächen, feines Waters
Gnade zu behalten, doch möge die Prinzeffin, wenn er fie
durchaus nehmen müffe, bei ihrer Großmutter erzogen werben,
denn er wolle lieber ein Hahnrei fein ober. unter dem Pate
toffel ſtehen, als eine dumme Frau haben, welde ihn durch
ihre Einfalt vafend mache und bie zu zeigen er fi ſchaͤmen
möüffe; doch werde er ihe und ihren Aeltern mit allem Aufferen
Anftande begegnen, wolle aber Lieber die jüngere Schweſter
nehmen, von der man fage, fie habe wenigſtens gefunden
Menfgenverftand ’). Als ihm Grumblow Vorſtellungen date
über gemacht hatte, wiederholte ber Prinz baffelbe einige 16 gehr.
Zage darauf’). Als nun die Prinzeffin mit ihren eltern
nad Berlin kam und Grumblow fie gefehen, fchilderte er dem
Kronprinzen ihr Aeufferes nicht fehr vortheilhaft, damit dieſer
@& bei feiner Ankunft hübfger fände“). Auf Gedendorfs
Veranlaſſung fügte er hinzu, ber Kaifer winfche zwar bie
Heirath fehr, nicht aber dafür angefehen zu werben, als ob
er in bed Königs Familienfachen intriguire, vathe daher zu
nichts, damit ber Kronprinz frei wählen koͤnne ). Chen hatte 19. gebr.
diefer endlich an feinen Water gefchrieben, baß er ſich ganz in
deſſen Wien füge, felbft wenn die Pringeffin nicht ſchoͤn ſeiz
nur wünfche er, fie vorher zu fehen. Der König hatte das
voller Freude deren Altern mitgetheilt ), als bes Kronprinz
1) Seckendorfe Belation an Eugen bei Foͤrſter Thl. IIL €. 157.
9) Cendaf. ©. 161.
8) Chenbaf. ©. 162.
© Grumbkow an Wolden ebendaf. ©. 169.
5) Seckendorfs Relation ebenbaf. ©. 157.
6) Secendorf an Eugen v. 28. gebr. 1732 a. a D. S. 79 und
SSpemblon an ben ronpringen 5. 20, Behr. ebenba, ©. 166. In Secken⸗
Bath VL Deittes Hanpihd.
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amd mich nicht verdammen. So weit kann Verzweiflung
Jungen Mann bringen, beffen Blut no nicht fo
daB eineß Greifeb iR ').” Xuch ber geheime Rath d. Melden
fchrieb in gleichen Sinne an Grumbkow. Diefer hatte unter
deſſen von dem uͤder feines Sohnes Gehorfam bis
gerhhrten Könige zugefagt erhalten, ex wolle feinen Sohn nicht
sum Berloͤbniſſe nöthigen, ehe biefer bie ihm zugedachte Prins
seffin Tonnen gelernt, auch die Vermaͤhlung nicht befchleunigen,
feinen Sohn mild, meht als Freund behandeln ımd ihm auf
be
a
Beifen die Welt fehen laſſen ).
Grumbkow war daher nicht wenig erftaunt und
22. Behr. als er bald darauf des Kronprinzen Brief (v. 19. Febr.)
1732 Tam. Gr hielt ihm das Widerſprechende beffelben mit dem an
den König gefidten Schreiben ernſtlich vor, flellte ihm Ice
haft die Folgen bar, welche fein Benehmen für ihn und bie
1) Der Kronprinz an Grumbkow v. 19 Febr. bei Börkee DHL ZIL
©. 168. J
Srumbkow an ben Krönprinen v. 20. debr. ebintef. ©. 165.
Der Ort der Ausftelung muß Merlin heiſſen; KRüftrin tft verſchrieben oder
Helvachsangelegenpeiten des Kronprinzen. 631
Römigkn Haben wuͤrde, machte ihm bittere Wonsliefe, ſich ohne
Urfadpe wegen einer Pringefin erfhegen zu wolen, die .
nicht gefchenz er erinnerte ihn am das Sqhickſal des Don Ga
108 und fügte hinzu, ee werde fich Immer ber Worte erinmem,
die der König einſt in Wuſterhaufen wicberholt. zu ihm gefagt,
als ex ( Srumbkow) den Kronprinzen habe veriheldigen wollen:
Rein Grumbkow, Gott gebe, daß ich nicht wahr rede, aber
mein Sohn ffirbt nicht eines natuͤrlichen Todes, und Gott
gebe, daß er nicht unter Henkers Hände kommt!“ Grumbiew
erfiärte dem Prinzen geradezu, er wolle fi nicht zwiſchen
Bater und Sohn en, ziehe ſich aber von ber gaien
Sache zuruͤck, denn Salome fage:
fichet dad Unglüd und verbirgt fi, Pa en 1 Rare geht per
Ungs hinein ). Dem Hofmarſchall v. Wolden verwies er
ernſtlich, der Kronpringen bei deſſen Tbenspefährlihen Bes
fuche bie beabfichtigte Werlobumg aufgeben su wellen, unter⸗
Rütt zu Yaben, und esiärte An geradezu, er verbitte fih je
den ferneren Briefwechſel und auffer den ſchicklichen Bormen
jede weitere Beyiehung mit ihm ?).
Beiedrich dachte jetzt unftreitig ernftfich nach über die dol⸗
gen, welche feine Weigerung nach fih ziehen koͤmte. Er
Hatte bittere Erfahrungen genug gemacht, war ohne Grumbkows
Beiſtand ohne alle Hoffnung/ feinen Bater zur Rachgiebigkeit
dewegen zu koͤnnen, Tante bie Hartnaͤcigkeit, mit weicher
dieſer anf Entfchluͤffen beſtand, werm ihm Hinderniſſe in den
Weg gelegt wurben, ımb fügte ſich daher, obwohl ſehr ungern.
Sr kam am demſelben Tage wie ber Herzog Feanz Stephan es. Febr.
von Lothringen nach Berlin, verlobte ſich bald darauf mit ber 10. März
Prinzeſſin Eliſabeth von Braunſchweig ⸗Bevern und wurde, 1732
nachdem ihn Der Koͤnig bereits zum Dberſten und. Ehef eines
SInfanserieregiments ernannt Hatte, am Perauffolgenden Tage
in bad Gemubbireitsrium eingeführt ).
1} Brmiten am ken KRrogpeingen bei Yönftexr IH. TEL. 8. 106,
doch muß das Datum: 27. Febr. verbrude ſein und dafür 22, Febe. (es
Yen, wie Grumbkows Brief au Wolden zeigt. —
2) Grumbkow an Wolden v. 22. Febr. 1732 ebendaſ. S. 168.
3) Preuß driedrichs Jugend S. u ; Babeiärinih präfdirte ber
Kronprinz, wenn der König abweſend
632 _ Bud VL Drittes deunıkie
Die Braut des Kronpringen war nicht ſchoͤn
geiſtreich, allein auc nicht haͤßůch, pe ſehr
durchaus nicht einfältig, fondern einfad, verfländig,
mehrfeiti einem ei
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Kreiſe erzogen, "ee Ringe Betr, or dr Pe gel
eingefhlihtert unb leicht verlegen, fehlten ihr fühere Halt
im Auftreten vor ber großen Welt und Gewanbiheit des De
nehmen. Mochte fie mum auch nicht willen, daß fie zum
Dpfer ber Politik beflinmt war, fo muflte fie an dem Bench
men bes Kronpringen balb merken, baß biefer Feine Zuneigung
zu ihr habe; das machte fie aͤngſtlich und ihre Haltung lin
ſch, was dem Kronprinzen befonbers midfiel‘), währen er
ohnehin den ihm aufgelegten Zwang als ſolchen bitter genng
empfand’). Ex war noch zu jung, überfprubelnd,
und durch die Art, wie er behandelt worden, zu gereigt, als
J
"Sb
willen gegen a fer, ſagte ex, „fie if ein gutes
ihr nichts Uebeles, aber ich werbe fie nie lichen n Binnen >).
Die Öfterreichifche Partei fuchte vorzüglich durch Anftelung der
fehr dazu geeigneten Frau v. sure el als Oberhofmeiſterin, den
vom Kronprinzen bemerkten Fehler ber Prinzeſſin ——
weil fie ſchlecht tanzte, wurde ein berühmter Tanzlehrer aus
Dresden verfhrieben‘). Der Prinz Eugen, bem die Beni
hungen ber Königin, auch jest noch bie Verlobung des Are
Bareich IL. p. 26, 31 u. 116-
Det cn ey d. 4 Milz 1788 bei Börker ZU IL
4) Gedenborf ehenbaf. ©. 92.
BVerlobung-des Kronpringen, 633
trieb nun, obwohl ohne oͤffentlich den Schein zu haben, die
Verheirathung des Kronprinzen ſo ſehr er vermochte, und der
kaiſerliche Hof gab dieſem von num an jährlich 2500 bis 3000
Ducaten, um die druͤckendſten Schulden zu bezahlen ).
Der Prinz wollte-nicht unausgeſetzt in Berlin leben, wo
bad jetzt fogenannte Königspalais zu feiner Wohnung bereits
anftändig eingerichtet worben war, ihm aber die Anwefenheit
feines eigenfinnigen, heftigen und mißtrauifchen?) Vaters zu
vielen Zwang auflegte, fich vielmehr lieber in einer Garniſons⸗
fladt feines Regiments aufhalten, was ber König billigte und
wahrſcheinlich auf feines Sohnes Vorſchlag dad zehn Meilen
von Berlin entfernte und von-den Hauptftragen, bie er bei
ber Bereifung der Provinzen gewöhnlich einzuſchlagen pflegte,
ziemlich abgelegene Städtchen Neuxuppin dazu auswaͤhlte.
Hier fuhr er fort, in alle Ideen feines Waters einzugehen,
fchrieb diefem häufig und immer fehr unterwuͤrfig ), fuchte
fein Regiment nach deffen Sinne einzurichten und vorzüglich
Yange Leute zu befommen. Schon im April bezahlte Sedens
dorf 2000 Gulden an ben preuffifchen Gefandten Gotter in
Bien für lange Rekruten bes Eronprinzlihen Regiments *).
Der Prinz zeigte dem Könige unter Anderem an, daß fih im
Medienburgifcen ein ſechs Fuß langer Schäferfnecht aufhalte,
bei dem mit Gutem nichts audzurichten fei, doch weil er allein
die Schafe hüte, koͤnne man ihm Leicht aufheben ); das gefiel,
wie er wohl wuffte, feinem Water befonderd. Er machte auf
Befehl feines Vaters Pachtanfchläge, fo ſchwer ihm das wurde,
war aber in noch größerer Werlegenheit, wie bei der Domais
1) Eugen an Seckendorf v. 9. März 1732 bei Pörfter Spt. IL
©. 86. Ra den Memoires de Bareith II. p. 86 erzäßfte ber Mean
yring feiner Schweſter Wilpeimine das ſehr luſtig; auch fie erhielt Geb
auf gleiche Weife.
D) Won Zeit gu Zeit Immer wieder. Dee Kronprinz cn Grumbloie
din Dat. 1782 bei Börfter DHL. III ©. 190.
3) (Hahnte) Die Briefe Friedricht des Großen am feinen Watız
in den I. 1782 bis 1789. Merlin 1858.
© Gedtenberf bei Börfter ZHL IE. ©. 105.
5) Schreiben vom 1% Seyt 1782 bei Oah ake ©, 6.
Apriu
1732
0% Bud VL Drittes Hauptftäd.
nenverwaltung ein jährliches Plus zu erreichen fei, worauf fein
Bater fo viel als anf lange Soldaten hielt". Wenn er fih
nicht Berweife vom Water zugtchen wollte, muffte er woͤchen
lich an feine Braut fehreiben, was ihm ausnehmend laͤſtig
war®). Doch fügte er ſich in Alles, ohne darum doch den
König durchaus zufrieden ftellen zu koͤmnen, bem die Kannmer
diener und Latkaien bes Prinzen bei Werluft des Leibes und
Lebens von Allem, was biefer tat, Nachricht geben mrufften’)
Sowie das häusliche Geſchic des Kronprinzen nicht ein
mel durch preuffifche, ſondern durch Öfterreichifche Intereſſe
beftimmt und er wie feine unglüdliche Braut das Opfer der
rilficht8los berechnenden Staatsklugheit gemorben war, fo
ſollte nun mit dem Mechfel ber öflerreichifchen Politik auch
das mit fo großer Mühe und fo vielm unwuͤrdigen Dkitteln
von Sedendorf volführte Werk wieder zerſtoͤrt und von dieſen
felbft unter den weit ſchwierigeren Umſtaͤnden gerade das durch
gefegt werben, was er bis bahin auf jede denkbare Weiſe ja
verhindern bemühet gewefen war.
Wir haben obem gefehen, wie empfinblich ber Kaifer &
aufgenommen hatte, daß (9. u. 21. Nov. 1729) in Soll
England, Frankreich und bie vereinigten Staaten mit den
Könige von Spanien uͤbereingekommen waren, fpanifche Trup⸗
pen folten die feflen Pläge Toskanas und Parmas befehen,
um dem Infanten Don Carlos die Nachfolge in dieſen Her⸗
zogthumern zu fichern. Indeſſen To leicht wie augenblidfiche
perfönlihe Intereffen bie Regierenden Frankreichs und Eng
lands vereinigt hatten, fo trennten fi) auch beide Mächte
wieder mit dem Aufhören berfelben. Die Königin von Spe⸗
wien, ungebuldig uͤber des alten Cardinals Fleury Langfamlei,
die Befiimmungen bed Vertrags von Sevilla zu vollziehen,
4) Dee Kronprinz an Grumbkow d. 3 Di. 1782 bei Zörkır
SL II. ©. 178.
iD) Deefeibe am benfeiben Im Sept. 1732 ebenbaf. ©. 186 unb ber
an den König d. 4. Sept. 1732 bei Hahale S. 2,
8) Gedendorf v. Wkärz 1788 bei Foͤr ſter SU UL ©. 91. Bat.
ae Eeomaringen Oferen on an Grumblow d. 23. Dirt. 1732 dbenbei
Doritifger Weäfel. 6
erklaͤrte in einer bei ihr nicht ſeltrnen Anwandlung üuͤbeler
Laune (28. Ian. 1731), Spanien betrachte ſich nicht mehr
durch biefen Vertrag gebunden. Sie veranlaſſte England und
die Seneralftaaten, für fie mit dem Kalfer zu unterhanbeln.
Sobald diefer die faſt aufgegebene Ausficht erhielt, fein Erb⸗
folgegefet gewährleiftet zu fehen, waren alle Gchwierigkeiten
bald befeltigt und ein zweiter wiener Vertrag wurde (16. Maͤrz
1731) gefhloffen. In biefem erneuerten der Kalfer, England
und die Generalſtaaten ihre alten Buͤndniſſe, ficherten einander
bie gegerffeitige Gewaͤhrleiſtung Ihrer Befigungen und England
mit ben Generalftaaten auch bie ber pragmatifchen Sanction
zu, wogegen der Kaiſer feine Einwilligung zum Einmarſche
von 6000 Spanien in bie italieniſchen Herzogthuͤmer gab und
ſich verpflichtete, von den öfterreichifchen Niederlanden aus nie
Handel nach Oſtindien treiben zu laffen, wodurch die oſtendiſche
HandelSeompagnie für immer befeitigt wurde”). Das Reich
genehmigte (14. Juli 1731) dieſe ruͤcfichtlich der ttalienifchen
Herzogthuͤmer zu Gunften des Don Carlos getroffenen Bes -
fimmungen, und ba naher (22. Iuli 1731) trat Spa
nien dem ihm fo günftigen und auch dem Kaiſer willfoms
menen zweiten wiener Vertrage bei*). So war bie Bahn zu
einer abermaligen Umwandlung ber Berhältniffe des eusopdis :
ſchen Staatenſyſtems gebrochen.
Der Koͤnig von England, dem es Ernſt mit der Gewaͤhr⸗
leiſtung ber pragmatiſchen Sanction war, näherte fih dadurch
dem Kaiſer ſehr. Dieſer hatte den König Friedrich Wilhelm 1.
durch Sedendorf angehen laffen, ra mit Berg zu begnügen
und auf Düffelvorf, welches ihm im dem geheimen berliner
Bertrage nebſt Berg zugeſichert worben war, zu verzichten,
dagegen aber für feinen zweiten Sohn Kurland zu nehmen,
dann werde Pfalz ⸗Sutz bach daS Herzogthum Berg eher aufs
geben. Friedrich Wilhelm, der wahrſcheinlich glaubte, wenn
er den Kaiſer ſelbſt ſpraͤche, wuͤrde er vorzuͤglich wegen feiner
Abfichten auf Berg befinmte Bufagen erfalten, kam auf ben
4) Dumoat T. VILP. 2 p. 418,
2) Rousset Supplement T. II. P. 2. p. 807.
2
Bud VL Drittes Hauptſtuͤck
Sedanten'), ihn in Böhmen zu befuchen. So unangenche
das ben Öflerreichifchen Miniſtern war und fo viel Mühe fie
ſich fehr geheim gaben, ihn von dieſem Entſchluſſe abzubrins
27. Juu gen?), fo war das doch vergeblich. Er begab ſich nach Kladrub
1732 und Prag ag zum Kaifer und wurde aͤuſſerlich recht artig aufge
beftand in ber Anwartfchaft auf die Belchnung mit Dſtfrie⸗
81. Sul land ).
Sehr mißvergnügt kehrte er nad Berlin zurüd ) um
zeigte ben meiften Staaten an, baß er den Titel von Dfffries⸗
land angenommen. Der Fürft von Dflfrieslanb proteflirte bes
gegen, der König reproteſtirte und behielt Zitel und Wappen,
allein der Zaiferliche Hof empfand einen fo eigenmaͤchtigen
Schritt ſehr übel und Sedendorf muffte Vorftellungen dagegen
machen. Der König wunderte ſich darüber und meinte, ber
Kaiſer ſuche wohl nur einen Vorwand gegen ihn, da die Sade
au unbebeutend fei. Er antwortete ipm in feiner eigenthius
lien, geraden Weife: „Ich Tann in Wahrheit fagen, daß die
1) ®riebrid) IL. M&moires de Brandenbourg p. 298 fagt, Gem
dorf habe den König darauf gebracht, allein wahrſcheinlich kam ber Kai
feibft daraufz daß er in Seckendorf gebrungen, fagt Förfter Apr IL
S. 11, aweer Getenberttie Yaplere vor Mh halte. Daß der Kiais
angmöpnifc über den qioeiten wirner Bertrag geworben, finde ih =
Seckendorfe Leben Thl. IIL ©. 42. Berg war der eigentliche Fund
der Seife. Grumblkow bei Foͤrſter Thl. TIL S. 111.
2) GSugen an Seckendorf v- 80. Apr. 1732 bei Förfker Zpr UL
©. 105. Bergl. Grumblows Gcreiben v. 17. Diai ebendaf. ©. 108.
9) Zaßmann L ©. 477. Die Aawartſchaſt hatte fen: Kai
Leopold 1694 gegeben und Kalfes Sofepp 1706, Rast 1715 bekig.
Biarde ZH. VIL ©, 4665
4) Des wor dem Eugen halb , f Yeffen Sdrelien v. 29. 1
vember 1782 bei Wörfter TpL. IIL ©.'118 mb Geienderf def. ©. 146.
Wrisbeid IL Mdmeires de Brandenbeurg p- 296 Seyeugt‘s ausbchfäd.
Politiſcher Wechſel. 637
Annahme des Titels von Oſtfriesland von mir Beine Maltce
iſt, da ich in Wahrheit geglaubt, daß es ein Bagatell iſt, als
wenn einen Baron nennt. Indeſſen aſſecuriren Sie ben
Kaiſer, daß durch ſolche Lumperei in nichts meine wahre
Freundſchaft fol alterirt werden ).“
Briebric) Wilhelm hatte Fur) vorher die Freude, die langs Sum
wierigen unb verwidelten Streitigkeiten, welche fein Vater und
er mit dem Haufe Naffau über die oranifche Erbſchaft gehabt
unb worliber beide Theile ſchon im I. 1722 in Berlin unters
handelt hatten, beilegen zu koͤnnen. Der König erhielt zu
feinem Antheile durch einen Vergleich mit dem Prinzen von
Naffau, Wilhelm Karl Heinrich Friſo, dad Fuͤrſtenthum Drange,
nebft den in Burgund gelegenen Herrſchaften Chalons und
Chateaus:Belin, welche er bereits (4713) an Frankreich abges
treten hatte, ferner das Zürftentpum Meurs, die Grafſchaft
&ingen, die Amtmannfchaft Montfort, mehrere Herrſchaften,
auch den Freifig Herſtall mit allen dazu gehörigen Gefällen
und Einkünften‘). Die Batholifhen ganz im Luͤttichſchen ges
legenen Einwohner der Hertſchaft Herſtall mufften aber mit
Gewalt zu ber von ihnen verweigerten Huldigung gebracht
werden. Da ber Prinz vom Naſſau Schwiegerfohn König
Georgs II, von England war, fo wirkte bie Befeitigung fo
vieler alten Zwiſtigkeiten einigermaßen wohl gümftig auf eine
Ausgleihung ber Spaltung zwiſchen Friedrich Wilhelm und
feinem Schwager. Diefe herbeizuführen ließ ſich bie Königin
— angelegen fen —* hatte ungeachtet der Verlobung
des Kronvrinzen mit bee Prinzeſſin von Bevern m ni
aufgehört, an deſſen Bermählung mit der Prinzeffin Am
von England, fowie einer ihrer jlmgeren Töchter mit —
Prinzen von Wales zu arbeiten“). Dem Könige war dab
nicht unbekannt. Er fagte es feinem Sehne, weicher, wie der
Dater überzeugt war, mit aufrichtigem Herzen antwortete:
1) Am 15. Rov. 1732 bei Foͤrſter Thl. IL ©. 118.
D) Der Vertrag bei Faßmann Thl. I. ©. 456 und bei Pauti
Spt. VIIL &. 287.
3) Grumbkow an Sedendorf v. 17. Mai 1732 bei Foͤrſter SH. DIE
©. 108.
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Bud VI. Drittes Haupiftüd.
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©. 20. Ro. 1792 denbaf. ©. 119. Morher war
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Politifher Wechſel. 68
Berlin recht gut, . Allen König. Georg, dem es mit Gewaͤbr⸗
leiftung- ber pragmatifihen Sanction Ernſt war, haste ſich da⸗
durch mit: ‚dem Kaiſer Karl völig ausgeglichen. Dieler wünfäte
ten, wenn dieſer nicht zugleich durch eine Heiraih befeſtigt
wide, Das bemog ben Kaiſer nun, dem General Secen⸗
borf aufzutragen, die auf feinen Befehl fo mühfam bewirkte
Verlobung des Kronprinzen wieder aufzulöfen. So ergeben Rovember
auch Sedendorf feinem Hertn, fo bereitwillig er war, fen 1732
Befehle von fehr zweibeutiger Art zu Übernehmen, ohne viel
Über bie Mittel zur Ausführung zu ſchwanken, fe ſchwer wurde
es ihm, einem fo unehrenpaften Auftrage zu gehorchen. Das
ift aber eben bes Fluch, der Staatsbeamtete verfolgt, welche
ihrem Fürften wie Knechte ihrem Herrn dienen und blind ges
horſam Alles thun, was er befiehlt, daß dann auch wohl Nies
dertraͤchtigkeiten von ihnen gefodert werben, durch welche fie
üch ſelbſt öffentlich verächtlich machen, während fie eb bik das
pin weiſtens nur ſehr geheim waren ’).
Gedenborf ſchrieb daher auch dem Prinzen Cugen, daB
er keine ihm vom Kaiſer jemals aufgetragene Commiſſion fon
:ce gefunden, als die wegen ber abzuändernden Venath, weil
ꝛrx nimmermehr glaube, ber. Rönig,. ber fie zu vollziehen feſt
xeſchloffen, auch den Tag hereits dazu beflimmt habe, werde
wor’) ODech be Be wurde. wicberholt ). und Gedem
1) @edenborf. Hatte auch darauf angetragen Armmablorn,
oelcher bei ber Verlobung bes Kronpringen viel Kam of, em em Sule
em zu Ankaufe‘ eines Gutd vom Kaffer gegeben wärben,- um ihn auf
inen unglüdtichen Yall (wenn Friedrich Wilpelm ſterden ſollte) ſicher gu
jellen Seckenborſf an Gugen in Sept. 1782 bei Börfige Thl. II. @, 110.
2) Derſelbe an benf. d. 4. Mob. 1782 ebendaf. ©. 116
3) Gugen an Getendinf d. 29, Roo. 1782 ebenkef. S. 117, wahe ·
Seintid) verbrudt für 20. Ron.
60 Bud VL Drittes Haupikäe
Kr a erer a
weba
Seckendorf zugleich nicht unterlieg, bie für Preuffen daraus
entfichenden Vortheile in das günftigfle Licht zu flellen.
König war barlıber theils alterirt, theild beftürzt und
nete anfänglich dem kaiſerlichen Gefanbten unmanierlich ').
„Aber was wirb meine liebe Kaiſerin fagen, bie diber dieſe
Heirath fo große Freude hatte? was wird Bevern ſelbſt mb
Prinz Karl von mir denken, wenn ich in dergleichen Change
ment entire?" fragte er. Auf Sedenborfs befchtwichtigendes
Bureden, wenn der König nur bie Sache genehmige, fo wir
ben ſich ſchon Mittel und Wege zeigen, fie mit Allfeitiger 3.
friedenheit zu enbigen, zeigte er zwar durchaus Feine eine Reigung
zu einer Aenderung, verlangte jedoch einige Tage Bedenteit)
Sein Rehtlichleits und Ehrgefahl war dur dem ihm ge
machten Vorſchlag auf das Tiefſte verlegt. Cr ſah es auf
fie eine Sewiſſensſache an, ein Verloͤbniß zu halten umb nahe
es Sedendorf fehr bel, einen foldhen Antrag gemacht zu he
ben, von dem er body wohl hätte wiſſen koͤnnen, daß ber X
December der Tabafsgefellfchaft in Gegenwart von Derfpau, Cchwerin,
1732 Bubdenbrod, Rochow, Flans und Grumbkow brach nn.
Pl Darüber Magt Gedendorf gegen Eugen vd. 18. Ai 1, ci
er einen gleichen Auftrag erhielt, bei Börfter Ahl TIL ©. 10.
" 2) Onfenburfe Cünchen an Gum u 20. Rom. TER dabet
©. 110, wohrfrinng mabnudt für 2. Ron,
8) Seckendorf an Eugen v. 2. Dec. 1782, wohl ein falſches Datam
fie 8 Dec, ba ber König noch ehegeftern fo gefprocden umb bie St
lation d. 6. Dec. dabei ift, oder, was noch wahrſcheinlicher, bie Selaties
ft v. 1. Dec, und Gedtenborfs Schreiben d. 8. Dec., ſodaß der folgen
‚Borfall am 1. Dis. flattfand.
Politiſcher Wechſel. 641
dann, indem er Grumbkow ſcharf anſah: „Nein, ich kanns
‚nicht mehr aushalten, ed frißt mir das Herz ab! Mich zur
Begehung einer Nieberträchtigkeit bringen wollen! Mic!
Mid! Nein und nimmermehr! Die verfluchten Intriguen!
Der Teufel fol fie Holen!“ Grumbkow fuchte ihn zu berus
bigen, und ftellte fib, als wife er von Nichte. „Was“,
fuhr der König fort, „mich zum Schelm maden? Ich wil
es Allen heraußfagen, bag mich gewiffe verfluchte Schurken
haben betrügen wollen; aber bie Leute (Seckendorf), die mich
kennen follten, wollen mir einen faux pas machen laffen!"
Grumbkow unterbrach ihn, damit er nicht in feiner Leidens
fhaft die gefammte Angelegenheit bekannt mache und befänfs
tigte ihn mit vieler Mühe; doch fagte der König noch: „Am
muthet mir Dinge wider meine Ehre zu. Wenn man benn
will, daß ich veränderlich fei, fo fol der Kronprinz gar nicht
heirathen. Ich habe aber dann noch drei Prinzen, und wenn
ja das Haus auöfterben ſollte, fo iſt es befier, es ſtirbt ohne
die Blame aus, daß bad, was man heute gewollt, morgen
verändert wird." Er wiederholte, daß ihm das am Herzen
nage und ihn töbten werbe und wurde wirklich krank ).
Sedenborf hatte feinerfeitS alle Mühe, fich zu entſchul⸗
digen, daß er bie vom Kaifer in ber beften Abficht gegebenen
Befehle vollzogen, von denen auch bie Königin und der Krons
prinz Feine Kenntrüß gehabt”). Es gelang ihm auch, fi mit
dem Könige auözuföhnen. Doch wurde biefee dem kaiſerlichen
‚Hofe immer abgeneigter"). Der König machte barauf dem
Lande befannt, baß er feine Untertanen bei Gelegenheit der
Vermaͤhlung bed Kronprinzen mit ber fogenannten Fraͤulein⸗
ſteuer und den üblichen Dons gratuits verfchonen wolle *). Der
Tag der Hochzeit war anberaumt. Der König, ber Kronprinz, "
bie geſanmte Tönigliche und herzoglich braumfchweigifche Familie
war in Salzdalum, einem braunfhweigifchen Schloffe bei Wols 10. Suni
. 1733
1) Relation Grumbkows v. 6. ) Dec. bei Börfter TH. TIL S. 185.
2) Seckendorf ebendaf. ©. 137 ff. u. 141.
8) Gugm v. 17. Dec. 1732 ebenbaf. S. 140.
4) Preuß Friedrichs Jugend S. 171.
Stengel, Gefä. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 4
Bud VL Drittes Hauptftäd.
642
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5
Vermäplung des Kronprinzen. 643
er den Kaifer überzeugen. Wolle Georg eine feiner anderen
Zöchter für feinen Sohn haben, „e fei er bereit, fie zu geben,
auch Tönme fein zweiter Sohn, der Prinz Wilhelm, eine enge
uiſche Prinzeffin heirathen, wenn man es haben wolle. Er
uͤberlaſſe das ganze Ausſoͤhnungswerk dem Kaiſer. Es koſtete
noch Mühe, des Könige —— zu beſeitigen, alles das
ruͤhre von bes Königin und dem Kronprinzen her. Dieſer ers
klaͤrte jedoch an Grumbkow, wenn felbft der König zu einer
Abänderung zu bringen wäre, würde doch er nicht Darauf eins
gehen, ba er die Beleibigung, die von Georg feiner Schweſter
wiberfahren, nie vergeffen Tonne. Grumbkow muffte dem Rbs
nige im Namen feines Sohnes verfihern, nichts als der Tod
fole fein ber Prinzeffin von Braunſchweig⸗ Bevern gegebenes
- Bart ändern machen ').
So wurde die Trauung unter glänzenden gerichteten) 12. Suni
ohne Freude vollzogen und bie unglädtiche Prinzeffin muſſte 1
ihrem Gemahle folgen, der ihr an eben nicht ſchonend
begegnete ®), ihr vielmehr noch größere Abneigung zeigte, als
Kronprinzeffin, gefeiert. Der Kronprinz kaufte 1734 das 1734
ung
flört ) fich feinen Meblingenelgungen bingeben konnte, ver-
1) Gedendorf an Eugen v. 13, Juni u. 4. Jull 1733 bei Birken! m.
©. 148—155.
O Preuß driebrichs Iugendiahre ©. 172.
8) M&moires de Bareith T. II. p. 107, vergl. p. 111.
4) Diefelben T. II. p. 88.
6) ©. Preuß driedriche Jugendjahre ©. 178 ff. Der König ber
Bo Bieinsierg nur zweimal in d. 3. 1786 u. 1787. Preuß a. a.
D. &. 180,
4*
644 Bud VL Drittis Hauptüd.
femmelte er feine wiſſenſchaftlich und kuüͤnſtleriſch ——
kenntniß⸗ und geiſtreichen Freunde zum ungezwungenen,
teren und immer anregenden Balder von bier aus —
ex feinen Briefwechſel mit berühmten Gelehrten und Dichten
an,. hier fchrieb er feine erften Werke, hi bier in diefen ummit:
des großen Mannes felbft, denn auf feines Vaters Regierung
hatte er nie weſentlich Einfluß '). War er auch nicht fo glüd
lich, feine Ehe mit Nachkommen gefegnet zu fehen, hatte er
auch zu feiner Gemahlin keine eigentliche, arte Neigung,
fo geftanb er boch einem feiner Wertrauten drei Jahre nach
feinee Vermählung, nachdem er fie genauer kenunen gelernt
batte: „Ich nlıßte der verächtlichfte Menſch von ber Welt fein,
wenn ich fie nicht wahrhaft achten wollte, denn fie if ſche
fen, hoͤchſt gelehrig und uns dbermösie gefäig, indem fie jeden
meiner Wunſche zuvorzulommen fucht ).“ Es bleibt ihm kaum
etwas zu winfchen, ald, weil ihm fein Water gar zu wenig
außgefeht, eine verhältnigmäßig nicht zu große Vermehrung
. feiner jährlichen Ginkünfte, Teine Sorge, auffer ſich den de
entſtehenden fters wiederkel i
— Dritten auf den Thron rief.
Während ber König durch die von und erzählten in fo
enger Verbindung mit den politifchen Verwickelungen ſtehenden
Angelegenheiten feiner Familie beichäftigt wurde, boten ihem
1) Viele Cimelhelten bei Preuß Friedriche Iugenbichen S. 181 f-
2) Journal secret p. 147 v. Juli 1787.
Der Kronprinz in Rheinsberg. Polen 645
die Verhaͤltniſſe Polens eine neue ſehr günflige Seiıgeich
bar, feinem Staate anfehnliche Wortheile zu verfhaffen. Dem
kaiſerlichen ‚Hofe lag hier hauptſaͤchlich daran, daß Stanislaus
Lescynski, vorzüglich ſeitdem er Sepisirgervater König Lud⸗
wigd XV. geworden war, nicht auf den polnifchen Thron
kaͤme, während ber franzöfifche Hof ganz natürlich Alles ans
wendete, um bie Stimmen fir ihn zu erhalten, wofle
damald auch England war. Dem Baiferlichen ‚Hofe dagegen
folgte auffer Rußland auch Preuffen, welches bereits in feinem
Buͤndniſſe mit Rußland ben Stanislaus vom Throne audges 10. Aug.
ſchloſſen und diefen für einen Piaften beftimmt Hatte‘). As 1726
daher König Auguft tödtlich frank war, wurde Friedrich Wil⸗ December
beim fehr unruhig und ließ dem Kaifer erflären, ex werde ſich
mit allen Kräften dem Stanislaus wiberfegen, wolle aber auch
fo wenig als Defterreich den Kurprinzen von Sachſen. Am
beften fei es, man fuche einen polniſchen Edelmann, der den
Mächten verpflichtet werde, welchen er feine Erwälung vers
danke”). Der Kaifer nahm das fehr gut auf und erklaͤrte Y Januar
mit des Königs Anfichten ganz einverflanden; es komme nur 1727
darauf an, einen zum Throne geeigneten Polen ausfindig zu
machen ?). Dennody winde er nichts gegen den Kurprinzen
von Sachfen gehabt haben, wenn biefer nebft feinem Water
die pragmatifche Sanction hätte gewährleiften wollen *), allein
König Auguft fpielte ein doppeltes Spiel. Er hatte feinen
Sohn mit der aͤlteſten Tochter Kaifer Joſephs L vermählt
und obgleich diefe auf ihre Erbrechte hatte verzichten muͤſſen,
fo dachte er dennoch daran, fir fie als Tochter des älteren
Bruberd Anfprüche gegen die Rechte der Maria Thereſia, als
Zochter Karls VI. des jüngeren Bruders zu erheben. Die
zweite Zochter Joſephs I. hatte der Kurfürft Karl von Baiern
a S. 12.
Seckendorf an Bingenborf 21. Dec. 1726 in Förfters urtun⸗
dentch Thl. IL ©. 205.
2 Eingenborf an Seckendorf 2. Ian. 1727 bei Foͤrſter Zpt. IM.
©. 39.
4) Bedenborfs Erben Thl. IV. ©. 72.
v
6 . Bub VL Drittes Hauptküd
. *
Auguſt wuͤnſchte zugleich feinem Sohne die erbliche Abroufot
in Polen zu verſchaffen und verhandelte daher fortwaͤhrend mit
dem Kaifer, als wolle ex für befien Unterfligung bie pragmas
tiſche Sanction anerkennen, während er auch wünfdhte L}
Bean!
fihäften der Art fonft gewanbte Minifter, befonders ben Ge
neral Sedendorf, fehr geſchiat völlig taͤuſchte '). Auch Friedrich
wirklich gegen ben Kaiſer zu gewinnen fuchte, daher fh wahr⸗
Januar ſcheinlich die Verabredung einer Vereinigung traf, bie Erblichkeit
1728 fü feinen Sohn zu erzwingen, von welcher wir bereits obm
1730 geſprochen haben’), ihn desbalb auch in Berlin befuchte un
zu dam prächtigen Lager von Mühlberg Ind,
Auguft wolte im Einverfländniffe mit den Brangofen einen
fü
Seite zu ziehen, ging nur burd Seteniorf 9 gewamt, —
Frankreich gewinnen pr Daher Fam der ruſſiſche Oberflal;
1731 wmeifter Graf Loͤwenwolde nah Berlin, — ſich mit Secen
81. Dec. dorf nach Wien und verabredete bier bie VPuncte eines Ber
1) @rdendorfs Leben SL, IV. ©. 12 ff. u. ©. 72.
2) Mömolres de Bareith L p. 105 u. 121.
3) Gedendorfs Leben a. 0. D. u. Thi. II. ©, 88.
König Auguf von Polen. 617
trags, durch welchen ſich Rußland, Deſterreich und Preuſſen
verbanden, den Stanislaus und jeden franzoͤſiſchen Bewerber
vom polnifchen Throne ehe biefen vielmehr dem
geiftig ganz unbebeutenden Prinzen Emanuel, Bruder des
Königs von Portugal zu verfhffen. Jeder der drei Berbiins
deten follte 36,000 Ducaten nad) Polen und Truppen (Pzeuffen
30,000 Mann) ') an beffen Grenzen ſchicken, ferner mit dem
Ausfterben des Kettleriſchen Hauſes die Vertheilung Kurlands
in Woiwodſchaften gehindert, die Wahl auf einen preuſſiſchen
Prinzen gelenkt, dem Könige von Preuſſen Berg und Düf
felborf mit einem angrenzenden Striche am Rheine zugeſichert
und ber Herzog Anton Ulcich von Braunſchweig mit ber Prin-
zeſſin Katharina von Mecklenburg (der Enkelin Zaar Iwans)
burg feine Erhebung verdanke, auch für biefe fein werbe*).
Ueber diefe Puncte wurde num während bed Jahres 1732
swifchen Deflerreich, Preuffen und Rußland verhandelt. Vreuffen
war damit einverflanden.
Zu gleicher Zeit Hatte König Auguſt (20. Nov. 1732) Rovember
noch einen legten Verſuch gemacht, den König Friedrich il: 1732
helm fir feine Entwürfe zu gewinnen. Er ſchlug höhft ge:
beim, ba bie Veröffentlichung ihm ben Hals koſten koͤnne,
vor, bie Nachfolge feines Sohnes dadurch zuverläffig zu fichern,
daß die Republif Polen umgeftürt und für das Haus Sachſen
in eine erbliche Monarchie verwandelt würde. Dazu folten
Defterreich, Rußland und ber König von Preuffen mitwirken
und dieſer baflır das polniſche Preuffen, einen Theil Großpo⸗
lens und Kurland, der Kaiſer aber das Zipſerland erhalten.
Friedrich Wilhelm ging fcheinbar ?) darauf ein, weil en den
1) Bei Foͤrſter im Leben Friebrich Wilhelms Thl. IL ©. 118
ſteht diefer Bufat-
2) Sedendorfs eeben Thl. IV. ©. 75. For ſters Friedrich Wit:
Helm Thl. U. S. 118. Das Datum, 81. Dec. 1731 bei Shält Thi. II.
©. 224 iſt wahrſcheinlich das des Abfchluffes der Werabrebung in Wien,
wie das gleich anzuführende Gchreiten Gugens v. 29. Ian. 1732 ver:
muthen läfft.
3) Wie das Folgende zeigt.
648 Bud VL Drittes Haupefiäd.
König Auguft immer noch Aufferft gern von Frankreich ab anf
die ‚Seite bed Kaiſers ziehen wollte‘), obgleich es ihn fchr
verdroſſen, daß biefer ihm den Antrag gemacht, die Werlobung
des Kronprinzen aufzulöfen und ſich mit Engtent zu vebin
E pehin Shclumpeennurts vo arſchall v. Bi
1732 , vüdfihtlich des Theilungsentwurfs
kunft, ob es nicht notwendig fei, Rußland dafuͤr zu geanin
nen und auf welche Weiſe man das bewegen wolle,
thätig zu bleiben? Was zu thun fei, wenn fih Rußland
herfebe und ob für dieſen Fall Rüdfprache mit
ober ben Tartären genommen feit Was gefchehen fü
der Kaifer. ſich mit Zips nicht begnuge, welche —
reichung des Zwecks man in Polen ſelbſt ergriffen,
bereits einige Große dafuͤr geſtimmt, ob man
habe, das Heer zu gewinnen, ob man nur durch
zum Ziele zu gelangen denke und wie viel Truppen
und Preuſſen ſtellen ſollten, woher man
men, und ob man nicht Thorn zum
wolle )7
18. Der. In nächten Zuge, nachdem er Biberſtein mit biefer ge
beim ‚ Inftruction nah Dresden geſchickt hatte, ni L}
Ar &
ann
zeichnen, durch welchen der Kurprinz von Sachſen vom har
niſchen Throne per wurde; benn er konnte durch⸗
ech, glauben, Augufl meine es mit feinen Vorſchlaͤgen
ernſtli⸗
Anfrage, er ſei mit Frankreich in gar kein ihn bindendes Verhaͤlt⸗
niß getreten und hoffe durch die Vereinigung der vier Adler immer
1) GSrumbtow an Manteufel 20. Nov. 1782 bei Börfters Friedcich
Dithelm Thl. IL ©. 121 Anmerk.
2) Die geheime Juſtruction v. 12. Dec. 1782 a. a. D. Xp II
©. 119 Anmerk.
8) Bork, Thulemeier, Seckendorf und Ebwenwolde untergeidinet:
den Vertrag. Seckendorft Leben IV. ©. 75. Börfters Pre
Helm Spt. IL ©. 118.
König Augufts IL. von Polen Tod. 69
noch feinen Entzweck burchzufegen '). Auf feiner Rüdreife von
Dresden nach Polen empfing ihn an der preuffifchen Grenze
der General Grumblow *), welder in das Geheinmiß gezogen Januar
war und feinerfeit8 al ein Haupttrinker verfuchen follte, bie 1793
eigentlichen &bficten Augufis gu erforfihen, bem Seiebrich
Wilhelm nicht trauen Tonnte, während Auguft fi auf gleiche
Weiſe bemühete, bie wahren Abfichten Friedrich Wilhelms
durch Grumblow zu erfahren. Einer machte fo den Anderen
trunten, Auguft erlag bald darauf und feine Entwürfe blieben 1. Bebr-
a
unaußgeführt ). .
Mehr ald halb Europa wurde in Unruhe gefeht durch bie
bevorfiehende Wahl eines Königs von Polen. Weil die rufs
fiſche Koiferin fir ihren Guͤnſtͤng Bühren das Herzogthum
Kurland wimſchte und ed daher nicht wollte an Preuffen kom⸗
men laſſen, fo verfagte fie dem loͤwenwoldeſchen Wertrage ihre
Genehmigung *). Friedrich Wilhelm hoffte immer noch darauf,
hielt daher Geld und Truppen bereit, um fowohl den Stas
nislaus ald den Kurprinzen von Sachfen auszufchlieffen, und bes
fahl feinem Gefandten in Warfchau, durchaus im Einverftänds
niffe mit Rußland und Defterreich zu handeln). Allein auch
dieſes Dal ließ er die ihm fo dufferft günftige Gelegenheit ent⸗
[&hlüpfen, fie ſich weſeniliche Vortheile aus den Werwidelungen
yu ziehen, und vergeblich ſchlug ihm ber Kronprinz vor, er folle
ch fogleich des polnifchen Preuffens bemäctigen %. Als er
ah, baß weder Rußland noch Deflerreich den Löwenwolbefchen
1). Biberfteins Bericht v. 16. Dec. 1732 in Foͤr ſt er s Friedrich
Biüpelm Thl. IL. &. 120. Die Franzoſen wuſſten etwas von Auguſts
Plane, f. Schmauß Hiſtorie der nordiſchen Reiche ©. 380 in deſſen Gin
eitung in die Staatswiſſenſchaft Thl. IL
2) Baßmanns Leben Augufts ©. 989.
8) Memoires de Brandenbourg p. 295. om uUngerweintrinken
3 Kroffen fagt ſogar Faßmann im Leben Friedrich Wilhelms Thl. I.
5. 487 etwas.
4) Gedendorfs Leben Thl. IV. ©. 77.
5) Ebendaſ. ©. 79 ff.
6) Kaunig an den Grafen Ghatelet in v. Raumers Beiträgen
ᷣl. IIL ©. 569.
650 Bud VL Drittes Hauptküd.
Bartrag ratificiren wollten, auch des Prinzen von Vortugal
Verſoͤnlichkeit in Polen entichieben miöfaen hatte, fo erklärt
9. Aprit er ſich durch diefen Vertrag ‘ebenfalls nicht mehr gebunden
1733 Als fi, Rußland und Deftereich förmlich gegen Gteniölezs
erklaͤrten, that Friedrich Wilhelm das nicht, unter
wande, daß er mit der Republik Polen wegen des
tm Königstitelß i in Feiner officielen Beziehung ſtehe ').
Der junge Kurfurſt von Sachſen — ſich
ſehr angelegentlich um bie polniſche Krone; Rußland
dieſen höchft unbedeutenden, daher unſchaͤdlichen M
wonnen. Der junge Kurfuͤrſt wendete ſich auch
Wilhelm um Unterſtutzung. Dieſer ſuchte fie fo
12. Mei möglich zu verkaufen. Ex verlangte, ber Kurfurſt fe
1733. gpiederaufgenommenen Proceß wegen ber Aufprüche
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54
36
gehe,
die Durchführung bes halliſchen Salzes nach Elbing wire
öffnen, in ber elbingſchen und draheimſchen Ablöfungsfak
nichts gegen des Königs Intereſſe thun, die im welauer Be-
trage feftgefegte freie Werbung in Polen und Lithauen gest
ten und biefen letztzgenannten Vertrag wie alle anderen zwiſcha
Brandenburg und Sachſen erneuern. Daflır wollte ihm Friedrih
Wilhelm Juͤlich gewährleiften, mündlich gab er dem Gene
reit, die meiſten Puncte zu bewilligen, konnte aber darüber mit
fo beſtimmte Berficherungen geben, als Friedrich Wilpelm L
wuͤnſchte, weil er nicht gegen die Rechte Polens und der übri
gen ſaͤchſiſchen Häufer verftoßen durfte. Auch ber Baiferliche
1) Secendorfs Leben Thl. IV. &, 84 f. u. 92.
2) Gbendaf. ©. 98 ff. u. ©. M.
Der polnifhe Thron. ö 651
Hof erflärte fi) unbeſfimmt. BVergeblich riethen Seckendorf
und der fächfifpge Minifter Manteufel das rutowekiſche Regir
ment dem. Könige Friedrich Wilhelm zu ſchenlen, den ſaͤchſiſche
Sefandte Ponikau brachte nur zwei nicht gar lange Refruten
zum Geſchenke, was wenig wirkte ').
As nun beide Kaiferhöfe unter einauder vertrugen, ihre Suni
Truppen in Polen einruͤcken zu laffen, ber Kaiſer daher Trup⸗ 1733
pen bei Oppeln zufammenzog und den König zur Unterſtutzung
auffoderte, fo erwieberte diefer, noch befonberd baräber unzus
frieben, daß ihm ber Kaifer in feinen Exbflaaten ferner keine
freie Werbung langer Leute ‚geftatten wolle *): er halte fih an
weiter nichts gegen Stanislaus Beſchloſſene gebunden,. wenn
aber der loͤwenwoldeſche Wertrag audgeführt werde und Kurs
fachfen feine Anträge berüdfichtige, wolle er in ber polnifchen
Sache ben Wimfden des Kaiferd gemäß handen, damn mit
40,000 Mann marfcieren, allein nicht länger als zehn Tage
bei Landsberg ſtehen, am elften in Polen einrüden. Cine
Eleine Zruppenabtheilung folle jedoch immer bereit fein ). Im⸗
mer mehr zog fich der König vom Kaifer und Rußland zuruͤck
fein Beuolimächtigter in Warſchau unterftligte jene Maͤchte
nue noch formal, Als Gedenborf darauf drang, ber König Juli
folle vie Auffoderung der beiden Kalferhöfe umterftügen, den
Stanislaus von ber Wahl förmlich ausgufchlieffen, was auch,
wenn ber Iömenwolbefche Vertrag nicht gelte,. wegen früherer
Verträge geſchehen muͤſſe, wurde ihm mach langem Zögern ers
wiebert, die Verträge von 1728 und 1730 fchlöffen den Sta⸗
nislaus nicht aus, fonbern follten nur die freie Wahl in Pos
en fihen. Wenn der König Krieg anfangen follte, muͤſſte
r fichere Entſchaͤdigung für den Fall eines unglüͤcklichen Aus⸗
yangd haben. Er wolle ben loͤwenwoldeſchen Vertrag noch
etzt annehmen, wenn der Artikel wegen Kurlands ratificirt
vurde. ¶ Vergeblich verficherten beide Kalferhöfe, daß ſolle ges 21. Zul
heben, wenn ber König zur Erfülung feiner Verbindlichkeiten
reiten werde *).
1) Sedendorfs Eeben Thl. IV. ©, 97 ff.
D Gedenborf an Gugen im Febt. 1783 bei Forſter M. ©. 146.
8) Seckendorfs Leben IV. ©. 104.
4) Ebendaf. ©. 105 ff.
16. Juli reichiſche Exbfolgeorbnung, der Kaifer dagegen ihm
1733 feiner faͤchſiſchen Länder gewährleiftete und unter mehreren
652 Bud VL Deittes Hauptflüd.
Unterbefien hatte ber Kurfürft von Sachſen
gem Erfolge in Wien und in Peterburg verhandelt
Vertrag mit dem Kaifer gefchloffen, durch welchen er
PIE
In
gungen, auch wenn GER Der Den von Penn ua Bu
land befannt geworbenen billigen Wuͤnſchen genüge, Vorſchub
zur Gelangung auf den polnifchen Thron durch freie Wahl
ficherte und vereint mit Rußland, England und Preuffen
und Waffengewalt zur Unterbrüdung ber franzoͤſiſchen
des Stanislaus verſprach). Faſt zu gleicher Zeit flo
Kurfürft Auguft von Sachſen ein Verthei
der Kaiferin Anna von Rußland, weiche in geheimen
ihm ebenfalls Beiſtand zu feiner Gelangung auf den
Thron —* wogegen Auguſt verſprach
Anfprüche Polens auf Livland zu begeben,
Ferdinand eine
und dad Land immer als Herzogthum beftchen
bier wurde dem Kurfürften zur Bedingung gı
wohl der Unterfilikung des Kaiſers als Preuffens zu
Friedrich Wilpelm wurde darüber, daß Rußland
Defterreich ohne ihn mit dem Kurfuͤrſten von Sachen
Verträge sehen. fehr aufgebracht, weil er num nicht
boffen kannte, en Beitritt viel zu erhalten‘). Er
Stanislaus
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nach Polen gefhidt, um die Wahl des Gtanislaus burchzus
fegen, der ohnehin viel beliebter war, als der Kurfürſt von
Sachſen, für den fi nur wenige Stimmen erhoben. WBäh
rend man Öffentlich verbreitete, Stanislaus fegele mit einer
franzoͤfiſchen Flotte nach Danzig, begab fih biefer als Kaur
1) Wenck cod. jaris gent. T. I. p. 700 mit zwei Geparat« uab
2) Martens recueil supplöment T. III. p. 1.
3) Journal secret p. 20 v. Det. 1736.
Der polniſche Thron. 653
mann verfleibet über Berlin nach Warſchau, wo er glüͤcklich
anfaın unb bald dasauf (12. Sept.) einflinnig und rechtmäßig 12. Sept.
zum Könige gewählt und außgerufen wurbe, indem die ſehr 1733
fpmwäche- fächfiihe Partei unter dem Bürfen Wisniowiezki ſich
vom Wahlfelde entfernt hatte. Dem mit ber Denk⸗ und
Handlungsweife feiner Lanbeleute nur zu genau befannten
Stanislaus geſchah jedoch, was er vorauögefehen hatte. Gr
fand zahlreichen Anhang und hörte viele Iärmende Betheueruns
zen, erhielt aber keine Unterflügung. Kaifer Karl VI. wollte,
abgemahnt von Preuffen, und beforgt vor Frankreich, Feine
Truppen in Polen einruͤen laſſen und 20,000 Sachfen lieber
m Rheine verwenden’). Won ihm aufgefodert *) drang da⸗
jer ein ruſſiſches Heer bis ‚gegen Warſchau vor, Stanislaus 2. De.
nuſſte nach Danzig flüchten und eine Heine Anzapl polniſcher .
Eoelleute rief unter bem Schutze ruſſiſcher Waffen ben Kurs 5. Dit.
ürften Auguft von Sachſen zum Könige von Polen aus. Das
vermehrte bie Spannung zwiſchen dem Kaifer und Friedrich
Bühelm, welder argwöhnte, Defterreich habe den Kurfüzften
segunftigt, damit er als erblicher König von Polen, Preufien
m Baume halte”). Er wurde, darin beſtaͤrkt, als er aus
luguſts Benehmen fah, dieſer halte es gar nicht mehr für
ıöthig, Preuffens Freundſchaft theuer zu erfaufen. Friedrich
Bilpelm Hätte auch jet noch jeden Krieg gern vermieden. Er
atte daher ben Kaifer, um Frankreich nicht Veranlaſſung zum
triege zu geben, fortwährend abgehalten, Zruppen in Polen
mruͤcken, vielmehr gerathen, die Ruſſen dort machen zu laffen,
vad fie wollen. „Wenn dann demungeachtet die Franzofen über
en Rhein gehen“, fuhr er fort, „fo iſt bie gerechte Sache für
ns und es wird mit Gottes Hülfe und Unterflügung der
euen Verbündeten des Kaifer8 abmirabel gehen *)."
1) La Lande p. 891 —894,
2) Sceeiben des Kaifers v. 12. Jul 1788 in Börfters Höfen
5. IL ©. 18, vergl. Villars memolres T. IV. p. 107. @6 ge
ah vermöge des Vertrags zwiſchen dem Kaiſer und Rußland v. 17.
ıni 1788. La Lande a. a. O.
8) Seckendorfs Leben Thl. IV. ©. 174
4) Gbendaf. Thl. UL ©. 58. v. 6. Sept. 1738.
654 Bud VL Drittes Hanptfäd.
10. Oct. As nım gleich nach Auguſts Erwägung Ludwig XV,
1733 dann die mit ihm verbuͤndeten Könige von Gpanien und Car
dinlen dam Kaifer ben Krieg ankünbigten und mit gämfligen
Grfolge zuälelih in Deutfgland und Stalin begannen, bet
fich dem Könige abermals eine günftige Gelegenheit dar, fee
Frankreich ober für den Kaiſer zu entſcheiden. Der
Gefandte Chetardie wendete Alles auf, dem König ganz fir
Stanislaus zu gewiimen, ſchlug ihm baber vor, ſich
nifgen Preuffens zu bemächtigen, von biefer doch
anenia id . Da Primas von Polen, das Haupt ber
la
endlich mit vieler Mühe den HHlegmatifen Auguft *)
gleichen Bedingungen für fi dem Könige Ebbing
Diefer aber verlangte noch aufferbem das ſaͤchſiſche
mern und bie Grafſchaft Mannsfeld, wofin er ben
bewegen weite, durch die preuffiichen Staaten nach
aurhäzugehen, fonft brohete er, diefen aus Danzig, wo er ve
den Auffen eingefchloffen wide, mit ben Waffen zu
und ihm einen Buflußptsort in Stettin zu geben. En
ſprach num zwar, wie er bereit gegen Rußland und
gethan, ſich auch gegen Preuffen gu verpflichten,
polniſche Krone nicht erblich machen wolle, weigerte
* ehwad von feinen Erbianden abzutreten. Vergeblich wendee
daher Sedenborf alle Mittel an, bei Ftiedrich Wilpelm Argwohe
gegen Stanislaus zu erregen , befien Partei dem Auguft
große Quldſamkeit gegen bie Diffidenten und ——— =
Behauptung der Rechte Polens auf Kurland, Eibing me
Draheim vorgeworfen hatte. Der König antwortete, das be
Arte
1) Memoires de Brandenbourg p. 297.
2) Manteufel ſchreibt von Dresden aus an Seckendorf BL. De
Nous nous trouvons dans une plaisante situation, vous à Berlin «
moi icy. Nous ressemblons, ce me semble, & deux bons &cuyer
dont un monte un cheval fougueux et Fautre un retif etc.
Stanistaus und Auguft II. von Polen. 655
kuͤmmere ihn wenig‘). Gr war nicht wieber ganz für ben
Kaifer zu gewinnn, flelte bader auch in dieſem Jahre, ums
geachtet er es fchriftlich verſprochen, bie 10,000 Mann nicht,
zu benen er bunbeägemäß verpflichtet war”). Als Darauf waͤh⸗ December
rend der Tafel gelegentlich die diede auf bie preuffiſhen Giebe 1733
ſidienvoͤlter kam und ber König behauptete, er werde fie. nicht
entſtehen innen, wenn nicht ber gewandte Grumblow; um
abzulenken, einen fogenamten Beummtopf, ben er. zufälliger
Weiſe in feiner Taſche trug, jeht auf ben Liſch gefhmelit hätte,
mo der Kreifel unter vielem Lärm große Werheerung unter den
nig mit; er nahm nad Tiſche
fein Unzeht und verſprach bie Erfllung feiner Verpflichtungen.
iefer (1730) in fein Band zurüdgefehrt und hatte den Rönig
friebrich Wilhelm um Schuß gebeten, deſſen Rath aber, fich
4) Gedenborfs Lehen Ahi. IV. ©, 128 J. — 128. N
2) Edendaſ. Thl. IL ©. 56.
3) Ebendaſ. Thi. L ©. 218. Vergl. Thi. HI. ©. 59 |.
Jamuar
1734
kuimftig verbunden zu fein, irgend einen Beitrag pm
656 Bud VI. Deittes Hauptſtuͤc
den Baiferfichen Befehlen zu fügen, nicht befolgt, war bafer
der Regierung entfegt und bie Verwaltung bes Landes feinem
Bruber als Adwiniſtraior aufgetragen —ã Dagegen hatte
er (1733) bie Wr 18,000 Bann ſtark, aufgeboten, wer
kriege an Geld, Volk oder wie er fonft heiffen möge
ſten; ja- er verlangte, der Kaifer folle ihn urkundlich
Er
2
Reichskrieg gegen Frankreich, 657
haft, welche er auffer ber Bundespllfe zum Reichsheere zu
geben hatte '). Auch die Kurfürſten von Baiern, von ber
Pal; und Kin ſtellten kein Reichscontingent ?). & wurde 26. Br
denn ber Reichskrieg an Frankreich erklaͤrt.
Nun hatte Sedendorf nicht geringe Mühe, den König
zum wirklichen Abmarſche ber 10,000 Mann preuffiicher Hülfss
truppen zu bringen, welche ſich enblich unter bem Oberbefehle Anfangs
des Generals Erhard Ernſt v. Röder in Bewegung fegten und Mai
durch die Schönheit der Mannfchaft fowie durch ihre Fertigkeit
in ben Kriegsübungen allgemeine Bewunderung erregten.
Der König hatte zwar in dem Vertrage (v. 30. Dec. 1733)
mit Deflerreich verfprochen, daß Überall bie ſtrengſte Manns⸗
zucht beobachtet werben folle, was auch wirklich fo lange ges
ſchah, bis die Preuffen in das Fulbaifche, Bambergifche und
Würzburgifche kamen. Die Fürften dieſer Länder hatten ſich
den Unwillen des Königs dadurch zugezogen, baß fie ſich ſei⸗
nen Werbern widerſetzt. Die Preuffen nahmen Rache an ihnen,
miöhandelten die Einwohner, erprefften große Summen und
erlaubten fi jebe Art von Audfchweifungen. Vergeblich was
en bie von den Flrften erhobenen Klagen. „Die Würzbur:
ger haben meine Werber ehebem ebenfalld unmanierlich tractirt
und ihnen Gelb abgenommen" war des Königs Antwort’). .
Die Urfachen aber, welche ihn befonders veranlafiten,
mit der Abfendung der Truppen zu zögern, lagen in feinen
Verhaͤltniſſen zu Rußland und Polen.
Stanislaus hatte, wie wir erzählten (2. Det. 1733) Dans
"zig zu feinem Bufluchtöorte gewählt, weil es feft und fo ges
1) Seckendorfs Leben Thl. W. S. 62 ff. Ich begreife daher nicht
recht, wie Eugen, 22. Dec. 1733 an Seckendorf fchreiben Tonnte: wenn
alle Reicheftände nach dem Beiſpiele des Königs von Preufien ihre flän-
difchen Obliegenheiten erfüllten, dürfte Frankreich es nicht gewagt haben
unter elenden Bewegungsgründen bem Kaifer ben Krieg anzufündigen. —
Wahrſcheinlich Hoffte Eugen noch auf das, was verweigert wurde, ober
die Bor find widt richtig wiedergegeben. Werke Gugens Thi. VIL
©.
2) Faßmann I. ©. 524. Bergl. Häberlins politifche Geſch.
des XVII. Jahrh. Thl. I. S. 607 u. Sedendorfs Leben Spt. III, ©. 83.
8) GSedendorfs Leben Thl. I. S. 189 u. Spt. IIL ©. 70.
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IIL 42
658 Bud VL Drittes Hauptſtuͤc
legen war, daß die aus Frankreich erwarteten Berfidrtungen am
teen zu in oben Ionar Es wınden ſogleich, befonbers
ter Mitwirkung des franzöfifchen Gefandten Monty, bie noͤ
io Vertheidigungsanſtalten getroffen und vorzüglih bie Be:
fatına auf 10,000 Wann verfiärkt, fo daß die Stadt mit den
weiche
Ianwar unter ihrem Generale Lascy zue Einſchlieſſung der *23
1734 heranructen, ſchtecten die Bürger.
Vergeblich bemüheten
Sedendorf und ber ſaͤchſiſche Miniſter Mantenfel, den Gtanis-
laus zur Nicderlegung der Krone zu bewegen. Gegen die
logerung, deren
dufferft thaͤtig betrieb, weil er wohl einſab, daß mit ber Ber
eibung de Gtanislans ber Thron Auguſts gefichert fein
wuͤrde und weil er des Koͤnigs won Preufien nicht voͤllig ge
wiß war. Friedrich Wilhelm, ber die Barbaren nicht gern in
— Naͤbe ſah, drohete dem Secendorf öfters unter fürd:
ſlüchen, er wolle 20,000 Maun zur Beidktung
Das morfchiren laſſen; Gedenborf erwiederte dann wohl:
wenn Kurfachfen fein großes Bataillon hergeben wolle, fo ge
trane er ſich, damit bie ganze preuffifche Armee zu fhlagen ')-
Belagerungsg⸗ durch
Staaten vor Danzig bringen bünften. Cbektardie, weicher
nigftens die Neutralität des Könige zu erwirken fuchte md |
Durchzug werde bewilligen muͤſſen, weiche dem Stanidlaus
wörben Beiſtand leiſten wollen‘). Cr erflärte nun, in du
kommen, aber wenigſtens vier recht lange ſchoͤne Kerle mitze |
1) Ordemborfs chen Ahi. IV. S. 181.
2) Mauvillen II. p. 877.
Gtanistaus Lescyasti in Danzig.
os
bringen, um den König umgufiimmen. Die ſchriftliche Ver⸗
wendung Muͤnnichs war vergeblich, bis er nachgab, auch Frans
zoſen "endeten freien Zug durch die preuffifchen Stasten erhals
ten. Darauf ließ der König auf Sedendorfs Zureden die ruſ⸗
ſiſchen Geſchute von Pilau, Secendorf aber ſelbſt wir Moͤr⸗
kr und einige hundert Bomben von Dreöben mit untergelege Aprll
tem Pferden vor Danzig fhaffen‘), weldes mun machdrucüch 173*
angegriffen und anhaltend bombarbirt wurde.
Gben hatte der König noch die Bedingungen angegeben,
unter denen ee fich wit Zuguß verbinden wolte, elf &r auf
Chetardie's Anbringen die Vermittelung zwifchen bem zuffifchen
Dberbefehlöpaber, der Stabt Danzig und bem in ihr befinds
lichen Stanislaus übernahm und um ihr Nachbrud geben zu
konnen, die 10,000 Mann noch zurüdhielt, welche ex für ben
Kaifer nach dem heine gehen laſſen wollte. Er ließ burd 20. April
den geheimen Rath Brandt dem General Münni eine Ams
neſtie fie die Stadt, für Stanislaus und deſſen Anhänger und
deren freien Abzug aus Danzig unter dem Schuge preuſſiſcher
Truppen — hauptſaͤchlich ſollte Brandt dafür forgen,
daß Danzig weder von Ruffen noch von Sachſen befegt würde.
Hanni antwortete ſtolz: er babe ſchon bei feiner Ankunft
der Stabt 24 Stunden Zeit zur Ergebung gegeben und könne“
nunmehr Feine Wermittelung annehmen. Wolle fi Stanis⸗
laus und deffen Anhang der Kaiferin zu Zügen werfen, fo
koͤnne das ohne fremde Vermittelung und GSchugbegleitung ges
ſchehen). Nicht einmal einen Waffenſtillſtand bewiligte er,
bombarbirte vielmehr bie Stabt heftig und ftrmte fie, wurde 9. Mai
- aber mit großem Verluſte zuruͤckgeſchlagen.
Endlich erſchien ein franzoͤſiſches Geſchwader vor Danzig.
Mimnichs beleidigender Trotz, deſſen eigenmaͤchtige Unterbres
chung des preuſſiſchen Poftenlaufs, das nachlaͤſſige Benehmen
Auguſts und geringſchaͤtige Aeuſſerungen fächfifcher Minifter
über Friedrich Wilhelm brachten dieſen ſehr gegen bie —
ſchen Verbündeten auf. Mitleid mit Stanislaus Schidſal
ſchoͤne Rekruten, welche Chetardie lieferte, die Gefahr, older
1) Gedendorfe Erben Ip. IV. @. 182 fl.
2) Ebendaſ. S. 186 ff. — 141.
42*
660 Bud VL Drittes Hauptfäd.
Zruppen aus Polen ſchaffen und verfprechen follte, nichts ge
gen bie polniſche Zreipeit zu unternehmen, bagegen aber nicht
was er bafür thun wolle‘). Die fhkfün Wi
angegeben,
Mai, nifter ſollten darauf mehrfach geäuffert haben: che Preuffen ein
17%
bing werde Rußland Bealnfigen u und Auguft —e—
einwilligen, nur Pommerellen koͤnne nicht abgetreten werden
Daflız verlangte Löwenwolbe die Anerkennung Auguſts als Kb
nigs von Polen, freien Durchzug für beffen Truppen, Aus
towskiſche Regiment und Sommern nebft Mannsfeld. Vergeblich
bemühete fich der Kaifer, den König Friedrich Wilhelm für Auguf
zu flimmen und ihn wegen Cleve s und Geiderns zu beruhigen .
1) Gedendorfs Leben Thl. IV. ©. 148.
2) CEbendaſ. S. 149.
Stanislaus Lescynski in Danzig. 661
Unterbeffen hatte ber franzöfiiche Befehlsbaber, der anſtatt
einer flarfen Heeresabtheilung nur wenig über 2000 Mann
Sanbtruppen mit ih führe, es nicht gemagt, bife auspuff
fen und war nach Kopenhagen gefegelt. Hier übernahm es
der entfchloffene franzoͤſiſche Geſandte Plelo, die Franzoſen
nach Danzig zu führen. Er landete mit 2300 Mann und
griff die Ruffen, um been Vereinigung mit ben beranrldens 37. ai
den Sachfen zuvorzufommen, eilig unb mit ſtuͤrmiſcher Zap: 1734
ferfeit an, wurde jedoch erſchoſſen. Zahlreiche Gräben hinderten
ein weitereß Vorbringen, feine Zruppen zogen ſich bis in bie
Näpe von Weichfelmimde zurid. Die Sachſen unter dem
Herzöge von Weißenfels fliegen zu Münnich, eine ſtarke rufs
fiſche Flotte fperrte den Strom, die Franzoſen muflten fich er-21. Suni
geben, ebenfo bald barauf die Feſte Weichfelmünde, und nun
ließ ſich bie Stabt nicht mehr behaupten, fie trat in Unters28. Suni
bandlungen mit den Belagerern. Der König Stanislaus ver-
ließ daher ald Bauer verkleidet heimlich die Stabt, Fam glücs 27. Juni
lich auf das preuſſiſche Gebiet nach Marienwerber und, nad 3. Juli
dem ihn der König von Preuffen feines Schutzes verſichert
hatte, in Koͤnigsberg an, wo er im Schloffe aufgenommen,
geihligt und ald Gaft anftänbig behandelt wurde‘). Miünnic
war darüber dufferft erbittert. Danzig muſſte fich bei ber
Uebergabe verpflichten, dem Könige Auguft zu hulbigen und 9. Zur
ihm gehorfam zu fein, nie wieber Feinde ber ruſſiſchen Kaiferin
aufzunehmen, zur Abbitte bei berfelben eine feierliche Deputation
nach Peteröburg zu ſchicken, an Rußland eine Million Thaler
Kriegskoſten und eine Milton Thaler, weil fie den Stanislaus
habe entkommen laſſen, andere anfehnlihe Summen an bie
ruſſiſche Generalität zu zahlen, bie beiden polniſchen Regimens
ter der Befagung aber ben Ruffen kriegsgefangen zu übergeben.
Der König Auguft beftätigte übrigend ber Stadt ihre Privile
gien, begnuͤgte fich endlich anflatt ber gefoberten 2,300,000 preufs
fiſchen Gulden mit 900,000 Gulden und gab ber Gtabt bie
Zeſte Weichfelmünde zurüd. Die Kaiferin erließ auch bie
Milion Thaler, welche als Strafe für bad Entkommen bes
1) Mömoires de Brandenbourg p. 297.
662 Bud VI. Drittes Hauptſtuͤc.
Stanistaus entrichtet werben ſollte; bermoch hatte bie Stadi
ſehr viel duch dieſe Ereigniffe gelitten ).
233. Zuni Erſt jetzt, nachdem der Kronprinz bereits feit einigen Ze
ar gen zum Reichsheere abgegangen war, begab fich der König
8 Zul a8 Neugier, Die Falferlichen Truppen zu fehen, und aus An
haͤnglichkeit an die feinigen dahin. Er wohnte in deren Mitte
in einem Selte ohne Bequemlichkeit, forgte angelegentlich hu
Ühre gute Verpflegung, ließ ihnen deshalb Lazarethe für bie
Kranken errichten und bewirkte fo, daß weit weniger entliefen,
als man beforgt hatte”). Nur der Schatten des großen, nım
olteräfcpivachen Eugen waltete noch über dem kaiſerlichen und
Meichöeere, daS muͤhig zuſah, während die Franzoſen Philippe
burg belagerten und einnahmen. Hier Iemte der ſcharf be
‚Heereßvermaltung
Tennen®), was unſtreitig nicht ohne Sinti *. fein ſpaͤterẽ
Leben war. Der König, dem bie Sgwaͤche der öferreichifchen
Verwaltungsweiſe ebenfalls wicht entgangen und deſſen Re
gang für den Kaifer dadurch gewiß fehr geſchwaͤcht worden
15. Aug. war, verlieh dad Heer, wo er nichts mehr zu thun fand,
wurde auf der Ruͤcreiſe im Cleveſchen Iebenögefährlich Frant
und war laͤngere Zeit hindurch feinem Ende nahe‘). Der
Kaiſet hatte dem preuffiichen Truppen zu Winterquartieren bie
Wistpämer Köln, Mänfter, Osnabruck und Paderborn ange
wiefen, damit fie für den Eimftigen Feldzug nahe wären, zu
gleich den ihm wegen Teiner Hinneigung zu Fraukreich mit
Mecht verdächtigen Kurflcften Clemens Auguft von Köln, wei:
Ger auch den Übrigen genannten Bisthlmern vorſtand, im
Zaume hielten und bdaflır firaften, daß er bie Frauzoſen zur
1) Grataths Geſch. von Danzig für alle biefe Stade beireffenie
Singeifeiten TpL. II. &, 896— 470.
—* 2 nit Mm. Thl. U. ©. 436. Preuß driedriche Yagend:
ve &. 256.
8) Memoires de Bramdenbourg p. 803. Jouraal secret p. 5 t.
Zult 1784. Cr fpottete über die Defterreicher, ſ. Gedtenborfü Leben
SL IL 6. 80 f.
4) Bel Faßmann I. &. 510.
Feldzug. Winterquartiere. 663
Belegung feiner Länder eingelaben hatte. Der Kurfuͤrſt, dem
die Gewaltthätigkeiten der Preuffen im Wuͤrzburgiſchen nicht
unbelannt geblieben waren, hätte bie Laſt der @inquartierung
gern abgeauft, aber der König verlangte allein vom Bisthume
Münfter 650,000 Thalerz das war nicht aufzubringen, alfo
rickten die Preuffen ein. Sie machten ganz übermäßige Fo⸗
derungen; ein Hauptmann des Fußvolks verlangte für 17,
ein Lieutenant für 7, ein Faͤhndrich für 5 Pferde Futter, fie
ſchlugen jede Ration monatlich zu 8 Gulden, jede Portion zu
4 Gulden an. Auſſerdem erprefften fie veichliche Bewirthung
und Geld und mishanbelten die, welche ſich widerfegten.
Zahlreiche Boten, Pferde und Fuhren wurben gefobert, lang
gewachfene Leute am hellem Tage von ber Straße, ja beim
Weggehen aus der Kirche mit Gemalt zu Soldaten genommen,
viele ruͤſtige junge Männer verließen das Land. Vergeblich
beſchwerte ſich der Kurfürft laut und brohend, vergeblich nahm
ſich felbft der Kaifer endlich, obwohl ungern feiner an und
warf den preuffifchen Truppen Gelderprefjungen, Menfchenweg: -
ſchleppung und muthwiligen Todtſchiag vor. Der König
ſtellte wefentlich nichts ab und berief fih darauf, daß es bie
Dänen und Hannoveraner auch nicht beſſer machten‘). Es
kam fo weit, baß der Kurfürft von Kdin Gewalt mit Gewalt
vertreiben wollte. 200 Preuffen, welche rheftändige Contingent⸗
gelder im Münfterfchen eintrieben, wurde von 600 Mann münftere
ſchen Truppen überfallen. Die Preuffen zogen fich auf einm
Kirchhof zuruͤck, wo fie von vielen taufend Bauern eingefchloffen
wurden, bis fie Verſtaͤrkung erhielten, worauf bie Bauern ent
woffnet wurden). Der König ſah ſich endlich doch genÖthigt,
die Beſchwerden und Gerichte Uber das Verfahren feiner Trup⸗
pen und die gegen fie erhoben Beſchuldigungen, fo gut er
es vermochte, zu berichtigen umb abzulehnen ).
Den Ruffen und dem Kaifer war ed dufferft ımangenehm,
daß Friedrich Wilhelm dem Stanislaud unterbeffen einen Zus
fluchtsort in Koͤnigsberg gegeben. Wurde doch fogar von ber
1) Sedendorfs &bm TH. UL ©. 100 ff. u. Thl. I. ©. 188.
2 Zaßmann I. S. 547.
8) Derſelbe S. 522 f. u. 647.
664 Bud VI. Drittes Haupefüd.
ruffifchen Kaiferin ein Preis von 100,000 Rubeln auf de
Gtantslaus Kopf gefegt. Secendorf, welcher (Juli) Berlin
verlaffen und dort feinen gleichnamigen Better zur Beforgung
der Angelegenheiten des Kaiſers zuruͤckgelaſſen hatte, en
den König während des Feldzugs und bemübete fih fehr, ihn
Gewalt aus Königsberg wegzuführen, ſchrekte dad ben König
fo wenig, daß er vielmehr Genugtbuung wegen einer ſolchen
ig verlangte, für den Fall eines Sruchs mit Ruf
Tand (em PülfscorB vom Rheine yurhkpurufen und des Kar
Defterreich ausliefern, ja felbft wenn er, was das Rechtlichkie
und Kluͤgſte keins von beiden that, aber Eräftig unb gewandt
aufs, unſchwer Schiebörichter in ber gefammten
Angelegenheit werben‘). Allein er ſchwankte zwifchen feinem
1) Secendorfs eebea Thi. IV. ©. 158.
2) Journal secret p. 4 v. 29. Zuni 1734
8) Grdendorfs Erben Thl. III ©. 88.
4) Deflerreidh glaubte, er wolle as. Gbeabaf. IV. ©. 164.
Stanislaus in Königsberg. 665
verfönfichen Widerwillen gegen Frankreich und feinem perfän:
lichen Mitleibe fir Stanislaus, zwifchen feiner Abneigung ges
gen Auguft II. von Polen, feiner Exbitterung über Rußland,
feiner Unzufriebenheit mit dem Kaifer, feiner patriotifchen Ges
ſinnung für Deutſchland und feiner Beforgniß vor einem alls
gemeinen Kriege, zwifchen Eigennuͤtzigkeit und Uneigennügigkeit
fo lange hin und her, wendete den Kaifer, dem er nicht genug
beiftand, Rußland und Sachſen, weil er den Stanislaus
ſchuͤtzte, Frankreich, weil er dem Kaifer 10,000 Mann Hülfs>
truppen geſchickt und das ruffifche Belagerungsgeſchuͤtz hatte
durch fein Gebiet gehen laſſen, alfo alle Mächte von fich ab,
indem er feiner genügte, und that fo lange auch fuͤr fich felbft
Zeinen entfcheidenden Schritt, bis die verwidelten Angelegen⸗
heiten ohne ihn entwirrt wurden unb er weber von ber einen
noch von ber anderen Seite auch nur wirklichen Dan? erhielt.
Als ihn Sedendorf im Namen des Kaiferd ermahnte, ben
Stanislaus fortzufhaffen, erwieberte er biefem, er wolle Alles
für den Kaifer in deſſen Noth daran fegen, muͤſſe aber feiner
Länder wegen Öffentlich Frankreich ſchonen, bis ſich England
und die Generalftaaten für den Kaifer erklärt haben würden.
Ludwig XV. habe ihn gebeten, dem Stanislaus Schug zu ges
währen, worauf biefer als ein unglüdlicher Here und früher
vom Kaifer und Preuffen anerkannter König voͤlkerrechtlich
Anſpruch habe. Dbgleih nun der Ruffen Drohungen ihn
hätten veranlaffen koͤnnen, ſich öffentlich fir ihn zu erflären,
babe er dad dennoch nicht gethan, vielmehr geheimen Befehl
gegeben, fi des Stanislaus zu verfihern und ihn an einen
feften Ort zu bringen, bis ihm bes Kaiſers Entſchluß, ben er
binnen vier Wochen erwarte, befannt fein wuͤrde, weil Frans
reich die Auslieferung des Stanislaus verlangen werde. Darein
zu willigen, widerrieth Seckendorf fehr, fuchte vielmehr den Kds
nig zu bewegen, für das rutowskiſche Regiment und ihm zu
gewaͤhrende Wortheile in Polen ben Stanislaus in die Hände
des Kaiſers zu geben. Dem ruſſiſchen Hofe betheuerte ber
König, er halte den Stanislaus gefangen, bamit ſich diefer
nicht zu den Türken fchlage ').
1) Gedenborfs Leben Tpl. IV. ©. 159—164. Vergl. Journal
secret p. 53.
Auguft
1734
666 Bud VI. Drittes Haupefäd.
Vergeblich bot ihm der unermäbliche Sedenborf Kıriat
mehr, warn er ihn an Defiereich außliefen wolle. De ur
glüdliche Monarch follte feinen Ziel unl fein: Exbgken k
halten und eine jäfide Cummne vom Könige Auguf ba I»
men, welcher endlich felbft das rutowskiſche Regiment
Sedendorf, als an politiſche Sachen denken, wolle ſich daher
um feiner Urfache in der Zelt willen in die polnifden Ange
legenheiten miſchen und rathe auch dem Kaifer, WBaffer ia
feinen Wein zu gießen. Er flug vor, dem Gtanißlaus, da
bei feinem Alter und feiner Leibesbefchaffenheit nicht lange mehr
leben koͤnne, bie polnifhe Krone unter der Bedingung zu la:
würfe um fo mehr empfindlich, als bie Angelegenheiten feine
Heers in Italien ſeht mißlich fanden, und dufierte, man fee,
was man von ber preuffifhen Standhaftigfeit zu erwarten
babe, welche in Beiten, wo man ihrer nicht bebürfe, im ange
nehmen Berficherungen beftänden, auf bie man aber in mik
Tichen Umftänden nicht rechnen koͤnne und fie doch bei jeder
Gelegenheit theuer erfaufen folle *).
Der Kaltfinn Friedrich Wilhelms gegen Deſterreich, few
Unmille gegen Rußland, ſeine Zuneigung für Stanislaus wurden
immer größer. Als 120 Franzoſen, welche als Gefangene von
Weichſelmunde nach Petersburg gebracht werden folten, an
ber Küfte der Herrſchaft Lauenburg flrandeten, Tieß er fie mi
allem Nothwendigen verfehen, ſicher durch feine Staaten nah
Frankteich zurlchreifen und begegnete ihren Dfficieren in Mer:
fin mit auffallender Höflichkeit".
1) &5 wurde das giemlich allgemein geglaubt. Journal seuret
p · 6 u. 9.
2) Gedendorfs Leben Cpl. IV. S. 165 ff.
3) Babmann k ©. 522 u. 550.
GStanislaus in Königsberg. 667
Stanislaus hielt in Königsberg, umgeben von zahlreichen
angefehenen Polen feiner Partei, welche zu ihn geflüchtet was
zen, einen förmlichen Hof. Der Kronprinz, welcher anflatt
feines noch kraͤnkelnden Vaters zur Mufterung nach Preuffen
veifte, befuchte ihn oft. Der König ſchenkte dem Generale
Sedendorf zu Weihnachten mit bitteren Anmerkungen einen
Ring mit der Innſchrift · Vive le Roy Stanislas, ſprach überall
während der Zafel und im Tabakscollegio mit großer Verach⸗
tung vom Könige Auguſt: „Mantelfad, dummer Teufell')“
Er trank oft auf des Stanislaus Gefundpeit: Vivat Stanie-
laus! perent Augustus! und fpottete über des Kaiferd Geld»
noth. Als einige Polen ber ſaͤchſiſchen Partei auf ber preuſ⸗
fifhen Herrſchaſt Tauroggen einige Gewaltthätigkeiten verhbten,
welche ein Bericht an ben König fehr vergrößerte, fo drohete
diefer in Warfchau, er werde fi) in Ermangelung hinreichen⸗
der Genugthuung in Sachſen vierfach entſchaͤdigen?). Nur
mit Mühe wurde er beſaͤnftigt.
Der Kaifer ſchikte nun den duͤrſten Lichtenftein nach Ders
In, um ben König zu bewegen, fein Reichds und Bundes⸗
contingent zu fielen, ihm eine Summe Geldes vorzuficeden?)
und ben König Stanislaus von Königsberg, fowie den frans
zoͤſiſchen Gefandten Ghetardie aus Merlin zu entfernen *).
Lichtenſtein war ein tapferer und einfichtönoller Krieger, zugleich
ein gebifbeter und hoͤchſt achtbarer Mann, ber fich jedoch zus
gleich feiner Winde bewufft war. Ex kam mit glaͤnzendem
jar
1735
Gefolge in Berlin an, wurde höflich und gleichgültig behanz .
delt, erreichte aber nichte.
Die Klagen über die von ben preuffifcden Truppen bes
gangenen Ausfchweifungen machten den König misvergnuͤgt;
er betheuerte, Gut und Blut flr den Kaifer laſſen zu wollen,
1) Gedendorfs Leben Thl. IV. &. 170. Journal secret p. 34
v. Ber. 1785.
2) Gectenborfs eeben SH. IV. ©. 172.
3) Polinit Méim. Thl. II. ©: 461 fagt, der Kaiſer habe für
einige Millionen Gulden dem Könige Blogau verpfänden tollen, was
Baum wahrſcheialich if.
4) Journal secret p. 46.
Dir
1735
668 Bud VL Drittes Hauptftüd.
doch müffe er auch am ſich denken: „Ich fehe ſchon“, fagte
er zu Grumblow, „daß ber Kaifer meiner fatt ift, weil a
Seckendorf abberufen hat, zu dem ich Vertrauen hatte und
der meine Weife kannte, wogegen er mir ben Eichtenflein ſchict
der mich durch die Art feines Benehmens in Verlegenheit
ſetzt ).“ Hoͤchſt wahrfcheinlich war damals bereits Grumbins
und vieleicht auch Derfhau von Frankreich gewonnen, was
dazu beitrug, daß ber König ſich immer mehr auf deſſen Seite
neigte?). Als ihn daher ber General Sedendorf fchriftlich
‘drängte, bie preuffifchen Truppen im März bereit zu halten,
erwieberte felbft ihm der König: „In Wintermonaten zu cam:
piren, um nichts zu thun, ald die Leute unb die Pferde mis
niren zu laſſen auf fächfifche Art, iſt hier nicht Mode. Meine
Leute ſollen nicht die erften und auch nicht die legten fein, bie
zur Armee flogen ’).”
Die Ruffen vertrieben des Stanislaus Anhänger ars
einem Theile des an Polen grenzenben preuffiichen Gebiets
und droheten, dad zu wieberholen. Der König ſchickte ſogleich
ben General Katte dahin und ließ erklären, er werbe Jeden
der fein Gebiet verlege, ald Feind behandeln‘). ALS der Ge
neral Münnich öffentlich drohete, er werde den Gtanislaus
aus Königsberg wegholen laſſen, erflärte Friedrich Wilhelm L
den Gefandten ber drei verbünbeten Mächten in ben i
Ausbrüden, daß er parteilos bleiben und bie von ihm bem
Stanislaus und ben polnifchen Magnaten gegebene Freiflätte
geachtet wiffen wolle, daher Gewaltthätigfeiten gegen fie als
Friedensbruch anfehen und dann feine Zruppen vom Mpeine
zuruckberufen werbe ).
Weil nun dieſe Spannung die übelften Folgen haben konmt
1) Journal soczet p. 42, vergl. p- 4.
2) Pöllnig Mm. Thi. IL ©. 461. Journal secret p. 56, 51,
59-61 u. 78. ö
3) Secendorfs Erben Thi. III. ©. 110.
4) Pölinig a. a. D. ©. 471. Journal secret p. 67 v. Juni 1755.
5) Journal secret p. 53 i. d.j Anmert. Seckendorfs Beben IV.
©. 174.
Stanislaus in Königsberg. 669
ſo drangen Sedendborf und Mannteufel in Dresden (Mai)
F auf Ausföhnung mit Preuffen, allein Auguft verlangte, Fried⸗
rich Wilhelm folle den. erfien Schritt thun. Nun Fam der ges
! wandte Gpavigny als aufferorbentlicher franzöfifcher Gefandte
F nad Berlin. Italien war für den Kaifer faft ganz verloren,
* am Üheine gefchah nichts. Der Unthätigkeit wollte Secendorf
⸗
J
B
[
t
durch eine Diverfion an ber Mofel ein Ende machen und ers
7 hielt den aud von Leopold von Deffau gefuchten Oberbefehl
über eine dazu beftimmte Heeredabtheilung. Leopold verließ
ſogleich das Heer und bewog dm König Friedrich Wilpelm,
dem General Röder bei Verluft des Kopfes zu verbieten, mit
ben Preuffen an bie Mofel zu marfchiren. Unter allgemeiner
Misbiligung kehrten daher bie preuffifchen Hülfstruppen fchon .
vor dem Ende des September über den Rhein zurüd. Lascy, 21. Sept.
der die ruſſiſche Heeredabtheilung befehligte, welche zur Unters 1735
fügung des Kaiſers angelangt war, wollte nicht unter Secken⸗
dorf dienen. So Tonnte hier nichts auögerichtet werden ').
In Polen war die Ruhe ziemlich hergeſtellt, des Stanis⸗
laus Anhänger vertrieben oder unterdrückt, Auguft überall durch
' Bermittelung fächfifcher und rufſiſcher Truppen anerkannt.
Die Seemächte unterhandelten feit mehreren Monaten vermit⸗
telnd den Frieden; dennoch verlangte Friedrich Wilhelm auch
jegt noch daflr, daß er ihn ald König anerkenne, Kurland,
Elbing, einen Strich von Pommerellen, Gommern, Mannöfeld
und bie fächfiichen Rechte auf Juͤlich und Berg. Beſorgt
darüber, Frankreich möchte fi mit dem Kaifer ausföhnen,
entwarf er einen Plan, ben Frieden ohne Zuziehung der Sees
mächte herzuftellen ; doch mochte er bald die Unausführbarkeit
beffelben einſehen). So ſchloß Zleury klugerweiſe zu Wien
die Zriedenspräliminarien mit dem Kaifer ab, welche darauf 3. Okt.
die Könige von Spanien, Neapel und Sicilien annahmen.
Stanislaus entfagte ber Krone, behielt ben Zitel eines
Königs von Polen und bekam die Herzogthlimer Baar und
dann Lothringen, welche nach feinem Tode an Frankreich fallen
follten, auf feine Lebenszeit. Der Herzog Franz von Lothrins
1) Gedendorfs Leben Thi. I. ©. 216.
2) Ebtendaſ. Thi. IV. ©. 178 ff.
670 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck
gen wurbe durch das ogthum Toscana emtfchädigt
Der Kaifer trat bie Koͤnisreiche Reapel und Gicilien dem I
7
*
F7
IM:
ih
Fe
Auguft ald König von Polen an, und gewährleiflste fowie in
den näcften Jahren bis 1739 durch befondere Arten auch die
Könige von Spanien, Neapel und Sitilien die yragmatiide
opferte und dazu das fehöne Lothringen, eine Provinz dee
Reichs, an Frankreich überließ.
widerfuhr, ließ ihm tief aim, daß ihm biefer nicht uche
nöthig babe. Ais er für bie Winterquartiere feiner Hit
truppen eine halbe Million Thaler verlangte, fie baun aber
weil der Krieg aufbörte, in ihre Stanbquartiere
wollte, wurbe es ihm fehr bemerkbar, daß man ſich ber durch
große Ausfchtweifungen und Erpreſſungen beſchwerlichen Zrup
gen germ entlebigt fehe, weshalb ihm der Kaifer, wenn je
beimgehen würden, 100,000 Gulben anflatt der Winterguan
tiere zu bezahlen verfprach ). |
Der Kaifer zeigte dem Könige auch ben —* de
Friedenspräliminarien mit Frankreich ger nicht an, was biefe
fo übel empfand, daß er feinem Geſandten verbot, —
ſpaͤter noch anzunehmen"). Noch ewpfiudlicher wurde er, ai
1) Die zahlreichen gu den Praͤllminarien und zum Definitöufriehen
iin ben Rakfr, Dem Rinige bon Moira und ben Korigen von Grab
reich, Sardinien und Neapel, gehörigen Artikel findet an in Wenck
codex juris gentium recentissimi T. I, am Anfange beffe
2) Seckendorfs Leben Thl. II. ©. 189 f.
3) Gbendaf. IV. ©. 188.
Friede mit Fraukreich. 671
ber Kaiſer, ber ihm bie für bie Winterquartiere bedungenen December
100,000 Gulden noch fcufbig war ‘), die preuffiihen Wer 1735
bungen in feinen Grbländern verbot und bie Bezahlung von
116,000 Thalern als Reichskriegsbeiſteuer verlangte. „Ih
fragte nicht viel”, dufferte er dann wohl, „nach ben
116,000 Zhalern, wenn ich wüffte, daß die Sache damit außs
gerichtet wäre, aber man wird das Gelb nehmen und mich
nach wie vor vernadhläffigen, denn der Kaifer tractirt mich
und alle Reicöfürften wie Schubjads, was id gewiß nicht
verdient habe. Allein um des Denn... Mantelfals (Aus
guſts ML) Billen cujonirt man mic. Ih zweifle feR, bob daß
ü hmen angeworben werben ‚zum
der Kalfer feine Freundſcheft nicht ganz verachte®),
boffen laſſen, daß er für einige lange Leute ve un ai
König vom Polen anerkennen werde; ald man aber nun baflır
nur einige pirnaiſche Quaderſteine zur Bildſaͤule des großen.
Kurfürften in Rathenow bot, zerſchlug «4 ſich ). Später
(April 1737) erkannte er Auguft II. dennoch an’).
Inden Friedrich Wilpelm fih nach und nach zu über
zeugen anfing, daß der Baiferliche Hof feit Jahren ein unwuͤr⸗
diges Spiel mit ihm getrieben, unb daß ihm alle Opfer, bie
er gebracht, alle bitteren Bamilienunannehmlichkeiten, die er
erfahren, nur mit Geringfpägung vergolten würden, regte das
fin gene Selöfigefühl auf und er machte dann gegen
kow wohl feinen geprefften Herzen Luft, indem er auf-
den Kronprinzen zeigend voller Exbitterung in die prophetifchen
Worte audbrach: „Da ſteht einer, der mich raͤchen wirb")!”
.
1) Gedenborfs Erben IH. DI. ©. 147.
2) Journal secret p. 116 v. Jan. 1786.
8) Gedenborfs Lehen Thl. II. ©. 198.
4) Gbenbaf. IV. ©. 182.
5) Journal secret p. 170.
6) Journal secret p. 189: Voicy qnelqu'un qui me vengera un
jour. Be quaigoe Io rl commence & se moderer beaucoup dans ses
passions et dans ses discours, il ne peut pourtant pas moderer aa
Mei
1736
‘
uk Verhandlungen über Berg. 673
vnen Thaler bitten ließ, ſchlug dieſer Alles mit vielen
F Ste ab, ließ auch ungeachtet eines Baiferlichen Anfchreis Detober
33293000 Gentner Rupferd, weldes der Ralfer von Breslau 1736
"per Oder nad Hamburg ſchickte, nicht zollfrei durch ).
. in Schleſien Getreidemangel ſtattfand und Korn in Meck⸗
. =, Danzig und Kurland gefauft wurde, um auf ber
"und Oder nah Schlefien gebracht zu werden, erinnerte
"ber König, daß in Jauer noch ein preuſſiſcher Werbeofficier
rgen fige, der einen gräflich hochbergſchen Unterthanen ent⸗
- t hatte, und ließ fogleich alle Getreide anhalten. Der
u verbot ſeinerſeits ale preuffifchen Werbungen in feinen
= den und ließ einen. preuffifchen Officer, der mit 12 Riefen
das Leibregiment aus Neapel kam, in Wien anhalten.
n gab der König dad Kom, ber Kaiſer die angehaltenen
iciere und Rekruten frei’). Die Spannung zwiſchen beiden Januar
“fen wurde immer ſtaͤrker. 1737
Beil indeffen dem Könige immer noch bie Erwerbung
198 nach dem bald erwarteten Abgange ber pfalzs neuburs
ben Linie aufferordentlih am Herzen lag, fo erbot er fi
den Pfalzgrafen Karl Theodor von Sulzbach auf diefen
für Berg und Düffeldorf eine Million Thaler, an drei
alz⸗ſulzbachiſche Prinzeffinnen 150,000 Zhaler und an jede
ch 30,000 Thaler bei ihrer Vermaͤhlung zu zahlen; allein
3 Haus Pfalz lehnte alle diefe Anträge, unſtreitig auf den
ath Frankreichs, Deſterreichs und der Generalftaaten fort
5. Nun machte der König noch einen legten Verſuch den
aifer zu gewinnen, beflen Gelbnoth während des
efannt genug war. Er bot ihm für bie Gewägrleikung Ber. is
zergs 1,200,000 Thaler. Karl VI. wies das zuruck und der
veuffifhe Minifter v. Brandt wurde von den Faiferlichen Mi: Ku
‚iftern nicht eben fein behandelt. Der König geflattete mm
war, baß der Kaifer in Berlin eine Anleihe von einer Mil:
1) Gedeborft Eben Zur. TIL. ©. 152.
D Enkel. 6.2.
672 Bud VI. Drittes Hauptſtuͤck
Auch bie von ber Königin fehr gewinfchte Heirath ihrer
ilmgften Tochter Ulrite mit dem Prinzen von Wales, übe
welche der König Georg II. eine Zeit lang verhandelt hatte,
ſcheiterte j.
Frankreich war kluͤger als ber Kaiſer, indem es dem Ki:
nige von den abgefchloffenen Praͤliminarartikeln foͤrmliche An:
zeige machte, weshalb biefer auch ben Stanislaus, ber auf
16.— 21. feiner Reife von Königsberg nad) Frankreich mehrere Tage ia
Mei Berlin unter dem Namen eines Grafen Blamont vermeilt,
A736 ſehr Höflich aufnahm, behandelte und befchenkte”). Ex winfdt
dadurch hauptſaͤchlich Frankreich zur Unterftügung feiner An:
forüche auf Juͤlich und Berg zu gewinnen, was Chktariie
hatte hoffen laffen, erlangte jedoch weſentlich nichts ald des
ähm ſehr gleichgültige Geſchenk einer koſtbaren Gobelinstapt:,
während ihm-einige lange Soldaten weit lieber gewefen wären’)
Der Kaifer muffte es balb bereuen, ben ee von
Preuffen fo ſchnoͤde behandelt zu haben. Der Krieg, welchen
Rußland gegen die Pforte begann, nöthigte ihn bunbedgemä |
zur Theilnahmeʒ ex beſchloß fogar, mit feiner ganzen Madt
aufzutreten. Um ben König günflig zu flimmen, geflattde a
ihm nun, „in Hoffnung banfbarer Ermwiederung”, 20 lang
Leute in Böhmen und Mähren und eine kleine Anzahl in
Ungarn freiwilig zu werben‘). Nun war das zu ſpaͤt. AU
er durch Sedendorf den König um 20 Bataillone und Fi.
colere quand il vient sur — mögen de a nur Igel
&gard et les larmes lul en viennent aux yeux de rage. Bel Er
dendorfs Leben IV. ©. 183, deſſen Verfaſſer offenbar das Joumal
secret benugte-
1) Im Jan. 1786. Journal secret p. 119. Georg IL verlangt
die Abtretung der preuſſiſchen Amvartfhaft auf —— die drichnih
Wüpelm durchaus nicht aufgeben wollte. Secenborfe erien Ti TIL
©. 256.
2) Fafmann IL. ©. 788. Bergl. Benekendorf X 8.8:
Yblinig II. ©. 477. .Mauvillon IL p. 885.
8) Gedendorfs Sehen Thi. IV. ©. 188. Mauvillen I
p- 885.
4) Gedenborfs Echen Thi. II ©. 199, Joumal sceret p. 10.
Verhandlungen über Berg. 673
Milionen Thaler bitten ließ, ſchlug diefer Ale mit vielen
Vorwuͤrfen ab, ließ auch ungeachtet eines Paiferlichen Anfchreis October
bens 3000 Gentner Rupferb, weldhes der Kaifer von Breslau 1736
auf der Oder nad Hamburg ſchickte, nicht zolfrei durch ).
As in Schlefien Getreivemangel flattfand und Korn in Meds
lenburg, Danzig und Kurland gefauft wurde, um auf ber
Elbe und Oder nach Schlefien gebracht zu werden, erinnerte
fi der König, daß in Jauer noch ein preuſſiſcher Werbeofficier
gefangen fige, der einen gräflich hochbergſchen Unterthanen ent»
führt hatte, und ließ fogleich alles Getreide anhalten. Der
Kaifer verbot feinerfeitö ale preuffifchen Werbungen in feinen
Landen und ließ einen. preuffifchen Officer, ber mit 12 Riefen
fir das Leibregiment aus Neapel Fam, in Wien anhalten.
Nun gab der König das Kom, der Kaiſer die angehaltenen
Dfficiere und Rebruten frei’). Die Spannung zwiſchen beiben Januar
Zürften wurde immer ſtaͤrker. 1737
Weil indeffen dem Könige immer noch die Erwerbung
Bergs nach dem bald erwarteten Abgange der pfalzsneuburs
gifhen Linie aufferordentlih am Herzen lag, fo erbot er fich
an ben Pfalsgrafen Karl Theodor von Sulzbah auf biefen
Tal für Berg und Düffeldorf eine Million Thaler, an drei
pfalzefulzbachifche Prinzeffinnen 150,000 Thaler und an jede
noch 30,000 Zhaler bei ihrer Vermaͤhlung zu zahlen; allein
das Haus Pfalz Ichnte alle diefe Anträge, unſtreitig auf den
Rath Frankreichs, Deſterreichs und der Generalftsaten fofort
ab ). Nun machte der König noch einen letzten Werfuch, den
Kaifer zu gewinnen, beffen Gelbnoth während des Tuͤrkenkriegs
befannt genug war. Er bot ihm für die Gewaͤhrleiſtung Ber. bis
Bergs 1,200,000 Thaler. Karl VI. wies das zurüd und der 7
preuffifche Minifter v. Brandt wurde von den kaiſerlichen Mis 1737
niftern nicht eben fein behandelt. Der König geflattete nun
zwar, daß ber Kaifer in Berlin eine Anleihe von einer Mils
1) Gedenborfs Leben Thl. II. ©. 152.
2) Ebendaf. ©. 202. _
8) Mauvillon T.IL. p. 404. Journal secret p. 166. Im’ Ja:
nuar 1787 wurde es abgelehnt und dazu ber am Pfalz gefepte Termin,
1. Mai, gar nicht abgewartet.
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats, III. 43
674 Bud VI Drittes Hauptftäd.
ion Gulben machen durfte, wollte aber felbft nichts hergeben:
nweil ich nit wie ein Kaufmann“, ‚fagte er, „auf Zinfen
und Profit zu handeln gewohnt bin.” Er bot endlich dem
Kaifer zwei Millionen Gulden, wenn ihm diefer Berg gewaͤhr⸗
leiſten wolle; ebenfalls ohne Erfolg’).
Nun glaubte er, daß ihm bei dem für fehr nahe gehals
tenen Tode des Kurfürften Karl Philipp von der Pfalz nichts
übrig bleibe, als Waffengewalt, um ſich Bergs und vieleicht
ſelbſt Juͤlichs zu bemäctigen, worauf er bie gerechteften Ans
forliche zu haben überzeugt war. Ex vermehrte daher fein
‚Heer fortwährend und verflärkte auch die Beſatzungen von
Cleve und Weſel ). Der franzöfiiche fir Sulzbach geftiumte
Hof fuchte friedliche Beilegung. Dem Kaifer, dann ben Ges
neralflaaten und dem Könige von England würbe ber Ausbruch
eines Kriegs in Deutfcland fehr unangenehm geweſen
Keiner wünfchte eine Vergrößerung der Macht Friebrich
helms, welder bei Allen fehr unbeliebt war. Es
en, Zeit zu gewinnen. Deöhalb fuchte ihn — für
10. gebr. und im Namen der übrigen Mächte zu der Erklaͤrung
1738 bringen, im Falle der Kurfürft von ber Pfalz flürbe,
gewaltfam unternehmen zu wollen, während über bie
in Berg verhandelt werbe, auch ſolle Sulzbach bie
Länder mit Vorbehalt der Rechte Preuffens vorläufig in
19. Behr. nehmen birfen®). Der König weigerte ſich fogleich en!
in eine Beflgnahme des Landes durch Sundach
Intereſſe entgegen zu willigen‘). Er ſagte dem
Geſandten: wollten bie vier MWermitteler Gewalt brauchen,
fo Könnten fie eben fo gut feine Krone verlangen, allein feibk
Ar 2
HE
1) Secendorf Thl. II. ©. 156. Daß die Borfdläge am
den
Naifer fpkter als am bie Pfalz gemadt wirben, ergibt fi) aus dem
„ Datum und bem Journal secret p. 167 u. 168.
9) Martinidre T. DI. p. 290 u. 308. S. auch des Königs
Scehreiben v. — ae ach
ker ehieffäen Kriege I. ©. 284. Da gibt ber König feinen Dperationi-
plan an.
8) Bei Mauvillon T. IL p. 410. .
4) Cbendaſ. p- 418.
Berhandlungen aber Berg 675
biefe muͤſſe er flr fein gutes Recht und feine Ehre aufs Spiel
fegen ). Cr erklärte zwar, aus Rüdficht für die vier Mächte März
nicht zur Gewalt fehreiten zu wollen, in der ‚Hoffnung, fie 1738
würden feine Rechte nicht beeinträchtigen, bie er mit aller Kraft
zu vertheibigen denke, welche ihm Gott gegeben?), fuchte aber
zugleich, ohne weiter auf ben Kaifer und Frankreich zu rech⸗
nen, fi den Seemaͤchten zu nähern und beſonders ſich mit
dem Könige von England auszuſoͤhnen. Er verficherte ihnen,
daß er nur gezwungen zu ben Waffen greifen, aber jederzeit
.30 einem billigen Vertrage bereit fein würde. Allein Pfalz⸗
Sulzbach wollte fich auf nichts einlaffen, wenn es nicht, obs
wohl nur proviforifch, in ben Befig von Juͤlich und Berg
gefegt wide. Der Kaifer und Frankreich wollten nun Maßs
wegehn ergreifen, um Pfalz⸗Sulzbach gegen Preuſſens Anſpruͤche
auf Berg und Juͤlich zu fihern. Sie Iuden daher die Genes 4. Juni
ralſtaaten und England ein, fich mit ihnen geheim zu verei⸗
“ nigen, um den Ausbruch eines nahen Krieges zu verhinbern?).
Wadhrſcheinlich deshalb begab ſich ber König Friedrich Wilhelm
vom Weſel nach Loo, wo er den Prinzen und die Prinzeffin Juli
von Dranien, feine Nichte, befuchte, die Gefundpeit ihre Bas
ters, des Königs von England, ausbrachte und von diefem
voller Achtung und Zuneigung fprab. Rad feiner Nüdkche
verlieh er dem holländifchen Gefandten Guy Dikens ben
ſchwarzen Adlerorden*‘). Er gab indeffen nach, wenn ber
Kurfürft von der Pfalz ſterben und bis bahin fein Abkommen
wit Preuffen getroffen fein folte, fa möchten Iulich und Düfe
feldorf und alle haltbaren Pläge des Landes von 3 — 4000
Schweizern oder auch von Truppen neutraler beutfcher Fürften
befegt und biefe Länder durch einen fländifchen Ausſchuß pros
viforifh unter der Gewäprleiftung der vier Mächte verwaltet
werben. Auch dem Kaifer erklaͤrte er entſchieden, eine uns 18. Aug ·
ſoriſche Beſetzung der Länder durch Pfalz⸗Eulzbach unter Peiner
1) Martiniere T. TI. p. 299.
2) Ebendaſ. p. ©. 301.
3) Ebendaſ. p- 306.
4) Ebendaſ. p. 307.
43*
676 Bud VI. Drittes Hauptftäd.
Bebingung zugeben zu können‘). In ber That wollten bie
Generalſtaaten fi mit dem Kaifer und Frankreich nicht auf
gewaltfame Maßregeln gegen Preuffen einlafien, fo ſehr auch
diefe beiden Mächte ſich bemüheten, fie dazu zu bewegen",
Dctober Nun ohne Hoffnung, die Seemaͤchte fir fih zu gewinnen,
1738 ſchloß der Kaifer mit Frankreich einen Vertrag, vermöge
ſaͤmmtliche jllichebergfche Länder auf den Todesfall des Kur⸗
fürften Karl Philipp an deffen Nachfolger Karl Theodor von
VfalzeSulzbach proviforifh auf zwei Jahre übergeben und ge:
gen Preuffen gewährleiftet werden folten?). Indem ber Kaifer
fo die ausdruͤcklichen Bedingungen des geheimen berliner Ver⸗
trag8 (0. 3. 1728) brach, hob er dadurch zugleich Preuffens
Verpflichtung zu ber in demfelben bebungenen Gewährleiftung
der pragmatifhen Sanction auf, indem ber berliner Vertrag
($. 13) beſonders beftimmte, wenn .einer von beiben Theilen
dawider handeln würde, fo folle ber andere Theil an nichts,
was in demfelben enthalten, gebunden fein.
Die Früchte, welche die zehniäprigen fo durchaus unwuͤr⸗
digen Umtriebe ber Paiferlichen Miniſter am preuffiichen Hofe
bringen follten, reiften nur zu ſchnell zum unerfeglichen Nach⸗
Bein für Deſterreich. Indeſſen farb Friedrich Wilpelm früher
der Kurfürft von der Pfalz und nahm alle feine fo viele
Im hindurch für die Erwerbung Bergs gepflegten Entwürfe
mit in bad Grab.
Diefe gefammten politifchen Verhältniffe wirkten auf den
Entwidelungögang des preuffifchen Staats weniger unmittelbar
und fogleih, als hauptſaͤchlich für die nahe Zukunft baburd
einflußreich, daß fie das im Allgemeinen doch mit dem baiſer⸗
lien Haufe feit langer Zeit engverbundene hobengollerifche
Haus von bdemfelben abwendig machten und jedenfall ben
tiefen, perfänlichen Wiberwillen, ben der Kronprinz feit feiner
gegwungenen Vermählung gegen baffelbe fühlte, noch burh
die gewiffe Ueberzeugung vermehrten, daß Preuffen vom Kaifer
1) Martiniöre T. IL p. 826.
9) ©. die Actenſtuͤte ebendaf. p. 818, 318 u. 819.
3) Dohms Denfwörbigkeiten Thi. M. S. 295 i. d. Anwerk, ans
ihm ohne Angabe der Quelle Schöll T. U. p. 298.
Werbehaͤndel. 677
gemisbraucht und hintergangen fuͤr feine Zukunft nichts mehr
von Defterreich zu hoffen habe, ia daß es in biefem feinen
entfciebenften Gegner finden werbe. Ungehindert durch diefe
auswärtigen Beziehungen vervolllommmete ber König raſtlos
die von und bereits bargeftellten inneren Einrichtungen feiner
Staatöverwaltung, indem er unerfchütterlih auf der von ihm
eingefchlagenen Bahn fortfchritt. Nur wiederholte, mehrmals
lebensgefaͤhrliche Krankheiten und bie großen Gichtſchmerzen,
welche er durch ſchopungsloſe Anftvengung feiner Körperkräfte
vermehrte, Tonnten ihm doch kaum möglichft kurze Zeit von
Arbeiten abhalten und faſt nur für Augenblicke feine Thaͤtig⸗
keit laͤhmen, feine Unruhe beſchwichtigen.
Die Gewaltthätigkeiten feiner Werber verwidelten ihn
noch fortwährend in die umangenehmften Streitigkeiten mit
feinen Nachbarn. Ein junger langer Menſch von angefebener
Zamilie verſchwand aus der Herrſchaft Herftall und der Vers
dacht, ihn gewaltfam entführt zu haben, fiel auf die preuffifchen
Werber. Der Bifhof von Lüttich verbot ſogleich alle Wer⸗
bungen und ließ auf erhobene Klagen und nachdem es ſich be
ftätigt, daß der junge Mann preuffifcher Soldat fei, das Volk
auch Rache verlangte, ſogleich alle im Luͤttichſchen und in der
Herrſchaft Herſtall, als luͤttichfchem Lehen, befinblichen preuſſi⸗
ſchen Officiere, auch ben, welcher den jungen Menſchen ge
waltfam weggenommen hatte, fefinehmen. Der König vers
langte, daß fie fofort in Zreiheit gefegt und die Urheber der
Unruhe beftraft würden. Die Herftaller dagegen foderten Ge:
nugthuung für die gegen bie Privilegien ihres Landes an einem
Buͤrger veruͤbte Gewaltthat. Auf ein Anfcpreiben des Königs
gab zwar ber Bifchof mehreren Officieren, gegen die man nichts
beweifen Tonnte, die Freiheit, allein der König foderte auch bie
Loslaſſung derjenigen, welche luͤttichſche Unterthanen gegen das
Verbot des Biſchofs angeworben hatten‘), und brohete mit
Repreffalin. Der Biſchof wendete fi) an den Reichötog und
verlangte Faiferlihen Schug?). Der König erfuchte darauf im
milderen Tone, ihm ben vorzüglich ſchuldigen Dfficier auszu⸗
1) Martiniöre T. N. p. 8%.
2) Faßmann II. ©. 787.
678 8ucqh VL Drittes Hauptſtac
Kiefern, bamit er nach preuffiſchen Rriegögefegen beſtraft
Der Bifchof wollte daS nicht thun, che der junge, lange Wenſch,
jet potsbamer Grenabier, zurückgegeben fein wuͤrde
lid, erbot ſich der König zu Gegengefälligeiten, ja dem Bi
ſchofe die Souverainetät über Herſtall für 100,000 Thaler zu
verkaufen. Die Lütticher beflanden darauf, er folle vorher ben
Rekruten nach Herflall zurückſchaffen laſſen ').
Ein Haufe preuffifper Werber nahm zu gleicher Beit in
der Nähe Eibings, auf polnifchem Gebiete, von einem hollaͤn⸗
diſchen Schiffe mit Gewalt mehrere ſchoͤn gewachſene Maͤnner
und fogar den Gapitain des Schiffes felbft weg. Auf dem
Rüdwege bemächtigten fie fi zweier langen polniſchen Seiſt⸗
lichen und kleideten fie mit Gewalt ein. Das fehte die Polen
In Zeuer und Flamme; fie ſprachen davon, in das Preuſſiſche
einzufallen und Alles mit Feuer und Schwert zu ver!
Die Holländer beſchwerten fidh bei dem Mönige Auguft, der
nichts thun konnte. Doc wurden Maßregeln gegen bie Wer
bi
1
ber genommen. Ein preuſſiſcher Werber war fo
aus Warſchau, wo er vorgeblich Dienſte gefucht und füch
dem Könige und ben Miniftern einzufhmeicheln gewufft Satte,
plögfich zwei 2eibgardiften, welde die Wache im Worzinmer
des Königs batten, zur Defertion zu bewegen. Ehe ex fh
noch Aber die Grenze retten Tonnte, wurde er ‚ feine
Werbevollmacht bei ihm gefunden und er mach Warſchan ges
bracht, um gerichtet zu werben. Zugleich erging Mefchl in
alle polnif preuffiihe Srenzpläge, Jeden, der aus dem Röwig:
reiche Preuffen komme, feflzunchmen, Seinen preuſſiſchen De
ferteur außzuliefern, den Werbern aber fofort dem Proce zu
machen und fie zu befirafen. 3 ſche Geſandte ia
1) Martinidre T. IL. p. 388.
Werbehaͤndel. 670
ausgehoben worden waren, fich auf das hollaͤndiſche Gebiet
fluͤchteten und. der König ihre Auslieferung verlangte, erwies
derten die Generalftaaten, der König möge vorher den wegges
nommenen Gapitain des hollaͤndiſchen Schiffs zurliigeben. Die
Stände von Geldern ließen zwei preuffifche Officiere feftnehmen,
bis ihnen ein mit Gewalt genommener Rekrut zuruͤckgegeben
war. Mehrere Werber wurden in Polen und zwei preuffiihe
Dfficiere, welche aus Ungarn kamen, in Sachfen feſtgenommen
und als Geifel bebalten ').
Der Abt des Kloſters Paradies im Pofenfchen Tieß zwei
preuffifche Werbeofficiere feſtnehmen und weigerte ſich, fie frei
zu geben. Auf Befehl des Königs uͤberfielen zwei Compagnien
Preuffen die Abtei, plimderten fie, mißhandelten die Mönche
und richteten einen zu 200,000 Gulden angefchlagenen Schaden
an. Der Abt flüchtete nach Dresden und verlangte Genugs
thuung. Der König Auguft wies ihn an ben Reichstag und
Hagte in Berlin, was wenig beachtet wurde, worauf ein Haufe
Polen in dad Kroffenfche einbrach und ein Städtchen an ber
Grenze plünderte. Das geſchah kurz vor dem Tode des Koͤ⸗
nigs, der in diefer Beziehung unverändert blieb *).
Doc zeigte er ſich aufferdem gegen das Ende feines Le
bens in einigen Punkten eiwas milder. Als ihm ber Major
v. Stechow ſchrieb, daß ein bemittelter innländifcher Rekrut,
weil er Hein fei, für feinen Abfchied 500 Thaler zur Anwers
bung eines größeren Rekruten geboten, erwieberte der König:
„Geht nicht an, ift wider dad Reglement. Wenn der Menſch
Bein iſt und ſich etabliren will, muß er ohne Entgelb entlaffen
werden”). Als er erfuhr, baß bei dem Regimente bed Marks
grafen Friedrich mehrere Defertionen vorgefommen wären, bes
fahl er, genau zu unterfuchen, ob die Soldaten auch Alles ers
bielten, was ihnen beflimmt fei, ob fie von ben Dfficieren
nicht gegen bad Reglement an ihrem Solde verkürzt und nicht
mehr geplagt wirben, als der Dienft verlange *).
1) Martiniäre T. IL p. 832 ».
2) Mauvtillon T. II. p. 417.
9 Im Mai 1789 bei König Thl. L ©. 809.
4) In Zörfters Friedrich Wilhelm Thl. II. ©. 319.
680 Bud VL Drittes Haupıkäd.
In gleichem Sinne erließ ex daB fogenannte Prügelmanbat
an dad Generalbirectorium. Er babe, fagt er barin, miss
fällig vernommen und aud) ſelbſt gefehen, daß bie Pächter umb
deren Schreiber die Unterthanen, welche bei ihren Hoſdienſten
etwa nicht recht arbeiteten, mit Peitſchen und Stocſchlaͤgen
antrieben; ba er nun dergleichen barbarifhed Weſen, die Uns
terthanen goftloferweife mit Prügeln oder Peitfchen ſtlaviſcher⸗
weife wie dad Vieh anzutreiben, abfolut nicht haben wolle,
fo verbiete er e8 von nun an fireng bei Strafe ſechswoͤchent ⸗
lichen Karrens und im Wieberbolungsfalle des Stranges , doch
fohte das nicht für (Df:) Preuffen gelten, weil dad Voik da—
felbft fehr faul, gottlos und ungehorfam fei. Für bie anderen
Provinzen follten die bei Hofdienften faulen Unterthanen durch
Einfpannung in den Stod, Umhängung des fpanifchen Mans
tels und Seftungsarbeit beftraft werden, wenn fie aber gefchlas
gen wirden, ſich befchweren dürfen ').
Selbft über den Werth der Wiſſenſchaften begann er feine
früheren Anfihten zu berichtigen. „Ich habe”, ſchrieb der
Kronprinz an feinen Freund Camas fehr erfreuet, „bie Stim⸗
mung des Königs merklich verändert gefunden. Er hat von
den Wiſſenſchaften als von etwas Loͤblichem geſprochen ).—
Er hörte auf die Vorſtellungen rechtlicher und wiſſenſchaftlich
tüchtiger Männer, vorzliglih des waderen Hofprebigers Rein:
bed, welche des Königs irrige Anfichten über Wolfe Philoſophie
zu berichtigen bemühet waren, und ließ daher (1736) beffen
Schriften durch eine befondere Commiſſion prüfen, deren Urs
theil günftig ausfiel ?). Daher kam ed, daß fich der König
"gelegentlich der morgenſternſchen Disputation in Frankfurt für
einen Freund der Philofophie erflärte und allen Univerfitäten
befahl, daflıy zu forgen, daß bie Stubenten der Theologie fi
bei Zeiten in der Philofophie und einer vernünftigen —
als zum Exempel des Profeſſor Wolfens, recht feſtfetzten, da
1) Bel Benekendorf Thl. VIIL &. 77 v. 4 April 1788.
2) Correspondance de Frederic II. avec Camas p. 61 v. 21. De
cember 1738.
©. 9 Boͤſchings Beiträge zur Lebensbeſchreibung u. f. mw. Ip L
13.
Wolf. Der Kronprinz. 681
mit fie lernten, ſich Mare und deutliche Begriffe von der gans
zen Theologie zu machen‘). Der Kronprinz, welcher Wolf
aufferordentlich hochſchaͤtzte, fchrieb voller Freude an feinen vers
trauten Freund Suhm: „Das Neuefte ift, der König lieſt,
Gott fei gedankt, täglich drei Stunden Wolfs Philofophie.
&o fehen wir denn endlich die Vernunft triumphiren”, fährt
er fort, „und ich hoffe, daß die Bigotten den gefunden Men:
ſchenverſtand und die Vernunft nicht mehr unterbrüden werben.
‚Hätte man das vor zwei Jahren für möglich gehalten? Man
bietet Wolf einen Gehalt von 1000 und feinem Sohne von
500 Thalern, ja fogar feiner Frau, wenn fie Witwe werden
folte, einen Witwengehalt an. Lauter neue, Erflaunen erres
gende Dinge, welche doch wahr ſind).“ Wirklich fuchte der
König den von ihm fo hart behandelten Mann oft unter noch
günftigeren Bedingungen wieder nach Halle zu ziehen, was
dieſer doch ablehnte; dennoch durfte ihm Wolf den zweiten
Theil feiner allgemeinen praktiſchen Philofophie zueignen ?).
Auch das näherte den Kronpringen dem Könige. Weider
Vernehmen wurde durch ded Vaters aufrichtige Liebe fos
wie durch bie Unterwürfigkeit und das Fuge Benehmen des
Sohnes, der auf alle Wünfche und Anfichten feines Waters
einging und deſſen Schwächen und Eigenheiten ertrug, haupts
ſaͤchlich aber dadurch im Ganzen ungeftört erhalten, baf der
Prinz entfernt von Berlin und Potsdam lebte und beide Orte
nur von Zeit zu Zeit beſuchte ). Der König übertrug ihm
zwar (25. Det. 1734) während feiner gefährlichen Krankheit
einige weniger wichtige Regierungögefchäfte *), geftattete Ihm
aber nie wefentlichen Einfluß auf die Leitung der Staatsange-
legenheiten.
Friedrich, der früher in feinem Water nur einen Tyrannen
geſehen, welcher ihm ſchonungslos Alles verbot und vaubte,
1) Bei König I. ©. 820 0. 7. März 1789.
2) Correspondance avec Suhm T. II. p. 412 v. 14. Ott. 1789.
8) Bu ſchin gs Beiträge zur Lebensbefchreibung u. ſ. w. Thl. . ©. 157.
4) Börfter Friedrichs Jugendjahre & 168.
5) Eosmar und Klaprothe Staatorath ©. MA.
, 682 Bud VL Drittes Hauptſtaͤc.
was
fich dieſe ganz aus dem Kopfe herausgemeint, bat zaff-
nirt, um bem Könige ein commodes Bett zu ſchaffen; bat von
Potsdam nicht weggehen wollen. Der König bat ihn bau
Sonnabend Rad:
gepwungen: „Sof (ed war Sonntag) erft
mittags wieber kommen.“ Der Prinz fagte bamals, „Ben
mich der König auf meine Weiſe leben laſſen wollte, wuͤrde ich
einen Arm darumgeben, fein Leben um 20 Jahre aunerlängerm')."
Der König ift aufferorbentlidh freundlich gegen mich“, fcpeeibt
er an Gamad, „ich bin auffer mir vor Freude über Alles, was
ich gefehen und gehört habe. Alles, was ich Loͤliches fehe,
gibt mir eine innere Genugtpuung, die ich kaum verbergen
Tann. Ich fühle, daß ſich meine kindliche Liebe verdoppelt,
wenn ich fo verfländige und vechtfchaffene Gefinnungen bei
bem Urheber meiner Tage finde *)." Dennod) wurde es dem
Prinzen fehr ſchwer, die überhaupt und beſonders bei Kranb
beitanfällen heftigen Ausbrüche der Launen feines Waters zu
ertragen, weshalb es eben für Beide fehr — war,
daß fie ziemlich entfernt von einander lebten. Denn freilih
bunfte dee Vater nicht erfahren, daß man in Rheinsberg Kos
1) Journal secret p. 10,
2) Correspendance avec Camas p. 62 v. 21. Dec. 1738.
Der Kronprinz 683
mödien und Iragäbien auffährte, noch weniger, daß ber Krons
prim u felbft mitfpielte '), oder gar, daß er Freimaurer
am allerwenigfien aber, baß er fortwährend ges
nöthigt wer, —* zu borgen, wozu allerdings die —
Ausgaben viel beitrugen, welche bie nun einmal unentbehrlichen
langen Rekruten für fein Regiment verurfachten). Nur in
einem von dem gewanbten Grumbkow gluͤcllich benutzten Aus
nt oe Binig, beungen wen 40000 hal:
Schulden des Prinzen zu bezahlen. Diefer befand fi), obs
gleich er von feinem Vater (1737) jährlich 12,000 Thaler unb
auch das trafehner Geftüt erhalten ?), dennoch fortwährend in
der druͤckendſten Gelbverlegenheit, was ihn nöthigte, manche
nur durch bie aͤuſſerſte Roth zu entfhuldigende Mittel zu ers
greifen, um ſich feinen Bebrängniffen zu entziehen ). Denn
wie bie Vermehrung bed Heeres unausgeſetzt betrieben wurde,
fo eifrig blicken auch des Königs Beſtrebungen, feine Eins
Tnfte zu vermehren, Schaͤte zu häufen und von Jahr zu
Jahr weniger auszugeben. Daher waren ihm auch ohne weis
tere Rüdficht auf die Perfon, zuweilen auf die vorgeſchlagenen
Mittel alle die Männer willkommen, welde eine Erhöhung
der Staatseinkünfte bewirken.
Ein gewiſſer Echart hatte ein nicht werthloſes Wirth⸗
ſchaftsbuch unter dem Namen einer Erperimentals Defonomie
geſchrieben und fich vorzuͤglich durch nuͤtliche Veränderungen
der Kamine zur Erſparung bes Holzes bei Wirthſchaftsfeuerun⸗
gen und zur Verhinderung des Rauchens bekannt gemacht.
Dem auf AÄlles aufmerkfamen Könige wurde er in Koffenblat,
wo er bie unerträglich rauchenden Kamine zweckmaͤßig abdns
derte, als ein Mann bekannt, der mancherlei vortheilhafte Uns
ternehmungen audführen zu koͤnnen vorgab. Er behauptete,
mit weniger Aufwand von Holz und Getreide befferes Bier,
als das in der koͤniglichen Brauerei in Wotsbam bereitete Kds
1) Journal secret p. 159 Anmert.
2) Preuß Friedrichs Yugend. ©. 288 u. Bis .
3) Ebendaſ. ©. 180.
4) Gbendaf. ©. 297.
684 Bud VL Drittes deurırüc
nigsbier brauen und auch anderweitig bie Einkünfte bes
Er oh 2 500000 Zee ci hl
Sraumethode auf ihnen einführen muffte. Hierbei lernte er
die Finanzverhältniffe der Städte kennen und auf feinen Bow
ſchlag mufften Commiſſarien den Zuftand derfelben unterſuchen,
den Magiſtraten aber wurde verboten, von ben fläbtifchen
Einkünften mehr auszugeben, als bie dringendſte Nothwendig ·
keit erfobere. Es ſien ſich von ſelbſt zu verſtehen, daß ber
, ernannte
ihn zum geheimen Kriegörath ') und ſchickte ihn ur die
Provinzen, um feine Entwürfe zus Vermehrung der Staates
einkünfte in Ausführung zu bringen. Ein Mann, der fih
dazu bergab, muſſte ſchon bespalb unglaublid gehafft werden,
weil man nicht glaubte, daß es fi ohne Vermehrung ber
Laften des ſchon aͤuſſerſt gedrüdten Volks ausführen Laffen
werde. Das gewaltfame und obne Zweifel unrechtliche Berfah-
ren gegen die Staͤdte ſchien zu zeigen, wie weit man zu Er
gefonnen fei. Die Kriegs» und Domainenfammern,
. ja befonders darauf angemwiefen waren, eine jährliche —
der Einnahmen zu bewirken, ſahen mit dem groͤßten Wider⸗
willen die noch dazu von en Erfolge begleiteten und
ihnen daher zum Vorwürfe gereichenden Unternehmungen eines
1) Benelenborf IIL ©. 61 u. XL ©. 108. Dort finb bie ze
jften Nachrichten über iyn und es wird über feine Wirkfamfeit am
gemäfigften geueteiit, Den Abel erhielt er 3. Salt 1738. Die Befdxribung
des ihn vom Könige felbft beftimmten Wappens, ein brennenbex ftlbermer
ober Kamin, eine Bortuna mit fliegendem Segel u. dgl. f. in
Königs Berlin Thl. I. &. 298, wo bie meiften Actenfläcke über Cehert.
Ybllnig Mem. T. IL p. 510 gibt den allgemeinen Cindruck an, den
Geyart im Lande machte.
Edhart. 685
Menſchen, der in fehr kurzer Zeit mit Gnadenbezeugungen
jeder Art überhäuft wurde und fo hoch in der Gunft des Kds
nigs ftand, daß er unmittelbar an biefen und nicht erft durch
dad Generaldirectorium Bericht erflattete, fi daher nun mit
dem größten Uebermuthe benahm. In Gtettin geriet er
(1738) mit dem Kammerpräfidenten v. Grumbkow in Streit.
Der Minifter von Boden entſchied jedoch für Edhart. Der
Minifter v. Grumbkow, der früher fo mächtige, allein eben
feinem Falle nahe Ginftling des Königs, beſchwerte ſich bei
diefem , doch ohne allen Erfolg '); Eckhart wurde dadurch noch
unverfcpämter. Im naͤchſten Jahre ſchickte ihn der König nach
Preuffen, befahl ihm aber (3. Febr. 1739), vorfichtig umzu⸗
‚geben, weil dort nicht fo viel Geld als in der Kurmark fei, und
fetzte eigenhändig hinzu: „Gehet gerade und thut, was Recht iſt
und nehmt auch nicht zu viel Plas ).“ Nun wurden ihm bei
feiner legten Anwefenheit in biefen Provinzen zahlreiche Bes
ſchwerden über des dahin gefchidten Eckhart Neuerungen und
deſſen dabei beobachtetes Benehmen vorgetragen, was ben Koͤ⸗
nig veranlaffte, ihm perfönlich ernftliche Verweiſe zu geben,
ohne ihm jebod fein Vertrauen zu entziehen. Blumenthal,
Minifter und Präfivent der Kammer in- Gumbinnen, erhielt
noch kurz vor bem Tode des Königs einen Verweis, daß er
mit dem Eckhart wegen der Braus und Brennereis@inrichs
tungen auf den Aemtern in Streit gerathen: „da ich“, ſetzt ber
König hinzu, „von ben feftgefegten Grunbfägen nicht abgehen
noch weiteres Raifonniren dagegen geftatten werde." Er bes
fahl dem Präfiventen und ber Kammer, fich über folde aus⸗
1) Grumbkow wurde wahrſcheinlich durch den Fuͤrſten Lichtenſtein ges
fürgt, welcher dem Könige geſagt gu haben ſcheiat/ ber (von Deſterrrich
beftodjene) Minifter habe ſich von Zrankreich beftechen laffen. Daß auch
Georg II. einen Verſuch machte, haben wir erzäflt. S. Journal secret
p- 156 sq. u. 164 v. Sept. u. Dec, 1736, wo auch, daß Grumbkow
dem Kaiſer 250,000 Gulden gekoftet. Vergl p. 168 v. Febr. 1787.
Grumbkow ftarb 18. März 1739. Schon im Januar 1727 hatte er ſich
für feinen Werrath insgeheim, wenn der König ſterben follte, den Schut
des Kalfers erwirkt. Seckendorf an Gugen und Eugen an Gedendorf
bei Förfer Ip. IT. S. 827 u. 851.
2) Jaftruction v. 8. Febr. 1739 bei König I. ©. 307. ’
686 Bud VL Deittes Hauptfiäd.
gemachte Sachen alles Disputirens zu enthalten. Blumen
thal kraͤnkte fi) darlıber ſowie über bie gebrüdte Lage des
Landes ganz aufferorbentlih. „Ich kann a
laſſen, als es mir ums Herze iſt, weil es jetzt in Blut
Thraͤnen ſchwimmt“, ſchrieb er einem Miniſter. De Excel⸗
lenz bitte um Gottes Barmherzigkeit willen, ſich unſerer ans
- zunehmen, und zu helfen, baß der böfe Rare Echart) aus
dem Lande gefchafft werde. Niemand bekuͤmmert ſich mehr im
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die gefe
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des verftorbenen Minifters v. Wiehbahn Stelle zum Bis
im Generalbirectorium zu ernennen ).
Sowie der König bis an fein Ende biefen Hauptbeflres
bungen feine Zebend treu blieb, fo feben wir ihn auch med
zulegt mit ber Kirche und deren Buflande befhäftigt. S
feprieb durch den Minifter v. Brand und Präfidenten v. Reis
Über 40 Jahre alt wären, würden ihre Ianggewohnte Art zu
1) Xctenfihlle bei König L ©. 801 f.
2) Fricdrich IL in ben M&moires de Brandenbourg p. 425 nat
den Gchart: un homme obscur d’un esprit malfaisent et russ, une
espdce d’adepte, qui faisoit de l’or pour les souverainen aux depems
de ia bourse des sujets,
Ende Eriedrih Wilhelms. 687
prebigen ſchwerlich aͤndern. Fortwaͤhrend nahm er noch an
diefen Gegenfländen lebhaften Antheil °).
Er war indeffen fon im Herbſte des Jahres 1730 fo
frank, daß er feinen gewöhnlichen Sagbvergnügungen nicht obs
Tiegen Eonnte 2). Der firenge Winter des nächften Jahres vers
mehrte wahrfepeinlich fein Webelbefinden. Auf das Schreiben 8. ehr.
des Fürften 2eopolb von Deffau, ber ihm rieth, gelegentlich 1740
der Verminderung des Eaiferlichen Heeres das preuſſiſche um
einige taufend Mann zu verſtaͤrken, ſchrieb er eigenhändig: „Ich
denke zu flerben umd habe Alles an meinen ältefien Sohn ge
fagt, was ich weiß ’).".
Er ließ den Propft Roloff zu ſich kommen, ber ihn zum
Zobe vorbereiten und mit feinen Beinden verſoͤhnen follte. Ex
verzieh Allen, endlich auch feinem Schwager, der ihm alled ges
brannte Herzeleid angethan, und berenete feine Simben, bie
er in Gegenwart vieler Umflehenden fo ausführlich aufzägite,
Daß Roloff ihn bat, es zu unterlafien, dagegen aber auf Sins
nesaͤnderung brang, wozu ſich ber König lange nicht bewegen
ließ, indem er behauptete, immer recht gehandelt und Alles zu
Goiles Ehre gethan zu haben. Dem wiberfprach Roloff, in»
Zodesurtheile gefchärft und ungerechte Hinrichtungen verfügt.
AS Roloff des Königs Wertheidigung nicht als vor Gott ges
ulgnd gelten laffen wollte, fagte biefer: „Er fchont meiner
nicht. Er fpricht als ein guter Chriſt und als ein ehrlicher
Königs und Roloff muſſte täglich zu ihm kommen *). Es befs
1) Werorbnungen v. 7. MRäxy 1789 u. v.9. Jan. 1740 bei König l.
©. 8% f.
4) Das Actenftöd bei Foͤrſter TH. U. @. 155 angeblich vom
Mai 1740. Pblinig Mem. I. p. 539 fagt, er fei täglich 8 Monate
hindurch während der Krankheit des Königs bei biefem geweſen, erzählt
jedoch weſentlich wie bie Relation über Roloff, daß biefer in Berlin bei
dem Könige gewefen, was auch wahrſcheialich richtis IR.
688 Bud VL Drittes Hauptſtaͤck.
ferte fi indeſſen mit ihm, weshalb ex mit feiner Familie nah
ATAO gehradt wurde, fogte: „Lebe wohl, Balin, in Potsdam wi
10 mai Auen DI“ Im Anfange des Mai halte er einm Bat
fall.
Cochius und den Feldprediger Desfelb zufen ließ, um füch zus
TZode vorbereiten zu laſſen ®), benachrichtigte die Königin eidg
27. Mei den Kronpringen bavon, welder in Ruppin war. Diefer die
herbei und wurde von feinem Water, den er ohne ‚Hoffnung
bauernder Genefung traf, Äufferft freumdlich empfangen. De
auswärtigen Angelegenbeiten bes Staats, war oft fehr ungebal
dig ), ertrug aber dann wieder feine großen Schmerzen mis
ſtoiſcher Baffung.
Nach einer der Unterhaltungen mit bem Kronpringen, ber
die natürlichen Empfindungen des Sohnes am Zobtenbette bei
Vaters nicht unterdrücken konnte, fagte ber König gerührt zu
- den Umftchenden: „Aber thut mir Gott nicht viele Gnade,
daß er mir einen fo winbigen Sohn gegeben?" Diefer kußte
weinend die Hände feines Vaters, der ihn umarmte unb
ſchluchzend ausrief: „Mein Gott! ich ſterbe zufrieden, weil ich
einen fo würdigen Sohn zum Nachfolger habe Hi⸗ Sa
Zeftament hatte er ſchon viel —æS und (4. Sanuer
1) Soßmann IL ©. 812 Sen. König IL e. 319 .
Käfters Officierleſebuch Thl. W ©. 10
9) Schreiben bes Kronprinzen v. 25 Ma cn dm Ska ei
Meran oemiiet hate, I ber nein bella Mieetfärifi sh. YO. Au
8) Des Cochius Bericht ſteht bei Benekenborf IK. 9.
A) Brief Friedriche an feine Schweſter Wriederite. Mdmeiren de
Bareith T. H. p. 2%
5) Bei Preuß Frichtich der Große SL L ©. 16
Ruue
Ende Friedrich Wilhelms. - 689
1735) noch ein Codicill dazu gefügt ). Er ordnete jeht Alles,
was er bei feiner Leichenbeſtattung beobachtet wiſſen wollte, 29. Mai
bis auf bie kleinſten und unbebeutendften Einzelnpeiten an. 1740
Die Leichenprebigt befahl er uͤber den Zert zu halten: Ich habe
einen guten Kampf gelämpft. „Won meinen Beben und Wan⸗
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del," fährt er fort, „aub Factis und Perfonalien foll nicht
ein Wort gedacht, dem Wolfe aber gefagt werben, daß ich
ſolches expreß verboten hätte mit bem Seifugen, daß ich als
ein großer armer Suͤnder ſtuͤrbe, der aber bei Bott und ſei⸗
Pl ee Rehm Gnade gefucht. Ueberhaupt fol mar mid in
Achen keichenpredigten zwar nicht verachten, aber auch nicht
07 Auch ſoll Feine Bagon veit mir vorgenommen werden ).“
Noch am Tage vor feinen Tode ließ er ſich, feiner Ges 30. Mai
wohnheit in gefunden Tagen gemäß, in ben Markal und
zur Perabe fahren ). (Gegen bie Felbprebiger, welche ihm zu
Tode vorbereiteten, behauptete ex Lange, daß er die Geiftlichen
immer geehrt, Gottes Wort gern gehört, bie Kirche fleißig
befudht, auch, worauf ex beſondern ZBerth legte, Beinen Ehe
bruch begangen babe, fenberen feiner rau unverbruͤchlich treu
gewefen fei, und wollte von Sinnesäuberung nichts wiflen.
Endlich ergab er ſich jedoch auch darein, erkannte feine Fehler
und bezeugte Iebhafte.Beue über feine Sünden in ‚Hoffnung
auf Gottes Gnade *).
Die legte Nacht beachte er unter vielem Schmerzen zu, 31. Bei
klagte daruͤber gegen den Zelbprebiger Cochius, den er hatte
rufen laſſen, berubigte ſich aber auf deſſen Zureden und Tröftuns
gen und war feitbem merklich milder als früher. Als ex fein Ende
made re eh m fi (aramm wien Uhr Diorgent) auf feinem
Rollſtuhle in dab Zimmer der Königin fahren, welche noch
ſchlief, weckte fie und fagte: „ſteh auf! ich kann nur noch we⸗
nige Stunden leben, und werde wenigſtens das Gluͤck haben,
in deinen Armen zu flerben.” Damm ließ er fi zu feinen
1) Preuß Friedriche Jugend S. 262.
2) Im Officierleſebuche Ahl. IIL ©. 155.
8) Ebendaſ. ©. 162.
4) Godius Bericht bei Benekenborf IK. S. ©.
Stengel, Geld. d. Preuffifh. Staats. TIL. 44
Bud VL Drittes Hauptfäd.
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gab er dem Kronprinzen und bem Gabinetöminifter v. Pobewils
ein Zeichen, daß fie fich ihm nähern follten, und fagte zu dieſem,
er fühle fich nicht mehr im Stande, die Regierung zu führen,
babe fich daher entſchloſſen, fie dem Kronpringen zu übergeben,
deshalb die gegenwärtige Berfammlung zufammen berufen;
der
Major v. Bredow werde ihnen feinen Willen befannt machen.
Er befahl diefem, was er wegen Entkräftung nur leife fagen
Eönne, den Anwefenden laut zu wiederholen und übergab num
1) Mömoires de Bareith IL p 295.
9) Pöllnig Mem. IL p. 560.
8) Mömoires de Bareith II. p. 296.
Tod Sriedeih Wilhelms. 691
förmlich die Regierung feinem Sohne), entband alle Unter
thanen und Beamteten von dem ihm geleifteten Eibe, ermahnte
fie, feinem Nachfolger eben fo treu zu fein, als fie ihm gewe⸗
fen und befahl dem Minifter v. Podewills, das ben preuſſi⸗
ſchen Gefandten an auswärtigen Höfen zu weiterer Bekannt⸗
machung anzuzeigen. Pobewills bemerkte hierauf, daß zunächft
eine Urkunde über die Niederlegung ber Regierung auögefertigt
werben und ber König biefe unterzeichnen müfle, ehe fie bes
kannt gemacht werde dürfe. Der König antwortete nicht bar
auf, fondern gab ein Zeichen, dag man ihn in fein Zimmer
bringen folle.
Hier wurde er koͤrperlich ſehr erfchöpft in fein Wett ges
legt (11 Upr) und war eine Zeit lang ohnmaͤchtig und ohne
Befinnung. Als er wieber zu fi kam, war er von feiner
Gemahlin und feinen Kindern umgeben; Cochius betete. Der
‚König ließ fih vom Oberchirurgus feines Regiments an ben
Yuls fühlen und fragte, wie lange er noch zu leben habe.
Als diefer antwortete: „Leider iſt's bald aus", erwieberte er:
„Sagt nicht leider”, ließ fi einen Spiegel geben, befah ſich in
demſelben und fagte: „So weit bin ich ſchon todt ).“ Er bat
alle Anweſende, felbft die Bedienten, die von ihm etwa gezeigte
Ungebuld zu Üiberfehen, und fegnete feine Gemahlin und feine
Kinder. . ”
Den Chirurgus, welcher ihm gefagt, er werbe balb flerben,
fragte er: „Woraus ſchließt Er das?" Der Chirurgus erwies
berte: „Der Puls bleibt ganz zurld.” Darauf hob ber König
den Arm auf, ‚bewegte die Hand und fagte: „Das iſt nicht
möglih; wenn mein Puls ſchon zurüdgetretn wäre, dann
1) Friedrich II. in dem ſchonen Briefe an Voltaire v. 27. Juni
1740. Oeuvres posth, T. IL p. 17, in welchem er das Ende feines
Waters ſchildert, fagt, biefer habe iym am Montage (30. Mai) bie dee ⸗
gierung übergeben; wahrſcheinlich geſchah das mündlich gegen ben Prinzen,
denn alle zuverläffige Zeugen Tommen barin überein, baf bie obige Foͤrm ⸗
lichkeit erft Morgens 31. Mai ſtattfand. Pöltnig, weicher auweſend
war, Mem. IL p. 562 sg.
2) &0 Sochius. Inden Mömoires de Bareith, II. p. 266. wird ihm
eine andere und von bem nicht anweſenden Poͤll nitz wieder eine etwas
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here Jeſul du bift mein Gewinn im Leben und im Ster⸗
ben“, wurde ohnmaͤchtig und verſchied balb darauf im zweinnd⸗
funfzighen Jahre feines Alters, ein ſeltenes Beiſpiel der Faf⸗
fung im legten Augenblidte des irdiſchen Daſeins.
n&x farb“, fagt Friedrich II, „mit der Beligleit eines
Vpilefophen und mit der Ergebung eine Ghrifien. Er bes
wahrte eine bewunderungswindige Gegenwart des Seiſtes bis
um Iaten Angenbide (eb Sehens, Item = fine Se
ſchaͤfte leitete wie ein Staatsmann, bie Bortfchritte feiner
Krankheit prüfte wie en Naturforfiher und über ben Mob
triumpbirte wie ein Held 1."
Er batte feinen Staat durch Geldern und vorzüglich das
für den Handel fo wichtige. Stettin mit ben DI
erweitert, fo baß der gefammte Flächeninbalt nun 2275 Ge
viertmeilen betrug. Die Zahl der Einwohner war in 18,000
Dörfern, 44 Flecken und 409 Staͤdten auf 2,240,000, bie
Beodtkerumg Berlins mit der Wefagung auf 98,000 Seelen
gelegen *). Die Stärke des trefflich gelibten umd mit allem
zum Kriege Notbwendigen reichlich ausgeruͤſteten Heeres hatte
er don etwa 40,000 Mann fichender Truppen bis auf einige
und 80,000 vermehrt *), die Einkünfte von 2 Milton Thaler
auf 7,371,707 Thaler erhoͤhet, von denen etwas über 4,000,000
Xhaler in Me Kriegs und 3,360,000 Thaler in die Domais
nenkaſſe flöſſen ).
1) Mömoires de Brandenbourg p. 316. Achalich in dem anger
führten Briefe an Woltaire v. 27. Iunt 1740,
2 ©. die Belege in Preuß, Friedriche Jugend ©. 816.
8) Prenf a. a. D. u. Beilage 5 gibt 88,468 Mann nach ber Banyı
te v. äry 1740. Friebrich IL. Mem. de Brandenbourg p- 318,
76,000 und du Militalre p. 340 nur 72,000, dort zählt er alle Ab
‚theilungen auf. Andere geben andere Zahlen.
4) Büfhings guverläffige Weitchge zur Segierunpsgefähäte Brie-
driche IL. ©. 811 gibt dem Generaletat der Ginkänfte am Cube ber
Weglerung Friedrich Wilhelms I, welcher fa Aberall mit dem Friedriche IL
*
Ueberſicht. 693
Zur Krlegskaſſe gehörten die Einnahmen, erfiend, von ber
Contribution, faft 2,443,000 Thaler, zweitens, vor &icent und
Accife, 1,400,000 Thaler, drittens, das Gavaleriegeld, 70,000
Thaler, vierten, die Lehn⸗ und Mitterpferde: Gelder, 60,000
Thaler, und fünften die Stempelgefälle 35,000 Thaler. Zur
Domainenkaffe gehörten, erftens, die Ejnfünfte von den eigent»
lichen Domainen, über 2,610,000 Thaler, zweitens, vom Salze
544,000 Thaler, drittens, von ber PoR 180,000 Thaler,
viertend, die Judenſchutzgelder 15,000 Zhaler, und fünftens,
der Ertrag der Rekrutentaſſe 8000 Thaler.
‚Hiervon wurden 5,977,00 Thaler auf dad Kriegsweſen
verwendet, weshalb die Kriegskaſſe einen jährlichen Zufhuß
von 1,960,000 Thaler aus der Domainenkaffe erhielt, fo daß
noch nicht ganz 1,400,000 Thaler und nach Abzug von 6 bis
700,000 Thalern, weiche etwa jährlich in den Schatz gelegt ')
ober anderweitig zu Werbefferungen verwendet wurden, zur Uns
terhaltung des koͤniglichen Hofſtaats, Bezahlung ber Wittwens
und ApanagesGelder und zur Beſoldung der Beamteten und
Beſtreitung der übrigen Audgaben nur wenig über 700,000
Thaler übrig blieben. Dabei hatte der König während feiner
Regierung 6 Millionen Thaler auf den Wiederanbau feiner Laͤn⸗
der und faſt eben fo viel anf die Wiederbevoͤlkerung Lithauens
verwendet, ferner für 5 Millionen neue Rrongkter, aufferdem
den nachgeborenen Prinzen beträchtliche Ländereien zum Bes
trage von uͤber 2 Milionen gekauft und 17. Milion auf koſt⸗
bares Silbergeräth gewendet, und dennoch auffer den beträchts
lichen Summen, die er den nachgeborenen Prinzen baar bins
terließ, einen Schag von 8,700,000 Thalern gefammelt ”).
vom I. 1743, welchen ich meinem Freunde dem Profeſſor Stiebel. vers
danke, übereinftimmt.
1) Im 3. 1748 beliefen fidy ſaͤmmtliche Einnahmen ohne Gchlefien
anf 7,310,972 Thaler und nach Abzug der Ausgaben, weide in einigen
Puncten, namentlich für das Löniglihe Haus vermehrt waren, blieb ein
in den Schat zu legender Ueberfchuß von 600,000 Thaler.
2) Nach Pricbriche eigener Angabe. Der Betrag ifk fehr überticten
worben. Der jüngere Gedenborf fazte zu Simendorf im Januar 1738,
als ihm diefer nach dem Schatze bes Könige fragte: „Vor brei Jahren
30 Wilionen, es tommen jährlich zwiſchen 8 —900,000 Zhaler bau.
—X
694 Bud VL Drittes Hauptfiüd.
Das waren bie Früchte der von Friedrich Wilhelms I. cin:
gerichteten feften und durch eigene unermübliche Ueberwadung
ſtreng aufrecht erhaltenen Ordnung in ber Wermaltung und
ber, wenn auch nicht ohne großen Drud ber Unterthanen be
wirkten Benugung aller denkbaren Hülfsquellen, endlich der
Entbehrungen, welche er fich felbft auferlegte und daher en
Vecht zu haben glaubte, fie von Anderen zu fobern.
Es drängt ſich bei der Betrachtung ber Geſchichte des
preuffifchen Staats unwillkuͤrlich der Gedanke auf, daß er ver
mittelft feiner Zürften wie durch eine befonbere faft an das
Wunderbare grenzende Gunft des Geſchicks feiner höheren Be
flimmung vom Urfprunge an in einem eigenthümlichen Ent:
widelungsgange entgegen geführt wurde.
Der große Kurfücft iegte in jeder Beziehung ben Grunt,
auf dem eiebric I., dann Friedrich Wilpelm I, boch jede
einfeitig, fortbaueten, was bann Friedrich IL vollendete. Nach
BZriedrich I. noch ein eben fo für Schein und Glanz eingenoms
mener ſchwacher Fuͤrſt: der preuſſiſche Staat würde ſich in Er
ſchlaffung aufgelöft haben; aber Friedrich Wilpelm L tritt an
feine Stele. Nach ihm noch ein ſolcher jede andere Selb⸗
fändigfeit exrdrückender Fuͤrſt: der preuſſiſche Staat würde in
Erſtarrung übergegangen fein. Da wet Friedrich IL neues
Leben. Die Nachwelt Hat Teinen Fuͤrſten mit vollerem Rechte
den Großen genannt.
Drad von 8. X. Brodhaus in Leipzig.
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data, Google
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