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Full text of "Geschichte des preussischen Staats"

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data, Google 
& 


Geidih 


der 


enropäifchen Staaten. 


Herausgegeben 


von 


A. H. 8. Herren und F. A. Ukert. 


Geſchichte des preuſſiſchen Staats 


von 


G. A. H. Stenzel. 


Dritter Band. 





Hamburg, 1841. 
Bei zriedrich Perthes. 


u, 


Geſchichte 


des 


preuffifhen Staats 


von 


Suftav Adolf Harald Stenzel, 


Dritter Theil. 
Von 1688 bis 1739, 





Hamburg, 1841. 
Bei friedrid Perthes. 


On ® trop Iong-temps cru la froideur senle impartiale: gräces au 
del, bien loin de defendre Padmiration, Phistoire des hom- 
mes Pinspire, quelque-fols; d&s-Ior, pourquoi voudrait- on 
&touffer aba aocens d’enthousinsme? C’ost ia verild qu'on Iui de- 
mande, et quand cette vörit6 eat de fen, est-ce done avec la 
glaoe d'une froide impassibilit4 qu’on en fera sentir les flammes 7 

Stgur hiatoire de Russie K. X. ch. 2. 


In haltsverzeichniß. 


Fuͤnftes Buch. 
Friedrich DIL v. J. 1688— 1713. 
Seite 


Erſtes Hauptflüd. Vom Regierungsantritte deſſelben 
68 zur Erwerbung ber Koͤnigskrone 1688 — 1701. 






Strritigkeiten 
Bortfegung des framoͤſiſchen Krieges + .. 
Uneinigkeit unter den Deutfhen . - onen nn. 





n Inhalts verzeichniß. 








— — Dppoftion gegen des Könige Aufvend ... 
— — zai .... ... ..... 
ZZ gefängtice Abführung . 


Xuguft, König von Pol .. u... .o... 
Wefignahme von Quedlinburg «onen nero ne. 


- — Rochhanfen u... .... 
—ÜÜ -eeeennne 
Gewessung de Geoffhaft Hopeaftein » 


Zweites Hauptfike. Von Erwerbung ber Königs: 
Trone bis zum Tode des Königs Briebrich I. 1701—1713. 


BWota’s Dentſchrift· 
—. geheime Bafinstione . 
Gutachten bee Minifer- 0 - . » 





Inhaltsverzeichniß. m 





ur Jern atrauer san. 





Inhaltéverzeichniß. ix 

Seite 

Gaius . .29 
Regifrr Gabe - 230 
acich⸗ 196 





L xob.. 


Seghes Buch. 
redrich Wuhein L 1713 -1740. 








Ceitı 


* 


Erſtes —e* Vom Regierungsantritte .beffeiben 
bis un floctpolmer- Frieden: 1713 — 1720. 





vun 


Inhaltsverzechniß. 


Betrag zur Zieilang Der fApmeöliärbeitfen Proningen .. 166 
Krieg in Ponmaern “ 






Domatıenererhpadhtung 
KUld u. Wartenberge Gunfl = » - 
ZTod der Königin Sophie Charlotte 


Genrrolfeuertafn angfement > > - 
Bingen Bl. 0 











gung — 
— ſ3 
Gewerbthaͤtigkeit .- . 
Hanich Deingarfen- 
Se. . 














Sechſtes Bud. 
Feiebrich Wilhelm L. 1713 — 1740. 


Erkes Hauptfiid.. Vom Begierungsantritte deſſelben 
bis pm ſtocholmer Frieden: 4713 — 1720. 














Er 





x& 


333358333286888 


x Inhaltéverzeichniß. 


Seite 

. 31 
. 238 
24 
25 
26 
37 
288 
29 
20 
. a1 
. 298 
25 
28 
. 808 
. 80% 
805 





Inhaltoverzeichniß. 


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zu 


"Das Lagerhauß » » .. - 


Inhalté verzeichniß. 







Grecution 

Aufnahme ber. Austwanderer u Vrerſia 
Anſiedelung ... 
Dlderlegung falſcher Gerüchte 
Wicberbenölkerung Lithauens. 
Sewerde und Manufacturen -.- 





Beſchraͤnkung der Wollausfuhr 


De a EEE 






erſchleife 
Bf om Di ie Sr rim ne. 46 


Dollgelöefen «0 0 ee een: 
Beigiofät bs "Rnige.. . 





—— — Gnodenwagl . . . 
Concordienkirchen . 





Inpaltsverzeihniß. zum 





Drittes Hauptſtuͤck. Vom Friebensfchluffe mit Schweden 
bis zum Tode Friedrich Wilhelmd 1720— 1740. - 





xiv Jnhal toverze ichniß. 





Inpaltsverzeichniß. 


e 


od Anguſts n................... 
Sandriß zwifhen Sachſen, Rußland und Deſterreich . - - 
Gtanislaus und Auguft zu Königen ausgerufen . 






652 

. 655 

Unterhanblungen Wilhelms mit Auguft . 660 
Sas atrieg gegen Frankreich 666 
Stanitlaus in Danzig . 658 
Belagerung von Danzig . 659 
Ucergabe 202... . 661 
Gtanislaus in Königeberg 667 
Feldzug am Rhein - onen 662 
Binterquartiere ber Preuffen im Kötnifhen - oo. 0 0. 668 
Titan (ämantane 9 PÜR onen “66% 
Neue Borfhläge - «000er nennen ee 666 
668 

669 


adprdti 
Bunhtberufang ber —8 — 
Fricbenspräliminarien zu 





Pebgeimandat 

Wolfe Burädberufung 

Breundtiche Berältniffe goifcyen bem Könige und dem Keonpeiagen En 
An Tannen geek fand 2 220000 087 





Fünftes Bud 


Erftes Hauptftüd. 


Kurfürft Srievric TIL v. I. 1688 bis zur Erwerbung 
der Koͤnigskrone im J. 1701. 


Brig), welcher feinem Water, dem großen Kurfuͤrrſten, 29. Apr 
im Der Begierung der von ihm hinterlafienen Länder folgte, 1688 
war deſſen zweiter, von ber erfien Gemahlin, Louiſe von Dras - 
nien, am 11. Juli 1657 gebprener Sohn. Bei feinem von 
Kindheit an ſchwaͤchlichen, dann etwas verwachienen Körper 
—— ſchon frlih große Sorgfalt zur Erhaltung feines Lebens 
versendet werben. Wenn nun auch bie eben fo zärtliche als 
verfiändige Mutter keinen Unterfchied zwifchen ihren Kindern 
gemacht wiffen wollte, fo trat doch der zweitgeborene gegen ben 
ältern Bruder, den Rurpringen Karl Emil, an ſich fen, noch 
mehr aber wegen langſamer Gutwidelung koͤrperlicher und gels 
1) Die Quellen ber Geſchichte Friedriche M. find noch Aufferft man» 
gelhaft. Pufendorf de rebus Frideric IH. — Fragmentum 
antographo autoris editum. Ban ITBR Lee mer Ga 10 
aur Urkunden und 


unb Stoatgeſchichte / eigentlich gute Actenaude 
Züge Gütthers Lchen Friedrichs L N Detail u. 1 m enthält 
me fammelte Nachrichten 


So imäflen viele einzelne Gcheiften 


manches 
cn Lohmann. 
Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats: TIL 1 


2 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤck 


ſtiger Fähigkeiten zuruͤk. Beide Knaben waren dem trefflichen 
geheimen Rathe Dito von Schwerin, einem wiſſenſchaftlich 
böchft gebitbeten, durch langiaͤhrige Staatsdienſte geprüften, 
lreng vechtfchaffenen, veligiöfen, auch im Erziehungsweſen fehr 
einſichtsvollen Manne übergeben worben, ber feine Pflichten ges 
voiffenhaft erfuͤllte. Sp fchwer es ihm wurde, ben heftigen und 
eigenwilligen Kurprinzen zu leiten, den er oft nur durch Die 
Furt vor dem flrengen Water bändigen Eonnte, fo ſcheint bie: 
fer doch für feinen hoffnungsvollen Exftgeborenen-befondere Vor⸗ 
liebe gehabt zu haben. 

Für den fünfjährigen Friedrich wurbe der Licentiat Eber: 
hard von Dankelmann aus Lingen, ein durch grünblide Stu: 
dien und Reifen durch England, Frankreich und Italien viels 
feitig gebilbeter, talentvoler junger Dann '), ber dem großen 
Kurfürften auf einer feiner Reifen nach Holland vortheilhaft 
befannt geworben war, ald Studiendirector angenommen (1663). 
Die Kurfürftin, welche neben Schwerin mit recht mütterlicher 
Aufmerffamkeit über die Erziehung ihrer Kinder wachte, em: 
pfand ed zwar übel, als ihr hinterbracht wurde, Dankelmann 
fahre das neunjährige rischen während des Unterrichts öfters 
an, fie erkannte aber doch, daß es biefer damit gut meine, um 
ihn in Kenntniffen weiter zu bringen. Nach ihrem Tode (1667) 
nahm fi Amalie von Dranien, die Großmytter des Prinzen, 
der Aufficht an und klagte ebenfalls fiber Dankelmanns ‚Heftig- 
keit gegen ein fo ſchwaͤchliches Kind. Diefer fcheint aber die 
Strenge doch nicht übertrieben, vielmehr bei feinem eigenen Aufferft 
kraͤftigen Charakter fi nur bemüht zu haben, den Prinzen an 
etwas angeſtrengtere Wituten zu gewöhnen, als Firſtenſoͤhne 

zu üben pflegen. Das erkannte auch der ‚große Kurfuͤrſt, der 
I bald (1665) zum Titulasrathe, darauf (1689) zum halbers 
ſtaͤdtiſchen Regierungörathe, dann (1676) zum kurmaͤrkiſchen 
Regierungsrathe ernannte und als Vergeltung vielfaͤltiger Dienſte 
mit Verleihung der Anwartſchaft des auf dem Falle ſtehenden 
ehemals limpurgiſchen Lehns Hauſen bei Hall in Schwaben 


2) 8 mr im 3.108 or un at em nF oh 
Jahre in Utrecht über eine Abhandlung de jure emphyteusis mit großem 
Deifall dicputict; fo erzählt wenigftens Buffer in (ehem: [20203 
Freiherr von Dankelmann, Berlin 169. 4. 


Srebrigs IIL Sugendjahre. Eberh. v. Dankelmann. 3 
beishate , wirtich an, indem er deſſen Geſuch um Entlaffung 


no, md ihn darauf zum Kammer» und Lehnsrathe ers 
nannte ') 


In ber That war Friedrich fehon als Knabe, ungeachtet 
einiger ihm natürlichen Heftigkeit, doch im Ganzen weit fanfs 
ter und fügfamer, ald ber herriſch, öfters bis zur MBoßheit eis 
geufinnige Kurprinz und baher immer eher als biefer bereit, 
bei Meinen Vergehen ben erzirnten Water für fich und auch 
für feinen ältern Bruber um Verzeibung zu bitten, 

Aufferdem, daß er von Schwerin früh und angelegentlich 
za Religionsübungen angehalten wurde, an denen er benn ims 
mer fehr feft hielt, lernte er neben ben gewöhnlichen Kennts 
niſſen, der Geſchichte und Geographie auch franzöfifch, polniſch 
und, wie es damals üblich war, lateiniſch, muſſte auch wohl, 
zeha Jahre alt, am Geburtötage des Waters eine lateiniſche 
Dration herfagen und als zwölfjähriger Knabe lateiniſch fpre= 
üyen, wozu er fich, wie es fcheint, williger finden ließ, als ber 
Blerige Kurprinz, dem das ein Gräuel war?). 

Die Spannung, welche bald zwifchen den Kindern erſter 
&e und der wenig liebenswärbigen zweiten Gemahlin des 
großen Kurfürften eintrat, dann beren Vorliebe flr ihre eigenen 
Kader, der Tod bes Kurprinzen (1674), gehäffige Mätihe: 
em, —* und Kabalen am Hofe, welche bie letzten 

des Kurfürften verbitterten, knuͤpften das Band en⸗ 
gen Vertrauens zwiſchen dem rathloſen nunmehrigen Kurprin⸗ 
zu Friedrich und feinem Führer Dankelmann noch feſter. Uns 
Äritig waren die mannichfachen Kenntniffe, welche fih Fried⸗ 
ih erwarb, und bie, bei aller Schwäche des Charakters, doch 


Giftocife Beiträge die kouialich preuſſiſchen u. ſ. w. Staaten 
RB II. 1. &. 526. Gosmars und Klaproths Staates 
tath S. 374. 

9) Ergiehungsjonmal Dtto’s von Schwerin, — Geſchichte 
dei preuffifchen Staats unter Friedrich Wilpelm. Th. L ©. 564 ff. ©. 6es f. 
Des Karpring euflärte, ala er auf Befehl feineb Waters Latenif fpreigen 
folte: er wolle midt fiubicen, Ale bie flubieten und Lateinifeh fpeächen 
wären Bärenhäuter, 4 


4 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck. 


im Ganzen edlere Richtung ſeines Lebens großentheils Frucht 
der Anſtrengungen dieſes dem Prinzen voͤllig ergebenen Man⸗ 
nes, der auſſerdem fein eigenes kleines Vermoͤgen aufopferte, 
um ben durch Einfluß ver Stiefmutter oft druckenden Geldver⸗ 
tegenheiten feine Zoͤglings abzubelfen. Vaterlich war ee für 
des Prinzen Gefunbpeit beforgt, und als biefer in Bolge bes 
boͤchſi befchwerlichen Winterfelbzugs gegen bie Schweben (1679) 
töptlich erkrankte und hoffnungslos baniederlag, pflegte ihn 
Dankelmann mit treuer Exgebenheit, ohne Schonung feiner eis 
genen Geſundheit ’). 

Bei einer andern Gelegenheit, als der Kurprinz (1687) von 
einem Stedfluffe befallen wurde, bei bem ihm ber Athem ſchon 
ganz ausblieb, wagte es allein Dankelmann, gegen aller anwefenben 
Aerzte Rath, ihm eine Ader öffnen zu laſfen, worauf der Prinz 
wieber zu fi) kam und vielmald öffentlich erklärte, daß er 
naͤchſt Gott dem Dankelmann bie Erhaltung feines Lebens 
ſchuldig fei ). Diefer vergalt auch fo viele ſich aufopfernde 
Treue durch völlige Hingebung. Im Jahre 1683 veranlafte 

er den Kurflrften, dem Kurprinzen 30,000 Thaler aus den 
Beige, Eubfingaien und den flaßfurtifchen Salzkothen 
zu geben ). 

Neben vieler Gutmäthigkeit, welche fo leicht mit Charak⸗ 
terſchwaͤche vereint if, trat bei bem Prinzen fchon fehr früh 
eine, allerdings bei koͤrperlich nicht Wohlgeflalteten gewöhnlis 
he, große Citelfeit und ein Streben nach Aufferem Giame hers 
vor, welche oft dazu dienen fol, den Mangel aufferorbentlicher 
Geiſtesgaben zu verdeden. &o fliftete der Prinz bereits als 
zehnjaͤhriger Knabe einen Orden de ia generosite, ber feinen 
Hang zur —— und zum Glanze trefflich und faſt er⸗ 
ſchoͤpfend bezeichnet. Er entwarf und zeichnete bie Infignien 
des Ordens ſelbſt, erkundigte ns dann fehr genau nach ben 
Gexemonien bei ber Aufnahme der Iohamniterritter in ons 
nenburg und fchlug in ber Kirche in Altlandoberg, wo er fich 
häufig bei dem Präfidenten, Otto. von Schwerin, aufpielt, nach 


1) Sosmar und Klaproth ©. 251. 

D Beffers Fr dv. Dankelmann S. 26. Anmerk. Nach 
Anderen fung Dankelmann die Ader ſelbſt. 

8) Oiſtoriſche Beitraͤge N. 1. ©. 526. 


Triedrichs IL Jugendijahre. 5 
finlihen Orgelſpiele, auf einem großen Stuble figend, rechts 
dab Schwert, ins das Grucfir auf fammtenem Kiffen, unter 

aller Zoͤrmlichkeiten, angefehene Hofleute zu Bits 
tem fine Ordens, bewarb fid auch, fechzehn Jahre alt, fehr 
uchirhdtich bei dem Könige Karl IL von England um ben 


s 
H 
Ei 
— 
Tr 


ſterreich 
och beſtimmter durch feine Vermaͤhlung 


mar. Dem großen Kurfuͤrſten trauete man nicht, wohl aber 
dem Kunpringen *), und es galt für einen Meiſterſtreich bes in ber 
hamoͤveriſchen Gefchichte fo berühmten Minifters Grote, daß er 
biefe Bermählung durchfegte, um durch ben Einfluß ber Prin- 
fin den einfligen Wiberfpruch ihres Gemahis gegen bie Kurs 
würde ihres Vaters zu befeitigen. So fehen wir ben Kurprins 


1) Tagebuch Sqaverins ia Oriichs Friehrich Wilhelm I. 6.6115 
2) Pufendorf IIL $. 17 fagt, ber große Kutfärft habe feinen 
verſprochen gehabt, obgleich das Haus Braunſchweig ber aͤrgſte 

geweſen. Diefe Sparen dauerte doch noch, giems 


6 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck. 


gen ſchon bei Lebzeiten des Waters, ber jedoch in den letzten 
Sabrın ſich ebenfalls von Frankreich entfernte, für Defterreich 
gewonnen, befien Gefanbter, der Baron von Freitag, ihn auch 
auf fehr unehrenwerthe Weife unter dem Vorwande, die nach⸗ 
theiligen Beſtimmungen des väterlichen Teſtaments zu befeitis 
gen, zu bem geheimen Verſprechen bewog, ben vom Kaifer dem 
großen Kurfürften abgetretenen ſchwiebuſer Kreis nad biefes 

Tode wieber herausgeben zu wollen. 

J Die Gemahlin des Kurprinzen war von dieſem, man 
kann fagen in jeber Beziehung, fo verſchieden, daß fie wohl 
nie einen fo außsgebehnten Einfluß auf ihn gewann, als man 
erwartet haben mochte. Jedenfalls wurben jeboch durch dieſe 
Ehe die Berhältniffe des brandenburgiſchen Haufed zum hannoͤ⸗ 
verifchen freundlicher, konnten indeß, feit dem Emporloms 
men beiber Staaten, durch gegenfeitige Eiferfucht, dann noch 
länger durch bie perfönliche gegenfeitige Abneigung ihrer Kür: 
ſten nie recht innig werben ). 

Die Gefinnungss und Handlungsweiſe Friedrichs TIL in 
zeligiöfer und felbft rein menſchlicher Beziehung ſchildert und 
ein Vorfall aus dem Anfange feiner Regierung (1690). Das 
mals Iebte man in Berlin am Hofe fehr heiter. Der Junge 
prachtliebende Kurfürft eilte von Vergnügen zu Wergnügen, ein 
Beft folgte ſchnell dem andern. Das Läflige der fräter fo fleis 
fen Etikette war, vieleicht durch den Einfluß der Kurfürflin, 
welche möglichft große Ungezwungenheit in der Gefellfchaft 
kiebte, noch weniger bemerklih. Bei einer, den bamaligen 
Geiſtlichen ohnehin ſehr anſtoͤßigen Maskerade fcheint das Maß 
des Schicklichen doch fo weit Lberſchritten worden zu fein; daß 
darüber viel geſprochen wurde. Der Hofprebiger Cochius, ein 
ſtrenger Mann, der nicht glaubte, nur bie leichte Pflicht zu has 
ben, Alles was der Fuͤrſt that ober geflattete, hoͤchlichſt zu los 
ben, ſuchte dem Kurfuͤrſten mimndlich Vorflellungen zu machen, 
aber bie Hofleute, welche bad vermutheten, verhinderten feine 
Borlaffung. Als Cochius bad fah, predigte er am naͤchſten 
Sonntage in Gegenwart des Kurfuͤrſten fehr fcharf gegen dad 

1) Erman Mömoires pour servir à Vhistoire de Sophie Char- 
lotte ete. Berlin 1801, enthalten alles bis jett über biefe Fuͤrſtin 
Bekannte fleißig gefammelt. 


. Setedeid I. als Kurfuͤrſt. 7 


„ anfatt Öffentlich fo großen Lärm zu machen?" 
ie Bemerkung bed Grafen Dohna: Cochius koͤnne das ia 
ſucht haben, bedachte ber Kurfürft, baß ber Hofprebis 
feine Pflicht gethan und achtungsiwerther fei, als bies 
welche felbft die Kanzel durch Schmeicheleien nur vers 

Er ließ ihm daher mit vielen Dankbezeigungen 600 
und bie Anwartfhaft auf eine einträgliche Stelle für 

ſehenen au 


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[321 
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d Entſchuldigungen zu bewegen, Gelb und Patent 
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gung . 

zwei Gegenftänbe, bie Friedrich IIL während 
Lebens mit Ausdauer verfolgte, erſtens, Exhöhung feines 
, dann Unterftügung des Proteflantismus. Go oft es 
verwidelten Staatöverhältniffen auch ummöglid wurde, 
ſenden Entſchluͤſſen beide Zwecke zu vereinigen, 
eine gegen ben andern zurücktreten muffte, fo 
fagen, baß er Feinen von beiden je ganz aus 
x. 


hung feines Anſehns ſuchte er durch Wergrößes 
Glanzes, mit dem er fi umgab, und durch Wer 
ig feiner wahren Macht zu bewirken. Wenn nun auch, 
der Eigentplimlichkeit des Zürfen gemäß, daB Streben nach 
Glanz vorherrſchte und dem Scheine felbft num zu oft Wefents 
liches geopfert wurde, fo geſchah das body nicht durchaut, viels 
mehr bemerkt man in feiner Haltung bei ber oft ſehr ſchwieri⸗ 
1) Dohna Mömoires p. 155. Das Andenken der Cchmeidhler mag 
‚ober veraditet werden, bas bes Ehrenmannes im ehren ⸗ 

velen Andenken bieiben. 


ft, 
€ 
8 


8 37733 
Heiti 
838, 


8 Bud V. Erfies Haupeftäd. 


gen Stellung zu den europäifchen Mächten, bann in bem, was 
—E Ausbilbung des Heers geſchah, und ſelbſt ira 
der forgfältigen Benutzung jeder guͤnſtigen Gelegenheit zur 
Ausdehnung feines Landergebieis, fortwährend, daß ihm die wah⸗ 
ı ven Grundlagen der Macht feined Haufe nicht in dem Maße 
unbefannt waren, als es ben Anfchein hat. Es laͤſſt fi) auch 
nicht ganz leugnen, baß felbft der Glanz und bie zur Erhöhung 
deffelben gewählten Mittel nicht allein biendeten, fonbern ge⸗ 
wiffermaßen doch das Anfehn des Staats felbfi vermehrten, 
eben weil ein, wenn auch felbſt zuweilen verfehltes Streben 
alle diefe Fürften vom Water zum Sohne und zum großen En⸗ 
tel, jeben auf feinem eigenen von dem andern fehr verichiebes 
nen Wege, aber doch alle überhaupt vorwärts trieb, während 
ambere fuͤrſtliche Häufer, denen dieſes Streben entweber ganz, 
mangelte ober doch nicht fo vom Geflecht zu Geſchlecht beis 
wohnte, weit hinter den Hohenzollern zurldblieben, wie eine 
Vergleichung beffen, was ber brandenburgiſch⸗preuſſiſche Staat 


durch bloße glückliche Wechſelfaͤlle ober nu durch Heirathen bins 
nen bundertundfunfzig Jahren gegen andere Staaten geworben, 


ſehr deutlich zeigt. 

Die Richtung aber, welche Sriebrich IN. zue Erreichung 
feiner Zwede — beſtand zunaͤchſt einerſeits im Anfchliefs 
fen an Deſterreich, andererſeits in Unterſtuͤzung ber Entwürfe 
Wilhelms von Dranien auf den englifchen Thron. Das Ans 
ſchlieſſen an Deſterreich war fon, wie wir gefehen haben, bei 
dem wibrigen Familienzwiſte, in dem Gegenfage des Kurprin⸗ 
zen gegen bed großen Kurfürften Hinneigung zu FZrankreich, 
noch mehe aber in feiner wahrhaft beutfchen Gefinmmg bes 
gründet, bie er niemals verhehlte. Hierzu kam ein gewiſſer 
Wetteifer, es in allen Dingen foviel als möglich dem großen 
Feinde Deſterreichs, Ludwig XIV., gleichzuthun, dem er auch bas 
her noch durchaus abgeneigt war. Eng damit verbunden war 
der aufrichtige Proteſtantismus des Kurfuͤrſten, der ſich ſogleich 
in ber lebhaften Theilnahme für bie evangeliſchen franzoͤfiſchen 
Flüchtlinge, in der nachdruͤclichen Unterſtuͤtung der proteſtan⸗ 
tifchen Sade in England und fo lange er lebte, Überall, wo 
katholiſche Fürften ihre edangelifhen Unterthanen brüdten, 


Eriebrichs ITL Regierungsanteitt. 


meer bi) auch dort des gemeinfhflihe Daß deg ee 


terlänbifhen „Herzen näher, mit welcher er bereits verbunden 

wer, daun auch zur Erreichung feiner eigenen Zwecke bie nuͤt⸗ 
Ishfte und enblich feinem. Proteſtantismus am wenigften hins 
derfich ſchien. 

In den norbifchen, fo verwidelten Verhaͤltniſſen hielt er 
fich möglich parteilos und ſuchte, foviel er vermochte, ben 
Trieben zwifchen ben proteftantifhen Mächten zu erhalten, war 
perſalich mehr für Auguft von Sachſen und Friedrich von 
Dinemark, als Fürfl, Proteſtant und wegen feine ältern Buͤnd⸗ 
wies für Schweden, muffte indeſſen ben Umſtaͤnden nadıges 
ben, die er bei unzureichender und anderweitig durch feine 
Bnkeifie wis Da Deſterreich gegen Frankreich beſchaͤſtigter Macht 


Sleich nad dem Tode feines Waters in Potsdam wurben 
auf Befehl des nunmehrigen Kurfürften alle Brüden bei 
Stadt aufgezogen, alle Thore gefperrt, in Berlin alle Thore 
518 zu feiner Ankunft gefchloffen und fämmtliche Truppen für 
ifa.beeibigt, den fremden Höfen, auch dem Baar Peter I. fein 
Regierungsantritt beſonders angezeigt ). Dann ließ er fi 
wer in der Kurmark, hierauf gelegentlich in großen Zwiſchen⸗ 
tänmen, perfönlic, wie e8 gewöhnlich war, in ben zehn Haupts 
orten der übrigen Provinzen huldigen ). Hierbei und bei dem 
fürlihen Leichenbegängniffe feines Vaters zeigte er ſchon feine 
große Reigung zu aufferorbentlicher Pracht und feine Vorliebe für 

glänzende Geremonien in einem fruͤherhin unbefannten Maße). 

DPufendorf L5£.2, 

9) In Pommern und Neumark erft im I. 1699. 

9 Pauli V. ©. 858—874, —— offentuich bekannt 
eaqhten Beſchreibungen. Bei der preuſ ‚Hulbigung in 
wurte der wegen des Rünftigen Südfale ber Provim an Polen zu Ice 


10 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


Die Guͤltigkeit des legten Teſtaments feines Waters ließ 
er von fämmtlichen Mitglievern des geheimen Raths unterfus 
hen “und flieg es bemgemäß um, weil es ben Grundgeſetzen 
des Haufes, namentlich dem Teſtamente des Kurfürften Als 
brecht Achilles (v. I. 1473) und den gerauifhen Hausverträ= 
gen (v. d. I. 1598 umb 1613) entgegenlaufe und das in ih⸗ 
nen enthaltene ernftlihe Werbot aller Zertheilung von Land und 
Leuten, worauf bie Macht und der Glanz bed kur⸗ und fürft- 
lichen Haufes Brandenburg einzig und allein gegründet und über 
zweihundert Jahre als Grundgefeg heilig und unverbrüchlich beob⸗ 
achtet worben, mit einem Male über ben Haufen werfe. Dies 
fer hier offen ausgeſprochene Grundfag ‚gibt bie allgemeine 
Richtung der Handlungsweife aller Regenten Preuffens feit 
dem großen Kurfürften, ja faft aller Hohenzollern in Branden⸗ 
burg beutlih an. Die Größe und ber Glanz des Haufes 
find es, in denen jeber von ihnen fein Gluͤck findet, woflr er 
Dpfer bringt und nad) augenblidlihen Abweichungen wieber 
einlenkt. Seit fie in bie weiteren Kreife der größerem Gtaa- 
tem geiveten find, feit ihnen, was im Norden wie im We— 
ſten gefchieht, nicht mehr gleichgültig fein Tann, oft wichtig üft, 
ſeitdem richten fie ihr Augenmerk forgfältiger auf dad Werks 
zeug der Größe und bed Glanzes ihres Haufes, aufben Staat, 
fie ſuchen ihm jede mögliche Vervollkommnung zu verfhaffen 
und ebenfo jeden möglichen Nugen aus ihm zu ziehen. Das 
iſt der preuffifche Staat mit feinen Zürften! 

Apell Dann verglich fich Friedrich I. mit feiner Stiefmutter, 
1689 welcher ex, ohne ummürbiger Rachfucht Raum zu geben, auf 
Dankelmanns Rath, niit aller ſchicklichen Eprerbietung begegnete ') 


ſtende Gib von bem bed Deutfchen wenig kundigen polniſchen Bevollmaͤch-⸗ 
tigten unbeutliä und leife, baher von wenigen ber Amefenden nachge- 


ten fie weiter nicht. Pufendorf IL $. 24. 

1) &. den Brief Friedrichs II. an feine Stiefmutter und deren Ants 
wort v. Juni 1689 in Schönings Leben Ratmers &. 99. In ber 
Schrift: Wal und Ungnabe zweier Staats. Minifter, S. 9 wird e8 als 

anne Werbienft gerähmt, daß er den Frieden in ber Eurfärftlichen 
Bamitie hergeſtellt und Friedrich mit feiner Stiefmutter autgeſohnt habe. 


Teſtament des großen Kurfürften. 1 


mb ihe auffer anderen Vortheilen und Nutzungen jährlich 
HMO Taler ausſetzte. Sie farb indeſſen bald nachher 
(16. Zoguft 1689), was dem Kurfhrften umflreitig den Vers 
sid mit — Brlibern erleichterte, obwohl erſt nach vielen 
x und nach Ueberwindung mehrfacher ihm vom 
Icfafihen Hofe auf nicht fehr ehrenhafte Weife erregten Schwies 
rigteiten, indem biefer fih weigerte, das Zeflament bes großen 
Kufkren auözuliefern, wenn nicht alle Intereſſenten form⸗ 
lich darun eintämen, was, wie man wohl wuffte, nicht gefchehen 
wide, weshalb denn — ſehr Hug davon abftand. 


Hu 


u Peer mit dem Haufe —— — ſtand je wie 
Wirfehen werben, mehrfach auf — Weiſe gegen —— hans 


derulz 
Rand natürlich, daß Deſterreich ben thätigen Euporkoͤmmling 
zit Gfmfocht betrachtete, und ebenfo, bag biefer ſich dadurch 


der beiben jüngeren 12,000 Thaler jährlich auf. beftimmte Do» 
mainenämter verſchrieben erhielten"). Der perſoͤnlich fo rechts 


1) Grofentfeils Worte des mic durch den um preuffifche Geſchichte 
Pr weichen fon Buchhoiz Ih. IV. S. 184 einen wichtigen 
gab, 


42 Bud V. Erfies Hauptſtuͤck 


Ude als gutgefinnte Kurfürft war darüber, wie er bem Fuͤr⸗ 
fien Leopolb von Deffau fchrieb, ungemein erfreuet: weil er 
dadurch ben alten Grund, worauf des Hauſes Macht und 
Aufn fo Tange ber gerahe, von Neuem befeftigt und das 

d der Natur mit feinen Brübern von Störungen be 
en hatte. 

Der Kaifer erkannte indeſſen bie Reverſe ber Markgrafen 
nicht eher an, als er den ſchwiebuſer Kreis zurück erhalten 
Hatte. Diefer Gegenfland war bald nach des Kurfinflen Re 
gierungsantritte vom äfterreichifhen Hofe in Anregung gebracht 
worben, welcher auch behauptete, Friedrich IL habe feinen als 

gegebenen Revers (v. 28. Febr. 1686), durch wel: 
chen er ſich gegen eine verhältnißmäßig geringe Summe Gel⸗ 
des zur Rüdgabe des fchwiebufer Kreifes verpflichtet, als 
Kurfürft von Neuem, wahrſcheinlich mündlich, anerkannt. Da 
biefe Angelegenheit vom Kurprinzen fehr geheim, ohne Zuzie⸗ 
bung ber Minifter feines Waters und ger auf — rechts⸗ 
verbindliche Weiſe behandelt worden war, fo hatten ihm erſt 
nad feinem Regierungsantritte feine Käthe zeigen Tönnen, Bd 
er ohne fein Wiſſen betrogen worben und es befler fei, ben 
ganzen Vertrag und das Bänbniß feines Waters mit Defterreich 
(0. 22. März 1686) aufgugeben, als ben Bevers zu erfülen. 
Er verlangte deshalb (1690) den ihm binterliftigerweife abs 
gelodten Revers zuruͤck, allein der Faiferlihe Hof verweigerte 
bie ‚Herausgabe. Vergeben waren alle Bemihungen Dankel⸗ 
mannd, der Kaifer gab nicht nach und wollte „ehe von 
Schwiebus Befig ergreifen, Friedrich dagegen das Land haupt: 
ſaͤchlich auch deswegen behalten, weil «8 ihm ſehr leid that, 
zwanzigtauſend Proteſtanten der wenig toleranten kaiferlichen 
Regierung aufzuopfern. Der kaiſerliche Hof bot Geld, Fried⸗ 
rich lehnte es ab und verwarf die Gültigkeit bes ihm beirüge: 
riſcherweiſe abgelodten Reverſes, weil er als Kurprinz bei 
Lebzeiten feines Waters Leine vechtmäßige Gewalt gehabt: wel⸗ 
her oͤſterreichiſche Minifter e3 denn zugeben werbe, daß ber Sohn 
des Kaiſers bei beffen Lebzeiten folche Verpflichtungen eingehe? 
Freitag habe ihm nichts von den Anfprüchen gefagt, bie fein 
Vater in dem geheimen Vertrage aufgegeben, ſondern nur, 


Schwiebufer Kreis. 13 


ap fein Bater Schwiebus erhalte, um ihn von Frankreich abs 
michen. Wolle man Schwiebus mit Gewalt in Beſitz neh⸗ 
way, fo werbe er Gewalt entgegenfegen unb Öffentlich bekannt 
meder, wie unwuͤrbig man gegen ihn gehandelt. Ohnehin 
fü da Betrag ſeines Vaters fehr vortheilhaft für ben Kaifer, 
üben die jägernborfer Domainen jährlich 12,000 Thaler, die 
Awichufer nur 2000 Zhaler abwuͤrfen. Wolle man aber 
Gdeichus durchaus zurlid haben, ſo werde er feine Anfprliche 
af Eegeig, Brieg, Wohlau, Sägerndorf und Beuthen wieder 
Alle Proteflatii 


tungen heifen indeſſen zu nichts. Der Kaifer beharzte unerſchuͤtter⸗ 
id) anf Schwiebus, und wollte der Kurfürft nicht völlig mit 
it brechen, fo muffte er nachgeben. Nachdem er daher bie 
ia zugefagten 100,000 Xhaler, ferner 14,000 Thaler für 
ingeläfte Mandgüter, indgefammt 255,000 theinifche Gulden 
erhalten, nachdem der Kaifer ihm als Schadloshaltung für den 
Bertuft im ſchwediſchen Kriege (1675-—1679) die Anwartfchaft 
af Dffresland und auf die gräflichen Herrfchaften Limburg 
wb Ededfeld in Franken, welche auf dem Falle der Erledis 
924 fanden und bem Rurfärften gelegentlich ber Stellung 
dv 600 Mann gegen die Tuͤrken (6. März 1693) zugefagt 
weten waren, wirklich audgefertigt hatte, wurde endlich ein 
receß über die Müchgabe des fhwiehufer Kreis 24, sit 
48 obgeäloffen *). Bei der Vollziehung beffelben weigerte fich 10. Yan. 
anghine Rath Paul von Fuchs in das Document etwas 1695 
dem obigen Keverſe des damaligen Kurprinzen und von 

a der branbenburgifchen Anfprüche auf Jaͤgerndorf, 
Lopig, Brieg und Wohlau zu fegen: weil ber &everd eine 
dem Kurfürſten Höchft disreputirliche Sache fei, von welcher in 
a Kine Oipur beiden fol. So ſehr num auch die kaiſer⸗ 

üben Deputirten darauf Stangen, gaben fie doch endlich nach, 
da Difeb Wergichts bereitß im Satiöfactionsreceffe vom 7. Mai | 
1686 ımd im Metrabitionbreceffe vom 20. Decemb. 1694 Er⸗ 
Währung gefchehen, wogegen bie brandenburgiſchen Deputirten 
ach mehrflimbigem Dispufiren geftatteten, daß im Allgemeinen , 
des Keverſes, doch ohme Nennung bed Namens des Kurpinzen, 


N Pufendorf IL $. 7. ff. und 8. 18. 


14 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


gedacht werde‘). Im dieſem Vertrage verſprach ber Kalfer auch 
zuerft, dem Kurfürften und deſſen Erben den Zitel eines Her⸗ 
3088 in Preuffen, doch ohne Präjubiz des beutichen Drbens, 
ertheilen zu laſſen, was auch feitdem wirklich, ohne Ruͤckſicht 
auf des deutfehen Drdens Proteflationen gefpah*). Nur erfk, 
in den Jahren 1696 und 1697, erfannte der Kaifer bie Mes 
verfe ber bei bem Teſtamente bed großen Kurfuͤrſten betheiligs 
ten Prinzen als gültig an). Diefe fo ſchwierige Angelegen- 
heit, welche mehr als irgend eine andere die Bamilie auf das 
tieffte innerlich zu fpalten und fo mit dem Staate zu ſchwaͤchen 
drohete, war von nun an bucch bie Einficht und Feſtigkeit des 
Kurfürften und feiner Räthe, fowie durch Friedrichs IU. Freis 
gebigkeit gegen feine Brüder für immer befeitigt. Von den 
Stiefbrüdern ded Kurfürften, welhe ihm nun vielfah als 
tapfere Kriegsmaͤnner dienten, hatten nur bie beiben lteren, 
Philipp Wilhelm, von feiner Beflsung Markgraf Brandens 
burgs Schwedt genannt, und Albrecht Briebrich, Heermeiſter in 
Sonnendurg, Rachkommen, beren letzter männlicher Sproß im 
Jahr 1788 ſtarb. 

Obwohl der junge Kurfuͤrſt die höheren Staatsbeamteten 
feine® Vaters umberänbert beibehielt*), fo war doch fogleich 
der entſcheidende Einfluß des bereits am 20. Mai 1688 zum 
wirklichen geheimen Staats» und Kriegsrath ernannten Eber- 
hard von Dankelmann auf alle irgend wichtige Angelegenheiten 
offenbar, und die unter dem großen Kurfürften einflußreichften 
Minifer traten gegen ihn weit in den Hintergrund. 


1) Handfögeiftliche Rachrichten aus den Roten über bie Betrabition 
bes ſchwiebuſer Kreiſes. 

2) Theatrum Europaeum T. XIV. p. 798. 

8) Daher gab auch wohl erft im Gept. 1699 ber Kalfer dem Kür- 
fürften als ſolchem und bann als König von Böhmen bemfelben bie Be⸗ 
Icpnung mit Kroffen, Zuͤllichau, MWBoberberg, Gommerfelb, Kottbus, 
Bestom und Storkom. 'Theatr. Europ. XV. 549, 

4) Im der Schrift: Fall und Ungnabe zweier Gtaats-Minifter, S. 9 
wird das Beibehalten ber alten erfahrenen Minifter als Verdienſt Dankel⸗ 
mann bargeftellt, ber es bahin gebracht, baf ber Kurfuͤrſt alles Misver⸗ 
grögen, was ihm als Kurprimen verurſacht worden und vorgegangen, 
auf bie Batalität des Beiten geworfen. 


Ausmärtige Berhättniffe 15 


Ian den inneren‘), wie in den auswärtigen Angelegen- 
heiten verfolgte der Kurfurſt dem zulegt von feinem Water eins 
veſchlegenen ‚ blieb mit Deſterreich in gutem Vernehmen 
und emeuerte nach und nach die aͤlteren Buͤndniſſe mit ben 
Gmmelfanten, mit Daͤnemark, Schweden, Sachſen und Han⸗ 
meer. In Polen hätte ihm eine Partei ruͤckfichtlich feiner 
Eomerainetät Über Preuffen gern Hinberniffe in ben Weg ges 
legt; doc war eine andere Partei für ihn; auch gewann er 
den König, dem alternden Johann Sobieski, durch feine Bes 
tetwiligkeit, ihm gegen die Kürten zu unterflügen und bie 
Bittwe des Markgrafen Ludwig von Brandenbing, die reiche 
migirilfge Erbtochter, dem diteften Sohne de Königs zu 
vernählen®), und bewog ihn zur Erneuerung der Verträge von 
Bohlan und Bromberg, worauf er (24. Mai 1690) bie Huls 
digumg Preufims in Königsberg annahm. Er Inüpfte auch 
frambliche Verbindung mit den Zaaren Johann und Peter an, 
ofne dech daß Ältere Bundniß feines Water (v. I. 1656) mit 
den Rofkowitern erneuern zu wollen’). 

Anh darin folgte er dem Beiſpiele feines großen Waters, 
dab m Bertpeibigungsbündniffe mit mehreren, ja allen krieg⸗ 
führenden Mächten zugleich hatte. Sole Werträge wurden 
damals überhaupt in großer Anzahl geſchloſſen, ohne bag man 
in de Siegel großen Werth auf fie gelegt hätte, ben fie auch 
ritt verbienten. Sie wurden don weiter ausſehenden Fuͤrſten, 
wie die brandenburger waren, verhandelt und eingegangen, 

um freundliches Vernehmen einzurichten ober zu erhalten und 
fir mögliche Fälle aus ihnen Nugen zu ziehen. Die augen: 


1) Die erfte Inſtruction, welche Friedrich IL. für ben geheimen 
Wat} unterzeichnete, ftimmt fat wörttih mit der feines Waters überein. 
Goimar mb Klapzoth ©. 222. 

DPufendorf L 9.5ff. Zaluski epist, T. II. 2. p. 1150. 
dungnidh Preuffen unter Johann II. ©. 277. Wilken im Berliner 
Nihikl, genentogiichen Kalender v. 3. 1822, ©. 24 aus Bunblings 
beaöfcifttichern Leben Priebriche II. Aus dem, was ich barüber im 
ale che aındn, ergibt ſich, daß Friedrich IIL der Ber 

werbung Jakob Goblestrs nicht fo entgegen war, wie Andere nie 
Do in in Staateſachen Wieles Werftellung. 
9 Pufendorf I. . 4. 


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& 


Auswärtige Berhäieniffe L 73 


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6 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤc. 


biietfihen höheren SIntereffen waren dann ber Maßſtab, nach 
dem die Verbindlichkeit folder Vertraͤge beurtheilt wurbez doch 
muß man fagen, daß Friedrich TIL fie nicht ganz fo leicht 
wie fein Water betrachtete, vielmehr eingegangenen Verpflich⸗ 
tungen, foviel nur irgend möglich, aus eigener Gewiffenhafe 
tigkeit gern nachkam, daß auch, vorzüglich unter Danfelmanns 
Leitung, die auswärtigen Angelegenheiten mit mehr Seftigkeit 
und felbft Aufeichtigkeit gehandhabt wurden, als das fpäter 
der Fall war. 

Zunaͤchſt fuchte er nichts mehr ald Wilhelm von Dranien 
in feinen Abfichten auf den englifhen Thron zu unterfkügen 
und ben Entwirfen Frankreichs entgegen zu arbeiten, dennoch 
ſchonte er dieſes oͤffentlich, bat auch, bei ber Geburt feines 
einzigen Sobns, bes nachherigen Königs Friedrich Wilhelm 
(14. Aug. 1688), Ludwig XIV., Pathenſtelle zu vertreten ’), 
um bie Vortheile bed von feinem Water abgeichloffenen gehei⸗ 
men Bundes fo lange ald möglich) zu geniefien. Die noch 
rüdftändigen 450,000 Livres Subfidien”) ergriff er ald Vor⸗ 
wand, vor beren Berichtigung Fein neues Buͤndniß mit Lud⸗ 
wig XIV. einzugehen. Diefer aber weigerte bie Bezahlung 
aus Miötrauen gegen bie nicht ganz unbefannten Gefinnungen 

des jungen Kurfürften, indem er nicht bem wollte Gelb zah⸗ 
Ien, ber gegen Frankteichs Intereſſen handele. Doc ließ ſich 

Friedrich IIL. hier weder durch Verſprechungen ‚gewinnen, noch 

ſppaͤter durch Drohungen ſchrecken und vom feinen Entwürfen 
abwendig machen. 

1688 Schon im Januar, kurz vor feinem Tode hatte ber große 
Kurfürft den Eberhard von Dankelmann und auf deſſen Rath 
auch ben damaligen Kurprinzen in das Geheimmiß der Unters 
nehmung Wilpelms von Dranien gegen befien Schwiegervater, 
den König Jakob, gezogen, wovon bier auffer ihnen nur noch 
— wuſſte, denn mehrere geheime Raͤthe, welche von 

Frankreich Penfionen zogen ober Geſchenke erhielten und dieſe 
Vortheile nicht aufgeben mochten, waren für 
Beibehaltung der Verbindung mit Ludwig XIV. Dankel⸗ 


1) Auch bie Stände der Kurmark und Preuffens. Gätther ©. 19, 
2) Wilken im Berliner Kalender v. I. 1825 ©. 10, aus Gund« 
Lings handſchriſtlichen Angaben. 


Wilhelm von Dranien. 17 


man, wie der Kurprinz billigten da Unternehmen vollkom⸗ 
wa, als nothwenbig zur Erhaltung der Freiheit Europas 
und des Proteftantismus, welche man durch Jakobs Katholis 
Fre Hinneigung zu. Frankreich für aufs Höcfle ges 

Im Mai, bald nach dem Tode bes großen Kurfürften, 
tan Bentink, der Vertraute Wilhelms, nach Berlin unter dem 
Bormande, Friedrich IH. zu feinem Regierungsantritte Glück 
m winigen, wirklich um von ihm 6000 Dann ‚Hülfstruppen 
u Vertheidigung Hollands zu erbitten, weil Wilpelm fürds 
ie, Frankreich werde das angreifen, während es durch bie 
mit ihm nach England bergefchifften Truppen entbloͤßt waͤre. 

Der Kurfuͤrſt war bereit, Dankelmann ebenfalls fehr das 
fir, der eben anweſende Landgraf Karl von Heſſen⸗Kaſſel 
wire nach und nach in das Vertrauen gejogen und gewons 
ae, ebenfo durch Friedrichs perfönliche Anweſenheit in Anna⸗ 
bung der Kurfürſt von Sachſen, der doch Feine Truppen dazu 
gehen wollte. Nachdem Friedrich IM., der, um Argmohn zu 
wermiden, durch ben ‚geheimen Rath Paul von Fuchs mit 
Brink in Celle verhandeln ließ, fich über bie ganze Unter 
"bang grimblich unterrichtet, auch ben Bund feines Waters 30. Juni 
mit den Generalftanten erneuert hatte und ber ‚Herzog von 1688 
ik fir diefelbe gewonnen worben war, kam ex noch fehr 
ghein mit Wilhelm in Minden zufammen. Diefer verſprach 
im nicht nur dad, was im Teſtamente feines Großvaters bes 
fimmt war, fondern weit mehr zu vermachen und Friedrich 
wilige ein, 6000 Dann in holändifhen Solb zu geben, 
wide in der Mitte Septemberd an ber Grenze fein und 
am wern ber Kurfürft in feinem eigenen Sande angegriffen ° 
werden würde, zurücgerufen werben follten '). 

Der in Unterhanblungen Aufferft geſchicte Wilhelm ſtimmte 
gar den eifrig katholiſchen Kaiſer für ſich, ja ſelbſt der Papſt 
nocenz XL war aus heftigem Haffe gegen Lubwig XIV. 


N Pufendorf L $. 68. ueber die unmittelhare Theilnahme ber 
am ben Greigniffen in England felft f. Schöning im . 
m Rogmers ©. 65. Rach Pufendorf muͤſſte man annehmen, baß 
franbenburgifche. Dragoner mit übergefhifft worden wären, doch war da6 
he der Fall, S. Militair- Wochenblatt v. J. 1838, Kr. 30. 
Gtenzel Geſch. d. Preuffifch. Staats. IH. 2 


18 Bud V. Erſtes Haupefäd. 


für ihn und beſchwichtigte fogar die Gewiſſensſcrupel des ängft- 
lichen Kaiferd durch die Worftellung, König Jakobs Unterneh⸗ 
men gegen ben Proteftantiämus in England werbe nicht zum 
Vortheile der katholiſchen Kirche unternommen, fondern ums 
die Univerſalmonarchie Frankreichs zu gründen‘), Das war 
der empfinblichfte Vunct für das Haus Defterreih. Die Rüftun- 
gen Wilhelms und der mit ihm verbundenen deutſchen Fürften 
wurden durch bie von Frankreich in Deutfchland angefan= 
genen Händel verdekt, wenn fie aud nicht völlig unbefannt 
blieben, ! \ 


Ludwig XIV. bemühete fich fortwährend feine Partei uns 
ter dem deutfchen Fuͤrſten zu verſtaͤrken und theils bie eigene 
Macht auf Koften Deutſchlands zu erweitern, theils dieſes fo 
zu fpalten, daß es feinen ehrgeizigen Entwürfen nicht hinder⸗ 
lich fein koͤnnte. Der Herzog von Hannover war mit ihm ver 
bindet, doch ohne perfönliche Hingebung. Friedrichs II. Neis 
gung zu Defterreich war in Paris nicht unbefannt, man bachte 
indeffen wohl noch ihn umzuflimmen. Den charakterfhwachen 
Kurfürften von Baiern hoffte Ludwig XIV. (doch jegt noch 
vergeblich) zu gewinnen. Zunächft wendete er alle Mittel an, 
ben ihm völlig ergebenen Cardinal Wilhelm von Fü 
— von —& auf den — Stuhl von 

Köln an die Stelle des Kurfürften Marimilian Heinrich, zus 
gleich Biſchofs von Hildesheim, Münfter und. Lüttich zu brin⸗ 
gen, deſſen Tod nahe bevorftand. Damals wurden bie ein⸗ 
träglichften und wichtigften Bisthuͤmer, auch wohl wie in dies 
fem und vielen anderen Faͤllen mehrere, ja vier bis fünf zus 
gleich, nicht im Intereffe der Gläubigen oder ber Kirche, ſon⸗ 
bern mächtiger fürftlichen Samilien und einzelner Prinzen der⸗ 
felben verliehen, für bie man dann nicht weiter zu forgen 
hatte. Die übrigens fehr frommen katholiſchen Fürften fanden 


1) Dohna M&m. p. 78 aus ben von feinem Großvater hinterlafe 
fenen Papieren. Die Königin Chriſtine war Bermittierin, Ar Pufen- 
dorf 1.69 und J. F. Crameri historiae Friderici L 
a a Städ 8—9, p- 21. 


der Papft unmittelbar  gefe 
ui Ranle’s Zweifel (Päpfte Ip. II e. 171, Anmerk. 
die Borm, vhdfichtiid) deren ex ſicher Recht Hat, nicht bie Sache. 


eubwig XIV. . 10 
vet 3 bie Päpfte aber, wenigſtens eben fo ſehr 


Bidfchten, ungeachtet aller entgegenfichenben Kicchenfagungen 
ie Einwilligung zu 
kadwig w batte es nun aller Gegenbemühungen des 
Leiſes und der Holländer ungeachtet glädlich durchgeſetzt, daß Sommer 
Wihelm von Fürftenberg zum Coadjutor des von biefem vdi⸗ 1 
&g geleiteten Erzbiſchofs — wurde, Deſterreich dagegen bes 


ti hintertrieben). Im Köln dagegen, wo bie 
ie Witglieder bes Capitels fo hoch ftieg, daß der Graf Kaus 
rit den Fuͤrſtenberg in der Verfammlung einen Landesverraͤ⸗ 
* ſchalt, waͤhlte dieſen dennoch ber größere Theil des Gapis29. Jull. 
‚ die Minderzahl dagegen den Prinzen Clemens, Bruder 
Surfürfien von Baiern. Diefen fichzehnjährigen Prinzen, 
der bezits zwei Wiöthlimer hatte, beftätigte ber Papft und das 
ad uhm ihn an”), —e— durd Defterreich bewogen, daß 
von tern noch einmal von Frans 
ee Beide Parteien lieſſen ihre 
Gelehrte weitiäufig ausführen, doch kam es 
an, fondern was den Mächtigen vortheilhaft fehlen. 
war zum Aeuſſerſten entſchloſſen, erftens, um 
Behauptung Sürften] 


— ZE 
8 


gugeg 
Ai 
— 
8 


ei 
* 


vom I. 1684 ihm auf zwanzig Jahre gelaſſen, nicht 
einen Friedensſchluß auf immer abtreten wollten. Cr 
jeg gegen das eich, bamit nicht vorher Defters 
ih durdy feine Siege die Türken zum Frieden nöthige, zus 

hoffte er wohl auch, die deutſchen Fuͤrſten von etwaiger 
Unterflügung von Dranien abzuhalten. Auffer ber 


Bu 
g 
2 


1) Pufendorf I 5. 11 - 18. 
DBazl.a.a.D. 515. > . 
2 


20 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤck 


kdiner Erzbiſchofswahl muſſten noch die Anſpruͤche der Her⸗ 
zogin von Orleans auf den Nachiaß ihres Bruders, des Ice 
ten Kurfürften von der Pfalz aus dem Haufe Simmern Vor⸗ 
wand geben, Ludwig XIV. ließ Truppen zur Unterflügung 
Bürftenbergs in das Kölnifche einruͤcken. 

So gern nun Friedrich UI., eben mit dem Unternehmen 
Wilhelms auf den engliſchen Thron beſchaͤftigt, ben Frieden 
erhalten haͤtte, ſo weigerte er ſich dennoch um den Preis der 
rudſtaͤndigen, obwohl fo anfehnlichen franzoͤſiſchen Subſidien 
den. Fuͤrſtenberg zu unterftügen, ſuchte vielmehr die Brangofen 
von ——e— Koͤlniſchen abzuhalten, weil er beforgte, es 
werde dann mit der wichtigen Hauptſtadt Koͤln wie früher 
mit Strasburg gehen. Er lieg in Paris vorflellen, bag 
bie Expbifcpofßwahl eine Reihöhausangelegenbeit und babei 
Fr Einmiſchung ungesignet fe. Was denn König Ludwig 

fogen wirbe, wenn einer fireitigen parifer ober Igomer 

—— der Belle entfcheiben ober eine ber Parteien 

Waffen unterftügen wolle? Er erhielt die ſtolze Ants 

mer, — Ehre und das Intereſſe des Koͤnigs geſtatteten nicht 
eine Beleidigung zu ertragen. 


September Dhne zu zögern erflärte Ludwig dem Reiche den Krieg, 
1688 fie zwei Herne in Die Pfalz einbreihen, bemächtigte fi) ders 


felben bis zu den Eingängen bes Schwarzwalbes, befegte die 
Wormd 


Dctober Meichöftädte Kaiſerslautern und Speier, bald auch 


und Heilbronn, belagerte und nahm Philippsburg und Hei⸗ 
delberg. Der Kurfürft von Mainz öffnete den Franzoſen vers 
vätherifcherweife feine Hauptfeſtung *), Fuͤrſtenberg befegte 
mit gerorbenen Truppen mehrere koͤlniſche Orte, der charak⸗ 
terſchwache Kurfürft von Baiern fepwankte*), das von Frank⸗ 
reich aufgereizte Dänemark wolte Hamburg und Lübeck anfals 
len, Dberbeutfeplanb ſiand offen, weil fid die Truppen ber 
Reichsſtaͤnde in Ungarn befanden; fo blieben hauptfächlich nur 
die Proteflanten Norbbeutfchlands zum Schutze de Reichs 
übrig. Diefe waren aber auch ihrer Pflichten für das gemein 

1) Pufendorf I. $. 88. 

2) Wie nahe er daran war ben ihm gebotenen Lockungen zu erliegen 
ne ka) “ng Ye I fa Mi. 


Sranzöfifher Krieg: 21 


ſene Baterlanb wohl. eingeben, vor allen Friedrich II Der 
dögerte felbft nicht und mahnte auch Kurfachfen, Celle und 
Sefe-Kaffel auf: er habe befchloffen, Ales zur Erhaltung 
des Keichs daran zu fegen; ba er allein es nicht vermöge, 
beffe er vorzliglich auf fie. Wolle ber Sachfe mit dem Heffen 
nad, der Wetterau ziehen, fo wolle er mit bem Lüneburger 
Köln und den Niederrhein bedien. Mit ganzer Kraft müffe 
die Sache angegriffen werben unb man ſich mit ben treulofen 
Srangofen wicht in Unterhandlungen einlaffen. Johann Georg 
von Anhalt⸗ Deſſau, der wadere patriotifche Dheim Friedrichs IIE., 
fügte, den Kurfuͤrſten von Gachfen ermunternb, hinzu: bei 
einer ſolchen Gefahr muͤſſe man mehr auf das allgemeine Befte, 
als auf augenblidliche vom Feinde etwa gebotene Vortheile 
ſchen). Friedrich TIL fuchte auch Karl XI. von Schweben von 
defien Bunde mit Frankreich zu trennen. Er bewog ben 
Sfr und bie Seemaͤchte dem Miniſter Grafen Drenſtierna 
iinm Jahrgehalt von 20,000 Thalern auszufegen, bie, um 

ae zu erregen, ber Semaptin beffelben uͤbe — 


Der Kurflnft von Sadıfen war auch wirklich, obgleich 

fin Kerpring fich noch in Frankreich befand, fofort bereit. und 
fhidte eilig 7000 Dann, zu denen $riebri II. 2000 Mann 
foben Tieß, nach Frankfurt am Main, dann vereinigten fich 
beide Lurfuͤrſten mit dem Herzoge Ernſt Auguft von Hannover 
md dem Landgrafen von Heilen Kaflel in Magdeburg dahin: 12. Det. 
deß fie, eingedenk ihrer Pflichten gegen das Reich, in welches 1688 
bie frangöfifchen Heere eingebrochen, und um ihren Mitfürften 
Beiftand zu leiſten, zur gewuinſchten Wertheibigung bes Vater⸗ 
landes und ber Glieder beffelben ihre Truppen wollten binnen 
Ki Wochen zwifchen Gießen, Marburg und Wetzlar 21,000 
Bern ſtark zuſammen floßen laffen. Die Generalftaaten folls 
tn dazu 20,000 Mann ftellen ). 

Unterbeffen hatte Friedrich II. bereit 6200 Mann unter 
dem Generalen Schomberg und Grumblow an ben Niederrhein 


1) Pafendorf L$. 85. . \ 
9) Aus Gundling, Willen im Wertintr Kalender v. 1822, ©. 22. 
9) Pufendorf L$. 86, 


22 Bud V. Erſtes Haupefiäd. 


geſchickt und die Wermehrung ber Kreistruppen zum Schuge 
der ſchwach befegten Stabt Köln thätig betrieben. Von diefer 
batten bie Sranzofen ſchon eine Erklaͤrung verlangt, baß fie 
nur franzöfifhe Truppen aufnehmen wolle, ald nach Uebers 
windung mannichfacher Schwierigkeiten, namentlich bed Widers 
firebend der franzöfiihen Partei in der Stabt und der Aengſt⸗ 
lichkeit des Biſchofs von Mimſter, der Geneval Schomberg 

3. Gert. auf Friedrichs IM. Befehl 1200 brandenburgifhe und eben 

1688 ſo viel julichſche Mannfhaft als Rreistruppen pineinfügete, 
die Stadt fo vor einem plöglichen Hebyefale fiherte und in 
Wahrpeit rettete ). 

Als nun’ bald darauf Wilhelm "von Dranien, durch bie 
brandenburgifchen Truppen in Holland gefichert, gegen feinen 
Schwiegervater nach England abfegelte, wenbeten die Franzos 
fen, die Jefuiten und die fangtifhen Katholifen in Rom, Mas 
drid und Wien Alles an, um Verdacht gegen bie Proteflanten 
zu erregen, als fei Gefahr für bie Fatholifche Kirche vorhans 
den, vorzüglich um den. Kaifer von Eräftigen Entſchluͤſſen abs 
zubalten. Obgleich ihnen die Kaiferin entgegen war, fo bes 
wirkten fie doch, daß ber ſchwache Kaifer zögertE, ſich zu ent⸗ 
ſcheiden ). Vergeblich ftelte Friedrich TIL. in Wien vor: von 
einer Gefahr für die katholiſche Kirche koͤnne gar nicht hie 
Rede fein; Frankreich fuche nur Spaltung; Wilhelm, Lud⸗ 
wigs XIV. bitterfter Feind müffe von Deſterreich umterftügt wers 
den; er zeigte bie Gefahren der Trennung, ermahnte zur en⸗ 
gen Verbindung, drängte wiederholt zu kraͤftigem Entfchluffe 
und erflärte enblic aufgebracht: ex wolle feinerfeitd thun, was 
er vermoͤge, doch allein koͤnne er bie gemeine Sache nicht hal⸗ 
ten; alle ‚Kraft müffe fi dazu vereinigen, aufferbem er ſelbſt 
feben, wie er fich ſchuͤtze ). Erſt als die Nachricht vom voͤlli⸗ 
gen Gelingen ber Unternehmung Wilhelms und vom Gturze 
Jakobs in Wien eintraf, erhielt der franzöftiche Gefanbte Bes 
fehl, Regensburg zu verlaffen und man Tann, wie im Jahre 
1672 von Zriebrih Wilhelm“), hier von deſſen Sohn fagen, 

1) Pufendorf L5. 22 

OD Pufendorf L 5. 87. ff. 

8) Pufendorf L 88. IL 2 

4) Geſch. d. preuſſiſchen Gtante. II. ©. Sit. 


Franzoͤſiſcher Krieg. 23 


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ichteramt bed Streitö übergeben, vergeblich wurbe 
II. für feine Neutralität die Ausfiht auf Erwerbung 
, die Zahlung fortdauernder Subfibien, ja die Statt: 
— von Holland an Wilhelms Stelle verſprochen, vers 
düh Cleve mit ſchweren Kriegöfteuern bebrohet, dann wirds 
belegt ). — haͤtte der Kurfluſt gern die Neutralität 
fir fine cleveſchen und weftfälifchen Provinzen erwirkt, doch 
ur fh von der Vertheidigung des Reichs lodzuſagen. Die 
waren auſſerordentlich aufgebracht uͤber ſeine in 
Dehaland gegen fie gethanen Schriite, über fein Bimbniß 

mit Bilpelm von Oranien und Holland, beſonders aber über 
fine Slikrung, daß er feine Truppen zu den übrigen Ver⸗ 
binbeten nicht nur aus Eifer für die Erhaltung bed mit uns 


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Ruhige XIV. einen Zügel anzulegen?). Als fie droheten, feine 
Linder mit Feuer und Schwert zu verheeren und daran er: 
innerten, daß fie unter des Kurfürften Water bis Minden ges 
Innen, auch wohl nach Berlin kommen Fönnten, erklärte ex 
ale Unterhanblungen fuͤr abgebrochen, den Bund vernichs 
tt, daß er Gott und ber gerechten Sache dad Uebrige ans 
beinftelle, befahl dem franzöfiichen Gefanbten Graouvelle Bers 
in, ſeinem Geſchaͤftstraͤger aber Paris zu verlaffen und begab 


1) Pafendorf I. 5. 41. f. Louvois meinte, bie beutfihen Zür« 
Aug aa wur bunt) Genalt und Burke jar Benunft gebradt werben, 


2) Dohna p. 79. 


4.» Bud V. Erſtes Hauptftäd. 


ſich felbft nach dem Haag, um bie zu treffenden Maßregeln 
mit den Generalftaaten zu verabreden. Ex ließ zur ſchnelern 
Verbindung bei Wefel zwei Brüden über den Rhein ſchlagen, 
gewann ben Biſchof von Münfter zum Bunde gegen Frank⸗ 
‚veich, ließ 20,000 Mann marfchiren'), gab auf feiner Rüͤck⸗ 
veife aus dem Haag den Generalen Schöning und Barfuß in 
Weſel gemeflenen Befehl, mit den Holländern in Uebereinftim- 
mung zu verfahren, und zeigte dem Kaiſer an, ba feine Trup⸗ 
pen, faft das Doppelte der Zahl, zu ber er fich verpflichtet, auf 
dem Marfche wären. 

Es lag dem Kurflrften vor allen Dingen daran’), bag 
die Franzofen aus dem Erzbisthume Köln vertrieben wurben, 
wo fie Kaiſerswerth, Werla und Armöberg befegt hatten, von 
da feine clevefchen und weſtfaͤliſchen Länder bebroheten, dieſen 
bereit3 250,000 Thaler Kriegsſteuer aufgelegt hatten und im 
Cleveſchen raubten und brannten. Ex legte eine gleiche Kriegs⸗ 
fleuer auf den Theil des Kölnifchen, welcher im Befige Fürs 
ſtenbergs war, drohete auch feinerfeits mit Feuer und Schwert 
und bemächtigte ſich Meflingäpaufens und Dorftens, um ben 
Franzoſen darin zuvor zu kommen. Der franzöfiihe Bes 
fehlshaber, welcher Werla mit 500 Mann befegt hatte, 
drohete, die Umgegend zu verbrennen Der Kurfürft lieg ihm 
unerfchroden fagen: wenn er auch nur ein Haus anbrenne, 
werbe er ihn mit feinen 500 Mann ind Feuer werfen lafien! 

" Halb durch Vertrag, halb durch Lift bewogen räumten bie 
Branzofen num das Weftfälifche, verbrannten jeboch ſechzig Haͤu⸗ 
fee im Glevefchen, worauf General Schöning Befehl erhielt, eben 
fo viele Häufer der Anhänger Fuͤrſtenbergs im Kölnifchen zu ver⸗ 

20. März brennen. Vermoge eines befonbern Vertrags mit dem Statthalter 
1689 der fpanifchen Niederlande befegten 800 Brandenburger Geldern”). 


1) Sähönings Leben Natmers ©. 96 hat 26,858 Mann; bas 
war wohl ber Beſtand aller branbenburgifchen Truppen am Rhein und 
in ben Niederlanden, mit denen im Solde ber Generalftaaten. 

2) Die Kriegsgefhichte, vorzüglich nad Hennerts (vortrefflichen) 
Beiträgen zur brandenburgiſchen Kriegsgeſchichte unter Friedrich I. 
Berl und Stettin 1790. 4. Lelder reichen fie nur bis zur Groberung 
VBonns. Vergi Pufendorf IL 49 ff. 

8) Dumont IV. 2. p. 220. 


Sranzöfifher Krieg. 3 


Sarg ungewöhnlich früh im Jahre begannen die Brans 
Vakaeı in Berbindung mit ben Hollaͤndern ihre Bewegungen, 
tüen unter der oberften Leitung bes eben fo Friegögefehidten 
8 thligen Generals Schöning bie vereinzelten Pleinen fran⸗ 
Hiden Zruppemabtheilungen vor fih her, ſchlugen fimfunds. 
wemig Schwabronen bei Uerdingen völlig und jagten fie dis 

ER das fich fogleich ergab. Die Franzofen räumten nun 
alle nicht haltbare Pläge im Jülichſchen auffer Rheinberg und 
Kaiferewerth und zogen fich indgefammt unter Pleinen Gefechs 
ten verheerend nach Bonn zurück. Die minfterfhen Truppen 
bemächtigten ſich der Päffe an ber Muhr, doch verfuchte die 
nun freiere Beſatzung von Köln vergeblich, bie Branzofen aus 
der bühler Schanze, Bonn gegenüber auf dem rechten Rheins 
— zu vertreiben. Schöning gewann indeffen den Befehls⸗ 

haber in Rheinberg, daß biefer bie Feſtung übergab. 

Erſt ald die Flammen der brennenden Städte und Dörfer 
der Pfalz gen Himmel ſchlugen und das Geſchrei und Weh⸗ 
Hagen der umglüdtichen Bewohner zur Rache gegen die frans 
Wüden Barbaren aufrief, erwachte auf dem Reichötage allges 
mein des tief verlegte beutfche Gefühl der Fürften. Friedrich III. 
war über die Verwuͤſtung der Pfalz und feiner clevefchen Laͤn⸗ 
ber fo erbittert, daß er ſich im Regensburg auf das fchärffte . 
über das barbarifche unter chriſtlichen Nationen unerhörte Vers 
fahren der Franzoſen aubließ und fomit bie firengen Gutachten 

zum Keichskriege gegen Frankreich hervorrief und unterflügte. 
Da erſt, nach bebächtiger Zögerung und reiflicher Webers 3. April 
legang erklärte dee Kaifer, aufgebracht -fid in feinem Sieges: 1689 
inge gegen bie Tuͤrken in Ungarn aufgehalten zu fehen, auf 
Berlangen des Reichs an Frankreich den Krieg mit ungewoͤhn⸗ 

Ui Heftigen Aeuſſerungen Über das Verfahren der Franzoſen: 
bie feine Religion, Alter, Geſchlecht und Stand fchonten, we⸗ 
der Treue noch Glauben hielten, ja felbft bei Tartaren und 
Zürken unerhörte Grauſamkeiten verübten und nicht nur für , 
Redye= fordern wie die Türken für Chriſtenfeinde zu halten wären. 

Nicht zufrieden bamit, ben Reichsedicten gegen alle Reiches 
unterthanen beizutreten, welche den Franzoſen auf irgend eine 
Beife Beiſtand leiſten, ja nur in Handels⸗, ſogar nur in 
brieflicher Verbindung mit ihnen bleiben winben, erließ Fried⸗ 


26 Bud V. Erſtes Hauptfläd. J 


rich III. Edicte deſſelben Inhalts auch für das Herzogthum 
Preuffen, rief alle feine Unterthanen aus Frankreich und fran⸗ 
zoͤſiſchen Dienften zurlick, belegte alle franzoͤfiſche Güter in 
feinen Ländern mit Befclag und befahl, alle franzöfifche Unz 
terthanen, bie fih in feinen Staaten aufhielten, gefangen zu 
fegen ). Ex vermittelte noch fehr angeſtrengt felbft durch Trup⸗ 
penbewegungen bie Streitigkeiten zwifchen Dänemark und Hol- 
ſtein⸗ Gottorp, beffen fih Schweden und Hannover annahmen 
und Dänemark mit Krieg bedroheten, durch einen zu Altona 
abgefcploffenen Vertrag, drängte Wilhelm III. von England, 
Frankreich den Krieg zu erklären, konnte aber von biefem bie 

ihm fo nöthigen Subfidien und die Uebertragung ber Statt⸗ 
halterſchaft in ben vereinigten Niederlanden auf ein Mitglied 
feines Haufed nicht erwirken. Obgleich ex Wilhelm bei beffen 
Gelangung auf den englifchen Thron fo nachdruͤcklich als erfolg- 
reich unterftiigt, obgleich er noch eben Dänemark bewogen hatte, 
7000 Dann in Wilhelms Solde nach Irland gehen zu Iaffen, 
fo wurde: ihm doch hier nur mit Undank gelohnt?). 

Der Kaifer hatte unterdeſſen fein Bündni gegen Frank: 

12 Matrei mit Holland. abgefchloffen, dem fpäter England, Savoyen, 

1689 Spanien und einige Reichöflften beitraten, und fo konnte fich 
der Kurfürft nun, um Kaiſerswerth und Bonn zu belagern, 
felbft zum Heere begeben, welches mit ben Holländern, nach 
dem Zugange von 6000 Mann münfterfcher Truppen, einige 
und breißigtaufend Mann flart war. Der Oberbefehl war 
bier dem Kurfuͤrſten Friedrich IIL felbft, am Oberrheine zur 
Belagerung von Mainz aber dem Kurfuͤrſten von Baiern mit 
dem Herzoge Karl von Lothringen Überlaffen. 

Unter dem Kurfuͤrſten Friedrich III. befehligten hauptſaͤch⸗ 
lich die Generale Schöning, Spam, Meinpard, Schomberg 
und Barfuß. Das franzöfifche Heer nahm eine Stellung von 
vierzig Meilen Länge ein und Tonnte baher auf Feinem Puncte 
echt Eräftigen Widerftand leiſten. 

Gleich nach feiner Ankunft in Wefel, wo der Hof blieb, 


1) Pufendorf IL 48, Theatr. Europ. XI. p. 659 ff. Ebict 
vom 18, April 1689. 
2) Pufendorf II. 17 f. und Sb ff. 


Kalferswerth. Bonn. 27 


begab ſich bes Kurfürft und zwar nicht, wie er in Berlin zu22 Int 
Ihe gmohnt war, prächtig und mit großem Gefolge, fons 1689 


dem ciſach felbgemäß zum Heere vor Kaiſerswerth, das feit 
zwei Augen befchoffen — und verſtaͤrkte den Angriff, nach⸗ 


dan bie branbenbutrgifche Artillerie angekommen mar, bermaßen, 24. Juni 


dub fh aum zu feiner großen Freude nach weniger als vier⸗ 
wbgwenzig Stunden ber Gommanbant zur Uebergabe genoͤthigt 

füh, jedoch mit ber Beſatzung freien Abzug erhielt. Die Fer 
fung wurde dem Kurfürften Clemens von Köln übergeben, fo 


Unternefmungen, benn im Heere wie am Hofe ae 
dan guthergigen Kurfürften Kraft, Parteien zu: zügeln”), bie 
a5 yerfönlicher Feindſchaft und nur um ihren Gegner zu 
ſdeden oder doch wehe. zu thun, bad Öffentliche Beſie zu ot oft 
as Spiel festen. Endlich wendete ſich der Kurfinft im Eins 
Weflänteiffe mit den verblndeten Generalen gegen Bonn, ben 
inige feften Pla, welhen die Franzofen noch am heine 
beiten, in dem jedoch ber tapfere Adfeld mit einer 8000 Mann 
Fam Befagung lag. Schöning beftand darauf, Bonn vom 
Tüten Ufer ber zu bombarbiren, womit aud die Holländer 
ud Minferfchen einverflanden waren, weil fie meinten, nach 
Bebrennung der ſtarken Magazine würde ſich bie Feſtung, in 
de zahlreiche Reiterei lag, ergeben möüffen. Ungeachtet ber 
lgsgengefeisten Anficht des Königs Wilpelm von — 
und anderer Kriegeverlänbigen wurbe bas ins Werk gefegt. 


Dar General Barfuß führte den Angriff auf die buͤhler Schanze 4. Juli 


N) Wie reäittich und offen das Verfadren Friebrichs M. war, zeigte 
a fein Anerbieten an den Kurfürften Glemens von Köln, alle von den 
Beandeaburgern eingenommenen kdiniſchen Feſtungen zur Hälfte mit kol⸗ 
len Zruppen befegen zu wollen. Pufendorf II. 5. 53. 

NRinds Leben Kaifer eopotbs IH. p. 1013. 


„I Die Stadt Reuß kaufte von Schöning gezwungen bie Plänberung 


beffen 
Weil detam. Gchöning behielt feine 1000 Thlr. Pufendorf IL 6.58. 


28 Bud V. Erſtes Hauptftäd. 


aus. Zum Gläde fprang während der heftigen Beſchieſſung 
und als eben der Sturm angeordnet war, dad Pulvermagazin 
der Schanze. Sogleich erflürmte fie Barfuß, während bie 
durch jenen Unfall in Verwirrung gebrachte Befagung nur an 
ihre Rettung dachte, jeboch zum größefien Theile gefangen wurbe, 
indeffen Andere im Rheine ertranfen und nur eine eine Ans 
zahl nach Bonn entkam. Um bie Eroberung biefer damaligen 
Feſte dem Verlangen ber Verbündeten gemäß zu befchleunigen, 
gab der Kurfürft nun, boch nur ungern, nach, daß die Stadt 
24. Zul hombarbirt wirde. Von ber bühler Schanze aus gefchah das 
1689 mit 161 Stüden unter der Leitung bes branbenburgifchen 
Dberften Weiler fo überaus nachdruͤcküch, daB nad) einer hal- 
ben Stunde die Stabt bereits an mehreren Orten in Flammen 
Fand. Die Kirchen, das Gymnaſium, der Furfürftliche Palaft, 
viele Magazine, ja faft alle Häufer der Stadt bis auf zwan» 
sig ſanken ſchnell in Afche, ber tapfere Commandant aber zog 
feine Zruppen aus ber brennenden Stabt in die Auffenwerke, 
ergab fich. wie der Kurfuͤrſt beforgt hatte, ungeachtet daS fuͤrch⸗ 
terliche Bombarbement vier Tage hintereinander fortdauerte, 
dennoch nicht, beſchwerte ſich vielmehr mit Recht bitter darüber, 
dag man die Stabt verbrenne und nicht bie Feſtungswerke an⸗ 
greife. Man verfehlte katholiſcherſeits nicht, das Gehäffige 
bes Verfahrens gegen Bonn fogleih auf bie Eiferſucht der 
Proteftanten zu werfen '), welche baran ficher nicht den gering» 
ſten Antheil hatte. 
Nun gaben die untereinander hoͤchſt uneinigen Generale 
fehr verfchiedene Gutachten barıber, ob einfache Einſchlieſſung 
ober Belagerung des Piatzes zwedimäßiger ſei. Schöning, um 


1) Wagner vita Leopoldi, T. II. p. 1007. ie groß das gegen- 
feitige Mistrauen war, zeigten die Bewegungen am Beihätage zu Be: 
gensöurg 1691 auf bas bloße Geriäht, daß Gngland, bie Generalftaaten 
und Brandenburg einen befonbern Vertrag gegen bie Katholiken, vor⸗ 
aaguch gegen Minfter, gefäloffen hätten. Friedrich IIT. erflärte das 
(27. Zunt 1691) für eine boshafte Erdichtung, daß er nicht an Saͤcula⸗ 
riſationen denke unb bereit fe, mit dem Biſchofe von Mänfter und allen 
geitüchen Fürften Verpflichtungen eingugehen, weiche bie katholiſchen Fur · 
fien zur Sicherheit ihrer Religion vorfchlagen würden. Auch Defterveich 
lehnte bie Veſchuldigung ab, als wenn bie Katholiken über Silhelms ILL. 
Ipronbefteigung mißvergnägt wären. Theater. Europ. XIV: p.86 u.87. 


Belagerung Bonns. 20 


beneifen, wie mangelhafte Anftalten Schomberg getroffen, 
bewog tan Kurfuͤrſten, bie Lage des Platzes in eigener Perfon 
zu beiätigen. Es begleitete ihn auffer Schöning und Ebers 
hard von Dankelmann, weil aus Berfegen 1000 dazu bt 
ÄgteBeter nicht bereit waren, nur noch eine Feldwache. Den 
Zuspfen war biefe Erkundigung verrathen worben. Als der 
Kufak fih der Feſtung oft bis auf 500 Schritte vom Glatis 
nihete, wurde ſiark auf ihn gefeuert, fo daß viele Kugeln 
mabe bei ihen einfchlugen und Eberhard von Dankelmann ihn 
üfkadig bat, fein Leben nicht außzufegen. Mit einem auch 
dem fämädfen Fitſten aus dem hohenzollerſchen Haufe eigens 
Himlicen Muthe beachtete er biefe Vorſtellungen nicht, fons 
den sitt ruhig weiter und gerieth durch einen ihm bei Pop 
wiiterf gelegten Hinterhalt in der durch Hecken und Gräben 
fe burbrochenen Gegend felbft in Gefahr gefangen zu wers 
den Er ließ hier eine Reboute aufiwerfen, welche die Brans 
denbunger auch gegen einen Ueberfall und heftigen Angriff der 
Gramgofen tapfer behaupteten. Indeflen wurbe bie Feſtung vor ⸗ 
Mag nur . eingeſchloſſen, denn der Kaifer verlangte Unters 
die Belagerung von Mainz. Der Kurfürft erwies 
date: — keinen Mann miſſen, und beſchloß, trotz der 
Uneimigkeit der Generale, dem Gutachten Sgoͤnings, Spaens 
de rinſerſchen Befehlshabers Schwarz und einiger Anderen 
gaih, die Belagerung Bonns zu unternehmen. Er ordnete 16. Zug. 
De fe am, legte dazu bie Zruppen in einem Halbzirkel um 1689 
— ſchio ihn enger ein und ſein Oberſt Weiler eroͤff⸗ 
drei Tage darauf das Feuer gegen die Werke. Der Kurs 
s 1 vg auf mögliche Befchleunigung der Arbeiten, weil 
irtiere im Luxemburgiſchen nehmen wollte, ins 
—— von Waldeck den Marſchall d' Humieres bis an 
die Grenze der Champagne zurldgebrängt hatte, auch die 
Sramofen in der Feſtung bereitö Mangel litten und ihre Pferde 
Kaum hatte er aber dem thätigen "General Schds 
FA Dberbefehl als Zweiten übertragen, als bereits ber 
1 Boufflerd mit einer ſtarken Heeresabtheilung von ber 
Bofel her zum Entfage ber Feftung beranrlickte, daB adıt Meis 
fen davon befindliche von ben Kaiferlichen beſetzte Kochheim 27, Aug. 
Minste und ſich bis auf vier Meilen näherte. Der Kusflcfl, 


= 


Hei 


8. St. 
1689 
9. Sept. 


80 Bud V.. Erſtes Hauptſtuͤck 


welcher bie Gefahr dieſer Bewegung begriff, ſchictte ſogleich 
Schoͤning mit 10,000 Mann ab und befahl ihm, die Frans 
zoſen Eräftig anzugreifen und Über die Mofel zurkdzuwerfen. 
Boufflers erwartete Schönings Ankunft nicht, zog ſich viel 
mehr bei beffen Annäherung wieder über bie Mofel zuruͤck. 
Sogleich trat auch Schöning feinen Rädmarid nah Bonn 
wieder an. 

Während feiner Abweſenheit hatten bie Belagerungsarbeiz 
ten nur ſchwach fortgefegt werben innen. Asfeld wehrte ſich 
tapfer und machte mehrmals flarke, "öfters glüdtiche, immer 
kraͤftige Ausfälle. Bu gleichen Beit baten die Kaiferlihen vor 
Mainz dringend um Unterfiägung. Großmüthig gab ber Kurs 
fürft fein Intereffe vor Bonn auf und befahk dem General 
Barfuß, eilig mit 6000 Mann nah Mainz zu marfchiren. 
Barfuß, der zehn Jahre Länger als Schöning biente, ſowie 
Meinhard von Schomberg, der mit biefem in gleichem Grabe 
fand, hatten fich dem hoͤchſt ſtolzen und unerträglich herrfch- 
füchtigen Kriegsmanne nicht unterorbnen und feinen Befehlen 
nicht Folge Teiften wollen, ja feit einiger Zeit fogar die öffent 
lichen äufferen Formen bdienftlicher Achtung gegen ihn verlegt 
und Schöning fich barlber doch vergeblich bei dem Kurfürften 
beklagt *). Die Ernennung deſſelben zum erften Befehlshaber 
nach dem Kurflicften hatte den Rangſtreit unterbrüden follen, 
aber ben General Barfuß nur noch mehr gereizt. Die 6000 
Dann waren abmarfchirt und am folgenden Tage war Schoͤ⸗ 
ning von feinem Zuge gegen Boufflers zuruͤkgekehrt. Bar 
fuß, der noch im Hauptquartiere war, hatte ihm nichts anges 
zeigt, worhber fi Schöning bei dem NKurfürften beſchwerte 
und biefem gerabezu fagte, er werbe Barfuß niederftechen, wenn 
diefer ihm (wie früher mehrmals) die kriegeriſchen Ehrenbezei⸗ 


1) Wie weit das ſchon früher ging, erzählt Dohna p. 78. Schontng 
verbot feinem Neffen, ber im Bregiment der Barbe befehligte, dem Mars 
ha Schomberg / wenn biefer ‘vor bem Begiment erfeheinen wäcbe, bie 
kriegeriſchen Ehren zu erweifen, worauf Schomberg nun bem Dohna 
baffelbe verbot, wenn Schoͤning vor ben Grands Mousquetairs erſcheinen 
wuͤrde. Es Lam zu groben Ausfällen und faft zu Morb und Todtſchlag. 
Diefe Herren riefen laut, vor der Front, Ihren Regimentern zu, den 
Gegnern Etine Chrenbezeigungen zu erweiſen. 


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Belagerung Bonne 3 


gegen verweigere. Als ſich nun Barfuß bei bem Kurfürſten 
beulaubte, befahl ihm dieſer, ben Schoͤning Anzeige vom 


Barfug ihm der Kurfürft 
befohlen haͤtte, wuͤrde er es noch nicht gethan haben. Schoͤ⸗ 


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un de De egen abgenommen, Schöning aber verhaftet; er vers 
vor ein Kriegögericht geflellt zu werben. Der Kurfückl, 


ungimfig für Schöning aus, welcher auf fein Gut in der 
Remmark verbannt wurde, feinen Abfchied nahm und in fächs 
ſiſche Dienſte trat”), wogegen ber fächfifche General Heino 
Heinrich Flemming ald Generalfeldmarſchall in brandenburgifche 
überging °), ein Tauſch, bei dem ber Kurfürft nur zu fehr vers 


1) Bom 6. Aug. 1688. Auch wenn feine. Entteibung ftattfand, 
fon die Duelfanten ohne RBeitfäufigkeiten hingerichtet, entteibte Adelige 
auf dem Schindanger verſcharrt, Bürgerliche an den Galgen gehängt 
werben. 


2) Den Vorfall erzaͤhlt am beften Schoͤnings Leben Ragmers 
S. 171 ff. Beniger genau Hennert ©. 117 u. Pufendorf I. 56. 


3) ©. über ihn (Königs) alte und neue Denkwuͤrdigkeiten der 


32 Bud V. Erſtes Hauptftüd. 


for, indem er für einen Feldherrn nur einen tapfern Solbaten 
und Hofmann erhielt. Es zeigte fih hier, wie viel bie Um⸗ 
gebungen bed Kurflrften über ihn vermochten, denn obgleich 
Schoͤnings hochfahrendes Wefen und abflogender Stolz ihm 
natütlih viel Feinde gemacht hatten, fo duͤrfte dad formale 
Unrecht wenigftens ſchwerlich auf feiner Seite und es faum zu 
verantworten geweſen fein, baß ber wahrſcheinlich tuͤchtigſte 
General des branbenburgifchen Heers ber Kabale ber ihm 
untergebenen, auf ihn eiferfüchtigen Mitgenerale aufgeopfert 
wurbe. - 

a Die Uebergabe von Mainz geflattete den auf bem Marfche 

9 befindlichen Branbenburgern nach Bonn zuruͤckzukehren und 

nach erhaltener Nachricht, daB auf Anſuchen des Kurfürften 
14,000 Kaiferliche, imeburger und Heſſen anlommen würden, 
ließ diefer fogleich die Laufgräben auf drei Seiten von Bran⸗ 
benburgern, Hollaͤndern und Münfterfchen eröffnen und die 
Arbeiten thätig betreiben. Er felbft befuchte die Laufgräben 
täglich und ermunterte die Truppen durch fein Beifpiel und 
freigebige Belohnungen. Die Befagung, ungeachtet fie Man- 
gel an Lebensmitteln Kit und zahlreiche Kranke hatte, fo dag 
viele Soldaten zu den Belagerern überliefen, fiel dennoch oft 
aus und Asfeld verteibigte die Feſtung möglichft tapfer und ' 
einſichtsvoll. 

2a. Sept. Nach dem Eintreffen der 14,000 Mann Verſtaͤrkung wurde 
dad Feuer gegen den Platz allgemein mit großer Heftigfeit ers 
Öffnet und mit Erfolg zehn Tage hindurch fortgefegt. Der 
Kurfinft ordnete num, nachdem die Laufgräben aller tapfern 
Gegenwehr ungeachtet bis an ben Zuß des Glacis vorgeruͤckt 
waren, nach gehaltenem Kriegsrathe den Sturm auf ben bes 
deckten Weg an. Diefer wurde von den Brandenburgern mit 
großer Tapferkeit ausgeführt; fie bemächtigten fich nicht nur bes 
bebediten Wegs, fondern von ihrem Muthe unter den Augen 
ihres Fürſten fortgeriffen, auch der nächften Werke, drangen 
bis zum Hauptwalle vor und festen fich dort feſt. Auch die 
Angriffe der übrigen Heeredabtpeilungen hatten günftigen Er— 
folg. Dennoch wollte der heldenmuͤthige, jegt noch dazu ſchwer 
preuſſiſchen Armee, ©. 147. Gr war ein guter Officer, nur nicht mit 
""Göning.zu vergleichen. 


Eroberung Bonns. 33 


veraunbete Asfeld, befien Beſatzung von 8000 Mann bis 
auf 1500 Dienfifähige geſchmolzen war, eher flerben, als daß 
die, wie der Kurfuͤrſt anfänglic) verlangt hatte, nach alter 
Eite der Befiegten, mit weiſſen Stäben in den Händen, abs 
Heben und bie Feſtung räumen ſollten. Der Kurfürft, welcher 
Zupierfeit auch am Feinde zu ſchaͤtzen wuflte und unnlged 
Öuergieffen gern vermieb, bewilligte ihm daher den Abzug 12. 
mit friegerifchen Ehren und ſchickte feinen eigenen Leibarzt zu 
dem, wie ſich dann zeigte, töbtlich verwundeten Commandanten. 
So hatten fich denn die Verbimbeten aller feſten Pläge 
am Rheine wieber bemächtigt unb bie Zeit der Winterquartiere 
war herangekonnnen, tiber beren Vertheilung nun ber herkoͤmm⸗ 
Üde Sterit begann. Wir haben bereitö gefehen ), daß diefe 
damals im Reiche fo vertheilt zu werben pflegten, daß die 
Untheile zu einem gewiſſen Gelbbetrage angefchlagen wurben, 
melden die dazu bezeichneten Länder liefern mufften. Dem 
Sufürken hatte der Krieg gegen drei Millionen Thaler gekoſtet 
wd obmohl er faft boppelt fo viele Truppen als andere Keichs⸗ 
Made geftellt, doch ſchon im vergangenen Winter nur Winter: 
martine zum Werthe von 525,000 Gulden befommen; jegt 
apfınd ex es nun fehr übel, daß 6000 Lüneburger Quartiere 
abilten, aus denen fie eine Milion Gulden ziehen konnten, 
whrend man ihm für feine 25,000 Dann deren zu weit 
grüngerem Betrage angewiefen”). Alle Vorſtellungen beim 
Safer waren ohne Erfolg. Als er um einen Theil der Quarz 
tige im Juͤlichſchen nachfuchte, antwortete ber Paiferlihe Mi⸗ 
“ie Freitag: mit Juͤlich werde des Kaiſers Augapfel berührt. 
Die Raiferin Eleonore, geborene Prinzeffin von Pfalz:Neuburg, 
hate das für ihr Vaterland durchgefeßt. So muffte Friedrich IM. 
10000 Mann feiner Truppen auf das linfe Rheinufer ziehen, 
fir die 15,000 Mann, welche auf dem linfen Ufer blieben, 
raten ihm noch Spanien und bie Generalftaaten Winterquar— 
fine zum Werthe von 300,000 Gulden ab’). Im Anfange des 


1) Preuſſiſche Gef. St. IL. S. 868. 
9 Pufendorf 1. 5. 49. 

‚9 Pufendorf II. 60. Wie groß fein Gelbmangel war, entnehmen 
Wie aus der Inftruction, weiche Meinhard von Schomberg (7. Aug- 1689) 
fit, als er zu Wichelm HIT, geſchict wurde. Das Heer koſte monat 

Stenzet Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IT. 3 


22 


32 Bud V. Erſtes Hayptftüd. 


Tor, indem er fix einen Selbherm nur einen tapfern Solbatın 
und Hofmann erhielt. Es zeigte ſich hier, wie viel bie Um: 
gebungen des Kurfürflen über ihn vermochte, denn obgleich 
Schoͤnings hochfahrendes Wefen und abftogender Stolz ihm 
natürlich viel Feinde gemacht hatten, fo binfte das formale 
Unrecht wenigftens ſchwerlich auf feiner Seite und es kaum zu 
verantworten geweſen fein, bag der wahrfcheinlich tüchtigſte 
General des brandenburgifchen Heers ber Kabale der ihm 


umtergebenen, auf ihn eiferfüchtigen Mitgenerale aufgeopfet 
wurde. 


a Die Uebergabe von Mainz geftattete den auf bem Marſche 
befindlichen Brandenburgern nach Bonn zurüdzufehren und 
nad erhaltener Nachricht, daß auf Anfuchen des Kurfürften 
14,000 Kaiferliche, Lüneburger und Heffen ankommen winden, 
ließ biefer fogleich die Laufgräben auf drei Seiten von Bram 
benburgern, Holländern und Münfterfchen eröffnen und bie 
Arbeiten thätig betreiben. Er felbft beſuchte bie Laufgräben 
täglich und ermunterte die Truppen durch fein Beiſpiel und 
freigebige Belohnungen. Die Beſatzung, ungeachtet fie Man 
gel an Lebensmitteln litt und zahlreiche Kranke hatte, fo daß 
viele Soldaten zu den Belagerern überliefen, fiel dennoch oft 
aus und Asfelb verteidigte bie Seflung möglichft tapfer und 
einſichtsvoll. 

a. Sept. Nach dem Eintreffen der 14,000 Mann Verſtaͤrkung wurde 
das Feuer gegen den Platz allgemein mit großer Heftigkeit er⸗ 
öffnet und mit Erfolg zehn Tage hindurch fortgefegt. Der 
Kurfinft ordnete nun, nachdem die Laufgräben aller tapfem 
Gegenwehr ungeachtet bis an den Fuß bed Glacis vorg 
waren, nach gehaltenem Kriegsrathe den Sturm auf den Der 
decten Weg an. Diefer wurde von den Brandenburgern mit 
großer Tapferkeit ausgefuͤhrt; fie bemächtigten ſich nicht nur bed 
bebedten Wegs, fondern von ihrem Muthe unter ben Augen 
ihres Fürften fortgeriffen, auch ber nächften Werke, brangen 
bis zum Hauptwalle vor und fegten ſich dort feſt. Auch dit 
Angriffe der übrigen Heeresabtheilungen hatten günftigen Er: 
folg. Dennoch wollte der heldenmüthige, jegt noch dazu ſchwer 
preuſſiſchen Armee, ©. 147. Er war ein guter Officer, nur nicht mit 
Schoͤning zu vergleichen. 


Eroberung Bonns, 33 


verambete Asfelb, defien Beſatzung von 8000 Mann bis 
auf 1500 Dienfifähige geſchmolzen war, eher flerben, als daß 
dieſe, wie der Kurfuͤrſt anfänglich verlangt hatte, nach alter 
Cie der Beſiegten, mit weiſſen Stäben in den Händen, abs 
zeher nd die Feſtung räumen follten. Der Kurfürft, welcher 
Apfekeit auch am Feinde zu fchägen wuffte und unnuͤches 
Butsergieffen gern vermieb, bewilligte ihm baher den Abzug 12. Det. 
at kisgerifcpen Ehren und ſchickte feinen eigenen Leibarzt zu 1689 
dan, wie ſich dann zeigte, töbtlich verwundeten Commandanten. 
So hatten ſich denn die Verbimdeten aller feften Plaͤtze 
an Rheine wieder bemaͤchtigt und die Zeit ber Winterquartiere 
war herangekommen, über deren Vertheilung nun ber herkoͤmm⸗ 
Ühe Ehrrit begann. Wir haben bereits gefehen *), daß dieſe 
bumals im Reiche fo vertheilt zu werben pflegten, daß die 
Ltheile zu einem gewiffen Geldbetrage angefchlagen wurben, 
melden die dazu bezeichneten Länder liefern mufften. Dem 
hatte ber Krieg gegen drei Milionen Thaler gekoftet 
md obwohl er faft doppelt fo viele Truppen ald andere Feichs⸗ 
Püde geteit, doch ſchon im vergangenen Winter nur Winter: 
Arten zum Werthe von 525,000 Gulden befommen; jegt 
and er es num fehr Übel, daß 6000 Limeburger Quartiere 
ein, aus benen fie eine Million Gulden ziehen konnten, 
wihrend man ihm fir feine 25,000 Mann deren zu weit 
Hrügerem Betrage angewiefen?). Alle Vorſtellungen beim 
Safa waren ohne Erfolg. Als er um einen Theil der Quar⸗ 
fer im Jülichfchen nachfuchte, antwortete der Faiferlihe Mi⸗ 
Ber Freitag: mit Jülich werde des Kaiſers Augapfel berührt. 
De Kaiferin Eleonore, geborene Prinzeffin von Pfalz: Neuburg, 
hate das für ihr Waterland durchgefegt. So muffte Friedrich III. 
10000 Wann feiner Truppen auf das linke Rheinufer ziehen, 
fir die 15,000 Mann, welhe auf dem linfen Ufer blieben, 
tan ihm noch Spanien und die Generalftaaten Winterquars 
fere zum Berthe von 300,000 Gulden ab’). Im Anfange des 


1) dreuſſiſche Geſch. Wh. IL. ©. 863. 
9 Pufendorf 1. $. 49. 

‚9 Pufendorf II 60. Wie groß fein Gelbmangel war, entnehmen 
R end der Jaſtruction, weiche Meinharb von Gchomberg (7. Aug. 1689) 
"eit, ala er zu Wilhelm III, geſchiet wurde. Das Heer Lofte monai 

Stenzet Gef. d. Preuffifc. Staats, LIE, 3 


34 Bud V. Erftes Banptftäd. 


1690 folgenden Jahres fielen num bie Franzoſen in das Juͤlichſche ein, 
verheerten es ſchrecklich und wirrben das noch weit mehr gethan 
haben, wären fie nicht von ben Brandenburger, die in Geldern 
fanden, hinausgejagt worden; dann fommten bie 10,000 Brans 
benburger vom rechten Ufer bei der Eröffnung des Feldzugs 
nicht frlih genug auf dem Plage fein, was fehr nachtheilig war. 

“ ,,.,Imbefien weber die geringe Anerkennung, die Friedrich IH. 
beim Kaifer fand, noch der Undank König Wilhelm’s ımb bes 
Kurfürften Clemens von Köln und bie Eiferfucht Luͤneburgs 
konnten ihn von feiner Vertheidigung Deutſchlands gegen Frank⸗ 
reich abbringen. Er erflärte nur zu offen, es wären ihm durch 
ben franzöfifchen Refidenten in Hamburg fehr vortheilhafte Be⸗ 
dingungen zum Bunde angetragen worden, er habe aber er= 
wiebert: wer ihm noch einmal ein foldes Schreiben bringe, 
den wolle er aufhängen laffen. Doch ging er vom Heere nach 
Steve, wo er fi) wie in Minden Hulbigen ließ, und kehrte 

7.Rov.nach Berlin zuruͤck, wo er ald Steger mit großer Pracht em⸗ 
pfangen wurde. Allein auf bie Eroberung Rheindergd, Bonns 
und die Befreiung des Kurfuͤrſtenthums Köln wurden neum 
Medaillen zu Ehren Friedrichs IL. geprägt’). . 
Der Kaiſer ſetzte den Krieg gegen Frankreich laͤſſig fort, 

1690 um feine uͤber bie Tuͤrken errungenen Siege, bie feinem Haufe 
größere Vortheile verfprachen, defto Fräftiger zu verfolgen. Er 
meinte wohl, das Reich müffe für fich ſelbſt forgen und bie 
Bürften ſchon ihrer felbft wegen fi wehren; auch hatte er 
den obwohl immer treulofen Herzog von Savoy gegen Frank⸗ 
reich gewonnen. Allein die Verbindeten erſchlafften ebenfalls. 
Die Sachſen erfchienen erft im Auguft aus den Winterquar- 
tieren und fanden nur zwei Monate Hindurch im Felde. Weber 
fie noch die Heffen wollten über ben Rhein gehen, wenn ber 
Kaiſer nicht für Proviant forge. Den halben Sommer bin= 
durch wurde geſtritten, wo bie Heffen fechten folten; biefe 
ſaßen unterdeffen ſtill in ihren Quartieren. Der Leitung des 
Ganzen fehlte Einheit. Friedrich II. wollte den Oberbefehl 
ich 50,000 Thir. (?), der König möge ihn durch Gubfibien unterftägen, 
Kazners Lehen bes Marſchalls von Schomberg IL. &. 275. Pufen- 
dorf IM. $. 82 gibt an: monatlich über 200,000 Thlr. 

1) Guͤtther S. 23 5. 


Eranzöfifer Krieg. 35 


wozu ber Kaifer ben allerdings geeigmetern 
——* beſtimmt hatte; unter and felbft neben 
jahrenen, rauhen Kriegsmanne konnte ber Kerfuͤrſt 
MUB der Dem farb und Friedrich II. einem 
je der WBerbündeten im Haag gemaͤß nun den Ober⸗ 
übernehmen wollte, weigerten fi) die Heſſen, ihm zu 
und mufften anderweitig verwendet werden. Die 
eier woliten nicht aus ihrem Lande gehen, 

und Münfterfhen unter dried⸗ 
le blieben. Der Kaifer gab ben Reich: 


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und ben Feind anzugreifen. Des kaiſerliche Minifter 

ſelbſt ſah daB ein und meinte: fo gehe es immer, 
wm dick Köpfe segierten, deren jeber feiner Anficht fols 
gen wolle; bei einer ſolchen Verwirrung koͤnne nur Gott bei 
fen. Der fpanifche Gefandte Aufferte: der Kaifer habe Räthe, 
de warig danach fragten, ob ganz Deutſchland zu Grunde 
gehe, wen nur in Ungarn eine elenbe Hütte erobert werbe‘). 

Nest fehlugen bie Franzoſen die engtiſch⸗hollaͤndiſche Biotten, gu 

mb der Marfſchall von Luxemburg ben Fürften von Watbet 1 


&peine in den Winterquartieren, welche fie exft zu Ende bes. 
Bonats Juli verlieffen. Die Hollaͤnder machten nun dem Kurs 
fürfen darlıber Vorwurfe. Diefer, eben aus Preuffen in Mefel 
Umgetroffen, rechtfertigte ſich und warf die Schuld auf ben 
bring Hof, der ihn genöthigt habe, feine Xruppen auf dem 
rechten Rheinufer unterzubringen. Run wurde Spanien für 
feine Niederlande beforgt und der Generaiflatthalter berfebn, 6. Sept. 
Rarquis von Caſtagnaga ſchloß mit dem Kurfürften einen 
Beitrag, durch welchen ſich biefer verpflichtete, fuͤr monatlich 
100,000 holländifcke Gulben 20,000 Mann feiner Truppen zur 
Unterflügung des verbinbeten ſpaniſch⸗ hollaͤndiſch⸗ engliſchen 
Heers fuͤr die Dauer des Kriegs fortwaͤhrend auf dem linken 
Kyeinufer zu laſſen und keinen abgeſonderten Frieden noch 
1) Pufendorf II, 5. 38. 


— 


3* 


36 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


id mit Frankreich einzugehen‘). Um nun dem 
Vorwurfe zu entgehen, daß er zwifchen Mofel und Maas, wo 

die muͤnſterſchen und juͤlichſchen Truppen genügten, —S& 
ſitzen wolle, ging er uͤber die Maas und verſtaͤrkte 
ba8 „eer der Werbimdeten in Brebent fo, daß Peer 
fich ungeachtet ihres Siegs zuruͤckzogen. Gern hätte es ber 
Kurfürft zur Schlacht gebracht, wiederholt brang er darauf, 
doch wollten bie Holänder und Spanier nichts wagen, es war 
kein feſter Plan, Feine Entſchloffenheit bei den MWerbiindeten, 
dazu Rangflreit und anderweitiger Swift unter ben Befehls⸗ 
habern, deren jeber von feinem Kriegäheren befonbere Verhal⸗ 
tungöbefehle hatte, wie weit er bem Sberbefehlöhaber gehor- 
famen follt. So war Alles gehemmt, bie Franzoſen hatten 
ziemlich freies Spiel, verheerten das Luͤttichſche, ſetzten Aachen 
in Schreden, gingen ſogar fiber den Rhein und plümberten 
bier eine Strecke Landes. Aller Eifer, alle Bereitwilligkeit 
unb ‚Hingebung $riebrich& IIL war vergeblich, weder am Dbers 
noch am Niederrheine geſchah etwas, auffer daß bie Länder 
von ben eigenen Truppen außgefaugt wurben unb die Feld⸗ 
herren fich bereiherten; kaum daß man bie Franzoſen nöthigte, 
über den den Bela zuruͤckzugehen. 

Dann erneuerten ſich die Klagen üͤber bie Sinterquar⸗ 
tiere; ber Kaiſer hatte verſprochen, Die Brandenburger wie 
feine eigenen Zruppen zu bedenken, allein während er biefen 
Winterquartiere zum Betrage von fünf Millionen Gulden ans 
weifen Tieß, —2 die an Zahl ſtaͤrkeren Brandenburger 
deren nur zum Belaufe von 300,000 Gulden. Damit war 
Beiedrich M. nicht zufrieden, weil er, wenn ihm auch alle 
zugeſicherten Subfibien bezahlt würden, dennoch jährlich eine 
Milion Thaler zufchieflen muͤſſe. Was Spanien gebe, reihe 
Baum für 5000 Mann aus. Doch warn alle Vorſtellungen 
vergeblich). Die Franzofen eroberten Mons und ſchlugen 
Waldeds Nachtrab bei Leuſe. 

Im den folgenben Feldzugen wurde am Rheine und in 
wenig ausgerichtet, der Krieg beiberfeitö von Jahr zu 


1) Dumont VIL 2, p. 269. Pufend, II. 5.82 hat 7. a. 
9 Pufendorf IL 5. 19. 


Eranzsfifher Krieg ” 


Zahe ſchlaffer geführt’), vorzüglich von den Deutfchen, welche 

—— inmer ſpaͤt, oft erſt im Juli verlieſſen 

wd xgen Ende September wieder bezogen, deren Generale 
weing, durch die beſonderen Befehle ihrer Fuͤrſten gebunden, 

——— ſchwer, oft gar- nicht bewogen werben 


rung 

win. & — wohl, bag während eines Gefechte ein 
General mit dem andern in Wortwechfel und fo weit kam, 
dep beide zu ihren Piftolen griffen ). Die brandenburgifchen 
* Randen abgeſondert unter den beiden Feldmarſchaͤllen 

Fenming und Spaen, welche unabhängig von einander han⸗ 
delten, daß auch jeber für ſich feine Berichte nad Berlin 
fhidte und Kr dort Befehle erhielt. Hierzu Tom, daß bie 


Amwinde de deutfche Fürften gegen ihn aufbracte. Der 
liſerliche Hof berief vergeblich Eriegserfahrene Männer, um zu 
efefhen, was Jeder wuſſte, daß Zerfplitterung ber Kräfte und 
Bugel an gegenfeitiger Unterftägung Urfache an ben geringen 
Crigen war. Dan konnte dem nicht abhelfen. Am Alm, 
fm war eö, Wenn Die Bürften felbft mit zu Selbe gingen, wa 
indeſen ve Kurflrft, mit Ausnahme einer kurzen Zeit im 
31692, auch nicht mehr that. Der Markgraf Ludwig von 
Baden ade es daher, als er in biefem Jahre ben Dbers 
beicht über das Reichsheer übernahm, ſehr vorfihtig zur Bes 
dingung, daß Fein Kurflirft dabei anwefend fein folle?). 

So war es nicht zu verwundern, baß die Sranzofen Fort⸗ 
färitte machten, dab Würtembergifche plünderten, felbft in 
Franken eindrangen und nur durch bie geſchickten Bewegungen 
des Markgrafen Lubwig von Baden zum Rüuͤckzuge genöthigt 
wrden. König Wilhelm IIL befehligte an ber holldndifc- 
belgiſchen Grenze mit mehr Thaͤtigkeit / konnte aber den Der: 


D) Wagner T. a m, AB bes fee ren Die Schwaben 
Riten mit den Sronten über den Borrang, bann wollten bie Sachſen 


nicht. 
2) Wie Ragmer gegen den Grafen von ber Lippe. Schoͤninge 
Rune: ©. 120. ° 
3) Wagner vita Leopoldi T. II. p. 218 f. 221 u. 248. 


3 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


1692 luſt Namurs, wobei drei Bataillone Brandenburger gefangen 
wurden '), nicht verhindern und empfand die Ueberlegenheit des 
kriegsgeſchickten Marſchalls von Luremburg hart, als ihn biefer 

1693 bei Steinkirchen, dann bei Nieberwinben ſchlug und Ghazleroi 
eroberte. Nach beffen Tode wurde hier das Gleichgewicht 
wieder hergeſtellt. Unter König Wilhelm eroberte General 

1695 Coehorn, Fräftig unterfiligt durch bie tapferen Brandenburger, 
Namur wieder und der König fagte felbft: „Das ift ſchoͤnes 
Fußvolk, doch ift es noch tapferer als ſchoͤn“, und zum Feld⸗ 
marſchalle Flemming: „Es if ſeker, bat juge Truppen ben gröts 
fin Part an der Eroberung haben. Id bin dem ‚Herm Kors 
förften fehr obligirt und ju ale?).” Auch am ber Eroberung 
von Gafale im Montfersatfpen nahm eine brandenburgiſche 
‚Heerdabtheilung unter dem Markgrafen Philipp Theil. Doch 
wurde von Jahr zu Jahr der Krieg läffiger geführt, und auch 

27. Aug. die förmliche Erneuerung bed großen Bündniffes gegen Frank⸗ 

1695 reich (vom 12. Mai 1689), woran Friedrich IIL wieder Theil 
nahm, war ohne Wirkung‘). Savoyen trat von ben Ber: 
bündeten ab, die Deſterreicher mufften Italien räumen. Erſt im 
September war das deutſche Reichsheer am Rheine vereinigt, 

mit dem Ludwig von Baden fich den einbrechenden Sranzofen 
wiberfegen Tonnte. + 
Bu gleicher Zeit fochten 6900 Brandenburger unter dem 
General Barfuß fehr auögezeichnet in Ungarn. Der Kurfürft 
hatte fie bem Kaifer (durch Vertrag v. 24. Decemb. 1690) *) 


1) Der Kurfürft Friedtich IIL Hatte ſich zur Armee begeben unb 
befepligte im Luͤttichſchen, doch nur fehr kurze Zeit feine Truppen unter 
dem Könige Wilhelm, verließ das Heer jedoch, als er fah, daß nichts 
unternommen werben wärde. 'Theatr, Europ. XIV, p. 302. 

2) Schönings Ragmer ©. 172 und Theatr. Europ. XIV. p. 794. 
Auch bei Niederwinden fochten bie Brandenburger unter dem Markgrafen 
Karl Philipp brav, und als (1694) Wilhelm II. Huy im Luͤttichſchen 
eroberte, verbankte er das hauptſaͤchlich ber Tapferkeit ber Brandenbärger, 
weshalb er bem Kurfüzften bie Hälfte bes in ber Feſtung befindlichen Ge 
ſchuͤtes ſchentte. Theatr. Europ. XIV. p. 602. 

8) Dumont VIL 2. p. 856. Wie er fortwährend für Eräftige 
Bortfegung bes Krieges tätig war, fehen wir aus Theatz. Kurop, XIV. 
P- 618. 636. 798. 

4) Pufendorf IL. 5. 37. 


Tuͤrkenkrieg. 3 


E00 Thaler rückfländiger und 150,000 Thaler jähes 
Ihe Suffdien Aberlaffen und fie felbft bei Kroffen gemuftert, 1691 
take die ſchoͤne, auserleſene Mannfchaft fehr günftig auf . 
ya und den General Barfuß und alle Dfficiere und 
Game anfehnlicy beſchenkt. Bei Salankemen, als Mark: 2. Au 
Fitinig von Baden bie Türken aufs Haupt flug, hie 1691 
afefih, ungeachtet ein Sechstheil von ihnen blieb oder 
wundert wurbe, fo auſſerordentlich brav, dag es ber Mark 
gain mem Schreiben an ben Kurfürfien mit dem größeften 
de anerlanıte ). Als nun ber Kaifer verlangte, daß bie 
Zuppenahl wieder vollſtaͤndig gemacht würde, dazu aber die 
Babegelber nicht hergeben wollte, zugleich eine augenblidliche 
Epamung wegen der Nüdgabe des ſchwiebuſer Kreiſes ein- 
hat, muffte Barfuß Die Truppen in ihre Heimath zurldführen, 1692 
was der Kaifer zu fpät bereuete. Der Kurfürft hatte auffer 
der Rannichaft über 100,000 Thaler dabei aufgeopfert. Wer: 
möge eined dann abgefchloffenen Vertrags *) gingen wieder 6000 6. Ra 
Baar Brandenburger unter bem General Brand nad) Ungarn, 1692 
Welten fid) bei der obwohl vergeblihen Belagerung Belgrads 
{er won, blieben auch in den folgenden Jahren dort, nahmen 
a dem Siege Eugend von Savoyen bei Zenta Theil und 11. S 
Tebeten erſt nach dem im I. 1699 für Defterreich hoͤchſt vortheils 1697 
Yaft abgefchloffenen Farlowiger Frieden in ihr Vaterland zuruͤck. 
Der Krieg mit Frankreich war ſchon früher beendigt wors 
der. Bernachläffigt vom Kaifer, der die Verfolgung des Zür: 
kenkriegs vortheilhafter für fih fand und nur Frankreich auf 
Koften Deutſchlands möglichft Lange zu befchäftigen fuchte, 
Üt Das Reid) ungemein. Vergeblich ftelte Markgraf Ludwig 
won Baden bie traurige Lage des Reichsheers, deſſen Mangel 
an Selb unb Lebensmitteln freimuͤthig vor. Als fi fünf 
Reichskteiſe in Frankfurt zufammenthaten, um im Kriege 60,000, 
ins Frieden 40,000 Mann zur Vertheidigung gegen Frankreich 
aufzuftelen, fah bad ber Kaifer nicht einmal gern, vieleicht 
beforgt, daß dieſe Waffen ſich aud einmal gegen ihn wenben 


1) Theatre. Europ. T. XV, p. 3 fl. Vergl Schönings Ecben 
Ratımas ©. 124. 
2) Buch holz IV. S. 210. Vergl. Theate, Europ. XV. p- 636. 


40 Bud V. Erſtes Hauptftäd. 


koͤnnten). Welcher Reichöftand ſollte da noch Eifer zeigen? 
Vergeblich waren dazu alle patriotifhen Ermahnungen Fried⸗ 
richs III. und fein eigenes Beifpiel. Nur die Thaͤtigkeit König 
Wilpelms IIL, eines Mannes, der ſich immer erft nach feinen 
Niederlagen groß und recht gefährlich zeigte, weil er unermuͤd⸗ 
lid war, bot an der holländifhen Grenze den Franzofen Wis 


* . derſtand. Udbrigens fpielten diefe faft überall den Meifter, fie⸗ 


In, fo oft fie wollten, über den Rhein in Deutfchland ein, 
und baß nach ihrem Abzuge der Markgraf Ludwig von Baden 
mit den Brandenburgern und Münfterfchen auch über den Flug 
ging und Ebernburg eroberte, bot body Feinen Erſatz. Die 
Franzoſen hätten noch weit mehr thun koͤnnen, wenn fich nicht 
Ludwig XIV. felbft, um bei dem herannahenden Ende König 
Karls I. von Spanien freie Hand zu erhalten, fehr gegen ben 
Wunſch des Kaifers zum Frieden geneigt hätte. Ludwig XIV. 
bot dem Reiche günftige Bedingungen, fogar die Rüdgabe von 
Straßburg an und fuchte Holland vom Bündniffe zu trennen. 
Schweden übernahm die Vermittelung, bie Berathungen wurs 


9. Mat den auf dem Schloffe Ryswid in der Nähe des Haags eroͤff⸗ 


1697 


net. Friedrich TIL war eher geneigt, in Verbindung mit Hols 
land und zwar als Friegführende Macıt, ald im Vereine mit 
dem Kaifer Frieden zu fchlieffen, denn die Reichsbevollmaͤch⸗ 
tigten wollten ihn nicht beſonders berüdfichtigen, fondern nur 
allgemein als Reichsſtand anfehen. Dagegen erflärte fein Ges 
fandter, Graf Schmettau: fein Here habe in feinem Namen 
Krieg gefuͤhrt, ſich gleich anfangs der Gefahr des Waterlandes 
entgegengefegt, 20,000 Mann geftelt und immer für kraͤftige 
und heilfame Maßregeln geftimmt. Cr fegte ed mit Buftims 
mung König Wilpelmd und der Holländer wenigſtens durch, 
daß er in dem Friedensvertrag jebeö der beiden Mächte mit 
Frankreich eingefhloffen, genannt und ber Friede von St. Ser⸗ 
main (vom 29. Juni 1679) ausdruͤcklich befldtigt wurde*). 


9. Jull So gelang ed den Franzofen, nachdem fie uͤber die Pra- 


Iiminarien mit England und Holland einig geworden, bag 
* Spanien, erſchredt Über den Verluſt von Barcelona, zutrat, 
1) Wagner vita Leopoldi T. IL’ p. 858. 


2) Dumont VI. 2. p. 883, 5. 15. und p. 899, 5.14 Lam- 
berty .p. 3 ff. 


Ryswider Friede. 4 


ver Friebe abgefchloffen und mun das durch Defterrcihe Shulb 20. N 
all fehende Reich gendthigt wurde, unter weniger glnfligen 1697 
dafielbe auf Grundlage des weſtfaͤliſchen und ö 
ninweget Friedens zu thun. Frankreich gab Kehl, Ppilippss 20. Det. 
burg, Die Pfalz und die aufferhalb des Eiſaſſes gemachten 
Ramionen zuruck, wogegen ipm Strasburg und die Souverai⸗ 
" metät Über das Eiſaß flilfpweigend — wurde. Hierzu 
bedung Ludwig XIV., welcher damit die Intereſſen der Deutfchen 
am beften trennen Eonnte, durch eine dem vierten Artikel des Fries 
dens eingefchobene Clauſel, daß in den von ihm zuruͤckgegebe⸗ 
nen Drtſchaften die roͤmiſch⸗katholiſche Religion in ihrem jegigen 
Zuſtande bleiben folle, indem er biefelbe, ‚gegen die Beflimmungen 
des zwanzigjährigen Waffenſtillſtands, in faft zweitaufend Orts 
ſchaften, wo fie nicht gewefen, gewaltfem eingeführt, den Evans 
geũſchen ihre Kirchen genommen und beren Geiſtliche vertrieben 


den, chenſo der Kurfürft von ber Pfalz. Vergebens proteſtir⸗ 
ten dagegen bie sangen Sürften, vorzüglich Sachſen und 
Friedrich II. erklaͤrte Öffentlich: allein habe er 

nicht im Felde bleiben koͤmen, wie zum eigenen großen Nach: 
ie fin Mater mach bem mlnmeger Frieden. Er babe ſich 
unter allen Reichöftänden zuerft vor den Riß geftelt, Buͤnd⸗ 
niſe geſchloſſen und veranlafft, auch uͤber 20,000 Mann groͤß⸗ 
ade auf eigene Koſten gehalten und ſich fo gezeigt, daß, 
wen man einig geweſen, die Sache einen beſſern Ausgang 


angenehme Spannung, was bie ſchlauen Franzoſen eben bes 
weit hatten und ber bei Unterhanblungen bamals jo wenig 
Mbarffinnige kaiſerliche Hof nicht begriff . 

1) Theatr. Europ. XV. p. 240. Wagner vita Leopoldi T. II. 
P.30. 3.3. Mofer in feinem Berichte von ber Clausula artionli IV 


42 Bud V. Erſtes Haupeftüd. 


In fo mannihfade Verhaͤltniſſe und ſelbſt ſchwierige Be⸗ 
ziehungen Friedrich II. während biefer Zeit mit feinen Nach: 
bam und anderen auswärtigen Fuͤrſten kam, fo wuffte er ſich 
doch überal mit Würde zu benehmen, mit Nachdruck zu hans 
bein und das Anfehn zu behaupten, welches fein Vater fo wohl 
begrümbet hatte. Sein Hauptaugenmerk ging dahin, die Ruhe 
im Norden zu erhalten und wo möglich mit allen nordifchen 
Maͤchten in gutem Vernehmen zu bleiben, ohne doch feiner 
Würde etwas zu vergeben. Als bei bem Auöbruche bed Kriegs 
gegen Frankreich die. bereitö oben erwähnten Streitigkeiten zwi⸗ 
ſchen Daͤnemark und Holſtein⸗Gottorp, befien fih Schweden 
und Hannover annahmen, ben Ausbruch eines norbifchen Kriegs 
nicht nur beforgen lieffen, fondern hoͤchſt wahrſcheinlich mach⸗ 
ten, verhandelte ex durch ben Minifter von Fuchs fo geſchickt 
als angefivengt bie friedliche Beilegung zwiſchen den erbitterten 
Parteien, und als von diefen fchon die Hand an das Schwert 
gelegt worben, fo ließ er im Vereine mit Miünfter ald Direc⸗ 
tor des mefifälifchen Kreife Oldenburg und Delmenhorft bes 
fegen und feine aus Preuffer im Anmarfche befindlichen Trup⸗ 
pen bei Halberftabt Halt machen, wodurch er wefentlih zum 
Abſchluſſe des biligen altanaer Vertrags (30. Suni 1689) und 
zur Erhaltung des Friedens beiting '). 

Um biefelbe Zeit entfkanden von einer andern Seite große 
Beforgniffe einer Störung ber Rufe Rorbbeutfchlands, ald ber 
letzte Herzog von Sachſen⸗Lauenburg aus bem anhaltifchen 

29. Sept. Stamme zu Schladenwerth in Böhmen flarb und zugleich die 
1689 ſes Haus, dann Sachſen und Dedienburg Anfprlihe auf das 
erledigte Lamb erhoben. Schon ber große Kusfünft hatte daran 
gebacht, es zu erwerben und mit dem letzten Herzoge eine Erb⸗ 
verbrüderung verabredet, wogegen fich indeſſen ber Fuͤrſt Jo⸗ 

bann Georg von AnhaltsDefjau ald Agnat erklaͤrte. Diefer 


pacis Ryswicensis Frkf. 1731. 4. hat alles Hierhergehdrige gefammelt. 
Hoyer in feiner Geſchichte König Friedrichs IV. von Dänemark S. 122 
fagt, ber ſchwediſche Gefandte habe ſich ruͤckſichtlich Gtrasburgs umd bes 
vierten Artikels den Franzoſen fo gut als verkauft, twas fehr wohl möge 
uch iſt, doch zeigt fich dieſer fonft wackere Geſchichtſchreiber ein wenig 
parteifd gegen Schweden. 

1) Dumont VIL 2. p. 281. Begl. Pufendorf U, 5. 34. 


Der Norden. Lauenburg. 43 


trat num feinem Neffen, dem Kurfürſten Friedrich, vermoͤge 

geheunen Abkommens feine Anfprüche auf Lauenburg für 

näher au Anhalt gelegene Landſtriche ab und traf fogleich nach 

dem Zobe des Herzogs Auftalt, fich in ben Beſitz Lauenburgs 

ſonders damit Kurſachſen das nicht vermoͤchte. 

war ihem jeboch bereits auvorgefommen, indem es ſchon 
vor 


Zege 
ergriffen hatte. Nun bemaͤchtigte fi Herzog Georg 


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jegen Taiferliche Sequeſtrirung, Friedrich IU. für Ans 

doch lag ihm vor allen Dingen daran, daß ber Friede 

ücht geflört werde. Dazu ermahnte er nachdruͤcklich und fo 

der Weg ber Unterhandlungen eingefchlagen , durch welche 

dem Herzoge von Lüneburg gelang, den Kurfürflen von 

GSadyjen, der wegen ber polnifhen Krone Geld nöthig hatte, 

wit einer Gelbfumme zu befrieigen und Lauenburg ohne alles 

Sgestüche Recht an fein Haus zu bringen '). 1697 
‚Us es nach dem Abgange ber meclenburg⸗guſtrowſchen 


rich Wilhelm zu einem heftigen Erbfolgeſtreite kam, der Kaiſer 

die Verwaltung bed Landes an ſich nahm und nach 
einem Reichshofrathsſpruche ben Herzog Friedrich Wilhelm in 
ben Beſitz deſſelben ſetzte, proteftirten nicht nur Schweden, 
Brandenburg und Zelle, als Dirertoren bes nieberfächfifchen 
Reife, dagegen, fonbern lieſſen auch gemeinfchaftlid) 3000 
Mann Zruppen einrüden, entbanden bie Unterthanen von ber 
dem Herzog Friedrich Wilpelm geleifteten Pflicht und fchafften 
den Taiferlichen Sefandten mit Gewalt fort. Das nahm ber 
Kaifer dermaßen übel, daß er den Gefandten ber brei Fuͤrſten 
den Hof verbot, ed ald ihm ſchimpflich, im römifchen Reiche 
unerhoͤrt und gegen Völkerrecht und Vernunft erflärte, daß bie 
treißaußfchreibenden Fürften fich gegen ihre von Gott geordnete 


"58 


1) Pufendorf II. 5.94 f. Rinds Leben Eropohs ©. 1115. 
Büfdings Mogayin VII. ©. 487. 


[zu Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck. 


Obrigkeit ſetzten, und Genugthuung verlangte. Die Fuͤrſten vers 
theibigten ihr Verfahren in Schriften, beren nun wie gewoͤhn⸗ 
lic) viele für und gegen erfchienen. Auf engliſche und hollaͤn⸗ 
diſche Wermittelung wurde der Kaifer beſchwichtigt, indem 


1698 Friedrich II. eine genugthuende Erklärung im Nam ber uͤbri⸗ 


gen Kreisdirectoren gab, worauf fpäter die Erbſchaftsangelegen⸗ 
beit friedlich erledigt wurbe '). 

Bei allen diefen vielfachen Beſchaͤftigungen verlor Fried⸗ 
rich TIL die Vergrößerung feiner Macht nie aus den Augen. 
Bas fich nicht fogleih ausführen lieg, wurde aufgefchoben, 
doch auch fin die Zukunft Ausfichten erhalten ober neue eroͤff⸗ 
net. Wir haben gefehen, wie ſchwer ed den Kaiferlichen wurbe, 
den ſchwiebuſer Kreis von ihm zurüczuerhalten und wie er 
doch noch eine Ausfiht auf einige Entſchaͤbigung fir die Ver⸗ 
luſte feines Vaters im ſchwediſchen Kriege erhielt. Er erneuerte 

Zult auch die ſeit dem J. 1442 beſtehenden Vertraͤge über die Even⸗ 
tualerbhuldigung und dad Erbfolgerecht feines Hauſes in Meds 


. Det. lenburgꝰ). König Wilhelm III. trat ihm feine Anfprüche auf 


2. 
1693 
23. 
1 


rich Wolfgang, letztem Grafen von Geyer in Franken, der 


694 Neufchatel und Vallengin ab und Friedrich erhielt von Hein⸗ 


ihn, zärtlich beforgt fuͤr feine evangelifchen Untertanen, zum " 


Schutz berrn annahm, als Geſchenk die Zuſicherung der Erb⸗ 


11. Zuttfolge in deſſen Grafſchaft). Er erneuerte mit Karl XL, 
1696 „dann mit Karl XII. die dlteren Schugblinbniffe, gab Gollnow 


1698 


i nad) Entricptung des Pfandſchillings an Schweden zurück und 
berichtigte fpäter (22. Dechr. 1698 und 31. März 1699) durch 
Verträge die in mehrern Puncten ſtreitige Grenze gegen das 
ſchwedifche Pommern‘). Zugleich wurde mit Schweden die Strei⸗ 


tigkeit wegen ber Eventualfucceffion in Pommern beigelegt und ' 


1) Yeatr. Efrop. XIV. p. 506. XV. p. 60. Mi f. un 
XVI. p. 187. Rinds &ropob ©. 1885. 
2) Dumont VIL 2, p. 37. 
8) Der Graf übergab am Friedrich ſchon im I. 1704 bie Regierung 


der aus 28 Dörfern beftehenben Graffchaft und befielt ſich mc bie Gin: 
kunfte auf feine Sebensgeit vor. Buchholz IV. ©. Bi2. 


4) Ale diefe Verträge find ungebrudt, f. Söll XI. &. 208. 


Theatr, Europ. XIV. p. 636. Guͤtther ©. 66. 


Innere Berhättniffe. Eberhard v. Dankelmann. 45 


ft zwölf Jahre nach dem Antritte feiner Regierung nahm daher 
Sriehrih III. die Erbpulbigung in Pommern und ber Nas 


&)). 
Ja der innern Regierungsform wurde nichts Beſentliches 
gelodert Der Kurfürft empfahl nicht mehr, wie es fein Vater 
seen, im Zalle feiner Abmwefenheit die einer Gefahr am meis 
Am bloßgeſtellten Provinzen den benachbarten Staaten, weil 
Erfahrung als unwirkfam erkannt hatte unb uns 
unter feiner Würde hielt. Den Ständen beflätigte 
er den nn dv. 3.1653, ohne boch allgemeine Landtage 
der Marken zu verfammeln, mur bie Stände ber Neumark _ 
wurden im J. 1690 berufen, um zu ben vom Kurfürflen vers 
langten freie em aufferorbentlichen Unterftügungsgelbern fir 
des Heer 30,000 Thaler zu bemwilligen‘). Der 
uenerte noch daS Vorrecht des geheimen Mathe, —— 
anf gene Autorität und Unterfſchrift beffelben, ohne feine Be⸗ 
Häigung vollziehen zu Iafien, was feit ber Regierung feines 
Sohnes nicht mehr gefchab. Um ben Geſchaͤftegang im geheis 
men Rathe zu befchleumigen, verordnete er (28. Zebr. 1697), 
dab bie — deffelden fidh täglich verſammein follten °). 
Die aubwärtigen und eigentlich alle Hauptangelegenheiten 

des Staats leitete Eberhard von Dankelmann, ben der Kurs 
fürft im 3. 1692 zum Praͤſidenten ber Regierung in Gleve 
mb im I. 1695 bei offener Tafel unter ben fchmeichelpafteften - 
Autdchefen zum Oberpräfidenten, mit bem erften Range am 
Hofe über dem Feldmarſchall und Oberkadͤmmerer, ernannte. 
&r fagte in der von ihm felbft aufgefehten Beſtallung unter 
den erſinnlichſten Lobfprlchen: daß Dankelmann ein vollſtaͤn⸗ 
diges Erempel einer ungefärbten Treue, umabläffiger Applicas 
tion in Beförderung der 2 hoire des Kurfürften und bes kur⸗ 
fürflichen Haufes und aller anderen eines großen Herm Dies 
wen wohlanftänbigen Zugenben und Qualitäten fei, daß er, 

1) Theatz. Europ. XV. p. 550. 

2) Die Berfammlung fand im Märg in Küftein fatt, der Abſchled if 
BE vom Kanzler und ben Bäthen ber neumaͤrkiſchen Begierung 


9) Toemar md Klaproth ©. 226. 


46 Bud V. Erſtes Haupeftäd. 


der Kurfärft, alle zur Werwaltung ber Oberpräfibentenftelle ers 
foderliche Eigenſchaften ımter der ganzen Zahl feiner Diener 
bei Keinem in einem vollkommnern Grabe gefunden, als bei 
Dankelmann, ber allein durch feine Rathfcläge zu dem Glanze 
und ber Größe, in welder der Staat unter ihm vor allen 
feinen Vorfahren hervorleuchte, naͤchſt Gottes Segen das Meifte 
beigetragen, was ihn, den Kırflrften, denn bewogen, ihn zu 
. einer ber vornehmften Wirben zu erheben, um jebermänniglich 
darzuthun, mit was gnäbiger Dankbarkeit er die ihm von ſei⸗ 
ner zarten Jugend an geleifteten Dienſte erkenne, durch welche 
er zur Furcht Gottes, zur Liebe feiner Untertfanen und bem 
daraus entfpringenden gerechten und gütigen Regimente arıges 
führt worden, und wie geneigt er fei, bem Dankelmann ımb 
deſſen Angehörigen biefe Dienfte zu vergelten, welche billig 
naͤchſt denen von Bott und ſeinen Xeltern erlangten Wohltha⸗ 
ten, fie’ die wichtigſten zu halten, fo ihm und feinem Lande 
jemalen erwieſen werden firmen !). Ale Einwendungen Dans 
kelmanns gegen bie Annahme der ihm zugebachten hoben Würde 
waren vergeblich, er erhielt auch noch bie Erbpoſtmeiſterwuͤrde, 
die Hauptmannfchaft zu Reuftabt am ber Dofle und nach umb 
nach mehrere ‚erledigte Lehen und gekaufte Güter, nachdem er 
100,000 Thir., welche ihm der Kunfürft gleich nach feinem 
Begiermmgbantritte ſchenken wollte, abgelehnt hatte, um Land 
und Unterthanen nicht zu befchweren. Der Kalſer ernannte 
ihn mit feinen Brüdern (1605) zum Freiherrn ımbs hatte das 
Diplom feiner umentgeltlichen Grhebung in den Grafenſtand 
bereits entwerfen laſſen, buch -fchlug Dankelmann diefe ibm 
zugedachte Ehre fowie die Graffchaft Spiegelberg, welche ihm 
der Kurfuͤrſt ſchenken wollte, aus. Saͤmmtiiche wichtige 
Staats, Hauss und Hofangelegenheiten und die Verwaltung 


1) &. ben Auszug aus ber Weflallung in bem Verichte bes Ober 

Descaatınd in Foͤrſters Leben Friedrich Wilhelms I. urkundenbuch, 
. 12. 

2) Mehrere biefer Zhatſachen finden ſich angeführt in ber Schriſt : 
Ball und Ungnabe zweier Staats: Miniftres in Teutſchland, aus dem fran- 
söfificgen Original Überfegt. Gölln bei Peter Marteau zum erften Male 
1712 und 1718 wieder gebrudt. Die hiefige Steiwehrſche Bibllothek 
befigt zwei verſchiedene Abdräde. - 


Eberhard v. Dankelmann., Einwanderer. 47 


der Finanzen waren ihm allein sder zunaͤchſt Übertragen und 
a dã dem ee ee 
ken in der That faft Regent des Landes. Da er auf ben 
Beiland feiner eferfüchtigen Collegen nicht fehr zechnen Forte, 
ſtütte er fich vorzüglich auf feine ſechs Brüder, von benen 
zudhft durch ihn drei wirkliche geheime Mäthe, die drei übrb 

gen ebenfalls in anfehnlichen Aemtern waren, fänmmtlich wackere 
= tüchtige Männer, welche bie ihnen geworbenen Begim⸗ 
Risungen verdienten, ihre Aemter ehrensol ausfüllten und 
netirlich auch Urfachen zum Neide und Veranlaſſungen zur 
—— und zur Verleumdung tes mädtigen &nflingd 

wurden '). 


Unter feiner Leitung wurbe im Eimerftändniffe mit feinem 
Herm in allen Ruͤckſichten für‘ die innern Verhaͤltniffe das forte 


Ber, dann diejenigen Franzoſen, welche bald "nachper. aus 
—⏑⏑ Glsten bc, fanden 
ſerteihrend günftige Aufnahme und Unterſtichung; ihre Rechte 
amd en wurden gefehlt und vermehrt und grͤßtentheils 


Kranken und —E ber unb Armen 
maßerhafte Einrichtungen getroffen, wi —* ohne Einfluß 
auf andere Korperſchaften blieben). Auch dieſe Fluchtlinge 


bradten wicht nur ihre Gewerbthaͤtigkeit und erartühteiten, 
dern auch, nicht unbebeutenbeb Bermögen in DaB Sand, weis 
Geb allein Don zeitaufenb aus Dich gelommenen 
peei Millionen Thaler betragen haben fol. 
Rach öffentlichen Angeigen beliet ſich im 3. 1697 bie 


1) Der Geremonienmeifter Beffer in feinem Ontäter Eberharb 
Dealeimannı fingt daher 1694 von ben ſicben Wrübern und deren Water: 
Drei find geheime Näth und drei find Präfidenten 
Beh Aertängten Amt, ÄR Kanzler ſeyn und Bath. — 
gane Griehenlond hatt ehmald fieben Welfen, 
ee fe Denbinaen elleim! 
2) Mömeires des Refugies, Buchholz IV. ©, 816 3 nenne 
mar das Collöge und bie Charite. 





48 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤc. 


Zahl ber franzoͤſiſchen Einwanderer mit den Wallonen im Mags 
deburgiſchen auf zwölftaufenb, im I. 1700 betrug bie Baht : 
der Franzoſen allein, ohne Dfficiere und Soldaten, beinahe . 
funfgehntaufend, doch war fit unſtreitig weit größer, indem 
dabei diejenigen nicht mitgegählt wurden, welche zerſtreut in 
einzelnen Ortſchaften wohnten, wo fie Feine foͤrmliche Colonie 
bifdeten und franzäfifche ‚Kirchen hatten; auch nahmen viele 
von ihnen Kriegsdienfte, wie denn in fünf Regimentern bie 
meiften Dfficiere und Soldaten Emigranten waren. Die feit 
d. 3 1689 eingewanderten, im I. 1697 vierhundert Familien 
ſtarken Pfälzer baueten das feit der furcdtbaren- Zerftdrung 
v. 3. 1631 größtentheil noch wüft liegende Magdeburg wies 
der auf und befchäftigten ſich in der Umgegend bei Stendal 
und Burg mit Tabatks⸗, Gemirfes und Obftbau '); auffer ihnen 
wurden auch viele Wallonen und Schweizer in der Marl ans 
gefegt?). Die Franzoſen, .auffer denen, welche in Staates _ 
und Kriegädienfte traten, beſchaͤſtigten fi) mehr mit Wollens, 
Seidenz, Leders, Gold» und, Gilberfabrifen und Manufacs ' 
turen, weöhalb bie Regierung Walfmühlen, Preffen, Faͤrbe 
rein und Waarenmagajine anlegte, bie Audfuhr ber Wolle, 
ja fogar.bei dem Steigen des Preifed (1709) bie Verarbeitung 
derfelben Durch Leinweber für- Bauern, und. bie Einfuhr rother 
und blauer Tuͤcher (1693) verbot, welde..von. den Franzoſen 
in folder Güte verfertigt wenden, daß fie zur Bekleidung der 
Garde und felbft des Hof bienten. Es wurden durch biefe 
Einwanderer dreiundvierzig Arten von Gewerben und Fabrika⸗ 
ten, die früher im Lande nicht vorhanden waren, einheimiſch 
gemacht, und bemnad) viele Gegenftänbe verfertigt, welde ehe: 
dem aus Srankreih, Holland und England bezogen worden 
waren. Die ihnen ertheilten Privilegien (im I. 1690) ein 
eigenes Oberbirectorium, Gonfiftorium, Appellationds und Res 
viffondgericht (1692) und manche andere Begünftigungen erregs | 
tem natürlich den Neid der Eingeborenen der Provinzen. Boll | 


1) Oiſtoriſche u. ſ. w. Beitraͤge L S. 198 ff. Daß bie Brangofen in 
Sqhwoedt, Vierrahdems und Blumenhagen ben Tabadsbau erweiterten und 
verbefferten, nicht aber einführten, geigen bie Denkwuͤrdigkeiten der Mark 
Brandenburg Wb. II. ©. 129. N 

2) Bedmanns Befheeibung der Kurmark I. &.. 165. | 

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Franzoͤſiſche Einwanberen a0 


von der bei dem deutſchen gewerbtreibenden Bürger feftgewur⸗ 
weiten Anficht, daß er ein auöfchließlihe® Recht auf das Geld 
derimigen habe, die feiner Waaren bebürften, befchwerten ſich 
die Berner‘ oftmals darüber, daß ihnen die fo hoch begüns 
igten Fremdlinge die Nahrung entzögen; jedoch nur durch 
Edmäp: und Spottſchriften, die faft durchaus platt genug 
muren, konnten bie Deutſchen Öffentlich ihre Abneigung zeigen. 
Jadeſſen kann ungeachtet der zahlreichen Vortheile, welche in 
vieles Hinficht, vorzüglid für Fabriken und Manufacturen, 
dem durch eine große Anzahl tüchtiger und ausgezeichneter 
Dffiiere und Civilbeamten die Einwanderung der Branzofen 
fir die brandenburgifchen Staaten gehabt, dennoch nicht ges 
kuguet werden, daß eben ihre Nationalität und im Allgemeis 
nen höhere Bildung fie völig von den Deutfchen ſchied, unter 
denen fie lebten, und daß durch Einrichtung von Golonien mit 
Ggenen Kirchen, Schulen und Gerichten diefe Abfonderung ein 
volles Jahrhundert hindurch gewiß zum Nachtheile des Staats 
cchalten wurde, bis ſich dann mit ber fortgefchrittenen beuts 
Km Bildung und der langen Gewohnheit‘ des Bufammens 
lebens durch zahlreiche wechfelfeitige Familienbande das fremde 
Elment weſentlich auflöfte. Wieleidht ift aber eben die mehrs 
fehe Bermifchung der Eingeborenen der Mark und befonderd 
der Hauptftabt mit fremden und vorzüglich franzöfiiben Eins 
munderern eine ber etſten Urfachen geweſen, welde ben Ein⸗ 
wohnern jedenfalls Berlins ein fehr leicht erfennbares Gepräge 
aufgedruckt hat, das fie von jeder andern Hauptſtadt unters 
ſcheidet und auf der Grundlage beutfher Biederkeit eine geis 
Bige Bewegung ja faſt leichte Aufregung bemerkbar werden 
Ufft, welche in dem Grabe ſchwerlich irgendwo noch in Deutfchs 
land gefunden werden dürfte; wie es denn überhaupt ein Grunds 
ſat der preuſſiſchen Monarcie feit dem großen Kurfürften ges 
mefen ift, die bei den Deutſchen fo hartnädig feftgehaltene 
nationale und provinzielle Abfchlieffung, ruͤcſichtlich der Eins 
wohner und Beamteten möglichft zu befeitigen und auch in 
teligiöfer Hinſicht weit billiger und milder als Fatholifhe und 
ſelbſt viele proteftantifche Staaten zu verfahren. Daher hat 
auch der preuſſiſche Staat von jeher eine große Anzahl treffe 
Über Beamteten gehabt, bie aus andern Ländern flammten, 
Gtenget Befc. d- Preuſſiſch. Staats. IL 4 


0 Buy V. Erſtes Hauptſtuͤc 


indem eB ihm fortwährend darauf ankam, ohne Beruͤckſichtigung 
der Nationalitaͤt und dann auch der Religion jedes Verdienſt 
anzuerkennen, jedem Talente den Weg zu oͤffnen und Alles 
fuͤr ſich zu benutzen. 
Auch die von ihren Zürften wegen ihres Glaubens vers 
1688 folgten Waldenfer aus Piemont, been bereits fein Vater Schuß 
verfprochen, nahm er auf und gab achthundertundvierzig ders 
felben Wohnfitze; doch trieb diefe ſchon im folgenden Jahre bie 
heiffe Sehnſucht nach den heimatbligen Bergen und Thälern 
fort, um Theil an bem verzweiflungdvollen Bagftüde zu nehmen, 
ſich ihre alten, ihnen unrechtmäßig genommenen Wopnfige mit 
den Waffen wieder zu erlämpfen ’). - 
Vorzuͤglich großen Antheil hatte Eberhard von Dankel⸗ 
mann an Allem, was für Kimfte und Wiffenfchaften geſchah, 
. bie er felbft kannte und fehääte, zunächft an der fo wichtigen 
Stiftung der Univerfität Halle. Diefe Stadt hatte dadurch, 
daß fie nicht mehr Sig des Abminiſtrators des Exzftiftd Mag: 
deburg war, fehr viel verloren. Nun batte ſchon der Kurfürft 
und Erzbiſchof von Mainz und Magdeburg, Albrecht, Bruder 
des Kurfürften Joachim L von Brandenburg, hier eine Univers 
fitdt errichten wollen, um ber Reformation entgegen zu wirken, 
dazu auch bereits im I. 1531 ein paͤpſtliches Vrivilegium ers 
halten, war aber durch das unwiderſtehliche Ueberhandnehmen 
der Reformation an der Ausführung gehindert worden. Milie 
la Fleur, der geheime Kammerdiener ded legten Abminifirators 
war dann (1680) vom großen Kurfürften als Sprach⸗ und 
Epercitienmeifter angeftellt worden und eine. franzoͤſiſche Colonie 
hatte ſich (1685) bier feftgefegt. Der Kurfürft Friedrich HI. 
errichtete Darauf (1688) eine Ritterakademie unter dem Gtalls 
meiſter Anton Günther von Berghom, bem ald Director Exer⸗ 
citien⸗ und Sprachmeiſter untergeorbnet wurden. Schon der 


1) Dieterict, Me Waldenſer ©. 165 ff. Gugen von Savoyen 
ſchreibt 22. Sept. 169 (mas. Dieterici unbekannt geblieben) über fie an 
den Grafen Bucelin (Werte I. ©. 25): Das Soauderbarſte ift aber, 
daß biefe großmüthigen Leute dem Herzoge von Bavopen mit einer uners 
Teütterlichen Treue beiftehen und die Drangfale gänzlich vergeffen, die ihnen 
ehemals ber Herzog wegen Ihrer Religion zugefügt hat! (Cine treffliche 
Sehre für Banatiter, werm biefe belehrt werben Ehnnten.) 


Die Univerfirät Halle _ Ir) 3 


große Kurfuͤrſt Hatte kurz vor feinem Tode tm Gefpräde mit 
dem berühmten Johann Georg Graͤvius geäuffert, er wolle im 
Veneburgiſchen eine neue Univerfität gründen, ohne daß jeboch 
zu Ausführung irgend etwas gefchehen wäre‘). Durch mans 
4ald Umfände kam jetzt bad zur Reife, was damals nur 
Gaenle, Wunſch ober Abficht war. Zwei Männer fehr vers 
ihnen Art, jedoch, man kann — Ha) einem Haupt⸗ 
öde frebend, trugen zumaͤchſt viel dazu bei. 

Der aufferorbentlich vorurtheilsfreie, lebhafte und ſarka⸗ 
fiſche 5 ‚Junge Doctor der Rechte Chriſtian Thomafius in Leipzig 
hatte in Schriften und Borlefungen durch feine ſcharfen und 
feirifpen Angriffe auf Heuchelei und Pedanterei, welche das 
wald auf deutfchen Univerfitäten veichlich zu finden waren, Aufs 
Kin regt umd fich natürlich den Haß Vieler, bie ein dem 
finigen entgegengefegter Geift befeelte, zugezogen. Mehrfach 
von der theologifchen und philofophifchen Facultät bei ber Ober⸗ 
behörbe als Veraͤchter der Religion und Läfterer der Obrigkeit 
veflagt, und von diefer bebrohet, konnte er fich nur mit Mühe 
kpaupten. Wie fanatifche Drthobore pflegen, wurbe er, weil 
anidt Alles glaubte, was, wie jene meinten, zur Seligkeit 
hörte, des Atheismus angeflagt und von Geiftlihen auf ben 
Lemgeln, von Profefforen auf ben Kathebern und in Schriften 
heftig befehdet. Er ließ den Muth nicht finken und feine 
feden Angriffe auf herkömmliche Anfichten und Vorurtheile rie⸗ 
fen inner mehr und mächtigere Feinde hervor. Als der bänifche 
Hofprediger Mafius in einer befondern Schrift (1688) Aber 
den Vortheil, welchen die wahre Religion (d. h. das Luthers 
am) dem Zinften gewähre, die Behauptung aufftelte: fie 
tinig und allein erhalte den wahren Frieden des gemeinen 
Seſens, und fie den Fuͤrſten beſonders deshalb empfahl, weil 
fi lehte, die Gewalt der Finften komme unmittelbar von Gott, 
meihalb dieſe fie, wenn nicht aus Gottesfurcht, doch es 
witlihen Vortheils wegen zu ber ihrigen machen möflten, da⸗ 
bei auch zu verfichen gab, die katholiſche und teformirte Relis 


1) Diefe Thatſache iſt nicht zu berweifeln , da Grävfus das Geſagte 
ae —e— feiner de dem’ großen Kurfürften felbft im 3. 1687 
gerdmeten Ausgabe bed 


Eucan bezeugt. Hofbauer arte der 


4* 


52 Bud V. Erſtes Haupıfäd. 


‚gion machten die Unterthanen zu Aufruͤhrern, fo wiberlegte 
das Thomaſius. Er zeigte, daß der Vortheil, welden dem 
Zürften eine Religion gemwähre, ein fchlechter Maßſtab für ipren 
Werth fei, rechtfertigte die reformirte Religion von ben ihr 
gemachten Borwirfen und erflärte die Lehre, Gott ſei bie 
unmittelbare Urfache der Majeftät, für. abgefhmadt, der 
Vernunft und ber heiligen Schrift fremd. Zwar komme bie 
Majeftät urſpruͤnglich von Gott, allein bie Zuftimmung des 
Volks, als mittelbare Urſache derfelben, gehöre ſchlechterdings 
dazu, wie dad ſchon Pufendorf gelehrt hatte. Mafius bewog 
ben König von Dänemark, fi am kurſaͤchſiſchen Hofe über 
Thomaſius zu beſchweren. 
Setzte das den Kurfuͤrſten von Sagſen ſchon in Ver⸗ 
1689 legenbeit, fo brachte es ihn noch mehr auf, daß Thomafius 
die Heirath der reformirten Schweſter Friedrichs III. der vers 
wittweten Herzogin von Mecklenburg⸗ Guͤſtrow mit dem luthe⸗ 
riſchen Herzoge Moritz Wilhelm von Sachſen⸗Zeitz vertheidigte, 
waͤbrend fie von den ſaͤchſiſchen Theologen ſcharf angegriffen 
wurde. Der Streit wurbe noch heftiger, ald ber Propft 
Miüder in Magdeburg, welder, obwohl ohne fih und die fürſt⸗ 
lichen Perfonen, denen es galt, ausdruͤclich zu nennen, unter 
dem Xitel: „Bang des eblen Lebens durch fremde Glaubens» 
lehre“, gegen bie Ehe verfchiedener Glaubensgenoffen ald uns 
chriſtlich gefchrieben hatte, darauf gefangen nad) Spandau abs 
geführt wurde. Thomaſius zeigte dagegen, daß eine ſolche 
Ehe göttlichen und menſchlichen Rechten gemäß und nicht gegen 
die heilige Schrift fei, auch daß die Fürften hierin nicht von 
ihren Theologen abhingen. Der frühere Gönner des Thoma: 
fius, der kurſaͤchſiſche Hofmarſchall von Haugwig war darüber 
fo aufgebracht, daß er meinte, Thomaſius habe durch feine 
Schrift verdient auf den Königftein gebracht zu werden. Zu 
derſelben Zeit begann der wahrhaft fromme Auguft Hermann 
Franke in Leipzig Vorlefungen über die Bibel und die Hinder⸗ 
niffe des theologifhen Studiums zu halten und vorzüglih auf 
guten Wien, Meinheit des Herzens, Tiefe des Sinnes, Heiz 
Ugfeit der Andacht und werkthätige Froͤmmigkeit ald wahres 
eſen des Chriſtenthums zu bringen. Die zu allen Zeiten 
für fittficpe Ideen leicht zu begeifternde Iugend ſtroͤmte zahlreich 


Ehriſtian Xhomafine: 53 


in feinem Hörfaal und fon das muffte ihm Neid, Haß 
wb Berfolgung ber alten, in ihrem Formelweſen ergraueten 
Peanten, wie viel mehr der Heuchler zuziehen. Thomaſius 
um fi) des bebrängten und mit der Schlechtigkeit der Men⸗ 
fen unbelannten Mannes mit juriſtiſchen Kenntniffen, Scharfs 
fime und fepneidenden Sarkasmen ruͤſtig an. 

Us nun der Kurfürft von Sachfen dem Thomaſius bei 1690 
wweihundert Thalern Strafe alle öffentlichen und Privatvorles - 
fungen und die Herausgabe irgend einer Schrift verbieten ließ, 
üben auch die Nachricht zukam, daß man fich feiner Perfon 
vfihern wolle, begab er fi nach Berlin. Der Kurfürft 
Friedrich IN. hatte, obgleich er die Schrift zur Wertheibigung 
der Heirath feiner Schweſter mit dem Herzoge von Sachſen⸗ 
ig nicht einmal von Thomafius zugefhict erhalten, dieſem 
dennoch hundert Ducaten geſchenkt; jegt fehlte er ihn, machte 
ihn zu feinem Rathe, gab ihm fünfhundert Thaler Gehalt und 
gefattete ihm in Halle Borlefungen zu halten. Obgleich ihn 
auch hier feine Neider und Gegner verfpotteten und fragten, 
& er auch Zuhörer mitgebracht hätte, da er in Halle feine 
finden würde, fo hatte er doch deren ſchon In der erften Stunde 
über fünfzig, weil er feine Worträge deutſch, zugleich fehr faß- 
ih und anfpredend hielt und fortwährend auf Entwidelung 
der geiſtigen und fittlichen Fähigkeiten binarbeitete. 

Seine Wohnung faffte bald die Zahl der Zuhörer nicht 
mehr, der Magiftrat gab ihm daher einen größern Hörfaal auf 
der Wage. Thomaſius ging gleich von dem Gedanken aus, 
deß hier eine Univerfitdt gegründet werden müffe und trug zu 
deren Verwirklichung auch durch feine ſtark befuchten philofos 
dhiſchen und juriffifchen Worträge ſicher fehr viel dei '). Als 
am der Kurfürſt nach Halle Fam und bier eine ziemliche Ans 1691 
il flubirender Grafen, Breiherren, Adeliger und Anderer fand, 
füfte er auf Dankelmanns und de berühmten Theologen, des 
frommen Philipp Jakob Spener in Berlin Rath den Ents 
Muß, bier eine Univerfität zu fliften. Es war das ein Be 
drfrig füre feine Staaten. Leipzig und Wittenberg waren eif⸗ 
ig intheriſch und es daher den Branbenburgern bereits verbo: 


1) Eudens Shriſtian Thomaſtus Bartin 1805. 


54 . Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


ten zu Wittenberg zu flubiren, Duisburg und Frankfurt waren 
seformirt, Königsberg zu entfernt. .E& wurden daher fogleich 
der in Erfurt feines Amts entfegte und aus dem Erfurtifchen 
verbannte Auguft Hermann Franke, der Stifter des Waiſen⸗ 
hauſes, der Theolog Joachim Juſtus Breithaupt, der berühmte 
Juriſt Samuel Siryk, Chriftopp Gelarius für die claſſiſche 
Philologie, Friedrich Hoffmann und Georg Emft Stahl für 
die Medicin und andere Gelehrte, als Kanzler aber ber bes 
rühmte Veit Lubwig von Sedendorf berufen. Am 20, Juni 
1692 erhielt die Univerfität ihr Privilegium vom Kurfuͤrſten, 
mit dem 1. Ianuar 1693 begann die foͤrmliche Immatricula⸗ 
tion ber Stubirenden, welche zahlreich eintrafen. Das Faifers 
liche Privilegium erfolgte am 19. October 1693 nad vielen 
er Zau Bemähungen und Koften, am 11. Juli 169%, feinem Ges 
169% Gurtötage, befdtigte des Kurfurſt Friedrich II. die Univerfitätss 
flatuten, ‚weihete fie_ mit großer Pracht, wie er fie liebte, 
und einem “Koftenaufwande von mehr ald 20,000 Zhalern, 
feiri en und übernahm felbft das Rectorat. Bei der 
Einweihung zählte fie 765 und ſchon im I. 1704 befanden 
ſich bier 2000 Studirende und die magbeburgifchen und hals 
herftädtifchen Stände unterftügten fie durch die Stiftung von 
Freitiſchen, wozu (1704) eine allgemeine Kirchencollecte bes 
willigt wurbe. Der Gtiftungsfonds betrug anfänglich 3500, 
bis 1704 7000 Thaler‘) und wurde bis zum Jahre 1786 nicht 
erhöhetz Nebeneinkünfte und Aemter, Titel und perſoͤnliche Zus 
lagen und Geſchenke belohnten auögezeichnete Verdienfte. Zur. 
Grimbung einer Bibliothek wurden auffer den Doubletten ber 
kurfuͤrſtlichen Bibliothek in Berlin, im I. 1699, 600 Thaler ges 
ſchenkt und ihr einige Nebeneinkünfte, im Betrage von jährlich 
etwa 150 Thalern, uͤberwieſen. 
Das, was Friebrich IN. durch die Stiftung der Univerfität 
‚Halle nicht nur für Preuffen, fondern für Deutfdland und die 
Wiſſenſchaften überhaupt gethan, wird ihm allein fchon eine 


1) Hofbauers Geſch. d. Univerf. Halle ©. 62, ber zugleich zeigt, 
daß ber Ertrag ber Accfe fchon im I. 1697 feit ber Stiftung um 
8000 Zhlr., im I. 1706 um 12,000 Thir. geftiegen war, da er vorher 
noch nit 20,000 Thir. und nun 82,000 Zple. betrug, daß alfo bie 
Univerfität dem Staate weit mehr eintrug ald fie Eoftete. 


Samuel v. Pufendorf. Lorenz Beger. 55 


bunfbare Erinnerung erhalten; daß er, deſſen Staat noch wicht 
vwd Bilionen Ginwohner zählte, ſich nicht ſcheuete, zwei von 
feh den fo mächtigen Fuͤrſten wegen verbädtiger Grunds 
füge vertriebene, auögegeichnete Profeſſoren anzuſtellen und 
ie Sitkſamkeit feinem Staate zu fihern, das wird ds 
zen Zeil ihres Ruhms auf das Andenken des freifinnigen 
Süßen und feiner trefflichen Rathgeber werfen und zeigen, baß 
a hoch über denen ftand, welde folhe Männer verjagten. 

Den berühmten Iuriften, Philoſophen und Geſchichtſchrei⸗ 
ber Baron Samuel von Pufendorf hatte ex bereits im I. 1688 
ws ſcwediſchen Dienſten mit einem anſehnlichen Gehalte als 
Hiſtoriographen in bie ſeinigen gezogen, das Leben ſeines Va⸗ 
tb, des großen Kurfuͤrſten, zu ſchteiben, wozu ihm das Archiv 
nicht nur geöffnet, fondern die Benugung felbft der geheimften 
Vahandlungen geflattet wurbe. Pufendorf wurde dadurch in 
dm Stand geſetzt, die Staatögefchichte des großen Kurfürften 
fo fa erfepöpfend volftändig und wahrhaft zu bearbeiten, daß 
fein anderes Werk Über einen Zeitraum der brandenburgifchen, 
ia ber deutfchen Gefcichte im diefer Hinſicht mit dem feinigen 
verglichen werden Tann. Die Sreimüthigkeit und Treue bed 
Geſchichtſchreibers fegt dabei nicht weniger in Erſtaunen als 
des Bertrauem und die hochherzige Gefinnung des Kurfürften, 
der das ihm überreichte Werk noch durch ein Geſchenk von 
10000 Thalern belopnte und dann auf feine Koften druden 
Üg. Als Pufendorf (1694) flarb, wohnten der Kurfürfl, def . 
fa Semaplin und das ganze Lurfürftliche Haus feinem Leis 
Genbegängniffe durch Abgeordnete bei ). 

Auf gleiche Weiſe konnte auch bed von Danfelmann bes 
tinſtigten gelehrten Alterthumsforſchers Lorenz Beger koſtba⸗ 
18 Werk über die griechiſchen Münzen und Gemmen des kur⸗ 
furſtlichen Cabinets in drei Bänden in Folio erſcheinen (1606 
1701), ein dauerndes Denkmal der Freigebigkeit Friedrichs II. 
für wiſſenſchaſtliche Zwecke. 

Selbſt Kenner und Liebhaber der Künfte, trug Dankelmann 
auch viel bei zur Errichtung der Akademie der bildenden Künfte, 
derm Ausführung im I. 1696 nad dem Mufter ähnlicher 


1) Königs Berlin III. ©. 346, 


56. Bud V. Erſtes Hauptftäd 


Anftalten in Rom und Paris begann. - Er felbft trat als Pros 
tector an die Spitze derfelben. Lehrer mit hoͤchſt anfehnlicen 
BBefoldungen von fechshundert bis taufend und funfzehnhunbert 
Zhalern wurden angeftellt und der als Bildner und Baumes 
ſter gleich ausgezeichnete Schlüter nach Italien gefhidt, um 
Abgüffe der dortigen berühmten Antifen für die neue Akade⸗ 
mie zu kaufen. Der Zwed folte fein: den im biefem Lande 
faft ausgetiigten Kuͤnſten ber Malerei, Bildhauerei und Archi⸗ 
teftue aufzuhelfen. Dazu wurden auch jährlich Preisaufgaben 
befannt gemacht. Zugleich folte die Vereinigung ber beften 
Künftler ſich der Übertriebenen Anmaßung Einzelner wiberfe 
gen und diefe Anftalt für die Kunft fein, was eine Univerfität 
für die Wiſſenſchaften '). 

Auſſerordentlich viel geſchah für die Vergrößerung, den 
Anbau und die Verfchönerung Berlins. Die von feinem Bas 
ter angelegte Dorotheenftabt bauete er weiter aus, die ſchoͤne 
Friedrichsſtadt legte er felbft (feit 1688) an und beförberte ih⸗ 
sen Anbau durch Verſchenkung ber Baupläge und andere Bes 
günftigungen. Die Leitung hatte der fehr tüchtige und vers 
diente Oberbaubirector Nering und nur nad; ben von biefem 
gebilligten Niffen durfte gebauet werden. Als er (im I. 1695) 
farb, Hatte die Friedrichsſtadt ſchon breibundert Häufer. Nering 
bauete auch (1692 — 1695) in hudrotechnifcher Hinficht, von 
dem Ingenieur Gayart, und ruͤckſichtlich der Ornamente durch 
Schlüter unterftügt, die (hundertundſechzig Fuß lange) for 
genannte lange Brüde mit fächfifchen Quaderfleinen. Nah 
feinem Plane wurde auch (1695) der Grundflein zu dem pracht⸗ 
vollen Zeughaufe gelegt, welches. dann Johann de Bodt anderd 
ausbauete und nach Schlüter und Hulots Angabm verzierte 
Noch viele andere mehr oder weniger bedeutende und ſchoͤne 


1) Theater. Europ. XV. p. 730. Königs Berlin S. 24 u. 65 
Wilken im Berliner Kalender v. 3. 1822, S. 195, auß ben bort. an 
geführten Schriften vorzuͤglich der Einleitung zur berliner Kunftausftel: 
lung d. 3. 1804. Auffallend ift, daß in der Histoire de Tacadenie- 
Berlin 1752, p. 3 unfreitig aus der: kurzen Grzählung, welchergeſtalt 
König dricdrich I die Cocietät des Wiſſenſchaften geftiftet. Bertin 1711, 
als Gründungsjafe der Xlademie ber bilbenben Künfte das Jahr 1691 
angegeben wird. 


Akademie der Künfte Berlin. j 57 


Bauten, vorzuͤglich Kirchen, wurben vom Kurfuͤrſten, andere von 
Privatleute in Berlin unternommen, aufferbem aber noch die 
Edle in Potsdam, Boͤtzom, Friedrichsfelde, ehemals Rofens 
file, Dranienburg umd fpäter Schönhaufen, theils neu gebauet, 
theis erweitert, für die Kurfürftin das Schloß in Liegenburg 
ton Shlüter, die Gärten dazu aber von Simeon Godeau, eis 
nem Böglinge Le Notre's, des Schöpfer von Verfailles, nach 
defien Biffen angelegt ’). 

Die fhon ziemlich anfehnlihe Zahl von Baumeiſtern, 
Ralern und andern Künftlern, welche bei dem Zode be gros 
sen Kurfürſten in Berlin vorhanden waren, vermehrte ſich 
fihe bei der Neigung Friedrichs LIT. zu allen Künften, welche 
feiner Prachtliebe ſchmeichelten und bei deſſen bis an Ver⸗ 
cwendung veichenber Sreigebigkeit in der Belohnung der Mei⸗ 
fer, die ihm zus gefallen wufften. Unter ihnen zeichneten fich 
ab der Landſchaftsmaler Bega, bie Geſchichtsmaler Auguftin 
Leweſten und beffen Schüler Belau aus Magdeburg, die Sees 
füdmaler Eitefter aus Potsdam, die Miniaturs, Portraits und 
Email: Maler Gebrüder Huaut, Bockhorſt und Gerike aus 
Spandau, welcher auf kurfürſtliche Koften ausgebildet worden 
war. Die meiften von ihnen waren als Hofmaler mit fechös 
hundert bis tauſend Thalern Beſoldung angeflellt. Weniger 
bedeutend waren die Kupferſtecher Hainzelmann und Blefenborf. 
Vehtere diefer Künftler waren, wie wir fehen, Eingeborene und 
Eher älterer tÜchtiger Meiſter, die ubrigen andere Deutfche, 
hollinder und Franzoſen ). Der aus Paris berufene Schwede 
Halı arbeitete ald geſchickter Stempelfchneider für ben gerabe 
finer Thaͤtigkeit befonderö geneigten Hof, an bem alle größeren 
md auch viele weniger bebeutende Ereigniffe, 3. B. des Kurs 
pinen erſtes Beſteigen eines Pferbes, durch Mebaillen verewigt 
ander), 


1) Ricolat’s Beſchreibung der Meftbengftäbte Berlin und Potsdam. 
Bilten im Berliner Kalender d. I. 1822. Mila’s Berlin. J 
2) Königs Berlin IL S. 319. Nicolai Beſchreibung don 

= f.w., ®b. I. ©. 47 des vierten Anhangs. Kuͤnſtler unter 
Brit L_ Wilken im Berliner Kalender v. 1822 ©. 87 ff. ° 
I) Bätthers Leben Friedrichs J. Hat fie ſaͤmmtlich wohl ziemlich 
deiſtindig In Kupfer geftochen mitgeteilt und erläutert. Auf diefer, vom 


58 " Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


Vorzugsweife aber wurde bie Tonkunſt und zwar beſon⸗ 
der durch bie herrliche Kurfürftin Sophie Charlotte begimfligt. 
Diefe fböne und geiftreiche Fuͤrſtin war es, welche bie wahre 
geſellſchaftliche Feinheit und bie Liebe zu den Künften und Bif: 
fenfchaften nach Preuffen und Geift und Würde in bie von 
ihrem Gemahle fo fehr geliebte Etikette brachte‘). Cine Tod 
ter Ernſt Auguſts von Hannover und der Prinzeffin Sophie, 
der eben fo gebildeten als ehrgeizigen Enkelin Jakobs von 
England, der Tochter des unglüdlipen Friedrich von der Pfalz, 
ber die boͤhmiſche Krone nicht hatte behaupten Fönnen, aus 
einem Haufe, in weldem «bie Liebe zu Künften und Wiſſen⸗ 
ſchaften im damaligen franzoͤſiſchen Geſchmade des Zeitalter 
Ludwigs XIV. bereits einheimifch geworden war, hatte von frü⸗ 
her Jugend an Leibnig, der im Dienfte ihres Waters fand 
und fie auch in Berlin öfters befuchte, in ihr ben Ginn für 
die Wiſſenſchaften und vorzüglich für bie Philoſophie gerocdt, 
der fie nie verließ. Bei leichter und lebhafter Auffaffungs 
fähigkeit und dem eigenen Drange nach weiterer Ausbildung, 
war fie mit feinem Zweige der Kiteratur ganz unbekannt, be 
faß felbft gelehrte Kenntniffe?). Die begierig fie war, ſich 
gründlich zu unterrichten und tiefer als gewöhnlidy in Alles ein: 
aubringen und bie erſten , Gruͤnde der Dinge zu erfaffen, bezeugt 
felbſt Leibnig, indem er ihr einft fagte: „Ca ift nicht möglid) 
Sie zufrieden zu ſtellen; Sie wollen das Warum von Barum 
wiſſen.“ Sie hatte zwei Jahre in Paris zugebracht und war 
des Franzoͤſiſchen, das fie dem Deutfchen vorzog, fo volllom⸗ 


3. 1701 ſigt. der Kurpeing, geharniſcht und mit einer großen Perrift 
auf einem flattlichen deoſſe / bie Meitgerte in der Hand, die Umfchrift IR: 
Praeludia regni, 

* 1) Worte Friedrichs des Grohen in feinem Memoiren pour servir & 
Vhistoire de ia maison de Brandenbourg, fo wie faft alles hierher 
Gehdrige gefammelt, angeführt und erläutert in Erman Mömoires pouf 
serrir & Vhistoire de Sophie Charlotte reine de Prusse, Bergl. dau 
Geringe Merkrürdigteiten aus der branbenburgifcien Gefchichter er 
Stuͤck. Breslau 1798. 

2) ©ie führt in einem Schreiben an ben-Iefuiten Vota den Gt 
gorius von Ropiang, Theodoret und andere Kirdjenväter und beren Keufl- 
zungen über Goncilien an. 


Die Rurfärfiin Sophie Charlotte ” 


ma mächtig, daß Franzoſen wohl fragten, ob fle deutſch vers 
Rebe. Anh im Engliſchen und Stalienifchen unterhielt fie fi. 
Bei item Verheirathung, wie ed damald gewöhnlich war, ein 
Opfer der Politik ihres Vaters, ohne Zuneigung zu einem 
Senafie, der ihr zwar mit der hoͤchſten Auffern Achtung begegs 
etz, deſen Neigung zum Glanze und zur Pracht fie jedoch 
derchaus nicht theilte, ja oͤfters befpdttelte, wie fie ſich übers 
haupt zu deſſen großer Kraͤnkung über viele Foͤrmlichkeiten 
kiht und ungenirt hinwegfegte, würde fie eine unabhängige 
tage im Kreife geiftreicher unterrichteter Männer einem Throne 
vetgezogen haben '). 

Burhdgezogen von ber ihr Iäftigen Etikette des Hofes, vers 
faumelte fie durch Bildung und Geift ausgezeichnete Männer, 
de fie fehr wohl zu würbigen und mit feinem Tacte außzus 
wählen wuſſte, ohne Rüdfiht darauf, ob fie durch Geburt 
er Rang hoffähig waren, ohne Unterfchieb der Religion und 
Ationalität in ihrem Luflorte Lietzenburg (bald Charlottenburg), 
wo ihr der Kurfuͤrſt, wie ſchon erwähnt, feit dem I. 1695 
turh Gälliter hatte einen Palaft aufbauen Iaffen, ben dann 
der von ihr ſehr hochgefchägte Erſander von Goͤthe ausſchmuͤcte 
mb erweiterte ). Hier erſchien fie mit einigen auserwaͤhlten 
Hfdamen in einfacher Kleidung, nebenbei befchäftigt mit weibs 
Ahen Arbeiten. Statt des Spiels, der täglichen Seſchaͤftigung 
gifedarmer Menſchen, wurde bie Unterhaltung ohne Zwang 
ghrt, fie erfreuete fich der Gefpräche, auch wohl Streitigkeiten 
ter intereffante Fragen, die fie vorzüglich aus dem Gebiete 


1) Ne aoyez pas, ſchricb fie an eiönig, que je prefäre ces gran- 
dan e& ces couronnes, dont on fait tant de cas, aux charmes des 
atreiiens philosophigues, que nous avons eus & Charlottenburg. 
Roenbei bemerke ich, daß alfo kietenburg doch micht erft nad) bem Tode 
ter Königin Charlottenburg genannt worben tft, wie man faft allgemein 
at. Werl. Dohma p. 285. Daß fie während der Ardmunge 
errmonie eine Prife Taback genommen, was ihr eine Zurechtweiſung Ihres 
tur ſcht verletzten Gemahls zugezogen, wird allgemein erjaͤhit. 

2) Ricolat’s Beſchreibung von Berlin Bd. II. S. 7635 jest das 
Cie Schloß genannt, zum Unterfchiede von dem durch Friedrich II. dort 
etzuten neuen Schloffe. Cine Nachricht von der Erbauung des alten 
Söiofied im Theatz. Europ. XVI. p. 251 ſcheint von einem Gegner 
Coaitera herzurũhren, da alles Verdienſt Böthe beigelegt wird. 


60 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤc 


der Philoſophie und Religion aufzuwerfen pflegte, ‚und wuflle, 
durch ihre wuͤrdevolle Haltung die dad Maß tıberfchreitende 
Lebhaftigkeit und Empfindlichkeit ber einanter bekaͤmpfenden 
Gegner zu mäßigen. Doc) herrfchten in ber von ihrem Geiſte 
belebten Umgebung, wie in ihren Briefen bei aller Feinheit 
viel Heiterkeit und Scherz; felbft Sarkasmen waren nidt ver: 
bannt. In vertraulichen Herzensergieffungen walteten oft Laune 
und Muthwille vor. Schmeichler konnte fie nicht leiden. DR 
ließ fie fih new erfchienene Werke vorlefen, oder über fie 
Bericht erflatten. Hier war ihr wohl, hier fühlte fie 
ſich glädlic. 

Ihre vorurtheiläfreien Anfichten uͤber Religion und Politik, 
da fie es nicht mit der abfolut unumſchraͤnkten Monardjie hielt 
und fi darlıber unummwunden Aufferte, verfchafften ibr bad 
in Deutfhland den Namen der republifanifchen Königin. 
Schrieb fie doch einft, als der Jeſuit Bote fich entſchuldigte, 
bei einer Unterhaltung mit evangelifchen Geiſtlichen über Reli 
giondgegenftände in ihrer Gegenwart zu bigig gemorden zu 
fein: fie wundere ſich nicht, daß er im Lande der Freiheit in 
kurzer Zeit eine Menge von Dingen gehört habe, welche man 
im Lande der Auctorität in vierzig Jahren nicht zu hören be 
komme ). ” - 

Ihr angenchmfler Zeitvertreib war bie Beſchaͤftigung mit 
Mufit, fie fang felbft vortrefflich, componirte Bunfigemäß und 
ſpieite bie Cymbel. Viele berühmte Tonkünftier, Sänger und 
Sängerinnen, der als Klavierfpieler, Geiger und Tonſ her be 
kannte Kammermuſicus Rind, der Kammermuſicus Gtider 
und der Violoncelliſt Attilio Arioſti wurden nad) Berlin geru⸗ 
fen. Im J. 1695 erhielt ein Schauſpieler, Sebaſtian di Ci, 
mit feiner Truppe die Erlaubniß, Komoͤdie zu fpielen, Ballete 
zu tanzen und feinen Balfam und chemiſche Medicamente 
zu baben; fpäter wurbe in ben koͤniglichen Ställen ein Opem 
faal eingerichtet und auch im liebenburger Schloſſe Prem 
aufgeführt. 

Eigentligen Einfluß auf bie Staatsregierung und Bu 
waltung fſcheint fie weber gefucht noch befeffen zu haben. Diet 


1) Erman p. 47. 


Ederhards dv. Dankelmann Fall. 61 


mar immer in der Hanb des Kurfürſten und ber Günftlinge 
tefelen, jet noch Eberhards von Dankelmann. Diefer, der 
die Gutmüthigkeit feines Herrn Fannte, veranlaffte ihm zur 
Grleffung eined Reſcripts an die Juſtizbehoͤrden, welches bies 
fan die Freiheit gab, micht durch widerfprechende Gabinetds 
befehl den Lauf der Juſtiz hemmen zu laſſen. Ebenfo bewog 
@, dur) die Unterfchleife der Kammerbebienten, welche von 
im bewirkte Ausfertigungen in Geld» und Gnadenſachen dem 
Surfürften unterſchoben, veranlafft, daß diefer befahl, es folle 
fan Decret und Vollmacht ohne Dankelmanns Gegenzeichnung 
gälig fein‘). Diefe in unbefchränkten wie in conftitutionellen 
Bomarien fo notwendige und in Preuffen noch jegt befles 
bende Gontrafignatur ber dafuͤr verantwortlichen Minifter vers 
mhrte alerdings die Macht Dankelmannd ungemein, jedoch, 
man muß es fagen, nur im Intereſſe einer guten Verwaltung 
des Etats. War er nun wegen feiner hohen Stellung ſchon 
werdſich beneidet, wegen feiner Rechtichaffenheit und Uneigens 
nitigteit von Vielen gefürchtet, fo verboppelte fi) doch bie 
All und die Erbitterung feiner Feinde durch bie Art feiner 
Haltıng und feines Benehmens. B 
Von Natur fo ernft, daß man ihm mie lachen fah, bei 
Gum durchgreifenden Charakter und ftarten Gefühle feiner 
Zatt verachtete er das feiner unwurdige Treiben und bie am 
Hefe feineß Fürften gewoͤhnlichen Raͤnke des vornehmen unb 
grngen Hofgefinded, dazu faſt erbrüdt von Geſchaͤften, die 
© mit der größten Anftrengung nicht bewältigen konnte, trat 
& hohſahrend auf, benahm fich gegen Andere rauh, fagte, 
fine Kechtſchaffenheit ſich bewufft, unummunden unb ſcho⸗ 
mungölos feine Meinung, verlegte fo wohl auch manchen -Beflern 
und wendete Aller Waffen gegen fi. Dennoch winde er ſich 
haben behaupten koͤnnen, wenn er nur die ihm doch fo wohl 
bilunte Schwaͤche ſeines Herrn geſchont und dieſen nicht zu 
ricſchtslos behandelt hätte. Er konnte, wie das bei Er⸗ 
ie nur zu gewöhnlich ift, ben Hofmeiſterton fogar 
gegen ben Kurfüften nicht ablegen und verfuhr fehr eigen 


1) Aus Gunblings Handferift Wilken im Berliner Kalender 
"INS, 155. . 


@ Bud V. Erſtes Hauptſtuͤch 


maͤchtlg Er ging wohl fo weit, ihm und der kurfuͤrſtlichen 
Bamilie die Reife nach Frankfurt a. d. D. zur Meſſe zu unter⸗ 
ſagen, weil die Kafle nicht wohl beſtellt ſei, und brachte, 
indem er, wie es ſcheint, durch ſeine Rauheit gegen die 
Guͤnſtlinge der Kurfuͤrſtin verſtieß, auch dieſe auſſerordentlich 
gegen ſich auf ). 

Im der That muſſte es bei dem Aufwande, den ber glaͤn⸗ 
zende Hofftaat und bie Freigebigkeit des Kurfürften veranlafften, 
Dankelmann wohl oft fehr ſchwer werben, den an ihn gemach⸗ 
tem Anfoderungen zu genügen. Won ben franzöfiihen Emi⸗ 
granten wurde eine -anfehnlihe Summe aufgenommen. Auſſer 
ben bereit vorhandenen nicht leichten Abgaben mufften zu der 
vom großen Kurfürften (1. Januar 1686) errichteten Marine 
Chargen⸗ und Rekrutenkaſſe (14. Det. 1688) alle vom Kurfür 
ſten beflätigte Beamteten zehn Procent ihrer Beſoldung ent⸗ 
eichten, andere ohne Befolbung nad ihrem ange, Juden 
drei bis zwanzig Thaler geben, und wegen unvermeibliher 
Nothwendigkeit von Jedem (13. April 1691) noch ein Viertheil 
des erften Jahrgehalts an die Kaffe gezahlt werben. In den 
Warten wurden (im März 1690) bie Stände (Mitterfhaft 
und Städte) verfammelt, um als freiwillige Beihuͤlfe für dad 
‚Heer eine auſſerordentliche Unterftügung von 20,000 Thalem 
gu geben, konnten jedoch erft durch ſcharfe Schreiben zur Ent 
richtung der Summe vermocht werden. Die Städte geſtanden 
babei, daß die Steuer zwar hoch fei, indeſſen wären fie durch 
ben (vom großen Kurfürften) eingeführten ganz billigen modus 
accisae von dem ihnen bevorfichenden Ruin errettet (Edit 
d 29. Mai 1690). 

Dann wurde (1. Mai 1691) zur Unterhaltung bes Head 
eine Generallopffteuer (ganz wie im 3. 1679) ausgeſchrieben 
Es waren ber Kurfürft mit taufend Thalern, feine Gemahlin 


1) &o berief er im I. 1695 den Maler Werner aus der Chor 
ohne bes Kurfürften Wiſſen zur Directorſtelle der neuen Atabemie da 
Künfte, uud der Xuffict über bie Gemälde und bie in den Auflrf 
uchen Gchlöffern zu bewirkenden Verſchoͤnerungen, mit einer Befolbung 
von 1000 Thlrn. NRicolai’s Berlin, Anhang 4, ©. 85. 

2) Dohna p. 157. 


Eberhards v. Dankelmann Fall. Finanzen. 6% 


wit finfpundert, ein wirklicher geheimer Rath, wie ein Graf, 
mit ſchig Thalern, dann herab jeder Thuͤr⸗ und Brauerknecht 
und hedelaͤufer mit einem Thaler, jeder Schiffsknecht, Hands 
werfögefelle, Thorwärter mit zwölf Grofchen, der Bauer mit 
** — ſelbſt Weiber, die um Tagelohn dienten, mit 
Sofgen angeſetzt. Dieſe Generalkopfſteuer wurde zu 
*5 bald darauf nochmals (2. Januar 1693) ers 
ben. Diesmal waren ber Kurfürft mit zweitauſend Thalern, 
fine Gemahlin mit der Hälfte angeſetzt, eine große Menge frü⸗ 
ber nicht vorhandener Hofchargen aufgeführt, die Steuer im 
Algmeinen für die höheren Klaſſen erhöhet, nur wenige nie 
triger angefchlagen. Das Stempeledict des großen Kurfürſten 
wa 3. 1682 wurbe zweimal (10. Mai 1695 und 16. Octob. 
1697) emeuert wegen des, hieß es, zur Wertheibigung vom 
ab md je auch zur Erpaltung Her edlen Breipeit unteps 
Bazaenen 
Vielfach et durch ungemeine Hinderniffe hatte Dam 
kinzan bei unermiblicher Shätigfeit vermittelft der Einrichtung 
da Heflanmer zur Verwaltung der Domainen, vorzüglich durch 
ten Beifland bes fehr tüchtigen von ihm als geheimer Kams 
mmath angeftellten Kraut die Einkünfte der Domainen und 
dr dazu gehörigen Gefälle in einem Jahre um 148,000 
Yalız vermehrt, fo daß bie nach Abzug aller zur Erhaltung 
u Berbefferung derfelben, zum Ankaufe neuer Giter und 
u Befofdung ber Beamteten verwendete Summe im Betrage 
# 366,000 Thalern einen reinen Ueberſchuß von 847,000 Tha⸗ 
ken obeearf . Doc reichte daB Alles während des Kriegs 
fr da glängenben Hof und bie Habfucht der Hofleute nicht 
=. Ale wünfchten den verhafften Dankelmann, ben fie fpotts 
weft den Großen nannten, zu flürgen. Am’ thätigfen war 
Yakei der Freiherr von Kolb, aus ber Pfalz, nach einem alten 
Edloſſe feiner Familie von Wartenberg genannt. Als geheimer 
Aut} und Dberftotmeifter des Pfalggrafen von Simmern, war 
“zu Sendungen an verſchiedene Höfe gebraucht worben und 
bette ſchon dem großen Kurfüsften (1632) fo zugefagt, daß 


1) Seſchichte der verbeſſerten Einrichtung der. Domalnen, tn den 
ditruichen u. f. 10. Beiträgen U. 1. ©. 25. 


% Bud V. Erſtes Haupt ſtuͤck 


ihm dieſer eine Beſtallung als Rath mit ſechshundert Thalern 
Penfion gab und ihm geſtattete in pfaͤlziſchen Dienften zu blei⸗ 
ben. Nach dem Tode feiner Herrin, ber verwittweten Pfalz 
graͤfin, bei feiner Anwefenheit in Berlin im Fruͤhjahre 1688 
hatte er durch fein angenehmes Aeuffere und durch fein gemandtes 
hoͤfiſches Benehmen dem damaligen Kurprinzen dermaßen ge 
falen, daß ihm diefer die Fortdauer der Stelle für die Zukunft 
verſprach, ihm bald darauf als Kurfürft dad Gehalt derfelben 
vermehrte, dann (1690) zum Hauptmanne von Oranienburg, 
(1691) zum Schloßhauptmanne, (1694) zum Dompropfte von 
Havelberg, (1696) zum Dberftalmeifter und bald darauf zum 
Oberkammerherrn, fiher nicht ohne Dankelmanns Zuthun, ers 
nannte. . Diefer Pannte die Hergendgüte feines Herrn, der ihm 
"fo viel verbankte, bebachte aber nicht, dag Eitelkeit Dankbar⸗ 
keit aufwiegt und daß ſchwache Zinften weit cher hart und 
ungerecht find, als kraͤftige. Es mochte ihm wohl angenehm 
fein, daß ihm, dem mit Arbeit überhäuften Minifter, ein Ans 
derer die Mühe erleichterte, feinen Herm zu beſchaͤftigen und 
zu unterhalten. Der eben fo ſchlaue ald gewanbte und vors 
zuͤglich gefcpmeidige Kolb nahm bie Gelegenheit wahr, fih feſt 
in der Gunft des Kurfürften zu fegen und nad) und nad ben 
allmächtigen Minifter aus derſelben zu verdrängen. Es ſcheint, 
als wenn dieſer ſuͤr einen Augenblid eine theilmeife Ahnung 
des ihm bevorftehenden Schickſals gehabt hätte. Bei einem 
Feſte, das er dem Hofe gab, erzählt man, befand er fi), wähs 
rend die Übrige Geſellſchaft tanzte, mit dem Kurfürften in feis 
nem Arbeitszimmer. Als diefer hier einige Gemälde aufmerk⸗ 
fam betrachtete, fagte Dankelmann plöglich zu ihm, Alles was 
bier fei, werde ihm bald gehören. Als der Kurfürft Erklaͤrung 
biefer ihm räthfelbaften Aeufferung verlangte, erwiederte Dans 
Telmann, er werde in Ungnade fallen, gefangen gefegt, allein 
nach Anerkennung feiner Unfhulb ihm alle feine Aemter und 
Würden und was man ihm entriffen, zurldgegeben werben. 
Der Kurfuͤrſt betroffen, noch voller Verehrung flr Dankelmann, 
ergriff ein auf dem Zifche liegendes Teſtament und ſchwur, 
daß das nie eintreten werbe. he er vollendete, unterbrach ihn 
Dankelmann, indem er ihm verfiherte, das Geſagte werbe 
doch geſchehen und es ſtehe nicht in des Kurfürften Macht, es 


Eberharbs v. Dankelmann Fall 6 


ee Die Vorausfagung ging nur zur Hälfte in Er⸗ 

Denkelmann beobachtete gegen ben ſchwachen Furſten forts 
wäend nicht das gehörige Maß. Die Hofleute und vorzügs 
ih Solb reiten den Kurfürften fo viel fie vermochten, unters 
groben des Guͤnſtlings Stellung immer mehr, wedten bie 
Eifafucht des eiteln Herm über Dankelmanns Anfehn und 
regten ihn fo vielfach, daß er wohl einmal heftig auffuhr und 
fogte: „‚Dankelmann will den Kurflrften fpielen, doch ich werde 
ifem zeigen, daß ich felbft ‚Here bin!“ 

&o bedurfte es bald nur noch eines Anfloßes, um ben 
58 dahin fo gewaltigen Minifter vöNig zu flürzen. Die Ver⸗ 
dee der mächtigen Familie hatten zu Ehren der fieben Brüder 
durch den berlihmten Stempelſchneider Raimund Falz eine 
Schaummze prägen laffen, auf deren einer Seite das Sieben⸗ 
gfim, in dem ein Stern von vorzuͤglicher Größe Über einer 
Eandfeaft fand, in deren Hintergrunde eine Stadt war, mit der 
Unfhrift: Intaminatis fulget honeribus. Auf der andern Seite 
fand: Pleiadi fratram, qui principi ept, max. Friderico III. elect, 
Brand. se suague omnia prisca solduriorum lege devoverunt; unten 
war der wachthaltende Kranich bed Dankelmannfchen Wappens?). 

Bas war natürlicher, ald daß Hofleute wie Kolb, ben 
wenn au als Menfchen, doch nicht als Hofmann beffern, 
dur Dankelmannd Stolz wie fo viele Andere verlegten Gras 
fen Chriſtoph von Dohna benugten, um biefem zu fchaden. 
Sie verbreiteten, Dankelmann habe die Schaumänze felbft 
ſalegen Iaffen und die auf ihr unter dem Siebengeſtirn befinds 
Yihe Stadt ſolle Berlin vorftellen. Das Letztere mochte auch 
wohl der Fall fein, fo unaͤhnlich die Darftelung auch felbft dem 
damaligen Berlin war. Dohna muſſte feine Künfte anwenden, 
un die Medaille, wie ganz abſichtslos, in bie Hände des Kurs 


1) Pdilnait Memoiren L ©. 288. Gosmar und Klaproth 
6.254. Daß ſich Dankelmann bei biefer Gelegenheit habe durch den Gib 
de Kunfürften ſicher ſtellen wollen, iſt nicht glaublich, ba er ja die Wollen« 
Yung des Gäpwurs nicht zugeben wollte, waß er bod) leicht gefonnt Hätte. 
tag eine ſoiche Handlungeweiſe auch nicht in feinem Charakter. 
% Hätte ja thun Ennen, was fpäter Kolb that, um ſich ſicher gu ſtellen. 

2) ©. bie Abbildung der Mebaille bei Bütther ©. 491. 

Stenzel Geld. d. Preuſſiſch. Staats. IH. 5 


Hi 


27. Rov. 


0 BuHV. Erſtes Hanptfie 


fürſten zu bringen. Der mit ſolchen Ding vertraute Hof: 
mann zeigte fie daher einft von fern einem Mohren, einer Art 
von Lufligmacher am Hofe, weil er wuffte, baß biefer eilm 
würde, fie ihm zu entreiffen, wa auch gefchah. Während fih 
nun Dohna fheinbar bemühte, die Schaumlinze wieber zu be 
kommen, der Mohr fie zu behalten, näherte ſich ber Kurfürft 
und fragte nach dem Gegenftande des Streits. Dohna er 
zählte, der Mohr habe ihm eihe Medaille genommen unb wolle 
fie ſelbſt nicht für ihren Geldwerth zuruͤckgeben, worauf der 
Kurfünft, felbft Freund, Kenner und eifriger Sammler von 
Scaumünzen, fie zu fehen verlangte. Dohna erwieberte bos⸗ 
haft: „Sie werben nichts fehen, da Eure Kurfärftliche Durd- 
iaucht Seibft fie Haben fchlagen Laffen." „IHR fagte der Kun 
fürft darauf empfindlich, nachdem er fie genau betrachtet hatte, 
ich hätte diefe Medaille fhlagen laſſen? Ic weiß nicht, was 
das ift," und brach ab’). 

AS Dantelmann bald darauf bemerkte, daß er bie Gunft 
feines Herrn verloren, bat er unter dem Vorwande, daß et 
bei geſchwaͤchter Geſundheit der Ruhe bebärfe und fih den 
fehweren Arbeiten feines Amts nicht mehr gewachfen fühle, um 


„feinen Abſchied, wiederholte das, als fein Geſuch nicht ſogleich 


erfüllt wurde, und erhielt Pr Entlaffung *) durch eine Urkunde, 
in welcher der: Kurfluft fe feine Zufriedenheit mit den ihm von 
zarter Kindheit an in guten und trüben Zeiten durch Dankel⸗ 
mann geleifteten treuen und ımermübeten Dienften nebſt ſeiner 
Huld befundete und mit der Erflärung, daß feine — 
kein Zeichen der Ungnade ſei, ihm feinen Rang, dad erbli 

Pofhmeifteramt, die Praͤſidentenſtelle in Cleve und der 
mannſchaft zu Neuftabt am ber Doffe ließ und ihm eine Per 


„fion von 10,000 Zhalern gab, bamit er als ehrlicher Mann 


leben koͤnne, ohne fein eigene Vermögen anzugreifen. Bugleid 


R flete ihn der. Rurfnft frei, in Glee, Meufabt-an ber Doft 


ober auch in Berlin zu leben ). 


3 Dohna p. 191. ä 
2) Die Schrift: Mall und ungnade zweier Staats⸗ Miniſtres © 18 
gibt ben 22. Non. 1697. 
8) Die Gntlaffungs -Urkunde vom 27. Rov. 1697 fieft voüRduh 
in Gosmars und Klaproths Staats Kath S. 877. 


Eberhards v. Dankelmann Ungnade. 67 


Bald darauf wurde ihm verboten, fi) ohne befonbern 
Aufıag mit fremden Miniſtern ober Barfürfllicen Beamteten 
in Beiefwechfel ober Unterrebungen einzulafien, ihm dann be: 
pin, alle noch in feinen Händen befinbliche S i 


veroiefen. Da man ben Kurflaſten num beſorgt machte, Dans . 
kimamı konnte ſich von da wegbegeben und Gtaatögeheimaiffe “ dee. 

mibrauchen, fo wurbe er plöglich mitten in ber Nacht durch 1 
— der Garde, Tettau, auf die roheſte Weiſe ver⸗ 


der Miniſter und anderer Rechtsgelehrten über feine 
pe vorzüglich aber weil feine Nähe feinen Feinden 
m gefährlich fchien, nach Peis gebracht und fein Vermoͤgen 
wm alle feine Befigungen ‚unter voͤllig unpaltbaren Borwänden 
nit Beſchiag belegt. 

erft triumphirien die Feinde des geflärzten Oberpraͤ⸗ 


Durch 
gfinheren/ ſondern derſelbe ſoll fortgefegt werben.” &o wurde 
denn eine große Anzahl von allgemeinen ober ſofern fie ſpeci⸗ 
fit waren, theild unbegründeten, theild boshaften, ja niedri⸗ 
gen und wahrhaft laͤcherũchen Beſchuldigungen gegen Dankel- 
mann gefammelt nnd vorgelegt. 

Im Allgemeinen wurde ihm vorgeworfen, er habe feit bem 
Regierungsantritte ded Kurfürften die Leitung aller Staatss, 
Gril⸗, Militairs, Hofſtaats⸗ und Kammerſachen als Präfident 
an fih gezogen, deshalb auch feine Contrafignatur bei allen 
Colegien Aingeführt, Bieles eigenmächtig vefit, w als Herrn 


58 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤck 


Vorzugbweife aber wurde die Tonkunſt und zwar beſon⸗ 
ders durch die herrliche Kurfürftin Sophie Charlotte begunftigt. 
Diefe ſchoͤne und geiſtreiche Sürflin war ed, welde die wahre 
geſellſchaftliche Feinheit und vie Liebe zu den Künften und Wiſ⸗ 
fenfhaften nach Preuffen und Geift und Würde in die von 
ihrem Gemahle fo fehr geliebte Etikette brachte '). Eine Tochs 
ter Ernſt Auguſts von Hannover und ber Prineffin Sophie, 
der eben fo gebilbeten als ehrgeizigen Enkelin Jakobs von 
England, der Zochter des unglüdlihen Friedrich von der Pfalz, 
der die boͤhmiſche Krone nicht hatte behaupten Tinten, aus 
einem Haufe, in welchem bie Liebe zu Künften und Wiſſen⸗ 
fbaften im damaligen franzoͤſiſchen Geſchmacke des Zeitalters 
Ludwigs XIV. bereitd einheimiſch geworden war, hatte von früs 
her Jugend an Leibnig, ber im Dienfte ihres Vaters ftand 
und fie auch. in Berlin oͤfters beſuchte, in ihr den Sinn für 
bie Wiſſenſchaften und vorzüglich für die Ppilofophie geweckt, 
der fie nie verließ. Bei leichter und lebhafter Auffaffuugss 
fähigkeit und dem eigenen Drange nach weiterer Ausbildung, 
war fie mit keinem Zweige der Literatur ganz unbekannt, bes 
ſaß felbft gelehrte Kenntniffe”). Wie begierig fie war, ſich 
gründlich zu unterrichten un tiefer als gewöhnlid in Alles ein⸗ 
ubringen und die erften, Gründe der Dinge zu erfaffen, bezeugt 
felbſt Leibnig, indem er ihr einft fagte: „Es ift nicht möglich 
Sie zufrieden zu ftellen; Sie wollen das Warum von Barum 
wiffen.” Sie hatte zwei Jahre in Paris zugebracht und war 
des Franzoͤſiſchen, das fie dem Deutfchen vorzog, fo vollloms 


3. 1701 figt der Kurpring, geharniſcht und mit einer großen Perruͤcke 
auf einem ſtattlichen Moffe, bie Reitgerte in ber Hand, die Umfchrift iſt: 
Praeludia regni, 

» 1) Worte Friedriche des Großen In feinen Memoires pour serrir & 
Ihistoire de ia maison de Brandenbourg, fo wie faft alles hierher 
Gehoͤrige gefammelt, angeführt und erläutert in Erman Memoires pour 
servir & Phiatoire de Sophie Charlotte reine de Prusse. Bergl. bazu 
Herings Merkwürdigteiten aus der brandenburgifcen Geſchichte , erſtes 
Stüd. Breslau 1798, 

2) Sie führt in einem Schreiben an den Jeſuiten Wota den Gre— 
gorius von Nazianz, Theodoret und andere Kirchenväter und deren Aeuſſe⸗ 
rungen über Goncilien an. 


Die Kurfärflin Sophie Charlotte ” 


men mächtig, bag Franzoſen wohl fragten, ob fie beutfch vers 
Rebe. Auch im Engliſchen und Stalienifchen ımterhielt fie ſich. 
Bäi ihrer Verheirathung, wie es bamald gewöhnlich war, ein 
Dpfer der Politik ihres Waters, ohne Bumeigung zu einem 
Grmahle, der ihr zwar mit der böchfen Auffern Achtung begege 
nete, deffen Neigung zum Glanze und zur Pracht fie jedoch 
turchaus nicht theilte, ja öfters befpättelte, wie fie fid Über 
haupt zu beffen großer Kraͤnkung uͤber viele Foͤrmlichkeiten 
lit und ungenirt hinwegfegte, wuͤrde fie eine unabhängige 
Loge im Kreife geiſtreicher unterrichteter Männer einem Throne 
vorgegogen haben '). 

Zuruͤckgezogen von ber ihr laͤſtigen Etikette des Hofes, vers 
fenmelte fie durch Bildung und Geiſt ausgezeichnete Männer, 
die fie fehr wohl zu würbigen und mit feinem Tacte auszus 
waͤhlen wuffte, ohne Ruͤckſicht darauf, ob fie durch Geburt 
oder Rang hoffähig waren, ohne Unterſchied der Religion und 
Rationalität in ihrem Luſtorte Lietzenburg (bald Charlottenburg), 
wo ihr der Kurflrft, wie ſchon erwähnt, feit dem I. 1695 
durch Schlüter hatte einen Palaft aufbauen laffen, ben dann 
der von ihr ſehr hochgefchägte Erſander von Göthe ausſchmuͤckte 
md erweiterte). Hier erfchien fie mit einigen auserwaͤhlten 
Hefdamen in einfacher Kleidung, nebenbei beſchaͤftigt mit weibs 
fen Arbeiten. Statt des Spiels, der täglichen Befhäftigung 
gfedarmer Menfchen, wurde die Unterhaltung ohne Zwang 
geführt, fie erfreuete fich der Geſpraͤche, auch wohl Streitigkeiten 
über intereffante Fragen, die fie vorzüglich aus dem Gebiete 


1) Ne croyez pas, ſchrieb fie an Eelbnig, que je prefäre ces gran- 
dar et ces couronnes, dont on fait tant de cas, aux charmes des 
@tretiens philosophiques, que nous avons eus & Charlo 
Rebenbei bemerke ich, daß alfo Liepenburg doch nicht erft nach dem Node 
ir Königin Gharlottenburg genannt worben ift, wie man faft allgemein 
agbt. Wergl. Dohna p. 285. Daß fie während ber Krönungss 
armonie eine Prife Taback genommen, was ihr eine Zurechtweiſung ihres 
tur fehe verlegten Gemahls zugezogen, wird allgemein erzaͤhlt. 

Y Nicolat’s Beſchrelbung von Berlin Bb. II. S. 768; jett das 
«ir Schloß genannt; zum Unterfdiede von dem durch Friedrich IL dort 
etaueten neuen Schioffe. Cine Nachticht von der Erbauung des alten 
Sötoffes im Theatz. Europ. XVI. p. 251 ſcheint von einem Gegner 
Cauiters heruruͤhren, da alles Werbienft Gothe beigelegt wird. 


60 Buch V. Erſtes Hauptſtuͤc. 


der Philofophle und Religion aufzuwerfen pflegte, und wuſſte 
durch ihre wirrbevolle Haltung die dad Maß uͤberſchreitende 
Lebhaftigkeit und Empfindlichkeit der einanter bekaͤmpfenden 
Gegner zu mäßigen. Doc herrſchten in ber von ihrem Geifte 
belebten Umgebung, wie in ihren Briefen bei aller Feinheit 
viel ‚Heiterkeit und Scherz; felbft Sarkasmen waren nicht vers 
bannt. In vertraulichen Herzensergieffungen walteten oft Laune 
und Muthwille vor. Schmeichler Eonnte fie nicht leiden. Oft 
ließ fie ſich new erfcienene Werke vorlefen, ober uͤber fie 
Bericht erflatten. Hier war ihr wohl, bier fühlte fie 
fih glüdig. 

Ihre vorurtheilsfreien Anfichten uͤber Religion und Politik, 
da fie es nicht mit der abfolut unumſchraͤnkten Monarchie hielt 
und fi) daruͤber unumwunden Aufferte, verſchafften ihr bald 
in Deutfhland ben Namen der republikaniſchen Königin. 
Scrieb fie doch einft, als der Iefuit Vota fich entſchuldigte, 
bei einer Unterhaltung mit evangelifchen Geiftlichen über Reliz 
giondgegenftände in ihrer Gegenwart zu hitzig geworden zu 
fein: fie wundere ſich nicht, daß er im Lande ber Freiheit in 
kurzer Zeit eine Menge von Dingen gehört Habe, welche man 
im Lande ber Auctorität i in vierzig Jahren nicht zu hören bes 
tomme'). 

Ihr angenehmfter Zeitvertreib war bie Beſchaftigung mit 
Muſik, fie fang ſelbſt vortrefflich, componirte kunſtgemaͤß und 
ſpielte bie Cymbel. Viele beruͤhmte Tonkunſtler, Sänger und 
Saͤngerinnen, der als Klavierſpieler, Geiger und Tonſetzer be⸗ 
kannte Kammermuſicus Rind, der Kammermuſicus Stricker 
und der Violoncelliſt Attilio Arioſti wurden nach Berlin geru⸗ 
fen. Im J. 1695 erhielt ein Schauſpieler, Sebaſtian di Scio, 
mit feiner Truppe bie Erlaubniß, Komödie zu fpielen, Ballete 
zu tanzen und feinen Balfam und chemiſche Medicamente feil 
zu baben; ſpaͤter wurde in ben koͤniglichen Staͤllen ein Dpern⸗ 
ſaal eingerichtet und auch im liegenburger Schloſſe Opern 
aufgeführt. 

Eigentligen Einflug auf die Staatsregierung und Vers 
waltung ſcheint fie weder gefucht noch befeflen zu haben. Diefe 


1) Erman p. 47. 


Eberhards v. Dankelmann Fall. 6 


wer immer in ber Hanb des Kurfürſten und ber Guͤnſtlinge 
teffelben, jegt noch Eberhard von Dankelmann. Diefer, der 
die Gutmüthigkeit feines Herrn Fannte, veranlaffte ihm zur 
Erlaffung eines Reſcripts an die Juſtizbehoͤrden, welches dies 
fen die Freiheit gab, nicht durch widerſprechende Gabinetds 
tefehle den Lauf der Juſtiz hemmen zu laffen. Ebenſo bewog 
&, durch die Unterfchleife der Kammerbedienten, welche von 
ihnen bewirkte Auöfertigungen in Geld» und Gnadenfachen dem 
Surfürften unterſchoben, veranlafft, daß biefer befahl, es ſolle 
tin Deeret und Vollmacht ohne Dankelmanns Gegenzeihnung 
gältig fein’). Diefe in unbefchränkten wie in conftitutionellen 
Nonarchien fo nothwendige und in Preuffen noch jetzt beſte⸗ 
hende Eontrafignatur der dafuͤr verantwortlichen Minifler vers 
mehrte allerdings die Macht Dankelmanns ungemein, jedoch, 
man muß es fagen, nur im Intereffe einer guten Verwaltung 
des Staats. War er num wegen feiner hohen Stellung ſchon 
mendli beneidet, wegen feiner Rechtſchaffenheit und Uneigens 
nügigteit von Vielen gefürchtet, fo verboppelte ſich doch bie 
Zahl und die Erbitterung feiner Feinde durch die Art feiner 
Haltung und feines Benehmens. 

Bon Natur fo ernft, dag man ihn mie lachen fah, bei 
Ainem durchgreifenden Charakter und ſtarken Gefühle feiner 
Baht verachtete er dad feiner unwuͤrdige Treiben und die am 
Hofe feines Fürften gewöhnlichen Raͤnke des vornehmen und 
geringen Hofgeſindes, dazu faft erdrüdt von Gefchäften, bie 
mit der größten Anſtrengung nicht bewältigen konnte, trat 
er hochfahtend auf, benahm fi gegen Andere rauh, fagte, 
feiner Rechtſchaffenheit fi) bewufft, unummwunden und fchos 
nungslos feine Meinung, verlegte fo wohl auch manchen Beſſern 
und wendete Aller Waffen gegen fih. Dennoch winde er fi 
habm behaupten koͤnnen, wenn er nur bie ihm doch fo wohl 
belannte Schwaͤche feined Herrn geſchont und biefen nicht zu 
tdfihtölo® behandelt hätte. Er Tonnte, wie das bei Er⸗ 
hen nur zu gewöhnlich iſt, den Hofmeifterton fogar 
gegen den Kurfürften nicht ablegen und verfuhr fehr eigen 


1) Aus Dunblings Panbfärit m Wilken im Berliner Kalender 
"I1822 ©. 155 


@ Bud V. Erſtes Haupeftid 


maͤchtlg NEr ging wohl fo weit, ihm und ber turfuͤrſllichen 
Familie die Reife nach Frankfurta. d. D. zur Meſſe zu untere 
fagen, weil die- Kaffe nicht wohl beftellt fei, und brachte, 
indem er, wie es fcheint, durch feine Rauheit gegen die 
Günftlinge der Kurfuͤrſtin verſtieß, auch biefe aufferordentlich 
gegen fih auf‘). 

Im der That muffte es bei dem Aufwande, ben ber gläns 
zende Hofftaat und bie Freigebigkeit des Kurfürften veranlaſſten, 
Dankelmann wohl oft fehr ſchwer werben, ben an ihn gemadhs 
tm Anfoberungen zu genligen. Won den franzdjifhen Emis 
granten wurde eine -anfehnliche Summe aufgenommen. Auffer 
ben bereits vorhandenen nicht leichten Abgaben mufften zu ber 
vom großen Kurfürften (1. Januar 1686) errichteten Marines 
Chargen⸗ und Rekrutenkaſſe (14. Oct. 1688) alle vom Kurfürs 
fen beftätigte Beamteten zehn Procent ihrer Befoldung ents 
richten, andere ohne Befoldung nach ihrem Range, Juden 
drei bis zwanzig Thaler geben, und wegen unvermeiblicher 
Nothwendigkeit von Jedem (13. April 1691) noch ein Viertpeil 
bes erften Jahrgehalts an bie Kaffe gezahlt werden. In den 
Marken wurden (im März 1690) die Stände (Ritterfhaft 
und Städte) verfammelt, um ald freiwilige Beiplilfe für das 
‚Heer eine aufferorbentliche Unterflügung von 20,000 Thalern 
zu geben, Tonnten jedoch erſt durch ſcharfe Schreiben zur Ents 
zihtung der Summe vermocht werden. Die Städte geftanden 
babei, daß die Steuer zwar hoch fei, indeſſen wären fie durch 
ben (vom großen Kurfürften) eingeführten ganz billigen modus 
accisae von bem ihnen bevorftehenden Ruin errettet (Edict 
© 29. Mai 1690). 

Dann wurbe (1. Mai 1691) zur Unterhaltung bes Heers 
eine Generalkopfſteuer (ganz wie im J. 1679) ausgeſchrieben. 
Es waren ber Kurfürft mit taufend Thalern, feine Gemahlin 


1) So berief er im I. 1695 ben Maler Werner aus der Schwetz 
ohne bes Kurfürften Wiſſen zur Directorſtelle ber neuen Akademle bee 
Künfte, umb ber Aufſicht über bie Gemälde und bie in ben kurfuͤrſt⸗ 
den Sclöffern gu bewirkenden Berfcönerungen, mit einer Befolbung 
von 1000 Thlrn. NRicolai’s Werlin, Anhang 4, S. 85. 


2) Dohna p. 157. 


Eberhards v. Dankelmann Fall. Finanzen. 63 


nit fünfpundert, ein wirklicher geheimer Rath, wie ein Graf, 
mit ſechzig Thalern, dann herab jeder Thuͤr⸗ und Brauerknecht 
und Haideläufer mit einem Thaler, jeder Schiffsknecht, Hands 
werfögefelle, Thorwaͤrter mit zwölf Grofchen, der Bauer mit 
at bis zwölf, felbft Weiber, die um Zagelohn bienten, mit 
dir Grofchen angefegt. Diefe Generalfopffleuer wurde zu 
gleichem Zwecke bald darauf nochmals (2. Januar 1693) ers 
hoben. Diesmal waren der Kurfürft mit zweitaufend Thalern, 
fiine Gemahlin mit der Hälfte angefegt, eine große Menge frü⸗ 
ber nicht vorhandener Hofchargen aufgeführt, die Steuer im 
Agemeinen fuͤr bie höheren Klaſſen erhöhet, nur wenige nie 
briger angefchlagen. Das Stempeledict ded großen Kurfürften 
vom 9. 1682 wurbe zweimal (10. Mai 1695 und 16. Detob. 
1697) erneuert wegen bed, hieß ed, zur Wertheibigung von 
Lad ud Leuten auch zur Srpaltung der edlen dreiheit unten 
Anmmenen Kriege. 

Bielfach gehemmt durch ungemeine Hinberniffe hatte Dam 
teimanın bei unermüdlicher Thaͤtigkeit vermittelft der Einrichtung " 
ber Hoftammer zur Berwaltung der Domainen, vorzüglich durch 
den Beifland bed fehr tüchtigen von ihm als geheimer Kams 
merath angeftelten Kraut die Einkünfte der Domainen und 
der dazu gehörigen Gefälle in einem Jahre um 148,000 
Doaler vermehrt, fo daß. die nach Abzug aller zur Erhaltung 
ud Berbefferung derſelben, zum Ankaufe neuer Güter und 
iu Befolbung ber Beamteten verwendete Summe im Betrage 
[1 5 306,000 Zhalern einen reinen Ueberichuß von 847,000 Thas 

abwarf?). Doc) reichte das Alles während des Kriegs 
Far Ka Hof und die Habfucht der Hoflente nicht 
ws. Ale winfchten ben verhafften Dankelmann, ben fie fpotts 
weile den Großen nannten, zu flürzen. Am thätigfen war 
dabei der Freihere von Kolb, aus der Pfalz, nad) einem alten 
Sähloffe feiner Familie von Wartenberg genannt. Als geheimer 
Kath, md Oberſtallmeiſter bes Pfalzgrafen von Simmern, war 
© zu Sendungen am verfchiebene Höfe gebraucht worden und 
hatte ſchon dem großen Kurfürften (1682) fo zugefagt, daß 


1) Gefechte der verbefferten Eimichtung der Domalsen, tn den 
diſtoriſchen u. f. w. Beiträgen H. 1. ©. 25. 


604 Bud V. Erſtes Haupt ſtuͤck 


ihm dieſer eine Beſtallung als Rath mit ſechshundert Thalern 
Denfion gab und ihm geſtattete in pfaͤlziſchen Dienften zu blei⸗ 
ben. Nach dem Tode feiner Herrin, ber verwittweten Pfalzs 
graͤfin, bei feiner Anwefenheit in Berlin im Fruͤhjahre 1688 
batte er durch fein angenehmes Aeuffere und durch fein gewandtes 
böfifches Benehmen dem damaligen Kurprinzen dermaßen ges 
fallen, daß ihm diefer die Bortdauer der Stelle für die Zukunft 
verſprach, ihm bald darauf als Kurfürft das Gehalt berfelben 
vermehrte, dann (1690) zum Hauptmanne von Oranienburg, 
(1691) zum Schloßhauptmanne, (1694) zum Dompropfte von 
Havelberg, (1696) zum Oberftallmeifter und bald darauf zum 
Dberlammerhern, ſicher nicht ohne Dankelmannd Zuthun, ers 
nannte. Diefer kannte die Herzensguͤte feines Herrn, ber ihm 
fo viel verbankte, bedachte aber nicht, daß Eitelkeit Dankbar⸗ 
keit aufwiegt und daß ſchwache Zürften weit eher hart und 
ungerecht find, als kraͤftige. Es mochte ihm wohl angenehm 
fein, daß ihm, dem mit Arbeit überhäuften Minifter, ein Ans 
derer die Mühe erleichterte, feinen Herm zu beſchaͤftigen und 
zu unterhalten. Der eben fo ſchlaue als gewandte und vors 
züglich gefchmeidige Kolb nahm die Gelegenheit wahr, fich feft 
in der Gunft des Kurfürften zu _fegen und nach und nach ben 
allmaͤchtigen Miniſter aus berfelben zu verdrängen. Es ſcheint, 
als wenn bdiefer für einen Augenblid eine theilweife Ahnung 
des ihm bevorſtehenden Schickſals gehabt hätte. Bei einem 
Sefte, dad er dem Hofe gab, erzählt man, befand er ſich, waͤh⸗ 
end die Übrige Gefellſchaft tanzte, mit dem Kurfürften in feis 
nem Arbeitszimmer. Als dieſer hier einige Gemälde aufmerks 
fam betrachtete, fagte Dankelmann ploͤtzlich zu ihm, Alles was 
bier fei, werde ihm bald gehören. Als der Kurfürft Erklärung 
biefer ihm räthfelbaften Aeufferung verlangte, erwieberte Dans 
kelmann, er werbe in Ungnabe fallen, gefangen gefegt, allein 
nad Anerkennung feiner Unſchuld ihm alle feine Aemter und 
Würden und was man ihm entriffen, zurüdgegeben werben. 
Der Kurflirft betroffen, noch voller Verehrung für Dankelmann, 
ergriff ein auf dem Zifche liegendes Teſtament und ſchwur, 
daß das nie eintreten werde. Che er vollendete, unterbrach ihre 
Dankelmann, indem er ihm verficherte, das Gefagte werde 
doch gefchehen und es flehe nicht in des Kurfürften Macıt, es 


Eberhards v. Dankelmann Fall 6 
ee Die Vorausfagung ging nur zur Hälfte in Er⸗ 


. 

Dankelmann beobachtete gegen ben ſchwachen Fuͤrſten forts 
während nicht daB gehörige Maß. Die Hofleute und vorzügs 
lich Kolb reisten den Kurfürften fo viel fie vermochten, unters 
gruben des Guͤnſtlings Stellung immer mehr, wedten bie 
Eiferfucht des eiteln Herm über Danfelmanns Anfehn und 
teten ihn fo vielfach, daß er wohl einmal heftig auffuhr und 
fogte: „‚Dankelmann will den Kurfuͤrſten fpielen, doch ich werde 
im Kir, daß ich felbft Herr bin!“ 

So bedurfte es bald nur noch eines Anfloßes, um ben 
bis dahin fo gewaltigen Minifter voͤllig zu flürzen. Die Ver⸗ 
ehrer der mächtigen Familie hatten zu Ehren ber fieben Brüder 
durch den berlihmten Stempelſchneider Raimund Balz eine 
Shamminze prägen laſſen, auf beten einer Seite das Sieben⸗ 
eim, in dem ein Stern von vorzüglicher Größe uͤber einer 
Landſchaft Rand, in deren Hintergrunde eine Stabt war, mit der 
Unfgrift: Intaminatis fulget honoribus. Auf der andern Seite 
fand: Pleiadi fratram, qui principi ept. max. Friderico III. elect, 
Brand.se suague omnia prisca solduriorum lege devoverunt; unten 
war der wachthaltende Kranich des Dankelmannfchen Wappens?). 

Was war natürlicher, ald daß Hofleute wie Kolb, den 
wenn auch als Menfchen, doch nicht als Hofmann beffern, 
dach, Dankelmanns Stolz wie fo viele Andere verlegten Gras 
fin Chriſtoph von Dohna benugten, um dieſem zu fchaden. 
Sie verbreiteten, Dankelmann babe bie Schaumänze felbft 
(lagen laſſen und die auf ihr unter dem Siebengeſtirn befinds 
le Stabt folle Berlin vorſtellen. Das Lebtere mochte auch 
wohl der Fall fein, fo unaͤhnlich bie Darftelung auch felbft dem 
damaligen Berlin war. Dohna muflte feine Künfte anwenden, 
wm die Mebaille, wie ganz abſichtslos, in die Hände bes Kurs 


ig Memoiren L ©. 288. Gosmar und Klaproth 
&.256. Dos fih Dankelmann bei biefer Gelegenheit Habe durch den Gib 
We Kusfürften ficher flellen wollen, iſt nicht glaublich, da ex ja bie Wollen- 
hang des Schwurs nicht zugeben wollte, was er body Leicht gefonnt hätte. 
Uberhaupt Tag eine ſoiche Handlungeweiſe auch nicht in feinem Charakter. 
& Hätte ja thun Emmen, was fpäter Kolb that, um ſich ſicher gu ſtellen. 

© der Medaille bei Guͤtt her ©. 491. 

Stengel Gef. d. Preuſſiſch. Staats, IN. 5 


Bu V. Erſtes Hauprfie 


fürſten zu bringen. Der mit folden Ding vertraute Hof 
mann zeigte fie daher einft von fern einem Mohren, einer Art 
von am Hofe, weil er wuflte, daß dieſer eilen 
wurde, fie ihm zu entreiffen, was auch geſchah. Während fi 
nun Dohna ſcheinbar bemühte, die Schaumdinze wieder zu bes 
Tommen, der Mohr fie zu behalten, näherte fi) der Kurfürft 
und fragte nach dem Gegenftande des Streits. Dohna ers 
zählte, der Mohr habe ihm eifhe Medaille genommen und wolle 
fie ſelbſt nicht für ihren Geldwerth zuruͤckgeben, worauf der 
\ Kurfinft, felbft Freund, Kenner und eifriger Sammler von 
Schäumünzen, fie zu fehen verlangte. Dohna erwieberte bos⸗ 
. Yaftı „Sie werben nichtd fehen, da Eure Kurfürftliche Durch» 
laucht Selbſt fie Haben fhlagen laffen." „Ich? fagte der Kur⸗ 
fürft darauf empfindlich, nachdem er fie genau betrachtet hatte, 
ich hätte dieſe Medaille fehlagen Iaffen? Id weiß nicht, was 
das ift,“ und brach ab). 

Als Dankelmann bald barauf bemerkte, baß er die Gunft 
feines Herrn verloren, bat er unter dem Vorwande, daß ex 
bei gefchwächter Geſundheit der Ruhe bebürfe und fi den 
ſchweren Arbeiten feines Amts nicht mehr gewachfen fühle, um 

2. ‚Kon feinen Abfchied, wiederholte daB, als fein Geſuch nicht fogleich 
1697. erfünt wurde, und erhielt feine Entlaffung *) durch eine Urkunde, 
in welcher der- Kurfuͤrſt fe feine Zufriedenheit mit den ihm von 
zarter Kindheit an in guten und trüben Zeiten durch Dankel⸗ 
mann geleifteten treuen und unermüdeten Dienften nebft feiner 
Huld befundete und mit ber Erklärung, daß feine Entlaffung 
Bein Zeichen der Ungnabe fei, ihm feinen Rang, das erbliche 
Poftmeiferamt, bie ientenftelle in Gleve und die Haupt 
mannfchaft zu Neuftabt an ber Doffe ließ und ihm eine Pen⸗ 
ſion von 10,000 Zhalem gab, damit er eis ehrlicher Mann 
leben koͤnne, ohne fein eigenes Vermögen anzugreifen. Bugleich 
ſtellte ihm der. Kurfürft feet, in Eleve, Rear an der Doffe 

ober auch in Berlin zu leben ). 

\ 1) Dohna p. 191. 

2) Die — Ball und Ungnabe zweier Staats-⸗iniſtres ©. 18 
gibt ben 22. Kon. 

1. Sn. 1097 fait wERlablg 
in Gosmars und Klaproths Staats: tath ©. 877. 


Eberhards v. Dankılmann Ungnade. 67 


ſohlen, alle noch in feinen Händen befindliche Staatspapiere 
verfiegelt dem Kurfürften zu uͤberſchicken, und er aus Berlin, 
das er zum Wohnorte ermählt, nach Neuſtadt an der Dofe 
verwieſen. Da man ben Kurfäzften num beforgt machte, Dans - 
kelmann koͤnnte fich von da wegbegeben und Staatsgeheimmifi “ Der 
misbrauchen, fo wurde er plöglich mitten in der Nacht durch 1 
den Dberften der Garde, Zettau, auf die roheſte Weiſe ver⸗ 
haftet, nach Spandau, zwei Monate danach auf ein bloßes 
Gutachten der Minifter und anderer Rechtsgelehrten über feine 
Straffaͤligkeit, vorzüglich aber weil feine Nähe feinen Feinden 
zu gefäprlich fehlen, nach Peitz gebracht und fein Bermögen 
und alle feine Befigungen ‚unter völlig unhaltbaren Vorwaͤnden 
nit Besten belegt. 

Nun erft triumppirten bie Feinde des geſtuͤrzten Oberpraͤ⸗ 
festen. ie betrieben ben Proceß beffelben mit bem größeften 
Eifer. Die gefchicteften Juriſten wurden ausgewählt und bem 
Hoffiskal Möller zugegeben, welcher, als es ihm unmöglich 
wurde, die Anklage rechtlich zu begrlmden (im 3. 1700), 
den Befehl erhielt, bei zweitaufend Ducaten Strafe ben Proceß 
Binnen vier Wocyen zu Ende zu bringen. Er ſchrieb in der 
—S ſeines a Bene in das Protofol: Heiliger Gott, 

gerechter Richter! Artikel kann ich machen, aber woher ſoll ich 
die Beweiſe nehmen? Ich habe ein oorpus aotorum verlangt 
and nichts erhalten. Niemand will das Herz haben den ſchlech⸗ 
ten Zuſtand des Proceffes Seiner Kurfärftlichen Durchlaucht zu 
offenbaren, fondern derfelbe fol fortgefegt werden.” So wurde 
denn eine große Anzahl von allgemeinen oder fofern fie fpecis 
firt waren, theild unbegruͤndeten, theils boshaften, ja niebris 
gen und wahrhaft laͤcherlichen Befdhulbigungen gegen Dankel 
mann — and vorgelegt. 

Im Allgemeinen wurde ihm vorgeworfen, er habe feit dem 
Regierungdantritte ded Kurfuͤrſten die Leitung aller Staats, 
Cvil⸗, Militairs, Hofftants» und Kammerſachen ald Präfident 
an fi gezogen, deshalb auch feine Gontrafignatur bei allen 
bolegien eingefuͤhrt, Vieles eigenmaͤchtig verfügt, 1a als Herm 


68 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


benommen, ohne ihn ſei nichts zu erlangen geweſen und er 
zuletzt mehr als ber Kurfürft venerirt worden, er habe fich 
gegen den Kurfürften wiberfeglich, ungehorfam unb ungiemlich bes 
tragen, fi) in die kurfuͤrſtlichen Bamilienangelegenheiten gemifcht 
und den Kronprinzen auf feinen Weg zu führen gefucht, einen 

“ feiner Domeſtiken zu deſſen Lehrer gemacht‘), in Verhandlun⸗ 
gen mit Deſterreich, Mecklenburg⸗ Schwerin und Sachſen das 
Staatsintereffe vernachläffigt und eigennügig gehandelt, ben 
Kurfürften durch Anlegung einer Schleufe an ber Saale, bed 
Saigers und Schmelzwerts in Neuftabt an ber Doffe, bed 
Bergwerks bei Wettin und burch Unterftügung der afrikaniſchen 
Handelsgeſellſchaft zu unnuͤtzen Geldausgaben veranlafit, feine 
Angehörigen übermäßig befördert, drei feiner Bruͤder in ben 
geheimen Rath gebracht und zu ben wichtigften Gefchäften vers 
wendet, Über anbere Minifter übel geſprochen, fie in Miscrebit 
gebracht, fie bei einer Wirthfchaft, wo er den Scherenfchleifer 
vorgeftelt, durch ein fatirifches Gedicht beſchimpfen laſſen, in 
Koͤnigsberg, ald er zu fpät in bie Kirche gekommen, habe er 
verlangt, die anderen Minifter follten ihm einen Plag aufs 
heben, und bei einer andern Gelegenheit zu einem gefagt: Der 
Herr weiß den Kurfürften immer umzuflimmen; und dergleichen 
Armfeligkeiten mehr, welche-feine Feinde anzuführen nicht ers 
roͤtheten, bie aber noch ausführlicher mitzutheilen man ſich billig 
ſchaͤmen muß. 

Bon dem Xheile der ihm gemachten Worwürfe, über wel⸗ 
en wir erſt feit Kurzem”) bie Wertheidigung Dankelmanns 
kennen gelernt haben, veinigte er ſich fehr genligenb und es ift 
nicht zu zweifeln, daß er das auch von ben Übrigen vermochte, 

1) Den durch daffifche Bildung und ausgebreitete Kenntniffe ausge ⸗ 
richneten I. Br. Cramer, ber ſchon im I. 1690 als geheimer Legations · 
Secretair angeſtellt war, als magdeburgiſcher Regierungs- und Gonfiftos 
zialrath entlaffen wurde und als preuffifcjer Sefibent im I. 1715 in 
Amſterdam flach. Gosmar und Klaproth S, 273 und 296. Gein 
Historiae Frideriei I. Borussorum regis e numismatibus fragmentum 
ſteht in Küfters Collectio opusculorum historiam Marshicam illu- 
strantium, Stüd 8 u. 9, ©. 18—45. 

2) Bericht des Oberprocurators an ben Konig, v. 16. Mai 1702, 
im Urfundenbudje zur Lebensgefdichte Friedrich Wühelms L von Fr. 
Börker, Bd.L S. 8 ſ. Vergl. Sosmar und Klaproth S. 258 ff. 


Dankelmanns Proceß. 69 


ie unflreitig that, ba nichts Wefentliches gegen ihn bewieſen 
werben konnte und er fortwährend feine Unſchuld behauptete. 
&8 Spricht ſicher ſchon für feine Rechtlichkeit in den Verhand⸗ 
lungen mit dem Kaiſer, daß er ben ihm von biefem tarfrei 
ertheilten Grafenftand nicht annahm. Die Worwände, unter 
denen feine Güter und fein uͤbriges Wermögen eingezogen wurs 
ben, beweifen, daß man noch nach zwölf Jahren feinen Rechts⸗ 
grund gegen ihn hatte. Da heifft es bei einem preuffiifchen 
Gute, daS er auf Verwendung ber Dberräthe gelegentlich der 
Huldigung von dem Kurfürften, dem es als heimgefallenes 
Lehn gehörte, gefchenkt erhalten: das fei ein Domainenftüd 
gewefen, eben fo bei einem andern von Dankelmann mit Ges 
nehmigung bed Kurfürſten erfauften. Gute: das fei feit 
300 Jahren Lehn gewefen. Sein Haus in Berlin wurde 
ihm genommen: weil e8 dem Kurfürften zum unentbehrlichen 
Gebrauche nöthig, auf Abfclag einer an den Oberpraͤſi⸗ 
denten habenden Prätenfion, doch nach zwölf Jahren war bie 
Pritenfion noch nicht zum Vorſchein gelommen; 237 Küre 
im Kohlenbergwerke zu Wettin, weldhe Dankelmann gekauft 
und womit er das Bergwerk in Aufnahme gebracht, bas 
fonft zu Grunde gegangen wäre, wurben eingezogen: weil 
es ein Regale bes Fürſten fei, während doc alle übrigen 
Gewerke ihre Kure bebielten, von benen ber Zehnte als 
Regale entrichtet wurde '). Gegen keinen der Brüder Dan: 
lelmanns, bie man boch ficher ebenfalls gern geflürzt hätte, 
lbonnte etwas aufgebracht werben, fie blieben fämmtlich, vorzlig« 
fd) der Generalkriegscommiſſarius, Daniel Lubwig, in ihren 
zum Theile hohen Aemtern und wurben ferner in Staatsan⸗ 
gelegenheiten verwendet *). 

Seine Feinde und der Kurfuͤrſt ſelbſt würden eine Ange 
legenheit, welche fo großes Aufſehen machte, daß unter Anderen 
fogar König Wilhelm IIT. von England mehrfach fein Erftaus 
nen und feine Unzufriedenheit Über dad gegen Dankelmann 
beobadptete Verfahren dußerte?), nicht fortwährend mit dem 


1) Foͤrſters Friedrich Wilhelm I. urkundenbuch, Bd. I. ©. 6. 
9 Sosmar und Klaproth ©. 266 ff. und ©. 879. 
9 Dohna p. 209 und 216, 


70 Bud V. Erſtes Haupefiäd. 


Schleier de tiefften Geheimniffes bedeckt und ihr Werfahren 
vor-den Augen der Welt ficher gerechtfertigt haben, wenn fie 
es gekonnt hätten. Dan verbreitete eine Menge von Geruͤch⸗ 
ten über Dankelmannd Verbrechen, die jedoch nicht geglaubt 
wurden, und felbft Friedrich IL war der ganz irrigen Meinung, . 

der Oberpräfident fei in Ungnabe gefallen, weil er fih den 
Bemühungen des Kurfuͤrſten widerſetzt habe, die Eönigliche 
Würde zu erlangen, während ihm noch nach feinem Falle ein 
fo bebeutender Minifter wie Fuchs gerade einen Vorwurf baraus 
—X für den Kurfürſten nach der Koͤnigskrone geſtrebt zu 

by . 

Nach fünf Iahren (1702), al auf Dankelmanns wieder⸗ 
holtes Anfuchen feine Sache aufs Neue unterſucht wurde, fcheuete 
fih ein rechtichaffener Oberprocurator nicht in einem Berichte 
an ben König dem fchlechten Buftand des Proceffes darzulegen. 
Dennoch wurde Dankelmann in die umfaflende Amneftie, welche 
der Kurfuͤrſt bei Annahme ber Koͤnigswuͤrde erließ, nicht eins 

1702 gefchloffen. Vielleicht erſt auf ben Bericht des Oberprocura⸗ 
tors und, auf Worbitte des Grafen Chriſtoph von Dohna, der 
eben feinem eigenen Sturze nahe fih nun erft feines Benchs 
mens gegen Dankelmann fhänıte, wurde: biefem geflattet, zu 
feiner Erholung bis auf eine halbe Meile im Umkreiſe von 

„1707 Deig frifche Luft fchöpfen zu. duͤrfen, und erft nach zehn Jahren, 
als der König in ber Freude feines Herzens über die Geburt 
feines erſten Enkels viele Gnabensbezeugungen ertheilte, ers 
barmte ex fich auf Vorbitte der Kronprinzeffin feines alten Lchs 
xers und geftattete ihm unter der Bedingung, fi Berlin nicht 
über zwei Meilen zu nähern, und gegen einen Revers (30. Nov. 
4707), daß er wegen feinet Gefangenfchaft gegen Niemand 
Rache Üben wolle, ſich Kottbus zum Wohnfige zu nehmen und 
aus feinem ihm unrechtmaͤßig vorenthaltenen Vermoͤgen jährlich 
2000 Thaler zu ziehen), Der König erböt ſich fogar, ihm 


1) Sosmar und Klaproth ©. 253 und 379. 

2) Uebrigens war feine Freiheit von der Beit an fo eingeſchraͤnkt, daß 
er weniger einem freien Menſchen als einem Gefangenen, welder feine 
Ketten mit ſich fchleppet und nicht aus dem Geſichte gelaffen wird, gleichet, 
indem er in bem Eleinen Bezirke von Cottbus, als bem einzigen Orte, 
wo er ſich dasf fehen laſſen und fpagieren gehen, verwieſen. So In ber 


Kolb von Wartenberg. ' 74 


einen Theil feiner eingezogenen Güter zuruͤckzugeben, wenn ex 
auf den Übrigen Theil Verzicht leiften wolle, wozu fi Dans 
lelmann bereit erklärte unter der Bedingung, daß feine Uns 
ſchuld öffentlich anerkannt würde, was jedoch Auftand fand '). 
Ef Friedrich Wilhelm I. übte halbe Gerechtigkeit gegen den 
feit ſechzehn Jahren fo behandelten Mann, febte ihn völlig in 
Breipeit und vief ihm nach Berlin in der Hoffnung, von ihm 
wichtige Auffcplüffe über die Finanzen des Staats zu erhalten, 
worin er fich jedoch täufchte, Indem Dankelmann nun alt, ges 
beugt und feit fo vielen Jahren ben Gtaatögefpäften entfrem⸗ 
det war. Die ihm genommenen Güter erhielt ex nicht zurüd. 
Während Friedrich gegen Dankelmann zeigte, daB die ſchwaͤch⸗ 
fen Fürften oft darum am bärtefien find, um nicht ſchwach zu 
—— beweiſt Dankelmanns Beiſpiel, wie gefaͤhrlich fuͤr 
ann auch rechtſchaffenen Unterthanen bie ungewöhnlich hohe 
he — eines ſonſt wohlgeſinnten und guͤtigen, aber uns 

ten Fürſten ift, wenn, gleichviel durch weſſen Schuld, 
Pr überfcpritten wird, welche fchon im buͤrgerlichen Leben 
ten Herm immer vom Diener trennen ſollte. 

Rum nahm ganz unbedingt Kolb von Wartenberg bie erſte 
Stelle am Hofe als Oberkammerhert und in ber Regierung 
und Berwaltung, ald, wie man zu fagen pflegte, Alles ver: 
mögender Guͤnſtling des Kurfürften ein, ohne body in das ges 
heime Rathöcollegium eingeführt und anfänglich fogar ohne 
zum Minifter ernannt zu werben. Er erhielt auffer feinen uͤb⸗ 
rigen Aemtern (1697) bie Aufficht über alle Eurfürftliche Luft: 
häufer, das Protettorat der neuerrichteten Kunſtakademie (1698) 


und bie GeneralötonomiesDirection, wurde (1699) vom Kaifer 


in den Reichögrafenftand erhoben, Oberhauptmann aller Scha⸗ 
tußendmter, Generalerbpoftmeifter, Marſchall von Preuffen 
und (1701) Premierminifter. Won allen biefen Aemtern bezog 
a an Gehalt jährlich, wie man fagt, 100,000 Thaler ') und 


Schriſt Fall und Ungnade u. ſ. w. ©. 14 Bergl. Gosmar und 
Kaproth ©. 381. 


1) Gewöhnlich, werben 120,000 Thir. und mehr angegeben, allein 
die Schrift: Fall und Ungnabe zweier Staats- Winifter, welche gegen 
Rob gerichtet itt, ſpriche ©. 18 mus von: aufs mindefte jährtüch 


72 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤch 


erwarb durch die Gunſt ſeines guͤtigen Herrn ein 

wie man behauptet, von mehreren Millionen. Vorſichtiger als 
der rechtfchaffene Dankelmann und wohl burch deſſen Schickſal 
gewarnt, bewog er ben, man muß es fagen hierin mehr als 
35. Dct.nyr nachgiebigen Kurfuͤrſten mit beffen eigenhänbiger Unters 
1699 frift und unter beffen Giegel, fdmmtlihen Vedörden bes 
kannt zu machen: ba er nicht wolle, daß diejenigen, welche 
ihrer Pflicht mit Treue und Eifer wahrnähmen, durch falfche 
Berichte ind Ungluͤck geftürzt würden, und er durch unzweifel⸗ 
hafte Proben überflffig verfichert fei, daß fein oberſter Kaͤm⸗ 
merer das Befte des Kurfürften und beffen Haufe mit unge 
färbter Treue ſuche, aber unmoͤglich alle ihm obliegenden amts 
lichen Verpflichtungen erfüllen koͤnne, fo folten bei Verſaͤum⸗ 
niffen und Wernachläffigung der Furfürftlichen Intereffen nicht 
er — der Dberfammerhere — fondern bie ihm zugeorbneten 
Subalternen daflır einzuftehen haben; ferner verfprach er bei 
feinem kurfuͤrſtlichen Worte und Glauben, wenn bei bed Obers 
kaͤmmerers Werwaltung ber Domainen und Schatullghter Uns 
richtigkeiten in ben Rechnungen vorfämen, folle doch niemals 
diefer, wenn er auch bie barlıber auögefertigte Verordnung res 
vibirt und contrafignirt, zur Verantwortung gezogen werben, 
ſondern ber Verfaffer der Goncepte. Damit biefe dem Grafen 
Wartenberg, beffen Frau und Kindern im Voraus ertheilte 
immerwährende Decharge befto mehr Werbinblichkeit habe und 
von Jedem beachtet werbe, damit ſich auch unter dem Vor⸗ 
wande, fie fei hinterruͤcks erſchlichen, Keiner unterfichen koͤnne, 
feine eigene Verantwortlichkeit auf den Wartenberg zu werfen, 
fo follte diefe Decharge in allen Collegiis, in denen etwas 
von Kamerals, Schatulls, Dekonomie» und Rechnungsfachen 
vorkomme, bekannt gemacht, und baß es gefchehen vom Director 
jedes Collegiums barauf angemerkt werben '). Schwerlich konnte 
eine Verfügung erdacht werben, welche zugleich. die Schwäche bed 
Herrn und die Macht de Günftlings fo deutlich bekundet hätte. 
Wartenberg, ber, wie es bei ‚Hofleuten gewöhnlich ifk, 


100,000 Zhlem. und von 400,000 Thin. als Werth der Juwelen feiner 
Frau. Vergl. übrigens Gosmar und Klaproth ©. 880 ff. 


1) Die Urkunde in Börfters Beiebrich Wilhelm I. Bo. I. S. 30. 


Roth von Wartenbergs Gunfl. 73 


kein Intereſſe Hatte, als ns auf feine hohen Gtelle zu bes 
baupten, wiberfprach ben Anfichten und Meinungen feines 
Herrn nicht, fehonte feine Schwächen und ſchmeichelte feinen 
Eichlingneigungen, war immer flgfam unb gewandt, daher 
angenehm, bald unentbehrlich, und behielt auch da noch die 
Gunft des Fuͤrſten, als ihn diefer nur zu fpät für den Staat 
von ſich entfernen muffte. War aber früher ſchon der Hof bes 
Kurflrften, wie alle Höfe, der Schauplatz von Schlichen und 
Ränken gewefen, fo übertraf er doch num bald in Kabalen und 
Squrkenſtreichen die übrigen. Die wenigen Männer, welche 
& mit dem Staate wohl meinten, ſchwiegen, da fie nicht a 
fen Eonnten, etwas zu bewirken, und ihre Verſuche, Wars 

a und deſſen Anhang zu. flürzen, fie nur in Gefahr 


ala der Kurfürft zur Befchleunigung ber —X ve 

db geheimen Raths verordnet, daß dieſer fich micht mehr 
wöchentlich, fondern täglich verfammeln folte, vorzüglich wenn 
Hauptpoften anfämen und abgingen, dann aber dennoch (Juli 
1698) fand, daB die Staats, Kriegs⸗ und andere Sachen 
von Wichtigkeit nicht jedesmal fo zeitig fertig wirden, als 
möglid, wäre, fo befahl er, daß bie eingehenden Schreiben 
wicht durch einzelne Räthe, fondern bei ihm durch den Grafen 
Bertenberg und bie geheimen Raͤthe Barfuß, Fuchs und 
Sqhmettau an gewiffen Tagen follten verlefen, uͤber wichtige 
Sachen ein Beſchluß gefafft, bie Übrigen an ben geheimen 
Bath gefchidt werden. Wenn der Kurflict fih auf einem bes 
nachbarten Luftfchloffe aufhielt, folte der von jenen Miniftern, 
welcher fich bei ihm befinde, was in ber Regel mit dem Gras 
fen Wartenberg der Fall war, die zu feiner Abtheilung gehoͤ⸗ 
tigen Sachen an ſich nehmen, die übrigen durchlaufen, begut⸗ 
achten und den übrigen drei Miniftern ſchicken. Wartenberg 
hatte die Hof⸗ und gefammten Finanz⸗, Barfuß bie Kriegs⸗ 
und Fuchs die Staats⸗, Juſtiz⸗ und Lehnsfachen. Schmet⸗ 
tan war vierzehn Jahre hindurch Gefanbter im Haag‘). So 
batte denn Wartenberg nur noch jene beiden Männer einigers 
maßen neben ſich. 


3) Sosmar und Klaproth ©. 226. 


" 74 , Bus V. Erſtes Hauptftäd. 


Nun iſt es aber bei aller offenbaren Schwäche bed. Kurz 
fürften gegen feinen Günftling dennoch merkwürdig, daß bie 
Öffentlichen Angelegenheiten im Ganzen ihren frühern Gang 
gingen und daß fo wenig als früher irgend eine günftig ſchei⸗ 
nende Gelegenheit verfäumt wurde, alte Rechte wahrzunehmen, 
Anſpruͤche zu verwirklichen oder für die Zukunft neu zu bes 
gründen, mit einem Worte, dad Anſehen, die duffere Macht 
und den Glanz des Staates zu behaupten und zu vermehren. 
Es zeigt ſich hier vecht deutlich, wie vorzüglich feit dem großen 
Kurfürften, dad zwar mehr ober weniger kraͤftige aber boch 
amauögefegte Vorwaͤrtsſtreben feiner Nachfolger, man möchte 
faft fagen, unwillkuͤrlich geworden , daß felbft die Schwäche 
fien, bei Übrigens fo offenbaren Weweifen der Erfchlaffung, in . 
biefe Richtung hinein und von ihr fortgeriffen wurden. Das 
iſt es auch, was für den Preuffen in diefer Beziehung einiger 
maßen die Strenge des Urtheild über Friedrich IL, deſſen Hof 

und innere Verwaltung milden muß. Der übrigens fo 
ſchwache Mann hat das vor Allem volle Geflhl der Wichtig⸗ 
keit des aͤuſſern Anfehens, begreift aber doch auch, daß der 
Glanz nicht ganz der Erweiterung wirklicher Macht ermangeln 
dürfe, auf die er fich flügen müffe. Dabei braucht man als 
lerdings nicht in Abrebe zu flellen, daß bie fo verwidelten 
Staatöangelegenheiten während des fpanifchen Exbfolge- und 
bes nordiſchen Kriegs von Dankelmann unftreitig wären mit 
weit richtigerem Blicke aufgefafft, mit weit fefterer Hand und 
in weit wirrbigerer Weife zu einem viel höhern Biele hingelei⸗ 
tet worben und bad Haſchen nach leerem Glanze würde gewiß 
nicht fo ſehr die Oberhand erhalten, ‚vielmehr ein ſtaͤrkeres Ge⸗ 
gengewicht in dem wirklich Nothwendigen und Nüglichen ges 
funden baben, als das unter Wartenberg der Fall war. Dens 
noch wurde, wie gefagt, auch jegt nicht Alles verfäumt. 

As mit Johann II. der legte König von Polen flarb, 
der biefen Zitel noch mit Ehren führte, lag dem Kurfürften, 
wie dem Haufe Defterreih vorzüglich viel daran, jeden franzoͤſi⸗ 
ſchen Bewerber fern zu halten. Defterreich hatte zwar bem Koͤ— 
nige Johann verfprochen, für deffen Alteften Sohn, Sacob, bei 
der Wahl zu wirken, doch war biefer in jeder Beziehung zu 
wenig geeignet, fo daß der Kaifer bald den Kurfürflen von 


Auguft, König vom Polen. Quedlinburg 75 


Gad ſen unterftügte, welcher zur katholiſchen Kirche überging 
und den Iacob Sobiesfi und deffen Anhang durch Gelbvers 
fehungen gewann ’). Wergeblich rief die ftärkere Partei am 
Bahltage den. Prinzen von Conti zum Könige aus, Augufl, 
den bie Gegenpartei gewaͤblt hatte, behauptete ſich gegen Conti, 
weichen Ludwig XIV., befchäftigt mit Worbereitungen zum Bes 
mutung der nahe beoorfichenben ſpaniſchen Thronetledigung, nur 
Mina umterſtutzte. 

Friebrich IH. trug ſeinerſeits viel dazu bei, daß die fräns 
Hihe Partei, welche feine Wermittelung nachgefucht hatte, 
durch Berfonblumgen geſchwaͤcht und dann wenigftend aͤuſſer⸗ 

&d mit Auguſt ausgeſöhnt. wurde”). Diefe Ereigniſſe gaben 
im auch Gelegenheit zu einigen Erwerbungen. Augufi von 
Sachſen, ein ohnehin Höchft prachtliebender und verfehwgnderis 
fh Herr, der num durch die Erlangung der polnifchen K- 
tigsfrone zu moch weit größeren Ausgaben als früher verans 
left und gendthigt wurde, bemuͤhete fich auf alle nur mögliche 
Beife Gelb zu erhalten. Unter Vermittelung eines Juden), 
dem er ımbefchränkte Vollmacht zum Unterhandeln gegeben 
batte,-trat er daher zu Ende bed Jahres 1697 *) drei zwifchen 1697 
Sahfen und dem brandenburgiichen Firſtenthume Halberftabt, 
Äritige Aemter, ferner bie Erbvogtei uͤber das Reichsſtift 
Duchünburg und bie Reichsvogtei und das Schultheißenamt 
der Reichöftabt Norbhaufen an Friedrich III. erb⸗ und eigens 
tzimlich fir 300,000 Thaler, fowie das Amt Peteröberg bei 
Halle fir 40,000 Thaler ab. 

As nun zu Anfange des Jahres 1698 Friedrich II. dies. San. 
Astifin von Quedlinburg, eine geborene Prinzeffin von Sach⸗ 1698 
fm:Beimar, von dem Kaufe, mit welchem fie bereits unter - 
der Hand bekannt geworben, in Kenntniß ‚fette, wiberfprach 


1) ©. meine Beiträge zur Seſchichte Polens und ber Bamilie &os 
Hat in Schloffers und Berhts Archive‘ V. ©. SH. 

9) Zaluski epist, II. p. 406u.487. Theatr. Europ. XV. p. 311. 

I) Sramers Denkwuͤrdigkeiten der Gräfin Aurora von Koͤnigsmark, 
us einem Schreiben ber Gräfin Eöwenpaupt an ihren Gemahl, v. 18. Mai 
197. 8. I. ©. 199. 

4) Der Vertrag bei Dumont VI. p. .. 816; ohne Tag und Drt 

Austellung. 


76 Bud V. Erſtes Hauptftäd. 


fie, fuchte bei ben berzoglich fächfifhen Haͤuſern Schutz und 
wendete fih an ben Kaifer. Zugleich wurde auch ber Verſuch 
gemacht, durch bie Stabt Quedlinburg eine Summe Geldes 
für den König Auguft zu erhalten, um fo den Vertrag mit 
Brandenburg rüdgängig. zu machen; endlich wurden fremde 
Zruppen erwartet. Friedrich IL, der die Kauffumme bereits 
bezahlt und ſolche Hinberniffe nicht erwärtet hatte, auch bes 
forgen mußte, auf biefe Weiſe in einen Iangausfehenden Pro: 
ceß verwidelt zu werden, ohne je zum Biele zu gelangen, ließ 
, fogleih zwei Compagnien unter bem Oberften Doͤhnhof nach 
2 Sys uedlinburg marfchieren. Am frühen Morgen erfchien ein 
698 piafender Poftillon am Depringer Thore; als das von der Blir- 
gerwache arglos geöffnet wurde, drangen bie Brandenburger 

ein, ruͤckten auf den Markt und befegten bie Thore neben ber 
Buͤrgerwache. Der Magiftrat quartierte die Solbaten gegen 

das Verbot der Aebtiſſin ein, welche fogleih die Einwohner 

‚ber Vorftäbte aufbieten, von ihnen das Schloß und die Thore 

der, Vorftädte befegen und das Archiv verfiegeln lieg. Gegen 

den Kurfürſten protefliste fie und befchwerte fich über ben ge: 
waltfamen Ueberfal. Diefer erflärte, die Rechte des Stifte 
felgen, ſich aber auch bei feinem erworbenen Rechte gegen bie 

ihm von ber Aebtiſſin erregten Hinderniffe behaupten zu wol= 

len. Selbft König Auguft war anfänglic über ein fo durchs 
greifendes Verfahren unzufrieben. Friedrich 1. entſchuldigte 

fi damit, daß er erfahren, ein ſaͤchſiſches Haus (nämlich 
Weimar) habe Quedlinburg befegen wollen, bem er fo zuvor= 
gekommen. Doc ließ er auf Verlangen des Königs, um ben 
Schein der Gewalt zu vermeiden, die Stadt räumen, welche 

ihm darauf am folgenden Tage. von Seiten Kurſachſens feier⸗ 

lich übergeben wurbe. Die Proteflation der Aebtiffin wurbe 

nicht angenommen, worauf biefe das Kirchengebet für das 

Haus Brandenburg verweigerte und, wie früher, für das 

Kurs und fünftlihe Haus Sachen beten ließ. Ale Bemühun- 

gen Friedrichs III., den Widerſpruch der Aebtiffin, die nach 
Weimar gegangen war, burch grimbliche Darlegung des Sach⸗ 
verhältniffes und andermeitige Vorſtellungen zu eigen, was 

6. Sept.ren vergebens; fie blieb bei ihrer Proteftation. So ließ er 
1698 denn durch Bevollmaͤchtigte bie Erbhuldigung von der Stadt 


Quedlinburg. " 71 


ännehmen, und als bie Stifts⸗-Geiſtlichen und Beamteten fie 
vderweigerten, wurden fie noch vor dem Ablaufe bed Monats 
durch Suspenſion vom Amte und militairiſche Grecution in 
isren Häufern dazu gezwungen, jedoch ohne daß dann noch 
weitere Strafen — worden wären. 

Viele Streitigkeiten uͤber Patronats⸗, Beſteuerungs⸗ und 
andere Rechte Brandenburgs, als nunmehrigen Exbvogts, mit 
der Aebtiſſin ließen zwifhen Beiden kein gutes Wernehmen 
auflommen, weil bie Aebtiffin ben Unterſchied ber Iandeshos 
heitlichen Erboogtei und Erbſchutz⸗Herrſchaft, welche Kur 
fahfen, als Stifter ber Abtei, in Anfprud nahm, und der 
Stiſtsbogtei, welche Sachſen als Lehn vom Stifte trug, nicht 
anrlennen wollte. Indeſſen waren bie Zeiten für die landes⸗ 
bekeitliche Gewalt ber von gelehrten Juriften unb ruͤckſichtslo⸗ 
fen Kriegsleuten unterflügten Zürften zu guͤnſtig, als daß ihnen 
bitte mit Erfolg durch —— Proteſtationen und Deductionen 

werden innen 

Ein fo nachdruͤckliches Gefahren, wie ed $riebrih DL 
vorzüglich in Nachahmung feines Waters anmwenbete, wurdeben 
ambenhungifhen Fürften gleichſam zur Gewohnheit, es war 


don dort, wenn jemald, boch ficher erfi nach langer Zeit zu 
halten nur hoffen Tonnte, eben ein Rechtsſpruch fein würde, 
indem auch bort oft gang andere Intereffen als bie ber Ges 
vorherrfchten. Uebrigens darf man wohl mit Sichers 
beit annehmen, baß in bei weiten ben meiften Fällen bie Für 
fen ſelbſt von ihrem Medhte überzeugt waren; fo entfprach es 


1) Am vollftändigften findet man bie ſtreitigen Gegenſtaͤnde ausge 
fihet in einer 118 Geiten in Jollo ſtarken Cchrift des kurbrandenburgiſchen 
Imzalts vom 13. Febr. 1700, und ber 71 Seiten ſtarken branbenburs 
Sihen Gegenvorftellung vom 3. 1701. Den gefammten Vorgang erzaͤhlt 
@n zuverläffigften Frĩt ſch in feiner Geſchichte des vormaligen Reichs: 
fie und de Brabt Ductasurg, Dmeblinburg 1828, IH. 2. Bieics 

Theatr, Europ. XV. p. 411 und 557. XVI. 2. p. 247. 


78 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤck 


denn ganz ihrer Sage, eher zuzugreifen und basım zu proceffi> 
ven, als umgefehrt zu verfahren, obgleich befonders Fiesris 
gern gewaltfame Maßregeln vermieb und fie nur dann eintues 
ten ließ, wenn ex Fein Mittel zu finden glaubte, aufferbem zu 
feinem guten Rechte zu gelangen. War man erft im Beſitze, 
fo dehnte ſich freilich das Mecht des Zürften Leicht ans, weil - 
es dieſem doch fehr unbillig fcheinen mochte, daß neue Erwer⸗ 
bungen mehr Vorrechte ald bie alten Stammländer haben foi 
ten und weil es natlrli war, daß dieſelben Regierungs= und 
Verweltungsnormen, welche in diefen herkoͤmmlich galten ober 
eingeführt wurben, fih auch auf bie neuen Erwerbungen 
verbreiteten. 


Auch über das zugleich mit ber queblinburger 
erkaufte Schultheißenamt in ber Reichsſtadt Norbhaufen ents 
\ fand daher nach einiger Zeit Streit. AUS Friedrich Nachricht 


7. Bebr..fchen Schuß geben wollten, ließ er in aller Stile einige Bas 
1703 gaillone aud Magdeburg und Quedlinburg vor TageSanbruch 

in die Stadt rien, die Buͤrgerſchaft entwaffnen, dem Magi⸗ 
firate die Schlüffel nehmen, Rathömitglieder feffegen und die 
Aruppen bei ben Bürgern einquartieren, jedoch mit ber Ver⸗ 
fiherung, die. Reichöunmittelbarkeit der Stadt nicht beeinträch- 
tigen zu wollen. Der Kaifer fand das, wie man fi) bamals 

noch misbiligend ausdrückte, „geihwinde Verfahren” bed Kur⸗ 
fürften übel, befahl die Soldaten abzuführen und ben Weg 
Rechtens einzufchlagen. Das fehien Zriebrich II. ſehr weit 
außfehend, weshalb er darauf nicht einging, dagegen bie Stabt- 
mauern auöbeffern Heß und dem Magiſtrate erklärte, nichts 
gegen beffen Privilegien thun, aber auch nicht zugeben zu wols 
Ion, daß hier eine Komödie wie mit Hildesheim gefpielt werde, 
wo bei ben Streitigkeiten der Buͤrgerſchaft mit dem Biſchofe 
das Haus Braunſchweig⸗ Luͤneburg die Schutzherrſchaft erwors - 
ben und bie Stabt mit Truppen befegt hatte, Indeſſen wurde 
auf Bermittelung der Nachbarn vertragen, daß nur zwei Com⸗ 
pagnien Brandenburger in der Stadt bleiben folten, und auch 
diefe verfprach der Kurfürft abzuführen, fobald Braunſchweig 
feine Truppen aus dem Limeburgifcen zurückziehen und Han⸗ 
nover erklaͤren volrbe, nichts gegen Norbhaufen unternehmen 


Norbhaufen. Eibing. 709 


n wolln · Als im Jahr 1710 Hildelsheim hanndͤverſche 
—* einnahm, ließ Friedrich in Nordhauſen die Beſatzung 
vertaͤrken und, als die Einwohner ſich widerſetzten, noch zwei 
Bataillone einlegen ?). 
. Augufis Thronbefteigung gab dem Kurfürften Sriebrich AU. 

auch Beranlaffung, die ihm von feinem Water uͤberkommenen 
Rechte auf Elbing geltend zu machen. Man wird ſich erins 
nem, auf welche Weife die Schweden und Polen den großen 
Kurflrflen um den ihm durch den welauer und bromberger 
Vertrag ald Pfand zum Betrage von 400,000 Thalern zuges 


nenert. Bevollmaͤchtigte beider Theile ſollten binnen ſechs Mo⸗ 

naten zuſammentreten, indeſſen vergingen acht Jahre, ohne 

daß es geſchah, denn ber König Johann II. wies dieſe ges 
biffige Sache von fich ab an den Meichtag und ber Reichstag 

a den König. So lange Iohann TIL Tebte, war an eine 
Ausgleihung nicht zu denken, wohl aber eis Auguft von 
Sachſen gewählt worben war, der mit Friedrich I. in freund⸗ 
ſdaftlichem Bernehmen ftand. WBahrfcheinlich verabrebeten beibe Jun 
dFirſten auf einer mit vieler Pracht in Preuſſen veranftalteten 1698 
Jagd die zus ergreifenden Maßregeln®). "Nachdem bie Genes 

tale Barfuß und Brand, unſtreitig um den Zuſtand der Stabt 

in erſorſchen, ſich öffentlich nad Eibing begeben hatten und 
freundlich vom Magiſtrate empfangen worben waren, erhielt 

der General Brand den Befehl, ſich derſelben durch Neberrums 

peling zu bemächtigen, doch fo viel als irgend möglich Bluts 
dersieflen zu vermeiden‘). Brand näherte ſich in ber Rad Yı DO. 
mit 800 Mann Fußvolk und 300 Dragonern ber Stadt, 1698 
in welcher Tags zuvor einige ımb zwanzig branbenburgifche 
Dffiiere Hatten Meiterftiefeln anfertigen und auf einen Wa . 
gm laden laſſen, welcher bereits des Morgens um brei 


1) Lamberty I. 427. XII. 520. 

9 Buchholz IV. S. 810." 

3) Theatr, Europ. XV. p. 407. Daß man daB damals grandte 
beugt Lamberty T. L-p. 95. 

4) Dohna:p. 205. 


s 


80 Bud V. Erſtes Hauptſtuͤc. 


Upr beſpannt auf dem Markte ſtand, beim Fahren aus ber 
Stabt auf der Zugbruͤcke ſtehen bleiben, deren Aufziehen wehren 
und den Brändenburgern das Eindringen moͤglich machen. folte. 
Allein der Präfident der Stadt, Ramfay, hatte Nachricht von 
dem Anmarfche der Brandenburger erhalten, die Schlagbäume 
in der Vorflabt befegen laſſen und gab erft um ſechs Upr bie 
14. Det. Erlaubniß zur Eröffnung des Thors. Als baher Brand feinen 
1698 Anſchlag entdect fah, ruͤckte er offen. gegen die Stabt und 
zeigte ihr an, er habe Befehl fie als Hypothe bis zur Erler 

gung des Pfandfcillings in Befig zu nehmen. R 
Die Stadt proteflirte gegen bie Beſetzung und Zahlung, 
ſchickte Abgeorbnete an ben Kurfürften und bat um Friſt, 
während ber umentfchloffene Brand, um kein Blut zu vers 
gieflen, ſich etwas zuruͤck und nad und nad bis auf 4000 
Mann Verſtaͤrkungen an ſich zog. Zugleich wenbeten. fich 
die Elbinger an ben polnifhen Hof, an bie Großen, an 
die Städte Danzig und Thom um Hülfe, -bocp ohne Erfolg, 
Verwendungen bei Friedrich II. waren vergeblich, weil biefer 
fich auf fein klares Mecht berief und das in einer ausführlichen 
Audeinanderfegung dem Könige von Polen barlegte'). Die 
Stadt febte ſich unterdeſſen thätig in Vertheidigungsſtand, der 
Woiwode von Kulm Iud bie (polniſch) preuſſiſchen Landraͤthe 
24. Det. nach Graudenz zum Landtage, ald Brand von Neuem vor bie 
1689 Stadt rüdte und fie auffoberte, fi zu ergeben,’ boch aber 
mals acht Tage Frift (bis zum 3. November) gab, weil feine 
Belagerungbanſtalten noch nicht vollendet waren. König Aus 
guft, der etwas für bie öffentliche Meinung in Polen thun 
mußte, obgleich er ohne Zweifel unter der Hand völlig einvers 
fanden mit Friedrich TIL war, ermahnte bie Elbinger in einem 
30. Det. Schreiben, fid) tapfer zu vertheibigen, den Tod der Knecht⸗ 
‚1698 [daft vorzuziehen, und verſprach ‚Hüilfe, ſchickte fie aber nicht. 
3. Rov. Die Stadt ſchlug nochmals die Ergebung ab, erhielt noch auf 
drei Zage Friſt, während deren ein abermaliger Verſuch, fie 
. Rov.in der Nacht zu überrumpeln, buch die Wachſamkeit ber Bes 
fagung mislang. Einige Musketen⸗ und Kanonenkugeln wurden 
gewechfelt, einiges Blut flog. Als nun bie Mittel zum 


1) Theatre. Europ, XV. p. “or. 


Elbing. 81 


Bombarbenent und zur Bereitung glühenber Kugeln ankamen, 
baiger Entſatz ja nur Unterfikgung nicht zu boffen war, mahın 


* folgende Tage an, die Brandenburger ruͤckten ein, dje Abs 1698 
mahnung des Kaiſers kam zu ſpaͤt. Der Kurfuͤrſt verſprach, 
alle Privilegien, Rechte und Freiheiten der Stadt aufrecht zu 
erhalten, fie ruͤckfichtlich der Gapitulation zu fchligen, ihre Wers 
theibigung auf feine Koften zu übernehmen und fie nur 
als Unterpfand, bis ihm bie Pfandfumme bezahlt fei, zu 
behalten. 


at Habe bie Sefehrung num au oft ara, baß bes 
gleichen Pfandfchaften aus allerlei Rechtögrimben und manches 

li Vorwanden in ben dauernden Befitz des Inhabers Iberges 
gangen warenz hier durfte baffelbe um fo eher befürchtet wer⸗ 
den, als bei dem damaligen Zuftande Polens nicht vorauszu⸗ 
ſchen war, wann bie feit dem Jahre 1657 fchulbige Pfand» 
funme an Brandenburg werbe entrichtet werben koͤnnen, 
es mochte immer fraglich bleiben, ob nicht felbft dann 


tung der föntbigen Summe erhoben hatte. pol kam J 
Erinnerung an bie für Polen fo deminbigenden Umflände, uns 
tee denm ber große Kurfürft, der ehemalige Wafal Polens, 
den Abſchluß der —S von Welau und Bromberg dur» 
wiegt hatte, was bie ganze Angelegenheit noch: gehäffiger 
machte. Man kann ſich daher nicht wundern, baß bie Aufrer 
gung in Polen fehr groß war, als bie Nachricht von der 
lebergabe Elbings ankam. Der König hatte ſchon vorher bie 


She Refibent in Warſchau erhielt Befehl, fih wegzubegeben) 
Der Kurfürft beantwortete die ihm in dem Erlaſſe ge: 22. Rov 
machten Vorwuͤrfe, behauptete, fie flammten von  finen Fein: 1698 
Stengel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. M., 





82 Bud V. Erſtes Hauptftäd. 


den ber, welche ihn mit Polen in Krieg verwideln wollten, 
lehnte den ihm gemachten Vorwurf, den Krieg begonnen zu 
haben ab und ertiärte, Elbing nach erhaltener Zahlung ber 
Pfandſumme fofort räumen zu wollen. Won beiden Theilen 
"wurde indeffen die Wermittelung bes Kaiſers angenommen, 
welchen fehr viel daran lag, daß, während ber bevorfichens 
den Erledigung des ſpaniſchen Xhrons, kein Krieg im Nor 
je ausbraͤche, ber befonders Brandenburg hätte beunruhigen 


en. 
Bei ben Verhandlungen waren die Polen ber Meinung, 
bie Rechte Brandenburgs wären ber Republik unrechtmäßig von 
deren Vaſallen abgebrungen worben, ber fic) mit beren Feinden 
verbunden und nicht zur Belohnung Elbing fodern dürfe, da er 
zur Strafe ganz Preuffen zu verlieren verdient habe. Nur 
darum habe er fo lange gefchwiegen, weil ee wohl gewußt, 
wie er zu der Hypothek gelommen. Durd die Souverainetät 
über Preuffen, durch Lauenburg und Bütow als Lehn und 
Draheim als Hypothek fei er übermäßig belohnt. Dann wurs 
den ale Vorwürfe, Beſchwerden und Foderungen feit vielen 
Jahren her von ber Entführung Kalkſteins an gegen Brans 
denburg vorgebradt, aud daß Preuffen vom Kurfürften ges 
gen befien Privilegien zu hoch befleuert werde, daß er dem 
"Baar von Moflau den Titel eines Großfürften von Lithauen 
gegeben, daß ein Graf Schlieben habe 30,000 Thaler Strafe 
entrichten müffen, weil er feine Tochter habe vom Bifchofe vom 
Kiero taufen laſſen und bergleichen mehr. Auf alle diefe un» 
weſentlichen Einwuͤrfe lieſſen fich jedoch bes Kurfürften Bevoll⸗ 
maͤchtigte kluger Weiſe gar nicht ein, ſondern erklärten kurz⸗ 
weg: fie wären nicht beauftragt zu disputiren, ſondern bie 
Schuld einzufodern. Endlich, weil die Polen ſich durchaus 
zu nicht mehr ald 300,000 Thalern verfteben wollten, lieffen 
auch fie von ber ganzen Summe 100,000 Thaler fallen, wozu 
12. Dec. ſich ſchon der große Kurfuͤrſt bereit erfidrt hatte‘), und ſchloſ⸗ 
1699 fen einen Vertrag ab, welchen der Kurfuͤrſt genehmigte und 

bei bem Drängen des Polen bald darauf noch Abends bei 
1.nn Badelfchein die Stadt räumen ließ. Polen verpflichtete fich, 


- 1) Zeiuukf gpiet. T. IL 9. 888 |. 


Eibing. 8 


dem Kurflirften drei Monate nach gehaltenem nächften Reiches 
tage 300,000 Thaler zu zahlen, wofuͤr es ihm unterdeffen bie 
moflowitifche Krone und einige andere Kleinodien des Krons 
ſchatzes als Pfand auslieferte. Wenn die Zahlungsfriſt nicht 
dingehalten werde würde, ſollte der Kurfürſt das Recht haben, 
bis dahin bad Gebiet von Eibing einzunehmen '). 

Die Stadt follte ihre Privilegien verlieren, erhielt indeſ⸗ 
fen nur einen firengen Verweis wegen der Gapitulation und 
muffte ungeachtet fie ihr Verfahren vertheidigte, nun im Frie⸗ 
den 330 Mann und im Kriege 2000 Mann Befagung unters 
halten und noch 3000 Ducaten an Gefchenken für die Großen 
aufwenden ). 

Bald nachher kam ed noch zu unangenehmeren Verwicke⸗ 
lungen wegen Elbings. Denn als Polen, wie vorauszufehen 
mar, die Pfandſumme nicht zahlte, wollte Friedrich dem Ver⸗ 
trage gemäß das elbingifhe Gebiet befegen und ließ ſich nur 1702 
durch dringende Borftellungen des Primas zurüdhalten, wels 
der bie Zahlung verſprach, aber auch nicht Leiflete. Als der 
ſchwediſche Krieg ausbrach, bot Friedrich der Stadt zu bes 
m Verteidigung 300 bid 400 Mann Befagung an, doch 
lchnte fie dad abi, und ald daher die Schweden näher rüds 
ten, ließ Friedrich mit 1200 Mann das ihm verficherte eis 
bingiſche Gebiet und fogar die Worftädte beſetzen, worauf aus 
der Stabt mit Kanonen gefeuert wurde. Als fih im J. 1703 
die Schweden der Stabt bemächtigt hatten und eine ſchwere 
Sontribution auflegten, lieh iht Friedrich 20,000 Thaler ohne 
infen und 50,000 Thaler zu ſechs Procent auf acht Jahre 
und blieb im Beſitze des Geblets von Elbing wie feine Nach⸗ 
figer. Es kam nie an Polen zuräd’). 

Aufferdem kaufte Friedrich IM. (1699) von dem Sürften 


1) Lengnich Preuffen unter Auguſt I. Codex diplom. Polon. 
T. IV. p. 514, and) in Zaluski epist. T. IT, p. 893. Auguft ratis 
fiirte bie Urt. am 9. Januar; aud) bei Dumont VIL 2. p. 474 


2%) Lamberty L p. 95. Theatr. Europ. XV. p. 786. 
3) Diefe Vorgänge insgefammt hat mit Wenugung der hierher dehd · 


Di Dacia Ey ausführlicften beſchrieben Fuchs in feiner Geſchichte 
Wings 29. m. 2. ©. 37 7. 
6 


8 Buch V. Erſtes Haupeftäd. 


von Schwarzburg⸗ Sondershauſen bad Amt Dietenborn im 
Harze und zog die aus den Aemtern Lohra und Kiettenberg, 
drei Städten, einem Flecken, zwei Kloͤſtern, einundfunfig 
Kitterfigen, fünfundviergig Amis⸗ und vierzehn Adelsdör⸗ 
fern beftehende zum Furſtenthume Halberſtadt gehörige Graf⸗ 
fhaft Hohenftein ein. Diefe hatte Graf Iohann von Witte 
genftein, ber brandenburgifche Principalgefandte bei den weſt ⸗ 
fälifchen Friedensverhandlungen (und Water von achtzehn Kins 
dern) von dem Kurfürften Friedrich Wilhelm, welcher mit dem 
Umfange berfelben nicht bekannt war, als Lehn erfchlichen, 
dann (1651) als Pfand zum Betrage von 150,000 Thalern 
erhalten. Rach dem Tode bed Grafen Johann wollte der 
große Kurfürft die Grafſchaft von deſſen Sohne Guſtav ablös 
fen, was biefer hintertrieb, worauf Friedrich Wilpelm (1664) 
* förmlich erklaͤrte, Graf Johann babe ihn hintergangen, und 
feinen Söhnen im Teftamente und einem eigens deshalb nies 
dergelegten Aufſatze empfahl, fich Durch bie erſchlichene Goncefs 
fion dereinft von der Einziehung der Graffchaft nicht abhalten 
zu laffen. Indeſſen bewog Kurfürft Friebrich III. erft im 
3. 1688 ben Grafen Guſtav und beffen aͤlteſten Sohn gegen 
fehr 'anfehnliche ihnen bewilligte Vortheile auf die Abtretung 
det Graffchaft einzugehen, was aber Auguft, der zweite Sohn 
des Guſtav ruckgaͤngig machte und ein kaiſerliches Mandat 
erwirkte, welches feinen Vater für einen Verſchwender erflärte 
und ihm einen Vormund anorbnete. Als fi indeſſen Graf 
Auguft nun in den Beſitz der Grafſchaft fegen wollte, 
Fam ihm der Kurfürft zuvor umb zog fie ein. Später ins 
deffen fpielte Graf Auguſt am berliner Hofe nod eine 
ße Role und wuſſte fich hinlaͤngliche Entf&äbigung zu 
erwirken '). 

So war denn in biefer erflen Periode der Regierung 
Friedrichs III., ungeachtet des Wechſels feiner Gimſtlinge, in 
allen Beriehungen zu den auswärtigen Mächten die achtung⸗ 
gebietende Stellung, welche der große Vater errungen, behauptet 


1) Theatr. Europ. XV. p. 555, wohl aus dem Gchreiben des Kur⸗ 
fürften Friedrich Wilhelm an ben Kaiſer, welches auch im I. 1699 gedruckt 
erſchien. ©. auch Buchholz, Ih. IV. S. 285. 


Bohenſtein. 8 


und auch im Innern auf dem eingefchlagenen Wege mit 
Erfolg fortgefhritten und das Anfehen des Zürften in jeder 
Rüdficht wirkfam erhöhet worden. Jetzt aber wurden bie euros 
paͤiſchen Verhaͤltniſſe viel verwidelter ald bisher, fie erfoberten 
einen fcharfen Blick und eine fihere und kraͤftige Hand, um 
aus den. Umftänden alle möglichen Wortheile für das Empor 
Eommen des noch fo jungen und für feine hohe Beftimmung 
ſchwachen Staats zu ziehen. Friedrich II. griff, feiner Neis 
gung und ber Schwäche feines Charakters gemäß, nad dem 
Ganze — dem Scheine — und doch förderte er auch fo noch 
das Auffiveben feines Reiche. 


Zweites Hauptftüd. 


Bon ber Erwerbung ber Königäkrone bis zum Tode 
König Friedrichs I. (1701—1713.) 


Bei der Richtung nach einer ſchimmernden Auffenfeite, 
welche die Reigung Friedrichs I. ſchon früh genommen hatte, 
war ed, man kann faft fagen, bad Biel feines Lebens, die Eds 
nigliche. Würde zu erhalten und dann glänzend zu behaupten. 
Darin vereinigten fih wie in einem Mittelpuncte alle Wins 
ſche des Kurfürften und die Koͤnigskrone bezeichnete eben fo 
den Gharacter ber Beſtrebungen feiner männlichen Jahre, 
wie der ordre de la generositö feine Jugendneigungen auds 
drüdte. 

Die Behauptung, daß Ludwig XIV. fchon dem großen 
Kınfürften gerathen, fi vom Reihe unabhängig zu machen 
und bie Königöfrone anzunehmen, ſcheint nicht unbegründet " 
su ve ’), da es im franzoͤſiſchen Intereſſe lag, Deſterreich einen 

Eugen Schreiben v. 10. Bebr. 1701. an ben Brafen Kaunig (Werte L 
e.: Dan muß ſich immer erinnern, daß der König (Friedrich L). 
ſich jeßt die Krone aufgefegt, wozu Trankreich immerhin ſchon feinem. 


86 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


Nebenbubler zu erwecken, ber fi) nothwendig hätte an Frank⸗ 
weich halten müffen. Doc Eonnte bei Friebrich Wilpelms 
ſpaͤterer Trennung von Ludwig XIV. und feiner Hinnei⸗ 
gung zu Defterreich nicht daran gedacht worden, das aus⸗ 
auführen. 

Man erzählte fich dann, der große Kurfürft Habe auf dem 
Todtenbette feinem Sohne die Erhebung Preuffens zum Koͤ⸗ 
nigreihe angerathen, ferner hätten bie Erwerbung ber Kurs 
würde durch das Haus Braunfchweig '), dann die Selangung 
Wilhelms von Dranien auf den englifhen Thron, daß ihm 
dieſer bei einer Zufammenkunft im Haag (1695) feinen Arm 
feffel hinſtellen laſſen, endüich bie Erwählung Augufls zum 
Könige von Polen Friedrich ML Veranlaſſung und Anreizuns 
gen gegeben, die koͤnigliche Würde zu erwerben. Es wird auch 
angeführt, daß bei Gelegenheit des Rangſtreites zwifhen ber " 
Republik Venedig und dem Kurfürften während der Friedens⸗ 
verhandlungen zu Ryswik (1697) die Holländer gegen Fried⸗ 
sich III. geäußert hätten, wenn er ald ihr mächtiger und wes 
gen der Nachbarfchaft ihnen fo nothwenbiger Freund ruͤckſicht⸗ 
lich Preuffens den Königlichen Titel annähme, fo werbe der 
Rangftreit mit ber Republik fogleich beendigt fein”). Ale dieſe 
Umftände mögen den Kurfürften theils mit veranlafft, theils 
darin beftärft haben, feine Bemühungen um die Koͤnigskrone 
unabläffig zu erneuern, allein fie legten figer nicht ben erſten 
Grund dazu. 

Friedrich III, hatte den Ruhm feines großen Waters vor 
fi. Bon diefem war der Hauptanftog und die Richtung zum 

Vorwaͤrtsſtreben des Haufe Hohenzollern gegeben, der Grund 


‚Heren Water ben Vorſchlag gemacht. Vergl. oben Banb II. der Preuffifch. 
Geſchichte, &. 413, Anmerk. 2. Gugen war unzufrieden bamit und miss 
a Seen Dream und wollte, daß man mit Friedrich J. behutſam 
um 2 


1) Wagner vita Leopoldi T. IL. p.628. Die Eiferſucht zwiſchen 
beiden Käufern war noch im I. 1690 aufferorbentlich groß. S. d. merk⸗ 
würbigen Inftructionen Xleranders von Dohna an ben ſchwediſchen Hof 

* bei Pufendorf II. 5. 58. Seitdem wohl nur ;ehvas gemildert. 
Bergl. Buchholz IV. ©. 236. 


2) Joh. Peter Ludwig, opusc,'miscell. T. L prae£. p. 14. 


Die Königetrone. Urſachen. 87 


zu dem neuen Gebaͤude gelegt worden. Der Sohn hatte das 
gange Gefühl der Bebeutung feiner Stellung fein Ehrgeiz trieb 
ihn an, nicht hinter dem Vater zurückzubleiben. Um ed diefem 
gleichthun zu koͤnnen, mangelten ihm jedoch Kraft, Ausdauer 
und felbft jene freilich fehr zweideutigen Eigenſchaften ber 
Männer, welche in ber Wahl der Mittel zur Erreichung ihres 
Zwecs nicht ſchwanken, enblich begünftigten ihn die Staates 
verhältmiffe feiner Zeit nicht ganz fo wie feinen Water, er 
tote nicht wohl auf anfehnliche Länbererwerbungen wie biefer 
hoffen, obgleich er, wie wir gefehen haben und weiter finden 
werden, diefe nicht aus ben Augen verlor, Konnte er alfo 
feinem Vater nicht im Weſentlichen als Staatsmann und 
Krieger gleichen, fo ſchien es dagegen möglich, ihn durch den 
Glanz einer erworbenen Krone wo nicht zu übertreffen, doch 
wenigſtens zu überfizahlen. Der Gedanke war, wie gefagt, 
bereits frlher geweckt worben, der Königstitel fagte Friedrichs 
großer Eitelkeit aufferorbentlich zu, brachte ihn aber auch in 
Beziehung zur Republik Polen dufferlih in eine andere Stels 
lung, als die eines Herzogs war, welche unmittelbar an bie 
chemalige nun um fo weniger je wieber berzuftellende Vaſal⸗ 
Imfcpaft erinnerte, erhob ihn über feine bisherigen Standess 
genoffen im Reiche und gab ihm ald König, dem roͤmiſchen 
Kaifer und dem Reiche gegenüber, ein anderes Verhaͤltniß 

weil ſich häufig nicht unterſcheiden ließ, was er ald Kurfürft 
und was er als König gethan, vereinigte nun unter einem 
gemeinfamern Namen alle Erwerbungen des Haufes, alle Uns 
terthanen als Preuffen, brach für ihn und feine Nachfolger 
geoiflermaßen die Brüde für jeden mögliben Ruͤcſchritt ab 
mb trieb unabläffig vorwärts '). Er ſchien zu feinen Nach⸗ 
felgen zu fagen: „ich habe euch einen Titel erworben, macht 


1) Der preuſſiſche Geſandte Schmettau erwieberte bem Kölner Gapktel, 
ds biefes die Herausgabe der von den Preuffen eroberten Feſte Speinberg 
verlangte: fein, Herr bebürfe als König mehr atethanen als fer 
Lamberty V. p. 52, Daher meint Eugen in bem eben angefhihrten 
Gäreiben vom 10. Februar 73. man möüffe behutſam mit Briebrih L 
umgehen. Hier fid) einmal die Wergrößerung feiner Staaten in ben Kopf 





88 Bud) V. Zweites Hauptftäd. 


euch beffen wuͤrdig, ich habe den Grund zu eurer Größe ges 
legt, vollendet daB Berk!‘ ') 

Wir wiffen nicht genau, wann die erften beftimmten 
Entwürfe zur Erlangung ber —EX bei Friedrich IL 
ausgebildet hatten 'und wann bie erfien Schritte, um fie zu 
erreichen, gethan wurben. Schon im Mai bes Jahres 1690 
verbreitete ſich in Polen das Gerlcht, der Kurfürſt firebe nach 
der Krone ?). Es ift auch kaum zu bezweifeln, daß ſchon 
von dieſer Zeit an, ei ungewöhnlich geheim, Baclber 
verhandelt wurde. Weil nach ber damals roͤ⸗ 
miſchen Reiche noch geltenden Anfiht nur ber roͤmiſche — 
das Recht hatte, die —8 Würde zu ertheilen, fo lag Fried⸗ 
rich IIL., der, wie wir gefehen haben, fon als Kurprinz bem 
Kaifer ergeben war, Alles daran, diefen baflır zu gewinnen. Uns 
flreitig, wenigftend zum Theile ſchon daher, feit dem Anfange 
feiner Regierung das fefle Halten an dem’ Kaifer, daher bie 
kraͤftige biefem gegen Frankreich geleiftete Unterflügung, daher 
endlich noch die wenn auch zögernde Nachgiebigkeit bei ber 
Herausgabe des Schwiebufer Kreifes. 

Die erften Unterhandlungen wurden bis zum Jahre 1695 
hoͤchſt geheim von Eberhard von Dankelmann geleitet und 
Bio wahrſcheinlich wuffte auffer dem Kurfürften nur biefer 

und vielleicht fein Bruder in Wien etwas davon. Dann trat 
wegen ber mecklenburg⸗ Aare Angelegenheit eine Spans - 
nung mit bem Kaifer ein, welche erſt nach Dankelmanns Falle 
aud durch Friedrichs IIL Nachgiebigkeit — beigelegt wurde. 
Jet, allerbings wohl mit veranlafft durch bie Erwählung des 
Zriedrich DIL befreundeten Auguft von Sachſen zum Könige 
von Polen, wurde der frühere Entwurf wieber aufgenommen, 
ber Rath Bartholdi als Geſandter nach Wien gefchickt und 
die Angelegenheit lebhaft, doch auch wieder fo geheim betries 
ben, baß wahrfcheinlich auffer Kolb von Wartenberg Feiner ber 

brandenburgiſchen Miniftee irgend etwas davon wuflte. Un- 

1) Worte Friedricht des Großen in ben Mämoires pour servir & 
Thist. de Brandenbourg. . 
vs 9 Zaluekt epbt T. LP. 119. Budhols IV. ©. 28 eiit 

2 ’ agners allgemeine Angabe ſtimmen 
würde. Yita Leop. T. IL > 628. dba 


Die Königstrone. Unterhandlungen. — Vota. 89 


freitig wurde König Auguft von Polen für den Entwurf ges 

wonnen und das mag beffen Beichtvater, dem Sefuiten Vota 

Due gegeben haben, eine Denkfchrift darüber abzu⸗ 
) 


Vota war ein Mann von audgezeichneten Talenten, Men: 
ſchenkenntniß und Gewanbtheit, zugleich eitel genug, diefe Ei⸗ 
genſchaften gern geltend zu machen, was am beften bei Unters 
banblungen gefchehen Tonnte, deren Durchführung er dann als 
Ehrenſache betrachtete und fie um fo eifriger betrieb. König 
Johann IIL Sobieffi Hatte ihm die Erziehung feiner Söhne 
übergeben und ihn ſchon feit dem Jahre 1685 zu wichtigen 
geheimen Staatsſendungen gebraucht, fo daß er ſich bald in 
Barfhau, bald im Lager am Ufer des Dniefter, in Rom und 
Neapel oder in Wien befand. Es ift wohl möglich, daß er 
auch Berlin befucht hatte; ficher waren ihm die innern Ver⸗ 
haltniffe des kurfuͤrſtlichen Hauſes und Hofs befannt genug. 
Bota fehte in einer Denkfchriſt bie Vortheile auseinander, 
melde die Annahme der Königäwirde für driedrich DIL haben 
würde. Der Zweck biefer Denkfchrift · ſcheint erſtens darin bes 
Kanden zu haben, den Kurfinften zu veranlaffen, nicht den 
Zitel eines Königs von Preuflen, was wie ſich vorausfehen ließ 
in Polen lebhaften Widerfpruc finden und auch ben König 
Anguft verhafft machen würde, ſondern ben eines Königs ber 
Bandalen ober der Wenden zu wählen, vielleicht auch weil 
das einen Bwiefpalt mit den evangelifcpen Reichen Schweben 
und Dänemark hätte herbeiführen und dadurch bie im Norben 
eatſtehende brandenburgifche Macht fogleich iſoliren und hindern 
müſſen, ſich jemals gegen Polen und den Kaifer zu erlären. 

Der zweite noch wichtigere Hauptpunct ber Denkſchrift 
ging aber darauf hinaus, daß ber Kurfuͤrſt die Lönigliche Würde 
nicht vom Kaifer, fondern vom Papfle annähme ). Der 


1) Pater Bota, von Ricolai, in Biefters neuer Berliner Donate 
ſqͥcift Rovember 1799, ©. 845. Doch Hat biefer den Hauptpunct der Vor ⸗ 
fine, ba ieh ih fe vom anf bs Phnaie Kühe eben 

laſſen, nicht angeführt. Ucher Vota's Werhältniß zur Familie Sobieſti 
Ve Ki bie Radieidten aub bem Coßtfäifäen Banalien-cchloe entichnt. 

2) Dies war bisher, fo viel ich weiß, völlig unbefannt, iſt mir aber 

us völlig zuneriäffig mitgethellt worden. 


na run Buguiis von Gedfen unweifelbere Haupt ber 
E m nimıihen Teiche bewogen werben wäre, doch 
u rtuuitier Zuerfenwung der Rechte des Heuptes der 
nung Nre im diefer Begiehung, mit dem päpftühen 
x. u Umertuntäung zu treten. Das würde zundchfi | 


x ipent anfab, böclichft beleidigt und ihm den Anträ 
x ale für immer umzugänglih gemacht haben. 


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tragt gegogen werben. Diefe war nicht eher confirmirt wors 
den, als fi ihre Vermaͤblung mit dem damaligen Kurprinzen 
eufhieb, während fie früher einem Batholifhen Prinzen bes 
Rümmt war ’). Wenn fie num aud im Innern von bem 
eigentlichen Kerne, welder bie Grundlagen jeder wahren Bes 
Uigion ausmacht, feft überzeugt war, fo unterhielt fie fi) doch 
wit gelehrten und geifireihen Männern auch verſchiedener 
Qtaubenöbelenntniffe gern über Religionswahrheiten, duldete 
ine fehr freie Unterſuchung derfelben und Aufferte fich bei ihrer 
großen Lebhaftigkeit ſehr ruͤckſictslos. Um Mittel zur Be⸗ 
Kunpfung der Zweifel des von ihr auch perfönlich hochgeſchaͤtz⸗ 
ten Bayle ging fle oͤfters Leibnig an und der gelehrte Hofs 
prediger Jablonſki muffte auf ihren Befehl mit biefem über 
“t- @seinigung ber beiden proteflantifchen Hauptconfeſſionen 


4 Werkwaͤrdigkeiten aus der brandenburgiſchen Seſchichte. 


Die Königskrone Der Jefuit Vota. 9 


unterhandeln. Dan weiß nun, wie viel Leibnig an einer Vers 
Gnigung ber feit der Reformation getrennten Proteftanten uns 
ter ſich und dann auch derfelben und der Katholiten lag, wie 
thatig er daran arbeitete, wie viel er in biefer Hinſicht nach⸗ 
geb, daß er felbft unter gewiſſen Bedingungen die eberfle 
Gerichtsbarkeit des Papſtes als menſchliche, jedoch heilfame 
Einrichtung anzuerkennen bereit war. Man mochte baher 
boffen, die Kurfürftin, welche man, wo nicht für gleichgültig 
gegen die Religion überhaupt, doch gegen bie verfciebenen 
Olsubensbefenntniffe hielt, dann auch ben Kurfürften, biefen 
vorzüglich durch bie Konigskrone, nicht unſchwer fuͤr den Ka⸗ 
thelicismus gewinnen. zu koͤnnen. Den Haͤuptern glaubte man 
wirden dann wohl leicht die charakterloſen Hofleute, bie ges 
berfamen Beamteten und dann bad Bolt nachfolgen. Der 
fnft fo feine Jeſuit fiel bier in einen doppelten Irethum, ber 
mod) jest wohl Hin und wieber von Katholiken getheilt wird, 
efiens, weil viele aufgeflärte Proteftanten nicht Alles glauben, 
wos der Katholik, ja fireng genommen vieleicht nicht einmal 
As, was die öffentlich befannt gemachten Giaubensbekennt⸗ 
niſte enthalten, fo meint man, fie glaubten gar nichts; zwei⸗ 
im bamtheilten die Iejuiten den Charakter Friedrichs IL. 
nicht richtig. Weil er dem Scheine ungemeine Opfer brachte, 
auflerorbentlich eitel und fo ſchwach war, baß er aus den 
Pinden eines Günftlings in bie des andern fiel und ohne 
fin ſolchen gar nicht leben zu koͤnnen ſchien, fo glaubten fie, 
& habe durchaus nichts, woran er feft halte, und bedachten 
nicht, daß religiöfe Ueberzeugungen bei aller übrigen Charakters 
fände ſehr ſtark fein koͤnnen, weil fie auf einem andern 
Grunde al die Stärke des Charakters ruhen; Es ſcheint auch 
richt, als wäre Friedrich III irgend geneigt gewefen, auf die 
Vorſchlage Vota's einzugehen. 

Bisher waren die mit dem kaiſerlichen Hofe ſeit mehreren 
Achren betriebenen Verhandlungen fo geheim gehalten worden, 
daß noch am 8. Februar 1698 der Minifter von Fuchs, dem 
doch fonft die wichtigſten Gtaatsangelegenheiten anvertrauet 
wurden, im einem von ihm gegebenen Bedenken es dem Ebers 
hard von Dankelmann zum Vorwurfe machte, dem Kurfürften 
fortwährend angelegen zu haben, bad Project wegen Exlans 


92 ‚Bud V. Zweites Hauptſtuͤc. 


gung ber preuffiichen Königswäde beim kaiſerlichen Hofe durch⸗ 
zufegen: „was zu erhalten doch eine pure lautere Unmoͤglich⸗ 
keit geweſen“ ). Erſt einige Zeit darauf erfoberte der Kur⸗ 
fürft die Gutachten ſaͤmmtlicher Minifter über den Gegenſtand 
und biefe erklärten fih, wohl mit Ausnahme Wartenbergs, 
ſaͤmmtlich mit vielen angeführten Gründen gegen den Entwurf, 
zum Beweife, daß felbft bie Männer in der nächften Umge- 
bung des Kurfürfien deſſen eigentliche Gefinnung und Abfic: 
tem nicht genau kannten. Diefer widerlegte in einem eigens 
bändigen ausführlichen Auffage, welcher eine genaue Kenntniß 
der Lage der europäifchen Staaten Fund gab, mit vieler Ein 


ſicht die Gruͤnde feiner Minifter und fuchte zu zeigen, wie" 


vortheilhaft bei dem veränderten Werhältniffe der Staaten bie 
Annahme der Töniglichen Würde für fein Haus fein würde ). 
Namentlich konnte er den wichtigen Einwurf, dag ein koͤnig⸗ 
licher‘ Hofftaat zu große Koften verurfachen wuͤrde, damit zus 
rldfiweifen, baß berfelbe bereits Königlid eingerichtet fei. 
Wirklich giebt die gewiffermaßen officielle, gedruckt erſchie⸗ 
mene *) Beſchreibung des Beilagers Herm Friedrichs, Hefſen⸗ 
caſſelſchen Erbprinzens mit ber Markgräfin Louiſe Dorothea 
Sophie, einzigen Tochter bes Kurflrften, im Mai und Juni 
des Jahres 1700 ein unverwerfliches Beugniß von ber bis in 
das Unglaublige gehenden Pracht und Ueppigkeit, welche bei 
den häufigen Feſten am Hofe des Kurfürften herrfchten, weil 
er daS beſonders liebte und fich felbft eifrig mit Anordnung 


1) Sosmar und Klaproth ©. 252. 


2) Dankelmann, von Ricolat, in Biefters neuer Berliner Mor 
natsfcheift Rovember 1799, ©. 342, aus den dem MWerfaffer hochſt freifinnig 


geſchrieben, früßer war eine actengemäße Darftellung der Berhandlungen 
in 2—3 Bänden bezwedt worden. Berge. Jeniſch Darftellung bes 
18, Jahrhunderts DB. IT. ©. 971. 


8) Clin an der Spree in ber kurfuͤrſtlichen Hofbuchdruckerei, 42 ©. 
in Folio. Schon im I. 1695 wurden für golbene und füherne Borben 
— 43,000 Thir. autgegehen, Nicolai’s Ber 
in 


Die Koͤnigskrone. Prachtfeſt. 9% 


des Ganzen und oft ber unbebeutenbften Ginzelheiten befchdfs 
igte. Im der Enleitung wir gefagt, es fei bekannt, daß ber 
Kurflrft während feiner num zwölfiähtigen glädfeligften Res 
sierung auffer brei Leichenbegängniffen, zwei Beilagen, der 
Zaufe des Kurprinzen, der Imveſtitur des engliſchen Hoſen⸗ 
bendordens unb der Eimveifung ber Univerfität Halle aud) 
uch zehn Erbhulbigungen, verſchiedene Werfprechungsceremos 
nien und abſonderlich noch mandherlei große Berwirthungen ber 
iu ihm gefommenen hohen Herrſchaften, des Baren Peter, 
dee Könige von England und Polen und mehrerer Kurfürſten 
und Fürften des Keichs kurz nach einander auszurichten Ges 
Iegenheit gehabt und babei dergleichen Magnificenz und Anftalt 
hären laſſen, daß, wofern nach eines vömifchen Belbhaupts 
mans Urtheile, es einem Helden nicht weniger ruͤhmlich, feine 
Rafel wohl anzuſchicken, ber Kurflnft fi von feinen praͤchti⸗ 
gen Ausrichtungen ganz fiher mit eben dem Rechte Ruhm 
md Verwunderung verheiffen koͤnne, als er durch glüdlihe 
diegs⸗ und Friebenspanblungen fih ſchon vorlängft bei gang 
Europa in Vertrauen und Anfehen geſetzt. Dieſes Feſt habe 
&ber alle anderen übertroffen. Nachdem im Ianuar die feiers 
Ühe Anfprache um bie Prinzeffin gewelen und bie Werlobung 
wirt worben, folgte nun das Beilager. 

Der game Kurflrtliche Hofftaat, wobei allein vierzig Pas 
gm, ferner alle Garden, als die Leibgarbe zu Pferde und zu 
Bike, die hundert Schweizer, bie Grandemusquetoits, Gends 
Varmes und Grenabiere, bann bed Kurprinzen und des Marks 
gefen Philipp Regimenter zu Pferde und zu Zuße wurben 

ds neu, vorzuͤglich aber die Gensb’armes und Grands⸗ 
mdquetaied, welche ſaͤmmtlich von Abel mit —— 
waren, hoͤchſt prächtig, jene n Blau mit Silber, biefe in 
Sqariach mit Gold gekleidet. Alle Kleivungen ber Herrſchaf⸗ 
tn und ber meiften Hofleute verfchrieb man aus Frankreich 
und anberen Ländern, nicht beöhalb, wird gefagt, weil man 
dergleichen nicht hätte in Berlin aufbringen koͤnnen, fonbern 
dadurch auch dem Fremden an umferer Freude mit Theil zu 
geben. Daher wurden auch zu ben Dpern der berühmte kai⸗ 
falihe Sänger Ballerini, ber Hautboiſt ded Königs von Por 
ie, Te Rifch und der Zpeorb und Sautenif de Gt. Buc aus 


% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


Frankreich Berufen, ferner bie in Berlin befindlichen großen 
Muftter, die beiden Riecks, Altilio, Volumier und Andere 
verwendet, zum Ballete aber lauter gräflihe, freiherrlihe und 
adelige Perfonen gewählt, felbft der Kurprinz und die beiden 
Markgrafen Albrecht und Gpriftian Ludwig befanden fi unter 
den Zänzern, Über welche ber Markgraf Albrecht die Direction 
übernahm. 

Bum Beilager brachte der Landgraf, auffer feiner Ges 
wmahlin,. dem Erbprinzen und beffen Schweſter Sophie, feine 
erſten Minifter, Hofleute, Hofdamen, Pagen, Zrompeter, Las 
Taien und 30 Mann Leibgarde, insgefammt gegen 300 Pers 
fonen und über 350 Pferde mit. 

Schon an ber Grenze in DOfterwiel wurden fie von bem 
Schloßhauptmann von Prinz nebft einem Meinen Hofſtaate 
empfangen und feierlich uͤber Halberftabt, Magdeburg und 
Brandenburg in achttägiger Reife nach Spandau geführt, vom 
wo fie am 28. Mai ihren feierliben Einzug in Berlin hielten, 
wo fie der Kurfürft mit feinen Garden und brei Regimentern 
und dem ganzen Hofftaate, den anweſenden neun fremden Ges 
ſandten und ber in ihre Zünfte getheilten Buͤrgerſchaft prächtig 
empfing. Die Brautkutfche war aus Garmoifinfammet ins 
und auswendig mit überaus ſchweren golbenen Grepinen, das 
Geſchirr der acht Pferde mit breiten goldenen Borden auf Cars 
moifinfammet befegt, mit filbernen im Feuer ſtark vergoldes 
ten Blehen, Budeln und Schnallen befplagen und mit 
dicken goldenen Quaften behängt, die Zügel und Leinen bes 
fanden ganz aus Goldgeflechte. Der Schenktiih war von 
unten bis oben aufgethürmt mit großen filbernen und vergoldes 
ten: in Augsburg verfertigten Gefäßen von großer Schönheit, 
fhwerem Gewichte und koſtbar getricbener Arbeit, die Tafeln 
mit filbernen vergolbeten Geſchitren befegt. An der fürfts 
lichen Tafel wurden am 28., 29. und 30. Mai in vier vers 
ſchiedenen Gängen zu je 46 Speifen auffer den Früchten 
und dem Gonfecte aufgetragen und fo -oft bie vornehmflen 
Herrſchaften tanken, jedesmal ſechs Städe, bei dem Trin⸗ 
Ten ber anderen fürftlichen Perfonen drei Stiide gelöl. Sechs 
andere Zafeln waren für bie Srauenzimmer, bie Minifier und 
die Hofleute angerichtet. Spazierfahrten fanden in einem mit 


"Die Koͤnigskrone. Prachtfeſt. % 
Bol Pichn befpannten Wagen ftatt, dem achtzig Kutſchen 


Dad Kleid ber Braut war bem alten Herlommen nach 
weiß von Siberfläd, ihr Fuͤrſtenmantel befland aus einem 
ganz goldenen Nee. Den Schweif des fieben Ellen langen 


Diamanten nen und Perlen, weiche De Damme mag, a sie 
Biionen Thaler an Werth. 

Bei dem Hochzeitmahle hatte ber fehr erfahrene Kuͤchen⸗ 
meifter Chriſtian, als wenn er feine ganze Wiſſenſchaft 
ausfchätten wollen, mehr als 500 ber außerlefenften Spei⸗ 
fen mit den Entremets aufgefellt, aufferdem noch 86 Tafeln 
fir die Hofbebienten angerichtet. Nah der Tafel ‚wurde 
der Brauttanz bei brennenden Fackeln getanzt, von ber 
Braut in ihrem vollen Brautfhmude, wobei ſechs Kams 
merfräulein ihre Schleppe und, unter Führung von zwei 
Narſchaͤllen mit filbernen Staͤben, 24 der vornehmften bes 
„geitenden Hofleute die Wachsfackeln trugen, mit allen an 
weienden fuͤrſtlichen Perfonen, worauf fie wegen der Schwere 
ihre Kleides, wie es heißt, in etwas ermübet war, wes⸗ 
— ſchon gegen drei Uhr Morgens zum Braut⸗ 


Ein Ballet und ein zu dieſem Feſte von Tauter großen 
Rinfilern beſonders verfertigtes Gingfpiel wurde in einem 
gend dazu erbaueten Theater mit prachtvollen Decorationen 
in italienifcher Sprache gegeben. Die Mafcyinen nebft dem 
Aheater hatte ber hannoͤveriſche Baumeifter Zomafo Giufti eins 
gerichtet; der Zert war vom Abbate Mauro, die Muſik und 
Eymphonien von dem Kapellmeifter der Kurfürftin Altilio 
Arioſti, die Tänze, welche vom Kurprinzen, den Markgrafen 
md mehreren Grafen, Freiherren und Adeligen aufgeführt 
wurden, vom Hoftanzmeifter Deönoyerd, die Arien vom Kams 
mermuſikdirector Ried. Dann folgten bis zum 8. und 9, 
Juni Heerſchau ber Regimenter und deren Uebungen, Waske— 


% Bud V. Zweites Hauptfiäd. 


Kämpfe von Bären, Buͤffeln, Auerochfen, wilben 
en Wölfen und Fücfen im Hebgarten, sub Be Sau. 
werke, Illuminationen, Luflfahrten nach Oranienburg, Sch 
haufen, Roſenthal und Charlottenburg und mancherlei z 
führungen und Darſtellungen, Operetten und Concerte, bei denen 
die Goͤtter Griechenlands und Roms nach damaliger Sitte 
eine Hauptrolle fpielten. Sicher wurde an manchem koͤnig⸗ 
lichen Hofe eine folche Pracht, Fein ſolcher Aufwand entfaltet, 
als am kurfuͤrſtlichen Hofe Friedrichs IN. 

acbei 


ſche verwirklicht zu fehen, fand aber faft unuͤberſteigliche Hin 
derniſſe. Es wird — er habe den Auftrag erhalten, 
einem der einflußreichſten ihm entgegenwirkenden kaiſerlichen 
Minter, der für —X galt, 200,000 Gulden 
ten, ber treue Beamtete habe jeboch bad Geſchenk abgelehnt 
und ermwiebert, er halte ben Kurfürften gewiß ber Krone wuͤr⸗ 
big und dem Kaiſer zugethan, ba man aber nit von 
allen Nachkommen einer gleichen Gefinnung verſichert fei, fo 
glaube er einen Verrath an dem Kaiſer zu begehen, wenn er 
deffen Zuftimmung erwirke. So fand bie Angelegenheit ohne 
weiter vorzurucken und ber Kurfürft war faft ohne Hoffnung, 


widelung berbeiführten, was zu bewirken alle Feinheiten und 
übrigen großen Mittel der Unterhänbler, ſelbſt die Unterftügung 
der Sefuiten ſicher nicht vermocht hätten. 

Die deutfchen Fürfien waren zwar: immer noch merklich 
durch Religionsparteiung, noch weit mehr aber dadurch ges 
trennt und zugleich mit dem Reiche ohnmaͤchtig, baß fie Fein 
patriotiſches Gefühl befeelte, jeder nur an fid dachte und wie 
ex auf jede Weife feine Macht vergrößern ober fein Anfehen 
erhöhen inne. Aus biefen perfönlichen, dann aus verwandt⸗ 
ſchaftlichen Verhaͤltniſſen entflanden unzählige Zwiftigkeiten, 
Bündniffe und Gegenbinbniffe und fo unauflösliche Verwir⸗ 
rungen, daß man kaum noch von ber Schwäche bes Reichs 
reden Tonnte, da es wirklich nur noch der Form nach vorhan⸗ 
den war. Auffer vielen anderen Streitigkeiten regte bamald 


Hannoͤveriſche Kur. 97 


einen großen Theil der deutſchen Bürften die hannoͤveriſche Kurs 
angelegenheit auf. Der Herzog Ernſt Auguſt, Gemahl ber 
ehrgeigigen Sophie, ber Tochter des unglädlichen Friedrich von 
der Pfalz und Enkelin König Jacobs von England, hatte auf 
Veranlaffung König Wilhelm II. fehr angelegentlich die Kur⸗ 
winde gefucht, dem Haufe Deſterreich große Opfer gebracht, 
fih beim Entfage Wiend gegen bie Osmanen, bann im Kriege 
gegen Frankreich um daſſelbe vielfache Werdienfte erworben und 
zu noch weit Groͤßerem verpflichtet. Das hatte den Kaifer, 
obwohl ungern, dennoch bewogen, bem Herzoge, mit Einwil⸗ 
Ügung feined ditern Bruders Georg Wilhelms von Zelle, die 
Kurwurde für feine Nachkommen in abfteigenber Linie zu ers 
theilen (22. März 1692.) Im Algemeinen erregte ſowohl 
bie Sache felbft, ald das dabei vom Kaifer beobachtete eigen» 
maͤchtige Verfahren große Unzufriedenheit bei ben Kurfüͤrſten ), 
weil in ihrem Gollegio nun überhaupt eine Stimme mehr, 
dann Eiferfucht, vorzüglich bei ben katholiſchen Fuͤrſten, weil 
nun eine evangelifche Stimme mehr im Kurcollegio war und 
viele Fürften ihrer Meinung nach gegrlnbetere ober boch eben 
fo gute Anfprüche auf eine ſolche Ehre hatten, ald Ernſt Aus 
sul. Hauptfächlich war die Altere braunſchweigiſche Lite, 
vornehmlich der Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel über 
die Erhebung der juͤngern Linie feines Haufe erbittert. So 
ſcloſſen die Herzoge von Braunſchweig, der König von Dis 
nemark als Herzog von Holflein, die Herzoge von Mecklenburg, 
der Landgraf von Heffen: Kaffel, der Markgraf von Baden, 
die Bifchöfe von Würzburg, Hildesheim, Minfter und andere 
Ehrften (16. Januar 1693) einen Verein unter dem Namen 
der gegen die neunte Kur correfpondirenden Furſten. Selbſt 
im hannoͤveriſchen Haufe proteflisten vier der jüngeren Söhne 
Ernſt Auguſts gegen das zugleich mit der Rurwürbe einge: 
führte GErfigeburtörecht, gingen in kaiſerliche Kriegsdienſte, bie 
ben im Felde und flarben in der Fremde. Als der neue Kurs 
für das Reichserzbanneramt als Erzamt erhalten follte, erhob 


1) Pufendorf IIL 5.17 fagt: Doch ber große Kusfürft habe, ber 
Religion wegen, ſchon feine Eimoilligung gegeben, fein Sohn das gehal« 
ten, body war, wie fon angeführt, keine rechte Freundſchaft zwiſchen 
beiben Häufen. ©. auch Rinde Leopold ©. 1148. 

Stenzel Geh. d. Preuſſiſch. Staats. II. 7 


go Bud) V. Bweites Hauptſtaͤc 


Sefuit ging bei einer offenbar doch nur oberflächlichen Kenntniß 
des wahren Charakters Friedrichs III. davon aus, biefer werde 
die koͤnigliche Würde um jeben Preis zu erhalten fuchen. Es 
wäre nun ſchon ein großer Triumph geweſen, wenn das nach 
dem Uebertritte Auguftd von Sachſen unzweifelbare Haupt ber - 
Proteftanten im roͤmiſchen Reiche bewogen worben wäre, doch 
mit ausdruͤcklicher Anerkennung der Rechte bed Hauptes ber 
katholiſchen Kirche in diefer Beziehung, mit dem päpftlihen 
Hofe in Unterhanblung zu treten. Das würbe zunaͤchſt ben 
Kaifer, der dad Recht Könige zu ernennen ald ihm unzweifels 
boft zuftehenb anfah, hoͤchlichſt beleidigt und ihn ben Anträgen 
des Kurfürften für immer unzugänglic gemacht haben. Wenn 
Friedrich III. dann nur noch durch den Papft zum Ziele feiner 
Wünfche gelangen Fonnte, fo ließ ſich vorausfehen, daß dieſer 
keinem Proteftanten die Töniglihe Würde ertheilen, ſondern 
als erſte Bedingung dazu die Annahme des katholiſchen Glau⸗ 
bens verlangen würde. Friedrich TIL zeigte Aufferlid eine fo 
übermäßige Eitelleit, daß man glauben durfte, er werde ihr 
jebed Opfer bringen, um fo mehr, da er zwar wirklich fehr 
aufrichtig teformirt, Übrigens aber höchft duldfam war. Hiers 
bei mochten bie religioͤſen Anfichten der Kurfürftin mit in Be 
tracht gezogen werden. Diele war nicht eher confirmirt wor 
ben, als ſich ihre Wermählung mit dem damaligen Kurprinzen 
enfchied, während fie früher einem katholiſchen Prinzen bes 
fimmt war i). Wenn fie nun auch im Innern von bem 
" eigentlichen Kerne, welcher die Grundlagen jeder wahren Res 
Tigion ausmacht, feft überzeugt war, fo unterhielt fie fi) doch 
mit gelehrten und geiſtreichen Männern auch verſchiedener 
Glaubensbekenntniſſe gern über Meligionswahrheiten, duldete 
eine fehr freie Unterfuhung derfelben und Aufferte ſich bei ihrer 
großen Lebhaftigfeit fehr ruͤckſichtolos. Um Mittel zur Be— 
kaͤmpfung der Zweifel des von ihr auch perfönlich hochgeſchaͤtz⸗ 
ten Bayle ging fie öfters Leibnig an und ber gelehrte Hof⸗ 
prediger Jablonfli muffte auf ihren Befehl mit diefem Über 
die Vereinigung der beiden proteftantifchen Hauptconfeſſionen 


1) Herings Merhoärbigkeiten aus der brandenburgiſchen Geſchichte. 
1. Std, ©. 3. 


Die Königskrone Der Jeſuit Wota. 9A 


unterhandeln. Dan weiß nun, wie viel Leibnig an einer Wer 
einigung ‚der feit der Reformation getrennten Proteftanten uns 
ter ſich und dann auch derfelben und der Katholiten lag, wie 
thdtig er daran arbeitete, wie viel er in diefer Hinfict nach⸗ 
gab, daß er felbft unter gewiffen Bedingungen die oberfie 
Gerichtsbarkeit des Papftes als menſchliche, jedoch heilfame 
Einrihtung anzuerfennen bereit war. Dan mochte daher 
toffen, die Kurfürftin, welche man, wo nicht für gleichgültig 
gegen die Religion überhaupt, doch gegen bie verfchiedenen 
Glaubensbefenntniffe hielt, dann auch den Kurfürften, biefen 
vorzüglich durch die Koͤnigskrone, nicht unfchwer flr den Kas 
tholitismus gewinnen. zu Pönnen. Den Häuptern glaubte man 
winden dann wohl leicht die charakterlofen Hofleute, bie ges 
berfomen Beamteten und bann das Volk nachfolgen. Der 
fonft fo feine Jeſuit fiel hier in einen doppelten Irrtpum, der 
mod jet wohl Hin und wieder von Katholiken getheilt wird, 
erftens, weil viele aufgefiärte Proteftanten nicht Alles glauben, 
wos der Katholif, ja fireng genommen vielleicht nicht einmal 
Aled, was die öffentlich befannt gemachten Giaubensbekennt⸗ 
niſſe enthalten, fo meint man, fie glaubten gar nichts; zwei⸗ 
tens beurtheilten die Sefuiten ben Charakter Friedrichs M. 
nicht richtig. Weil er dem Scheine ungemeine Opfer brachte, 
ufferorbentlich eitel und fo ſchwach war, daß er aus ben 
Händen eines Günftlings in bie des andern fiel und ohne 
tinen folchen gar nicht Ieben zu koͤnnen ſchien, fo glaubten fie, 
a habe durchaus nichts, woran er feft halte, und bedachten 
nicht, daß religiöfe Ueberzeugungen bei aller übrigen | Gharakters 
ſowaͤche ſehr ſtark fein Können, weil fie auf einem andern 
Grunde als die Stärke des Charakters ruhen. 8 fdeint auch 
nicht, als wäre Friedrich III. irgend geneigt gewefen, auf bie 
Vorſchlage Vota's einzugehen. 

Bisher waren bie mit dem kaiſerlichen Hofe feit mehreren 
Jahren betriebenen Verhandlungen fo geheim gehalten worden, 
daß noch am 8. Februar 1698 dee Minifter von Fuchs, dem 
doch fonft die wichtigſten Staatsangelegenheiten anvertrauet 
wurden, in einem von ihm gegebenen Bedenken ed dem Ebers 
hard von Dankelmann zum Vorwurfe machte, dem Kurfürften 
fortwährend angelegen zu haben, dad Project wegen Erlan⸗ 


92 ‚Bud V. Bweites Haupeftüd. 


gung ber preuffiichen Rönigswwürbe beim Baiferlichen Hofe durch⸗ 
zufegen: „was zu erhalten doch eine pure lautere Unmoͤglich⸗ 
keit geweſen“ '). Erſt einige Zeit darauf erfoberte der Kur- 
fürſt die Gutachten ſaͤmmtlicher Minifter über den Gegenftand 
und dieſe erfiärten fi, wohl mit Ausnahme Wartenbergs, 
ſaͤmmtlich mit vielen angeführten Gründen gegen den Entwurf, 
zum Beweife, daß felbft die Männer in ber nächften Umge 
bung des Kurfürften deſſen eigentliche Gefinnung und Abfichs 
ten nicht genau kannten. Diefer wiberlegte in einem eigens 
haͤndigen ausführlichen Auffage, welcher eine genaue Kenntniß 
der Lage der europäifchen Staaten fund gab, mit vieler Eins 
fiht die Gründe feiner Minifter und fuchte zu zeigen, wie 
vortheilhaft bei bem veränderten Werhältniffe der Staaten bie 
Annahme der Föniglichen Würde für fein Haus fein würde ). 
Namentlich konnte er den wichtigen Einwurf, daß ein koͤnig⸗ 
licher Hofflaat zu große Koften verurſachen würde, bamit zus 
rüchweifen, daß berfelbe bereits koͤniglich eingerichtet fel. 
Wirklich giebt die gewiffermaßen officielle, gedruckt erſchie⸗ 
nene ) Beſchreibung des Beilagers Herrn Friedrichs, Heflens 
caſſelſchen Erbprinzens mit der. Markgraͤfin Louiſe Dorothea 
Sophie, einzigen Tochter bes Kurflrften, im Mai und Juni 
bes Jahres 1700 ein unverwerfliches Zeugniß von ber bis in 
das Unglanblihe gehenden Pracht und Ueppigkeit, welche bei 
ben häufigen Feſten am Hofe des Kurfuͤrſten herrſchten, weil 
er das beſonders liebte und fich felbft eifrig mit Anordnung 


1) Eosmar und Klaproth ©. 252%. 


2) Donkelmann, von Ricolat, in Bieflers neuer Werliner Dos 
nateſchrift November 1799, S. 842, aus ben dem Verfaſſer hoͤchſt freiſinnig 
von bem großen Befdrberer vaterlaͤndiſcher Gefchichtätunde, bem Mtinifter von 
‚Hergberg anvertraueten 20 Foliobänben Kronacten des geheimen Gtaatss 
Archivs. Leiber hat Nicolat erſt fpäter und nur aus ber Geinnerung 
geſchrieben, fruͤher war eine actengemäße Darftellung der Verhandlungen 
in 2— 3 Bänden bezwedt worden. Vergl. Jeniſch Darftellung des 
18. Jahrhunderts St. IM. ©. P71. 


8) Söln an der Spree in ber kurfuͤrſtlichen Hofbuchbruderei, 42 S. 
in dollo. Schon im I. 1695 wurden für goldene und fiberne Borben 
der Lakaien und Trabanten 43,000 Thit. ausgegeben. Nicolai’s Bers 
lin L. S. 225. 


"Die Koͤnigskrone. Prachtfeſt. 9 


des Ganzen und oft ber unbedeutendſten Einzelheiten befchäfs 
figte. In der Enleitung wird gefagt, es fei befannt, daß ber 
Kurfürft während feiner nun zwölfiährigen glüdfeligfien Res 
u. auffer drei Leichenbegängniffen, zwei Beilagen, ber 
des Kurprinzen, ber Snsefhtur des engliſchen * 
per unb der Einweihung der Univerfität Halle 
noch zehn Erbhuldigungen, verfchiebene Pr 
nien und abſonderlich noch mancherlei große Bewirthungen ber 
in ihm gefommenen hohen Hertſchaſten, des Baren Peter, 
der Könige von England und Polen und mehrerer 
und Fürften des Reichs kurz nach einander auszurichten Ges 
Itgenheit gehabt und babei dergleichen Magnificenz und Anftalt 
finen laſſen, daß, wofen nad eines rdmiſchen Feldhaupt⸗ 


Europa in Wertrauen und Anfehen ei: Dieſes Feſt babe 
cher alle anderen uͤbertroffen. Nachdem im Januar bie feier⸗ 
Üihe Anfprache um die Prinzeffin gewefen und die Werlobung 
giſtiert worben, folgte num das Beilager. 

Der ganze kurflirſtliche Hofflaat, — allein vierzig Pas 
9, ferner alle Garden, als bie Leibgarde zu Pferde umb zu 
I, die hundert Schweizer, bie Grandemußquetoiss, Gens⸗ 

Vormes und Grenadiere, dann des Kurprinzen und bed Mark⸗ 
ofen Philipp Regimenter zu Pferde und zu Buße wurden 
burhgehenbs neu, vorzliglic) aber die Gensb’arımed und Grands⸗ 
— welche ſaͤnmtlich von Abel mit —— 

boͤchſt praͤchtig, jene in Blau mit Silber, dieſe in 
— mit Golb gekleidet. Alle Kleidungen ber Herrſchef⸗ 
tm und der meiften Hofleute verfchrieb man aus Brankreich 
mb anderen Ländern, nicht deshalb, wird gefagt, weil man 
Vergleichen nicht hätte in Berlin aufbringen Finnen, fonbern 
auch den Fremden an unſerer Freude mit Theil zu 


Im, 1e Kiſch und ber Theorb und Lauteniſt be St. Luc 


9% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


Frankreich berufen, feruer die in Berlin befindlichen großen 
Muftter, die beiden Rieds, Altilio, Volumier unb Andere 
verwendet, zum Ballete aber lauter gräfliche, freiherrlihe und 
abelige Perfonen gewählt, felbft der Kurprinz und bie beiden 
Markgrafen Albrecht und Chriſtian Ludwig befanden ſich unter 
den Tänzern, Uber welche der Markgraf Albrecht die Direction 
übernahm. 

Zum Beilager brachte der Landgraf, auffer feiner. Ges 
wehlin,. dem Erbprinzen und deſſen Schweſter Sophie, feine 
erften Minifker, Hofleute, Hofdamen, Pagen, Zrompeter, Las 
kaien und 30 Mann Leibgarde, indgefammt gegen 300 Pers 
fonen und über 350 Pferde mit. 

Schon an der Grenze in Ofterwiel wurden fie von dem 
Schloßhauptmann von Prinz nebft einem kleinen Hofftaate 
empfangen und feierlich über Halberftabt, Magdeburg und 
Brandenburg in achttägiger Reife nach Spandau geführt, von 
wo fie am 28. Mai ihren feierliben Einzug in Berlin hielten, 
wo fie der Kurfinſt mit feinen Garden und brei Regimentern 
und dem ganzen ‚Hofftante, ben anwefenden neun fremden Ges 
fandten und ber in ihre Zünfte getheilten Buͤrgerſchaft prächtig 
empfing. Die Brautkutſche war aus Carmoifinfammet ins 
und auswendig mit überaus ſchweren goldenen Grepinen, das 
Geſchirr der acht Pferde mit breiten goldenen Borden auf Cars 
moifinfammet befegt, mit filbernen im Feuer ſtark vergoldes 
ten Blechen, Budeln und Schnallen beſchlagen und mit 
dicken goldenen Quaften behängt, die Zügel und Leinen bes 
fanden ganz aus Goldgeflechtee Der Schenktiſch war von 
unten bis oben aufgethürmt mit großen filbernen und vergolbes 
ten in Augsburg verfertigten Gefäßen von großer Schönheit, 
ſchwerem Gewichte und koſtbar getriebener Arbeit, die Tafeln 
mit filbernen vergoldeten Gefchirren befegt. An der fürfle 
lichen Tafel wurden am 28., 29. und 30. Mai in vier vers 
ſchiedenen Gängen zu je 46 Speiſen auffer den Früchten 
und dem Gonfecte aufgetragen und fo -oft die vornehmſten 
Herrſchaften tranken, jedesmal ſechs Gtüde, bei dem Zrins 
ten der anderen fürftlichen Perfonen brei Stüde gelöfl. Sechs 
andere Zafeln waren fuͤr bie Frauenzimmer, die Minifier und 
bie Hofleute angerichtet. Gpazierfahrten fanden in einem mis 


"Die Königekrone. Prachtfeſt % 
Fra beſpannten Wagen ftatt, dem achtzig Kutſchen 


Das Kleid der Braut war dem alten Herkommen nach 
weiß von Silberſtuck, ihr Fürftenmantel beftand aus einem 
ganz goldenen Netze. Den Schweif des fieben Ellen langen 
Kcides trugen ſechs Kammerfräulein, welche aufferdem, weil 
das Kleid einen Gentner ſchwer war, von zwei Brautpagen 
unterflügt wurden. Der Unterrod und bad gange Leibftüd 
war über und über mit Diamanten befegt und ihre Krone bem 
Werthe nach koͤniglich. Dan ſchaͤtzte den Schmuck ber großen 
Diamanten und Perlen, welche bie Prinzeffin trug, auf vier 
Vilionen Thaler an Werth. J 

Bei dem Hochzeitmahle hatte der ſehr erfahrene Küchens 
meiſter Chriſtian, als wenn er feine ganze Wiſſenſchaft 
ausſchutten wollen, mehr als 500 ber auderlefenften Spei⸗ 
fen mit den Entremets aufgeſtellt, aufferdem noch 86 Zafeln 
fir die Hofbebienten angerichtet. Rach der Tafel wurde 
der Brauttanz bei brennenden Fackeln getanzt, von ber 
Braut in ihrem vollen Brautſchmucke, wobei ſechs Kam⸗ 
merfräulein ihre Schleppe und, unter Führung von zwei 
Narſchaͤllen mit filbernen Stäben, 24 der vormehmften bes 
glitenden Hofleute die Wachöfadeln trugen, mit allen an 
weſenden fuͤrſtlichen Perfonen, worauf fie wegen der Schwere 
ifteß Kleides, wie es heißt, in etwas ermübet wär, weis 
vb man fhon gegen drei Uhr Morgens zum Braut 

eilte. 


Ein Ballet und ein zu dieſem Feſte von lauter großen 
Kinfiern beſonders verfertigtes Singſpiel wurde in einem 
ägmd dazu erbaueten Theater mit prachtvollen Decorationen 
in italieniſcher Sprache gegeben. Die Maſchinen nebſt dem 
Theater hatte der hannoͤveriſche Baumeiſter Tomaſo Giuſti eins 
gerichtet; ber Text war vom Abbate Mauro, die Muſik und 
Eymphonien von dem Kapellmeifter der Kurfürſtin Altilio 
Ariofi, die Taͤnze, welche vom Kurprinzen, ben Markgrafen 
und mehreren Grafen, Freiherren und Abeligen aufgeführt 
wurden, vom Hoftanzmeifter Deönoyers, die Arien vom Kam⸗ 
mermufifbiretor Ried. Dann folgten bi8 zum 8. unb 9. 
Juni ‚Heerfchau der Regimenter und deren Uebungen, Mast 


% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


oben, Kämpfe von Bären, Büuͤffeln, Auerochfen, wilden 
Schweinen, Wölfen und Fuͤchſen im Hetzgarten, große Beuers 
werke, Iuuminationen, Luffahrten nad Dranienburg, Schöns 
haufen, Roſenthal und Charlottenburg und manderlei Auf 
führungen und Darftellungen, Operetten und Goncerte, bei denen 
die Götter Griechenlands und Roms nad bamaliger Sitte 
eine Hauptrolle fpielten. Sicher wurde an mandem koͤnig⸗ 
lichen ‚Hofe Feine ſolche Pracht, Fein ſolcher Aufwand entfaltet, 
als am Furfürftlichen den Bote Briedrichs II. 

Unterbeffen arbeitete Bartholdy als brandenburgifher Ges 
fandter in Wien mit großem Eifer daran, feines Herm Wüns 
ſche Beruiefiht zu fehen, fanb aber faft unlıberfteiglihe Hin⸗ 

derniſſe. Es wird erzählt, er habe ben Auftrag erhalten, 
einem ber einflußreichfien ihm entgegenwirkenden Taiferlichen 
Minifter, der für Habfüchtig galt, 200,000 Gulden anzubies 
ten, ber treue Beamtete habe jeboch das Geſchenk abgelehnt 
und erwiebert, er halte den Kurfürften gewiß ber Krone wärs 
dig und dem Kaiſer zugethan, da man aber nit von 
allen Nachkommen einer gleichen Gefinnung verfihert fei, fo 
glaube er einen Verrath an dem Kaiſer zu begehen, wenn er 
beffen Zuſtimmung erwirke. So flanb die Angelegenheit one 
weiter vorzuräden und ber Kurflnft war faft ohne Hoffnung, 
das Ziel feiner heißeften Wunſche zu erreichen, als bie euros 
paͤiſchen Staatöverhältniffe durch ihre aufferorbentliche Ver⸗ 
widelung berbeiführten, was zu bewirken alle Seinheiten und 
übrigen großen Mittel der Unterhaͤndler, felbft bie Unterflügung 
der Iefuiten ficher nicht vermocht hätten. 

Die deutfchen Fuͤrſten waren zwar immer noch merklich 
durch Religionsparteiung, noch weit mehr aber dadurch ge= 
trennt und zugleih mit bem Reiche ohnmaͤchtig, daß fie Fein 
patriotiſches Geflhl befeelte, jeder nur an fich dachte und wie 
er auf jebe Weife feine Macht vergrößern ober fein Anfehen 
erhöpen koͤnne. Aus biefen perfönlichen, 33 aus verwandt⸗ 
ſcaftlichen Verhaͤltniſſen entſtanden umzaͤhlige Zwiſtigkeiten, 
Bimbniffe und Gegenbimdniſſe und fo —— Verwir⸗ 
rungen, daß man kaum noch von der Schwaͤche des Reichs 
reden konnte, da es wirklich nur noch ber Form nach vorbanz 
den war. Auffer vielen anderen Streitigkeiten regte damals 


Hanndverifähe Kur. " 97 


einen großen Theil der deutſchen Bürften bie hannöverifche Kurs 
angelegenheit auf. Der Herzog Ernſt Auguft, Bemapl ber 
ehrgeijigen Sophie, der Tochter des unglücklichen Friedrich von 
der Pfalz und Enkelin König Jacobs von England, hatte auf 
Veranlaffung König Wilhelms II. fehr angelegentlich die Kurs 
winde gefucht, dem Haufe Deſterreich große Opfer gebracht, 
fi beim Entfage Wiend gegen bie Osmanen, dann im Kriege 
gegen Frankreich um daffelbe vielfache Verdienſte erworben und 
zu noch weit Größerem verpflichtet. Das hatte den Kaifer, 
obwohl ungern, dennoch bewogen, bem Herzoge, mit Einwil⸗ 
Ugung feines dltern Bruders Georg Wilhelms von Zelle, die 
Kurwinde für feine Nachkommen in abfleigender Linie zu ers 
theilen (22. März 1692.) Im Allgemeinen erregte ſowohl 
bie Sache felbft, als das dabei vom Kaifer beobachtete eigen, 
möctige Verfahren große Unzufriedenheit bei den Kurfüften ), 
weil in ihrem Gollegio nun überhaupt eine Stimme mehr, 
dann Eiferſucht, vorzüglich bei den katholiſchen Fuͤrſten, weil 
nun eine evangelifdhe Stimme mehr im Kurcollegio war und 
viele Fürften ihrer Meinung nach gegründetere oder doch eben 
fo gute Anfprliche auf eine ſolche Ehre hatten, als Ernſt Aus 
guſt. Hauptſaͤchlich war die ältere braunfhweigifche Linie, 
vomehmlich der Herzog Anton Ulrich von Wolfenbüttel uͤber 
die Erhebung der jüngern Linie feines Hauſes erbittert. So 
fHloffen die Herzoge von Braunfhweig, der König von Dis 
nemark als ‚Herzog von Holftein, bie Herzoge von Mecklenburg, 
der Landgraf von Heffen: Kaffel, der Markgraf von Baden, 
die Bifchdfe von Würzburg, Hildesheim, Minfter und andere 
dürſten (16. Januar 1693) einen Verein unter dem Namen 
der gegen die neunte Kur correſpondirenden Furſten. Selbſt 
im hannoͤveriſchen Haufe proteſtirten vier ber jüngeren Sipne 
Emſt Augufis gegen bad zugleicn mit der Kurwürde einge: 

führte Erfigeburtörecht, gingen in kaiſerliche Sriegöblenfte, bil blie⸗ 
ben im Feide und ſtarben in der Fremde. Als der neue Kur⸗ 
fürft das Reichserzbanneramt als Erzamt erhalten ſollte, erhob 


1) Pufendorf IL z. 17 ſagt: Doch ber große Kurfuͤrſt habe, 
Bieligion wegen, ſchon feine Einwilligung gegeben, fein an das — 


Hufen. ©. auch Rinds Leopold ©. 1148. 
Stengel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. II. 7 


98 Bud V. Zweites Haupeftüd. 


ſich das Haus Wuͤrtemberg als Inhaber der Reihöfkurmfahne 
dagegen uhb deſſen Staats⸗, Redtös und Geſchichtsgelehrte 
erfhöpften ſich in gelehrten Debuctionen über biefe Reichsalter⸗ 
thuͤmer, während, wenn es darauf ankam, fei ed Reichäbanner 
ober Reichöfturmfahne zu ergreifen, Niemand daran wollte. So 
blieb diefe Angelegenheit noch viele Jahre (bis 1708) umerledigt. 

Die gegen die hannoͤveriſche Kur vereinigten Fuͤrſten, vor⸗ 
zuͤglich der zum Xeufferften entfcloffene Herzog Anton Ulrich 
von Braunſchweig ⸗ Wolfenbüttel waren (1694) durch den Kai⸗ 
fer nur mit Mühe von einer Vereinigung mit Frankreich ab⸗ 
gehalten worden, allein fogleidh nach dem ryswiker Zrieben 
ſchloß Anton Ulrich ein Bimbnig mit Ludwig XIV. und be 
wog auch bie übrigen Fuͤrſten, dem beizutreten. Gie errichtes 
ten (19. Auguft 1700) einen Fuͤrſtenverein ; Frankreich erflärte, 
fie bei ihren Rechten fehlen zu wollen, und hatte auf biefe 
Weiſe eine gümftige Gelegenheit, den natürlichen Einfluß des 
Kaifers auf das Reich fehr zu ſchwaͤchen '). 

Eine andere Hauptfchwierigfeit in der Lage des Kaifers 
entfprang aus der Berwidelung ber nordiſchen Angelegenheiten. 
In Schweden war (1697) der funfzehnjährige Karl XIL feis 
nem frengen Vater auf dem Throne gefolgt. Der dem Kna⸗ 
benalter kaum entwachfene Juͤngling ſchien den Nachbarn Bein 
Hinderniß fir ihre Entwürfe gegen Schweden. Peter von 
Rußland begriff, daß ein Land ohne die Mittel feine Übers 
flüffigen Erzeugniffe abzufegen, ohnmaͤchtig bleiben müffe, und 
firebte, wie am ſchwarzen Meere, fo noch eifriger an der. 
Dfifee nach dem Beſitze eines Hafens; biefe Küfte aber war 
damals ſchwediſch · Auguft von Sachfen fuchte als König von 
Polen einen wo möglich gefahrlofen Krieg als Vorwand, um 
feine ihm ergebenen fächfifchen Truppen im Lande Behalten, 
und feine weitausfehenden Entwinfe zur Gründung einer erbs 
lichen Herrſchaft, endlich wohl gar zur Theilung Polens aus: 
führen zu koͤnnen. Dem felbftfüchtigen, vergnügungsgierigen, 
wollüftigen Manne galten Eide, Ehre und Treue nichts ). 

1) Wagner vita Leopoldi T. IL p. 181. Bergl. p 689 ff. 
Rind S. 1897. 

2) Mer das urtheil zu hart Anbet, der Anbioe Mugufts Gefchiäkte, 
kreilich nicht nach den fonft adhtungewerthen fächffähen Befchictfehrei- 


Der Norden. ”» 


Der uͤbrigens gutartige, eitele König Friedrich IV. von Daͤne⸗ 
mark wimſchte wie fein Water Chriſtian V. bie feinen Vor⸗ 
fahren von ben tapferen Schweben entriffenen Provinzen wies 
der zu erobern, Schweden für immer zu ſchwaͤchen und bie 
ihm fo nahe verwandte als verhaffte holfteinsgottorpfche Linie _ 
au unterbrüden, vorzüglich feit ber junge ‚hergog Friedrich bie. 


drei Sürften fo verichiedenem Zwecke und ihrer noch weit 
mehr verfchiedenen Sinnedart hatten fie doch insgeſammt ein 
gemeinfchaftliches Intereſſe gegen Schweden. Patkul, ein liev⸗ 
Unbifyer Ebelmann, reizte fie zur Vereinigung an umd vers 
mittelte diefe. Er hatte fich ald Abgeordneter des lievlaͤndiſchen 
Dels in Stockholm gegen bie willfhrlihen Mapregeln Karls 
AL dreiſt geäuffert, war feiner Gefangennehmung nur durch 
dlige Flucht entgangen umd zum Tode verurtfeilt worden, was 
Karl XIL nicht aufhob. 

Patkul, ein gewandter, entfchloffener und Alles zu unters 
nehmen fähiger, baher hoͤchſt gefährlicher Menfch,- hatte ſich 
voller Rachſucht gegen Schweden nach Berlin begeben, wo 
& dem Feldmarſchali von Flemming und deffen Sohne, König 
Luguſts Lieblinge und Gefanbten am brandenburgifchen ‚Hofe, 
die Eroberung Lievlands vorſchlug, dadurch in Beziehungen - 
gm Könige Auguſt trat, dem biefer Entwurf einen erwimſch⸗ 
tm Vorwand zum Kriege gab. So wurden durch Patkuld 
Bermittelung (24. März 1698) zwifden Auguft und dem 
Könige von Daͤnemark, dann (26. Juli 1698 und 24. 
Auguft 1699) zwifchen diefem und Rußland, endlich ebendas 
felot (21. Nov. 1699) zwifchen Peter und Auguft gegen 
Karl XU. Bündniffe abgefchloffen, während Auguft verftellter 
Beife ein Bündnig mit dieſem verhandelte. Die Verbuͤnde⸗ 
ten befchloffen, ohne Weiteres mit Schweben zu brechen und 
dem Baar einen feſten Fuß an ber Dftfee zu verichaffen, wes⸗ 


ben. Schon 1. Nov. 1708, alfo lange vor ber Schlacht von Pultawa 
G. Zuti 1709) drädt er an Mariborough den Dunſch aus, feine Ver⸗ 
Wötteiftung auf den polnifcen Abroa für ungültig zu erflären, ba feine 
Bevollmächtigten die Blanketa gemisbraudht, bie er ausgeſtellt: dans la 
os d’amuser ce Prince (Karl XIL) pour gagner ie temps. Schu⸗ 
Imbungg Ecben I. ©. 858, wne man 1 wit allen 


100 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


halb Auguft fo bald als moͤglich Lievland und Eſthland angreis 
fen folte. Den Kurfürften von Brandenburg wollte man we⸗ 
gen des gemeinſchaftlichen Intereffe in die Verbindung ziehen '). 
Diefer ging aber wegen feined Bundes mit Schweben nicht 
darauf ein, obwohl er mit allen gegen Schweben Verbimde⸗ 
ten in fehr gutem Vernehmen ſtand und namentlich mit bem 
Baar, bei deffen mehrmaliger Anwefenheit in feinen Staaten er 
ihm alle Beweife von Freundſchaft und Hochachtung gab, ihm 
Artileriften, die zur Eroberung Aſows weſentlich beitrugen, 
ferner Gewehrfabritenmeifter und Ober⸗ und Unterofficiere zur 
Einuͤbung des ruſſiſchen Heers fhidte, was der Baar dankbar 
anerkannte ). 

Karl ZU. hatte man zwar vorſichtig genug die Blnbniffe 
ſeines Vaters ſowohl mit Brandenburg (v. 23. Juni 1698) ’) 
als mit ben Niederlanden, Zranfreih und England theild ers 
neuert, theils erweitert, dachte aber doch nicht daran, daß er 
fo plöglich, nicht nur ungerechter fonbern zugleich verrätherifcher 
Weiſe angegriffen werben würde, wie es geſchah. 

Vatkul hatte nämlich Einverftändniffe in Riga. Eine 
dort von ihm geleitete Adelspartei wartete nur auf Annaͤhe⸗ 
rung bes fachſiſchen Heer6, um ſich gegen Schweden zu ers 
klaͤren. Im der Weihnachtszeit des Jahres 1699 follte daB 
audgeführt werben, body traten mehrfache Zögerungen ein; der 


1) ©. des ehrlihen Hoyer Leben König Friedriche IV. von Däne 
mark IH. I. ©. 21 ff. Peters J. Tagebuch I. 5.2 ff. Denkwuͤrdigkeiten 
für bie Kriegskunſt, zweites Heft, &.157—138. Rorbbergs Seſchichte 
Karls XIL Bd. L S. 50 der framdſiſchen Ueberfegung, der doch bie ges 
nauen Daten noch nicht kannte. Wergl, Eunbblads Kari XIL Xp. I. 
©. 82 der beutfchen Ueberfegung. 

9) Königs Berlin II. ©. 73. \ 

3) Das Buͤndniß vom 23. Juni 1698 erneuerte mit Kari XI. ben 
. Vertrag, weldyen Kurfürft Sriebrich IIL am 11. Juli 1696 mit Karl XI. 
(von diefem ratiſicirt 8. Aug. 1696) geſchloſſen hatte, welcher ſelbſt die 
Erneuerung bes zebnjährigen geheimen Bünbniffes enthielt, weiches ber große. 
Kurfürft am 10. Bebruar 1686 mit Schweden eingegangen war. Schoͤll 
I. &. 387 und XII. &. 208 fannte den Inhalt nicht. Es war ein gegen ⸗ 
feitiger Vertheibigungsbund, Schweden follte dazu 7000 Dann, Brandene 
burg 6000 Mann ftellen. Gin geheimer Artikel enthielt bie Verpflichtung 
beiber Theile zur Aufrechthaltung ber deeligionefrriheit im beutfchen Bteiche. 


Karl XIL 101 


ſchwediſche Commandant ſchoͤpfte Argwohn und machte Gegen- 

anſtalten. Der Verſuch, mit 7 — 8000 Mann Sachfen im 

Ianuar ohne Kriegserklaͤrung zu Üüberrumpeln, mislang durch Ianıar 

die Wachſamkeit der Schweden 1700 
Karl war eben auf der Iagb, wo er, feiner natürlichen 

Berwegenheit gemäß, Bären nur mit Knuͤtteln befäinpfte, als 

er Nachricht von dem verrätherifchen Angriffe Auguſts erhielt. 

& eilte nad) Stodpolm und fagte zum Senate: „Ich habe bes 

ſchloſſen, nie einen ungerechten Krieg zu führen, aber einen 

gerechten auch nur mit bem Untergange meiner Feinde zu en 

den!" Er rüflete eilig. Bald darauf rüdten bie Dänen, Mir 

welche Schweben durch Auguft von Polen für hinlaͤnglich bes 

ſcaͤftigt hielten, in die Beſitzungen feines Schwagers, bes 

Herzogs von Holſtein⸗Gottorp ein, zerftörten die von dieſem 

angelegten Schanzen und belagerten Zönningen. Fuͤr ben 

Herzog traten auffer Schweden und Holland, die Gewähr: 

leiſter des altonaer Vertrags, hauptſaͤchlich Hannover und 

elle auf, zunaͤchſt weil Dänemark ſich gegen bie neunte Kur 

allart hatte, wogegen dieſes obwohl vergeblich auf ben 

Beifland der correſpondirenden Fürften hoffte Der Kaifer 

wönfäpte friedliche Beilegung, Kurfürft Sriebrih IM. von 

Brandenburg wollte es weder mit Schweden verderben, mit 

dem er verbindet war, noch mit Dänemark, mit bem ers. Apriı 

&m ein geheimes Buͤndniß abgeſchloſſen ), weigerte einigen 

taufend Sachſen, die Auguft nad; Daͤnemark ſchicken wollte, 

den Durchzug *), zog felbft 10,000 Wann in einem Lager 

bei Lenzen an ber Elbe zufammen, um fo ben Frieden zu ers 

halten, ohne mehr zu thun. Die englifch = bolländifhe Flotte 

ging unterbeffen durch den Sund, bombardirte vereinigt mit 

der ſchwediſchen Kopenhagen, Karl landete in Seeland und4. Aug. 

ewang vierzehn Tage darauf den Frieden zu Travendahl, 18. Ang. 

durch deffen von den Kurfürften von Sachſen und Brandens 

burg vermittelte Bedingungen er feinen Schwager fiher ftelte, 

Dinemart ſchwaͤchte, demüthigte und vom Bunde mit Ruß⸗ 


1) Hoyer L ©. 18. Es war bie Erneuerung eines ſchon im 
Apr 1692 abgefehloffenen MWertheibigungsbünbniffes; ber Zutritt gegen 
Squoeden wurde bem Kurfürften offen gelaffen. 

9) Lamberty I. p. 90. 





102 Bud V. Zweites Hauptſtuͤc 


land und Sachſen abzutreten nöthigte ). Darm ging er nach 

Riga, weldes Auguft foͤrmlich belagerte, allein nun ſchnell von 

dannen zog. Karls Schwager, ber Herzog von Holftein, wollte 

mit den Schweden gern in Sachſen einfallen. Auguft gerieth 

in große Angſt; 8000 Dänen marfchtrten zu feinem Schutze 

6. Rov. hin ); ein Vertheidigungsbuͤndniß ſchloſſen die Miniſter Fried⸗ 

1700 ichs IE: mit den feinigen *), zwei drandenburgiſche Regimens 

tee wurden nad) Sachen geſchickt und die nach Memel flüchs 

tende ſaͤchſiſche Beldartillerie Karl XIL nicht ausgeliefert *). 

Karl hatte jedoch andere Abfichten, wendete ſich gegen ben 

30. Rov. Baar, der Narwa belagerte, und ſchlug mit feinen Schweden 

deffen flnfs bis ſechsmal ftärkeres Her. Dennoch bedrohete 

der Herzog von Holſtein Sachfen noch einige Zeit und ließ 

bei Stettin ein Lager für 12,000 Mann abfteden. In Pos 

len parteiete fi) die Nation immer offener gegen und für 

Augufl. 

Während auf diefe Weife ber Norben fo gewaltfam aufs 

gerhttelt wurde, daß bie Erſchuͤtterung allg Nachbarn und zus 

naͤchſt Brandenburg, den Kaifer und bad Reich mit großen 

Beforgniflen erfüllen muffte, zogen fih im Weften die Stoffe 

zu einer nicht minder großen und für den Kaifer weit drohen⸗ 

dern Bewegung zufammen. Das längft erwartete Ende Karls 
DI. von Spanien nahete augenfcheinlich heran. 

Kaiſer Leopold war feft überzeugt, er allein habe gerechte 
Anfprüche auf fämmtlihe mit dem Erloͤſchen der Habẽburger 
in Spanien erlebigten Staaten und Beſitzungen, zweifelte 
lange gar nicht daran, daß er fie erhalten werde, und vers 
fdumte daher lange die von ber einfachſten Kiughelt gebotenen 
Maßregeln, um feine Rechte zu ſichern. Ludwig XIV. hatte 


1) Dumoat VIL2p. 480. Hoyer L ©. 82. 

9 Hoyer J. S. 37 f. 

8) Gr ſteht in den Oiſtoriſch⸗ polktifcen Weiträgen me 1. 
Dee Vertrag ift nicht ratificirt, doch für verbinbiid Behalten worden. 
Dohna p. 286. Schoͤll kennt ihn nit. 

4) Schmettau erflärte im Bang: die Belegung Sachſens werde Bran« 
denburg nicht zugeben, vielmehr mit aller Macht wehren. Lamberty 
I. p.164 Berg. Hoyer I. &.48. Daß 2000 Mann brandendurgiſche 
Truppen nach Sachſen geſchickt wurden, erzäplt Lamberty I. p. 521. 


Spanifhe Erbfolge. 103 


hinreichende Vorwaͤnde, eine fo glmflige Gelegenheit zu benu- 
gen, um wenigfiens einen Theil der weichen Erbſchaft für fein 
Haus zu erwerben und dem Kaifer zu entziehen. Dem Könige 
Wilhelm IN. von England lag zur Erhaltung bed Gleichge— 
wichts der europälfhen Mächte daran, daß weber Frankreich 
noch Defterreich die ganze Erbſchaft erhielten, er arbeitete daher, 
ſeitdem mit bem Tode des Kurprinzen von Baiern bie Hoff- 
nung erlofcyen war, fie ungertrennt auf biefen, den Großneffen 
Karlö II., zw bringen, in Verbindung mit den Holländern an 
ner Theilung der Erbſchaft und gewann Ludwig XIV. dafür. 
Die Hauptländer, ald Spanien, die Golonien und Belgien 
foltten dem legten Wertrage (vom 25. März 1700) gemäß an 
keopolds zweiten Sohn, Karl, die italieniſchen Nebenländer an 
Sranfreich fallen. Der Kaifer weigerte ſich aber darauf einzu: 
sehen und war entfchlofien, es auf bie Entfcheidung der Waffen 
anlommen zu laffen. Die Geemächte, welche die Theilung 
wolten, hatte er gegen ſich, auf dem treulofen Herzog von 
Savoyen, in deffen Haufe die Wortbrüchigkeit erblic war, 
konnte ex nicht bauen, der Kurfürfl von, Baiern, ben er vers 
nchläffigt hatte, war für Frankreich, ebenfo die gegen die 
neunte Kur correfponbirenden Fuͤrſten, hauptſaͤchlich Anton 
Uri) von Braunſchweig; dem Könige von Dänemark wurden 
von Frankreich große Anerbietungen gemacht ’); ber Kurfürft 
ven Sachfen war im Kriege mit Schweden beſchaͤſtigt und 
imnde durch frangöfifches Geld wenigftens in große Verfuchung 
geführt; der Herzog von Holftein erhielt von Lubwig XIV. 
monatlich 15,000 Xhaler, um feinen Schwager, den König 
Karl KIL. auf die franzöfiiche Seite zu ziehen. So blieb dem 
KLeiſer, um auffer ‚Hannover noch eine bebeutende Unter 
Rügung zu finden, Niemand übrig, ald der Kurfürft Fried⸗ 
rich IL von Brandenburg, welcher 30,000 Mann bewaͤhr⸗ 
ter Zruppen auf ben Beinen hatte ). Diefer benugte 


D Hoyer L. S. 42 ff. 

N Schönings Leben Ragmers ©. 196, aus dem Verpflegungs- 
Mglement. Lamberty I. p. 168 meint, baß weder ber König von 
Goglenb noch bie Geueralſtaaten das Königtpum anerkannt Haben wuͤr⸗ 
— man nicht Zriedrichs Beiſtand zum bevorſtehenden Kriege 


10% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


Die Verlegenheit des Kaiſers, um von biefem bie lange Zeit 
ſchon fo nachdruͤcklich erfirebte Koͤnigswuͤrde zu erlangen. Es 
iſt nicht unwahrfceinlich, daß unter der Hand auch bedeutende 
Geldfummen an Faiferlihe einflußreiche. Beamtete gegeben oder 
doch verfprochen wurden, um fie für bad Unternehmen zu ges 
winnen, welches im Gabinete des Kaiferd nicht mit Unrecht 
auf lebhaften Widerftand traf. 

Je mehr aber die franzoͤſiſche Partei am ſpaniſchen Hofe 
die Oberhand gewann, je dringender bie Seemaͤchte des Kai⸗ 
ſers Zutritt zum Theilungsvertrage verlangten, je näher der 
Tod Karls IL, ben man jeden Tag erwartete, bevorftanb, je 
aufrubrbeopenber die unruhigen Ungarn wurden, deſto höher 
flieg die Gefahr für den Kaifer, während der Kurfürft unter 
feiner Bedingung von feinem Verlangen nach ber Koͤnigskrone 
abgehen wollte, ja wohl befürchten ließ, ex könne ſich ſogar 
mit Frankreich verbinden '). Unter diefen Umfländen wurde 
durch einen an fi unbebeutenden Zufall des Kurfürften Be— 
mühung von einer Seite unterftügt, welche ſcheinbar Fein Ins 
tereffe haben konnte, fie zu fördern, wahrſcheinlich aber doch, 
wie wir bereits angeführt haben, weitaußfehende Entwärfe 
damit verband, nämlich von den Jeſuiten. 

Als der preuſſiſche Gefchäftöträger in Wien, ber geheime 
Rath Bartholdy, glaubte alle Mittel zur Erreichung feines 
Zwecs erfolglos erfchöpft zu haben, rieth er dem Kurflrften, 
diefer möge fi in einem eigenhändigen Schreiben an ben 
Kaifer felbft wenden. Durch zufällige Berwechfelung ber Zahl, 
welche in der Depefche als Chiffre den Kaifer, mit ber welche 
den Sefuiten Wolf bezeichnete, wurde nun der Kurfürft vers 
anlafft, an diefen eigenhändig zu ſchreiben. Der Pater Wolf, 
ein geborener Baron von Lübingshaufen, früher als Geiſtlicher 
im Gefolge des kaiſerlichen Gefandten Grafen Lamberg in 
Berlin und in hoher Gunft bei dem Kaifer, wurde dadurch 
für das Unternehmen gewonnen und beförderte es nun eben 
fo thätig, als für fi durchaus uneigennügig. Ex wechſelte 


» Au iſt das wohl worden, ob aber ernftlih? Villare 
Fer p- 462. Am 30. Rov. 1697 ſchrieb bie Gräfin edwenhaupt 

herr Shpocher, ber Gräfin Aurora von Königemart, Bereit) IL. wolle 
ſich mit Frankreich verbünden. Kramer L ©, 197. 


Pater Wolf. 105 


mit dem Kurfürſten mehrere eigenhändige Briefe und es iR 

ſeht wahrſcheinlich, daß feine Vorflelungen und fein Ordens⸗ 

einſluß auf den in Religionsangelegenheiten fehr befchränkten 
Kaifer manche in biefer Rüdficht den Wuͤnſchen des Kurflirs 

fien 'entgegenftehende Hinderniffe befeitigten. Immer höher 

fig mit der fleigenden Werlegenpeit des Kaifers die Hoffnung 
Bolfs, das Biel zu erreichen und in feinen legten Briefen 
fituliete er ben Kurfürften ſchon: Durchlauchtiger Kurfürft, 
Snädiger Herr: beinahe König! ') Dennoch gab hoͤchſt 
wahrſcheinlich erſt die Nachricht von dem am 1. November int. Rov. 
Mabrib erfolgten Tode Karls IL und dem von ihm hinters 1700 
laſſenen Teſtamente, in welchem er Philipp von Anjou, den 

Enkel Ludwigs XIV., zum Erben aller von ihm hinterlaffenen 
Staaten und Länder einfegte, den Ausfchlag zu Gunften der 
Kronangelegenheit Zriebrihs IL Am 16. November wurde 16. Rov. 
der geheime Kronvertrag zwiſchen Friedrich III. und dem Kaifer 
abgeſchloſſen. Im biefem erneuerte der Kurfürft zuvoͤrderſt das 
geheime Bimdniß feines Vaters mit dem Kalfer (vom 22. 

Rirz 1686) und verſprach, nicht nur wirkliche Leiftung des 

derin zugefagten Beiftandes, fondern auch vertrauliches Zuſam⸗ 
menhalten und fo viel ald möglich gemeinfchaftliche Maßregeln 

auf Reichs⸗ und Kreistagen; ferner zur Behauptung der Ges 
ungen Philippsburg und Kehl nicht nur beim Reiche zu ars 
beiten, fondern eine Compagnie. Fußvolls auf eigene Koften 

als Befagung zu geben und zu unterhalten,. bie Erlebigung 

der haumöverifchen Kurfache zu befördern, gegen feine Batholis 

ſchen Unterthanen wegen Bedruͤckung der Proteflanten in ans 

deren Ländern Feine Repreffalien anzuwenden, wogegen ber 
Kaiſer verfprach, fi) zu bemühen, daß die evangelifchen Reeli⸗ 
ginöbefchwerben ben Teichsgeſetzen gemäß erörtert und beiges 


1) &. Yater Wolf, von Ricolat, in der neuen Berliner Monatsſchriſt 
9.3.1799, Ih. 2, ©. 821 aus ben Kronacten. Wergl. Dohna p. 27%, 
dem ber König felbft bas Misverftändniß erzählte. Was ich über Wolf 
abweichend unb ergängenb fage, verdanke ich zuverläffigen Mittheilungen. 
Pr bat, wie aus der obigen Bufanmenftellung hervorgeht, die Miche 
ie Bufalls 


106 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


legt würden. Im Falle wegen ber, Wpanifen Erbfolge Krieg 
entftände, folle, wie im Jahre 1686 vertragen worben, der 
Kurfürft 8000 Mann jedoch nunmehr auf eigene Koſten 
fielen und nur zus Wertheibigung feiner eigenen Länder zurüds 
berufen bürfen, aud andere Zürften zum Bunde mit dem 
Kaifer zu bringen fuchen. Alle ihm ſchuldigen Subfidien ers 
ließ der Kucfürft, follte jedoch während der Dauer des Kriege, 
— im Jahr 1686 vertragen war, jaͤhrlich 150,000 Gulden 

halten, und verfprach auch ben Kaiſer in der Wiederzu⸗ 
in der böhmifchen Kurſtimme bei dem Reichstage zu un 


Da der Kurfürft mn, fährt der Vertrag fort, dem Kal- 
fer vorftellen laffen, daß er aus verfchiebenen Gründen bie 
Abficht habe, feinem Haufe den koͤniglichen Zitel zu erwerben 
und den Kaifer gebeten, ihm dazu behilflich zu fein, indem 
ee wohl erkenne, baß er fich, nach dem Beiſpiele anderer ſou⸗ 
verainen Könige, die im vorigen Zeiten biefe Würde erlangt, 


beöhalb vornehmlich an den Kaifer als hoͤchſtes Oberhaupt der 


Chriſtenheit zu wenden habe, auch nicht gemeint fel, ohne befz 
fen Approbation fich folhen Nitel zu arrogiren und zur Kroͤ⸗ 
zung zu fehreiten, fo babe der Kaifer, in Betracht ded uralten 


klaͤre auch aus kaiſerlicher Macht und Volllommenheit, wenn 
ber Kurfürft diefer erlangten Approbation zufolge fih wegen 
feine Herzogthums Preufien zum Könige ausrufen und kroͤnen 
laffen, baß er, ber Ralfer und fein Sohn ber vänifhe Sönig, 
auf erhaltene Anzeige ihn unverzögert ins und aufferhalb des 
Reichs für einen König in Preuffen ehren, wuͤrdigen und ers 
kennen und ipm diejenigen Prärogativen, Zitel und Ehren ers 
weiſen wolle, welche andere eusopdifche Könige vom Kaifer 
und kaiſerlichen Hofe exhielten, aud zu befördern, daß daſſelbe 
von anderen Maͤchten gefchehe, Alles jedoch, wie der Kurfürſt 
fich bereit8 gegen den König von Polen verpflichtet, ohne 
Präjudlz fir diefe u fowie für das Reich. Die übrige 
Hälfte deb Vertrags beficht aus Beſtimmungen über die gegen- 


Rronvertrag. . 107 


feiig und gegen Andere zu gebrauchende Titulatur und zu bes 
vbachtende Etikette ) 

Rum wurde ſchleunigſt und mit großer Anſtrengung Alles 
aufgeboten, sam bie Zeierlichkeit der Annahme der Königewinde 
und der Krönung mit der groͤßeſten Pracht in Königsberg zu 
begehen. Am 17. Detember brach Fridric mit fine Om 17. Der 
mahlin, zweim feiner Brüder, dem Kronpringen, dem Hofe 700 

‚ Raste, drei Gompagnien Garde du corps, 100 Mann 
fGtweiger Garde und insgefammt fo zahlreichem Gefolge von 
Berlin auf, daß dieſes in vier Xbtheilungen reifen muſſte, weil 
& auffer den vielen koͤniglichen Pferden deren noch 30,000 
zum Vorſpann bis Königäberg bedurfte, wo ber Kurflrfl am 
9. December —— Die Kroͤnungsdecorationen orbnete 29. Dec. 

der Baubfrector Erſander von Göthe, die Geremonien haupt: 
Inge aber ber Pie felbft an *) and neben ihm bie Gra⸗ 

fin Wartenberg und Rottum, ber geheime Rath Ilgen und 
der Geremonienmeifter Beſſer, welcher uns eine ausführliche 
Beſchreibung ber Belerlichkeit hinterlaffen hat. 

Am 15. Januar wurde unter Glodengeldute, Kanonen: 19, Sun. 
denner und dem Sauchzen des Volks durch Heroide verkündet: 1701 
% fei durch die allweiſe Vorfehung dahin gediehen, daß daB 
bisherige ſouveraine Herzogthum Preuffen * einem toͤnigreiche 
wfgerichtet und deſſen Souverain Friedrich König in Preuſſen 


modem. 

Am 17. Januar ſtiftete Friedrich, wahrſcheinlich im Ge 17. San. 
Sſade zu dem’ polnifchen weiflen, den preuffifhen ſchwarzen 
Werden, zu deffen Kanzler der Graf Wartenderg ernannt 
de, den darauf der König vom Throne den anwefenden 
und anderen Prinzen und mehrerm Generalen und 

wngefehenen Gtaatsbeamteten verlieh. 

Der 18. Januar war zum Krönungstage beflinnmt, bie 18. Ian. 

und Kieinodien ald Reichs⸗Krone, ⸗Schwert, 


1) Die Urkunde in Rousset Supplem, T. IL P. 1. p. 461, und 
Yan in Börfkers Höfen und Gabfnetten Ip. I. Urfunbmb, ©. &, 
der fie zuerſt mitgeteilt zu haben glaubte. 
sun Doku p. 276, ber ſich in ber näheren Umgebung bes Königs 


108 Bud V. Zweites Hauptftüd. 


s Scepter, sApfel, ⸗Siegel und Banner waren dazu fehr koſtbar 
von Gold mit vielen hoͤchſt werthvollen Edeiſteinen ange 
fertigt worden. Der König trug ein Scharlachkleid mit Dia- 
mantenknoͤpfen, deren jeder 3000 Ducaten Eoftete, der Mantel 
von purpursfarbenem Sammet voller in Gold geflidter Kronen 
und Adler, wurbe vorn von einer Agraffe zufammen gehalten, 
welche aus drei Diamanten, 100,000 Thaler werth, beſtand. 
. Die Krone hatte flat des Laubwerks lauter dicht aneinan> 
dergefügte Diamanten, beren einige 80 bis 130 Graͤn hielten. 
Man fchägte den gefammten Krönungsfhmud auf viele Mili- 
onen Thaler an Werth. 

Der König wurde in feinem Schlafgemache mit dem koͤ— 
niglichen Drnate beBleidet, ging dann in ben Audienzfaal, ſetzte 
ſich hier felbft die Krone auf das Haupt, nahm dad Scepter 
in die Hand, vertheilte die übrigen Infignien, begab ſich in 
das Gemach der Königin, feste diefer ihre Krone auf und 
ging fo mit feiner Gemahlin in den Aubienzfaal zurüd. Beide 
Mojeftäten festen fid auf den Thron und wurden von ben 
‚Hofs und Staatsbeamteten, den Ständen und Gorporationen 
feierlich ehrfurchtsvoll begrüßt. Dann ging der große Bug, 
ber König mit der Krone auf dem Haupte und bem Seepter 
in in ber Hand unter einem praͤchtigen von vierundzwanzig Edel» 

leuten "getragenen Baldachin in die Schloßkirche, wo ber Ius 
theriſche Dberhofprediger, Bernhard von Sandra, und ber 
seformirte, Benjamin Urfinus, welche Beide ber König vorher 
aus Moctvolllonmenheit und nur für dieſe Ceremonie zu Bis 
ſchoͤfen ernannt hatte ), den König und die Königin auf die Stirn 
in Zorm eines Kreifes falbten. Durch diefe bei der Krönung 
beobachtete Form der Geremonie wollte der König anzeigen, 
daß er die koͤnigliche Würde nicht durch die Salbung erlange, 
vielmehr Eundgeben, daß er fie allein von Gott dem Herm 
annehme. Durch eine Proclamation erhielten ale Gefangenen 
im Reiche, auffer den Beleidigern ber göttlichen und menſch⸗ 
Then Majeſtaͤt, abfichtlihen Todtſchlaͤgern und Schulbnern 
ihre Freiheit. Krönungsmebaillen, über 6000 Thaler an Werth, 


1) ©. Herings biographiſche Radyrihten von einigen gelehrten und 
berühmten Männern, zweites Städ. J 


Krönung. 109 


wurden auögewworfen und achtzehn verfchiebene Medaillen auf 
das fo wichtige Ereigniß geprägt ). 

Bei der Tafel dienten fiebenundzwanzig Kammerjunker, 
fämmtlich Oberſtlieutenants und Hauptleute. Unter vielen 
Geremonien muffte jede Speife, jedes Getränt durch drei bis 
dire dienende Hände der vornehmen Beamteten gehen, che et» 
md an bie Pöniglichen Majefläten kam, welde von golbenen 
Satffein fpeiften. Ein mit Schafen, Reben, Berkein, Hafen, 
Häbnen und anderm Geflügel gefühter und, in Nachahmung 
der Kaiſerkroͤnung zu Frankfurt, auf freiem Plage am Spieße 
goratener ganzer Ochs, als Zeichen von Seiner Majeftät ſich 
über Alles erſtreckenden Herrichaft, wurde dem Wolke preisge⸗ 
geben mit dem Beine, welcher aus zwei Springbrunnen fprang. 
Auminationen und Gaftmäpler in allen Hauptftäbten der Pros 
Yinen, Sampfiagben im Hetzgarten *) und Beuerwerke wechſel⸗ 
tm zur Erluſtigung des Hofes ab, wogegen ber Gottesdienſt 
md die Einweihung ber reformirten Kirche die religisfe Geite 
de Feſts zeigten. Wei den Feſten und Predigten wurbe im 
Geſchmacke jener Zeit ein großer Theil vorzlglid ber biblifchen, 
dem ber griechiſchen und roͤmiſchen Geſchichte und ber alten 
Shtterwelt verwendet und ber neue König umabläffig von Ju⸗ 
dm und Ghriften als ein zweiter Salomo begrüßt. 

Nachdem der König noch in der Iutherifchen Schloßfirche 
ud aus deren Kiechengefäßen, als Ausbrud feines Wunſches zur 
Bereinigung beider Belenntniffe, das heilige Abendmahl genoffen 
hatte, brach er am 8. März von Königsberg nad; Oranienburg 8. März 
af und hielt von hier aus am 6. Mai feinen überaus glängen» „1701 
den Einzug in Berlin durch fechs dazu erbauete Eprenpforten. 


1) Sätther ©. 185 ff. 

2) Ge waren damals belicht und ſchon im I. 1698 ein Circus mit 
madtvollen Amphitheater in Berlin erbauet zu Kämpfen von Wären, 
fen, Fächfen, Swen, tieren, Auerochſen und wilden Schweinen, 
Nam aud) in Königsberg ein Detgarten eingerichtet. uf jenen prägte 
dal eine Medaille. S. Wilken im Berliner Kalender vom 3. 1822, 
©. 115, bie Mebeille bei Gütther S. S1. Im I. 1705 erhielt ber 
Lnig durch einen Wenſchen, den ex deshalb nach Tunis geſchict hatte, 
ri Panther, Affen und andere wilde Thiere für dem Debgarten, auch 
en Menfhenfurffer. Königs Berlin I. ©. 160. 


410 Bud V. Ameites Hauptſtuͤck 


Jede Provinz brachte ihren Gluͤckwunſch und ein, wie 
man angab, freiwillige Geſchenk als Kronfteuer, bie Kurraark 
hatte es eben fo freiwillig bis auf 160,000 Thaler erhöhet '). 

In Koͤnigsberg bereitö hatte zuerft der König von Polen 
dem Könige Friedrich Gluͤck gewuͤnſcht, in Berlin geſchah bad 
nun, nad gemachter Anzeige von ber vollgogenen Krönung, 
von dem Kaifer ), den Königen von England und Dänes 
mark °), welche fi ſchon vorher damit einverftanden erflärt 
batten, von dem Baar Peter, den Generalftaaten, ben ſchwei⸗ 


‘zer Gantens, Gavoyen, Fiorenz, Kurpfalz und Hannover, 


denen dann nach und nach bie Übrigen Staaten, Kır: Mainz 
und Xrier (1703), Portugal (1704) und Venedig (1710) 
folgten. Der Meiſter bed deutſchen Ordens wendete fi mit 
feiner Proteflation (v. 11. Febr. 1701), weil das Unternehmen 
gegen Taiferliche Decrete, Kammergerichtemandate und Achter 
klaͤrung fei, dennoch ohne Erfolg an ben Kaifer und an bie 
Kurfürften; nur Baiern und Köln waren flr den Drden *). 
Im Warſchau hatten bie polnifhen Großen zu fpät eine Bes 
vathung gehalten, um die Krönung Friedrichs zu hindern, dies 
fer jedoch einen förmlichen Revers gegeben, baß die koͤnigliche 
Wuͤrde für Polen ohne Präjubiz fein folle *), was Wiele bes 
ruhigte; bald darauf wars gefchehen und auf dem Reichötage 
zu Warfchau proteflisten der Kronmarfchall, der Kanzler und 
der Unterlanzler von Lithauen und der Landbote von Sendo⸗ 
mir ohne Erfolg. Eben fo vergeblich waren bie bitten Er⸗ 


1) Beffers preuffifche Kroͤnungegeſchichte. Gin en ber Spree 1708, 
auffer 26 Geiten Zuſchrift 92 Weiten Wolle. Der Gofkupferficcher a. 
Wolfgang lieferte die dazu gehörigen 20 großen Kupferſtiche. Seſſer 
erhielt 2000 Thlr. für feine Arbeit. 

2) Der kaiſerliche Gefanbte wurde in Berlin mit Ehrenbezeigungen 
dberhäuft umd erhielt einen Bing 15,000 Thirn. werth. Lamberty 

p. 882. 

8) Ehriſtian V. war ſchon vorher einverftanden, dann auch Frieb⸗ 
rich IV. Hoyer L ©. 40. 

4) Lamberty L. p. 283 und VI. p. 90, Theatz. Europ. XVL 
p. 187. 

5) Der Meverh bei Zalunki eplat. III. p.16 erſt vom Kurfücften, 
dann 21. Febr. 1701 vom Könfge: regni anno I. 


Krönung. Anerkennung. 111 


Siefungen der polniſchen und lithauiſchen Großen, welche höhs 
niſch daran erinnerten, baß Friedrichs MWorfahren mehrfache 
Geſandtſchaften abgeorbnet hätten, um eine Stelle unter den 
yolnifpen Reichsſtaͤnden zu erhalten ). Daraus eben hätten 
fie fehen ſollen, daß Polen nur durch wen anders als durch 
fi ſelbſt geſunken war, während ber Herzog in Preußen flieg. 
Der Fürft Johann Rabziwiß proteflitte in Paris vor Notar 
und Zeugen *), der Primas dagegen wuͤnſchte Friedrich I. auf 
beffen Anzeige von ber Krönung Gluͤck zur Emeuerung bes 
(due Sage nach) alten koͤniglichen Titeis in Preuffen und 
nannte ihn Majeftät ). Karl XI., anfänglich unwillig über 
driedrichs Werbindung mit Auguft von Sachſen und Polen 
und dem Könige von Dänemark, Heß in Regensburg Auffern: 
mar koͤnne dem Kaifer nicht zugeſtehen Könige vor der Fauft 
mg zu machen ſobald er wolle. Gehe das durch, fo werde 
et, Karl, dereinft auch feinen Schwager zum Könige von 
Shleönig erflären laffen, wovon dieſer auch bie Hälfte wie 
Friebrich vom preuſſiſchen Sande ald Gouverain befige. Doc 
mrde diefe Spannung, wie wir fehen werben, bald befeitigt. 
Der Krieg allein hinderte die Anerfennung von Selten Franke 
wihs und Spaniens, die fpäter erfolgte. 

Der Papft Clemens XI. proteftirte gleich nach feinem 
Segierungsantritte in einem Gonfiftorio ei. April 1701) in 
Wigen Ausdrüden gegen den Kaifer, ber daß neue Königthum 
rihtet, ohne zu beachten, daß es nur bem heiligen Stuhle 

, Könige zu. ernennen. Friedrich fei ein offenbater 
Feind der katholiſchen Kirche und befige Preuffen nur durch 
fall eines feiner Vorfahren und deſſen Ufurpation geheilig⸗ 
tr Riechengliter. Er (der Papfi) erklärte, nie feine Zuſtim⸗ 
mung dazu geben zu wollen, und ermahnte, obwohl, wie wir 
gefehen, ohne allen Erfolg, Friedrich nicht als König anzus 
alennen. Dieſes in der Sache höchft anmaßende und auch 
in der Form Höhft unfhtliche und für den Keiſer und die 


1) Zaluski epist. T. II. p. 1 fi, 26 und 197. 
9) Lamberty L p. 888. ®ergl p. 881 f. 


9) Zaluski a. a. D. p. 14, auf ein Gchreiben Friedrichs vom 
7. Januar, in welchem ex bie erfolgte Krönung amzeigte. 


112 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


weltlichen Fuͤrſten beleibigende Verfahren, welches noch dazu 
vom päpftlichen Hofe unbefonnener Weiſe möglichft veröffents 
licht wurde, brachte nicht nur proteftantifche fondern auch ka⸗ 
tholiſche Fuͤrſten, vor allen aber natürlich den neuen König 
auf. Der bald fo berühmte Profeffor der Rechte Johann 
Peter Ludwig in Halle, der bereits für eine in Beziehung auf 
die Annahme der Löniglichen Würde gefchriebene und Fried⸗ 
rich J. gewidmete Abhandlung böglichft belobt, befchenft und 
zum Rath ernannt worden war, ein eben fo gelehrter als 
f&arffinniger - Mann und im Gtreite gefährlicher Gegner, 
zeigte in einer befondern Abhanblung: Über das Recht, Könige 
zu ernennen, daß das wohl dem Kaifer aber durchaus nicht 
dem Papfte zuftehe. Im einer andern mit dem Titel: „poaͤpſt⸗ 
licher Unfug über das Recht Könige zu ernennen”, befi 

er mit fo vieler Gelehrfamkeit als Bitterfeit die päpftlichen Ans 
maßungen, weltliche Fürften und vorzüglich Könige zu ernens 
nen, welche felbft die meiften katholiſchen Gelehrten verworfen, 
zeigte, daß das päpfllice Breve, auf welches als ſchmutzige 
fo oft widerlegte Leichtfertigkeit nur ein Wort zu erwiebern 
unter der Würde Friedrichs I. fei, alle Könige und vorzüglich 
die Batholifchen beleidige und beleuchtete Styl und Inhalt defs 
felben mit hoͤhniſchen Sarkasmen: als Paul V. die Republik 
Venedig in den Bann gethan, habe fie ihm nur folgende 
Worte erwiedert: Es if das Wort eines Schmaͤhenden, weis 
ter nichts! daß ber Papft, der in feinem Breve an Lubwig 
XIV. ') diefen ermahnte, Friedrich I. nicht anzuerkennen, dem 
Könige von Frankreich Seelengroͤße beilege, fei ganz natürlich, 
ba er fie in beffen Widerflande gegen päpftlihe Anmaßungen 
oͤfters kennen gelernt. Daß der Papft gegen die nicht von ihm 
ernannten Fürften fage: „fie herrſchen, aber nicht durch mich!" 
das habe bereits ber heilige Bernhard dem Papfte Eugen allein 
. in Beziehung auf Päpfle zugerufen! 

Von biefer Schrift wurden deutſch in kurzer Zeit 4000 | 
Eremplare verkauft, lateiniſch wurde fie den in Italien 
tämpfenden preuſſiſchen Zruppen zur Verbreitung mitgegeben 
und von Seiten des römifchen Boote kluger Bir nichts | 


1) Im Theatr. Europ. XVI. p. 140. 
j 


Der Papft. - 113 


darauf erwibert *). Als aber-bei der Wahl Karls VI. der Gars 
dinal Albant, Nuntius des Papfted gegen Friedrichs J. Königss 
winde proteftiren wollte und ber preuſfiſche Geſandte, Chriſtoph 
von Dohna, das erfuhr, fo erklaͤrte dieſer, wenn der Garbinal 
mar Biene mache, das zu verfuchen, fo werbe er es bereuen, 
da er in Beziehung auf ihn als Gefandten zur Kaiferwahl 
aur ein italienifcher Edelmann und die Zeit vorlber fei, in 
welcher man den Päpften dabei Einmifhung geſtattet. Dohna 
droßete, fich eines fo handgreiflichen Beweiſes bedienen zu 
wolen, daß ber. Neffe des Papfted Bein Vergnügen daran Haben 


mmmehe noch prächtiger als vorher und wo möglich fo gläns 
ib einzurichten, als irgend ein anderer koͤniglicher Hof war. 
Hauptſachlich aus biefem Grunde ertheilte er: den anfänglich 
mr fir die Dauer der Krönungdceremonie ernannten Biſchöfen 
dieſe Würde (zu Ende des Jahres 1702) auf ihre Lebenszeit 
mb gab ihnen anfehnliche Einkünfte. Aus denfelben Gräns 
im, welche feinen Water veranlafften, an der Wereinigung der 
kiten getrennten evangellihen Glaubenspartelen zu arbeiten, 
bemüpete auch er fich, fie zu bewirken, doch nicht durch Ges 
welt und Zeichen. ber Ungnabe, fondern durch Ermahnung und 
ö des geringen Unterſchieds zwiſchen beiden Bekennt⸗ 
Gen ). Er ließ, wenn er auch die Reformirten mehr bes 
Sinfligte, doch im Allgemeinen Geroiffenöfreiheit und man fah 
bi Anftellungen am ‚Hofe und im Staate nur fehr wenig auf 


. 13. P. Ludwig Neniae pontifis Romani Clementis XI de 
jore regis appellandi Opuscul, T. I. p. 130. 
9) Dohna p. 318. 
3) Zalande Reatin ©. 9. 
Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. LIT. 8 


114 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


den Unterfehleb im Bekenntniſſt. Er wollte daher auch (1706), 
daß bie varteilichen Namen Lutheraner und Reformirte aufs 
hoͤren und beide Kirchen ſich hinflihro evangeliſch nennen folls 
ten’). Eben deshalb ſuchte ex, fo lange er lebte, neben ber 
Vereinigung der beiden proteftantifchen Gonfeffionen die Liturs 
gie der engläfchen Hochkirche einzuführen, welche feiner Vor⸗ 
ellung nad dem Gottesdienſte und dann dem Hofe ein höhe: 
res — Anfehe gab. Selbſt bie Koͤnigin von England 
wurbe. in das Intereſſe gezogen ımb ber Biſchof Urſinus fos 
wie ber berlihmte Hofprediger Jablonſty mufiten mit den Erge 
bifchäfen won Ganterbury und York darüber verhandeln. Diefe 
ſahen ſehr bald, daß deu Engländern mehr an ber Grimbung 
des Bifchöflihen Regiments ais an der Liturgie lag unb ber 
daflıe ebenfalls fehr eingenommene Jablonſky muffte num einen 
Eatwurf zum Einführung der englifchen Kirchenverfaſſung ma⸗ 
en, wie fie der fouverainen Macht des Königs unnachtheilig 
wire. Dem gemäß follten bie preuffiihen Biſchofe nicht viel 
mehr als die ehemaligen (feit 1632 abgefchafften) Generals 
fuperintendenten fein, die Aufficht über Kirchen und Schulen 
und Lehre und Leben ber oberen und unteren Beamteten an den⸗ 
ſelben und über ne als Praͤſidenten des Gonfiftsriums eine 
Art Greichtöbarkeit haben, ferner bie Prüfung der Gandibaten 
und bie Ordination ber Geiſtlichen bewirken. Es waren ſchon 
die noͤthigen Gelbfummen bereit zu Stiftung von Stellen in 
Drforb und Gambridge für drei seformirte Stubirende aus ben 
preuffiichen Staaten, ald der König flarb und bamit der ganze 
Entwurf ohne weitere Folgen blich °). 

Die jaͤheliche Erneuerung bed Krönımgöfeftes, zu weicher 
eine befonbere Steuer m (1102) auögefchtieben wurde, wezu bie 
Städte der Mark allein 5000 Zhaler 'gaben *), wurde wit 
großer Pracht gefeiert, befonder im 3. 1703, bei ber feiers 
Uchen Einweihung bed ſchwarzen Ablerorbens in ber Schloßs 
Eapelle in Berlin unter kirchlichen Geremonien und Muſik. 
Der König faß auf dem Throne, bie Drbensritter in ihrem 


1) Wilten im Berlinee Kalmber vom 3. 1822, ©. il. 
2) Herings Merkwärbigleiten, 2, 3. u. 4. Stuͤck. 
8) König IL ©. 180. 


Gofſtaat. 116 


bamats Hädf peg Gofume on Ihn Pläten, ber Bifäer 
Urfinus hielt das Gebet, bie Drbensflatuten wurben verlefen, 
der Bft Seapolb von Def und ber Graf von Bein Ele 
genftein leiſteten als neu aufzunehmende BRitter den Eib auf 


denötette um und Lüfte fie und der Bifchof ſprach den Gegen. 
Be nen wen zum Anhand Dieb Babe 
gt j 
So abgeneigt Friedrich L dem Könige Ludwig XIV. war, 
fo fehr bemühete er ſich doch, es ihm in allen irgend moͤg⸗ 
Uden Müdfichten gleich zu thun. Die fleiffte Etikette wurde 
fehr förmlich eingerichtet und felbft bei dem damals gewöhns 


fünf Oberberofbsräthen, einem Hlfloriographen, Archloar, 


en 
im J. 1712 211,000 Thaler. - 
Im Zahre 1706 wurden die Ausgaben für den fünlg: 


18 
ſechs Pferde, der Grand maitre be la Garderobe 4000 Tha⸗ 
* fechzehn Kammerherren 20,000 Thaler, zweiunddreißig 


1) Gat ther S. 19. 
2) Nicolai Seſcheelbang von Bertin II. S. 876. ©. ben Kupfew 
Mic) im Berliner Kalender v. I. 1822 voch einem gleiihgeitigen Bilde, 


8* 


116 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


Kammerjumfer 25,000. Thaler, vier Leibmebic 200 bis 1000 
Thaler Gehalt. Dazu kamen aber noch vier Hofmedici, femer 
fehöunbreißig Kammermuſſkanten, fünfundfechzig Küchen», breis 
uubzwanzig Relers, acht GonditoreisMebiente ). 

Ein Franzes wurde zum Intendant des plaisire de Sa 
Majest6 ernannt unb übemahm ed (1706) für 6000 Thaler 
fähelichen Zuſchuſſes eine framzoͤſiſche Schaufpielergefellfchaft zu 
errichten, um in Berlin und den koͤniglichen Luftfdhlöffern zu 
ſpielen; dfters wurden bazu frembe Kimfiler verſchrieben 

Selbſt eine Öffentlich erflärte Maitreffe ſchien Friedrich I. 
ein nothwenbiger Theil der Etikette eines Königlichen Hofes im 
Geiſte Ludwigs XIV. zu fein, obwohl er felbft von Natur 
durchaus nicht zu Ausfchweifungen dee Art geneigt war, übris 
gend auch vermöge feiner firengreligiöfen Grunbfäge ſehr auf 
Sittlicpkeit an feinem Hofe hielt und ſelbſt feiner Bamilie keine 
Unregelmaͤßigkeiten nacfah. &o wurde denn bie Brau bed 
Srafen Wartenberg, Tochter eines Weinſchenken Rickers und 
Wittwe' des ehemaligen Kammerbienerd Sidekap dazu erforen, 
die Geliebte des Königs verzuftellen, eine Aufferft eitele und 
hochfahrende Frau, weiche ihren Dann unbedingt beherrſchte. 

Die Königin Sophie Charlotte, welche ihren Gemahl ge= 
mau Tannte, war durchaus nicht eiferfüchtig auf die Gräfin, 
befpöttelte nur die Schwaͤche ihres Gemapls und bie ihr uns 
angenehme Wahl, die ex getroffen; inbefien war fie doch ges 
aöthigt, die Wartenberg in ben engern Kreis ihrer Geſellſchaft 
aufzunehmen, um durch bie Verwendung ber mächtigen Frau 
Erlaubniß und Mittel zur Reife an ben Hof ihres Waters zu 
erhalten. ° Sie rachte fi dann dadurch, daß fie die Gräfin 
Öffentlich nur franzoͤfiſch anredete, was diefe, wie Jeder wuſſte, 
nicht verſtand und ſie daher verlegen und in den Augen des 
Hofe laͤcherlich machte ). Das ganze Verhältnig des Königs 
und der Wartenberg befland darin, daß die Gräfin in ber 
Daͤmmerung während bed Winters in einigen Zimmern, waͤh⸗ 

1) König IL ©. 808 f. 
im Dal im Bern Kalender v. 3. 1822, ©. 281 f. Schon 

. wor unf auf Beranlaffung ber damals noch Iebenben 
Königin Goppie Charlotte barüber verhandelt worden 9 

3) Pöllnig neue Nachrichten I. ©. 85. 


Künfle 4117 


rend des Sommers in einem Fleinen Garten des Schloſſes eine 
Gtunde lang mit bein Könige aufe und abging. Auch bier 
ſchmeichelte die Kunſt, wie ed damald gewöhnlich war, wo fie 
zum Dienen herabgewuͤrdigt wurde. Schlüter ließ über ein 
denſter des Portals, unter welchem der Eingang in das Zim⸗ 
mer war, in welchem ſich der König mit der Gräfin Warten⸗ 
berg aufzuhalten pflegte, ein Basrelief fegen; Venus rubet 
auf einem entfchlafenen Löwen und hält in der Linken ‚die 
Seule des Herkules, mit der Cupido fpielt ?). . 

Unter den „zahlreichen Gebäuden, welche bie Ernnerms 
an die Prachtliebe des Fürften und ben Geſchmack feiner Baus 
meter und übrigen Kuͤnſtler lange erhalten werden, ragen 
des von Nering (1695) begonnene, von Johann de Bodt, 
eintm franzöfifcyen Auswanderer, im I. 1706 vollendete Zeugs 
haus und das im J. 1699 von Gchter großartig angefans 
gene und großentheild ausgeführte, dann von beffen Neben 
buhler Eofander von Goͤthe unharmonifh und weniger ſchoͤn 
vollendete koͤnigliche Schloß in Berlin hervor, an deſſen eine 
gegen daB jetzige Mufeum hin freiftehende Ede ein 500 
Fuß hoher Thurm zur Waſſerkunſt erbaut werben folte, ber 
aber, weil ber alte Grund zu ſchwach war, vor der Wollen 
dung abgebrochen werben muflte (1706), was Schluͤters Feinde 
benutzten, um ihn zu flänyen 9). Der weitere Ausbau ber 
neuen Stadttheile Berlins, ſowie mehrerer Luffäläffer und 
der Stadt Potsdam wurbe thätig fortgefeht ). - 

Unter den vielen Kunſtwerken fleht als noch undbertrefs 
fened Meifterwert allen anderen voran die eherne Reiterftatue 
des großen Kurfüsften, welche ber König nach Schlüter Ans 
gaben und Mobelle von Jacobi gieſſen und unter großen Feier⸗ 


1) Die Gräfin Wartenberg, von Ricolai, in ber neuen Berliner 
Nonateſchrift v. I. 179, Ip. 2. ©. 417. Das Batrelief war 1799 
ach am derfeiben Stelle. Gegen Pöllnig Aufferte ſich der König ſelbſt 
über fein Verhaltniß zur Wartenberg. S. deff. neue Radjrichten, I. & 15. 

9 ©. die Unterfuhungs: Protokolle in ben Denkwürbigkeiten ber 
Mark Brandenburg x. I. v. 3,17%, ©. 479,.3p. IL ©. 810, usb 
über Gchlüter befonders Nicolai a. a. D. vierter Anhang, ©. 74. 

8) Ueber die Erweiterung unb Berfhönerung Berlins auffer Ri« 
colai und Mila, Wilken im Berliner Kalender v. 1822. 


118 Bud V. Bweites Hauptſtuͤck. 


Kcpkeiten, wie fie bei der Auſſtellung ber Bildſaͤule Ludwigs 
XIV. in Paris beobachtet worben waren '), auf ber von ihm 
in Nachahmung des PontsNeuf in Paris erbaueten fogenanns 
ten langen Bruͤde über die Spree (1703) aufftellen ließ”). 
Unterdeffen rüftete Defterreich und Frankreich mit aler Macht 
zur GEreingung und Behauptung ber fpanifchen Staaten. Lud⸗ 
wig XIV. hatte das Teſtament Karls IL für feinen Enkel, den 
Herzog von Anjou, ald König Philipp V. nach reiflicher Ueber⸗ 
legung angenommen, hauptfaͤchlich weil der Krieg jedenfalls 
wäre unb ex diefen lieber um die ganze fpanifche 
Monarchie und deren Nebenländer, als um nur einen Theil 
derfelben führen wollte. Die Spanier nahmen Philipp an, 
die Befehlshaber in Skilien, Neapel und Mailand gehorchten 
ihm, der Herzog von Savoyen gab bem franzöfiichen Heere 
unter Gatinat freien Durchzug und 8000 Mann Hülfstruppen, 
der Herzog von Mantua nahm die Franzoſen auf, die Übrigen 
Mächte Italiens ſchwankten, Tonnten zu keinem gemeinfamen 
Entſchluſſe kommen und blieben parteilos. Gin zweites franz 
zoͤſiſches Heer unter Villeroi zog ſich am Oberrheine, ein drittes 
unter Boufflers gegen bie ſpaniſchen Niederlande zuſammen. Dies 
fan übergab der vom Kaifer vernachlaͤſſigte und gekraͤnkte, daher 
von Ludwig XIV. leicht gewonnene Kurfinſt von Baiern, als 
Statthalter derfelben, das Land und die Feſtungen und warb 
mit franzöfiichem Gelbe ein Heer in Baiern ’). Auch fein 
Bruder, ber Kurfürſt von Köln, ohne Rüdficht barauf, was 
der Kalfer für, Ludwig ZIV. aber gegen feine Erwählung ges 
than, ſchlug ſich dennoch auf die Seite der Franzoſen, ruſtete 
. mit von ihnen erhaltenen Hülfsgelbern für fie am Niederrheine 

1) Theatr. Europ. XVL p. 248. Gütther ©. 207. Auch die 

vier Gefangenen gu ben Füßen des Roſſes waren nicht vergeffen, über deren 
duch die Mappen feiner Feinde bei der Gtatue Ludwigs XIV. 
ſich der Kaiſer fo ſehr befhtwerte. Wagner T. II. p. 62. 

9 Pblinig Memoiren L ©. 10 u. 12. 

8) Bermöge Vertrags d. 9. März 1701 folte er 15,000 Marm flellen 
für monattich 40,000 Ihie. And) Köln erhielt Subſidien. Im Bertrage 
bei Martens, Recueil Supplem. T, L p. CXI ſteht nichts davon, 
wohl aber in bem meuerbings erfäjlenenen, wegen wieler archivallſchen Rache 
an Memeires militaires rölatite & la suoosssion d’Espagne 


Spanifher Erbfolgekrieg. 119 


unb übergab ihnen, nachdem fie Seldern befegt hatten, als 
„burgunbifchen Kreiötruppen”(!) feine Seflungen, damit fie nicht Rovember 
vom Hollänbern ober Deutfchen befegt wirrden ’). Der Herzog „1701 
Anton Ulrih von Wolfenbüttel hatte im Bunde mit Frani. 

reich durch gleiche Mittel 12,000 Mann, der Herzog vom 
Gotha 6,000. Mann aufgeſtellt. Diefe follten insgefammt auf 
28,000 Mann gebracht und von einem franzöfifcyen Generale 
befehligt werben ). Mit ihnen hatten, wie erwähnt, mehrere 
Landesherren, welche gegen bie neunte Kur waren, einen rs 
Benverein abgeſchloſſen und Frankreich ihnen Hülfe als zur 
Behauptung Ihres —* zugeſagt. Die Hauptabficht Lud⸗ 


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Beiſtand dem ‚Haufe Defterreich zu 
fich auch ſchon der ſchwaͤbiſche und 
und 14,000 Dann ausgerüſtet; bie 
baierifche wollten zutreten®). Lud⸗ 
Fuͤrſt, welcher bie Proteflanten in feinen 
druͤckte und verfolgte, erbot ſich gegen bie 
Reichöfftrften, ihnen Beiſtand gegen Defterreich zu 


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ebenſo der König von Dänemark, 


1) M&motres mülitsires L p. 141. 
2) Mömeires militzires L p. 659. 
S) Lamberty L p. 422 u. 439. La Lande histoire de ’Em-, 


4) Lamberty L p. 688. Gr verlangte für 8000 WMann vom 
Kaiſer ein Städ von Schlefien, weiches jaͤhrlich 40,000 Thlr. träge. Der 


180 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


Boheen bie autgebehnten un Alan unb eflae gang 
angelegten Entwürfe Lubwigs XIV. vollflänbig gelungen 
würbe der Kaifer nicht mur Feine Hllfe vom Reiche — 
haben, ſondern auch noch von den am heine, in Niederſach⸗ 
fen und Baiern bis auf 109,000 Mann 'gebrachten Zruppen 
der mit Frankreich verbi Sürften vielleicht bebrohet und 
bald gezwungen worben fein, auf bie Hoffnung zu verzichten, 
auch nur einen Theil der ſpaniſchen Erbſchaft zu erhalten. 

Auffer dem Kaifer hatten faſt alle europaͤiſche Fuͤrſten 
Philipp V. als König von Spanien anerfannt. Indeſſen war 
Leopold gleich anfangs entfchloffen, es auf das Aeußerſte ans 
kommen zu laffen. Ex ſchickte 30,000 Mann unter dem Prin 
zen Eugen von Savoyen über bie Alpen, andere Truppen an 
den Rhein und arbeitete thätig daran, ſich Verbuͤndete zu vers 
ſchaffen. Es gelang ihm auch zuerft durch Wilhelms IN. von 
England und König Friedrichs in Preuffen Wermittelung und 
durch höhere Subjidien und Verſprechungen, als Frankreich 
bot, vom Könige von Daͤnemark 8000 Mann, ſpaͤter bis auf 
20,000 Mann zu erhalten‘), dann mit dem gegen Ludwig XIV. 
immer feindlich gefinnten Könige Wilhelm II. und den von 
dieſem geleiteten und durch die —2— ne Bekiend 

7. Seyt. an ihren Grenzen bedroheten Hollaͤnl 
1701 Haag abzuſchlieſſen, in welchem ihm (m — Bei 

friedlichen Wege zu verfhaffende Genugtpuung für feine Ans 
ſpruͤche auf die fpanifche Monarchie zugefagt wurde ). Den: 
noch wuͤrde der Kaifer dadurch ſchwerlich wefentlichen und noch 
weniger hinreichenden Beiftand erhalten. haben, wenn nicht 
nach dem Tode Jakobs IL Ludwig XIV. aufgebracht über 
Wilhelms Buͤndniß mit dem Kaifer und weil er es dem flers 
benden Verbannten verfprochen, deſſen gleichnamigen als Präs 
tenbenten bekannten Sohn als König von Großbritannien ans 
erfannt hätte. Das neigte die engüſche, aufferdem zur Weis 
behaltung des Friedens geneigte Nation, welche nun erbittert 


Kaifee wollte nicht, bot aber 600,000 Thlr. ſogleich und monatlich 
100,000 Thix. für 24,000 Mann. Gin wahrer Menſchenhaudel. 

1) Hoyer J. ©. 444. “ 

2) Dumont VIIL 2 p. 89. 


Bändniffe und Rüftungen. \ 121 


über daS für fie eben fo beleibigende als unrechtliche Verfahren 
Ludwigs gegen ihren von ihm früher fon anerkannten König 
dieſen Präftig gegen Frankreich unterflühte und fo erſt das große 
Bindniß gegen daſſelbe wirffam machte. 

In Deutſchland hatte fogleich mit Annäherung der Fran⸗ 
dofen der Kurfurſt von der Pfalz 10,000, König Friedrich, 
vermöge feiner Verträge mit dem Kaifer, 7000 Mann an ben 
Rein geſchict und biefe nach und nach verftärkt, wodurch es 
möglich wurde auf Werlangen des Domcapitels, gegen ben 
Bilen des Kurfünften, die Stadt Köln durch eine Beſatzung 
von preuffifchen, münfterfhen und pfaͤtziſchen Truppen gegen 

Durch beſondern 


Der König wuͤrde ſogleich jetzt und dann im Laufe des 
Kriegs noch mehr als er ſchuldig war fir den Kaiſer gethan 
und ſich der Sache gegen Frankreich mit noch größerem Eifer 

angenommen haben, wenn er nicht fortwährend durch fehr 
edlen Urfachen daran wäre gehindert, entmuthigt und 
veftinmmt wosben. Gleich anfangs hegte er, nicht ohne Grund, 
Beforgniffe vor Karl XI. und Bam zugleich in Berlegenheit 
durh die Rüflungen Anton Ulrichs von Wolfenbüttel, und 
fa die fo zerſtuͤkelten Provinzen feiner Monardie zu —8 
dat im Dften und Weſten hoͤchlichſt gefaͤhrdet. Er ruͤſtete da⸗ 
ber mit aller Macht um fein ‚Heer von 30 auf 40,000 Mann 


der Grenzen, in allen Provinzen eine Landmiliz aller waffen 
fähigen Vannſchaft vom 18. bis zum 40. Jahre, welche jeden 
Sonntag Kriegsübungen anftellte, obgleich dagegen die Geiſt⸗ 
lichen den Kanzeln eiferten, weil der Sonntag nicht dem 
Knige fondern Gott gehöre”). 

Um bie lebhaften — zu beſeitigen, welche fin ben 


1) Dumont VII. 1. p. 96. Der hat bie Separatartikel, welche 


fd Lamberty XL p. er fehlen. Die porhergegangenen Verbands 
fangen ſ. bei Lamberty il. p. 49 ff. 

2) Königs Berlin II, ©. 111 u. 189. Welche drüdende Masß ⸗ 
tegtin zur MWermehrung bed Heeres getroffen wurden, zeigt Baczko 
Sriciihte Preuffens Bb. VI. ©. 815. 


12 Bud V. Zweites Hauptſtae. 


Kaifer, Hannover und für Friedrich I. aus ben kriegeriſchen 
Anſialten Anton Ulrichs von Wolfenbüttel entfprangen, der 
zwar gemeinſchaftlich mit feinem ſchwachen Bruber Rudolf Aus 
guft regierte, in der That aber Alles allein leitete, drang Fried» 
rich L abwohl vergeblich in ihn, feine Truppen dam Sal au 
überloffen, ber feinerfeits mit gleich geringem 
Herzog Georg Rubolf mit der Acht zu ſchrecken und den Fi 
ton Ulrich gaͤmlich von der Regierung auszufhliehien ſuchte h. 
AB ale friebligen Mittel erichdpft waren und bie Gefahr für 
Norbdeutfchlend immer höher flieg, wurde zur Gewalt geſchrit⸗ 
ten. Limeburgiſche umb hannoͤveriſche Truppen überfielen plögs 
Apel lich in der Nacht die in den Bainterquatieren befindlichen zer⸗ 
1702 Apeueten molfenbättelfchen, — fih aller Städte und 
vieler ber geworbenen Soͤldner. Der Herzog Anton Ulrich 
flüchtete nach Gotha, fein faſt gefangen gehaltener Bruder 
muffte ſich fügen und auſſer 3500 Mann Truppen die er be 
halten durfte die übrigen dem Kaiſer uͤberlaſſen. Die vom 
Herzoge von Sachſen ⸗Gotha geworbenen 6000 Mann nahm 
Sriebrich K in feine Dienke*), auch der Kurfürſt von Sachfen 
. batte endlich dem Kaifer 8000 Wann zugeſagt; fomit waren 
die Beſorgniſſe vor weiteren, Unsuhen in Norddeutſchland vor⸗ 
laͤufig befeitigt. Auch die Kreife in Oberdeutſchland auffer dem 
baierifchen wurben nach und nad für ben Kaifer geivonnen, 
fo indgefammt das Reich fir ihn geffimmt unb von dieſem 
bann der Krieg an Frankreich erklaͤrt. 
Noch drobender als bie braunſchweigiſchen Bewegungen 
war der Unmile, welden Karl XH. darüber bezeigte, daß 
Friiedrich I. dem Kurfürften Auguft Beiſtand zur Vertheidigung 


f Friedrich 
rief dieſe zwar ſogleich zur ®) und ſuchte dadurch Karl XIT. 
zu befänftigen, ging auch bie Seemaͤchte an, ben nordiſchen 

1) Hoyer L S. 68. Wagner vita Leopoldi T., p 644. 
Lamberty IL p. 106. 


—S Friedrich entſchuldigte ſich mit 
ber Rothwendigkeit fein —— wu — —B —— 


8) Lamberty I. p. 521. Fe L. 7. sn. 


Kari XU, 123 


fdwigtigen, ja fie fchloffen fogar einen geheimen Vertrag, den 12, Zau 
nordifchen Krieg gu verhindern *); doch wirkte alles bas wenig 1701 
auf den eifernen Karl, welcher nun einmal beſchloſſen hatte, 
Anguf, welcher (9. März 1701) ein neues Bänbnig mit Pes 

tee L’gegen ihm gefchloffen hatte, vom Throne zu floßen, was 
Sriebrich I. fehr ungern fah. Friedrichs L Beſorgniſſe waren 
uch im J. 1702 fo groß, daß er Zruppen nah Preufien 
rüden ließ. Da blieb ber von Frankreich gewonnene Herzog 

von ‚Holftein (19. Juli 1702) in ber Schlacht bei liffew. 

Sal XIL übernahm die Obervormundfcheft über deſſen uns 
mindigen Sohn, feinen Neffen, und gerieth dadurch in neuen 

Eheit mit Dänemark’). Man vermieb fo ängfllich, Schwe⸗ 

den zu beleidigen, baß bie zu ben Füßen ber Statue des gros 

ben Kurfürfien befindlichen damals vorläufig aus Gips gefers 

figten gefeffelten Sklaven fogleich weggenommen wırden, als 

die in Berlin befindliche Gemahlin des bei Karl XII. fo eins 
Äofreichen Minifterd Piper darin eine verlegende Anfpielung 

af die Schlacht bei Fehrbellin finden wollte. Erſt jetzt ges 
lang es endlich ben vereinigten Bemühungen der Seemaͤchte, 

6 die Streitigkeiten mit. Dimemark vermittelt und, weil 29. Iuli 
Kal XI. gern Zriedrich I. vom Könige Auguft trennen wollte, 1703 
im Haag die älteren Buͤndniſſe zwiſchen Schweden und Bran⸗ 
denburg erneuert wurben. Beide Fuͤrſten gewährleifteten eins 

ander ihre Staaten, verſprachen bie echte ber Proteflanten 
mn in Polen aufrecht zu erhalten und daß feiner bie 
deinde des andern unterſtuͤten oder auch nur freien Bug durch 

feine Länder geſtatten wolle. Karl erkannte zugleich ben Ks 
nigetitel Friedrichs I. an, wogegen diefer fi) insgeheim vers 
pichtete, die Republik Polen, im Fall fie an dem von Aus 

Huf gegen Schweden erregten Krieg Theil nehmen wolle, nicht 

in unterflügen (wozu er eigentlich vermöge des welauer und 
bromberger Vertrags verbunden war). Priebri übernahm 


1) Hoyer 1. &. 60. Der Vertrag bei Dumont VIL 2, p. 484, 
d. 12 Sul 1701, hat nichts davon. 
9 Hoyırl.@&. 6% 


124 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck. . 


auch bie Gewaͤhrleiſtung beffen, was für -Holftein-Gottorp mit 
Daͤnemark vertragen worben ). Wahrſcheinlich willigte er 
auch, weil Karl XI. durchaus darauf beftand, unter der Hand, 
in bie Abfegung des abermals in der Schlacht bei Pultusk ges 
ſchlagenen Auguft. 

Diefer geheime Vertrag erregte großes Miötrauen bei den 
Verbimbeten Friedrichs, vorzüglich bei Auguft und Peter I. 
Des Zaaren Gefandter befcpwerte ſich fogar offen darüber, weil 
der. König verſprochen, mit Schweden Feinen Vertrag zu ſchlieſ⸗ 
fen, wurde indeffen durch die Verficherung beruhigt, diefer ber 
treffe nur die Anerkennung der koͤniglichen Würde‘). Seit 
dem war Friedrich L weſentlich in gutem Vernehmen mit Karl 
und vereinigte fi mit dieſem nach einigen Jahren, wie wir 
fpäter fehen werden, noch genauer. ‘ 

Auf der andern Seite aber kam Friedrich I. gleich anfangs 
in eine fehe unangenehme Spannung mit ben Generalfaaten. 
König Wilhelm II. hatte uneingedenk beffen, was das Haus 
Brandenburg Au ihn gethan und gegen fein dieſem gegebenes 
Verſprechen in feinem Xeflamente (vom 18. Detober 1695) 
fehr geheim ) alle älteren Teftamente aufgehoben und den En⸗ 
kel der jüngeren Schweſter feines Vaters, den ummimdigen 
Prinzen Johann Wilhelm Frifo von Naflau Diet (geb. 1687) 
zu feinem Erben eingefegt, während ſich Friedrich L, dem daB 


1) Lamberty Il. p. 679. Der Vertrag ſelbſt bei Nordberg 
T. II. N. 79, daraus bei Mertens Supplem. T. I. p. 26. Ginzelne 
Autitel Zaluski epist. T. IIL p. 553 unb ber untergeſchobene Vertrag, 
Lamberty II. 383, worin, baß ſich Friebrich für Gtanislaus und 
Polen ben Krieg erklären follte. Doch ftimmte ber preuffiiche Gefandte 
mit dem hannöverifhen bei, als ber ſchwediſche bie Nothwendigkeit der 
Abfegung Augufts darlegte. Lamberty'IH. p. 342. Grft im Jebruar 
1707 erkannte Friedrich I. den Gtarislaus förmlich als König an. 

2) Lamberty II. p. 679 u. 683. Theater. Europ. XVI. p.250. 
Roch im I. 1705 war ber Inhalt fo geheim, daß man glaubte, Fried⸗ 
rich habe barin feinem Kronprimen bie Schweſter Karls XII zugefichert 
und ſich das polniſche Preuffen abtreten Laffen, was ber Primas Öffentlich 
behauptete, obwohl Preuſſen widerſprach. Lamberty II. p. 630. 

3) Der Graf CEhriſtoph von Dohna war hauptfählih um Wils 
beim IIL. gu bewegen fein Zeftament zu machen, nad) England geſchict 
werben, doch wie man nachher fah, zu ſpaͤt. Mämoires p. 219, 


Dranifhe Erbſchaft. 125 


ganz unbekannt ed als Sohn der Altern Schweſter, als 
äinzigen rechtmäßigen Erben betrachtete, gleich nach bem Tode 
—F Wilhelms (fl. 19. März 1702) von ben Generalſtaaten 

die Einweifung in bie Exbgüter verlangte und bie Graffchaft 
Eingen in Befig genommen ’). Mit welchem Unwillen muffte 
& ihn num nicht erfüllen, als das Zeflament (9. Mai 1702) 
eöffnet wurde. Er hatte ſich ſchon dadurch beleidigt gefühlt, 
daß bie Generalſtaaten ihm ben Herzog von Mariborough als 
Befehlöhaber ihrer Truppen (freilid fehr mit Recht) vorgezo⸗ 
gen hatten ?), aufferdem waren fie fowie bad Volk mehr für 
den Prinzen Wilhelm Friſo, ald für den König, in deſſen, 
ds eines maͤchtigen Fuͤrſten Händen, fie natuͤrlich ſehr ungern 
die, auſſer dem von Ludwig XIV. weggenommenen Füuͤrften⸗ 
thume Drange im füblichen Frankreich, durch bie geſammten 
Niederlande zerſtreueten mannichfaltigen und fehr bedeutenden 
Ebſtucke des Hauſes Dranien gefehen hätten. Für einen Mit⸗ 
Ir war Preuffen zu angefehen und einen Herm wollten fie 


Die Verhaͤltniſſe der fehr verſchiedenen nach Wilhelms III. 
Zde zur oraniſchen Erbſchaft, wie man fie nannte, gehörigen 
Giter und Gerechtfame waren zum großen Theile fo ungewiß 
ud venwidelt, daß man im Allgemeinen 'gar nicht. und oft 
in Eingelnen kaum über deren Beſchaffenheit und bie Rechte 
deienigen entfcheiden konnte, welche Anfprliche darauf erhoben. 
& waren Familienteſtamente vorhanden, welde einander, es 
waren im Laufe der Zeit von ben Beſitzern Verfügungen ges 
ttffen worben, welche ben Zeflamenten wiberfprachen. Cine 

war, welde Güter zum gamilien sFideicommiffe 
hörten und welche nicht. Friedrich I. verlangte nun (14. Mai 
1702) von ben Generalftaaten ald Teſtamenlsvollſtreckern die 
Rımmung berfelben und Ausantwortung ber ihm durch ditere 


1) Im Theatr. Europ. XVI. p. 732. Dann bei Lamberty 
1860. XII. p. 52. 268. XIN. 34. XIV. 121. 210. 245 u. ſ. w. findet 
Dan ausführliche Debuctionen, die ben ungemein verwidelten Gegenftanb 
Steffen. —* Hatte bereits als König Wahelm IIL fid) feinem 
Ge yur Weflgergreifung von Meurd und Bingen 


2) Mömoires militeires T. II. p. 69. Bergl. Lamberty IIL.p.24. 


126 Buch V. Bweites Hauptfläd. 


Teſtamente feiner Meinung nach zuftehenden  Foekonmisgtt, 
ſowie die von Friedrich‘ Heinrich, feinem mltterlihen Groß⸗ 
vater herſtammenden Juwelen und Geräthe, ferner Meurs als 
füon feinen Vorfahren gehörige von Motig von Dranien uns 
rechtmäßig beſeſſenes Lehn von Clebe, und Lingen, weil das 
zum Reiche gehöre, welches im weftfälifchen Frieden Branden⸗ 
burgs Bechte anerkannt, weshalb er Beſitz ergriffen und fich 
habe huldigen laſſen. Die Generalſtaaten beklagten den Zwiſt 
und wollten, daß vorläufig Alles bliebe, wie es beim Tode 
Wilhelmd IB. geweſen, womit ber Koͤnig zufrieden war, aber 
vorher bie Außlieferung der von ben Holldndern befehten Bes 
ſtung Meurd verlangte. Nur bie Theilung bee Juwelen und 
des Hausgeraͤths wurbe jest (1702) bewirkt. 

Darauf ließ fid der König mit der zum Reihe gehörigen 
Grafſchaft Montfort belehnen und nahm fie in Bells. Die 
Irrungen wurden von Jahr zu Jahr ſtaͤrker und broheten von 
ſchriftũchen Auseiranderfegungen zu gewaltthaͤtigen Aeufſerungen 
uͤberzugehen, da immer mehr Beſchwerden uͤber Eigenmaͤch⸗ 
tigkeiten des Konigs laut worden, der in Crevelt ein neues 
Gericht für die Graffpaft Meurs eingeſetzt hatte, in Sennep 

- einen Bol für fich erhob und fich ſeinerſeits wegen einer Dienge 
von vereinzelten Beeintraͤchtigungen durch bie Bereralflaaten 
fr unrechtmäßigerweife ſehr verlegt hielt). ine Dents 
ſchrift folgte ſchnell ber andern und rief neue Gegenſchriften 
hervor. Der König legte endlich (1706) einen letzten Entwunf 
zum frieblichen Abkommen vor, verndge deſſen auf ſeinen Ans 
theil 233,874, auf den des Prinzen 261,917 Floren, alfo der 
größere Theil, jährliche Einkünfte kommen ſollte, auch die uͤbri⸗ 

gen Puncte waren ſo, man kann ſagen, uneigen⸗ 
io von ihm beantragt, daß man erflaunen muffte, als bie 
Mutter des Prinzen jeden Vorſchlag ablehnte und dabei bes 
barrte, es folle Alles bis zu deſſen Großjaͤhrigkeit im damaligen 
Zuſtande bleiben. Der König war darlıber hoͤchſt unzufrieden. 
Neue —— klagten gegenfeitig an und reizten beide 
Theile auf. Briebrich I erhielt darauf (1707) vom Reihe bie 
Belehnung wit der zum Fuͤrſtenthume erhobenen Gxaffchaft 


4) Lamberty IT. p. 860. 


Oraniſche Erbſchaft. . 127 


Mans und auch bie Hersfhaften Heerſtall und 

wurden ihm zugefprochen. So bauerte die Spannung, wurbe 

me für Augenblide beſchwichtigt und dinderte das "während 
des Kiegs fo wichtige innige Einverflänbnig Friedrichs L mit 


Wenn nun bei ben lange ungewiſſen, dann nur auf kurze 
det einigermaßen geficherten —— zu Schweden im 
aa er De en a den Holluindern im 


= 
E 


en, was ben jungen emporfiwebenben State noͤthig war, 
en 


7525 
Il | 


fich 
janzmaßregeln nicht —ð wieder füllen. So 
an Sparfemteit ci ae an eine ordentliche Staates 


1) Lamberty II, p. 126. 


128 Bud V. Zweites Hauptfläd. 
einzugreifen und bie fir feinen Staat wichtigen Intereflen zu 
verfolgen. ° 


Daher, um bei dem oft druͤkenden Mangel auf jede 
Weiſe Geld zu erhalten, . die nicht im Intereſſe des Staats 
fondern der Finanzen nothwendigen, immer uhfangreihern 
Subfidienverträge mit anderen Mächten zur Stellung einer von 

. Iahr zu Jahr geößern Anzahl von Truppen, baher bei den 
Verhandlungen barüber nur noch ein Zeilfchen um höhere 
Summen, oder um Zahlung von Rüdftänden bis zur Ent⸗ 

ſchaͤtigung für das Agio der bedungenen Gelbforten, das Her⸗ 
vorſuchen aler möglichen kleinen Anfprüche, um daher unbes 
deutende Boitheile zu erreichen; bei jeber Vertheilung ber Wins 
terquartiere Beſchwerden, dann allerhand mehr ober weniger 
begründete Foderungen ber mannichfachften Art’). Es if 
nicht Habſucht des fo freigebigen Fürften, fondern das immer 
dringendere Beblirfniß nach Gelb, was aus biefem erfahren 
fpricht ; dann erwacht von Zeit zu Zeit fein fo reizbares Selbſt⸗ 
gehuͤhl, er empfindet eine Weleibigung boppelt als Känig*), 
was er Überall geltenb macht, er weiß recht gut, wie viel auf 
ihn, auf feine Truppen ankommt; er befieplt ihnen plöglich 
‚Halt zu machen, ex brohet, fie zurkdzurufen, dann ſchmeicheln 
Marlborongh und Eugen feiner Eitelfeit, dann wenden ſich 
die Falten Hollaͤnder an fein deutſches Herz, an fein Ehrge⸗ 
fühl und nie. vergeblich! und auch hierbei wird wieder das 
Intereſſe des eigenen Staats hintangeſetzt). 

Man ficht daraus, wie gewöhnliche und edlere Richtungen 
der, Fürften dem Staate nachtheilig werben Tonnen, wenn fie 
mit zu vieler Schwäche gepaart find. Doch kannte er die Ins 
tereſſen ſeines Staats recht gut und hätte ſich gleich anfangs 


S*—2n Lamberty IL. p. 297. 

9) Gore’s Erben Marlboroughs Ws. L ©. 181 u. 829. Lam- 
berty IL p. 405. 

8) Rach der Eroberung vom Katferswerth wollte Bruriborough, über 
die Maas gehen, bie Preuffen aber hatten befondere Befehle, wie lange 
fie im Felde bleiben folltenz das wurbe aufgehoben gegen das Verſprechen, 
die Königin von England wolle baffelbe Geremoniel, welches für andere 
gekroͤnte Häupter im Gebrauche, auch für Friedrich I. einführen. Darüber 
verftrichen vierzehn Tage. Gore’s Marlborough L ©. 188 


Kaifersmwerth. Rheinberg. Geldern. 129 


gem freien Handel mit Frankreich während bed Kriegs und 
Entfhddigungen für Berlufte im Cleveſchen ausbebungen, wenn 
die Verbündeten es zugegeben '). Als bie Holländer ihm Nach⸗ 
richt von ihrer gegen Frankreich erlaſſenen Kriegderflärung gas 
bem und verlangten, aud er fole nun den Krieg erklären, 
weigerte er fich, weil dad Cleveſche noch von ben Franzofen 
befeßt und zu ihrer Vertreibung Peine Ausſicht ſei ). Unters 
deſſen hatte der Krieg bereit feinen Anfang genommen. 

Am Rieberrheine wurde von den Werbimbdeten, vorzüglich 1702 
den Holländern und den 20 Bataillonen und 15 Schwadro⸗ 
nen Preuffen unter General Heyde, während der General 
Sof Lottum die 5000 Mann im Solde der Seemaͤchte abs 
geſondert befehligte, Kaiferäwerth mit großem Verluſte ange Mitte Apr. 
Fiften, da es die Franzoſen zwei Monate hindurch fehr tapfer 
Vertheibigten, weshalb bei dem Mangel an Munition bereits 
an die Aufhebung der Belagerung gedacht wurbe. Gluͤcklicher⸗ 
weile befand fich ber König eben in Cleve, ließ fogleich alles 
Rhige liefern und erfyarte, wie fid ein waderer Kriegsmann 
adrüdt, feinen Waffen beim Beginne des Feldzugs dieſe 
Blame *). Doc) wurde bie Feftung erfi als Steinhaufen von 18. Zuni 
den Franzoſen übergeben. Dann eroberte Marlborough mit 
tzatigem Antheile der Preuffen Venloo, Stephanswerth, Rure⸗ 
monde und Lüttich; der Kuͤrfürſt von Köln fluͤchtete nach Lu⸗ 
sembung. Rheinberg wurde eingefchloffen, bald barauf Bonn. 7. Febr. 
Soufflers Hatte die außgebehnte Grenze mit unzureichender 1703 
Rat nicht vertheidigen Lönnen und Geldern aufgegeben, um 
Brabant zu retten. Rheinberg ergab ſich ben Preuffen nach 
fir tapferer Wertheiigung, darauf an Marlborough Bonn, 
20 Nagmer bie Preuſſen befehligte. Obgleich der Comman⸗ 14. Mai 
dant von Rheinberg während der Belegung die Evangelifchen 
zu Gunſten der Katholiken hart gebrüdt und beeinträchtigt 


u Lamberty IL. p. 96. Gr wollte, daß ihm Geldern zugefichert 


9) Lamberty XI. p. 19. 

3) Ragmer in feinem Lehen von Schöning ©. 197. Die Preuffen 
verloren 924 Mann, bie Holländer 1900 Mann. Die Memoires mili- 
taires IE p. 69ff. geben ben Verluſt der Werbünbeten gar auf 9700 M. an. 

Stengel Geſch. d. Preuffifch. Staats. HL. ‚ 9 


130 Bud v. 8Sweites Hauptſtuͤc. 


hatte, ſo wurde dieſen dennoch bei der Uebergabe Alles zuge⸗ 
fühert, was fie auch unrechtmaßig im Befige hatten ). 
Unterbefien hatten die Preuffen allein unter Lottum feit 
dem Monat April Gelbern eingefchloffen, welches fich bid zum 
12. Dec. 12. Dec. hielt, dann von ihnen befeßt und zum großen Vers 
1703 druſſe der Verbündeten behalten wurde). Während dem brang 
eine franzoͤfiſche Armee unter Villars in Deutſchland ein, ver⸗ 
einigte fi mit dem Kurfürften von Baiern und zog bie Do⸗ 
nau hinab gegen den Markgrafen Ludwig von Baden und 
den Faiferlihen General Styrum. Der Marquis b’Upffen 
20. Sept. griff bei Höcflädt den General Styrum an und nöthigte ihn 
zum Rüdzuge. Dann von Villars und dem Kurfürften vom 
Baiem mit Uebermacht angegriffen ımb geſchlagen, zog er 
fich mit Verluft alles Geſchuͤzes und Gepdds nach Nördlingen 
zurüd. Bei diefem Rüdzuge erwarb ſich der junge Fuͤrſt Leo⸗ 
polb von Deffau, ber die vom Rheine zur Unterfiigung bed 
Kaiferd nach Baiern geſchickten fünf Regimenter Preuſſen bes 
fepligte, zuerſt großen Ruhm. in Sohn Johann Georgs 
von Deffau und der Mutterfehwefter des Königs hatte fi ber 
achtzehnjahrige Juͤngling als Dberſt eines brandenburgiſchen 
Regiments zuerſt bei ber Belagerung von Namur (1695) bann 
bei den Belagerungen von Kaiferswerth, Benloo, Ruremonde, 
Stephanswerty und Bonn (1703) durch unermüdliche Thaͤ⸗ 
tigkeit und unbezwingbaren Muth ausgezeichnet. Der Sproffe 
eined uralten Zürftenhaufes hatte er, gegen den Willen der ſtol⸗ 
‚ sen Mutter, feine Verheirathung mit einer Bürgerötochter durchs 
gefeßt, die der Kaifer dann in den Reichsfürſtenſtand erhob. 
- Bon ihr flammen die Heldenföhne Leopolds, welche mit ihrem 
Vater unter drei Königen für Preuffen fo glorreich gefohten, 
ihr Enkel, Franz von Deffau, dad Mufler eines deutſchen 
Fuͤrſten und das noch jegt biähende Haus. Leopold war ein 
rauher ſtrenger Kriegsmann, wie man fie damals brauchte, ber 
ſelbſt viel Teiftete und viel vom Anderen foberte, ohne alle wiſ⸗ 
ſenſchaftliche Bildung, bie er daher verachtete, dufferlich eins 
fach, derb bis zur Grobpeit, rauh dis zur Roheit und fo bem 


1) Lamberty IL p. 415. 
2) Lamberty II p. 45 vergl. Gütther S. 204 


Leopold von Deffau Hoͤchſtaͤdt. 131 


Oolhaten wert, dem er gleich, übrigens ſehr verfelagen, das 
bei, wenn nicht im Angriffe von ſtuͤrmiſchen Muthe hingerifs 
fen, wo es galt, in ber größeften Gefahr kalt, befonnen, feiner 


maͤchtig, vol tuͤchtiger Einſicht in das Weſen des Kriegshands ' 


werks in welches er dann ſchoͤpferiſch eingriff. 

Er hatte mit einigen brandenburgiſchen Bataillonen die 
Franzofen angegriffen, welde, als fie biefe Truppen mit ges 
ſchultertem Gewehre anrlıden fahen, ſich zuruͤkzogen. Als er 
dann den Rüdzug Styrums zu deden Befehl erhielt, als bie 
franzöfifche Reiterei ein baireuthiſches Kuͤraſſierregiment und elf 
neufiiihde Schwadrone warf, er mit feinem Fußvolke nun 
bloßgeftellt war und von allen Seiten angegriffen wurde, ba 
galt es Faffung und Entfchloffenheit. Die franzöfifche Reites 
tei, berichtet Billard felbft, durchbrach einen Theil des Nach 
tabs, allein bie Übrigen Bataillone machten feſtgeſchloſſen je⸗ 
desmal, fo oft die Reiterei fie auch auf einem Rüdzuge von 
beinahe drei Wegftunden gegen einen Wald hin angtiff, ein fo 
furchtbares Feuer, daß fie nicht ein einzige Mal durchbrochen 
werben Tonnten und von ihr endlich nur noch begleitet wurden. 
Erft als noch Infanterie und Geſchuͤtz dazu kam, war es mögs 
fi, die Preuffen in Unordnung zu bringen, worauf fie nicht 
ohne Verluſt den Bald erreichten, wobei der General Natzmer 
mit 900 Preuffen gefangen ’),, die übrige Armee größtens 
theils gerettet wurde. Dies war naͤchſt der Zapferkeit und 
feſten Haltung der Truppen bie Folge der einfichtövollen Ans 
nungen keopolds, weicher feine Grenabierbataillone an bie 
dlanke der übrigen fo aufftellte, daß er dieſe dedte und daß 
et fpaniifche Reiter jedesmal vor die bedrohete Fronte ſetzen ließ. 
Vohl zehnmal muſſte fo der feindlichen Meiterei die Stirn ges 
boten werben. Alles gefchah wie auf dem Uebungöplage und 
egte, wie wir gefehen haben, felbft die laute Bewunderung 
des außgezeichnete Einfiht und Tapferkeit gern anerkennenden 
beften Feidherrn der franzoͤſiſchen Heese*). Hier lernte Leo⸗ 
pold die Schwaͤche der eigenen und felbft der weit beſſeren frans 


1) Theatre, Europ. XVII. p. 105 


9) Villers Mömolres I. p. 1185 fen Beridt au sd Lam- 
berty IL p. 601. erg. Wagner vita Leopold I. T.II. p-696. 
9* 


.132 - Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


zoͤſiſchen Neiterei gegen tüͤchtiges Fußvolk einfehen, verachtete 
jene wie allen Glanz, hielt ſich an dieſe und wurde der wahre 
Schöpfer des preuſſiſchen Fußvolks, deren Anerkennung ſchon 
damals die Eiferſucht der übrigen Truppen unter ben Ber: 
bündeten erregte und zur Nacheiferung reiste‘). 

1704 Im nächften Jahre ſtellte Friedrich I. nod 7000 Mann 
mehr, ald im vergangenen und vermehrte auch feine Trup⸗ 
pen im Reiche auf 12,000 Mann, tiber welche Fürft Leopold 
von Deffau den Oberbefehl erhielt ). Der Kurfürft von 
Baiern vereinigte fich mit den Zranzofen unter Tallard und 
Marfin. Mariborough unternahm zur Rettung Deſterreichs 
feinen kuͤhnen Marſch aus Holland nach Baiern. Ludwig von 
Baben belagerte Ingolftabt, während Maärlborough auf bem 
linken, Eugen von Savoyen, unter welchem Leopold von Defz 
fau auf dem vechten Flügel die vereinigten Baiern und Fran- 

18. u. zoſen bei Hoͤchſtadt angriffen. Leopold überfchritt unter vers _ 
1704 heerendem Feuer ben vor ihm flieffenden Nebelbach, warf das 
franzöfifche Fußvolk und eroberte mehrere Geſchuͤtze, ald bie 
baieriſche Reiterei die der Verbimdeten unter dem Herzoge von 
Wuͤrtemberg in ſchmaͤhliche Flucht zuruͤk warf, den Preuffen 
in die Seite fiel, ihnen bie eroberten Kanonen wieder nahm 
d fie zum Müdzuge zwang’). Vergeblich fehte fi ber 
unerſchrockene Fürft mit den Preuffen auf 200 Schritte 
ruͤckwaͤrts, nochmald mit großem Verluſte zurüdigeworfen, ſah 
man ihn im bichteflen Gedränge, wie er durch Beifpiel und 
Suruf die weichenden Truppen anhielt, baß fie fih nicht in 
regellofer Flucht auflöften, worauf er die Bataillone geſchloſ⸗ 
fen in den Wald zurückführte. Ein zweiter Sturmangriff miß- 
lang ebenfalls durch die Unentfchloffenheit der Reiterei der Ver⸗ 
bindeten, zum dritten Male wurden deren Reihen durchbrochen. 
Eugen flog in Werzweiflung herbei, doch der Fürft Leopold 
behauptete fi) mit unglaublicher Kalthlütigfeit, flelte die Drd⸗ 
numg wieder ber, führte bie Preuffen von Neuem zum Angriffe 
vor und warf bie Franzoſen zurüd*). Eugen, ber fo gern 
1) Säutenburgs Leben L. S. 129. 
2) Theatr. Kurop. XVII. p. 105. 
8) La Lande hist, de Charles VI. T. I. p. 478. 
4) Gore's Markhorough U. ©. 26. Wagner IL. p. 778. 


Sieg bei Hoͤchſtaͤdt. 133 


das Berbienft Anderer anerkannte, ſchrieb darüber an den Rs 
nig, daß die preuſſiſchen Truppen ein unfterbliches Lob vers 
dient: „von welchem ich felbft Beuge bin, vorzüglich was bie 
auf dem rechten Flügel geftandene Infanterie betrifft, deren 
Dfficiere und Soldaten mit unerfchrodener Herzhaftigkeit ges 
fohten und die feindlichen Angriffe etliche Stunden aufgehal 
ten, biß endlich mit Gottes Hülfe, durch dad entfeßliche Feuer 
gebachter Infanterie der Feind in eine ſolche Eonfufion gebracht 
worben, daß er ihrer Bravour nicht länger zu widerfiehen ges 
wufft, fondern in unglaublicher Confuſion die Flucht ergriffen.” 
Vorzüglich hob er hervor: „die heidenmüthige Conduite bed Ges 
nerald Fürften von Anhalt, ber auf keinerlei Weiſe feine Per: 
fon geſchont oder vor einiger Gefahr ſich entfärbt, fondern im 
Gegentheile mit großer Unerfchrodenpeit feine Leute in das 
daͤrteſte Treffen geführt, bergefalt, daß man ihm die Sewin- 
nung der vortrefflichen Wictorie zu feinem unfterblichen Nach⸗ 
tuhme großentheils zuzuſchreiben hat').“ Eugen bemerkte noch, 
daß der Haß, welchen die Franzoſen gegen die Preuſſen zeig⸗ 
ten, viel zu der, wenn auch aͤuſſerſt vorfichtig geleiteten Hige 
des Fürften und feiner Truppen beitrug. 

Unterbeffen war ber gegen Ludwig XIV. wie gegen den 
Kaifer treulofe Herzog von Savoyen wieder zu biefem uͤberge⸗ 
tretm und wurde von ben Branzofen hart gedrängt. Er muffte 
Beiftand erhalten. Zugleich hatte Rakotzi den Krieg ber Unzufries 
denen in Ungarn degen ben Kaifer erneuert. Man konnte nirgends 
die fo nothwenbigen Truppen erhalten, als in Berlin. Doch der, 


1) Defters gebruct, au) bei Lamberty IH. p. 105. Theatr. 
Europ. XVII. p. 107. In einem andern Briefe (v. 19. Aug. 1704 an 
den Grafen Gtrattmann, Werke I. ©. 131), von bem er ſicher nicht 
vorausfah, daß er nad) 100 Jahren gebrudt werden würde, fagt er: 
daß ihn in feinem Dienfteifer nichts mehr veigen koͤnne, als bas muſter⸗ 
bafte Beifpiel von Tapferkeit, weldes ber Fuͤrſt von Anhalt dem gefamms 
ten Heere durch unbefchreiblichen Muth, Aufmerkfamkeit und Anftrengung 
gegeben. „Ich habe, fährt ex fort, bie Ausbrüce bes Brührung nicht ges 
funden, mit benen ich das ausgezeichnete hoͤchſt ſeltene Benehmen dieſes 
Bürften zu rüßmen mich verbunden fand. Pir meine gange kriegeriſche 
Saufbahn iſt biefer heiffe Tag am MWeforgniffen, aber auch an Grmun 
terung unb Erhebung gleid merfwürdig, bie mir das fat unnachahmiliche 
Beifpiel dieſes Bürften verfchafft." . ’ 


1A Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


wie wir gefehen haben, wegen ber norbifchen Angelegenheiten 

immer noch heforgta') und noch mehr über daB Benehmen 

ber ‚Holländer bei der oranifchen Erbſchaft aufgebrachte König 

ſchien nicht zu gewinnen. Marlborough, ber eben fo gewanbte 

Hofmann , ald tapfere und gefchidte Krieger begab ſich daher 

November felbft nach Berlin und wuffte ben König fo geſchickt zu bes 

1704 handeln, baß ihm: diefer für 300,000 Thaler Subſidien von 

ben Seemächten, Unterftügung feiner Anſpruͤche auf Neufchatel 

und Ballengin und Gewährleiftung der Sicherheit feiner Laͤn⸗ 

der während ber Eutfernung der Truppen, 8000 Mann auf 

ein Jahr bewilligte*) und bie großen Anerbietungen, welche 

Frankreich machte, um ihn vom Bunde zu trennen, fogleich 
ablehnte ). 

Leopold von Deflau führte dieſe Truppen unter Eugene 
Dberbefehl nach Italien, während die übrigen unter dem Ges 
nerale Arnim bei Marlborough blieben. Bei dem heftigen 

16. Aug. Angriffe auf des Großpriors Vendome Lager bei Gaflano, als 

1705 während bed fürdterlihen Gemetzels nach boppelter Berwuns 
dung Eugens die Kaiferlihen den Muth verloren, zeigte Leos 

polb eine verwegene, bis zur Tollkuͤhnheit gehende Zapferkeit, 

indem er mit feinen Truppen durch. den Ritorto, einen -tiefen 

mit Waffer gefüllten Kanal hindurch flürmte und ungeachtet 

unerhörten Verluſts nicht eher abließ, als ihn Eugen felbft zus 

therief. „Der Fuͤrſt von Anhalt, fehrieb diefer dem Herʒoge 

von Marlborough, firengte ſich ebenſo an, wie bei Hoͤchſtaͤdt; 

immer der Erſte im Feuer, wachſam auf alle Bewegungen und 


1) Wie groß die Beſorgniſſe, Karl werde nach Sachſen gehen, im 
3. 1705 ſelbſt bei dem mit Schweden eng verbündeten Luͤneburg waren, 
weigt Lamberty IL. p. 464. 

2) Lamberty II. p. 457 u. 342, wo er einen Auszug aus dem 
Vertrage gibt, ben er v. 28. Det. 1704 batirt, was wohl 27. November 
heiffen muß. Marlborough bei Gore I. ©. 116 ſchreibt v. N. Rod, 
baß ber Vertrag eben unterzeichnet werben folle und feine Kutſche anges 
ſpannt zur Abreife vor ber Thür ſtehe. Marlborough erhielt drei Pferde 
unb einen Hut mit einer Agraffe 24,000 Ihlr. werth vom Könige ges 
f@entt. Theatre. Europ. XVIT. p. 107. * ſelbſi Saat, Geſchente 
von hohem Werthe erhalten ju haben, a. a. D. 

8) Theatr. Europ. XVIL. p. 106. 


Caffano. Zurin. Romillies. 135 


immer jebem Erfoderniſſe nach ber Natur der Sache zuvor- 
Tommend ')." 

Gegen Ende des Jahres flieg des Königs Unzufriebenheit 
mit den Holländern Über die oraniſche Erbſchaft unb bie fäus 
mige Zahlung der Subfidienz ferner beklagte er fih, daß ihn 
Kaiſer Iofeph, der feinem Water (feit 5. Mai 1705) gefolgt 
war, ohne daß dies für die Verhältniffe der Eriegführenden 
Mächte eine wefentliche Werhinderung bewirkt hätte, nicht mit 
fo vieler Aufmerkſamkeit behandele, wie Leopold, Drei Regi- 
menter hatte er ſchon vom Oberrheine zurüdgerufen, was bie 
Generalſtaaten beforgt machte, andere Fürften würben baffelbe 
tun. Nur die Alles gewinnende Perſoͤnlichkeit Marlboroughs, 
der wieder felbft nach Berlin Fam, konnte ihn bewegen, bie 
beflchenden Verträge zu verlängern und feine Zruppen noch 
in Italien und Flandern zu laflen, wo fie ben Verbuͤndeten 
fo hoͤchſt nöthig waren’). 

Der Herzog von Savoyen konnte in feinem Berichte über 
die Schlacht von Zurin, welche ihn aus der hödhften Bedraͤng⸗ 7. Seyt. 
niß gerettet, die Tapferkeit der Preuffen nicht genug loben‘). 1706 
„Der Finft von Anhalt, ſchrieb Eugen dem Grafen Sinzendorf, 
hat mit feinen Zruppen bei Zurin abermald Wunder gewirkt. 
Zweimal traf ich ihn im flärkfien Feuer felbft an ber Fronte 
derfelben unb ich kann es nicht bergen, fie haben an Muth 
und Ordnung bie meinigen weit übertroffen. Für die Bequem: 
tichkeit folher Truppen muß man fo viel ald möglich forgen. 
Die Preuffen verdienen es umd es iſt fein Preis zu hoch, wos 
durch ich ihr Ausharren erfaufen Tann *).” Kurz vorher nah⸗ 28. Mai 
men bie Preuffen, welche Lottum in Brabant befehligte, eh⸗ 
renvollen Theil an Marlboroughs großem Siege bei Romillies 
über Billeroi. 

1) Eugens Werke I. ©. 148. Sein Bericht bei Lamberty 
ID. p. 506. Wagner vita Josephi p. 40. 

2) Lamberty II. p. 785 u. 758. Gore's Marlborough Th. IL 
©. 285 u. 319. Marlborough erhielt vom Könige einen mit Diamanten 
reich befehten Degen. 

3) Cein Schreiben an Friedrich L bei Lamberty IV. p. 171. 
Wagner vita Josephi p. 9. 

6 Batı II. ©. 19. 


136 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


Neue Zwiſtigkeiten umter den Verbimdeten entftanben uͤber 
das erledigte Bisthum Münfter, welches der Kaifer und ber 
Papft ungerechterweife dem Biſchofe von Osnabrüd verſchaf⸗ 
fen wollten, während die Mehrzahl im Capitel nebft den Ge 
neralftaaten, Preuffen und Pfalz fir ben Biſchof von Pader⸗ 
bom war. Friedrich L wurde darlıber auf ben Kaifer, und 
dag man ihm die von ben Franzofen gemachten Zriebendans 
träge verheimlicht hatte, auf die Verbuͤndeten überhaupt fo ers 
zuͤnt, daß er, auch beforgt wegen ber norbifchen Berhältniffe 
feine Truppen auf dem Marfhe nach dem Dberrheine Halt 
machen ließ und fich ganz von den Verbündeten los fagen 
wollte’). Wirklich gab ber Papft ber gerechten Sache bed 
Biſchofs von Paderborn erft nad, ald die Generalftaaten ers 
klaͤrten, den Bifchof von DOsnabrüd unter Feiner Bedingung 
anerkennen zu wollen und ihren in Italien befindlihen Trup⸗ 
pen Befehl gaben, in ben Kirchenftaat einzurucken und Con⸗ 
tributionen zu erheben). Marlboroughs einnehmende Perföns 
lichkeit wuſſte indeffen abermals Friedrichs I. Unzufriedenheit 

1707 zu beſchwichtigen ). Ex trug weſentlich dazu bei, daß Karl XII. 
in.Sachfen abgehalten wurde, ſich für Zrankreih gegen den 
Kaiſer zu erflären, fich dagegen mit Preuffen enger verband, 
feinen Weg gegen den Baar nahm, fo die gegen Frankreich 
verbiindeten Mächte von ihren Beſorgniſſen befreiete und zus 
gleich Friedrich I. den Gedanken aufgab, ſich ernftlicher in bie 
norbifchen Verhaͤltniſſe einzulaffen. Seitdem nahm fi ber 
König des Kriegs gegen Frankreich wieder eifriger an, vorzüg- 
lich ſehr patriotiſch, als nach dem Tode Ludwigs von Baden 
bei ber Uneinigfeit ber Befehlshaber des Reichäheers *) Villars 

Mai in Schwaben eindrang und ber Baiferliche Hof faft nur daran 

1707 dachte, bie gebrüdten Ungarn zu unterwerfen und ihrer Freis 


1) Er -Magte auch über rüdftändige Subfibien und, daß eudwig von 
Baden bie preuſſiſchen Zruppen umlommen laſſe. Lamberty IV. 
p. 4 u. 56. 

2) Lamberty IV. p. 187 u. 414. 

3) Er ſchrieb am 4. Juni 1707 feiner Gemahlin: jett fei Briebrich 1. 
ſo fehe für einen Ginfall in Frankreich geftimmt, baß ex ſchon verlangt 
habe, das Fuͤrſtenthum Orange durch feine Truppen befegen zu laſſen. 

4) Wagner vita Josephi p. 155. 


Neufhatel 137 


beit zu berauben, den Krieg gegen Frankreich aber von feinen 
Verbimdeten allein führen zu laſſen). Die Generalftaaten, 
welhe zu dem inbolenten Reichätage und dem traurig beſchaf⸗ 
fenen Reichöheere fein Wertrauen hatten, baten den König 
dringend, ein hochherzigeß Beifpiel zu geben und Zruppen 
nah Schwaben zu ſchicken. Sobald es das gemeinfchaftliche 
Vaterland und die Ehre galt, war Friedrich I. ſogleich bereit, 
Meinliche' Rüdficten aus ben Augen zu laffen®). Der Kurs 
fürft von Hannover drängte an der Spige bed Reichäheers Vils 
las über den Mhein zurld. . 
Seht gelang es dem Könige auch zu feiner großen Freude feine 
Anfprüce auf Neufchatel und Vallengin verwirklicht zu fehen. 
As Lehen der alten Fürften von Chalons, deren Rechte durch 
Bermählung der legten Erbin an dad Haus Dranien und fo an 
Knig Wilhelm IN. von England gekommen waren, hatte biefer 
fie im 3. 1694 an den damaligen Kurfürften Friedrich abge: - 
treten, welcher ſich in feinen mehrfachen Verträgen mit anderen- 
Nähten, vorzüglih mit England und den Generalftaaten, 
diefe Anfprüiche zu ſichern fuchte. Als nun die bejahrte Bes 
fgerin der Herefchaften, Maria von Orleans, Herzogin von 
Nemours, ald Erbin ihres verftorbenen Bruders, des Herzogs 
von Longuevilke, ihrem Tode nahe war (1706), hatte der Kurs 
fürf den Grafen Ernft Metternich, feinen Gefandten in Res 
gensburg, nach Bern geſchickt, wo berfelbe auch Theilnahme 
fand. Nach dem Zode der Fürftin machte auffer vielen ande 
tn vorzliglich der bereitö von feinem Schwiegervater, bem letz⸗ 
tn Herzoge von Longueville zum Erben eingefegte Prinz Lud⸗ 
wig Franz von Conty Anfprüche auf die Herrſchaften und 
wurde von Ludwig XIV. unterftügt, während England und 
die Generalftaaten, fowie im Algemeinen die angefeheneren 
ſcweizer Gantone, welche ben mächtigen katholiſchen Nachbar 


1) England warf-baher im 3. 1711 dem Kaifer vor, biefer habe in 
Spanien auf -eigene Koften und im legten Jahre ein einziges Regiment 
den 2000 Mann, (England dagegen von 1705—1711 56,000 Mann un: 
uralten und über brei Millionen Thaler Subſidien mehr gezahlt, als es 
verſprochen. 

9) Sore's Marlborough II. ©. 15. Lamberty I IN. p. 49. 
Berl. daſ. p. 4 u. VI. p. 87. 


8. Rod. 
1707 


138 Bud V. Zweites Hauptftüd. 


fuͤrchteten, für den proteſtantiſchen, entfernten und feine Bes 
forgniffe erregenden und wohlwollenden Friedrich L waren. 
Der franzöfiihe Reſident fegte Alles in Bewegung, verkündete 
unausbleibliches Unglüd, ging felbft nach Neufcyatel und drohete, 
als er hier die Stimmung der Einwohner fir Preuffen fand, 
daß Fein Winkel der Erde fie vor dem Zorne feines Königs 
fügen werde. Dagegen verfprachen ihnen die Seemächte kraͤf⸗ 
tigen Schug. Metternich war ebenfalls fehr thätig fir feinen 
Herm und am 3. Novemb. 1707 erklärten als hoͤchſtes Tri⸗ 
bunal bie verfammelten Stände, von benen viele Einzelne 
durch ihnen gewordene oder zugeficherte Begimftigungen ges 
wonnen waren, bie Anfprüche Friedrichs I. zu beffen großer 
Freude für bie gegrünbeteften, nahmen ihn als rechtmäßigen 
erblihen Herrn unter der Bedingung, daß er ihre fämmtlichen 
Breipeiten und Rechte beftätige, an und uͤbergaben deſſen Ge: 
ſandten Metternich bie Regierung, welche biefer fogleich ald Statt- 
halter übernahm und am folgenden Tage feinem Fürſten huldigen 
lieg. Nur eine katholiſche Gemeinde weigerte fich, wurde aber durch 
fünf Compagnien Landmiliz ebenfalls (25. Novemb.) zur Hulz 
bigung bewogen. Seitdem befaß Friedrich dieſe Grafſchaften 
als fouverainer Prinz von. Dranien, Neufchatel und Valengin. 
Er beftätigte ihre Privilegien und erflärte, die Neutralität des 
Landes erhalten zu wolen, was Lubwig XIV. nicht annahm, 
vielmehr Kriegsvoͤlker abſchickte), um ben Prinzen von Gonty 
zu unterftügen. Doc, die Schweizer widerfegten fi) deren 
Einruͤcken und in feiner damals uͤbeln Lage muffte Frankreich 
es vermeiden, fih nod mehr Feinde zu machen; es geſtand 
fo wie die Werbimdeten Neufchatel die Neutralität zu?). 

Neue Schwierigkeiten erhoben ſich wegen ber Truppenſtel⸗ 


1) 3u Ende bes Jahres 1708. Villars Mem. IL p. 494. La 
Lande II. p. 289. 

9 Peter v. Hohenhart (kudwig) preuſſiſches Neuburg. 
‚Halle 1708. Ric. Hieron. Gundling hiſtoriſche Nachricht von der 
Graffchaft Reufchatel. Frkf. u. keipz. (1708). Deffelben Erlauterung 
bay. FIrkf. 1708. Ueber die Verſaſſung Sernoulli Beſchreibung bes 
Bürftentpums Welſch · Reuendurg S. 415 ff. Vergl. Lamberty IV. 
p- 505. V. p. 56. Friedrich beflagte ſich doch, als Bern Gubfibien ver⸗ 
Tangte, über bie vielen Koften, weldhe ihm biefe Erwerbung verurfacht. 


Dubdenarde | 139 


lungen im nächften Jahre. Der König beftagte fih, dag er 1708 
fgon 9000 Mann Rekuten habe nach Italien [ciden müſ⸗ 
fen und im laufenden Jahre wieder 4000 nöthig wären, dann 
daß ihm fortwährend die ruͤckſtaͤndigen Subfldien vom Kaifer 
und den Generalftaaten vorenthalten wirden'). Der Kron⸗ 
yriny winfchte alle preuffifchen Truppen 20,000 Mann ſtark 
vereinigt am Rheine bei der Reichdarmee unter feinem Schwies 
geroater, dem Kurfürften von Hannover, zu befehligen; doch 
wurde der König dahin gebracht, für einige ihm neubewilligte 
Bortpeile bie Truppen in Italien zu laſſen, was er fpäter (1710), 
noch mehr aufgebracht über die hinter feinem Rüden mit 
Grankreich geführten Unterhanblungen der Verbündeten, doch 
dein den perſoͤnlichen Bitten Eugens in Berlin und nur 
ſhwer nachgab *) und fie nody verftärkte, auch (im J. 1709) 
feine Truppen am Rheine um 6200 Mann im engliſchen Solde 
dermehrte, 


Die Truppen fochten unter Lottum und Nagmer in der 
Shlaht bei Dubenarde ungemein brav. Drei Bataillone, 11. Juli 
welche von bem Franzoſen geworfen worden, fehten fi einige 1708 
hundert Schritte ruͤckwaͤrts und rüdsen durch Eugen geführt ° 
don Neuem mit großem Nachdrucke und Erfolge vor. Epds 
ta, als das preuffifhe Fußvolk im Rüden von den Franzoſen 
agegriffen wurde, boten fie auch fo uuerfcüttert dem Feinde 
de Stitn und hielten zwei Angriffe beffelben aus, bis bie 
Raht einbrach?). Sie hatten nach Marlboroughs Brrichte 
den größeften Antheil an bem erfochtenen blutigen Siege. Auch 
ki anderen Ereigniſſen dieſes wichtigen Feldzugs, namentlich 
bi den Belagerungen von &ile und Xournay, dann in ber 
furhtharen Schlacht bei Malplaquet zeichneten fich die Preufs 17. Sept. 
fen unter Lottum in Anweſenheit de Kronprinzen aus und 1709 
hatten nach Eugens Beugniffe den meiften Antheil an dem 


N) Lamberty V. 42 fl. 

2) Eugens Werke TI. ©. 115 u. 117. Der König überhäufte ihn 
ait wahrhaft koniglichen Eprenbegeigungen, wie er fchreibt. 

9) Sedendorfs Erben I. ©. 73, der war dabei. Schönings Lehen 
Rıtmerd S. 285 f. u. 293. Des Augenzeugen Schulenb urg Bericht, 
ü deſſen Erben I. &. 350. 


10 Bud V. Bweites Hauptſtuͤck 


. glüdlichen Erfolge’). Auch war ein preuffifches Meiterregiment 

(im 3. 1708) bei dem Zuge des Grafen Daun gegen den 
Dapft, wodurch biefer gezwungen wurde, fi dem Kaifer zu 
fügen. Im 9. 1710 befehligte Leopold von Deffau bie Preuf- 

fen, ‚hatte großen Antheil an der Einnahme von Donai und, 
eroberte mit ihnen das von 8000 Sranzofen tapfer vertheibigte 

8. Rov. Are, worüber ihm Marlborough große Lobfprüche ertheilte ?). 
1710 Nun aber entwidelte fich durch verfchievene Umftände eine 
Krifis, welche den Waffen der Verbündeten gegen Frankreich 
doͤchſt nachtheilig wurde, nachdem diefe, vorzüglich ber Kaifer, 
übermüthigerweife ihre oberungen am ben gebemüthigten 

und wiederholt um Frieden bittenden Ludwig XIV. zu einer 
unbilligen Höhe gefteigert hatten. Marlboroughs und feiner 
Partei, ber Whigs, Anfehn war feit einigen Jahren in Eng- 

land bei ber Königin und bem Volke immer mehr gefallen, 

fie hatten (1710) ihren Pla den Tories räumen müffen und 

bes Feldherrn Sturz war fchon entfchieden, als er fi noch 

nicht entichlieffen Tonnte, den mit fo großem Ruhme und Ers 

17. Aprit folge geführten Oberbefehl nieberzulegen. Da ſtarb auch Kais 
1711 fer Joſeph I. und fein zum Könige von Spanien außgerufener 
Bruder Karl war der Erbe aller oͤſterreichſchen Staaten und zus 
gleich der Anſpruͤche feines Haufe auf die fpanifhe Monars 

ie. Von dieſem Augenblide an verlor für England der biss 

ber zu Gunften des Haufes Habsburg gegen bie Uebermacht 
Frankreichs geführte Krieg feinen Iwed. Zr die Herftellung 

einer Macht, wie fie Karl V. befeffen, war ber Krieg nicht 
unternommen worben. Den ausbrüdlichen Abfihten Englands 
gemäß follte die ſpaniſche Monarchie Keiner befigen, der zugleich 
zömifcher König und Kaifer oder König von Frankreich wäre, 

Die erledigte Kaiferkrone reizte Auguft von Polen, fie feinen 
Sohne verfchaffen zu wollen, wobei er auf die Unterftigung 

bes Zaars, Dänemarks, Preuffens und Hannovers hoffte >); 
endlich erregte der mit neuer Kraft ſich wieder entzündende 
norbifche Krieg auch mancherlei Beforgniffe. Schon hatten die 


1) Shönings Leben Natzmers ©. 311 ff. 
2) Marlboroughs Schreiben in Ragmers Leben S. 325. 
8) La Lande III. p. 77. 


Aufloͤſung bes großen Bändniffes. 141 


engliſchen Miniſter, die Gegner Marlboroughs, mit Frankreich 
Unterhandlungen angeknipft und dieſes dadurch zur Anſtren⸗ 
gung der letzten Kräfte ermuthigt, ſo daß es ben Verbundeten 
dinlanglichen Widerſtand bot und nichts von Bedeutung unters 
nommen werben Tonnte. 

Bereits am 8. Detober ſchloß das englifche Mimiſterium e. Oct. 
insgepeim, ohne feine Verbundeten davon zu benachrichtigen, 1711 
die Friedenspraͤliminarien für fih und für eine allgemeine Bes 
endigung des Kriegs mit Frankreich. Dazu follte im Januar des 
naͤchſten Jahrs zu. Utrecht ein Congreß gehalten werben. Ver⸗ 
geblich ging Eugen felbft nach London um eine Veränderung 
dieſet Befchlüffe zu bewirken. . Marlborough .gab gezwungen 
den Oberbefehl an Ormond ab, welcher ſich noch” einige Zeit 
fo fielen muffte, ald wolle er mit den Verbündeten unter Eus 
gen gemeinfame Sache machen. Ad Eugen nun beſchloß 29. Mai 
Quesnoy zu belagern, weigerte Ormond Xheilnahme an ben -1712 
Feinbfeligkeiten- zu nehmen, benachrichtigte den franzöfifchen 
Rerfhal Billard davon und zeigte Eugen an, daß für bie 
agliihen Hülfstruppen ein Waffenſtillſtand abgeſchloſſen fei. 

Die im englifhen Solde befindlichen gegen 50,000 Mann, vor * 
ziglich Preuffen unter Leopold von Deffau, dann bie Dänen, 
Holdnder, Sachfen, Hannoveraner, Holfleiner und Lütticher 
weigerten fich diefen anzunehmen. Quesnoy ergab fi, Dr⸗ 8. Zu 
mend Iehnte geradezu jede Unterflügung gegen Landreci ab, 

dropete für Bezahlung und Unterhalt der Soͤldner nicht mehr 

fergen zu wollen und trennte fih mit 12,000 Mann Englän 17. Zuti 
dem völlig von Eugen; bei dem jedoch bie beutfchen Soͤldner 

bäcben, deren Nationalgefühl vorzüglich Leopold von Deffau, 

der treue Verehrer des Dberfelbheren, angeregt hatte’). 

Unterbeffen war ber Stiebenscongreß in Utrecht eröffnet 29. Ian. 
worden. Friedrich I. war, wie oben erwähnt, ſchon fehr mis⸗ 
vegnügt darlıber geweien, daß man ihn, gegen bie beftehens 
den Verträge, nicht zu ben von Frankreich feit dem I. 1706 
ageknüıpften geheimen Zriebendunterhandlungen gezogen. Er 
hatte fi) dann die Präliminarartikel zu verfchaffen gewuſſt, 

1) Eore’s Marfborough VI. ©. 251. Lamberty VI. 172. 
Ormond Hätte gern geſchiagen / er burfte nicht. Villars Mm. II. p. 868. 


142 Bud V. Bweites Hauptſtuͤc 


welche Holland rückfichtlich ber oranifchen Erbſchaft vorgeſchla⸗ 
gen und war fehr aufgebracht ‚darüber, bag man für ihn weis 
ter nichts bebungen, als die Anerkennung bed Beſitzes von 
Neufchatel, nicht Uber auch dad Fürftenthum Drange und die 
zur Erbſchaft gehörigen Güter in der Franche Comts, welche 
die Generalftaaten felbft, als Teſtamentsvollſtrecker, bis zur 
voͤlligen Ausgleihung des Streit verwalten wollten, ferner, 
daß bie Generalftaaten das ehemals fpanifhe Oberquartier und 
die Feflung Geldern für ſich verlangten‘). Er hatte deshalb 
fon im 3. 1709 Eugen und Marlborough vorfchlagen laſ⸗ 
fen; Maßregeln zu ergreifen, um die undankbaren und übers 
müthigen Holländer in die gehörigen Schranken zurädzubrins 
gen?) und war auf ben Gedanken gekommen, felbft mit Franke 
reich zu verhandeln, was durch die Wermittelung des Bruders 
feiner dritten Gemahlin, des Herzogs von Medienburg-Schwes 
rin, fehr geheim betrieben wurde. Frankreich hoffte damals, 
durch Rüdgabe des Fuͤrſtenthums Orange und jährliche Sub⸗ 
fidien, Friedrich I. vom Bunde abzuziehen und daß dann auch 
andere Fuͤrſten deſſen Beiſpiele folgen würden, wollte aber 
nach dem Tode Joſephs I. und in Rüdficht der Lage Englands 
nicht mehr fo günflige Bedingungen bewilligen. Die Hols 
Iänder befhwichtigten Friedrich 1. durch Nachgiedigkeit und ins 
dem fie fi auf feine Großmuth beriefen. Eugens perfoͤnliche 
Anwefenheit in Berlin (1710) wirkte ebenfalls viel. So wurs 
den dieſe Verhandlungen abgebrochen ?). 

Er hatte noch einen Verſuch gemacht, fich perfönlich mit 
dem Prinzen Johann Wilhelm Friſo über die oranifche Erb⸗ 


1) Die Generalſtaaten und England Iäugneten bie übrigens wahre 
Sache. Lamberty VI. p. 87 ff. Torcy Mem. L p. 804 wo ber 
Entwurf. $. 21-28. 


2) Inftruction des Königs für den Kronprinzen v. 5. Juni 1709 in 
Börfters Friedrich Wilhelm I. Th. I. ©. 135. 


3) Pdlinig Mem. J. ©. 668, mit Einzelnheiten, welche bie Wahr: 
heit ber Sache kaum bezweifeln laffen. Bergl. Coxe's Marlborough V. 
©&. 225. Lamberty VI p. 10. n. 87. Daß ein toͤmiſcher Abgeord⸗ 
neter ben König von dem großen MWBünbniffe Mzupiehen verfudht habe, 
erfuhr Eugen, Werke II. S. 115. Schreiben v. 4. April 1710. Der 
König habe das aber mit Abfchen verworfen. 


Unterhandblungen zu Utrecht. 143 


ſchaft zu vergleichen, fi (1711) in den Haag begeben, als 
unglüdlicherweife ber Prinz ibel der ſtiumiſchen Weberfahrt 

über den MorebyP ertrank und eine hochſchwangere Gemahlin 
binterließ, welche dann einen Sohn gebar, was bie enbliche 
Beilegung der Angelegenheit weit binausfchob. Friedrich J. 

war viel zu großmuͤthig um Vortheil von dem augenblicklichen 
Ungluͤcke der nun verwittweten Prinzeffin zu sieben, inbeffen, 

da er weiter Fein Mittel fand, fo wurde durch einen Beſchluß 28. Juli 
der Generalfiaaten im Einverfländniffe mit dem Könige, doch 1711 
mit Vorbehalt aller Rechte der Exben beftimmt, der König 

ſolle auffer dem, was er ſchon inne habe, noch jährlid) 50,000 
Zloren, die Mutter und der Prinz indgefammt jährlich 150,000 
Zloren und noch 150,000 Floren auf einmal aus dem Ertrage 

der Gier der Erbſchaft erhalten‘). Erſt weit fpäter winde 

diefe Angelegenheit voͤllig erledigt. 

Dem utrechter Gongreffe theilte der Graf Metternich auf 
Befehl ded Königs ausführlih mit, was bisfer vom Frieden 
denke, umd zog den Schluß, daß - dad große Buͤndniß ge 
brochen fei, was ihn nöthige, an feinen eigenen Vortheil zu 
denfen. Das engliiche Minifterium wendete Alles an, ihn für 
den Frieden zu flimmen und gab ihm Hoffnung, nicht nur bie 
Stadt, fondern aud das Dberquartier Geldern zu erhalten, 
welches die Generalftaaten für ſich ausbebungen hattenz ferner 
boten fie Gewaͤhrleiſtung für Neufchatel und Wallengin, und 
für Frankreich 200,000 Livres, wenn er biefem feine Rechte 
auf das Fürflenthum Drange abtreten wolle; doch trauete der 
Koͤnig den Engländern nicht und fein rechtlicher Sinn misbil⸗ 
ligte die Trennung bderfelben vom Bunde‘). Er verlangte, 5. März 
ais jeder der Verbündeten bei ben Briebenöverhanblungen feine 1712 
Eeberungen vorlegte, feinerfeits, Anerkennung als König und 
als fowverainer Fürft von Neufchatel und Wallengin, das Fürs 
hastpum Dranien und alle Güter der Haͤuſer Chalons, Orange 
mb Chateau Belin als. rechtmägiger Erbe berfelben; zur Ents 
ſchaͤdigung für erlittene Verluſte aber einen Theil ber Brande 

1) Lamberty VI. p. 5%. 

2) Lamberty VIL p. 514. Gr lieh bu feinen Gefanbten 
Bennel in Eondon am 19. Juli Borftellungen gegen de Zrennung Gnglanbs 
cea den Bunbesgenoffen madjen. 


144 Bud V. Zweites Hauptfiäd. 


Comte mit dem Schloffe Iour, ferner Stadt und Land Gels 
dem, Hanbelöfreiheiten für feine Unterthanen, dann, daß ben 
naͤchſten Verwandten ber noch in ben preuflifhen Staaten bes 
findlihen Emigranten bie freie Auswanderung aus Frankreich 
geftattet, allen aber ihr dortige Eigenthrm zurücigegeben werbe 
und man fie ald koͤniglich preuffifche Untertanen betrachte. 
Zugleich druͤckte Friedrich den Wunſch "aus, der König Lud⸗ 
wig XIV. möge den in Frankreich befindlichen Reformirten die 
Geroiffensfreiheit wieder gewähren; endlich verlangte er bie 
Aufpebung ber Claufel zum vierten Artikel des ryswicker 
Friedens '). 
17. Juni Die Königin von England machte bei Eröffnung bes 
1712 Parlaments die Friebendbebingungen mit Frankreich -befannt 
und äufferte, die Anfprüche des Königs von Preuffen würden 
franzoͤſiſcher Seits Feine großen ‚Hinderniffe finden und fie, 
die Königin werde Alles thun, um einem fo guten Werbünde- 
ten zu verfchaffen was fie vermöge. Der König druͤckte ihr 
darüber feine Freude aus, wünfchte zu wiffen, worauf er mit 
Sicherheit rechnen koͤnne und was feinetwegen zwiſchen Eng⸗ 
land und Frankreich vertragen wuͤrde, indem das legtere 
nichts mittheilen wolle. Es würde ihm wuͤnſchenswerth ges 
wefen fein, wenn bie Königin ihre Erklärung mit den Waffen 
unterftügt; ex babe gefchwiegen bis fi Ormond geweigert, 
am Kriege ferner Theil zu nehmen und verlangt, der Fürft 
von Anhalt ſolle fi) mit den Preuffen von ben Verbimbeten 
trennen; was biefer ohne Befehl des Königs nicht gedurft, da 
Preuffen mit England, den Generalftaaten und Defterreich zu 
gemeinſchaftlichem Kriege und Frieden verbindet fe. Das 
möge die Königin nicht-übel auslegen, dagegen bie Bezahlung 
der Truppen balbigft befehlen”)., Nm ſchlug Villars eine 
2. Suti Abtheilung von Eugens Heere bei Denain, zwang biefen, "die 
1712 Belagerung von Landrecis aufzuheben, nahm vier Feflungen 
und hinderte den ohne hinlängliche Unterftügung gelaflenen 
Eugen, fih mit Exfolg zu wiberfegen. Man muflte fih zum 
Briten neigen, deffen Abſchluß Friedrich I. indeffen nicht mehr 
erlebte, 
1) Lamberty VII p..4 fl. 
2) Lamberty VI. p. 455 ff. 


Meute. j 185 


uUnnerdeſſen benutzte er die Anweſenheit feiner Truppen in 
diefen Gegenden, um ſich in den Beſitz der Stabt und Feſtung 
Neurs zu fegen, in welcyer die Generalftaaten feit langen eis 
ten eine Befagung hielten. Der König hatte, weil bie Bürs 
ger ihm ungeachtet eines vom Reichöfammergerichte in Wetz⸗ 
lar ausgewirkten Befehls nicht hulbigen wollten, bie Stabt 
einſchlieſſen laffen, als die Vormünder des Prinzen von Nafs 
fan eine Zurhdinahme des Reichskammergerichtsdecrets bewirk⸗ 
tm und die Generalftanten die Aufhebung der Einfchlieffung 
winfhten. Der König beharrte indeſſen bei feinem Entfchluffe 
und drohete die Stadt zu bombardiren. Die Generalftaaten 
gaben ihm endlich den Givilbefig der Stadt nad), worauf er 
verlangte, fie follten ihre Beſatzung abberufen und die Eins _ 
wohner ihm bulbigen. Zugleich wurde eine Menge anderer 
freitigen Puncte der Erbſchaft wieder in Anregung gebracht 
und die gegenfeitigen Berührungen der preuffiichen Beamteten 
and der hollaͤndiſchen Befagung verurſachten neue Zwiftigkeiten. 
Der König gab daher dem Fürften von Deſſau, ber nach bes 
eadigtem Feldzuge bie Truppen in die Winterquartiere um Aachen 
verlegt Hatte, Wefehl, fich der Feſtung zu bemächtigen. Dies 
fer verfuhr mit bem ihm natürlichen Nachdrucke, überfiel in 
dr Naht das Schloß, nahm die hollaͤndiſche Befagung , die % Nov. 
dagleichen nicht vermuthen konnte, gefangen, brohete ber Stadt 1712 
mi Bombarbement, erzwang bie Hulbigung und fegte dann 
die hollaͤndiſchen Truppen in Freiheit. Die Generalftaaten bes 
fich zwar bitter uͤber dieſes gewaltfame Verfahren, eben 
b beſchwerten ſich die übrigen Wormlnder bed Prinzen von 
Muffeu, doch wurde damit nichts erreicht, als daß Preuffen 
fin Recht darlegte und bewies, dab Befagungsreht Hollands 
Mi gegen die Meichögefege, worauf bis Ende des Jahres noch 
me hollaͤndiſche Befagung neben ber preuffifcen, bie das 
Pin allein inne hatte, in ber Stabt blieb, bis auch fie 
). 

In mehrfacher Verbindung und Wechſelwirkung mit den 
&rigniffen des fpanifcpen Exbfolgefriegs ftanden, vorzhglich für , 
den ppeuffifchen Staat, wie wir fehon gefehen haben, bie 

1) Lamberty VII. p. 566 ff. u. 592 ff. 

Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL. 10 


146 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


norbifchen Verhaͤltniſſe. Diefe waren an fih ſchon wegen ber 
verfchiebenen Abfichten Peters von Rußland, Friedrichs von 
Dänemark und Auguftd von Polen und Sachſen, Karl XII. 
gegenüber verwidelt genug, wurben es aber noch mehr durch 
die Beziehungen zu den Mächten, welche den fpanifhen Erb⸗ 
folgefrieg führten. Die gegen Frankreich verbündeten Fürften 
wünfchten den Frieden im Norden herzuftellen, weil ber Krieg 
dort, bei Annäherung an bie Grenze Deutſchlands bie Füh⸗ 
zung des Kriegs gegen Frankreich erſchwerte und unficher machte. 
Vorzüglich feit Ludwig XIV. im entfciedenen Nachtheile gegen 
die Verbündeten war und daher den ſiegreichen Karl auf jede 
Weiſe an fich zu ziehen ſuchte ), um dadurch dem Kriege eine 
ganz neue Wendung zn geben, kam Alles darauf an, den vers 
wegenen Schweden vom Weſten ab nach dem Dſten hinzulen⸗ 
Ten. Aufferdem fürchteten die Verbündeten, der zu jebem Schritte 
fähige Auguft von Sachfen möchte ſich, wie er mehrmals drohete, 
wit Frankreich vereinigen. 

Karl dachte wirklich nur daran, feinen perſoͤnlichen Empfins 
dungen nachzugeben und Rache an denen zu nehmen, welche 
ihn auf fo unrechtmaͤßige Weiſe angegriffen hatten. Die gro⸗ 
Ben Erfolge feiner Waffen hatten feine Neigung zum Kriege 
erhöpet, ihm bie Zuverſicht der Unuͤberwindlichkeit feines Heers 
gegeben und Verachtung feiner Gegner eingeflößt. Selbſt 
furchtlos, ja bis zur Tollkuͤhnheit verwegen, glaubte er mit 
feinem Heere, das ihn anbetete und blindlings vertrauete, Als 
les unternehmen zu ?önnen, was ihm einfiele. Wider den 
prunkenden und lufigierigen ehr⸗ und gewiſſenloſen Auguſt, ber 
ihm auf fo verrätherifche Weife überfallen hatte, war der ein⸗ 
fache, der Wolluſt unzugängliche ehrliche Kart vorzüglich aufs 
gebracht und entfcloffen, ihn vom Throne zu flogen. Er 
jagte fi mit ihm in Polen herum, bis ſich bier eine Partei 
gegen Auguft bildete. Won allen deutſchen Fürften war babei 
auffer Auguſt, deffen Sachſenland doch durch weitere Entfer⸗ 
nung und. fremde Grenzen gebedt ſchien, Feiner durch feine 
Lage unb eingegaugene Werbinbungen näher beteiligt, als 


1) Auch bie Sie wefasitgen derzese arbeiteten daran. Lam- 
berty I. e· 7. 


Kari XIL gegen Augufl. Polen. 147 


Dieſer war, wie wir gefehen haben, weit mehr fuͤr Dä- 
nemark und Auguft geftimmt, weshalb auch erft im J. 1703 
Karl XII. nicht ohne Schwierigkeiten und Opfer bewogen wurbe, 
die preuffifche Koͤnigswuͤrde anzuerkennen. Friedrich hätte ſich 
dieleiht, da er Auguſts verzweifelte Sache doch aufgeben 
muffte, num näher mit Karl verbunden, doch der Werfuch, den 
@ balb darauf machte, die Hand der Schwefter und wahr 
ſcheinlichen Erbin Karls für feinen Kronprinzen zu erhalten, 
hatte feinen Erfolg, weil Hannover, bad nebft Belle in enger 
Verbindung mit HolfleinsGottorp und Schweden war, unb 
eine Partei in Schweden felbft das hinderte). So blieb 
zwiſchen Preuffen und Schweden ein immer noch einigermaßen 
geipannted Verhaͤltniß. Wäre Preuffen bamald von einem - 
wahrhaft ſtaatsklugen Minifter geleitet worden, fo würde es 
feine Zruppen nicht für das Intereffe der gegen Frankreich vers 
bimdeten Mächte faft nur um leicht verfchwendeter Subfidien 
und einiger Nebenvortheile willen hingegeben, fondern fih auf 
&rfülung feiner Verpflichtungen gegen Defterreich beſchraͤnkt und 
feine übrige ganze Macht auf die ihm vortheilhafte Anordnung 
der norbifchen Angelegenheiten verwendet haben’), aus denen 
& für füch viel mehr Ruten ziehen Fonnte, als aus dem glüds - 
lichſten und offenbar nur zum Wörtheile Deſterreichs, Englands 
md Hollands geführten Kriege mit Frankreich. 

Peter I., fogar von Dänemark verlaffen und mistrauifch 
gegen den verfchwenderifchen Auguft, der die Subfidien nicht 
auf das ‚Heer, fondern für feine Maitreffen verwendete, knuͤpfte 
anter Bermittelung des preuffifhen Gefandten in Moskau Fries 
densverhandlungen mit Schroeden an und wollte fi mit einem 
Hafen in Finnland begnügen. Unter diefen Umftänden vegte 1704 
um ſich zu vetten der zu Allem fähige Auguft felbft in. einer 
Unterhanblung mit Karl XII. die Theilung Polens an. Es 
if bekannt, daß Karl Guſtav von Schweden während feines- 


1) Lamberty III. p. 856. Gofanbers von Goͤthe Neffe, der 
af Eilierodt, damals in preuffifchen Dienften, war deshalb nach Schwe ⸗ 
ben geſchickt worden. ” 

Dan ſcheint doch einen Augenblick daran gebadht zu Haben, we⸗ 
im I. 1705 Marlborough, ber Friedrich bavon abe 

. S. 286, " 

10* 


148 Bud V. Bmweites Hauptſtuͤck. 


Kriegs mit Polen in neuerer Zeit zuerſt daran dachte, Polen 
zu theilen, um dadurch ſeine Zwecke zu erreichen. Wer haͤtte 
aber ahnen koͤnnen, daß nicht ein Feind, ſondern der eigene 
König einen ſolchen Entwurf würde wieder aufnehmen koͤnnen. 
In der That erbot fi Auguft zum Frieden und durd eine 
Theilung Polens Karl XU. Genugtpuung zu geben. Als bad 
ohne Erfolg war, ſchloß er mit dem Baar ein neues Buͤndniß 
gegen Karl’). Viele ohnehin durch den von ihnen nicht ver= 
anlafften Krieg Aufferft verlegte und gebrüdte Polen, als fie 
den Anfchlag ihres Königs zur Tpeilung des Reichs erfuhren, 
wurden mit Recht fo erbittert auf ihn, daß fie fih in War- 
ſchau conföberirten und den Thron für erledigt erflärten, waͤh⸗ 
rend fie dagegen von Augufts Partei für Verräther ausgeru⸗ 
fen wurden. 

Karl XII wollte Jakob, den aͤlteſten Sohn König Ios 
Harms DI. Sobiesti auf ben Thron fegen, ber mit feinen beis 
den jüngeren Brüdern in Ohlau in Schlefien lebte, welches 
ihnen der Kaiſer verpfänbet hatte. Jakob hatte, aufge 
bracht über bie ungerechte Behandlung, welche er von Auguft 

- erfahren, fih ſchon im I. 1701 in Karls XU. Schug beges 
ben. Auguft erhielt Nachricht davon und ließ ihn in Ohlau 

‚ Überfallen und mit feinem Bruder Konftantin auf ben Koͤnigs⸗ 
flein bei Dresden bringen. WBergeblih bot nun Karl wiebers 

holt Alexander Sobieski, dem dritten Bruder, welcher der Ge— 
fangennehmung durch die. Flucht entgangen war, bie Krone 
an?). Als dieſer ſich weigerte fie anzunehmen, veranlaffte ex 

12. Juli die Erwäplung des Stanislaus Lescinski, Palatins von Pos 
1704 fen. Ueberall wohin bie ſchwediſchen Waffen, die Yurcht 
vor ihnen ober das Intereffe für fie reichte, wurde Stanislaus 
anerkannt, auch auf Drohung Schwedens, um nicht feinblich 
behandelt zu werben, in bem bamald fo wichtigen Danzig. 

Um diefe Stadt, für welche fich des Handels wegen bie Sees 
möchte fehr intereffirten, vor ſchwediſchen Erpreſſungen und 


1) Hoyer, J. ©. 106 Der neue Bund wurbe 80. Zoguft 1704 
au Barſchau gefchloffen. 
6 mens Betehgs dur Oefhte er Bam Gobiesti in Sötof- 
fers und Berhts Ardive, Wo. V. ©. 345. 


Karı XI. gegen Auguſt. Poten. 149 


Auguſts Rache zu fügen, ſchloß Friedrich J. einen geheimen 26. Seyı. 
Vertrag mit ihr unb verpflichtete fi, ohme daß dadurch ipe 170% 
Verhaͤltniß zu Polen geändert werben folle, ihr auf zehn Jahre 
beizufichen, als wenn fie feine Stabt wäre, ihr 2000 Mann 
und noͤthigenfalls noch mehr Truppen auf ihre Koften zu übers 
laſſen, welche der Stabt ſchwoͤren ſollten. Der König gab ihr 
Gewähr für alle Folgen, bie aus ihrem Zutritte zur Partei 
des Stanislaus entfpringen koͤnnten und feine Truppen erhiel⸗ 
tem freiem Durchzug durch das Gebiet der Stadt, welche ver 
möge eines abgefonderten Artikels ihm unter ber Hand Rekrutirun⸗ 
gen in ihrem Gebiete erlaubte und ihm jährlich 5000 Thaler 
Schuggelb zahlte, wogegen der König bei feinen Subfidienver- 
trögen mit den Seemächten diefe zur Gewaͤhrleiſtung feines 
Bündniffes mit der Stadt Danzig bewog). Als nun bie 
Schweden unter mandyerlei Vorwaͤnden ihre Geldfoderungen 
an Danzig erneuerten, fo fand das durch Friedrich I. einigen 
Shut. 

&o ſehr fih nun auch Peter L und Auguſt bemühes 
ten, Dänemark zum Kriege gegen Schweden zu bewegen und 
Preufien in ihr Bündniß zu ziehen, fo war dad doch vergeblich, 
weil Friedrich I. nichtö gegen Karl XIE. unternehmen wollte 
und durch die Gewanbtheit Marlboroughs und Eugens bei 
deren mehrfacher Anwefenheit in Berlin, wie wir gefehen : 
haben, immer tiefer in das Intereffe der Verbümdeten gegen 
Frankreich verwidelt wurde, fo daß er nur kurze Zeit daran 
denken Eonnte, ernftlicher in bie norbifchen Angelegenheiten eins 
zugreifen, welche ihm unftreitig weit mehr Ausfichten zur Ver⸗ 
größerung boten, als auch der glüͤcklichſte Erfolg eines Kriegs 
mit Frankreich. Doch wurde, wie man verficert, Damals von 
Seiten Preuffend Karl XU. vorgefchlagen, zur Befeitigung des 1705 
Streited zwiſchen beiden Königen von Polen an Stanislaud 
Lithauen, an Auguft Polen zu geben, was indeſſen Karl XI. 
ebenfo wie den Antrag des daruͤber aufgebrachten Auguft vers 


1) Lamberty IV. p. 254. Anfänglich nahmen bie Geemächte, 
Defberreich und Preuffen, Danzig in ihren Schug, dann aber, als fie bie 
Beingungen des geheimen Vertrags mit Preuffen nicht erfuhren, vers 
weigerten fie die Gewaͤhrleiſtung. Gralat hs Geſchichte von Danzig 
®». IL &. 250. J 


150 Bud V. Bweites Haupefiäd. 


warf, das polnifhe und brandenburgifche Preuſſen vereint am 
Stanislaus zu geben, wogegen auch bie Seemächte waren '). 
Indeſſen ſcheint feitdem der Gedanke an eine Theilung Polens 
im preuffifchen Gabinete eine Zeit lang durch ben Minifter Is 
gen wach erhalten worden zu fein und nur daraus bie Politik 
Preuffens im Norden richtig erklärt werden zu koͤnnen. 

Neue Streitigkeiten zwifchen bem herzoglichen Haufe Hols 
fein» Sottorp und dem Könige von Dänemark Über den Befitz 
des Bisthums Luͤbeck broheten, als der König Friedrich IV. 
fich Eutins mit Gewalt bemaͤchtigte, hier mit einem Wieder 
ausbruche des Kriegs, indem Holſtein die Gewaͤhrleiſter des 
travendahler Friedens, unter denen Preuffen, aufrief?). Der 
unermödliche Patkul nahm biefe Gelegenheit wahr und ent 
warf nun in Dresden als zuffifcher Bevollmächtigter nebft dem 
ſaͤchſiſchen Generale Flemming ein Buͤndniß mit Dänemark, 
um Schweden Alles, was es feit 130 Jahren erworben, zu 
entreiffen. Auch Friedrich I. folte daflır gewonnen werben, 

17. Dee. als Patkul ganz; unerwartet gefangen gefegt wurde, weil er 
1705 ſich bei dem Könige Auguſt durch offene Vorſtellung Über die 
Verſchwendimg ber von Peter I. erhaltenen Subfidien verhafft 
gemacht hatte und mit dem kaiſerlichen Hofe in Unterhandlung 
getreten war, um biefem 13,000 in Sachfen befindliche Ruffen 
in Sold zu geben. Es wird behauptet, er fei der Art, wie 
die Staatsangelegenheiten am Hofe Augufts betrieben wurden, 
Aberbrüffig gewefen und da feine wie aller Fremden Sicherheit 
in Rußland nur vom Leben Peters I. abgehangen, habe ex 
unter dem Scheine, an einem neuen Bündniffe gegen Karl XEL, 
zu arbeiten, fich mit diefem ausföhnen und zuvoͤrderſt unter 
preuſſiſcher Vermittelung den Frieden zwifchen Rußland und 
Schweden herftellen wollen, daher auch vorher bie ruffifchen 
Zruppen in Sachſen dem Könige von Preuffen angeboten. 
. Der Minifter Ilgen und deffen Schwiegerſohn Marfchall waͤ⸗ 
ven auf feine Entwuͤrfe eingegangen’)... Wie dem nun auch 
4) Lamberty II. p. 688. Hoyer L S. 10% 
2) Lamberty II. p. 630 f. Hoyer 1.8.19 ff. 
3) Schulenburgs Leben L ©. 44 ff. enthält neue, wichtige Auf⸗ 
ſchiaffe über Patkuls Umtriebe, obwohl ber Werfaffer parteiih für den 
in jeder Megiehung moraliſch verächttichen Auguft if ” 


Karı XII. gegen Auguſt. 151 
fä, die Schweden ſchlugen bald darauf den ſaͤchſiſchen Gene» 


tal Schulenburg bei Frauſtadt aufs Haupt, Dänemark konnte 15. Ber. 


nicht mehr auf den Beiftand des felbft unmittelbar bedroheten 1706 


Sachſens rechnen und verzichtete gegen Entfhädigung auf das’ 


Bisthum Luͤbeck, zu Gunften des Adminiſtrators von Holſtein⸗ 
Gottorp, für den ſich auch Friedrich L erflärt Hatte. 

Karl beſchloß nun in Sachſen einzubrechen, ba er auffers 
bem Fein Mittel fand, den König Auzuſt völlig zu bezwingen. 
€ zog von Dſtrowo aus an die ſqleſiſche Grenze. hin bis 
Rawa, uͤberſchritt fie hier, weil ber Kaifer den Sachſen ges 


Rattet Hatte, durch Schlefien zu geben, um Schweden anzugrels ' 


fen, ohne Anfrage, ruͤckte ſchnell Über Herenftadt auf Steinau, 
ging bier uͤber die Oder, dann bei Loͤwenberg und Greifenberg 
vorbei uͤber den Queis in bie fächfiiche Laufig und weiter. 
Biberftand fand er nirgends, wohl aber wurde er in Schle 
fin von Seiten der Proteflanten mit großer Liebe empfangen. 

Den evangelifhen Schlefiem war es, wie wir weiter oben 
gefehen Haben !), nicht gelungen, im weftfälifchen Frieden für 
die Erhaltung ihres Glaubens mehr zu erwirten, als völlig 
freie Religiondübung in den vier Fuͤrſtenthumern Liegnig, Brieg, 
Bohlau und Dels und in der Stadt Breslau, ferner brei foge: 
nannte Friedenskirchen vor den Städten Schweidnig, Jauer 
und Glogau, endlich daß in den dem Kaifer unmittelbar zus 
Rehenden Fuͤrſtenthumern nur die evangeliſchen Grafen, Herren 
und Adelige und zwar nur in ber Nachbarfchaft aufferhalb des 
Standes follten ihren Gottesbienft diben dürfen, ohne in Stra: 
fen zu verfallen, während ſich gegen die übrigen Bewohner ber 
Kaifer das fogenannte Reformationsreht, d. h. fie zu feinem 
Glauben oder zum Auswandern zu zwingen, vorbehielt. Uns 
geachtet der rührendften und bemüthigften Bitten der evangeli⸗ 
fhen Unterthanen und der Werwendung ber Zürften ihres 
Glaubens wurben ihnen, unter thätiger Betreibung ber Überall 
gegen die Proteftanten fo feinbfeligen Iefuiten, in ſaͤmmtlichen 
unmittelbaren Zörftenthlimern burch eine fogenannte Reductions⸗ 
conmiſſion ipre Kirchen, allein in Niederfchlefien gegen 600, ges 
nommen, ihre Geifllichen aus dem Lande gewiefen und ihnen 


1) IL 6.5. 


152 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


(1669 und 1680) auch dee Beſuch aller auswärtigen Kirchen, 
welcher früher nur erfchwert worden war, bei hoher Strafe 
gaͤnzlich verboten. Im Innern des Landes, vorzüglich im Ges 
birge, wurde in Wäldern und fonft abgelegenen Drten. ber 
. Gotteddienſt verrichtet. Alle Strafgebote konnten das nicht voͤl⸗ 
lig verhindern, ba gemäßigte Katholiten felbft die Härte fols 
cher Verfügungen misbilligten. Andere Proteftanten, vorzügs 
lich au Sberſchleſien, zogen haufenweile 12 — 20 Meilen 
weit zu einer evangelifchen Kirche. Selbſt die im I. 1669 
vom Kaifer noch geftatteten Hausandachten wurden von ben 
Beamteten häufig geftört, Beſchwerden nicht angehört ober 
blieben unbeachtet. Gegen bie kaiſerliche Erlaubnig wurden 
die Evangeliſchen gezwungen, in Fatholifchen Kirchen taufen 
und trauen zu laſſen; wo fich das nicht durchführen ließ, wurs 
den fie mit hoben an die katholiſchen Kirchen zu entrichtenden 
Tauf⸗, Zraus und Begräbnißgebühren befteuert. Sie mufften 
die katholiſchen Feiertage mit feiern, die Kirchen mit befuchen, 
an bem Gottesdienſte und den Proceffionen mit Theil nehmen. 
Schreiender Drud und Gewaltthätigkeiten wurben dabei von 
einzelnen Beamteten, Gutöbefigern und Herrſchaften verübt. 
Als nun viele Evangelifche auswanderten, fo befahl der Kais 
fer fie zuruͤkzurufen und gab Zuficherungen, die vieleicht ans 
faͤnglich aufrichtig gemeint waren, allein gegen eigenmaͤchtige 
und fanatifhe Beamtete und Herrſchaften nicht fehlten. Die 
Sewalttpätigkeiten des Abts von Gruͤſſau gingen fo weit, bag 
ex feinen Unterthanen in zwei Dörfern (Reichhennersdorf und 
Bieber) endlich (1687) eine Friſt von vier Wochen fehte, um 
katholiſch zu werden und bie bemüthigften Bitten, fie, fo hoch 
ex wolle, mit Frohndienften zu belaften, allein bei ihrem Glau—⸗ 
ben zu laſſen, nicht beachtete. Sie wanderten daher, 800 
Köpfe ſtark, aus und begaben fich in bie Oberlaufig und in 
das Brandenburgifhe, wie ſchon vorher (1673) 800 Leobs 
ſchuͤtzer ausgewandert waren. Auch bei Erbauung ber drei ſo⸗ 
genannten Friedenskirchen und der "Einrichtung ihres Gottes⸗ 
dienſtes wurden fie vielfach chifanirt und gefränft. 
As nun nach dem Ausfterben der Piaften von Liegnig, 
Brieg und Wohlau (1675) deren Länder ald dem Kaifer heim⸗ 
gefallen angeſehen wurben, gab biefer zwar ben Ständen 


Die Proteflanten in Schleſien. 153 


(15. Juli 1676) die feierliche Verficherung, daß er bie ber augs⸗ 
burgifehen Gonfeffion zugethanen Stände der drei 
mer wider ben prager Nebenreceß, den weflfälifchen Frieden 
und die darauf erfolgten kaiſerlichen Refolutionen zu befchwes 
ten oder befchweren zu laſſen nicht gemeint fei, allein von bem 
Srundfage ausgehend, daß ihm nun aud) in dieſen brei Fürs 
Renthümern das fogenannte Reformationsredht wie in den Übris 
gen zuftehe, obwohl er das noch im 3. 1666 dem Herzoge Friedrich 
von Liegnitz abgeſprochen hatte, wurden nun die evangelifchen 
Parren der Rammergliter nach dem jebesmaligen Abfterben ih⸗ 
18 Inhabers, dann im 3. 1692 alle Pfarren Ianbeöherrlichen 
Patronats mit katholiſchen Geiſtlichen befegt, den Städten ihr 
h t flreitig gemacht, daß viele ihre evangelifchen 
Sirhen verloren, und daſſelbe, obwohl nicht mit fo guͤnſtigem 
auch gegen die Patronatrechte der evangelifchen Ritz 
terſchaſt verſucht. Ale obrigkeitlichen Aemter und Magiſtrats⸗ 
felen in den Städten wurden mit Katholiten befeht, den 
Pupilln katholiſche Vormuͤnder gegeben, bei gemifchten Ehen 
muſſten, wenn auch mr der Water Fatholifch war, alle Kinder, 
©0 der Vater evangelifch, wenigſtens die Töchter katholiſch ers 
gen werben. Klagen und Beſchwerden fowohl der Unter 
thanen als evangelifcher Fuͤrſten, vorzüglich ber brandenburger 
ud Sachſens, waren entweder völlig vergeblich ober bewirks 
tm nur Baiferliche Befehle, die man nicht ausführte, offener . 
Biderftand bed Volks, wo er fich zeigte, wurde leicht mit Ges 
welt unterbrüdt, ſchwere Strafen über wiberfpänftige Evange⸗ 
Üfhe verhängt und foviel ald möglich ohne viel Auffehn zu 
megen gethan, um ben Proteflantismus in Schlefien völlig 
au zurotien *). 

Schon der große Kurfuͤrſt hatte (1660 und 30. Maͤrz 
1676) den Kaiſer an die ſchoͤnen Worte ſeines trefflichen Ahn⸗ 
derm Marimilian IL erinnert: daß Gott allein Herrſcher über 
das Gewiffen fei. Noch mehr hatte fich Friedrich III. der 
dangeliſchen Schlefier angenommen und (12. Ianuar 1703) 
dem Kaifer gefchrieben: die unmäßige Bekehrungsſucht ber 


1) Words, bie Mechte der evangellſchen Gemeinden in Schleſien 


14 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


katholiſchen Geiftlichkeit habe oͤfters Werorbnungen gegen die 
Soangelifchen erwirkt, doch fei auf Verwendung feines Waters 
und anderer evangelifchen Zürften Milderung eingetreten. Er 
babe den Katholiten in feinen Landen Manches Über den vers 
tragenen Fuß vom 3. 1624 eingeräumt und dulde Kloͤſter, 
Stifter, Pröpfte und Geiftliche, auch wo er das nicht näthig 
babe, doch nur auf fo lange, als am anderen Orten gleiche 
Verträglichkeit herrſche. Seit einiger Zeit nun wären in Uns 
garn, der Pfalz und Schlefien unbarmherzige Neuerungen vor⸗ 
gegangen, die Beamteten und Geiſtlichen brädten aus erceffis 
ver Bekehrungsſucht die zur gänzlihen Vertilgung der Evans 
gelifchen ehemald ergangenen dann aber fuspenbirten Verord⸗ 
mungen, unfreitig ohne des Kaiferd Wiffen, in Aushbung. 
Die vielen Auswanderungen der Schlefier in das Branden⸗ 
burgiſche bezeugten den Drud binlänglih. Ehemals hätten 
fie in fiebzehn Städten Kirchen gehabt, jetzt kaum noch in 
fünf, feit dem 3. 1675 wären an 50 Kirchen eingezogen und 
bie Evangelifhen würden unmäßig gebrüdt, wie er näher nach» 
wied. Daher habe der König nicht umhin gekonnt, feiner Vor⸗ 
fahren und amberer evangeliichen Staaten Beiſpiele gemäß, 
dem Kaifer die Religionsbeſchwerden ber Evangeliſchen in 
Schleſten. Ungarn und der Pfalz zu überreichen und fi bes 
fonders für Schlefien nochmals zu verwenden, namentlich fire 
zwei unmöndige geborene Schleſier von Köderig, die er zu 
feinen Pagen angenommen, ba’ er hoffe, ed werde nicht Ernſt 
fein, was der wohlauifche Landeshauptmann geradezu erklaͤrt: 
es komme nicht darauf an, daß fie geftelt, fondern daß fie 
im katholiſchen Glauben erzogen würden! Es wiederholte bald 
darauf feine Verwendung für bie Evangeliſchen in Ungarn und 
Gölefien (6 Det. 1705) '). . 

&o gut gemeint biefe wie anderer evangeliſchen Staaten 
Verwendungen fein mochten, fo konnten fie doch nur im Eins 
geinen und hoͤchſtens den Erfolg haben, dag die Beamteten 
Anfteuirt wurden, bei ihrem Verfahren alles Auffehn und das 
durch die Verwendung ber evangelifchen. Fürften zu vermeiden. 
Im Ganzen dauerte der Baum zu ertragende, Drud fort. Als 


1) Echleſiſche Kirhenpiftorie IL. ©. 436 u. 445. 


Kari XI in Sachſen. 155 


daher Karl XIL. bei Steinau fiber die Oder ging, waren ums 
Hhlige edangeliſche Schlefler am Ufer bed Stroms verfammelt, 
amgaben den König weinend, wuͤnſchten ihm taufendfachen 
Segen und beſchworen ihn, ſich ihrer zu erinnern, bie wegen 
"Ared Glaubens unterbrüdt würden, was ihnen der König auch 
mit Hand und Mund verfprad. Nachdem er in Altvans24. Sept. 
Räbt Auguft zum Frieden gepwungen, ben dieſer im Voraus 1706 
beiäloffen nicht zu halten und nur eingegangen war '), um 
die Schweden moͤglichſt bald aus feinem Erbiande zu entfers 
wa, lagerte fi, während feine Generale den Krieg gegen 
Per L fortführten, Karl mit feinem Heere bequem in Sache 
fen, zunaͤchſt dazu veranlafft durch Auguſts zweideutiges, ja 
verätperifches Benehmen, dann durch bie Werwidelung bee 
politifchen Berhältniffe der weftlichen Mächte. Einerfeits mufften 
der Kaiſer und die Seemächte die Entfernung Karls XI. wins 
fen, damit nicht die durch feine Anweſenheit erregte Beſorg⸗ 
RG die zunächft bebroheten deutſchen Zürften, Gachfen und 
Brandenburg und deren Nachbarn, dann wohl das Weich ind» 
gſaumt von der Tpeilnahme am Kriege gegen Frankreich abs 
biete, dann aber befhrchteten bie Werbindeten, Karl werbe ſich 
wohl gar bewegen laffen, unmittelbar einzugreifen und fi 
wit Frankreich verbinten, was bem gefammten bis bahin 
won ihnen glücklich geführten Kriege eine voͤllig veränderte Ges 
Ralt gegeben haben würde. Das machte bie Lage des Kaifers 
Wäft peinlich. Ungarn war im Aufftande, die Evangelifchen 
in Schlefien in großer Bewegung, die Baiern griffen haufens 
wie zu den Waffen, Villars rüdte mit einer franzoͤfiſchen 
Anne bis zwölf Meilen von Nürnberg vor und Iud Karl XIL 
in, zu ihm zu flogen, Ludwig XIV. that Ale, diefen zu ges 
winnen und erkannte auch den Stanislaus Lescinski ald Rd 
zig von Polen an”). Ganz Europa fah mit ber hoͤchſten 
Spannung auf den jungen allen Lockungen auſſer denen des . 
Ehrgeizes unzugänglichen ‚Helden, der mit 20,000 Mann feis 
mr unbefiegten Krieger mitten in Deutfchland. fland, wohin er 


1) Hoyer l. &. 117. 


9 Soyer L ©. 143. Lamberty L p. 569. Gore’s Maris 
keougp III. &. 286. Villars Mem. I. p: 224, vergl, TIL p. 284. 


16 . Bud V. Bweites Hauptfläd. 


ohne Anfrage gegangen war, ohne Erlaubniß einzuholen blieb. 
Das Schidfal Europas ſchien in feine Hand gegeben zu fein. 
Im feinem Hauptquartiere. zu Altranſtaͤdt, einem unbebeutens 
den Dorf unfern Leipzig, fah man die Zünften und Staats: 
männer faft aller europäifchen Höfe ſich drängen. Friedrich I. 
ſchickte den auf mehrfahen Sendungen an fremde Höfe ers 
probten wiſſenſchaftlich fehr gebildeten und hoͤchſt achtbaren ges 
heimen Rath Freiherrn von Pringen und den ſchlauen Genes 
tal Grumbkow hin. 

Karl wollte feinen Weg geben und einen proteftantifchen 
Bund mit England, Preuffen, Dänemark’) und Hannover 
ſchlieſſen. Marlboroughs perfönlicher Gewandtheit gelang es, 
indem er den einflußreichen Grafen Piper durch eine Penfion 
gewann, bie deffen Gemahlin annahm, ben König davon abs 
zubringen und jedenfalls fo weit flr die Verbuͤndeten zu ges 
winnen, daß er fich jeder Einmifhung in ben Krieg wegen 
der fpanifchen Erbfolge enthielt?). Friedrich I. erkannte (wie 

* Hannover) den Stanislaus als König an”) und es gelang 
ihm darauf, vorzüglich durch Marlborough, mit Karl ein 


16, Aug. immerwährendes auch beider Nachfolger verpflichtende8 Bünd- 
1707 nig zu gemeinfcpaftlicher Verteidigung ibrer Länder zu ſchlieſſen, 


wozu ber gegenfeitige Beiſtand auf 7000 Mann beftiimmt 
wurde, welche unter Umftänben vermehrt werben follten. Haupts 
ſaͤchlich vereinigten ſich beide Könige, dahin zu arbeiten, bag 
die Proteftanten in Ungarn, Polen, der Pfalz und Schlefien 
Ferner nicht‘ gebrüdt würden. Finde Friedrih L angemeffen, 
zu Gunften der von anderen Fürften gebrücdten Lutheraner und 


1) Hoyer L ©. 148. . 

2) Marlboroughs Leben von Gore. II. ©. 286 u. 302. 

8) Tagebuch Peters I. $ 15% Noch im I. 1705 Hatte Friedrich 
das verweigert, wie feine bem König Auguſt gegebene Erklaͤrung zeigt. 
Theatr. Europ. XVII. p.186. Zaluski epist. IL p. 645. Do) am 
9. Febr. 1707 gratulicte er Stanislaus auf beffen Schreiben vom 29, Mon. 
1706, zur Königlichen Würde, ebenfo Kaiſer Joſeph. Zaluski epist, 
II. p. 808. Es wurde damals wieder ein untergefchobener Vertrag ber 
Tannt gemacht, nach weldem Friedrich an Gtanislaus Truppen und 
Geld gab, dieſer ihm dagegen das polnifhe Preuſſen abtrat. Lam- 

» berty IV. p. 444. . 


Karl XD. für bie ſchleſiſchen Proteflanten. '157 


Reformirten Repreffalien gegen feine katholiſchen Unterthanen 
anınenden, fo verfprach Karl, mit ihm gemeinfchaftliche Sache 
u mahen. Im Frieden mit Frankreich folle die den Evangelis 
fihen fo nachtheilige Glaufel des vierten Artikels im ryswicker 
Frieden vernichtet, der weftfälifche Friede aber aufrecht erhals 
ten, England und Hannover dieſem Bertrage beizutreten eins 
geladen werben. Im einem abgefonberten Artikel wurben bie 
Streitigkeiten beider Höfe über das Directorium des nieberfächs 
filden Kreiſes daburdy befeitigt, daß jährlich zwifchen beiden 
gemehfelt werben ſollte ). König Friedrich I. war über das, 
was hauptſaͤchlich Marlborough in Altranftävt ausgerichtet, fo 
froh, daß er diefem einen Ring ſchenkte, welcher 1000 Pfund 
Sterling wert) war). 

Auch an den Bemühungen Karls, den Proteflanten in 
Sölefien ihre Religionsfreiheit zu ſichern, nahm Friedrich I. 
ſowie die Königin von England und bie Generalftaaten leb⸗ 
haften Antheil. Der Kaifer fah fich in feiner ſchwierigen Rage 
bei der Drohung des entfchloffenen Karl, ald Schirnwogts der 
Proteftanten in Deutſchland, auf feinem Rüdmariche in Schle 
fin zu bleiben, biß feine ſeibſt von gemäßigten Katholiken fe 
geht gehaltenen Foderungen erflllt fein würden ), genöthigt, 
den unter bem Namen der altranftäbtifchen Gonvention befanns un. 
im Dertrag -abzufcliefen. Durch Diefen wurde beftimmt, 1, St 


1) Martens, Recueil Supplem. T. I. p. 78 aus Nordberg 
T. I. p. 481, N. 117. Doch hat Rordberg bie Btatification ber 
Egaratartikel nicht, weiche am 26. Auguft erfolgte. Der Vertrag wurde 
Kalte von Wartenberg, Jlgen und Pringen in Berlin abs 

2) Gore IL ©. 816. Marlborough hatte auch mit dazu gewirkt, 
daf Gricbeich I. Reufchatel erhielt. Daf. &. 866. 

3) Der humane und rechtliche, allerbings bem xömifchen Stuhle und 
da Jeſuiten daher auch ſehr verhaffte Eugen ſchrieb 29. Dec. 1706 an 
tn Grafen Gingendorf: „Die Zoderungen bes Königs von Schweden 
Degen der eeipeit der Proteftanten in Schleſten find an ſich gar nicht 
irertrieben. Wenn ich Alles verſtehe, fo geht es mic doch nicht ein, wie 
man die geheiligte Seligion zum Dedmantel des politifchen Intereffe oder, 
um mich deutlich zu erflären, Ungeredhtigkeiten machen kann 1 Das wärs 
den ihm der ee EST un bie Jefuiten Leicht haben beutlich machen 


158 Bud V. Bweites Haupifke, 


bie Meligiondfreiheit der Evangelifgen, wie weit fie im ws 
faͤliſchen Frieden fefigefegt worden, fole erhalten und Alles in 
den Stand gefegt werben, wie es bamald geweſen. Daher 
erhielten die Evangelifhen in den Füuͤrſtenthuͤmern Liegnig, 
Brieg, Wohlau, Dels und Breslau 118 ihnen feitbem ents 
tiffene Kirchen zuruck und niemals follten ipnen Kirchen oder 
Schulen wieder genommen werben. Gie durften in ben brei 
Briedendlicchen fo- viel Pfarrer als nöthig anſtellen, dabei 
Zhürme bauen, Glocken brauchen und Schulen errichten. Die 
Evangeliſchen waren nicht mehr verbunden, had Entrichtung 
der Stolgebühren, die katholiſchen Geiftlihen zu Amtöverrichs 
tungen zu gebrauchen, fondern durften fich ber ihrigen bedienen. 
Auch katholiſche Einwohner in evangelifhen Pfarrfprengeln 
folten, was dem Geiftlihen gehöre, entrichten, ben evanges 
liſchen Mündeln keine katholiſchen Worminder aufgebrungen, 
fle nicht zur katholiſchen Kirche gezwungen ober gar in Klöfter 
geſteckt werden; Kirchenſachen der Evangelifchen gehörten von 
mm an vor bie neu zu errichtenben evangelifchen Conſiſtorien. 
Die Öffentlichen Aemter fohten auch von Evangeliſchen vers 
waltet werben duͤrfen und dieſen nicht verwehrt werden, ihre 
Güter zu verkaufen und auszumwandern '). 

Ohne Beachtung der gegen Gewiſſensfreiheit und jedes 
rechtliche Verhaͤltniß zwiſchen Katholiken und Evangeliſchen ges 


3*. Ki wöhnlichen Proteftation des Papftes *) wurde nach vielfachen Vers 


1709 panblungen von ben kaiſerüchen und ſchwediſchen Bevollmaͤch⸗ 


tigten ein Eyedutionsreceß abgefchloffen, welcher nähere Be— 
flimmungen Aber die Ausführung der in der altranftädter 
Convention feftgefegten Puncte enthielt, in welchen nod manche 
einzelne günftige Beftimmungen für die Evangelifchen erwirkt 
wurden. Sie erhielten die Stadtliche und Schule in Golbs 
berg zuruck und es wurde ihnen geflattet noch ſechs Kirchen, _ 
in Sagen, Freiſtadt, Hirſchberg, Landshut, Militſch und 


1) Dft gebrudt, aud bei Lamberty T. IV. p. 473 ff. Die 
NRadpoeifungen, wo bie hilerher gehörigen Actenftäde gu finden, hat 
Walther Silesia diplomatica T. L_p. 100 f. Dis meiften fiehen im 
dei Schleſiſchen Kirhenfiftorie. Frkf. 1708, 2 Die. 


2) Werve Element XL vom 10. Sept. 1707. Schhleſtſche Kirchen- 
hiſtorie WB. IL. ©. 46. 


Die polnifhe Krone 159 


Zeſchen in der Art wie bie drei älteren Friedenskirchen zu 

erbauen, woflr fie indefien noch Über 400,000 Floren an ben 

keiſerlichen Hof, theils als freiwilliges Geſchenk, theils als 

Darlehen, auch am Schweden nicht unbedeutende Summen 

atrihteten. Dennoch war ihre freubige Begeiſterung unges 

mein groß und es immerhin ein ſchoͤnes Zeichen der im Gans 

ven gemäßigten Gefinnung Joſephs J., daß er auch nachdem 

Karl XIL nicht mehr zu fürchten war, den Vertrag ausführte '). 
Peter J. hoͤchſt aufgebracht über den König Auguft, den Bel 

a der Trenloſigkeit befhulbigte, bot num die pofnifce Krone 2707 

dem Prinzen Eugen von Savoyen an, ber fie eben fo heſchei⸗ 

den alß Flug ablehnte”). Zakob Gobiesfi bewarb fih, nad 

dem er in Freiheit gefegt worden war, bei Karl XIL um ben 

Felnifhen Thron, was dieſer uͤbel aufnahm, weshalb er fi 

zun mit Peter J. verband, der ihm große Wortheile zuſicherte. Juni 

ba Abrathen des Kaiferd, feines Schwagers gab er indeſſen 
feine Entwürfe wieder auf?) und Peter trug mit gleich une 

Sanfligern Erfolge dem Ragoczi die Krone an‘), ald Karl bes Iuli 

tits aus Sachſen ahmarſchirte, durch Polen gegen ihn 308, 

dann bei Pultawa gefchlagen wurde unb auf das türlifche Ges 

biet flüchtete, 


Auguft hatte nie daran gebacht, ben in Altranfläbt 
Eingegangene Brieben zu halten, war fortwährend mit Peter L 
in Berbinbung geweſen und hatte deffen Unwillen zu beſchwich⸗ 
tg gefucht. Weide wendeten, ſobaid Karl XIL Sachſen vers 
kaffen hatte, Alles auf, Dänemark zum Kriege gegen Schwe⸗ 
den zu bewegen, während ſich Friedrich IV. lieber in Venedig 
bergnögte. Erſt, als Karl ſich in die Ukraine vertieft hatte, 


1) Nordberg T. IL p. 252 hat recht, indem er fagt, daß von 
Am Siegen Karld dieſer ber ſchonſte und von allen Trophaͤen bie eins 
ie dauernde gewefen. 

2) Schreiben Cugens an ben Grafen Wratislav vom 10. Mai 1707 
(Werte VIII. ©. 26) und an Marlborough vom 11. Mat: 1707 bei 
Gore II. ©. 360. Wergl. Peters L Tagebuch. $. 152. 

8) Deine Beiträge zur Geſchichte der Bamilie Gobiesli in Shloſ ⸗ 
ftra Archive Bd. V. SS. B4B gehen berdher neun uah onfpeniäe Rah 
übten Bergl: Lamberty IV. p. 486. 

4) Lamborty IV. 487. Nordberg IL 2 16% 


160 Bun Y. Zweites Pauprküd 


uni wenige Tage vor ber Schlacht bei Pultawa, erneuerten Fried⸗ 

Fe rich IV. und Auguft ihr altes Angriffsbuͤndniß gegen Schwe⸗ 
den, im welches aud Rußland aufgenommen und Preuffen 
und Hannover zum Beitritte eingelaben werben follten '). 
Weide Könige begaben ſich nah Berlin, um Sriedri I. für 
das Buͤndniß zu gewinnen. Diefer empfing und bewirthete 
fie mit großer Pracht, ging aber wegen feines eben erſt mit 
Schweden abgefchloffenen ewigen Bimdnifles und feiner Theil 
nahme an dem Kriege gegen. Frankreich auf bie ihm gemachten 
Anträge nicht ein, auch beflanden der Kaifer und die Gees 
möchte auf die Neutralität der deutfchen Provinzen Schwedens. 

7. Zuti Ex ſchloß daher nur ein Wertheidigungsbindniß ab, in wels 
chem er den Königen von Polen und Dänemark alle mit feis 
ner Parteilofigkeit verträgliche Unterftügung zufagte, angeblich 
bis mit dem Ende des fpanifchen Erbfolgekriegs die Neutralis 
tät ber fchwebifchebeutfchen Provinzen aufhören wuͤrde ). 

As nun die Nachricht von der Niederlage Karls XIL bei 
Pultawa fich verbreitete, ſetzte ſich Auguſt unſchwer wieder in ben 
Beſitz des polnifchen Throns. Der ſchwediſche General Kraſſow, 
welcher zum Schutze Stanislaus mit 9000 Mann in Polen ges 
blieben war, zog ſich von Kalifch über Driefen, gegen Friedrichs I. 
Willen durch deſſen Gebiet’), doch ſchnell und mit guter 

° Manndzuct nad Pommern zurid. Dänemark, welches (22. 
Dctob. 1709) ein neues Schutz⸗ und Zrugbinbnig mit Peter J. 
gefchloffen *), bereitete ſich, in Schonen einzufallen und erklärte 
Schweden unter ben nichtigften Vorwaͤnden den Krieg. Unter 


1) Hoyer I. ©. 175 gibt einen Auszug. Lamberty V. p. 418, 
ben Sähött XII. 229 anführt, hat nichts davon. 

9680 Shölt XII. ©. 230. Pöllnig Mem. L S. 512 ſpricht 
nur von einem Freundſchaftsbuͤndniſſe, ohne Datum und Gegenftand näher 
zu bezeichnen. Hoyer I. S. 176 und KRecbg geben 15. Juli an. 

„ Lamberty V. p. 418, auf den Schoͤll ſich bezieht, hat bort nichts 
davon. 

8) Guͤtther ©. 398, Anmerk. c. Borzägli Hoyer L S. 187 
daß Priebrich I. mit Dänemark vertragen, Kraffow folle gehindert werben | 
nad} Pommern zu gehen, allein Auguft habe bie mit der Peft behafteten 
Schweden ziehen Laffen. 

4) Hoyer I, ©. 187. Peters I. Tagebuch 5. 216. 


Die ſchwediſch⸗deutſchen Provinzen. 161 


diefen Umftänden kam es den gegen Frankreich verbuͤndeten 
Mächten weniger darauf an, Schwebend deutſche Provinzen zu 
teten, als nad Erneuerung des nordifhen Bundes zwiſchen 
Peter, Friedrich IV. und Auguft nur zu verhindern, daß nicht 
zugleich) mit der Ausfiht auf die leichte Beute, welche dieſe 
Provinzen boten, der Krieg im Norden von Neuem aufflams 
men und zunächft Preuffen, Hannover und Sachſen verans 
laſſen möchte, ihre gegen Frankreich fechtenden Truppen abzus 
berufen, was Dänemark zum Theil ſchon gethan hatte. 
Preuffen, als naͤchſter Nachbar, konnte bei einer Unternehmung 
der nordifchen Verbündeten gegen die ſchwediſch⸗deutſchen Pro: 
vinzen nicht gleichgültig bleiben und es entftand der natüxliche 
Berdacht, es habe felbft eine Abficht darauf, wie das bei dem 
obwohl ebenfalls mit Schweden verbimdeten Hannover wirklich 
der Fall war. Friedrich I. indeffen, obgleich durch bie Lage 
fäned Staats darauf angewiefen, jede günflige Gelegenheit 
zur Wergrößerung beffelben zu ergreifen, war indeffen weit 
davon entfernt, aus bem Unglüde Karls XI. unmittelbaren _ 
Bortheil für fi zu ziehen und ſich ber deutſchen Provinzen 
deffelben zu bemaͤchtigen). Er wuͤrde ſich vieleicht, um den 
Krieg von der unmittelbarften Nähe feiner Staaten abzuhalten, 
des Entwürfen der norbifchen Verbündeten wiberfegt haben, 
wenn er nicht zu tief in ben Krieg gegen Frankreich verwidelt 
gewefen wäre. Das hinderte ihn nun wieder bier entfcheidend 
aufzutreten und er fah ſich genöthigt, durch Unterhandlungen _ 
zu verfuhen, was er durch dad Schwert leichter vermocht 
hätte. Allerdings war für jebt die Frage wegen eines Ans 
griffs auf das ſchwediſche Pommern noch nicht auf die Spige 
geftelt, man durfte noch hoffen fie friedlich loͤſen zu koͤnnen 
umb zuletzt fehlen die Macht der norbifchen Verbündeten allers 
dings zu groß für ihn, um allein gegen fie aufzutreten. Fort⸗ 
während lagen ihm Auguft, Friedrich IV. und Peter L immer 
dringender an, ihrem Bunde gegen Schweben beizutreten. Pe⸗ 
ter Fam unſtreitig hauptſaͤchlich deshalb mit ihm in Marien 
werder zufammen und wied ihn, wie erzählt wird, hier auf 


1) Doch ‚wollte ex nicht, daß bie Seemaͤchte etwas Gewaltſames 
gegen Daͤnemark unternehmen follten. Hoyer L ©. 185. 
Stengel Geld d. Preuſſiſch Staats. TIL 11 


162 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


Pommern hin, was Friedrich L ablehnte und Kurland vers 
langte, worin Peter und Dänemark nicht willigen wollten, ja 
Dänemark weigerte fi, ihm das polnifhe Preuffen, ja mur 
Ermland zu verſprechen, um nicht bie Polen zu fehr aufzus 
1. Nov. bringen. So fol nur ein wenig bedeutendes, Vertheidigungs⸗ 
1709 bandniß zwiſchen Peter L und IFriedrich I. abgeſchioſſen wor: 
dem fein). [ 

Auf die von Karl XIL bei Friedrich I. als einem ber Ge 
waͤhrleiſter des altranftädter Friedens erhobene Beſchwerde über 
Augufts Ruͤckkehr nach Polen, erwicberte diefer: er wolle in 
Kuhe bleiben und ſich in diefe Angelegenheiten nicht mifchen. 
Von Pommern, Wismar und Bremen aus bedroheten bie 
Schweden nun fortwährend Polm und Sachſen. Peter IL, 
der Baum aufferhalb feiner Wälder und Wäften eine Stellung 
unter ben choflifieten Nationen eingenommen hatte, fprach fchon 
als Herr Europa’8 und brohete einen. Heerhaufen nach Poms 
mem zu ſchicken ). Die norbifchen Verbimbeten und Preuffen 
wendeten fih daher insgefammt an den Kaiſer und bie Sees 
möchte und verlangten Sicherheit für Schleswig, Juͤtland und 
Deutſchland. Dem gemäß fchloffen diefe zur Erhaltung ber 

31. marz Ruhe des Reicht das fogenannte erſte haager Concert *), wel⸗ 
1710 ges den daͤniſchen Provinzen Jutland und Schleswig und den 
ſchwediſchen Provinzen in Deutfchland die Neutralität gewährs 

leiſtete. Won diefen Ländern aus follten weder daͤniſche noch 
ſchwediſche Truppen Beindfeligkeiten Uben duͤrfen. Dielen Ver⸗ 

trag nahmen im Allgemeinen, obgleich nicht in allen einzelnen 
Puncten die norbifchen Werbimdeten und bie ſchwediſche Te⸗ 

15. Zutt gierung an *). Friedrich J. ſchrieb, als fid 11,000 Schweden im 
Pommern in Bewegung fehten, an beren Dberbefehlöhaber, 

den Feldmarſchall Gyllenſtierna und warnte ihn vor einem 


1) bLamberty V. p. 482 Hoyer 1. S. 185. Söll XIIL 
©. 23 2. Det. ohne feine Quelle anzufügen. Der Vertrag 
wurde 21. Det 0. St, d. $ 1. Roo. u. St. abgefdhloffen. Der Sur 

N halt iſt nicht gemau befannt. Vergl. Dohna p. 208. 

9) Lamberty’s ®orte VL 816. 

8) Damont VII. 2. p. 39. 


4) Nordberg IL p. 420. 


Haager Eoncert. Entwurf zur Theilung Polens. 163 


Einfalle in Polen, den man dem haager Eoncerte gemäß nicht 
bulben könne ¶ Da man inbeffen einfah, daß fih die Bes 
ſtinmmungen des Concerts nicht würden ohne Waffen aufrecht 
erhalten laſſen, vielmehr Daͤnemark und Auguft ımter dem 
Borwande von Beforgniffen vor Schweden ihre Truppen aus 
dem franzöfifhen Kriege zurücrufen wollten, fo fchloffen der 
Kaifer und die Seemaͤchte, König Friedrich I. und mehrere 
beutfche Sürften einen zweiten Wertrag im Haag, in welchem 
Pr fih verpflichteten 15 68 16,000 Mann aufzuftelen, um die 4. Mai 
Ausführung des erfien Wertrags gu fihern. Zugleich wollten 1710 
die Verbimbeten gegen Frankreich 8000 Mann der demgemaͤß 
nun zur Vertheldigung ber ſchwediſch⸗ deutſchen Provinzen fibers 
Flüffigen ſchwediſchen Truppen in ihren Sold nehmen ®). 
Wahrſcheinlich um diefe Zeit, als die nordiſchen Werblins 
deten glaubten ohne Beforgniffe vor Schweden fein zw koͤn⸗ 
nen, foR Ilgen der Minifter Friedrichs I., welcher hauptſaͤch⸗ 
Bd die auswärtigen Angelegenheiten leitete, einen Plan zur 


— fcheint. Demgemaͤß ſollte Polen zwiſchen dem Zaar, 

Vreuſſen und dem Könige von Polen in drei Theile getheilt x 

werben und feber den feinen mit voller Souverainität befigen, 

der Zaar (auffer dem fchwebifchen Livland) noch einen Strich 

son Eithauen, Friedrich I. das polnifche Preuffen und Samos 

gitien erhalten, das Übrige dem Könige Auguft erblich verblei⸗ 

FR Um das auszuführen foüte ſich der Baar des ganzen 
eich bemaͤchtigen, den dazu geftimmten und geeigneten pols 
nifchen Großen vorſchlagen, zum Wohle der Nation die nach⸗ 

a —— iu ändern and Das id m 


1) Nordberg IT. p. 422. 

9 Lamberty VL p. 298 ff. u. 810. 

8) Forſters Briebrich Wilhelm I. 3b. IL. ©. 114 gibt aus 
Briefe Secendorfs an Gugen 
Eugen geſchickten ten Plan v. 3. im (fol 1710 heißen 

&s 


164 Bud V. Zweites Haupefiäd. 


der angegebenen Art zu theilen, dann aber den beiden anberen 
Königen ihren Antheif übergeben. Die Senatoren und Gros 
Gen folten fich nicht verfammeln, fondern nur einzeln ihre 
Stimmen abgeben bürfen, bie Zuſtimmenden belohnt, die Gegs 
‚ner als Widerfpänftige behandelt werden und die drei Verblins 
deten in Polen 60,000 Mann zur Aufrechthaltung des Ver⸗ 
trags halten. Dem Kaifer wollte man bad zipfer Land geben 
und die fpanifche Monarchie gewährleiften, den Hollaͤndern den 
jungſt errichteten Barrierevertrag umd alle möglichen Handels⸗ 
vorideile auf der Dflfee, Danzig und Riga aber zu unabhän- 
gigen Freiftädten machen. Diefer unter ben bamaligen Um— 
ſtaͤnden mit fehr ſchlauer Berechnung entworfene Vertrag kam 
aber nicht zur Ausführung, zunaͤchſt wohl, weil Karl XIL. die 
30. Rod. Beftimmungen des haager Concerts als Begimſtigung feiner 
1710 geinde und als Mittel ihn zu entwaffnen anfah. Vergeblich 
ſchickte Friedrich L, den die Jortſchritte Peters beforgt mach⸗ 
ten, den Brigadier Erſander von Goͤthe nach Bender!) mit 
dem Vorſchlage, dem Auguſt die Krone zu laſſen und fich mit 
dieſem und Preuſſen gegen Rußland zu verbinden. Karl XIL 
hatte Fein Zutrauen zu dem treulofen Auguft, bewog vielmehr 
die Pforte, den Krieg an Rußland zu erflären. Er rechnete 
auf Stanislaus Anhang in Polen und wollte diefen von Poms 
mern aus durch den General Kraffom gegen Auguſt unters 
fügen laffen und fo feinen Angelegenheiten einen Umſchwung 
geben. Daher erklärte er, daß er ein Recht habe, Unters 
flügung zu fodern, wenn feine Staaten angegriffen wuͤrden, 
da er aber fehe, daß er von feinen Freunden nichts zu hoffen, 
fo proteftice ex gegen ben parteiifchen Vertrag, vertraue auf 
Gott und feine gerechte Sache und halte Den für feinen Feind, 
der es verſuchen würde, ihm bie Anwendung der Mittel zu 
unterfagen, welche Gott in feine Hand gegeben‘). Als er 
nun für Pommern ben Schu des Reichs in Anfprud nahm, 
warf ihm Defterreich vor, die Neutralität abgelehnt zu haben ). 


1) Königs Berlin II. ©. 234. 

2) Nordberg IL. p. 424. Lamberty VL p. 819. 

9) Nordberg I. p. 554; der Kaiſer habe Karl XIL. als Haupt 
der Proteftanten gefürditet, doch wollte ex auch nichts gegen ihn tun. 


Karl XIL verwirft die Neutralität Pommerns. 165 


Den norbifchen Verbimbeten war die Verblendung Karld XIL 
ſehr willkommen, weil fie nun ziemlich unbeforgt deſſen Pros 
vingen in Deutſchland angreifen und burch diefelben bie biß« 
berigen Verbuͤndeten Schwedens, Hannover und Preufien ah 
ſich ziehen konnten. Der König von Dänemark, beſchaͤmt durch 
feinen ungeſchickt begonnenen, ſchlecht geleiteten und ſchmach⸗ 
voll beendeten Angriff auf Schonen, war fon geneigt, Fries 
ben mit Schweden zu fchlieffen, als er vom Zaar burch große 
BVerfprechungen zur Fortſetzung bed Kriegs bewogen wurbe. 
Der Kurfinft von Hannover lich. ihm 800,000 Thaler. Er 
verabredete mit dem Könige von Polen, Stettin, dann auch Iuni 
Stralſund anzugreifen. Der Baar überließ ihm dazu 6000 1711 
Mann, weldye bei Elbing flanden‘). Das dem zweiten hass 
ger Eoncerte gemäß zur Behauptung der Neutralität Norddeuſch⸗ März 
lands zu errichtenbe. Heer kam nämlich ungeachtet aller Ver⸗ 
handlungen nicht zufammen, weil nad Verwerfung der Neus 
tealität durch Karl XIL, der Baar, Dänemark und Auguft 
verlangten, die Neutralitätätruppen folten zu den ihrigen ges 
gen Schweben flogen. Vergeblich mahnten die Seemächte und 
der nieberfächfifche Kreis von einem Angriffe auf Pommern ab, 
vergeblich wurden dazu 6000 Mann Defterreicher bei Grün 
berg zufammengegogen). Der Tod Kaifer Joſephs änderte, 17. April 
wie wir bereitö gefehen haben, dad gefammte Werhältniß der 
Berbündeten gegen Frankreich. In England fielen die Whigs, 
Zoried eilten Frieden zu fchlieffen, der Zaar erlangte glüds 
den wenn auch wenig ehrenvollen Frieden am Pruth und 21. Joli 
fpäter defien Beſtaͤtigung, Dänemark und Sachſen droheten, 
ihre dem Kaifer durch den Rüdtritt Englands völlig unents 
behrlichen Truppen aus Flandern zuruͤckzuziehen. Da willig⸗ 
ten der Kaifer und die Seemaͤchte unter der Hand in die Vers 


Ktätöverhanblungen hatten ein Ende " 
Rum wurde bie Lage Preuſſens ſchwieriger als vorher. 


1) Hoyer J. ©. 218. 

2) Wagner p. 858. Nordberg II. p. 457. Lamberty 
VI. p. 442, 452 u. 482. Peter I. und Auguft thaten natärtich was fie 
vermochten, bie Wüdung bes Reutralitaͤtcheeres zu verhindern. 


ı 166 Bud V. Zweites Hauptfiäd. 


An eine Vertheidigung Pommern gegen bie norbifhen Ver⸗ 
bündeten konnte Friedrich J. während ber größefte Theil feines 
‚Hrerd gegen Frankreich ſtand, nicht denken. Ohne alfo Schwes 
den fügen zu koͤnnen, muffte es zufehen, daß Andere die ihm 
fo günftig gelegmen Länder verheerten und beren Feſtungen bes 
lagerten. Wenn man fieht, auf wie nachläffige Weiſe diefer 
Angriff von bem nordifchen Verbündeten ausgeführt wurbe, fo 
wird man fich leicht überzeugen, daß 20,000 Preuffen in Vers 
bindung mit dem Schweden ohne große Aufrengun — 
Pommern zeiten und ed mit ber gefammten Macht der 
" Schwedens aufnehmen Finnen. 
26. Spt. - Die Dänen, Ruffen und Sachſen legten fi) vor Stral⸗ 
1711 fund und ſchloſſen einen Vertrag zur Theilung ber fimaiit- 
deutfchen Provinzen. Auguft folte Pommern und Rügen, doch 
auch Preuffen, wenn es zuträte, einen Theil davon, Dänemark 
für eine Summe Geldes die Hälfte Bügens bekommen, ferner 
Bremen, Verden und Wismar nehmen, davon fin Geld Wis⸗ 
mar an Medienburg und ein Stud des Bremenfchen an Hans 
nover Üüberlaffen, welches fih num gegen Schweden erflärte, 
Lioland wollte wo moͤglich Auguft haben und Schweden ſollte 
ale früher Dänemark entriffenen Länder zurkdgeben. Augufl, 
welcher wuffte, daß bie Seemächte daB nicht zugeben wuͤrden, 
betrog mit biefer Außficht den König von Dänemark, welcher 
bie größefte Laſt des Kriegs trug, was biefen, als er es ers 
fuhr, fehr aufbrachte‘). MWergeblich bot ber Baar an Fried⸗ 
ih L Elbing und Stettin, wenn er Belagerungsgefhüs zur 
Eroberung ber pommerfchen Feſtungen liefen wuͤrde. Briebrich 
ging nicht nur nicht darauf ein, fonbern verweigerte aud dem 
fachſiſchen Belagerungsgeſchute den Durchgang durch fein Land 
nach Stralfund”). &o hatte die Belagerung wegen ber ſchlech⸗ 
ten Anftalten der Belagerer keinen Fortgang und muflte aufs 
gehoben werben. Die daͤniſch⸗ ſaͤchſiſch⸗ Seen Truppen 
blieben in Pommern, fperrten entfernt Stralſund unb Stettin, 
dann auch Wismar. Nur mit Mühe fühnte der Baar den 
König von Dänemark wieder mit Augufl aus, ber bafür an 


1) Hoyer L @&. 219. 
2) Lamborty VI. p. 611 f. u. 686. 


Krieg in Pommern. 167 


. ganz Rügen abtrat, was doch erſt erobert wers 
Dagnus Gteenbot landete mit 6000 Ram 
mit 


FE 
R 


FF 
Hu 


lag damals und lange noch viel bavan, frgen! 
in Deutſchland zu faſſen, daher langten na 
Mann Ruffen in Pommern an, fperrten 
fund und Gtettin, faugten das Rand auß, vers 


Ey 
do 1712 
& und 

den Mai 


EIER 
Are; 
Pt; 
E le 
FH 
HR 
H dar 


es wegen ber Folgen nicht that und 100,000 
Ruffen zahlte”). Wismar vertheidigte ſich taps 
fer gegen bie Dänen, weldhe es (feit Juli 1712) einfchlofien 
und belagerten; befto leichter wurbe dieſen die Einnahme Bre⸗ 
wens, wo fi auch Stade nach kurzer Belagerung ergab. 
Rum wollten nad) langen Berathungen Di Bun ee Eh 
fin Stralſund bombarbieren und dann Rügen angreifen, doch 
ds die Schweden Berftärtung hinſchickten, unterblich ed. Steen⸗ 
bed ging plöglic) und ungehindert von den Ruffen‘ und Sachs 
fen von Stralfund in das Mecklenburgiſche; bie Dänen zogen 
Rh zuruick. Auguft beforgte einen Einfall in Polen oder Sach⸗ 
fu, Breenbodt aber wendete fiy gegen bie Diner, ſchlug fie 
bei Gadebuſch aufs Haupt und ging ken ‚Holftein, wohin 


HE 


8 
J 
& 


Bergnügens, voller Eifer ee eriöten, immer weient 
—E so, Der König von Dänemark vers 

handate heimlich mit Ein Bundesgenoffe betrog ben andern. 
D) Sralath Fee 6.29%. Nordberg II. 

P- 65%: Lamberty VII p. 495 f. 

8) Hoyer L S. 281. Peters J. Tagebuch $. 820 f. 

4) Hoyer I. S. 285. Verhandlungen mit Yannover, Wolfenbüttel 

HeffensKaffel über bie Neutralität Rorddeutſchlande und Gequeftration 

a m Gäpoeen genommenen Pläge, doch ofme Grfolg. Der Ce 


& 


sogen die Dänen gegen Wismar und Bremen '). Januar 


168 Bud V. Zweites Hauptfläd. 


liche Zwecke im Auge, kam er bier in einem fo unſcheinbaren 
Wagen an, daß er unbemerkt blieb und durch einen Beſuch 
zu Buße den König auf dem Schloffe überrafchte. Er foll 
dieſem abermals große Anerbietungen gemacht haben, wenn er 
gegen Karl zutreten wolle; body blieb ber König bier parteis 
108 fo lange er lebte‘). 
Während Friedrich J. fo in verhaͤltnißmaͤßig für ihn ſehr 
» wenig fruchtbarer Theilnahme an ben großen europaͤiſchen Bes 
wegungen feine Truppen verwendete und feine Kräfte erſchoͤpfte, 
wurbe die Schwäche ber innern Verwaltung ebenfalls nur 
Aufferlich durch den Glanz des Hofs, durch prunkvolle Feſte, 
koſtbare Bauten und Befoͤrderung ber Künfte und Wiſſen⸗ 
ſchaften verdeckt, welche der Eitelkeit des Zürften dienten. Bei 
der an Verſchwendung grenzenden Zreigebigkeit Friedrichs, bei 
der prächtigen Hofhaltung und ber Macht und Habſucht des 
Guͤmſtlings und feines Anhangs fonnten die gewöhnlichen Eins 
Elnfte. des Landes auch mit Hinzurechnung ber bebeutenben 
Subfidien, die er von fremben Mächten erhielt, nicht auds 
reichen, ja es iſt bie Frage, ob dieſe überhaupt genügten, die 
Koften der baflır geftellten Zruppen zu beſtreiten ; ſicher erſetz⸗ 
ten fie dem bamald noch ſchwach bevoͤllerten Lande nicht ben 
Verluft fo vieler Träftigen Männer, welche in Flandern, am 
Rheine und in Italien blieben, wenn gleich ein Theil davon aus 
geworbenen Fremdlingen befland. Daher nun ber, wie wie 
ſchon bei Eberhard v. Dankelmann gefehen haben, fo ſchwierige 
Stand des Finanzminifters, der dann auch noch von Zeit zu 
Seit mit der natuͤrlichen Güte und Rechtüichtkeit bes Bürften 
felbft zu kämpfen hat. Als bei der Annahme des neuen Kas 
lenders im 3. 1701 elf Tage im Februar weggelaffen wurden 
und man bem Könige vorſchlug, dafür aud ein Neuntel ver 
Beſoldung dieſes Quartals abzuziehen, erwiederte er in feiner 
echt eigentlich von Natur fo gutmüthigen Weiſe: „Ich will, 
daß meine Leute mic) nicht chikaniren, ich fie aber auch nicht *)." 
Bum Beweife, daß man recht gut zufe, worauf es bei 
dem Staatshaushaite anfanı, dient wa ber Kurfürft in feis 


1) Königs Berlin IL ©. 285. 
2) Büfhinge Magain VL ©, 486. 


’ 
Finanzen. 169 


nem Ebicte (v. 17. März 1698) übes bie Domalnenverwals 
tung ausſprach: ein wohlbeftelltes Regiment beruhe auf nichts 
gewiſſer und fefter, als auf einer acturaten Delonomie, wos 
durch ein Regent fi bei Freund und Feind, bei Nachbaren 
und Unterthanen confiderabel mache, bagegen durch uͤbele Hauss 
haltung und Adminiſtration der Finanzen bei Jedermann in 
Verahtung gerathe! Allein biefe Grundfäge waren, wie wir 
hon geen, ſehr verſchieden von dem wirklich beobachteten 


Daher muffte fortwährend auf neue Mittel zur Beſtrei⸗ 


bei Einführung der Accife auf die ‚Hälfte verringerte Grund⸗ 
urde vermöge Receſſes mit ber Landfchaft der Marken 

15. Mai 1704) zwar auf ein Drittheil herabgeſetzt, 
alkin der Hufen⸗ und Giebelſchoß dafür (18. Sept. 1704) in 
ln Marken und zwar faft ganz zu der Höhe vom I. 1687 
wieder eingeführt und ben Ständen ibergeben, von denen ein 
Aubſchuß die Aufficht uͤber das gefammte —e erhielt, 
a en häufiger 
werdenden Anleipen des Zinften Birgfhaft für die aufges 
nemmenen Gapitalien und Binfen zu leiften‘). Die Pt 
beit der Städte wurde (4. April 1698) auf Kaufs und Hans 
desleute beſchraͤnkt, welche jedoch bie Hälfte des 


* 
8 


nehmen die Könige den Zoll? von ihren Kindern ober von 
Fremden? Da ſprach Petrus: von ben Fremden. Jeſus ſprach: 
fo find die Kinder freil Die fürftlihen WBeamteten werden in 
der Bibel ebenfalls Gruͤnde für das Recht bes Tuͤrſten zur 
Erhebung des Zolles von feinen Kindern gefunden und in Exs 
mangelung berfelben auslegende Unterftütung bei den nach und 
nach immer bienfhoilligern Schriftgelehrten gefunden haben *). 


H Baſchings Magazin XIL ©, 489, vorzuglich Thiele S. 665. 


2) Oiſtoriſch· politiſche Beiträge u. |. w. 36. I. S. 78 von bee Bolle 
freiheit einiger kurmaͤrkiſchen Ctähte. 


"10 Bud V. Bweites Haupefiäd. 


Das Königreich Preuffen hatte noch feine auf ben Sands 
tagen verfammelten Stände und ihnen Friedrich diefe auch (im 
3.1690) von Neuem zugefichert, doch dienten fie faft nur zur 
Bewilligung von Abgaben, wogegen man ihnen die Eingaben 


eher . 
400,000 Thaler getragen, jegt nur 240,000 Thaler, wogegen 
allein das in Preuffen fiehende Kriegsvolk 480,000 Thaler 


was er verlangte '). 


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kon Thalern aufgebracht, dazu von jeder Hufe Landes 
ſchen und verhältnigmäßige Abführung vom 
liegenden Grimden von Vieh, Bewerben und 


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5: 

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Iube 
Jahre 1701 an wurde bie auſſerordentliche 


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FE 


1) Baczto Bd. VL ©. 817. 

2 Thile S. 95. 

8) Königs Berlin II. ©. 121. 

4) Zhile ©. 108, . 

5) Königs Annalen ber Juden in ben preuffiihen Gtaaten ©. 164. 


Finanzen Steuern " 11 


2. Aug. 1707 und 19. Der. 1710) zur Unterhaltung bed Heers 

‚ wobei der König mit 4000 Thalem, feine Ges 
mahlin mit ber „Hälfte angefeht wurbe. MBeamtete begablten 
einen Monatögehalt; die Abfiufungen der Anfäge waren gegen 
früher ſehr vermehrt; Pferdes, Dchfens, Kühes und Schweines 


ine nich 
a. Dei 1705) wınden die Anfäge im Algeneinen noch er⸗ 
doͤbet und weiter ausgedehnt. 
Die Stempeleditte wurden (1. Mai 1700) emeuert, * 
Kartenftempel für die Armen in Berlin ausgeſchrieben, ber 
Gebrauch —— (1702) bei zehn Thalern Strafe 
verboten und das Poftporto fo erhoͤhet, daß es in Preuffen 
Gegenſtand einer Landtagsbeſchwerde wurde. 


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kaien aber, Handwerksgeſellen und geringe Leute zwoͤlf Groſchen 
erlegen. Bald darauf wurde bie Steuer auf Caroſſen auf ans 
berthalb bis drei Thaler gefleigert, von der Perrltenfteuer aber 
Prediger, Schulbediente, "Studenten, Schüler und Kinder uns 
ter zwölf Jahren (welche alſo aud ſchon Perrüden zu tragen 


172 Buch V. Zweites Hauptfläd. 


pflegten) außgenommen. Zur Beitreibung wurde (22. April 1701) 
mit militairiſcher Execution gedrohet, daher dieſe beiden Steuern 
dem zum Perridens und Garoffen-Infpector ernannten Franzo⸗ 
fen Lauverdaugier in Pacht gegeben. Nun muffte jede Verrucke 
geftempelt fein und bie einheimiſchen Urfprungs ſechs, die fremden 
fünfundzwanzig Procent vom Werthe erlegen. Im folgenden Jahre 
(4. April 1702) wurde das, weil es nicht ben erwartefen 

gehabt und viele Klagen entfianben, wieber aufgehoben, bie Ca⸗ 
toffen-Steuer blieb und die Verruͤcken wurden nad) dem Stande 
derer befteuert, welde fie trugen, fo daß Hofs und Staats⸗ 
beamtete bis zum Generalmajor jährlich zwei und einen halben 
Thaler, bis zum Major zwei Thaler und fo herab bis zwölf 
Groſchen jaͤhrlich zahlten. 

Bei dem immer ſteigenden Geldmangel wurde dem Kö⸗ 
nige vorgeſtellt, welch ein nutzbares Commercium mit Schweins⸗ 
borſten anzurichten ſei, und daß in ſeinen Staaten faſt die 
beſten derſelben vorfielen, daher (4. Sept. 1708) der Steuer⸗ 
und Commercienrath Creutz dem Publico und ben Unterthanen 
au Gute auf ſechs Jahre privilegirt, alle Bahmes und Wildes 
ſchweinsborſten außfchlieglich allein aufzukaufen. Es wurbe 
bei Gonfiscation verboten, bie Schweine durch Abſchneiden von 
Borften, Brennen ober Schneiden an ben Opren zu zeichnen, 
ferner da die Schweine alle Jahre vierzehn Tage vor ober 
nad Johannis die Borſten verldren, welche bisher umgelom⸗ 


fin ausraufen und von jedem Schweine beſonders mit einem 
Faden zuſammen binden, an des Creutz Commiſen abliefern 
und von dieſen erſt ſollten ſie die einheimiſchen Bůrſtenbinder 


ſollten nicht duͤrfen aus den Borſten Maurerpinſel machen. 
Dem Anzeiger von Uebertretungen wurden zehn Thaler gebo⸗ 
ten. Als die fo gebulbigen Unterthanen doch über eine fo 
drlidende Verordnung und namentlich fiber deſſen unbeftimmte 
Saffung binfichtlich des Preifes ber Borſten unzufrieden ') wurs 


1) Königs Berlin IL. ©. 161 u. 191. Das Uebrige meiflens 
wörttih aus ben darüber erlaffenen Gbicten. 


Finanzen. Steuern. 173 


den, fo erſchien (4. Juni 1709) ein neues Edict. Wer den 
Commercienrath Creug ober deſſen Commiſen mit ſchimpf⸗ 
lichen ober ehrenruͤhrigen Worten, wie geſchehen, angreife, folle 
fofort ohne weiteren Proceß mit Gefangenſchaft oder anderen 
Leibesftrafen belegt und ebenfo, gegen. bie Uebertreter bes 
Schweineborſtenhandlungs⸗Privilegiums verfahren werben. Die 
Eigenthuͤmer der gefchlachteten Schweine wurden bei Strafe 
angehalten, die Borſten nicht umkommen zu laffen, fondern 
dem Greug abzuliefern, die Verpflichtung zu Ausraufung der 
Borften von lebenden Schweinen um Johannis, wiederholt 
und dabei erflärt, daſſelbe fei der Gefundheit der Schweine 
nicht nachtheilig. 

So konnte denn ein gewandter Abenteurer, ber ſich Dos 
minico Caetano Gonte de Ruggiero nannte und im glänzen 
dem Aufzuge nach Werlin Fam, bei den Grafen Wartenberg 
und Wittgenflein und dann beim Könige Eingang ald Alchy⸗ 
miſt gewinnen, indem er Hoffnung erregte, durch feine Kunſt 
leicht Gold zu erhalten. Taetano Iegte auch, wie gewöhnlich, 
als fertiger Taſchenſpieler eine Probe feiner Kunft ab, vers 
ſprach Millionen, erhielt eine Wohnung im Fürftenhaufe und 
wurde völlig freigehalten, erhielt aber Fein Geld, weil man 
nicht glauben Tonnte, daß er es nöthig habe. Er verlangte 
nun 50,000 Thaler Vorfhuß, um die Materie zum Golbmas 
en zu kaufen. Als man ihm diefe nicht geben wollte, ging 
er nad) Frankfurt am Main. Der König, der von der Kunſt 
des Mannes überzeugt war‘), ſchickte feinen Kämmerer. Mars 
Ina von Pa der duch feine Verſchwendung verarmt 
fo Hoffnung fah, fi zu reiten, fogleih ab, ben 

wieber zu holen, was ihm auch gelang, weil Gaetano 
nichts mehr wünfchte. Obgleich nun fehon von mehreren Hös 
fen Anzeige am, daß er mehrere Fuͤrſten betrogen und fi 
der Beſtrafung nur durch die Flucht entzogen, fo glaubte man 
das doch nicht. Der König empfing ihn fehr gnäbig, gab 
ihm ben Rang als Generalmajor und ſchenkte ihm fein mit 


1) Daher wurbe vom Minifter Buchs in ben Klagpuncten gegen 
Dantelmann die Goldmacherei nur leife berührt. Cosmar und Klaps 
roth ©. 271. Der Kronpring wollte nicht baran glauben, was fein 
Bater übelnahm. Baßmanns Leben Frichrich MipeimsL Bd. LE. 27. 


al: 


‚174 Bud V. Zweites Haupeftäd. 


Brillanten beſetztes Wild. Als er aber zur Beit 
kein Gold fertig hatte, flüchtete er nach ‚von wo ee 
abermals bewogen wurde, wieder nach Berlin zuruͤckzukehren, 
"dann aber nach Hamburg flüchtete, wo ihm der König ber 
Proteftation des Magiſtrats ungeachtet aufheben und nach 
Küfrin bringen lleß. Auch bier wuflte er ben König und 
die angefehenften Männer zu bienden, daß diefe feſt an feine 
Kunft glaubten, nur der nachherige geheime Math Kraut nicht. 


zubalten, bis man ihm ben Proceß madıte und, weil er dem 
Könige viel Geld gekoſtet, (23. Aug. 1709) ihn in Küſtrin 
in einem Kleide mit Flittergold aufhängen ließ '). 

Ratirlih wurde unter foldhen Finanzverhaͤltniſſen die 
Aufmerkſamkeit au auf einen höhern Ertrag der Domainen 
gerichtet. Es wurden daher (6. Dec. 1697) Gommiffarien 
zus Unterftügung des Kammerweſens in allen Provinzen ers 
nannt und ihnen eine tuͤchtige Inftruction gegeben. In feinem 
bereits oben amgefhhrten Edicte (v. 17. März 1698) gab Fried» 
rich den Hauptgrunbfag einer jeden für den Staat fo noths 

guten jperwaltung an und verficherte, jeht folle 
das Einkommen der Rammergüter und Domainen hauswirths 
dh genutzt und richtiges Gleichgewicht zwiſchen Einkommen 
und Auegaben gehalten werben. Es wurde daher eine Doer 
direction alle Domainen angeorbnet, welche aus den Grafer 
Bartenberg und Lottum nebſt anderem Kaͤthen befland zumi 
zugleich die Dberaufficht über die Bol, Scent⸗ Salz · Dan 
deißs, Steht, Mlnze, Bernfleins, Bergwelös, Zis 


den Acın. Bel Bas 
manns Leben Friedrich Wipdms I. Mb. L ©. 27 ff. und Pöll m; 
Demeicen L. ©. Aa. Andy der Balgen war nad) diefem mit Golbpargoi 
bekicht wıb Gactamo wuche In einem vhmnlfchen aus Bolbpapier verfertäne 


Domalnenvererbpadtung. 176 


Her, bie Unterhaltung der Feſtungen, die Acchfe, Voltzei 
Fabriken, Handwerke und die Känmereien ber Staͤdte hatte. 

Bald barauf übergab ein gewiſſer Luben von Wulffen 
(1. Mai 1700) einen Entwurf zur Verbefferung der Domai⸗ 


angebauet werden koͤnne. Die Pächter und Adminiſtratoren 
Hätten bisher die beſten Stuͤcke, wo früher Dörfer geweien, 
zu Vormerken gemacht umd ben Mauern entzogen, bie doch 
große Laften trügen umb auf ben zwei bis drei Meilm ent 
legenen Vorwerken Dienfte verrichten muͤſſten, was fie ruinire 


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176. Bug V. weites Haupıfät. 


ſuchung des Gegenftandes aus den boͤchſten Staatsbeamteten 
beſtehende Gommiffion, hunter biefen die Minifter Wartenberg, 
Fuchs, Jigen, erklärten ſich indeffen günflig fir die neue Eins 
richtung und es wurde (28. Nov. 1702) fogar ſcharf vers 
boten über bie Erbpacht uͤbele Meben zu führen. Am eins 
ſichtsvollſten und gemäßigtften war das Gutachten bed ums 
fihtigen Kraut, welcher die Erbpacht bei wüften Strichen, bie 
» Beitpacht aber bei angebaueten für vortheilhafter hielt, vorzügs 
lich wenn bie zu großen Aemter mehr zergliebert würden. Er 
machte aufmertfam darauf, daß zwar durch ben Verkauf des 
Inventariums und ber zum Theile koſtbaren Gebäude auf eins 
mal eine ‚bedeutende Summe Geldes einkomme, baß aber ber 
Nachtheil gleich darauf eintrete. Luben vertheidigte feine Ents 
würfe nicht ohne Einficht und betheuerte feine Hoffnung ver 
wirklichen, ben Ertrag um 200,000 Thaler erhöhen und viele 
neue, Dörfer anlegen zu koͤnnen. Der von ihm nachgewiefene 
Ueberfhuß Fam indefien aus dem verfauften Inventare ber. 
Bei dem lauten Gefchrei gegen Luben wurde nun eine neue 
Commiffion (im I. 1703) zur Unterfuchung der Erbpachts⸗ 
fache ernannt und obwohl in einzelnen Zaͤllen die Wortheile 
und der höhere Ertrag der Erbpacht anerkannt wurden, fo 
urtheilte die Commiffion doch nur, daß fie im Allgemeinen 
vorteilhafter als Beitpacht fei, wenn auch lange nicht in dem 
Maße, ald behauptet worben. Alle Provinzialcollegien waren 
gegen bie Erbpacht; Luben vertheibigte fich indeſſen gegen bie 
von den Amtskammern gemachten vielen zum Theile laͤcher⸗ 
lichen Ausftellungen und gegen feine täglich zahlreichen Geg⸗ 
ner Aufferft geſchict und zeigte fi als einen fehr unterrichtes 
ten, mit bem wichtigen Gegenſtande nicht nur oberflächlich bes 
kannten, fondern wirklich vertraueten Mann. Er hob unter 
andern hervor, wie fehr der Bauer durch den Pächter. gedruͤckt 
werde, wenn er wie ein Leibeigener oft vier Tage Spanns 
dienfte zehn bis dreißig Meilen weit im fchlechteften Wege 
verrichten muͤſſe, während die Erbpacht das in einen jährlichen 
Geldzins verwandele. Er zeigte, wie vortheilhaft die Vereins 
zelung ber großen Güter durch Erbpacht auf befiere Bewirth⸗ 
ſchaftung des Bodens und Vermehrung des Viehftandes wirke, 
daß feit Einführung der damaligen Verpachtungsweiſe vor 


Domainenvererbpadhtung. 177 


manig bis breiffig Jahren viele hundert Tonnen Butter hits 
tn aus Holland veifchrieben werben muͤſſen, was nun nicht 
mehr nöthig fei. Die Pächter, welche ſich ungemein bereichert 
hiten, wären aus Gigennug gegen bie Erbpacht, deshalb 
nähmen ſich die Amtskammern berfelben an. Die Vortheile 
der Erbpacht ftellten ſich in ber That immer mehr Heraus und 
ungeachtet aller Hinbernifle war ber Ertrag ber in Erbpacht 
gegebenen Domainen in den Marken, in Magdeburg, Halbers 
Rat, Pommern und Hohenftein um mehr ald 88,000 Thaler 
geſtiegen. Der König belohnte daher im 3. 1705 den Luben 
mit einen Geſchenke von 8000 Thalern. Mit den bis zum 
3. 1709 verkauften Inventariens, Erbſtands⸗ und Gautionds 
gebern, insgeſammt über 600,000 Thaler, waren größten 
teils Schulden bezahlt und verpfänbete Güter eingelöf wors 
den. Der König war nun voͤlllg baflız gewonnen und befahl 
die weitere Ausführung im Mai 1710. Luben follte die Erb⸗ 
pacht im Cleveſchen einführen und noch am 22. October 1710 
wurden die dortigen Domainen zur Erbpacht Öffentlich ausge⸗ 
boten. Allein fchon gegen das Ende biefes Jahrs gewannen 
bie Gegner der Vererbpachtung fo vielem Einfluß, daß der 
Kammerpräfibent von Kamecke ed wagen konnte, im November 
1710 ein Gutachten abzugeben, welches, ohne auf die Vor 
düge der Zeitpacht einzugehen, ſich vorzüglid barauf fügte, 
daB bie Domainen unverdufferlich, die Vererbpachtungen aber 
eine Art von Verdufferung wären. Es fei ferner bei der Vers 
abung große Zerfplitterung und daher emblich zu befürchten, 
daß die Erbpächter nicht mehr zahlen koͤnnten. Gr wies nad, 
daß die pommerſchen Aemter in ben letzteren Jahren ber Zeit⸗ 
pacht gegen 12,000 Thaler mehr ald während der Erbpacht 
wirklich eingetragen, baß die Einrichtung felbft gegen 13,000 
Zhaler gekoſtet; dazu wären bei der Vererbpachtung viele Ac- 
des, Contributions⸗ und andere Freiheiten bewilligt worben, 
welche num ben anderen Kaflen entgingen; daher erflärte er 
fi gegen bie’ weitere Vererbpachtung ber Domainen im Clever 
hen und der Graffhaft Mark’). Diefe Veränderung hing 


1) Die befte und zuverläffigfte Auskunft über biefen hoͤchſt wichtigen 
und geſchichtuich merkwürdigen, faft in allen preuffifcen Gerdichtsbüchern 
miftellten Gegenftand gibt bie Geſchichte ber verbefferten Cinrichtung der 

Stengel Seid. d. Preuſſiſch. Staats. II. 12 


178 Bud V. Amweites Hauptſtuͤck 


aber genau mit der viel wichtigern zufammen, welche durch 
den Sturz des lange fo mächtigen Guͤnſtlings bewirkt wurde. 
Die Vorfücht, mit welcher der Graf Kolb von Warten⸗ 
berg einen großen Theil der Stantögefhäfte, bie er nicht zu 
verwalten verflanb, Andern überließ, bie Gewandtheit, mit 
der er nur bie übrigen und noch mehr feinen Herrn behandelte, 
deſſen Schwächen er vollkommen Tannte, die Geſchmeidigkeit, 
mit welcher er in deſſen Anfichten ohne zu widerſprechen einging, 
die Shgfamkeit, mit ber er deſſen Saunen ertrug, bie Geſchick 
lichkeit, mit welder er ihn zu. vergnügen und Unannehmlichs 
keiten von ihm entfernt zu halten wuflte, dann endlich ſelbſt 
die Schonung, mit welcher er denjenigen begegnete, ‚die er nicht 
als feine Feinde zu betrachten veranlafft war, ihn nach 
und nach fo des Königs Gunft geſett, daß 4 (nes 
und bald unmöglich fehlen, ihm biefelbe zu entreiffen. Der 
König befahl (1. Febr. 1702), daß ale eintommenden Sachen 
gerabezu an den Grafen Wartenberg und ben geheimen Rath 
Ilgen geben, erbrochen und an die Departements vertpeilt, 
mur die ber aubwärtigen Angelegenheiten in Gegenwart bed 
Königs eröffnet und bie vorläufigen Werfügungen von Its 
gen fogleih ausgefertigt eben fetten Der deidmar⸗ 


amteten, 
1702 aud ben en Dohna's) einen Werfuch, Wartenberg zu 
Der Hofmarſchall von Wenſen nahm daher bie Ges 
Bgenheit wahr, dem Könige zu fagen, Wartenberg miöbrauche 
feine Macht, erlaube ſich viele Ungerechtigkeiten unb große Ex 
preffungen, deren Ertrag er in die Pfalz ſchaffe und baflr 
Guͤter Taufe, während die Gräfin ihr Geld nach England 
ſchicke. Ausgaben hätten fle nicht, weil fie bei Hofe wohnten 
und in Allem frei gehalten würden. Die Rechnungen bed Ks 
peeuffifchen Domainen in ben Hiſtoriſchen u. ſ. w. Beiträgen die peeuffls 
Km u nm Staaten betreffend, TH. IT. Bb.1. &. Bf, aus den Acten 
Gine volftänbige Geſchichte wäre hoͤchſt wünfdentwertg. 
I Dahan 2287, welcher über bie eigentlichen Gründe feiner im 
3. 1702 erfolgten Gntioffung leicht hiageht. 


Kolb von Wartenbergs Sunf. 17 


chenmeiſters würben zeigen, daß des Grafen Tafel mehr koſte, 
ais die des Königs. Wenfen erbot fich, aues von ihm Anges 
führte zu beweifen'). Der König hörte iin ruhe an, — 
aber dem Dberkaͤmmerer, welcher, eintrat, als Wenſen 
das Zimmer verlafien hatte," Ale, was dieſer gefagt, 23 er⸗ 
Üärte, er glaube nichts davon, weil Wenſen ein boshafter 
Menſch fe. Wartenberg kannte den König genau und bat 
daher zu deſſen großer Rührung, body, wie er vorausfah, obne 
Erfolg fr ihn. Wenfen wurde als Stastögefangener nach 
Küfkrin gebracht, Barfuß mit einer Penfion entlaflen, Lottum 
ahielt ben Dberbefehl der preuffiihen Zruppen in Flandem, 
bie von Dohna's gingen auf Ihre Güter in Preuffen ). 

Die Macht des Guͤnſtlings wear nun fefler als je ges 
grlnbet, fein Anſehn fo groß, bie Furcht, ihm zu misfallen, 


S 


von Wartensleben, welcher früher in kaiſerlichen, heſſiſchen und 
gothaiſchen Dienften geflanden und fi in Ungam, Stalien 
und am Rheine fehr ausgezeichnet hatte, ein gutartiger und 
dem Oberkaͤmmerer aͤngſtüch gefigiger Mann, wurde zum 


1) König II. S. 118, der in der Anmerkung aus alten Ccheiften 
dieſer Beit anführt, Wenſen habe gefagt, Martenbergs Tafci koſte Jähr 
&d, 80,000 Zhlr. 

2) Sosmar und Klaproth ©. 288, wo bas Sahr 1708 u 


-. Dem PR 280. 
12* 


180 Bud V. Zweites Hauptfiäd. . 


großen Werbruffe der preuffifchen Generale als wirkficher ges 
heimer Kriegsrath, Generalfeldmarſchall, Statthalter von Ber⸗ 
lin und Befehlshaber der vier Bataillone ber koͤniglichen Garbe 
angeſtellt, als folcher ungeröhnlicher Weife unter Trompeten 
und Paufenfcplag prociumirt und auf des Königs Veranlaſſung 
vom Kaifer in: den Grafenfland erhoben '). &o wie. diefer 
das Kriegswefen, fo erhielt an Lottumd Stelle ber Graf von 
Wittgenftein, der Sohn des Grafen Johann, ein harter, hoch⸗ 
fahrender, eigennügigee Mann, die Finanz⸗ und Kammerges 
ſchaͤfte ). Der geheime Rath Ilgen, ein eben fo unermuͤd⸗ 
ücher arbeitfamer, als erfahrener Geſchaͤftsmann leitete mit 
vieler Umficht die auswärtigen’ Angelegenheiten und wuſſte fich 
durch die große Vorficht, mit welcher er ben Hofintriguen fern 
blieb, allein von allen einflußreihen Männern erfiend Range 
unter ber wandelbaren Gimfllingsregierung Friedrichs I., wie 
unter deſſen Rachfolger bis an feinen Zob zu behaupten). 
Bar num au die Königin über Dankelmann unzufries 
ben gewefen, fo batte fie ihn doch ſicher achten müffen, was 
bei deſſen Nachfolger in der Gunft ihre Gemahls nicht der 
Ball war. Sie beklagte nicht ſowohl feine ihr nur zu bes 
Fannten Schwächen, fonbern daß er bei dem WBedürfniffe nach 
einem Günftlinge nicht beffer gewählt habe. Bei ihrer Neis 
gung zum Spotte mögen in ihrem Kreife farkaftifhe Aeußes 
rungen nicht gemangelt haben*); fie felbft behandelte ihren 
Gemahl durchaus Tall. So wurde daB Werhältniß unter 


1) Königs alte und neue Denkwürbigkeiten ber preuſſiſchen Armee 
S. 155. Pöltnig Memoiten I. ©. 856. 

9) Pdlinig Mem. L ©. 859. Man nannte dann bie drei Grafen 
Wartenberg, Wartensiehen und Wittgenftein, wegen ber Anfangsbuchftaben 
ihrer Ramen bie brei großen MWueh) des Landes. 

8) Gosmar und Klaproth S. 398. Gr verbat es fih im 
3.1699 als ihn Friedrich aum geheimen Bu ernennen woRte und muffte 
erſt im 3. 1701 eintreten. 

4) Dohna p.310 exzaͤhlt, bie Königin habe zu ipm über Wartenberg 
oefagt: c'est un franc bagatellier et vraiment une bete. Dohna ante 
wortet: il faut quil ait du genie infiniment puisqufl a trours le 

" secrät de se rendre n&oessaire & son maltre. Man teiß, daf fie ihres 
Gemapts Schwaͤchen nicht verſchonte. Erman p. 242. Diefe Einzelne 
heiten gehören jedoch nicht in die Geſchichte bes preuffifcken Staats. - 


Tod ber Königin Sophie Charlotte, 181 


beiben Gatten endlich auf leere aͤuſſere Foͤrmliqhkeiten bes 
ſchraͤnkt, body begegnete ihr. der König immer hoͤchſt achtungs⸗ 
voll. Auf einer Reife nach Hannover zu ihrem Bruder, bem 
Kurfürſten Georg, erkrankte fie und fühlte fich nach kurz vor 
übergegangener Beſſerung bald ihrem Ende nahe. Sie blich 
bei volllommenem Bewuſſtſein und völlig gefaſſt. Dem Geiſt⸗ 
lichen, welder fie hatte zum Tode vorbereiten wollen, ließ fie 
auf deſſen Anfrage Tags darauf fagen: es fei nicht nöthig, 
daß er ihr noch zufpreche, fie wiſſe, was er ihr bei einer fols 
en Gelegenheit fagen koͤnne, fie habe fih das Alles ſchon 
felbft gefagt, thue das noch immer und hoffe, bei ihrem Gotte 
ganz wohl daran zu ſein. Einer ihrer vorzüglich geliebten 
‚Hofbamen, die in Thraͤnen zerfloß, fagte fie: „Beklagen Sie 
mich nicht, denn ich werbe jegt meiner Neugier genug thun 
über den Grund der Dinge, welchen Leibnig mir nie erflären 
Tomte umd ich verfchaffe dem Könige den Anblid eines Leichens 
begängniffes, bei welchem er Gelegenheit haben wird alle Pracht 
zu entfalten.” Sie empfahl dem Kurfürften, ihrem ‚Bruder, 
noch die Gelehrten, mit denen fie Umgang gehabt hatte, und 
verfchied 1. Febr. 1705 ). „Meine Einbildungskraft, ferieb 1, In. 
Leibnitz bald darauf (4. März 1705) an den General Schu⸗1 
lenburg, ſtellt mir fortwährend biefe Fuͤrſtin mit ihren unvers 
gleichlichen Volllommenheiten vor und fagt mir, daß fie und 
geraubt find *)." 

Der fo gutartige König, der feine Gemahlin wirklich 
ſchaͤtzte und mehr liebte, als man glaubt, fühlte den Schlag, 
der ihm durch ihren Tod getroffen, weit flärker, als man ver 
muthet hatte. Dieſer Empfindung und feiner Neigung zum 
Glanze gemäß ließ er ihr ein Über ale Maße prachtvolles und 
koſtbares Leichenbegängniß halten ?), wozu er die Anordnungen 
felbft traf, ferner das Schloß in Charlottenburg vollenden, 


1) Erman vor und nad p. 242, Vergl. Pöllnig Mem.L 6. 899 ff. 
und Memoires de Brandenbourg, 

2) Der Brief vom 4. März 1705 in Schulenburgs Erben I. ©. 204. 

3) Bütther S. 224-262 aus ber damals erſchienenen Befchreibung. 
Es wurben adjt Medaillen auf ihren Tod geprägt. Das Leidhenbegängniß 
toftete 200,000 Zhlr., welche mit Mühe aufgebracht wurben. Königs 
Berlin III, ©. 148. Vergl. Pöllnig Dem. I. ©. 408. 


182 . Buch V. Zweites Hauprftäd. 
auch ah a5, varaal 1108) don Brand zur gleichnami⸗ 


“ batte dem Könige nur einen Sohn, ben Kronprinzen 
Friedrich Wilhelm (geb. 4. Auguſt 1688) hinterlaffen. Diefer, 
von feiner Geburt an ein hoͤchſt gefundes, fräftiges ‘Kind, ents 


immer blieben. Man muß fagen, daß in dem Knaben und 
Sngfinge fih ſchon früh der fpätere Mann volftändig zeigte. 
Er war geiftig wie phyſiſch in feinem ganzen Weſen ſcharf bes 
grenzt, wie auß Stein gehauen. Der vortrefflichen Frau von 
Boesuleh, einer wegen ihres Glaubens aus Frankreich auge 
Proteftantin, wurde der mit bei Fuͤrſtinnen fort 
ungewöhnlicher Zärtlichkeit geliebte Prinz von ber damaligen 
Kurprinzeffin anvertraut. Er fleigt zum Benfter hinaus unb 
drohet, ſich herabzuftürzen, wenn man eine ihm zugebachte 
Bächtigung vollziehen wolle. Im Hannover, fünf Jahre alt, 
verträgt er ſich nicht mit feinem Vetter dem Kurprinzen und 
nachherigen Könige Georg I. und Eonnte ihn von da an’nie 
leiden, ungeachtet er ſpaͤter deſſen Schwefter heirathete. Man 
muſſte ihn wieder nach Berlin bringen. Allein die Sanftheit . 
der Madame Rocoulles wirkte auf ihn fo wenig, als die nach⸗ 
ſichtige Schwäche der geiſtreichen Mutter. Seine Fähigkeiten 
find befchränkt auf das, was wir natürlichen Menſchenverſtand 
nermen. Seine Neigungen find felih entfchieben ausgeprägt. 
Vorliebe fuͤr die Einzeinheiten der Kriegelibungen, vorzüglich 
für große Soldaten und für Gelb, Abneigung gegen allen 
Zwang, den er ſich nicht ſelbſt auflegt, gegen bie Wiſſenſchaſt, 
ja gegen Bildung jeder Art, bis auf derem Auffere Beichenz 
und in den erfien Augenblicken eg Eigen= 
wille und geflihliofe Härte drängen ſich hervor, wie auf der 
andern Weite derbe, faft bis an Rohheit freifende Grabheit im 
Haltung, Sitte und Rede, Widerwille gegen alle duffere Pracht, 
gegen jeden Schein und Heuchelei, unermüblihe, völig auf 
das Prabtiſche und Nuͤtzliche gerichtete Thaͤtigkeit, ein’ von ein⸗ 
fachen ſtreng religiöfen Vorſtellungen feiner Pflichten unter⸗ 


1) Königs Berlin IU. ©, 288. Nicotai II. S. 768. 


Friedrich Wilhelm als Kronprinz. 183° 


Rähter und rechtſchaffener Sinn, ber oft vom Leibenfchaft aus 
genblicklich uͤberfluthet, doch nach eingetretener Ruhe immer 
a a — Die zärtliche Mutter ſchuͤttete 
wohl ihe Herz aus, wenn fie einer ihrer vertrauten Hoſdamen 
ſchrieb, wie bekkunmert fie fl, daß der, Prinz, ben fie für, 
lebhaft und heftig hielt, ſich hartherzig zeigte: „Mein Gott, 
eig in einem fo zarten Alter; andere Lafter kann man vers 
Fingern, dieſes wädft!" ') Bie er als Knabe den erſten maͤnn⸗ 
lichen Anzug, ein mit Gold ſtark beſetztes Kleid erhielt, ließ 
& ſich baffelbe ziemlich zufrieben anziehen, als man ihm aber 
auch einen Schlaftod von Brocat gab, betrachtete er biefen ges 
may von allen Seiten und warf ihn bann als zu präcdtig in 
daB brenmende Feuer des Kamins*). Der Graf Dohna, fein 
GSouverneur, war ein ganz waderer Mann, aber felbft fehr 
ſparſam und verftand es nicht, fi des Knaben zu bemaͤch⸗ 
tigen. Die noch vorhandene Rechnung dıber des zehn⸗ bis 
wwölfjährigen Prinzen Ducaten, d. h. „fen Zafengel . A 
wie fparfam er war, auffer für feine Compagnie Ga 
welche er ausſchmuͤckte und tüchtig — . Johann Ps 
rich Gramer, fein erſter Lehrer, ein fehr unterrichteter und 
deutfch gefinnter Mann, war hoͤchſt aufgebracht über die Vor⸗ 
ia, weiche überall am ‚Hofe die Franzoſen fanden. Ex Eonnte 
*5* verzeihen, daß ber Abt Bouhours in einer Schrift 
die Frage aufgeworfen hatte, ob ein Deutfcher @eif haben 
Enne? und fehrieb zur Vertheidigung feines Vaterlandes ein 
Bat, in welchem er in feiner Bitterkeit vieleicht auch weiter 
Eng, als recht war‘). Cr mochte nun wohl in bie Geele 


1) Erman Sophie Charlotte p. 126 ff. 

2) Faßmanns Leben Friedrich Wilhelms J. ©. 11. 

8) In Röbenbeds ſchaͤtbaren Beitraͤgen zur Geſchichte Friedrich 

I und Triedriche IL. era 1856. Sp. ©. 131. 

4) Dohna p. 2385. 

5) Eosmar und Klaproth S. 295, aus bem fon Mehreres 
oben Im erften Hauptitäd über Cramer erwähnt if. Yörfter führt bie 
Gärift: Vindicise nominis Germanici oontra quosdam Germanorum 
ebtzectatores Gallos, T. L. p. 91 ans body war es aicht Beſchraͤnktheit, 
daS Gramer Tateinifäy ſchrieb: framzoſiſch wollte ober Eonnte er midk, _ 
dentſch Hätte et Bein Brangofe gelefen, alfo eher noch lateinſch. 


184 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


ſeines Zoͤglings den, deſſen ganzer Art und Weiſe zu denken 
und zu handeln und überhaupt zu fein, ohnehin fo natür⸗ 
lichen Widerwillen gegen bie Zranzofen gepflanzt haben, ber 
ihn nie verließ. Da half es denn freilich nicht, daß die zaͤrt⸗ 
liche aber völlig franzoͤſiſch gebildete Mutter felbft ein Gefpräch 
zwifchen ihe und dem Prinzen über ben Telemach bed Fenelon 
auffegte, in welchein fie ihm trefflihe Regeln gab und ihn 
auf feine Fehler aufmerkfam machte, denen fie nicht die Kraft 
hatte, Widerſtand zu leiften, ober daß fie fih von ihm aus 
guten ihm bildenden Büchern vorlefen lieg und fi mit ibm 
darüber unterhielt’). 

Gramerd Nachfolger, der Franzoſe Rebeur, war ein völ- 
liger Pedant. Der lebhafte Prinz muſſte weitläufige Auszüge 
aus dem alten Teſtamente von der Genefis an nieberfchreiben, 
mit deutfcher, franzöfifcher und Iateinifcher Ueberfegung und 
dem lutheriſchen Texte, wodurch fich Friedrich Wilhelms forts 
waͤhrende Abneigung gegen das alte Zeflament und gegen ges 
lehrte Pedanterei fehr leicht erklärt *.. Der von dem Biſchof 
Urfinus befonderd für ihn aufgefegte Katechismus enthält 
357 Fragen, wozu bie Antworten mit 778 Bibelverfen als 
Beweiſen belegt find). So lernte er, ungeachtet aller weits 
Iäufigen Inftructionen für feinen Unterricht und ber vor dem 
verfammelten ‚Hofe angefellten Prüfungen*), ungeachtet an 
Dohna's Stelle der Obeiſt von Finkenftein fein Oberhofmei⸗ 
ſter wurde, Beger eine mit großer Gelehrfamfeit ' erläuterte 
prächtige Auögabe von Florus römifcher Gefchichte für ihn vers 
anftaltete und er zum Rector der Univerfität Frankfurt ernannt 
wurbe *), Aufferft wenig und war eigentlich ohne alle auch nur 


1) Bei Erman p. 158, 

9 ©. bie Rachricht bei Foͤrſter Ih. J. ©. 92, 

8) Kosmann unb Heinfius Denkwůrdleteuen der Mark Bran⸗ 
denburg IH. IV. ©. 111. 

4) Die Inftruction Dohna’s vom 1. Behr. 1695 bei Börfter Th. 1. 
S. 7. Die hochtrabenden Reben bei Ginführung beffelben, daf. S. 88 ff., 
das Prüfungsreglement ©. 111. 

5) Bei ber zweiten Jubelfeler der Univerfität im I. 1706. Guͤt⸗ 
her ©, 262—269 mit ben acht dazu geprägten Medaillen. Er wurde 
aud Doctor der Bechte in Orford. 


Friedrich Wilhelm ale Kronprinz. 185 


oberflächliche wiflenfchaftliche Kenntniſſe, ſprach und ſchrieb 
weder gut franzoͤfiſch noch deutſch, dagegen war er in Leibes⸗ 
übungen, im Reiten und vorzüglich in Allem, was zur Uebung 
der Truppen gehört, fefl. Bei ber Compagnie Gabetten, bie 
er als Hauptmann auf dem ihm eingegebenen Amte und 

Schloſſe Wufterhaufen, und dem Regimente, welches er von 
feinem fechzehnten Jahre an befehligte, fah er höchft genau 
auf alle, auch die kleinſten Einzelnheiten ber Bekleidung, Bes 
waffnung und Uebung. Seinem ſcharfen Blide entging in 
diefer Beziehung Fein vorhandener Mangel, fein gemachter 
Fehler. Selbſt die bis an fein Ende erhaltene, auch wegen 
ihrer Koftbarkeit faft unerklaͤrliche Liebhaberei feines Lebens, 
die Neigung zu langen Soldaten, hatte er ſchon als Knabe 
amd muffte diefe Leute oft vor feinem Water verbergen, wenn 
diefer nach Wufterhaufen kam. 

Bon feinem. fiebzehnten Jahre an ließ ihn der König an _ 
den Sitzungen des Staatsraths Theil nehmen, ohne ihm body 
irgend wefentlichen Einfluß auf den Gang der Regierung unb 
Berwaltung zu geftatten, über welche er von feinem Water 
wohl weniger verfchieben dachte, als er fie verſchieden von dies 
ſem einzurichten und auszuführen entſchloſſen war. Er hatte 
fih eben zum ‚Heere in den Niederlanden begeben und follte 
auch England befuchen, als feine Mutter flarb. Nun betrieb 
der König ſehr eifrig die Vermaͤhlung bes achtzehniährigen 
Kronprinzen, welche auch nach deſſen Rüͤckkehr aus den Nies 
derlanden, wo er der Eroberung von Menin beigewohnt hatte '), 
mit der Prinzeffin Sophie Charlotte, neunzehnjährigen Tochter 
des Kurfinfien Georg von Hannover unter glänzenden, ve 
Wochen dauernden Feſtlichkeiten vollzogen wurde). 

Der ein halbes Jahr nach der Geburt erfolgte Tod bes 23 
erften Prinzen aus diefer Ehe, dann bie von ber Umgebung 
des Königs erregte Beforgniß, bie Kronprinzeſſin werde weiter 
keine Nachkommenſchaft erhalten, veranlafften diefen, daß er 
felbft fich zu einer britten Wermählung bereben ließ. Es wurde 


1) Saͤtther ©. 896. 


2) Königs Berlin II. S. 168. Preuſſen muffte dazu 100 Ochſen 
nad) Berlin ſchieen 


186 Bud V. Bweites Hauptfiäd. 


dazũ die beeiundzwangigiährige Schweſter Karl Leopolds, Her⸗ 

3098 von Mecklenburg⸗ Schwerin, Sophie Louiſe, gewaͤhlt und 

23 Rov.bie Wermählung zwar durch Ballette und bie Oper Alerander 
1708 Fin Rorolane fehr glänzend‘), aber um fo weniger wahrhaft 
froh gefeiert, als ber König nod vorher von bem Kronprinzen 

erfuhr, daß fih beffen Gemahlin in gefegneten Leibesumftänden 
befinde, womit ber Hauptgrund, ber ihn zu feiner dritten Bers 


mählung Hi 
nigin, welche bisher an dem Pleinen ‚Hofe ihre Bruders fehr 
Wanglos gelebt hatte, ſich mit dem fivengen, ihr fehe latigen 
Geremoniel in Berlin und ber ihr fremden und für fie nicht 
paſſend aus gewaͤhlten Umgebung nicht befreumben Tonnte, vor 
zuͤglich aber, daß fie nebſt ihrer Freundin, dem frömmelnden 
Sräulein von Brävehig und ihrem Beichtvater Porft bis zum 
Fanatismus eifrig Iutherifch und ben Reformirten abgeneigt 
war”). Sie fuchte felbft ihren Gemahl zum Lutherthume zu 
bekehren, welcher, obwohl aufrichtig reformirt, doch gemäßigt 
an einer Vereinigung beider evangelifchen Glaubensbekenntniffe 
fortwährend" arbeitete. Bei einer Unterredung fagte ihr ber 
König: „hen: Sie glauben, daß ich (als Reformirter) verdammt 
werbe, daun nmen Cie ja nach meinem Tode nicht ſagen? 
ber felige König!" Sie fluste darüber zwar anfänglich, erwies 
: derte aber bald: „Ich werbe fagen: ber liche verfiorbeneRähig®).“ 
Nun parteiete fich der Hof fir umd gegen die Königin. Dex 
=önig ſah ſich gendthigt, gegen bie Anmaßung ber lutheriſchen 
Umgebung feiner Gemahlin gewaltfam einzuſchreiten und ihren 
Beichtvater Porft und den fonft fo achtbaren Franke, ber aus 
"Halle zu ihr gekommen war, aus Berlin zu verbannen. 
Ale biefe Umſtaͤnde verbitterten dem Könige das Leben 
ungemein unb machten ihn auch wohl angwöhnifch gegen die, 


1) Saͤtther ©. 859. Anfängtid fol bie Pringeffin von Raffan 


auf die mit 
Hoffnung gemacht u. ſ. w. — neue Radır. J. S. 126. 
FA feinem Schwager das medien« 
burgiſche Wappen in bas preuffifde auf. 

2) Wilken im Berliner Kalender von 1822. ©. 210. 


3) Pöltnig neue Denkwärbigteiten I. S. 142. 
’ 


Dritte Vermaͤhlung Friedtichs L Die Peſt. 187 


welche ihm zur britten Wermählung gerathen, während ber 
Kronprinz umd fein Anhang biefe ohnehin natüzlicherweife haffte. 
Endlich Brach auch bie Peft in Preuffen aus. Sie hatte ſich 
angeht zuerſt im 3. 1702 nad) der Schlacht von Pinczow 
in — ſchwediſchen Lazarethe gezeigt und dann Immer weiter 
derbreitet. Schon im J. 1704 war auf Mittel, fie von Preufs 
fen abguhalten, gedacht, im J. 1707 gegen Polen eine firenge 
Auarantaine angeorbnet, bie Bruͤken abgetragen, bie Wälder 
verbauen und im folgenden Jahre alle Verbindung mit Polen 
abgebrochen worden. Dennoch zeigten fi einzelne Spuren 
; berfelben bereit im October biefed Jahres, von da an in meh⸗ 
men preuffifchen Ortſchaften. Der darauf folgende Winter 
mar ſehr ſtreng, eine unerhörte Misernte folgte, große Korns 
tfeuerung trat ein, bie Peft griff immer weiter um fi, war 
im Auguft 1709 in Königsberg und zu Ende bes Jahres 
durch ganz Preuffen verbreitet. Die ſtrengſten und gewalts 
fenften Berflügungen zur Abfperrung der angeſteckten Ortfcpaften 
and Kranken wurden wie gewöhnlich von den fir ihre eigene 
kriſtem — — Behoͤrden uͤbereilt getroffen, ohne 
genaue Kenntniß der Krankheit und ohne zu überlegen, ob 
nicht bie Gegenmittel dem Lande nachtheiliger wären, als das 
Übel ſelbſt . Die Landesregierung flüchtete von Königsberg . 
nach Welau. Die Grenzen wurden befegt, Dörfer verpallifadirt, 
wit Gräben umzogen, angeſteckte Häufer in den Städten ſoll⸗ 


Redten Drte an einen gefunden geben. Alle Bande der Ge 
ſelſchaft und Sittlichkeit waren gelöft, bie Roheit der Maffe 
trat ungeſcheuet hervor, unterftigt und hervorgerufen durch die 
mbefonnenen Verfügungen ber Behörden. Kinder verlieſſen 
i verpefteten Aeltern und dieſe ihre Kinder; zulegt wurde 
um jeben Preis der legte phyfiſche Genuß gefucht. Selbſt 
ie verhängten Todesſtrafen wirkten nichts, als Wermehrung 
Eiends und der abſcheulichſten Ausſchweifungen. Wurden 
Galgen erbauet, um diejenigen im Sarge daran zu 
Abfperzung Half, ſchon weil fie nicht vdllig durdhgefäprt wer: 
gar nichts. Es war faft wie 120 Jahre fpäter, als man 
wie 120 Jahre früher verſuhr. 


gs garyr 


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HR 


188 Bud V. Zweites Hauptftüd. 


hängen, welche geftorben fein würden ohne Arznei zu nehmen. 
Das Sanitätscolegium gab (4. Nov. 1709) dem Könige unter 
den Urfachen ber Verbreitung der Peft an, baf die meiſten 
Peftprediger unmoralifche Menfchen und die Peflärzte medi- 
castri et empirici wären, dazu komme bie ſchlechte Juſtiz 
und Polizei. Bei und, fahren fie fort, hat dad Unrecht durch 
Verjährung das Bürgerrecht gewonnen. Em. Majeſtaͤt Können 
fiber glauben, daß bie bei und im Schwange gehende Jufliz 
die Materie ift, welche ſowohl die peftilemzialifche Seuche, als 
alle Landplagen erzeugt und ernährt. Wolle der König an der 
Wahrheit zweifeln, fo möge er fg gerecht fein, das Collegium 
zu entlaffen, aufferdem ihm die Leitung der Anorbnungen über 
tragen. Vom Auguft bis zum 8. December 1709 flarben in 
Königeberg 7000 Menfcen, “aufferdem foll Preuffen bis zum 
Ende der Krankpeit im September 1711 .247,000 Menſchen, 
d. dh. ein Drittheil feiner damaligen‘ Bevölkerung verloren 
baben, Lithauen wurde faft wuͤſt). Auch in Pommern 
wuͤthete zu gleicher Zeit die Peft ſtark, einige Heinere Städte 
farben faft aus; in Danzig farben 32,600 Menfhen‘). In 
Berlin fperrte man aus Angft bei Annäherung der Peft bie 
Thore. Während biefer Bebrängnig wurde aber hier die Ans 

Zuti wefenbeit ber beiden Könige von Dänemark und Polen höcft 

1709 prächtig begangen und durch eine Menge hoͤchſt gefchmadtofer 
Werke in Profa und in Verfen gefeiert, die Könige mit den 
drei Weiſen Morgenlands und bie eben geborene Tochter des 
Kronprinzen mit dem Jeſuskinde verglichen’). 

Die Klagen der Unterthanen uͤber ben herrſchenden Drud 
und das überhandnehmende Elend wurben jest immer Lauter 
und eine Menge von Bittfchriften und Vorſtellungen kamen 
ein, welche zugleich die auffallenbften Beſchuldigungen gegen 
die damaligen Machthaber enthielten, weshalb (17. März 1709) 
ein Edict gegen dad muthwillige Suppliciren erſchien. Der 


1 K. E. Mangelsdorf preuffifche Rationalblätter Bd. J. &. 115 
aus ben Actn. Hagens Beiträge zur Kunde Preuffens Th. IV. 

2) Halens pommerſche Provinglaltlätter II. ©. 52. 
> 8) Königs Berlin I. S. 208. Pöllnig Mem. I. ©. 513. 
Der Berfaffer biefed Gebichts erhielt 1000 Ducaten geſchenkt. 


Die Peſt. Die Gräfin Wartenberg. 189 


König war misvergnuͤgt darüber, daß er fid überhaupt wieder 
verheirathet und fühlte fich ungluͤcklich durch die religioͤſe Rich 
tung, welche feine Gemahlin genommen hatte; zugleich machte 
ihm die Gräfin Wartenberg durch ihre alle Grenzen überfleis 
gende Anmaßung vielen Verdruß. Er hatte noch bei feiner 
dritten Bermählung in einem neuen Rangreglement dem Grafen 
den Rang vor allen nicht regierenden Fürften, und dee Gräfin 
vor allen umverheiratheten oder nicht an regierende Herren vers 
maͤhlten Prinzeffinnen beigelegt’). Die Herzogin von Holftein 
fol ihr den Vorrang für 10,000 Thaler, welche ihr ber König 
zahlte, abgetreten haben. Doch genügte bad ihrem Stolze 


. noch nicht. Bei der Taufe ber Tochter des Kronprinzen ereig⸗ 


nete es fich num allerdings ungewoͤhnlicherweiſe, daß die Ges 
mahlin des holländifchen . Gefandten Lintlo den Vorrang vor 
der Graͤfin Wartenberg nahm, woruͤber es zum förmlichen 
Handgemenge zwifchen beiden Damien Fam, welches vorläufig 
iu befeitigen der Oberceremonienmeifter von Beffer viele Mühe 
hatte. Es kam fo weit, daß der König den Generalftaaten 
drohete, feine Truppen aus Flandern zuruͤckzuziehen, wenn bie 
Frau von Lintlo nicht der Gräfin Wartenberg förmlich Abbitte 
leiſten woürde*). Der Uebermuth biefer Frau’ flieg nun noch 
höher. Sie vergaß -fich fo weit, der Königin böchft umver⸗ 
fhämt zu begegnen und brachte es durch ihr Betragen endlich 
dahin, daß alle anweſende Gefandten ſich über fie befchwerten 
und fie die Gunft des Königs voͤllig verlor, daß er ihr in 
Gegenwart der Königin Vorwirfe Über ihr Betragen machte 
und ihr mit firengen Maßregeln drohete, wenn fie baffelbe 
nicht ändern würde ?). 

Nun gewannen die Feinde des maͤchtigen Günftlings feften 
Fuß, fie fammelten fi um ben Kronprinzen, bem bie Vers 
fhwenbung und bie ganze Regierungs⸗ und Wermaltungsweife 
feines Waters fehr zuwider, der auch aufferdem befonbers auf 
den Grafen Wittgenftein hoͤchſt aufgebracht war, well diefer 
für einen ber Beranlaffer zur dritten Heirath des Königs anz - 


1) Sosmar und Klaproth &.278. Königs Bert II. ©. 195. 
H'Pblinig Diem. L ©. 514, 
3) Dohna p. 306. Pöllnig Mem. I. ©. 589. 


190 Bud V. Zweites Hauptfiäd. 


gefehen wutde. Doc war es ſchwer, Eingang bei dem Könige 
zu gewinnen. Diefer war nämlich bei den vielfachen Verfein⸗ 
dungen und Kabalen an feinem ‚Hofe fo argwöhnifc geworben, 
daB er gar nicht mehr auf Anklagen achtete, von denen er 
irgend glauben Tonnte, fie hätten in Privatfeindſchaft ihren 
Grund. Dan muffte ſich daher zweier ‚Herren von Kamede 
bebienen, deren einer, Paul Anton, ein fehr einfacher Mann 
ohne Geiftesgaben vom Könige zum Pagen angenommen ward, 
ihn als Luftigmacher unterhielt, durch Ehrlichkeit und Ans 
fpruäetofiteit deflen Sunft und Vertrauen gewann und 
rand Mattre de la garderobe geworben war ). Der 

be fein viel kluͤgerer und weit befjer unterrichteter Vetter ), 
Ernft Bogislav von Kamede, war Kammerjunker, als Luthes 
zaner erzogen, dann reformirt geworben, was bem Könige fehr 
gefiel, hatte geſelliges Talent und fpielte fo geſchidt mit dem 
Könige Schach, daß biefer bie Partien gewann, ohne zu bes 
merken warum, erzählte gut, wuſſte immer etwas Neues und 
unterhielt den König, der ihn (1709) zum wirklichen geheimen 
Mathe ernannte, obgleich ihn Wartenberg nicht leiden fonnte *). 
Vor allen Anden hatte der Oberhofmarſchall, Graf von 
BWittgenftein, durch feine Härte fih allgemein perſoͤnlichen Haß 
zugezogen. Ex hatte zum großen Nachtheile bes Handels und 
der Gewerbe die fremde Salzeinfuhr verboten, die Einrichtung 
eines hohen Salzimpoſts (13. Dit. 1708) von ſechzehn Groſchen 
für den Scheffel bewirkt und, wie man fagte, ſich aus dem 
Ertrage eigenmaͤchtig, ohne bed Königs Vorwiſſen eine Bulage 
von 5000 Tpalern auf den Etat gefegt. Ihm vorzüglich legte 
man bie Schuld bavon bei, daß Preuffen während ber großen 
Pefinoth nicht unterflügt worden war. Run war (15. Dit. 
1705) vorzüglich auf feinen Betrieb ein Generalfeuerkaffenregs 
lement exlaflen worben, vermöge deſſen jeder Hausbeſitzer 
genoͤthigt war, ſein Haus zu einer beſtimmten Summe bei 
dem General⸗ Land⸗ und Stadtfeuerkaſſen⸗Collegio in Berlin 


1) Dohna p. 811 ff. J 

2) Pdllnig Mem.1. 8.545. Cotmar und Klaproth &.285 
gebt an, Paul Anton fei der geſchiete Ocjadhfpieler gewefenz vergl. ©. 298. 

8) Daher vielleicht, daß ſchon im März 1709 Marlborough meinte, 
Wartenberg fei nicht mehr der Algewaltige. Gore Wi. IV. ©. A16 I. 


Wittgenſteins Saıı 19 
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Beflrafung verboten, —— au ſprechen. Der Kit. 
terſchaft wurde zwar dann (21. Rin 1708) auf ihr Geſuch 
nachgegeben, daß deren Unterthanen nicht follten zu Beitraͤgen 
genöthigt fein, 


ihm janen Haͤuſer ohne Belaſtung ihrer 

übrigen Unterthanen (28. März 1710 bei 1000 Thalern Strafe) 
auch ohne: ig von € 

deeijahren en aus den Kreiskaſſen. Wenn 


im Haufe eines een | Feuer auskaͤme und babei Löniglicher 

derer Nachbarn Häufer in Aſche gelegt 
wirden, X ve Edelmann den Schaden erfehen muͤſſen. 
Diefe Einriätung fand insgefammt viel Widerſtand und wurde 
ur durch Strenge durchgeſetzt. Es brannte nun die Stabt 
Stoffen dermaßen ab, daß innerhalb der Ringmauer gar Feine 
Häufer oder andere Gebäude mehr übrig bleiben. Der König 
Werorbnete daher (2. Aug. 1708), daß den Burgern und Eins 
wohnern aus ber Generalfenerkaffe follten 70,000 Thaler ges 
zahit werben, aufferdem fchenkte ex ihnen Bauholz und Kalk, 
befreiete fie auf zehn Jahre vom * Kopfgeld, Wache, 


laufig Hetten errichten und traf Anordnung, wie nach einem 
entworfenen Plane die Stadt zwedimäßig und maſſiv wieber 
aufgebauet werben koͤnne. Die Kroffener erhielten aber bie 
ihnen auögefegte Summe nicht und als fie fi) an den Grafen 
Vittgenſtein wenbeten, wurden fie hart und ſtreng abgewie⸗ 
far. &iegingen nun ben Kronprinzen an. Dieſer brachte bie 


192 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


Sache durch den Grand Maitre de la garderobe Kamede vor 
den König. Wartenberg erklärte ſich auch gegen Wittgenflein, 
eine Commiffion wurde zur Unterfuchung eingefegt, und nach 
dem (am 23. Der.) abgeftatteten Berichte erfhien Abends 


27. Dec. cin Lieutenant mit 20 Mann vor bem Haufe des Obermars 
1710 ſchalls und nahm ihn in Verhaft. Vergebüch betpeuerte er 


2. 


feine Unfhuld, er muffte den Schwarzenablerorben abgeben, 

de in Begleitung von zwölf Gardes du corps unter lau⸗ 
tee Verwünfhung und Schmähung des Volks, deſſen Haß 
zum Ausbrudy Fam, nach Spandau gebracht, ohne. vorher noch 
an feine Schwiegermutter, bie Oberhofmeiſterin der Königin, 
ſchreiben zu dürfen '). - 

Es wurde dem Grafen vorgeworfen, die oͤffentlichen Gel⸗ 
der zu ſeinem Nutzen verwendet zu haben, er wies jedoch nach, 
daß e8 Im Intereſſe des Königs gefihehen ſei, und behauptete, 
jaͤhrlich noch einige taufend Thaler aus feinem Vermoͤgen zu= 
gefegt zu haben, weil fein Gehalt nicht gereicht, indem die 
‚Hoffeierligkeitin zu koſtbar gewefen und er. allein zur Hochzeit 
des Kronprinzen 8000 Thaler habe verwenden muͤſſen. Das 
gegen fol ihm in feiner Dienftverwaltung mancherlei Unrichs 
tigkeit nacpgewiefen worben. fein 9). 

Nun drang man in der König, auch Wartenberg zu ents 
laſſen. Es: wurde ihm das ſehr ſchwer, weil er ihn liebte; 

29. Dec. doch endlich gab er nad. Am Tage) der Abführung Wittgen 
eins nach Spandau, ließ er ihm durch den Minifter von It 
gen die Siegel abfodern, alle Theilnahme an Staatögefchäfs 
tn unterfagen und ihn auffodern, um feinen Abſchied zu 


1) Die Daten ser oe oiie Ne- dei: Ball und ungnade zweier 

Staats⸗ Minifter ©. 19. 

> 2) Pölinig Mm L &.548. Deffelben neue Nachrichten IH. J. 
©. 168, wo ebenfalls der 27. Dec. 1710 als Zag feiner Arreticung ans 
gegeben iſt. Ueber die Gut dei. Wardet karn man bie je mie 
ſicher urtheilen. 

3) polintit Mem..L ©. 553 ſagt zwei Tage dareuf, naͤmlich nach 
Wittgenfteins Falle; ads ihm Königs Berlin I. ©. 218. Gosmar 
und Klaproth ©. 390 geben das I. 1711, mit Unrecht. Das legte 
von Wartenberg unterzeichnete Edict, was ich gefunden, iſt v. 15. Dec. 1710, 
während am 30. Dec. 1710 Kamecke bereits contraſignirte. 


Wartenbergs Fall 198 


Bitten. Widerſtrebend gehorchte Wartenberg und erhielt nun ben 
Befeht, fi mit feiner Gemahlin auf fein Gut Woltersdorf 
zwei Meilen von Berlin zu begeben. Er benahm fich durchs 
aus gefafft und klug. Er babe nie etwas gewollt, ald was 
der König und nur beffen Befehle auögerichtet. Ex bat nur, 
diefem noch vor feiner Abreife feinen Dank für die ihm jeder⸗ 
zeit bewiefene Gnade abftatten zu dinfen. Der König gab 
das zu, fo ſchmerzlich es ihm war. Der Günſtling vergoß 
Tränen. Der König war tief gerührt, ja erſchuͤttert; ſchon 
entſtanden Beforgnifle, er werde daB vorige Vertrauen wieber 
apalten, doch der König umarmte den Grafen und fagte, fo 
wehe es ihm thue, fobere doc dad Wohl des Staats feine 
Entfernung. Er gab ihm noch Beweiſe der zaͤrtlichſten Freund⸗ 


ſchaft und zog beim Weggange des Grafen einen Ring, —— 


Dhaler werth, vom Finger und gab ihm den mit dem Erſuchen, 
ihn als Zeichen feiner Hochachtung beftändig zu bewahren '). 
Bon Woltersdorf aus, wohin Wartenberg fi ſogleich ber 
gab, ſchrieb er dem Könige hoͤchſt wehmuͤthig und bat ihn, for 
wohl diefes Gut, als den Garten feiner Frau, nebft allem 
Porzelain, dad es enthalte, als Geſchenk annehmen zu wollen. 
Der König nahm Beides fehr gütig an und bezahlte es. Den- 
no wäre Wartenberg beinahe feflgenommen worben, meil 
man Beforgniffe hatte, er werde das misbrauchen, was ihm 
in feinee Stellung bekannt geworben war. Dem ehrlichen 
Kamede, wie man den Grand Maitre de la garderobe 
| nannte, war aber Wartenbergs ängfiliche Gemüthsart genauer 
bekannt, weshalb er der Meinung war, man ſolle ihm lieber 
eine gute Penſion mit der Verpflichtung geben, Frankfurt am 
Main nicht zu verlaſſen, fo werde er unſchaͤdlich fein. Das 
fimmte auch mit der Gefinnung des Königs überein, welcher 
ihm eine jährliche Penfion von 24,000 Thalern mit Anfall an 
deſſen ihn üiberlebende Gemahlin auöfegte. Er fol Millionen 
und feine Frau allein gegen eine halbe Million Thaler an 


1) Das Datum der Zuſammenkunft, 6. Januar, gibt bie Schrift: 
Fall und Ungnabe zweier Staats: Miniftred ©. 19, auch, daß Ihn ber 
König mit einem Binge von großem Werthe beſchenkt. Am 7. Januar 
fi Wartenberg abgereift und am 8. Januar das Dorf Moltersdorf abe 


Stengel Geld. d. Preuſſiſch. Staats, II. 13 


19 Buch V. Zweites Hauptfitd. 


Diamanten mitgenommen haben. Auch ber goldene Oberfams 
merheren » Schlüffel und das Patent als Obererbpoſtmeiſter wurs 
den ihm noch auf dem Wege nach Frankfurt abgefobert; er 
gab Beides ſogleich zurüd ’). 

Die Unterfuhung gegen den Grafen Wittgenflein wurde 
fortgefegt, ex muffte 24,000 Thaler bezahlen *) und bie preuffi- 
ſchen Staaten verlaffen, worhber bie beutfchen Reichögrafen 
vergeblich Beſchwerde erhoben, da man preuffifcher Seitz ſebr 

chtig behauptete, wer dem Könige biene, fönne auch wie 
deffen Unterthan behandelt werben. Eigentliche Verbrechen find 
ihm nicht öffentlich bewiefen worden. Diefe Männer fielen 
mehr ober weniger ſchuldig oder unſchuldig, wie Andere gefal⸗ 
ten waren®), an einem Hofe, wo bie Willkuͤr nur dutch bie 
perſoͤnliche Milde des Fuͤrſten gelindert wurde. 

Nun wolte der König feinen oberflen Miniſter weiter 
haben, fondern das felbft fein. Er befahl (27. Der. 1710), 
jeder geheime Rath folle das Mundum contrafignicen, wozu 
er das Concept gegeben. Den Schläffel de Dberkaͤnunerers 
erhielt der ehrliche Kamede und verfah deſſen Aut, ohne ben 
Zitel, Rang und die Einkimfte feines Vorgaͤngers zu erhalten; 
fein Wetter befam die Verwaltung ber Poften, doch nur bie 
Hälfte der früher damit verbunden gewefenen Einkünfte, näms 
lich 1200 Thaler. Oberhofmarfchall wurde ber verdiente Mi- 
nifter von Pringen, Ilgen befam bie auswärtigen Angelegens 
heiten und bie Juſtiz, Blaspiel das Kriegsweſen. 

1) polinit Mem. I. S. 552. Die Höhe der angegebenen Geld⸗ 
ſummen dürfte wohl ſeht übertrichen fein. 

21 Pöllnig Mem. L ©. 557 fast 80,000 Thies Königs 
Berlin II. S. 219, nur 24,000 Thir., ebenſo Gosmar und Klap⸗ 
roth ©. 286. 

3) 3. B. ber geheime Rath Hamrath, welcher im 3. 1707 in un⸗ 
gnabe fiel, gefangen nach Peit gebracht, im J. 1711 in Freiheit gefegt, 
allein [yon am 27. März 1718 von Friedrich Wilhelm I. zum Regierunges 
präfidenten und Director bes Fuͤrſtenthums Halberſtadt ernannt wurde, 
was gewiß nicht gefchehen wäre, wenn er fidy Unterfhleife erlaubt gehabt 
hätte. Gosmar und Klaproth ©. 896 und Königs Berlin II. 
©. 186. ‚Sehe merkwürbig ſind die Geläuterungen, weiße Mofer in 
feinem potriotiſchen Archive SH. IX. ©. 408 ff. gu dem Untel dee con 
ſtoeſchen Iuriftenfacltät gegen Yamrath gab. Gr yeigt, wie parteliſch 
der gegen ihn gewonnene beſtechliche Urtelsabfaffer verführt. 


Wartenbergs Fall. 195 


Jetzt tat eine andere Verfahrungdmeife ein. Es wurden 
(17. Januar 1711) wegen der allgemeinen und unaufhoͤrlichen 
Klagen, welche entflanden waren, bad Senerfaffencollegium ub 
(6. Wärg) der Hohe (im I. 1708) eingeführte Salzimpoſt auf⸗ 
gehoben, auch (171%). bie franzöfifche Hofkomoͤdiantengeſellſchaft 
entlaffen. Set wurbe ber König auch wohl hauptſaͤchlich durch 
den Krowprinzen ') und weil die Vererbpachtung der Domais 
nen gewiffenmaßen eine Werdufferung, alfo unrechtmaͤßig und 
zum Nacıtpeile des Haufes fei, bewogen, bie cleveſchen Dos 
mainen (30. Dec. 1710 und 6. Zebr. 1711) und zwar nicht 
auf ſechs, ſondern auf zwölf Jahre ig Zeitpacht zu geben. 
Damit hörte Die Vererbpachtung ganz auf und zmölfiährige Zeit: 
pacht wurde allgemein dingeführt ?). 

Der König konnte indefien feinen Stnfling nicht vergep 
fen, an den er ſich gewoͤhnt hatte und war ‚beseit, ihn wieder 
aurhlommmen zu Iaffen, wenn er feine Zrau nicht wieber mach 
Berlin, noch weniger an. ben Hof bringen wolle, Er drohete 
damit feinen Umgebungen, wenn er umzufrieben war, und 
Bartenberg wuͤrde wielticht. feine Stelle wieder erhalten haben, 
wenn ex einerfeits fich hätte von feiner Frau trennen koͤnnen 
und nicht andererfeits ſo klug geweſen wäre, ‚fern von einem 
Sdauplatze zu bleiben, der vielen Anberen noch weit gefaͤhr⸗ 
licher geworben war, als ih. Als ex. geflorben war (März 
1742) und feine Leiche, wie er verlangt, nach Berlin gebracht - 
wurde, um in ber Parochialkirche beigefegt zu werben, fah ber 
König dem Zuge vom Sphloffe aus tiefgerußet zu, vergoß Tbra⸗ 
nen und ließ ſich Drei Tage hindurch von Niemanden fprechen ’). 

Der König hatte unter, vielen Bekuͤmmemiſſen, welche 


1) Königs Berlin I. ©. Bi. 


2) Luben bat vergebeich, ihe nit ungehtet gu vabamınen, doch 
weiß dd) nicht, daf ihm perſdnlich etwas geſchehen wäre. Oiltoriſch · pou 
tiſche Beiträge u. ſ. w. Ip. I. 1. ©. 50. 

8) Poltnig Man. L ©. 561 und beffelben neue Nachrichten I. 
©. 348, Gosmar und Klaproth ©. 286. Die Schrift: Kal und 
Ungnabe zweier Staats-Miniſtres erfchien wahrſcheinlich kurz vor War ⸗ 
tendergs Tode Im I. 1712. Im ber Wortebe ſteht, ein Minifter Habe 
auf Anfrage wegen derrn oͤſſentlichen Zelibietens geantwortet, man möge 
behutſam bamit verfahren, weil fie viele verhaffte Wahrheiten enthalte. 

13* 


1% Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


Ähm bie Lage feiner Staaten, die Erſchoͤpfung ber Kaſſen und 
des gefammten Landes, ber Krieg gegen Frankreich und bie 
Beforgnig von neuen Unruhen im Often, endlich der gänzliche 
Mangel häuslichen ehelichen Gtüds verurfachten, noch ben 
Zod feiner beiden erften Enkel zu ertragen, beren jedem er als 
Bünftigem Thronerben den Zitel eines Prinzen von Dranien ges 
geben, die aber kurze Zeit nach ihrer Geburt flarben. Run 
wurde ihm. zu feiner ungemeinen Freude (24. Januar 1712) 
noch ein Enkel geboren. Obgleich nun der Tod ber beiden: dl- 
teren Prinzen den weitläufigen Geremonien mit Schuld ge 
geben wurde, welche bei der Zaufe dieſer kleinen Kinder beobach⸗ 
tet worben waren, fo wurben dieſe Foͤrmlichkeiten dennoch jest 
(31. Januar) mit vielen Feſtlichkeiten wiederholt; ber Prinz hatte 
bei der Geremonie eine Meine Krone auf dem Haupte und ein 
Kleid von Silberſtuck mit Diamanten befegt an, deſſen Schleppe 
ſechs Graͤfinnen trugen. Es wurde ihm ber Name Friedrich ges 
geben, die Nachwelt hat ihn fpäter den Großen genannt '). 
‘Dann war Friedrich I. Längere Zeit kraͤnklich, weshalb das 
Kroͤnungofeſt (1713) nicht mehr fo feierlich ald gewoͤhnlich de⸗ 
gangen wurde, und flarb am 25. Februar 1713, 55 Jahre alt. 

Im der Verfaſſung hat er weſentlich nichts geändert, bie 
unbeſchraͤnkte Gewalt wurde behauptet, den Ständen, wo fie 
noch in alter Form, wie in Preuffen befanden, fein Einfluß 
auf Regierungsrechte geftattet; fie waren nur dazu, die Steu⸗ 
ern zu bewilligen und Anleihen zu verbürgen und wurden auch 
wohl dazu gezwungen, wenn fie ſich nicht fügen wollten. Man 
barf bei biefer Foriſetzung des von feinem Vater eingefhlages 
men Ganges nie vergeſſen/ baß eben, wenn Preuffen fi uns 
ter ben damaligen Umftänden erheben und einen europdifchen 
Staat bilden wohte, es nur auf dem Wege der unbeſchraͤnkten 
Gewalt feiner Fürften dazu gelangen Tonnte. Nur fo war es 
möglich, die mannichfaltigen einander oft fo wiberfrebenden In⸗ 
tereffen ber verfchiedenartigen Provinzen bed Staats zur Eins 
beit zu bringen und eben die Gründung einer wirklichen Mo— 
narchie zu bewirken, während bei der Gelbfländigkeit der ein» 
zelnen Provinzen mehr ein Zöberativftaat entflanden fein würbe, 

1) Sütther S. 486 . Küfters Iugendiehen bei großen 
Kusförften in Beat RR 


SFriedrichs L Ende. Die Werfaffung des Staats. 197 


welcher jebe nachbrüdtliche gemeinfame Maßregel unendlich ex 
ſchwert, jedes fo nothwendige, Träftige Ergreifen des gimfligen 
Augenblids zur Vergrößerung, für ben Zürften unmöglich ges 
macht haben würde. Ganz anders war die Aufgabe flr ba 
Haus Defterreich, welches verſchiedene große Reiche befaß und 
jedem mehr Eigenthümlichkeit in ber befondern Entwidelung 
laſſen Tonnte und muſſte, ald Preuffen, weldes von geringen 
Anfängen ausging und nur durch die Vereinigung ‚der Regie⸗ 
rungẽgewalt der vielen zerſplitterten kleineren Theile in ber 
Hand des Fürften die Einheit bewirken konnte, weiche dem Ges 
fammten Kraft gab. 5 - 

Hierzu hat Friedrich L viel gethan, ſchon durch ben ges 
meinfamen Namen, ber doch nun zunaͤchſt alle Provinzen ums 
faffte, die trog ihrer tpeilweifen Verbindung mit dem Kaifer 
und dem Reiche eine preuffifche Monarchie ausmachten. ES 
bildete fich neben dem, was als provinzielle Eigenthlimlichkeit 
übrig .blieb, nach und nach das Allgemeine aus, was man 
dann Preuffenthum nannte, naͤmlich das, allen verfchiebenen 
Theilen der Monarchie gemeinfchaftliche, nach und nad immer 
ſtaͤrker werdende Selbftgefühl, einem größern Reiche ans und 
vor Allem zufammenzugehören. In bdemfelben Maße wurde 
freilich das Band, welches biöher die meifien Provinzen mit 

‚dem deutfchen Reiche zufammengehalten, immer loderer, unb 
warum follte man es nicht ausſprechen: bie Eriftenz ber preuffis 
ſchen Monarchie machte bie Fortdauer des deutfchen Reichs 
von Jahr zu Jahr weniger möglich; ohnehin war bad aber 
auch nur noch fcheinbar vorhanden, ein wahrer Schatten. So 
ging nichts verloren, es keimte ein neuer Präftiger Sproß aus 
dem Wurzelfiode des vermorfchten Stammes auf. 

Darauf ift auch die gefammte innere Einrichtung gegrims 
det. So unbefchränkt allgemein den vom Könige auögehenben 
Befehlen, ebenfo wird denen ber Beamteten in ihrem Geſchaͤfts⸗ 
kreiſe gehorcht, Alles bickt fi von felbft ober es wird gebeugt. 
Die vorgefundene Einrichtung bed geheimen, Raths behielt er - 
im Allgemeinen bei, bie Aenderungen, welde er, wie wir ges 
fehen haben, in ber formellen Behandlung der Gefchäfte traf, 
bezogen fich nur auf bie Bereinigung berfelben in ben ‚Händen 
feiner Guͤnſtlinge und derjenigen, welche biefen zufagten. 


198 Bud V. Zweites Haupeküd.. 


Die Juſtizverfafſung und Verwaltung betreffend, fo wur⸗ 
den, wie ſchon angeführt, die framoͤſiſchen Coloniſten in allen 
Provinzen inögefammt (19. Iuli 1690) unter ein Oberbirectos 
rium geftelt, ihnen eigene Ober⸗ und Untergerichte (14. April 
1699), ferner eine feanzöfifche Gerichts⸗ und Procegorbnung 
gegeben und (2. Det. 1709) als Oberappellationdgericht das 
oranifche Zribunal durch die aus dem Zinftenthume Drange 
geflüchteten Parlamentsräthe gebildet und.ihm baher auch Meurs, 
Lingen und Tecklenburg untergeben. 

Die von dem großen Kurfürften bereits im I. 1658 volls 
sogene, allein fchon im folgenden Jahre fuspendirte, dann von 
Zeit zu Zeit wieder in Anregung gebrachte neue Kammerge⸗ 
richtsordnung wurde, wie es bei Juſtizreformen gewöhnlich if, 
von Jahr zu Jahr, dann von Jahrzehnt zu Jahrzehmt verzͤ⸗ 
get. Die Schwierigkeiten find an fich ſchon, die Peinlichkeit 
an formellen Gefchäftögang gewöhnter Recptögelehrten ift nicht 
weniger groß, beide werben mit jedem Jahre größer und felbft 
die Macht des unbefchränkten und das Rechte wollenden Fürs 
ſten bricht ſich am der befonderö bei einer ſolchen Staatsver⸗ 
faffung doch auch nicht im jeber Beziehung nachtheiligen Pes 
danterei derjenigen, welche, wenn fie es micht anders vermoͤ⸗ 
gen, doch das Recht gegen bie fouveraine Gewalt mit fehligens 
den Formen zu umgeben fuchen. Unterbefien hatte. (16. Der. 
1702) der Kaiſer bem Könige bad privilegium de non appel- 
lando, vermöge deſſen von ben Zöniglichen Gerichten bis zu 
einem Betrage von 2500 Soldgulben nicht burfte an bie Reichs⸗ 
gerichte appellirt werben, auf ale Reichslaͤnder auch aufferhalb 
ber Kurmark audgebehnt, worauf nun (4. Dec. 1703) ein 
Oberappellationägericht angeorbnet und nach und nach einges 
richtet, aus welchem nachher bad Tribunal entftand ') Balb 
darauf wurden (1. Juli 1704) alle Xppellationen an das 
Reichskanmergericht in Wetzlar, weil baffelbe wegen bed Kriegs 
mit Frankreich gefchloffen, bis zu deſſen Wiedereröffnung vers 
boten und auch fpäter wohl nicht ohne Schwierigkeiten geflats 
tet ). Nach vielen Anfirengungen vwurbe endlih (Mai 


1) Hymmens Beiträge Ip. VI. @, 225. Geſchichte des Srinmals. 
2) Theatr. Europ. XV. p. 107. 


Juſtiz 199 


1709) die neue Kammergerichtsordnung befannt gemacht. Dem⸗ 
nach follten ein Präfivent und zehn Raͤthe zur Hälfte vom 
Ritterſtande fein und wöchentlich drei Sigungen halten. Doch 
wurde fortwährend an der Verbeſſerung bed Werks vorzüglich 
von ‚Heinrich von Cocceji gearbeitet, die Revifion aber erſt nach 
dem Zobde bed Königs vollendet. Schon am 22. Auguft 1693 
wurde befohlen, wer Kammergerichtörath werben wolle, folle 
vorher Proberelationen machen und vom Kammergerichte ges 
prüft werben. Eine neue Wechſelordnung wurde (19. Dec. 
1701) erlaffen und fpäter (18. Mai 1709) revidirt. Etwas 
Durchgreifendes für bie gefammte Verwaltung der Suftiz konnte 


indeffen bei den großen entgegenflehenden Schwierigkeiten lange _ 


noch nicht bewirkt werden. 

Die Griminalgefeggebung war immer noch ſehr ſtreng 
Es wurde (16. Det. 1696) daB Ältere Edict (v. 12. Ianuar 
1684) erneuert, vermöge beffen Diebftäple am Furfürftlichen 
‚Hofe mit dem Tode beſtraft, Männer durch ben Strang, Weis 
bee durch das Schwert gerichtet ober gefadt, d. h. in Säden 
erſaͤuft werden und keine Begnabigung flattfinden follten. We 
gem zahlreicher Diebfläple und allgemeiner Unficperheit in Ber⸗ 


In wurbe dad am 8. Febr. 1699 erlaffene Edict, jeder Soldat, - 


der durch Einbruch ober Einfleigen einen Diebflahl, wenn auch 
noch nicht von zehn Thaleın Werths beginge, folle ohne Par- 
don gehängt werden, ohne Unterſchied auf alle Diebe ausge⸗ 
dehnt (23. Aug. 1700), dann (7. Nov. 1705) erneuert mit 
dem Zufage, daß Diebe und Dieböhehler vor dem Haufe, in 
dem fie geftoplen, aufgehängt werden follten, gleich viel, wie 
hoch der Betrag bes Diebſtahls fe, Es war aber in biefem 
Jahre auch fo weit gekommen, daß am 28. Juni bie berliner 
Bürger während des ganzen Tags die Straßen befegt halten 
mufften, bamit bei dem Leichenbegängniffe ber Königin Sophie 
Charlotte Feine Unruhe entflänbe, weil fich zu biefer Zeit eine 
Rotte Räuber in die Refidenz geſchlichen, welche auch "bei, Tage 
in die Häufer drangen, bie Bewohner banden und vor ihren 
Augen Ales taubten'). Im demfelben Jahre wurbe befohlen, 


1) Merkwürdigkeiten ber Stefibenz Briebricheftaht (Berlin) in Küster 
collecũo opusculorum eic. Stüd 89, ©. 8. 


200 Bud V. Bweites Hauptftäd. 


bei Wilddieberei, wenn ber völlige Beweis fehle, zum Reini: 
gungseibe zu fchreiten ober zur Tortur, jedoch mit gehöriger 
Beobachtung ber Grabe‘). Delinquenten, welche aus ber 
Hauptſtadt verwiefen waren und Urfehde gefchworen hatten, 
aber dennoch‘ zuruͤckkehrten, follten wit dem Tode beſtraft werden 
(9. März 1711). 

Wichtig wegen der folgenden Ausbreitung, welche neue, 
anfänglich nur für bie Reſidenz getroffenen Anorbnungen, bei 
eine Verfaſſung, wie die des preuffiihe Staates, haben 
mufften, war (1693) die Errichtung des Polizeidirectoriums in 
Berlin, welches nun unter dem Kammerrathe Kleinforge und 
dem Amtrathe Por im koͤniglichen Schloffe feinen Sig hatte 
und bei dem zwei Marktmeifter und funfzehn Auffeher ange 
ſtellt waren, ‚ben Aufs und Verkauf der Lebensmittel zu bes 
auffihtigen®). Um fie ber öffentlichen Verachtung und ber 
Beſchimpfungen, benen fie ſich wegen ihres gehäffigen Amts 
außgefegt fahen, fo viel als möglich zu entziehen, beftimmte 
der Kurfürft (14. Febr. 1693), daß fie ihres Amts wegen für 
Beine unehrlihen Leute zu halten wären und auch ihre Kinder, 
wie bie anderer unbefcpoltener Aeltern in die Innungen aufge 
nommen werben bürften; zugleich wurden fie von mehreren . 
ftädtifchen Laften und Abgaben entbunden. Weil nun unter 
dem Namen ber Polizeibiener grobe Gewaltthätigkeiten verübt 
wurben, fo erhielten fie eine gleiche, fie kenntlich machende 
Kleidung. Soldaten follten (7. März 1693), wenn fie gegen 
Die Poligeiordnung handelten, mit Zuziehung ihrer Dffiiere 
ober des Auditeurs vor bad Polizelamt geftellt werben, welches 
zugleich alle Gewichte und Längen» und Hohlmaße, nach des 
nen verfauft wurde, mit dem Polizeiftempel zeichnete. 

Wir haben bereits angeführt, wie gut ber König bie 
Nothwendigkeit eined georbneten Staatshaushalts erfannte, zu⸗ 
gleich aber auch gefehen, wie wenig er im Stande war, bie 
dazu nötigen Einrichtungen zu treffen und zu erhalten, weil 
er bei feiner Prachtliebe die Ausgaben ganz unverhältnigmägig 
und größtentheils unnöthigermeife vermehrte, dadurch aber 


1) Mangelsborf Bb. I. Heft 2. ©. 166. 
2 Königs Berlin IL. ©. 854. 


Polizei Finanzen. 201 


einerfeits in feinen Beziehungen zu fremden Mächten abhäns 
gig wurbe, andererfeitö feine Unterthanen mit Steuern übers 
binbete. Bu ber Lieblingeſchwaͤche des Zürften kam bie Herr: 
ſchaſt der Guͤnſtlinge, welche fih gereiß oft auf unrechtmaͤßige 
Beife bereicherten und bei nicht außreichenber Beſolbung ſchon 
in den Anfoderungen, welche der verſchwenderiſche Hof auf ein 
glänzendes Auftreten machte, eine Entſchuldigung für Unterſchleife 
fanden; das dehnte fich hoͤchſt wahrſcheinüch zur großen, Beein⸗ 
traͤchtigung ber Unterthanen, auch auf einen nicht unbedeutenden 
Theil der übrigen Beamteten aus, welche bei ber Unregelmaͤßig⸗ 
keit dee Befoldungszahlungen ohnehin oft in große Noth kamen. 
Wie zahlreiche, an fich Aufferft ſchwere, durch die Erhe⸗ 
bungsweiſe ben Unterthanen noch laͤſtigere Steuern mannich⸗ 
facher Art oft übel genug,erfonnen wurden, haben wir bereits ' 
außeinanbergefegt, fowie auch, was zur Erhöhung des Er 
trag der Domainen durch bie Vererbpachtung verfucht und 
dann wieder durch die Erbpacht erreicht werden ſollte. Man 
wollte berechnet haben, daß auch der drmfte Bettler in Berlin 
zu der dort fehr hohen Acciſe für das, was er zum Lebens⸗ 
unterhalte gebrauche, jährlich ſechs Thaler beitragen müffe '). 
Die Beränderungen bei dem Poſtweſen bezwedten auch mehr 
die Erhöhung der Einkünfte, als bie Befbrderung des Hans 
deis &o burfte (feit 18. Dec. 1689 und 20. April 1691) 
kein Brief oder Paket unter zwanzig Pfund ſchwer durch Fracht⸗ 
fuhrleute und (feit 2. Juli 1710) bei zehn Thalern Strafe 
auch nicht von Privatleuten beförbert werben. Cine neue Pofte 
ordnung wurde (10. Auguft 1712) gegeben, in welcher bie Poft 
die Gewähr für das ihr amvertrauete Gelb übernahm. Die 
Bollbeamteten erhielten Vorſchriften, an Pofltagen die Fuhrleute 
aufzuhalten, damit biefe der Poſt nicht die Paffagiere entzögen ). 


1) Theatr. Europ. XVII. p. 108. Das ift wohl fehr übertrieben. 
Der Ertrag der Accife flieg in Berlin vom I. 1690 bis 1705 von 
58,000 Thit. auf 170,000 Xhle., alfo auf mehr als das Dreifache. 
Königs Berlin IL ©. 862. Die Zahl ber Einwohner flieg vom 
3. 1688 bis 1713 von 20,000 bis auf 50,000. Wenn nun aud) bie Er⸗ 
hebungsfoften noch in Anſchlag Tommen, fo würden doch nur 8—4 Thir. 
auf den Kopf zu rechnen fein, weit weniger natürlich auf Arme. 

N Könige Berlin IL ©. 71. 


202 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


Es beftanden unter Friedrich L, wie unter deſſen Vater, 
" zwei „Hauptabtheilungen ber Einkünfte, beren eine der Unter 
baltung bes Kriegsweſens, die zweite der des fürflichen Hau: 
ſes und Hofs gewidmet war. Don ber Höhe ber dem Krieges 
wefen beftimmten Summen koͤnnen wir nichts Beftimmtes 
angeben umb mur vermuthen, baf fie, auch ohne die Subſidien, 
wohl eher mehr als weniger wie zur Zeit feines Vaters, alfo 
vieleicht gegen zwei Millionen Thaler betragen haben mögen. 
Die anderen ober fogenannten Domainenintraden begriffen in 
ſich die Einkünfte der Poft, Minze, Stoͤr⸗ und Bernflein- 
fifperei, des Salz⸗ und Muͤhlſteinhandels, ben Ertrag anderer 
‚Hoheitörechte und bie Stempel⸗ und Legationsgelder. Sie 
beliefen ſich, jedoch ohne Abzug ber Verwaltungskoſten und 
Beamtetenbefoldungen, beim Antritte ber Regierung Fried⸗ 
ichs IL. auf 1,533,795 Thaler. Davon wurden 134,973 Tha⸗ 
ler zur Schatulle, 136,988 Thaler zum Unterhalte der Burflerfts 
Tichen Familie und 226,310 Thaler zur Hofrentei verausgabt. 
Von ber noch übrigen etwas über eine Million betragenden 
Summe war ber größefle Theil zum Beſoldung fämmtlicher 
Staatsbeamteten, ferner 78,183 Thaler aufferordentlich zum 
Unterhalte der Garnifonen und Feflungen, 35,200 Thaler für 
die Marine, 147,015 Thaler zu Abführung von Domainens 
ſchulden und Verbeſſerungen auögefest. Die im 3. 1711 
von den Provinzen an bie Hofkammer in Berlin eingefchickten 
seinen Ueberſchuͤſſe beliefen fi, nach Abzug ber Provinzials 
bebieniffe, im J. 1711 auf 764,766 Xhaler, im 3. 1712 
auf 820,000 Xhaler '). 

Die baaren Befoldungen der eigentlichen Hofſtaatsbeam⸗ 
teten betrugen (ohne bie ſehr bebeutenben Lieferungen von 
Naturalien zur Speifung derfelben) im 3. 1688, 54,589 Tha⸗ 
ler, im 3. 1712 (mit den Koſt⸗ und Raudfuttergelbern) 
157,647 Xhaler. Im J. 1706 beliefen fid die ‚Hoflammer: 
ausgaben auf 1,626,241 Thaler, davon kamen auf den ‚Hof 
flaat 367,758 Thaler, ‘aufferdem aber in bie Königliche Scha⸗ 
tulle und an bie Prinzen und Prinzeffinnen bes Eöniglichen 

1) Mittheilungen meines verehrten Freundes, des Profeflors Btiebei 
in Berlin aus den Acten, welche doch nur Wrucftüde mit nidt ausrei: 
chender Angabe enthalten. 


Sinanzen. 203 


Haufe umd deren Hofftaat 180,000 Thaler, auf Befolbungen 
der geheimen und anderer Räthe und Provinzialregierungen 
155,467 Zhaler, auf Befoldungen bei der Kammer und Aem⸗ 
tem, 259,389 Thaler, auf Tonfiſtorien, Prediger, Akades 
min, Kirchen, Schulen, Kiöfter, Hospitaͤler und Stiftungen 
62,463 Thaler * Die koͤniglichen Geſandtſchaften an- fremden 
‚Höfen Tofleten im I. 1712, 211,000 Thaler, davon bie utrech⸗ 
in Sriedenögefanbtfehaft alein 105,000 Thaler *). Eonach 
möften fich die Ausgaben am Ende ber Regierung des Königs 
wohl auf mehr als viertehalb Millionen Thaler berechnen laſſen, 
wobei man bie anfehalichen Gubfiblen wird mit in Anfchlag 
bringen müffen. 

Aullerdings hatte der König dem Staate einigen Zuwachs 
vefhafft durch bie Grafſchaft Lingen, durch bie bem Grafen 
Die Wilhelm von SolmssBraunfeld, jedoch mit Uebernabme 


wurde. Dan darf wohl fagen, wie die Eolonifation des Sans 
de8, fo gehörten auch bie Juden gewiffermaßen zu den Finanz 
gegenftänden und wurben auch bemgemäß behanet De 
Kurfürf ſettte gleich nach feinem Regierungsantritte eine Juden 
ommiffion ein, welche aus ben geheimen und Kammergerichts⸗ 


N) Königs Berlin II. ©. 295 u. 301. 
D Königs Berlin II. ©. 816. 


204 Bud V. Zweites Hauprftäd. 


Mäthen beſtand, vor der fich alle Juden mit ihren alten Ges 
Leitsbriefen ftellen follten, um nicht allein neue zu Iöfen, fondern 
auch 20,000 Thaler für bie erneuerte landesherrliche Gnade 
zu zahlen. Im ber Mark befanden fi) damals 132 Juden⸗ 
familien auffer einigen wenigen in kleineren Städten. Die 
Stadt Frankfurt a. d. D., wo ſich die meiften Juden aufs 
hielten (43); während in Berlin weniger (nur 31) waren, 
gab dem Kurfürfien fechzehn weitläufige Grimde an zur 
Unterftügung ihrer Bitte: fie von dieſen Blutegeln zu be 
freien und barob zu fein, daß bie Stabt von biefem Unges 
ziefer möchte gereinigt werben, doch ohne Erfolg. Es wurde 
(27. Sept. 1689) den Juden in allen Ländern abermals bes 
fohlen, für bie Erneuerung ihrer Privilegien und Jubenpatente 
die Summe von 16,000 Zhalern, und nochmals im I. 1690 
*0,000 Thaler zu entrichten. Dennoch vermehrte fih ihre 
Zahl bei der milden Begegnung, welche fie in ben branden⸗ 
burgifchen Ländern verhältnigmäßig gegen andere Staaten es 
fuhren, fortwährend. Im J. 1690 waren in der Neumark 
116 Familien. Im Fürſtenthume Halberſtadt erhielten im 
3. 1691, 75 amilien Schugbriefe; im I. 1706” befanden 
ſich hier 98 Familien in 98 eigenen Häufern; in den Marken 
im 3. 1700 470 Familien, von biefen faft die Hälfte (230) 
in ber Neumark; in Pommern 52, im Herzogthum Gleve 81, 
in der Graffchaft Mark 62, in Preuffen nur wenige. Im 
3. 1697 wurde ihnen im Halberftäbtifchen, im I. 1699 in 
allen Provinzen des Staats verboten, ferner noch liegende 
Gruͤnde zu erwerben. Auf dem platten Lande durften fie nie: 
mals wohnen. 

Vielen Einfluß auf die Begünftigungen der Juden hatte 
der Hofjuwelier Joel Liebmann, der dem Kurfürften und dann 
Könige vorzüglich Juwelen lieferte, fowie nach deſſen Tode 
(1705) feine Frau, welche unangemeldet zum Könige gehen 
durfte. Schon im J. 1697 hatte Friedrich die Anlegung einer 
Synagoge in Berlin geftattet, wo biöher ber jübifhe Gottes: 
dienft nur in Privathäufern gelbt werben burfte. Darüber 
waren unter ben Juden felbft viele Streitigkeiten ausgebrochen. 
Erſt im 3. 1712 wurde ber Bau einer allgemeinen Synagoge 
nach vielen von ben beiden Parteim ber Juden in Berlin 


Juden. 2 


erhobenen Schwierigkeiten burchgefeht. Ein lreglement 
wurde (7. Dec. 1700) fie fie erlaſſen. Vergleitete Juden ſoll⸗ 
ten daB doppelte Schutzgeld der Schußjuben geben, wer nicht 
ehrlichen Erwerb nachweiſen konnte, binnen vier Wochen das 
Land räumen, keiner, auffer denen es im I. 1600 geflattet 
worden, Kramlaben und Buden haben, fir. ben Leibzoll 1000 
Ducaten Schutzgeld entrichtet, biefes nicht einzeln, fonbern von 
der ganzen Judenſchaft durch die Worftcher erhoben, noch zehn 
wohlhabende Familien, jede fir Zahlung von 50 Ducaten 
aufgenommen , Grundſtücke jedoch nicht ferner erworben, die 


Da nun die Juden von den Chriſten nur beim Kammer⸗ 
gerichte belangt werben konnten, fo beſchwerte ſich der Magi⸗ 
frat in Merlin ‚baräber umb bat darum, felbft Sachen bis zu 
50 Thalern Werth entfcheiden zu duͤrfen, was ber Fuͤrſt, ins 
dem er —E alter Art als fein Staatseigenthum 
betrachtete, nicht nachgab und bie geringeren Griminals unb 
Sriurienfachen, feit 1706 Gelbfachen dis 100 Zpaler Werth, 


—*&*& und einer eigenen neuerrichteten Judenconmiſſion 

Viele einzelne Beſchwerden über bie Juden liefen von 
a fo weit es Verordnungen ver⸗ 
mochten, abgeſtellt. 

Nichts war für dieſe gefäßrliher als ber Haß der Chris 
fin, der von Zeit zu Seit, faſt nur vom ehemaligen Juden, 
den dann heftigfien Wiberfachern ihrer alten Glaubensgenoſſen, 

durch die Angaben, als fehmäheten fie ben ‚Heiland und bie 
pe Religion, von Neuem angefacht wurde. Auf bie Ans 
ige eineß ehemaligen Juden, welche ein anderer bekehrter 
Jüde Seftätigte, daß bie Yuben in einem Gebete „Ans ben 
Heiland täglich Läfterten und vor ihm außfpieen und bann von 
dem Drte wo fie fländen aufs und wegfprängen, wurde das 
BR (1702) & erbittert, daß fie, wie fie Hagten, weber in 


206 Bud V. Zweites Hauprftüd. 


noch in Staͤdten ihres Lebens ſicher waren, weshalb 
der Sönig (13. Sept. 1702) allen Dbrigkeiten verbot, die Ju⸗ 
den. auf bloße Befchulbigungen zu flrafen, dann (4. Januar 
1703) befahl, fie in feinen Staaten gegen Gewalt und öffent: 
lie und heimliche Kraͤnkungen zu fchligen, weil er bereits 
eine Unterfuhung bee gegen fie erhobenen Befchnibigungen an⸗ 
georbuet. Diefe wurbe zu gleicher Zeit in Kuͤſtrin, Pommern, 
Magdeburg und Halberftadt mit Zuziehung eifriger Theologen 
geführt und darauf (28. Aug. 1703) ein Edict an alle Prä- 
taten, Grafen, Herren u. f. w. Unterthanen, Gläubige und 
Ungläubige erlaffen, in welchem ber König fagte: er und alle 
Statthalter Gottes auf Erden möfften nebft der Werhereiichung 
des Namens Gottes auch den Hauptzwed haben, nicht nur 
das’ zeitliche Wohl der ihnen anvertraueten Unterthanen zu be⸗ 
fördern, fondern auch dafir forgen, bag, wo nicht alle zu 
Bott beichet, doch ihr Gericht einftns nicht ſchwerer werde. 


unterwärfig gemacht, 
und wünfche — daß es endlich von ſeiner Blindheit moͤge 
Heiland gebracht 


Chriſti, nicht zum weltlichen des Königs, ber auch bie Herr⸗ 
ſchaft über die Gewiſſen der Menſchen dem Herrn aller ‚Herren 
einzig uͤberlaſſen und daher die Zeit ihrer Erleuchtung gebulbig 
abwarten müffe, die Geiſtlichen jedoch ermahne, dad unglaͤu⸗ 
u Volk mit South zu bekehren; bagegen fei ‚er aber 

bie Boeheit derer zu wehren, bie fich gegen 
A erheben wollten. Er führte nun bie Beſchuldigung 





Juden. 207 


dad Gebet „Alenu“ kuͤnftig laut einem Vorbeter ſolle nachge⸗ 
ſprochen werden; wer es noch heimlich oder in ſeinem Her⸗ 

zen ſpreche, ben wolle er ber göttlichen Allmacht überlaſſen 
Yen und werbe Ghriftus feine Ehre zur rechten Zeit ſchon 
zu reiten wiſſen. Diefes Edict murbe von da an bis zum 
3. 1730 öfter wiederholt und von Neuem eingefchärft. Bon 
Zeit zu Zeit erneuerten ſich die Angaben, daß in jkbifhen Bits 
chern ber Heiland geläftert werbe, was neue Unterfuchungen verans 
laſſte. Aufferordentlich merkwürdig fir die damalige Zeit blei⸗ 
ben die Grundfäge von Duldung, welche (5. März 1707) ein 
Refeript des Königs an bie. Univerfität Frankfurt, nach bem 
fehr befonnenen Gutachten derfelben über die angeblichen Gots 
teöläferungen im Buche Rabboth'), kund gibt, daß naͤm⸗ 
lich der König es gelehtten Männern uͤberlaſſe bie darin viels 
leicht verſteckte böfe Abficht ber Iuben, worüber Gott allein 
das Gericht zukomme, herauszufuchen ımb ihnen zur Ueber⸗ 
jengung vorzuftellen. Man ſieht daraus daß doch wenigftens 
nicht alle gelehrte Theologen den fanatiſchen Haß gegen bie, 
Juden noch theilten, ber freilich wohl noch viele Geiftliche ges 
gen fie befeckte. Auch das berüchtigte Buch des gelehrtm Ei⸗ 
fenmenger: das entbedtte Judenthum, weiches eine Sammlung 
aller läfterlichen und laͤcherlichen Meinungen ber Juden .liber 
das Chriſtenthum aus ihren zum Theil fehr feltenen Büchern 
enthielt und bad fie auf jede Weiſe zu unterbrücen bemüht 
waren, was ihnen auch beinahe gelumgm wäre, hatte nicht die 
—e— Wirkung, welche fie beforgten. Zwei Bände in 

Quart werben nie ein Volk aufregen. 

Bettejuden wurden (1702) mit Landesverweifung, Staup⸗ 
befen, ober Beflungsarbeit bebrohet. Die Haupträdficht, melde 
bier, wie vieleicht überall die gelindere oder härtere Behand⸗ 
lung ber Juden beftimmte, war bad Gelbbebürfnig, nächfibem, 
doch ſchon hier bie Durch bie Beit gemilderte Gefinnung, weiche ſich 
nach und nach von der alten firengen Orthoborie zur reinern Er⸗ 
faffung bes wahren Kerns bes Chriſtenthums zu erheben anfing*). 

1) Die Beſchlagnahme des Buches wurde zugleich autechobm Die 
Worte bes Edicts find woͤrtuch dem besfalfigen Antrage des Profeffors 


entiehnt. 
D) (Königs) Annalen ber Juben in dem preuffifchen Staate, vor ⸗ 


28 | Bud V. Zweites Hauptſtuͤck > 


Bei fo vieler Strenge, welche wir in ber — 
gebung dieſer Zeit finben, iſt es oh fee erfreulich, zu Teben. DB 
(22. Mai 1709) den Beamteten verboten wurde, bie Unters 
tbanen ferner zu ſchlagen und zu prügeln, fie (14. Nov. 
1688) bei Wolfsjagden hbermäßig zu beſchweren und mehr als 
150 Mann zugleich dabei aufzubieten. Für die Erlegung eines 
alten Wolfe wurden ſechs Thaler, flr einen jungen drei Thaler bes 
zahlt (8. Dec. 1707). Der Abel muffte feine Jagdgerech⸗ 
tigfeiten bemweifen unb bazu wurbe (8. Juli 1689) sine befons 
dere Commiſſion niedergefegt. Die Elenthiere wurden mit 
Auerochſen aus Preuffen in die Wälder der Mark gebracht und 
(8. Juli 1689) bei 500 Thalern Strafe verboten, fie zu 
fbieffen. Auch die den Wäldern fo nachtheiligen Biber wurden 
an ber Elbe gefchont und ihre Erlegung verboten, bamit fie ſich 
vermehren koͤnnten, überhaupt aber zahlreiche Wübfchonmgds 
ebice erlaffen und das von feinem Vater (1686) gegebene Vers 
bot, Nachtigallen zu fangen, erneuert (28. März 1693) mit 
dem Befehle, bie bereits gefangenen binnen zehn Tagen bei 
Strafe fliegen zu laſſen. 

Die Gewerböthätigkeit machte gegen früher umgemeine 
Vortſchritte, hauptſaͤchlich, wie wir ſchon angeführt haben, 
durch bie —— Franzoſen. Um die einheimifpe 
Babritation zu felgen und zu heben, wurbe im Geifte jmer 
Zeit (1693) bie Einfuhr ander Tuͤcher, ferner wegen ber 
Spiegelglasfabrit in Neuflabt an der Doffe, fremdes Gpiegels 
glas (9. Mai 1695), wegen der in Berlin errichteten Glass 
hütte wiederholt alles frembe Glas, wegen bes Meffinghams 
mers zu Neuftabt Eberswalde und anderer Metallhaͤmmer (21. 
Dec. 1702 und 10. Sept. 1705) die Einfuhr von Meffing 
und (10. Aug. 1709), fremdes Kupfer (12. 
Mai 1703), fremdes Eifen auffer dem ſchwediſchen Dfemund 
verboten, bie im J. 1701 feſtgeſetzte Accife auf frembe wollene 
und halbfeidene Waaren (18. Sept. 1708) erhöhe. Bon 
einem Franzofen wurden Verfuche, ben Seibenbau zu betrei- 
ben (1698) gemacht und eine Maulbeerplantage bei Berlin 
gägtih in der Mark Wrandensurg ©. 104 ff. „Gätten wir doch mehe 
Werte über einzelne Gegenftände ber preuffifcien Geſchichte, welche mit 
den fleifigen Sanunlungen Königs verglichen werben Könnten. 


Jagb. Gewerbe. Muͤnzweſen. 209 


angelegt, bann war baflır auch die Akademie ber Wiffenfchafs . 
ten, beſonders ber gelehrte Rector Friſch thätig '). 

Der Anbau des Tabads in ber Mark, dem Magde⸗ 
Öungifchen und Pommern nahm zu und es wurben feit 1690 
mehrere Gonceffionen zur Errichtung von Tabacksſpinnereien in 
Küfrin, Magdeburg und Kolberg ertheilt. Der Verkauf bes 
Zabads wurde (22. Dec. 1688) ben in einzelnen Provinzen 
Privilegirten nicht nur für dieſe Provinzen (mie 28. Nov. 
1687 beftimmt war) fondern in allen Übrigen gleichmäßig ges 
ſtattet, um bie Freiheit des Handels nicht zu hemmen *). 

Für Erhaltung und Ausdehnung des Handels ſehen wir 
den Fürften mehrmals, in feinen Unterhandlungen mit fremben 
Maͤqhten thätig. Die afrikaniſche und amerikanifhe Handels 
wmpagnie behielt er bei und nahm ſich ihrer fehr an, ba fie 
ſehr verfallen und in Schulden gerathen war. Aus dem in 
den afrikanifchen Befigungen erhaltenen Goldflaube wurben im 
3. 1692 die legten Ducaten geprägt. Die Zwiſtigkeiten zwi⸗ 
ſchen der brandenburgiſchen und daͤniſch⸗weſtindiſchen Compag⸗ 
mie über die Inſel St. Thomas wurden (1692) auögeglichen, 
und die brandenburgiſche erhielt mehr Bequemlichkeit zum 
aftikaniſchen und amerifanifchen Handel), auch endlich (1694) 
ihre von den ‚Holländern weggenommenen Pläge in Guinea 
zuruck, Alles vorzüglich bei dem fpanifchen Exbfolgefriege 
ohne wefentlihen Nugen für bad Land, dem biefe Unternehs 
mungen mehr Tofteten, al einbrachten *). 

Durch ein Edict (12. Januar 1691) wurde zur Werhüs 
tung der totalen Berrättung des auf gänzliche Kipperei hinaus⸗ 
laufenden Muͤnzweſens der mit Kurfachfen und Braunſchweig⸗ 
Lüneburg im I. 1691 zu Leipzig abgefchloffene Münzvertrag 
befannt gemacht und alle nicht wenigftens nach bem Leipziger 

1) Königs Berlin II. ©. 91 u. 212. 

2) Geſchichte des Tabacksweſens in den preuſſiſchen Gtanten in 
Röbenbeds Beiträgen I. ©. 229. 

8) Theatr. Europ. XIV. p. 302 u. 626. 

4) Königs Berlin II. ©. 34. Friedrich hatte bis zum J. 11 
120,000 Zhte. zugefipoffen. S, vorzüglich denfelben a. a. D. S. 348. 
Rauld, thr Worfleher, wurde fpäter nach Spandau gebracht. 

Stengel @efd. d. Preuffiih. Staats. IT. 14 


210 Buch V. Zweites Hauptfiäd 


Buße geprägte Mingen, ferner Kauf, Verkauf und Ausfühe 
tung ungemünzten Goldes und Silbers erſt den Juden, dann 
überhaupt verboten und die Ablieferung. beffelben an die Münze 
befohlen (7. Auguf 1690). 

Das ‚Heer war in ben verfchiebenen Zeiten ber Regierung 
Friedrichs von verfchiebener Stärke. Im I. 1689 befland es 
aus etwa 26,000 Mann am Rheine und 6000 Mann in ben 
Niederlanden im hollaͤndiſchen Solde zur Unternehmung nach 
England, alfo aus etwa 32,000 Mann, ohne diejenigen, welche 
vorzüglich zur Befegung der Zeflungen im Lande blieben, fo 
dag bie garize Macht wohl 40,000 Mann betragen haben 
Bann’). Nach dem ryswicker Frieden wurde bad Heer auf 
kurze Zeit vermindert, dann wieder vermehrt. Im J. 1701 
wor es 30,000 Mann ſtark und koſtete an Sold jährlich ets 
was über anderthalb Milionen Thaler. Im I. 1705 war e8 
42,000 Mann’) ſtark und müffte nad) gleichen Maßftabe ets 
wa 2,230,000 Thaler Sold erhalten hab. Im I. 1709 

waren 23,000 Mann in Flandern, 8000 Mann in Stalin, 
" 13,756 Mann in ben Feſtungen und im Innern des Landes, 
zuſammen 43,756 Mann, hierzu kamen in Preufien 5000 Wis 
branzen und 2000 Invaliben, alfo betrug bie bewaffnete Macht 
50,000 Mann, wobei 40 Generalofficiere ’). 

Die Eitelkeit Friedrichs veranlaffte ihm zahlreiche verfchie: 
denartige Abtheilungen prächtiger Leibwachen zu errichten. Wir 
finden (1692) Garde du Corps (die ehemalige Zrabantens 
garbe), deutſche und franzoͤſiſche Grands-Mousquetairs, in 
welchen beiden Corps jeder Gemeine Lieutenautsrang hatte, 
Grenadiers & cheral, Gemsdarmes, bie Lei zu Buß, 
welche aus ber preuffifchen und kurmaͤrkiſchen Garde beftand, 
das Leibregiment Dragoner, daB Leibregiment zu Pferde, dazu 


1) Schönings Leben Ragmers S. 96, der noch aufferbem 11,000 Bann 
meben den 6000 ann im hollänbifdien Solbe annimmt, alles als volle 
aäplig. Hennert dagegen berechnet für 1692 nur 13,410 Dann am 
&feine, 1693 11,000 am Dbere, 8000 am Riebersfeine, wohl effectio. 
Bergl. Raymer ©. 139. 

2) Ragmers Leben ©. 196 u. 272 aus officellen Quellen. 


3) Ragmers Beben ©. 323, officieller Bericht. 


Herr. 211 


ta noch im J. 1698 die Grenadiergarde. Alle dieſe Kegi⸗ 
menter waren ſehr koſtbar ausgeruͤſtet, bekleidet und befolbet. 

Wie vielen Ruhm die Truppen insgeſammt üͤberall ers 
tungen, wo fie in offener Feldſchlacht oder im Angriffe und 
Vertpeidigung feſter Pläge') kaͤmpften, haben wir bereits ers 
fahren. Alle Nachrichten geben an, daß bie Pike und das 
Buntenfchloß unter Friedrich MIN abgeſchafft, bas franzöfifche 
Schloß eingeführt und das Bajonnet angenommen ’) worden, 
welches boch nicht während des Feuerns, fondern erſt nachher, 
wenn es zum Handgemenge kommen follte, aufgefchraubt 
wurde. Bei ber nun eingeführten Stellung von vier Mann 
hoch, wurde dad Pelotonfeuer, in dem die beiden vorderen 
on aufs Knie fielen, für bie damaligen Zeiten vorzligs 

ſtark *). 

Die Aufbringung und Ergänzung der Maunfhaft ges 
ſchah durch Werbung und ſchon im I. 1691 muſſte ein Ebict 
gegen die Gewaltthätigkeiten erlaſſen werben, welche fich babei 
Dffiiere auf dem Lande erlaubten. Wegen der Unficherheit 
des Ergebniſſes bei dem biöherigen Verfahren wurde (24. Nov. 
1693) ein eigenes Werbungsinterimöreglement gegeben, nad) 
welchem bei Beziehung der Winterquartiere alle Regimenter 
und Bataillone eine genaue Lifte des Abgangs beim Generals 
ommiffariate einreichen mufften. Diefes vertheilte die Lieferung 
des Abgangs auf die Provinzen, welchen frei flanb, bie Mann⸗ 
ſchaft (doch Fein unnliges Gefindel, Unterthanen, Kinder und 
Dienftboten) felbft zu werben. Zr jeden Geworbenen zahlte 
der Dfficier zwei Thaler Handgeld und fohte ſich aller übrigen 
biöher tiblichen Pladereien enthalten. Auf diefe Weiſe konnte 
man des Erfages des jährlichen Abgangs ziemlich gewiß fein. 
Dennoch entftanden über Gewaltthätigkeiten der Werbeoffidere 
im J. 1695 Bewegungen unb e8 wurden breifle und aufrübs 
terifche. Reben, felbft von Geiftlichen, gehört und deshalb 
der Magifter und Inſpector Stenger in Zittflod feines 
Amtes entfegt. 


1) Hennert ©. 9. 
2) Geh renh or ſt) Betrachtungen über die Kriegskunft IH. TIL &.407. 


8) Hennert S. 23. 
14* 


412 Bud V. Zweites Houptſtuͤck 


Zur Ergänzung und Vermehrung bed Heers um 12,000 
Mann im I. 1704 wurbe durch ein Reglement (v. 11. Mir) 
vorgefchrieben: jeder Inhaber einer Compagnie folle funfzehn 
Mann gegen vier bis fünf Thaler Handgeld für zwei bis brei 
Jahre auf eigene Koften werben. Jede Schäferei, in welcher 
zwei Knechte dienten, bie Erb» und Preimüller, Erb⸗ und 
Braukruͤger, Erblehn⸗ und Freifhulzen, Branntweinbrenner 
je zehn Meiſter jeder Zunft, je drei Handwerker des platten 
Landes ftellten einen Mann zwifhen zwanzig und vierzig Jah⸗ 
ven; was dann noch von ben 12,000 Mann abging, wurde 
auf die Provinzen vertheilt. Die zur Landmiliz enrollirten 
Jungen Leute wurden (10. Auguft 1704) von ber Einftellung 
in bie Zeldregimenter befreit. Schon im folgenden Jahre 
(26. Nov. 1705) wurde indefien, weil viele junge Leute bei 
der Landmiliz Dienfte nahmen, ober, um bem harten Feld⸗ 
dienfte zu entgehen, das Land verlieffen, die Zahl der Erſatz⸗ 
mannſchaften insgefammt auf ben ganzen Staat fo vertheilt, 
daß Städte und das platte Land bie Lente aufbringen und im 
die Feftungen liefern mufiten. Denjenigen, welche freiwillig auf 
ſechs und mehr Jahre Dienfte nahmen (capitulirten), wurden 
beſondere Vortheile zugefihert. Allein den 10. Sept. 1708 
wurde, weil in vorigen Zeiten die Dfficiere verpflichtet gewe⸗ 
fen, ihre Gompagnien vollzaͤhlig zu erhalten, ohne baß dem 
Lande zugemuthet worben, die Mannfchaft aufzubringen oder 
abzuliefern, bie Werbung wieder auf den alten Zuß gefeht. 
Land und Stäbte erboten ſich, biefe moͤglichſt zu unterflügen, 
für jeden zu flellenden Mann acht Thaler Handgelb zu geben, 
ihn nad; Ablauf der dreis biß fechejährigen Dienfkzeit Toflens 
frei in das von ihm gelernte Handwerk aufzunehmen und für 
fo viel Jahre, als er gedient, von Stadt⸗ und Dorfälaften zu 
befreien. Demgemäß wurde mun jeber „Heereßabtheilung ein 
verhältnigmäßiger Diſtrict im Lande angewiefen, das Bermös 
gen ber Audgetretenen confiscirt, unanfäffige junge Leute, die 
Tein Gewerbe erlernt, mufften von der Obrigkeit den Werbern 
„abgeliefert werben. Auch das hatte bei dem ſtarken Abgange 
aller kaͤmpfenden Heere Feine Wirkung und noch fn demfelben 
Sabre muſſte man bie zu liefernde Exfagmannfchaft wieder auf 
die Provinzen vertheilen. Fuͤr jeden nicht geſtellten Bann 


He. 213 


warden funfzig Thaler gefobert. Endlich (14. Det. 1711) 
wurde den Provinzen geflattet, auch kleine Leute und auch 
Ausländer, wenn fie nicht von fremben Truppen befertirt wären, 
abzuliefern. Diefe Einrichtungen näherten ſich ſchon dem Aushe⸗ 
bungöfufteme, welches Friedrich Wilhelm. förmlich einrichtete ). 
Der Dienſt muß doch ſtreng und ſchwer, der Schreden 
vor bemfelben bei dem Aufferft ſtarken Werlufte in Schlachten 
und Belagerungen groß, daher bie Defertion zahlreich geweſen 
fein. Schon 9. October 1688 wurbe ein Patent dagegen ers 
laſſen und Mitwiffer und Hehler mit einer Strafe von 500 
Thalern bebropet. Wer einen Deferteur zuruͤckbrachte, erhielt 
zwei bis fünf Thaler. Faſt jährlich erſchienen Edicte diefer 
Art und (feit 12. Februar 1702) Generalpardonsebicte für 
diejenigen Deferteurö, welche ſich innerhalb einer beftimmten 
Seit elten. Es kam endlich fo weit,‘ daß ein Patent (dv. 5.- 
Mai 1711) erklaͤrte: da bie bisherige wiewohl abſcheuliche Tos 
desſtrafe des Stranges gar Feine Furcht, Schrecken noch Beis 
ſpiel geben wollen, fo ſollten ertappte und der Deſertion übers 
wiefene Soldaten binnen vierundzwanzig Stunden ohne Gnabe 
vor dem Regimente fuͤr Schelme erfiärt, ihe Degen vom Hens 
ter zerbroden, ihnen als unwürbig in ehrlicher Geſellſchaft 
weiter zu fein, die Nafe und ein Opr abgefchnitten, darauf 
ieber an eine Karre gefchmiebet unb Iebenslänglich zur ſchwe⸗ 
zen Seftungsarbeit verwendet werben. Bald darauf erflärte 
ein Edict, (7. October 1712) auch jene Strafe habe als ors 
dentliche "Strafe nichts geholfen und fegte daher feft, ber 
Strang folle die ordentliche, das Abfchneiden der Ohren aber 
Gedoch nicht mehr‘ der Nafe), Brandmarken, Gaffenlaufen und, 
Feſtungsbau aufferordentliche Strafe fein. Dan fieht wohl, 
daß es graufamer Mittel bedurfte, um ein Heer mit einer 
Kriegszucht zu gruͤnden, wie fie dann vollendet unter Fried» 
rich Wilhelm I. im preuffifchen einheimiſch war. Die Zufams 
menfegung des Heers aud fo verſchiedenartigen Beſtandtheilen 
durch Werbung noͤthigte dazu. Doch machte der Zürft die 
Dfficiere verantwortlich dafuͤr, wenn ein Golbat in Bolge 


1) Ridbentrop, Verfaſſung des preuffifchen Cantonsweſens ©. 15, 
eine Jugendarbeit des Verſaſſers. 





214 Bud V. Bweites Haupeftäd: 


uͤbeler Behandlung ungefund wurbe ober flard. Wer von dem 
Landesherrn ſpoͤtuſch ſprach, wurde mit Gefängniß, wer ehren 
rührig, mit dem Zobe befivaft. 

Als Lehrer der mathematifchen Wiſſenſchaften bei den Ca⸗ 
detten wirb der Oberfllieutenant Johann Heinrich Behr genant, 
ein vielfeitig wiſſenſchaftlich gebildeter Mann, der Über Krieges 
baukunſt fchrieb und Theil an dem Anbau ber Friedrichsſtadt 
hatte, von ber eine Straße feinen Namen erhielt’). Der Ins 
genieur Oberft Gayart, ein Schüler Vaubans, verbefferte bie 
Werke mehrerer Feſtungen). Sonft fcheinen die Officiere nicht 
viel Unterricht gehabt und gebraucht zu haben, doc befahl der 
König im I. 1704, die Feldmeffer folten die Karten der aufs 
genommenen Feldmarken fo zeichnen, daß fie zufammenges 
flogen und. zu militairiſchen Zweden benugt werben koͤnnten. 
Zur Verforgung Priegsunfähiger Soldaten errichtete zuerft Fried⸗ 
rich I. Ingalidencompagnien und beſtimmte dazu bie Einfünfte 
des Amts Thorin ®). 

Was Friedrich L im Anfange feiner Regierung für Kuͤnſte 
und Wiſſenſchaften gethan, haben wir fon berührt. Auffer 
ber Akademie der Kuͤnſte und mechanifchen Wiffenfchaften, zu 
der Dankelmann ben Grund gelegt und bie 12. Juli 1699 
unter dem Protectorate Kolbe von Wartenberg eingeweihet 
wurde, grümbete er auch die Akademie ber Wiffenfchaften in 
Berlin. Beranlaffung zur Stiftung der Akademie, oder, wie 
fie anfänglich Hieß, Societät der Wiſſenſchaften gab die Vers 
fammlung mehrerer gelehrten Männer in Berlin, welche Fried⸗ 
sich beauftragt hatte, bie Ausführung des Reichötagsbefchluffes 
über Annahme des verbefferten Kalenders zu berathen. Leibs 
nig benutzte dad, um bei dem Fürften den Gedanken an bie 
Errichtung einer Gefellihaft der Wiffenfhaften anzuregen, und 
erhielt von biefem den Auftrag, darüber ein Gutachten abzus 
geben. Leibnig that das und fagte darin: der Zwed der 
Societät muſſe fein, der Menfchen Gtüdfeligkeit zu befördern, 
welche hauptfächlich in der Weiäheit und Zugend, dann in ber 


1) Ricolai’s Berlin II. vierter Anhang, u ©. 
2) Derfelbe a. a. D. ©, 55. 
3) Königs Bein IL. ©. 172. 


Wiffenfhaften. Akademie 215 


Geſundheit und ben Bequemlichkeiten des Lebens beflche. Das 
laffe ſich am beflen durch Vereinigung dazu geeigneter Männer 
unter dem Schuge eines aufgeflärten und großmüthigen Fürs 
ſten erreichen, wodurch in zehn Jahren fo viel erreicht werden 
koͤnne, als fonft in Jahrhunderten. Die erfie Grundlage des 
menſchlichen Glüds bilde die gute Erziehung ber Jugend. Es 
fei eine Schande zu fehen, wie viele koſtbare Zeit verſchwendet 
werde, um Unnüges ober auf Ummegen und ſchlecht Nügliches 
zu lernen, was man leichter auf zwedmäßige Weile fih_zu 
eigen machen koͤnne. Die dazu entworfenen Vorſchriften koͤnn⸗ 
ten zugleich für bie Ration und für den Kronprinzen angewens 
det werden, wie bie Ausgaben ber Glaffiter, welche man fix 
den Dauphin beforgt habe. Durch Kupferftiche lieſſen ſich viele 
ſowohl ſchoͤne als mechanifhe Kimfte deutlich machen, noch 
mehr durch Sammlung von Naturs und Kunftgegenftänden. 
Alles Wichtige, was man von biefen wifle, ſollte, ohne Ges 
ſchichte, Alterthuͤmer und Sprachen zu vernachläffigen, aus 
guten Büchern und noch mehr bei erfahrenen Männern jedes 
Slaubens und Landes, naͤchſtdem auch alle Erfahrungen, welche 
die Erhaltung der Geſundheit bezweckten, gefammelt, neue 
Beobachtungen angeftellt und von Aerzten erfragt werben. 
Dazu müffe man bie Körper der Menſchen, der Thiere, der 
Pflanzen und anderer Gegenflände ber drei Naturreiche, welche 
» Mittel zur Heilung, Ernaͤhrung oder zu Inftrumenten für ben 
Menſchen gäben, genauer anatomifh, chemiſch und vorzüglich 
mikroflopifch unterfuchen, wodurch man ſchon viel entbedt 
babe. So werde man bald einen Schatz von Kenntniffen über 
das Innere der Natur fommeln. Diefe Beſchaͤftigungen wim⸗ 
den auch für den Lands und Bergbau, für Manufacturen, 
Künftler und Handwerker, den Handel und bie ſchoͤnen Künfte 
fehr nüglich werden durch Werbefferung Älterer und Einfühs 
zung neuerer Fabriken und Gulturweifen des Bodens. Bei 
dem Kriegäwefen hänge, naͤchſt ber Zucht, Uebung und dem 
Unterbalte, alled Uebrige, nämlich die Bereitung der Waffen, 
der Kriegsbebtirfaifie, ber Befeſtigung und des Geſchitzweſens, 
von den Grundfägen der Mathematit und Phyſik ab; auch 
würde es wichtig fein, eine Schule fir Chirurgie in der Art 
der Kriegsfpulen zu gründen. Vielfachen Schug würde man 


216 . Bud V. Zweites Hauptftäd. 


gegen unvorhergeſehene Unglücsfälle durch Feuer und Waſſer 
erhalten, endlich die Verbreitung des Glaubens und der Bil⸗ 
dung bei entfernten Voͤlkern bewirken koͤnnen durch mathema⸗ 
tiſche und mediciniſche Kenntniſſe, welche den Miſſionarien 
Eingang verſchafften. Durch die Freundſchaft des Zaars Pe⸗ 
ter koͤnne man Männer bis China und Indien ſchicken, welche 
die Koflen durch gewinnbringenden Handel beiten und neue 
Kenntniffe und Erfahrungen mitbrächten. 

Um alles das auszuführen, möffte die Gefellfchaft aus durch 
ihre Verdienfte angefebenen von Eifer für die Zwecke derfelben 
befeelten Männern beftehen, Briefwechfel mit dem Auslande 
einrichten, auch wohl einzelne zu Forſchungen ausfchiden, dann 
nach Art der Franzoſen und Engländer Denkwindigkeiten und 
Tagebucher befannt machen, aftronomifche Unterſuchungen und 
über die Abweichungen der Magnetnabel, was fo wichtig fir 
die Geographie und Schifffahrt fei, und vorzüglich über die 
Wirkungen von Mebicamenten anftellen. Die unentbehrlichen 
Geldmittel werde bie Gefellfchaft, auffer dem, was "Friedrich 
bereitö gethan, durch den ihr zum Verkauf überwiefenen neuen ° 
Kalender, durch das Privilegium flr Einführung guter, von 
iht verfertigter Schulbücher, auch etwa durch Vapierſabrika⸗ 
tion und Handel erhalten. Viele milde Stiftungen zur Bes 
förderung der Studien koͤnnten fir ſolche Zwede des Fürs . 
ſten herbeigegogen werden, und für Niemand werde dadurch 
eine Laft entftehen '). 

Es lag in den damaligen Verhältniffen, daß Leibnig die 
fogleih in das Auge fallende, für dad Leben unmittelbare 

Nuͤtzlichkeit und Anwendbarkeit der Wiffenfchaften vorzugsweife 
bervorhob, da der feine Baden, der fie mit bem geifligen 


1) Ale Actenſtuͤcke auffer ber Inftruction befinden ſich in der Histoire 
de l’Academie Royale des sciences et belles lettres, Berlin 1752 in 4. 
Das Gutachten des Eeibnig hat Scheid im Originale mitgetheitt, doch 
muß es fpäter corrigirt worden fein, weil es glei mit ben Morten 
anfängt: Le Roy m’ayant fait ’honneur, am Gnde Sa Majests fagt 
unb: le but glorieux que le Roy se propose eto. Run nannte ſich 
Friedrich aber nach dem Gtiftungsbriefe, ber offenbar nach dem Gutachten 
verfertigt iſt, ganz natürlich Kurfückt. MWergl. bie Denkfchriften vom 
3. 1700 in Leibnigs beutfchen Schriften, herausgegeben von Guh— 
rauer 8b. I. ©. 267. 


Wiffenfhaften Akademie 217 
een verband, vieleicht weniger bemerkt und beachtet worden 


Friedrich ging auf diefe Vorfhläge ein, erließ (10. Mai 
1700) ein Evict wegen des Kalenderverlage; in feinen Landen 
zu Gunften der Akademie und unterzeichnete deren Stiftungs⸗ 
brief (11. Juli), indem er ald Zwed und Grundfag im Wes 
fentlihen alles das wiederholte, was Leibnig gefagt, erflärte 
ſich zu ihrem Protector und verfprach, ihr ein Obfervatorium 
bauen zu laffen. Aus eigener Bewegung aber fügte er hin 
zu: bei der Societaͤt folle unter anderen nuͤtzlichen Stubien, 
was zur Erhaltung der beutfchen Sprache in ihrer anfländigen 
Reinigkeit auch zur Ehre und Zierde der beutfchen Nation ges 
reiche, abſonderlich mit beforgt werden: alfo, daß es eine 
beutfchgefinnte Societät der Scienzien ſei, dabei auch bie ganze 
deutſche und ſonderlich unferer Lande weltliche und Kirchen⸗ 
diſtorie nicht verabfäumt werben '). 

Im der Inftruction der koͤniglichen Gocietät der Wiffens 
ſchaſten führt er befonderd an, daß er fich ber gemeinen Ans 
gelegenheiten der evangelifchen Kirche allezeit angenommen und 
fein Abfehn dahin gerichtet, daß mittelft ber Gocietät bei uns 
glaͤubigen ober fonft im Irrthume ſteckenden Völkern die Bahn 
zu deren Belehrung bereitet und den Evangelifchen Feine Nach⸗ 
Iäffigkeit aufgebürbet werden koͤmne. Nach dem Mufter der 
Eöniglichen englifchen Societät folte die Geſellſchaft aus einem 
Condilium und anderen Mitgliebern befichen. Das Goncilium 
bifdete den eigentlichen Kern, ſchlug dazu geeignete Mitglieder 
dem Fuͤrſten vor und kuͤndigte die Vorträge in den drei Haupts 
fähern, der Phyſik und Mathematik, der beutfchen Sprache 
und der deutfchen Geſchichte an. Er wiederholte, die Socies 
tät follte zugleich eine beutfchgefinmte fein, ſich den Ruhm und 
die Aufnahme ber deutſchen Nation Gelehrſamkeit und Sprache 
vornehmlich mit angelegen fein laffen, unb baflr forgen, daß 


1) Aud) daß fie bie Verbreitung des rechten Glaubens und bed wahren 

bei noch unbelehrten Voͤlkern befördern folle, fagt ber 

Gkiftungebrief. Dazu wird in der Histoire de PAcademie p. 4 bemerkt: 

on sera un peu surpris de volr la propagation de la foi Chrötienne — 

mise au nombre des objets d’une soci6t# des sciences. Darüber wun ⸗ 
derte man ſich im I. 1752. 


218 Bud V. Zweites Hauptſtuͤck 


bie uralte deutfche Hauptſprache in ihrer natürlichen Reinigkeit 
und Selbftändigfeit erhalten werde und nicht ein ungereimter 
Miſchmaſch und Unkenntlichkeit daraus entfiche. Er verfprach, 
darauf ſehen zu laſſen, daß in dem Ausfertigungen ber Bes 
börden fremde und übel entlehnte Reben vermieden, dagegen 
gute deutſche Redensarten erhalten, hervorgefucht und vermehrt 
würden, auch ſolle die Gocietät mit deutfcher Benennung und 
Beſchreibung der vorfommenden Dinge und Wirkungen von 
in alerhand Lebensarten erfahrenen Leuten unterftügt und in 
Archiven und Regiftraturen die alten abgegangenen ober in ben 
Provinzen bei dem Landmanne noch üblichen fonft unbekannten 
Wörter gefammelt und mitgetheilt werden, indem barin ein 
Schatz des deutfchen Alterthums, auch ber Rechte und Ges 
wohnheiten unferer Vorfahren und ber Urfprimge und Hiftos 
vien verborgen flede. Auch daS wichtige Wert ber ‚Hiflorien, 
fonderlich der deutfchen Nation und Kirche, vorzüglich in feinen 
Landen, empfehle er der Societät, bamit Alles richtig befchries 
ben, mit bewährten Beugniffen und zwar fo viel ald möglich 
aus Urkunden und gleichzeitigen Scribenten dargethan werbe, 
beſonders aber das wahre Altertfum bes evangeliihen Glau⸗ 
. bens, die Nothwendigkeit und Beſchaffenheit ber evangeliſchen 
Reformation gegen die Verdrehung der Widerfacher behauptet, 
der Deutfchen Ehre gerettet und ihm, dem Fuͤrſten, der wohl 
erlaubte Ruhm werde, baß unter feiner Regierung dergleichen 
gute Dinge in feinem Lande gefliftet und hervorgebracht wors 
ben. Dazu follten in beutfcher oder lateiniſcher Sprache Aufs 
füge, dann größere Werke von ber Gocietät herausgegeben 
werben und drei Hauptgegenftände haben, 1) Phyſik und Mas 
thematik, nebft Aftronomie, Mechanik und Chemie; 2) deuts 
ſche Sprache; 3) Literatur, mit deutfcher Staats⸗ und Kirs 
chengeſchichte. Uebrigens follte bie Akademie für annehmliche 
Vorfſchlaͤge zur Verhuͤtung großen Landſchadens buch Waſſer 
und Feuer vom Publico eine billige Gegenleiſtung erfahren. 
Die Bibliothek, die Kunfl» und Uhrkammer ſollten der Socie⸗ 
tät die nöthigen Buͤcher und Infrumente, aus den Thier⸗ 
und Lufigärten aber und den Seughäufern, Schmelz⸗, GSlas⸗ 
und anderen Hütten und Werkpäufern, Auskunft über fremde 
Thiere, Gewäcfe und Naturalien, Modelle von Maſchinen 


Biffenfaften. Akademie. 219 


und mechaniſchen Werken gegeben und ein Obſervatorhume er⸗ 
bauet, verdienſtliche Beſtrebungen der Mitglieder durch eine 
Medaille, durch Befoͤrderung und Begnadigung belohnt wer⸗ 
den. Am folgenden Tage, feinem Geburtstage (12. Juli), 
ernannte er Leibnitz zum Praͤſidenten der Akademie, ohne daß 
dieſer genoͤthigt wurde, feine Stelle als hannoͤveriſcher gehei⸗ 
mer Rath aufzugeben. 

Die der Akademie beſtimmten Gebaͤude und die Stern⸗ 
warte wurden zwar zu bauen angefangen, jedoch wegen Gelds 
mangels während des fpanifchen Exbfolgefriegs erft im I. 
1710 voßendet. Die der Geſellſchaft überwiefenen Einkünfte 
betrugen auch nicht fiber 400 Thaler jaͤhrlich). Ungeachtet 
fie nun ausgezeichnete Mitglieder, wie den Alterthumsſor⸗ 
fer Beger, den gelehrten Bibliothekar La Groze, den Driens 
taliften Jablonski, Ancilon, ben Sprachforfher Friſch, den 
Afronomen Kirchner befaß und bie Zahl ihrer Mitglieder - 
auſſer Deutfcland, in England, Holland und Stalien auf ges 
gen 80 gefliegen war, fo erſchien doc erfi im J. 1710 bez 
erſte Band ihrer Schriften und zwar lateiniſch, mit dem - 
Xitel: Miscellanes societatis scientiarum ad inerementum 
scientiarum. 

Die Wuͤnſche und Vorſchriften des Königs für die Reins 
heit der deutſchen Sprache hatten wenig oder keinen Erfolg. 
keibnitz konnte noch fpäter fagen: „Der Mifhmafch hat abfchens 
lich überhand genommen, fo daß die Prebiger auf der Kanzel, 
die Sachwalter auf ber Kanzlei, der Buͤrgersmann im Schreis 
ben und Reben mit erbaͤrmlichem Franzöfiicpen fein Deutſches 
verderbe ).“ Auch am Hofe Friedrichs I. war es nicht andere. 

Am 3. Juni 1710 erfolgte nun die enbliche Einrichtung 
der Eöniglich preuffiichen Societät der Wiſſenſchaften, in wels 


1) eeibnit fchlug bie Unternehmung einer Botterie dazu vor. Vergl. 
deffen Gryählung von ber Abſicht der Societaͤt ber Wiffenkhaften, was 
fie bisher geleiftet und wodurch fie verhindert worden. Leibnigs deutſche 
Schriften Bd. IL ©. 284. Es fehlte immer am Gelbe. Leibnig machte 
mehrfache Vorſchlaͤge wie bem abzuhelfen. 

2) Eelbnigs Gedanken über die Ausübung und MWerbefferung ber 
beutfchen Sprache, aus beffen Werfen bei ben Disoours lus dans T’As- 
semblde publigue de l”’Acadenie 26. Janv. 1792. 


220 Bud V. Bweltes Haupıfia 


her erſtens die gefammte Verfafjung georbnet und fefter ges 
fleüt, ferner die Befhäftigungen in vier Klaſſen unter vier 
Directoren getheilt wurden, 1) Phyſik, Medicin, Chemie; 2) 
Mathematit, Aftronomie, Mechanik; 3) deutfche Sprache und- 
vorzüglich beutfcpe Gefchichte; 4) Piteratur, vorzüglich des 
Drients, zur Bortpflanzung des Evangelüi unter ben Ungläus 
bigen. Am 19. Januar 1711 wurde das Gebäude ber Alabes 
mie feierlich eingeweihet und jedem Mitgliede von dem Minis 
fier von Pringen, einem eifrigen Beförberer der Wiſſenſchaften 
und Tenntnißreichen Manne, als dem MWertreter bed Königs, 
die dazu geprägte Mebaille übergeben. 

Die Akademie bemühete fo ohne wefentlichen Erfolg (feit 
1709), die Anpflanzung von Maulbeerbäumen zu befördern '), 
ging aber nicht auf ben ihr (1711) vom Könige gemachten 
Borſchlag zur Anfertigung eines Woͤrterbuchs in der Art des 
der franzöfifchen Akademie ein. Bu einem von ber Akademie 
zu gleicher Zeit gewolnfchten anatomifchen Theater fehlte das 
Geld und der Tod des Königs traf kaum irgend eine Anſtalt 
fo hart als biefe. 

Aufferdem fliftete der König in Berlin (1705), unter 
der Aufficht des Grafen von Wartenberg noch, eine koͤnigliche 
Akademie ober Fuͤrſtenſchule fuͤr feine Vaſallen, fremde Fürs 
fin, Grafen und Herren, deren jedoch Feiner von anderer als 
abeliger Geburt und nicht unter fechzehn Jahre alt fein dürfte. 
ürften und Grafen fpeiften von Silbergeſchirr an einer Dion» 
dern Tafel, alle erhielten Unterricht in Leibesübungen, Ges 
febichte, Philoſophie, Mathematik und Phyſik, Arqhitektur, 

Befeſtigungokunſt, in den neueren Sprachen, auch der deut⸗ 
ſchen, auf deren Reinigkeit beſonders geachtet werben follte. 
Die Penfionen betrugen bei einem Fuͤrſten 600 Thaler, dann 
herunter bis zum Adel 300 Thaler. Es wurben bei bers 
felben als Profefforen angeftellt der nachher fo berlichtigte 
Jatob Paul Sundling für Staatöreht und Gefhichte, I. €. 
Pfeiffer für roͤmiſches und beutfches Recht, 3. H. Hertten⸗ 
flein flr Natur⸗ und Voͤlkerrecht, C. M. Spener für Ges 

PR —* fat Zt dat sem Ränge Ban minbe 

die Grgtehung der Mautbeerbäume betreffend, 
enden Ya; Ofen D. 29. 


Wiffenfhaften. Bibliothek, 221 


nealogie und Heralbit, P. Naudé für Geometrie, P. A. Mie 
cheli für italienifhe, I. Briand für Geographie und ftanzöfle 
ſche Sprache). Es mag die ganze Anftalt zu prächtig anges 
legt gewefen fein und bie Jugend zu fehr verwöhnt habenz 
fie verfiel bald wieder ?). 

In Halle legte er auf Bitten ber Gemeinde eine refor⸗ 
mirte Schule (1700) an, verwandelte biefe dann (1712) in 
ein Gymnasium illustre und begabte es °). 

Wegen des großen Andrangs wurde (25. Auguſt 1708) 
verboten, Untüchtige zum Studium zugulaffen, weil das dar⸗ 
über faft in Verachtung gerathen, indem Jeder ohne Unterſchied 
der Ingeniorum oder Gapacität flubiren. und auf öffentliche 
Som unterhalten fein wolle; lieber ſollten fie eine Profeffion 


rn die koͤnigliche Bibliothek in Berlin geſchah verhälts 
nigmäßig viel. Ihre Einkünfte wuchſen durch die Vermehs 
rung ber ihr überwiefenen Diöpenfationsgelder im I. 1702 
bis auf fiber 1800 Thaler, woraus indeffen auch gegen 300 
Taler an Befoldungen befiritten werden muſſten. Viel 
Verdienfte erwarben ſich um bie Vermehrung, Anordnung und 
Verwaltung der gelchrte geheime Rath Ezechiel Spanheim 
und die Bibliothelare Beger und La Croze. Go wurden viele 
zum Theil ſehr koſtbare gebrudte Werke und Handfchriften 
aus allen Theilen der gebildeten Welt erworben, hauptfächlich 
für 12,000 Thaler die von Spanheiinfche Bibliothek, ferner 
die morgenländifchen —— des Profeſſor Rave und 
die 46 Wände Informazioni politiche, die ein venetias 
nifher Senator gefammelt. Die wiflenfhaftlihen 
bungen bes Auslands konnten dadurch ſchon fehr befördert 
werden und Bayle nannte die koͤnigliche Bibliothek bereits 


1) Rad; den gieidgeltigen äfentichen Ankünbigumgen jebet der Ger 
nannten vermittelft befonderer Programme v. 3. 1705. 

D) Königs Berlin IM. ©. 159. Wahrſcheinlich entftand aus ihr 
mad) dem Tode des Königs bie Anſtalt des Directors Briand dor bem 
frankfurter Thore bei Berlin. Gr gibt im 3. 1718 in einem befonbern 
Programme an, baß fid in ihe bereits ſechs ruſſiſche Prinzen, ſeche deut⸗ 
fe und tuffifche Grafen und mehrere Barone und Cöelleute befinden. 

9) Dreihaupts Saalkreit Wo. IL. ©. 209. 


222 Bud V. Zweites Hauptftüd. 


im J. 1702 in einem Schreiben an feinen Freund La Groge: 
une des plus belles bibliothöques de I’ Europe. Dur eine 
Verfügung (vom 16. Oct. 1699) wurden alle Buchhändler des 
Staats verpflichtet, zwei Eremplare der von ihnen verlegten 
Werke an die Bibliothek abzuliefern ). Im 9. 1706 waren 
zehn privilegirte Buchbrudereien in Berlin mit vieleicht zwans 
sig Preffen, welde wohl ziemlich für die geſammten literäris 
ſchen Erzeugniffe der Mark ausreichten, indem ſich in ben 
hbrigen Städten felten Buchbrudereien befanden. Bereits im 
3. 1696 durften fie nichts ohne Vorwiſſen eines Secretairs 
Bifyer druden, des, wie es ſcheint, erften hiefigen Genfors ). 
Auffer durch koͤnigliche Unterfiigung, oder indem fich einzelne 
Gelehrte gewiſſermaßen felbft für ihre Beftrebungen aufopfers 
ten, erfchienen indeffen nur fehr wenige wiffenfchaftliche Werke, 
weil diefe feinen Abfag gefunden haben würden. Leichenpres 
digten, Zrauers, Hochzeits⸗ und andere Gelegenheitögebichte” 

“wurden zahlreich auf Koften der Verfafler oder vornehmer Leute 
gedrudtz theologifche Gtreitfchriften und Predigten mochten 
noch am meiften gekauft werben ?). 

Die Stelle eines Hiſtoriographen erhielt nach des beruͤhm⸗ 
ten Pufendorf Tode (1694), Teiſſier, ein feanzöfifcher Emis 
grant, mit 500 Thalern Beſoldung. Er gab eine kurze 
Gefchichte der Markgrafen von Brandenburg in Fragen und 
Antworten heraus (Berlin 1705), uͤberſetzte auch des Gernitius 
Leben der Markgrafen von Brandenburg (1707) und Pufens 
dorfs Leben des großen Kurfünften in das Franzoͤſiſche. Sein 
Nachfolger war Karl Ancillon. Den’ Titel, und, mehr war 
eigentlich das Amt überhaupt nicht, führten noch der Lehrer des 
Königs Friedrich, Iohann Friedrich Gramer, der berühmte 
Johann Peter von Ludwig unb der nachher fo berlichtigte I. 
Paul Sunbling*). Im Ganzen hat biefe Anftellung von Hiſto⸗ 
riographen feit Pufendorfs Tode deshalb verhältnigmäßig wenig 
für die Geſchichte des Staats genligt, weil, abgefehen von ber 


1) Wiltens Geſchichte der Königlichen Bibliothek ©. 48 ff. 
N'Königs Berlin IT. ©. 71. 

8) Königs Berlin IL ©. 897 f. 

4) Erman Sophie Charlotte p. 189. 


Wiffenfhaften. Kunft. 223 


nicht immer paflenden Wahl ber dazu auserfehenen Gelehrten, 
wan ‚diefen nicht wie bem Pufenborf einen beftimmten, in fich 
begrenzten, wenn auch immerhin ihrer freim Auswahl übers 
laffenen Gegenftanb zu bearbeiten gab und ihnen dazu, wie 
jenem berfhmten Gelehrten, die freie Benutzung des Staats⸗ 
acchivs geftattete, zu welchem bie Hiſtoriographen wohl in ber 
Regel in keiner nähern unmittelbaren Beziehung flanden. So 
konnten fie benn bei dem beſten Willen, weil ihnen der unents 
behtliche Stoff fehlte, meiſtens nicht viel mehr leiften, als 
ieer andere Gelehrte, und das iſt eine der Haupturfachen der 
dufferft mangelhaften Befchaffenheit der preuſſiſchen Geſchichte 
fa feit dem Regierungsantritte Friedrichs HI °). 

Bas Friedrich J. für die Kunft that, haben wir ſchon ans 
geführt und mirffen dazu bemerken, daß ungeachtet der Bildung 
des Fürſten und einiger wenigen Großen, boch ſicher der grös 
heſte Theil der damals hervorgebrachten Werke der Kunſt jeder 
Art, ihre Entſtehung zunächft dem Streben nad) Glanz übers 
haupt und ber Sucht, es in Allem fo viel als möglich Lud⸗ 
wig XIV. gleich zu tun, verbankte. Daher eben, abgefehen 
vom Beitgefhmade an fich, der Zwang, ber den Kuͤnſtlern 
noch aufferdem in Beziehung auf Pracht und Schimmer aufs 
erlegt wurde, bem fich auch die tüchtigften an einem Hofe 
fügen mufften, deſſen Kabalen fogleich ihre Eriftenz bedroheten. 
Erfreulich if ed, melben zu Binnen, daß ungeachtet ber in 
den letzteren Regierungsjahren eingetretenen größeren Spars 
ſamkeit, doch ber berlihmte Pebne noch im I. 1711 als Hofe 
maler mit 1100 Thalem Gehalt angeftellt wurde’). 

Noch mehr al fir die Bibliothek wurde fir bie Kunſt⸗ 
Tanner verwendet. Wenn gleich Taufende von Seemuſchein 
md Schneden an den Srottenmacher Baratta, die alten Ges. 
wehre an bie Küſtkammer, die gegeichneten Grumbriffe an den 
Dberingenieur Nehring abgegeben werden mufiten, fo vers 
mehrte fich doch die Kunſtkammer von 600 auf 1500 Nums 

1) Ich muß es lebhaft beklagen, daß es befonbers über bie Gefchichte 


Briehriche I. fo wenige zuverläffige Quellen gibt, welche es geftatter häts 
ten, bie übrigen vorhandenen Rachrichten mehr zu ſichten, als es fo 
aöglich geroefen. 


D) Ricolai’s Berlin, viester Anfang, ©. 7%. 


224 Bud V. Zweites Hauptfiäd. 


mern. Alles dahin Gehörige muffte aus den koͤniglichen 
Schloͤſſern dahin abgeliefert werben, viele Staatöbeamtete mach⸗ 
ten Geſchenke, Sammlungen mehrerer Art wurden ganz ges 
Tauft oder theilmeife erworben. Sehr vortheilhaft war, daß 
der Bibliothekar Lorenz Beger (1693) die Oberaufficht über 
Kunſt⸗ und Raritdtenfammer, befonders über die Münzen und 
Antiken erhielt. Durch ihn wurde die anfehnliche Bellorifche 
Sammlung in Rom erworben unb er Tonnte fo fein berühmte 
Pracptwer? liefern '). Im Charlottenburg befand ſich ein ſehr 
großes koſtbares Porzellancabinet ’). 

Wenn es nun aus allem bem offenbar ift, daß durch 
Friedrich L eine nicht geringe Anzahl von zum Theile ausge⸗ 
zeichneten Künftiern und Gelehrten Unterhalt und Mittel fans 
den, durch mehrere vortrefflihe Werke der Kunſt und Wiſſen⸗ 
ſchaft ihr und ihres Bürften Andenken auf die Nachwelt zu 
bring, wenn man auch zugeben muß, daß bie Regierung 
feines Sohnes, obwohl ohne allen Sinn daflır, diefen dennoch 
nicht völlig wieder vernichten konnte, wenn man auch gern 
befennt, baß die ſchoͤnen und großartigen Bild⸗ und Baus 
werke Friedrichs I., ja felbR vieleicht deffen Streben dadurch, 
fowie überhaupt in der Welt eine höhere Stelle einzunehmen, 
auf den baflır empfaͤnglichen Sinn des kurz vor feinem Tode 
geborenen Prinzen, des nachherigen großen Königs, nicht uns 
bedeutenden Einfluß gehabt haben mag, fo darf man doch auch 
nicht leugnen, daß Friedrichs L Schöpfungen in einem Vers 
haͤltniß zur Mark fanden, wie diefe und die Hauptflabt zur 
Monarchie, ein Wunderwerf, das nur durch Jahrhunderte lang 
fortgefegte Anſtrengung unbefchränkter Fürften das werden 
Tonnte, was es geworben. Das fehlte der Kunft und Wiflens 
ſchaft hier; für die Hauptftabt arbeiteten ale Nachfolger, auch 
Zriedrich Wilpelm L, für Kunft und Wiſſenſchaſt dieſer gar 
wicht, ober nicht verhaͤltnißmaͤßig. 

Es war vorzüglich in ber legten groͤßern Hälfte‘ ber 
Regierung Friedrichs 1. dad Streben nach Prunk fo vorherr⸗ 

1) Ledeburs Geſchichte ber Kunftlammer in Berlin, in beffen 
Archive Bb. IV. ©. 17. 

2) Im Theatz. Europ. XVII. p. 108 befindet fih eine Abbildung 
beffelben. T. XVL p. 151 eine Nachricht vom demſelben. 


Wiffenfhaften und Künfte 225 


ſchend, daß wie ſchon erwähnt, was für Kunft und Wiffens 
ſwaft gethan wurbe, nicht derentwillen geſchah. Es waren 
fremde, vorzüglich franzoͤfiſche Sitten, Sprache, Literatur, 
Tracht und Bildung überhaupt, welche unter den höheren und 
nach und nach auch bei den niederen Ständen der Hauptftabt 
als Mode überhand nahmen '), während an die geeignete Aus⸗ 
bildung des Volkes faft gar nicht gebacht wurde. Stadt⸗ und 
Dorfſchulen und Lehrerfeminare für fie waren nöthiger als 
Hofakademien, mas man freilich erſt hundert Jahre fpäter 
einfah. Zudem hatte natuͤrlich Vieles nur eine fhöne Auſſen⸗ 
feite, glänzenden Tinch, der bald abfiel und das Innere in 
alter Geftalt, Roheit und Unfauberkeit zeigte. Auf der einen 
Seite Zreigebigkeit, welche an Verſchwendung grenzte, auf ber 
andern oft Mangel am Nothwenbigen und auch bei der Vers 
ſchwendung zuweilen noch Schein. Friedrich I. ſchenkte zwar 
bem Yufenborf für deſſen Geſchichte des großen Kurfürften . 
10,000 Thaler, allein dad Gelb wurde nicht ausgezahlt, weil 
€8 nicht vorhanden war. Nufendorf folte daher. jährlich 
1000 Thaler erhalten, als er aber farb, waren erft 6000 Tha⸗ 
ler abgetragen. Seine Wittwe follte nun jährlich nur 500 Tha⸗ 
ter abfchläglih bekommen, wogegen aber die ihr bewilligte 
Penfion geftrichen wurde. Au die 500 Xhaler wurben ihr 
wabrfcheinlich nicht regelmäßig bezahlt, alle ihre Witten waren 
erfolglos, fie muffte in Dürftigkeit leben’). Dagegen erhielt 
der bänifche Profeffor Iacobäus für das dem Fürften übers 
reichte Musaeum regium im I. 1697 100 Ducaten, der 
Dr. Wallis 60 Pfund Sterling und eine golbene Kette für 
eine überfendete Predigt, Zeiffier für die Ueberfegung von Eer⸗ 
nitiuß Leben der brandenburgiſchen Kurfürften 400 Thaler )3 
allein Kimftler und Muſiker mufften vielfach Über die Rüds 
flände ihrer Beſoldungen klagen *). 


1) ©. bie Beiträge in Königs Berlin IIL ©. 879. Da hieß es 
dem: wer nicht framzoſiſch Tann, der kommt zu Hof nicht an. 

2) Königs Berlin II. ©. 346. 

8) Königs Berlin II. &. 72, Vergl. Küster bibliotheca Bran- 
denburgica T. L p. 814 

4) Wilken im Berliner Kalmber d. 3. 1822 ©. 104 aus Königs 

fe Aetenauszügen. Hierher gehört audy, was Morgenftern 
Stenzel Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IT, 15 


226 Bud V. Zweites Hauptftäd. 


Ungemein viele Schwierigkeiten und mannichfachen Ver⸗ 
druß verurſachten ihm bie Religions⸗ und Kirchenangelegen. 
beiten ber -Proteftanten im Auslande und been Zwiftigkeiten 
in feinen eigenen Staaten. Friedrich felbft war, wie bereits 
bemerkt worden, from und bem reformirten Glaubensbefennt: 
niffe aufrichtig ergeben ’). Er fchrieb dem Herzoge Anton 
Ulrich, dem er Glüd zur Vermählung der Enkelin beffelben 
mit dem nachherigen Kaifer Karl VL wimſchte, er wurde es 
gern gefehen haben, wenn biefe dem Beiſpiele der Prinzeffin 
Karoline von Brandenburg⸗ Anſpach (nachherigen Gemahlin 
König Georgd II.) gefolgt wäre, welche die Bermäplung mit 
Karl ausgeſchlagen, um ihrer Religion treu zu bleiben‘). Er 
begümftigte auch wohl bie Reformirten etwas vor den Luthe⸗ 
zanem®), ohne doch biefe im Staatsdienſte wefentlich zurüd= 
zufegen, da er vielmehr fortwährend bemüht war, beide Pars 
teien zu vereinigen. Er felbft zeigte durch die Vermaͤhlung 
feiner Schwefter mit einem Iutherifhen Fürften, durch die Stif⸗ 
tung der lutheriſchen Univerfität Halle, durch die Geremonien 
bei feiner Krönung, durch feine dritte Vermaͤhlung mit einer 
lutheriſchen Prinzeffin, wie fehr ihm daran lag, vermittelft 
feineß eigenen Beiſpiels zur Ausföhnung der Bekenner beider 
Gonfeffionen beizutragen. Im Auslande fuchte er auch unabs 
läffig beiden gleihen Schug zu gewähren, fo viel er nur vers 
mochte. Wir haben bereitS gefehen, was er beöhalb in feinen 
Bündniffen mit Schweden (1696, 1703 und 1707) vertrug. 


über Friedrich Wilhelm I. ©. 156 erzählt. Der Dberhofmarfhall von 
* Peingen habe unter Friedrich I. 40,000 Thlr. Befolbung und Schulden 

gehabt, unter Friedrich Wilhelm L nur 12,000 Thir. und fei gut aus - 

gekommen, boch wohl auch weil er regelmaͤßiger bezahlt wurde. 


1) Hering, von ber Meligiofität Friedrichs I. In deſſen Merkwoͤr⸗ 
digkeiten aus ber brandenburgiſchen Geſchichte, Stüd 4-6, hat bie beften 
Rachrichten darüber zuſammengeſtellt. 

2) Polinit Dem. L ©. 462. Gr hatte in bie Vermaͤhlung ges 
willigt unter ber MWebingung der SReligionsfreipeit der Pringeffin, die 
fi auch durch die Iefuiten von ihrem Glauben nicht abivendig mas 
en ließ. 

8) Königs Berlin IIL ©. 70. 


Religion und Kirche. 227 


Er nahm ſich der flüchtigen Franzoſen, auch ber Walbenfer, 
ſo eifrig wie fein Water an und verlangte (fon 24. Januar 
1689), Frankreich folle alle aus den eingenommenen Ortfchaften 
vertriebenen Proteftanten wieber in ihre Rechte — 
eſtirte mit anderen Fürſten gegen bie berlichtigte Glauj 
zum vierten Artikel des ryswiker Friedens und brang — 
rend auf deſſen Aufhebung ). Er klagte (1704) laut über bie 
vorzüglich feit dem Tode König Wilhelms III. eingetretene 
immer ſtaͤrker werbende Verfolgung ber Reformirten im Fuͤr⸗ 
ſtenthume Drange, öffnete ihnen fein Sand und unterflügte fie 
wie bie früheren franzöfifchen Flüchtlinge’). Auch bei dem 
utrechter Frieden fuchte er ben Proteftanten in Frankreich Si⸗ 
Derheit zu verſchaffen. 
— minder lebhaft beſchwerte er fich über bie Bedrůckung 
und Verfolgung der Evangeliſchen in der Kurpfalz, in Ungarn 
* und Schlefien. Ex dropete endlich (1704 und 1705), ba Feine 
Abhlılfe anders zu hoffen, weil es gegen alles Recht auf Aus⸗ 
rottung ber Evangelifchen abgefehen fei, fo wolle er die ihm 
von Gott in die Hanb gegebenen Mittel ergreifen und bie 
Katholiken in feinen Ländern eben fo behandeln, wie bie Evans 
geifäen in der Pfalz behandelt würden, bamit die Katholifen 
biefe Angelegenheiten in Regensburg betreiben möchten. Er 
Heß alle Batholifchen Kirchen, Stifter, Kloͤſter, Pfarr⸗ zu 
Shulhaͤuſer und geiſtlichen Pfruͤnden aufzeichnen. 
führte wenigſtens zu einem Vertrage (1703) zwiſchen Im 
und Kurpfalz zur Erhaltung ber Gewiſſensfreiheit und der 
5 bem 3. 1624 befefienen Kirchengüter ber evangelifchen 
ger *). 


1) Mofers Bericht über die Glaufel zum vierten Artlkel des rys ⸗ " 
driebens ©. 5. 


2) Derſelbe S. 78, 183. 

8) Lamberty XIIL p. 12. 

4 Mofer a. a. D. S. 97. a eu 
u. 183. Berg. Buchholz IV. ©. 276. Er ſchicte dem veformice 
tem Prebigern der Pfalz 1000 Thir. und efuhte Bart KU, ſich 
der Seligioncſache in der Pfalz mit anzunchmen. Theatt. Europ. 
XV. p 46. 

15° 


228 Bud V. Bweites Hauprftäd 


Wie er fich vorzüglich der evangelifchen Schlefier annahm, 
haben wir bereit gefehen, fowie daß freilich Karls XU. Schwert 
mehr vermochte, ald Friedrichs Vorſtellungen. Seine Bemlis 
bungen, bier ben Reformirten gleiche Rechte mit ben Lutheranern 
zu erwirken, waren erfolglos‘). Bei Eugens Anweſenheit in 
Berlin (1710) ging er dieſen an um deſſen Verwendung bei 
dem kaiſerlichen Hofe für die Evangelifchen in Ungarn”). Dem 
lithauiſchen Krongroßfeldheren Sapieha empfahl ex die evanges 
liſchen Kirchen in ben Fuͤrſtenthuͤmern der verfiorbenen Pfalz: 
grafin bei Rhein, geborenen Prinzeffin Radziwill, feiner Schwaͤ⸗ 
gerin ®). Im Rheinberg fegte er nach deſſen Einnahme bie 
Evangelien in den Befig aller Rechte, bie fie vor bem 
3. 1672 gehabt Hatten *). 

Durch einen Vertrag mit ber Stabt Köln (16. Ianuar 
1709) bewirkte er, daß ber preuſſiſche Reſident fih der protes 
flantifchen Kirche der Garniſon zum ottesbienfte bedienen 
hurftez ber päpftliche Nuntius proteflirte, der König beſchwerte 
ſich über den Nuntius; der Kaifer genehmigte den Vertrag 
nicht‘). 

So fehr er ſich num auch bemlihete, durch eigene Beweiſe 
von Dulbung bie Lutheraner ben Reformirten zu nähern, fo 
waren Beide doch viel zu fehr gegen einander erbittert, ald bag 
auch die aus ben wohlwollendſten Abfihten ergriffenen Maß⸗ 
regeln hätten eine Ausfdhnung bewirken Tönnen. Eben fo 
vergeblich waren Strafen, welche natürlich nur die Aeufferungen 
des gegenfeitigen Widerwillens unterbrückten. Auch darf nicht 
geleugnet werben, daß bie Beguͤnſtigungen, welche bie Refors 
mirten mehrfach vor den Lutheranern fowohl im Staate als 
durch beſonders für fie erbauete neue Kirchen, erfuhren, ferner 

‚bie Hinneigung des Fürften zu ber veformirten Form bed Gots 
tesdienſtes nicht eben geeignet waren, bie Lutheraner günftig 


1) Lamberty V. p. 76. 

2) Eugens Were Th. IL ©. 116. 

8) Theate. Europ. XVIL p. 744. 

4) Gbenbafelbft ©. 185. 

5) Lamberty V. p. 262. Berl. Buchholz IV. S. 278. 


Religion und Kirde. 229 


zu flimmen. So verbot Friedrich (1705) die, wie es im Edicte 
beifft, Argerlichen, mit dem reinen Gottesdienſte fireitenden 
Geremonien, fo bei Austbung der Gottesverehrung bei ben 
Lutheranern, befonderd in dem alten Kirchen üblich waren. 
Die lutheriſchen Hauptkirchen in Berlin Tehrten fich nicht 
daran, blieben bei ihrer Gewohnheit und man förte fie nicht 
weiter. Das Edict über die Appellationen in Kirchenfachen 
und bie vielfach wiederholten Verorbnungen gegen bie Ents 
heiligung des Sabbaths hoben das Anfehn der Geiftlichkeit 
dermaßen, daß fie eine den fürftlichen Perfonen zum Ver⸗ 
grügen erbauete Schaubühne, während die Schaufpieler be 
reits angefleibet waren, um bie Worflelung zu geben, fofort 
abbrechen ließ °). 

Vorzüglich erregten zwei Gegenftände große Unruhe, ers 
find der Exorcismus ober das Zeufelaustreiben bei der Kin 
dertaufe, zweitens die Privatbeichte. Der fromme Spener hielt 
den Exorcismus für eine unnüge und leicht anftößige Geremonie, 
welche billig ganz abgefchafft werben follte”). Die Lutheraner, 
welche das Teufelauötreiben bei ber Zaufe für unumgänglich 
nothwendig zur Seligkeit hielten, wollten durchaus nicht bavon 
ablaffen, wogegen Friedrich ſich ale Mühe gab, es abzufchaffen. 
Er lieg daher im I. 1692 ein Bedenken über den Eyorciömus 
bei der Kindertaufe (742 Seiten in Quart) druden, um ben 
Iutherifchen Prebigern zu bemweifen, was felbft einige Theo⸗ 
Iogen ihrer Confeffion von der abergläubigen Geremonie des 
Erorcismus gehalten und wie fie biefelbe völlig verworfen 
hätten. Natürlich rief dad nur Gegenfchriften hervor, ohne 
die Lutheraner zu bekehren. Der Buchbruder Liebpert in 
Berlin, welcher, wie es fcheint, eine berfelben gedruckt 
hatte, wurbe fireng beſtraft ). Ein Edit (v. 3. Januar 
1703) verordnete, daß Fein Candidat bed Prebigtamts ans 
geſtelit werben folle, ber nicht vorher erklärt habe, er wolle 


1) Königs Berlin IL ©, 55 fr. 
2) Sqhedets Kicchengeſchichte ſeit der Reformation Th. VIIL 
©. 3. 


3) Königs Berlin DI. ©. 41. 


20 Buch V. Zweites Hauptſtuͤc. 


auf Werlangen der Xeltern deren Kinder auch ohne Exorcis⸗ 
mus taufen. j 

Noch lauter wurde ber Streit über bie allgemeine Beichte. 
Die Iutherifchen Geiftlichen wollten bie Privatbeichte aus Ges 
wohnheit, Gewiſſensgruͤnden und au wohl, wie man ihnen 
vorwarf, ihres Einkommens, wegen, nicht aufgeben, wobei 
man nicht vergeffen darf, daß ihre Einkünfte im Allgemeinen 
gering genug waren. Andere widerſetzten fih ihr heftig. Bu 
diefen gehörte ber Magiſter Schade, Prediger an ber Nicolais 
kirche in Berlin, ein fehr frommer, unbefcpoltener Mann und 
waderer Kicchenlehrer, welcher Gewiſſensbiſſe über bie Private 
beichte und Abfolution empfand, und feine Anfichten und Ueber⸗ 
zeugung, ohne Rüdficht und leidenſchaftlich verfocht. Ex Iehete, 
die Seligkeit ober Begnadigung fuͤr begangene Fehler erlange 
man nicht (wie fo Mancher damals glaubte) durch Beichtſitzen, 
fondern durch die Beſchaffenheit der Innern Rührung des Her⸗ 
zens. Er lud feine Beichtkinder zur allgemeinen Beichte, er⸗ 
mahnte vor dem Genuffe bed Abenbmahls mit Wärme zur 
Befferung und ficherte erft fin den Fall des Haltens der ges 
fafften guten Vorſaͤtze Vergebung ber Sünden zu, was feiner 
Meinung nach bei der Privatbeichte nicht gehörig. beachtet 
wurde, indem bie Leute glaubten, nach erhaltener Abfolution 
durch den Geiflichen wären ihnen ihre Sünden vergeben. 
Damit noch nicht zufrieden, predigte und ſchrieb er ungefcheut 
gegen bie Privatbeichte ald einen Höllenfluhl und Satans⸗ 
umb Seuerpfuhl und jchalt bie Iutherifchen Kirchen, in welchen 
fie gehalten wurbe, Babel und Hure! Das Gonfiftorium wollte 
ihn abfegen, bee Magiftrat und der fromme, in hohem Anfehn 
flehende Spener, fowie ein großer Theil ber Gemeinde vers 
wenbeten fi) flr ihn, Andere waren ihm heftig entgegen. Ein 
Theil der Bürger wurde durch ihn für die allgemeine Beichte 
gewonnen. Dadurch geftügt und durch feine Gegner gereizt, 
eiferte er dermaßen gegen die Anhänger ber Privatbeichte, daß 
es wenigftens fchien, als wenn er ihnen bie Seligkeit abfpräche, 
woran er wohl nicht dachte. Das wurde ihm verwiefen und 
durch ein Edict (30. Iuli 1698) der Würgerfcpaft freigeftelt, 
die Beichte nach biöheriger Art beizubehalten ober abzuftellen. 
Eine Conmiſſion wurde niedergefegt und in einem anbern 


Religion und Kirche, 231 


Edicte (16. Nov. 1698) entfchieb der Kurfuͤrſt den Streit: aus 
landesfuͤrſtlicher und oberbiſchoͤflicher Macht, wie es barin heifft. 
Er verbot Schade's Tractaͤtlein und ließ ed, weil es ohne 
Cenſur gedruckt war, confisciren. Die Privatbeichte folle bleis 
ben für die, welche fie gebrauchen wollten, für Andere aber, 
welche Skrupel dagegen hätten, nicht ferner abgehalten werben. 
Zum Erſatze des Beichtpfennigs zahlte Friedrich jedem Beichts 
figer der drei Hauptkirchen Berlins 200 Thaler. Schade 
farb aus Verdruß; bei feinem Leichenbegängniffe wollte ber 
Poͤbel feine Wohnung zerftören '). Die Parteien blieben mit 
dem erregten Haſſe. Strenge Verorbnungen fruchteten eben fo 
wenig, wie Strafen. 

Wir haben gefehen, daß der Propſt Müller in Magbes 
burg wegen feiner beleibigenden Schrift Uber die Verheirathung 
der reformirten Schwefter Briebrich mit dem lutheriſchen Her⸗ 
zoge von SachfensZeig gefangen nady Spandau gebracht wurbe. 
Bänkereien und Angriffe der Lutheraner auf die Reformirten 
wurden (1691) verboten und daruͤber bei dem kurſaͤchſiſchen 
‚Hofe Beſchwerbe erhoben. Das Verbot, diejenigen anzuftellen, 
welche in Wittenberg ſtudirt hatten, wurbe (4. März 1690) 
erneuert, wegen ber Bitterkeit, welche bort in Schriften gegen 
bie Reformirten herrſche. Eine verleumderiſche Schrift unter 
dem Namen eines reformirten Katechismus ließ Friedrich in 
Berlin und Halle öffentlich durch den ‚Henker verbrennen und 
erklaͤrte (28. März 1698): er wolle Niemand in feinem Ges 
wiffen kraͤnken, allein auch nicht gefchehen laffen, daß man 
feine Religion mit handgreiflichen und zum Theile gotteslaͤſter⸗ 
lichen Unwahrheiten belabe, da er ben Wunſch habe, daß alle 
Religiondverbitterung gänzlich gehoben und wenigftens bie 
Evangelifhen zur chriftlichen Vertraͤglichkeit gebracht wuͤr⸗ 
den ). Auch die Schrift des hamburgifchen Profeffors Ed⸗ 
zardi gegen bie Kalviniften ließ der König (1705) im feinen 
Staaten confisciren und durch ben Henker auf dem Markte 


1) Shrödhe — ſeit ber Reformation Th. VII. 
©. 280. Königs Berlin II. © 


2) Theatr. Europ. XIV.rp. 794. 


232 Bud V. Zweites Hauptflüd, 


verbrennen‘). Ein Menfc wurde wegen Gottesläfterung ges 
koͤpft 9). 

Eine allgemeine Verordnung (5. Nov. 1703) wurde über 
die Genfur ber theologifhen Schriften erlaffen, um Zwift und 
Streit zu verhindern. Keine derfelben durfte uncenfirt erſchei⸗ 
nen und Feiner feiner Unterthanen etwas im Auslande ohne 
Cenſur druden Taffen. 

Ein Edict (8. und 16. Febr. 1700) über die Bifitation 
der Kischen, Schulen und Hoßpitäler wurde erlaffen, bie Kir 
chenrechnungen mufften in beftimmter Friſt abgelegt werden, 
bei Verluft des Patronats. Eine Predigerwittwenfaffe wurde 
(2. April 1691) eingerichtet; jeder Geiftliche gab dazu jäprlich 
einen Thaler und jede Wittwe erhielt zehn Thaler ?). 

Aus allen den angeführten Werhältniffen beider evangelis 
ſchen Glaubenẽgenoſſen in Preuffen ergibt fih abermals, daß - 
Sürften nur mit der größten Vorſicht ſich in Gegenftände 
mifchen dürfen, welche bie Religion, ja nur ben Gottesbienft 
angehen, wenn fie nicht flatt des Dankes, den fie zu verbies 
nen glauben, Undank und wohl gar Haß ernten wollen. 
Selbſi bei fonft unerſchuͤtterlich treuen Unterthanen, welche fich 
den auögebehnteften Gebrauch ber unbefchränkten Gewalt nicht, 
nur gefallen Laffen, ſondern vielleicht ſelbſt befördern, wirb das 
Eingreifen in die zarteflen Werhältniffe des Dafeins wenigftens 
ſchmerzlich gefühlt werden und oft bittere Empfindungen weden. 
Wenn auch alles Andere zu Gunften des Fürften aufgegeben 
iſt, will man doch den freien Ausbrud feiner veligiöfen Uebers 
zeugungen vetten, und nicht felten wird bie Verlegung derfelben 
einen Widerſtand hervorrufen, der ſich dann nur zu leicht mit 
ganz anderen ihm urfprünglich völlig fremden Beziehungen 
verſchwiſtert, die fich hinter dem Ausdruce des Heiligften vers 


1) Theatr. Europ. XVIL p. 186. Königs Berlin IL. ©. 157. 
Bergl. Buchholz IV. ©. 82. 

D Königs Berlin TIL. ©. 41. 

8) Die zahlreichen von mic mit dem Datum angefüßrten Edicte 
ftehen bekanntlich in Mylius Sammlung, wo fie meiſtens unfdwer zu 
aa Woher ich andere entiehnt, habe ich zu den einzelnen Gbicten 
angeführt. 


Sriedrichs J. Tob. 233 


ſteden, was der Menſch im Staate behaupten muß und ihm 
nie verfümmert werben follte. 

Nachdem nun alle vielfachen Bemühungen Friedrichs L 
eine Vereinigung, ja man Tann fagen, felbft nur eine Annds 
herung der beiden evangelifchen Glaubensbekenntniſſe zu bewirs 
ken erfolglos gewefen waren, muffte er noch den Kummer has 
ben, in feinen legten, ohnehin ſchon vielfach getrübten Tagen 
zu fehen, daß auch das Opfer, welches er durch Wermählung 
mit einer Iutherifchen Prinzeffin gebracht hatte, nicht nur völ- 
fig wirkungslos blieb, fondern daß bie Bekehrungsſucht ber 
unglüdlichen Sau ihm bie legten Tage feines Lebens verbits 
tete. Diefe wurde melancholiſch und endlih wahnfinnig, wos 
vom dee König doch laͤngere Zeit nichts erfahren haben fol. 
In dieſem Buftande Pam fie unerwartet, ald ber König im 
Armfluhle ruhete, Halb angekleidet in deſſen Zimmer, warf eine 
Glasthuͤr entzwei, durch welche fie fich wahrfcheinlich verwuns 
dete, und üiberhäufte ihren Gemahl mit heftigen Vorwuͤrfen. 
Diefer, erfchredt durch die weiſſe blutbefledte Geftalt mit ers 
freuten Haaren, wurde vor Schreden und Gemuͤthsbewe⸗ 
gung Trank, erfreuete fich noch der Beweiſe von Liebe und 
Theilnahme, welche ihm die Berliner gaben, fah nach einigen 
Boden fein Ende herannahen und bereitete ſich gefaſſt und 
Sriftlich auf den Tod vor. Er dufferte unter Anderm: ed wäre 
die Welt doch nur ein Schaufpiel, das bald zu Ende gehe; 
wer nicht mehr als dieſes hätte, wäre übel daran. Er fegs 
nete noch feinen Sohn, feine Schmwiegertochter, feinen Enkel 
Friedrich, dankte feinen Miniftern für deren Treue, gedachte 
feiner ungluͤcklichen Gemahlin mit Xheilnahme, ließ, als 
er den letzien Augenblick nahe fühlte, den Kronprinzen rufen 
und farb in deſſen Gegenwart, 25. Febr. 1713, nach⸗ 
Pi 5 55 Jahre 7 Monate gelebt und 25 Jahre regiert 
atte 

Was man auch von den großen Schwaͤchen dieſes gutar⸗ 
tigen Fuͤrſten ſagen mag, und wir haben fie nicht verhlift, er 


2) Pöltnig Mm. L ©. 607. 
a Batther ©. 444 aus gleichreitigen von ihm angeführten Mes 
richten. 


2 Bud V. Bweites Hauptfiäd. 


Hat den von feinem Vater überfommienen Staat doch weiter 
gebracht und, indem er bem getiennten Provinzen den gemeins 
famen Namen unter ber glänzenden Koͤnigskrone Preuffens 
gab, feine Nachkommen aufgefordert, diefe zu fügen, zu flärs 
Ten, auch weiter, — vorwärts! zu fireben. Doc war ed ein 
Gluͤck fuͤr das junge Reich, daß der Sohn anders war, ganz 
anders als ber Water! 


Sechstes Bud 


Erftes Hauptftüd, 


Friedrich Wilhelm L von feinem Regierungsantritte, 
25. Zebruar 1713, bis zum Abfchluffe des floc- 
holmer Friedens, 1. Bebruar 1720. 


Friedrich Wilhelm 1.9), nachdem er am Todtenbette feines eben 
verblihenen Vaters, für den Augenblid überwältigt von kind⸗ 
lichen Gefühlen, unter Thraͤnen feinen Iebhaften Schmerz aus⸗ 


1) Für die Geſchichte Friebrich Wilhelms J. haben wie durch Faß ⸗ 
manns, Mauvillons, Martinitres und vorzüglih Foͤrſters 
kebensbeſchreibungen beffelben, fowie dann durch einzelne Schriften weit beſ⸗ 
ſere Materialien, als für bie Geſchichte feines Waters, auch ſchon deshalb, 
weil für die Geſchichte Friedrich Wühelms die inneren Angelegenheiten des 
Staates von uͤberwiegender Wichtigkeit waren und man biefe großentheils 
aus der Mylius’fchen Ebictenfammlung Eennen lernt. Erman, im Les 
ben der Königin Sophie Charlotte (&. 148) hat noch nicht gang unrecht, 
wenn er fagt: jusquiei lo regne de Frederic Guillaume n'est connu 
que par des compilations informes, des anecdotes parses, reculeil- 
lies par la curiosit publides par la lögdret# et souvent defigurdes 
et exngerdes par la malignits. für bie Bamiliengefdichte find die Md- 
moires de Bareyth viel wichtiger als für die Staateseſchichte · Pönif 
ſtinunt mit ihr oft ſehr auffallend überein. 


236 Bud VL Erſtes Hauptftüd, ' 


gerät hatte‘), ging raſch durch bie gebrängte Menge der im 
Vorſaale wartenden Beamten, ohne fie zu beachten, in fein 
Zimmer, befahl fogleich den Etat des Eöniglichen Hofſtaates zu 
bringen, und gab ihn durchftrichen dem Oberhofmarfchall von 
Pringen mit der Bemerkung zurüd, er hebe damit alle Hofs 
ämter feines Vaters auf, doch fole fi) Feiner der Beamteten 
vor dem Leichenbegängniffe deffelben entfernen. Pringen, ein 
fehr gebilbeter, wohlgefinnter und milder Mann, war über das 
ihm fo unerwartete Verfahren bed neuen Herm dermaßen bes 
troffen, daß er Fein Wort fprechen konnte als er in ben Vor⸗ 
faal zuruͤckkehrte, und natürlich verurfachte eine fo gewaltſame 
und rüdfichtölofe, wenn auch theilweis unumgänglich nothwen⸗ 
dige Handiungsweiſe ben zahlreichen Beamteten, welche ploͤtz⸗ 
lich Aemter, Befoldungen und Penfionen verloren und fih nun 
mit ihren Zamilien zum Theile in die druͤckendſte Noth verfegt 
fahen, großen Kummer und erregte lautes Wehklagen ’). 

Die Thore Berlins wurden fogleich gefhloffen. Am fol- 
genden Tage ließ ſich der König von der Beſatung den Eid 
der Treue leiften®), traf bie nöthigen Anorbnungen zum Leis 
henbegängniffe feined Vaters und begab fi) mit ben Genera⸗ 
len Dörfflinger, Löben und Krummenfee nach Wuſterhauſen, 
wo er als Kronprinz gelebt hatte und fi auch als König 
noch immer gern aufhielt‘). Hier fah er zunächft alle Beſol⸗ 
dungs⸗ und Penfionsliften duch, erwog jeben einzelnen Po= 
ſten, verminderte, was zu vermindern, ſtrich ganz, was über- 
flüffig fhim, ohne Schonung, ohne Anfehn der Perfon, es 
mochte nun ben Markgrafen Philipp Wilhelm, feinen Ohelm, 
oder ben Fürften Leopold von Deffau, feinen Freund, ober einen 
Stallknecht und eine fünfundfechzigiährige Wittwe mit neun Kin⸗ 
dern treffen. Wir entnehmen aus ben noch vorhandenen Beſol⸗ 
dungs⸗ und Verpflegungsliften der Stabs⸗ und Generalftabs: 


1) Baßmann 1. ©. 40. 

2) Pöllnig Mm. I. ©. 4. 

3) Theatrum Europaeum v. 9. 1718. p. 259. 
4) Pölinig Dem. IL. ©. 6. 


Regierungsantritt. Erfparungen. 237 


bebienten und ber Penfionen und Gnadengehalte, welche mehs 
rere Offiziere und andere Beamtete inögefammt zum Betrage 
von 276,000 Thalern erhalten hatten, daß biefe auf 55,000 
Thaler herabgefeht, alfo über vier Fuͤnftheile erſpart wurden '). 

Das lebte Zeichen des Glanzed und der Pracht, welches 
an bie Regierung Friedrichs I. erinnerte, war das Leichenbes 
gaͤngniß, welches Friedrich Wilhelm, feinen Vater zu ehren, 
mit großem Aufwande veranftaltete. Allein ſchon bie Anwe⸗ 
fenheit ber ungewöhnlich ſtarken Anzahl von 9600 Mann 
Truppen, welde dabei verwendet wurden, gab dem Aeuſſern 
der Zeierlichkeit einen neuen Charakter”). Dann wurben viele 
Hofbeamtete, der Oberceremonienmeifter, die zahlreichen Kam⸗ 
mers Herren, ⸗Junker, «Diener und sPagen, bie 24 Hoftrom ⸗ 
peter, deren jeder monatlich 30 Thaler bezog, die 2 Hofpaus 
ter, die 100 Schweizer, viele Lakaien, Kuͤchen⸗, Keller: 
und Stalbediente, Haiducken und Laufer, wie bie meiften 
Künftler und Gelehrten, entlaffen ober ihre, Penfionen und 
Gehalte geftrichen und das koſtbare Regiment Garde da Corps 
aufgeloͤſt). Dem einzigen noch lebenden Biſchofe, Urfinus, 
den ber König nicht leiden konnte, weil er fehr gefucht und 
hochtrabend ſprach und ihn ald Prinzen den brandenburgifchen 
Zebibja zu nennen pflegte, wurbe feine bebeutenbe Beſoldung 
ſehr gekürzt. Auf feine deshalb an den König gerichtete Vor⸗ 
flelung erhielt er mit Anfpielung auf die Worte: „als vor 
Zeiten", mit welchen er alle feine Predigten anzufangen pflegte, 
abfchlägige Antwort, welche fpöttifcher Weiſe mit eben den 
Worten: „als vor Zeiten" begann ). Die Wittwe des Juden 
Lipmann, welche man befcpuldigte, den freien Zutritt, ber ihr 


1) ©. diefe Actenſtucke vom 14. März u. 1. April 1718 In der ſchaͤt⸗ 
baren Sammlung Roͤdenbecks (Beiträge zu ben Lebensbeſchreibungen 
Sriedrich Wilhelms J. u. ſ. w.) Th. L S. 9. 

Die ausfuhrliche ‚Btörelbung bi Faßmann L ©. 42-85 md 
Gütther S. 453478, 

8) Ragmers sa ©. 852. 


4) Herings biographiſche Rachrichten, 2. Städ ©. 14. König 
in der hiſtoriſchen Schilderung Berlins, Thl. IV, 1, ©. 10 fagt aber 
mit Unrecht: dev Biſchof verſchwand. 


238 Bud VI. Erſtes Hauptſtuͤck. 


von dem verſtorbenen Könige geſtattet war, zur Uebervorthei⸗ 
lung deſſelben beim Juwelenverkaufe und auch wohl bei an⸗ 
deren Geldgeſchaͤften gemisbraucht zu haben, wurde auf ihrer 
Flucht nach dem Auslande ergriffen und muſſte einen Theil 
‚Ihres Vermoͤgens fuͤr ihre Freiheit opfern’). Die koſtbare Ges 
remonienPleibung ber Ritter bes ſchwarzen Adlerorbend wurde 
abgeſchafft, die Feſte ſehr eingefchränkt ober ganz eingeftelt, 
viele Juwelen und koſtbares Hausgeraͤth, vorzüglich bie ſchoͤ⸗ 
nen Pferde mit ihrem prächtigen Geſchirre verkauft”), überall 
durch genaue im die Fleinften Einzelnheiten eingehende Aufficht 
über alle Zweige der Staats⸗ und Hofverwaltung, wie über 
Küche, Keller und Stall, fowie durch bie num eingeführte 
frenge Wirthſchaftlichkeit an Ausgaben erfpart ). — Der ges 
raͤuſchvolle Hof wurde plöglich ſtill und einſam. An bie Stelle 
der Verwendung trat Sparfamkeit, an bie ber Pracht, bie 
größte Einfachheit, am die der glänzenden Hoffefte traten Wacht⸗ 
paraben und Heerfchau. Statt ber koſtbaren Kleider zahlrei⸗ 
her Hofbeamteten fah man nur Uniformen ber Offiziere, bie‘ 
den König umgaben und Iener Dienft auch als Kammerher⸗ 
ven mit verfahen*). Die Stelle mächtiger Günftlinge nahmen 
die Generafabjutanten ein; ſtatt der leifen Tritte und Worte 
ſchleichender Hofleute ertönte der laute Tritt und Befehl der 
Kriegemänner. Die behagliche Ruhe wich der raſchen Thaͤtig⸗ 
keit, die Auffichtslofigkeit der Orbnung, bie falfche, freunbliche 
‚Heiterkeit dem natlırlichen, rauhen Exnfte, die nachſichtige Milde 
der unerbittlichen Strenge. Der Hof in feiner völligen Um⸗ 
wanblung zeigte ein Abbild feiner Fiuſten. Der milde und 
ſchwache Jriedrich I. war geſchieden, ber ſtarke, Träftige Fried⸗ 


1) Faßmann J. ©, 42 Die Befäuligungen gegen fie find allge 
mein und fie wurbe nad) einer damals noch beliebten Bitte wahrſcheinüch 
ohne alle unterſuchung geſtraft. Daß fie ſich noch im Jahre 1715 in 
Berlin befand und der König ihr die Judenſchule übergeben wollte, bee 
weift beffen Gchreiben in (Rönige) "Annalen ber Zuben in den preuffle 
ſchen Staaten, S. 258. 

2) Königs Berlin IV. 1. © 9. 

8) Bapmann J. G. 92 ff. Pillnig I. S. 8. 


4) Morgenfiern S. 148, 


Erfpazungen. Dankelmann. 239 


rich Wilhelm regierte. Den Zert zur Hulbigungsprebigt wählte 2. Mai 
er felbft: Meine Augen fehen mach den Zreum im Lande, daß 713 
fie bei mir wohnen und habe gern fromme Diener (Pfalm 
101, 6). 

Großes Auffehen erregte es, als man ganz unerwartet 
den alten fiebzigiährigen Oberpräfidenten Eberhard von Dans 
Telmann neben dem Könige in die Kirche gehen und auf deſſen 
Befehl den Rang vor allen Miniftern einnehmen fah. Er war 
Tages vorher fehr geheim von Kottbus nad Berlin gekom⸗ 
met, vom Könige berufen, ber fid vor und nach der Kirche 
mit ihm lange unterhielt und ihm befahl, alle Mitglieder des 
koͤniglichen Haufes zu befuchen. Auch ihm wurden viele Bes 
fuche abgeftattet und ſchon hofften die Einen, fürchteten bie 
Anderen, er werbe wieber in Thaͤtigkeit oder wohl gar an bie 
Spige ber Verwaltung treten, allein das gefchah nicht. Sei 
es, baf der alte fiebzigiährige Mann ſich den Gefchäften, 
denen er feit fechzehn Jahren ganz entfremdet war, nicht mehr 
gewachſen fühlte; ober felbft begriff, daß feine Verwaltungsart 
nicht mit ber des Königs übereinftimme, ober fanb biefer in 
ihm nicht, Wad er erwartet‘ haben mochte, genug, Dankel⸗ 
mann blieb ohne Anftellung und Einfluß, erhielt auch ſeine 
Güter nicht zuruͤck ). 

Der König richttte feine erſte Sorge bei Anordnung ber 
Verwaltung auf die Finanzen. Er fand an ber Spige berfels 
ben die Hoflammer, unter welder das (1698 errichtete) Dos 
mainenbirectorium fland, welchem in den Provinzen bie Amts- 
kammern untergeben waren. Ex zog nun bie bis bahin durch 
die Hoffammer und das Domainendirectorium getrennte Ver⸗ 
waltung ber Givileinfünfte in_ein Collegium, unter dem Nas 
mean Gmneralfinangdirectorium,, zuſammen und ertheilte diefem 27. März 
ein eigenes Reglement. "Die Hauptleitung erhielt der ehema: 1713 
lige Auditeur feines Regiments, v. Creutz, als wirklicher ge⸗ 
heimer Staats⸗ und Kriegsrath. Mitglieder wurden, für Hoiz⸗ 


1) Theatr. Europ. v. J. 1718 p. 200. poltnit L ©. 19 
fagt, der König habe ihm feine vorigen Stellen angeboten, was fehr une 
wahrſcheinlich iſt. Vergl. (Bendenborf) Gharakterzüge aus bem Lehen 
Friedrich Wiügelms L Sammlung 8. &. 20. Dankelmann ſtarb in Ber 
fin 1722 im 80. Saher, a 


240 Bud VI Erſtes Hauptflüd, 


und Forfifachen der Oberjägermeifter, für die Schatullgliter und 
oranifchen Erbfolgefachen der geheime Kriegsrath von Kraut, 
für die Poft:, Münze und Bergwerköfachen der geheime Rath 
Grabe, ferner die geheimen Kammerraͤthe von Goͤrne und Wal⸗ 
ter, lauter Männer, welche der König aus untergeorbneten 
Aemtern erhob. Die befonderen Kaffen blieben zwar befichen, 
mufften aber alle Ueberfchliffe vierteljährlich an die Generalcivits 
Taffe abliefern ’). 
Nun vertheilte der König alle zur Landesregierung gehoͤ⸗ 
3. Apru rige allgemeine Angelegenheiten bepartementsweife unter die 
1713 wirklichen geheimen Räthe, was aber nicht in bie einzelnen 
Fächer ſchlug und dem Könige vorgelegt werben muffte, wurde 
nad Provinzen an die befonderd dazu beftimmten fech Minis 
ſter verwiefen, fo daß der Graf Dohna die Neumark und Poms 
mern, von Ilgen Preuffen, von Pringen Geldern, Meurs, 
Lingen und Tecklenburg, von Bartholdi die Marken, von 
Blaspiel Minden, die Grafſchaft Mark und Ravensberg, und 
von Kamede Magdeburg und Halberfladt erhielt?). 

Dur firenge Ordnung, genaue Auffiht und ruͤcſichts⸗ 
Iofe Erfparungen konnte ber König ſchon zu Ende des weis 
ten Monats‘ feiner Regierung uͤber eine halbe Million Thaler 
zur Unterhaltung zweier neuer Grenabierbataillons ammeifen, 
alle Regimenter ergänzen, vor Ablauf des erften Jahres feiner 
Regierung ſechs neue Regimenter errichten?) und fein ‚Heer 
von 30,000 auf etwa 45,000 Mann bringen *). 

Wie die inneren, fo nahmen ihn bie auswärtigen Angeles 
genheiten unb zwar fogleich mehr als in irgend einer andern Zeit 
feiner fiebenundzwangigiährigen Regierung in Anſpruch. Waͤh⸗ 
rend ber Krieg wegen ber fpanifchen Erbfolge gegen Frankreich 


’ 1) Biſtorlſch⸗ politiſche Beiträge u. ſ. w. Ih. II. S. 19. 

9) Gosmar und Klaproths Staaterath ©. 229 ff. 

9) Königs Bela IV. 1. ©. 12 u. 17. 

4) Hiftorifchpolitifche Beiträge I. &. 825. ®eiebrid IL du Mi- 
talre p. 835 gibt am, Friedrich Wilhelm habe 88 Bataillone Fußvolk 
und 53 Schwabronen Reiter, insgefammt 80,000 M. gefunden. Biel⸗ 
— Beſtand, ohne Invaliden und Beſatungen. Vergl. 


Gtaatsverwaltung. 24 


#4 im Wellen zum Enbe neigte, drohete im Dften ber Krieg 
der nordiſchen Verbimbeten gegen Karl XH. von Schweden 
weiter um fih zu greifen. . 

Obwohl, wie wir fehen werben, der König Beinen Theil 
der Staatöverwaltung feinen Miniftern völlig überließ, viels 
mehr überall felbft, nicht nur wirkſam eingriff, fondern auch 
nicht zugab, daß felbft unbedeutende Dinge ohne fein Wiſſen 
unb Wollen gefhahen, fo waren doch die auswärtigen Anges 
legenheiten diejenigen, welche er am wenigften zu leiten unb 
zu behandeln verftand. Seiner ehrlichen, offenen und heftigen 
Ratur wiberfirebten die Schlangenmwinbungen damaliger Staatts 
weiöheit, wo er nicht gerade durchſchreiten Fonnte, Geheimniffe 
bewahren und fi wohl gat verftellen folte. Dazu mangelte 
ihm noch die fo nothwendige Kenntniß der damaligen Verhäfte 
niſſe der europaiſchen Staaten. Er fah recht gut ein, daß er 
im feinem Minifter Ilgen, welcher ſchon unter Friedrich I. viele 
Jahre hindurch die auswärtigen Angelegenheiteri geleitet hatte, 
einen Mann befige, der biefem wichtigen Amte vollfommen 
gewachſen fei'). Ilgen hatte nicht nur die noͤthige Worbils 
dung, fonbern :audy große Erfahrung und Geſchaͤftskenntnig 
war Sehe ſchlau, ungemein vorfihtig und verftand es vortreffs 
Hd), feine Abfichten zu verfteden und alle nöthigen Mittel zur 
Erreicjung des von ihm feſtgehaltenen Ziels anzuwenden, fi 
noͤthigenfalls zweideutig auszubrüden, mit glatten Worten bins 
zuhalten, ober dem Gegner zu entfchlüpfen, ihr auszuforfchen, 
durch die größten Betheuerungen vom rechten Wege abzufen- 
Em und unter den feierlichften Werfiherungen ‚zu hintergehen. 
Ihm galt dad Alles gleich und man hielt ihn daher mit Nedyt 
für faiſch, allein er war unbeſtechlich, "diente dem Intereffe fels 
ned Königs treu und wuſſte biefen zum Vortheile des Staats. 
lange wirktich zu leiten, ohne das zu feinen; übrigens hatte 
er e8 bei den Unterhandlungen mit. Männern und Bürften zu 
thun, welche noch weit weniger gewiſſenhaft waren, als er. 
Da König hatte daher, obgleich ex den liftigen und in mancher 
Hinfiht gewiffenlofen Mann perſoͤnlich nicht achtete, dennoch 
voßes, durch günflige Erfolge gerechtſertigtes Vertrauen in ſei⸗ 


1) Gosmar und Kiaproth ©. 281. ‚ 
Gtengel, Geld. d. preuſſiſchen Staates. M. 16 


242 Bud VI Erfies Hauptſtuͤck 


a Minifiers Einficht, und man darf im Allgemeinen mit Zu⸗ 
»erficht annehmen, baß er in dem Gange, ben bie auswärti- 
gen Verhaͤltniſſe Sreafind jetzt nahmen, ihm weit mehr folgte, 
als ben Weg angab '). 

.x Bir haben bereits gefehen, wie durch bie Trennung Eng» 
lands von dem großen Wunde gegen Frankreich ber 33 
Erbfolgekrieg für den durch fo viele Niederlagen erſchoͤpften, ja 
Dis auf Aeuſſerſte gebrachten Ludwig XIV. eine weit günfti- 
gere Wendung erhielt, als dieſer aufferbem je bitte hoffen 
tönnen. Es ließ ſich voraudfehen, daß der bald von allen fei- 
am Bundesgenofien verlaffene Kaifer, ohne Mittel, die von 
ähnen geftellten Sölonerhaufen. zu bezahlen, dem Krieg nicht 
uerde mit Ausfict auf Erfolg fortführen koͤnnen, und .«b 
mochte dem Rönige von Preuffen daher. billiger Weiſe nicht 
Herargt werden, daß er Maßregeln nahm, aus biefen Unſtaͤn⸗ 
nen für fich foniel Voꝛtheil alg moͤglich zu ziehen. Dem. eng» 
üſchen Gabinete lag, um ben Kaifer zu:tchmächar,:baran, daß 
Preuſſen einen vortbeilhaften Frieden erbicke.. Cä,foite daber 
das ehemals. ſpaniſche Dberquastier Geldern bekommen, - wad 
3 fehr wuͤnſchte, obgleich daB. weber bie Generalfinaten. noch 
der Kaifer gern fahen. Schon kurz vor dem Tode Friedeichs 1. 
‚hatten indeffen bie Generalftsaten (30. Ian. 1713). hr. ges 
heim einen zweiten Barrierevertrag mit Gngland ‚geichloffen, 
und auf deſſen Verlangen ben erfim Barrierevertrag (vom 28. 
Detbr. 1709) aufgehoben, in weichem feflgefegt war, bag Ober⸗ 
geldern an die vereinigten Niederlande fallen fole?). Die Ges 
neralſtaaten hätten eB gerne in ben Händen des Kaiſers ges 
fehen, weil Preuffen ihnen ein weniger angenehmer Nachbar 
war, allein Friedrich Wilhelm erhielt zugleich durch England 
bie Verficherung, daß auch Frankreich ihm Obergeldern Iaften 


ET ol. Deshalb beſtand er in einem Schrelben an Die Gene: 


1) ©. über in Benekendorf VL S. 
©. 47. Cecmdorfs Briefe an Gugen find Igene 
Sqhlauheit und bdaß man ihm nicht trauen kome. Bergl. auch Loens 
en a 1 S. 
was bei Benekendorf X. S. 68 ſteht. 


29) Dumont VII. 1. p. 822. ®ergl. Lamberty VIII. p. 6. 


utrechter Frieden. ‚243 


ralſtaaten um fomehr barauf, es zu behalten, weil Frankreich 
das Firfientyum Orange und bie zu Neufchatel gehörigen Gt 
tee in ber Bourgogne an fich genommen. Er meinte, dem 
Konige Ludwig XIV. gehöre zwar Geldern nicht und biefer 
babe es daher auch nicht abtreten koͤnnen, bei tıberwiegender 
Macht aber koͤnne man nicht immer fo genau auf das Recht 
fehen und müffe Rüdfiht darauf nehmen, wie fi) etwas paffe- 
Die Generalſtaaten hätten ja zu bem Barrierevertrage ebenfalls 
nicht die Zuftimmung des Kaiferd, fondern Frankreichs ver 
Tangt, fo habe auch er es gemacht, was ihnen Übrigens nichts 
ſchade, fie vielmehr von biefer Seite ficher ſtelle; auch könnten 


fie ihm Geldern wohl gönnen. Die Generalſtaaten wollten ihm - 


indeffen hoͤchſtens nur einen Theil von Dbergeldern laſſen und 
ben größten Theil dem Kaifer verfchaffen, womit auch England 
bereits einverfianden war. Als aber der kaiſerliche Gefanbte 
Sinzendorf auf das ganze Land beſtand und von Feiner Thei⸗ 
lung mit Preuffen etwad hören wollte, wurben die Engländer, 
welche den Abfchluß bed Friedens beeilten, ungebulbig unb ber 
Graf Strafford (ehemals als Milord Raby Gefanbter in 
Balin) drobete endlich, wenn ber kaiſerliche Geſandte nicht 
binnen vierundzwanzig Stunden nachgebe, fo folle Preuffen 
ganz Dbergelvern erhalten‘). Das wirkte, und es wurbe nun 2. 


‚April 


rifegen dem faiferlihen und. dem preufffiäen Gefandten ein 1713 


geheimer Vertrag folgenden Inhalts gefchloffen: Da ber Kais 
fer den Königen von Preuffen verſprochen, Boberungen, welche 
diefelben an Karl I. von Spanien gehabt, auf fich zu nehs 
men, und biefe deshalb einen anfehnlichen Theil des Obers 
quartier vom fpanifchen Geldern inne behalten, fo überläfft 
der Kaifer zur Stiftung und Erhaltung guten Vernehmens 
und in Anfehung ber ftattlichen Verdienſte, welche fich ber vers 
florbene König Friedrich I. um das Haus Defterreich und das 
gefammte Gemeinwefen erworben, dem Könige Friedrich Wil⸗ 
beim L ben Xheil von Obergeldern, welchen diefer inne hat, 
namentlich Stadt, Wogtei und Amt Geldern mit ben dazu ges 
hoͤtigen Städten und Aemtern mit aller Hoheit, wie fie das 


1) ©. dieſe Unterhandlungen bei Lamberty VII. p. 43. Bergi. 
Martiniöre I. p. 61. 


16* 


24 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤck 


Erzhaus Deflerreich und ber lette König von "Spanien befefe 
fen. Mehrere befondere Beftimmungen orbneten ‘die Werhälte 
niſſe der Fatholifhen Einwohner, denen der ausfchließliche Bes 
fig aller Aemter bei ber Landesregierung, ben Ständen, Obrigs 
Teiten, Magiſtraten und Gerichten gefichert wurde, dann bie 
Rechte des Landes Überhaupt dem Fuͤrſten gegenüber, dem Ver⸗ 
trage von Venloo vom Jahre 1543 gemäß, welchen der Ko⸗ 
nig zu beſchwoͤren verſprach. Dagegen verzichtete der König 
auf alle von ihm gemachten Anfoderungen und verfprach, feine 
Zruppen aus der Beflung Venloo und dem Fort St. Michael 
zu ziehen). Damit waren alle Haupthinderniffe des Friedens 
11. Apr für Friedrich Wilhelm hinweggeräumt und er ſchloß an dem⸗ 
1713 felben Tage, wie England und die Generalflaaten, Portugal 
und Savoyen in Utrecht feinen befonderen Frieden mit Frank⸗ 
reich, auf Grundlage des weftfälifchen Friedens. Ludwig XIV. 
trat ihm in Vollmacht feines Enkels, König Philipps von 
Spanien, das ſpaniſche Oberquartier Gefbern ab und erfannte 
ihn als Fürften von Neufchatel und Valengin, wogegen Fried⸗ 
rich Wilhelm I. auf das Fuͤrſtenthum Orange und .bie dazu 
gehörigen Güter und Herrſchaften in ber Dauphine und range 
Tomte verzichtete und die Genugthuung ber Erben des berflors 
benen Prinzen von Naffau ruͤdſichtlich deren Anfprlche auf die 
oranifchen Erbgüter übernahm. Dur einen befonderen Artis 
Bel erfannte Ludwig XIV: für ſich und ben König von pas 
nien bie Königliche Würde in Preuffen an’). 

So hatte denn Preuffen an der Grenze feiner cleveſchen 
Provinz ein ziemlich fruchtbares Laͤndchen mit etwa 50,000 
gewerbfleißigen Einwohnern erworben’), auffer den erhaltenen 
Subſidien freilich ein ficher fehr ungendgender Erſatz fuͤr die 
vielen während bes fpanifcen Grbfolgefrieges gebrachten Opfer 


1) Der Vertrag aus dem Original mit ber Talfert. Btatification dom 
Mai in den Hiftor.spolit. Beiträgen Tg. IL ©. 216. Lamberty 
T. VII. p. 45 und T. IX. p. 4. und Martinidre T. IL. p. 70 
alfo, indem fie befaupten, ber Kaifer habe ihn nicht ratificht. Ohne 
die Btatification iſt er bei Dumont VII. 1. p. 387. 
9) Dumont VILL 1. p. 886. 


3) ©. Hifior.«polit. Beiträge II. ©. 236. 


Soberungen an Holland. 245 


und daS Xufgeben gerechter Anfprüche auf anfehnliche Gtde 
der oraniſchen Erbguͤter. Seitdem ließ Friedrich Wilhelm nur 
noch 6000 Mann als Reichöcontingent am Rheine fichen, fo 
lange ber Kaifer den Krieg gegen Frankreich fortführte, fuchte 
aber gegen ‚Holland eine Menge von Anfoberungen geltend zu 
machen, welche er aus verſchiedenen Rechtögründen zu: haben 
glaubte. Sein Bater war durch Vertrag mit ‚Spanien unter 
Gewährleiftung der Generalftaaten und! Englands (20. Detbr. 
1697) mit einer Foderung von 108,000 Thalern- auf: die Pres 
vote Mond angewiefen worden. Durch die feit vielen Jahren 
rückſtaͤndigen Zinfen war die Summe auf 200,000 Thaler ges 
fliegen. Als Mond nicht zahlte, Tieß er ben Grafen dEspi⸗ 
nois feſtnehmen, nach Wefel bringen und erflärte, ihn vor ers 
haltener Bezahlung nicht in Freiheit ſetzen zu wollen. Er ers 
bob im Luremburgifchen, welches die Generalſtaaten ſequeſtrir⸗ 
ten, um es nach Abſchluß des Friedens dem Kaifer zu uͤberge⸗ 
ben, Gontributionen, als wenn-nod Krieg wäre, kehrte fich 
nicht an die ihm von ben Generalfiaaten gemachten Borftelluns 
gen, drohete mit mititairifcher Erecution und hob Geifeln aus'y " 
& legte einen Zoll in Well an der Maas an, worüber fih 
die Generalftaaten ebenfalls vergeblich beklagten, und verlangte 
von dieſen noch eine jährliche Rente von 80,000 Thalern aus 
der oranifchen Erbſchaft, während ſich daB Haus Naſſau über 
Friedrich Wilhelms eigenmächtige Abtretung des Fuͤrſienthums 
Drange an Frankreich befehwerte”). Er wollte fi ber von 
den Hollaͤndern befegten, als zur oranifchen Erbſchaft gehoͤri⸗ 
gen Feſtung Grave bemaͤchtigen, was doch vorher ruchbar und 
duch Verſtaͤrkung der Befagung verhindert wurde), Er bes 
möchtigte fich ber mitten im httichfchen liegenden Baronie - 
Heerftall, welche ihm ber Itticher Lehnhof zugefprochen, und 
ũeß fih von den Einwohnern hulbigen, während gemäß des 
mit feinem Water (28. Juli 1712) abgeſchloſſenen Vergleichs 
Alles im damaligen Zuſtande bleiben folte*). Vergeblich was 


1) Lamberty VII. p. 197. 
2) CEbendgl. p. 7I2 

Ebenbeſ. p. 715. 

4) Ebendaf. u. p. 769 


246 Bud VL Erſtes Haupiftüd. 


ven alle Borftellungen der Generalftaaten. Der vielfache Streit 
"und die Gemwaltthätigkeiten, welche fih der König erlaubte, 
machten eine Beendigung der Erbfchaftdangelegenheit‘ immer 
wuͤnſchenswerther. Die Generalftaaten fehlugen den Weg Rech⸗ 
tens vor. Der König erklärte, diefen nicht zu fürchten, wenn 
dabei fein koͤnigliches Anfehen nicht beeinträchtiget und unpars 
teiifch verfahren werbe, verlangte aber vorher, freien Zugang zu 
dem oranifchen Archive. Er proteflirte gegen ben dritten Bars 
rierevertrag (v. 15. Novbr. 1715), welcher einen Theil Ober⸗ 
gelderns ben Generalſtaaten überwies '). Darliber wurde (1716) 
ein Grenzvertrag abgefchloffen ). Er erhob gegen Holland eine 
Boderung von beinahe zwei Millionen Gulden Einquartierungss 
gelder aus den Jahren 1672—78 her. Die Generalftasten 
berechneten fie nur zu 70,000 Thalern und mit den Zinſen 
auf faft 1,300,000 Thaler, worauf im Jahre 1685 der große 
Kurfürft bereits verzichtet. Der preuffifche Gefandte erwicberte, 
ber Verzicht gehe nur bie Boderungen des Kurfürften, .nicht die 
feiner Untertbanen an. Ueber diefe und noch mehrere ähnliche 
oft weit her gefuchte Anfoderungen wurde nach vielfachen Vers 
bandlungen und zahlreichen von Preuffen übergebenen Denk⸗ 
fehriften (5. April 1717) ein Vertrag gefchloffen. Die Genes 
ralſtaaten verpflichteten fih 1,223,000 Gulden in halbjäprigen 
Abfchlagefummen je von 100,000 Gulden zu entrichten, wos 
mit ſich der König begnuͤgte ). Auch uͤber eine proviſoriſche, 
wit den Generalſtaaten gemeinſchaftliche Verwaltung der Herr⸗ 
ſchaft Heerftall vertrug er fih (10. Decbr. 1717) 9. Ueberau 
war Friedrich Wilhelm aufmerkſam auf feine Rechte und Ans 
forliche, verfolgte fie unermüdlich, ſuchte Wortheile zu erhalten, 
die fi darboten, Foderungen nachdruͤcklich geltenb zu ninben, 
auch wohl mit Gewalt durchzuſetzen. 


iy Lamberty IK p. 58. 
9) Gbendaf. p. 436. 
8) Def. X. p. 168. 


4) Derf. X. p. 174. Man vergleiche arch über die) Gtreitigteiten 
und Wertsäge Frictich Wipelms mit den ABenerali Martiniäre I. 
p. 77 fi., P- 186 ff. u. 818 ff, der jchoch nicht mehr als Lamderty hat. 


Der nordiſche Krieg. MT 
Dee Kaifer und daB Beich fehten den Krieg gegen 


fenheit des trefflichen €: 
gen Villars beendeten und —— mit dem Kaifer (6. Maͤrz 
1744) zu Raſtadt, dann mit dem Reihe (7. Sept. 1714). zu 
Baben Frieden flog. Geldern wurbe darin dem Könige von. 
Preuffen beftdtigt '). . 
Es waren aber gleich anfangs — die — 
des Weſtens, ſondern die bed Oſtens, welche bie Aufmerkſam⸗ 
keit Friedrich Wilhelms vorzugsweiſe in Anſpruch nahmen; num 
tonnte ex fie Diefen ungetpeilt widmen. Karl KIL hatte, wis 
wir bereits?) erzählt haben, bie ihm durch bad haager Concert 
gewaͤhrleiſtete Neutralität feiner beutfchen Provinzen verworfen. 
Der General Steenbod war von Pommern aus nach Mediens 
burg gegogen und, nachdem er bie Sachſen bei Gabebufch .ges 
fölagen, in das Holfteinfhe eingedrungen, wohin ihm das 
50,000 Wann flarke ‚Heer ber vereinigten Ruffen,. Dänen ms 
Sachſen folgte. Der Abminifirator von Holfein:Bottorp 
eigentlich deſſen Miniſter Goͤrz öffnete ihm, als —— er 
gezwungen, bie Feſtung Toͤnningen und bebung ſich einen Theil 
von ben auf Koſten des Königs von Daͤnemark zu macenden 
Eroberungen aus, während ex biefem verficherte, parteilos blei⸗ 
ben zu wollen „ Die nordiſchen Verbimdeten. ſchloſſen Ton⸗ 
ningen ein. Sowohl England als die Generalſtaaten wuͤnſch⸗ 
ten friedliche Beilegung bed nordiſchen Kriegs, noch mehr der 
Kaifer und die deutſchen Reichöfürften, am meiſten Preuſſen, 
indem die Reihölande fortwährend ben Durchmärfchen und 
Berwüftungen der fremden Kriegsheere auögefegt und zunaͤchſt 
bie preuffifchen — unabläffig bedrohet waren. Es hats 
ten fich beöhalb bereits im December bes Jahres 1712 Be 
vollmächtigte vom Kaifer, Preuffen, Hannover, Braunfchweig, 
Münfter und HeffensKaffel in Brahnfchweig verfammelt, doch 
verzögerte ſich die Eröffnung des Congreffes bis zum Früh⸗ 


Braut: 
a ee as bis ihm —— DE Wo 
von Savoyen unb bes 


4) Dumont VII. 1. p. 415 u. 436. 
2) Din ©. 162 u. 164. 
8) Hojer 1. ©. 248. 


is 


28 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤc 


Unge des Jahres 1714). Unterbefien war Steenbock gende 
16. Dal thigt worden, Toͤnningen zu räumen und fih mit feinem noch 
1713 11,000 Baun ſtarken Heere den nordiſchen Verbuͤndeten zu ers 
geben. Um vor biefen-Kürften bie .deutfchen Provinzen zu reis 
ten, blieb den Schweden, welche Feine Truppen weiter im Belde 
hatten, nun nichts weiter übrig, als fid; dem Schutze des Kö⸗ 
nigs von Preuffen zu übergeben, um fo mehr, ald bie Dänen 
bereitS daran waren, ſich auch der Beſitzungen des unmimdis 
- gen Herzogs von Holſtein⸗Gottorp unter dem Worwande zu bes 
mädtigen, ber Vormund befielben, ber Adminiſtrator, fei mit 
Steenbock einverftanden gewefen und habe ihm freiwillig Töne 
uingen geöffnet, welches bie Dänen nun einſchloſſen *). 
. Karl XII. hatte fchon früher eingefehen, daß er, wenn ir⸗ 
genbwoher, nur von Preuffen wirkſame Unterftügung hoffen 
. Eönne, umb baher wiederholt Friedrich L. kurg vor beffen Node 
um Beiftand erfucht, zu welchem dieſer vertragemäßig verbuns ⸗ 
den. war. Num wendete er ſich auch an Friedrich Wilhelm J.) 
unb, hätte es natürlich gern gefehen, wenn biefer nicht aur mit 
7000 Mann, wozu ihn das in Atranädt (16. Aug. 1707) 
mit feinem Vater abgefcloffene ewige Bündnig verpflichtete, 
ſondern mit feiner ganzen Macht Pommern geſchuͤtzt hätte. 
Friedrih Wilhelm L befand fich nach dem Abſchluffe des Fries 
dens mit Srankreich zwar nicht in einer fo ſchwierigen Lage, 
wie fein Water, er konnte bald über fein ganzes von ihm ſo⸗ 
gleih, wie wir angeführt haben, auch noch verftärktes Heer 
gebieten, allein, wer mochte es ihm verargen, wenn er, noch 
Bazu im Anfange einer Regierung, welche fo viel zu ordnen 
hatte, ſehr vorfüchtig verfuhr. Er alein hätte es jegt mit den 
drei verbuͤndeten nordiſchen Mächten aufnehmen und Alles. aufs 
Spiel fegen müflen für einen Fuͤrſten, welcher feit Jahren in 
der Tuͤrkei war und feine Unterthanen faft fich ſelbſt und feis 


1) Lamberty VII. p. 329. Es wurden zwar ſchon im Decem⸗ 
ber 1712 Befchtäffe gefaſſt die Neutralität des Beichs zu fihern, doch 

spe ar. ‚Def P- 291. Wergl, die Radridhten vom norbifchen Kriege 
Bortfg. L ©. 154. 

2) Nordberg IIL p. 16. 


3) @bendaf. p. 18. 


Kart XIL und Eeledrih Wilhelm L 9. 


men Geinden Äberlieg, für eine Sache, welde ipn eigentlich 
unmittelbar nichts anging, wenn fie ihm auch nicht gleichgüils 
tig war, und alles das lediglich, um im gädlihften Falle mit 
den größten Opfern, ficher mit dem Ruine eines großen Theils 
feiner eigenen Länder, Schweden einige Provinzen zu retten. 
Die Leiftung der 7000 Mann Bunbeshülfe würde Karl XIE. 
fo gut als nichts genügt, Preuffen aber für wefentlich fremde 
Intereſſen in einen. höchft gefährlichen Krieg verwidelt haben. 

Bon der anderen Seite lagen ihm die norbifchen Verbuͤn⸗ 
beten dringend an, fich mit ihnen zu vereinigen und Theil an 
ber Beute zu nehmen, welche die auffer den Zeflungen ganz 
vertheidigungsloſen beutfchen Provinzen Schwedens fo bequem 
darboten. Peter I. kam felbft zu ihm nach Berlin und ließ 
es, um ben König auf die Seite der nordiſchen Verbündeten 
zu ziehen, ſicher nicht an Verfprechungen fehlen, welde ihm 
nichts koſteten. Obgleich aber der König bie fir den Handel 
feines Staates fo große Wichtigkeit Stettind und der Oder⸗ 
mundungen volltommen begriff und deren Befis fehr wwünfchte, 
fo war er doch rechtlich genug gefinnt, aus der traurigen Vers 
legenheit Schwedens Beinen Vortheil für ſich ziehen zu wollen. 
* kam ihm zunaͤchſt darauf an, den Krieg von feinen Grens 

zen zu entfernen und beöhalb "bie Neutralität der deutfchen 
Provinzen Schwebens zu bewirken. Es fchien das in jeber 
Art nicht nur der paffendfle, fondern der einzige Weg, dem 
Könige Karl XI. diefe Länder zu erhalten, und auſſerdem wide 
Briedrih Wilhelm den Uebergang der Zeftungen Pommerns, 
namentlich Gtettins, in fremde Hände fehr ungern gefehen 
haben. . 
Karl XIL gab daher dem General MWellingt, Gtatthalter 1713, 
von Bremen und Verden, Vollmacht, mit Preuffen bie Map: 
regeln zu verabreden, welche zur Sicherheit der beiderfeitigen 
Staaten gegen feine Feinde zu ergreifen fein möchten, mit dem 
Verſprechen, was Wellingk demgemaͤß abgeſchloſſen haben würde, 
zu beflätigen '). 

Eben hatten die nordiſchen Verbündeten in Bandebed bes 20. Ian 
ſchloſſen, ſich Ruͤgens zu bemaͤchtigen und Stralfund zu eu 


1) Nordberg T. I. p. 19. 


20 1:Buh VI. Etſtes Haupttach 2 


obern, durch ruſfiſche Truppen-unter. Menſchikoff Ekettin en⸗ 
zugreifen und es nach ber Eroberung dem Könige von Preuſ⸗ 
fen zu übergeben, welcher hoffentlich Theil an ber Belagerung 
.  Mehmen, ober biefe wenigftens durch Geſchuütz und Munitien 
unterflügen würde. Auf diefe Art hoffte der Zaar Preuſſen in 
21. Juni das noꝛdiſche Bündniß zu ziehen‘), als zu gleicher Zeit Wels 
1713 lingk in Hamburg mit dem Adminiſtrator von ‚Holfein» Gots 
torp vertrug, dieſer folle in Vereinigung mit einer neutralen 
Macht Wismar und Stettin befegen, das übrige Pommern 
aber neutral bleiben”). Friedrich Wilhelm nahm den ihm von 
Menſchikoff in Beziehung auf Stettin gemachten Antrag nicht 
3. Jall an, ſchloß vielmehr in Berlin mit dem Adminiſtrator von Hol⸗ 
flein einen Vertrag, daß Wismar und Stettin jebed von zwei 
Bataillonen Preuffen und zwei Bataillonen holftein  gottorps 
ſchen Zruppen während der Dauer bed Krieges befeht und 
auch dann nicht eher als nach Erftattung ber dadurch erwach⸗ 
fenen Koſten an Schweden zurückgegeben werben ſolle. Strals 
fund und Rügen wollen beide Zürfen gegen jeben Angriff 
ebenfo fihern, wie Stettin und Wismar. Zugleich verſprach 
der König, er wolle in Berbinbung mit ben Generalſtaaten 
und England dahin wirken, baß das Haus Holſtein⸗ Gottorp 
vom Könige von Dänemark volftändig in alle feine Rechte 
wieder eingefegt werde und Genugthuung für ben ihm zuges 
fügten Schaden, Schweden aber unter anfländiger Bebinguns 
gen Frieden erhalte; endlich verficherte ber König, bie wirt 
famſten Mittel zur Aufhebung ber Einfchliegung Toͤnningens 
ergreifen zu wollen®). Wirklich räumte der König von Dänes 
mark auf Friedrich Wilhelms I. Verlangen, obwohl ungern, ben 
Adminifirator deffen Bisthum Luͤbek wieder ein, behielt aber 
das dem jungen Herzoge von Holfteins Gottorp zugehörige 
Schleswig ‘). . 


1) Tagebuch Peters L $. 889. 


2) Theatrum Europaeum v. 3. 1713 &. 609. Hojer I. S. 364 
hat einen Auszug. 


89) Dumont VIEL 1. p. 892. Bergl. Hoier I. ©. 264. 
} 
4) Lamberty VII p. 815 ff. 


Sequeſtrationsdertraͤge. 251 


Tetzt war der einzige guͤnſtige Augenbli fuͤr die Schwe⸗ 
den gekommen, weſentlich ohne Opfer, auf' die einfachſte und 
billigſte Weiſe ihre deutſchen Provinzen durch Annahme des 
mit Preuffen geſchloſſenen Vertrags zu retten. Die nordiſchen 
Verbündeten wuͤrden ſchwerlich gewagt haben, etwas’ dagegen 
zu unternehmen, weil fie uneinig untereinander waren unb 
ficher Alles vermieden hätten, um nicht den König von Preufs 
fen ganz von fih ab auf bie fehwebifche Seite hinüber zw 
drängen. König Auguſt würde gern in bie Neutralität ber 
ſchwediſch⸗ deutſchen Provinzen gewilligt haben, da ihm an bes 
ren Befige wenig, ſehr viel aber baran lag, daß Karl XIL 
nicht von ihnen aus Polen und Sachfen bedrohe oder gar ans 
greife. Wäre aber der Wertrag erſt vollzogen geweſen, fo 
wide felbft Karl XI. nicht im Stande geweſen fein, ihn rüds 
gängig zu machen. Unglüdlicher Weife für Schweden weigerte 
fich jedoch Meyerfeldt, der Statthalter Pommerns, in feiner 
Lage allerdings mit Recht, ohne ausdruͤcklichen Befehl feines 
Königs Stettin zu räumen und fremde Truppen aufzunehmen, 
beſchloß vielmehr mit feiner 4000 Mann ftarten Befagung und 
4000 ftettiner Bürgern, welche Dienfte thaten, die Feſtung . 
auf bad Aeuſſerſte zu vertheidigen, was Karl XIL., ald er Nachs 
richt davon erhielt, vollfommen biligte'). Friedrich Wilhelm J. 
gab jegt die Hoffnung auf, durch Schweden zur Abwendung 
des Krieges in Pommern zu gelangen, neigte ſich auf die Seite 
der norbifchen Verbündeten und erflärte den holfteinifhen Mi⸗ 5, Zur 
niſtern Goͤrz und Baffewig, fie wüfften, daß er bei Gchlies - 1713 

ßung des berliner Vertrags (v. 3. Juli) lediglich die Abſicht 
gehabt, die ſchwediſchen Beflungen in Deutfchland vor dem 
ihnen bevorftehenden Angriffe der norbifchen Verbuͤndeten zu 
fihern, dem Könige Karl die Befagungen derfelben zu anders 
weitiger Verfügung zu erhalten, die völlige Verheerung Poms 
mernd zu verhindern, die Ruhe in Niederfachfen berzuftellen 
und eine fefle Grundlage zum norbifchen Frieden zu legen. 
Da fi num Meyerfelbt weigere, den Vertrag anzunehmen, 
die Truppen ber nordifchen Verbundeten aber, bei ihrem Rüds 
marfche aus Holftein, Pommern verheeren und dann Stettin 


1) Nordberg ID, p. 24. Xagebud; Peters L $. 889. 


232 Buch VL Erſtes Hauptſtuͤc. 


belagern wuͤrden, welches auf keinen Entſatz hoffen koͤnne, ſo 
bliebe ihm nichts übrig, als im Einverſtaͤndniß mit den nors 
diſchen Verbündeten für fein eigenes Intereſſe zu forgen und- 
mit diefen ruͤckſichtlich der pommerſchen Feſtungen Verbindlich⸗ 
keiten einzugeben, deren mögliche Unannehmlichkeiten lediglich 
Meyerfeldt werde zu verantworten haben ). Die holſteiniſchen 
14 Zau Miniſter erwiederten, wenn ſich kein anderes Mittel ausfindig 
4713 machen laſſe, ben Beinden Schwedens Stettin aus den Sins ö 
den zu winden, fo bäten fie den König von Preuffen, Ale 
anzuwenben, was nöthig fei, um Meyerfelbts Hartnädigkeit 
zu Überwältigen, wolle er das, fo winden ſie ihrerſeits dem 
König, von Schweden Überzeugen, daß Dreuffen e8 gut mit 
ihm meine, aufferdbem müfften fie glauben, dieſes habe nicht 
uf, die über Stettin getroffene Werabrebung zu halten, fei 
vielmehr mit den Feinden Schwedens in Verbindung getreten”). 
Vriedrih Wilhelm verftand fehr wohl, daß bie holfteinifchen 
* Minifter ihn ſelbſt veranlaſſen wollten, Stettin mit Gewalt 
anzugreifen, wodurch er wahrſcheinlich nicht nur mit ben nor⸗ 
diſchen Berbindeten, fondern auch mit Karl XIL in Feindſchaft 
gerathen fein würde. Er ließ daher die Minifter erfuchen, ſich 
deutlich zu erklären, ob Schweden damit zufrieden fein und 
es nicht als Beinbfeligkeit anfehen werde, wenn er ben norbis 
ſchen Verbimdeten Gefchlig und Kriegs» und Mundbedarf zus 
kommen laſſen wide, um Stettin angreifen zu fönnen, denn 
für dieſen Ball hatte ihm fchon Peter I. tie Belegung Stets 
ins nach der Eroberung angetragen. Die holſteiniſchen Mis 
niſter erwieberten, fie blieben bei ihrer vorigen Meinung, doch 
komme Alles auf Friedrich Wilhelms Abfihten an, bie fie zu 
wiffen wünfchten, da fie über Karls Meinung nichts Beflimms 
tes fagen konnten )· 


1) Das Schreiben im Theatr. Europ. v. J. 1718 ©; 612 uab bei 
Nordberg II p. 25. 


2) Theatr. Europ. v. 3. 1718 p. 618. 
8) Dafelöft S. 614. Wedgen nadhtfeiliger Gerichte, bie verbeeitet 
worden, erttärte Preuffen am Beidhttage, 6. Auguft, 1718, ber King 


wänföje Srieden und Bellegung ber norbifdjen Gtreitigfeiten, wenigftene 
arf Dam Boden des eich. (Ex habe dab Uingiäl von Pommern abtsn 


Sequefrationsverträge Aber Stettin. 233 


Unterdeffen ruͤkten die 24,000 Mann flarten Ruffen vers 
heerend durch Medienburg in Pommern ein, verbrannten Garz 
und Anklam und legten ſich vor Stettin‘). Menſchikoff ımb der 
vertraute Minifter König Auguſts, der General Flemming, 
kamen, unflteitig veranlafft durch die holfleinifchen Minis 28. Jau 
fer”), überein, die Ruffen follten Stettin erobern und es dann 1713 
dem Könige Auguft und dem Adminiftrator von Holflein, als 
GSequefter, übergeben; wolle jedoch der König von Preuffen 
gegen Zahlung einer beftimmten Summe (ald Belagerungsko⸗ 
ften) an Peter und Auguft an des Letztern Stelle treten, fo 
ſolle er im Vereine mit dem Adminiſtrator Stettin beſetzen. 
Darauf ging Goͤrz für feinen Herrn fo weit ein, daß er mit 20.Xug. 
Menſchikoff vertrug, König Auguft ſolle ruͤckſichtlich der Feſt⸗ 
fegungen des berliner Vertrags (v. 3. Juli) an Friedrich Wil⸗ 
helms Stelle treten und im Vereine mit holſteiniſchen Truppen 
. Stettin nach der Eroberung fo lange befegen, bis ihm wir 

-den 200,000 Thaler ausgezahlt worden fein”). Nun belagers _ 

ten bie Ruſſen mit Zuziehung von. 60 fächfifchen Geſchuͤ⸗ Sept. 
den Stettin, das die Beſatzung im Vereine mit den Bürgern 
tapfer vertheidigte. Die Stadt litt durch das fürchterlihe 
Bombarbement der Belagerer fo auſſetordentlich, dag Meyers - 
feldt, am fie nicht in einen Steinhaufen verwandeln zu: laffen, 
auf Zureden der Holfteinifchen Miniſter fich bereit erflärte, die 30. Sept. 
Zeſtung zu räumen, wenn ihr die Neutralität berilligt und 
fie von holfteinifchen und preuffifchen Truppen befegt wuͤrde. 
Die Bürger leifteten dem Herzoge von Holſtein ben Eid der 
Treue; auch zwei Batailone der Beſatzung ſchwuren ihm, die 
übrigen raͤumten die Feſtung und wurden nach Schweden ges 4. Dat. 
bracht *). 


den wollen, werbe übrigens neutral bleiben. Made. dom nord. Kriege 
Bat. LE.18. . 

1) Hoyer. L & 264 Tieatr. Europ. a. a. D. p. 617. 

2) Friedrich Wilhelm I. beſchuldigte in einem Gchreiben v. 27. März 
1715 an ben Abminiftrator, den Baron von Goͤrz, daß dieſer ihn habe 
bewegen wollen, Geſchatz und Munition zur Belagerung Stettins zu Lies 
fern, was er aberwenweigert. Lamberty VII. p. 816. 

8) Nordberg IIL p. 27. Bergl Hojer L ©. 264 

4) Zagebud) Petexd I. 5. 848. 


254 Bud VI. Erſtes Hauptftäd. 


Friedrich Wilhelm hatte bie Belagerung Stettins durch 
die Ruffen ungern gefehen umb war fehr unzufrieden bamit, 
dag man ftatt feiner den König Auguft zum Theilnehmer an 
der ‚Siequeftration angenommen. Am meiften mochte er fuͤrch⸗ 


" ten, ber Schluͤſſel der Ddermündungen Könnte in ruffiſche Hände 


Tommen, wa8, Peter I. vieleicht auch beabfichtigte. Gr begab 
ſich daher nah Schwedt zu dem Fürſten Menſchikoff in das 
ruſſiſche Lager und verhandelte mit ihm über Stettin‘). Mens 
ſchikoff und Flemming fuchten beide für fih und ihre ‚Herren 
baares Geld; das befaß Friedrich Wilhelm. Sie verlangten 
anfänglich von ihm über 800,000 Thaler Belagerungskoften, 
ließen fid, aber bald mit der Hälfte zufriebenftellen *) und Men⸗ 
ſchikoff ſchloß zur Befoͤrderung des Friedens und Herſtellung 
der Rube in. Deutſchland im Namen der nordiſchen Verbunde⸗ 
ten folgenden Vertrag. 

WMachdem die norbifchen Berbündeten fich genöthigt gefehen, 
alle ſchwediſchen Provinzen in Deutſchland einzunehmen und 
mit Stettin anzufangen, fo übergibt der Baar die Feſtung dem 
Könige vom Preuffen, welcher verfpricht, fie nicht vor dem 
Einftigen Frieden ben Schweden wieder einzuräumen. Üben 
das fol mit Stralfund und Wismar gefhehen, und ber Kds 
nig von Preuffen Anfalten treffen helfen, daß keine. ſchwedi⸗ 
ſchen Zruppen weiter nach Deutſchland gebracht werden. Gos 
bald alle feſte ſchwediſche Plaͤte in Deutfhland dem Könige 
von Preuffen werden als Sequeſter übergeben fein, wollen die 
nordiſchen Verbündeten ihre Truppen aus Pommern abführen 
und nichts Beindfeliged gegen bdaffelbe unternehmen, wogegen 
ſich der König von Preuffen verpflichtet, nicht zu geflatten umb 
es noͤthigenfalls mit ben Waffen zu hindern, das fchmebifche 
Truppen von Vorpommern aus etwas Beinbfeliges gegen Pos 
Im, Sachſen und Schleswig-Holftein unternehmen, oder wenn 
fie anderweitig dieſe Länder angegriffen, fi nad) Vorpommern 
zurückzuziehen. Der König von Preuffen verfpricht au, im 


1) Daß er vorher ben General Bord nach Schwedt geſchickt, gibt 
Benekendorf VL ©. 63 an. Es iſt fehr glaubwürdig. 


2) &o exzäßlt glaubwiirbig bie preuſſiſche kurze Smformation bei 
Lamberty IX, p. 248. 


Sequrftiationdverträge über Stettin. ° 255 


norbifchen Kriege neutral zu fein; wenn aber ber König von 
Schweden aus diefem Sequeftrationdvertrage Veranlaffung neh⸗ 
men follte, ihn feindlich zu behandeln, fo wollen ihm die nor⸗ 
diſchen Verbuͤndeten gegen Iebermann beiftehen und nicht eher 
Frieden mit Schweden fließen, ehe Friedrich Wilhelm zureis 
chende GSenuthuung für den ihm zugefügten Schaden erhalten. 

In zwei geheimen abgefonberten Artifeln wurde noch vers 
glichen, ‚daß Preuffen den ganzen Strich Pommernd von ber 
Dder bis an die Peene mit den Städten Demmin, . Anklam 
und Wolgaft befegen und wie Stettin nicht vor dem Frieden 
den Schweden wieder einräumen fole. Berner verfprach Fried» 
rich Wilhelm, bie. Belagerungsloften im Betrage yon 400,000 
Thalern terminweife halb an ben Saar, halb an ben König 
Auguft zu bezahlen, wie eine befonbere Uebereinkunft es feft: 
ſtelle, Peter Dagegen, daß er Preuffen im Befige Stettins er⸗ 
halten und "Angriffe. auf baffelbe als gegen ihn gerichtet: ans 
fehen woRe‘). .. 

Gleich am folgenden Tage mih dem Abſchute dieſes Ver⸗ 
trages ruͤckten zwei preuſſiſche. Bataillone in Stettin ein und 
bildeten mit: den beiden ſchwedifchen, welche dem Adminiſtrator 
geſchworen hatten, bie Beſatzung,—bis die letzteren bald dar 


7. Dct. 
1713 


auf durch zwei :heifteinifpe Batadllone abgelöft wurben. Gries " 


rich Wilhelm bewog nun bie Ruſſen und Sachfen, baß fie 
Pommern: mit: ber Erklaͤrung⸗ raͤumten, nicht gegen baffelbe 
unternehmen gu. wollen, fo ‚lange auch Schweden feinerfits 
von da aus nichts unternehmen werbe. 

‚Hätte fich der ſchwedter Vertrag ganz ausführen mb be 
haupten laffen, fo würde Friedrich Wilhelm in dem Beſitze 
der ſchwediſchen Zeftungen die ihm fo wichtige Erhaltung bes 
Friedens in feiner Hanb gehabt haben und es Schweden fat 


unmöglich geworben fein, ihn zu flören. Er wuͤnſchte das 


fehr und fehrieb daher ben Generalſtaaten: der Grund zur 
Neutralität Pommerns fei nun gelegt, vorzüglid wenn bie 
Sqhweden würden auch Wismar und Stralfund in chen ber 


1) Dumont VIIL 1. p. 407 mit ben beiden wichtigen Separat ⸗ 
entiten, weiße bei Nordberg IM. p. 32 fat. Be va Runen 
ve Lt. 46. 


26 Bud VI Erſtes Hauptſtuͤc. 


Art wie Stettin beſetzen laſſen und’ Karl XI., wie er hoffe, 
erklaͤren, von Pommern aus nichts gegen bie Verbündeten uns 
ternehmen zu wollen‘). Eben dad zeigte er dem Reichsſtage 
9. De. an?). Dem Könige Karl flellte er vor, Gtettin würde nach 
1713 und nad zerſtoͤrt und in die Hände der nordiſchen Verbuͤnde⸗ 
tem gefallen fein, wenn er nicht in Verbindung mit dem Ads 
miniftrator das mit vieler Mühe durch .einen Vertrag gehins 
dert hätte, deſſen Inhalt er angab, und Karl zugleich erfuchte, 
fi zu verpflichten, von Pommern aus ferner Feine. Beindfeligs 
keiten üben zu wollen, fix welchen Fall Menſchikoff und Flem⸗ 
ming verfprochen hätten, die Provinz zu räumen’). Karl 
antwortete fogleih, er fei von den Worgängen um Stettin 
nicht gehörig unterrichtet, danke aber vorläufig für bie vom 
Friedrich Wilhelm gezeigten guten Abſichten Diefer bewies 
auch immer noch, daß er es mit Schweden gut meine. Er 
erfiärte dem Adminiſtrator zu deſſen Beruhigung fchriftlich, 
238. Dct. bem berliner Vertrage (v. 3. Juli) Genüge leiften und ihn nach 
Kräften vollziehen zu wollen*), worauf biefer den ihm mits 
geteilten ſchwedter Vertrag (v. 6. Det.) billigte und fih noch 
beſonders verpflichtete, die vom Könige von Preufien zu ber 
zahlenden 400,000 Thaler wieder zu erflatten umd aufferdem 
noch 200,000 Thaler an den König Auguft zu zahlen ). Fried⸗ 
ich Wilhelm verwenbete ſich ſogleich ais Gewährleifter bed als 
tonaer Vertrags und des Travendahler Friedens, auf Bitten 
des Abminifirators, für ben jungen Herzog von Helfen bei 
dem Könige von Dänemark, welcher Zönningen fortwährend 


1) Lamberty VIIL p. 816. "Theatrum Europaeun ».3. 1718 
©. 626. 
2) Preuffen Habe an Peter verfprodjen, baß bie brei nordiſchen Mächte 
von Pommern aus nicht beunruhigt werben follten, wogegen es biefe auch 
"wicht angreifen wollten. Nachrichten vom norb. Kriege -Bortf. 2. ©. 117. 
8) Norädberg II. p. 86. 


A) Schreiben des Adminiſtrators an Friedrich Müpelm v. 18. Aprü 
1715 in ber Rachricht vom nordiſchen Kriege Jortſ. 8. ©. 310. 

5) Schrelben Fricdrich Wilhelms, v. 27. März 1716, an ben Ad 
winiſtrator in ben Nochrichten vom nordiſchen Kriege Bortf: 8. ©. 801. 
und im Thestr. Europ. v. 3. 1716 &, Bi 


Sequeſtrationsvertraͤge. 267 


eingeſchloſſen hielt, und drohete, mit ben übrigen Gewaͤhrlei⸗ 
ſtern der Werträge die wirffamften Moßregeln zum Schutze 
Holſteins zu ergreifen. Er lud den Kurfürften von Hannover 
ein, gemeinfchaftlich mit ihm Zoͤnningen zu retten. Man be⸗ 
fuͤrchtete ſchon den Ausbruch eines Krieges zwiſchen Preuſſen 
und Dänemark '). 

Der König von Dänemark war fehr unzufrieben über dem 
ohne feine Zuziehung von Menſchikoff und Flemming mit Fried⸗ 
rich Wilhelm J. in Schwedt geſchloſſenen Vertrag *) (v. 6. Det.), 
weil fi der König von Preuffen im berliner Vertrage (v. 
3. Juli) dem Haufe Holfteins Gottorp geneigt bewiefen und 
dann” drohend bie Aufhebung der Einfchliegfung Toͤnningens 
verlangt hatte. Cr beſchwerte ſich vorzüglich darüber, daß ber 
Sequefter Preuſſens auf ale ſchwediſche Beftungen in Deutſch⸗ 
land auögebehnt worben und bewirkte dadurch, daß der Zaar, 
welcher Preuffen ganz auf die Seite der nordiſchen Werbindes 
tem ziehen wollte, dem ſchwedter Vertrage feine Genehmigung 
verfagte und fie nur ertheilen zu wollen verfprach, wenn die 
dem Könige von Dänemark anftögigen Artikel geändert und 
Wismar und Stralfund vom preuffiichen Sequefter ausgenom⸗ 
men würden”). Friedrich Wilhelm, der die Fruͤchte des ſchwed⸗ 
ter Vertrags nicht aufgeben wollte, fuchte dagegen zu zeigen, 
ber besliner Vertrag (v. 3. Juli) mit HolfleinsGottorp bes 
ſtimme nichts Nachtpeiliges für den Baar, gelte auch nicht 
mehr, feitbem Meyerfelbt bie Annahme beffelben verweigert, 
endlich habe er felbft vom Zaare nicht bie Genehmigung des 
berliner, fonbern des ſchwebier Vertrags verlangt. Für Hole 
ſtein⸗Gottorp hoffe er noch durch ben braunfchweiger Congreß 


1) Lamberty VII p. 218 ff. 


2) Tagebuch) Peters L 5. 846. Der fagt, auch König Auguft fei 
unzufrieden damit geweſen, während Hojer L &. 264 das Gegentheil 
angibt; dod Tonnte Pets da8 beffer wien 


3) Peter 5. 346 feines Tagebuchs und Erklaͤrung bes ruſſiſchen 
GSefandten Goloftin v. 13. Dec. in den Rachrichten vom nord. Kriege, 
Sortf. L ©. 140. Wergl. Nordberg II. p. 35. Gtralfund war 
fruͤher an Auguft und den König von Dänemark verſprochen worden, als 
lein Menſchikoff hatte ſich von Preufien gavinnen laſſen. 

Stenzel, Geſch. d. Preuffifh. Staats. TIL 17 


Der. 
1713 


258 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤc. 


Stine Bellegung der Streitigkeiten ) ;ʒ doch blieb biefer ohne 

alle Wirkung, weil Schweden auf völige Wiederherſtellung 

feiner deutſchen Provinzen in deren vorige Beſchaffenheit bes 

fand. Preuffen that nichts mehr für —E Toͤn⸗ 

7. Bebr. ningen muſſte fich nach langer Einſchließung ergeben, worauf 

. 3714 die Dänen die Seflungswerke zerflörten. Weil Friedrich Wis 

helm num ben ſchwedter Vertrag nicht ändern wollte, gab er 

18. März dem Zaare eine allgemeine Verficherung, Beinen neuen Vertrag 

mit dem Haufe Holfein gegen das JIntereſſe der nordiſchen 

Verbündeten eingeben zu wollen, womit Peter I. zufrieden 

war). Zugleich drängte ber immer gelbbebürftige König Au» 

guft um Bezahlung der ihm zugeficherten 200,000 Thaler unb 

drohete endlich, feine Truppen wieder in Pommern einrüden 

zu laſſen, worauf fie Friedrich Wilhelm entrichtete und das 

Kari XU. anzeigte’). Das wenig ſtaatskluge Benehmen bies 

ſes Fuͤrſten, defien flarrer Eigenwille es ihm burchaus unmoͤg⸗ 

lid) machte, ſich den Beitumftänden zu fügen, entſchied jegt 

über Preufjens Stellung und über das Schickſal ber deutſchen 
Provinzen Schwedens. 

Friedrich) Wilhelm hatte als forgfamer Wirth bereit im 
Januar dem General Bord, welcher die preuffifchen Truppen 
in Stettin befehligte, angezeigt, er verhandle mit bem Admi⸗ 
niftrator von Holftein und werde mit biefem wahrſcheinlich 
übereinfommen, daß deſſen beide Bataillone aus den 
ten des beſetzten Theils von Schwediſch⸗Pommern unterhalten 
werden, bie Ueberſchuͤſſe aber an Preuſſen fallen folten*). 
Karl XU. wurde, nachdem er genauere Nachrichten von dem 
ſchwedter Vertrage und beffen Ausführung und wohl auch von 
dem babei gegen HolfteinsGottorp beobachteten Werfahren Fried⸗ 
rich Wilhelms erhalten hatte, mißtrauifch gegen dieſen, glaubte 

auch wicht, daß an Peter und Auguft wirklich 400,000 Tha⸗ 
ler bezahlt worben wären, und hielt dad nur für einen Vor⸗ 


1) Nordberg III. p. 85. Lamberty VIIL p. 79. 

2) Tagebud; Peters L 5. 846. 

8) Am 6. Dec. 1713 u. 23. Maͤrz 1714. Nordberg III. p. 125, 
4) Nordberg II. p. 125. 


Sarantievertrag Peters I. u. Friede. Wil L 289 . 


wand, um ihm Stettin vorzuenthalten ). Er ſchrieb daher 
an den König von Preuffen, er habe fon den hamburger 
Vertrag WBellings mit dem Abminiftrator von Holftein (v. 21. er 
Juni 1713) gemisbilligt, wolle daher auch mit dem, was der 
Konig in Schwedt (6. Det. 1713) vertragen und der Baar 
nicht einmal genehmigt , nichts zu thun haben, weil «8 ohne 
feine Zuftimmung mit feinen Feinden verhandelt worden. We⸗ 
gen der 400,000 Xhaler, für welche Friedrich Wilhelm Ents 
ſchaͤdigung in Anfprucd nehme, möge biefer fi an Holſtein⸗ 
Sottorp halten”). Dieſes war aber ohne alle Ausficht, fie 
ie bezahlen zu Finnen. Karl verbot auch dem ſchwediſchen 
Senate ausdrücklich, den Frieden zu verhandeln und beſtand 
vorläufig auf Rüdgabe aller feiner deutſchen Länder. 

Das machte den König von Preuffen, beffen Liebe zum 
Gelbe fehr groß war, wegen ber von ihm wirklich vorgefireds 
ten 400,000 Thaler und anderweitig aufgewenbeten Koften bes 
forgt, brachte ihn gegen Karl auf und wenbete.ihn völlig von 
Schweden ab und den norbifhen Verbimbeten, vorzüglich dem 
Zaare Peter I. zu, welder ihm mehrmals Stettin angeboten 
‚hatte, deſſen Beſitz er num ſehnlich wuͤnſchte. Er ging daher 
nunmehr auf deſſen Vorſchlaͤge ein und ſchloß mit ihm einen 12. Si 

Sarantievertrag, in weldem Peter J. bem Könige 

für den Eimftigen Frieden Stettin und den dazu gehörigen 
Diſtrict, biefer dem Zaare die Provinzen Ingermannland und 
Garelien mit den Städten Wyborg und Narwa, ferner Eſth⸗ 

land mit der Stadt Reval gewäprleiftete?). . Seitdem war 
Bean, wenn auch anfänglich noch nur fehr geheim, feft 
mit Peter L und gegen Schweben verbunden, dieſes aber, ohne 
es zu wiſſen, aller Ausficht auf Ratıng feiner deutfchen Pros 
vinzen beraubt. 


1) Tagebuch Peters I. 5. 873. Berge. Yapmann 1. ©. 19. 
2) Nordberg II. p. 127. 


8) Tagebuch Peters 1. $. 846. Peter vatificitte biefen Vertrag am 
16. Sept., ex if von allen Geſchichtfchreibern Preuſſens und auch von 
Schoͤli, Hist. des traites etc. (vom biefem wohl abfcttich) übetfehen 
worden, verändert aber natürlich bie Anſicht über das nun zwiſchen Preufe 
fen und Schweden eingetvetene Werhältnig völlig. 
17° 


27. Juni 


20 Bus VI. Erſtes Hauptſtuͤc. 
Jetzt ruſtete ſich Friedrich Wilhelm ſehr thaͤtig zum Kriege. 


1714 x beſebl den drei Miniftern Dohna , Jigen und Pringen Über 


bie ganze Staatsmaſchine zu wachen und auf die uͤbrigen ge⸗ 
heimen Raͤthe ein Auge zu haben. Waͤhrend feiner Abweſen⸗ 
beit ſollten fie ihm wöchentlich Bericht Über innere und aubs 
wärtige Staatdangelegenheiten erflatten, dringende Sachen durch 
Stofehen melden, Anfragen auf einen gebrochenen Bogen ſchrei⸗ 

ben: „da ich Marginalin beifchreiben werde!" Auch die ans 
deren Minifter folten woͤchentlich, aber nur kurz, ſchreiben: 
npaffixt nichts, fo ſchreiben fie nit.” Die allgemeinen Angeles 
genheiten des Staats empfahl er fir ben Fall des Kriegs 
faͤmmtlichen geheimen Räthen und feiner Gemahlin. „Wenn 
was paffirt, was ind Land Krieg fol angeben unb von gro⸗ 
Ser Importanz fol an meine rau gefagt und um Math ges 
fragt werden, fonft ſich fein Menfc in meine Affairen meliren 
als bie geheimen Raͤthe, fonft Fein Menſch.“ Es follte Fein 
Geld auögegeben werben, als was in den Etatö ftände; komme 
ein aufferoidentlicher Fall, fo folle feine Frau gefragt werben; 
genehmige fie e8, fo müfle fie es auch unterſchreiben (18. Aus 

) ). 


en derfelben Beit fanden die ſchmachvollſten Auftritte uns 
ter den holftein⸗ gottorpſchen Miniftern felbft ftatt, was Immer 
mehr bazu beitragen mochte, daß ber König Holſtein und 
Schweden ald umrettbar aufgab. In bem durch den Krieg faft 
völlig erfehöpften Schweden fehnte ſich Alles nad dem 
and verzweifelte an Karls XI. Ruͤdkehr aus ber Zürkei: Der 
Senat wollte Briebensverhandlungen anfnlipfen, der König ver⸗ 
— es. Der Senat wollte der Schweſter des Königs die Res 
[haft übertragen, fie verweigerte bie Uebernahme. Da 
— en den Plan, den Prinzen Karl Friedrich von Hol⸗ 
flein, Karls XI, Scweflerfohn, mit Hülfe Peters J auf den 
fchwedifchen Thron zu erheben. Er ließ das durch ben von 
Baſſewitz dem Baar antragen, biefer aber wollte nicht darauf 
eingeben. Weil nun Goͤrz fürchtete, feine Anfchläge Könnten 
an Karl XII, verraten werden, fo bewog er ben Secretair 
des Baſſewitz, die in deſſen Händen befindlichen geheimen Pas 


1) Sosmars und Klaproths Staaterath ©. 223 u. 225. 


Sir. . ö 261 


piere zu entwenden. Das geſchah, der Secretair fluͤchtete, 
Baffewig holte ihn ein und erfuhr nun, daß Goͤrz Urheber 
des ihm gefpielten Streichs war. Er ging fogleich nach Schwe⸗ 
den und, als er fich dort nicht mehr fuͤr ſicher hielt, nach 
Berlin, wo ihn der König ſchuͤtzte. Dem Baron von Goͤrz, 
welcher Furz vorher noch den ſchwarzen Adlerorben erhalten 
hatte, lag Alles baran, Baſſewitz verächtlich zu maden. Cr 
ſchrieb diefem daher (14. Juli) einen Brief voller Schmähuns 
gen: ein fo infamer Menſch könne nach den mildeften Gefegen 
nur durch den Henker für feine Nieberträchtigkeiten beftraft wers 
den. Baffewig antwortete, indem er Alles, was er erhalten, 
doppelt zurldigab. Görz kam felbft nah Berlin, allein der 
König befahl ihm: weil er Brouillamini unter ben preuffifchen 
Miniftern mache, Berlin binnen 10 unb ben preuffifchen 
Staat binnen 24 Stunden zu räumen, und, als das nicht 
wirkte, ließ er ihm durch feinen Günftling, den General 
Grumbkow, drohen, ihn mit Gewalt fortzufchaffen. Görz 
verlangte nun von Grumbkow bie Bezahlung von 4000 Tha⸗ 
lem, welche biefer im Spiele an ihn verloren, und erklärte 
es für eine Lüge, daß er Brouillamini unter ben preuſſtſchen 
Miniftern angerichtet, indem biefe ohne ihm uneinig genug 
wären‘). Der König wurde über dieſe Händel fo verbrießlich, 
daß er allen Mitgliedern des geheimen Raths, fie möchten aus: 
wärtige oder Landesſachen bearbeiten, jeben Privatverfehr, ja 
jede Unterhaltung mit den in ber Reſidenz befindlichen Geſand⸗ 
ten verbot. Sie und ihre Familien folten diefen weder Beſu⸗ 
che machen noch annehmen, mit ihnen auch bei Gaftereien und 
Mapizeiten nicht zufammenfommen, noch Briefwechſel führen. 
Die, fremden Gefandten verwies er in Geſchaͤften ausſchließlich 
an ben erflen Minifter der auswärtigen Angelegenheiten (Il 
gen) und ließ ihnen "offenherzig anzeigen, er habe feinen ges 
ringen Verdruß davon gehabt, daß einer und ber andere der in 
Berlin beglaubigten Minifter ſich in bie inneren Sachen des Fönigs 
lüchen Hauſes gemengt, die preuffifchen Minifer mit einander 
zu brouillicen, gegen einander aufzubegen, wo nicht gar einige 
berfelben bei ihm in übeln Ruf zu bringen und zu flürzen ges 

1) Hofer L &. 27%. Lamberty VII. p. 878 u. IX. p. 367. 
Nordberg IIL p. 118. 


Zul 
1714 


9. Aug. 


262 ‚ Bug VI. Erſtes Hauptftäd. 


ſucht, wozu fie gewiß von ihren Herren keinen Auftrag hät» 

ten, weshalb er es auch an feinem Hofe nicht dulden, viels 

mehr folhen Intrigum und Kabalen ſchicklich begegnen und 

feinen Miniftern wiber ſolch ungebührlich Beginnen Ruhe ſchaf⸗ 

fen wolle‘). Aus biefem heftigen und wie ſich fpäter zeigte, 

doͤchſt uͤbereilten Werfahren des Könige konnte man doch fchon 

abnehmen, daß er ſich immer mehr vom ſchwediſch⸗ holſteini⸗ 

ſchen Intereffe entfernte, und ber General Grumblow war 

ſicher nicht muͤſſig, ihn noch mehr dagegen einzunehmen. Arg⸗ 

25. Xug. wöhnifch ließ er unter dem Vorwande bes. Durchmarſches noch 

1714 cin Regiment in Stettin einruͤcken, bie Werke ausbeffern, neue 

anlegen und Wolgaft, Anklam und Demmin befegen, wovon 

11. Sept. er jedoch felbft an Karl XI. Nachricht gab mit ber Erklaͤrung, 

er werde die Feſtung mit deren Bezirk behalten, bis er fein 

Geld wieberbefommen, da ihm das Haus Holften eine Si⸗ 
perheit für bie Btüdzahlung gemähre '). 

Karl W. hatte feit dem Frieden Peters I. mit der Pforte 

(24. Juni 1714) keine Ausficht mehr, die Osmanen nochmal 

. zum Kriege gegen bie Ruffen aufregen zu können, welche ims 

mer mehr Fortfchritte gegen Finnland machten. Der Tod ber 

Königin Anna (14. Aug.) vaubte ihm immerhin eine Gtüge, 

Georg L von Hannover nahm die alten Entwürfe feines Haus 

fes gegen Bremen und Verben wieder auf, Holfteins Gottorp 

war von Dänemark ganz unterbrudt, Preuffen fchien ſich Pom⸗ 

mernd bemaͤchtigen zu wollen, Schweden erlag beinahe unter 

der Laſt des Kriegs. Karl verließ daher bie Türkei, Fam nach 

22. Ro0. einem Nitte von 14 Tagen in Stralfund an und dachte nur 

daran, feinen vielen Feinden Widerſtand zu leiften und Rache 

am ihnen zu nehmen. Hätte er ed nur über ſich vermocht, 

dem Wunſche Friedrich Wilhelms nachzugeben und diefem Stets 

tin und bie Obdermimbungen für immer ober als Pfand zu 

überlaffen, fo winde biefer ohne Zweifel feine mit Peter L 


1) Gosmars u Klaproths Staaterath ©. 290. Doch wurde 
das für bie kaiſerliche Geſandtſchaft fon am 29. Dec. 1714 ausbräde 
lich, für die übrigen Gefanbten ſtillſchweigend zurädgenommen. 


9, Theatr. Eurep. v. 3. 1714. &. 888. Rachricht vom norbifchen 
Kriege, Bortf. 1. ©. 288. 


Karl XIL in Stralſund. 263 


(12. Iunt 1714) eingegangenen ungerechten Seftfegungen fallen 
gelaffen '), ſich vieleicht mit Kari zur Vertheidigung der Abrls 
gen fehwebifchsbeutfchen Provinzen verbindet haben, ſicher 
wenigftend parteilos geblieben fein, allein beide Könige waren 
zur Nachgiebigkeit gleich wenig geeignet. Den einen lodte 
fein wohlverftandener Vortheil, den andern trieb rüdfichtslos 
fein gutes Recht. 

Karl XII. zeigte fogleich dem Könige. feine Rüdkehr und 
den Wunſch an, mit ihm in gutem nachbarlichen Einverftänds 
niffe zu leben ?). Friedrich Wilhelm Tieß ihn durch den Gras 
fen von Schlippenbach bewillkommnen und zugleich anzeigen, er 
hoffe, Karl werde ihm bie fir. Stettin auögelegten 400,000 
Zpaler zurlderftatten, weil er bie Feſtung und ben von ihm 
befegten Theil Ponmernd vor erhaltener Bezahlung nicht zus 
rüdgeben werde; zugleich erbot er fih, an Karl noch mehr 
Gelb vorzuſtregen und Stettin bis zur Zuruͤchzablung bes ges 
fanmten Gapitals als Pfand zu behalten; endlich begengte er 
die Hoffnung, Karl werde von Pommern aus weder Dänemart, 
noch Sachſen und Polen angreifen, wogegen Preuffen feinerfeits 
Alles aufbieten werde, die Könige von Dänemark und Polen 
von einem Ahgriffe auf Pommern abzuhalten’). Karl XIL, 
Be mi wie ſchon erwähnt, gar nicht glaubte, daß die ihm für 

Stettin abgefoberten 400,000 Thaler wirklich bezahlt worben 
wären, weigerte fih, auf diefe Worfchläge einzugehen. Beide 
Zheile rüfteten unabläffig. Friedrich Wilhelm wolte Stettin 
amd bie Odermimbungen unter dem Vorwande behalten, daß 
er Sicherheit für bie von ihm dafuͤr außgelegten 400,000, Tha⸗ 
ler haben müffe, von denen er fehr wohl wuflte, daß fie Karl XIL 
Damals nicht bezahlen konnte; diefer wollte von feinen Ländern 
durchaus nichts abtreten, ja nicht einmal vorläufig in Friedrich 
Wilhelms Händen laflen, weil er in deſſen Vertrag mit den 
nordiſchen Verblindeten nicht eingewilligt. 


1) as if das um fo wahrſcheinticher, ba ——— 
von Peter J. trennte und in Verbindung mit I. Frieden 
mit Schweden ſchloß. Vergl. auch Hojer L ©. 275. 


2) Lamberty IX. p. 267. Nordberg IIL ®eilage No. 97. 
3) Nordberg III. p. 174. 


264 Bud VL Erſtes Haupifikk. 


Der Landgraf von Heffen, deſſen Erbprim fi eben mit 
Januar Karl XII. jüngerer Schweſter verlobt hatte, fuchte zwifchen 
1715 beiden Königen zu vermitteln. Nachdem er fih mit Karl in 

Stralſund beſprochen, ſchlug er in Oranienburg bei Berlin vor, 
felbſt die Bezahlung der Summe von 400,000 Zhalern in bes 
flimmten Terminen zu gewährleiften und das von Preufien dann 
geräumte Stettin mit heffifchen Truppen bis zum Frieden zu bes 
fegen. Zugleich verſprach Karl XIL ohne Friedrich Wilhelms 
Genehmigung durch deſſen Provinzen keinen Einfall in Sachſen 
zu unternehmen, wenn Preuffen Sicherheit gegen Angriffe der 
Sachſen auf Pommern gebe. Diefer Vorſchlag behagte dem 
Könige von Preuffen ſchon deshalb nicht, weil ihm dadurch 
die Ausfiht auf ben Beſitz Stettins entging. Er fuchte daher 
tebruar Vorwaͤnde, ihn abzulehnen und antwortete nach einigen Ta⸗ 
gen: er habe zwar Grund, dem Könige Karl zu mißtrauen, 
weil man vorfchlage, bie von ihm auf einmal entrichtete Sum⸗ 
me in Zerminen zu erſtatten; doch wiirde er Stettin den beſ⸗ 
fiſchen Zruppen überliefern, wenn er nicht im fehtwebter Ver» 
trage (v. 6. Dct. 1713) verfprochen, es nicht vor dem Abfchluffe “ 
des Friedens an Schweben zurldzugeben; bie nordiſchen Wers 
biinbeten würden aber heſſiſche Truppen wegen ber nahen Fa⸗ 
milienverwandtſchaft wie ſchwediſche betrachten. Indeſſen wolle 
er wegen Stettins, das er zu behalten nicht beabfichtige, bie 
Gewäprleiftung Frankreichs und Heſſen⸗Kaſſels annehmen, wenn 
ſich Karl XI zugleich verpflichte, von Pommern aus nicht nur 
nicht in Sachſen, fondern auch nicht in Polen einzufallen, was 
zu verhindern Preuffen dem Könige Auguft verſprochen. Karl 
möge fich nur überzeugen, daß der ſchwedter Vertrag lediglich 
in Schwedens Intereffe abgefchloffen fei. Karl XIL erwiederte 
fogleih, indem er die von Preuflen gemach chten Einwendungen 
ſchlagend genug wiberlegte: Friedrich Wilhelm babe ja —8 
geſtanden, die 400,000 Thaler nicht auf einmal bezahlt zu 
ben, deshalb koͤnne ex alfo auch die terminmweife ame 
berfelben nicht ablehnen. Der ſchwedter Wertrag, welcher bie erft 
nad dem Frieden zu bewirkende Rüdgabe Stettind an Karl 
beſtimme, fei ohne deſſen Zuziehung abgefcloflen, aud von 
Peter I. nicht genehmigt worben, alfo mäffe Friedrich edrich Wülpelm, 
wenn er fein Gelb erhalte, auch Stettin 


Spannung zwiſchen Preuſſen u. Schweden. 265 


Zamilienverbindung zwifchen Schweden und Heſſen koͤnne kei⸗ 
nen Anſtoß erregen, da man ja in Stettin Truppen des eben 
fo nahe verwandten Haufes Holſtein aufgenommen. In Sach⸗ 
fen koͤnne Karl mit und ohne Stettins Befig einfallen, doch habe 
er nicht die Abficht, hoffe auch, ber König von Preuffen werde 
die Verträge, die deſſen Vater mit Schweden geſchloſſen, und 
er (Briedeich Wilhelm) beftätigt, eben fo genau wie dieſer hal⸗ 
ten. Alles had war vergeblich. Preuffen beftand vorzüglich 
darauf, Karl folle ſich verpflichten, auffer Sachſen auch Polen 
nicht anzugreifen, worauf biefer nicht einging, weil ihm das 
techtmäßig gar nicht verwehrt werden Eonnte‘). Er rüftete 
fortwährend, fo viel er vermochte. Die in ihrem Handel durch 
ſchwediſche Kreuzer beeinträchtigten Seemächte ſchicten eine Flotte 
in bie Oſtſee. Friedrich Wilhelm hielt die in Deutſchland für 
Karl geworbenen Rekruten an, verweigerte auch, wie Georg L, 
dem aus der Zärkei in ihr Vaterland zurädehrenden Schre⸗ 
den den Weg durch feine Staaten?). Er ließ ein Magazin 
für 15,000 Dann in Stettin anlegen und verftärkte unter der Behrwar 
Hand die Beſabung der Befte dermaßen, daß alle Häufer aufs 1715 
fee denen der Geiftlihen mit feinen Truppen belegt waren. 
Der Adminiftrator befchwerte fich vergeblich daruͤber als vers 
tragswidrig. Friedrich Wilhelm erwiederte, auch Holftein halte 
den Vertrag nicht, er müffe Maßregeln ‘ergreifen, das nicht zu 
verlieren, was ihm ber Vertrag ſichere ). Ein unfruchtbarer 
Briefwechfel zwiſchen Preuffen und dem Adminiſtrator, voll 
gegenfeitiger Vorwürfe *), folgte ohne weitere Wirkung.- 

Mit dem Anbruche der milden Witterung ließ Karl XII. 
durch den General Düder dem General Bord, Commandans 
ten von Steftin anzeigen, er wolle bei Wolgaft ein Lager aufs 


1) Nordberg IIL p. 179. Theatr. Europ. v. 3. 1715. &, 801 
und vorgügli) Lamberty IX. p. 266. Man muß damit ben eiwas 
fpäteren Briefwechſel Eroiffy's mit Ilgen vergleichen bei Lamberty IX. 
p 278. 


2) Theatr. Europ. v. 3. 1715 p. 817. 
8) Ebenbaf. p. 809 fl. 


4) Rachrichten vom nord. Kriege, Fortſ. 2. ©. 409 u. Bortf. 8. 
©. 298. 


Im 


266 Bud VE Erftes Haupeftüd. 


felagen, weBhalb es bie preuffifche Beſatzung (ein Lieutenant 
und zwölf Mann) balbigft räumen möge. Bord verweigerte 
das, weil Wolgaft zum Sequefter gehöre. Friedtich Wilhelm, 
dem. jest daran lag, einen Vorwand zum Kriege gegen Schwes 
den zu erhalten, erflärte, es nicht räumen zu koͤnnen, weil er 
dem Könige von Polen verfprochen, Feine Bewegung gegen 
Sachfen zu geflatten; angewendete Gewalt werde er als Frie⸗ 
densbruch anfehen *). : Unterbeffen hatte Karl bereits einige Com⸗ 


pagnien Fußvolks gegen Wolgaft anruͤcen laſſen, mit bem 


Befehle, Feine Feindfeligkeiten auszuüben, um Preuffen Feine 
Beranlaffung zu Beſchwerden zu geben. Die Heine Befagung 
308 ungehindert ab. Der General Bord ging felbft nach Ber» 
In und ſtattete Bericht von dem Vorgange ab. Friedrich Wils 
helm begeigte fich fehr aufgebracht, nahm jeboch die von dem 
franzoͤſiſchen Geſandten angebotene Vermittelung unter der Be 
dingung an, daß fie zugleich ber Kaifer mit übernehme und 
Karl Wolgaft räume. Man fah wohl voraus, daß Beibdes nicht 
geſchehen werde. Er ſchickte den General Bord nach Strals 
fund, Karl XII. aufzufodern, Wolgaft binnen 24 Stunden zu 
zäumen, ſonſt werbe er es als Friedensbruch anfehen. Indeſ⸗ 


ſen wurde er überführt, Wolgaſt, als auf dem linken Ufer der 


Peene gelegen, gehöre nicht zum Sequefter, und ſtand daher 


Eenftein alle Päffe an der Peene unterfuchen, die Werke Wol⸗ 
Kind auöbeffern, durch brei Schanzen vermehren, an welchen 
VBürger und Bauern arbeiten mufften, und mit Kanonen aus 
bem fchwebifchen Arfenale in Stettin“) bewaffnen, die Befagung 
aber verftärken. Bald ruͤckte auch auf feine Veranlaffung eine 
ſaͤchſiſche Heeresabtheilung zur Verſtaͤrkung der Befagung Wol⸗ 


1) Lamberty IK. p. 266. B 
9) Nordberg IL. p. 185. Doch war Wolgaft dem ungeachtet 
im ſchwedter Vertrage ausbrüdlich genannt. 


3) Daß Yreuffen das Arfenal mit Gewalt genommen, fagt Sroiffy 
I feinen Schreiben vom 9. Juni 1715 dem Binifter Igen. Lamberty 
IX. p. 99. 


Spannung zwifhen. Preuffen u. Schweden. 267 


Eins und Beobachtung heran, fo daß balb 13,000 
Bann die Infel bewachten '). 

Karl verlangte, Friedrich Wilhelm ſolle von der Befeſti⸗ 
gung der Inſel Wollin ablaſſen, weil ihm ber ſchwedter Ver⸗ 
trag (v. 6. Det. 1713) dazu Fein Recht gebe, fonft werde er 


ſelbſt ſich der Pläge mit Gewalt bemäctigen und nicht mit . 


gekreuzten Armen zufehen, wie man ihn durch Feſtungswerke 
fo eng einſchließe, daß er ſich nicht bewegen könne. Mehrere 
Wochen vergingen, ohne baß er Antwort erhielt, auffer daß 
ihm im Allgemeinen verfichert wurde, er argwöhne mit Unrecht, 
Sriebrich Wilpelm, als Freund Schwedens, werde etwas ges 
gen befien je unternehmen. Der Baron Knyphaufen, 
—2 Seſandter in Paris, Hatte hier geäuffert, wenn fih 
Frankreich) Schwedens annehmen wolle, werde fein König w 
treten unter der Bedingung, daß man ihm Stettin laſſe. 
befien nahmen Schweden und Preuffen bie eh 
reiche an und Rottenburg, deſſen Gefandter in Berlin, flug 
vor, Schweden folle die 400,000 Thaler Belagerungskoften an 


Preuffen erflatten, dieſes dagegen Stettin an Schweden oder ' 


an eine neutrale Macht übergeben, Karl aber verfprechen, nicht 
in Sachſen einzufallen, wozu Frankreich noch die Gewaͤhrlei⸗ 
flung übernehmen wolle, daß er auch Polen nicht angreifen 
werde. Auch bie von Preuffen vorgefchlagene Vermittelung des 
Kaiſers ließ fi Karl gefallen. Friedrich Wilhelm aber erwies 
derte, ex werbe fich mit dem norbifchen Werbündeten vereinigen, 
wenn Karl bis zum 10. Mat nicht erfläre, weder in Sachſen 
noch in Polen einfallen zu wollen. Der franzoͤſiſche Gefanbte 
gab noch Hoffnung, diefe Erklärung von Karl zu erhalten und 
der —F von Preuſſen wiederholte die Verſicherung feiner Ans 
nahme ber Vermittelung Frankreichs und des Kaiſers als die⸗ 
fer ihm, wie vorauszuſehen war, ſchrieb: es zieme ſich nicht, 
daß ein. fremder Fiuſt ( Frankreich) fi in Reichsangelegenhei⸗ 
tem miſche; das fei bed Kaiſers Sache. Der Abminiftrator ver» 
langte fortwährend vergeblich die Herftellung des alten Verhaͤlt⸗ 
niſſes der preuſſiſch⸗ holſteiniſchen Befagungen in Stettin. Preufs 
fen erklärte, den Sequeftrationsvertrag nur im Intereffe Schwe⸗ 
dens eingegangen zu fein. 
1) Thestr. Europ. v. 9. 1715. ©. 817 u. 389. 


268 Bud VL Erſtes Hauptftäd. 


As nun Karl auf feine Vorſtellungen gegen bie Befeſti⸗ 
gungen der Infel Wollin und auf feine Erklärung, bie Juſel 
Ufedom nicht entbehren zu koͤnnen, Feine Antwort erhielt, Preufs 
ſens Benehmen auch immer zweibeutiger, er aber immer uns- 
gebuldiger wurbe, fo ließ er bie Miündungen der Ober und 
der Veene durch feine Schiffe verfchließen und landete während 

22. April eined ſtarken Nebeld mit 3000 Mann auf Uſedom. Er lieg 
4715 feine Truppen, das Gewehr auf der Schulter, gegen bie Stadt 
und bie neuerbaueten Schanzen mit] dem Befehle vorrüden, 
nichts Feindſeliges zu unternehmen. Als darauf bie 20 Mann 

ſtarke preuffifche Beſatzung Feuer gab, ftürmten bie Schweben 

die Schanzen und bemädhtigten ſich ihrer, wie ber Stabt Ufes 

dom und ber Infel leicht. Die gefangenen Preuffen wurden 

gut behandelt, mit Waffen und Gepäd nad Anklam gebracht 

und dem bortigen preuffifchen Gommanbanten übergeben '). Ges 

gen den König Friedrich Wilhelm entſchuldigte fih Karl das 

mit, daß Ufedom nicht mit zu dem, obwohl von ihm nicht 
angenommenen, Sequefter gehöre”) und für ihn unentbehrlich 
geweſen fei, um feine Truppen gehörig verlegen zu Finnen, 

Der König von Preuffen, welcher Uſedom als zum Sequeſter 
gehörig anfah, betrachtete diefen Vorfall als Bruch deſſelben 

und alö einen ficher nicht durchaus unwilllommenen Vorwand 

zum Kriege mit Karl XU. Ex war um fo aufgebrachter dar⸗ 

über, als ihm eben noch die Gefandten Frankreichs und Schwes 

dens betheuert hatten, Karl winfche Frieden mit ihm. Der 
ſchwediſche Sefandte erhielt Befehl, bie Reſidenz binnen 24 
Stunden zu räumen. Er erwiederte, fein Here habe ihm 
dazu nur 12 Stunden Beit gegeben”). Der General Bord 
muffte die 500 Mann flarke holfteinifche Befagung von 

27. April Stettin entwaffnen und ald Friegögefangen nach Berlin brins 
gen). Ale preuffifche Unterthanen wurden bei Lebensſtrafe 


1) Lamberty IK. p. 272. %ergl. Nordberg II. p. 188 f. 


2) Cs ift wirklich fo wenig als Wollin in dem ſchwedter Vertrage 
v. 6. Oct. 1713 genannt. 


3) Nordberg III. p. 189. 
Rachricht dom nordiſchen Kriege, Jortſ. 3. ©. 208. Thestr. 


geindfeligteiten swifchen Preuffen u. Schweden. 269 


aus ſchwediſchen Dienften abberufen‘), 32 preuffiiche Batail⸗ 28. Aprit 
lone und 27 Schwabronen rüdten mit 115 Feldgefhügen in 1715 - 
ein Lager bei Stettin, wohin ſich aud der König begab, nach⸗ 28. April 
dem er vorher (26. April) in einer Inftruction flr ben geheis 
men Rath Alles, was nothwendig ſchien, angeorbnet hatte. Er 
fogte darin: „Es fol an meine Frau von Allem gefagt und 
fie um Rath gefragt werben. Dieweil ich aber ein Menſch 
bin und kann todtgeſchoſſen werben, fo befehle ich Allen, für 
Fritz (den Kronprinzen) zu ſorgen, bavor fie Gott belohnen 
wird, und ich gebe Allen, von meiner Frau an, meinen Fluch, 
daß Gott fie ſowohl zeitlich als ewig flrafen möge, fofern fie 
mich nach meinem Tode nicht im Gewölbe der Schloßkirche 
begraben. Sie follen dabei kein Feſtin machen; bei Leib und 
Leben Feine Geremonien und Feſtin, als daß fie follen die Res 
gimenter in der Reihe dad Gewehr nehmen und ſchießen laſ⸗ 
fen. Ich bin verfichert, daß ihr Alles mit der größten Eracs 
titübe von ber Welt beftellen werdet, wofür ich allezeit eifrig, 
fo Tange ich lebe, euer Freund fein werbe‘)." . 
Vreuffen und Hannover erlieffen als nieberfächfifche Kreis 2, mRei 
directoren Schreiben an ihre Mitftände, fich gegen den König 
von Schweden, der ben Krieg im Reiche weiter verbreiten wolle, 
zu feßen®). Die bisherige ſchwediſche Regierung in Stettin 
Iöfte Friedrich Wilhelm (24. Mai) auf, entließ ihre Mitglieder 
nach Stralfund und orbnete eine Interimöverwaltung an. Die _ 
Geiſtlichen weigerten fi, das darüber erlafene Patent von 
der Kanzel (10. Juni) befannt zu machen, worauf es bie 
preuffifchen Feldprediger verlaſen; als aber die Bürger ſogleich 
bie Kirchen verlaffen wollten, wurden dieſe fo lange, bis es 
geſchehen, verfchloffen gehalten und bie Thuͤren mit Wachen 
befegt ). 
Europ. v. 3. 1715 S. 820, wo der 26. April. Faßmann I. S. 126. 
fagt, bie Holfteiner wären nach Cleve gebracht worden. 
1) Rachricht vom nord. Kriege, Fortſ. 8. S. 186. Patent. 
2) Sosmars u. Klaproths Gtaatsrath S. 223. 
8) Theatr. Europ. v. 3. 1715. p. 328. 


4) Nordberg II. p. 190. Radhricht v. norb. Kriege, dortſ. 8 
©. 20. 


270 Bud VI Erſtes Hauptfiid, 


Immer ftärker vhdlten die Truppen der verbündeten Mächte, 

vorzüglich Preuffens, heran und nad) und nach wären 30,000 

Mann gegen Karl X. vereinigt. Diefer hatte zwar ein Blnds 

8. ge niß mit Frankreich gefchloffen, welches ihm den Befig feiner 
A745 ginder gemährleiflete und bie Rüderhaltung ales deffen, was 
ihm in Deutfchland entriffen worden war, fowie 680,000 

Thaler jäprlicher Hülfsgelber für bie Dauer bes Krieges vers 
ſprach, allein Frankreich war felbft durch ben langen Krieg über 

bie fpanifche Exbfolge erſchoͤpft. Hierzu fam, daß König Ges 

org I., als Kurfinft von Hannover, ſich, obwohl anfänglich 
17.Mai u. fehr geheim, mit dem Könige von Dänemark verband, dem norbis 
26. Juni (em Bunde zutrat und an den Baar Peter Efthland, Ingermann ⸗ 
land und Garelien, an Friedrich Wilhelm die Hälfte des ſchwe⸗ 

difhen Pommerns, an Dänemark den holfteinsgottorpfchen Ans 

theil von Schleswig gewährleiftete, einige Regimenter zur Er⸗ 
oberung Wismars zu ſtellen und an Schweden den Krieg zu 
erflären verſprach, wogegen ihm der König von Dänemark num 

fir 600,000 Thaler baar und 271,000 Thaler ruͤckſtaͤndige Gons 
teibutionen Bremen und Werden, was er im I. 1712 Schwes 

den entriſſen, abtrat‘). So mehrten fi auch von dieſer 

" Seite die Feinde Schwedens und es hatte felbft von England 

num nichts Guͤnſtiges mehr zu erwarten. Einen ſchwachen 
Schimmer der Hoffnung, baß fich wenigftens zwiſchen Preufs 

fen und Schweden der Friebe werde erhalten laffen, gab bie 
Ankunft des aufferorbentlichen franzöfiichen Gefandten Grafen 
Croiſſy. Er Fam, geſchickt von feinem Bruder, bem Minifler 

J Torcy, welcher gern für Karl XI. etwas thun wollte, nach 
10. Dei Stettin. Friedrich Wilpelm, der ihn bier ſprach, verlangte, 
weil ihm die Ruſſen Wolgaft und Ufebom fowie Stettin bis 

zum Frieden anvertrauet, Karl fole Alles wieber in den Zus 

fand fegen, im welchem er es bei feiner Ankunft gefunben. 


1) Hojer I. &. 280. Der BVertrag felbft iſt noch nicht gedruckt. 
Berg. Lamberty IX. p. 295. Die Ratificationen bes Vertrags wurben 
d 17. Jull ausgewechſelt. Giniges von biefen Werträgen ſteht auch in 
des ruſſiſchen Gelandten Wfavolowati Denkfärift v. 25. Dec. 1719 in 
Montgon memoires T. II. piöces just. N. 20. Es ift das wohl bas 
Bandniß, weides in Sedenborfs Lehm L S. 102 als ben Februar 
abgefäjloffen angeführt wird. 


Seanzöfifche Bermittetung. 21 
Geoiffy ging nad Stralſund und fuchte von hier aus ben Ks 


nig von Preuffen von einem Angriffe auf diefe fehr ſtarke Be ze. mai 


flung abzuhalten, an deren Eroberung, ſeitdem bie Infel Rüs 
gen vor einem Angriffe gefichert, nicht mehr zu denken ſei. 


1715 


Karl winfche aber den Frieden. Friedrich Wilhelm erwieberte, 24. Mat 


Karl wolle Feinen Frieden, fondern Krieg. Croiſſy betheuerte 


gegen den Minifter Ilgen, Karl wimfhe in gutem Einver⸗ 29. Mai 


Rändniffe mit Preuffen zu leben. Ilgen erwieberte, bas hätte 
er früher beweifen ſollen, jebt fei es zum Aeuflerften gekom⸗ 
men, man inne fi auf Karld Wort nicht verlafien. Ver⸗ 
geblich waren alle Bemühungen Croiſſy's, Karls Benehmen zu 
rechtfertigen, vergeblich bot er bie Gewaͤhrleiſtung Frankreichs, 
daß Karl Alles erflllen werde, was Preuffen gefodert. Das 
wurde als ungenügend abgelehnt, Karl habe den. Krieg durch 
feinen Angriff auf die Infel Ufevom eröffnet. Croiſſy muffte, 
ohne auch nur das Geringſte bewirkt zu haben, wieder abreis 
fen’). Das gefammte Verfahren Preuſſens zeigte, daß es 
keine friedliche Beilegung wolle”). Der berliner Hof fuchte 
jedoch durch ein Manifeft, mit dem Zitel: „Kurze Information 
wegen des von Sr. Königl. Majeftät in Preußen übernommes 
nen vorpommerfchen Sequeftri?)", fein feit bem I. 1713 ges 
gen Schweden beobachtetes Verfahren barzulegen und in ein 
efmfiger Licht zu fielen. Der König fei durch ältere und 


1. Iuni 


19. Iuni 


21. Juni 


neuere Bimdniſfe feines Haufes zur Vertheidigung Sachfens 


umd Polens verbunden, habe den Sequeſtrationsvertrag ledig⸗ 
lich im Intereſſe Schwedens angenommen, nur um biefem 
Stettin und Pommern zu erhalten, und durchaus uneigennägig 
gehandelt. Karl dagegen habe Stettin ohne Bezahlung zurlds 
verlangt, die Preufien auf Uſedom angegriffen, auch in das 


4) Der Briefwechfel iſt oft abgebrudt, bei Lamberty IX. p. 278 
#. am volftändigften, in den Nachrichten vom nord. Kriege, Kortf. 1. 
e. au in Büfhings Mogayin XX. ©. 235. MWergl Nordberg II. 
p- 195. 


9 E. die Schreiben bes ſchwed. Miniſters Muͤllern d. 27. April 
und 11. Juni 1715 bei Lamberty IX. p. 272 f. 

8) Bei Lamberty IX, p. 284 und wahrfdeintih daher, wie bie 
meiſten Xctenftüde bei Martiniere L p. 198. SDentfc in den Rade 
richten vom nord. Kriege, Bortf. 3. &. 241. 


272 Bud VI Erſtes Hauptſtuͤck 


preuſſiſche Pommern einfallen und ben Krieg in Polen erneuern 
wollen. Natüurlich wurde ber geheime Vertrag (v. 12. Juni 
1714), in welchem Preuffen an Rußland beffen ſchwediſche Er⸗ 
oberungen, dieſes an Preuffen Stettin und bie Odermuͤndun⸗ 
gen gewaͤhrleiſtet hatte, nicht angeführt. Es war ben Schwe⸗ 
den nicht ſchwer, fich zu rechtfertigen, umd auch ohne Kennts. 
niß des Vertrags zwifchen Rußland und Preuffen (v. 12. Suni 
1714) die ihnen gemachten Vorwürfe zuruͤckzuweiſen, worauf 
Preuffen eine Erwiederung bekannt machte. Doch nicht mit ber 
Seder, ſondern mit anderen Waffen muffte bie Entſcheidung 
herbeigeführt werden. Auch Heſſen⸗Kaſſel wurde jegt lau, als 
Karl feine Schwefter, die Gemahlin des Erbprinzen, nicht zur 
Thronerbin erflären wolte und Preuffen und Hannover ſich 
dem Marfche ber beffifchen Truppen nach Pommern widerfegs 
ten’). Der Adminiſtrator hatte, als Biſchof von Luͤbeck, an 
Karl XU. holfteinifche Regimenter überlaffen; die Dänen bes 
maͤchtigten ſich feines Bisthums. 

Karl XIL hatte mit großer Anſtrengung alle Anſtalten ges 
toffen, um Stralfund ſowie die Infeln Rügen und Ufebom 
buch Schanzen, Schiffe und Truppen fo gut als irgend mögs 
233. Juni lich zu vertheidigen, auch Anklam nach einem Bombarbement 

1715, genommen unb 2oig befeßt *). Dagegen waren 24,000 Dis 
“nen durch Medienburg vorgerlikt, von denen 5000 Mann mit 
3500 Preuffen vor Wismar blieben, während die Übrigen nad 
Pommern gingen; borthin kamen auch unter dem General 
Wackerbarth 8000 Mann Sachſen. Dänen und Sachſen gins 
gen, ohne bebeutenden Widerftand zu finden, uͤber die Recknitz, 
zugleich mit ihnen 24,000 Preuffen über bie Peene. Karl W. 
wich nach einigen unbebeutenden Gefechten nur umgern ber 
großen Usbermacht und zog fih nach Stralfund zurid®), wo 

17. Jali ſich das geſammte über 50,000 Mann ſtarke Heer ber Vers 
bündeten vereinigte. König Friedrich Wühelm führte in Ans 


3) Hojer I. &. 279. 

2) Baßmann I. ©. 129. Die Schweden hatten “ wirklich beſett, 
da fie e8 nachher verließen. Bafmanns Grzählung bed Krieges iſt übrie 
gens ungenau, chronologiſch verwwirrt und parteiifch gegen Sqhweben. 

8) Hojer I. &. 292. Theatr. Europ. v. 3. 1715 p. 341. 


Belagerung Stralfunds. 273 


weſenheit des Koͤnigs von Dänemark den Oberbefebl‘), bie 
Hauptleitung aber hatte zunaͤchſt umter ihm als —8 


Stralfund bringen zu können griffen bie Preuffen olgajt S;Jui: 
an. Die 160 Mann flarke Befagung übergab den Pen for 80. Jau 
glei und zog ab. Am folgenden Tage nahm General Arnim 

mit 2000 Preuffen und Sachſen, unterſtuͤtzt von ber daͤniſchen 

Flotte, Ufeom. Karl XI. fah, daß —28 unthunlich fe, 

und zog unter leichten Gefechten zuruͤck ). Id darauf wurde 

die ſchwediſche Flotte von ber bänifchen — und bie 8. Aug. 
Peenemimderfhanze, nachbem fie von der 450 Mann flarken 
ſchwediſchen Befagung gegen das heftige Gefchlitfeuer der Preufs 

fen 17 Zage hindurd).tapfer vertheidigt worden war, von bies 

fen durch einen fehr bintigen Sturmangriff erobert‘). Anhal⸗ 21. Aug. 
tender Regen machte num bie Straßen unwegfam, fo daß nur 

mit großer Anftrengung das ſchwere Geſchuͤt zu Lande von 
Anklam vor Stralfund gebracht und Anflalten getroffen wers 

ben konnten, um zugleich Rügen mit angreifen zu koͤnnen. 

König Auguft muſſte einen großen Theil feiner Truppen nach 

Polen gegen die ihm feinbfeligen Parteien fhiden, was auch 

bie Ankunſt von 10,000 Mann Ruffen verzögerte, welche im 


1) Börfers Fricdrich Wilhelm Thl. IT. ©. 84 fat, din Sqhrelben 
1 ink. a. 11.20 ATS 0m Beta, weidhes daß gu beoelfen 
ſcheint. 


2) Siher. Rubin vom mac. See, But ortf. 8. ©. 388. Theatz. 
Europ. v. 3. 1715_p. 340 ff. Bon ben 74 Betellunen und 118 Gihenar 
beonen vor Stralſund, waren 36 Wataillone und 40 Scqhwadronen Preuf- 
fen, die übrigen Acrppen meiftens Dänen, 

3) Baßmann L ©. 148. 


4) Theatz. Europ. a. a. D. S. 843. Noräbeie In ms 
Stengel, Ge. d. Preuſſiſch. Staats. IIL 18 


Ex] 1 Bud VI. Erſtes Haupefiäd. 


\ Anzuge waren; allein alles bad Tomte Schweden nicht retten. 

1. Copt. Es war erfhöpft; Ludwig ZIV., der es allein noch durch eis 

1715 nige Geldfendungen unterftägt hatte, ftarb. Eine engüſche 

24. Sept. Flotte erſchien in ber Oſtſee und verfiärkte die bänifche, welche 

einen abermaligen Sieg über die ſchwediſche erfocht, fo daß biefe 

October nicht mehr See halten konnte. Hannover erflärte unter- uns 

würbigen Vorwaͤnden ben Krieg an Schweben, erhielt von den 

Dänen Bremen und Werden und verflärkte dieſe mit 10,000 

Mann vor Wismar, welches nun zu Waſſer und zu Lande 
eingefchloffen wurbe '). 

19. Dt. Et in der Raist vom 48. zum 19, Deiober eröffneten 
bie Dänen und Preuffen ımter ber Leitung des Generald Wa⸗ 
derbarth die Laufgräben; boch wuͤrde e& bei ber unter fo vielen 
Verzögerungen ſchon weit vorgerücten Jahreszeit den Verblins 
beten noch lange ſchwer geworden fein, Gtralfunb mit Erfolg 
anzugreifen, wenn nicht ein gämfliger Zufall ihnen bie Mittel 
verſchafft hätte, ſich in den Wefig ber ſehr flarken ſchwediſchen 
Linien vor ber Feftung zu fegen. Dieſe reichten auf bem rech⸗ 
ten Flügel der Verbündeten noch aufferhalb ber ftralfunder 
Auffenwerke dis an die See und verhinderten jede Annäherung 
an bie Stadt. Mun hatte ber preuſſiſche Oberſt und Generals 
abjutant von Koͤppen ) in feiner Jugend als ſchwediſcher Gar 
dett in Stralfund geſtanden, ſich oft im Meere gebadet und 
bemerkt, daß diefeß zur Zeit ber Ebbe einige bunbest Schritte 
von den Feſtungswerken zurkdtrete. Das erzählte. er dem Ges 
nerale Seckendorf, welcher den Aufferften rechten Fluͤgel ter 
Belagerer beſehligte. Dieſer theilte es dem Könige von Preufs 
fen mit, zog auf deſſen Befehl von mehreren Ueberlaͤufern ges 


4) Theatr. Europ. v. 3. 1715 p. 345 fi. 


2) Bafmann L ©. 148 u. Pöllnig Dem. L ©. 65 nennen 
diefen, Briebrih IL. in den Mdm. de Brandenb., wie Preuß (Briebe 
rich der Große als Sqhriſtſteller S. 62) fagt mit Sedht, den Oberfien v. 
Gaudi, wobei er ſich auf Baſcz ko im preuffifchen Medhive v. I. 1794 
HL LG. 164 ff. ftägt. Se ben beiben angenfeinlich gleidhpeitigen Btes 
lationen im Theatz. Rarop. 0.3.1716 ©. 850 u. 351, weide Yafmann 
unfteeitig vor ſich hatte, wirb auch Rippen genannt, und Bargko’s Angaben 
ainerenen Dies Beugnß gar nicht; ber folgt einer puciten fehe beräier 


Eroberung Stralfunde. 275 


nauere Erfundigungen ein, unterfuchte die Gegend ſelbſt, fand, 

daß fich das Meer auf diefer Seite burchwaten laffe und machte 
darnach mit Genehmigung bed Königs, doch fehr geheim, eis 

nen Entwurf zum Angriffe. In ber Nacht vom 4. bis 5. 5. Rov. 
November muffte Köppen mit einem ſtarken Haufen Freiwilli- 1715 
ger die Schanzen auf ber Seefeite umgehen, während kurz vors 

ber auf dem entgegengefeßten linken Flügel bie Dänen einen 
falſchen Angriff machten, um die Aufmerkſamkeit der Belagers 

ten dahin zu lenken, und Secendorf zu Lande 6000 Preuffen 

und Sachen zum Hauptangriffe geradezu auf die Schanzen 

des rechten Flügels führte. Sobald Köppen daB Zeichen feis 

ner Ankunft gegeben hatte, drang Seckendorf im Sturme vor, 

fand aber trog der Ueberrafchung dennoch fehr tapfern Wider 

fland, bis Koͤppen im Rüden der Schweden innerhalb ihrer 
Scanzen erfcpien, worauf bie hier ſtehenden drei Regimenter 

faſt vöNig auifgerieben wurden. Ihre Lager, 25 Kanonen und 

viele Munition fiel in bie Hände ber Sieger‘). 

Unterbeffen hatte Peter I. ſich mit Dänemark (17. Sept.), 
barauf mit Hannover (9. Nov.) und mit Preuffen (11. Nov.) 
verbindet und fo ben Verein aller dieſer Fürſten gegen Schwes 
den möglichft feſt begrimdet. Gerlichte verbreiteten fi) von 
eines: beabfichtigten Theilung Schwebens, und mwenigftens ift fo 
viel gewiß, baß jeber ber Verbuͤndeten einen Then biefes bas 
mals fo weit auögebreiteten Reiches Preuffen Stettin und die " 
Dermünbungen) in Anſpruch nahm und fi) das, was er 
wollte, zu fihern fuchte. Peter verſprach, für den Krieg in. 
Pommern 15 Batalllone und 1000 Dragoner zu ſtellen ). 

Ungeachtet aber num bie ſchwediſchen Linien vor Strals 
find im der Gewalt ber Werblindeten waren, fahen fie doch 
ein, daß fie ſich der Feſte nicht winden bemächtigen Binnen, 
fo lange die Infel Rügen in ſchwediſchen Händen wäre. Der 


1) Beriht im Theatr. Europ. v. 3. 1715 S. 850. Daraus in 
Secendorfs Leben I. ©. 106. 

2) Zagebud) Peters I. $. 881. Vergl. Hojer L S. 292, der am 
meiften vom Inhalte angibt. Diefe Werträge find noch nicht vollſtaͤndig 
befannt. S. auch das ſchon angı Memoice von Wfefolovstt dv. 25. 
Der. 1719 u. Lamberty IX. p. Nur was bie beiben Letten ans 
geben, hat Nordberg IIL p. 211. 

18* 


11. Rov. 
1715 


15. Rov. 


16. Rov. 


276 Bud VL Exftes Haupifäd. 


Fürft Leopold von Deffan machte zum Angriffe auf Rügen 
den Entwurf und traf mit großer Vorficht die dazu möthigen 
Anordnungen. Spanifche Reiter follten vor die Front gefegt 
werben, bie einzelnen Rotten mit aufgepflanztem Bajonnete aufs 
marfchiren, das Pelotonfeuer erft 150 Schritte vom Feinde ers 
öffnen, in der Nähe von 60 bis 70 Schritten geſchwind 
feuern, bann fi mit dem Bajonnete behaupten. Die Bravour, 
bieß es in bem beöhalb erlaffenen preuffifchen Tagesbefehle, 
wird nicht zu commanbdiren fein, weil es lauter ehrliche Leute 
find, von denen man nichts anders naͤchſt göttlicher Hülfe und 
Beiſtand zu vermuthen bat. An Retraite wird nicht zu den⸗ 
Ten fein, was man ben Gemeinen befonberd einprägen muß '). 
Unter dem Hberbefehle Leopolds von Deſſau gingen in 

ber Könige von Preuffen und Daͤnemark 24 Bas 

taillone und 36 Geſchwader, zufammen etwa 20,000 Mann 
auf einer Zrandportflotte gegen Rügen ab, gegen Palmerort, 
zogen fo bie Schweden dorthin und landeten, ohne auf bedeu⸗ 
tenben Widerftand zu flogen, am vierten Tage Nadmittags 
um vier Uhr etwas nördlicher dei Strefow. Leopold ließ foz 
gleih um fein Lager einen tiefen, auswärts mit fpanifchen 
Keitern befränzten Graben.ziehen, weil er einen baldigen Ans 
griff Karls fiher erwarten Tonnte. Diefer erfolgte au. Karl 
hatte kaum Nachricht von der Landung ber Preuffen erhalten, 
als er mit ber größten Schnelligkeit, was irgend an Zruppen 
zue Hand war, während ber Nacht zufemmenzaffte und fo 
ſchon am frühen Morgen bes naͤchſten Tages?) vor vier Uhr mit 
412 bis 1500 Mann Fußvolls und Reiterei und 8 Kanonen 
feinen Feinden gegenüber fand und fogleih zum Angriffe 
ſchritt. Mit gewohnter Tapferkeit bringen Karl und feine 
Schweden vor, werben von einem furdtbaren Feuer empfans 
gen, weichen aber erft vor ben ſpaniſchen Reitern zurld‘,  fes 
ten fich wieder auf 80 Schritte davon, ruden, ihr König am 


1 0 Se SBAR. eralnae ut —A 
In Bäfgings Mogain Thi. XX, ©. 241. 

2) Nordberg IIL p. 220 fogt: König Karl fer noch am 
bumgstage zwifdhen 7 und 8 Uhr Abends angerädt unb 
in der Macht ſtattgefunden ; was nicht gang sichtig iſt. 


Eroberung Rügen. 271 


ber Epige, wieder an, räumen bie fpanifchen Weiter weg, bis 
vor ben tiefen Graben. Karl erflaunt, bad war ihm uners 
wartet, doc) „feifch daran“ ruft er, feine Schweden fpringen 
in ben Graben, fie fleigen einer auf die Schultern des andern 
und beginnen bie Schanzen zu erklimmen. Karl erhält einen 
Schuß auf die Bruſt, er dringt vorwärts, eine Kanonenkugel 
wirft fein Roß am Rande des Grabens nieder; ed faͤllt auf 
feinen Herm, welcher halbtodt hervorgezogen wird. Run 
fehlt die Leitung; in der Finfterniß tritt Verwirrung ein, die 
von den Auſtrengungen des Nachtmarſches und_des Angriffs 
erſchoͤpften Truppen werben von bem Übermächtigen Feinde 
mit Kugeln überfhüttet. Die preuffifche Reiterei bricht vor - 
und wird dennoch zweimal von ben Schweden zurückgetrieben, 
welche fi, noch 500 Mann flart, in bie alte Faͤhrſchanze 
aurädzichen, wo fie ſich mit den noch übrigen Truppen, 700 
Mann flart am darauf folgenden Tage den Verbündeten erges 17. Ron 
ben mufften, nachdem Karl mit dem Ueberreſte nach Stralfund 1715 
übergefahren war '). 

Rügen wor’ mın in ber Hand ber Werbünbeten. Jetzt 8. Der. 
war der Fall Stralſunds vorauszufehen. Croiſſy hätte das 
gen verhindert. Er zeigte daher mit Karls Bewilligung dem 
preuffifchen Hofe an, er habe von Seiten Schwedens annchms 
bare Anträge zu machen. Ilgen antwortete, er möge kom⸗ 
men, wenn es aber nur gefchebe, um Zeit zu gewinnen, werbe 
man ihm bie Ruͤckkehr nach Stralfund nicht geftatten. Ber 
geblich wendete fi) Croiſſy an Waderbarth um einen Paß 7. Dec. 
umd begab fich endlich ohne diefen in bad preuffifche Lager. 
Er hatte hier nur eine kurze Unterredung mit dem Könige, dem 
er in Karls Namen die Uebergabe von Wismar zur Sequeftras 
tion anbot, was Friedrich Wilhelm ablehnte, weil e& ſich ohne 
hin werde ergeben muͤſſen. Groiffy trug nun darauf an, Stral⸗ 
fund einem Reichöfürften, den der Kaifer wählen werde, zu 
übergeben. Ilgen verlangte die Uebergabe ohne Bedingung. 
Sriedrich Wilhelm ‚erklärte gerabezu, wenn Schweden nicht 
"Lipland, Ingermannland und Eſthiand, ganz Pommern, Bre: 
men und Berden, und für ben Herzog von Holftein auch Schles. 


1) Bericht im Theatz. Europ. v. 3. 1718. p. 854. 


5. Dec. 
1715 


278 Bud VL Erſtes Hauptftüd. 


wig abtrete, fo fei am Leinen Frieden zu denken. Croiſſy bes 
gab fi alfe, ohne etwas bewirkt zu haben, nach Hamburg '). 

Nach mehrtägiger heftiger Beihieffung, aud mit glühen- 
ben Kugeln, erfilitmten die Verbuͤndeten die Gontrescarpe. Alle 
Tapferkeit der Schweben und die zahlreichen Ausfälle ihres un⸗ 
ermhblichen Königs waren erfolglos. Es wurde Breſche ges 
fhoffen und Als zum Sturme in Bereitſchaft geſetzt. Die 
Lage Stralfunds war traurig. Hinderte die große Winterkaͤlte 
die Belagerer, fo war fie doch auch den Belagerten fehr nach⸗ 
theilig. Jetzt nahm Beſorgniß vor einer Erftünmung der Stadt 
und natlırlich bei dem Mangel” allee Hoffnung auf Rettung 


2. De. die Entmuthigung der Bürger Überhand. Karl verließ daher 


unter großer Gefahr die nicht mehr zu behauptende Feſtung 
und ging nad) Schweden. Stralfund ergab fih am folgenden 


Tage und wurde wie Rügen und Pommern bieffeit ber Perne 


26. Dec. 


April 
1716 


dem Könige von Dänemark eingeräumt, welcher ſich huldigen 
ließ ). 

Wismar, welches anfaͤnglich von Preuſſen, dann ſeit dem 
Juni 1715 von Dänen und Hannoveranern eingeſchloſſen war, 
zu benen zulegt noch Ruffen fließen, ergab fich endlich. Als 
ſich der dänifche General Dewig nun weigerte, zwei Bataillone 


Kuſſen mit ald Befagung aufzunehmen, kam es zwifchen ben 


beiberfeitigen Truppen ſchon zu offenen Feindſeligkeiten ), ein 
Anzeichen, wie loder bereit daB Band geworben war, welches 


1) &. Lamberty IX. p. 277 ben Briefwechſel Groiffg's mit Ile 
gen. Bergl. noch p. 688 u. Nordberg IIL p. 223 u. Gcoifp's Schrei - 
ben an Jigen bei Nordberg T. IL Preuves p. 297. No. 217. 

Pr S. das Tagebuch der Belagerung im Theatr. Europ, v. 3. 1715 

840 ff: Nordberg II. p. 229. Hojer I. &. 291 erzaͤhlt, bie 
Befatım habe aus kaum 5000 Mann, bem Ueberrefte von 80 Begimene 
tern beftanden. Nur 1000 Schweden waren barunter, welche, weil man 
fie bi Mat 1716 nicht abholte, von Preuffen als Gefangene behandelt 
wurben. Theatr. Europ.’ v. J. 1716 p. 140. Der bänifde General 
Dewit erhielt vom Könige von Preuſſen einen Brillanten, 12,000 Tple. 
werth, Seckendorf und Wackerbarth auch Eoftbare Ringe, jeder Hauptmann 
200 Ile. Ragmers Lehen ©. 366 aus hanbfäiftl. Radır. 

8) Hofer I. ©, 811. Peters I. Tagebuch) 5. 888. Schreiben Fried⸗ 
Eh les 18 I. an Seckendorf nom 18. Mai 1716 bei Börfter IL 


Beendigung bes Krieges. Politik 29 


bie Verbündeten bisher vereinigt hatte. Wirklich trennten fi 
dieſe auch, fobald ein jeder von ihnen feine Zwede erreicht,‘ 
Preuffen naͤmlich Stettin und die Obermimbungen, Hannover 
die Herzogthuͤmer Bremen und Verben erhalten hatte’). Rös 
nig Auguft, befchäftigt mit den inneren Unruhen Polens, that 
auch nichts mehr gegen Schweden, feitdem er es nicht weiter zu 
fürchten hatte. Nur ber Baar und Dänemark wollten noch mehr 
exobern, Beide mufften noch vor ber Rache Karls beforgt fein 
unb blieben daher allein ihm gegenüber gewaffnet auf dem 
Plage. Der braunſchweiger Gongreß blieb ohne Ergebniß, 
keinem Theile war es rechter Ernſt gewefen und das warf nun 
einer bem andern vor?). Jetzt, nachdem nun Schweben kei⸗ 
nen Fuß breit Landes mehr im beutfehen Reiche befaß, hörte 
bier der Krieg von felbft auf. Der Gongreß felbft war uͤber⸗ 
fFlüffig geworden. Preuffen brüdte dem regensburger Reichötage 
fein Erſtaunen aus, daß Schweden Uber den Verluſt feiner 
beutfchen Provinzen fo großes Aufhebens mache, da es doch 
frůher geäuffert, fie wären ihm mehr zur Laſt als zum Bor: 
ee © Wal ſe mu, um bie Dänen im Zaume zu 
halten " 


Es trat jegt nicht nur bei den norbifchen Werblimdeten feit 
dem Sinken der ſchwediſchen Macht, fonbern bei den europaͤi⸗ 
ſchen Staaten überhaupt, ſeitdem nach Beendigung bed fpani- 
fehen Erbfolgefrieges unb dem balb barauf erfolgten Tode Lub⸗ 
wigs XIV. alle Beforgniffe vor ber Uebermacht Frankreichs vers 
ſchwunden waren, für ein halbes Jahrhundert eine ſolche Wan: 
delbarkeit ber politifchen Verhältniffe ein, wie fie bis dahin 
nicht gefehen worben war. Die Politik der meiften größeren 


1) Darüber Elagte bie zuffifche Denkſchrift bei Lamberty IK. 
p- 628. Run fie mit ruſſiſcher Hülfe erhalten, was fie gewollt, thäten 
fie nichts mehr. 

29) Martiniere I. p. 281. 

8) Gbendaf. p. 285. Wei Börfler IL ©. 46 if ein Verzeichniß 
der Kriegskoſten des Feldzugs d. I. 1715 für Preuffen, inbep wird man 
baraus kaum mit Sicherheit entnehmen Können, wie hoch fie ſich wirklich 
belaufen, body ergibt ſich, daß 200,000 Thir. an ben Baar und 400,000 
ZHir. an den König Auguft gezahlt, aufferdem auch bedeutende Ges 
ſchenke gemacht wurden. 


20 Bud VL Erſtes Hauptfiäd. - 


Reiche wurde nämlich nicht mehr dutch dauernde Staats⸗, ia 
ſelbſt nicht einmal SamiliensIntereffen beflimmt, fondern wech⸗ 
felte nach ben augenblidtichen Intereſſen, Leidenfcpaften und 
Saunen ber Zürften ober ihrer Rathgeber, Günftlinge und Mais 
treffen oft fo plöglich, daß man diejenigen, welche feit langer 
Zeit Zeinbe geweſen, fich gegen bie vereinigen fah, welche frü⸗ 
ber ihre natürlichen Werbindeten gefchienen. Ein allgemeiner 
Argwohn ift daher fortwährend rege und geſtattet auch unter 
Verbündeten nicht, daß Vertrauen aufkomme, ja auch fie bes 
wachen einander wie Feinde und find immer bereit, die Wafs 
fen, welche fie vereint gegen einen Dritten brauchen wollen, ges 
gen einander zu wenden. 

Zunaͤchſt für Defterreih, Frankreich und England hatte 
ber utrechter und raſtadter Friebe Verhältniffe begründet, deren 
Erhaltung ihnen Allen wichtig war. Deſterreich hatte die ka⸗ 
tholifchen Niederlande, Neapel, Sardinien und Mailand, ches 
malige Nebenländer Spaniens, erworben, ohne daß Philipp V. 
fie abgetreten, ja nur mit bem Kaifer Frieden gefchlofien hätte. 
In bemfelben utrechter und vaftadter Frieden war einerfeits bie 
ewige Trennung ber Kronen Frankreichs und Spaniens feftge 
ſetzt, anbererfeits bie Nachfolge des Haufes Hannover auf den 

englifhen Thron und daher bald barauf nach bem Tode ber 
Königin Anna (12. Aug. 1714) Georg J. von Hannover’ als 
ihr Nachfolger anerkannt worden. Gegen Ludwigs XIV. Wil- 
len hatte fi) nach bdeflen Tode (1. Sept. 1745) fein Reffe, 
der Herzog von Drleans, der Regentfchaft des Reichs und ber 
—— über ben korperlich ſchwachen fünfjäfrigen Sub 
. emaͤchtigt. 

Dieſen drei Maͤchten gegenüber bewegte Spanien Europa 
Der Cardinal Alberoni, ein Mann von unrubigem und unters 
nehmendem Geiſte und jebes Mittels zur Erreichung feines 
Zweckes fähig, befaß die Gunft bes ſchwachen Königs Philipp 
von Spanien, dann ber zweiten Gemahlin befielben, ber Koͤ— 
nigin Giifabeth, weldhe ihm ihre Erhebung verdankt. Er lei⸗ 
tete bie ſpaniſchen Angelegenheiten und entwickelte die Kräfte 
des Staats nachdruͤcklich durch innere Verbeſſerungen. Den 
König Philipp gewann er für ben Gebanten an Gerftetung 
der alten großen fpanifchen Macht, auch wollte biefer feinen 


Politik Peter L 281 


Bericht auf Frankreich, für den Fall, daB der junge Lud⸗ 
wig XV. flürbe, nicht gelten laſſen und hielt dafür, mehr Recht 
auf die Regentfchaft zu haben, als ber Herzog von Orleans. 
Das trennte bie beiden bourbonifchen Häufer. Die Königin ' 
Elifabeth wollte ihre beiden Söhne verforgt wiffen, indem bie 
Söhne ber erſten Ehe ihres Gemahls das Erbfolgerecht in 
Spanien hatten. Alberoni richtete baher fein Augenmerk? auf 
bie Wiebererwerbung der an Defterreich gelommenen fpanifchen 
Nebenländer in Italien; dafuͤr war König Philipp wie beffen 
Gemahlin. Georg L muffte an ſich gegen bie Vereinigung 
Frankreichs und Spaniens in ber Hand Philipps V. fein; dazu 
fürchtete er ben Prätendentenz ben konnte Frankreich und Spas 
nien unterfiügen, allein ber ‚Herzog von Orleans muffte Bei⸗ 
fand gegen Spanien fuchen und näherte fih England. Spas 
nien allein Tonnte bad Haus Hannover noch durch ben Praͤ⸗ 
tenbenten bedrohen. Defterreich fuchte die mit fo großen Opfern 
erworbenen italieniſchen Länder zu fchligen; es war eben im 
Kriege mit den Türken; fo hatte der Kaifer, der ‚Herzog von 
Orleans unb Georg I., und zur Erhaltung der Ruhe Europas 
auch die Generalftaaten weſentlich gemeinfchaftliche Intereffen 
gegen Spaniens Entwürfe und ſchloſſen wechfelfeitige Bünbs 
niſſe untereinander. 

Diefe Verhaͤltniſſe der weftlihen Staaten Europas blies 
ben nicht ohne Einwirkung auf bie öftlichen. Unter den Fürs 
ſten feiner Zeit ragt vor Allen Peter I. hervor. Er hat ein 
hohes Ziel, feine Nation der Barbarei zu entreiffen und mit ihre 
eine Stelle unter den gebildeten Staaten Europas einzunehmen. 
Mit unerfchlitterliher Willenskraft entzieht er fih den Genhfs 
fen des Lebens, ſcheut Feine Anſtrengung, ſich Kunftfertigkeiten 
anzueignen, Feine Beſchwerden, etwa zu lernen, kein Opfer, 
unterrichtete Männer um fi zu verfammeln, und bann mit 
eiferner Hand fein Volk zur Bilbung zu zwingen und die Macht 
feines Staats zu erhöhen. Ex begreift, daß ohne Handel bie 
inmere Kraft eined Staats fich nicht entwideln Tann. Wir 
wiffen, wie gern er einen Hafen am ſchwarzen Meere gehabt 
hätte, wie er mit Karl XIL nur deshalb brach, um einen Has 
fen an der Dfifee zu erwerben. Dahin geht in Beziehung auf 
auswärtige Berhältniffe all fein Trachten. Er war anfänglich 


282 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤck. 


ſehr unzufeieden über Menfchikoff, dag er Stettin ben Preuſ⸗ 
fen und Holfteinern übergeben; ex hätte von feinen Ruſſen fo 
gem Wismar befegen laſſen, man glaubte, um es zu behalten; 
jetzt hatte er ein Auge. auf Mecklenburg. Mit großem, boch 
nur zu gerechtem Argwohne wurben bald alle Schritte des raſt⸗ 
108 unternehmenden Mannes beobachtet. Der Herzog Karl 
Leopold von Medienburg war, wie früher fein Bruder Fried⸗ 
- sich Wilhelm über die Ausdehnung feiner fürftlichen Rechte im 
heftigen Streite mit feinen Landſtaͤnden. Hannover unterftügte 
biefe, ber. Herzog wendete ſich an ben Baar, vermäßlte fi) mit 
19. April deſſen Bruders Zochter und erhielt zu feiner Unterflügung 
1716 20,000 Ruffen, welche, vermöge einer mit dem Könige von 
Dänemark getroffenen Werabredung, im Vereine mit ben Däs 
- nen und unterflügt von einer englifchen Flotte in Schonen 
landen und biefes für Dänemark erobern follten. Die Ruffen 
wurden in Medienburg auf bie Güter ber Lanbflände verlegt 
und hauſeten hier wilfürlih. Doch die Stände Tiefen ſich 
von ihrem Mechte nichts, abdringen. Gem hätte der Baar 
Medienburg an ſich genommen und ben Herzog anderweitig, 
entfehäbigt, allein weber Dänemark noch Hannover wollten den 
Moskowiter zum Nachbar, ber Kaifer ihn nicht zum Reiches 
fürften‘). Der verftändige Friedrich Wilhelm war ungeachtet 
aller Aufferlich freundlichen Bezeugung ſchwerlich für eine Ver⸗ 
änderung, welche feinen Rechten auf Medienbürg und bem 
Intereffe Preuffens fo fehr entgegenftanb; uͤberdiez würde auch 
ihm ber Baar ein umbequemer Nachbar geweſen fein. „Hatte 
er bie erfie günftige Gelegenheit ergriffen, um fein Reich burch 
den Befit des für ihn fo wichtigen Stettind und ber Odermüns 
dungen zu erweitern, fo fuchte er fich das fo Erworbene nun auf 
jede Weife zu fichern. Dann, als der Kurfürft Johann Wilhelm 
von Pfalz:Neuburg (8. Suni 1716) geftorben war und ihm fein 
Bruder Karl Philipp, ber legte Neuburger, ohne männliche Erben 
folgte, dachte Friebrih Wilhelm wohl daran, Juͤlich und Berg 
zu erwerben, was feine Vorfahren an Pfalz:Neuburg aufgege: 
ben hatten, ein Gedanke, der ihn in feinem ganzen Leben nicht 
1) Hojer I. ©. 811 ff. Der Kaifer hatte auch den Baar nicht 
sum beutfchen Neihefäcften haben wollen, was biefer für Eivland zu wer⸗ 
ben angefragen, weil das ehebem zum Beide gehört. 


Auflöfung des norbifhen Bundes. «283 


wieder verließ. Won Karl VI., dem Sohne einer Prinzeffin 
von Pfalz: Neuburg, konnte ein König von Preuffen ficher Feine 
unterſtuͤtzung zur Vergrößerung feiner ohnehin fir Deflerreich 
ſchon oft laͤſtigen Macht, am wenigften aber auf Koflen von 
Pfalz⸗Sulzbach, der nächften Erben von Pfaljs Neuburg hofs 
fen. Er wendete ſich daher, fo wenig er die Franzoſen leiben 
Tonnte, dennoch an Frankreich). War num auch ber Regent 
unzufrieben damit gewefen, daß Preuffen die Vermittelung 
Groiffys? für Schweden verworfen, fo hatte er doch jegt mehr 
unmittelbar für.fich zu forgen, gab Schweden von dem er 
nichts mehr hoffen konnte, und das in ſeiner Ohnmacht ihm 
nur laͤſtig fiel, auf, gewaͤhrleiſtete in einem geheimen Vertrage 4. 
dem Könige von Preuffen den Befig Stettins und Pommerns T 
bis an bie Peene und ficerte ihm Werwendung für eine zu 
erwirkende Genugthuung beim norbifchen Frieden und 600,000 
Thaler Hülfsgelder für den Ball eines Krieges zu. Beide 
Mächte gewäbrleifteten einander zugleich Alles, was fie im weft: 
fälifhen Frieden erworben und auch bie Zriedensfchläffe von 
Utrecht und Baden. Frankreich verfprach, bas Reich nicht ans 
zugreifen, und Friedrich Wilhelm, es zu hindern, fich zu ir 
gend einer Zeit gegen Frankreich zu erklaͤren; blos für den Fall, 
daß das dennoch gefchähe, behielt ex fich tod nur feine Pflich⸗ 
ten als Reichsfuͤrſt vor). 

Die ſeit dem Einmarſche der Ruſſen in das Medienburs 
giſche und der Bedruͤckung der Landftände durch fie entflandene 
noch geheime Spannung mit Hannover ?) wurde immer flärker, 
als die Zahl der Ruffen fi bis auf 40,000 Mann vermehrte, 
welde, verbunden mit 26,000 Dänen, einen Einfall ih Scho- 
men machen folten. Nach vielen Zögerungen, deren Schuld 

1) St. Simon T. XIV. p. 145, 151 u. 230. Der feildert Bricds " 
rich Wilhelm I. aeg, wie er beffen Behandlung ber ausrnärtigen Ans 
gelegenheiten Tante. B 

2) Der Inpalt des Wertrags if erft durch Flansan IV. p. 143 
befannt geworben. Schöll annte T! XII. p. 266 das Datum defs 
feiben nit. L&montey T. I. p. 116 gibt 14. Gept. Mir iſt ver 
fihert worden, ex fei vom 4. Sept. 

3) Bon da an rechnet bie ruſſiſche Denkfchrift Mfefoloustt's dv. 25. 
De uns ai Spannung mit Gngland. Bei Montgon, piöces just. 
T. I. No. 20. 


in 


3° Bug VL Erſtes Haupıpüd. 


Dänen und Ruffen einander vorwarfen, waren bie Truppen 
17. Sept. endlich in Seeland verſammelt, ald Peter I. ganz unerwartet 
A716 drei Tage vor dem zur Einſchiffung fetgefegten Termine ers 
Härte, die Jahreözeit fei zu weit vorgerüdt, um bie Lanbung 
noch auszuführen; man müffe ben Frühling abwarten. Alles 
Andringen de Königs von Dänemark und bed engliſchen Abs 
mirald Norris war nicht im Stande, Peter J. zu vermögen, 
mit feiner gefammten Macht uͤberzuſchiffen; hoͤchſtens wollte es 
nur einen Theil feiner Truppen dazu hergeben. Es war ben 
Dänen ſchon aufgefallen, bag Peter I. anflatt 20,000 Mann 
40,000 mit fich gebracht hatte. Er hatte aufferdem feine Uns 
zufriedenheit barlber bezeugt, bag man ihm nicht hatte den 
‚Hafen von Karlskrona uͤberlaſſen wollen, und es war ſchon 
Verdacht entflanden, er verhandele einen abgefonderten Frieden 
mit Schweden. Georg I. argwöhnte, er ſtehe in Werbindung 
mit dem Prätendenten, und nährte wahrfcheinlich die Verſtim⸗ 
mung ber Dänen. Nach mehrtägigem Streite wurbe plöglich 
die Beforgniß Taut, die Ruſſen koͤnnten bie Abficht haben, fich 
Kopenhagens und des Sundes zu bemaͤchtigen. Soglei war 
Alles auf und unter den Waffen, ben König und die Haupts 
fladt gegen bem zweibeutigen Freund zu vertheidigen. Georg I. 
fol dem Admiral Norris den Befehl gegeben haben, Gewalt 
zu brauchen, wenn bie Ruffen fich weigerten, in Schweden zu 
landen. Norris fol bereit geweſen fein, fi der ruffifchen 
Flotte zu bemächtigen. Die Dänen wollten unerwartet über 
bie Ruffen herfallen, allein ber König erlaubte es nicht, bat 
2%. Sept. jeboch den Zaar, feine Zlotte und fein Heer aus Seeland abs 
zuführen. Peter ‚verließ böchft aufgebracht bie Infel‘) und 
ſchickte feine Ruffen, ungeachtet der Kaifer dagegen proteflirte, 
nad Medienburg in die Winterquartiere, man glaubte, nicht, 
allein zur Unterflügung bed Herzogs gegen deſſen Lanbftände, 
fondern auch um fi ber Feſtung Wismar und des Hafens 
zu bemädtigen. . 
So löfte fi das Buͤndniß der nordiſchen Mächte gegen 
Schweden völlig auf und Peter hegte die größte Verachtung 
gegen Auguft von Polen, Geringſchaͤzung gegen ben König 


1) Hojer K ©. 318, Tagebud) Peters L 5. 202 — 9 406. 


Bund zw. Franke, Engt. u. d. Generalſtaaten. 285 ° 


von Dänemark und bitteren Haß gegen Georg von England; 
nur mit Preuffen blieb er in gutem Benehmen, welches nad) 
feiner Rüdkehr aus Dänemark durch eine mehrtägige Zuſam⸗ Rovember 
menkunft mit Friedrich Wilfelm L in Havelbeng noch mehr 1716 
befeftigt wurde '). 
Die eigenthlimliche Lage bed Herzogs von Drleans als 
Regenten Frankreichs vermehrte bie Verwickelungen. Er fah, 
daß ihn ber König von Spanien gern geſtuͤrzt hätte, wogegen 
ſich Georg L bei feiner mit Rußland eingetretenen Spannung 
* immer mehr zu ihm neigte, um bem Prätendenten ben Bei⸗ 
fand Frankreichs zu entziehen. Verbanden fie fi, fo hatte 
der Regent nichts mehr. von Spanien und Georg L nichts vom 
zu 'flchten. Schweden war bereits feit dem 
Bunde Frankreichs mit Preuffen (4. Sept. 1716) aufgegeben, 
und fo gelang es dem gewanbten Günftlinge des &egenten, 
dem AbbE Dubois, ein gegenfeitiges Wertheibigungsbimbniß 4. Ian. 
zwiſchen England, den Generalſtaaten und Frankreich abzufchliee 1717 
Ben. Zugleich verpflichtete. fich der Regent, den Prätendenten . 
— fortzuſchaffen und ihn auf keine Weiſe zu un⸗ 


Ein nicht weniger großer Wechſel der politiſchen Verhaͤlt⸗ 
niſſe bereitete ſich im Norden vor. Während Karl XII. durch 
die vereinigten Flotten und. Heere ber gegen ihn verbundeten drei 
Mächte von Seeland aus bedrohet war, hatte er ben Baron 
Goͤrz, der feine Gunſt vollfemmen gewonnen) (Juli 1716) 
nad) bem ‚Haag und dann nach Paris gefhidt, um Hülfgels 


ann mit Kinen Dinikem Sioen cab Prlaken Ines vom 
. Roo. Baar im Havelberg unb ſchentte biefem 
tnfderz Beafiicahine us die praͤchtige Jacht / welde fein Water 
er ——— Safmann L ©. 172, 
Tagebuch Peters J. bei Bacmeifter II. &. 115. Beilage 10. König 
SHE TV A: 6: 5 it nie de Mk an. Daß Peter dort mit Preufe 
fen ee eeſe, fogt St. Simon XV. p. 128. E⸗ 


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SD (Mofers) Matung ker Eher u. m. des Frelherrn von Goͤrz 
©. 75. Berg. Lamberty IX. p. 637. 


286 Bud VE Erſtes Hauptftüd. 


der für Schweben zu erwirken. Als bad nicht gelang, fuchte 
Goͤrz das ihm bereits befannte gegenfeitige Mistrauen ber nors 
diſchen Verbündeten zu benugen, um deren Gefinnungen ges 
gem Schweden genau zu erforſchen und mit dem, welcher bie 
meiften Vortheile böte, bie Grundlage zum Frieden mit Karl XII. 
zu legen. So trat er auch in Verbindung mit dem ruſſiſchen 
Dtober Gefandten Kırain im Haag, um nicht nur einen Zrieden, 
1716 ſondern wohl gar ein Buͤndniß zwiſchen Schweden und Rußs 
land zu bewirken, worauf Kurakin um fo mehr einging, als 
der offene Bruch wegen bed mislungenen Landungsverſuchs 
zwifchen Peter, Dänemark und England balb bekannt wurbe. 
\ Der Baar follte alle feine Eroberungen, auffer Finnland, bes 
halten, dafuͤr aber Schweben unterftügen, um von Dänemark 
und Hannover größere Entfchädigungen zu erlangen‘). Goͤrz, 
ein hoͤchſt umternehmenber Menfch, verhandelte zugleich, wahrs 
ſcheinlich ohne Karls Wiſſen mit dem Prätendenten, um biefen 
mit ſchwediſcher und ruffifcher Hülfe auf den engliſchen Thron 
zu fegen. Areskin, der Leibarzt Peters L und Wetter bed Gras 
fen von Mare, ließ den Beiftand Rußlands hoffen. Der ſchwe⸗ 
diſche Gefandte Gyllenborg in London war ebenfalls thätig da⸗ 
bei, doch ſcheint, daß er und Görz jebenfalis nebenbei für fidh 
von den Sacobiten Gelb zu ziehen fuchten, beffen fie fo ſehr 
bedurften, um ben Aufwand zu beftreiten, in bem fie ſich fehen 
lieſſen, wozu ihnen Karl XIE wenig ober wichts geben konnte. 
Diefe Umtriebe hatten ben Abfchluß ber Zriple-Alliang zwiſchen 
England, Frankreich und ben Generalfiaaten (v. 4. San. 1717) 
befehleunigt, wurden jedoch entbedt, Gylienborg in Lonbon 
und Goͤrz in Arnheim auf..einige Zeit fefigenommen und von 
Georg I. Altes öffentlich bekannt gemacht. Karl XIL und Pe 
ter 1. erflärten inbeffen, von biefen Anfchlägen nichts zu wiſ⸗ 
fen"). Jeder der eJemaligen norbifchen Verbündeten warf bem 


1) Mofers Gbrz ©. 165 mit Beilagen. 


2) St. Simon XIV. p. 297 u. XV.p. 9%. Hojer L ©. 821. 
Lamberty X. p. 17. Mofers Goͤrz ©. 172. Cs iſt möglich, doch 
kaum wahrſcheinlich, daß Peter I. u. Karl XI. gar nichts von biefen 
Umtrieben gewuſſt Haben follten. Indeſſen fie lieffen fie gehen ohne ſich da - 
für bloß zu ſtellen. 


Peter I. . 287 


andern vor, geheim abgefonderte Sriedensverhandlungen mit 
Schweden angelntipft zu haben, weil dad Jeder, auch Preufs 
fen feit dem November 1716 gethan hatte’). Die Spannung 
zwiſchen den ehemaligen Freunden wurde immer größer, als 
Peter I. zögerte, feine Truppen aus Medienburg zu ziehen. 
US ihn der Kaifer foͤrmlich Dazu auffoderte, fagte er zu dem 
Abgeordneten Georgs L: „ich bin Willens gewefen meine Zrups 
pen wegzuſchicken, ba ich aber höre, "daß es ber Kaifer vers 
langt, will ich fie in Mecklenburg laſſen und möchte wohl fe ' 
ben, wer fie herausjagen ſollte.“ Ex wolle gehen, aber wenn 
bie Hanmoveraner Miene machten, ihn zu vertreiben, werde er 
eher noch 70,000 Mann anrüden lafien?). Ein gürft, der 

erſt anfing, feine Nation einigermaßen äufferlich der Barbardi 
zu entreiffen, konnte es wagen, fo frech im beutfchen Keiche 
zu beutfchen Reichöfärften zu fprechen. Allein er Tannte feine 
Stärke und die Schwäche Deutſchlands, welche in ber großen 
Zahl faft umabhängiger Herrſchaften beſtand, welche ebenfalls 
oft genug die kaiſerlichen Befehle verachteten und ohne Rüͤck⸗ 
ficht auf Ehre und Unabhängigkeit des gemeinfamen Vaterlan⸗ 
ed nur durch armfeligen, perfönlichen Eigennus regiert wur⸗ 
den. Gr wuffte ſehr wohl, dag Friedrich Wilhelm nicht die 
Hand dazu bieten würde, gegen ihn Gewalt zu brauchen, wie 
Georg I. weite”). Nur langfam ruͤckten die Moskowiter aus 
Mettenbung ab, indem fie auf dem Wege nach Polen die größs 

ten Kusfiweifungen begingen. 
Der Baar sing felbft nach Paris, um’ den Regenten zu . 


S 


Mofers in S. 168. Die Pringeffin Wilhetmine d. Prenffen 
erbte in cn Denboltittten (Min: de Bra 1 p 81) Kr BI 
habe gegen das (Ende des Jahres 1716 den Grafen Ponlatsraki mach 
Berlin geſchict, ber einen geheimen Vertrag mit Friedrich Wilhelm ger 
ſchloſſen, wonach ganz Schwediſch- Pommern hätte preuffifch und fie Karls XII. 
Gemahlin werben follen. Iſt ſehr unwahrſcheinlich. Vergl. doch Peters 
Togebuch Th. II. ©. 974 u. Nordberg IH. p. 338.- 

DH Mofers Goͤrz ©. 187. Peters I. Tagebuch 5. 408. Bergl. 
Lamberty X. p. 104 und St. Simon XV. p. 126, daß ber Kals 
fe, Dänemark und Georg I. die Ruffen hätten wollen aus Deutfchtand 
jagen. 

3) St Simon XV. p. 98 u. 1%0. 


288 ‚Bud VL Erſtes Haupifäd. 


gewinnen. Rußland und Schweben wollten Frieden fchlieffen, 
Schweden folte für feinen Verluft und Preuffen für Stettin 
auf Koften Dänemarks und Hannovers Entſchaͤdigung erhalten, 
allein der Herzog von Orleans wollte nichts gegen Georg L 
15. Aug. thun und es wurde in Amfterbam nur flüchtig ein geheimeß 
1717 Bundniß zwiſchen Frankreich, Rußland und Preuſſen geſchloſ⸗ 
ſen, in welchem Peter und Friedrich Wilhelm die Vermit⸗ 
telung des Regenten zum Sieben mit Schweben annahmen 
und biefer verſprach, fein Buͤndniß mit Schweden nach deſſen 
Ablaufe nicht zu erneuern. Im Allgemeinen ſicherten die — 
Maͤchte einander Unterſtuͤtzung gegen fremde Angriffe zu, doch 
ſollte das Wie? in Beziehung auf den Baar, weicher Subfis 
dien, und auf Preuſſen, welches die Gewaͤhrleiſtung für Stets 
tin verlange, in einem befonderen Vertrage näher befiimmt 
werben‘). Wefentlih gewann Peter I. durch diefen Vertrag 
nichts, ald daß er Rußland fir die Zukunft den Weg zur en⸗ 
geren Verbindung mit Frankreich bahnte und dieſes immer mehr 
von Schweden ablenkte?). Er ging von Paris nach dem Haag, 
4 Seyt. wo er in einer geheimen Bufammenkunft mit Goͤrz ben Ab⸗ 
ſchluß feine® Friedens mit Schweden beſprach, welden Goͤrz 
binnen drei Monaten nach feiner Ruͤkkehr nach Schweden zu 
bewirten verfpradh. Alle Feinde Schwedens wenbeten fi am 
Sörz um abgefonderte Frieden zu fchlieffen. Georg L wollte 
Verden Faufen, Bremen als Pfand behalten und dafür bewirs 
Ten, bag Schweben Stettin zurhdlerhielte. Der preuſſiſche Ge= 
ſandte Knyphaufen im Hang hatte kaum von den Unterhand« 
lungen zwiſchen Rußland und Görz gehört, als er dem vor 
drei Jahren fo ſchimpflich aus Berlin entfernten Diplomaten 
einen Paß bahin anbot ). Friedrich Wilhelm Plagte, daß ihn 
Dänemark und Hannover in ben Krieg gezogen und nun ver= 
laſſen hätten. Der Baar fuche ben Krieg zu verewigen unb 


1) Dumont VIIL p. "490 mit den geheimen befonberen til. 


9) Hojer I ©. 821 ff. SCHW, überfhägt bie Wichtigkeit dieſes er⸗ 
ſten Buͤndniſſes zwiſchen Frankreich und Rußland. Vergl. Lömontey 
hist, de la regence T. I. p. 115. 

, B) &. Poniatowstl's Brief v. 28. Aug. 1717 an Görg in Mofers 
Bl ©. 524. 


Unterhandlungen mit Schweben. 29 


Alles fire ſich zu behalten, doch wuͤnſche er im Vereine mit 
dieſem Frieden zu fchlieffen. Et verlangte Stettin und Pom⸗ 
mern bis an die Peene und verſprach bafüır, dem Könige Georg 
fo viel als möglich hinderlich zu fein, den Baar aber zu bes 
wegen, gelindere Saiten gegen Schweden aufzuziehen ). Uns 
ter dem angenommenen Namen eined Barons von Mannsdorf 
kom Görz nach der Komthurei Liegen unfern Berlins, wo ihm 
mit vieler Aufmerkſamkeit begegnet wurde und ber Miniſter Its 
gen mit ihm unterhandelte, bis Peter I. nah Berlin fam‘). 
Friedrich Wilhelm verlangte burchans Stettin und Vortheiie 
für Rußland, bot jedoch baflz vergeblich 100,000 Thaler an 
Goͤrz, welche dieſer ausſchlug, weil er wuffte, daß Karl auf 
üdgabe aller ſchwediſchen Befigungen, in Deutfchland beftand. 
Darauf wollte Friedrich Wilheim nicht eingehen, well er mir 
einen Theil derfelben inne batte und auch biefen heranszuges 
-ben nicht geneigt war. Peter L befefligte in Berlin feine Vers Seytbr. 
bindung mit Sriebrih Wilhelm; Beide verſprachen einander, 1717 
nur gemeinfchaftlich, unftreitig auf Grundlage des früheren Ver⸗ 
trag8 (v. 12. Juni 1714), mit Schweden Frieden zu ſchlieſſen. 
Sogleich brach der König feine befonderen Werhandlungen mit 
Goͤrz ab, welcher Über Peteröburg, wo er mit dem Saar zus 
fammentraf, nach Stockholm ging und Karl XII. für den Frie⸗ 
dendentwinf mit Rußland ſtimmte. Sehr geheim wurde bies 
fer num auf der Imfel Aland durch Görz für Schweden und Wal 
durch Oſtermann für Rußland und Preuffen mit Ausfchlieffung 1718 
aller übrigen Mächte verhandelt”). Als König Auguft erfahs 
ten, daß Preuffen Unterhandlungen mit Schweden angefnüpft, 
machte er das bekannt, indeſſen hatte fi, wie gefagt, jeder 
der norbifchen Verbuͤndeten baffelbe vorzuwerfen *). 

Peter J. und Karl XIL waren darin bald einig, nicht nur 


1) Mofers Gör ©. 258 ff. u. St. Simon XV. p. 227 u.29& 

DH Mofer a. aD. S. 267 ff. 

HMofer a. a. D. ©. 276. Vergl. St. Simon XV. p. 242. 

4) St. Bimon XV. p. 337 meint: Preuffen habe in Werbindung 
mit Rußland und zugleich für ſich allein mit Schweden verhandelt. Auch 


Wüpelm und Peter traueten einander nicht, obgleich noch mehe 
als ben Andern. Bergl. Bt. Simon a. a. D. p. 861. 


Stengel, Gſch. d. Preuſfiſch. Staats. M. 19 


220 Bud VL Erſtes Hauptſtuͤck 


Zrieden, ſondern aud) ein Schug- und Zrugbimbniß abzufälicf 
ſen. Karl Lievland, Elan, Ingermamiland und 


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nislaus auf den polnifcen Thron zu fegen und Auguſt zur 
——— auch Norwegen an Karl XI. zu laſ⸗ 
fen, verlangte dagegen Stettin mit einem Theile Worpommerns 
Fr Vreuſſen; doch konnten die Feſtungswerke gefchleift werden. 
wollte indeſſen dem Könige von, Preuffen hinreichende 


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Stanislaus, an feinen Feinden in Deutſchland Rache 
en’). 

— König Karls und unter ben fchwebifchen Gros 
zwei Parteien, die eine hielt es für wortheilhafter, 
England, Be pad, wenn mi Rußkand Frieden 
wide; "baburdh winden die Unterhandlumgen auf 


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nicht wohl wollte, er und ber Kaifer waren zugleich —8 
niſch und aus mehreren politiſchen und kirchlichen Grimden ges 
fpannt mit Preuffen. 


1) Die beften Nachrichten darüber enthält das —e — 
von Bacmeifter Abl. IIL ©. 10 
wurf dv. 26. Aug. ſteht &. 870. Berg. Hofer J. 
Belebensentwurf bei Montgon. IL pidone just, No, 22, 

-2) Bacmeifter a. a. ©. S. 278. Hofer I. ©. 881. 


3 
2 
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58 


Spannung mit b. Könige Augufl m. d. Kalfen LOS 


Sohn zur katholiſchen Kirche bergen fir fo wurden bie 
Beſorgniſſe der Gvangelifchen größer und Frledrich Wilbelm 
erbot fi nun, als maͤchtigſter evangelifcher Reichsfuͤrſt, das Dis 
rectorlum wenigftens fo lange übernehmen zu wollen, bis Kurs 
fachfen wieder an einen evangeliſchen Fürften fallen winde. Das 


niſtrator des Bisthums Naumburg und Schweſtermann König 
Diedrich Wilhelms, bewog (1717), ebenfalls zur katholiſchen 
Kirche uͤberzugehen, worauf das naumburger Capitel das Bis⸗ 
thum fuͤr erledigt erklaͤrte, welches König Auguſt an ſich nahm. 


H Mofers Bericht u, ſ. w. ©. 819. 
2) Theatr, Barop. » 3. 118 p.7 0, Auch Hannover ſuchte das 
Directorium as fid) zu ziehen. Gbendaf. p- 1 


1717 


292 Bud VI. Erſtes Hauptſtuͤck. 


Nun trat aber ber. Herzog Morig Wilhelm, durch feine Ges 
mahlin und den Profeſſor Hermann Franke bewegen, bald bars 
auf (1718) zur evangeliſchen Kirche zurück, werauf König 
Friedrich Wilhelm, obwohl vergeblich, vom Könige Auguft vers. 
langte, «8 folle ihm auch das Bistbum Naumburg zurlcges 
‚ geben werben‘). Auch bad Kreiöbirectorium machte er dem 
Könige Auguft, freitig ). 

Aud) der bebrlcten Evangeliſchen in Dolm nahm ſich ber 
König an, als auf dem Reichstage zu Warſchau (1716) allen 
Diffidenten (Nichtkatholiken) verboten wurde, auffer ihren als 
ten Kirchen neue zu bauen und man darauf die feit dem Jahre 
1632 von ihnen errichteten niederriß und ihnen die Verrichtung 
ihrer Andacht nur in Privathäufern ohne Geſang und Prebigt 
geftattete, ja (1717) ihnen alles Stimmrecht in der Landbo⸗ 
tenftube bei Zribunalen und Commiffionen nahm. Friedrich 
Wilhelm verwendete fi nicht nur in Polen (1719) für die 
Evangelifhen, fondern ging auch den König von England deös 
halb an und empfahl ipm ben Staroften von Unruh, den Abs 
georbneten ber gebrüdten Diſſidenten, welche man in Polen 
voͤllig außrotten wolle’). 

Bel der fo entflandenen Spannung mahnte Friedrich Wils 
belm (1718) drohend die ruͤckſtaͤndigen Binfen der von feinem 
Vater der Stadt Eibing vorgefcoffenen 50,000 Xhaler ein, 
welche im 3. 1715 nur bie zum I. 1712 abgetragen worden 
waren, geflattete aber nicht, daB aus dem von ihm befegten 
elbinger Gebiete Beiträge bazu erhoben würden. Vergeblich 
verwendete fich der polnifche Hof deshalb. Preuffifcherfeits 
wurbe angegeben, das elbinger Gebiet habe durch Einquarties 
zung, Miswachs und Ueberſchwenunungen zu viel gelitten, was 
der polnifche Hof widerlegte und nachwies, bie von Preuffen 
eingelegte Reiterei koſte dem Gebiete allein jährlich 50,000 Tha⸗ 
ler. Preuffen erwiederte, die Eriegerifche Zeit mache Schug ges 
gen ſchwediſche und ruſſiſche Einfäle nöthig‘). 

1) Theate. Europ. v. 3 1718 p. 25. 

2) Ebendaſ. p. 126. oe 

3) Faßmann I. ©. 254. 


4) Bads-Sefä. Eihinge Thi. IT. 2. ©. 168. 


Spannung mit d. Könige Auguſt u. d. Kaifer. 293 


Mit dem Kaiſer entftand eine nicht minder unangenehme 
Spannung, al fi der König der evangelifchen Pfälzer nach⸗ 
drüdlih annahm. Der eifrig Fatholifche Kurfürft Karl Phi 
Hipp von ber Pfalz drückte feine evangelifchen Unterthanen hart, 
verbot ihnen bei hoher Strafe den Gebrauch des heibelberger 
Katehismus und nahm ihnen endlich das fogenannte Schiff 
ihrer Hauptlicche in Heibelberg. Auch der Kurfürft von Mainz 
beeinträchtigte feine evangelifchen Unterthanen in ihren Rechten. 
Die evangeliſchen Fürften machten ſchriftliche Vorftellungen ohne 
Erfolg und trugen be&halb die Führung biefer Angelegenheit 
den Kurfürften von Brandenburg und Hannover und bem 
Landgrafen von HeffensKaffel auf, welche, weil Worte nicht 
halfen, zu Gegenbebrüdungen ſchritten. Friedrich Wilpelm 1. 
Tieß fofost (1718) die reiche Abtei Hammerdleben- im Halber⸗ 
ftaͤdtiſchen und (1719) den Dom zu: Minden, fo: wie noch drei 
Kiöfter, welcye nicht beweifen Eonnten im 3. 1624 fi) öffent: 
lich zur Fatholifhen Kirche befannt zu haben‘), fequeflriren, 
bis die Evangelifchen in ber Pfalz wirden Genugthuung ers 
halten haben, Der Kurfürft von der Pfalz beſchwerte fich dar⸗ 
über bei dem Kaifer und dieſer machte dem Könige Vorſtellun⸗ 
gen über fein eigenmächtige Verfahren. Der preuffifche Abs 

Kannegieter in Wien erwieberte, die Evangelifchen 
würden feit 70 Jahren von den Katholiken unterdrüdt, alle 
Vorſtellungen deshalb wären vergeblich gewefen. Der König 
deutete fogar in einem Schreiben am, ber Kaifer fei mit ber 
katholiſchen Geiftlichkeit einverflanden. Das wies Karl VE (19. 
Ian. 1720) ernſt zurid: der Kurfürſt von Brandenburg vers 
lege durch Repreffalien, die nur dem Reichsoberhaupte zuftäns 
den, die Faiferliche Würde und greife in deſſen oberſtes Richs 
teramt. Der Kaifer babe nie geglaubt, der König, als hohes 
Reichsmitglied, werde fo undankbar fein; auch beleibige ders 
felbe alle katholiſche Zürften durch unſchickliche Ausbrüde. Er 
befahl dem Könige, das Kloſter Hammersleben wieder herzus 
fielen, zugleich aber auch dem Kurfürften von der Pfalz, die 
Evangeliſchen in ihre Mechte wieder einzufegen, worüber diefer 
fo aufgebracht war, daß er feine Reſidenz von ‚Heidelberg nach 


1) Bafmann I. ©. 222, 


Bud VL Erſtes Hauptfäd. 


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Evangeliſchen ſo erzuͤrnt, daß er ihm den 
worauf Friedrich Wilhelm baffelbe dem kaiſerlichen 


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Stammes, nicht zum Beſite des Herzogtfumß gelangen 
der Baar Peter L dafjelbe für feine Nichte, Anna Iwanowna, 
bie Wittwe des letztverſtorbenen Herzogs, behielt, weshalb der 
im 3. 1715 bereits fechözigiährige, unverbeiratpete 


dem Herzoge von Sachſen⸗Weißenfels, zu verfihaffen, die pols 
niſchen Großen dagegen, es einzuziehen und zur Krone zu ſchla⸗ 
gen, bamit eb, wie bereits im I. 1589 befchloffen, in Par 
Iatinate und Starofteien verwandelt, in ihre Hände käme. Das 
gegen waren, auſſer ben Kurländern felbft, ter Baar und Fried⸗ 
rich Wihelm, bie es gern für den jungen Markgrafen Briebs 
rich von Brandenburg · Schwedt gehabt hätten, welcher bie Ders 
wittwete Herzogin beirathen follte, worliber fie berrits einen 
befonderen Wertrag gefchloffen hatten. Deshalb wenbeten fich 

1) Mauvillon IL. p. 2. Es dauerten jchoch bie Zwiſtigkeiten noch 
‚Lnger, benn noch am 9. Iumt 1724 ſchrieb Secendorf an Cugen, für 
die aoch nicht zurädgegebenen Ginkänfte von Hammersieben wolle ber S⸗ 
ig ben Geiftlichen genugthun. Wörkters urtundenbuch IL. &. 6. 


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genen. Die Republik 


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1) Pölinig Diem. IE ©. 161 fagt: Veter I. habe den Standen 


den Borſchlag gemacht. 


2% Bud VI. Erſtes Hauptftäd. 


hauſe von Selten Polens bewiefenen Affection und wegen der 
dem Markgrafen von Schwedt entgegenftehenben unuͤberwindli⸗ 
chen Schwierigkeiten von dem Entwurfe abgehen. Endlich gab 
König Auguſt zu verſtehen, er hätte fehr wohl Veranlaffung, 
fih ihrer gemeinfhaftlihen preuffifchen Unterthanen ans 
zunehmen, damit biefe nicht in ihren Freiheiten und Rechten 
gegen die Verträge gekraͤnkt wuͤrden ’). 

Saft zu gleicher Zelt (29. März 1719) machte ber preufs 
ſiſche Hof eine Erklaͤrung befannt, in welder ex feine von ihm 
für Polen dargelegte Sreundfchaft zu beweifen und erbichtete 

Beſchuldigungen zu wiberlegen fuchte, namentlih als ob er 
und der Baar fo ſtarke Rüflungen gemacht hätten, um Polen 
zu theilen und Städte und Länder von bemfelben abzureiffen. 
Gleich bei feinem. Regierungsantritte fei eine feiner erften Sor⸗ 
gen gewefen, daß der welauer Vertrag zwifchen Preuffen und 
Polen beftätigt, der König und die Republik Polen zu dem 

keiten feiner Huldigung in Koͤnigsberg eingelaben und 
in die Eibeöformel die Eventualhulbigung für Polen mit aufs 
würde, ba er bereit geweſen wäre, fie an Polen zu 


Landgraf von Heſſen⸗Kaſſel gemacht, den Angriff or Polen nicht 
zu hindern. Deshalb fei auch Stralfund von den Werblindes 
ten belagert und mit Hülfe des Koͤnigs von Preuffen erobert 
worben, obgleich Karl XII diefem Vorſchlaͤge gemacht, wie er 
eine aber die andere polniſche Provinz an ſich bringen koͤnne. 
An Erſatz deffen, was Preuſſen bei dem langwierigen ſchwe⸗ 
diſchen Kriege gelitten, habe die Republik Polen gar nicht ges 
dacht, vielmehr noch die Zölle in Polen und Lithauen erhöhet, 
was er nicht erwiebert. Nun befulbige man ihn, er fuche 
hing, das Bisthum Ermiand, PolnifchsPreuffen, Pomerels 
len und Danzig an fi zu ziehen, man werbe das aber nie 
erweiſen koͤnnen. Er habe foger gefucht, Danzig zu (hüten, 


1) Die Schreiben bei Faßmann I. ©. 288 u. 240, auch bei Mar- 
Hnlöre p 306 L 


Kurland. - 297 


während biefes ſich weigere, bie vom feinen preuſſiſchen Uns 
terthanen vorgefiredten Kapitalien und Intereffen zu bezahlen, 
wogegen er habe firenge Maßregeln ergreifen mliſſen. Auch 
wegen Kurlands werde in Polen verbreitet, der König wolle 
es mit Preuffen verbinden; er verfichere dagegen, daß weber bei 
Lebzeiten noch nad) dem Tode des Herzogs Ferdinand dem Koͤ⸗ 
nigreiche Polen etwas von Kurland und Semgallen ſolle entriſſen 
werden und in einem beſonderen Vertrage mit dem Zaare ſei aus⸗ 
bedungen, daß keiner von ihnen ſich eine Dberherrſchaft uͤber das 
Herzogthum je anmaßen ſolle; er hoffe auch, daß man nach der 
Erledigung Kurlands auf die großen, mehrere Millionen betragens 
den Anfprüche feiner durch Abflammung und Verheirathung mit 
dem Furländifchen Herzogshaufe mehrfach verbundenen Verwand⸗ 
tem Rücdficht nehmen werde. Daß man bie Stände von Kurland 
angegangen, fei nicht unerhoͤrt, wie er nachwies; daß aber die 
Polen das Herzogthum, wie fie 1589 befchloffen, auflöfen 
wollten, fei gegen ben Unterwerfungsvertrag beffelben, wonach 
es ein Herzogtum bleiben muͤſſe. Preuffen habe die Verträge 
mit Polen unverlegt gehalten, wogegen baffelbe feinbfeliger 
Beife unter ganz nichtigen Vorwaͤnden bie koͤnigliche Würde 
nicht anerfannt habe, welche doch in ben Beziehungen zu Pos 
len nichts geändert hätte Er rüfle, weil er Öffentliche und 
geheime Beinde babe, welche das Gluͤck und. Wachsthum feis 
nes Haufed mit neibifchem Auge anfähen, gebe aber fein Es 
nigliches Wort, daß er ber polnifchen Nation nie ben gering 
ringſten Schaden zufügen werde ). 

Dann (28. Aprif) antwortete Friedrich Wilhelm auf Kb 
nig Augufls Schreiben (vom 16. März). und uͤberſchickte ein 
Eremplar der von ihm erlaffenen Erklärung, zu deren Bes 
kanntmachung er ſich wegen ber in Polen über ihn verbreites 
ten Irrthuͤmer genöthigt gefehen. Uebrigens beſchwerte ex ſich 
über bie Beſchuldigung, daß er Kurland für ſich erwerben 
wolle, fo wie über die Aeußerung: man koͤnne das Aufneh⸗ 
men des Haufe Brandenburg nicht ertragen, und daß am Ende 
des Schreibens König Auguft „von feinen und bed Koͤnigs ges 


1) Die preuffifde Ablehnung der Beſchuldigungen u. ſ. w. bei Faß⸗ 
mann. 6. 42. 


Bud VL Erſtes Hauptſtuͤc 


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Prinzen Ragogy mit biefem nach Fraukreich 
unter dan Namen eines Barons von 
ter Sriedenöverhandlungen 


Bus geha und war bon ——— 


(ausffex den oͤſterreichiſchen) vorzüglich 
fer Metternich, oft zu Ziſche geladen 


3) Rad) Yafmann E ©. 820 hat er das ſelbſt geflanben. 


1) Bafmann I. S. 251. 


Giement 


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300 Bud VL Erſtes Haupefäd. 


dieſen barlıber zu unterhandeln, und nur bie traurigen Folgen, 
welche das haben koͤnne, fo wie fein Widerwille gegen die Bas 
tholifche Religion hätten ihn bewogen, bem Könige den abs 
ſcheulichen Anfchlag zu entdecken, wie er denn auch zur evan- 
gelifchen Kirche Üibertreten wolle. Es komme Alles darauf an, 
die Sache hoͤchſt geheim zu halten, er koͤnne aus Briefen bed 
Prinzen Eugen und bed Feldmarſchalls Flemming beweiſen, 
daß er die Wahrheit rede und bitte nur, ihn nad Holland ges 
ben zu laffen, um dort die Entwürfe des Kaiferd hintertreiben 
zu innen. Der König war duch die ſcheinbare Treuherzig⸗ 
keit Glements fo für ihn geftimmt, daß er ihm verficherte, er 
glaube Alles, und nicht nur verfprach, es unverbruͤchlich geheim 
zu halten, fondern auch, daß feiner Perfon, die Angelegenheit 
möge eine Wendung befommen, welche fie wolle, dennoch nichts 
geſchehen folle. Ueber das, was er gehört hatte, aufferordentz 
ũch unruhig, verbot er bei Lebensſtrafe feiner Begleitung, auch 
nur zu fagen, daß er auögeftigen, und hatte am naͤchſten 
Abende eine zweite Zuſammenkunft mit Element. Diefer legte 
ihm jetzt angeblich eigenhändige Briefe des Prinzen Eugen und 
bes Feldmarſchalls Flemming vor. Der König glaubte deren 
‚Handfchriften zu erkennen, vertrauete ihm nun völlig und bes 
trachtete ihn aͤls feinen Retter. Clement benahm ſich dabei 
fehr klug und fepeinbar umeigennägig, indem er 12,000 Tha⸗ 
ler, melde ihm ber König anbot, unter bem Vorwande aus 
ſchlug, er habe auch nichts verdient, was bem Könige eine 
hohe Idee von dem Charakter Elements beibrachte. Diefer 
trat zur teformirten Kirche fiber und nahm dadurch. ben Obers 
bofprebiger Jablonski und den König noch mehr für ſich ein. 

* In Berlin knipfte Element mit mehreren Menfchen Vers 
bindungen an, welche ihm fir feine Abſichten dienlich waren, 
erftlich mit dem Baron Heidelamm, dem Sohne eines ehemas 
Hgen Kammerdieners, dann Schagmeifters und Finanzraths des 
großen Kurfürften, endlich Barons, der feinem Sohne eine 
glänzende Erziehung gegeben und ein bedeutendes Wermögen 
hinterlaffen hatte. Auch diefer hatte fchon dem großen Kurfürs 
ſten ald Kammerjunker gedient, war dann von Friedrich L bei 
Sefandtfchaften verwendet worden, aber durch zu großen Aufs 
wand, auch weil ihm ber König Friedrich Wilhelm die von 


Element. 801 


Friedrich J. ausgeſetzte Penſion geſtrichen), ſchon im I. 
1714 fo heruntergekommen, daß er fi hatte als Spion nah 
Stralſund ſchicken laſſen. Heidekamm kannte natuͤrlich bie koͤ⸗ 
nigliche Familie, die Miniſter und den ganzen Hof ſehr genau 
und konnte alſo dem Clement viele wichtige Nachrichten geben, 
was er auch in beſonders nachtheiliger Weiſe uͤber die Perfon . 
des Koͤnigs, auf den er erbittert war, gethan haben ſoll. Von 
einem gewiſſen Lehmann, der den Titel eines ſachſen⸗ weimaris 
fen Refidenten hatte und mit mehreren Räthen in ben Dos 
mainens und Finanzcollegien in genauer Verbindung ftand, ers 
bielt „Element Auskunft Über die Finanzen, von einem Secre⸗ 
toire bed Feldmarſchalls von Wartensleben, einem gewiſſen 
Bube, uͤber das Kriegsweſen. So war es ihm moͤglich, Vie⸗ 
les, was damals ſehr geheim gehalten wurde, dem Koͤnige 
mitzutheilen, als wenn er die Nachrichten aus Wien oder 
Dresden erhalten haͤtte. Dann reiſte Clement nach dem 
Haag ab. ö 
Der König war ſeitdem aufferorbentlich verftimmt, traus 
rig und mistranifh. Er ſprach mit Niemand von ſeiner Ums 
gebung, lub in Potsdam Beinen angefehenen Mana, fordern 
nur „ehrbare und wohl gewanderte” Bürger zu feiner Abends 
geſellſchaft ) und hatte unter. feinem Kopflifien ſtets zwei ges 
ladene Piſtolen liegen. Diefer Zuftand war feinen Umgebuns 
gen hoͤchſt drücend, doch nur ber Zürft Leopold von Deſſau 
wagte es endlich ihn geradezu, unter ben flärkfien Betheueruns 
gen unbebingter Treue, um die Urfache feines Kummers zu bes 
fragen und ihn fo dahin zu bringen, bie von Glement erhals 
tenen Nachrichten mitzutheilen. Der Zürft erklaͤrte diefen fos 
gleich für den ſchaͤndlichſten Betrüger, indem weder er, noch; 
wie er überzeugt fei, ber Prinz Eugen an fold einen verbres 
cheriſchen Plan gedacht hätte. Ex verlangte, bem Ankläger ges 
genübergefielit zu werden und beſchwor den König, alle Mit⸗ 
tel anzuwenden, ſich deſſelben zu bemächtigen. Wirklich muſſ⸗ 
1) & fügt Bafmann I. ©. 280 ausbrädiih. Mauvillon I. 
p. 362 u. Benetenborf IX. ©, 114 fagen, die Penfion ſei fogar von 
Bekari —— worben, was an ſich fehon fehr unwahrſchein ⸗ 
2) Morgenſtern. S. 186. 


se Bus VL Grhes Haupiid 
ten der Herr von Marfihall und Jabionski) mit dinem 


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reife zu widerfegen. Der Major Dumoulim muffte Clement 

iten, welcher, nachdem ex ſich noch faft einen Monat im 
Haag aufgehalten, ſogleich, nachdem ex. zur Ruͤckreiſe nach Ber⸗ 
Un in Gleve angelommen war, feftgenommen ”) unb bald nach 
Spanbau gebracht wurde. Er beftand die beiden erflen Wer 
böre 


General v. Bord, dem er vollfommen vertrauete, nach Wien 
und Dresden, um Auskunft Über dieſe Angelegenheit zu erhale 
ten und beide ‚Höfe betheuerten natlrlih, ſoichen Abfcheuliche 


1) &o wird ſich bie Sache wohl verhalten, — 
Pölnig, yweimal von Berlin nach dem Haag gegangen und zweimal yurhet 
nad) Berlin geholt worden iſt. Vergl. Men. de Bareith ĩ. p. 23. 

2) Dos muß za Ende bes Jahres 1718 geſchehen feins Bapmann 
fagt L p. B21 ex habe 17 Monate gefeflen. Vergi. ©. 231 u. Bene 
tendorf IK. ©. 120. Gr wurde am 18. April 1720 
Mäm. deBareith I, p. 24 fpredjen nur von ſechemonatilcher 
doch iſt die Werfafferin darin nicht genau. 


Element. 23 
gen 


beiten volllg fremd au fein, doch erflaunte ber Pring Chu ° 
über die aufferordentliche Geſchicklichkeit, mit der feine Hand⸗ 
ſchriſt nachgeahmt war. AS auch das den König nicht volle 
Tommen überzeugte, fo wurbe Element gezwungen, in bed Ze 


anbere deöperfi Spans 
deun gebracht ) wurden, Wehe —— 
heſteten gefundenen Briefe wurden 


So namen a e ee 
nachtheilige Aeuſſerungen in Briefen des Miniſters 
gereizt, die Gelegenheit wahr, dieſen zu ſtuͤrzen, 
men auch.gelang, ba Kamecke, welcher bie beiden Be⸗ 
Befeh Königs 


EEREST 
Ann 
* 
— 
B 


Monate nach Spandau und wurde dann nach Poms 
je Gater verwiefen. Auch der Minifter von Blas⸗ 
geflürgt, und fogar deſſen Gemahlin, Oberhofs 
Königin, und von diefer fehr gefchägt, Bam auf 
nach Spandau und wurde bann nad Sine von 


2134 
357 


1) Iablonstt wurde 1719 fuspendirt, ah 11. Jali als unſchri⸗ 
dig wicder eingefeht. Derings Rad. L ©. 

9) Am ausführtihften umb noch immer nun enäftt en Re 
tau — Den. 0 U. ©. 121. Berg. König IV. 1. ©. 82; duch 
ten find Gingelpeiten entflellt worden. 

3) Dan Tann das Ausführliche der dabei flattgehabten ummürbigen 
Umtsiebe in ben Mem, de Bareith T. I. p. 26 ff. u. 89 ff. nachleſen. 
Kamecke war im Februar 1719 bereits entlaſſen; Goͤrne kam an beffen 


| 


34 Bud VL Erſtes Haupeftüd. 


Der König war ſeitdem fo argwöhnifh, daß er noch 
lange Zeit nachher ſich nicht nieberlegte, ohme feinen Degen 
und ein Paar gelabene Piftolen in feiner Nähe zu haben. 
Er ließ bie Briefe ‚Öffnen, welche nach Berlin _Tamen und 
von bier abgingen und war gegen feine Umgebungen HöhR 
mistrauiſch. Es zeigte fich recht Mar am Giement, wie ges 
faͤhrlich ein am ſich ohnmaͤchtiger Menſch ohne Stand, Fas 

‚milimverbindungen und Vermögen ben unbeſchraͤnkten Fürs 
fin im einer Zeit werben Eonnte, in welcher jeber dem ans 
dem zu mißtrauen Urfache Hatte und doch das Wohl des 
Staats allein faft von dem. Willen deffen abhing, der an deſ⸗ 
fen Spige fland. Daher eben Fam es auch, daß der Wechſel 
der Anfichten oder der Perfonen Über:daB Schilfal der Völker 
entſchieb. Es mar auch jetzt wieber der Ball, denn während 
der vielſeitigen Spannung unter ben europaiſchen Mächten und 
der am berliner Hofe durch Clement veranlaflten Unruhe kam 
die.Machricht von dem Tode Karls XII. aw, welcher (11. Dec. 
4718) ‘vor der Feſtung Friedrichshall erfchoffen worden war. 
Dat bewirkte eine große Veränderung in’ ben noch ſchwebenden 
riebenduerhandlungen, - obgleich diefe zwiſchen Schweden und 
Bupland auf ber Infel Aland und zwar feit dem April 1719 
fogar mit Zuziehung Preuffens fortgefegt wurden. Allein die 
Königin Ulrike Eleonore, Schweſter und Nachfolgerin Karls, 
neigte ſich mehr zum Frieden mit Hannover, wofuͤr aud) Frank⸗ 
eich thätig war, unter beffen Vermittelung die Präliminarien 

— nicht nur zum Frieden, ſondern bald darauf ſogar zu einem 
Blndniffe mit Hannover und an demfelben Tage aud auf 
engliſche Vermittelung die Präliminarien des Friedens mit 
Preuffen abgefchloffen wurden‘), wodurch ſich Friedrich Wils 
heim ‚auch von ber Werbindung mit Peter Iosmachte, deſſen 
Entwürfe ihm zu weitausfehend waren ?). Noch zögerte Schwes 
den mit dem endlichen Abfchluffe, als der Morbbrennerzug der 
ruſſiſchen Flotte, welche an ber ſchwediſchen Küfte 1500 Doͤr⸗ 

1) Schöll Bist. des traitds T. KIIL p. 288. 

2) Deẽhalb beſchwerte ſich auch ber preuſſiſche Geſandte Wianolonski 
in einer Dentſchrift au den Ring eng 1. une Kabm babe, daf 
Georg aud) den König Friedrich Atem von deffen Bunde mit Btußlanb 
loegemacht, in Montgon. Memoires T. II. p. justif. — 


Erlede mit Schweden. \ "305 


fer, Schlöffer umd Städte in Aſche legte, bie Königin buch „ 1. gebr. 
fumaßfifde "und englifche Vermittelung auch zum Brieen 1720 
mit Preuffen ftimmte, welcher auf folgende Bedingungen 


greifchen der Ober und Peene und ben Infeln Wollt und Ufes 
bom an Preuffen mit dee Bedingung der Erhaltung aller Pri⸗ 
vifegien der Einwohner, ber freien Uebung ber Religion nad 
der ungeänderten augsburgifpen Confeſſion unb ber biäferigen . 
Zreipeit vom Sundzole ab. Der König von Preuffen vers 
ſprach, während des Kriegs Rußland auf Beine Weiſe —* 
Schweden beizuſtehen, odet deſſen Anſchlaͤge zu befoͤrdern, 
neuerte die alten Bimdniſſe mit Schweden und zahlte Beet 
ben bis Ablauf des Jahres zwei Millionen Thaler. Auch Damm 

und Golnow wurden an Preuffen abgetreten, welches fi, wie 
Georg L dafür zu verwenden verſprach, daß Schweden einen 
billigen Frieden, namentlich Rügen und das Übrige Pommern 
von Dänemark zurldigeftellt erhielte. Preuſſen verſprach auch, 
feine Befagung, fobalb mit Dänemark Frieden gefchloffen wors 


augsburs 

giſchen Eonfeffionsverwandten '). Bald barauf (31. 5 wurde 81. Mai 
am Preuſſen auch der Licent, welchen bie Schiffe in Stettin 14. Juni 
zu entrichten hatten, von Schweden abgetreten”), welches dann 1720 
mit Dänemark und mit Rußland ——— ſchloß. 0. Sept. 

So war denn ber Norden’ auf Koften des unglüdlichen got 
Schwedens und de Berge von Holflein beruhigt. Jeder der 
Verbündeten hatte, und man kann wohl fan, 1 keiner rechts 


mäßiger Beife, mehr oder weniger Land erworben, Preuſſen 
das ihn fo wähle, fon Ba großen Kurfürften fo fehns 
lich erfirebte Stettin ben DObermündungen. Friedrich 


diſc 

noch zwei Millionen Thaler bezahlt, deren dieſes arme Land 

fo ſehr bedurfte, endlich, zufrieden mit dem, was ihm zuge⸗ 
1) Dumont T. VIIL 2. p. 21. 


2) Dumont a. a. O. p. 2%. 
Stengel, Geld. d. Preuſſ. Staats III. 20 


306 Bud VI. Zweites Hauptftüd. 


fallen, nicht baranf bringen ber daß ihm auch Wolgaft und 
Rügen abgetreten würde, was vielleicht möglich geweien wäre 
mac, bunchzufegen ). Im folgenden Jahre (1721) nafın ber 
König in dem neuerworbenen Lande bie Hulbigung ein und 
Heß ber flettiner Buͤrgerſchaft die ihr während des Krieges ab⸗ 

genommenen Waffen zuritgeben, fie mit Ober» und Unterges 
ehe und fliegenden Fahnen vor ihm zur Muſterung erſchei⸗ 
nen und war über fie fo vergnügt, daß er fie wit Wein zu 
ihrer Eieinlen beſchenkte . 


Zweites Hauptſtuͤck. 
Regierung und Verwaltung des Staats. 
Friedrich Silhelm I. Hat bie preuſfiſche Monarchie 27 Jahre 


Deutfe fi Liter darüber Hnagfe 4 
— biwegſedten, eb ihnen auf irgend eine 
9) Bapmann L ©. 881. 


Der unumſchraͤnkte König. 307 
Fee ohne fie zu verwenben. E gleicht dem reichen Marne, 


deffen fühlt, was er damit vermöchte, aber fein Gelb viel zu 
fieb gewonnen hat, als daß er ed ausgaͤbe. 

Die unauögefegt auf den Krieg gerichtete Thaͤtigkeit Fried⸗ 
rich Wilhelms ift dennoch durchaus frieblih. Da er nun faſt 
keinen Krieg führt, auch auffer Stettin Leine Croberungen 
macht, fondern feine Schatzkammern füllt und ein verhältnigs 
mäßig unglaublich ftarke ‚Heer ausbildet, vom Kleinſten zum 
Groͤßten Alles bereit hätt, als wenn der Sturm jeben Auges 
bil losbrechen koͤnnte, fo ift ber Hauptgegenſtand feiner Ges 
ſchichte, darzuftellen, was er in biefes Beziehung ımb wie er 
es gethan. Wir werben daraus lernen, daß Preuffen nicht 
nur durch feine Kriege, daß es wenigftens eben fo febr durc. 
feine Regierung und Verwaltung groß geworben iſt, daß, was 
man auch dagegen fagen mag und fo wenig glänzend es er⸗ 
ſcheint/ mancher Federſtrich einen Schwertſtreich, mandyer Dro⸗ 
rien Dinte einen Tropfen Bluts aufwog, ben er erſparte. 
Man iſt in Preuffen vielleicht nicht erfenntlich genug gegen bie 
Kriegsmaͤnner, aber: ſicher und) weit weniger iD biejenigen 


ber betounberung . 
ausdachten und —& ausflihrten ober —* halfen. 
Ihre Namen liegen, wie bad Andenken an ihre Verdienſte 

i im Staube der Acten vergraben ober finb mit dieſen 
der Vernichtung und fo ber Vergeffenheit preiögegeben. 

Der König betrachtete ſich in jeder Beziehung als umums 
ſchraͤnkten Herrn der ihm von Bott übergeben Unterthanen, 
Das entſprach zugleich feinem veligisfen Sinne und feiner hef⸗ 
tigen Weife, welche keinen Widerſpruch duldete. Vorſchlaͤge 

te er wohl an, er foberte auch feine Kaͤthe dazu auf: „ich 
bin doch König und Herr“, fagt er, „und kann machen, was 
ich will!“ Denn Gehorfam verlangt er, augenblidlichen, uns 
bedingten, blinden Gehorfam, Won Natur rechtſchaffen, if 
er ſich keiner böfen, vielmehr guter Zwecke bei ber Aubhbung 
feiner Macht bewufft, darum erträgt er Teine ihm von Men: 
ſchen gejegten Schranken, er bricht fie gewaltfam nieder. Er 

20* 


308 Bud VI "Zweites Hauptfiüd, 


weiß es aber und iſt vol davon, daß ex Gott Bechenfchaft 
ſchuldig. Das allein beugt zumeilen feinen @igenwillen, ober 


ſchaͤrfer, als er aufferdem geweſen wäre. Ex hat gelefen: „Wer 
Blut vergiefft, deſſen Blut fol wieder vergoffen werden” und 
begnabigt daher um Blutſchuld nie. Doch iſt er auch von Natur 
Seen, oft ges, gereizt auch graufam ), nicht als — 


ber 5i8 zum Minifter, vom gemeinen Solbaten bis zum Ges 
Edelmann gegen 


nicht 
iſt das Recht ſelbſt und deſſen von Gott eingeſetzter Verwalter. 
Er iſt immer uͤberzeugt, daß er recht habe und verfährt darum 
—— Cihen Es iſt ſchwer, faft unmoͤglich, ihn vom 


er nur ſeines Staats wegen ‚lebte. ehe Tab in kinm Be 
danken und Handlungen unzertrennlih. Sein in funzen Sa⸗ 
gen, Si mn In wenigen Böorken sam Banbe ber Ihm gem: 
ten Berichte, Vorſtellungen, Gefuche von ihm 

göchin Me BaSch, Gr, vn dm ie Baung 
dem.fofort gehorfamt werben muß *). Gein Beberflrich ordnet 


8) Man fehe 191 derſelben in Fo ‘ L us 
Ar aa Erfters Friedrich Eilhelmn 


- Der unumfhräntte König. 


und ändert bie Verfaſſung und Verwaltung des 
‚Heereß, ber Binanzen, der Kirche, enfcbe üben £ 
Gut, Ehre, Leib und Leben. on oben herab foll 
tergebene feinem Vorgeſetzten eben fo gehorfam fein 

© täfft (1719) bie Mägde, dern Tros und Ungehorſe 
gleichriel 0b geringen ober. vornehmen Herrſchaſten mit 


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Feriz $ 


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Es 
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37 


bringen. 

In feinem einfachen Rode, auf feinem hölzernen Sches 
me, im Umgange fo aller Foͤrmlichkeiten Beind, gerade wie 
ein Soldat, bieder und herzlich wie ein Landedelmann, hat er 
doch einen großen Begriff von bem Anſehen, das fih auf 
Macht gründet, daher ift er unabläffig befenat, © diefe zu erhoͤ⸗ 
hen. Dabin zielen alle feine Beftrebungen. Ex muß daher. 
Alles wiſſen, was in jedem Beige ve Email vom Groͤß· 
ten bis zum Kleinſten gethan wird, er muß erfahren, was in 
jedem Theile feines Staats vorfält, opne ihn barf nichts gethan 
werben. Er arbeitet von früh bis fpät, er fchläft Baum und 
faft nur Fre ihn — die e fölchteten Ziege, Wind und 
Better, Eis und Schnee nicht abz umverweichlicht, ohne Bes 
achtung ber einfachften Bequemliäteit iſt er auf, zu Wagen 
oder zu Pferde, immer eilig, nichts geht ihm zu ſchnell; fo 
bietet er allen Befchwerden Trotz. Daffelbe verlangt er von 
feinen Beamteten, feinen Dienern, weil er fie dafuͤr bezahlt, 
daß fie arbeiten follen. Er felbft überwacht Alles unabläffig. 
Ale Diener, bald alle feine Unterthanen zittern vor ihm, wie 
feine Kinder. Er ertpeilt ben Staatöminiftern bie derbſten oft 
gröbften Verweiſe ), drohet ihnen mit hohen Strafen, fegt ke 
ab, fit fie auf die Feflung, wie er ben Thorſchreiber 
Potsdam, welcher die Bauern vor dem Shore warten um 
ohne es zu Öffnen, mit einem: „guten Morgen, Herr Thor: 
ſchreiber!“ eigenhändig aus dem Bette pruͤgelt). Er wollte, 
bie ganze Nation follte fo einfach Ieben und fo thätig und bes 
triebfam fein, ald er. Was feine Unterthanen erwarben, fland 


1) Er ſprach auch wohl in’ber Art: „mein hundefdttiſches Gabinets« 
mintfterium" u. f. w. Seckendorf journal secret p. 10. 


2) Benekenborf I. ©. 185. 


310 Bud VL Bweites Haupefiüd. 


thin zut Werfügung frei je meht fie arbeiteten, um fo mehr 
verftärkten fie feine Macht. . 

Keiner der preuſſiſchen Fuͤrſten Hat, ſeitdem bie Monars 
hie in den Kreiß ber größeren europäifchen- Staaten zu treten 
anfing, die wahren Grundlagen aller Macht, Gold und Eifen, 
ganz aus ben Augen verloren, doch auch Feiner fie unmittel⸗ 
barer fefigehalten, als Friedrich Wilhelm I. Ueberdies ent 
ſprach das feinen Neigungen. Geld und Soldaten liebte ex 
ſchon als Knabe. Vor allen Dingen gehörte aber zue Ent - 
widelung ber Staatsmacht auffer der Sparſamkeit bie forgfäls 
tigſte Aufmerkſamkeit zur Erforſchung und Benutung jeder 
möglichen Hülfsquelle, die genaueſte Ordnung in der Verwal⸗ 
tung unb unabläffige Aufficht zur Erhaltung derſelben. Was in 
biefen drei Rüdfichten der preuſſiſche Staat vor anderen Auds 
gezeichnetes geleiftet, das rührt zunächft von ihm her, was ex 
darin neu gefchaffen, gehört ihm. Die Räthe und, Minifter, 
fo groß Ihre Werdienfte im Einzelnen waren, halfen ihm nur, 
wa ber Kern, von dem Alles aus⸗, auf ben Alles zus 

ging. 
Einen eigentlichen Hofftant hielt er nicht... Won allen Ober» 
bofbeatnteten feines Waters behielt er nur den Oberhofmarſchall, 
Breiperrn bon Pringen, doch nicht ſowohl als folgen, fondern 
als Minifter mit ſtarker Gehaltsverminderung'), feit deſſen Tode 
(1725) nur einen Hofmarſchall, ferner einen Oberküchenmeifter, 
4 Gmerale als Kammerherren, 4 Kammerjunker meiſtens 
zur Aufwertung bei der Königin, 16 Pagen, von denen täge 
ch nur zwei Dienfte leifteten, 2 Xeibpagen, bie immer um 
thn waren und ihm Überall begleiteten, 5 Kammerbiener, 6 
Lakaien und 12 Nägerburfen, welche, wie auch zuweilen Gtes 
nadiere, bei der Tafel aufwarteten*). 

An die Stelle der zahlreichen Hoffeierlichkeiten an Na— 
mens⸗ und Geburtötagen ber koͤniglichen Familie, am Jahres 
tage ber Krönung feines Waters, bie der Sohn als ummüge 


1) Bon 40,000 auf 12,000 hie. 


2) Rach Faßmann L &, 861 Wilken im Berliner Kalender v. 
1823 &. 28 aus dem Adreplalender v. 1715. Morgenftern ©, 144 
u. Yölinig wenig abweichend. 


Der unum ſchraͤnkte König. 311 


und koſtbare Ceremonie nicht wiederholte, traten die taͤglichen 
Bachtparaden und die häufigen Muſterungen der einzelnen Res 
gimenter, ausnahmsweiſe von Zeit zu Beit die Heerfchau über 
mehrere zugleich. Dem Könige war alles Geremoniell fo. zus 
wider, daß er (1729) auf feiner Reife nach Sühbeutfhland, 
fo gem er ein bereits amgerichtetes koͤſtiiches Mahl. in Leip⸗ 
sig zu fi genommen hätte, doch ohne Aufenthalt weiter reiſte, 
weil ipn die Komplimente bes Generald Hopfgarten vertrieben, 
welcher ihn empfing ) Einfah und ungezwungen in feiner 
Kleidung wie im Umgange mit feiner Frau, feinen Kindern, 
Generalen, Miniftern, mit Jedem, ſowohl zu Haufe wie in 
Geſchaͤften, auf der Jagd, auf Reifen, überall, wurde das bald 
allgemeine Sitte, der Aufferliche Unterfchieb der Stände vers 
ſchwand in Berlin groͤßtentheils. Man machte nicht mehr, 
wie früher, nichtebebeutende Komplimente, fah keine Staais⸗ 
perücken mit fteifen Köpfen unb gefpreizten Manieren, nichts 
von Gepränge und Foͤrmlichkeiten, welde damals an anderen 
Höfen bie halbe Welt zu Schaufpielern machte. Man aß und 
trank, fpielte, kam und ging ohne fi über das Geremoniell 
zu ängfligen®). 

Der König felbft war in ber Regel, wenn nicht Reifen 
eine Ausnahme veranlafften, nach Verhaͤltniß der Jahreszeit 
um 5, 6 oder 7 Uhr auf und las regelmäßig in Amabei 
Greuzbergd täglicher Andacht’). Dann erfchienen feine Cabi⸗ 
netöräthe oder Serretaire, wie er fie nannte, und bielten ihm 
nvei oder mehrere Stunden hindurch Vortrag. Verſiegelte Sas 
en wurden in feiner Gegenwart eröffnet, gelefen und meiftens 
gab der König eigenhändig kurzen Beſcheid darauf. Während 
dem, ober gleich nachher, kleidete er ſich an, hörte darauf feine 
Minifter, Officiere und wer fonft ein Anliegen hatte, und hielt 
um 10 Uhr die Wachtparade, bei der ihm gewöhnlich fremde 
Geſandten oder auch andere vornehme Fremde vorgeftellt wur⸗ 
ben. Bon hier begab er fi in ben Stall (auf ber breiten 
Straße), erteilte Befehle und ging aufs Schloß zurld. Waͤh⸗ 


1) Benetenborf VI. ©. 105. 


2) Eoen Beine Gchriften Thl. I. Abthi. 3. ©. 32 ff. 
3) Morgenftern ©. 160. 


312 Bud VL Zweites Hauptfiäd. = 


sub bier Bethltigungen nahme, wenn er gut gelaunt 
Wittfchriften an. Um 12 Uhr fpeifte er, vier Gerichte, 

Sausmannstof, —— wie ſie auf dem Liſche wohls 
babender Bürger und Sutsbeſiter gewöhnlich 


. gen begleitet und immer aufmerffam auf Alles, was ihm bes 
gegnete, ertheilte nach feiner Ruͤckkehr die Parole, beforgte noch 
—E und ging um 5 ober 6 Uhr in feine Abend⸗ 
geſellſchaft *). 


fie faft das eigentliche geheime Gabinet oder doch ben geheis 
men Staatsrath Friedrich Wilhelms J. nennen. 
Der — — gern mit feinen Beamteten und Unter⸗ 
und liebte eine moͤglichſt ungezwungene Unterhaltung, 
fowohl bei ber ã als beſonders Abends, wenn er 
von ben Anſtrengungen des Tages einigermaßen ermuͤdet, fich 
erholen wollte. Schauſpiele und Concerte fanden nicht ſtatt, 
daher lud er in Berlin und Potsdam zu ſeiner taͤglichen Abend⸗ 
geſellſchaft, welche in ber Regel von 5 bis 9 Uhr dauerte, 
feine Generale, Staböofficiere und Minifter, auch wohl aus⸗ 
wärtige Geſandte, wie ben kaiſerlichen Sedenborf, den Hol⸗ 
länder Ginkel zuweilen, ausnahmsweiſe fonft. einen und ben 
anderen Mann, ber ihn intereffirtes doch burfte num, wer ges 
rufen war, erfcheinen. Weil ber König gem Taback rauchte, 
fo fah er es gern, wenn das jeder Gaft that, oder 
wie ber $ürft Leopold von Deſſau und der kaiſerliche Gefanbte 
Sedendorf eine von ben holländifchen Thonpfeifen in den Mund 
nahm, voelche auf bem Zifche lagen. In Pleinen geflochtenen 
Koͤrbchen ftand hollaͤndiſcher Taback, in Fupfernen Pfaͤnnchen 
glimmender Torf, auf einem Nebentiſche aber ein Topf mit 
guter Butter, ferner Brot, Braten oder Schinken, wovon ein 
jeder Gaſt nach Belieben nehmen konnte, und dazu auf ſeinem 


1) Benekendorf L ©. 88. 


9) Bafmann I. ©. 859. Benekendorf J. S. 1. Morgen 
ftern S. 161. 


Der Hof. Das Tabadscollegium. 313 


Plage einen weißen Krug mit budfleiner Bier und einem Glaſe 
erhielt, um es ſich felbft einzuſchenken Alle Bediente mufften 
das Zimmer verlaffen und burften nicht eher, als ber König 
das Zeichen dazu gab, wieder erfcheinen. Die Unterhaltung 
im Zabad&collegio wurde über bie verfchiebenften Gegenftänbe 
ganz zwanglos geführt, auch Schnurren vorgetragen, gefcherzt, 
gefaßt, genect, aufgezogen und gelacht. Nur heimlich durfte 
Niemand mit dem Andern fprechen, weil das ber fehr argmöh: 
niſche König nicht gern fah unb barlıber, wie auch fonft über 

andere, unbebeutende Gegenftänbe in heftigen Zorn gerathen 
Eonnte'). Hier im Kreife ihm bekannter und vertrauter Mäns 
ner ließ der König, welcher Überhaupt von Natur nicht zus 
rödhaltend war, feiner Laune oft freien Lauf, fprach von feis 
nen Entwürfen, feinen Anfichten über Perfonen und Gegens 
fände, ſchuͤttete auch wohl fein durd Staats» und Familien» 
angelegnheiten bewegtes ‚Herz aus. Es lag num wohl In ber 
Natur der Sache, daß der König in diefem Kreife nicht nur 
mancherlei Nachrichten, fondern auch Anfichten mitgetheilt und 
fo Eindruͤcke erhielt, welche für einzelne Perfonen, wie für.feine 
Regierungdmaßregeln ımb felbft für die gefammte Leitung ber 
Staatsangelegenheiten hoͤchſt folgenreich fein konnten. Dft kam 
es, vorzüglich was auswärtige Angelegenheiten und bie Wers 
haͤltniſſe zu fremden Höfen betraf, weit weniger barauf an, 
‚wie die Minifter den Gegenfland vortrugen, ald was bie vom 
Könige gern gefehenen Generale ober feine Generaladjutanten 
dazu meinten. Deshalb war es befonders für bie fremden 
Minifter fehr wichtig zu erfahren, was in ber Abenbgefellfchaft 


gefprochen wurde, und noch mehr ein ober das andere Mitglieb . 


derfelben zu getoinnen, um gelegentlich dem Könige das, was 
gemimfät wurde, zu ham, ober ihn fo zu flimmen, wie man 

Doch durfte das nur wit großer Vorſicht geſche⸗ 
ben, * er ſehr mistrauiſch war, vorzüglich, wenn er beforgte, 
man wolle ihn leiten. Darum hatten bie einfachen, ehrlichen 
alten Dfficiere, oder die, welche fich als folche darflellten, auf 
ihn weit mehr Einfluß, als die verfhlagenften Menſchen, weil 
er biefe ſcheuete. 


H.Faßmann I. ©. 879. Benekendorf I. ©. 137. 


314 Buch VL Bmeites Hauptftäd. 


In der biöherigen Landesverfaſſung änderte er anfänglich 
nichts. Er war der Erbe einer unumſchraͤnkten Gewalt, und 
wäre er ed nicht gewefen, er würde fie dennoch gelibt und feis 
nem Sohne hinterlafien haben. Bei der Hulbigung in Preufs 
fen hatte er zwar die Landſtaͤnde berufen, doch mit dem aus: 
druͤcklichen Befehle, ſich aller Befchwerben zu enthalten und bie 
Beduͤrfniſſe des Landes als Wänfche an ihm gelangen zu laſ⸗ 
fen. Die Stände begannen ihre Verhandlungen mit bem 
Sage, daß man ja dem allmächtigen Gotte feine Verheiſſun⸗ 
gen vorhalten koͤnne, der bemungeachtet allmächtig bleibe, und 
baten den König, es auch nicht ungnäbig zu deuten, wenn 
fie ihm ihre Privilegien und die Verheiffungen feiner Voraͤltern 
vorhalten würden. Der König gab darüber ſowohl hier, als 
wahrfcheinlich in anderen Provinzen, die Verficherung, daß er 
die Rechte ber Stände wie im Allgemeinen die ganze Landes- 
verfaffung aufrecht erhalten und Beinen Unterthanen in dem, 
was er billig und fügfid als Recht anfehen Tönme, beeinträdye 
tigen wolle; allein wirklich waren bie Stände faft ohne alle 
Bebeutung, wurden nur der Form nach, und, wo biefe uns 
bequem war, gar nicht berüdfichtigt ). Selbft als Grebits 
anftalten waren fie der willfitlichen Gewalt preiögegeben, . fo 
bald ſich biefe nur bie Mühe nehmen wollte, fid ber Stände 
zu bedienen. 

Einige Jahre nach feinem Regierungsantritte fand Pr ins 
deffen der König, doch lediglich aus finanziellen Rüdfihten, 
veranlafft eine nicht umwichtige Neuerung in ber Lanbeöverfafz 
fung zu machen und bie Art an eine durch ihr Alter wenig⸗ 
ſtens ehxwurdige, obwohl nun fchon voͤllig morſche Eimichtung, 
nämlich an das Lehnweſen zu legen. 

Seitdem ber ewige Landfriebe die Fehden abgeſtellt hatte, 
fehlte es der Ritterſchaft im Lande meiftens an Gelegenheit zu 
Kriegöthaten, weshalb fie häufig in fremde Dienfte zog. Als 
mun aber fchon im fechzehnten Jahrhunderte die Feuerwaffen 
immer gewöhnlicher wurden und bie eifernen Rüftungen gegen 
ſie nicht mehr gehörig ſchuͤtzten, trat dad Ungeeiguete ber bis⸗ 


© 3. Voigt Darfiellung der ſtaͤndiſchen Verhaͤltniſſe Oftpeeuffens 


Das Lehnweſen. 315 


herigen Kriegöverfaffung immer ſtaͤtker hervor und der gewors 
bene Söldner nahm balb die Stelle der unbrauchbar geworde ⸗ 
nen geharniſchten Ritterſchaft, wie ber eben fo wenig tauglis 
Gen alten Landmiliz ein. Seitdem wurde e8 immer häufiger, 
daß ber Abel, ber fih mit gemeinen Gölbnern zu bienen 
ſchaͤmte, dem Füuͤrſten bie Roßdienſte bezahlte; fo kamen bie 
Lehnpferbgelber auf’). Mit ber Errichtung flehender Heere 
wurde bie Laſt des Krieges auch während des Friedens auf 
das Volt geworfen, ber fleuerfteie Adel trug davon nichts, ja 
er genoß noch den Worzug, baß feine zahlreichen Mitglieder 
als Officiere unterhalten wurden unb blieb dabei im Seſite 
ber Guͤter, für welche ex den Kriegsdienft übernommen hatte. 
Er war zwar verpflichtet, bei der Werheirathung ber fuͤrſtũ⸗ 
hen Fraͤulein, ferner in ReichBangelegenheiten und einigen bes 
fonberen Bänen boch nur aufferorbentlich zu feuern, doch wurde 
daS von den Finſten felten, von ben Königen von Preuffen 
gar nicht mehr verlangt, weil es fo unbebeutend war, daß bie 
Koften der Ausfchreibung und Erhebung: der fo Meinen hers 
koͤmmlichen Summen dern Betrag wohl gar Überfchritten ha⸗ 
ben volirden. Das hatte Friedrich Wilhelm I. wohl überlegt, 
und erließ daher, ohne ſich um die Einwilligung bes Ritters 
ſtandes zu beklunmern, ja ohne ihm nur zu fragen, ein Edict, 
daß er wegen ber befchwerlichen Laſt, welcher die Nitterfchaft, 
Baſallen und Lehnöleute bei der auf ihren Lehnglitern haftens 
den Lehns qualitaͤt und den davon abhängenden Lehnsmuthun⸗ 
gen, Inveflituren, Verfolgung der gefammten Hand, Conſen⸗ 
fen’ und Gonceffionen unterworfen wären, deren Vernachlaͤſſi⸗ 
gung oft den Werfal bes Lehns oder fchäbliche Proceffe nach 
fi führe, Die allergnäbigfle Entſchlieſſung gefafft, alle und 
jede Adels⸗, Schulzen⸗ und Bauerlehen im Königreiche Preufs 
fen und in feinen Kurs und anderen Ländern auf ewig für 
Allobial und Erbgüter zu erklaͤren und den Lehnsverband mit 
Allen, was den Lehnrechten und Herfommen anklebe, ober 
wodurch die Wafallen ihre Lehen verbienten, aufzuheben und 
zu erlaffen, auch alle von feinem Water ober ihm ertheilten 
Anwartfcaften, wenige ausgenommen, zu caſſiren, bie Be 


1) ©. Band 1. ©, 482 fi. 


6. Ian. 
1717 


"316 Bud VL Zweites Hauptftäd. 


theiligten aber anberweitig zu entſchaͤdigen. Fuͤr bie ben bis⸗ 
berigen Sehngütern abgenommenen kaſien unb nun bewilligten 
Vortpeile erwarte er von ber Bitterfchaft eine billige Gelbfum- _ 
me, weshalb er ber kurmaͤrkiſchen befahl, nach 4 Wochen Ah; 
georbnete nach Berlin zu ſchicken mit einer Erklärung, wie viel 
fie jährlich zu entrichten daͤchten). Die kurmaͤrkiſche Ritterfchaft 
erkannte die Verpflichtung zum Ritterdienſte für den Fall ber 
Nothwendigkeit an, fo wie auch, daß bei den furchtbaren Rüs 
lungen der Mächte diefer Ball jeden Augenblid eintreten koͤnne. 
was eine beftänbige Unterhaltung ber bei ber jegigen Art ber 
Ktlegführung unbrauchbaren Roßdienſte nöthig machen würde, 
weshalb die Verwandlung derfelben in eine billige Gelbfumme 
eine nötige und fchulbige Sache fel; allein fie hatte auch meh⸗ 
vere Bedenken gegen eine fo burchgreifende Veränderung ber 
gefanmten Verhältniffe des Grundbefiget. Der König gab 
daher, wie er fagte, um ungleiche Deutungen zu befeitigen 
und feine eigentliche Abſicht bei der Lehnöveränderung darzu⸗ 
Febr. thun, folgende Kefolution: Bamilienrechte und Erbfolgeorbmung 
ir der Sehen follen bleiben und in biefer Beziehung bie Gliter nur 
unter gleichen Bedingungen wie früher mit Schulben befdywert 
werben koͤnnen. Die Ritterfchaft behält bie Rechte über ihre 
Güter dem legten ihr barlıber ertheilten Lehnbriefe gemäß, auch 
dab Jagdrecht und, jedoch nur aus koͤniglicher Gnade, bie freie 
Verfügung über ihr gehörige Eichen: ‚und Fihtenwalbungen. 
Lehnöverbrechen und demgemaͤß Beraubung ber Güter hören 
auf. Er verlangte für jedes Ritterpferd jaͤhrlich 50 Thaler als 
geringe Anerlennung, da jeber Lehnsmann bei Erfaufung eis 
nes Lehngutes wegen des nicht mehr zu leiftenden Ritterdien⸗ 
ſtes 1000 Zpaler gewinne, von denen er bann jäprlih 5 Pros 
cent entrichte. Die Ritterſchaft muͤſſe ſchon deshalb ein rais 
fonnables Quantum feffegen, damit der jährliche Kanon nie 
erhöhet werbe, was er, fo lange er lebe, nicht zu thun ver⸗ 
ſprach. Güter, die auf dem Falle ftänden (nahe daran waren 
an ben König als Lehnsherrn zurüdzufallen) nahm er von ber 
Alsbification aus; binnen 4 Boden erwarte er ihre Er⸗ 


1) Bafmann L. ©. 190. 


D 


Das Lehnweſen. 317 


ten vom 1. Juni d. J. an in allen Provinzen jährlich 40 Zplr. 
für jedes Nitterpferb entrichtet werben, wogegen er noch mans 
Ge ihm bis jeht auftehende Nutbarkeiten aufgeben wolle. Das 
nahm bie kurmaͤrkiſche Ritterfchaft an und erhielt Dagegen eine 


me6 Ranbbuche zu Erhaltung des Credits ber ehemaligen Sehn- 
giter”), auch follte nach einem ſpaͤteren Edicte das Bulbigungss 25. Behr. 
mb der Ritterfihaft gegen den Sandeshern 1720 


ferner von Lehen ber Körperfchaften, Collegien, Gemeinden, 
Innungen und Gewerke mufften, ſelbſt wenn fie Feine Dienfte 


e. 1) Be Bafmann I. S. 194, auch im Theatz. Europ. v. 3.1717 
115. 


9) 6. Teil. ©. 69. 
8) Bafmann L ©. 1%. 
4) Sbendaf. IL. ©. 434. 


B. Aug. 
1721 


318 Bud VL Zweites Hauptflüd. 


davon zu leiften oder Behmmaare dafuͤr zu entrichten, alfo auch 
nichts abzulöfen hatten, ein Lehnskanon an ben König entrich⸗ 
tet werben '). Darauf wurden auch alle Schulzen- und Bauern: 
lehen ber Kurmark gegen einen ‚iehrühen an ben König gu ent⸗ 
richtenden Kanon für Erbgüter erklärt. Die Summe ber Lehn⸗ 
pferde betrug in bee Mark 917, für die alfo zabrlich 36,650 
Thaler entrichtet werben muſſten. 

Nicht uͤberall war der Abel fo nachgiebig als in ben Mar- 
Een. Im Magdeburgiſchen wibesfegte fih ein heil ber Bits 
terfchaft der ihnen neuen umb allerdings aufgebrungenen Be 
fleuerung mit aller Kraft und wenbete fi an ben Kaifer, ber 


ſich ihrer ‘bei feiner damaligen Verſtimmung gegen ben König 


33. Bebr. nachbrüdlich annahm und dieſen, weil bie Lehnaufhebung gegen 


1718 


December 
1722 


alled Becht, » Bribet un Difenam im Beide, auch gegen 


maßen erbitterte, daß er feinen Miniſtern Bet alle übrigen 
Domainenproceffe fallen zu laſſen, aber die aller berjenigen 
Edelleute, welche fich weigerten, den Lehnskanon zu entrichten - 
und an ben Reichshofrath aupellirt hätten, mit aͤufferſtem Rache 
deude fortzufegen und fie moͤglichſt zu chicanicen, um ihnen 
ben Kigel ya -wertzeiben,. weite: an begleichen gottiofes und 


Banon auf ihre Unterthanen: zu ſchlagen und fo ihre Steuer 
freiheit, die ſie für gerährbet bielte, zu behaupten®). Als fie 
aber (1725) fogar ein Decret zur Aufrechthaltung ihrer Rechte 

i ben Reichöhofrathe erwirkte, ber an Kurſachſen und mehs 
rere Reichskreiſe den Befehl zur Erecution gegen den König 
gaby gerieth dieſer fa auffer fih, um fo mehr, ba, wie er 
behauptete, nur acht Adelige ihm entgegen wären. & aiturte, 

1) Faßmann IL ©. 498, 

2) Theatrum Europaeum v. 3. 1718 ©. 137. 

3) In feinee Inſtruction für das Generalbirectorium v. Dec. 172% 


n ee) Zetnerf on Eugen, 7. Apr. 1725, Börfters urkundenbuch 


Das Lehnweſen. 319 


das proſtituire ihn und fege Ihn auffer Reſpect bei feinen Un⸗ 
terthanen. Man wolle ihn zu einem unvorſichtigen Schritte 
bringen, dann mit dem ganzen Reiche über ihn herfallen und 
ihn ind Unglint ftürgen‘). Inbefien, da ber König. bald dar 
auf anfing mit dem Kaiſer in ein beſſeres Vernehmen zu Toms 
men, fo fanb bie Ritterfchaft in Wien Teine hinveichende Uns 
terſtuͤtzung weiter. Die Meiften zahlten, Einige aber blieben 
fo hartnaͤckig, daß noch nach vielen Jahren ihr Lehnskanon jes 
beömal durch militatrifche Ererution beigetrieben werben muffte”) 
In Preuffen dauerte der Wiberſtand auch dis zum 3.1732, 
denn erſt da erhielt (18. Dec.) der Abel vom Könige bie Aſſe⸗ 
curatien vüdkfichtlich ber Werwanbelung der Lehen in Erbguͤter) 
Allerdings mochte es dem Könige fehr unangenehm fein, Wi⸗ 
derftand bei einer Einrichtung zu finden, die er nicht nur dem 
Lande im Allgemeinen, fonbern auch bem Abel für 
hielt, indem im anderen Ländern bie Bafallen große Summen 
an den Lehnsherrn gezahlt hatten, um freie Werfügung über 
Ihe Rehen zu ahaltn; auch muß wıan geflchen, baß bei ben 


aber lag es ganz im Geiſte ber Ritterfchaft, fich, ohne weitere 
Unterfuchung über veränderte Verhaͤltniſſe, bei ihrer Struer⸗ 
freiheit zu erhalten; jedenfalls konnte es von ihr in Frage ges 
ſtellt werden, ob bie ihr neu aufgelegte Sof zur Erleichterung 


bitteren empfinden, als fie jährlich mit der wiederkehrenden 


1) Sedendorf an Eugen a. a. ©. ©. 32. 
2) Buchholz Drandenb. Gef. ZH. V. S. 196, 
9 — V. S. 463. Daher Roden bei Preuß, driedrich IL 


©. 420 angibt, die Echnbarkeit in Preuffen fei im I. 1738 
ann he 


320 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck 


Steuer den Nachtheil und nur in einzelnen Faͤllen bie unbe⸗ 
ſtreitbaren Vortheile der neun Einrichtung wahrnahm. 

Wie wenig auch in anderen Rüdfichten ber König geneigt 
war, bem Abel das Geringfle nachzugeben, was feiner unbes 
ſchraͤnkten Gewalt in den Weg trat, zeigte er zu derſelben 
det, in weiche er jene wichtige Umänderung ber Sehen 


5 


tage er Einführung des feften Hufenſchoſſes: * 
verderblich hoͤhſt bedenklich für des Koͤnigs Intereſſe und 

alıger Weiſe Eoftfpielig” und proteſtirte dagegen (31. Ian. 177) 
mit den Worten: „toutle pays sera ruine." Der König fchrieb 


derte, das fei gegen bie von ihm ben Gtänden gegebenen Res 
verſe. Vas ber Abel fagen werbe? Erſt nachdem nadjbern baber wenige 


Drittheil herabgefegt und num (1719) die Ausfuhr berfe 

bei Leibes⸗ und Lebensſtrafe verboten. Er machte e8 —8 

mainenkammer ſehr zum Vorwurfe, daß fie im Jutereſſe ber 
ELandſtaͤnde gegen dad koͤnigliche Intereſſe gehandelt: Wir geben 

ja den Kammern nicht um deswillen Beſoldung, hieß es, daß 

fie vor bie Landſtaͤnde ſprechen, mit Ihnen eine Bande, und, 
was das alleraͤrgſte, Partie wider uns ſelbſt machen ſollen ).“ 


Erlaß vom 14. Ian. 1728 bei Rötended Le». 


Der Aber. 321 


Bo fie feine Wilke nicht beſchraͤnkten, wollte er bie 
Rechte der Stände wohl befichen laſſen, doch machten bie 
Kriegs⸗ und Domainenkammern mancherlei Gingriffe, wozu 
noch kam, daß bie Landraͤthe (feit 1723) zugleich Deputirte 
der Stände und Untergebene ber Kammern waren, alfo beide, 
einander oͤfters entgegenſtehende Intereffen nicht zugleich ver» 
treten Tonnten, wobel natlrlih wohl in ber Regel das ber 
Stände am meiften leiden mochte. 

Auch fonft wollte er von den fchon damals laͤcherlich ges 
worbenen Anfprlchen bed Adels auf Geburtsvorrechte nichts 
wiffen. Im 3. 1715 beſchwerte fi) der aus altem freiherelis 
hen Gefchlechte entfproffene Herr von Strundede in Cleve 
darüber, daß der vom Könige ernannte Regierungsrath von 
Pabft (von viel jimgerem Abel) feinen Plag nicht nur in der 
Regierung auf ber Ritterbank feinem Patente gemäß, fon 
bern auch in ber Kirche auf dem nur ritterbürtigen Beamteten 
gehörigen Sige einzunehmen fich unterflanden und ihn, unge 
achtet der ihm gemachten Worftellungen, bag er von neuem 
Adel fei, nicht verlaffen, was allgemeines Auffehen erregt und 
ihm (Strundede) und die Ritterbürtigen, über welche fih Pabſt 
gefeßt, genöthigt habe, ſich aus ber beutfchen Kirche hinweg 
in die franzoͤſiſche zu begeben. Er bat daher, da des Königs ho⸗ 
bes Intereſſe darunter verfire, der getreuen Nitterfchaft alte 
Prärogativen und den Unterſchied zwiſchen ritterbürtigen Raͤ⸗— 
then und neuem Abel allergnäbigft beizubehalten und zu eini⸗ 
ger Encouragirung der getreuen in ber Seelen affligirten rit⸗ 
terbürtigen Bedienten dem von Pabft nachbrüdlicht zu injun⸗ 
giren, daß er feine demenfurirte Ambition einfchränfe und in 
der Kirche fich mit feinem vorigen Plage begnügen laffe. Der 
König verfügte darauf eigenhändig: „Dieſes fein thorheit, 
in Berlin ift fein Rang, in Kleve mus feiner fein. wen Pabſt 
über mir figet in der Kirche fo bleibe doch was id bin, mein 
extraction bleibet allezeit ')!" Demungeachtet war ber König 
dem Strundebe nicht gram, ernannte ihn vielmehr fpäter zum 
DOberpräfidenten der clevefchen Regierung und brauchte ihn zu 
wichtigen Geſchaͤften. Bir werden bei mehreren Gelegenheiten 


1) Schreiben und erfolgte Refolution bei Benekendorf VIIL@. 71. 
Stengel Gef. d. Preuffiih. Staats. TIL 21 


322 Bud VI Zweites Hauptflüd, 


feben, daß der König, wenn irgend eine, fiher fehr wenig 
Rüdficht auf den Geburtöadel nahm und fich in heiterer Laune 
bei mehreren Gelegenheiten über ihn Iuflig machte. Daß er 
ihn jedoch in einem gewiſſen Aufferen Anfehen erhalten wiſſen 
wollte, befundete er durch ein Edict (v. 3. 1739), welches er 
bei Gelegenheit eines befonderen Vorfalls erließ, in welchem 
ex angefeflenen Adeligen und folchen, welche Erbrechte auf abes 
ge ehemalige Lehngüter hätten, verbot, ſich zu unterſtehen, 
eines geringen Bü ‚gerd oder Bauers Tochter ober Wittwe, 
oder wohl gar eine unehrbare Perfon zu heisathen; doch wurs 
den von dieſem Werbote unbefcholtene Töchter bürgerlicher Of⸗ 
fitiere und vornehmer Raths⸗, Gerichts⸗ und fonft geiſtlicher 
und weltlicher Beamteten aus genommen . 

Wenn der König mit dem einzigen eigentlich bisher noch 
bevorrechteten Stande fo willkuͤrlich verfuhr, fo wird man fih 
‚wohl denken Finnen, daß er den Städten, ja Überhaupt allen 
Körperfchaften und Klaffen der Bewohner nicht ſchonender bes 
gegnete, wie wir auch mehrfach befonderd darzulegen Berans 
laffung finden werben. Ihre Verfaffung wurde indefien wer 
ſentlich nicht verändert, eben fo wenig als bie Lage der Bauern; 
wo dieſe wie in der Uckermark und ‚Hinterpommern leibeigen 
waren, blieben fie es ). 

Welt durchgreifendere Anordnungen traf der König in der 
Verwaltung des Staats, was auch nach der, vorzüglich in der 
on Hälfte fo ſchlaffen Regierung feines Vaters um fo nds 

iger war. 

Für die Verfaffung feines Hauſes grümbete er "eine wich⸗ 

18. Aug tige Einrichtung durch ein von ihm erlaſſenes und bekannt ges 
1713 machte Edict, in welchem er bie von feinem Water im 3. 
-1710 getroffene Dispofition beftätigte, vermöge der alle vom 
ihm neuerworbenen Fuͤrſtenthumer, Graf⸗ und Herrfchaften und 


1) Benekendorf V. S 197. 


2) Geſinde · und Bauernordnung v. 24. Aug. 1722 I. 1. Sie koun⸗ 
ten von einem Hofe zum anbern verfegt werben, keine Werjährung ſchutte 
* 8 Zriedrich Milpelm L beftätigte alle deechte der Verrſchaſter 

wie ber Sanbtagsabicteb v. J. 1653 fie feſtſtellte, und danach follte auch 
die Leibeigenſchaſt fortbauern. 


Hausgefeg Verwaltung. 3 


darüber 

druͤchlich zu wachen. Kaum hatte er dieſes Hanögefeh geges 

ben, als er fih auch ſchon veranlafft ſab, ſelbſt dagegen zu 

handeln. Er gab (17. Oct. 1713) das Domainenemt Biegen 

den Ehrften Bereits, — des mit dieſem getroffe ⸗ 

nen Abkommens über Stettin,” wie wir bereits angeführt has 

ben, zu Lehn, doch fe zur Aufrechthaltung bes Haugefer 

a u 
zu ben Domainen gebracht werben, was auch unflreitig 


auf zu adten, wenn ein anfehnlices But zu Baufen fei, ob es mit Boss 
theil gefchehen koͤnne und 5 Procent vom darauf gewenbeten Kapital trage. 
Kieinere Güter al⸗ 


3% Bud VL Zweites — 


geſammten Etat aller Ausgaben durch, verminderte und vers 
mehrte die Beſoldungen der Ben je nachdem er mit 
ihnen zufrieden war, feßte einzelne ab, indem er ihren Namen 
ausſtrich und andere dafür anſetzte. 

Bir haben bereits angeführt, daß er gleich nach feinem 
Regierungsantritte bie Landeöregierungsangelegenheiten depar⸗ 
tementsweiſe unter die geheimen Raͤthe und die Verwaltung 
der einzelnen Provinzen unter ſechs Miniſter vertheilte. Bald 
nachher vereinfachte er das noch mehr und brachte die ge 

» fammte Gioilverwaltung des geheimen Raths in brei Abtheis 
lungen, naͤmlich der auswärtigen Angelegenheiten, ber Finan⸗ 
zen und ber Juſtiz, und fegte ihnen geheime Staatsraͤthe vor, 
weiche Minifter genannt und Ercellenz tituliet wurden, 
insgeſammt aber das Staatöminifterium bildeten‘). Seitdem 
waren bie meiften Gefchäfte dem geheimen Rathe oder Staats⸗ 
rathe entzogen. Statt ſich noch, wie feit 1714, zweimal in 
dee Woche zu verfammeln, genügte nun, baf er nur einmal 
wöchentlich zuſammenkam ?). . 

Obgleich jeber Minifter, wie eigentlich Jedermann, Zutritt 
zum Könige hatte und die große Menge der täglich eingehens 
den Sachen eine ziemliche Anzahl von Männern beicäftigte, 
fo bildeten doch nur zwei Räthe fein Cabinet. Nur diefe beis 
‚den’ Gabinetöräthe hatten das Vorrecht, dem Könige bie ums 
"mittelbar an ihn eingegangenen Sachen vorzutragen und feine 
Befehle zur Ausfertigumg darauf eben fo zu en — 
rend die uͤbrigen Raͤthe und Secretaire ſich mit der 
gung und Copirung derſelben und mit der ek 6 —* 
tigten. Einer der Cabinetsraͤthe hatte den Vortrag für bie 
—E Angelegenheiten, das Kriegs⸗ und Juſtizweſen und 

die Privatcorrefpondenz, ber andere für das Kamerai⸗ und Fi⸗ 
nanzweſen und bie allgemeinen Lanbesangelegenheiten )). 

Die eigenhänbigen Marginalrefolutionen bed Königs was 

sem durchgehends kurz und fo beflimmt,. baß über feinen Wil⸗ 

len Bein gweifel obwalten konnte zumellen berb, hin und wies 


1) Sosmar und Klaproths Staaterath S. 229, 


9) Ebanbaf. ©. 242. 
8) Benekendorg II. ©. Bi; vergl, Morgenftern ©. 148. 


Berwaltung. Das Gabinet. 3235 


der mit Verweiſen ober ihnen gleichen Nebenbemerfungen verfes 
ben, immer ſehr unleferlich, zuweilen faſt gar nicht zu ent⸗ 


) 

Die neumaͤrkiſche Regierung berichtet, daß im Regierungs⸗ 
gebäube zu Kuͤſtrin Fein Raum vorhanden fei, bie Acten ges 
doͤrig zu verwahren unb trägt barauf an, es um eine Etage 
zu erhöhen, was 2057 Thaler koſten werde, wovon bie Lands 
fände würden die Hälfte tragen koͤnnen. Auch die Kriege: 
und Domainenlammer findet es nöthig, dad Generaldirecto⸗ 
zium fragt deshalb bei bem Könige an. Er ermiebert: „ich 
gehbe nit ein Pfennig. Platz genuch auf dem ſchlohs, ba 
Tan das ganze berliniſche, Varififhe und Londonſche Archiff 

gelaffen werden!" Das Generalbivectorium fragt an, ob ber 
Sn zue Anfertigung eines hoͤchſt nothwendigen Dammes 
durch die morafligen Belhe im Amte Stepnig die Summe 
von 487 Thalern genehmigen wolle, welche ohne Befchwerung 
der übrigen Kaffen von ben Damms, Brüden» und Bollgels 
been genommen werben koͤnnten. Der König ſchrieb auf bie 
Vorſtellung: „Narren Poffen”, was dann ber Kabinetsrath ober 
Secretair durch: „Sr. Königl. Majeftät fei es bedenklich, das 
Geld dazu gehen zu laſſen!“ überſetzteꝰ). J 
Vorzůgliches Vertrauen genoſſen als Cabinetsraͤthe und 
dann als Miniſter erſtens Samuel von Marſchall wegen ſei⸗ 
ner erprobten Treue und Redlichkeit, welche der Koͤnig hoch⸗ 
ſchaͤtzte und belohnte, dann Auguſt Friedrich von Boden, we⸗ 
gen ſeiner geindlien Finanzkenntniß, durch walche er ſpaͤter 
noch Friedrich II. im Schleſien ſehr nuͤtzlich wurde ). 

Den auswaͤrtigen Angelegenheiten ſtanden zwei geheime 
Staats: und Gabinetöminiftet vor, welche mit einem in Reiches 
juſtizſachen erfahrenen ber vielen Reichstags⸗ und Reichspro⸗ 
ceßangelegenheiten wegen bazu gezogenen Juſtizminiſter das 


2 nt —— ſ bei Foͤr ſter urkundenbuch Ahl. I. ©. SA ff. 
konnte fie nicht immer entziffern. Foͤrſter Thl. DIR, 
©. — — 
2) Bei Foͤrſter a. a. O. ©. 34 u. 48. 
3) Benetendorf I. ©. 56 ff. u. 55. Gosmars u. Klaps 
woths Staaterath ©. 417 u. 419. 


26 Bud VI. Bweites Haupfäd. j 


Gobinetömintfterium bildeten, durch welches auch *57 
vorzůeglich Stunbesehögungsfahen an ben König gelanı 

Die g der auswärtigen Angelegenheiten — 
wir bereis geſehen haben, ber erfahrene, —— un vn 
ſtellte Ilgen. Neben ihm ſtand ber von ihm fehr verfciebene, 
offene, freundliche und großmäthige Breihere von Pringen, ber, 
weil ihm fein Oberhofmarſchallamt wenig Zeit koſtete, als 
Staatsminiſter aufferorbentlich viel arbeitete, indem ihm auch 
die Kichens und Schulfachen übergeben worden waren. Weil 
er Indeffen, wenn es die Sache exfoberte, dem Könige freinnks 
thig wiberfpracdh, fo konnte ihn biefer, der das ſchwer erttug 
nicht recht leiden und Bimbigt {fm mehrmals in be Befigteit 
den Dienft auf, was ſich Pringen gefallen Meß. Sobald es 


Benelenborf X. ©. 68 die Gchiiberung beiber Miniſter. Im den lege 
dem Yetten 1 Mchaun mcg von Menrknbesf, fondern aus verſchiede ⸗ 

nen Drudfcriften Gefammeltes. . 

D) Benetendorf VL ©. 71. Staaterath S. 408 und vorzägiidh 
©. 281, wo bie vom Könige am 8. Dec. 1728 ertheilte fehr verftänbige 
Safteuction” empneht, bob beide, Work und Kupppaufen, gemeinfhafttich 
dandela und in Ban laden eh Lnglem, u I Ken, vafefern fl 


Auswärtige Angelegenh Finanzverwalt. 327 


hatte und daher vielfach bei Staatsgeſchaͤften zu Mathe gezo⸗ 
gen wurbe. Bork war ein durchaus ehrlicher biederer Mann, 
Beind aller Verflellung, darin das wahre Gegenteil von Is 

« gen, beöhalb und als Militeir dem Könige ungemein werth, 
aber als Minifter der auswärtigen Angelegenheiten, was er 
nach Ilgens Tode (1728) wurde, feiner Stele, wie er auch 
feibft einfah, unter den damaligen Umftänden, namentlich dem 
verſchmitzten Taiferlichen Gefandten Sedendorf gegenüber, nicht 
ganz gewachfen'). Als Knyphauſen feinen Abſchied mahın 
(1739), wurde Heinrich von Pobewils neben Bork Gabinetös 
minifter. Sein Name und feine Berbienfte um find 
wie bie Tpulemeiers”) an die Gefchichte Friedrichs des Großen 
gekniwft. Unſtreitig bildet die Geſchichte der Verwaltung ber 
auswärtigen Angelegenheiten die ſchwaͤchſte Seite in der Res 
gierungögefchichte des Königs, wie man befonbers nach Ilgens 
Zode fah. Priebri Wilhelm befaß, wie wir weiter unten 
noch näher nachweiſen werben, viel zu wenig gründliche Kennt» 
niß der auswärtigen Verhaͤltniſſe, Ruhe und Selbſtbeherr⸗ 
ſchung, gab ſich viel zu fehr feiner augenblidlichen Heftigkeit 
und mancyerlei vorgefaflten Meinungen bin, war endlich viel 
zu gerabe umb ehrlich, um es in Unterhanblungen mit Mens 
ſchen aufnehmen zu koͤnnen, die um jeben Preis, ohne bie 
Wahl der Mittel in Anfchlag zu bringen, ihr Biel zu errei⸗ 
chen fuchten. 

Deſto audgezeichneter trat ber König in Allem hervor, 
was er zur unmittelbaren Erhöhung ber Staatsmacht, im 
Staats haushalte und Heeresweſen wirkte. Ex hat allerdings 
nicht Alles neu gegründet, er fand bie Anfänge bereits vor, 
bie hauptſaͤchlichen Gegenftände, auf welche ſich die preuſſiſche 
Monarchie ſtuͤtzte, waren ſchon von feinem Großvater deutlich 
genug hervorgehoben und auch von feinem Vater nicht durch⸗ 
aus, wenigfiend nicht in Beziehung auf dad Heer, vergeſſen 
worden. Allein die eigentlich gefammte fefte Einrichtung ber 


1) Benekendorf VI. S. 51 ſchidert ihn ausfägrlich; vergl. doch 
die Geld. des Staatsratha ©. 281 u. 412. 


2) Ahulemeier, Ilgens Reffe, war dem Bork an die Seite gefeht, 
obwohi nur mit dem Zitel als Math. Geſch. des Staatsrathe ©. 281. 


328 Bud VI. Zweites Hauptfüd. 


Finangen und des Heeres verbankt Preuffen doch erſt dem Ko⸗ 
nige Friedrich Wilhelm L, am meiften ber durch feines Waters 
Verſchwendung und Schwaͤche fo fehr zerrütteten Finanzen, 
denn, was er in Beziehung auf fie geſchaffen, das iſt recht 
eigentlich, und fo weit das für irgend einen Koͤnig moͤglich, 
auch ausſchließlich fein eigenes Werl. Er fah nicht blos ein, 
dag Ordnung und Sparfamteit im Staatshaushalte umumgängs 
lich nöthig fei, um bie zur Erhaltung und Vermehrung des 
‚Heeres nöthigen Mittel zu ſchaffen, fondern er liebte auch das 
Sch von früher Jugend auf. Seine Mutter fürchtete ja ſchon, 
ex wuͤrde geizig werben. Er wurbe ed auch‘). Ihm war ber 
gefülte Schatz nicht allein Mittel zum Zwecke, fondern auch 
felbft Zweck. Ex finnt daher unermüblid darauf, nit nur 
auf alle irgend denkbare Weiſe fo viel Geld, als zur Unterhals 
tung bes Staats nöthig ift, herbeizuſchaffen, fondern fo viel 
als möglich baar niederzulegen und wo möglich nicht wieder 
auszugeben. Ex verfagt ſich daher viele Genüfje*) -und fobert 
das auch von Anderen. Die Einfachheit feiner gefammten Les 
bensweiſe fagt nicht nur übrigens feiner Natur zu, ſondern 
er will babei auch fparen’). Darin if er ganz unbarmherzig. 
"Wir haben gefehen, wie ſchonungslos er Gehalte und Penfios 
nen herabfegte und frih. Mit den Jahren wurde er noch 
karger — gegen fich und feine Familie, wie gegen feine Mis 
niſter, gegen Iebermarin. Gelb darf man von ihm nicht vers 
langen, wenn er gut gelaunt bleiben fol, beflo beſſer ift der 
angefchrieben, der mehr abliefert, als er erwartet. Dadurch 
erwirbt man ficher feine Gunft. Als er feine Bedienung, Hof⸗ 
ſtaat kann man es nicht nennen, einrichtete, behielt ex auffer 


1) Der Belege dafuͤr find zu viele, als daß ſich das leugnen lieffe, 
was aud) einige zu nachſichtige Geſchichtſchreiber gethan Haben, es zu ver= 
+ hüllen. Vergi. weiter unten die Darftellung ber Finamverwaltung. 


2) Sriebri) II. in den Memoires de Brandenbourg Pr 223. 

8) Bald nad) feinem Regierungsantritte befahl er den Rammercoller 
‚gien, kein weißes, feines, ſondern orbinaires Gonceptpapier zu Ausfertis 
gungen zu gebrauchen. Der Quark ift nicht das ſchoͤne Papier werth, 


follen ſchlecht Papier nehmen, das iſt mic gut genug. Wenekendorf 
VIIL ©. 80. 


Sinanzverwaltung Sparſamkelt. 9 


4 Kammerherren, welche Generale waren, jeden mit 2000 
Xhalern, 4 Kammerjunker, jeden mit 1000 Thalern bei. Bon 
ben 5 Kammerbienern erhielt jeber 400 Thaler jäbrlih, von 
ben 2 Leibpagen jeder 10 Thaler, von den 6 Lakaien jeder 
8 Xhaler monatlich‘). Diefe wurden nach einigen Jahren 
gewöhnlich durch ziemlich einträgliche Aemter entfchädigt *), bie 
Leibpagen traten in bie Armee ein. Ex ließ aus der Hofflaates 
kaſſe monatlich 1000 Xhaler für den Stall, 1000 Thaler für 
den Keller, 1000 Thaler für Befoldung und Kleidung ber Hofs 
bebienten und 1000 Thaler für feine Tafel auszahlen, was 
für diefe täglich 33% Thaler betrug®). Dabei uͤberwachte ex 
Ales bis auf dad Kleinſte. Es muffte ihm täglich der Klıs 
chenzettel fir die Tafel vorgelegt werben, in welchem nicht nur 
jede Speife*) mit ihrem Preife, fondern bie Koften jedes eins 
zelnen Beſtandtheils derfelben bis zu einem Viertel Pfunde Butter, 
und einer einzelnen Gitrone für 8 Pfennige, weiſſem Kohl für 6 
Pfennige angegeben werben mufften. Solche Küchenzettel, wels 
che gebrudt 9 Detavfeiten betrugen, fah der König durch und 
bemerkte wohl, was ihm zu theuer ſchien“). Unangefchnittene 
Braten und Pafteten ließ er aufheben, um fie kalt zu ſpei⸗ 
fen®). Obgleich er koſtbare Gerichte und Saucen auf feinem 
Tiſche nicht duldete, fo aß er fie doch gern und nahm es fehr 
gut auf, wenn. er von Miniftern und Generalen zu Tiſche ges 
laden wurde, wozu er dann auch wohl noch einen ober ein 
Paar oder einige Dfficiere, die er wohl leiden mochte, mitbrachte, 


1) Morgenftern ©. 144. 

D) Benetenborf I. ©. 8. 

8) Morgenftern ©. 157. 

4) &o war es noch bei Friedrich IL Preuß Tl L ©. 860. 


5) Bei Rödenbed I. ©. 189 ein Kuͤchenzettel v. I. 1735 im Be⸗ 
trage zu 31 Thir. 16 Gr. Es war Mittag: und Abendeffen für den Kd⸗ 
nig, deſſen Gemahlin und Bamilie, deren Gefellfchaft und Bedienung, 19 
Pagen und einige Generale. Mer König hatte eigenhändig bemerkt: 1 Thir 
gu viel. Wergl. bie Defignation dee Speiſen für jeden Tag bes Jahree, 
aus benen ber König dann wählte. Königs BerlinIV. 1. S. 230—82 
Berliner Kalender v. I. 1823. ©. 88. Anmerk. 


6) Bafmann I, ©. 859. 


339 Buch VI Aweites Hauptfäd. 


Bwar biefer Gelegenheit dem Wirthe immer, 
fich nicht zu viele Sohn zu machen, indeſſen wurde babei als 
ierdings wohl in ber Regel beffer, als an ber koͤniglichen Ta⸗ 
fel gewöhnlich war, gegefien und auch getrunfen; vorzüglich 

ver — et ber feinem Koche 400 Thaler Gehalt 
gab, wuſſte fich dadurch bei ihm fehr in Gunſt zu fegen und 


zu erhalten‘). Aud nahm er gern Geſchenke von Lebensmit⸗ 


teln und Delicateffen an, beſtellte fich auch wohl bei dem Felb⸗ 
fiber des Regiments von Dönhof eine Tonne recht gutes von 
weinlichen Zenten gepöfeites Rindfleifch, weil er das bei dem 
Generale von Dönhof in Dfipreuffen fehr gut gegeſſen ). Aus 
allem beim wird man bie Vorliebe erklaͤrlich finden, mit wels 
der fi der König der Einrichtung feines Finanzweſens 


Er hatte, wie wir bereitS anführten, gleich nach dem Ans 


n. Min 
1713 titte feiner Be Regierung bie Hoflammer und das Domainabis 
vectorium unter bem Namen eines 


eines Generalfinanzdirectoriums 

in ein Gollegium zufammengezogen, welchem bie Domalnens, 
Hei, Bo, Jar, Bat, Ming» und 

untergeben und bem fir bie Provinzen bie Amtskammern uns 
tergeorbnet waren. Auffer dieſem fanb er noch das Generals 
kriegscommiſſariat vor, unter welchem bie Kriegscommiſſariate 
in den Provinzen flanden, welchen Alles, was bie Einquartie⸗ 
zung und Verpflegung der Armee, die Unterhaltung ber Bes 
ſtungen betraf, ferner bie Acciſe, bie Handwerks⸗ Yabrikens 
und Dolielangeisgeneiten und die Aufficht über die ſtaͤdtiſchen 


oblag 
Er errichtete bald darauf zur Reviſion aller Rechnungen 


irıı die Generalsechenfammer, welde er dann, um fie ganz unabs 


von anderen Behoͤrden zu machen, unmittelbar unter 


6. Sant hängig 
ir fich ſtellte und ihr das Recht gab, Rechnungsfuͤhrer und Mit 


glieder anderer Finanzeollegien perſoͤnlich vorzufodern, um bei 
II und Erlaͤuterungen zu 


1) Benekendorf II. ©. 112 u. 119. 

9) Bel Hörfter urkundenbuch I. &. 88 v. 3. 1786. 

8) @eit 1717 als völlig abgefonbertes Gollegkum, während fie fräher 
geoiffermaßen mit dem Generalfinangbirectortum und bem Generafkrieges 


Sinangverwaltung. Generalrechen kammer. 331 


Hoqhſt aufgebeacht war er barlıber, als er auf feine mänbs 6. San. 
Uche zufälige Frage nach der Inftruction der kurmaͤrkiſchen 1717 
Amtöfammer von bdiefer erfuhr, fie habe keine. Er äufferte 
fogleich in einem eigenhändigen Schreiben an bie Amtskammer 
feine große Unzufriedenheit über das Finanzdirectorium, daß 
es ihm das nicht feit 4 Jahren angezeigt hätte, währenb bie 
Uthauifch-preuffifhe Kanuner eine Inftruction erhalten. „Gott 
iſt mein Beiſtand“, fuhr er fort, „denn ich babe die Sache 
fo wunderbar erfahren, daß ſolche Schelmereien mit mir vors 
gehn, da ich hinter das Licht geführt werde. Tot on tard er 


beein ſchiagen, ehe man ſich es vermuthet.” Er befahl, mit 
Zuziehung der geheimen Mäthe von Goͤrne und Gröben eine 
Inſtruction für alle Kammern zu entwerfen, ex wolle am Rande 
Bemerkungen bayı madyen; dann gab er Die einzelnen Punkte 
berfelben an. 

Vornehmlich folten die Yntlente, Pächter und Böller 
gute Gaution ftellen, ohne Auffchub zahlen umd ber Präfident 
und bie Kammern mit ihren eigenen Mitteln dem Könige vers 
antwortlich fein. Sie follten Vorſchlaͤge machen zur Erhöhung 
des Ertrags, er ald Herr werde dann thun und laflen, wie 
& ihm gefalle und fie auffer Verantwortung fein; wenn bie 
Kammer aber Feine Vorfchläge mache, fo fei fie verantwortlich, 
den König beſtohlen zu haben. Er ging dann alle Einzelns 
heiten der Verwaltung, Auffiht, Fechuungslegung und ber 
—— durch und ſchaͤrſte überall bie genaueſte Sorg⸗ 


„Die Herren”, endete er, „werben wohl mein Sentiment 
verſtehn, da es doch nicht (ierlich) und ottografiſch ges 
ſchrieben if. Die Kammerpräfidenten Goͤrne und Kamede ſol⸗ 
len mir nach empfangene Inflruction ſchwoͤren in meiner Ges 
genwart, daß fie alles, was Menfchen"unb treuen Dienern 


eommiffarlate in Berbinbung war. un erhielt fie ztoc Abtpeilungen, als 
Generaikriegs » und Generalbomainen-Redhenlammer, beide unter dem Präs 
PRO I von — — — Im I. 1725 erhielt fie den Ramen Generall 
sechentammer, ben fie fpäter beibehielt. Matthias 
Seuiiet Yemen SAL. 1 6. 2 Anmerk. 


— 


332 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck 


möglich iR, thun wollen, ühe nahlben Km fühtte 
zwar (7. Januar) die Amtskammer die alte Inftruction, 

De an Lage vorher Inder Gile nie hate auffnben Bis 
nen, ein und bemerkte, daß fie faft Alles enthalte, was der 
König eben anbefohlen, doc) woRe fie auch fogleich einen neuen 
Entwurf anfertigen und vorlegen. Der König ſchrieb darauf: 
ex habe bie alte Charteke nicht burchgelefen, fie fei fücher micht 
gehalten worben. Gr wolle eine neue Inſtruction publiciren: 
und „wofern biefe nicht ſtricte gehalten werben wird, fo wirb 


n, 

Schon unter dem 30. Januar erhielten ſaͤmmtliche Amts⸗ 
Tammern bie neuen Inftructionen, welche ausführlicher und bes 
ſtimmter abgefafft, doch wefentlich durchaus auf bie vom Rds 
nige in feinem Schreiben angegebenen Punkte gegründet waren ?). 


10, Min Mit den Amtsfammern vereinigte ber König gleich bars 


auf bie — von den dorſtbeamteten beſonders behandelten 
Jagd⸗, dorſi· und Grenzſachen, welche woͤchentlich zweimal, bei 


Die höheren Erlaſſe wurben ſeitdem nicht mehr an bie er 
beamteten, ſondern an die Amtskammern gerichtet und es war 
nun moͤglich, viele wuͤſte Stüde anzubauen und Waiden für 
daB Vieh zu gewinnen, was riet durch bie Rivalität beider 
Behörden verhindert worben war. Die dorſtkaſſe ſchickte von 
jest an auch ihre Gelder an bie Renteikaſſe der Amtskam⸗ 
mern und biefe an die Generalfinanzkaffe. 
Nachdem der König den Minifter von Kamede aus dem 


21. cr. 
4719 Finanzdirectorkum entlaſſen hatte“), brachte er auch bie Ges 


1) Dos merkwuͤrdige 
"bei Köbenbed L ©. 17. 


gang von feiner Hand geſchrichene Actenſtac 


2) Cabal. ©. 20. 
8) Im den Liſtoriſch· politiſchen Beiträgen Th. III. &. 127 fi 
4) Beglement v. 21. Behr. 1719, chendeſ. ©. 140 Beil. 10, ade 


Seneraldirectorium. 333 


ſchaͤfte dieſer Behörde in mehrere Abtheilungen. Der. geheime 
Rath von Göme erhielt die gefammte Werwaltung aller 
Domainen und bie Direction bes Salz⸗, Bergwerks⸗, Zoll⸗ 
und Licentwefens mit dem Vortrage uͤber biefe Gegenftände 
im geheimen Mathe; der geheime Rath von Kraut bie Münz⸗, 

Bernſtein⸗, oranifche Dekonomie⸗ und elbingifche Zerritorialſa⸗ 
chenz den übrigen Raͤthen wurden bie Amiskammern ber eins. 
zeinen Provinzen zugetheilt. Der geheime Rath von Kreuz 
blieb an der Spige bes Finanzdirectoriums, war Generalcons 
troleur, contrafignirte alle von bemfelben erlafjenen Schreiben 
und hatte die Generalaufficht über alle Amtsfammern, die For⸗ 
mirung ber jährlichen Etats und alle Geld⸗ und Kaſſenſachen. 

Ungeachtet diefer Vereinfachung der Behörden unb ber 
beftimmten Anordnung ihrer Gefcyäfte erreichte ber König doch 

vorzüglich beöhalb feine beabfichtigten Zwecke nicht ganz, weil 
umabläffiger Zwiefpalt zwiſchen dem Generalfinangbirectorium 
und Generaltriegscommiffariat, wie zwiſchen ben Amtskam⸗ 
mern unb ben Kriegscommiffariaten blieb. 

Nach veiflicher Weberlegung befchloß er daher, beide Bes 
börden aufzuheben, ihren gefammten Gefchäftöfreis einem neu 
errichteten Gollegio mit dem Titel eines General⸗Ober⸗Finanz⸗ 
Kriegs⸗ und Domainendireteriumd zu übergeben und. bamit 
Aled, was Finanzen und Erhaltung des Heeres anging, zu 
vereinigen. 

Nachdem er die von ihm ſelbſt auögearbeitete Inſtruction 
des Generaldirecteriumd, wie man «8 kurz nannte und wir 


es nun auch nennen werben, auf dem Jagdhauſe Schoͤnebeck 10. Bu. 


vollzogen hatte, befahl er ſchriftlich!) von Potsdam aus dem 
Winiſter Ilgen, dem Generalkriegscommiſſariate und dem Ge⸗ 
meralfinangbirectorio anzuzeigen, dee König ſei über ihre bishe⸗ 
rige Dienfte ſehr misvergnuͤgt, vorzüglich wegen beider vielfaͤl⸗ 

tigen Colliſtonen, welche fo weit getrieben worden, als wenn 
en Collegien nicht gleihmäßig Diener und Untertanen de 
Königs, fondern ganz verfchiebener ‚Herren wären, beren Ins 


dem Se. Mejefät den von Görne munmeheo in Dero wirklichen geheimen 
Beth anflatt des von Kameden aufgunehmen gut befunden u. f. 1 


1) Das Actenftüd bei Nödenbed L ©. 38. 


14 Ian. 
723 


3 Bub VL Zweites Hauptftüd. 


tereffen einander gänzlich zuwiderliefen. So fei es denn ges 
tommen, daß beide Gollegien gegeneinander, beibe alfo gegen 
ben König und auf deſſen Koften Abvocaten angenommen, was 
zur ſchaͤdiichen Vernachlaͤſſigung der koͤniglichen —— ud 
—— Animoſitaͤt gefüͤhrt, wovon er mehrere Beiſpiele 
anführte. Ex laſſe num jeden vernuͤnftigen Menſchen urtheilen, 
ob das eine Verbeſſerung der koͤniglichen Einkünfte zu nennen 
und nicht auf lauter windige Sachen uud Flotterien hinaus⸗ 


j zufe 
gehalten und Partei genommen; nun müſſe derjenige toll und 
wahnfinnig fein, ber dem Könige raten wolk, Leute zu bes 


Generalcommiſſariat ſchoͤben, während doch das Finanzdirecto⸗ 
rium nur den Rendanten nicht gehoͤrig auf die Haut gegan⸗ 
gen und die Heiligen mehr angebetet als 


Königs einfegen und mehreren Einzelnen anzeigen, 
welche befondere Stellung und warum fie ihnen der König 


Der von Buchs ſolle beim Generaldirectorium bleiben, 
Rommergerichtöpräfibentenftelle aber der von Coccen em 
halten. Der geheime Math von Wieregg folle aus Rüdficht 
auf feinen Schwiegervater Präfvent der kurmaͤrliſchen Kriegs⸗ 


Seneraldirectorium. 335 


und Domainenfammer fein, fih aber meritirt machen und 
nicht zu viel & P’Hombre fpielen, fid im Lande mit liegenden 
Grimden im Betrage von 30,000 Thalern anfäffig machen, 
act, diligent und prompt in feiner Arbeit und nicht fo lang⸗ 
fam unb fo faul fein, als er bisher geweſen, fonft werde er 
den König zum Feind haben. Wenn ber geheime Rath Happe 
fi nicht applicire, wozu er Verſtand genug habe, und wieber 
wie biöher ohne koͤnigliche Erlaubnig von Berlin wegreife, 
werde er caffirt; werben. Die Herren follen arbeiten, wofür 
wir fie bezahlen. Nachdem bie Kanzelliften abgetreten ,. folten 
die neue Inftruction des Generaldirectoriums vorgelefen, bie 
alten Siegel abgefobert und bie neuen überliefert werden. 

Das wurbe vollzogen. Die biöher geheimgehaltene Ins 
firuction *), welche ber König unftreitig allein’ entworfen hatte, 1 a 
war ohne folgerichtigen Plan abgefafft, oft unufanmepän 4 
gend, voller Wiederholungen und Einzelnheiten, ungleich, über 
manche Gegenftände fehr ausführlich, uͤber andere nur kurz. 
Hin und wieber waren Ermahnungen, Borwürfe und heftige 
Aeufferungen über Unterfcleife und mancherlei nicht zur Gas 
he Gehoͤriges eingeſtreut, auch wurden wohl mögliche Eins 
wenbungen befeitigt. So warf der König (Artikel 17) ben 
beiden nım aufgehobenen Behörden vor, Edicte gegeneinander 
publicirt zu haben, weil eine ber anberen etwas habe entzichen 
wollen, um bei ipm Parade und ihn glauben zu machen, bie 
Einkünfte wären vermehrt. Er beſchuldigte etliche Beamtete 

3 B. die Jaͤgerei mit allen dazu gehörigen Bebienten, daß 
Ku Diebe fien, doc) mit Unmcht, fügt er Hinzu, da ihre Be⸗ 
Rallungsbriefe Urfache find. Cr ermahnte (Artitel 26) die 
Behörden zur Einigkeit untereinandet und zum unermädeten 
Fleiße, dann wirden fie alle Hände vol zu thum und um 
* zu amüfiren nicht noͤthig haben, mit Proceſſen gegeneinan⸗ 

vr a Bien Kim Die armen Juriften, die armen Teu⸗ 

‚ feste er Hinzu, würden bei biefer neuen Berfaffung fo 

ig werden, wie daß fünfte Rad am Magen. Da 


PR... —* In BIER: va ofen Abbruck dieſes für bie innere 
era Brei ungemein wichtigen Xctenftüds, der er in feinem Ere 
ben Beiebrich Wilhelms I. Thl. II. ©, 178256 witgetfeilt Hat. 


336 Bud VL Zweites Hauptftüd. 


Einmenbung einzelner von ihm angeflellter Räthe, daß fie fich 
bisher nicht mit allen Gegenfländen der Art, fondern nur mit 
einzelnen Zweigen beſchaͤftigt hätten, begegnete er dadurch, fie 
hätten doch Ale Verftand und Gapacität und würden fo bald 
die nöthige Gefhidlichkeit erwerben, indem fie Nachrichten aus 
den Acten erhielten. Innerhalb eines Jahres müſſe ein Jeder 
. wu allen Zweigen fähig fein. Alle dieſe zum eigentlichen We⸗ 
fen der Infruction nicht gehörigen Nebendinge characteriſiren 
bie Weife, wie der König Gegenflände der Art zu behandeln 
pflegte. 


Das Weſentliche der neuen Einrichtung beftand barin, 
daß er bie biöher getrennten wichtigen Verwaltungszweige ber 
beiden num aufgehobenen Behörden vereinigte, die Gefchäfte 
des neuen Generaldirectoriums beflimmt feftgefeßt, nach Abs 
theilungen genau georbnet, überall unabläffiger Fleiß, unaus⸗ 
gefegte Aufficht zur ſtrengſten Pflicht gemacht und bie Maßres 
geln zur gegenfeitigen Ueberwachung ber Beamteten gegen Vers 
untreuung und Hintanfegung des Töniglichen Intereffe fehr ver⸗ 
mehrt wurden, um alle irgend möglichen Exfparungen zu ma= 
chen, die Einkünfte in jeder Beziehung, die ſich erfinnen lieffe, 
zu erhöhen, endlich, was unnachfichtlich beigetrieben worden, 
wirklich zur Verfügung zu erhalten. 


Bur Erreichung biefer Zwecke enthält die Inſtruction, bes 
ren Grundgedanke, ungeachtet der immer nur unwefentlichen Maͤn⸗ 
gel ihrer Abfaſſung, überall deutlich hervorfpringt, eine große 
Menge anf Erfahrung und tlchtige Kenntnig ber zahlreichen 
von ihr umfaflten Gegenftände geftügte, durchaus Mare und 
praktifche Beftimmungen, welche dieſes wichtige Werk zu einem 
submvollen Denkmale der Einficht, Thätigkeit und Willens⸗ 
kraft Friedrich Wilhelms I. machen. Es war vieleicht nicht 
minder mühfam; es zu gründen, als ein Heer zu errichten 


Bum Praͤſidenten be neuen Generaldirectoriums, welchen 
er ben Bang zunäcft nach dem Gtaatsminiflerium gab, ere 
nannte ex fich felbft, um ihm, wie er ſich ausbrädt, mehr 
Lüfte, Auctorität und Nachbrud beizulegen und feine uners 
müıdete Aufmerkſamkeit auf alle bemfelben uͤbergebene Gegen» 


Generaldirectorium. Jnſtruction. 37 " 
Rände zu eigen. &x war aber auch wirklicher Präfdent bie 


Ahthı 

ex fünf wirkliche geheime Raͤthe zu Vicepräfibenten und diri· 
girenden Miniſtern, mit deren perſoͤnlicher Ver— 

für Alles, was bei dem Generaldirectorium geſchah, ferner für 
jebe Abtheilung, mit dem naͤchſten Range nach ben wirklichen 
geheimen Kaͤthen, einige, Indgefammt vierzehn, dann fiebzehn 
Räthe ), deren jeber für das verantwortlich war, was zu feis 
ner Abtheilung gehörte. Bier geheime Secretaire und neun 
Kemzeliften und einige Kopifien wurden bem Generalbirectos 
rium zugegeben. Zu erledigten Anftellungen bei dem Gollegio 
ſollten die fünf Minifter Vorſchlaͤge machen; es müflen aber 
fo gefchidte Leute fein, verlangte der König, als pet ms 
breit zu finden und zwar von evangelifdhsreformirter 

riſcher Religion, die freu und veblich find, ofen 2öpfe hab 
von Gommercien, Manufacturen und anderen dahin gehörigen 
Sachen gute Information befigen, babei auch ber Feder mach⸗ 
tig, ‘vor allen Dingen geborene preuſfiſche unterthanen find, 
ausnahmsweiſe wohl auch ein ober zwei Fremde, kurz es mhfe 
fen ſoiche Leute fein, die zu Allem fähig find, wozu man fie 
gebrauchen will! Zum Erſatze von Erledigungen bei den Kriegs⸗ 
und Domainenämtern in jeder Provinz follten immer Beamtete 
aus einer anderen Provinz vorgeſchlagen werben. 

Die Eintheilung des 18 Gemeralbiretoriums in Departements 
wurde ſogleich und mit einigen Abänderungen noch genauer im 
September beffelben Jahres angeordnet, das erfte, unter dem vom 
Könige vorzůglich begimftigten Minifter von Grumbkow, erhielt 
Preuffen, Pommern und die Neumark, ferner die Grenzfachen, 
Ausradung und Räumung der Brüche, dann Marſch⸗ und 
Berpflegungsſachen des ‚Heered; zum zweiten, unter dem Dis 
niſter von Creug, gehörte bie Kurmark und Magdeburg nebſt 
dem Proviantwefen; zum dritten, unter dem Minifler von Görne, 
die Provinzen Cleve, Meurs, die Grafſchaft Mark, Geldern 


1) Ramiich nach der im Sept. 1723 getroffenen Abänderung bei 
König Thl. IV. 2, ©. 21, wide noch einige Pr betraf, welche ich 
oleich als zur Juſtruction gehörig mit angeführt Hat 

Stengel, Gefc. d. Preuſſiſch. Staats. M. 22 


38 Bud VL Zweites Hauptfikd, 


und Neufchatel, ferner bie orauiſche Succeſſiondſache, daB 
Salzs umb Poſtweſen; zum vierten, unter dem Binifler von 
Provi Ha . 


fein Departement beflimmt, an bem auch bie daflelbe betref⸗ 
fenden Juſtizſacen vorgetragen wurden; am fünften age jeder 
Bode waren fie fämmtlic gehalten, die Generalkaſſe zu revi⸗ 
diren weil dee König fich wegen rhdftändiger Gelber an bie 


fte 
vollenden, ben Bericht barüber anfertigen unb gegen Abend 
dem Könige ſchicken. Waren ber Gefchäfte zu viele, um vor 
zwei Uhr beendet zu werben, fo wurden bie Mitglieder auf 


nicht 
tal ſechs Monate feines Gehalts, und das zweite Mal wurbe 
kaſſiri: „dem mir fie bezahlen, daß fie arbeiten follen“, 


es. 

Wenn von Zeit zu Zeit Gommiffionen in die Provinzen 

gelchieft würden, um ben Zufland ber Domainen zu unterſuchen 
un Bertölige au Berbefferungen zu machen, fo follte das 
Generaldirectorium den Präft: 


Die 
geſchaͤfte des Generaldirectoriums, nämlich Contribution, Actife, 


1) Me der im der Jaſtructien dazu beimmte buſter von Kraut 
fon im Auguft 1723 flach. 

Ye. noch befonbers Darüber bes Kdnige Gabinetdocher v. 2%. Jaunar 
1728 an den Minifter von Pringen, in weicher ber Rönig alle Cimeln« 
heiten Hinfichtlidh der Speifung der Viniſter und Bäthe feftfegt, bei Sene · 
tendorf XL. ©. 88. 


Seneraldirectorium, Inſtruction. 339 


Stempelpapier, Bol, Poſt, Salz, Münze, Domainen in ihrem 
ganzen Umfange, Manufacturen, Handel, Polizei, Stäbte und 
deren Kaͤmmereiweſen, bie Werpflegung des Heeres, Einquar⸗ 
Kirrunge Servis⸗ und Fouragegelders Sachen. Man lernt 
Daraus ziemlich volftändig des Königs Anfichten über die bes 
zührten Gegenflände kennen, welche faft die gefammte innere 
Verwaltung des Staats umfaſſen. Ueberall ift fein Blick auf 
das Beientlihe, auf pimktliche Ordnung und wirkliche Vers 
mehrung der Einkünfte gerichtet. Bei dem Artikel über bie 
jährlichen Etats gab er eine genaue Anweifung zu beren Ans 
fertigung, fuchte feine Abſicht dabei fo deutlich als möglich zu 
machen und endete: „Die Herren werben kam, 8 & fei nicht 
möglich), aber fie follen die Köpfe darauſtecken, und 
wir ihnen hiermit ernfllih, es fonder Raifonniren möglich zu 
machen.“ Dreißig Tage nach Ablauf des Quattals mufiten alle 
— unter Verantwortlichkeit der Minifter in ber Kaffe bes 


wen!) muſſten mit dem Ende jebed Jahrs alle in ihr Des 
partement gebörige Rechnungen über Tönigliche Gelder abneh⸗ 
men, fie nad) einem vorgefchriebenen Schema überfichtlich zufams 
menfaflen, vor Zrinitati einreichen und bie Oberrechenfammer 
diefe bis vier Wochen nad Zrinitatid abnehmen, bamit dann 
ber König Generalquittung ertheilen konnte. Da dem Könige 
fehr daran lag, nicht Hintergangen zu werben, fo ſcharſte ex 
das in der Inftruction befonders ein: „Wir wollen bie Flatte⸗ 
zien durchaus nicht haben, fondern man fol und allemal bie 
reine Wahrheit fagen, und nichts hinter dem Berge halten 
noch und mit Ummwahrheiten unter die Augen gehn!” Gpäter 
(7. Juni 1727) befahl er, ihm zwar bei Unglhdöfällen jeders 
zeit bie reine Wahrheit zu fagen, allein es öffentlich fir un» 
bedeutend unb bereits gehoben auözugeben: und follen bie 
Sachen niemals fhlimm, fondern allemal nicht gefährlich ges 


1) In der Juſtruction werben fortwährend noch Amtslammern und 
a a he 

sub Domelnenlammern vereinigt wurben, fo habe ich biefe nun gewoͤhn · 
Ude Bezeichnung gleich hier gewaͤhlt. —* 


30 Bud VE Zweites Hauptftäd. 


macht (argeftelt) werben‘). Er verfichert ſchließlich in der 
Inſiruction Aue, wenn fie ihm gehorfam fein würden, feiner 
Gnade, auch daß er Feiner gegen fie angebrachten Beſchuldi⸗ 
gung Glauben beimeffen, viel weniger fie condemniren wolle, 
ohne fie in Gegenwart ihres Anklaͤgers mimdlic vernommen 
zu haben, biejenigen aber, die nicht in allen Stüden ber Ins 
ftruction nachleben, fondern es wieber auf ben alten Schlen⸗ 
drien Tommen laſſen wollen, die mögen fi) nur im Voraus 
Rechnung machen, daß wir es ihnen nicht ſchenken, ſondern 
ihren Ungehorfam und Widerfpänftigkeit auf gut ruffiſch be 
firafen werden. Er befiehlt endlich, die Inſtruction hoͤchlichſt 
geheim zu halten unb ba er genoͤthigt fei, zur beſſeren Einrich⸗ 
tung ber Binanz» und Domainenverwaltung Mancherlei zu vers 
orhnen, was von ben meiften Leuten ungleich angefehen wers 
den möchte, fo fole dad Generalbirectorium es fo einrichten, 
daß das daraus entftehenbe, obwohl ganz umverbiente ODdium 
nicht auf den König falle, ber fich die Liebe feiner Untertha- 
nen amd bie Freundſchaft der Nachbarn zu erhalten wünfche, 
fondern auf dad Generaldirectorium ober eins unb bad andere 
Mitglied deffelben. 

So fehr er num die Eontrolen der Beamteten Über Beamtete 
Häufte, fo war ihm das doch noch nicht genug. Er begriff ſehr 
gut, daß wenn die Beamteten fi) unter einander verfländen, 
es fowohl ihm als felbft den Miniftern beim beften Willen uns 
moͤglich werden wide, Miöbräude und Unterfchleife zu vers 
hüten. An jene furchtbare Ueberwachung durch die Deffentlich⸗ 
kelt ) dachte damals Niemand, weil ja die Verpflichtungen ber 
Beamteten als deren Geheimniß betrachtet wurben. Daher 
machte es der König dem Generafdirectorium mehrfach zur 


1) Bei Röbented L e. 9%, - 
2) Wie Friedrich Wühelm I. fie laut Gabinetsordre v. 4. Bebr. 


. 1804, bie Genfur betreffend, wanſchte MMollte man eine geiiffe und 


g 
übrig bieiben, die Rachlaͤſſigkeit oder Treuloſigkeit öffentlich en 
Staatsdiener zu entbedten. Hingegen bleibt bie Deffentlichteit das 
Mittel, ſowohl für die Btegierung felbft, als auch für das Publikum ger 
‚gen die Sorgloſigkeit oder unlauteren Abſichten der WBehörben, und fie 
verbient Daher befbrbert und in Schut genommen zu werden. 


Kriegs: und Domainentammern. 3 


Pflicht, Spione zu halten und fleißig geheimen Briefwechſel 
mit Pächtern, Bürgern, Schulzen und Bauern in den Pros 
vinzen einzurichten, um zu erfahren, was geſchehe, ob wir. 
licper Grund bei vorfommender Verminderung ber Einnahme, 
bei geſuchtem Nachlaß und hergleihen mehr vorhanden fei, ‘ 
weil man dadurch oft beffer unterrichtet werde, als durch die 
Berichte der Kammern, ja er ging. fo weit, zur Werhindes 
zung ber Ablöfung ber von ihm erfauften mansfeldiſchen Güs 
ter dem Generalbirectorium zu befehlen, einen Verſuch zu 
machen, ob es nicht der verwittweten Fuͤrſtin von Manzfeld 
Bathaeber und Bebiente durch Präfente auf feine Seite ziehen 
* 

Um den Gefchäftögang gehörig einzuleiten und zu ordnen, 
wohnte er ben erfien Sitzungen bis zum Ende bei, dann ließ 
er zur fleten Erinnerung in dem Verſammlungsſaal fein Bild 
in 2ebenögröße aufftellen, wie er mit dem Gommanboflabe auf 
das Bild die Göttin der Gerechtigkeit mit der Wage zeigt, auf 
deren einer Schale das Wort Kriegös, auf ber anderen das 
Wort Domainenkafle ftand ). 

Zu gleicher Zeit wurden in. ſaͤmmtlichen Provinzen auf 
gleiche Weiſe, ftatt der biöherigen Kriegscommiffariate und Amts⸗ 
kammern, Kriegs und Domalnentammern eingefegt, welche 
alle Amstögefchäfte jener beiden Gollegien erhielten, insgeſammt 
unter bem Generalbirectorium fanden und ſich nicht ummittels 
bar ſondern nur durch biefes an ben König menden durften. 
Auch fire fie gab der König (26. Ianuar 1723) eine ausfuͤhr⸗ 
liche Inſtruction 9, welche mit ber bed Generaldirectoriums in 
ihren Grundfägen und Ausführungen, fo weit es eben für bie 
Provinzen angemeffen war, durchaus übereinftimmt, überall 
dieſelben nachdrücklichen Vorſchriften zu Erſparungen, zur Er⸗ 


2) Marie Gleonore, Mutter des im I. 1712 geborenen Würften 
Heinrich Franz III. Friedrich Wilhelm L hatte viele verpfänbete Güter 
‚an ſich gebracht. 

2) Rodenbeck J. ©. 22. 

3) Die Iaftruction für die kurmaͤrkiſche Kammer bei Koͤdenbeck k 
©. 81 87. Bieles iſt im ihe wörtlich wie in ber Jaſtruction für das 
Ceneraldirectorium. 


#2 Bud VL Zweites Hauptfläd. 


böhung der Einkünfte, zur firengen MBeitreibung ber Gefäße, 
. genauen Rechnungsablegumg, feften Orbnung, unabläffigen Thaͤ⸗ 
tigkeit und forgfamen Ueberwachung. 

Die Kriegs⸗ und Domainenfammern erhielten den Rang 
vor allen anderen Provinzialcollegien auffer ben Regierungen, 
die Kriegs⸗ und Domainenräthe aber den Rang von geheimen 
unb Regierungsräthen vor allen anderen Räthen, mit denen fie 
Übrigens in gleichem Range waren. Cr befahl ihnen zugleich, 
Aufeultatoren ohne Gehalt anzuftellen mit Ausficht auf Fünftige 
Beſoldung, geringere Bedienungen bei dem Collegium wolite 
er an den Meiftbietenden unter ben dazu Geeigneten verfaus 
fen; nur Rendanten (weil diefen viel anvertrauet werben muffte), 
follten nichts zahlen, fondern Meblikeit, Treue und Brauche 
barkeit genügen, und daß fie Gaution ſtellten. Thorfchreiber=, 
Polizei⸗, Landreiters und dergleichen Poſten erhielten Invalis 
den ober audgebiente -Unterofficiere und Soldaten auf Vorſchlag 
eines Generalabjutanten. 

Die Sigungen dauerten täglich von ſieben, im Winter 
von acht Uhr bis halb zwölf und wieder von zwei bis ſechs 
Uhr. Wer eine Stumde zu fpät Fam, zahlte 60 Thaler 
Strafe, wer ein Mal, ohne fich deshalb völlig rechtfertigen zu 
koͤnnen, ausblieb, verlor bie Hälfte feiner Jahrsbeſoidung, 
zum zweiten Male wurde er infam Taffirt. Wenigſtens ein 
"Mal wöchentlich muffte ein umftändlicher Bericht an dad Ges 
netaldirectorium abgeftattet werben, ſowohl fiber die Gefchäfte, 
als Über Alles, was fonft vorging, wie jeder Bediente feine 
Pflicht erfüle, wie die Felbfrächte fländen, wie hoch die Ges 
treidepreffe, und wie ſich der Adel aufführe. Er verlangte 
ſtrenge Wahrheit und brohete fonf wit den aßlerfchärffien 
Strafen. 

Die Kreiscommiffare erhielten den Titel Landräthe, hatten 
in Ihren Kreifen das Steuerweſen unb die Polizei zu verwals 
ten und flanden in dieſer Beziehung unter den Kammern, waͤh⸗ 
rend fie zugleich Abgeordnete der Stände waren. 

Die Polizei in den Staͤdten beforgten bie Steuerräthe, 
welche nun Kriegsräthe genannt und benen von den Heineren 
Städten mehrere zugleich untergeben wurden. Sie hatten bie 
Zoll⸗ und Acciſeſachen unter fi) und die Aufficht über die 


Kriegs: uud Domainenfammern. a3 
mg ber Städte, jedoch ohne ſich in Sufig 


Mogifivate, weiche unter ihnen flanden, nichts in Stadt⸗ und 
Känmereiangelegenheiten thun, und konnten nur durch fie an 
die Kammern berichten, deren Befehle fie auch durch ben Kriegs⸗ 
zath erhielten. Somit war die Selbftänbigkeit der ſtaͤdtiſchen 


lich bereifen, Alles forgfältig unterfuchen, Bericht erſtatten und 
von ſechs zu ſechs Jahren neue Pachtanfchläge fertigen. Alles 
bad wurde feit dem Jahre 1724 in ſaͤmmtlichen Provinzen, 
Bunchgeführ, 

Der eigentliche Mittelpunkt, um ben ſich die raſtloſe Tha⸗ 
tigkeit des Königs im umaufhörlichen Kreislaufe bewegte, von 
dem er immer auöging, auf ben ſich Alles bezog, war das Heer 
und befien möglichfte Vermehrung und Vervollkommnung. Gr 
pflegte daſſelbe mit einer ſolchen Vorliebe, ja einer ihm fonft 
fremden Zärtlichkeit, daß man faft fagen konnte, ber gefammte 
Staat unter ihm ſei nur für feine lieben blauen Kinder 
(fo nannte ex feine Solbaten) ') vorhanden gewefen, alle neue 
Einrichtungen nur dazu getroffen worden, um fie in recht gro⸗ 
Ber Zahl , mögtit anfehnlicher Länge, tlchtiger Büftung, 


Uebergeugung, daß barauf das 
Anfehen des Staats beruhe, zugleich bed Königs tägliche Bes 

1) In einem Schreiben an die Gerviscommiffion in Berlin, aus ben - 
Acten im Berliner Kalender v. 1823. &. 187. Anmerk. 

2) 8 wird behauptet, bei ber Belagerung von Tournai im fpanis 
ſchen Erbfolgekriege Hätten zwei englifhe Generale gemeint, ber König 
von Preuflen Eönne nicht wohl 15,000 Wann ohne unterhalten, 
der anmefende bamalige Kronprinz Friedrich Wilhelm I. bagegen fehe 


wolle. Daß. habe In Denn geit e8 abe zu malen, Friedrich IL. in 
den Memoires de 


Brandenbourg p. 225. Benefendorf VIIL@.15, ‘- 


Dee Borfl mng (ih aan Bahn, allein ſchwerlich iſt er Urſache der 
großen Bermehrung ber Heeresmacht geworben. 


3 Bud VL Zweites Yaupıkäd.. 


fihdftigung und feine bis zur Leidenſchaſt getriebene Lichhaberei. 
Er hatte fie von Jugend auf.gehabt, fe fieg mit den Saho 
sen immer höher und wurbe durch feine Umgebungen, vorzhgs 
Uc den Firften Leopold von Deflau, genährt, der fie völlig 
theilte. Was Eonnte auch Männern, die unbefchränkt befehlen 
wollten und unbebingten Gehorfam foderten, mehr zufagen, 
als Soldaten? Und waren biefe nicht zugleich das fichere Dits 
tel, auch im Imnern alles irgend Ausführbare burchzufegen? 
Selbſt ohne wiſſenſchaftliche Bildung und ohne allen Sinn 
daflır, dabei gerade und durchgreifend, ſchaͤtte der König nichts 
böser, ja faſt überhaupt weiter nichts, als den ehrlichen, treuen 
tapfern Soldaten, der den Befehl feines unbeichränkten Herm 
ohne ——— blindlings gehorſam und mit Nachdruck 
Er vertrauete ber von ihm vorausgeſetzten Bine: 

keit eine Kriegemänner unbedingt in Allem, fie mochten übris 
gens fo unwiſſend fein, als fie wollten, was durchaus ba für 
eine Schande galt, wo Kenntniſſe und Bildung verachtet und 
zuchdigeflogen wurden. Wenn fie nur ihren Ramen ſchreiben 
‚Sonnten, fo genligte das nach Leopolds von Deſſau Meinung 
vollkommen für einen braven Kriegsmann, wer mehr wuſſte, 
wurde ald Zintenfledfer, Schmierer, —— Der 
Konig folgte dem Beiſpiele des ſein "raupes Benehmen dis zur 
Boheit treibenden Kriegshelben, dem als Mufter auch bie 
übrigen Officiere nacpahmten, und ſich bes Gebrauchs der uns 
freumblichften, gröbften Formen im täglichen Verkehr des Les 
bens, wie vorzüglich bei Ertheilung von Befehlen befleißigten *). 
Die Militaird erlaubten fid gegen den Civilſtand fehr viel, 
weil fie vom Könige gefchligt wurden”). Ein Dfficier ſah ſich 
gewiſfermaßen ald Mitregent an und glaubte, überall wills 
ãurlich befehten zu Können ). Der König ing, mit ihnen bis 
zum Hauptmanne herab wie ein Kamerad, mit den Subal- 


1) Benefendorf VL ©. 18. König I. ©. 110. Wergl 
Saßmann I. ©. 7495 bei dem muß man oft Aſchen ben Bellen leſen. 
2) Am 29. April 1721 verbot der König den Officeren, ſich in Po« 


+ Ugeifachen zu milden ober bie Waglfrate übt zu befanden. Berg. 
Hofmann I. ©, 7IO uns 


9) Benctenborf IV. 20. 


Das Heer. Die Generaladjutanten. 35 


ternen wie ein Water um‘). Jider Soldat hatte freien Bus 


tritt zu im”). 
Er felbft trug bald, mit feltenen Ausnahmen, faſt nur 


bie einfache Uniform feines Leibregiments ), eben fo feine: 
Söhne bie Uniform ihrer Regimenter, ſobald er fie, was frühe. 


zeitig geiäch, zu Dfficieren ernannt Hatte und nad und nach 
“ aufrhden ließ. 

Er verbot (14. Febr. 1718) allen Behörden bei 100 
Ducaten Strafe, fo oft am ein Regiment und Soldaten ges 
fehrieben wurde, ſich des Worts „Miliz" und wenige Wochen 
Darauf (18. April 1718) ſich des Worts „Militair” zu bebienenz 
Dfficiere und Soldaten der Regimenter follten fe heiffen. 

Er felbft ordnete und leitete. Alles, was den gefammten 
Kriegsſtaat anging*). Richt die unbebeutendfte Kleinigfeit durfte 
——* ohne ſein Vorwiſſen geſchehen. Auſſerdem, daß einer 
"ber beiden Cabinetsraͤhe den Vortrag in Kriegsangelegenheiten 
— befanden ſich fortwaͤhrend um ben König oder doch in 
deffen Nähe zwei Generalabjutanten, zur Vollziehung feiner Bes 
fehle und dadurch fehr mächtige und auch auf andere Theile 
der Verwaltung oft einflußreiche Männer. Am laͤngſten bes 
kleidete dieſe Stelle vom I. 1715 bis zum Tode bed Königs 
der DOberfilieutenant, dann Oberſt und Gemeralmajor von 
Derſchau, der ſich ihm als Kronprinzen (1709) in der Schlacht 
von Malplaquet durch unerfchrodene Tapferkeit empfohlen Hatte. 
Ein, obwohl —S nicht umgebilbeter, dabei ehrlicher 


Mann, war er bo als firenger und fehr thätiger Soldat, ber - 


die Befehle feines en pünktlich und mit Aufferfter Barſch⸗ 
heit vollzog, fehr gefürchtet *). 

Später (1734) war ber von Haad, ben der König we⸗ 
gen feiner ungemeinen Länge anfänglich als Junker zum Leibe 


1) Benekendorf I. 125. 

9) Zaßmann L ©. 740. 

8) Ebendaſ. I. ©. 238. 

4) Ebendaſ. I. ©. 722. 

5) Benekenborf IL ©. 37 umd Reinbecks Echen in Büfhings 
Beiträgen. I. ©. 209. " B 


’ 


' 


36 " Bud VI Zweites Hauptſtück 


9, , 

Schon tm I. 1715 hatte er-fein Heer auf 10,000 Reis 
ter und 35,000 Dann Fußvolls, indgefammt auf 45,000 Mann 
dafiartt Im Jahre 1721 beſtand es aus 12,335 Reiten 
und 38,544 Mann Fußvolls, insgeſanmt mit ber Artillerie, 
den 8 Mann Pontonieren, 5 Mann Mineuren und 100 Kas 
delten aus 51,311 Mann *); im I. 1725 aus 15,000 Res 
tem und 47,500 Mann Fußvolk, intgeſanmmt aus 64,263 


1) Benekendorf IL S. 46. 

2) Derſelbe V. 108. 

8) In ben Hiſtoriſch⸗ pollt. Weitedgen Abl I. &. 825 werten 55 
Gäpvabeonen Reiter zu 9914 Dann und 50 Bataillone Bußoolts zu 85,186 
Wenn, mit Artillerie insgefammt 45,409 und Thl. II. ©. 632 v. I. 1716 
die 55 Gchwabronen, allein bereits 54 Batalllone Jußvolks zu 600 Dann 
und 10 Gompagnien Artillerie angefühtt. 

4) Ebenbaf. Ahl. I S. 827, nämlich 80 Sqhwadronen Beiter und 
55 Batalllone Fußvolls. 

9 König I. ©. 230 nämlid) 65 Batalllone Zußvolfs und 100 
Sqhwabronen Beiter, ferner 115 leichte Dragoner, 113 Hufaren, 140 
Kononiere, 200 Mann Prelcompagnie, 252 Kabeiten. Es ergibt ſich 
hieraus, daß nicht erft im I. 1780 die Ouſaren errichtet wurben. 

6) Bei Börfter, Urkundend. IM. ©. 275. Richt erſt in ben legs 
‚ten Jahren, wie Benelendorf IV. 11 fagt und es wohl nur von der 
Wermehrung verſteht, und zulegt 6 nicht 5 Schevadronen, wie berfeibe 
DI. &. 106 meint. 


Vermehrung bes Heeres. 37 


Sqhwadronen· Im 3. 1740 wurde das ‚Heer auf 18,500 Hels 
ter, 64,500 Bann Zußoolts, und mit den Garniſonen, den Lands 
regimentern.und der Artillerie auf 89,000 Maxn angefchlagen ')- 
Die Ergänzung und‘ Vermehrung des Heeres murte 
(na) dem Patente vom 23. Juni 1713) von den Megis 
matten in ihren Standquartieren durch Werbungen, und, 
wie «8 heifft, auf eine andere Weiſe, nämlich weil bie Bes 
ſchleunigung nothwendig ſchien, durch gewaltfame. Wegnahme 
der fingen bienftfähigen Mannfchaft bewirtt. Es begaben 
ſich daher gleich anfangs viele junge Leute in das Ausland, 
worauf der König (17. October 1743) verorbnete, daß Aus⸗ 
getretene, wenn fie nicht binnen drei Monaten zurückkchren 
worden, als Deſerteurs nach den Kriegsgeſetzen beftraft wers 
den und ihre Obrigkeiten, Aeltern und Verwandten für fie 
haften folten. Da bemungeachtet bei fortgefegter gewaltfas 
mer Werbung viele Unterthanen aa er abe vol 
ftänbig war, fo wurde (9. März 1714) bekannt gemacht, es 
werde vom 1. Juni an alle (gewaltfame) Werbung aufhören 
und Niemand zum Kriegsdienfte genöthigt werden. Dificiere 
folten bei Kaffation, wenn Erfagmannfchaften geworben wirs 
den, nur Sreimillige gegen Handgelb annehmen, mit Gewalt 
aber allein Iüberliche Bürger, Bauern oder Dienftboten, bie 
nicht gut thun wollten, ımb von ber Obrigkeit bezeichnet wärs 
den, dies jedoch nicht als gewaltfame Werbung gelten. Diefe 
Bufiherung wirkte wenig. Deshalb beftimmte ein Ebict (v. 19. 
Zebr. 1718) weil ungeachtet der angebroheten Strafen dad 
Land immer mehr von Einwohnern entblößt werde, fo folle 
aus Gnade nochmals eine Friſt von äwel Monaten für die Zus 
ructtehrenden bewilligt, dann aber die in früheren Edicten ans 
gedroheten Strafen ausgeführt werben. Deshalb folle jede 
Obrigkeit bis zum 1. Juni ein "genaues Verzeichniß ohne 
Unterfpieb aller derjenigen, welche fidy entfernt hätten, einzeis 
chen, mit Angabe ihres Vermögens und der Orte, wo fie fi 


1) $riebrid II. Du Militaire p. 340 gibt 67 Bataillone Fußvolks 
und 111 Schwadronen Reiter, wobei 6 Schwadronen Huſaren, endlich 
4 Garnifonregimenter und 1 Xrtillerieregiment, insgefammt 72,000 IR. 
Das Dbige ift nad) den amtlichen eiſten. Faßmann I. 720 gibt fir 
1735 nur 63,000 M. 


38 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck 


aufhalten möchten, damit fie koͤnnten ergriffen und auf ewig 
zur Feſtungs⸗ und ‚anderen ſchweren Leiderſtrafen verurteilt: 
werben. Wer nicht binnen zwei Monaten zuruͤckehre, ſolle 
fir infam erklärt, fein Rame an ben Galgen gefchlagen und 
alles ihm Gehörige eingezogen werben. Das Edict wurde an 
allen öffentlichen Drten angefchlagen, in allen Kirchen verlefen. 
Es erregte für alle Abweſende algemeine Beforgniffe und wurbe 
deshalb (30. April) dahin erläutert, daß es ſich nur auf die 
jenigen begiehe, welche wegen ber Werbungen abwefend wären. 
Die gewaltfamen Werbungen unterblieben doch nicht, wie ſich 
ſchon daraus ergibt, daß fie noch mehrmals (18, Februar 
- 4724 u. 1. April 1724) verboten werden Hufften. , 
Die Beforgniß vor gewaltfamer Einziehung zum Dienfte, 
wie ber Solbatendienft vorzugsweife genannt wurde, war bens - 
noch fo-groß, daß der König, um nicht Coloniften und Hands 
werker von der Einwanderung, bie er ſehr wünfchte und bes 
förderte, abzufchreden (15. Septbr. 1717 und 8. Febr. 1721) 
die Wollarbeiter für frei von ber Rekrutirung erklärte und bie 
Einrichtung traf, daß jedes Regiment im Lande warb, und 
diejenigen, welche e8 nicht fogleich einflellen Tonnte, nachdem 
fie zur Fahne geſchworen, vorläufig wieder in ihre Heimath 
. eontließ. Diefe mufften zum Abzeichen rothe Haldbinden tras 
gen und wurden ber Zuwachs genannt. Sie ftanden dann 
nicht mehr unter der Drtsobrigkeit, ſondern unter der ihres 
Regiments. Da fi nun oft viele junge Burſche, ja Knaben 
von mehreren Regimentern zugleich in einer Ortſchaft befanden ' 
and Feiner Herrſchaft noch Obrigkeit auffer benen ihrer Regi⸗ 
menter gehorchten, fo führte das zu fehr vielen Unordnungen 9). 
Um ben Beftand ber kriegspflichtigen Mannſchaft genau zu 
wiffer, wurden (feit 1720) Verzeichniffe aler im Lande Ges 
borenen, Getraueten und Geftorbenen angefertigt und durch bem 
Drud befannt gemacht . 
Die Haupturfache jedoch ), welche die wahre Vervoll- 


1) Bafmann I. ©. 7215 vergl. Na. Benekendorf IL S. 76. 


2) Baßmann I. ©, 696, II. ©. 728, wo er überbie Ungenauig · 
teit Diefer &flen, wie eb feeint, ait Hecht Mlgt. 


8) Briebrid) IL. Du Milltaire P. 885 fügt, ſchon früher Habe ber 


Aushebung. 340 


komnmung bes Heeres hinderte, unauſhoͤrliche Zwiſtigkeiten mit 
allen benachbarten und ſelbſt entfernten Staaten herbeiführte, 
den König und fein Heer überall verhafft machte, endlich bie 
Urfache . zahllofer Verdrechen wurde und umfäglices Unglüd 
über Einzelne und ganze Bamilien brachte, war die nach und 
nach biß zur höchften Leidenſchaft gefteigerte Sucht nach langen 
Leuten ). Allerdings mochte er anfangs dafuͤr halten, daß 
ein großer, ſtarker Körper die Beſchwerden des Dienfles beffer 
ertragen Tönne, als ein Bleiner, auch erfreuet wohl jebed Auge 
der Anblid ftattlicher Mannſchaft, allein das artete bald ders 
maßen aus, daß auf weiter nicht? als auf Körperlänge, aber 
nicht auf Kriegstüchtigkeit gefehen wurde. Der General Sedens 
dorf, ‚welcher im I. 1724 der Mufterung von achtzehn Bas 
taillons (auffer den drei Bataillons Garde) bei Berlin  beis 
wohnte, fchrieb an den Prinzen Eugen, bie Truppen wären 
merklich größer, ald im vergangenen Jahre, benn da man ben 
‚Soldaten nicht nach der Länge im Dienfte, ſondern ber Gtas 
tur beurtpeile, fo koͤnne es faſt bei den Regimentern nicht hoͤ⸗ 
ber gebracht werden, er zweifle aber, ob die Dfficiere dabei 
Vorteil hätten, ba ihnen oft ein einziger Mann 
500 Thaler koſte. Nun fei zwar befohlen, die Werbungen - 
einzuſtellen, und bie Regimenter nur in ihrem Stande zu ers 
balten, daß nad) Verhältniß der Größe eines abgehenden wies 
der ein eben fo Langer geftellt werben muͤſſe, doch blieb das 
nicht dabei”). Schon im I. 1725 waren Soldaten, welde 
Zeldzüge mitgemacht, aber nach damaliger Anficht nicht bie 
. gehörige Länge hatten, verabfchiebet und das „Heer beftanb faft 


Markgraf Philipp als Chef der Artillerie befonders lange Leute gefucht 
umb auögejeichnet lange Grenabiere in feinem Regimente gehabt, dem fei 
Leopolb von Deffau nachgefolgt. 

1) Der General Schulenburg fehreibt an Secendorf 23. Det. 1731 
bei Förfter Uekundens. IM. S. 78: Il (ber König) Iniasera prendre 
ses sujets pourvu qu’il puisse garder et prendre de tems en tems 
quelques grands hommes. Jamais on a vu un pareil avenglement, 
$riebrich II. Du Militaire, p. 344. Vers Vannee 1780 In fureur des 
@rands hommes parvint A un point, que Ia postärit6 aura peine A 
le creire, 


2) Bei Börfter urkundenb. IT. ©. 11. 


30 . Bud Vi. Zweites Hauptftüd. 
nur auß neuer Wannſchaft, die mit dem Kriege ganz unbes 
kannt war 


Borziglich aber um in feinem Leibregimente, welches durch 
Auswahl der Mannſchaft, fo. wie in Ausrüflung und —2 
tigkeit Mufter für das Heer fein ſollte, dann wenigſtens im 
erſten Gliede aller Regimenter die laͤngſten Leute zu haben, 
welche in der Welt zu erlangen waren, opferte er, ber ges 
naue, bis zum Geize fparfame Wirth unbedenklich viele Tau⸗ 
fende von Tpalern, nach und nach Millionen’), und geflattete 
die geöbften Gewaltthätigkeiten gegen feine und anberer Für⸗ 
ſten Unterthanen. Sonft fo fireng bei Nichtvollziehung feiner 
Befehle, fah er deren Nichtachtung nach; fonft ein Mann von 
Wort, nahm er feine Rüdfirht auf gegebene Zufagen, fegte die von 
ijhm ſonſt fo hochgeachteten Vorſchriften der Religion bei Seite, 

beugte das Recht"), machte Aemter und Gunſtbezeigungen feil 
wb Beh BG bon frnben Mächten gu bern Bortpeie Faß 
förmlich 'erfaufen*) mit einem Worte, diefe unheilvolle, alle 

verftändige Grenyen überfchreitende Schwäche behertſchte ihn 
. ‚völlig, fo wie anbere Fuͤrſten durch Günftlinge oder Buhlerins 
men vegiert worben find, Er Fonnte in ber Regel Äherhaupt 
Bleine Leute nicht leiden und nur ausnahmsweiſe ſchaͤtzte er 
en ee den Bbrfen Waldow mb 


Des Leibregiment, deſſen Oberſt er felbft war, beſtand aus 


1) Seckendorf an Eugen bei Börfter Urkunbenb. IL 88. 


9) Schhulenburg a. a. D. bei Förfter Urkundenb. IL S. 7a 
Nous ruinens l’armde, nous envoions des millions de chex nous pour 
emimener des gens & s0c et à coud6e et dont nous ne saurons tirer le 
taolndre service. 


9) Safmann I. ©. 740. ©. arch weiter unten die Darſtellang 
der Suftigperfoffung. 


4) Bedenborfi Leben III. ©. 161. Das Ginzelne wird weiter ums 
ten belegt werben. 

5) Benetenborf IT. 96. 

6) Derfelbe IV. 88. 


Das Leibregiment. . 31. 


3 Bataillenen (jedeb von 800 Mann) und 5— 300 Una 
girten d. hi noch nicht Eingeſtellten, welche wegen ihrer blauen 
Be de Bin Gpen und zum Cifage des Lgengs 


lern monatlihe Zulagen von 5 bis 10, bis 20 Thalern ?). 

Beil es bei der damaligen Beſchaffenheit Votsdams nicht 

moͤglich vo, gut, untergubringen und ber König ihnen 
en ein bequemes Lager 


potsdamer Bettgelder eingeführt, welche, wie fon 
die gefammten Marken, zulegt jaͤhrlich 10,000 The 


aufbrachten 
Der König bauete auffesdem Einzelnen von ihren Hänfer, 
Bier: 


zu trinken, wor ihnen als ber Geſundheit nachtheilig verboten 
und nur denen, welche daran gewöhnt waren, unter ber 
geflattet. war der König fehr beforgt für ihre Ges 
fümdpeit und ihr Wohlergehen, felbft für ihre regelmäßige Leis 
besbewegung, unterhielt fi gern mit ihnen und erkundigte 
ſich nach ihren Verhältniffen. Dan kann fagen, daß er mit 
aller Vorliebe eines Liebhabers an dem Leibregimente hing und 

Dante Tat 3 IB 1739 2468 M. und 559 M. Un 

Bergl. Bapınann I. 
2) Bafmann I. 723. Benekendorf IV. 58 ff. gibt die Ger 
des Regiments. 


3) König I. ©. 87. 


32 . Bug VL Zweites Haupefiäd. 
daß iben wahtſcheinlich auf ber 0 ganym Bet niet nähe ging, 
«is der langen Sren 


befam ex deren von allen, die etwas von ihm wiänfchten, ihn 
verführen, oder ſich ihm erkenntlich bezeigen wollten. Als ex 
am Peter I. das koflbare, von feinem Water gefammelte Berns 
fleincabinet und dad von bemfelben fr 100,000 Thaler ers 
kaufte ſchoͤne Jachtſchiff geſchenkt hatte, verfprac ihm biefer 
jährlich 100 lange Kerle, ſchicte ihm auch bald 150 
und fuhr jährlich damit fort?), wogegen ihm ber 


— geweſen waren und den Dienſt erlernt hats 
ten, zuruͤckſchickte) und auſſerdem noch auf Veters Bitte 
ae Küingenhärter und Klingenpolirer aus der 


| 
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Einige Bine 5 der Art find komiſch, fo z. B. als De neue Zierm ber 

in Berlin kurz vor feiner Vollendung einftärgte und 
Könige enblich gefagt.wurbe: ein gres Ungii Due m Be ea 
Tas denn ? — „Der Peterethurm iſt eingeftärgt 4 — Der König bleibt 
gelaffen: „ich dachte Wunder was es wäre und glaubte der Flügelmann von 
Slafenapp wäre tobt! — Alle Grenabiere, bie jemals unter des Könige 
Leibcompagnie geftanden, find abgefdübert, und ſtehen in ben Gängen des 
—*— aufgemacht, fagt Jaßmann I. ©. 729. Bene · 
endor! 


9) Benekendorf IV. 41. KönigL ©. 52 
8) Mauvillon IL p. 89. 

4) Kdnig I. ©. 21%. 

3) Derſelbe ©. 213. 


Das Leibregiment. 363 


(16. Juni 1731) dem Oberfilientenant von Hertzberg, einen 
Meifter Kingenfhmieb mit einem Vorſchlaͤger, einen Meifer 
‚Härter mit einem Gefellen, einen Schleifer nebſt einem Ges 
fellen, einen Senſenſchmied und einen Geſellen, die er der 
Kaiferin gegen einen raiſonnabeln Accord auf ſechs Jahre in 
Dienfien zu üıberlaffen verfprochen, aus der Gtabt 

oder einem anderen Drte, wo möglich mit Güte zu übers 
. wenn das nichts fruchte, dieſe Leute aufzubeben und 
mit einer Escorte nach Potsdam zu ſchicken. „Ihe miiſſt 
aber bei Leib und Sehen nichts babei verfäumen, fonbern Als 
les eimichten, daß mein Wie geſchehe.“ Cigenhändig hatte 
er noch dazu gefegt: „Ihr müfft fie abfolut ſchaffen ).“ Diefe 
preuſſiſchen Fabrikanten und ‚Handwerker follen die Grundlage 
zur Gewehrfabrik in Zula gelegt haben. Schwerlih würde 
der König zu bewegen gewefen fein, feine freigeborenen Unter 
thanen fat wie ruſſiſche Leibeigene zu behandeln, wenn ihn 
nicht die ruſſiſchen langen u dazu gebracht hätten. 

Als der Abminiftator des Herzogthums Medienburgs 
Schwerin und die Landflände winfcten, der König möchte 
feine Truppen aus ihrem Lande ziehen, fo unterftügten. fie daS 
Gefudy durch fech8 lange ſchoͤne Kerle für feine Garde). Der 
General Secendorf hatte dadurch ſchon früh, deö Ringe Gunſt 
gewonnen, daß er Ihm ſolche Leute verſchaffte. Als er (1726) 
angelegentlidy bemliht war, Preuffen vom Bunde mit England 
ab auf die Seite des Kaiſers zu ziehen, ſchlug er dem Prinzen 
Eugen vor, den Generalen und Oberfien Gersdorf, Dänbof, 
Sydow und Derfhau, welche mehr als die Minifter vermöchten 
und beren er. fich zu gewiflen Zeiten bebienen müffe, etliche 
große unnüge Raitzen und bergleichen zu ſchenken, weil man 
dem Könige Bein angenehmeres Gefchen? machen koͤnne, als 
mit folben großen Siguren, wie bisher Rußland, England, 
Frankreich, Dänemark und Schweden gethan und auf biefe 
Art des Königs Gemüth gewonnen’). Bei dem Könige koͤnne 

1) Bei König II. &, 198. 

2) Sapmann L ©. 788. 

3) Bei Hörfter WBRG— S. Bergl. Benekendorf 
IV. S. 41 u. Secendorfs Lehen 
Stengel, Geſch. d. ana, 6: —8* OL 3 


D 


354 Bud VL Bweites Hauptftäd. 


man mit großen Leuten mehr mehr ausrichten, als mit allen Rai: 
fonnements und Rechtsgrunden ). 

Als der franzoͤſiſche Gefandte dem Könige fir den Schutz, 
welchen er dem Stanislaus Lescinsfi, dem Schwiegervater Lud⸗ 
wigs XV., angebeipen laffen, einen mit Brillanten befegten 
Degen bat, flug er diefen and und zeigte‘ dem Gardinel 
— an, ein Dutzend langer Kerle wuͤrde ihm lieber fein, 

verbroß ihn ſehr, als er fie nit erhielt. Dagegen 


ihn gewäl 
ausseungen, und alB ex fe nicht ah, foderte er 30,000 


"netens ergänzte der König feine Garde, Indem ex für 
diefelbe bei der Mufterung der Übrigen Regimenter bie längften 
Soldaten auswählte und den Befehlshabern erſetzte, was fie 
ihnen an Handgelb gefoftet hatten, ober auch noch mehr baflız gab. 
So nahm ex. (1731) aus 11 Regimentern im Lager bei Welau 


1) Wei For ſt er Urkunbenbuch III. &. 187 vom Sept. 1726. 
2) Die Lifte bei König L S. 29. Gr bezahlte 18,922: Thle., wähe 
da zwanzig jeder 


a ertenbonfe Eiten ML. IT. © 164. Kamen, koͤrſter IL 


4) Bei gortter Thi. IL ©. 298 Kunert 


Werbung. 355 


die Stelle derjenigen, welche ber König auswählte muffte bis 
zum naͤchſten Jahre in ben Regimentern durch Andere der Art 
erfegt werden ). b 

Wehe dem Regimentschef, der bei der Muſterung feines 
Regiments nicht einige neue lange Rekruten vorflellen konnte. 
Sein und der Hauptleute Glüd oder Unglüd hing davon ab. 
Dem Major von Katt gab der König bei einer Mufterung auf- 
der Stelle den Abfchieb, weil er nur einen und zwar eben 
nicht langen Rekruten zeigen konnte ). Der General Sedens 
dorf ſchrieb dem Prinzen Eugen ſchon im I. 1725, daß ein 
Officer ſich nicht empfehle, der auf die Erhaltung alter Knechte 
(Soldaten) bedacht fei, ba nur diejenigen vorgezogen und be⸗ 
foͤrdert wuͤrden, welche die meiſten Rekruten angeworben, bie 
einzig und allein nach ihrer Laͤnge und Statur geachtet 
würden’). 

Die dritte Art der Ergänzung wurde durch Werber bes 
wirkt, welde fi bemühten, überall lange Leute aufzufuchen 
und fie dem Könige zu überliefern, ber fie gern bezahlte. Das 
geiff num mit der hauptfächlic durch des Königs Beiſpiel ims 
mermehr uͤberhandnehmende Liebhaberei und ſchon - geroiffers 
maßen Verpflichtung der Regimentschefs ineinander, die ſich, 
wie ihre Hauptleute, um jeben Preis bemühen mufften, auch 
in ihren Regimentern möglichft lange Leute zu haben, wenn 
auch nur den Abgang berfelben zu erfegen, was doch nicht ges 
nügte. Es war für jeden gewiflermaßen eine Ehrenfache, mög: 
lichſt viele ſchoͤne, wohlgewachſene und lange Soldaten in feis 
mem Regimente zu haben. So wurde es benm freilich gegen 
das Ende feiner Regierung bahin gebracht, dag man nur we⸗ 
nige Regimenter fand, die im erſten Sliede kleinere als 5 Fuß 
6 Zoll lange Leute gehabt hätten. Gewöhnlich waren fie 5 
Tuß 9—11 Bol, ja die Flügelmänner 6 Fuß lang‘). 

1) Seckendorf an Eugen bei Börfter urkundenbuch IL. ©. 89. 

2) Benetendorf II. S. 89 u. 23. 

3) Bei Förfter urkundenbuch V. ©. 88. 

4) Benetendorf IV. &. 29. Friebrich IL du Militaire p. 344 
fagt fogar; le plus petit homme de Farnee avait cing pieds six pou- 
ces, bien mesurds, was kaum glaublih und wohl mit Menekendorf wie 
oben zu beſchraͤnken fein wird. 23. 


356 Bud VL Zweites Hauptfidd. 


Daher nım allgemeine Jagd nach langen Leuten im Lande, 
wo man ben freieften Spielraum hatte und die Veruͤbung der 
größten Gewaitthaͤtigkeiten, weil man wuffte, daß der König 
dem nachfah '). Ein wohlhabender Brauer in Queblinburg 
wurde (1718) aus feinem Haufe geholt unb erft entlaffen, 
nachdem er für 120 Thaler einen anderen langen Mann ges 
felt und an Geſchenken fo viel außgegeben, daß es ihm an 
taufend Thaler Foflete*). 

In der Grafſchaft Mark wurden (1720) einige Gemeins 


nen von den Werbern auf das Schloß gebracht. Es kam dar⸗ 
über zum Aufflande und zu blutigen Köpfen. Die Werber 
waren in Zodesgefahr und muſſten ihre Beute fahren laffen. 
Die Sache war indeffen fo Öffentlich geworben, daß ber Kö— 
nig fie durch eine Gommiffion unterfuchen Tieß. Bei Geifttiche, 
welche gegen: · das Unweſen ber Werber geeifert, wurben gefangen 
nad Berlin gebracht und mit ber Wache vor das Confiſtorium 
ae wo der durch feine Härte bekannte Minifter Katſch 
fie verurtheilte, des Amts entfegt und mit einer Leibesßrafe . 
belegt zu werben. Der König begnügte ſich inbefien, fie uf 
andere Pfarren zu verfegen. Es wurbe von Beſtrafung 
Werber nichts Bekannt; fie trieben ihr Weſen ungefcheut vn. 
Im Mogdeburg wurden Bürger, welche en ſ— 


* Das ee auf uoit einem —— 
reichen Kaufmann, dem Verwandten eines Staatsminiſters. 
Die Magdeburger foberten N als 


gewehre, zu Hülfes 18 wurben” ſchwer, viele leicht, doch auch 
einige Dinger verwundet, der Kaufmann aber in Freiheit ges 
fegt. Der Commandant ſtellte die Ruhe her. Der König 


1) Koͤnig L S. 9. 


9 Britt Geld. v. Quchliaburg IL. S. 71. 


8) Mauvillon I. S. 28. Bapmann I. S. 829. Etwas abe 
weichend König I. ©. 1005 au) Suchh olz IV. ©. 168 Anmerk. 


Werbung. 357 


misbilligte das Verfahren der Dfficiere und verbot (18. Febr. 
1721) gewaltfame Werbungen, beftrafte fie aber nicht’). Das 
ber Eonnten die Werber e& wagen (1729), einen fehr reichen 
gutgewachfenen Bingermeifter eines kleinen Stäbtchend im Cle⸗ 
veſchen wegzunehmen, ben ber König erſt, als ex es zufällig 
erfuhr, in Freiheit feste”). 

Frei von ber Werbung überhaupt follten Studenten, Kimſt⸗ 
ler, Kaufdiener (auffer wenn diefe Letzteren von befonderer Länge), 
Einwanderer, Reifenbe und diejenigen Eingeborenen fein, welche 
zu Mein waren). Es wurde au (17. April 1724) die ge 
waltfame Werbung angefeffener Bürger, Bauern, Fabrikarbei⸗ 
ter und unerwachfener Lehriungen verboten, doch alles bad im 
Ganzen wenig beachtet. Langen Leuten wurbe dennoch überall 
nachgeftellt und vorzüglich erlaubten fih die Dfficiere be in 
‚Halle liegenden Regiments bes Zürften Leopolb von Deffau 
febr vie, weil fie wufften, daß fie in biefem einen mächtigen 
Vertreter bei dem Könige finden wärben, deſſen Nachficht in 
ſolchen Dingen ohnehin allgemein bekannt war. Einer ber da⸗ 
figen Hauptleute bemerkte nun, daß ein wohlgewachfener. 
Schwede, der in Halle flubirte, ungemein große und, wie er 
‚meinte, zur Fuͤhrung einer Muskete beſonders geſchickte Hände 

"hatte, und erklaͤrte ihm daher ganz einfach für feinen Rekru⸗ 
ten. Der General von Löben machte ihn indeſſen glüdlicher 
Weiſe frei). Die Beſchwerden der Univerfität wurden mei ⸗ 
ſtens gar nicht berudfictigt, weil der Fuͤrſt Leopold ihr 
und ben Studenten überhaupt fehr abgeneigt war und leicht 
Vorwaͤnde gegen fie beim Könige fand). Als fie fi daher 
(1731) befchwerte, daß ein Student ber Rechte von einigen 
Soldaten Abends auf Öffentlicher Straße angefallen, in einen 


1) Rauvillon II. ©. 28. 

2) Zaßmann L ©. 776. 

3) Bafmann a. a. D. ©. 775. 
4) Safmann L S. 777. 


5) Hoffbauer Geld der Univerfität Halle ©. 190. Vergl. den 
Auffag in Bäfhings Beiträgen zur kebentseſch. u. ſ. w. I. ©. 221 
u. vergl. S. 216 ff. 


358 Bud VI Zweites Hauptftüd. 


Wagen geworfen und zum Thore Binauögefepafft worben fei, 
ſchrieb ber König auf die Worftelung: „Sollen nicht raiſon⸗ 
niren, iſt mein Unterthan ')1" 

Es war freilich kaum zu verwunbern, baß der König fo 
verfuhr, da man von ber Kanzel und im Schriften ihm nur 
w Häufig fagte, er thue recht daran, und ben Unterthanen 

Lehre vom Leidenden Gehorfam einprägte. Faßmann, fein 
ee meint: Werbungen wären ein Regale bes 
Bürften, wer barliber fehr Mage, verfünbige fi) an Bott, nur 
vernünftiges Klagen fei erlaubt. Dann beweift er aus ber 
heiligen Schrift, daß es eim göttliche Mecht der Könige fei, 
Knechte und Mägde, Söhne und Efel wegzunchmen. Wie 
Sott, müffe man aud dem Könige, als deſſen fichtbarem 
Statthalter, gehorchen. Wenn: Gott nun riefe: mein Sohn, 
du ſollſt Soldat werden und die Muskete tragen? Er legt 

. bann ausführlich bar, der Landesherr müffe am beflen willen, 
was dem Lande nuͤtze. 

Endlich, um den vielm Misbräuchen der Werbungen zu 
fleuern, den häufigen Beſchwerden darlıber abzubelfen und zus 
gleich die Kriegäpflichtigkeit im Inneren des Staates zu orbs 
nen, richtete ber König (1733) daB Kantonfuftem ein. Er 
verfpeilte nämlich das ganze Land: nach Bezirken unter die 
einzelnen Regimenter, und in biefen Bezirken bie einzelnen vors 
ber zu diefem Zwecke verzeichneten Beuerftellen unter die Haupts 
mannfchaften. Zur Ergänzung derfelben war von nun an jeder 
Bürger und Bauer kantons⸗ d.h. Eriegsbienftpflichtig, andgenoms . 
men einzige Söhne, ferner Söhne ber Beiftlichen und der Königs 
lichen Beamteten, biejenigen, welche ein Vermögen von 6000 
Thalern nachwiefen, die erſte Generation der fremben Colonis 
flen, Unterthanen, welche mit Genehmigung des Regimentsins 
habers die Grundherrfchaft auf dem Lande zu nothwenbigen 
wirthſchaftlichen Gefchäften hatte anlernen laffenz endlich bers 
imige Sopn, welcher des Vaters Wirthſchaft und Nahrung 
übernejmen wollte. 


1) Bei Börfter urkundenhuch X. S. 71. 
9 Theil J. S. 766. 


Kantouwefen. 359 


Zahrich ſchiete jebes Hegitnent Dffiiere mit dem Lande 
rathe in feinen Kanton zur Eintragung ber kantonspflichtigen 
Knaben und Löfchung der Verabſchiedeten oder Geflorbenen. 
Alle Enrollirte blieben von nun an, bis fie wirklich bei dem 
Regimente eingeſtellt wurben, unter ber Gerichtsbarkeit ber . 
Grundherrfchaft: Verabſchiedete Eingeborene muflten mit ih⸗ 
ven Kindern wieber Unterthanen ihrer ehemaligen Herren wers 
ben‘). Da ed nun ber Länge der Mannſchaft und der aus⸗ 
wöärtigen Werbung wegen durchaus unbeflimmt war, wie viele 
in jedem Jahre außgehoben werben follten, fo hing es völlig 
von ber Wilke der Regimentsinhaber ab, wie viele und wen 
fie ausheben wollten. Dabei fanden bie größten Cigenmäd« 
tigkeiten unb Erpreſſungen flatt. Die Inhaber der Regimes 
ter und Hauptmannfchaften waren in ihren Bezirken Beine 
Könige, fie hoben ganze Colonien aus, fehten fie, ald wären 
& Bao ung —— auf ihre Güter und behielten vor⸗ 
zuůͤglich die Kleineren, welche nicht das nöthige Maß — 
als Bediente, Köche und Reitknechte. Die Landraͤthe konnt 
ſich ihnen nicht widerſetzen, nur der Koͤnig dem Uebel ableiten, 
und es war fehr fraglich, ob er nach gemachter Anzeige darauf 
eingehen würde, und wenn er es auch that, fo blieb es im: 
mer wegen ber Folgen gefährlich, fo mächtigen Männern zu 
nahe getreten zu fein. Freilich verbot der König dergleichen 
wiederholt, beſtrafte auch einmal den Grafen Dohna mit Ar» 
reſt, doch wirkte das natürlich wenig?) Unterblieben doch uns 
geachtet des Kantonfyftemd die gewaltfamen Werbungen ſogar 
auf ber Univerfität Halle nicht, weil man immer noch lange 
Leute ſuchte. Selb der vom Könige perſoͤnlich ſehr geahtete 
Dropft Reinbeck Tieß feinen Sohn, einen langen jungen Mann, 
dem fchon. mehrfach nachgeſtellt worden war, aus Beſorgniß 
vor Gewaltthätigkeiten, denen er in Halle außgefegt fein koͤnnte, 
in Iena flubiren®). Die Univerfität Halle ftellte dem Könige 


1) Ribsentrop Werfaffung des preuſſiſchen Gantons« Wefens hiſto⸗ 
riſch bearbeitet. Minden 1798. Die frügeren Beiten bis auf Friedrich IL 
Find fehr mangelhaft beasbeitet und wenig mehr als im Myllus gegeben. 

2) Benelendorf IL. ©. 85. Vergl Mauvillon J. &. 219 ff. 


3) Reinbeits Leben in Bäfhings Welträgen Thl. I ©. 169. 


360 Bud VI. Bweites Hauptſtuͤc. 


vor, daß bie Hälfte der in Jena Studirenden feine Unterthas 
nen wären, bie erſt, nachdem fie dort ihr Geld verzehrt haͤt⸗ 
ten, auf eine kurze Zeit nach Halle kaͤmen, um bier Freitiſche 
und Stipendien zu genießen. Darauf befahl der König (1734), 
wer nicht drei Jahre in Halle ftubirt habe, folle in feinen Staas 
ten nicht angeftellt werben, was indeſſen, wie alle Zwangs⸗ 
maßregeln in Angelegenheiten der Wiſſenſchaften, ohne günftis 
gen Erfolg war. Als ſich bald darauf ergab, daß feit zwei Jab⸗ 
zen 200 Stubenten von Halle nach ber neu eröffneten göttins 
ger Univerfität gegangen wären, und die Univerfität Halle (1737) 
bat, es möge keinem Tantonpflichtigen Inländer vor Entiaſſung 
aus feiner Kriegsbienftpflicht geflattet werden, bie Univerfität 
zu beziehen, ober biefe fidt gendthigt fein, ihn auszuliefern, 
weil ſolche Vorfaͤlle dem Befuche der Anflalt fehr nachtbeilig 
würden, fo erließ der König eine Bekanntmachung (24. Aug. 
1737): Da ber auswärtige Ruf erfcpollen, fich auch die gemeis 
nen Zeitungöfchreiber dergleichen Blame audzubreiten an vielen 
Orten ſtraſbar unterftanden, als wenn bie auf ber Uni 


. Halle befindlichen Studenten Feine Sicherheit vor ben gewalts 


famen Werbungen hätten, fo werde hiermit allen Ausländern 
u allein Sicherheit während ihres Aufenthaltes, fondern auch 

auf ihrer Hinreife und bei ihrem Abgange verſprochen. Den⸗ 
nod war bie Furcht zu groß, dieſe Univerfität freilich ohnehin 
im Verfalle, und andere und beffere Anſtalten in ber Nähe, 
als daß Ausländer befonbere Weranlaffung hätten finden koͤn⸗ 
nen, gesabe eine preuſſiſche Univerfität zu befuchen ’). 

So fland es um die inländifchen Werbungen. Allein bie 
preuffiichen Staaten waren viel zu Blein, bie Vers 
mehrung des ‚Heeres unb bie fleigende Sucht nach langen Leu⸗ 
ten viel zu groß, als daß hier hätte eine hinreichende Menge 
geliefert werben Binnen. Dazu muffte alfo auch dad Ausland 


1) Hoffbauer Geld. der — Och © 191. BapmennL 
7125 fagt: werbe nicht völlig 


qui regardoieni 
fermes qu’ils faiapient waloir le plus qu'ils pouvoient. 


Ausiändifhe Werbungen. 31 


dien. Einzelne Männer trieben das Geſchaͤft, dem Könige 
lange Leute zu verfchaffen, förmlich: als Gewerbe, wie der dann 
unglüdtih geworbene geheime Rath Wille an ber polnifchen 
Grenze und der preuffifche Reſident Evers in Hamburg. Dies 
fer hatte fich zur Lieferung langer Kerle verpflichtet ımd wurde, 
weil er nicht Wort gehalten und wahrfcheinlich ſchon Geld das 
für empfangen hatte, auf Lebenszeit nach Spandau gebracht '). 
Selbſt preuffifche Gefandte an fremden Höfen lieſſen ſich dazu 
misbrauchen. Der geheime Rath €. W. v. Borde, preuffle 
ſcher Geſandter in England, miethete ſich, ohne ſich zu erken⸗ 
nen zu geben, den James Kirkland, einen beſonders Langen 
MWenſchen, auf drei Jahre als Lakaien, ließ ihn auf ein Schiff 
bringen und nach Potsdam fchaffen. Derjenige, welcher ihn 
mit Lebensgefahr geſchafft hatte, erhielt 1000 Pfund Sterling 
und bie Gefammtloften beliefen fih auf 9000 Thaler *). 

Im 3. 1713 lieg fih in St. Germain ein Deutfcher als 
Rieſe fehen, welchen Faßmann im I. 1726 in Potsdam beim 
Xeibregimente fand, wo er doch erfi ber vierte oder fünfte 
Mann vom rechten Flügel war®). Gin langer katholiſcher 
Geiftlicher war von den Werbern in Italien aufgehoben und 
unter das Leibregiment geſteckt worden; er kam ungeachtet viels 
facher Verwendung nicht los. Mit großen Koften und noch 
größerer Gefahr holte ein Major einen langen Moͤnch aus 
Rom und brachte ihn nach Potsdam *). 

Der König ſchickte eine große Anzahl von Officieren, wel⸗ 
he da gefährliche, zuweilen aber hoͤchſt einträgliche Geſchaͤft 
der Werbung übernahmen, um im ginfligen Falle ihr Glüͤck 
zu machen, mit förmlichen Aufträgen, Päffen und öfters mit 
Empfehlungäfchreiben, zuweilen auch geheim, durch halb Eu: 
ropa®). Ebenfo verführen. im Kleinen bie Begimentöchefs. . 


1) Maubillon 1.87. 
2) Attenfide bei König L ©. 88. 


8) Jaßmann I. S. 728. 


4 ie wie das bewirkt wurde, klingt vomanfaft. Benelen 
dorf IV. s. 


2 Bepmann IJ. S. 781. Benetenborf van. S. 23. und DI. 
©. 89. 


362 mu VL Zweites Haupefüd. 


Gewaltthaͤtigkeiten erlaub⸗ 
ten”), ja ſogar fremde Truppen zum Meineide und zur Deſer⸗ 
tion verleiteten. leyu tem, Daß, foalde& einen Langen Set 

ig Ausländern die i 


capitulationswibrig zurldigehalten werben. Dem’ General = 
ckendorf, dem ber König fehr viele lange Leute verbankte, 
lang es zwar auf Veranlaffung bes Talferlichen Hofes — 
die Freilaſſung eines maildndifchen Edelmannes und (1736) 
eines loͤwener Studenten zu bewirken, „allein“, ſchrieb er dem 
Kaiſer, „ein ſolch Geſchaͤſt koͤnnte einem Menſchen das Leben 
abkurzen·)l 

Wurde doch nicht einmal das mit den benachbarten Staa⸗ 
ten abgeichloffene Kartell gehalten, wenn der Deferteut ein 
langer Menſch war‘). Ale-fo beeinträchtigte Staaten erneuer⸗ 
ten wiederholt ſtrenge Verbote gegen fremde Werbungen. Dars 
über Tonnte fid) der König fehr ereifern, denn fonderbarer Weile 
hielt er e8 fr unrecht, wenn man ihm lange Leute verweigerte, 
da er von Gott auf fie ein ausfchließliches Recht zu haben 
glaubte, indem fie Niemand fo gut als er zu ſchaͤtzen wiſſe ). 

1) Secendorfe Sehen III. S. 196. . 

S Zaßmann L e. 784, 

9 Bafmanı L 6. mi fagt, man habe fie gehalten aber Fr 
eiſt ihre Verlängerung bewirkt. Vergl. Benelendorf II. ©. 98 
Maupilton II. ©, 215. 

4) Seckendorft Erben II. ©. 163. 

5) Raupillon IL. ©. 216. 

6) Morgenftern ©, 208. 


Auständifhe Werbungen. 363 


Daher eben hielt er Mancherlei für erlaubt und fah es feinen 
Dfficieren nad), was ex bei ruhiger Ueberlegung ganz anders 
wuͤrde angefehen und ficher Niemandem gegen ſich geftattet ha⸗ 
ben; daher wurde er denn auch mit feinen Nachbaren unauf⸗ 
hoͤrlich in die unangenehmſten Zwiſtigkeiten verwidelt. 

Die preuffifchen Werber nahmen (1723) einen Brauer 
von einem Gute in Polen weg, bad bem Generale Flemming, 
bem Bruder des ſaͤchſtſchen Minifters, "gehörte Seine Bes 
ſchwerde blieb ohne Erfolg; es kam darüber zu verdrießlichen 
Haͤndeln und zu einem Duelle, in welchem ein Lieutenant v. 
Putlig vom Regimente Schlippenbach erfepoffen wurde’). Ein 
preuffiiher Officer‘) wurde in Sachſen als Werber. langer 
Soldaten ertappt und zum Zobe verurtheilt. Friedrich Wil⸗ 
helm Tieß fogleich durch ben Miniſter von Katfch dem fächfls 
ſchen Gefandten Suhm fagen, wenn man das Urtel vollziche, 
werbe er gegen ihn Repreffalien gebrauchen und ihn hängen 
laſſen. Suhm war: fo beforgt, der König möchte dad wahr 
machen, baß er eiligft Berlin verließ. Der König Auguft bes 
ſchwerte fi a ln Aber ein fo voͤlkerrechtswidriges Benchs 
men. Friedrich Mühelm, deſſen Hige fich unterbeffen gelegt 
hatte, gab nun an, bie — beruhe auf einem Misverſtaͤnd⸗ 
niffe, —X habe ſich ſolcher Drohungen nicht bedient. So 
wurde dieſe Angelegenheit noch beigelegt. 

Im 3. 1727 ſchicktte der König den Lieutenant von 
Wietersheim, angeblich als Jagdjunker in feinen eigenen _ 
Geſchaͤften, in das Mainzifche, um dort einen fehr langen 
Kerl anzunehmen, ber nicht gutwillig Dienfte nehmen wollte. 
Sedendorf muſſte es beim mainzifchen Hofe vermitteln, daß 
ex aufgehoben und dem Wietersheim Übergeben wurde ). Als 
in demſelben Jahre ein aus dem Mainziſchen gebuͤrtiger Sol⸗ 
dat des marwitziſchen Regiments entlaufen war, ſo ließ der 
General Marwitz den Water deſſelben, einen Gemeindeſchaͤſer, 


1) Ausführlich bei Mauvilion II. S. 80. 


2) Pblinig Dem. II. &. 250 nennt den Hauptmann von, Ratmer. 
Maupillon II. S. 188 fagt: ein unterofficier. Vergl. Sedendorfs 
Briefe an Eugen bei Foͤrſter Thl. IT. ©. 404 u. 414. 


3) Des Königs Schreiben bei Börfter Thl. TIL ©. 250. 


364 \ Bud VL Zweites Haupeftüd. 


in einem mainziſchen Dorfe durch preuſſiſche Soldaten aufhes 
ben und feine ‚Heerde wegtreiben, was ber König billigte und 
dem Kurfürften von Mainz auf deſſen Vorſtellungen erklärte, 
das Regiment habe dad Recht, ben Deferteur und. beffen Ber 
mögen aller Orten aufzuſuchen, alfo auch die Schafe feftzuhal: 
ten. Wenn der Soldat wiebergefchafft worden, follten fie zus 
rüdgegeben werben ). ö 

Als im 3. 1731 preuffifhe Werber einen langen Bauer 
von den Gütern des Staroſten Mielöfi in Polen wegnahmen, 
ließ biefer einen preuffifchen Unterofficier an ber Grenze aufs 
—* und weigerte fih, ihn zuruͤckzugeben, ehe er-feinen Bauer 

jebererhalten. Nun ruͤckte ein preuffiiches Regiment ein und 
— auf des Mielski Gütern ſehr uͤbel. Dieſer fiel darauf 
mit 30 Polen in das preuffifche Gebiet ein und vergalt Gleis 
ches mit Gleichen. Der König Auguft legte jest die Sache 
auf Worbitten des Mielsfi bei, der einen bemüthigen Brief 
an ben König von Preuffen: forieh 9). 

Solche und Ähnliche Vorfaͤlle wieberholten fi nur zu 
häufig auf allen Grenzen. Alle benachbarten Länder waren in 
Furcht und Schreden vor ben Gewaltthätigkeiten ber preuffis 
ſchen Werber, welche allgemeine Exbitterung erregten. Die 
ohnehin ſchon vorhandene perfönliche und politiihe Spannung 
Friedrich Wilhelms mit feinem Schwager, dem Könige von 
England Georg II. kam zum Ausbruche und beinahe zum Kriege, 
als Georg es ſich nicht wollte gefallen laſſen, daß preuſſiſche 
Werber hanndoeriſche Unterthanen auf Reifen wegnahmen, ja 

. fie felbft in ihren Wohnungen überfielen und aufhoben, wäh 
rend Friedrich Wilhelm auf Feine Vorftellung achtete ). Als 
der preuffifche Major von Quadt im Heffen-Kaffelfchen auf ge 

waltſamer Werbung ertappt und feftgenommen, doch anſtaͤndig 
behandelt wurde, ließ Friedrich Wilhelm fogleich zwei heſſiſche 

Dfficiere auf der — anhalten und nach Magdeburg auf 

die Citadelle an einen Ort bringen, den zu beſchreiben man 


1) Forſter Ahl. IL ©. 802 
2) Raupillon IL. ©. 287. 
3) Gedendorfs Leben IL. ©. 165. 


Auslaͤndiſche Werbungen. 365 


ſich ſchaͤmte). Im Baiern waren bie preuffifchen Werber 
mehrmals In Gefahr, vom Volke todtgeſchlagen zu werben, und 
im Bistum Aichſtaͤdt transportirte man einen Officer über 
bie Grenze, nachdem man ihm feine Päffe abgenonmen ). 
Kur⸗Sachſen, Köln und «Hannover und HefensKaffel waren 
daher (1732) nahe daran, ein Buͤndniß zum Schutze gegen die Ges 
waltthaͤtigkeiten der preuffiichen Werber zu fchlieffen. Da end» 
lich verbot der König (17. März 1732) feinen Regimentöchefs 
die Werbung durch Gewalt oder Lift in allen Ländern, in bes 
nen darlıber Befchwerde geführt worden, und bezeigte feine Miss 
billigung mit dem Verfahren des von Quabt, ba nach feinem 
Willen nur mit Genehmigung des Landesherrn ober Statthals 


ters freiwillige Werbung ftattfinden ſolle). Man wuflte ins 


deſſen ſchon, daß das nicht‘eben ernftlich gemeint fe. Daher 
feute fich auch ein’ preuſſiſcher Lieutenant Wollenfpläger nicht, 
einen langen Kerl ber hollaͤndiſchen Garde in Maftricht zur 
Defertion zu verleiten. Sein Hauptmann hatte feit einer Reihe 
von 20 Jahren ſchon 20 Mann auf diefe Weife verloren, lockte 
daher ben Wollenfchläger auf das hollaͤndiſche Gebiet und ließ 
ihn bier feflnehmen. Eben waren aud ein Weiter und ein 


Die Generalftaaten vergeblich barlıber beihwert, daß ihnen 
10 Mann ebenfo weggeführt worden waren und bei einer ähns 
lichen Gelegenheit das wiederholt. Daher war ed jegt ebenfalls 
vergeblich, daß der preuffifche Mefident um die Auslieferung 
Wolenfchläger bat; biefer wurde vielmehr nad gehaltenem 
Kriegsrechte (21. Ian. 1733) eföoffen, fein Sergeant aber 
entlaffen. Sobald die Nachricht davon nach Berlin kam, fo= 
derte der hollaͤndiſche Gefandte ſogleich alle dort befindlichen 
hollaͤndiſchen Dfficiere auf, ſich fehleunigft zu entfernen, weil 
er mit Recht fürchtete, der König möchte fie in der erfien Hitze 


1) Sedendorfs Leben II. &. 179. MWergl. Börfters urkunden ⸗ 
UL 6, 501. 


9) $apmann L ©. 787. ‚ 
8) Bei Sörfter Thl. II. ©. 807 Anmerk.; ‚vergl, bei demſelben 
II. S. 302. J 


366 Bud VL. Bweites Hauptftüd. 


feines Zorns erſchieſſen laſſen. Wirklich ließ biefer auch for 
gleich durch die Befchlöhaber der erzmgpläge 4 Dfficere und 
etwa 20 hollaͤndiſche Soldaten, bie fich auf feinem Gebiete 
3. anhalten, nach Weſel bringen und drohete, an ihnen 


Seckendorf mahnte dringend ab von Repreſſalien. Er hatte 
eben dem Koͤnige den laͤngſten Mann in deſſen Leibregimente 
verehrt und erklaͤrte nun, der Kaifer mifle ben Generaiſtaaten 
beiftchen. Nachdem bie erſte Hige verraucht war, gab ber Ki 
nig die Officiere frei, behielt aber die Soldaten als preuffifche 

Die Holländer foderten ernfllih deren GEntlafs 
fung; mehrere Heine Anſtoͤße und Misverſtaͤndniſſe kamen dazu 


frei gelaſſen wurden. Als das aber die Generalſtaaten fo aufs 
nahmen, als haͤtte es der König gezwungen gethan, bereuete 
dieſer es und nur mit unſaͤglicher Mühe der Vermittler wurde 
dieſe Angelegenheit durch gegenfeitige Entſchuldigungen ausge: 
glihen. Der König vergaß aber bie ihm in feinen Werbern 

zugefügte Beleivigung nicht und ließ im folgenden Jahre (1734) 
zwei hollaͤndiſche Unterofficiere aus Maftricht, welche auf bad 
preuſſiſche Gebiet kamen, um einen Solbaten, welcher fih aus 
dee Beftung dorthin begeben hatte, zurädzubringen, unter bem 
Bermanbe aufnüpfen, daß fie in feinem Lande Gewalt ge 


Zus die Acbtiffin von Quedlinburg wiberfegte fih den 
preuſſiſchen Werbungen und ließ (13. Juli 1733) ein Patent 
gegen bie gewaltfamen Werbungen bes marwigifchen Regiments 


1) Gedenborfs Leben IIL. S. 181. Bergl. Bafmann Le. 785 
u Maupillon IL ©. 860. 


Auständifhe Werbungen. 367 


anſchlagen, ber König aber ließ es abreiffen, (18. But) durch 
den ‚Henker verbrennen und ungehindert fortfahren ). 

dm feanzöfifepe Geſandte Ghetardie beſchwerte fich heftig 
über bie Gewaltthätigkeiten der preuſſiſchen Werber umb ir 
. England wurde dem preuffihen Gefandten Borde erklaͤtt, 
man koͤrme ihn nicht mehr als Gefandten dulden, weil ex Leute 
gegen bie Sandeögefege geworben ). 

In fo große mb mod weit zahlreichere Unannehmlichkeis 
ten verwidelte den König allein bie umbezeichenbare Sucht nach 
langen Soldaten. Er war auch .auf diejenigen Staaten, wels 

che ihm nicht frei falten lieſſen, fo erbittert, daß er fi, wo 
Sr Ic‘ an ihnen zu rächen ſuchte. Als bie Hamburs 
ger ben von ihm ſehr gefpägten Propfl Reinbet zu der hoͤchſt 

äintsäglichen Stelle eines Hauptpaftors ihrer Michaeliskirche 
wählten, fchlug ber Knie ab, ihm zu entlafien und ſchrieb: 
platt abgefchlagen. Die Hamburger wollen mic meine beften 
Prediger aus dem Lande holen amd wenn ich irgendwo einen 
Lumpenkerl anwerben laſſe, wird eim Lärm darüber gemacht!“ 
Er gab aber dennoch an Beinbedt nicht die geringfte — 
digung*). As bie Generalſtaaten ben König durch ihren Ges 
fanbten Ginkel, ven ex fonft wohl leiden mochte, baten, ihnen 
den berüfenten Suriften ‚Heineseiuß, bamals Profeffor zu Halle, 
zu überlaffen, ſchlug ex es ab: weil fie feine Fihpelmänner { in 
ihrem Gebiete werben lafjen wollten, habe er auch Feine Pros 
fefforen fr fie‘). Man ficht, daß er feine Geiftlichen und 

— 


jelben Geſichtspunkte betrachtete, ſich 
Kranken a und fie fo ziemlich als feine Leibeigenen 
anfe 
Sehne Leidenſchaft für Tange Soldaten wurde auch durch 

die Jahre ht an — Sie blieb gleich ſtark bis an feis 
nen Zob. Alle Verſuche, fie zu mildern, ober ihm doch we⸗ 

1) Zritſch Geſch d. Quedlinburg Thi. IL ©. 79. 

2) Grtenborfs Sehen II. ©. 24. 

8) Steinbeis Lehen in Bäfhings Weltvägen L &. 177., 

4) König I. ©, 122. 


368 Bug VI. Zweites Hauptfüd. 


nigſtens von der Rachſicht gegen bie empörenden Gewaltthaͤ- 
tigfeiten feiner Werber abzubringen, waren ohne Erfolg. Durch 
den General Schulenburg wurde mit Sedendorfs Beihülfe bem 
Könige ein Brief in die Hände gefpielt, welcher auf ihn und 
feine Officiere die Stellen der Bibel anwendete: Mer einen 
Menſchen fliehlet und verfauft, daB man ihm bei ihm findet, 
der fol des Todes fterben (DM. Mof. 21, 16). Wenn jemand 
funden wird, ber aus feinen Brüdern eine Seele flichlet aus 
den Kindern Ifrael und verfegt oder verkauft fie, ſolcher Dieb 
ſoll erben (V. Mof. 24, 7); und: Den Gerechten iſt Fein 
Geſetz gegeben, fondern ben Ungerechten — — den Menfchens 
dieben umd fo etwas ber heilfamen Lehre zuwider it (J. Tim. 
4, 10). Alles war eben fo wirkungslos, wie die Prebigt des 
Magifter Rüben in Quedlinburg, welcher (25. Ian. 1730) 
bei Gelegenheit des Evangeliums vom Hauptmann von Kas 
pernaum gegen Menſchendiebſtahl ſprach, worüber ein Protos 
koll abgefafft und nad Berlin geſchickt wurde, ohne daß ihm 
doch weiter etwaß geſcheben zu fein ſcheint '). 

Obgleich die Hauptleute, welde für die Vollſtaͤndigkeit 
ihrer Gompagnien verantwortlih waren, dadurch bedeutende 
Einkünfte hatten, daß fie oft bie ‚Hälfte der Leute beuslanben 
Eonnten, während fie den gefammten Solb fortbezogen, fo war” 
doch die Nothwenbigkeit, Tage Leute zu flellen, für fie ſehr 
drüdend und veranlaffte, ja nöthigte manchen zu Ausgaben, 
welche ihn zu Grunde richteten‘). Manches Regiment verwen: 
bete in einem Jahre 16—13,000 Thaler auf lange Refruten. 
Einzelne wurben von ben Hauptleuten, waren fie 5 Zuß 10 
300 lang, mit 700, 6 Fuß lang mit 1000 Thalern, noch 
länger noch viel theurer bezahlt, und diefe Ausgaben führten 
zum Bruce ber eingegangenen Gapitulationen und zu Erpreſ⸗ 
fungen im Sande’). Vom J. 1713 bis 1735 ſollen 12 Mi 
lionen Thaler für Werbungen in das Ausland gegangen fein*). 

1) Secendorfs Erden IT, ©. 165. 

e. Fl Sedcendorfs Schreiben an Gugen bei Foͤrſter urkundenbuch IL 


8) Seiebrih II, du Militaire‘p. 844. 
* 4) Baßmann L &. 784. 


Kriegszudt. 369 


Aufferdem beftand dadurch nach und nach ein Immer grös 
Berer Theil, ja die Hälfte des preuffifchen Heeres auß freiwil⸗ 
lig ober gewaltfam geworbenen Fremden, zum Theil dem Aus⸗ 
wurfe aller Nationen’). Dazu kam das rauhe Benehmen und 
bis zur Grauſamkeit firenge Verfahren der Dfficiere*) nad 
dem Mufter des Fürften Leopold von Deffauz das machte aber 
auch ben preuffifchen Kriegsſtand auf das Aeuſſerſte verhafft 
und nur die fchärfiten bis zur Graufamkeit gehenden Strafen 
konnten in einem ſolchen Heere den Widerftand brechen, den 
Gehorſam und die Kriegszucht aufrecht erhalten. Die Krieges 
atitel, weldpe ber König gleich nach feinem Regierungbantritt 2 au 
elieh, athmeten daher diefe Strenge. 

Wer fi mit Worten oder Raiſonniren dem Obers ober 
Unterofficier widerfegte, muſſte dreiffig Mal Gaſſen Taufen, 
wer ben Degen entblößte, wurde erfchoffen. Kartens und Würs 
felfpiel wurden mit Spiesruthen beſtraft; auf faft allen uͤbri⸗ 
gen Vergehen, wie auf gewaltfamem Einbruch und Dieberei, 
fand der Tod. An demfelben Tage wurde ein Edict zur Vers 
bütung der Defertion erlaffen. Jede Nacht vor dem Ausmars 
ſche muffte der Wirth und deſſen gefammtes Gefinde wachen 
und durften nicht geftatten, daß ein einquartirter Soldat ſich 
wegbegäbe. Auf dem platten Lande und in offenen Städten 
mufften Tages vor dem Ausmarfche alle Wege und Päffe von 
ben Einwohnern befegt und es durfte Niemand ohne Pag 
durchgelaſſen werben. Defertirte dennoch ein Soldat, fo trus 
gen die Obrigkeiten und Einwohner die Schuld und weil alle 
angedroheten Strafen nichts geholfen, fo wollte der König fich 
an fie um Schabenerfag halten. . Wer einen Deferteur ertappte, 
bekam 10 Thaler. Jeder Beurlaubte muſſte (2. Aug. 1722) 
bei Lebensſtrafe in jeder Ortſchaft, durch die er kam, ſeinen 
Paß bei der Obrigkeit, dem Prediger oder Kuͤſter und auch 


1) Im Segkmente des Prinzen Guftav von Deffau war ein Moͤnch 
aus Genua, ber im Preuſſiſchen Almoſen für die in der Türkei gefanges 
wen Ghriften gefammelt hatte, gemeiner Reiter. Seckendorf an Gugen 
bei Foͤrſt er Urkundenbudh II. ©. 89. Gin Viertheil des Heeres war 
rathoiiſch. Faßmann I. ©. 781. 


2) Gedendorf an Eugen in Foͤrſt ers Urkundenbuche II. ©. 39. 
Gtenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 24 


3m Ana Ya Ameites Haupifiäd, 


we wu a ira angreifen wurde, ). Damit 
1 Nie peut at der Deiertend um fo leichter 
en ne Ara uiid Zur Minig (29. Juni 1723) 
sein di wie öÊh in elen Drtfpaften 
Ar eg ua ion ur Kein Würger 
na nic Az Sakasen, ber micht 


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Verbrechens Uiberführt worden, ohne des Königs Befldtigung 
zu erwarten, aufgehängt werben. Ber vom eines Gelbaten 
Anfiht zu befertiven wuffte und es richt anzeigte, wurde 
(&. Aug. 1726) mit Leibes⸗ und Lebensſtrafe bebrobet. 
Von Zeit zu Zeit wurde ein Generalpardon für alle Des 
ſerteurs bekannt gemacht, welche ſich binnen einer beffimmten 
n, ja ſogar (12. Febr. 1721) denen, 
mei Monaten zuruͤckkehren wörden, auffer 


wenn fie im erften Gliede fländen 30 The 
bis 10 Waler baaren Geldes zugefihert 9). 
an IL ©. 6%. 


®. 627. 


Kriegszucht. 31 


Das war immer noch weit wohlfeiler als bie Ergänzung durch 
neue Werbungen '). Da indeſſen, wie es endlich (15. Geptbr. 
1736) hieß, alle ditern Edicte gegen Deferteure nicht genug 
geholfen, fo wurbe bei 200 Thaler Strafe befohlen, wer einem 
Unterofficieve ober Soldaten begegne, folle nach deren Paffe fras 
‚gen und bei der Weigerung, ihn zu zeigen, fogleidy Anzeige bei der 
näcjften Behörde machen”). Ban ſieht aus ſolchen äufferften, 
und zum Theile ganz unausführbaren Vorfepriften, wie ſchwer 
es war, bie Zruppen bei ben Fahnen zu erhalten, und wir 
erfahren auch noch befonders, dag im I. 1730 70 bis 80 
aus dee Wallachei, Polm und Ungarn gebürtige Grenadiere 
des Leibregiments, welde, wie ber zeitgenöffiiche Geſchicht⸗ 
ſchreiber Friedrich Wilhelms L fagt, den glüdfeligen Zuſtand, 
worin fie lebten, nicht vecht bebachten, ſich mit einander ver 
ſchworen, bewaffnet auszubrechen und fo zu entkommen. Des 
wurde indeſſen verrathen, einer erhängt, einen anderen Nafe 
und Ohren abgefchnitten, bie übrigen mufften 36 Mal Gaſſen 
Taufe; einige entleibten fi ). ud 18 bis 20 bei dem Bes 
gimente Leopold von Deffau in Halle befindliche &uffen 
wollten, als fie zum griechiſchen Gottesdienſte, ber fhr fie wie fin 
Katholiken befonbers angeordnet war, nach Berlin gingen, mit Ge⸗ 
walt ausbrechen, wurben jedoch wieder eingefangen und beftraft *). 
Seinen Officieren gegentiber betrachtete ſich der König, . 
kun tegiementögemäß nicht als König, fondern als Dffls 


de. AS er einft in ber Tabaksgeſellſchaft den Major von 


1) Son i. I. 1716 wollte er 4—600 Mann von ben Marks 
grafen von Ansbach unb Waireuth Faufen und 30 Thlr. für jeden nadens 
ben Kerl geben. 

9) Bafmann L ©. 792 bemerkt ſelbſt, daß bie Ausführung ſchwie⸗ 
rig fei, es werte auch bamit nicht fo genau genommen. 

"9 Faßmann I. ©. 1010, Wativillon I. ©. 288 fagt 12 
ſch wiederholt. 


Begimente 
worben, an das Dominitanerfiofter in 
4) Bapmann I. &. 791. 


3” Bud VE Zweites Hauptifiäd. 


überall, wo ex fonft angetroffen wurbe, vorzeigen '). Damit 
der Defertion gefeuert ufb bie Deferteurs um fo leichter er⸗ 
tappt werden koͤnnten, erließ der König (29. Iuni 1723) ein 
goen Edict, welches monatlich in allen Drtſchaften von 

der Kanzel abgeleſen werben muffte. Kein Bürger oder Baur 
ſollte einen Unterofficier oder Soldaten, ber nicht feinen rich⸗ 
tigen Paß vorzeigen koͤnnte, paſſiten laſſen, ſondern ihn feſt⸗ 
nehmen und an das naͤchſte Regiment abliefern. Wenn ein 
Soldat defertirte und es vom Sfficiere auf dem Lande oder 
in ben Städten befannt gemacht wurde, fo follten Bürger und 
Bauen fofort auffigen, die Sturmgloden Iduten, die Päffe 
befegen und dem Deferteur weiter zu Buße und zu Pferde 
machfegen. Doc murde (16. Aug. 1727) den Dfficieren vers 
boten, von ben Stäbten, in welchen Garniſonen flanden, zu 
verlangen, daß bie Bürger Pferde zum Nachſetzen der Deſer⸗ 
teurs befonbers hielten, dieſe follten vielmehr gemiethet wers 
ben. Für jeden ertappten Deferteur wurden jeht 12 — 
zugeſagt. Wenn dagegen Beamtete, Edelleute, Bürger und 
Bauern nicht alles Mögliche anwenden würden, um den Des 
ferteur zur gefänglicen Haft zu bringen, fo follte das Dorf 
100 Thaler, bie Stadt 200 Thaler, der Landrath ober Edelmann 
100 Ducaten Strafe geben. Im Balle das Dorf arm, fo follen 
bie zwei vornehmften Bauern, wenn bie Stabt arm, fo fellen 
die acht vornehmſten Bürger zwei Monate karren. Wer einem 
Deferteur durchhelfen würde, follte ſogleich, nachdem er des 
Verbrechens überführt worden, ohne des Königs Befldtigung 
zu erwarten, aufgehängt werben. Wer vom eines Soldaten 
Abfipt zu deſertiren wuffte und es nicht anzeigte, wurde 
(5. Aug. 1726) mit Leibess und Lebensſtrafe bebrohet. 

Von Zeit zu Zeit wurde ein Generalpardon für alle Des 
ſerteurs bekannt gemacht, welche ſich binnen einer beſtimmten 
Erik ſtellen wurden, ja ſogar (12. Febr. 1721) denen, welche 
eilig binnen zwei Monaten zuruͤckkehren wirben, auffer 

Straflofigkeit, wenn fe im erſten liebe Ränden 30 ho» 
m und fo herab bis 10 Thaler baaren Geldes zugeſichert *). 


1) Bei Saßmann IL. ©. 654. 
3) @bendaf. I. ©. 627. 


Krlegszudt. Fr 


Das war immer noch weit wohlfeiler als bie durch 
neue Werbungen). Da indeſſen, wie es endlich (15. Septbt. 
1736) hieß, ee Altern Edicte gegen Deferteure nicht genug 
geholfen, fo wurde bei 200 Thaler Strafe befohlen, wer einem 
Unteroffiiese ober Solbaten begegne, folle nach deren Paſſe fras 
‚gen und bei der Weigerung, ihn a zeigen, fogleldy Anzeige bei der 
nähen | Behörde machen”). Man ſieht aus ſolchen aͤuſſerſten, 
und zum Theile ganz unausfuͤhrbaren Vorſchriften, wie ſchwer 
ri die Truppen bei ben Fahnen zu erhalten, und wie 
erfahren auch noch befonders, daß im I. 1730 70 bis 80 
aus bee Wallachei, Polm und Ungarn gebürtige Grenabiere 
des —— — Io der eitgenöffre Geſchicht⸗ 
ſchreiber Friedrich Wi L ſagt, den gluͤckſeligen Zuſtand, 
worin ſie lebten, bergen? recht bebachten, fi mit einander vers 
ſchworen, bewaffnet auszubrechen unb fo zu entlommen. Des 


gimente Leopolb& von Deflau in Halle befindliche &uffen 
wollten, ald fie zum griechifchen Gottesdienſte, der fuͤr fie wie fir 
Katholiken befonders angeorbnet war, nach Berlin gingen, mit Ges 
walt —e wurden jedoch wieder eingefangen und beftwaft‘). 


1) Sqhen i. I. 1716 wollte er 4—600 Bam von den Mark 
grafen von Ansbach) und Baireuth kaufen und 30 Thir. für jeben nadens 
den Kerl geben. 

2) BafmannL ©. 792 bemerkt ſelbſt, daß bie Ausführung ſchwie⸗ 
zig fei, es werde auch damit nicht fo genau genommen. 

8) Faßmann I. ©. 1010, Mauvillon I. S. 288 fagt 12 
Moun, doch hat ſich dergleichen wobl mehrmals wiederholt. Daß das 

vollzogen worben, zeigt Foͤrſter IL ©. 301 aus einer Cable 
netsorbre Friedriche IL d. I. 1749, in welcher der König befichtt, einen 
Gefangenen in Spandau, welchem wegen eines bei Friedrich Wilhelms J. 
Begimente gemachten Defertionscomplots Naſe und Opren abgefchnitten 
worden, an das Dominitenerkiofter in Halberftabt ausgaliefern. 

4) Bapmann I. &. 791. 2a* 


372 Buch VI. Zweites Hauptfiäl. 


Vegas mit dem für Gelehrte beſtimmten Ekelnamen belegte 
‚und biefer, welcher tüchtig getrunfen hatte, das Schimpfwort 
dem Könige zurlidigab, fo erflärte biefer, daß er als recht⸗ 
ſchaffener Officier das nicht auf ſich figen laffen koͤnne und 
GSenugthuung verlange. Es wurde nur mit Mühe vermittelt, 
daß ſich ein anderer Officier fir ihn ſchlug '). Bei einer ans 
deren Gelegenheit befahl. der König dem Oberſten Marwig, 
dem Major Maffow in Gegenwart mehrerer Dffiiere einen 
tüchtigen Werweiß zu geben, daß biefer gegen ihn (den König) 
als feinen Dberften (in der Trunkenheit) alle Subgrbination 
aus den Augen gefegt. Maſſow müffe willen, baß er Major 
wäre, der König aber Oberfter ). 

Die Uebungen der Mannfcaften im Marſchiren unb 
Feuern wurden unauögefegt betrieben. Leopolb von Deffau, 
welcher weit mehr Einſicht in das Weſen des Kriegs beſaß, 
als der König, wurbe der eigentliche Schöpfer jener volllom⸗ 
menen Krieggausbildung des preuſſiſchen Fußvolks, welche das 
mals Alles in Erſtaunen fegte”). Er arbeitete vorzüglich das 
bin, beffen Ueberlegenheit im Heinen Gewehrfeuer zu bewirken, 
fo dag fein Feind ber Wirkung beffelben wiberftchen könne, 
Die fo zerbrechlichen hölzernen Labeftöde wurden baher mit 
eifernen vertaufcht, deren Schwere die Patrone leicht feftpfeopfte. 
Den Arm des Bajonnets ließ er verlängern, bie Klinge defs 
felben etwas ſchraͤg ausbiegen und bann das erfte Glied (feit 
1733) mit aufgeſtecktem Bajonnete, bie zwei hinteren ohne dafs 
felbe feuern; das vierte Glied ſtand müffig‘). Er wollte bas 
ber, wie es zulegt bei ben Grenabieren geſchah, nur brei, ja 
es wird behauptet, weil auch das dritte Glied nie gut feuern 
Tonnte, nur zwei Glieder bilden, um bie Seuerlinie zu ver 


1) Morgenftern. 

2) Bei Hörfter Thl. IT. ©. 297 i. d. Anmerkung. Dadurch wird 
das Werfahren des Königs gegen ben Kronprinzen, bei deſſen Wluchtver« 
ſuche fehr gut erflärt, und erfheint, wie feldft das Verfahren gegen Katt, 
in einem weit milderen Lichte. ö 

8) ®eiebrid) IL. Du Militaire p. 886. 


9 GBeht en hor ſt) Betraditungen über die Kriegefmft I. ©. 129. 
riebridh II, Da Militaire p. 843. 


Kılegsäbungen. 373 


grögern. Die Soldaten wurden num abgerichtet pelotons, dis 
vifionds und bataillonsweife mit einer früher unbekannten und 
nicht fir möglich gehaltenen Schnelligkeit zu feuern, alle Griffe 
des Gewehrs mit der größten Pünktlichkeit zu machen und 
dazu noch höchft genau Im Gleichſchritte zu marſchiren. 
‚Hierzu kam bie größte Sorgfalt für voͤllige Inſtandhal⸗ 
tung ber durch das ganze ‚Heer gleichen fehr guten Waffen und 
die peinlichfle Aufmerkſamkeit auf die Kleidung und deren Reins 
lichkeit. Die Truppen wurben jährlich neu gefleidet, das Fuß: 
volk blau, die Reiterei weiß, die Hufaren roth). Ein befon- 
deres Montirungsreglement wurbe (30. Iuni 1713) erlaſſen 


Sommer. Die Mäntel waren abgefchafft, feit fie im I. 1708 
bei ſtarken Maͤrſchen hatten zuruͤcbleiben müffen und fo für 
entbehrlich galten). Die Monturen waren im Einzelnen bes 
trachtet etwas kurz und eng. Die Prinzeffin Wilhelmine bes 
merkt, (1728) als bei bem Beſuche bed Königs von Polen in 
Berlin Polen und Sachſen in prächtigen Kleibern aufgetreten, 
bie Preuffen ihres Waters hätten in ihren- einfachen Uniformen 
einen großen Contraſt gebildet. Die Röde wären fo kurz und 
Tnapp geroefen, daß fie nicht gewagt hätten, fih zu rühren, 
aus Furcht fie zu zerreiffen *); allein ein Boll Tuch Erſparniß 
war viel bei einer großen Anzahl. Auf die kleinſten Einzeins 
heiten wurde mit einer Genauigkeit gehalten, welche freilich 
oft rein pebantifch war. Der König winde fich felbft auf bie 
Wacht geſchickt haben, wenn er fih in einem Kleidungs⸗ 
flüce, das nicht montirungsmäßig war, betroffen hätte‘). 


1) Pöllnitz Mämoires T. L Lettre 1. p. 26. 

2) Girtacy Geld. d. preuſſiſchen Heered ©. 836. 

8) Seiebrid) IT, Du Möitzire p. 348. 

4) Mömoires de Bareith I. p. 116. Sie hat überhaupt eine fpige 


5) Aeuſſerung Behrenhorfts in feinen Betrachtungen. J. ©. 125. 
Auch Secendorf in feinem Schreiben an Cugen i. I. 1725 bei 


374 Buch VL Bmeites Hanptfiäe. 
& ſah vom befiner Cöieie ab einen Dir, ben, Bohn 


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Gavehren, wenn es mit ber größten Pimktlichkeit auf 
Commando jebe Bewegung, jeden Griff des Gewehrs fo 


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marfchteen, nicht gut feuern.” Die Oberfien follten 

als wenn er immer zugegen wäre; auch der Dienft in 

ö Bernifonen fol fo ac arhlier wen, als wenn der 
ben Xhoren Ban, zugleich fehr forgfäktig auf Reinlich⸗ 

keit und Puten der Kleivung und Waffen gefehen werben. 

en iO uhgt Ans Rahee wie tus Tesacat Tat, 

werbe ich den Befehlöhaber und alle Dfficiere baflız ſcharf ans 


Are 


1) Benekendorf W. S. 1. 
2) Friacich II. Du Militeire p. 849. 


Kriegsübungen. J 35 


fee Bm Bring (eng beat un Di Blair 

Die Reiterei, Dragoner und Güraffiere beflanden ebenfalls 
aus langen Leuten. Sie wurden nicht gehörig ausgebildet und 
mehr zu * als zu Pferde gelbt. Sie feuerten vortrefflich, 
denen 1odn gepuste Waffen, Beug und Pferde, bie doch etwas 
zu bod und mohlgenährt, dabei zu ſchwer waren, Tonnten 
aber leider nicht reiten. Leopold hatte bei der hoͤchſtaͤdter 
Schlacht eine uͤbele Idee von der Meiterei erhalten. Sein 
durchdringender Verſtand fah, was Fußvolk gegen fie vers 
möchte, und er. war felbft ein ſchlechter Reiter). Das Res 
giment Gensbarmen in Berlin galt fir das Mufterregiment 
unter ber Reiterei bes Heeres. 

Eine Infruction für Ober⸗ und Unteroffiiere wurde die⸗ 
fen gedrudt, doch mit der Verpflichtung gegeben, fie geheim 


Die Dffiiere ber Meiterei lagen zerfireut in ben Eleinen 
Städten, verſtanden durchaus nichts vom Reiterdienſte und 


Leopold von Deffau *), und Kriegserfahrung hatte nur noch 
der Gmeral Schwerin ). 


Der König muflerte jährlich die einzelnen Regimenter in 
deren Stanbquartieren, auffer in Königsberg, Berlin und Mags 
beburg, wohin mehrere Regimenter ber Umgegenb gezogen 

„wurden. Die Uebungen und Bewegungen waren nicht eben 
durchaus auf den Krieg berechnet, wurben aber aufferorbentlich 

1) Bei Börfter Thi. II. ©. 816. 

2) Beiebridh I. Du Milltaire p. 845. Vergl. Benekendorf IV.11. 
Behrenhorſt SHLL ©. 188. 
8) Faßmann L ©. 189. 
4) Beirig IL. a. 0. D. pᷣ. 341, 845 und 847. 


5) Diefer war aus medlienburgifden Dienften, nachbem er vorher in 
hellandiſchen Dienften unter Eugen und Marlborough gebient hatte, in 
bed Felbmarſchalls Grafen v. 


376 . Bud VL 3weites Hauptfläd, 


genau und mit großer Sicherheit ausgeführt ). Dem Blicke 
bes Königs entging nichts, doch kam es vorzüglich darauf an, 
ob viel neue lange Refruten da waren, dann war er mit dem 
Chef und dem Regimente zufrieben. 

Man glaubte nicht, daß mit einem folhen Heere viel 
vollführt werben Tönnte, und meinte, die Soldaten würben 
‘alle davon laufen. Der König war aber fehr erfreut, daß 
im Prachtlager von Mühlbery (1730) täglich von jedem ſaͤch⸗ 
ſiſchen Regimente über hundert befertisten, während, wie er 
behauptete, von ber preuffiichen Armee iahrüch nur zweihundert 
bis zweihundertfunfzig davon liefen ). 

Durch den Dberften Walrave ließ der König unter ber 
Leitung des Generals Lottum bie Feſtungswerke Wefels (1717), 
unter Leitung Leopolds von Deffau die Werke Magbeburgs 
vollenden, dann vorzüglich die Werke Stettins (feit. 1721) 
und auch Memels vermehren). Er errichtete auch eine 
Abtheilung von 40 Ingenieurofficieren unter bem Dberfien 
Walrave, legte Pulvermühlen und (1723) eine große Ges 
wehrfabrit bei Spandau an‘), füllte feine Arfenale mit 
Selb» und Belagerungsgeſchuͤtz und hatte treffliche Artillerie» 
officiere *). 

Die Kadettenſchulen in Magdeburg und golberg vereinigte 
er und verlegte ſie nach Berlin, wo er ihr den Hetzgarten 
einraͤumte und geſchickte Lehrer anſtellte. Auch die gemeinen 
Soldaten ließ er im Chriſtenthume, Leſen und Schreiben un⸗ 
terrichten ) . Ausführliche Sold⸗, Marſch⸗, Einquartierunges 
und Verpflegungsreglementd ordneten forgfältig, was ben 


1) driedrich II, Du Militaire p. 348, 


2) Friedrich Wilhelm I. an Seckendorf bei Börfter II. S. 289. 

8) ®riebri IL. Du Militaire p. 847. König I. ©. 102. Be- 
netenborf IV.62. Fapmann'l.&.206. S. 758 zäflt er 10 Feſtungen 
und 23 befeftigte Pläge. Roch i. I. 1718 wurben 
für 15 fefte Pläge ausgegeben. Bei Röbenbed I. ©. 121. 

4) ©. Ricolai Belhreibung Berlins &. 1022 und ©. 1169. 

5) Frichrich U. Du Milltaire ©. 847 gibt nur 80 au. Bergi 
Giriacy ©. 312, ferner Baßmann L ©. 755. 

6) König l ©, 136. 


Sefungen. Verpflegung Gold, x” 


Xeuppen In jeder Beziehung gebuͤhrte ). Die Beſoldung der 
höheren Dfficiere wurde gegen fruͤher nicht verringert und daß 
Beurlaubungsfgftem vermehrte felbft das Einfommen der Haupt» 
Teste, deren Solb nicht hoch (monatlich 40 Thaler) war, fehe 
bebeutenb, und es wirbe noch anfehnlicher gemefen fein, wenn 
bie Koften ber Werbungen nicht fo bebeutenb gewefen wären. 
Dagegen war bie Lage der Subalternofficiere, auf deren Schuls 
tern eigentlich bie ganze Laſt des Dienftes ruhete, mit 13 Thir. 
18 Gr. oder 11 Thlr. monatlichen Soldes nicht zu beneiden *). 
Wohlthätig aber war ed, daß der König den Sold der ges 
meinen Soldaten auf 2 Thaler monatlich erhoͤhete. Die 
Reiter erhielten 2 Thir. 12 Cr. bis 3 Xhle.”). Anfänglih 
bekam jeber Soldat auf dem Marſche noch 2 Grofchen tägliche 
Zulage, was aber ald zu koſtbar abgefchafft wurde, wogegen 
das Land fin jeden 2 Pfund Brot täglich unentgeltlich lies 
fern muffte. Weiter follte den Soldaten nichts gegeben 
werden 


Auffallend begüinftigt war freilich das Selbregiment, denn 

bier erhielt der Hauptmann, ns ohne Beurlaubungs⸗ 
eintuͤnfte, monatlich 100 Thaler, und jeder Genabier, ohne 
die perfönliche Zulage vieler zu reinen, 4 Thaler monatlich. 
Der Kinkg ſah fehr darauf, daß die Zruppen auch an Gelb 
und Montirungeftüden Alles puͤnktlich bekamen, was ihnen zus 
gefichert war‘). Daher war in ber regelmäßigen Auszahlung 
des Soldes für den Gemeinen von je fünf zu fuͤnf Tagen nie 
eine Stodung. Er wollte auch nicht, daß feine Unterthanen 
auf Märfchen oder fonft gedruͤkt wärben und verbot (7. Juni 

1) Die Verpflegung hatterfeit 1728 das Generalbirectorium unter 
ed re u 

henden Anosbnungen gu ändern. 

9 Eiriacy ©. 808 und 822. 

5) Die Welolbungstabellen bei Giriacy ©. 814 q. Beneken⸗ 
borf IV. ©. 106. 

4) Shite kurmaͤrkiſche Sandfteuerverfaffung. &. 475. 

5) Befehl vom 3. 1730 bei Börfter ZH. IT. S. 816. Vergl. 
Benelendorf V. 113, wie gut das Armatur» und Montirungeweſen 
durch den General von Maßorw eingerichtet worden. 


ma Bub VI. Ameltes Haupıkäd, 
4713) den Dfficieren bei Gaffation, u Wagen und Vor⸗ 
Landraͤthen aber mehr 


geweigert, des Königs Leibregiment aufzunehmen unb wollten 
ch weiter nicht fin Unterbringung der Garnifon forgen. Der 
König befahl daher (30. April 1722) dem Magiftvate, alle 


teilen, welche die Sache zu umterfuchen hatte, was aber viele 
Schwierigkeit fand, weil biefe ganze Angelegenheit in großer 
Unordnung war. Die Gommiffion flug vor, eine Maiz⸗ 
und Schrotſteuer aufzulegen. Der König verwarf dad, weil 
es eine neue Auflage fei, bie den Soldaten und Bürger treffe, 


5 


en wifüge sn u u nn 

leute 35 bis. 40 Thaler und fo herab. Das Serviögelb bes 

Bahr 122 36:00 Dialer und dazu gab bie Generals 
fe 


1) Zpile ©. 117. Dieſe wohlthätige Gimrichtung zur gleichere⸗ 
Bertpelung dpr Saft wude I, 3. 1716 geizofen- Au 


Verpflegung. Gold, 9 


daher (im 3. 1737), fe folten aus ben Barnden und \ 
weggebracht werben und in der Stabt bie 


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im Kriegsdienfte unbrauchbar oder alt geworde⸗ 


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praftifher Sinn fand dann fehe wohl, daB die Unter 
und Verpflegung in befonderen Gebäuden, fowie bes 
tung ſehr koſibar, und daß es viel vortheilhafter 
ie ihn und für bie Invaliden ‚fein würde, wenn er fie im 
unterſtuͤte, jedem aber die Freiheit lieffe, was er bes 
nad Belieben anzuwenden und fi einzurichten, wie 
er es am beften fände. Wie viel er im biefer Rüdficht ges 


Hl 


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than, iſt nicht bekannt, ſchwerlich war es inbeß bei der großen 
Baht der Invaliden und des Könige Sparſamkeit hinreichend *). 
Bas er den Kämmereien ber Stäbte aufbiden Tonnte, 


that er. Zur Verpflegung der alten kranken Soldaten war in 
——— ein Haus gekauft und gum Lazarethe eingerichtet wor⸗ 
den. Generaldirectorium bat um Bewilligung ber Koſten 
von 500 ei Der König antwortete (2. Septbr. 1734): 
Plat abgeſchlagen. Die Kämmereil“ (nämlich der Stabt koͤnne 
8 tragen) °). 

Weit mehr geſchah zur Werforgung ber zahlreichen, von 
Dfficieren und Soldaten hinterlaffenen Waiſen. Der König 
fliftete (1722 und 1734) dazu bad große potsbamifche Waiſen⸗ 


1) Wilken im Berliner Kalender 1823 &. 188 aus den Acten. 
9) $afmann I. ©. 556. ©. König L ©. 18, ber das gu ver 
Mahn ie 8 Benekendorf V. S. 121 gibt aber an, es fei doch 
Perg underſorgten Invaliden aicht üserhäuft, freilich auch 
fein Sing gmaein, Doch je Summen für 
——e— nicht für bie Dfficiere, welche daher hätten Math 
fen. 


8) Bei Börfter Urkundenbuch J. ©: 78. 


30 Bud VL Bweites Hauptftäd, 


haus und empfahl deſſen Erhaltung allen feinen Nachkommen, 
ja wenn, was Gott verhliten möchte, fein Stamm auslöfchen 
foßte, noch denen, welchen Gott dann bie Regierung uͤberrei⸗ 
en werbe, drohete ihnen auch anberenfalld mit feinem Fluche 
und Gottes ſchweren Strafgerichten. Er begabte es mit Ra: 
pitalien, Eigenthum und Einkünften mancherlei Art und ver 
wehrte biefe von Zeit zu Zeit noch bis kurz vor feinem Tode. 
‚Her in einem fehr auögedehnten, vier Geſchoß hoben, einen 
großen gs —— von ihm bereits im J. 1724 er⸗ 
ide wurden mehrere hundert Solbatenfinder beis 
derlei —ã— reinlich und gut gekleidet, genaͤhrt, angemeſ⸗ 
ſen unterrichtet und dadurch ſicher eine große Menge von 
Menſchen zu nüglichen und brauchbaren Mitgliedern ber menſch⸗ 
Tichen Geſellſchaft gebildet ). — Das waren bie Einrichtungen, 
welche der König traf, um ein immer zum Kriege bereite, 
ſtatkes, in jeder Beziehung ſchlagfertiges Heer zu haben. Wie 
vieler anberweitigen Anordnungen bedurfte es aber nicht, um 
das zu bewirken, was er fi) vorgenommen hatte. Die Worte: 
— die ung⸗ welche Friedrich Wilhelm I. öfters an den 
ihm übergebener Worfellungen feste, bezeichnen kurz 
Sc Drau" und fefene den hans: der von ihm ans 
Be ee In Gelbfadhen war er fireng, 

Die gefamniten Gtantseinkünfte theilten fih in zwei Haupt: 
zweige, in die Kriegs⸗ und in bie Domainengefälle; jene flof 
fen in die Kriegs⸗ biefe in die Domainenkaſſe. Die erfim 
waren lediglich zum Unterhalte ber Truppen beflimmt und es 
gehörten zu ihnen bie Gontribution, das Kavalleriegelb; bie 

+ Zehnpferbegelder, bie Kriegsmetze und bie Acciſe. 

Die Gontribution, welche von ben Bewohnern bed plats 
ten Landes entrichtet wurde, fie mochten koͤnigliche ober Adels⸗ 
unterthanen fein, war in ben verſchiedenen Provinzen ungleich, 
meiſtens nach dem Betrage ber Ausſaat angefchlagen ). Der 

1) König L ©: 258 u. 817. Bafmann L ©. 551. Bene 
Bendorf V. &. 127. Ricolat &. 1287. Das gefammte Perfonal, 
weidhed , opme das Geſinde ber Dfficianten zu rechnen / im 3. 1786 vom 
Daiſenhauſe erhalten wurde, machte 5376 Köpfe aus. l 

9) Rodens Rachricht von bem Finanzweſen, bi Preuß Beibrich IL 


"Finanzen. KL 
Sönig befahl mm (19. Novbr. 1715); daß die vielen Tr 


Eontribution ausgefchrieben werben follten. Vergeblich machten 
die Stände (1716) dagegen Vorftellungen, vergeblich baten bie 
Staͤdte (1717), die von ihnen feinem Water nur auf zwölf 
Sabre bewilligten Schloßbaugelber, noch bazu nach beffen Vollen⸗ 
dung nicht zu ben dauernden Abgaben zu ziehen und einen 
Unterfchieb zwiſchen der ordentlichen und ber aufferorbentlichen 
ober zeitwierigen Gontribution, ve fie Schloßbau⸗ und Le⸗ 
gelionegelb rechneten, zu machen '). 

In Preuffen beftand bie Gontribution im fogenannten 
Schöffe, Kopfgelbe, Viehſchat (Homs und Klauenfleuer), 
Servis⸗ und Reitergelbern. Sie wurde in ben Jahren 1715 
bis 1718 durch eine befondere Gommiffion unter dem Grafen 
Truchſeß zu Waldenburg, ohne die Stände zu berufen, nach 
einer in ein Kataſter gebrachten Abſchaͤtung ded gefammten 
Ertrag der Güter auf die Hufen vertheilt. Gegen biefe Eins 
richtung fegte ſich aber vorzüglich der Adel der Provinz, bei 
welcher Gelegenheit dann der König ſich fo nachdruͤcklich über 
die Souverainetät gegen bie Autorität ber Junker ausſprach. 
Die allgemeine Verſicherung bed Königs bei feinem Regierungs⸗ 
anteitte, es ſolle Niemand über Gebühr befchweret werben, 


war von einigen Ortfchaften fo auögelegt worden, als fole'der - 


drüͤckende zur Gontribution gehörige Hufens und Giebelſchoß 
aufhören, allein fie wurden balbigft (24. Iuli 1713) bebeutet, 
daß dieſer wie der (eben zur Contribution gehörige) Grund⸗ 
und Fundſchoß der Städte (8. Septbr. 1713) wie biöher auch 

erhoben werben würde. Den Magiftraten wurde befohs 
Im (25. April 1714) die Schoßgelder mit ben Regiſtern 
jährlih bei 20 — 50 Thaler Strafe vor Martini eins 
zufchiden. Dem Generalbirectorium trug der König auf, für 
gleichmäßige Vertheilung der Gontribution zu forgen, baher 
die Katafter in Ordnung zu bringen, bamit nicht ingenb ein 


hl. IV. S. 415 gibt darüber, für den damaligen Prinyen von Preuffen 
verfertigt, gute und genuͤgende Auskunft, 


1) Th ile Steuerverfeffung ©. 55 fl. 


Bud VL Bweltes Hauptſtuͤck 


382 
Theil feines Staats gegen den anderen Üiberbiirbet, vielmehe 
Laft mit gleichen Schultern getragen werbe '). 


Einquartierungss 
Biefe (m I 1716) zufanmengezogen umb in bie Staͤdte 
verlegt worben war, freiwillig eine beftimmte Gelbfumme ents 
richtete, welche aber nicht dauernd fein, fonber aufpiren folte, 
fobald die Reiterei ind Feld rlden müffte. wurbe für bie 
Kurmark (im 3. 1717) auf jährlich Dan — 
Diefe Einrichtung wurde im I. 1724 völlig durchgeführt umb 


tete Abgabe unter dem Namen ber Kriegemetze wurbe 
zen Groſchen, von jebem Geeffel Roggen, Mehl» sder 


1) Robens Rachricht bei Preuß a. a, D. ©. 415. 
2) Benetendorf M. S. 110. Thile & 99. Das Kavalleries 
betzug für bie Mark 5000 Ahlx. jährlich mehr als bie fröpere 


5) Thile ©. 108. 


Acclfe. . 383 


vom Gerſtenwalze 6 Grofchen, vom Waizenmalze 8 Groſchen 
gegeben werben muflten. 

Die Sehn- und Bitterpferdgelber betrugen, wie ſchon ds 
angeführt worden, 40 Thaler jährlich fl jedes einzelne. Wie 
hoch fich bie geſammte Summe des Eitrags belaufen, iſt nicht 
Öffentlich bekannt geworben. 

Die Acciſe war, wie bekannt, im I. 1682 von dem 
großen Kurfürften) in den Städten ber Kur» und Neumark 
auftatt der Gontribution und von Friedrich L (Im I. 1695) 
aud in Preuffen eingeführt worben. Frledrich Wilhelm I. 
dehnte fie ungeachtet mancher Widerfprüche und Widerſetzlich⸗ 
keit (17161718) auf die Provinzen Magdeburg, Halberftabt, 
Cleve, Mark und Meurs, dann (im I. 1720) auf Minden 
und Ravensberg aus”); in Geldern konnte das wegen ber 
Privilegien des Landes nicht gefchehen?). Diefer, über alle 
frühere Erwartungen ergiebigen aber zugleich aud fo ſchwer 
zweckmaͤßig zu benugenden Qußlle der Staatseinkünfte widmete 
der König aufferordentliche Aufmerkſamkeit, erſtens an fich, 
wegen ihres Betrags im Allgemeinen, und auch ber durch fie 
bewirkten Erhöhung des Ertrags ber Domalnen, zweitens, weil 
er buch fie verhindern wollte, daß das Gelb nicht aus dem 
Lande ginge, und brittens, was damit zufammenhing, weil er 
durch fie vorzüglich, vermittelft hoher Beſteuerung auslaͤndiſcher 
Producte und Waaren, bie Mittel fuchte, die Manufacturen 
feines Landes in bie bol⸗ zu bringen. „Die größte Sorge 
muß dahin gehen", fagt er in der Inſtruction des Generaldis 
rectoriums und der Domainenlammern,” baß die Tarifs accurat 
gemacht und auch in denfelben alle auslänbifche wollene und 
anbere Waaren hoch und bergeflalt impoſtirt werden, damit 
die in unferen Landen fabricirten Waaren wohlfeller gegeben 
und verkauft werden Sinnen, als ausländifche, und daß 
biefe dann von felbft wegbleiben, wenn fie um die Hälfte 
theurer find. Ebenfo muß fremdes Bier, Wein, Branntewein, 
Effig, Korn, Butter und gemeiner Käfe nit hohen Impoſten 

1) S. oben Thl. IE ©, 420. 

2) König IL ©. 5. 

D) Roten ©, 482. 


39 Bud VL Zweites Hauptſtuͤck 


belegt werben, damit bie inlaͤndiſchen Lebensmittel um die 
Bär wohlfeiler gekauft werben önnen, bagegen muß man 

Ausfuhe der Waaren und bed Getraibes begümfligen ).“ 
Lead wo es mit Vortheil für die Töniglichen Kaflen ges 
ſchehen ionnte, muffte die Xccife eingeführt werben. 

Jetzt eigentlich fingen die vielen allgemein laͤſtigen Formen 
der Acciſeeinrichtung am, bie genaueſte bis auf das Kleinſte 
gehende Beauffichtigung, um jeden irgend möglichen Unterfchleif 
derjenigen zu verhindern, welche fie zu entrichten, bie gehäufte 
Ueberwachung und firenge unnachfichtliche Beſtrafung jeber 
Bernachlaͤſſigung oder Weruntreuung derjenigen, welche fie zu 
empfangen batten, das heifft, der koͤniglichen Accifebeamteten. 
Es begann jener unerhörte und faſt unglaubliche Krieg nicht 
nur des Volks, nein felbft aller Beamteten gegen den Staat 
und beffen Accifebeamteten. Auf der einen Seite gehäufte, im 
Nothfalle von Waffengewalt unterſtuͤtzte Wachſamkeit und die 
Beſteuerung jedes Gegenſtandes, der gebraucht ober verzehrt 
wurde, Alles, um die Einnahme möglichft zu erhöhen; auf der 
anderen Seite jebe zu erfinnende Lift, um bie Aufmerffamkeit 
der Accifebeamteten zu täufchen oder jebed andere noch vers 
werflichere Mittel, wie ber Lügen, des Meineibs, ber Bes 
ſtechung, um, wie e8 ber Staat nannte, zu befraudiren. Das 
Ehrgefühl eines Ieben, am meiften ber rechtlichen Leute, wurde 
ſchwer verlegt, wenn fie ſich bei der firengen Unterfuchung, 
welcher ihre Sachen von Seiten ber Acciſe an den Thoren 
der Stäbte unterworfen wurben, gewiſſermaßen ſchon im Voraus 
as Betrliger bezeichnet fahen. Eine tiefe Erbitterung griff 
immer weiter um fi. Jeder, vom hoͤchſten bis zum geringften 
Beamteten, noch viel mehr aber dad Wolf und der Handels 
treibende machte fi ein Vergnügen daraus, bie Accife zu 
umgehen, nicht immer der zu bezahlenden Summe, fonbern 
oft nur der vielfachen Iäftigen Formen ihrer Erhebung und ber 
Alles verlegenden Eigenmacht grober Actifebeamteten wegen. 
Es gehörte Feine geringe Ausdauer und Kraft dazu, das Bolt 
am folchen Zwang zu gewöhnen, aber an beiden fehlte es 


1) ©. ven Auszug bes Werichts v. 14. Sept. 1713 gegen audlän- 
diſche Waaren bei König II. ©. 183. 


Finanzen. Accife 385 


Friedrich Wilhelm I. nicht und wenigftens mmıß man gefchen, 
daß feine Binanzmaßregeln, fo drüdend, gehäffig und felbft 
gemalttpätig fie waren, boch ohne Unterfchied Jedermann trafen, 
‚ia, daß er fogar feine Bamilie und fich felbft ifnen unterwarf. 

Schon 8 Tage nach feiner Thronbeſteigung (4. März 1713) 
befahl er, baf alle Gegenftände der Werzehrung für ihn, bie 
Koͤnigin, das Pöniglihe Haus, den Hofſtaat, alle Beamtete 
und Unterthanen in Berlin ohne irgend eine Ausnahme beim 
Eingange. in die Stabtthore veraccift und daher auch alle feine 
und des koͤniglichen Haufe Keller, Küchen, Heus, Stroh⸗ und 
- Sagbiwagen bis zum geringſten Bauerwagen an den Thoten 
angehalten und burchfucht werden ſollten). Das wurde fogar 
(28. Nov. 1729) auf eingehende Unterofficiere und Golbaten 
ausgedehnt. Alle, vorzüglich fremde Waaren, welche auch im 
Lande fabricirt werben konnten, entrichteten, wenn fie zu ben 
Jahrmaͤrkten kamen, die gewöhnliche und noch eine erhöhete 
Accife, wobei die genaueſte Aufficht zur Abftellung jebed Uns 
terſchleifs zur Pflicht gemacht wurde Das Militair muſſte 
den Accifebeamteten auf beren Verlangen Beiſtand leiſten. 
Defraubationen wurden mit hohen Strafen belegt, von welchen 
der Angeber ein Viertheil erhielt (1. Ian. 1720), Es wurden 
(6. Sept. 1713) erlaſſen eine Inſtruction für den Generals 
controleue bei der Accife, dann (31. Ian. 1714) neue Ins 
ſtructionen für die Viſitatoren und Thorſchreiber in Balin, 
(20. April 1714) eine Inftruction für die Wifitatosen in ben 
Sandftäbten und (1. Nov. 1738) ein ausführliches Reglement 
und Verfaſſung des ganzen Acciſeweſens in Berlin auf mehr 
als 100 gefpaltenen Boliofeiten mit Specialinftructionen für 
die erften, zweiten und britten Aeifenfpeeuren, deren zwei 

Kammercontroleuse waren, für den dritten Kammercon⸗ 
troleur, ben Obervifitator und bie anderen Beamteten. Die 
Thorſchreiber folten (1723) nicht blos in berfelben Gtadt 
häufig von einem Thore zum anderen, fonbern auch aus einer 
Stadt in die andere verfegt werben, um ihre Gevatters und 
Bekanntſchaften und andere Anleitung zum Unterfchleife zu 
verlieren. 


1) Das tft auch in ber Inftruction bes Generaldirectoriums wiederholt. 
Stengel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats III. 25 


336 Bud VL Bweites Haupefüd. 
Ein neuer Aecifetarif wurde (13. Nov. 1713) für Berlin 


‚gegen bad boöhafterweife ausgeſtreuete falfhe Gerücht von 
Erhöhung der Accife in ber Reſidenz als Urfache von flattges 
Habten Bankbrlchen, indem feit 13 Nov. 1713 nichts höher 
befteuert worben fei, auögenommen (30. Nov. 1714) bie Eis 
fenwaaren. Dadurch wurde freilich die Wahrheit der Geruͤchte 
gar nicht wiberlegt, indem bie Sirkung des erhöheten Tarife 
allerdings auch unmittelbar weit über ein Jahr hinaus gewirkt 
haben Tonnte. 

Um den Ertrag ber Aeciſe in Merlin, wo fie natirlich 
am einträglichften war, noch mehr zu erhöhen, wurbe biefelbe 
(feit dem 3. 1719) nicht mehr nach bem fehr ſchwankenden 


dabei abermals dem Gerlichte, als fei fie durchgehends erhöhet 
worben, widerſprochen, indem man bei ber neuen 

vielmehr bezwede, bie Zare folle durch Abfchägung ungetreuer 
Arcifebeamteten nicht zu hoch werden, was doch wohl auf 
andere Weiſe zu verhindern geweſen wäre. 

Ein newer Victualienwaaren⸗ Tarif wurbe (5. Febr. 1720) 
für Berlin und (1. Ian. 1721) für je kurmaͤrkiſchen Städte, 
fpäter (29. Decemb. 1736) ein neues Accifereglement für bie 
Kurmark auffer Berlin gegeben. Schon in den Tarifen von 


brikate zum Wortheile ber Stäbte. Das inde auf auf 

plate Same angebehnt, eine —— Acciſe 
Fremde Meffinge und Kupferwaaren jeder Art waren 

det 1710) bi Rebe und Bchenöfrafe verboten. “ 


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Finanzen. Rekrutenkaſſe. 387 


bir rend allein nicht in Städte bringen, 
mufften fie veraccift werben ). 

micht umbedeutende Wichtigkeit erhielt unter Friedrich 
Wilhelm I. auch die Rekrutenkaſfe. Wir haben bereits er 
zählt, daß unter Friedrich I. die von Civilbeamteten bei Ans 
tretung ihres Amts nach Verhaͤltniß ihrer Befolbung bezahlten 
Summen in die Ghargens und Marineaff kamen. Sriebrich 
Wilpelm L hielt genau barauf, daß das auch wirflich geſchah 
und verbot daher (2. Ian. 1720), irgend einem Beamteten 
feine Beſoldung eher zu zahlen, als er die Chargen, Stem⸗ 
pels und Kanzlei⸗Jura berichtigt. Er befahl bald barauf 
(20. Ian. 1720) auch allen Magiſtratsperſonen der Städte, 
weil fie nun nicht mehr, wie früher gewöhnlich war, wechſeln, 
fondern fortwährend im Amte bleiben follten, eben fo wie 
feinen Givitbeamteten einmal den vierten Theil ihrer einjährigen 
Beſoldung in bie Chargenkaſſe zu zahlen. Weil das aber im 
Ganzen nur fefigefegte Summen (den vierten Theil des erſten 
Jahrgehalts) betrug und dem Könige nicht genligte, auch zur 
Erhaltung und Vermehrung feines Leibregiments nicht aus⸗ 
reichte, fo vereinigte er (9. Dec. 1721) die dazu errichtete 
KRekrutenkaſſe mit ber aͤlteren Marinekaſſe und verordnete, daß 
kimftig Niemand weiter Marines und Ghargengelber be 
zahlen, vielmehr, wer ein Amt, ein geiſtliches oder weltliches 
Beneficium, Anwartſchaft, Stanbeserhöhung, Privilegium, 
Indult oder eine andere Gnade erhalten, von ber fonft jene 
Selber entrichtet wurden, von jetzt eine leibliche Geldfumme 
erlegen folle, deren Betrag zu beflimmen ex fich vorbehielt. 

Ehe die Rekrutenkaſſe befriedigt war, durfte Niemand in 
den Genuß feines Amts eingefegt, Fein in biefer Beziehung er» 
gangener Erlaß geflempelt (10. Ian. 1722), von ber Kaffe 
bei Strafe de doppelten Betrags nichts ausgezahlt (28. Ja⸗ 
nuar 1725), Feine Beförderung ober Gnadenverſchreibung aus⸗ 


H Bergl. Thile, ©. 620 von dem abgefchafften Misbrauche der 
Accifefreipeit. uud wem der Incl Bicnalln auf fine Diner fäddt 
und ber MBeg durch © täbte führte, muffte ec anfänglich (1717) nur um 
Bertin, dann (1788) überall bie Acciſe bezahlen. Mort Tann man recht 
ternen, wie nad) und nach und aus welchen angeblichen Gründen bie 
Freipchen bes Abeis engefceäntt wunben. * 


388 Bud VL Zweites Hauptftüd. 


gefertigt (24. Ami —D ja ſogar alle gerichtliche Wolle 
machten mufften bei der Rekrutenkaſſe gegen Entrichtung von 
6 Groſchen geftempelt werben (9. Behr. 1726); Fein Abvocat 
Date janhen, der fein Patent nicht bei der Rekrutenkaſſe 
eloͤſt hatte. 

9 Ber nun um irgend ein Amt, Privilegum, —— 


ſchall, der zugleich Director der Rekrutenkaſſe war, wenden 
und eine Summe dafuͤr bieten, welche ber König oft erhöhete, 


eine Unterſuchung flatt, ob der Wittfkeller zu bemfelben geeig⸗ 
net ſei. Wer, mit Ausnahme ber Rendantenſtellen, um irgend 
eine ber geringeren Bebienungen bei ben Provinziakollegien 
einfam, muffte fi mit ber Rekrutenkaſſe abfinden, und wer 
dazu geſchickt war und bad Meifte bot, erhielt fie*). 
überbot Einer ben Andern, und ber König war zuweilen 
faunt, zu fehen, daß unbebeutende Stellen von 10 
monatlichen Gehalts mit 600 Thalern bezahlt wurden ). 
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immer weiter außgebehnt. Als das Generaldirectorium (1 
anfrug, ob eine Stadtkaͤmmererſtelle in Landsberg an 
Warta Einem, ber baflır 300 Thaler geboten, ober einem An- 
dern, ber daflır bereitö 100 Thaler gezahlt und abjungirt fei, 
en follte, antwortete der König: „Wer das Meifte 


1) Zaßmann L ©. 718. 
für bie Kriegs: und Domainenlammern bei Möbene 


— 


bed ©. 84 
8) Zaßmann L ©. 714 f., der einige Gingelnheiten zum SBelege 


anfaͤhrt. 
4) Bei Jorſter urkundenbuch I S. 60. 


Finanzen. Rekrutenkaſſe. 389 
Als dem Könige (1736) vorgeftelt wurde, er habe zwar 


Bürgermeil in Kottbus für angebotene 200 Thaler ers 
theilt, num biete ein Anderer 500 Thaler, der Lippach aber noch 
50 Thaler mehr, entfchieb der König: „Wer das Plus zahlt") 1" 

Das Generalbirectorumm zeigte (1734) an, baß zu ber 
noch umbefegten Zollcontroleurſtelle in Kroſſen ſich Mehrere ges 
meldet, bie 500 bis 600 Thaler geboten, wogegen bie Witwe 
des verftorbenen Oberzollverwalters Großmann gebeten, bie 
Stelle ihrem aͤlteſten Sohne für 200 Thaler zu laſſen, in Bes 
teacht fie zehn unerzogene Kinder und ihr Mann für bie Stelle 
bereitö 400 Thaler bezaplt habe. Der König entfchieb: „Wer 
600 Thaler und mehr zahlt, fol haben "I 

Auch Juden, welche heirathen wollten, mufften ſich vors 
ber bei 1000 Thaler Strafe mit der Rekrutenkaſſe abfinden 
(18. Aug. 1722). . 

Bu den großen Summen, welche die Refruten des Leib» 
regiments Tofteten, reichte indeſſen ber Betrag dieſer Einkünfte 
dennoch nicht aus; daher wurden der Rekrutenkaſſe auch bie 
Summen überwiefen, welche ber König in Abolitionsfällen, 
ober als willkirliche Strafen bei Injurien, fleifchlichen Ver⸗ 

gehen und in Sachen beflimmte, bie oh nicht N iu gerichtlichen 
Unterfudung gelommen waren ’). der Schöppenftuhl 
in Minden einen halliſchen rd — wegen Duels 
zu 200 Thaler Strafe an die Univerfitätäkaffe verurtheilte, 
zog bie Rekrutenkaſſe auch diefe Summe ein *). 

Von dem bei anderen Fürften beliebten, obwohl allgemein 
fo nachtheifigen Mittel, fich durch Verringerung des Gehalts 
der Mimze zu bereichern, hielt fich Friebrich Wilhelm I. fehr 
einfihtövoN frei. Erſt im 9. 1737 ließ er zum Betrage von 


1) Bei Foͤr ſter urkundenbuch I. ©. 81. 


2) Ebendaſ. ©. 78. 


8) Benekendorf führt Thl. VII. S. 56 ein Beifpiel der Art an, 
daß ein Herr v. Geuber, um ſich nicht einem fiscaliſchen Proceffe wegen 
nicht ganz ſchicklichen Benehmens in ber Kirche feines Guts auszufegen, 
1000 Thaler an die Rekrutenkaffe zahlte. 


4) Hofbauer Geſch. der Univerfität Halle ©. 186. 


390 Bud VI Zweites Hauptfiüd. 
Zhalern Scheidemuͤnze zu geringem Werthe fhlagen ). 


flagen 
Ausdehnung der Wirkfamkeit der Kekrutenkaſſe, allerdings nur 
Beamteten, aber zugleich auch ben Magiffcaten, yo er 
Sigel) fin Bet hatte, eine nicht e SER au fges 
Nur bie Perhdlens und Karoffenfteuer fchaffte ex 
G. — 1717) ab, wahrſcheinlich weil ſie nach Abzug der 
188: und Verwaltungskoſten wenig eintrug, feitdem, vor 


rathung einer Prinzeffin des koͤniglichen Hauſes auögefchrieben 
wurde, hat er ſo wenig als ſein Vater erhoben, weil die 
Gantebution fon hoch genug war’). Den nicht fehr bebeus 

tenden Beitrag, weldhen feine zum vömifchen Beiche gehörigen 
Provinzen gu ben Sehatım des Reichöhofrath8 und des Meichs 
Tammergerichts zu entrichten verpflichtet 
waren, hat er ad aus dem Ertrage ber Eontribution bes 
zahlt ). Dagegen erließ bie Königin bei ihrem Regierunges 
antritte Paniöbriefe an 44 weibliche geiftliche Stifter zur Vers 
forgung ber von ihr empfohlenen Perfonen für bie erſte Stelle, 
welche erlebigt werben wire) 

Bu dem zweiten Haupttp gie ber Stastseinkünfte wurden 

auffer ben Einkünften von ben Domainen felbft, noch bie 
vom Galzs, Berg-, Huͤtten⸗ und Poſtweſen, von ben Böllen 
unb vom Gtempel gerechnet, welche insgeſammt in bie Dos 
malnenkaffe flofien. 


1) S. Faßmann I. ©. 680. Doch befahl ex dem GBeneralbirec- 
torium in deſſen Iaftruction Gcheibemünge zu prägen, wenn es auch jährs 
lich ein paar taufend Thaler koſte, alfo nicht zum Gewinn. 

9) Bafmann I. ©. 578 hebt das ſehr hervor. 

8) So fagt Roben in fe Rachricht bei Preuß, Thl. IV. ©. 429. 

4) Roden a. a. D. S. 480. Thile &. 590. 

5) Theatr. Europ. v. 9. 1718 ©. 259. 


Finanzen. Salz Bälle 391 


108 Salzweſen betreffend, fo fagte des König in einem 
Edicte (13. Sept. 1719), ex Habe bermamanen, daß einige von 
der Mitterfhaft, Magiſtraten und Gchulgen in ber Kurmark 


Städten und Dörfern Proberegifter verfertigen laſſen, wie viele 
Derfonen, Rinds und Schafvich an jedem Orte vorhanden, 
und wie viel Salz jeder Hauswirth vierteljährlich nöthig habe; 
fo viel preuſſiſches Salg befahl ex nun Jedem bei Steafe zu 
Taufen'). Bald basauf (18. Mai 1720) verbot ex bei Gons 
fiscation bed Fuhrwerks und des Salzes in ber Grafſchaft 
—e anderes als — Salz zu verkaufen ?). 
Dem Generaldirectorium trug er auf, bad Salzweſen, über 
welches bisher viele Ringen wegen ſchlechter Padung uud 
Suüullung ber Sonnen entflanden, befler einzurichten, Betrlges 
veien und Unterfhleifen zu ſteuern, auch alle erfinnliche Vor⸗ 
kehrungen zu treffen, daß weder luͤneburgiſches und polnifches, 
noch audi Salz ferner eingeführt werde, und alle Mas 
ſchinen und Reſſorts fpielen zu laſſen, daß andere Länder, vor⸗ 
zuͤglich Polen, ihr Salz aus dem Preuſſiſchen naͤhmen; dann 
(12. März 1723) verbot er alle Einfuhr fremden Salzes ohne 
Ausnahme bei Strafe des Balgens. Endlich (feit 16. März 1725) 
erhielt jedes Haus ein Buch, in welchem ber Bedarf deſſelben 
für jeden Kopf und jedes Stud Vieh verzeichnet war, fo viel 
muffte nunmehro Jeder nehmen und .für jede nicht abgeholte 
Mege Salz 4 Groſchen Strafe zahlen eber Leibesſtrafe dulden. 
Auf diefe Weife erreichte er, was er fo fehr wiänfchte, eine 
durchaus fichere und erhöhete Einnahme, auf die er mit Bes 
ſtimmtheit rechnen Fonnte. 

Auch das Berg: und Huͤttenweſen empfahl er dem Ges 
neraldirectorium. Es follte fehen, ob das Kohlenbergwerk zu 
Bettin, welde 20,000 Thaler eintrag, nicht 30,000 Thaler 
Pacht zahlen koͤnne. 

Die goͤlle wurden bei ber großen Achnlickeit ihrer Be 
ſchaffenheit mit der Accife wefentlich völlig in bemfelben Geifte 


1) Bei Faßmann IL ©. 400, 
2) Ebendaf. I. ©. 534. 


392 Bud VL Bweites Hauptfüd. 


behandelt und verwaltet. Cine burchgefehene.neue Zollrolle, 
in welcher bie Zahl ber früher zollpflichtigen Artikel faft um 
das Zünffache vermehrt war, wide mit einer ausführlichen 
Inſtruction (7. Aug. 1713) erlaffenz zahlreiche Edicte gegen _ 
Zolldeftaudationen folgten einander. Doch muffte der König 
(5. Dee. 1718) den Adeligen und Schulzen befehlen, ben 

: Bollbeamteten auf berem Verlangen gerichtliche Unterftügung 
angebeihen zu laffen, und verbieten, fie mit Schmähreben zu 
belegen, mit Schlägen zu bedrohen ober wohl gar zu mißs 
handeln. Das murbe (3. Ian. 1720) für die Schuhen und 
Gemeinden in koͤniglichen und abeligen Dörfern wieberholt und 
fie im Weigerungsfalle mit fiscalifcher Strafe bedrohet). Man 
fieht daraus, wie" verhaſſt dem Wolke allgemein die firmgen 
Sollmaßregeln waren. Der Abel der Mark folte zwar vermöge 
bed Landtagsabſchieds vom I. 1653 für die Erzeugniffe feiner 
Süter zollfrei fein, doch wegen ber Unterſchleife zwiſchen dem⸗ 
felben und den Kaufleuten in ben Städten wurde (4. Febr. 1718) 
beftimmt, daß nur feine unverfauften zu Markte gebrachten 
Producte zollfrei fein folten, nicht aber bie von ihm bereits 
verfauften‘). Den Staͤdten, welden Friedrich I. nod einen 
Theil ihrer alten Zollfreipeiten gelaffen, wurde fie (10. Juli 1715) 
ganz genommen und nur die Stabt Stendal, ber fie der Kö— 
nig anfänglich (27. Bebr. 1714) beftätigt hatte, behielt fie 
einige Jahre länger ?). 

- Die alten Stempelebicte wurden erneuert und (6. Ja⸗ 
nuar 1714) der Stempel von 100 Thalern Werth auf 12 
Groſchen gefegt; dann (12. Febr. 1718) anflatt der 18 Pfen- 
nig⸗ Stempel 3 Grofcyen- Stempel eingeführt, wovon auch 
(18. Gebr. 1724) Arme nicht frei waren. Aue koͤnigliche Bes 
amtete mufften (1. März 1717) Stempelpapier zu ben viers 
teljäprlichen Befoldungsquittungen nehmen*), was (25. Ja⸗ 
nuar 1723) auch auf Monatöquittungen felbft für diejenigen 


1) Bei Faßmann II, S. 465. 

2) Ebendaſ. IL ©. 168. 

3) Hiftor.spolit. Beiträge Thl. J. ©. 75 u. 82. 
4) Bei Faßmann IT. ©, 146. 


. Finanzen. Stempel. Poſt. 393 
- auögebehnt wurde, welche nur 30 Thaler jährlichen Gehalts 


haltung ber Stempelverorbnungen ſtreng zu forgen und verbot, 
weber von Reichen ober Armen Memoriale, noch bei ben Kaffen 
Geldquittungen auf ungeftempeltem Papiere anzımehmen, auch 
ungeftempelte Karten bei erhöheter Strafe zuzulaffen. 

Das Poftwefen, welches nach bem Abgange des Mis 
niſters von Kamede (1719) unter dem Generalfinanzdirectorium 
geblieben war und dann (1723) unter dad GeneralsOber-Bis 
nanzs Kriegs und Domalnendirectortum Fam, war vorzliglid 
durch den Poſtrath Grabe fehr verbeffert und erweitert”) und 
(it 1710) auc das früher unbekannte Ertrapofiwefen einges 


Vortrag. Doch blieb das Pofldepartement gewiſſermaßen für 
fi beftehend, ohne daß ſich das Generalbirectorium in beffen 
Geſchaͤſtsbetrieb, Rechnungs: und Laſſenweſen miſchte. Aus 
den Ueberſchuͤſſen wurde jährlich eine beſtimmte Summe in 
die Kaffe des Generaldirectoriums abgeliefert‘). Mehrere von 
Zeit zu Zeit erlaffene Verordnungen zur Verbefferung des Poft- 
weſens verbankt Preuffen daher bem verdienten Poflrathe 
Grabe. So wurde (19. Febr. 1719) befohlen, daß die Stuns 
den von ben Poftillionen follten gehalten und fie daher ſchnell 
abgefertigt, behalb auch (6. März 1719) die Upren richtig 
geftelt werben, doch wurden erft fpäter (8. Juli 1732) bie 
Stundenzettel eingeführt. Alle Poften follten bei gutem und 
ſchlechtem Wetter in jeber Stunde eine Meile, reitende aber 
5 Virrtelmeilen zurüdlegen; das ließ ſich der fhlechten Wege 
halber nicht — Bei gutem Wetter folten: daher 
(18. Aug. 1736) auch Ertrapoften nicht mehr ald in zwei 
Stunden 1% Meile zu fahren genöthigt fein. 


1) Bei Faßmann IL ©. 662. 

2) Matthias Poſtweſen in ben preuffifchen Staaten I. S. 23. 
8) Matthias Poften und Poſtregale I. ©. 182 ff. - 

4) Matthias Poſtweſen I. &. 26. 


Bud VI Zweites Hauptftäd. 


König befahl in ber Inſtruction des Generalbirectos 
Stationen zu errichten,- wenn bie Sof 


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Paketen herrſchaftlicher Sachen, bei Ver⸗ 
„ bie eine Ede bes Couverts fo fubtil 
(wie bei auslaͤndiſchen Poften gewöhnlich) aufge 
ſchnitten und im Nothfalle zum Erbrechen gefchritten werben 
(43. Zufi 1719), endlich wurde (20. Mai 1730) die Porto: 
freiheit wegen ber Untexfchleife fehr beſchraͤnkt. Im einem Ums 
kreiſe von 8 Meilen um Berlin durfte die Poftbehörde (3. Ja⸗ 
nuar 1727) keine Stafetten oder Kurierpferde ohne Befehl des 


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wige Uns 
terfchrift des Könige). Mehrfach wurden bie in ber Poſt⸗ 
orbaung v. I. 1712 gegebenen Vorſchriſten eingefchärft, bes 
fonders auch (25. Apr. 1729), ben Paffagieren höflich zu be: 
gegnen, denn bei erhobener Klage würden die Poftämter große 
Sefahe Laufen und Fein Mittel finden, das ihnen 


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Danzig (1716) auf”). Man muß es immer anerkennen, daß 
tüchtige Männer vorhanden waren und von bem Fuͤrſten aus⸗ 


1) Berg. Baßmann I. ©. 588. 
2) Matthias voſtweſen I. ©. 70. 
9 Dal. ©. 118. 


Finanzen. Poſt. Domainen. 395 


findig ey‘ wurden, welche ber Vervollkommuung bes Dofls j 
wefens ihre Sorgfalt wibmeten. Wenn es vom ber einen 
Seite auch) ſehr nachtheilig war, dag man biefe fo wichtige 


damald nicht, wenn nicht zugleich ber daraus entfpringenbe 
unmittelbere Vortheil fir bie landesherrlichen Kaſſen hervors 
ſprang. Dan fah nocd nicht fo gut wie fpäter, baß Alles, 
was befonder8 zur Hebung und Erleichterung des Verkehrs 
diene, auf andere Beife dem Stante von großem Wortheile fei. 
Das Hauptaugenmer? des Königs bei der Finanzverwal⸗ 
tung iſt jedoch auf die Domainen gerichtet. Hier iſt er 
seht eigentlich zu Haufe. Mit großem Behagen ergeht ex ſich 
in zahlseihen die kleinſten Einzelnheiten betreffenden Anorbs 
“nungen. Er fieht auch hier ummittelbar, was er ſchafft und 
wirft. Die neuen Wirthfchaftögebäube, bie au: 
Simpfe, bie gut angebaueten Felder, der zahlreiche wohlge: 
näprte Viehſtand gewähren ihm große Freude. Man Tann 
fagen, naͤchſt dem Heere pflegte er die Domainen am ange 
legentlichſten mit wahrer Zuneigung. Er ertäfft fo zahlreiche 
Verorbnungen in in Der Beziehung, daß fie ein eigenes Geſetz⸗ 
buch abgeben Tönnten. 
Wir haben ſchon erzählt, dag er bie Domainen (im 
3. 1713) zu einem Samilienfibeicommiffe erhob und gefehen, 


aldirectorium 
ertheilte, die Erhöhung des Ertrags zu bewirken, erftens durch 
firenge Ordnung und Sparfamkeit, zweitens, durch Verbeſſe⸗ 
rungen in jebem Smeige ber Landwirthſchaft und Auffindung 
und Benugung jeder irgend vernadhläffigeen Huͤlfsquelle. 

Er verordnete (11. März 1717), daß nur gegen diejeni⸗ 
gen, welche in ber Kurmark Güter, bie ald Domainen in 
Anfpruch genommen worben, noch nicht feit 50 Jahren befäßen, 
bie Proceffe fortgeführt, fie aber denen, welche fie laͤnger inne 


396 Bud VL Zweites Hauptftüd. 


hätten, ohne weiteren Anforuch gelaffen werben follten, denn 
er hatte von biefen Procefien meiftens nur Koften und felten 
einen günftigen Erfolg. 

Die unter feinem Vater eingeführte ımb bann wieder 
aufgegebene Erbpacht fchaffte er voͤllig ab, umb führte Dagegen 
allgemein bie Verpachtung auf 6 Jahre ein. Die Anfpläge 
mufften forgfältig abgefafit, genau geprüft, Cautionen fefiger 
ſtelit, das Pachtquantum wo möglich durch öffentliche Licitation 
erhöhet werden. Der größeren Gleichmaͤßigkeit wegen follte 
(3. Ian. 1720) der berliner Scheffel, ferner, bei durchgehends 
zu veranftaltenden Wermeffungen fo viel als möglich ein gleis 
Ges Hufenmaß allgemein eingeführt, bie Beſchaffenbeit ber 
Arder nad) dem Beträge der Ausſaat unb des Extras genau 


zu beanffihtigen, bamit bie Inventarien nicht verfchledhtert, 
die Aecker gut geduͤngt, auch auf den Vorwerken Miſthaufen 
mit Miftpfügen gehalten, Stroh fleißig eingeſtreuet und der 
Dünger zur rechten Zeit weggefahren wuͤrde. 

Schon früher (22. Aug. 1717) hatte er befohlen, daß 
ihm jährli) genau im Einzelnen angegeben vwolirbe, was zur 
Vermehrung der Einkünfte, zur Aufnahme und Beförderung 
der Unterthanen, buch Urbarmachung wuͤſter Stuͤcke geſchehen. 
Das Generaldirectorium ſollte mit unermüblichem Fleiße darauf 
denken, wie ber Ertrag ber Domainen jaͤhrlich erhöhet werben, 
wo man mit Nugen neue Vorwerke gründen, Kühmellereien 
anlegen und wüßte Brüche anbaufähig machen könne. Es follte 
mit den Sal,ſchiffen, welche Teer au Preuffen zurldfamen, 
von ben dortigen Domainen Butter, Käfe, Wachs und Honig 
nach Berlin ſchaffen unb die berliner Materialiften und Höfer 
anhalten, das zu faufen. Den havellänbifhen Luc, einen 
großentheils nicht zu benugenden Sumpf und Moraft bei 
Friefad, ließ er (1718—1724) durch Abzugögräben, indgefammt 
von 67 Meilen Länge, auf ſeine und der übrigen Grundbe⸗ 
figer Koften, die er dazu zwang, wie fie fpäter einfahen, zu 
ihrem und der ganzen Umgegend großem Wortheile, entwäffern 


1) Baßmann I. ©. 565. 


Domalnen. 397 


und nutzbar machen. Ex kaufte hier mehrere Grundſtuͤcke zu 
denen, welche er bereits Gefaß, gränbete das Amt Rönigöperf, 
und richtete eine Muſterlandwirthſchaft, vorzüglich aber durch 
oſtfrieſiſches Rindvieh eine Muſtermilchwirthſchaft auf hollan⸗ 
diſche Weiſe ein. Er übernahm das Amt auf einige Zeit als 
Vribatmann Telbft und erweiterte es nad und nad durch 
mehrere Vorwerke, fo daß enblich gegen 15,000 Morgen bes 
wirthſchaftet wurden und ber jährliche Ertrag fi auf mehr 
al 14,000 Thaler belief. Er forgte dafür, daß von hier aus 
die Rindviehzucht auf den anderen Aemtern verbeffert würde, 
und befahl, daß von biefen ordentliche Bauerdtoͤchter auf 2 
Jahre nach Koͤnigshorſt geſchickt würden, um hier die Butter 
und Käfe verfertigen fo gut zu lernen, als bie Holländer. 
Hatten fie davon Beweiſe abgelegt, fo erhielt jebe vom Könige 
ee a a nam 6 eher einen Mann 
finde fie unp 1 6 fo bie LT verbefferte Milchwirthſchaft Im Lande weiter 


nei verlangte ex jedoch, die Kammern follten ſich 
aller winbigen Vorſchlaͤge gänzlich enthalten und vorher genau 
überlegen, was ausfühsbar und bem koͤniglichen Intereſſe vor⸗ 
theilhaft ſei. Er machte ihnen das auch völlig deutlich, indem 
er ſagt: Wenn auf einem Amte eine neue Brauerei angelegt 
werden fol, welche 2000 Thaler koſtet und 1500 Thaler Pacht 
Bit 10 men Bi Bien des Gapitals, zu 5 vom Hundert, 
00 Thalern in am Abyng gebracht werben, fo ar 

Yo —* Ertrag bleiben. Wenn nun aber dadurch in 
einer benachbarten Stadt an ber Accife 1400 Thaler ausfielen, 
fo wide nichts gewonnen, fonbern noch bie 2000 Thaler bers 


hätten. Wenn bagegm 
gelegtes Brauhaus jährlich 200 Thaler trlge und 100 Thaler 


1) Riedel, urbarmachung bes havellaͤndiſchen Luchs, in den Mine 
tiſchen Forſchungen Bd. L ©. 57 ff. Aus der wohlgemeinten 
des Könige entftand durch Misbrauch ber Pächter dann ein dort ganz 
ungewöhnlicher Geſinde · Dienſtzwang, unb zwar unter Friedrich IL Man 
fieht daraus abermal6, wie ein ſehr großer Thell der Dienfte unſerer 
Bauern entftanden tft. 


398 Bud VL Zweites Hauptftüd. 


anderweitig an ber Acciſe verloren ginge, fo blieben doch 
100 Zhaler Profit. Solche Verbeſſerung ſei dem wahren Ins 
tereffe gemäß. Stutereien, wo fie keinen Wortheil brachten, 
‚ober wohl gar mehr Tofleten, a a nd 


Schelme fein, wenn fie nichts deſto weniger alle zuſanmen in 
ein Horn blafen koͤnnten, um uns zu beirlgen!” 


nur 1 Thaler, für einen Lagerwolf nur 12 Groſchen bezahlt. 
Die Wölfe vermehrten ſich daher fo, baß ber König dem Ge 
neraldirectorium beſonders auftrug, eine rechte WBolfsiegborbs 
nung für alle Provinzen anzufertigen und vorzüglich in Preuffen 
häufig Jagden anzuftellen, weil bort faft mehr Wölfe als 
wären. Es wurbe baber (22. Febr. 1724) für die 
Erlegung eines Wolfe auf koͤniglichem ober abeligem Grunde 
2 bis 6 Xhaler, dagegen auf fläbtifchem Grunde 5% 5 pr 
Thaler und zwar im Iegteren Falle aus ber ftäbtifchen Kaffe 
sahen befohlen. Won ben öffentlich anzuflellenden a 
wurden (30. Ian.) Zude, Zeugs und Strumpfmacher völlig 
befreiet und deren Stelle burch Andere erfeht, welde baflır 
vom Magiftrate fir den Tag 6 Groſchen bekamen. 

Der König liebte die Iagb von Jugend auf, wie ber 
Fürft Leopold von Deſſau, boͤchſt leidenſchaftlich. Schon fein 
Vater hatte ihm daher das beſonders dazu gut gelegene Bus 
ſterhaufen gefchenkt, und fie machte fpäter auffer ben Uebumgen 
der Zruppen faft feine einzige öffentliche Mergnägung aus. 
Es wurden Reigerbeigen, Rebbimers, wilbe Schweinds und 
Yarforcejagden gehalten und bafür ſelbſt einiger Aufwand 
nicht geſcheuet. Auf Wind und Wetter wurde Feine — 
genommen, was freilich verwoͤhnten Hofleuten, beſonders aber 


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und ber 
Mark. waren 10 Saugärten. Auch verminderten fie fi we⸗ 
nig, obgleich zumeilen auf einer Jagd gegen 1000 ja biß ges 
gen 1900 und jahrlich 3500 bis 3600 wilde Schweine erlegt 


Baptveiche Wildfeponungsebiete erſchienen (11. März 1713, 
13. März 1715). Es wurde bei 50 Thalern verboten, einen 
en 


ihrer Erlegung Riemand entſchuldigen koͤnne, wurde auch daB 
Fangen und Schießen ber fo ſchaͤrlichen Fiſchottern verboten. 
Ber in den koͤniglichen Jagden einen Hirſch ober Keiler fchoß, 
muffte baflr 500 Xhaler, für ein Rebhuhn 150 Thaler, für 
einen Luchs 100 Thaler, für einen Hafen 50 Thaier bezahlen. 


Aynbumg gebrohet. 
Um das aus den Königlichen Forften im Preife zu 
abhalten, durfte (14. Febr. 1722 und 6. Febr. 1726) Fein 
1) Baßmann I. &. 882 ff. Benefendorf IIL 1. u. IX. 25. 
Sestere aus Fapmann. 


400 Bud VI. Zweites Hauptflüd. 


Abeliger fein Hol; wohlfeiler verfaufen, als in der koͤniglichen 
‚Holztare feflgefegt worben war. Auffallend ift es, daß man 
in den Wäldern fo ſchaͤdliche Thiere, als ber Biber, nicht nur 
begte, ſondern förmlich audfegte, wahrſcheinlich weil man ben 
Nachteil, ben fie verurfachten, nicht genau kannte. Daß bas 
Schießen ber. Luchfe ‚verboten wurde, erklaͤrt fih vieleicht 
daher, dag man überhaupt, wo irgend möglich, alle Gelegens 
beit, auch Hochwilb zu erlegen, abfehneiden wollte. 
“Der verftändige König fah ungeachtet feiner angelegents 
lichen Bemuͤhung, dad Heer zu verflärken und ben Schag 
zu füllen, ſehr wohl ein, wie wichtig bie Erhaltung ber Uns 
‚teethanen fei und welde gefährliche Folgen es nach ſich ziehen 
müffte, wenn fie durch übel eingeiäet | Wirthfchaften und 
gar zu ſchwere Laften entkräftet würden. Er befahl daher dem 
Generalbirectorium ausbrüdlih, dafür zu forgen, daß alle 
Unterthanen im Wohlftande ‚erhalten und bie Kriege: und Dos 
mainenleiftungen nicht höher angefegt würben, als fie getragen 
werben koͤnnten, ferner nicht mur auf bie Stäbte, ſondern auch 
auf den Landmann zu fehen, daher auch keine Vorfihläge zu 
machen, durch welche auf der einen Seite fo viel ausfallen 
müffe, als auf der anderen mehr geleiftet werde. Dieſes Bes 
fireben, Bürger und Bauern gleihmäßig zu ben Laſten herans 
zuziehen, ohne fie zu uͤberbuͤrden, brüdt fi) in allen feinen 
“ Verordnungen aus. Er befahl, bie Bauern, wo es irgend 
angehe, anftatt der von ihnen zu leifienden Dienfle auf ein 
Dienſtgeld zu fegen. Daher verbot er auch (16. Dt. 1717) 
ohne feinen eigenhänbigen, oder in feiner Abwefenheit ber 
oberften Behörde Befehl, an irgend Jemand, wes Standes 
er fei, auf bem Lande Vorfpann zu geben, denn unter feinem 
Vater war diefer fo gemiöbraucht worben, daß ſich jeder Bes 
amtete bis auf dem geringften Kornfchreiber, der mit Weib und 
Kind eine Luftfahrt machen wollte, eine Vorſpannpoſt erwirkte ). 
„Ich will nicht", ſchrieb er an eine feiner Kammern, „baß die 
Herren (Räthe) in den Provinzen mit meiner Bauern Pferden 
ſpazieren fahren"). Zugleich forgte er angelegentlic für den 


1) Baßmann I. S. 588. 
9) König I. ©, 12. 


\ . Anbau bes Landes. “01 


Bauerhöfe, 

mit ben — den wir bereits kennen gelernt haben 
und allerdings bald in der Art und Weiſe, wie noch lange 
nachher ſein großer Sohn. Man kannte damals die richtigen 
Orunbfäge der freien Volksvermehrung weit weniger als jegt 
und glaubte durch Zwangsmaßregeln mehr auszurichten als 
doch möglid) war. Man gab große Summen fremder Golos 
zißen msn aus, begimftigte biefe vor — Eingeborenen, 
die dadurch verſtimmt werden muſſten, und bewirkte ba 
durch meiſtentheils nur unbedeutende Erfolge im Verhaͤlt⸗ 
niſſe zu den aufgewendeten Mitteln, welche, wenn ſie waͤ⸗ 
zen im Lande felbſt für Eingeborene verwenbet worden, 


den. Indeſſen fcheint es faft, als wenn Friedrich Wil⸗ 
helm I. das ſchon erwogen, und anfaͤnglich bie Dr ge 

habt Hätte, die Wermehrung der Bevoͤlkerung und den beffe 
E Ynbazı meiste be$ platten Landes ohne Goloniften 
zu bewirken. - 

Er ordnete (29. Juni 1714) eine Revifion der Landes⸗ 
matrikel und Schoßblicher der Kurmark an und befahl, ben 
Anben der wüften Höfe, Hufen und Feldmarken binnen 6 
Monaten zu bewerkftelligen. Als das, obgleich an ſich unauss 
führbar, auch noch durch den Abel, bie Pächter und Beam 
teten, wie er biefen vorwarf, verhindert wurbe, fo erließ er 
(31. März 1717) eine gefchärfte Verordnung, baß alle wüften 
Höfe, Hufen und Feldmarken der Kurmark dis zur naͤchſten 
Srachzeit durch die Befiger, und wenn das nicht gefehehe, durch 
bie Sanbräthe befegt und biejenigen, weiche daß hinderten, bes 
ſtraft werben folten. Die Prediger mufften von den Kanzeln 
anzeigen, daß Jeder, der nur wolle, wuͤſte Höfe annehmen 
koͤnne, die ihm fogleich angewieſen werben würden; zugleich 
verlangte er zu willen, was feit feinem Befehle (v. 29. Juni 
1714) angebauet worden fel. Gleich darauf (30. Juni 1717) 
foderte ex über 1008 AtutSborf ine genaue Angabe, wie viel 
Einwohner es im I. 1624 gehabt, und Vorſchlage, wie biefe 
Zahl ohne Nachtheil für die Domaineneinkünfte wieber erreicht 

Gtenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL. 26 


“02 Bud VI. Zweites Bauprfüd. 


werden Einne ). —— S— 21. Mir 
ATT), alle ieren Otellen —— hr Beate 


ar die auf wirften Belbmarfen entftanhenen Bormerfe ni nicht zu 
Bien fowoht ganze als halbe Bauern, Eoſſaͤten, Suͤdener, 

», Dienfts ober andere Bewehrsiente angefegt, nur möffte 
Hier Banernater mit de anbeen Subehbe bag Dorfes {0 ein 
theilt werden, daß Jeder dabei Ieben und bie Contribution umd 
andere öffentliche Laſten tragen könne. Die Gerichtsobrigkeiten 
ſollten fih nicht umterftehen , unter bem Vorwande, bie Son 


aufgenommen wirden, als ſich freiwillig —8 auch ſollten 
wime deldmarken, dis anderen Dörfern zugelegt worden, noch 
zur -Beit nicht wieder neu befegt werben. Adelige, welche fonft 
keine Kitteraͤcker Hätten, folten zwar, dem Landtogsabſchiede 
von 1653 gemäß, zu ihrem nothbinftigen Unterhalte einige 
conteibutionäpflichtige 


1) Bei Bafmann II, @, 198. 
2) Dos Begtere ebendaf. II. ©, ae 


BSeanzoͤſiſche Golonten. 403 


Rekrutierung und dergleichen tragen. Man ficht, Di unge 
rg dieſer Miderung, ber Koͤnig dennoch burchgreii 

die Ritterſchaft verfuhr. Zu gleicher Beit (15. Be em 
flirt er, es nicht mehr anfeben zu koͤnnen, daß die weißen 
Stellen der mittels und ummittelbaren Stätte unbehemet lägen. 
Jedem, ber hie. Mittel dezu nachweiſen wände, ſollten Dusch 
koͤnigliche Eommmiffere mit Bupiehung der Prtdohrigkeit Bat 

pläge angereiefen und zugleich in —— die Strobdoͤcher 

ab» und bie Scheunen weggeſchafft werd 

Aules dad genügte noch nicht, Sr fußte daher fremde 
Anbausr in fein Land zu ziehen. Er hatte zwar berin das 
Beiſpiel ſeines Waters und Großvaters war ſich, dennoch ſcheint 
er reiflich nachgedocht zu haben, ehe er zur Berufung frember 
Aufichler ſchritt. Er mochte die vielen damit verknüpften Rabı 


cieren verliehen, im Gasen auf foßt den vierten Zheil herab ⸗ 


zu loden. Es wanderten auch aus den Colonien ber Uders 
mark bereits fo viele Franzoſen nah Dänemark, daß ber 


d. Berzeichniß bei Möbended 1. &. 109. Dort von 
1992 —* auf 547 Shte. monatlid. 
26* 


. \ 
404 Bud VL. Zweites Hauptftüd. 


Kvsnig davon bemächtigt werben muffte. Er trug baber feinen 
Miniftern auf, bie Urſachen zu unterfuchen und Mittel dage⸗ 
gen vorzufcplagen. Als mm (December 1717) der Graf Dtto 
Magnus von Dänhoff geftorben war, unter bem bisher bie 
franzöfifchen Golonien geftanden hatten, fo ließ ber König 
die in Berlin wohnenden Franzoſen verfammeln unb flelte 


> ihnen frei, aus feinen Miniftern benjmigen zu wählen, zu dem 


fie das größte Zutrauen hätten. Das wurde mit großer Freude 
iommen, allein ber König zugleich (3. Januar 1718) 


Ionien von Lanbleuten an, weigerte fih Fa ihnen bie er 
betenen franpöfifchen Prebiger zu geben, fiellte fie vielmehr 
unter daB deutſch⸗reformirte Kirchenconfiflorium und forgte das 


deutſchen Sprache zugleich mächtig wären”). In Berlin 
gründete ex (9. 2 Min 1719) ein neue Kollegium. unter bem 
Namen eines Grand directoire ober Conseil frangois, welches 


unter dem Worfige Forcade's fr das allgemeine Beſte der Co— 
lonien wachen, erledigte Stellen — Gnadengehalte ver⸗ 


vereini 
neuerte er (29. Fehr. 1720) 8 früher m Cunfien der frangd: 
Üfchen Fluͤchtlinge von feinen Vorfahren erlaffenen Ebicte und 
Declarationen, Privilegien, Freiheiten unb gungen und 
beſtimmite, au; Hinftig folten alle Grangofen, melde ihr Be: 
terland ber Religion wegen verlafien würben, fih ber Bor 


1) Faßmann L S. 206. 


2) Oiftorifäe Radeit von ber Otiftung ber feangöfiiäen Golo- 
nien bei Gelegenheit des Hunbestjäßrigen Sublläums v. 29. Dit, 1785. ©. 50. 


8) Hiftorifhe Nachricht ©. 41 ff. Faßmann l. S. 37. 


\ 


Anbau ber Städte 405 


theife des Naturalifationdebictd (v. 13. Mai 1709) und der 
früher. bewiligten Begünftigungen, namentlich funfzehnjähriger 
Freiheit (mit Ausnahme der Accife) von allen Laften und 
Steuern zu erfreuen haben, auch nur unter franzöfiicher Ges 
richtsbarkeit fliehen. Das nahmen bie Sranzofen mit großer 
Dankbarkeit auf und wurden dadurch völlig beruhigt, fanden 
auch bei dem Könige gegen gewaltfame Aushebungen, welche 
von ben DOfficieren von Zeit zu Beit verfucht wurden, wirk 
famen Schug '). Weberhaupt nahm er fich ihrer fortwährend 
mit vieler Güte an, erhöhete ben Penfionsetat ihrer Geiftlichen 
bis auf 15,000 Thaler, fliftete 2 neue Golonien, in Stettin 
(1724) und in Potsdam (1723), beſchenkte fie reichlich und 
te ihnen einige befondere Vorrechte ein. Der berliner 
olonie erleichterte er ben Bau ber Miofterlicche (1726), ber 
Kirche in der koͤpniker Vorſtadt (1727) und der Hospitalkicche 
in Berlin unb ber Coloniallicche in Königsberg und Frankfurt. 
Auch bei ihren mannichfachen Zwiftigkeiten mit ben Landesbe 
hoͤrden nahm er fich ihrer nachdruͤcklich an, erhielt fie bei 
ihren Vorrechten, namentlich im Gebrauche ihrer Sprache und 
bewirkte dadurch, daß ihre Zahl vorzuͤglich in Berlin und ben 
angefehenen Städten durch neue Ankömmlinge wuchs und er 


9. 

Indeſſen glaubte der Koͤnig auch auſſerdem noch Anſtal⸗ 
ten zur Vermehrung der im Ganzen fpärlichen Bevölkerung 
feiner Länder treffen zu müffen. Durch ein Patent (vom 15. 
März 1711) verſprach er allen Anbauern jeder Nation in Eds 
niglichen Städten aller Provinzen 15 Jahre Freiheit von Ein 
quartierung, Serois und allen bürgerlichen Laſten, nach Be⸗ 
lieben auch wieder auszuwandern und ficherte ihnen Anftellun 
gen in allen Aemtern, zu denen fie geſchikt wären. Um ben 
Widerausbau ber Städte zu befördern, erflärte er (20. Novbr. 
1721) die wüften Bauſtellen, welche die Befiger nicht anbauen 
wollten, dem Staate verfallen und befahl, die, welche inner 
bald eines Jahres (bis zum 24. Dctbr. 1722) nicht bebauet 
fein würden, zu verpadten. Den Anbauern verſprach er 


1) König Le. 9. 
2) Liſtoriſche Rachricht ©. 44 fl. 


406 Bud VL Aweites Hauptftüd. 


«20. NRovbr. 1721) zus Unterſtichung 12 bis 15 Procent ber 
Koften zu erflatten und, ihnen. freies Bauholy zu geben. Bus 
gleich erhielten fie 6 bis 8 Jahre Freihelt von bürgerlichen 
Laſten nad die Aufnahme zu Bürgern und Meiſtern flr 1 Thaler. 
Er ließ cin Werzeichniß der würften Stellen in einzelnen Stäbten 
anfertigen und es wurden beren in Stendal 365, in Sahh⸗ 
webel 191 umd überhaupt fehe viele in der Altmark ‚gefunden. 
Später (14. Dechr. 1731) derſprach er den Anbauern in kurmaͤr⸗ 
Städten dis zum December 1735 23 Procent der Baus 
often zu erſtatten. Er bemihete fich auf verfchiedene Weiſe durch 
bewilligte Freiheiten von Abgaben unb Unterlügunger, daß 

\ Shgehreumme Exdbte nen und ſchoͤner, als fie geweſen, wieder 
aufgebauet wurden, wie namentlich bid zum J. 1725 Kroſſen 
Shelin, Serlöhe in der Graffchaft Mark, Kalbe, 


ben, Seehauſen und iefenburg in Preuffen, Luckenwalde und 
Unna. Später erhoͤhete er die Unterfiligungäfmume, wie zum 
Aufbau von Plettenberg, Werkerfelde und Hamm. Kür Eichen 
gab ex 26,000 Ihaler, für Templin fiber 30,000 Thaler ber. 
Wer in Stendal ein neues Haus baucte, konnte baflır Ober⸗ 

gerichtsrath, Advokat oder Buͤrgermeiſter werben oder auch ſonſt 
ein Amt ober einen Titel erhalten '). 

Auffer dem Anbau des Städte im Allgemeinen betrieber bes 
fonber& den Ausbau und bie Erweiterung ber berliner Frledrichs· 
Madt und von Potsdam weit eben fo Iebhafter Worliebe als 
Rachdruck. Die von ſeinem Water angelegte Triedrichtſtadt 
gählte damals wahefepeintich wenig fiber dreihundert Hauſer 
Frirdrich Wilgelm fehte men (23. Mai 1721) 10,000 Thaler 

. Materflligungegelber und unentgelttiche Verabfeigung von Heiz, 
Kalt und Steinen für Diejenigen aus, welche ſich hier anbauen 
würden, und fuhr damit umunterbrochen fort. Er lieg nicht 
me Telbft mehrere Häufer bauen, fordern befahl daſſelbe auch 
Durgern umd Beamten. Das wurde voczuglich feit dem 
$. 1725 mb nod mehr feit dem I. 1732 thätig betrieben. 
Im 3. 1721 waren 697, im I. 1725 ſchon 719 bewohnte 


D Buchholt Ah. V. ©. 108. 


Aubau ders Städte - 407 


Haͤuſer mit 12,000 Einwohnern in des Frledricheſtadt vorhan⸗ 
den ). Die Oberanffiht erhielt der Generalabjutant v. Der⸗ 
ſchau, der Alles anwendete, um feines Herm Abfichten auf 
jede Weiſe durchzuſetzen. Er legte dem Könige von Zeit za 
Beit die Namen derjenigen ver, welche er für geeignet hielt, um 
neue und möglichft f@dıne Häufer zu bauen. Sobald der König 


das Gollegim,. bei bene er angeftellt war, bezeugte bie Wahr⸗ 
beit der Angabe, allein weil Derfchau das Gegentheil behanps 
tete, ge ur auf fan Besfelung ben Beigeib: „Der Ser 
Ib, ſoll bauen 9)" 
As der Miniſter von Marſchall dem Oberſten Derſchau 
bemerkte, os dadurch viele Menfchen zu Grunde, gerichs 
und in ſtarken Wortwechſel mit ihm gerietb, fo 


SESTBgaSE 73 
—— 
Elyızz! 
BHEm 
FIRE 
Fäseayg 
HIN 
SliH 
Si7E ih 
Er 
Hiselsch 


8 
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5 
h 
i 
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der Erflärung anzeigte, er ſei nicht im Stande cin Hans, 
in einem Moraſte zu bauen, fo berief fich diefer 
dem Willen des Königs, bey auch dem Gchwies 
Nüßlerd, dem beräßenten Kanzler von Lubewig in 
, befehlen werbe, ihm einige taufend Thaler zum Haus⸗ 
baue zu geben. 218 Müßler dad abiehnte, weil fein geijiger 
Schwiegervater das ſehr fıbel nehmen werde, erwieberte Derfchan: 


gB2 
ip 


H 


1) König I. ©, 181. 
2) Cbrndef. 1, ©. 260. , 


408 Bud VL Zweſtes Hauptfüd. 


„So bauen Sie ganz auf Ihre Koſten!“ und ließ ihn flchen. 
Nüßter bat die Königin, welcher er erhebliche Dienfte geleiftet, 
um ihre Verwendung, allein Derfchau nahm deren Firſprache 
ſeht übel auf und erklaͤrte: Nüßler fole und muͤſſe bauen. 
Diefer ftellte jetzt dem Könige feine Lage vor, daß er feit vie 
len Jahren Dienfte geleiftet und nicht bie geringfte Beſoldung 
befommen und bat demüthigft, ihn mit dem koſtbaren Haus⸗ 
baue zu verfchonen. Der König befchieb ihn darauf (1. Febr. 
1733): daß berfelbe fonder Raifonniren auf ber ihm angewies 
fenen Stelle auf ber Friedrichsſtadt ein Haus bauen, ober Sr. 
Majeſtaͤt allerhoͤchſten Ungnade gewärtigen folle! Mit großer 
Mühe brachte Nüßler dad Geld dazu auf, muflte 60 Fuß 
lange Stämme zum Roft einrammen laſſen, der ihm allein 
4000 Thaler Foftete, und bauete fa für 12,000 Thaler ein Haus, 
welches 2000 Thaler werth war. Neben ihm hatte ber ges 
heime Rath von Klinggraͤff ein eben fo großes Haus bauen 
müfjen, welches Nüßler, bamit es nicht in eines ihm unanges 
nehmen Nachbars Hände kame , fpäter für 800 Thaler kaufte '). 
Auch die- Generale Graf Truchſeß und Schulenburg, ber Lands 
jaͤgermeiſter Graf v. Schwerin, ber Minifter von Happe und 
andere angefehene Männer wurden genöthigt, hier zum Theile 
prächtige Häufer und Paldfte zu baum. Go wurde vom J. 
1721 bis 1737 hier der Bau von 985 neuen Häufern durch⸗ 
gefegt, daß fich deren Oefammtzahl in ber Briedrichöfabt auf 
1682 belief). Faſt täglich befah der König die Fortſchritte 
ber Bauten unb munterte nach feiner Weiſe auf und trieb zur 
Beſchleunigung an. Berlin, weiches im I. 1726 mit ber 
12,000 Dann ſtarken Garniſon 73,000 Einwohner hatte, 
zaͤhlte deren im 3. 1740, 98,000 9. 

Verhaͤltnißmaͤßig für die Größe der Stadt geſchah noch 
weit mehr für Potsdam. If diefe Stadt überhaupt faſt nur 
eine Schöpfung der brandenburgifchen Zürflen, fo iſt fie unter 

.1) Rüfters Erben in Bihfhings Beiträgen I. ©. 821. —* 1. 
©. 261 behauptet, ——, hebe ſich zuweilen (duch Geld) gewinnen 
laffen vom Bauen zu entbinden. 

2) Ricolat Beſchreibung don Berlin ©. 188. 

3) Erman Gophie Charlotte ©. 52. 


Friedrichs ſtadt. Potsdam. 409 


diefen vorzüglich das Werk Friedrich Wilhelms I. Er brachte 
fon im 3. 1713 .einige Compagnien dahin, weldhe den 
Stamm feines nachherigen Leibregiments bildeten; dieſes, dann 
feine Liebe zur Jagd, welcher er bier obliegen konnte, und feine 
Reigung zum ungezwungenen Leben waren die Urfachen, daß 
er ſich faft beftändig in Potsdam aufhielt. Potsdam war bei 
der Verſtaͤrkung des Leibregiments, nach und nach auf 3 Bas 
tailone ohne die Ausrangirten, viel zu klein, um eine fo zahl⸗ 
reihe Mannſchaft gehörig unterzubringen, weshalb vorläufig 
ein Bataillon (bis 3. I. 1738) nah Brandenburg verlegt 
werden muffte. Das nöthigte den König (feit dem 3. 1717) 
zur Errichtung mehrerer Gebäude, dann (feit 1721) die Stabt 
zu erweitern. Daran wurde ungeachtet der burch den moraflis 
gen Boden entgegenftehenden Schwierigkeiten mit aufferordents 
licher Anftrengung gearbeitet unb eine bedeutende Anzahl von 
Gebäuden auf Eönigliche Koften ſchnell vollendet. So entflans 
den die Nifolais und bie Garniſonkirche, die Gewehrfabrik, 
die Kafernen fie verheirathete Soldaten, und das große Sol⸗ 
datenwaiſenhaus, aufferdem viele Privathäufer, welde er Dies 
gem und Goleniflen auf feine Koften neu bauen ließ. 
ger, welche felbft bauen wollten, unterflügte er bier Are 
gern mit den bazu nöthigen Materialien, baaren Vorſchüſſen, 
dem vierten heile der Koften und nach Umfländen durch Praͤ— 
benden, Kanonikate, Schulzengerichte und andere Beguͤnſti⸗ 
gungen. Dabei hielt er fireng auf genaue Regelmäßigfeit der 
Gebäude, welche von einerlei Höhe und gleichem aͤuſſeren Ans 
ſehen und bis auf den Anſtrich der Thüͤren und Benfter gleiche 
artig fein mufften. Seit dem I. 1733 nahm er eine zweite 
Srweiterung der —* vor, um das dritte Bataillon des 
noch aufnehmen zu koͤnnen und bauete auſſer 
an Privathäufern die Garnifonfchule, das große Reit und 
Epercierhauß, die heilige Geifts die katholiſche und eine grie⸗ 
chiſche Kirche und das Gommandantenhaus. Endlich begann 
ee (1737) noch eine dritte Erweiterung der Stadt durch das 
fogenannte hollaͤndiſche Quartier für bie aus Holland verfchries 
benen Handwerker und für die Sammets und Seidenmanus 
facturen, doc konnte bad, weil ihm ber Tod uͤbereilte, erft 
Friedrich II. ausführen. Was die unter ber Reitung des Baus 


Bud Vi Zweites Haupikäd. 


49 


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BEIMBERIHSNE. 


1) Nicolai Beſchreibung &. 1114 fi. 


9 Bacıte VE S. 419. 
Tpätigkeit bei der Wefichtigung 


König im I. 1726 Thi. 


6 Zage diadurch. 


Preuffen 41 


bei feiner Amvefenbeit in Preuſſen smzäplige Weder, Höfe und 
Dörfer wüß gefunden, fo machte er (19. Moobr, 1718) vor 


Wſtufungen, ob fie aus ber Fremde oder aus feinen übrigen 
Provingen, ob auf eigene oder auf ſeine Koſten Timen, und 
eben fo Die Bauergehöfte bameten ud mit Wieh beſetzten, auſſer 
dem nöthigen Bauholze noch 9 Freijahre bis af eins hetab won 
allen Leitungen und Laften, verfprach auch Deruͤcſichtigung 
unvorperpufehender Unglücsfälle. Nach Ablauf der Breitahte 
folten fie von der Hufe beſten Acers bis zu ſchiechtem jährlich 
14 pis 10 Thaler entrichten und in der Nähe koͤniglicher Vor⸗ 
werke einen Morgen Feldes abaͤrnten, dad Heu vom einem 
Morgen BWiefe eindringen, auch einen Tag Miſt fahren mıifs 
fen, uͤbrigens allen anderem Unterthanen gleich gehalten werden. 
Wer wenigftens 2 Hufen bauete, abet var Benkhaffung 
* —* Acker⸗ und Hausbiehes unb Geatlorns and 
erſten nöthigen Lebensmittel, 147 Thaler 20 Groſchen 
2 Zuſchuß. Die Coloniſten ſollten in krine Leibeigenfchafi 
gef, fondern wie die Unterthanen in bee Kurmack und ans 
deren Prosinyen, wo bie Leibeigenſchaft nicht eingeführt war, 
gehalten, auch weber fie, noch ihre Kinder und Ihe Grube 
wider ihren Wien zu Soldaten genommen, Bagegen nım des 
Aderbaus und ber Viehzucht kundige Leute aufgenommen wers 
ben, welchen von ihrer biöherigen Obrigfeit beſcheinigt wor⸗ 
ben, daß fie ſich bisher redlich gendhrt hatten ). Uns auch 
wohlhabende Ausländer anzuziehen, befreiete er fie (21. Mood. 
- 4718) niht nur auf 3 Jahre von allen bürgerlichen Laſten, 
ſondern verſprach ihwen auch Zulaſſung zu Eivils und Kriegds 
bienfben, und baf fie Preutſen wieder folten mit Abzugöfseiheit 
verioffen koͤnnen, wenn es ihnen dort nicht gefallen würde. Er 
fagte Höfe feiner vormaligen leibeigenen Unterthanen erblich 
an Goloniften zu, welche Zeugniffe ihrer vorigen Guts herrſchaft 
beibringen wuͤrden, hob die Leibeigenfchaft auf ben preuſſiſch⸗ 
lithauifchen Domainen (10. Juli 1719 und 20. Aprit 1720) 
auf, gab den Bauern die Güter erblih und erlaubte ihnen, 


1) Bei Bafmann I. ©. 489, wo doch das Data 1719 falſch iR. 


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überreicht Mallsene bie neue 
‚dmann a 0 D. ©. 587. 


wo 
a MmyLıraı 


Preuffen. 43 


Bauern gegeben, ber fogleich an dem naͤchſten Baume aufges 
kniwft werben follte. Die übrigens im Ganzen vortheilhaften - 
Bedingungen bewogen doch im naͤchſten Jahre (1722) mehrere 
taufenb Goloniften aus Schwaben, Franken, ber Wetterau 
und Nieberfachfen nach Preuffen zu gehen, wohin fi auch 
der König wieder begab, um ihre Anfehung zu orbnen'). Im 
folgenben Jahre (1723) lub er Handwerker aller Art, vorzügs 
Üe) Tuch⸗ Bafhr, Beugs, Fries und Steumpfiniiker, Huts 
madyer, Lohgerber, Zimmerleute, Tiſchler und Maurer ein, ſich 
in den m veeufihen Städten anfäffig zu machen, und noch bis 


bereits vorhanden wären”). Durch Patente (1723 und 1724) 
verfprach er allen Goloniften, welche fich in Preufien nieders 
laſſen winden, die Erbauung lutheriſcher unb reformirter Kir 
en, den Handwerkern und Manufacturiften unentgeltliche 
Bürgers und Meiſterrecht in den Städten, daſelbſt Pläge zum . 
Anbau und auffer dem Bauhoize entweder bie noch nöthigen 
Baumaterialien oder 15 Procent nach Schägung des Haufes, 
auch zehnjaͤhrige Befreiung von Einquartierung und buͤrger⸗ 
he, denen aber, welche ſich nicht anbauen Pe 
Jahr Befreiung, den Tuch⸗, Raſch⸗, Beuge, Brieds, 
— und Hutmachern vom Tage ihrer Verheirathung 
auf drei Jahr Vorſchüſſe. © erhoͤhete bie vorzüglich den 
, die fih in den 52 preuffichen Städten anfegen 

wirben, bewilligten Beglmfligungen noch in mehreren Stüden, 
vorzüglich, fir Wollfabrikanten und ficherte jeder Familie für 
jede Meile 16 Groſchen Reiſckoſten zu. Alle Landlaͤufer das 
gegen und Pranger, welche weder etwas von der Lanbwirths 
ſchaſt verfländen, noch ein Handwerk gelernt hätten, wurden 
zuruͤdgewieſen und, wenn fie ſich einſchlichen, über die Grenze 
gebracht, auch wohl beftraft. Der König fol feit dem 3. 1721 
auf Anfegung neuer Goloniften 5 Millionen Thaler gewendet 
haben. ‚Die zugleich einerfeits zweckmaͤßigen, ——* ſtren⸗ 
gen Maßregeln wirkten ſo viel, daß im J. 1728 in den 


D) Faßmank I. S. 889. 
2) Ebendaſ. I. S. 840. 


42 Bud VL Zweites Hauptftüd. 


biefelben an tlchtige Landleute zu verkaufen. Dagegen ver 
pflichtete er fie (10. Juli 1719) eiblich, ihre Güter nicht an 
ders als nach genehmigten Verkaufe oder mit ihrem Tode zu 
verlaffen, aus ihren Kindern den Züchtigften zur Landwirth⸗ 
ſchaft und Erben des Guts, die anderen zu ehrlichen Handthie⸗ 
rungen zu erziehen, keinen aber ohne Genehmigung ber Kams 
mer aus einem Amtsbezirke in ben anberen, noch weniger aus 
dem Königreiche Preuffen, fogar nicht in eine andere Provinz 
des Staates ziehen zu laſſen. Leider fegte er auch ihre Dienfle 
nicht feft, fondern behielt ſich daruͤber die Beftimmungen vor, 
unterwarf die Kinder der Bauern dem Dienftzwange, fo daß 
die Freiheit unter folchen Beſchraͤnkungen nur, geringen Werth 
hatte und aus eigentlicher Leibeigenfchaft zur milberen Erbun⸗ 
terthänigkeit wurde‘). Doch minderte er (1723) in 2 Aem⸗ 
tern bie Dienfte bedeutend). Es fanden fih, durch das Pa 
tent vom 19. Novbr. 1718 bewogen, auch mehrere taufenb 
Goloniften in Preuffen ein). Imbeffen war das nicht hin 
reichend; der König ordnete daher eine Commiſſion unter feis 
nem eignen Worfige zur Unterfuhung des gefammten Zuflans 
des ber preuſſiſchen Domainen an. Demgemäß erhielten bie 
Ehen Präfidenten ber Kammern zu Zilfit und Königsberg 
(März 1721) ihren Abſchied. Es wurden Ingenieurs nach 
Preufien geſchickt, das ganze Königreich zu vermeſſen und Ges 
neral⸗ und Specialfarten. bavon anzufertigen. Er begab ſich 
ſelbſt bin (Juni 1721), erließ den fehr gebrlidten Unterthanen 
bie Keſte ihrer ſchuldigen Steuern ganz ober wenn fie etwas 
bemittelt waren, zum Theile und bewilligte ihnen aud wohl 
noch einige Freijahre ). Weil viele Goloniften gezwungen 
wurden, mehr Land anzubauen, als fie wollten, wander⸗ 
ten fie wieder aus, was (1721) bei Todesſtrafe verboten und 
bis 200 Xhaler fuͤr Auffangung eines jeben ausgewanderten 


1) Baczko VI. ©. 420. 
9) Ebendaf.. ©. 425. 
8) Zaß mann I. ©. 445, 


4) Ebendaf. I. ©. 834. Im I. 1781 überreicht Wallrave bie neue 
Karte von Preuffen. Bafmann a a. D. ©, 587. 


Dreuffen. 43 


Bauern gegeben, ber fogleich an dem naͤchſten Baume aufges 
Intıpft werben follte. Die übrigens im Ganzen vortheilhaften ° 
Bedingungen bewogen body im naͤchſten Jahre 922) mehrere mehrere 
tauſend Goloniften aus Schwaben, Franken, ber 

unb Nieberfachfen nach Preuffen zu gehen, wohin 160g auch 
dee König wieder begab, um ihre Anfegung zu ordnen). Im 
folgenden Jahre (1723) lub ex Handwerker aller Art, vorzuͤg⸗ 
Üch Tuch⸗ diaſch⸗ Zeugs, Fried- und Strumpfilisker, Huts 
madher, ‚ Bimmerleute, Tiſchler und Maurer ein, ſich 
in den prauffifchen Stäbten anfäffig zu machen, unb noch bis 
400 der Landwirthſchaft kundige nicht ganz unvermögende Fa⸗ 
milien, fir welche bie ihnen beffimmten Höfe auf dem Lande 
bereitö vorhanden wären’). Durch Patente (1723 und 1724) 


Handwerkern un! anufacturiſten 

Bürgers und Meiſterrecht in den Stäbten, bafelbft Pläge zum 
Anbau und auffer dem WBauholze entweder bie noch nöthigen 
Baumaterialien oder 15 Procent nach Schägung bes Haufes, 
u zehnjaͤhrige Befreiung von Ginquartierung und bürger 
lichen Laften, denen aber, welche ſich nicht anbauen wollten, 
— Befreiung, ben Tuch⸗, Raſch⸗, Zeug⸗, Brieds, 

Strumpf⸗ und Hutmachern vom je ihrer Verheirathung 
auf drei Jahr Vorſchüſſe. Ey ahihee die vorzüglich m 
Hanmerkem, bie ſich in den 52 preuffihen Städten anfegen 
würden, bewilligten Begünftigungen noch in mehreren Stüden, 
vorzüglich fir Wollfabrifanten und ficherte jeder Familie für 
jede Meile 16 Groſchen dieiſckoſten zu. Alle Landläufer das 
gegen und Pragger, welche weber etwas von der Landwirth⸗ 
ſchaſt verfländen, noch ein Handwerk gelernt hätten, wurben 
zurhdgewiefen und, wenn fie fi) elnſchlichen über bie Grenze 
gebracht, auch wohl beſtrafi. Der König fol feit dem 3.1721 
auf Anfegung neuer Goloniften 5 Millionen Thaler gewenbet 
haben. ‚Die zugleich einerfeits zwedimäßigen, —* ſtren⸗ 
gen Maßregein wirkten fo viel, daß im X. 1728 in den 


1) Faßmank I. ©. 889. 
2) Ebendaſ. I. ©. 840. 


46 Bud VI. Zweites Sanpıiäe. 


boten und Dörfern Pertffens 20,000 neue Jawillen aufges 
wonemen wotden waren '). Den wch blieben ünmer noch viele 


„ten Koften und Bemuhamgen fo vollkommen wuͤrde vntferodhen 
Yaben, als man gewöhnlich glaubt, wenn nicht das Schickſal 
ihn wie feinen Broßoater und Kater begünftigt Hätte, din 

Unduldſamkeit der Katholiken eine große Anzahl neuer — 
wanderer zu erhalten, welche nur durch Ginubensbrud bews⸗ 

gen wurden, ihr Vaterland zu verlaſſen. 

Ian Erzſtiſte Salzburg) hatte ſchon im funzehnten Jahr⸗ 
hunderte die Lehre des Johann Huß viele Anhänger gefunben, 
welche Ab bald nach dem Anfange ber Reformation Luther 


ober minderer Strenge gezwungen fahen. Zulett hatten ſich 
fit unebe pere Zahıen die letzten gemäßigten Erzbiſchoͤfe 

damit begnügt, treue, thätige and gehorfame Unterthanen zu 
haben, ohne bern Glaubensmeinungen genau zu. unterfucen, 
obwohl ihnen recht gat bekannt war, daß dleſe von denen ber 
katholiſchen Kirche fehr weit abmichen. Allein dem im 9. 1727 
gewählten Erzbifofe Leopold Anton FZreiherrn von Firmian 


2) Budhol; V. ©. 148. Wergl, Baczko VI. S. 425, der nd 

mauncherlei ‚Hinderniffe angibt, welche die Goloniften fanben. 
2) Ueber dieſes Greigniß find viele Schriften erſchienen, bie naskcih 
und weniger den Charakter von Parteifäriften haben. 


Die Salsburgen 746 
log vichts mehr am ‚Bergen als bie kotholiſche Bleliglen In fe 


nem Beiftende in das Land und trug ihnen auf, nachzufor⸗ 
ſchen, wo Anhänger ber augsburgiſchen Confeffion wären, und 
diefe zu bekehren. Die Jeſuiten verfubren babei nicht wit 
ihrer fonft befannten Lebensklugheit. le verlangten, um bie 
Katholiken von ben Lutberanern zu unterſcheiden, bie Bauern 
folten den im katholiſchen Deutfälante üblichen "Onıßı „Be 
lobt fei Jeſus Chriftl"" gebranden und ein Scapälier tragen, 
dann durchſuchten fie alle Häufer und Hütten auf das Gtzengfie, 
um ketzeriſche Mücken zu entdecken und unterfagten ade Zuſam⸗⸗ 
menkunfte). Dos. erbitterte bie Butheraner, fie weigerten ſich 
ienen Gruß zu gebrauchen und das Scapulier gu tragen, fpote 
teten Über die katholiſchen Kirchengebraͤuche, fehten ihre Bufanıı 
menfinfte fort und theilten einander luthtriſche Sucher mit. 
Der Erzbiſchof ließ darauf (1720) einen Bauer, Johann 
Lerchner, wegen des Gebrauchs verbotener (uheife) Bäder 
einkerkern, bald nochher aber wisber in Freiheit ſetzen und dar⸗ 
auf, angeblich wegen oͤffentlicher verletender Aeuſſerungen über 
den katholiſchen Glauben, abermald gefangen feken unb ihm 
ohne weitere Unterfuchung befehlen, das Sand gu verlaſſen. 
Er und ein anderer Bauer, bei dem mon verhatene Bücher 
gefunden, wanderten aus, beide baten in Regensburg bie Ges 
fanbten ber evangeliſchen Fuͤrſten am Beichbtage (7. Yanuar 


beobachtete Verfahren. wang 

tem fich (11. Februar) bei dem ſalzburgiſchen Ceſandten v. Zil⸗ 
lerberg in ——⏑ —— Do ven been Ant 
gewanderten ihr Vermoͤgen und ihre Kinder auögeantwortet 
werben möchten, Billerberg erwiederte ihnen unter beieibigens 


1) Gärtner ©. 21. 
2) Sbendaf. S. 8. 


416 Bud VI. Zweites Hauptftüd. 


den Vorwuͤrfen, der Erzbiſchof habe befoplen, in biefer Ange 
legenheit von den evangelifchen Fuͤrſten Feine Eingabe amzunch⸗ 
men, weil er fi) von feinen Mitfländen noch dazu in Sachen 
feiner Unterthanen nicht wolle gleichfam zur Verantwortung 
ziehen Laffen. Die beiden Ausgewanderten hätten öffentlich 
auögerufen: „Ich bin lutheriſch,“ was einer Revolte nicht un: 
ähnlich. Die evangelifchen Gefandten wendeten ſich (22. April 
1730) an den Erzbiſchof mit ihrem Gefuche und .einer Be 
ſchwerde Über den v. Zillerberg: daß ihnen gar nicht eingefallen 
ihre katholiſchen Mitftände zur Verantwortung zu ziehen, fie 
hätten aber als Theilnehmer am weſtfaͤliſchen Frieden das Recht 
Erinnerung zur Abftelung von Ueberfchreitungen . beffelben zu 
‚machen ). De Erzbiſchof würdigte fie keiner Antwort, fons 
den ließ ihnen durch feinen Gefandten erwiebern, wenn fie 
fih in ihren echten verleht Helm, A: möchten fie fi an 
den Kaifer und an das Reich wenben. Der Kurfürfl von der 
Pfalz antwortete auf zwei Schreiben ber evangelifchen Fuͤrſten 
in dieſer Sache gar nicht. 

Immer ſtaͤrkere, zuweilen wohl. übertriebene Beſchwerden 
liefen über ben Drud und die Graufamkeiten ein, welche im 
Salzburgiſchen von den, durch fanatifhe Geifliche einerfeits 
gereizten und durch bie ihnen willkommene Widerſetzlichkeit der 
Lutheraner anbererfeltd formal geficherten Beamteten unter dem 
Dedmantel der Religion verübt. Es war eine von ben uns 
feligen Zwiſtigkeiten, welche fich ohne gegenfeitige Humanität 
und Duldung nicht ausgleichen laſſen. Der Erzbiſchof und 
deſſen Beamtete verſtießen zuerſt gegen die daran feit vielen 
Jahren gewöhnten Bauern und biefe tobten und laͤrmten nım, 
weil fie ſich in dem Heiligſten, was fie hatten, gefährbet ſa⸗ 
ben und gaben den Fuͤrſten die offenbar fehr erwinfchte Ver⸗ 
anlaffung, fie für Empoͤrer zu erflären und unter biefem Vor⸗ 
wande ohne alle Schonung gegen fie zu verfahren. Aufferbem 
bebiente man ſich der Ausſagen einzelner Bauern, bie man ge 
lehrt prüfte, um darzuthun, fie wären und Beine 
augeburgifche Gonfeffionsverwanbte, alfo aud in biefer Hin 


D Gärtner S. 8% 


Die Salzburger. 47 


ſicht ohne Recht ) Die —— Lutheraner des Erzſtifts 
mochten nicht ohne Veranlaſſung ber evangeliſchen Geſandten 
in Regensburg bie ‚Hoffnung hegen, fie würden bie freie Ucbung 
ihrer Religion erwirken, worauf ihnen ber weſtfaͤliſche Frieden 
keinen Anfpruch gab, indem fie fi nicht vor dem I. 1624 
öffentlich zur augsburgiſchen Gonfeffion befannt hatten. Der 
Erbiſchof zen | bielt ale Mittel fir recht, um bie Luther 
raner ſeines Landes zur katholiſchen Kirche zurldtzubringen, ers 

i weſtfaͤliſchen 


Fcrieden geſicherte Abzugsfreiheit ganz zur entziehen. Beſchwer⸗ 
den einzelner Lutheraner wurden nicht beachtet; ſich zu vers 
. fammeln war verboten; fie thaten es heimlich; fie ſchicklen Abs 
georbnete mit Wollmachten nach Regensburg, welche hier (16. 
Suni 1731) den evangelifchen Gefandten ihre Bitte und Ber 
ſchwerden vortrugen: man zwinge fie dad Abendmahl unter 
einerlei Stat zu genießen, Rofenkänze und Scapulier ums 
zuhaͤngen, die Heiligen an— und firafe bad Verſaͤum⸗ 
niß bes Tatpotifchen Kirchenbeſuchs mit 2 Gulden. Die ka⸗ 
tholifchen Geiftlichen durchſuchten jedes Haus und bemühe- 
ten fi, Ale zu ihrem Glauben zu bringen, verböten das 
Zleifchefien an ben Bafttagen, und beftraften Uebertreter mit 
10 bis 40 und mehr Gulden. Man zwinge fie unter Ans 
drohung von Gefangenfchaft bei Waſſer und Brot und Ver⸗ 
bannung zum Abfale vom lutheriſchen Glauben. &ie baten 
um Verwendung bei dem Erzbiſchoſe, evangelifche Geiſtliche 
anftelen ober ungehindert außwandern und ihre Güter verkau⸗ 
zu dürfen. Drei der Abgeordneten gingen nach Berlin ?). 
Zugleich börte man einzelne drohende Aeufferungen der 
Lutheraner in Salzburg, welche auf Unterfiligung der evanges 
lüſchen Fuͤrſten hofften, daß man ihnen werde erlauben müfs 
fen, ihre Religion Sffentlih zu üben. Es wurbe daher den 
Beamteten befohlen, das biöherige Verfahren gegen die Luthes 
raner einzuftellen, befonderö feine Gewalt zu brauchen, dages 
gen den Gefinnungen, Gefpräden und Handlungen der Bauern 
in Geheim genau nachzufplren. Die Päfle und Feſten des 


1) Gärtner S. 52 f. ©. 175. 


2) Cbendaſ. ©. 51. 
Stengel, Geſch. d. Preufiich.-Ctaate. II. 7 


"418 Bud VI Zweites ˖ Hauptſtuͤck 


Landes wurden ſo viel als moͤglich beſetzt und verwahrt, weil 
man offenen Aufruhr befürchtete‘)... Dann (1. Juli 1731) 
wurden Gommiffarien angeorbnet, angeblich um die Beſchwer⸗ 
Ven der Intherifhen Bauern gegen Beamtete zu erfunden und 
abzuſtellen, wirklich aber wohl um zu erfahren, wie viel der 
Unterthanen fich zum Lutherthume Öffentlich bekennen würden. 
Unterdeffen hatten die Bauern bereitd 25 Männer gewählt, 
um als ihre Sprecher nach Wien, Regendburg und zu ben 
evangeliſchen Fürften zu gehen. Ganz natürlich fuchten fie fi) 
in zohlreichen Verfammlungen unter einander eng zu verbuͤn⸗ 
den und den Schug auswärtiger Fürften zu erhalten. 

As die Sommiffarien ihnen eröffneten, ber Erzbifchof habe 
fie abgeorbnet, um ihre Beſchwerde freng zu unterſuchen, 
wurde das mit lautem Jubel und Preifen ber Weisheit und 
Gerechtigkeitsliebe bes Zürften vernommen, wobei fie zugleich 

* erflärten, ihm getreu und gehorfam zu fein. Sie legten ihre 
Beſchwerden uͤber die Gelberpreffungen und Mishandlung ber 
Beamteten und Geiftlichen offen bar, bekannten fi zur evan⸗ 
gelifhen Religion und verfprachen Gehorfam. Gelbft bie 
Gommiffarien fanden, was über den Drud der Beamteten 
geſagt war, nicht unbegründet. In einem Drte war ber Bas 
tholifche Geiſtliche unerachtet ‚ihrer Ermahnungen fo heftig, 
daß er in ihrer Gegenwart von der Kanzel herab in bie bits 
terſten Schmähungen gegen bie Lutheraner ausbrach, fo daß 
fi die Gommiffarien wunderten, wie ed bie verfammelte Ges 
meinde ohne Murren und Zumult mit anhören konnte. An 
mehreren anderen Orten verfuhren bie Geiftlichen nicht beffer, 
fpieen, wie der Bericht fagt, Gift und Galle von ber Kanzel 
und einer Batechifirte im Zorne bie Leute mit Schlägen. Die 
niedere, umerfättliche Habfucht diefes Geiſtlichen, der feinen 
Beichtkindern öffentlich verboten, ſich mit leerem Beutel dem 
Altare zu nähern, hatte ihm deren Herzen völlig entfrembet?). . 
Es wurden 20,678 Perfonen gefunden, welche fid ungeachtet 


1) Gärtner ©. 58. 


2) Bärtner S. 76. Der gefammte Bericht über bie Gommiffren 
©. 61-78 ift hoͤchſt merkwürdig und ſicher hat Gärtner in feiner Stel⸗ 
lung nur das gefagt, was er als ehrlicher Mann nicht verſchweigen konnte. 


Die Salzburger. 49 


aller bevorftchenden Bebrängniffe als augsburgifche Confeſſions⸗ 
verwanbte angaben, und wir erfahren auch nicht, daß die Uns 
terfuchung die geringften Folgen gegen die von den Commiſſa⸗ 
tien als unwurdig erfannten Beamteten und Geiftlichen hatte. 
As ſich die Lutheraner von den fanatifchen Geiftlichen 
in ben Kirchen fortwährend mit ben gröbflen Schimpfreben 
belegen hörten, fo befuchten fie dieſelben gar nicht mehr und 
prebigten an gelegenen Orten, in Wäldern und unter freiem 
Himmel felbft. Weil fi die Geiftlichen weigerten, die neus 
geborenen Kinder der Lutheraner zu taufen, fo tauften diefe fie 
felbft. Das Conſiſtorium befahl darauf, daß den Bekennern 
der neuen Religion, denn’ augsburgifche Confeffionsverwandte 
- wollte man fie nicht nennen, die Sacramente und ihren Leichen 
die geweihete Exde verfagt würden ), was gegen bie ausdruͤd⸗ 
lichen Beftimmungen des weflfälifchen Sriebens verſtieß. Nas 
tirlicp reigte ein ſolches Werfahren bie lutheriſchen Bauern 
immer mehr. Es iſt fehr glaublih, daß man von Ihnen nur 
harte Worte über ben Erzbiſchof, deſſen Beamtete und die 
Ratholiten indgefammt hörte, daß fie bie Schwankenden durch 
Ueberrebung, auch wohl durch Drohungen zu bewegen fuchten, 
fih fir augsburgiſche Confeffionsverwandte zu erklären, dag 
fie ſich fo eng ald möglich an einander anfchloffen und vieleicht 
ſelbſt entſchloſſen waren, ihre Häupter, wenn man Hand an 
fie lege, zu fchligen, ober, wenn fie gefangen gefegt würden, 
zu befreien und überhaupt "der Gewalt Gewalt entgegenzus 
fegen, wie Einzelne in ber Heftigkeit prablten, ohne daß jedoch 
wirkliche Gewaltthätigkeiten von ihnen veruͤbt worden wären’). 
Einerfeits mochte nun wirklich der Erzbiſchof Beforgniffe 
vor einem Aufftande haben, auch hatte er Urfache zu fürchten, . 
die an Tyrol grenzenden Gemeinden, namentlich die Bewohner 
des Marktfledens Zillerthal wuͤrden in diefem Falle ſich für 
die Lutheraner erflären?), andererſeits war es ihm gewiß nicht 
unangenehm, bie geringfte, obwohl durch fein eigenes erſt uns 
kluges dann unrechtliche Verfahren hervorgerufene Ungefeglichs 


1) Gärtner ©. 80 ff. 
2) Ebendaſ. &. 9. Berg. ©. 106. 


3) Ebendaſ. ©. 9. 
. 27* 


40 Bud VI. Zweites Hauptfiäd. 
keit als Auftuhr zu betrachten; ex vermehrte daher feine Zrupe 


fegen und erhielt gegen feine angeblich aufrühreriſchen Unter» 


Auguft u.thanen, auf fein ſchon im Juli an ben Kaifer gefchidtes Gefuch, 


1731 


obwohl zögernd 3600 Mann Taiferliher Truppen‘), welde 
er im Lande vertheilte, durch fie alle Auswege befegen ließ 
und Niemand ohne Pag durchzulaſſen befahl. Er befchwerte 
fi bei dem Reichstage uͤber die angebliche Empörung feiner 
Unterthanen, welde durch die proteftantifchen Gefandten wes 
nigftens mittelbar aufgereizt worben wären, was jedoch ber 
preuffifche Gefandte v. Dankelmann, ben man vorzüglich in 
Verdacht zu haben vorgab, durchaus in Abrede fielte, fo wie 
denn niemald ber geringfle Beweis fir die Wahrheit dieſes 
den Evangelifchen gemachten Vorwurfs hat aufgebracht werben 
koͤnnen. Die Abgeordneten ber Bauern waren an ber öfters 
veichifchen Grenze feftgenommen worben. Der Erzbifhof bat 
den Kaiſer um ihre Auslieferung zur peinlihen Unterfuchung, 
nicht wegen der Religion, fondern wegen Aufruhrs. Gr 
befahl den Pflegern, wenn Verſuche gemacht werben follten, 
diefe Gefangenen zu befreien, felbft daS Leben ber Rebellen 
nicht zu fchonen. 

Bugleih mit den Truppen überfcjidlte ber Kaifer dem 
Erzbiſchofe (26. Aug. 1731) ein Edit zur 
in welchem er fie als Empörer zum Gehorfam gegen ihren 
Landeöperen auffoderte und hinzufügte, wenn fie gegen biefen 
Religionds oder andere rechtmaͤßige Beſchwerden zu haben 
glaubten, fo erlaube und befehle er ihnen, dieſe bei ihm als 
Kaifer und oberftem Richter frei, fiher und ungehindert anzu> 
bringen?). Den Bifchof ermahnte er, bie Laften der Unter 


1) Der gemäßigte Prinz Gugen ermahınte den Erzbiſchof, ja moglichn 
behutſam gu Werke zu gehen. 

2) Bei Gärtner ©. 113 in ber Anmerkung. Gärtner fagt mit 
Unrecht, der Kaifer habe es dem Erzbiſchofe frei geftellt, ob berfelbe das 
Patent publicixen wolle ober nicht; ber Kaiſer überließ ihm nur Art und 
Weife der Publication, fanb es aber befremdend, baß fie gar nicht flatts 
fand. Berg. &. 349, 256 u. 869. Entſcheidend find bie &. 368 in 
d. Anmerk. angefüprten Worte des Kaiſers bei ucderſendung des Patente, 


Die Salzburger. 421 


thanen moͤglichſt zu erleichtern und ſich in biefer Sache genau 
an die Reichsgeſetze zu halten. Der Erzbiſchof machte aber 
daß Faiferlihe Edict nicht befannt, aus Beforgniß, feine Uns 
terthanen würden ihre Beſchwerden an ben Kaifer bringen, 
wie dieſer geftattet, ja befohlen hatte, und ließ vielmehr die 
Nädelsfüprer, wie er fie nannte, in ihren Wohnungen Übers 
fallen und feftnehmen, bie Uebrigen aber entwaffnen, was na 
tuͤrlich zu neuen Verfammlungen der gährenden Volksmenge 
und manchen gewaltfamen Vorſchlaͤgen Einzelner Veranlaffung 
gab. Dennoch geſchah von diefen nichts, ald daß fie um 
Breilaffung der Gefangenen baten, wenn ihr Verbrechen blos 
die Religion angehe, auſſerdem bächten fie nicht daran, fich 
der Beftrafung berfelben wegen anderer Verbrechen zu wibers 
fegen. Der Exzbifchof verbot (30. Aug. 1731) wieberholt alle 
ferneren Rottirungen und heimliche Zuſammenklinfte, Bedro⸗ 
bungen und Befcimpfungen bei Leib» und Lebensſtrafe· Die 
Evangeliſchen fuhren indeß fort, ihre Religionsübungen öffent: 
lich zu halten, zu prebigen, ihre Kinder zu taufen unb ihre 
Leichen zu begraben, indem Einzelne unter ihnen bad Prebigts 
amt Übernahmen. Im Ermangelung der Glocken berief die 
Zrommel oder eine Bahne, bie umher getragen wurbe, ober 
din Bote die Verfammlung zum Gotteßbienfte, wobei bann, 
wie in anderen Werfammlungen bin und wieber bie feligfle 
Jungfrau Maria, der Papft und die Fatholifche Kirche geläftert 
wurden, wie bie Katholiken Luther und befien Anhänger laͤ— 
ſterten; man machte wohl den Vorſchlag, die Bilder der Hei⸗ 
ligen zu zerſtoͤren, weil man glaubte, bie Katholiken beteten 
fie wie Goͤtzenbilder an. Die Tatholifchen Geiſtlichen beſchwer⸗ 
ten fi, daß die Lutheraner immer zahlreicher wuͤrden. Die 
katholiſchen Fefltage wurden nicht mehr gefeiert, viele Kirchen 
flanden leer, wer flüchten Tonnte, flüchtete. 

Die evangelifchen Gefandten in Regensburg nahmen ſich 
fortwährend ihrer Glaubensgenoſſen an, warfen dem Erzbifchofe 
mit Recht vor, fie hart ja graufam behandelt und nicht bes 
wiefen zu haben, daß fie Aufrührer wären. Man habe fie 
blos der Religion wegen ergriffen, vor Gericht geftellt, fie mit 
Kerker, Feſſeln und um Geld geftraft, ihnen die Uebung ihrer 
Religion ald Verbrechen angerechnet und ihnen ihre Kinder 


42 Bud VL Bmweites Hauptftüd, 


* vorenthalten; fie vechtfertigten durch die Weigerungen ber fas 
-tholifcpen Priefter die eigene "Taufe und Begräbniffe ber Lu⸗ 
theraner. Daß dieſe fi am bie evangeliſchen Fürften um 
Beiſtand gewendet, fei Fein Hochverrath. Den 
habe man keine Paͤſſe gegeben und fie dann eingelerkert, waͤh⸗ 
send ber ſalzburgiſche Gefandte ungehinderte Auswanderungs⸗ 
freipeit verfprochen. Diefer nahm jegt fein Wort zurüdl unter 
dem Vorwande, aufrübrerifche Unterthanen hätten einen Ans 
fpruch darauf! - Zugleich wendeten ſich bie evangelifhen Ge 
fandten (27. Det. 1731) an den Kaifer, befhwerten fih über 
das gewaltfame unvechtliche Verfahren des Erzbiſchofs, der bie 
Auswanberungsfreiheit verweigere, und thaten bar, wie fehr 
das gegen bie ausdruͤclichen Beſtimmungen des weflfälifchen 
Friedens verſtoße. Sie wollten rebelliſchen Unterthanen nicht 
das Wort reden, koͤnnten aber nicht mit anfehen, daß ein 
Mitftand die Religionsfriebensfchläffe drehe. Dex ſalzburgiſche 
Geſandte habe im Juli die Auswanderungdfteipeit den Luthes 
ranern zugefichert, während doch Feiner anders ald mit Hinters 
laffung von Weib und Kind und Vermögen flüchten koͤnne. 
Man werfe ihnen vor, fie nähmen Dinge an, welde mit ber 
augsburgiſchen Confeffion nicht übereintämen und hätten fi 
gegen ben Landesherrn vergangen, auch nicht um Auswan- 
derung, fondern freie Religionsuͤbung gebeten. Allein daß ber 
Glaube einfältiger Bauern, welche biöher weber evangelifche 
Geiſtliche noch Schullehrer gehabt und nur von ihren Aeltern 
und aus einigen Buͤchern Unterricht empfangen, noch fehr uns 
volltommen fei, koͤme Niemand wundern. Wenn katholiſche 
fogar von ihren Geiftlichen und Schullehrern von Kindheit an 
unterrichtete gemeine Leute daruͤber von evangelifhen Prieſtern 
wie die Salzburger von Fatholifchen eraminirt würden, möchten 
auch fie wohl die leichteften Fragen feltfam und unfoͤrmlich 
genug beantworten. Was die Profelgtenmacherei angehe, fo 
zeigten fie, wie ungefcheuet biefe vielmehr von Katholifen ge- 
trieben werde. Sie verlangten fchlieglih eine von beiden 
Glaubensbekennern gemifchte Localcommiſſion zu Unterfuchung 
der Sache. und jedenfalls Auswanderungsfteiheit). Die ges 
1) Das merkwuͤrdige Actenftüd auch bei Gärtner ©. 163 ff. 
@being I. ©. 778. 


Die Salzburger. 423 


fanımte Angelegenheit würde ſich indefien wahrfcheinlich noch 
lange bingezogen haben, wen nicht zu gleicher Zeit der bran⸗ 
denburgifche Gefandte von Regensburg aus Bericht über diefe 
Angelegenheit nach Berlin erſtattet hätte. Ex erhielt ſogleich 
(13. Det. 1731) Verhaltungsbefehle: weil ber falzburgifche 
Sefandte in Regensburg fi) auf eine fo impertinente Weiſe 
gegen die Vorftelungen bezeige, welche ihm gemacht worden, fo 
werbe ed nicht fhaben, wenn ihm mit Ernſt und nachdruͤck⸗ 
lien Declarationen begegnet, auch deutlich zu verſtehen ge: 
geben werbe, die evangelifchen Zürften und Stände bofften 
zwar, ber Kaifer werde ber heftigen Werfolgung der Evanges 
Ufchen ohne Verzug fleuern, wofern aber der Erzbiſchof nicht 
ablaffe, fo wirben auch die evangelifchen Fuͤrſten und Stände 
folcyes ihren Tatholifchen Unterthanen wieber empfinden laſſen, 
" die Verantwortung aber denen laſſen, welche dergleichen vers 

“ anlafft hätten. Ex fei bereit, das in feinen Randen zu voll: . 
ziehen, wen auch die übrigen evangelifchen Zürften bafjelbe zu 
gleicher Zeit thun wollten’). 

. Von diefen Schritten erhielt der Erzbiſchof Kenntniß und 
machte baher am 11. Nov. dad vom 31. Det. batirte Emis 
grationspatent befannt”). Da ein großer Theil feiner Unter» 

thanen, die er mit vielen Schmähungen und unerwiefenen Bes 
ſchuldigungen überhäufte, unter dem Vorwande von Religions 
bebrüdung und anderen. Drangfalen fich gegen ihn empört und 
ſich zur augsburgiſchen Confeffion erklärt, er aber Feine andere 
als die Fatholifche Religion dulden, die unruhigen, aufruͤhreri⸗ 
ſchen und wiberfpenftigen Leute vielmehr gaͤnzlich von der Wur⸗ 
zel aus vertilgen und daher auswandern laſfen wolle, fo befahl 
er Allen, bie fich zu den beiden auffer ber Batholifchen im 
Reiche gedulbeten Religionen befannt hätten, fofort auszuwan⸗ 
dern und bei fchwerer Strafe an Gut, Leib und Leben das 
Gebiet des Erzſtifts Bünftig zu meiden. Ale Unangefeffene, 
welche bad 12. Jahr erreicht, follten bei unausbleiblicyer Strafe 
ohne Gnade binnen 8 Tagen mit hintantragendem Sad und 
Pal abziehen. Kein Unkatholiſcher fole für Bürger und 


? 1) Bi Göding I. ©. 165. 
DM) Bei Gärtner S. 198. 


424 Bud VL Bweites-Hauptfäd. 


Meifter gehalten werden, vielmehr alle auswandern. Ange 
feffene Bauern ſollten aus füticher Gnade nach Maßgabe ihres 
Vermögens binnen einem,’ zwei und drei Monaten auswan⸗ 
dern. Wer das im feftgefehten Termine nicht thue, folle von 
den Beamteten bei hoher Strafe gefangen gefegt und mit mis 
litairiſcher Hülfe fortgefchafft werden. Gegen Ketzer und Res 
bellen, bie zu Feiner der im Reiche gebufbeten brei Religionen 
gehörten, behielt. er fih die Beftrafung vor. 

Dieſes Patent machte allgemein großes Aufſehen und ſelbſt 
Katholiten fahen ein, daß ed dem welfäliicyen Frieden ges 
radezu entgegen fei, indem biefer denen, welde auswanbern 
wollten ober dazu gezwungen wurden, eine breijährige Friſt 
zum Verkaufe ihrer Güter umd zur Beauffihtigung der Vers 
waltung derfelben während biefer Zeit ließ. Auch follte nach 
diefem Keiner wegen feines Glaubens verachtet, ober von Kauf⸗ 
mannfeaft, Handwerken, Zünften, Spitälern, auch fonfigen 
Rechten und Gewerben, noch weniger von Öffentlichen Gottes⸗ 
Adern und ehrlichen Begraͤbniß audgefchloffen werben. Dazu 
war bad Patent in fo beleibigenben Ausdruͤcken fir die Evans 
geliſchen abgefafft, daß es der falzburgifche Gefandte in mil» 
derer Form nachbruden ließ und fo veriifät den evangeliſchen 
Geſandten Übergab, in der Hoffnung, die Proteflanten wirben 
dann bad Driginal nicht fuchen; allein in Regensburg war bes 


Dennoch wurden nach Werlauf von 8 Tagen, ungeachtet aller 
Klagen Über die Kürze der gelaffenen Friſt, im harten Winter 
bie Lutheraner, zum Theile ſchwache Weiber und Mädchen, 
wo ımb wie man fie zum Theile nadt und bloß traf, unter 
Mispandlungen und Erpreffungen von Solbaten zu mehreren 
‚Hunderten zufammen getrieben. Viele konnten gar nichts, 
Keiner von feiner Habe mehr als er tragen Eonnte, mitnehmen. 

Alein weit entfernt dadurch abgeſchreckt und abtrimnig zu 
werben, wie man wohl gehofft hatte, entflammte das den Eifer 
der Lutheraner nur noch mehr und erbitterte fie gegen eine fo 


1) Gärtner ©. 27 ſucht das unredliche Verfahren Salzburgs mur 
ſchwach zu entſchuldigen. 


Die Salzburger. 42 


tyranniſche Regierung, welche alle Dienftboten im Winter fort: 
trieb und fo den Angefeffenen alle Dienerfchaft fir die Dauer 

‚ beffelben entriß. Ia ber Erzbiſchof Serfahe fo fo gewiſſenlos, daß 
er diefe Leute, an die baterifhe Grenze treiben ließ, che er 
noch die Erlaubniß für fie ausgewirkt hatte, diefe uͤberſchreiten 
zu biirfen, fo daß bie Unglüdlichen im December wochenlang 
an der Grenze liegen muflten, ehe man fle ducchließ '). 

Bu derſelben Zeit (Mitte Novembers) kamen die Abges 
orbmeten ber Salzburger in Berlin an und baten ben König 
um Schutz für ihre Glaubensgenofien. Der König ließ fie 
durch bie Gonfiftorialsäthe Rolof und Reinbeck prüfen, und 
biefe fanden, daß es Feine Schwärmer und Gectirer, fondern 
Lutheraner wären. Der König, dem das zugleich Gewiſſens⸗ 
ſache war, erflärte ihnen daher, er wolle fie, wenn ihrer auch 
etliche Tauſend wären, in feinem Sande aufnehmen ?). Fr 
liefen bei dem Kaifer bie Iebhafteften MWorftellungen 
harte und ungerechte Verfahren des Erzbiſchofs von —* 
der deutſchen evangeliſchen Fuͤrſten, von Schweden, Dänemark, 
England und den Generalſtaaten ein, mit Androhung eines 
gleichen Verfahrens gegen ihre katholiſchen Unterthanen, was 
den Erzbifchof wenigftens bewog, den Auswanderungstermin 
der Anfäffigen bis auf bie Mitte des April zu verlängern und 
zu verfprechen, fie follten auch bie Kinder unter 12 Jahren 
mitnehmen dürfen. Er blieb dabei, daß fie wegen Empörung 
fein Recht auf eine dreijährige Ausswanderumgöfeift hätten. 
Die kaiſerlichen Raͤthe waren felbft unzufrieden Über ben Erz 


biſchof, befhwerten ſich (Ian. 1732), daß der Erzbifchof daB - . 


Baiferliche Edict (vom 26. Aug. 1731) nicht bekannt gemacht, 
misbilligten das Auswanderungdpatent ald gegen ben weſtfaͤ⸗ 
Gfchen Frieden und das Verfahren bes Erzbifchofs, wogegen 
fi diefer nur ſchwach vertheidigen Eonnte. Der Kaifer befahl 
nochmals fein Edit (vom 26. Aug. 1731) befannt zu machen 
und verlangte Einreichung der Arten, welche den Aufruhr bes 
weifen ſollten ®), 


1) ©. Gärtner ©. 223. 


9) Gbding ©. 165. Vergsl. ©. 595. 
8) Gärtner ©. 236 ff., A8 u. 255. 


426 Bud VI. Bweites Hauptfiäd. 


Auch bie Öffentlich durch den Drud bekannt gemachte 
Vertheidigung des erzbifchäflichen Verfahrens genügte nicht in 
Wien, wegen Unfoͤrmlichkeiten in ber Unterfuhung und bem 
Verfahren und weil namentlich der Hochverrath weder durch 
Beugenausfagen noch Geſtaͤndniſſe dargethan fei'). Der 
dreijährige Auswanderungätermin fei auch allen Unterthanen 
gefichert ohne Rüdfiht, ob fie behauft oder unbehauft wären. 
Auch andere katholiſche Zürften wollten des Erzbiſchofs Ver⸗ 
fahren nicht billigen und machten ihm bittere Vorwürfe. Die 
evangelifchen Zürften hielten dem Erzbiſchofe fein unrechtmaͤßi⸗ 
geb Verfahren ſcharf vor, wiefen ihm babei das unrechtliche 
Benehmen feiner Beamteten gegen bie Evangelifhen nah umd 
enthuͤllten die ganze Unzulänglickeit der öffentlichen Wertheis 
digung bes Erzbifchofß, ber demungeachtet fein Patent nicht 
zuruͤnahm. 

Die Hauptſache war indeſſen, daß Friedrich. Wilhelm ſich 
der Lutheraner kraͤftig annahm. Er bezeugte ſich in einer oͤf⸗ 
fentlichen Bekanntmachung (2. Febr. 1732) bereit, den, weil 
fie ihrem Glauben nicht entfagen wollten, auf das Heftigfte 
bebrängten und verfolgten Evangelifchen aus Erbarmen feine 
bülfreiche Hand zu bieten und fie in feinem Königreiche Preufs 
fen unterzubringen. Er erfuchte daher den Erzbiſchof, alle 
biefe Auswanderer als Fünftige preuſſiſche Unterthanen zu be 

trachten und fie ungehindert mit ihrem Vermögen ziehen zu 
laffen, ging auch alle anderen Fürften an, ihnen freien Durch⸗ 
zug zu geflatten. Den Auswanderern ficherte er durch befons 
ders angeorbnete Commiſſare täglich für ben Mann 4, für eine 
Frau oder Magd 3, für ein Kind 2 Grofchen für die Dauer 
ihrer Reife, ferner bei ihrer Anfegung in Preuffen alle Frei⸗ 
beiten und Rechte zu, welche andere Goloniften erhalten hatten, 
endlich kraͤftigen Schuß gegen unrechtliche Vorenthaltung ihres 
Vermoͤgens *). Der preuffiiche Geſandte v. Dankelmann über 
gab dieſes Patent (10. März) dem falzburgifhen Geſandten 
in Regenöburg mit der Bemerkung, wie fein König mit herz 
lichen Mitleiven vernommen, bag man im Salgburgifcyen 


1) ©. Bärtner ©. ber. 
2) Bei Gärtner S. 287 und Böding L ©. 262. 


Die Salzburger. 427 


mit feinen Glaubendgenoffen fo unchriſtlich und graufam vers 
fahre, was ihn um fo mehr befremde, da er papiſtiſchen Uns 
terthanen alle Vortheile der anderen Unterthanen angebeihen 
laſſe. Er fei entfchloffen, die proteftantifchen Salzburger aufs 
zunehmen und als feine kuͤnftigen Unterthanen anzufehen, werde 
aud, wenn man ihren Abzug bindere und fie gegen den weſt⸗ 
fälifhen Frieden kraͤnke, alle in feinen Händen befindliche Mit 
tel brauchen, fie Mage und ſchadlos zu halten‘), Auch am 
kaiſerlichen Hofe ließ er das (18. März) vorftellen, während 
ex bereits (1. März) feinen papiſtiſchen Unterthanen im Mags 
deburgifchen, Halberftädtifhen und Mindenfchen hatte anbeuten 
Taflen, weſſen fie fich zu verfehen haben würden, wenn man 
im Salzburgiſchen mit den angefangenen Graufamkeiten weiter 
fortfahren wolle. Das und die Ermahnung des Kaiſers 
(7. Apr. 1732), zugleich bie ſogenannten Raͤdelsfuͤhrer in 
Freiheit zu fegen, bewog ben Erzbiſchof und die Fatholifchen 
Zürften zur Nachgiebigkeit, man ließ die Lutheraner aus dem 
Salzburgiſchen, obwohl vielfach gekränkt, doch ungehindert 
ziehen, auffer daß bie Beamteten bei Schäkung*ihter Güter 
böcft gewiſſenlos verführen und fih viele Erpreſſungen er⸗ 
laubten. 


daſt alle Ausgewanderte ſchlugen bie Richtung nach Bere 
fin ein und wurben auf dem Wege von ihren evangelifchen 
Glaubensgenoſſen, ja felbft von Juden, in jeder Art oft auf 
die ruͤhrendſte Weife auch durch gefammelte Almofen (im Bes 
trage von 80,000 $lor.) unterflügt?). Die preuffiichen Bes 
vollmächtigten kamen jedoch anfänglich in große Werlegenheit, 
als fie mit dem Auftrage 4000 Eoloniften zu übernehmen, 
nachdem fie deren 6000 angenommen, deren noch viel mehr 
fanden. Indeſſen befahl der König fogleich, fie folten fo viele 
annehmen, als ihrer wären, wenn fie ſich auch auf noch 10,000 
beliefen’). Er felbft, wie bie Töniglihe Familie und die hoͤch⸗ 
ſten Staatsbeamteten begegneten ihnen bei ihrer Ankunft in 
Berlin auf das Wohlwoliendſte. 


1) Bei Göding L ©. 809. 
9) ©. nad Gärtner ©. 304 ff. 
3 Goͤcking I. ©, 296 ff. 


N 





428 J Bud VL Zweites Hauptſtuͤck. 


Vergeblich ſuchte man fie indeſſen zu bewegen, ſich zum 
Theile Im Magbeburgifchen, —S in der Dat 
und in Pommern unterbringen zu laſſen; fie beftanden darauf, 
insgefammt nach Preuffen zu gehen"), wo denn auch nah 
und nach 15,500, bie Meiften (10,000) 18 Meilen hinter 
Koͤnigsberg, Im preuffifchen Lithauen, um Memel, Tüfit, Gums 
binnen und Infterburg angefiebelt wurden. Nach bem’Bor: 
ſchlage des Miniſters v. Göme, dem der König bie Leitung 


Koffotengüter mit einer Hufe oder Baurrgliter mit zwei Hufen 
Ackers mit zum Aderbaue noͤthigem Viehe und Geraͤthſchaften. 
Diejenigen, welche größere Dinge beſeſſen, wie denn freilich, 
meinte der Minifter, bie bortigen (falzburger) Bauern ganz 
andere Kerle als bie hiefigen (preuffifchen) geweſen, konnten 
mifche Shter Taufen, deren viele und billig zu haben waren. 


in die Städte; Bergleute. aufzunehmen, hatte der König fih 
gleich anfangs geweigert, weil er bei der Beſchaffenheit feiner 
Staaten gar fein Mittel hatte, fie irgend angemeffen unter 
zubringen. Die Ausführung der fo unternommenen Anfieblung 
vieler taufend Menſchen hatte fehr viele Schwierigkeiten. 
Knechte und Maͤgde wollten nur bei ihren Landsleuten, nicht 
. aber auf den koͤniglichen Vorwerken dienen, wo fie unſtreitig 
viel firenger behandelt wurden. Es war fehr ſchwer, fo viele 
wuͤſte Höfe fogleich anzubauen, das Land mit feiner von dem 
Salzburgifchen fo unendlichen Werfchiedenheit fagte den Colo⸗ 
niften großentheils nicht zu, viele wurden im erflen Jahre 
trank und nur ihre fromme Ergebung konnte ihnen ihre Lage 
erträglich machen. Die Gewohnheit that dann das Uebrige ’)- 
Bur Widerlegung ber von eifrigen Katholiten verbreiteten 
falfchen Gerüchte über die ſchlechte Begegnung, welche bie 


1) Gbding L ©. 66. 


2) ©. aus Gdrne’s Berichte über ihre Unterbringung König J. 
©. 217. 


Die Salzburger. 


49 

Salzburger in Preufen erführen, baß fie Bi amd, duch 

Arppen —— erfäf erfäuft und bei einem Ginfalle der Polen 

viele niebergehauen worben wären, machte ber König a Ds Dis 
tober 1732) befannt, daß er alle wegen der Religion vertrie⸗ 
benen Salzburger in feinen Schug genommen, ihnen 


worden. Dur das Polnifche habe er fie mit flarker Be 
bedung geleiten laſſen, endlich für das Erſte 4 lutheriſche Pres 
digen angeftellt und werde noch mehrere hinſchicken. Das bis 
jegt etlichen Tauſend gegebene Land fei eben und fruchtbar, 
babe guten Adler, Wiefen, Weide, Fifchereien und Wälder; man 
koͤnne, weil bort Alles fehr wohlfeil fei, fchöne Güter in Menge 
kaufen, was auch mehrere Salzburger bereits gethän. Ex laſſe 
ihnen noch mehr Häufer und Kirchen, ja ganze neue Dörfer 
bauen. Familien und Werwandte blieben fo viel als möglich 
dufanımen , Jeder behalte feine Handthierung, die er getrieben. 


und fie wänfcpten nichts mehr, ais daß ihre In ber Finferniß 
durüd® gebliebenen Brüder möchten erleuchtet und zur Erkennt 
niß gebracht werden '). 

Wirklich brachten Viele zum Theile anfehnliches Wermögen 
mit, und der König forgte daflır, daß fie auch das erhielten, 
was fie im Salzburgifchen zuruͤckgelaſſen hatten. Er ließ Alles 
verzeichnen und foberte e8 dem Erzbifchofe durch ben Legas 
tionsrath v. Plotho (1734) ab. Obwohl durch den Verkauf 


1) Bei König a a. D. ©. 2%. 


436 Bud VL Zweites Hauptflüd. 


von 2000 Bauerhöfen im Salzburgiſchen der Preis berfelben 
fehr fank, auch ficher Vieles untergefchlagen wurde ') fo be 
wirkte der König doch, daß fie gegen 4 Millionen Gulden er⸗ 
bielten, nachdem davon 7—800,000 Gulden Abzugögelber an 
den Erzbifchof erlegt worden waren”). 

Allein auf die Wiederbevoͤlkerung Lithauens verwendete 
er 6 Milionen Thaler, 60,000 wüfte Hufen, 6 Städte, 332 
Dörfer und 59 Domainendmter wurden angebaut. Mit wah 
ver Rührung und Iebhafter Anerkennung ſchildert Friedrich IL 
als Kronprinz von Infterburg aus in einem Briefe an Voltaire 
die Verdienfte feines Waters um Kithauen, wie diefer 12 bi 
15 entoölferte Städte, 4—500 unbewohnte und wuͤſte Dörfer 
gefunden und bei deren traurigem Anblid von lebhaften Mits 
leibe ergriffen, befchloffen habe, das Land wieder zu bevoͤllern 
und es durch die größten Anftrengungen und einſichtsvollſten 
Anordnungen dahin gebracht habe, daß bad gefchehen und es 
beffer angebauet worben, als je vorher. Lithauen, fährt er 
fort, hat über eine halbe Million Einwohner, mehr Gtäbte 
als früher, mehr Heerden al ſonſt, iſt reicher und fruchtbarer 
als irgend eine Gegend in Deutfihland. Und alles das ver 
danft man allein dem Könige, er hat es nicht nur befohlen, 
fonbern felbft der Ausführung vorgeftanden, Alles entworfen 
amd vollzogen, Feine Sorgfalt und Anflrengung noch Gchäge, 
Verſprechungen und Belohnungen gefpart, um einer halben 
Million denkender Wefen das Leben zu fihern, welche nur ihm 
allein ihre Einrichtung verbanken ®). 

Mehrmals haben wir ſchon bemerkt, dag ber König bei 
der Bemühung, feine Staaten ftärker zu bevölfern, nicht nur 
auf das platte Land, fondern mit gleicher Sorgfalt auf bie - 
Städte fah. Vielleicht ohne die Theorie bes Merkantilſyſtems 
zu kennen, handelte er ‚nach bemfelben. Ex hielt, wie wir 
ſchon bei feinen Acciſeeinrichtungen anführten, ben Grunbfag 


1) ©. die Thatſachen bei Göding I. ©. 280. 
D) Gärtner ©. 470 f. Selbſt Kinder wurben ihnen zuruͤcbehalten 
dagegen brachten fie auch Kinder ohne beren Aeltern mit. 


3) Bom 27. Zuti 1757 in den Oeurres posthumes der bafder 
Ausg. 2. L ©. die. 


Gewerbe und Manufacturen. 431 


feft, daß die Menge des Elingenden Geldes reich made, baß 
man alfo alle Aufmerkſamkeit dahin richten müffe, fo viel Gelb 
als möglich vom Auslande zu ziehen, und fo wenig als mögs 
lich dahin zu fhiden. „Nur daß bad Geld im Lande bleibt, 
ift ber lapis philosophorum”, ſchrieb er (16. Juli 1717) an 
feine geheimen Räthe'). Das war die eigentliche Aufgabe bed 
Finanzmannd. Man glaubte bahin zu gelangen, indem man 
die Einfuhr vorzüglich derjenigen Gegenftände, welche im Lande 
felbft verfertigt oder ganz entbehrt werben konnten, fo wie die 
Ausfuhr der umverarbeiteten Landesprodukte fo hoch ald moͤg⸗ 
lich befteuerte ober verbot, damit die inländifchen Gewerbetreis 
benden den ihnen nöthigen Stoff wohlfeil erhielten und doch 
nicht durch die Concurrenz der Fremden litten. Jedenfalls 
fehlten weder bem Könige Macht, Willen und Ausdauer, um 
Alles, was irgend thunlich ſchien, durchzuführen, noch den Uns 
terthanen bie nöthige Fuͤgſamkeit, um mit fi falten zu lafs 
fen. Im feiner Inftruction für das Generalbirectorium fagt 
der König: dieſes wiſſe hinlänglih, von wie großer Wich⸗ 
tigkeit die Errichtung guter, wohl eingerichteter Manufachuren 
feiz baffelbe werde ſich alfo alles Aufferften Fleißes angelegen 
fein laffen müffen, daß fo viel als nur möglich ale Gattungen 
von Wollen⸗, Eifen-, Holz und Ledermanufacturen, "bie noch 
nicht im Lande vorhanden, eingerichtet würden. 

Zunaͤchſt und fortwährend am meiften befchäftigten ihn 
die für fein Land in jeder Beziehung fo wichtigen und gegen 
das Ende der Regierung feines Vaters fehr berabgelommenen 
Wollmanufacturen. Weil gleich mit feinem Regierungsantritte bie 
gemaltfamen Werbungen viele Handwerker aus dem Lande 
verfcheucht hatten und ſich mit Abſchaffung des glänzenden 
Hofſtaats das Gerlicht verbreitete, der König achte Manufacs 
turen und Handel nicht und werde fie auch nicht beguͤnſtigen 
und felgen, fo widerſprach er in einem umfländlichen Edicte 
(3. Juni 1713) Öffentlich und nachdrädlich dieſem gefafften 
ſchaͤdlichen Vorurtheile, that bad Gegentheil dieſer boshaften 
Ausftreuungen dar und verſprach dem Entdeder bed Urhebers 
dieſes verleumberifchen Gerüchte eine recht Eönigliche Belohnung. 


1) Bei König IL ©. 187. 


432 Bud VI. Zweites Hauptftäd. 


Er mahnte Manufacturiſten von der Auswanderung ab, vers 
ſprach ihnen, volfommenen Schutz und denen, welche gute 
Babriten anlegen wuͤrden, aus ben beſonders dazu beflimmten 
Bein Unterftügung, Belohnung und Beförderung. 

balb habe er auch der Generalität und allen Dfficieren bei 
Vermeidung koͤniglicher Ungnabe anbefohlen, Feine Montirungss 
ftüce aus fremden Landen, fondern aus inländifchen Fabriken 
zu nehmen, was auch die Civil⸗ und Hofbebienten in Anſehung 
ihrer eigenen Kleivungen und Lioreen thun follten. Königliche 
Beamtete und Bafallen follten Fein anderes als rothes und 
blaues, im Lande fabricirtes, auch. zu Livreen nur inlänbifche 
Zücher, Zeuge, Strümpfe und Hüte gebrauchen '). Kurz darauf 
verbot er fcharf, Manufacturiften mittelft allerhand Verſpre⸗ 
ungen aus feinem Lande wegzuloden und befahl in ben 
Städten dagegen ernfiliche Vorkehrungen zu treffen. 

Dur eine befondere Gommiffion ließ er fogleich alle 
kurmaͤrkiſche Stäbte bereifen und ben Zuftand der Gewerbe und 
vorzüglich der Wollenwebereien in benfelben unterfudden. Die 
fer wurde fehr Mldglich gefunden, die geringe Zahl der Tuch⸗ 

‚ macher war angeblich wegen Theuerung ber Wolle ohne Nah⸗ 
rung, doch wagte die Commiſſion nicht ein allgemeines Aus⸗ 
fuhrverbot vorzufchlagen, was auch bie nordiſchen Kriegser⸗ 
eigniſſe auf günfligere Gelegenheit zu verſchieben riethen ). 

Bor allen’ Dingen ſuchte der König die Bekleidung des 
Heers aus inländifhen Zeugen zu bewirken. Der von ihm 
zum Mitgliebe des Generalfinanzdirectoriumd ernannte geheime 
Rath Kraut unterftügte ihn dabei durch kaufmaͤnniſche und 
Gewerbökenntniffe und Thätigeit ungemein. Diefer übernahm 
(1743) auf feine Koften und Gefahr die Gründung einer Ans 
ſtalt, welche die ganze Armee und auch bie Officiere mit Tür 
chern zu ben Montirungen verfehen und einer Meuge von Ars 
beiten Brot geben follte, das dann fogenannte Ragerhaus ?). 


1) Hiftorifdepolit. Beiträge I. ©. 199. Röbenbe@ L ©. 1& 
2) Liftorffdepolit. Weite. L ©. 200. 
8) Ebendaf. I. S. 201 ff.; ferner bei König Thi. I. ©. 188 ff. 


findet man bie beften Nachrichten über bas Lagerhaus und deſſen Geſchicher, 
daher auch in Krünig Encyklopaͤdie unter d. IB. Eagerhaus. 


Das Lagerhaus. "483 


Der König gab bazu das von ‚feinem Water der nun aufgeho⸗ 
benen Ritterafademie überwiefene geräumige Gebäube in der 
Klofterfirage in Berlin ber und unterftügte aufferdem durch 
Verordnungen, um ben Abfag zu fichern, weshalb auch (1714) 
ein Montirungsreglement für das ‚Heer erlaffen wurde. Die 
Begimenter durften zwar Tuch und Boy zu Röden aus ben 
Landftädten, mufften aber nebft den feinen Tuͤchern auch bie 
damals üblichen Zeuge Kirfey zu Kamifslern, Beinkleidern 
und Aufſchlaͤgen ſowie Zutteretaminets für die Dfficiere aus 
dem Lagerhaufe nehmen. 

Ein Edict (1714) erneuerte alle feit dem 3. 1611 em 
laſſenen Verordnungen zur Beſchraͤnkung ber Wollausfuhr, 
und der König traf mehrere Einrichtungen zur Anlegung von 
Wol-Spinnereien und Webereien, Walfen und Zärbereien. 
Wollfabrikanten und deren Gefellen und Leute wurden von der 
Werbung befreiet. . 

Im Lagerhauſe wurden theild felbft. Wollmaaren vers 
fertigt, theilö den Tuch⸗ und Zeugmachern Wolle und Gefpinnfte 
geliefert und ihnen das verfertigte Tuch wieder abgenommen. 
Mit großen Koften wurden aus Holland, Lüttich und Jüͤlich 
ſpaniſche Wollweber verfcprieben, welche es mit den aus‘ dem 
franzöfifhen Golonien im Lande befindlihen Mollarbeitern 
dur Mitverwendung fpanifcher Wolle dahin braten, daß 
bereits im J. 1716 das ganze Heer mit ben aus dem Lagers 
baufe hervorgegangenen Zeugen reglementögemäß bekleidet wers 
den konnte. Dennoch verlor ber fo thätige als einſichtsvolle 
Kraut 50,000 Thaler bei ber Unternehmung '), und bewog 
daher, weil fie bei zunehmendem Alter feine Kräfte überftieg, 
indem er noch 100,000 Thaler aus feinem eigenen Vermögen 
Darauf ſtehen ließ, ben König (1717), die kurmaͤrkiſche Lands 
ſchaft zu nöthigen, ebenfalld 100,000 Thaler dazu herzugeben. 
Der König gewährleiftete dad Kapital und Kraut und bie 
Landſchaft theilten den Gewinn. Es ſchien nun Alles darauf 
anzulommen, daß bie Wolle einen niebrigeren Preis erhielte, 


’ 


1) Alfo muß was von ben großen Wortheilen, melde die zuffiiche 
Hanbelägefellfchaft feit 1716 durch großen Abfag von Zucen nach Buße 
Hand gewährt haben folk, übertrieben fein. Buchholz Thi. V. &. 190. 

Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Gtaate, IIL 28 


434 Bud VE Zweites Hauptftäd. 


alfo die Außfuhr verboten ober bod hoc) beflenert wärbe. 
Der König ging mit aͤuſſerſtem Widerfireben auf diefen von 
einigen Räthen bed Generalfinanzbirectoriums gemachten Vor⸗ 
flag ein. Er fah, wie er ſich ausbrüdte, daß dadurch feinem 
getreuen Turmärkifchen Adel das Mefler an bie Kehle gefeht 
werde. „Hole der Zeufel lieber meine zeitliche Wohlfahrt, als 
daß fo viele Leute Bettler werben und ich reich!“ Könne man 
den Abel gutwillig zur Einwilligung bewegen, fo wollte er 
das geftatten; doch follten auch die übrigen geheimen Räthe, 
die Feine Royaliften (d. h. unbedingt fir feine Vorfhläge ges 
ſtimmt) wären, ſich noch aͤuſſern. Erſt als dieſe einftimmig 
darin waren, daß damit nicht bie Abſicht verknupft ſei, ben 
Abel und beffen Privilegien zu ſchmaͤlern, befahl er den Land» 
räthen, welche ſich bereit8 im December des vergangenen Jahr 
erboten hatten, bie Ermäßigung des Preifed der Wolle in den 
verfehiebenen Kreifen um ein Viertel bis zu einem Drittel defien 
nochzugeben, was fie im I. 1716 gegolten, mit Vollmachten 
der Landſchaft nad Berlin zu kommen, um barlber abzus 
ſchlieſſen). Doc ſcheint alles das Beine Wirkung gehabt zu 
baden. Ale Wollausfuhr zu verbieten, verſtieß gegen bie 
Privilegien des Adels und in ber Mark gegen den Landtages 
abfchied von 1653, auch fürchtete man, nicht alle Wolle verar: 
beiten zu koͤnnen. Doc fehritt man auch dazu und verſuchs⸗ 
weife wurde zuerft im I. 1718 zwei magbeburgifchen Kreifen, 
dann (16. März 1719) allen Städten ber Kurmark, und ends 
lich (24. Mai 1719 durch ein von allen Kanzeln verlefenes 
Edict) Jedermann, auch bem Adel, die Ausfuhr aller Wolle 
bei einem Thaler Strafe fuͤr jedes Pfund, ja den Wollhaͤndlern 
und Juden noch aufferdem bei Confiscation, Leibes⸗ und Les 
- benöftrafe verboten. Natürlich fiel nun ber Preis der Wolle, 

Kurz vorher (26. Apr. 1718) war ber gefammten Ritterfchaft, 
den Krieger und Givilbeamteten und allen Unterthanen ohne 
Ausnahme in allen preuffifchen Staaten verboten „worden, 
fremdes rothes ober blaued Tuch, nun (1. Mai 1719) wurde 
ihnen verboten, mit Ablauf des Jahres überhaupt fremdes 
Tuch zu verwenden und befoplen, mus inlaͤndiſches Tuch zu | 


1) König I. ©, 188. 


| 


Bollmanufacturen. 435 


ber Ihrigen Kleibung, Livreen und Kutfchens und Wagenbe ⸗ 
fölägen zu brauchen. Der Berkauf-jeer Elle fremden Zus 
wurde mit 10 Thalern, die Werarbeitung jeder Eile beffelben 
zum erften Male mit 25 Thalern, dann mit dem Verlufte des 
Innungsrechtes beflraft. Beamtete und Magiftratäperfonen, 
welche ausländifche Tücher wiſſentlich verlangt, gefauft und 
verarbeiten laſſen, verloren eine halbs bis einjährige Beſoldung. 
Die Hälfte der Straffumme erhielt ber Angeber, dem Ver⸗ 
ſchweigung feines Namens zugefichert wurde. Auch ber Ges 
brauch ausländifcyer wollener Strümpfe, Hüte, Knöpfe, Hands 
ſchuhe, wurde allen Unterthanen ohne Ausnahme bei Gonfiss 
cation berfelben verboten. Um iben Abſatz ber inländifchen 
Wollfabrikate zu erzwingen, wurden nach und nad (18. Nos 
vernber 1721) der Gebrauch fremder gemalter unb gebrudter 
Bige und Kattune, Gingangs, gebrudter und gemalter ganze 
und balbleinener Zeuge, dann 14. Juli 1723) balbwollener 
und (6. Sept. 1723) halbſeidener Waaren nach Verlauf von 
8 Monaten bei 100 Thalern Strafe und dem Pranger, bie 
Verarbeitung derfelben bei 5 Thalern Strafe für jede Ede 
verboten). Im I. 1723, mit Einfegung des Generalbirectos 
riums, wurbe die Ausfuhr aller Wolle in allen Provinzen bei 
10 Thalern Strafe für jedes Pfund und Werluft des Wagens 
unb ber Pferde, ja bei Strafe des Galgens verboten und dem 
Angeber 500 Thaler Belohnung zugeſichert ). Die Geſichts⸗ 
punkte, von welchen er ausging, gibt er in feiner Inſtruction 
für das Generaldivectorium an, indem er ber allgemeinen Bes _ 
ſchwerde begegnen will, daß die Wolle nichts gelte. In der 
Kurmark befinden fi), fagt er, fo viele Wollarbeiter, daß fie 
277,000 Stein verarbeiten, fo daß nur noch 4500 Stein vom 
gefammten Ertrage übrig bleiben. Um biefe zu verarbeiten, 
follten neue Tuchmacher und Strumpfwuͤrker angeſetzt, dieſe 
aus Liſſa, Goͤrlitz, Heſſen, der Schweiz und Holland gewor⸗ 


1) ©. G. C. Erasmi kurzer Auszug aus ben preuſſiſchen u. f. w. 
Bandesreceffen, Edicten u. f. w. 1. Thl. enthaltend die Rachrichten alter 
und neueſter Werfaffungen wegen Wolle und Wollmanufacturen. Berlin 
und Potsdam 1731. ©. 24, 83, 145 ff. Es ift 318 Seiten 4 ſtark. 


9 Hifor.spolit. Beiträge I. &. 204. 
28* 


436 Bud VI. Zweites Hauptfiäd. 


ben, tüchtigen Gefellen ein Stuhl gekauft und ein inlänbifches 
Mädchen zur Frau gegeben werden; bann ſchieſſt das Lagerhaus 
die Wolle vor, und die Familie ift eingerichtet. Dazu erbot 
ex ſich 24,000 Thaler anzuweifen und, wenn e8 eifrig betrieben 
werde, noch 100,000 Thaler von der kurmaͤrkiſchen Landſchaft 
zu nehmen und dem Lagerhaufe ohne Binfen vorzufchieffen. 
Er hatte ſchon im 3. 1717 allen Wollarbeitern, welde 
in fein Land kommen wollten, auffer dem nöthigen Holze zum 
Häuferbau, Freiheit auf 3 Iahre von der Gonfumtiondaciife, 
auf 6 Jahre von allen bürgerlichen Laften, von der Einquars 
tierung und für fie und ihre Kinder von ber Werbung zuge 
fichert. Durch wiederholte Patente (27. Sept. 1717, 15. 
März 1718, 26. März 1719) lud er abelige und bürgerliche 
Rentiers, Kaufleute, Manufacturiften, Künftler und nuͤtzliche 
Handwerker, vorzüglich Wollweber ein, in feine Staaten zu 
Tommen und fiherte ihnen noch größere Freiheiten und Be 
günftigungen, den Rentiers den erimirten Gerichtsſtand und 
* Bulaffung zu Aemtern, Allen aber den freien Abzug zu. Zeug, 
Züchere, Schaus und FärbereisOrbnungen wurden erlaffen, viele 
fremde Raſchmacherfamilien in das Land gezogen, ihnen und 
den Wolfabrikanten Vorſchuͤſſe gemacht, die Ausfuhr ber ins 
laͤndiſchen Tuͤcher durch Prämien befördert, die Einfuhr ber 
medienburgifchen Wolle verboten. Nach Krauts Tode traten 
deffen Erben ihr Kapital von. 100,000 Thalern am Lagerbaufe 
an das potsdamſche Waifenhaus ab, gaben ſpaͤter noch 
130,000 Thaler dazu ber, auch die Landſchaft verzichtete zu 
des Waiſenhauſes Gunften auf die ihr zuſtehenden 100,000 Tha⸗ 
ler. Der König verftärkte das Kapital des Lagerhauſes ſelbſt 
mit 100,000 Thalern und gab noch 200,000 Thaler zur Ans 
fegung mehrerer Stühle und Arbeiter her. Seitdem wurde 
das neue koͤnigliche Lagerhaus durch eine befondere Commiſſion 
zum Beſten bed großen potsbamer Waifenhaufes verwaltet. 
Im 3. 1720 wurben in Berlin 35,000 Meine Stein Wolk, 
im J. 1732 ſchon 76,000, im J. 1734 aber fafl 82,000 vers 
arbeitet. Im I. 1738 hatte das Lagerhaus 4730 Arbeiter, 
konnte jedoch den Bedarf für daS fehr verſtaͤrkte Heer nicht 
volftändig ſchaffen ). 


1) König II. ©. 188, 


BWollmanufacturen. 437 


"Franz Rouffet, welder ſchon zu Ende bed vorigen Jahr⸗ 
hunderts in Brandenburg bie erfie Manufattur feiner, wollener 
Zeuge nach englifcher Art angelegt hatte, wurbe vom Könige 
nad Berlin berufen, wo er auf feine Koften die erfte ſpaniſche 
Wollſpinnerei einrichtete und feine Tücher daraus verfertigte. 
Unobläffig aud) um ben weiteren Ausbau der Städte beforgt, 
nahm der König (feit 1732) viele der Religion wegen ihr 
Vaterland verlaffende proteftantifche Böhmen, Woll⸗Weber und 
Spinner auf, ließ ihnen auf feine Koften in ber Friedrichöſtadt 
Häufer und eine eigene Kirche bauen und fegte fie auch im ber 
Umgegend Berlins und Potsdamd an '). 

Fremden Manufacturiften und Fabrikanten, welche ſich in 
der Friedrichsſtadt anbauen wollten, verſprach er Meiſterrecht, 
5 Jahre Befreiung von buͤrgerlichen Laften und ber Einquars 
tierung, jeder Samilie auf 2 Jahre je 15 Thaler zur Haus⸗ 
miethe, für jede Meile Transportloften 8 Groſchen, den Ges 
fellen freies Meifterwerben, denen, welche fih anbauen wollten, 
die Bauftele, Kalk, Bauholz und 48 Thaler baared Geld. 
Den Verfertigern geblümter Wollſtoffe, feiner Zöpferwaaren 
und geſchickten Gerbern noch aufferdem für jeden Kopf ihrer 
Bamilie 2 Groſchen auf jede Meile Zulage, endlich die Er⸗ 
bauung von Kirchen und Schulen, und wirklich fanden fi 
fehr viele ſolcher Arbeiter ein ). 

Im 3. 1735 ließ der König alle Zunft und Gifbebriefe 
ſaͤmmtlicher in Wolle arbeitenden Fabrikanten durchfehen, von 
Misbräuchen fäubern und die Koften der Aufnahme in bie vers 
ſchiedenen Grade um mehr ald zwei Drittheile herabfegen, bob 
auch dad Nahrungdgeld, welches bie Wollarbeiter jährlich ge 
wiffermagen als Gewerbefteuer zur Acciſekaſſe zahlten, auf. 
Wie entfchloffen er war, Arbeitfamfeit überhaupt, vorzüglich 
aber die unmittelbar fo nothwendige und ihm baher ungemein 
am Herzen liegende Wollfabrikation durch alle ihm zu Gebote 
flehenden Mittel zu befördern, zeigte er in einem Edicte (vom 
14. Zuni 1723), durch welches er verlangte, alle Hößerweiber, 
Hanbwerköfrauen und Bürgerötöchter, die in Öffentlichen Buben 


1) Ricolat’s Berlin ©. 256. König Il. ©. 19. 
D) König IL ©. 196. 


2 Bud VL Bweites Hauptfiäd. 


auf den Maͤrkten oder Gaſſen Waaren feil hätten, follten nicht 
müffig fin, fondern unterbeffen Wolle und Flachs fpinnen, 
feiten ober nähen. Den Magiftraten befahl er, allm Höte 
Finnen anzuzeigen, nur wer wöchentlich gegen. baare Bezahlung 
din Pfund Wolle fpinne und an Fabriten (in Berlin an ba 
Lagerhaus) abliefere, diirfe ferner Hoͤterei treiben, wer feines 
Geſpinnſt liefere, woruͤber monatlich ein Zeugniß beizubringen 
folle nur die Hälfte des Stands ober Marktgelbes entrichten, 
unfleißige aufs Rathhaus geführt werben; Handmwerkers und 
Durgerfrauen, die müffig fäßen, follten die Rathöbiener tägs 
ich auffchreiben und das erfle Mal der Bärgermeifter die Acts 
tern und Männer benachrichtigen, dad zweite Mal fie aufs 
Rothhaus fodern und Öffentlich verwarnen, das britte Mal 
den Kriegs» und Domainenkammern davon Bericht erflatten. 
Er hatte (17. Bai 1717) ben franzöfichen Coloniſten gefkattet, 


hmacher, def 
zu ihrem Nachtheile diefe ehedem im Lande unbefannten Schuhe 
umb Pantoffein häufiger gemacht wxden, verbot er (5. Juli 1717) 
deren Berfauf bei Strafe der Gonfidcation ). Gr be 
(1738) allen feinen @efandten an auswärtigen Höfen, Auch 
was fie zu ihrer Equipage an Reibung, Silberzeug u. f. w. 
gebrauchten, aus Berlin kommen zu laſſen ). Bon einer Be 
beit in Kottbus ſchidtte das Generaldirectorium (1732) um 
Könige ein halbes Schock roher feiner Leinwand ein. 
‘König erwieberte: „Beine Leinwand ift nichts nuͤtze, follen . 
machen wie Schlefifche zu Kolleret.“ 

Die Bemühungen, Seide im Inlande zu gewinnen, hatten 
faſt gar keinen günftigen Erfolg. Der König fah enblid) ein, 
daß alle darauf gewendeten Koften weggeworfen fein würden, 
weshalb er auf die ihm gegen das Ende feiner Regierung des⸗ 
halb gemachten Worfchläge nicht eingehen wollte”). 

Der Tabalsbau follte gefördert werden (1713 u. 1719) 
durch Exhöhung ber Acciſe bed fremden Tabaks auf das Day 


1) Safmann IL ©. 202. 
2) König IL ©. 81. 
3) Gbenbaf. II. &. 200. 


Gevwerbe. 49 
pelte und Dreifache der früheren Säge; doch hatten alle Bes 


wenig Erfi 
das durch Verbot fremder Tabake unterftügte Monopol welches 
im 3. 1719 die Oberhofs und Kriegöfactoren Moſes und Elias 
Gumperz auf 12 Jahre befamen, welche bafür jährlich 2000 Thas 
Ir an die Rekrutenkaſſe zu zahlen hatten, bewirkte nur Vers 
ſchlechterung der Waare und allgemeine Klagen darüber. Das 
Generaldirectorium zeigte in einem Gutachten (v. 3: 1724) 
ſeht grümbliche Einficht in das wahre Weſen der Fabrikations⸗ 
verhältniffe, indem es dem Könige vorftellte: wie alle Monos 
pole, bei denen zur Beguͤnſtigung eines Menſchen vielen Huns 
derten ihꝛe Nahrung entzogen werde, fo fei auch dieſes an ſich 
dem ‚Handel, den Untertbanen und aud dem Könige nachtheis 
lig. ‚Ein höherer Gewinn fir den Inhaber des Monopold 
laſſe fich nur durch Erhöhung des Preiſes, Fertigung ſchlechter 
Waare und Bedrückung der Confumenten erreichen unb ber 
Vortheil werde allein von ben treuen Unterthanen erpreſſt. 
Ein folder Gewinn für bie Löniglichen Kaffen ſei aber Feine 
Verbefferung der Einkünfte; es werde daher zwedmaͤßiger fein, " 
den Tabakshanbel wieber frei zu geben und eine mäßige Accife 
von fremdem Tabake zu nehmen, was jährlich 6— 7000 Tha⸗ 
ler und Eünftig nod mehr einbringen werbe. In ber That 
wurde (1724) bie Einfuhr der fremden Tabake gegen erhöhete 
Accife wieder geflattet. Im I. 1735 gab der König ben 
Rauchtabakſpinnern ein Privilegium und im I. 1736 legte 
ein Stradburger, Samuel Schod, in Potsdam bie erfle 
Schnupftabaksfabrik an und fegte viel davon nach Leipzig ab. 
Nun erſt begann auch im Brandenburgifchen bie eigentliche 
Babrifation des Rauchtabaks). Die nachher ſehr reich gewor⸗ 
denen Bankiers Splittgerber und Daum unterflügte ber König 
durch baare Vorſchuͤſſe zu ihren Gefchäften und auögebehnten 
Unternehmungen im Handel und Anlage von Fabriken und 
nahm perfänlich lebhaften Antheil an deren Fortgange?). Ex 
übergab ihnen (1714) auf 6 Jahre ben Kupferhammer in 


1) Rbdenbed J. ©. 238 f. 
2) König IL ©. 202. 


40 Bud VL Zweltes Hauptftäd. 


Neuftabt Eberöwalbe, zugleich wurde bei 200 Thaler Strafe 
alles fremde Meffing und die Ausfuhr des im Lande befinds 
lichen verboten. Alle vorhandenen Meſſing und Kupferwaaren 
mufften binnen 6 Wochen bei 200 Zhaler Strafe mit einem 
Stempel verfehen werden. Auch fremdes Glas wurde (1713 
u. 1720) verboten, weil das inländifce beffer als dab boͤh⸗ 
mifche und nicht theurer fei ’). 

Daß bei ben aus der Denkweife des Königs 
ben Zwangsmaßregeln ber Handel, welder vor allen Dingm 
der Freiheit bedarf, nicht gebieh, war ganz natuͤrlich. Es 
Heß fi weder damals noch fpäter der Grundſatz 
an andere Völker nur verkaufen, ihnen aber nichts ablaufen, 
das heißt, von ihnen nur Geld ziehen, ihnen aber nichts davon 
wieder zurldigeben zu wollen. Durch bie hohen Zoͤlle ſitt der 
‚Handel ungemein, weil bie Rachbaren den Drud duch Ges 
genbrud erwieberten. Ueber das ſaͤchſiſche Zollamt in Goms 
mern war der König fo aufgebracht, daß er befahl, der Saale 
einen folden Lauf zu geben, daß fie bis zu ihrem neuem Eins 
fluffe in die Elbe das ſaͤchſiſche Gebiet nicht berühre. Ein 
Kanal fol bereitö zu graben angefangen worben fein, als der 
Streit guͤtlich beigelegt wurbe?). 

Bon ben Befigungen in Afrika, welche weit mehr koſteten 
als fie einbrachten, wollte ber durchaus verftändige und alas 
phantaſtiſchen Unternefmungen abgeneigte Fuͤrſt nichts wiſſen 
und fuchte fi ihrer daher gleich nach feinem Regierungsans 
tritte zu entlebigen. Er bot fie vergeblich den englifchen und 
hollandiſchen Handelsgeſellſchaften für 150,000 Thaler zum 
Kaufe ober gegen die jährlichen Zinfen dieſer Summe zur Vacht 
m. Ale ihm zur Beibehaltung der Befitungen gemachten 
Vorſchlaͤge wies er kluͤglich mit der Erklaͤrung zurüd, daß er 
keinen ‚Heller dazu hergeben werbe. Er geftattete hollaͤndiſchen 
Kaufleuten unter preuffifcher Flagge am der Küfte von Guinea 
Handel zu treiben und gerieth darüber in unangenehme Häns 


1) Berg. Sapmann I. ©. 562. 

a Gala fagt: ein etliche Meilen Langer Kanal; allein bie 
Saale beräptte nur auf 1% Wellen Länge mit ihrer linken Gelte bes 

gem ehemals füchfichen Kunte Gommuern gehörige fächfäiche Gebiet bei Wocky- 


Handel, " 41: 


del mit des holländifchen Handelsgeſellſchaft und den Generals 
ſtaaten, welche das mit Recht nicht zugeben wollten. So 
blieben die Befagungen von Arguin und Großfriedrichsburg 
viele Jahre — ohne alle Unterſtuͤtzung, verlaſſen von 
Preuffen und im Begriffe von den fehr geſchmolzenen Bes 
fagungen aufgegeben zu werben, enblich fiel Großfriedrichsburg 
in bie Hände der Schwarzen. Der König trat daher zufolge 
mehrerer Verträge (hauptfächlih vom 13. Aug. 1720) alle 
Befigungen, welche bie preuſſiſch-afrikaniſche Gefellſchaft jemals 
in Afrika befeffen, der hollaͤndiſch⸗weſtindiſchen Handelögefells 
ſchaft ab umd erhielt im Ganzen baflır 7200 Ducaten und 


12 

Ein Derfug) der kaiſerlichen oſtendeſchen Gefellfchaft für 
eine an bie Refrutenkaffe gezahlte Summe unter preuffifcher 
Flagge Handel mit Dftindien und China zu treiben, war an 
fs fie Preuffen ohne weſentliches Intereffe und mislang bei 

em Widerficeben ber Engländer und Holländer, mit welchen 
Ma König dadurch wieder in Misverftänbniffe gerieth *). 

Eine ruffifhe Handelscompagnie wurde im I. 1716 in 
Berlin errichtet) und (1728) ein Hanbelövertrag mit Sachſen 
abgefäloffen, nach welchem unter beſtimmten eftfegungen und 
einem befonderen Ackifetarif der Handel mit wollenen Waaren 
Tuͤcher auögenommen) in Sachſen und Brandenburg frei bes 
trieben werben follte. Das einzige Wefentlihe, was auffer 
der befieren Einrichtung des Poftwefend unmittelbar zur Bes 
förderung des Handeld und Verkehrs im Innern geſchah, bes 
ſchraͤnkte ſich auf einige zwedimäßige Verordnungen, wie denn 
befohlen wurbe, das berliner Ellen⸗ und Scheffelmaß und Ges 
wicht überal im Lande einzuführen. 

Die Juden lebten unter Friedrich Wilhelm I. überhaupt 
in drödenden Berhältniffen, um wie viel mehr bei fo großer Bes 
ſchraͤnkung des Handels. Der König erließ für fie (20.Mai1714) 


1) ©. die Geſch. d. preuſſiſchen Geemacit bei Pauli Thl. VIL 
©. 519 fi. b 

2) Gedendorfs Ehen Thi. IV. ©. 250. Berg. Forſters lim 
tundendu DI. ©. 272. 


9 Adaig 1. ©. 58. 


42 Bud VI. Zweites Haupeftäd 


ein neues Reglement und wollte anfänglig, fle ſollten fi, 
wie in älteren Zeiten, durch ein Abzeichen an ihrer Kleidung 
kenntlich machen, was fie jedoch mit 8000 Thalern ablauften, 
Durch 3000 Thaler, welche fie dem Könige zaplten, bewirkten 
fie, daß alle noch vorhandenen jüdiſchen Privatfchulen in Ber: 
ln abgeſtellt unb bie von ihnen neuerbauete Synagoge allein 
zum jüdifchen Gottesbienfte beflimmt wurde. Ihre Vermehrung 
beförberte der König nicht‘), vielmehr muflten im 3. 1717 
die Juden, welde ſich aus Polen ohne Eclaubniß in bie Neu⸗ 
mark gefchlichen hatten, das Land räumen. Im I. 1728 
legte ex ben einheimifchen Juden anflatt bed Schutzgeldes jaͤhr⸗ 
lich 15,000 Thaler, aufferdem 4800 Thaler an die Rekruten⸗ 
Baffe zu zahlen auf. Damals befanden ſich in den preuffifchen 
Staaten 1191 Familien. Die Verhältniffe der fremden Juden 
blieben wie früher. Im Kriege gegen Schweben wurden dem 
Könige mehrere Juden durch von ihnen bewirkte Lieferungen 


Ammunition (1717) die Erlaubniß, gleich anderen königlichen 
Diener einen Degen zu tragen, und wurbe gleich darauf zum 


erfreuen. hatten. Ginzeine Worfälle reisten den König gegen 
bie Juden, vorzüglich als im 3. 1724 ber für reich gehaltene 
Mönziude Veit mit einem Rüdftande gegen bie Königliche 
. Kammer von mehr ald 100,000 Tpalern ftarb, was den Ads 
nig fo aufbrachte, daß er die gefammte Jubenfchaft, welche er 
im Verdachte der Mitſchuld hatte, in der Synagoge verfam: 
meln und in Gegenwart bes Dberhofpredigers Jablonsky mit 
dem großen Banne belegen lie‘). Seit biefer Zeit verfuhr 
er zuweilen auf bloße Verbachtögrlinde fehr hart ja graufam 
gegen die Juden, ließ auch für fie über bem gewähnlk 


U Faßmann L &. 912 fagt, der König habe fie als ſchaüche: 
Volt mehrmals aus bem Sande ſchaffen wollen, body hätten fie zu große 
Patrone, welche das abwendeten. 


2) Buchholz Thl. V. ©. 161. Was dabund bewirkt worden, 
finde ich nicht angemerkt. 


Handel. Rechtsderwaltung. 443 


Geh” Galgen noch einen befonderen Galgen von Eifen errich⸗ 
ten. Das fogenannte Hauficen war ihnen wie anderen herum⸗ 
laufenden Krämern (1713), ebenfo ber Handel mit Wolle und 
Wollgarn verboten, fie durften (1723) nur mit in ber Pros 
vinz estauften alten Kleidern in den Städten handeln, nicht 
aber auf dem Lande, auch ohne befondere Erlaubniß Feine 
Häufer befigen und nicht mehr als 12 vom Hundert Binfen 
nehmen‘). Der König ſetzte (1725) die Strafe des Außpeits 
ſchens und ber Brandmarkung auf wiflentlichen Kauf von ges 
ſtohlenen Sachen, aͤhnliche firenge Strafen auf Betrug. Im 
3. 1730 gab er das erſte Generaljubenprivilegium unb ein 
Meglement für die Judenſchaft in allen koͤniglichen Landen, 
und feit dem 3. 1739 ließ er bie von ben Juden biöher zur 
Mefrutenkafle jährlich erlegten inögefammt 20,500 Thaler an 
Das potäbanfche Waifenhaus zahlen ”). 

Das Heer und die gefammten Finanzangelegenheiten nab⸗ 
men des Königs Aufmerkſamkeit fo vorzugsweiſe in Anfpruc, 
daß er bei feiner unglaublichen Thaͤtigkeit zwar bie uͤbrigen 
Berwaltungszweige nicht unberuͤhrt ließ, allein doch in keinem 
berfelben fo durchgehende Anordnungen treffen konnte, als in 
jenen. Er hatte bei der Eintheilung des geheimen Rath in 
drei Departements dem britten die Suftizangelegenheiten 
übertolefen. Es waren ber Rechts⸗ und Gerichtöverwaltung 4 
geheime Staats⸗ und Juſtizminiſter vorgefeht, für Rechtsſachen 
aber, die an ben geheimen Rath gelangten, ber fogenannte 
geheime Juſtizrath, welcher aus Mitgliebern des geheimen 
Rath8 beftand und gewiffermaßen als eine Abtheilung deſſelben 
angefehen werben konnte ). Den bauptfächlichften Einfluß auf 
bie Jufligangelegenheiten hatte der gelehrte und fleißige Minifter 
v. Plotho ). 

1) Bafmann I. ©, 918. unter dem großen Kurfürſten durften 
fie 24, dann 18 Procent nehmen. Man fagte nun dem Könige, fie wär 


den keine Ghriften, weil diefe nur 5—6 Procent nehmen bürften; fo fegte 
er ber Juden Zinsfuß auf 12 Procent herab. 


2) Königs Annalen ber Juden ©. 249 ff. 
3) Gosmar und Klaproth ©. 234 Anmerk. 
4) Büfchings Beiträge zur Lehensbefhreibung u. f. w. L ©. 908. 


4 Bud VL Ameltes Hauptſtaͤc 


Bon Natur rechtlich wollte ber König, daß Jebem gleich- 
mäßig fein Recht und zwar fo ſchnell als möglich werde. 
Sein einfacher Verftand begriff die Verwidelung vieler Redhts« 
angelegenheiten und bed bamit zufammenhängenben Proceßgan⸗ 
ge nicht; feinem geraben Sinne widerſtrebten Chikanen, feinem 
ducchgreifenden Wefen nach wollte er Alles vereinfachen ımd 
feonel beendigt wiſſen; bei feiner Heftigfeit griff er denn wohl 
durch und handelte gewaltfam, auch despotiſch, immer in ber 
Meinung, vecht zu handeln. „Die fhlimme Juſtiz ſchreiet gem 
Himmel und wenn ichs nicht remedire, fo lade ich felbf die 
Verantwortung auf mich”, ſchrieb er (10. März, 1713) bad 
nach feinem Regierungsantritte dem Miniſter v. Kalſch, ins 
dam er ihm auftrug, über die bereitö unter feinem Vater bes 
rathene Juſtizverbeſſetung ſchleunigſt feine Meinung zu fagen ) 
Schon nad drei Monaten (21. Iuni 1713) erfhien barauf 
bie allgemeine Ordnung zur Verbeſſerung des Juſtizweſens 
welche in ben folgenden Jahren durch mehrfache Erklärungen 
und Erklaͤrungen der Erklärungen erläutert wurde. Er drüdte 
dabei die Abficht aus, durch Sammlung und Feſtſtellung ber 
in jeber Provinz geltenden Rechte vorzüglich der Willkuͤr der 
Richter Schranken zu fegen. Doch wurbe das nie völlig aus⸗ 
geführt. Er bezeugte (28. Nov. 1714), daß er es gern fehen 
werde, wenn man ihm Worfchläge zur Verbefferung des Pros 
cehverfahrend machen wirzde. Deshalb follten alle Yufigolle 
gien, wie er ſchon bei ber Ordnung zur Werbefferung des 
Zuftizwefens befohlen, bei Vermeidung fchärferen Einfehens 
binnen 3 Monaten ihre Erinnerungen einſchicken. 

Da es ihm Aufferft unangenehm war, durch Appellationm 
feiner Unterthanen an bie Reichögerichte in der Aushıbung feis 
ner Ianbeöherrlichen Gewalt befchränft zu werden, fo ließ er 
(25. Ian. 1718) ale in den Provinzen feiner Staaten herger 
brachten privilegia de non appellando (vermöge deren nur in 
Sachen, welche bie Höhe einer beffimmten Summe überfitegen, 
von ben landesherrlichen Gerichten an bie Reichögerichte ap 
pellist werben durfte) fammeln umd.fuchte fle ſebr angelegentlih 


Seſchicher des Lammergeriches in Dymmens Beiträgen SU IL | 
©. 12 1. 


Rehtsverwaltung 45 


vom Kaiſer gleichmäßig für alle feine Länder zu erwerben, weil 
er die Bebeutung jenes Privilegiums nicht kannte, uyb glaubte, 
wenn er es erhalten, fo wuͤrden feine Unterthanen fi gar 
nicht mehr an die Reichögerichte wenden dürfen. In Gelbern 
befahl er (6. Juli 1717) alle Untertbanen, welche fih an Ge 
richte wenden würben, bie nicht unter ihm fländen, eremplas 
riſch zu beftrafen®). Ale Gerichte und Magiftrate der Kurs 
mar? mufften (16. Oct. 1728) ihre Stadtrechte binnen vier 
Wochen einſchicken, fonft follten fie, fo weit fie gegen bie Lanz 
deögefege wären, unkräftig fein. 

Ungeachtet ber vielen entgegenfiehenden Schwierigkeiten 
wurde doch einiges Gute gewirkt, eine Criminalordnung für 
die Neumark (8. Juli 1717) und für das Fürftentpum Hals 
berftabt (4. Sept. 1720), ferner (27. Juni 1721) ein vers 
befferteß Landrecht fie Preuffen, (23. Sept. 1718) eine Vor⸗ 
munbfchaftsordnung für die Kur» und Neumark, (4. Febr. 1722) 
eine Goncurd» und Hypothekenordnung, (25. Sept. 1724) eine 
verbefferte Wechfelordnung und (3. März 1739) ein neues 
Juſtizreglement für die Fuͤrſtenthuͤmer Magdeburg und Halbers 
ſtadt gegeben. 

Im der Criminalorbnung der Neumark fland die Saubere 
noch mit unter den Verbrechen. Die Zortur follte zwar im 
Beifein aller Gerichtöperfonen flattfinden, aber nicht über eine 
Stunde unausgefegt dauern, auch auf das en des 
Scharfrichters babei fehr forgfältig gefehen werben. Doch ſcheint 
das nicht beobachtet und bie Zortur ziemlich willkuͤrlich anges 
wendet worden zu fein, wie bei untergefchlagenen Geldern, 
um zu erfahren, wohin fie gelommen. Wir erfahren aud, 
daß er diejenigen, welche die Tortur audgehalten, damit nicht 
frei laſſen wollte, vielmehr, verlangte, daß Verbrecher, wo 
Verdacht der: Gomplictät vorhanden fei, fo lange gefoltert 
wirden, bis fie die böfen Buben entdeckten, welche mit ihnen 
unter einer Dede lägen ?). 

Er befahl (29. Det. 1714 und 28. Apr. 1717), daß alle 
Verordnungen nicht mehr im Namen bes Juftigbehörden, fons 


1) $afmann IL.&. 200. 
2) Saßmann I. 1052 u. 1076. 





446 Bud VL Bweltes Hauptſt uͤc 


dern in feinem Namen ausgefertigt, auch in allen Edicten ge 
mau das Land bezeichnet werben folle, ne — beträfen. 
Mehrere geſchah auch für die © 

faflung. Der König trug (8. Nov. 1714) vn — 
ſterium auf, binnen 14 Tagen einen Entwurf zur Bereinigung 
des Kammergerichtd mit bem Appellationdgerichte ober Zritw 
nale einzureichen: wie fie ihn vor Gott, dem Lande und ihm 
verantworten koͤnnten. Doc war dad wegen ber verſchiedenen 
Appellationdrechte ber Provinzen an bie Feichsgerichte unars⸗ 
führber. Dagegen vereinigte der König (1. Juli 1716) di 
im 3. 1653 errichtete ravensbergiſche Appellationsgericht umd 
das (im I. 1709 errichtete) oranifche Tribunal mit dem Ober⸗ 
tribunale in Berlin '). Hier errichtete er auch (8. Aug. 1718) 
anftatt des bisherigen Hofgerichts ein Kriegs⸗ Hof⸗ und Gr 
minalgericht, welches zugleich unter dem Generalauditeur bie 
Appeliationen von den Criminalurteln ber Regimentegerichte 
zu entſcheiden hatte. Später wurden bie bürgerlichen Crimis 
nalfachen davon getrennt, feitdem bildeten der Generalanbiteu 
und zwei Oberaubiteurs das Generalaubitoriat zur Annahme der 
Appellationen und Beftätigung der Urtel ber Regimentögerkhte. 
Das fon von FZriedrich L eingerichtete Kriegsconſiſtorium für 
angeklagte Militairs in Eheſachen, über welche ben Regiments⸗ 
gerichten keine Entſcheidung zuſtand, bildeten die Mitglieder 
des Generalauditoriats und der Feldpropſt oder einer der in 
Berlin ſtehenden &egimentöfelbprebiger”). Im Coͤclin fee 
der König (1720) ein Seheitt anftatt bes früheren vier 
Land» und Burggerichte ein’). 

Er erließ (16. April 1725) eine ausführliche Werorbnung 
wie bei dem Hofe und Kammergerichte der Kurmark das Iu 
fligwefen eingerichtet und wie verfahren werben ſolle. Die 
Landreiter, über deren Brutalität vielfach geklagt wurde und 
daß fie bei Erecutionen mehrentheils betrunken wären, ſollten 
mit Caſſation beftraft werden. Ex verbot bem Kummergerigte 
auch (13. Ian. 1728), Patente bekannt zu machen, bie nicht 


1) Hymmens Beiträge Thl. VL ©. 239. 
9) Benelenborf V. S. 99 ff. vor. v. ©. 10% . 
. 9 Benelendorf VIL ©. 98. 


Rechtsverwaltung. 47 


von ihm eigenhändig vollzogen worben und mwohl gar irgenb 
etwaß baran eigenmächtig zu ändern. Bände es Erinnerungen 
nötig, | fo ſolle es darüber berichten. 

Bei Herenprocefien (3. Dec. 1714) folte mit der nöthigen 
Behutfamkeit verfahren werben, indem durch die Zortur Mans 
her unſchuldigerweiſe um Leib unb Leben gebracht worben. 
Weil dem Könige aber obliege zu fehen, daß nicht unſchuldiges 
Blut vergoften werbe, folle ber Hexenproceß genau unterfucht 
und verbeffert, bis dahin die Erlaubnig zur Tottur und zur 
Zodesſtrafe vor der Vollziehung an ben König geſchickt, auch 
aller Gerichtspöfe und Barultäten Gedanken wegen guter Eins 
richtung dieſes Proceſſes zufammen getragen und begutachtet 
werben. Dem Könige werde ed zu gnäbigem Gefallen gereis 
Gen, wenn Jemand etwas beizutragen vermöge, was zur Er⸗ 
reichung des heilfamen Zweckes dienen koͤnne. Alle noch vors 
handenen Pfähle, an welden Heren verbrannt worben, fellten 
weggenommmen und alle Herenproceffe verboten werben. Dens 
noch erfannte (10. Der. 1738) dad Griminalcollegium des 
Kammergerichtö, daß ein Mädchen wegen Buͤndniſſes mit bem 
Zeufel zwar eigentlich mit dem Tode, indefien wegen Unge⸗ 

wißheit ber Sache und möglicher Verſtandesverruͤckung beffer 
lebenslaͤnglich in das Spinnhaus nad Spandau zu bringen ſei h. 
Beil der König nun gehört hatte, in mehreren Ländern 
dauere ein Proce nicht über ein Jahr und des ihm fehr ans 
gemeflen ſchien und auch feiner Ungebulb zufagte*), fo erließ 
er wieberholte Befehle, die Proceffe abzukuͤrzen, auch (8. De⸗ 
tober 1717) eine ſummariſche Proceforbuung und befahl 
(11. Nov. 1717) jährliche Einfendung der Proceßtabellen, ohne 
doch feinen Endzweck zu erreichen, vorzüglich aud weil ba& 
mit Gelbausgaben verknüpft war, welche er, auffer für das 
Kriegsweſen, überall vermied, wo er nicht reichliche Binfen 
hoffen konnte. 
Ein Hauptübel der damaligen Juſtizverfaſſung beftand 
darin, daß bie vier Miniſter, umter welche bie Geſchaͤſte vers 
1) Beorg v. Raumer Nachricht von Herenproceſſen, in den Maͤr⸗ 
Hilden Forſchungen Thl. L ©. 265 f 
2) Bapmann I. ©. 989. 





448 Bud VL Zweites Hauptftäd. 


theilt waren, zur Erſparung von Befolbungen meiſtens noch 
Praͤſũ tellen bei ben Obergerichten bekleideten, daher mit 
Geſchaͤften überhäuft waren, woraus Verzögerungen der Pros 
ceſſe, Klagen und Beſchwerden entflanden, denen burch bloße 
Refcripte, fo drohend fie fein mochten, nicht abgeholfen werben 
Tonnte '). Die Juſtizcollegien waren zahlreich befegt, doch von 
2% bis 22 Mitgliedern des Kammergerichts waren nur 6 be 
folbet und erhielten felbft feine Sporteln; bie meiften hatten 
ihre Stellen erfauft, arbeiteten daher nachläffig. Jeder Rath 
bessetirte für eine Partei, die Abvocaten und Procuratoren 
verwirrten bie Sache fo viel als moͤglich und zogen fie in bie 
Ränge. Jeder neue Juſtizminiſter entwarf neue Verfahrungss 
normen, die der König genehmigte und die oft nur die Ber 
wirrung vermehrten. Der König fah auf die ihm vielfach ges 
machten Vorftelungen fehr wohl die Rothwenbigkeit einer voll 
fländigen und allgemeinen Zuftizerbefferung ein, nur war es 
ſchwer bei feiner mit ben Jahren immer mehr zunehmenden 
Sparfamkeit ihn zu dem babei unvermeiblichen Ausgaben zu 
vermögen. Was in biefer Hinficht gefchah, verdankt Preuffen 
vorzüglich dem Samuel Cocceji, einem Manne von ausgebreis 
teten Rechtöfenntniffen, unermüblicher Thaͤtigkeit, großem Scharf 
finne und a ie Rechtfchaffenheit. 

Sammel Cocceji, der Sohn des Profeſſors der Rechte an 
der Univerfität Frankfurt, Heinrich Coccejus, wie ex fich ſchrieb, 
war im I. 1701 an berfelben Univerfität Profeffor der Rechte 
geworben und hatte ſich neben feinem Water fo audgezeichnet, 
daß König Friedrich I. Beiden aus eigener Bewegung (7. Sep⸗ 
tember 1702) den Adel unter dem Namen Gocceji von Cocq 
ertheilte, den Sohn aber (1704) zum Regierungsrath und 
(1711) zum Director der halberftäbtifchen Regierung, Friedrich 
Wilpelm I. jedod (24. Mai 1714) zum geheimen Iufliy: und 
Tribunalrath und darauf, nachdem er noch (1716) als Ge 
fandter an dem Laiferlichen Hofe geweſen wär, (1722) zum 
-Präfidenten des Kammergerichted ernannte. erhielt (16. 


& 
)e. bei Benetendorf VL. ©. 82. bie Gefchichte des Iaftie 
winifterkums unter @riebrid; Mühelm I, MWenekenborf fpricht hier ans 
mer Grfahrung und höchft zuveriäffig. 


Rechtsverwaltung. 49 


April 1725) vom Könige den Auftrag, das Jufliswefen beim 
Kammergerichte, fo wie bereits in Vreuſſen gefchehen, einzus 
richten. Gocceji wurde dann (3. Juni 1727) zum wirklichen 
geheimen Staatsrathe ernannt und ihm der Wortrag aller Ju⸗ 
fligfachen im geheimen Rathe übertragen, bald nachher (1731) 
erhielt er aud noch das Präfibium bed Obertribunald, war 
Chef des geiſtlichen Departementd und Gurator der Univerfls 
täten‘). Als nun nach dem Abgange zweier Suftizminifter 
nur nody zwei, Gocceji und Broich übrig waren, welche bei 
allen ihren Nebendmtern bie ihnen aufgelegten Arbeiten uns 
möglich bewältigen Tonnten, fo wurde dem Könige vorgeftellt, 
die Juſtizverzoͤgerungen rührten davon her, daß die Minifter 
zugleich felbft Präfibenten ber Gollegien wären, uͤber deren 
Verzögerungen Beſchwerde geführt werde. Das fah er ein 
unb wurde dadurch bewogen, ben Cocceji, welcher bei der Ge 
neralität viele Freunde hatte und num feine Präfidentenftellen 
abgab, (1737) zum Ministre Chef de justioe vorzüglich zur 
Einrichtung der Iufizcolegien mit bem Bortrage für die Ci⸗ 
vifjufigfachen zu ernennen, bem Minifter von Arnim den Vor⸗ 
trag in Griminals und Lehnöfachen, dem Minifter von Brandt 
das geiftliche Departement, Beiden zufammen mit ber geringen 
Befolbung, bie Cocceji als Minifter gehabt hatte, zu uͤbertra⸗ 
gen. Cocceji aber erhielt die Summe feiner vorher bezogenen 
Befolbungen auch nad Abgabe der Präfidentenftellen aufferors 
dentlich aus ber Eöniglichen Schatulle. Er richtete num (19. 
Mai 1738) dad Kammergeriht fo ein, daß es aus einem 
Präfidenten, einem Bi —— 10 beſoldeten Räthen (5 
auf ber Adeligen und 5 auf ber Gelehrten Bank) und 16 
aufferorbentlichen Räthen befland und 3 Senate bildete. Bis 
an des König Tod wurde an Verbeſſerung der Kammerge⸗ 
richtsordnung und deö ganzen Juſtizweſens gearbeitet, doch fand 
Coccek bei feinen Gollegen, fo lange Friedrich Wilpelm I. lebte, 
zu viel Widerſtand, um mit feinen Entwürfen fo durchdringen 
zu koͤnnen, als er es dann unter Friedrich IL vermochte. 


1) Sosmar und Klaproth ©. 408. Buͤſching in Ruͤßlers 
Leben, Beiträge Thl. I. S. 304 erzaͤhlt, daß Goccejt durch feine Verhei ⸗ 
rathung mit ber Tochter des General Bechefer bei Friedrich Wilhelm J. 
fehe gewonnen habe. Vergl. Benetenborf VI. ©, 7. 

Stenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 29 


450 Bug VL Zweites Hauptftüd. 
Die entfernt der Abnig war, abfihtih das Bet zu 


Fiscus 
anſehnliches Plus zu hoffen. Der König fehrieb auf den An 
trag fechömal: „Rare — Narr — Rarel wenn Du nicht eine 
Dberſten Sohn wäre, wide id Dir 100 Prügel geben 
laſſen ')I" So wollte er auch bie ſehr bedeutenden Trigowi⸗ 


Günftlingen, welche weniger ferupulds waren?). Der Marks 
graf Albrecht von Schwedt hatte die Familie von Röbel mac 
einer einfeitigen Ware aus ben ihm wohlgelegenen Gütern 


Friedland und Zrilig heranswerfen laſſen und das von ihm 
beliebte Kaufgeld niedergelegt. Auf Bitten ber vom Möbel, 
bie nichts weiter zu leben hatten, erhielten fie wenigſtens bie 
Binfen dieſes Kapitals und die Vollmacht, bie ihnen gemalt: 
thätig genommenen Güter im Wege Rechts wieber zu foden’). 
Griminals und Fiscalſachen hatte der König im 

J 1718 dem Minifter von Katfch ausſchließlich übergeben. 
und bie Fiscale in den Provinzen folltn 

nach dem Befehle des Könige (22. Dec. 1716) Wächter zur 
Aufrechthaltung der ie fein. Da er mm felbft fireng 
darauf hielt, daß feine Befehle genau befdlgt wuͤrden und biefe 
oft übereilt, in Laune ober in einem Anfalle von Hef⸗ 
tigkeit gegeben worden waren und dann als Gefege galten, fo 


1) Benelendorf VIL ©. 98. 
2) Rorgenftern ©. 111. 
3) Def. ©. 118. 


Rectöverwaltung. Fléecalat. “1 


Dienofiten u ulthigen, Aufferfk gefährliche Männer, vorige 
lich wenn fie, boöhaft wie der Minifer von Katſch, die etwaige 
augenblidlige, Verftimmung des Königs 98 für ihre Abfihten bes 


und ermimute plöglich (1731) einen gemeinen Reiter, Namens 
Wagner, zum Generalfiscal, Dieſer war friiher Schulrector 
in Blankenburg, dann in Petersburg Hofmeifter von Menſchi⸗ 
koffs Sohne geweſen, nach befien Falle in Preuffen den Wer⸗ 
bern in bie Hände gefallen und feit einigen Jahren Soldat, 
Der König, — von ben unbedeutendſten Gegenſtaͤnden 
Keuntniß nahm, war auf ihn aufmerkſam geworben und ers 
nannte ihn plöglich zum Generalfiscal. Diefer Menſch verfubt 

fen 


ſelbſt auf einige Zeit feſtgenommen wurde, aber dennoch fein 
Amt wieder erhielt, indeffen bald nachher farb. Sein Nach: 
folger, der geheime Juſtigrath Gerbett, war nicht minder thaͤ— 
tig und überhäufte den König mit Denunciationen, kam aber 
doch auch nah Spandau. 

Die Unters oder ‚Hoffiscale in den Provinzen waren für 
dieſe nicht minder gefährlich und bie Behörden in fortwäßtender 
Beforgniß vor ihren Angaben Dam fieht daraus, wel’ ein 

großes Weduͤrfniß der König hatte, ſich der Pflichterfuͤllung 
feiner Beamtelen zu vergewiſſern, ohne welde er gar nichts 
ausrichten Tonnte, und baß er dadurch, wie wir oben anfüͤhr⸗ 
ten, zur Einrichtung eines Spionirſpſtems und hier zu ber 
Ausbildung des Fiscalats kam. Es war unter unbefchränkten 
Fünfter ſicher eine der ſchwierigſten Aufgaben, pflichtgetreue 
Bearatete zu bilden, dom denen zuletzt wirklich der Gang der 
Maſchine adhing, den man Staat nannte, 

Der König hatte (2. März 1717) befohlen, daß ihm_alle 
Untel in Griminalfachen, wem fie Leib und Leben, Ehre, "Gut 


1) S. Benekendorf VL ©. 5 u. M. S. MY. Katſch wird alle 
gemein als rachgierig und boshaft geſchildert. . 
29 


42 Bud VI. Zweites Hauptſtuͤc. 


turd) befondere Worfälle veranlafft, an ber Griminalgefehges 
bumg. Iſt er doch unbeſchraͤnkter ‚Herr, fein Wort Befehl, 
fein Befehl Gefeg. Er erträgt felten, und nur wenn feine 
erſte Aufwallung ſich gelegt hat, —— aber in Crimi⸗ 


für ale Provinzen), die Strafe —S an 
in Säden) der Ki in Hinrichtung durch 
das Schwert zu verwandeln. lee Geburt unehelicher 
Kinder folte mit Staupenſchlag und Landesverweiſung gebäßt 
werben. Ber von einer Schwangerfchaft der Art hörte, wurde 
bei Strafe verpflichtet, Anzeige davon zu machen. Weil Sans 
deöverweifung, Staupenf&lag und Brandmarkung nichts ges 


aufgreifen wuͤrde, gleichviel ob Verbrecher ober wicht, 
ee ee fie, wenn fie Über 18 Jahre alt, 
aufzufnhpfen, wenn unter 18 Jahren, in Waifenhäufer 
terzubringen. An allen Grenzen, wo Zigeuner waren, mu 
Galgen errichtet werden. Die, wie es im Geſetze beifft, 
allgemein gewordene Sodomiterei, gleichviel ob 
vollbracht, wurde mit bein Feuertode beſtraft (4. April 1725) 
An den Worten ber Schrift: wer Menſchenblut 
deß Blut fol auch durch Menſchen vergoffen werben ( 
9, 6.), bielt ex als an Gottes Gebot feft, aufferbem 
er bie firenge, folbatifche Zucht aud im ganze Staate 
sen wiffen. Aus biefem Gefihtspunkte muß man das 


EEE 


Rechtöverwaltung. 453 


ihm (28. Juni 1713) erlaſſene Mandat gegen Duelle, Ins 
jurien, Selbſtrache und Friedensſtoͤrung betrachten, durch wels 
ches er daB ſcharfe Edit feines Vaters (v. 6. Aug. 1688) 
ernenerte. Cr ermahnte zuboͤrderſt, Jeder folle fi) bemühen, 
die Ehre eines rechtſchaffe nen Solbaten mehr durch Tapferkeit 
gegen bie Beinde des Königs und des Waterlandes gls in uns 
nügen Haͤndeln zu erwerben, da Gott ſich die Rache vorbehals 
ten und dazu Könige umd Obrigkeiten auf Erben verordnet. 
Bel nun Zweifel entfianden wären, wie es zu halten fei, 
wenn preuffifche Dfficiere von Untertpanen fremder Herren zum 
Duell gefobert würden, fo ſetzte er feſt, ber Officer, welcher 
fih in diefem Zalle flüge, folle zwar nicht ald Duellant bes 
tradhtet, jeboch, wenn er feinen Gegner entleibe, nach gemei⸗ 
nem Rechte mit dem Tode beflraft werben und der König 
wolle einen ſolchen nie begnadigen. In feinem Lande wurde 
die Ausfoderung eined Beamteten, felbft wenn fein Duell dar⸗ 
aus erfolgte, theils mit anfehnlicher Geldfrafe zu milden Sweden 
ober breijährigem harten Gefängniffe, theils mit der ‚Hälfte des 
dreijährigen Einfommens und breijährigem Gefängniffe, beim 
Mangel an Vermögen jedoch mit fechöjähriger Feftungäftvafe, 
die Ausfoderung gegen Dbere doppelt fo ſchwer gebüft, und 
weiter folte Niemand Genugthuung für erlittene Beleidigun⸗ 
gen zu verlangen haben. Der Gefoderte, welcher es nicht ans 
zeigte ober gar annahm, wurde auch wenn Fein Due ſtatt⸗ 
fand, eben fo wie ber Foderer beftraft. Duell ohne Entlei- 
bung hatte für Honoratioren Werluft aller Aemter und zehn: 
jaͤhriges Gefängniß, wovoh zwei Jahre bei Waſſer und Brot, 
für ‚Geringere acht Jahre Feftungsbau zur Folge und alle Ein: 
künfte der Dueanten fielen während dieſer Zeit an den Fiscus, 
auffer daß Frauen und Kinder der Delinquenten noch bürftigen 
Unterhalt befamen. Leichen ber entleibten Honoratioren wurs 
den vom Schinder an einem unehrlichen Orte begraben, bie 
der Unabeligen an den Galgen gehängt. Der Entleiber wurde, 
wenn er abelig war, ehrlos und mit bem Schwerte hinges 
vichtet, ber Umabelige gehängt. Zeugen beim Duelle verloren 
auf Lebenszeit den vierten Theil aller ihrer Güter. 

Auf Realinjurien, als Ohrfeigen, Fauſt⸗, Peitfchen- 
und Stodſchlaͤge bei heftigem Streite, fland ein: bis zwei⸗ 


454 Bud VL Zweites Hauptflüd. 


jähriges, wenn ohne Streit, vierjaͤhriges; auf Schlaͤge mit 
Vorbedacht funf⸗ʒ auf folde emerliz fechejaͤbriges Gefäng: 
niß. Fr tbbtlihe Wunden wurden (22. März 1717) bie 
jenigen erklaͤrt, an welden ber Verwundete vor dem neunten 
Tage farb; auch beſtimmte der König (11. März 1718), daf 
Arunken deit fein Grund zum Milderung, fondern zur Schärfung 
ber —— Strafe fein und in dieſem Falle auftatt dei 
, anftatt des Galgens das Rad zum 
kaunt — ſolle; gleich darauf (12. März 1718) bei einem 
beſonderen Worfalle, um wie er fagte das Land von Biut⸗ 
ſchulden zu befreien, fegte ex fefk, wer ben Anderen mit bem 
Degen entleibe, folle ald Todtſchlaͤger angefehen werben. 

Der General Sedendorf, weichen der König laͤngſt als 
tüchtigen Dfficier und gewandten und ihm fehr gefäligen Mann 
f&hägte, verwendete fih für den Major von Damit, welcher, 
wie es fcheint, einen anderen Dfficier im Duelle getödtet Hatte. 
Der König antwortete (25. März 1718): „Es würde mir be 
ſonderes Vergnägen machen, feinen Bitten ju deferieen, wenn 
nit Menſchenblut, wovon ich keinen in ber Weit losſprechen 
kann noch werde, hierunter wäre h.“ 

Em Major von Neuendorf, ein wiſſenſchaftlich fehr gebll 
deter und waderer Mann, hatte das Ungläd, bei einem Gaflı 
mahle nach ſtarkem Trinken mit feinem Bruder Über eine Erb⸗ 
ſchaſtsangelegenheit in Streit zu gerathen umb ihn im Zwei⸗ 
kampfe fo gefährlich zu verwunden, daß biefer in der naͤchſten 
Nacht darauf farb. Er wurde vom Kriegögerichte zu dreijaͤh⸗ 
iger Feſtungsſtrafe verurtheilt, doch ber sachfüchtige General⸗ 
aubiteue und Miniſter Katfch, vom dem fi) Neuendorf nicht 
hatte bei dem Verhoͤre wollen unanfländig behandeln Iaffen, 
bewog ben König ihm zum Tode zu verurtheilen. Wergeblrh 
waren alle Borbitten: Brudermord und Blutvergießen muß 
man mit dem Tode büßen!" ſchrieb der König auf daB weh 
müthige Geſuch um Gnade, welches Neuendorf ihm hatte über 
geben um &r wurde auf dem Neuenmarkte in Berlin hin: 


1) Förfters urtundenbuch III. ©. 239. 
N Benekendorf IX. ©. 68. Pöllnig Rem. IL ©. 178. 





Nechtsverwaltung. 455 


Als ein Dfficier den anderen Im Duelle erftochen hatte 
und fi) durch die Flucht veitete, ließ der König deſſen Bild 

den Galgen fehlagen und feine beträchtlichen Güter in Poms 
mern einziehen. Der Dfficier ging in fächfifche Dienſte und 
gewann die Gunſt König Auguſts. Als nun Friedrich Wil 
beim bei Augufts berühmten Prachtlager zugegen ımb gerade 
bei guter Laune war, warf fi der Officier vor ihm nieder 
und ber König Auguft verwendete fich ſehr angelegentlich fie 
defien Begnadigung. Obgleich nun Zriebrih Wilhelm ben 
König von Polen wirklich liebte, fo erwiederte er doch ernſt, 
er werbe fich ihm bei allen Gelegenheiten gen gefällig beweis 
fen, nur habe er ein heiliges Gelübde gethan, Blutſchulden 
nie zu vergeben. Er Tönme nichts thun, als des Dfficierd Bild 
vom Galgen nehmen laffen und ihm die Einkünfte feiner Guͤ⸗ 
tee wieder einräumen, laſſe er fich aber je auf preuffiſchem 
Gebiete betreten, fo werde ihm ofme Gnade der Kopf abges 
ſchlagen werden! Er durſte auch, fo Lange Friedrich Wilhelm 
lebte, nicht in fein Waterland zuruͤckkehren 9). 

Selbſtmoͤrder, gleichviel ob zusehmingsfähig oder nicht, 
folten (22. Januar 1732) durch den Schinder begraben wers 
den, was auch auögeführt wurde ?). 

Raub, Dieberei, Betrug umd Beruntreuungen haſſte er 
als ehrlicher Mann und zugleich fehr guter Wirth aufferor: 
demttich und ficafte fe umverhältnißmäßig hart. Ueberführte 
Dieböhehler befahl er (26. Det. 1720) ohne fernere Weitlaͤuf⸗ 
tigkeit des Proceſſes und ohne Anfehen ber Perfon mit Aus⸗ 
ſtelung am Pranger, Staupenfhlag, Brandmarkung und 
Landeöverweifung zu beftrafen. Ex fehärfte (5. April 1723) 
bie gegen Räuber und Diebe beftehenden Edicte, und weil bie 
Räuber die Glodenftride abfchnitten, befahl er, es follten bie 
Wächter Schießgewehre und jeder Wirth und Knecht Waffen 
haben, auch Feuerzeichen errichtet, die Mäuber und Diebe ver» 
folgt und im Nothfalle getöbtet werben. Fremde Diebe auf 
Märkten wurben ohne Anfehen des Werthes der geflohlenen 
Sachen und ob dad Verbrechen vollkommen ausgefuͤhrt fet oder 


1) Benekendorf XI. ©, 61. 
2) Derſelbe VIIL 67. 


456 Bug VL Bweites Hauptftüd. 


nicht, auf ben Eid zweier —— 

weitere Anfrage bei dem Koͤnige oder den 

—— * ewig des Landes verwieſen (26. Juli 1715, 
welche geflohlene Sachen kauften und umentgeltfich 


1725). Wilbdiebe in koͤniglichen Gehegen wurden nad kur⸗ 
zem Proceffe ohne Gnade aufgehängt, der Angeber erhielt 10 
Thaler Belopnung (2. März 1728), — (23. Maͤrz 1730) 
nn und deren Hehlern 6 Jahre Karrenflafe ber 

Ber Ammunition flapl, wurde wie ber Hehler ges 

Fe oh Schr. 1730). 
Bankerutierer follten (14. Juni 1715) als Diebe und 
Zalſcher betrachtet und ohne Unterfcieb der Perfon nach Ums 
fänden mit bem Pranger, ewigem Gefängniffe, Feſtungsar⸗ 
beit, Staupenfchlag und Landesverweiſung, ja mit dem Strange 
befteaft werben und die Fiscale von Amtswegen gegen fie ver 
fahren, auch wenn die Gläubiger es nicht wollten. Das 
wurbe noch gefchärft (4. Bebr. 1723). Alle Behörden folten 
auf ben Verdacht von Bankeruts amtlich einſchreiten und bei 
beträglichen Bankerutierern die Verhehlung eines Theils des 
Bermögens zur Verkuͤrzung der Gläubiger, es möge num aus⸗ 
reichen oder nicht, mit dem Strange beflzaft werben. Bar 
ber betrügliche Bankerutierer tobt, fo wurbe feine Leiche durch 
den Henker auf dem Schindanger begraben. Braun der Kaufs 


fie fit 
Hondlungsfachen mit Acht zu haben (17. April 1728). Auch 
das wurde noch verfchärft (20. Mat 1736). Schon bei brins 
gendem Werbachte bed Bankeruts, 3.3. bei Nachfuchung eines 
Moratoriums fanden Arreſt und Beſchlagnahme der Güter 
flatt, wurden Stedbriefe exlaffen, das Concursverfahren bes 
fhlamigt, gegen vorfägliche Bankerutierer wie gegen "Diebe 


en die nöthige Kenntniß und Einficht i in das Proceßs 
wefen war ihm das corpus juris aͤuſſerſt zuwider, bie Weit: 
laͤuftigkeit des Verfahrens oft unerträglich. Es ſchwebte ihm, 
fagt fein gleichzeitiger Lebensbeſchreiber, bie ehemalige Gluͤck- 


KRechtsverwaltung. 457 


[gi de Date Sad vor Aug, dem zur Beit der 
Richter und Könige alle Weitläuftigkeit im Rechte und Bes 
richten ganz unbelannt waren, und bie Aelteſten ımter ben 
der 


en Weſe 
gend auch wohl verzeihlich, daß fin einfacher gefunder Men: 
ſchenderſtand irre wurbe an ben, ungeachtet des corpus juris 


ders bie Abvofaten, verminderte deren Anzahl fo viel er Fonnte, 

und hätte fie gern alle vertilgt, zwang fie auch, um fie Öffente 

* zum Geſpoͤtte zu machen, ſchwarze Röde mit einem bis 
bie Anie veichenden Me il 


dem —* zu wohnen, damit die Bauern füchtig 
würben *). Aus biefen Gruͤnden gebrauchte er benn feine Machts 
vollkommenheit im volften Umfange, caffirte, aͤn⸗ 


derte, ſchaͤrfte, milderte auch wohl, doch ſicher ſeht felten, die 
ihm vorgelegten Urtel. Aber auch. hier hatte feine an Grau⸗ 
famkeit grengende Strenge ihren Grund nicht in perfönlier 
Rachfucht, fondern in feinem lebhaften Hafle gegen bad Laſter 
überhaupt, ferner in feinem heftigen Zemperamente und in feis 
ner natürlichen Härte, wobei man jest auch nie vergeffen barf, 
dep bie Sitten nach hundert Jahren überhaupt milder gewor⸗ 
id. 


Gegen einen Witbpretöbieb erfannte das Gericht auf den 
Reinigungseid oder Torturz der König befahl, ihn zu hängen. 
Ein des beabfichtigten Diebftahls verbächtiger Jude war ohne 
Erfolg gefoltert worden und behauptete fortwährend, unfchuls 
dig zu fein. Der König erklärte, ex wolle den Boͤſewicht auf 
fein Gewiffen nehmen und befahl, ihn zu hängen). Ein Pros 
viantmeifter mit 12 Thalern monatlichen Gehalts und zahls 

’ 

1) Bafmann L ©. 948. 

9) Derfebe I. S. 953. König I. ©. 16, 49. u. U. ©. 267. 

8) Baßmann I. ©. 1074. 


458 Bud VI. Zweites Hauptftüd, 


reicher Familie hatte einen Kaffendefect von 3000 Schale 
gemacht. Gr erbot fi, den Betrag mit feiner Gaution und 
feinem Haufe zu decken umb bat mır um einigen Naclaf. 
—* Forieb auf bie Eingabe (1720): „Ich ſchente bie 
Schuld, ſollen aber aufhängen Laffen ’)." Bet dem Tode eines 
Beamteten fanb ie Bi 


Dee König ſaribe „Soll nicht einen Pfifferling erlaffen, ſollen 
alles wegnehmen, was übrig if, Möbeln und Häufer 1” 

Schon auf feines Waters Befehl wurden Hausdiebe an 
einen Galgen vor dem Haufe des Beſtohlenen gehängt, blieben 
daran vom Morgen bis zum Abende, worauf fie an den eigent ⸗ 
lichen Galgen vor ber Stadt gehängt wurben. Doch erregte 
das in den Häufern, vor benen das gefchah und in ber Nach⸗ 
barſchaft fo-großen Abfchen, daß es bald auffer Gebrauch kam’). 
Nun hatte der König bei den preuffifchen Domainen vorzüg- 
w anf den lithauiſchen Aemtern mehrere wichtige Unterfchleife 

und Betrkgereien entdeckt unb deshalb mehrere Raunners and 
Amtsbebiente gefänglich einziehen laſſen. Unter ihnen befand 
fi der Kriegs⸗ und Domainenrath von Schlubhut, weicher 
von dem zur Ginrichtung ber falzburgifchen Emigranten bes 
ſtimmten koͤniglichen Geldern nach Ginigen 800, nad) Anderen 
11— 30,000 Thaler untergefplagen hatte‘). Das Griminak: 
collegium in Berlin erkannte, weil ber Berbrecher bie gefammte 
Summe aus feinem Wermögen erflatten konnte, nur auf einige 
Jahre Feſtungsarreſt. Der König wollte das nicht befldtigen, 
fondern verfchob bie Entſcheidung bis zu feiner Ankunft in 
Königsberg, wo er jährlid die Truppen zu muſtern und neh 
feinen neuen Anlagen zu fehen pflegte. Hier lieg er 
ann den Kriegörath; vor fich kommen, hieit ihm fen 


1) Bei Börfter urkundenbuch I. S. 51. v. I. 1720. 
2) Gbendaf. ©. 52. 
8) Gbendaf. ©. 199. Faßmann IL ©. 1073. 


4) Benelendorf VII, 14 fagt von 11 oder auch 30,000 Zpalra. 
Yölinig Mem. IL ©. 889 erzaͤhlt weniger genau. 


Suflijverwaltung. 459 


brechen vor und Lünbigte ihm am, er werbe ihn hängen Iafien. 
Schlubhnut erwiederte: es fei nicht Manier, fo mit einem - 
preuſſiſchen Edelmanne zu verfahren, er werbe bie fehlende 
Summe Geldes erſtatten. „Ich will bein ſchelmiſches Geld nicht 
haben,” erwieberte der König aufgebracht und ließ ihn auf die 
Hauptwache fhaffen, vor dem Seffiondzimmer der Kriegs» 
und Domainentammer fogleih einen. Galgen errichten, bie 
Mitglieder des Collegiums im Sitzungszimmer verfaumeln und 
den Schlubhut vor ihren Augen aufhängen. 

Einige Zeit darauf ereignete es fih, daß bem Minifier 
vom Happe von befien Mebienten and eitem 
Schranke ein Beutel mit 5000 Thalern geflohlen, bad 
jedoch früh entbedt und das Gelb bis auf 80 Xpaker wieder 
hexbeigefchafft wurde. Der König befahl fogleich bie genauefle 
Unterfuhung. Beide Griminalcollegia entſchieden, daß Haus⸗ 
diebſtahl als Derlegunggber befonderen Treue und wegen ber 
Leichtigkeit der Aushbung weit härter als ber von fremden 
Diebm begangene zu beſtrafen und nicht auf die Höhe bes 
Betrags, fondern auf die Verletzung ber Treue zu fehen ſei. 
Das an dem Kriegsrath Schlubhut vom Könige ſelbſt vollzo⸗ 
gene Urtel fhlichterte auch das Collegium bermaßen ein, baf 
eb erkannte, jeder Hausdieb, der feiner Herrſchaft auch nur 
Gegenſtaͤnde 3 Xhaler an Werth entwenbe, fei des Tobes 
ſchuldig, und daher begutachtete ber Bediente müffe an einen 
vor dem Haufe des Minifters befonberd zu erbauenden Galgen 
gehängt werden. Der König beftätigte daS und es wurde 
vollzogen '). Das gab ihm zugleich Weranlaffung zu einem 
fürchterlichen Gdicte (0. 9. Januar 1736): Hausdiebe, welche 
Koften, Ihren, Schränke, Schatullen und bergleihen er⸗ 
braͤchen, follten ohne Rüdficht auf die Groͤße des Diebſtahls 
binnen acht Zagen an einen Galgen vor der Thüre des Be 
flohlenen gehängt werden. Gefchab ber Diebſtahl ohne Ers 
brehung und betrug über 50 Thaler, auch wenn fie erfegt 
wurden, fo wurde auch dad mit dem Strange, betrug er fo 
unter 50 Xhaler, mit vierjäpriger Seftungsarbeit beſtraft. Auf 


/1) Benetenborf VIL ©. 81. B. war damals Mitglied des 
Griminalcollegiums, fpricht alfo gang aus eigener Erfahrung. 





460 Buch VL Zweites Hauptſtuͤck 


jeden Diebſtahl in fremden Wohnungen durch Einſteigen und 
Einbruch, ohne Ruͤckſicht der Größe des Betrags, ſtand der 
Salgen, geihab er mit Waffen, das Rab. So wurde eine 
Dienfimagd des geheimen Raths Truzettel, weiche 3 Thaler 12 
Srofden gehoßie, vor beffen Haufe aufgehängt '). 


Rath Nüßler drang darauf, die Angelegenheit er genau zu un 
terfuchen unb nicht zu fchnell zıf verfahren, allein bie meiften 
Gtimmen ber burch des Königs Zorn eingeſchuͤchterten Grimi- 
nalraͤthe verurtgeilten ihm zu vierjähriger Feſtungsſtrafe. Der 
König ſchrieb als Entſcheidung an den Rand des Urtels: „Ein 
Dieb, welder 10 Zhaler fliehlt muß hängen, Heſſe aber bat 
4000 Thaler geftohlen, alfo fol er aufgehangen werben!" Das 
wurde auch vollgogen, indem zugleig dem Unglüdlichen eine 
Zafel umgehängt wurde, auf welcher fland, baß er dem Rs 


vor umd es ergab fh, baß Sefle gar feinen vorfägtihen Bi 
trug — vielmehr unſchuldig hingerichtet war’). 
Even fo Hatte ein Amtmann Bu wegen ——* reſtirender 
Vachtgelder — Jahre in Kuͤſtrin geſeſſen, als man bei nd 
herer Unterſuchung fand, er ſei gar nichts ſchuldig und habe 
noch 500 Thaler zu fobern . 

Ein gewiſſer Wilke war durch Vermittelung des Miniſters 
Grumbkow, der lange hoch in der Gunſt des Koͤnigs ſtand, 
Steuerrath in Zuͤllichau geworden und hatte ſich dadurch, 
er oft lange Leute aus Polen für bie Garde verſchaffte, bei 
dem Könige fo beliebt gemacht, daß ihm biefer den Geheime: 


1) Benetendorf VIL ©. 81. 

9) NRüflers Leben in Buſqhinge Beiträgen 3. Lebent 
wuͤrdiger Perſonen Thl. I. S. 825. Ereeinbeck denugte das, ui 
Aid alle den König vor Ueberellung zu warnen, und 

mad) und lich das gelindere Urtel bed Gerichts 
Bardına a. 4. O. S. 209. 
8) Benekendorf VII. ©. 45, 


gef ba: 
ım in ein 
—* 
volfteden. 


Juſtizverwaltung. 461 


rathötitel gab. Er wurde num angelagt, er habe ſich bie Re⸗ 
kruten zu thener bezahlen lafien und auch aufferdem Unter 
fchleife gemacht. Der ohnehin ſchon aufgebrachte König wurde 
durch den Generalfiscal Gerbett noch mehr gereist und beide 
Criminalcollegien in Berlin mufften ihr Gutachten darüber abs 
geben. Da nun feine eigentlichen Weruntreuungen erwieſen 
waren, fo trugen die Collegia auf einige Jahre Feſtungsſtrafe 
am. Der König entſchied darauf eigenhändig: "Dbwehtih be 
rechtigt wäre, den &... ben Wille hängen zu laſſen, fo will 
ich doch aus angeflammter Huld, Gnade vor Recht ergehen 
Iaffen, jedoch ſoll er noch Heute um 9 Uhr dad erſte Mal vor 

ber Haudvogtei, das zweite Mal vor dem GSrumbkowſchen 
Haufe, das britte Mal vor dem fpanbauer Thore von dem 
Schinder zur Staupen geſchlagen und nachher auf zeitichens 
in das infame Loch nad) Spandau gebracht werben ).“ 

Bei einem folchen Verfahren Tofteten bed Königs Üübereilte 
Befehle nicht felten unfaulbigen Leuten Gut, Ehre und Les 
ben, weshalb der Vortrag des Griminalbepartements ſchon früh 
ſehr Idftig war, und ber Miniſter von Katſch deſſelben entles - 
digt zu fein wünfchte, worauf es ber bamalige Kammergerichtös 
präfibent Gocceji befam und num Minifter wurde‘). Allein 
auch Cocceji konnte in biefer Beziehung wenig ober gar nichts 
wirken, und es fam wegen ber gewoͤhnlich unverhältnigmäßis 
gen Schärfung ber Griminalurtel bahin, daß das Zuftizminis 
flerium und das Griminakollegium es für rathſam hielten, 
die dem Könige vorzulegenden Urtel nach Möglichkeit zu maͤßi⸗ 
gen und dadurch, wenn fie dann auch von Ihm gefchärft wir 
den, immer noch im Glelfe wahrer Gerechtigkeit zu bleiben. 
Das hatte aber bei dem Könige, der ein auſſerordentliches Bes 
daͤchtniß beſaß und eben fo argwoͤhniſch war, bie uͤbele Folge, 
daß er gegen die Griminalcollegia mistrauiſch wurde’). Als 
nun ein Musketiere des damals Doͤnhofiſchen Regiments durch 
Einbruch einen gewaltfamen Diebftahl von 6000 Thalern bes 
gangen, fo verurtheilte ihn das Criminalcollegium geſetzlich 


1) Benetenborf.a. a. D. ©. 86. Der hat das mit angefehen. 
2) Defele VI. ©. 5. 
8) Derſelbe VII. 4. Der fpricht Hier aus eigener Erfahrung. 


462 Bud VL Imeites Hauptſtuͤck 


zum Galgen. Dee Gentral Doͤuhof, welcher einen jungen, 
wohlgebitbeten, vorzüglich aber 6 Fuß langen Menſchen nicht 
gern verlieren wollte, ſtellte fogleich dem Könige vor, bad Gris 
minaltolleglum derfahre offenbar ungerecht, da es erſt vor Kun 
zem einen Kriegsrath, det 80,000 Thaler geſtohlen, nicht gum 
Salgen verurteilt, der größte Theil des eben von dem armen 
verführten (und 6 Fuß langen) Musketiere geftohlenen Gelbes 
aber ſich noch vorgefunden habe. Der König, ber ſich des 
Vorfalls mit dem Kriegsrathe fogleich erinnerte und wicht gern 
einen fchönen Kerl aus feiner Armee verlieren wollte, beſchied 
Togleich den Director und Me Mäthe bes Griminalcollegiums 
vor fich. Diefe wohnten in ber Stadt zerſtreuet, waren noch 
ſaͤnnntlich in ihren Schlafröden, eilten indeffen, fich anzuklei⸗ 
den und auf das Schloß zu gehen, worüber boch eine geraume 
Beit verfloß. Die große Umgebulb bes ohnehin ſchon gereizten 
Königs flieg darlıber noch Höher. Als ihm gemelbet wurde, 
vier der Räthe waren bereits anweſend, ließ er fie, ohne bie 
Ankunft der uͤbrigen abzuwarten, vos ſich kommen, indem er, 
wie gewöhnlich, auf einem hölzernen Stuhle foß umd feinen 
Stock in der Hand hielt, Anfänglich zeigte er ihnen (fcheinbar) 
mit vieler Gelaffenheit bie Urſache ihrer Vorbeſcheidung am, 
fragte aber zulegt zornlg: „Ihe S....., warum habt ie fe 
erkannt?" Als fih nun einige don ihnen wegen des gefällten 
Urteld vechtfertigen wollten, verlor. ber eine durch den Etod 
des Königs ein Paar Zähne, die anderen aber mufiten mit 
biutigen Köpfen zur Thlre greifen und bie Treppe, bis za 
welcher bee König fie verfolgte, hinunter eilen. Diejenigen, 
welche gluͤclich genug gewefen waren, mit ihrem Ankleiden zu 
fo&t fertig gu werben, entgingen dem Schickfale ihrer Collegen 
Uebrigens hatte das für ſaͤmmtliche Raͤthe weiter Leine Folgen. 
Der König mochte, nachdem fein heftiger Born fich gelegt hatte, 
feine Uebereilung einfehen, und perfönlipen Haß hegte er nicht, 
In der erſten Aufmwallung hatte er ein begangenes Unrecht zu 
ſtrafen geglaubt). Es wurden aber burch ein ſolches —8 
fahren die Beamteten dermaßen eingeſchuͤchtert, daß ſich jeder 
gewoͤhnte den Befehl des Königs augenblicklich blinblings und 


1) Benetenborf VN. S. 92 ff. 


Rechtsverwaltung. 463 


buchſtaͤblich zu befolgen. Als bie Handwerksburſchen zur Bes 
ſchleunigung des Zhunmbaues der Peterskiche auch während 
des fogenannten blauen Montags arbeiten folten und ſich defs 
fen weigerten, kam es zum Aufſtande, wobei mehrere verhaftet 
wurben. Der General Glafenapp ald Commandant an 1 Ben 
lin berichtete dad an den König und fragte an, was 
den Gefangenen thun foll. Der König fchrieb wie — * 
lich mit feiner ſehr unleſerlichen Hand auf den Bericht ſogleich 
den Beſcheid, von bem Glafenapp weiter nichts entziffern 
Tonnte, ald: „Rädel aufhenten ehe ich komme.“ Er wurde am 
folgenden Morgen um 10 Uhr erwartet. Niemand Eonnte den 
raͤthſelhaften Befehl erklären, bis man ſich befann, daß ein 
übrigens in dieſe Angelegenheit gar nicht verwidelter Dfficier 
der Gamifon Rädel heiße. Glafenapp ließ dieſen einziehen 
und zum Tode vorbereiten. Gluͤcklicherweiſe kam ganz kurz 
vor ber Vollſtreckung ber Cabinets ſecretair Marſchail an und 
erklaͤrte des Könige Befehl, daß diefer den Rädelsführer 
gemeint habe. Glafenapp ließ exfreuet den Lieutenant Mädel 
108 und fogleich einen der Gefangenen aufhenken, beffen rothe 
‚Haare ihn ald Raͤdelsführer zu bezeichnen fdienen '). - 

Die fürchterlichften Erecutionen, auſſer dem Hängen und 
Siam, daB Rädern von unten u das Aufärabflechien, 

mit glühenden Zangen kneifen und Bungenuöfchneiben riſſen 
nicht ab in Berlin, die Gefängniffe Ar die Feſtung Spandau 
wurden nicht leer ). Nur wenn Verbrecher ſchoͤne und zum 


oͤfters durch Bittſchriften von Xdvolaten, melde in fine Ins 
gen Orenabiere übergeben, zu Eingriffen in 


1) Morgenftern ©. 65. 


9) König IT. S. 208. Im I 1739 befanden ſich in Spandau 110 
Gefangene, barunter zwei 27 u. 29 Zafre alte Jaͤger, har wegen ge · 
ſtohlener beebhuͤhner zeltlebens zu figen verdammt waren; ein Wudhaͤnd ⸗ 
ler, ber geſtohlene Rebhühner gekauft hatte und 6 Jahre figen muſſte. 
Mehrere faßen auf Zeitlebens, weil fie ſich verwundet hatten, um nicht 
Spießruthen zu Laufen. 

3) König I. S. 68 Anmerk. 


464 Bud VL Zweites Hauptfiäd. 


auf das Edict erfehien,. dag ber Advokat, welcher durch einen 
potsdamer Grenabier eine Bittfchrift wuͤrde überreichen laſſen, 
neben einem ‚Hunde aufgehängt werben folle ')- 

Auch polizeiliche Wergehen wurden ſtreng beſtraft. Ber 
Öffentliche Laternen einſchlug ober befchäbigte, bezahlte 200 Ihe 
ler Strafe, erhielt fcharfen Staupenſchlag und wurde auf 10 
Jahre des Landes verwiefen (28. Febr. — | ter (18, Ge. 
1732) wurde das durch Brandmarkung auf der Stirn vers 
ſchaͤrft, und bei Soldaten mit 36 Mal Gaſſenlaufen burh 


Strafe verboten, das dann (19. Sept. 1731) auch auf Dhasan 
ausgebehnt und mit 100 Ducaten an ben Fiscus, 300 Du- 
caten zu milben Sweden ober Feſtungsſtrafe belegt. 

Beil unter dem Vorwande des Geſundheittrinkens ein 
großer Misbrauch vorgehe und der Weg zur Wöllerei gebahnt 
werde, fo wurde es durch ein Edict (u. 31. März 1718) völlig 
abgefhafft und follte von Niemandem, wes Standes er fe, 


men würde, ernſtlich angefehen und Anderen zum Grempel bes 
werben. 

Das Polizeiwefen in feinem gefammten Umfange wınde 
von den Kriegs⸗ und Domainenkammern- verwaltet. Sie hats 
ten darauf zu fehen, daß das Getreide nicht zu theuer wuͤrde; 
deshalb waren Magazine angelegt, um in wohlfeilen Zeiten 
Kom zu Laufen, in theuren aber zu verkaufen. In ben Städten 
verfertigten ber WBefehlöhaber ber dort liegenden Truppen und 
der Steuerrath des Orts, auf dem Lande die Kammern jährs 
lich die Fleiſch⸗, Bier⸗ und Brottaren. Die Kammern hats 
ten auch auf bie Erhaltung ber Feuerordnung zu fehen, daß die 


1) Benetendorf I. S. 118. Doch iſt das Edict nicht in der 
yliusfchen Cammlung erſchienen und unfkreitig fogleidh unterbrätt 


worden. 


"Polizeiverwaltung. Kirche. 465 
Straßen Ben ou gepflaftert und bie Brunnen in guten Stand ges 


jt würden. 
" Ratirlich war bie pollgelliche Thaͤtigkeit vorzugemweife auf 
bie "Hauptflabt gerichtet, von wo fid) dann durch —e—— 
bewaͤhrte weiter verbreiteten. Cine neue Jeuer⸗ 
ordnung wurde für Berlin (1717) gegeben, die Straßenbe⸗ 
Ieuchtung (1732) verbeſſert und eine neue Polizeiordnung ers 


Durch Erziehung und einfacye gefunde Natur war ber 
König wie feine Vorfahren aufrichtig religid® und dem Glau⸗ 
ben feiner Kirche, wie ihm berfelbe eingeprägt worden war," 
und er ihn aufgefafft hatte, eifrig ergeben, ohne body einen 
wefentlihen Unterſchied zwiſchen Reformirten und Lutheras 
nem zu maden und ohne bie Katpolifen zu brüden, as, 
ihm ber Propft Meinded (29. Mai 1730) meldete, ber feit 
vielen Jahren mit großen Koſten erbauete und faft vollendete 
Thurm der Peteröfiche in Berlin fei durch Einfchlagen des 
Blitzes zugleich mit der Kirche abgebrannt, ſchrieb er zuruͤck: 
Ich werde gewiß weifen, daß ich Gott lieb habe und werde, 
wo es Menſchen möglich iſt, alles in Jahr und Tag in Stand 
fegen, daß der Gottesbienft wieder Tann an felbigem Drte ‚ges 
halten werben, wozu ich weber Mühe noch Geld fparen 
werbe '.." Er bauete auch theild in Berlin und Potsdam, 
theils an anderen Drten eine große Anzahl von Kirchen. 

Er felbft beobachtete den Gottesdienſt genau und bielt 
ſtreng darauf, daß es auch von feiner Familie, feinen Beams 
teten und Dfficieren geſchah. Vor Beendigung des von ihm 
regelmaͤßig an jedem Sonntage beſuchten Gottesdienſtes durfte 
Niemand die Kirche verlaſſen. Theologie war auch bie einzige 
Wiſſenſchaft, vor welcher er einige Achtung hatte. Er ließ füs 
- gar Erbauungsbuͤcher auf feine Koften drucken und unentgelts 
Tich unter Arme und Soldaten vertheilen. Nur durch Werke, 
welche in dad Zach der Theologie fhlugen, konnten Gelehrte 


1) Baſchings Beiträge I. ©. 161. 
Stengek, Gef. d. preuſſich Staats. m. 30 


466 Bud VL Zweites Hauptfiäd, 


genbeiten 
Minifter. Anfänglih war Pringen, dann (1725) Anyphaus 
fen, barauf (1730 bis 1738) Cocceji, endlid Brand Chef des 
geiſtlichen Departements. Im Ganzen hielt er an dem Be 
fiehenden, was er von feinem Worfahren uͤberkommen und 
reichsgrundgeſetzlich war, iR fo weit e& nicht feinem Geifte 
der Ordnung widerſprach. Diefer fuchte er Überall Geltung 
m 743 gründete daher (10. Juli 1713) ein evangeüſch⸗ 
reformirtes Kirchendirectorium unb erließ (24. Det. 1713) eine 
evangelifchsreformirte Inſpections⸗ und Presbpterials, Giaffis 
cal⸗ Spimnafiens und Schulordnung für alle Provinzen, auffer 


u Bär jede Provinz follte das Kirchendirectorium einen ober 
mehrere im Leben und Lehre untabelhafte Infpectoren wäh 
den und ber König befiätigen. Diefe Inſpectoren erhielten die 
Aufficht über die gefammte Amtöverwaltung und den Lebens 
wanbel ber Prediger und Lehrer und Über die gefammten Kir⸗ 
chen⸗ Spur und Schulgebäude, deren Stiftungen und 
Vermögen. In den auf Anordnung bed Directoriums bewirks 
ten Socalvifitationen, nahmen fie die Rechnungen ab, gaben 

Anweiſungen, ertheilten Ermahnungen und mufften dafür for: 
gen, daß an jedem Drte, wo eine veformirte Gemeinde war, 
auch eine ſolche Schule eingerichtet wurde. 

Kirchenvorſteher, ohne Rangunterfchted aus der Gemeinde 
gewaͤhlt, follten mit dem Prediger unter deſſen Borfige des 
Dresbpterium ausmachen. Diefe Preöbyterien verfanmels 

ten fih zu beflimmten Seiten und beriethen, ee 
ferung der Sitten und Erbauung der Gemeinde dienlich, 
Te luft übe Sirdene un Gduinhlub: Sem 
waltung ber Stiftungen, bed Vermoͤgens und der Kirchen⸗ 
Dächer, follten Verbrechen, welche Öffentliche8 Aergerniß und Ver⸗ 
enlafung a cn gegeben, anzeigen, 

die Kischenvorftcher auch auf der Prediger und Lehrer Lebendwan⸗ 


3) Benekendorf 0.6.68 ff. u. ©. 79. 


Kirche. 467 


del und Lehre achten. Wichtige Gegenſtaͤnde brachten fie durch 
die Infpertoren an das Directorium. 

Die Paftoren und die Worfteher follten Studer ermahnen 
und firafen, doch anfänglich privatim mit Schonung, bann, 
bei großen Laftern, fcharf vor dem Preöbyterium, endlich folls 
ten fie vom Abendmahle auögefchloffen und zur oͤffentlichen 
Kirchenbuße verurtheilt, doch, weil Belehrung nicht daB 
Werk weniger Stunden, auch unterrichtet werben, daß es mit 
Aufferlicher Bezeugung nicht abgethan ſei. Die Almofenpfleger 
forgten für paſſende Bertheilung der Almofen und legten. Rech 
nung mit den Kirhenrehnungen vor dem Preöbyterium ab. 
Der König befreiete fie (17. Det. 1713) von @inquartierung, 
Baden und Servis. 

Jährlich folte in einer reformirten Parochie zum Beſten 
ber Kirchen, Schulen und Gemeinden und zur Abftellung von 
Unorbnungen eine Glaffical:Berfammlung aller zur Infpection 
gehörigen reformirten Prebiger und Aelteften gehalten iverben, 
zu welcher der Infpertor den Tag anfehte, welcher am Orte 
der Berfammlung von ber Kanzel mit der Auffoberung vers 
kundigt wurde, in ber Kirche zu erfcheinen. Der Infpector 
prüfte die Jugend über die Grundlagen bed Chriſtenthums 
und foberte Jeden, ber etwas. zum Weiten ber Kirchen und 
Säulen, ober Klagen und Beſchwerden über Amtövermaltung, 
Lehre und Lebenswanbel der Beiftlichen und Schullehrer anzus 
bringen habe, auf, das zu thun ‘). Weil die Zahl der refor⸗ 
mirten Kirchen auffer im Cleveſchen nicht fo groß war, daß 
jede Provinz mehr als eine Kiaffe ausmachen Eonnte, fo ges 
nügte bad, doch durfte das Divertorium auch allgemeine Sy⸗ 
noben außfchreiben, wenn es wollte. 

Die Gymnaſien und Iateinifhen Schulen in Berlin, 
Frankfurt a. D. und Halle follten bei ihrer Einrichtung bleiben 
und Muſter fir die in anderen Städten anzulegenben Schulen 


1) Wie nöthig das war, zeigt ein Befcript des Tönigäherger Gonfifto: 
ziums ». 3.1728 in Borat preuſſiſcher Kirchenregiſtratur S. 289, 
FH ungeifttiches Leben und Wandel. mehrerer Prediger, welche bei (es 

fundpeitteinten das KRunda mit den Glocken lauten laſſen, andere fn den 
Sircen Sembbinfplee yefetiet und ncht beriehen grobe Exceſſe bes 
gangen haben follen. 90° 





408 Bud VL Zweites Hauptfikd. 


‚werben. Es folte in Tateinifchen und beutfchen Schulen vors 
zuͤglich die Furcht des Herrn als der Weisheit Anfang beiges 
bracht und in allen einerlei Schulblicher und Vorfchriften ges 
braucht werben. Inſpectoren und Paftoren follten die Aeltern 
ermahnen, dafuͤr zu forgen, baß ihre Kinder die Grundlagen 
des Chriſtenthums verſtehen, fertig lefen und nothbürftig fchrei- 
ben lernten und Ben Öffentlichen Gottesbienft fleißig befuchten. 
Zum Anfange und Ende des Unterrichts folte ein Gapitel aus 
der heiligen Schrift gelefen, ober ein Malm gefungen und 
gebetet werben. Züchtigung folle man mit Mäßigung anwen⸗ 
‚ben, body daß wegen uͤbermaͤßiger Lindigkeit und Verzaͤrtelung 
der Jugend keine Klagen fürkaͤmen. Die Kirchendirection oder, 
in deren Namen, bie Infpectoren, beftimmten die Prüfungen 
und konnten Rechenfchaft von. ber Amtöverwaltung aller Kir⸗ 
chen⸗ und Schulbeamteten fodern. Bei der Beſtaliung mufite 
fich jeder zur Unterwerfung unter biefe Inſpectionsordnung 
‚verpflichten. 


Auch eine Inftruction und ein Reglement für die Locals 
vifftationen ber Kirchen in der Kurmark wurde (5. März u 
6. Mai 1715) erlaffen und mehrfad (27. Gept. 1736) Ges 
neraloffitationen aller Prediger angeftelit, auch (29. Sept. 1736) 
dem Directorium befohlen, ſtrenge Aufficht Aber fie zu üben 
und nur tlichtige anzuftelen. Die Infpectoren follten bei Gafs 
fation jährliche Gonduitenliften Über ale Prebiger und Berichte 
Über die Viſitation der Schulen einfchiden. Die Infpectoren 
erhielten auch (30. Sept. 1718) die Auffict über bie Stu 
denten ber Theologie, welche fih in ihre Heimath begaben, 
ſollten fich fleißig mach ihrer wiffenfchaftlichen Ausbilbung er: 
kundigen, fie eraminiren und im Katechifiren üben. In Preuffen 
wurde (3. April 1734) eine erneuerte unb erweiterte Verord⸗ 
nung Über das Kirchen» und Schulweſen erlaffen ) und (22 
Aug. 1736) zur Beförderung bed wahren thätigen Chriſten⸗ 
thums der Oberhofprebiger Quandt ald Generalfuperintenbent 
angeftellt, um über firenge Vollziehung des Kirchen⸗ und 
Schulveglements zu wachen”). Ohne koͤnigliche Genehmigung 

1) Srneuert und erweitert 25. Oct. 1735 in Arnoibts Hiforie 

Königäberger Untverfität Ahl. J. Beilage 54. 
2) König IL ©. 148. Der König Hatte früher dem Dr. Epfins 


Kirche. 4600 


durfte kein Prediger aus Berlin verreiſen (2. Sept. 1736). 
Zu Küfern und Schulmeiftern folten auffer Schneidern, Sein» 
webern, Schmieben, Rademachern und Bimmerleuten keine 
‚Handwerker angenommen werben (10. Nov. 1722). 

Die Kirchenbuße wurde (30. März 1716) angeorbnet ges 
gen Hurerei, Ghpebrud, Diebſtahl, Meineid, Fluchen, Läfle 
zung, Steffen und Saufen, Entheiligung des Sonntags, Uns 
gehorſam gegen Aeltern, Öffentliches Aergerniß. Es wurde das 
au beobachtende ausführliche Verfahren vorgeſchrieben, beſonders 
auch dem allgemeinen Wahne zu fleuern, daß die Kirchenbuße 
keine göttliche Anordnung, fonbern nur menſchliche Erfindung 
ſei. Im den Kirchen follten daher in Aller Gegenwart Fragen 
an Bußfertige über ihre Reue und Beſſerung gerichtet, dann 
die Abfolution ertheilt und ‚fie wieber in den Schoß der Ges 
meinde aufgenommen werben. Die Kirchenbuße follte Feine 
Strafe, fondern Abbitte und Ausſoͤhnung mit ber Gemeinde 
fein. Es wurde (4. Dec. 1717) wieberholt, daß bei dem jetzt 
großen Werfalle des Chriſtenthums die Buße nicht als Strafe, 
fondern als Wohlthat für den Simder anzufehen ſei. Daher 
wurden alle unnöthigen und anftößigen Geremonien, Laͤſterun⸗ 
gen und Schmähungen der Geiftlichen verboten und follte alles, 
was weltlichen Zwang und Beſchimpfung vermuthen laſſe, ver» 
mieden und das öffentlic, erklärt, auch nicht fogleich bei dem 
erfien Vorfalle bie Ausfchlieffung aus der Kicchengemeinfchaft 
verfügt, fondern, wenn dieſe nöthig fei, das vorher ben Ins 
ſpectoren und bem Gonfiftorium angezeigt werben. Eine bes 
fondere Verordnung (4. Febr, 1718) ſchrieb den Infpectoren 
vor, nicht fogleich, fondern erſt, nachdem alle Grade der Er: 
mahnungen vergeblich gewefen, die Ausſchlieſſung vom heiligen 


den Auftrag gegeben, in Lithauen den Zuſtand der Lehrer und Gemeinden 
ga unterfuchen. Er fand zwei Prediger, bie Feine Bibel im Haufe, 
ja kaum ober gar nicht darin gelefen hatten. Der eine hatte auf ber 
Univerfität bei einem Studenten gewohnt, der eine Bibel befeflen, war 
Übrigens feinem 8ojaͤhrigen Water abjungirt, in deſſen Haufe alfo auch 
eine Bibel geweſen. Boromski preufffcke Kirchenregiſtratur ©. 222. 
Bergl. ©. 240 über die zur Belegung erledigter Pfarren getroffenen 
Vorkehrungen. 


468 Bub VL Zweites Haupifikd. 


werben. Es folte in lateiniſchen und deutſchen Schulen vor 
zuͤglich die Furcht des Herrn als der Weisheit Anfang beiges 
bracht und in allen einerlei Schulblicher und Vorfchriften ges 
braucht werben. Imfpectoren und Paftoren follten die Aeltern 
ermahnen, dafuͤr zu forgen, baß ihre Kinder die Grundlagen 
des Chriſtenthums verſtehen, fertig leſen und nothblrftig ſchrei⸗ 
ben Iernten und Ben öffentlichen Gottesbienft fleißig befuchten. 
Zum Anfange und Ende des Unterrichts follte ein Gapitel aus 
der heiligen Schrift gelefen, oder ein Palm gefungen und 
gebetet werben. Züchtigung folle man mit Mäßigung anwen⸗ 
‚ben, doch daß wegen übermäßiger Lindigkeit und Verzaͤrteling 
der Jugend Feine Klagen fürkimen. Die Kirchendirection oder, 
in deren Namen, bie Infpectoren, beftimmten die Prüfungen 
und konnten Rechenſchaft von. der Amtöverwaltung aller Kir⸗ 
chen⸗ und Schulbeamteten fobern. Bei ber Beftallung muſſte 
fich jeder zur Unterwerfung unter. biefe Inſpectionsvrdnung 
verpflichten. 

Auch eine Inſtruction und ein Reglement fuͤr die Local⸗ 
viſitationen ber Kirchen in der Kurmark wurde (5. März m 
6. Mai 1715) erlaffen und mehrfach (27. Sept. 1736) Ge 
neraloffitationen aller Prediger angeftelit, auch (29. Sept. 1736) 
dem Directortum befohlen, ſtrenge Aufficht Aber fie zu üben 
und nur tlichtige anzuflelen. Die Infpectoren follten bei Gafs 
fation jährliche Conduitenliften Über alle Prediger und Berichte 
Über die Viſitation der Schulen einfchiden. Die Infpectoren 
erhielten auch (30. Sept. 1718) die Aufſicht über die Stu 
denten der Theologie, welche ſich in ihre Heimath begaben, 
folten ſich fleißig nach ihrer wiffenfchaftlichen Ausbildung ers 
kundigen, fie examiniren und im Katechiſtren üben. In Preuffen 
wurbe (3. April 1734) eine erneuerts und erweiterte Verord⸗ 
nung über das Kirchen und Schulwefen erlaffen *) und (22, 
Aug. 1736) zur Beförderung des wahren thätigen Chriftens 
thums der Oberhofprediger Quandt als Generalfuperintenbent 
angeftellt, um über ſtrenge Vollziehung bes Kirchen⸗ und 
Schulreglements zu wachen”). Dhne koͤnigliche Genehmigung 

1) Erneuert und erweitert 25. Det, 1735 in Arnoldts Gifkosie 

Univesfität Spt. I, Beilage 54, 
2) König IL ©. 148. Der Mönig hatte früher dem Dr. Epfius 


Kirche. 4600 


durfte kein Prediger aus Berlin verreiſen (2. Sept. 1736). 

Bu Küftern und Schulmeiſtern follten auſſer Schneidern, Bein 

webern, Schmieden, Rademachern und Zimmerleuten keine 
angenommen werben (10. Nov. 1722). 

Die Kirchenbuße wurde (30. März 1716) angeordnet ges 
gen Hurerei, Ehebruch, Diebftahl, Meineid, Fluchen, Läfte 
zung, Steffen und Saufen, Entheiligung des Sonntags, Un 
gehorfam gegen Aeltern, Öffentliches Aergerniß. Es wurde bad 
au beobachtende ausführliche Verfahren vorgefchrieben, beſonders 
auch dem allgemeinen Wahne zu fleuern, daß die Kirchenbuße 
keine göttliche Anordnung, fondern nur menſchliche Erfindung 
ſei. Im den Kirchen follten daher in Aller Gegenwart Fragen 
an Bußfertige über ihre Reue und Befferung gerichtet, dann 
bie Abfolution ertheilt und fie wieber in den Schoß der Ge 
meinde aufgenommen werben. Die Kirchenbuße follte Feine 
Strafe, fonbern Abbitte und Ausſoͤhnung mit der Gemeinde 
fein. Es wurbe (4. Dec. 1717) wieberholt, daß bei dem jet 
großen Werfalle des Chriſtenthums bie Buße nicht ald Strafe, 
fonben als Wohlthat für den Simder anzufehen fe. Daher 
wurden alle unnöthigen und anftößigen Geremonien, Läfterun: 
gen und Schmähungen der Geiftlichen verboten und ſollte alles, 
was weltlichen Zwang und Beſchimpfung vermuthen laffe, vers 
mieben und das Öffentlich erklaͤrt, auch nicht fogleich bei dem 
erſten Vorfalle bie Ausfchlieffung aus der Kirchengemeinfchaft 
verfügt, fonbern, wenn dieſe nöthig fei, das vorher ben Ins 
ſpectoren und dem Gonfiftorium angezeigt werben. Eine bes 
fondere Verordnung (4. Febt. 1718) fehrieb den Infpectoren 
vor, nicht fogleich, fondern erſt, nachdem alle Grade ber Er⸗ 
mahnungen vergeblich geweſen, bie Ausfchlieffung vom heiligen 


ben Auftrag gegeben, in Eithauen ben Zuſtand der Eehrer und Gemeinden 
gu unterſuchen. Ge fand zwel Prebiger, bie Feine Bibel im Haufe, 
ja kaum oder gar nicht darin gelefen hatten. Der eine hatte auf der 
Unfverfität bei einem Gtubenten gewohnt, der eine Bibel befeflen, war 
Übrigens feinem SOjährigen Water abjungirt, in deſſen Haufe alfo auch 
keine Bibel gewefen. Boromski preuſſiſche Kirdenregiftratur S. 222. 
Bergl. S. 240 über die zur Belegung erlebigter Pfarren getroffenen 
Borkehrungen. 


470 Bud VL Zweites Hauptftüd. 


Abenbmahle, zu verhängen '). Allen Griminakcollegien wurbe 

(25. Juni nn) befohlen, die Kirchenbuße ben Geiftlihen zu 
überlaffen; die für gefallene Mädchen wurde indeflen (1720) 
aufgehoben ). Schr wohlthätig war die auf den Worfchlag 
des Kirchendirectoriums von ihm (13. Aug. 1716) angeosbnete 
Stiftung ber evangelifch sreformirten Prediger Wittwens und 
Waiſenkaſſe in der Kurmark ’), 

&o wie der König indeſſen als unbeſchraͤnkter ‚Herr in 
allen übrigen Gegenftänben verfuhr, fo handelte er auch gegen 
bie Kirche und, wie überoll, meinte er es auch dabei ganz gut 
und beabfihtigte das an ie ohne Rüdficht auf diejenigen zu 
nehmen, welche darunter litten. Er befahl allen Geiftlichen 
nachdruͤcklich, in jeder Predigt die Treue und den Gehorfam, 
welchen die Unterthanen dem Könige zu erweifen ſchuldig, vors 
zuſtellen und auf bie daraus fließende wilige Abtragung ihrer 
Leiftungen an ihn mit gehörigen Eifer zu dringen. ‚Die ißs 
cale folten befonbers Acht haben, daß die Prediger das thds 
ten. Bald darauf wurde ihm angezeigt, der Dberhofprebiger 
Quandt in Koͤnigsberg habe zweimal in feinen Predigten ums 
terlaffen, die Unterthanen an ihre Pflicht zu erinnern. Der 
König verwies ihm, der anderen Prebigern mit gutem Bei: 
fpiele vorangehen folle, das auf das Schärffie, befahl ihm ge 
borfam zu fein ober zu gewärtigen, daß ſolches auf andere 
Weiſe an ihm werde geahndet werben (31. März 1723) *). 

Am 18. December 1714 verorbnete er, weil fo viele zes 
formirte und lutheriſche Prediger ihre Predigten fo ungemein 
lang einrichteten und nur durch verbrießliche Bieserbolungen 


deffelben Gegenftandes fo verlängerten, daß den Zuhörern bie 


Aufmerkſamkeit und Andacht entgehe, die Predigt folle bei 


1) Auch bei Faßmann IL ©. 268. 
2) Chentaf. I. S. 827. 
8) Rach dem Gbicte wurden aus ben Ueberfchüffen ber Kirchenkaſſe 
2 Procent an bie Witwenlaffe gegeben, ferner bei jeder Anflellung und 
wenigftens 1 Procent, von Werbefferungen und Zulagen 2 Thaler, 
ee ea vom Behai Daͤhrlich wurde noch eine Kir⸗ 
—æ dafur 


9 —— VOL. S. 8. 


Geſange und dem Gebete nie über eine Stumbe bauen. 

follten — (21. Jan. 1716) nur noch Edicte in Kirchen: 
fachen vom ber Kanzel, bie übrigen Bekanntmachungen aber 
vor dem Gottesdienſte vom Küfter vor der Kanzel verlefen 
werben. Als das nicht gehörig beobachtet wurde, bezeugte er 
€10. April 1717) darüber fein Misfallen, befahl Gehorſam und 
Beſtrafung ber Uebertreter, auch derjenigen, welche biefe Ver⸗ 
orbmung, auzapfen oder fich Über fie beſchweren würden; weil 
auch daS Wiehfterben nachgelafien, Tönne die befondere Mitte 


deshalb ausgelaſſen und nur im Gebete allgemein miterwähnt , 


werden. Später (22. Febr. 1720) follten nur Pönaledicte 
und Kirchenfachen von der Kanzel verlefen werben. 

Er hätte beide evangeliſche Gonfeffionen gern vereinigt ), 
wenn‘ füh dad hätte wie bie Abſchaffung einiger Geremonien 
vermittelt firenger Befehle durchfegen iaſſen, was doch unmögs 
lich war. Er that auch einige Schritte deshalb bei bem kurs 
ſaͤchſiſchen Confiftorium, obwohl mit eben fo geringem Exfolge, 
als er fich in der Schweiz bemühete, bie Spaltung unter ben 
Evangeliſchen zu vermindem *). Er wollte auch (1725), dag 
feine Hofprebiger, Noltenius, Iablonsfi und ber Felbpropfl 
Gedikr an ber Bereinigung beider Eonfeffionen arbeiten follten ), 
doch waren die Schwierigkeiten noch zu groß, auch der Probſt 
Reinbeck felbft dagegen ). Der König that alfo das Beſte, 
was er unter folchen Khättiffen thun konnte, er machte 
zwiſchen den Bekennern beider Gonfeffionen keinen Unterſchied, 
bewies vielmehr beiden Achtung und Vertrauen und forgte für 
beide gleichmäßig, ja es wird behauptet, es hätten die Pre 

wenigſtens ber damaligen lutheriſchen Dreiger in in Bers 
lin im mehr zugeſagt, als bie ber reformirten ). Seine Ger 


In einem Schrelben an ben kamburger Magiſtrat » 20. Dec. 
m aflıt er das bi Bafmanıı. ©. 916. 


2) Rauvillon U. ©. 22. 

8) König L ©. 188. 

4) Büfdings Beiträge zur Lebensbeſchreibung u. ſ. w. I. ©. 150. 
5) Benstenbosf IL ©. 64. Faßmann I. ©. 908. 


412 Bud VI Zweites Hauptfiäd. 


mahlin blieb lutheriſch, feine Kinder ließ er von reformirten 
und lutheriſchen Geiſtlichen in den Religionskenntniſſen prüfen '), 
geitattete auch, daß feine Tochter Charlotte bei Ihrer Verheirathug 
ee ee uew latheſche: 


Er feierte (1713) dad Jubelfeſt der Annahme des vefors 
mirten Giaubensbekenntniſſes im Brandenbuirgifchen, wie (1717) 
das der ‚Reformation, (1730) ber Webergabe ber augsburgifchen 
Gonfeffion und (1739) der Einführung der Reformation in der 
Mark. Als ber geößtentheils veformirte Magiftrat in Frank 
furt a. D. aus Partellichkeit gegen bie Lutheraner eine reſor⸗ 
mirte Selbſtmoͤrderin mit Gewalt auf dem Iutherifchen Gottes 
ader begraben ließ, wurde fle auf Befehl des Königs wieder 
ausgegraben, auf dem veformirten Kirchhofe beerbigt und ber 
Magiſtrat muffte 2000 Thaler Strafe zu Erbauung des Thur⸗ 
mes ber berliner Petrikirche bezahlen, ber veformirte Major 
aber, der den Magiſtrat mit ber Befagung unterſticht, wurde 
caſſirt ). Der König erneuerte feines Vaters und Großvater: 

- Rerbot, in Wittenberg zu ſtudiren, wegen ber bortigen fried⸗ 
häffigen‘, die Einigkeit unter den Evangelifchen ftörenben Grund» 
füge. Auch die alten Ebicte (v. I. 1614, 1662 und 1667) 
jur Friedens unter beiden Rellgionsverwanbten 
erneuerte er (31. Juli 1714) und verbot, als neue Gtreitig 
keiten entflanden (10. Mai 1719) den Prebigern, gegen ein 
ander zu prebigen. 

Die Lehre von ber befonberen Gnabenwahl, welde ben 
Lutheranern fo anſtoͤßig war, nahm er felbft nicht an, fonbern 
nur die allgemeine Gnadenwahl wollte er gelten laſſen ). Weil 
mun, heiſſt es in einem Edicte (v. 19. Mai 1719) diefe Mo 
terie von der Gnadenwahl unfelige Trennung verurfacht und 
wohl nach wie vor unausgemacht bleiben, jet aber wieder 


1) daßmann L ©. 927. ' 
©) Phlinig Men, IL p. 290. 
8) Bafmann L ©. 1064. 


4) Bag. was Bafmann I. &. 907 daruͤber fagt unb den dort 
erzählten Borfall. . 


Kirche. 473 


mit Heftigfeit auf der Kanzel verhandelt werde, fo befahl: er 
bei Suöpenfion vom Amte oder anderer willfinlicher Strafe 
von biefem Streite auf der Kanzel gänzlich abzuftshen, bie 
Biscale folten bie dawider Hanbeinden als offenbare Veraͤchter 
Eöniglicher Befehle a As aber (21. April 1723) ber 
König den lutheriſchen Prebigern überhaupt verbot, Streitfra⸗ 
gen, bie Verſchiedenheit der evangelifhen Kirchen betreffend, 
vorzüglich bie Lehre von der Gnadenwahl auf bie Kanzel zu 
bringen, baten bie angefehenften Berlins, 
Seite, Roloff und Reinbeck im Namen aller Übrigen, ber 
König möge doch, wie der große Kurfürft (6. Mai 1668). ges 
ftatten, ſoiche Gegenftände mit Befcheibenheit .abzupanbeln, die 
Einwuͤrfe der Reformirten zu beantworten unb ben Ungrund 
ihrer Lehre aus der Bibel zu zeigen"). 

Als Erdmann Neumeifter, ein hamburgifcher Geiftlicher 
beftig gegen bie Calviniſten -und. deren Vereinigung mit den 

—æã — ſchrieb, fo beſchwerte fich der König (1726) nach⸗ 

behcflich bei dem Magiftrate in Hamburg, daß die dortigen 
unruhigen Iutherifchen Priefter auf den Kanzeln und in Druda 
und Schmähfchriften bie veformirte Religion verleumberifch vers 
unglimpften und verlangte Neumeiſters eremplarifche Beſtra⸗ 
fung‘). Auch bei dem Herzoge von Weimar befchwerte er 
ſich über eines Geiſtlichen Schrift gegen die Reformirten, was 
biefem einen ſcharfen Verweis vom Herzoge zuzog ). 5 

Weit wirkfamer zur gegenfeitigen Annäherung beider evan⸗ 
geliſchen Kirchen war bie Stiftung von Concordien⸗ oder Si⸗ 
multankirchen, in melden abwechſelnd lutheriſcher und re⸗ 
formirter Gottesdienſt gehalten wurde, und es kann wohl fein, 


1) ——— 
u. ſ. mL. 151. Der Erfolg if unbefannt. 


2) Das Schreiben aus der europaͤiſchen Fama bei Faßmann L 
6.016. Die Schrift Reumeifters wurde unterbrädt, weil auch bie 
evangelifchen Fuͤrſten von Segensburg ſich beſchwerten. Verbannt wurde 
Reumeifter nicht. Mauvillon IL ©. 22 fagt, er fei dazu verustheitt 
worden. Gr feierte auch fein SOjäpriges Amtsjubelfeft und ſiarb in Hams 
— 1756. Wergl. Steinbeis Leben bei Bäfhing a. a. O. Thl. J. 

152. 


9 Rauvilton n. &. 2387. 


7 Bub VI. Zweites Hauptſtac 


(26. Aug. 1729), damit ſich, wie es heifft, Niemand weiter 
baran zu feanbalifiren habe, bei ben Begraͤbniſſen ber Luthes 
raner ein Erucifie ober ſonſt ein Kreuz der Leiche vorzutragen 


In dem Reglement (v. 25. Febr. 1733), wie der Bots 
tesdienſt in der im I. 1730 abgebrannten Petrikirche in Ber 
kin gehalten werben folle, wurbe beflimmt: bie Kirche folle 
um bald 9 angehen und um: halb 11 mit der Predigt und 
dem Gebete geenbigt fein,. darauf Worbitten, Dankfagungen, 
Aufgebote, baß Generalbeichtgebet, das Water Unfer und der 
De ee er J 
heben, aber kein Kreuz ſchlagen muͤſſe. Auch nach ber Bor 
. bereitung zum Abendmahle folle ee der 


hehe. Die fo vielen Misbraͤuchen unterworfene Privatbeichte 
wurde abgeftellt, und die Generalbeichte allgemein y 
führt. Die Prediger wurden ermahnt, nicht auf das duf: 

fere, nichtige Ceremonienwerk, fo noch aus ber katholiſchen 
Kirche herſtamme, zu feben, als fich vielmehr Aufferft angelegen 
fein zulaffen, die ihnen anvertraueten Seelen mehr und mehr zu | 


1) Benetenborf IL. 65. Ohne Zwang nicht! 


Kirche. Bottesbienfl, 475 


einem yigafcren Weſen und thaͤtigen Chriſtenthume zu 
en’). 
it bie Gonfifiorlalpräfidenten die Prediger näher ken ⸗ 


(1736) allen Predigern in ber Kurmark befohlen, fi) in Bers 
ün vor dem Conſiſtorium und vorzüglich vor dem geheimen 
Rothe von Reichenbach zu ſtellen, fich über ihre, fogenannte 
e betreffende Lehre zu erklären und des Königs Mes 

fehl darüber zu hören. Haufenweiie kamen bie Prediger nach 
Berlin, weshalb man biefen Vorgang bie Prieflerrevue nannte. 
Es wurden Vorträge über jene Gegenftände gehalten und viele 
Zutheraner geftanden, daß fie Fein nothwendiges Stuͤck der 
Religion wären, und daher ben Wünſchen des Königs darin 
nachgegeben werben koͤnne. Einige erinnerten wohl, daß es 
unſchuldige und nicht ganz unnlige Dinge wären und fragten, 
ob benn die Reformirten nicht auch etwas nachgeben wollten, 
indem auch bei ihnen Mittelbinge wären, welche einer Aendes 
rung bebürften. Alle wurden zu sechtfchaffenem und eremplas 


riſchem Wandel ermahnt, manche gewarnt, einige erhielten fcharfe - 


Verweife. Der König befahl num die Abfchaffung aller ihm 
anftößigen Geremonien (27. Sept. 1736), baß feine ernſtliche 
Intention fei, das Abfingen ber Gebete und des Gegend, 
ſowie die Worte der Einfegung des Abendmahls in Städten 
und auf dem Lande ein für allemal abzuftellen, wogegen bie 
Worte der Cinfegung bed heiligen Abendmahl und bes Ges 


iger 

König ein gleiche Reglement wie flr die Petrikirche auch fir 
die Iutherifche Kirche im -Herzogthum Magdeburg und im Fürs 
ſtenthume Halberftabt bekannt machen. Obwohl nım mehrere 

jer fih unterwarfen, fo fand doch im Allgemeinen das 
Reglement fo vielen Widerftand, daß ber König, welcher nicht 
gewöhnt war, nachzugeben, ohne im Geringſten Rüdficht auf 
die ihm von der Geiftlichkeit zu Magdeburg, Halle und Hals 


1) Safmann II. ©. 746. 
D) Buchh olz V. ©. 166. 


gebracht worben fei, benjenigen aber, welche einiges Be 
denken babei hätten ober eine Gewiſſensſache daraus machen 


Ten. : Hierauf gaben 55 Geifilkhe der Gtabt und des Her 
vhs Magdeburg die ihnen abgezwungene Erklaͤrung des 
mit. wiberfirebendem ‚Herzen umb mit zum Zeile 


Dank! nichts von päpftlichen ober abergläubifchen, fonbern von 
apoftolifchen Eeremonien.” Der Königzeigte mm auf den dar 
über abgeftatteten Bericht des —— demſelben (16. Rev. 
1737) an, daß ex ben Prediger Braun bereits wirklich caffıt 
unb einen Anderen an deſſen Stelle "Benominict, worauf ie 
übrigen Prediger verwiefen wurden, ba auch fie auf die ge 


ſten Intereffe ; 
ten‘). Auch in ben übrigen Provinzen fuchte ber König die 
anfaheffung de im anftößigen Eeremonien zu bewirken. 


50,000 evangelifche Schlefier hatten ve den Bedruͤcungen, 
1 Bafmann SHL J. S. 747 ff. und zum Theil aus ifem Era: 
mer zur Seſchichte iche LOS 

Bricric IL. 
wern bie Bälebereinführung ihrer Geremonien. 


Kirchen. Gottesdienſt. 47 


denen fie fortwährend noch in ihrem Waterlande ausgefegt was 
en, auf der Grenze auf branbenburgifchem Gebiete einige Kir⸗ 
hen, Pfarr⸗ und Küfterhäufer erbauet, welche faft nur von 
ihnen befucht wurben. Als der König bie lutheriſchen Ges 
braͤuche abfchaffte, nahmen bie Katholiken dieſe Gelegenheit 
wahr, verboten ben Lutheranern, ihre Kinber in den Grenz 
kirchen taufen zu laſſen und brobeten, beren Beſuch zu vers 


wehren, weil in ber Mark Leine Lutheraner mehr wären. Der 


Dropft Reinbet bat daher bie Königin um Verwendung für 

Beibehaltung ber alten Gebräuche in den Grenzkirchen. Die 
Königin wagte dad nicht, weil der König nichts davon hören 
wolle. Doc ſcheinen Jablonski und Reinbeck, die der König 
ſehr achtete, es durchgeſetzt zu haben, daß er nachgab; jeden 
falls blieben bie anderwaͤrts abgefchafften Gebräuche in ben 
Grenzkirchen, was den Katholifen bie Weranlaffung nahm, den 
Gottesdienſt der Lutheraner hier zu ſtoͤren '). 

Im Allgemeinen hielt er fonft am hergebrachten Glauben 
und wollte nicht, daß bavon abgewichen wuͤrde). Seinen 
einfachen Verſtande wiberfivebten theologifche und-philofophifche 
Spigfinbigkeiten, da es ihm bier allein auf Glauben zur Se 
ligkeit, nicht aber auf ein wiſſenſchaftliches Exgreifen ber Ges 
genſtaͤnde ankam. Beſondere Veranlaffungen und Eindrüͤcke 
verflärkten oder ſchwaͤchten biefe für das häusliche Bebirfniß 
fo durchaus genügenbe Frömmigkeit und deren Uebungen, darch 
welche doch, wie man meinte, gewiffermaßen Gott verföhnt 
und der Suͤnder gerechtfertigt wurbe. Daher hatten ber aufrich⸗ 
tig fromme Franke und andere vom Könige als wahrhaft 
fromm erkannte Männer auf ihn zumeilm nicht geringen 
Einfluß. 

1) Reinbeds Eben in Wäfdings Beltcägen I. ©. 198. Mergl. 
bayı D. Brüpbuß Geſchichte ber Parodie Prittag (Grünberg 1841) 
©&. 202. Dort tft auch eine‘ Abbildung der ehemaligen Grenzkirche im 
tfchichergiger Oberwalbe, auf brandendurgiſchem Gebiete, eine Hütte unter 
uralten Eichen. 


2) Morgenftern ©. 19%. Er glaubte getreulich, mas ihn he 
Geifttichen von Bott, Engeln, Teufen, Bimmel und HölLe gelehrt hats 
ten, ja die Furcht vor dem Teufel war wenig geringer, als bie Liebe ” 
‚gen Gott. 


«78 Bud VL Zweites Hauptftäd. 


Die großen Anſtrengungen, denen ſich der König bei der 
Verwaltung des Staats, wie auf feinen Reifen und Sagben 
ſchonungslos unteryog, fo wie bie gewaltigen Mahlzeiten, welde 
er hielt, und wobei denn auch fehr viel getrunken wurde, hatten 
im 3. 1727 feine Gefundheit fehr erfhüttert und er fing an 
Tränktich und bypochondrifch zu werden. Franke mochte bie 
Gelegenheit wahrhehmen, um ibn auf manches in der erfim 
Aufwalung begangene Unrecht aufmerffam zu machen ımb 
auf reine chriſtliche Geſinnung zu dringen. Der Koͤnig nahen 


nachbrüdlich ausführen. Während ber Mittagstafel ſprach 
Franke erbaulich, nach ihm der König zu feiner Familie, fein 
Karmmerdiener flimmte einen Choral an und alle Ammefenden 
mufften einftimmen. Der König dachte fogar einige Zeit baran, 
abzudanken, ſich nad Wufterhaufen zuruͤckzuziehen, und ber 
mit feiner Familie als einfacher Landwirth zu leben ). Ins 


Piefiften nicht recht vertrug, hinter welchem er oft Heuchelei 
argwoͤhnte, deren abgeſagter Feind er war. Als der lutheriſche 
Prediger Schubert in Potsdam, welcher Privatandaqhten el, 


dann: „Ihr koͤnnt ruhig fortfahren, 16 finde nichts Anftöpie 
ge." Bon dem Profefior —— in oe hatte er gehört, 
dieſer halte Betſtunden. Der König meinte, Böhmer 


1) Mömeires de Bareith I. p. 98. Die Peigefn dat me tunen, 
and Die eine fe fpie Zunge: En un moi der nous 
les religieux de a pe eto, So wie hir 

Dee de ——— be Ro 
— niederzulegen, aufzufaſſen fein. Es war kein Sqherz, ſos⸗ 
ben Dirkung augenblidtider Bergl. Dorgenftern 
211. Er malte fh) dann lebhaft aus, wie er als Bandebeimann Ichen 


Hi 


, 


Airche. Secten «9 


Ehe das fen, es wäre Kae Heucheli und er halte nihes 
davon ’). 

Ueberhaupt war er allen Secten abgeneigt, weniger wohl 
wegen ihrer Grimbfäge, weiche er meifiens nicht kannte, als 
um die beſtehenden Glaubensbekenntniſſe rein zu erhalten und 
weil er als unbefcränkter Fürft natuͤrlich dahin firebte, in 
jeder Beziehung Gleichfoͤrmigkeit in die geſammte Staatsorgas 
nifation, alfo auch foviel irgend thunlich in die Glaubensbes 
Eenntniffe und deren Uebung zu bringen. Dennoch duldett er 
fie, fobald ihre Lehren nur myſtiſche und ihnen dunkele Ges 
genftände, nicht aber den Staat betrafen ?), und zeigte fich bei 
dem gegen mehrere angeblich fchwärmerifche Secten 
Unterfuchungen fehonend °). Doch wurben nicht nur (31. Jan. 
1727) Büuͤcher mit atheiftifcgen Grundfägen unterfagt, fondern 
(30. Nov. 1735) die Gonfiscation der Bücher des famdfen 
Dippel und anderer Sectirer angeorbnet und bie 
berfelben bei 2000 Thalern verboten. Daffelbe geſchab (2. Jum 
1736) bei 100 Ducaten Strafe ruͤckſichtlich der Werthheimfchen 
Bibel, welche gleich darauf (15. Iumi) bei 100 Thaler Strafe 
confischrt wurde, weil bie in den Buͤchern Moſis von dem 

wahren Meffia als Heilande der Welt enthaltene Verheiſſung 
faſt —— verdrehet und entkraͤftet ſei. 
Die Mennoniten duldete er anfaͤnglich in Preuffen 
(2. Apr. wie wo fie fi), wie überall, durch vortreffliche 
Einrichtung ihrer Wirthſchaften und als gehorfame, ſtille und 
fittlich muſterhafte Unterthanen auszeichneten. Allein bei feiner 
Anmwefenheit in Preuffen (1732), mismuthig durch die großen 
Verheerungen, voelehe bie Heuſchrecken bort bewirkt hatten, 
unb wohl von irgenb einem feiner Generale gegen bie Men⸗ 
moniten gereizt, weil biefe ihren Religionögrundfägen gemäß . 
dem Kriegsdienſt für unchriſtlich hielten, ftatt deſſen aber eine 
anfehnliche Abgabe entrichteter, zwang er deren Vorſteher, daB 
ihnen ertheilte Privilegium zurückzugeben, befahl ihnen (22. Febr. 
1732), bei Strafe der Karre innerhalb dreier Monate Preuffen 


1) Benetenborf VIIL S. 65. 
9) Buchholz V. ©. 160. 
8) König I. ©. 381. 


480 Bud VL Bweites Yauptkäl. 


zu verlaffen, und trug ber Kummer auf, an ihre Stelle gute 
Thriſten zu fuchen, bie den Solbatenftand nicht verabfcheueten '). 
In Koͤnigsberg jedoch ſollten fie eonvivendo gebulbet werden, 
doch. befonderd Wolls, und Zeugfabriken anlegen (22. Sept. 
1732). Auch die früher duldſamer behandelten Unitarier oder 
Socinianer in Preuffen ſchraͤnkte er ſtreng auf das ihnen von ſei⸗ 
nen Vorfahren ertheilte Privilegium ein, und wollte ihnen kris 
nen förmlichen Gottesdienſt unter keitung eines Prebigerd und 
Schulmeiſters geflatten ). 

Aus gleicher Quelle, ſcheint es, floß eine · andere Verfi⸗ 
gung. Als der Generalfiscal anzeigte, auf dem Gute des Ges 
nerais Linger habe ein Prediger gegen den König und ben 
General ehrenrührige Reden ausgeſtoßen und fei ein Socinia⸗ 

‚ner, fo verfügte der König eigenhändig: „Was er wiber mid 
geiprochen hat, vergebe ich ihm und hoffe, Ringer werbe ein 
gleiches thun; iſt er aber ein Socinianer, fo fol man ihn eine 
mauern." Natuͤrlich leugnete der Geiſtliche, ein Socinianer zu 
fein, was auch nicht bewiefen werben Eonnte, weil ber Gene 
valfical feine Denunciation nur auf mehrere zweibeutige Worte 
gründete, deren fo dr Preige im Beftfänften bein he 
ben folte”). Auch der Paflor Baumgarten in Halle wurde 
ihm angegeben, ein Socinianer zu fein, das heiffe, Grunbfäge 
von Leuten zu haben, die es mit ber ganzen chriſtlichen Kirche 
aufnähmen. Der König, welder nicht zweifelte, daß Baum 
garten ein fehr langer, kraͤftiger Menſch fein aa lleß iha 
ſogleich kommen, um ihn als Unterofficier in fein Leibregiment 

zu nehmen, fand aber zu ſeinem großen Erſtaunen nur einen 
Heinen ſchwaͤchlichen Mann, und fagte baher zu ihm: „Gehe er 
in Gottes Namen und Ichre er fleigig fort, er kann Fein Socinia ⸗ 
ner fein, er wäre mir ber Mann danach, ber es mit der gangen 
chriſtlichen Kirche aufnehmen wollte, dazu iſt er viel zu ſchwach ).“ 

—8 * ©. 427. Bersl Bafmann I. ©. 912, weihe 
denſelben der Vertreibung ber Mennoniten angibt. ergl Bor 

B CIE peuiTide Riegamelkatıe ©. 9. j 

2) Bor ows ki preuffifche ———— © 248. 

8) Benekendorf IL &. 76. 

4) Denkwuͤrdigkeiten der Mark Brandenburg v. 3.1799. Xi. L. & 391. 


Kirche. Secten. Wolf. 481 


Aus biefem Gefichtöpunfte wird man den berüchtigten 
Vorfal mit dem Profeffor Wolf betrachten müffen, der damalß 
- fo viel Auffehen machte. Chriſtian Wolf, feit dem 3. 1706 
Profeffor der Mathematit an der Univerfität Halle, hatte feit 
dem 3. 1709 auch Vorlefungen über philofophifche Wiſſen⸗ 
ſchaften gehalten, welche vielen Beifall fanden. Seine Philos 
ſophie misfiel indefjen ben Theologen ebenfo, wie deren Theo⸗ 
Togie ihm. Beide ſchonten einander nicht; ed entfland gegen 
feitige auch perſoͤnliche Erbitterung und es war, wie zu allen 
Beiten, den Theologen leicht, durch felbftgegogene Folgerungen 
aus an fi unſchaͤdlichen Sägen und durch willkuͤrliche Deus 
tung des Sinnes derfelben bie Philofophie Wolfs gefährlich zu 
finden. Der Streit wurde öffentlich, als Wolf das von ihm 
geführte Rectorat (12. Juli 1721) nach damaliger Sitte mit 
einer feierlichen Rebe feinem Nachfolger, dem Profeffor der 
Zheologie Lange übergab. Wolfe Rede über die praktiſche 
Philofophie oder Moral der Ehinefen war den Xheologen fo 
anftößig, daß der Profeffor Breithaupt am folgenden Tage 
Dagegen prebigte und Hermann Franke, ald Decan der theolos 
gifhen Facultät, ſich das Concept derfelben ausbat. Molf 
weigerte fi, das herauszugeben, erbot ſich aber zu allen 
mimblichen Erläuterungen, welche die Zacultät fodern werde. 
Nachdem darauf von beiden Seiten mehrere Schriften vers 
Öffentlicht und Beſchwerden bei dem geheimen Rathöcollegium 
in Berlin erhoben worden waren, wo fich ber Gurator der 
Univerfität, der Miniſter von Pringen, dem Profeffor Wolf 
geneigt zeigte, wendete fi die theologifhe Facultaͤt unmittels 
bar an ben König, der biöher von dem Streite nichts gewuſſt 
hatte, bat ihn um eine Unterfuhungscommiffion und reichte 
einige kurzgefaſſte Befchuldigungspunfte gegen Wolf ein. Ehe 
noch der König die erbetene Commiſſion ernannte, kamen aus 
Halle die bei ihm in hoher Gunft ftehenden und fireng auf 
Drdnung auch im Gottesdienfte und Chriſtenthume haltenden 
Generale von Nagmer und von Löben, welchen man bie Wols 
fiſche Philoſophie unftreitig als hoͤchſt gefährlich gefchildert Hatte, 
nach Berlin. Es ift fehr glaublich, daß dem Könige, um ihn 
gegen Wolf zu reizen, vorgeftellt worden, nach ber Wolfifchen 
Ppilofophie duͤrfe ein entlaufener Solbat rechtmäßig nicht ges 
Gtenzel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IL * 3 


[:] Bud VL Bmeites Haupiiäd, 


ſtraſt werden, weil er feiner Prädeftination nad nicht anders 
babe handeln koͤnnen). Genug, ber König erließ (8. Nov. 1723) 
ein Refcript an die Univerfitdt, daß ihm binterbracht worben, 
der Profeffor Wolf fole in öffentlichen Schriften und Bor 
lefungen ſolche Lehren vortragen, welche ber im göttlichen Borte 


— Seine Schriften wurden (1727) 55* auf 
Betrieb des Profeſſors der Theologie, Joachim Lange, bei 
Strafe ber Karre verboten, dagegen muſſten xs ſehr zahl⸗ 
reiche und ſehr umfangreiche Werke unter den Titeln: 
liſches, moſaiſches bibliſches u. |. w. Licht und Recht genaumt 
welche keinen Abſatz fanden, von jeder Kirche im Branden⸗ 
burgiſchen aus deren Wermögen angeſchafft werben *). 
Der Paftor Fiſcher, welcher feine Bedenklichkeiten über 


1) Benetendorf IT. &. 28 befdulbigt ben Profeflor Gundling in 
‚Halle, daß biefer feinen Bruder, den geheimen Rath, Bofnarren m. f. m. 
Yaul Gundling, veranlafit habe, dem Könige das Obige vorzuftellen! 

Y) Bi Cramer zur Geſch. Friedrich Wilhelms L u. f. w. S. 72. 

3) Hofbauer in ber Geſch. d. Univerfität Halle S. 199, und König 
in der Vefchreibung Berlins unter Friedrich Wilhelm I. Thl. IL ©. 190 
hätten bie aus Sotſcheds Hiftor. Lobſchrift auf Wolf in Bifcings Beir 


gere Drau gerufen, nicht wiederholen follen, ba fie Bfcing Sp. U. ia 
der Vorrede aus guten Gründen zuruͤkgenommen. 


4) König I. ©. 120. Diefe Werke Eange's befichen ans einer 
Verntichen Anzahl von Bolianten, . 
9) Bacıko VI. ©. 442. 


Rarhotiten. 483 


und Jablonsti (10. Juli 1733) nicht verflattet, Ihre Soͤbne 
nach England gepen zu laffen, weil dort Keine Drthoberie der 
Religion flatuirt werde und es ein Gtmdenland fei, fie moͤch⸗ 
ten fie lieber nach Halle oder nach Frankfurt ſchicken. Der 
König klagte zugleich fehe darüber, daß eb ben Reformirten 


a Tate he ee 
machen koͤnne). 

Bon mancher vorgefafften Meinung, befonders von feinem 
Vorurtheile gegen Wolf, kam der König, wie wir ſeben wer⸗ 
den, in feinen fpäteren Jahren auf Vorſtellung waderer und 
einfichtövoller ‚Börologen zuruͤck, ein Beweis, wie ſehr feinem 
„Bergen eigentlich eine ſoiche ‚Härte, wie er 8 gegen dieſen 
beruͤhmten Gelehrten bewieſen, fremd wer, und daß er, nur 
durch Vorſtellungen feiner Umgebungen gereizt, in einem bei 
ihm fo gewoͤhnlichen Anfalle von Zorn gehandelt hatte. 

Obwohl er dem Katholiiämus abgmeigt war, fa ſtͤrte 


Indeſſen bi emoS Um die Gewerke de Seife Bahn I 
Dresben vo (1726), daß er den Katholifen verbot, in Ben 
lin ferner eigene Häufer zu erwerben; fle durſten nur bie bes 
halten, weiche fie bereits befagen?). Auſſerordentlich brachte 
es ihm auf, als er nach dem Tode feined Gefanbten, bed Gre 
fen Metternich in Regentburg (1728), erfuhr, biefer Werräther 
fei lange vorher heimlich Batholifch geworben, was ex ſelbſt 
kurz vor ſeinem Tode dem Könige anzeigte, mit ber Behaup⸗ 
tung, jebem vechtfchaffenen Katholiten fiche es frei, ib In Re 
ligio 


Recht meinte, weder in Gottes Wort noch bei einem reche 


1) Naczko VI. ©. 469 Beilage AIII. 
2) Bafmann J. & 914. 


484 Bud VL 3weites Hauptſtuͤck 


(offenen Theologen jemals gefunden worden ). Er unterfagte 
daher (1729) allen katholiſchen Provinzialen die geiſtliche Ge 
richtsbarkeit und bie Vifitation der Kirchen und aud (1732) 
bei fchwerer Strafe, Proteftanten an fih zu -ziehen und Pros 
elyten zu machen. Gelbft von ber katholiſchen Kirche zur 
evangelifchen uͤbergetretene Geiftliche follten nicht zu Prebigern 
und Schulmaͤnnern berufen werben. 

Nur wenn katholiſche Fürften ihre evangelifchen Unters 
thanen verfolgten, glaubte er mehrmals biefen feinen wirkſameren 
Beiſtand leiften zu koͤnnen, als indem er feine katholiſchen Un 
terthanen bebrohete oder gar in ihren echten befchränfte, wie 


‚wir bereit8 gelegentlich ber Streitigkeiten mit Kurpfalz gefeben 


Haben. Zu den unpeitvoflen Greigniffen, welde damals die 
Umtriebe vorzüglich der Iefuiten herbeiführten, die auf jede 
Weiſe bie Katholifen gegen bie Proteflanten veizten, gehörten 
bie Vorfälle in Thorn, welche wir, da fie eine Stadt betveffen, 
die jegt zum preuſſiſchen Staate gehört und auch Friedrich 
Wilhelms I. Denk: und Hanblungsweife in biefer Beziehung 
ar hier kurz erzählen wollen. 
In Thorn hatte der Proteſtantismus ſchon früh viele An 
Hänger gefunden, denen durch ein Privilegium König Sigis. 
mund Augaft (1557) die öffentliche Religiondfreipeit und den 
Befig ihrer Kirchen gefihert und dann durch Reichetagsbe 
ſchlüſſe und Wahlcapitulationen der Könige beſtaͤtigt worden 
war. Im Anfange des 17. Jahrhunderts hatten die Jeſuiten 
hier ein Collegium errichtet und ſeitdem, im Vereine mit der 
immer mächtiger werbenben katholiſchen Seiſtlichkeit und den 
ſchwachen Königen, immer größere Eingriffe in die Rechte der 
Evangeliſchen gemacht, ihnen eine Kirche nach ber anderem, 
endlich fogar ihre Pfarrkicche genommen, fo baß ihnen nur . 
noch die Marienkirche und das Gymnafium biieb, wodurch na⸗ 
tärlich viel Erbitterung bei den Evangeliſchen entfland. Es 
würde num für bie Andacht wie für die Erhaltung des inneren 
Friedens fiher ſehr erſprießlich fein, wenn wenigſtens an Drs 
ten, wo bie Sekenner mehrerer Glaubensbefenntniffe gleiche 
Rechte haben, jebe derſelben ihre gottesdienſtlichen Verrichtungen 


1) Bei Foͤr ſter Tl. II. S. 255 u. 255. 


horn. 485 


und Zeierlichkeiten innerhalb der ihnen audſchließlich gehörigen 
und dazu beftimmten Räume pielte, weil namentlich die öffent: 
liche Proceffion fo häufig Veranlaffung zu unangenehmen Reis 
bungen gegeben hat. Das war auch hier ber Fall. 

Am 16. Juli 1724 hielten die Katholiten auf dem Kirch⸗ 
bofe der den Proteftanten entriffenen Pfarrkirche zu St. Jakob 
‘ine feierliche Proceffion. Aufferhalb des Kirchhofs flanden 
einige lutheriſche Birger, ferner junge Leute aus der Nachbar: 
ſchaft und Kinder mit entblößten Häuptern. Ein Iefuiters 
ſtudent fuchte ſie mit ehrenrührigen Worten und Ohrfeigen 
zu zwingen, auf bie Knie zu fallen. Weil das binging, fo 
miöhandelten die Studenten zwei Stunden nach ber Proceffion 
andere Bürgersföhne und Knechte auf der Strafe. Darliber 
kam es zum Auflaufe und der Mädelöführer unter den, Stus 
denten wurde von der Stabtwache feſtgeſetzt. Am folgenden 
Tage verfammelten ſich viele Sefuiterftubenten und drangen 
auf Loslaſſung ihres Mitgefellen, mishandelten die Bürger auf 
der Straße, und es Fam wieder zum Auflaufe. Abermals 
wurde durch die Wache der Anführer feftgenommen, während 
ber erfiere auf Verlangen bed Schulpräfeten bereit in Freiheit 
gefegt worden war. Die Studenten wollten nun fogleich mit 
Gewalt den zweiten befreien und als das nicht gelang, fielen 
fie haufenweile auf der Straße mit bloßen Säbeln die Bürger 
an und fchleppten einen beutfchen Stubenten in ihr Collegium, 
bis die Stabtwache fie auseinander trieb. Der Pater Rector 
des Sefuitencollegiums weigerte ſich, den beutfchen Studenten 
frei zu geben, wenn nicht zuvor ber polnifche entlaffen würde. 
Während dem Lam es zwiſchen dem erbitterten Wolle, welches 
vor dem Sefuitencollegio fland und von ben Stubenten, welche 
Steine auf baffelbe warfen, gereizt wurde, zw Thaͤtlichkei⸗ 
ten, welche ſich auch, als ber beutfche Student in Freiheit 
gefegt worden war, durch das Steinwerfen und Schieſſen aus 
dem Gollegio erneuerten, worauf das wüthende Volk das Ges 
bäube ſtirmte, alles Hausgeraͤth theils zerftörte, theils auf einen 
* Haufen warf und verbrannte, bis bie Stadtwache kam und 

Als 


zerſtreuete. 
Die Katholiken behaupteten, ein Jeſuiterſtudent habe 
einem Lutheraner, welcher ber Proceſſion mit bededtem Haupte 


46 Bud VL Zweites Haupefiäd. 


gugefehen, den Hut vom Kopfe genonmten, wäre darauf nach 
bee Proceffion von ben Lutheranern germishanbelt unb in ben 
Stadtkerker gefchleppt, die Werwendung ber Gtubenten um 
Sreitaffung fpndbe zurkcigewiefen, noch ein zweiter feflgefeht, 
von den Übrigen dagegen ein Iutherifcher Stubent mit in das 

Aefuitencolegium genommen und befcheiben verwahrt worben. 
Darauf fei Tumult entflanden, dus Gallegtamn gefhrnt, bie die 
Antdse vet, Bilder der ‚Heiligen verfpottet unb verbrammt 


vr wurde indeſſen erwieſen, daß Vieles in ber legten 
Darftellung ımwahr und Mehreres übertrieben vn. En o 
bobene Klage ernannte der Hof eine Gommiffion, ber 
fiscal muffte die peinfiche Anklage gegen die Stadt — 
obgleich hier Bein Aufruhr ober eine Beleidigung des Koͤnigs 
fattgefunden hatte. Die Befagung ber Stadt wurde verſtaͤrkt, 
der Commandant feftgenommen und nach umb nach 80 Perſo⸗ 
nen gefänglidy eingezogen. Die Sommifflon faß vom 16. Sept. 
dis zum 15. Dct., koſtete der Gtabt gegen 3000 Ducaten; 
66 Perfonen blieben gefangen. Das Binigliche, durch 40 Des 
putirte aus dem Senate unb ben Lanbbeten verſtaͤrkte Affefs 
foriafgericht faͤlte darauf (16. Nov.) ohne ber Stadt Thorn 
Wertheibigung zu hoͤren, folgendes Urtel: Weil die augtbur⸗ 
sam Confeffionsverwandten zu Thorn einen Jeſuiterſtuden⸗ 

ten wegen geringer Urfache gemiöhandelt und feftgenommen unb 
der Mogifirat ihn nicht wieber Ioßgelaffen, barauf ein Zummalt 
entſtanden, die Schule und das Sefuitencollegium exbrochen, 
Altaͤre zerhauen, Bilder der Heiligen verbrannt, mehrere Je⸗ 
faiten verwundet, von ben Behoͤrden aber das nicht gehindert 
und geſtraft worden, fo follten der Praͤſdent und Wicepräfldent, 
wenn ihr Vergehen von ſechs Zeugen meltlihen und ihnen 
gleichen Standes beſchworen werben würbe, das Leben verwirft 
a, die Lutheraner der Stadt Thom alle Koſten tragen 

und allen verurfachten Schaden erſetzen, mehreren ber 8 
einigen vorher die rechte Hand abgeſchlagen und ihre Körper 
werbrannt, mehr als 40 andere ihrer Aemter entfegt und mit 
Gefangenfchaft und Gelbfirafe belegt werben, von jegt an die 
Hälfte deb Raths der Schöppen und Gechözigmänner — 
fein und den Evangeliſchen auch die Marienkirche und 


Thorn. 487 


Gynmaſlum genommen werben. Der Bath, zu Danzig und 
die Könige von Dänemark, Schweden und Großbritannien 
verwendeten ſich fir die Stadt. Friedrich Wilhelm flellte 
(28, Nov.) dem Könige Auguft vor, daß bie Thorner feinen 
‚Hochverrath begangen, ſondern daß nur ber niebrigfte Pöbel 
einen Tumult gegen die Iefuiten erregt und von biefen gereizt 
worben feien. Das fürchterliche Urtel fei nicht von Liebe zur 
Gerechtigkeit, fondern von unverföhnlichem Haffe der Iefuiten 
gegen die Evangelifchen eingegeben. Ex ald Theilnehmer am 
Frieden von Dliva fei Gewaͤhrleiſter der Rechte der Thorner 
und ber Dotifäpeeufien und bitte daher um neue unparteiiſche 
ſuchung. Er wiederholte ſeine Vorſtellungen in Warſchau 
und theilte ſein Schreiben an den Koͤnig Auguſt den  Sönigen 
von Großbritannien, Dänemark? und Schweden und dem Baar 
Peter mit. Diefem Lebteren fagte er: bie Beklagten wären 
mit ihrer Vertheidigung nicht hinlänglich gehört und auf fo 
ungerechte und fchreiende Weiſe verfahren worden, daß wenige 
Beiſpiele von einer fo graufamen Ungerechtigkeit zu finden waͤ⸗ 
zn. Es geht auch, fährt er fort, bie Rage des roͤmiſch⸗ka⸗ 
tholiſchen Gieri in Polen fo weit, daß derfelbe nicht allein die 
Stadt Thorn ruiniren, ſondern auch alle Diffibenten ausrotten 
wolle und fich deſſen offen rühme. Der König von Polen 
laſſe dem Geiftlichen dabei ben vollen Bügel ſchießen; bie evans 
geüſchen Mächte koͤnnten dad nicht mit anfehen. Cr foberte 
fie auf, fich mit ihm zu vereinigen und befondere Abgeordnete 
nad Polen zu fchiden, um das über dem Haupte der Stabt 
amd der Evangelifhen in Polen und Lithauen ſchwe⸗ 

bende Unglüd abzuwenden. 

Zahlreiche Truppen umgaben inbefien bie unglüdliche 
Stadt. Die Jeſuiten drangen auf Befchleunigung der auf 
15. Dec. angefegten Vollziehung des Urteld. Die Verurtheil⸗ 
ten baten um rechtliche Gehör und Vorftellung der Zeugen 
und erboten ſich zum rechtlichen Beweiſe ihrer Unſchuld. Alles 
war vergeblich. Schon am 7. Dec. wurde ber Praͤſident 
Möbner, dann noch 9 Bürger gelöpft, nachdem vieren von 
ihnen vorher noch die Hände waren abgehauen worden. Sie 
litten den durch Ungefchidlichkeit des Scharfrichters doppelt 
fhmerzlichen Tod ſtandhaft und Heffen ſich weder burch Ueber: 


488 j Bud VI Zweites Hauptfiüd. 


redung und Verſprechung, noch ungeſtuͤmes Zuſetzen verſchie⸗ 
dener Didensbruder zum Abfalle von ihrem Glauben bewegen. 
Nur der Bicepräftdent Zerneder wurde auf vielfältige Verwen⸗ 
dung des Adels, der Iefuiten und der CErecutionscommiffen 
vom Könige begnabigt, body muffte er 60,000 Gulden Strafe 
erlegen; Andere wurden mit Gefängniß, Leibeds und Geldſtra⸗ 
fen belegt, dem Sefuitencollegium ber angerichtete Schaden 
reichlich erfegt, den Evangeliſchen ihre Kirche genommen und 
mancherlei Erprefjungen verlibt. Ale Evangelifhen wurden 
mit Entfegen über ein fo umgerechtes und graufames Verfahren 
erfünt!). Der König Friedrich Wilpelm J ſchrieb (9. Ian. 1725) 
an ben Kaifer, klagte, daß feine Vorſtellungen nichts gefruch⸗ 
tet und daß die Sage des roͤmiſch⸗ katholiſchen Clerus in Polm 
durch das ihm aufgeopferte unſchuldige Chriftenblut noch bei 
weitem nicht gefättigt fei, bag man vielmehr dem oliviſchen 
Brieden entgegen der Stabt Thorn alle Privilegien und den 
Evangeliſchen ihre Kirchen und Schulm genommen. Er bat 
den Kaifer, ſich mit ihm ber Sache ernftlic anzunehmen und 
verfprach ihm Träftige Unterfiigung?). An bemfelben Tage 
ſchrieb er an den König Auguft, klagte über das Bluturtel in 
Thorn, wodurch unſchuldiges Blut vergoffen, bie Leiber ber 
bingerichteten Märtyrer gemishandelt und der olivaer Friede 
gekraͤnkt fei, und verlangte, daß Thorn feine Rechte ungekraͤnkt 
behalte, drohete auch auſſerdem alle dem göttlichen Gefege und 
Voͤlkerrechte angemeffenen Mittel anzuwenden. Zugleich foberte 
er bie Abftelung vieler anderen Befchwerben, freien Durchgang 
des hallefchen Salzes durch das Elbingſche, vertragsgemäß 
Abſtellung der ZöNe in Polen und Lithauen, Auslieferung der 
Deferteurd und Berichtigung der Grenzen’). Der König 
Auguſt entſchuldigte fich in Regensburg gegen bie evangelifchen 
Furſten, daß er gehofft habe, das Urtel werde nicht buchfläb: 
lic) vollzogen werden. Auch gegen bie Verwendung Preuffens 
zeigte er, daß ihm hier die Hände gebunden wären, ba bie 


1) 3. 9. Bernede's Zpornifße Chroniten goeltt Xufl. ©. 45 fi 
2) Faßmann L S. 1085. 
8) Martinidre DI. p. 18. 


Thor. Glauch a. 489 


polnifhen Großen fich gegen bie Diffibenten erflärt hätten 
und daß ihm Fein Begnadigungdrecht zuſtehe '). 

Peter 1. fol bereit gewefen fein, mit 30,000 Mann zum Bors 
theile der Diſſidenten einzufchreiten,, doch flarb er (8. Febr. 1725) 
und fo Eonnte für die Evangelifhen in Polen wenig bewirkt 
werben. Die Polen aber waren dermaßen erbittert Über Fried⸗ 
rich Wilhelm I. und die durch ihn veranlafften Verwendungen 
der evangelifchen Fürften, daß fie Maßregeln gegen ihn neh⸗ 
men wollten, wovon fie doch wieber bie Zerrüttung ihres eiges 
nen Reichs abgehalten haben mag?). Ueberall aber und unabs 
laͤſſig verwendete fich dennoch Friedrich Wilhelm fortwährend 
fire feine von fremden Füuͤrſten gebrüdten Glaubenögenoffen 
und fiel dadurch befonders dem Kaifer hoͤchſt laͤſtig, der uͤbrl⸗ 
gens fo viele Urſachen hatte, ihn ſchonend zu behandeln’). 
Eine von den mehrfachen Weranlaflungen, welche Friedrich 
Wilhelm erhielt, ſich der Evangelifyen in den Staaten bed 
Kaifers anzunehmen, gab die Behandlung, welche fie in Schles 
fien erfuhren. 

Johann Miſchke, Paftor in dem den Herren von Keffel 
gehörigen Dorfe Glaucha im Fuͤrſtenthume Dels, hatte fi) 
fehr eifrig der unglüdlichen Witwen und Waiſen angenommen 
und bier, unterftügt von vielen anderen milbthätigen Menfchen 
mit Erlaubniß der Gutöherrfchaft und Genehmigung des Hers 
3098 von Dels im Geifte der Handlungsweiſe Hermann Frankes 
(1720) ein Witwen und Waifenhaus gegründet, in welchem 
12 Witwen Unterhalt und 24 arme meift verwaifte Knaben 
auſſerdem noch Elementarunterricht erhielten. Durch die wach⸗ 
fenden Almofen, welche er aus Schlefin, Sachſen und dem 
Brandenburgifchen bekam, konnten nad und nach 65 arme 
Kinder und aufferdem noch 17 abelige und bürgerliche Schüler 
als Koftgänger aufgenommen, Lehrer angeftellt und der Unters 
richt fo weit audgebehnt werben, daß wohl Einer ober der 
Andere zum Beſuche der Univerfität reif wurde. Die Kathos 


1) Benekendorf X. ©. 7. Berg, Martinidre Il. p. 13 =, 
2) Montgon II p. 406. 
8) Gbenbaf. L p. 268 u. IL p. 875. 


ausländifi 

ber Pfarrer Miſchke wurden nach Halle an das Waiſenhaus 
berufen, alle in evangelifchen Ländern gut verforgt‘). Die 
Herren von Keffel baten ben Kaifer, bie Lehrer zurkcklonmen 
laſſen und bie Anftalt fortfegen zu bünfen. Zriedrich Wilhelm, 
an den fich bie Vorſteher derfelben und Hermann Franke ge 
wendet hatten, fchrieb (18. Mai 1727) ganz eigenhändig an 
den General Sedendorf: ex miſche ſich nicht in großer Herrn 
Hausangelegenheiten, allein, ba e8 eine Gewiſſensſache fei, fo 
ſchike er ihm Franke's Schreiben, es um Jeſu Willen zu 
empfehlen, daß der Kaiſer Barmherzigkeit habe. Der Kaiſer 
meine e3 gut, allein bie Iefuiten feien zuwider, die das Reich 
des Satan vermehren wollten. Sedendorf ſchickte das Schrei 
ben mit Weglaffung der Ausfälle gegen die Jeſuiten an ben 


1) Buchs Kirchengeſchichte des gurſtenthums Deis ©. 506, ein durch 
Benugung guter Quellen hoͤchſt zunerläffiges Wert. 


doch ausdruͤcklich, fie weber zum Aufenthalte von Armen, noch 
zu einer Schule zu verwenden. ' 

Be dem Könige von Sardinien verwendete fi Frichrich 
Bitpelm wie feine Vorfahren wiederholt und mit einigem Er⸗ 
folge für die gedruͤckten Waldenſer *). ann be — 
in einem zwiſchen ihm und dem DR von Ansbach 
—— Dorfe Altenhauſen einen evangeliſchen Geiſtlichen feſt⸗ 

wieder 


deutſchen Drbens In Magdeburg, Cleve und Moͤrs vorzulaben, 
ihnen bie Foderung des Geiſtüchen in Altenhauſen vorzulegen 
und fie mit Sequeſtration aller Guͤter zu bebrohen, wenn ber 
Orden u Genugthuung gebe, wozu biefer fo gezwungen 


Auch für die edangeliſchen Ungarn in ber neutraer Ges 
ſpanſchaft, denen ihre Kirchen und Schulen genommen unb 
bie Uebung ihrer Religion unterfogt worben war, verwendete 
er fih (1734) *), und was er für die Salzburger gethan, has 
ben wir bereits oben erzählt, wie und, 8 — u Böhmen fih 
die gedruckten Evangeliſchen zu ihm we 

So ſehen wir, daß Friedrich at L % Stelle, welche 


1) Be Förfter Spt. IL ©. 9. 

9 Dieterici’s Waldenfer &. 818, 82% u. 830, in den Jahren 
1714, 1724 ü. 1780. Er war audy bereit, 500 Famillen der fo unvers 
antwortlic behandelten und zum Auswandern gezwungenen Waldenſer in 
der Neumark unterzubringen, doch find nur Wenige in die Mark ge 
Tommen. . 

8) Rauvillon IL ©. 298. 


4) Mauvbillon I. ©. 868. Schon Friedrich I. Hatte ſich im 
I. 1700 für fie verwendet. Daf. ©. 871. 

5) Dahin gehört noch ein merkwuͤrdiges Schreiben bes Könige vom 
1. Apcti 1762 an Sechendorf bei Joͤr ſt or IIL ©. 308 ff. 


und wo irgend möglih an ihre Spibe zu treten, 
eine Richtung, welche in Verbindung mit dem nach allen Geis 
Men den haar eb gen 


auch diefem Könige bei aller fonftigen Strenge ia Härte gegm 
Jeden, ben ex fire faul, Lüberlih oder ſchlecht hielt, dennech 
beimohnende milde Sinn gegen wirklich Arme und Gebrechliche, 
vorzüglich gegen verwaifte Kinder. Friedrich Wilhelm ließ da⸗ 
ber daS von feinem Water gro Keibeihebofpitel — 
und —— — das Spinnhaus vor 


Armenfonds vermehrte er anfehnlic *), und wollte überhaupt, 
daß das gefammte Armenwefen ordentlich eingerichtet würde *). 
Er übertrug es daher endlich (1739) dem Minifter v. Brandt 
und dem geheimen Rath v. Reichenbach und erkannte e& fehr 
an, als biefe Männer fich bereit erflärten, dieſe ſchwierigen 


1) Safmann L ©. 555. König I, ©. 40. Mila, Bei 
von Berlin ©. 242. 


9) Babmann I.&, 555. König L ©. 119 u. 155. Ricolai IL 
©. 681. 


8) König LE. 14 
4) Bapmann L ©. 554. 


Hofpitäter. Wiffenfhaften. 493 


Arbeiten * Gottes Willen ſonder zeitliche Abſichten zu uͤber⸗ 
nehmen '). 

Die Pflicht, ſich der Elenden und Kranfen zu erbarmen, 
und die Notwendigkeit, ben Hllfsbeblirftigen beizufpringen, 
trat unmittelbar hervor und nahm nicht nur den Menfcyen 
und CEhriſten, fondern auch den Fürften in Anſpruch. Ganz 
anders verhielt es fich mit ben Wiffenfchaften und deren Pflege. 
Der einfache, unausgebildete Verftand bed Königs, welder 
nur auf das für den Staat unmittelbar Nügliche fah, hatte 
Feinen Begriff von Dingen, beren praktiſche Anwendbarkeit 
nicht fofort einleuchtete. Selbſt ohne wiffenfchaftlihe Bildung, 
umgeben von Officieren, benen fie faft durchaus fremd war, 
unter ihrem und Leopolds von Deffau Einfluffe, ber fie vers 
achtete und ihm umabläffig einprägte, daß fie für den braven 
Soldaten, ia für alle gehorfamen Untertanen Aberfläffig, ia 
nachteilig, daß es für diefe hinreichend fei, wenn fie ihren 
Ramen fehreiben und wenn einige rechnen Lönnten*), war es 
ganz natlrlic, daß er die Wiffenfchaften geringihägte‘). Cr 
behauptete daher auch, ein accurater Rechnenmeifter thue ihm 
fiherere Dienfte als alle Schreibmeifter (Schriftfteller) *). 

Bon Staatswifienfchaften wollte er gar nichts wiffen, auch 
nicht haben, daß feine Untertanen ſich mit ihnen befchäftigten 
und bie Zeit verſchwendeten, weshalb er ben Drud der bers 
liner Zeitungen verbot, welche daher in den Jahren 1713 und 
1714 gar nicht erſchienen, erft im I. 1715 wieber begannen, 
wahrfcheinlich weil er wünfchte, daß von den Thaten feines 
‚Heeres im Feldzuge gegen Karl XIL etwas befannt werben 
möchte. Sie enthielten dann überhaupt nur Auszüge aus ans 
deren Zeitungen ‘und unter dem Artikel von Berlin alltägliche 

- Begebenheiten und Epecutionsanzeigen ). 


1) König L &. 816. Er ſchenkte im I. 1735, als er von einer 
ſchweren Krankheit genefen, 10,000 hir. an bie Armenhäufer, Hofpitäler 
unb miben Stiftungen Berlins. König a. a. D. ©. 257. 


D) Benetenborf VIT. &. 5. König IL ©. 109. 
8) Histoire de PAcademie p. 56. 

4) Benelenborf VII®. 116. 

5) Ebendaf. VII, ©. 6. König IL ©. 129. 


Bud VL Bweltes — 





15: 


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1) Baßmann L ©. 618. 


2) Histolre de l’Aendanie p. 67. König 1. ©. 2. 


8) Man finbet die vielen zerſtreueten Nachrichten gefammelt in (Rd: 
nig6) Erben und Thaten Jakob Paul Freier von Gundliag, Ber 


lin 179. 


Gundling. 46 
Der Miniſter v. Danfelmann hatte ihn nach Berlin gejogen, 


dem in mancherlei Gefellfchaften, vorzüglich zu dem Infligen 
Bein und Bierſchenken Blenſel kam, wo er mit feiner Ges 
lehrſamkeit prahlte und die Gäfte durch Erflärung ber neueſten 
politiſchen Ereigniſſe ergögte, dafirr im Trinken frei gehalten, 
fid) den Trunk angewöhnte und zugleich wegen feiner fchmmupie 
gen Kleivung und Pebanterie zum Gelächter und mit bem 


wen ı er Per gern daB Wichtigſte wiflen *) und auch wohl 
baben. Bei der in feiner Umgebung allgemein herr⸗ 

— und durchaus nicht ſchaͤndenden Unwiſſenheit konnte 
er ſelten die gewunſchte Auskunft erhalten, ex ſuchte daher 
einen Menſchen, Ber Ihm bie an den Bekungen und ber Be 
ſchichte wiffenswirbigen Nachrichten vorträge. Der Minifter 
Grumbkow flug dazu den Paul Gundling vor, welcher das 
vauf zum Hofrathe und Zeitungsreferenten angenommen wurde 
und Fe Tafel am Pöniglichen Hofe erhielt. Seitdem befand 
ex fich täglich in der Gefellichaft des Königs, welder anfing, 
vor den außgebreiteten Kenntniffen Gundlings eine gewiffe 
Achtung zu faflen, fo daß er fih oft und gern mit ihm uns 
terhielt. Er ertpeilte ihm daher fchnell hinter einander bie Tk⸗ 

tel als Kammers, Krieges, Geheimers, Oberappellationds und 
Kammergerichtörath mit ber Freiheit, allen Sitzungen biefer 
Eollegien beizmoohnen, feine Deinung zu fagen und ihm Bes 
richt zu erflatten. Dadurch wurbe er bei bes Perfönlichkeit 
des Königs ein fehr geflschteter Mann, dee Anderem hätte 


2) Baßmann I. S. 960. 


496 Bud VL Zweites Hauptftäd. 


hoͤchſt gefährlich werben Finnen, obgleich ex wirklich Niemandem 

SImbeffen wurde er num ungemein ſtolz und wedte 
fo doppelt den Neid feiner Umgebung. Die unwiflenden Dffis 
dere in der Gefelfchaft des Königs fahen ed ungern, daß bie 
fer vor Kenntniffen Achtung erhielt, die ihnen fehlten und bie 
fie geringfchägten. Es lag ihnen daran, die Gelehrten herab 
zuminbigen und Gundlings Schwaͤche, feine Reigung zum 
Trunke, gab ihnen dazu die befte Gelegenheit. An der Zafel 
des Königs wurde Überhaupt nach deſſen Beifpiele ſtark ge 


trunken, Gundling vielfady dazu veranlafft ſich zu übernehmen, 


worauf man ihm nicht eben auf feine Weife nedte und ver 
fpottete, was Beranlaffung zum Lachen gab und dem Könige 
gefiel, welcher gern Jemand in feiner Nähe hatte, der ihn 
durch Späffe und Schwaͤnke erheiterte. Um ihn lächerlich zu 
machen, ernannte ihn ber König (3. Nov. 1717) zum Ober 
ceremonienmeiſter und ſchenkte ihm einen fo prächtigen Anzug, 
als der entlaffene Oberceremonienmeifter Beſſer unter Friede 
richs L Regierung getragen; bann befahl er (19. Febr. 1718) 
dem Minifter von Kamecke, den wohlgelahrten unb weifen und 
mit univerfalen Meriten würdigen Oberceremonienmeifter und 
geheimen Rat) Gundling bei dem bamaligen Generalfinanzs 

directorium einzuführen, wo er das Departement aller Seiden⸗ 
wirmer im ganzen Rande haben follte. Alle in und auſſerhalb 
Berlins befindlichen Kirchhoͤfe befahl der König mit Maulbeer⸗ 
bdumen zu bepflanzen und verfchrieb (27. Febr. 1718) die 
Nugungen derfelben an Gundling. Ein Edict (9. Ian. 1719) 
beftimmte, die Koften der Bepflanzung der Kirchhöfe mit Maul⸗ 
beerbäumen binnen 6 bi8 8 Wochen follten aus dem Kirchen 
vermögen beftritten werben. 

Diefen Mann, mit dem, vorzüglich wenn er betrunken 
war, bie Umgebungen des Königs, ja biefer zuweilen ſelbſt, 
die allerfadeften, plumpften, ja pöbelhafteften, nur mit ber 
damaligen Roheit ber Sitten einigermaßen zu entfchulbigenden 
Späffe trieben, den man nach und nach als Hofnarren anzus 
ſehen ſich gewöhnte, ernannte der König (5. März 1718) an 
Leibnigens Stelle zum Präfidenten ber Akademie der Willen: 
ſchaften, wie er ihn fpäter (25. Sept. 1724) durch ein foͤrm⸗ 
liches den Adelöftand verſpottendes Diplom: vor erſt nur in 


Gundling. Akademie. 497 


ben ®reiherrenftand erhob, während feine großen Verbienſte 
laͤngſt meritist, daß er mit bem Grafenftand beehrt wide.” 
Nicht minder machte er die allerdings wirklich ganz leere Kam» 
merherrenvolitde lächerlich, indem er (1726) Gundling bazu 
ernannte. Dennoch bat biefer, wenn auch gefchmadios, einis 
ges Nügliche durch feine Arbeiten fire brandenburgifche Gefchichte 
gewirkt, wozu er Anderen unzugängliche Hülfsmittel hatte. Die 
Drudtoften mufften dann wohl von Officieren hergegeben wers 
*. Eng dem armen Menſchen zu arge Poflen gefpielt 
jatten '). " 

Später (19. Ian. 1732) ernannte der König einen ges 
wiffen Graben zum Stein, der fi auch als Hofnarı im Las 
bakscollegium muffte brauchen laffen, zum RBicepräfibenten der 
Afademie und gab ihm 200 Thaler Befolbung aus den Ein 
kuͤnften diefer Anftalt. Wirklicher Präfident derfelben wurde 
(1733) der gelehrte Iablonsfi. Die Akademie der Wiſſenſchaf⸗ 
tem hatte durch Gundlings Ernennung, wegen der Gunft, in 
welcher ex bei dem Könige flanb, wenigftens fo viel gewonnen, 
daß fie auf ihre Fortdauer, wenn auch nur unter ben druͤckend⸗ 
ſten Verpältniffen, hoffen konnte. Sie fegte langfam und in 
großen Zwifchenrdumen die Herausgabe ihrer Schriften fort, 
von denen der 2. Band im I. 1723, der 5. erftim I. 1737 
erſcheinen konnte. Im Tabakscollegio war die Akademie nur 
Segenftand des Spottes, wie ibr denn auch von daher bie 
Aufgabe zufam, die Urfache des Braufens des Champagnerd 
zu erflären, ber fie damit auswich, daß fie ſich zu den nöthis 
gen Verfuchen- 50 Flafchen diefed Weins ausbat ?). 

Während die Übrigen Mitglieder der Akademie ihre Pens 
fionen verloren, wurde aus denen, welche dazu brauchbar was 
ten, (1723) ein Collegium medico-chirurgieum (feit 1725 
Dbers Collegium medicum ?) eingerichtet und (feit 1724) wur⸗ 
den auf dem anatomifchen Theater öffentlich unentgeltliche Vor⸗ 

1) König IL ©. 127. Das Verjeichniß feiner Schriften in feiner 
ebensbefäireibung ©. 148. 

2) Willen im Berliner Kalender v. 3. 1828. ©. 230. 


3) König I. ©. 182. Bergl. Hieron. Gundlings Hiſtorie ber 
Gelahrtheit Thi. IV. S. 5658. 
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. III. 32 


498 Bud VI. Bweites Hauptflüd. 


leſungen in beutfcher Sprache über Chirurgie und Anatomie 
gehalten‘). Nach dem Mufter des Gollegiums in Berlin wur 
den in mehreren großen Provinzialftäbten Collegia chirurgiea 
und medica eingerichtet, an welche die zahlreichen Leichen bins 
gerichteter Miffethäter, ferner der in der Charite oder im ben 
Buchthäufern Geftorbenen abgeliefert, fowie überhaupt auch alle 
Leichen der Soldaten geöffnet wurden ). Bei diefen Collegien 
mufften alle diejenigen geprüft fein, welche als ausübende Aerzte 
ober Chirurgen auftreten wollten. Der König ließ auch auf 
feine Koften junge Chirurgen in das Ausland reifen, um fid 
dort Kenntniffe und Fertigkeiten zu erwerben, bie fie nach ihrer 
Rückkehr anwenden Tönnten. Gin neues allgemeines Medici 
nalebiet wurde (1725) vom DbersCollegio medico heraudge 
geben und, um ben Abfag zu fichern, jeder Arzt, Stadt» und 
Landphyſicus, Wundarzt, Apotheker und Bader, und jede Heb⸗ 
amme verpflichtet, ein Eremplar für einen Thaler zu Laufen. 
Eben dad war mit dem Dispenfatorium und der Medicinals 
tage der Ball. 

Acht Chirurgen, aus benen die erledigten Regimentsfelbs 
ſcheerſtellen im Heere befegt wurben, bezogen aus ben der Ala⸗ 
demie überwiefenen Kalenderftempeleintünften jährlich 1800 The 
ler). Ale diefe Angelegenheiten ſtanden unter dem Minifer 
von Greutz *). 

Wie fehr der König überall auf praktiſchen Nutzen fah, 
zeigte fih, als er der Akademie der Wiffenfchaften (1735) 
2000 Bände der koͤniglichen Bibliothel aus den Faͤchern ber 
Aftronomie, Mathematik, Phyfil und Medicin und feltene Ras 
turalien uͤberwies. Als fi) die Abgeordneten ber Gocietät für 
eine ſolche flattliche Verehrung bedankten, ermahnte er fie, allen 
Fleiß anzuwenden, um den Endzwed zu erreichen, um deſſent⸗ 
willen fie gefliftet wäre, nämlich bie Ratur und deren Kräfte 
zu erfennen und ſich auf folhe Erfindungen zu legen, welche 
capable, bie Küstfte und Wiſſenſchaften immer höher empor zu 

2) Bafmann L ©. 348. 

2) Ebmbaf. I. &. 557. 

8) Ebenbe. 1. €. su. 

9 8xbnig LE. 181. 


Alademie. Chirurgie Bibliothek. 49 


bringen und zwar folde, die der Welt zum wahren Nutzen 
gereichten, keineswegs aber in bloßer Windmacherei und in 
falſchen Traͤumereien beftänden, womit ſich viele Gelehrte auf: 
zuhalten pflegten '). 

Nicht beſſer als der Akademie der Wiffenfhaften ging es 
der koͤniglichen Bibliothek. Diefe hand, wie früher, umter dem 
Chef des geiftlihen Departements. Im Anfange (feit 1714) 
erhielt fie zwar zu ihren etwa 1000 Thaler betragenden Eins 
Bünften noch jährlich 100 Thaler Zuſchuß vom Könige, der 
diefe jedoch ſchon im I. 1719 wieder ſtrich. Die kaͤrglichen 
Beſoldungen der Beamteten wurden aus den Bibliotheksgel⸗ 
bern vermehrt, allein aus Untbärigkeit der Bibliothekare, denen 
es wohl ſchwer werben muffte, freudigen Muth zu bewahren, 
jährlich weniger Bücher gekauft, daher das dazu beflimmte 
Seid aufgefammelt. Piöglih (1722) ſtrich der König alle 
Befoldungen der Bibliothefbeamteten und wies dem Generals 
major v. Glaſenapp jährlich 1000 Thaler auf bie Bibliotheks⸗ 
gelber an. Vergebiich bemühete fich der Minifler von Pringen, 
als Director der Bibliothek, das durch die Vorſtelung ruͤck 
gängig zu machen, der König und deſſen Water hätten bie 
Befoldungen in den von ihnen gegebenen Beftallungen zuge: 
fichert. Nur der Bibliothekscafſirer Mieg beielt 60 Thaler 
Befoldung, und der General Blafenapp bezog bis an des Ks 
nigs Zod jährlich die ihm aus den Bibliotheksgeldern beftimms 
tem 1000 Thaler. Weil nun die Beamteten keine Befoldung 
mehr hatten, bekuͤmmerten fie ſich aud wenig um die Biblio: 
thel. Ein gewiffer Hakemann, welcher aufferordentlicher Pros 
feſſor in Helmftäbt gewefen, von dort aber wegen Spöttereien 
über die chriſtliche Religion fortgejagt worden, dann vom Mis 
niſter Grumbkow als Kundfcpafter im ſchwediſchen Kriege ge 
braucht worben war, erhielt den Zitel eines Kriegsrathes und 
Bibliothelard mit 400 Thalern Befoldung, wurde aber nur 
dazu gebraucht, um im Tabakscollegio mit Gundling zu dis⸗ 
putiren und fo bie Dienfte eines Hofnarren mitzuverſehen. 
Nachdem er 100 Thaler zum Ankaufe von Büchern unters 


1) Faßmann L ®&. 542 gibt 8000 an. Wilkens Seſchichte 
der koͤnigl. Bibllothek ©. 81. 
32* 


500 Bud VL Zweites Hauptfüd. 


ſchlagen, ging er nach Wien und wurde katholiſch, kam nach 
vielen Jahren wieder nach WBufterhaufen, machte große Fode⸗ 
rungen, erhielt wirklich eine Profeſſur in Halle und nah 
vielen Lüberlichen Streichen den Staupbefen '). Unter bie 
fen Umftänden kam es dahin, daß für die koͤnigliche Biblie- 
ihek im I. 1734 nur für 4 Thaler, im J. 1735 für 
5 Thaler, in vielen Jahren gar Feine Bücher angefchafft 
werden konnten. Aus dem Verkaufe der Dubletten muſſten 
die Koften der Heizung ber Lefes und Arbeitözimmer und 
die umbebeutenden Buͤcherankaͤufe befritten werben. Einige 
neue Werke uͤberwies der König der Bibliothek, unter ande 
ren ben vom Hauptmann Michal gezeichneten Atlas von 
Schwaben, welchen er mit 400 Ducaten bezahlt hatte. Aus 
der vom Minifter v. Plotho binterlaffenen Bibliothek wollte 
ex zwar einige Werke gegen Dubletten der Königlichen Biblio 
thek eintaufchen, allein Fein baares Gelb dafuͤr verwenden. 
Auffer den 2000 Bänden an bie Alabemie der Wiffenfchaften 
muffte die Bibliothek aud (1737) ale Muſikalien an den Mus 

Sydow abgeben. Allein fireng wurde auf die von 


indeſſen ficher von fehr geringer wiflenfhaftlicher Bedeutung 
waren. Die Anzahl ber Bände der Bibliothek betrug bei dem 
Tode des Königs wahrſcheinlich etwas fiber 72,000, die Zahl 
dee Handſchriften, welche feit dem großen Kurfürften wenig 
vermehrt worben waren, kaum 2000 Bände ). 

Baft ebenfo wie der koͤniglichen Bibllothek ging es ben 
Univerfitäten. In Halle war Vieles von den Entwürfen 
FZriedrichs I. noch nicht ausgeführt. Zu dem fehlenden anates 
mifchen Theater gab der König zwar das Gebäude des ehema ⸗ 
lügen frftlihen Schauſpielhauſes her, allein ber Profeffor der 
Anatomie war genöthigt, es auf feine eigene Koflen einzurich⸗ 
ten, welche dann immer ber Nachfolger den Erben feined Bors 
gängers erſetzen muſſte. Glüdlicherweife unterhielt das Wai⸗ 
fenhaus ein kliniſches Inftitut, welches fowie eine oͤffentliche 


1) Faßmann L &, 1027. 
2) Biltens Geſch. der koͤnigl. Bibliothek ©. 68 ff. 


Bibliotheken. Univerfitäten. 501 


Bibliothek der Univerfität noch immer mangelt. Die unges 
nügenden Einklmfte der Untverfität erhöhete der König (1733) 
um 300 Thaler, fo baß fie nun 7000 Thaler jährlich betrugen. 
Defto freigebiger ertheilte man Titel, welche nichts koſteten, 
doch ber Eitelkeit fchmeichelten und gern angenommen wurden, 
ungeachtet bie Profefforen in Halle wie in Königsberg nach den 
Statuten den Rang vor Zitularräthen hatten. Dem aus Alts 
dorf nad Nicolaus Hieronymus Gundlings Tode (1729) an 
beffen Stelle (1732) berufenen Profeflor Hoffmann gab ber 
König zu den 100 Thalern aus ber Univerfitätölaffe noch 
400 aus der Schatulle und ftellte auch, ganz feiner praftifchen 
Richtung gemäß, (1727) zuerft Profefioren der Kameralwiſſen ⸗ 
ſchaften (in Halle mit 400 Thalern Gehalt) an '), obgleich 
diefe häufig wegen der eigenthuͤmlichen Misverhältniffe und 
‚wegen Mangels an Lehrtalent ben Erwartungen, die man von 
ihrer Wirkſamkeit hegen mochte, nicht entſprachen. Auch eine 
Profefjur der deutſchen Beredtſamkeit gründete der König in 
Hale’). 

Die Profefforen der Iurisprubenz hatten die Einkünfte 
von ihren Arbeiten bei der Bacultät, welche damals noch als 
gemeiner als fpäter Spruchcollegien waren; bie Profefloren 
der Medicin bezogen die anfehnlichen Promotionsgeblihren und 
übten ihre Kunſt als Aerzte aus; allein bie Profefforen ber 
theologifchen und vorzliglich der philoſophiſchen Facultät befans 
den fich defto uͤbeler. Alle noch fo fehr klagenden Vorftellun: 
gen waren jedoch vergeblich, weil ber König meinte, ein Kehrs 
amt wife auch ohne Beſoldung ein anftändiges Einkommen 
geben. Das wurde num gemisbraucht, indem Männer ohne 
die nöthigen Kenntniffe und Eigenfchaften Profeffuren erhielten, 
wenn fie fich dazu erboten ohne Gehalt zu verlangen, worauf 
fie fowie auf Nebeneinkünfte fpäter doch hofften. Daher bes 
fand die juriſtiſche Facultät, bei weldyer auf die meiften Ne 

fte zu vechnen war, oft aus 10 bis 12 ordentlichen 
Profefforen. Zum Gluͤcke waren aus der Regierung Friedrichs 1. 
noch Männer wie Thomafius, Böhmer, Wolf, Ludwig, Hoff: 


1) Hofbauer L. S. 158 ff. Faßmann I. 568. 
2) Gundlings Hiftorie der Belahetheit Sp. IV. ©. 5470. 


502 Bud VL Zweites Hauptfäd. 


mann in Halle noch Mitglieder der Univerfität, deren Ruf fie 
aufrecht erhielten, wobei es freilich flr diejenigen, welche füch 
durch ein günfligeß Unterkommen im Auslande aus ihrer bes 
drängten Lage hätten veiffen Finnen, fehr druͤckend war, daß 
fie der König nur ſchwer ober auch wohl gar nicht entließ, ja 
fogar bei ſchwerer Ahndung verbot eine fremde Vocation anzus 
nehmen oder gar wegzugehen, weswegen bie ganze Univerfität 
verantwortlich fein folte'). Sie wurden noch verpflichtet, 
Öffentlich unentgeltliche Vorträge zu halten, ihnen dazu (im I. 
1735) 4 Locale angewiefen, den Ungehorfamen Strafe gebros 
bet, und weil die Studenten dieſe wahrfcheinlich nicht immer 
mit Sorgfalt gehaltenen Vorleſungen nicht hören wollten, fo 
wurden die bazu gezwungen, welche Freitiſche hatten, denen 
zugleich das Honorar der Privatvorlefungen erlaflen werben 
muffte*). Der Beſuch der Univerfität litt, auffer durch bie 
ſchon oben angeführten Gewaltthätigkeiten der Officiere bed in 
‚Halle liegenden Regiments, beſonders noch durch die Verban⸗ 
nung Wolfs. 

In mancher Hinficht ging es der Univerfität Frankfurt noch 
Übeler. Obgleich ber König als Kronprinz (1706) dad Rectoret 
derfelben übernommen hatte, fo behandelte er fie dennoch ſehr 
geringſchaͤtzend. Er nöthigte fie (1718), ben dafigen Reitſtal 
und die damit verbundene Ritterafabemie zu unterhalten, auch 
dem Stalmeifter 200 Thaler jährlicher Beſoldung aus den 
Untverfitätögeldern zu zahlen, nahm ihr (1719) durch Gas 
binetöbefehl 1000 Thaler und (1721) noch 1325 Xbaler, 
alfo 2325 Thaler jährlicher Einkuͤnfte, welche fie bem 
wiſſenſchaftlichen Sinne des großen Kurfürſten verdankte, 
endlich auch die RWrannteweinbrennereigerechtigfeit auf dem 
Carthaus und den Bier» und SBranntweinverlag auf ber 
Schleuſe bei Wrigen, die Befreiung vom neum Biers und 
dem Kriegömalzgelbe, welches Alles die Univerfität von alten 
Beiten her befeffen ). Kurfürft Johann Georg hatte für Frei⸗ 

1) Die Werfügung in Arnolbs Siſtorie der konigebergiſchen Uni 
verfität Thi. J. Beilage Nr. 68. 

9) Hofbauer ©. 181. 

u. a rufen Dit, ber Dninefatt unh Et Bunftent u. &. Die: 


Univerfitäten. 603 


tifche armer Studirender ber Univerfität ein Kapital von 20,000 
Spyeciesthalern (zum Betrage von 14,666 Thalern) zugefihert, 
deffen Binfen fpäter mit 1200 Thalern auf den neumärfifchen 
Bol zu Frankfurt angewiefen worben waren. Der König hob 
dad (1723) auf und zwang die Univerfität, aller ipm gemachten 
Vorftellungen ungeachtet, ſich daflır mit 12,000 Thaler Kapis 
tal zu begnügen, wodurch die Freitiſche fehr befchränkt wurden. 
Einen nicht unwiſſenden aber halb verrückten Doctor 
Bartholdi, der wegen feines ungebuͤhrlichen Betragens gegen 
den Minifter v. Pringen in der Hausvogtei gefefien hatte, 
ernannte der König zum Profeffor der Rechte an ber Univers 
fität Frankfurt, obwohl diefe vorflellte, daß es im Gehirne bes 
Bartholdi nicht richtig fei. Er fing hier allerlei Händel an, 
verurfachte der Univerfität viel Verdruß, wurbe barauf in ein 
Hoſpitai gebracht, und muffte dort endlich wie ein Rafender 
feftgefchloffen werben). Ein. gewiſſer Arnold von Dobrölew 
ein prager Auguftiner, welcher in Berlin zur evangelifchen 
Kirche Übergetreten war, wurbe zum Hofrathe unb Profeffor 
in Frankfurt ernannt, war aber fo unwiſſend, bag ihm ber 
König eine Sreiftelle im joachimsthalſchen Gymnafium gab, 
um dort noch den gehörigen Schulunterricht zu erhalten ?). 
Der Magiſter Salomon Jakob Morgenftern hatte in Halle 
bei einem Glaſe Waſſer und einer Pfeife Tabak vor Iärmenden 
Studenten Borlefungen Über Geographie und Geſchichte gehalten, 
eine Staatsgeographie und ein der Kaiferin Anna von Rußland 
und den Grafen Oftermann und Muͤnnich gewibmetes Staatörecht 
des ruſſiſchen Reichs gefchrieben und war baflır reichlich belohnt 
worben. Im der Hoffnung, an dem in Moskau zu errichtenden 
Gymmafium angeſtellt zu werden, wollte er fich dahin begeben. Bei 
feiner Durcreife durch Potsdam gab er fih am Thore ald Ma- 
gister legens an und erregte durch diefe ungewöhnliche Bezeich⸗ 
nung, ſowie durch fein auffallend komiſches Aeuſſere, die Aufmerk⸗ 


1) Baßmann I. ©. 1020. 


HMorgenfiern ©. 83. Wie fehr die Univerfität Frankfurt freilich 
ſchon feit der Gtiftung von Halle herabgefommen mar, zeigt ber frei⸗ 
zeng op. Jat. Mofer in feiner Lebensgeſchichte TG. I. 8. KAufl- 

. 187. 





50% Bud VL Zweites Hauptſtuͤck 


farmfeit de wachthabenben Officiers ber ihn dem Könige mel: _ 
dete. Diefer bedurfte gerabe eines Vorleſers in feiner Tabals- 
geſellſchaft. Der Profeffor Faßmann, der einige Zeit dazu ges 
dient, ſich aber nicht länger hatte wollen als Rarıen mishan⸗ 
dein laffen, war (um 1732) entflopen, Graben zum Gtein, 
zugleich Wicepräfident der Akabemie der Wiſſenſchaften, fort: 
während betrumfen, mehrere Andere ohne Witz und Kenntaiffe, 
nur für die platten Späße der Gefeliſchaft auf einige Zeit zu 
gebrauchen ?), alfo muſſte Morgenftern erfcheinen. Geine fr 
mifche Figur gefiel dem Könige, ber bei ihm auch (mit Recht) 
die nöthigen Kenntniſſe voraudfegte, ihm baher anbeutete, er 
durfe nicht weiter reifen. Morgenftern, ein böchft gutartiger, 
gelehrter Pedant, ber jedoch nicht bie Abficht hatte, als Hefs 
narr feine Laufbahn zu machen, ſchuͤtzte feine Ausfichten in Ruf 
land vor, allein der König erklärte kurzhin, was die Kaiferin, 
koͤnne auch er geben, verlieh ihm den Hofrathötitel, freie Woh⸗ 
nung und 500 Thaler Gehalt; fo mufite er bleiben, fuͤgte fc, 
obwohl innerlich fehr ungern, in feine Lage und hielt fi da 
ber auch im Ganzen, wenn er nicht, was jedoch feltener als 
bei Gundling gefchah, betrunken gemacht worden war, ziemlich 
im Anſehen ). 

Um die Gelehrten insgeſammt auf der Univerſitaͤt Frankfurt 
lächerlich zu machen, ernannte ihn der König zum Vicekanzler 
derfelben und führte ihn in eigener Perfon durch eine Disputation 

* ein, weil ihm gefagt worden war, es werde hier nicht genug 
diöputirt. Der König kam daher (10. Nov. 1737) in einem 
Iogbwagen, neben welchem Morgenftern ritt, nach Frankfurt, 
befah am folgenden Zage bie Meffe, nahm Abends eine Mufit 
an, welche ihm 183 Studenten brachten und ertheilte ſelbſt 
den Befehl, was bei tapferm Wegen der Hieber auf den Gteis 
nen und Schreien auögerufen werben folle: „Vivat dem Königs 
lichen Haufe, den Pöniglichen Waffen und dem Herrn Morgenſtern. 


1) Man fehe über fie Flügels Geſchichte der Hofnarren &. 226 ff. 
über Jaßmann befonders ©. 285 ff. und Ricolai in der neuem beri 
Monatſchrift Mai 1807 ©. 257. 

2) Ricolat am angef. Drte S. 288 gibt die genauchen Rodeich: | 
en über Morgenſtern. 


Morgenftern in Frankfurt. 505 


Pereat allen Feinden des Königs und dem Aſtralikus (Spott 
name des Hofnarren und Vicepräfidenten der Alabemie, Gras 
ben zum Stein)!" 

Am Dienflage muffte Morgenſtern feine Disputation: 
„Bernlinftige Gedanken von der Narrheit und ben Narren“ vers 
theibigen; ben Profeſſoren wurde durch bie Pedelle befohlen, 
zu erfcheinen und zu opponien. Morgenſtern, der das Er⸗ 
niebrigende der Wolle, welche er fpielen muffte, fehr wohl 
empfand, das aber nicht merken laſſen durfte, muffte auf dem 
Katheder in einem geflidten blaufammtenen Kleide mit fehr 
großen vothen Auffchlägen und other Weſte erſcheinen, bie 
Silberſtickereien an den Knopfloͤchern, den Taſchen, den Beins 
Eleidern und ben Iwideln der Strumpfe beflanben aus lauter 
Hafen. Eine große Perle bebedte den Kopf und ben 
ganzen Rüden; flatt des Degens hatte er einen Fuchs⸗ 
ſchwanz an ber Seite und auf bem Hute flatt der Federn Has 
fenhaare. 

Der König kam frühzeitig In das Auditorium und ließ 
die noch fehlenden Profefforen, auch den berühmten Johann 
Jakob Mofer, geheimen Rath, Director der Univerfität und 
Ordinarius der Juriftenfacultdt durch einen Unter», dann, als 
er nicht gleich Fam, durch einen Oberofficier holen. Ex grüßte 
dann Wofer, und beſchwerte fi), daß noch weiter Niemand 
anweſend fei, obgleich er die Zeit zur Disputation gar nicht 
beflimmt hatte. Er wartete num noch und fagte zu den um» 
flehenden Dfficieren: Morgenftern wäre kluͤger ald alle Profels 
foren, dann zu Mofer, mit dem er ſich unterhalten hatte: wenn 
man einen Hafen haben will, muß man ihn von ben Unis 
verfitäten holen. Gundling fei gelehrt gewefen, allein mit Mor⸗ 
genftern nicht zu vergleichen. Ein Quentchen Mutterwig iſt 
beffer als ein Zentner Univerfitdtöweißheit! Weil Mofer nicht 
gern opponiren wollte, fo fagte der König: „Ia das ift auch 
ein ſolcher Heuchler wie der Schinmeier (ein Prediger in Stets 
tin, welcher einige Tage vorher bei ihm in Ungnabe gefallen 
war). Was iſt's denn? Jeder Menſch hat feinen Narren, ich 
habe den Soldatennarren; einer (er deutete auf Mofer) hat 


den geiftlihen Hochmuthönarren, ein anderer einen anderen. 





506 Bud VL Aweites Hauptftäd, 


Es iſt ja nur ein erlaubter Spaß ).“ Der König rief den | 
Studenten zu: „Scheuet euch nicht, Jungen, tretet mäher 
und beweift Dorgenftern, daß er ein Rare if." Nun ging es 
ſehr tumultuariſch zu, daß Morgenflern es nicht mehr aushal⸗ 
ten Tonnte. Der Rector muffte geholt werben, ber im der 
Eile die Peruͤcke eines Unterofficiers auffeste und die Rube 
herſtellte. Morgenftern beſtieg das Katheber und rief den Pro 
feſſor Roloff zum Opponiren auf. Mofer begab ſich 
Roloff disputirte tüchtig mit Morgenflern, trieb ihn 
die Enge und brachte durch gute Einfälle den König 
mals zum Lachen. Dann disputirte ber Hofrath Flei 
Morgenftern. Der König unterhielt fih mit bem 
Roloff und erkunbigte ſich, weil er zu ber Beit ber 
feinem Vorurtheile gegen Wolf zuruückgekommen war 
Studenten auch fleißig Philofophie hörten. Als 
verneinte, fo wollte der König befehlen, daß alle Studenten, 
ehe fie zu Fachwiſſenſchaften Übergingen, vorher Philoſophie 
bören müfften, aufferdem nicht befördert werben ſoliten. Ex 
felbft erklärte fich fin einen großen Liebhaber der Philofophie 
und meinte, es ſcheine doch, daß Morgenflern eine gute Log 
verfiche. Als darauf bereits eine ganze Stunde verfloffen war, 
ließ er die Disputation abbrechen, machte gegen ben Vicckam⸗⸗ 
ler Morgenftern ein großes Gompliment, brebete fi um, pfif 
und Eatfchte in die Hände, was alle Anweſende nachmachten ’). 
Es wide den Univerfitäten und den damaligen Gelehr⸗ 
ten, gegen bie ber König vielfach) durch bie ihn umgebenden 
Dfficiere gereizt wurbe, noch uͤbeler ergangen fein, wenn nicht 
wadere und gelehrte Geiftliche wie Jablonski, Reinbed und 


He 


if: 
3233 
sh 


. Raooloff, welche ber König fehr achtete ), und auch der kenut⸗ 


1) Denkwuͤrdigkeiten der Mark Brandenburg v. I. 1799 ZH. 1. 
©. 891. 

O Bis hierher gibt Mofer, welcher amvefenb war, bie zuneriäffigfe 
achricht von biefem Vorgange in f. ebensbefchreibung Ahl. 1. ©. 168 f- 

8) Rachſt Mofers Rachrichten dürften. die Benekendorfé 
VIIL ©. 56 als jene ergängenb Glauben verbienen. Dieſer gibt mur icrig 
bas 3. 1785, flatt bes 3 1787 am. 


4) Königs Berun IL. ©. 19. 


Univerfitäten. 507 


nißreiche Oberft Gamas, ber bei ihm viel galt"), ihmToft bes 
fänftigt und dadurch von nachtheiligen Verfügungen, zu denen 
er in der erfien Aufwallung nur zu fehr geneigt war, abges 
hatten hätten. 

So fehe er nun gegen Dinge eingenommen war, bern 
Nugen er nicht einfah, fo leicht war er fir alles wirklich 
Nügliche zu gewinnen. Gein Leibarzt Gundelsheim, ein Res 
fegefährte Tourneforis, brachte es fo dahin, daß der vor dem 
potöbamer Thore gelegene Hopfen» und Küchengarten zum 
botanifchen Garten eingerichtet wurbe und baf alle — 
ſchen Gewaͤchſe aus den königlichen Gärten in Schönpaufen, 
Charlottenburg, Potsbam und Honslardyk bahin gebracht und 
einem Dberauffeher übergeben werben mufften *). 

Vorzüglich die Aufficht über die Studirenden und Gans 
didaten ber Theologie gab zu mehreren Verfügungen Berans 
laffung, au (30. Sept. 1718) über den Umfang ihrer Stu⸗ 
bien und bie mit ihnen anzuftellenden Prüfungen. Um den 
Beſuch der inlaͤndiſchen Wniverfitäten zu befördern, follte jeder 
lutheriſche Theolog wenigftens 2 Jahre in Halle flubirt haben 
(9. Ian. 1726) und Niemand zu einem Pfarramte befördert 
werben, ber nicht 3 Jahre auf inlaͤndiſchen Univerfitäten und 
Gymnaſien, in Brankfurt, Halle, Königsberg, Duisburg, Zins 
gen und Ham ober auf den reformirten Univerfitäten Utrecht 
amd Baſel ſtudirt haben winde (1. Nov. 1727). Jeder 
Student, der ein Stipendium bezog, follte jährlich eine Ars 
beit, welche Beweis feiner Fortſchritte gäbe, an bie Facultaͤt 
abliefern und nach Ablauf von 3 Jahren biöputiren, fonft feine 
Anſtellung erhalten (14. Mai 1726). 

In einer günftigern Sage befand ſich die Univerfität Rbs 
nigsberg, vielleicht zum Theile wegen ihrer größeren Entfernung 
von Berlin; wenigſtens verringerte der König ihre Einkünfte 
nicht, befreiete fie vielmehr (1716 und 1722) von ben Quars 
tiergelbern und vergüitete ihr (1718) bie genommene Acciſe⸗ 


2) Mofers kin I 0 168 f O auh über In be Bon 
rede zu der Correspondanoe de Fröderie TI. » et Mad. de 
Camas. 


2) König L ©. 51, aus Küfters Berlin II. ©. 202. 





508 Bud VI. Zweites Hauptſtuͤck 


freiheit aus feinen Kaffen’). Dagegen befahl er (1717) den 
Vrofeſſoren, wöchentlich vier Stunden Öffentliche Borlefungen 
zu halten, wenn fi) aud nur ein einziger Zuhörer einfinde, 
und aufferdem für jede ohne hinlänglihen Grund ver 
fhumte Ihnen ehoas vor ber Befobumg abpmichen un 


Univerfitätsvermögen zu uͤberweiſen ). Gr — wie 
Vader (4732 und 1735) Fr gegen unfleißige Docenten ofme 


Rachſicht zu verfahren, bern Namen, bis fie fih gebeffet, 
im Verjeichniſſe ber Vorleſungen wegzulaffen, ihre —* 
Beſoldung en und an arme Studirende zu 
len, endlich ihm Anzeige zu machen, damit er ae an 
ſtelle. Die Zahl der Profefforen wurde fehr vermehrt, bie 
theologiſche durch bie fünfte bis fibente, bie juriflifche durch 
die vierte, bie mebicinifche durch die fünfte ordentliche Profek: 
fur’). In der pbilofepbifien wurden auffer den Profefloten 

der Gelehrtengefchichte, der Alterthuͤmer und der deutſchen Be: 
—* zuerſt mehrere auſſerordentliche Profefforen angeſtellt ). 
Sehr zweckmaͤßig wurde (1737) die Profeſſur der Anatomie von 
der Profeffur der Botanik getrennt, allein vergeblich auf ein ana 
tomifches Theater gehofft, bis endlich, gerade wie in Halle, im J 
1738 der Profeflor Büttner ein ſolches auf eigene Koften erbaueke, 
deren Exftattung an feine Erben durch feinen Nachfolger ihm zu 
gefichert wurde *). Seit dem I. 1732 flieg in Königsberg die 
Zahl der Stubirenden von 300 auf 600, was wohl nicht mit 
Unrecht ald ein Beweis der erhöheten wiffenfchaftlichen Beifum» 
gen ber Univerfität angefehen werben duͤrfte °). 

Nur durch theologifche Auffäge war ed Gelehrten möglich, 
fi des Könige Gunft zu erwerben und Unterftügung zu ers 
halten. Der junge vierzehnjährige Dr. Baratier, ein wahres 


1) Arnolde Hiftorie der koͤnigebergiſchen Univerfität Tl. 1. S. 112 
9) Bei Arnold I, Beilage 68 vergl. ©. 189. 

8) Dafelbft Thl. I. S. 257 u. 287. 

4) Dafelbft Thi. II: ©. 418 f. . 

5) Dafelbft II. S. 289. 


6) Bericht des Susi Fouts in Rinigiberg v. 30. Si 
1786 in Königs Berlin IN. ©. 1 


Univerfitdt Königsberg. Lectüre. 509 


Wunder von frübzeitiger Entwidelung, glaubte fi dem Kb 
nige am beften zu empfehlen, indem er (1735) Auffäge über 
bie Mittel, die Juden zu befehren und Widerlegungen ber 
Zeinde der Religion, der Gottheit und des Heilands ſchrieb. 
Wirklich wurde er auch vom Könige anfehnlich beſchenkt und 
erhielt eine Penfion, um fid weiter ausbilden zu Können ’). 
Selbſt der alte, berühmte Arzt, Friedrich Hoffmänn, ſchrieb 
deshalb (1738) einen Inbegriff der Hauptartikel des chriſt⸗ 
lim Glaubens, den er dem Könige überfhidte, welcher ihm 
fagen ließ, er habe das ſchoͤne Buch felbft gelefen und finde 
es vortrefflich ?). Unter folchen Umſtaͤnden muffte bie litera⸗ 
riſche Bildung finfen. Bas noch von wiſſenſchaftlichen Wer⸗ 
ken erſchien, war eine Frucht der Regierung driedriche Lund 
der nicht ganz zerflörten Anfalten. 

Die Hauptlectlire machten bie gefämadiofen Todtenges 
ſpraͤche Faßmanns aus, ber einige Zeit hindurch zu dem 
‚Hofnareen und Zeitungsleſern bes ‘Königs in ber Tabaksge⸗ 
fellſchaft gehörte, ſich aber diefer ſchmachvollen Lage durch bie 
Sucht entzog und das Leben des Königs beſchrieb, welches 
eine Menge fehr zuverläffiger Nachrichten über ihn und feine 
Umgebungen enthält. Obwohl nun daB Werk im Zone ber 
tiefften Unterthänigkeit gefchrieben if und im Außbrude ber 
Demuth zuweilen an Satire zu fleeifen fcheint, fo wurde 
8 dennoch fiscalifch verboten”). Aufferdem fand man des 
Graben zum Stein Geſpraͤche im Reiche der Geiſter, die res 
denden Thiere und ähnliche Schnurren und die zahlreichen 
fliegenden Blätter über die häufigen Hinrichtungen von Ver⸗ 
brechern. Selbſt kriegswiſſenſchaftliche Werke Tonnten nicht 
erfcheinen, wo man im Heere flolz auf den Mangel an Kennts 
niffen wer, biefe verachtete und dem Gefpötte bei jeder Ges 
legenheit preisgab, weshalb die wenigen, welche wiflenfchafts 
liche Bildung befaßen, diefe zu verfleden genöthigt waren. 
Im feinen lehten Lebensjahren ließ der König das ſpaniſche 


1) König I. ©. 125 und Baratiers Schrelben ©. 164. 
©. aud) Über Baratier, Hofbauers Geld. d. Univesf. Halle S. 288. 

2) Das Schreiben bei König a. a. D. S. 157. 

3) Benetenborf VIIL ©. 6. 


510 Bud VL Zweites Hauptfihd. 


Kriegdreglement auf feine Koſten druden, aufferdem nur Pre 
bigten, Gebet» und Andachtebůcher '). | 

Etwas mehr ald fr die Univerfitäten geſchah fr die bir 
heren Schulen. Das joachimsthalſche Gymnaſium bauete der 
König neu auf, fiellte durch eine Werordnung (v. 30. Sept. 
1718) die Damals noch aufgeführten Komödien und bramatis 
ſchen in denſelben ab und ordnete eine jährliche oͤffent⸗ 
liche Pruͤfung der Schüler an, wobei rg ber Umfang der 
nötpigen Kenntniffe fir Diejenigen, welche Theologie ſtudiren 
wollten, feftgefegt wurde. 

Weit mehr that der Koͤnig fir Schulen, in welchen ge 


Schreibens und Rechnens. Es wurbe wiederholt (23. Dt, 
4717 und 19. Dec. 1736) durch ein allgemeines Edict den 
Acltern bei nachdruͤclicher Strafe befohlen, ihre Kinder vom 


Drtsalmoſenkaſſe gegeben, das Edict in jedem Dorfe ange 
ſchlagen werden umd Patrone, Geiftlihe und Infpectoren auf 
die Wolziehung deffelben ſehen . Ale Rekruten follten be 
ihren Regimentern ſchreiben und leſen Iernen und im Ebrinen 
thume unterrichtet werben ). 

Allein mit bloßen Verfügungen und Befehlen ließ fih 
bier nicht viel ausrichten, daher griff ber König für fein Preuffen 
und Litauen dieſe wichtige Angelegenheit auf wirkfamere Weile 
an. Er hatte bei feinen mehrfachen Reifen vorzüglich m 
Lithauen bie aufferorbentliche Unwiſſenheit deö gemeinen Man 
nes kennen gelernt und beſchloß daher, hier eine bamerhafte 


1) König Xp. IL ©. 19 ff. Vergl. Röbenbeds Beiträge L 
©. 880, der mehrere Predigten anfüprt, welde auf Specialbefchi dei 
Königs gebruct wurden. 
N) Be Bafmann IL S. 286. Berg. Boromsti’s preufkfde 
©. 174. 


9 Benekendorf VIL S. 81. 


Symnafien und Landſchulen. 511 


gute Schulverfaffung als daB einzige Mittel einzurichten, um 
dem bort herrſchenden Elende zu fleuern. Ex befahl daher 
(2. Juli 1718) der Regierung, den Kammern und dem Gons 
fiflorium nachdruͤdlich, mit vereinten Kräften endlich der Un: 
wiſſenheit des Volks abzubelfen und den wadern Dr. Lyfius 
in Königsberg und den werkthätig frommen Franke in Halle _ 
mit dazuzuziehen. EB wurden, immer angeregt von bem uns 
ermüdlichen Könige, nach und nad fünf Entwürfe gemacht, 
deren Ausführung aus verfchiedenen Grimden fdpeiterte, allers 
dings auch wohl, weil ber König keine bedeutende Summe 
baaren Geldes aufwenden mochte. Die Einwanderung frems 
der Goloniften, hauptſaͤchlich der Salzburger, denen er die Er⸗ 
bauung von Kirchen und Schulen verfprochen, brachte biefe 
Angelegenheit von Neuem in Anregung. Die Kammern wolls 
ten nicht, wie bezwedt wurde, die ganze Koſtenlaſt auf die 
opnebin ſchon fo ſtark befleuerten Untertpanen legen laſſen. 
Endlich räumte vorzüglich des Königs eigene Beharrlichkeit die 
entgegenftehenben Hinberniffe weg und feste das laͤngſt bezweckte 
fegensreiche Werk durch, indem er (1735) 40,000 Thaler her⸗ 
gab, von deren Zinfen Schullehrer unterhalten werden follten. 
Er kam felbft (1736) nach Preuffen, um bie neuen Einrich⸗ 
tungen zu unterfuchen, ſchenkte noch 10,000 Thaler Kapital 
zu bemfelben Zwede wie die obigen und befahl die Ausfühs 
rung bed bereits feit 3 Jahren gemachten Entwurfs, wonach 
die Unterthanen nach Verhaͤltniß ihres Wermögens zur Eins 
richtung und Erhaltung bed Schulwefens mit beitragen follten. 
Die firengfien Befehle wurben deshalb erlafien und im I. 
1738 waren im koͤnigsbergiſchen Kammerbepartement, ohne bie 
ſchon früher vorhandenen 320 Kirchſchulen, bereitd 385, in 
Kithauen 275 Dosfichulen, alfo insgeſammt 1160 Dorfſchulen 
eingerichtet. 

An den Drten, wo Schulgebäude fehlten, wurben fie neu 
exbauet, wozu der König die Baumaterialien bergab, während 
die Gemeinden die Fuhren dazu verrichteten. Daffelbe wurde 
für die Schulen in den Abelöbörfern befohlen, fo daß bie 
Sculbautn im I. 1740 größtentheils vollendet waren‘). 

4) Doch waren viele derfelben ſchon im I. 1741 wicder baufällig. 
Boromwski’s preuffifhe Kirchenregiſtratur S. 176 — 187. 


512 Bud VI Zweites Hauptftüd. 


Lehrer fanden fi, feit in ben koͤnigsberger Schulen bie Lehr 
methode verbeffert worden war und in ben bafigen Armens 
ſchulen 1500 Kinder, aufferdem noch in bem umter Friedrich L 
von waderen Männern eingerichteten Fridericianum 1100 Kins 
der von 100 Stubirenden Unterricht erhielten‘). Auf ben 
Dörfern folte feit 1734 Niemand mehr confirmirt werben, ber 
nicht Iefen konnte und mit den Grundlagen des Chriſtenthums 
befannt war). Hierdurch erwarb fi der König 
Berdienſte um fein Preuffen und Lithauen, —— 
man auch über feine allerdings aus beſchraͤnkten Anfichten 
vorgegangene Verachtung der Gelehrſamkeit und der Faden 
Künfte urtheilen mag, fo barf doch auch auf Feine Weiſe ver- 
kannt werden, baß der Glanz, weldyen diefe um bie Fuͤrſten 
verbreiten, von denen fie begimfligt werben, oft nicht viel 
mehr als gehaltiofer, der Eitelkeit ſchmeichelnder Schimmer ifl, 
während das unfcheinbare Verdienſt, durch Gründung zahlres 
her Landſchulen daB Volk der Roheit und Unwiſſenheit ent: 
zogen zu haben, dem Ruhme ber Stiftung prunkender Alkade⸗ 
mien für Gelehrte an Werth wenigftens gleichlommen därfte 
Allerdings geſchah In den Übrigen Theilen der —d 
weit weniger fir bie Landſchulen und, wie es ſcheint, über 
haupt nicht viel. Mit blößen Werorbnungen war, wie fih 
bald zeigte, nichts Wefentliches auszurichten und Gelb zur 
Grimdung von Schulen und zur Bildung tüchtiger Lehrer war 
vom Könige ſchwer zu erlangen. Der Propft Reinbeck bat 
ihn, bie koͤlniſche Schule in Berlin, welde, feitdem fie im 
3. 1730 abgebrannt mar, im Rathhaufe gehalten wurde, neu 
aufbauen zu laflen. Der König bewilligte zwar (1737) den 
Platz dazu, aber nicht die noch nöthigen 3000 Thaler Ba 
koſten, weshalb die Schule in ihrem unbequemen Locale blei⸗ 
ben muſſte ). 


1) Sold becks Rachrichten von ber Univerfität zu Konigtberg unb 
den dafelbft befindlichen Sad. und Enlepungeanfalen ©. 208 
2) Berit v. 80. Juli 1736 bei König U. ©. 132. Doch daͤrſte 
wenigftens biefe Angabe noch genauer zu prüfen fein. 
3) Reinbe®s Leben in Bäfhings Beitraͤgen zur Echensgefdiidhte 
u. ſ. w. Ahl. L S. 19. 


Säulen. Künfte 613 


Nach fhlimmer als den Wiflenfchaften ging es den Kuͤn⸗ 
fien. Ienen ließ fi doc irgend eine nügliche Seite abge: 
winnen, ben Künften aber da, wo fein Sinm und Gefchmad 
für fie war, gar feine‘). Gleich im I. 1714 wurden bie 
Einkünfte der Akademie der bildenden Künfte von 1000 Thas 
tern auf 300 Zhaler gefegt und ihr aufferdem bie Werpflich- 
tung auferlegt, fr bie ihr eingeräumten Zimmer über dem 
Eöniglichen Marftalle jährlich 50 Thaler Miethe zu entrichten, 
was ihr doch auf ihre Vorſtellung erlaffen wurde). Die 
Feſte, welche fonft von ihnen verherrlicht worden waren, hat: 
ten aufgehört; bei den Kriegsübungen, den Jagden und in 
Affembleen, welche von einzelnen Großen gegeben wurben, be: 
durfte man ihrer nicht. Doch ließ ber König (1719) eine und 
zwar fehr große Medaille zu Ehren feine Heeres fchlagen *) 
und eine ungemeine Menge von Silbergeräth anfertigen, das 
wohl weniger durch Schönheit als durch Schwere bes koſtba⸗ 
von Metalls auffiel. So wurden unter Anderem 10 Kronleuch 
ter, jeder für 6000 Thaler, 20 Wandleuchter, jeder für 5000 
Thaler, ferner maffive filberne Zifcpe und was man vorzüglich 
bemerkte, ein im weißen Saale bes berliner Schloffes anges 
brachter Balkon für die Muſiker von maflivem Silber vers 
fertigt, welcher 7270 Mark wog und gegen 95,000 Thaler 
Toftete ). 

Die einzige Kunft, welche fih) noch einiger Nachfiht des 
Königs erfreuete, war bie Malerei, wahrfcheinlih weil er 
ſelbſt in feiner Jugend etwas zeichnen gelernt hatte und ſpaͤ⸗ 


1) Les arts Ubéraux tomberent en decadence, Frederic II. des 
Moeurs etc. p. 422. 

2) Witten im Berliner Kalender v. 3. 1823. ©. 232, 

8) Foͤrſter I. ©. 303 fagt, fie habe 5 Zoll im Durchmeſſer, 
fei im Golde 500 Ducaten werth geweſen unb bei (feltenen) feierlichen 
Gelegenheiten verſchenkt worden. 

4) Actenftüde bei König IL. ©. 106. vergl. Benekendorf II. 
©. 53. Nicolai in feinen freimüthigen Anmerkungen zu Zimmer 
manns Fragmenten &. 67. fchlägt den Werth des Silbergeraͤths wohl 
ziemlich genau zu 1,376,000 Thix. an. Andere, ſelbſt bie Prinzeffin 
Wilhelmine, geben runde und größere Summen. 

Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TI. 33 


- 514 Bud VI. Zweites Hauptftäd. 


ter viel malte, vorzüglich feit dem I. 1729, während ihn bie 
Gicht peinigte und feine lebhafte Gefcyäftsthätigkeit hemmte, 
Zwei Malergehlitfen Halfen ihm bei Wereitung ber Farben 
und bienten zu ben nöthigen Handreichungen. Weidemann, 
der Director ber berliner Akademie der bildenden Künfte, bem 
allein er von allen Mitgliebern derfelben eine Befoldung von 
600 Thalern gelaffen, entwarf die Umriffe des Delgemaͤldes, 
welches der König dann Tolorirte, aber felten ausfüͤhrte. Da 
durch wurde das Illuminiten von Kupferſtichen, das Aut 
ſchneiden amd Ladiren kleiner Bilder in Berlin fehr gewöhns 
lich. Ron Kunft Eonnte freilich babei nicht die Rede fen, 
obgleich ber König wirklich glaubte, ald Maler etwas leiſten 
zu koͤnnen, worin ihn auch die Schmeichelei feiner Umgebum- 
gen und Anderer beftärkte, welche er einigemal, wie man en 
zählt, dadurch in unangenehme Werlegenheit ſetzte, daß ex den 
Werth feiner Gemälde von ihnen tariren ließ und fie ihnen 
dann für die natürlich hoc; genug angegebene Summe überließ. 
In der Regel verſchenkte er indefien feine Gemälde‘), Bon 
Weidemann ließ er fich felbft oft gu Geſchenken, allein auch 
alle Generale feines Heeres malen und dieſe in Potsdam in 
einem befonderen Bimmer aufftelen; auch ale langen Grene 
diere feines Leibregiments wurden auf feinen Befehl vorzüglich 
von Merk in Lebensgroͤße gemalt und in den Gängen des 
Schloſſes aufgehängt’). Merl malte auch des Königs Hunde 
und das von ihm eriegte Wilbpret, ein geiwiffer Degen bie 
Schlachten des großen Kurfürften, bei benen bie Pferde er 
träglich, die Menfchen aber alle einander wie Brüder ähnlich 
waren. Der einzige Kuͤnſtler, ber unter Friedtich Wilhelm 
als Maler genannt. zu werden verdient, war der bereit von 
feinem Water als Hofmaler angeftelte Pesne, dem er feine 
Befolbung von 1500 Thalern ließ. Vorzüuglich die Königin 
hielt ihn hoch, und befchäftigte ihn mehrfach), ohne daß er 


1) Benekendorf J. ©. 107 u. XL @. 69. König IL, 162 


2) Rach dem Tode bed Königs wurden fie weggenommen. Bene: 
tendorf XL ©. 77. 

8) Sie lich ſich mehrmals und i. I. 1735 auch dem jungen Pro 

feſſor Baratier, wahrſcheialich auch biefen von Peöne malen. Gunblings 


Malerei. Muſik. 615 


ſich bei der verpältnigmäßig nur geringen Begimſtigung ber 
Kunſt in Berlin noch weiter vervolfommnet hätte, indem auch 
er dem damaligen unfänftierifhen Gefdhmade nachgeben und 
von der Geſchichts⸗ zur Bildnißmalerei übergehen muſſte ). 
Auch der Markgraf Karl liebte die Kimſte und befchäftigte 
Maler, Kupferftcher und Bildhauer. Die zum Xheile fehr 
ſchonen Gemälde, welche der König in den Schloͤſſern zer: 
ſtreuet von feinem Water geerbt hatte, beacdtete ex nicht”). 

‚Br Bildhauer, fofern fie zur Verzierung der neu erbaue⸗ 
ten Kirche und öffentlichen Gebdube und Thore dienten, gab 
es mancherlei Beſchaͤftigung. Der Tod feines riefenlangen 
Grenadiers Jonas, des Fluͤgelmanns vom Leibregimente, 
ſchmerzte ihn fo, daß er einem Bildhauer befahl, den Jonas 
im voͤlliger Lebendgröge mit Montur und Gewehr fo viel als 
möglich ähnlich in Stein auszubauen °); and ließ er einige 
Öffentliche Denkmäler, wie das des großen Kurfürften in Ras 
thenew, ambere in Köslin und in Berlin errichten. Die 
Kunſt im höheren Sinne waltete Hier fo wenig ob, wie bei 
den zahlreichen Bauten des Königs *). 

Auch von der Muſik war er, auſſer fofern fie zur Er⸗ 
hoͤhung des Jagbvergnäigens biente und zu feinem Leibregis 
mente gehörte, kein befonderer Freund, obwohl fie von ber 
Königin, als deren einzige Ergöglichkeit, geliebt wurde *). Bei 


Hiftorie der Gelahrtheit Spt. IV. ©. 54085 fie habe mehrere Gemätbe 
der Art mit 150 und mehr Ducaten bezapit. 

1) Friedrich IL a. a. DO. p. 422. König IL 163. 

2) König IL S. 167 ff. u. 169. 

3) König L ©. 161. 

4) $riebri IL a. a. O. p. 42%. Les menuisiers s’6rigärent 
en sculpteurs et les magons en architectes. Das Werzeichniß ber wer 
nigen Künftier Berlins unter Friedrich Wilhelm I. f. in Ricolai’s Be 
ſchreibung Anhang 4. &. 86. 

5) Benelendorf XL ©. 67. Berg. König I. ©. 177 f. 
Dem widerſpricht auch nicht, was Nicolai inf. Anekdoten vom Briebridh IE. 
‚Heft II. &. 148, von Priebric Wilhelms angeblicher Muſttileb haberei 
angeführt hat. Deffen Sparſamkeit gegen Bocatelli bei Benetenborf XIH. 
©. 48 zeigt, wie wahr das oben Gefagte if. Vergl. Faßmann I. 
©. 851. Die Mufiktiebpaberei der Königin bezeugt Lotn in feinen Schrif⸗ 
ten 3. Abtheilung S. 28. Sie hat wohl gmnääft auf Beeid IL geisistt. 

3 


516 Bud VL Bweites Hauptfiäd. 


Goffeierlichkeiten mufften die Mufiker des Leibregiments bie 
fehlende Kapelle vertreten und baher nahm er gegen bas Enbe 
feineß Lebens (1736) den Kapellmeifter Sydow in feine Dienfte 
und befahl ihm in Potsdam eine Muſikſchule anzulegen, in 
welder Waifentnaben Unterricht erhielten, um dann ald Haut: 
boiften unter die Regimenter vertheilt zu werden. Gloden: 
foiele dagegen liebte er und ließ in- Holland für Berlin und 
Potsbam mehrere mit großen Koflen verfertigen. 

Allem, was feiner Meinung nach den Müßiggang befoͤr⸗ 
derte, war ber unermuͤdet thätige König durchaus abhold, da⸗ 
her auch allen den Bolköbeluftigungen, welche er nur als Ver⸗ 
anlaffung zu Verſchwendung der Zeit und des Geldes anfah. 
Deshalb unterfagte er (28. Mai 1727) die Schießuͤbungen 
der im fechzehnten Jahrhunderte gegrümbeten Schligengilbe ber 
Reſidenz, allermagen: er bad Tüberliche, uͤppige Weſen abgeſtellt 
voiffen wolle. . Das Gefuch der bei biefen Feſtlichkeiten buch 
den Abſatz ihrer Waaren intereffirten Handwerker wies er zu 
ruͤck, weil das Scheibenfchießen überhaupt von keinem Nuten 
fei. Die von den Schüigenkönigen getragene ſilberne Kette 
und die Schuͤtenplaͤtze wurden verfauft ): Auch Thee⸗ und 
Kaffeeſchenken verfchwanden, fo bag man nur an zwei Orten 
in Berlin Kaffee verfaufte . 

ESo kam aud das Theater, welches in ben letzten Lebens 
jahren Friedrichs I. aufgehört hatte, nicht wieber empor. Doch 
erhielten Seiltänzer, Taſchenſpieler und andere Gaukler und 
herumziehende Schaufpielergefellfchaften, welche anderwärts we: 
der während der Meſſen und Jahrmaͤrkte, noch fonft geduldet 
wurden ®), von Zeit zu Zeit Erlaubnig, in Berlin Vorflels 
kungen zu geben; nur ſollte nichts Scandaleufed und Aerger⸗ 
liches auf der Bühne erfcheinen. Naturlich erhoben fich die 


1) Wilken im Berliner Kalender v. I. 1823 S. 111, aus Küfters 
—— — S. 586 f. Auch die 40 Thaler, welche Friedrich dem 
Sqhatenkonige in Fuͤrſtenwalde bewilligt, zog ber König und wahrfdein 
lich überall In der Mark alle Gunfibegeugungen ber. Art ein. Golts 
Ghronit v. Fuͤrſtenwaide S. 832, Das Gchießen hoͤrte auf. 

9) König II. &. 299. 


3) Adtenftüde bei Börfter Thl. J. ©. 806 f. 





Schaufpiel, 517 


Komoͤbianten nicht uͤber gewöhnliche Poffenreißer. Ein ges 
wiſſer Eggenberg, der ſtarke Dann wegen feiner bemunderungss« 
wirbigen Körperkraft genannt, ſetzte indeſſen den König durch 
Beweiſe derfelben in fo großes Erftaunen, daß er (1717) bie 
Erlaubniß erhielt, uͤberall im Reiche feine Stärke zeigen zu 
Sinnen. Er muffte fi bei dem Könige in Gunſt zu erhalten, 
fo daß hm biefer die Einrichtung ber Affembleen in Berlin 
übertrug. Der König bewirkte nämlich, da er zu ſparſam 
war, um in Berlin ſelbſt Affembleen zu geben, daß biefe der Reihe 
nach von Generalen und Miniftern auf. deren Koften für ben 
gefammten Adel der Hauptftabt veranflaltet wurden, wo auch 
ex mit feiner Familie zu erſcheinen pflegte und getanzt, gefpielt 
und Tabak geraucht wurbe. Im bein weniger belebten Pots⸗ 
dam gab der König felbft während eines Theils des Winters 
einige Affembleen ber Art"). Da num das Vlelen laͤſtig war, 
fo beflimmte der König, daß 24 von ihm bezeichnete Generale, 
Minifter und fremde Gefandte Jeder 30 Thaler an Eggenderg 
zahlen folten, der nun.für bie Einrichtung der Affembleen im 
Zürftenhaufe zu forgen hatte. Wer fonft Theil nehmen wollte, 
muffte, mit Ausnahme der Hauptleute und Subalternofficiere, 
8 Groſchen Eintrittögelb, wa fie, 16 Groſchen Karten: 
geld geben. 

Bel num Eggenberg ein Haus in der Frierichöfabt 
bauete und dadurch den König iberpeugte, er wolle fein erwor- 
benes Gelb nicht im. Auslande verbringen, fo gab ihm biefer 
den Titel eines Töniglichen Hofkomoͤdianten und geftattete ihm, 
in Berlin, ober wo er fonft wollte, mit einer Geſellſchaſt 
dem Titel nach: „wirklicher koͤniglicher Hoflomddianten” Vor⸗ 
ſtellungen zu geben, doch keine gottloſe, aͤrgerliche oder dem 
Ehriſtenthume nachtheilige Dinge, ſondern lautes innocente 
Sachen zum honetten Amdıfement vorzuſtellen. Die Oberaufe 
fit erhielt der General Alerander v. Dönhof. Die Komöbis 
anten befamen Beſoldungen von wöchentlich 9, bis 34 Thaler 
aus Töniglichen Kaffen. Es wurden von ihnen nicht nur Poſ⸗ 


1) Benekendorf 1. S. 154. Morgenftern ©. 184. Doch 
gaben hr Bapmann I. S. 882 auch hier Dfficiere Affembleen der 
Reihe nad. 


518 Bud VL Zweltes Hauptfläd. 


fen und fogenannte Luſtſpiele, fondern auch Dpern in 
Königsberg und Cleve, auch wohl in anderen 
Landes aufgeführt. Um Theilnahme daran zu 
hielten (1732) alle Beamtete Befehl, Bilets —* ke 
den Collegien in Berlin wurde bei namhafter Strafe 
daß täglich einige ihrer Mitglieder ber Reihe nad dem 
foiele beiwohnen follten, dies iebod bald darauf 
rudgenommen. Auf Sittlichkeit —* 
König feinem Bildungägrabe nach 
Urtheile darin befiimmt zu traum. Als er 
Beſuche einer Vorftellung von Morionettenfpie 
anftändige Rebe eines berfelben aufmerkſam gemacht wurde, 
fand er ſogleich auf, verließ den Saal und befahl biefer 
Truppe, binnen 24 Stunden bie Stabt zu verlaffen ). 
Ucberhaupt haſſte er, feiner Gemahlin, was damals unter 
Bürften ſehr felten, unverbrüchli treu, Ausfchweifungen des 


Ki An 
Hin 


lichen Laſters beſchuldigt wurde, ließ er al 
nad Spandau bringen. Der Kalfer war barüber unzufrieden, 
befahl dem Könige, dem Grafen in Freiheit zu fegen und bie 
Sache an ben kaiſerlichen Hof zu bringen. Der König lich 
ihn aber nicht eher los, als nachdem der Graf eine anſehn⸗ 
lie Summe bezahlt hatte‘). Den Herzog Eberhard Ludwig 
von Bürtemberg bewog er, feine beruͤchtigte Beifchläferin weg 
zuthun und feine Gemahlin wieder zu ſich zu nehmen ) 
Deftere unerwartete Nachfuchungen wurden in Berlin ans 
geſtellt und Iüberliches Gefindel zu Hunderten aufgegriffen und 
in die Zuchthaͤuſer gebracht‘). Streng gegen fih, war ex es 


1) Wilken im Berliner Kalender v. I. 1828 ©. 113 ff. u. 185, 
„ Fa noch ungebrudte Nachrichten benugt hat. Bol Foͤr ſter IL 


2) Hojexs Leben König driebrichs IV. von Dinmart, pl L 
®. 500. 


9) Spittlers Geſch. Mürtembergs ©. 898. 
4) Bafmann I. &. 965, 


Sittlichkeit. Fleiß. 519 


auch gegen Andere; ja er verbot fogar Überhaupt, bag bie 
Leute Sonntags Schenken ober Wirthöhäufer befuchen folten, 
bob das aber wieder auf, ald ihm vorgeftelt wurbe, ber 
Sonntag fei für den Arbeiter der einzige Tag der Erholung. 
Patrouillen gingen Abends in Berlin herum und griffen die⸗ 
jenigen Bürger auf, welche fi nad 9 Uhr noch in Gaſt⸗ 
und Wirthöhdufern befanden. 

Selbft unermübet thätig, verlangte er, daß es ein Jeder 
fein folle, und, gewöhnt an Uebung der unbefchränkten Ges 
walt, firafte er wohl fogleich mit eigener Hand den, welchen 
ex für einen Müßiggänger hielt. Daher ging der Schreden 
vor ihm ber‘), Jeder beflügelte. feine Schritte, wenn er ben 
König kommen fah, und fuchte fi) feinen Bliden, wenn es 
irgend möglich war, gu entziehen. Die Einwohner der Fried» 
richsſtadt, welche er oft befuchte, um ben Fortgang ber Baus 
ten gu fehen, flüchteten dann ſogleich, verſchloſſen Thuͤren und 
Benfter, und die Straßen waren dbe und leer“). Dumpfs 
Stille herrfchte unter den Bewohnern Berlins, Alles war 
eingeſchuͤchtert. Die Freude wagte nicht, ſich laut zu aͤußern ). 


1) Bafmann L S. 905 ergäßtt, daß ein Beamteter, welcher uns 
erwartet zum Könige gerufen wurde, bermaßen erſchroden, daß ex ſogleich 
zu Boden gefunfen und gefborbeu fe. Wergl. ©. 961 und Morgens 
ftern ©. 76 u. 71. 


2) Man fehe Benekendorfs Erzaͤhlung I. @, 121, ber freilich 
meint, bie Leute wären im Irrthume geweſen. 


3) König 1. ©. 117. In Frankreich glaubte men im I. 1726, 
die Preuffen würden ihren König wegen biefer Tyronnel und Thorheiten 
abfegen. Montgon. Mem. T. I. p. 326. Natärlid dachte Riemand 
hier baran. Nach einem englifchen Gefandtfhaftsberichte in Raumers 
Beiträgen Thl. III. S. 533 deſchwerte fid der König, daß man ihn all: 
gemein fir einen Tyrannen ausgebe. In weldem Grade er es war, 
zeigt ein Bericht v. I. 1734, ebendaſ. S. 566, nach welchem ex fort: 
während zwei mit Galg geladene Yiftolen neben ſich Legen Hatte und fie 
auf biejenigen Bedienten abfeuerte, welche einen Befehl nicht zu feiner 
Zufriedenheit vollzogen hatten, wodurch einer ein Auge verlor und eines 
andern Füße graufam verlegt wurben. Man hielt ihn bamals für gelſtes ⸗ 
ſchwach. Lömontey T. I, p. 24. Im I. 1726 bemerkt Villars 
in feinen Mm. T. III. p. 275. Il est certain qu’en beaucoup de 
choses ce prince montroit une oervelle derangee. Diefe Angaben hat 


520 Bud VL Drittes Hauptftüd. 


Das waren bie firengen, in vieler Hinficht jedoch vor 
trefflichen und ihrer Zeit und den Verhältniffen nicht durchaus 
unangemeffenen Einrichtungen, welche Friebrich Wilhelm zur 
Verwaltung feines Staates traf, um freilich durch zum Theile 
fehr drüdenden Zwang ber Bewohner die Macht ımb das Ans 
fehen eines preuſſiſchen Königs nach Wermögen nicht nur feſt 
zu begründen, fondern auch zu erhöhen. 


Drittes Hauptſtuͤck. 


Vom Friedensfchluffe mit Schweden, 1. Febr. 1720, 
bis zum Tode König Friedrich Wilhelms, 31. Mai 1740. 


Nachdem wir gefehen haben, was Friedrich Wilhelm L im 
Innern feinee Länder gefchaffen und eingerichtet, und auf 
welche Weiſe er biefe verwaltet, wenden wir und zur Betrach⸗ 
tung der, wenn auch für Preuffen unendlich weniger einfluß⸗ 
reichen dufferen Verhältniffe des Staats während ber letzteren 
zwanzig Regierungsjahte bed Königs. Die Theilnahme Preuf⸗ 
fens an den bunten Verwickelungen ber europdifchen Staaten 
war dennoch nicht ganz bedeutungslos, vorzüglich aber deshalb 
noch befonders merkwürdig, weil fie in der beftimmteften Wech⸗ 
felwirfung mit den innerfien Familienverhältnifen des koͤnig⸗ 
lichen Haufe ftanden. Das Tann freilich um fo weniger in 
Erſtaunen fegen, als der unbefchränktefte Ausüber der koͤnig⸗ 
lichen und väterlichen Gewalt oft feiner Zeibenfchaft bie Bügel 


man laͤcherlich finden wollen, allein in Foͤrſt ers urkundenbuch Tpt. IL. 
©. 146 ſchreibt Seckendorf an Eugen 28. Behr. 1733: „Der Gencral 
Grumbkow hat mir im größeften Bertrauen gefagt, baß der König in 
großer Gefahr, verwirrt zu werben u. f. w.“ Das waren Bolgen ber 
umgebänbigten Heftigleit, welcher ex ſich bingab, und man ift baer ges 
möthigt, manche feiner Handlungen lediglich daraus gu erflären; ex war 
dann feiner wirklich nicht mächtig. 


Die europäifhen Staaten. 521 


um fo leichter ſchießen ließ, weil er überhaupt fah, daß augens 
blickliche perſoͤnliche Intereffen der Fürften fortwährend die 
Ruhe Europas erfchlitterten. Wenigſtens hat die Darftellung 
dieſer Verhaͤltniſſe Preuffens, fa viel Unangenehmes und Bits 
driges ihr auch beigemifcht fein mag, doch einen im innerften 
Grunde edlen und fpäter Teuchtend ſich erhebenden Kern, wähs 
end das Treiben der Übrigen Höfe meiftens nur die nadte 
Armfeligkeit des alltäglichen Lebens zeigt. . 

Mit dem Jahre 1720 ſchien allgemeine Ruhe unter den 
europäifchen Staaten einzutreten. Das erfchöpfte Schweden 
hatte endlich Überall den Frieben mit größeren ober geringeren 
Dpfern errungen und hörte nun auf, in Europa Eiferfucht 
und Furcht zu erregen. Gegen Spanien, welches (1717) dem 
Kaifer Sardinien, und ein Jahr darauf (1718) dem Herzoge 
von Savoyen Sicilien genommen, waren England. und Frank⸗ 
eich zu Waffer und zu Lande fo Träftig und. erfolgreich einges 
fehritten, daB König Ppilipp V. fi den Bebingungen der 
Quabrupelalianz ’) (26. Ian. 17230) unterwarf, Sarbinien 
dem Herzoge von Savoyen ald Könige, Sicilien aber dem Kaifer 
übergab und dagegen für Don Carlos, feinen ältefien Sohn 
zweiter Ehe, die Anwartfchaft auf die mit dem Tode des In 
habers zu erledigenben Herzogthlmer Toscana und Parma ers 
hielt, Gleich darauf (13. Jum 1724) verbimdete ſich Phis 
tipp V., angetrieben von feiner Gemahlin, mit feinen bishes 
rigen Feinden, Frankreich und England, und leitete eine Dops 
pelheirath ein, um die Samilienbande mit dem jungen Könige 
Ludwig XV. und dem Haufe Orleans möglichft feſt zu knipfen. 
Die zwifchen Spanien und Defterreich feit 20 Jahren ſchwe⸗ 
benben Streitigteiten ſollten, weil beide noch keinen Frieden 
geſchloſſen, fondern nur einander zu befriegen aufgehört hatten, 
alsbald auf einem Gongreffe in Gambray ausgeglichen werben ?). 

Der Kaifer verzögerte indeffen unter mancherlei Vorwaͤn⸗ 


1) Zwiſchen Frankreich, England und bem Kaifer vom 2. Aug. 1718, 
wozu bie Generalftaaten 16. Febr. 1719 traten. 

2) Eine gute Ueberficht ber politiſchen Werhättniffe glst Schoͤll in 
feiner Ausgabe von Kochs Histoire des traités de Paix etc. T. II. 
p. 188 ff. mit Angabe ber Quellen. 


522 Bud VI Deittes Hauptitäd. 


ben gegen bie eingegangenen Werträge, bie bes 
" Don Carlos mit Parma und Piacenza und gab (19. Dec. 1722), 
zum großen Verbruffe der Holländer und Engländer, einer in 
Dftende errichteten Hanbelscompagnie auf 30 Jahre ein aus 
ſchließliches Privilegtum zum Handel mit Ofls und Weſtindien 
und den afrlkaniſchen Küften. Deshalb wurde der 

erſt im 3. 1724 eröffnet und es erhoben fi bald fo große 
Schwierigkeiten, dag man an einem günfligen Ausgange ber 
Unterhandlungen zweifeln muffte. Da brachte es zunaͤchſt ein 
gewanbter politifher Abenteurer, ein gewiffer Ripperba, ein 
geborener Holländer, welcher in Staatögefchäften feines Water: 
landes nach Spanien geſchickt worben war unb hier bie 
Gunſt König Philipps V. gewonnen hatte, plöglich dahin, 
daß ein Wechſel in dem politifchen Spfleme ber europdifdgen 
Staaten eintrat: Ripperda war vom Proteflantismus zum 
Katholicismus übergetreten, wie er fpäter Muhamebaner wurde 
und zulegt Stifter einer neuen Secte werden wollte. (in 
ſolcher Menſch war fähig, Alles zu unternehmen, was feinem 
Ehrgeize eine Laufbahn öffnete. Die Königin von Gpanim 
wurde ungebulbig Über bie Zögerungen in Gambray und nit 
trauete Frankreich, wo eine Hofpartei ihre fehr entgegen war. 
Daher wurde (Nov. 1724) Ripperda nach Wien gefchidt, wo 
ex höchft geheim mit dem Kaifer Karl VL verhandelte. Karl 
hatte ſchon mehrere Jahre vorher (19. Apr. 1713) auf Grund: 
lage der bereit von feinen Vorfahren getroffenen Seſtimmun 
gar, die öfterreichifche Exbfolgeorbnung in ein, feiner Abſicht 
nach unaufldsliches Hausgefeg, daher pragmatiſche Sanction 
genannt, bringen und in feinem Staatsrathe förmlich befannt 
machen laffen. Nach biefem Geſetze follten bie gefammten 
oͤſterreichiſchen Erblande ungetheilt auf feine männlichen und 
in deren Ermangelung auf feine weiblichen Nachkommen fallen. 
Ein Sopn, der ihm geboren wurbe, ſtarb, zwei Töchter, dern 
ältefte Maria Therefia war, blieben leben. Dem für dm 
Stanz feines Baufet wie beſonders auch für feine aͤlteſte Tod: 
ter fehr beforgten Water war von jetzt während feines Übrigen 
Lebens nichts wichtiger, als ihr die Nachfolge in allen feinen 
Staaten zu fihern, da nach und nach bie Hoffnung, einm 
männlichen Erben zu erhalten, immer mehr ſchwand. Er lie 


Die europ. Staaten. Pragmatifhe Sanction. 523 


daher dieſe pragmatiſche Sanction in allen einzelnen öfterreis 

Hilden Erblanden (von 1720— 1724) foͤrmlich annehmen, 

unb wendete Alles auf, ſcheuete Bein Opfer, vergaß alle ihm 

äugefügten Beleidigungen, um die Gewaͤhrleiſtung des Erb⸗ 

folgegefeges wo moͤglich von allen europäifchen Staaten zu ers 

halten. Das war unter allen Umfländen ein Mittel, ihn zu 

gewinnen. Aufferdem wiünfchte er fehr, bie oftendifhe Hans 
aufrecht zu erhalten. Ripperda wuffte das und 

wurde im feinen Bemühungen durch einen der Zufälle unter» 

ſtuͤzt, welche damals fo oft die Schickſale der Staaten we 

nigftend für. den Augenblid beflimmten. Ganz unerwartet 

ſchnell beſchloß naͤmlich der Herzog von Bourbon, welcher die 

Staatdangelegenheiten Frankreichs unter bem Namen des 15jähs 

rigen Königs Ludwigs XV. leitete, biefen früher, als vorher 

beabfichtigt worben war, mit der Tochter bes Stanislaus Les⸗ 

cinsli zu verheirathen. Die fiebenjäprige Braut des Königs, April 

die Tochter Philipps V., wurde daher nach Spanien zuruͤck 1725 

gefickt, und daB vom fpanifhen Königshaufe natlırlid als 

eine hoͤchſt ſchimpfliche Beleidigung aufgenommen. Die franz 

zoͤſiſchen Prinzeffinnert, die Braut des Infanten Don Garlos 

und die Witwe König Ludwigs mufften nebft den franzoͤſiſchen 

Sefandten und Eonfuls ſogieich Spanier verlafen, der Gons 

greß in Gambray Iöfte fich auf und nad 2öjähriger bitterer 

Feindſchaft fchloffen Defterreih und Spanien nicht nur eilig 

Frieden, fondern auch ein Bimdnig und einen Handelövertrag 30. April 

ab. In dem öffentlichen Friedensſchluſſe gewaͤhrleiſtete Philipp V. Fr 

die Erbfolgeorbnung, welde der Kaifer in der pragmatiihen . 

Sanction angeordnet, biefer dagegen bie Erbfolge in Spanien, 

wie fie im utrechter Frieden feftgefeßt worben war. In bem 

geheimen Bündniffe fagten beide Theile einander gegenfeitigen 

Beiſtand zu für den Fall, daß fie angegriffen werben wuͤrden. 

Der Kaifer verſprach auch, durch feine guten Dienfte den Koͤ⸗ 

nig Philipp V. zu unterftügen, wenn biefer barauf dringen 

wuͤrde, daß der König von England fein (angebliches) Vers 

ſprechen halte, Gibraltar und Port-Mahon an Spanien zus 

rlickzugeben, wogegen König Philipp den Schiffen des Kaiferd 

und der Unterthanen deffelben nicht nur freien Eintritt in alle 

Häfen, ſondern auch für den Handel nach Indien, ben cas 


524 Bud VI. Drittes Hauptflüd. 


nariſchen Infeln und Spanien alle Bortheile zuficherte, 
den am meiften begänftigten Nationen, namentlich ben Hob 
Iändern und Engländern früher bewilligt worden waren. 

Sobald die Höfe von Paris und London Nachricht von 
dem Bimdniffe zwiſchen Spanien und dem Kaifer erhalten 
hatten, wurben fie dufferft beforgt, weit weniger uͤber bas, 
was fie wufften, als Über bad, was man vor ihren geheim 
hielt. Ihe Argwohn hatte freien Spielraum. Jeder trance 
den Anderen daB Aergſte zu. Defterreih ımb Spanien 
der einen, Frankreich und England auf der anderem 
fehlten ihre Abgeorbneten durch ganz Europa, um durch jedes 
irgend: wirkſame Mittel Werbindete au werben. Es trat 
der einer von ben Beitpuncten ein, in welden bei ber 
teiung der Mächte erften Ranges bie Mächte zweiten Ranges 
den Außfchlag geben koͤnnen, daher in ihrer Bedeutung un 
wenn fie diefelbe gehörig zu würdigen und zu benugen wiffen'). 
Peter der Große war geftorben, für beibe Theile Tonnte daher 
Fein Zürft unmittelbar gefährlicher werben, als Friedrich Wil 
helm I. Sein Gebiet grenzte zugleich an Schlefien und Han 
nover. Er konnte 50,000 Mann ind Feld ftellen. 

So feft und unabläffig aber auch der König von Preufien 
im Allgemeinen auf Vermehrung und Veroolfommnung feine 
Heeres, auf Erhöhung der Staatseinkünfte, überhaupt auf 
Ordnung im Staate und auf alles das hielt, was er über: 
fehen konnte und als zweckmaͤßig anerkannte, fo ſchwankend 
war er in feinen Verhaͤltniſſen zu anderen Mächten. Hier 
Tannte er den Grund und Boden nicht genau genug, auf dem 
er fland. Er fah, daß man faft nie etwas ganz Wahres, 
-jebenfalld das Wahre nie ganz erfahre, daß man ſich auf 
nichts vöNig verlaffen koͤnne. Es mangelte ihm jener durch 
das Dunkel und die Verwirrung dringende Scharfblid, das 
fefte im Auge Behalten des Ziels, baher die Fähigkeit zur ride 


1) Das faflte Villare Mém. T. II. p. 275 fehr gut auf. Rad: 
dem er mandjerlei Nachtpeiliges von ber Perfönlichkeit Friedrich Wilhelms 
gefagt, fährt er fort: allein er hat 70,000 Mann, 50 Milicnen im 
Schate und ift fo mächtig als alle übrigen Kurfürften gufammengenom: 
men: et par cette raison pouvait emporter la balance pour ia peix 
ou pour la guerre! 


i 


Friedrich Wilhelm I. 525 


tigen Würdigung ber Berhältniffe und zu dem daraus hervor 
gehenden fiheren Ergreifen des Augenblids, um fich die Ums 
fände dienftbar zu machen und aus ihnen für feinen Staat 
den möglich größten Vortheil zu ziehen. Er handelte hier 
ohne beftimmten Plan und warf fich bei feiner natärlichen 
Heftigkeit, durch Eindrlide des Augenblicks bewogen, ſchnell 
von einer Seite auf die andere. Daher ließ er ſich auch hier 
nicht durchaus von Anderen leiten‘). Er fühlte ſich, wie wir 
gefehen haben, uͤberall in feinen Staaten als unbeſchraͤnkten 
Herrn, und: man wiürbe fehr irren, wenn man aus feinem 
einfachen Weſen und aus ber Ungezwungenheit, mit welder 
er wie ein damaliger Landiunker auftrat?), fogleih ſchließen 
wollte, er habe wirklich Feine Anfprüche gemacht. Ein fo eins 
faches Aeuſſere entfprad feiner Natur und Bildung; er ent» 
iedigte fi damit völlig eines zundchft ihm umbequemen Zwan⸗ 
ged, während er feinen Umgebungen nichts geftattete, was er 
irgend für eine Berlegung der ihm als Könige gebührenden 
Achtung. hätte halten Binnen. Diefe waren indeffen, auffer 
den fremden Gefandten, feine Unterthanen, denen er mande 
derbe, jegt für unanſtaͤndig oder grob geltende Aeufferung 
nachſah, weil er gar nicht daran dachte, daß fein Anfehen 
darunter leiden Eönne, was auch wirklich gar nicht ber Fall 
war. Mit viel größerer Vorficht mufiten ihn Fürften behans 
deln, um fo mehr, je mächtiger fie waren. Gegen fie hielt 


1) Der General Schulenburg druͤckt das fehr beffimmt gegen Grumb« 
Low in einem Briefe an Grumbkow vom 22. Oct. 1731 aus bei Körfter 
ht. I, &. 74: Un homme, qni ne se gouverne que par la passion, 
se repent presque toujours de ce qu'il a fait. @r verlangte blinden “ 
Gehorfam, und wenn biefer geleiftet wurbe und bie Angelegenheiten äns 
derten fi, fo verwünfchte er bie, welche ihn nicht zuruͤckgehalten hatten. 
Vergl. Seckendorf an Eugen bei Börfter Ahl IL. ©. 144. lieber 
die Weränderlicfeit des Königs klagen feine Umgebungen häufig. Gedens 
dorf im 3. 1726 in Foͤr ſters Urkundenbuch II. ©. 59, 65 u. 158. 
Derfelbe fagt.1. Apr. 1727: auf den König koͤnne man nie gewiß rech⸗ 
nen, er changire in einem Tage vielmal fein Sentiment. Bei Börfter 
‚Höfe und Gabinete Urkunden. Thl. J. ©. 69. Ebenſo ber engliſche &er 
fandte in Raumers Beitr. Thl. III. ©, 511, 512 u. 555 v. I. 1730. 


2) Vortrefflich geſchildert vom Grafen Meannteufel 80. Aug. 1731 
an Grumblow in Sedendborfs Leben Ahl. IV. Anhang &. 836, 


s26 Bu VL Deittes Leu 


deren erhöhen Eonnte, verfchmähete er fogar den Schein nicht, 
dem er doch fonft fo abhold war. Als ber Baar Peter (1717) 
mit feiner Gemahlin von Amfterbam durch die preuſſiſchen 
Staaten nach Rußland zuridreifte, wies er 6000 Thaler zur 
Bezahlung ber Reifekoften von Wefel bis Memel an unb be 
fahl, damit fo zu wirthſchaften, daß es ausreiche: „Nit einen 
Pfennig gebe mehr dazu, aber vor ber Welt follen fie von 
30,000 bis 40,000 Thalern ſprechen, das es mir fofle!“ SI 
der That betrugen bie Koflen aber nur wenig uͤber 3000 The: 
ler’). Er vergaß es auch den Polen nicht, daß fie ihm den 
koͤniglichen Titel verweigerten. Dabei wurde er nach und nach 
ie argwoͤhniſch. Sehr aufmerkſam auf die unbebeutendfien 

Kleinigkeiten, babei von einem aufferorbentlichen 
Gedächtniffe, muſſte er oft bemerken, bag nicht Alles, was a 
befohlen, ober doch micht fo gefchah, wie er es angeorbnet. 


tung gefunden haben. Aufierdem war es nicht felten, daß ber 
König bei feiner ungemeinen Heftigleit ſehr uͤbereilt etwas vers 
bot ober befahl, was er fpäter gern zurldgenommen hätte, 
daher fo lange überfah, wenn es nicht eben beobachtet wurde, 
biß er dad bei einer neuen Aufwallung des Zorns als Unge 


1) Gedendorfan benKaifer 1. Aug. 1726 bei For ſter Urkumbend. IL 
©. 116, daß der Krontractat (v. 1700) wegen des Geremoniald dem 
opneradhtet 


2) Der König an Secendorf 28. Aug. 1718. 
9 Bel König IL ©. 46. 


Friedrich Wilhelm J. 597 


horſam hart firafte. Seitdem ihn Glement fo gewandt hinter⸗ 
- gangen, war er auch gegen den größten Theil feiner Umges 
bung mistrauifch. Noch lange nachher ſchlief er nicht anders 
als mit Degen und geladenen Piftolen in feiner Nähe’). Das 
her litt er nicht, daß in feiner Nähe heimlich gefprochen wurbe 
und Eonnte darüber in heftigen Born gerathen). Bei feinen 
Spazierritten ließ er diejenigen, welche ihm ſchnell auswichen, 
um in eine andere Straße zu fommen, wohl durch feine Bes 
dienten anhalten und fich vorführen. Jeder, wer es auch war, 
folte ihm frei in die Augen fehen und auf Fragen fogleich 
antworten, fonft argwöhnte er ein boͤſes Gewiſſen. Beſonders 
die auswärtigen Angelegenheiten beunruhigten ihn daher fehr. 
Er hatte ſchon fo viel erfahren, daß er mit ber ihm natürlichen 
Offenheit und Rechtfchaffenheit nicht auskomme. Ilgens Schlaus 
heit hatte er fhägen, aber ihn nicht achten lernen. Die Ans 
wendung ber bem Diplomaten gewöhnlichen, aber des recht⸗ 
fehaffenen Mannes unmlirbigen Mittel hatte er nachfehen müfs 
fen, aber nicht billigen koͤnnen. 

Indeſſen fo wenig ber König fein Verhaͤltniß zu dm 
übrigen Staaten richtig aufzufaflen, die Bedeutung feines 
50 — 70,000 Dann ftarten Heeres und feines gefhliten Schatzes 
bei ben damaligen Werwidelungen völlig zu wärbigen wuffte 
und dadurch im rechten Augenblide große Wortheile fuͤr ſich zu 
erwirken verftand, fo weit war er doch bavon entfernt, feine 
eigenen SIntereffen Fremden aufzuopfem, ja er fuchte fogar 
immer die ihm günflig ſcheinenden Umftände zu benugen, um 
ſich eine Ausfiht auf Ländererwerbungen zu eröffnen. Das 
war bier fortwährend fein letztes Ziel; — auch er will weiter, 
vorwärtö! Er wirb weder der einen, noch der anderen Partei 
Dpfer bringen, ohne ſich dafuͤr Wortheile auszubebingen ’); 


1) Mempires de Bareith T. I. p. 27. 

2) Zaßmann L ©. 960. 

8) Der König an Secendorf 4. Aug. 1724 bei Förfter Urkunden: 
buch III. S. 248. Gr wünfde Herſtelung und Beibehaltung der Dar⸗ 
monie mit bem Kalfer: „wobei Cr. Kaiſerl. Majeftät Freundſchaft mir 
jebergeit gar lieb unb angenehm fein wird, jeboch daß felbige nicht & mes 
depenses gereichen möge!" Berg. ben Bericht v. Juli 1788 in Raus 
imers Beiträgen Thi. II. S. 566. 


528 Bud VL Drittes Hauptflüd. 


nur ift fein Geſichtskreis nicht weit, und eigentlid, ein Bid nur 
auf einen Punkt hin gerichtet. Ex hatte einmal daran gebacht, 
Kurland zu erwerben. Seitdem das faft aufgegeben mar, 
fuchte er ſich nur noch für den nahe bevorfichenden Hall des 
Ausfterben8 der Kurlinie Pfalz-Neuburg bie Nachfolge in den 
Herzogthümern Juͤlich und Berg zu fihern, auf welde a, 
als Theil der cleveſchen Erbſchaft, durch die früheren Verträge 
feines Haufes rechtmaͤßige Anſpruͤche zu haben glaubte. Des 
war für ihn ziemlih, was für ben Kaifer die pragmatifce 
Sanction. Allein hier kamen fortwährend bie dazu nöthigen 
Schritte mit ‚feiner natuͤrlichen Rechtfchaffenpeit, feine tief ge 
wurzelte Anhaͤnglichkeit an den Kaifer und feine deutfche Ges 
finnung mit feinem lebhaften Wiverwillen gegen alles Franzoͤ— 
ſiſche und feiner perfönlichen Abneigung gegen bad Haus Han 
nover in Streit; dann verwidelte ipn feine unglüdfelige Lich: 
haberei für Lange Leute in umabläffige Händel mit feinen Rad: 
barn und machte ihn doc) wieder auch gewiffermaßen von dieſen 
abhängig; endlich fpringt er im leidenfchaftlicher Aufwallung 
leicht von einem Aeufferften zum andern über und exfcheint 
ſchwankend, charakterlos, ja leichtfinnig, indem er immer felb- 
ſtaͤndig handeln wi. Fortwaͤhrend beforgt, daß framder Ein 
fluß auf ihm gebt werden koͤnnte, wird er in ber That folk 
immer von gewandten Menfchen geleitet, welche ihn gefcidt 
zu behandeln, feinen Neigungen zu fehmeicheln umb den Aus- 
brlchen feiner Leidenſchaften auszuweichen wiflen‘), fo ſchwer 
ihnen bas auch immerhin werben muffte und fo oft auch ihre 
Berechnungen an ben zumellen durch die unbedeutendſten ei: 
nigkeiten veranlafften heftigen Entſchließzungen des Königs 


1) Memoires de Bareith I. p. 23. „Es gehört große Affibeität 
dazu, wenn man bed Königs Affection behalten will, daß man ſich auf 
führen muß, als wenn man in feinen Dienften ftände ," ſchrieb Secendorf 
im Apr. 1727 an Eugen bei Foͤr ſt er Höfe und Gabinete Urkunden Thi. L 
S. 99 unb bemfelben Schon am 14. Det. 1726 in Börfters Urkumdentod 
Spt II. zur Gefch. Friedrich Wilhelms I. S. 153: daß es unmöglich ba 
dem Könige In ber Länge auszuhalten. Vergl. daf. ©. 10 v. 3. 172, 
a Sasige Demcae ef möffe kennen lernen und beffen erſt 

evitiren. 


Grumbkow. 529 


fepeitern mochten '). Schrieben ihm aber nach feiner Uebers 
zeugung Ehre und Gewiſſen eine beflimmte Handlungsweife 
vor, fo war Feine Macht in ber Welt im Stande, ihn davon 
abzubringen ?). 

Am beften verftandb der General Friedrich Wilhelm v. 
Grumblow, den König zu behandeln. Gr hatte fih von 
früher Jugend am Hofe König Friedrichs L, wo fein Water 
Dbermarfchall gewefen war, dann in ben Kriegen gegen Frank⸗ 
reich und auf den holändifchen Univerfitäten Utrecht und Leiden 
im Umgange mit Hofs, Kriegs⸗ und Staatsmännern und Ges 
lehrten auögebilbet und ohne gerade aufferorbentlichen Verſtand 
und tiefe Einſichten zu befigen, doch durch vielfache Erfahrung 
ine genaue Kenntniß der Menſchen und ber Höfe erworben. 
Durch Wis, muntere Einfälle und dem Anfceine nach große 
Geradheit und unbefangene Freimuͤthigkeit vorzuͤglich bei einer 
gutbefegten Zafel, bie er fehr liebte, unb an welcher der König 
gen Theil nahm, war er diefem ein fehr angenehmer und 
balb unentbehrlicher Gefelfchafter geworben. Friedrich Wilhelm 
ernannte ihn daher auch glei) nach feinem Regierungsantritte 
zum Dinifter und Generallieutenant, dann (1723) zum Bice- 
praͤſidenten der erften Abtheilung des Generalbirectoriums. 
Grumbkow war einer von ben Männern, welche fi nur zu 
häufig in der Gunft der Juͤrſten befinden, an ſich nicht böß« 
artig, ein Lebemann, ber auch Anderen ein Vergnügen gönnte, 
feinen Untergebenen freundlich begegnete und baher von vielen 
Menſchen geliebt wurbe, ein Seinfchmeder, der gern leder 
fpeifte, daher feinem Koch 400 Thaler Befolbung gab, und 
eben fo gut als flarf trank, auch fo ungemein viel Wein vers 
tragen Tonnte, daß er ben Beinamen Biberius erhielt; ein 
Egoiſt, dee eben fo wenig feinen Fuͤrſten, als deſſen Haus 
unb Sand liebte, fonbern nur bemühet war, durch ale ihm zu 


1) Seckendorf fereibt am 27. Dec. 1782 an Eugen bei Foͤrſter 
Spt. II. ©. 144: man made ſich von bed Könige Gemüth eine ganz 
faiſche Idee, wenn man glaube, es Ehnne von Jemand, wer es aud.in 
der Welt fei, vegiert werden. 


2) Wozu wir fpäter mehrere Belege geben werben, 3. B. bie Wer: 
mählung des Kronpringen mit der Prinzeffin von Braunſchweig. 
Stengel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats, TIL, 34 


530 Bud VI. Deittes Hauptfläd. 


Gebote ſtehenden Mittel, beſonders auch durch bie Menſchen 
welche er beförberte, und denen er gefälig war, fich bei dem 
Könige in Anfehen zu erhalten, enblich, weil feine, obwohl bie 
böchfte aller Befoldungen damaliger preuffiiher Staatsbeam⸗ 
teten") nicht außreichte, um feinen Aufwand zu beflreiten, ber 
fleglih und fo Werrätper feines Herrn und feines Landes ). 

Nicht weniger galt der dem Könige durch Blutöverwantts 
ſchaft, mehr durch große Aehnlichkeit der Gefinnung naheftes 
hende Fuͤrſt Leopold von Deffau. Beide waren firenge Herrn 
ihrer Untergebmen, gute Wirthe, die nichts als Gelb und 
Soldaten ſchaͤtten, alles Uebrige, vorzüglich Künfte und Wif 
ſenſchaften und bie aus ihnen bervorgehende Bildung verach⸗ 
teten. Der &ürft gefiel ſich dabei in möglichfter Raubeit der 
Sitten und prägte das dem Könige ein, ber in ihm den m 
probten Kriegsmann verehrte, deſſen Tapferkeit und Verdienſie 
um das gefammte Kriegsweſen er höchlichft anerfannte. Das 
bei war Leopold eben fo ehrgeizig und kuͤhn, als ſchlau und 
verftand es fehr wohl, wo er mit Gewalt nicht durchbringen 
konnte, jebe Lift anzuwenden und feine geiftige Ucberlegenpeit 
über ben König vielfach zu benugen, indem er ald Gouvernam 
von Magdeburg ſich oft mehrere Wochen ununterbrochen in 
Potsdam oder Berlin aufbielt. Er galt daher mit Recht fr 
einen gefährlichen Feind, weil er Beleidigungen nicht vergaß, 
fie vielmehr, ohme eben in der Wahl ber Mittel zu ſchwanken, 
guverläffig fo nachdruͤclich als möglich raͤchte ). Auffer Grumbs 


1) Berzeichniß v. I. 1728 bei König IL ©. 50, wo 10,821 Khir. 
„angegeben find. Benekendorf VIL ©. 100, ber als Vormund feiner 
Kinder das genau wiffen konnte, fagt, ex habe jäpriich noch 12,000 Khir. 
Tafelgelber erhalten, wohl erſt fpäter. Ueber ipn f. Benetenborf VIL 
©. 85 ff. Sedenborfs Lehen II. S. 11 u. 96. Gosmar ©. 36, 
Hat nur Xeufferlichkeiten. 
D) Actenftäd bei Förfter Ip. IIL ©. 110 u. 127, vorzüglich 282 
und bann 827 u. 851. 


9) Benetendorf IV. ©. 85 f. Dis Morkgräfin von Bairexth, 
Mim. I. p. 4, ſchiidert ihn noch ſchwaͤrzer, ala ex wer und gibt ihm 
(p- 84) unerweidliche und auch, zur Ehre des Furſten ſei ed gefagt, um 

" glaubliche Anſchiage gegen das Leben bes Kronpringen Cchuid, Leapo 
war vom der kaiſerlichen Parteh 


Die Königin Sophia. 5 


kow und dem Fuͤrſten Leopold. fah der König, wie wir bereits 
angeführt haben, mehrere Officiere gern, von benen einige, vors 
zuͤglich feine Adjutanten, auf Einzelnheiten ber inneren Berwals 
tung und Hin und wieder auf auswärtige Angelegenheiten, 
doch nie fo dauernden und entfcheidenden Einfluß erhielten, 
als jene beiden Männer, welche damals und noch längere Zeit 
in gutem Ginverfländniffe mit einander lebten, bis dann ihre 
Nebenbuhlerfcgaft ſich in die bitterfte Feindſchaft verwandelte. 
Auffer ihnen galt die Königin Sophia bei ihrem Gemahle 
vie. Sie war nicht ſchoͤn, aber gut gewachfen. Ihre eble, 
ja majeftätifche Haltung, die Sicherheit ihres Benehmens, die 
Bildung ihres Geiftes und bie Unbefcholtenheit ihres Lebens 
flößten eben fo allgemeine Achtung, als ihre wohlwollende Güte 
dazu Liebe und Verehrung ein‘). &ie hielt, was an einem 
‚Hofe von fo groben Sitten um fo nothwenbiger war, fireng 
auf Anftand und in ihrer Gegenwart durfte fich Niemand einen 
groben Scherz erlauben‘). Der König achtete fie fehr und 
war ihr unverbrüchlich treu, lebte aber ungezwungen mit ihr, 
indem er fie meiftens „Bielhen", In Gegenwart Anderer auch 
wohl „ Madame” amedete, fie fonft feine Frau, felten Königin 
nannte, während fie in Gegenwart Anderer ihn nur „Ihre 
Majeſtaͤt“ anzebete. Die Erziehung ber vielen Kinder, bie fie 
ihm geboren hatte, überließ ihr der König ganz. Selbſt 
Freundin der ſchoͤnen Kimfte, forgte fie für bie Austifdung 
ihrer Kinder unb bielt fie weit firenger als ber Water, ber 
ihnen viel nachfah”), wenn fie nur nicht gegen feine Lieblinge» 
neigungen verftiegen, das heißt, wenn fie fparfam waren und 
Soldaten liebten. Es geſchah wohl, wenn eind der Kinder 
umgezogen gewefen war, daß es ber König felbft der Mutter 
brachte, um es abzuſtrafen ). Wir haben fehon gefehen, wie 

1) S. Polinit Mem, 1. Brief p. 80. Lotn Meine Schriſten, 
3. Abtheil. ©. 28. Wergl. Möm, de Bareith I. p. 12 Die Tochter 
ſpricht ſcharſ. 

2) Zaßmann L &. 869. 

8) Faßmann L ©. 927 u. 930. 


4) Eöhne wie Lüfter, auch wenn jene als Dffickere bereits in Unis 
form gingen. Morgenfiern S. 196. 
+ 


532 Bud VL Deittes Hauptſtuck 


großes Wertrauen der König in feine Gemahlin feste, als er 
vwoährenb feines Feldzugs gegen Schweden feinen Miniſtern 
verbot, etwas ohne ihre Einwilligung zu unternehmen. 

Als der König (im Ion. 1719) " Brandenburg plöglich 
lebenogefaͤhrlich erfrankte und feine Gemahlin ſich deshalb eilig 
zu ihm begab, glaubte er fich dem Tode fo nahe, daß er fein 
Teſtament machte und die Königin während der —æe 
keit des Kronprinzen zur Regentin, ſeinen Schwiegervater, den 
Koͤnig Georg J. von England, und den Kaiſer zu Vormuͤndern 
ernannte. Gr unterzeichnete das, ohne feine Guͤnſtlinge, dem 
Zürften Leopold und den General Grumblow zu erwähnen, 
weil dieſe, obwohl er nach ihnen geſchickt hatte, nicht eilig 
genug anlamen. Aus Beforgniß, fie möchten ihm Bormwirfe 
machen, ließ ex daher, als fie am folgenden Morgen anlangten 
und ex fich bereits unerwartet beffer befand, die Königin und 
alle bei der Anfertigung des Teſtaments gegenwärtigen Zeugen 
ſchwoͤren, deſſen Inhalt nie verrathen zu wollen. Die beiden 
ſchlauen Männer errietben aber aus der fichtbaren Verlegenheit 
des Königs den Inhalt, weil man ihnen fo ungewöhnlicher 
weife ein Geheimniß daraus machte. Sie wenbeten Alles an, 


beforgt, indem man bamald ſchon an einem langen Leben des 
Königs zweifelte, der fi, von innerer Unruhe getrieben, in 
Arbeiten, Anſtrengungen auf Reifen und bei 

der Jagd und der Tafel uͤbernahm. Auch bie Königin mufite 
ihrerſeits ben König mit großer Worficht behandeln, um nicht 
Be Argwohn zu erregen, ald vermöge fie. viel über ihn; 
auch fie hatte wie bie übrigen Umgebungen von einzelnen Aus⸗ 
brüchen feiner Heftigkeit viel zu leiden, ertrug das jedoch mit 
großer Faſſung, fo ſchwer es ihr werben mochte‘). ie fing 
an noch mehr Einfluß auf den König zu gewinnen, indem fie 
ihm lange Rekruten für fein Leibregiment verſchaffte und auch 


1) Mömeires de Bareiih L p. 25. Berk Pöllnig L 
p. 114, etwas abweichend in Rebenumftänden. » ! 
2) Mömoires de Bareith E p. 119 u. 128. 


Die Königin Sophia. 53 


ihr Vater, König Georg I, feinen Schwiegerfohn mit mehr 
als gewöhnlicher Aufmerkfamkeit behandelte‘). Der König _ 
war bamals durch Kränklichkeit und den Vorfall mit Clement 
hypochondriſch geworben und lebte gar gegen feine frühere 
Gewohnheit fehr zurückgezogen, zeigte ſich felten öffentlich und 
fpeifte nur mit feiner Gemaplin und feinen Kindern. Den 
Vorſchlag, welchen ihm Leopold von Deffau und Grumbkow 
machten, feine aͤlteſte Tochter mit Leopolds Neffen, dem Mark: 


grafen von Schwebt, zu verbeirathen, nahm er fo kalt auf ” 


und bie Königin begegnete ihnen Beiden fo flolz, daß fie fuͤrch⸗ 
teten, des Königs Gunft völig zu verlieren, und ſich daher 
bemüheten, den ihre Beſorgniſſe erregenden Einfluß ber Ko⸗ 
nigin zu untergeaben. Durch Klaͤtſchereien, befonderd durch 
aufgefangene und geöffnete, fowie durch in der Clementſchen 
Sache mit Beſchlag belegte Briefe gelang es ihnen wirklich, 
den König fo aufzubringen, daß er ben Minifter v. Kamede 
und bie Frau v. Blaspiel nach Spandau ſchickte, den Minifter 
v. Blaspiel abfegte, und der Königin, obgleich biefe fid in 
gefegneten Leibesumftänden befand, fehr rauh begegnete‘). 
Ueberhaupt fanden ungeachtet der Einfachheit bed Hofes uns 
ter denen, welche Einfluß fuchten ober behaupten wollten, 
fo viele Umtriebe ftatt, ald an anderen Höfen. Das lag zus 
naͤchſt an der Perſoͤnlichkeit des Königs und der Königin, ſo⸗ 
wie an dem Verhältniffe, in welchem Beide zu einander flans 
den. Die Königin war, ſeitdem ihe von ben Günftlingen 
ihre Gemahls ein fo arger Streich gefpielt worben war, fehr 
auf ihrer Hut gegen fie, denn der König geftattete ihr fo wer 
nig Einfluß, daß er (1721) ihr nicht einmal mehr die Wahl 
der Erzieherin ihrer Alteften Tochter überließ”). Den Stolz 
der Königin verlekte, das Selbftgefühl der Mutter kraͤnkte eine 
fo unbiliige Beſchraͤnkung aufferorbentlich. Ihr Ehrgeiz firebte 
nach Erhöhung des Anfehens und der Macht Hannovers und 
Dreuffend, bie ihr faſt gleich nahe fanden; daher, wie aus 


1) Memoires de Bareith Ip. 80. 
2) Ebendal. p. 38. 
8) Gbendaf. p. 65. 


534 Bud VL Drittes Hauptfüd. 


den fonft natärlichen Zamilienrhäfihten, wünfchte fie Längf 
eine innige Verbindung beider Häufer, wodurch fie ſelbſt auch 
jellen 


"wohl ihr Verhaͤltniß zu ihrem Gemahle günfliger zu fi 


hoffte. Mag fie nun fchon mit darauf gewirkt haben, dab 
Wilpelm fein Bünl baiß mit Dein 1. aufgeb — 

auf bie Seite ſeines Schwiegervaters, bed Königs Georg L 
von England wendete, und in Verbindung mit diefem Frieden 
mit Schweden ſchloß, — viel iſt gewiß, daß eine Doppelheirath 
beiden & (dem Kronprinzen Fried⸗ 


ſch 
Ausdauer durch alle ihr zu Gebote ſtehenden Mittel zu ver⸗ 


Zun wirklichen ſuchte. Sie benstihete ſich auch, ihren Water und 


1723 


1723 


Bruder dafuͤr zu ſtimmen, und bewog beöhalb ihren Gemafl, 
nad) Hannover zu reifen, wo er fehr gut aufgenommen wurde, 
worauf auch fie ſich dahin begab’). , 
Bwar gelang es ber ang nicht, Ihren Water ſogleich 
zur völligen Einwilligung in bie Doppelbeirath zu bringen, 
Detober doch bewog fie ihn endlich durch viele Vorſtellungen und Bits 
ten, nach Berlin zu kommen, wo bann zwiſchen ihm und 
Friedrich Wilhelm I. ein Bundnißß und bie Doppelheirath bes 
febloffen wurde”). Der König von England vermittelte auch 
die Beilegung ber offenen Spannung zwiſchen —* Bis 
helm L und dem Kaifer, fo daß Beide einander wieder Ges 
fandte zuſchickten. Fuͤr dad unglüdlihe Thorn verwenbeten 
fi Friedrich Wilhelm und fein Schwiegervater. Dur ihr 
freundliches Vernehmen flieg das Anfehen —— obgleich 
fie vom Zeit zu Zeit manchen Sturm der Leidenſchaft ihres 
Gemahls aushalten muflte, beffen Argwohn auch durch bie 


Berleumdungen ber unwuͤrdigſten Art, felbft wenn diefe alles 
Augenblid 


irgend denkbaren Grundes ermangelten, für ben 


1) Menolres de Bareith L p. 78 f. 

2) Die Saucfn Reine ft in Im Deabateögkkn ©. 50, 
es ſei am 12. Det. 1723 unterzeichnet worben. (Genaueres if bardber 
nicht befannt. 


Dreuffen. Der Kalfer. . 835 


nur zu leicht erregt werben konnte ). ie ſchien eines bauerns 
den Einfluſſes auf den König um fo ficherer, als bie — 


genoͤthigt wurde, wenigſtens dem Scheine nach, ſich ganz auf 
bie Seite der Königin zu ſchlagen, welche nun Alies anwen⸗ 
bete, um ben falfchen und treulofen Mann gegen ben maͤch⸗ 
tigen Einfluß des Fuͤrſten zu en ). 

In diefer Lage befand fi bu das Königlich preuffißche Haus, 
als durch das unerwartete wiener Bimdniß bed Kaiferd mit 
Spanien, König Georg I. von England und ber franzöfiihe 
‚Hof in bie Aufferfte Beforgniß geriethen und es beiden Theilen 

von hoͤchſter Wichtigkeit —** ein Buͤndniß en B- 
föllegen, welches damals 64,000 Many Zruppen befe 
denen es eben fo — in die Erblande Koͤnig Georgs 8 vw. 
. — einfallen to: 

Mit dem Galle m war der König von Preuffen zwar duffers 
lich ausgeſoͤhnt, allein wirklich herrſchte zwiſchen Beiden fort» 
während noch große Spannung, welche durch mehrere Vor⸗ 
faͤlle genäprt wurde. Der Fürft von Dſtfriesland war mit 
der Stadt Emden, dann mit den Ständen feines Landes über 
die Ausdehnung ber flrftlichen Rechte nach und nad) in Immer 
beftigere Swiftigkeiten gerathen. Der Kaifer hatte ſich des 
Fuͤrſten angenommen und befonder& brohend (1723) befohlen, 
daß die feit 40 Jahren in Emden zum Schuge der- Stadt bes 
findlihen und von diefer aufgenommenen preuffiihen Zruppen 
abziehen ſollten ). Vergeblich waren die dagegen gemachten 
Borſiellungen; der Kaifer befahl die Abführung der Beſatzung 
in einem noch ſchaͤrferen Schreiben (10. Aug. 1724), worauf 
der König im Gegentpeile (Dec. 1724) bie Beſatzung von 
Emden um 300 Mann verftärkte, nicht ſowohl für die Stände 
und gegen ben Fuͤrſten, ald um die Stadt Emden gegen einen 


1) Mömoires de Bareith I. p- 82. 
2) Ebenbof. p. 88. 
D Wiarda oftfrieffhe Geſchichte Tpt. VII. ©. 107 ff, 127 u. 177. 


Iunt 
1724 


Zebr. 
1725 


Aug. 
1725 


‚536 Bud VL Drittes Hauptfiäd. 


ucherfall fiher zu fellen ). Ferner hatte es den König ſehr 
verbroffen, daß ihm der Reichöhofrath (1722) befohlen, die 
Graffgaft Tedienburg, welche fein Water (im I. 1707) von 
dem Grafen von Solms und Braunfels auf hie, ara 


deſſen Anfprüche auf Yülih und Berg fürdtete”); allein bie 
vielen in der magbeburgifchen Sache und im Gtreite mit der 
Aebtiffin von Quedlinburg gegen ihn erlaffenen Reihöhofrathes 
verfügungen erbitterten ben fehr argwöhnifchen Fuͤrſten, weis 
her fi durchaus nicht Leicht davon uͤberzeugen konnte, je 
unrecht zu haben“), dermaßen, baß er zum Generale Seden 
dorf fagte: ber Reichshoftath ſuche ihn um Land umb Leute 
au bringen, feine landesfuͤrſtlichen Rechte zu entreigen und bie 
Unterthanen über ihn zu erheben, damit fie allen ſchuldigen 
Refpect verlören. Man zwinge fogar die Parteien, gegen ihn 
zu Magen. Die Aebtiffin von Queblinburg habe ſich mit ihm 
vergleichen wollen, allein ber Reichsfiscal fie zur Anflellung 
der Klage genöthigt ). 

Bei biefer Stimmurg des Königs gegen ben Kaiſer und 
für feinen Schwiegervater wurde er veranlafft, diefen in Han 


1) Biarba VIL ©. 186 u. 2%. 
O Buchholz Thl. V. S. 88 u. 91. 


8) Seckendorf an Eugen 26. Ian. u. 9. Juni 1724 in Börfters 
urkundenb · IL. ©. 6. u. 7. 


4) Gedendorf an Eugen 10. Märg 1725, chendal. ©. 22. 
5) Derfeibe an benfeiben 17. Behr. 1725, ebenbaf. ©. 19. 


Preuffen. Der Kaifer. Hannover. 537 


nover zu befuchen. Des Königs Georg L Beforgniß, die wie⸗ 
ner Verbimbdeten möchten zu Gunften des Prätendenten etwas 
gegen ihn unternehmen, war nach bem Tode Peters I. noch 
gefliegen, indem er fürchtete, deſſen Nachfolgerin Katharina 
werde ſich mit dem Kaifer verbinden, um Hannover für ihren 
Schwiegerfohn, den Herzog von Holſtein⸗Gottorp zu erobern, 
zum Erſatze für das bemfelben vom Könige von Dänemark 
entriffene Schleswig. Georg I. wendete daher in Verbindung 
mit Frankreich Alles an, um den König von Preuffen zu ges 
winnen. Kein Mittel wurbe gefpart, Beſorgniſſe erregt, daß 
60,000 Kaiferliche und Ruffen Hannover angreifen wollten, 
auf die bevorftehende Erledigung von Juͤlich und Berg, und 
für den Fall eined Kriegs auf die Erwerbung von Schlefien 
hingewieſen, wozu ihn 70,000 Engländer und Franzoſen burch 
einen Angriff auf Brabant unterfligen folten’). Aus Frank 
reich und Hannover wurben lange Rekruten für dad Leibregis 
ment verfprochen“) und auf Volziehung der Doppelheirath 
Hoffnung gemacht ). Die Königin that unftreitig ihrerfeits, 
was fie vermochte, vorzüglich um ihren Lieblingswunſch, die 
enge Samilienverbinbung beider Häufer zu verwirklichen; mehs 
rere Minifter, namentlich Ilgen, waren aus Gtaatögrlmden 
für Preuffens Anfhluß an England und Frankreich. So wurde 
au Hannover zwiſchen biefen und Friedrich Wilhelm I, feinerfeits 8, Sept. 
durch den Minifter Johann Chriftoph v. Wallenrodt, ein Binbs 1725 
niß folgenden Inhalts abgefchloffen. Die drei Mächte verbanden 
ſich auf 15 Jahre gegen Jedermann zur gemeinfchaftlichen Ges 
währleiflung und Vertheidigung aller ihrer Staaten in und 
auſſerhalb Europas, fowie aller ihrer Rechte, daher für den 
Ball, daß einer von ihnen angegriffen würde, England und 
Frankreich jedes 12,000 Mann, Preuffen 5000 Mann zu flels 
Ien. Zur Erhaltung bed gegenfeitigen Vertrauens folte Feiner 
der Verbuͤndeten irgend einen Vertrag mit einer fremden Macht 


1) Secendorf an Eugen 50. Mai 1726 a. a. D. ©. 59. 
2) Memoires de Bareith L p. 194. Seckendorf an Eugen 11. 
Det. 1725 bei Börfter a. a. D. ©. 51. 


8) Das ſagte der König fpäter dem Gedendorf, wie biefer an Eugen 
ſchrieb Bei Börfer Urkundens. IT. @. 77. 


838 Bud VL Drittes Hauptftäd, 


eingehen, ja felbft bie ihm deshalb etwa gemachten Anträge den 
Anderen mittheilen. Andere Staaten, zunaͤchſt die Generals 
flaaten, wollte man zum Eintritte in das Buͤndniß einladen. | 
In drei abgefonderten Artikeln verfprachen bie Werbimbeten 
erſtens, veranlafft durch die Exeigniffe in Ahorn, für die Aufs 
rechthaltung ber Beftimmungen bes Friedens von Diiva zu 
forgen, zweitens daß bie Könige von England und Preuffen, 
wenn wegen ihnen in Deutfchland geleifteter franzoͤſiſcher Hälfe 
an Frankreich der Keichskrieg erklärt werben follte, ihr Reiche 
eontingent nicht zu flellen, fondern im Vereine mit Frankrrich 
zu handeln, jedoch follte (drittens), wenn bie beiben Könige 
dennoch genöthigt wären, ihr Keichecontingent zu flellen, bab 
nicht als Bruch diefes Vertrags angefehen und deſſen übrige 
Beſtimmungen bennoch erfüllt werden '). Unftreitig enthielt ber 
Vertrag no mehrere geheime biß jest nicht befannt gemachte 
Artikel. In einem berfelben verfprachen England und Frank 
zeich ihre Verwendung ruͤckſichtlich Julichs und Bergs zu Gun 
ſten Preuffend nach dem Auöfterben ber pfalzsneuburger Linie 
eintreten zu laflen, wenn das aber nicht ausreiche, die Ge 
queftration biefer Provinzen zu verhindern, dem Könige zu fe 
nem Rechte zu verhelfen und für ihn 40,000 Mann zu flellen ). 
Friedrich Wilhelm, welcher, wenn er erft für einen Gegenftand 
gewonnen war, leicht in Feuer gerieth, hätte ben Krieg Tieber 
fogleih, oder doch fo bald als möglich angefangen. Er fah 
fehr gut ein, daß ſich bei einem Vertheidigungskriege mit ink 


1) Dumont T. VIILP. IR. p. 127 und öfter, vergl Schoͤll ZHL IL 
©. 203. Doch hat feiner, auch nicht Montgon. Mem, T. I. pitces 
Justificatives p. 549, bie geheimen Artikel, bie ex doch vermmuthe 
©. 865, von benen aber auch Schoͤll nichts weiß. Eines biefer Artika 
geſchieht Erwaͤhmmg in einem Gchreiben Seckendorfs an Gugen v. 17. 
Dec. 1725 bei Börfter Urkundens. IL S. 55. Daß auch die Doppel: 
heirath darin befchloffen worden, behauptete ber ic 
dnem Schrelben an feine Tante, die Königin von Cugland in ben Dim. 
de Bareith T. I. p. 167. 

an Eugen 20. Aug. 1726 in Börfters Urkumdens. IL 
©. 19. —S darüber noch Gedtendorfs Schreiben vom Apra 
und Mai 1727 an Eugen und ben Kalfer in Foͤrſters Höfen mb Ge 
binetten, —— L ©. 84, 101 u. 118. 


Hanndverifher Bund. 539 


: gefammt 29,000 Mann Hülfötruppen nichts außrichten laſſe und 
ı daß feine offenen Länder dem erſten Angriffe auögefegt fein 


wirden. Er meinte daher, wenn man den Kaifer Über den 
‚Haufen werfen wolle, müffe man ihn unmittelbar angreifen, 
er wolle 40 bis 50,000 Mann ftellen, Schlefien nehmen und 
70,000 Franzoſen und englifche Truppen follten ihn durch einen 
Angriff auf Brabant und am Rheine unterftügen‘). Frank⸗ 
reich wollte ſich darauf nicht einlaffen und es wurde barlıber 
nichts abgeſchloſſen 

Der nunmehrige Schwiegervater Ludwigs KV., Stanis- 


laus Lescinski, traf ſchon Einleitungen, um den polnifchen Thron Nov. 


wieber zu befteigen. Er ſchickte feinen Vertrauten, ben Gras 
fen von Rottenburg, nad, Berlin mit ber Nachricht, er fei im 
Begriffe feine Erbgüter gegen das Herzogthum Kurland zu 
vertaufchen, was er dem Könige von Preuffen fir Reufchatel 
ambot, welches er fir ben Herzog von Bourbon wünfcte, 
bem er es verbankte, daß feine Tochter Königin von Frankreich 
geworben war. Friedrich Wilhelm war nicht ganz abgeneigt, 
wolinfchte aber eine näher gelegene Provinz als Kurland, näms 
Lich das noch Übrige fepwebifche Pommern. Die bald folgen 
den Berwidelungen machten, daß biefe Entwuͤrfe fcheiterten *). 
Noch che ein Monat verflofien war, hatte man bereits in 
Wien den Zutritt Friedrich Wilhelms I. zum hannoͤveriſchen 
Bunde erfahren ®) und gleich die ganze Gefahr fir Defterreich 
begriffen, wenn Preuffen vereint mit England und Frankreich 
umd mehreren Reichöfürften ben Kaifer angreifen follte, wie 
man befürchtete. Es wurde daher Alles aufgeboten, um 
Sriedrich Wilpelm vom hanndverifchen Bunde abzuziehen, weil 
dieſer den Faiferlichen Erbländern am gefährlichften werden und 
man ihn zu gewinnen noch am erften hoffen konnte. Dazu 


1) &o war wohl bie allgemeine Werabrebung für den Aufferften 
all, wie der König es an Secendorf erzaͤhlte. S. deſſen Schreiben 
am Gugen v. 22. Ian. 1727 in Börfers Urkundenb. II. ©. 844. Veral 
WVällars Mömoires T. M. p. 239 u. IV. p. 47. 


2) Lömontey T. IL. ©. 235 u. 208. 


) Nämlich 29. Gept. ſchrich «8 Eugen an Secendorf in Körfters 
urtuntent II. ©. 60. 


1725 


540 Bud VL Drittes Hauptfiäd. 


wurbe ber General von Sedendorf beflimmt, ein don dm 
Könige längft gefhägter, eben fo tüchtiger als unter ber Mad: 
der Gerabheit verfchlagener, babei ausnehmend gewanbter, in 
‚vielfachen Umgange mit Menfchen fehr erfahrener Kriegs: mb 
Staatsmann. Er kannte bed Könige Denk⸗ und Handlungs 
weife genau, war raſtlos in feinen Bemühungen, fchendr 
keine Anftrengung, vweber Wind noch Wetter, unterzog fih 
allen Beſchwerden, ertrug ben Mangel jeder Bequemlichkeit, 
um fo viel irgend möglich immer in bed Königs Gefellfett 
zu fein, vekrſtand es vortrefflich, ſich in deſſen viele Eigenhe: 
ten zu ſchicken, bei der Wachtparabe und während ber Tafel 
auf der Jagd und im Tabakscollegio die paſſenden Gelegenhe 
ten zum Schweigen, Sprechen und Handeln wahrzumehmen, 
auch die Umgebungen des Königs für fi zu ſtimmen, wie a 
benn Fein fonft noch fo verwerfliches Mittel ſcheuete um fen 
Biel zu erreichen '). 

Schon feit einem Jahre hatte er den General Grumblon 
durch reiche Gefchenke gewonnen, daß dieſer ihm von Allem, 
was ber König that und was am Hofe vorfiel, Nachricht gab’). 
Durch diefen ebenfallß fehr gewandten und hoch in ber Gumf 
bes Königs ſtehenden Mann, der alle Schwächen feines Herm 
vollkommen kannte und ihn danach zu behandeln wuflte, ſuchte 
Sedendorf unftreitig zuerft noch vor feiner Ankunft in Berlia 
auf den König zu wirken, um ihm bad neue Bündniß nad 
und nad zu verleiden und ihn unvermerft von bemfelben abs 
zubringen, was aud einen nur zu günfligen Erfolg battz. 

1) Seine zahlreichen von Foͤr ſter bekannt gemachten Briefe gen 
die Belege zu Obigem. Einzelnes wird im weiteren Verlaufe befonbers 
Hervortreten. Der Darſchall Schrlenburg fchildert in feinem Sehen l 
©. 458 Gedenborfs ausnehmende Habfucht. Sein Pr ne dem Bu: 
ſuche einer Lebenebeſchreibung des Feldmarſchalls Grafen von Bedmborf 
4 Thie. urtheilt nachſichtiger. Doch verſchweigt ex feines Heben Behlr 
nicht ganz und misbilligt bie von biefem angewendeten Drittel zum Zweit 

ga gelangen. Hier f. Thl. IL ©. 18. 

2) Gedendorf an Gugen im Juni 1726, daß er feit 2 Safe 
Grumblow gewonnen, alfo während biefer im Zwiſte mit Leopold von 
Deffau geftürgt zu werden fürchtete, in Börfters Urkundens. IL ©. 66. 
Wergl. Memolres de Bareith I. p. 9. wo bas ſchon fleht, doch mid 
geglaubt wurde. 


Sedendorf. 54 


Als ihm daher nicht lange nad) dem Abfchluffe des hannoͤveri⸗ 
ſchen Vertheidigungsbuͤndniſſes England und Frankreich zu 
einem Angriffsbünbniffe zu bewegen fuchten, fo ging er, obwohl 
kurz vorher noch eifrig zum eiligen Losſchlagen bereit, dennoch 
um fo weniger barauf ein, als er es bereitö zu bereuen ans 
fing, ſich überhaupt in eine Verbindung mit ihnen eingelaffen 
zu haben‘). Zu dem baldigen Erkalten feiner Freundſchaft 
gegen die neuen Verbimbeten trugen auffer feinem in biefer 
Beziehung gewöhnlichen Wankelmuthe?) mehrere und aud) ges 
wichtvolle Urſachen und Veranlaſſungen bei. 
Zuvoͤrderſt konnte er als ein gerader, einfacher Mann bie Frans 
zoſen überhaupt durchaus nicht leiden und Iegte fich nur fehr ſchwer 
ben Zwang auf, das nicht Überall merken zu laffen. Hatte 
er das body oft geradezu berb genug gefagt und gezeigt. Lie 
er doch unfern Berlins bei einer großen Heerfchau über neun 
Regimenter (1720) in Anwefenheit des franzöfifyen Gefandten 
Die Profoße in grimen Röden und gelben Weften und Strümpfen, 
dazu mit Auffchlägen, Huͤten und Haarfäden von entfeglicher 
Groͤße erſcheinen, um baburch bie damalige franzöfifche Kleis 
dermode zu verfpotten, denn ber Gefandte und deſſen Gefolge 
hatten ähnliche Huͤte und Auffchläge und wurden nun natlre 
lich von den Zuſchauern auẽgelacht ). Ex legte dazu einen 
hohen Werth darauf, ein ehrlicher Deutfcher zu fein, und das 
ſchien fi mit einem franzoͤſiſchen Buͤndniſſe nicht wohl vers 
einigen zu laſſen, deflo mehr aber mit ber Treue eines Reiches 
fürften. Vor dem Kaiſer hatte er einen tief eingewurzelten 
großen Reſpect, fo oft er ihm auch widerſtrebte oder nicht 
nachgab. Er, dem Ungehorfam von Unterthanen dad größte 
Verbrechen ſchien, folte nun die Faiferliche Majeftät, feine ihm 
als Reichsfuͤrſten von Gott gefehte hohe Obrigkeit mit umwer⸗ 


1) Seckendorf an Eugen in Börfters Urkundend. IL ©. 79 


2) Eugen an den Grafen Rabutin 27. Nov. 1725 in Cugens We 
ten VL. ©. 65: Die preuffifchen Buͤndniſſe find ohnehin von keiner Lane 
gen Dauer, weil ſich diefer ‚Hof in feinen Erwerbungsahfihten nicht gern 
die ‚Hände binben läßt. 

8) Faßmann I. ©. 288 gibt das Jahr 1719, König ia der 

fävelbung Berlins vidtiger das I. 1720 an. 


52 " Bud VL Deittes Hauptſtuͤc 


fen helfen — das wäre zu große Unrecht gewefen. ZBenn 
er ſich das fo ruhig überlegte, fah er noch aufferdem, wie ges 
faͤhrlich es fein würde. Mit ben 29,000 Dann, zu denen 
fi die hannoͤveriſchen Verbündeten insgeſammt zu ihrer Ber 
tbeidigung verpflichtet hatten, ließ ſich doch, wie ſchon gefagt, 
nichts ausrichten. Gin bloßer Vertheidigungskrieg hätte feine 
überall offenen Länder zunächft und am haͤrteſten getroffen. 
Ein Angriffskrieg hatte auch feine Schwierigkeiten; dem BSei⸗ 
flande der Verbuͤndeten miötrauete er; ber Erfolg war unficher, 
die Gefahr für feine lieben blauen Kinder, für feinen nicht 
weniger geliebten Schatz gewiß. 

Dann hatte er auch auch noch Beforgnife wegen Ruß 
lands und Polend. Hier war eine große Erbitterung gegen 
ihn, weil er fih der Proteftanten in X Thorn fo nachdruͤckũch 
angenommen hatte‘), und wie er mit ber Kaiſerin Katherine | 
fiehen würde, war noch nicht durchaus gewiß, um fo mehr, old | 
diefe ſich rüftete, Dänemark anzugreifen, um ihreme Schwis 
gerfohne Entſchaͤdigung zu verfchaffen, worauf eine englifhe 
Blotte in die Oſtſee gegangen war, es zu fügen, weöhalb fih 
Rußland auf bed Kaiferd Seite neigte. Unter allen Umſtaͤr⸗ 
den fegte-von allen Verbimbeten Preuſſen fih der größten Go 
fahr aus und zwar für unfichere Ausfihten, eigentlich für 
frembe 


Intereffen. 
Den Ausſchlag aber gab dennoch dad Verhaͤltniß Friedrich 
Wilpelms J. zu Georg I. Er hatte nie Zuneigung zu Kam 
Schwiegervater, deſſen ſtolzes, hofmeiſterndes 
nur ſehr ungern ertrug. Nun hatte er gehofft, ber — 
von England werde nach dem Abſchluſſe des Vertrags die 
Verabredungen wegen ber Doppelheirath ihrer Kinder erfüllen, 
allein biefer zog bad fortwährend hin®). Daher gereuete eb 
Friedrich Wilhelm bald, das Buͤndniß eingegangen zu fein. 
Srumblow that, was er vermochte, das ohnehin leicht zum 
regende Mistrauen des Königs zu weden und beffen reges 
Ehrgefuͤhl zu reizen. Ex war bei weitem weniger mächtig, als 
feine beiden Verbündeten, um fo mehr machte er auf völlige | 


1) Montgon Memoires T. II p 406 
2) Gedenborf an Eugen bei For ſter urkundenb. IL S. 78. 


Spannung mit Hannover 543 


Glelchheit Anſpruch. ES verbroß ihn, daß feine beiden Vers 
bimbeten ihm nicht mittheitten, was fie abgefondert mit ein 
ander vertragen hatten. Bald fuchte ex nur Wormände, um 
ſich den ihm, wie er glaubte, gelegten Schlingen zu entziehen. 
Er wollte fich feiner unnötigen Gefahr ausfegen, ohne völlig 
ſicher geftellt zu fein, und, wo möglich, überhaupt den Krieg 
vermeiden. Er nahm baher bie Gelegenheit der Unterhands 
Tungen über den Beitritt ber Generalftaaten zum hamoͤveriſchen 
Bunde wahr umd richtete fehon im December bei ber Tafel ' 
mehrere Fragen an bie Gefandten Englands und Frankreichs. December 
Bern er fi gegen den Kaifer erfläre, fo werbe biefer ipm 1725 
bie Polen und Mufen auf den Hals ſchicken, indem feine 
Staaten offen wären. Db England und Frankreich ihn in 
dieſem Falle decken koͤnnten? Ex werde Krieg für die Herren 
‚Holänber haben, damit biefe Thee, Kaffe, Käfe und Por 
zellan theurer verkaufen Könnten. Die Holländer, Flagte er, 
wollten nichts für ihm thun, während er Alles für fie thun 
ſolle. Wenn die oftendifche Gompagnie (zum Bortheile Hols 
Iands) vernichtet werde, bleibe ber Kaifer doch Kaifer, wie 
jest. „Ih will nicht fo blind in ein Angriffsbinbniß treten, 
wohl aber alle Geheimniffe wiflen, fo gut als die Könige 
von England und Frankreich, und zwar als ihnen Gleicher. 
Die Hauptfache if, dem Kaifer Provinzen zu nehmen, aber 
welye? und was wird davon auf meinen Anteil kommen? 
Bo find die Xruppen? wo bie Mittel zur Kriegführung? Will 
man ben Zanz anfangen, fo muß — man ihn anfangen. Nach 
dem Kriege wird Frieden. Wird man mich vergeffen? werde 
ich ber Letzte fein, ber uͤbrig bleibt ?')" Damm legte er ihnen 
18 Artikel als Zufag zu dem hanmöverifcen Wertrage vor. 
De Sim derfelben war: „weil ihr keinen Angriffskrieg wollt, 
fo müßt ihre mir bei einem Vertheidigungskriege meine Staa⸗ 
ten gewährleiften *). Dazu follten bie beiden Könige ihm eine 
bürgerliche Gaution von monatlich 300,000 Zhalern für den 
Fall flellen, daß er wegen bes hannöverifhen Bundes ange 
griffen und eine Provinz verlieren wände, ferner ſich zur Stel 


1) L&montey T. IL. p. MA. 
2) Villars Mea. T. IV. p. 47. 


Ri 
1726 


m 
1726 


44 Bud VL Drittes Haupifkd. 


lung von mehr ald 24,000 Mann (wie ber Vertrag feſtſtellte) 
verpflichten. Wegen Schleswige und der oftendifhen Gefels 
ſchaft follte man Preuffen aus dem Spiele laffen. Er wieder⸗ 
holte, als er Feine Antwort erhielt, diefe Anträge drei Mos 
nate fpäter und wurde immer ungebuldiger '). 

Zugleich wurde er immer unzufriebener mit feinem Schwie⸗ 
gervater, weil dieſer den näheren Anträgen Über die Doppels 
heirath fortwährend auswich. Hiezu Fam noch ein befonders 
unangenehmer Vorfall. Der König Georg hatte auf Vorbitte 
feiner Tochter, der Königin Sophie, welche bie 
ſchaft ihre Gemahls fehr wohl kannte, dieſem bie jährliche 
Lieferung einer Anzahl ‚langer Rekruten verfprochen. Das 
hannoͤveriſche Minifterium ſtellte fie aber, obwohl mehrmals 
darum angegangen, unter leeren Worwänden nicht, was ben 
König fo aufbrachte, daß er feinen Offitieren befahl, im Han⸗ 
noͤveriſchen ale für fein Leibregiment geeignete große Leute weg⸗ 
zunehmen. ine ſolche Gewaltthätigkeit erregte natürlich ein 
aufferorbentlicheS Auffehen. Georg L verlangte bie Breilaffung 
feiner -Unterthanen, Friedrich Wilhelm dagegen beſtand darauf, 
fie an ehalin, Der gegenfeitige Widerwile flieg bis zus 
vaſſe ). 

In dieſer Lage der Werhältniffe und bei der ihm dund 
Grumbkow ſchon bekannten Stimmung Friedrich 
kam der General Sedendorf wie zufällig, um einer Heerſchau 


tat beizuwohnen, nach Berlin, wo er balb nachher (Juni) als kai⸗ 


fesliher Gefandter auftrat. Er gab nun dem Könige und beis 
fen Dfficieren häufig Befte, bei benen gut und ſtark gegeffen 
und noch ſtaͤrker getrunken wurde *), wodurch er ben König 
offenherzig machte und von ‚Hannover immer mehr abwendete 
Der König, der nicht leicht etwas auf bem ‚Herzen behalten 
konnte, am wenigften, wenn er gereist war, erzäplte üben füs 
gleich, wie man ihn zum hannoͤveriſchen Bunde gebracht, er 
fei zugleich aufgebracht geweſen über mehrere Teichshofrathe⸗ 

1) Gedendorf an ben Kaiſer 80. Nov. 1726. Zörflers uk 
denb. IL. 192. . 

2) Mömoires de Bareith L. p. 94. 

3) Ebendaſ. p. 9. 


Spannung mit Hannover. 545 


mandate, geſtand, baß er fich Üibereilt, jedoch eigentlich weiter 
nicht gewollt, als den Prätendenten von England fern halten 
und dem Könige Georg Bremen und Werden fichern. In bie 
ſchleswigſchen und oſtendiſchen Händel werbe er fich nicht 
mifhen. In dem Reichshofrathsproceſſe, fagten ihm feine Mi⸗ 
nifter, habe er recht. Er fei bereit, ſich mit dem Kaifer naͤ⸗ 
ber zu verbinden unb bie pragmatiſche Ganction zu gewährs 
leiften, alle Streitigkeiten wegen Dofrieslands, der Graffchaft 
Tedlenburg und der magbeburgifhen Ritterfhaft ließen ſich 
beilegen, doch muͤſſe man ihm, wie anderen Königen begegs 
nen, ihn im der juͤlichſchen Exbfolgefache unterflügen und das 
jus de non appellando für alle feine Länder geben '). Bald 
darauf Aufferte er gegen Sedendorf: England und Frankreich häts 
ten ihn betrogen, wollten ihre eigentlichen Abſichten nicht ans 
geben; er folle die Kaftanien aus dem Feuer holen, wozu er 
Beine Luft babe. Der Kaifer möge fi) mit dem Prätendenten 
nicht einlaffen, Preuffen und Georg I. deutfche Provinzen nicht 
angreifen; dann fei Alles gut; zu mehr habe er fich nicht vers 
pfuchtet ). Sedenborf benutzte diefe günftige Stimmung und 
verlangte Gelb für bie preuffifchen Minifter, wie benn auch 
Georg J. fon 2000 Pfund Sterling gefhidt habe. Man 
dinfe den König diesmal nicht aus den Händen gehen laſſen, 
weil er ſich fonft ficher in bie englifhen und franzoͤſtſchen 
Hände werfen und zu gefährlichen Dingen verleiten lafien 
werde. Er vieth, in dem meclendurgiſchen Gtreite zwiſchen 
dem Herzoge und deſſen Ritterfchaft , in welcher Hannover bie 
Baiferliche Commiffion hatte, daneben auch Preuffen zum Mits 
Prien zu machen, um dadurch Beide mit einander zu vers 
5. 
Run erſt, als Frankreich und England beſorgt wurden, 
Zriedrich Wilhelm möchte ſich vom hannoͤveriſchen Bunde tren⸗ 


1) @ntenborf an Cage 80. Mai 1726 bei Forſter Urkunbenb, 
Abl. IL ©. 59. 
2) Derfelbe an benfelben 12. Juni 1726 daſelbſt S. 68. 


8) Seckendorf an Eugen 5. Juli 1726 ebendaſ. &. 75. Eugen gab 
bie geheimen Berhaltungsregein über einzelne Punkte an, um Preuffen 
von Hannover zu trennen, daſelbſt ©. 71. 

Stengel, Geld. d. Preuffiich. Gtaats. TIL 3 


1726 


546 Bud VI. Drittes Hauptfiäd. 


"nen, erhielt er von ihnen folgende Erklaͤrung: wegen Scles 
wigs und ber oflendifchen Compagnie wolle man feinen Bei⸗ 
Hand nicht in Anſpruch nehmen. Er folle fih nur ruhig ver⸗ 
halten, die Generalftaaten wilden die oſtendiſche Sache 
ſchon ausmachen. Andere Urfachen zum Kriege wären nicht 
vorhanden, daher Fein Verluſt zu flrdten (alfo auch Feine 
Sicherſtellung deshalb nöthig). Sie hätten die Abficht gar 
nicht, ben Kaifer angreifen und, fo lange er. lebe, bie Rechte 
feines Hauſes kraͤnken zu wollen, allein nach feinem Tode ſolle 
eine freie Kaiferwahl eintreten, indem biefe Würde fonft zu 
einem Anhängfel des Haufes Deflerreich werde. Für ben Fall 
des Kriegs wollten fie 54,000 Mann für Preuffen ſtellen. 
Diefe den von ihm eingegebenen Punkten meiftentheild aus⸗ 
weichenbe Erklärung genügte dem Könige nicht; Frankreich und 
England wollten ihm auch die Bebingungen, unter benen fie 
fi‘) verbimbet, nicht mitteilen, was ihn verdroß *). Die An 
näherung Rußlands an Defterreich wurde immer deutlicher; 
die Abficht der Kaiferin Katharina, Dänemark angreifen zu 
wollen, war gewiß und Georg I. ſchob die Vollziehung der 
Doppelheirath immer weiter auf. Friedrich Wilhelm wurde 
dem hannoͤveriſchen Bunde ſtets abgeneigter und mehr für 
den Kaifer gewonnen, deſſen Handlungsweife, fo weit ſich ber 
König daruͤber befchwerte, Sedendorf zu vertheibigen ober doch 
zu entſchuldigen bemühet war. Der König hatte feinen Leib 
arzt, den berühmten Stahl nad) Petersburg geſchickt, um der 
Kaiferin feinen Wunſch zu einem Bünbniffe zu bezeugen, mas 
günftig aufgenommen wirde ’). Es Fam ihm jetzt nur noch 
darauf an, auf ſchickliche und nicht ganz unehrenwerthe Weiſe 
von den hannoͤveriſchen Bundesgenoffen auf die Seite bed Kai⸗ 
ſers überzugehen. 

Schon brei Tage, nachdem Sedendorf als Taiferliher Ges 

fandter in Berlin angefommen war und bereits mit Sigen 

233. Juni über einige Hauptpunkte gefprochen hatte, wurde auf de Rös 
1726 nigs Veranlaffung eine geheime Zufammenkunft auf dem Gute 


" 4) Zagebuch Sedcendorfs vom 25. Juni bis 5. Juli 1786. Bei 
Sörfter urkunbenb. IL ©. 77 ff. 


2) Montgon Mömoires IT. p. 428. 





\ 
Unterhandlungen mit dem Kaifer. 547 


bes Minifterd v. Katſch im der Nähe Potsdams veranfaltet, 
an welcher aufler dem Könige und Katſch nur Sedenborf, 
Grumblow umd bie vechtfchaffenen aber in Weltgefhäften uns 
erfahrenen, doch kaiſerlich gefinnten Oberſten Flans und Kleiſt 
Theil nahmen. Nachdem die Speifen aufgetragen worden, 
ließ der König die Dienerfchaft abtreten und erflärte, daß er 
den fie Beinen ehrlichen Mann hielte, welcher bad Geringſte 
wieberfage, was hier gefprocgen werde. Er ließ fih dann 
offenherzig über die Urfachen feiner Unzufriedenheit mit bem Kais 
fer aus und daß er ſich in Hannover durch große Verfprechuns 
‚gen habe verleiten laſſen, bis bahin mitwirken zu wollen, bie 
Toiferliche Macht zu beſchraͤnken, ja ihn von allen Seiten plögs 
lich anzugreifen. Er babe indeffen bald gefehen: ex folle die 
Kaſtanien aus dem euer holen, wozu er Feine Luft gehabt. 
Er wolle mit Frankreich "und England nichts mehr zu thun 
haben. Wenn der Kaifer nicht den Prätendenten unterſtuͤtze 
und Hannover angreifen wolle, fo werde er (Friedrich Bil 
helm) nit nur fein Freund fein, fondern auch die pragmas 
tiſche Sanction gewährleiften. Juͤlich und Berg laffe er ſich 
aber, wenn ber Fall eintrete, nicht nehmen, und werbe cher 
alle feine Länder und Armeen auffetzen, wolle fi jedoch dar⸗ 
über eher mit dem Kaifer als mit England und Frankreich 
verfländigen. Er verlange im Reiche nicht mehr Anfehen als 
andere Kurfürften. Der Kaifer möge ihn etwas glimpflicher 
behandeln, dann werbe er gehorfamer fein, als viele Andere. 
Seine Blauröde ftänden dem Kaifer zu Dienften ). Einige 
Tage darauf muffte Ilgen dem Seckendorf bie Bedingungen 
zu einem engen Bunde zwifchen Preuffen und bem Kaifer vors 
legen: Preuffen bleibt in ber ſchleswigſchen und oftendifchen 
Sache neutral, ruffifhe und polniſche Angelegenheiten werden 
im gemeinſchaftlichen Einverſtaͤndniſſe behandelt; der Kaifer ges 
waͤhrleiſtet ale preuffifche Erbfolgeordnungen, der König bie 
pragmatiſche Sanction und dazu ſtellt ber Kaifer 20,000 Mann, 
der König 10,000 Mann; der König verlangt das jus de non 


1) Gedenborfs Tagebuch bei Börfter Urkundenb. IL ©. 86. Bergl. 
deſſen Beief an Gugen v. 12. Juni 1726 bafelbft ©. 68, wo ſchon 
weſentuch baffelbe. R 

3 


6. Aug. 
1726 


548 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc. 


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nig moͤglichſt gegen England zu rei 
um die Doppelheirath zu verhindern 
Sedendorf fah fehr gut, daß gerade Julich und Berg 


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Aequivalent ein. Num gelang es dem wiener Hofe, die Kaiſerin 
1) Gedenborf bei Börfter urkundenb. IL ©. 97. 


2).Des Katfers Infiructin v. 9. Iuli 1726 bei Joͤrſter a. a. 
D. ©. 107. 


3) Die Inftruction Kaiſer Karis VI. v. 24. Jull 1726 bei Börfter 
a. a. O. S. 110, 


4) Secendorf an ben Kaifer 1. Aug. 1726 bei For ſter a. a. D. 
©. 119. 


' 
Unterhandlungen mit bem Kaifer. 549 


Katharina zu bewegen, dem wiener Buͤndniſſe (v. 30. April 
1725) formlich beizutreten, wogegen ber Kaifer die Entwürfe 
des ‚Herzogs von Holfteins@ottorp zu unterflügen verfprach '). 
Darauf hatte ſich Friedrich Wilhelm I. nicht einlaffen, ia fos 
gar den ruffifchen Truppen ben Zug durch feine Staaten nicht 

jatten wollen. Dennoch kam durch beider Staaten Miss 

uen gegen Polen ein Vertheidigungsbuͤndniß zu Stande, 10. Aug 
welches ber Graf von Marbefelb in Petersburg abfchloß, in 1726 
dem beide einander alle ihre Länder gegen jeden Angriff ge 
währleifteten. Im einem geheimen Artikel wurde beftimmt, 
Dreuffen fole feine guten Dienfte anwenden, um für ben Her⸗ 
zog von Holſtein⸗ Gottorp eine Entſchaͤdigung für das von 
Dänemark eingezogene Schleswig zu erwirken, im Falle eines 
Kriegs aber neutral bleiben. Dagegen gab der Herzog feine 
Anfprüce auf Stettin und feine Proteflation gegen bie Bes 
lehnung Preuffens mit demfelben auf”). Vergeblich hatte 
Friedrich Wilhelm vorgefchlagen; dem Herzoge von Hoiſtein 
Kurland als Entfhäbigung zu geben”). Auch durch biefes 
Blndniß näherte fich Friedrich Wilhelm dem Kaifer im⸗ 
mer mehr. 

Bon der anderen Seite bemüheten fich die Königin und 
deren Bater, der König von England, fehr, ihn bei dem hans 
növerifchen Bunde zu erhalten, ohne daß fi doch Georg wes 
gen ber Doppelheirath beflimmt erflärt hätte. Der Fürft von 
Deffau 'erzäplte an Gedendorf, bie Königin habe unterftügt 
vom feanzöfifyen und bänifchen Gefandten, ihren Gemahl fuß- 
fälig gebeten, fich durch anberweite Werbinbungen ber Breunds 
ſchaft ihres Waters und ber Verbimdeten deffelben nicht vers 

1) Dumont T. VII, P. IL. p. 181; ebenfo Montgon T. IT. 
Es find noch unbefannte geheime Artikel des Vertrags zu Gunften bes 
Oerzogs von YHolftein dabei, und der König von Polen fol fehr geheim 
beigetreten fein, was mir doch nicht glaublidh iſt, er Hätte denn nach Mer 
leben wieber abtreten wollen. Hojer Thl. II. ©. 117. Von ben ger 
heimen Artitein fpricht Secendorf bei Börfter Urkundenb. IL ©. 185. 

2) Dumont T. VII, P. IL p. 185 wie Mantgon M&m. T. II, 
plöces justif. N. 27. Bergl. biefen p. 406 und Hojer Thl. I. ©. 118. 
Söll SH. XIL. ©. 819 Eemmt nur einen gepeimen Artikel. 


8) Seckendorf bei Börfter a, a. ©. ©. 119. 


550 , Bud VL Drittes Hauptſtuͤc. 


luſtig zu machen‘). Die Verhandlungen gingen dennoch fort, 
weil Sedendorf auch feinerfeitd Alles in Bewegung fegte, um 
den König für Deflerreih zu gewinnen. Gr ſchrieb (1. Aug.) 
an den Hoflanzler, Grafen v. Sinzendorf: für den Fall, def 
die Sachen zu Stande kämen, würde den koͤniglichen Minis 
ſtern eine reelle allerhöchfte kaiſerliche Gnade zu verfichern fein, 
naͤmlich an Ilgen, als den vornehmften, an deffen Schwieger⸗ 
fohn Knyphauſen, der noch gefährlicher, und an Grumbkow, 
welcher den meiften Zutritt zum Könige habe. Die übrig 
Generale und Oberften, Gersdorf, Dänhof, Sydow, Derſchau 
u. ſ. w., welde mehr als alle Minifter vermöchten und deren 
ex fich zuweilen bedienen müfle, koͤnne man mit etlichen großen 
unnügen Raigen und bergleichen Waare beibehalten, ba man 
ficher dem Könige kein angenehmeres Präfent thun koͤnne, als 
wenn man ihn mit dergleichen großen Figuren erfrene, wos 
durch aud Moskau, England, Frankreich, Daͤnemark und 
Schweden des Königs Gemüth gewonnen *). 

Je mehr ſich die Verhandlungen Ihrem Biele näherten, 
je mehr der Tag ihres Abfchluffes heranrlidte, um fo flaͤrker 
lag die Königin ihrem Gemahle an, fie völlig abzubrechen 
Es war Alles vergeblich. Er gab fogar den Apı i 
und Jülich auf, beſtand aber unerſchuͤtterlich auf Berg. Secken · 
dorf und der Kaiſer waren in ber peinlichſten Verlegenheit, 
bie Foderung des Königs konnte nicht bewilligt werben, denn 
" der Kaifer hatte eben in einem geheimen Vertrage an Kurs 
16, Aug. pfalz, welches dem wiener Vertrage (v. 30. April 1725) zus 

1726 getreten war, verſprochen, wenn an Pfalzs Neuburg ober 
Sulzbach die Erbfolge in Juͤlich und Berg flreitig gemacht 
ober diefe Länder mit Kriegsgewalt gewonnen werben follten, 
fi dagegen mit aller Macht zu fegen und dem rechtmäßigen 
Befiger und Erben auf fo lange, bis er fie wieder erhalten 
wärbe, eine Refibenz in Insbrud mit flandeSmäßigem Unter: 


1) Seckendorf an Eugen 20. Auguft bei Börfter Uckundens. IL ©. 127. 


2) Bei Förfter a. a. D. S. 121. Daß auch England Gelb an 
die preuffifcen Miniſter gegeben, vermuthet Seckendorf bei Börfter 
xy. II. &, 391. Im Iuli 1726 ſchreibt er, Eagland habe 2000 
Pfund nad Berlin geſchickt; bei Börfter a. a. D. S. 77. 


Unterhandlungen mit dem Kaifer. 551 


halte zu geben’). Doch hinberte dad einen Mann von fo 
zweideutiger politifcher Gefinnung, wie Sedendorf war, durch⸗ 

aus nicht, dem Könige endlich Berg zuzufagen. Noch ſechs 

Zage vor dem Abſchluſſe des Vertrags verficherte der franzoͤ⸗ 6. Dit. 
fiſche Gefandte Rothenburg in einer Audienz, daß Georg I. eine 1726 
ſchriftliche gimflige Erklärung wegen ber Doppelheirath geben, 

und, um die Kriegöbeforgniffe zu heben, 80,000 Mann aufgeftellt 
werben folten, Friedrich Wilhelms Länder zu fügen‘). Der 

fonft ſehr vorfichtige Ilgen wurde fo eifrig, daß er (10. Dct.) 

zu dem Baiferlichen Gefandten Sedendorf in Wuſterhauſen 
fagte: er möchte lieber auf dem MRüdwege nach Berlin den 

Hals brechen, ald durch Schließung der Faiferlichen Zractaten 

die koͤnigliche Familie kraͤnken und die fo wichtige Doppels 
heirath verhindern ). 

Dennoch brachte Seckendorf den König dahin, daß er und 12. Ott. 
feine Minifter Ilgen, Bork und Knyphaufen den geheimen 172 
Vertrag von Wufterhaufen unterzeichneten. Die Grundlage 
deffelben bildeten der Kronvertrag (v. I. 1700), das ewige 
Buͤndniß (v. I. 1686) und die durch des Kaiferd pragmas 
tifche Sanction (im J. 1713) eingeführte Exbfolgeorbnung. 
Beide gewäprleifteten einander alle ihre Länder und ber Kaifer 
verſprach für diefen Fall 12,000, der König 10,000 Mann, 
diefer doch nicht nach Stalien oder Ungarn, zu flellen. Rufs 
ſiſche und polnifche Angelegenheiten wollten beide Mächte einans 
der vertraulich mittheilen. Rüdfichtlich der jülich-bergichen Erb⸗ 
folge verfprac ber Kaifer, Alles anwenden zu wollen, daß 
nach dem Abgange ber pfalzsneuburgifhen Pinie dad Herzog: 
thum Berg und bie Grafſchaft Ravenftein an Preuffen abge 
treten werde. Spaͤteſtens binnen ſechs Monaten wollte.er Pfaly 
Sulzbach zur Einwiligung bewegen, baß alsdann Berg an 
Preuffen eingeräumt würde; vermöchte er das nicht, fo ſollte das 
ganze Bimdniß als nicht gefchloffen zu betrachten fein und 

1) Die Hierher gehörigen Artikel des fonft ungebrudten Vertragé 
ſ. bei Börfter Thi. IL ©. 71. 

2) Sedendorf an den Kaifer Bei Forſter a. a. D. S. 19. 


3) Gedendorf an ben Kaifer 10. Oct. 1726 bei Foͤr ſter a. a. D. 
©. 191. 


552 Bud VL Drittes Hauptfüd. 


auch bis dahin Feine Wirkung haben. Auch in anberen Exb- 
folgerechtöfachen verſprach ber Kaifer den Köniz zu begimfligen, 
ihm die Belehnung mit Stettin zu ertheilen und bie Erledi⸗ 
gung ber preuffifchen Geldanſpruͤche an Spanien zu befördern, 
wogegen ber König durch feine Stimme den Kaifer bem 
Reichstage moͤglichſt zu unterflügen verficerte, wie ſchon der 
Vertrag von 1686 5. 1 es feflgefegt hatte. 

In einem abgefonderten Artikel wurde beflimmt, im Fale 
der König von Preuffen für den Kaifer und zugleich für dad Reih 
Zruppen fiellen muͤſſe, fo folten ihm vom Reichscontingente 
wenigſtens 2000 Mann erlafien werben, weil ex für den Kaiſer 
mehr Truppen übernommen, als im I. 1686 und 1700 bes 
ſtimmt worden ’). So ließ alfo auch ber Kaifer bier zum 
Nachtheile des Reichs fo viel nah, ald ihm zu feinem befons 
deren Vortheile zugefichert worden war. 

Zur befonderes Belohnung erhielt der König 24 der 
längften, ſchoͤnſten und jingfien Männer zum Geſchenke, bie 
befreundeten Dfficiere 12 Kerle von nicht fo erceffiver Länge *)- 
Auch der gelehrte geheime Rath Gunbling, der in der Abend- 
geſellſchaft des Königs und an beffen Tafel fehr wider feinen 
Willen den Narren machen müffe und, wenn eitie Baiferliche Mas 
terie vorkomme, dem Könige falſche Grunbfäge beibringe, ba 
men ihm ald Drakel in Staatdangelegenheiten glaubel ers 
hielt eine mit einigen Diamanten befegte goldene Medaille *); der 
Miniſter Grumbkow aber 1000 Ducaten jährlicher Penfion *). 

Jetzt wurde ber Kampf der öfterreichifchen und ber englifch- 


1) De fer if mehrmals verfälfcht abgebrudt wor 
den, edht hat ihn guerft Börfter im urkundenbuche zur Gefch. Briebrich 
iheims 1 xp I. 6.159 miigapeit, gm @eben TH. m 


richtize Datum, während der unedte Wertung vom 12 Det. 1727 der 
List in. 


2) Schreiben Seckendorfs an Eugen v. 80. Dit. 1726 in Förfkers 
uckundeab. IL. ©. 178, vergl. ©. 189 vom 26. Rod. 


PA aa Börfter a. a. ©. S. 172, vergl. Zy W. 
4) Eugen an Seckendorf bei Börfter Thl. W. ©. 825, vergl. 851, 
wo es ausbrücklich ſteht. 





Wuſterhauſer Vertrag. 553 


franzoͤftſchen Partei am berliner Hofe noch flärker. Zar den 
Kaifer waren Grumbkow und ber General Bork, denen ber 
König fehr vertrauete, und ber Faiferlihe Gertendorf, den er 
audnehmend gern fah, ber Fürft Leopold von Deffau und feis 
ner Neigung nach der König felbfl. Für das hannoͤveriſche 
Bündnig waren Ilgen und Kupphaufen ‘), vorzüglich aber 
die Königin, welcher der König täglich die Verzögerung ber 
Doppelheirath vorwarf. Sie war Über ben ber Hauptfache 
nach ibr ſicher bald bekannten wufterhaufer Wertrag fo ers 
bittert, daß fie Grumblow erflärte, fie werde ihm das nie 
verzeihen und ihn ewig verfolgen). Als fie bald barauf 
durch den Tod ihrer Mutter Ausficht auf eine Erbfchaft, man 18. Rov. 
fagte von drei Millionen Thalern, hatte, was auf ihren Ge 1726 
mahl großen Eindrud machte, fing fie an, fich mehr zu fühlen 
und gab ihre Sache durchaus nicht verloren”). Weide Pars 
teien wenbeten- alle ihnen zu Gebote fichenden Mittel an, 
den König völlig auf ihre Geite herüberzugiehen. Der frans 
zoͤſiſche Gefandte behauptete fehon zwei Tage nach ber Uns 
terzeihnung bed Vertrags, mit deflen Hauptpunfte befannt 
zu fein, unb daß Frankreich wohl wiffen werbe, ſechs Mos 
nate hindurch Pfalz» Sulzbadh von einer Crfldrung abzus 
halten ). 

Auf die Nachricht vom Bunde Friedrich Wilhelms mit Nov. 
dem Kaifer verlangten England und Frankreich eine Erklärung 1726 
von Preuffen, ob es noch am hannöverifchen Bunde halten 

1) Villare Mem. T. II. p. 275. 

2) Gedendorf bei Börfter urkundenb. IL ©. 156. 

8) Sedendorf bei For ſter urkundenb. III. ©. 888. 

4) Seckendorf an Eugen 14. Det. 1726 bei Förfter Urkundenb. IT, 


Berwandten unter einander uneinig wären. Auch Seckendorf meinte in 
dem oben angeführten Schreiben: wenn ber König feinen Zweck wes 
dom 





554 Bud VL Drittes Hauptfiäd. 


wolle. Fricdrich Wilpelm weigerte ſich, feine Verhandlunge 

mit Defterreih und Rußland den hanndverifchen Werbinbetn 
mitzutpeilen und erfldrte, fein Vertrag mit Defterreich enthalte 

nichts gegen ben hannöverifchen Bund’). England und Frank 
December. reich erboten ſich nun, ipm nicht nur Berg, fondern aud Se 
lich zu verfchaffen und ihn auf ihre Koften in den Befitz dieſa 
Provinzen zu fegen, allein auf des gut Taiferlich gefinnten 
Generals v. Bork Rath lehnte der König das ab, wollte 

fih mit Berg begnügen und im Bunde mit dem Kaifer bier 
ben?). Diefer wendete in ber That, um feinem im wuſter 
baufer Vertrage gegebenen Verſprechen nachzukommen, ale 
Mühe an, das Haus Sulzbach zum Verzichte auf Berg zu 
Sunften Preuffens zu bewegen, unb bot baflır jaͤhrlich 53,000, 

ja 100,000 Thaler und der Pfalzgräfin für ihre Mitwirkung 
Januar jährlich 50,000 Thaler, allein ohne allen Erfolg). Die Be 
1727 forgniffe Riegen immer höher, daß im naͤchſten Fruͤhjahre der 
Krieg auöbrechen würbe*). Für dieſen Fall dachte der Kaiſer 
wieder daran, dem Könige für Berg Bremen und Verben zu 
geben, was man dem Haufe Hannover nehmen wollte. Er 

boffte felbft, wenn die Ruffen Kurland an einen preuſſiſchen 
Prinzen gäben, wide Friedrich Wilhelm das ald Entfchaͤdi⸗ 

gung für Berg anfehen. Allein diefer, obgleich für den Kaifer 
geffimmt, war nicht zu bewegen, fih auf ein Yequivalent 

für Berg einzulaffen, lehnte auch als ſolches bie Güter in 
Litauen, welche der Pfalzgräfin ald geborner Prinzeffin von 
Rabzivill gehörten, ab, weil fie unter polnifcher Hoheit Räns 


1) Seckendorf vom 18. Nov. 1726 bei Börfter Urkundenb. IL, S. 187. 
der machte den Entwurf zu Friedrich Wilpelms Antwort. Wie aufgebracht 
man in England war, beyeugt ber öfterreichifhe Gefandte Palm in einem 
Schreiben an Seckendorf v. 14. Rov. 1726 in Börfters Döfen. Ich 
denb. Thl. J. S. 20. 


9) Seckendorf in Börfters urkundenb. IL S. 197 v. 3. Dec. 1786. 


3) Montgon Mem. II. p. 149 u. IV. 173. Der ‚Kalle au 
graubart ©. 22. Jan. 1727 bei Börfter ZH. IIL ©. 830. Bergl. 
. 7. 


4) Gedenborf an Eugen v. 22. Yan. 1727 dof. ©. 346. 





Neutralitätsplan. 555 


en‘). Die Anſtalten zum Kriege wurden immer drohender. 
Der König hielt 40 Bataillons und 150 Escadrons bereit 
nd fagte: „Kein Engländer oder Franzoſe fol fiber und Deutfche 
sebieten, meinen Kindern will ich Piflolen und Degen in die 
Biege geben, daß fie die fremden Nationen abhalten. Die 
fterreichiſche Erbfolge miüffen alle deutfche Bürften gewährs 
eiften. Wenn die Franzoſen ein Dorf in Deutfchland angrei⸗ 
en, fo müffte der deutfche Fürft ein Cujon fein, welcher nicht 
ven legten Blutötropfen daran fegte”)." AB aber bei Exöffs28. Ian. 
tung bed Parlaments der König von England erflärte, Defter 1727 
:eich und Spanien hätten fich verbunden, den Prätendenten 
inzufegen, Gibraltar und Port Mahon au Spanien und den 
nglifcheindifchen Handel an die ofiendifhe Compagnie zu übers 
iefern, Rußland fei zugetreten?), ber Kaifer aber diefe Bes 
yauptungen .in einer veröffentlichten Denkſchrift Lügen frafen 
äeß*) und man glaubte, er wolle im Fruͤhjabre Hannover ans 
greifen; als darauf der König von England im Fruͤhjahre mit 
20,000 Engländern nach Hannover kommen und bort mit bies 
fen, ferner feinen Hannoveranern, den Dänen und Schweden 
ein Heer von 82,000 Mann aufftellen wollte, indem bie Kds 
nige von Schweden und Dänemark bereit waren, dem bannds 
verifchen Bunde beizutreten, fo machte das ben König von 
DPreuffen ‚wieder ſchwankend *). Die Königin und die hannd- 
verifche Partei an feinem Hofe feßte ihm auch ſtark zu, der 
Kaifer ziehe ihn mit Berg nur aufz Kurpfalz würde nie eins 
willigen; Frankreich und England dagegen wollten es ihm forts 
während fihern. Die Doppelheirath war noch nicht aufgeges 
ben, bee im wufterhaufer Vertrage beftimmte Termin von ſechs 


1) Seckendorf bei Börfter Tl. IIL ©. 881, 355, 883 u. 889. 
29) Gedenborf a. a. D. S. 333 bis 335. 
3) S. dieſe berüchtigte Rebe in Rousset Recuell T. IM. p. 827. 


A) Die Actenſtaͤce daf. S. 349 u. 853. Palm muffte England 
verlaffen. 

5) Secendorf bei Börfter II. ©. 346. Bergl. Palme Bericht 
vom beabfichtigten Kriege in Börfters Höfen und Gabineten. Urkunden ⸗ 
su L ©. 20. 





656 Bud VL Drittes Hauptflüd. 


beftliemt, wuflte oft nicht, wo Ähm der Kopf fland. Dhachu 
von unrubiger Gemüthsart, wurde er von Beſorgniſſen ba 


Krieg 
Floh ihn felbft in der Nacht. Piöglich glaubt.:e "einen Ans 

weg gefunden zu haben, er fpringt von feinem naͤchtüche 

280 Se auf und fchreibt die Hauptgebanken felbft nieder Dirk 
27 gingen darauf hin, ben Frieden im Reiche zu erhalten mb | 
daher beiden Theilen die Mittel zu nehmen, biefe und ihn m | 
Gefahr zu bringen. Der Kaifer folte erklären, daß weder 
noch Rußland die Feindfeligkeiten gegen die hamoͤveriſden 
Verblindeten anfangen und Hannover felbft angreifen, der 8: 
nig von England aber, daß er mit feinen Werbimbdeten nichts 
Beinbfeiget gegen das Reid und des Kaiſers Exblande vor 
wolle”). Er verpflichtete fich gegen ben Kaifer, des 

ig Georg, und gegen dieſen, ben Kaifer zu einer for 
dien Grftdrung zu bringen. erde Georg darauf Peine be | 
flimmte, oder nah englifcher Hoffärtiger Manier gar Feine Aut: 
wort geben, fo verſprach er (Friedrich Wilhelm) dem SKaifer, 
fein ganzes Heer in vier Wochen aufzuflellen, die Friedens 


1) Gedenborfs Bericht v. HM. Die 1726 on Cagen bei Bäcker | 
. m 


2) Lauter junge ſtarke Leute, bie wenig Gelb vom Könige erhalten 
benen es baher wohl ſchmeckt. Seckendorf an Cugen 15. Sehr. 1727, , 
&örfter Urkundenb, TIL S. 877. 

8) Montgon T. III. p. 895. Das Schreiden bei Maupilier 
ZH. II. ©. 182. Wergl. Pöllnig Mm. IL p. 246. 


Reutratitätsplan. 557 


körer mit Hülfe der Übrigen Kreife zum Gehorſam zu bringen 
nd das Reich, doch mit Ausnahme Brabant, vor ausläus 
ifchen Truppen zu bewahren‘). Dem Kaifer wie bem Könige 
von England war das gleichmäßig unangenehm, doch erwieberte 
Beorg L, er denke nichts gegen Deutfchland zu unternehmen: 
Die gefammte Angelegenheit betreffe nur den Handel der ofls 
ndiſchen Gompagnie, doch müffe ex fid mit feinen Verbuͤndeten 
verathen*); dieſe meinten, ber Vorſchlag ſei zu vortheilpaft fir 
ven Kaifer, welcher feinerfeit8 fah, daß ihm mit Hannover ber 
inzige verwundbare Fleck Georgs I. entzogen wurbe, und baber 
jlaubte, Friedrich Wilhelm fei von biefer Seite zu feinem Vor⸗ 


lage gebracht worden”). Auf Seckendorfs Werlangen vos Mär 


icherte nun ber König noch, wenn während der. Zwiſchenzeit, 
saß er auf feine Neutralitätsoorfchläge Georgs L. Antwort ers 
varte, bie oͤſterreichiſchen Erblande von hannöverifchen Truppen 
ıngegriffen werben follten, fo wolle er bem Kaifer, wie im 
3. 1700 vertragen, doch nur unter ber Bedingung beiftehen, 
aß auch ihn, wenn er beöhalb angegriffen werben follte, der 
Raifer unterfilige und fich zugleich verpflichte, Hannover nicht 
ınzugreifen. Dennoch wollte fich der Kaifer daruͤber nicht ers 
Yären. Daher meinte Friedrich Wilhelm, wenn Defterreich fos 
leich Hannover und HeffensKaffel angreifen wolle, fo müfle er 
nit anderen Evangelifchen glauben, daß mehr babinter flede, 
ils nur eine Beſchwerde uͤber das beleibigende Benehmen bed 
Rönigs von England im Parlamente und daß man wohl gar 
yarauf ausgehe, die Proteflanten über den Haufen zu werfen, 
vogegen biefe Maßregeln nehmen miflten, bamit die Kathos 
ifen nicht durch Wernichtung zweier protefantifchen Reichs⸗ 
Hände zu mächtig würden. Der kaiſerliche Minifter Sinzendorf 
uchte zwar den König zu beruhigen, indem er verficherte, der 


1) Gedenborf bei Foͤr ſter pl. IIL ©. 368. 

2) Derfelbe baf. S. 886. 

3) Derfelbe daſ. ©. 406 u. 414 Wergl. Eugene Schrelben v. 
2. März daf. ©. 391. Wie fehr man in England hoffte, den König 
‚on Preuffen wieder vom Kaifer ab und auf bie hanndveriſche Geite zu 


ichen, beyeugen Palme Berichte v. 11. Febr. u. 10. März 1727 In 
joͤr ſtere Höfen. Urkundend. I. ©. 56 u. 62. 


1727 


558 Bud VI Drittes Hauptflüd, 


Unterfhieb ber Religion habe nicht ben mindeſten Antheil an 
den gegen England zu nehmenten Maßregein und ber Kaiker 
gehe durchaus nicht darauf aus, die Macht der Proteflantes 
zu ſchwaͤchen. doch war der Argwohn bed Königs wach, m 

zu befürchten, er werde, wenn es zum Kriege kommen fohtı, 


Air fo gimfig, .ald er fi) Aufferte, für den Kaifer handels'). 


Apr 
17277 


obwohl er biefem eine neue Friſt von drei Monaten nachget, 
um bie im wuſterhauſer Vertrage bebungene Werzichtleikun 
Pfalz⸗Sulzbachs auf Berg zu bewirken‘), wogegen ihm be 
Kaifer die Erecution in ben oſtfrieſiſchen Unruhen auftrug ) 

Beide Theile, die wiener und die hannoͤveriſchen Werbiz 
beten, waren alſo gegen den von Friedrich Wilhelm gemadte 
Vorſchlag der Neutralität Deutſchlands, jeder; weil fie den 
Gegner zu vortheilhaft fei. Der Srühling kam. Ein auge 
bidtic lebhafter Zwift entſtand zwifchen Friebrich Wilhein 
und dem Könige Auguſt wegen preuffifchen ‚k 
daß ber fächfifche Gefandte Suhm Berlin verließ). De 
König von England druͤckte die Hoffnung aus, Friebrid BE 
helm werde Hannover vertheibigen, wollte ſich aber wegen te 
Neutrakität nicht exfiärenz ebenfo arbeitete Secendorf, def e 
befeitigt wurde*). Bald darauf wurde von England gereden 
behauptet, geheime Artikel des wiener Vertrags, —* 
daß der Infant Don Carlos bie aͤlteſte Tochter des Kaiſes 
heirathen und eine Univerſalmonarchie gruͤnden ſolle. Friedüich 
Wilhelm möge feine Truppen ‘bereit halten. Er ermicen, 
anfänglich habe man nım von Dftenbe gefprochen, nun rede 
man ganz anders. Er glaube nicht, baß ein. fpanifcher Prig 


1) ©. bie Gchreiben Gedenborfs bei Foͤrſter Urkundens. IL 
©. 885, bie preuffifhe Erkiarung daf. ©. 418 v. 25. Miıg un ia 
deſſen Höfen. urkundenb. I. ©. 67. 


2) Des Kaiſers Schreiben v. 15. März und Secendorft d. 26. Min 
bei Foͤrſter ZpL TIL S. 898 u. 416. 


8) Biarba ZH. VII. &, 862. 
e an Geteberfe dreiten v. 24 Dlleg 1787 bei Bäcker SAL IL 


5) Derfelbe daſ. Ipt. HI. ©. 402, 404 u. 407. 


Neutralitätsplan. 559 


sie Erzherzogin Maria Thereſia heiraten fole‘). An den 
jerrenhäufer Vertrag koͤnne er ſich nicht halten, weil er zu 
Ende bes Jahrs 1725 und im März 1726 wieberholt Erlaͤu⸗ 
erungspunkte eingegeben und barauf ohne Antwort geblieben 
ei, ja man babe ſich auch auf feinen Antrag zur Sicherung 
Hannovers nicht beftimmt erflärt. Der engliſche Gefandte 
serlangte nun zu wiffen, was ber König thun werde, wenn 
Yie Ruffen Dänemark wegen Schleswigs angreifen würden, das 
Zeorg I. dem Könige von Dänemark gewährleiftet habe. 
Kriedrich Wilhelm erwiederte, das fei noch weit, und dem tras 
yendahler Frieden gemäß fei Georg I. verpflichtet, ſich vielmehr 
ed Herzogs von Holftein anzunehmen”). Somit hatten bie 
janndverifchen Verbindeten feine Hoffnung mehr, daß Preuffen 
ie unterflügen vwoinde, weil Friedrich Wilhelm durchaus bie 
Neutralität des Reichs behaupten und fi in die oflendifcyen 
ind holfteinifchen Angelegenheiten nicht miſchen wollte. Doc 
verlangte er num vom Kaifer zu wiflen, wer bie Rüflungs- 
‘often bezahlen werde’). Endlich erklärten bie Gefandten Engs 17. Apr. 
ande, Frankreichs und Hollands, welches zum handverifchen 
Bunde getreten war, fie hätten das Reich nicht angreifen wols 
en*). Der Kaifer wendete feinerfeits Alles an, dem Könige 
»a8 Herzogthum Berg zu ſichern, Pfalz⸗Sulzbach war jedoch auf 
!fine Weife zur -Werzichtleiftung zu bewegen. Der Kaifer 
neinte, Friedrich Wilbelm folle felbft Minifter nach Wien 
chicken, um ſich zu uͤberzeugen, wie Ernſt es ihm in ſeinen 
Berhandlungen ſei. Der König wollte fi) darauf nicht ein⸗ 
aſſen; ex blieb bei feiner Foderung und überließ alles Uebrige 
vom Kaifer®). 


H Doch bat er ben Kaiſet darüber um eine beflimmte Erklaͤrung 
md wollte, daß Maria Thereſias Lünftiger Gemahl ein Deutfher fel. 
Bei Foͤr ſter in deffen Höfen. urkundent. I. ©. 76. 

D) Gedenborfs Bericht an den Kalfer vom 4. April 1727 in Bör« 
ters Höfen. urkundenb. I. S. 69. 

8) Grdendorf an Eugm vom 4. April 1727 ebendaf. S. 75: „Das 
Bun IR Sir das erfte Mobile, wonach ſich bie Gonfilia richten.” 

Seckendorfs Schreiben vom 17. April 1727 ebenbaf. ©. 98. 

9 De Safe en Gedibenf u. 18. Apck edel. ©. 8,87 u. 

02, dann 111. 


560 Bud VI Drittes Hauptſtuͤc. 
Es if} hoͤchſt wahrfceintic, daß durch das ſchwankende 
Benehmen Friedrich 


werben muͤſſen, bier allein konnte Georg I. den Kaiſer und 
der Kaiſer ihn angreifen. Friedrich Wilhelm war entſchieden 
Dagegen und bei feiner Macht, hoͤchſt wahrfeinich and) ns 
von anderen patriotifcgen Sürften unterftügt, würde er de 
Seite, auf weldhe ex fi) gewenbet hätte, den Ausfchlag ge 
geben haben. Seine ven, beiden Dartcen wufle aber fär, 
für wen fi Preuffen erflären wuͤrde. Der längft erwartde 
(und den 17. Mai eingetvetene) Tod der Kaiferin von Rußland 
St. Ma mochte ebenftl auf ben Saifer wirken; genug, er füLOB gar 
1727 unerwartet Präliminarartikel mit den hannoͤveriſchen Werbin 


allein bald fehen muffte, daß feine Stellung baburdh välig 
verändert, feine augenblickliche Wichtigkeit verfhwunden mb 
fo der rechte Beitpunct verloren fä, für feinen Staat weats 


In gutem Benehmen gelanden, io zog fich ihr Nachfolger, Pe 

„ ober bie, welche ihm leiteten, auf einige Zeit von der 

—W Politik zuruck. Bald "nachher farb gang une 
1727 wartet König Georg J. Friedrich Wilhelm hatte 

geroater nicht geliebt, doch, da er einen Theil feiner Kinder 


1) Dumont T. VIIL IL p. 146. 
9) Sedendorf Hatte fie fhon am 7. Mai dem Könige mitgetpeht. 


©. deſſen Schreiben an ben Kalfer in Börfters Höfen. Urkundeni. L 
©. 109. 


Pasifer Pröliminarien. 561 


jahre in ‚Hannover verlebt, gewiſſernaßen geachtet und einiger 
maßen gefcheuetz mit feinem Schwager Georg IL hatte er 
fich ſchon ald Knabe nicht vertragen koͤnnen und mochte ihn 
nie leiden. Alles das erfehlitterte ihr ſehrz dazu kam in Bolge 
der ſchonungsloſen Anftrengungen im Arbeiten, Jagen, Efien 
und Trinken, koͤrperliches Unwohlfein und Hypocdondrie Er 
dachte wohl einige Tage daran, die Regierung nieberzulegen 
und fi) auf ein Landgut zurldzugiehen, body mit der wiebers 
kehrenden Gefunbheit war das bald vergeffen ). 

Für Defterreich machten es die politifhen Verwidelungen 
immer noch winfchenswerth, den König von Preuffen an ſich 
zu ziehen, jedenfalls ihn von dem hannöverifchen Haufe dauernd 
zu trennen. Georg I. that nichts, um bie Samilienbande fefter 
zu Inhıpfen, während Frankreich fih mehr bemühete, Preuffen 
vom Bunde mit Defterreih abzuhalten. Friedrich Wilhelm 
ſuchte nichts, als ſich Bergs für den Fall des Abgangs ber 


pfalzeneuburgifchen Linie auf jede Weife zu fihern. Der Kals ‘ 


fer zeigte ſich geneigt, zu thun, was in feinen Kräften flände, 
wollte aber nicht Über ziemlich allgemeine Werficherungen bins 
ausgehen, welche noch viele Auswege offen Heßen. Indeſſen 
als er fi) den Seemächten näherte, fing er an, mit Spanien 
gefpannt zu werben, zugleich muffte er immer beforgt fein, 


England und Frankreich; möchten Preuffen durch bie Ausficht 


auf den Beſitz Juͤlichs und Bergs gewinnen, während er ſich 
nicht nur mit Friedrich Wilhelm verbunden, fondern ihn auch 
zur Gewährleiflung feiner pragmatiſchen Sanction bringen 
wollte. Daher muffte Sedenborf fortwährend mit dem Könige 
auf Grundlage des wufterhaufer Vertrags verhandeln ). 
Unterbeffen föhnte fich König Auguft von Polen, ber feine 
eigenen Zwege verfolgte und auch wegen der Anſpruͤche der 
Gemahlin ſeines Sohnes, einer Tochter Kaiſer Joſephs L, 
gegen Kaiſer Karls VI Öfterreichifche Erbfolgeordnung war, 
mit Friedrich) Wilhelm aus und fuchte ihn für feine Abfichten 
zu benugen. Der Feldmarſchall Flemming kam nad Berlin, 


1) Memoices de Bareith L p. 99. ®dllnig Mem, II. p. 254. 


2) ©. bie preufffchen Puncte v. 18. Sept. 1727 mit Hlinugefügter 
Erklarung des Kalfers in Börfters Urkundenb, Thi IT. ©. 207. 


Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. II. 36 





562 Bud VL Drittes Hauptfiäd. 


der fächfifche Geſandte Suhm Lehrte bahin zur‘). Die ge 
-  fammten Streitigkeiten wegen ber Werbungen wurben nieders 
18. Jan. geſchlagen. Ganz unvermuthet veifte der König von Preufien 
1728 nach Dresden, wo er von bem prachtliebenden Auguft währent 
eines Monats auf das Glänzendfte bewirthet und ihm an 
dem Uippigen Hofe jeder Sinneögenuß geboten wurde, inden 
Auguft nichts fehlen ließ, um ihn völlig an ſich zu ziehen‘) 
„Sonſt ift die hieſige Magnificence fo groß”, fhrieb a an 
Sedendorf, „daß ich glaube, fie habe bei Louis XIV. ummög: 
Uch größer fein koͤnnen, und was bad lüberliche Leben betrifft, 
fo bin ich zwar nur zwei Tage hier, aber ich fann in Wahr: 
heit fagen, daß dergleichen noch nicht gefehen, unb wenn der 
feelige Franke lebte und bier wäre, wuͤrde er es nicht ändern 
koͤnnen ).“ Dann fegt er zu einem anderen Schreiben eigen 
Bebruar haͤndig hinzu: „Ich gehe zukommende Mittwoche nach Haufe, 
1728 fatiguirt von allen guten Tagen und Wohlleben; es iſt gem 
Bein chriftlich Leben hier, aber Gott ift mein Zeuge, daß ih 
kein Plaifir daran gefunden und noch fo rein bin, als ich von 

‚Haufe hergelommen ).“ 

Dpgleich der König zugleich Aufferte, er und ber König 
von Polen hätten ſich dad Wort gegeben, daß bei biefer Zu 
ſammenkunft von keinen Geſchaͤften geſprochen werben folk, 
fo verurſachte dieſe Reiſe doch allerlei Geruͤchte. Man ven: 
muthete, es werde an einem Buͤndniſſe zwifchen dem Kaifer, 
dem Zaare und ben Königen von Polen und Preuffen gear 
beitet®). Doch fol nur zwiſchen ben legten Beiben ein Ver 
trag geſchloſſen worden fein, durch welchen ſich Friedrich Sil⸗ 
beim verpflichtet‘ habe, erſtens eine Truppenabtheilung gegen 
Polen zu fiellen, um dieſes bahin bringen zu helfen, daß ber 


1) Sedenborfs Leben Thl. IV. ©. 8. 


N ©. Faßmann J. 8.375 ]_ Pöllnig Mem. IL p. 255 
Mä&moires de Bareith I. p. 105. 


8) Vom 16. Ian. 1728 bei Foͤr ſter Thl. M. & 254 
4) Wom 8. Bebr. ebenbaf- ©. 261. 


&) Villars Mm. T. IL p. 845 u. 851. erg p. 857 un 
Montgon M&m. T. VI. p. 177 u. 867. 





Auguf von Sachſen und Polen. 563 


polnifche Thron erblich für das Haus Sachſen erflärt wirbe, 
zweitens, dem Könige Auguft vier Milionen Thaler zu leihen, 
wofle ihm biefer die Laufig als Pfand überlaffen und des 
Königs ältefte Tochter Wilhelmine heirathen wolle. Zur grös 
Beren Sicherheit ſollte der Kurprinz bie barlıber aufgenommene 
Urkunde in Berlin mit unterfcreiben ). Wirklich begab ſich 
König Auguſt mit feinem Sohne dahin und wurde prächtiger 
als fonft Jemand empfangen, indem der König deshalb 16,000 
Mann Truppen zufammenziehen und allein für 16,000 Thaler 
Silberzeug von Augdburg kommen ließ”). Der Graf Rutowski, 
natuͤrlicher Sohn König Auguſts, wurde als Felbmarfchall in 
preuffifhe Dienfte genommen, lernte bier die Einrichtung des 
Heeres kennen und übertrug fie dann auf bie fächfifchen Trup⸗ 
pen’). Der in Dresden verabrebete Vertrag Tonnte indeſſen 
nicht vollzogen werben, weil fih der Kurprinz durchaus weis 
gerte, ihn zu unterzeichnen, was vieleicht ber Grund zu dem 
dauernden Widerwillen war, den Friedrich Wilhelm gegen ihn 
begte ). 

Fortwaͤhrend warben, wenn auch nicht mehr fo angelex 
gentlich als früher, der Kaifer und die hannöverifchen Verbin: 
beten um Friedrich Wilhelm. Diefe boten mehr ald jener, 
doch mistrauete ihnen ber König, und wollte lieber vom Kais 
fer weniger annehmen, allein, wie er zutrauensvoll meinte, 
dabei beflo ficherer gehen. Dem Baiferlichen Hofe kam nun 
Alles darauf an, zwifchen bem Könige Friedrich Wilhelm und 
deffen Schwager Georg IL einen völligen und unheilbaren 
Bruch herbeizufühzen und, wo möglich, ihre perſoͤnliche Abs 
neigung bis zur umverföhnlichen Feindſchaft zu fteigern. Dann 


1) M&moires de Bareith T. L p. 105. Weiter ift meines Wiffens 
davon nichts bekannt. In Gedendosfs Leben Thl. IV. S. 7 wird 
befauptet, es fei ein MWertheibigungebunb gieifcen Preuffen und Gadhfen 
geſchloſſen, ein deutſcher Fuͤrſtenbund und bie Theilung Polens von Auguft 
beabfichtigt worden. 

2) ©. Bafmann I. ©. 879. Pöllnig Mem. II. p. 260. 

3) Morgenftern ©. 183. 


4) Ex nannte ihn nur Mantelſack und Pa ihn fonft mit Spott⸗ 
namen Seckendorf journal secret p. 
36* 


Mai 
1728 


556 Bud VL Deittes Hauptfiüd. 


‚Hofe anbing, ließ es nicht an Drohungen und Berfprechunge 
fehlen). Seckendorf tractirte wöchentlich die Dfficiere des 
Leibregiments wie den König”. Diefer, von beiden Seiten 
—* wuffte oft nicht, wo ihm der Kopf fland. Dhnebin 

von unruhiger „ wurbe er von Belt 
und her getrieben, einen Ausweg zu fuchen, durch welchen ci 
Krieg In Deutfcpland vermieden werden koͤnne. ‚Der Schlaf 
floh ihn ſelbſt in der Nacht. Plöglich glaubt. ick 


1727 gingen darauf hin, den Frieden im Keiche zu erhalten unb 


daher beiden Theilen bie Mittel zu nehmen, bife® wab im in 
Gefahr zu bringen. Der Kaifer follte erklaͤren, daß weber a 
noch Rußland die Feindfeligkeiten gegen bie banmöverifden 
Verbiindeten anfangen und Hannover felbft angreifen, der Kb 
nig von England aber, daß er mit feinen Werbindeten nichts 
Beindfeligeß gegen das Reich und des Kaiſers Erblande vor 
nehmen wolle‘). Er verpflichtete fi gegen ben Kaifer, ben 

König Georg, und gegen biefen, den Kaifer zu einer fol 


fein ganzes Heer in vier Wochen aufzuftellen, bie Friedens⸗ 


1) Gedtenborfs Bericht v. 24. Der. 1726 an Eugen bei Börker 
an IE Be er an Zee Zn BIETEN SEN 


2) Sauter funge ſtarte Leute, bie wenig Gelb vom Könige erhalten, 
Denen 28 bafer, wohl Te —* — an Cugen 15. Betr. 17, 
Börfter urkundenb. TIL 

8) Montgon T. —* Das Schreiben bei Maupilion | 
pt. I. ©. 182. Bergl. het Mia. IL p. 246. 


Reutratitätsplan. 557 


törer mit Hülfe der Übrigen Kreife zum Gehorfam zu bringen 
nd das Reich, doch mit Ausnahme Brabant, vor ausläns 
ifchen Truppen zu bewahren‘). Dem Kaifer wie dem Könige 
von England war das gleichmäßig unangenehm, doch erwieberte 
Yeorg L, er denke nichts gegen Deutfchland zu unternehmen. 
Die gefammte Angelegenheit betreffe nur ben Handel ber ofls 
mdifchen Gompagnie, doch muͤſſe ex ſich mit feinen Verbündeten 
yeratben?); biefe meinten, ber Worfchlag fei zu vortheilhaft für 
yen Kaifer, welcher ſeinerſeits ſah, daß ihm mit Hannover der 
‚inzige verwundbare Fleck Georgs I. entzogen wurbe, unb baber 
zlaubte, Friedrich Wilhelm fei von biefer Seite zu feinem Vor⸗ 


‚lage gebracht worden”). Auf Sedenborfs Verlangen vers März 


ficherte nun der König noch, wenn während der. Zwiſchenzeit, 
daß er auf feine Neutralitätävoriläge Georgs J. Antwort ers 
warte, bie öfterreichifchen Erblande von hannöverifchen Truppen 
angegriffen werben ‚follten, fo wolle er dem Kaifer, wie im 
3. 1700 vertragen, boch nur umter ber Bedingung beiftehen, 
daß auch ihn, wenn er beöhalb angegriffen werben follte, ber 
Kaifer unterftlige und fid zugleich verpflichte,: Hannover nicht 
anzugreifen. Dennoch wollte ſich der Kaifer daruͤber nicht ers 
Elären. Daher meinte Friedrich Wilhelm, wenn Defterreich fos 
gleich Hannover und Heffen-Kaffel angreifen wolle, fo muͤſſe er 
mit anderen Evangelifchen glauben, bag mehr babinter flede, 
als nur eine Beſchwerde uͤber das beleibigende Benehmen des 
Königs von England im Parlamente und daß man wohl gar 
darauf ausgehe, die Proteflanten über den Haufen zu werfen, 
wogegen dieſe Maßregeln nehmen müflten, damit bie Kathos 
lüken nicht durch Vernichtung zweier proteftantifchen Reiche 
fände zu mächtig würden. Der kaiſerliche Minifter Sinzendorf 
fuchte zwar den König zu beruhigen, indem er verficherte, ber 


1) Gedenborf bei Börfter Apl. IIL ©. 868. 
2) Derfelbe daſ. S. 886. 


3) Derfelbe daf. S. 404 u. 414. Bergl. Gugens Schreiben v. 
12% Fate ©. 891. Wie ſehr man in England Hoffte, den König 
von Preuffen wieder vom Kaifer ab und auf bie hanndveriſche Seite zu 

sieben, bezeugen Palmıs Berichte v. 11. Febr. u. 10. Vin 1727 In 
Börfkters Höfen. Urkunden. I. ©. 56 u. 62 


558 Bud VL Drittes Hauptflüd. 


unterſchied ber Religion habe nicht ben mindeſten Antheil an 
den gegen England zu nehnienten Maßregein und der Kaifer 
gehe durchaus nicht darauf aus, bie Macht ber Proteflantn 
zu ſchwaͤchen. doch war der Argwohn bed Königs wach, und 


+ zu befürchten, er werde, wenn ed: zum Kriege kommen fohte, 


Aprü 
17277 


nicht fo gimfig, als er ſich aͤuſſerte, für den Kaifer handeln‘), 
obwohl er diefem eine neue Friſt von drei Monaten nachged, 
um bie im wuſterhauſer Verttage bebungene Berzichtieiftung 
Pfalz⸗Sulzbachs auf Berg zu bewirten?), —* ihm der 
Kaiſer die Execution in ben oſtfrieſtſchen Unruhen auftrug ) 
Beide Theile, die wiener und die hannoͤveriſchen Verbin 
deten, waren alfe gegen ben von Friedrich Wilhelm gemadtn 
Vorſchlag der Neutralität Deutſchiands, jeder; weil fie den 
Gegner. zu vortheilhaft fei. Der Frühling kam. Ein auge 
bliclich lebhafter Zwiſt entſtand zwiſchen Friedrich Wilhelm 
und dem Könige Auguſt wegen preuſſiſchen Werbeunfugs, fo 
daB ber fächfifhe Gefandte Suhm Berlin verließ). De 
König von England drüdte die Hoffnung aus, Friedrich Bi 
beim werbe ‚Hannover vertheibigen, wollte fi) aber wegen be 
Neutralität nicht erklaͤren; ebenfo arbeitete Sedendorf, daß fe 
befeitigt wurde‘). Bald darauf wurde von England gerabga 
behauptet, geheime Artikel des wiener Vertrags, beflissumten, 
daß der Infant Don Carlos die aͤlteſte Tochter des Kaiſers 
heirathen und eine Univerfalmonarchie gründen ſolle. Frieduich 
Wilhelm möge feine Iruppen ‘bereit halten. Er erwiederte 
anfänglich habe man nur von Dfende geſprochen, num rebe 
man ganz anders. Ex glaube nicht, daß ein. fpanifcher Prig 


1) &. die Gchreiben Gedenborfs bei Foͤrſter Urkunden IIL 
©. 885, die preuffifihe Erkierung daf. ©. 418 d. 25. Min und ie 
deſſen Höfen. urkundenb. J. ©. 67. 


2) Des Kaifers Schreiben v. 15. März und Gedlenborfs d. 26. Bl 
bei Börfter Ahl. M. ©. 898 u. 416. , 


9) Wiarda ZH. VII. &, 862. 
, A, Grämdere Ohren v. 28 Min 1727 Wi Böchse cu. m 


5) Derfelbe daf. pl. I. ©. 402, 408 u. 407. 





Neutralitätsplan. 600 


bie Erzherzogin Maria Therefia heirathen ſolle). An den 
herrenhaͤuſer Vertrag koͤnne er ſich nicht halten, weil er zu 
Ende des Jahrs 1725 und im März 1726 wiederholt Erlaͤu⸗ 
terungspunkte eingegeben und barauf ohne Antwort geblieben 
fei, ja man babe fi auch auf feinen Antrag zur Sicherung 
Hannovers nicht beffimmt erflärt. Der engliſche Gefandte 
verlangte nun zu wiſſen, was der König thun werde, wenn 

die Ruffen Dänemark wegen Schleswigs angreifen Iminden, das das 
Georg I. dem Könige von Dänemark gewährleiftet habe. 
Friedrich Wilhelm erwiederte, daS fei noch weit, und dem tras 
vendahler Frieden gemäß fei Georg I. verpflichtet, ſich vielmehr 
des Herzogs von Holftein anzunehmen?). Somit hatten bie 
banndverifcen Verbündeten Feine Hoffnung mehr, baß Preuffen 
fie unterflügen vwinde, weil Friedrich Wilhelm durchaus bie 
Neutralität des Reichs behaupten und ſich in die oſtendiſchen 
und holſteiniſchen Angelegenheiten nicht miſchen wollte, Doch 
verlangte er num vom Kaiſer zu wiſſen, wer die Ruͤſtungs⸗ 
often bezahlen werde’). Enudlich erflärten bie Gefandten Eng: 17. Apr. 
ande, Frankreichs und Hollands, welches zum handverifchen 
Bunde getreten war, fie hätten das Reich nicht angreifen wols 
Im‘). Der Kaifer wendete feinerfeits Alles an, dem Könige 
das Herzogthum Berg zu fihern, Pfalz⸗Sulzbach war jedoch auf 
Leine Weiſe zur -Verzichtleiftung zu bewegen. Der Kaifer 
meinte, Friedrich Wilhelm fole felbft Minifter nah Wien 
ſchicken, um fs zu überzeugen, wie Emft es ihm in feinen 
Verhandlungen fei. Der König wollte fih darauf nicht ein» 
laſſenz; ex blieb bei feiner Foderung und überließ alles Uebrige 
dem Kaifer‘). 


1) Dody bat er ben Kaiſer darüber um eine beflimmte Erklaͤrung 
und wollte, daß Maria Thereſias künftiger Gemahl ein Deutſcher fel. 
Bei Foͤr ſter in defien ‚Höfen. Urkundenb. I. ©. 75. 

2) Cedendorfs Bericht an ben Kaifer vom 4. April 1727 in Böre 
fters ‚Höfen. Urkundenb. I. ©. 69. 

8) Gedenborf an Cugen vom 4. April 1727 ebendaf. S. 75: „Das 
Geld iſt Hier das erſte Mobile, wonach ſich die Gonfilia richten.” 

4) Gedenborfs Schreiben vom 17. April 1727 ebendaf. ©. 98. 

5) Der Katfer un Gedenbonf ©. 16: Rack ebenbaf. ©. 86, 87 u. 
102, dann 111. 


560 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc. 


Benehmen Friedrich 
gefafften und fefigehaltenen vortrefflichen Gebanken, unter allen 
Unsftänden Deutfepland vor Krieg zu bewahren, der Ausbruch 
ines allgemeinen Srirgs, zu meiden bie winner und 
hannoͤveriſchen Werbinbeten geruͤſtet und bereit waren, 
dert wurde. Deutſchland hätte der Gchauplag 
werden möffen, bier allein konnte Georg J. 
der Kalfer ihm angreifen. Friedrich Wilhelm 
Dagegen und bei feiner Macht, böchft wahrſcheinlich 
von anderen patriotifchen Furſten unterflügt, wuͤrde ex 
i ex ſich gewendet hätte, den Ausſchlag 


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verändert, feine —E 


te Il, Br a, N ige Doc be 


hatte 
geroater nicht geliebt, doch, da er einen Theil 


1) Dumont T. VOL IL p. 146. 


2) Gedenborf Hatte ‚fie ſchon am 7. Mai bem Könige mitgethelit. 
©. deſſen Schreiben an ben Kalſer in Börfters Höfen. urkandeni L 
©. 19. 


Pasifer Präliminarien. 564 


jahre in ‚Hannover verlebt, gewiffermaßen geachtet und einiger 
maßen gefcheuetz mit feinem Schwager Georg IL hatte er 
fi ſchon als Knabe nicht vertragen Finnen und mochte ihn 
nie leiden. Alles das erſchuͤtterte ihn fehrz dazu Fam in Folge 
der ſchonungsloſen Anftrengungen im Arbeiten, Jagen, Eſſen 
und Trinken, koͤrperliches Unwohlfein und Hypocondrie Er 
dachte wohl einige Tage baran,. bie Regierung nieberzulegen 
und fi) auf ein Zandgtıt zurldhzugiehen, doch mit ber wieders 
kehrenden Gefundheit war das bald vergeffen '). 

Für Deſterreich machten es die politiichen Verwidelungen 
immer noch wuͤnſchenswerth, den König von Preuffen an ſich 
zu ziehen, jebenfalls ihn von dem hannoͤveriſchen Haufe dauernd 
zu trennen. Georg IL that nichts, um die Bamilienbande fefter 
zu Intpfen, während Frankreich fich mehr bemühete, Preuffen 
vom Bunde mit Deſterreich abzuhalten. Friedrich Wilhelm 
ſuchte nichts, als fi Bergs für den Ball des Abgangs ber 
pfalzsneuburgifchen Linie auf jede Weife zu fihern. Der Kais 
fer zeigte ſich geneigt, zu thun, was in feinen Kräften flände, 
wollte aber nicht über ziemlich allgemeine Verficherungen hins 
auögehen, welche noch viele Auswege offen ließen. Indeſſen 
als er ſich den Seemaͤchten näherte, fing er an, mit Spanien 
gefpannt zu werden, zugleich muflte er immer beforgt fein, 
England und Frankreich möchten Preuffen durch die Ausſicht 
auf den Befig Juͤlichs und Bergs gewinnen, während er fi 
nicht nur mit Friedrich Wilhelm verbünden, fondern ihn auch 
zur Gewährleiftung feiner pragmatiſchen Sanction bringen 
wollte. Daher muflte Sedendorf fortwährend mit dem Könige 
auf Grundlage bes wufterhaufer Vertrags verhandeln *). 

Unterbeffen föhnte ſich König Auguft von Polen, der feine 
eigenen Awege verfolgte und auch wegen der Anfprüche der 
Gemahlin feined Sohne, einer Tochter Kaifer Joſephs L, 
gegen Kaifer Karls VI. Öfterreichifhe Erbfolgeordnung war, 
mit Friedrich) Wilhelm aus und fuchte ihn für feine Abfichten 
zu benugen. Der Feldmarſchall Flemming kam nad Berlin, 


1) Memoires de Bareith L p. 99. Pölinig Mm, II. p. 254. 


2) ©. bie preuſſiſchen Puncte v. 18. Sept. 1727 mit hingugefägter 
Grktärung des Kaifers in Börfters Urkundens, Thi. I. ©. 207. 


Stengel, Gef. d. Preuſſiſch. Staats. TIL. 36 


562 Bud VL Drittes Hauptſtück. 


ii —— ——— 
8. San. gefchlagen. unvermuthet reiſte der König von Preufin 
' Fir ar ——— Augufi während 


: 
ä 
& 
T 
il: 


fo bin ich zwar nur zwei Tage bier, aber ich fann in Mate 
heit fagen, baß dergleichen noch nicht gefehen, und wenn ber 
ru ap le ee ei 
Tönnen®).”" Dann ſetzt er zu einem anberen Schreiben eigen 

Bebruar haͤndig hinzu: „Ich gehe zukommende Mittwoche nach Haufe, 

1728 fatiguirt von allen guten Zagen und Wohlleben; es if gan 
Bein chriftlich Leben hier, aber Gott iſt mein Zeuge, daß ih 
kein Plaiſir daran gefunden und noch fo rein bin, als ich ven 
‚Haufe bergelommen 9.” 

Obgleich der König zugleich dufferte, er und ber Rdn 
von Polen hätten fi dad Wort gegeben, Daß bei Diefer Bun 
ſammenkunft von feinen Geſchaͤften gefprochen werden folk, 
fo verurfachte diefe Reife doch allerlei Gerüchte. Man ven 


muthete, es werbe an einem Bündniffe zwifchen dem Kaifer, 
dem Zaare und ben Königen von Polen und Preuffen gear 
beitet‘). Doc fol nur zwiſchen den legten Beiden ein Ber: 
trag gefchloffen worden fein, durch welchen fi Friedrich Wil: 
beim verpflichtet habe, erſtens eine Zruppenabtheilung gegen 
Polen zu fielen, um dieſes dahin bringen zu helfen, daß ber 


2 Gedendorfs Leben Thl. W. ©, 8. 


©: Bafmannı. 8.375 X Pöllnig Mm. IL p. 255. 
Mini 2 Bad 7. p. 105. 


8) Bom 16. Ian. 1728 bei Börfter Ahl. M. ©, 254 
4) Vom 8. Bebr. ebenbaf. ©. 261. 


5) Villars Mem, T. II. p. 845 u. 851. Werl. p. 867 um 
Montgon Mm. T. VI. p. 177 u. 867. 


Auguft von Sachſen und Polen. 563 


polniſche Thron erblich für das Haus Sachfen erflärt würde, 
zweitens, dem Könige Auguft vier Millionen Thaler zu leihen, 
woflr ihm biefer bie Laufig ald Pfand überlafien und bed 
Königs Ältefte Tochter Wilhelmine heirathen wolle. Zur grös 
Seren Sicherheit follte der Kurprinz die darlıber aufgenommene 
Urkunde in Berlin mit unterfchreiben ). Wirklich begab fi 
König Auguft mit feinem Sohne bahin umd wurde prächtiger 
als fonft Iemand empfangen, indem der König beöhalb 16,000 
Mann Truppen zufammenziehen und allein für 16,000 Xhaler 
Silberzeug von Augsburg kommen ließ”). Der Graf Rutowsli, 
natürlicher Sohn König Augufts, wurde als Feldmarſchall in 
preuffiiche Dienfte genommen, lernte bier die Einrichtung bes 
Heeres Eennen und übertrug fie dann auf die fächfifchen Trup⸗ 
pen’). Der in Dresden verabrebete Vertrag konnte indeſſen 
nicht vollzogen werben, weil fich ber Kurprinz durchaus weis 
gerte, ihn zu unterzeichnen, was vielleicht ber Grund zu dem 
dauernden Widerwillen war, ben Friedrich Wilhelm gegen ihn 
hegte ). 

Fortwaͤhrend warben, wenn auch nicht mehr fo angele⸗ 
gentlich als früher, der Kaiſer und die hammoͤveriſchen Verbins 
deten um Friedrich Wilpelm. Diefe boten mehr als jener, 
doch mißtrauete ihnen der König, und wollte lieber vom Kai⸗ 
fer weniger annehmen, allein, wie er zutrauensvoll meinte, 
dabei befto ficherer gehen. Dem Laiferlihen Hofe kam nun 
Alles darauf an, zwifchen dem Könige Friedrich Wilhelm und 
deſſen Schwager Georg IL einen völligen und unbeilbaren 
Bruch herbeizuführen und, wo möglich, ihre perſoͤnliche Abs 
neigung bis zur unverföhnlichen Feindſchaft zu fleigern. Dann 


1) M&moires de Bareith T. L p. 105. Weiter iſt meines Wiſſens 
davon nichts bekannt. In Gedendorfs Leben Ahl. IV. S. 7 wird 
behauptet, «8 fei ein Werteibigungsbunb zwiſchen Preuffen und Sachſen 
gefchtoffen, ein beutfcher Fuͤrſtenbund und die Thellung Polens von Auguſt 
beabfichtigt worben. 

2) ©. Faßmann I. ©. 879. Pöllnig Mem. II, p. 260. 

8) Morgenftern ©. 188. 


4) Er nannte ihn nur Mantelſac umd belegte ihn fonft mit Spott⸗ 
namen. Beckendorf joumal secret p. 4. 
36* 


Mat 
1728 


Mai 
1728 


564 Bud VL Drittes Hauptftäd, 


hatte Defterreich nicht eben mehr viel von Preuffen zu fürchten, 
und konnte es fogar mit leichter Mühe für ſich gewinnen 
Das war nun Sedendorfs Aufgabe. Er unterzog ſich ihr mi" 
allem ihm eigenen Talente unermüdlich, ſcheuete Fein Ban 
aud das verwerflichfle nicht’), und erreichte fein Ziel, indem 

er wenigſtens fehr viel dazu beitrug, um, wenn nicht haͤus⸗ 
liches Gluͤck, doch bie Einigkeit der Föniglicpen Tamile zu 
firen, den Gatten gegen bie Gattin, ben Water gegen ten 
Sohn zu reizen, die fehnlihen Wünfche einer vortrefflichen 
Mutter zu vernichten umb bie SJugendjahre eines genialen 
Smglings zu vergiften, ber indeſſen vielleicht durch die ifen 
geworbenen Prüfungen noch mehr befähigt und durch bie as 
duldeten Leiden gereizt wurbe, bem ‚Haufe Defterreich bie haͤr⸗ 
teften Schläge beizubringen und die Größe und Macht Preuf 
ſens großentheild auf deffen Koften zu grlmben. 

Auf Sedendorfd Rath, um Hannover Verdruß zu ver 
urfahen, gab der Kaifer das Gonfervatorium für den Herzog 
Chriſtian Ludwig von Medienburg gegen deſſen Bruber, dem 
Könige von Preuffen, ald Herzoge von Magdeburg. Hannover 
weigerte fich indeſſen — den m Bi ber * 


ſeine Werber zur großen Unzufriedenheit — fri 


Abneigung beider Könige wollte jeder gern, baß ber ander 
ihn darum anginge, ober ſich bewuͤrbe. Beide waren voll flar 
ten Selbfigefühls, und daher glaubte num Friedrich Wilhelm, 
fein Schwager meine es gar nicht ernftlich damit. Sedendorf, 
ber des Königs ſchwache Seite genau kannte, nahm bie Gele 
genheit wahr, ihm vorzuftellen, eine englifche Prinzeffin werde 
großen Aufwand verurfacdhen und. hohe Anfprlche machen”), 

1) S. die Auszüge des Grafen Secendorf gefeime Ausgaben be . 
treffend dei Foͤr ſter Thl. IIL ©. 231. 

9) Secendorfs Leben Thl. W. ©. 34 Mauvillon ILp. 288. 

8) Memoires de Bareith T. I. p. 128: 


Heirathsangelsgenheiten. ö 565 


wogegen manche weniger ſtolze Bamilie es ſich zue Ehre rech⸗ 
zen werde, mit feinem Haufe in Verbindung zu treten. Er 
flug, wie fon früher für die zweite Tochter des Königs 
Friedrich den Markgrafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach, 
fo jegt für die dritte, Sophie, den Erbprinzen Karl von 
Braunſchweig, der bereits um fie geworben, hauptfächlich aber 
für den Kronprinzen beffen Schweſter, und für bie ältefte 
Tochter Wilhelmine, welche den Markgrafen von Schwedt 
durchaus nicht heirathen wollte, ben Herzog von Sachſen⸗ 
Weißenfels zur Vermählung vor‘). Diefer kam auch nad 
Berlin und wurde vom Könige aufferorbentlich freundlich, 
befto zuruͤckſtoßender aber von der Königin behandelt, welde 
die Verheirathung ber Wilhelmine mit dem Prinzen von Wales, 
ihrem Neffen, durchaus nicht aufgeben wollte. Als ber Herzog 
von Weißenfels das erfuhr, fo wollte er als Mann von Ehre 
fogleich zuruͤcktreten. Der König aber wurde ber das Be⸗ 
nehmen feiner Gemahlin gegen. ben Herzog und über feines 
Schwagers Verzögerung ber Doppelheirath fo aufgebracht, 
daß er feiner Gemahlin fagte, fie folle darlıber eine entfcheidende 
Erklaͤrung von ihrem Bruber und ihrer Schwägerin fordern: 
neben fie eine gänflige Antwort, fo zerreiße ich jedes andere 
Band; wenn fie fi aber nicht beftimmt erklären, fo werde 
ich nicht weiter ihr Narr fein, fondern meine Tochter (Wil⸗ 
helmine) geben, wem ich wil. Euer Weinen und Schreien 
wird mich nicht hindern, meinem Kopfe zu folgen *)." 

Die Königin Fam nun leider auf ben Gedanken, den 
Kronpringen Friedrich zu veranlaffen, an bie Königin von 
England zu fehreiben und dieſer zu verfprechen, ihre Tochter 
zu beirathen, wenn fie die Wermählung ihres Sohnes, des 
Prinzen von Wales, mit feiner Schwefter Wilhelmine durchs 
fegen wide. Auch die Königin Sophie ſchrieb an ihre Schwäs 
gerin und ließ diefe Briefe durch einen Courier des englifchen 
Gefandten beforgen, bie anderen, welche fie dem Könige ges 
zeigt Hatte, fhidte fie durch die Poft ab. So bewog bie Rös 
nigin ihren älteften Sohn, allerdings aus Liebe für ihm, doch 


1) Sedendorfs Erben Thl. IL. ©. 212. 
2) Mimoires de Bareith T. I. p. 127. 





366 Bug VL Drittes Hauptftüd. 


ohne des Waters Wiffen, zu einem Schritte, der ihn band, 
ohne am fih gültig zu fein, und ihn, wenn er befannt wurde, 
dem firengen und durchaus nicht ungerechten Unwillen bes 
Vaters preisgab. Die Königin hatte aber nun einmal ihren 
Entfhluß gefaſſt und begegnete Seckendorf und Grumblom, 
gegen die fie mit Recht aufgebracht war, oͤffentlich auf die be 
leidigendfie Weife, was biefe ihr auf geheimen Wegen veihlih 
vergalten. 

Endlich nad langem Zögern ſchrieb die Königin von 
England, ihr Gemahl fei fehr für ‘bie Doppelheirath, dech 
koͤnne er darüber nichts feft beflimmen, ehe er diefe Angelegens 
heit dem Parlamente vorgelegt habe Die Königin Sophie 
möge indeffen feft dabei beharren. Diefe gerieth faft in Ber 
zweiflung über eine fo unbeſtimmte Antwort. Der König aber 
wurde fo aufgebracht, daß er nun ben geheimen Vertrag mit 
dem Kaifet, über den Sedendorf längft mit ihm verbandeit 
batte, um fo eher abſchloß, als eben der Miniſter Ilgen ge 
florben war, ber allein ihm noch hätte bewegen koͤnnen, nicht 
fo ſchnell den trügerifchen Vorfpiegelungen des kaiſerlichen Hofs 
zu vertrauen‘). Diefem geheimen berliner Wertrage wurde ber 

23. Dec. Kronvertrag vom I. 1700 zum Grunde gelegt. Beide Fürfen 
1728 traten in ein ewige Buͤndniß und gewährleifteten einander 
für ſich und ihte Exben ihre. Staaten, Länder und Befigun 
gen (Friedrich Wilhelm noch befonderd die vom Kaifer durch 
die pragmatifche Sanction errichtete Exbfolgeordnung), und 
verfprachen einander, Defterreich mit 12,000, Preuffen nit 
10,000 Mann zu unterftügen, in Beziehung auf Polen und 
den vegenöburger Reichötag gemeinfchaftlich zu handeln und 
— auch mitzutheilen, was fle mit Rußland abſchließen 
‚den. 

Rüdfichtlich der jülich-bergfchen Erbfolge beftimmten beide 

Theile fo geheim, daß auffer ihnen am Niemand etwas mit: 


1) Sigen ſtarb am 6. Dec. 1738. Gosmar u. Klaprot h Gtacte 
rath S. 8945 er konnte daher nicht den barauf am 28. Dec. abgefchlsf 
fenen Bertrag unterzeichnen, wie ber übrigens fo flefige Preup in 
Frledrichs Jugendleben u. ſ. w. S. 67 irrigerweiſe behauptet. Auch 
ftehen in dem einzigen Abbrucke bei Foͤr ſter urkundenb. IL S. 215 aur 
Bork und Knyphaufen unterzeichnet. 


Berliner Vertrag. 567 


getheilt werben duͤrfe: Preuffen folle, fo lange noch die brei 

damals vorhandenen pfalzneuburgifchen Bruͤder ober männliche 

Erben bderfelben (worauf nicht zu rechnen war) leben würden, 

; Alles im jetzigen Zuſtande laſſen; wenn aber bie Linie Pfalz⸗ 
Neuburg ausgefiorben fein, oder vorher noch Zülih und Berg 
an bie Linie Pfalz Sulzbach übergeben haben würde, dann 
wolle der Kaifer feine eigenen (fehr zweifelhaften) Anfprische 
darauf bekannt machen, welcye er baher jest ſchon, fo weit fie 

, Berg und Ravensberg angingen, an Preuffen, fo weit fie 

Zuͤlich beträfen, an Pfalz⸗Sulzbach abtrat, und verſprach 

dann, jedes ber beiden Häufer bei den ihnen. beflimmten Laͤn⸗ 

dern kraͤftigſt zu ſichern. In einem abgefonderten Artikel ver» 
band fich der König von Preuffen noch, wenn der Kaifer Feine 
männlichen Erben hinterlaffen folte, demjenigen deutfchen Prins 
zen, welcher befien aͤlteſte Tochter heirathen wuͤrde, feine Stimme 
bei der Kaiferwahl zu geben. So hatte ber König für fein 

Verlaſſen des hanndverifhen Bundes vom Kaifer nichts als . 

allgemeine, hoͤchſt unbeftimmte Zuficherungen für die Zukunft, 

ohne allen wirklichen Vortheil für fi. 

Bald darauf wurde die von Seckendorf vielfach betriebene 30. Mai 
Vermählung') der zweiten Tochter des Königs mit dem Marl» 1729 
grafen Karl Wilhelm Friedrich von Ansbach verhaͤltnißmaͤßig 
fehr glänzend gefeiert), und der König gab bei biefer Geles 
genheit die nach dem Abfterben des legten Grafen von Limpurg 
(11. Aug. 1718) ihm zugefallene und feitdem von ihm vers 
waltete Grafichaft feinem: Schwiegerfohne ’). 

Die Spannung zwifhen Friedrich Wilhelm L und beffen 
Schwager Georg IL war durch die Teilnahme Preuffens an 
ber medienburgifchen Commiffion bush beffen, wenn auch 
nur (obwohl ficher genug) vermutheten Anſchluß an bad kai⸗ 


1) Als die Pringeffin ſich entſchloß, den Markgrafen zu heirathen, 
fo machte ber König ſogleich aus, fie folleifm aus Ansbach fchönes Mehl, 
er wolle ihr dagegen Schinken und geräucherte Würfte ſchicken; bei welchen 
liebreichen und zärtlichen Gonverfalien, fegt Bafmann (I. S. 394) Hinzu, 
Allen, bie fie angehört, faft bie Thränen aus den Augen gebrungen. 
2) Baßmann a. a. ©. Mauvillon II. p. 219. 


3 Bafmann a. a. D. ©. 96. 


Auguft 
1739 


Sevtbr. 


36 Bag VL Drittes Haupißid. 


ferfiche Intereffe, endlich durch die Gewaltthaͤtigkeiten ber prauf 
fiſchen Werber gegen hannöverifche Unterthanen fo hoch gefie 
gen, daß beibe Schwäger einander nicht mehr fehonten, fiber 
einander Öffentlich fpotteten und endlich zu ben Waffen griffen’). 
Georg ließ alle preuffifchen Officiere und Soldaten im Hanne: 
verifchen anhalten, Friedrich Wilhelm 45,000 Mann zu einem 
Lager bei Lenzen an der Eibe zufammenziepen. Georg EL bet 
bie im englifchen Solbe ftehenden Heſſen, Braunfhweiger und 
Gothaer auf, die Generalſtaaten wollten 8000, Dänemark 10,000, 
Branfreih 30,000 Mann fielen, auch Schweden zutreten ). 
Dogegen bot der Kaifer dem Könige von Preuffen 30,000 
Mann Hülfstruppen an’), weil ihm daran lag, bag fich die 
beiden Schwäger nicht ausſoͤhnen möchten. Dazu fchürten 
der Fürft von Deffau und Sedendorf in Berlin, wie ander 
hohe Staatsbeamtete in Hannover, dad Feuer moͤglichſt am. 
Sum Side riethen verftändigere und rechtlichere Männer an 
beiden Höfen vom Aeuſſerſten ab. Man hätte einen Krieg ge 
führt, ohne zu vwiffen, warum und wozu Endlich durch 
neue politifhe Verwidelungen bewogen, war auch ber Kaifer 


October ſuͤr friedliche Beilegung. Friedrich Wilhelms Zorn legte fih, 
1729 die Herzoge von Braunfchweig und Gotha vermittelten ſchieds⸗ 


April 
1730 


richterlich, daß beide Theile, Preuffen und Hannover, die von 
ihnen feftgenommenen Untertanen des Anderen in Freiheit fegen 
ſollten. So wurde der Streit beigelegt, doch ber gegenfeitige 
Haß blieb‘). 

Die neue Verwidelung ber europäifchen Angelegenheiten, 


welche ben Kaifer empfindlich berührte, entſtand daher, def 


1) Sedendorfs Leben Thl. W. ©. 168. Auch das Teſtament 
Mnig George L und bie Werlaffenfchaft feines MWrubers, des Herpogs 
Ernſt Auguft, gab Weranlaffung zu Zwiſtigkeiten mit Preuffen. Faß⸗ 
mann L ©. 402. 

2) Hojer I. ©. 215. Seckendorfs Leben a. a. D. ©. 209. 

. 8) Villars Möm. T. DI. p. 411. 


4) Montgon Mem. T. VII. pieces justif. N. 29. Bergl. des 
Königs Schreiben vom 29. Märg 1780 bei Börfter Zip. IL ©. 278, 
und Bafmann I. & 403. Mic fehr fi Secendorf beumipete, dicke 
Ausföhnung gu verhindern, yeigt beffen Leben Thl. IK ©. 172 ansführtid 


Vertrag von Sevilla. 569 


biefer, um Frankreich und Spanien zur Gewährleiftung feiner 
oͤſterreichiſchen Exbfolgeorbnung zu bringen, fich weigerte, bie 
in Paris (31. Mai 1727) und in Folge berfelben mit den 
hanndverifchen Verbündeten eingegangenen Präliminarartitel zu, 
vollziehen, vorzüglich aber nicht geftatten wollte, daß fpanifche 
Zruppen mit dem Infanten Don Carlos nah Italien gingen, 
um biefem bie ihm beftimmte Nachfolge in Toskana und Parma 
zu fihern. Die Königin von Spanien war ungeduldig und 
nicht mit Unrecht argwöhnifch. Es gelang daher dem Cardinal 
Fleury, der Frankreich regierte, ebenfo leicht, fie wieder vom 
Kaifer abzuziehen, als fie zu ihm Übergetreten war, und fie 
zu bewegen, in Sevilla für Spanien mit Srankreich und Eng: 


land einen Vertrag zu ſchließen, ber hauptfächlich zum Zwecke 9. Ron. 
hatte, bie oftendifche Handeldcompagnie wirffem und für immer 1729 


zu unterdrücken, bafüc dem Infanten Don Carlos Tosfana - 
und Parma durch Belegung der Hauptorte mit 6000 Spas 
niern zu fihern. Auch die Generalftaaten traten biefem Ders 
trage (21. Nov.) bei‘). 

Der Kaifer, der fo alle Hoffnung verlor, feine pragnas 
tifche Sanction gewährleiftet zu fehen, war fehr aufgebracht 
barüber, daß fremde Mächte ohne feine, bes Reichsoberhaupts, 
Genehmigung eine ‚Heeresabtheilung in die italienifchen Her⸗ 
zogthuͤmer bringen wollten, ſchickte fogleich felbft Truppen in 
dad Maildndifche, rief feinen Gefandten aus Madrid ab und 
bemühete ſich thätig und nicht ohne Erfolg, mit einzelnen 
deutfchen Furſten Buͤndniſſe zu ſchließen). Es war wieber 
ziner von den Augenbliden gefommen, in welchen eine Macht 
yweiten Ranges ihr Gewicht geltend machen konnte; doch dem 
Könige Friedrich Wilhelm ging die Fähigkeit, dad angemeffen 
zu benugen, faft durchaus ab. Er hielt treu an Deſterreich, 


1) Damont T. VII. P. I. p. 158 u. 160. Es iſt fehr wahr⸗ 
cheinlich, daß die Königin von Spanien gehofft hatte, der Kalfer werbe 
eine Erbtochter ihrem Sohne Karl geben, was wohl ber eigentliche 
Dauptgrund zum wiener. Bertrage (d. 80. Apr. 1725), ſowie bes Kaiſers 
Ibneigung nun Urfache zu dem Vertrage von Sevilla war. Vergk Vil- 
ars Mem. T. II. p: 899. 


2) Sedendorfs Lehen ZH. IV. ©. 186. 





570 Bud VL Drittes Hauptfläd. 


lobte gegen Sedendorf den Kaifer, daß biefer fich in Stalin 
und Luremburg in Verfaſſung fee und meinte, bie deutſchen 
Fürften müfften das öfterreichifche Erbfolgegeſetz gewaͤhrleiſten 
„Wollen bie Hunde aber das nicht thun“, fuhr er fort, „fo 
muß man rechte Mafregeln nehmen und ben Kurfürſten ven 
Hannover und den Heffen fragen, ob fie ihr Eontingent ſtellen 
wollen oder nicht. Weigern fie ſich oder wollen ſich nidt es 
klaͤren, ſo muß man die Läufe und Motten nicht im Pele 
wuchern lafjen, damit nicht der ganze Pelz verborben werte. 
Die Dispofition bazu, worauf es anfommt, fol nicht fehlen. 
Die Provinz Oberyffel geht mit in den Kauf’). Der Kailr 
möge den Auguft von Sachfen gewinnen. Friedrich Wilhelm 
aber werde ed nicht leiden, daß Luxemburg und bad Reich an 
gegriffen winden; wenn's losginge, müfften 30,000 Rufen 
tommen. „Ich bleibe ein treuer Deutfcher und für Kaifer und 
Reich bis in den Tod! Der Kaifer wird auch erkenntlich 
fein). Wenn die Schweden fih in Reichsſachen miſchen 
wollen, werde ich fagen, man müffe fie abfolut vom Deutſchen⸗ 
Reiche Boden ſchmeißen. Stralfund, und was dazu gehört, 
mag man dem Herzoge von Holflein zur Entſchaͤdigung für 
Schleswig geben. Es mag geben, wie ed will, fo ſollen we 
nigſtens die hannoͤveriſchen Länder zuerſt total ruinirt werben ?).* 
Unterbeffen wurbe, wie ſchon erwähnt, ber Zwiſt Preuffens 
mit Hannover Aufferlich beigelegt. 

Im genauer Verbindung und Wechſelwitkung mit ber 
Verwidelungen ber europaͤiſchen Staaten fanden die innerfter 
Verhältniffe der koͤniglichen Familie, was bei nur oberflaͤchlicher 
Betrachtung ber Eigenthimlichkeit des Königs und feines Haus 
wefend um fo auffallender erſcheint, als man wohl geneigt fein 
möchte, gerade bier beide fo verfhiedene Gegenflände als voͤl 
lig von einander getrennt zu betrachten. Wir haben fchon em 
zählt, daß fich Friedrich Wilhelm I. wefentlich gar nicht ım 
die erſte Erziehung feiner vielen Kinder bekuͤmmerte, fie vielmehr 


1) Schmborfs Schreiben v. 29. Dec. 1729 bei Foͤrſter Ahl. FIL 
S. 275. 

2) Derfelbe v. 23. Maͤrz 1730 ebendaf. ©. 276. 

3) Dedelbe v. 24. März a. a. D. ©. 277. 


Erziehung. 5741 


durchaus ihrer Mutter überließ‘). Diefe war nach bamals 
allgemeiner, auch am hanndverifchen und preuffifchen Hofe gels 
tender Gewohnheit durch Branzofen nach beren Weiſe gebilbet 
worden. Unter ber Aufficht der Frau v. Kamede wurde daher 
der am 24. Jan. 1712 geborene Kronprinz Friedrich zunächft 
der als Proteftantin aus Frankreich geflüchteten Frau v. Ros 
coulles, ber ehemaligen Erzieherin feines Waters, einer vors 
trefflichen Dame anvertrauet, bie dem Prinzen zärtlich liebte, 
was ihr biefer noch nad) 20 Jahren durch dankbare Verehrung 
erwieberte”). Zunaͤchſt durch fie, die nur franzoͤſiſch ſprach ®), 
gewann der Kronprinz in ben früheften Jahren feine große 
und dauernde Berliebe für die damals bereits hoch ausgebil ⸗ 
dete franzöfifche Sprache, daß er fie immer weit befjer ſchrieb 
und ſprach, als bie beutfche, welche bamald noch das ganze 
Gepraͤge der Geſchmadlofigkeit trug, die bei ihr im 17. Jahr⸗ 
hunderte überhand zu nehmen angefangen hatte, indem es für 
ſchoͤn gehalten wurbe, wie damals recht viele Iateinifche, fo 
jegt dazu noch vecht viele franzöfifche Redensarten und Wörter 
unter bad Deutfche zu mifchen. 

Mit feinem fiebenten Jahre wurde er dem General Gras 
fen von Finkenſtein als Dberhofmeifter übergeben, einem faft 
6Ojährigen Höchft rechtſchaffenen Manne, der ſich durch feine 
Zäpferkeit, befonderd in der Schlacht bei Malplaquet, fehr 
auögezeichnet hatte und dem Könige von deſſen Jugend an 
durch Iongiährige treue Anhänglicheit werth, übrigens gemeflen, 


1) Daß der Prinz MWilpelm, der zweite dem Keompringen fo fehr 
vorgezogene Sohn bes Könige, viele natürliche Anlagen befeffen, biefe 
aber erſt nach feines Waters Tode habe ausbilden koͤnnen, bezeugt Biele⸗ 
feld in feinem Briefe v. 4. Juli 1758, 


2) Erman, Sophie Charlotte &. 127. Ich werde mich oft, um 
überflüffige Anführungen zu erfparen, auf Preuß Friedrichs bes Großen 
Jugend, Berlin 1740, beziehen. Der fleißige, um bie Gefdichte Briede 

richs IL ſehr verdiente Dann hat, wie ſich Jeder überzeugen ıfann und 
ich überall gefunden Habe, mühfam gefammelt, fo viel er vermochtes das 
bleibt fein Hauptverbienft und wird gern anerfanntz leiber wird ber Geift 
des Fürften burch eine Menge von forgfältig vorgeführten Aeufferlichkeiten 
und Rebenſachen fo verbedit, daß man wenig von ihm bemerkt. 


3) Polinit Mem w. Briefe 1. Brief ©. 30. 


572 Bud VL Drittes Hauptfläd. 


Talt und ganz Soldat war. Unter dieſem fland als Unterhof: 
meifter der Oberft v. Kalkſtein, der fich als heiterer Geſel⸗ 
ſchafter und fparfamer Wirth bem Könige befonders empfohlen 
hatte, doch übrigens ben Gelehrten nicht abholb war '). AL 
Präceptor wurde Duhan be Jandun, der Sohn eines franz 
fifchen nach Berlin geflächteten Proteftanten angeſtellt, welcher 
dem Könige in ben Saufgräben vor Stralfund als Führer eins 
jungen Grafen v. Dohna befannt geworden war. Er hatte 
fi in Berlin mehrfeitig, doch ganz in damaliger franzoͤfiſchet 
Weiſe, wiſſenſchaftlich ausgebildet und Geſchmack an den ſcho⸗— 
nen Kuͤnſten gewonnen. 

Wie der Vater feinen aͤlteſten Sohn und kuͤnſtigen Nach⸗ 
folger erzogen wiffen wollte, entnehmen wir aus der Juſtruc 
tion, bie er deshalb dem General v. Finkenſtein und bem 
Oberft v. Kalkſtein (13. Aug. 1718) ertheilte und welche in 
vielen Puncten wörtlich mit derjenigen Übereinffimmt, bie für 
ihn felbft (1695) feinem Oberfihofmeifter ertheilt worden war’). 
Charakteriftifch ift ſchon, daß Kalkftein, welcher nichts ohne 
Finkenſteins Genehmigung vornehmen folte, ausdrücklich als 
Officier auch hierin auf die Suborbination hingewiefen wınte; 
font it fie nach Friedrich Wilhelms unceremonioͤſer Weiſe ver 

wo fein Vater ſagt: „wir, des Kurprinzen Liebden 
— Mutter, unſere herzgeliebte Gemahlin Liebden“ 
beißt es bier nur: „ich, mein Sohn, meine Frau.“ De 
fittlihen und religiöfen Grundfäge und darauf bezüglichen Bor: 
ſchriften find weſentlich diefelben, doch verlangt der König noch 
beſonders, daß feinem Sohne eine rechte Liebe und Furcht vor 
Gott, ald die einzige Säule unfer zeitlichen und ewigen Wohl: 
fahrt, recht beigebracht, hingegen aber alle ſchaͤdliche Sectn, 
atheifts, arrian⸗ und focnianifhe, als Gift für zarte Gemi- 
ther, aufs Aeufferfte gemieden und ihm vor ber katholiſchea 
Religion, als welche mit gutem Zug zu denfelben zu vechnen, 


1) Preuß S. 10. ©. über beide Männer” auch Gramer zur 
Geſch. Friedrich Wilhelms I. u. f. w. S. 89. 

9) Bel Sramer ©. 3, Börfter in Friedrich Wilhelm J. Thl. I. 
S. 35% hat beide Inftructionen, doch nicht gang genau, verglichen. 


Erziehung. 573 


fo viel als immer möglich ein Abſcheu gemacht und beren Uns 
grund und Abfurbität vor Augen gelegt werbe. 

Er befahl ferner dem Oberhofmeifter, bie Namen aller 
Dfficiere, wie auch Anderer, bie zu dem Prinzen kommen 
Könnten, auf einen Zettel zu fegen, „ba ich bann ſchon fagen 
werde, welche eingehen follen oder nicht, denn er muß mit 
allen Leuten umgehen lernen, und gewohnt werben und nicht 
eingeſperrt bleiben“. Beſonders folle ihm eingeprägt werben, 
diebe, Hochachtung und Vertrauen zu feinen Aeltern, die es 
auf der Welt am beften mit ihm meinten, nicht aber knech⸗ 
iſche Zurcht vor feinem Vater zu haben. Wenn er unartig 
wei, fole man ihn immer mit ber Königin ſchrecken, nie aber 
nit bem Könige. 

FZriedrich J. hatte bemerkt, daß naͤchſt Gottesfurcht nichts 
nehr zum Guten antreibe, ald Begierde zum Ruhme und zur 
Ehre; Friedrich Wilhelm I. fegte dazu: „und zur Bravour!“ und 
mahnte zugleich zur Menage, Sparfamkeit und Demuth, 
yamit der Prinz ein guter Wirth werde und ſich dazu nach 
ınb nach bequemen lerne. 

Ruͤckſichtlich der Wiſſenſchaften faffte er feine Foderungen 
viel Tünzer als fein Vater. Die lateiniſche Sprache, weiche 
Friedrich I. damals nicht mit Unrecht für ſehr nöthig bielt, 
ollte der Kronprinz nicht lernen, fondern fi im Franzöͤſiſchen 
ind Deutfchen eine elegante und kurze Schreibart angewöhnenz 
vagegen hieß ed: „Die Rechenkunſt, Mathematif, Artillerie und 
Defonomie muß er aus dem Fundamente erlernen, bie alte 
Biftorie kann ihm nur überhin, biejenige aber von unferen 
Zeiten und von 150 Jahren ber muß ihm aufs Genauefte 
veigebracht werben, wie auch Natıns und Völkerrecht, Geos 
zraphie und was in jebem Lande merkwürdig, die Gefchichte 
Preuffens und der benachbarten Länder. Abſonderlich haben 
ich beide (‚Hofmeifter) Aufferft angelegen fein zu lafen, meinem 
Sohne die wahre Liebe zum Solbatenflande einzuprägen und 
hm zu imprimixen, baß nichts in ber Welt einem Prinzen 
Ruhm und Ehre zu geben vermag, ald ber Degen, und bag 
x vor ber Welt ein verachteter Menſch fein würde, wenn er 
olchen nicht gleichfalls liebte und die einzige Glorie in dem⸗ 
elben fuchte;" weshalb ipm Die Kriegserercitia ſpielend bei ben 


574 Bud VE Drittes Haupeftäd. 


Recreationäftunden beigebracht werben follten. Vorzuͤglich ver 
bot er, ben Prinzen zu verzärteln, oder gar zu weichlich zu 
gewoͤhnen, und wie Faulheit, ald woraus Verſchwenden und 
Durchbringen entfiche, eins ber größten Lafter fei, fo foRtn 
die Hofmeifter dem Prinzen davor den allergrößten Ekel n 
der Welt beibringen, auch mit ihren Köpfen dafür haft, 
daß ſinnliche Ausſchweifungen verhütet würden, 

Drei Jahre darauf (1721) ertheilte der König eine ge 
naue Inftruction, wie fein aͤlteſter Sobn Friedrich feine Stu 
dien in Wufterhaufen halten fole‘). Diefe beginnt folgendes 
maßen: „Am Sonntage fol er bed Morgens um 7 Uhr auf 
flehen. Sobald er die Pantoffeln anhat, fol er vor dem 
Bette auf die Knie nieberfallen und zu Gott beten und zwar 
Taut, daß Ale, die im Zimmer find, es hören können.” Er 
ſchreibt num das kurze Gebet vor, dad ber Prinz auswendig 
lernen und vor bem Vaterunſer beten muſſte. Dann folle 
ex fich gefchwind wafchen, ankleiden und puben: „und mu 
das Anziehen und das kurze Gebet in einer Viertelftunde fir 
und fertig fein!” Dann fol er fieben Minuten frübftirden, 
darauf alle feine Domeftiten und Duhan hereintommen, de} 
große Gebet Inieend halten, Duhan ein Capitel aus der Bibd 
Vefen und ein gutes Lied fingen, bis drei Wiertel auf adt, 
dann mit dem Prinzen das Evangelium vom Sonntage lefen, 
kurz erklaͤren und anführen, was zum wahren Ghriftenthume 
nöthig ift, auch etwas von des Hofprebigers Noltenius Re 
techismus repeticen, barauf um nem Uhr zum Water ber 
unterfommen, und mit biefem in bie Kirche geben; Abende 
wieder in Gegenwart aller Domeftifen Enieenb beten und bamn 
ein Lied fingen. 

Diefelben Andachtsuibungen auffer dem Kirchenbeſuche 
wurden, verbunden mit dem Religionsunterrichte, für Die We | 
chentage beflimmt, für jebe Stunde von ſechs Uhr früh bis 
fünf Upr Nachmittags vorgefchrieben, wie fich der Prinz be 
fadtigen folte, und befonderö wiederholt auf Reinlichkeit go 


rungen. 
Der Kronprinz zeigte num ſchon im zarten Alter aufier 
1) Bei Gramer ©. 20 v. 8. Sept. 1721. 


Erziehung. 575 


wbentliche Faͤhlgkeiten), feffte und lernte Alles, was ihm 
vorgelegt wurde, mit ber größten Beichtigkeit, war munter und 
yutartig und verrieth ungemein vielen Geiſt ). Wenn wir 
am gefehen haben, baß Friedrich Wilhelm aufrichtig herkoͤmm⸗ 
ich fromm war, nur Solbaten achtete, Gelb fchägte, ſehr viel 
uf Keufchheit, aufferdem auf Ordnung und Reinlichkeit hielt, 
:ndlich ale Wiflenfchaften und Künfte, welche nicht unmittels 
saren Vortheil brachten, gering ſchaͤtzte oder gar verachtete 
ınd in feiner gefammten Art und Weiſe einen aufferorbentlicyen 
Begenfag gegen feinen Water bildete, fo finden wir bald, daß 
»er Gontraft zwiſchen ihm und feinem Sohne nicht minder 
zrell war, benn biefer wurde weder fromm noch fparfam, war 
yann unorbentlich und ausſchweifend, und fhägte bie fchönen 
Rünfte mehr als die Soldaten. 

Für die veligiöfe Ausbildung bes lebhaften und, wie fich 
sald zeigte, geiftreichen Prinzen war ſicher die vorgefchriebene 
trenge Form der Gotteöverehrung wie des Unterrichtö und ber 
Ylaubendnorm Aufferft nachtheilig. Ein flarrer Dogmatismus 
jatte die Glaubensfäge ber evangeliſchen Kirche förmlich vers 
nöchert. Das vom Hofprediger Andred, dem erften Religionss 
‚ehrer des Kronpringen, verfaffte Glaubensbekenntniß, weldes 
die Prinzeffin Wilpelmine (1724) nach dreiftünbiger öffentlicher 
Prüfung ablegte, war gedrudt 18 Bogen ſtark, mit fcholaftis 
her Theologie und wunberlichen Spitfindigkeiten Iberfünt®), 
ınd fiher fo wenig den Beblrfniffen der Prinzeffin, wie fein 
Anterricht dem Geifte des Prinzen angemeffen. Wegen feines 
tarren Fefthaltens an ber Lehre von der unbedingten Gnaden⸗ 
wahl verlor er die Gnade des Königs. Allein auch der Hofe 
orediger Nolten, der an feine Stelle trat, vermochte nicht des 
Prinzen Widerwillen gegen die bamalige Art des Religionsuns 
serrichtö zu diberwinden, ber um fo höher flieg, ald er zuweilen 
auf Befehl feines Vaters zur Strafe Pfalmen und den Katechis⸗ 


1).6. den englifden Beriät v. 1. Sept. 1716 in v. Raumers 
Beiträgen Thi II. ©. 492. 


2) Lotne Heine Schriften L 8. Abſchnitt ©. 27. 
8) Sramer ©. 47, wo über Andrei und Molten Nachrichten 


576 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck 


Damp gepräft worden war, und bad Slaubenöbelenntsif 
abgelegt hatte, genoß er bes heilige Abendmahl *). 
In bemfelben Jahre war e&, baf ber König, durch win 


Mittagseſſens nur von Gott gefprochen; nach Zifche pre 
Bat der König feiner Familie, welche fehr aufmerffam zuhe 
sen muflte, bann flimmte fein Kammerbiener einen Kirdenge 
fang an, alle Anwefende muſſten mitfingen. Die Prinzeifn 
Wilhelmine und der Kronprinz, Beide jung, lebhaft, wigig um 
zum Spotte fehr geneigt, konnten das Lachen oft nicht gan 
unterbrüden; brach das num aus, fo wurden fie mit ad 
Zluͤchen der Kirche belaftet und mufften das mit zerknirſchta 
Miene von Büßenden anhören; was zu erkünfteln ihnen at 
ſchwer, allein ſicher auch oft genug für bad, was es war, ec 
kannt wurbe und baher ben aller Heuchelei durchaus abgeneig: 
tem Water auch noch hoͤchſt mistrauiſch gegen Beide machte‘) 
Daher war es nicht zu verwundern, baß ber fo ſtreng refigiäk 
König den Prinzen endlich fir völlig irreligids, ja für einm 
Atheiſten hielt, was er hoͤchlichſt verabfcheute. 
Allerdings Iernte ber Prinz reiten, fechten und eperciren, 
erhielt, als er fünf Jahre alt war, eine Compagnie Cadetten 
neun Jahre alt ein Beughaus mit Kanonen, wurbe von feines 


1) Bei Gramer ©. 82 v. 5, Ian. 1727. 
D) Bapmann LE. 915. 
&ı Mämoires de Bareith I. p. 99. 


Der Kronprinz 67 


Bater fruͤh mit in bie Provinzen zur Heerſchau und auf bie 
zahlreichen Iagben genommen, rüdte auch nach und nad) als 
Officier (bis 1728) zum Obriftlieutenant hinauf; aber alle Bes 
möhungen, ihm Geſchmack fir ben geiftlofen Mechanismus 
ber Damaligen Kriegeübungen beizubringen, waren vergeblüch. 
Er wurde weber ein guter Schüg noch Reiter '); ber Mater, 
muffte bald verzweifeln, aus ihm einen guten Soldaten zu 
bilden, das Beſte, was nach feiner Vorftellung ein Menſch, 
vorzüglich ein Prinz werben konnte. 

Nicht beffer fland e& mit der Sparſamkeit des Kronprin⸗ 
zen. Bis zu feinem fiebzehnten Jahre Tcpeint er gar Fein Geld 
zu feiner eigenen Verfügung erhalten zu haben. Geit dem 
3. 1718 waren jährlih 360, dan bis 1729 600 Thaler für 
kleine Ausgaben beftimmt, Über welche die genauefte bis auf 
Pfennige gehende Rechnung gelegt und von ben Hofmeiſtern 
quittirt werden muffte, worauf fie ber König noch durchſah 
und öfters nur mit tabelnben Ranbbemerfungen genehmigte *). 
Zrog biefer ausnehmenden Beſchraͤnkung zeigte fih ber Prinz 
unintereſſirt und freigebig. ALS ex in feinem funfzehnten Jahre 
mit feinem Vater zum erfien Male nach Magdeburg kam, nahm 
er das ihm für folhen Fall von der Stadt herfömmlicherweife 
angebotene Geſchenk erſt auf deſſen Befehl an, erklaͤrte bas 
aud ben Abgeordneten und daß er ed verwahren wolle, um 
€5 bexeinft bei feiner Regierung ben armen, ohnehin niit Abs 
gaben beſchwerten Bürgern wieder auszutheilen. Als ihm bei 
der Durcreife die Stadt Staßfurt 200 Ducaten verehren 
wollte, nahm er fie nicht an, fondern ließ fie den armen Bürs 
gern wieber geben, verbot aber feinem Hofmeifler, dem Könige 
etwas davon zu fagn’). Weil ihn fein Water doch wirklich 
für einen Kronprinzen gar zu aͤrmlich hielt, fo machte er bei 
feiner Neigung zum Wohlleben und Glanze bald Schulden; 
alfo glaubte der König, er werde auch Fein guter Wirth, weit 
eher noch ein Verſchwender werben. 


1) Preuß ©. 15 au geämten nd ungebdten Rack 


\ 2) Preuß ©. 2. 
8) Seckendorf an Eugen 27. Jull 1725 in Foͤr ſters urkundenb. IT 
43. 


© 
Stengel, Geld. d. Preuffifch. Staats. TIL. 37 


A. April. 


1727 


876 Bud VI Drittes Hauptfiäd. 


mus auswendig lernen muffte, was doch Nolten burchans 
nicht billige. Daher Fam es denn, daß bie beiden Hofmeife, 
als der funfzehnjährige Kronprinz zum Abenbmahle gehen folte, 
drei Monate vorher anfrugen, ob er- nicht noch mehrere Stunden 
zu feiner Information im Chriſtenthume verwenden folle, a 
bisher, indem ex bavon feit acht Monaten wenig profitir, 
worauf der König verfügte, daß Nolten jeden Montag Na 
mittag und Dienftag früh den Prinzen unterrichten fol '). 
Erſt dann, nachdem er Öffentlich vor ber Gemeinde des bes 
liner Doms geprüft worden war, und das Glaubensbekenntniß 
abgelegt hatte, genoß er das heilige Abendmahl ?). 

Im demfelben Jahre war es, daß der König, durch vielm 
Verdruß und Börperliche Anftrengumgen Pränklich, durch ‚Hermann 
Frankes eindringliche Ermahnungen zur Erkenntniß feiner Sän 
den gebracht umb hypochondriſch einige Tage hindurch baran 
dachte, die Regierung niederzulegen. Taͤglich wurde während 
des Mittagseffens nur von Gott geſprochen; nad Tiſche pre: 
digte der König feiner Familie, welche fehr aufmerkſam zuho 
zen muffte, dann flimmte fein Kammerdiener einen Kirchenge 
fang an, alle Anwefende muſſten mitfingen. Die Prinzeſſia 
Wilhelmine und der Kronprinz, Beide jung, lebhaft, wigig und 
zum Spotte fehr geneigt, Tonnten das Lachen oft nicht gan 
unterdrüden; brach das nun aus, fo wurben fie mit allen 
Flüchen der Kirche belaftet und muſſten das mit zerknirſchte 
Mime von Büßenden anhören; was zu erfünfteln ihnen of 
ſchwer, allein ſicher auch oft genug fuͤr dad, was es war, em 
kannt wurde und baher ben aller Heuchelei durchaus abgeneigs 
tem Vater auch noch hoͤchſt mistrauiſch gegen Beide machte”), 
Daher war es nicht zu verwunbern, daß der fo fireng religiöie 
König den Prinzen endlich für völlig irreligids, ja für einm 
Atpeiften hielt, was er höchlicft verabfcheute. 

Allerdings lernte ber Prinz zeiten, fechten und eperciren, 
erhielt, als er fünf Jahre alt war, eine Compagnie Gabdetten, 
neun Jahre alt ein Zeughaus mit Kanonen, wurde von ſeinen 


1) Bei Gramer S. 82 v. 5. Ian. 1727. 
D Faßmann L ©. 915. 
9) Mömoires de Bareith I. p. 99. 


Der Kronprinz " 877 


Water früh mit in bie Provinzen zum Heerſchau und auf bie 
zahlreichen Jagden genommen, rüdte auch nach und nad) als 
Dfficier (bi6 1728) zum Obriftlieutenant hinauf; aber alle Bes 
amühungen, ihm Geſchinack für den geiifen IR Mechanismus 
der damaligen Kriegsübungen beizubringen, waren vergeblich. 
Er wurde weber ein guter Schütt noch Weiter '); ber Water, 
muffte bald verzweifeln, aus ihm einen guten Soldaten zu. 
bilden, das Beſte, was nad, feiner Vorſtellung ein Menſch, 
vorzüglich ein Prinz werben konnte. 

Nicht beffer ftand es mit der Sparſamkeit bes Kronprins 
zen. Bis zu feinem fiebzehnten Jahre ſcheint er gar Fein Gelb 
zu feiner eigenen Verfügung erhalten zu haben. Seit dem 
3. 1718 waren jährlich 360, dann biß 1729 600 Thaler für 
Heine Auögaben beflimmt, über welche bie genauefte bis auf 
Pfenmige gehende Rechnung gelegt und von den Hofmeiſtern 
quittirt werben muffte, worauf fie der König noch durchſah 
und öfters nur mit tabelnden Randbemerfungen genehmigte ). 
Zroß biefer ausnehmenden Beſchraͤnkung zeigte fih der Prinz 
unintereffist umd freigebig. Als er in feinem funfzehnten Jahre 
mit feinem Vater zum erften Male nach Magdeburg fam, nahın 
er dad ihm für ſoichen Fall von der Stabt herkoͤnunlicherweiſe 
angebotene Geſchenk erſt auf beffen Befehl an, erklärte das 
aud ben Abgeorbneten und baf er es verwahren wolle, um 
es bereinft bei feiner Regierung den armen, ohnehin mit Abs 
gaben befchwerten Bürgern wieder auszutheilen. Als ihm bei 
der Durcpreife die Stabt Staßfurt 200 Ducaten verehren 
wollte, nahm er fie nicht an, fondern ließ fie den armen Bürs 
gern wieber geben, verbot aber feinem Hofmeifter, dem Könige 
etwas davon zu fagen’). Weil ihn fein Water doch wirklich 
für einen Kronprinzen gar zu drmlich hielt, fo machte er bei 
feiner Neigung zum Wohlleben und Glanze bald Schulden; 
alfo glaubte der König, er werbe auch Fein guter Wirth, weit 
eher noch ein Verſchwender werben. 


1) Preuß ©. 16 aus geärutten und ungebrudten Quelen. 
2 preuß ©. er. 
2 Seckendorf an Eugen 27. Jull 1725 in Foͤr ſters urkundenb. IT 


Snei, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. UII. 37 





378 Bud VI Drittes Hauptſtuͤck 


Der Prinz liebte bie fehönen Kimfte und —— 
zeichnete und blies die Floͤte was ber König für ganz über 
fffig, ja als Zeitverſchwendung für nachtbeilig hielt; er hatte 
Gang zum bequemen angenehmen Leben mit beiteren, geif- 
reichen auch leichfertigen Genoffen, was dem Vater höchft zu 
—— — 

ter gegen den Sohn aufzubringen. Die Gottloſigkeit 
ihm den Himmel, der Mangel an Liebe zum Soldatenſtande 
und an Wirthſchaftlichkeit per das in Gefahr, wofür der Ki 
nig wmnabläfftg arbeitet, jedes Opfer bringt, ja faſt nur lebt; 
das mühfem gefemmelte Geld, fürchtet er, werde für allerlei 
Tand, als Kuͤnſte und Wiffenſchaften und in luſtiger Gefel- 
ſcaſt verſchwendet, das Heer aufgelöft werden. Und doch if 
8 noch mehr, was von des Kronpringen früher Tugend auf 
die Spaltung —— und erweitert, nämlich indgefemmst 
Beider verſchiedene Natur. 

Der König liebte feine Gemahlin und Kinder wahrhaſt, 
ie berzlih '), und doch beherrſchte ihn bie Heftigfeit feines 
Zauperaments fo Hark, daß er fie furchtbar tyranniſirte. Er 
möchte von feinen Kindern geliebt werben, daher muß bie Mut: 
ter fie firafen, mit der Mutter müffen fie gefchredt werben, 
nie mit dem Water, das fchreibt er ausbrädlich vor, und doch 
lichen fie nım. bie gütige, verftändige Mutter und fürchten der 
— engen Data, ber fie oft prägelt, wie er denn bes 

von deſſen fechötem Jahre an nidt 
Fe Pi konnte und ihn felten fah, ohne ihn zu miöhen 


ſich dem firengen ihm auferlegten Zwange unterwerfen und fich 
an bie Lebensweiſe bes Vaters gewoͤhnen, jeber Bequenetichteit 
und jebem feiner Neigung entfprechenben Genuſſe entfagen, 
fehh auf fein und am allen fo anflrengenben Beſchwerden Zpeil 
nehmen, denen ſich ber König ohne Schonung für feine eigene 
Sefundpeit unterzog, weshalb er, der Prinz, mit 14 Jahren fo 


1) Dafür werden wir trog des  oiberfpredhenben Verfahrens 
Seweiſe finden. ©. auch Memoires de Bareih L p. 88. 111. 


2) Memoires de Bareith I. p. 22. 


Der Kronpeinz. 8579 


alt und fteif ausfah und baherging, als ob er ſchon viele 
Beldzüge mitgemacht hätte‘). Die rauhe Begegnung, — 
ber heranwachſende Jungling dabei unausgeſetzt erfuhr, 
letzte deſſen aufkeimendes, bald ſtarkes keiten und achte 
ihn noch widerfpänftiger gegen feinen Water. Um fo inniger 
ſchloß er fi) mit feiner gleihgefinnten Schweſter Wilhelmine 
an bie treffliche Mutter am, bei ber fie wenigſtens allen dieſer 
möglichen Schug gegen ben Ungeftüm bed Waters fanden. 
Der Königin war es, in ihrer ebenfalls sicht beneidends 
werthen Lage ein Beblirfniß des Herzens, ihren beiden aͤlteſten 
Kindern, von benen fie zuerft verſtanden wurde, ihre Wünfche 
und Hoffnungen und Alles mitzutheilen, was fie vor ihrem 
Gemable nicht offen zeigen konnte, ober auch wohl ihr fo Bi 
ſchmerʒlich bebrängtes Herz auszufßlitten. Die Raubeit und 
Härte, mit welder fie oft felbft behandelt wurde, regte A 
Empfindlichkeit endlich fo auf, daß fie ſchwach genug war, wohl 
für einige Zeit zu vergeffen, was fie ihrem Gemahie gegen ihre 
Kinder ſchuldig war. Sie verbot, was er befahl. Bei ihr wurs 
den dann bie vielen Eigenheiten des Königs und feiner Umges 
bungen von ben Kindern beſprochen und befpöttelt und die Könis 
gin nahın Theil und ergägte fib daran. Beide Kinder, ohnehin 
fehr frlih geiftig gewedt und aufmerkfam auf ——— 
chen und Bloͤßen, dazu durch Härte vielfach gereist, 
wenn fie bei dem Vater waren, an fpöttifcen Minen un 
boshaften Bemerkungen nicht fehlen. Es war bie einzige 
Rache, welche fie nehmen konnten”). Sie reisten aber ihren 
Vater dadurch noch mehr und zu deſſen Ummillen kam nach 
und nach ein immer ſtaͤrkerer Wiberwille. Als der Kronprim 
fünfzehn Jahre alt war, ſchalt ihn ber Water aus, fo ns er 
ihn ſah. Nun fuͤrchteten Ale, die es mit ber Koͤnigin und 
dem Prinzen gut meinten, ber Wiberwille des Waters werde 
ſich dauernd feflfegen und riethen ihr daher, ben Prinzen zu 
bewegen, fid feinem Vater unterwürfig zu bejeigen, was fie 
bisher nicht hatte zugeben wollen. Sie veranlaffte ihn daher, 


1) Seckendorf an Eugen im Juni 1725 bei Börfter Urkundenb. IL 
©. 4, 
2) M&moires de Bareith I. p. 231. ®ergl. p. 158. 

37* 


580 Bud VI. Drittes Hanptftüd. 


einen ebrerbietigen Brief an ben König zu fehreiben, was die 
fen, der von Natur gutmüthig war, auf einige Zeit befänftigte 
und ein befiered Vernehmen herflellte‘). Doch bauerte des 
nicht lange; Kiätfchereien allerlei Art gegen die Prinzeffin 
Wilhelmine, unberufene Angebereien, der Prinz fei den Ei 
daten abgeneigt und werde, wenn er zur Regierung Tomm, 
alle Heereeinrichtungen ummerfen, er verſchwende und fei des 
gerade „Gegentheil des Vaters, ſtoͤrten das gute Werhältaif 
bald wieder und brachten ben König von neuem gegen fan 
beiden aͤlteſten Kinder auf. Der Kronprinz und feine von 
ihm fehr gelichte Schwefter Wilhelmine, mit welcher er treulich 
aufammenbielt, würden wieder wie früher vom Vater gemit- 
handelt ). Als er fand, daß der Kronprinz, deſſen Tafel a 
fehe Pärglich befellen ließ, fich filberner breiginfiger Gaben 
anftatt eiferner zweizinkiger bebiene, wie er es befohlen, ſchlug 
er ihn’). Er wollte ihn daher nicht mit nach Dresden nehmen, 
wohin er fih, um den König Auguft zu beſuchen, begab, un 
wurde nur durch beffen eigene, unter ber Hand von ber 
Prinzeffin Wilhelmine vermittelte Bitte dazu bewogen, es ja 
tun‘). 

An dem fippigen, allen finnlihen Genuͤſſen hingegebens 
Hofe, wo ber Vater nur durch bie Feſtigkeit feiner Srund 
fäge feiner beabfichtigten Verführung entging, erlag ihr de 
fechzehnjährige Juͤngling. Er gemöhnte fich ſeitdem an Aus 
ſchweifungen mit dem zweiten Gefchlechte, was ihn ſchon durch 
die Ausgaben, welche es verurfachte, in neue Mishelligkeiten 
mit feinem Vater verwidelte, der, wie er bad erfuhr, al 
Geind aller Luͤderlichkeit, nun noch einen Grund mehr erhielt, 
feinem Sohne zu zürmen, den er nun wieder heftig anli 
und mit firengen Verweiſen überhäufte. Seine Hofmeifter em 


1) M&moires de Bareith I. p. 90. 
2) Ebendaf. p 96. 


8) Bericht des framoͤſiſchen Gefandten BRotpenburg v. Mai 1727 ia 
Villars Men. T. II. p. 296. 


4) Möm, de Bareith I'p. 101. Mill vermittelte es berh 
den ſachſiſchen Geſandten Sum, ini 


Der Kronprinz und ber König. 581 


hielten Befehl, mehr als je uͤber feine Aufführung zu wachen '). 
Doc) half die nichte. Bei der Anwefenheit des Königs von 
Polen in Berlin, verliebte er fich mit allem Feuer des Juͤng⸗ 
lings in beffen natürliche Tochter, die ſchoͤne und geiftreiche 
Gräfin Orzelska, und trat mit ihr in ein fo vertrautes Ver⸗ 
haͤltniß, daß es für fie von Folgen war”). 

Der Kronprinz, welcher, wie feine Mutter, die Muſik 
fehr liebte, hatte -am dresdener Hofe ben berlihmten Floͤtenblaͤ⸗ 
fer Quanz gehört, der nun auf Vermittelung der Königin von 
Zeit zu Zeit nach Berlin kommen durfte, um ihm Unterricht 
auf der Flöte zu geben, welche Friedrich bald meifterhaft blies 
und mit wahrer Zärtlichkeit als ZTröfterin in zahllofen einfas 
men, traurigen Stunden feines Lebens liebte. Als ber König 
nach Preuffen ging, ſchidte König Auguſt auffer Quanz noch 
drei feiner beſten Virtuoſen auf kurze Zeit nach Berlin, wo fie 
in Montbijou die Königin und deren Umgebung, vorzüglich 
aber ben Kronprinzen durch ihre Leiftungen entzuͤkten. Dies 
fer, wenn er ben Vormittag in ber engen Uniform im Zopfe 
auf dem Uebungsplage zugebracht hatte, entlebigte ſich Nachs 
mittags feiner Laft und vergnügte ſich, nach franzöfifcher Mode 
feifirt, im brofatenen Schlaftode mit feinen heiteren, gelehrten 
und Eunftgebildeten $reunden. Dann erſchreckt wohl der weit 
hin fallende Tritt des Waters die Iuftige Geſellſchaft. Eilig 
Tüchtete, wer flüchten konnte, fehnel wurden Bücher und Mus 
alien auf die Seite geſchafft, der Schlafrod mit der Unis 
’orm vertaufct. Doch verrathen noch liegengebliebene Bücher, 
auch wohl ber Schlafrod oder die Frifur, bie fo ſchwer ver= 
hotene Erheiterungsweife, und was gefunden wird, entgeht 
dann ber Vernichtung burch ben heftig erzuͤrnten und ſchelten⸗ 
ven Vater nicht”). Bald Tann der Kronprinz fi gar nicht 


Mai 
1728 


1728 


nehr vor bem Vater fehen laſſen. Endlich fchreibt er diefem Sept. 


»emuͤthig, ex habe es lange nicht unternehmen mögen, zu feis 
en lieben Papa zu kommen, vorzüglich weil er einen noch 
1) M&moires de Bareith I. p. 104 u. 112. 
2) Preuß ©. 88. 


3) Ebendaſ. &. 52. Der oben erzählte Vorfall ereignete ſich im 
Sommer 1730. 


1728 


1729 


582 Bud VE Drittes Hauptfiäd. 


ſchlechteren Empfang als gewoͤhnlich befürdte, bitte alfo tm 
lieben Papa, ihm gnädig zu fein, wiſſe fich nicht das Min 
deſte vorzuwerfen, bitte indeffen unterthänigft um Begehung | 
wenn er wider fein Wiffen und Wollen etwas gethan, wei 
den Vater verdroffen, und hoffe, diefer werde den vom Sohn 
währgenommenen graufamen Hab fahren laſſen und wiede 
fein gnaͤtiger Water fein. Er verfprach, nie mit Willen ja 
fehlen und ungeachtet der Ungnade mit unterthänigflem Re 
ſpecte feines lieben Papa gehorfamfter und getreuefter Die 
und Sohn zu fein. 

Der König ohnehin hoͤchſt mistrauiſch und nur zu af 
bintergangen, glaubte (und; kaum mit Unrecht) nicht an de 
Aufrichtigkeit ſeines Sohnes und erwieberte: der Prinz fei a 
eigenſinniger und böfer Kopf, der feinen Water nicht liebe, ie 
dem er, fobald der abweſend, nit thue, was dieſer wolk. 
„Bum andern, fährt ber König fort, weiß ex wohl, daß ih 
krinen effeminirten Kerl leiden kann, der Beine menfchlicye In 
eiinationen hat, ber fih (nicht) ſchaͤmt, nicht reiten noch [die 
fen Tann und babei malpropre an feinem Leibe, feine Has 
wie ein Nare ſich frifist umd nicht verfchneidet.” Das habe a 
tauſendmal verwiefen, doch umfonft, ohne Beſſerung. Dam 
warf er bem Prinzen vor, hoffärtig, recht bauernflolz, nicht 
popular und affabel zu fein; auffer Einigen mit keinem Mens 
ſchen zu fpreen, mit dem Geſichte Grimaffen zu ſchneiden 
als wenn er ein Narr wäre, und daß er nicht des Waters 
Willen thue, als fobald er mit Gewalt dazu angehalten werde, 
nie auß Liebe; endlich, daß er zu nichts Luft habe, als feinem 
eigenen Kopfe zu folgen, und endete: „biefes ift die Antwort” 
So blieb diefer Schritt wefentlich ohne Wirkung ). 

Als der Kronprinz fein achtzehntes Jahr antrat, wurde 
er mändig erftärt und ihm anftatt feiner Hofmeifter, der vier 
gigiährige Obriſtlieutenant v. Rochow, ein ehrlicher, adt 
barer Soldat von firengen Sitten, übrigens ohne Bedeutung, 
und ber dreißigiährige Lieutenant, Baron v. Keyferling, zu 
gegeben, ein Mann von höchft rechtlicher Gefinnung, durch 
wiffenfchaftliche Beſtrebungen und Reifen vielfeitig gebildet, 


1) Bei Gramer ©. 83. 





Der König gegen den Kronprinzen. 583 


mehrerer Sprachen mächtig, berebt, ein heiterer, lebenbluſtiger 
Gefelfchafter und dem Kronprinzen bald fehr befreundet '). 
An diefen kettete ſich auch in ber traurigen Lage vol Mitges 
fuͤhls, ein gewiſſer Keith, Page des Königs, der ihm oft Nach» 
wicht von dem gab, was bei dem Water vorging, und ihm das 
durch fo manche Unannehmlickeit erfparte; er wurde jedoch, 
weil man das argwöhnte, als Dfficier balb nach Weſel vers 
fest und ein Lieutenant v. Katte, ein nicht ununterrichteter 
junger Wuͤſtling, umbefonnen, doch voller Geift, Leben und 
Munterkeit, wurde num Vertrauter des Kronprinzen und Ges 
fährte feiner Ausſchweifungen. 

Der König mißhanbelte den Kronprinzen und beffen ältere 
Schweſter Wilhelmine bei jeder Gelegenheit auf bie allerärgfie 
und unwuͤrdigſte Weiſe; oft wollte er fie gar nicht mehr fehen ) 
Nur heimlich, während der König auf ber Jagd war, burften 
fie es wagen, zur Mutter zu ſchleichen, immer zitternd, durch 
ben Vater überrafcht und gemishanbelt zu werben, denn bies 
fer, der feine Kundſchafter überall hatte, wuſſte febr wohl, 
daß die Königin hinter feinem Rüden ihre Kinder darin bes 
flärkte, bei der von ihr fo fehr gewänfchten Doppelheirath mit 
den Kindern König Georgs IL zu beharren umd fich nicht nad 
dem Willen ihre Vaters zu verheirathen. Die Öfterreichifche 
Partei, Grumbkow und Sedendorf, ließen dagegen nicht ab, 
ihn gegen das Haus Hannover zu reizen. 

Endlich gingen bie Mishandlungen des Königs gegen ben 
fiebzehnjährigen Kronprinzen fo weit, daß biefer nicht glaubte, 
fie länger ertragen zu Sinnen. „Sch bin in ber dufferften Vers 
zweiflung”, fchrieb er feiner Mutter, „ber König hat ganz 
vergeffen, daß ich fein Sohn bin und mich wie den gemeins 
ſten Denfchen behandelt. Ich trat diefen Morgen wie gewoͤhn⸗ 
lich in fein Zimmer, er fprang ſogleich auf mich los, ſchlug 
mich auf die graufamfte Weife mit feinem Stocke fo wuͤthend, 
daß er nicht eher als vor eigener Ermattung aufhörte. Ich 
habe zu viel Ehrgefühl, um eine ſolche Behandlung auszuhals 
ten, bin aufs Aeuflerfte gebracht und entſchloſſen, dem auf 


1) Pöltnig Mem. I. p. 279. vergl. Mem. de Bareith I, p. 153. 
2) Mem. de Bareith T. I. p. 156. 


SIanuar 
1730 


‚#2 


588 Bad VL Drittes Haupifüd. 


Water gebeten zu haben, ihn auf Reiſen gehen zu laffen, ws 

biefer, ber feines Sohnes Abſicht —e — rr und ifa 

immer auf Zheilnahme an einem Feidzuge im Falle eines ent: 
vertröftete ). 

Die Königin, welche gefegneten Leibe und ohnehin ſchea 
fo tief bekümmert war, daß ihre Zochter Wilhelmine ben Pr» 
zen von Wales nicht heirathen follte, wurde durch biefe 
Beforgniffe ſchmerzlich erſchuͤttertz dennoch gab fie ih 
lingspian nicht auf, war vielmehr, ohne dag es 
wiſſen follte, baflır unabläffig thätig, weil fie ihres 
große Unbeftändigkeit kannte. Die Prinzeffin Wilhelmine 
ſchwichtigte vorläufig ihren Bruder durch bie dringend; 
rer Die Umgebungen des Königs und ber 

den Kammerbienern und Kammerfrauen und der 
—ES ſpionirten im Solde des anderen Ale aus, 
einer ber Gatten that. Beide wurden ſogleich von 
terrichtet, wa von dem anderen nicht voͤllig geheim 
Der König wendete alle Mittel an, um feine Zochter 
Vermählung mit dem Markgrafen von Schwedt zu zwingen 
Endlich muſſten fich daher auf feinen gemeffenen Befehl, mit 
der Androhung, bie ſtrengſte Rechenſchaft deshalb zu fobern, 
ploͤtzlich bie Dinifter Srumblow und Bork und der Graf v. 


Ef 
Ai 


Spielball ſeiner Familie zu fein, die ihn unwuͤrdig behandelt 
habe. Ein für allemal wolle er feine Tochter Wilhelmine vers 
helrathen; als letzte Gnade geftatte er nur noch einmal nach 

England zu fchreiben, um vom Könige Georg eine rate 
Erklärung über die Wermählung der Wilhelmine mit dem 
Prinzen von Wales zu verlangen. Falle diefe nicht nach des 


1) Mömoires de Bareith T. I. p. 160 vergl. p- 158. 
2) Seckendorfs Relation bei Börfter Thl. IT. ©. 1. 
8) Engliſcher Geſandtſchaftsbericht in v. Raumers Beiträgen TI. 


Heitathsangelegenheiten. 585 


Könige Wunfche aus, fo folle Wilhelmine den Herzog von 
Sacfens Weißenfels oder den Markgrafen von Schwedt heis 
zathen, bie Königin aber ihr Ehrenwort geben, fi) dem Wil 
len ihres Gemahls ferner nicht widerfegen zu wollen, ſonſt 
werbe biefer für immer mit ihr brechen und fie unb ihre uns 
volırdige Tochter, die er dann nicht für bie feinige anerkennen 
wolle, nach Oranienburg verweilen, wo fie ihre Hartnädigkeit 
beweinen Tonne. Die Königin war hoͤchlichſt uͤberraſcht, ins 
beffen antwortete fie gefafft: die Pflicht der Frauen fei, ihren 
Männern gehorfam zu fein, doch nur in gerechten und billigen 
Dingen. „Der König aber,” fuhr fie fort, „handelt anders, er 
mil meine Tochter mit Gewalt gegen ihre Neigung zur Vers 
naͤhlung entweber mit einem ihrer unwürbigen ober mit einem 
war adıtbaren, doch zu unvermögenben Manne zwingen und 
ie unglüdtih machen, ohne Nugen für den Staat, ja zu defs 
en Nachtheile. Ich werde an meinen Bruder nach England 
chreiben, aber auch, wenn die Antwort nicht gimſtig fein follte, 
werde ich meine Einwilligung zu ber vorgeſchlagenen Heirath 
vennoch nicht geben, lieber mag meine Tochter taufenbmal tobt 
ils unglüdlic fein." Doc) fagte fie im Weggehen, indem fie 
inen zornigen Blid auf Grumblow warf: „Ich Elage nicht den 
tönig an, ich weiß, wen ich eine fo übele Begegnung vers 
anke ). Sie find der Urheber alles meines Unglüds, möge 
nein Fluch auf Sie und Ihre Familie fallen *).” Zugleich hatte 
jr ber König einen Brief in den haͤrteſten Ausbrüden ges 
Hrieben, was fie zwar ſchmerzlich bekuͤmmerte, aber dennoch 
icht davon abbrachte, ihren Plan burchfegen zu wollen. Sie 
eß durch den Kronprinzen einen Brief an bie Königin von 
ngland fehreiben, in welchem biefer feinen Kummer darlıber 
usdruͤckte, daß die im Vertrage zu Hannover (3. Sept. 1725) 
zfchloffene Vermaͤhlung feiner Schwefler mit dem Prinzen 
on Wales nicht vollzogen würde, und fein gegebenes Ehren 
‚ort wieberholte, daß er nie eine andere Prinzeffin ald ihre 


1) Mämoires de Bareith T. L. p. 163. 

2) Englifer Geſandtſchaftabericht v. 17. Ian. 1730, wo auch, daß 
H Grumblow gegen bie Königin hart und unziemlich ausgebrüdt, was 
u Berk verwiefen, in v. Raumers Beiträgen II. &. 496. 


25. Ian. 
1790 


SS VL Deiszes Haez:ii 

Zocker Amalie beirafben \werbe, wenn fie (bie 

pie bet = ann Srieſe am dern 
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machen 
Auf feinen Befehl muſſten daher die beiden Minifter Grumbies 
und Bork und der Graf v. Finkenfein fi nedmals * 
Königin begeben und ihr anzeigen: der König wolle gar it 
mehr von ber Familienverbindung mit England hören, es k 
ihm daher jede Antwort, welche von bort kommen möge, * 
kommen glei i 


fl. Die Königin antwortete kurz: fie werde, fo lange ſe 


1) S. Yöllnig Mem. IT. p. 323. Die Königin Hatte es tes 
heſſen ⸗ kaſſelſchen Gefandten Diemar gefagt. Auch war der preuffifce ⸗ 
fivent Beidenbah in London im Solde Deſterreiche. Gedenborf bi 
törfter Thl. II. ©. 234. 


2) Memoires de Bareith 1. p. 171. 





Heitathsangelegenheiten. 587 


inen Athemzug habe, nie ihre  Einwiligung geben, ihre Tochter 
ınglüdlih zu mahen’ und einen von ben genannten beiden 
Prinzen zu heirathen. Darauf Iegte fie ſich als frank wieder 
vieder und der König gab nach, daß fie ſich erſt nach ihrer 
Niederkunft ſolle entfcheiden müflen ). 

Zu derſelben Zeit wurde der Koͤnig hoͤchſt erzuͤrnt, als er 
rfuhr, daß der Kronprinz von den Kaufleuten Splittgerber 
ind Daum 7000 Thaler gelichen hatte. Er ſchlug ihn graus 

am’) und gebot durch ein Öffentliches Cdict (22. Ian. 1730), 
»as Geldleipen an Minderjährige fo allgemein heilig zu hals 
en, daß felbft weder dem Kronprinzen noch anderen koͤnig⸗ 
ichen Prinzen bei Leib⸗ und Lebensſtrafe etwas gelichen wer⸗ 
ven folle. 

Endlih kam die Antwort der Königin von England an, 
n welcher fie bezeugte, ihre Gemahl fei fehr geneigt, feinen 
Sohn mit der Prinzeffin Wilhelmine, aber auch zugleich feine 
Tochter mit dem Kronprinzen zu verheirathen. Die Königin 
»ekummerte es ungemein, daß wieber Fein beflinmter Zeitpunkt 
angegeben war; ben König reizte es zu ben beftigften Aeuffes 
zungen. Er flug den jegt achtzehnjährigen Kronprinzen blus 
ig und zog ihn bei den Haaren im Zimmer umher’). Wil: 
jelmine follte fi binnen drei Tagen für einen der beiben ihr 
⸗orgeſchlagenen Prinzen entfchieden, dann mit Gewalt gezwun⸗ 
zen werden, ben Herzog von Weißenfelö zu beirathen. Der 
Rönig überfchhttete feine Gemahlin mit allen Schmäpungen, 
die ihm der Augenblick eingab. Sie ertrug Alles und fuchte 
»bwohl vergeblich, ihm durch die zärtlichften Worflellungen zu 
:ühren. Er wollte nun feine Tochter mit Gewalt zur Vers 
jeirathung mit dem Markgrafen von Schwedt zwingen, doch 
yeffen Mutter, die Schwefter des Furſten Leopold von Deffau, 


1) Das fagt ſchon der englifche Gefanbtfchaftsberict v. 19. Ian. bei 
Raumer III. ©. 496. Der König verſprach dergleichen wohl, ‚vergaß 
:8 aber leicht wieber bei heftigen Aufwallungen. 


2) Englifher Bericht v. 19. Januar 1730 bei Raumer a. a. D. 
Das Edict, deſſen diefer Bericht ſchon erwähnt (menn das Datum des 
Berichts genau ift), muß alfo fpäter als es erlaffen worden, datirt fein. 


3) Memolres de Bareith 1. p. 172. 





1 586 Bud VI. Drittes Hauptftüd, 


Zochter Amalie heirathen \werde, wenn fie (die Königin), in 
die Vermählung ihred Sohnes mit feiner Schweſter wilig. 
Auch bie Königin Sophie bot in einem Briefe an ihren Bw 
der Alles auf, um ihn zu einem günftigen Entfchluffe zu be 
wegen. Mit Zittern wurden bie Tage bid zur Antwort as 
England gezählt und vielfach im Cabinette der Königin be 
zathfchlagt, was im unguͤnſtigen Falle zu thum fei, weil man 
vom Könige das Aeuſſerſte fücchtete. Vergeblich ſtellte fic de 
Königin krank und hütete fünf Tage hindurch dad Bette, in 
Gemahl erfuhr dennoch, daß fie ed nicht war, und ficher and 
durch Sedendorf, was ber Kronprinz nach England geſchrit 
ben‘). Das reiste ihn um fo mehr, als ihn ohnehin jeder | 
Widerſtand aufbrachte, wie viel mehr die Widerfeglichkeit fü | 
nes Sohnes. Die Taiferlicy gefinnten Umgebungen des Ki | 
nigs hatten ihn auch, indem fie feine Liebe zum Gelbe benut⸗ | 
ten, jedenfalls fehr gegen eine Vermaͤhlung des Kronpringe | 
mit einer englifchen Prinzeffin eingenommen, weil biefe größeren 
Aufwand machen werbe, ald an feinem Hofe gewöhnlich war. 
=. au Auf feinen Befehl mufften baher die beiden Minifter Grumbioe 
30 und Bork und der Graf v. Finkenſtein fi nochmals zu 
Königin begeben und ihr anzeigen: der König wolle gar nichu 
mehr von der Zamilienverbindung mit England hören, es fü 
ihm daher jede Antwort, welche von dort kommen möge, vol⸗ 
kommen gleichgültig und er werbe nicht davon abgehen, feine 
Tochter Wilhelmine mit dem Herzoge von Weißenfels oder 
dem Markgrafen von Schwedt zu verheirathen. Ex verlang 
‚ unbedingten Gehorfam. Wenn fid bie Königin widerfek, 
wolle er fi) von ihr trennen, fie auf ihren Wittwenfig ver 
bannen, die Prinzeffin Wilhelmine in eine Zeftung fperren und 
den Kronprinzen enterben, indem der Ungehorfam feiner Fe 
mitte ein hoͤchſt gefährliches Beiſpiel für feine Unterthane 
ſei?). Die Königin antwortete kurz: fie werde, fo lange fr 


1) ©. Pölinig Mem.. II. p. 823. Die Königin hatte es ben 
heffen » kaſſelſchen Gefandten Diemar gefagt. Auch war der preuffifcge = 
fident eichenbach in London im Golde Deſterreiche. Gedenbosf bei 
Börfter Thl. II. ©. 284. 


2) Memoires de Bareith I, p. 171. | 


Heirathöangelegenheiten. 587 


einen Athemzug habe, nie ihre Einwiligung geben, Ihre Tochter 
unglüdlih zu mahen’ und einen von ben genannten beiben 
Prinzen zu heirathen. Darauf legte fie fih als frank wieder 
nieder und ber König gab nach, daß fie fich erſt nach ihrer 
Niederkunft folle entfcheiden müffen '). 

Zu derfelben Zeit wurde der König höchft erzuͤrnt, als er 
erfuhr, daß der Kronprinz von den Kaufleuten Gplittgerber 
und Daum 7000 Thaler geliehen hatte. Er fchlug ihn graus 
fam ?) und gebot durch ein Öffentliches Edict (22. Ian. 1730), 
das Geldleihen an Minderjährige fo allgemein heilig zu hals 
ten, daß felbft weder dem Kronprinzen noch anderen Tönigs 
lichen Prinzen bei Leib» und Lebensſtrafe etwas gelichen wers 
ben folle. 

Endlich kam bie Antwort der Königin von England an, 
in welcher fie bezeugte, ihr Gemahl fei fehr geneigt, feinen 
Sohn mit der Prinzeffin Wilhelmine, aber auch zugleich feine 
Tochter mit dem Kronprinzen zu verheirathen. Die Königin 
bekuͤmmerte es ungemein, daß wieber Fein beflimmter Zeitpunkt 
angegeben war; den König reiste es zu dem heftigften Aeufles 
rungen. Er ſchlug den jest achtzehnjaͤrigen Kronprinzen blus 
tig und zog ihn bei den Haaren im Zimmer umher ). Bil 
heimine ſoůte ſich binnen drei Tagen für einen der beiden ihr 
⸗orgeſchlagenen Prinzen entſchieden, bann mit Gewalt gezwun⸗ 
zen werben, ben Herzog von Weißenfels zw heirathen. Der 
Rönig überfchhttete feine Gemahlin mit allen Schmähungen, 
die ihm der Augenblick eingab. Sie ertrug Alles und fuchte 
»brwohl vergeblich, ihn durch die zärtlichfien Worftellungen zu 
ühren. Er wollte nun feine Tochter mit Gewalt zur Vers 
yeirathung mit dem Markgrafen von Schwedt zwingen, doch 
veffen Mutter, die Schwefter des Fürften Leopold von Deffan, 

1) Das fagt ſchon der engliſche Gefandtfchaftsberiät v. 19. Ian. bei 
Taumer III. ©. 496. Der König verſprach dergleichen woht, ‚vergaß 
8 aber leicht wieber bei heftigen Aufwallungen. 

2) Engliſcher Bericht v. 19. Januar 1730 bei Raumer a. a. O. 
das Ebict, beffen dieſer Bericht ſchon erwähnt (wenn das Datum bes 
gerichts genau ift), muß alfo fpäter als es erlaffen worden, batirt fein. 

8) Memolres de Bareith I. p. 172. 


Bebruar. 


588 Bud VI Drittes Hauptftäd. 


weigerte fi, fo fehr fie die Vermaͤhlung wuͤnſchte, bennoh 
entfchloffen, ihre Einwilligung gegen den Willen der Königin 
zu geben‘). Des Königs Heftigkeit flieg immer höher, er 
mishandelte den Kronprinzen und die Prinzeffin Wilhelmme 
koͤrperlich faft fo- oft er fie fah, bie Königin nicht weniger 
durch die Fränkendften Worte und Drohungen. 

Endlich, doch nur um Zeit zu einem neuen Verſuche in 
England zu gewinnen, vwilligte die Königin gegen ihren Ge 
mahl ein, die beabfichtigte Verbindung der Prinzeffin Wilke: 
mine mit dem Prinzen von Wales aufzugeben, ſchlug bagegm 
vor, fie nicht mit ben ihr vorgefchlagenen Zreiern, fondern mit 
dem Erbprinzen von Baireuth zu vermählen, worein ber 8 
nig, obwohl fehr ungern wiligte. Gogleih wurde von de 
Königin und deren Anhange noch ein letter Verſuch gemadt 
und Alles aufgeboten, den König von England zu einem nt: 
ſchluſſe über die Doppelheirath zu bringen. Der Kronprig 
war entfchloffen nach England zu flüchten, weil ex bie ent: 
ſetzlichen Mispandlungen, denen er. täglich außgefegt war, 
nicht mehr ertragen konnte. Er wollte dazu die Gelegenheit 
einer Reiſe feines Vaters nach Dresden benutzen, doch tief 
er ſich durch die Bitten feiner Schwefter nochmals zuräd: 
halten 9). 

Die hochſchwangere Königin wurde durch allen dieſca 
häuslichen Kummer nun wirklich gefährlih krank. Sobalt 
ſich der König davon überzeugt hatte, wurde er und zugleis 
durch die rührenden Zufprachen feiner Gemahlin lebhaft ex 
griffen und gerieth faft in Verzweiflung. Er bat fie in Ge 
genwart aller ihrer Damen um Verzeihung für allen Kummer 
den er ihr verurfacht, und zeigte, daß nicht fein Herz, fondern 
hauptſaͤchlich feine Umgebungen an dem unheilvollen Familien 
zwifte Schuld wären. Auf Bitten feiner Gemahlin verzieh a 
gerührt feiner Tochter Wilhelmine, ja felbft dem Rronprinze 
alles Vergangene, doch folle biefer feine Aufführung ändern, 
ſich gehorfam zeigen und dann auf väterliche Liebe rechne 


. 
1) Memoires de Bareith I: p. 179. vergl. Pölnig Mem, I. 301. 
2) Memeires de Bareith I. p. 186. 


Heirathsangelegenheiten. 589 


Tonnen‘). Die Königin wurde darüber fo beruhigt und ers 
freuet, daB fie nach drei Tagen auffer Gefahr war. 

Asbald begannen, unſtreitig durch die täglichen Klaͤtſche⸗ 
teien ber Umgebungen, welche alle unbefonnene und leichtfertige 
Handlungen und Xeufferungen des Prinzen dem Könige zus 
trugen, deffen Miöhandlungen von Neuem. Er gerieth barlıs 
ber ganz in Verzweiflung. „Ich bin ber unglüdklichfte Menſch!, 
fagte er zu feiner Schweſter, welche ihn beruhigen wollte, 
„vom Morgen bis zum Abend mit Spionen umgeben, welche 
jebeö meiner Worte und jede meiner Handlungen boshaft vers 
drehen. Die unfchuldigften Erholungen find mir verboten, 
ich getrane mir nicht etwas zu leſen. Die Muſik if mir uns 
terfagt und nur zitternd und verfledt darf ich mich dieſen Vers 
gnuͤgungen hingeben. Endlich, als ich eines Morgens in das 
Bimmer des Königs trat, faſſte er mich bei ben Haaren, warf 
mich auf den Boden nieder, ſchlug und fchleppte mich endlich 
ungeachtet alles Widerftandes an das nächte Fenſter, und 
ſchlang eine Schnur des Vorhangs um meinen Hals, um 
mic zu erwürgen. Glüdlicherweife hatte ich mich aufgerich⸗ 
tet, hielt ihm die Hände und ſchrie. Ein Kammerdiner kam 
mir zu Huͤlfe und rettete mi. Das muß endigen. Katte iſt 
mir vöNig ergeben und wird mit mir gehen, Keith auch zu 
mir fommen. Der Königin werde ich nichts fagen, da fie es 
ihrer Kammerfrau mittheilen und biefe es verrathen wuͤrde.“ 
Nur mit großer Mühe erlangte feine Schwefter, daß der Kron⸗ 
prinz die Ausführung feines unlberlegt genug entworfenen 
Fluchtplans bis auf die Ankunft der aus ‚England erwarteten 
Nachrichten verſchob ). 

Die Bemuͤhungen ber Königin und ihres Anfangs waren 
jier von günftigem Erfolg geweſen. Der Prinz von Wales 
yatte feinen lebhaften Wunſch bezeugt, die Prinzeffin Wilhel⸗ 
nine zu beirathen, endlich hatte König Georg befchloffen, ben - 
Ritter Hotham als aufferordentlichen Gefandten nach Berlin 


1) M£moires de Bareith I. p. 189. Damit ftimmt im Mefentlichen 
er engliſche Gelanbefafsbesät v. 7. März 1730 überein bei Raus 
ıer IIL ©. 49, 


2) M&moires de Bareith I. p. 190. 


.590 Bud VL Drittes Hauptflüd. 


zu ſchicken. Nur mit großer Ueberwindung ertrug ber Im 
prinz bis dahin die täglichen Miöhanblungen feines Water. 


4. April Endlich kam ber Ritter Hotham in Berlin an unb warb fr 
1730 ben Prinzen von Waled um bie Hand ber Prinzeffin Wilhel 


' mine, indem er bie Hoffnung auöbrüdte, König Friebri Bi 
belm werde auch in die Wermählung des Kronprinzen mit der 
Prinzeffin Amalie willigen, wenn gleich immerhin bie Hoc 


des Prinzen von Wales zuerfi gefeiert würde. Der Kiig 


war barlıber fehr erfreuet, antwortete hoͤchſt verbindlich, weite 
aber in bie Vermählung feined Sohnes mit ber Prinzen 
Amalie nur dann willigen, wenn ihm Juͤlich und Berg gefihet 
und der Kronprinz zum Statthalter von Hannover ernamt 
wide ). Er benachrichtigte ſogleich feine Gemahlin von da 
beabfi&jtigten Wermäplung ber Tochter umd brachte bei de 
Tafel diefer und des Prinzen von Wales Gefunbheit zum 
großen Schrecken ber oͤſterreichiſchen Partei aus. Hotham m 
fuchte ihm jedoch gleich darauf, ben ihm vom Könige Geo 
gemachten Vorſchlag nicht eher bekannt zu mahen, als a 
Kenntnig von den damit verbundenen Bedingungen genommen. 
Der König verſchob das bis auf feine Rüdtehr von Potsdam, 
wohin er ſich eben begeben wolle. Dort wurbe unfireitig vos 
Sedenborf und Grumblow Alled angewendet, um den in alles 
folchen Beziehungen hoͤchſt unbeftändigen Fuͤrſten gegen bie 

Verbindung zeit England von Neuem einzunehmen. Er be 
flog daher aud auf Secendorfs Wermittelung feine beitte 
Tochter Charlotte dem Prinzen Karl von Braunſchweig zu ge 
gen, befien Vater Echwager ber Kaiferin wer, und weite 
nad wenigen Togen nichts mehr von ber Vermäbleng ber & 


Vermaͤhlung des Prinzen von Wales bie Verlobung bes Kron 
prinzen mit ber Prinzeffin Amalie ftattfinde, daß er Bein 
Mitgift für die Tochter Friedrich Wilhelms verlange, dagegen 
feiner Tochter 100,000 Pfund Sterling mitgeben werde; dafız 
beftehe er auf bie Entfernung Grumblows alB inch Werräthers, 
wie er aud aufgefongenen Briefen deſſelben an ben preuſſiſchen 


ı) Sefandtfchaftsbericht dv. 5. Apeil 1730 bei Raumer IL & 508 





Unterhandlungen mit Hannover. 591 


Refidenten Meichenbach in London beweilen koͤnne. Friedrich 
Wilhelm willigte unter ber früher angegebenen Bedingung in 
ie Doppelheirath, wonach alfo der König von England bie 
Roften des Unterhalts für beide Paare uͤbernehmen folte; auch 
volle er den Binifter Grumbkow entlaffen, wern man beffen 
Berrätperei beweifen Tönme '). Der König Georg war bereit, 
vom Kronprinzen als feinem Schwiegerſohne bie Gtatthalters 
haft von Hannover zu übergeben, doch follte ee dann mit 
einer Gemahlin auf einige Zeit nah England kommen”). 
Während der englifche Gefandte darüber Bericht nach London 
ırftattete, wenbete Sedendorf, dem ber König faft nichts vers 
chwieg, Alles an, um biefen von der Unſchuld Grumbkows 
m überzeugen (ben ex ſelbſt ſowie den preuffiichen Reſidenten 
n England mit Baiferlihem Gelbe beſtochen hatte) und ben 
Krgwohn zu erregen, England fuche nur dem treuen ehrlichen 
Mintfter zu entfernen, um mehr Einfluß am preuſſiſchen Hofe 
u erhalten. Die aufgefangen Briefe wirden, wie die des 
Betruͤgers Clement untergefchoben fein. Er fagte auch dem 
mf Erhaltung feiner väterlichen Gewalt fo eiferfüchtigen Koͤ⸗ 
tige, der Kromprinz werde als Statthalter Hannovers gang 
mabhängig von ihm werden ), umd brachte es aller Gegens 
sorftelumgen der Königin bald dahin, daß ihm der König ges 
adezu fagte, feine Tochter möge immerhin nad; Englard ges 
ven, allein fein Sohn folle nie eine Engländerin heirathen. 
kr Tieß daher durch den Minifter v. Bork bem engliſchen 
Sefandten fagen, baß er bie "Statthalterfchaft für den Kranz 
singen ablehnen mirffe, weil es feinen moͤchte, als koͤnne er 
einen Sohn nicht felbft ernähren, aud werde biefer feinem 
tande-baburch entfrembet werben. Dennoch ſchwankte er, von 
veiben Seiten bebrängt, fortwährend unb wollte unter neuen 


1) Memoires de Bareith L p. 19% ff. ausfüprliher Pölinie 
#&m. IL p. 305 29. 


2) Englifger Geſandtſchaftabericht d. 26. April u. 6. Mai 1730 in 
. Raumers Beträgen II. ©. 507. 


3) Yöttnig Mem. TI. p. 811 u. 316 f. 


1730 


592 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck. 


für fich ausbebungenen Vortheilen auch bie Vermaͤhlung be 
Kronprinzen mit der Prinzeffin Amalie zugeben '). 
Ein Verſuch, den ber Kronprinz machte, um, wäh: 
Junt er mit dem Könige das prachtvolle Luſtlager König Augm 
bei Muͤhlberg befuchte, durch deſſen Minifter v. Hoym Pir: 
und Pferde zur Flucht zu befommen, mislang, weil er bit 
nicht erhielt. Er gab daher dem engliſchen Legätionsferdir 
Guy Dikens, welcher nach London ging, den Auftrag, zu u: 
forfchen, ob er dort Schuß finden werde, oder in Franka) 
derweilen ſolle Eben fo wenig konnte Auguſt für feine eigt 
nen Intereſſen ben König Friedrich Wilhelm von der keiſe 
lichen Partei abziehen. Nach deſſen Ruͤckkehr verlangte Sole 
geheimes Gehör, um bie aufgefangenen Driginalbriefe Grumt 
Toms vorzulegen, welche deſſen Verrath bewiefen. Seckender 
der das erfahren, fuchte des Könige ohnehin fo leicht ang 
baren Argwohn gegen den von dieſem fo gehaflten Georg I 
moͤglichſt zu entflammen und die Güte des Kaifers, ber ie | 
ja das Hergogthum Berg gefichert, hervorzuheben. Alle Scwi | 
hen und Leidenfchaften des Königs wurben benußt, um ik 
gegen bie Verbindung mit England einzunehmen, vorzügks 
damit er feines eigenen Wohld wegen nicht den treuen m, 
daher verleumbeten Grumbkow entlaffe und eben fo wenig a 
bie Wermählung des Kronprinzen mit der Prinzeffin Amalı 
wilige; das werde ihn von England abhängig machen, fein 
‚Hof mit Umtrieben erfüllen, die Audgaben ungemein bermes 
ven und fein Anfehen völlig ſchwaͤchen. Als nun Hotham der 
14. Zuti bereitö fo verſtimmten Könige die aufgefangenen Briefe Grunt 
1730 kows wit dem Ausbrude ber Uebergengung übergab, dire 
werde fofort entlaffen werben, und binzufeßte, allerdings jü 


1) Engliſcher Bericht v. 13 Mai 1730 bei v. Raumer Tp IL 
S. 510 ff. 


2) Die wichtige Informatio ex actis, welche Preuß in femme 
Vriedrich der Große Thl. IV. &. 470 zuerft mitgetheilt, aber noch * 
nauer in Friedrichs des Großen Jugend u. f. w. &. 98 gegeben has 
verglichen mit dem englifdjen Gefanbtfcjaftsberichte v. 16. Zul 1730 de 
d. Raumer Thl. II. ©. 516. 


Eludtpläne. 593 


iner der Briefe in Chiffern abgefaſſt), allein man habe hin 
aͤnglich gefdhidte Leute, um fie zu entziffern, fo gerieth ber 
tönig in fo heftigen Zorn, baß er dem Gefandten die Briefe 
ns Gefiht warf und den Fuß aufhob, ald wolle er ihm einen 
Eritt geben, was er doch unterließ, aber fogleich das Zimmer 
verließ, indem er bie Thuͤr gewaltfam hinter fich zumarf. Eine 
olche Begegnung erbitterte den natürlichen Stolz des englis 
chen Gefandten höclihft. Gr erklärte allen Gefandten, daß 
adurch in ihm alle gefrönte Häupter beleidigt wären, und 
oollte fofort Berlin öffentlich verlaffen. Der König bereuete 
ogleich feine Mebereilung, ließ ſich durch den bänifchen und 
oländifhen Gefandten bei Hotham entfchuldigen und erklaͤ⸗ 
en, baß er durchaus nicht die Abficht gehabt, ihn zu beleibis 
sen, ihm auch, wenn er bleiben wolle, jebe Genugthuung ges 
vom werde. Allein weder das, noch die bringendfien Bitten 
»es Kronprinzen vermochten etwas über ben Engländer, wels 
ber mit echt in ſich feinen König beleidigt fah. Diefer befahl 
hm jedoch, mit der vom Könige angebotenen Gemugthuung 
ufrieben zu fein, welcher ſich barauf vurch den Minifter Wort 
oͤrmlich entſchuldigen ließ. Indeſſen verlangte Hotham feine 
yaldige Abberufung und erhielt fie”). 

Der Kronprinz verlor damit jede Hoffnung, die Hand 
iner englifchen Pringeffin zu erhalten, was ihm allerdings 
nehr Staatdangelegenheit, als Herzensſache war, weil er nur 
vaducch hoffen Eonnte, fich der perfönlichen Abhängigkeit und 
ıoch mehr ben ihn faft eben fo druͤckenden Gelbverlegenheiten 
u entziehen, in welchen er fich fortwährend befand, Er bes 
chloß nun, bie erſte gimflige Gelegenheit wahrzunehmen, um 
rad England zu flüchten, wo ihm Hotham gute Aufnahme 
ugefichert hatte”), und fich fir immer der graufamen Behand» 
ung zu entziehen, die er wieder fortwährend von feinem Was 
er erfuhr. Der engliſche Geſandtſchaftsſecretait Guy Ditens, 


1) Einen Auszug ‚aus den Briefen gab ber Befandte an die Königin, 
Sie waren im Februar 1730 geſchrieben. Memolres de Bareith I, 
«212. 09. 
2) Pdlinig Mem. IL p. 805—825. Mdmoires de Bareith I, 
“194 gg. . 
8) Gedendorfs Bericht bei Foͤr ſter Thl. W. ©. 9. 
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Ctaats, IIL 38 


boe Bud VI. Drittes Hauptſtuͤc. 


welcher umterbefien aus London zurädgekchrt war, rieth ieh 
dem Kronprinzen fehr ab, dahin zu flüchten, weil bad bie Ber 
würfuiffe zwifchen feinem Water und dem Könige Georg um 
vermehren wide, doch wolle man feine Schulden bezahlen. 
Nun dachte der Prinz daran, vorläufig nach Holland ut 
von ba ımflreitig fo bald ais möglich nach England zu gehen '). 
Er glaubte dad auf einer Meife möglich zu machen, bie der 
König mit ihm nach Ansbach und zum Beſuche einiger für 
deutichen Fürften unternehmen wollte, und traf dazu die nöthig 
ſcheinenden Anftalten mit feinem Freunde, dem unbefonnenes 
Katte, der hoͤchſt leichtfinnigerweife, um ſich wichtig zu 
machen, von feinem Verhältniffe zum Kronprinzen ſchwette 


fo daß deffen Abfichten in Berlin faft allgemein umd ob 


Zweifel auch dem Könige längft vor ihrer Ausführung befamt 


Zu waren*). Deshalb muſſten die Herren v. Rochow, Bor 


1730 


denbrod und Waldow während ber ganzen Meife mit dem 
Kronprinzen in bemfelben Wagen fahren, und hatten firenge 
Befehl, ihn nicht aus den Augen zu laſſen. Schon in Ans 
bad) wollte ber Kronprinz entweichen, was indeflen fein Schwer 
ger, der Marfgraf, verhinderte, zu dem er im Vertrauen von 
feiner ungtüdlichen Lage gefprochen und Pferbe, ald zum Spe 
Herritte verlangt hatte, welche ihm biefer, beforgt vor den 
möglichen Folgen, verweigerte. Der König hielt Fein Maf 
mehr in feinem Benehmen. Er hatte den Prinzen in Gegen 
wart mehrer Fremden gefchlagen und ihm wieberholt gefagt: 
„Wenn mein Bater mich fo bebandelt hätte, wie ich Euch be 
bandle, fo wide ich taufendmal für eins entflohen fein, abe 
Ihr habt Fein Herz und feid nur ein Poltron I“ Co Konnte 

1) Gr Hatte wieder 15,000 Thaler Schulden gemacht. S. vog- 
bie Informatio ex actis bei Preuß und Gedendorfs Bericht, bie zumm 
Wffigften Yauptquellen für bie Geſchichte biefer Worfälle. Die Rebenfaden 
hauptfädhti aus den Mämoires de Bareith und bes Pölinig finde 
ſich dazu fleißig bei Preuß gefammelt. 

2) Das beugen bie engliſchen Berichte bei Raumer Zpt IL 
&. 520 u. 622. Daß Grumbloto den König davon benatheiähtigt &. SS. 

8) Mämeolree de Barelih I. p. 284. Die englöfchen Derichte fagen 
mehrmals, baß ber König den Kronprinzen gefchlagen a. a. D. &. 507 
u 517 im Mei und Jul. J 


Verſuch zur Flucht. 595 


bed Prinzen Entfhluß gu flüchten, nicht wankend werben. 
Auf der fortgefeßten Reife nach Augsburg und Ludwigsburg 
murben daher die noch für noͤthig gehaltenen Worbereitungen 
dazu fortgefeht. Endlich während der König mit feinem Ges 
folge in dem Dorfe Steinfurth unweit Sinzheim in Scheunen 
hbernachtete, Tieß der Kronprinz durch ben Pagen Keith, dem 
Bruder des nad Weſel verfegten Lieutenantd Keith, unter 
dem Borwande, daß er zum Wergnügen in bie nächfle Stabt 
seiten wolle, wo Markt war, Pferde beforgen, um nach Straßs 


Auguft 


burg zu gehen, und erwartete fie in einen rothen Rod und 520 


Mantel nach franzoͤſiſchem Schnitte gekleidet, welche er ſich 
waͤhrend der Reife hatte verfertigen lafien, als bereits feine 
Begleiter erſchienen und ihn baten, die Uniform wieder anzus 
iegen, ehe ber König etwas davon fehe. Im biefem Augens 
hlide brachte Keith die Pferde, der Kronprinz wollte fi auf 
:ins berfelben ſchwingen, wurde aber von feiner Umgebung 
abgehalten, zuruͤck in die Scheune gebracht und gendthigt, feine 
Uniform anzuziehen. Der Dberſt Derſchau hinterbrachte for 
gleich, was geſchehen war, dem Könige, der fich jedoch nichts 
nerken ließ, weil hinreichende Beweiſe der Schuld fehlten '), 
md früh nach Mannheim aufbrach, allein fehr unruhig wurde, 
18 er dort feinen Sohn nicht antraf, der doch vor ihm hatte 
yahin abreifen follen. Das rührte den Pagen Keith, welcher 
ihm zu Pferde gefolgt war, er warf fi zu den Füßen des 
Rönigs nieder und entdeckte, daß er fich habe bereben laſſen, 
Ahr den Kronprinzen Pferde zu deſſen Flucht zu beflellen. Als 
viefer nun ankam, ließ fich der König dennoch nichts merken, 
jefahl aber bei Leib und Leben deſſen Begleiter Bubdenbrod‘, 
Baldow und Rochow, ihn Tags und Nachts nicht aus ben 


Yugen zu laffen. Am naͤchſten Tage in Darmfladt fagte er 6. Aug. 


ndeſſen zum Kronprinzen, ex wundere ſich ihn hier zu ſehen, 
ndem er geglaubt habe, er wäre ſchon in Paris, worauf dies 
er erwiederte, wenn er gewollt, fo hätte ex ſicherlich in Frank⸗ 
ich fein koͤnnen ). Der König befahl darauf den Begleitern 
»es Prinzen, dieſen am nächften Tage bei der Ankunft vor 


1) Me&moires de Bareith I. p. 287. 


2) Sedendorfs Bericht &. 3. 
38* 


1730 


596 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc 
Frankfurt nicht in die Stadt zu laſſen, ſondern fogleich in das 


nach Berlin gefchrieben hatte, die aber aus Verfehen an einca 
Vetter deffelben, den Werbeofficier Katte in Nirmberg gelse: 
men waren, bie Beweiſe von ber beabfichtigten Flucht '). Rum 
Tonnte ex fich nicht mehr faflen. Als er die Jacht, auf wer 
8. Aug. cher ex den Rhein hinab reifen wollte, betrat und feinen Gope 
1730 erblidte, fiel er über biefen her und würde ifn erwärgt je 


hätte. faffte ih 

Stode das Gefiht blutig, daß Friedrich ausrief: ee Se ee 
Geſicht eined branbenburgifchen Prinzen re ſolche Schmah 
erlitten )." Auf dringende Bitten feiner Begleiter, welde Is 
benögefährliche Mishandlungen de Prinzen befürdteten, ge 
ſtattete der König, daß biefer auf ein anderes Schiff gebradt 


Staatögefangener behandelt. Als der König in Bonn dem 
Kurfürften von Köln einen Beſuch abftattete, befahl ex den 
Begleitern des Prinzen, biefen lebendig oder tobt wieder auf 
das Schiff und dann nach Meurs zu 
Der Prinz war auf Alles gefafft, und weit entfernt, feine 
Abſicht zur Flucht zu bereuen, hielt er fie durch die umwuͤrdig 
Begegnung, welche ex von feinem Vater erfuhr, vielmehr für 
gerechtfertigt. Nur das vorauszufehende Schickſal feiner Freunde, 
bie Theil an feinen Entwürfen gehabt, erregte feine Ichhaften 
Beſorgniſſe und vermochte ihn, fi zur Wermittelung an der 
11. Aug. von ihm mit Recht töbtlich gehafften Sedendorf zu wenden | 
1730 Er fagte dieſem offen, wenn fein Vater fortfahre, ihn als 
sebnjährigen Prinzen mit Schlägen zu behandeln, werde @ 
feinen Entſchluß dennoch ausführen, es möge koſten was d | 
wolle. (Wirklich war ein neuer Verſuch zur Flucht in Mans 
mur durch die Nähe einer Schildwache mislungen.) An Er 
haltung feines Lebens liege ihm wenig, nur bebauere er bier 


1) Mömolres de Bareith I. p. 237. 
2) Getendorfe eeben Spt. TIL ©. 285. 


i 


Gefangenſchaft des Kronprinzen. 597 


ienigen Pfficiere, welche von feiner Angelegenheit Kenntniß 
zehabt und unfchulbigermeife unglüdlich würden, während doch 
er allein fie zur Theilnahme beredet. Wenn ihm der König 
Begnabigung für diefe verfpreche, dann wolle er Alles ent 
beden, wo nicht, fo möge man ihm ben Kopf abfchlagen, er 
werde Niemanden verrathen. Er bat Sedendorf, mit dem 
Könige darüber zu ſprechen und ihm wo möglich aus dieſem 
Babyrinth zu helfen, was er ewig dankbar erkennen werde. 
Sedendorf, ber wohl einfah, daß dad Unternehmen des Prins 
zen nichts als ein unüberlegter und unter den obwaltenden 
Umftänden wohl verzeihlicher Jugendſtreich war, und daß der 
König in feiner Heftigkeit zu weit ging, theilte wirklich in 
Meurs die Nachricht von bes Prinzen Reue dem Könige mit, 
welcher darauf verficherte, er wolle gegen alle Theilnehmer 
Snade für Recht ergehen laffen, wenn der Prinz offenherzig 
und ohne Falſch, woran er doch fehr zweifele, Alles entdecken 
wuͤrde. Als er aber gleich darauf erfuhr, der Lieutenant Keith 
fei bereitö feit einigen Tagen aus Wefel geflüchtet, und er 
nicht mit Unrecht deffen Theilnahme an des Kronprinzen Uns 
ternehmen vermuthete '), entrüftete er fih von Neuem, ließ 
feinen Sohn nad Wefel und dann vor fi bringen, und 12. Aug. 
fragte ihn drohend, warum er habe beferticen wollen. Der 1730 
Kronprinz antwortete entichloffen: „Weil Sie mich nicht wie 
Ihren Sohn, fondern wie einen nieberträchtigen Sklaven bes 
handelt haben!" „Ihr feid alfo nichts als ein feiger Deferteur 
ohne Ehre“, fagte der König. „Ich habe fo viel Ehre ald Sie”, 
erwieberte der Prinz, „und nur das gethan, was Sie mir huns 
dertmal gefagt haben, Sie wirrden es in meiner Stelle thun!“ 
Der König durch diefe ihn wegen ihrer Wahrheit ſchneidend vers 
legende Antwort in bie Aufferfte Wuth geſetzt, zog den Degen, 
um feinen Sohn zu durchbohren. Der Generalmajor von der 
Mofel, warf ſich augenblidtich zwifchen Beide und rief: „Durchs 
bohren Sie mich, aber ſchonen Sie Ihres Sohnes!” Das brachte 
den König zur Befinnung, er ließ den Prinzen abführen. Der 
General Mofel machte ihm nun lebhafte Vorftellungen über 
fein Verfahren: er fei immer Herr feines Sohnes, aber er 


1) Secendorfe Bericht S. 4. 


‚590 Bud VL Detttes Hauptflüd. 


zu ſchicken. Nur mit großer Ueberwinbung ring De dm 
ins bis dahin bie täglichen Mispanblungen feines 


4. Apriı Endlich kam ber Ritter Hotham in Berlin an — warb fir 
1730 ben Prinzen von Wales um bie Hand der Prinzeffin Wilke 


' mine, indem er die Hoffnung audbrldte, König Friebri Bis 
belm werde au in die Vermaͤhlung des Kronprinzen mit der 
Prinzeffin Amalie willigen, wenn gleich immerhin bie Hochzeit 
des Pringen von Wales zuerfi gefeiert würde. Der Köniz 
war barlıber fehr erfreuet, antwortete hoͤchſt verbindlich, weite 
aber in die Vermählung feines Sohnes mit der Prinyefin 
Amalie nur dann willigen, wenn ihm Jülich und Berg gefichert 
und der Kronprinz zum Statthalter vom Hannover ernanıt 
wide). Er benadhrichtigte fogleich feine Gemahlin von be 
beabfiitigten Wermäplung ber Tochter und brachte bei da 
Tafel dieſer und des Prinzen von Wales Gefunbheit zum 
großen Schrecken ber öfterreichifchen Partei aus. Hotham er 
ſuchte ihm jedoch gleich darauf, den ihm von Könige Geocz 
gemachten Borfchlag nicht eher bekannt zu machen, ald a 
Kenntnig von den bamit verbundenen Bebingungen genommen. 
Der König verſchob das bis auf feine Rüdkehr von Potsdam, 
wobin er ſich eben begeben wolle. Dort wurbe unflveitig vos 
Sedendorf und Grumblow Alles angewendet, um ben in alles 
folchen Beziehungen hoͤchſt unbefländigen Furſten gegen tie 
Verbindung wit England von Neuem einzunehmen. Gr bo 
flog daher auch auf Sedendorfs QWermittelung feine beitte 
TZochter Charlotte dem Prinzen Karl von Braunſchweig zu ge 
gen, befien Vater Schwager ber Kaiferin war, und wollt 
nach wenigen Tagen nichts mehr von ber Wermäßlung ber dr 
teften Tochter mit dem Prinzen von Wales willen. Hothau 
zeigte ibm mun an, König Georg wolle, daß am Tage de 
Vermaͤhlung des Prinzen von Wales die Verlobung des Keor 


Dagegen 
feiner Tochter 100,000 Pfund Sterling mitgeben werde; baflz 
beftehe er auf bie Entfernung Grumbkows als eines 
wie er aud aufgefangenen Briefen beffelben an ben presffifchen 


1) Geſandtſchaſtebericht v- 5. Apeil 1730 bei anmer M. & 508 


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Unterhanblungen mit Hannover. . 59 


Refidenten Reichenbach in London beweifen koͤnne. Friedrich 
Wilhelm willigte unter der früher angegebenen Bedingung in 
»ie Doppelpeirath, wonach alfo der König von England die 
Roften des Unterhalts für beide Paare Übernehmen folte; auch 
volle er den Minifter Srumbkow entlafien, wenn man beffen 
Berrätherei beweifen Tönse '). Der König Georg war bereit, 
»em Kronprinzen als feinem Gchwiegerfohne die Gtatthalters 
haft von Hannover zu uͤbergeben, doch follte er dann mit 
einer Gemahlin auf einige Zeit nad England kommen 7). 
Während der englifche Gefandte darüber Bericht nach London 
flattete, wendete Sedendorf, dem der König faſt nichts vers 
chwieg, Alles an, um bdiefen von der Unſchuld Grumbkows 
u überzeugen (ben er ſelbſt ſowie den preuffiſchen Reſidenten 
n England mit kaiſerlichem Gelde beſtochen hatte) und den 
Argwohn zu erregen, England fuche nur ben treuen ehrlichen 
Minifter zu entfernen, um mehr Einfluß am preuffifchen Hofe 
im erhalten. Die aufgefangenen Briefe würden, wie die bed 
Betrligerd Clement untergefhoben fein. Ex fagte aud dem 
nf Erhaltung feiner väterlichen Gemalt fo eiferfüchtigen Koͤ⸗ 
vige, ber Kromprinz werde als Statthalter Hannovers ganz 
mabhängig von ihm werben ), und brachte es aller Gegens 
vorftelungen ber Königin bald dahin, daß ihm der König ges 
adezu fagte, feine Tochter möge immerhin nach England ges 
ven, allein fein Sohn folle nie eine Gngländerin heirathen. 
3 Tieß daher durch den Minifter v. Wort dem englifhen 
Sefandten fagen, daß er bie "Statthalterfchaft für den Krens 
rinzen ablehnen mitffe, weil es ſcheinen möchte, als koͤnne er 
einen Sohn nicht felbft ernähren, auch werbe biefer feinem 
!ande dadurch entfrembet werben. Dennoch ſchwankte er, von 
eiden Seiten bebrängt, fortwährend und wollte unter neuen 


1) Mömoires de Bareith L p. 198 ff. ausführlicher PdLIniE 
tm. IL p. 305 29. 


2) Gnglifcher Gefandtfdhaftsberiht d. 26. April n. 6. Mai 1790 in 
. Raumers Beiträgen II. ©. 507. 


3) Yöttnig Mem. II. p. 811 u. 816 f. 


Mai 
1730 


592 Bud VL Drittes Haupeftäd. 


für fi) außbebungenen Wortheilen auch die Vermaͤhlung det 
Kronprinzen mit der Prinzeffin Amalie zugeben '). 

Ein Verſuch, den der Kronprinz machte, um, waͤhrend 

Iuni er mit dem Könige bad prachtvolle Luftlager König Augufs 

bei Müblberg befuchte, durch deſſen Minifter v. Hoym Pit: 

und Pferde zur Flucht zu befommen, mislang, weil er dir: 

nicht erhielt. Er gab daher bem engliſchen Legätionsfenee: 

Guy Ditens, welcher nach London ging, ben Auftrag, zu e: 

forſchen, ob er dort Schuß finden werbe, oder in Frankteih 

derweilen ſolle . Eben fo wenig konnte Auguft für feine eige 

nen Intereffen den König Friedrich Wilhelm von ber Baile: 

lichen Partei abziehen. Nach deſſen Rückkehr verlangte Hothan 

geheimes Gehör, um die aufgefangenen Driginalbriefe Grunt: 

kows vorzulegen, welche deſſen Verrath bewiefen. Seckender 

der das erfahren, ſuchte des Königs ohnehin fo leicht eng 

baren Argwohn gegen den von biefem fo gehafften Georg IL 

möglihft zu entflammen und bie Güte des Kaifers, der ihr 

ia das Hergogthum Berg gefichert, hervorzuheben. Alle Sms 

den und Leidenfchaften des Königs wurben benußt, um ie 

gegen bie Verbindung mit England einzunehmen, vorzügis 

damit er feines eigenen Wohls wegen nicht ben freuen um 

daher verleumbeten Grumblow entlaffe und eben fo wenig u 

die Wermählung des Kronprinzen mit der Prinzeffin Amebe 

wilige; das werbe ihn von England abhängig machen, feinz 

Hof mit Umtrieben erfüllen, die Ausgaben ungemein bermei- | 

ven und fein Anfehen völlig ſchwaͤchen. Als nun Hotham dea 

14. Jull bereitö fo verſtimmten Könige bie aufgefangenen Briefe Grumt: 

1730 kows mit dem Ausbrude ber Ueberzeugung übergab, dieſe 

werde fofort entlaffen werben, und binzufeßte, allerdings fi 


1) Englifher Bericht v. 1% Mai 1730 bei v. Raumer Sp IL 
©. 510 ff. 


O Die wichtige Informatio ex actis, wide Preuß in feam 
Vriedrich der Große Thl. IV. &. 470 zuerſt mitgethellt, aber noch ⸗ 
mauer in Friedriche des Großen Jugend u. f. w. &. 98 gegeben har 
verglichen mit dem englifcen Gefanbtfchaftsberichte d. 16. Suti 1730 ki 
dv Raumer Spt. II. ©. 516. 


FSluchtplaͤne. 593 


einer ber Briefe in Chiffern abgefafit '), allein man habe bins 
länglich geſchickte Leute, um fie zu entziffern, fo gerieth ber 
König in fo heftigen Zom, daß er dem Gefanbten die Briefe 
ins Gefiht warf und den Fuß aufhob, als wolle er ihm einen 
Tritt geben, was er doch unterließ, aber fogleich das Zimmer 
verließ, indem er die Thuͤr gewaltfam hinter fi zuwarf. Eine 
ſolche Begegnung erbitterte ben natürlichen Stolz des englis 
ſchen Gefandten hoͤchlichſt. Ex erklärte allen Gefandten, daß 
daburch in ihm alle gefrönte Häupter beleidigt wären, und 
wollte fofort Berlin öffentlich verlaffen. Der König bereuete 
fogleich feine Uebereilung, lieg fi durch den dänifchen und 
hollaͤndiſchen Gefandten bei Hotham entſchuldigen und erklaͤ⸗ 
ven, baß er durchaus nicht bie Abſicht gehabt, ihn zu beleidis 
gen, ihm auch, wenn er bleiben wolle, jede Genugthuung ges 
ben werde. Allein weder bad, noch die dringendften Bitten 
bes Kronpringen vermochten etwas über ben Engländer, wel⸗ 
cher mit Recht in ſich feinen König beleidigt fah. Diefer befahl 
ihm jedoch, mit ber vom Könige angebotenen Genugthuung 
zufrieden zu fein, welcher ſich darauf durch den Minifter Bork 
förmlich entſchuldigen ließ. Indeſſen verlangte Hotham feine 
balbige Abberufung und erhielt fie ?). 

Der Kronprinz verlor damit jebe Hoffnung, die Hanb 
einer engliſchen Prinzeffin zu erhalten, was ihm allerdings 
mehr Staatsangelegenheit, als Herzensſache war, weil er nur 
dadurch hoffen konnte, ſich der perfönlihen Abhängigkeit und 
noch mehr den ihn faft eben fo drüdenden Gelbverlegenheiten 
zu entziehen, in welchen er fich fortwährend befand, Ex bes 
ſchloß nun, bie erfte günftige Gelegenheit wahrzunehmen, um 
nad England zu flüchten, wo ihm Hotham gute Aufnahme 
zugefichert hatte”), und fi für immer der graufamen Behands 
Iung zu entziehen, die er wieder fortwährend von feinem Bas 
ter erfuhr. Der englifche Gefandtfchaftäferretait Guy Dikens, 


1) Einen Auszug aus ben Briefen gab ber Gefanbte an bie Königin. 
Sie waren im Februar 1730 gefcrieben. Memoires de Bareith I, 
p- 212. 0q. 
9 Pblinig Mem. IL p. 805—325. Miämoires de Bareith I, 
p- 194 sqq. - 
3) Gedtendorfs Bericht bei Förfter Ahl. W. ©. 9, 
Stengel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats, IIL 38 


Juli 
1730 


D 


5 Bud VI. Drittes Hauptſtuͤc. 


welcher ımterbeffen aus London zuruckgekehrt war, rieth ide 
dem Kronprinzen fehr ab, dahin zu flüchten, weil das die Ber 
würfniffe zwifhen feinem Vater und dem Könige Georg am 
vermehren würde, doch wolle man feine Schulden begabten. 
Nun dachte der Prinz daran, vorläufig nach Holland ud 
von ba umftreitig fo bald ald möglich nach England zu gehen '). 
Er glaubte dad auf einer Meife möglich) zu machen, bie der 
König mir ihm nad) Ansbady und zum Befuche einiger füd⸗ 
deutfchen Fuͤrſten unternehmen wollte, und traf dazu die nöthig 
ſcheinenden Anftelten mit feinem Freunde, dem umbefonnenes 
Katte, der hoͤchſt Teichtfinnigerweife, um fi wichtig zu 
machen, von feinem Verhaͤltniſſe zum Kronprinzen ſchwatzte 
fo daß deſſen Abfichten in Berlin faſt allgemein und ohre 
Zweifel aud dem Könige Iängft vor ihrer Ausführung befanzt 
waren”). Deshalb mufften die Herren v. Rochow, Bub: 
denbrod und Waldow während ber ganzen Reife mit dem 
Kronprinzen in demſelben Wagen fahren, und hatten firengen 
Befehl, ihm nicht aus den Augen zu laſſen. Schon in Ank 
bad) wollte der Kronprinz entweichen, was indeſſen fein Schwes 
ger, der Markgraf, verhinderte, zu dem er im Vertrauen von 
feiner unglücklichen Lage gefprochen und Pferde, ald zum Spe 
Herritte verlangt hatte, welche ihm biefer, beforgt vor der 
möglichen Folgen, verweigerte. Der König hielt kein Mi 
mehr in feinem Benehmen. Er hatte den Prinzen in Gege: 
wart mehrer Fremden gefchlagen und ihm wieberholt gefagt: 
„Wenn mein Vater mich fo behandelt hätte, wie ich Euch be 
bandle, fo wuͤrde ich taufendmal für eins entflohen fein, abe 
Ihr habt Fein Herz und ſeid nur ein Poltron "Co Eonzt 
1) Gr hatte wieder 15,000 Thaler Schulden gemacht. &. neog 
bie Informatio ex actis bei Preuß unb Seckendorfe Bericht, bie zuner 
WAfigften Hauptquellen für bie Gefhtdhte biefer Worfälle. Die 
Hauptfädtid ans ben M&molres de Bareith und det Pöltnig fine 
ſich dazu fleißig bei Preuß gefammelt, 
2) Das bezeugen bie engliſchen Berichte bei Kaumer SpL IL 
©. 520 u. 52%. Daf Grumbloio ben König davon bendthrichtigt ©. SSL. 
8) Nemelro⸗ de Bareith I. p. 284. Die englifden Berichte fagn 
mehrmals, ann et 
u 617 im Mai und Iull. : 


Verfud zur Flucht. 5 595 


des Prinzen Entſchluß gu flüchten, nicht wankend werben. 
Auf der fortgefegten Reiſe nach Augsburg und Ludwigsburg Auguft 
wurden daher die noch für nöthig gehaltenen Worbereitungen 
dazu fortgefegt. Endlich während der König mit feinem Ges 
folge in dem Dorfe Steinfurth unweit Sinzheim in Scheunen 
übernachtete, ließ der Kronprinz durch ben Pagen Keith, dem 
Bruder bed nach Weſel verſetzten Lieutenants Keith, unter 
dem Vorwande, daß er zum Vergnügen in bie naͤchſte Stadt 
reiten wolle, wo Markt war, Pferde beforgen, um nach Straßs 
burg zu gehen, und erwartete fie in einen rothen Doc und 5, Aug 
Mantel nach franzoͤſiſchem Schnitte gekleidet, welche er ſich 
während der Reiſe hatte verfertigen lafien, als bereits feine 
Begleiter erſchienen und ihm baten, bie Uniform wieder anzu⸗ 
legen, ehe der König etwa bavon fehe. Im biefem Augens 
blide brachte Keith die Pferde, der Kronprinz wollte ſich auf 
eins derfelben ſchwingen, wurde aber von feiner Umgebung 
abgehalten, zuruͤck in die Scheune gebracht und gendthigt, feine 
Uniform anzuziehen. Der DOberft Derſchau binterbrachte fos 
glei, was gefchehen war, dem Könige, der fich jedoch nichts 
merken ließ, weil hinreichende Beweife der Schuld fehlten '), 
und früh nach Mannheim aufbrach, allein fehr unruhig wurde, 
als er dort feinen Sohn nicht antraf, ber doch vor ihm hatte 
dahin abreifen folen. Das rührte den Pagen Keith, welcher 
ihm zu Pferde gefolgt war, er warf fi zu ben Süßen bes 
Königs nieder und entdeckte, daß er ſich habe bereden Laffen, 
für den Kronprinzen Pferde zu deſſen Flucht zu beftellen. Als 
diefer nun ankam, ließ fich der König dennoch nichts merken, 
5efahl aber bei Leib und Leben deſſen Begleitern Bubdenbrod, 
Baldow und Rochow, ihn Tags und Nachts nicht aus ben 
Kugen zu laſſen. Am naͤchſten Tage in Darmfladt fagte er 6. Aug. 
ndeſſen zum Kronpringen, er wunbere fih, ihm bier zu fehen, 1730 
ndem er geglaubt habe, er wäre ſchon in Paris, worauf dies 
er erwieberte, wenn er gewollt, fo hätte ex ficherlich in Frank⸗ 
eich fein koͤnnen ?). Der König befahl darauf den Begieitern 
ved Prinzen, diefen am nächfien Tage bei ber Ankunft vor 


1) Memoires de Bareith L p. 237. 


2) Sedendorfs Beriht ©. 3. 
38* 


596 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck 


Frankfurt nicht in bie Stabt zu — ſondern ſogleich in das 
zum Abfahren bereite Schiff zu 
In Frankfurt erhielt Dr Fr durch Briefe des Krow 
prinzen, welche dieſer an feinen Freund Katte uͤber Nuͤrnberg 
nah Berlin gefchrieben hatte, die aber aus Verſehen an einen 
Vetter beffelben, ben Werbeofficier Katte in Nürnberg 
men waren, die Beweife von ber beabfichtigten Flucht '). Rn 
konnte er fich nicht mehr faffen. Als er die Jacht, auf we; 
8. Aug. cher er ben Rhein hinab reifen wollte, betrat und feinen Soha 
1730 erblickte, fiel er Über biefen her und würde ihn erwuͤrgt ber 
ben, wenn ihn nicht der General Walbow davon 
hätte. Er faſſte ihm bei den Haaren und ſtieß ihm mit dem 
Gtode dab Geficht blutig, daß Friedrich autrie: „Nie bat bat des 
Geficht eines brandenburgiſchen Prinzen eine ſolche Schmach 
erlitten )." Auf dringende Bitten feiner Begleiter, welche Is 
benögefährliche Mishandlungen des Prinzen befürdhteten, ge 
flattete ber König, daß biefer auf ein anderes Schiff gebradt 


Begleitern des Prinzen, biefen Iebenbig ober tobt wiebr auf 

das Schiff und dann nad Meurs zu bringen. 
Der Prinz war auf Alles gefafft, und weit entfernt, fein 
Abſicht zur Flucht zu bereuen, hielt er fie durch die unwuͤrdige 
Begegnung, welde er von feinem Vater erfuhr, vielmehr für 
gerechtfertigt. Nur das vorauszufehende Schicfal feiner Freunde, 
bie Theil an feinen Entwörfen gehabt, erregte feine Iebhaften 
Beſorgniſſe und vermochte ihn, fih zur Wermittelung an den 
11. Aug. von ihm mit Recht tödtlich gehaflten Seckendorf zu wenden. 
1730 Er fagte diefem offen, wenn fein Vater fortfahre, ihn als ade: 
'gehnjährigen Prinzen mit Schlägen zu behandeln, werde a 
feinen Entſchluß dennoch ausführen, es möge koſten was es 

fe. 


haltung feines Lebens liege ihm wenig, nur bebauere er die 
1) Mömoires de Bareith I. p. 237. 
2) Ordenborfe Erben Ahl. IIL ©. 286. 





Gefangenſchaft des Kronprinzen. 597 


jenigen Dfficiere, welche von feiner Angelegenheit Kenntniß 
gehabt und unſchuldigerweiſe ungluͤcklich würden, während doch 
er allein fie zur Theilnahme berebet. Wenn ihm der König 
Begnabigung für diefe verfpreche, dann wolle er Alles ent 
deden, wo nicht, fo möge man ihm den Kopf abfdlagen, er 
werde Niemanden verrathen. Er bat Sedendorf, mit dem 
Könige darlıber zu fprechen und ihm wo möglich aus biefem 
Labyrinth zu helfen, was er ewig bankbar erkennen werde. 
Seckendorf, der wohl einfah, daß das Unternehmen des Prin 
zen nichts als ein unüberlegter und unter den obwaltenden 
Umftänden wohl verzeihlicher Jugendfireih war, und baß ber 
König in feiner Heftigkeit zu weit ging, theilte wirklich in 
Meurs die Nachricht von des Prinzen Reue dem Könige mit, 
welcher darauf verficherte, er wolle gegen alle Theilnehmer 
Gnade für Recht ergehen laffen, wenn ber Prinz offenherzig 
und ohne Falſch, woran er doch fehr zweifele, Alles entdeden 
würde. Als er aber gleich darauf erfuhr, ber Lieutenant Keith 
fei bereits feit einigen Tagen aus Wefel geflüchtet, und er 
nicht mit Unrecht deffen Theilnahme am des Kronpringen Uns 
ternehmen vermuthete '), entrüftete ex fi von Neuem, ließ 
feinen Sohn nah Wefel und dann vor fi bringen, unb 12 Aug. 
fragte ihn drohend, warum er habe befertiren wollen. Der 1730 
Kronprinz antwortete entfchloffen: „Weil Sie mich nicht wie 
Ihren Sohn, fondern wie einen nieberträchtigen Sklaven bes 
handelt haben!" „Ihr feid alfo nichts als ein feiger Deferteur 
ohne Ehre”, fagte ber König. „Ich habe fo viel Ehre als Sie", 
erwiederte der Prinz, „und nur bad gethan, was Sie mir hun⸗ 
dertmal gefagt haben, Sie würden es in meiner Stelle thun!“ 
Der König durch diefe ihn wegen ihrer Wahrheit ſchneidend vers 
letzende Antwort in die Aufferfle Wuth gefeht, zog dem Degen, 
um feinen Sohn zu durchbohren. Der Generalmajor von ber 
Mofel, warf ſich augenblicklich zwifchen Beide und rief: „Durchs 
bohren Sie mich, aber ſchonen Sie Ihres Sohnes!" Das brachte 
den König zur Beſinnung, er ließ den Prinzen abführen. Der 
General Mofel machte ihm mun lebhafte Vorftellungen über 
fein Verfahren: er fei immer Herr feined Sohnes, aber er 


1) Sedendorfs Bericht ©. 4. 





598 Bud VL Drittes Hauptftäd. 


dürfe ihn nicht verurtheilen, ohne ihn zu hören, endlich begek 
ex eine Todfünde, wenn er deſſen Henker werde. Er bat im 
den Prinzen durch getreue und zuverläffige Männer verhörm 
zu laſſen und ihn nicht mehr zu fehen, weil ihn ber Anbiif 
feines Sohnes auffer fih bringe. Der König fah das m 
folgte ihm und feßte felbft Brageartifel auf, über welche n 
den Prinzen durch den Oberflen Derſchau verhören ließ. 
Der Prinz, welcher ſich nicht getrauete, von feiner bear 
fihtigten Flucht nach England etwas zu geftehen, fagte ans, 
er babe über Landau und Straßburg nad Paris gehen, den 
unerkannt Kriegäbienfte nehmen, fih in Italien außzeicne 
und feined Baterd Gnade wieder erwerben wollen. Woher n 
das Geld genommen, dad er an Katte und Keith gegeben 
wollte er nicht geftehen. Mit diefer an ſich fehr unwahrſchein 
lichen Angabe und der augenfcheinlichen Abſicht, die Wahrket 
nicht zu geftehen, Eonnte der König nicht zufrieden fein. Seit 
dem jeboch auffer dem fchriftlihen Beweiſen auch das eigen 
Geſtaͤndniß des Kronprinzen vorlag, baß er habe flüchten wer 
Ien, was fein Vertrauter, ber Lieutenant Keith in Weſel and 
glüclich bewerkſtelligt hatte, während ber unbefonnene Katz 
bei feinem Verweilen in Berlin feftgenommen worben war, 
bildete ſich bei dem Könige entfchieden die Meinung aus, diefe 
ganze Angelegenheit, bei welder nur Officiere betheiligt we 
ven, müffe militalrif und zwar als Defertionsfache beham 
beit und barlıber aach ben Kriegsartikeln geſprochen werden‘). 
Wenn man erwägt, daß ber Koͤnig nichts Hoͤheres und Ehren 
wertheres Tannte, als den Kriegsmann, daß er felbft mit dem 
vollen Bewuſſtſein unbefchränkter Gewalt fich feinen Dfficierm 
gegenliber, doc mehr als deren Pelbhauptmann betrachtete 
und fogar perfönliche Verlegung ber ihm gebührenden Ehre: 
bietung nicht als Monarch wie ein Staatsverbrechen, fondern 
nur als Dberſt wie ein Vergehen gegen bie Kriegszucht an 


1) Daß der König nicht erſt nach den Werhören in Kuͤſtrin auf die 
fen Gebanten gelommen, wie bie Pringeffin Wilhelmine (Memoiren de 
Bareith I. p. 255) annimmt, fcheint mir das Benehmen des Königs vom 
erften Anfange an und auch das ſchon 31. Auguft von ihm bewirkte Aus 
fioßen beffelden aus dem Heere, ſowie bie ganze Art ber angeflellten Bro 
Höre zu beweiſen. 





Des Kronptinzen Gefangenſchaft. 59 


einem Major feines Peibregiments rügte, daß er ſich endlich 
ſelbſt fireng den von ihm erlaffenen Kriegsordnungen fügte, 
fo wird man bie Zorm feines Verfahrens gegen feinen Kron⸗ 
prinzen, ber in feinen Augen boch hauptſaͤchlich Dfficier war, 
nicht durchaus umangemeflen finden. Wenn man weiter bie 
Strenge ber Kriegdartitel überhaupt, und bei der damaligen 
Beſchaffenheit und Bufammenfegung des großentheild aus ges 
waltſam Eingeſtellten und Lanbfireichern beftchenden Heeres 
befonderd die Schärfe der auf Heereöflucht geſetzten Strafen 
bedenkt und nun das böfe Beifpiel in Anfchlag bringt, wel 
ches hier der Kronprinz und noch zwei Dfficiere gegeben, fo 
wird man des Feldhauptmanns Beforgnifle wegen der Folgen, 
fowie feinen aufferordentlihen Unwillen erklaͤrlich finden. Wenn 
man endlich ſich erinnert, wie bei flarrem Eigenwillen der Ko— 
nig überhaupt feinen Widerſpruch, noch weniger Widerſetzlich⸗ 
keit ertragen konnte, wie feine natürliche, wngevandigte Hef⸗ 
tigkeit oft in eine bi an Wahnfinn grenzende Wuth überging, 
dann wird man vielleicht etwas nachfichtiger uͤber die rohe 
Härte des Vaters urtheilen, der in feinem bisher ſchon als 
irreligiöß, unſoldatiſch, verſchwenderiſch, ausſchweifend, falſch 
und ungehorſam betrachteten Sohne, nun einen’ eidbruͤchigen 
‚Heereöflüchtling fah, der ſich der Gewalt feine® Vaters auf 
ehrlöfe Weife entziehen wollte, um ſich ihr im Auslande und 
zwar in England, bei dem ihm fo verhaflten Schwager, dem 
Könige Georg II. zu widerfegen. 

Er befahl daher fogleich feiner Gemahlin, als einer Mits 
ſchuldigen des Prinzen, fofort ihr Luſtſchloß Montbijou zu vers 
laſſen und ſich in ihren Zimmern im Schloſſe aufzuhalten, 
ließ fie zwar durch ihre Oberhofmeifterin auf bie Unglücksbot⸗ 
ſchaft vorbereiten, fchrieb Ihr jedoch fhonungslos ): „Ich habe 
den Schurken, den Frig, feftnehmen laffen und werde ihn be 
handeln, wie es feine Werbrechen und feine Feigheit verbimen. 
Ich erkenne ihn nicht mehr ald meinen Sohn an, er hat mid) 
und mein ganzes Haus entehrt. Ein folder Elender verbient 


nicht mehr zu leben!” Bei feiner Ankunft begegnete ex ihr mu. 


nicht wie ein ungiädlicher Water, fondern bei feiner unbezaͤhm⸗ 
1) Mömeires de Bareith I. p. 226. Pöllnig Mim. IL. ©. 854. 





600 Bud VL Drittes Hauptfiäd. 


baren Heftigkeit wie ein Tyrann, klindigte ihr ben Tod be 
Sohnes an, belegte feine Tochter Wilpelmine als vermuther 
Theilnehmerin an ihred Bruders Vergehen, mit den miedrig 
ſten Schimpfworten, pruͤgelte fie halb tobt, und winde ſie mit 
Büßen getreten haben, wenn es nicht ihre Geſchwiſter umd ve 
Königin mit allen übrigen Anwefenden verhindert hätten. Bi 
helmine liegt ohnmädtig auf einem Stuhle und die Hofdamı 
find beſchaͤftigt, fie durch kaltes Waſſer und Riechflaͤſchchen 
zur Befinming zurüdzubringen, die Königin gebt faffungslss, 
Taut wehklagend und die Hände ringend im Zimmer auf und ab, 
die übrigen Kinder weinen zu ben Füßen des Könige mb | 
fuchen ihn zu erweichen '). Er gefteht endlich, der Kronprig | 
lebe noch, ſchwoͤrt aber und drohet, ihn hinrichten zu Lffemn | 
und dody, in einem ſolchen Xugenblide, wagt es die Diem | 
hofmeiſterin der Königin, die Frau v. Kameke, ihm zu fe | 
gen: „Sie haben Sich hia jest ehmas darauf zu Gute gethen, 
ein gerechter und gotteöfürchtiger Fuͤrſt fein zu wollen, und | 
Gott hat Sie mit Wohlthaten überhäuftz aber wehe Ihnen 
wenn Sie von Gottes heiligen Geboten abgehen. Fuͤrchten Ex 
feine Gerechtigkeit, die Philipp U. und Peter I beſtraſte 
welche dad Blut ihrer Söhne vergoffen haben, wie Sie er 
thun wollen; ihr Mannöftamm ift mit ihnen erlofchen, übe 
Staaten find unglüdlih, und fie zum Abſcheu des menfd 
lichen Geſchlechts geworden. Faſſen Sie Si! Ihr erfier Zom 
iſt vergeiplich, aber er wird zum Verbrechen, wenn Gie ifa 
nicht zu überwinden ſuchen!“ Der König fah fie erflaunt an, 
ohne fie zu unterbrechen; endlich fagte er: „Sie find fehr Kühn, 
daß Sie gegen mich eine ſolche Sprache führen, doch nehm | 
ich e8 micht übel. Ihre Abfihten find gut. Sie ſprechen fir 
müthig zu mir und dad vermehrt meine Achtung für Cie. 
Beruhigen Sie meine Frau!" 

Dann begab er fih zum Verhoͤre, welches er durch ben 
Gemeralaubiteur Mylius und den Generalfiscal Gerbett mit 


| 





1) Daß die Martgraͤſin (Mömoires de Bareith T. L p. 244 og.) hir 
nicht übertrieb, zeigt ber engliſche Geſandtſchaftbericht vom Gept. 1730 
bei Raumer II. ©. 525, da er im Weſentlichen mit dem von the Ger 
fogten übereinftimmt. Bergl. Polinit Min. IL p. 856, | 


Dis Kronpringen Sefangenfhaft 601 


vom Lieutenant Katte anzuſtellen befohlen. Katte fiel gleich 
sei feinem Eintritte zu den Fuͤßen des Königs nieber, beflen 
Buth bei dem Anblide des Unglüdlichen von Neuem erwachte, 
Br riß ihm das Sohanniterfreug vom Halfe, ftieß ihn mit dem 
Kuße und ſchlug ihn mit dem Stocke und der Fauſt blutig, 
38 ihn Grumblow bat, ſich zu mäßigen und zu geflatten, 
Yaß ber Verbrecher verhört werde. Katte geſtand ſogleich Alles, 
vas er wuflte: er babe bem Prinzen nach deſſen Flucht vor 
yem Zorne feines Vaters nad England folgen wollen, doch 
nie irgend einen Anſchlag gegen den König oder gegen ben 
Staat gehabt. Der König wollte ihn foltern laſſen, um zu 
erfahren, ob bie Königin und die Prinzeffin Wilhelmine darum 
geroufit, was jeboch durch Seckendorf abgewenbet wurde. Es 
maren glücticherweife von der Königin, der Prinzeffin Wil⸗ 
heimine und been Anhange alle ihnen und dem Kronprinzen 
gefährliche Papiere vöNig vernichtet worden '), deshalb konnte 
der König über die Einzelnheiten ber unglüdlihen Angelegens 
heit wenig mehr erfahren, als er bereits wuſſte und Satte und 
ber Kronprinz außfagten. Diefen hatte der König (31. Aug.) 
aus bem Heere gefioßen,. dann nach Mittenwalde und balb 4, Seyt. 
barauf nad Kuͤſtrin bringen laſſen. Bei den mit ihm durch 1730 
Mylius, Gerbett und Grumbkow in Gegenwart mehrerer andes 
ven Dfficiere angeftellten Werhören benahm er ſich gefafft, 
ſtellte fich fogar iuſtig. Seine Ausfagen flimmten wefentlich 
mit denen Katte's überein. Nur für diefen, der unſchuldig und 
allein von ihm verleitet fei”), bat der Prinz. Grumblow, 
der fich fogleich überzeugte, daß bie wichtigſten Papiere 
meggebracht worden waren, drängte den Prinzen zu Aus 
fagen über einige Punkte und erhielt nur beleidigende 
Antworten vol ſtolzer Werachtung, was ihn dermaßen ers 
bitterte, daß er dem Kronprinzen mit ber Folter brobete, 
momuf ihm diefer antwortete: ein Henker wie Grumbkow 
!önne nur mit Vergnügen von feinem Handwerke even. Er 
rinerfeits habe Alles geftanden, bereue es aber, „weil ich“, 


1) Mämoires de Bareith I. p. 255. Pöllnig IL ©. 870. 
2) Seckendorfe Vericht v. 5. Gept. bei Foͤrſter W ©. 11. 





602 Bud VL Drittes Hauptkäd. 


fuhr er fort, „nicht mötpig babe, mid zu erniedrigen, un 
einem Schurken, wie Sie find, zu antworten ')I" 
Das der König nicht milder mit denen verfuhr, weide 
in bie Angelegenheiten des Kronprinzen auf irgend eine ve: 
daͤchtige Weiſe verwicelt waren, wirb man ſich Teicht vorkt 
len Tonnen. Die Prinzeffin Wilhelmine durfte ihr Zuzme 
lange Zeit hindurch nicht verlaffen. Ihre Hofdame und bem 
Bruber, ein geheimer Rath v. Bülow, ein geborener Haze 
veraner, ber ald preuffiicher Gefandter in Schweden gencia 
war, mufften binnen zwei Stunden nad Lithauen abgche, 
wohin fie verbannt wurden, weil man fie im Verdachte hatte, 
für die Doppelheirath zu fein ). 

Der Minifter v. Knyphauſen, der von der Partei de 
Königin und im Verdachte war, dem Kronpringen Geld vw 
ſchafft zu haben, erhielt Befehl, mit feiner Gemahlin bias 
24 Stunden Berlin zu verlaffen und ſich nach Liegen aufs 
Sopanniter » Commende zu begeben. 

Der Kammerherr v. Montolieu, welder dem Kronpeis 
zen gegen des Koͤnigs Edict (vom 22. Jan. 1730) eine Ger 
fumme geliehen, erhielt Hausarreſt, wurde verurtheilt, fein GR | 
zu verlieren, und muſſte auſſerdem 1000 Ducaten an ie 
Rekrutenkaffe zahlen. Als er ſich fpdter (1731) heimlich vo 
Berlin wegbegab, befahl der König, ihm als muthmwilige | 
und boöhaften geflüchteten Banquerottmacher durch ben Gar 
ralfiscal den Proceß zu machen und fein Bildniß an den Sb 
gen zu heften. Duhan de Jandun, der Lehrer und Sramı| 
und Hanau, ber Auffeher der Bibliothek des Kronprinza 
wurden nach Memel verbannt, feine Begleiter, die Heus 
v. Rochow und Keyferling, muflten zu ihren Regiments 
zuruck; fein Rammerbiener, obgleich er bie Flucht in Etis 
furth gehindert hatte, wurde in Ketten nach Spandau gefühl 
Ein junges fechzehnjäpriges Mädchen, bie Tochter eines Sar 
tors in Potsdam, welche angeblich in ben Eoncerten des Ste 
prinzen ‚gefungen, doch im Verdachte vertrauteren Umgangs sd 


1) Mämoires de Bareith I. p. 253. Pöllnig IL ©. 368. 


2) Sedendorfs Bericht v. 5. Sept. bei Forſter M. S. 8. Pal 
nit IL ©. 865. 





Des Kronprinzen Gefangenſchaft. 603 


bm war, wurde öffentlich in den Straßen der Stadt aufges 
yeitfept und auf ewig in bad Spinnhaus nah Spandau abs 
jefuͤhrt, ihr Vater abgefegt. Zwei Dfficiere, welche mit Katte 
ind dem Kronprinzen in Verbindung geweſen und im Ver⸗ 
achte einiger Mitwiſſenſchaft waren, wurden feſtgenommen 
md nach erlittener ziemlich langer Haft aus dem Heere ges 
toßen'). Um des Lieutenants v. Keith habhaft zu werben, 
ollte ber preuffifche Gefandte in England fogar eine gute Bes 
ohnung aufroenden diifen ), was doch erfolglos war; des⸗ 
valb wurde er in oͤffentlichen Blättern vorgelaben und, als 
x nit erfhien, in efligie aufgehängt, fein Bruder, ber 
Dage, feftgenommen, bald freigelaffen und als Züfelier in ein 
Regiment eingeftellt ). 

Der Kronprinz wurde in Kuͤſtrin in einen fchlechten blauen 
Rod gekleidet, voͤllig wie ein Staatögefangener, doch mit gros 
jer Strenge behandelt. Den Verhaltungsbefehlen feines Was 
ers gemäß muffte bie Thuͤr feines Gemachs fortwährend vers 
chloſſen fein, durfte während des Tages nur dreimal geöffnet 
verden und niemals länger als vier Minuten offen bleiben. 
Niemand folte bei Lebensſtrafe mit ihm ſprechen Das Eſſen 
vurbe Mittags für ſechs, Abends für vier Grofchen aus der 
Sarküche geholt und Alles Mein gefchnitten, weil der Prinz 
veber Meffer noch Gabeln erhielt. Ebenfo waren ihm Tinte 
ınd Federn *), fogar die Flöte und auffer der Bibel und einis 
jen Andachtöfchriften auch Buͤcher verfagt, die feinigen vers 
auft und er, mit der ganzen Lebendigkeit des jugendlich thätis 
jen Geiles, der Einfamkeit feines Öben Zimmers und Abends 
ogar ber Finſterniß überlaffen‘). Dennoch blieb ex feſt. 

7 Dr Belege für obige Angaben f. in Preuß driedrichs Jugend 
2. A 

2) Urkunde in Preuß Priebrid IL Urkunden. I. ©. 157. Der 

tönig febft gab das Signalement des Keith an. 


3) Acenftüd bei Börfter Friedrichs Jugendjahre S. 69, vergl. 
Dreuß Friedrichs Jugend &. 84. 


4) Inftruction v. 19. Sept. 1730 in Preuß Urkundenb. II. ©. 158. 


5) Preuß ©. 102. Memoires de Bareith L p. 254, wo wie bei 
oditait Mem. IT. p. 867 taͤglich nur vier Groſchen angegeben werben. 


604 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc. 
Ie allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefknh 


tet und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheils mit Unre | 


gehafft war, um fo allgemeiner war die Theilnahme für te 
freundlichen, liebenswuͤrdigen Prinzen, ber fo Vielen bie kr 
baftefte Hoffnung für eine glüdlichere Zukunft gab, deſſen Us 
befonnenheiten man um fo leichter entfchuldigte, je brüdmle 
Jeder die harte Strenge des Waters empfand und je wenige 
unbefannt ed war, wie viel auch der Sohn dadurch gelitin 
hatte. Er fand daher faft uͤberall mitleidige Herzen, weche 
trotz aller. Gefahr es wagten, ihm fehr geheim die irgend mög 
lichen Mittel zu feiner Erholung zu verfchaffen '), auch fem 
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anſtriche von He 
lerkeit ſchreiben zu Tönnen, der doch den Schmerz über da 
Verluft feiner Geliebten, fo nannte er feine Flöte, nur way 
verhüllte, da auch diefe ihn jegt nicht tröften konnte *). 

Bon allen befreundeten Zinften, denen ber König burd 
feine Geſandten mitgetheilt hatte, daß er fih genoͤthigt gie 
ben, feinen Kronprinzen feftzunchmen, weil ex habe heimid 
entweichen wollen, Tiefen Verwendungsſchreiben ein und wor 
zuͤglich im protefantifchen England erwedte des Prinzen Schid: 
fal lebhafte Iheilnahme ?). Doch erwiederte der König ei 
alle diefe Verwendungen, er Eönne fie in einer häuslichen Ir 
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es fich indeß 
fen ſchuldig zu fein, durch genaue Unterſuchung Öffentlich ja 
beweifen, ex babe feinem Sohne keine rechtmaͤßige Urfache ge 
geben, der väterlichen Gewalt heimlich zu entfliehen. Uce 
feinen Schwager, ben er für einverflanden mit dem Kronprie 
zen hielt, und Über dad gefammte Haus Hannover war er ſe 
erbitterty daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen woht, 
auf den Untergang Englands zu trinken, was biefer vice 
Thraͤnen Loftete‘). Er wollte durchaus von gar Feiner, we 
ber doppelten noch einfachen Verbindung feiner Kinder mi 


1) ©. die Eimzelaheiten bei Preuß S. 121. 
9) Mömeires de Bareith I. p. 259. 


8) Gingelnheiten bei Preuß ©. 104. 
%) Secendorfe Bericht bei Börfker II. ©. 11. 


Des Kronprinzen Gefangenſchaft. 606 


enen ſeines Schwagers etwas hören und ließ das dem engli⸗ 
chen, ja ſogar den uͤbrigen fremden Geſandten foͤrmlich ers 
laͤren. Natinlich erhielt ex darauf eine empfindliche Antwort: 
x babe zuerſt Eröffnungen über eine Verbindung gemacht, 
uf welde fih Georg nur aus Liebe flr feine Schweſter und 
us Zuneigung für deren Jamilie eingelaffen '). 

Es war indeffen wirklich Friedrich Wilhelms Abſicht, 
en Kronprinzen kriegsrechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch 
ie Thronfolge dem vom Water begünſtigten Prinzen Wilhelm 
ufallen muffte; doch wurden mancherlei Zweifel in ihm wach 
mb bie natürliche und wahrhaft ſtarke Liebe des Waters zum 
Bohne erregte einen heftigen Kampf mit der ſtarren Strenge 
es Feldhauptmanns gegen den flüchtigen Dfficier, des unbes 
chraͤnkten, keinen Widerſpruch duldenden Fuͤrſten gegen den wis 
erfpänfligen Unterthanen, des frommen Mannes und fparfamen 
Birth8 gegen den von ihm religids und moraliſch faſt aufges 
ebenen Verſchwender. Es fcheint, daß er fich deshalb unter 

er Hand Bechtögutachten geben ließ?) und biefe ihn verans 
aften, dem Kronprinzen ben Vorſchlag machen zu laſſen, auf 

ie Ipronfolge zu verzichten, was dieſer aber entſchieden vers 
oeigerte *. 

Endiich, nachdem die Acten geſchloſſen waren, ſetzte der 
tönig ein Kriegsgericht nieder, welches unter dem Vorſitze 
ines Generallieutenants von ba herab aus drei Dfficieren je⸗ 
es Ranges bid zum Hauptmanne einfchlieglich, ferner dem 
3eneralaubiteur, dem Generalfiscal und dem Aubiteur des Res 
iments Gensb’armen befand, zu welchem Katte gehörte, um 
ber biefen und ben Kronprinzen zu ſprechen. Obgleich aber 
er König das wiederholt befahl, fo weigerten ſich die waderen 
Ränner des Kriegsgerichts dennoch, über ben Kronprinzen ei 
rtel zu fällen und wollten das nur Über Katte thun. So⸗ 


1) GSefanbtfchaftsbericht in ber neuen berliner Monatsſchrift HL 9. 
. 889 u. 842. Vergl. Seckendorfs Bericht bei Börfter pt. I. S. 9. 


2) Eines berfelben Me BEERer im Bebbriäe Sugenbjeprrn 
. 110. Bergl. Nicolai Anechoten Heft IL 


8) Secendorfe Bericht v. 9 


604 Buch VL Drittes Hauptſtuͤck 


Se allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefkuh 
det und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheils mit Unrek 
gehaſſt war, um fo allgemeiner war bie Theilnahme für de 


freundlichen, liebenswuͤrdigen Prinzen, ber fo Wielen bie k& 


haftefte Hoffnung fr eine glüdtichere Zukunft gab, deſſen Ua 
befonnenheiten man um fo leichter entfchuldigte, je brüdete 
Jeder die harte Strenge des Water empfand umd je wenige 
unbefannt ed war, wie viel auch der Sohn dadurch gelten 
hatte. Er fand daher faft uͤberall mitleidige Herzen, welde 
trog aller. Gefahr es wagten, ihm fehr geheim bie irgend mip 
lichen Mittel zu feiner Erholung zu verſchaffen ), auch fin 
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anſtriche von He 
terkeit ſchreiben zu koͤnnen, der doch den Schmerz fiber da 
Verluft feiner Geliebten, fo nannte er feine Flöte, nur weriz 
verhuͤllte, da auch dieſe ihn jegt nicht tröften — 

Von allen befreundeten Firſten, denen ber König bh 
feine Sefandten mitgetheilt hatte, daß er fi genöthigt gee 
ben, feinen Kronprinzen feflzunehmen, weil er habe heimih 
entweichen wollen, liefen Verwendungsſchreiben ein und 


zuͤglich im proteſtantiſchen England —— Priy © Sat } 


fal lebhafte Theilnahme *). Doch erwiederte der König ai 

alle diefe Verwendungen, er Fönne fie in einer häuslichen In 
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es ſich inde⸗ 
fen ſchuldig zu fein, durch genaue Unterfuhung öffentlich j 
beweifen, er habe feinem Sohne keine vechtmäßige Urſache ge 


geben, der väterlichen Gewalt heimlich zu entfliehen. Uce | 


feinen Schwager, den er für einverftanden mit dem Kronpris: 
zen bielt, und über dad gefammte Haus Hannover war er ſe 
exbittert, daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen wohn, 
auf ben Untergang Englands zu trinken, was biefer vice 
Thraͤnen koſtete ). Er wollte durchaus von gar Feiner, we 
ber doppelten noch einfachen Verbindung feiner Finder wit 


1) ©. bie Einzelnheiten bei Preuß ©. 11. 
2) Mömoires de Bareith I. p. 259. 

8) Gingelnhelten bei Preuß ©. 108. 

¶) Secenborſe Bericht bei Iorſter I. ©. 11. 





Des Kronprinzen Gefangenſchaft. 606 


senen ſeines Schwagers etwas hören und ließ das dem englis 
chen, ja ſogar den uͤbrigen fremden Geſandten foͤrmlich er⸗ 
laͤren. Natirlich erhielt er darauf eine empfindliche Antwort: 
x habe zuerſt Gröffnungen über eine Verbindung gemacht, 
nf welche fi) Georg nur aus Liebe flr feine Schwefter und 
8 Zuneigung für deren Jamilie eingelaffen '). 

Es war indeffen wirklich Friedrich Wilhelms Abſicht, 
von Kronprinzen kriegsrechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch 
sie Thronfolge dem vom Water begünfligten Prinzen Wilhelm 
ufallen muffte; doch wurden mancherlei Zweifel in ihm wach 
md bie natürliche und wahrhaft ſtarke Liebe des Vaters zum 
Bohne erregte einen heftigen Kampf mit der flarıen Strenge 
»es Feldhauptmanns gegen den flüchtigen Dfficier, bes unbes 
chraͤnkten, Beinen Widerſpruch duldenden Fürften gegen den wis 
verfpänftigen Unterthanen, des frommen Mannes und fparfamen 
Births gegen den von ihm religios und moraliſch faſt aufges 
zebenen Verſchwender. Es fcheint, daß er ſich deshalb unter 

ver Hand Rechtsgutachten geben ließ?) und dieſe ihn verans 
af, dem Kronprinzen ben Vorſchlag machen zu laſſen, auf 
vie Ihronfolge zu verzichten, was biefer aber entfchieben vers 
veigerte"). 

Endlich, nachdem die Acten gefchloffen waren, ſetzte der 
Rönig ein Kriegögericht nieder, welches unter dem Worfige 
ines Generallieutenants von da herab aus drei Officieren jes 
sed Ranges bis zum Hauptmanne einfchließlich, ferner dem 
Seneralaubiteur, dem Generalfiscal und dem Aubiteur des Res 
iments Gendb’armen beſtand, zu welchem Katte gehörte, um 
iber biefen und ben Kronprinzen zu fprechen. Obgleich aber 
ver König das wiederholt befahl, fo weigerten fi) bie waderen 
DRänner des Kriegsgerichts dennoch, über den Kronprinzen ein 
Irtel zu fällen und wollten das nur über Katte thun. &os 


1) Gefanbtfchaftsbericht in bir neuen berliner Monatsfchrift Thl 9. 
3. 839 u. 842. Bergl. Secendorfs Vericht bei Foͤr ſter Thl. W. S. 9. 


2) Eines derſelben ſteht bei Börfer ——— 
5. 110. Bergl. Ricolat Anecboten Heft IIL 


8) Gedendorfü Berkht v. 9. ae 9% 


606 Bud VI. Drittes Hanptküd. 


wohl bad, als die Zeit, bie niemals ganz erlofchene väter 
Liebe und die unerſchrockenen einbringlichen Vorſtellungen reit: 
ſchaffener Männer, befonders des alten, frommen Feibme: 
ſchalls Natzmer und des Fuͤrſten Leopold von Deffau (der m 
beſonderes Gutachten darlber abgab) ‘), daß der König mike 
berechtigt fei, ohne förmlichen Proceß den Thronfolger am fe 
ben zu flrafen, endlich auch wohl die allgemeine Verwenden 
aller befreundeten auswärtigen Höfe, wirkten nach und nah 
auf ben haldflarrigen Sinn des Königs. Als diefer einft übe 
den Widerfpruch feiner Generale heftig wurde, riß ber Frd 
marſchall Buddenbrock, feit ſechs Jahren fein täglicher Geb 
ſchafter, feine Wefte auf und zeigte feine entblößte Brut m 
den Worten: „Wenn Em. Maojeftät Blut verlangen, fo ur 
men &ie meins! Ines befommen fie nicht,, fo lange ih ms 
ſprechen kann!“ was ben König fo erfhltterte, bag er cm 
Beitlang ſchwieg und dann weit milder fprah ). Cabt 
Sedendorf, der ja nun feinen Zweck, Preuffen vom Hazk 
Hannover zu trennen, erreicht hatte, und bem bie von ihn 
felbft vielfach genährte Spannung zwifchen dem Bater und ber 
Sohne zu weit ging, that, was er vermochte, um bem Rz 
zu beſchwichtigen, was auch endlich gelang, als ungeachtet wir 
derholter koͤniglicher Befehle das Kriegsgericht durchaus nich 
dahin zu bringen war, über den Kronprinzen zu ſprechen 
81. Da. Erſt als Gedenborf gewiß war, ber König werbe feinen Eok 
1730 begnadigen, überreichte er das laͤngſt in feinen Händen bein: 
Hiche kaiſerliche Verwendungeſchreiben für den Kronprinzen mi 
ſchlug auf des Königs Befehl, feine Meinung zu fagen, ver: 
ee möge dem Kronpringen burch einige Generale eröffnen, da 
er zwar aus koͤniglicher und väterlicher Gewalt durch ein Triege 
recht über feine Conduite fprechen, doch, weil der Kaifer Ber 
bitte eingelegt, Gnade vor Recht wolle ergehen laſſen, were 
er feine begangenen Fehler fchriftlih abbitte und fi) in Ge | 
genwart mehrerer Generale, Minifter und Landflände auflat 
des Eides veverfiren wolle, in Zukunft auf Feine Weiſe den 
1) Ee iſt nach einer mir gegebenen guverläffigen Werficherung mod 
vorhanden. . 
2) Ricolat Anecboten ‚Heft EI. S. 827, vergl. Preuß ©. 105. 





Katte's Verurtheilung. 607 
Befehlen bed Königs zuwiderzuleben, vielmehr ihnen zu ges 


vorfamen, auch ohne Vorwiſſen feines Waters weber ins noch 


ufferhalb des Reichs Briefwechſel zu führen und im Balle er 
vaB braͤche, fich felbft der Krone und Kur verluflig zu erklaͤ⸗ 
en. Darauf koͤnne der König ihn aus ber Gefangenfcaft 
jefreien, doch daß er Küſtrin nicht verlaffe, vielmehr bei 
ver Kriegs» und Domainenkammer arbeite. Gute zuverläffige 
Männer müfften den Prinzen umgeben und auf feine Beſſe⸗ 
ung wirken '). 

Nun ſprach das Kriegägericht über bie in ber Angelegens 
jeit betheiligten Dfficiere und verurtheilte den Lieutenant Katte 
ur Ausfloßung aus dem Heere und Iebenslänglicher Fekunge- 
trafe ). Der König war damit fehr unzufrieden. Nachdem 
er fi) entfchloffen, den Kronprinzen zu begnabigen, muffte ihm 
oc ein Opfer fallen. Er beftätigte daher wohl den Spruch, 
d weit er die übrigen Dffidere betraf: was aber den Lieutes 
aant Katte anlangt, fuhr er fort, fo fei er zwar nicht ges 
vohnt, die Kriegärechte zu ſchaͤrfen, vielmehr wo möglich zu 
nindern, allein Katte fei nicht nur hberhaupt Officer, fonbern 
ogar, was einen großen Unterſchied ausmache, bei ben bem 
Rönige und deſſen Haufe beſonders eiblich verpflichteten 
Bensv’armen, habe dagegen mit ber Einftigen Sonne (dem 
Rronprinzen) complotirt, anſtatt e8 anzuzeigen, zur Defertion 
nit fremden Miniftern und Gefandten zufammengeftedt, daher 
viffe der König nicht, was für kahle Raifons das Kriegsrecht 
jenommen und ihm nicht das Leben abgefprochen hätte. Auf 
diefe Art werde er fi auf feinen eidlich verpflichteten Officer 
md Diener mehr verlaffen koͤnnen, vielmehr jeder, weil Katte 
o leicht und gut burchgelommen, glauben, daß ihm desgleichen 
yefchehen muͤffe · Der König fei auch in feiner Jugend durch 
vie Schule gelaufen und habe das lateiniſche Spruͤchwort: 
lat justitie et pereat mundus gelernt, deshalb wolle er von 
Rechtöiegen, daß Katte, obſchon er nach ben Rechten vera 


1) Gedenborf Schrelben bei Preuß Urkmbenbuch II. S. 164. 


2) Geſandtſchaftaberichts in ber neuen berliner Monatsfcheift Thi. 9. 
B. 8415 bier ausdrüdtic, daß über den Kronpringen gar kein Urtel ges 
prochen worben. 


1. Roo. 
1730 


6. Rov. 


608 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck 


dient hätte, wegen bes begangenen Majeflätsverbreheni wi 
glühenden Zangen geriffen unb aufgehängt zu werben, bemd 
in Gonfiberation feiner Familie mit dem Schwerte vom !da | 
zum Tode gebracht werben folle. Bei der Eröffnung bike 
Sentenz befahl er dem Katte zu fagen, es tbue bem King 
leid, e& fei aber beffer er ſtuͤrbe, ald daß die Gerechtigkeit ui 
der Welt Fäme ’). Vergeblich waren des unglücklichen juys 
Mannes, ſeines Vaters, des Generallieutenants v. Ratte, w 
feines möütterlichen Großvaters, des alten Generalfeibmarfäskt 
Grafen Wartensleben bemüthige und herzzerreißende Bits 
um Gnade. Der König war unerbittlic, ließ Katte wink 
nah Küfirin bringen, um unter ben Zenftern der Bolt 
des Kronpringen hingerichtet zu werben, ber das mit us 


Freund fehen muffte. Latte nahm mit wenigen Woran b 
ſchied vom ihm. Der Prinz rief ihm tief ergriffen zu: # 
bitte taufendmal Werzeifung, im Namen Gottes Berpiher 
Verzeipung!” Katte erwiederte: Nichts von Verzeihung, TE | 
ich flerbe mit taufenb Freuden für Sie!" Der Kronprinz | 
in Ohnmacht und auf dem alle fiel das Haupt Katie" 
Der König hatte dem Zelbprediger Müller von dem Kegimm 
Gensd’armes, welcher ben Lieutenant Katte zum Tode weit 
zeiten und mit ihm nach Küſttin geben muffte, befohln, vd 
er viel Gutes von ihm gehört und daß er ein rechticafe: 
Mann fei, nach der Erecution zum Kronprinzen zu gehen 
ibm vorzuftellen, daß, wer Gott verlaffe, auch von biis 
verlaffen werbe, und ihm ind Gemiffen zu reden, in fih A 
sehen, fich zu befehren und Gott Inieend und mit zerfuifäts 
Heryen um Verzeihung ber ſchweren Suͤnde zu bitten, ie ® 
begangen, inbem er Leute verführt, deren einer das jeht v 


1) Genauer ald bei Benelendorf ©. 88, bei Preuf &.% 


2) ©. Preuß ©. 98. Ob der Kronprinz bie Gincicptung ui h* 
auſehen Tinnen, üft giemlich gleichgültig. Mer Water wollte e& alaa 
eb gefchah aber Wieles nicht ganı fo wie er es befohlen. 





Der Kronprinz in Küftein, 609 


dem Leben geblißt habe. Das muͤſſe doch fehr vorfihtig ges 
ſchehen und, weil der Prinz ein verfchlagener Kopf fei, wohl 
Acht gegeben werben, daß er wahre Reue zeige. Ferner fole 
ſich Müller bemühen, den Prinzen von der unbebingten Gna⸗ 
denwahl abzubringen, ben Ungrund biefer Lehre aus der hei⸗ 
ligen Schrift dartfun und, weil ber Prinz ein ingenieufer 
Kopf fei, deſfen Eimofirfe kurz und" grämblic; widerlegen. 
Wenn das bem Prinzen zu Herzen gehe, fole Müller bei 
diefem in Küftrin bleiben. 

Gleich nach der Hinrichtung Katte's ließ der Kronprinz 
ben Prediger. Müller rufen, war aber dermaßen erfchlittert, 
baß er fich nicht recht fammeln Tonnte. Nachmittags war der 
Prinz fehr bewegt, ald ibm Müller mehrere Puncte vorbielt, 
melde Katte ihm aufgetragen. Katte bat darin den Prinzen 
unter Betheuerung, daß er ihm feine Schuld wegen feines 
Todes beimeffe, doch in ſich zu gehen, Gottes Hand und Bor 
'ehung zu erkennen, ſich feinem Vater zu unterwerfen und bier 
'eın gehorfam zu fein, auch nicht denen zu folgen, welche feis 
sen Leidenſchaften ſchmeichelten, fondern denen, welche fih 
hnen vwiberfegten. Der Prinz zeigte fortwährend dem Pres 
iger viel Zundgung und Vertrauen, erflärte, daß er fein Un- 
‚echt einfehe und ſich auch in ben Verhoͤren ſehr "vergangen 
vabe, das fei aber gefchehen, weil ihm Niemand beweglich 
ind ohne harte Drohungen zugerebet, wodurch es denn zum 
Keufferfien gekommen, was er bereue. Schwerer war es, ihn 
‚on ber Lehre der unbebingten Gnadenwahi abzubringen, doch 
uch von deren Unhaltbarkeit ſchien er fi bald zu überzeugen, 
o daß der Prediger ben König inftändig bat, barmperzig zu 
ein und dadurch ben Prinzen zu beruhigen, welcher fonft wes 
en anhaltender und zunehmender großer Traurigkeit rettungs⸗ 
8 in eine ſchwere Gemuͤthskrankheit verfallen würde. 

An demſelben Tage befahl, auf Müllers frühere Berichte, der 
n Grunde feined Herzens wirklich gutartige, ja eigentlich weiche 
zater biefem, zu dem Prinzen zu gehen, und ihm, wenn er 
or Gott verfpreche, baß er feine Sünden von Herzen bereue 
nd feinen Vater um Verzeihung bitte, anzuzeigen, der König 


8. Rov. 
17. 


volle ihm zwar noch nicht ganz verzeihen, doch aus ber ſchar " 


ın Haft entlaffen und ihm Leute geben, bie feine Aufführung 
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 39 


604 Bud VL Deittes Hauptſtuͤc. 


Ie allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefüxd- 
tet und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheild mit Unrecht 
gebafft war, um fo allgemeiner war bie Theilnahme für den 
freundlichen, liebenswürbigen Prinzen, ber fo Vielen die kb: 
baftefte Hoffnung für eine gluͤcklichere Zukunft gab, deſſen Un; 
befonnenheiten man um fo leichter entfchuldigte, je brüdender 
Jeder die harte Strenge des Waters empfand und je weniger 
unbefannt es war, wie viel auch der Sohn dadurch gelitien 
hatte. Er fand daher faft Überall mitleidige Herzen, welde 
trog aller. Gefahr es wagten, ihm ſehr geheim bie irgend mög 
lichen Mittel zu feiner Exholung zu verfihaffen '), auch feine 
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anftriche von 
terfeit fchreiben zu koͤnnen, der doch den Schmerz über ben 
Verluſt feiner Geliebten, fo nannte ex feine Flöte, nur wenig 
verhüllte, da auch diefe ihm jet micht troͤſten konnte *). 

Von allen befreundeten ürften, denen der König burg 
feine Geſandten mitgetheilt hatte, daß er fich genöthigt geie 
ben, feinen Kronprinzen feſtzunehmen, weil er habe heimfid 
entweichen wollen, liefen Werwendungsfchreiben ein und vor 
zuͤglich im proteſtantiſchen England erwedhte des Prinzen Schids 
fal lebhafte Zheilnahme *). Doch erwiederte der König auf 
alle diefe Verwendungen, er Fönne fie in einer häuslichen An 
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es ſich inder 
fen ſchuldig zu fein, dur genaue Unterfuchung Öffentlich zu 
beweifen, er babe feinem Sohne keine rechtmäßige Urſache ge 
geben, der väterlichen Gemwalt heimlich zu entfliehen. Ueber 
feinen Schwager, den er für einverflanden mit dem Kronpris: 
zen hielt, und über dad gefammte Haus Hannover war er fo 
enbittert, daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen wollte, 
auf ben Untergang Englands zw trinken, was diefer viel 
Thraͤnen koſtete ). Er wollte durchaus von gar Feiner, we 
ber doppelten noch einfachen Verbindung feiner Kinder wit 


1) ©. bie Einzelnheiten bei Preuß ©. 121. 
9) Mömoires de Bareith I. p. 259. 

8) Gingelnheiten bei Preuß ©. 104. 

%) Seckendorſe Bericht bei Foͤrſter II. ©. 11. 


Des Keonpringen Gefangenſchaft. 605 


Denen feines Schwager etwas hören und Tieß das dem englis 
Then, ia fogar den übrigen fremben Geſandten förmlich ers 
klaͤren. Natırlich erhielt er darauf eine empfindliche Antwort: 
er habe zuerſt Gröffnungen über eine Verbindung gemacht, 
auf welche ſich Georg nur aus Liebe fuͤr feine Schwefter und 
aus Zuneigung für deren Jamilie eingelaffen '). 

Es war indeffen wirklich Friedrich Wilhelms Abficht, 
ben Kronprinzen Priegörechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch 
die Thronfolge dem vom Water begünfligten Prinzen Wilhelm 
zufallen muffte; doch wurden mandperlei Imeifel in ihm wach 
und bie natürliche unb wahrhaft ſtarke Liebe des Vaters zum 
Sohne erregte einen heftigen Kampf mit ber ſtarren Strenge 
des Feldhauptmanns gegen dem flüchtigen Dfficier, des unbes 
ſchraͤnkten, feinen Widerſpruch duldenden Firften gegen den wis 
derfpänftigen Untertanen, des frommen Mannes und fparfamen 
Wirths gegen ben von ihm religiös und moraliſch faft aufges 
gebenen Verſchwender. Es ſcheint, daß er fich deshalb unter 
ber Hu 8 Reqtsgutachten geben ließ *) und biefe ihn verans 
lafften, dem Kronprinzen den Vorſchlag machen zu laffen, auf 
bie —— zu verzichten, was dieſer aber entſchieden vers 
weigerte ®) 

Endlich, nachdem die Acten gefchloffen mn, feste der 
König ein Kriegögericht nieder, welches unter dem Vorfitze 
eined Generallieutenants von da herab aus brei Dfficieren jes 
des Ranges bis zum Hauptmanne einfchließlich, ferner dem 
Seneralauditeur, dem Generalfiscal und dem Auditeur des Bes 
giments Gensb’armen beftand, zu welchem Katte gehörte, um 
über diefen und den Kronprinzen zu fprechen. Obgleich aber 
der König das —— befahl, fo weigerten ſich die wackeren 
Männer des uͤber den Kronprinzen ein 
Urtel zu faͤllen und weten Dt ur db Sat Ka &os 


1) Sefanbtfhaftsberit in bir neuen berliner Monatsfchrift Thl 9. 
©. 889 u. 342. Bergl. Gedendorfs Bericht bei Foͤr ſter IHL IN. S. 9. 


2) Eines Berlin Ihe bei Böcker in Beeteiäs Sogenbiagern 
©. 110. Bergl. Ricolat Anecboten Heft IL 


8) Gedenborfs Bericht v. 9. WBW 





604 Bud VL Drittes Hauptfläd. 


Se allgemeiner der König von feinen Unterthanen gefärd- 
tet und von ber Mehrzahl, wenn auch großentheild mit Unrecht 
gehafft war, um fo allgemeiner war bie Theilnahme für des 
freundlichen, liebenswürbigen Prinzen, ber fo Vielen bie kb: 
baftefte Hoffnung für eine glüdlichere Zukunft gab, deſſen Us 
befonnenheiten man um fo leichter entſchuldigte, je brüdende 
Jeder die harte Strenge des Waters empfand und je wenige 
unbekannt ed war, wie viel auch ber Sohn dadurch gelitien 
hatte. Er fand daher faft uͤberall mitleibige Herzen, welche 
trog aller. Gefahr es wagten, ihm fehr geheim die irgend mög 
lichen Mittel zu feiner Erholung zu verſchaffen '), auch fänz 
geliebten Schwefter Wilhelmine mit einem Anftriche von He 
terfeit fchreiben zu koͤnnen, der dod den Schmerz Über der 
Verluſt feiner Geliebten, fo nannte er feine Flöte, nur wenig 
verhüllte, da auch dieſe ihn jegt nicht tröften konnte ). 

Von allen befreundeten Sürften, denen der König durch 
feine Geſandten mitgetheilt hatte, daß er fih genöthigt geie 
hen, feinen Kronprinzen feflzunehmen, weil er habe — 
entweichen wollen, liefen Verwendungsſchreiben ein und 
zuͤglich im proteſtantiſchen England — 
fal lebhafte Theilnahme *). Doch erwiederte ber Sin e auf 
alle biefe Verwendungen, er koͤnne fie in einer häuslichen An 
gelegenheit durchaus nicht zulaffen. Er glaubte es ſich indeſ⸗ 
fen ſchuldig zu fein, duch genaue Unterſuchung öffentlich zu 
beweifen, er habe feinem Sohne keine rechtmäßige Urſache ge 
geben, der väterlichen Gewalt heimlich zu entfliehen. Ueber 
feinen Schwager, den er für einverflanden mit dem Kronprin 
zen bielt, und Über das gefammte Haus Hannover war er fo 
enbitterty daß er feine Gemahlin bei der Tafel nöthigen wolte, 
auf den Untergang Englands zu trinken, was biefer viele 
Thraͤnen koſtete ). Ex wollte durchaus von gar Feiner, we 
der doppelten noch einfachen Verbindung feiner Kinder mit 


1) ©. die Ginzelnheiten bei Preuß ©. 121. 
9) Mömoires de Bareith I. p. 259. 

8) Gingelnpeiten bei Preuß ©. 108. 

4) Cedenborfs Bericht bei Wörter II. ©. 11. 


Des Keonpeinzen Gefangenfchaft. 605 


benen ſeines Schwagers etwas hören und ließ das dem englis 
ſchen, ia ſogar den übrigen fremden Gefanbten foͤrmlich ers 
klaͤren. Natuͤrlich erhielt er barauf eine empfindliche Antwort? 
er babe zuerft Eroͤffnungen über eine Verbindung gemacht, 
auf welche fi) Georg nur aus Liebe für feine Schweſter und 
aus Zuneigung flr deren Yamilie eingelaffen ’). 

Cs wor indeffen wirklich Priebrich Wilhelms Abficht, 
den Kronprinzen kriegsrechtlich verurtheilen zu laſſen, wodurch 
die Thronfolge dem vom Water begünfligten Prinzen Wilhelm 
jufallen muffte; doch wurben mancherlei Zweifel in ihm wach 
und bie natürliche und wahrhaft ſtarke Liebe des Vaters zum 
Sohne erregte einen heftigen Kampf mit der flarren Strenge 
des Felbhauptmanns gegen den flüchtigen Dfficier, bes unbe 
Ihräntten, Teinen Ziderfprud) bulbenden Fürften gegen den wis 
derfpänftigen Unterthanen, des frommen Mannes und fparfamen 
Wirths gegen den von ihm religioͤs und moraliſch faſt aufges 
zebenen Verſchwender. Es ſcheint, daß ex fi) deshalb unter 
der Hand Bechtögutachten geben ließ *) und dieſe ihm verans 
lafften, dem Kronprinzen ben Vorſchlag machen zu laffen, auf 
die Tpronfolge zu verzichten, was biefer aber entſchieden vers 
weigerte *). 

Endlich, nachdem die Acten geſchloſſen waren, ſetzte der 
Rönig ein Kriegögericht nieder, welches unter bem Vorſitze 
eines Generallieutenants von da herab aus brei Dfficieren jes 
3.8 Ranges bis zum Hauptmanne einfchließlich, ferner dem 
Seneralaubiteur, dem Generalfiscal und dem Aubiteur bed Res 
ziments Gensd'armen befland, zu welchem Katte gehörte, um 
äber biefen und den Kronprinzen zu ſprechen. Obgleich aber 
ver König das wiederholt befahl, fo eigerten fh die waderen 
Männer des Kriegsgerichts dennoch, Über ben Kronprinzen ein 
Artel zu fällen und wollten das nur uͤber Katte thun. So⸗ 


1) Veſandtſchaftsbericht in ber neuen berliner Monatsfcheift SH. 9. 
3. 889 u. 342. Bergl. Secendorfs Bericht bei Joͤr ſter Thl. W. S. 9. 


2) Eines derſelben ſteht bei Foͤr ſter ae Sogenbfafren 
S. 110. Bergl. Ricolat Anechoten Heft IIL 


8) Gedenborfö Bericht v. —— — 


606 Bud VL. Drittes Hanpıkäd. 


wohl bad, als bie Zeit, die niemals ganz erlofchene vaͤterliche 
Liebe und bie unerſchrockenen eindringlichen Vorſtellungen recht⸗ 
ſchaffener Männer, beſonders des alten, frommen Felbmar: 
ſchalls Natzmer umb des Fürften Leopold von Deffau (ber cin 
befonderes Gutachten darüber abgab) ‘), daß der König mict 
berechtigt fei, ohne foͤrmlichen Proceß den Thronfolger am ke 
ben zu firafen, endlich auch wohl bie allgemeine Verwendung 
aller befreundeten auswärtigen Höfe, wirkten nah und nad 
auf den halsflarrigen Sinn des Königs. Als diefer einſt über 
den Widerfpruch feiner Generale heftig wurde, riß der Feld 
marſchall Bubdenbrod, feit ſechs Jahren fein täglicher Geſel⸗ 
ſchafter, feine Wefte auf und zeigte feine entblößte Bruſt ut 
den Worten: „Wenn Ew. Majeftät Blut verlangen, fo uch⸗ 
men Sie meins! Jenes bekommen fie nicht, fo Tange ich noch 
ſprechen kann!“ was den König fo erſchuͤtterte, daß er eine 
Beitlang ſchwieg und dann weit milder ſprach ). Geht 
Sedendorf, der ja nun feinen Zweck, Preuffen vom Haufe 
jover zu trennen, erreicht hatte, und bem bie von ihe 
felbft vielfach genährte Spannung zwifchen dem Bater und dem 
Sohne zu weit ging, that, was er vermochte, um den König 
zu beſchwichtigen, was auch endlich gelang, als ungeachtet wie 
Bepolter Eöniglicher Befehie das Kriegegericht durchaus nicht 
dahin zu bringen war, über den Kronprinzen zu ſprechen 
s1. det. Erſt als Seckendorf gewiß ‘war, ber König werde feinen Sofa 
1730 begnabigen, überreichte er das längft im feinen Händen befind⸗ 
liche kaiſerliche Verwendungsfcpreiben fir den Rronprinzen ımb 
flug auf des Königs Befehl, feine Meinung zu fagen, ver: 
er möge dem Kronprinzen durch einige Generale eröffnen, 24 
er zwar aus Töniglicher und väterlicher Gewalt durch ein Kriege: 
recht über feine Gonduite fprechen, doch, weil ber Kaiſer Bor 
bitte eingelegt, Gnade vor Recht wole ergehen Iaffen, wene 
er feine begangenen Fehler fchriftlih abbitte und fi in Ge 
genwart mehrerer Generale, Minifter und Lanbflände anflatt 
des Eides reverfiren wolle, in Zukunft auf Beine Weiſe den 


1) @8 if mad) einer mir gegebenen guverläffigen Merfiderung mod 
vorhanden. » 


2) Ricolat Aneedoten ‚Heft II. ©. 827, vergl. Preuß ©. 108. 


Katte's Verurtheilung. 607 
Befehlen bed Königs zuwiberzuleben, vielmehr ihnen zu ges 


orſamen, auch ohne Vorwiſſen feined Waterd weber ins noch 


afferhalb des Reichs Briefwechſel zu führen und im Falle er 
108 bräche, ſich felbft der Krone und Kur verluftig zu erklaͤ— 
en. Darauf koͤnne der König ihn aus der Gefangenſchaft 
vefreien, doch daß er Küſtrin nicht verlaffe, vielmehr bei 
see Kriegs⸗ und Domainentammer arbeite. Gute zuverläffige 
Männer muͤſſten den Prinzen umgeben und auf feine Beſſe⸗ 
ung wirken '). 

Nun ſprach dad Kriegögericht über die in ber Angelegens 
seit. betheiligten Dfficiere umb verurtheilte den Lieutenant Katte 
ur Ausſtoßung aus dem ‚Heere und lebenslänglicher Feſtungs⸗ 
hrafe?). Der König war damit fepr unzufrieden. Nachdem 
r ſich entfchlofen, den Kronprinzen zu begnadigen, muſſte ihm 
‚och ein Dpfer fallen. Er beftätigte daher wohl den Spruch, 
o weit ex die übrigen Dfficiere betraf: was aber ben Lieutes 
iant Katte anlangt, fuhr er fort, fo fei er zwar nicht ges 
vohnt, die Kriegrechte zu ſchaͤrfen, vielmehr wo möglich zu 
nindern, allein Katte fei nicht nur überhaupt Officer, ſondern 
ogar, was einen großen Unterſchied ausmache, bei ben bem 
tönige und deffen Haufe befonders eidlich verpflichteten 
Sensd’armen, babe dagegen mit ber künftigen Sonne (dem 
tronpringen) complotirt, anflatt e8 anzuzeigen, zur Defertion 
nit fremden Miniftern und Gefandten zufammengeftedt, daher 
oiffe der König nicht, was für kahle Raiſons das Kriegärecht 
‚nommen und ihm nicht das Leben abgeſprochen hätte. Auf 
iefe Art werbe er ſich auf keinen eiblich verpflichteten Dfficier 
nd Diener mehr verlaffen koͤnnen, vielmehr jeder, weil Katte 
> Teicht und gut durchgekommen, glauben, daß ihm beögleichen 
eſchehen müffe- Der König fei auch in feiner Jugend durch 
ie Schule gelaufen und habe das lateiniſche Spruͤchwort: 
at justitia et perest mundus gelernt, deshalb wolle er von 
techtöwegen, daß Katte, obſchon er nach ben Rechten vers 


1) Gedendorf Gchreiben bei Preuß Urkmbenbuh IL. ©. 164 


2) Gefandtfcaftöberichts in ber neuem berliner Monateſchrift Hl. 9. 
3. 8413 hier autdruͤcich, daß über bem Sronpringen gas fein Urtel ges 
wochen worden. 


1. Ron. 
1730 


608 Bud VL Deittes Hauptfiäd. 


dient hätte, wegen des begangenen Majeftätsverbrechens mit 

glüpenden Zangen geriffen und aufgehängt zu werben, benned 

in Tonſideration feiner Familie mit dem Schwerte vom Lehen 
zum Tode gebracht werden folle. Bei der Eröffnung dieſer 

Sentenz befahl er dem Katte zu fagen, ed thue dem Könige 

leid, es fei aber beffer er flürbe, als daß bie Gerechtigkeit aus 

der Welt kaͤme i). Wergeblic) waren des unglüdlichen jungen 

Mannes, feineß Waters, des Generallieutenants v. Ratte, und 

feines mütterlichen Großvaters, des alten Generalfelbmarfchaßs 

Grafen Wartensleben bemüthige und herzzerreißende Bitten 

um Gnade. Der König war unerbittlic, ließ Katte vielmcht 

nach Küftrin bringen, um unter den Fenſtern der Wohnung 

d Euumpligen jugeien zu man, de bit mi ie 

en follte. 

6. Ro. Katte, der fich wilig und chriſtlich ergeben zeigte, wurde 
zur Hinrichtung vor dem Gchloffe vorbeigeführt, in weiden 
der Kronprinz gefangen war und am Fenfier ben unglücklichen 
Freund fehen muffte. Katte nahm mit wenigen Worten Ab 
fepleb von ihm. Der Prinz rief ihm tief ergriffen zu: „Ih 
bitte taufendmal Werzeihung, im Namen Gottes Verzeihung 

Katte erwiederte: „Nichts von Verzeihung, Prinz 
ich flerbe mit taufend Freuden für Sie!" Der Ko fat 
in Ohnmacht und auf dem Wale fiel dad Haupt Katte6’). 
Der König hatte dem Belbprebiger Müller von dem Regimente 
Gensb’armes, welder den Lieutenant Katte zum Tode vorbe 
reiten und mit ihm nach Kuͤſtrin geben muffte, befohlen, weil 
ex viel Gutes von Ihm gehört und bag er ein rechtſchaffener 
Mann fel, nach der Eyecution zum Kronprinzen zu gehen und 
ihm vorzuftellen, daß, wer Gott verlaffe, auch von biefem 
verlaffen werde, und ihm ins Gewiſſen zu reben, in fi ww 
geben, ſich zu bekehren und Gott Inieend und mit zerknirſchten 
Heryen um Verzeihung ber ſchweren Stube zu bitten, bie a 
begangen, indem er Leute verführt, deren einer das jegt mit 


1) Genauer ald bei Ben ekendo rf ©. 88, bei Preuf &. 95. 


9) ©. Preuß ©. 98. Ob ber Kronprinz bie Hinrichtung mit habe 
anfehen koͤnnen, ift ziemlich gleichgültig. Der Water wollte es allerbingie 
es geſchah aber Wieles nicht ganz fo wie er es befohlen. 


Der Kronprinz in Kuͤſtrin. 609 


vom Leben gebüßt habe. Das muͤſſe doch ſehr vorfichtig ges 
chehen und, weil ber Prinz ein verfchlagener Kopf fei, wohl 
Acht gegeben werben, daß er wahre Reue zeige. Berner fole 
ih Müller bemühen, den Prinzen von der unbebingten Gna- 
venwahl abzubringen, ben Ungrund biefer Lehre aus ber hei⸗ 
igen Sceift darthun und, weil ber Prinz ein ingenieufer 
Ropf fei, deſſen Einwuͤrfe kurz und 'grimblic widerlegen. 
Benn das dem Prinzen zu Herzen gehe, fole Müller bei 
‚iefem in Küftrin bleiben. 

Gleich nach der Hinrichtung Katte's ließ der Kronprinz 
sem Prediger. Müller rufen, war aber dermaßen erfchüttert, 
ya er fich nicht vecht fammeln konnte. Nachmittags war der 
Prinz fehr bewegt, als ibm Müller mehrere Puncte vorhielt, 
velche Katte ihm aufgetragen. Katte bat darin ben Prinzen 
ınter Betheuerung, daß er ihm Leine Schuld wegen feines 
Todes beimeffe, doch im fi zu gehen, Gottes Hanb und Vor⸗ 
chung zu erkennen, ſich feinem Vater zu unterwerfen und bier 
em gehorſam zu fein, auch nicht benen zu folgen, welche feis 
em Leidenfchaften feomeichelten, fondern denen, welche fich 
hnen widerfegten. Der Prinz zeigte fortwährend dem Pre 
Jiger viel Zuneigung und Vertrauen, erflärte, daß er fein Un- 
‚echt einfehe und ſich aud in dem Verhoͤren ſeht vergangen 
yabe, das fei aber gefhehen, weil ihm Niemand beweglich 
ınd ohne harte Drohungen zugerebet, wodurch es denn zum 
Keufferften gefommen, was er bereue. Schwerer war ed, ihn 
von ber Lehre der unbebingten Gnabenwahl abzubringen, doch 
nuch von deren Unhaltbarkeit ſchien er ſich bald zu überzeugen, 
o daß ber Prediger den König inftändig bat, barınerzig zu 
ein und dadurch den Prinzen zu beruhigen, welcher fonft wes 
yen anhaltender und zunehmender großer Traurigkeit rettungs⸗ 
08 in eine fchwere Gemuͤthskrankheit verfallen würde. 

An demfelben Tage befahl, auf Müllers frühere Berichte, der 
m Grunde feines Herzens wirklich gutartige, ja eigentlich weiche 
Bater diefem, zu dem Prinzen zu gehen, und ihm, wenn er 
»or Gott verſpreche, daß er feine Suͤnden von Herzen bereue 
ind feinen Vater um Verzeihung bitte, anzuzeigen, ber König 


8 


volle ihm zwar noch nicht ganz verzeihen, boch aus ber fhars " 


en Haft entlaffen und ihm Leute geben, bie feine Aufführung 
Stenzel, Geld. d. Preuſſiſch. Staats. III. 39 


610 Bud VL Drittes Hauptfläd. 


überwachen ſollten. Ex ſolle dann nur noch Gtabtarreft haben 

und vom Morgen bis zum Abend bei der Kriegd» und Des 

mainenkammer und der Regierung fowohl in oͤkonomiſchen 

Sachen arbeiten, ald Rechnungen abnehmen, Acten nachleſen 

und Ertracte machen. Vorher müffe er aber einen koͤrper⸗ 

lichen Eid ohne Gedankenvorbehalt nicht nur nachmurmeln. 

fondern laut und deutlich ſchwoͤren, des Könige Befehle und 

Willen genau wie ein treuer Diener, Unterthan und Gotha 

nachzuleben; wenn er jedoch wieder umfchlagen, auf bie alım 

Sprimge kommen und den Eid brechen würde, folle ex Kront 

und Kur bei der Erbfolge, auch nad Umftänden wohl gar 

das Leben verlieren ımb Feine Entſchuldigung flattfinden. Uebi: 

gend möge er fich gebulben, bis Alles zu ber neuen Eimmid- 

tung bereit fei. „Gott gebe feinen Segen“, ſchloß der Koͤrig 

„unb der Heiland helfe, daß diefer ungerathene Sohn zu feine 

Gemeinſchaft gebracht, fein Herz zerknirſcht, erweicht und ge 

ändert, auch dem Satan aus den Klauen geriffen werben möge” 

10. Rod, Müller erhielt vom Kronprinzen die Zufage, ſtandhaft ba 

1730 dem ernftlichen Vorſatze der Lebensbefferung und im Gehorfem 

gegen feinen Water verbleiben zu wollen, und erfreuete ihm 

darauf durch die Nachricht von feiner Begnadigung; doch 

wollte der Prinz vorher die Eibesformel uhb die dazu gedoͤti⸗ 

14. Ron. gen Puncte fehen. Unterdeffen foderte der König den Felt: 

1730 prediger Müller auf, unabläffig an des Prinzen Bekehrung ju 

arbeiten und ihm vorzüglich den ſchweren Irrthum von te 
unbebingten Gnadenwahl zu benehmen ). 

Die vom Könige angeordnete, aus dem geheimen Rath 

v. Thulemeier und fieben Generalen und Oberften beſtehende 

Commiſſion begab fi daranf nach Küftrin ymd uͤberſchicke 

dem Prinzen die vom Könige eigenhändig aufgefeßte Eidesfer: 

mel, indem fie ihm 24 Stunden Zeit zur Ueberlegung gab, 

ob er mit gutem Gewiſſen zu ſchwoͤren denke. Der Kronprinz 

ſchidte die Eidesformel ſchon früher mit den Worten zurid, 

daß der Eid ihm zu halten nicht ſchwer, weil ex feft entihlef: 


1) Bias Ir ——— — Friedrichs —E welcher ein | 
merkwuͤrdigen ſel über ehemaligen Aufenthalt des gedachtea 
Königs in Küftein enthält. SWBerlin 1788. 


Der Kronprinz frei in Kuͤſtrin. 611 


fen ſei, ſich in Bufunft voͤlig nad des Königs Willen und 
Befehle zu richten. Er leiftete ihn auch am naͤchſten Sonn⸗ 19. Rov. 
tage in Gegenwart der Gommifflen, erhielt anflänbige Civil 1730 
Meldung, wohnte bem Gottesbienfte bei, genoß ba8 heilige 
Abendmahl und bat feinen Water fehriftlich, ihm zu verzeihen, 
wie er fich deffen Gnade gaͤnhlich unterwarf). Er wurde 
nun fo weit in Freiheit gefegt, daß er in ber Feſtung umher⸗ 
gehen, fie aber nicht ohne Fönigliche Erlaubniß verlaffen durfte. 
Im einer 18 Bogen langen Inftruction, welche beflimmte, 
daß er Tünftig gar nicht mehr zum Kriegsdienfte, fondern nur 
zu Regierungsgeſchaͤſten gebraucht werben folle (mogegen er 
jedoch dem Könige, als ihm fehr ſchmerzlich, Vorſteliungen 
machte), wurde angeordnet, was er täglich als Affeflor bei 
der dortigen Kriegds und Domainenkammer thun und daß er 
auch alle Berichte derfelben mit unterfepreiben fole. Um ihm 
die franzoͤſiſche Tracht zu verleiden, erhielt er eine koſtbare 
nad ber neueften franzoͤſiſchen Mode verfertigte Kleidung, 
doch wurde ihm verboten, franzöfifch zu ſprechen und zu fehreis 
ben, damit er fi die Liebe zu ausländifhen Manieren abge 
wöhne, wie der König zu Sedendorf fagte”). Es wurde dem 
Prinzen ein befonder6 für ihn eingerichtetes ‚Haus übergeben 
und fie eine paffende und anſtaͤndige, doch nur aus Civilbe⸗ 
amteten beflehende Umgebung zur Uebermachung, Geſellſchaft 
und Bedienung deſſelben geforgt”).. Der König ließ durch 
feine Gefandten an auswärtigen Höfen befannt machen, er 
habe feinen Sohn auf von diefem bezeugte herzliche Reue bes 
gnadigt und ihm zur Prüfung feines Gehorfams die Stadt 
Küfkrin zum Aufenthalte angewiefen. Dem Kaifer verficherte 
er, nur beffen Verwendung verdanke ber Kronprinz bie erfolgte 
Begnabigung*). 


1) Bei Körfter Friedrichs Jugendjahrt S. 126. 

2) Sedtendorfs Bericht bei Börfter Ahl. II. S. 10 u. 11. 

3) Der geheime Rath v. Wolden wurde Hofmarſchall des Kron⸗ 
pringen. Der König nannte feinen Sohn in Briefen an Wolden deſſen 
Untergebenen, in Preuß Urkundenb. IL ©. 169 u. 1700. 5. u. 11. Aus 
guft 1731. 

4) Preuß Friedrichs Sugenb ©. 120. Die Schreiben bei Börfter 

iedrichs Jugendjahre ©. 115 ff. x 
39 


612 . Bud VL Drittes Haupefüd 


21.Rov. Der Kronprinz wurde nun als jüngfler Krieg und De 
1730 mainenrath "bei dem Gollegium eingeführt. Ais der Binifin 
v. Srumblow glei) am folgenden Tage dem Könige zwi 
vom Kronprinzen ganz eigenhändig gefchriebene Kammerrelatie 
nen und eine dritte nur umterfchriebene übergab und anftug 
ob daS ferner fo gehalten werben folle, fchrieb der König 
barunte: Brig fol nicht blos unterfhreiben, er fol feihk 

— 8* 

Der Prinz arbeitete nun regelmaͤßig bei ber Kammer, er 
hielt vom Kammerbirector Hille Unterricht in Finanz⸗, Han: 
dels, Manufactur⸗ und Polizeifachen und vom —— 
Hünide in der Landwirthſchaft und Domainenverwaltung, und 
Iegte unfkreitig hier den Grund für die einem preuffifchen Ri 
nige fo unumgänglich nöthige Kenntniß der wichtigſten Ber: 
waltungszweige”). Mancherlei Erholungen durch Saͤlle und 
Feſtlichkeiten verfchafften ihm feine Umgebungen , 
der Kammerpräfibent v. Mimchow und deſſen Samilie, welde 
Alles, was fie vermochten, beitrugen, um ihn zu erheitern 
Auch die Flöte wurde wieder fleißig geblafen. Er ya ana 
neuen Freund in dem Hauptmanne v. Knobelsdorf, ber wegen 
feiner ſchwaͤchlichen Gefunbpeit, und um gen ei feine Neigung 
zur Malerei und Baukunſt leben zu koͤnnen, den 

Februar aufgab’). Seinem jungen Freunde Natzmer ſetzte ber Kron- 

A731 pring wohl auseinander, daß Preuffen, um fi aus bem 
Staube zu erheben und an bie Spige des Proteſtantismus zu 
treten, benachbarte Länder, zunaͤchſt Weflpreuffen, des 8 
ſammenhangs mit Oſtpreuſſen wegen und um den Polen einen 
Baum anzulegen, dann bad fehwebifhe Pommern und Jülich 
und Berg erobern muͤſſe ). 

Dennoch war ihm biefe eingefchränkte Lebensweife in 

Fern Küftein bald Aufferft zuwider), und er wendete Alles an, 


1) Bei Börfter Briedriche Jugendiahre ©. 185. 
2) Preuß Friedrichs Jugend ©. 124 ff. 

3) Ebendaſ. ©. 122, 

4) Bei Foͤrſter Thi. II. ©. 17. 


5) Hille an Grumbkow 4. April 1781 bei Körfker TH. IE. ©. 21. 
Bolden an Grumbkow 28. Apr. 1781.chendaf. S. 41. 


Der Kronprinz frei in Küſtrin. 613 


was er vermochte, um ſich ihr fo bald als möglich zu ent⸗ 
ziehen. Er fah jetzt wohl ein, baß er das nur durch feinen 
Water koͤnne bemühete ſich daher auf jede Art, diefen günftig 
fir fih zu fimmen. Das folgfamfte Eingehen in des Waters” 
Anfichten, die Ausdrüde der größten — die hoͤchſten 
Betheuerungen, wie hoch er die Gnade des Vaters ſchaͤtze, 
und ſonſt vorſichtiges Benehmen in Beziehung auf dieſen ), 
führten ihn, wie es (dien, dem Biele nicht merklich oder doch 
nicht ſchnell genug näher”). Nun wuffte er fehr wohl, daß 
feinem Water die ſchon oft erwähnten Entwuͤrfe zu Heiratbe⸗ 
verbinbungen mit dem Haufe Hannover hoͤchſt verhaſſt waren, 
und daß er feine Gemahlin und ſeine aͤlteſten Kinder im Ver⸗ 


mit. beffen Abfichten und den poliifchen Verdatniſfen ber 
europdifchen Staaten, aber im Grunde immer voll von Stre⸗ 
ben nach Macht, erflärte er [eriftlich dem General Crumblom, April 
ex verzichte auf jede Heirath gegen feined Vaters Willen, wolle 1731 
ganz auf deſſen Abfihten eingehen und fogar Die ältefte Xodhe 
ter des Kaifers, Maria Therefia, heirathen, ohne doc bie 
Religion zu ändern, was er um keinen Preis aus weltlichen 
Rüdfichten thun werde. Er glaubte, ber Faiferliche Hof nehme 
Beine Ruͤckſicht mehr auf den Herzog von Lothringen und es 
fei fein anderer geeigneter katholiſcher Prinz vorhanden. Wenn 
der Prinz von Wales dann die Prinzeffin Wilhelmine von 
Preuffen heirathe, fo werde England bie pragmatiſche Sanction 
unterflügen, er aber zu Gunften feines jüngeren Bruders Wil⸗ 
beim auf die preuſſiſchen Staaten verzichten, fobald pan ihm 
werde bie Mittel angewielen haben, fir bie Zeit der Lebens⸗ 
dauer des Kaiſers anftändig zu leben’). Grumbkow war über 
diefen Vorſchlag wie aus den Wolken gefallen und ſchickte ihn, 


2 On garde le decorum. Hille an Grumbkow bei Börfter III. 


"nm sn hm dv Pan A 
Grumblow im April an Hile auseinander, ehendaf. © 


3) Ebendaſ. ©. 21. 


614 Bud V. Deittes Hauptftäd. 


unftreitig nach mit Seckendorf genommener Kuͤckſproche, eilig 
nach Küftrin zur, um ihn zu verbrennen, weil er ben Rs 
nig Aufferft erbittern würbe. Mie werde eine Erzherzogin einen 
anderen ald einen katholiſchen Prinzen von altem Gchret und 
Kom heirathen, und auch in die Heirath der Prinzeffin Bir 

helmine von Preuffen mit dem Prinzen von Wales fei von 
Georg UI. immer nur unter der Bebingung eingewiligt wor 
ben, daß ber Kronprinz die Prinzeffin Amalie von Englası 
heirathe . Grumbkow verſprach, alles Mögliche “beizutragen, 
um ben König wit dem Kronprinzen außzuföhnen; Alles Tomme 
darauf an, daß Beide einander einmal fähen. Er kenne bei 
Her des Königs, deffen Zärtlichkeit ſich dann ſicher auf eine 
den Prinzen überrafchende Weiſe zeigen werbe'). 

Der ſcharffinnige Eugen, welcher mit Seckendorf glaubte, 
der Kronprinz. habe feine Erklaͤrung nur gegeben, um de 
oͤſterreichiſchen Partei am berliner Hofe eine Falle zu legen 
meinte doch, man ‚erkenne daraus, wie aus den ihm vorher 

ſchon befannten Eroberungsentwuͤrfen des Kronprinzen: „was 

vor weit ausſehende Ideen dieſer junge Here habe, und wie 

wohl felbige noch flüchtig und nicht genug überlegt feim, fo 

muͤſſe es ihm doch an Lebhaftigkeit und Wernunft gar nit 

fehlen, mithin er mit ber Beit feinen Nachbarn um fo gefaͤhr⸗ 

licher werben bürfte, werm er von feinen bermaligen Prins 
Be nicht abgebracht werde ).“ 

er König ſchickte nun dem Prinzen geiflliche Bücher, 

Fon Vefer ſich ſehr unterwärfig bebankte, und verficherte, 

daß es fein größtes Vergnügen fei, dem Willen des Königs 

aud darin nachzuleben, nicht aus Zwang, fondern aus der 

aufrichtigen Abfiht, ihm zu gefallen, unb in ber Hoffnung 

feine Gnade dadurch wieder zu erlangen. Der König erwie⸗ 

derte darauf in dem erflen Briefe, den er feit dem unheilvol⸗ 

3. ar len Fluchtverſuche an feinen Sohn ſchrieb: „Wollte Gott, Ihr 

1731 hättet meinen väterlichen Rath und Wilen von Jugend auf 

befolgt, fo wäret Ihr nicht in ſolch Unglüd verfallen, denn 

die verfluchten Leute, die Euch infpirirt haben, durch die welt: 


1) Grumbkow bei Foͤrſter IIL ©. 25. 
2) Eugen ebendaf. ©. 27. 


Prinzeſſin Wilhelmine 615 


lichen Bücher klug und weife zu werden, haben Eu bie 
Probe gemacht, daß alle Eure Klugheit und Weispeit zu 
nichts und zu Quark geworden.” Er wife mebr, als der 
Prinz bei der Commiffion auögefagt, zum Beweife, daß Falſch⸗ 
beit zu nichts helfe: „Gott gebe aber“, fuhr er fort, „daß 
Euer falſches Herz durch Euren Arreft möge vollkommen ges 
beſſert werben ’)." Wal darauf geſchah ein Schritt, welcher 
wirkfamer zus Befreiung des Kronprinzen war, als alle Bits 
ten und Demüthigungen, denen er fih unterziehen muſſte. 
Ungeachtet fo vieler bitteren Erfahrungen hatte die Rds 
nigin, welde ihres Gemahls Wankelmuth in allen Dingen, 
bie weder bad Heer noch bie Finanzen angingen, fehr wohl 
Tannte, dennoch die Hoffnung nicht aufgegeben, ihre Tochter 
Wilpelmine mit dem Prinzen von Waled zu vermäßlen. Gie 
prägte diefer, welche noch fortwährend auf ihr Zimmer bes 
ſchraͤnkt war, auf das Nacbrhdlichfte ein, ſeſt au bleiben, 
allen Stinmen Trog zu bieten und jeden Vorſchlag zu einer 
anderen Heirath abzumeifen, ja fie ſoͤhnte fich fogar mit dem 
ihr tödtlich verhafiten Grumbkow ſcheindar aus, als biefer 
feinen Beiftand zur Erreichung des ſehnlich gewimfchten Ziels 
zuficerte‘). Doc war das ohne allen glinftigen Erfolg. Auf 
eine ſtolze Anfrage Friedrich Wilhelms über die Vermählung 
der Pringeffin Wilhelmine mit dem Prinzen von Wales erfolgte 
eine noch flolzere Antwort Georgs IL: wenn nicht bie Wer 
mäplung feiner Tochter mit dem Kronprinzen ftattfinden folle, 
werde er feinen Sohn vor Ablauf des Jahrs vermählen. 
Friedrich Wilhelm antwortete mit umgehender Poſt: er habe 
befchloffen, feine Tochter noch vor Ablauf von zwei Monaten 
zu vermählen und bereitö Alles dazu vorbereitet. Die Königin 
war in Werzweiflung, allein, ungeachtet fie wieder auflers 
orbentlich durch die harte Begegnung zu leiden hatte, bie fie 
von ihrem Gemahle erfuhr, der dadurch aud von Neuem hef: 
tig auf ben Kronprinzen erbittert wurde, gab fie ihre Hoff: 


1) Bei Preuß Urkundenb. II. ©. 166. Vergl. Wolden an Grumb« 
tow v. 5. Mai 1731 bei Börfter II. ©. 48. 


2) Memoires de Bareith I. p. 281 s. 


616 Bud VL Drittes Yauptflüd. 


mungen auch jegt noch nicht auf‘). Indeſſen waren alle Bor: 
Kelungen, Bitten und Thränen vergeblich. Auf Befehl des 
Königs muffte Grumblow in Anwefenheit der Minifter Bork, 
Podewils und Zhulemeier der Prinzeffin Wilhelmine vorftellen, 
fie reize ihren Vater von Neuem gegen ben Kronpringen, fie 
folle daher, nachdem jede Ausſicht zur Vermählung mit dem 
Prinzen von Wales verfhwunben fei, nunmehro ben Exbprin- 
sen von Baireuth heirathen, ben bie Königin ja früher feibk 
vorgefchlagen und gegen ben fie feinen Wiberwillen haben 
koͤnne, weil fie ihn noch gar nicht gefehen. Wenn 
fam fei, wolle ihr der König doppelt fo viel als ü 
ſchwiſtern geben, ben Kronprinzen gleich nach ihrer 
in Freiheit fegen, alles Vergangene vergeffen und ih: 
ber Königin gut begegnen. Weigere fie fi, fo zeigte er 
Befehl des Könige vor, fie fogleih nad Memel zu bringm 
und bie rau v. Somäfelb. ihre Hofdame, und ihre übrige 
Dienerfchaft mit der aͤuſſerſten Strenge zu behandeln. 

Auf die Bedingung, daß der König feine Gemahlin beſſer 
behandeln, ihren Bruder in Freiheit fegen und den Hausfrie⸗ 
ben herſtellen wolle, unterwarf ſich enblich die Prinzeffin bem 
Willen ihres Vaters und bat nur darum, daß fie die Einwil⸗ 
ligung ber Königin erwirken birfe. Auf dringende Vorſtellun⸗ 
gen der Minifter wiligte fie endlich ohne Bedingungen in de 

Mitte Mei Königs Willen, und die Minifter ſchworen ihr zu, daß fie 
1731 Alles, was fie vermöchten, thun wuͤrden, damit ber König bie 
ihr zu Gunſten der Königin und bes Kıonprinzen gemad- 

ten Verfprehungen halte?). Nun begegnete ber im Grunde 
gutortige König feiner Tochter fo väterlih gütig, ald wenn 

nichts vorgefallen wäre, bie Königin aber wollte fie in ber 

erften Hige nicht mehr für ihre Tochter anerkennen, und ſchwor 

ihr ewigen Haß. Doc berubigte fie fi bald und fand fi, 


; 


BH 


1) Mömoires de Bareith I. p. 289. Daß ber König fo weit ging 
feine Gemahlin mit dem Gtode ſchlagen zu wollen, wurde der Prim 
aeffin eräßlt daf. p. 2915 wie übermüthig ſich der an Secendorf ven 
Taufte Rommerbiener beö Königs, der für höchft tren gehaltene Eoersmann, 
gegen bie Pringeffin Wilhelmine benahm, ſ. baf. p. 292. 

2) Mömoires de Bareith I. p. 294 «, 


Verlobung der Prinzeffin Wilhelmine 617 


obwohl fehr widerſtrebend, In das Unvermeibliche, doch allein 
aus Iebhafter Furt vor bem Könige‘). Diefer Tieß feinem 
Sohne (wahrfcheinlich in einer augenblicklich — Verſtim⸗ 
mung) durch den geheimen Rath Wolden ſagen, der 
ſolle fi gewöhnen, ein ſtilles Leben zu führen, ſich das frans 
zoͤſiſche und englifche Weſen aus dem Kopfe fchlagen, alle 
Petitmaitreß, franzöfifche und politifche Falſchheit laffen, nur 
feines Waters Willen thun, dem treu, nichts als preuffifch 
fein, ein beutfches ‚Herz haben und Gott fleißig anrufen. Er 
folle auch wiffen, daß feine-dltefte Schwefter fi) in vier Wos 
hen mit dem Erbprinzen von Baireuth verheirathen unb das 
durch mit England voͤllig gebrochen werde. Auch ber Krons 
priny folle heirathen, wenn es bem Water belieben werde, 
aber feine engliſche Prinzeffin, doch werbe ihm aus etlichen 
bie Wahl gelafien werden *). Der Kronprinz ließ dem Ks 
nige, weil er felbft nur einmal monatlich ſchreiben burfte, feine 
volle Zufriedenheit mit Allem bezeugen, was der König thue, 
ee unterwerfe fich blindlings allen Befehlen deſſelben und hoffe, 
dieſe Ausjöhnung werde au für ihn ein Vorbote ber Königs 
lichen Gnade fein’). Wirklich aber war er anfangs fehr miss 
oergnuͤgt über daB Schidfal feiner Schwefter, bie er gem auf 
dem engliſchen Throne gefehen hätte‘). Als er indeſſen erfuhr, 
wie ftolz ſich gegen feinen Water der König von England bes 
ıommen, biligte er die Wahl feiner Schwefter und feines 
Baterd Verfahren als von den Gefegen der Ehre vorgefchries 
ven‘). Er felbft wurde dadurch fo gereist, daß er fich aufs 
ichtig von England abzuwenden anfing®). Die feierliche Vers 


1) M&moires de Bareith L p. 803, vergl. p. 812 u. 813. 

2) Wolben an Grumbkow v. 2. Zuni 1731 bei Börfter IIL ©. 46. 

3) Wolben an ben König v. 26. Mai 1731 kei Preuß Urkundenb. 
L ©. 167, R. 37, wo Beile 1 flatt v. 3. Mai, unftreitig dv. 25. Mai 
1 leſen iſt. Vergl. Preuß Friedrichs Jugend S. 129 und Woldens 
zrief bei Foͤſter IT. ©. 46. 

4) Hille an Grumblow vd. 19. u. 26. Mai u. 2. Juni bei Foͤrſter 
U.®. ff. 

5) Derfelbe an benf. v. 26. Mai baf. ©. 44. 


6) Derſelbe v. 5. Juni 1731 daf. ©. 48. 


Prinz 25. Mai 


1731 


618 Bud VL Drittes Hauptftüd. 


lobung der Prinzeffin Wilhelmine mit dem Exbprinzen ven 

3. Junl Baireuth fand flatt, der große Schmerz der Königin wurde 

1731 oper verdoppelt, als an demfelben Tage die beftimmte Gench- 
migung des Königs von England zur Vermäplung ihrer Zod- 
ter mit bem Prinzen von Wales eintraf, ohne daß zuglaäd 
die Vermählung des Kronprinzen mit einer englifchen Pris 
zeſſin verlangt wurbe. Noch jest hoffte die Königin, obwohl 
ohne Erfolg, die bereits eingegangene Verbindung ihrer Zoch⸗ 
ter mit dem Erbprinzen von Baireuth zu trennen '). 

Der König war für den Water diefes Prinzen, ben Mark: 
grafen Georg Friedrich Karl, eingenommen. König Friedrich L 
batte (1703) von. dem Markgrafen Chriftian Heinrich befien 
Erbfolgerecht auf das Baireuthiſche, wenn bed regierenden 
Markgrafen Chriſtian Ernſt Linie ausferben würde, für ein 
Summe Geldes und Abtretung des Amts Weverlingen erkauſt 
daher. die Feſte Plaffenburg mit feinen Truppen befegen laſſen 
weil er aud dem Markgrafen Chriftian Ernft 600,000 Ze 
ler geliehen. Als dieſer (1712) flarb und fein Sohn werig 
‚Hoffnung haste, noch männliche Nachkommen zu erhalten, fo 
verließen die Söhne des ſchon vorher (1708) verſlorben⸗ 
Markgrafen Chriſtian Heinrih (1715) Weverlingen, fagter 
dem Könige Friedrich Wilhelm den von ihrem Vater (1703; 
eingegangenen Vertrag auf und fingen (1716) bei dem Feiche 
bofcathe einen Proceß darlıber an. Der Reichshofrath ſprea 
für fie, Friedrich Wilhelm ſchloß jedoch (1724) mit ihnen einer 
Vertrag, gemäß befien fie für die Verzichtleiflung des Köniz! 
auf die (1703) vertzagene Erbfolge Weverlingen an ihn je 
rüdgeben und ber aͤlteſte von ihnen, Karl, ſich verpflichtete 
fobald er werde zur Regierung gekommen fein, jaͤhriq 
50,000 Thaler von den dem Könige fchuldigen 600,000 Ihe 
lem zu bezahlen. Das that der Markgraf Karl wirklich, fer 
dem er (1726) zur Regierung gelangt war, indem er fih ze 
gleich aufferordentlich einfchränfte. Das hatte dem felbft fpan 
famen Könige Friedrich Wilhelm fehr gefallen, weshalb a 
auch in die von feiner Gemahlin obwohl nicht in .ernftliche 
Abfiht vorgefchlagene Wermählung feiner Tochter mit dem 


1) Mömoires de Bareith L. p. 312. 


Baireuth. Friedrich Wilhelm. 619 


Sohne des Markgrafen willigte). Er war in biefem Puncte 


in viel zw rechtlicher und frommer Mann, als daß er hätte 
nun noch bewogen werben koͤnnen, die eingegangene Verpfliche 
ung dufferer Vorteile wegen wieder aufzugeben). Ehe er 
ıber nun dem Kronprinzen mehr Freiheit gab, wuͤnſchte er, 
mmer noch voller Argwohns gegen ihn, ber Prinz ſolle ſich 
iber feine Verheirathung erklaͤren. 

Durch dad erwachte Selbſtgefuͤhl war allerdings. bie Neis 
nung des preuſſiſchen Thronerben für England geſchwaͤcht, 
vennoc würde die Mutter wohl im Stande gewefen fein, vers 
sunden mit den vielen Vortheilen, welche bie Verbindung mit 
iner englifchen Prinzeſſin in jeder Rüdfict bot, ihm für eine 
olche zu flimmenz allein ber König war ganz entfchieben das 
jegen und Friedrich gefangen ganz in beffen ‚Bänden, auch 
vereit, feine Freiheit durch jedes mit: feiner Ehre vertraͤgliche 
Ipfer zu erfaufen. Grumbkow ſchlug nun bei einer Reife 
urch Küftein dem Prinzen vor, ſich für. eine von drei ihm 
ur Auswahl genannten Prinzeffinnen zu erklären. Friedrich 
ntſchied fi) für eine von diefen, die fechzehniährige Tochter 
ed Herzogs Ferdinand Albrecht von Braunſchweig ⸗Bevern, 
Schwefter des Herzogs Karl, feines künftigen Schwagers, 
inter ber Bedingung, daß fie weder einfältig noch wibrig fei?). 
Inftreitig hatte die öfterreichifche Partei und jest unmittelbar 
Srumblow zu dieſer Wapl viel beigetragen, benm die Prin⸗ 
effin Elifabeth Chriſtine war die Nichte der Gemahlin Kaifer 
darls VI. und fon einen Monat vorher hatte ber Prinz 
Eugen gemeint, ber Kronprinz werde von feinen gefährlichen 
troberungsgedanken nicht anders als burd eine Bermählung 
zit einer bevernfchen Prinzeffin abgebracht werden‘). Grumbs 

1) Buchholz Thl. V. ©. 85. 

2) Das im Iuni 1731 noch ein Verſuch dazu gemacht werben follte, 
uffte der SKeonpring. Gedtendorf an Gugen d. 19. Juni 1781 bei 
drfter II. ©. 75. 

2 mi sotte ni degoütante. Gedtendorf an Eugen v. 19. Juni 1731 
aD. 

4) Eugen an &edenborf v. 12. Mai 17313 doch ſieht man aus der 
rt der Erwaͤhnung des Gegenſtandes, daß davon ſchon früher die Rede 
eroefen. Die Mutter der Pringeffin Eliſabeth war bie Schweſter ber 
:aiferin. 


Suni 
1731 





. 60 Bud VI. Drittes Hauptfiüd. 


kow, welcher jegt, nachdem ſich der Kronprinz (dem 
mach) vertrauungsvoll an ihn gewendet, Alles that, um ihe 
mit dem Könige auszufshnen, hatte ihm zugleich durch der 
Kammerdirector Hille veranlafft, den König um —— a 
bitten, ihm bei deſſen Worlberreife nach —e bie 

kuſſen zu bünfen, Der König ließ ihm aber — Pen 
er ſolle in Kuͤſtrin bleiben: „und werde bie Zeit ſchon willen, 
wenn. das böfe Herz wahrhaft gebeffert und Beine Heuchelä 
mehr darin zu finden iſt.“ Uebrigens bezeugte ex feine Ze 
friedenheit damit, daß fein Sohn ſich als Untergebene ; 
feiner Borgefegten Bufriedenheit anlaffe. Diefer wollte darüber 
voͤllig verzweifeln, daß er durch alle feine beiviefene Unterwir 
figfeit nichts erreiche, inbem er gar kein Ende feiner Enticfun 
aus ber Balcere (Küftrin)“ ſehe ). 


ohne ihn: zu ſehen. Aus Preuffen zuruͤckgekehrt, ließ er ke 
daher fagen, er werbe nach Gonnenburg zum Ritterſe 
gehen und aud nach Küftein Fommen und ihn fehen, um fi 
mit eigenen Augen zu Überzeugen, ob er fich gebeffert habe ode 
nicht. Ex möge fich nur nicht verfiellen, denn das werde be 
König nicht gut aufnehmen. Gr folle in feinem Quartim 
bleiben, bis ihn fein Water werde holen laſſen, der, ohne fit 
| lange aufzuhalten, wieber wegfahren wolle’). Als ber = Kick 
| 15. Xug. (an feinem Geburtötage) nur in Begleitung Grumbkoꝛ 
1731 Derſchau's nach Kuͤſtrin gekommen und im —— — 
hauſe abgetreten war, befahl er, ben Kronprinzen — ze 
bringen. Diefer erſchien ſogleich und fiel feinem Bater x 
\ Zügen, welcher ihm befahl, aufzuflehen und ihm ausführkt 
' feine Fehler und Vergehen vorhielt, befonbers, bag er wid 


HE 


! 2) Getnbort un Saan d. 19: Juni 1781; en passant. Dr 
j Sönle re Muterung ber Kenppen mad) Prrufn und baag ı 
\ 5. Juli das — bei Welau. Königs Berlin I. ©. 208. 


i 2) Wolben an Grumblow v. 25. u 178, vergl. beufelben ı 
21. —* bei Foͤrſter III, ©. 49 u. 60. 


Der König an Wolben v. 5. u. 11. Aug. 1731 in Preuß ir 
unten Te oe 17 | 


Der König in Küfein 62 


Unwürdiges nicht aus Leichtſinn, fondern vorfäglic gethan, 
and fich ihm widerfegt: „Ihr habt gemeint, mit Eurem Eis 
yenfinne durchzukommen, aber höre, mein Kerl, wenn Du 
zuch fechzig und ficbzig Jahr alt wäreft, fo ſollteſt Du mir 
richts vorfchreiben. Da ich mich bis dato gegen Jedermann 
outenirt, wird es mie am Mitteln auch nicht fehlen, Did) 
jur Raifon zu bringen.” Vorzuͤglich aufgebracht zeigte er fi) 
10% barlıber, daß ber Prinz, als ihn ber König vaͤterlich ers 
nahnet, ale Schulben anzugeben, um fie dann fämmtlich zu 


»ezahlen, doch nicht fo viele Hunderte befannt, als es Zaus : 


ſende gewefen. Diefes Mistauen habe ihn am meiften ges 
!ränkt, während doch Alles, was ex für die Vergrößerung bes 
Haufes, des Heers und ber Finanzen thue, nur für feinen 
Sohn wäre, wenn ber ſich deſſen würdig made. Er fragte 
yann den Kronprinzen, ob er nicht habe nach England 

ven wollen, und ſchilderte ihm, als biefer es bejahete, bie 
chrecklichen Folgen, welche ba$ für die Königin, die Prins 
yeffin Wilhelmine und fir Hannover gehabt haben wuͤrde, da 
x zum Aeuſſerſten entſchloſſen geweſen und wenn es ihn Les 
hen und Sand hätte koſten folen. Seht fei Fein Mittel, den 
Rronpringen in Kriegs⸗ und Givilgefcpäften zu gebrauchen, als 
>aß er feinen Fehler auf jede Weiſe gut made. Knieend bat 
darauf der Prinz, ihn auf die härteflen Proben zu ſtellen, er 
wolle Alles auöfichen, um feines Vaters Gnade und Achtung 
vieber zu gewinnen. Der König fragte darauf feinen Sohn, 
ob er Katte oder biefer ihn verführt? Ohne Zögern antwors 
:ete der Prinz: „Ich habe ihn verführt”, worauf der König 
agte: „Cs ift mir lieb, daß Ihr einmal die Wahrheit fagt." 
Nicht ohne derbe Bitterkeit und fcharfen Hohn hielt er ihm 
»ann noch feine Fehler vor, bie franzöfiihen Manieren, bie 
Misbilligung der Handlungen feines Waters, die Neigung zu 
Schmeichlern und den Widerwillen gegen ehrliche Männer und 
‚eigte ihm dann die fhredlichen Folgen des Glaubens an die 
ınbebingte Gnadenwahl, worauf der Prinz hoch und tpeuer 
serficherte, daß er nunmehr ganz ber Meinung feines Vaters 
yeiffimme. Diefer ermahnte ihn jegt zärtlich zur Frömmigkeit 
md verzich ihm in Hoffnung auf beffere Aufführung alles 





62 Buch VL Drittes Haupeflüd. 


Vergangene gaͤnzlich, was ber Kronprinz mit ber größten Se 
mirthöbewegung annahm und weinend feine® Waters Fü 
kuͤſſte. Als er ſich gleich nachher zum Geburtätage glüdwin 
ſchend nochmal zu des Königs Füßen niederwarf, umarnte 
und füffte ipn biefer, und als der König fih in dem Wegen 
feste, Eüffte der Prinz in Gegenwart vieler hunbert BRenihen 
feine Waters Füße, worauf ihn diefer wieder umarmte m 
verficherte, er glaube, des Prinzen Reue ') fei aufrichtig, ub 
wolle num weiter für ihn forgen, was biefem unausfprechlihe 
Freude verunfachte. Er fchrieb gleich darauf an feinen Bater, 
verficherte ihm feiner Ergebenheit umb banfte ihm für die be 
willigte Verzeihung und wiebergefchentte Gnade. Der kaiſe⸗ 
liche, holdnbifpe und ſachſiſche Gefanbte beſuchten ihn und 
der.geheime Rath v. Wolden gab ihm bei dem Könige des 
19. Aug. beſte Beugniß?). Als biefer darauf einen Schneider und einen 
1731 Schuhmacher nach Küftrin ſchicte, um feinem Sofme Mef 
zu Kleidungeſtuͤken zu nehmen, fo ſchrieb ihm biefer, dei e 
dankbar Über feine Vaters Zärtlichkeit nur daran denke, iz 
Zukunft fih ganz in deſſen Willen zu fügm. Er gef 
feinen Fehler offen ein und fagte alles das aufrihtig aus, 
wos bie Gommiffare bei den Verhören nicht hatten von ihm 
erhalten koͤnnen. Er geftand auch, daß er verſprochen habe 
nur eine engliſche Prinzeſſin zu heirathen, wenn bie Verwäb 
lung feiner Schwefter mit dem Prinzen von Wales burchgefegt 
würde. „Ich habe bis jegt nicht geglaubt”, fagte er zu feinem 
Hofmarfcpale v. Wolden, „daß mein Vater bie geringfie ie 
für mich hätte; jegt bin ich überzeugt davon, daß er fie hal 
Sonft miöhandelte er mic) wegen einer Kleinigkeit mehr cu 
jegt wegen, ich muß es geflehen, eines Hauptverbrechens 


1) Grumblows Bericht bei Körfter IIL ©. 50, wo Zreme Fr 
wohl ein Drudfehler? 

2) Wolden v. 18. Aug. bei Preuß Urkundens. II. S. 170. 

8) Pile an Grumblow v. 20. u, 21. Aug. bei Foͤrſter Thl IL 
©. 58. Wörfter fagt in der Anmerkung, er habe den hier erwifee 
Wrief des Kronpringen an den König Ipl. I. &. 890 mitgeteilt, allce | 
der bort beſindliche Wrief ſpricht von gang anberem Begenftänben unb # 
doeties 0. 22. Gt 1781. Bergl. Bolden an Grumbon a. a E 


Des Kronprinzen Begnadigung. 63 


In einer neuen Inftruction fagte der König, daß er jegt 21. Aug 
nach angelobtem blinden Gehorfam und bezeugter Beſſerung 1731 
beſchloſſen, dem Kronprinzen feine väterlihe und landesherr⸗ 
liche Gnade in etwas angebeihen zu laffen und danach bie 
erſte Inſtruction abzuändern, die Betflunden bes Morgens 
und bes Abends follten mit Singen und Beten andaͤchtig fort 
gefegt werden. In ber Kammer erhielt ber Prinz nun wirk⸗ 
lich Sig und Stimme, faß zur linken Hand des Präfidenten, 
unb unterzeichnete mit dieſem zugleich. Auf beſonders jedesmal 
deshalb nachzuſuchende Erlaubnig des Königs durfte er eins 
von fieben benachbarten Domainenämtern in Gefelfchaft eines 
Kammerraths bereifen, der ihn in allen Bweigen der Lands 
wirthſchaft praktifch unterrichten muflte, aber ohne Schmaus 
fereien, auch durfte er Feine Nacht aufferhalb Küftrins ſchlafen; 
übrigens follte er zum Vergnügen jagen, reiten und fahren, 
wozu ihm der König Pferde und Wagen fchidte, doch nie 
allein fein, mit Niemand, am wenigften mit einem Frauen⸗ 
zimmer allein ſprechen, nie allein fchlafen und an Niemand, 
als an den König und die Königin unzueröffnende Briefe 
ſchreiben. Er durfte täglich zwei Gäfte bitten umd wöchentlich 
zweimal zu Gafte gehen, doch follte kein Frauenzimmer dabei 
zugegen fein. Sranzöfifche, auch deutſche weltliche Buͤcher, 
Mufit, Spiele und Tanz blieben feharf verboten. Der Prinz 
ſollte ſich gewöhnen, bei allen Dingen felbft auf feine Leute, 
Pferde, Sattel und Zeug Achtung zu geben, fie in Orbnung 
halten, auf der Jagd dad Gewehr laden und putzen und ders 
gleichen mehr, überall mit Hand anlegen und nicht Alles durch 
andere Leute verrichten laſſen). Vom 1. Sept. an gab ihm 
der König monatlich 221 Thaler, wovon aber auch Fourage 
für die Pferde, Wohnungsmiethe, Koftgeld für acht Bediente, 
Holz, Waͤſche und Beleuchtung beftritten werden mufften ). 

Dem fcharffinnigen Prinzen entging es nicht, daß fein 
Verhältniß zum Könige fi ohne Grumbkows und Geden: 
dorfs Einfluß nicht fo günftig wuͤrde geſtellt und daß biefe 


1) Bei Preuß Urkundenb. IT. S. 161. 
2) BWolben bei Börfter IT. ©. 61. 


624 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck. 


ebenfo verſchlagenen als in Verfolgung ihrer Zwecke nf 
Iofen Männer immer wuͤrden Gelegenheit haben, bas 
Vernehenen zwifden Vater und Sohn wieder zu fiören 


* 


ihm tauſend Unannehmlichkeiten zu bereiten. Dbgleich er Beide 
hinlaͤnglich durchſchaute, haſſte und verachtete, war ex denmq/ 
in feiner traurigen Lage, wie wir bereits erzählten, gemäthigt 
geweſen, ihre Verwendung nachzuſuchen und hatte deren Wir 
Tung aud zu feinem Vorthelle erfahren. Er beſchloß das 
fortzufegen, ein möglichft gutes Vernehmen mit ihnen herbei: 
auführen und fie zur Erleichterung feiner Lage zu bemuten, 


ohne ihnen doch einen tieferen Blick in bad Innere feines 
ſens zu geftatten ober ihnen gar die Entwinfe, welche er 
feine Zukunft als König haben koͤnnte, zu enthüllen. 
beiden Männern, welche ohne weitere Rüdfiht nur für 
eigenes Intereffe die Zwecke ber oͤſterreichiſchen Politik ver 
folgten, lag um fo mehr baran, ſich des Kronprinzen zu ver 
fichern, weil fie längft einen ploͤtlichen, fruͤhzeitigen Tod feines 
Vaters beforgten. Grumblow hatte für einen ſolchen Fal 
vom Haffe der Königin Sophie und bed Kronprinzen Alles 


f® 


# 


-fürcpten und auch für Sedenborf war. es nicht glei 


21. Aug. 
1731 


%. Aug. 
1731 


gleichgätig, 
einen dann mächtigen Feind zu haben. Beide ergriffen daher 
nun bereitwillig jede Gelegenheit, fih um ben Kronpringen 


zu ziehen ſuchte. 

Der Kronprinz ließ Grumblow baber jetzt bitten, übe 
offen anzugeben, auf welche Weife er ſich flr die Zußunft zu 
benehmen haben werde, um ben König von feinem vol 
menen und blinden Gehorfam zu überzeugen‘). Grumbkow, 
der den König vollkommen Tannte, bezeugte feinen lebhaſten 
Wunſch, die Einigkeit zwifchen diefem und bem Kronprinzen 
voͤllig hergeſtellt zu fehen, und verfprach dazu fo viel als mög: 
lich beizutragen. Ein natürliches, einfahes, adtungsuoles 


e 1) Wolden an Grumbkow v. 21. Aug. 1781 bei Börfter Zu IL | 
. 59. 


Der Kronprinz und Grumbkow. 6235 
Benehmen ohne Zeichen von Verlegenheit werbe dem Könige 
am meiften gefallen und eö paflenb fein, dieſen immer Majes 
ſtaͤt zu nennen, auch ihm bei jeber paffenden Gelegenheit zu 
bitten, doch ja zu — ob ihm —— — In der Uns 
terhaltung muß ber Kronprinz genau auf defien Fragen ante 
worten, {" nicht wiberfpregen, nichts verſchweigen, feine 
Meinung, wenn fie ber des Königs entgegen iſt, mit aller 
ſchiclichen Vorfiht in hoͤflicher Form fagen, nicht Partei gegen 
ihn nehmen und vorzüglich, ſelbſt in den unbebeutendften 
Dingen, einen fpöttifhen und ſcherzenden Ton vermeiden, ohne 
doch finfer und zuruͤchhaltend zu erfcheimen. De heiterer deſto 
lieber iſfs dem Könige. Der Prinz muß ſich in Feine Anges 
Tegenheit ber inneren Staats verwaltung und der auswaͤrtigen 
Angelegenheiten auf irgend eine Weiſe miſchen, ja nicht einmal 
Neugierde, doch im Verkehre auch nicht Gleichgültigkeit ober 
gar Langeweile zeigen, lieber in der Gefelfchaft von Dfficieren 
als Anderer fein, Müdficht auf diejenigen nehmen, bie der Ks 
nig außzeichnet, die Unterhaltung mit erfahrenen Männern 
von geſetztem Alter fuchen, bie Königin ja nicht dem Könige 
Aufferlich vorgehen, feiner Schweſter Wilhelmine mit Zurhds 
haltung, ben übrigen Geſchwiſtern freundlich und natüxlic, 
feinen Schwaͤgern artig, höflich, doch mit einer Beimiſchung 
von Ernſt begegnen, bei ber erften Anweſenheit in Berlin in 
einer VBerfammlung ber bort anwefenden Generale und Ober⸗ 
officiere feine Reue bezeugen, ſich des Königs Misfalieh zuges 
zogen unb ihm Anfloß gegeben zu haben, darauf betheuen, 
daß cr dab, fobalb ſich bazu Gelegenheit finde, gern mit fer 
nem Blute ausloͤſchen wolle, endlich den in Kuͤſtrin abgelegten 
€id num vor allen Anweſenden geous erneuern; das werde 
den Koͤnig am meiſten erfreuen 
Der Prinz folgte ben — ehenn einfiht8vollen Rath⸗ 
ſchlaͤgen, ſchonte ber Schwächen feines Waters, ging aͤuſſerlich 
ganz auf deſſen Lieblingdideen ein, bereifte fleißig bie ihm ans 
gewieſenen Aemter, machte, unterftügt von erfahrenen Mäns 
nen, Veranfclagungen zur vortheilhaften Anlegung von Vor⸗ 
werfen und überhaupt zur Erhöhung bed Ertrags ber Dos 


2) Guben m 26. Aug 17ER I Büren a Le. 54 
Stenzel, Geld. d. Preuſſiſch. Staatt. M. 


1731 


626 Bud VI. Drittes Hauptfüd. 


20. Ro.  Denmoc durfte er nicht einmal zur Hochzeit feiner Schwes 
Her Wilhelmine mit dem Erbpringen von Bairench nad Bas 
kin kommen, was ihm erſt auf Woldens Witte‘) am vierte 
Tage der deshalb veranflalteten Feſtlichkeiten geftattet wurde. 
Auf einem Balle, zu dem auſſer mehreren Civiibeamteten auch 
berliner Kaufleute und einige andere honette VPerſenen birngess 

83. Nov. lichen Standes nebſt beren Eheliebſten eingeladen wasen‘), ex 
Wien er in gauem KXieide zur. großen Ueberrafhung ub 
dreude feiner 


N Preuß urkundenb. IL & Hi ik “in m. 1} 
. Gbrker DIL ©. 62 


olben in Brumbins Pr De IT ae HL 
©. 6m 68. Bodendorfa deben pl EI, 


9) Bile an Grumblew be Jdeſter· wi. Tom 
4) olden an ben König v. 10. Ror. 1781 cbendal. SSLI. 6.592. 
6) Preuß Friedricha Tugend S. 146 aus ber berliner Beltung- 


Helrathsangelegenheiten bed Keonpringen. 627 


freundlich anfnahm ). Der lebbaſte umbefonnene ängling 
war während ber Stuͤrme faft zum Manne berangereift. Um 
ſtreitig that der Prinz, was ihm Grumblow ruͤckfichtlich ber 
vor ber Generalität abzulegenden Erklaͤrung und ber Wieder⸗ 
holung bes Eides angerathen hatte, jedenfalls baten am fols 
genden Tage fämmtlihe in Berlin amwefende Überofficiere 24. Ron. 
unter Anführung des alten Fuͤrſten Leopold von Deffau den 1731 
König um die Wieberaufnafime bed Kronpringen in das Heer. 
Als diefer num in ber Uniform bes Golziſchen Infanterieregis 
ment) mit dem Könige bei ber Heerſchau erſchien, bezeugte 
das Volk laut feine Freude”). 

Bald darauf kehrte ber Kronprinz, dem fein Bater mım 4. Dec. 
monatlich 500 Zhaler gab, nach Tuͤſtrin zuräd und ernenerte 
die Betpeuerungen feiner tiefften Reue, feines unverbruͤchlichſten 
Gehorſams und feiner vollkonmenſten Aufrichtigkeit ), ſetzte 
bier feine Arbeiten in dem ihm fruͤher angewieſenen Beichäftss 
kreiſe noch drei Monate fort unb erwarb fi durch feine 
Application immer mehr bed Vaters Zufriedenheit, ber ihn 
durch mancherlei Geſchenke an Kleidimgsfihden und Haußges 
raͤth erfreute und Wirthſchaftlichkeit ampfahl. 

um Sen von ber Königin noß immer wenn gleich fehe 
geheim verfolgten Entwurf einer Vermaͤhlung bed Kronpringen 
mit einer engiiſchen Prinzeffin, ja felbft des Prinzen von Wa⸗ 
led mit einer jängeren Schweſter deffelben vbllig zu vernichten 
und ben Kronpringen ganz für Defterrei zu gewinnen, betrieb 
ber Baiferlihe Hof fehr angelegentlich, doch nur unter bet 29. Ian. 
Hand, deſſen Wermählumg mit ber Prinzeffin Euſabeth von 1732 
Braunfanveigs Vevern. Gedendorf follte das mit Aufferfter 
Vorficht, ohne daß bem Kaifer dadurch bei England, dem er 
ſich bereits wieber fehe genaͤhert hatte, Verdeuß erwedt würde, 
zu erreichen, auch auf alle mögliche Weiſe bed Kronpringen 


1) Mömcires de Bareiih I p. 847. 


2) Defien Chef er im Behr, 1782 wurde. Preuß Friedricht Ius 
gend ©. 146. 


8) Gnglifcher Gefandtichaftsbericht bei Raumer Thl. IT. ©. 562 


4) Preuß Urkundenb. IL. S. 186 ff. 
40* 








hsangelegenheiten des Ktonprinzen. 629 


daß ſtille und beſcheidene Frauen bie wenlgſte Uns 
it in ber Ehe verurſachten). Dieſer erwiederte in 11. gebr. 
"eiben voller Uebermuth und Garfasmen, er ſei be 1732 
zu thun, um durch Gehorfam, auch in Dingen, 
ven Anfichten geradezu widerfprächen, feines Waters 
« behalten, doch möge bie Pringeffin, wenn er fie 
nehmen müffe, bei ihrer Großmutter erzogen werben, 
wolle lieber ein Hahnrei fein ober. unter bem Pan⸗ 
den, als eine dumme Frau haben, welche ihn durch 
alt vafend mache und bie zu zeigen er ſich ſchaͤmen 
doch werbe er ihr und ihren Aeltern mit allem dufferen 
ze begegnen, wolle aber lieber die jüngere Schweſter 
:, von ber man fage, fie habe wenigſtens gefunben 
enverſtandꝰ). Als ihm Grumbkow Vorftellungen dar⸗ 
‚gemacht hatte, wieberholte ber Prinz baffelbe einige 10. ger. 
darauf’). Als nun die Prinzeffin mit ihren Aeltern 
Serlin kam und Grumblow fie gefehen, fchilderte er dem 
veinzen ihr Aeufferes nicht ſehr vortheilaft, bamit dieſer 
ei feiner Ankunft hüͤbſcher fände‘). Auf Sedendorfs 
‚nlaffung fügte er hinzu, der Kaiſer wuͤnſche zwar bie 
ath ſehr, nicht aber dafuͤr angefehen zu werben, als ob 
um bed Königs Familienfachen intriguire, rathe daher zu 
‚6, damit ber Kronprinz frei wählen fönne*). Eben hatte 19. gehr, 
ser endlich an feinen Water gefchrieben, daß er fi) ganz in 
‚tem Wien füge, felbft wenn die Prinzeffin nicht ſchoͤn ſeiz 
ar wuͤnſche er, fie vorber zu ſehen. Der König hatte das 
oller Freude beren Aeltern mitgetheilt*), ald bes Kronprinz 


1) Seckendorfe Relation an Eugen bei Foͤrſter Thl. U. ©. 157. 
2) Cbendaf. ©. 161. 

8) Ebendaſ. ©. 162. 

© Grumbkow an Wolden ebendaf. ©. 169. 


5) Seckendorfs Relation ebendaf. &. 157. 
Seckendorf an Eugen v. 23. Jebr. 1732 a. a D. S. 79 und 


0) 
Grumbloto an den Kronprinzen v. 20. Behr. ebendaf. S. 166. In Secen⸗ 
dorfs angeführten Briefe d. 23. Jebr. wich angegeben, des Kronprinen 


028 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck 


Vertrauen zu erhalten, ihn, imterftügt von Srumblow, für 
as‘ kaiferliche Haus völlig und dauernd zu gewinnen umb 
ihm Grundſaͤtze zur Befeſtigung einer unzertrennlichen Freund» 
ſchaft zwiſchen Preuffen und Defterreich beipubringen fuchen. 
Dazu fei in des Prinzen bermaligen Bedinftigkeit nichts ges 
eigneter als Gelb, weshalb ber Kaifer bis 2500 Dus 
eaten: bazu beftimmt habe, fie bem Kronprinzen zukommen zu 
jaffen, doch fo, baß ber König feinen Argwohn ſchoͤpfe ). 
Der König, welcher aufferdem wohl die Vermaͤhlung des 
Kronprinzen nicht fehr beeilt Hätte”), wurde jetzt unftreitig von 
Grumbkow und Sedendorf dazu veranlafft, ſowie auch wohl 
durch den Wunſch, ihn va früher eingeſchlagenen Abwegen 
zurhdzubringen und vor weiteren Verirrungen zu bewahren. 
4. Febr. Er fchrieb feinen eben von einer Unpaͤßlichteit wieder gnefenm 
1732 geben Sohne Zeig fehr herzlich, theilnehmend und Liebevoll: 
daß er auf nichts denke, als auf des Prinzen Bohlfein, nd 
daher wünfche, er möge fich noch bei bed Vaters Lebzeiten 
derheirathen. Da habe er nun bie ältefle Prinzeffin von Be 
vern wohl aufgezogen, mobefte und eingezogen gefunden, wie 
Frauen fein müfften. „Ste if", fuhr er fort, „nicht Haptid 
und nicht ſchoͤn und ein gottesfuͤrchtiges Menfch." Gr woll⸗ 
das Gouvernementshaus. in Berlin für den Kronprinzen ein 
richten laſſen und ihm fo viel geben, baß ex allein wirthfchaften 
önne; er folle ſich num balbigft erflären, keinem Menfcen 
etioas bavon fagen, und wenn der erwartete Herzog von 
Sotheingen, der Moftige Sihwisgefohn deb Kaifes im Berl 
eintreffen werde, auch dahin kommen ). Grumbkow ſchrieb 
zu gleäher Beit geheim an ben Prinzen und fuchte ihn zu 


1) Eugen an Geitenborf v. 29. Ian. in Börfters Höfen, mim 
e. Fr und 9. März 1752 in Yörfters Frichrich Walrpelm 
& 


2) Wie das Schreiben des Kdnige v. 4. Wehr. 1792 vermuthen LA; 
auch bei einer anderen Gelegenheit Aufferte es der König. on bem neue 
Werhättniffe bes Rronpringen zur Frau d. Srochem hatte der Kinig um 
fireitig auch Kenntnif. &. Schulenburgs Brief an Grumbkow v. 4 Du 
tob. 1731 bei Körfter Thl. DI. ©. 65. 


8) Sbenbaf. Thi. UL ©. 77. 


Heirathsangelegenheiten des Ktonprinzen. 629 


überzeugen, daß flille und beſcheidene Frauen bie wenigſte Uns 
gemäclickeit in der Ehe verurfachten '). Diefer erwieberte init ger. 
einem Schreiben voller Uebermuth und Sarkasmen, ex fei bes 1732 
zeit, Alles zu thun, um durch Gehorfam, auch in Dingen, 
welche feinen Anſichten geradezu widerfprächen, feines Waters 
Gnade zu behalten, doch möge die Prinzeffin, wenn er fie 
durchaus nehmen müffe, bei ihrer Großmutter erzogen werben, 
denn er wolle lieber ein Hahnrei fein ober. unter dem Pate 
toffel ſtehen, als eine dumme Frau haben, welde ihn durch 
ihre Einfalt vafend mache und bie zu zeigen er fi ſchaͤmen 
möüffe; doch werde er ihe und ihren Aeltern mit allem Aufferen 
Anftande begegnen, wolle aber Lieber die jüngere Schweſter 
nehmen, von der man fage, fie habe wenigſtens gefunden 
Menfgenverftand ’). Als ihm Grumblow Vorſtellungen date 
über gemacht hatte, wiederholte ber Prinz baffelbe einige 16 gehr. 
Zage darauf’). Als nun die Prinzeffin mit ihren eltern 
nad Berlin kam und Grumblow fie gefehen, fchilderte er dem 
Kronprinzen ihr Aeufferes nicht fehr vortheilhaft, damit dieſer 
@& bei feiner Ankunft hübfger fände“). Auf Gedendorfs 
Veranlaſſung fügte er hinzu, ber Kaifer winfche zwar bie 
Heirath fehr, nicht aber dafür angefehen zu werben, als ob 
er in bed Königs Familienfachen intriguire, vathe daher zu 
nichts, damit ber Kronprinz frei wählen koͤnne ). Chen hatte 19. gebr. 
diefer endlich an feinen Water gefchrieben, baß er ſich ganz in 
deſſen Wien füge, felbft wenn die Pringeffin nicht ſchoͤn ſeiz 
nur wünfche er, fie vorher zu fehen. Der König hatte das 
voller Freude deren Altern mitgetheilt ), als bes Kronprinz 


1) Seckendorfe Belation an Eugen bei Foͤrſter Thl. IIL €. 157. 

9) Cendaf. ©. 161. 

8) Chenbaf. ©. 162. 

© Grumbkow an Wolden ebendaf. ©. 169. 

5) Seckendorfs Relation ebenbaf. ©. 157. 

6) Secendorf an Eugen v. 28. gebr. 1732 a. a D. S. 79 und 
SSpemblon an ben ronpringen 5. 20, Behr. ebenba, ©. 166. In Secken⸗ 


Bath VL Deittes Hanpihd. 


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amd mich nicht verdammen. So weit kann Verzweiflung 
Jungen Mann bringen, beffen Blut no nicht fo 
daB eineß Greifeb iR ').” Xuch ber geheime Rath d. Melden 
fchrieb in gleichen Sinne an Grumbkow. Diefer hatte unter 
deſſen von dem uͤder feines Sohnes Gehorfam bis 
gerhhrten Könige zugefagt erhalten, ex wolle feinen Sohn nicht 
sum Berloͤbniſſe nöthigen, ehe biefer bie ihm zugedachte Prins 
seffin Tonnen gelernt, auch die Vermaͤhlung nicht befchleunigen, 
feinen Sohn mild, meht als Freund behandeln ımd ihm auf 
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Beifen die Welt fehen laſſen ). 
Grumbkow war daher nicht wenig erftaunt und 
22. Behr. als er bald darauf des Kronprinzen Brief (v. 19. Febr.) 
1732 Tam. Gr hielt ihm das Widerſprechende beffelben mit dem an 
den König gefidten Schreiben ernſtlich vor, flellte ihm Ice 
haft die Folgen bar, welche fein Benehmen für ihn und bie 
1) Der Kronprinz an Grumbkow v. 19 Febr. bei Börkee DHL ZIL 
©. 168. J 


Srumbkow an ben Krönprinen v. 20. debr. ebintef. ©. 165. 
Der Ort der Ausftelung muß Merlin heiſſen; KRüftrin tft verſchrieben oder 


Helvachsangelegenpeiten des Kronprinzen. 631 


Römigkn Haben wuͤrde, machte ihm bittere Wonsliefe, ſich ohne 
Urfadpe wegen einer Pringefin erfhegen zu wolen, die . 
nicht gefchenz er erinnerte ihn am das Sqhickſal des Don Ga 
108 und fügte hinzu, ee werde fich Immer ber Worte erinmem, 
die der König einſt in Wuſterhaufen wicberholt. zu ihm gefagt, 
als ex ( Srumbkow) den Kronprinzen habe veriheldigen wollen: 
Rein Grumbkow, Gott gebe, daß ich nicht wahr rede, aber 
mein Sohn ffirbt nicht eines natuͤrlichen Todes, und Gott 
gebe, daß er nicht unter Henkers Hände kommt!“ Grumbiew 
erfiärte dem Prinzen geradezu, er wolle fi nicht zwiſchen 
Bater und Sohn en, ziehe ſich aber von ber gaien 
Sache zuruͤck, denn Salome fage: 
fichet dad Unglüd und verbirgt fi, Pa en 1 Rare geht per 
Ungs hinein ). Dem Hofmarſchall v. Wolden verwies er 
ernſtlich, der Kronpringen bei deſſen Tbenspefährlihen Bes 
fuche bie beabfichtigte Werlobumg aufgeben su wellen, unter⸗ 
Rütt zu Yaben, und esiärte An geradezu, er verbitte fih je 
den ferneren Briefwechſel und auffer den ſchicklichen Bormen 
jede weitere Beyiehung mit ihm ?). 

Beiedrich dachte jetzt unftreitig ernftfich nach über die dol⸗ 
gen, welche feine Weigerung nach fih ziehen koͤmte. Er 
Hatte bittere Erfahrungen genug gemacht, war ohne Grumbkows 
Beiſtand ohne alle Hoffnung/ feinen Bater zur Rachgiebigkeit 
dewegen zu koͤnnen, Tante bie Hartnaͤcigkeit, mit weicher 
dieſer anf Entfchluͤffen beſtand, werm ihm Hinderniſſe in den 
Weg gelegt wurben, ımb fügte ſich daher, obwohl ſehr ungern. 
Sr kam am demſelben Tage wie ber Herzog Feanz Stephan es. Febr. 
von Lothringen nach Berlin, verlobte ſich bald darauf mit ber 10. März 
Prinzeſſin Eliſabeth von Braunſchweig ⸗Bevern und wurde, 1732 
nachdem ihn Der Koͤnig bereits zum Dberſten und. Ehef eines 
SInfanserieregiments ernannt Hatte, am Perauffolgenden Tage 
in bad Gemubbireitsrium eingeführt ). 


1} Brmiten am ken KRrogpeingen bei Yönftexr IH. TEL. 8. 106, 
doch muß das Datum: 27. Febr. verbrude ſein und dafür 22, Febe. (es 
Yen, wie Grumbkows Brief au Wolden zeigt. — 

2) Grumbkow an Wolden v. 22. Febr. 1732 ebendaſ. S. 168. 
3) Preuß driedrichs Jugend S. u ; Babeiärinih präfdirte ber 
Kronprinz, wenn der König abweſend 


632 _ Bud VL Drittes deunıkie 


Die Braut des Kronpringen war nicht ſchoͤn 
geiſtreich, allein auc nicht haͤßůch, pe ſehr 
durchaus nicht einfältig, fondern einfad, verfländig, 

mehrfeiti einem ei 


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Kreiſe erzogen, "ee Ringe Betr, or dr Pe gel 
eingefhlihtert unb leicht verlegen, fehlten ihr fühere Halt 
im Auftreten vor ber großen Welt und Gewanbiheit des De 
nehmen. Mochte fie mum auch nicht willen, daß fie zum 
Dpfer ber Politik beflinmt war, fo muflte fie an dem Bench 
men bes Kronpringen balb merken, baß biefer Feine Zuneigung 
zu ihr habe; das machte fie aͤngſtlich und ihre Haltung lin 
ſch, was dem Kronprinzen befonbers midfiel‘), währen er 
ohnehin den ihm aufgelegten Zwang als ſolchen bitter genng 


empfand’). Ex war noch zu jung, überfprubelnd, 
und durch die Art, wie er behandelt worden, zu gereigt, als 


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willen gegen a fer, ſagte ex, „fie if ein gutes 
ihr nichts Uebeles, aber ich werbe fie nie lichen n Binnen >). 
Die Öfterreichifche Partei fuchte vorzüglich durch Anftelung der 
fehr dazu geeigneten Frau v. sure el als Oberhofmeiſterin, den 
vom Kronprinzen bemerkten Fehler ber Prinzeſſin —— 
weil fie ſchlecht tanzte, wurde ein berühmter Tanzlehrer aus 
Dresden verfhrieben‘). Der Prinz Eugen, bem die Beni 
hungen ber Königin, auch jest noch bie Verlobung des Are 


Bareich IL. p. 26, 31 u. 116- 
Det cn ey d. 4 Milz 1788 bei Börker ZU IL 


4) Gedenborf ehenbaf. ©. 92. 


BVerlobung-des Kronpringen, 633 


trieb nun, obwohl ohne oͤffentlich den Schein zu haben, die 
Verheirathung des Kronprinzen ſo ſehr er vermochte, und der 
kaiſerliche Hof gab dieſem von num an jährlich 2500 bis 3000 
Ducaten, um die druͤckendſten Schulden zu bezahlen ). 

Der Prinz wollte-nicht unausgeſetzt in Berlin leben, wo 
bad jetzt fogenannte Königspalais zu feiner Wohnung bereits 
anftändig eingerichtet worben war, ihm aber die Anwefenheit 
feines eigenfinnigen, heftigen und mißtrauifchen?) Vaters zu 
vielen Zwang auflegte, fich vielmehr lieber in einer Garniſons⸗ 
fladt feines Regiments aufhalten, was ber König billigte und 
wahrſcheinlich auf feines Sohnes Vorſchlag dad zehn Meilen 
von Berlin entfernte und von-den Hauptftragen, bie er bei 
ber Bereifung der Provinzen gewöhnlich einzuſchlagen pflegte, 
ziemlich abgelegene Städtchen Neuxuppin dazu auswaͤhlte. 
Hier fuhr er fort, in alle Ideen feines Waters einzugehen, 
fchrieb diefem häufig und immer fehr unterwuͤrfig ), fuchte 
fein Regiment nach deffen Sinne einzurichten und vorzüglich 
Yange Leute zu befommen. Schon im April bezahlte Sedens 
dorf 2000 Gulden an ben preuffifchen Gefandten Gotter in 
Bien für lange Rekruten bes Eronprinzlihen Regiments *). 
Der Prinz zeigte dem Könige unter Anderem an, daß fih im 
Medienburgifcen ein ſechs Fuß langer Schäferfnecht aufhalte, 
bei dem mit Gutem nichts audzurichten fei, doch weil er allein 
die Schafe hüte, koͤnne man ihm Leicht aufheben ); das gefiel, 
wie er wohl wuffte, feinem Water befonderd. Er machte auf 
Befehl feines Vaters Pachtanfchläge, fo ſchwer ihm das wurde, 
war aber in noch größerer Werlegenheit, wie bei der Domais 


1) Eugen an Seckendorf v. 9. März 1732 bei Pörfter Spt. IL 
©. 86. Ra den Memoires de Bareith II. p. 86 erzäßfte ber Mean 


yring feiner Schweſter Wilpeimine das ſehr luſtig; auch fie erhielt Geb 
auf gleiche Weife. 


D) Won Zeit gu Zeit Immer wieder. Dee Kronprinz cn Grumbloie 
din Dat. 1782 bei Börfter DHL. III ©. 190. 


3) (Hahnte) Die Briefe Friedricht des Großen am feinen Watız 
in den I. 1782 bis 1789. Merlin 1858. 


© Gedtenberf bei Börfter ZHL IE. ©. 105. 
5) Schreiben vom 1% Seyt 1782 bei Oah ake ©, 6. 


Apriu 
1732 


0% Bud VL Drittes Hauptftäd. 


nenverwaltung ein jährliches Plus zu erreichen fei, worauf fein 
Bater fo viel als anf lange Soldaten hielt". Wenn er fih 
nicht Berweife vom Water zugtchen wollte, muffte er woͤchen 
lich an feine Braut fehreiben, was ihm ausnehmend laͤſtig 

war®). Doch fügte er ſich in Alles, ohne darum doch den 
König durchaus zufrieden ftellen zu koͤmnen, bem die Kannmer 
diener und Latkaien bes Prinzen bei Werluft des Leibes und 
Lebens von Allem, was biefer tat, Nachricht geben mrufften’) 

Sowie das häusliche Geſchic des Kronprinzen nicht ein 
mel durch preuffifche, ſondern durch Öfterreichifche Intereſſe 
beftimmt und er wie feine unglüdliche Braut das Opfer der 
rilficht8los berechnenden Staatsklugheit gemorben war, fo 
ſollte nun mit dem Mechfel ber öflerreichifchen Politik auch 
das mit fo großer Mühe und fo vielm unwuͤrdigen Dkitteln 
von Sedendorf volführte Werk wieder zerſtoͤrt und von dieſen 
felbft unter den weit ſchwierigeren Umſtaͤnden gerade das durch 
gefegt werben, was er bis bahin auf jede denkbare Weiſe ja 
verhindern bemühet gewefen war. 

Wir haben obem gefehen, wie empfinblich ber Kaifer & 
aufgenommen hatte, daß (9. u. 21. Nov. 1729) in Soll 
England, Frankreich und bie vereinigten Staaten mit den 
Könige von Spanien uͤbereingekommen waren, fpanifche Trup⸗ 
pen folten die feflen Pläge Toskanas und Parmas befehen, 
um dem Infanten Don Carlos die Nachfolge in dieſen Her⸗ 
zogthumern zu fichern. Indeſſen To leicht wie augenblidfiche 
perfönlihe Intereffen bie Regierenden Frankreichs und Eng 
lands vereinigt hatten, fo trennten fi) auch beide Mächte 
wieder mit dem Aufhören berfelben. Die Königin von Spe⸗ 
wien, ungebuldig uͤber des alten Cardinals Fleury Langfamlei, 
die Befiimmungen bed Vertrags von Sevilla zu vollziehen, 


4) Dee Kronprinz an Grumbkow d. 3 Di. 1782 bei Zörkır 
SL II. ©. 178. 
iD) Deefeibe am benfeiben Im Sept. 1732 ebenbaf. ©. 186 unb ber 
an den König d. 4. Sept. 1732 bei Hahale S. 2, 

8) Gedendorf v. Wkärz 1788 bei Foͤr ſter SU UL ©. 91. Bat. 
ae Eeomaringen Oferen on an Grumblow d. 23. Dirt. 1732 dbenbei 


Doritifger Weäfel. 6 


erklaͤrte in einer bei ihr nicht ſeltrnen Anwandlung üuͤbeler 
Laune (28. Ian. 1731), Spanien betrachte ſich nicht mehr 
durch biefen Vertrag gebunden. Sie veranlaſſte England und 
die Seneralftaaten, für fie mit dem Kalfer zu unterhanbeln. 
Sobald diefer die faſt aufgegebene Ausficht erhielt, fein Erb⸗ 
folgegefet gewährleiftet zu fehen, waren alle Gchwierigkeiten 
bald befeltigt und ein zweiter wiener Vertrag wurde (16. Maͤrz 
1731) gefhloffen. In biefem erneuerten der Kalfer, England 
und die Generalſtaaten ihre alten Buͤndniſſe, ficherten einander 
bie gegerffeitige Gewaͤhrleiſtung Ihrer Befigungen und England 
mit ben Generalftaaten auch bie ber pragmatifchen Sanction 
zu, wogegen der Kaiſer feine Einwilligung zum Einmarſche 
von 6000 Spanien in bie italieniſchen Herzogthuͤmer gab und 
ſich verpflichtete, von den öfterreichifchen Niederlanden aus nie 
Handel nach Oſtindien treiben zu laffen, wodurch die oſtendiſche 
HandelSeompagnie für immer befeitigt wurde”). Das Reich 
genehmigte (14. Juli 1731) dieſe ruͤcfichtlich der ttalienifchen 
Herzogthuͤmer zu Gunften des Don Carlos getroffenen Bes - 
fimmungen, und ba naher (22. Iuli 1731) trat Spa 
nien dem ihm fo günftigen und auch dem Kaiſer willfoms 
menen zweiten wiener Vertrage bei*). So war bie Bahn zu 
einer abermaligen Umwandlung ber Berhältniffe des eusopdis : 
ſchen Staatenſyſtems gebrochen. 

Der Koͤnig von England, dem es Ernſt mit der Gewaͤhr⸗ 
leiſtung ber pragmatiſchen Sanction war, näherte fih dadurch 
dem Kaiſer ſehr. Dieſer hatte den König Friedrich Wilhelm 1. 
durch Sedendorf angehen laffen, ra mit Berg zu begnügen 
und auf Düffelvorf, welches ihm im dem geheimen berliner 
Bertrage nebſt Berg zugeſichert worben war, zu verzichten, 
dagegen aber für feinen zweiten Sohn Kurland zu nehmen, 
dann werde Pfalz ⸗Sutz bach daS Herzogthum Berg eher aufs 
geben. Friedrich Wilhelm, der wahrſcheinlich glaubte, wenn 
er den Kaiſer ſelbſt ſpraͤche, wuͤrde er vorzuͤglich wegen feiner 
Abfichten auf Berg befinmte Bufagen erfalten, kam auf ben 


4) Dumoat T. VILP. 2 p. 418, 
2) Rousset Supplement T. II. P. 2. p. 807. 


2 


Bud VL Drittes Hauptſtuͤck 


Sedanten'), ihn in Böhmen zu befuchen. So unangenche 
das ben Öflerreichifchen Miniſtern war und fo viel Mühe fie 
ſich fehr geheim gaben, ihn von dieſem Entſchluſſe abzubrins 
27. Juu gen?), fo war das doch vergeblich. Er begab ſich nach Kladrub 
1732 und Prag ag zum Kaifer und wurde aͤuſſerlich recht artig aufge 


beftand in ber Anwartfchaft auf die Belchnung mit Dſtfrie⸗ 
81. Sul land ). 

Sehr mißvergnügt kehrte er nad Berlin zurüd ) um 
zeigte ben meiften Staaten an, baß er den Titel von Dfffries⸗ 
land angenommen. Der Fürft von Dflfrieslanb proteflirte bes 
gegen, der König reproteſtirte und behielt Zitel und Wappen, 
allein der Zaiferliche Hof empfand einen fo eigenmaͤchtigen 
Schritt ſehr übel und Sedendorf muffte Vorftellungen dagegen 
machen. Der König wunderte ſich darüber und meinte, ber 
Kaiſer ſuche wohl nur einen Vorwand gegen ihn, da die Sade 
au unbebeutend fei. Er antwortete ipm in feiner eigenthius 
lien, geraden Weife: „Ich Tann in Wahrheit fagen, daß die 


1) ®riebrid) IL. M&moires de Brandenbourg p. 298 fagt, Gem 
dorf habe den König darauf gebracht, allein wahrſcheinlich kam ber Kai 
feibft daraufz daß er in Seckendorf gebrungen, fagt Förfter Apr IL 
S. 11, aweer Getenberttie Yaplere vor Mh halte. Daß der Kiais 
angmöpnifc über den qioeiten wirner Bertrag geworben, finde ih = 
Seckendorfe Leben Thl. IIL ©. 42. Berg war der eigentliche Fund 
der Seife. Grumblkow bei Foͤrſter Thl. TIL S. 111. 

2) GSugen an Seckendorf v- 80. Apr. 1732 bei Förfker Zpr UL 
©. 105. Bergl. Grumblows Gcreiben v. 17. Diai ebendaf. ©. 108. 

9) Zaßmann L ©. 477. Die Aawartſchaſt hatte fen: Kai 
Leopold 1694 gegeben und Kalfes Sofepp 1706, Rast 1715 bekig. 
Biarde ZH. VIL ©, 4665 

4) Des wor dem Eugen halb , f Yeffen Sdrelien v. 29. 1 
vember 1782 bei Wörfter TpL. IIL ©.'118 mb Geienderf def. ©. 146. 
Wrisbeid IL Mdmeires de Brandenbeurg p- 296 Seyeugt‘s ausbchfäd. 


Politiſcher Wechſel. 637 


Annahme des Titels von Oſtfriesland von mir Beine Maltce 
iſt, da ich in Wahrheit geglaubt, daß es ein Bagatell iſt, als 
wenn einen Baron nennt. Indeſſen aſſecuriren Sie ben 
Kaiſer, daß durch ſolche Lumperei in nichts meine wahre 
Freundſchaft fol alterirt werden ).“ 


Briebric) Wilhelm hatte Fur) vorher die Freude, die langs Sum 


wierigen unb verwidelten Streitigkeiten, welche fein Vater und 
er mit dem Haufe Naffau über die oranifche Erbſchaft gehabt 
unb worliber beide Theile ſchon im I. 1722 in Berlin unters 
handelt hatten, beilegen zu koͤnnen. Der König erhielt zu 
feinem Antheile durch einen Vergleich mit dem Prinzen von 
Naffau, Wilhelm Karl Heinrich Friſo, dad Fuͤrſtenthum Drange, 
nebft den in Burgund gelegenen Herrſchaften Chalons und 
Chateaus:Belin, welche er bereits (4713) an Frankreich abges 
treten hatte, ferner das Zürftentpum Meurs, die Grafſchaft 
&ingen, die Amtmannfchaft Montfort, mehrere Herrſchaften, 
auch den Freifig Herſtall mit allen dazu gehörigen Gefällen 
und Einkünften‘). Die Batholifhen ganz im Luͤttichſchen ges 
legenen Einwohner der Hertſchaft Herſtall mufften aber mit 
Gewalt zu ber von ihnen verweigerten Huldigung gebracht 
werden. Da ber Prinz vom Naſſau Schwiegerfohn König 
Georgs II, von England war, fo wirkte bie Befeitigung fo 
vieler alten Zwiſtigkeiten einigermaßen wohl gümftig auf eine 
Ausgleihung ber Spaltung zwiſchen Friedrich Wilhelm und 
feinem Schwager. Diefe herbeizuführen ließ ſich bie Königin 
— angelegen fen —* hatte ungeachtet der Verlobung 
des Kronvrinzen mit bee Prinzeſſin von Bevern m ni 
aufgehört, an deſſen Bermählung mit der Prinzeffin Am 
von England, fowie einer ihrer jlmgeren Töchter mit — 
Prinzen von Wales zu arbeiten“). Dem Könige war dab 
nicht unbekannt. Er fagte es feinem Sehne, weicher, wie der 
Dater überzeugt war, mit aufrichtigem Herzen antwortete: 


1) Am 15. Rov. 1732 bei Foͤrſter Thl. IL ©. 118. 


D) Der Vertrag bei Faßmann Thl. I. ©. 456 und bei Pauti 
Spt. VIIL &. 287. 

3) Grumbkow an Sedendorf v. 17. Mai 1732 bei Foͤrſter SH. DIE 
©. 108. 


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Politifher Wechſel. 68 


Berlin recht gut, . Allen König. Georg, dem es mit Gewaͤbr⸗ 
leiftung- ber pragmatifihen Sanction Ernſt war, haste ſich da⸗ 
durch mit: ‚dem Kaiſer Karl völig ausgeglichen. Dieler wünfäte 


ten, wenn dieſer nicht zugleich durch eine Heiraih befeſtigt 
wide, Das bemog ben Kaiſer nun, dem General Secen⸗ 
borf aufzutragen, die auf feinen Befehl fo mühfam bewirkte 
Verlobung des Kronprinzen wieder aufzulöfen. So ergeben Rovember 
auch Sedendorf feinem Hertn, fo bereitwillig er war, fen 1732 
Befehle von fehr zweibeutiger Art zu Übernehmen, ohne viel 
Über bie Mittel zur Ausführung zu ſchwanken, fe ſchwer wurde 
es ihm, einem fo unehrenpaften Auftrage zu gehorchen. Das 
ift aber eben bes Fluch, der Staatsbeamtete verfolgt, welche 
ihrem Fürften wie Knechte ihrem Herrn dienen und blind ges 
horſam Alles thun, was er befiehlt, daß dann auch wohl Nies 
dertraͤchtigkeiten von ihnen gefodert werben, durch welche fie 
üch ſelbſt öffentlich verächtlich machen, während fie eb bik das 
pin weiſtens nur ſehr geheim waren ’). 

Gedenborf ſchrieb daher auch dem Prinzen Cugen, daB 
er keine ihm vom Kaiſer jemals aufgetragene Commiſſion fon 
:ce gefunden, als die wegen ber abzuändernden Venath, weil 
ꝛrx nimmermehr glaube, ber. Rönig,. ber fie zu vollziehen feſt 
xeſchloffen, auch den Tag hereits dazu beflimmt habe, werde 


wor’) ODech be Be wurde. wicberholt ). und Gedem 


1) @edenborf. Hatte auch darauf angetragen Armmablorn, 
oelcher bei ber Verlobung bes Kronpringen viel Kam of, em em Sule 
em zu Ankaufe‘ eines Gutd vom Kaffer gegeben wärben,- um ihn auf 
inen unglüdtichen Yall (wenn Friedrich Wilpelm ſterden ſollte) ſicher gu 
jellen Seckenborſf an Gugen in Sept. 1782 bei Börfige Thl. II. @, 110. 

2) Derſelbe an benf. d. 4. Mob. 1782 ebendaf. ©. 116 


3) Gugen an Getendinf d. 29, Roo. 1782 ebenkef. S. 117, wahe · 
Seintid) verbrudt für 20. Ron. 


60 Bud VL Drittes Haupikäe 
Kr a erer a 


weba 
Seckendorf zugleich nicht unterlieg, bie für Preuffen daraus 
entfichenden Vortheile in das günftigfle Licht zu flellen. 
König war barlıber theils alterirt, theild beftürzt und 
nete anfänglich dem kaiſerlichen Gefanbten unmanierlich '). 
„Aber was wirb meine liebe Kaiſerin fagen, bie diber dieſe 
Heirath fo große Freude hatte? was wird Bevern ſelbſt mb 
Prinz Karl von mir denken, wenn ich in dergleichen Change 
ment entire?" fragte er. Auf Sedenborfs befchtwichtigendes 
Bureden, wenn der König nur bie Sache genehmige, fo wir 
ben ſich ſchon Mittel und Wege zeigen, fie mit Allfeitiger 3. 
friedenheit zu enbigen, zeigte er zwar durchaus Feine eine Reigung 
zu einer Aenderung, verlangte jedoch einige Tage Bedenteit) 
Sein Rehtlichleits und Ehrgefahl war dur dem ihm ge 
machten Vorſchlag auf das Tiefſte verlegt. Cr ſah es auf 
fie eine Sewiſſensſache an, ein Verloͤbniß zu halten umb nahe 
es Sedendorf fehr bel, einen foldhen Antrag gemacht zu he 
ben, von dem er body wohl hätte wiſſen koͤnnen, daß ber X 


December der Tabafsgefellfchaft in Gegenwart von Derfpau, Cchwerin, 
1732 Bubdenbrod, Rochow, Flans und Grumbkow brach nn. 


Pl Darüber Magt Gedendorf gegen Eugen vd. 18. Ai 1, ci 
er einen gleichen Auftrag erhielt, bei Börfter Ahl TIL ©. 10. 
" 2) Onfenburfe Cünchen an Gum u 20. Rom. TER dabet 
©. 110, wohrfrinng mabnudt für 2. Ron, 

8) Seckendorf an Eugen v. 2. Dec. 1782, wohl ein falſches Datam 
fie 8 Dec, ba ber König noch ehegeftern fo gefprocden umb bie St 

lation d. 6. Dec. dabei ift, oder, was noch wahrſcheinlicher, bie Selaties 
ft v. 1. Dec, und Gedtenborfs Schreiben d. 8. Dec., ſodaß der folgen 
‚Borfall am 1. Dis. flattfand. 


Politiſcher Wechſel. 641 


dann, indem er Grumbkow ſcharf anſah: „Nein, ich kanns 
‚nicht mehr aushalten, ed frißt mir das Herz ab! Mich zur 
Begehung einer Nieberträchtigkeit bringen wollen! Mic! 
Mid! Nein und nimmermehr! Die verfluchten Intriguen! 
Der Teufel fol fie Holen!“ Grumbkow fuchte ihn zu berus 
bigen, und ftellte fib, als wife er von Nichte. „Was“, 
fuhr der König fort, „mich zum Schelm maden? Ich wil 
es Allen heraußfagen, bag mich gewiffe verfluchte Schurken 
haben betrügen wollen; aber bie Leute (Seckendorf), die mich 
kennen follten, wollen mir einen faux pas machen laffen!" 
Grumbkow unterbrach ihn, damit er nicht in feiner Leidens 
fhaft die gefammte Angelegenheit bekannt mache und befänfs 
tigte ihn mit vieler Mühe; doch fagte der König noch: „Am 
muthet mir Dinge wider meine Ehre zu. Wenn man benn 
will, daß ich veränderlich fei, fo fol der Kronprinz gar nicht 
heirathen. Ich habe aber dann noch drei Prinzen, und wenn 
ja das Haus auöfterben ſollte, fo iſt es befier, es ſtirbt ohne 
die Blame aus, daß bad, was man heute gewollt, morgen 
verändert wird." Er wiederholte, daß ihm das am Herzen 
nage und ihn töbten werbe und wurde wirklich krank ). 
Sedenborf hatte feinerfeitS alle Mühe, fich zu entſchul⸗ 
digen, daß er bie vom Kaifer in ber beften Abficht gegebenen 
Befehle vollzogen, von denen auch bie Königin und der Krons 
prinz Feine Kenntrüß gehabt”). Es gelang ihm auch, fi mit 
dem Könige auözuföhnen. Doch wurde biefee dem kaiſerlichen 
‚Hofe immer abgeneigter"). Der König machte barauf dem 
Lande befannt, baß er feine Untertanen bei Gelegenheit der 
Vermaͤhlung bed Kronprinzen mit ber fogenannten Fraͤulein⸗ 
ſteuer und den üblichen Dons gratuits verfchonen wolle *). Der 
Tag der Hochzeit war anberaumt. Der König, ber Kronprinz, " 
bie geſanmte Tönigliche und herzoglich braumfchweigifche Familie 
war in Salzdalum, einem braunfhweigifchen Schloffe bei Wols 10. Suni 
. 1733 


1) Relation Grumbkows v. 6. ) Dec. bei Börfter TH. TIL S. 185. 
2) Seckendorf ebendaf. ©. 137 ff. u. 141. 
8) Gugm v. 17. Dec. 1732 ebenbaf. S. 140. 
4) Preuß Friedrichs Jugend S. 171. 
Stengel, Gefä. d. Preuſſiſch. Staats. TIL 4 


Bud VL Drittes Hauptftäd. 


642 


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ialkilklai 1: RHHE Hilnihe 

5 


Vermäplung des Kronprinzen. 643 


er den Kaifer überzeugen. Wolle Georg eine feiner anderen 
Zöchter für feinen Sohn haben, „e fei er bereit, fie zu geben, 
auch Tönme fein zweiter Sohn, der Prinz Wilhelm, eine enge 
uiſche Prinzeffin heirathen, wenn man es haben wolle. Er 
uͤberlaſſe das ganze Ausſoͤhnungswerk dem Kaiſer. Es koſtete 
noch Mühe, des Könige —— zu beſeitigen, alles das 
ruͤhre von bes Königin und dem Kronprinzen her. Dieſer ers 
klaͤrte jedoch an Grumbkow, wenn felbft der König zu einer 
Abänderung zu bringen wäre, würde doch er nicht Darauf eins 
gehen, ba er die Beleibigung, die von Georg feiner Schweſter 

wiberfahren, nie vergeffen Tonne. Grumbkow muffte dem Rbs 
nige im Namen feines Sohnes verfihern, nichts als der Tod 
fole fein ber Prinzeffin von Braunſchweig⸗ Bevern gegebenes 
- Bart ändern machen '). 

So wurde die Trauung unter glänzenden gerichteten) 12. Suni 
ohne Freude vollzogen und bie unglädtiche Prinzeffin muſſte 1 
ihrem Gemahle folgen, der ihr an eben nicht ſchonend 
begegnete ®), ihr vielmehr noch größere Abneigung zeigte, als 


Kronprinzeffin, gefeiert. Der Kronprinz kaufte 1734 das 1734 


ung 

flört ) fich feinen Meblingenelgungen bingeben konnte, ver- 

1) Gedendorf an Eugen v. 13, Juni u. 4. Jull 1733 bei Birken! m. 
©. 148—155. 

O Preuß driebrichs Iugendiahre ©. 172. 

8) M&moires de Bareith T. II. p. 107, vergl. p. 111. 

4) Diefelben T. II. p. 88. 

6) ©. Preuß driedriche Jugendjahre ©. 178 ff. Der König ber 
Bo Bieinsierg nur zweimal in d. 3. 1786 u. 1787. Preuß a. a. 
D. &. 180, 


4* 


644 Bud VL Drittis Hauptüd. 


femmelte er feine wiſſenſchaftlich und kuüͤnſtleriſch —— 
kenntniß⸗ und geiſtreichen Freunde zum ungezwungenen, 

teren und immer anregenden Balder von bier aus — 
ex feinen Briefwechſel mit berühmten Gelehrten und Dichten 
an,. hier fchrieb er feine erften Werke, hi bier in diefen ummit: 


des großen Mannes felbft, denn auf feines Vaters Regierung 
hatte er nie weſentlich Einfluß '). War er auch nicht fo glüd 
lich, feine Ehe mit Nachkommen gefegnet zu fehen, hatte er 
auch zu feiner Gemahlin keine eigentliche, arte Neigung, 
fo geftanb er boch einem feiner Wertrauten drei Jahre nach 
feinee Vermählung, nachdem er fie genauer kenunen gelernt 
batte: „Ich nlıßte der verächtlichfte Menſch von ber Welt fein, 
wenn ich fie nicht wahrhaft achten wollte, denn fie if ſche 
fen, hoͤchſt gelehrig und uns dbermösie gefäig, indem fie jeden 
meiner Wunſche zuvorzulommen fucht ).“ Es bleibt ihm kaum 
etwas zu winfchen, ald, weil ihm fein Water gar zu wenig 
außgefeht, eine verhältnigmäßig nicht zu große Vermehrung 
. feiner jährlichen Ginkünfte, Teine Sorge, auffer ſich den de 
entſtehenden fters wiederkel i 


— Dritten auf den Thron rief. 

Während ber König durch die von und erzählten in fo 
enger Verbindung mit den politifchen Verwickelungen ſtehenden 
Angelegenheiten feiner Familie beichäftigt wurde, boten ihem 


1) Viele Cimelhelten bei Preuß Friedriche Iugenbichen S. 181 f- 
2) Journal secret p. 147 v. Juli 1787. 


Der Kronprinz in Rheinsberg. Polen 645 


die Verhaͤltniſſe Polens eine neue ſehr günflige Seiıgeich 

bar, feinem Staate anfehnliche Wortheile zu verfhaffen. Dem 

kaiſerlichen ‚Hofe lag hier hauptſaͤchlich daran, daß Stanislaus 
Lescynski, vorzüglich ſeitdem er Sepisirgervater König Lud⸗ 

wigd XV. geworden war, nicht auf den polnifchen Thron 
kaͤme, während ber franzöfifche Hof ganz natürlich Alles ans 
wendete, um bie Stimmen fir ihn zu erhalten, wofle 
damald auch England war. Dem Baiferlichen ‚Hofe dagegen 
folgte auffer Rußland auch Preuffen, welches bereits in feinem 
Buͤndniſſe mit Rußland ben Stanislaus vom Throne audges 10. Aug. 
ſchloſſen und diefen für einen Piaften beftimmt Hatte‘). As 1726 
daher König Auguft tödtlich frank war, wurde Friedrich Wil⸗ December 
beim fehr unruhig und ließ dem Kaifer erflären, ex werde ſich 

mit allen Kräften dem Stanislaus wiberfegen, wolle aber auch 

fo wenig als Defterreich den Kurprinzen von Sachſen. Am 
beften fei es, man fuche einen polniſchen Edelmann, der den 
Mächten verpflichtet werde, welchen er feine Erwälung vers 

danke”). Der Kaifer nahm das fehr gut auf und erklaͤrte Y Januar 
mit des Königs Anfichten ganz einverflanden; es komme nur 1727 
darauf an, einen zum Throne geeigneten Polen ausfindig zu 
machen ?). Dennody winde er nichts gegen den Kurprinzen 

von Sachfen gehabt haben, wenn biefer nebft feinem Water 

die pragmatifche Sanction hätte gewährleiften wollen *), allein 
König Auguft fpielte ein doppeltes Spiel. Er hatte feinen 
Sohn mit der aͤlteſten Tochter Kaifer Joſephs L vermählt 

und obgleich diefe auf ihre Erbrechte hatte verzichten muͤſſen, 

fo dachte er dennoch daran, fir fie als Tochter des älteren 
Bruberd Anfprüche gegen die Rechte der Maria Thereſia, als 
Zochter Karls VI. des jüngeren Bruders zu erheben. Die 
zweite Zochter Joſephs I. hatte der Kurfürft Karl von Baiern 


a S. 12. 


Seckendorf an Bingenborf 21. Dec. 1726 in Förfters urtun⸗ 
dentch Thl. IL ©. 205. 


2 Eingenborf an Seckendorf 2. Ian. 1727 bei Foͤrſter Zpt. IM. 
©. 39. 


4) Bedenborfs Erben Thl. IV. ©. 72. 


v 


6 . Bub VL Drittes Hauptküd 


. * 
Auguſt wuͤnſchte zugleich feinem Sohne die erbliche Abroufot 
in Polen zu verſchaffen und verhandelte daher fortwaͤhrend mit 
dem Kaifer, als wolle ex für befien Unterfligung bie pragmas 
tiſche Sanction anerkennen, während er auch wünfdhte L} 


Bean! 
fihäften der Art fonft gewanbte Minifter, befonders ben Ge 
neral Sedendorf, fehr geſchiat völlig taͤuſchte '). Auch Friedrich 


wirklich gegen ben Kaiſer zu gewinnen fuchte, daher fh wahr⸗ 
Januar ſcheinlich die Verabredung einer Vereinigung traf, bie Erblichkeit 
1728 fü feinen Sohn zu erzwingen, von welcher wir bereits obm 
1730 geſprochen haben’), ihn desbalb auch in Berlin befuchte un 

zu dam prächtigen Lager von Mühlberg Ind, 
Auguft wolte im Einverfländniffe mit den Brangofen einen 


fü 
Seite zu ziehen, ging nur burd Seteniorf 9 gewamt, — 


Frankreich gewinnen pr Daher Fam der ruſſiſche Oberflal; 
1731 wmeifter Graf Loͤwenwolde nah Berlin, — ſich mit Secen 
81. Dec. dorf nach Wien und verabredete bier bie VPuncte eines Ber 


1) @rdendorfs Leben SL, IV. ©. 12 ff. u. ©. 72. 
2) Mömolres de Bareith L p. 105 u. 121. 
3) Gedendorfs Leben a. 0. D. u. Thi. II. ©, 88. 


König Auguf von Polen. 617 


trags, durch welchen ſich Rußland, Deſterreich und Preuſſen 
verbanden, den Stanislaus und jeden franzoͤſiſchen Bewerber 
vom polnifchen Throne ehe biefen vielmehr dem 
geiftig ganz unbebeutenden Prinzen Emanuel, Bruder des 
Königs von Portugal zu verfhffen. Jeder der drei Berbiins 
deten follte 36,000 Ducaten nad) Polen und Truppen (Pzeuffen 
30,000 Mann) ') an beffen Grenzen ſchicken, ferner mit dem 
Ausfterben des Kettleriſchen Hauſes die Vertheilung Kurlands 
in Woiwodſchaften gehindert, die Wahl auf einen preuſſiſchen 
Prinzen gelenkt, dem Könige von Preuſſen Berg und Düf 
felborf mit einem angrenzenden Striche am Rheine zugeſichert 
und ber Herzog Anton Ulcich von Braunſchweig mit ber Prin- 
zeſſin Katharina von Mecklenburg (der Enkelin Zaar Iwans) 


burg feine Erhebung verdanke, auch für biefe fein werbe*). 
Ueber diefe Puncte wurde num während bed Jahres 1732 
swifchen Deflerreich, Preuffen und Rußland verhandelt. Vreuffen 
war damit einverflanden. 


Zu gleicher Zeit Hatte König Auguſt (20. Nov. 1732) Rovember 
noch einen legten Verſuch gemacht, den König Friedrich il: 1732 


helm fir feine Entwürfe zu gewinnen. Er ſchlug höhft ge: 
beim, ba bie Veröffentlichung ihm ben Hals koſten koͤnne, 
vor, bie Nachfolge feines Sohnes dadurch zuverläffig zu fichern, 
daß die Republif Polen umgeftürt und für das Haus Sachſen 
in eine erbliche Monarchie verwandelt würde. Dazu folten 
Defterreich, Rußland und ber König von Preuffen mitwirken 
und dieſer baflır das polniſche Preuffen, einen Theil Großpo⸗ 
lens und Kurland, der Kaiſer aber das Zipſerland erhalten. 
Friedrich Wilhelm ging fcheinbar ?) darauf ein, weil en den 

1) Bei Foͤrſter im Leben Friebrich Wilhelms Thl. IL ©. 118 
ſteht diefer Bufat- 

2) Sedendorfs eeben Thl. IV. ©. 75. For ſters Friedrich Wit: 
Helm Thl. U. S. 118. Das Datum, 81. Dec. 1731 bei Shält Thi. II. 
©. 224 iſt wahrſcheinlich das des Abfchluffes der Werabrebung in Wien, 
wie das gleich anzuführende Gchreiten Gugens v. 29. Ian. 1732 ver: 
muthen läfft. 

3) Wie das Folgende zeigt. 


648 Bud VL Drittes Haupefiäd. 


König Auguft immer noch Aufferft gern von Frankreich ab anf 
die ‚Seite bed Kaiſers ziehen wollte‘), obgleich es ihn fchr 
verdroſſen, daß biefer ihm den Antrag gemacht, die Werlobung 
des Kronprinzen aufzulöfen und ſich mit Engtent zu vebin 
E pehin Shclumpeennurts vo arſchall v. Bi 


1732 , vüdfihtlich des Theilungsentwurfs 
kunft, ob es nicht notwendig fei, Rußland dafuͤr zu geanin 
nen und auf welche Weiſe man das bewegen wolle, 
thätig zu bleiben? Was zu thun fei, wenn fih Rußland 
herfebe und ob für dieſen Fall Rüdfprache mit 

ober ben Tartären genommen feit Was gefchehen fü 

der Kaifer. ſich mit Zips nicht begnuge, welche — 
reichung des Zwecks man in Polen ſelbſt ergriffen, 
bereits einige Große dafuͤr geſtimmt, ob man 
habe, das Heer zu gewinnen, ob man nur durch 
zum Ziele zu gelangen denke und wie viel Truppen 
und Preuſſen ſtellen ſollten, woher man 
men, und ob man nicht Thorn zum 
wolle )7 

18. Der. In nächten Zuge, nachdem er Biberſtein mit biefer ge 
beim ‚ Inftruction nah Dresden geſchickt hatte, ni L} 


Ar & 


ann 


zeichnen, durch welchen der Kurprinz von Sachſen vom har 
niſchen Throne per wurde; benn er konnte durch⸗ 
ech, glauben, Augufl meine es mit feinen Vorſchlaͤgen 
ernſtli⸗ 


Anfrage, er ſei mit Frankreich in gar kein ihn bindendes Verhaͤlt⸗ 
niß getreten und hoffe durch die Vereinigung der vier Adler immer 


1) GSrumbtow an Manteufel 20. Nov. 1782 bei Börfters Friedcich 
Dithelm Thl. IL ©. 121 Anmerk. 

2) Die geheime Juſtruction v. 12. Dec. 1782 a. a. D. Xp II 
©. 119 Anmerk. 

8) Bork, Thulemeier, Seckendorf und Ebwenwolde untergeidinet: 
den Vertrag. Seckendorft Leben IV. ©. 75. Börfters Pre 
Helm Spt. IL ©. 118. 


König Augufts IL. von Polen Tod. 69 


noch feinen Entzweck burchzufegen '). Auf feiner Rüdreife von 
Dresden nach Polen empfing ihn an der preuffifchen Grenze 


der General Grumblow *), welder in das Geheinmiß gezogen Januar 
war und feinerfeit8 al ein Haupttrinker verfuchen follte, bie 1793 


eigentlichen &bficten Augufis gu erforfihen, bem Seiebrich 
Wilhelm nicht trauen Tonnte, während Auguft fi auf gleiche 
Weiſe bemühete, bie wahren Abfichten Friedrich Wilhelms 
durch Grumblow zu erfahren. Einer machte fo den Anderen 


trunten, Auguft erlag bald darauf und feine Entwürfe blieben 1. Bebr- 
a 


unaußgeführt ). . 

Mehr ald halb Europa wurde in Unruhe gefeht durch bie 
bevorfiehende Wahl eines Königs von Polen. Weil die rufs 
fiſche Koiferin fir ihren Guͤnſtͤng Bühren das Herzogthum 
Kurland wimſchte und ed daher nicht wollte an Preuffen kom⸗ 
men laſſen, fo verfagte fie dem loͤwenwoldeſchen Wertrage ihre 
Genehmigung *). Friedrich Wilhelm hoffte immer noch darauf, 
hielt daher Geld und Truppen bereit, um fowohl den Stas 
nislaus ald den Kurprinzen von Sachfen auszufchlieffen, und bes 
fahl feinem Gefandten in Warfchau, durchaus im Einverftänds 
niffe mit Rußland und Defterreich zu handeln). Allein auch 
dieſes Dal ließ er die ihm fo dufferft günftige Gelegenheit ent⸗ 
[&hlüpfen, fie ſich weſeniliche Vortheile aus den Werwidelungen 
yu ziehen, und vergeblich ſchlug ihm ber Kronprinz vor, er folle 
ch fogleich des polnifchen Preuffens bemäctigen %. Als er 
ah, baß weder Rußland noch Deflerreich den Löwenwolbefchen 


1). Biberfteins Bericht v. 16. Dec. 1732 in Foͤr ſt er s Friedrich 
Biüpelm Thl. IL. &. 120. Die Franzoſen wuſſten etwas von Auguſts 
Plane, f. Schmauß Hiſtorie der nordiſchen Reiche ©. 380 in deſſen Gin 
eitung in die Staatswiſſenſchaft Thl. IL 

2) Baßmanns Leben Augufts ©. 989. 

8) Memoires de Brandenbourg p. 295. om uUngerweintrinken 
3 Kroffen fagt ſogar Faßmann im Leben Friedrich Wilhelms Thl. I. 
5. 487 etwas. 

4) Gedendorfs Leben Thl. IV. ©. 77. 

5) Ebendaſ. ©. 79 ff. 


6) Kaunig an den Grafen Ghatelet in v. Raumers Beiträgen 
ᷣl. IIL ©. 569. 





650 Bud VL Drittes Hauptküd. 


Bartrag ratificiren wollten, auch des Prinzen von Vortugal 
Verſoͤnlichkeit in Polen entichieben miöfaen hatte, fo erklärt 
9. Aprit er ſich durch diefen Vertrag ‘ebenfalls nicht mehr gebunden 
1733 Als fi, Rußland und Deftereich förmlich gegen Gteniölezs 
erklaͤrten, that Friedrich Wilhelm das nicht, unter 
wande, daß er mit der Republik Polen wegen des 
tm Königstitelß i in Feiner officielen Beziehung ſtehe '). 
Der junge Kurfurſt von Sachſen — ſich 
ſehr angelegentlich um bie polniſche Krone; Rußland 
dieſen höchft unbedeutenden, daher unſchaͤdlichen M 
wonnen. Der junge Kurfuͤrſt wendete ſich auch 
Wilhelm um Unterſtutzung. Dieſer ſuchte fie fo 
12. Mei möglich zu verkaufen. Ex verlangte, ber Kurfurſt fe 
1733. gpiederaufgenommenen Proceß wegen ber Aufprüche 


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36 


gehe, 
die Durchführung bes halliſchen Salzes nach Elbing wire 
öffnen, in ber elbingſchen und draheimſchen Ablöfungsfak 
nichts gegen des Königs Intereſſe thun, die im welauer Be- 
trage feftgefegte freie Werbung in Polen und Lithauen gest 
ten und biefen letztzgenannten Vertrag wie alle anderen zwiſcha 
Brandenburg und Sachſen erneuern. Daflır wollte ihm Friedrih 
Wilhelm Juͤlich gewährleiften, mündlich gab er dem Gene 


reit, die meiſten Puncte zu bewilligen, konnte aber darüber mit 
fo beſtimmte Berficherungen geben, als Friedrich Wilpelm L 
wuͤnſchte, weil er nicht gegen die Rechte Polens und der übri 
gen ſaͤchſiſchen Häufer verftoßen durfte. Auch ber Baiferliche 


1) Secendorfs Leben Thl. IV. &, 84 f. u. 92. 
2) Gbendaf. ©. 98 ff. u. ©. M. 


Der polnifhe Thron. ö 651 


Hof erflärte fi) unbeſfimmt. BVergeblich riethen Seckendorf 
und der fächfifpge Minifter Manteufel das rutowekiſche Regir 
ment dem. Könige Friedrich Wilhelm zu ſchenlen, den ſaͤchſiſche 
Sefandte Ponikau brachte nur zwei nicht gar lange Refruten 
zum Geſchenke, was wenig wirkte '). 

As nun beide Kaiferhöfe unter einauder vertrugen, ihre Suni 
Truppen in Polen einruͤcken zu laffen, ber Kaiſer daher Trup⸗ 1733 
pen bei Oppeln zufammenzog und den König zur Unterſtutzung 
auffoderte, fo erwieberte diefer, noch befonberd baräber unzus 
frieben, daß ihm ber Kaifer in feinen Exbflaaten ferner keine 
freie Werbung langer Leute ‚geftatten wolle *): er halte fih an 
weiter nichts gegen Stanislaus Beſchloſſene gebunden,. wenn 
aber der loͤwenwoldeſche Wertrag audgeführt werde und Kurs 
fachfen feine Anträge berüdfichtige, wolle er in ber polnifchen 
Sache ben Wimfden des Kaiferd gemäß handen, damn mit 
40,000 Mann marfcieren, allein nicht länger als zehn Tage 
bei Landsberg ſtehen, am elften in Polen einrüden. Cine 
Eleine Zruppenabtheilung folle jedoch immer bereit fein ). Im⸗ 
mer mehr zog fich der König vom Kaifer und Rußland zuruͤck 
fein Beuolimächtigter in Warſchau unterftligte jene Maͤchte 
nue noch formal, Als Gedenborf darauf drang, ber König Juli 
folle vie Auffoderung der beiden Kalferhöfe umterftügen, den 
Stanislaus von ber Wahl förmlich ausgufchlieffen, was auch, 
wenn ber Iömenwolbefche Vertrag nicht gelte,. wegen früherer 
Verträge geſchehen muͤſſe, wurde ihm mach langem Zögern ers 
wiebert, die Verträge von 1728 und 1730 fchlöffen den Sta⸗ 
nislaus nicht aus, fonbern follten nur die freie Wahl in Pos 
en fihen. Wenn der König Krieg anfangen follte, muͤſſte 
r fichere Entſchaͤdigung für den Fall eines unglüͤcklichen Aus⸗ 
yangd haben. Er wolle ben loͤwenwoldeſchen Vertrag noch 
etzt annehmen, wenn der Artikel wegen Kurlands ratificirt 
vurde. ¶ Vergeblich verficherten beide Kalferhöfe, daß ſolle ges 21. Zul 
heben, wenn ber König zur Erfülung feiner Verbindlichkeiten 
reiten werde *). 

1) Sedendorfs Eeben Thl. IV. ©, 97 ff. 

D Gedenborf an Gugen im Febt. 1783 bei Forſter M. ©. 146. 

8) Seckendorfs Leben IV. ©. 104. 

4) Ebendaf. ©. 105 ff. 


16. Juli reichiſche Exbfolgeorbnung, der Kaifer dagegen ihm 
1733 feiner faͤchſiſchen Länder gewährleiftete und unter mehreren 


652 Bud VL Deittes Hauptflüd. 


Unterbefien hatte ber Kurfürft von Sachſen 
gem Erfolge in Wien und in Peterburg verhandelt 
Vertrag mit dem Kaifer gefchloffen, durch welchen er 


PIE 
In 


gungen, auch wenn GER Der Den von Penn ua Bu 
land befannt geworbenen billigen Wuͤnſchen genüge, Vorſchub 
zur Gelangung auf den polnifchen Thron durch freie Wahl 
ficherte und vereint mit Rußland, England und Preuffen 
und Waffengewalt zur Unterbrüdung ber franzoͤſiſchen 
des Stanislaus verſprach). Faſt zu gleicher Zeit flo 
Kurfürft Auguft von Sachſen ein Verthei 

der Kaiferin Anna von Rußland, weiche in geheimen 
ihm ebenfalls Beiſtand zu feiner Gelangung auf den 
Thron —* wogegen Auguſt verſprach 
Anfprüche Polens auf Livland zu begeben, 

Ferdinand eine 


und dad Land immer als Herzogthum beftchen 
bier wurde dem Kurfürften zur Bedingung gı 
wohl der Unterfilikung des Kaiſers als Preuffens zu 
Friedrich Wilpelm wurde darüber, daß Rußland 
Defterreich ohne ihn mit dem Kurfuͤrſten von Sachen 
Verträge sehen. fehr aufgebracht, weil er num nicht 
boffen kannte, en Beitritt viel zu erhalten‘). Er 
Stanislaus 


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nach Polen gefhidt, um die Wahl des Gtanislaus burchzus 
fegen, der ohnehin viel beliebter war, als der Kurfürſt von 
Sachſen, für den fi nur wenige Stimmen erhoben. WBäh 
rend man Öffentlich verbreitete, Stanislaus fegele mit einer 
franzoͤfiſchen Flotte nach Danzig, begab fih biefer als Kaur 


1) Wenck cod. jaris gent. T. I. p. 700 mit zwei Geparat« uab 


2) Martens recueil supplöment T. III. p. 1. 
3) Journal secret p. 20 v. Det. 1736. 


Der polniſche Thron. 653 


mann verfleibet über Berlin nach Warſchau, wo er glüͤcklich 

anfaın unb bald dasauf (12. Sept.) einflinnig und rechtmäßig 12. Sept. 
zum Könige gewählt und außgerufen wurbe, indem die ſehr 1733 
fpmwäche- fächfiihe Partei unter dem Bürfen Wisniowiezki ſich 

vom Wahlfelde entfernt hatte. Dem mit ber Denk⸗ und 
Handlungsweife feiner Lanbeleute nur zu genau befannten 
Stanislaus geſchah jedoch, was er vorauögefehen hatte. Gr 

fand zahlreichen Anhang und hörte viele Iärmende Betheueruns 

zen, erhielt aber keine Unterflügung. Kaifer Karl VI. wollte, 
abgemahnt von Preuffen, und beforgt vor Frankreich, Feine 
Truppen in Polen einruͤen laſſen und 20,000 Sachfen lieber 

m Rheine verwenden’). Won ihm aufgefodert *) drang da⸗ 

jer ein ruſſiſches Heer bis ‚gegen Warſchau vor, Stanislaus 2. De. 
nuſſte nach Danzig flüchten und eine Heine Anzapl polniſcher . 
Eoelleute rief unter bem Schutze ruſſiſcher Waffen ben Kurs 5. Dit. 
ürften Auguft von Sachſen zum Könige von Polen aus. Das 
vermehrte bie Spannung zwiſchen dem Kaifer und Friedrich 
Bühelm, welder argwöhnte, Defterreich habe den Kurfüzften 
segunftigt, damit er als erblicher König von Polen, Preufien 

m Baume halte”). Er wurde, darin beſtaͤrkt, als er aus 
luguſts Benehmen fah, dieſer halte es gar nicht mehr für 
ıöthig, Preuffens Freundſchaft theuer zu erfaufen. Friedrich 
Bilpelm Hätte auch jet noch jeden Krieg gern vermieden. Er 

atte daher ben Kaifer, um Frankreich nicht Veranlaſſung zum 

triege zu geben, fortwährend abgehalten, Zruppen in Polen 
mruͤcken, vielmehr gerathen, die Ruſſen dort machen zu laffen, 

vad fie wollen. „Wenn dann demungeachtet die Franzofen über 

en Rhein gehen“, fuhr er fort, „fo iſt bie gerechte Sache für 

ns und es wird mit Gottes Hülfe und Unterflügung der 

euen Verbündeten des Kaifer8 abmirabel gehen *)." 


1) La Lande p. 891 —894, 


2) Sceeiben des Kaifers v. 12. Jul 1788 in Börfters Höfen 
5. IL ©. 18, vergl. Villars memolres T. IV. p. 107. @6 ge 


ah vermöge des Vertrags zwiſchen dem Kaiſer und Rußland v. 17. 
ıni 1788. La Lande a. a. O. 


8) Seckendorfs Leben Thl. IV. ©. 174 
4) Gbendaf. Thl. UL ©. 58. v. 6. Sept. 1738. 


654 Bud VL Drittes Hanptfäd. 


10. Oct. As nım gleich nach Auguſts Erwägung Ludwig XV, 

1733 dann die mit ihm verbuͤndeten Könige von Gpanien und Car 
dinlen dam Kaifer ben Krieg ankünbigten und mit gämfligen 
Grfolge zuälelih in Deutfgland und Stalin begannen, bet 
fich dem Könige abermals eine günftige Gelegenheit dar, fee 


Frankreich ober für den Kaiſer zu entſcheiden. Der 
Gefandte Chetardie wendete Alles auf, dem König ganz fir 
Stanislaus zu gewiimen, ſchlug ihm baber vor, ſich 
nifgen Preuffens zu bemächtigen, von biefer doch 
anenia id . Da Primas von Polen, das Haupt ber 


la 


endlich mit vieler Mühe den HHlegmatifen Auguft *) 
gleichen Bedingungen für fi dem Könige Ebbing 
Diefer aber verlangte noch aufferbem das ſaͤchſiſche 
mern und bie Grafſchaft Mannsfeld, wofin er ben 
bewegen weite, durch die preuffiichen Staaten nach 
aurhäzugehen, fonft brohete er, diefen aus Danzig, wo er ve 
den Auffen eingefchloffen wide, mit ben Waffen zu 
und ihm einen Buflußptsort in Stettin zu geben. En 
ſprach num zwar, wie er bereit gegen Rußland und 
gethan, ſich auch gegen Preuffen gu verpflichten, 
polniſche Krone nicht erblich machen wolle, weigerte 
* ehwad von feinen Erbianden abzutreten. Vergeblich wendee 
daher Sedenborf alle Mittel an, bei Ftiedrich Wilpelm Argwohe 
gegen Stanislaus zu erregen , befien Partei dem Auguft 
große Quldſamkeit gegen bie Diffidenten und ——— = 
Behauptung der Rechte Polens auf Kurland, Eibing me 
Draheim vorgeworfen hatte. Der König antwortete, das be 


Arte 


1) Memoires de Brandenbourg p. 297. 

2) Manteufel ſchreibt von Dresden aus an Seckendorf BL. De 
Nous nous trouvons dans une plaisante situation, vous à Berlin « 
moi icy. Nous ressemblons, ce me semble, & deux bons &cuyer 
dont un monte un cheval fougueux et Fautre un retif etc. 


Stanistaus und Auguft II. von Polen. 655 


kuͤmmere ihn wenig‘). Gr war nicht wieber ganz für ben 

Kaifer zu gewinnn, flelte bader auch in dieſem Jahre, ums 
geachtet er es fchriftlich verſprochen, bie 10,000 Mann nicht, 

zu benen er bunbeägemäß verpflichtet war”). Als Darauf waͤh⸗ December 
rend der Tafel gelegentlich die diede auf bie preuffiſhen Giebe 1733 
ſidienvoͤlter kam und ber König behauptete, er werde fie. nicht 


entſtehen innen, wenn nicht ber gewandte Grumblow; um 
abzulenken, einen fogenamten Beummtopf, ben er. zufälliger 
Weiſe in feiner Taſche trug, jeht auf ben Liſch gefhmelit hätte, 
mo der Kreifel unter vielem Lärm große Werheerung unter den 


nig mit; er nahm nad Tiſche 
fein Unzeht und verſprach bie Erfllung feiner Verpflichtungen. 


iefer (1730) in fein Band zurüdgefehrt und hatte den Rönig 
friebrich Wilhelm um Schuß gebeten, deſſen Rath aber, fich 


4) Gedenborfs Lehen Ahi. IV. ©, 128 J. — 128. N 
2) Edendaſ. Thl. IL ©. 56. 
3) Ebendaſ. Thi. L ©. 218. Vergl. Thi. HI. ©. 59 |. 


Jamuar 
1734 


kuimftig verbunden zu fein, irgend einen Beitrag pm 


656 Bud VI. Deittes Hauptſtuͤc 


den Baiferfichen Befehlen zu fügen, nicht befolgt, war bafer 
der Regierung entfegt und bie Verwaltung bes Landes feinem 
Bruber als Adwiniſtraior aufgetragen —ã Dagegen hatte 
er (1733) bie Wr 18,000 Bann ſtark, aufgeboten, wer 


kriege an Geld, Volk oder wie er fonft heiffen möge 
ſten; ja- er verlangte, der Kaifer folle ihn urkundlich 


Er 


2 


Reichskrieg gegen Frankreich, 657 


haft, welche er auffer ber Bundespllfe zum Reichsheere zu 
geben hatte '). Auch die Kurfürſten von Baiern, von ber 
Pal; und Kin ſtellten kein Reichscontingent ?). & wurde 26. Br 
denn ber Reichskrieg an Frankreich erklaͤrt. 

Nun hatte Sedendorf nicht geringe Mühe, den König 
zum wirklichen Abmarſche ber 10,000 Mann preuffiicher Hülfss 
truppen zu bringen, welche ſich enblich unter bem Oberbefehle Anfangs 
des Generals Erhard Ernſt v. Röder in Bewegung fegten und Mai 
durch die Schönheit der Mannfchaft fowie durch ihre Fertigkeit 
in ben Kriegsübungen allgemeine Bewunderung erregten. 
Der König hatte zwar in dem Vertrage (v. 30. Dec. 1733) 
mit Deflerreich verfprochen, daß Überall bie ſtrengſte Manns⸗ 
zucht beobachtet werben folle, was auch wirklich fo lange ges 
ſchah, bis die Preuffen in das Fulbaifche, Bambergifche und 
Würzburgifche kamen. Die Fürften dieſer Länder hatten ſich 
den Unwillen des Königs dadurch zugezogen, baß fie ſich ſei⸗ 
nen Werbern widerſetzt. Die Preuffen nahmen Rache an ihnen, 
miöhandelten die Einwohner, erprefften große Summen und 
erlaubten fi jebe Art von Audfchweifungen. Vergeblich was 
en bie von den Flrften erhobenen Klagen. „Die Würzbur: 
ger haben meine Werber ehebem ebenfalld unmanierlich tractirt 
und ihnen Gelb abgenommen" war des Königs Antwort’). . 

Die Urfachen aber, welche ihn befonders veranlafiten, 
mit der Abfendung der Truppen zu zögern, lagen in feinen 
Verhaͤltniſſen zu Rußland und Polen. 

Stanislaus hatte, wie wir erzählten (2. Det. 1733) Dans 
"zig zu feinem Bufluchtöorte gewählt, weil es feft und fo ges 


1) Seckendorfs Leben Thl. W. S. 62 ff. Ich begreife daher nicht 
recht, wie Eugen, 22. Dec. 1733 an Seckendorf fchreiben Tonnte: wenn 
alle Reicheftände nach dem Beiſpiele des Königs von Preufien ihre flän- 
difchen Obliegenheiten erfüllten, dürfte Frankreich es nicht gewagt haben 
unter elenden Bewegungsgründen bem Kaifer ben Krieg anzufündigen. — 
Wahrſcheinlich Hoffte Eugen noch auf das, was verweigert wurde, ober 
die Bor find widt richtig wiedergegeben. Werke Gugens Thi. VIL 
©. 

2) Faßmann I. ©. 524. Bergl. Häberlins politifche Geſch. 
des XVII. Jahrh. Thl. I. S. 607 u. Sedendorfs Leben Spt. III, ©. 83. 


8) GSedendorfs Leben Thl. I. S. 189 u. Spt. IIL ©. 70. 
Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats. IIL 42 


658 Bud VL Drittes Hauptſtuͤc 


legen war, daß die aus Frankreich erwarteten Berfidrtungen am 
teen zu in oben Ionar Es wınden ſogleich, befonbers 
ter Mitwirkung des franzöfifchen Gefandten Monty, bie noͤ 
io Vertheidigungsanſtalten getroffen und vorzüglih bie Be: 
fatına auf 10,000 Wann verfiärkt, fo daß die Stadt mit den 


weiche 
Ianwar unter ihrem Generale Lascy zue Einſchlieſſung der *23 


1734 heranructen, ſchtecten die Bürger. 


Vergeblich bemüheten 
Sedendorf und ber ſaͤchſiſche Miniſter Mantenfel, den Gtanis- 
laus zur Nicderlegung der Krone zu bewegen. Gegen die 


logerung, deren 

dufferft thaͤtig betrieb, weil er wohl einſab, daß mit ber Ber 
eibung de Gtanislans ber Thron Auguſts gefichert fein 
wuͤrde und weil er des Koͤnigs won Preufien nicht voͤllig ge 
wiß war. Friedrich Wilhelm, ber die Barbaren nicht gern in 
— Naͤbe ſah, drohete dem Secendorf öfters unter fürd: 

ſlüchen, er wolle 20,000 Maun zur Beidktung 
Das morfchiren laſſen; Gedenborf erwiederte dann wohl: 
wenn Kurfachfen fein großes Bataillon hergeben wolle, fo ge 
trane er ſich, damit bie ganze preuffifche Armee zu fhlagen ')- 


Belagerungsg⸗ durch 
Staaten vor Danzig bringen bünften. Cbektardie, weicher 


nigftens die Neutralität des Könige zu erwirken fuchte md | 


Durchzug werde bewilligen muͤſſen, weiche dem Stanidlaus 
wörben Beiſtand leiſten wollen‘). Cr erflärte nun, in du 


kommen, aber wenigſtens vier recht lange ſchoͤne Kerle mitze | 


1) Ordemborfs chen Ahi. IV. S. 181. 
2) Mauvillen II. p. 877. 


Gtanistaus Lescyasti in Danzig. 


os 
bringen, um den König umgufiimmen. Die ſchriftliche Ver⸗ 
wendung Muͤnnichs war vergeblich, bis er nachgab, auch Frans 
zoſen "endeten freien Zug durch die preuffifchen Stasten erhals 
ten. Darauf ließ der König auf Sedendorfs Zureden die ruſ⸗ 
ſiſchen Geſchute von Pilau, Secendorf aber ſelbſt wir Moͤr⸗ 
kr und einige hundert Bomben von Dreöben mit untergelege Aprll 
tem Pferden vor Danzig fhaffen‘), weldes mun machdrucüch 173* 
angegriffen und anhaltend bombarbirt wurde. 

Gben hatte der König noch die Bedingungen angegeben, 
unter denen ee fich wit Zuguß verbinden wolte, elf &r auf 
Chetardie's Anbringen die Vermittelung zwifchen bem zuffifchen 
Dberbefehlöpaber, der Stabt Danzig und bem in ihr befinds 
lichen Stanislaus übernahm und um ihr Nachbrud geben zu 
konnen, die 10,000 Mann noch zurüdhielt, welche ex für ben 
Kaifer nach dem heine gehen laſſen wollte. Er ließ burd 20. April 
den geheimen Rath Brandt dem General Münni eine Ams 
neſtie fie die Stadt, für Stanislaus und deſſen Anhänger und 
deren freien Abzug aus Danzig unter dem Schuge preuſſiſcher 
Truppen — hauptſaͤchlich ſollte Brandt dafür forgen, 

daß Danzig weder von Ruffen noch von Sachſen befegt würde. 
Hanni antwortete ſtolz: er babe ſchon bei feiner Ankunft 
der Stabt 24 Stunden Zeit zur Ergebung gegeben und könne“ 
nunmehr Feine Wermittelung annehmen. Wolle fi Stanis⸗ 
laus und deffen Anhang der Kaiferin zu Zügen werfen, fo 
koͤnne das ohne fremde Vermittelung und GSchugbegleitung ges 
ſchehen). Nicht einmal einen Waffenſtillſtand bewiligte er, 
bombarbirte vielmehr bie Stabt heftig und ftrmte fie, wurde 9. Mai 
- aber mit großem Verluſte zuruͤckgeſchlagen. 

Endlich erſchien ein franzoͤſiſches Geſchwader vor Danzig. 
Mimnichs beleidigender Trotz, deſſen eigenmaͤchtige Unterbres 
chung des preuſſiſchen Poftenlaufs, das nachlaͤſſige Benehmen 
Auguſts und geringſchaͤtige Aeuſſerungen fächfifcher Minifter 
über Friedrich Wilhelm brachten dieſen ſehr gegen bie — 
ſchen Verbündeten auf. Mitleid mit Stanislaus Schidſal 
ſchoͤne Rekruten, welche Chetardie lieferte, die Gefahr, older 


1) Gedendorfe Erben Ip. IV. @. 182 fl. 


2) Ebendaſ. S. 186 ff. — 141. 
42* 


660 Bud VL Drittes Hauptfäd. 


Zruppen aus Polen ſchaffen und verfprechen follte, nichts ge 
gen bie polniſche Zreipeit zu unternehmen, bagegen aber nicht 
was er bafür thun wolle‘). Die fhkfün Wi 


angegeben, 
Mai, nifter ſollten darauf mehrfach geäuffert haben: che Preuffen ein 


17% 


bing werde Rußland Bealnfigen u und Auguft —e— 
einwilligen, nur Pommerellen koͤnne nicht abgetreten werden 

Daflız verlangte Löwenwolbe die Anerkennung Auguſts als Kb 
nigs von Polen, freien Durchzug für beffen Truppen, Aus 


towskiſche Regiment und Sommern nebft Mannsfeld. Vergeblich 
bemühete fich der Kaifer, den König Friedrich Wilhelm für Auguf 
zu flimmen und ihn wegen Cleve s und Geiderns zu beruhigen . 
1) Gedendorfs Leben Thl. IV. ©. 148. 
2) CEbendaſ. S. 149. 


Stanislaus Lescynski in Danzig. 661 


Unterbeffen hatte ber franzöfiiche Befehlsbaber, der anſtatt 
einer flarfen Heeresabtheilung nur wenig über 2000 Mann 
Sanbtruppen mit ih führe, es nicht gemagt, bife auspuff 
fen und war nach Kopenhagen gefegelt. Hier übernahm es 
der entfchloffene franzoͤſiſche Geſandte Plelo, die Franzoſen 
nach Danzig zu führen. Er landete mit 2300 Mann und 
griff die Ruffen, um been Vereinigung mit ben beranrldens 37. ai 
den Sachfen zuvorzufommen, eilig unb mit ſtuͤrmiſcher Zap: 1734 
ferfeit an, wurde jedoch erſchoſſen. Zahlreiche Gräben hinderten 
ein weitereß Vorbringen, feine Zruppen zogen ſich bis in bie 
Näpe von Weichfelmimde zurid. Die Sachſen unter dem 
Herzöge von Weißenfels fliegen zu Münnich, eine ſtarke rufs 
fiſche Flotte fperrte den Strom, die Franzoſen muflten fich er-21. Suni 
geben, ebenfo bald barauf die Feſte Weichfelmünde, und nun 
ließ ſich bie Stabt nicht mehr behaupten, fie trat in Unters28. Suni 
bandlungen mit den Belagerern. Der König Stanislaus ver- 
ließ daher ald Bauer verkleidet heimlich die Stabt, Fam glücs 27. Juni 
lich auf das preuſſiſche Gebiet nach Marienwerber und, nad 3. Juli 
dem ihn der König von Preuffen feines Schutzes verſichert 
hatte, in Koͤnigsberg an, wo er im Schloffe aufgenommen, 
geihligt und ald Gaft anftänbig behandelt wurde‘). Miünnic 
war darüber dufferft erbittert. Danzig muſſte fich bei ber 
Uebergabe verpflichten, dem Könige Auguft zu hulbigen und 9. Zur 
ihm gehorfam zu fein, nie wieber Feinde ber ruſſiſchen Kaiferin 
aufzunehmen, zur Abbitte bei berfelben eine feierliche Deputation 
nach Peteröburg zu ſchicken, an Rußland eine Million Thaler 
Kriegskoſten und eine Milton Thaler, weil fie den Stanislaus 
habe entkommen laſſen, andere anfehnlihe Summen an bie 
ruſſiſche Generalität zu zahlen, bie beiden polniſchen Regimens 
ter der Befagung aber ben Ruffen kriegsgefangen zu übergeben. 
Der König Auguft beftätigte übrigend ber Stadt ihre Privile 
gien, begnuͤgte fich endlich anflatt ber gefoberten 2,300,000 preufs 
fiſchen Gulden mit 900,000 Gulden und gab ber Gtabt bie 
Zeſte Weichfelmünde zurüd. Die Kaiferin erließ auch bie 
Milion Thaler, welche als Strafe für bad Entkommen bes 


1) Mömoires de Brandenbourg p. 297. 


662 Bud VI. Drittes Hauptſtuͤc. 


Stanistaus entrichtet werben ſollte; bermoch hatte bie Stadi 

ſehr viel duch dieſe Ereigniffe gelitten ). 
233. Zuni Erſt jetzt, nachdem der Kronprinz bereits feit einigen Ze 
ar gen zum Reichsheere abgegangen war, begab fich der König 
8 Zul a8 Neugier, Die Falferlichen Truppen zu fehen, und aus An 
haͤnglichkeit an die feinigen dahin. Er wohnte in deren Mitte 
in einem Selte ohne Bequemlichkeit, forgte angelegentlich hu 
Ühre gute Verpflegung, ließ ihnen deshalb Lazarethe für bie 
Kranken errichten und bewirkte fo, daß weit weniger entliefen, 
als man beforgt hatte”). Nur der Schatten des großen, nım 
olteräfcpivachen Eugen waltete noch über dem kaiſerlichen und 
Meichöeere, daS muͤhig zuſah, während die Franzoſen Philippe 
burg belagerten und einnahmen. Hier Iemte der ſcharf be 


‚Heereßvermaltung 
Tennen®), was unſtreitig nicht ohne Sinti *. fein ſpaͤterẽ 
Leben war. Der König, dem bie Sgwaͤche der öferreichifchen 
Verwaltungsweiſe ebenfalls wicht entgangen und deſſen Re 
gang für den Kaifer dadurch gewiß fehr geſchwaͤcht worden 
15. Aug. war, verlieh dad Heer, wo er nichts mehr zu thun fand, 
wurde auf der Ruͤcreiſe im Cleveſchen Iebenögefährlich Frant 
und war laͤngere Zeit hindurch feinem Ende nahe‘). Der 
Kaiſet hatte dem preuffiichen Truppen zu Winterquartieren bie 
Wistpämer Köln, Mänfter, Osnabruck und Paderborn ange 
wiefen, damit fie für den Eimftigen Feldzug nahe wären, zu 
gleich den ihm wegen Teiner Hinneigung zu Fraukreich mit 
Mecht verdächtigen Kurflcften Clemens Auguft von Köln, wei: 
Ger auch den Übrigen genannten Bisthlmern vorſtand, im 
Zaume hielten und bdaflır firaften, daß er bie Frauzoſen zur 


1) Grataths Geſch. von Danzig für alle biefe Stade beireffenie 
Singeifeiten TpL. II. &, 896— 470. 
—* 2 nit Mm. Thl. U. ©. 436. Preuß driedriche Yagend: 
ve &. 256. 


8) Memoires de Bramdenbourg p. 803. Jouraal secret p. 5 t. 
Zult 1784. Cr fpottete über die Defterreicher, ſ. Gedtenborfü Leben 
SL IL 6. 80 f. 


4) Bel Faßmann I. &. 510. 


Feldzug. Winterquartiere. 663 


Belegung feiner Länder eingelaben hatte. Der Kurfuͤrſt, dem 
die Gewaltthätigkeiten der Preuffen im Wuͤrzburgiſchen nicht 
unbelannt geblieben waren, hätte bie Laſt der @inquartierung 
gern abgeauft, aber der König verlangte allein vom Bisthume 
Münfter 650,000 Thalerz das war nicht aufzubringen, alfo 
rickten die Preuffen ein. Sie machten ganz übermäßige Fo⸗ 
derungen; ein Hauptmann des Fußvolks verlangte für 17, 
ein Lieutenant für 7, ein Faͤhndrich für 5 Pferde Futter, fie 
ſchlugen jede Ration monatlich zu 8 Gulden, jede Portion zu 
4 Gulden an. Auſſerdem erprefften fie veichliche Bewirthung 
und Geld und mishanbelten die, welche ſich widerfegten. 
Zahlreiche Boten, Pferde und Fuhren wurben gefobert, lang 
gewachfene Leute am hellem Tage von ber Straße, ja beim 
Weggehen aus der Kirche mit Gemalt zu Soldaten genommen, 
viele ruͤſtige junge Männer verließen das Land. Vergeblich 
beſchwerte ſich der Kurfürft laut und brohend, vergeblich nahm 
ſich felbft der Kaifer endlich, obwohl ungern feiner an und 


warf den preuffifchen Truppen Gelderprefjungen, Menfchenweg: - 


ſchleppung und muthwiligen Todtſchiag vor. Der König 
ſtellte wefentlich nichts ab und berief fih darauf, daß es bie 
Dänen und Hannoveraner auch nicht beſſer machten‘). Es 
kam fo weit, baß der Kurfürft von Kdin Gewalt mit Gewalt 
vertreiben wollte. 200 Preuffen, welche rheftändige Contingent⸗ 
gelder im Münfterfchen eintrieben, wurde von 600 Mann münftere 
ſchen Truppen überfallen. Die Preuffen zogen fich auf einm 
Kirchhof zuruͤck, wo fie von vielen taufend Bauern eingefchloffen 
wurden, bis fie Verſtaͤrkung erhielten, worauf bie Bauern ent 
woffnet wurden). Der König ſah ſich endlich doch genÖthigt, 
die Beſchwerden und Gerichte Uber das Verfahren feiner Trup⸗ 
pen und die gegen fie erhoben Beſchuldigungen, fo gut er 
es vermochte, zu berichtigen umb abzulehnen ). 

Den Ruffen und dem Kaifer war ed dufferft ımangenehm, 
daß Friedrich Wilhelm dem Stanislaud unterbeffen einen Zus 
fluchtsort in Koͤnigsberg gegeben. Wurde doch fogar von ber 


1) Sedendorfs &bm TH. UL ©. 100 ff. u. Thl. I. ©. 188. 
2 Zaßmann I. S. 547. 
8) Derſelbe S. 522 f. u. 647. 


664 Bud VI. Drittes Haupefüd. 


ruffifchen Kaiferin ein Preis von 100,000 Rubeln auf de 
Gtantslaus Kopf gefegt. Secendorf, welcher (Juli) Berlin 
verlaffen und dort feinen gleichnamigen Better zur Beforgung 
der Angelegenheiten des Kaiſers zuruͤckgelaſſen hatte, en 
den König während des Feldzugs und bemübete fih fehr, ihn 


Gewalt aus Königsberg wegzuführen, ſchrekte dad ben König 
fo wenig, daß er vielmehr Genugtbuung wegen einer ſolchen 

ig verlangte, für den Fall eines Sruchs mit Ruf 
Tand (em PülfscorB vom Rheine yurhkpurufen und des Kar 


Defterreich ausliefern, ja felbft wenn er, was das Rechtlichkie 

und Kluͤgſte keins von beiden that, aber Eräftig unb gewandt 

aufs, unſchwer Schiebörichter in ber gefammten 
Angelegenheit werben‘). Allein er ſchwankte zwifchen feinem 


1) Secendorfs eebea Thi. IV. ©. 158. 

2) Journal secret p. 4 v. 29. Zuni 1734 

8) Grdendorfs Erben Thl. III ©. 88. 

4) Deflerreidh glaubte, er wolle as. Gbeabaf. IV. ©. 164. 


Stanislaus in Königsberg. 665 


verfönfichen Widerwillen gegen Frankreich und feinem perfän: 


lichen Mitleibe fir Stanislaus, zwifchen feiner Abneigung ges 
gen Auguft II. von Polen, feiner Exbitterung über Rußland, 
feiner Unzufriebenheit mit dem Kaifer, feiner patriotifchen Ges 
ſinnung für Deutſchland und feiner Beforgniß vor einem alls 
gemeinen Kriege, zwifchen Eigennuͤtzigkeit und Uneigennügigkeit 
fo lange hin und her, wendete den Kaifer, dem er nicht genug 
beiftand, Rußland und Sachſen, weil er den Stanislaus 
ſchuͤtzte, Frankreich, weil er dem Kaifer 10,000 Mann Hülfs> 
truppen geſchickt und das ruffifche Belagerungsgeſchuͤtz hatte 
durch fein Gebiet gehen laſſen, alfo alle Mächte von fich ab, 
indem er feiner genügte, und that fo lange auch fuͤr fich felbft 
Zeinen entfcheidenden Schritt, bis die verwidelten Angelegen⸗ 
heiten ohne ihn entwirrt wurden unb er weber von ber einen 
noch von ber anderen Seite auch nur wirklichen Dan? erhielt. 

Als ihn Sedendorf im Namen des Kaiferd ermahnte, ben 
Stanislaus fortzufhaffen, erwieberte er biefem, er wolle Alles 
für den Kaifer in deſſen Noth daran fegen, muͤſſe aber feiner 
Länder wegen Öffentlich Frankreich ſchonen, bis ſich England 
und die Generalftaaten für den Kaifer erklärt haben würden. 
Ludwig XV. habe ihn gebeten, dem Stanislaus Schug zu ges 
währen, worauf biefer als ein unglüdlicher Here und früher 
vom Kaifer und Preuffen anerkannter König voͤlkerrechtlich 
Anſpruch habe. Dbgleih nun der Ruffen Drohungen ihn 
hätten veranlaffen koͤnnen, ſich öffentlich fir ihn zu erflären, 
babe er dad dennoch nicht gethan, vielmehr geheimen Befehl 
gegeben, fi des Stanislaus zu verfihern und ihn an einen 
feften Ort zu bringen, bis ihm bes Kaiſers Entſchluß, ben er 
binnen vier Wochen erwarte, befannt fein wuͤrde, weil Frans 
reich die Auslieferung des Stanislaus verlangen werde. Darein 
zu willigen, widerrieth Seckendorf fehr, fuchte vielmehr den Kds 
nig zu bewegen, für das rutowskiſche Regiment und ihm zu 
gewaͤhrende Wortheile in Polen ben Stanislaus in die Hände 
des Kaiſers zu geben. Dem ruſſiſchen Hofe betheuerte ber 
König, er halte den Stanislaus gefangen, bamit ſich diefer 
nicht zu den Türken fchlage '). 

1) Gedenborfs Leben Tpl. IV. ©. 159—164. Vergl. Journal 
secret p. 53. 


Auguft 
1734 


666 Bud VI. Drittes Haupefäd. 
Vergeblich bot ihm der unermäbliche Sedenborf Kıriat 


mehr, warn er ihn an Defiereich außliefen wolle. De ur 
glüdliche Monarch follte feinen Ziel unl fein: Exbgken k 
halten und eine jäfide Cummne vom Könige Auguf ba I» 
men, welcher endlich felbft das rutowskiſche Regiment 


Sedendorf, als an politiſche Sachen denken, wolle ſich daher 
um feiner Urfache in der Zelt willen in die polnifden Ange 
legenheiten miſchen und rathe auch dem Kaifer, WBaffer ia 
feinen Wein zu gießen. Er flug vor, dem Gtanißlaus, da 
bei feinem Alter und feiner Leibesbefchaffenheit nicht lange mehr 
leben koͤnne, bie polnifhe Krone unter der Bedingung zu la: 


würfe um fo mehr empfindlich, als bie Angelegenheiten feine 
Heers in Italien ſeht mißlich fanden, und dufierte, man fee, 
was man von ber preuffifhen Standhaftigfeit zu erwarten 
babe, welche in Beiten, wo man ihrer nicht bebürfe, im ange 
nehmen Berficherungen beftänden, auf bie man aber in mik 
Tichen Umftänden nicht rechnen koͤnne und fie doch bei jeder 
Gelegenheit theuer erfaufen folle *). 

Der Kaltfinn Friedrich Wilhelms gegen Deſterreich, few 
Unmille gegen Rußland, ſeine Zuneigung für Stanislaus wurden 
immer größer. Als 120 Franzoſen, welche als Gefangene von 

Weichſelmunde nach Petersburg gebracht werden folten, an 
ber Küfte der Herrſchaft Lauenburg flrandeten, Tieß er fie mi 
allem Nothwendigen verfehen, ſicher durch feine Staaten nah 
Frankteich zurlchreifen und begegnete ihren Dfficieren in Mer: 
fin mit auffallender Höflichkeit". 


1) &5 wurde das giemlich allgemein geglaubt. Journal seuret 
p · 6 u. 9. 

2) Gedendorfs Leben Cpl. IV. S. 165 ff. 

3) Babmann k ©. 522 u. 550. 


GStanislaus in Königsberg. 667 


Stanislaus hielt in Königsberg, umgeben von zahlreichen 
angefehenen Polen feiner Partei, welche zu ihn geflüchtet was 
zen, einen förmlichen Hof. Der Kronprinz, welcher anflatt 
feines noch kraͤnkelnden Vaters zur Mufterung nach Preuffen 
veifte, befuchte ihn oft. Der König ſchenkte dem Generale 
Sedendorf zu Weihnachten mit bitteren Anmerkungen einen 
Ring mit der Innſchrift · Vive le Roy Stanislas, ſprach überall 
während der Zafel und im Tabakscollegio mit großer Verach⸗ 
tung vom Könige Auguſt: „Mantelfad, dummer Teufell')“ 
Er trank oft auf des Stanislaus Gefundpeit: Vivat Stanie- 
laus! perent Augustus! und fpottete über des Kaiferd Geld» 
noth. Als einige Polen ber ſaͤchſiſchen Partei auf ber preuſ⸗ 
fifhen Herrſchaſt Tauroggen einige Gewaltthätigkeiten verhbten, 
welche ein Bericht an ben König fehr vergrößerte, fo drohete 
diefer in Warfchau, er werde fi) in Ermangelung hinreichen⸗ 
der Genugthuung in Sachſen vierfach entſchaͤdigen?). Nur 
mit Mühe wurde er beſaͤnftigt. 

Der Kaifer ſchikte nun den duͤrſten Lichtenftein nach Ders 
In, um ben König zu bewegen, fein Reichds und Bundes⸗ 
contingent zu fielen, ihm eine Summe Geldes vorzuficeden?) 
und ben König Stanislaus von Königsberg, fowie den frans 
zoͤſiſchen Gefandten Ghetardie aus Merlin zu entfernen *). 
Lichtenſtein war ein tapferer und einfichtönoller Krieger, zugleich 
ein gebifbeter und hoͤchſt achtbarer Mann, ber fich jedoch zus 
gleich feiner Winde bewufft war. Ex kam mit glaͤnzendem 


jar 
1735 


Gefolge in Berlin an, wurde höflich und gleichgültig behanz . 


delt, erreichte aber nichte. 

Die Klagen über die von ben preuffifcden Truppen bes 
gangenen Ausfchweifungen machten den König misvergnuͤgt; 
er betheuerte, Gut und Blut flr den Kaifer laſſen zu wollen, 


1) Gedendorfs Leben Thl. IV. &. 170. Journal secret p. 34 
v. Ber. 1785. 
2) Gectenborfs eeben SH. IV. ©. 172. 


3) Polinit Méim. Thl. II. ©: 461 fagt, der Kaiſer habe für 
einige Millionen Gulden dem Könige Blogau verpfänden tollen, was 
Baum wahrſcheialich if. 

4) Journal secret p. 46. 


Dir 
1735 


668 Bud VL Drittes Hauptftüd. 


doch müffe er auch am ſich denken: „Ich fehe ſchon“, fagte 
er zu Grumblow, „daß ber Kaifer meiner fatt ift, weil a 
Seckendorf abberufen hat, zu dem ich Vertrauen hatte und 
der meine Weife kannte, wogegen er mir ben Eichtenflein ſchict 
der mich durch die Art feines Benehmens in Verlegenheit 
ſetzt ).“ Hoͤchſt wahrfcheinlich war damals bereits Grumbins 
und vieleicht auch Derfhau von Frankreich gewonnen, was 
dazu beitrug, daß ber König ſich immer mehr auf deſſen Seite 
neigte?). Als ihn daher ber General Sedendorf fchriftlich 


‘drängte, bie preuffifchen Truppen im März bereit zu halten, 


erwieberte felbft ihm der König: „In Wintermonaten zu cam: 
piren, um nichts zu thun, ald die Leute unb die Pferde mis 
niren zu laſſen auf fächfifche Art, iſt hier nicht Mode. Meine 
Leute ſollen nicht die erften und auch nicht die legten fein, bie 
zur Armee flogen ’).” 

Die Ruffen vertrieben des Stanislaus Anhänger ars 
einem Theile des an Polen grenzenben preuffiichen Gebiets 
und droheten, dad zu wieberholen. Der König ſchickte ſogleich 
ben General Katte dahin und ließ erklären, er werbe Jeden 
der fein Gebiet verlege, ald Feind behandeln‘). ALS der Ge 
neral Münnich öffentlich drohete, er werde den Gtanislaus 
aus Königsberg wegholen laſſen, erflärte Friedrich Wilhelm L 
den Gefandten ber drei verbünbeten Mächten in ben i 
Ausbrüden, daß er parteilos bleiben und bie von ihm bem 
Stanislaus und ben polnifchen Magnaten gegebene Freiflätte 
geachtet wiffen wolle, daher Gewaltthätigfeiten gegen fie als 
Friedensbruch anfehen und dann feine Zruppen vom Mpeine 
zuruckberufen werbe ). 

Weil nun dieſe Spannung die übelften Folgen haben konmt 


1) Journal soczet p. 42, vergl. p- 4. 


2) Pöllnig Mm. Thi. IL ©. 461. Journal secret p. 56, 51, 
59-61 u. 78. ö 


3) Secendorfs Erben Thi. III. ©. 110. 
4) Pölinig a. a. D. ©. 471. Journal secret p. 67 v. Juni 1755. 


5) Journal secret p. 53 i. d.j Anmert. Seckendorfs Beben IV. 
©. 174. 





Stanislaus in Königsberg. 669 


ſo drangen Sedendborf und Mannteufel in Dresden (Mai) 
F auf Ausföhnung mit Preuffen, allein Auguft verlangte, Fried⸗ 


rich Wilhelm folle den. erfien Schritt thun. Nun Fam der ges 


! wandte Gpavigny als aufferorbentlicher franzöfifcher Gefandte 
F nad Berlin. Italien war für den Kaifer faft ganz verloren, 
* am Üheine gefchah nichts. Der Unthätigkeit wollte Secendorf 


⸗ 
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B 
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durch eine Diverfion an ber Mofel ein Ende machen und ers 
7 hielt den aud von Leopold von Deffau gefuchten Oberbefehl 


über eine dazu beftimmte Heeredabtheilung. Leopold verließ 
ſogleich das Heer und bewog dm König Friedrich Wilpelm, 
dem General Röder bei Verluft des Kopfes zu verbieten, mit 
ben Preuffen an bie Mofel zu marfchiren. Unter allgemeiner 
Misbiligung kehrten daher bie preuffifchen Hülfstruppen fchon . 
vor dem Ende des September über den Rhein zurüd. Lascy, 21. Sept. 
der die ruſſiſche Heeredabtheilung befehligte, welche zur Unters 1735 
fügung des Kaiſers angelangt war, wollte nicht unter Secken⸗ 
dorf dienen. So Tonnte hier nichts auögerichtet werden '). 

In Polen war die Ruhe ziemlich hergeſtellt, des Stanis⸗ 


laus Anhänger vertrieben oder unterdrückt, Auguft überall durch 


' Bermittelung fächfifcher und rufſiſcher Truppen anerkannt. 


Die Seemächte unterhandelten feit mehreren Monaten vermit⸗ 
telnd den Frieden; dennoch verlangte Friedrich Wilhelm auch 
jegt noch daflr, daß er ihn ald König anerkenne, Kurland, 
Elbing, einen Strich von Pommerellen, Gommern, Mannöfeld 
und bie fächfiichen Rechte auf Juͤlich und Berg. Beſorgt 
darüber, Frankreich möchte fi mit dem Kaifer ausföhnen, 
entwarf er einen Plan, ben Frieden ohne Zuziehung der Sees 
mächte herzuftellen ; doch mochte er bald die Unausführbarkeit 
beffelben einſehen). So ſchloß Zleury klugerweiſe zu Wien 
die Zriedenspräliminarien mit dem Kaifer ab, welche darauf 3. Okt. 
die Könige von Spanien, Neapel und Sicilien annahmen. 
Stanislaus entfagte ber Krone, behielt ben Zitel eines 
Königs von Polen und bekam die Herzogthlimer Baar und 
dann Lothringen, welche nach feinem Tode an Frankreich fallen 
follten, auf feine Lebenszeit. Der Herzog Franz von Lothrins 


1) Gedendorfs Leben Thi. I. ©. 216. 
2) Ebtendaſ. Thi. IV. ©. 178 ff. 


670 Bud VL Drittes Hauptſtuͤck 


gen wurbe durch das ogthum Toscana emtfchädigt 
Der Kaifer trat bie Koͤnisreiche Reapel und Gicilien dem I 


7 
* 
F7 
IM: 
ih 
Fe 


Auguft ald König von Polen an, und gewährleiflste fowie in 
den näcften Jahren bis 1739 durch befondere Arten auch die 
Könige von Spanien, Neapel und Sitilien die yragmatiide 


opferte und dazu das fehöne Lothringen, eine Provinz dee 
Reichs, an Frankreich überließ. 


widerfuhr, ließ ihm tief aim, daß ihm biefer nicht uche 
nöthig babe. Ais er für bie Winterquartiere feiner Hit 
truppen eine halbe Million Thaler verlangte, fie baun aber 
weil der Krieg aufbörte, in ihre Stanbquartiere 
wollte, wurbe es ihm fehr bemerkbar, daß man ſich ber durch 
große Ausfchtweifungen und Erpreſſungen beſchwerlichen Zrup 
gen germ entlebigt fehe, weshalb ihm der Kaifer, wenn je 
beimgehen würden, 100,000 Gulben anflatt der Winterguan 
tiere zu bezahlen verfprach ). | 
Der Kaifer zeigte dem Könige auch ben —* de 
Friedenspräliminarien mit Frankreich ger nicht an, was biefe 
fo übel empfand, daß er feinem Geſandten verbot, — 
ſpaͤter noch anzunehmen"). Noch ewpfiudlicher wurde er, ai 


1) Die zahlreichen gu den Praͤllminarien und zum Definitöufriehen 
iin ben Rakfr, Dem Rinige bon Moira und ben Korigen von Grab 
reich, Sardinien und Neapel, gehörigen Artikel findet an in Wenck 
codex juris gentium recentissimi T. I, am Anfange beffe 

2) Seckendorfs Leben Thl. II. ©. 189 f. 


3) Gbendaf. IV. ©. 188. 


Friede mit Fraukreich. 671 


ber Kaiſer, ber ihm bie für bie Winterquartiere bedungenen December 


100,000 Gulden noch fcufbig war ‘), die preuffiihen Wer 1735 


bungen in feinen Grbländern verbot und bie Bezahlung von 
116,000 Thalern als Reichskriegsbeiſteuer verlangte. „Ih 
fragte nicht viel”, dufferte er dann wohl, „nach ben 
116,000 Zhalern, wenn ich wüffte, daß die Sache damit außs 
gerichtet wäre, aber man wird das Gelb nehmen und mich 
nach wie vor vernadhläffigen, denn der Kaifer tractirt mich 
und alle Reicöfürften wie Schubjads, was id gewiß nicht 
verdient habe. Allein um des Denn... Mantelfals (Aus 
guſts ML) Billen cujonirt man mic. Ih zweifle feR, bob daß 


ü hmen angeworben werben ‚zum 

der Kalfer feine Freundſcheft nicht ganz verachte®), 

boffen laſſen, daß er für einige lange Leute ve un ai 
König vom Polen anerkennen werde; ald man aber nun baflır 


nur einige pirnaiſche Quaderſteine zur Bildſaͤule des großen. 


Kurfürften in Rathenow bot, zerſchlug «4 ſich ). Später 
(April 1737) erkannte er Auguft II. dennoch an’). 

Inden Friedrich Wilpelm fih nach und nach zu über 
zeugen anfing, daß der Baiferliche Hof feit Jahren ein unwuͤr⸗ 
diges Spiel mit ihm getrieben, unb daß ihm alle Opfer, bie 
er gebracht, alle bitteren Bamilienunannehmlichkeiten, die er 
erfahren, nur mit Geringfpägung vergolten würden, regte das 
fin gene Selöfigefühl auf und er machte dann gegen 


kow wohl feinen geprefften Herzen Luft, indem er auf- 


den Kronprinzen zeigend voller Exbitterung in die prophetifchen 
Worte audbrach: „Da ſteht einer, der mich raͤchen wirb")!” 


. 

1) Gedenborfs Erben IH. DI. ©. 147. 

2) Journal secret p. 116 v. Jan. 1786. 

8) Gedenborfs Lehen Thl. II. ©. 198. 

4) Gbenbaf. IV. ©. 182. 

5) Journal secret p. 170. 

6) Journal secret p. 189: Voicy qnelqu'un qui me vengera un 
jour. Be quaigoe Io rl commence & se moderer beaucoup dans ses 
passions et dans ses discours, il ne peut pourtant pas moderer aa 


Mei 
1736 


‘ 





uk Verhandlungen über Berg. 673 
vnen Thaler bitten ließ, ſchlug dieſer Alles mit vielen 
F Ste ab, ließ auch ungeachtet eines Baiferlichen Anfchreis Detober 
33293000 Gentner Rupferd, weldes der Ralfer von Breslau 1736 
"per Oder nad Hamburg ſchickte, nicht zollfrei durch ). 
. in Schleſien Getreidemangel ſtattfand und Korn in Meck⸗ 
. =, Danzig und Kurland gefauft wurde, um auf ber 
"und Oder nah Schlefien gebracht zu werden, erinnerte 
"ber König, daß in Jauer noch ein preuſſiſcher Werbeofficier 
rgen fige, der einen gräflich hochbergſchen Unterthanen ent⸗ 
- t hatte, und ließ fogleich alle Getreide anhalten. Der 
u verbot ſeinerſeits ale preuffifchen Werbungen in feinen 
= den und ließ einen. preuffifchen Officer, der mit 12 Riefen 
das Leibregiment aus Neapel kam, in Wien anhalten. 
n gab der König dad Kom, ber Kaiſer die angehaltenen 
iciere und Rekruten frei’). Die Spannung zwiſchen beiden Januar 
“fen wurde immer ſtaͤrker. 1737 
Beil indeffen dem Könige immer noch bie Erwerbung 
198 nach dem bald erwarteten Abgange ber pfalzs neuburs 
ben Linie aufferordentlih am Herzen lag, fo erbot er fi 
den Pfalzgrafen Karl Theodor von Sulzbach auf diefen 
für Berg und Düffeldorf eine Million Thaler, an drei 
alz⸗ſulzbachiſche Prinzeffinnen 150,000 Zhaler und an jede 
ch 30,000 Thaler bei ihrer Vermaͤhlung zu zahlen; allein 
3 Haus Pfalz lehnte alle diefe Anträge, unſtreitig auf den 
ath Frankreichs, Deſterreichs und der Generalftaaten fort 
5. Nun machte der König noch einen legten Verſuch den 
aifer zu gewinnen, beflen Gelbnoth während des 
efannt genug war. Er bot ihm für bie Gewägrleikung Ber. is 
zergs 1,200,000 Thaler. Karl VI. wies das zuruck und der 
veuffifhe Minifter v. Brandt wurde von den Faiferlichen Mi: Ku 
‚iftern nicht eben fein behandelt. Der König geflattete mm 
war, baß der Kaifer in Berlin eine Anleihe von einer Mil: 


1) Gedeborft Eben Zur. TIL. ©. 152. 
D Enkel. 6.2. 


672 Bud VI. Drittes Hauptſtuͤck 


Auch bie von ber Königin fehr gewinfchte Heirath ihrer 
ilmgften Tochter Ulrite mit dem Prinzen von Wales, übe 
welche der König Georg II. eine Zeit lang verhandelt hatte, 
ſcheiterte j. 

Frankreich war kluͤger als ber Kaiſer, indem es dem Ki: 
nige von den abgefchloffenen Praͤliminarartikeln foͤrmliche An: 
zeige machte, weshalb biefer auch ben Stanislaus, ber auf 

16.— 21. feiner Reife von Königsberg nad) Frankreich mehrere Tage ia 
Mei Berlin unter dem Namen eines Grafen Blamont vermeilt, 
A736 ſehr Höflich aufnahm, behandelte und befchenkte”). Ex winfdt 

dadurch hauptſaͤchlich Frankreich zur Unterftügung feiner An: 
forüche auf Juͤlich und Berg zu gewinnen, was Chktariie 
hatte hoffen laffen, erlangte jedoch weſentlich nichts ald des 
ähm ſehr gleichgültige Geſchenk einer koſtbaren Gobelinstapt:, 
während ihm-einige lange Soldaten weit lieber gewefen wären’) 

Der Kaifer muffte es balb bereuen, ben ee von 
Preuffen fo ſchnoͤde behandelt zu haben. Der Krieg, welchen 
Rußland gegen die Pforte begann, nöthigte ihn bunbedgemä | 
zur Theilnahmeʒ ex beſchloß fogar, mit feiner ganzen Madt 
aufzutreten. Um ben König günflig zu flimmen, geflattde a 
ihm nun, „in Hoffnung banfbarer Ermwiederung”, 20 lang 
Leute in Böhmen und Mähren und eine kleine Anzahl in 
Ungarn freiwilig zu werben‘). Nun war das zu ſpaͤt. AU 
er durch Sedendorf den König um 20 Bataillone und Fi. 


colere quand il vient sur — mögen de a nur Igel 
&gard et les larmes lul en viennent aux yeux de rage. Bel Er 
dendorfs Leben IV. ©. 183, deſſen Verfaſſer offenbar das Joumal 
secret benugte- 

1) Im Jan. 1786. Journal secret p. 119. Georg IL verlangt 
die Abtretung der preuſſiſchen Amvartfhaft auf —— die drichnih 
Wüpelm durchaus nicht aufgeben wollte. Secenborfe erien Ti TIL 
©. 256. 

2) Fafmann IL. ©. 788. Bergl. Benekendorf X 8.8: 
Yblinig II. ©. 477. .Mauvillon IL p. 885. 

8) Gedendorfs Sehen Thi. IV. ©. 188. Mauvillen I 
p- 885. 

4) Gedenborfs Echen Thi. II ©. 199, Joumal sceret p. 10. 


Verhandlungen über Berg. 673 


Milionen Thaler bitten ließ, ſchlug diefer Ale mit vielen 

Vorwuͤrfen ab, ließ auch ungeachtet eines Paiferlichen Anfchreis October 

bens 3000 Gentner Rupferb, weldhes der Kaifer von Breslau 1736 

auf der Oder nad Hamburg ſchickte, nicht zolfrei durch ). 

As in Schlefien Getreivemangel flattfand und Korn in Meds 

lenburg, Danzig und Kurland gefauft wurde, um auf ber 

Elbe und Oder nach Schlefien gebracht zu werden, erinnerte 

fi der König, daß in Jauer noch ein preuſſiſcher Werbeofficier 

gefangen fige, der einen gräflich hochbergſchen Unterthanen ent» 

führt hatte, und ließ fogleich alles Getreide anhalten. Der 

Kaifer verbot feinerfeitö ale preuffifchen Werbungen in feinen 

Landen und ließ einen. preuffifchen Officer, ber mit 12 Riefen 

fir das Leibregiment aus Neapel Fam, in Wien anhalten. 

Nun gab der König das Kom, der Kaiſer die angehaltenen 

Dfficiere und Rebruten frei’). Die Spannung zwiſchen beiben Januar 

Zürften wurde immer ſtaͤrker. 1737 
Weil indeffen dem Könige immer noch die Erwerbung 

Bergs nach dem bald erwarteten Abgange der pfalzsneuburs 

gifhen Linie aufferordentlih am Herzen lag, fo erbot er fich 

an ben Pfalsgrafen Karl Theodor von Sulzbah auf biefen 

Tal für Berg und Düffeldorf eine Million Thaler, an drei 

pfalzefulzbachifche Prinzeffinnen 150,000 Thaler und an jede 

noch 30,000 Zhaler bei ihrer Vermaͤhlung zu zahlen; allein 

das Haus Pfalz Ichnte alle diefe Anträge, unſtreitig auf den 

Rath Frankreichs, Deſterreichs und der Generalftsaten fofort 

ab ). Nun machte der König noch einen letzten Werfuch, den 

Kaifer zu gewinnen, beffen Gelbnoth während des Tuͤrkenkriegs 

befannt genug war. Er bot ihm für die Gewaͤhrleiſtung Ber. bis 

Bergs 1,200,000 Thaler. Karl VI. wies das zurüd und der 7 

preuffifche Minifter v. Brandt wurde von den kaiſerlichen Mis 1737 

niftern nicht eben fein behandelt. Der König geflattete nun 

zwar, daß ber Kaifer in Berlin eine Anleihe von einer Mils 


1) Gedenborfs Leben Thl. II. ©. 152. 

2) Ebendaf. ©. 202. _ 

8) Mauvillon T.IL. p. 404. Journal secret p. 166. Im’ Ja: 
nuar 1787 wurde es abgelehnt und dazu ber am Pfalz gefepte Termin, 
1. Mai, gar nicht abgewartet. 

Stengel, Geſch. d. Preuſſiſch. Staats, III. 43 


674 Bud VI Drittes Hauptftäd. 


ion Gulben machen durfte, wollte aber felbft nichts hergeben: 
nweil ich nit wie ein Kaufmann“, ‚fagte er, „auf Zinfen 
und Profit zu handeln gewohnt bin.” Er bot endlich dem 
Kaifer zwei Millionen Gulden, wenn ihm diefer Berg gewaͤhr⸗ 
leiſten wolle; ebenfalls ohne Erfolg’). 

Nun glaubte er, daß ihm bei dem für fehr nahe gehals 
tenen Tode des Kurfürften Karl Philipp von der Pfalz nichts 
übrig bleibe, als Waffengewalt, um ſich Bergs und vieleicht 
ſelbſt Juͤlichs zu bemäctigen, worauf er bie gerechteften Ans 
forliche zu haben überzeugt war. Ex vermehrte daher fein 
‚Heer fortwährend und verflärkte auch die Beſatzungen von 
Cleve und Weſel ). Der franzöfiiche fir Sulzbach geftiumte 
Hof fuchte friedliche Beilegung. Dem Kaifer, dann ben Ges 
neralflaaten und dem Könige von England würbe ber Ausbruch 
eines Kriegs in Deutfcland fehr unangenehm geweſen 
Keiner wünfchte eine Vergrößerung der Macht Friebrich 
helms, welder bei Allen fehr unbeliebt war. Es 
en, Zeit zu gewinnen. Deöhalb fuchte ihn — für 

10. gebr. und im Namen der übrigen Mächte zu der Erklaͤrung 

1738 bringen, im Falle der Kurfürft von ber Pfalz flürbe, 
gewaltfam unternehmen zu wollen, während über bie 
in Berg verhandelt werbe, auch ſolle Sulzbach bie 
Länder mit Vorbehalt der Rechte Preuffens vorläufig in 

19. Behr. nehmen birfen®). Der König weigerte ſich fogleich en! 
in eine Beflgnahme des Landes durch Sundach 
Intereſſe entgegen zu willigen‘). Er ſagte dem 
Geſandten: wollten bie vier MWermitteler Gewalt brauchen, 
fo Könnten fie eben fo gut feine Krone verlangen, allein feibk 


Ar 2 


HE 


1) Secendorf Thl. II. ©. 156. Daß die Borfdläge am 


den 
Naifer fpkter als am bie Pfalz gemadt wirben, ergibt fi) aus dem 
„ Datum und bem Journal secret p. 167 u. 168. 


9) Martinidre T. DI. p. 290 u. 308. S. auch des Königs 
Scehreiben v. — ae ach 
ker ehieffäen Kriege I. ©. 284. Da gibt ber König feinen Dperationi- 
plan an. 


8) Bei Mauvillon T. IL p. 410. . 
4) Cbendaſ. p- 418. 





Berhandlungen aber Berg 675 


biefe muͤſſe er flr fein gutes Recht und feine Ehre aufs Spiel 
fegen ). Cr erklärte zwar, aus Rüdficht für die vier Mächte März 
nicht zur Gewalt fehreiten zu wollen, in der ‚Hoffnung, fie 1738 
würden feine Rechte nicht beeinträchtigen, bie er mit aller Kraft 
zu vertheibigen denke, welche ihm Gott gegeben?), fuchte aber 
zugleich, ohne weiter auf ben Kaifer und Frankreich zu rech⸗ 
nen, fi den Seemaͤchten zu nähern und beſonders ſich mit 
dem Könige von England auszuſoͤhnen. Er verficherte ihnen, 
daß er nur gezwungen zu ben Waffen greifen, aber jederzeit 

.30 einem billigen Vertrage bereit fein würde. Allein Pfalz⸗ 
Sulzbach wollte fich auf nichts einlaffen, wenn es nicht, obs 
wohl nur proviforifch, in ben Befig von Juͤlich und Berg 
gefegt wide. Der Kaifer und Frankreich wollten nun Maßs 
wegehn ergreifen, um Pfalz⸗Sulzbach gegen Preuſſens Anſpruͤche 
auf Berg und Juͤlich zu fihern. Sie Iuden daher die Genes 4. Juni 
ralſtaaten und England ein, fich mit ihnen geheim zu verei⸗ 

“ nigen, um den Ausbruch eines nahen Krieges zu verhinbern?). 
Wadhrſcheinlich deshalb begab ſich ber König Friedrich Wilhelm 
vom Weſel nach Loo, wo er den Prinzen und die Prinzeffin Juli 
von Dranien, feine Nichte, befuchte, die Gefundpeit ihre Bas 
ters, des Königs von England, ausbrachte und von diefem 
voller Achtung und Zuneigung fprab. Rad feiner Nüdkche 
verlieh er dem holländifchen Gefandten Guy Dikens ben 
ſchwarzen Adlerorden*‘). Er gab indeffen nach, wenn ber 
Kurfürft von der Pfalz ſterben und bis bahin fein Abkommen 

wit Preuffen getroffen fein folte, fa möchten Iulich und Düfe 
feldorf und alle haltbaren Pläge des Landes von 3 — 4000 
Schweizern oder auch von Truppen neutraler beutfcher Fürften 
befegt und biefe Länder durch einen fländifchen Ausſchuß pros 
viforifh unter der Gewäprleiftung der vier Mächte verwaltet 
werben. Auch dem Kaifer erklaͤrte er entſchieden, eine uns 18. Aug · 
ſoriſche Beſetzung der Länder durch Pfalz⸗Eulzbach unter Peiner 


1) Martiniere T. TI. p. 299. 
2) Ebendaſ. p. ©. 301. 
3) Ebendaſ. p- 306. 


4) Ebendaſ. p. 307. 
43* 


676 Bud VI. Drittes Hauptftäd. 


Bebingung zugeben zu können‘). In ber That wollten bie 
Generalſtaaten fi mit dem Kaifer und Frankreich nicht auf 
gewaltfame Maßregeln gegen Preuffen einlafien, fo ſehr auch 
diefe beiden Mächte ſich bemüheten, fie dazu zu bewegen", 

Dctober Nun ohne Hoffnung, die Seemaͤchte fir fih zu gewinnen, 

1738 ſchloß der Kaifer mit Frankreich einen Vertrag, vermöge 
ſaͤmmtliche jllichebergfche Länder auf den Todesfall des Kur⸗ 
fürften Karl Philipp an deffen Nachfolger Karl Theodor von 
VfalzeSulzbach proviforifh auf zwei Jahre übergeben und ge: 
gen Preuffen gewährleiftet werden folten?). Indem ber Kaifer 
fo die ausdruͤcklichen Bedingungen des geheimen berliner Ver⸗ 
trag8 (0. 3. 1728) brach, hob er dadurch zugleich Preuffens 
Verpflichtung zu ber in demfelben bebungenen Gewährleiftung 
der pragmatifhen Sanction auf, indem ber berliner Vertrag 
($. 13) beſonders beftimmte, wenn .einer von beiben Theilen 
dawider handeln würde, fo folle ber andere Theil an nichts, 
was in demfelben enthalten, gebunden fein. 

Die Früchte, welche die zehniäprigen fo durchaus unwuͤr⸗ 
digen Umtriebe ber Paiferlichen Miniſter am preuffiichen Hofe 
bringen follten, reiften nur zu ſchnell zum unerfeglichen Nach⸗ 
Bein für Deſterreich. Indeſſen farb Friedrich Wilpelm früher 

der Kurfürft von der Pfalz und nahm alle feine fo viele 
Im hindurch für die Erwerbung Bergs gepflegten Entwürfe 
mit in bad Grab. 

Diefe gefammten politifchen Verhältniffe wirkten auf den 
Entwidelungögang des preuffifchen Staats weniger unmittelbar 
und fogleih, als hauptſaͤchlich für die nahe Zukunft baburd 
einflußreich, daß fie das im Allgemeinen doch mit dem baiſer⸗ 
lien Haufe feit langer Zeit engverbundene hobengollerifche 
Haus von bdemfelben abwendig machten und jedenfall ben 
tiefen, perfänlichen Wiberwillen, ben der Kronprinz feit feiner 
gegwungenen Vermählung gegen baffelbe fühlte, noch burh 
die gewiffe Ueberzeugung vermehrten, daß Preuffen vom Kaifer 


1) Martiniöre T. IL p. 826. 
9) ©. die Actenſtuͤte ebendaf. p. 818, 318 u. 819. 


3) Dohms Denfwörbigkeiten Thi. M. S. 295 i. d. Anwerk, ans 
ihm ohne Angabe der Quelle Schöll T. U. p. 298. 


Werbehaͤndel. 677 


gemisbraucht und hintergangen fuͤr feine Zukunft nichts mehr 
von Defterreich zu hoffen habe, ia daß es in biefem feinen 
entfciebenften Gegner finden werbe. Ungehindert durch diefe 
auswärtigen Beziehungen vervolllommmete ber König raſtlos 
die von und bereits bargeftellten inneren Einrichtungen feiner 
Staatöverwaltung, indem er unerfchütterlih auf der von ihm 
eingefchlagenen Bahn fortfchritt. Nur wiederholte, mehrmals 
lebensgefaͤhrliche Krankheiten und bie großen Gichtſchmerzen, 
welche er durch ſchopungsloſe Anftvengung feiner Körperkräfte 
vermehrte, Tonnten ihm doch kaum möglichft kurze Zeit von 
Arbeiten abhalten und faſt nur für Augenblicke feine Thaͤtig⸗ 
keit laͤhmen, feine Unruhe beſchwichtigen. 

Die Gewaltthätigkeiten feiner Werber verwidelten ihn 
noch fortwährend in die umangenehmften Streitigkeiten mit 
feinen Nachbarn. Ein junger langer Menſch von angefebener 
Zamilie verſchwand aus der Herrſchaft Herftall und der Vers 
dacht, ihn gewaltfam entführt zu haben, fiel auf die preuffifchen 
Werber. Der Bifhof von Lüttich verbot ſogleich alle Wer⸗ 
bungen und ließ auf erhobene Klagen und nachdem es ſich be 
ftätigt, daß der junge Mann preuffifcher Soldat fei, das Volk 
auch Rache verlangte, ſogleich alle im Luͤttichſchen und in der 
Herrſchaft Herſtall, als luͤttichfchem Lehen, befinblichen preuſſi⸗ 
ſchen Officiere, auch ben, welcher den jungen Menſchen ge 
waltfam weggenommen hatte, fefinehmen. Der König vers 
langte, daß fie fofort in Zreiheit gefegt und die Urheber der 
Unruhe beftraft würden. Die Herftaller dagegen foderten Ge: 
nugthuung für die gegen bie Privilegien ihres Landes an einem 
Buͤrger veruͤbte Gewaltthat. Auf ein Anfcpreiben des Königs 
gab zwar ber Bifchof mehreren Officieren, gegen die man nichts 
beweifen Tonnte, die Freiheit, allein der König foderte auch bie 
Loslaſſung derjenigen, welche luͤttichſche Unterthanen gegen das 
Verbot des Biſchofs angeworben hatten‘), und brohete mit 
Repreffalin. Der Biſchof wendete fi) an den Reichötog und 
verlangte Faiferlihen Schug?). Der König erfuchte darauf im 
milderen Tone, ihm ben vorzüglich ſchuldigen Dfficier auszu⸗ 


1) Martiniöre T. N. p. 8%. 
2) Faßmann II. ©. 787. 


678 8ucqh VL Drittes Hauptſtac 


Kiefern, bamit er nach preuffiſchen Rriegögefegen beſtraft 
Der Bifchof wollte daS nicht thun, che der junge, lange Wenſch, 
jet potsbamer Grenabier, zurückgegeben fein wuͤrde 
lid, erbot ſich der König zu Gegengefälligeiten, ja dem Bi 
ſchofe die Souverainetät über Herſtall für 100,000 Thaler zu 
verkaufen. Die Lütticher beflanden darauf, er folle vorher ben 
Rekruten nach Herflall zurückſchaffen laſſen '). 

Ein Haufe preuffifper Werber nahm zu gleicher Beit in 
der Nähe Eibings, auf polnifchem Gebiete, von einem hollaͤn⸗ 
diſchen Schiffe mit Gewalt mehrere ſchoͤn gewachſene Maͤnner 
und fogar den Gapitain des Schiffes felbft weg. Auf dem 
Rüdwege bemächtigten fie fi zweier langen polniſchen Seiſt⸗ 
lichen und kleideten fie mit Gewalt ein. Das fehte die Polen 
In Zeuer und Flamme; fie ſprachen davon, in das Preuſſiſche 
einzufallen und Alles mit Feuer und Schwert zu ver! 
Die Holländer beſchwerten fidh bei dem Mönige Auguft, der 
nichts thun konnte. Doc wurden Maßregeln gegen bie Wer 

bi 


1 


ber genommen. Ein preuſſiſcher Werber war fo 

aus Warſchau, wo er vorgeblich Dienſte gefucht und füch 
dem Könige und ben Miniftern einzufhmeicheln gewufft Satte, 
plögfich zwei 2eibgardiften, welde die Wache im Worzinmer 
des Königs batten, zur Defertion zu bewegen. Ehe ex fh 
noch Aber die Grenze retten Tonnte, wurde er ‚ feine 
Werbevollmacht bei ihm gefunden und er mach Warſchan ges 
bracht, um gerichtet zu werben. Zugleich erging Mefchl in 
alle polnif preuffiihe Srenzpläge, Jeden, der aus dem Röwig: 
reiche Preuffen komme, feflzunchmen, Seinen preuſſiſchen De 
ferteur außzuliefern, den Werbern aber fofort dem Proce zu 
machen und fie zu befirafen. 3 ſche Geſandte ia 


1) Martinidre T. IL. p. 388. 


Werbehaͤndel. 670 


ausgehoben worden waren, fich auf das hollaͤndiſche Gebiet 
fluͤchteten und. der König ihre Auslieferung verlangte, erwies 
derten die Generalftaaten, der König möge vorher den wegges 
nommenen Gapitain des hollaͤndiſchen Schiffs zurliigeben. Die 
Stände von Geldern ließen zwei preuffifche Officiere feftnehmen, 
bis ihnen ein mit Gewalt genommener Rekrut zuruͤckgegeben 
war. Mehrere Werber wurden in Polen und zwei preuffiihe 
Dfficiere, welche aus Ungarn kamen, in Sachfen feſtgenommen 
und als Geifel bebalten '). 

Der Abt des Kloſters Paradies im Pofenfchen Tieß zwei 
preuffifche Werbeofficiere feſtnehmen und weigerte ſich, fie frei 
zu geben. Auf Befehl des Königs uͤberfielen zwei Compagnien 
Preuffen die Abtei, plimderten fie, mißhandelten die Mönche 
und richteten einen zu 200,000 Gulden angefchlagenen Schaden 
an. Der Abt flüchtete nach Dresden und verlangte Genugs 
thuung. Der König Auguft wies ihn an ben Reichstag und 
Hagte in Berlin, was wenig beachtet wurde, worauf ein Haufe 
Polen in dad Kroffenfche einbrach und ein Städtchen an ber 
Grenze plünderte. Das geſchah kurz vor dem Tode des Koͤ⸗ 
nigs, der in diefer Beziehung unverändert blieb *). 

Doc zeigte er ſich aufferdem gegen das Ende feines Le 
bens in einigen Punkten eiwas milder. Als ihm ber Major 
v. Stechow ſchrieb, daß ein bemittelter innländifcher Rekrut, 
weil er Hein fei, für feinen Abfchied 500 Thaler zur Anwers 
bung eines größeren Rekruten geboten, erwieberte der König: 
„Geht nicht an, ift wider dad Reglement. Wenn der Menſch 
Bein iſt und ſich etabliren will, muß er ohne Entgelb entlaffen 
werden”). Als er erfuhr, baß bei dem Regimente bed Marks 
grafen Friedrich mehrere Defertionen vorgefommen wären, bes 
fahl er, genau zu unterfuchen, ob die Soldaten auch Alles ers 
bielten, was ihnen beflimmt fei, ob fie von ben Dfficieren 
nicht gegen bad Reglement an ihrem Solde verkürzt und nicht 
mehr geplagt wirben, als der Dienft verlange *). 

1) Martiniäre T. IL p. 832 ». 

2) Mauvtillon T. II. p. 417. 

9 Im Mai 1789 bei König Thl. L ©. 809. 


4) In Zörfters Friedrich Wilhelm Thl. II. ©. 319. 


680 Bud VL Drittes Haupıkäd. 


In gleichem Sinne erließ ex daB fogenannte Prügelmanbat 
an dad Generalbirectorium. Er babe, fagt er barin, miss 
fällig vernommen und aud) ſelbſt gefehen, daß bie Pächter umb 
deren Schreiber die Unterthanen, welche bei ihren Hoſdienſten 
etwa nicht recht arbeiteten, mit Peitſchen und Stocſchlaͤgen 
antrieben; ba er nun dergleichen barbarifhed Weſen, die Uns 
terthanen goftloferweife mit Prügeln oder Peitfchen ſtlaviſcher⸗ 
weife wie dad Vieh anzutreiben, abfolut nicht haben wolle, 
fo verbiete er e8 von nun an fireng bei Strafe ſechswoͤchent ⸗ 
lichen Karrens und im Wieberbolungsfalle des Stranges , doch 
fohte das nicht für (Df:) Preuffen gelten, weil dad Voik da— 
felbft fehr faul, gottlos und ungehorfam fei. Für bie anderen 
Provinzen follten die bei Hofdienften faulen Unterthanen durch 
Einfpannung in den Stod, Umhängung des fpanifchen Mans 
tels und Seftungsarbeit beftraft werden, wenn fie aber gefchlas 
gen wirden, ſich befchweren dürfen '). 

Selbft über den Werth der Wiſſenſchaften begann er feine 
früheren Anfihten zu berichtigen. „Ich habe”, ſchrieb der 
Kronprinz an feinen Freund Camas fehr erfreuet, „bie Stim⸗ 
mung des Königs merklich verändert gefunden. Er hat von 
den Wiſſenſchaften als von etwas Loͤblichem geſprochen ).— 
Er hörte auf die Vorſtellungen rechtlicher und wiſſenſchaftlich 
tüchtiger Männer, vorzliglih des waderen Hofprebigers Rein: 
bed, welche des Königs irrige Anfichten über Wolfe Philoſophie 
zu berichtigen bemühet waren, und ließ daher (1736) beffen 
Schriften durch eine befondere Commiſſion prüfen, deren Urs 
theil günftig ausfiel ?). Daher kam ed, daß fich der König 
"gelegentlich der morgenſternſchen Disputation in Frankfurt für 
einen Freund der Philofophie erflärte und allen Univerfitäten 
befahl, daflıy zu forgen, daß bie Stubenten der Theologie fi 
bei Zeiten in der Philofophie und einer vernünftigen — 
als zum Exempel des Profeſſor Wolfens, recht feſtfetzten, da 


1) Bel Benekendorf Thl. VIIL &. 77 v. 4 April 1788. 


2) Correspondance de Frederic II. avec Camas p. 61 v. 21. De 
cember 1738. 


©. 9 Boͤſchings Beiträge zur Lebensbeſchreibung u. f. mw. Ip L 
13. 





Wolf. Der Kronprinz. 681 


mit fie lernten, ſich Mare und deutliche Begriffe von der gans 
zen Theologie zu machen‘). Der Kronprinz, welcher Wolf 
aufferordentlich hochſchaͤtzte, fchrieb voller Freude an feinen vers 
trauten Freund Suhm: „Das Neuefte ift, der König lieſt, 
Gott fei gedankt, täglich drei Stunden Wolfs Philofophie. 
&o fehen wir denn endlich die Vernunft triumphiren”, fährt 
er fort, „und ich hoffe, daß die Bigotten den gefunden Men: 
ſchenverſtand und die Vernunft nicht mehr unterbrüden werben. 
‚Hätte man das vor zwei Jahren für möglich gehalten? Man 
bietet Wolf einen Gehalt von 1000 und feinem Sohne von 
500 Thalern, ja fogar feiner Frau, wenn fie Witwe werden 
folte, einen Witwengehalt an. Lauter neue, Erflaunen erres 
gende Dinge, welche doch wahr ſind).“ Wirklich fuchte der 
König den von ihm fo hart behandelten Mann oft unter noch 
günftigeren Bedingungen wieder nach Halle zu ziehen, was 
dieſer doch ablehnte; dennoch durfte ihm Wolf den zweiten 
Theil feiner allgemeinen praktiſchen Philofophie zueignen ?). 

Auch das näherte den Kronpringen dem Könige. Weider 

Vernehmen wurde durch ded Vaters aufrichtige Liebe fos 
wie durch bie Unterwürfigkeit und das Fuge Benehmen des 
Sohnes, der auf alle Wünfche und Anfichten feines Waters 
einging und deſſen Schwächen und Eigenheiten ertrug, haupts 
ſaͤchlich aber dadurch im Ganzen ungeftört erhalten, baf der 
Prinz entfernt von Berlin und Potsdam lebte und beide Orte 
nur von Zeit zu Zeit beſuchte ). Der König übertrug ihm 
zwar (25. Det. 1734) während feiner gefährlichen Krankheit 
einige weniger wichtige Regierungögefchäfte *), geftattete Ihm 
aber nie wefentlichen Einfluß auf die Leitung der Staatsange- 
legenheiten. 

Friedrich, der früher in feinem Water nur einen Tyrannen 
geſehen, welcher ihm ſchonungslos Alles verbot und vaubte, 


1) Bei König I. ©. 820 0. 7. März 1789. 
2) Correspondance avec Suhm T. II. p. 412 v. 14. Ott. 1789. 
8) Bu ſchin gs Beiträge zur Lebensbefchreibung u. ſ. w. Thl. . ©. 157. 
4) Börfter Friedrichs Jugendjahre & 168. 

5) Eosmar und Klaprothe Staatorath ©. MA. 


, 682 Bud VL Drittes Hauptſtaͤc. 
was 


fich dieſe ganz aus dem Kopfe herausgemeint, bat zaff- 
nirt, um bem Könige ein commodes Bett zu ſchaffen; bat von 


Potsdam nicht weggehen wollen. Der König bat ihn bau 
Sonnabend Rad: 


gepwungen: „Sof (ed war Sonntag) erft 


mittags wieber kommen.“ Der Prinz fagte bamals, „Ben 


mich der König auf meine Weiſe leben laſſen wollte, wuͤrde ich 
einen Arm darumgeben, fein Leben um 20 Jahre aunerlängerm')." 
Der König ift aufferorbentlidh freundlich gegen mich“, fcpeeibt 
er an Gamad, „ich bin auffer mir vor Freude über Alles, was 
ich gefehen und gehört habe. Alles, was ich Loͤliches fehe, 
gibt mir eine innere Genugtpuung, die ich kaum verbergen 
Tann. Ich fühle, daß ſich meine kindliche Liebe verdoppelt, 
wenn ich fo verfländige und vechtfchaffene Gefinnungen bei 
bem Urheber meiner Tage finde *)." Dennod) wurde es dem 
Prinzen fehr ſchwer, die überhaupt und beſonders bei Kranb 
beitanfällen heftigen Ausbrüche der Launen feines Waters zu 
ertragen, weshalb es eben für Beide fehr — war, 
daß fie ziemlich entfernt von einander lebten. Denn freilih 
bunfte dee Vater nicht erfahren, daß man in Rheinsberg Kos 


1) Journal secret p. 10, 
2) Correspendance avec Camas p. 62 v. 21. Dec. 1738. 





Der Kronprinz 683 


mödien und Iragäbien auffährte, noch weniger, daß ber Krons 
prim u felbft mitfpielte '), oder gar, daß er Freimaurer 
am allerwenigfien aber, baß er fortwährend ges 

nöthigt wer, —* zu borgen, wozu allerdings die — 
Ausgaben viel beitrugen, welche bie nun einmal unentbehrlichen 
langen Rekruten für fein Regiment verurfachten). Nur in 
einem von dem gewanbten Grumbkow gluͤcllich benutzten Aus 
nt oe Binig, beungen wen 40000 hal: 
Schulden des Prinzen zu bezahlen. Diefer befand fi), obs 
gleich er von feinem Vater (1737) jährlich 12,000 Thaler unb 
auch das trafehner Geftüt erhalten ?), dennoch fortwährend in 
der druͤckendſten Gelbverlegenheit, was ihn nöthigte, manche 
nur durch bie aͤuſſerſte Roth zu entfhuldigende Mittel zu ers 
greifen, um ſich feinen Bebrängniffen zu entziehen ). Denn 
wie bie Vermehrung bed Heeres unausgeſetzt betrieben wurde, 
fo eifrig blicken auch des Königs Beſtrebungen, feine Eins 
Tnfte zu vermehren, Schaͤte zu häufen und von Jahr zu 
Jahr weniger auszugeben. Daher waren ihm auch ohne weis 
tere Rüdficht auf die Perfon, zuweilen auf die vorgeſchlagenen 
Mittel alle die Männer willkommen, welde eine Erhöhung 
der Staatseinkünfte bewirken. 

Ein gewiſſer Echart hatte ein nicht werthloſes Wirth⸗ 
ſchaftsbuch unter dem Namen einer Erperimentals Defonomie 
geſchrieben und fich vorzuͤglich durch nuͤtliche Veränderungen 
der Kamine zur Erſparung bes Holzes bei Wirthſchaftsfeuerun⸗ 
gen und zur Verhinderung des Rauchens bekannt gemacht. 
Dem auf AÄlles aufmerkfamen Könige wurde er in Koffenblat, 
wo er bie unerträglich rauchenden Kamine zweckmaͤßig abdns 
derte, als ein Mann bekannt, der mancherlei vortheilhafte Uns 
ternehmungen audführen zu koͤnnen vorgab. Er behauptete, 
mit weniger Aufwand von Holz und Getreide befferes Bier, 
als das in der koͤniglichen Brauerei in Wotsbam bereitete Kds 


1) Journal secret p. 159 Anmert. 

2) Preuß Friedrichs Yugend. ©. 288 u. Bis . 
3) Ebendaſ. ©. 180. 

4) Gbendaf. ©. 297. 


684 Bud VL Drittes deurırüc 


nigsbier brauen und auch anderweitig bie Einkünfte bes 
Er oh 2 500000 Zee ci hl 


Sraumethode auf ihnen einführen muffte. Hierbei lernte er 
die Finanzverhältniffe der Städte kennen und auf feinen Bow 
ſchlag mufften Commiſſarien den Zuftand derfelben unterſuchen, 
den Magiſtraten aber wurde verboten, von ben fläbtifchen 
Einkünften mehr auszugeben, als bie dringendſte Nothwendig · 
keit erfobere. Es ſien ſich von ſelbſt zu verſtehen, daß ber 


, ernannte 
ihn zum geheimen Kriegörath ') und ſchickte ihn ur die 
Provinzen, um feine Entwürfe zus Vermehrung der Staates 
einkünfte in Ausführung zu bringen. Ein Mann, der fih 
dazu bergab, muſſte ſchon bespalb unglaublid gehafft werden, 
weil man nicht glaubte, daß es fi ohne Vermehrung ber 
Laften des ſchon aͤuſſerſt gedrüdten Volks ausführen Laffen 
werde. Das gewaltfame und obne Zweifel unrechtliche Berfah- 
ren gegen die Staͤdte ſchien zu zeigen, wie weit man zu Er 
gefonnen fei. Die Kriegs» und Domainenfammern, 

. ja befonders darauf angemwiefen waren, eine jährliche — 
der Einnahmen zu bewirken, ſahen mit dem groͤßten Wider⸗ 
willen die noch dazu von en Erfolge begleiteten und 
ihnen daher zum Vorwürfe gereichenden Unternehmungen eines 


1) Benelenborf IIL ©. 61 u. XL ©. 108. Dort finb bie ze 
jften Nachrichten über iyn und es wird über feine Wirkfamfeit am 
gemäfigften geueteiit, Den Abel erhielt er 3. Salt 1738. Die Befdxribung 
des ihn vom Könige felbft beftimmten Wappens, ein brennenbex ftlbermer 
ober Kamin, eine Bortuna mit fliegendem Segel u. dgl. f. in 
Königs Berlin Thl. I. &. 298, wo bie meiften Actenfläcke über Cehert. 
Ybllnig Mem. T. IL p. 510 gibt den allgemeinen Cindruck an, den 
Geyart im Lande machte. 





Edhart. 685 


Menſchen, der in fehr kurzer Zeit mit Gnadenbezeugungen 
jeder Art überhäuft wurde und fo hoch in der Gunft des Kds 
nigs ftand, daß er unmittelbar an biefen und nicht erft durch 
dad Generaldirectorium Bericht erflattete, fi daher nun mit 
dem größten Uebermuthe benahm. In Gtettin geriet er 
(1738) mit dem Kammerpräfidenten v. Grumbkow in Streit. 
Der Minifter von Boden entſchied jedoch für Edhart. Der 
Minifter v. Grumbkow, der früher fo mächtige, allein eben 
feinem Falle nahe Ginftling des Königs, beſchwerte ſich bei 
diefem , doch ohne allen Erfolg '); Eckhart wurde dadurch noch 
unverfcpämter. Im naͤchſten Jahre ſchickte ihn der König nach 
Preuffen, befahl ihm aber (3. Febr. 1739), vorfichtig umzu⸗ 
‚geben, weil dort nicht fo viel Geld als in der Kurmark fei, und 
fetzte eigenhändig hinzu: „Gehet gerade und thut, was Recht iſt 
und nehmt auch nicht zu viel Plas ).“ Nun wurden ihm bei 
feiner legten Anwefenheit in biefen Provinzen zahlreiche Bes 
ſchwerden über des dahin gefchidten Eckhart Neuerungen und 
deſſen dabei beobachtetes Benehmen vorgetragen, was ben Koͤ⸗ 
nig veranlaffte, ihm perfönlich ernftliche Verweiſe zu geben, 
ohne ihm jebod fein Vertrauen zu entziehen. Blumenthal, 
Minifter und Präfivent der Kammer in- Gumbinnen, erhielt 
noch kurz vor bem Tode des Königs einen Verweis, daß er 
mit dem Eckhart wegen der Braus und Brennereis@inrichs 
tungen auf den Aemtern in Streit gerathen: „da ich“, ſetzt ber 
König hinzu, „von ben feftgefegten Grunbfägen nicht abgehen 
noch weiteres Raifonniren dagegen geftatten werde." Er bes 
fahl dem Präfiventen und ber Kammer, fich über folde aus⸗ 


1) Grumbkow wurde wahrſcheinlich durch den Fuͤrſten Lichtenſtein ges 
fürgt, welcher dem Könige geſagt gu haben ſcheiat/ ber (von Deſterrrich 
beftodjene) Minifter habe ſich von Zrankreich beftechen laffen. Daß auch 
Georg II. einen Verſuch machte, haben wir erzäflt. S. Journal secret 
p- 156 sq. u. 164 v. Sept. u. Dec, 1736, wo auch, daß Grumbkow 
dem Kaiſer 250,000 Gulden gekoftet. Vergl p. 168 v. Febr. 1787. 
Grumbkow ftarb 18. März 1739. Schon im Januar 1727 hatte er ſich 
für feinen Werrath insgeheim, wenn der König ſterben follte, den Schut 
des Kalfers erwirkt. Seckendorf an Gugen und Eugen an Gedendorf 
bei Förfer Ip. IT. S. 827 u. 851. 


2) Jaftruction v. 8. Febr. 1739 bei König I. ©. 307. ’ 


686 Bud VL Deittes Hauptfiäd. 


gemachte Sachen alles Disputirens zu enthalten. Blumen 
thal kraͤnkte fi) darlıber ſowie über bie gebrüdte Lage des 
Landes ganz aufferorbentlih. „Ich kann a 
laſſen, als es mir ums Herze iſt, weil es jetzt in Blut 
Thraͤnen ſchwimmt“, ſchrieb er einem Miniſter. De Excel⸗ 
lenz bitte um Gottes Barmherzigkeit willen, ſich unſerer ans 
- zunehmen, und zu helfen, baß der böfe Rare Echart) aus 
dem Lande gefchafft werde. Niemand bekuͤmmert ſich mehr im 


H 


die gefe 

— —A gehabt hab, I m 

des verftorbenen Minifters v. Wiehbahn Stelle zum Bis 
im Generalbirectorium zu ernennen ). 

Sowie der König bis an fein Ende biefen Hauptbeflres 
bungen feine Zebend treu blieb, fo feben wir ihn auch med 
zulegt mit ber Kirche und deren Buflande befhäftigt. S 
feprieb durch den Minifter v. Brand und Präfidenten v. Reis 


Über 40 Jahre alt wären, würden ihre Ianggewohnte Art zu 


1) Xctenfihlle bei König L ©. 801 f. 

2) Fricdrich IL in ben M&moires de Brandenbourg p. 425 nat 
den Gchart: un homme obscur d’un esprit malfaisent et russ, une 
espdce d’adepte, qui faisoit de l’or pour les souverainen aux depems 
de ia bourse des sujets, 


Ende Eriedrih Wilhelms. 687 


prebigen ſchwerlich aͤndern. Fortwaͤhrend nahm er noch an 
diefen Gegenfländen lebhaften Antheil °). 

Er war indeffen fon im Herbſte des Jahres 1730 fo 
frank, daß er feinen gewöhnlichen Sagbvergnügungen nicht obs 
Tiegen Eonnte 2). Der firenge Winter des nächften Jahres vers 
mehrte wahrfepeinlich fein Webelbefinden. Auf das Schreiben 8. ehr. 
des Fürften 2eopolb von Deffau, ber ihm rieth, gelegentlich 1740 
der Verminderung des Eaiferlichen Heeres das preuſſiſche um 
einige taufend Mann zu verſtaͤrken, ſchrieb er eigenhändig: „Ich 
denke zu flerben umd habe Alles an meinen ältefien Sohn ge 
fagt, was ich weiß ’).". 

Er ließ den Propft Roloff zu ſich kommen, ber ihn zum 
Zobe vorbereiten und mit feinen Beinden verſoͤhnen follte. Ex 
verzieh Allen, endlich auch feinem Schwager, der ihm alled ges 
brannte Herzeleid angethan, und berenete feine Simben, bie 
er in Gegenwart vieler Umflehenden fo ausführlich aufzägite, 

Daß Roloff ihn bat, es zu unterlafien, dagegen aber auf Sins 
nesaͤnderung brang, wozu ſich ber König lange nicht bewegen 
ließ, indem er behauptete, immer recht gehandelt und Alles zu 
Goiles Ehre gethan zu haben. Dem wiberfprach Roloff, in» 


Zodesurtheile gefchärft und ungerechte Hinrichtungen verfügt. 
AS Roloff des Königs Wertheidigung nicht als vor Gott ges 
ulgnd gelten laffen wollte, fagte biefer: „Er fchont meiner 
nicht. Er fpricht als ein guter Chriſt und als ein ehrlicher 


Königs und Roloff muſſte täglich zu ihm kommen *). Es befs 


1) Werorbnungen v. 7. MRäxy 1789 u. v.9. Jan. 1740 bei König l. 
©. 8% f. 


4) Das Actenftöd bei Foͤrſter TH. U. @. 155 angeblich vom 
Mai 1740. Pblinig Mem. I. p. 539 fagt, er fei täglich 8 Monate 
hindurch während der Krankheit des Königs bei biefem geweſen, erzählt 
jedoch weſentlich wie bie Relation über Roloff, daß biefer in Berlin bei 
dem Könige gewefen, was auch wahrſcheialich richtis IR. 


688 Bud VL Drittes Hauptſtaͤck. 
ferte fi indeſſen mit ihm, weshalb ex mit feiner Familie nah 


ATAO gehradt wurde, fogte: „Lebe wohl, Balin, in Potsdam wi 
10 mai Auen DI“ Im Anfange des Mai halte er einm Bat 
fall. 


Cochius und den Feldprediger Desfelb zufen ließ, um füch zus 
TZode vorbereiten zu laſſen ®), benachrichtigte die Königin eidg 
27. Mei den Kronpringen bavon, welder in Ruppin war. Diefer die 
herbei und wurde von feinem Water, den er ohne ‚Hoffnung 
bauernder Genefung traf, Äufferft freumdlich empfangen. De 


auswärtigen Angelegenbeiten bes Staats, war oft fehr ungebal 
dig ), ertrug aber dann wieder feine großen Schmerzen mis 
ſtoiſcher Baffung. 

Nach einer der Unterhaltungen mit bem Kronpringen, ber 
die natürlichen Empfindungen des Sohnes am Zobtenbette bei 
Vaters nicht unterdrücken konnte, fagte ber König gerührt zu 

- den Umftchenden: „Aber thut mir Gott nicht viele Gnade, 
daß er mir einen fo winbigen Sohn gegeben?" Diefer kußte 
weinend die Hände feines Vaters, der ihn umarmte unb 
ſchluchzend ausrief: „Mein Gott! ich ſterbe zufrieden, weil ich 
einen fo würdigen Sohn zum Nachfolger habe Hi⸗ Sa 
Zeftament hatte er ſchon viel —æS und (4. Sanuer 


1) Soßmann IL ©. 812 Sen. König IL e. 319 . 
Käfters Officierleſebuch Thl. W ©. 10 


9) Schreiben bes Kronprinzen v. 25 Ma cn dm Ska ei 
Meran oemiiet hate, I ber nein bella Mieetfärifi sh. YO. Au 


8) Des Cochius Bericht ſteht bei Benekenborf IK. 9. 


A) Brief Friedriche an feine Schweſter Wriederite. Mdmeiren de 
Bareith T. H. p. 2% 


5) Bei Preuß Frichtich der Große SL L ©. 16 


Ruue 


Ende Friedrich Wilhelms. - 689 


1735) noch ein Codicill dazu gefügt ). Er ordnete jeht Alles, 
was er bei feiner Leichenbeſtattung beobachtet wiſſen wollte, 29. Mai 
bis auf bie kleinſten und unbebeutendften Einzelnpeiten an. 1740 
Die Leichenprebigt befahl er uͤber den Zert zu halten: Ich habe 


einen guten Kampf gelämpft. „Won meinen Beben und Wan⸗ 











z 
2 


vun 











del," fährt er fort, „aub Factis und Perfonalien foll nicht 
ein Wort gedacht, dem Wolfe aber gefagt werben, daß ich 
ſolches expreß verboten hätte mit bem Seifugen, daß ich als 
ein großer armer Suͤnder ſtuͤrbe, der aber bei Bott und ſei⸗ 
Pl ee Rehm Gnade gefucht. Ueberhaupt fol mar mid in 

Achen keichenpredigten zwar nicht verachten, aber auch nicht 
07 Auch ſoll Feine Bagon veit mir vorgenommen werden ).“ 

Noch am Tage vor feinen Tode ließ er ſich, feiner Ges 30. Mai 
wohnheit in gefunden Tagen gemäß, in ben Markal und 
zur Perabe fahren ). (Gegen bie Felbprebiger, welche ihm zu 
Tode vorbereiteten, behauptete ex Lange, daß er die Geiftlichen 
immer geehrt, Gottes Wort gern gehört, bie Kirche fleißig 
befudht, auch, worauf ex beſondern ZBerth legte, Beinen Ehe 
bruch begangen babe, fenberen feiner rau unverbruͤchlich treu 
gewefen fei, und wollte von Sinnesäuberung nichts wiflen. 
Endlich ergab er ſich jedoch auch darein, erkannte feine Fehler 
und bezeugte Iebhafte.Beue über feine Sünden in ‚Hoffnung 
auf Gottes Gnade *). 

Die legte Nacht beachte er unter vielem Schmerzen zu, 31. Bei 
klagte daruͤber gegen den Zelbprebiger Cochius, den er hatte 
rufen laſſen, berubigte ſich aber auf deſſen Zureden und Tröftuns 
gen und war feitbem merklich milder als früher. Als ex fein Ende 
made re eh m fi (aramm wien Uhr Diorgent) auf feinem 
Rollſtuhle in dab Zimmer der Königin fahren, welche noch 
ſchlief, weckte fie und fagte: „ſteh auf! ich kann nur noch we⸗ 
nige Stunden leben, und werde wenigſtens das Gluͤck haben, 
in deinen Armen zu flerben.” Damm ließ er fi zu feinen 


1) Preuß Friedriche Jugend S. 262. 

2) Im Officierleſebuche Ahl. IIL ©. 155. 

8) Ebendaſ. ©. 162. 

4) Godius Bericht bei Benekenborf IK. S. ©. 
Stengel, Geld. d. Preuffifh. Staats. TIL. 44 





Bud VL Drittes Hauptfäd. 


ihr 


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2 len Ser empfahl Earac He 
By Darin va —— Dann 


gab er dem Kronprinzen und bem Gabinetöminifter v. Pobewils 


ein Zeichen, daß fie fich ihm nähern follten, und fagte zu dieſem, 


er fühle fich nicht mehr im Stande, die Regierung zu führen, 


babe fich daher entſchloſſen, fie dem Kronpringen zu übergeben, 
deshalb die gegenwärtige Berfammlung zufammen berufen; 


der 


Major v. Bredow werde ihnen feinen Willen befannt machen. 


Er befahl diefem, was er wegen Entkräftung nur leife fagen 
Eönne, den Anwefenden laut zu wiederholen und übergab num 


1) Mömoires de Bareith IL p 295. 


9) Pöllnig Mem. IL p. 560. 


8) Mömoires de Bareith II. p. 296. 


Tod Sriedeih Wilhelms. 691 


förmlich die Regierung feinem Sohne), entband alle Unter 
thanen und Beamteten von dem ihm geleifteten Eibe, ermahnte 
fie, feinem Nachfolger eben fo treu zu fein, als fie ihm gewe⸗ 
fen und befahl dem Minifter v. Podewills, das ben preuſſi⸗ 
ſchen Gefandten an auswärtigen Höfen zu weiterer Bekannt⸗ 
machung anzuzeigen. Pobewills bemerkte hierauf, daß zunächft 
eine Urkunde über die Niederlegung ber Regierung auögefertigt 
werben und ber König biefe unterzeichnen müfle, ehe fie bes 
kannt gemacht werde dürfe. Der König antwortete nicht bar 
auf, fondern gab ein Zeichen, dag man ihn in fein Zimmer 
bringen folle. 

Hier wurde er koͤrperlich ſehr erfchöpft in fein Wett ges 
legt (11 Upr) und war eine Zeit lang ohnmaͤchtig und ohne 
Befinnung. Als er wieber zu fi kam, war er von feiner 
Gemahlin und feinen Kindern umgeben; Cochius betete. Der 
‚König ließ fih vom Oberchirurgus feines Regiments an ben 
Yuls fühlen und fragte, wie lange er noch zu leben habe. 
Als diefer antwortete: „Leider iſt's bald aus", erwieberte er: 
„Sagt nicht leider”, ließ fi einen Spiegel geben, befah ſich in 
demſelben und fagte: „So weit bin ich ſchon todt ).“ Er bat 
alle Anweſende, felbft die Bedienten, die von ihm etwa gezeigte 
Ungebuld zu Üiberfehen, und fegnete feine Gemahlin und feine 
Kinder. . ” 
Den Chirurgus, welcher ihm gefagt, er werbe balb flerben, 
fragte er: „Woraus ſchließt Er das?" Der Chirurgus erwies 
berte: „Der Puls bleibt ganz zurld.” Darauf hob ber König 
den Arm auf, ‚bewegte die Hand und fagte: „Das iſt nicht 
möglih; wenn mein Puls ſchon zurüdgetretn wäre, dann 


1) Friedrich II. in dem ſchonen Briefe an Voltaire v. 27. Juni 
1740. Oeuvres posth, T. IL p. 17, in welchem er das Ende feines 
Waters ſchildert, fagt, biefer habe iym am Montage (30. Mai) bie dee ⸗ 
gierung übergeben; wahrſcheinlich geſchah das mündlich gegen ben Prinzen, 
denn alle zuverläffige Zeugen Tommen barin überein, baf bie obige Foͤrm ⸗ 
lichkeit erft Morgens 31. Mai ſtattfand. Pöltnig, weicher auweſend 
war, Mem. IL p. 562 sg. 

2) &0 Sochius. Inden Mömoires de Bareith, II. p. 266. wird ihm 
eine andere und von bem nicht anweſenden Poͤll nitz wieder eine etwas 

in 5 


44* 


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69 a. VL Drittes Hauptfiäd. 


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here Jeſul du bift mein Gewinn im Leben und im Ster⸗ 
ben“, wurde ohnmaͤchtig und verſchied balb darauf im zweinnd⸗ 
funfzighen Jahre feines Alters, ein ſeltenes Beiſpiel der Faf⸗ 
fung im legten Augenblidte des irdiſchen Daſeins. 

n&x farb“, fagt Friedrich II, „mit der Beligleit eines 
Vpilefophen und mit der Ergebung eine Ghrifien. Er bes 
wahrte eine bewunderungswindige Gegenwart des Seiſtes bis 
um Iaten Angenbide (eb Sehens, Item = fine Se 
ſchaͤfte leitete wie ein Staatsmann, bie Bortfchritte feiner 
Krankheit prüfte wie en Naturforfiher und über ben Mob 
triumpbirte wie ein Held 1." 

Er batte feinen Staat durch Geldern und vorzüglich das 
für den Handel fo wichtige. Stettin mit ben DI 
erweitert, fo baß der gefammte Flächeninbalt nun 2275 Ge 
viertmeilen betrug. Die Zahl der Einwohner war in 18,000 
Dörfern, 44 Flecken und 409 Staͤdten auf 2,240,000, bie 
Beodtkerumg Berlins mit der Wefagung auf 98,000 Seelen 
gelegen *). Die Stärke des trefflich gelibten umd mit allem 
zum Kriege Notbwendigen reichlich ausgeruͤſteten Heeres hatte 

er don etwa 40,000 Mann fichender Truppen bis auf einige 
und 80,000 vermehrt *), die Einkünfte von 2 Milton Thaler 
auf 7,371,707 Thaler erhoͤhet, von denen etwas über 4,000,000 
Xhaler in Me Kriegs und 3,360,000 Thaler in die Domais 
nenkaſſe flöſſen ). 


1) Mömoires de Brandenbourg p. 316. Achalich in dem anger 
führten Briefe an Woltaire v. 27. Iunt 1740, 

2 ©. die Belege in Preuß, Friedriche Jugend ©. 816. 

8) Prenf a. a. D. u. Beilage 5 gibt 88,468 Mann nach ber Banyı 
te v. äry 1740. Friebrich IL. Mem. de Brandenbourg p- 318, 
76,000 und du Militalre p. 340 nur 72,000, dort zählt er alle Ab 
‚theilungen auf. Andere geben andere Zahlen. 

4) Büfhings guverläffige Weitchge zur Segierunpsgefähäte Brie- 
driche IL. ©. 811 gibt dem Generaletat der Ginkänfte am Cube ber 
Weglerung Friedrich Wilhelms I, welcher fa Aberall mit dem Friedriche IL 


* 


Ueberſicht. 693 


Zur Krlegskaſſe gehörten die Einnahmen, erfiend, von ber 
Contribution, faft 2,443,000 Thaler, zweitens, vor &icent und 
Accife, 1,400,000 Thaler, drittens, das Gavaleriegeld, 70,000 
Thaler, vierten, die Lehn⸗ und Mitterpferde: Gelder, 60,000 
Thaler, und fünften die Stempelgefälle 35,000 Thaler. Zur 
Domainenkaffe gehörten, erftens, die Ejnfünfte von den eigent» 
lichen Domainen, über 2,610,000 Thaler, zweitens, vom Salze 
544,000 Thaler, drittens, von ber PoR 180,000 Thaler, 
viertend, die Judenſchutzgelder 15,000 Zhaler, und fünftens, 
der Ertrag der Rekrutentaſſe 8000 Thaler. 

‚Hiervon wurden 5,977,00 Thaler auf dad Kriegsweſen 
verwendet, weshalb die Kriegskaſſe einen jährlichen Zufhuß 
von 1,960,000 Thaler aus der Domainenkaffe erhielt, fo daß 
noch nicht ganz 1,400,000 Thaler und nach Abzug von 6 bis 
700,000 Thalern, weiche etwa jährlich in den Schatz gelegt ') 
ober anderweitig zu Werbefferungen verwendet wurden, zur Uns 
terhaltung des koͤniglichen Hofſtaats, Bezahlung ber Wittwens 
und ApanagesGelder und zur Beſoldung der Beamteten und 
Beſtreitung der übrigen Audgaben nur wenig über 700,000 
Thaler übrig blieben. Dabei hatte der König während feiner 
Regierung 6 Millionen Thaler auf den Wiederanbau feiner Laͤn⸗ 
der und faſt eben fo viel anf die Wiederbevoͤlkerung Lithauens 
verwendet, ferner für 5 Millionen neue Rrongkter, aufferdem 
den nachgeborenen Prinzen beträchtliche Ländereien zum Bes 
trage von uͤber 2 Milionen gekauft und 17. Milion auf koſt⸗ 
bares Silbergeräth gewendet, und dennoch auffer den beträchts 
lichen Summen, die er den nachgeborenen Prinzen baar bins 
terließ, einen Schag von 8,700,000 Thalern gefammelt ”). 


vom I. 1743, welchen ich meinem Freunde dem Profeſſor Stiebel. vers 
danke, übereinftimmt. 

1) Im 3. 1748 beliefen fidy ſaͤmmtliche Einnahmen ohne Gchlefien 
anf 7,310,972 Thaler und nach Abzug der Ausgaben, weide in einigen 
Puncten, namentlich für das Löniglihe Haus vermehrt waren, blieb ein 
in den Schat zu legender Ueberfchuß von 600,000 Thaler. 


2) Nach Pricbriche eigener Angabe. Der Betrag ifk fehr überticten 
worben. Der jüngere Gedenborf fazte zu Simendorf im Januar 1738, 
als ihm diefer nach dem Schatze bes Könige fragte: „Vor brei Jahren 
30 Wilionen, es tommen jährlich zwiſchen 8 —900,000 Zhaler bau. 


—X 


694 Bud VL Drittes Hauptfiüd. 


Das waren bie Früchte der von Friedrich Wilhelms I. cin: 
gerichteten feften und durch eigene unermübliche Ueberwadung 
ſtreng aufrecht erhaltenen Ordnung in ber Wermaltung und 
ber, wenn auch nicht ohne großen Drud ber Unterthanen be 
wirkten Benugung aller denkbaren Hülfsquellen, endlich der 
Entbehrungen, welche er fich felbft auferlegte und daher en 
Vecht zu haben glaubte, fie von Anderen zu fobern. 

Es drängt ſich bei der Betrachtung ber Geſchichte des 
preuffifchen Staats unwillkuͤrlich der Gedanke auf, daß er ver 
mittelft feiner Zürften wie durch eine befonbere faft an das 
Wunderbare grenzende Gunft des Geſchicks feiner höheren Be 
flimmung vom Urfprunge an in einem eigenthümlichen Ent: 
widelungsgange entgegen geführt wurde. 

Der große Kurfücft iegte in jeder Beziehung ben Grunt, 
auf dem eiebric I., dann Friedrich Wilpelm I, boch jede 
einfeitig, fortbaueten, was bann Friedrich IL vollendete. Nach 
BZriedrich I. noch ein eben fo für Schein und Glanz eingenoms 
mener ſchwacher Fuͤrſt: der preuſſiſche Staat würde ſich in Er 
ſchlaffung aufgelöft haben; aber Friedrich Wilpelm L tritt an 
feine Stele. Nach ihm noch ein ſolcher jede andere Selb⸗ 
fändigfeit exrdrückender Fuͤrſt: der preuſſiſche Staat würde in 
Erſtarrung übergegangen fein. Da wet Friedrich IL neues 
Leben. Die Nachwelt Hat Teinen Fuͤrſten mit vollerem Rechte 
den Großen genannt. 


Drad von 8. X. Brodhaus in Leipzig. 


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