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Full text of "Geschichte des Teufels"

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(jescliiclite  des  Teufels. 


Zweiter  Band. 


Geschichte  des  Teufels. 


Von 


Griistav  Roskoff. 


Zweiter  -and. 


Leipzig : 

F.  A.  B  r  o  c  k  h  a  u 


'■lAlh. 


1869. 


Das  Recht  der  Uebersetzung  in  fremde  Sprachen  wird  vorbehalten. 


> 


Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


Zweiter  AbscMitt. 

Factoren  bei  der  Ausbildimg  und  Verbreitung  der  Vorstellung 

vom  Teufel. 

Seite 

1.  Die  Herabdrückuugsmethode  der  Kirchenlclirei- 1 

2.  Amalgamirungsprocess 8 

3.  Geschichtliche  Verhältnisse 18 

Entwickelung  der  Kirche  als  Macht  gegenüber  dem  Staate     .  19 

■4.  Mittel  zur  Vergrösserung  des  geistlichen  Ansehens 33 

Kreuzzüge 38 

Kanonische  Lebensweise 39 

Beichte 39 

Ablass 40 

Bettelmönche 40 

Excommunication  und  Interdict 41 

Kirchensprache 45 

5.  Bereicherung  der  Kirche  an  niaterielleu  Gütern 46 

Regalien 48 

Stiftungen 49 

Senden 52 

Reliquien 53 

6.  Sittliche  Zustände 58 

Busswesen      82 

7.  Zustand  der  Gemüther.     Das  kirchlich -theologistische  Gepräge   .  93 

Theologie 96 

Philosophie 96 

Rechtswissenschaft 97 

Strafrecht 99 

Arzneikunst 100 

Astrologie 105 

8.  Mancherlei  Erscheinungen    und  Ereignisse    als  Factoren    in   der 

Geschichte  des  Teufels HO 


/     u  Inhalt. 


(¥ 


Seite 

Elementarereignisse 113 

Mongoleneinfall  (1242) 118 

Das  Interregnum 122 

9.  Sekten  im  Mittelalter      124 

Die  Inquisition 129 

Kreuzzüge 138 

Kinderpilgerfahrt 139 

Flagellanten 140 

Wunderglaube 144 

10.  Heiligendienst  und  Mariencultus  als  soUicitirende  Factoren     .    .  148 

Wohnstätte 154 

Aussehen 155 

Gegensatz  im  Streben 156 

Physische  Uebel      166 

Krankheiten 168 

Mariencultus 198 

Dritter  Absclmitt. 

Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

1.  Zaubergiaube 206 

2.  Vorläufer  der  Hexenprocesse 213 

3.  Malleus  maleficarum.  Der  Hexenhammer 226 

4.  Weiterer  Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse 293 

5.  Erklärung  der  Hexenperiode 314 

Intellectuellc  Culturstufe       319 

6.  AU  mähliche  Abnahme  der  Hexenprocesse 359 


Vierter  Absclinitt. 

Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels.   Abnahme  des 


'ö 


Glaubens  an  den  Teufel. 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel 365 

2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert 437 

Der  Teufel  im  Gebete 472 

Der  Teufel  im  Gesangbuch 473 

3.  Der  Teufel  im   18.  Jahrhundert 479 

4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens 526 

Anschauung  der  Gegenwart. 


Zweiter  Abschnitt. 

Factoren  bei  der  Ausbildung  und  Verbreitung 
der  Vorstellung  vom  Teufel. 


1.  Die  Herabdrücknngsmetliode  der  Kirclieiilelirer. 

Indem  der  vorige  Abschnitt  zu  zeigen  suchte,  wie  die 
Vorstelhuig  von  der  Existenz  des  Teufels  durch  die  Ueber- 
lieferung  der  positiven  Kirchenlehre  erhalten  und  gepflegt 
wurde,  Hess  sich  zugleich  die  Wahrnehmung  machen:  dass 
die  Figur  des  Teufels  bald  nach  Beginn  des  Mittelalters  immer 
concreter  sich  gestaltet,  sinnlich  wahrnehmbarer,  zum  wirk- 
lichen Individuvuu  wird.  Der  Grund  dieser  Erscheinung  liegt 
zunächst  in  der  Herabdrückungsmethode  der  Kirchenlehrer 
wonach  die  heidnischen  Gottheiten  und  mythologischen  Wesen 
zu  teuflischen  Wesen  herabsinken.  Schon  in  der  ersten  christ- 
lichen Periode  finden  wir,  dass  die  christlichen  Kirchenväter 
die  Götter  der  Griechen  und  Kömer  zu  Dämonen  herabdrücken, 
und  den  Teufel  als  Urheber  oder  Vorstand  und  Schutzherrn 
des  götzendienerischen  Heidenthvuns  darstellen.  Es  kann  nicht 
befremden,  wenn  in  spätem  Zeiten,  wo  die  christliche  Kirche 
mit  den  germanischen  und  andern  heidnischen  Völkerstämmen 
in  Berührung  trat,  dieselbe  Herabdrückungsmethode  von  jener 
befolgt  wurde.  Sie  hielt  den  Satz  aufrecht,  den  jede  Partei 
auf  ihrem  Banner  trägt:  „Wer  nicht  mit  mir  ist,  ist  gegen 
mich."  Die  Kirche  stellte  sich  unter  den  Gesichtspunkt  der 
Partei  gegenüber  dem  Heidenthum,  und  später  den  innerhalb 
der    christlichen    Kirche    entstandenen    Sekten.      Gemäss    der 

Roskoff,   Gescliiclite  iles  Teufels.    II.  1 


2  Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

weltgeschiehtliclien  Bewegung  in  Gegensätzen,  die  sich  durch 
Parteien  darstellen,  wo  jede  Action  eine  Reaction  hervorruft, 
und  der  Rückschlag  den  Schlag  an  Wuchtigkeit  gewöhnlich 
überwiegt,  was  nicht  nur  in  der  politischen  Bewegung,  son- 
dern auch  in  der  Religionsgeschichte  wahrzunehmen  ist,  gründet 
sich  diese  Herabdrückungsmethode  auf  denselben  psychologi- 
schen Process,  der  zwischen  Parteien  den  Gegensatz  zur  Feind- 
seligkeit spannt  und  letzteren  zum  Gesichtspunkt  erhebt,  von 
dem  aus  alles,  was  ausserhalb  des  eigenen  Kreises  liegt,  im 
Dunkel  erscheint.  So  erklärt  es  sich,  dass  wo  Völker  in 
feindliche  Berührung  kommen,  das  unterdrückte  nicht  nur 
den  Unterdriicker  selbst,  sondern  auch  dessen  Gottheit  als 
Feind  betrachtet  und  als  übelthätiges  Wesen  fürchtet.  Dieser 
Umwandlungsprocess  geht  aber  auch  vor  sich,  wenn  von 
einem  Volke  ein  Zweig  sich  abgesondert,  zu  einem  Volksstamme 
herangewachsen  seine  religiöse  Anschauung  eigenartig  ausge- 
bildet hat,  lind  dadurch  mit  dem  Urstamme  in  eine  gegen- 
sätzliche Stellung  geräth.  Der  letzte  Grund  dieser  Erscheinung 
liegt  wol  in  dem  unmittelbaren  Streben  der  Selbsterhaltung 
der  Individualität.  Das  vorstellende  Bewusstsein,  das  nicht 
wie  das  begreifende  Denken  die  verschiedenen  Vorstellungen 
nach  ihrem  inneren  Zusammenhange  zusammenfasst ,  kenn- 
zeichnet sich  dadurch,  dass  es  die  bestimmte  Anschauung 
üxirt,  sie  von  jeder  andern  abschliessend  zur  Parteianschauung 
macht.  Als  solche  umgibt  sich  diese  mit  den  Schranken  der 
Individualität,  ausserhalb  deren  sie  ihr  Ende  hat.  Indem  sie 
sich  als  allein  berechtigt  glaubt  und  als  solche  zur  Geltung 
zu  kommen  sucht,  negirt  sie  die  ihr  fremden  Vorstellungen, 
welche  ihr  als  verderblich  erscheinen,  und  um  sie  als 
solche  darzustellen,  sie  herabärücken  niuss.  Beispiele  dieser 
Herabdrückungsmethode  bietet  die  Religionsgeschichte  des 
Alterthums  wie  die  christliche  Periode.  In  Aegypten  wird 
Seth  nach  dem  Einfalle  des  phönizischen  Stammes,  der  in  ihm 
den  eigenen  Feuergott  erkannt  und  anerkannt  hatte,  zum 
Träger  alles  Nichtägyptischen,  dem  Aegypterlande  Verderb- 
lichen herabgedrückt.  Bei  den  Ariern  verlieren  die  Daevas 
ihre  ursprüngliche  Bedeutung  als  gute  göttliche  Wiesen,  und 
werden  nach  der  Trennung  des  Volks  als  böse  Geister  von 
den  Iraniern  verabscheut.  Im  Alten  Testament  werden  heid- 
nische   Götter    mit    bösen    Dämonen    auf  eine   Linie    gestellt, 


1.    Die  Herabdrückungsmethode  der  Kirchenlehrer.  3 

daher  die  Alexandriner  (LXX)  statt  der  Eliliin  ^  füglich  „Dae- 
monia"  setzen,  und  durch  diese  auch  die  Schedim^  vertreten 
lassen.    Beelzebub,  den  das  Alte  Testament  noch  als  heidnisches 
Idol  kennt,  wird  im  Neuen  Testament   schon  der  oberste  der 
bösen  Geister  genannt.    Was  Cäcilius  bei  Minucius  Felix  über 
die  christliche  Urgemeinde  sagt,  ist  eigentlich  der  Ausdruck  der 
damals  unter  den  Römern  herrschenden  Volksmeinung,  wonach 
die  Christen  als  lichtscheue,   aufrührerische  Partei  erscheinen, 
und  die  Beschuldigungen,  von  den  Römern  den  Christen  auf- 
gebürdet,   bezeugen    auch   die    gehandhabte  Herabdrückungs- 
methode.    Die  Verehrung    des    einzigen    unsichtbaren    Gottes 
erschien    den    Römern    als    Atheismus,    die   Vermeidung    der 
heidnischen  Tempel    als   Sacrilegium,    die  Glaubenstreue   und 
Erkennung   durch   das  Symbol   als  Anzeichen    der  Verschwö- 
rung,   die   Gedächtnissfeier  des    Gekreuzigten    als   Menschen- 
opfer,   die  Kniebeugung  wurde  zur  unanständigen  Verehrung 
herabgedrückt.    Die  einzelnen  Züge  gaben  ein  Bild  vom  christ- 
lichen Cultus   als    purer   Ruchlosigkeit,    wonach  die  Christen 
bei  ihren  nächtlichen  Zusammenkünften  unmenschliche  Speise 
geniessen,    die  Götter   anspeien,    die  heiligen  Gebräuche  ver- 
höhnen,   sich    untereinander  Brüder    und  Schwestern    nennen 
und  miteinander  Unzucht  treiben.    Besonders  grauenhaft  wird 
von  heidnischer  Seite  die  Aufnahme   in  den  christlichen  Ver- 
band  vorgestellt:    da    sollte    ein    mit  Mehl   überdecktes  Kind 
dem  Aufzunehmenden   vorgesetzt  werden,    auf  welches  dieser 
losstechen   müsse    bis    er    es   getödtet,    wonach   das  Blut   des 
Kindes  von  den  Versammelten  gierig  aufgeleckt,    die  Glieder 
zerrissen  und  verzehrt  werden,  welches  Menschenopfer  zugleich 
als  Gewähr  der  Verschwiegenheit  gelte.  Wenn  sich  die  Christen 
an  Festtagen  zu  gemeinschaftlichem  Mahle  versammeln,  sollen 
sie,   nachdem   sie  geschlemmt  haben,    einem   an  das  Lampen- 
gestell angebundenen  Hund  einen  Brocken  hinwerfen,  wo  bei 
dem  Schnappen  des    gierigen  Thiers  die  Lampe   umgeworfen, 
und    nach    ausgelöschtem  Lichte    die    abscheulichste  Unzucht 
beginne.    Der  Vorwurf,  den  Apion  gegen  die  Juden  erhoben, 
dass  sie  einen  Eselskopf  anbeten,   daher  Antiochus  Epiphanes 
einen    solchen    aus    Gold    bei    der   Plünderung    des    Tempels 


'  Ps.  96,  5. 

2  Ps.  106,  37;    5  Mos.  32,  17. 


4         Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

gefunden  haben  soll  \  wird  von  den  Römern  auch  den  Christen 
gemacht;  das  alljährliche  Schlachten  eines  Kindes,  dessen  die 
Juden  beschuldigt  wurden,  welche  bis  über  das  Mittelalter  hin- 
aus darunter  leiden  mussten,  ward  auch  den  Christen  vorge- 
worfen. Celsus  stellt  den  christlichen  Cultus  dem  ägyptischen 
Götzendienst  an  die  Seite,  wo  Katze,  Krokodil,  Bock  und 
Hund  als  Götter  verehrt  werden^. 

In  der  christlichen  Anschauung  verwandeln  sich  die  Götter 
des  classischen  Heidenthums  nicht  nur  zu  blossen  Götzen, 
sondern  sie  w^erden  zu  Teufeln  und  teuflischen  AVesen  herab- 
ffedrückt.  Den  alten  Göttern  wird  die  Existenz  von  den 
christlichen  Kirchenlehrern  nicht  abgesprochen,  wol  aber  deren 
Berechtigung  geleugnet.  Ihre  einst  lichtvollen  Gestalten  wer- 
den durch  die  neue  „Himmelsglorie"  in  dunkeln  Schatten 
gedrängt,  sie  sind  entthront  und  zu  bösen  Geistern  gestem- 
pelt, deren  Macht  zwar  durch  Christi  Erscheinung  als  ge- 
brochen gedacht,  aber  doch  noch  immer  gefürchtet  wird. 

Unter  denselben  Gesichtspunkt  wird  das  germanische  wie 
jedes  andere  Heidenthum  gestellt,  und  liefert  zum  Theil  teuf- 
lische Gestalten,   zum  Theil  das  Material  zur  sinnlichen  Aus- 
stattung   der   Vorstellung    vom    Teufel,     einzelne    Züge    oder 
Attribute  bei  dessen  Erscheinung,    oder  wird  mit  seinem  Ge- 
triebe und  Wirken  in  Verbindung  gebracht.    Die  vom  Heiden- 
thum als  wohlthätig  anerkannte  göttliche  Macht  wird  zu  einer 
übelthätisen,  teuflischen  verkehrt  und  verabscheut,  die  Götter- 
gestalten,    als  Träger    dieser    Macht,    werden    im    feindlichen 
Gegensatze  zu  dem  wahren  Gott  dargestellt.     J.  Grimm  zeigt 
in  seiner,,  Deutschen  Mythologie",  wie  Wuotan  (Wodan,  Guo- 
dan,  Othin),  „die  höchste  und  oberste  Gottheit",  die  von  allen 
.  deutschen  Stämmen   verehrt  ward,    als    das    allmächtige,    all- 
durchdringende Wesen,  „als  weiser  Gott",  durch  die  christlich- 
kirchliche Anschauung  zum  Teufel  herabgedrückt  wurde,  w^as 
hier  um   so   leichter  war,    da  schon  unter  den  Heiden  neben 
der  Bedeutung   des  mächtigen  w^eisen  Gottes   die   des  wilden, 
ungestümen   und  heftigen  gewaltet  haben  muss,    die  von  den 
Kirchenlehrern  nur  hervorgehoben  und  festgehalten  zu  werden 
brauchte.    Die  Umwandlung  des  gütigen  Wesens  in  ein  böses 


'  Jos.  c.  Ap.  lib.  II. 
2  Orig.  c.  Cels.  III,  17. 


1.    Die  Herabdrückungsmethode  der  Kirchenlehrer.  5 

zeigt  schon  die  unter  den  Christen  gangbar  gewordene  Ver- 
wünschung: Fahre  zu  Othin,  d.  h.  zum  Teufel.  Mit  breit- 
krämpigem  Hute  und  weitem  Mantel  fährt  Othin  an  der  Spitze 
des  wilden  Heeres  als  Hackelberend  durch  die  Lüfte.  Den 
breitkrämpigen  Hut  hat  der  Teufel  in  vielen  Legenden  und 
Sagen,  in  denen  er  erscheint,  aufgesetzt;  der  weite  Mantel, 
in  welchen  Othin,  nach  einer  von  Grimm  ^  angeführten  Sage 
bei  Saxo,  einen  Schützling  fasst  und  durch  die  Lüfte  führt, 
dient  in  der  Faustsage  demselben  Zwecke.  Die  Wölfe  und 
Raben,  dem  Othin  als  Siegesgott  beigelegt,  treten  häufig  in 
Teufelssagen  auf,  ja  dieser  erscheint  selbst  häufig  in  Raben- 
gestalt. Wenn  aber  Grimm  den  Othin  mit  Mercurius  als  Er- 
finder des  Würfelspiels  zusammenstellt  und  dabei  an  unsere 
Volkssagen  erinnert,  die  den  Teufel  Karten  spielen  und  andere 
dazu  verführen  lassen;  so  dürfte  dieser  Zug  wol  auch  ohne 
Anlehnung  an  das  Heidenthum  daraus  zu  erklären  sein:  dass 
Karten-  und  Würfelspiel,  wie  das  Spiel  überhaupt,  von  der 
Kirche  als  etwas  Verderbliches  betrachtet,  und  alles  Schäd- 
liche und  Böse  auf  den  Teufel,  als  dessen  Stifter,  zurück- 
geführt wurde.  Der  Teufel  kommt,  gleich  Othin,  oft  reitend 
vor,  und  das  Pferd,  namentlich  das  schwarze,  spielt  in  Teufels- 
geschichten seine  Rolle.  Den  Bock,  dessen  Gestalt  der  Teufel 
schon  in  alten  Zeiten  gern  annimmt,  lieferte  Donar,  der  über 
Wolken  und  Regen  gebietende  Gott;  der  Eber,  auch  zum 
teuflischen  Apparat  gehörig,  und  vornehmlich  den  zum  Sabbat 
sich  versammelnden  Hexen  als  Reitthier  dienend,  erinnert  an 
Fro,  dem  der  Eber  geheiligt  war.  Die  göttliche  Gestalt  der 
Holda,  der  freundlichen,  milden,  gnädigen  Göttin,  wird  in 
der  christlichen  Uebersetzung  zur  hässlichen,  langnasigen, 
grosszahnigen,  struppigen  Kinderscheuche;  die  Eiben,  ur- 
sprünglich gute,  dienstfertige  Wesen,  werden  zu  teuflischen 
Unholden  herabgedrückt;  Bilwitz,  früher  ein  guter  Hausgeist, 
wird  in  ein  hexenhaftes ,  teuflisches  Schreckgespenst  verwan- 
delt. Die  Weissagung  der  nordischen  Priester  wird  nach 
dem  Auftreten  des  Christenthums  von  dessen  Lehrern  für 
teuflische  Zauberei  betrachtet.  Die  friesischen  Götterbilder, 
zum  Orakelgeben  eingerichtet,  erklären  die  Christen  für  vom 
Teufel  besessen.     Die  angelsächsischen  Weissager  werden  vom 

'  I,  133. 


6  Zweiter  Absclinitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

christlichen  Gesetze  streng  bestraft.  Die  Capituhirien  Karl's 
des  Grossen  verhängen  über  denjenigen,  der  einer  heidnischen 
Gottheit,  d.  h.  dem  Teufel  opfert,  die  Todesstrafe.  Den  zur 
Verachtnn2r  herabsedrlickten  heidnischen  Göttern  wird  die  Zau- 
berei  zugeschrieben,  und  diese  niuss,  nachdem  das  Christen- 
thum  zur  allein  legitimen  Rehgion  erhoben  worden,  als  ille- 
«fitimes  AVunder  verabscheut  werden,  während  ein  auf  christ- 
lieber  Seite  vollbrachtes  Wunder  den  Stempel  der  Legitimität 
erhält.  Dieselbe  Ausschliesslichkeit  der  Anschauung,  die  sich 
als  allein  berechtigt  weiss,  und  als  solche  anerkannt  wissen 
will,  finden  wir  im  Alten  Testamente,  wo  die  mit  Mose's 
ausserordentlichen  Thaten  wetteifernden  Aegypter  als  Zau- 
berer hingestellt  werden,  wogegen  jener  Wunder  verrichtet. 

Nachdem  der  Glaube  an  den  Teufel  als  den  Urheber 
und  Stifter  alles  Bösen  und  jedes  Uebels  unter  den  Christen 
zur  Herrschaft  gelangt  war,  wurde  natiirlich  jede  Verderben 
drohende  Erscheinung  in  der  Geschichte  vom  Teufel  abgeleitet. 
Es  erklärt  sich  daher,  warum  die  Hunnen  von  Dämonen  ab- 
stammen miissen:  sie  sind  nämlich  Abkömmlinge  von  den 
magischen  oder  germanischen  Weibern,  die  der  gothische 
König  Filimer  aus  dem  Lande  jagen  Hess,  die  in  ihrer  Er- 
bitterung Dämonen  zu  sich  beschworen  und  sich  mit  ihnen 
begatteten.  So  Jornandes,  der  gothische  Bischof.^  Attila 
muss  natürlich  für  einen  Sohn  des  Teufels  gelten,  und  Mer- 
lin, der  im  Sagenkreise  Arthur's  von  der  Tafelrunde  er- 
scheint, wird  für  den  Sohn  eines  Dämons  und  einer  Nonne 
erklärt. 

Aus  demselben  Grunde  bietet  sich  dieselbe  Erscheinung, 
wo  sich  innerhalb  der  christlichen  Kirche  Parteien,  Sekten 
bilden.  Die  von  der  allgemeinen  Kirchenlehre  Abweichenden 
werden  vom  Eifer  der  Polemik  nicht  blos  in  moralischer  Hin- 
sicht herabgedrückt,  sondern  mit  dem  Teufel  selbst  in  Zusam- 
menhang gebracht.  Da  sich  im  kirchlichen  Bewusstsein  die 
Vorstellung  gefestigt  hatte:  die  Kirche  sei  die  Anstalt,  die 
das  Reich  Gottes  auf  Erden  vertrete,  und  ihre  Glieder  seien 
berufen,  jene  zu  fördern,  so  musste  jede  von  ihr  abweichende 
Meinung  in  dem  Feinde  der  Kirche,  nämlich  dem  Teufel  als 
Widersacher  des  göttlichen  Reichs,    ihren  Grund  haben,   und 


J  De  gothic.  rcb.  c.  XXIV,  67. 


1.    Die  Herabdrückunffsmethode  der  Kirchenlehrer. 


-■o 


mit  ihm  in  Verbindung  gedacht  werden.  So  konnte  Hetero- 
doxie  und  Ketzerei  als  Teufelsdienst,  und  beide  mit  der  da- 
von fiir  unzertrennlich  gehaltenen  Zauberei  für  gleichbedeu- 
tend und  mit  gleich  schweren  Strafen  zu  belegende  Verbrechen 
ausgegeben  werden.  Der  Glaube  macht  allerdings  selig,  inso- 
fern er  sich  aber  an  bestimmte  Vorstellungen  bindet,  die  ihm 
als  die  allein  wahren  gelten,  macht  er  ausschliesslich  und 
feindselig.  Die  Gnostiker,  deren  sittlicher  Rigorismus  selbst 
bei  mehreren  christlichen  Schriftstellern  Anerkennung  fand, 
wurden  im  allgemeinen  doch  als  die  lasterhaftesten  Menschen 
auf  Erden  verschrien.  Irenäus,  durch  seinen  Eifer  gegen  die 
Ketzer  bekannt,  verdammt  selbstredend  die  Lehre  der  Karpo- 
kratianer;  obschon  er  ihren  Lebenswandel  unangetastet  lässt, 
berichtet  er  doch,  dass  sie  ihre  Proselyten  mit  einem  Zeichen 
versehen,  wie  in  späterer  Zeit  der  Hexenprocesse  der  Teufel 
seinen  Bundesgenossen  das  Stigma  aufdriickt.  Marcus,  Stifter 
der  Marcosier,  gilt  bei  Irenäus  nicht  nur  für  einen  argen 
Wollüstling,  sondern  auch  für  einen  teuflischen  Zauberer.  * 
Von  den  Ophiten,  deren  moralische  Conduiteliste  im  allge- 
meinen nicht  ausgestellt  wird,  glaubt  Origenes  doch,  dass  sie 
unter  der  Schlange  eigentlich  den  Teufel  verehren.^  Diese 
Satansverehrung  unter  der  Gestalt  der  Schlange  wird  auch 
den  Marcioniten  zur  Last  gelegt,  wenngleich  ihre  Sittenstrenge 
unbescholten  bleibt.  ^  Die  strengen  Moralgrundsätze  der  Mon- 
tanisten schützen  diese  nicht  vor  der  Beschuldigung,  dass  sie 
Spieler,  Wollüstlinge,  Wucherer  seien,  die,  vom  Teufel  be- 
sessen, mit  Exorcismus  behandelt  werden  müssten.  *  Dass  die 
Moral  der  Manichäer  sehr  streng  gewesen,  bezeugt  Hierony- 
mus,  der  mit  diesem  Namen  einen  moralischen  Rigoristen 
bezeichnen  will;  trotzdem  werden  sie  des  Teufelsdienstes 
geziehen.^  Die  Geschichte  der  Stedinger,  die  schon  früher 
erwähnt  worden,  entspringt  aus  Zehntverweigerung,  und 
mündet  in  deren  Beschuldigung  der  Verehrung  des  Teufels. 
Ein  ähnliches  Verfahren,  sich  gegenseitig  herabzudrücken 


>  I,  8.  9.     Epiph.  Haer.  XXXIV,  1. 

2  C.  Geis.  VI,  28;    vgl.  43. 

3  Theodoret  adv.  Marcion. 

*  Epiph.  Haer.  XL VIII,  14. 

»  Epiph.  Haer.  LXX. 


8  Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

und  mit  dem  Teufel  in  Beziehung  zu  setzen,  zeigt  sich  nach 
der  Parteiung  durch  die  Reformation.  Die  Polemik  des 
16.  Jahrhunderts  machte  die  merkwiirdige  Entdeckung,  dass 
Luther  ein  Sohn  des  Teufels  sei;  Luther  erblickte  im  römisch- 
kirchlichen Rituale  eine  Schlinge  des  Satans,  womit  dieser 
vom  reinen  Christenthum  abzieht.  ^  Den  Katholiken  galt  der 
Teufel  für  das  Haupt  der  gesammten  protestantischen  Ketze- 
reien, und  Delrio  konnte  mit  andern  behauj^ten,  der  Pro- 
testantismus erfülle  die  Länder  mit  teuflischen  Hexen;  die 
Protestanten  stellten  den  Teufel  einen  grossen  Blasebalg  hinter 
dem  Papste  handhabend  dar   u.  dgl.  m. 

Diese  Herabdrückungsmethode,  in  psychologischer  Be- 
ziehung merkwürdig,  erlangt  in  der  Geschichte  des  Teufels 
culturhistorisches  Interesse  dadurch,  dass  sie  innerhalb  der 
christlichen  Zeit  von  der  herrschenden  Vorstellung  vom  Teufel 
Zeugniss  ablegt;  sie  zieht  die  Aufmerksamkeit  um  so  mehr 
auf  sich,  als  sie  die  Bedeutung  eines  Factors  zur  Ausbildung 
des  Teufels  gewinnt.  Durch  die  Herabdrückung  der  heid- 
nischen Götterwelt  zur  christlichen  Teufelei  wurde  jene  in 
ihrem  Bestände  nicht  vernichtet,  sondern  die  sinnlichen  Züge 
der  Göttergestalten  dienten  zur  Versinnlichung  und  Individuali- 
sirung  des  Teufels,  dessen  schemenhafte  Gestalt  dadurch  Fleisch 
und  Blut  erhielt;  die  lichtvollen  Farben  des  heidnischen  Götter- 
himmels wurden  ins  Dunkle  übersetzt,  um  das  höllische  Reich 
des  Teufels  damit  auszumalen.  Durch  die  Herabdrückungs- 
methode entlud  sich  die  heidnische  Mythologie  ihres  Lihalts 
und  bereicherte  die  christliche  Vorstellung  vom  Teufel. 


2.   Amalgamiriingsprocess. 

Ein  Amalgamirungsproccss  heidnischer  Elemente  mit  dem 
christlichen  Teufel  und  seinem  Anhange  ging  um  so  leich- 
ter vor  sich,  wenn  es  auch  innerhalb  des  Heidenthums 
für  böse  gehaltene  Wesen  betraf,  wo  eine  herabdrückende 
Umwandlung  von  gut  in  böse  gar  nicht  nothwendig  war,  und 


'   Tischreden,  Kap.  24. 


2.    Amalgamirungspi'ocesa.  9 

man  die  schon  vorhandenen  Züge  des  heidnischen  bösen  Wesens 
dem  christHchen  Teufel  nur  anzuheften  brauchte,  wodurch 
die  vorläufige  Skizze  der  teuflischen  Gestalt  die  Einzelausfüh- 
rung erhielt.  J.  Grimm  hat  nicht  nur  diese  Bemerkung  ge- 
macht, sondern  in  seiner  altmeisterhaften  Weise  in  Betreff 
des  Teufels  nachgewiesen,  dass  dieser  jüdisch,  heidnisch  und 
christlich  zugleich  sei.  Dieser  wächst  gleich  der  Lavine,  die 
während  der  Strecke,  über  die  sie  hinrollt,  immer  mehr  Stoff 
aufnimmt,  um  eine  erschreckliche  Grösse  zu  erreichen. 

Eine  Ineinandersetzung  heidnischer  Bräuche  mit  christ- 
lichen Ideen,  oder  heidnischer  Vorstellungen  mit  christlichen 
Einrichtungen,  liegt  in  der  Natur  des  Entwickelungsganges. 
Es  kann  nicht  erwartet  werden,  dass  die  Neubekehrten  in  den 
Wesenskern  der  christlichen  Wahrheit  sofort  eindrangen,  noch 
von  den  Bekehrern,  dass  sie  mit  dem  äusseren  Bekenntniss,  der 
Taufe,  Verehrung  des  Kreuzes  sich  nicht  begnügen  sollten; 
ja  es  ist  zu  bezweifeln,  dass  die  Mehrzahl  der  Heidenapostel 
ihre  Neophyten  geistig  zu  erleuchten  im  Stande  gewesen  sei. 
Aus  der  Anweisung  Gregor's  I.  für  seinen  Missionar  Augusti- 
nus ist  es  klar,  dass  die  ersten  Kirchenlehrer  eine  Accom- 
modationstheorie  grundsätzlich  befolgten,  die  einen  Amal- 
gamirungsprocess  heidnischer  Elemente  mit  christlichen  über- 
haupt, also  avich  in  Bezug  auf  die  Vorstellung  vom  Teufel 
zur  Folge  haben  musste.  In  dem  Erlasse  von  601  ermahnt 
Gregor  der  Grosse  den  Augustin:  die  heidnischen  Tempel 
nicht  zu  zerstören,  sondern  in  christliche  umzuwandeln,  den 
Heiden  ihre  gewohnten  Festmahle  zu  lassen,  sie  aber  zur 
Feier  von  Kirchweihen  und  Märtyrerfesten  zu  verwenden.  ^ 
„Weil  sie  (die  neubekehrten  Angelsachsen)  an  den  Festen  der 
Teufel  (d.  h.  der  alten  heidnischen  Götter)  viele  Rinder  und 
Pferde  zu  schlachten  pflegen,  so  ist  es  durchaus  nothwendig, 
dass  man  diese  Feier  bestehen  lässt  und  ihr  einen  andern 
Grund  unterschiebt.  So  soll  man  auch  auf  den  Kirchweih- 
tagen und  an  Gedächtnisstagen  der  heiligen  Märtyrer,  deren 
Reliquien  in  denjenigen  Kirchen  aufbewahrt  werden,  die  an 
der  Stätte  heidnischer  Opferhaine  erbaut  sind,  dort  eine  ähn- 
liche Feier  begehen,  soll  einen  Festplatz  mit  grünen  Maien 
umstecken  und   ein  kirchliches  Gastmahl  veranstalten.     Doch 

J  Ep.  XI,  76. 


10       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

soll  man  nicht  turder  zu  Ehren  des  Satans  Thieropfer  bringen, 
sondern  zum  Lobe  Gottes  und  um  der  Sättigung  willen  die 
Thiere  schlachten,  und  dem  Geber  alles  Guten  für  die  Gabe 
danken."  ^ 

.  Die  alten  Väter,  die  sich  bei  der  Bekehrung  grundsätzlich 
der  Schonung  beflissen,  betrachteten  die  heidnischen  Bräuche 
nur  als  falschen  Weg,  von  dem  sie  ihre  Neubekehrten  abzu- 
lenken hätten.  Ihnen  erschien  es,  in  Bezug  auf  das  tief  unter 
den  Heiden  eingewurzelte  Orakelwesen,  als  ein  Uebergang  ins 
christliche  Gleise,  wenn  die  Christen  das  Alte  und  Neue  Testa- 
ment zu  Rathe  zogen  (sortes  sanctorum)  und  eine  aufgeschlagene 
Bibelstelle  als  Orakelsi^ruch  auf  ihre  Angelegenheiten  deuteten. 
Aus  Augustinus  wird  es  ganz  klar,  warum  die  älteren  Väter 
diesen  heidnischen  Gebrauch  der  heiligen  Bücher  duldeten, 
wenn  er  in  seinem  Briefe  an  Januarius  schreibt:  „Hi  vero 
qui  de  paginis  evangelicis  sortes  legunt,  et  si  optandum  est 
ut  hoc  potius  faciant  c[uam  ad  Daemonia  consecranda  concur- 
rant,  tamen  etiam  ista  mihi  displicet  consuetudo  ad  negotia 
saecularia  et  ad  vitae  hujus  vanitatem  propter  aliam  vitam 
loquentia  oracula  divina  velle  convertere."  Gregor  von  Tours 
erlaubte  diese  Art  Weissagung,  die  er  selbst  nicht  verabscheute, 
den  Christen  seines  Sprengeis;  sie  war  auch  beim  Klerus  in 
vollem  Gange*,  und  wie  beliebt  sie  überhaupt  war,  geht  daraus 
hervor,  dass  sie,  trotz  dem  Proteste  der  Concilien,  deren  einige  ' 
den  Kirchenbann  darüber  verhängten,  und  trotzdem  die  Karo- 
linger Gesetze  dagegen  erliessen*,  bis  ins  9.  Jahrhundert  und 
im  Geheimen  unter  dem  Volke  noch  weit  länger  fortbestand. 

Tiefer  eingreifend  ist  die  Anweisung  zur  Predigt  beim 
ersten  Zusammentreffen  mit  den  Heiden,  die  ein  Brief  des 
Bischofs  Daniel  an  Bonifaz  enthält.^  Sie  ist  auch  umsichtig 
und  wohlwollend,  empfiehlt  Sanftmuth,  Mässigung,  verbietet 
aufreizende  Schmähung,  um  die  Heiden  nicht  zu  erbittern, 
sondern  allmählich  in  den  Schos  der  christlichen  Kirche  zu 
führen.     Der   Bekehrer    soll    nicht    gleich    anfangs    den    heid- 


'  Beda  Vencrab.  bist,  cccles.  Britorum  lib.  1,  cap.  30. 

2  Greg.  Tiir.  II,  37;  V,  14. 

"  Wie  das  von  Agdc  im  G.  Jahrb. 

<  Capitul.  789,   c.  4. 

"  Ep.  14,  99. 


2.    Amalgamirungsin'ocess.  H 

nischen  Göttergenealogien  widersprechen,  sondern  zu  beweisen 
suchen,  dass  die  Götter  aus  geschlechtlicher  Zeugung  hervor- 
gegangen, daher  eher  Menschen  in  ihnen  zu  erblicken  seien. 
Ueber  den  Ursprung  der  Welt  solle  er  fragen:  wer  sie  ge- 
schaffen habe,  bevor  die  Götter  da  waren?  wer  sie  regiert? 
woher  der  erste  Gott  seinen  Ursprung  habe?  ob  die  Götter 
noch  fortzeugen?  wenn  nicht,  wann  sie  damit  aufgehört  ha- 
ben, und  wenn  ja,  ob  dann  ihre  Zahl  ins  Endlose  fortgesetzt 
werde?  Wenn  die  Götter  so  mächtig  seien,  warum  dulden 
sie,  dass  ihnen  die  Christen  solchen  Abbruch  thun,  welche 
die  schönsten  Länder  bewohnen?  wenn  die  Göttergewalt  eine 
legitime  ist,  wie  kann  daneben  das  Christenthum  solche  sieg- 
reiche Fortschritte  machen?^  —  Rettberg ^  stellt  hierbei  die 
Frage:  ob  diese  Vorschriften,  obschon  wohlgemeint,  auch 
praktisch  gewesen  seien?  Man  sollte  meinen,  es  hätte  kaum 
andere  zu  jener  Zeit  geben  können.  Abgesehen  von  dem  Erfolge, 
der  dafür  spricht,  zielen  sie  auf  das  sinnliche  Moment  des 
Heidenthums,  das  sie  ad  absurdum  zu  führen  beabsichtigen, 
und    hat    das    ganze    Vorgehen    seine    j)sychologische    Rich- 


Durch  diese  oder  vielleicht  ungeachtet  dieser  milden  Me- 
thode der  älteren  Väter  wiederholte  sich  im  christlichen  Rom, 
was  einst  im  heidnischen  geschehen  war.  Wie  dieses  einst 
ein  Pantheon  aller  Götterculte  der  überwundenen  Völker  dar- 
gestellt hatte,  so  verchristlichte  jenes  die  ererbten  heidnischen 
Elemente.  Heidnische  Tempel  wurden  zu  christlichen  Kirchen 
umgewandelt,  wie  das  römische  Pantheon  erst  im  7.  Jahr- 
hundert; der  Apollotempel  auf  Monte-Casino  durch  den  hei- 
ligen Benedictus  in  eine  christliche  Kapelle  des  heiligen  Mar- 
tinus;  heidnische  Naturfeste  wurden  in  christliche  uniiresetzt, 
so  das  Julfest  zum  Weihnachtsfest;  hatte  man  im  Heidenthum 
auf  das  Gedächtniss  oder  Minne  (Memoria)  des  Wuotan  oder 
der  Freya  getrunken,  so  trank  man  nach  der  Verchristlichun«- 
auf  Christi,  der  Maria,  des  Johannes,  Gertrud's  Minne.  Das 
immerwährende  Feuer  des  griechischen  Prytaneion  und  des 
römischen  Vestaheerdes  wurde  zum  ewigen  Lichte  auf  dem 
Kirchenchoi'e ;    Papst  Leo  der  Grosse  liess  aus  der  Bildsäule 


1  Job.  Ad.  Bambach  brevis  illustrat.  ep.  Banielis  Yin.  ad  Bouifac. 
^  Kirchengesch.  I,  408. 


12        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

des  Jupiter  eine  des  heiligen  Petras  macheu,  die  Auua  Perenna 
wurde  zur  heiligen  Anna  Petronella,  die  heute  noch  in  der 
Campagna  verehrt  wird  u.  s.  f .  ^  Gleichwie  man  viele  christ- 
liche Kirchen  in  Rom  aus  dem  Material  heidnischer  Tempel 
erbaute,  so  wurden  ähnlicherweise  Momente  aus  einem  Ge- 
biete des  Glaubens  auf  dem  andern  verwendet.  Die  Wachs- 
bilder im  höllischen  Apparate,  die  von  den  Dienern  des  christ- 
lichen Teufels  verfertigt,  durchstochen,  verbrannt  oder  ge- 
schmolzen wurden,  um  ihre  Originale  zu  schädigen,  sind  aus 
dem  heidnischen  Opferwesen  herübergenommen,  wo  sich  der 
Brauch  eingestellt  hatte,  Thiere  von  Teig  oder  Wachs  zu 
formen  und  zum  Opfer  darzubringen.^ 

Das  Heidnische  wurde  also  und  konnte  nicht  ausgerottet 
werden  trotz  dem  Eifer,  der  sich  nachher  gegen  heidnische 
Bräuche  in  Predigten  und  Concilienbeschliissen  erhob,  trotz 
Indiculus  paganiarum  und  Abschwörungsformeln,  kirchlichen 
Massregeln  und  staatlichen  Verordnungen.  Trotz  alledem 
wurden  die  heidnischen  Vorstellungen  aus  dem  Glaubenskreise 
der  Bekehrten  nicht  ausgemerzt,  sie  verbargen  sich  unter 
christlichen  Formen,  amalgamirten  sich  mit  christlichen  An- 
schauungen, und  dieses  Amalgama  erfüllte  den  gläubigen  Ge- 
sichtskreis. Ein  schlagendes  Beispiel  von  Vei-mengung  des 
Heidnischen  mit  Christlichem  ist  das  von  dem  Dänenkönig 
Suen  Tueskiag  ^,  der  bei  einer  Seefahrt  nach  England  ein  drei- 
faches Gelübde  that,  dem  heidnischen  Bragafull,  dem  Christus 
inid  dem  Michael  zugleich;  und  das  andere  von  einem  Irländer 
Kctil,  der  für  gewöhnlich  Christum  anrief,  in  wichtigen  Dingen 
sich  aber  an  Thor  wandte.  Bei  den  Bretonen  war  noch  lange 
nach  Einführung  des  Christenthums  die  Verehrung  heiliger 
Bäume  und  Druidencult  üblich.*  Bei  den  Böhmen  waren 
noch  im  12.  Jahrhundert  Spuren  vom  altceltischen  Baumcultus 
vorhanden,   wie  bei  den  Wenden  im  Lüneburgischen.     Es  ist 


1  Vgl.  die  vielen  Beispiele  bei  Grimm,  Deutsche  Mythologie  (3.  Aufl.), 
XV,  XXXI,  XXXV,  S.  57,  64,  157,  166,  173,  180,  194,  231,  242,  256,  267, 
275,  279,  313,  337,  482,  581,  772,  899,  956  u.  a.  m.;  Rettberg  I,  326  u.  a.; 
Soldan,  244  u.  a.;  Gfrörer,  IV,  1,  S.  205  fg.;  Schindler,  257;  Beugnot,  Hist. 
de  la  dcstruction  du  paganisme  en  Occid.,  II,  266. 

2  Dio  Cass.  68;    Aen.  2,  116. 

3  Dahlmann,  Gesch.  v.  Dänemark,  bei  Wachsmuth,  Culturgesch.,  II,  92. 
J  Wachsmuth,  Sittengesch.,  II,  466;  111,2,126. 


2.   Amalgamirungsprocess.  13 

nicht  zu  verwundern,  wenn  die  deutsche  Wissenschaft  bei 
jedem  Schritte  im  heutigen  Volksleben  in  einer  Menge  von 
Gebräuchen,  Sprichwörtern,  Kinderspielen,  Liedern  u.  dgl.  ni. 
Spuren  heidnischer  Vorzeit  nachzuAveisen  im  Stande  ist,  wenn 
sie  aus  dem  heiligen  Florian  und  dem  heiligen  Ruprecht  die 
grossen  germanischen  Götter  Donar  und  Wodan  herausschälen 
kann.  Diese  Erscheinung  wird  denjenigen  nicht  befremden, 
der  ihren  Grund  im  psychischen  Organismus  sucht  und  findet. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  dürfte  auch  die  connivente  Päda- 
gogik Gregor's  fiir  zweckmässiger  erachtet  werden,  als  die 
Strafdrohungen  der  kirchlichen  Concilien  und  die  strengen 
Massregeln  der  staatlichen  Behörden,  wodurch  Reactionen 
hervorgerufen  werden  mussten,  die  dem  Heidenthum  inmitten 
des  Volkslebens  nur  mehr  Zähigkeit  verliehen. 

Die  Amalgamirung  des  heidnisch  Nationalen  mit  dem 
Christlichen  ist  auch  in  Bezug  auf  den  sittlichen  Inhalt  des 
Christenthums  ersichtlich,  der  nach  der  Auffassunsr  der  Völker 
in  echt  nationaler  Färbung  erscheint.  Als  Beispiel  dienen  die 
Deutschen,  deren  grosse  Empfänglichkeit  für  das  Christenthum 
zugleich  den  Grund  dieser  Erscheinung  aufdeckt.  J.  Grimm 
hat  nachgewiesen,  dass  die  Religion  des  deutschen  Volks  in 
einem  geordneten  Götterglauben  bestand,  in  dem  sich  die  sitt- 
lichen Mächte,  die  es  bewegte,  persönlich  ausprägten.  Einen 
bequemen  Anhaltspunkt  bot  dem  Christenthum  die  Treue, 
womit  das  deutsche  Volk  der  Gottheit  sich  verbunden  wusste, 
die  Sitte,  die  überall  auf  Ordnung  und  Recht  abzielte  im 
öffentlichen  Leben,  wie  Keuschheit  und  eheliche  Treue  inner- 
halb der  Familie;  die  sichere  Hofinung  auf  eine  Fortdauer 
nach  dem  Tode,  und  die  damit  verbundene  Verzichtleistunsr 
in  Bezug  auf  das  Irdische.  In  Muspillii  hat  man  auf  die 
nationalen  Züge  aufmerksam  gemacht,  die  der  christlichen 
Predigt  Verwandtes  enthalten;  man  hat  selbst  die  Zeichnung 
einzelner  Gottheiten  als  in  die  neue  christliche  Fassuncc  leicht 
hinübergehend  gefunden;  die  Todesgöttin  Helia  als  geeignet 
fiir  die  christliche  Unterwelt,  Donar  mit  dem  Hammer  leicht 
auf  das  Kreuzeszeichen  zu  beziehen.   Die  Dreiheit  von  Götter- 


'    Bruchstück    einer    althochdeutschen    alliterirenden    Dichtung    vom 
Ende  der  "Welt,  herausgog.  v.  Schraeller. 


14       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

personen,  die  Columban  von  den  Alemannen  verehrt  fand', 
ist  von  Grimm*  als  Wuotan,  Donar  und  Zio  erkannt  worden, 
die  in  der  Abschwörungsformel  als  Tliunar,  Woden  und  Saxnot 
wiederkehren,  und  manche  andere  Züge  boten  für  die  Trini- 
tätslehre  Handhaben.  ^  Viel  bedeutsamer  ist  der  Grundton 
des  germanischen  Geistes,  der  mit  dem  christlichen  AVesen 
übereinstimmte,  den  christlichen  Vorstellungen  aber  ein  natio- 
nales Gepräge  aufdrückte.  Den  tiefsten  Einblick  in  die  ger- 
manische Auflfassung  des  Christenthums  unter  echt  nationalem 
Gesichtspunkte,  von  dem  aus  das  tief  eingewurzelte  Fidelitäts- 
verhältniss  der  Vasallen  zum  Gefolgsherrn  in  seiner  ganzen 
Innigkeit  auf  die  Beziehung  des  Gläubigen  zu  Christo  über- 
tragen ist,  gewährt  der  „Heiland"  oder  die  altsächsische  Evan- 
"•elienharmonie*,  womit  die  deutsche  Sprache  schon  zu  Anfang 
des  9.  Jahrhunderts  ihre  Messiade  in  altsächsischer  Mundart 
besass.  Die  evangelische  Geschichte  wird  ohne  Entstellung 
durch  die  Legende  in  Stabreimen  erzählt,  der  Inhalt  aber, 
vom  Dichter  durch  die  Individualität  seines  Volks  hindurch- 
gezogen, erhält  das  eigenthümliche  Colorit  desselben  und 
seiner  Zeit.  „Es  ist  das  Christenthum  im  deutschen  Ge- 
wände", wie  Vilmar  treffend  bemerkt,  „eingekleidet  in  die 
Poesie  und  Sitte  eines  edeln  deutschen  Stammes  —  es  ist 
ein  deutscher  Christus."  ^  Die  ganze  Geschichte  Christi,  seine 
Thaten,  sein  Amt,  selbst  die  Verhältnisse  des  jüdischen  Volks, 
der  Apostel  und  aller  übrigen  Personen  in  der  evangelischen 
Erzählung  werden  mit  deutschen  Augen  gefasst,  deutsch  em- 
pfunden und  ebenso  dargestellt.  Aus  dem  Hintergrunde  tönen 
noch  einzelne  Nachklänge  des  entschwundenen  Ileidenthums 
in  die  christliche  Welt  herüber,  das  Schicksal  mit  seiner  un- 
heimlichen, todbringenden  Gewalt  erscheint  geradezu  als  Todes- 
göttin Norne.  Bei  der  Beschreibung  der  Auferstehung  Christi 
fährt  der  Engel  daher  im  Federgewande,  in  welchem  Freya, 
die  Nornen,  Wieland  in  den  Mythen   erscheinen,    und  zwar 


1  Vita  St.  Galli  bei  Pertz  II,  7. 

2  Mytli.  I,  DO. 

ä  Hefelc,  Einführung  des  Christenthums  im  südwestl.  Deutschland,  I, 
S.  124.     Vgl.  Rettberg,  Kirchcngeschichte,  I,  246. 
*  Herausgegeben  von  Schraeller  1830. 
5  Deutsche  Altcrthümer  im  Heiland  von  Dr.  A.  J.  C.  Vilmar. 


2.    Amalgamirungsprocess.  15 

naht  er  mit  lautem  Getöne,  ein  Zug,  von  den  Walkyren  ent- 
lehnt, wozu,  wie  Vilmar  bemerkt,  „der  Text  gar  keine  Ver- 
anlassung bot".  1  Der  Teufel  in  der  Yersuchuno;so;eschichte 
heisst  der  finstere  „mirki",  womit  die  Grauen  des  Waldes 
bezeichnet  werden;  er  ist  der  finstere,  greuliche  Schädiger, 
„mirki  menscado." '-^  Sonst  heisst  der  Teufel  vorzugsweise  „the 
fiund"3,  der  Feind  auf  Leben  und  Tod,  oder  „the  letho",  der 
leidige,  d.  h.  abgewiesene,  untreu  gewordene'*,  „the  gramo" 
u.a.m.*  Bei  diesen  Bezeichnungen,  welche  dem  Teufel  und  seinem 
Heere  vom  Dichter  gegeben  werden,  die  der  alten  Sagenpoesie 
entlehnt  sind,  hebt  Vilmar^  den  Ausdruck  „the  dernio",'  „dernen 
wihti"^  hervor,  der  nach  dessen  gründlicher  Forschung  auf  die 
Bedeutung  zuriickgefiihrt  wird:  „verborgen,  heimlich  in  der 
Weise,  dass  es  sich  nicht  an  das  Licht  wagen  darf,  mit  Tiicke 
versteckt;  das  verbum  dernean,  bidernean:  verbergen  mit  der 
Absicht,  Schaden  zu  thun."  Vilmar^  macht  aufmerksam,  wie 
alle  eigenthümlichen  Verhältnisse  ihre  eioenthümlichen  Be- 
Zeichnungen  haben,  so  sei  auch  fiir  das  Brechen  der  Treue 
gegen  den  Herrn  und  König,  fiir  das  Abtrünnigwerden  vom 
Gefolge  das  Wort  „suikan"  vorhanden,  dessen  sich  der  Dichter 
oft  bedient;  „bisuikan"  als  causativum  heisst:  zur  Untreue  ver- 
leiten. Dieses  Wort,  der  Anschauungsweise  des  Dichters  ge- 
mäss, ist  das  allein  treffende  für  die  vom  Teufel  an  Adam 
und  Eva  geübte  Verführung,  er  verleitete  sie  zur  Untreue 
gegen  Gott:  „Untreue  ist  dem  deutschen  Herzen  die  Grund- 
und  Ursünde."  Die  ganze  Geschichte  ist  auf  deutschen  Boden 
verpflanzt,  und  überall  schimmert  die  nationale  Anschauung 
durch.  Die  Darstellung  setzt  voraus,  dass  die  ganze  evan- 
gelische Geschichte  bei  den  Deutschen  ihren  Verlauf  gehabt 
habe.  Die  Apostel  erscheinen  als  deutsche  Seefahrer,  die 
Hirten  auf  dem  Felde,   welchen  die  Geburt  Christi  verkündet 


V.  24. 


1  s. 

14. 

2  Heliand  S.  31, 

3  31 

.  20.  32. 

*  33 

,9. 

*  Vilm.,  S.  69. 

«  S. 

6. 

^  S. 

164,  V.  19. 

8    S. 

31,  V.  20;  S 

8  s. 

58. 

29,  V.  3. 


16       Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

wird,  als  Pferdeknechte,  die  bei  Nacht  die  Rosse  auf  dem 
Felde  hüten.  Maria  heisst  „die  minnigliche  Maid"  (nach  Sim- 
rock's  Uebersetzung);  die  Weisen  aus  dem  Morgenlande  ei"- 
scheinen  als  „Degen  und  Recken",  auch  Josei^h  als  „Degen", 
Maria  und  Martha  aber  als  Edelfrauen  und  Pilatus  als 
Herzoo-.  Bei  der  Beschreibung  einzelner  Scenen  herrscht 
deutsche  Sitte.  So  erscheint  die  Hochzeit  zu  Kana  ^  als  echt 
deutsches  Trinkgelage.  Bei  der  Gefangennehmung  Jesu  haut 
Petrus  mit  dem  deutschen  Beile  ein.^  Da  der  an  Schlachten 
luid  Wunden  gewöhnte  Germane  an  letztern  nichts  Schreck- 
haftcs  findet,  so  wird  bei  der  Stelle  Matth.  5,  27,  die  vom 
Abhauen  des  Fusses  und  Ausreissen  des  Auges  spricht,  die 
Forderung  zur  härtesten  gespannt,  die  dem  Germanen  zuge- 
muthet  werden  kann:  lieber  von  seinem  Freunde  und  Stammes- 
genossen zu  lassen,  also  seine  Sippe  aufzugeben,  als  mit  ihm 
der  Sünde  zu  folgen.  ^  Dem  Germanen  war  jedes  andere 
Verhältniss  des  Niedern  zum  Höhern  ausser  dem  der  Fidelität 
unverständlich,  demnach  konnte  er  seine  Beziehung  zu  Christus 
auch  nur  als  die  des  treuen  Vasallen  zum  mächtigen  Volks- 
herrn denken.  Als  letzterer  erscheint  Christus,  der  auf  seinem 
Heereszuge  gegen  Teufel  und  Welt  begriffen  ist  und  die 
Scharen  seiner  getreuen  Dienstmaimen  um  sich  versammelt. 
Der  Zug  geht  von  „Hierichoburg"  aus,  von  allen  Burgen 
kommen  die  Vasallen  ihrem  lieben  Herrn  zum  Dienste,  von 
dem  sie  dafür  Lohn  erwarten.  Es  ist  nicht  von  Rom  und 
Bethlehem  die  Rede,  sondern  von  „rumuburg"  vmd  „bethlehema- 
burg".  „Die  ganze  evangelische  Geschichte  erscheint  als  der 
glorreiche  Zug  eines  herrlichen  Volkskönigs  durch  sein  Land, 
um  zu  rathen  und  zu  richten."*  Die  Berufung  der  Apostel 
ist  folgendermassen  geschildert:  Der  Herr  nennt  die  zwölf, 
die  ihm  als  die  treuesten  Mannen  näher  gehen  sollen,  bei 
Namen,  und  nachdem  er  seinen  abgesonderten  Königssitz  ein- 
genommen, gehen  sie  mit  ihm  zu  „rüne",  zur  geheimen  Be- 
sprechung, um  den  Kriegszug  gemeinschaftlich  zu  berathen, 
der  für  das  ganze  Menschengeschlecht  mit  dem  bösen  Feind 


1  S.  60,  V.  20. 

2  S.  148,  Y.  22. 

3  Heliand,  S.  44,  V.  22. 
*  Yilmar,  a.  a.  0.,  S.  .'57. 


2.   Amalgamirungsprocess.  17 

unternommen  werden  soll.  Wie  die  Berufung  der  Apostel 
die  Form  einer  Berathung  erhält,  so  ist  die  Bergpredigt  ein 
grosser  Volkstag,  eine  Berathung  vor  dem  ganzen  Volke, 
wo  der  Volkskönig  an  die  Seinen  eine  Anrede  richtet.  Das 
Heer  lagert  sich,  die  zwölf  Apostel  als  seine  treubewährten 
Helden  in  seiner  nächsten  Umgebung,  die  übrigen  Mannen 
in  weitern  Kreisen.'  Christus  ist  der  Heilende  (Heliand),  der 
Rettende  (Neriand),  Gottes  eigen  Kind,  er  verleiht  seinen 
Mannen  den  Sieg  und  einst  auf  den  Auen  (Wangen)  des 
Himmels  den  Lohn  für  ihre  treue  Dienstleistung.  Der  deutsche 
Dienstmann  sieht  seinen  höchsten  Ruhm,  treu  zu  seinem  Herrn 
zu  halten,  ihm  zu  Ehren  zu  sterben.  ^  Wie  es  keinen  grössern 
Fehler  gibt  als  zu  zagen  und  zu  zweifeln,  so  erwächst  alle 
Kraft  allein  aus  dem  Glauben.  ^  Der  innerste  Kern  der 
evangelischen  Predigt,  dass  der  Mensch  vor  Gott  gerecht 
wird  durch  die  Hingabe  seines  ganzen  Sinnes  an  den  Heiland, 
trifft  mit  der  hingebenden  Treue,  die  das  altsächsischc  Epos 
auf  sein  Gefolge  überträgt,  zusammen,  und  in  dem  sittlichen 
Verhältniss  der  gegenseitigen  Treue  zwischen  Vasallen  und 
Gefolgsherrn,  auf  dem  die  germanische  Welt  fusste,  liegt  der 
Gleichheitspunkt,  von  dem  aus  die  christliche  Heilslehre  dem 
Germanen  verständlich  wurde. 

Es  ist  hier  nicht  die  Aufgabe,  den  Teufel  einer  Analyse 
zu  untei'ziehen  und  die  Abstammunj^  der  einzelnen  Züsfe  an 
seiner  Figur  aus  dem  Heidenthum  nachzuweisen.  Abgesehen 
davon,  dass  dies  von  andern,  namentlich  den  Germanisten  in 
Bezug  auf  den  deutschen  Teufel  geschehen  ist,  dass  ferner 
bei  den  im  ersten  Abschnitt  angeführten  dualistischen  reli- 
giösen Anschauungen  der  Griechen,  Römer  und  der  einge- 
wanderten germanischen  und  slawischen  Volksstämme  die 
übelthätigen,  bösen  Wesen  im  Hinblick  auf  den  Teufel  hervor- 
gehoben worden  sind;  sollte  hier  nur  darauf  hingedeutet  wer- 
den :  wie  durch  die  Herabdrückungsmethode  der  Kirchenlehrer 
des  heidnischen  Götterglaubens  eine  Menge  Materials  der 
Ausstattung  des  christlichen  Teufels  zugute  kam,  wie  bei 
der  Accommodationstheorie  der  Heidenbekehrer  der  an    sich 


1  S.  38,  V.  11. 

■'  S.  122,  V.  5;  Vilm.,  S.  57. 


S.  28,  V.  21;  S.  ÜO,  V.  22;  Vilm.,  S.  58. 


3 

Eoakoff,    Geschichte  des  Teufels.    II 


18        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

natürliche  Amalgamirungsprocess  gefördert  wurde,  wobei  die 
mythologischen  Elemente  der  vorhandenen  und  eingewanderten 
Völker  nach  deren  Bekehrung  zum  Christenthum  mit  der 
Vorstellung  vom  Teufel  verschmolzen.  Von  diesem  Gesichts- 
punkte ist  die  Herabdriickungsmethode  der  Kirchenlehrer 
als  einer  der  Factoren  zu  betrachten,  welche  den  Amal- 
gamirungsprocess verschiedener  Elemente  mit  sich  bringen 
musste  und  dadurch  der  Ausbildung  des  Teufels^laubens  un- 
mittelbar  förderlich  war.  Hiermit  erklärt  sich  zugleich  die 
Erscheinung,  dass  der  Teufel  nach  der  Bekehrung  der  ein- 
gewanderten Völker  sinnlich  wahrnehmbarer,  handgreiflicher 
auftritt  als  in  der  neutestamentlichen  Zeit. 


3.   G-escMcMlictie  Yerliältnisse. 

Zeitgenössische  Zeugen  aus  dreizehn  Jahrhunderten,  die 
grossentheils  selbst  gesprochen,  bestätigten  uns  die  That- 
sache:  dass  die  Vorstellung  vom  Teufel  immer  mehr  aus- 
gebildet, verbreitet,  in  den  GemiJithern  befestigt  ward  und  im 
13.  und  14.  Jahrhvuidert  den  obersten  Höhepunkt  erreichte. 
Bei  der  Voraussetzung  eines  jeder  Erscheinung  unterliegenden 
Grundes  wird  sich  dem  Betrachter  einer  so  merkwürdigen 
geschichtlichen  Erscheinung  die  Frage  aufdrängen:  welchen 
Mächten  der  Teufelsglaube  seine  Entwickelung,  Verbreitung 
und  Steigerung  verdankte,  welche  Factoren  es  waren,  wodurch 
die  Teufelsperiode  vorbereitet  und  um  jene  Zeit  zu  Stande 
gebracht  ward?  Der  Versuch,  eine  geschichtliche  Thatsache 
zu  erklären,  ist  durch  die  Natur  einer  solchen  Erscheinumr 
bedingt  und  hat  diese,  als  etwas  Gewordenes,  in  ihrem  Wer- 
den zu  beobachten,  um  die  Hebel  kennen  zu  lernen  und  von 
verschiedenen  Seiten  und  zu  verschiedenen  Zeiten  eingreifen 
zu  sehen.  Wie  die  Vorstellung  von  einem  bösen  Wesen  dem 
religiösen  Glaubenskreise  überhaupt  angehört,  der  christlich- 
kirchliche Teufel  seine  dogmatische  Ausbildung  und  Fest- 
stellung den  christlichen  Kirchenlehrern  der  ersten  Jahrhun- 
derte verdankt,  so  muss  der  mittelalterliche,  specifische  Teufel, 
nach  dem  wir   seine  Periode  bezeichnen,    zu   allernächst   nacli 


3.    Geschichliche  Verhältnisse.  19 

der  mittelalterlichen  Kirche  hinlenken.  Sein  Dasein  und  die 
Zunahme  seiner  Herrschaft  in  den  Gemiithern  geht  mit  der 
Entwickelung  der  Kirche  als  Macht  parallel  und  ist  sowol 
unmittelbar  als  auch,  und  zwar  vornehmlich  mittelbar  durch 
diese  bedingt.  Auf  welche  Weise  die  Existenz  des  Teufels 
unmittelbar  durch  die  Ueberlieferung  der  kirchlichen,  positiven 
Lehre  erhalten  und  gepflegt  wurde,  hat  der  vorhergehende 
Abschnitt  gezeigt.  Wie  die  Kirche  des  Mittelalters  den  Glau- 
ben an  den  Teufel  mittelbar  förderte  dadurch,  dass  sie  jeden 
seinem  Gedeihen  hinderlichen  oder  sein  Dasein  gefährdenden 
Einfluss  durch  ihre  grosse  Macht  fern  hielt,  dies  zu  ver- 
gegenwärtigen ist  die  Aufgabe  dieses  Abschnitts,  und  es  be- 
darf zunächst  eines  Blicks  auf  die  Entwickelung  der  Kirche 
als  Macht. 


Entwickelung  der  Kirche  als  Macht  gegenüber  dem 

Staate. 

Zur  Zeit  der  Völkerwanderung  war  in  Europa  ein  wüstes 
Durcheinander,  gleich  der  furchtbaren  Masslosigkei^  in  den 
Königshäusern  von  damals,  die  ihre  Periode  durch  Härte  und 
Grausamkeit  kennzeichnet.  Es  war  ein  wirres  Chaos,  aus 
dem  sich  erst  nach  langen  Wehen  eine  neue  Welt  heraus- 
gebären sollte.  Die  classische  Bildung,  die  römische  Civili- 
sation,  welche  in  den  Städten  ihre  Zuflucht  gesucht  und  hier  und 
da  gefunden  hatte,  ward  von  den  hochgehenden  Wogen  der 
damaligen  Kampfzeit  weit  überflutet,  und  es  bedurfte  einer 
Reihe  von  Jahrhunderten,  bis  sie  wieder  Wurzel  fasste  und 
ihre  Früchte  den  Erobererstämmen  zugute  kommen  konnten. 
In  den  Ländern,  die  früher  ein  Theil  des  Komischen  Reichs, 
nun  den  Barbaren  unterworfen,  beßrann  die  Gestaltunf?  neuer 
Staaten,  wobei  die  christliche  Kirche  wesentlich  mithalf.  Man 
sagt  gewöhnlich:  die  christliche  Kirche  habe  als  Bewahrerin 
der  religiösen,  sittlichen  Lehren  und  der  Wissenschaften  die 
Barbaren  zu  bändigen  vermocht;  es  ist  aber  Thatsache,  die 
leicht  zu  erklären,  dass  das  Christenthum  von  den  Heiden 
zunächst  meistens  seiner  äussern  Erscheinuns:  nach  erfasst 
wurde  und  wol  kaum  anders  erfasst  werden  konnte.  Aeusser- 
liches  Bekenntniss,  Taufe,  Verehrung  des  Kreuzes,  Sonntags- 
feier  wurden  gewöhnlich   nur   auf  das  Heidenthum  gepfropft, 

2* 


20        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

das  die  Gcmiither  der  Bekehrten  noch  erfüllte.     Viele  Volks- 
stämnie  wurden  der  christliehen  Kirche  gewaltsam  zugeführt, 
entweder  durch  Eroberungen,  als  die  durch  Karl  den  Grossen, 
Otto  I.,  Bernhard  von  Sachsen,  Heinrich  den  Löwen,  Walde- 
mar   von  Dänemark;    oder  selbst   durch   Dragonaden,    wovon 
Miesko   von  Polen,    Boleslaw  I.    als   Beispiele   dienen.     Aber 
trotzdem  bleibt  es  wahr,   dass    die   eigentliche  Geschichte  der 
neuen   Staaten    erst    mit    der   Einführung    des    Christenthums 
beginnt.     Hierbei  ist  es  jedoch  wieder  einseitig,   nur   das  po- 
sitiv bildende  Moment  des  Christenthums  im  Auge  zu  haben, 
als:    Erhebung    der  neuen  Reiche  zur  idealen   Einheit,    För- 
derung des  Ackerbaues  und  gewerblichen  Fleisses,  Unterricht 
in  den  Sprachen    des  Alterthums  und  dadurch   die  Eröfihung 
der  Bahn,   auf  welcher  Cultur  und  Wissenschaft  fortschreiten 
konnten,  u.  dgl.  m.     Von  nicht  geringerer  Bedeutung  ist  das 
negative   Moment,    wodurch   die  Kirche  des   Mittelalters  auf 
die  europäische  Staatenbildung  sollicitirend  einwirkte,  nämlich 
durch    ihr   eigenes   Streben,    ein   grossartiges   System  äusserer 
Macht    zu    verwirklichen,    das    von   Gregor  I.   vorgezeichnet, 
von    den  Päpsten  Gregor  VII.   und   Innocenz  III.   ausgeführt 
wurde.     Indem  die  Kirche   als   äussere  Anstalt  nach   äusserer 
Macht  strebt  und  diese  auch  erlangt,  geräth  sie  in  Gegensatz 
zur  staatlichen,  welthchen  Macht.     In  diesem  Gegensatze  ent- 
faltet sich  zwar  das  angeblich  vom  Papstthum   selbst  auf  das 
Abendland  übertragene    Kaiserthum,    aber    dieses   dient  auch 
wieder  der  Kirche  ihre  Machtstellung  zu    entwickeln.     Hier- 
mit wird  zugleich  die  Wesensbedeutung  der  Kirche  verändert. 
Denn  während  sie,  ihrer  eigentlichen  Bestimmung   nach,   das 
Geistige,  Heilige  verwalten  und  vertreten  sollte,  versenkt  sie 
sich  in  die  weltlichen  Interessen  und  verliert  im  Verlaufe  des 
Mittelalters    ihren    ursprünglichen,    ihr    allein    angemessenen 
Boden.     Erst    nachdem    die    Kirche    unter   Innocenz  III.   den 
Gipfel   ihrer  Machtstellung   erreicht   hat,    wird  das    staatliche 
Princip    im    Bewusstsein    der    Völker    allmählich    wach,    um 
durch  lange  Kämpfe  zu  erstarken. 

Der  Entwickclungsgang  der  kirchlichen  Macht  gegenüber 
der  staatlichen  ist  der  Ilauptgegenstand  der  mittelalterlichen 
Geschichte  und  kennzeichnet  sich  dadurch:  dass  die  Kirche 
verweltlicht,  die  weltlichen  Dinge  dagegen  ein  kirchlich-theo- 
logistischcs  Gepräge  erhalten. 


3.    Geschichtliche  Verhältnisse.  21 

Die  römische  Kirche  gewann  ihr  weitläufiges  Gebiet  durch 
die  Heidenbekehrungen,  die  grösstentheils  von  ihr  ausgingen. 
Schon  im  4.  und  5.  Jahrhundert  hatte  sie  die  Germanen  an 
sich  gezogen,  im  6.  Jahrhvmdert  verbreitete  sie  das  Christen- 
thum  in  England,  im  7.  und  8.  in  Deutschland,  im  10.  in 
Polen  und  Ungarn,  die  skandinavischen  Germanen  brachte  sie 
um  das  Jahr  1000  unter  das  Kreuz. 

Die  griechische  Kirche,  die  zwar  weniger  theil  an  der 
Heidenbekehrung  zu  nehmen  schien,  war  doch  nicht  ohne 
Eifer  in  Bezug  auf  die  Slawen,  die  zur  Zeit  des  Kaisers 
Heraclius  in  Serbien  iliren  Sitz  genommen  hatten,  und  die 
seit  dem  7.  Jahrhundert  in  den  Peloponnes  eingewandert 
waren,  bei  welchen  auch  die  griechische  Sprache  Eingang 
fand.  Die  Bulgaren  traten  860  in  die  griechische  Kirche,  die 
zwei  Slawenapostel  Cyrill  und  Method  verkündeten  8G0  in 
Mähren  das  griechische  Christenthum ;  dasselbe  ward  aber  dann 
durch  das  römische  von  Salzburg  aus  verdrängt,  wie  auch  das 
Cyriirsche  Alphabet  der  glagolitischen  Schrift  hatte  weichen 
müssen.  Die  Magyaren  hatten  einige  Zeit  zwischen  griechi- 
scher und  römischer  Kirche  geschwankt,  bis  sie  letzterer  den 
Vorrang  gaben.  Die  bedeutendste  Eroberung  machte  die 
griechische  Kirche  an  den  Russen  um  988. 

Günstige  Zeitverhältuisse,  die  jede  sich  gestaltende  Daseins- 
form bedingen,  kamen  der  sich  bildenden  päpstlichen  Macht- 
stellung zu  Hülfe. 

Die  Streitigkeiten  des  7.  und  8.  Jahrhunderts  zwischen 
der  orientalischen  und  occidentalischen  Kirche  boten  den 
römischen  Bischöfen  die  beste  Gelegenheit,  sich  immer  mehr 
Selbstständigkeit  zu  verschaflen,  und  die  politischen  Verhält- 
nisse Italiens  waren  behülflich,  das  Abhängigkeitsverhältniss 
zwischen  Rom  und  Konstantinopel,  also  zwischen  dem  römi- 
schen Papstthum  und  dem  Kaiserthum,  immer  mehr  zu 
lösen. 

Das  fränkische  Reich,  selbst  erst  im  Gestalten  begrifien, 
suchte  und  fand  an  der  römischen  Hierarchie  eine  ijewünschte 
Stütze,  und  es  gingen  politische  Macht  und  hierarchische 
Macht,  sich  gegenseitig  tragend,  zur  Erreichung  ihrer  Zwecke 
eine  Strecke  lang  Arm  in  Arm.  Die  Franken  wurden  zu  Gunsten 
der  Karolinger  vom  Papste  des  Gehorsams  und  der  Unterthans- 
treue  entbunden   und  dem   neuen  Königsgeschlecht   ward   die 


22        Zweiter  Abscbnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

geistliche  Weihe  erthcilt,  der  Papst  erhielt  dafür  nach  den 
Feldzi'igen  Pipin's  (754,  755)  gegen  die  Longobarden  einen 
grossen  Theil  des  eroberten  Landes,  die  Romagna.  Pipin 
empfing  vom  Papste  den  Titel  eines  Patricius  von  Rom,  den 
Karl  der  Grosse  nach  der  Aufhebung  des  Longobardenreichs 
übernahm.  Hadrian  I.  begrüsst  Karl  den  Grossen  (777)  als 
einen  neuen  Konstantin,  und  Karl  lässt  sich  (800)  vom  Papste 
Leo  III.  die  weströmische  Kaiserkrone  aufsetzen,  empfängt 
hiermit  die  höchste  weltliche  Macht  aus  päpstlicher  Hand. 
Der  vom  römischen  Klerus,  Adel  und  Volk  auf  den  heiligen 
Stuhl  erhobene  Papst  erhält  nach  Angelobung  der  Treue  die 
kaiserliche  Bestätigung.  Papst  und  Kaiser  wirken  in  dieser 
Weise  wechselseitig  aufeinander,  und  eine  Macht  wird  durch 
die  andere  irehoben.  Indem  aber  eine  der  andern  als  Hebel 
dient,  um  eigentlich  nur  den  eigenen  Zweck  zu  erreichen, 
kommen  die  mit-  und  ineinander  wirkenden  Mächte  in  Con- 
flict,  lim  gegeneinander  thätig  zu  sein. 

Nicolaus  I.   (855—58)   wird   von    dem  Abte  Regino  in 
dessen  Chronik  ^  schon  gerühmt,  dass  er  Könige  und  Tyran- 
nen bezähmt  und  wie   ein   oberster  Gebieter   beherrscht  habe, 
da    er    den  König   Lothar    und    zwei    Erzbischöfe    von    Köln 
unter  seine  päpstliche  Macht  gebeugt.     Weniger  glücklich  ist 
Hadrian  II.    (867-72),    und    wenn    Johann  VIII.  (872—82) 
noch    die  kaiserliche   Gunst   geniesst    infolge   der   verliehenen 
Kaiserkrone  an  Karl  den  Kahlen,    so   bricht   doch  nach   dem 
Absterben  des  Karolingischen  Kaiserhauses   eine  schwere  Zeit 
für  das  Papstthum  herein.     Adeliche  Familien,  seit  dem  An- 
fange   des    10.  Jahrhunderts    in  Rom  herrschend,    handhaben 
auch  den  Stuhl  Petri,   auf  dem  während  dieses  von   den  Ge- 
schichtschreibern  mit   unsaubcrm    Namen    belegten   Zeitraums 
ein   schneller   Wechsel    aufeinanderfolgt.      Dabei    müssen    die 
meisten  Päpste    mit  ihrem  Sitze   auch  das  Leben   auf  gewalt- 
same Weise   verlassen,    um    irgendeinem  Günstling   Platz    zu 
machen.     Johann  XII.  (956—63),  mit  18  Jahren  Papst  ge- 
werden, vor  seiner  Besteigung  Octavianus  genannt,  ruft  gegen 
die   immer  weitergreifende   Macht   der   Adelsfamilie   der   Tus- 
culer  den  deutschen  König  zu  Hülfe,    den  er  salbt  und  krönt 
(962);    wird    aber    das   Jahr    darauf   entsetzt    und    an    seiner 

1  Pertz,  Mon.,  T,  578. 


3.    Geschichtliche  Verhältnisse.  23 

Statt  Leo  VIII.  mit  der  Tiara  geschmückt.  Dem  herrschen- 
den Streite  der  Parteien  fällt  noch  eine  ganze  Reihe  von 
Päpsten  zum  Opfer,  bis  die  kaiserliche  Macht  dem  Papste 
Gregor  V.  (977 — 99)  zu  Hülfe  kommt,  um  das  päpstliche 
Regiment  wiederherzustellen.  Nach  Gregor  V.  hilft  Kaiser 
Otto  III.  seinem  Lehrer  Gerbert  auf  den  heiligen  Stuhl,  den 
er  als  Sylvester  II.  (999 — 1003)  einnimmt.  Aber  nicht 
lange  leben  Papstthum  und  Kaiserthum  in  Einheit,  denn  nach 
dem  frühen  Tode  Otto's  III.  (1002),  dem  ein  Jahr  darauf  der 
Sylvesters  folgt,  haben  die  Grafen  von  Tusculum  mit  der  Plerr- 
schaft  über  Rom  auch  das  Papstthum  v^ieder  in  Händen. 
Unter  den  von  den  Tusculern  eingesetzten  Päpsten  wird  Bene- 
dict VIII.  (1012 — 24)  als  einer  der  ersten  Reformatoren  her- 
vorgehoben, weil  er  gegen  die  Priesterehe  und  den  Kauf 
geistlicher  Würden  auftrat.  ^  Sein  Bestreben,  die  Kirche  zu 
reformiren,  geschah  in  Gemeinschaft  mit  dem  von  ihm  ge- 
krönten Kaiser  Heinrich  II.,  den  die  mittelalterliche  Kirche 
unter  die  Heiligen  verzeichnete.  Unter  Benedict  IX.  (1033 
— 46),  der  als  kaum  12jähriger  Knabe  von  den  Tusculern  auf 
den  päpstlichen  Stuhl  gehoben  ward,  sank  das  Papstthum  in 
den  tiefsten  Sumpf,  aus  dem  das  Unkraut  der  Zucht-  und 
Sittenlosigkeit  üppig  hervorwucherte.  Victor  bezeugt,  dass  Be- 
nedict den  päpstlichen  Stuhl  gegen  eine  grosse  Summe  Geldes 
an  Greffor  VI.  überliess.  ^  Und  wieder  war  es  die  weltliche 
Macht  des  Kaiserthums,  die  dem  Papstthum  aus  der  Ver- 
sunkenheit  emporhalf,  es  auf  die  Beine  brachte,  damit  es  sei- 
nen Weg  fortsetze.  Das  Verhältniss  zwischen  Papst  und 
Kaiser,  wie  es  unter  den  Ottonen  und  noch  unter  Heinrich  III. 
(1039—56)  stattfand,  machte  es  möglich,  dass  letzterer  bei 
der  allgemein  für  nothwendig  erachteten  Reform  der  Kirche 
mithelfen  mochte.  Denn  der  Kaiser,  dem  der  Papst  den  Eid 
der  Treue  zu  leisten  hatte,  war  als  Patricius  von  Rom  dessen 
Schirmvogt,  hatte  die  höchste  Gerichtsbarkeit,  leitete  die 
Papstwahl  und  bestätigte  die  Besitzungen  der  Kirche.  ^  Von 
der   Synode   zu   Sutri  (1046),   auf  welcher  Heinrich  III.  drei 


1  Auf  dem  Concil  zu  Pavia  1018  oder  1022.     Maiisi  XIX,  343;  Mon. 
serm.  leg.,  11,  5G1. 

2  Bibl.  patr.  max.,  XVIII,  853. 

'  Damiani  lib.  Gratissimus,  c.  46. 


24        Zweiter  Abschnitt :    Ausbildung  der  Vurstellung  vom  Teufel. 

nebeneinander  sitzende  Päpste  (Benedict  IX.,  Sylvester  III., 
Gregor  VI.)  absetzte  und  liiermit  das  Schisma  beilegte,  be- 
ginnen die  Reformbestrebungen ,  Avodurch  die  folgende  Ge- 
schichte ein  reformatoriöches  Gepräge  erhält.  Simonie  und 
Sittenlosigkeit  des  Klerus  sind  die  Grundübel,  die  geheilt 
werden  sollen.  Der  Mönch  Ilildebrund,  welcher  den  Papst 
Leo  IX.  nach  Ivom  begleitet  hatte,  leitete  von  da  ab  das 
Papstthum,  bis  er  selbst  den  Heiligen  Stuhl  einnahm.  Ausser 
dem  mönchischen  Geiste,  den  er  zu  fördern  suchte,  war  sein 
Hauptziel:  absolute  Unabhängigkeit  der  Kirche  von 
der  weltlichen  Macht.  Dieser  strebte  er  nach,  und  zu 
ihrer  Erreichung  hatte  er  ein  folgerichtiges  System  entworfen. 
In  diesem  Sinne  handelte  Nicolaus  II.  (1058 — 61)  durch  sein 
Decret  (1059),  die  Papstwahl  betreffend,  wonach  das  Wahl- 
recht ausschliesslich  der  Kirche,  d.  h.  dem  Klerus  zuge- 
sprochen, das  Papstthum  also  sowol  von  den  aristokratischen 
Parteien  als  auch  vom  Kaiser  für  unabhängig  erklärt  ward. 
Bei  der  nächsten  Papstwahl,  die  auf  Alexander  IL  (1061 
— 73)  fiel,  wird  der  Grundsatz  schon  angewandt,  indem  das 
Hecht  des  Kaisers  dabei  ganz  unberücksichtigt  bleibt.  Hilde- 
brand, als  Leiter  der  Wahl,  erfreut  sich  seines  ersten  Siegs 
über  die  weltliche  Macht,  da  der  von  kaiserlicher  Seite  auf- 
gestellte   Gegenpapst    (Honorius   IL)    sich     zu    halten    nicht 


vermag. 


Der  zweite  bedeutsame  Regierungsact  des  Papstes  Nico- 
laus IL  betrifft  das  Lehnsverhältniss  der  Normannen,  wodurch 
diese  die  lehnseidliche  Verpfliehtung  zur  Unterstützung  des 
Papstthums  übernehmen.  Das  Papstthum  hatte  dadurch  eine 
Macht  für  sich  gewonnen,  der  es  sich  bei  voraussichtlichen 
Conflicten  mit  der  weltlichen  Macht  bedienen  konnte. 

Die  Besteigung  des  päpstlichen  Stuhls  durch  den  Car- 
dinal Ilildebrand  (1073)  ist  epochemachend;  nach  ihr  datirt 
die  Geschichte  der  Päpste  eine  ganze  Periode,  in  der  er 
gleich  einem  gegossenen  Standbilde  dasteht,  während  er  rings- 
um die  gewaltigste  Erschütterung  hervorbringt.  Mit  klarem 
Bewusstsein  über  die  Aufgabe,  die  er  sich  gestellt,  arbeitet 
er  unermüdlich  an  ihrer  Lösung:  die  Kirche  frei  zu  machen 
von  den  „fleischlichen  und  w^eltlichen  Banden",  in  welche  sie 
durch  das  „crimen  fornicationis",  und  die  „haeresis  simoniaca" 
gerathen  war.     Auf  der  römischen  Fastensynode   (1074)  wird 


3.    Geschichtliche  Vcrhilltnisse.  25 

daher  die  als  „fornicatio"  bezeichnete  Priesterehe  aufgehoben, 
im  Jahre  1075  auf  der  FastensyUode  die  Excommunication 
über  die  Simonia  ausgesprochen.  Unter  dieser  ist  aber  nicht 
sowol  der  alte  Misbrauch  gemeint,  als  vielmehr:  dass  über- 
haupt kein  Geistlicher  von  einem  Laien  etwas  Geistliches  an- 
nehmen dürfe,  d.  h.  Abschaffung  der  Laieninvestitur.  Hier- 
mit hatte  Gregor  VII.  der  weltlichen  Macht,  die  ihr  altes 
Recht  nicht  aufgeben  konnte,  in  kühner  Weise  den  Hand- 
schuh hingeworfen,  und  der  Kampf  wurde  zwischen  Gregor 
und  Heinrich  IV.  um  so  erbitterter  gefi'dirt,  als  der  strafende 
Ton  des  Papstes  auf  einen  schroffen  Charakter  stiess,  der  die 
päpstliche  Excommunication  mit  einem  kaiserlichen  Absetzungs- 
urtheil  erwiderte.  Zu  der  kläglichen  Holle,  die  Heinrich  IV. 
nicht  ohne  eigene  Schuld  zu  Canossa  spielen  musste,  lieferte 
zwar  der  traurige  Abzug  Gregorys  VII.  aus  dem  verwüsteten 
Rom  ins  Exil  nach  Salerno  ein  entsprechendes  Seitenstück, 
und  wenn  dieser  unter  Flüchen  gegen  Heinrich  IV.  sein  Le- 
ben schloss  mit  dem  Tröste:  dass  er  in  der  Verbannung  sterbe 
(1085),  weil  er  Gerechtigkeit  geliebt  und  Ungerechtigkeit  ge- 
hasst  habe,  so  war  das  dramatische  Gleichgewicht  einiger- 
massen  hergestellt;  allein  der  dramatische  Knoten  wurde  zu 
einer  Pandorabüchse,  aus  welcher  der  Zwist,  der  sich  zum 
Parteikampf  erweiterte,  seine  Greuel  über  Deutschland  und 
Italien  ausstreute  und  alle  j)olitischen,  kirchlichen  und  socia- 
len Verhältnisse  überwucherte  und  erstickte. 

Kein  Leser  der  Geschichte  Gregor's  wird  der  Festigkeit 
seines  Willens  die  Bewunderung  versagen;  aber  nicht  jeder 
wird  beim  Hinblick  auf  sein  Streben  und  Wirken  sich  be- 
geistert fühlen,  denn  man  vermisst  darin  den  weltversöhnen- 
den, menschlichen  Zug,  welcher  geschichtlichen  Personen  den 
Eingang  in  die  Menschenherzen  verschafft.  Die  Bedeutsam- 
keit Gregor's  bringt  es  mit  sich,  dass  voneinander  abweichende 
Urtheile  über  ihn  laut  geworden  sind.  Anhänger  der  römi- 
schen und  ijrotestantischen  Schriftsteller  ^  haben  die  üuttre- 
meinte  Absicht  desselben,  die  Menschen  zu  bessern,  gegen  die 
Angriffe  seiner  Gegner  zu  vertheidigen  gesucht.  Das  Urtheil 
ist  bedingt  durch   den  Masstab,   der  angelegt  wird.     Gregor, 


1  Vgl.  Gieseler,  II,  2,  L.  8  %.;  Neander,  5,  1.  8;   Floto,  Kais.  Hein- 
rich IV.,  II,  131  u.  a. 


2ß        Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

in  dem  sich  der  Zug  seiner  Zeit  verkörpert,  der  seinen  Aus- 
gangspunkt in  der  Kirche  hat,  muss  mit  dem  Masstabe  seiner 
Zeit  üfemesscn  werden.  Die  Kirche  und  ihre  Herrschaft  war 
für  Gregor  der  absohite  Zweck,  wie  Baur  *  treffend  bemerkt, 
„der  Zweck,  die  Menschen  zu  bessern,  hatte  fiir  ihn  keinen 
Sinn,  wenn  es  nicht  durch  die  Kirche  und  im  Interesse  der 
Kirche  geschah.  Was  liegt  daran,  wenn  über  solchen  Planen 
Länder  und  Völker  zu  Grunde  gehen,  wofern  nur  die  Kirche 
sies-t  und  die  Idee  ihrer  Herrschaft  realisirt".  Alle  Hand- 
lungen  Gregorys  finden  unter  diesem  Gesichtspunkte  ihre  Er- 
klärung. Da  Gregor  in  der  Kirche  die  absolute,  allein  be- 
rechtigte Macht  auf  Erden  und  im  Papste  den  Inhaber  dieser 
Macht  erblickte,  so  dachte  er  jede  andere  Macht  und  Würde 
im  Lehnsverhältnisse  zum  Heiligen  Stuhle.  Der  Kaiser  sollte 
der  Vasall  des  heiligen  Petrus  sein,  und  die  Metropoliten 
mussten  dem  Papste  einen  eigentlichen  Vasalleneid  leisten. 

Trotz  der  mislichen  Lage,  in  der  sich  das  Papstthum 
nach  Gregor's  Tode  befand,  war  der  von  ihm  angeffichte 
ascetische  Geist  nicht  erloschen.  In  einer  auf  der  Kirchen- 
versammlung zu  Clermont  (1095)  von  Urban  II.  gehaltenen 
Kcde  für  den  KreuzzuGT  fluid  die  allgemeine  Betceisterunsc  fiir 
diese  Unternehmung  ihren  Ausdruck.  Der  Gegenpapst  in 
Rom,  Clemens  III.,  wurde  von  den  Kreuzfahrern  verjagt,  und 
das  öffentliche  Interesse  zo«;  nach  dem  crelobten  Lande. 

Heinrich  V.  erbte  den  Investiturstreit  von  dem  Vierten 
seines  Namens.  Urban  II.  (1088—99)  hatte  zu  Melfi  (1090) 
und  zu  Clermont  den  traditionellen  Grundsatz  seiner  Vor- 
gänger aufrecht  gehalten.  Heinrich  V.  leistete  bei  seiner 
Kaiserkrönung  (1111)  dem  Papste  Paschalis  H.  (1099—1118) 
den  Vasalleneid.  Derselbe  Heinrich  V.,  dessen  treulose  Em- 
pörung gegen  seinen  Vater  Heinrich  IV.  die  Kirche  einst 
freudig  unterstützt  hatte,  führte  nun  einen  kühnen  Streich 
gegen  Paschalis,  den  er  mit  bewaffneter  Hand  gefangen  nahm 
und  so  der  Kirche  eine  Schmach  anthat,  wie  sie  einst  sein 
Vater  von  Gregor  VII.  zu  Canossa  erlitten  hatte.  „Das  Un- 
niass  von  Canossa  fand  sein  Widerspiel  in  Rom."  '■* 


'  Geschiclite  der  Kirche  im  Mittelalter.  S.  204,  Note. 

-  Grcgorovius,  Geschichte  der  Stadt  Rom  im  Mittelalter,  IV,  32'J. 


3.    Gescliichtlichc  Verhältnisse.  27 

Nachdem  der  Streit  fünfzig  Jahre  hindurch  mit  grosser 
Erbitterung  geführt  worden  war,  verlief  er  sich  scheinbar  im 
Sande,  und  beide  Mächte  schienen  am  Ende  auf  demsolben 
Punkte  zu  stehen,  von  dem  sie  ausgegangen  waren.  Im 
Grunde  hatten  sie  aber  doch  etwas  WesentHches  gewonnen, 
nämlich:  dass  beide  Mächte  zu  mehr  Klarheit  über  ihre  Stel- 
lung: srelanirt  waren.  Die  kirchliche  Macht  gewann  die  Ueber- 
Zeugung,  dass  sie  weltlichen  Besitz  brauche  und  von  dieser 
Seite  von  der  weltlichen  Macht  abhänge;  die  weltliche  Macht 
kam  zu  der  Einsicht,  dass  sie  der  Kirche  nur  Weltliches  ver- 
leihe, wenn  sie  dieselbe  mit  weltlichen  Gütern  belehne.  In 
Frankreich  und  England  war  die  Ansicht,  dass  die  weltlichen 
Füi'sten  nichts  Geistliches  verleihen,  sondern  nur  mit  welt- 
lichen Gütern  belehnen,  schon  früher  zur  Geltung  gelangt: 
in  Frankreich  durch  den  Bischof  Ivo  von  Chartres  1099  aus- 
gesprochen, in  England  seit  1106;  in  Deutschland  aber  erst 
durch  das  Wormser  Concordat  (1122).  Darin  ward  zwi- 
schen Heinrich  V.  und  Calixt  II.  festgesetzt:  dass  der  er- 
wählte Geistliche  vom  Kaiser  die  Re2;alien  erhalte  und  dafür 
von  Rechts  wegen  das  Schuldige  zu  leisten  habe. 

Mit  diesem  Documente  war  also  der  Principienstreit,  der 
ein  halbes  Jahrhundert  lang  gewüthet  hatte,  abgeschlossen; 
es  ist  aber  unzvilänglich,  im  wormser  Concordate  das  alleinige 
Resultat  des  Investiturstreits  erkennen  zu  wollen.  Denn  wäh- 
rend dieses  ward  der  menschliche  Geist  aufgerüttelt,  hiermit 
auch  die  Liebe  zum  classischen  Alterthum  erweckt,  die  Ge- 
meindefreiheit hatte  angefangen  flügge  zu  werden,  und  es  be- 
reitete sich  eine  menschlichere  Form  für  die  bürgerliche  Ge- 
sellschaft, aus  welcher  sich  später  eine  dritte  JMacht,  die  des 
Bürgerthums,  entwickeln  sollte.  Wie  stets  in  geschichtlichen 
Kämpfen  traf  auch  hier  ein,  dass  der  ursprüngliche  Gegen- 
stand des  Streites  ausgenutzt  und  zur  Unterlage  wurde  für 
ein  neues  und  zwar  höheres  Gebilde. 

Es  gab  noch  immer  einen  Gegensatz,  in  dem  Papstthum 
und  Kaiserthum  zueinander  standen  und  aneinander  sich  ent- 
wickelten. Die  Bedeutung  des  Gegensatzes  änderte  sich  aber 
im  Kampfe  des  Papstthums  mit  den  Hohenstaufen ,  wo  der 
Streit  nicht  mehr,  wie  in  der  Investiturangelegenheit,  um  die 
grössere  Berechtigung  geführt  wurde,  sondern  wo  das  Papst- 
thum als  geistliche  Macht  dem  Kaiserthum  als  weltlicher  Macht 


28        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 


sich  ireirenüberstellte.  Es  ist  nunmebr  ein  Sichmessen  zweier 
Mächte,  daher  der  Kcampf  auch  einen  ganz  welthchen  Cha- 
rakter hat,  obschon  die  eine  der  beiden  Mächte  von  geistlichen 
Waffen  dabei  Gebrauch  macht. 

Der  Zankapfel  war  das  Reich  der  Normannen  in  Unter- 
italien und  Sicilien,  welches  die  Päpste  längst  als  sichern 
Hinterhalt  gegen  die  herandrängende  Macht  der  Deutschen 
betrachtet  hatten,  daher  auch  bemüht  waren,  die  normanni- 
schen Herrscher  lehnseidlich  dem  päpstlichen  Stuhle  zu  ver- 
binden. Sie  vermochten  aber  nicht,  den  Ehebund  zwischen 
Heinrich,  dem  Sohne  Friedrich's  I.,  mit  der  Erbin  des  Nor- 
manncnreichs,  Constantia,  zu  verhindern;  trotz  aller  Vorsicht 
kam  er  im  Jahre  1186  zu  Stande,  und  Heinrich  VI.  trat  in 
Besitz  des  angeerbten  Reichs.  Das  Jahr  darauf  starb  aber 
schon  der  kaum  32jährige  Kaiser. 

Um  dieselbe  Zeit  hatte  Innocenz  IH.  den  päpstlichen 
Stuhl  bestiegen  (1198— 12 IG),  und  dieser  Mann  war  berufen, 
die  päpstliche  Macht  auf  den  höchsten  Gipfel  zu  erheben  und 
das  von  Gregor  VII.  entworfene  System  auszufiihren.  Ihm 
gelang  es,  die  päpstliche  Macht  über  ganz  Mittelitalien  auszu- 
dehnen, die  deutschen  Machthaber  zu  verdrängen  und  die 
weltliche  Macht  unter  die  geistliche  zu  bringen.  Es  war  keine 
Phrase,  sondern  die  volle  WirkUchkeit,  wenn  Innocenz  III. 
in  einem  seiner  Briefe  sagte:  „Aber  es  ist  die  Hand  des 
Herrn,  welche  Uns  aus  dem  Staube  auf  jenen  Thron  erhoben 
hat,  auf  welchem  Wir  nicht  nur  mit  den  Fürsten,  sondern 
über  die  Fürsten  zu  Gericht  sitzen."  *  Diesem  Grundsatz 
von  der  päpstlichen  Amtsverwaltung  gemäss  hatte  er  das 
Ziel  erreicht  und  sein  Ideal  zur  vollen  Wirklichkeit  ge- 
bracht. 

Unter  der  Regierung  dieses  Papstes  entfaltet  sich  das 
grossartigste  Bild  der  päpstlichen  Hoheit  im  glanzvollsten 
Schimmer.  Am  vierten  lateranischen  Concll  (1215)  hatte  der 
Papst  zwei  Wünsche  geäussert,  die  ihm  besonders  am  Herzen 
kiren:  die  Ei-oberung  des  Gelobten  Landes  und  die  Refor- 
mation  der  allgemeinen  Kirche.  Beide  sah  er  nicht  in  Er- 
füllung gehen.  Wol  hatte  Friedrich  II.  bei  seiner  Krönung 
in    Aachen   (1215)    dem    Papste  Innocenz,    im   Interesse    der 


1  Ilurtcr,  Innocenz  III.,  I,  114. 


3.    Geschichtliche  Verhältnisse.  29 

Kirche,  das  dieser  zu  bewahren  wusste,  nebst  dem  GeK'ibdc 
eines  Kreuzzugs  auch  das  Versprechen  leisten  müssen :  seinem 
Sohne  Heinrich  das  Königreich  Sicilien  als  Lehn  der  römi- 
schen Kirche  zu  vermachen;  dieses  Versprechen  wurde  aber 
vom  Kaiser  nicht  erfüllt,  und  ungeachtet  des  über  Friedrich 
ausgesprochenen  Banns  unternahm  dieser  den  Kreuzzug  erst 
nach  dem  Tode  des  Papstes  Innocenz  III.  (1216).  Im  Jahre 
1228  eroberte  zwar  Friedrich  Jerusalem,  ward  aber  doch  des 
Bannes  nicht  ledig.  Nun  findet  1230  eine  Versöhnung  der 
beiden  Mächte  statt,  und  der  Papst  Gregor  IX.  und  Friedrich  II. 
schliessen  Frieden;  allein  schon  1239  wird  letzterer  wieder  in 
den  Bann  gelegt,  und  sein  Gegner  steht  mit  dem  alten  un- 
versöhnlichen Hasse  ihm  gegenüber.  Bei  der  Gelegenheit  er- 
öffnen beide  angesichts  ihrer  Mitwelt  ein  Kreuzfeuer,  wobei 
die  gehässigsten  Schimpfnamen  wechselseitig  abgedrückt  wer- 
den. 1250  stirbt  Friedrich  II.  zwar  nicht  im  vollen  Siege, 
aber  doch  unbesiegt. 

Im  Kampfe  der  Päpste  mit  den  Hoheustaufen  hatten  es 
jene  mit  den  Ersten  ihrer  Zeit  sowol  an  äusserer  Macht,  als 
auch  an  geistiger  Ivraft  und  Festigkeit  des  Charakters  zu 
thun.  Die  Hoheustaufen  wurden  von  der  öffentlichen  Mei- 
nung getragen,  und  diese  hatte  angefangen,  sich  auf  die  Seite 
der  Staatsmacht  zu  neigen,  gegenüber  der  Herrschaft  des 
Papstthums.  In  diesem  Kampfe  auf  Leben  und  Tod,  der, 
von  rein  weltlichen  Motiven  ausgegangen,  zu  einem  rein  welt- 
lichen Kriege  geworden  war,  hatte  das  Papstthum  von  Neapel 
her  empfindliche  Schläge  erhalten,  und  es  fing  bereits  an, 
wenn  auch  zunächst  unmerklich,  von  der  Höhe  seiner  äussern 
Machtstellung  herabzusinken. 

Nach  dem  Untergange  der  Hoheustaufen  nimmt  Frank- 
reich die  Führerstelle  ein.  Auf  die  Bulle  „Clericis  laicos" 
vom  Jahre  1296,  womit  Bonifacius  VIII.  den  alten  Streit 
über  die  unbedingte  Unterordnung  der  staatlichen  Gewalt 
unter  die  kirchliche  im  päpstlichen  Sinne  entschieden  zu  ha- 
ben glaubte,  antwortete  Philipp  IV.  der  Schöne  (1285—1314), 
Köni'i"  von  Frankreich,  damit:  dass  die  Kirche  nicht  blos  aus 
Klerikern,  sondern  auch  aus  Laien  bestehe,  unter  gleichem 
Antheile  an  dem  Heile,  das  Christus  erworben.  Diese  An- 
schauung wurde  1302  durch  die  Nationalversammlung,  wozu 
die  drei  Stände  von  Philipp  berufen  wurden,  zur  Geltung  gc- 


30        Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

bracht.  Hiermit  war  das  Be\vusstscin  über  die  Bedeutung 
des  Staats  deutlieh  ausgesprochen,  und  dieser  trat  von  nun 
an  als  selbständige  Macht  in  die  Geschichte  ein.  Philipp  ge- 
brauchte überdies  noch  ein  Mittel  gegen  die  Gewalt  des 
Papstthunis:  die  Appellation  an  eine  allgemeine  Kirchen- 
versammlung. Die  Gefangennchmung  des  Papstes  zu  Anagni 
mag  immerhin  ein  Act  persönlicher  Rache  gewesen  sein,  für 
das  Papstthum  ist  sie  jedenfalls  als  eine  Niederlage  zu  be- 
trachten. Dieselbe  Macht,  welche  vom  Papstthum  gegen  die 
Hohenstaufen  herbeigerufen,  deren  Träger  Karl  von  Anjou  es 
mit  Sicilien  und  Neapel  belehnt  hatte,  war  in  Rom  eingedrun- 
gen, bemächtigte  sich  nach  Benedict's  XL  Tode  (1305)  der  kirch- 
lichen Gewalt,  um  diese  während  des  Exils  der  Päpste  in 
Aviirnon  zu  eigenen  Zwecken  auszunutzen.  So  diente  das 
Papstthum  bis  1370  stets  fremden  Interessen. 

In  diesem  Zustande  der  Abhängigkeit  von  Frankreich 
erhob  das  Papstthum  wieder  sein  Haupt  und  seine  Ansprüche 
bei  dem  Streite  zwischen  Ludwig  von  Baiern  und  Friedrich 
von  Oesterreich  um  die  Königswahl.  Ludwiir  wird  von  Jo- 
hann  XXII.  excommunicirt,  weil  er  die  päpstliche  Bestätigung 
neben  der  Wahl  für  unnöthig  erachtet,  und  stirbt  1347  als 
der  letzte  mit  dem  päpstlichen  Bannfluche  belastete  deutsche 
Kaiser,  nachdem  er  wiederholt  vor  der  päpstlichen  Macht 
sich  gedemüthigt  hat.  Seine  päpstlichen  Gegner  Johann  XXIL, 
Benedict  XII.  und  Clemens  VI.  blieben  unversöhnlich,  und 
der  König  von  Frankreich  suchte  die  Verwirrung  in  dem 
unter  dem  Interdicte  daniederliegenden  Deutschland  für 
seine  Zwecke  auszubeuten.  Urban  V.  nahm  zuerst  (13G7) 
seinen  Sitz  wieder  in  Rom,  und  als  Gregor  XL  im  Jahre  1378 
starb,  entspann  sich  ein  Streit  über  die  Papstwahl,  infolge 
dessen  dem  Schosse  der  Kirche  zwei  Häupter  entwuchsen. 
Die  Kirche  erlitt  dadurch  einen  Riss  und  ward  zwischen  zwei 
Päpste  gestellt,  wovon  der  eine  in  Rom,  der  andere  in 
Avignon  sich  gegenseitig  mit  dem  Bannfluche  belegten. 

Das  A^erlangen  nach  einem  allgemeinen  Concil  bemäch- 
tigte sich  des  Zeitbewusstseins,  und  die  Sehnsucht  nach  einer 
Reformation  der  Kirche  an  Haupt  und  Gliedern  erfüllte  die 
Gemüther.  Auf  den  grossen  Reformationssynoden  zu  Konstanz 
und  Basel  bildete  sich  eine  neue  kirchenrechtlichc  Anschauung, 
deren  Hauptvertreter,  der  Kanzler  Gerson  und   der  Cardinal 


3.    Geschichtliche  Verhältnisse.  31 

von  Cusa,  das  Concilsystem  begründeten,  wonach  eine  allge- 
meine Kirchenversammlung  über  dem  Papste  stehen  sollte. 
Gegenüber  dem  alten  Papalsystem  lief  also  das  ganze  Refor- 
mationswerk auf  die  Restaurirung  der  bisherigen  Stellung  des 
Papstes  zur  Kirche  hinaus. 

Im  weitern  Verlaufe  der  Geschichte  zeigt  es  sich,  dass 
die  Bestrebungen  der  Gregore  und  Innocenze  schliesslich  auf 
den  ersten  Ausgangspunkt  zurückkamen,  nur  dass  durch  die 
Kirchenversammlungen   der  päpstlichen  Macht   eine  Schranke 

irezeisft  war. 

Der  grosse  Reformationseifer  der  hervorragenden  Persön- 
lichkeiten auf  dem  päpstlichen  Stuhle  hatte  sich  in  sich  ver- 
zehrt, und  die  Masslosigkeiten,  in  welchen  die  päpstliche  Ge- 
walt misbraucht  wurde,  waren  nicht  geeignet,  die  Kirche  aus 
der  Verweltlichung,  in  die  sie  verrannt  war,  herauszuziehen, 
um  sie  auf  ihre  ursprüngliche  apostolische  Bedeutung  zurück- 
zuführen, in  der  sie  der  Christenheit  Befriedigung  gewäh- 
ren sollte. 

Dieser  Versuch,  die  Entwickelung  der  Kirche  als  Macht 
zu  skizziren,  betraf  zunächst  deren  Stellung  dem  Staate  gegen- 
über. Eine  Hindeutung  auf  die  Mittel,  welche  die  Kirche 
besass,  vermehrte,  und  deren  sie  sich  bediente  zur  Erlangung 
und  Erweiterung  ihrer  Macht,  mag  die  mangelhafte  Skizze 
vielleicht  ergänzen,  sie  wird  um  so  nöthiger  im  Hinblicke 
auf  das  Verhältniss.  der  kirchlichen  Macht  zum  Volke 
und  die  Wirkung  auf  es.  Die  Einzelerwähnung  und  Betrach- 
tunix der  besonders  wirksamen  Mittel  der  Kirche  dürfte  be- 
hülflich  sein,  den  geistigen  Zustand  der  Menschen  im  Mittel- 
alter zu  erklären  und  zugleich  den  Glaubenskreis  zu  beleuchten, 
innerhalb  dessen  der  Teufel  den  geeigneten  Raum  finden 
musste,   sein  Spiel  zu  treiben. 


Der  Zustand  der  Welt,  durch  den  langen  Streit  zwischen 
Kirche  und  Staat  herbeigeführt,  wird  von  Gregorovius  ^  kurz 
aber  treffend  geschildert:  ,,Die  langen  Kriege  zwischen  der 
Tiara  und  der  Krone  hatten  das  Reich  in  unbeschreibliches 
Elend  gestürzt,   die  Wuth  der  Parteien  hatte  alle  Kreise  der 


1  Geschichte  der  Stadt  Rom  im  Mittelalter,  IV,  2G7. 


32        Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Gesellschaft  mit  unnatürlichem  Ilass,  Zwist  und  Schuld  er- 
füllt. Denn  es  stand  in  der  Welt  Vater  o-eiren  Solni,  Bruder 
gegen  Bruder,  Fürst  gegen  Fürst,  Bischof  wider  den  Bischof, 
Papst  wider  den  Papst.  Eine  Sjialtung  des  Lebens  so  tief- 
gehender Natur,  wie  sie  nie  zuvor  in  der  Geschichte  gesehen 
war,  schien  das  Christenthum  selbst  zu  zerreissen."  Derselbe 
Schriftsteller  vergleicht  die  europäische  Welt  einem  Schlacht- 
felde, worauf  sich  tiefe  Nacht  gesenkt  hatte.  Nun  inmitten 
dieser  Nacht  stand  das  Volk,  das  jeden  festen  Halt  verloren 
hatte,  und  in  den  schroffsten  Gegensätzen  der  Gefiihle,  Stim- 
nuuigen  und  Ansichten  herumgeschleudert  ward.  Das  staat- 
liehe  Bewusstsein  war  noch  nicht  zum  Durchbruch  gelangt,  um 
die  Triebfeder  des  Lebens  abzugeben,  es  herrschte  W  iderwille 
jrescen  die  Satzungen  der  Kirche,  Verachtunij  des  geistlichen 
Standes,  gröbste  Sinnlichkeit,  die  in  der  verweltlichten  Kirche 
ihre  Deckung  zu  finden  suchte,  das  Gefühl  der  Unhaltbarkcit 
dieser  verzweifelten  Zustände  und  dabei  das  der  schlechthinigen 
Abhängigkeit  von  der  Kirche,  die  während  des  Verlaufs  von 
vielen  Jahrhunderten  die  Mittel  benutzt  hatte,  um  eine  vui- 
geheuere  Macht  zu  erlangen  und  zu  vergrössern,  unter  der  das 
Volk  in  selbstloser  Unmündigkeit  erhalten  wurde. 

Das  hohe  Ansehen  der  Kirche  und  ihre  Machtstellnng, 
die  sie  erlangen  sollte,  ist  schon  durch  die  Grundbestimmung 
ihres  Begriffs  durch  die  Kirchenväter  angebahnt.  Nach 
Ignatius  (1.  Jahrhundert),  Bischof  von  Antiochien,  der  zu- 
erst den  Namen  s'xxVrjCta  xa'ä'oXixvj  gebraucht',  ist  es  vor- 
nehmlich Iren  aus  (gest.  2G2),  der  den  Grundriss  des  Begriffs 
der  Kirche  entwarf  durch  seinen  Ausspruch:  „Ubi  ecclesia 
ibi  Spiritus  Dei  et  ubi  sj^iritus  Dei  ibi  ecclesia."^  Cyprian 
(gest.  259)  spannt  die  vorhandene  Anschauung  höher  und  be- 
zeichnet schon  die  fünf  Prädicate  des  Wesens  der  Kirche, 
nämlich:  Einheit,  Heiligkeit,  Allgemeinheit,  Ausschliesslichkeit 
inid  Apostolicität.  ^  Die  Einheit  des  Apostolats,  die  sich  in 
Petrus  zusammengefasst,  wurde  durch  ihn  auf  die  Bischöfe 
übertragen,    durch    deren    Zusammenwirken    die    l^inheit    der 


'  Ep.  ad.  Smyrn.,  c.  8. 
-  Adv.  haorcs.  3,  21.  1. 

^  Cyprian.   de    unitate   ecclesiac,    c.  4:    Episcopatus   unus    est    cujus 
a  singulis   in   solidum  pars   tcnetur.     Ecclesia  quoquc   una  est,    quac  in 


4.   Vergrösserung  des  geistlichen  Ansehens.  33 

Christenheit   vergegenwärtigend   gedacht   und   in   dem  Papste 
sich  zuspitzend  in   der  Kirche   angeschaut.     Christliches    und 
Kirchliches  ward  so  ineinandergesetzt,  dass  letzteres  nicht  als 
zeitlicher,  sondern  als  absoluter  Ausdruck  des  erstem,  ja  als 
dieses  selbst  galt.     So  lag  es  im  Bewusstsein  des  Mittelalters, 
dass   der   weltliche  Fiirst    nur    durch    den   Kirchenfürsten   in 
Rom  die  höchste   Würde    empfangen   könne,    dass  überhaupt 
alles,  was  Ansehen  erlangen  sollte,  von  der  Kirche  ausgehen, 
durch  kirchliche  Hände  gegangen  sein  musste.    Unter  diesem 
mittelalterlichen    Gesichtspunkte    mussten   die   Mittel,    welche 
die   Diener    der  Kirche    handhabten,    zur  Vergrösserung    des 
Ansehens   und   der  Macht   der  letztern   einschlagen,    dagegen 
die  bürgerliche  Gesellschaft  im   ganzen  wie    den   einzelnen   in 
unbedingter  Abhängigkeit  und  Unmündigkeit  erhalten.    Es  be- 
darf kaum   der  Erwähnung   des  Misbrauchs   der  Machtmittel, 
noch    der  ängstlichen  Aufzählung    aller   Einzelheiten,    da   die 
Hervorhebung  der  vornehmsten  die  Ueberzeugung  geben  dürfte: 
dass  durch  ihre  Anwendung  die  geistliche  Macht  die  Oberhand 
behaupten,    das    Volk    in    Unterthänigkeit     erhalten    werden 
musste. 


4.  Mittel  zur  Vergrössenmg  des  geistlicilen  Anselieiis. 

Im  allgemeinen  war   die  Ueberlegenheit   der  Geistlichkeit 
an  Bildung  zunächst   einer   der  Hauptpfeiler,    auf   den  sich 

multitudinem  latius  in  cremento  foecundidatis  extenditur.  —  Avelle  radium 
solis  a  coi'pore,  divisionem  lucis  unitas  non  capit,  ab  arbore  frange  ra- 
mum,  fructus  germinare  non  poterit;  a  fönte  pi-aecide  rivum,  praecisus 
arescit.  Sic  et  ecclesia  Domini  luce  perfusa  per  orbem  totum  radios 
suos  pon-igit;  unum  tarnen  lumen  est,  quod  ubique  diffunditur,  nee  unitas 
corporis  separatur.  Ramos  suos  in  uuiversam  terram  copia  ubertatis  ex- 
tendit,  profluentes  lai-giter  vivos  latius  expandit,  unum  tarnen  caput  est 
et  origo  una  et  una  mater  foecunditatis  successibus  coiDiosa.  Illius  foetu 
nascimur,  illius  lacte  nutrimur,  spiritu  ejus  animamur.  —  C.  6:  Adulterari 
non  potest  sponsa  Christi  —  quisquis  ab  ecclesia  separatus  adulterae 
adjungitur,  a  promissis  ecclesiae  separatur;  nee  pervenit  ad  Christi  proe- 
mia,  qui  relinquit  ecclesiam  Christi.  Alienus  est,  profanus  est,  hostis 
est.  Habere  non  potest  Deum  patrem,  qui  ecclesiam  non  habet  matrem. 
—  C.  14:  Tales  etiam  si  occisi  in  confessione  nominis  fueriut,  niacula 
ista  nee  sanguine  obluitur.  Esse  martyr  non  potest  qui  in  ecclesia  non 
est.     Occidi  talis  potest,  non  coronari,  etc. 

Roskoff,  Geschichte  des  Teufels.    II.  3 


34        Zweiter  Al)schnitt:   Ausbildung  der  Yorstellung  vom  Teufel. 

die  Herrschaft  derselben  stützte,  der  Besitz  einiger  Kenntnisse, 
den  sie  in  den  frühem  Jahrhunderten  des  Mittelalters  voraus 
hatte,  und  wodurch  sie  auch  im  bürgerlichen  Leben  eine  Ueber- 
leo-enheit    erlano;te.      Man    muss    es    anerkennen:    christliche 
Priester  waren   die   ersten  Träger    und  Verbreiter   der   Civili- 
sation,    und   Ilüllmann    kann    mit  Eecht  sagen:    „Durch  den 
Staat  sind  die   bessern  A^ölker   des  Alterthums   erzogen  wor- 
den, durch  die  Kirche  die  des  Mittelalters."  ^     Die  vor  ihren 
Zeitgenossen    gewöhnlich   hervorragende  Bildung    machte  na- 
mentlich die  Bischöfe  vor  andern  fähig,  einflussreiche  Aemter 
zu  verwalten,  daher  schon  unter  Karl's  des  Grossen  Hofgeist- 
lichkeit    der   Erzkaplan    als   Erzkanzler    amtirte.     Der    über- 
wiegende  Eiufluss    der   Bischöfe    Avar   sonach   vornehmlich   in 
dieser   Beziehung    durch    ihr  intellectuelles  Uebergewicht   be- 
dingt.    Bei    der   allgemein    herrschenden   Unwissenheit,    dem 
Mangel  an  Kenntnissen    nach    dem  Verfalle  der  Wissenschaf- 
ten, der  schon  vor  der  Zerstörung  des  römischen  Reichs  sei- 
nen Anfang  genommen  hatte  und  durch  die  Ansiedelung  bar- 
barischer Nationen  in  Gallien,  Spanien,  Italien  vollendet  ward, 
blieb,    nach    dem    Aufhören    des    Lateinischen    als    lebende 
Sprache,  der  Schatz  von  Kenntnissen  und  Bildung  dem  Volke 
verschlossen,  und  der  Schlüssel  war  in  den  Händen  der  Geist- 
lichen.     Das    Lateinische,    dessen    Kenntniss    diese    besassen, 
war  aber  auch  in  allen  gerichtlichen  Urkunden  und  dem  öffent- 
lichen Schriftwechsel  beibehalten  worden,    und   wo    das  Volk 
das  Schreiben  und  Lesen  vergessen   oder   noch   nicht   gelernt 
hatte,   da  war   der  Klerus   im  Besitz   dieser  Kenntnisse,    die 
von  dem  geheimnissvollcn  Berufe  der  Geistlichkeit,  welche  mit 
den  Mysterien  des  Gottesdienstes  zu  thun  hatte,  in  den  Augen 
des  Volks  auch  einen  geheimnissvollen  Anstrich  erhielten.    Meh- 
rere Jahrhunderte  hindurch  war  selten  ein  Laie  zu  finden,  der 
seinen  Namen  schreiben  konnte,  wie  dies  auch  von  Theodorich, 
dem  berühmtesten   Ostgothenkönige,   verlautet,    selbst  Kaiser 
Friedrich  Barbarossa  war   des  Lesens   iiukundig  '^,   was   noch 
in    der    Mitte    des    14.    Jahrhunderts    von    dem    König    Jo- 
hann  von  Böhmen  ^    und    dem  Sohne    des    heiligen   Ludwig, 


1  Städtewesen,  IV,  292. 

-  Struv.  Corp.  Ilist.  Germ.  I,  377. 

3  Sismoiidi,  llistoirc  des  Fran(;ais,  Y,  42ü. 


4.    Yergrösserung  des  geistlichen  Ansehens.  35 

Philipp  dem  Kühnen,  behaujDtet  wird.  ^  Der  niedere  Klerus 
stand  in  dieser  Beziehung  auf  keiner  höhern  Stufe,  denn  fast 
auf  jedem  Concil  ist  die  Unwissenheit  desselben  Gegenstand 
des  Vorwurfs.  So  wurde  auf  dem  Concil  vom  Jahre  992 
geäussert:  dass  selbst  in  Rom  fast  keiner  zu  finden  sei,  der 
die  ersten  Elemente  der  Wissenschaft  innehabe.  Auch  in 
Spanien  soll  zur  Zeit  Karl's  des  Grossen  unter  1000  Prie- 
stern kaum  einer  einen  Begrüssungsbrief  haben  schreiben  kön- 
nen.^ In  solchen  Zeiten  mussten  wol  die  Bischöfe,  welche  der 
lateinischen  Schriftsprache  und  des  Schreibens  mächtig  waren, 
die  zu  den  bedeutendsten  Aemtern  geeigneten  Persönlichkeiten 
sein.  Bei  Staatshandluugen  waren  die  Fürsten  darum  auf 
die  höhern  Geistlichen  angewiesen,  diese  waren  deshalb  fast 
ausschliesslich  zu  Gesandtschaften  verwendbar.  Bei  den  häu- 
figen Streitigkeiten  der  Fürsten  wurden,  besonders  im  Zeit- 
alter Karl's  des  Grossen,  die  hohen  Geistlichen  gewöhnlich  als 
Schiedsrichter  benutzt. 

Der  Einfluss  der  Geistlichkeit  auf  das  Gerichts- 
wesen war  schon  ursprünglich  angebahnt,  dass  Kirchen  häufig 
zur  Verdrängung  des  Heidenthums  an  den  alten  Opfer-  und 
Gerichtsstätten  errichtet  wurden  und  das  Asylrecht  von  den 
heidnischen  Tempeln  ererbten.  Er  w^ar  gesichert  durch  die 
Betheiligunoc  der  Geistlichen  bei  den  Gottesgerichten  in  den 
Kirchen:  beim  Zweikampf  wurden  die  Waffen  vom  Priester 
geweiht,  das  Eisen  ward  während  der  Messe  vor  dem  Altar 
geglüht,  den  Angeklagten  ward  die  Communion  gereicht,  ge- 
weihtes Wasser  zu  trinken  gegeben,  bei  der  Wasserprobe 
wurde  der  Verurtheilte  in  ein  Priestergewand  gekleidet  u.  dgl. 
Karl  der  Grosse  gestattete  den  Eid  nur  in  der  Kirche  und 
über  Reliquien.  Dies  und  manches  andere  bot  die  Fäden, 
aus  denen  sich  eine  Art  amtlicher  Aufsicht  der  Geistlichkeit 
über  die  Rechtspflege  zusammenwob.  Ein  gewisses  Strafrecht 
gegen  Frevler  stand  der  Kirche  immer  zu,  anfangs  durch  das 
Gesellschaftsrecht,  später  durch  das  Busswesen,  indem  der 
Grundsatz  galt:  dass  Verbrechen  nicht  nur  das  bürgerliche, 
sondern  auch  das  göttliche  Recht  verletzen,  also  das  theokra- 
tische  Verbrechen   des   Alten  Testaments    festgehalten  wurde. 


1  Velly,  Histoire  de  France,  VI,  42G. 

2  Mabillon,  De  re  diplomat.,  S.  55. 

3* 


36        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Die  Kirche  erschien  neben  dem  Könio-c  als  selbständici-c  Rechts- 
quelle,  und  diese  Anschauung  dehnte  sich  aiif  alle  Verbrechen 
aus,  die  man  zur  Religion  in  einige  Beziehung  setzen  konnte, 
als:  Meineid,  Fleisches-Vergehen  und  -Verbrechen,  Kindermord, 
Entweihung  der  Gräber,  wofür  die  Kirche  ein  besonderes 
Strafrecht  handhabte.  Schon  ein  Gesetz  Konstantin's  hatte 
den  biirgerlichen  Obrigkeiten  befohlen,  die  Aussprüche  des 
bischöflichen  Gerichts  zu  vollstrecken.  Auf  mehrern  Concilien 
des  4.  und  5.  Jahrhunderts  werden  durch  kirchliche  Ent- 
scheidung Priester  und  Bischöfe  mit  Absetzung  bedroht,  wenn 
sie  eine  bürgerliche  oder  peinliche  Rechtssache  bei  einer  welt- 
lichen Obrigkeit  anhängig  machen.  Ein  dem  Theodosianischen 
Codex  anojehäno-tes  Edict,  das  dem  Kaiser  Konstantin  zuo-e- 
schrieben  wird,  dehnt  die  bischöfliche  Gerichtsbarkeit  auf  alle 
Rechtssachen  aus,  wenn  eine  der  streitenden  Parteien  an  sie 
appelliren  will,  wogegen  von  den  Entscheidungen  der  Bi- 
schöfe keine  weitere  Berufung  mehr  gestattet  sein  soll.  Karl 
der  Grosse  nahm  diese  Verordnungen  aus  dem  Theodosiani- 
schen Codex  in  seine  Capitularien  auf.  ^  Dadurch,  dass  der 
Staat  der  Kirche  die  Theilnahme  an  seinem  Straftimte  ein- 
räumte, musste  diese  an  Ansehen  inul  Macht  gewinnen.  Man 
sah  die  Sühne  erst  dann  fiir  voll  an,  wenn  der  Veibrecher 
ausser  der  weltlichen  auch  eine  kirchliche  Busse  geleistet 
hatte. 

Der  Staat  förderte  die  Abhänr^io-keit  der  Laienwelt  von 
der  Kirche  in  Gerichtssachen  durch  die  bischöflichen  Senden, 
die  unter  Karl  dem  Grossen  völlig  ausgebildet  wurden.  ^ 

Eine  Erweiterung  der  kirchlichen  Macht  bewirkte  Papst 
Alexander  III.  (1179)  namentlich  dadurch,  dass  er  alle  nicht 
durch  Lehnspflichten  bedingten  Beiträge  zur  Deckung  der 
Staatsbedürfnisse  von  der  Bewilligung  der  Bischöfe  und  des 
Klerus  abhängig  machte.  ^  Nach  der  Verordnung  des  Papstes 
Innoccnz  III.  (1215)  müssen  aber  die  Bischöfe  und  der  Klerus 
die  päpstliche  Erlaubniss  dazu  einholen.  * 

Die  Geistlichkeit  nahm    die  Immunität   von    allen  welt- 


1  Baluz.  Capitul.,  I,  985. 

2  Capit.  a.  im,  c.  7.  813,  c.  1. 

3  Concil.  lateran.  III.  can.  1!);  Mansi  XXII,  2i>G. 

4  Concil.  lat.  IV.  can.  4G;  Mansi  XXII,  1030. 


•i.    Ycrgrosserung  dos  geistlichen  Ansehens.  37 

liehen  Gerichten  in  Anspruch,  besonders  in  Personalsachen, 
so  unter  Urban  IL  \  Alexander  III,  ^  und  Innocenz  III,  ^ 

Von  Kirchenfürsten  waren  allerdings  manche  wohlthätige 
Gesetze  in  Bezug  auf  bürgerliche  Ordnung  ergangen,  als: 
zur  Aufrechtcrhaltung  der  Treuga  Dei  auf  dem  Concil  zu 
Clermont  1095  und  auf  andern  Kirchenversammlungen ;  gegen 
Seeräuberei  auf  dem  dritten  lateranischen  Concil;  gegen  Raub 
u.  dgl.  m.;  die  Kirche  zog  aber  auch  die  bürgerliche  Justiz 
immer  mehr  an  sich,  durch  die  Vermehrung  der  Rechtssachen, 
die  ausschliesslich  dem  geistlichen  Gerichte  unterliegen  soll- 
ten. Schon  nach  Justinianischen  Bestimmungen  werden  Kle- 
riker zu  bürijerlichen  Richtern  über  Mönche  und  Nonnen  ire- 
setzt,  zu  Aufsehern  über  die  Sitten  und  die  Versorgung  der 
Unmiindigen,  Findlinge,  Wahnsinnigen,  geraubten  Kinder  und 
Weiber  bestellt.  Nun  wurden  aber  alle  Ehe-,  Testaments- 
und Eidessachen,  Wucherprocesse,  alle  Klagen  und  Verbrechen 
der  Crucesignati  als  ausschliesslich  unter  das  kirchliche  Forum 
gehörig  betrachtet.  Von  Lucius  III,  wurde  es  den  personis  eccle- 
siasticis  freigestellt:  malefactores  suos  sub  quo  maluerint  ju- 
dice  convenire.  "*  Dies  Privilegiimi  wurde  von  Geistlichen 
vortheilhaft  ausgenutzt,  indem  sie  Processe  an  sich  kauften, 
um  sie  vor  das  geistliche  Gericht  zu  bringen.  Dieser  Mis- 
brauch  muss  arg  gewesen  sein,  da  Gregor  sich  genöthigt 
sah,  ein  Verbot  darauf  zu  legen.  ^  Durch  den  Recurs,  der 
in  allen  Fällen  an  das  geistliche  Gericht  offen  stand,  hatte 
die  Kirche  eigentlich  die  Oberaufsicht  über  die  gesammte 
Justiz.  ^ 

Ausser  den  Appellationen  an  den  Papst,  die  durch 
den  angenommenen  Grundsatz :  dass  sie  nicht  nur  post  senten- 
tiam,  sondern  auch  ante  sententiam  stattfinden  können,  auf 
die  ordentlichen  Gerichte  lähmend  wirkten,  das  Ansehen  der 
päpstlichen  Curie  dagegen  zu  heben  halfen,  waren  in  letzter 
Beziehung  auch   die  päjsstlichen  Legaten  thätig,    die  der 


1  Epist.  14  ad  Rudolphum  coraitem;  MansiXX,  G59;  vgl.  ibid.  XX,  036. 

^  Concil.  later.  ann.  1179,  can.  14. 

3  Decret.  Gregor,  lib.  II,  tit.  2,  c.  12. 

1  Ibid.,  c.  8. 

»  Ibid.  lib.  I,  tit.  42,  c.  2. 

^  Vgl.  die  Belegstellen  bei  Gieseler,  Kirchengeschichtc,  II,  2,  S.  273. 


38         Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

päpstlichen  Gewalt  eine  grosse  Tragweite  bahnten  nnd  neben- 
bei auch  die  Schleusen  zu  öffnen  verstanden,  durch  die  viel 
Geld  nach  Rom  floss.  Dass  diese  Legaten  ihr  Amt  mis- 
brauchten  und  sich  Gelderpressungen  erlaubten,  beweist  die 
Klage  des  heiligen  Bernhard  über  die  Thätigkeit  eines  Car- 
dinalle2:aten  in  den  Kirchen  Deutschlands  luid  Frankreichs: 
„Replevit  non  evangelio  sed  sacrilegio." 

Gegen  Ende  des  8.  Jahrhunderts  wurde  eine  Sammlung 
kirchenrechtlicher  Lehrsätze  unter  dem  Namen  Isidori  De- 
cretales  bekannt,  die  auch  zur  Hebung  des  päpstlichen  An- 
sehens beitrug,  zwar  zunächst  den  Bischöfen  gegeniiber,  dann 
aber  die  kirchliche  Macht  überhaupt  begründen  half.  Nach- 
dem mehrere  kleinere  Sammlungen  erschienen  waren,  trat  im 
Jahre  1140  ein  italienischer  Mönch  Gratian  mit  seinem  „De- 
cret"  hervor,  einer  allgemeinen  Sammlung  Canones,  päpst- 
licher Sendschreiben  und  Urtheilen  der  Kirchenväter,  nach 
Art  der  Pandekten  in  Titel  und  Kapitel  eingetheilt.  Dieses 
Werk  letrt  den  Isidorischen  Decretalen  die  höchste  Autorität 
bei.  Greaor  IX.  Hess  die  fünf  Biicher  der  Decretalen  durch 
Raimund  von  Pennaforte  1234  herausgeben,  welche  den  we- 
sentlichen Thcil  des  kanonischen  Rechts  liefern  und  ein  voll- 
ständiges Rechtssystem  bilden.  Bonifacius  VIII.  (1294 — 1303) 
fügte  einen  sechsten  Theil  hinzu,  und  das  Studium  dieses  Codex 
wurde  für  jeden  Geistlichen  unerlässlich  und  brachte  eine 
neue  Klasse  von  Rechtsgelehrten ,  die  Kano nisten,  hervor. 
Dieses  kanonische  Recht  gründet  sich  auf  die  gesetzgebende 
Gewalt  des  Papstes,  erhebt  die  Kirche  über  die  weltliche 
Macht,  sodass  ünterthanen  einem  excommunicirten  Fürsten 
keinen  Gehorsam  schuldig  wären.  Durch  die  Handhabung  des 
kanonischen  Rechts  musste  das  kirchliche  Ansehen  steigen  und 
die  Kanonisten,  als  eifrige  Yertheidigcr  desselben  in  allen  Län- 
dern, trugen  ihr  Theil  bei. 

Kreiizzügc. 

Auch  die  Kreuzzüge  sind  in  diesem  Sinne  zu  erwäh- 
nen, diese  Erscheinung  einer  tiefsterregten  Zeit.  In  ihnen 
mani'festirt  sich  der  Zug  nach  dem  sinnlichen  Besitz  der 
Stätte,  von  wo  das  Heil  ausgegangen,  wonach  die  Mensch- 
heit  in   ihrer   heillosen   Lage   von  heisser   Sehnsucht   sich   ge- 


4.   Vei'grösserurig  des  geistlichen  Ansehens.  39 


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trieben  fühlte.  Abgesehen  von  dem  äussern  AnLass,  war  der 
Grund  dieser  Erscheinung  ein  idealer.  In  den  Kreuzzügen 
wird  die  Herrschaft  des  Christenthums,  das  in  Rom  seinen 
Brennpunkt  hat,  angestrebt  über  die  nicht  christliche  Welt. 
In  der  öffentlichen  Meinung,  welche  die  lenkende  Macht  vom 
päpstlichen  Stuhle  ausgehen,  von  da  aus  über  die  Kräfte  des 
Abendlandes  verfügt  sah,  musste  auch  durch  diese  Unter- 
nehmung das  päpstliche  Ansehen,  die  kirchliche  Machtstellung 
gewinnen. 

Kaiiouisclie  LeheusAveise. 

Durch  die  vom  Bischof  Chrodegang  von  Metz  (742 — 6G) 
eingeführte  vita  canonica,  kanonische  Lebensweise,  sollte 
ein  christliches  Musterleben  dargestellt  werden;  bewirkt  wurde 
aber  ein  Zusammenschliessen  der  Bischöfe  mit  ihren  Klerikern 
zu  festen  Körperschaften  und  ein  Abschliessen  gegen  die 
Laienwelt.  Der  Standesunterschied  zwischen  Laien  und  Kle- 
rikern und  zugleich  der  Vorzug  der  letztern  vor  jenen  wurde 
besonders  scharf  hervorgehoben  durch  den  Cölibat.  Es 
ist  bekannt,  wie  schwer  diese  Massregel,  welche  schon  der 
Bischof  Siricius  von  Rom  ums  Jahr  385  zum  Kirchengesetze 
erhoben  hatte,  durchzuführen  war,  daher  noch  im  IL  Jahr- 
hundert viele  Priester  im  ordentlichen  Ehestande  lebten  \  und 
ueuestens  wird  ausser  Zweifel  gesetzt,  dass  es  noch  im 
13.  Jahrhundert  viele  verheirathete,  oder  wie  die  Kirche  sich 
damals  ausdrückte:  im  Concubinate  lebende  Priester  gab.  ^ 
Ebenso  bekannt  ist,  dass  die  Reformationsbestrebungen  der 
Päpste  auf  die  Beseitigung  der  Priesterehe  abzielten,  im  richtigen 
Gefühle,  dadurch  ein  Hauptmittel  zur  Erstarkung  der  geist- 
lichen Macht  zu  erlangen. 

Beichte. 

Ein  besonders  wirksames  Mittel,  die  Laienwelt  von  der 
Priesterschaft  in  unbedingter  Abhängigkeit  zu  erhalten,  war 
die  Beichte.  Im  Karolingischen  Zeitalter  hatte  sie  noch  die 
Bedeutung   eines  sittlichen  Acts   und  war  noch  fern  von  der 


1  Vgl.    die  Belege    bei    Gfrörer,    Allgemeine   Kirchengeschiclitc,  IV, 
1.  Abthl.,  S.  155  fg. 

2  Lorenz,  Deutsche  Geschichte  des  13.  und  11.  Jahrhunderts,  I,  399. 


40        Zweiter  Absclniltt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Sacramentsiclee ;  seit  der  Vorordnung  des  Papstes  Innocenz  III. 
auf  dem  4.  lateranischen  Concil  1215  wurde  sie  zur  Bedin- 
gung des  Zutritts  zur  Kirche  im  Leben  und  eines  christlichen 
Begräbnisses  im  Tode.  „Diligenter  inquirere  in  peccatoris 
circumstantias"  wird  dem  Priester  eingeschärft,  und  hiermit  ist 
der  nächste  Schritt  zur  Inquisition,  von  Innocenz  III.  auf 
derselben  Synode  zur  Unterdriickung  der  Ketzerei  eingefiihrt, 
geschehen.  Die  Toulouser  Synode  1229  sanctionirt  schon  in 
jeder  Parochie  zwei  bis  drei  Ketzerriecher,  Gregor  IX.  bestellt 
1233  die  Dominicaner  zu  päpstlichen  Inquisitoren  „der 
ketzerischen  Bosheit",  und  die  Inquisitionsgerichte  verbreiten 
allenthalben  Angst  und  Schrecken.  Die  von  Leo  IX.  und 
besonders  Gregor  VII.  angestrebte  „reformatio  universalis 
ecclesiae"  wurde  hiermit  unversehens  in  eine  Ileformation 
der  Laienwelt  umgewandelt. 


Al)lass. 

Nebst  der  Beichte  war  der  Ablas s  ein  mächtiger  Hebel, 
das  Ansehen  und  die  Herrschaft  des  päpstlichen  Stuhls  zu 
fördern.  Die  geistliche  Schliisselgewalt  (zu  lösen  und  zu 
binden)  war  somit  in  voller  Wirksamkeit.  Es  wurde  das 
Gericht  iiber  die  Sünden  der  Gläubigen  und  die  BefugJiiss, 
jene  zu  erlassen,  ausgevibt.  Die  Theilnahme  an  den  Kreuz- 
züüen  irab  dem  Ablass  einen  bedeutenden  Aufschwung,  und 
seine  Theorie  wurde  besonders  durch  die  Scholastiker  ausge- 
bildet. 


Bettelmöuclie. 

Auch  die  Bettelmönche  arbeiteten  in  diesem  Sinne. 
Sie  sind  zwar,  unter  ethischem  Gesichtspunkte  betrachtet,  zu- 
nä<;list  als  Reaction  gegen  die  sittliche  Verkommenheit  der 
Kirche  aufgetreten,  denn  so  oft  die  kirchliche  Disciplin  ver- 
darb, erhüben  sich  heilige  Männer,  um  dem  Verfalle  der 
Kirche  aufzuhelfen;  allein  im  Verlaufe  der  Zeit  wurden  die 
Mönche  ein  wirksames  Mittel  zur  Durchfiduung  der  geist- 
lichen Oberherrschaft. 


4.    Vergrösscrung  des  geistlichen  Auseliens.  41 

Exconiiiiiiiiieation  und  Interdict. 

Die  fui-chtbarsten  Mittel,  die  geistliche  Oberherrschaft  zu 
bethätigen,  waren:  die  Excommunication,  der  Kirchen- 
bann über  einzelne  verhängt,  und  das  Interdict,  wodurch 
eine  ganze  Gemeinde  oder  Landeskirche  durch  Einstellung 
aller  gottesdienstlichen  Handlungen  gleichsam  „geistlich  aus- 
srehunjrert"  wurde.      Die  Handhabung   der   Excommunication 

DO  C 

war  abhängig  von  der  Grösse  der  Vergehungen  und  der 
kirchlichen  Wiirde,  sodass  dieses  Mittel  bei  geringern  Ueber- 
tretungen  dem  Pfiirrer  zustand,  über  die  grössten  Vergehungen 
der  Papst  excommunicirte,  und  zwar  Personen  weltlichen  oder 
geistlichen  Standes.  Fürsten  wurden  excommunicirt,  wenn 
sie  den  erhobenen  Verdacht  gegen  ihre  Rechtgläubigkeit 
nicht  abwälzen  konnten,  überhaupt  dem  apostolischen  Stuhle 
als  Gegner  erschienen,  und  zwar  in  Bezug  auf  kirchliche 
Personen,  Güter  oder  Freiheiten  und  geistliche  Wahlen.  Kein 
Christ  durfte  mit  einem  Excommunicirten  Gemeinschaft  pfle- 
gen; war  dieser  ein  Geistlicher,  so  wurden  ihm  seine  Ein- 
künfte entzogen,  bisweilen  wurde  der  Altar,  an  dem  er  Messe 
las,  niedergerissen,  sein  Messgewand  verbrannt,  der  Kelch 
eingeschmolzen.  War  er  Bischof,  so  war  seine  Ertheilung 
der  Weihe  und  Pfründe  ungültig.  War  er  Fürst,  so  hatten 
seine  Gesetze  und  Verfügungen  keine  Geltung;  war  er  ein 
Laie  niedern  Rangs,  so  hatte  er  weder  Wahlrecht  noch 
Wahlfähigkeit,  als  Richter  hatte  sein  Urtheil  keine  Kraft. 
Widerstrebte  der  Excommunicirte  dem  Strafmittel  der  Kirche, 
so  wurde  ihm  die  Züchtigung  durch  die  weltliche  Hand 
zutheil,  wozu  die  Könige  im  allgemeinen  bereit  waren.  Schon 
Childerich  I.  um  554  hatte  den  Ungehorsam  gegen  die  Kirche 
an  Unfreien  mit  100  Stockprügeln,  bei  Freien  mit  standes- 
mässiger  Strafe  belegt.^  Childebert  II.-  verbannte  jeden  Ex- 
communicirten vom  Hofe  und  nahm  ihm  das  Recht  des 
Güterbesitzes.  Pipin^  verbot  dem  mit  dem  Bann  Belegten 
die  Kirche  zu  besuchen,  jedem  Christen,  ihn  zu  grüssen, 
überhaui)t  in  irgendeiner    Gemeinschaft    mit    ihm    zu    stehen. 


1  Pertz,  III,  1. 
-  A.  790,  c.  2. 
3  A.  755,  c.  9. 


42        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

—  Das  Interdict  erstreckte  sieh  zuweilen  über  ein  ganzes 
Land,  oder  auch  nur  über  die  Gegend,  in  welcher  das  zu 
strafende  Vergehen  verübt  worden  war,  oder  wo  der  Betrofi'ene, 
der  sich  widerspenstig  erwies,  verweilte.  Die  Kirche  be- 
trachtete in  beiden  Fällen  das  übrige  Volk  als  schuldig,  weil 
es  ihr  durch  sein  Schweigen  als  Theilnehmer  erschien.  Das 
erste  Interdict  verhängte  Gregor  V.  (908)  gegen  Robert 
von  Frankreich;  ein  anderes  Innocenz  III.  über  England 
wegen  Verweigerung  des  Peterpfennigs,  wo  ganz  England 
infolo;e  des  Interdicts  durch  sechs  Jahre,  drei  Monate  und 
vierzehn  Ta2;e  keinen  Gottesdienst  hatte.  ^  Im  14.  Jahrhundert 
lauf  Deutschland  unter  dem  Interdict,  das  Benedict  XII.  in 
dem  Streite  iiber  die  Kaiserswahl  ausgesprochen  hatte. 

Um  eine  Vorstellung  von  der  peinlichen  Lage  während 
des  verhängten  Interdicts  zu  haben,  bedarf  es  nur  einiger 
Züge  aus  der  Schilderung,  welche  Hurter^  von  dem  Zustande 
in  Frankreich  (im  12.  Jahrhundert)  entwirft.  „Vorenthalten 
war  dem  Gläubigen,  was  der  Seele  in  den  AVechself allen  des 
Lebens  die  sichere  Richtung  verleihen,  in  den  Kämpfen  des 
irdischen  Daseins  das  Gemüth  emporheben  soll.  Wohl  ragte 
aus  den  niedrigen  Wohnunc-en  der  Sterblichen  das  Haus  her- 
vor,  in  dessen  Räumen  so  manches  sichtbare  Sinnbild  die 
Herrlichkeit  des  unsichtbaren  Gottes  und  seines  ewigen 
Reichs  darstellte;  aber  es  glich  einem  gewaltigen  Leichnam, 
aus  welchem  jede  Lebensregung  entflohen  war.  Nimmer 
weihte  der  Priester  das  Sakrament  des  Leibes  und  Blutes 
unsers  Herrn  zur  Erquickung  verlangender  Seelen.  Ver- 
stummt war  der  Feiergesang  der  Diener  Gottes;  kaum  dass 
einigen  Klöstern  gestattet  war,  ohne  alles  Beisein  von  Laien, 
in  leiser  Stimme,  bei  uneröffneter  Thüre,  auch  wol  nur  in 
mitternächtlicher  Einsamkeit  zum  Herrn  zu  flehen,  ob  seine 
Gnade  die  Gemüther  zur  Busse  erwecken  möchte.  Zum 
letzten  mal  hatte  die  Orgel  durch  die  Wölbungen  gerauscht, 
Grabesstille  herrschte,  wo  sonst  in  Preis  und  Verherrlichung 
des  Ewigen  die  Gemüther  aufgejubelt.  Unter  Trauerge- 
bräuchen wurden  die  Lichter  gelöscht,  als  wäre  in  Nacht  und 


'  Eymer,  Act.  et  ibed.,  1,  Gl. 

2  Gesehicülc  Papst  Innocenz'  III.   und   seiner  Zeitgenossen,    I,  385 
(3.  Aufl.) 


4.   Vergrösserung  des  geistlichen  Ansehens.  43 

Dunkelheit  fortan  das  Leben  gehüllt;  ein  Schleier  entzog  tlen 
Anblick   des    Gekreuzigten   den  Augen   der   Unwiirdigen ;    an 
der  Erde  lagen  die  Bilder  seiner  glorreichsten  Bekenner,   die 
Ueberreste    frommer    Glaubenshelden    in    ihren    Schrein    ver- 
schlossen,   als    entflöhen    sie    das   entartete  Geschlecht.      Die 
Verkiindicuuff  der  Ileilswahrheiten,   welche  dem  Leben  Lust 
und  Muth  verleihen   soll,   dem   freundlichen   Stern  zu  folgen, 
dessen  Strahlen  in   so   manchen  Gebräuchen   das   Gemüth   er- 
leuchten, hörte  auf,  und  Steine  in  der  letzten  Stunde,  da  das 
Heiligthum    noch    offen    stand,    von    der    Kanzel    geworfen, 
sollten  die  lebende  Menge  erinnern,    so  habe  der  Höchste  sie 
von    seinem   Angesichte    verworfen,    habe    er    die  Thore    der 
ewigen  Gottesstadt  verschlossen,    wie   der   Hüter  die  Pforten 
seines  Hauses    auf  Erden   schliesse.      Trauernd   wandelte    der 
Christ   seines  Weges   vorüber   an   dem  Tempel,    nicht    einmal 
ein  flüchtiger  Blick  in  das  Lmere,    wo   so   oft  sein  Herz   die 
segnende  Nähe   des  Herrn   empfunden,    konnte  auch  nur  für 
den  Augenblick   seine   Sehnsucht   stillen,    die   Pforten  blieben 
unbeweglich.      Selbst   von    aussen   war   ihm    alles   verborgen, 
wodurch    er   sonst   zu   gottgefälligem  Eintritt   sollte  gestimmt 
werden.      Nimmer    quoll  Trost,  Vertrauen   und  Muth  aus  so 
manchem    Ermuthigenden,    was    durch   den    äussern    Sinn    zu 
dem  Innern  spricht.    Nimmer  schauten  sie  seine  Erzväter  und 
Propheten,  jene  Evangelisten   und   Kirchenlehrer,  jene  Glau- 
bensboten und  Gottesstreiter,  jene  Blutzeugen  luul  Bekenner, 
deren   hehrer  Chor   unter  den  Hallen   des  Gotteshauses    diese 
gleichsam    zur  Thüre    des  Hinmiels    weihte;    auch    diese   Bil- 
der   waren    verhüllt.      Nur    jene    Misgestalten,     in    welchen 
der  Mensch  den   entehrenden  Ausdruck  seiner  verdammlichen 
Sünden    beherzigen    soll,    grinsten    von    den    Gesimsen    und 
Dachrinnen    auf  ein  Volk   herab,    dessen    unwürdiges   Dasein 
von   dem  Heiligthinu    abgewendet,   in    scheussliche  Entartimg 
versunken   schien.      Kein  Glockengang,   als   etwa   einmal   die 
dumpfen  Schläge  einer  Klosterglocke   beim  Hinscheiden  eines 
Bruders   erinnerte   an   das   Voraneilcn   auf  der   Laufbahn,    au 
das    geheimnissvolle   Ziel ,    an   die    höhern   Bedürfnisse.      Das 
Leben,   in    allen   seinen   bedeutungsvollem   Wendungen    sonst 
geheiligt  durch  die  Kirche,  erschien  jetzt  abgetrennt  von  ihr. 
Der   Sonneuglanz   höherer  Weihe  war  erbleicht,   und   das   ir- 
dische Dasein  blieb  ohne  Vermittelung  mit  dem  himmlischen. 


44         Z\Yciter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel, 

Wol  fand  das  Kind  noch  Aufnahme  in  den  göttlichen  Gna- 
denbund, aber  gleichsam  nur  als  hinvvegeilend:  und  den  Tag, 
welcher  sonst  durch  alle  Stände  die  Aeltern  zu  frohem  Jubel 
geweckt  hätte,  umgab  jetzt  ein  düsteres  Schweigen.  Auf 
Gräbern  anstatt  am  Altar  wurde  zwischen  den  Todeswürdigen 
das  Band  der  Ehe  angeknüpft.  Dem  beladenen  Gewissen 
ward  oft  keine  Milderung  durch  Beichte  und  Lossprechung, 
dem  Bekümmerten  kein  Trost  durch  des  Priesters  Wort;  dem 
Hungrigen  nicht  gereicht  die  Speise  des  Lebens;  niemandem 
das  Weihwasser  gespendet.  Einzig  im  Vorhofe  und  des 
Sonntags  allein  durfte  der  Priester  das  Volk  zur  Busse 
mahnen;  dieses  blos  im  Trauergewande,  aus  der  Ferne  gegen 
das  verschlossene  Heiligthum  gerichtet,  zum  Herrn  seufzen. 
In  der  öden  Vorhalle  nur  mochte  die  genesene  Wöchnerin 
dem  Höchsten  für  den  ci-haltenen  Beistand  danken;  dort  mü- 
der Pilger  den  Segen  zu  seiner  Wallfahrt  empfahen.  Lis- 
geheim,  ob  ihm  Gott  noch  genaden  möge,^^  wurde  dem  Ster- 
benden die  letzte  Wegzehrung,  von  dem  Priester  einsam  in 
der  Morgenfrühe  des  Freitags  geweiht,  dargereicht,  die  letzte 
Oelung  aber,  als  grösseres  Sakrament,  war  ihm  geweigert, 
gleich  wie  den  Todtcn  (ausser  Priestern,  Bettlern,  fremden 
Pilgern  und  solchen,  die  mit  dem  Kreuz  bezeichnet  waren)  die 
geweihte  Erde,  oft  sogar  jedes  Begräbniss.  Selbst  der  Freund 
durfte  den  Freund  nicht  bestatten;  Kindern  blieb  es  versagt, 
hingeschiedene  Aeltern  mit  einer  Hand  voll  Erde  zu  bedecken." 
Die  grauenerregende  Wirkung,  die  unser  Schilderer  her- 
vorzubringen beflissen  ist,  hat  das  Literdict  in  jenen  Zeiten 
sicher  ausgeiibt,  und  da  es  sich  hier  nur  um  die  Macht  der 
Kirche  und  deren  Tragweite  handelt,  miissen  wir  von  allen 
andern  Gesichtspunkten  absehen.  Von  dem  wüsten  Zustande 
führt  der  Schilderer  die  bekannte  Thatsache  an,  dass  an  vielen 
Orten  der  Normandie  im  Jahre  1197  infolge  eines  Interdicts, 
das  der  Erzbischof  von  Honen  ausgesprochen  hatte,  die  Lei- 
chen auf  der  Strasse  lagen.  Beispiele  der  kirchlichen  Strenge 
an  Hohen  liefern  Herzog  Leopold  von  Oesterreich,  der  unbe- 
graben  blieb,  Aveil  nicht  vollzogen  wurde,  was  er,  um  des 
Bannes  ledig  zu  werden,  auf  dem  Sterbebette  verheissen 
hatte.  Graf  Kaymund  V.  von  Toulouse,  der  1222  im  Banne 
gestorben  war,  lag  noch  im  Jahre  1271  unbegrabeu  und  trotz 
den  Bemühungen   seiner  Tochter,   durch  Zeugen  seinen  reue- 


4.    Vergrösserung  des  geistlichen  Ansehens.  45 

vollen  Tod  7A1  beweisen,  blieb  ihm  das  Begräbniss  versagt,  so- 
dass ihn  zuletzt  die  Raben  frassen.  Erwähnt  maa:  noch  wer- 
den,  dass  auch  dem  geselligen  Verkehr  durch  das  Interdict 
jeder  Frohsinn  genommen  wurde,  allgemeines  Fasten  sollte 
statthaben,  selbst  die  Pflege  des  Leibes  hintangehalten  werden : 
,,nemo  tondeatur  neque  radatnr".  Da  jede  Gemeinschaft  mit 
dem  gebannten  Landestheile  untersagt  war,  litt  der  allgemeine 
Erwerb  und  dadurch  das  Einkommen  des  Landesherrn,  um 
dessentwillen  gewöhnlich  das  Interdict  verhängt  ward.  Wem 
ein  solches  Strafmass,  das  sich  wegen  des  Einen,  der  für 
schuldig  gehalten  wird,  auch  über  eine  grosse  Zahl  Unschul- 
diger erstreckt,  bedenklich  erscheinen  sollte,  den  verweisen 
wir  auf  die  rechtfertigende  Erklärung  Hurter's^:  „Nun  aber 
hielt  jene  Zeit  Fürst  und  Volk  fi\r  ein  unzertrennliches  Ganzes 
und  die  Tugenden  des  einen  für  die  Tugenden  des  andern,  die 
Sünden  des  einen  für  die  Sünden  des  andern  und  unc^etheilt 
empfänden  so  Haupt  als  Glieder  Segnungen  wie  Strafen." 

Kirclienspraclie. 

Durch  die  mittelalterliche  Handhabung  der  kirchlichen 
Schlüsselgewalt  wurde  die  Laienwelt  in  gänzliche  Abhängig- 
keit von  der  Geistlichkeit  geschlagen.^  und  durch  das  Auftreten 
der  Kirche  gegen  die  Volkssprachen  und  deren  bewirkte  Be- 
seitigung bei  gottesdienstlichen  Handlungen  wurde  das  Laien- 
volk gleichsam  entselbstet.  Nach  Einführung  des  Lateinischen 
als  heilige  Kirchensprache  vernahm  der  Laie  beim  Got- 
tesdienste nicht  mehr  den  unmittelbaren  Ausdruck  seines  reli- 
giösen Bewusstseins,  er  konnte  das  Pleilige  nur  in  der 
Aeusserlichkeit  des  priesterlichen  Cultus  anschauen,  durch 
den  die  innersten  menschlichen  Interessen  vermittelt  werden 
sollten.  Unter  Karl  dem  Grossen  wurde  auf  der  Synode  zu 
Tours  (813)  das  Predigen  in  der  Volkssprache  noch  empfohlen, 
ward  aber  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr  verdrängt;  die 
Massregeln  des  Papstthnms  gegen  die  Volkssprache  wurden 
durch  Regenten  gefördert.  ^  Durch  die  Unterdrückung  der 
Muttersprache  war  der  Laie  auf  rein  passive  Theilnahme  an 
der  gottesdienstlichen  Handlung  herabgesetzt,  bei  welcher  das 


1  A.  a.  0.,  S.  389. 

-  Tgl.  Gfrürer,  Allgemeine  Kirchengeschicht o,  IV,  1,  S.  MG, 


4G        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Yorstellung  vom  Teufel, 

ihm  imverstäiulliche  Latein  im  Gebrauch  war,  das  ihm  aller- 
dings mysteriös  erschien,  wodurch  aber  dem  religiösen  Ge- 
müthe  keine  Nahrung,  dem  sittlichen  Willen  keine  Anregung 
geboten,  das  religiöse  Bewusstsein  also  ausgehöhlt  wurde. 
Wenn  Gregor  VII.  ganz  entschieden  für  die  Ausmerzung  der 
Landessi^rachen  eiferte,  so  hatte  er  das  richtige  Mittel  er- 
kannt, um  die  Laienwelt  zu  entselbsten,  das  kirchliche  An- 
sehen aber  zu  erhöhen. 


5.  Bereiclieniiig  der  Kirclie  an  materiellen  Giltern. 

Die  Machtstellung  der  päpstlichen  Kirche  beruhte  nicht 
blos  auf  psychologischer  Grundlage,  sie  stützte  sich  vorzüg- 
lich auch  auf  den  Besitz  materieller  Güter,  wodurch  sie 
auf  die  Laienwelt  einen  bedeutenden  Druck  ausübte.  Die  zum 
Christenthum  bekehrten  germanischen  Stämme  hatten  gegen 
die  Kirche  eine  grosse  Freigebigkeit  bewiesen,  insbesondere 
war  sie  in  Gallien  schon  unter  römischer  Herrschaft  zu 
reichem  Güterbesitz  gelangt,  der  durch  Schenkungen  der 
Merovingischen  Könige  von  Chlodwig  an  noch  vergrössert  wurde. 
Als  Muster  der  Freigebigkeit  gegen  die  Kirche  gilt  ihr  der 
erste  christliche  Kaiser  mit  Berufung  auf  das  Konstantinische 
Edict,  welches  dahin  geht,  den  Stuhl  Petri  über  den  irdischen 
Thron  zu  erhöhen,  ihm  Macht  und  Würde  zu  verleihen,  da- 
her dem  Papste  als  Papa  universalis  ausser  dem  lateranischen 
Palast  und  den  kaiserlichen  Insignien  auch  die  Stadt  Rom 
und  alle  Provinzen,  üerter  und  Städte  Italiens  und  der  west- 
lichen Gegenden  als  Eigenthum  zugeschrieben  werden.  Mögen 
die  Historiker,  welche  dieses  Schriftstück  in  Zweifel  ziehen, 
auch  Recht  behalten;  es  bleibt  für  uns  bedeutsam  durch  die 
ausgesprochene  Tendenz.  Schon  unter  den  Merovingischen 
Königen  pflegte  Chilperich  zu  klagen:  Unser  Fiscus  ist  ver- 
armt, unsere  Reichthümer  sind  an  die  Kirchen  gekommen; 
nur  die  Bischöfe  herrschen,  unsere  Ehre  ist  verloren  und  auf 
die  Bischöfe  der  Städte  übergegangen.  ^  Loebell  ^  sagt,  diese 
Aeusscrung  sei  berühmt   als  Beweis   für   die  Anmassung  der 

1  Gregor  Turon.,  VI,  4G. 

-  Gregor  von  Tours  und  seine  Zeil,  S.  3o(). 


5.    Bereicherung  der  Kirche.  47 

Bischöfe,  es  sei  aber  nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass,  wenn 
die  Kirche  an  sich  riss,  was  dem  Staate  gehörte,  ein  König 
wie  Chilj)erich  ihr  auch  misgönnte,  was  ihr  gebührte,  und 
nicht  durch  Gewalt,  sondern  durch  die  Entwickelung  der 
Dinge  in  ihre  Hände  gekommen  war.  Wir  halten  uns  eben 
an  diese  Entwickelung  der  Dinge,  und  können  füglich  davon 
absehen,  dass  Gregor  von  Tours  den  König  Chilperich,  mit 
dem  er  selbst  in  Conflict  gerathcn,  den  grössten  Feind  der 
Kirche  nennt,  „nulluni  plus  odio  habens  quam  ecclesias". 
Wir  halten  nur  die  Thatsache  im  Auge,  dass  die  Kirche  um 
diese  Zeit  (6.  Jahrhundert)  schon  mächtig  und  reich  war  und 
es  immer  mehr  zu  werden  strebte.  Zu  Ende  des  7.  Jahr- 
hunderts, so  wird  behauptet,  war  gewiss  ein  volles  Drittheil 
in  Gallien  Kirchen-  und  Klostergut.  Durch  Karl  Martell's 
und  seiner  Söhne  gewaltsame  Säcularisation  der  Kirchengüter 
o-ins  zwar  ein  grosser  Theil  davon  verloren,  aber  Karl  der 
Grosse  und  Ludwig  der  Fromme  ersetzten  das  Verlorene 
wdeder.  Das  Königsgeschlecht  der  Karolinger  glaubte  sich 
den  Päpsten  zu  Dank  verpflichtet  für  die  von  ihnen  ertheilte 
köniijliche  Weihe  und  die  Entbindung  der  Franken  von  ihrer 
Pflicht  der  Treue  gegen  die  Merovinger,  wodurch  sie  jenen 
den  fränkischen  Thron  verschaift  hatten.  Die  Karoliuüische 
Erkenntlichkeit  erwies  sich  nach  den  Feldzügen  Pipin's  gegen 
das  Reich  der  Longobarden  (754  und  755),  wonach  ein 
grosser  Theil  des  eroberten  Gebietes,  nämlich  der  Küstenstrich 
von  Kimini  bis  Ancona,  dem  päpstlichen  Stuhle  als  Karo- 
lingische Schenkung  zufiel,  wofür  Pipin  den  Titel  eines  Pa- 
tricius  annahm.  Karl  der  Grosse  bestätigte  die  Schenkuns: 
und  soll  sie  noch  bedeutend  vermehrt  haben.  übschon  die 
völlige  Einverleibung  der  Sachsen  ins  Frankenreich  erst  im 
Jahre  805  vollendet  ward,  hatte  Karl  der  Grosse  doch  schon 
im  Jahre  776  ihr  Gebiet  in  Bisthümer  getheilt  und  781  den 
südlichen  Theil  des  Landes,  78G  auch  den  nördlichen  unter 
die  unmittelbare  Herrschaft  des  Papstes  gestellt.  Im  Jahre 
780  ward  das  Bisthum  Osnabrück  errichtet,  hierauf  die  Bis- 
thümer Minden,  Paderborn,  Münster,  Ilalberstadt,  Verden, 
Bremen.  Mit  der  Aufnahme  in  die  christliche  Kirche  waren 
die  Sachsen  derselben  zugleich  zehntpflichtig  gemacht,  sie 
sollten  nach  der  Aussage  Karl's  des  Grossen  dem  Herrn  und 
Heiland  Jesus  Christus  und  dessen  Priestern  einen  allgemeinen 


48        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Zehnt  entrichten.^  Zunächst  hatte  der  Zehnt  an  den  Klerus 
die  Bedeutung  von  Ahnosen,  dabei  gingen  die  Fürsten  mit 
dem  Beispiele  voran,  indem  sie  ihre  grundherrlichen  Zehnten 
den  Kirchen  iiberliessen ,  wie  Siegbert  III.  (G03 — 50)  an  die 
Kirche  von  Speier;  ähnlich  verfuhren  Pipin,  Karlmann,  Karl 
der  Grosse,  wodurch  die  übrigen  Grundbesitzer  zu  Gleichem 
bestimmt  wurden,  bis  letzterer  den  allgemeinen  Zehnt  gebot, 
der,  nach  levitischem  Gesetze  von  den  grundherrlichen  unter- 
schieden, anfiinglich  empfohlen,  später  zur  Pflicht  erhoben 
ward.  Die  Predigten  des  8.  Jahrhunderts  schärfen  den  Zehnt 
gewöhnlich  als  eine  Obliegenheit  ein,  durch  deren  Erfüllung 
der  höchste  Grad  christlicher  Vollkommenheit  erreicht  werde ''^; 
vom  9.  Jahrhundert  an  erscheinen  sie  schon  als  Zwangspflicht ^, 
und  Karl  der  Grosse  hat  die  kirchliche  Anforderung  durch 
eine  bürgerliche  Verordnung  bestätigt.* 

Regalien. 

Nach  den  vorhandenen  zahlreichen  Urkunden  waren  die 
Kaiser  aus  dem  sächsischen  Hause,  die  Könige  von  England 
und  Leon  nicht  w^eniger  freigebig  als  die  ersten  Karolino'er 
und  ihr  Oberhaupt,  Oft  besass  eine  Kirche  nicht  weniger  als 
8000  Mansi  (Bauernhöfe),  und  die  nur  2000  eigen  hatte,  galt 
nicht  für  reich.  Viele  dieser  Schenkungen  bestanden  aus 
unangebauten,  herrenlosen  Ländern,  durch  deren  fleissigen 
Anbau  und  kluge  Verwaltung  die  Einkünfte  der  Klöster  und 
Kirchen  sich  mehrten.  Dies  setzte  sie  wieder  in  Stand,  die 
besonders  zur  Zeit  der  Kreuzzüge  häufig  feilgebotenen  Güter 
an  sich  zu  bringen.  Die  Bisthümer  wurden  durch  die  deut- 
schen Könige  nicht  nur  mit  reichem  Güterbesitz  ausgestattet, 
selbst  mit  Grafschaften  und  Ilerzogthümern  belehnt,  sondern 
auch  mit  verschiedenen  Vorrechten,  den  sogenannten  Rega- 
lien versehen,  wodurch  die  Bischöfe  und  Aebte  im  Lehns- 
verhältniss  standen,  daher  seit  dem  9.  Jahriiundert  an  den 
Kriegen  mit  ihrer  Dienstmannschaft  theilzunehmen  pflegten. 
Die    der  Kirche    geschenkten  Krondomänen  waren    mit  Im- 


1  Urk.  vom  Juli  78«.  Mon.  Germ.  VII,  288. 
^  Paul,  über  die  Beueficien,  Kap.  11. 

3  Seiden,  Gescliiclite  des  Zehnten,  III,  11U8. 

4  Baluz.  Capitul.,  I,  25:5. 


5.  Bereicherung  der  Kirche.  49 

miinität  ausgestattet,  die  bald  auf  die  übrigen  Kirchen- 
ländereien  iiberoinij;.  Nicht  selten  waren  die  Kirchen ofüter, 
die  ohnehin  steuerfrei  waren,  unter  der  Benennung  „frankal- 
moign"  auch  aller  Kriegsdienstleistung  enthoben,  daher  dann 
Laien  ihr  Grundeigenthum  zum  Scheine  der  Kirche  über- 
trugen  und  von  dieser  wieder  angeblich  als  Lehn  oder  Pach- 
tung übernahmen,  wodurch  das  Grundstück  von  öffentlichen 
Lasten  befreit  blieb  und  dafür  der  Kirche  auf  Kosten  des 
Staats  ein  jährliches  Einkommen  zulloss.  ^  Die  Bischöfe  ge- 
nossen zwiefache  Vortheile  und  Auszeichnunaren :  als  Gross- 
grundbesitzer  hatten  sie  wieder  ihre  Lehnsleute  und  bildeten 
gleich  den  Königen  einen  Hofstaat;  als  erste  Lehnsträger  der 
Krone  waren  sie  ständic:e  Mitglieder  der  Reichsversammluniren, 
nahmen  theil  an  allen  Staatsangelegenheiten,  hatten  Sitz  und 
Stimme  und  daher  in  dieser  Beziehung  grossen  Einfluss. 
Bekanntlich  waren  noch,  als  die  Verfassung  zum  Wahlreich 
sich  ausgebildet  hatte,  von  den  sieben  Kurfürsten  drei  geist- 
liche, und  der  Erzbischof  von  Mainz  fungirte  stets  als  Kanzler 
des  Reichs.  Darin  liegt  wol  ein  wesentlicher  Grund,  dass 
die  Geschichte  der  deutschen  Kirche  und  die  deutsche  Reichs- 
geschichte eine   geraume   Zeit   hindurch   ineinander   aufgehen. 

Stiftungen. 

Bei  dem  herrschenden  Glauben,  Religiosität  könne  durch 
nichts  besser  an  den  Tag  gelegt  werden,  als  indem  man  die 
Kirche  bereichere,  fühlten  sich  auch  viele  Privatpersonen  be- 
wogen, Stiftungen  zum  Besten  der  Kirche  zu  machen. 
Nicht  nur  die  in  ein  Kloster  traten,  vermachten  diesem  ge- 
wöhnlich ihr  ganzes  Vermögen,  auch  die  Anverwandten  der 
Eintretenden  machten  häufig  Schenkungen,  die  sogar  erwartet 
wurden.  Viele  verschenkten  ihr  Vermögen  an  Kirchen  oder 
Klöster,  bevor  sie  in  den  Krieg  zogen  oder  wenigstens  für 
den  Todesfall;  andere  wurden  durch  die  Schrecken  des  Todes- 
kampfs dazu  getrieben,  ja  es  ward  beinahe  dem  Verbrechen 
des  Selbstmords  gleichgeachtet,  zu  sterben,  ohne  die  Kirche 
wenigstens  mit  einem  Theile  seiner  irdischen  Güter  bedacht 
zu  haben,   sowie   ohne  Testament    zu  sterben  als  eine  Ueber- 


1  Muratori,  Antiqu.  Ital.,  V,  Dissert.  (jf),  GS. 

Eoskoff,  üeachiclite  des  Teufels.    II. 


50        Zweiter  Abschnitt :   Ausbildung  der  Vorgtcllung  vom  Teufel. 

vortheilung   der  Kirche  betrachtet   wurde.      In   Enghind    be- 
strafte   die   Kirche    solche  Vorgänge    in    dem   Zwischenräume 
der  Regierungen  von  Heinrich  III.  und  Eduard  III.  dadurch, 
dass   sie   die  Verwaltung   der   Güter   des  Verstorbenen   selbst 
übernahm.  1      Von   den   reichlichen  Schenkungen  der  Fürsten, 
die  sich  auch  in  der  Folge  fortsetzten,  können  wir  uns   eine 
Vorstellung  machen,  wenn  wir  allein  bei  Pez^  in  einem  Bande 
von    Seite   1—285    lauter    Scherikungsurkunden    und    Bcstä- 
tio-ungsacte    an    Klöster,    namentlich    an    Emeran    gesammelt 
finden.     Der  Codex   diplomaticus  ^   enthält   ausser   der   Charta 
donationis   ab  Opilione  Patricio   Romanorum   factae   Ecclesiae 
S.  Justinae  de  Padua,   welche   laut  Randnote  circa  a.  C.  453 
erlassen  ist,  von  Nr.  VII  (p.  10)  an :   Vetustissimae  traditiones 
nionasterii  Monsensis  seu  lunaelacensis,  olim  in  Boivaria,  nunc 
in  Austria  —  vom  Jahre  748—854  allein   gegen  hundertund- 
drei Schenkungsurkunden  an  dieses  Kloster  ad  S.  Michaelem, 
und  zwar  fast  sämmthche:   „pro  peccatis  meis  minuendis,  vel 
pro  aeterna  retributione",  oder:  „pro  anima  mca  seu  pro  aeterna 
retributione",  oder:  „cogitans  vel  pertractans  molem  peccaminum 
meorum   vel   pro   relaxandis    facinoribus    meis    in   die   judicii, 
idcirco  dono"  etc.,  oder:   „pro  animae  meae  remedium".     So 
lauten  die  wiederkehrenden  Formeln,  womit  die  Schenkungs- 
briefe ein-Teleitet  werden.      In  demselben  Bande  befinden  sich 
noch    ein    Dutzend    Schenkungsurkunden    aus    dem    11.    und 
12.  Jahrhundert  an  Klöster,  betrefi'end  Weinberge,  „quasdam 
villas",    oder:    „plurium    bonorum".      Ferner    enthält   Codex 
diplomaticus ,    tom.  V,  pars  II,  viele  Schenkungsurkunden  an 
Carthusia  Satzensis,  Klosterneuburg,  Schotten  in  Wien,  Hei- 
lifre-Kreuz  in  Oesterreich,  das  Frauenkloster  in  Erlach;  Ver- 
leihung   verschiedener  Privilegien    an   geistliche    Stifte,    z.  B. 
das  Weinschenken.      Auch  solche  Vorrechte  wurden   zur  Er- 
langung des   Seelenheils   ertheilt,   wie  folgendes   Beispiel   aus 
dem   Jahre   1397   zeigt:    „Wir  Wilhelm   von  Gottes   Gnaden, 
Hertzog  ze  Oesterreich,  ze  Steyr  und  Kärnten  und   ze  Crain, 
Graff  ze  Tyroll   etc.  bekennen,   das  Wir   durch  Unsere  Vor- 


1  Pryiie,  Constitutions,  III,  18;  Blackstone,  II,  c.  32. 

2  Pczii  thcs.  anecdot.  noviss.,  tom.  I,  part.  III. 

•■'  VI,  bei  B.  l'ezii  thes.  anccd.  noviss.,  VI,  pars  I. 


Bereicherunj?  der  Kirche.  51 


o 


vordem  löblicher  Gcdeclitnus,  Unser  und  Unser  Nachkommen 
Seel-Hail,  dem  Erbarn  Geistlichen  den  Closterfrauen  ze  Ybbs, 
die  Gnad  getan  haben,  und  tuen  es  auch  wissentlich  mit  die- 
sem Brieff,  das  Sy  Iren  Weinn  daselbst  zu  Ybbs  mögen 
lassen  schenkhen,  und  davon  kein  Ungelt  geben  schollen,  doch 
Uns  aiiff  Uns  oder  Unser  Erben  Widerrunffen  etc.  Geben 
ze  Wienn  am  Sontag  nach  dem  Heiligen  Auffarts  Tag,  nach 
Christi  Gepurt  1397te  Jare."  i 

Vermächtnisse  zu  wohlthätigem  Zwecke,  deren  Ver- 
waltung gewöhnlich  der  Geistlichkeit  anvertraut  ward,  ver- 
wandte  diese  auch  oft  zu  eigenem  Nutzen.  Die  Appel- 
lationen, Absolutionen  und  Ablässe  brachten  dem 
Haupte  der  Kirche  schweres  Geld  ein.  Die  Redemptionen, 
wonach  die  strengen  kanonischen  Büssungen,  den  reuigen 
Siindern  auferlegt,  durch  Geld  oder  Immobiliarschenkungen 
abgelöst  werden  konnten  und  den  Kirchen  und  Klöstern  eine 
Quelle  des  Reichthums  waren,  wurden  in  der  Folge  durch 
die  Einrichtung  der  Dispensationen  und  Indulgenzen 
in  die  Schatzkammer  nach  Rom  geleitet.^  Die  seit  dem 
13.  Jahrhundert  aufgekommenen  Annatae,  wodurch  der  Be- 
trag der  jährlichen  Einkünfte  eines  zu  Rom  consecrirten 
Bischofs  dahin  abgeliefert  werden  musste,  waren  eine  er- 
giebige Quelle.  Besonders  einträglich  für  die  römische  Curie 
waren  die  Streitigkeiten  bei  Bischofs  wählen.  AVenn 
auch  nicht  anzunehmen  ist,  dass  jeder  Streitfall  so  ausgiebig 
war  als  der  von  Fünfkirchen  in  Ungarn,  den  Lorenz  ^  an- 
führt, wo  die  Processkosten  in  Rom  nicht  weniger  als 
15000  Mark  Gold  betrugen*,  so  ist  zu  erinnern,  dass  die 
Bischofswahlprocesse  dagegen  sehr  häufig  waren,  daher  eine 
bedeutende  Einnahme  abgaben.  Manche  Päpste  suchten  dem 
Misbrauche  mit  dem  Kirchenbanne  zu  steuern,  der  von 
Bischöfen  oft  zu  eigennützigen  Zwecken  verhängt  wurde.  So 
hatte  z.  B.  der  Bischof  von  Clermont  seinen  Sprengel  mit 
dem  Interdicte  belegt,  weil  die  Bewohner  bei  seinem  Einzüge 


1  Cod.  dipl.,  V,  pars  II.  p.  IIS;  über  Stiftungen  von  Klöstern  und 
Schenkungen  au  dieselben  vgl.  Harter,  Innocenz  III.,  Buch  28,  bes.  S.  473 
— 507;    über  den  grossen  Besitz  der  Klöster  ebendaselbst  S.  599  fg. 

*  Muratori,  Diss.,  68. 

3  I,  101. 

^  Nach  Fejer,  Cod.  diplom.,  IV,  2,  187. 

4* 


52        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

keine  Freudensteuer  entrichten  wollten,  i  Andere  Beispiele 
von  Bischöfen,  die  vom  Banne  nicht  auf  reumiithige  Bitte, 
sondern  für  Geld  oder  Bürgschaft  lossprachen,  werden  von 
Hurter^  u.  a.  angeführt.  Innocenz  IV.  sah  sich  genöthigt, 
strenge  Verbote  gegen  Erpressungen  beim  Aussprechen  und 
Lösen  des  Bannes  zu  erlassen  3;  allein  die  Päpste  fingen  selbst 
an,  diese  Kirchenstrafe  als  Bereicherungsmittel  zu  gebrauchen 
und  für  die  Aufhebung  derselben  Geld  anzunehmen.  So 
musste  Pisa,  das  seit  1214  gegen  dreissig  Jahre  lang  unter  dem 
Interdicte  gelegen,  dem  Papste  für  die  Lösung  30000  Pfund 
erlegen.*  Bei  der  Versunkenheit  des  Klerus  kann  es  iiber- 
haupt  nicht  befremden,  wenn  er  aus  Habgier  oder  um  dem 
luxuriösen  Leben  zu  fröhnen,  bei  jeder  Gelegenheit  sich  zu 
bereichern  suchte,  wenn  z.  B.  „Bischöfe  für  ihre  Verrichtun- 
gen: Einweihungen  von  Kirchen  und  Altären,  oder  fiir  das 
Chrisma  und  das  heilige  Oel  einen  hohen  Preis,  oder  für 
Einsetzuno^  von  Aebten  kostbare  Geschenke,  Pferde,  seidene 
Kleider,  für  die  Bestätigung  Geld  forderten"^,  und  gerecht- 
fertigt erscheint  demnach  wol,  wenn  ein  englischer  Geschicht- 
schreiber sagt:  „den  Bischöfen  unserer  Zeit  ist  die  Welt  nicht 
ans  Kreuz,  sie  sind  an  jene  geheftet.  Sie  seufzen  nicht  mit 
den  Propheten:  ach  warum  verlängerst  d\\  die  Tage  meines 
Erdenwallens?  vielmehr  scheint  ihnen  dessen  Dauer  zu  kurz. 
Müssen  sie  hinweg  von  ihren  Reichthiimern  oder  Annehm- 
lichkeiten, so  fühlen  sie  sich  von  Schmerz  zerrissen."*^ 

Senden. 

Die  Senden,  deren  Ursprung  mit  den  jährlichen  bischöf- 
lichen Visitationen  parallel  geht  und  die  Aufgabe  hatten,  das 
kirchliche  Leben  in  den  Gemeinden  zu  erforschen  und  zu 
i'iberwachen,  besonders  diejenigen  Verbrechen  .zu  bestrafen, 
die  vom  weltlichen  Arm  nicht  getrofien  wurden,  arteten  auch 
zu    Gelderpressungsmitteln    aus,    nachdem    die    Sendgerichte 


1  Planck,  IV,  2,  291. 

2  Innocenz  III.,  III,  362. 

3  Ep.  I,  181 ;  Arcbives  de  Heims,  II,  1,  G59,   bei  Raumer,  VI,  162. 

*  Räumer,  a.  a.  0. 

*  Ilurter,  III,  362. 

"  Guil.  Neubr.,  V,  8;  bei  Hurtcr,  a.  a.  0. 


5.    Bereicherung  der  Kirche.  53 

Geldstrafen  aufzulegen  angefangen  hatten,  welche  Alexan- 
der III.  im  Jahre  1180  noch  verwarf  %  Innocenz  III.  aber 
schon  billigte.  Die  Senden  hatten  sich  nämlich  mit  der  Zeit 
in  bischöfliche,  archidiakonale  und  erzpriesterliche  abge- 
stuft, und  der  erzbischöfliche  gestaltete  sich  zu  einem  stän- 
digen Gericht,  so  z.  B.  im  Mainzischen  im  13.  Jahrhundert.'-* 
Die  Geldstrafe,  die  z.  B.  urspriinglich  für  Arbeit  an  Sonn- 
und  Festtagen  manche  Gewerbe  betroffen  hatte,  wurde  zu 
einer  regelmässigen  jährlich  an  die  Sendherrn  zu  entrichtenden 
Abgabe,  die  den  Handwerkern  sehr  beschwerlich  wurde.  Der 
Misbrauch  der  Senden  muss  arg  gewesen  sein,  da  die  Send- 
richter von  den  Bischöfen  selbst  zu  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts zur  Mässigung  aufgefordert  wurden.  Unter  den  von 
dem  Convent  zu  Nürnberg  1522  und  1523  an  den  Papst  ein- 
gereichten Beschwerden  der  deutschen  Nation  waren  die 
Bedrückungen,  die  sich  die  Geistlichen  bei  den  Senden 
erlaubten,  angefiihrt.  Die  Gelderpressungen  waren  besonders 
unerträglich  geworden,  seit  man  statt  unbescholtener  Send- 
zeugen bestochene  Angeber  hielt.  Ein  Bild  gibt  die  Klage 
im  „Vntericht  der  Visitatoren  an  die  Pfarhern  ym  Kur- 
fürstenthum  zu  Sachsen". ^ 


Reliquien. 

Eine  sehr  ergiebige  Einnahmsquelle  für  Kirchen  vmd 
Klöster  boten  die  Reliquien  der  Heiligen,  theils  durch  deren 
Verkauf  theils  durch  deren  heilkräftige  Wunder,  wodurch  das 
opfernde  Volk  herbeigelockt  wurde.  Eine  besonders  reiche 
Beute  an  Rehquien  machten  die  Kreuzfahrer  nach  der  Er- 
oberung Konstantinopels,  wo  die  heiligen  Ueberreste  aus  allen 
Pflanzörtern  des  Christenthums  von  den  christlichen  Kaisern 
angehäuft  worden  waren.  Byzanz  rühmte  sich,  ein  Stiick  von 
dem  Steine  zu  besitzen,  auf  welchem  Jakob  geschlafen,  von 
dem  Stabe,  den  Mose  in  eine  Schlange  verwandelt  hatte,  hier 
gab  es  Kleider  der  Heiligen  Jungfrau,  ihr  Spinnrocken,  von 
ihrer  Milch  wurde  hier  aufbewahrt,    das  Kreuz,    an  welchem 


'  Decret.  Gregor,  lib.  V,  tit.  V,  37,  c.  3. 

^  Bodmann,  Rheingausche  Alterthümer,  S,  851  fg. 

^  Vgl.  bei  Herzog,  Art.  Sende. 


54  Zweiter  ALsclmitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

der  Heiland  gelitten,  von  dem  Blute,  das  er  für  die  Sünden 
der  Menschen  vergossen,  die  Windeln,  in  welchen  er  gelegen, 
ein  Zahn  aus  seiner  Kindheit,  einige  Ilaare  aus  seiner  Knabeu- 
zeit ,  ein  Stück  von  dem  Brote ,  das  er  beim  letzten  Abend- 
mahl unter  seine  Jünger  gebrochen,  ein  Stück  von  dem 
Purpurmantel,  den  er  vor  Pilatus  umgehabt,  die  Dornenkrone, 
die  er  getragen,  u.  dgl.  Solche  Kostbarkeiten  wogen  den 
Werth  von  Gold  und  Edelsteinen  weit  auf  und  wurden  daher 
von  den  Kreuzfahrern,  besonders  den  Geistlichen  unter  ihnen, 
mit  heisser  Gier  gesucht  und  nach  Italien,  Frankreich, 
Deutschland  und  dem  übrigen  Europa  gebracht,  wo  sie  in 
Kirchen,  Stiftern  und  Klöstern  aufbewahrt  wiirden.  Wo  eine 
Reliquie  ankam,  verbreitete  sich  der  Ruhm  ihrer  Wunder- 
kräftigkeit  durch  das  ganze  Land.  Jede  Kirche  suchte  eifrigst 
in  den  Besitz  einer  heiligen  Reliquie  zu  gelangen,  nicht  nur 
wegen  des  Kapitalwerthes,  der  darauf  lag,  sondern  vornehm- 
lich wegen  der  reichlichen  Zinsen,  die  der  Kirche  oder  dem 
Kloster  durch  ihren  Besitz  zuflössen,  indem  für  die  heil- 
kräftigen Wunder,  welche  die  Reliquie  be^arkte,  von  den 
herbeiströmenden  Heilsbedürftigen  bedeutende  Geldopfer  dar- 
gebracht wurden.  Schon  im  0.  Jahrhundert  war  die  Trans- 
lation von  Reliquien  ein  förmliches  Geschäft:  man  Hess  die 
Gebeine  oder  andere  Ueberreste  von  einem  Heiligen  kommen, 
baute  eine  neue  Kirche,  deren  Glück  durch  die  Translation 
gewöhnlich  gemacht  war.  Als  der  Körper  des  heiligen 
Sebastian  in  Rom  anlangte  und  der  des  heiligen  Gregorius  dazu 
gestohlen  worden  war',  um  im  Kloster  St. -Medard  von 
Soissons  aufbewahrt  zu  werden,  kamen  so  viele  Menschen  zu 
den  neuen  Heiligen,  dass  die  Gegend  wie  mit  Heuschrecken 
besäet  war  und  jene  scharenweise  geheilt  wurden.  Das  Geld 
dafür  massen  die  Mönche,  85  Schefi:el,  und  das  Gold  betrug 
800  Pfund. '^  Kirchen,  die  sich  des  Besitzes  von  bedeuten- 
dem Reliquien  rühmen  konnten,  erhielten  zu  Rom  den  Vor- 
zug, dass  dem  sie  Besuchenden  an  der  Zeit  auferlegter  Busse 
eine  Anzahl  von  Tao;cn  nach<T;eschen  wurde.  ^  Die  An- 
ziehungskraft  der  heiligen  Reliquien  ist  begreiflich,  wenn  wir 


1  A.  SS.  BolL,  20.  Jan. 

2  Roth,  Geschichte  des  Bcneficienwesens,  I,  255. 

3  llurtcr,  IV,  Beil.  ,'52,  Kcliquien. 


5.    Bereicherung  der  Kirche.  55 

hören,  dass  sie  nicht  nur  alle  Krankheiten  und  Gebrechen 
heilten,  sondern  auch  gegen  Wassers-  und  Hungersnoth, 
Seuchen,  Krieg  und  Tod  schlitzten,  dass  den  hergestellten 
Frieden  im  Lande  ihre  Ankunft  bewirkte.  „Bei  Verträgen, 
Schenkungen,  Richtungen  vertrat  ihre  Berührung  die  Stelle 
des  Eides."  ^  57  Die  Kirchen  und  Klöster,  welche  im  Besitze 
solcher  Reliquien  waren,  sammelten  Beiträge,  um  die  heiligen 
Ueberbleibsel  in  kostbaren  Gefässen  aufbewahren  zu  können. 
Besonders  gross  war  der  Aufwand  an  edeln  Metallen  und 
Edelsteinen  fi'ir  die  Särge  der  Schutzheiligen  von  Klöstern. 
Im  Jahre  1207  wurde  der  Leib  des  heiligen  Benedictus  zu 
Fleuri  an  der  Loire  aus  einem  unscheinlichen  Kasten  in 
einen  kostbaren  gelegt,  welcher  23000  Solidi  kostete."  ^  Infolge 
der  herrschenden  Sucht  nach  Reliquien  nahm  die  Menge  der- 
selben auch  zu,  und  „gleich  wie  manche  Heilige  verehrt 
w^urden,  deren  Leben  und  Wirken  völlig  unbekannt  war,  die 
vielleicht  nie  gelebt  hatten,  welchen  man  Handlungen  ange- 
dichtet, die  sie  nie  konnten  verrichtet  haben" ^,  ebenso  stand 
es  mit  der  Echtheit  der  Reliquien.  „Von  manchem  Heiligen 
wurden  mehr  Köpfe  vorgezeigt,  als  das  Ungeheuer  Lernäon 
gehabt  hatte,  oder  so  viele  Theilchen,  dass  derjenige,  dem  sie 
hätten  angehören  sollen,  an  Grösse  den  Riesen  Anteus  müsste 
übertroffen  haben."'*  Vom  heiligen  Johannes  wollte  jede  be- 
deutendere Kirche  etwas  Jiaben,  den  heiligen  Dionysius  ver- 
sicherte Paris  zu  besitzen,  ebenso  gut  wie  die  Abtei  zu 
St.-Denis,  wie  auch  St.-Emeran  in  Regensburg  das  Gleiche 
behauptete.  Das  Haupt  Johannes  des  Täufers  zeigte  man 
sowol  in  Konstantinopel  als  im  Kloster  St. -Jean  d'Angeli. 
Selbstverständlich  gab  es  Streitigkeiten  sowol  über  die  Echt- 
heit als  auch  über  die  Wunderkraft  der  Reliquien,  da  von 
letzterer  die  Grösse  der  Einnahme  abhing.  Bei  der  stets  sich 
mehrenden  Zahl  der  Reliquien  gab  es  deren  von  der  sonder- 
barsten Art:  das  Kloster  von  Gladston  in  England  rühmte 
sich  des  Besitzes  eines  Stückes  der  Krij^pe,  worin  Jesus  ge- 
legen, der  Geisel,  womit  er  geschlagen  worden,  des  Schwam- 


1  Hurter,  a.  a.  0. 

2  Ebeudas. 

3  Hurter,  IV,  487. 
*  Ebeudas. 


56  Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

mes,'   den  man   ihm   am  Kreuze   gereicht  hatte,    eines  Theils 
Ton  dem  Golde,    das   die  Magier  ihm  dargebracht,   von   den 
fünf  Gerstenbroten,  die  einst  das  Volk  speiste,  es  wies  selbst 
einen  Stein   vor    von   denen,    die   ihm   der   Teufel    angeboten, 
sie  in  Brote  zn  verwandeln,  nnd  das  merkwiirdigste  war  wol 
ein  Theil  des  Lochs,  in  welches  anf  Golgatha  das  Kreuz  ge- 
steckt w^orden  war.  *     Der  Bischof  von  Liittich  schenkte  dem 
Abt  von  St.-Laurenz   zn  Lüttich   eine  Thräne  Christi,   die  er 
von   Innocenz  III.   erhalten   hatte;    daselbst    zeigte  man   auch 
das    Präputium    Christi;    Graf  Arnold    von   Andres    trug    an 
seinem  Halse    ein   Barthaar  Christi    in    einem   Gefässe;    Erz- 
bischof Ilartwich  von  Bremen  begli;ckte  seine  Kirche  mit  dem 
Schwerte,    womit  Petrus    dem   Malchus   das   Ohr    abgehauen 
hatte;    in  Laon  wurde  Milch   der  Heiligen  Jungfrau   in  einer 
krystallenen  Taube  aufbewahrt;   Bischof  Konrad  von  Ilalber- 
stadt    besass  Fleisch  von  dem   Körper    des  Apostels  Paulus; 
die  Kirche  zu  Aegeri  rühmte  sich,  etwas  von  dem  Busche  zu 
besitzen,    den   Mose    brennen    gesehen,    nnd    von    der    Erde, 
woraus  Gott  die  ersten  Menschen   gebildet.^      Da  man   Reli- 
quien  ihrer  Wunderkraft  wegen    gern    als   Anmiete  bei   sich  J 
trug,   um  durch  sie  vor  Gefahren   und  Unfällen  geschützt  zu        m 
sein,    so  waren  sie  auch  ein  von  Privatpersonen  vielgcsuchter       ^ 
Artikel,    mit    dem    namentlich  Kloster    und  Kirchen    Handel 
trieben.      Das   vierte   lateranische  Concil    1215    fand   sich   ge- 
nöthigt,  den  Verkauf  der  Reliquien  zu  beschränken,  insofern 
dieselben  durch  den  Papst  approbirt  sein  mussten.      Dadurch 
wurde    aber    dem    Handel    noch    nicht    abgeholfen    und    jede 
Kirche,   jedes   Kloster   konnte   sich   für   die  Wunder,   welche 
ihre   Reliquien    an   Kranken   oder  anderwärts   bewirkten,    be- 
zahlen lassen. 

Ausser  den  Reliquien  waren  noch  eine  Menge  wunder- 
kräftiger Sachen  in  Gebrauch,  die  von  der  Kirche  angefertigt 
und  von  den  Laien  gekauft  wurden,  um  als  Anuüete  zu  die- 
nen, als:  Gotteslämmer,  Agnus  Dei,  durch  deren  Gebrauch 
man  der  Sünden  ledig  und  gegen  Feuers-  und  AVassersnoth, 
Sturm,  Ungewitter,  Hagel,  Krankheit  und  Zauberei  geschützt 
ward;    geweihte  Bilder,    Marienmedaillen,    Schwciss- 


1  Harter,  IV,  493. 

2  Hurter,  IV,  Buch  32,  Reliquien. 


5.    Bereicherung  der  Kirche.  57 

ti'iclilein,  Conceptionszettel  u.  dgl.  Erst  im  15.  Jahr- 
hundert wurde  das  Recht,  Gotteslämmer  zu  verfertigen  und 
auszugeben,  als  ein  päpstliches  Monopol  in  Anspruch  ge- 
nommen durch  die  Bulle  Sixtus  IV.  vom  22.  März  1471, 
wodurch  diese  Geldquelle  nach  Rom  geleitet  wai'd;  allein  die 
niedere  Geistlichkeit  liess  sich  nicht  abhalten,  auch  fernerhin 
daraus  Nutzen  zu  schöpfen,  und  trieb  den  Verkauf  von  ge- 
wissen Dingen  immer  fort,  da  der  Gebrauch  der  Anmiete 
immer  mehr  zunahm.  Ein  Beispiel  von  der  wunderbaren 
Kraft  der  päpstlichen  Conceptionszettel  wird,  bei  voraus- 
gesetztem Glauben  daran,  das  Verlangen,  derlei  zu  besitzen, 
erklären:  P.  P.  „AVer  einen  solchen  Zettel  brauchen  will, 
muss  ihn  vorher  benetzen  mit  heiligem  Dreikönigswasser  und 
hernach  nur  einmal  beten  zu  Ehren  der  Geburt  Christi  und 
der  unbefleckten  Empfängniss  Maria:  drei  Vaterunser,  drei 
Ave-Maria,  dreimal  das  Gloria  patris  u.  s.  w.  sammt  einem 
Glauben,  nach  diesen  spricht  er  diese  zwei  Wörter:  Ave, 
Amen."  —  Gebrauch  der  Zettel.  „Erstlich,  wer  einen  sol- 
chen Zettel  bei  sich  trägt,  ist  sicher  vor  aller  erdenklicher 
Zauberei,  sollte  aber  einer  verzaubert  sein,  der  muss  einen 
solchen  Zettel  verschlingen,  also  wird  er  davon  befreit,  und 
kann  auch  dem  verzauberten  Vieh  ein  solcher  Zettel  einge- 
geben werden,  der  Mensch  muss  aber  anstatt  des  Viehs  das 
Gebet  verrichten,  also  auch  wenn  ein  solcher  Zettel  in  einer 
Wiege  liegt  oder  dem  Kinde  angehängt  wird,  damit  es  nicht 
verzaubert  werde,  so  muss  die  Mutter  anstatt  des  Kindes  das 
Gebet  verrichten."  2.  „Wenn  solche  Zettel  in  einen  Blechel 
verlöthet  gelegt  werden  in  die  vier  Ecken  eines  Gartens  oder 
Ackers,  so  können  nicht  schaden  die  bezauberten  üngewitter 
und  Ungeziefer."  3.  „Kann  ein  solcher  Zettel  eingespündet 
werden  in  das  Butterfass,  damit  die  Zauberei  verhütet  werde." 
4.  „Können  solche  Zettel  eingespündet  werden  unter  die 
Thürschwellen  sowol  in  menschlichen  Wohnungen  als  auch  in 
den  Viehställen.  Item  in  die  Krippen  und  Leitex'n,  daraus 
die  Schaaf,  Pferd  und  anderes  Vieh  zu  fressen  pflegt,  kann 
im  geringsten  nicht  verzaubert  werden."  5.  „Sind  die  Zettel 
sehr  dienlich  den  gebälirenden  Frauen;  wenn  sie  kurz  vor  der 
Geburt  einen  solchen  Zettel  verschlingen,  so  bringt  das  Kind 
öfters  den  Zettel  auf  die  Welt,  entweder  an  der  Stirn,  oder 
zwischen  den  Lefzen,  oder  aber  in  einem  Händel."     G.  „Vcr- 


58        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

hüten  sie  im  Braubaus  unter  dem  Zapfen,  wo  man  das  Bier 
abzulassen  pflegt,  alle  Zauberei,  auch  in  einer  Mühle  in  dem 
Mühlrad,  wenn  ein  dergleichen  Zettel  eingesj^ündet  wird,  auch 
in  die  Radel-Stuben  seiteuhalben,  so  kann  weder  das  Brau- 
haus noch  die  Mühl  keineswegs  verzaubert  werden."  7.  ,, Ver- 
hüten diese  Zettel  die  Zauberei,  wenn  sie  geleget  werden  in 
die  Büchsen,  Röhren  und  anderes  Geschoss."  8.  „Diese 
Zettel  können  auch  geleget  werden  in  die  Agnus  Dei,  den- 
jenigen aber,  welchen  man  solche  Agnus  Dei  gibt,  muss  ihnen 
gesafift  werden,  damit  sie  das  Gebet  verrichten.  Letzlichen 
ist  auch  zu  bemerken,  dass  eine  jede  kranke  Person  einen 
solchen  Zettel  könne  verschlingen,  es  mag  sein  eine  gezauberte 
oder  natürliche  Krankheit."  ^ 

Nebst  den  bisher  erwähnten  Einkünften  der  Geistlichkeit 
gab  es  noch  verschiedene  andere,  als:  Salz  gefalle,  Jagd, 
Fischerei,  Biberfang  u.  s.  w.,  sowie  ihr  ausser  den  an- 
geführten Erwerbsmitteln  noch  mancherlei  andere  Wege  ofieu 
standen,  sich  zu  bereichern.  Berücksichtigt  man  blos,  was 
vonBaumer^,  Lorenz^,  Hurter*  und  von  andern  Historikern 
angeführt  wird,  so  ist  es  klar,  dass  die  Geldströmung  nach 
Rom  während  des  Mittelalters  eine  unermessliche  war,  dass 
Kirchen  und  Klöster  ungeheuere  Gütercomplexe  besassen,  und 
die  oft  wiederholte  Behauptung:  dass  schon  zu  Ende  des 
7.  Jahrhunderts  ein  Dritttheil  alles  Grundeigenthums,  beson- 
ders in  Gallien,  Kirchengut  gewesen^,  ganz  annehmbar  er- 
scheint, die  Kirche  im  Verlaufe  des  Mittelalters  in  Besitz  der 
grossartigsten  äussern  Mittel  gelangt  war. 


6.   Sittliclie  Zustände. 

Der  Umstand,  dass  die  Kirche  als  Anstalt  sich  aufthun 
musste,  bietet  den  ersten  Anknüpfungspunkt  für  das  Streben 
nach  Aeusserlichkeit,   namentlich  nach  äusserer   Macht,    wo- 

1  Aus  der  „Fortgesetzten  Sammlung  von  alten  und  neuen  theologischen 
Sachen  auf  das  Jahr  1721,  dritter  Beitrag,  JNeues"  Nr.  IX,  S.  440—444. 

"^  liohenst.,  VI. 

3  Deutsche  Geschichte,  I,  21.  101. 

1  III,  Buch  28,  bes.  473—507-,  599  fg.;  III,  150,  Anhang  über  die 
päpstliche  Heberolle. 

*  Roth,  Beueficienwesen,  249. 


6.    Sittliche  Zustände.  59 

durch  sie  ihre  Bedeutsamkeit  an  den  Tag  zu  legen  suchte. 
Die  Folge  der  immer  mehr  anwachsenden  Strcbungeu,  wobei 
sie  ihre  Machtstellung  durch  äussern  Güterbesitz  unterstiitzte, 
war,  dass  sie  im  Verlaufe  der  Zeit  selbst  immer  mehr  in 
weltlichen  Zwecken  avifsrino;.  Indem  sie  nach  allen  Seiten  hin 
die  rührigen  Hände  ausbreitete,  um  allen  menschlichen  Be- 
ziehungen ihr  Gepräge  aufzudrücken,  versenkte  sie  sich  selbst 
in  die  Weltlichkeit  und  erhielt  den  Charakter  der  Aeusser- 
lichkeit.  Mit  der  Erhebung;  des  Christentimms  zu  allein  be- 
rechtisrtem  Staatscultus  wurde  vornehmlich  der  Grvnid  zur 
Veräusserlichung  der  Kirche  gelegt,  indem  das  belebende 
ethische  Moment,  in  den  Hintergrund  geschoben,  durch  das 
dogmatische  Gerüste  beinahe  erstickt  ward. 

Mit  dem  Aufliören  der  Verfolgungen  der  Christen  seit 
dem  4.  Jahrhundert  nahm  auch  der  Ernst  und  die  Innigkeit 
ab,  die  Uebertritte  zum  Christenthum  geschahen  häufig 
irdischer  Vortheile  wegen,  die  Bekehrung  war  also  oft  eine 
ganz  äusserliche  und  die  Verweltlichung  der  Kirche  zog  den 
Verfall  der  Sittlichkeit  nach  sich.  Eine  Reaction  gegen  die 
Verweltlichung  der  Kirche,  die  seit  dem  4.  Jahrhundert  auf 
abschüssigem  Wege  mit  zunehmender  Schnelligkeit  fortschritt, 
sollte  das  Mönchthum  hervorbringen,  dieses  war  aber  selbst 
auf  falsche  Fährte  gerathen. 

Unter  den  Bischöfen  waren  Zerwürfnisse  eingetreten,  im 
Volke  herrschte  Parteisucht,  am  römischen  Hofe  Entsitt- 
lichuno:.  Von  den  sittlichen  Zuständen  in  den  liederlichen 
Zeiten  der  römischen  Kaiser  gibt  Seneca  (gest.  65  nach  Chi-isto) 
eine  entsetzliche,  aber  nicht  übertriebene  Schilderung:  „Omnia 
sceleribus  ac  vitiis  plena  sunt,  plus  committitur  quam  c^uod 
possit  coercitione  sanari.  Certatur  ingenti  nequitiae  quodam 
certamine  major  quotidie  peccandi  cupiditas,  minor  verecundia 
est.  Expulso  melioris  aequiorisque  respectu  quocunque  visum 
est,  libido  se  impingit.  Nee  furtiva  jam  scelera  sunt,  praeter 
oculos  eunt,  adeoque  in  publicum  missa  nequitia  est  et  omnium 
pectoribus  evaluit  ut  innocentia  non  rara,  sed  nulla  sit.  Num 
quid  enim  singuli  aut  pauci  rupere  legem?  undique,  velut 
signo  dato  ad  fas  nefasque  miscendum  cooi'ti  sunt"*  u.  s.  w. 
Diese  Schilderung  erhält  ihre  vollkommene  Bestätigung  durch 

>  De  ira,  II,  H. 


60  Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  dei*  Vorstellung  vom  Teufel. 

Suetoniiis,  Tacitus  und  die  Satiriker  Persiiis  und  Juvenalis. 
Ueber  die  Entartung  des  Hofes  zu  Julian's  Zeit  (361  —  63) 
legt  Ammianus  Marcelliuus  ein  kaum  löblicheres  Zeugniss  ab.* 
Die  um  sich  greifende  Verweltlichuno:;  des  reli"i;iösen  Lebens 
und  Lauheit  zur  Zeit  des  Chrysostomus  (3-14  —  407)  be- 
zeigen dessen  Predigten.^ 

Mit  den  Bestrebungen  der  Kirche,  ihre  Macht  durch 
äussern  Gilterbesitz  und  Reichthum  zu  fördern,  wurde  bei 
der  Geistlichkeit  die  Habgier  vornehmlich  rege,  die  schon 
von  mehrern  Kirchenvätern  getadelt  wurde.  Gegen  Erb- 
schleicherei der  Geistlichen  mussten  Valentinian  L  (364 
— 75)^  und  Theodosius  H.  (408 — 50)  scharfe  Gesetze  er- 
lassen, und  das  Edict  Valentinian's  I.  vom  Jahre  370  fand  es 
für  nöthig,  der  Geistlichkeit  überhaupt  zu  verbieten  von 
Frauenzimmern  Vermächtnisse  anzunehmen. 

Salvian  von  Marseille  (gest.  485),  der  über  die  sittliche 
Verwilderung  seiner  Zeit  im  Abendlande  ein  schreckliches, 
aber  getreues  Bild  entwirft,  behauiDtet:  dass  Gott  den  deut- 
schen Eroberern  das  Reich  hingegeben,  weil  sie  frömmer  als 
die  Römer  seien:*  „Nee  illos  naturale  robur  corporum  fecit 
vincere,  nee  nos  naturae  infirmitas  vinci.  Nemo  sibi  aliud 
persuadeat,  nemo  aliud  arbitretur,  sola  nos  morum  nostrorum 
vitia  vicerunt."^  Das  Zeugniss,  das  hier  den  bekehrten  Deut- 
schen ausgestellt  wird,  verdienten  aljer  mehr  nur  die  ersten 
Generationen,  die  überall  besser  waren  als  die  folgenden. 
Kurtz^  macht  auf  den  grellen  Contrast  aufmerksam  zwischen 
der  germanischen  Sitte  und  Zucht  nach  der  Schilderunir  bei 
Tacitus  und  der  bei  Gregor  von  Tours  in  dessen  Geschichte 
der  Franken.  Dort  rohe,  aber  edle  Einfalt,  Geradheit  der 
Sitten,  Zucht  und  Keuschheit  des  Lebens,  Heilighaltung  der 
Ehe,  Treue,  Ehrenhaftigkeit;  hier  kolossale  Entartung  der 
Mcrovingischen  Zeit,  brutale  Zuchtlosigkeit,  treulose  Ver- 
rätherei.  Meineidigkeit,  Heimtücke,  Mordplane,  Giftmischereien, 


1  22,  4. 

2  Aug.  in  Psalm.  90,  Sermo  184;  Psalm.  48,  Sermo  284. 

3  Cod.  Theod.,  XVI,  2,  20. 

1  Salv.  de  gubernat.  Dei,  VI,  2.3. 

^  Der  Arianer  Alarich,  westgotliischer  Heerführer,  hatte  im  Jahre  41U 
Korn  erobert. 

"  Handbuch  der  allgem.  Kirchengeschichte,  S.  376. 


6.    Sittliche  Zustände.  61 

Unersättlichkeit  nach  Schätzen,  Ansschweifungen  im  ge- 
schlechtlichen Leben  und,  obschon  die  schwärzesten  Farben 
des  Gregor'schen  Gemäldes  den  Kreisen  des  Hotlebens  ange- 
hören, so  behauptet  Kurtz  ganz  richtig,  dass  Entartung  auch 
ins  Volk  eingerissen  war.  Gibt  doch  Gregor  von  Tours  selbst 
von  den  Ungebührlichkeiten  innerhalb  des  geistlichen  Standes 
eine  Menge  von  Beispielen.  Der  Bischof  Eonius  von  Vannes,  dem 
Trünke  ergeben,  fiel  einst,  während  er  Messe  las,  mit  thieri- 
schem  Geschrei  zu  Boden,  so  dass  ihm  Blut  aus  Mund  und 
Nase  stürzte.'  An  der  Tafel  des  Königs  Guntram  kamen  die 
Bischöfe  Palladius  und  Bertramnus  in  heftigen  Streit,  wobei 
sie  einander  Ehebrüche,  Hurereien  und  Meineide  vorwarfen.^ 
Das  Urtheil  unseres  Gewährsmannes  Gregor  selbst  wird  uns 
nichts  weniger  als  scrupulös  vorkommen,  wenn  er  berichtet, 
wie  der  Abt  Dagulf,  der  mit  einer  verheiratheten  Frau  Un- 
zucht getrieben,  eines  Tags  trunken  liegen  geblieben,  von  dem 
heimkehrenden  Manne,  der  das  Lager  in  Brand  steckte,  mit 
einer  Axt  erschlagen  worden  sei,  und  Gregor  daran  die 
Moral  knüpft:  Geistliche  mögen  sich  des  Umgangs  mit  frem- 
den Frauen  enthalten  und  sich  mit  solchen  begnügen,  wo  es 
ihnen  nicht  zum  Verbrechen  angerechnet  w^erden  kann.  ^  Die 
Greuelthaten  von  Chlodwig  (481  —  511)  erzählt  Gregor  mit 
bewamdernswürdiger  Aufrichtigkeit:  wie  Chlodwig  den  Sohn 
des  ripuarischen  Königs  Sigibert  zur  Ermordung  seines  Vaters 
bringt,  ihn  dann  selbst  durch  die  Gesandten  erschlagen  lässt. 
Wir  erfahren  übei-haupt  durch  Gregor  das  schreckliche  Ge- 
webe von  Tücke,  Verrath  und  Ruchlosigkeit.  Gregor  fügt 
seinem  Berichte  die  Bemerkung  bei:  „Denn  täglich  streckte 
Gott  seine  Feinde  vor  ihm  nieder  und  vergrösserte  seine 
Herrschaft  darum,  weil  er  rechten  Herzens  vor  ihm  wandelte 
und  that,  was  in  seinen  Augen  wohlgefällig  war."^  Bekannt- 
lich hat  diese  Schlussbemerkung  Gregor's  verschiedene  Ur- 
theile  hervorgerufen;  einige  haben  diese  Aeusserung  eine 
Gotteslästerung  tückischen  Pftiffengeistes  genannt;    Schlosser* 


1  IV,  41. 

2  VIII,  7;  andere  Beispiele  vgl.  IV,  43;  von  Habgier,  IV,  12;  V,  5; 
\I,  3G  u.  a.  0. 

3  VIU,  19. 
'  II,  40. 

5  Weltgeschichte,  2.  ThL,  I,  102. 


G2       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

sielit  in  der  nackten  Aufzälilun<T  der  Grausamkeiten  eben  eine 
Misbilligvmg;  Loebell  Mnterpretirt:  „Trotz  dieser  Verbrechen, 
wollte  Gregor  sagen,  streckte  Gott  seine  Feinde  vor  ihm  nie- 
der, denn  das  Grösste,  was  er  gethan,  war  ein  wohltluitiges 
Werk."  Loebell  meint  aber,  Gregor  habe  die  Sätze  nur  un- 
geschickt aneinandergeknüpft.  Es  liegt  uns  ausserhalb  des 
Weges,  die  Ansicht  Gregor's  zu  kritisiren,  uns  interessirt  er 
nur  als  Schilderer  des  sittlichen  Zustandes  seiner  Zeit,  imd 
wir  begnügen  uns,  die  Thatsache  mit  Loebell^  zu  constatiren: 
dass  auf  die  Sittlichkeit  Chlodwig's  das  Christenthum  wenig 
oder  keinen  Einfluss  geübt  habe,  da  das  Schlimmste,  was  die 
Geschichtschreiber  von  ihm  erzählen,  nach  seiner  Bekehrung 
von  ihm  verübt  ward. 

Die  Erscheinung  aber,  dass  die  Germanen  nach  ihrer 
Bekehrung  schrittweise  sittlich  herabsanken,  hat  seinen  Grund 
in  der  Umgestaltung  der  Lebensverhältnisse,  die  durch  die 
Völkerwanderung  herbeigeführt  worden,  indem  die  Germanen 
aus  ihren  einfachen  Naturzuständen  herausgerissen,  auf  denen 
ihre  Sittlichkeit  beruhte,  auf  einen  Boden  versetzt  wurden, 
auf  dem  sie  den  Verführungen  preisgegeben  waren,  die  aus 
der  neuen  Umgebung  auf  sie  eindrangen.  Sie  waren  in  üp- 
pigen Ländern  unter  einem  sittlich  entarteten  Volke  a'ou 
luxuriösem  Leben  umgeben,  wo  sie  als  Eroberer  schrankenlose 
Gewalt  übten  und  dabei  die  entfesselten  Leidenschaften  alle 
Zucht  durchbrachen.  Ihre  Bekehrung  war  eine  massenhafte, 
und  schon  dadurch  eine  mehr  äusserliche,  die  daher  auch 
keine  sittliche  Erneuerung  hervorbringen  konnte.  Die  den 
Germanen  eingepflanzte  Hochschätzung  des  Weibes,  im  engen 
Zusannnenhang  mit  deren  gepriesenen  Keuschheit  und  ehe- 
lichen Treue,  wurde  herabgedrückt,  das  Weib  herabgewürdigt 
bei  der  innerhalb  der  Kirche  aufgekommenen  Hochschätzuno: 
des  ehelosen  Lebens,  wonach  das  Weib  als  Versuchungsmittel 
des  Satans  galt.  Auf  der  Synode  zu  Maon  im  Jahre  585 
konnte  ein  gallischer  Bischof  behaupten:  „mulierem  hominem 
noii  posse  vocitari".^  Die  ethisirende  Kraft  des  Christenthums 
konnte  sich  noch  nicht  wirksam  erweisen,  und  die  Ursprung- 


I 


»  S.  265. 

2  S.  2G3. 

3  Greg.  Tur.,  VIII,  20. 


C.    Sittliche  Zustände.  G.'j 

liehe  Sittlichkeit  war  verkommen,  das  einfache  Leben  der 
Dentschen  wurde  durch  den  Verkehr  mit  römischer  Civili- 
sation  zunächst  nicht  civilisirt,  sondern  es  schlug  um  und  fiel 
auf  die  Kehrseite  der  Civilisation :  Genusssucht  und  Habsucht, 
in  denen  das  deutsche  ritterliche  Wesen  unterging.  Kampf 
wurde  nicht  mehr  des  Kampfes,  sondern  des  Besitzes  wegen 
gesucht.  Es  ist  die  Erscheinung,  die  bei  jedem  Uebergange 
stattfindet,  wo  die  alte  Form  zerbrochen,  die  neue  noch  nicht 
gestaltet  ist,  Verwilderung  und  Zügellosigkeit  platzgreift. 

Mit  dem  anwachsenden  Reichthum  der  Kirche  wuchs 
auch  der  Geiz  und  die  Habsucht  der  Geistlichen  und  ver- 
leitete sie  zu  der  schon  erwähnten  Erbschleicherei,  Urkunden- 
fälschung, Simonie,  Pfründenjagd.  Eine  Belegstelle  für  die 
Habgier  des  Klerus  und  die  Sucht,  seinen  Besitz  mit  ver- 
werflichen Mitteln  zu  vermehren,  liefert  das  Capitulare  Karl's 
des  Grossen  vom  Jahre  811^,  das  den  Vorwurf  enthält:  dass 
die  Kleriker  nicht  müde  werden,  täglich  und  auf  jegliche  Art 
sich  zu  bereichern,  und  zwar  sowol  durch  Verheissuuofen 
himmlischer  Seligkeiten  als  durch  Drohungen  mit  höllischen 
Qualen,  wodurch  sie  die  Leute  berücken,  ihre  Güter  abzu- 
treten und  ihre  Erben  um  Hab  und  Gut  zu  bringen.  Be- 
zeichnend sind  die  Fragen,  die  Karl  der  Grosse  bei  seiner 
Unzufriedenheit  mit  dem  Erfolge  seiner  Arbeiten  an  die  geist- 
lichen und  die  weltlichen  Stände  richtet:  warum  sie  so  wenicf 
für  den  allgemeinen  Zweck  zusammenwirken;  woher  der  häu- 
fige Streit  unter  ihnen;  warum  sich  Geistliche  in  weltliche 
Dinge  mischen  und  umgekehrt?  Bei  seinen  Ermahnungen  der 
Geistlichen,  als  Hirten  der  Gemeinden  ein  musterhaftes  Leben 
zu  führen,  fragt  er:  wie  dazu  die  Habgier  passe,  womit  sie 
durch  Vorspiegelungen,  durch  Erbauen  von  Kirchen,  Auf- 
stellen von  Heiligenleichen  den  einfältigen  Laien  Erbe  und 
Habe  ablocken;  wie  passe  die  Prunksucht,  die  sich  mit  Be- 
waffneten umgibt?  In  dieser  Weise  fortfahrend,  macht  er  sei- 
nem Unmuthe  darüber  Luft,  dass  er  bei  der  Gründung  seines 
christlichen  Staats  sich  am  Klerus  sehr  getäuscht  habe.^  Er 
hatte   auch    vernommen,    dass  Priester    das  Beichtgeheimniss 


1  Pertz,  Mon.,  III,  leg.  1,  p.  1G7. 

2  Cap.  811;  Pertz,  III,  IGG. 


ß4         Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

für    Geld    brechen    und    sich    als    Denuncianten    gebrauchen 
lassen.  ^ 

Bei  dem  Eintritte  des  fremden  Adels  in  bischöfliche 
Stellen  finden  Avir  namentlich  zur  Zeit  Karl  IMartelFs  den 
hohen  Klerus  in  Rohheit  und  Unwissenheit  versunken,  und  zu 
seinen  adelichen  Sitten  gehörten  Lust  am  Kriegshandwerk,  an 
Jaad  und  Trinki^elawen.  Die  Geistlichkeit  am  Hofe  war  in 
dessen  Intriguen  vermengt,  und  die  grauenvollen  Tage  einer 
Brunhilde  imd  Fredegunde,  wo  Verrath  und  Giftmischerei 
gäng  und  gebe  waren,  liefern  die  bedauerlichsten  Beispiele. 
Pipin  verbot  im  Jahre  742  den  Bischöfen,  selbst  in  den  Krieg 
zu  ziehen,  und  die  Verbote  wiederholten  sich  unter  Karl  dem 
Grossen  und  Ludwig  dem  Frommen.  Concilien  und  Capitu- 
larien  eiferten  gegen  die  Jagdlust  der  hohen  Geistlichkeit, 
aber  ohne  Ei'folg.  Gegen  die  Trunksucht  der  Geistlichen 
hatten  schon  die  Synoden  zu  Tours  460,  c.  2,  zu  Agde  50(5, 
c.  42,  zu  wirken  gesucht  und  auch  die  Verbote,  Wirthshäuser 
zu  besuchen,  erlassen.^  Der  niedere  Klerus,  gewöhnlich  aus 
dem  Stande  der  Leibeigenen,  war  natürlich  nicht  besser,  und 
es  gab  in  dieser  Zeit  zahllose  Clerici  vagi,  die  als  geistliche 
Landstreicher  herumzogen.  Charakteristisch  ist  die  Stelle 
bei  Gfrörer^:  „Seit  die  adelichen  Herrn  (namentlich  die  Grafen 
von  Tusculum)  sich  der  Herrschaft  über  Rom  bemächtigt 
hatten",  sagt  Bonizo*,  „gerieth  die  Kirche  in  schmählichen 
Verfall.  Denn  diese  Menschen  verkauften  nicht  nur  die 
Cardinalswürden,  Abteien,  Bisthiimer  mit  schamloser  Frech- 
heit, sondern  sie  erhoben  auch  Leute  ihres  Gelichters  auf  Petri 
Stuhl;  vom  Haupte  aus  verbreitete  sich  dann  das  Verderben 
in  die  Glieder."  Aehnliches  berichtet  A'ictor^:  „Alle  Zucht 
war  dahin,  das  Volk  verkaufte  die  Wahl,  der  Priester  erstand 
die  AVeihen  um  schnödes  Geld,  und  kaum  gab  es  einige  Aus- 
erwählte, die  sich  von  dem  allgemeinen  Laster  der  Simonie 
rein  zu  erhalten  wussten.  Da  niemand  den  Wandel  der  nie- 
dern  Kleriker  überwachte,  fingen  die  Diakonen  und  Presbyter 
an,    nach  Laienart  Weiber    zu    nehmen    und   ihre  in    solcher 


J  Capit.  81.3,  c.  26,  6,  p.  99. 

-  He-sonders  zu  Agde  nOG,  c  40;  zu  Auxerrc  578,  c.  39. 

3  AUgem.  Kirchengescliichte,  IV,  1,  S.  392. 

^  Oefole  II,  799. 

*  Bibl.  patr.  max.  XVIII,  853  scqu. 


6.    Sittliche  Zustände.  G5 

Ehe  ofezeuo;ten  Kinder  durch  förmliche  Testamente  zu  Erben 
(der  von  ihnen  besessenen  Pfriinden)  einzusetzen.  Selbst  ein- 
zelne Bischöfe  trieben  die  Schamlosigkeit  so  weit,  mit  Weibern 
in  einem  Hause  zu  wohnen.  Dieser  verruchte  Misbrauch 
herrschte  am  meisten  in  der  Stadt  Rom,"  Derselbe  Victor 
bestätigt  ' :  dass  Benedict  das  Papstthum  selbst  wie  eine  Waare 
gegen  eine  schwere  Summe  Geldes  an  Gregor  VI.  verkaufte. 
Benno  ^  gibt  als  Kaufsumme  1500,  der  Codex  vaticanus  1340 
aber  2000  Pfd.  an. 

Die  Sittenlosigkeit  der  Geistlichkeit  im  10.  Jahrhundert 
spiegelt  das  Buch  Gomorrhianus,  das  dem  Papst  Leo  IX.  ge- 
widmet ist,  und  worin  der  strenge  Mönch  Damianus  seinen 
heiligen  Aerger  ausdriickt.^  Wie  arg  es  in  Bezug  auf  Fleisches- 
sünden und  unnatürliche  Wollust  gewesen,  geht  daraus  her- 
vor, dass  es  römische  Sitte  wurde,  bei  der  Ordination  den 
Bischof  vor  seiner  Weihe  zu  befragen,  ob  er  von  vier  Ver- 
brechen rein  sei:  pro  arsenochita,  qu.  e.  cum  masculo;  pro 
ancilla  Deo  sacrata  quae  a  Francis  Nonnata  dicitur;  pro  cpia- 
tuor  pedes;  et  j^ro  muliere  viro  alio  conjimcta,  aut  si  conju- 
gem  habuit  ex  alio  viro,  quod  Graecis  dicitur  deuterogamia."* 
In  derselben  Richtung  gibt  schon  die  Vision  des  Wettin, 
eines  Mönchs  in  Reichenau  am  Anfang  des  9.  Jahrhunderts, 
einen  Spiegel  der  sittlichen  Zustände,  indem  er  unter  den 
Bestraften  im  Fegfeuer  viele  unzüchtige  Mönche  erblickt. 
Eine  damals  herrschende  Seuche  wird  als  Strafe  für  die 
verbreitete  unnatürliche  Wollust  erklärt.  ^ 

Bischof  Ratherius,  eine  der  hervorragendsten  Persön- 
lichkeiten des  geistlichen  Standes  im  10.  Jahrhundert,  klagt 
über  seine  traurigen  Erfahrungen  in  Bezug  auf  die  Sittlich- 
keit der  Geistlichen  seiner  Zeit:  „AVelche  Qual",  hebt  Rather 
an,  „erwartet  diejenigen,  welche,  wenn  sie  überhaupt  dazu 
passend  scheinen  sollten,  es  nicht  nur  versäumen,  die  ihnen 
anvertraute  Heerde  zu  weiden,  sondern  auch  zur  Schande  des 


1  Bibl.  x^atr.  max.,  a.  a.  0. 

2  Vita  Hildebrandi,  p.  83. 

3  Liber  Gomorrhianus  de  diversitate  peccantium  contra  naturam  etc., 
Op.  tom.  I. 

*  Ordo  Roman.  VIII;  Mabillon  Mus.  Ital.  t.  II,  p.  86;  Baluz.  capit.  II, 
append.  p.  1372. 

5  MabiU.  a.  SS.  IV,  p.  266,  §.  4. 
Eoskoff,  Geschichte  des  Teufels.    II.  5 


66        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Namens,  den  sie  tragen,  nicht  aufhören,  sich  selbst  durch  die 
Abgriinde  der  Laster  zu  schleppen.    Sie  beschäftigen  sich  be- 
ständig mit  weltlichen  Spielen,  mit  Jagen  und  mit  Vogelstellen. 
Sie  pflegen    nach    deutscher   Sitte  Wurfspiesse   zu  schwingen 
und   entwöhnen  sich   der  heihgen   Schriften.     Sie  haben   sich 
Gottes  entkleidet,    haben    die  Welt    angezogen    und    scheuen 
sich  nicht,  Laienkleider  zu  tragen.     Aber  was  klage  ich  iiber 
die  Laienkleidung,  da  ich  oft  sah,   dass  man  sich  mit  fremd- 
modischen und  gleichsam  barbarischen  Kopf  binden  zur  Schande 
des  Priesterstandes  schmückte,    oder,  was  wahrer  ist,   verun- 
ehrte,   sodass  man  die  quirinische  Trabea  und   die  gabinische 
Gürtunc;    höher    achtete    als    die    Zierde  des    kirchlichen   Ge- 
wandes.     Sie  wollen  lieber  Jäger  als  Lehrer,    lieber  kiihn  als 
milde,  lieber  verschlagen  als  herzenseinfältig,  lieber  Makkabäer 
heissen   als  Bischöfe.     Und    wenn   sie   sich   doch   so,    wie   sie 
sich    nennen,    auch    zeigten    in    jenem    Streite,    in    welchem 
Christus  sie  zu  den  Siegern  iiber  die  Welt  und  ihren  Fiirsten 
gesetzt    hat!      Sie    spielen    Kreisel    und    meiden    darum    das 
Wvirfelspiel  nicht.     Sie  gehen  fleissig  mit  dem  Spielbrete  an- 
statt mit   der  Schrift,   mit   der  Wurfscheibe   anstatt   mit   dem 
Buche  um.     Sie  wissen  besser,  was  dich  ein  Fehlwurf  kostet, 
als    Avas    die  Heilswahrheit  fordert,    verbietet    oder    verheisst 
und  was  sie  spricht;    besser  was   der  Glückswurf  bringt,    als 
was    sie   Gott    zu    danken    schuldig   sind.     Sie   haben  Schau- 
spieler lieber  als  Priester,  Lustigmacher  lieber  als  Geistliche, 
Säufer  lieber  als  Philosophen,   Schurken   lieber   als  Wahrhaf- 
tifTc,    Unkeusche    lieber    als    Schandiafte,    Mimen    lieber    als 
Mönche.     Sic  begehren  nach  griechischem   Schmucke,    baby- 
lonischer  Pracht,    ausländischem  Putze.     Sie  lassen  sich  gol- 
dene Becher,  silberne  Schalen,  Kannen  von  grosser  Kostbar- 
keit,   ja    Trinkhörner    von    bedeutendem    Gewichte    und    von 
einer  jedem  Zeitalter  verhassten  Grösse  machen,     Sie  bemalen 
den  am  Boden  ruhenden  Weinkrug,  während  die  nahe  Basi- 
lika von  Russ   erfüllt  ist.     Dabei  gibt   es  Speisen   in  Menge. 
Die  Mahlzeiten  sind   ebenso  durch   ihre  Häufigkeit   als   durch 
ihre  Verschiedenheit  bewundernswerth,  luid  wer  darin  der  Gie- 
rigste ist,  der  ist  der  Herrlichste,  wer  der  Feinschnieckendste, 
der  der  Beste,    wer   der   Mannichfoltigste,    der   der  Klügste, 
wer  der  Gefrässigste,  der  der  Gepriesenste,  der  ist  ein  Mann, 
der  ist  berühmt,  dessen  Lol)  ist  in  aller  Munde.     Bescheiden 


6.    Sittliche  Zustände.  67 

und  genügsam  zu  sein,  ist  heutzutage  so  verrufen,  dass  man 
es  selbst  an  Mönchen  tadelt.  Denn  es  scheint  ein  Bischof 
seinen  Lebenszweck  zu  verfehlen,  wenn  er  nicht  Geld  hat. 
Zu  den  Scherzen  kommt  ein  unmässiges  Lachen  und  ein 
Schelten  derer,  welche  aus  Furcht  vor  Gott  jene  Dinge  mei- 
den. Die  Harfe  ist  bei  den  Gelagen  und  die  Leier,  wie  der 
Prophet  sagt  ^,  aber  das  Wort  des  Herrn  ist  in  niemands 
Gedächtniss,  noch  das  Wehe,  das  iiber  diejenigen  ausge- 
sprochen ist,  die  solches  thuu.  Da  gibt's  musikalische  Auf- 
führungen und  alle  Arten  von  Musikern,  die  verkuppelnden 
Lieder  der  Sänger,  die  Pest  der  Tänzerinnen.  Das  ganze 
Gespräch,  welches  dabei  geführt  wird,  handelt  von  Menschen, 
nicht  von  Gott,  vom  Geschöpfe,  nicht  vom  Schöpfer,  vom 
Gegenwärtigen,  nicht  vom  Zukünftigen,  vom  irdischen  Fürsten, 
nicht  vom  himmlischen  Herrn.  Da  wird  jener  gefeiert,  dieses 
erinnert  sich  niemand;  auf  jenes  Namen  schwört  man,  an  die- 
sen denkt  man  nicht,  auf  das  Wohlsein  jenes  wird  getrunken, 
dieser,  wenn  ihn  auch  dürstet,  wird  nicht  getränkt,  aus  Liebe 
zu  jenem  wird  der  Leib  durch  Schwelgerei  aufgetrieben,  dieser 
aber,  arm  und  vielleicht  im  Gefängniss  der  Brosamen  ent- 
behrend, wird  nicht  erquickt;  jener  wird  vorgezogen,  dieser 
wird  nachgesetzt;  jenes  Andenken  steht  in  der  ersten  Reihe, 
dieses  nicht  in  der  zweiten.  Ausserdem  laufen  die  Hunde 
auf  dem  Tische  herum.  Die  Pferde  fliegen  mehr  als  sie  lau- 
fen an  leicht  beweglichen  Wagen.  Der  Falke  schwingt  sich 
im  raschen  Fluge  empor,  der  Sperber  fängt  den  rauhkehligen 
Kranich. 

„Triefend  vom  häufigen  Weingenusse  (um  denen  ganz  zu 
gleichen,  von  denen  gesagt  ist:  das  Volk  setzte  sich  zu  essen 
und  zu  trinken  und  sie  standen  auf  zu  spielen)^  verlassen  sie 
ihren  erhabenen  Sitz  und  besteigen  Wagen  und  Kutschen, 
setzen  sich  auf  schäumende  Rosse,  aufgeputzt  mit  goldenen 
Zügeln,  silbernen  Kettengehängen,  deutschen  Zäumen,  säch- 
sischen Sätteln  und  eilen  zu  allerhand  Zeitvertreiben,  die  ihnen 
der  Rausch  eingegeben  hat.  Da  kommt  keinem  derjenige  in 
den  Sinn,  der  auf  dem  Esel  sass,  stark  und  mächtig  im  Streit. 
Man  bestrebt  sich  vielmehr,   selbst  den  Königen  der  Welt  an 


1  Jes.  5,  11.  12. 

2  Exod.  32,  ß. 

.5* 


68        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Glanz  vorzugehen,  als  die  Armuth  der  Apostel  nachzualimen, 
vielmehr  die  Lust  der  Keichen  zu  iibertreffeu,  als  den  Fischern 
in  der  Heiligkeit  nachzufolgen. 

„Danach  wird  das  mit  goldenen  Bildwerken  wundersam 
besetzte  Bett  gerixstet,  die  Bettpfosten  werden  aufgerichtet 
und  mit  seidenen  Stickereien  geziert,  das  Kissen  selbst  wird 
mit  dem  besten  Stoffe  iiberzogen,  die  Fussbank  mit  gothi- 
schem  Teppich  bedeckt.  Sie  wälzen  sich  in  der  Lust  des 
Beilagers  und  können  nicht  zur  Ruhe  kommen;  und  wenn 
ihnen  nun  Gewissensbisse  allen  Schlaf  verscheucht  haben,  so 
bringen  sie  statt  der  Morgenhymnen  ein  Gemurmel  hervor, 
vielmehr  des  Fluchs  als   der  Erhörung  werth. 

„Ist  es  aber  zum  Ankleiden  gekommen,  so  legen  sie,  wie 
ich  schon  gesagt  habe,  lieber  ausländischen  als  vaterländischen 
Schmuck  an.  Den  runden  Beinen  scheinen  die  Kleider  viel- 
mehr angedrechselt  als  mit  der  Hand  angezogen  zu  sein,  so- 
dass jedes  von  ihnen  richtiger  eine  Säule  genannt  werden 
kann,  als  ein  Schienbein.  Der  Leib  aber  wird  mit  grösster 
Sorgfalt  gejmtzt.  Selbst  der  Ueberrock,  den  man  nur  gegen 
die  Kälte  tragen  sollte,  je  dichter,  desto  besser,  hat,  obgleich 
er  schon  vom  besten  Tuche  gemacht  ist,  einen  Streifen  von 
anderm  Tuche,  was,  wenn  es  möglich  wäre,  besser  als  das 
beste  ist.  Die  Weite  des  Ueberrocks  übertrifi't  die  der  andern 
Röcke  gewöhnlich  um  eine  Elle.  Wenn  noch  ein  Kleidungs- 
stück dariiber  getragen  wird,  so  ist  es  mit  so  prahlerischer 
Kunstfertigkeit  dem  Ueberrocke  angepasst,  dass  es  entweder 
durch  seine  Feinheit,  oder  durch  irgendeine,  selbst  Schaden 
bringende  Zerschlitzung  das  Wunderwerk,  das  es  bedecken 
sollte,  selbst  vcrräth.  Sogar  das  Unterkleid  (wol  noch  von 
den  Beinkleidern  zu  unterscheiden),  das  beim  Sitzen  bis  auf 
die  Füssc  reicht,  wird  mit  einer  goldenen  Schnalle  zusammen- 
gehalten und  zeigt  ganz  oben  noch  eine  goldene  Kette.  Man 
kann  aber  auch  solche  sehen,  welche  statt  einer  Kutte  einen 
Pelz,  eine  ungarische  Miitze  statt  des  priesterliehen  Hutes, 
einen  Scepter  statt  eines  Stabes  tragen.  Darauf  wird  die 
Messe  mehr  durchgejagt  als  gesungen  und,  was  noch  schlim- 
mer ist,  oftmals  ganz  versäumt.  Nachdem  sie  nun  gegessen 
und  getrunken  haben,  was  wahrlich  zu  einem  königliehcn  Friih- 
stück  hinreichen  wiirde,  besteigen  sie  wieder  faliskische  Rosse, 
aber  nicht  dieselben,  welche  sie  am  Tage  vorher  geritten  hat- 


6.    Sittliche  Zustände.  69 

teu,  damit  ihr  Anblick  denen,  welche  auf  sie  sehen,  nicht 
etwa  gewöhnlich  und  gemein  werde.  Die  Pferde  sind  mit 
goldenen  Ketten  geschmückt  und  mit  silbernen  Ziigeln,  die 
aber  so  schwer  an  Gewicht  sind,  dass  nur  die  allerstärksten 
Pferde  sie  tragen  können.  So  eilen  sie  zum  Ringkampfe  oder 
zum  Wettrennen  und  Fahren  oder  zum  Bogenschiessen,  oder 
sie  lassen  doch  wenigstens  das  Himmlische  dahinter  und  trei- 
ben und  besorgen  nur  Irdisches.  Die,  welche  kirchliche  Dinge 
richten  und  entscheiden  sollten,  bestimmen,  wie  der  Staat  be- 
schaffen sein  sollte."  ^  -^ 

Den  Grund  der  allgemeinen  Verachtung  der  Kirchen- 
gesetze findet  Rather,  nach  seiner  Schrift  „De  contemtu  ca- 
nonum",  in  dem  falschen  Uebermuth  und  der  Schwelgerei 
der  Bischöfe  und  ihrer  grössern  Furcht  vor  irdischer  als  jen- 
seitiger Strafe.  Die  Italiener  sind  die  allerschlechtesten  Be- 
folger  der  Canones  wegen  ihrer  "Wollust,  wegen  ihres  Ge- 
brauchs sinnenreizender  Geniisse,  wegen  des  unaufhörlichen 
Weintrinkens  und  der  Nachlässigkeit  in  der  Zucht.  Nun  ist 
es  dahin  gekommen,  dass  die  Bischöfe  nur  durch  die  Schur 
des  Kinnes  und  des  Scheitels,  geringen  Kleiderunterschied 
und  den  Kirchendienst  von  Laien  unterschieden  sind.  Der 
Klerus  wird,  wie  ihm  gebührt,  von  den  Laien  deshalb  ver- 
achtet. ^ 

So  zeichnet  Rather  die  sittlichen  Zustände  der  Geistlich- 
keit seiner  Zeit  nach  dem  Leben.  Er  sah  sich  genöthigt,  den 
Geistlichen  seines  Sprengeis  zu  verbieten ,  die  Schenken  zu 
besuchen,  berauscht  am  Altar  zu  erscheinen,  Hunde  und  Fal- 
ken zur  Jagd  zu  halten,  mit  Sj^orn  und  Schwert  an  der  Seite 
die  heilige  Messe  zu  lesen. 

Aehnliche  Verbote  mussten  die  Bischöfe  auch  anderwärts 
ertheilen.  Bischof  Wibola  von  Cambrai  wusste  kein  besseres 
Mittel  gegen  die  Spielsucht  seiner  Geistlichen,  als  dass  er 
ein  geistliches  Würfelspiel  erfand,  mit  christlichen  Tugenden 
auf  den  Seiten  des  Würfels  bezeichnet.  ^ 

Rather's  Schilderung  '*   eines  völlig  sittenlosen  Menschen, 


1  Vogel,  Ratlierius  und  sein  Zeitalter,  I,  43  fg. 

2  Ibid.,  I,  283. 

2  Vgl.  Hagenbach,  Vorlesungen  über  die  Kirchengesohichte  des  Mittel- 
alters, III,  189. 

*  lu  dem  früher  angeführten  Buche. 


70        Zweiter  ALsclinitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

der  gegen  die  Gesetze  der  Kirche  und,  wie  manches,  durch 
die  langmüthige  Zulassung  Gottes  den  päpstlichen  Stuhl  als 
Johann  XII.  einnahm,  hat  Berühmtheit  erlangt:  „Pone  tamen 
quemhbet  eorum  forte  bigamum  ante  clericatumj  forte  in  cleri- 
catu  lascivum;  inde  post  sacerdotium  multinubuni,  bellicosum, 
perjurum,  venatibus ,  aucupiis,  aleae,  vel  ebriositati  obnoxium, 
expeti  qualibet  occasione  ad  Apostolicatum  Romanae  illius 
sedis  etc."  ^ 

Ein  abschreckendes  Beispiel  des  unwürdigsten  Betragens, 
wodurch  der  päpstliche  Stuhl  im  11.  Jahrhundert  geschändet 
wurde,  bietet  Papst  Benedict  IX.  Gfrörer  ^  nennt  ihn  „das 
Geschöpf  des  Grafenhauses  von  Tusculum,  das  vom  Anfang 
an  den  Stuhl  Petri  durch  das  unwürdigste  Betragen  schän- 
dete  Seitdem    er    1038   aus   Rom  vertrieben   und   durch 

Kaiser  Konrad  II.  wieder  eingesetzt  worden  war,  scheint  er, 
um  sich  an  seinen  Feinden  zu  rächen,  zu  den  Ausschweifun- 
gen, die  ihn  bisher  verachtet  machten,  auch  noch  Grausam- 
keiten o-efüsct  zu  haben".  Nach  dem  Zeugnisse  Bonizo's  ^ 
Hess  er  viele  Menschen  umbringen,  und  übereinstimmend  sagt 
Victor  III.:  „Geraume  Zeit  verübte  Benedict  IX.  ohne  Auf- 
hören Raub,  Mord  und  Greuel  an  dem  römischen  Volke."'* 
Lambert  von  Hersfeld,  selbst  Mönch  um  1071,  sagt:  „Die 
Verachtung,  welche  unsern  Stand  trifft,  ist  nicht  unverdient. 
Die  Schlechtigkeit  einzelner  Mönche,  welche  ohne  Achtung 
vor  Gott  und  seinem  Wort,  nur  Gelderwerb  treiben,  hat  der 
Ehre  des  Klosters  tiefe  Wunden  gesehlagen.  Diese  Menschen 
liegen  täglich  den  Mächtigen  der  Erde  in  den  Ohren,  um 
Abteien  und  Bisthümer  zu  erhaschen,  aber  nicht  auf  dem 
rauhen  Pfade  der  Tugend  streben  sie  nach  solchen  Ehren, 
sondern  mittels  sehmuziger  Bestechung  für  geringe  Dienste 
versprechen  sie  goldene  Berge,  und  ist  irgend  ein  niedriges 
Amt  erledigt,  so  kann  kein  Laie  dasselbe  erlangen,  weil  un- 
fehlbar Mönche  da  sind,  welche  mehr  dafür  bieten.  Kaum 
wagt  der  Verkäufer  so  viel  zu  fordern  als  sie  zu  zahlen  sich 
bereit  erklären.     Die  Welt  fragt  staunend,  wo  der  Geldstrom 


'  Do  contcmtu  canonum,  p.  35. 

2  Allgcm.  Kirclicngescbiclitc,  IV,  1.  Abtb.,  S.  384. 

^  Oefcle,  11,  801. 

*  Bibl.  piilr.  max.,  XVllI,  853.    B. 


6.    Sittliche  Zustände.  71 

quelle,  der  nach  den  Klöstern  fliesst,  wie  und  in  welcher 
Weise  die  Schätze  des  Tantalus  und  Krösus  in  die  Hände 
der  Menschen  gelangen,  welche  sich  Jiinger  Christi,  Träger 
seines  Kreuzes,  Nachahmer  seines  armen  Lebens  nennen  und 
den  Laien  vorliigen,  dass  sie  nichts  besitzen  als  die  Kutte 
auf  dem  Leibe  und  das  tägliche  Brot.  Jedes  Unkraut,  das 
den  Acker  des  Herrn  iiberwuclierte,  hat  den  ganzen  Stand 
angesteckt  und  geschehen  ist,  was  der  Apostel  schreibt:  ein 
wenig  Sauerteig  verdarb  die  ganze  Masse.  Man  hält  uns 
alle  fiir  gleich  schlecht,  und  setzt  voraus,  dass  auch  nicht 
ein  einziger  Gerechter  unter  uns  zu  finden  sei."  *  Und  schon 
früher  äussert  sich  derselbe  fromme  Mönch:  „So  weit  ist  es 
in  jetziger  Zeit  und  in  unsern  Gegenden  gekommen,  dass 
man  an  den  Mönchen  nicht  mehr  Reinheit  der  Sitten  schätzt, 
sondern  nur  fragt:  ob  sie  Geld  haben.  Nicht  die  Wiirdigsten 
werden  zu  Aebten  gewählt,  sondern  die,  welche  das  meiste 
bezahlen  können.  Oeffentlich  versteigert  man  die  Abteien, 
und  mag  der  Preis  auch  noch  so  hoch  sein,  fast  nie  fehlt  es 
an  Käufern,  weil  die  Mönche,  völlig  gleichgültig  gegen  Regel 
und  geistliche  Zucht,  nur  darauf  erpicht  sind,  durch  Geld- 
erwerb es  einander  zuvorzuthun."  ^ 

Gfrörer  ^  hebt  eine  Stelle  der  Biographie  des  osnabrücker 
Bischofs  Benno  heraus  zum  Beweis,  dass  im  11.  Jahrhun- 
dert der  Unterricht  in  gewissen  Klöstern  darauf  gerichtet  war, 
nicht  Kleriker,  sondern  Rentbeamte  und  Geldleute  heranzu- 
bilden. Der  Lebensbeschreiber  gibt  über  Benno's  Kenntnisse 
folgenden  Bericht*:  „Vollkommen  verstand  sich  Benno  auf 
alle  Fächer  der  Landwirthschaft,  d.  h.  auf  Errichtung  länd- 
licher Gebäude,  auf  Zucht  des  Zug-  und  Stallviehs,  auf  Be- 
stellung der  Aecker  und  andere  Dinge  derart;  und  zwar 
hatte  er  alles  dies  nicht  blos  durch  Erfahrung  gelernt,  son- 
dern kunstmässig  inue.  Dabei  war  er  Meister  im  Rech- 
nungswesen, aber  auch  sehr  strenge  in  Betreibung  der  Ab- 
gaben; meist  hielt  er  die  Bauei'n  mit  Stockschlägen  zum 
pünktlichen  Zahlen  an,  u.  s.  w."    Gfrörer  fügt  die  Bemerkung 


'  Pertz,  V,  189. 

2  Ibid.,  V,  184. 

^  Papst  Gregor  VII.  und  sein  Zeitalter,  II,  320. 

*  Vita  Bennon.,  cap.  10,  p.  04;  Pertz,  XII,  62. 


72        Zweite!'  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

bei:  „Der  Mönch  soll  das  heilige  Feuer  klerikaler  Be- 
geisterung nähren,  er  vertritt  die  ideale  Seite  des  Christen- 
thums,  wie  der  Pfarrer  die  reale.  Beide  Stande  verhalten 
sich  wie  Pfeiler  und  Gegenpfeiler  im  mittelalterlichen  Dome. 
Wenn  aber  die  Mönche,  statt  ihres  hohen  Berufes  zu  warten, 
sich  in  einen  Haufen  Schreiber,  Rentbeamte,  Bauernschinder 
verwandeln,  dann  tritt  der  Fall  ein,  den  der  Erlöser  mit  den 
Worten  bezeichnet:  das  Salz  der  Erde  ist  verdorben".  Dass 
dieses  Salz  der  Erde  verdorben  war,  davon  gibt  auch  das 
Register  der  Frevelthaten  des  Bischofs  Hugo  von  Langres 
ein  glaubwiirdiges  Zeugniss.  ^ 

Henricus  Archidiaconus  von  Salzburg  schreibt  an  seinen 
Erzbischof  Adelbert  über  die  Nothwendigkeit,  der  Lasterhaftig- 
keit zu  steuern,  in  seiner  „Historia  calamitatum  ecclesiae  Salz- 
burgensis":    „AHoc[uin  nisi  Jezabel  illa  maledicta,    quae  tarn 
petulanter  Cjuam  licenter  circuit  nunc  domos  sacerdotum  stibio 
(Spiessglanz)  depicta  habens  oculos,  et  caput  ornatum,  vestra 
industria  zelum  Dei   habeute   praecipitetur   deorsum,   in  brevi 
vires  suas  extendet,  ut  virgam  et  baculum  vestrum  contemnat, 
gaudensque     de     impunitate     sua     eousque    progrediatur,    ut 
inter  laicum   et  sacerdotem  praeter  missam   tantum  parva   sit 
distantia,  faciatque  licenter  Parochianus,   quod  ne  praesumere 
vel  attentare  audeat  laicus.    Clericus  enim  sive  per  occasionem 
sive  per  veritatem  Christum  annuntians,    a   fornicationibus  et 
adulteriis    laicum    publica    poenitentia  —  compescit:    Clericus 
nullo  timore   fraenatur.     Quia   et    si    turpissimae   vitae   fuerit, 
arirui  a  laico  non  vult,  Decanum  contemnit  et  Archidiaconum, 
nisi  accusatus  fuerit,  nullusque  accusator  sit  omnibus  id  ipsum 
flicientibus    et  crimina  propria   in   aliis   foveutibus.     Isti    sunt 
certe    squamae    Leviathan,    cjuae    ita    sibi    cohaerent,    ut    ad 
laesionem  pestifcri  corporis  nuUum  pertranseat.     Nimirum   eo 
usque  ista  causa  perveniet,   ut   sacerdos  unam  tantum  habens 
uxorem  sicut  laicus,  religiosus  et  sanctus  praedicetur  ab  uxori- 
bus  aliorum   se   continens,  fidemcpie   alieni  chori  non  violans. 
Nam  quid  aliud  speratur,  cum  apud  nos  tales  esse  noverimus, 
qui  turpem  vitam  ducentes,    profanam  quoque  Nicolaitarum ^ 


1  Conc.  Ehen.  a.  1049;    Mansi  XIX,  739. 

*  Nikolaitisclic  Ketzerei  ist  jede  Abweichung  vom  geistlichen  Cölibats- 
gesctze  durch  Ehe,  Concubinat  oder  sonst  wie. 


G.    Sittliche  Zustände.  73 

doctrinam  tenentes,  quam  se  odisse  in  Apocalypsi  Dominus 
perhibet,  auditoribus  suis  sacros  legunt  Canones,  et  qualiter 
defendere  debeant  crimina  fornicationum  suarum  ostendunt? 
Cujus  autoritate  fretus  conjugio  copulavit,  numerosam  proleni 
ipse  habens  de  muliere,  quam  sexies  coram  antecessore  meo 
abjurasse  perhibetur.  —  Quid  dicara,  quod  me  perbibente  se- 
cundum  consuetudinem  bujus  ecclesiae  filii  Presbyterorum 
cum  uxoribus,  quas  maintis  virentibus  abstulerant,  manentes 
litteris  Praelatorum  quorundam  muniti  ad  consecrationem  ve- 
niunt  et  conservantur,  meque  contempto  in  archidiaconatu 
meo  missam  cantant  et  ad  parocbias  adspirant?"  ^ 

Hören  wir  die  Stimme  eines  andern  Geistlichen  aus  dem 
12.  Jahrhundert  ^ :  „  Mönche  verlassen  das  alte  Gewand  und 
schweifen  in  neuersonnener  Kleiderpracht  umher,  essen  Fleisch, 
wie  es  sie  gelüstet.  Bei  AVahlen  zeigen  sich  arge  Zerwürf- 
nisse, sodass  ich  ein  Kloster  kenne,  welches  vier  lebende 
Aebte  hat.  Die  Cistercienser  geben  allerdings  reichliche  Al- 
mosen, singen  schön  im  Chor,  thun  viel  Gutes;  aber  sie  ziehen 
auch  Güter  und  Einkiinfte  anderer  Orden  mit  List  oder  Ge- 
walt an  sich,  und  tragen  kein  Bedenken,  die  Namen  von 
Heiligen,  selbst  in  dem  Sprengel,  worin  dieselben  begraben 
liegen,  zu  streichen.  Die  Bischöfe  verlangen  von  den  Pfarreien 
ungewohnte  Leistungen  und  lassen  sich  die  Verpflegung  mit 
Geld  abkaufen.  Die  Kirchen  geben  sie  den  Klerikern  nicht 
umsonst,  sondern  gegen  Geschenke,  die  dann  als  Lohnknechte 
die  Schafe  scheren.  Noch  schlimmer  ist's,  wenn  diese  durch 
ungeordnetes  Leben  denjenigen,  die  sie  zurechtweisen  sollten, 
selbst  das  Beispiel  des  Bösen  geben.  Fürsten  und  Ritter  zer- 
stören sich  die  Kirchen,  die  ihre  Väter  gebaut  haben. 
Wucherer  wurden  einst  für  schädlicli  gehalten;  jetzt  sind  sie 
so  häufig  geworden,  dass  sie  den  Wucher  einen  Zins  nennen, 
gleich  als  wäre  er  Ertrag  des  Bodens.  Alles  Fleisch  ist  voll 
Laster"  u.  s.  w. 


1  R.  P.  Pezii  tlies.  anecdot.  uoviss.,  tom,  II,  pars  III.  Ilenrici  Archi- 
diaconi  Salzburgensis  et  Praepositi  Berchtolgadensis  Historia  calamitatura 
ecclesiae  Salzburg.,  p.  215,  cap.  IX:  Ostenditur  quam  necessaria  sit  nie- 
dela,  tot  absente  Adelberto  irrumpentibus  vitiis  et  criminibus,  quibus 
nixa  Clerici  coucubinarii  ac  inipudentes  obuoxii  suut. 

2  Chronica  Gaufredi,  Prioris  Vosiensis  ums  Jahr  1184;  in  Labbe  Bi- 
blioth.  manuscrixjt.,  t.  1,  bei  Hurter,  IV,  456. 


74        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Infolge  der  Verwilderung  des  Klerus  im  12.  Jahrhundert 
sprach  Bernhard,  Abt  von  Clairvaux,  im  Jahre  1140  den 
Wunsch  aus:  die  Kirche  Gottes  zu  sehen,  wie  sie  in  jenen 
Tagen  war,  wo  die  Apostel  ihre  Netze  nach  Seelen,  nicht 
nach  Gold  und  Silber  auswarfen.* 

Von  den  Geschichtschreibern  wird  ausser  andern  Leiden- 
schaften der  hohen  Geistlichkeit  vornehmlich  die  übermässige 
Jagdliebhaberei  riigend  hervorgehoben,  welche  den  Hang  zum 
Miissiggang  nährte,  Verachtung  jeder  nützlichen  Beschäf- 
tigung mit  sich  führte  und  eine  schwere  Unbill  für  den 
Landmann  war,  dessen  Grundstücke  den  Verheerungen  der 
Jäger  preisgegeben  waren.  Papst  Alexander  III.  (1159 — 81) 
sah  sich  genöthigt,  zum  Schutze  der  niedern  Geistlichkeit  ein 
Schreiben  zu  erlassen,  worin  er  diese  der  Verbindlichkeit 
enthob,  den  Archidiakonen  auf  ihren  Visitationsreisen  mit 
Hunden  und  Falken  zu  Dienste  zu  stehen.^  Das  dritte  latera- 
nische Concil  1180  verbietet  die  Jagdbelustigung  auf  amt- 
lichen Reisen  und  beschränkt  das  Gefolge  eines  Bischofs  auf 
40—50  Pferde.  3 

Johannes  von  Salisbury,  einer  der  hervorragendsten 
Schriftsteller  und  Kirchenmänner  des  12.  Jahrhunderts,  der 
treueste  Freund  des  Primas  von  England,  Becket,  wairde  in 
der  irländischen  Angelegenheit  an  den  Papst  Hadrian  IV.  ge- 
sendet, und  als  er  bei  der  Gelegenheit  von  diesem  gefragt  ward, 
was  die  Welt  vom  Papste  und  der  römischen  Kirche  halte, 
sprach  er  die  bedeutsamen  Worte:  „Weil  Ihr  mich  fragt,  so 
will  ich  Euch  offenherzig  sagen,  was  ich  in  vielen  Ländern 
gehört  habe.  Man  sagt,  die  römische  Kirche  beweise  sich 
nicht  als  Mutter  der  übrigen  Kirchen,  sondern  sie  scheine 
vielmehr  ihre  Stiefmutter  zu  sein.  Schriftgelehrte  und  Phari- 
säer seien  dort  zu  Hause,  diese  legten  schwere  Lasten  auf  die 
Schultern  anderer  Leute,  ohne  selbst  auch  nur  einen  Finger 
auszustrecken,  um  sie  zu  heben.  Sie  regierten  despotisch  über 
den  Klerus,  ohne  ihrer  Heerde  ein  gutes  Beispiel  zu  geben, 
sie  hätten  in  ihren  Häusern  den  köstlichsten  Hausrath,  ihre 
Tische  seien    mit  goldenem    und    silbernem   Geschirr    schwer 


'  Ep.  ad.  Eugen.  III. 

-  llymer  acta  et  foedera,  I,  61. 

3  Vclly,  Iliat.  de  Frauce,  III,  23G. 


6.    Sittliche  Zustände.  75 

belastet,    ihr    Geiz    halte    ihre    Hände    festgeschlossen.      Sie 
schenkten  niemand  etwas,  und  die  Armen  dürften  ihnen  selten 
nahe  kommen,   ausser  wenn  ihre  Eitelkeit  ihnen  eingebe,   sie 
auftreten    zu    lassen.     Sie    erhöhten   Contributionen    von    den 
Kirchen,  veranlassten  Rechtsstreitigkeiten,  stifteten  Zwist  zwi- 
schen dem  geistlichen  Hirten  und  seiner  Heerde   und   hielten 
dafiir,  der  beste  Vortheil,   den   man  aus   der  Religion  ziehen 
könne,    sei,  dass  sie  Reichthümer   verschaffe.     Ihnen  sei  alles 
feil,  und  man  könne  sagen,  sie  machten  es  wie  die  abgefalle- 
nen Engel,  die,  wenn  sie  einmal  nichts  Böses  thun,  mit  ihrer 
Vortrefflichkeit  prahlen.     Nur  eine  ganz  kleine  Zahl  derselben 
treffe  vielleicht  dieser  Vorwurf  nicht.     Der  Papst  selbst  wäre 
für  die  Christenheit  eine   fast   unerträgliche  Last.     Es   werde 
allgemein  darüber  geklagt,  dass  während  die  Kirchen,  welche 
die    Frömmigrkeit    unserer    Vorältern    erbaut    hat,    im    Ver- 
fall  und  ihre  Altäre  verlassen  seien,   die  Päpste  Paläste   bau- 
ten und  sich  nicht  blos   in  purpurne  Gewänder   hüllten,   son- 
dern auch  über  und  über  vom  Golde  glänzten,     lieber   diese 
und    mehrere  Dinge   murre   das  Volk  laut."     Auf  die   Frage 
des    Papstes:     „Und    was    ist    denn    Eure    Meinung?"    fährt 
Salisbury  fort :  „Eure  Frage  setzt  mich  in  Verlegenheit ;  denn 
wollte  ich   meine   einzelne   Meinung  der    allgemeinen  Stimme 
ento-escensetzen,    so   würde   ich    ein  Lügner    vmd   Schmeichler 
sein,  und  auf  der  andern  Seite  fürchte  ich  Anstoss  zu  geben." 
Salisbury  führt  hierauf  an,  was  ein  Cardinal  gesagt  habe:  die 
Quelle  aller  Uebel  der  römischen  Kirche   sei   die  in  ihr  herr- 
schende Falschheit  und  Habsucht,    das   habe  der  Cardinal  in 
einer  öffentlichen  Versammlung  gesagt,  wo  Papst  Eugen  IH. 
den  Vorsitz  gehabt.    „Doch  ich  für  meinen  Theil",  fährt  Salis- 
bury fort,    „fand  doch   auch   in   dieser  Kirche  Geistliche  von 
ausgezeichneter  Tugend  und  ganz  frei  von  jeglicher  Habsucht; 
ich  kann  lebende  Beispiele  von  Männern  anführen,  welche  die 
Massigkeit  und   die    strengen  Sitten  eines   Fabricius  mit  den 
Eio'enschaften  eines  wahren  Christen  verbinden.     Da  Ihr  nun 
dui-chaus    meine    Meinung    wissen    wollt,    so    will    ich    Euch 
sagen,  dass  man  ganz  wohlthut,  immer  Euern  Lehren  zu  fol- 
gen,   wenn   man    gleich    Eure   Handlungen    nicht    nachahmen 
darf.     Die  Welt  jauchzt  Euch  zu,   sie  nennt  Euch  Herr  und 
Vater ;  wenn  Ihr  aber  wirklich  Vater  seid,  warum  fordert  Ihr 
Gaben  von  Euern  Kindern?     Seid  Ihr  aber  Herr,  warum  gc- 


76-        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

horchen  Euch  gerade  Eure  Eöiuer  am  wenigsten?  Aber  es 
schemt,  Ihr  wollt  diese  Stadt  durch  Gaben  gewinnen;  hat  sie 
Sylvester  durch  solche  Mittel  erworben  ?  Heiliger  Vater,  Ihr 
seid  im  Irrthum.  Theilt  andern  frei  mit,  was  Ihr  selbst  um- 
sonst empfangen  habt ;  wenn  Ihr  andere  initerdrückt,  setzt  Ihr 
Euch  selbst  der  Unterdriickung  aus."  ^ 

In  welchem  Rufe  der  Habsucht  und  Bestechlichkeit  die 
römische  Curie  namentlich  im  12.  und  13.  Jahrhundert  stand, 
bezeugen  die  Klagen  oder  der  Spott,  in  Prosa  und  Versen  von 
Klerikern  verfasst.*  Nur  einige  Beispiele  aus  den  Gedichten 
Bernhard's,  Mönchs  von  Clugny  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhun- 
derts, „De  contemptu  mundi  ad  Petrum  Abb.  suum",  S.  226  fg.: 

Roma  dat  omnibus  omnia  dantibus;  omnia  Romae 
Cum  pretio:  quia  juris  ibi  via,  jus  perit  omue; 
Ut  rota  labitur,  ergo  vocabitur  hinc  rota  Romaua. 
Roma  nocens  nocet,  atque  viam  docet  ipsa  nocendi, 
Jura  relinquere,  lucra  requirere,  patria  vendi. 

In  einem  Gedichte  Walther's  bei  Mapes  ^  heisst  es : 

In  hoc  consistorio  si  quis  causam  regat 
Suam  vel  alterius,  hie  in  primis  legat: 
Nisi  dat  pecuniam,  Roma  totum  negat, 
Qui  plus  dat  pecuniae,  melius  allegat. 


Oder  ^: 


Papa  quaerit,  chartula  quaerit,  bulla  quaerit. 
Porta  quaerit,  Cardinalis  quaerit,  Cursor  quaerit. 


Flögel  ^  bringt  eine  Stelle  von  Bernhardus  Morlanensis, 
Mönch  zu  Clugny,  den  er  mit  dem  Bernli.  Clunicensis  Tür 
einerlei  hält: 

0  mala  saecula,  venditur  iufula  Pontificalis, 
Infula  venditur,  haud  reprohcnditur  emtio  talis. 
Venditur  annulus,  hinc  lucri  Romulus  äuget  et  urget. 
Est  modo  mortua,  Roma  superüua,  quando  resurget? 


'  Job.  Salisbury,  Polycraticus  lib.  II,  c.  23. 

2  Vgl.  die  Stellen  aus  Hildeberti  Arcliiep.  Turon.  (gest.  1134)  Curiao 
Romanae  descript.,  bei  Gieseler  II,  2,  S.  248,  Note  20. 

3  Bei  Ilurtcr,  Innocenz  III.,  II,  775. 

<  Bei  Ilurter  a.  a.  0.,  S.  77G;  Catal.  test.  vcr.,  U,  492. 
*  Geschichte  der  kom.  Literatur,  II,  407. 


6.    Sittliche  Zustände.  77 

Roma  superfluit,  aritla  corruit,  afflua  plena 
Clamitat  et  tacet,  erigit  et  jacet,  et  dat  egena: 
Roma  dat  omnibus  omnia,  dantibus  omnia  Romae 
Cum  precio  :  quia  juris  ibi  via,  jus  perit  omne. 

Die  Habsucht  der  Geistlichen  im  13.  Jahrhiindert  musste 
wol  gross  und  allgemein  bekannt  sein,  da  Innocenz  III.  in 
einer  Predigt,  wo  er  die  Uneigenniitzigkeit  des  heiligen  Lau- 
rentius  zum  Muster  aufgestellt  hatte,  öffentlich  sagen  konnte: 
„Beherzigt  dies,  ihr,  die  ihr  das  Gut  des  Gekreuzigten  zu 
euerer  eigenen  Ueppigkeit  oder  zur  Bereicherung  euerer  An- 
verwandten masslos  verwendet,  die  Armen  aber  vernachlässigt, 
der  Diirftigen  keine  Acht  habt."  ^  Auch  Cacsarius  von  Heister- 
bach ^  zeugt  dafür,  wenn  er  den  Novicius  sagen  lässt:  „Audivi, 
quidam  confessores  pro  uno  gallinaceo  et  vini  sextario  mul- 
torum  poenam  peccatorum  vel  relaxant  vel  dissimulant."  Der 
Mönch  bestreitet  nicht,  dass  die  Beichte  auch  als  Erwerbs- 
quelle ausgeschöpft  werde,  bekräftigt  es  vielmehr  durch  das 
Citat  eines  prophetischen  Spruchs,  w^onach  Gott  nicht  blos 
die  Habsucht,  sondern  auch  die  Schwelgerei  der  Geistlichen 
bestrafen  werde. 

Ein  Beweis  der  Entsittlichung  der  Geistlichkeit  ist  auch  der 
Misbrauch,  der  mit  der  kirchlichen  Disciphnargewalt,  nämlich 
mit  dem  Banne  vmd  dem  Interdicte,  geiibt  wurde,  was 
zugleich  ein  Förderungsmittel  der  Sitten-  und  Zuchtlosigkeit 
unter  den  Laien  abgab.  Hören  wir  einen  katholischen  Schrift- 
steller, der  uns  in  dieser  Beziehung  sichere  Gewähr  leistet. 
Hurter  ^  sagt:  „Nichts  aber  ist  in  diesen  Zeiten  so  sehr  mis- 
braucht  worden,  als  die  Ausschliessung  aus  der  Kirche  oder 
die  Entziehung  des  Gottesdienstes;  und  bei  nichts  war  die 
Oberaufsicht  eines  freier  Gestellten,  die  unabhängige  Einwir- 
kung eines  Unparteiischen  nothwendiger  als  bei  Bann  und 
Interdict.  "*....  Häufig  ging  hieraus  Zwiespalt  der  Gewissen 
hervor  mit  dem,  was  anderweitige  Pflicht,  was  vielleicht  die 
Noth wendigkeit  gebot.  Um  jenem  Genüge  zu  thun,  mussten 
oft  manche,  je  höher  sie  standen,  desto  grösserer  Trübsal  ent- 


1  Sermo  in  festum  S.  Lauventii. 

2  Dial.  mirac.  Strange,  I,  c.  XLI  de  eonfess. 

3  Innocenz  III.  und  seine  Zeitgenossen,  III,  48. 
*  S.  5Ü  fg. 


78        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

ffCirenixelien :  denn  es  war  allrjemeincr  Glaube,  dass  die  Seelen 
der  im  Banne  Gestorbenen  der  Hölle  zuführen.  Häufiger  hatte 
dieses  Mittel,  seiner  leichtfertigen  Anwendung  wegen,  die  ent- 
ixeorenoresetzte  Wirkunii:.  Die  Gemiither  wurden  verhärteter, 
die  Widersetzlichkeit  heftiger,  das  Beharren  in  dem,  was  den 
Bann  veranlasst  hatte,  hartnäckiger.  Die  längere  Dauer  eines 
Interdicts,  der  grössere  Umfang,  über  den  es  sich  erstreckte, 
war  besonders  gefährlich,  wenn  Irrlehre  in  einer  Landschaft 
tiefere  Wurzeln  geschlagen  hatte.  W^enn  aber  selbst  Klöster, 
ganze  Kapitel  und  einzelne  Geistliche,  wie  strenge  Ahndung 
sie  auch  dadurch  sich  zugezogen,  ja  wenn  selbst  Bischöfe  an 
solche  Aussprüche  sich  nicht  kehrten,  wie  sollte  grössere 
Scheu  davor  bei  den  Laien  bewahrt  werden? 

„Bann  und  Inderdict  in  der  Hand  der  Erzbischöfc 
und  Bischöfe  wurden  alliuählich  eine  abgestumpfte,  weil  all- 
zu oft  gebrauchte  W^affe,  aus  Veranlassungen  geführt,  die 
mit  dem  Sinne  und  dem  Zweck  dieser  Zurechtweisungsmittel 
nicht  in  dem  geringsten  Zusammenhang  standen,  häufig  nicht 
das  eigentliche  innere  Leben  der  Kirche,  sondern  nur  die 
äussern  Zufälligkeiten  ihrer  Personen  berührten.  Ilierdurch 
verloren  diese  Waffen  beides,  ihre  Schärfe  luid  ihre  A^'irksam- 
keit.  Die  Jahrbücher  dieser  Zeit  enthalten  eine  Menge  solcher 
Vorkehrungen  oft  der  geringfügigsten  Ursachen  wegen.  So 
entbehrte  einst  die  Stadt  Köln  des  Gottesdienstes,  nur  weil 
ein  Frevel  innerhalb  ihrer  Mauern  begangen  worden.  Das 
Kapitel  von  Chartres  sprach  gegen  die  Gräfin  von  Blois  den 
Bann,  weil  es  über  die  Beurtheilung  eines  Strassenräubers  in 
Zwist  mit  ihr  stand.  Die  ganze  Normandie  kam  im  Jahre 
IIDG  durch  den  Erzbischof  von  Ronen  unter  das  Literdict, 
weil  der  König  dessen  Schloss  Roche-Andeli  für  sich  be- 
festigte. Im  Jahre  1207  unterlagen  ihm  alle  Kirchen  jener 
Hauptstadt,  weil  der  Stadtvogt  einen  Domherrn  eines  Ver- 
gehens weiicn  festo;enommen  hatte.  Dann  interdicirte  wieder 
das  Domkapitel  die  Domkirche,  weil  ihm  der  Erzbischof  den 
Zehnten  von  Dieppe  vorenthielt.  Die  Bürger  von  Sanct- 
Omer  hatten  wegen  eines  Streites  mit  dem  Kloster  Sanct- 
Bertin  um  einige  Bäche  und  Sümpfe  den  Bann  zu  tragen. 
Als  Erzbischof  Adelbcrt  von  Salzburg  14  Tage  von  seinen 
Dienstmannen  gefongen  gehalten  wurde,  unterblieb  der  uner- 
hörten   Tliat    wegen    in    allen    umliegenden    Bisthümern    der 


G.    Sittliche  Zustände.  79 

Gottesdienst.  Der  Bischof  von  Toni  sprach  schon  im  allge- 
meinen das  Interdict  über  alle  Ortschaften,  in  welchen  ent- 
fremdetes geistliches  Gut  durchgef vihrt ,  übernachtet,  verkauft 
werden  sollte,  über  alle  Fürsten  und  Edle,  die  an  solchem 
sich  vergreifen  würden,  über  alle  Gehülfen,  Mitwisser  und 
Fehler  des  Frevels;  und  dieses,  bis  es  zurückerstattet  sei. 
Nur  denjenigen,  welche  gar  nichts  darum  wussten,  möge  im 
Todeskampfe  ein  Geistlicher  mit  den  letzten  Gnadenmitteln 
beistehen,  nicht  aber  ihnen  ein  christliches  Begräbniss  ge- 
währen. Sollte  jemand  einen  solchen  mit  Gewalt  begraben, 
so  dürfe  ihm  selbst  das  Gleiche  nie  zutheil,  müsse  der  Leich- 
nam ausgeworfen  und  bis  dies  geschehen  sei,  der  Ort  noch 
besonders  interdicirt  werden.  ^  .  .  .  .  Bann  und  Interdict  dien- 
ten den  Bischöfen  nur  allzu  oft  als  Mittel  der  Selbsthülfe  und 
nicht  selten  ohne  Unterschied  gegen  Schuldige  wie  gegen 
Unschuldige,  Sie  sprachen  Trennung  von  der  Kirche  oder 
Einstellung  des  Gottesdienstes  aus,  weil  ungemessene  For- 
derungen nicht  wollten  zugestanden  werden,  der  leichtesten 
Dinge  wegen,  aus  Laune,  voreilig  in  allzu  grosser  Strenge, 
aus  Rachsucht,  um  Zwang  zu  üben." 

In  diesen  Jahrhunderten  des  Mittelalters  fehlte  es  aller- 
dings nicht  an  Erscheinungen  der  Reaction  gegen  die  völlige 
Auflösung  der  sittlichen  Bande  im  Leben  der  Geistlichkeit; 
wir  brauchen  in  dieser  Beziehung  nur  an  Odo  von  Clugny, 
Sanct-Nil,  die  Camaldulenser,  die  Orden  des  heiligen  Francis- 
cus  und  Dominicus  zu  erinnern.  Als  charakteristische  Er- 
scheinungen in  sittlicher  Beziehung  sind  auch  die  häretischen 
Sekten  dieser  Periode,  insbesondere  die  Katharer  und  Wal- 
denser  zu  betrachten,  die  auch  zunächst  von  dem  Motive  ge- 
trieben worden,  die  ursprüngliche  Form  des  Christenthums 
wiederherzustellen.  Bekannt  ist  ferner,  das  mehrere  Päpste 
das  ausgelassene  Leben  des  Klerus  einzudämmen  suchten  und 
dessen  Reform  in  Angriff  nahmen.  Auch  in  Volksdichtern  ^ 
und  Volkspredigern  wurde  das  religiös-sittliche  Bewusstsein 
laut,  wobei  nur  der  Franciscaner  Bruder  Berthold  erwähnt 
zu  werden  braucht,  der  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhun- 
derts die  „Pfennigprediger",    worunter  er  die  Ablassprediger 


1  S.  52. 

2  Siehe  Gieseler,  II,  2,  S.  509. 


80        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vona  Teufel. 

meint,  „die  liebsten  Knechte  des  Teufels"  nennt.  Allein  diese 
Keactionsersclieinungen  verloren  sich  theils  selbst  in  Extreme, 
sodass  sie ,  obschon  urspriinglich  von  einerlei  oder  ähnlichem 
Motive  ausgehend,  im  weitem  Verlaufe  miteinander  in  Wider- 
spruch geriethen  und  einander  feindlich  gegenüberzustehen 
kamen,  wie  die  Dominicaner  und  Hcäretiker;  oder  die  Refor- 
mationsversuche waren  durch  die  Persönlichkeit  bedingt  und 
nur  von  dieser  getragen,  daher  mit  deren  Abtreten  die  Trag- 
weite abgeschnitten  war;  oder  die  lleformbestrebungen  waren 
überhaupt  zu  schwach,  um  die  allgemeine  Strömung  zu  hem- 
men; oder  sie  änderten  mit  der  Zeit  ihre  Bedeutung  und 
wurden  zu  Organen  der  Kirchenmacht,  gegen  deren  Aeusser- 
lichkeit  sie  ursprünglich  aufgetreten  waren,  wie  die  Mönche. 
Die  guten  Beispiele  von  wahrhaft  frommen  Geistlichen  blieben 
in  der  Minderzahl  gegenüber  den  verderbten,  die  auch  an 
Einfluss  weit  überwogen.  Die  übermässigen  Einkünfte  und 
Besitzungen  hatte  ihre  Habsucht  immer  mehr  gesteigert,  ihre 
berufswidrige  Einmischung  in  weltliche  Angelegenheiten  hatte 
Aumassung,  Herrschsucht,  Gewaltthätigkeit  in  Begleitung,  der 
ehelose  Stand,  Müssiggang,  die  Abgesondertheit  in  Klöstern 
brachten  Trunksucht,  Geilheit,  Heuchelei  mit  sich.  Ueber 
unnatürliche  Abscheulichkeiten  hatten  nicht  nur  Italien  vmd 
Frankreich,  sondern  auch  Deutschland,  wenn  vielleicht  auch 
nicht  in  dem  Masse  zu  klagen.  Jakob  von  Vitry,  selbst 
Geistlicher,  erzählt,  wie  im  13-  Jahrhundert  die  Sodomie  un- 
ter den  Klerikern  in  Paris  geherrscht  habe,  dass  wenn  einer 
die  verworfenen  Strassendirnen,  die  ihn  anfielen,  zurückwies, 
sie  ihm  nachgerufen:  „Sodomit".  Er  fügt  noch  hinzu,  dass 
solche,  die  der  Lockung  folgten  oder  sich  Beischläferinnen 
hielten,  für  tugendhafte  Männer  betrachtet  worden  seien.  ^ 
In  Köln,  der  heiligen  Stadt,  war  es  nöthig  geworden,  strenge 
Gesetze  gegen  Kuplerinnen  zu  erlassen,  welche  Mädchen  zur 
Unzucht  verleiteten,  sie  den  Geistlichen  zuführten,  den  Non- 
nen Gelegenheit  verschafften,  den  Ehemännern  andere  Frauen 
zubrachten.  '-* 

Die   Sittenlosigkeit   dauerte   wachsend    fort   und   die    Ge- 
schichte bestätigt  es,  dass  Clemangis,   ein  französischer  Theo- 


'  Jacol)i  de  Vitriaco  llist.  occident.,  cap.  VII,  278. 
^  Statuta  et  Concoidata  bei  Ilülluiann^  IV,  258. 


6.    Sittliche  Zustände.  81 

löge  des  15.  Jahrhunderts,  richtig  schildert,  wenn  er  von  den 
Nonnenklöstern  sagt:  „Quidquid  aliud  sunt  hoc  tempore  pucl- 
larum  monasteria,  nisi  quaedam,  non  dicam  Dei  sanctuaria, 
sed  Veneris  exercenda  prostibula,  sed  lascivorum  et  inipudi- 
corum  juvenum  ad  libidines  explendas  receptacula?"i 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  aus  lauter  Aussagen 
von  Geistlichen  zusammengelesene  Schilderung  der  sittlichen 
Verkommenheit  in  dieser  Periode  auch  auf  die  Laienwelt  ein 
Sti^eiflicht  werfen  muss.  Bekanntlich  war  derbe  Sinnlichkeit 
die  Basis  der  mittelalterlichen  Welt  und  der  Sinnengenuss 
auch  unter  den  Laien  allgemein  verbreitet.  Es  wird  aber  an- 
genommen werden  dürfen,  dass  dieser  durch  das  Beispiel  des 
Klerus  im  allgemeinen  bis  zur  Ausschreitung  gefördert  wurde, 
dass  er  im  Gegensatz  zur  gepredigten  Kasteiung  mehr  hervor- 
trat, wo  ihm  die  Umstände  günstig  waren.  Dies  war  der  Fall 
seitdem  unter  den  sächsischen  Kaisern  die  bürgerlichen  Ge- 
werbe und  der  Handel  riihriger  und  ergiebiger  geworden  wa- 
ren, sich  bedeutende  Marktplätze  erhoben  hatten.  Mit  dem  zu- 
nehmenden Aufschwünge  der  gewerblichen  Thätigkeit  nahm  auch 
Besitz  und  Wohlstand  zu,  damit  auch  die  Sucht,  die  gewonnenen 
Güter  zu  gemessen,  wogegen  die  Einfachheit  und  Reinheit  der 
Sitten  abnahm  und  die  Unsittlichkeit  immer  mehr  um  sich 
griff.  Die  Vorrede  zu  einem  Concil  vom  Jahr  909  gibt  eine 
lebendige  Anschauung:  ,, Unsere  Frevel  sind  bis  über  den 
Kopf  angehäuft,  unsere  Verbrechen  bis  zum  Himmel  ange- 
wachsen. Hurerei  und  Ehebruch,  Gottlosigkeit  und  Mord 
sind  übergeströmt,  und  Blut  hat  Blut  getödtet.  —  Indem  die 
Ehrfurcht  vor  göttlichen  und  menschlichen  Gesetzen  danieder 
ist,  die  bischöflichen  Edicte  verachtet  werden,  thut  jeder,  was 
er  will.  Der  Stärkere  unterdrückt  den  Schwächern,  und  die 
Menschen  gleichen  den  Fischen  des  Meers,  die  voneinander 
aufgefressen  werden.  Daher  sieht  man  in  der  ganzen  Welt 
Beraubung  der  Armen,  der  kirchlichen  Güter;  daher  die 
steten  Thränen,  der  Jammer  der  Waisen.  Auch  uns  dürfen 
wir  nicht  schonen,  die  wir  die  Fehler  anderer  bessern  sollen, 
Bischöfe  heissen,  aber  das  bischöfliche  Amt  nicht  ausführen. 
Wir    sehen    wie    die    uns    Anvertrauten    Gott    verlassen    und 


'  Vgl.  William  Prynne,  Records,  11,  229. 


Koskoff,  Geschichte  des  ToiifelB.    II. 


82        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

schweigen.  ^     Ueber  die  gewöhnlich   geriihmte  Sittsamkeit  im 
Mittelalter  geben  uns  die  häufig  erlassenen,  iiberaus  strengen 
städtischen  Strafgesetze  gegen  „Notnumpft"  gehörige  Aus- 
kunft sowie    die   Verordnungen    in   Bezug   auf  die    „Frauen- 
häuser", die  „Jungfrauenhöfe"  und  deren  Bewohnerinnen,  die 
„offenen  Weiber"  und  „fahrenden  Frauen".    Beweise  von  der 
überhandgenommenen    Prunksucht    und   VerschAvendung    sind 
die  bekannten  Kleiderordnungen  und  die  Massregelungen,  die 
entgegenwirken  sollten,    sowie   die  eifernden  Predigten  gegen 
die  Kleiderpracht,  die  „Pfauenschvyeife"  der  Frauen  u.  dgl.  m. 
Man  hat  ganz  richtig  bemerkt:  das  Bewusstsein  der  eige- 
nen Verderbtheit  habe   sich  in  der  im  10.  Jahrhundert   allge- 
mein gehegten   Erwartung    des   Weltuntergangs   ausgedrückt. 
In  Verbindung  damit  steht,  was  Glaber  Iludolphus  erwähnt: 
„Intra  millesimum  tertio  jam  fere  imminente  anno  contigit  in 
universo   paene   terrarum   orbe,   praecipue   tarnen  in  Italia  et 
in  Galha,  innovari  Ecclesiarum  Basilicas,  licet  pleraeque   de- 
center    locatae    minime  iudigissent."  "^      Bekanntlich    stammen 
aus  dieser  Zeit  die  herrlichen  Miinster  von  Strasburg,  Mainz, 
Trier,  Speier,  Worms,  Basel,   Dijon,  Toul  u.  a.     Diese  Er- 
scheinung  erldärt  sich   aus   dem    im  Mittelalter  herrschenden 
Busswesen,    das  damit  innig  zusammenhängt,    sowie    über- 
haupt die  ethische  Anschauung  dieser  Periode  ans  Licht  setzt, 
daher  eines  Blickes  wol  werth  ist. 


Busswesen. 

Der  sittlichen  Verderbtheit,  in  welche  der  Klerus  wie  die 
Laienwelt  versunken  war,  stand  das  Busswesen  gegenüber, 
das  dem  Uebel  abhelfen  sollte;  allein  die  Ascese  drückte  der 
Sittlichkeit  sowol  als  auch  den  wiederholten  Reformbestrebun- 
gen den  Charakter  reiner  Aeusserlichkeit  auf  und  so  bewegte 
sich  die  Zeit  innerhalb  mönchisch-ascetischen  Uebungen  und 
der  gröbsten  Sinnlichkeit  und  Genusssucht.  Zwar  fehlt  es 
nicht  an  Beispielen  wirklicher   innerer  Vertiefung,    im    allge- 


1  Concil.  Troslej.  a.  909  praefat.  Mansi,  XVIII,  265;  vgl.  Gieseler,  I, 
1,  S.  265,  Note  5. 


III,  c.  4. 


6.    Sittliche  Zustände.  83 

meinen  musste  aber  nach  der  in  Uebung  gekommenen  Buss- 
theorie doch  nur  die  Veräusserlichung  des  religiösen  Bewusst- 
seius  gefördert  werden. 

So   wie  Cultus   und   Religion  überhaupt   in    die  Aeusser- 
lichkeit  aufgegangen  waren,   wurde   von  damaliger  Zeit   Sitt- 
lichkeit und  Reliixiosität  nach  dem  Masstabe  der  Aeusserlich- 
keit  bemessen,  nämlich  nach  der  Menge  und  Grösse  sogenannter 
verdienstlicher  Werke,  die  in  die  Kirche  mündeten.    Wie  sehr 
die  Gesinnung   des   einzelnen,   die   eigentliche  Sittlichkeit   bei 
diesen  Werken  in  den  Hintergrund   gedrängt   oder   eigentlich 
gar  nicht  berücksichtigt  ward,  zeigt  besonders  augenfällig  die 
damalige    Ablasspraktik,    deren    sich    die   Kirche    bediente 
und  zwar  zur  Erreichung  ihrer   eigenen   Zwecke.     Der  Erz- 
bischof von  Arles    gab    im   Jahre  1016    eins   der   ersten   Bei- 
spiele von  Ablasspromulgatiou  für  eine  bestimmte  Zeit.     Von 
Benedict  IX.   und  Alexander  II.   wurden   aus  besondern  An- 
lässen Indulgentiae    poenitentiae  erlassen.     Gregor  VII.  hatte 
denjenigen  Ablass  verheissen,  die  ihm  beim  Sturze  Heinrich's IV. 
behülflich  sein  würden.     Durch  die  Kreuzzüge  erweiterte  sich 
die  Ablasspraxis   ins    grosse    und    seit   Alexander  III.   wurde 
dieses  Mittel,   wodurch  die  Kirche  den  sittlichen  Zweck  för- 
dern sollte,  rein  materieller  Art,   pures  Gelderwerb  mittel   für 
diese.     In   diesem  Sinne   ward   im   Jahre  1300   das   Jubeljahr 
gefeiert  unter  Verheissung    der  Sündenvergebung  für  diejeni- 
gen,   die    nach   Rom    pilgerten    und    daselbst    opferten.      Die 
Feier  wurde  dann  vom  je  fünfzigsten  Jahr  auf  das  dreissigste, 
ja    auf  das    fünfundzwauzigste   herabgesetzt,    wobei    sich    die 
Vermuthung  aufdrängt,    dass   hierbei  weniger   die  Kürze   des 
Lebens,    als   vielmehr   die  Einträglichkeit   dieser  Feier  mass- 
gebend gewesen  sei. 

Da  die  christliche  Sittlichkeit  ganz  in  die  Form  der 
Aeusserlichkeit  verrannt  war,  ihren  Werth  nicht  nach  der  Ge- 
sinnung, dem  innern  Motive  schätzte,  sondern  nur  nach  dem 
äussern  Thun,  so  gab  es  nach  der  Vorstellung  der  Zeit  kein 
höheres  Verdienst,  als  Kirchen  und  Klöster  zu  beschenken, 
um  nach  demselben  Masse  die  Segnungen  der  Kirche  dafür 
zu  erlangen.  Hiermit  war  der  sittliche  Werth  des  Menschen 
ganz  und  gar  abhängig  von  dem  Geldwerthe,  den  dieser  be- 
sass,  und  das  ganze  Busswesen  ging  seines  realen  Inhalts  ver- 
lustig.    Petrus   Damianus   konnte    daher    in   frommem   Ernste 


6 


* 


84        Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

unter  Hinweisnng  auf  Spr.  13,  8  behaupten:  um  Geld  und 
Gut  sei  die  Seligkeit  von  der  Kii'clie  zu  erkaufen.  Die  Seg- 
nungen der  Kirche  wuchsen  nach  der  Grösse  der  Anstrengung 
und  des  Aufwandes  bei  einem  verdienstlichen  Werke.  Je 
ausserordentlicher  die  Unternehmung  war,  die  zur  Ehre  Got- 
tes und  Christi,  der  Jungfrau  Maria  und  der  Heiligen,  d.  h. 
der  Kirche,  vollfiihrt  wurde,  um  so  grösser  und  sicherer  war 
die  Anwartschaft  auf  Siindenvergebung.  Darin  haben  die  um 
jene  Zeit  so  häufigen  Wallfahrten  nach  heiligen  Orten  ihren 
Grund  sowie  die  stets  häufiger  unternommenen  Pilgerfahrten 
nach  dem  heiligen  Lande.  Die  Sehnsucht  danach,  die  mit 
der  im  10.  Jahrhundert  allgemein  verbreiteten  Erwartung  des 
bevorstehenden  Untergangs  der  Welt  zusammenhängt,  welche 
Erwartung  zum  höchsten  Schrecken  sich  gesteigert  hatte, 
brachte  im  Jahre  1033  jene  grosse  Bewegung  hervor,  infolge 
deren  eine  ungeheuere  Menschenmenge  aus  allen  Ständen  zu- 
sammengeströmt war,  um  nach  dem  Grabe  des  Erlösers  zu 
ziehen.  Im  Gefühl  der  eigenen  Hohlheit  und  Haltlosigkeit 
trieb  die  Angst  nach  der  unmittelbaren  Nähe  der  Stätte,  die 
durch  das  Erlösungswerk  geheiligt  worden,  um  hier  den 
wiedererscheinenden  Heiland  zu  erwarten.  Das  Höchste,  w^as 
der  Mensch  damaliger  Zeit  für  erreichbar  hielt,  w^ar  die  sinn- 
liche Vereinbarung  mit  der  Stätte,  von  der  das  Heil  der  Welt 
aus'Teo-anü-en  war.  Er  klammerte  sich  an  die  äussere  Wahr- 
nehmung,  die  sinnliche  Gewissheit,  da  ihm  die  innere  Ueber- 
zeugung,  auf  welcher  der  selbsteigenc  Halt  beruht,  abhanden 
gekommen  war. 

Die  Form  der  Aeusserlichkeit,  welche  in  jener  Zeit  das 
Busswesen  angenommen,  wobei  nur  die  guten  Werke  dienen 
sollten,  finden  wir  schon  bei  Eligius,  einem  Heiligen  des 
7.  Jahrhunderts,  festgestellt,  wenn  er  sagt:  „Der  nur  ist  ein 
guter  Christ,  der  häufig  die  Kirche  besucht,  auf  den  Altar 
Gaben  bringt,  nicht  eher  die  Früchte  seines  Landes  kostet, 
als  bis  er  einen  Theil  derselben  dem  Höchsten  geweiht  hat 
unJ  das  Vaterunser  oder  das  Credo  hersagen  kann.  Kauft 
euere  Seelen  von  ewiger  Strafe  los  solange  es  noch  in  euerer 
Macht  steht,  gebt  den  Kirchen  Geschenke  und  Zehnten,  lasst 
Ker/.en  flannnen  an  heiliger  Stätte  soviel  ihr  nur  vermögt, 
und  erficht  den  Schutz  der  Heiligen;  denn  wenn  ihr  dies 
alles  beobachtet,    könnt  ihr  mit  Sicherheit   am  Tage    des  Ge- 


6.    Sittliche  Zustände.  85 

riclits  erscheinen    nnd  sprechen:    Gib   uns   o  Herr,   denn  wir 
haben  dir  gegeben."  ^ 

Kurtz  2  macht  die  richtige  Bemerkung:  „Wie  verflacht 
und  veräusserhcht  der  Pönitenzbegrifif  der  Kirche  schon  war, 
als  sie  den  germanischen  Völkern  das  Christenthum  brachte, 
zeigt  sich  schon  darin,  dass  das  lateinische  Wort  „poenitentia" 
durch  das  germanische  Wort  „Busse",  d.  h.  Ersatz,  Ent- 
schädigung, wiedergegeben  werden  konnte,  und  dass  in  den 
Bussordnungen  „poenitere"  durchgängig  völlig  identisch  mit 
„jejunare"  ist.  Ging  der  Begriff  der  poenitentia  aber  in 
äussere  Leistungen  auf,  so  konnte  die  übliche  Bussleistung 
des  Fastens  mit  andern  geistlichen  Uebungen,  ja  mit  Geld- 
bussen vertauscht  werden,  es  kam  nur  darauf  an,  dass  für  die 
Siinde  durch  entsprechende  Busswerke  Ersatz  geleistet  werde, 
diese  konnten  auch  stellvertretend  von  andern  geleistet  wer- 
den." Im  Verlaufe  der  Zeit  kam  auch  in  der  That  eine 
förmliche  Stellvertretungstheorie  in  Schwang,  wonach 
eine  Busse  mit  der  andern  vertauscht  werden  konnte,  worüber 
die  Libri  poenitentiales  ordentliche  Register  führten.  Diese 
Verrenkung  hatte  schon  im  8.  und  9.  Jahrhundert  eine  mäch- 
tige Reactiou  hervorgerufen,  in  England  auf  der  Synode  zu 
Cloveshoe  im  Jahre  813,  zu  Paris  829,  zu  Mainz  847,  eine 
Reihe  namhafter  Theologen,  Alcuin,  Theodulf,  Rhabanus  Mau- 
rus  u.  a.  m.,  erhoben  sich  dagegen ;  allein  vergeblich.  Petrus 
Damianus,  dem  diese  Theorie  ihre  vornehmliche  Förderung 
verdankt,  empfiehlt  besonders  die  Geiselbusse,  die  auch 
durch  ihn  in  Uebung  gekommen  ist.  Selbst  ein  Kaiser,  wie 
Heinrich  III.,  und  edle  Frauen  unterzogen  sich  der  Geiselung. 
Im  11.  Jahrhundert  hatte  man  eine  förmliche  arithmetische 
Berechnung,  was  die  Zahl  und  den  Werth  der  Geiselhiebe 
betrifft,  eingeführt.  Ausser  dem  Geldwerthe,  womit  die  Busse 
erkauft  werden  konnte,  galt  eine  entsprechende  Zahl  von 
Geiselhieben  unter  Fasten  und  Psalmen  als  Aequivalent.  Ein 
Jahr  der  Busse  konnte  der  Reiche  mit  der  Summe  von 
26  Solidi   (gleich  30  Thalern)   einlösen,   der  Arme  sollte  nur 


1  Moslieim,  Cent.,  Vll,  c.  3;  Robertson,  Geschichte  Karl's  V.,  Note  11; 
bei  Hallam,  Geschichtliche  Darstellung  des  Zustandes  von  Euroi)a  im 
Mittelalter,  übertragen  von  Halem,  II,  558. 

2  Handbuch  der  allgemeinen  Kirchengeschichtc,  II,  401. 


8G        Zweiter  Absclmitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

3  entrichten;  das  Aequivalent  fiir  einen  Busstag  waren 
20  Schläge  auf  die  Hand  oder  50  Psalmen;  3000  Hiebe  mit 
dem  Staupbesen,  unter  Gesangbeglcitung  von  Psalmen,  wogen 
ein  Bussjahr  auf,  und  so  konnten  Jahrhunderte  von  Busse 
abgethan  werden,  wozu  freilich  einige  Geschicklichkeit  er- 
forderlich war.  Damianus,  obgleich  selbst  kein  Stiimper  in 
dieser  Kunst,  da  er  ein  ßusssäculum  in  einem  Jahre  abzu- 
ireiseln  verstand,  sah  sich  durch  Dominicus  loricatus,  den 
^^gejDanzerten  Dominicus",  weit  übex-troffen,  der  es  zu  einer 
solchen  Fertigkeit  gebracht  zu  haben  versicherte,  dass  er  nur 
sechs  Tage  dazu  in  Anspruch  nahm.  Dieser  Geiselvirtuos 
rechnete  folffendermassen:  3000  Geiselhiebe  machen  ein  Jahr, 
während  des  Singens  von  10  Psalmen  lassen  sich  1000  Hiebe 
versetzen,  der  Psalter,  aus  150  Psalmen  bestehend,  umfasst 
5  Bussjahre,  dieselben  mit  20  multiplicirt  machen  100,  der 
Psalm  20  mal  unter  Geiselhieben  abgesungen,  thut  also 
fiir  ein  Jahrhundert  Busse.  Damianus  konnte  seinen  Freund 
wol  mit  Recht  in  dieser  Beziehung  als  Muster  aufstellen.  ^ 

Diese  Busstheorie  allein  muss  die  klarste  Einsicht  in  die 
gänzliche  Ausgehöhltheit  und  Veräusserlichung  aller  Innerlich- 
keit jener  Zeit  gewähren.  Blicken  wir  dabei  auf  die  derbe 
Sinnlichkeit  der  Periode,  die  Genuss-  und  Vergniigungs- 
sucht,  die  unmässige  üeppigkeit,  die  sowol  auf  dem  Stuhle 
Petri  thronte,  den  Klerus  erfüllte  und  in  der  Laienwelt 
hauste,  so  muss  es  begreiflich  erscheinen,  wenn  gelegentlich 
jeder  Genuss  bis  zum  Extrem  ausgedehnt  und  die  Heiterkeit 
und  Lust  des  Vergnügens  als  frivole  Ausgelassenheit  er- 
scheint. 

Diese  frivole  Ausgelassenheit  finden  wir  bei  den  öffent- 
lichen Festen  jener  Zeit,  dem  Narren-  und  Eselsfest,  die 
als  schätzbare  Beiträge  zur  Charakteristik  der  sittlichen  Zu- 
stände zu  betrachten  sind. 

Das  Narrenfest  nennt  Hase  treffend  „christianisirte 
Saturnalien"  ^;  es  gehörte  zu  den  Freuden  des  Weihnachts- 
festes,  das  von  der  abendländischen  Kirche  zu  derselben  Zeit 
begangen  wurde,  in  welcher  die  Ivömcr  ihre  Saturnalicu  zur 
Erinnerung  an  das  goldene  Zeitalter  der  Gleichheit  und  Frei- 


'  Damian.  de  vita  Eremitica  opuscul.  L.  I,  c.  8. 
^  Geistliche  Schauspiele,  S.  80. 


6.    Sittliche  Zustäade.  87 

heit  unter  der  Herrschaft  des  Saturuus  feierten.  Nach  der 
Einführung  des  Christenthums  trat  au  die  Stelle  der  heid- 
nischen Lustbarkeiten,  welche  die  „Decemberfreiheit"  gestattet 
hatte,  zur  Erhöhung  der  christlichen  Weihnachtsfreude  die 
Travestie  des  Heidnischen  durch  possenhafte  Nachahmung, 
wobei  die  mit  den  römischen  Festen  gewöhnlich  verbundenen 
Thierkämpfe  dadurch  andeutungsweise  ersetzt  wurden,  dass 
Menschen  unter  Thiermasken  bei  dem  Aufzuge  sich  herum- 
balgten. Nachdem  die  Erinnerung  an  das  Heidenthum  als 
eine  Macht  erloschen,  und  die  heidnischen  Gebräuche  in  Ver- 
gessenheit gerathen  waren,  wurde  der  christlich -kirchliche 
Gottesdienst  selbst  Gegenstand  der  Verspottung.  Hatte  der 
dazu  Erwählte  vorher  einen  Opferpriester  vorgestellt,  so  wurde 
nun  ein  Narrenbischof,  in  Kirchen,  welche  unmittelbar  unter 
dem  Papste  standen,  ein  Narrenpapst  gewählt,  und  zwar  von 
den  Priestern  und  Weltgeistlichen,  die  sich  dazu  versammelt 
hatten,  den  AVahlact  mit  vielen  possenhaften  Ceremonien 
vollzogen  und  ihn  hierauf  mit  Pomp  in  die  Kirche  führten. 
Während  des  Zuges  und  in  der  Kirche  wurden  die  Possen 
von  den  als  Bestien  maskirten,  als  Frauenzimmer  verkleideten 
Geistlichen  tanzend  und  einander  neckend  fortgesetzt.  Hier- 
auf begann  die  feierlich  possenhafte  Travestie  des  Gottes- 
dienstes. Der  Almosenpfleger,  der  wie  in  der  Wirklichkeit 
so  auch  in  der  Travestie  die  rechte  Hand  des  Bischofs  war, 
erliess  den  Ruf:  Silete,  silete,  silentium  habete!  den  die  lustige 
Versammlung  mit:  Deo  gratias!  erwiderte.  Hierauf  hielt  der 
Narrenbischof  in  üblicher  Weise  die  Messe,  beginnend  mit 
dem:  „Adjutorium  nostrum  in  nomine  Dei",  worauf  das  Con- 
fiteor  und  dann  die  Absolution  folgte,  die  der  Almosenpfleger 
im  Namen  seines  Herrn  dem  Volke  mit  folgenden  Worten 
ertheilte  * : 

De  par  Mossenbor  l'Eveque 
Que  Dieu  vos  donne  mal  al  bescle 
Avez  una  plena  banasta  de  pardos, 
Et  dos  de  Rascbä  de  fol  lo  mento. 

„Im  Namen  des  Herrn  Bischofs,    dass  Gott  euch  ein  Uebel 
an  der  Leber  gebe;    möget    ihr  ferner  einen  Korb    voll  von 


1  Vgl.  Alt,  Theater  und  Kirche,  S.  415  fg. 


88      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Vergebung    haben    und    ein    j^aar    Finger    voll    Krätze    unter 
dem  Kinn." 

Am  folgenden  Tage  war  die  Absolutionstbrmel  folgende: 

Mossenhor,  qu'es  cissi  present 

Vos  donna  XX  banastas  de  mal  de  dens, 

Et  ä  tos  vos  aoutres  acussi 

Dona  una  coa  de  Roussi. 

„Der  Herr  Bischof,  der  hier  gegenwärtig  ist,  gibt  euch 
zwanzig  Körbe  voll  Zahnschmerzen  und  fügt  allen  den  Geschen- 
ken, die  er  euch  schon  gemacht,  einen  alten  Pferdeschwauz  bei." 
Das  Hallelujah,  das  weiterhin  folgte,  wurde,  wie  Alt  ^ 
aus  einem  alten  Manuscript  in  der  Kirche  zu  Sens,  wo  das 
ganze  Ritual  beschrieben    ist,    ersehen  hat,    in   dieser  Weise 

gesungen : 

Alle: 

Kesonent  omnes  Ecclesiae 
Cum  dulci  melo  symplioniae 
Filium  Mariae  genetricis  piae 
Ut  nos  septiformis  gratiae 
Repleat  donis  et  gloriae 
Unde  Deo  dicamus  luja. 

Hierauf  stimmten  mehrere  hinter  dem  Altare  verborgene  Sän- 
ger folgende  Verse  an : 

Haec  est  clara  dies  clararum  clara  dierum 
Haec  est  festa  dies  festarum  festa  dierum. 

oder  auch: 

Festum  festorum  de  consuetudine  morum 
Omnibus  urbs  Senonis  festivas  nobilis  annis, 
Quo  gaudet  praecentor:  tarnen  omnis  honor 
Sit  Christo  circumciso  nunc,  semper  et  almo, 
Tartara  Bacchorum  non  pocula  sunt  fatuorum, 
Tartara  vincentes  sie  sinunt  ut  sapientes. 

Während  der  Bischof  die  Messe  las,  waren  die  maskirten 
Geistlichen  mit  Tanzen,  Springen,  Singen  von  Zotenliedern 
auf  das  Chor  gelangt,  die  Diaconi  iind  Subdiaconi  assen  auf 
dem  Altar  vor  dem  Messelesenden,  spielten  vor  ihm  Karten, 
Wi'irfel,  räucherten  ihm  unter  die  Nase  mit  dem  Ivauchfass, 
in  welchem  altes  Schuhlcder  brannte.     Nach  der  Messe  lief, 

1  A.  a.  0. 


6.    Sittliche  Zustände.  80 

sprang  und  tanzte  jeder  nach  seinem  Belieben   in    der  Kirche 
herum,    man    erlaubte    sich    die    gröbsten    Ausschweifungen, 
einio-e  zosfen  sich  soffar   nackt   aus.     Hierauf  setzten  sie   sich 
auf  Karren,   Hessen  sich  durch   die   Stadt  fahren   und  warfen 
die  sie  begleitende  Volksmenge  mit  Koth,  machten  unzüchtige 
Gebehrden,  die  sie  mit  den  unverschämtesten  Reden  begleite- 
ten.    Auch  Laien  mischten  sich  unter  die  Geistlichen,   um  in 
der  Kleidung  der  Weltpriester,  Mönche,  Nonnen  ihre  Possen 
zu  treiben.     Von  dem  trunkenen,    bewaffneten  Schwärm,  wo- 
Ton  ein  Theil  oft  zu  Pferd  den  Zug  begleitete,  wurden  nicht 
selten   Menschen  angefallen,    mishandelt,    oft    todtgeschlagen, 
Häuser  zerstört,  Viehställe  erstürmt,  das  Vieh  fortgeschleppt.  ^ 
Dieses  Fest  wurde  an  manchen  Orten,  wie  zu  Paris  und 
Sens,  am  Neujahrstage  gefeiert,  anderwärts  am  Tage  der  Er- 
scheinuno- Christi  und  noch  an  andern  Orten  am  28.  Decem- 
ber,  dem  Tage  der  unschuldigen  Kindlein,  zum  Andenken  der 
Kinder    von   Bethlehem    als   für   das   Christuskind   gestorben, 
wo   alle   kirchlichen   Functionen    von   Knaben  vollzogen  wur- 
den und  aus   dem  Scherze   des  Kinderbischofs   allmählich   ein 
Narrenbischof  wurde.  ^     In  der   griechischen  Kirche  hatte    es 
Theophylaktus  im  10.  Jahrhundert  eingeführt,    in  der  abend- 
ländischen Kirche   ist  es  älter,    da   es  schon   auf  dem   Concil 
zu  Toledo  und  später   auf  mehrern  Concilien  wiederholt  ver- 
boten   wurde.      Auch    in    einer   Verordnung    des    päpstlichen 
Leo-aten     Cardinal    Petrus    an    Odo    Bischof    von    Paris    im 
Jahre  1198    wird   die  Zügellosigkeit   bei  diesem  Feste   in  der 
Kirche   Notre-Dame   hart   gerügt.  ^     Ungeachtet   dessen    soll 
doch  ein  Doctor  der  Theologie  zu  Auxerre  öffentlich  behauptet 
haben,   es  sei   dieses  Fest  Gott   ebenso   wohlgefälhg,   als   das 
der  Empfängniss  Maria.  *     Es  wurde   ausser   in    den  Kirchen 
der  Weltgeistlichen  auch  in  den  Mönchs  -  und  Nonnenklöstern 
ffefeiert    und    die   Possen    dabei    ad  libitum  variirt.     Bei    den 
Franciscanern   zu  Antibes   kamen  am  Tage   der  unschuldigen 
Kindlein   nicht   der  Guardian  und   die  Priester,    sondern    die 
Laienbrüder  in  das  Chor.    Sie  hatten  zerrissene  Priesterkleidcr 


1  Gemeine  Chronik  von  Eegensburg,  I,  357;  bei  Ilülhuami,  IV,  134. 

*  Hase,  Geistliche  Schauspiele,  80. 

3  Vgl.  Bibl.  patr.  max.,  XXIV,  p.  1370. 

*  Flügel,  Geschichte  des  Grotesk-Komischen,  S.  G5. 


90       Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

verkehrt  an,  hielten  auch  die  Bücher  verdreht,  trugen  Brillen 
mit  Orangenschalen  statt  der  Gläser  auf  der  Nase,  bliesen 
die  Asche  von  den  Räucherfassern  einander  ins  Gesicht  oder 
streuten  sie  auf  die  Kopfe,  murmelten  unverständliche  Worte 
oder  blökten  wie  Schafe  anstatt  Psalmen  zu  singen,  u.  dgl.  m. 
Das  Fest  war  so  beliebt,  dass  es  sich  ungeachtet  manchen 
Eiferns  dairefren  bis  über  das  16.  Jahrhundert  erhielt. 

In  Frankreich  war  auch  der  Brauch  eingerissen,  an  ver- 
schiedenen   Festtagen,    z.    B.     bei    den    ersten    Messen    der 
Priester,    während   des  Gottesdienstes   Schauspiele  mit  unan- 
ständigen   Masken    unter    zotenhaften    Liedern    aufzuführen. 
Dies    bezeugt    die    Verfügung     der    Synode    zu    Toledo    im 
Jahre   1473:    „Da    sowol    in    verschiedenen    erzbischöflichen, 
bischöflichen   als    auch    andern   Kirchen    die   Sitte   eingerissen 
ist,  dass  an  verschiedenen  Festtagen,   z.  B.   an  Weihnachten, 
am  Tage    Sanct-Stephani   und   Sanct-Johannes  und   der    un- 
schiddigen   Kinder,    sowie   auch   bei  den  ersten  Messen  eines 
Priesters,  während  des  Gottesdienstes  Schauspiele  mit  Larven, 
ungethümen  und  zuweilen  höchst  unanständigen  Erscheinungen 
in  den  Kirchen   aufgeführt  werden,    wobei  Lärmen,    schänd- 
liche Verse  und  lästerliche  Reden  vorfallen,  sodass  der  Gottes- 
dienst und  das  Volk  in  seiner  Andacht  gestört  wird,  so  ver- 
bieten wir  dergleichen  Larven,  Spiele  und  Ungethüme,  Spec- 
takel  und   Gaukeleien   sowie   das   Recitiren    schändlicher  Ge- 
dichte   auf   das    ernstlichste    und    verfügen:    dass   diejenigen 
Geistlichen,   welche   sich  auf  die  Beimischung  solcher  unehr- 
baren  Spiele    in    der  Kirche   einlassen   oder   solche  gestatten, 
wenn  sie  an  den  gedachten  Kirchen  Beneficien  geniessen,  um 
einen  Monatsbetrag  derselben  gestraft  werden."    Dieses  Verbot 
musste  im  Jahre  1505  aufs  neue  wiederholt  werden,  und  Alt  ^  be- 
merkt, dass  fünfzig  bis  sechzig  Jahre  später  Mariana  nur  schüch- 
tern gegen  dergleichen  Lustbarkeiten  zu  sprechen  wagte,  wenn 
er  sagt:    „Schwer  ist  es,   diese  verderbliche  Gewohnheit  aus- 
zurotten,  die  schon  lange  Zeit  unter  dem  Beifall   der  Menge 
festgewurzelt  ist,  und  es  droht  sogar  die  Gefahr  des  Anscheins, 
als   wollten    wir    den   Gottesdienst  beeinträchtigen.      Aber    es 
werden  in  den  Tempeln  Dinge  vorgestellt,  die  man  sich  kaum 
in  den  schlechtesten  und  verworfensten  Orten  erlauben  würde. 


1  A.  a.  0.,  S.  420. 


6.    Sittliche  Zustände.  91 

Mau  gestattet,  dass  scliändliche  Weibsbilder  die  Kirche  be- 
treten und  daselbst  Aufführungen  veranstalten.  Mehr  als 
einmal  hat  dies  in  diesen  Jahren  stattgefunden  und  nach  ihrem 
Vorgang  auch  in  andern  Kirchen  des  Königreichs,  wobei 
Diuffe  dargestellt  wurden,  welche  das  Ohr  nicht  ohne  Schau- 
der  vernehmen  kann  und  welche  wiederzuerzählen  man  Ab- 
scheu fühlt."  1 

Vom  Eselsfest  finden  sich  schon  im  9.  Jahrhundert 
Spuren  in  Frankreich,  und  es  wurde  mehrere  Jahrhunderte 
hindurch  gefeiert.  Ueber  den  Tag  der  Feier  lauten  die  An- 
sraben  verschieden  und  man  kann  mit  Alt '•^  annehmen,  dass 
die  lach-  und  spottlustigen  Franzosen  gern  jede  Gelegenheit 
benutzten,  die  sich  zur  Veranstaltung  solcher  Possenspiele 
darbot.  Nach  der  Bemerkung  Hase's  ^  hatte  der  Esel  ein 
dreifaches  Recht,  seine  kirchliche  Feier  aufzuweisen:  „Zunächst 
seine  Unterhaltung  mit  dem  widerwilligen  Propheten  Bileam, 
dann  seine  vorausgesetzten  Dienste  auf  der  Flucht  der  heili- 
gen Familie  nach  Aegypten  und  endlich  zum  Andenken  der 
Eselin  und  ihres  Füllen,  auf  denen  der  Herr  am  Palmsonntage 
in  Jerusalem  eingezogen  ist."  Je  nach  dem  Momente  das 
bei  der  Feier  festgehalten  ward,  mochte  eine  Verschiedenheit 
dabei  stattfinden.  Wo  es  die  Flucht  der  Jungfrau  Maria 
nach  Aegypten  galt,  suchte  man  ein  junges  schöaes  Mädchen 
aus,  das  man  geschmiickt,  mit  einem  Knäblein  im  Arme,  auf 
einen  Esel  setzte.  Oder  man  behing  den  Esel  mit  einem 
Chorrock  und  führte  ihn  in  feierlichem  Aufzuge  unter  Be- 
gleitung der  Klerisei  und  des  Volks  durch  die  Strassen  in 
die  Kirche,  wo  der  Esel  neben  dem  Altare  aufgestellt  und 
die  Messe  unter  possenhaftem  Pomp  gelesen  wurde,  sodass 
es  möglichst  toll  herging.  Auf  das  „Kyrie",  „Gloria"  und 
„Credo"  ward  mit  „Hinliam!  Hinham!  Hinham!"  geantwor- 
tet. Anstatt  der  Segensformel,  womit  sonst  der  Priester  das 
Volk  zu  entlassen  pflegte,  ahmte  dieser  das  Eselsgeschrei  nach 
und  das  Volk,  anstatt  sein  „Amen"  zu  sagen,  antwortete 
wieder  auf  Eselsmanier.  Selbstverständlich  Avurden  auch  wäh- 
rend   der   Travestie   der  Messe,    wie    beim  Narrenfeste,    Un- 


1  In  seiner  Schrift  „De  spectaculis". 

2  A.  a.  0.,  S.  417. 
»  A.  a.  0.,  S.  80. 


92       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

flätereien  sxetrleben.     Den  Bcschluss   machte   eiii  halb   Inteini- 
sches,  halb  französisches  Lied.  * 

Ausser  diesen  Possen  pflegten  die  Prediger  am  Oster- 
feste ihren  Zuhörern  allerlei  lächerliche  Schnurren  von  der 
Kanzel  herab  zu  erzählen,  um  für  die  traurige  Fastenzeit  zu 
entschädigen.  Diese  „Ostermärlein",  die  das  allgemeine 
Gelächter  zu  erregen  suchten,  was  ihnen  auch  gelingen  mochte, 
sind  bekannt  unter  dem  Namen  Risus  paschalis. 

Flögel  meint,  es  müsse  uns  „beim  ersten  Anblick  unbe- 
greiflich scheinen,  wie  die  menschliche  Vernunft  und  noch 
mehr  das  Christenthum  so  tief  herabsinken  und  Heiliges  und 
Profanes,  geistliche  Freude  und  weltliche  Zügellosigkeit,  An- 
dacht und  Possenreisserei  so  seltsam  miteinander  vermischen 
können".  2  Betrachten  wir  die  Sache  näher,  so  zeigt  sich 
zunächst  ein  enger  Zusammenhang  der  Ausgelassenheit  der 
Lust  mit  den  friiher  erörterten  Ausschreitungen  des  sinnlichen 
Lebens.  Damit  in  Verbindung  steht  die  ethische  Anschauung 
des  Mittelalters,  wonach  Geistiges  und  Leibliches,  Uebersinn- 
liches  und  Irdisches  wie  Gott  und  die  Welt  als  unversöhn- 
licher Gegensatz  gedacht  wurde,  was  die  ascetische  Abtödtungs- 
theorie  zur  Folge  hatte.  Jede  Unterdrückung  eines  berech- 
tio-ten  Moments  zieht  eine  Reaction  nach  sich,  die  zunächst 
stets  als  Verrenkung  erscheint,  indeui  die  unterdrückte  Seite 
ins  JExtrem  geschnellt  wird.  Das  natürliche  Moment  am 
Menschen,  das  seine  Berechtigung  haben  muss,  durch  Liein- 
andersetzung  mit  dem  geistigen  vergeistigt,  veredelt  werden 
soll,  trat  im  Mittelalter  in  seiner  unvermittelten  nackten  Na- 
türlichkeit, d.  h.  als  Roheit  auf  und  wurde  durch  die  gewalt- 
same Abstraction  der  ethischen  Forderung  eben  bis  zur  Aus- 
schreitung gesteigert.  Stand  aber  das  Leibliche  mit  seinen 
Re<Tungen  nach  der  herrschenden  kirchlichen  Anschauung  in 
unvereinbarem  Widerspruch  mit  Gott,  so  musste  die  Geltend- 
machung des  Sinnlichen  als  dem  Sitze  des  Bösen  mit  dem 
Teufel  in  Verbindung  gedacht  werden.  Denjenigen,  welche 
ausserhalb  der  sinnlichen  Ausschreitungen,  der  sittlichen  Ver- 
derbni^s  standen,  musste  beim  Anblick  der  sittlichen  Ver- 
kommenheit die  Wirkung   des  Teufels  vor   die  Augen   treten. 


1  Vgl.  Flügel,  Geschichte  des  Grotesk-Komischen,  S.  168. 

2  A.  a.  0.,  ö.  159. 


7.    Zustand  der  Gemüthcr.  93 

Wie  sich  in  der  Befiirclitung  des  herannahenden  Weitendes, 
die  sich  seit  dem  10.  Jahrhnndert  der  Gemüther  bemächtigt, 
das  Gefühl  der  herrschenden  Entsittlichung  geregt  hatte,  so 
musste  deren  stetiges  Zunehmen,  da  die  Katastrophe  nicht 
eingetreten  war,  als  Zunahme  der  Macht  des  Teufels  erschei- 
nen, und  zwar  nach  der  gangbaren  Annahme,  dass  dieser  der 
Stifter  und  Anreger  davon  sei,  auch  denjenigen,  die  sich  selbst 
in  Verkommenheit  versunken  fühlten.  Inmitten  der  herrschen- 
den Rand-  und  Bandlosigkeit  der  sittlichen  Zustände  erwachte 
das  Gefühl,  dass  der  Teufel  das  Regiment  der  Welt  führe. 
Die  sittliche  Weltlage  ist  insofern  als  Mitfactor  zur  Festigung 
und  Förderung  der  Vorstellung  vom  Teufel  zu  betrachten. 


7.  Zustand  der  Gemiitlier.   Das  kircMicli-tlieologistisclie 

Gepräge. 

Inmitten  der  Zerfahrenheit  der  äussern  Verhältnisse,  um- 
geben von  roher  Gewaltthätigkeit  und  bodenlosem  Sitten- 
verderb, ohne  Ruhepunkt  in  sich  selbst,  ergriff  mancher  die 
Flucht  aus  dem  wüsten  Getümmel  solcher  Gottvergessenheit 
und  glaubte  den  Frieden  in  der  Entsagung  und  in  Buss- 
übuno-en  zu  finden,  die  ihm  die  Kirche  vorschrieb.  Den 
grellen  Gegensatz  von  wilder  Genusssucht,  Habgier  und 
streng  ascetischem  Wandel  erblicken  wir  nicht  nur  innerhalb 
des  Rahmens  dieser  Jahrhunderte,  es  finden  sich  häufige  Bei- 
spiele des  plötzlichen  Sprunges  von  einem  zum  andern  im 
Leben  von  einzelnen,  die,  mitten  im  Getriebe  des  genussreichen 
Daseins  vom  Gefühle  der  Nichtigkeit  ergriffen,  jenem  ent- 
flohen, um  in  einem  Kloster,  im  geistlichen  Stande,  in  Selbst- 
peinigungen, von  der  Kirche  empfohlen,  den  Ruhepunkt  zu 
suchen.  ^ 

Der  Mensch  des  Mittelalters  war  von  der  Kirche  dazu 
erzogen,  bei  allem  nach  ihr  zu  blicken,    sie  hatte  ihm  nach- 


1  Vgl.  Scriptor.  Rer.  Italic,  XVI,  315. 


94       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

driicklich   eingeschärft,    sie    als   die   einzige  Bewahrcrin   gött- 
licher Dinge   zu   betrachten.     Die   mittelalterliche   Welt  hatte 
die  Ueberzeugun": ,  dass  der  Fürst  seine  rechtmässige  "Würde 
nur  zu  -Sanct-Peter  in  Rom   erlangen  könne ,  und   die  Kirche 
hatte  ihre  Massregeln    getroffen,    dass    nur    das   auf  Geltung 
Anspruch  machen  könne,   was  von   ihr  ausging.     Das   ist   die 
psychologische   Grundlage    der    mittelalterlichen    Anschauung, 
auf  welcher   die  Kirche   ihre  Allmacht   aufbaute.     Diese  Vor- 
stellung theilten   alle   Schichten    der   Gesellschaft,    sie   durch- 
dransr  alle  Verhältnisse  und  Beziehungen  im  Mittelalter.    Wie 
das   hebräische  Alterthum   Jerusalem    und    darin   das   Heilig- 
thum  mit  seiner  Bundeslade  als   den  heiligen  Mittelpunkt  der 
Welt  betrachtet  hatte,   zu   dem,   nach  den  Weissagungen  der 
Propheten  Jesaias  und  Micha,   deren  Anschauung   die   engen 
Schranken  des  altern  Particularismus  durchbrach,   in  Zukunft 
alle  Völker  als  Wallfahrter  centripetalkräftig  angezogen  wer- 
den sollten,   so   sah  die  abendländische  Welt  des  Mittelalters 
auf  dem  Stuhle  Petri   die   Verkörperung   des   ewigen  Lichtes 
der  Religion  Christi,   und  dieses  Licht   sandte  seine  Strahlen 
auch   centrifugalkräftig  aus,    um   die  Welt   kirchlich-theo- 
loo-istisch   zu   färben.      Diese  kirchlich-theologistische   Fär- 
buiio-  traf]:en   alle  Aeusserungen   des    mittelalterlichen  Lebens. 
Die  Kirche  ist  die  oberste  Autorität,   von   der  die  Welt  sich 
abhängig  fühlt. 

Das  Verhältniss  der  Kirche  zum  Staate  betreffend,  hat 
man  den  Grund  der  Abhängigkeit  dieses  von  jener  als  „Un- 
klarheit" angegeben.  ^  Diese  „Unklarheit"  findet  aber  in 
jedem  Entwickelungsprocesse  und  auf  allen  Gebieten  statt, 
bevor  nicht  gewisse  Momente  sich  geschieden,  sich  geklärt 
haben.  Im  Mittelalter  wurde  Kirche  vuid  Staat  in  unmittel- 
barer Einheit  gedacht  mit  Ueberwiegen  der  Kirche.  Bekannt- 
lich sind  im  Orient  die  meisten  Reiche  Religionsstaaten  und 
ein  nächstgelegcnes  BeisiDiel  gibt  uns  die  althebräische  Welt 
durch  die  Theokratie,  wo  Religion  und  Staat  in  unmittelbarer 
Einheit  ineinandergesetzt  sind,  daher  das  staatliche  Verhältniss 
zugleich  ein  religiöses  ist  und  umgekehrt,  ein  theokrati- 
sches  Verbrechen  sowol  gegen  Staat  als  Religion  begangen 
gedacht  wird.    Aehnlich  im  Mittelalter,  aber  mit  dem  Unter- 

1  Lorenz,  Deutsche  Geschichte,  I,  7. 


7.    Zustand  der  Gemüther.  95 

schiede,  dass  die  Religion  durch  die  Kirche  vertreten,  der 
Staat  als  kirchlicher  Staat  erscheint.  Die  Einheit  von  Kirche 
und  Staat  ist  eine  unmittelbare,  aber  die  geschichtliche  Be- 
deutsamkeit des  Mittelalters  besteht  eben  darin,  dass  die  Ab- 
lösvuig  des  Staates  von  der  Kirche  beginnt,  dass  der  staat- 
liche Beirriff  im  Bewusstsein  der  Menschen  erwacht,  dass  der 
Scheidungsprocess  sich  zu  vollziehen  beginnt,  und  zwar  unter 
langdauernden  Kämpfen  und  AVehen.  Jegliche  Entwickelung 
beruht  auf  dem  Gesetze  der  Lösung  und  der  Selbständig- 
werdung  der  Momente,  die  ursprünglich  in  unmittelbarer 
Einheit  begriffen  waren.  Diesen  Vorgang  sehen  wir  nicht 
nur  im  Naturleben  in  der  Pflanzen-  und  Thierwelt,  sondern 
auch  in  der  Menschenwelt  und  zwar  im  physischen  wie  im 
geistigen  Leben.  Das  Kind  löst  sich  vom  Mutterschose  los, 
es  entwöhnt  die  Muttermilch,  es  wird  mündig  und  erlangt 
die  Selbständigkeit  des  Willens,  um  eine  selbständige  Fami- 
lie zu  gründen.  Im  socialen  Leben  vollzieht  sich  die  Lösung 
durch  die  Theilung  der  Arbeit,  und  so  fort  in  allen  Gebieten. 
Es  bedarf  wol  nicht  der  Bemerkung,  dass  mit  dem  Lösen  und 
Selbständigwerden  keine  gänzliche  Beziehungslosigkeit  ein- 
trete, da  wir  am  Eingange  unserer  Geschichte  das  Universum 
als  Organismus  hinstellten,  wonach  jedes  und  alles  in  seiner 
Selbständigkeit  auf  das  Ganze  bezogen,  in  organischem  Zu- 
sammenhange steht. 

Wenn  der  Satz  des  christlichen  Religionsstifters:  „Mein 
Reich  ist  nicht  von  dieser  Welt"  beziehungslos  festgehalten 
worden  wäre,  so  hätte  die  christliche  Religion  auch  nie  die 
Daseinsform  der  mittelalterlichen  Kirche  als  äussere  Anstalt 
erlangt,  und  die  abendländische  Menschheit  hätte  kein  Mittel- 
alter zu  durchleben  gehabt;  allein  bekanntlich  ist  das  „Wenn" 
in  der  geschichtlichen  Betrachtung  unfruchtbar  und  ward  nicht 
zum  W^orte  gelassen.  Nachdem  die  Kirche  sich  aufgethan 
und  vornehmlich  auf  äussere  Macht  gestellt  hatte,  und  inn 
jeden  Preis  ihre  Obermacht  zu  erhalten  strebte:  konnte  die 
Sturm-  und  Drangperiode  des  Mittelalters  nicht  ausbleiben. 

In  dieser  kirchlichen  Obermacht  der  Kirche  über  die 
abendländische  Menschheit,  die  mit  ihrer  Lebensader  an  sie 
gebunden  war,  liegt  der  Grund,  dass  alle  Thätigkeiten,  Be- 
ziehungen und  Erscheinungen  im  mittelalterlichen  Leben  ein 
kirchlich-theologistischcs  Gepräge  erhielten.    Alles  geht 


9G      Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

von  der  Kirche  aus  oder  mündet  in  sie  ein.  Alle  Schulen 
hatten  eine  geistliche  Einrichtung,  alle  Intelligenz  ging  daher 
einerseits  von  der  Geistlichkeit  aus  und  kam  andererseits 
unter  ihren  Einfluss. 


Theologie. 

Von  den  sogenannten  verschiedenen  Wissenschaften  stand 
selbstverständlich  die  Theologie  obenan  und  tauchte  alle  an- 
dern Zweio-e  des  Wissens  in  ihre  Farbe.  Das  Verbot  Gre- 
o-or's  des  Grossen  für  die  Bischöfe,  heidnische  Bücher  zu 
lesen  ^  hatte  das  Geleise  gezogen,  in  welchem  die  Gelehrsam- 
keit fortschreiten  sollte.  Ob  Europa  darum  die  Höhe  der 
Bildung  und  Erkenntniss  erreicht  habe,  wie  behauptet  worden 
ist,  „weil  es  mit  der  Theologie  begonnen  hat  und  weil  alle 
Wissenschaften,  gepropft  auf  diesen  göttlichen  Stamm,  aus 
dem  Schatz  des  götthchen  Nahrungssaftes  Zusehens  gediehen 
sind"  2^  möge  dahingestellt  bleiben,  Thatsache  ist:  dass  es 
mit  der  Theologie  den  Anfang  machte  und  ihr  alles  andere 
Wissen  als  dienstbar  unterordnete. 


Philosophie. 

Die  Philosophie  des  Mittelalters,  jene  anrüchig  ge- 
wordene Scholastik,  stand  im  Dienste  der  Kirche  und  befasste 
sich  ausschliesslich  mit  der  Bearbeitung  des  von  jener  ihr 
übergebenen  Stoffes.  Es  ist  ein  antiquirter  Irrthum,  den  Werth 
der  Scholastik  nur  nach  ihren  Verrenkungen  zu  messen,  wo 
sie,  in  Spitzfindigkeiten  verrannt,  mit  der  Beantwortung  müssi- 
ger und  läppischer  Fragen  sich  abmüht;  ihre  wesentliche  Be- 
deutung war  vielmehr,  die  von  der  Kirche  aufgestellten  Dog- 
men in  den  Dcnki^rocess  hineinzuziehen.  Sie  versuchte  die 
Glaubenssätze  zu  Begriffen  zu  erheben  und  wollte  Glauben 
und  Wissen  vermitteln.  Der  Ausgangspunkt  war  ihrem  Ur- 
sprünge, der  in  der  Kirche  liegt,  angemessen;  indem  sie  aber 
zur  Kirche  zurückkehren  musste,  die  ihr  beim  Denken  als 
Ziel  vorgesteckt  war,  entbehrte  sie  der  Freiheit,  ohne  welche 


1  Job.  Diac,  Vita  Gregor.,  lib.  III,  33.  44. 

■^  Windiscliiiiaini,  Ucbcr  Etwas,  was  der  Ileilkunst  notbtliut,  S.  144. 


7.    Das  kirchlicl-f-theologistische  Gepräge.  97 

eine  wissenschaftliehe  Bewegung  nicht  möglich  ist.  Nicht  der 
Gegenstand  der  Scholastik  fordert  das  Verdammungsurtheil 
iiber  sie  heraus,  sondern  die  Fesseln,  die  sie  sich  von  der 
Kirche  anlegen  und  dadurch  zu  deren  dienstbaren  Magd 
machen  liess.  Wie  die  Scholastik  von  der  Kirche  ausging, 
so  2rinn:en  die  Scholastiker  auch  meistens  aus  Klöstern  hervor. 


Rechts  Wissenschaft. 

An  der  Spitze  der  Rechtswissenschaft  stand  das  Kirch en- 
recht,  das  namentlich  durch  Gratian  einen  neuen  Aufschwung 
erhielt.  Ein  tüchtiger  Bischof  sollte  das  Kirchenrecht  ebenso 
grimdlich  kennen  wie  die  Theologie.  Noch  grössere  Wichtig- 
keit verlieh  dem  Kirchenrechte  Gregor  IX.  durch  die  Samm- 
lung der  Kirchengesetze  von  Pennaforte,  welche  bei  allen 
Gerichten  als  Norm  angeordnet  ward,  deren  man  sich  auf 
allen  Schulen  bedienen  musste  mit  Ausschliessung  jeder  an- 
dern Decretensammlung.  Der  kirchlich-theologistische  Ein- 
üuss  auf  diese  Disciplin,  der  nicht  nur  ein  principieller  war, 
machte  sich  auch  äusserlich  bei  deren  Behandlung  geltend, 
indem  selbst  der  aus  der  Theologie  entlehnte  Titel  „Summa" 
auf  das  Kirchenrecht  angewendet  wurde.  Da  das  Kirchen- 
recht fiir  alle  Länder  gelten  sollte,  wirkte  es  auch  auf 
das  weltliche  Recht,  wofür  denn  die  Päpste  Sorge  trugen. 
Das  römische  Recht,  das  die  Lehrer  zu  Bologna  wiederher- 
stellten und  in  Italien  nie  ganz  ausser  Gebrauch  gekommen 
war,  wurde  von  den  Päpsten  misgünstig  angesehen,  da  es  die 
Kirche  nicht  als  oberste  Rechtsquelle  aufstellt.  Indem  die 
Kirche  dadurch  beeinträchtigt  erschien,  verbot  Honorius  III. 
der  pariser  Universität  Vorlesungen  über  römisches  Recht; 
Innocenz  III.  verordnete:  dass  Streitsachen  nicht  nach  dem 
römischen,  sondern  nach  dem  Gewohnheits-  und  Kirchen- 
rechte  entschieden  werden  sollen.  ^  Indess  verschmähte  es 
die  Kirche  nicht,  die  Folter  aus  dem  römischen  Rechte  zur 
Handhabung  ihrer  Inquisition  sich  anzueignen,  die  im  kano- 
nischen Rechte  bis  zur  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  noch  nicht 
eingebürgert  war.  ^ 


1  Math.  Paris  adJ.  124. 

2  Biener,  Beitrag  zur  Geschichte  des  Inquisition8i)roccsses,  S.  193. 

Koskoff,  Geschichte  des  Teufels.     II.  7 


98        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Die  Kirclic  suchte  aiicli  auf  die  Gerichtsbarkeit   Ein- 
fluss    zu   gewinnen.      Theils    aus    der   exceptionelleu   Stelhing 
des  Klerus,  theils  aus  dem  geistlichen  Grundbesitze  gestaltete 
sich  eine  eigene  geistliche  Gerichtsbarkeit,  die  ihren  AVirkungs- 
kreis  immer  mehr  zu  erweitern   strebte,    sodass   im  12.  Jahr- 
hundert   die   Befreiung    der    Geistlichen    von    den    weltlichen 
Gerichten  nur  in  Bezug   auf  Lehnsverbindung   und   auf  welt- 
liche   Verbrechen    mehr    bestritten    wurde.      Die    Geistlichen 
suchten  mit  der  Zeit  auch  alle  bürgerlichen  Streitigkeiten  der 
Laien  vor  ihre  Gerichte  zu  ziehen  nach  dem  Grundsatze:  die 
Kirche  habe  die  Aufgabe,   jede  Siinde  und  jede  Ungerechtig- 
keit zu  verhindern,   daher  jeder,  der  über  Unrecht  zu  klagen 
hat,  an  ein  geistliches  Gericht  sich  w^enden  könne.  Innocenz  III. 
hält  diesen  Grundsatz  aufrecht   unter  Berufung  auf  Karl   den 
Grossen,  der  die  Kirche  habe  ehren  wollen,  und  deshalb  eine 
von  Theodosius  hergeleitete  Vorschrift  die  Kirchenfreiheit  be- 
treffend, allgemein  zu  beobachten  sei.     Es  solle  jeder  Kechts- 
streit,  auch  der  bis  zum  Urtheil  fortgeführte,  von  jeder  Partei 
an   das   geistliche   Gericht   gebracht  werden  können,   und  die 
Bischöfe  haben  das  Recht,   in  allen  Sachen  das  entscheidende 
Urtheil  zu  schöpfen,    von   dem   keine  weitere  Berufung   mehr 
stattfinden  solle.  ^     Solchen  Ansprüchen  setzten  die  weltlichen 
Gerichte  allerdings  Widerstand  entgegen,    indem    sie  die  von 
geistlichen   Gerichten    gefällten    Urthcile    revidirten    und    den 
kirchlichen  Strafen  bürgerliche  hinzufügten.    Ludwig  IX.  ver- 
ordnete:  kein  Laie   soll  in  bürgerlichen  Angelegenheiten   von 
geistlichen  Gerichten  Hecht  nehmen  ^,  und  schon  früher  hatte 
Philipp  August  die  geistliche  Gerichtsbarkeit   zu   beschränken 
gesucht.  ^    Dass  die  geistliche  Gerichtsbarkeit  ihren  Wirkungs- 
kreis   zu   erweitern   eifrig    bestrebt    war    imd    die   Geistlichen 
dabei  auch   ihren   äussern  Vortheil  im  Auge  hatten,    bezeugt 
die  Bestimnuuig  Gregor's  IX.,   der,    obschon   selbst  eifrig  in 
der  Ausdehnung  kirchlicher   Rechte,   doch  sich  gcnöthigt  sah 
zu  dem  Verbote:  dass  Geistliche  des  Gewinnes  wegen  Processe 
von  Laien  übernehmen,   um  sie  vor  das  geistliche  Gericht  zu 


'  Innoc.  Ep.  in  Duchesne  Scrij-it.,  V,  715,  Nr.  10. 

2  Raynald  zu  1236,  §.  31. 

3  Ordonn.,  I,  30. 


7.    Das  kirclilich-theologistische  Gepräge.  99 

bringen,    von    dem    sie    eine    günstige    Entscheidung    hoflfen 
konnten.  ^ 


Straf  recht. 

Im  Stiva  fr  echte  der  damaligen  Zeit  war  Rad,  Strang, 
Verstümmeking  an  der  Tagesordnung.  Für  eine  mildere  An- 
schauung der  Kirche  können  immerhin  Beispiele  angeführt 
werden,  wonach  „selbst  zum  Tode  verurtheilten  Verbrechern 
diu'ch  kirchliche  Personen  das  Leben  erbeten  wurde,  um  bei 
dessen  fernerm  Lauf  in  Busse  nach  göttlicher  Gnade  zu  rin- 
gen". ^  Es  soll  das  Verdienst  der  Kirche,  durch  manche  wolil- 
thätige  Massregel  der  Wuth  des  Zweikampfs  als  besonderer 
Art  der  Ordalien  entgegenzuwirken  nicht  geschmälert  werden, 
es  ist  anzuerkennen,  dass  Cölestin  III.  den  Zweikampf  in 
jedem  Falle  unter  den  Gläubigen  auszumerzen  wünschte^; 
es  ist  aber  ebenso  wenig  zu  leugnen,  dass  die  Kirche, 
wo  sie  sich  selbst  verletzt  glaubte,  an  Strenge  und  Unbarm- 
herzigkeit  der  weltlichen  Justiz  nichts  nachgab.  Dies  be- 
weisen die  von  der  Kirche  über  Verbrecher  ausgesprochenen 
Verfluchungen.  In  einer  solchen  Verfluchung  vom  Bischof 
von  Lüttich  heisst  es:  „Der  Uebelthäter  sei  abgesondert  von 
der  Christenheit,  verflucht  im  Hause,  auf  dem  Acker,  an 
jedem  Orte,  wo  er  steht,  sitzt  oder  liegt;  verflucht  beim 
Essen  und  Trinken,  beim  Schlafen  und  Wachen,  verflucht 
sei  jede  seiner  Bemühungen,  seine  Arbeit,  die  Frucht  seines 
Landes,  sein  Aus-  und  Eingang;  verflucht  sei  er  vom  Scheitel 
bis  zur  Fusssohle.  Die  Weiber  solcher  Frevler  mögen  kinder- 
los bleiben  und  Witwen  werden;  Gott  schlage  sie  mit  Ar- 
muth  und  Hunger,  Fieber,  Frost,  Hitze,  verdorbener  Luft 
und  Zahnschmerzen;  Gott  möge  sie  verfolgen,  bis  sie  von  der 
Erde  vertilgt  sind,  die  Erde  möge  sie  verschlingen  wie  Da- 
than und  Abiram;  sie  sollen  lebendig  zur  Hölle  fahren  und 
mit  Judas  dem  Verräther,  Herodes,  Pilatus  und  mit  andern 
Frevleni    in  der  Hölle  zusammen  sein.     So  geschehe  es,    es 


1  Concil.  XIII,  1180.  1264;    Nr.  19. 

2  Harter,  Innocenz  III.,  IV,  390. 

3  Mansi  XXII,  630. 


100     Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

geschelic  also!"  ^  Wachsmutli '^  fi'ihrt  ein  Urtheil  an,  das 
Inuocenz  III.  gefällt  iiber  einen  Kerl,  der  einem  Bischöfe  die 
Zunge  auszuschneiden  gezwungen  worden:  ,,Er  soll  14  Tage 
hincr  barfuss,  nur  mit  Hosen  und  ärmelloser  Jacke  bekleidet 
öftentlich  umherwandeln,  die  Zunge  an  einen  dünnen  Strick 
gebunden,  ein  wenig  herausgezogen,  sodass  sie  über  die  Lippen 
herausstehe,  die  Enden  des  Stricks  um  seinen  Hals  befestigt, 
eine  Ruthe  in  der  Hand,  so  soll  er  sich  vor  jeder  Kirche 
niederwerfen  und  mit  der  Ruthe  hauen  lassen,  fasten  bis  zum 
Abend  und  dann  nur  Brot  und  Wasser  geniessen,  dann  nach 
dem  heiliiren  Lande  ziehen"  u.  dofl.  Dass  die  Kirche  bei 
Verfolirunir  der  Ketzer  die  christliche  Milde  ausser  Acht  ge- 
lassen,  ist  zu  bekannt,  um  erhärtende  Beispiele  anzuführen; 
sie  unterstiitzte  nicht  nur  den  welthchen  Arm  bei  Errichtung 
der  Scheiterhaufen,  ihr  Eifer  fachte  vielmehr  die  Ketzerbrände 
selbst  an.  ,,Sie  gewöhnte  den  Sinn  an  das  entsetzliche  Schau- 
spiel des  Feuertodes  und  an  grauscnvolle  Hinrichtungen  in 
Masse."  ^ 


Arziieikiiust. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  Arzneikunst,  so  sehen 
wir  schon  nach  Galen  (2.  Jahrhundert),  „dem  Sterne"  wie 
ihn  Sprengel  nennt '*,  dichte  Finsterniss  durch  Einmengung 
der  persischen  Astrologie  über  die  Medicin  sich  lagern.  Durch 
die  Eroberuniren  der  Römer  im  Oriente  waren  diese  mit  der 
orientalischen  Ueppigkeit  vertraut  und  dadurch  entnervt,  auch 
für  die  Arbeit  der  Forschung  gelähmt  worden.  Seit  dem 
3.  Jahrhundert  waren  die  tlieurgischen  Künste  alleinherr- 
schend, und  viele  Kaiser,  welche  Gelehrsamkeit  begünstigten, 
rechneten  jene  zu  dieser,  die  sie  demnach  förderten.  Von 
Alexander  Severus  wird  erzählt,  er  habe  in  seinem  Larario 
neben  der  Bildsäule  des  Apollonius  von  Tyana  auch  Abraham, 
Christus    und    Orpheus     verehrt^;    der    gelehrte    Marc    An- 


1  Bei  Raumer  VI,  08,  aus  Marlene  tbes. 
^  Sittcngcsdnclite,  III,  1,  S.  2G3,  Note  13. 
^  Wacbsmutli,  a.  a.  0.,  S.  265. 

*  Versuch  einer  pragmatischen  Geschichte  der  Arzneikunde,  II,  123. 

*  Lamprid.,  I,  c.  29. 


7.    Das  Idrchlich-theologistisclie  Gepräge.  101 

tonin  holte  sich  in  wichtigen  Angelegenheiten  Rath  l^ei  den 
Chaldäern.\  Durch  alexandrinische  Sophisten  hatte  die  Magie 
eine  disciplinartigc  Form  erhalten,  und  die  neuplatonische 
Schule  des  Amraonlus  Saccas  nahm  zu  den  alten  philosophi- 
schen Anschauungen  auch  die  Gcheimnisslehre  des  Morgen- 
landes und  christliche  Vorstellungen  auf.  Alle  AVirkungen 
in  der  Natur,  insbesondere  also  auch  alle  Krankheiten  wurden 
auf  Dämonen  zurückgeleitet  %  die  miteinander  im  Weltganzen 
durch  Sympathie  zusammenhängen,  über  die  aber  der  wahre 
Weise,  durch  ascetische  Enthaltsamkeit  vorbereitet,  die  Herr- 
schaft erlangen  könne.  Die  Pythagoräer  sollen  es  dadurch 
so  weit  gebracht  haben,  dass  sie  Geister  bannen  konnten.  ^ 
So  wird  dem  Plotinus  ein  eigener  Dämon  zv;erkannt,  durch 
dessen  Vermittelunü'  er  nicht  nur  zukünftijxe  Dini2;e  vorher- 
sagen,  sondern  auch  Krankheiten  zu  heilen  vermochte*,  da 
er  durch  Zurückziehung  von  aller  Sinnenwelt  zum  unmittel- 
baren Anschauen  der  Gottheit  und  dadurch  zur  Herrschaft 
über  die  Geisterwelt  gelangt  war.  ^  Die  Magie,  welche  alle 
Köpfe  beherrschte,  erhielt  durch  spätere  Neuplatoniker  die 
Eintheilung  in  die  gemeine  oder  Goetie,  die  vermittels 
böser  Dämonen  operirte,  die  höhere,  als  die  geheime  Kunst 
durch  höhere  Geister  zu  wirken,  inid  die  Pharmacie,  welche 
durch  Arzneimittel  die  Dämonen  bändigte.  Porphyr  nennt 
die  Magie,  welcher  Gott  selbst  die  Macht  verleiht,  die  Theo- 
sophie; die  vermittels  guter  Geister  geschieht,  Theurgie; 
wo  man  böse  Geister  gebraucht,  die  Goetie.^  Schon  Galen 
berichtet,  dass  zu  seiner  Zeit  bei  manchen  Aerzten  die  Namen 
der  Arzneimittel  stets  babylonisch  oder  ägyptisch  hätten  sein 
müssen,  welchem  Wahne  er  sich  entgegengesetzt^;  nach  Plo- 
tinus lassen  sich  aber  die  Dämonen  durch  Beschwörun<2:en, 
allerlei  Symbole  und  durch  gewisse  Worte  ausländischer  Spra- 
chen   vertreiben,    und   Porphyrius   sowie    spätere  Theosophen 


'  Jul.  Capitolin.  vit.  M.  Anton.,  c.  10,  Ilist.  aug.  Script. 

^  Porphyr,  de  abstinent,  ab  esu  animal.  lib.  II. 

^  Lucian  Philopseud.,  S.  347. 

*  Porphyr,  vit.  Plotin.,  c.  10. 

5  Ibid.  c.  23. 

^  De  abstin.  lib.  II,  210;  Euseb.  praeparat.  evang.  lib.  IV,  c.  10. 

^  Galen  de  facult.  simplic.  medic.  lib.  VI,  68;  bei  Sprengel  II,  110. 


102        Zweiter  Absclinitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

schrieben  chaldälschcn  und  hebräischen  Wörtern  eine  beson- 
dere bändigende  Kraft  über  die  Dämonen  zu.  ^  Die  ganze 
AVeit  war  mit  Dämonen  erfüllt,  und  jede  Erscheinung  als 
deren  Wirkung  gedacht.  Sprengel  kann  daher  behaupten: 
„Im  4.  Jahrhundert  sah  man  es  als  eine  lächerliche  Paradoxic 
an,  wenn  ein  Arzt  behauptete,  die  Krankheiten  entstehen  nicht 
von  Dämonen."  ^  Der  Rest  der  Bildung,  dem  die  wieder- 
holten Einfälle  barbarischer  Stämme  verderblich  waren,  wurde 
durch  den  herrschenden  Wunderglauben  vertreten,  wonach  die 
Heilkraft  der  medicinischen  Mittel  von  den  Heilicren  und 
deren  Reliquien  abhängig  gedacht,  ja  sogar  ohne  diese  für 
sündhaft  gehalten  ward.  Gregor  von  Tours,  der  gegen  Kopf- 
schmerz Aderlass  anwendet  und  befürchtet  dass  die  Heiluns:  da- 
durch  allein  bewirkt  werden  könnte,  berührt  vorher  die  lei- 
dende Stelle  mit  dem  Vorhano:e  von  dem  Grabe  des  heiliiren 
Martinus  und  bittet  diesen  um  Verzeihung  wegen  des  auge- 
wandten Mittels.  ^  Der  Archidiakonus  Leonastes  vertrieb 
sich  durch  Fasten  und  Beten  bei  St.-Martin  die  Blindheit, 
bediente  sich  aber  überdies  der  Hülfe  eines  jiidischen  Arztes, 
der  ihm  Schröpf  köpfe  setzte.  Aus  dem  Umstände,  dass  die 
Blindheit  wiederkehrte,  zieht  Gregor  von  Tours  den  be- 
lehrenden Schluss:  wer  himmlischer  Arznei  würdig  er- 
achtet worden ,  dürfe  sich  keiner  irdischen  Hülfe  bedie- 
nen. *  Den  Mönchen ,  die  seit  dem  6.  Jahrhundert  die 
Heilkunst  fast  ausschliesslich  ausiibten,  ersetzte  der  all- 
gemein gangbare  Wunderglaube,  was  ihnen  an  medicini- 
schen Kenntnissen  abging,  da  die  von  Ilippokrates  oder  Galen 
aufgestellten  Grundsätze  weit  über  ihren  Horizont  o-imren.  ^ 
In  den  Klöstern  Avurden  als  gewöhnliche  Heilmittel  Weih- 
wasser, Reliquien  der  Heiligen,  Chrisam,  Rosenkränze  u.  dgl. 
angewendet,  und  Abendmahl,  Taufwasser  und  das  Paternoster 
galten  als  untrügliche  Mittel  zur  Genesung.  Der  Bischof 
Agobard  im  11.  Jahrhundert  wird  als   fast  einzige  Ausnahme 


^  Jamblich.,  De  myst.  Acg.,  sect.  III,  c.  It;  sect.  VII,  c.  4.  5. 
-  Sprengel,  Geschichte  der  Arzneikunde,  II,  170. 
3  Greg.  Tur.,  Miracul.  S.  Martin.,   II,  60. 
«  Grog.  Tur.,  Ilisl.  Francor.,  V,  G. 

^  Möh.sen,    Geschichte  der  W^issenschaft   in   der  Mark  Brandcnbui'g, 
S.  257. 


7.    Das  kirclilich-theologistisclie  Gepräge.  103 

angeführt,  dessen  anfgeklärter  Verstand  selbst  die  dämoni- 
schen Krankheiten  verwarf.  Die  Mönche  aber,  bemerkt  Spren- 
gel ^,  bedienten  sich  dieser  Mittel  znr  Hebung  der  Krankheiten, 
und  derselben  Austliichte,  wenn  ihre  Cur  fehlgeschlagen  war, 
wie  die  Priester  des  Aesculap.  Waren  die  Kranken  gläubige 
Seelen,  so  war  ihr  Uebel  eine  Wohlthat  Gottes,  die  zur  Prii- 
fung  diente;  waren  es  verstockte  Sünder,  so  war  die  Krank- 
heit eine  Strafe  ihrer  Vergehungen  und  eine  Mahnung  zur 
Busse.  Das  Kloster  Monte-Casino,  in  der  Nähe  der  Stadt 
Saleruo,  war  zwar  durch  die  luigewöhnliche  Gelehrsamkeit 
seiner  Mönche,  die  in  Salcrno  die  Arzneikunde  ausübten, 
schon  seit  dem  8.  Jahrhundert  ausgezeichnet,  und  die  saler- 
nitanischen  Aerzte  kannten  den  Galen  und  den  Hippokrates; 
uuofeachtet  dessen  wurde  doch  noch  im  12.  Jahrhundert 
Beruard  Abt  von  Clairvaux  nach  Saleruo  eingeladen ,  um 
Wundercuren  an  unheilbaren  Kranken  zu  verrichten.  ^  Dies 
kann  nicht  befremden  bei  dem  herrschenden  Wunderglauben, 
der  auf  dem  Trümmerhaufen  der  verwüsteten  Cultur  ü^jpig 
gewnichert  hatte.  Dem  kleinen  Ueberbleibsel  classischer  Bil- 
dung, welches  die  Zerstörung  durch  die  fremden  Völker  über- 
dauert  hatte,  wurde  durch  das  Verbot  Gregor's  des  Grossen 
im  G.  Jahrhundert  die  Nahrung  noch  mehr  entzogen,  und  in 
der  überhandnehmenden  Finsterniss  mochte  ein  Beda  und  solche 
Mönche,  die  mehr  als  lesen  und  schreiben  konnten,  in  den 
Verdacht  der  Zauberei  gerathen^,  mochten  die  beiden  Irländer 
Virgilius  imd  Sidonius  vom  Papst  Zacharias  verketzert  werden, 
weil  sie  an  Antipoden  glaubten*,  und  die  grosse  Bewegung, 
in  welche  ein  Nordlicht  im  9.  Jahrhundert  die  Gemüther 
versetzte,  wird  uns  begreiflich.^  Augustin's  Lehren,  welche 
die  Meinungen  der  Menschen  bis  gegen  das  13.  Jahrhundert 
beherrscht  hatten,  wurden  durch  Aristoteles  verdrängt,  der 
besonders  durch  die  Araber  hervorgezogen  worden  war.  Im 
Anfang  des  13.  Jahrhunderts  las  man  in  Paris  über  Aristo- 
teles,   den    aber    die    Kirche    bald    gefährlich    fand    und    das 


1  II,  386. 

2  Fleury,  Ilist.  eccles.,  vol.  XIV,  p.  480;  bei  Sprengel  II,  384. 
'  Gramer,  Fortsetzung  des  Bossuet,  V,  95. 

*  Gramer,  V,  443. 

'  Sprengel,  Geschichte  Grossbritanniens,  S.  235. 


104       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Concil  öffentlich  verbrennen  liess.  ^  Sechs  Jahre  daraul'  er- 
hiubte  zwar  die  Kirche  das  Lesen  der  dialektischen  Schriften, 
aber  die  physikalischen  und  metaphysischen  wurden  verdammt  % 
und  Gregor  schränkte  (im  Jahre  1227)  nach  16  Jahren  auch 
dies  Verbot  durch  die  „seltsame  Clausel"  ein,  dass  die  Lehrer 
allemal  die  der  christkatholischen  Religion  anstössigen  Grund- 
sätze im  Vortrage  widerlegen  raüssten.  ^  Bei  alledem  da- 
tiren  die  ersten  Regungen  zur  Wiederherstellung  der  Wissen- 
schaften aus  dem  13.  Jahrhundert.  In  Deutschland  war  Kaiser 
Friedrich  II.  von  förderndem  Einfluss  darauf  und  sein  Kanz- 
ler Peter  de  Vineis  stand  ihm  dabei  getreulich  an  der  Hand. 
In  Paris  hatten  sich  an  der  Universität  so  viele  Hörer  ein- 
gefunden, dass  Philipp  August  die  Stadt  erweitern  lassen 
musste**;  in  Italien  ist  unter  den  Päpsten  namentlich  Ilono- 
rius  III.  anzufiihren,  der  die  Wissenschaften  begünstigte;  in 
England  erhielten  die  Erfahrungswissenschaften  ein  w^ohlthäti- 
ges  Licht  und  Roger  Baco,  der  würdige  Vorgänger  des  be- 
riihmten  Kanzlers,  empfahl  ausser  dem  Studium  der  Mathe- 
matik auch  das  der  Alten ,  war  aber  freilich  „ein  Prediger  in 
der  Wiiste",  w^ie  Sprengel  sagt.  ^  Indessen  trugen  die  mehr- 
fachen Reisen  im  13.  Jahrhundert  eines  Job.  de  Piano  Carpini, 
Marco  Polo,  Wilh.  Rubruquis,  Ascelin  das  Ihrige  bei,  die 
geistige  Thätigkeit  anzuregen  und  das  Denken  wachzurufen, 
wie  die  Entdeckung  der  Polodixie  der  Magnetnadel,  die  Kunst 
des  Schleifens  der  Gläser  zu  Mikroskopen  beweisen,  sodass 
im  14.  Jahrhundert  der  Kampf  gegenüber  dem  Druck,  den 
die  Kirche  auf  die  Geister  der  Menschen  bisher  ausireiibt, 
innerlich  merklich  gärte,  inu  später  zum  Ausbruch  zu  kom- 
men. Die  päpstliche  Hierarchie  stiess  auf  manchen  Seiten 
auf  AViderspruch,  wo  sie  sonst  nur  Gefügigkeit  gefunden 
hatte,  der  von  Rom  aus  gemachte  Vorschlag  zu  einem  Kreuz- 
zug wollte  nicht  verfangen  ^,  die  päpstlichen  Briefe  und  Bullen, 


^  Launoy   de   varia  Aristotel.   fortuna,    c.  1,    p.    17i;    bei   Sprengel, 
II,  428. 

^  Launoy,  c.  4,  l'Jl. 
3  Ibid.,  c.  ü,  p.  192. 

*  l'ez,  Anecdot.  thes.  uoviss.,  I,  pars  1,  p.  427. 

*  II,  440. 

«  Fleury,  Ilist.  eccl.,  vol.  XIX,  p.  4G8. 


7.    Das  kirchlich-theologistiscbe  Gepräge.  105 

wie  z.  B.  die  „Axisculta  fili",  die  Philipp  der  Schöne  von 
Bonifiiz  VIII.  erhielt,  wirkten  sollicitirend  anf  den  Geist,  nnd 
der  Same,  den  die  einfältigen  „bons  hommes"  oder  Waldenscr 
ansstrenten,  wnrde  dnrch  einzelne  gelehrte  Männer  gepflegt, 
bis  dass  er  in  der  Reformation  zur  Frncht  gedieh.  Der  Eng- 
länder Dnns  wagte  es  von  der  orthodoxen  Anschauung  abzu- 
weichen, indem  er  dem  freien  Willen  bei  den  Handlungen  des 
Menschen  mehr  Raum  gewährte  als  Augustinus  und  Thomas 
von  Aqnino;  Durandus  de  Porciano  verwarf  gegen  Thomas 
von  Aquino  die  unmittelbare  Einwirkung  in  die  menschlichen 
Handlungen,  und  Ockam  unterfing  sich,  die  Untrüglichkeit  des 
Papstes  anzutasten.  Franz  Petrarca  erwarb  sich  nicht  nur 
den  Kranz  des  Dichters,  sondern  auch  die  Dankbai'keit  der 
Nachwelt  durch  seine  Bearbeitung  gelehrter  Sprachen  und 
das  Studium  der  Kritik.  Allein  die  Geschichte  arbeitet 
zwar  solid,  aber  langsam.  Im  ganzen  blieb  die  Wissenschaft 
und  somit  auch  die  Arzneikunde  auf  der  Stufe  der  voriffen 
Jahrhunderte,  Wundercuren  durch  Heilige  gab  es  noch  wie 
ehedem,  und  Männer,  die  durch  physikalische  Kenntnisse 
hervorragten,  wurden  noch  immer  für  Schwarzkiinstler  und 
Hexenmeister  im  Bunde  mit  dem  Teufel  gehalten  und  selbst 
mit  Todesstrafe  belegt,  wie  die  Beispiele  des  Peter  von  Abano, 
des  Joh.  Sanguinacius  u.  a.  zeigen.  ^  Zwei  epidemische  Er- 
scheinungen dieses  Jahrhunderts  zeigen  nicht  nur  die  hohe 
Spannung  der  Gemiither,  sie  sind  auch  von  culturgeschicht- 
licher  Bedeutung,  nämlich  die  Tänzerwuth  oder  der  Sanct- 
Veitstanz,  durch  ganz  Deutschland  herrschend,  wo  die  da- 
von Befallenen  für  eine  besondere  Sekte  betrachtet  wurden, 
deren  Anhänger  vom  Teufel  besessen  galten,  den  man  durch 
Bibelspriiche  auszutreiben  meinte.^  Ausser  den  Tänzern  sind 
es  die  Flagellanten,  die  wir  schon  kennen  gelernt  haben. 


Astrologie. 

Im   15.  Jahrhundert,   wo   durch  die  Invasion  der  Tiirken 
die    griechischen    Gelehrten    nach    den    Occident    versprengt 


1  Bzovius  aun.  1316,  n.  15,  p.  282;  bei  Sprengel,  Geschichte,  II,  482, 
-  Ibid.,  aim.  1374,  u.  13,  p.  1301;  Raynaia  1374,  n.  13,  p.  527. 


106       Zweiter  Abschnitt:    Aasbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

wurden,  gewann  das  Studium  der  Quellen  der  griechi- 
schen Gelehrsamkeit.  Neben  Aristoteles,  der  bisher  durch 
arabische  Vermittelung  Ijekannt  war,  der  nun  aber  aus  der 
Quelle  unmittelbar  geschöpft  wurde,  ward  auch  die  Pla- 
tonische Philosophie  wieder  hergestellt,  die  besonders  am 
Hofe  des  Kosmos  dei  Medici  gepflegt  und  gefördert  wurde, 
von  wo  ihre  eifrigsten  Vertheidiger  ausgingen.  Ueber  dieser 
Moro:enröthe  der  Aufkläruno;  lao-erte  aber  der  dicke  theo- 
sophische  Nebel  der  Astrologie,  welche  den  Lauf  und 
den  Stand  der  Himmelsköi^per  mit  dem  menschlichen  Leben 
in  engste  Beziehung  setzte  und  dasselbe  mit  Hülfe  astrologi- 
scher Kenntnisse  zu  verlängern  suchte,  worüber  das  Buch 
des  Marsilius  Ficinus  ^  Vorschriften  gibt.  Es  ist  be- 
kannt, wie  sehr  die  Astrologie  durch  die  meisten  Fürsten 
in  dieser  Periode  gefördert  wurde  und  der  Hofastrologe 
eine  ständiore  Fio;ur  war.  Wie  man  bis  zum  16.  Jahr- 
hundert  die  Erde  als  den  Mittelpunkt  der  Schöpfung  betrach- 
tete, so  las  man  alles,  was  auf  der  Erde  geschah  und  ge- 
schehen musste,  in  den  Sternen  geschrieben,  vmd  Geburt, 
Thaten,  Erlebnisse  des  einzelnen  waren  von  dem  Regiment 
irgendeines  Planeten  abhängig  gedacht,  woneben  die  in  ihrer 
Erscheinung  regellosen  Kometen  als  Drohschrift  der  Bedräng- 
niss  für  ganze  Völker  gedeutet  wurden. 

Aus  der  Mitte  der  magischen  Kreise  blickte  der  Mensch 
nach  dem  Sternenhimmel,  um  mittels  der  Astrologie  die  Be- 
dingung der  irdischen  Glückseligkeit,  wie  er  ein  langes  Leben 
erreichen  könne,  zu  entdecken.  Aus  demselben  Beweggrunde 
suchte  er  mittels  der  Alchemie  die  Kräfte  der  Natur  in  den 
Metallen  zu  erforschen.  Es  war  der  Drang  nach  irdischem 
Glück,  der  ihn  nach  einem  in  der  Erde  verborgenen  Dinge 
suchen  liess,  um  durch  es  in  Besitz  von  Gold,  Gesundheit, 
langem  Leben  zu  gelangen,  welche  drei  er  im  „Steine  der 
Weisen"  vereinigt  zu  finden  hoffte.  Man  suchte  nach  der 
„jungfräulichen  Erde"  als  dem  Mittel  zur  Darstellung  der 
geueimnissvollcn  Substanz,  wodurch  der  Weise  oder  Wissende 
jedes  unedle  Metall  in  Gold  verwandeln,  die  nach  der  spätem 
Ansicht,  in  ihrer  höchsten  Vollkommenheit  als   Arzneimittel 


Marsil.  Ficiui  de  vita,  III,  12. 


7.    Das  kirchlich-theologistische  Gepräge.  107 

gebraucht,  alle  Krankheiten  heilen,  den  Leib  verjiingen,  das 
Leben  verlängern  sollte.  Den  arabischen  Hochschulen  wird 
das  Streben  nach  der  Auffindung  des  Steines  der  Weisen 
und  dessen  Ueberlieferung  an  das  nordwestliche  Europa  vor- 
nehmlich zugeschrieben.  ^  Man  glaubte  in  allen  Metallen 
ein  Priucip  enthalten,  das  ihnen  die  Metalleität  ertheilt,  welche 
ausgezogen  und  als  Quintessenz  dargestellt,  den  Stein  der 
Weisen  abgebe.  Zur  Darstellung  desselben  gehöre  vor  allem 
„die  erste  Materie",  die  sogenannte  „jungfräuliche"  oder 
„Adamserde".  Vom  10.  Jahrhundert  an  finden  wir  das  kirch- 
lich-theologistische Element  auch  in  den  Laboratorien  der 
Alchemisten  und  ist  daran  zu  erkennen,  dass  das  Geliucren 
der  Operation  von  der  Wirksamkeit  des  Gebetes  abhängig  ge- 
dacht wird,  das  ufspriinglich  nur  die  Dauer  derselben  be- 
zeichnen sollte,  nach  der  Gewohnheit,  Zeitlängen  mittels  Ge- 
beten zu  bestimmen.  Schon  im  13.  Jahrhundert  hatte  sich  die 
Ansicht  bei  den  Alchemisten  festgesetzt,  dass  die  Einweihung 
in  das  Geheimniss  ihrer  Kunst  auf  göttlicher  Berufung:  be- 
ruhe,  und  der  glückliche  Erfolg  als  Beweis  der  göttlichen 
Gnade  zu  betrachten  sei.  Die  Alchemisten  tru2;en  daher  ece- 
wohnlich  eine  gewisse  kirchliche  Frömmigkeit  zur  Schau, 
wozu  das  Anrufen  böser  Geister,  zu  denen  man  in  Ver- 
zweiflung über  die  mislungene  alchemistische  Operation  seine 
Zuflucht  nahm,  Kopp  wenig  passend  findet 2,  wir  aber 
bei  der  herrschenden  dualistischen  Ansicht,  wonach  die  Welt 
in  zwei  Lager,  in  das  der  göttlichen  Macht  und  das  des 
Teufels  sammt  seinen  Gehiilfen,  getheilt  war,  wol  erklärlich 
finden.  „Als  Kelley",  erzählt  Kopp  ä,  „zu  Prag  in  Kaiser 
Rudolf's  Händen  war  und  nun  einmal  den  Stein  der  Weisen 
nolens  volens  schaff'en  sollte,  beschwor  er  mit  Dr.  Dee's  Hülfe 
die  infernalischen  Mächte,  die  ihm  aber  nicht  halfen.  Einige 
Alchemisten  hatten  Dämonen  in  ihrer  Gewalt  und  führten 
sie  in  mancherlei  Gestalt  mit  sich  herum.  So  zeiijte  Thur- 
neysser  zu  Berlin  seinen  gefangenen  Teufel  als  eine  kleine 
Gestalt  in  einem  Gläschen.  Bragandius  hatte  über  zwei  Dä- 
monen Gewalt,  die  ihn  in  Gestalt  von  zwei  schwarzen  Bullcn- 


'  Liebig,  Chemische  Briefe,  S.  40. 

2  Geschichte  der  Chemie,  11,  216. 

3  A.  a.  0. 


108        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

beissern  begleiteten.  Bei  der  llinriclitung  des  erstem  in 
München  1590  wurden  letztere  nacli  Urtbeil  und  Recht  unter 
dem  Galgen  erschossen." 

Die  Ineinandersetzung  des  Kirchlich-theologistischen  mit 
der  Naturkunde  wurde  immer  inniger,  sodass  noch  im  17.  Jahr- 
hundert religiöse  Begriffe  und  Vorstellungen  mit  alchemisti- 
schen  Ausdrücken  bezeichnet  werden,  wie  die  Terminologie 
J.  Böhme's  beweist.  Gegen  das  13.  Jahrhundert  wird  die 
Alchemie  vornehmlich  in  Klöstern  getrieben,  die  Pfleger  und 
Anhänger  derselben  sind  meist  Geistliche,  wie  Albrecht  von 
Bollstädt,  gewöhnlich  Albertus  Magnus  genannt,  in  seiner 
Geschichte  der  Metalle  und  Mineralien;  Thomas  von  Aquino, 
dessen  Schüler,  in  seiner  Schrift  von  den  Meteoren;  Michael 
Scotus,  Roger  Baco,  der  Franciscaner  Richard  von  England, 
der  Minorit  Raymund  Lullus,  der  berühmteste  Alchemist  des 
14.  Jahrhunderts,  u.  a.  m.  ^  Obschon  im  Anfinge  des  14.  Jahr- 
hunderts eine  päpsthche  Bulle  von  Johann  XXII.  „Spondent 
quas  non  exhibent"  im  Jahre  1317  die  Alchemie  verbot,  Kö- 
nig Heinrich  IV.  von  England  1404,  und  der  Rath  von  Ve- 
nedig 1488  Gesetze  dagegen  erliessen  *,  wurde  die  geheimniss- 
volle verbotene  Kunst  im  Verboro;enen  fortiretrieben.  Im 
16.  Jahrhundert  finden  wir  an  allen  Höfen  Alchemisten,  denn 
auch  die  Fürsten  trugen  Verlangen  nach  dem  Steine  der 
Weisen  und  arbeiteten  wol  selbst  in  ihren  Laboratorien,  wie 
Kaiser  Rudolf  IL,  Kurfürst  August  von  Sachsen  sammt  sei- 
ner Gemahlin  Anna  von  Dänemark,  die  Kurfiirsten  August 
und  Christian,  Herzog  Friedrich  von  Würtemberg  u.  a.  Auch 
hervorragende  Geister  wie:  Baco  von  Verulam,  Luther,  Spi- 
noza ,  Leibniz  und  noch  die  spätere  Zeit  glaubte  an  den  Stein 
der  Weisen,  wobei  man  nur  an  die  Rosenkreuzer  oder  Semler's 
Luftsalz  zu  erinnern  braucht.  Wer  aber  in  unsern  Tafjen  die 
Alchemie  als  eine  pure  Verirrung  der  Köpfe  abschätzig  be- 
urtheilt,  der  vergisst,  dass  die  Geschichte  des  menschlichen 
Geistes  ähnlich  dem  Kiinstler  verfährt,  der  sein  Bild  von  der 
dunkeln  Grundfarbe  ins  Lichte  herausmalt.  Durch  Irrthum 
zur  AVahrheit  ist  der  Gang  der  Entwickelung,  wie  die  alt- 
testamentliche   Schöpfungsgeschichte    aus    dem    wüsten    Chaos 


^  Vgl.  Scbmieder,  Geschichte  der  Alchemie,  S.  132  fg. 
■'  Kopp  II,  192. 


7.    Das  kirchlich-theologistische  Gepräge.  109 

die  o-eordnete  AVeit  und  ihre  Geschöpfe  hervorgehen  lässt. 
Wie  Saul  ausgegangen  war,  die  Eselin  zu  suchen,  und  eme 
Köuin-skrone  fand,  so  verdanken  wir  dem  Streben,  den  Stein 
der  Weisen  darzustellen,  eine  Menge  gemeinnützhcher  Ent- 
deckungen. Die  Alchemie  kann  mit  Stolz  auf  ihre  Tochter, 
die  Chemie,  blicken,  und  aus  der  mystischen  Astrologie  hat 
sich  die  exacte  Wissenschaft  der  Astronomie  entwickelt. 

Mit  unserer  Erörterung  sollte  angedeutet  werden :  wie  die 
Allgewalt    der  Kirche    des    Mittelalters    in    allen    Richtungen 
der   damaligen   Wissenszweige    bemerklich   war,    und    überall 
ihr  GejDräge  aufdriickte.     Dasselbe  gilt  jn  Beziehung  auf  das 
Leben   des   einzelnen    Menschen.      Die    Kirche   nahm   ihn  so- 
fort nach   seiner  Geburt   durch   die  Taufe  unter  ihre  Obhut, 
aber  zugleich  unter  ihre  Bevormundung,  unter  der  er  auch  zu 
Grabe   gebracht  wurde.     In  der  ganzen  Zwischenzeit  war   er 
nicht  nur  äusserlich  an  sie  gebunden  durch  Zehnqjflichtigkeit 
und   andere  Abgaben,    er    befand    sich    auch   innerlich   durch 
anderwärts   erwähnte  Bande,   an   denen   sie   sein  Gewissen   in 
Händen  hielt,    in  ihrer   Gewalt.     Die   Kirche  bestimmte  ihm 
die  Tage  zur  Arbeit  und  die  Tage   zur  Rast,   sie  thcilte  ihm 
die  Stunden  des  Tags  in  Primizzeit,  Terzzeit,  Vesperzeit  ein, 
sie  ordnete  ihm  selbst   die  Speisen  an.     „Die  Länder  wurden 
nach    Bisthümern    gemessen;    die    Waffenrüstung,    womit   der 
Knappe  sich  künftig  als  Ritter  schmückte,  bedurfte  des  Segens 
der  Kirche ;  derselbe  wurde  über  die  Flur  ertheilt  und  herab- 
gefleht ,   er   sollte  Unfall  und  Gefahr   von    dem   neugewählten 
Hause  abwenden."  ^     Die   Kirche    sollte   ihm   milde   Lehrerin 
und  Erzieherin  sein,   er  sollte  Trost  bei   ihr  suchen   und  fin- 
den;  er  hatte  aber  Grund,  sie  zu  fürchten,  denn  sie  war  zur 
strengen  Zuchtmeisterin   und   allgewaltigen  Beherrscherin   ge- 
worden.    Li  allen  Lagen  und  Wendungen   des  Lebens  stand 
die  Kirche  vor  den  Augen  des  Menschen,  sie  überragte,  gleich 
ihren  Domen,  das  ganze  menschliche  Getriebe,  sie  warf  auch 
ihre  finstern  Schatten  darüber.     „Es  ist  wahr",  sagt  Hurter^, 
„auf  alle  Lebensthätigkeit   des  Menschen   übte   die   Geistlich- 
keit mächtigen  Einfluss",  und  eben  darum,  fügen  wir   hinzu, 
weil  ihr  Einfluss  auf  alle  Thätigkeit  ein  bevormundender,  bc- 


1  Hurter,  IV,  383. 

2  IV,  416. 


110       Zweiter  Absclanitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teiifcl. 

herrschender  war,  well  sie  ihre  eigene  Bestimmung  über- 
schreitend den  ganzen  Menschen  an  sich  fesselte,  band  sie 
ihm  die  Organe  zur  freien  Thätigkeit,  lähmte  die  Bewegung, 
hemmte  die  Entwickelung.  Die  Behauptung:  in  der  ganzen 
Periode  vom  G.  bis  10-  Jahrhundert  habe  es  in  Europa  nicht  mehr 
als  drei  bis  vier  Männer  gegeben,  die  selbständig  zu  denken 
wagten,  und  auch  die  mussten  ihre  Gedanken  mit  einer  dun- 
kein,  mystischen  Sprache  verhüllen,  die  übrige  Gesellschaft 
sei  während  dieser  Jahrhunderte  in  der  entehrendsten  Un- 
wissenheit geblieben  ^,  brauchen  wir  ihrem  ersten  Theile  nach 
wol  nicht  buchstäblich  zu  nehmen;  aber  die  Wahrheit  ist: 
dass  selbst  die  hervorragenden  Geister  durch  die  Allgewalt 
der  Kirche  in  ihrer  Entfaltung  gehindert  waren,  die  Menge 
allen  Innern  Halts  entbehrte  und  an  einer  verzweifelnden  In- 
nern Hohlheit  krankte,  wie  die  Kirche  selbst,  über  ihrer  An- 
strengmig  nach  äusserer  Machtstellung  in  pure  Aeusserlich- 
keit  verrenkt,  ihre  innere  Bedeutung  und  damit  auch  ihre 
sittio'ende  Wirkunj^;  verloren  hatte.  Und  dies  war  weit  über 
das  10.  Jahrhundert  hinaus  der  Fall. 


8.  Manclierlei  Ersdieimingen  und  Ereignisse  als  Factoren 
in  der  G-escliiclite  des  Teufels. 

Wie  in  der  Natur  aus  der  Verwesung  neue  Lebensgebilde 
hervorgehen,  so  liefert  auch  die  Geschichte  aus  den  Perioden 
der  Auflösung  und  des  drohenden  Untergangs  positive  Pro- 
ducte,  die  freilich  zunächst  nur  gleich  einzelnen  Lichtfunken 
in  finsterer  Nacht  aufflackern  ohne  weitströmende  Erleuchtung 
oder  langhin  merkliche  Erwärmung.  Obschon  aber  wohl- 
thätige  Erscheinuno;en  inmitten  verderbter  Zustände  auch  keine 
plötzliche  oder  gänzliche  Verbesserung  der  Weltlage  hervor- 
bringen, so  gewährt  die  Beobachtung  des  Verlaufs  der  Ge- 
schichte   doch    die    ermuthigcnde    Ueberzeugung:    dass    keine 


Buckle,  Geschichte  der  Civilisation  in  England,  I,  232. 


8.    Mancherlei  Erscheinungeu  und  Ereignisse.  Hl 

Aeusserung  der  Vernunft  unfniclitbar  bleibt  oder  wirkungslos 
aus  der  Geschichte  hinausfällt.  Lichtfunken  des  Geistes  der 
Wahi'heit,  die  in  dunkeln  Zeiträumen  sich  entzündet,  um 
scheinbar  wieder  zu  verlöschen,  glimmen  unbemerkt  unter 
der  Asche  fort,  bis  die  Periode  eintritt,  wo  der  günstige  Luft- 
zug sie  zur  Flamme  auflodern  macht,  um  ganze  Zeiten  zu 
erleuchten  und  die  lebenden  Geschlechter  zu  erwärmen.  Auch 
die  schrecklichen  Zeitabschnitte  des  Mittelalters  haben  wohl- 
thätige  Institutionen  hervorgerufen ;  wir  erinnern  unter  andern 
nur  an  das  Gesetz  vom  „Gottesfrieden"  (Treuga  Dei)  im 
11.  Jahrhundert,  wonach  von  Mittwochs  Sonnenuntergang 
bis  Montags  Sonnenuntergang  das  Schwert  zu  ziehen  bei 
Strafe  des  Bannes  verboten  war.  Dass  diese  Bestimmung 
nicht  nachhaltig  durchgeschlagen,  schreibt  ein  frommer  clugny- 
scher  Mönch  ^  auf  Rechnung  der  menschlichen  Schwäche,  in- 
dem nach  kaum  überstandenen  göttlichen  Strafgerichten  jeder 
Frevel  wieder  begangen  wurde,  wobei  weltliche  und  geistliche 
Fürsten  nicht  die  letzten  gewesen  seien.  Das  ungestüme 
Streben  der  päpstlichen  Macht,  nach  der  weltlichen  Seite  hin 
sich  zu  erweitern,  brachte  auf  dieser  heilsame  Keactionen 
hervor:  die  Magna  charta,  dieser  Grundj) feiler  des  englischen 
Staatslebens,  erbaute  sich,  während  Johann  von  England  dem 
Papste  Innocenz  III.  dienstbar  war  (1215);  die  Bullen,  welche 
Bonifacius  YIII.  von  seinem  Stuhle  über  Philipp  IV.  von 
Frankreich  herabdonnerte,  erweckten  in  Frankreich  das  staat- 
liche Bewusstsein,  und  der  Staat  fing  an  als  berechtigte 
Macht  sich  zu  erheben;  in  Deutschland  bereitete  sich  durch 
den  Sturz  der  Hohenstaufen  eine  veränderte  Weltanschauung 
vor,  die  am  Ende  des  Mittelalters  einen  frischen  Aufschwung 
nahm.  Die  föderative  Verfassung,  mit  dem  kurfürstlichen 
Directorium  seit  dem  13.  Jahrhundert  herangebildet,  zog  durch 
die  Kurvereine  und  das  Keichsgesetz  der  Goldenen  Bulle 
die  Scheidelinie,  wodurch  der  päpstliche  Einfluss  auf  die 
staatlichen  Angelegenheiten  abgeschnitten  ward.  Wir  brauchen 
wol  kaum  die  Beispiele  zu  mehren,  etwa  auf  die  Werke  der 
mittelalterlichen  Kunst  hinzuweisen,  um  anzudeuten,  dass 
auch  das  Mittelalter  Früchte  getragen,  an  denen  wir  bis  auf 
den  heutigen  Tag   noch  zehren.     Blicken  wir  aber  im  allge- 


Glaber  Rudolph!,  Ilistor.,  IV,  c.  5. 


112       Zweitor  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

meinen  auf  den  Zustand  der  Gemütlier,  so  ging  durch  die 
mittelalterliche  Welt  „das  Gefühl  der  Nichtigkeit  ihres  Zu- 
standes.  In  dem  Zustande  der  Vereinzelung,  wo  durchaus 
nur  die  Gewalt  des  Machthabers  galt,  haben  die  Menschen 
zu  keiner  Ruhe  kommen  können,  und  gleichsam  ein  böses  Ge- 
wissen hat  die  Christenheit  durchschauert."  ^  Vom  10.  Jahr- 
hundert, in  welchem  das  Papstthum  im  Innersten  zerri'ittet 
war,  sagt  Gfrörer^:  „Kaum  konnte  es  fehlen,  dass  in  schwa- 
chen Gemüthern  durch  das,  was  in  und  ausserhalb  der  Metro- 
pole des  christlichen  Abendlandes  vorging,  Zweifel  angeregt 
wurden,  ob  die  römische  Kirche,  die  solches  ruhig  dulde, 
theils  durch  ihre  Häupter  verübe,  die  wahre  Kirche  Christi 
sei."  Die  ungebändigte  Wildheit  des  Feudaladels  zeigte  sich 
in  der  herrschenden  Fehdewuth,  wogegen  die  Anwendung  der 
angedrohten  Strafe  auf  Landfriedensbruch  wenig  half,  die 
1041  von  Burgund  aus  verkiindete  Treuga  Dei  nicht  lange 
beobachtet  ward.  Rohe  Kraft  einerseits,  die  in  massloser 
Schwelgerei  sich  austobt;  andererseits  kleinmixthiger  Bigotis- 
mus,  der  die  Seelen  zusammenschnürt;  hier  ergeben  sich 
manche  lebenslänglicher  Busse,  doi't  stiirzen  sich  die  meisten 
in  die  ausschweifendste  Völlerei;  von  den  einen  wird  das 
Besitzthum  verprasst,  von  den  andern  der  Kirche  geschenkt; 
da  Verzückung  und  Schwärmerei,  dort  Raufsucht  und  Par- 
teiuns.  Hier  unverbrüchliche  Treue  und  Festhalten  am  Ge- 
löbniss,  dort  gewissenlosester  Leichtsinn,  dem  nichts  für 
heilig  gilt.  Hier  bieten  sich  Beispiele  freiwillig  auferlegter 
Selbstquälerci ,  wie  Margarethe  von  Ungarn,'  die  aus  Religio- 
sität die  niedrigsten  Dienste  in  Lazarethen  verrichtet,  oder 
eine  heilige  AVilbirgis  mit  einem  eisernen  Ring  um  den  Leib, 
i'iber  welchen  das  Fleisch  herauswächst  und  fault;  dort  ein 
englischer  König,  von  dem  sein  Zeitgenosse  behauptet,  dass 
er  nie  einen  Schwur  oder  Bund  gehalten,  dagegen  nicht  ab- 
gelassen habe,  ehrbare  Frauen  und  Mädchen  zu  schänden. 
Neben  der  Abtödtung  natürlicher  Triebe  zeigt  sich  die  roheste 
Zügellosigkeit  viehischer  Lust;  gegenüber  der  bis  zur  kindi- 
schen Aengstlichkeit  gesteigerten  Gewissenhaftigkeit,  werden 
alle  kirchlichen  und  bürgerlichen  Gesetze  mit  Frechheit  nieder- 
getreten. 

'  Hegel,  Philosophie  der  Geschichte,  S.  453. 

^  Papst  Gregorius  VII.  und  sein  Zeitalter,  VII,  104. 


8.    Mancherlei  Erscheinungen  und  Ereignisse.  113 

Es  ist  wahr,  der  Gegensatz  macht  sich  zu  allen  Zeiten 
und  unter  allen  Völkern  geltend,  er  ist  die  Bedingung  der 
menschlichen  Entvvickelung;  aber  in  jenem  Zeitabschnitte  des 
Mittelalters  erscheint  die  Gegensätzlichkeit  in  acuter  Form, 
die  Zustände  haben  einen  fieberhaften  Charakter,  sie  deuten 
auf  die  Haltlosigkeit  hin,  die  den  Schwerpunkt  verloren  hat, 
von  einem  Extrem  zum  andern  geworfen  wird.  Inmitten  der 
Zerbrochenheit  der  Zustände  mussten  die  Gemüther  von  einem 
innerlichen  unheimlichen  Grauen  ergrifien  sein,  das  schon  im 
10.  Jahrhundert  in  der  furchtbaren  Vorstellung  von  dem 
Untergänge  der  Welt  zum  Ausdruck  gekommen  war.  Nach- 
dem das  erste  Jahrtausend  der  christlichen  Zeitrechnung  ab- 
gelaufen war,  bemächtigte  sich  der  Gemiither  die  Angst,  dass 
der  Zeitpunkt  gekommen,  wo  der  Himmel  einstiirzcn  und 
der  Antichrist  sein  Regiment  beginnen  soll,  bis  der  Heiland 
zum  zweiten  mal  erscheinen  werde,  um  zu  richten  die  Lebendigen 
und  die  Todten.  Diese  quälende  Furcht  lauert  von  da  ab 
im  Hintergrunde  und  tritt  wiederholt  bei  verschiedenen  Epo- 
chen hervor.  Viele  Urkunden  aus  dieser  Zeit  fangen  mit  den 
Worten  an:    „Da  die  Welt  sich  ihrem  Ende  naht"  u.  s.  w. 

Die  Aufgeregtheit  der  Gemiither  musste  noch  höher  ge- 
steigert werden,  wenn  Erscheinungen  eintraten,  wodurch 
zum  Innern  Elend  der  Haltlosigkeit  auch  die  äussere  Noth 
hinzukam.  Dies  geschah  durch  wiederkehrende,  sich  auf- 
einander häufende  Unfälle  und  Elementarereignisse.  Vom  10. 
bis  14.  Jahrhundert  bieten  die  Chroniken  ganze  Verzeichnisse 
von  Miswachs,  Heuschrecken,  Hungersnöthen,  Theuerungen, 
und  die  Chronisten  melden  solche  Nothstände  meist  ganz 
kurz,  gleich  den  Nachrichten  über  Witterungsverhältnisse 
und  den  Ausfall  der  Ernte,  ein  Beweis,  dass  derlei  Uebel 
häufig  eintraten.  Ein  kleiner  Ausstich  aus  zunächstliegenden 
Chronikensammlungen  und  einigen  andern  Schriften  mag  einen 
Masstab  abgeben. 


Elementarereigiiisse. 

Im    Jahre    988    meldet    Chronicon    monasterii    Melliccns. 
eine  grosse  Ilungersnoth.  ^ 


1  IL  Pez,  Script,  rer.  Austr.,  I,  225. 

Roskoff,    Gescliichte  des  Teufels.    II. 


114      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellnng  vom  Teufel. 

Vom  Jahre  1028 — 30  herrschte  in  Griechenland,  Italien, 
Frankreich  und  England  ein  überaus  grosser  Regen,  sodass 
die  Ueberschweniinungen  alle  Ernten  verdarben  und  die  gräss- 
lichste  Hungersnoth  erfolgte.  Man  nahm  seine  Zuflucht  zu 
den  unnatiirlichsten  Nahrungsmitteln,  als  Gras,  Wurzeln, 
Thonerde  mit  Kleie  vermischt,  selbst  Menscheufleisch.  Rei- 
sende wurden  ermordet  und  gliedweise  verzehrt,  Leichen  wur- 
den ausgegraben,  auf  dem  Markte  ward  gekochtes  Menschen- 
fleisch feilgeboten.  ^ 

„Im  Jahre  des  Herrn  1043  war  so  grosse  Hungersnoth 
in  Böhmen,  dass  der  dritte  Theil  des  Volkes  starb." '^  Der- 
selbe Chronist  berichtet,  als  er  von  Mainz  nach  Prag  zurück- 
kehrte: „Es  war  Fastenzeit  und  grosse  Sterblichkeit  in  Deutsch- 
land. Die  Bischöfe  wollten  in  der  ziemhch  grossen  Kirche 
vor  einem  Dorfe  Messe  feiern,  aber  sie  konnten  nicht  hinein, 
weil  am  Fussboden  ein  Leichnam  neben  dem  anderif  lag." 
Sie  berührten  eine  kleine  Stadt,  in  der  kein  Haus  war,  wo 
nicht  drei  oder  vier  Leichen  gelegen  hätten.  „Wir  zogen 
vorbei  und  übernachteten  auf  dem  Felde."  ^ 

Vom  Jahre  1095  wird  von  einer  Theuerung  berichtet ,  wo 
das  Kloster  Gembleux  von  allen  seinen  Aeckern  und  Zehnten 
nicht  fiir  zwei  Monate  Brot  hatte.  „Da  verhungerten  so 
viele,  dass  die  Kirchhöfe  nicht  zureichten,  statt  der  Gräber 
wurden  grosse  Gruben  gemacht  und  die  Leichen  an  Stricken 
hinuntergelassen."  ^ 

Besonders  häufig  werden  die  traurigen  Nachrichten  vom 
12.  Jahrhundert  abwärts. 

Im  Jahre  1164  berichtet  das  Chronicon  auctoris  incerti 
eine  grosse  allgemeine  Hungersnoth.  * 

Im  Jahre  1202  ein  Erdbeben  „per  totam  terram"  laut 
Chron.  monast.  Mellicens.  ^ 

Grosses  Erdbeben  in  York;  ein  anderes  in  Italien  ^;  eines 


1  Bei  Stenzel,  Geschichte  Deutschlands  unter  den  fränkischen  Kaisern, 
1,   288. 

"^  Kosmas  von  Prag,  bei  Floto,  Kaiser  Heinrich  IV.,  I,  1)1. 

3  Floto,  a.  a.  0. 

*  Ibid.,  I,  92. 

5  Pez,  I,  5G0. 

«  Ibid.,  I,  236. 

^  Chron.  Fossae  novac. 


8.    Mancherlei  Erscheinungen  und  Ereignisse.  115 

in  Syrien,  welches  bei  200000  Menschen  tödtete ;  darauf  Mis- 
wachs  und  Seuchen ;  ein  anderes  das  ebenfalls  viele  Städte  und 
Kirchen  schädigte  und  Menschen  erschlug,  wurde  an  vielen  Or- 
ten Deutschlands  verspürt ;  dann  furchtbare  Ungewitter,  Don- 
ner, Blitz,  Hagel,  Ueberschwemmungen ;  allgemeiner  Schrecken, 
Angst  vor  dem  nahen  Jüngsten  Tag;  Sagen  von  einem  vom 
Himmel  gefallenen  Brief.  ^ 

Vom  Jahre  1224  meldet  Paltrami  seu  Vatzonis  consulis 
Viennensis  Chron.  austriac.  eine  Seuche.  * 

Im  Jahre  1225  herrscht  eine  Viehseuche  und  darauf  grosse 
Sterblichkeit  der  Menschen.  ' 

Im  Jahre  1239  eine  unerhörte  Hungersnoth  in  Ungarn, 
nach  Anonymi  Leobiens.  Chron.  lib.  1.* 

Im  Jahre  1243  meldet  Paltrami  Chron.  Hunger  und 
Heuschrecken  in  Ungarn  ^  und  im  Jahre  1252  Hungersnoth 
in  ganz  Oesterreich.  ^ 

Im  Jahre  1253  Miswachs  in  mehrern  Ländern  nach  der 
lOosterneuburger  Chronik.  ^ 

Im  Jahre  1259  grosse  Hungersnoth  nach  Excerpta  ex 
vetustiori  Chron.  Weichen-Stephanensi.  ** 

Im  Jahre  1263  Hungersnoth  in  Oesterreich  nach  Chron. 
Mellicens.  ^ 

Im  Jahre  1270  verzeichnet  der  Chronist  Paltram  eine  un- 
erhörte Pestilenz  in  Oesterreich  und  Ungarn.  ^'^ 

Im  Jahre  1282  grosse  Sterblichkeit  in  Böhmen  und  Mäh- 
ren, sodass  die  Leichname  „velut  foenum  in  agrum  duce- 
bantur".  ^^ 

Im  Jahre  1337  berichtet  eine  salzburger  Chronik  über 
eine  grosse  Seuche  unter  den  Menschen.  *^ 


1  Rog.  Hoved,  bei  Hurter,  I,  465,  Note  5. 

2  Pez,  I,  710. 

3  Ibid.,  I,  238. 
^  Ibid.,  I,  816. 
5  Ibid.,  I,  714. 
«  Ibid. 

7  Ibid.,  I,  462. 

8  Ibid.,  II,  404. 
8  Ibid.,  I,  241. 

'0  Ibid.,  I,  718. 

^^  Klostei-neuburger  Chronik,  bei  Pez,  I,  467. 

12  Pez,  I,  411. 

8* 


llö      Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Im  Jahre  1338  Heuschrecken  zur  Erntezeit  nach  Ano- 
nymi coenobitae  Zwetlcns.  Chron.  ^  Nach  dem  Berichte  des 
Johann  Victoriensis  ^  verwiistetc  im  Jahre  1338  die  Zuglicu- 
schrecke  Ungarn,  Polen,  Böhmen,  Mähren,  Oesterreich,  Steier- 
mark, Kärnten,  Krain,  Schwaben,  Baiern,  die  Lombardei  und 
die  Rheinprovinzen.  Dieselbe  Heuschreckenverwiistung  meldet 
Michael  Herbipolensis  ^  und  im  Jahre  1348  ein  Erdbeben.  * 
Das  Chronicon  de  ducibus  Bavariae  ^  erzählt,  dass  im  Jahre 
1348  infolge  einer  grossen  Seuche  in  Baiern,  Böhmen  und 
Oesterreich  viele  Wohnungen  menschenleer  gewesen  seien.  Es 
ist  dies  wol  jene  furchtbare  Seuche,  die  in  Asien,  Afrika  und 
Europa  das  Menschengeschlecht  zu  vernichten  drohte  und  bei 
den  Chronisten  gewöhnlich:  „grosser  sterb",  das  grosse  Ster- 
ben, „AVeltsterben",  „der  schwarze  Tod"  hcisst.  Die  Men- 
schen erlagen  der  Krankheit  meist  innerhalb  der  ersten  Tage, 
nachdem  sie  ergriffen  worden,  „mortalitas  hominum  tanta  fuit 
et  est,  quod  plerumque  una  in  hospicio  moriente  persona,  caeteri 
cohabitantes  homines  et  saepius  quasi  subito  moriuntur"  sagt 
ein  Chronist.  ^  In  China  sollen  13  Millionen  Menschen  daran 
gestorben  sein,  in  Kairo  täglich  10 — 15000;  in  Aleppo  täglich 
500,  in  Gaza  binnen  sechs  Wochen  22000;  auf  Cypern  fast 
alle  Einwohner,  und  auf  dem  Mittclmeere  schwammen  oft 
Schiffe  ohne  Mannschaft.  In  Europa  sollen  25  Millionen  dem 
schwarzen  Tode  erlegen  sein.  Es  half  keine  Arznei,  viele 
Häuser  waren  ganz  ausgestorben.  „Do  worden  stet  und  markte 
öd  von  dem  sterben",  sagt  der  leobner  Chronist.^  Zu  manchem 
Nachlass  fand  sich  kein  Erbe  und  der  Besitz  der  Verstorbenen 
kam  oft  erst  an  den  vierten  Mann.  ** 

Im  Jahre  1346  grosses  Sterben  in  Italien  laut  Chronicon 
Bohemiae.^    —  In  demselben  Jahre  eine  grosse  Hungersnoth.^" 


1  Bei  Pez,  I,  im. 

2  Boehmer,  I,  430. 

3  Ibid.,  I,  488. 
*  Ibid.,  I,  473. 

6  Ibid.,  I,  Üb. 

«  Boehm.  fönt.,  I,  430. 

7  Pez  Script.,  I,  ;)G8. 

**  Vgl.  llecker,  Der  schwarze  Tod  im  11.  Jahrhundert. 
9  Pez,  I,  1040. 
10  Il)id. 


8.    Mancherlei  Erscheinungen  und  Ereignisse.  117 

In  den  Jahren  1348  und  1349  Erdbeben,  Pestilenz  und 
Theuerung.  ^ 

Im  Jahre  1350  Erdbeben  in  der  Schweiz.  ^ 

Im  Jahre  1351  Heuschrecken  in  O esterreich.  ^ 

Im  Jahre  1359  meldet  die  salzburgische  Chronik  eine 
„crudelissima  pestilentia,  quae  interemit  forsan  tertiam  partem 
hominum",  die  nach  und  nach  über  die  ganze  Erde  sich  ver- 
breitete. * 

Im  Jahre  1370  grosse  Pestilenz.  ^ 

Im  Jahre  1381  grosses  Sterben  im  Lande,  wobei  in  Wien 
allein  15000  Menschen  umkamen.  ^ 

Im  Jahre  1399  Pestilenz.  ^ 

Auch  Caesarius  von  Heisterbach  meldet  solche  allgemeine 
Unglücksfälle:  dass  nach  dem  Tode  Heinrich's  (also  im  12.  Jahr- 
hundert) eine  ausserordentliche  Theuerung  in  Deutschland  ge- 
herrscht habe  ^ ;  er  berichtet  über  ein  Erdbeben  auf  Cypern  * 
und  Brescia  ^^,  wobei  12000  Menschen  ihren  Untergang  ge- 
funden. Die  Mailänder,  erzählt  er,  hatten  aus  Furcht  ihre 
Stadt  verlassen  und  lebten  über  acht  Tage  lang  auf  freiem  Felde 
unter  Zelten.  Um  dieselbe  Zeit  wurden  Bergamo,  Venedig 
und  viele  andere  Orte  von  demselben  Unglück  betroffen. 

Der  fürstenfelder  Chronist  ^^  weiss  von  einer  grossen 
Hunscersnoth  nach  dem  Tode  Ottokar's  von  Böhmen  und 
einer  grossen  Seuche,  die  unter  dem  Volke  wüthete.  Derselbe 
berichtet  über  eine  entsetzliche  Hungersnoth  um  die  Zeit  des 
Regierungsantritts  Kudolf  s,  wo  die  Aermern  mit  Eicheln  und 
Feldkräutern  ihren  Hunger  zu  stillen  suchten,  trotzdem  aber 
viele  erliegen  mussten. 


1  Bei  Pez,  l,  728.  1080. 

2  Ibid. 

3  Ibid. 

*  Pez,  I,  412. 
5  Ibid. 

«  Ibid.,  I,  1161. 

'  Ibid.,  I,  1397.  1399. 

*  Dialog,  miraculor.,  c.  47. 
9  Cap.  48. 

1»  Caix  49. 

'*  Bei  Boehmer  fönt.,  I,  11. 


1 18      Zweiter  Abschnitt :   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Bei  dem  in  jenen  Zeiten  herrschenden  Glauben,  der  alle 
schädlichen  Elementarereignisse  wie  überhaupt  alle  Ucbel,  die 
den  Menschen  betrelFen,  der  finstern  Macht  des  Teufels  zu- 
schrieb, deren  Walten  die  göttliche  Vorsehung  zulasse,  um  zu 
ziichtigen,  zu  bessern  oder  zu  prüfen,  mussten  die  geängstigten 
Gemüther  bei  den  aufeinanderfolgenden  Calamitätcn,  die  oft 
mehrere  Reiche  betrafen,  wovon  die  Nachrichten  auch  Aveiter 
drangen,  die  Vorstelhmg  von  dem  Teufel  stets  lebendig  er- 
halten. Der  Mensch  sah  in  den  grossen  Nöthen,  welche  seine 
Zeit  betrafen,  nur  die  bestätigenden  Belege  zu  dem  Glauben, 
der  ihm  von  den  Kirchenlehrern  gepredigt  wurde.  Wir  sehen 
daher  in  verderblichen  Erscheinungen  einen  der  Factoren, 
welcher  beitrug,  den  Teufelsglauben  zu  fördern  und  bei  der 
allgemeinen  Haltlosigkeit  die  Furcht  vor  der  höllischen  Macht 
ZU  steigern. 


Mougoleneiufall.    1242. 

Der  Untergang  der  Welt  und  die  Erscheinung  des  Anti- 
christs  war  zwar  noch  nicht  thatsächlich  eingetreten,  wie  man 
vom  10.  Jahrhundert  an  mit  Angst  erwartete,  aber  das 
12.  Jahrhundert  war  auch  nicht  danach  angethan,  diese  Furcht 
zu  zerstreuen.  Denn  ausser  Hungersnöthen  herrschte  auf  allen 
Seiten  Zwietracht,  Kampf  und  Aufstand,  und  die  Welt  schien 
nur  mehr  ein  Tummelplatz  für  blutige  Streitigkeiten  zu  sein. 
Ein  solches  Bild  von  der  damaligen  Weltlage  entwerfen  uns 
die  Chronikensehreiber.  ^  Im  13.  Jahrhundert  schien  nun  der 
befiirchtete  Weltuntero:an<x  eintreten  zu  wollen,  als  eine  Horde 
wilder  Reiter  von  Asien  her  nach  Europa,  gleich  einem  Un- 
geheuern Hagelwetter,  sich  herüberwälzte,  und  alles  unter  seinen 
Schlägen  zu  vernichten  drohte.  Es  ist  der  bekannte  Einfall 
der  Mongolen  oder  Tartaren,  wie  sie  nach  dem  Vorgange 
Roger's  auch  genannt  werden.  ^    Nähere  Schilderungen  liegen 


'  Vgl.  Viti  Arnpeckhii  Chronicon  Bojoariorum  lib.  iV,  c.  51,  bei 
IL  r.  Pezii  thes.  anecdot.  noviss.,  tom.  III,  pars  III. 

^  Bei  Endlicher,  Monumenta  Arpadiana:  M.  Rogerii  Canonici  Vala- 
diensis  Carmen  miserabilc  sujier  destructioue  regni  Ilungariae  temporibus 
Belae  IV  rcgis  per  Tartaros  facta. 


8.    Mancherlei  Erscbeiuuugcn  und  Ereignisse.  119 

bei  Raumer  ^  und  andern  vor  und  genügt  daher  mit  einigen 
Strichen  das  Grauenhafte  dieses  Ereignisses  anzudeuten.  Die 
Wildheit  des  Dschingls  (geb.  1155,  gest.  1227)  kennzeichnet 
sich,  dass  er  bei  Eröffnung  seiner  Laufbahn  als  Sieger  über 
seine  gegnerischen  Stammesgenossen,  die  angesehensten  Ge- 
fangenen in  70  Kesseln  sieden  liess.  Als  Dschingis-Khan 
(d.  h.  Khan  aller  Khane)  brach  er  hierauf  mit  seinen  Horden, 
deren  einzelne  von  einem  meist  aus  der  Familie  Dschingis- 
Khan's  stammenden  Anführer  geleitet  wurden,  während  er  selbst 
die  Oberaufsicht  behielt,  aus  den  wüsten  Höhen  seines  Heimat- 
landes auf,  um  nach  einer  unter  den  Mongolen  gangbaren 
Tradition  die  Welt  zu  erobern,  zu  deren  Herrschaft,  nach 
einer  durch  den  Schamanen  Gökdschu  mitgetheilten  göttlichen 
Offenbarung,  Dschingis-Khan  bestimmt  sein  sollte.  Nach  dem 
Einfalle  in  China  werden  einem  Prinzen  des  Kaiserhauses 
Niutschen  die  Beine  abgehauen,  weil  er  nicht  niederknien 
wollte  und  der  Mund  bis  an  die  Ohren  aufgeschlitzt,  damit 
er  nicht  weiter  reden  könne.  In  Bochara,  einem  Hauptsitze 
mohammedanischer  Gelehrsamkeit,  w^erden  die  Büchersäle  als 
Ställe  benutzt,  die  Bücher  zerstört,  die  Stadt  verbrannt. 
Samarkand  wird  nach  der  Anschauung  der  Mongolen  milde 
behandelt,  indem  sie  nur  30000  Einwohner  umbringen  und 
ebenso  viele  zu  Sklaven  machen.  Bei  der  Eroberung  von 
Chowaresm  werden  100000  Einwohner  erschlagen.  Eine  Menge 
blühender  Städte,  die  von  dem  Mongolenzuge  berührt  worden, 
sind  gründlich  zerstört.  Diese  Greuel  sind  glaublich,  wenn 
wir  hören,  dass  Dschingis-Khan  einem  seiner  Söhne  zugerufen : 
„Ich  verbiete  dir,  jemals  ohne  meinen  ausdrücklichen  Befehl 
milde  sesen  die  Bewohner  eines  Landes  zu  verfahren.  Mit- 
leid  findet  sich  nur  in  schwächlichen  Gemüthern  und  Strenge 
allein  erhält  die  Menschen  bei  ihrer  Schuldigkeit."  Unter 
dieser  Strenge  ist  eben  gänzliche  Verwüstung  verstanden  und 
die  Reeel  heisst :  alle  Besiec-ten  zu  schlachten  oder  als  Sklaven 
zu  verkaufen.  Die  Söhne  Dschingis-Khan's  folgten  nach 
dessen  Tode  seinem  Beispiele.  Das  eingeschlossene  Heer  des 
Fürsten  von  Kiew,  dem  Leben  und  Freiheit  versprochen  ward 
im  Falle  der  Uebergabe,  wurde  nach  dieser  doch  niederge- 
metzelt und  die  Vornehmern  unter  den  Bretern,    auf  welchen 

'  IV,  1  fg. 


120      Zweiter  Abschnitt:    Ausljildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

die  Mongolen  beim  Siegesfest  sassen,  zu  Tode  geqnetsclit. 
Nach  der  Zerstörung  der  vorzüglichsten  Städte  Russlands, 
deren  im  Februar  1238  allein  vierzehn  vernichtet  wurden, 
stiirzte  sich  die  durch  die  unterjochten  Völker  verstärkte  Horde 
nach  Polen ,  das  den  vernichtenden  Zug  ebenso  wenig  auf- 
halten konnte.  Die  mongolischen  Reiterscharen  überfielen 
gewöhnlich  das  nächste  Volk  und  erdrückten  es,  das  sich 
unterwerfende  musste  seine  berittene  Mannschaft  der  Räuber- 
schar  einverleiben,  um  bei  der  Verwüstung  des  nächsten  Lan- 
des mitzuhelfen.  Die  Mongolen  dringen  bis  an  die  Weichsel, 
erreichen  Krakau,  dessen  Bewohner  aus  Furcht  geflohen 
waren,  und  verbrennen  es.  Im  Jahre  1241  zerstören  sie  Bres- 
lau, wenden  sich  nach  Liegnitz  und  behaupten  auf  der  Ebene 
von  Wahlstatt  das  Schlachtfeld  als  Sieger.  Nach  Mongolen- 
brauch wird  dem  Herzog  Heinrich,  der  den  Heldentod  ge- 
funden, der  Kopf  abgehauen,  auf  eine  Lanze  gesteckt,  um 
damit  die  Burg  von  Liegnitz  zur  gutwilligen  Uebergabe  ein- 
zuladen. Als  dies  nicht  gelingt,  wenden  sie  sich  nach  grossem 
Verluste,  den  der  Sieg  gekostet,  nach  Mähren,  um  es  bis 
Brunn  zu  verwüsten  ^,  von  Sternberg  schlägt  sie  aber  in  der 
Nähe  von  Olmiitz  (1241)  und  drängt  sie  nach  Ungarn.  König 
Bela  IV.  wird  «>:eschla<T;en,  und  sein  Land  sowie  auch  Sieben- 
bürgen,  Serbien,  Bosnien  verfallen  der  Zerstörung  und  Grau- 
samkeit der  Mongolen.  Die  Einwohner  werden  niedergehauen, 
die  Einwohnerinnen  von  den  Mongolinnen  erstochen,  ver- 
stümmelt oder  zu  Sklavinnen  gemacht,  die  gefangenen  Kinder 
müssen  sich  setzen,  um  von  mongolischen  Knaben  erschlagen 
zu  werden,  von  denen  derjenige  als  Meister  gilt,  der  mit 
Einem  Hiebe  einen  Kopf  zerschmettert.  Dass  manche  Ge- 
fangene lebendiiji:en  Leibes  ijeschunden  und  anderweise  ge- 
martert  werden,  versteht  sich  von  selbst.  Rogerius  erzählt, 
was  er  selbst  gesehen  oder  von  andern  Augenzeugen  gehört 
liat^,  und  wir  können  ihm  glauben,  wenn  er  sagt:  nach  einer 
Schlacht  sei  der  Boden  zwei  Tagereisen  im  Umfimge  mit 
Leichen  bedeckt  gewesen,  dass  sie  Raubvögel  und  wilde 
Thiere  bis  auf  die  Knochen  verzehrten  und  die  Reste,  die 
nicht    vom    Feuer    in     den    Ortschaften    und    Kirchen    ver- 


'  Wiener  Jahrbücher,  XLIII,  257. 
^  Monum.  Arp.,  p.  255,  Epistola. 


8.    Mancherlei  Erscheinuugen  und  Ereignisse.  121 

brannt  worden,    noch  lange  Zeit  umhergelegen   haben.  ^     Die 
durch    Verwesunir    verdorbene    Luft    brachte    den  Halbtodten 
auf   den   Feldern,    Strassen    und   AVäldern    den  Tod.     Kost- 
bare  Gefässe,    von    Flüchtlingen  weggeworfen,    um    auf   der 
Flucht  nicht  gehindert  zu  sein,  lagen  zerstreut  umher.    Unser 
Verfasser,    selbst    unter    die    Mongolen    gerathen,    wird    der 
Skhive  eines  Khans  und  hat  daher  Gelegenheit  zum  Beobach- 
ten.    Er  sao-t:    Dem  Leser  würde    das  Herz  erstarren,   wenn 
ihm    die    einzelnen    Grausamkeiten    beschrieben    würden  2;    er 
fürchtet  nicht,  zu  viel  zu  sagen,  wenn  er  behauptet,  dass  bei  der 
Verwüstung  von  Gran  nur  15  Menschen  von  der  ganzen  Be- 
völkerung der  Stadt  übriggebheben  seien,   „qui  non   fuissent 
tam  intus  quam  extra  omnes  nequiter  interfecti".  ^    Das  Elend 
darauf  und  die  Hungersnoth  war  so  entsetzHch,  dass  Menschen- 
fleisch  öffentlich   verkauft   wurde.     Der    Schrecken,    der    den 
Mongolen  von  Asien  her  voranzog  und  nachfolgte,  durchdrang 
ganz   Europa  bis    Sicilien.     Die   Angst  vor   einem  qualvollen 
Tode  war  nicht  grösser  als  die  Furcht  vor   der  mongolischen 
Sklaverei.     „Denn  wer  in  die  Hände  der  Tartaren  gerathen", 
sagt  Rogerius  *,  dem  wäre  besser  gewesen,  er  wäre  gar  nicht 
geboren  worden,   denn  es  war  ihm,  als  ob  er  nicht  von  Tar- 
taren,  sondern  vom  Tartarus   gefangen  gehalten   würde,    „se 
non  a  Tartaris  sed  a  Tartaro  detineri".    Dies  bezeugt  Rogerius 
aus  Erfiihrung,  der  in  der  Zeit,  die  er  unter  ihnen  zugebracht, 
zu  sterben  für  einen  Trost  gehalten,  da  das  Leben  eine  Todes- 
strafe war.     Auf  seiner  Flucht  von  den   Mongolen   muss    er 
zwei   Taae   lauo-   ohne  Nahrung   in   einer  Grube  unbeweglich 
wie  ein  Todter  sich  verhaltend  zubringen.     Mit  Hunger  und 
Durst  kämpfend,  schlägt   er  nach  dem  Abzüge  der  Mongolen 
seinen  Weg   nach   der  Heimat  ein,    und  nach  acht  Tagen  in 
Weissenburg  angelangt,   findet  er  nichts  als  die  Gebeine  und 
Köpfe   der  Erschlagenen.      Er   schleppt  sich  mühselig  weiter 
und  bemerkt   in   der  Nähe  einer  Ortschaft  (Ivata)   auf  einem 
Berge   einige   Menschen,    welche    daselbst    eine   Zuflucht    ge- 


1  Monum.,  S.  277,  Nr.  30. 

2  A.  a.  0.,  S.  290,  Nr.  37. 

3  Ibid.,  S.  291,  Nr.  39. 
'  Ibid.,  S.  25(3. 


122      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

flmden,  und  bei  denen  er  seinen  Hunger  mit  etwas  Brot  von 
Mehl  und  Eichenrinde  stillen  kann. 


Das  Iiiterregiinm.    1250  —  73. 

Deutschland  und  Italien  hatten  zwar  unter  den  Verwiistun- 
gen  der  Mongolen  nicht  unmittelbar  vuid  thatsächlich  gelitten,  sie 
waren  mit  dem  Schrecken  davon  gekommen;  dagegen  hatten 
diese  Länder  in  demselben  Jahrhundert  an  den  verderblichsten 
Zuständen  des  sogenannten  Interregnum  zu  dulden.  Nach 
den  Hohenstaufen  lag  die  königliche  Würde  so  sehr  danieder, 
dass  ein  König  (Wilhelm  von  Holland)  auf  den  Strassen  von 
Utrecht  mit  Steinen  geworfen  wurde.  ^  In  Italien  lag  es  im 
Interesse  der  päpstlichen  Macht,  nach  dem  Tode  Friedrich's 
die  kaiserliche  Macht  einschlafen  zu  lassen,  um  selbst  an 
Uebergewicht  zu  gewinnen.  In  Ober-  und  Mittelitalien  tobte 
der  Parteikampf  der  Weifen  und  Ghibellinen  fort,  bis  sie  sich 
um  den  letzten  Hohenstaufen  gruppirten.  Im  Jahre  12G<S  fiel 
aber  Konradin's  Kopf  auf  dem  Blutgerüste,  und  hiermit  war 
der  von  den  Päpsten  oft  geäusserte  Wunsch  erfüllt,  obschon 
die  Hoffnung,  die  kirchliche  Macht  von  der  weltlichen  ganz 
unabhäno-ior  zu  sehen,  damit  doch  nicht  verwirklicht  ward.  Das 
vom  Papste  herbeigezogene  Mittel,  um  das  kaiserliche  Haus 
der  Hohenstaufen  zu  vernichten,  drohte  nun  dem  Stuhle  Petri 
selbst  verderblich  zu  werden,  sodass  Clemens  IV.  über  Karl 
von  Anjou  klagen  konnte:  so  arg  habe  es  Kaiser  Friedrich  II. 
als  Feind  der  Kirche  nie  getrieben.  Erst  14  Jahre  nach 
Konradin's  Tode  kam  der  Tag,  mit  welchem  Gregor  X.  den 
Usurpator  Karl  von  Anjou  gedroht  hatte,  wo  über  diesen 
und  seine  Erben  das  Strafgericht  hereinbrach.  Es  war  der 
zweite  Ostertag  im  Jahre  1272,  an  dem  die  Sicilische  Vesper 
den  Franzosen  auf  der  Insel  Sicilien  zu  Grabe  läutete. 

In  Deutschland  gab  es  während  des  Interregnum  nur 
Namenkönige,  das  Reich  entbehrte  einer  festen  Hand  zur 
Führung  des  Regiments  und  schwankte  daher  am  Rande  des 
Abgrunds.     Nirgends  Ruhe,  allenthalben  Zwistigkeit,  jegliche 


1  Magn.  Chron.  Ijelg.  ad  annum  1254,  bei  Pfister,  Geschichte  der  Deut- 
schen, II,  597. 


8.    Mancherlei  Erscheinungen  und  Ereignisse.  123 

Existenz  bedroht.  In  allen  Provinzen  Dentsclilands  die  ver- 
zehrenden Flammen  der  Parteikämpfe,  und  niemand  da,  der 
dem  umsichgreifenden  Verderben  Einhalt  thäte.  Gewalt  ver- 
tritt die  Stelle  des  Rechts,  und  Räuberei  hat  sich  zur  Herr- 
schaft erhoben.  „Damals",  sagt  der  fürstenfelder  Chronist  *, 
„war  der  Friede  ins  Exil  gewandert,  Zwist  und  Unfriede 
triumphirten Die  Feldereien,  nachdem  das  Zugvieh  ge- 
raubt war,  lagen  unbebaut  und  dem  Verderben  preisgegeben, 
und  selten  sah  man  den  Landmann  hinter  einem  Pferde  oder 
Ochsen  einhergehen,  um  zu  pfliigen  und  den  Boden  fruchtbar 
zu  machen.  Nachdem  Haus-  und  Zugvieh  abhanden  ist, 
wuchern  Disteln  und  Nesseln  im  ländlichen  Aufenthalte." 

Solche  Zustände  waren  wol  geeignet,  den  Glauben  zu 
fördern,  die  wohlwollende  Gottheit  habe  ihre  Hand  von  der 
Menschenwelt  abgezogen  und  deren  Verwaltung  dem  bösen 
Wesen  überlassen.  Es  soll  hiermit  vorläufig  die  damalige 
Weltlage  als  mitwirkendes  Moment  erwähnt  sein,  als  geeignet, 
in  den  erregten  Gemüthern  die  Vorstellung  vom  Teufel  und 
die  Furcht  vor  seiner  Macht  zu  fördern. 


Als  bedeutendes  Moment  zur  Hegung,  Ausbreitung  und 
Fcstiffumr  der  Vorstelluno;  vom  Teufel  müssen  auch  die  im 
Mittelalter  herrschenden  Sekten  erwähnt  werden.  Sie  wirkten 
in  dieser  Beziehung  sowol  durch  ihre  dualistische  Anschauung, 
die  sie  insgesammt  vertraten;  vornehmlich  wui-de  aber  der 
Teufelsglaube  durch  die  von  der  Kirche  ausgehende  und 
urgirte  Ansicht  gefördert,  wonach  die  Ketzer  als  Diener  des 
Teufels  betrachtet  werden  müssen.  Mit  der  Ausbreitung  der 
Sekten  gewann  der  Dualismus  an  Boden,  für  die  kirchliche 
Anschauung  war  die  Existenz  der  Ketzer  ein  lebender  Be- 
weis von  der  Herrschaft  des  Teufels. 


'  Bochmer  foutcs,  I,  2. 


124      Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 


9.   Sekten  im  Mittelalter. 

Nachdem  das  Christentlium  von  der  gebildeten  Welt  auf- 
genommen worden,  die  Kirclienlehre  bis  auf  Einzelheiten  fest- 
gestellt  war,  trat  auch  das  apologetische  Bestreben  in  den 
Hintergrund,  und  wenn  sich  kirchliche  Streitigkeiten  erhoben, 
so  sind  diese  im  Grunde  als  Ergänzungen  zu  frühern  zu  be- 
trachten. Die  Ketzereien  aber  innerhalb  dieses  Zeitraums 
sind  weniger  gegen  die  Dogmen  der  Kirche  als  vielmehr 
gegen  diese  selbst  als  äussere  Anstalt  gerichtet,  in  der  das 
Streben,  die  Idee  der  Kirche  in  einem  imponirenden  Systeme 
zu  verwirklichen,  sehr  augenfällig  hervortrat.  Das  ganze 
Mittelalter  hindurch  geht  mit  der  Kirche  parallel  eine  Reihe 
von  Sekten,  welche  mit  dieser  in  Opposition  sind,  und  sich 
durch  eine  dualistische  Weltanschauung  kennzeichnen,  gleich 
dem  Manichäismus  mit  der  katholischen  Kirche  im  Wider- 
spruch stehen,  mit  diesem  daher  gern  in  Zusammenhang  ge- 
bracht werden.  So  die  Marcioniten,  die  schon  im  4.  Jahr- 
hundert in  der  Gegend  von  Edessa  sehr  häufig  waren,  die 
zwei  Principien,  ein  böses  und  ein  gutes  annahmen,  jenes  als 
Urheber  dieser  AVeit,  letzteres  als  Schöpfer  der  jenseitigen, 
geistigen  Welt.  Sie  verwarfen  alle  Hierarchie,  wiesen  die 
priesterliche  Vermittelung  zurück  und  hielten  sich  an  den 
Grundsatz:  Jeder  habe  das  Recht,  in  der  Schrift  selbst  zu 
lesen,  nach  dem  Willen  Gottes  sollen  alle  selig  werden  und 
zur  Erkenntniss  der  Wahrheit  kommen.  Seit  der  zweiten 
Hälfte  des  7.  Jahrhunderts  treten  die  Paulicianer  auf,  von 
Photius  und  Petrus  Siculus  schon  als  Manichäer  bezeichnet, 
die  mit  den  Marcioniten  die  dualistische  Anschauung  theilen, 
den  sinnlichen  Leib  von  Demiurg  geschaffen  sein  und  nur 
die  Seele  von  Gott  abstammen  lassen.  Sie  legen,  gleich  den 
Manichäern,  obschon  sie  Ehe  und  Fleischgenuss  für  erlaubt 
erklären,  den  kirchlichen  Sakramenten  nur  eine  geistige  Be- 
deutuns:  bei,  verwerfen  alle  Aeusserlichkcit  des  katholischen 
Cultus  und  sind  entschiedene  Feinde  der  Hierarchie. 

Um  das  Jahr  Uli  erschienen  zu  Konstantinopcl  die 
Bogomilen,  die  bis  ins  13-  Jahrhundert  hineinragen  und 
Spuren  ihrer  Ketzerei  zurücklassen.  Ihr  Haupt,  Basilius, 
wurde   durch  den  Kaiser  Alexius  Komnenus  zum  Feuertode 


9.    Sekten  im  Mittelalter.  125 

vcrurthcilt.  Obschon  sie  zum  Unterschiede  von  den  Pauli- 
cianern  die  Ehe  und  den  Fleischgenuss  verwarfen,  waren  sie 
doch  gleich  jenen  Dualisten,  hielten  aber  den  bösen  Dämon, 
den  Satan  oder  Satanael,  ursprünglich  fiir  einen  Sohn  Gottes, 
der  sich  aus  Uebermuth  gegen  den  Vater  empört,  und  obwol 
vom  Himmel  gestiirzt,  dennoch  seine  Schöpferkraft  behalten, 
einen  zweiten  Himmel  mit  seinen  Engeln  geschaffen  habe  und 
zwar  mit  derselben  Ordnung  wie  Gott  den  seinigen.  Der 
Dualismus  der  Bogomilen  zeigt  sich  vornehmlich  bei  ihrer 
Vorstellung  von  der  Schöpfvuig  des  Menschen.  Satan  bildete 
zwar  den  Leib  Adam's  aus  Erde  und  Wasser,  aber  der  gute 
Gott  sandte  auf  Satans  Verlangen  den  belebenden  Hauch, 
doch  unter  der  Bedingung,  dass  der  Mensch  fortan  ihnen 
beiden  angehören  sollte,  die  Materie  dem  Satanael,  das  Geistige 
dem  guten  Gott.  Da  hierauf  Satanael  sein  Versprechen  be- 
reute, fuhr  er  in  die  Schlange,  beschlief  die  Eva,  welche  den 
Kain  und  dessen  Zwillingsschwester  Kalomena  gebar.  Auch 
Adam  erzeugte  mit  Eva  den  Abel  und  dessen  Mörder  Kain. 
Satanaels  Engel  empfanden  Neid,  dass  die  Wohnungen, 
aus  denen  sie  gestürzt  worden  waren,  von  den  Menschen  ein- 
genommen werden  sollten,  sie  beschliefen  daher  deren  Töchter, 
woraus  Riesen  entstanden,  die  sich  gegen  Satanael  empörten, 
der  sich  aber  durch  die  Sündflut  an  den  Menschen  rächte. 
Die  erste  Weltperiode  stellen  die  Bogumilen  unter  die  Herr- 
schaft der  Dämonen.  Es  herrschte  seit  der  Sündflut  Satanael 
als  xoc;[j.oxpaTop  unter  den  Menschen,  deren  grössten  Theil  er 
verführte,  bis  Gott  aus  Mitleid  „das  Wort",  d.  h.  den  zweiten 
Sohn,  aus  seinem  Herzen  hervorgehen  liess,  der  vom  Himmel 
herabstieg,  in  das  rechte  Ohr  der  Jungfrau  hinein  und  durch 
das  Ohr  wieder  herausging.  Da  die  Bogomilen  Doketen  waren, 
erklärten  sie  den  Kreuzestod  für  nur  scheinbar,  dass  am  dritten 
Tage  nach  demselben  Christus  die  Gestalt  des  irdischen  Fleisches 
abgeleo-t  und  in  seiner  himmlischen  Gestalt  dem  Satan  erschie- 
nen  sei,  den  er  auch  seinen  göttlichen  Namen  (El)  abzulegen  ge- 
nöthigt  habe,  sodass  von  Satanael  blos  Satan  geblieben  sei.  In- 
dem die  Bogomilen  die  wesentliche  Bedeutung  Christi  nur  in  das 
hörbare  Wort  legten,  waren  sie  Verächter  der  katholischen 
Kirche,  die  sie  als  Wohnung  der  Dämonen  betrachteten.  Nur 
das  Gebet  und  die  Geistestaufe  waren  ihnen  wesentliche 
religiöse  Acte.     Sowol  die  Paulicianer  als  auch  die  Bogomilen 


126       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

trieben  aber  die  Accommodation  sehr  weit,  macliten  den  katho- 
lischen Cultus  mit  und  verkehrten  mit  den  Katholiken,  wobei  ihre 
dualistische  Anschauung  natürlich  auch  ihre  Fortpflanzung  fand. 

Im  Abendlande  wurden  schon  in  friihern  Jahrhunderten 
verschiedene  dualistische  Sekten,  als  Messalianer,  Satanianer 
und  unter  andern  Namen  angefiihrt,  deren  Zahl  besonders 
seit  dem  11.  Jahrhundert  in  mehrern  Ländern  zunahm  und 
die  gewöhnlich  in  den  gemeinsamen  Namen  der  Katharer  zu- 
sammengefasst  werden.  Unbeachtet  der  Dunkelheit  über  die 
Einzelheiten  ihrer  Anschauung,  wodurch  sie  sich  unterscheiden, 
sind  wir  i\ber  ihre  Wesenseinheit  im  Klaren,  nämlich  dass  sie 
alle  den  Dualismus  hochhielten.  Ebenso  sicher  ist,  dass  der 
Ilauptzug  dieser  Ketzereien  von  Osten  her  durch  die  slawi- 
schen Länder  Bulgarien  und  Dalmatien  über  Obcritalicn  nach 
dem  übrigen  Europa  gegangen  ist.  Schafarik '  betrachtet 
die  Slawen  als  Träger  und  Verbreiter  des  Katharismus,  der 
in  Thrazien  unter  der  Form  des  erwähnten  Bogomilismus  auf- 
getreten. In  Macedonien  soll  im  12.  Jahrhundert  ein  katha- 
risches  Bisthum  existirt  haben.  Die  Vermuthung  Baur's  ^, 
dass  der  altpersische  Dualismus  auf  die  Messalianer  oder 
Eucheten,  die  zuerst  in  Mesopotamien,  dann  in  Syrien,  Pam- 
phylien,  Lykaonien  und  andern  Ländern  des  griechischen 
Eeichs  erschienen,  eingewirkt  habe,  lässt  sich  wol  auf  alle 
dualistischen  Katharer  ausdehnen.  Man  wird  die  Annahme 
rechtfertioren :  dass  durch  diese  neue  Strömuno;  der  dualistischen 
Häresie  aus  dem  Orient  vermittels  der  slawischen  Stämme 
der  ins  Volksbewusstsein  der  europäischen  Christen  einge- 
drungenen dualistischen  Anschauung  frische  Nahrung  zuge- 
fi'ihrt  wHirde. 

Von  Italien,  wo  schon  ums  Jahr  1035  Girardus  nebst  andern 
Ketzern  verbrannt  worden  war,  verbreiteten  sich  die  Katharer 
zunächst  über  das  südliche  Frankreich,  wo  sie  friihe  mehrere 
Bisthiimer  organisirt  hatten,  worunter  Toulouse  und  Albi, 
von  welchem  letztern  sie  auch  Albigenser  hiessen,  die  bedeu- 
tendsten waren.  Ihr  ernster  Sinn,  ihre  Sittenstrenge  ver- 
schaffte ihnen  grossen  Anhang  bei  dem  herrschenden  Wider- 
willen gegen  die  sittenlose  Lebensweise  der  Geistlichen  inmitten 


'  Denkmäler  der  glagolitischen  Literatur. 

'^  Die  christliche  Kirche  im  Mittelalter,  S.  182. 


i).    Sekten  im  Mittelalter.  127 

der  trostlosen  politischen  und  kirchlichen  Zustände  der  Zeit, 
sodass  am  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  in  Languedoc,  in 
der  Provence,  in  Guienne,  Gascogne  die  ketzerische  Lehre 
herrschend  war.  Die  vornehmsten  Familien  zählten  zu  den 
Katharern  und  Hessen  ihre  Kinder  von  ihnen  erziehen.  Aus 
Südfrankreich  verbreitete  sich  das  Katharerthum  in  das  nörd- 
liche Spanien,  nach  Deutschland,  wo  schon  im  Jahre  1052 
Katharer  hingerichtet  wurden;  in  der  ersten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts  finden  sich  katharische  Gemeinden  in  Oester- 
reich,  Baiern,  Niederlanden  und  dem  Ivhein  entlang.  In  Eng- 
land waren  sie  weniger  bemerkt  und  scheinen  nur  sporadisch 
gewesen  zu  sein.  Dabei  waren  die  katharischen  Gemeinden, 
besonders  die  in  Frankreich  und  Italien,  in  organischem  Zu- 
sammenhange mit  den  urspriinglichen  in  Bulgarien  und  Dal- 
matieu,  was  aus  den  Berichten  des  Katharerbischofs  Nicetas 
aus  Konstantinopel,  auf  der  von  den  Katharern  im  Jahre  1167 
zu  Saint-Felix  de  Caraman  abgehaltenen  Synode,  klar  her- 
vorgeht. 

Nach  der  dualistischen  Anschauung:  der  Katharer  ist  der 
böse  Gott  der  eigentliche  Schöi^fer  dieser  sinnlichen  Welt, 
dem  guten  Gott  eignen  sie  das  Unsichtbare,  Ewige,  die  Licht- 
welt, das  himmlische  Jerusalem.  Eifersüchtig  auf  das  Reich 
des  guten  Gottes,  habe  der  böse  die  himmlischen  Seelen  ver- 
fiihrt,  welche  ihm  auf  die  Erde  folgten  und  in  Leiber  eingeschlos- 
sen wurden,  was  der  gute  Gott  geschehen  liess,  damit  die 
gefallenen  Seelen  durch  diese  Busse  auf  der  Erde  wieder  in 
den  Himmel  gelangen  könnten.  Zu  ihrer  Erlösung  sei  der 
Sohn  des  guten  Gottes  erschienen,  aber  mit  einem  Schein- 
körper. Auch  auf  Jesu  Wunder  wie  auf  Maria  übertrugen  die 
Katharer  den  Doketismus. 

Eine  Partei  der  Katharer,  die  Concorcenser,  nahm  zwar 
dem  schrofien  Dualismus  seine  Schärfe,  indem  sie  Gott  allein 
als  den  Schöpfer  anerkannte,  wich  aber  von  der  katholischen 
Kirche  doch  darin  ab,  dass  sie  die  von  Gott  geschafienc 
materielle  AVeit  von  Lucifer  geordnet  und  gestaltet  wer- 
den liess. 

Die  Kirche,  die  schon  in  den  altern  Zeiten  den  Mani- 
chäismus  für  ihren  schlimmsten  Feind  betrachtet  hatte,  sah 
sich  durch  den  Katharismus,  in  dem  sie  den  wiedererstandenen 
Manichäismus  erblickte,   hart  bedroht,    um  so  mehr,    als  sich 


128      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

ihr  das  katliarisclie  Lehrsystem  mit  der  grösstcn  Schroffheit 
entgegenstellte,  indem  es  unter  anderm  auch  den  Grundsatz 
enthielt:  dass  Busse  thun  und  durch  diese  selig  zu  werden, 
nur  in  der  Gemeinde  der  Katharer  möglich  sei,  in  die  man 
durch  das  Consolamentum ,  d.  h.  die  Geistestaufe  Eingang 
finde.  Die  weite  Verbreitung  des  Katharerthums ,  welches 
immer  mehr  zunahm  und  zwar  bis  in  die  nächste  Nähe  des 
Papstes  gelangte,  musste  die  Reaction  der  Kirche  hervorrufen. 
Mehrere  Synoden  des  12.  Jahrhunderts  suchten  ihre  Be- 
schlüsse gegen  die  Katharer  durch  blutige  Mittel  auszufiihren, 
konnten  aber  deren  weiterm  Umsichgreifen  keinen  Einhalt 
thun,  sodass  Innocenz  III.  bekennen  musste:  diese  teuflische 
Bosheit  gegen  die  rechtgläubige  Kirche  sei  es,  welche  unter 
allen  Gefahren,  die  der  katholischen  Kirche  drohten,  sein 
Gemüth  am  meisten  betriibe.  Er  wusste  daher  in  dem 
Abt  Arnold  von  Citaux  den  Eifer  dahin  anzuregen,  dass 
dieser  sich  an  die  S^^itze  eines  Kreuzheeres  stellte,  nicht 
mn  das  heilige  Land  zu  erobern,  sondern  um  die  Ketzer  zu 
vernichten.  Das  Kreuzheer  fiel  im  Jahre  1220  zuerst  in  das 
Gebiet  des  Vicomte  von  Albi  ein,  wandte  sich  dann  gegen 
den  Grafen  von  Toulouse  und  eröffnete  hiermit  die  bekannten 
Greuel  des  Albigenserkriegs,  der  20  Jahre  hindurch  seuchen- 
artig wirkte,  dessen  Fortsetzung  dann  den  Händen  der  In- 
quisition anvertraut  ward. 

Bekanntlich  erstreckten  sich  die  blutigen  Massregeln  gegen 
die  Katharer  auch  über  die  Waldenser,  die  zwar  nicht  auf 
der  dualistischen  Grundlage  der  Anschauung  fussten,  aber 
durch  ihre  Grundsätze  von  der  evangelischen  Armuth  und  der 
apostolischen  Predigt  mit  der  päpstlichen  Kirche  in  Oppo- 
sition la^-en.  Der  Katharismus  ist  seinem  Wesen  nach  als 
„populärer  halb  christlicher,  halb  heidnischer  Versuch,  das 
Problem  vom  Ursprung  des  Bösen  zu  lösen",  bezeichnet  wor- 
den. ^  Diese  Bezeichnung  ist  treffend  nach  der  theoretischen 
Seite,  berührt  aber  nicht  die  praktische  Tendenz  des  Katha- 
rismus, welche  von  der  Kirche  sehr  wohl  ins  Auge  gefasst 
wurde,  daher  deren  Erbitterung  gegen  den  Katharisnuis  nicht 
blos  in  dessen  dogmatischem  Gegensatze  zu  ihr,  sondern  vor- 
nehmlich darin   ihren  Grund   hatte,    dass    sie  ihre  Herrschaft 


'  0.  Schmitt  in  Ilerzog's  p]ncykIopädio,  Ari.  Kiitharer. 


9.  Sekten  im  Mittelalter.  129 

über  die  Gemüther  durch  sein  Ueberhandnehnien  geschmälert 
sah,  wie  ihr  auch  äusserlicb  ein  grosses  Gebiet  entzogen  ward. 
Nach  der  uns  bereits  bekannten  Herabdrückungsmethode, 
die  von  der  Kirche  in  frühern  Zeiten  den  Heiden  wie  auch 
den  Häretikern  gegenüber  befolgt  ward,  erklärte  sie  diese 
für  Teufelsdieuer  und,  wie  schon  Augustinus  dem  himmlischen 
Staate  einen  teuflischen  entgegengestellt  hatte,  so  stempelte 
die  Kirche  des  Mittelalters  jede  von  ihr  abweichende  oder 
ihr  gegensätzlich  erscheinende  Anschauung  zum  Teufelscultus- 
Das  Volk  musste  hiernach  in  der  Ausbreitung  des  Katharis- 
mus  ein  Ueberhandnehnien  der  Macht  des  Teufels  erblicken 
und  in  seinem  Glauben  daran  bestärkt  werden.  Dies  musste 
um  so  mehr  der  Fall  sein,  wenn  es  die  Kirche  Massregeln  er- 
greifen sah,  womit  sie  dem  Teufelscult  entgegenzuwirken  suchte. 
Solches  geschah  durch  das  eingeführte  heilige  Officium,  das 
Gericht  der  Kirche  zur  Entdeckung  und  Bestrafung  des  teuf- 
lischen Aberglaubens,  der  ketzerischen  Bosheit. 


Die  IiKiuisitiou. 

Während  der  unaufhörlichen  Kämpfe  der  Hierarchie  um 
die  Oberhand  über  die  weltliche  Macht,  durch  anderwärts 
erwähnte  Mittel  zur  Machterweiterung,  wodurch  die  Gewissen 
der  Menschen  ganz  und  gar  ecclesiae  adstricti  werden  sollten, 
hatten  die  Heilsmittel  der  Kirche  ihre  sittliche  Kraft  einge- 
büsst,  und  jene  glaubte  sich  genöthigt,  ihre  Zuflucht  zu  äussern 
Zwangsmitteln  nehmen  zu  sollen.  Die  alte  Kirchenzucht, 
welche  ursprünglich  von  den  Landesbischöfen  gehandhabt 
worden,  hatte  als  grösste  Strafe  die  Excommunication  ver- 
hängt, wodurch  der  Betroffene  zwar  als  dem  Teufel  verfallen 
betrachtet  wurde,  zugleich  die  bürgerliche  Strafe  der  Ver- 
bannung, aber  nicht  die  Todesstrafe  erlitt.  Als  Theodosius 
(382)  die  Todesstrafe  gegeji  die  Manichäer  gesetzlich  be- 
stimmte ,  fand  er  noch  Widerspruch  bei  den  angesehensten 
Kirchenvätern,  als  Chrysostomus '  und  Augustinus^;   wogegen 


1  Homil.  29  u.  46  in  Matth. 

2  Epist.  93   ad  Vincentium;    contrd   Gaudentium   üb.  1,   Ep.  185    ad 
Bonifaciuin. 

Koskoff,  Gcsclüchtc  Jea  Teufels.    II  Q 


130    Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Hieronymus  die  Todesstrafe  auf  Ketzerei  schon  rechtfertigt, 
gestiitzt  auf  5  Mos.  13,  6  fg.,  und  Leo  der  Grosse  die  Hin- 
richtung in  diesem  Falle  ganz  billigt.  ^  Die  weltliche  Obrig- 
keit, die  im  Dienste  der  Kirche  stand,  welche  vom  Blut- 
vergiessen  sich  frei  erhalten  wollte,  musste  die  Urtheile  voll- 
ziehen. Den  Bischöfen  blieb  das  Recht  und  die  Pflicht,  die 
Kirche  von  Ketzerei  rein  zu  erhalten,  und  die  weltliche  Macht 
unterstützte  sie  kräftig  dabei.  Zur  Erforschung  unkirchlicher 
Meinungen  dienten  die  Sendgerichte,  welche  seit  dem 
11.  Jahrhundert  in  ein  ordentliches  System  gebracht  wurden. 
Das  Ueberhandnehmen  des  Katharismus  der  Albigenser  und 
Waldenser  machte  den  römischen  Stuhl  erzittern,  daher  er 
Legaten  ohne  Berücksichtii]fims  der  bischöflichen  Rechte  mit 
dem  kirchlichen  Strafamt  ausri'istete,  das  sie  gegen  der  Ketzerei 
Verdächtiofe  auch  oft  mit  Grausamkeit  vollzoo-en.  Die  römische 
Curie  sah  sich  aber  weder  durch  diese  noch  durch  die  stren- 
gen Verordnungen  der  Concilien  zu  Toulouse  1119  und  des 
dritten  lateranischen  Concils  1170,  noch  durch  die  Blutarbeit 
der  Kreuzheere  befriedigt.  Papst  Innocenz  III.  wollte  die  Aus- 
spiirung  der  Ketzer  ordentlich  organisirt  wissen  und  liess  im 
vierten  lateranischen  Concil  das  Verfahren  o-eofen  die  Ketzer 
als  Hauptgeschäft  der  bischöflichen  Senden  aufstellen,  wonach 
jeder  Bischof  verpflichtet  ward,  seinen  Sprengel,  von  welchem 
ruchbar  geworden,  dass  sich  Ketzer  darin  aufhielten,  entweder 
selbst  zu  visitiren  oder  von  in  gutem  Rufe  stehenden  Per- 
sonen visitiren  zu  lassen,  wobei  nöthigenfalls  sämmtliche  Ein- 
wohner beschwören  sollten,  die  ihnen  bekannten  Ketzer  anzu- 
zeigen. Wer  den  Eid  verweigerte,  lade  den  Verdacht  der 
häretischen  Bosheit  auf  sich  selbst,  und  der  im  Straftimte 
lässige  Bischof  solle  abgesetzt  werden.  ^  Das  Concil  von 
Toulouse  im  Jahre  1229  erweiterte  den  von  Innocenz  III.  se- 
macliten  Entwurf  einer  systematischen  Ausspiirung  der  Ketzerei, 
und  so  ward  die  Einrichtung  der  Inquisition  vollendet.  In 
den  45  Sätzen,  die  das  Concil  erliess  ^,  sind  dies  die  wesent- 
lichen Bestimmungen :  Die  Erzbischöfe  und  Bischöfe  sollen  in 
ihren  Parochien  einen  Priester  und  einige  unbescholtene  Laien 


'  Epist.  IT)  ad  Turribium. 

^  Mansi,  Conc.  uova  et  ampliss.  collect.,  toni.  XXII,  98G  sq.,  c.  3. 

3  Mansi,  XXIII,  1Ü2. 


9.  Sekten  im  Mittelalter.  131 

zur  Aufspürung  der  Ketzer  eidlich  verpflichten,  sie  sollen  die 
Wohnungen  und  geheimen  Schlupfwinkel  durchforschen,  nicht 
nur  entdeckte  Ketzer,  sondern  auch  deren  Bcschiitzer,  Freunde 
und    Vertheidiger    einfangen    und    zur    Bestrafung    ausliefern. 
Wer  wissentlich  einen  Ketzer  verleugnet,    soll  wie  dieser   am 
Leibe  und  mit  Verlust  des  Vermögens  bestraft  werden.     Das 
Haus,  in  dem  ein  Ketzer  entdeckt  wird,  soll  zerstört  werden, 
der  Ortsrichter,    der    bei    der  Ketzerverfolgung    lässig    wäre, 
gehe  seines  Amtes  und  seiner  Giiter  verlustig   und   diirfe    nie 
wieder  angestellt   werden.     Jeder  Inquisitor    habe  das  Recht, 
auch  im  Gebiete  des  andern  seine  Nachforschungen  anzustellen. 
Ketzer,  die  sich  freiwillig  zum  Glauben  bekehren,  sollen  von 
ihren  bisherigen  Wohnsitzen  nach  einem  unverdächtigem  Orte 
versetzt  werden,    müssen  aber  auf  jeder  Seite  zwei  durch  die 
Farbe  bemerkliche  Kreuze  tragen  und  können,  infolge  bischöf- 
lichen Zeuirnisses  über  ihre  Aussöhnung  mit  der  Kirche   und 
wenn  sie  vom  Papste  oder  dessen  Legaten  in  integrum  resti- 
tuirt   sind,    zu    einem    öffentlichen   Amte    oder    rechtsgültigen 
Handlungen  zuo;elassen  werden.    Ist  die  Rückkehr  zur  Kirche 
nicht  freiwillig,   sondern  aus  irgendeinem  Grunde,    z.  B.   aus 
Furcht  vor  dem  Tode,   erfolgt,    dann   werde   der   Inquisit    in 
ein  Kloster  gesperrt  und  von  seinen  eigenen  Mitteln  erhalten, 
und  wenn  er  ganz   arm  wäre,   sein  Unterhalt  von   dem   Vor- 
steher   besorgt.      Jede    Parochie    soll     ein    Verzeichniss    aller 
Personen  innerhalb  derselben   führen,    w^ovon   die   männlichen 
von  ihrem  vierzehnten,  die  weiblichen  vom  zwölften  Jahre  an 
aller  Ketzerei  abschwören  müssen,   dagegen  in  jedem  zweiten 
Jahre   eidlich   zu  verpflichten  seien,   den   römischen   Kirchen- 
glauben zu  halten,  alle  Ketzer  nach  Kräften  zu  verfolgen  und 
das    ihnen    bekannte    Vermögen    getreulich    anzugeben.      Ab- 
wesende  Personen,    die   vierzehn  Tage    nach   ihrer  Rückkehr 
den  Eid  zu   leisten   versäumten,   sollen  wia  Ketzer  behandelt 
werden.  —  Um  Ketzereien  auf  die  Spur  zu  kommen,  wird  für 
die  Laien   verordnet,    dreimal    des  Jahrs  Ohrenbeichte   abzu- 
legen,  w^er  sie  unterliesse,   sei   der  Ketzerei   verdächtig.     Da- 
gegen wird    den   Laien   der  Besitz    der    biblischen   Schriften, 
besonders    deren  Uebersetzungen    in    die    Landessprache   ver- 
boten,  nur  das  Psalterium  oder   ein  Breviarium  ist  gestattet; 
Kranken,    die   der  Ketzerei  verdächtig  sind,    wird    untersagt 
einen  Arzt  zu  haben.  .  .    Testamentarische  Verfügungen  habcMi 

9* 


132       Zweiter  A])schnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

nur  Gültigkeit,  wenn  sie  in  Gegenwart  eines  Geistlichen  oder 
unbescholtener  Männer  getrofien  worden. 

So  furchtbar   diese  Satzungen    sind,  nach    denen   die   In- 
(juisition   in  Frankreich    zu  Werke   ging   und   zu    deren   Aus- 
führung  die    Bischöfe    von    den    Legaten    angeeifert    wurden, 
glaubte  der  päpstliche  Stuhl  seinen  Zweck   doch    eher   zu  er- 
reichen,  wenn   er   das   Inquisitionsgeschäft    den   Bischöfen   ab 
und  in  die  eigenen  Hände    nehme,    die  Inquisition   zu  einem 
selbständigen    päpstlichen   Institute    mache    vmd   die   Bischöfe 
selbst  diesem  Tribunale  unterwerfe.     In  diesem  Sinne  wurden 
1232  lind  1333  die  Dominicaner  von  Gregor  IX.  zu  ständigen 
päpstlichen  Inquisitoren  bestellt.    Die  weltlichen  Fürsten  muss- 
ten  die  Ausführung  der  kirchlichen  Massregeln  besorgen.    So 
erliess   Ludwig   der  IX.    sein   Mandat    „ad    cives  Narbonae" 
(1228),   wonach  die  weltlichen  Behörden   seines   Landes   ver- 
pflichtet werden,  die  von  der  Kirche  gefällten  Urtheile  gegen 
Ketzer  genau    zu  vollstrecken.     Niemand,    bei  Verlust   seiner 
bür<Terlichen    Rechte,    dürfe    einen    Verurtheilten    aufnehmen 
oder   vertheidigen,    dagegen    solle    jeder    Denunciant    belohnt 
werden.     In  ähnlichem  Sinne  musste  Graf  Raymund  VI.  von 
Beziers    Verordnungen    geben.       Wie    unwiderstehlich    dieser 
Zu"-  jener  Zeit  war,  erhellt  daraus,   dass  auch  Kaiser  Fried- 
rich  IL,   der  jene   durch    seine    Denkweise    um    Kopfeslänge 
überragte,    doch   nicht   verhindern   konnte,    dass   die   Bestim- 
mun'Ten  des  vierten  lateranischen  Concils  in  seine  hierher  be- 
züfj-lichen  Erlasse  beinahe  wörtlich  aufgenommen  wurden.  Hier- 
her gehört:  ein  allgemeines  Gesetz  Friedrich's  IL  vom  22.  Nov. 
1220  ^;    ein    Gesetz    vom    März    1224    in    Beziehung    auf   die 
Ketzereien  in  der  Lombardei'-^;   ferner  die  Bestinunungen  des 
Reichstags  von  Ravenna  1232  ^;  endlich  die  Verordnung  vom 
2ß.  Juni  1238.^ 

Das  gerichtliche  Verfahren  gegen  Ketzer  wich  von  der 
bürgerlichen  Procedur  ganz  ab,  und  alle  bisher  gebrauchten 
Formen  wurden  zersprengt  durch  den  aufgestellten  Grund- 
satz: die  Häresie  sei  ein  „crimen  exceptum".    Die  Bclastungs- 


1  Pertz,  Mon.  Legg.,  II,  244. 

2  Ibid.,  II,  252  fg. 

3  Ibid.,  II,  287—81». 
*  Il)id,,  U,  ;32(i-2!). 


9.  Sekten  im  Mittelalter.  133 

zeugen  blieben  dem  Angeklagten  verschwiegen  kraft  der  Con- 
cilienbeschlüsse  von  Beziers  und  Narbonne  1235.  Diese  Mass- 
regel wurde  von  Innocenz  IV.  1254  durch  die  Bulle  „Cum 
negotium"  bekräftigt,  und  zwar  mit  der  Grundanführung:  um 
Aergerniss  oder  Gefahr  zu  vermeiden.  Bei  dem  Inquitjitions- 
verfahren  wurden  auch  Verbrecher,  selbst  wenn  sie  mitschul- 
dig waren,  als  Kläger  oder  beweiskräftige  Zeugen  zugelassen. 
Schon  der  Verdacht  einer  ketzerischen  Meinuns:  berechtigte 
die  Verhaftung.  Das  Gestand niss  wurde  erpresst.  Innocenz  IV. 
verordnete  in  der  Bulle  „Ad  exstirpanda"  vom  Jahre  1252, 
dass  die  weltlichen  Obrigkeiten  nicht  nur  das  Geständniss, 
sondern  auch  die  Anklage  durch  die  Tortur  erzwino-en  sollen. 
Diese,  bisher  von  der  weltlichen  Obrigkeit  gehandhabt,  über- 
nahm kurz  darauf  wegen  Geheimhaltung  der  Aussagen  die 
Inquisition  selbst,  zu  deren  Gerichten,  wie  schon  erwähnt, 
Geistliche,  meistens  Dominicaner,  delegirt  waren,  indem  das 
beanspruchte  und  ausgeübte  Recht  des  Priesters:  in  Glaubens- 
sachen Richter  zu  sein,  auf  eigene  Inquisitionsgerichte  über- 
tragen ward. 

Die  Inquisition,  die  ihre  Thätigkeit  zuerst  in  Frankreich 
mit  grossen  Grausamkeiten  eröfinete  und  wiederholt  Volksem- 
pörungen veranlasste ,  wobei  Inquisitoren  ihr  Leben  einbüssten, 
sollte  zwar  durch  Philipp  des  Schönen  Befehl  (vom  Jahre  1291) 
der  Vorsicht  halber  in  ihrer  Willkür  beschränkt  werden,  und 
in  dieser  Beziehung  wollte  auch  Clemens  V.  (1311)  zu  dem 
Vorschreiten  gegen  den  Angeklagten  den  Diöcesanbischof  her- 
beigezogen wissen;  ^  allein  die  Grausamkeiten  dauerten  fort, 
wie  aus  Limborch  ^  bekannt  ist,  und  noch  im  15.  Jahrhun- 
dert wurden  viele  Personen  als  Waldenser  verbrannt. 

In  Deutschland  hatte  sich  die  Inquisition  sofort  nach  ihrer 
Organisirung  durch  das  Concil  von  Toulouse  verbreitet,  und 
der  Dominicaner  Droso  oder  Torso,  besonders  aber  Konrad 
von  Marburg  wiitheten  von  1231  —  33  mit  furchtbarer  Grau- 
samkeit, wovon  die  Stedinger,  die  er  zu  Ketzern  stempelte, 
ein  trauriges  Beispiel  liefern.     Dass  Konrad  es  arg  getrieben 


1  Biener,  Beitr.  zur  Geschichte  des  Inquisitionsprocesses,   S.  72  fg. 
^  Hist.  Inquis.  cui   subjungitur  über  sententiarum  Inquis.  Tholosanae 
ab  a.  Chr.  1307  —  1323. 


134      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

habe,  gclit  daraus  hervor,  dass  die  Erzbischöfe  von  Mainz, 
Trier,  Köln  sich  veranlasst  sahen,  Mahnungen  zur  Mässigung 
an  ihn  ergehen  zu  lassen,  wofür  er  aber  den  Spiess  gegen 
diese  Kirchenfürsten  kehrte  und  das  Kreuz  gegen  sie  pre- 
digte, bis  er  selbst  bei  Marburg  der  aufs  höchste  gereizten 
Volkswuth  erlag.  Auch  die  Verordnungen  Friedrich's  IL,  die 
er  seit  1232  zur  Vollziehung  der  Bluturtheile  der  Inquisition 
ergehen  lassen  mussteS  um  den  Verdacht  der  Ketzerei  von 
sich  zu  halten,  erregten  den  Ingrimm  des  Volks.  Im  14.  Jalu-- 
hundert  gaben  die  Bcgharden  der  Inquisition  neue  Veranlas- 
suno-  zur  Thätiokeit,  und  die  Dominicaner  wurden  von  Ur- 
ban  V.  auch  für  Deutschland  zu  Inquisitoren  ernannt. 

In  England,  Schweden,  Norwegen  und  Dänemark  konnte 
die  Inquisition  keine  recht  heimische  Stätte  finden;  dagegen 
fasste  sie  tiefe  Wurzel  in  den  Niederlanden,  wo  sie  nament- 
lich der  Reformation  gegenüber  üppig  wucherte  und  blutrothe 
Früchte  trug.  Erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  IG.  Jahrhun- 
derts  wollte  der  Versuch,  die  Inquisition  in  Frankreich  gegen 
die  Hugenotten  spielen  zu  lassen,  nicht  mehr  gelingen,  ob- 
schon  Papst  Paul  IV.  durch  seine  Bulle  vom  25.  April  1557 
sie  neu  in  Scene  zu  setzen  suchte  und  Heinrich  IL  ein  ent- 
sprechendes Edict  dem  Parlamente  aufgedrungen  hatte.  Die 
Zeit  war  eine  andere  geworden,  der  Boden  M^ard  der  Inquisition 
in  Europa  immer  mehr  entzogen.  Sie  streckte  ihre  Fangarme 
anderwärts  aus,  mit  denen  sie  bis  über  den  Ocean  reichte. 
Durch  die  Spanier  ward  sie  bald  nach  der  Entdeckung  Ame- 
rikas dahin  gebracht,  um  ihre  Blutgerüste  besonders  in  Mexico 
und  Lima  aufzuschlagen.  Die  Portugiesen  führten  sie  in  Ost- 
indien ein. 

Obschon  die  Habsucht  der  Inquisitoren  nicht  als  Haupt- 
grund anzunehmen  ist,  trug  sie  allerdings  bei  zur  Aufrecht- 
erhaltung der  Ketzergerichte,  da  die  Ketzerrichter  nicht  nur 
mit  ausserordentlicher  Macht  ausgestattet  waren,  und  an  An- 
sehen den  Bischöfen  beinahe  gleichkamen,  sondern  von  ihrem 
Geschäfte  auch  ein  ausserordentliches  Einkommen  genossen. 
Der  Inquisitor  wurde  anfangs  auf  Kosten  der  Gemeinde  erhal- 


J  Pertz,  Mon.  hist.  Germ.  IV,  p.  287,  326. 


9.  Sekten  im  Mittelalter.  135 

teil,  innerhalb  deren  er  seinen  Richterstnhl  aufgeschlagen  hatte. 
Papst  Innocenz  IV.  bestimmte  (1252)  ein  Drittel  von  dem 
confiscirten  Vermögen  des  eingezogenen  Inquisiten,  während 
ein  zweites  Drittel  für  künftige  Inqiiisitionszwecke  hinterlegt 
werden  sollte,  das  also  auch  den  Inquisitoren  zufiel ;  aber  bald 
gelang  es  der  Inquisition,  das  ganze  Vermögen  des  Inquisiten 
in  Beschlag  zu  nehmen.  Das  Ketzergericht  ward  hiernach  eine 
reiche  Einnahmsquelle  für  die  Inquisition,  und  die  Inquisitoren 
hatten  also  Grund  genug,  dafür  zu  sorgen,  dass  jene  nie  ver- 
siegte, blieben  daher  taub  für  die  Mahnungen  des  Concils  zu 
Narbonne  1243  zur  Mässigung,  und  die  Versuche  Philipp's 
des  Schönen,  das  geistliche  Tribunal  zu  beschränken,  waren 
vergeblich.  Die  Inquisitoren  wussten  die  beschränkenden  Be- 
stimmungen zu  umgehen  oder  trotzten  denselben,  ungeachtet 
der  Volksbewegungen,  die  sie  wiederholt  veranlassten,  z.  B.  in 
Albi  und  Narbonne  1234,  in  Toulouse  1245. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  für  uns  der  Umstand, 
dass  durch  den  inquisitorischen  Klerus  der  BegriiF  der  Ketze- 
rei weiter  ausgedehnt  wurde,  indem  jener  sich  nicht  mehr  be- 
gnügte, Häresie  als  eine  vom  kirchlichen  Dogma  abweichende 
Meinung  zu  betrachten,  sondern  als  Abfall  von  der  Kirche 
und  Bündniss  mit  dem  Teufel  darstellte.  Letzteres 
wurde  so  stark  betont,  dass  schliesslich  Ketzerei  und  Bündniss 
mit  dem  Teufel  nicht  nur  gleichbedeutend,  vielmehr  die  Hin- 
gebung an  den  Teufel  und  der  Umgang  mit  ihm  als  Ursache 
des  Abfalls  von  der  Kirche  und  jeglicher  Ketzerei  erklärt 
ward.  Hiernach  begreifen  wir  nun  auch,  wie  die  Kirche  dazu 
kam,  allem,  Avas  ihr  missliebig  oder  feindlich  erschien,  ein 
Teufelsbündniss  unterzuschieben,  und  demnach  allenthalben 
angeblich  die  Thätigkeit  des  Teufels  wahrzunehmen,  auf  Ver- 
bindung mit  dem  Teufel  zu  klagen,  wo  wir  den  Ursprung  der 
Erscheinung  ganz  fern  davon  liegen  sehen.  Ein  trefi'endes 
Beispiel  liefert  die  Geschichte  der  Stedinger. 

In  den  Briefen  des  Papstes  Innocenz  III.  wird,  wo  er 
von  Ketzern  spricht,  ob  Waldensern,  Katharern,  Patarenern 
oder  andern,  sehr  häufig  der  Teufel  erwähnt,  z.  B.  sie  seien 
„gleich  dem  schwarzen  Pferde  in  der  üfi'enbarung ,  auf  wel- 
chem der  Teufel  sitzend  die  AVage  hält";  die  Ketzerei  nennt 
er  gewöhnlich   „teuflische   Verkehrtheit";    er  erklärt   die   bei 


13(3       Zweiter  Abschnitt:  Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

ihrer  ketzerischen  Ansicht  Verharrenden  „der  Gewalt  des  Sa- 
tans heimccefallen".  * 

Man  hat  die  Eintührung  der  Inquisition  als  eine  notli- 
wendige  Vorkchrnno;  rjesren  den  teuflischen  Aberglauben  oder 
Teufelscultus  dargestellt,  und  Görres  füln-t  als  Beweis  die 
Stedinger  an  2,  die  er  auch  zu  Teufelsdienern  macht.  Das 
Uebel,  sagt  dieser  Schriftsteller,  keimte  fort:  im  Jahre  1303 
wird  ein  Bischof  von  Conventry  des  Verbrechens  ange- 
schuldigt, er  habe,  nebst  andern  Greueln,  dem  Satan  gehul- 
digt, ihn  hinterwärts  geküsst  und  oft  sich  mit  ihm  unterredet ; 
selbst  an  dem  Oberhaupte  der  Kirche  versucht  sich  die  böse 
Kunst;  Johann  XXII.  bestellt  daher  den  Bischof  Frejus,  auf 
die  Vergifter  zu  forschen,  denn,  sagt  der  Papst:  „AVir  haben 
vernommen,  wie  Joannes  von  Limoges,  und  Jacobus  von  Cra- 
bancon,  und  Joannes  von  Amant,  nebst  einigen  andern,  sich 
aus  Trieb  eines  verdammlichen  Fiirwitzes  auf  die  Schwarz- 
kunst und  anderes  Zauberwerk  verlegen.  Sie  bedienen  sich 
dazu  gewisser  Spiegel  und  Bilder,  die  sie  nach  ihrer  Art 
weihen ;  sie  stellen  sich  in  einen  Kreis  umher,  rufen  die  bösen 
Geister  an,  und  trachten  durch  solch  ihr  Zauberwerk  gewisse 
Personen  zu  tödten  oder  durch  langsame  Krankheiten  hinzu- 
richten. Zuweilen  versperren  sie  die  bösen  Geister  in  Spiegel, 
in  Cirkel  oder  Ring.  Sie  geben  zuweilen  vor,  sie  hätten  die 
Kraft  und  Wirkung  solcher  Kiinste  oft  erfahren,  und  scheuen 
sich  nicht  zu  behaupten:  sie  könnten  nicht  nur  durch  gewisse 
Speisen  und  Getränke,  sondern  auch  durch  blosse  Worte  den 
Leuten  das  Leben  verkiirzen,  verlängern  oder  gar  nehmen, 
zuirleich  Krankheiten  heilen".  —  Schon  früher  hatte  der  Papst 
eine  ähnliche  Zuschrift  zu  gleichem  Zwecke  an  den  Bischof 
von  Rie  erlassen,  worin  er  unter  andcrm  sagt:  „Sie  haben, 
um  uns  mit  Gift  hinzurichten,  gewisse  Getränke  bereitet,  weil 
sie  aber  selbige  uns  beizubringen  keine  Gelegenheit  gefunden, 
haben  sie  unter  unserem  Namen  Bildnisse  gestaltet  und  solche 
unter  Zauberspri'ichen  und  Anrufung  böser  Geister  mit  Nadeln 
durchstochen,  damit  sie  uns  dadurch  ums  Leben  bringen 
möchten".  —  Am  20.  August  1320  schreibt  darauf  Wilhelm, 
Cardinal  von  Godin,   an    den   Inquisitor  zu  Carcassone:  „Der 


1  Vgl.  llurtcr,  Innocenz  III.,  II,  257  fg. 
•■i  Mystik  111,  50  fg. 


9.  Sekten  im  Mittelalter,  137 

Papst  befiehlt  euch,  gerichthche  Untersuchung  wider  diejeni- 
gen vorzunehmen,  welche  den  Dämonen  opfern,  selbige  an- 
beten, sich  ihnen  verloben  und  schriftlich  oder  sonst  durch 
ausdriicklichen  Bund  verpflichten;  um  sie  zu  bannen,  gewisse 
Bildnisse  oder  andere  Malereien  taufen,  das  heilige  Sakrament 
der  Taufe  auch  zu  andern  Maleficien  misbrauchen.  Gegen 
solche  Bösewichter  sollt  ihr  mit  Beihülfe  der  Bischöfe  Avie 
gegen  Häretiker  verfahren,  wozu  euch  der  Papst  hiermit 
ermächtigt". 

Wenn  wir  diese  Beispiele  von  Görres  entlehnen,  so  wol- 
len wir  nicht  nach  seinem  Vorgange  die  Nothwendigkcit  der 
Inquisition  damit  beweisen,  vielmehr  die  herrschende  An- 
schauung zeigen,  wie  die  Inc[uisition  Ketzer  und  Teufelsdie- 
ner nicht  nur  über  ein  und  denselben  Kamm  schor,  sondern 
ganz  o-leichbedeutend  fasste.  Auch  unser  Gewährsmann  be- 
stätigt  dies,  wenn  er  fortfährt:  „Dinge  dieser  Art  erfüllen 
die  Inquisitionsacten  vom  13.  Jahrhundert  herein,  und  aus- 
drücklich positive  Zeugnisse  bestätigen  jetzt  den  nahen  Zu- 
sammenhang des  Zauberwesens  mit  den  Häretikern."  Görres 
führt  eine  Actensanimlung  an  (im  Cod.  3446  der  Pariser  Biblio- 
thek, durch  Döllinger  ausgezogen),  worin  es  unter  anderm 
heisst:  „Alle  Waldenser  sind  von  Berufs  wegen  wesentlich  wie 
formal  imi  ihrer  Aufnahme  in  die  Gesellschaft  willen  —  Teu- 
felsbeschwörer; obgleich  nicht  alle  Beschwörer  Waldenser 
sind,  aber  oft  treffen  Beschwörer  und  Waldenserei  (Valdesia) 
zusammen."  ^  Also  nicht  nur  die  Katharer  mit  ihrer  Annahme 
von  zwei  Urwesen,  einem  guten  und  einem  bösen ,  womit  sie 
eine  Handhabe  boten  sie  als  Teufelsdiener  zu  betrachten, 
sondern  auch  die  sittenstrengen  Waldenser,  deren  Lehre  nichts 
Dämonisches  enthielt,  werden  des  Teufelscultus  und  der  da- 
mit verbundenen  Unzucht  beschuldigt.  ^  Die  Beschuldigung 
hat  ihren  Grund  in  der  oppositionellen  Stellung  der  Walden- 
ser gegen  die  Kirche,  indem  sie  das  Christenthum  wesentlich 
auf  die  evangelische  Armuth  und  apostolische  Predigt  zurück- 
zuführen   strebten.      Zur    Zeit    der   Albigenserkriege    werden 


1  Görres,  a.  a.  0.,  S.  54. 

-  Alani  (ab  insulis)  insij^uis  theulogi  upus  a  dver?.  haereticos  ot  Vul- 
denses,  qui  postea  Albigeuses  dicti  etc.,  p.  180;  (vgl.  Bernard  ALb.  Font. 
Calid.  adv.  Waldensium  Sectam.  praefut.  in  Bibl.  patr.  max.  Tom.  XXIV). 


138       Zweiter  Abschnitt:  Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Katharer  und  Alblgcnscr  nicht  als  gesonderte  Parteien  be- 
trachtet, und  auch  Schriftstellern  sind  sie  gleichbedeutend; 
z.  B.  die  Schrift  des  Lucas  Tudensis  contra  Waldenses  wider- 
legt grösstentheils  Irrthümer,  deren  sonst  die  Katharer  ge- 
ziehen Averden,  wie  auch  sonst  in  polemischen  Schriften  die 
Lehren  und  Ansichten  untereinandergeworfen  sind.  ^ 

Die  Inquisition,  w^elche  über  die  Reinheit  der  Lehre  zu 
wachen  hatte,  übernahm  das  Gericht  auch  in  Zaubersachen, 
die  auf  den  Teufel  zurückcceführt  werden.  Für  Frankreich 
entschied  eine  Parlamentsacte  vom  Jahre  1282  auf  Betrieb  des 
Erzbischofs  von  Paris,  wonach  die  Erkenntniss  in  Zaubersachen 
den  Geistlichen,  mit  Ausschluss  der  Laien,  überlassen  werden 
sollte.^  Die  „Christusmiliz  gegen  die  Häretiker"  spürte 
niui  vornehmlich  nach  den  Dienern  des  Teufels,  imd  da  sie 
erstere  überall  wdtterte ,  musste  dieser  auch  allenthalben  vor- 
handen sein.  Durch  die  geistlichen  Ketzergerichte  wurde  der 
Glaube  an  den  Teufel  im  Volke  nicht  nur  gefördert,  sondern 
die  Vorstellung  von  diesem  und  seiner  Macht  zur  herrschen- 
den erhoben. 


Kreuzzüge. 

Die  phantastischen  Erscheinungen  innerhalb  des  Mittel- 
alters verlieren  das  Befremdende  bei  Betrachtung  der  Factoren, 
welche  auf  die  Gemüther  der  Menschen  eingewirkt,  als  deren 
Resultate  sie  sich  erweisen.  Die  bisher  berührten  Momente 
könnten  schon  hinreichen,  einige  Einsicht  in  das  Gemüthsleben 
des  mittelalterlichen  Menschen  zu  eröffnen  und  manche  heri-- 
schende  Vorstellung  genetisch  zu  erklären.  Schon  im  H.  Jahr- 
hundert hatte  eine  Sturmbewegung  die  Gemi'ither  ergriffen, 
und  die  Kreuzzüge  hervorgebracht,  und  es  ist  zu  erwarten 
dass  so  hochgehende  Wogen  nicht  sofort  verlaufen  konnten, 
oh.ie  manches  Ausserordentliche  als  Folge  herbeizutreiben. 
Wir  wollen  absehen  von  der   specicllen  Folge  der  Kreuzzüge 


1  Vgl.  Ilurter,  Innoc.  III.,  II,  237,  Note. 

2  Üörrcs,  Mysterien,  IV,  2,  S.  509. 


9.  Sekten  im  Mittelalter.  139 

auf  die  Geschichte  des  Teufels,  die  von  Soldan  ^  darin  erkannt 
wird,  dass  die  Kreuzfahrer  mit  den  griechischen  Speculationen 
über  die  Zeugung  der  Dämonen  mit  menschlichen  Weibern, 
wie  mit  den  materiellen  Geistern  des  Mohammedanismus,  na- 
mentlich den  Dschins,  bekannt  geworden  seien,  und  hierin  die 
Ursache  vermuthet,  dass  mit  dem  Anfange  des  13.  Jahrlnm- 
derts  das  Abendland  mit  zahllosen  Buhlgeschichten  von  Dä- 
monen und  Feen  überfluihet  worden  sei.  Wir  berücksichtigen 
hier  vornehmlich  die  Folge  der  Kreuzzüge  auf  das  Empfin- 
dungs-  und  Phantasieleben  des  Volks  im  allgemeinen.  Die 
Erfiihrunoren  durch  die  KreuzzüiTe  erweiterten  zwar  in  man- 
eher  Beziehung  den  Gesichtskreis,  aber  die  Ungeheuerlich- 
keiten, die  von  den  Kreuzfahrern  gesammelt  und  vermehrt 
nach  der  Heimat  gebracht  wurden,  wirkten,  bei  dem  gebun- 
denen Denkvermögen  des  Volks,  vorzüglich  auf  das  Empfin- 
dungs-  und  Phantasieleben,  das  hierdurch  ganz  schrankenlos 
wurde.  Dieses  äusserte  sich  in  Kraftausbriichen  eines  epide- 
mischen religiösen  Enthusiasmus,  der  sturmartig  dahinbrauste 
und  alles  mit  sich  fortriss.  Bei  innerer  Haltlosigkeit  fühlte 
sich  das  Volk  instinctartig  getrieben,  ohne  das  Ziel  klar  zu 
sehen  und  den  Weg  zu  finden,  wo  seinem  Bedürfnisse  Befrie- 
digung werden  könnte.  Mit  der  massenhaften  Einfiihrung 
der  Reliquien  durch  die  Kreuzfahrer  wurde  zugleich  eine  Un- 
zahl von  Legenden  aus  dem  Oriente  nach  Europa  verpflanzt, 
unter  denen  die  Sucht  nach  Wundern  ins  Masslose  wucherte, 
wobei  die  rotlie  Gluth  der  Phantasie  bis  zum  Weissglühen 
gesteigert  ward.  Die  Sammlung  der  Legenden  durch  den 
Dominicaner  Ja.cobus  a  Voragine  (gest.  1298)  wurde  zur  Le- 
genda  aurea  des  Abendlandes,  wie  in  demselben  Jahrhundert 
die  des  Simon  Metaphrastes  im  Morgenlande.  Im  Jahre  1295 
wird  das  Haus  der  Heiligen  Jungfrau  durch  die  Engel  von 
Nazareth  nach  Loretto  gebracht,  und  es  spinnt  sich  der  Faden 
der  Legenden  in  dieser  Periode  ins  Endlose. 

Kiiulerpilgerfalirt. 

Eine  der  seltsamsten  Kraftäusserungen,   durch   den  Geist 
der  Kreuzzüge  hervorgerufen,  zeigte  sich  in  der  Kinderpii- 


1  S.  150  fg. 


140       Zweiter  Abschnitt:  Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

gerfalirt  im  Jahre  1211,  wo  eine  grösstentheils  aus  Kindern 
bestellende  Menge,  die  auf  90(X)0  angeschlagen  wird,  auszog, 
um  das  heihge  Land  zu  erobern,  begreiflicherweise  aber  schon 
unterwegs  ihren  Untergang  fand. 

Schon  im  vorhergehenden  (12.)  Jahrhundert  waren  als 
merkwiirdiire  Erscheinunci;  die  Brüder  von  der  weis- 
sen  Mütze  aufgestanden,  die,  von  sittlicher  Ascese  ge- 
trieben, sich  verpflichteten,  keine  AYiirfel  zu  spielen,  keine 
Schenken  zu  besuchen,  keine  ausgezeichnete  Kleidung  zu  tra- 
gen, nicht  zu  fluchen,  die  aber,  obschon  durch  ihre  freiwillige 
Ausübuuff  der  Polizei  der  herrschenden  Landstreicherei  heil- 
sam  entgegenwirkend,  doch  bald  abgeschafi't  wurden,  nachdem 
sie  ihren  Kigorisnuis  so  weit  gespannt  hatten,  den  Gutsherren 
die  Abo^abenforderunüc  zu  verbieten. 

Es  wiederholt  sich  stets  in  der  Geschichte  des  Menschen, 
dass  er  bei  mangelnder  Erkenntniss  des  Causalzusammenhangs 
mit  aufffereo-tem  Gemüthe  den  Grund  eines  Unfalls  nicht  nur 
ungehörigen  Ortes  sucht,  sondern  auch  zu  finden  glaubt.  So 
machte  sich  die  allgemeine  Bestürzung,  welche  der  schwarze  Tod 
hervorgervifen ,  zunächst  Luft  in  der  Verfolgung  der  Ju- 
den, die  im  Mittelalter,  oft  auch  bei  minder  gefährlichen  Um- 
ständen, als  Stifter  des  Unheils  im  Dienste  des  Teufels  den 
Hass  der  Christen  auf  grausame  Weise  zu  empfinden  beka- 
men. Das  allgemeine  Unglück  rief  aber  noch  eine  andere 
aussergewöhnliche  Erscheinung  hervor,  die  ein  Zeugniss  ab- 
legt, sowol  von  der  krankhaften  Aufregung  der  Gemüther 
als  auch  von  der  sittlichen  Haltlosigkeit  und  dem  Suchen  nach 
einem  Haltepunkte. 


Flagellauteii. 

Durch  die  in  Gang  gekommene  bekannte  Stellvertretungs- 
theorie im  Busswesen  war  dieses  inuner  mehr  herabgesunken 
und  hatte  seinen  Werth  so  gänzlich  eingebüsst,  dass  der 
Mensch  verzweifelte,  die  Vergebung  der  Sünden  dadurch  zu 
erlangen,  wenn  er  nur  etwas  rein  Aeusserliches  von  seinem 
Besitze  zum  Opfer  brachte.  Er  glaubte  daher  eine  eindring- 
lichere Busse  zu  üben,  wenn  er  seine  eigene  Leiblichkeit  an- 
greife.   Nach  dem  Vorgange  Damiani's  lag  es  nahe,-  sich  dessen 


9.  Sekten  im  Mittelalter.  141 

Bussniittels  zu  bedienen,  das  von  diesem  frommen  Meister  der 
Busse  so  dringlich  empfohlen  ward,  nämlich  der  Geiselung. 
Wie  sollte  man  es  einer  Zeit  verdenken,  dass  sie  nicht  zum 
Innersten  eindrang,  und  nicht  den  Weg  fand  bis  zur  Gesin- 
nung, von  wo  die  Busse  ausgehen  und  in  einem  reinen,  lau- 
tern Leben  sich  äussern  soll,  einer  Zeit,  in  welcher  die  Kirche 
selbst  den  grössten  Werth  auf  das  Weltliche  gelegt  hatte, 
wo  die  sittliche  Wi\rdio;kcit  des  Menschen  für  das  Reich 
Gottes  vom  Geldwerthe  abhängig  gemacht  ward,  wo  die 
Kirche  die  geistigen  Bussmittel  ausser  Kraft  gesetzt  hatte? 
Schon  im  Jahr  1260,  wo  der  Streit  der  Weifen  und  Ghibelli- 
nen  das  «leselliüe  Leben  in  Italien  zerrissen  hatte,  war  da- 
selbst  die  Geiselbusse,  bisher  nur  von  einzelnen  geübt,  in 
massenhafter  Erscheinung  aufgetreten.  In  den  verheerenden 
Kämpfen  dieser  Parteien  wurden  viele  Bewohner  der  wei- 
fischen Stadt  Perugia,  die  von  der  Niederlage,  durch  die  Ghi- 
bellinen  in  der  Schlacht  von  Monte -Aperto  den  Weifen  bei- 
gebracht, hart  gelitten  hatte,  wie  von  einem  mächtigen 
Schauder  der  Busse  ergriffen.  Mit  entblösstem  Oberleib  zogen 
sie  paarweise  durch  die  Strassen,  mit  Bussriemen  sich  bis  aufs 
Blut  geiselnd.  Sie  zogen  aus  Perugia  hinaus  durch  die  Lom- 
bardei bis  nach  der  Provence,  ein  Theil  bis  nach  Rom,  Aväh- 
reud  des  Zuges  an  Zahl  immer  mehr  anwachsend.  Zu  der- 
selben Zeit  bewegten  sich  Geislerschaarcn  durch  Krain, 
Kärnten,  Steiermark,  Oesterreich,  Böhmen,  Mähren  bis  nach 
Ungarn  und  Polen,  den  blossen  Körper  geiselnd,  mit  ver- 
hiUltem  Gesicht,  Fahnen  und  Kreuze  einhertragend,  unter  Ab- 
sinffuno:  von  Bussliedern.  Solche  Geislergesellschaften  treffen 
wir  auch  im  14.  Jahrhundert,  die  im  Gedränge  der  Bürger- 
kriege durch  die  allgemeine  Calamität  des  schwarzen  Todes 
aufgeregt  wurden.  Die  ganze  biirgerliche  Ordnung  des  ge- 
sellschaftlichen Lebens  war  durch  die  furchtbare  Seuche  auf- 
gelöst, Deutschland  lag  geknebelt  unter  dem  Interdict,  der 
Bannfluch  (von  1346),  der  im  Kampfe  Ludwig's  des  Baiern 
mit  dem  Papste  durch  diesen  vom  Vatican  herabgeschleudei't 
worden,  lastete  schwer  auf  dem  Volke.  Es  war  eine  ver- 
zweiflungsvolle Lage,  wo  das  fromme  Gemüth  die  heilige 
Stätte  verschlossen  fand,  an  der  es  sich  den  Seelenfrieden 
holen  sollte,  oder  wo  die  Segnungen  der  Kirche  nur  durch 
Geld  und  Geldes  werth  zu  erkaufen  waren,    das  dem  Aermern 


142       Zweiter  Abschnitt:  Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 


mangelte,  dem  also  auch  das  Mittel  fehlte,  sich  mit  Ausge- 
lassenheit den  Lüsten  zu  ergeben,  um,  gleich  dem  Reichern, 
in  halber  Vergessenheit  hinzutaumeln,  oder  wo  dem  Menschen 
in  seinem  zerknirschenden  Seelenhunger  nach  geistigen  Gaben 
von  der  Kirche,  wenn  sie  ihm  ofien  stand.  Steine  anstatt  des 
Brotes  gereicht  wurden.  Einer  solchen  Zeit  entrang  sich  die 
Hofinung  auf  die  Wiederkunft  Friedrich's  II.  um  die  gesunkene 
Menschheit  wieder  aufzurichten  und  die  zerrütteten  Zustände 
zu  ordnen.  Das  Volk  aber,  dem  weder  von  der  Kirche  noch 
von  staatlichen  Organen  geholfen  ward,  griff  zur  Selbsthülfe, 
zur  Geiselung,  um  dadurch,  wie  es  glaubte,  vor  dem  Unter- 
gange der  Welt,  der  verkündet  ward,  die  Vergebung  seiner 
Sünden  der  erzürnten  Gottheit  gleichsam  abzunöthigen. 

Der  Ursprung  der  Geislerzüge  ist  durchaus  nur  aus  dem 
heissen  Verlangen  nach  Busse   in   einer  Zeit  allgemeiner  Ver- 
derbtheit zu   erklären.     Die   gleichzeitigen  Chronisten   deuten 
dies   au  durch   die  Bemerkung:    dass  Niemand   gewusst  habe, 
woher  der  Eifer  gekommen  sei.     Dass  die  Erscheinung  epide- 
misch wirkte,  ist  nicht  nur  von  den  Psychiatern  nachgewiesen; 
in  Hermanni  Altahensis  Annales  ^ ,    wo    ein  Bericht   über  die 
Flagellanten  aus  dem  Jahre  12G0  steht,  ist  auch  der  epidemi- 
sche Zug  bei  dieser  krankhaften  Erscheinung  deutlich,  obschon 
imbewusst  angezeigt,  wenn  er  sagt:  „Miserabilis  itaque  gestus 
ipsorum  et  dira  verbera  multos  ad   lacrymas    et  ad  suscipien- 
dam    eandem   poenitentiam   provocabant".     Derselbe  Chronist 
fügt   hinzu:  2    dass   diese    Geislerwallfahrten,    da   sie   im   Be- 
ginne weder  vom  Heiligen  Stuhle    noch  von    sonst  einer  Au- 
torität gestützt,    mit  der  Zeit  zum  Gespötte  wurden,    und  so 
masslos  sie  angefangen    hatten,    doch    in    kurzem    abnahmen. 
Der  Umstand,  dass  die  Geislerzüge  von  Laien  und  zwar  aus 
den  niedern  Schichten  der  Gesellschaft  ausgingen,  was  in  den 
dazu  anregenden  Verhältnissen  seine  Erklärung  findet,  musste 
dieser  Erscheinung  ein  eigenthümhches  Gej^räge  geben,  da  sie, 
obschon  religiöser  Bedeutung,  doch  nicht  in  der  Kirche  ihren 


1  Bei  Boehmer,  fontes,  II,  p.  156. 

2  „Sed  quia  origo  ejusdem  poenitentiae  nee  a  sede  llomana  nee  ab 
aliqua  persona  auctorabili  fulciebatur,  a  quibusdam  episcopis  et  domino 
Henrico  Bavariae  cepit  liaberi  contemptui.  Unde  tepescere  in  brevi  cepit 
eicut  res  iinmoderate  concepta. 


9.    Sekten  im  Mittelalter.  143 

Ausgangspunkt  hatte.  Die  Kirche  mochte  anfänglich  befremdet 
sein,  aber  Papst  Clemens  VI.  gibt  in  seiner  an  die  deutschen 
Bischöfe  erlassenen  Bulle  vom  Jahre  1349  schon  seinen  Tadel 
über  das  eigenmächtige  Bussverfahren  kund,  indem  er  darin, 
von  seinem  Standpunkte  ganz  richtig,  ein  Mistrauensvotum 
gegen  die  Kirche  erkennt.  Als  die  dritte  grosse  Geislerfohrt 
1399,  zu  der,  ausser  dem  allgemeinen  Elende  der  Zustände, 
namentlich  die  traurige  Lage  der  Kirche  durch  das  päpstliche 
Schisma  den  Anlass  gegeben  hatte ,  ihre  Richtung  geradezu 
nach  Rom  einschlug,  da  liess  Bonifaz  IX.  das  Haupt  der 
Weissen ,  wie  die  Flagellanten  von  ihrem  weissen  Bussge- 
wande  hicssen,  hinrichten.  Die  kirchenfeindliche  Tendenz  der 
Geisler  erkannte  die  Kirche  darin,  dass  sie  die  kirchliche 
Bussdisciplin  ganz  ignorirten ,  indem  der  Meister  die  Absolu- 
tion infolge  der  Marterbusse  ertheilte,  mit  der  Ermahnung, 
künftig  vor  Sünden  sich  zu  hüten: 

„Stant  uf  durch  der  reinen  Martel  ern 
Unn  hut  dich  vor  der  Sünden  mern".  ' 

Hiermit  war  jede  Yermittelung  durch  die  Kirche  und  ihre 
Priester  abgelehnt  und  deutlich  ausgesprochen:  dass  die  Busse 
unmittelbarer  Ausdruck  der  eigenen  Innerlichkeit  sein  solle. 
In  dieser  Tendenz  liegt  die  Grundbedeutung  dieser  merkwür- 
digen Erscheinung,  die  aber  eine  krankhafte  ist,  weil  sie  nur 
als  negative  Reaction  gegen  einen  kranken  Zustand  auftritt. 
Eben  darum  konnte  sie  epidemisch  werden  und  an  Wahnwitz 
streifen.  Die  Flagellanten,  wie  das  Mönchswesen,  sind  bei 
ihrem  Ursprünge  als  sittliche  Reaction  gegen  ihre  damaligen 
Zustände  zu  betrachten,  sie  sind  aber,  gleich  dem  Fieber,  noch 
nicht  die  Gesundheit,  obschon  wie  dieses  eine  Reaction  gegen 
die  Ungesundheit.  Es  braucht  keiner  Erörterung,  dass  die 
Geislerfahrten,  sowie  die  mönchische  Ascetik  überhaupt, 
den  Zweck  nicht  erreichen  konnten,  da  sie  3as  richtige  Mittel 
nicht  fanden,  um  die  sittliche  Gesundheit  herzustellen;  sie 
sind  aber  von  pathologischem  Interesse  für  jene  Zeit  und 
desshalb  werth,  dem  Grunde  ihrer  Erscheinung  nachzugehen. 
Das  ganze  Busswesen  des  Mittelalters,    also  auch   seine  Gei- 


^  Bei  Baur,    Geschichte  des  Mittelalters,  aus  Closener's  Strassburger 
Chronik,  Bibliothek  des  literarischen  Vereins  in  Stuttgart,  I,  85. 


144      Zweiter  Abschnitt:  Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

selbusse,  als  Mittel  gegen  Unsittliclikek  angewendet,  hat  un- 
gefähr die  Bedeutung  einer  chirurgischen  Operation  an  dem 
selben  Gesichte  eines  Gelbsüchtiii^en.  In  beiden  Fällen  ist  die 
Voraussetzung  eines  kranken  Zustandes  richtig,  und  das  Stre- 
ben, diesen  zu  heilen,  nicht  zu  verkennen;  es  fehlt  aber  der 
Beo-riff  des  Wesens  der  Krankheit  und  daher  fällt  die  Wahl 
auf  das  unzulängliche  Mittel.  Es  ist  die  mechanische  An- 
schauung, die  das  Princip  des  Mechanismus  auf  den  höhern 
Oriranismus  anwendet. 

Aehnliche  Verwechselungen  der  Principien  und  des  davon 
entnommenen   Massstabes,    der   dann   ungehörigerweise   au^e- 
leo-t  wird,    begegnen    uns    noch  in   der  Gegenwart  auf  jedem 
Schritte,  werden  also  im  Mittelalter  nicht  befremden  können, 
sie  lagen   im  herrschenden  System   der   Geistlichkeit.     „Zwei 
beweo-ende  Kräfte,  beide  mit  gewaltigem  Einfluss,  ziehen  durch 
das  Leben  des  christlichen  Menschengeschlechts  in  dieser  Zeit: 
der  Glaube    an    ausserordentliches  Eingreifen    der    göttlichen 
Macht   in   die   menschlichen  Begegnisse;   sodann   die  Ansicht, 
dass  alles,  was  sowol  der  Gesammtheit,    als  was  dem  einzel- 
nen an   Ungemach   widerfahre,    göttliche  Vergeltung  für   be- 
<zan£rene  Sünden    sei."  ^     Diese  Bemerkung  Hurter's  ist  rieh- 
tio-,  kann  aber  kürzer  so  gefasst  werden:  es  herrschte  in  jener 
Zeit  noch  immer  die   althebräische  Anschauung.      Die   althe- 
bräische Vergeltungstheorie,  diese  natürliche  Folge  des  Stand- 
punktes  der  Legalität,    erblickt  in  jedem  Begegniss  die  ver- 
geltende Hand  des  göttlichen  Richters,   und  bei  dem  Mangel 
an  Naturwissenschaft,  da  der  Begrifl'  „  Natur "  dem  Bewusst- 
sein  noch  nicht  aufgegangen  war,  erhielt  jede  äussere  Erschei- 
nung die  Bedeutung   eines    unmittelbaren   schöpferischen  Ein- 


grifi's. 


Wunderglaube. 

Das  gläubige  Gemüth,  dem  die  oft  lange  Kette  des  Cau- 
salnexus  verborgen  ist,  und  den  Zusammenhang  zwischen  Ur- 
sache und  Wirkung  nicht  übersieht,  führt  alles  und  jedes 
vuuuittelbar   auf  Gott,   mit   dem   es   den   Urgrund   alles  Seins 


J  Ilurtor,  lunoc.  111.,  VI,  505. 


9.    Sekten  im  Mittelalter.  145 

bezeichnet,  zuriick.     Es  erkennt  nicht  das  organische  Zusam- 
menwirken, weder  in  der  Natur,   noch  in  der  Menschenwelt, 
noch  sich  als  Organ    in    dem   grossen  Ganzen,  weil   ihm  der 
Begriff    vom    Organismus    iiberhaupt    fehlt.      In    seiner    Iso- 
lirtheit  erscheinen  ihm  die  Ereignisse,  die  seine  Aufmerksam- 
keit dadurch  auf   sich  ziehen,    dass   sie  wohlthätig   oder  ver- 
derblich  auf  ihn   wirken,    und  fiir  Lohn   oder   Strafe   gelten, 
als  Wunder.    Unter  diesem  Gesichtspunkte  des  Mechanismus 
bezieht  es  jede  Erscheinung  mechanisch  auf  sich,  als  den  Mit- 
telpunkt der  Erscheinungen,   in  sein  speciell  beschränktes  In- 
teresse versenkt,  sieht  es  nicht  den  Zusammenhang  der  Dinge, 
es  erhebt  nicht  das  Auge  zur  Forschung  nach  demselben  und 
entfaltet  nicht   die  Kraft  zur   Erforschung.     Bei   der  stetigen 
Beziehung  zur  Aussenwelt,   durch  die   es  berührt  wird,  kann 
daher  das  gläubige  Gemiith  über  ein  für  Tausende  schädliches, 
für  es  aber  vortheilhaftes  Ereigniss    dankerfüllt   seinen  Schö- 
pfer preisen,  hingegen  eine  Erscheinung,  die  in  der  Natur  der 
Sache  gelegen,  unter  den  gegebenen  Umständen  eintreten  muss, 
wodurch   es    aber   Schaden    leidet,    als    eine   Ziichtigung  von 
oben    betrachten.     Bei    diesem    herrschenden  Mechanismus    in 
der  Anschauung  des  Mittelalters  in  Bezug  auf  Siuide,  Busse, 
Strafe  u.  dgl.,  bei  der  sittlichen  Haltlosigkeit,  erklärt  es  sich, 
dass  jede  aussergewöhuliche  Erscheinung  als  Strafe,  oder  we- 
nigstens als  AYarnung  oder  Aufforderung*  zur  Busse  betrachtet 
wurde.     Schriftsteller  jener  Zeit,   die    solche  ausserordentliche 
Erscheinungen   verzeichnen   und   Sammlungen   davon  anlegen, 
führen  jedes  Ei'eigniss  auf  einen  übersinnlichen  Grund  zurück 
und  geben   ihm   eine    rehgiöse  Bedeutung  für   die  Gegenwart 
oder  Zukunft.     Denn   das  Mittelalter   ist   voll   Ahnungen   des 
Zukimftigen,  die  es  an  äusserliche  Erscheinungen  knüpft,  wo- 
dvirch  diese  zu  Anzeichen  gestempelt  werden.   In  jenen  Zeiten 
war  aber  Religiosität    gleichbedeutend    mit  Kirchlichkeit,  und 
die  Kirche  galt  für  die  einzige  Stätte ,   wo  das  heilige  Feuer 
der  Itelio;ion   unterhalten   wird.     Die  Reduction   der  Erschei- 
nungen  auf  Gott  war  daher  gleichbedeutend  mit  der  Zuriick- 
führuno;   auf  die   Kirche.     So    konnten  Ueberschwemmungen, 
Miswachs,    Erdbeben,    Pest,     Donnerwetter    im    Winter    zu 
Zeichen    der  Misbilligung   einer   von    der   Kirche    verbotenen 
und     misbilligten    Verbindung    fi'irstlicher    Personen     werden, 
wobei  freilich  die  Deutung  erst  später  nachgehinkt  kam.     Oder 

Roskoff,  Geschichte  des  Teufels.  II.  JQ 


146      Zweiter  Abschnitt:  Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

man  betrachtete  schädliche  Naturereignisse  als  Strafen  für 
allgemeine  Uebertretung  der  Kirchengesetze.  ^  Das  gewöhn- 
liche Bewusstsein  war  dahin  gekommen,  bei  jeder  nicht  all- 
täglichen Erscheinung  an  eine  ausserordentliche  Massregel  in 
der  übersinnlichen  AVeltregierung  zu  glauben,  und  wurde 
selbst  durch  die  Deutung  post  eventum  in  seinem  Glauben 
bestärkt.  Man  glaubt,  unter  die  Waldindianer  versetzt  zu 
sein,  wenn  man  in  den  Chroniken  liest,  was  alles  für  bedeut- 
sam und  der  Aufzeichnung  werth  erachtet  wurde,  z.  B.  dass 
einst  während  der  Messe  ein  schlichter  Ordensbruder  bei  den 
Worten:  „Wir  bitten  dich  inbrünstig",  ein  Nebelwölkchen 
zwischen  Kreuz  und  Kelch  sich  bilden  sah,  sodann  bei  dem 
Emporheben  desselben  darin  ein  Schein  wie  von  einem  Kerzen- 
licht gesehen  wurde,  dass  endlich  aus  beiden  eine  Hand  hervor- 
"•egangen,  die  auf  das  Altartuch  ernste  Mahnungen  an  das 
entartete  Menschengeschlecht  geschrieben,  und  dieses  unter  vier 
Messen  sich  ereignet  habe,  jedesmal  mit  einer  andern  Vorher- 
verkündigung. '^ 

In  dieser  Zeit  wird  das  Erfreuliche  auf  die  Gnade  Got- 
tes und  seine  Heiligen  zurückgeführt,  bei  allem  Verderblichen 
ist  aber  der  Teufel  und  seine  Genossen  im  Spiel,  der  als  Straf- 
werkzeug oder  als  Urheber  aller  Uebel,  diese  unter  Gottes 
Zulassung  über  die  Menschen  bringt,  oder  als  Verkündiger 
von  Ungliick  auftritt,  und  wenigstens  allerlei  Spuk  oder 
Neckereien  verursacht.  So  hatte  bei  der  Scheiduno;skla<ie 
Philipp's  von  Frankreich  ein  alter  Geistlicher  den  Teufel  ge- 
sehen, der  in  rother  Gestalt  auf  den  Knien  der  Königin 
herumhüpfte  und  grässliche  Gesichter  schnitt.  ^  „Wie  es  aber 
überhaupt  Kirchenlehre  ist,  dass  die  Sünde  durch  Vorspiege- 
lungen des  gefallenen  Geistes  in  die  Welt  gekommen  sei, 
so  dürfen  wir  nicht  darüber  erstaunen,  dass  eine  Zeit,  welche 
allen  Glauben  wirkend  in  das  Leben  hineinpflauzte,  eine  un- 
unterbrochene Fortsetzung  jenes  tückischen  Anlockens  sich 
dachte,  und  in  dem  Bösen,  was  sie  verwerfen  musste,  ein 
Zusammentreffen   des    menschlichen  Willens   mit  solchem  un- 


1  Vgl.  Hurter,  IV,  509. 

'^  Chron.  Turon.    in   Martöne    Thes.  V.    magn.   Chron.  Belg. ;    andere 
Beispiele  bei  llurtcr,  IV,  511  fg. 

^  Bei  llurtcr  IV,  128.     Capeiiquo  II,  160,  aus  einer  alten  Chronik. 


9.    Sekten  im  Mittelalter.  147 

mittelbaren  verderblichen  Einfluss  gerne  annahm."  ^  Nnn,  wir 
erstaunen  auch  nicht,  finden  es  geradezu  natürlich,  da  der 
Mensch  des  Mittelalters,  durch  die  Hebel,  die  in  sein  Leben 
eingriflen,  emporgeschnellt,  den  festen,  natürlichen  Boden  ver- 
tieren musste  und  in  aänzlicher  HaltlosiQ;keit  weder  in  noch 
ausser  sich  den  sichern  Stützpunkt  finden  konnte.  Die  Er- 
fahrung lehrt,  dass  selbst  der  ununterrichtete,  denkungeübte 
Mensch  ein  Ungemach  leichter  erträgt,  wenn  er  die  natürliche 
Folo;e  vorausgehender  Umstände  erkennt.  Man  darf  dies  für 
einen  praktischen  Beweis  ansehen,  den  er  unbewussterweise 
gibt,  dass  seine  Natur  auf  das  Denken,  das  Begreifen  der 
Dinge  in  ihrem  Zusammenhange  gestellt  ist.  Mag  daher  der 
Brauch  mancher  Aerzte,  den  Kranken  über  die  Ursache  und 
den  Verlauf  der  Krankheit  aufzuklären,  auf  was  immer  für 
Motiven  beruhen,  gewiss  ist,  dass  seine  Erscheinung  am 
Krankenlager  dadurch  beruhigender  wirkt,  als  wenn  er  sich 
in  den  geheimnissvollen  Zaubermantel  einhviUt.  Der  Mensch 
des  Mittelalters  war  aber  von  lauter  Wundern  oder  Zauberei 
umgeben,  wodurch  er  in  krankhafter  Spannung  erhalten  wurde. 
Die  Wunder  hatten  zwar  nach  der  Kirchenlehre  ihren  letzten 
Grund  in  Gott,  dieser  wurde  aber  durch  den  Apparat  der 
Kirche  den  Augen  des  Volks  ganz  verdeckt,  welches  die 
Wunder  durch  Reliquien  und  Heilige,  deren  Legenden,  lawi- 
nenartig anwachsend,  sich  durch  das  Land  bewegten,  an  allen 
Kirchen  und  Klöstern  geschehen  sah.  Die  Zauberei  rührt 
vom  Teufel  her  und  seineu  Bundesgenossen,  welche  in  seinem 
Dienste  stehen;  sie  wii-d  von  der  Kirche  verdammt,  die  an  Got- 
tes statt  die  gegensätzliche  Stellung  zum  Teufel  übernimmt. 
Dem  Glauben  an  Wunder  und  Zauber  ist  die  Erkenntniss  des 
Causalzusammenhangs  ganz  fremd,  bei  beiden  trägt  das  Ein- 
o-reifen  der  übermenschlichen  Macht  in  das  Leben  des  Men- 
sehen  den  Charakter  der  Willkür,  die  sich  beim  Wunder 
durch  die  Vorstellung  von  der  göttlichen  Gnade,  welche  mittels 
der  Kirche  vollzogen  wird,  maskirt,  während  beim  Zauber 
die  Bosheit  des  Teufels  hervorgrinst.  Auf  keiner  Seite  ist 
Glaube  an  das  unabänderliche  Walten  einer  höhern  Macht, 
viel    weniger    Erkenntniss    des    ewigen    Gesetzes,    nach    dem 


1  Ilurter,  IV,  515. 

10 


148       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

die  Widersprüche  sich  auflösen  müssen.  Der  Wunder-  und 
Zaubergläubige  kann  sich  nicht  vom  Einzehien  zum  Allgemei- 
nen erheben,  er  ahnt  oder  vermuthet  nur  eine  Regel  mit  Aus- 
nahmen, weiss  aber  wieder  nicht,  wann  die  Ausnahme  ein- 
tritt. Wunder  und  Zauber  sind  die  Ausnahmen  von  der 
Regel,  die  eintreten  können  oder  auch  nicht.  Der  Glaube 
an  Wimder  und  Zauber  ermangelt  des  sichern  Haltpunktes 
und  kann  daher  dem  Gläubigen  weder  Ruhe  noch  Sicherheit 
gewähren.  Darin  liegt  der  Grund,  dass  neben  dem  dicksten 
Wunderglauben  die  crasseste  Sittenverderbtheit  Raum  zu  fin- 
den vei-mag,  dass  beide  ihre  Plätze  häufig  wechseln  können, 
da  beide  des  festigenden  Haltepunktes  im  Sittengesetze  er- 
mangeln. 


10.   Heiligendienst  und  Marienciiltiis  als  soUicitirende 

Eactoren. 

Schon  im  Neuen  Testament  werden  die  Genossen  der 
christlichen  Gemeinde  als  Glieder  am  Leibe  Christi,  nach  alt- 
testamentlichem  Vorgange ,  Heilige  genannt,^  und  dieser 
Brauch  erhielt  sich  bis  ins  3.  Jahrhundert.  Eine  Handhabe 
zur  Aufrechterhaltung  dieses  Titels  boten  die  Märtyrer, 
welche  für  die  christliche  Wahrheit  ihr  Leben  geopfert 
oder  doch  Qualen  ausgestanden  hatten,  als  Menschen  dem 
frommen  Gemüthe  zu  Mustern  christlicher  Heiligkeit  dienten, 
als  Zeugen  für  Jesus  aufgetreten  waren,  um  den  sie  einen  hei- 
ligen Kreis  bildeten  und  mit  ihm  auch  gleiche  Verehrung 
theilen  sollten.  Schon  die  Kirchenväter  Hermas  ",  Clemens  Ale- 
xandrinus',  Tertullian-*  preisen  die  Verdienstlichkeit  des  Märty- 
rerthums,  das  als  sündentilgende  Bluttaufe  betrachtet  wird.  Der 
Fürbitte  der  Heiligen  wird  eine  ausserordentliche  Wirksam- 
keit zuerkannt  ^,  und  Origenes  ^  stellt  das  Märtyrerthum  den 


1  Rom.  1,  7;  1  Kor.  1,  2;  Ephes.  1,  1,  u.a. 

2  Pastor  III.  Simil.  1),  28. 

3  Strom.  IV,  r/JG. 

•*  De  resurr.  carn.  c.  43. 

*  Cypr.  ep.  12,  13. 

''  Ilomil.  in  Num.  10,  2. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  149 

Leiden  Christi  au  die  Seite.  Grossen  Vorschub  leisteten  der 
Heiligenverehrung  Basilius  der  Grosse,  Gregor  von  Nyssa 
und  der  von  Nazianz,  Chrysostomus  und  Ephrem  der  Syrer 
durch  ihre  iibersehwengHchen  Lobreden  auf  die  Märtyrer  und 
durch  ihre  Ermahnungen,  zu  deren  Fiirbitte  Zuflucht  zu  neh- 
men. Hieronymus  ist  ein  eifriger  Vertheidiger  der  Märtyrer 
und  ihrer  Reliquien;  Augustinus,  obschon  die  Verehrung  der 
Heiligen  nicht  geradezu  empfehlend,  behauptet  doch,  dass  die 
Körper  der  Märtyrer  Wunder  wirken.  Aus  dem  Brauche,  zur 
Feier  der  Jahrestage  der  Märtyrer  an  ihren  Gräbern  sich  zu 
versammeln,  entstand  ein  förmlicher  Märtyrercultus,  der  durch 
die  Verbote  heidnischer  Statthalter  nicht  vermindert,  sondern 
gesteigert  wurde.  Im  4.  Jahrhundert  waren  die  Feste  der 
Märtyrer  (natalitia)  im  allgemeinen  Ansehen,  und  das  Concil 
zu  Gangra  ^  verhängt  über  deren  Verächter  schon  das  Ana- 
then^a. 

Nachdem  die  kirchliche  Frömmigkeit  jene  Bahnen  der 
Ascetik  eingeschlagen  hatte,  wodurch  sie  eine  höhere  Stufe 
der  christlichen  Sittlichkeit  zu  erreichen  hoflfte,  gelangten  auch 
diejenigen,  welche  durch  strenges  Einsiedler-  und  Mönchsleben 
für  ausgezeichnet  galten,  in  den  Ruf  der  Heiligkeit  und  w^u'- 
den,  gleich  den  Märtyrern,  nach  ihrem  Tode  in  den  himmli- 
schen Hofstaat  versetzt.  An  die  Vorstellung,  dass  die  Heili- 
gen als  Vorbilder  einen  höhern  Grad  christlicher  Tugend 
einnehmen,  knüpfte  sich  eine  andere:  dass  sie  dem  göttlichen 
Wesen  auch  näher  stehen  und,  gleich  den  Engeln,  die  Ver- 
mittelung  zwischen  Gott  und  den  Menschen  besorgen,  daher 
in  die  menschlichen  Schicksale  unmittelbar  eingreifen,  was 
selbstverständlich  nur  durch  Wunder  geschehen  kann.  Mit 
der  Zahl  der  Heiligen  wuchs  auch  der  Glaube  an  ihre  Wunder, 
die  sie  nicht  nur  bei  Lebzeit,  sondern  auch  nach  ihrem  Tode 
noch  verrichteten,  daher  man  zu  ihren  Grabstätten  wahlfahr- 
tete.  Der  Glaube  an  die  Wunderthätio;keit  der  Heihsen  und 
deren  Reliquien,  und  die  Sucht,  solche  zu  besitzen,  wirkten 
wieder  als  Multiplicatoren  auf  die  Zahl  der  Heiligen.  Die 
Wundersucht,  unterstützt  von  der  Leichtgläubigkeit,  griff  in 
vergangene  Jahrhunderte  zurück,    um  mit  geschäftiger  Hand 


1  Can.  20. 


150        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Tausende  von  Heiligen   ans   Tageslicht  zn   ziehen.     Die  Mas- 
senhaftigkeit  der    sich  steigernden  Zunahme  der  Heiligen   be- 
zeugt  die  Synode  von  Frankfurt   a.  M.   im  Jahre    794   durch 
den  Beschlüsse   keine  neuen  Heiligen   mehr  anzurufen.     Auch 
Karl  der  Grosse    fand  Anlass,    zu   verordnen,  dass   ohne  Ge- 
nehmigung   des  Bischofs    die    vorhandene   Zahl    der  Heiligen 
nicht  vergrössert   werden    dürfe.  ^     Jede    Stadt,    jedes    Dorf", 
jede  Kirche  hatte  im  Verlaufe   der  Zeit  einen  Heiligen  erhal- 
ten,   kein    Handwerk,    kein    Lebensbediirfniss    konnte    einen 
solchen  entbehren.     Die  heilige  Barbara  stand  in  der  Schweiz 
den  Schiesswafien  der   Männer  vor;    Sanct-Rochus   gebot  der 
Pest,    die   heilige  Anna  den   galanten  Krankheiten ;  ^    Petrus 
und  Paulus  wurden  die  Patrone  Roms,  Andreas  Griechenlands, 
Jacobus  Spaniens,    Pliokas    der   Schutzheilige    der   Seefahrer, 
Lucas    für    die  Maler,    Johannes   Evangelist   und  Augustinus 
für  die  Theologen,  Ivo  für  die  Juristen,  die  heilige  Afra  für 
die  fahrenden  Frauen,   u.   s.  f.     Der  Bischof  jedes   Sprengeis 
handhabte  gewöhnlich  das  Recht  zu  bestimmen,  welcher  Hei- 
lige gelten  sollte,   bis   zum  Jahre  993,  wo    das   erste  Beispiel 
einer  Kanonisation  durch  den  Papst  Johann  XI.   bekannt  ist; 
allein  die  Bischöfe  übten  auch  nachher  noch  das  Recht,  inner- 
halb   ihrer  Diöcese  Heilige    zu    ernennen,    fort.  ^     Erst    Papst 
Alexander  III.  nahm  das  ausschliessHche  Privilegium  der  Hei- 
ligsprechung fiir  seinen  Stuhl  in  Anspruch  und  eröffnete  hiermit 
zugleich  eine  reichlich  fliessende  Quelle  für  die  Einkünfte  der 
römischen   Curie.     Die   Kanonisation   einer   fürstlichen  Person 
wurde  auf  100000  Thaler  taxirt,  gewöhnlich  kostete   eine  Hei- 
ligsprechung  70000  Gulden,     bei   der  des  Johannes  von  Ne- 
pouuik    soll    die    von    dem   herbeigeströmten  Volke  geopferte 
Summe  über  200000  betragen  haben.  ^ 

Ein  geschichtlicher  Umstand  war  der  Ausbreitung  des 
Ileiligendienstes  sehr  förderlich:  die  vom  4.bis  10.  Jahrhundert 
vor  sich  gehende  Heidenbekchrung.  Die  in  den  Schos  der 
christlichen  Kirche  aufgenommenen  heidnischen  Völkerstämmc 


1  Capitul.  11,  c.  14,  p.  427  bei  Baluz.  Capitul.  Regg.  Francor.  Tom.  I. 
-  Vulpius,  Vorzeit,  I,  253. 

3  Pagi  breviar.  Pontific.  Rom.  Tom.  II,  2G0;  III,  80. 
*  Müller,    Encyklopädisdies  Handbuch   dea    katholischen    und   prote- 
stantischen Kirchenrechts,  Art.  Canonisation. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  151 

hatten  ihr  väterliches  Erbe  sinnlicher  Anschauungen  von  Gott- 
heiten,   Schutzgöttern   und  Heroen   auf  das   neue   Gebiet   mit 
herübergebracht    und   trugen    es    unwillkürlich  auf  die  christ- 
lichen Märtyrer  und  Heiligen   über,  die  ihnen   als  verwandte 
Gebilde   entgegenkamen.     Die  Kirchenlehrer  griffen   in  diesen 
Amalgamirungsprocess  nicht  störend  ein,  und  Eusebius  ^  führte 
aus  Hesiod  und  Plato  den  Beweis:  dass  auch  die  tugendhaften 
Todten,  die  Heroen  und  Halbgötter  an  ihren  Gräbern  verehrt 
worden,   und  wenn  dies  im  heidnischen  Cultus  stattgefunden, 
so  habe  die  Verehrung  der  Gott  wohlgefälligen  Märtyrer  in- 
nerhalb der  christlichen  Kirche  um  so  grössere  Berechtio-unor. 
Aus  den  Vergleichen,    namentlich   von   griechischen  Kirchen- 
vätern angestellt,    zwischen  heidnischen  Göttern,  Heroen  mit 
christlichen  Heiliscen   ero-ab   sich:    dass    der  christliche   Cultus 
alles,  was  der  heidnische  enthält,  aufweisen  könne,  und  zwar 
in  vollkommenerm  Masse,    indem    an  die  Stelle  des  Falschen 
das  Wahre  getreten  sei.^   In  der  occidentalischen  Kirche  fand 
das  germanische  Heidenthum  eine  ähnliche  Anwendung.     Diese 
Erscheinung   ist   erklärlich.      Solange    das    Heidenthum    dem 
Christenthum   feindlich  gegenüberstand,   musste  jede  Vorstel- 
lung aus  dem  heidnischen  Glaubenskreise  auch  feindlich,  teuf- 
lisch erscheinen;    nun   aber  das  Heidenthum   besiegt  war,  die 
feindliche  Spannung  aufgehört  hatte,  konnte  die  siegende  An- 
schauung  der  besiegten  sich    nähern,    und  die  Uebersetzung 
des  Heidnischen  ins  Christliche  gewähren  lassen.   Es  war  un- 
vermeidlich,  dass   mythologische  Elemente  aus   dem  Heiden- 
thum, namentlich  dem  Heroencultus,  in  die  christliche  Legende 
übertragen  wurden.    Daher  verrichten  die  christlichen  Heiligen 
auch  Thaten  gleich  den  heidnischen  Heroen.  Der  heilige  Rofilus 
oder  Ruphilus,  nachdem  er  vorher  gebetet  und  gefastet,  tödtet 
einen  grossen  Drachen,  der,  wo  er  sass,  alle  durch  seinen  blossen 
Hauch  krank  gemacht  hatte.  ^     Der  heilige  Paris  überwältigt 
einen  Drachen,   der   von  den  Einwohnern  in  einer  Höhle  ge- 
füttert  und  verehrt  wurde,   durch  das  Gebet  und   wirft    das 
kraftlos    gewordene  üngethüm    in  das  Wasser.  *  —    An    die 


1  Praeparat.  evang.  I,  13,  c.  11. 

2  Theodoret.  Graec.  affect.  curativ.  Disput.  8. 

3  Acta  SS.  18.  Juli. 

*  Acta  SS,  Boll.  Aug.  Tom.  II,  74,  5.  Aug. 


152      Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Stelle  der  ehedem  heidnischen  Schiüzgöttcr  der  einzelnen  Land- 
schaften, Städte,  Stände  konnten  leicht  die  christlichen  Hei- 
ligen treten,  die  ja  mit  denselben  Aemtern  betrant  waren.  Die 
übersinnlichen  Engel  hatten  in  den  Heiligen  eine  menschliche 
Form  erhalten,  imd  der  Engelcnltus,  der  während  der  ersten 
vier  Jahrhunderte  mit  dem  Heiligenciiltus  sich  parallel  ausge- 
bildet hatte,  ging  auch  in  den  Heiligencultus  über  und  ver- 
wuchs mit  ihm.  Der  Charakterzug  der  Kampfbereitwilligkeit, 
den  die  kirchliche  Glaubenslehre  den  Engeln  verliehen  hatte, 
diese  im  christlichen  Himmel  um  den  göttlichen  Thron  ge- 
schart, die  Flammenschwerter  gegen  die  Engel  der  Finstcrniss 
schwingend,  darstellte,  war  auch  auf  die  Heiligen  übergegan- 
gen. Diese  Kampffreudigkeit  der  Heiligen  war  besonders  mit 
dem  germanischen  Wesen  übereingestimmt,  das  in  ihnen  die 
tapfern,  kampflustigen  Gefolgsmannen  anschaute,  die  sich  um 
den  christlichen  Volkskönig  scharten.  Die  Heiligen  werden 
in  den  Acten  der  Heiligen  gewöhnlich  treffend  „Athletae 
Christi"  genannt,  womit  das  übertragene  Heroeuthum  festge- 
halten erscheint. 

Die  Amalgamirung  des  Heidnischen  mit  Christlichem, 
wobei  man  heidnischen  Formen  eine  christliche  Bedeutung 
unterzulegen  suchte,  erhielt  durch  Gregor  den  Grossen  kirch- 
liche Legitimation  mittels  der  uns  schon  bekannten  Anwei- 
sung (a.  601):  die  heidnischen  Tempel  nicht  zu  zerstören, 
sondern  in  christliche  Kirchen  umzuwandeln,  die  gewohnten 
heidnischen  Feste  zu  belassen,  sie  aber  bei  der  Feier  der  Kir- 
chen und  Märtyrerfeste  zu  veranstalten.  Im  Heiligendienste 
sollte  das  Volk  in  Wahrheit  schauen,  was  es  in  seinen  heid- 
nischen Gottheiten  und  Halbgöttern  oder  Heroen  nur  als  Schein 
oder  Trug  geschaut  hatte. 

Vom  menschlichen  Gesichtspunkte  ist  es  begreiflich,  dass 
das  Gemüth  des  christlichen  Volks,  dem  die  himudischen 
Heerschaaren  der  Engel  zu  übermenschlich  gewesen,  sich  desto 
inniger  den  kirchlichen  Heiligen  anschloss.  Diese  standen 
nicht  nur,  wie  jene,  in  vertrauter  Nähe  Gottes,  und  vollzogen 
die  Vermittelung  zwischen  Gott  und  den  Menschen ;  die  Hei- 
ligen waren  selbst  Menschen  gewesen,  sie  wurden  noch  nach 
ihrem  Tode  als  herzliche  Theilnehmer  am  Menschlichen  ge- 
dacht, dem  sie  ihre  Hidfe  angedeihcn  Hessen.  Es  kann  daher 
auch  nicht  befremden,  wenn  die  Engel  bei  Wundergeschichteu 


10.    Ilciligendienst  und  Marieucultus.  15 


Q 


im  Volksglauben  weit  hinter  den  Heiligen  zu  stehen  kamen. 
Diese  zeigten  sich  immer  bereit,  ihren  Wohnort  der  himmli- 
schen Seligkeit,  den  sie  mit  den  Engeln  in  göttlicher  Nähe 
theilen,  zu  verlassen,  und  zwar  nicht  nur,  wie  jene,  um  die 
Befehle  Gottes  zu  vollziehen,  sondern  aus  eigenem  Antriebe, 
aus  persönlicher  Thcilnahme  am  Menschen. 

Mit  der  Zunahme  der  Verehrung  der  Heiligen,  an  deren 
Spitze  die  Heilige  Jungfrau  als  Gottesgebärerin  gestellt  und 
zum  Haupte  des  himmlischen  Chors  erhoben  ward,  wuchs 
auch  der  bange  Glaube  an  die  überhandnehmende  Zahl  und 
Thätigkeit  der  teuflischen  Plagegeister  unter  ihrem  Obersten, 
dem  Teufel.  Wenn  „die  ganze  Statistik  des  infernalen  Sab- 
bats der  kirchlichen  nachgebildet"  ist,  wie  Görres  sagt  i,  so 
steht  die  dämonische  Welt  auch  der  Engel  und  Heiligenschar 
als  dunkler,  aber  getreuer  Schattenriss  gegenüber.  Die  Vor- 
stellung vom  Teufel  und  seinen  Gehülfen  bildet  aber  nicht 
nur  die  Kehrseite  zum  Wesen  der  Engel  und  Heiligen;  son- 
dern   die   Heiligenschar    und    die   Dämonenrotte    stehen    sich 


ö" 


wechselseitig  sollicitirend  gegenüber.  Der  Heiligencultus  übte 
eine  sollicitirende  Wirkung  auf  die  Ausbildung  der  Vorstel- 
lung vom  Teufel  und  seinem  Wirken,  auf  die  Verbrei- 
tung des  Glaubens  daran,  und  dieser  Glaube  grifl"  wieder  in 
die  Geschichte  der  Heiligen  förderlich  ein.  „Nisi  enim  Dia- 
bolus  Christianos  persecutus  esset  ac  adversus  ecclesiam  bellum 
suscepisset,  nullos  haberemus  Martyres,  moesta  ac  nihil  hilaris 
festaque  (?)  vita  nobis  ageretur",  sagt  naiverweise  Aste- 
rius.  ^  Und:  „Quando  nullus  hostis  infestat,  legitimi  milites 
et  regis  amici  non  innotescunt.  Si  nulla  sit  pugna  vel  lucta, 
nulla  erit  victoria,  nrüla  erit  Corona,  nulla  merces".  ^  Auch  in 
der  Entwickelung  vom  Abstracten  zum  Concreten  gehen  beide 
Seiten  gleichen  Schritt.  Wie  von  den  übersinnlichen  abstrac- 
ten Engeln  zu  den  halbmenschlichen  Heiligen  durch  die  Auf- 
nahme vorchristlicher  Elemente  diese  eine  ganz  concrete  Ge- 
stalt erhielten,  so  wuchs  das  abstracto  böse  Wesen  durch  As- 
similirung   heidnischer   Elemente   zu   einem   concreten  persön- 


1  CLristlicbe  Mystik,  IV,  2,  S.  250. 

-  L.  P.  N.  Asterii    Encüinium  in    IS.  Martyres ,    in    Bibl.    patr.  max. 
Tom.  V,  fol.  832,  F. 

^  Anastasii  Sinaitae  quaestiones,  Qu.  CXIX. 


154       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  Jer  Vorstellung  vom  Teufel. 

liehen  Teufel  heran.  Wie  tlrüben  die  Heiligen  von  den  Heroen 
die  Heldennatur  angezogen  hatten,  so  nahm  hiiben  der  Teufel 
von  der  Natur  der  alten  Riesen  an,  was  er  durch  das  Riesen- 
hafte bei  der  Gestaltung  von  Bergen,  Felsen,  Bauten,  Brücken 
u.  dgl.  sowie  durch  Plumplieit  zuweilen  verräth.  Den  Engeln, 
diesen  übersinnlichen  Gebilden,  gegenüber  hatte  der  Teufel 
auch  noch  etwas  Schattenhaftes,  Schemenartiges;  nachdem  die 
Verehrung  der  Heiligen,  als  solcher  Wesen,  die  eine  mensch- 
liche Seite  an  sich  tragen,  in  die  erste  Linie  getreten  war, 
wurde  die  Gestalt  des  Teufels  bestimmter  und  sinnlicher.  Dem 
urspriinglichen  Gegensatz  gemäss,  in  welchem  die  himmlische 
Heerschar  zu  den  gefallenen  Engeln  steht,  bewegt  sich  der 
Teufel  mit  seinen  Genossen  im  antagonistischen  Parallelismus 
auch  zu  den  Heiligen.  Schon  bei  den  Kirchenvätern  findet 
sich  eine  Rangordnung  der  Engel  angedeutet,  gemäss  den 
verschiedenen,  ihnen  anvertrauten  Aemtern,  denen  sie  als  gött- 
liche Orgaue  vorstehen.  W^o  die  Heiligen  an  die  Stelle  der 
Engel  treten,  erheischt  die  Folgerichtigkeit,  dass  sie  in  ihrer 
Beziehung  zur  Menschen  weit,  mit  der  sie  unmittelbar  ver- 
kehren, auch  über  bestimmte  Verhältnisse  gestellt  seien,  denen 
sie  ihren  besondern  Schutz  gewähren.  Häufig  findet  sich 
die  förmliche  Eintheilung  der  Heiligenschar  in  sechs  Klassen 
unter  dem  Vortritte  der  Muttergottes.  In  Betrefi"  der  hölli- 
schen Dunkelseite  ist  schon  im  Neuen  Testamente  von  Dienern 
und  Genossen  des  Teufels  die  Rede,  im  Verlaufe  der  Zeit 
bildet  sich  aber  eine  ordentliche  Klasseneintheilung,  die  frei- 
lich nicht  immer  dieselbe  ist.  Ein  Beispiel  lieferten  die  Kab- 
balisten.  Kurz,  wie  früher  der  Angelologie,  so  steht  später 
der  Hagiologie  die  Dämonenwelt  gegenüber. 

Die  gegensätzliche  Parallele  zwischen  den  Hei- 
Hgen  und  dem  Teufel  ist  in  jeder  Beziehung  ersichtlich, 
und  so  wirken  sie  sollicitirend  auf  einander. 

Wohnstätte. 

Nach  der  biblischen  Tradition  ist  der  Aufenthalt  der 
bösen  Wesen  vornehmlich  die  Einöde,  die  Wüste.  Diese  Vor- 
stellung wird  von  der  kirchlichen  Dämonologie  festgehalten, 
nach  welcher  verödete  Stätten,  Wälder  u.  s.  f.  als  Lieblings- 
plätze   der  Teufelei    gelten.     Der    heilige  Peregrinus,    der  in 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  155 

einen  dunkeln  Wald  kommt,  hört  ein  ungeheueres  Lärmen  und 
Heulen  der  Dämonen  und  Stimmen  von  Schreienden,  als 
wären  sie  in  der  Hölle.  Plötzlich  sieht  er  sich  von  einer 
solchen  Menge  von  Dämonen  in  verschiedener  Gestalt  um- 
geben, dass  er  von  der  Luft  oder  Erde  kaum  etwas  sehen 
konnte.  Einstimmig  fingen  sie  zu  schreien  an:  „Wozu  bist 
du  hierher  gekommen,  da  dieser  Wald  doch  uns  eigen  ist,  da- 
mit wir  unsere  Bosheit  darin  ausüben,  zu  der  wir  durch  die 
Sünden  der  Menschen  die  Macht  haben."  ^  —  Nach  der  An- 
schauung der  Zeit  war  eine  Ruine,  besonders  die  eines  Hei- 
dentempels, als  einstige  Wohnstätte  von  Dämonen  mit  der 
Vorstellun<y  von  diesen  unzertrennlich.  Wenn  sich  ein  heiliger 
Mann  in  die  Einöde  zurückzog,  so  betrat  er  das  Revier  des 
Teufels,  abgesehen  davon  dass  er  ihm  durch  sein  Vorhaben 
zuwider  sein  musste.  Wenn  jener  durch  das  Kreuzeszeichen 
Gebet  u.  s.  f.  dem  Grimme  des  Teufels  auch  Widerstand 
leistete,  so  hatte  er  doch  immerwährende  Kämpfe  zu  bestehen, 
zu  denen  der  Teufel  sich  herausgefordert  sah.  Erhob  sich 
nun  gar  eine  Kirche  oder  ein  Kloster,  um  die  sich  das  Volk 
ansiedelte,  wurden  Wälder  ausgerodet,  unbebaute  Landstrecken 
urbar  gemacht;  so  sah  der  Teufel,  der  nur  im  Wüsten,  Oeden, 
Unfruchtbaren  in  seinem  Elemente  ist,  sich  stark  beeinträch- 
tigt und  zu  höllischen  Werken  angeregt.  Obschon  die  An- 
siedelungen durch  Kirche  und  Kloster  in  ihrer  Mitte,  die 
gewöhnlich  Reliquien  des  Schutzheiligen  aufbewahrten,  gegen 
vernichtende  Anschläge  des  Teufels  gesichert  waren,  so  ver- 
säumte dieser  doch  keine  Gelegenheit,  die  Schmälerung  seines 
Gebietes  durch  unablässige  Versuchungen,  durch  ängstigenden 
Spuk  aller  Art  zu  rächen. 


Aussehen. 

Von  Christus,  dem  Ideale  menschlicher  Schönheit, 
spiegelt  sich  diese  auch  an  den  Heiligen,  an  denen  sie  beson- 
ders nach  ihrem  verklärenden  Tode  angeschaut  wird.  Lucifers 
ursprüngliche  Schönheit  hat  sich  nach  dem  Falle  in  absolute 
Hässlichkeit  verwandelt,  gemäss   seiner   höchsten  Bosheit. 


1  A.  SS.  Boll.  Aug.  Tom.  1,  7.  Aug.,  p.  80. 


156       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Die  Lieblichkeit  der  Heilic^en  gibt  sich  in  einem  himmlischen 
Dufte  kund,  den  sie  und  ihre  Reliquien  aushauchen;  folge- 
richtig: muss  dem  Teufel  und  seinen  Genossen  ein  höllischer 
Gestank  zukommen,  den  sie  gewöhnlich  nach  ihrem  Ver- 
schwinden zuriicklassen. 


Gegensatz  im  Streben. 

Die  Heiligen  haben  stets  das  Wohl,  sowol  das  physische 
als  moralische,  der  Menschen  im  Auge,  zu  dessen  Förderung 
sie  jederzeit  bereit  sind;  andrerseits  ist  aber  der  Mensch  kei- 
nen Augenblick  sicher  des  Teufels  zu  werden,  der  es  auf  sei- 
nen Untergang  abgesehen  hat,  und  während  die  Heiligen  iiber 
den  menschlichen  Unternehmungen  wachen,  trachtet  der  Teufel 
sie  zu  gefährden. 

Die  Heihgen  haben  als  Streiter  Christi  ihren  Kampfplatz 
vornehmlich  auf  ethischem  Gebiete,  sind  zum  Schutze  und  Tröste 
des  Seelenheils  des  gläubigen  Christenmenschen.  Der  Teufel 
trachtet,  Leidenschaften  anzufachen,  diese  Urheberinnen  der 
Siinden.  Er  ist  am  meisten  in  solchen  Zeiten  thätig,  wo  die  sitt- 
lichen Zustände  ausser  Rand  und  Band  zu  kommen  drohen, 
wo  die  sittliche  Verkommenheit  am  meisten  zu  Tage  tritt. 
Wo  Raub,  Mord,  Unzucht  herrscheu,  da  hat  der  Teufel  sein 
Spiel.  So  war  es  besonders  um  das  10.  und  13.  Jahrhundert, 
um  welche  Zeit  auch  die  Heiligenverehrung  in  steigendem 
Aufschwung  war. 

Wie  früher  in  den  heidnischen  Götzentempeln ,  wurden 
später  in  den  christlichen  Kirchen  und  Kapellen  Abbildimgen 
von  Gliedern,  deren  Heilung  man  von  der  Fiirbitte  der  Hei- 
ligen oder  von  ihnen  selbst  erwartete,  als  Weihgeschenke  auf- 
gehängt; man  trug  Reliquien  als  Anmiete  von  heilsamer  Wirk- 
samkeit; man  feierte,  nach  der  Art  und  statt  der  heidnischen 
Opfermahlzeiten  zum  Besten  der  Manes,  christliche  Gastmäh- 
ler zu  Ehren  der  Heiligen,  die  als  Gäste  geladen  waren,  flehte 
um  ihren  Beistand  zu  einer  beabsichtigten  Reise,  setzte  ihnen 
ihre  Portion  auf  die  Tafel  der  Passagiere  des  Schiffs,  das  unter 
die  Obhut  eines  Heiligen  gestellt  war.  ^    Von  Dämonenopfern 


1  Neandcr,  K.  G.  11,  2;  S,  714  fg. 


^      10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  157 

sprechen  schon  die  Kirchenväter  vom  4.  bis  6.  Jahrhundert. 
Die  Hülfe  des  Teufels  ward  von  dem,  der  sich  ihm  um  den 
Preis  der  Erfüllung  eines  Wunsches  ergeben  will,  angerufen, 
er  verleiht  den  Seinen  verschiedene  Mittel,  andern  Böses  zu- 
zufügen, luid  ihre  nächste  Absicht  zu  erreichen. 

Es  wurde  schon  berührt,  dass  das  beiderseitige  Wachsen 
ein  gleichzeitiges  war,  und  synchronistische  Daten  sprechen 
dafür;  z.  B. :  im  11.  Jahrhundert  sammelte  Bischof  Burchard 
sein  „Magnum  decretorum  volumen",  wo  im  zehnten  Buche  die 
Priester  dringlichst  aufgefordert  werden,  dem  Teufelsglauben 
durch  Lehre  und  Strafe  zu  steuern;  in  demselben  Jahrhun- 
dert schrieb  Guibert  von  Nogent  seine  vier  Bücher  „De  pig- 
noribus  Sanctorum"  gegen  die  Misbräuche  der  Heiligenver- 
ehrung. 

Wie  die  Engel  als  göttliche  Werkzeuge  zur  Ausführung 
des  höchsten  Willens  mit  göttlicher  Vollmacht  ausgerüstet 
waren,  so  musste  den  Heiligen,  welche  denselben  Beruf  über- 
nahmen, auch  Wunderkraft  zukommen,  durch  die  sie  über 
das  menschliche  Mass  hinausragen.  Gott  verleiht  ihnen  diese 
Kraft  nicht  nur  bei  Lebzeit,  sondern  auch  nach  ihrem  Tode, 
wo  sie  durch  das  Gebet  des  Menschen  in  Anspruch  genom- 
men werden  kann,  das  auf  den  Heiligen  eine  zwingende 
Gewalt  ausübt.  Schon  Gregor  von  Tours  ^  behauptet:  Nee 
moratur  effectus  si  petitionis  tantum  justa  proferatur  oratio. 
Die  Festigkeit  dieser  Vorstellung  erklärt  es,  wie  die  Bewohner 
von  Tours  dem  heiligen  Martinus  drohen  konnten,  ihm  keine 
Ehre  mehr  zu  erweisen,  wenn  er  ihre  Bitte  um  Hülfe  nicht 
gewähren  würde.  -  Auch  der  Teufel  kann  citirt  werden  und 
muss  der  Beschwörung  folgen,  was  er  oft  mit  grossem  Un- 
willen thut.  Es  findet  auf  höllischer  Seite,  wie  auf  jener  der 
Heiligen,  eine  sinnlich  wahrnehmbare  Vermittelung  der  über- 
menschlichen Macht  statt  durch  Aussprechen  gewisser  Worte 
und  Namen,  durch  Auflegen  der  Hände,  Bestreichen  des  Lei- 
bes, Anwenden  von  Salben,  dämonischen  Zeichen,  entsprechend 
den  Relic[uien  und  dem  andern  magischen  Apparate,  wodurch 
die  Macht  der  Heiligen  in  Anspruch  genommen  wird.  Je 
nach    der    verschiedenen  Seite,    auf  welche    der  Mensch    sich 


1  Gloria  Martini,  I,  2<S. 

^  Greg.  Turon.  Miracula  Mart. 


158        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

stellt,  um  die  gewünschte  Hilfe  zu  erlangen,  gebraucht  er 
Segensformeln  fiir  die  Heiligen  oder  Beschwörungsfor- 
meln, um  den  Teufel  herbeizurufen.  Von  den  vielen  8egens- 
spri'ichen,  die  Grimm,  Mone,  Haupt  und  Andere  mitgetheilt 
haben,  sind  manche  noch  heutigentags  gangljar  und  rufen 
ausser  Christus  vornehmlich  Maria  und  Heilige  an.  Von  meh- 
rern ist  nachgewiesen,  dass  sie  bis  in  die  Heidenzeit  hinauf- 
reichen, wie  jener  Zauberspruch  iiber  den  verrenkten  Fuss 
des  Pferdes,  den  Grimm  aufgefunden  hat. 
Ein  Beispiel  einer  Segensformel: 

Gets  meine  lieben  Buebn ! 

Holz  woUme  zsamme  tragn. 

Jetzt  springmer  übers  Fuic 

Denn  gehmer  ünse  Stuie. 

Haiige  Veit! 

Schenk  uns  c  Scheit; 

Haiige  Marks ! 

Schenk  uns  e  starks ; 

Haiige  Sixt! 

Schenk  >uns  e  dicks ; 

Haiige  Kolomann! 

Zünd  unse  Haus  net  an. 

Wer  mer  e  Scheit  gibt  is  e  brave  man, 

Wer  mer  kans  gibt  is  e  rechte  gogkelhan. ' 

Analog  sind  die  Beschwörungsformeln  in  Bezug  auf  die 
bösen  Wesen.     Als  Beispiel  diene  eine  der  kiirzeru: 

„Ich  N.  N.  beschwöre  dich,  Lucifer,  Beizebub  und  alle 
Obersten,  wie  ihr  heissen  imd  Namen  haben  mögt,  bei  der 
allerheiligsten  Dreifaltigkeit,  dem  Vater,  Sohn  und  Heiligen 
Geiste,  Alpha  und  Omega,  Michael,  llaphael  u.  s.  w.  Ja  ich 
beschwöre  euch  alle  miteinander  in  der  Hölle,  in  der  Luft 
und  auf  der  Erde,  in  den  Steinkliiften,  unter  dem  Himmel,  im 
Feuer  und  allen  Orten  und  Ländern,  wo  ihr  nur  seid  und 
euern  Aufenthalt  habt,  keinen  Ort  ausgenommen,  dass  ihr  die- 
sen Geist  Aziel  augenblicklich  bestellet  und  von  Stund  an, 
so  viel  ich  begehre,  bringet"  u.  s.  f.  ^ 

Nach  beiden  Seiten,  nämlich  der  heiligen  und  teuflischen, 


1  Bei  Schindler,  Aberglaube  des  Mittelalters,  107. 
^  Eine    ganze  Sammlung    solcher   Formeln,    besonders  von    „Fausts 
Hüllcnzwang"  befindet  sich  bei  Scheible,  Das  Kloster,  V,  20.  Zelle, 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  159 

gebrauchte  man  auch  Bilder  von  "Wachs,  Thon,  Metall,  die 
man  in  magischer  Beziehung  zum  Originale  dachte.  Mit  Ma- 
rienmedaillen und  Heiligenbildern  geschahen  Wirkungen  im 
guten  Sinne;  man  hatte  aber  auch  Bilder  von  Personen,  denen 
man  schaden  wollte  („Atzmann"  genannt) ,  deren  Lebenskraft 
man  an  das  Bild  gebunden  glaubte.  Solche  Bilder  hatten  ihre 
Wirksamkeit  vom  Teufel;  wurden  sie  geschmolzen  oder  sonst 
verletzt,  so  schwand  die  Lebenskraft  des  Originals,  hing  man 
sie  in  den  Rauch,  so  siechte  jenes  langsam  dahin. 

Da  es  im  Wesen  des  Teufels  liegt,  Unheil  zu  stiften,  den 
Menschen  an  Leib  und  Seele  zu  schädigen,  dagegen  das  Streben 
der  Heiligen  auf  dessen  Heil  gerichtet  ist,  so  muss  die  teuf- 
lische Bosheit  immer  mehr  herausgefordert  und  gesteigert 
werden,  wodurch  die  Heiligen  wieder  durch  zahlreichere  und 
grössere  Wunderthaten  ihn  zu  überbieten  trachten  müssen. 
Hier  wächst  dadurch  das  Ansehen  und  die  Verehrung  der 
Heiligen,  dort  gewinnt  der  Glaube  an  den  Teufel  und  seine 
Macht  immer  tiefere  Wurzeln  und  weitere  Verbreitung. 

Obschon  dem  Teufel  weder  volle  Allgegenwart  noch  All- 
wissenheit zukommt  und  seine  Macht  an  der  göttlichen  ihre 
Schranke  findet,  so  ist  er  dem  Menschen  doch  weit  überle- 
gen, da  er  mit  unbegreiflicher  Schnelligkeit  bald  da,  bald  dort 
erscheint  und  alles,  was  in  der  Menschenwelt  vorgeht,  er- 
spähen kann.  Der  Mensch  wendet  sich  daher  im  Gebete  an 
die  Heiligen  und  fordert  sie  heraus,  durch  Wunderthaten  der 
Wirksamkeit  des  Teufels  den  Rang  abzulaufen,  um  vor  diesem 
sichergestellt  zu  werden.  Dafür  wendet  sich  natürlich  der 
bitterste  Hass  des  Teufels  gegen  die  Heiligen.  Zu  dem  un- 
versöhnlichen Hasse,  den  der  Teufel  an  sich  als  Widersacher 
des  Reiches  Jesu  und  der  christlichen  Kirche  gegen  die  Hei- 
ligen als  deren  getreue  Anhänger  und  Streiter  hegen  muss, 
zu  der  Rachsucht,  die  ihn  wegen  seiner  Verstossung  zu  ewi- 
ger  Verdammniss  martert,  gesellt  sich  noch  der  verzehrende 
Neid  über  die  Verehrung,  die  den  Heiligen  zutheil  wird, 
welcher  ihn  nie  ruhen  lässt,  diese  von  ihrer  Heiligkeit  abzubrin- 
gen. Hieraus  erklärt  sich  der  besondere  Reiz,  den  die  Heili- 
gen für  den  Teufel  haben,  sie  unablässig  durch  Versuchungen 
zu  plagen,  wodurch  seine  Erfindungskraft  immer  mehr  ange- 
regt und  geschärft  wird.  Die  Heiligen,  die  am  meisten  und 
unaufhörhch  mit  dem  Teufel    zu    kämpfen    haben,    gewinnen 


100      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

dadurch  wieder  an  Charakterausprägmig  und  Gestaltung,  und 
so  ruft  jede  Bewegung  auf  der  einen  Seite  eine  correlate  Tliä- 
ti'dveit  auf  der  andern  hervor,  es  spiegehi  sich  die  Formen  im 
Antagonismus  mit  gegensützhchen  Farben. 

Eine  concretere  Anschauung  von  dem  gegensätzhchen 
Parallehsmus  gewinnen  wir  vielleicht  durch  einen  Umblick  in 
den  Legenden  der  Heiligen,  wo  diese  so  viel  wie  möglich 
selbst  sprechen  mögen. 

Dass  der  Teufel  über  die  gelungene  Versuchung  eines 
Heiligen  zu  einer  leichten  Sünde  mehr  Freude  habe,  als  wenn 
er  einen  Sünder  zu  einer  Todsünde  bringt,  das  weiss  die 
Wienerin  Blannbeckin  vom  Teufel  selbst.  ^ 

Die  Legenden  geben  häufig  selbst  als  Grund  der  Ge- 
hässigkeit des  Teufels  gegen  die  Heiligen  den  Neid  an.  So 
hatte  der  heilige  Winiwal  in  Britannien,  wie  die  Legende  be- 
richtet, durch  seine  Frömmigkeit  den  Neid  des  Teufels  erregt, 
der  daher,  ihm  als  schreckliches  Ungeheuer  erscheinend,  ihn  in 
Angst  versetzen  w^ollte.  Der  Teufel  war  ganz  „quasi"  russig, 
nahm  bald  die  Gestalt  von  Vögeln,  bald  von  Schlangen,  wil- 
den Thieren,  Seeungeheuern,  richtete  sich  auf,  bald  bis  an  die 
Wolken  reichend,  bald  wälzte  er  sich  im  Staube.  Nachdem 
er  aber  wahrgenommen ,  dass  der  Psalmii-ende  nicht  aus  der 
Fassuno-  zu  bringen  sei,  verschwand  er  endlich  wie  ein  leich- 
ter Schatten.  '■^ 

Als  Jungfrau  war  die  heilige  Dorothea  ein  blühendes 
Keis  der  Tugend,  und  der  Ruf  ihrer  Unschuld  und  Schönheit 
verbreitete  sich  allenthalben  im  ganzen  Lande.  Der  Teufel 
konnte  dies  nicht  vertragen  und  entzündete  das  Herz  des  Fa- 
bricius  (Statthalters),  dass  er  ihrer  in  sündhafter  Liebe  be- 
fj-ehrte.  Er  sandte  auch  alsobald  Boten  an  sie  mit  freund- 
lichem Grusse  und  Hess  ihr  sagen :  es  zieme  sich  wol  für  sie, 
sich  bald  einen  Gemahl  zu  nehmen;  er  habe  Geld  und  Gut 
im  Ueberfluss.  Nachdem  sie  dies  standhaft  abgelehnt,  wird 
sie  gemartert  und  endlich  hingerichtet.  ^ 

Im  Leben   der   heiligen  Coleta   meldet  die  Legende:  Der 


1  Agn.  Blannb.  vitii  et  revelat. ,  ]).  232. 

2  A.  SS.  15oll.  3.  Mtu't. 

^  Diemer,   Kleine  Beiträge  zur  altern  deutschen  Sprache  und  Litera- 
tur, II,  10. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  IGl 

alte  Feind  habe  die  Eigenthümlichkcit,  je  mehr  er  sehe,  dass 
sich  jemand  Gott  nähere,  desto  mehr  suche  er  ihn  zu  ver- 
folgen, zu  beunruhigen  und  abzuhalten,  grosse  Uebel  über  ihn 
zu  verhänsren  und  sie  zu  vermehren.  ^  Da  der  Teufel  wahr- 
nahm,  dass  die  Magd  Christi  durch  die  vollste  Liebe  mit  Gott 
vereint  sei,  suchte  er  ihr  alle  möglichen  Hindernisse  in  den 
Weg  zu  legen.  Noch  in  ihrer  Jugend,  als  sie  schon  den  Ent- 
schluss  gefasst  hatte,  Gott  von  ganzem  Herzen  zu  lieben  und 
ihm  zu  dienen,  erschien  ihr  ein  böser  Geist  mehrere  Jahre 
hindurch  in  jeder  Nacht,  wenn  sie  ihre  Gebete  anfing,  und 
in  ihrer  Nähe  stehend,  gab  er  wunderbare  Laute  von  sich, 
um  sie  in  ihren  heiligen  Gebeten  zu  stören.  So  jung  sie  aber 
auch  war,  stand  sie  doch  so  fest  im  Glauben  an  den  Herrn, 
dass  sie  dem  Bösen  gar  kein  Zeichen  gab  und  kein  Wort  zu 
ihm  sprach,  worauf  er  sich  im  Ueberdrusse  zurückzog.  Als 
sie  im  mittlem  Alter  ihres  religiösen  Standes  war,  überfielen 
sie  oft  die  bösen  Geister,  schlugen  sie  grausam  mit  Knitteln, 
dass  ilire  Schienbeine  halben  Leibes  dick  geschwollen  waren. 
Als  sie  einmal  ein  ganz  besonderes  Gebet  dem  Herrn  dar- 
brino-en  wollte,  fielen  mehrere  solcher  Feinde  über  sie  her, 
um  sie  daran  zu  hindern,  und  zwar  in  Gestalt  von  Füchsen, 
und  schickten  sich  an,  sie  stark  zu  schlagen.  Der  Herr  ver- 
lieh ihr  aber  Muth  den  Angriff  abzuwehren,  so  dass  diese 
wichen  und  die  HeiHge  Siegerin  blieb ,  obschon  sie  vom 
Kampfe  sehr  ermüdet  war.  Die  Bösen,  darüber  erbost,  dass  die 
Gebete  der  Heiligen  den  Geschöpfen  so  heilsam  waren,  schie- 
nen es  unter  sich  abgemacht  zu  haben ,  der  Heiligen  keine 
Ruhe  zu  lassen,  suchten  ihr  Schrecken  einzujagen  und 
kamen  deshalb  unter  verschiedener  Gestalt,  bald  als  ganz 
rothe  Menschen,  zuweilen  in  der  Form  einer  furchtbaren  Sta- 
tue, grässlich  anzusehen,  so  gross,  dass  sie  in  den  Himmel  zu 
ragen  schien.  Einmal  erschien  ihr  der  Teufel  in  der  Gestalt 
eines  bösen,  fürchterlichen  Drachen,  der  nach  seiner  Erschei- 
nuno- in  der  Mauer  verschwand.  Da  sie  beim  Anblicke  von 
Kröten,  Fröschen,  Schlangen,  Spinnen  und  ähnlichen  giftigen 
Reptilien  grossen  Abscheu  empfand,  zeigten  sich  die  bösen 
Geister  gerade  unter   diesen  Gestalten.     Als  aber  die  Heilige 


1  A.  SS.  Boll.  Mart.  Tom.  I,  p.  572,  cap.  XVI. 

Eoskoff,  Geschichte  des  Teufels.    II.      .  jj 


1G2        Zweiter  Abschnitt :    Ansliildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

die  List  durchschaute,  nahm  sie  jedesmal  ihre  Zuflucht  zu 
Gott,  worauf  die  Erscheinungen  immer  verschwanden.  Mehr- 
mals hatten  die  Bösen  die  Leichname  von  Erhenkten  in  das 
Oratorium  der  Heiligen  gebracht,  nur  um  sie  zu  stören, 
mussten  aber  jene  auf  ihren  Befehl  wieder  wegschaffen.  Wie 
der  heilige  Franciscus  grossen  Abscheu  vor  Ameisen  hatte, 
so  fino-  es  auch  unserer  heiligen  Magd  Christi,  die  bei  deren 
Anblick  im  Herzen  betrübt  ward.  Darum  eben  erschienen 
ihr  die  Bösen  gerne  in  dieser  Gestalt,  auch  in  der  von 
Fliegen  in  grosser  Menge,  um  sie  zu  belästigen,  oder  in  Ge- 
stalt von  Schildkröten,  Schnecken  u.  dgl. 

Als  der  heilige  ColujDpanus  sich  in  einer  Steinhöhle  ein 
kleines  Oratorium  bereitete,  fielen  öfter  Schlangen  über  ihn 
her,  die  sich  um  seinen  Hals  wanden,  worüber  er  sehr  er- 
schrak. Er  erkannte,  dass  diese  vom  Teufel  ausgingen  luid 
dessen  Nachstellungen  seien.  Eines  Tages  aber  kamen  zwei 
Drachen,  wovon  der  eine  der  oberste  Verführer  selbst  war, 
der  stärker  als  die  andern,  dem  Heiligen  sich  so  nahe  stellte, 
als  ob  er  ihm  etwas  zuflüstern  wollte.  Der  Heilige  stand  vor 
Schrecken  wie  von  Erz,  ohne  ein  Glied  rühren  und  das  Kreuz 
machen  zu  können.  Nachdem  sie  geraume  Zeit  stumm  dage- 
standen, fiel  dem  Heiligen,  der  nicht  einmal  die  Lippen  be- 
weo-en  konnte,  ein:  das  Gebet  des  Herrn  „im  Herzen  zu 
schreien".  Als  er  dies  gethan,  fühlte  er,  dass  seine  erstarr- 
ten Glieder  sich  zu  lösen  anfingen,  und  nachdem  er  seine 
rechte  Hand  frei  fühlte,  machte  er  das  Kreuz,  kanzelte  übei*- 
dies  den  Teufel  tüchtig  herunter,  der  ganz  verstört  Reissaus 
nahm  mit  Hinterlassung  eines  schrecklichen  Gestanks. ' 

Die  heilige  Francisca  Ilomana  musste  unzählige  Verfol- 
o-iui'1'en  der  bösen  Geister  ertragen,  die  ihr  als  Löwen,  Hunde, 
Schlangen,  Menschen,  Engel  erschienen,  sie  im  Hause  herum- 
zerrten, in  die  Luft  schleppten,  sie  mit  grosser  Gewalt  nieder- 
warfen, prügelten  u.  dgl.  Einmal  mit  dem  Lesen  heiliger 
Bücher  beschäftigt,  erschienen  ihr  die  Teufel  in  Gestalt  ver- 
schiedener wilder  Tliiere,  zerrissen  ihr  die  Bücher,  warfen  die 
Heiliire  auf  einen  Aschenhaufen  inid  zerschunden  sie  der  Art, 
dass  sie  niemand  für  ein  weibliches  Wesen  erkannte.^ 


1  A.  SS.  Boll.  Vita  S.  Cohippani,  3.  Mart. 

2  A.  SS.  Boll.  Vita  Franciscac  Ronianae,  9.  Mart. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  163 

Dem  heiligen  Einsiedler  Nikolaus  erscheint  der  Teufel  in 
der  Einsamkeit  als  feiner  Herr  auf  edelm  Koss,  im  Seiden- 
kleid, mit  einem  Saphir  am  Finger,  einer  goldenen  Kette  um 
den  Hals  und  sucht  den  Heiligen  fiir  das  weltliche  Leben  zu 
gewinnen,  wird  aber  zu  Schanden.  Ein  andermal  kommt 
er  als  reicher  Kaufmann  und  sucht  den  Heiligen  zu  überzeu- 
gen, dass  er  von  seinen  Erfahrungen  und  Rathschlägen  unter 
den  Menschen  mehr  Nutzen  gewinnen  könne,  als  in  der  Ein- 
samkeit.    Der  Heiliije  bleibt  aber  standhaft.  ^ 

Als  der  „heilige  Johannes  im  Brunnen"  noch  jung  war, 
erschien  ihm  der  Teufel  in  Gestalt  seiner  Mutter  und  suchte 
ihn  durch  Beschwörungen  zu  bewegen,  sein  Leben  im  Brun- 
nen aufzugeben.  Er  erinnerte  ihn  an  die  mütterlichen  Schmer- 
zen bei  seiner  Geburt,  an  seine  Schwester  und  deren  Liebe 
zu  ihm.  Der  Teufel  nahm  auch  die  Gestalt  der  Schwester 
des  Heiligen  an  und  suchte  ihn  zu  erweichen,  ihm  vorstellend, 
dass  sie  des  Vaters  beraubt,  seiner  Stütze  bedürfe.  Der  Hei- 
lige, der  sich  im  Brunnen  befindet,  gibt  keine  Antwort,  wor- 
auf der  Teufel  sehr  zornig  wird,  sich  als  Drache  in  den 
Brunnen  stürzt,  den  Heiligen  ergreift  und  dessen  Fleisch  zu 
essen  und  wieder  auszuspeien  scheint.  Der  Heilige  lässt  sich 
aber  in  seinem  Gebete  nicht  stören  und  lebt  zehn  Jahre  in 
dem  Brunnen.^ 

Als  der  heilige  Franciscus  das  Kloster  zu  Paula  zu  bauen 
anfing,  errichtete  er  einen  Kalkofen,  der,  als  er  mit  Steinen 
gefüllt  in  vollem  Brande  stand,  einstürzte.  Von  den  Mön- 
chen zur  Hülfe  herbeigerufen,  schickte  er  dieselben  zum  Früh- 
stück und  blieb  allein  zurück.  Nach  ihrer  Rückkunft  finden 
sie  den  Kalkofen  ganz  hergestellt,  als  ob  ihm  nie  etwas  ge- 
fehlt hätte.  3 

Da  die  heilige  Juliana  beflissen  war,  bei  jeder  Gelegen- 
heit die  Seelen  der  Macht  des  Bösen  zu  entreissen,  so  ist  es 
natürlich,  sagt  die  Legende,  dass  sie  dadurch  den  Hass  des 
Teufels  besonders  auf  sich  geladen  hatte.  Er  wüthete  daher 
mit  seiner  ganzen  Bosheit  gegen  sie,  ob  sie  im  Schlafe  war 
oder  ob  sie  wachte.     Er  erschien  ihr  auch  sichtbar.     Je  mehr 


1  A.  SS.  Boll.  Vita  S.  Nicolai  de  Hupe  Anachor.,  22.  Mart. 
^  Acta  SS.  Vita  S.  Joannis  in  putco,   30.  Mart. 
^  Acta  SS.  Vita  S.  Francisci  de  Paula,  2.  April. 

11* 


1G4         Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 


er  sich  aber  gßgen  sie  anstrengte,  desto  mehr  suchte  sie  die 
Seelen  aus  seiner  Gewalt  zu  befreien,  denn  sie  wusste,  dass 
sie  dadurch  um  so  mehr  in  der  Liebe  Christi  gewinne,  je  mehr 
der  Böse  in  Wuth  gcrathe.  Sie  war  daher  unablässig  auf 
ihrer  Hut,  um  nicht  vielleicht  irgendwie  A^on  ihm  überlistet  zu 
w^erden.  Unter  dem  Schilde  des  Gebets  hielt  sie  die  Angrifie 
ihres  Verfolgers  aus,  und  aus  dem  Sakramente  des  Altars 
schöpfte  sie  immer  wieder  frische  Kraft.  Da  er  sie  lange  un- 
sichtbarerweise gequält  hatte,  kam  er  auch  in  sichtbarer 
Gestalt  in  ihr  Haus  um  von  ihr  gezüchtigt  zu  werden.  Es 
entstand  einmal  bei  dem  Angriffe,  den  Juliana  auf  den  Bösen 
machte,  ein  starkes  Geräusch,  da  sie  ihn  mit  den  Händen  er- 
griffen festhielt,  aus  Leibeskräften  auf  ihn  losschlug,  ihn 
mit  Füssen  stiess  unter  heftigen  Vorwürfen.  Der  sich  zum 
Höchsten  erhoben  wissen  wollte,  wurde  von  einem  Weibe  mit 
Schmach  und  Schlägen  überschüttet.  Da  er  fliehen  wollte, 
aber  nicht  konnte,  sprach  er  zur  Heiligen:  lasse  mich  los  iind 
o-eh  zu  deinen  Schwestern,  die  an  der  Schwelle  deines  Schlaf- 
gemachs  horchen,  um  hinterlistigerweise  dessen  dich  anzu- 
klagen, das  du  geheim  halten  willst.  Hierauf  entliess  sie  ihn 
und  fand  in  der  That  die  Schwestern  an  der  Thüre  liegen, 
was  die  Heilige  mit  Traurigkeit  erfüllte.  Denn  in  diesem 
Hause  üab  es  zweierlei  Personen,  solche,  welche  die  Braut 
Christi  beobachteten  um  sie  nachzualimen,  und  solche,  um  sie 
zu  beneiden,  was  bisher  (sagt  die  Legende)  in  allen  Jungfrau- 
klöstern der  Fall  ist.  ^ 

Der  heilige  Alferius,  dem  der  Teufel  wegen  seiner  Erfolge 
aufsässig  ist,  wird  von  diesem  von  einem  Berge  an  das  Mee- 
resufer heruntergestürzt.  Die  in  seiner  Gesellschaft  waren, 
kommen  unter  Klagen  an  die  Küste,  finden  ihn  aber  unver- 
sehrt daselbst  stehen.  Dadurch  wuchs  natürlich  der  Kuhm 
des  Heiligen,  fügt  die  Legende  bei,  den  der  Teufel  zu  min- 
dern beabsichtigt  hatte. '-^ 

Der  Teufel,  der  auch  auf  die  Zunahme  der  heiligen  Wi- 
borada  neidisch  ist,  sucht  ihrem  Eifer  im  Kirchenbesuche 
hinderlich  zu  sein,  indem  er  sie  häufig  zu  Kämpfen  heraus- 
fordert,  sie  unter  verschiedenen  Gestalten  umgaukelt,  um  sie 


'  Acta  SS.  Vita  S.  Julianae  virg.,  5.  April. 
2  Acta  SS.  Vitii  S.  Allerii,  12.  April. 


10.    Ileiligeiidienst  und  Mariencultus.  165 

zu  änffstiffen,  wowcen  aber  die  Heiliee  durch  das  Zeichen  des 
Kreuzes  die  Oberhand  behält.  Als  sie  einmal  des  Nachts, 
nach  ihrer  gewohnten  AVeise,  nach  der  Kirche  eilte,  hörte  sie 
an  deren  Schwelle  ein  schreckliches  Getöse,  wie  von  einem 
grunzenden  Schweine,  wodurch  die  Eintretende  abgeschreckt 
werden  sollte.  Die  Heilige  merkt  aber  die  Absicht  und  den 
Urheber,  nimmt  ihre  Zuflucht  zum  Kreuzeszeichen,  und  Ruhe 
stellt  sich  ein. 

Dieselbe  heilige  Wiborada  pflegte  von  dem,  was  ihr  selbst 
geboten  ward,  den  Armen  reichlich  mitzutheilen.  Unter  die- 
sen hatte  sich,  zur  Zeit,  wo  sie  gespeist  wurden,  einer  regel- 
mässig eingefunden,  der  nur  mit  Hülfe  von  Kriicken  gehen 
konnte.  Der  Teufel,  der  alles  Gute  beneidet,  übernahm  eines 
Tags  die  Rolle  dieses  Armen  und  erschien  um  die  gewöhn- 
liche Mahlzeit,  legte  sich  vor  da§  Fenster  der  Heiligen  und 
that,  als  ob  er  sofort  verenden  müsste,  wenn  er  das  Almosen 
nicht  erhielte.  Die  Heilige,  im  Gebete  vertieft,  gibt  keine 
Antwort,  der  Böse  aber  erhebt  sich  nach  einigen  eindring- 
lichen Worten  unter  dem  Fenster  um  hineinzusehen  und  zeigt 
sein  schreckliches  Haupt.  Da  ruft  die  Heilige:  „Weiche  hin- 
wee:  im  Namen  Christi,  von  mir  erhältst  du  nichts!"  worauf 
der  Teufel,  wie  vom  Winde  hinweggeblasen,  verschwindet.* 

Der  heilige  Gerlacus,  der  sich  einer  herrlichen  Nachtruhe 
erfreut,  erregt  dadurch  den  Neid  des  Teufels,  und  dieser  sucht 
den  Heiligen  zu  quälen,  indem  er  Lärm  macht,  bald  als  ob 
Feinde  oder  Räuber  einbrächen,  oder  dass  er  wie  ein  Dieb 
um  seine  Zelle  herumschleicht.  Jedesmal  vertreibt  ihn  aber 
der  Heilige  mittels  eines  kleinen  Kreuzes,  das  er  ihm  ent- 
gegenhält. ^ 

Die  heilige  Ida  oder  Ita,  die  Gott  ihre  Keuschheit  ver- 
lobt hatte  und  den  Schleier  nehmen  wollte,  hatte  drei  Tage 
und  drei  Nächte  gefastet,  wodurch  sich  der  Teufel  zu  gewal- 
tigen Anstrengungen  genöthigt  sah,  imi  sie  von  ihrem  Vor- 
haben abzubringen.  Als  diese  aber  an  dem  wackern  Wider- 
stände der  heiligen  Jungfrau  scheiterten,  da  erschien  ihr  der 
Teufel  des  Nachts  vor   ihrer  Einweihung   sehr  nicdergeschla- 


'  A.  SS.  Maj.  Tom.  I,  286,  2.  Mai. 
^  Ibid.,  Tom.  I,  Januar,  p.  402,  3. 


166         Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

gen  und  äusserte  ganz  offen  seine  Betrvibniss  dariiber,  dass  er 
nicht  nur  ihrer,  sondern  durch  sie  auch  vieler  anderer  ver- 
lustig gehen  werde.  ^ 

Als  einst  der  heilige  Petrus  auf  dem  Markte  vor  einer  grossen 
Menge  andächtiger  Zuhörer  predigte,  worüber  der  Neid  des 
Teufels  rege  ward  und  die  Frucht  der  Predigt  zu  zerstören 
trachtete,  erschien  er  in  Gestalt  eines  schwarzen  Pferdes  im 
wildesten  Laufe  dahergerannt,  um  die  andächtige  Versamm- 
lung auseinanderzusprengen  und  in  die  Flucht  zu  jagen.  Der 
Heilige  schlägt  aber  ein  Kreuz  und  sofort  verschwindet  der 
Böse,  ohne  dass  jemand  verletzt  worden  wäre.  Der  Teufel 
hatte  hiermit  seine  Absicht  nicht  nur  nicht  erreicht,  vielmehr 
wurden  die  Anwesenden  als  Augenzeugen  des  Mirakels  in 
ihrem  Glauben  noch  mehr  befestigt.  '^ 

Aus  diesen  wenigen  Beispielen  ist  nicht  nur  der  Beweg- 
grund, aus  dem  der  Teufel  die  Heiligen  so  gerne  heimzusuchen 
pflegt,  den  die  Legenden  auch  anzugeben  selten  unterlassen, 
ersichtlich;  sondern  auch:  dass  er  zu  grosser  Beweglichkeit 
und  Vielgestaltigkeit  genöthigt  wird,  um  nach  vorhandenen 
Umständen  seine  Versuchungen  anzustellen.  Um  die  Heiligen 
aus  ihrem  Gleis  der  Heiligkeit  herauszuleuken  und  auf  sei- 
nen höllischen  Weg  zu  bringen,  muss  er  seinen  Plan  den 
Verhältnissen  anpassen,  sich  nach  dem  Geschlechte,  dem  Alter, 
der  Eigenthiimlichkeit  der  heiligen  Person  richten.  Seinem 
Wesen  gemäss  ist  zwar  sein  gewöhnliches  Aussehen  furchtbar 
und  hässlich,  und  er  erscheint  auch  in  schrecklicher  Gestalt, 
wo  er  dadurcli  einen  Heiligen  in  dessen  heiligender  Unter- 
nehmung zu  hindern  hofft;  er  erscheint  dagegen  als  feiner 
Vcrfrdu-er,  wo  er  vom  ascctischen  Leben  abzubringen  trachtet. 
Er  muss  also  zur  Erreichung  seiner  Absichten   allgcstaltig 


Physische  UeLcl. 

Es  liegt  im  Wesen  der  Heiligen  als  Verbreiter  des  Guten 
und  Aufrechterhalter  des  Regelmässigen,  dass  sie  mit  der  Na- 
tur nicht  nur  in   gutem  Einvernehmen    stehen,    sondern    iiber 


1  Jan.  I,  p.  10Ü3,  G. 

2  A.  SS.  Vita  S.  Petri  Mart.  Urd.  Traedic,  29.  April. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  167 

sie  auch  eine  Macht  ausüben,  indem  sie  zum  Wohle  des  Men- 
schen deren  wohlthätige  Wirkung  hervorrufen  und  die  iible  besei- 
tigen. Auch  der  Teufel  hat  eine  Macht  über  die  Natur,  allein 
er  bedient  sich  ihrer,  um  schädliche  Wirkungen  hervorzubrin- 
gen. Er  ist  ja  vom  Beginne  seiner  Geschichte  als  Stifter  aller 
physischen  Uebel  bekannt,  verursacht  alle  Arten  von  Plagen, 
die  ganze  Länder  oder  einzelne  Personen  treffen,  er  und  seine 
Gehülfen  bringen  Dürre  hervor,  wodurch  der  Fleiss  des  Feld- 
bauers zunichte  wird,  Sturm,  Hagel  und  Ungewitter,  wodurch 
der  Mensch  zu  Schaden  kommt.  Solche  Uebel  sind  häufig 
die  Strafe  für  irgendeine  Verschuldung,  selbst  für  Unterlas- 
sung der  Heiligen  Verehrung.  So  wurden  die  „Tamienser"  im 
Jahre  1322  wegen  Vernachlässigung  des  Dienstes,  den  sie  der 
heiligen  Amalberga  zu  Pfingsten  leisten  sollten,  dvirch  ein 
Hagelwetter  bestraft,  wobei  Hagelkörner  von  der  Grösse  eines 
grossen  Apfels  niedergingen,  auf  denen  Teufelsgesichter 
scheusslichen  Anblicks  zu  sehen  waren,  den  Schlössen  gleich- 
sam aufgedrückt.  Die  erfahrensten  Männer  behaupteten,  es 
sei  dies  Unwetter  zur  Mahnung  gewesen,  in  Zukunft  die  Hei- 
liare  fleissis-er  zu  verehren.  ^ 

Die  Heiligen ,  welche  sowol  ganzen  Ländern  zum  Schutze 
als  auch  einzelnen  Menschen  zum  Heile  bestimmt  sind,  suchen 
den  verderblichen  Erscheinungen  in  der  Natur  entgeo-enzu- 
wirken  und  den  Schaden  wieder  gut  zu  machen.  So  wird 
durch  die  heilige  Aj^atha  das  Feuer  des  Aetna  für  eine  ganze 
Reihe  von  Jahrhunderten  ausgelöscht.*  In  dem  feuerspeienden 
Berge  hausen  Dämonen,  die  der  heilige  Philippus  austreibt, 
indem  er  sagt:  „Zeige  o  Herr  dein  Antlitz,  und  es  werden  die 
Scharen  der  Dämonen  vertilgt!"  Dabei  machte  der  Heilige 
mit  dem  Buche,  das  er  in  der  Hand  hielt,  ein  Zeichen,  worauf 
die  Dämonen  aus  dem  Gipfel  des  Berges  wie  Steine  ausflogen, 
und  auf  der  Flucht  mit  kläglicher  Stimme  riefen:  „Wehe 
uns!  ....  wieder  werden  wir  von  Petrus  durch  den  Pres- 
byter Philippus  verjagt! "3  —  Der  heilige  Donatus  hilft  einer 
ganzen  Gegend,   die  an  Wassermaugel  leidet,   dadurch,   dass 


1  A.  SS.  Vita  S.  Amalbergae  virginis  die  10.  Julii,  Tom.  III,  105. 

2  A.  SS.  5.  Febr. 

3  A.  SS.  12.  Mai,  Tom.  III,  30. 


1G8       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

er  (wie  Mose)  eine  Wasserqiielle  hervorruft.  ^  Der  heilige 
Clarus  vertreibt  durch  sein  Gebet  Sturm  und  Hao-ehvetter^; 
bei  einem  argen  Res-cn  und  Hacrelwettcr  hilft  der  hciliire  Lau- 
rentius  durch  das  vcrbum  Dei^;  auf  das  Gebet  der  heili<'-en 
Margarita  legt  sich  sofort  ein  heftiger  Sturm;  dieselbe  bewirkt 
durch  ihr  Gebet,  dass  eine  grosse  Ueberschwemmung  der  Do- 
nau aufhört'*;  der  heilige  Majolus  legt  durch  sein  Gebet  eine 
sumpfige  Gegend  trocken^;  hingegen  regnet  es  auf  das  Gebet 
des  heiligen  Desideratus  in  einer  Gegend  in  Spanien,  nach- 
dem sieben  Jahre  lang  kein  Regen  gefallen  war*^;  auch  dem 
heiligen  Isidorus  zu  Liebe  regnet  es  wiederholt  bei  grosser 
Diirre.  ^ 

Das  schädliche  Ungeziefer,  welches  der  Teufel  schickt,  suchen 
die  Heiligen  zu  vertreiben.  Der  heilige  Simon  der  Stvlite  ver- 
tilgt durch  sein  Gebet  die  Raupen  ^;  der  heilige  Theodorus 
vertreibt  die  Heuschrecken;  er  reinigt  ausserdem  eine  ganze 
Gegend,  die  von  Dämonen  heimgesucht  worden,  dass  nicht 
nur  Menschen,  sondern  auch  Thiere  zum  Theil  zu  Grunde 
gingen,  oder  doch  unbezähmbar  wild  gemacht  waren.  ^  Der 
heilige  Ursmarinus  verscheucht  die  der  Saat  gefährlichen 
Mäuse.  ^^ 

Krankheiten. 

Da  der  Teufel  Krankheiten,  ja  selbst  den  Tod  über  Men- 
schen und  Thiere  bringt,  so  miissen  die  Heiligen  Kranke  heilen 
und  Todte  wieder  lebendig  machen.  Eine  Unzahl  von  Hcili- 
genlegenden  meldet  die  Heilungen  aller  Art  innerer  Krank- 
heiten sowol  als  äusserer  Schäden  und  Gebrechen.  Sie  stillen 
Blutfliisse,  heilen  die  Schmerzen  in  allen  Theilen  des  Leibes, 
beseitigen  sehr  häufig  Brüche,    Kröpfe,  Stein,  Krebs  u.  s.  f., 


1  A.  SS.  30.  April. 

2  Ibid.,  Jan.  Tom.  I,  p.  55.  2.  5ß.  7. 

3  Ibid.,  8.  Jan. 

4  Ibid.,  28.  Jan. 
s  Ibid.,  10.  Mai. 
«  Ibid.,  8.  Mai. 
'  Ibid.,  15.  Mai. 
*  Ibid.,  5.  Jan. 

^  Ibid.,  Vita  Thcdor.  Siccotae,  22.  April, 
1»  Ibid.,  18.  April. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  1G9 

sie  erleichtern  die  Geburt,  machen  Blinde  sehend,  Taube  hö- 
rend u.  s.  f.,  und  zwar  auf  mittelbare  oder  unmittelbare 
Weise.  Der  heiliixe  Franciscus  de  Paula  heilt  einen  Besesse- 
nen,  der  \yegen  des  vielen  Uebels,  das  er  angerichtet,  gekne- 
belt, von  sieben  Männern  herbeigebracht  worden,  mit  drei 
trockenen  Feigen,  die  er  ihm  zu  essen  gegeben,  worauf  der 
Kranke  vollkommen  gesund  nach  Hause  geht.  Derselbe  Hei- 
lige befreit  ein  Mädchen  von  einem  Ungeheuern  Kröpfe  durch 
gewisse  Kräuter,  nachdem  viele  Aerzte  ihre  Arzneien  umsonst 
anü^ewendet  hatten.  ^  Der  heiliii-e  Huo;o  treibt  einer  Frau  eine 
schreckliche  Schlange  aus  dem  Leibe  mit  herbeigeschafftem 
Wasser,  über  das  er  Gebete  gesjH-ochen  und  das  er  geweiht 
hat,  davon  der  Frau  dreimal  in  den  Mund  giesst,  wodurch 
das  schreckliche  Thier  alsbald  herauskommt.^  Der  heilige 
Melanins  macht  einen  vom  Teufel  ersäuften  Knaben  wieder 
lebendige-  ^  Dasselbe  thut  der  heilio;e  Eleutherus  mit  einem 
Knaben,  der  vom  Teufel  in  Gestalt  eines  Löwen  getödtet 
worden.*  Die  heilige  Coleta  erweckt  mit  dem  Kreuze  mehr 
als  hundert  Kinder  vom  Tode.^  Der  heilige  Andreas  (de 
Guileranis)  heilt  nicht  nur  alle  Krankheiten,  er  befreit  auch 
einen  Buckeligen,  der  an  seinem  Grabe  demüthig  betet,  von 
seinem  Höcker.  ^  Denn  die  wunderbare  Heilkraft  der  Ileilisfen 
wirkt  nicht  nur  bei  deren  Lebzeit,  sondern  auch  nach  ihrem 
Tode,  und  an  den  Gräbern  der  Heiligen  geschehen  unzählige 
Mirakel,  und  zwar  nicht  nur  infolge  von  Anrufungen  und 
inbrünstigen  Gebeten,  sondern  auf  echt  magische  Weise  durch 
blosse  Berührung  oder  selbst  durch  ihre  Nähe.  Am  Grabe 
des  heiligen  Yincentius  verliert  einer,  dessen  Vater  ein  Wachs- 
bild und  den  lebenslangen  Besuch  der  Stätte  bei  angezündeter 
Wachskerze  gelobt,  einen  nussgrossen  Blasenstein. ^  Eine 
Frau,  die  an  heftigem  Kopfschmerz  litt,  wurde  gesund,  nach- 
dem sie  der  heiligen   Coleta   die  Hand  geküsst  hatte.  ^     Die 


1  A.  Sit 

>.  2. 

April. 

2    Ibid., 

29. 

April. 

3  Ibid., 

Tom.  I,  331,  23. 

*  Ibid., 

20. 

Febr. 

5    Ibid., 

6. 

Mart. 

«    Ibid., 

19 

Mart. 

7  Ibid., 

5. 

April. 

«  Ibid., 

6. 

xMart. 

1-70      Zweiter  Abschnitt:    Aus1)ildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

magische  Kraft  der  Heiligen  gibt  sich  auf  die  maunichfaltigstc 
Weise  kund.  Als  einst  die  Lampe  am  Grabe  des  heiligen 
Severinus  herabfiel  und  verlosch,  sagte  ein  gegenwärtiger  Abt: 
,,Wo  ist  deine  Kraft,  Heiliger?  Einst  machtest  du  die  Lampe 
von  Oel  überfliessen ,  zündetest  die  verlöschten  Wachskerzen 
an;  jetzt  hast  du  uns,  die  wir  dir  dienen,  deines  Lichtes  be- 
raubt. Wenn  ich  dich  nicht  liebte,  wäirde  ich  diesen  deinen 
Hof  ohne  Licht  lassen."  Nach  diesen  Worten  befahl  er  den 
L^mstehenden,  die  Lampentrümmer  zu  sammeln,  und  siehe! 
man  fand  die  Lamj^e  nicht  nur  ganz,  sondern  auch  bis  oben 
mit  Oel  gefüllt.  '  Mit  dem  Wasser,  womit  der  heilige  Sul- 
picius  sich  die  Hände  gewaschen,  w^ erden  Krankheiten  geheilt*; 
ebenso  mit  den  Blumen,  die  auf  das  Grab  des  heiligen  Ber- 
nardus  gelegt  worden  waren.  ^  Durch  die  blosse  Berührung 
der  Todtenbahre  der  heiligen  Eusebia  oder  des  Tuchs,  womit 
ihre  Ileliquien  bedeckt  sind,  werden  Kranke  gesund."*  Die 
Haare  des  heiligen  Bonifacius,  die  eine  Mutter  ihrer  todtkran- 
ken  Tochter  ins  Gesicht  hängt,  heilen  diese.  ^  Der  Staub  von 
dem  Grabe  der  heilio;en  Coleta  heilt  Krankheiten  und  vertreibt 
Schmerzen.  Einige  Haare  von  ihr,  die  ein  Gefangener  besass, 
welche  zum  Geständniss  eines  Verbrechens  unschuldig  gefoltert 
ward,  machen  diesen  so  standhaft,  dass  er  die  Folter  über- 
steht und  frei  w^ird.  Ein  Stückchen  von  ihrem  Schleier  heilt 
einen  Bruch;  von  demselben  Gebrechen  wird  ein  Mann  da- 
durch befreit,  dass  ihm  der  Mantel,  den  die  Heilige  bei  Leb- 
zeit gebraucht,  umgehängt  wird.  Eine  Besessene  wird  da- 
durch heil,  dass  sie  aus  dem  Becher  trinkt,  aus  dem  die 
Heilige  einst  getrunken.  ^  Die  Reliquien  dieser  Heiligen  helfen 
auch  Gebärenden,  was  ihr  Hauch  bei  Lebzeit  oft  gethan.'^ 

Wie  die  Bosheit  des  Teufels  auch  Thiere  nicht  verschont, 
so  erstreckt  sich  auch  auf  diese  die  wohlthätige  Macht  der 
Heiligen,  indem  sie  nicht  nur  Seuchen  vertreiben,  sondern 
auch  im    Besondern   der   unvernünftigen   Geschöpfe    sich  au- 


1  A.  SS.  Addenda  ad  S.  Jan.  Severini  post  translat.  miracula. 

2  Ibid.,  Jan.  Tom.  II,  p.  173.  38. 

3  Ibid.,  23.  Jan. 
^  Ibid.,  2-4.  Jan. 

s  Ibid.,  lU.  Febr. 

6  Ibid.,  Mart.  Tom.  I,  592. 

'  Ibid.,  p.  G26. 


10.    Heiligeudienst  und  Mariencultus.  171 

nehmen.  In  Ländern,  wo  die  Heiligen  noch  verehrt  werden, 
haben  die  verschiedenen  Arten  von  Plansthieren  ihre  Sohutz- 
heiliicen.     Bekannt  ist  das  Lied: 

Heiliger  Kilian,  du  grosser  Viecher  Patron, 
Nimm  uns  gnädig  als  deine  Kinder  an. 

Der  heihge  Gerlacus  heilt  ein  Pferd,  befreit  eine  Kuh 
von  der  Seuche.  ^  Die  Vita  S.  Kierani  berichtet,  der  Heilige 
habe  schon  als  Knabe  einen  von  einem  Plabicht  gefangenen 
Vogel  durch  sein  Gebet  befreit,^  Der  heilige  Franciscus 
macht  ein  todtes  Lamm  wieder  lebendig.  ^  Dem  Esel  des 
heiligen  Jacobus  (Episc.  Tarentasius)  wird  auf  einer  Heise  auf 
Anstiften  des  Teufels  von  einem  schwarzen  Vogel  ein  Auge 
ausgehackt  und  davongetragen.  Auf  das  Gebet  des  Heiligen 
muss  der  Vogel  das  Auge  wieder  zurückbringen  und  dem 
Esel  einsetzen,  der  sofort  wieder  damit  sehen  kann.*  Auf  das 
Geheiss  des  heiligen  Gerardus  bringt  ein  Fuchs  eine  von  ihm 
geraubte  Henne  sogleich  wieder  zurück^;  auf  das  des  heiligen 
Lauromarus  lassen  AVölfe  eine  erjagte  Hirschkuh  wieder  los.  ^ 
Der  heilige  Macarius,  dem,  als  er  im  Hofe  sitzt,  eine  Hyäne 
ihr  Junges,  das  blind  war,  zur  Heilung  bringt,  macht  dieses 
dadurch  sehend,  dass  er  ihm  in  die  Augen  spuckt  imd  betet. 
Am  andern  Tas-e  brincrt  die  dankbare  Thiermutter  dem  Hei- 
ligen  ein  Schaffell,  der  es  aber  nur  unter  der  Bedingung  an- 
nimmt, dass  die  Hyäne  kein  Schaf  von  Armen  mehi-  zerreisse, 
was  diese  auch  verspricht,  worauf  der  Heilige  das  Honorar 
annimmt.  ^ 

Der  Teufel  verübt  nur  Stücke  der  Zauberei,  welche  dem 
Quell  gemäss,  aus  dem  sie  entspringen,  auch  nur  Böses  und 
Unheil  zum  Zwecke  haben,  daher  der  davon  gehoö'te  Vortheil 
den  Menschen  zum  Nachtheil  ausschlagen  muss.  Die  Heili- 
gen hingegen  wirken  Wunder,  die  nach  ihrem  Ausgangs- 
und  Endpunkte  nur  zum  Heile    gereichen.     Auf   ihrer  Seite 


'  A.  SS.  Jan.  Tom.  I,  p.  318.  31.  33. 

2  Ibid.,  5.  Mart. 

3  Ibid.,  2.  April. 
*  Ibid. ,  16.  Jan. 

5  Ibid.,  13.  Mai. 

6  Ibid.,  Jan.  Tom.  II,  230.  14. 
'  Ibid.,  2.  Jan. 


172       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

wiederholen  sich  die  Wunder  des  Alten  und  Neuen  Testaments. 
Der  heilige  Orontius  feiert  seine  Wahl  zum  Seelsorger  (Pastor) 
der  Stadt  Auxitana  damit,  dass  er  eine  Gerte,  die  er  eben  in 
der  Hand  hält,  in  die  Erde  steckt,  die  sofort  zu  grünen  und 
zu  keimen  anfängt,  ihre  Zweige  ausbreitet  und  zu  einem  gros- 
sen Baume  wird.  ^  Der  heilige  Gualterius,  der  mit  mehrern 
Begleitern  durch  eine  wasserlose  Gegend  wandert,  wobei 
alle  von  heftigem  Durst  geplagt  werden,  betet  unter  Thränen 
zu  Gott  und  schlägt  mit  seinem  Stabe  auf  den  Boden,  woraus 
alsbald  ein  frischer  Quell  hervorsprudelt.  ^  Der  heilige  An- 
toninus,  der  als  Bischof  zu  einem  Pfarrer  seiner  Diöcese  kommt, 
welcher  nichts  zur  Bewirthung  hat,  lässt  diesen  ein  Netz  neh- 
men, um  in  einem  fischleeren  Wasser  zu  fischen.  Als  das 
Netz  herausgezogen  wird,  ist  es  zur  grössten  Verwunderung 
des  Pfarrers  voll  von  Fischen  —  durch  die  Verdienste  des 
Heiligen,  erklärt  die  Legende.  =^  Der  heilige  Comgallus 
schickt  einen  Frater  über  eine  Meerenge,  und  durch  die  Ver- 
dienste des  Ileilio-en  kommt  dieser  trockenen  Fusses  hinüber.  * 
Der  heilige  Philippus  (Presbyter  Agyriens.)  ruft  einen  von 
einem  Dämon  Getödteten  dreimal  bei  seinem  Namen,  wie 
Christus  den  Lazarus,  und  durch  das  Gebet  des  Heiligen  wird 
der  Todte  lebendig.^  Der  heilige  Carthacus  will  nach  einer 
jenseit  des  Flusses  gelegenen  Gegend,  und  da  kein  Fahrzeug 
da  ist,  theilt  sich  auf  das  Gebet  des  Heiligen  das  Wasser  und 
dieser  schreitet,  sammt  zwei  andern  heiligen  Männern,  trocke- 
nen Fusses  auf  das  jenseitige  Land.  *'  Der  heilige  Lugidius 
verwandelt  Wasser  in  Milch,  die  süss  wie  Honig  und  wie 
Wein  berauschend  ist.'^  Die  heilige  Elisabeth  verwandelt 
Wasser  in  Wein.**  Der  heilige  Stephanus  geht  auf  dem  Was- 
ser   wie    auf  trockenem  Lande.  ^     Die  heilige  Klara  verviel- 


1  A.  SS.  1.  Mai. 

2  Ibid.,  11.  Mai. 

3  Ibid.,  2.  Mai. 

^  Ibid.,  Vita  Comgalli  Ab.  Benchor.  10.  Mai. 

5  Ibid.,  12.  Mai. 

«  Ibid.,  14.  Mai. 

^  Ibid.,  4.  Aug.  De  S.  Lugidio  sive  Luano. 

«  Ibid.,  4.  Juli. 

9  Ibid.,  Vita  S.  Stepliani  Sabaitac  Thaumaturgi  Monachi,  13.  Juli. 


10.    rieiligendienst  und  Mariencultus.  173 

fältigt  auf  wunderbare  Weise  Brot  und  Ocl.  ^  Die  heilige 
Radegundis  macht  einen  dürren  Lorberzweig  wieder  grünen.^ 
Eine  Frau,  die  der  heiligen  Coleta  ein  neues  Kleid  gelobt, 
besitzt  zu  wenig  Stofi",  aber  im  Vertrauen  auf  die  Macht  der 
Heiligen  übergibt  sie  ihn  dem  Schneider,  unter  dessen  Schere 
der  Stoff  so  anwächst,  dass  ein  vollkommenes  Kleid  daraus 
wird.  ^ 

So  wohlthätig  es  immer  ist,  die  Heiligen  anzurufen,  so 
verderblich  wird  es,  den  Teufel  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Die  heilige  Agnes,  die  im  Gebete  angerufen  ward,  be- 
freit einen  Frater,  der  eine  Fischgräte  verschluckt  hat,  davon.* 
Eine  Frau,  in  Gefahr  zu  ertrinken,  ruft  den  heiligen  Petrus 
an  luid  wird  gerettet,  u.  s.  f.  ^  Ein  Ochsenhirt,  der  im  Aer- 
srer  über  seine  auseinanderlaufenden  Ochsen  den  Teufel  an<xe- 
rufen  hatte,  wurde  von  diesem  durch  die  Luft  geführt.  Nach 
einiger  Zeit  wird  der  Knecht  im  Walde  zwar  gefunden,  aber 
im  Zustande  der  Besessenheit.  Der  Herr  desselben  stellt  nun 
mit  dem  Dämon  ein  Examen  an,  fragt  ihn:  wann  er  den  Be- 
sessenen verlassen  werde?  Jener  ist  so  o-efällis^.  Ort  und  Zeit 
anzugeben:  im  Hause  der  heiligen  Margarita  und  zwar  heute 
noch,  wenn  der,  mit  dessen  Zunge  er  jetzt  redet,  an  der 
Grabstätte  der  Heiligen  eine  Kohle  ausspeien  werde.  Man 
bringt  den  Besessenen  dahin,  der  mit  der  Kohle  zugleich  den 
Bewohner  des  Höllenfeuers  von  sich  gibt.  ^  Von  den  ver- 
derblichen Folgen  der  Anrufung  des  Teufels  wissen  die  Sagen 
besonders  viel  zu  berichten.  Ein  toller  Junker,  der  nach  seinem 
Brauche  alle  Teufel  gerufen,  wurde  von  einem  grossen  Haufen 
derselben  einmal  überfallen,  die  ihn  wegführen  wollten.  Eine 
reiche  Jungfrau  betheuert  ihrem  Verlobten:  wenn  ich  einen 
andern  Mann  nehme,  so  hole  mich  der  Teufel  auf  der  Hoch- 
zeit, Als  sie  sich  mit  einem  andern  verehelicht,  kommen  zwei 
Teufel  in  Gestalt  von  Reitern  in  das  Brauthaus  und  fiihren 
die  Braut  in  der  Luft  mit  sich  fort.  ^ 


'  A.  SS.  12.  Aug. 

2  Ibid.,  13.  Aug. 

3  Ibid.,   6.  Mart. 

4  Ibid.,  Jan.  Tom.  II,  362.  2. 

5  Ibid.,  29.  April. 

^  Ibid.,  22.  Febr.  Append.  zur  Vita  S.  Marg.  de  Tortona. 
^  Godelmann,  Von  Zauberei,  Hexen  und  Unholden. 


174      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Eine  Menge  Legenden  erzählen  von  dem  heilbringenden 
Verkehre  mit  Heiligen.  Von  der  Verder])lichkeit  des  Umgangs 
mit  dem  Teufel  möge  aus  vielen  andern  Beispielen  nur  das 
eine  angeführt  werden:  „Der  llichter  und  der  Teufel''  von 
dem  Sti'icker  (aus  dem  13.  Jahrhundert:  „Der  richtaere  mid 
der  tiuvel"). 

Diz  ist  von  dem  richter  hie 

mit  dem  der  tiuvel  gie. 

In  einer  Stadt  sass  ein  Richter,  der  so  reich  und  ein  so 
bekannter  Sünder  war,    dass    die    Leute    meinten,    die   Erde 
müsste  ihn  verschlingen.    Eines  Markttags  ritt  er  früh  hinaus, 
seinen    liebsten  Weingarten   zai   besehen,    und  als   er  zurück- 
kehrte,   trat    der  Teufel    reichgekleidet    ihm    entgegen.     Der 
Richter  grüsste  ihn  und  fragte,  wer  und  woher  er  wäre.    Der 
Teufel  weigerte  sich  zu  antworten,  der  Richter  zürnte  dariiber 
und  drohte  ihm  an  Gut  und  Leben;  der  Fremde  bekannte  hierauf, 
er  sei  der  Teufel.     Der  Richter  fragte  ihn  um  sein  Gewerbe, 
und  der  Teufel  sagte:    er  wolle   in   die  Stadt  gehen,    weil    er 
heute  alles  nehmen  dürfe,  was  ihm  ernstlich  gegeben  werde.  Der 
Richter  wollte  ihn  während  des  Marktes  begleiten  und  gebot  ihm 
bei  Gottes  Zorn,  in  seiner  Gegenwart  das  ihm  Verfallene   zu 
nehmen.     Der  Teufel  weigerte  sich,  weil  es  dem  Richter  nicht 
fromme;    dieser    aber    bestand    darauf   und    wollte    trotz    der 
Warnung  vor  der  Feindschaft  zwischen  Mensch  und   Teufel 
das  AVunder  schauen.     Beide  gingen  also  in   die  Stadt  durch 
das  Marktgewühl.     Mancher  bot   dem  Richter  da  zu  trinken, 
luid  dieser  bot  es  auch  seinem  unbekannten  Gesellen,   der  es 
jedoch    ablehnte.     So    trafen   sie    eine   Frau,    die    von    einem 
Schweine  Ungemach  hatte,  es  vor  die  Thüre  trieb  und  es  zum 
Teufel  laufen  hiess.     Der  Richter  forderte  diesen    auf,   es  zu 
nehmen,  der  Teufel  aber  wagte  es  nicht,  da  es  nicht  ihr  Ernst 
wäre.     Hierauf  begegneten  sie  einem  andern  Weibe,  das  eben 
so   ein   Kind   zum   Teufel   wünschte.      Der   Richter    hiess    ihn 
greifen,    der   Teufel    entschuldigte    sich    wie    früher.     Weiter 
hörten    sie    ein    Weib    sein    ungehorsames    Kind    dem   Teufel 
übergeben.     Der  Richter    heisst  ihn  abermals   zugreifen;    der 
Teufel    entgegnet    aber,    jenes    würde    das    Kind    nicht    für 
2000  Pfund    missen   wollen.     Sie    kamen    nun   auf  den  Markt 
und  wurden    im  Gedränge   aufgehalten.      Da  ging    eine    arme 
alte  Witwe  mühselig  an  einem  Stabe  daher,  die,   als  sie  den 


10.    Ileiligendienst  und  Maricncultus.  175 

Kiclitcr  erblickte,  zu  weinen  anhub  und  rief  Wehe  über  ihn, 
dass  er  ihr  unverschuldet  ihr  Kühlein  genommen,  von  dem 
sie  allein  sich  genährt  habe,  und  dass  er  ihre  Bettelarmuth 
verspotte.  Sie  bitte  daher  Gott  um  Christi  Leiden  willen, 
dass  der  Teufel  des  Richters  Leib  und  Seele  hole.  Da  be- 
merkte der  Teufel  zAun  Richter:  es  sei  ihr  ernst,  ergriff  ihn 
beim  Haar  und  fuhr  mit  ihm,  vi^ie  der  Aar  mit  dem  Huhn, 
zu  Bersfe  anofcsichts  aller  Marktleute,  die  ihm  fern  nachsahen. 
So  ward  der  gewinnsüchtige  Richter  betrogen  und  bewährt 
sich,  dass  es  unweise  ist,  mit  dem  Teufel  umzugehen.  ^ 

Ihre  magische  Kraft  verwenden  die  Heiligen,  sowol  bei 
Lebzeit  als  nach  dem  Tode,  zum  Wohle,  und  zwar  auch  bei 
minder  wichtigen  Fällen;  wogegen  der  Teufel  mit  seiner 
Zauberkraft  die  Menschen  neckt  und  beunruhigt. 

Als  dem  heiligen  Ulricus  die  Mäuse  seine  Kappe  zernagt 
hatten,  entschlüpfte  dem  Manne  Gottes  der  Fluch:  „Pereat 
mus"!  worauf  ihm  sogleich  eine  Maus  todt  zu  Füssen  fiel. 
Reuig  berichtet  er  seinem  Presbyter  die  unbesonnenen  Fluch- 
worte; jener  aber:  ,,Wenn  du  doch  alle  Mäuse  dieser  Gegend 
durch  einen  Fluch  vernichten  wolltest",  was  der  Heilige  je- 
doch ablehnt.  ^  Bei  einem  Gastmahle,  wo  Kaiser  Heinrich  ein 
kostbares  Glas  als  alexandrinisches  Kunstwerk  vorzeigte,  wurde 
dieses,  wie  es  scheint  durch  Unachtsamkeit  der  anwesenden 
Geistlichen,  beim  Herumreichen  zerbrochen.  Der  heilige  Odilo, 
der  auch  zu  Tische  war,  geht,  um  die  Geistlichen  vor  dem 
Unwillen  des  Kaisers  zu  schützen,  in  die  Kirche,  fleht  unter 
Psalmen  und  Gebeten  die  göttliche  Gnade  an  und  —  das 
Glas  wird  ganz.'  Die  heilige  Genoveva  lässt  einen  Baum, 
welcher  den  Schifi:en  gefährlich  war,  unter  Gebeten  umhauen, 
worauf  zwei  dämonische  Ungeheuer  aus  der  Stelle  hervor- 
kommen, durch  deren  stinkenden  Dampf  die  Schiffer  zwei 
Stunden  lang  gequält  %verden.  "*  Der  heilige  Consalvus  ver- 
wandelt weisse  Brote,  die  eine  Frau  an  ihm  vorüberträgt,  in 
ganz  schwarze  und  nach  Besprengung  mit  Weihwasser  wüeder 
in   weisse.  ^     Der    heilige   Sulpicius    löscht    mit    dem   Kreuze 


1  Auch  bei  Lassberg-,  II,  341). 

2  A.  SS.,  20.  Febr. 

3  Ibid.,  Jan.,  tom.  I,  74,  21. 
^  Ibid.,  141.  34. 

»  Ibid.,  tora.  I,  G47.  36. 


17G      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

wiederholt  Feuersbrünste,    bewirkt,    dass  ein   gefällter  Baum 
nicht  auf  die  Seite  fällt,  wo   ein  Knabe  steht,  der  erschlagen 
würde. '     Auch  der  heilige  Launomarus  löscht  das  Feuer  mit 
dem  Kreuze,  zündet  aber  eine  vom  Teufel  ausgelöschte  Lampe 
durch  sein  Gebet  wieder   an   und  öflhet  durch   dasselbe  auch 
eine    verschlossene    Tliür.  ^      Durch    das    Gebet    der    heiligen 
Margarita    zerbricht    ein   Wagen,    wird    aber    ebenso    wieder 
ganz.^    Die  heilige  Brigida  verwandelt  Wasser  in  Bier,  macht 
vermittels    des   Kreuzes   von   einem  kleinen  Stiick  Butter  ein 
grosses  Gefäss  voll,  segnet  Wasser,  worauf  es  aus  einem  zer- 
brochenen Gefässe  nicht  herausfliessen  kann;  ein  zerbrochenes 
Geschirr  macht   sie   durch    ihr   Gebet  ganz,    macht    morsches 
Holz  frisch,  verwandelt  einen  Stein  in  Salz.  *    Auf  das  Gebet 
des  heiligen   Juventius   wird   ein   mit   Geld    gefülltes    Gefäss, 
das  in  den  Tessin  gefallen,  durch  das  Wasser  aus  dem  Grunde 
hervorgehoben   und  dem  am  Ufer   stehenden  Heiligen   an   die 
Füsse    gespült.*     Der  heilige   Ulricus,    welchem    durch  Ver- 
mittelung  einer  göttlichen  Ofienbarung  ein  Fuchspelz  zur  Be- 
deckung  zugestellt  worden,    verwandelt    durch   seinen   Segen 
sehr  oft  Wasser  in  Wein,  macht  aus  einem  Brote  viele,  ver- 
wandelt   ein   von    einem  Knaben    gestohlenes    Brot    in    einen 
Stein  und  stellt  es   ebenso  wieder   her.  ^      Die   heilige    Coleta 
macht    ein    ausgeronnenes    Fass   Wein    MÜeder    voll;    als    der 
Teufel  ein   mannsgrosses  Loch  in  die    Mauer  gemacht,    stellt 
die   Heihge   das  Bild   der  Mutter  Gottes  vor,   und   das   Loch 
ist  verschwunden.  ^     Der  heihge  Franciscus   de  Paula  befahl 
einem  Frater,  Bohnen  zu   kochen,  dieser   stellt  den  Topf  auf 
den  Herd,  vergisst  aber  Feuer  anzuzinulen.     Als  die  Bohnen 
herausgenommen    und    gegessen    werden   sollen,    brechen    die 
Anwesenden,    die  den  Topf  ohne  Feuer   bemerken,    in  lautes 
Gelächter    aus.     Der   Heilige    tritt    aber    hinzu,    nimmt    den 


1  A.  SS.,  Jan.,  tom.  II,  170.  21. 

''  Ibid.,  Jan.,  tom.  II,  230.  10.  11.  12. 

3  Ibid.,  28.  Jan. 

1  Ibid.,  1.  Febr. 

5  ll)id.,  8.  Febr. 

e  Ibid.,  20.  Febr. 

7  Ibid.,  6.  Mart. 


10.    Ileiligendienst  und  Maricncultus.  177 

Deckel  vom  Topfe  und  —  die  Bohnen  sind  gekocht  und  kön- 
nen gegessen  werden.  ^ 

Der  Teufel,  der  es  auf  das  physische  Verderben  der 
Menschen  überhaupt,  vornehmlich  aber  auf  das  der  Heiligen 
abgesehen  hat,  sucht  diese  in  der  Ascese,  wodurch  sie  die 
Heiligkeit  erlangen  wollen,  zur  Uebertreibung  zu  verleiten, 
damit  sie  zu  ihrem  leiblichen  Untergang  führe. 

Eines  Tages  kommen  zwei  „Zabuli"  wie  aus  der  Luft 
gefjillen  in  menschlicher  Gestalt  zum  heiligen  Guthlac  vmd 
suchen  ihn  zu  überreden,  dass  er  sich  nur  recht  mit  Fasten 
kasteie,  denn  je  mehr  er  sich  in  dieser  Welt  herunterbringe, 
desto  höher  werde  er  in  der  andern  stehen,  er  solle  daher 
nur  jeden  siebenten  Tag  essen,  denn  wie  der  Herr  durch 
sechs  Tage  die  Schöpfung  hervorbrachte  und  am  siebenten 
ruhte,  so  solle  auch  der  Mensch  durch  sechstägiges  Fasten 
den  Geist  bilden  und  am  siebenten  dem  Fleische  durch  Essen 
Ruhe  gewähren.  Guthlac  merkt  aber  die  Absicht  und  — 
psalmirt:  „Es  mögen  meine  Feinde  von  mir  weichen!"  Diese 
thun  es  und  verschwinden  wie  Rauch  in  der  Luft.  Der  Hei- 
lige ergreift  hierauf  ihnen  zum  Trotz  ein  Stück  Roggenbrot 
und  beginnt  seine  tägliche  Mahlzeit,  worauf  die  Teufel  ein 
Geheul  und  Jammergeschrei  erschallen  lassen,  da  sie  sich  von 
Guthlac  verachtet  sehen.  ^  Dem  heiligen  Jordanus  erscheint 
der  Teufel  als  frommer  Mann  und  ermahnt  ihn  zu  noch 
grösserer  Enthaltsamkeit.  Dem  Heiligen  wird  aber  durch  Gott 
den  Herrn  offenbart,  dass  es  der  Teufel  gewesen,  welcher 
ihm  den  Rath  gegeben.  ^  Als  der  Heilige  auf  einer  Reise 
erkrankt,  von  dem  Bischöfe  aufgenommen  in  dessen  Bett  ge- 
bracht ward,  erschien  ihm  des  Nachts  der  Teufel  in  Gestalt 
eines  Engels  des  Lichts  und  machte  ihm  Vorwürfe,  dass  er 
als  Pater  des  Predigerordens  in  einem  weichen  Federbette 
liege,  er  solle  aufstehen  und  sich  auf  den  Boden  legen.  Voll 
Angst  folgt  ihm  der  Pleilige  und  wird  des  Morgens  so  liegend 
gefunden,  wird  aber  genöthigt,  sich  ins  Bett  zu  legen.  In 
der  folgenden  Nacht  dieselbe  Scene.  Als  aber  in  der  dritten 
Nacht  der  Teufel  wieder  kommt,    sagt  ihm  der  Heilige,  dass 


'  A.  SS.,  2.  Apr. 
^  Ibid.,  11.  Apr. 
3  Ibid.,  13.  Febr. 

Roskoff,    Geschichte  des  Teufels.     II.  in 


178     Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

er  seine  Einfalt  misbraucht  habe  und  spuckt  ihm  in  das 
schattenhafte  Teufelsgesicht.  Am  siebenten  Tage  tritt  die 
Krisis  ein  und  der  Heilige  genest  von  seiner  Krankheit.  ^ 

Da  es  eine  Lieblingsneigung  des  Teufels  ist,  die  Leiber 
der  Menschen  in  Besitz  zu  nehmen,  so  ist  die  Thätigkeit  der 
Heiligen  ganz  besonders  auf  die  Befreiung  der  Besessenen 
von  ihren  Dämonen  gerichtet.  Sie  verrichten  den  Exorcismus 
gleich  andern  Heilungen  bald  unmittelbar,  bald  mittelbar,  bei 
Lebzeit  und  nach  dem  Tode. 

Der  heilige  Godehard  befand  sich  einmal  in  Angelegen- 
heiten seines  Klosters  in  llegensburg,  da  wurde  eine  Be- 
sessene zur  Heilung  zu  ihm  gebracht.  Nachdem  der  Heilige 
die  Kranke  betrachtet  hatte,  sagte  er:  „Antworte  mir,  unsau- 
berer Geist  auf  das,  was  ich  dich  fragen  werde.  Was  machst 
du  in  diesem  Geschöpfe  Gottes?"  Der  Dämon:  „Diese  Seele 
besitze  ich  mit  vollem  Rechte,  da  sie  eine  Zauberin-  ist 
durch  die  ich  viele  Seelen  gewonnen  habe."  Der  Heilige: 
„Warum  ist  sie  wegen  Zauberei  die  deinige?"  Der  Dämon: 
„Hast  du  nicht  gelesen,  dass  der  Herr  die  Zauberer  und 
Wahrsager  auszurotten  befohlen  hat?  Denn  was  machen 
solche  anders,  als  dass  sie  mir  und  meinem  Obersten  dienen? 
Sie  sind  Götzendiener  und  wir  haben  auf  keine  andern  mehr 
ein  Recht  als  die  solchen  Lastern  ergeben  sind.  Weisst  du 
nicht,  dass  unter  tausend  Zauberinnen  kaum  eine  dieses  Laster 
eingestehen  würde,  da  wir  ihnen  den  Mund  sperren,  dass  sie 
derlei  nicht  vorbringen  können."  Der  Heilige:  „Ich  weiss, 
dass  deine  Bosheit  so  gross  ist  wie  die  deiner  Genossen,  ich 
zweifle  aber  nicht,  dass  die  Gnade  Gottes  noch  grösser  ist. 
Also,  unreiner  Geist!  gib  Gott  die  Ehre  und  weiche  von 
dieser  seiner  Creatur,  dass  sie  wieder  zur  Gnade  gelange, 
deren  du  sie  beraubt  hast."  Dämon:  „AVas  machst  du  einen 
solchen  Angriff  auf  mich,  was  habe  ich  dir  gethan  oder  was 
hast  du  wider  mich?"  Der  Heilige:  „Höre  frecher,  unreiner 
Geist,  in  jenem  ewigen  Vaterlande,  aus  dem  du  dich  über- 
müthigerweise  gestiirzt  hast,  habe  ich  an  dem  allgemeinen 
Wohle  mehr  Anthcil  als  an  meinem  eigenen,  daher  muss  ich 
an  dem  Unheile  eines   andern    mehr  theilnehmen   als   an   dem 


A.  SS.,  S.  737. 


10.    Heiliofendienst  uud  Mariencultus.  179 


o 


eigenen.     Denn  dadurch  mache  ich  mich  um  das  ewige  Leben 
verdient.     Ich  habe  also  gerechte  Ursache  gegen  dich,  da  du 
unrechtmässig    meine    Schwester    besitzest,    dieses    Geschöpf 
deines  Schöpfers.     Sein  Eingeborner  hat  sein  Bkit  vergossen 
und  den   bittersten  Tod   erhtten   und   dadurch    den  Sieg  iiber 
dich  errungen.     Daher  befehle  ich  dir,  unreiner  Geist,  weiche 
von  ihr  und  nicht  unterfange  dich  ferner  ein  Geschöpf  Gottes 
zu  belästigen."    Und  so  wich  der  böse  Dämon,  und  das  Weib 
fiel  wie   todt   hin;    aber    der   heilige  Mann    richtete    es  sofort 
wieder  auf,  und  es  legte  öfientlich  unter  Thränen  ein  reuiges 
Bekenntniss  ab,  worauf  der  Heilige  die  Absolution  ertheilte.  ^ 
Ein   Mann,   der  oft   in   einen   wahnsinnigen    Zustand   versetzt 
ward,    wird   zum   Grabe  des   heiligen   Nicolaus   gebracht   und 
während  er  betet,    gibt   er    mancherlei  von  sich,    als:    Stücke 
von  Hufeisen,  kleine  Messer  u.  dgl.,  worauf  er  gesund  wird.'* 
Die  heilige  Apollinaris  vertreibt  den  Dämon,  der  ihre  Schwester 
belästigt,  durch  Auflegen  der  Hände  und  Gebet.  '    Eine  Frau 
fiihrt  ihre  Tochter,  die  durch  des  Teufels  Bosheit  wahnwitzig 
geworden,  ihre  eigene  Mutter  nicht   erkannte,    an  die  Grab- 
stätte   des    heiligen    Marcus,    betet    inbrünstig,    worauf  jene 
ganz   gesund  wird.  *     Eine   Frau ,    seit  fünf  Jahren  besessen, 
wird  zum  Grabe  des  heiligen  Ambrosius  (Sansedonius)  geführt. 
Hier  gibt    der   Dämon    das   Zeichen   an,    worauf   er   weichen 
werde,  nämlich  das  Niesen  der  Besessenen.     Nachdem  es  ein- 
getreten, ergreift  er  sofort  die  Flucht.^     Die  heilige  Zita  heilt 
unter  mehrern  Dämonischen    eine   gewisse   Migliora,    die  seit 
dreizehn  Jahren  von  24  Dämonen  geplagt  ward.  ^ 

Beispiele  von  Teufelaustreibungen  mittels  der  Reliquien  be- 
richten die  Legenden  eine  grosse  Menge.  Der  Wein,  mit  dem  die 
Reliquien  des  heiligen  Genulphus  gewaschen  worden,  wird  einem 
Besessenen  zu  trinken  gegeben,  und  der  Dämon  fährt  ihm  mit 
Blut  aus  dem  Munde.  '^  Ein  Dämonischer  wird  geheilt,  als 
er  Reliquien   des   heiligen   Anastasius  trägt.     Der  Teufel   er- 


1  A.  SS.,  4.  Mai. 

2  Ibid.,  22.  Hart. 

3  Il)id.,  Jan.,  toin.  I,  260.  IG. 

^  Ibid.,  Vita  St.  Marci,  Ep.  Atin.,  28.  April. 
5  Ibid.,  20.  Mart. 
«  Ibid.,  27.  Apr. 
'  Ibid.,  17.  Jan. 

12* 


180        Zweiter  Abschnitt:  Ausbildung  der  Vorstellung  voin  Teufel. 

scheint  und  fragt  ganz  unbefangen,  ob  er  Reliquien  trage,  und 
als  dieser  bejaht,  geht  er  von  danncn.  '  Ein  Frater  des  Pre- 
digerordens legt  einige  Barthaare  des  heiligen  Vincentius  in 
einem  Tuche  eingewickelt  einer  Besessenen  um  den  Hals. 
Der  Teufel,  die  Macht  der  Haare  spürend,  fängt  an  den  Leib 
der  Besessenen  fürchterlich  zu  verdrehen.  Auf  die  Frage: 
warum  er  dies  thue,  erwidert  er:  wegen  der  Barthaare  des 
Heiligen,  deren  starke  Wirkung  er  emiDfinde.  Nach  mancher- 
lei, das  er  aus  der  Besessenen  herausgesprochen,  geht  der 
Teufel  aus  deren  Leibe  heraus,  indem  er  diese  fast  todt 
zurücklässt.  ^  Die  heilige  Katharina  wird  zu  einer  Besessenen 
geführt,  und  bei  der  Gelegenheit  lässt  sich  der  Dämon  mit 
der  Heiligen  und  dem  assistirenden  Frater  in  ein  langes  Ge- 
spräch ein.  Auf  den  Befehl  der  Heiligen,  dass  der  böse  Geist 
aus  der  Creatur  Jesu  Christi  ausfähre  und  diese  nicht  mehr 
plage,  verlässt  er  die  übrigen  Theile  des  Leibes  und  setzt 
sich  in  die  Kehle  der  Kranken,  wo  er  heftige  Zuckungen  und 
eine  Geschwulst  hervorbringt.  Die  Heilige  legt  ihre  Hand 
auf  den  Theil,  macht  das  Zeichen  des  Kreuzes  darüber  und 
so  wird  der  Böse  gänzlich  ausgetrieben.  ^ 

Da  der  Teufel  und  seine  Genossen  bisweilen  auch  von 
Thieren  Besitz  nimmt,  so  muss  sich  der  Exorcismus,  durch 
die  Heiligen  geübt,  auch  auf  jene  erstrecken. 

Der  heilige  Raynaldus,  dessen  Kraft  im  Teufelaustreiben 
von  der  Legende  besonders  gerühmt  wird,  treibt  von  einer 
besessenen  Kuh  den  Teufel  fort,  der  ihr  auf  dem  Rücken 
sitzt  •*,  u.  a.  m. 

Der  Teufel,  als  Vater  der  Sünde,  ist  der  Stifter  der 
moralischen  Uebel,  der  Urheber  der  Abgötterei  als  Feind 
der  christlichen  Kirche.  Die  Heiligen,  als  Zeugen  Christi, 
wirken  daher  dem  Götzendienste  entgegen  und  zerstören  als 
Athletae  Dei  die  Idole. 

Ein  solcher  Athleta  war  der  heihge  Julianus.  Als  er  ein 
Götzenbild  durch  die  Anrufung  des  Namens  Jesu  Christi 
stürzte  und  dieses  sich  in  Asche  verwandelte,  sprang  ein  un- 


1  A.  SS.,  22.  Jan. 

2  Ibid.,  ry.  Apr. 

3  Und.,  30.  April. 
'  Ibid.,  17.  Febr. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  181 

geheuerer  Drache  hervor,  der  sich  mit  schwefeldampfendem 
Hauehe  und  mit  Schlägen  seines  schrecklichen  Schwanzes 
gegen  die  eigenen  Verehrer  wandte.  Mit  erhobenem  Kreuzes- 
zeichen befiehlt  ihm  der  Heilige,  dass  er  in  Gegenden  fliehe, 
wo  keine  menschliche  Creatur  haust,  worauf  der  Drache  ge- 
horsamst die  Flucht  antritt.  *  Auf  das  Gebet  der  heiligen 
Glyceria  stürzt  eine  Jupiterstatue  zusammen.  * 

Die  Heiligen,  die  das  moralische  Heil  zu  verbreiten  haben, 
suchen  es  in  sich  selbst  in  voller  Reinheit  darzustellen.  Der 
Teufel  trachtet  insbesondere,  die  Heiligen  davon  abzubringen 
durch  Versuchungen  zur  Sinnlichkeit,  zur  Weltlust,  zum 
Hochmuth  u.  s.  f ,  deren  Rej^räsentant  er  ist. 

Aus  diesem  Grunde  hängt  sich   der  heilige  Eusebius   ein 
schweres  Gewicht  um   den  Hals,   damit  er  genöthigt  sei,   vor 
sich  hin  auf  den  Boden   zu  schauen   und    durch   seine  Auffen 
nicht  verführt  werden  könne.  ^     Als   sich   einmal   der    heilige 
Pachomius    zum    Mahle    setzen    will,    erscheinen    ihm    einio-e 
Dämonen  als  Frauen  in  obscöner  Gestalt  und  mit  gleichem  Be- 
tragen, indem  sie  thun,  als  wollten  sie  mit  ihm  gemeinschaft- 
lich   Mahlzeit    halten.      Da    alle    ihre    Versuchungen    an    der 
Standhaftigkeit  des  Heihgen  abprallen,   ertheilen  sie   ihm  aus 
Rache  solche  Schläge,  dass  er  tagelang  die  heftigsten  Schmerzen 
leidet.     Als   ein    andermal   der   Heilige    mit    seinem   geliebten 
Theodorus  des  Nachts   innerhalb  des  Hofraums  wandelte,   er- 
schien   der    Teufel    in    Gestalt    eines    sehr    schönen    Frauen- 
zimmers, worüber  Theodorus  in  sehr  grosse  Aufregung  kommt, 
sodass  Pachomius  ihn  zu  beruhigen  suchen  muss.    Dieser  will 
die  Teufelin   durch  Gebet  verscheuchen,    sie   will    aber  nicht 
weichen,   sondern  spinnt   ein   langes  Gespräch   an,    worin   sie 
sich  für  die  Tochter  des  Teufels  ausgibt,  dass  sie  auch  gegen 
Heilige  zu  kämpfen  vermöge,   obschon   keiner  wie  Pachomius 
ihre    Macht    zu    mindern    verstehe.      Letzterer   verjagt    auch 
schliesslich  die  reizende  Erscheinung.  *     Dem  heiligen  Pater- 
nianus  erscheint  der  Teufel  in  Gestalt  eines  Mädchens,  nach- 
dem sich  in  der  Umgebung  der  Zelle  ein  Lärm  wie  von  wil- 


1  A.  SS.,  Jan.,  tom.  II,  7G5.  21. 

2  Ibid.,  13.  Mai. 

3  Ibid.,  23.  Jan. 
*  Ibid.,  14.  Mai. 


182     Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

den  Bestien   erhoben   hatte.      Das  Mädchen   gibt   vor,    es   sei, 
von  seiner  Herrschaft  um  Wasser  ausgeschickt,  wobei  es  sich 
verirrt  habe,  hierher  geeilt,  um  Schutz  zu  suchen.    Als  ihm  der 
Heilige   den  Eintritt   in   die   Zelle    verweigern   will,    droht   es 
dem   Heiligen,    dass   auf  ihn   die    Schuld  falle,   Avenn   es   von 
wilden    Thieren    zerrissen    werde.      Der    Heilige    weist    dem 
Mädchen  hierauf  eine  Stätte  in  einiger  Entfernung  von  seiner 
Zelle  an ;  als  sich  aber,  nachdem  er  in  diese  zuriickgekehrt,   die 
Sinnlichkeit  in  ihm  regt,  erkennt  er  sogleich  die  List  des  Teufels 
und  erinnert   sich  dabei,    dass   alle,    die  sich   durch  Unzucht 
besudeln,    durch   Feuer   gerichtet  werden.     Er   zündet   sofort 
Feuer  an  und   streckt   seine   Hand   darüber  aus.      Da   schlägt 
das    Feuer,    gleich    dem  Blitze,    auf   die    Stelle    hin    wo    der 
Teufel  war,  der  heulend  verschwindet.     Der  Heilige  fällt  auf 
sein  Angesicht  und  bringt  die  ganze  Nacht  zum  Lobe  Gottes 
schlaflos  zu.  1    Als  der  heilige  Jordanus  einmal  heftig  dürstete, 
erschien  ihm  der  Teufel  als  Jüngling,  mit  einer  Flasche  Wein 
und  einem  silbernen  Becher  ihm   freundlich  aufwartend.     Der 
Heilige  merkt  aber  die  List,  bekreuzt  sich,  worauf  der  Satan 
sogleich  verschwindet.^     Den    heihgen   Martiuianus   belästigt 
der  Teufel  in  Gestalt  eines  Drachen,  der  seine  Zelle  zu  unter- 
wühlen droht,  wodurch  sich  aber  der  Heilige  nicht  schrecken 
lässt.      Hierauf    sendet     der     Teufel     eine    Hure     über    ihn, 
deren    Versuchungen    der    Heilige    beinahe    unterlegen    wäre, 
aber,  zu  rechter  Zeit  sich  ermannend,  auf-  und  zwar  ins  Feuer 
springt,  sich  dabei  die  Füsse  verbrennt  und  nun,  auf  der  Erde 
liegend,  Gottes  Barmherzigkeit  anfleht.    Die  Hure  selbst  wird 
bekehrt  und  stii'bt   als  Heilige.  ^     Der   heilige   Conradus,  der 
Einsiedler,  weiss    den  Versuchungen   des   Teufels   zum  Essen 
von  Schweinefleisch,  fetten  Hühnern  und  Käsekuchen  nur  da- 
durch zu  entgehen,  dass  er  diese  von  Freunden  dargebrachten 
Leckerbissen    unberührt    so    lange    liegen    lässt,    bis    sie    von 
Würmern  wimmeln  und  er  Ekel  davor  empfindet.    Den  Heiss- 
hunjxer   nach   frischen  Feioen  vertreibt   er  sich   dadurch,   dass 
er  sich    auf  Dornen  herumwälzt.     Als   der   Teufel   in   Gestalt 
eines  schönen  Mädchens  erscheint,  unter  dem  Vorwande,  sich 


1  A.  SS.,  Jul.,  tom.  111,  298. 
■^  Ibid.,  Febr.,  tum.  II,  72'J. 
3  Ibid.,  13.  Febr. 


10.    Heiligcndienst  und  Mariencultus.  183 

im  Walde  verirrt  zu  haben  und  in  der  Höhle  des  Eremiten 
um  eine  Nachtherberge  bittet,  läuft  jener  in  den  Wald  und 
geiselt  seinen  Rücken  blutig.  *  Dem  heiligen  Albertus  Ere- 
mita  erscheint  der  Teufel  als  schöne  Frau  in  der  Zelle,  ihn 
freundlich  grüssend  und  sich  für  eine  reiche  Witwe  aus- 
gebend. Er  widersteht  zwar  ihren  einschmeichelnden  Reden, 
als  er  aber  doch  durch  den  Anblick  der  Schönheit  die  ganze 
Nacht  hindurch  von  einem  Zittern  der  Glieder  gequält  wird, 
schaiFt  er  sich  erst  Ruhe,  nachdem  er  gebeichtet  und  seinen 
Leib  zu  kasteien  angefangen,  indem  er  sich,  gleich  dem  heili- 
gen Benedictus,  auf  Nesseln  herumwälzt,  bis  der  Stimulus 
carnis  aufgehört  hat.*  Der  heilige  Macarius  wohnt  in  einer 
Einöde,  in  deren  Nähe  viele  Brüder  hausen.  Auf  dem  Wege 
bemerkt  der  Heilige  einen  Dämon  in  Menschengestalt  in 
einem  leinenen,  durchlöcherten  Rocke,  mit  Flaschen  beladen. 
Der  Heilige  fragt:  „Wozu  die  vielen  Flaschen?"  Jener:  Er 
bringe  den  Fratribus  zu  trinken.  —  ,, Diese  alle?"  Worauf 
der  Teufel:  „Wenn  eine  von  den  Flaschen  weniger  schmecken 
sollte,  reiche  ich  eine  zweite  und  dritte,  bis  eine  unter  den 
vielen  besonders  anlächelt",  und  hiernach  weiter  geht.  Der 
heilige  Greis  erwartet  seine  Rückkunft  und  erfährt,  dass 
die  Flaschen  keinen  Absatz  gefunden  haben.  „Also  hast  du 
keinen  Freund  unter  den  Brüdern?"  Worauf  der  Teufel: 
„Einer  ist  da,  "der  an  mich  glaubt  und  heisst  Theopemptus, 
aber  wenn  er  mich  sieht,  wendet  er  sich  wie  der  Wind." 
Der  Heilige  sucht  hierauf  den  Theopemptus  auf  und  entlockt 
ihm  das  Geständniss,  dass  er  vom  „spiritus  fornicationis"  ge- 
plagt werde.  Nach  den  Ermahnungen  des  Heiligen  kehrt 
dieser  nach  seinem  Aufenthaltsorte  zvirück,  und  als  er  wieder 
dem  Teufel  begegnet,  hört  er  diesen  klagen,  dass  Theopemptus 
nicht  mehr  zu  ihm  halte,  und  strenger  geworden  als  alle 
übrigen,  ihm  kein  Gehör  mehr  geben  wolle.  ^  Der  heilige 
Peregrinus  wandert  unter  grossen  Mühseligkeiten  nach  Jeru- 
salem, besucht  die  heiligen  Orte,  auch  die  Wüste,  in  welcher 
der  Herr  vierzig  Tage  gefastet,  in  grösster  Herzenszerknirscht- 
heit.     Er    kasteit    sich    so    sehr    mit  Fasten    u.  dgl.,    dass    er 


1  A.  SS.,  19.  Febr. 

"^  Ibid.,  Jan.,  tom.  I,  422.  22. 

ä  Ibid.,  15.  Jan. 


184      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

einem  Gespenste  gleicht.  Als  er  einst  einsam  betete,  erschien 
ihm  der  Teufel  in  Gestalt  des  Gek"reuzigten ,  sagend:  „Pere- 
grine,  Peregrine!  für  jede  Sünde  gegen  Gott  ist  Vergebung 
zu  erlangen,  ausser  wenn  jemand  sein  Leben  vor  der  Zeit 
abkürzt."  Der  Heilige  ents^egnet  hierauf,  und  da  nach  län- 
germ  Discurs  der  Teufel  einsieht,  dass  es  nicht  gelinge  den 
Heiligen  zu  verfiihren,  schlagt  er  ihn  „horribiliter"  auf  die 
Kinnbacke.  Der  Heilige  aber  reicht,  im  Sinne  des  Gebotes, 
auch  die  zweite  hin  zum  Schlage,  und  da  der  Feind  diese 
Demuth  nicht  ertragen  kann,  sagt  er:  „Peregrine,  deine 
Demuth  hat  mich  besiegt,  und  wenn  ich  dir  in  dieser  Be- 
ziehung nichts  anhaben  kann,  so  wird  die  Zeit  doch  kommen, 
wo  ich  dich  herumkriege."  Und  plötzlich  entstand  eine  Ver- 
änderung der  Luft,  die  Erde  erbebte,  der  ganze  Platz  drohte 
zu  verbrennen.  Nachdem  aber  der  Heilige  gebetet  und  das 
Kreuz  gemacht,  verschwand  die  „Machinatio".  ^  Dem  heili- 
gen Simeon,  dem  Styliten,  erscheint  der  Teufel  in  Gestalt  des 
Herrn  auf  einem  Cherub  wagen  und  sagt:  „Komm  steige  auf 
den  Wagen,  auf  dass  du  deine  Krone  erhaltest."  Der  Heilige 
thut  es,  nachdem  er  aber  die  teuflische  Versuchung  zum 
Hochmuth  bemerkt,  zieht  er  den  Fuss  wieder  zurück,  wird 
jedoch  am  Schenkel  lahm,  sodass  er  nur  das  eine  Bein  mehr 
gebrauchen  kann.  ^  Den  heiligen  Jordanus  sucht  der  Teufel 
auf  verschiedene  Weise  zum  Hochmuth  imd  zur  eiteln  Ruhm- 
sucht zu  führen.  Unter  anderm  übergoss  er  ihn  so  sehr  mit 
Wohlgeruch,  dass  dieser  seine  Hände  v^bergen  musste,  um 
für  keinen  Heiligen  gehalten  zu  werden,  da  er  sich  damals, 
wie  die  Legende  bemerkt,  noch  nicht  der  Heiligkeit  bewusst 
war.  Wenn  er  den  Kelch  trug,  ging  ein  so  süsser  Duft  von 
ihm  aus,  dass  ihn  die  ganze  Versammlung  bewunderte.  Schliess- 
lich wird  ihm  derselbe  auf  seine  Bitte  genommen,  und  zugleich 
geoffenbart,  dass  er  dadurch  vom  Teufel  zu  eitclm  Kuhm  und 
Hochmuth  verleitet  werden  sollte.  Von  da  ab  hörten  seine 
Hände  auf  wohlriechend  zu  sein.  ^ 

Die  Heiligen  stehen  auf  verschiedenen  Stufen  der  Heilig- 
keit, und  nach  dem  Grade,    den    sie   errungen,  ist  auch  ihre 


I  A.  SS.,  1.  Aug. 
*  Ibid.,  5.  Jan. 
3  Ibid.,  13.  Febr. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  185 

Macht,  die  sie  lebend  oder  nach  dem  Tode  iiber  den  Teufel 
ausüben,  mehr  oder  weniger  eindringlich  und  wirksam.  Dies 
zeigen  die  Legenden  an  zahllosen  Beispielen.  Wo  der  Exorcis- 
mus  des  gewöhnlichen  Priesters  nicht  ausreicht,  weil  der 
Exorcist  selbst  nicht  untadelig  ist,  muss  ein  Heiliger  zu  Hülfe 
kommen,  und  steht  dieser  nicht  hoch  genug  in  der  Heiligkeit, 
wird  ein  höherer  nothwendig.  Deniijemäss  stuft  sich  auch 
die  Teufelei  verschieden  ab  und  muss  ihre  Anstrengungen 
steigern,  schliesslich  aber  dem  vollwichtigen  Heiligen  gewöhn- 
lich weichen. 

In  der  Vita  St.  Joannis  Gualberti  ^  sind  viele  Fälle,  wo 
die  Dämonen  so  hartnäckig  sind,  dass  sie  den  gewöhnlichen 
Exorcisten  nicht  weichen  und  erst  der  Macht  des  Heiligen 
nachgeben  müssen.  Zuweilen  hat  es  den  Anschein,  als  ob  die 
Verdienste  eines  Heiligen,  in  deren  Folge  ihm  die  Macht 
über  den  Teufel  zukommt,  nicht  ausreichen  und  die  Maria's 
mitwirken  müssen.  Auch  davon  ein  Beispiel  in  der  Vita 
Joannis  Gualberti.  Ein  Dämon  hat  ein  altes  Weib  im  Besitz 
und  ist  besonders  hartnäckig,  ja  er  heuchelt  sogar  Frömmig- 
keit, indem  er  häufig  Redensarten  gebraucht,  als:  Guter  Jesus! 
u.  dgl. ,  sodass  ihn  niemand  erkennt.  Das  besessene  Weib 
betet  den  englischen  Gruss,  das  Vaterunser,  macht  das  Kreuz, 
kurz  gibt  alle  Anzeichen  der  Frömmigkeit,  sodass  es  von 
den  Mönchen  gar  nicht  als  besessen  betrachtet  wird.  Der 
Dämon  räth  dem  Weibe  zu  fliehen,  sich  ins  Wasser  zu 
stürzen,  wird  aber  durch  die  Verdienste  der  heiligen  Maria 
und  des  heiligen  Johannes  Gualbertus  daran  verhindert.  Bei 
den  Gesängen  und  Gebeten  kann  aber  der  Teufel  die  Macht 
der  Heiligen  nicht  länger  ertragen  und  muss  ausfahren.  Eine 
Frau  war  dermassen  von  höllischen  Geistern  besessen,  dass 
sie  sich  oft  getödtet  hätte,  wäre  sie  nicht  gehindert  worden. 
Bei  oft  wiederholtem  Exorcismus  schrien  die  Dämonen  aus 
dem  Leibe  heraus:  sie  würden  nicht  herauskommen,  ausser 
die  Frau  besuche  die  Kirche  der  heiligen  Agnes.  Als  man 
die  Frau  dahin  zu  bringen  siichte  und  der  Kirche  sich  näherte, 
fingen  die  Dämonen  an,  in  der  Voraussicht  ihrer  Austreibung, 
ungeheuerliche  Bewegungen    und    einen  grässlichen  Lärm  zu 


1  A.  SS.,  12.  Juli. 


186       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

machen,  wobei  sie  äusserten,  unmöglich  weiter  gehen  zu  kön- 
nen. Die  Angehörigen  der  Frau  brachten  daher  diese  ge- 
waltsam in  die  Kirche  der  Heiligen  mid  nachdem  dies  ge- 
lungen ,  war  die  Besessene  sofort  ihrer  Teufel  los.  '  Ein 
Augenzeuge  erzählt,  der  Teufel  sei  einst  in  eine  Frau  ge- 
fahren, die  er  sehr  ge[)lagt  habe.  Ihr  Mann  hatte  sie  schon 
an  verschiedene  Orte  geführt,  um  ihre  Heilung  durch  die 
Anrufung  Auserwählter  Gottes  zu  ei'zielen,  jedoch  vergeblich. 
Da  der  Mann,  der  seine  Frau  sehr  liebte,  von  der  heiligen 
Opportuna  gehört  hatte,  dass  sie  durch  Vcrmittelung  der 
glorreichen  Jungfrau  die  Kraft  der  Dämonen  zu  brechen 
wisse,  suchte  der  fromme  Gatte  ihre  Hülfe  auf.  Als  er  seine 
Frau  dahin  gebracht  und  der  Teufel  ahnte,  dass  seine  Bosheit 
durch  die  Verdienste  der  heiligen  Opportuna  vernichtet  wer- 
den soll,  fing  er  durch  den  Mund  der  Frau  zu  reden  an: 
„Weh  mir,  o  Opportuna!  o  veraltete  Opportuna,  du  warst 
stets  meine  Widersacherin  in  Gallien  und  Neustrien,  dein 
Gebet  machte  oft  meine  Unternehmungen  zunichte,  du  stell- 
test mir  nach  solange  du  lebtest,  und  thust  es  noch  nach- 
dem du  todt  bist."  Der  Augenzeuge,  der  mit  andern  trauernd 
und  betend  dabei  stand,  will  dies  und  Aehnliches  durch  den 
Mund  der  Besessenen  gehört  haben,  so  auch,  dass  der  Teufel 
behauptete:  nicht  der  Bischof  sei  es,  den  er  fürchte,  sondern 
die  heilige  Opportuna,  deren  Kraft  er  weichen  müsse,  wäh- 
rend der  Bischof  nur  ein  unniitzer  Knecht  sei.  Die  Anwesen- 
den, gekommen,  den  Spectakel  zu  sehen,  Hessen  aber  nicht 
ab  von  ihren  Gebeten.  Die  Besessene  wird  mit  Weihwasser 
besprengt,  mit  dem  heiligen  Kreuze  bezeichnet,  und  als  man 
in  dem  Gebete,  das  über  sie  gesprochen  ward,  an  die  Stelle 
kam,  wo  es  heisst:  „Ich  beschwöre  dich,  Drache,  im  Namen 
des  Lammes,  welches  über  die  Schlange  und  den  Basilisken 
schreitet,  das  den  Löwen  zertritt  und  den  Drachen",  da  pei- 
nigte der  Teufel  die  Besessene  so  gewaltig,  dass  sie  mit  Nä- 
geln und  Zähnen  die  eigenen  Glieder  zerfleischte.  Und  der 
Teufel  schrie  aus  ihr:  „Wisse,  du  Vettel  Opportuna,  dass  ich 
jetzt  zwar  ausfahre,  aber  bald  wiederkehren  werde."  Nach 
diesen  Worten  wurde    die  Frau  ruhig,    richtete  Augen   und 


1  A.  SS.,  20.  Apr. 


10.    Ileiligendienst  und  Marienciiltus.  187 

Hände  gegen  Himmel  und,  sich  dem  Altäre  nähernd,  gelobte 
sie,  sich  dem  Dienste  der  heiligen  Opportuna  weihen  zu  wollen, 
luid  nachdem  sie  das  gesegnete  Brot  empfangen,    ging  sie  in 
das  Hospiz.     Da  ihr  Mann  sicher  hofi'te,  dass  sie  genesen  sei, 
und  wimschte,   dass  sie  in  sein  Haus  zuriickkehre,   verliessen 
sie  nach  einigen  Taigen  den  Ort.     Da  erschien  der  Teufel  mit 
einer  Menge  von  Dienern    in  Gestalt   von  Wölfen,    Hunden, 
welche   die  Frau  anfielen.     Diese    aber  rief:    „Herrin   Oppor- 
tuna, befreie  deine  Magd!"  und  lief,  von  den  Bestien  bis  zur 
Kirchenthüre  verfolgt,   bis    an   den   Altar,    betete   da   längere 
Zeit    und    blieb    unverletzt.      Als    sie    aber    der    Mann    wie- 
der    nach    Hause    bringen    wollte,     fand    er    sie    ärger    als 
früher  vom  Teufel  geplagt.     Endlich  wird    sie  mit  Hülfe   der 
heiligen  Opportuna  wieder  befreit  und  weiht  sich  dem  Dienste 
der  Heiligen.  ^    Eine  Frau,  durch  vierzehn  Jahre  von  unreinen 
Geistern  geplagt,  kam  zu  einem  Priester,  sagend:   ich  bin  be- 
sessen, der  böse  Geist  plagt  mich.     Der  Priester   erschreckt, 
läuft   in   die  Sakristei,    nimmt    ein  Buch  mit   Beschwörungs- 
formeln und  die  Stola,  und  zur  Frau  herausgekommen,  beginnt 
er    seine  Beschwörungen.     Allein    er    bringt    keine   Wirkung 
hervor.     Hierauf  geht  die  Frau  zum  heiligen  Petrus,  da  dieser 
noch  lebte,    und    begehrt   Hülfe  von    ihm.     Dieser    sagt    mit 
prophetischer  Stimme:  ,, Glaube,  Tochter,  verzweifle  nicht,  denn 
obschon  ich  nicht  in  dem  Augenblicke  das,   was  du  begehrst, 
zu  leisten  im  Stande  bin,  so  wird  doch  die  Zeit  kommen,  wo 
du  das  Begehrte   erlangst."     Und   dies   traf  auch  ein.     Denn 
nach  seinem  Märtyrertode  erlangte  die   Frau,  die  zum  Grabe 
des   Heiligen    gekommen    war,    Heilung    und    Befreiung  vom 
Dämon,  wie  ihr  der  Lebende  versprochen  hatte,  aber  erst  nach 
dessen  Blutvergiessen.^  —  Ein  Mädchen,   Namens  Laurentia, 
wurde  von  seinem  Vater  ins  Kloster  gebracht.     Nach   einiger 
Zeit  wird  es  von  einem  bösen  Geist  besessen,  welcher  durch  den 
Mund  des  Mädchens  lateinisch   spricht,    obwol   es    dieses   nie 
gelernt.     Es  antwortet  auf  die  schwierigsten  Fragen,  entdeckt 
die  geheimsten  Siinden  und  Angelegenheiten.    Die  Aeltern,  in 
ihrer  Betrübniss  Hülfe  suchend,  führen  ihre  Tochter   zu   Re- 
liquien   verschiedener    Heiligen.      Da    sie    auf   die   Kraft    des 


1  A.  SS.,  22.  Apr. 

-  Ibid.,  Vita  St.  Petri  ord.  Praedicat.,  29.  Apr. 


188      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 


heiligen  Ambrosius  besonderes  Vertrauen  hatten,  riefen  sie 
dessen  Hiilfe  an,  wurden  aber  auch  nicht  erhört.  SchHesslich 
wird  den  Aeltern  geratheu,  der  heihgen  Katharina  sich  anzu- 
vertrauen, und  so  wird  das  Mädchen  endlich  vom  Dämon 
befreit.  * 

An  der  vollen  Kraft  eines  richtigen  Heiligen  bricht  die 
Macht  des  Teufels. 

Ein  besessener  Frater  in  Bologna,  der  so  stark  war,  dass 
er  alle  Stricke  zerriss,  lag  einst  gebunden  auf  dem  Bette  und 
sagte  zu  dem  heiligen  Jordanus,  der  in  der  Nähe  war:  „O 
Blinder,  wenn  ich  dich  nur  hätte,  zerbräche  ich  dich  ganz 
und  gar!"  Der  Heilige  lässt  ihn  losbinden  und  sagt:  „Siehe, 
du  bist  frei,  und  thue,  was  du  kannst."  Dieser  konnte  sich 
aber  nicht  regen.  Der  Heilige  legte  hierauf  seine  Nase  an 
jenes  Mund,  ohne  dass  dieser  ihm  schaden  konnte,  die  Nase 
vielmehr  sanft  leckte.  *  —  Als  einmal  der  heilige  Ulricus  un- 
pässlich  war,  kam  der  Teufel,  schaute  ihn  mit  grinnnigen 
Auffen  an  und  versetzte  ihm  mit  einem  Stocke  drei  entsetz- 
liehe  Hiebe.  Hierauf  sagte  der  Heilige,  der  bisher  ruhig  ge- 
blieben: „Jetzt  aber  weiche  zuriick,  denn  weiter  reicht  deine 
Macht  nicht,  und  sie  ginge  nicht  einmal  so  weit,  wenn  sie 
nicht  von  oben  zugelassen  würde."  Es  war  nämlich  friiher 
einmal  der  Teufel  vom  Heiligen  festgehalten,  geraume  Zeit 
tüchtig  durchgepeitscht  und  nur  unter  der  Bedingung  los- 
gelassen worden,  dass  jener  mit  einem  Eide  versprach,  nie 
mehr  zurückzukehren.  ^ 

Die  Macht  mancher  Heiligen  ist  bisweilen  so  überwälti- 
gend, dass  der  Teufel  genöthigt  wird,  zur  festgesetzten  Frist 
auszufahren  oder  anzugeben,  wie  er  zu  vertreiben  ist,  ja  selbst 
im  Sinne  der  Heiligen  zu  handeln,  und  zwar  als  Straf- 
werkzeug. 

Eine  Frau  wurde  durch  mehrere  Jahre  vom  Teufel  ge- 
plagt. Drei  Tage  vor  dem  Feste  des  heiligen  Ambi'osius 
wurde  der  Teufel  gefragt,  wann  er  weichen  würde,  worauf 
dieser  drei  Finger  erhob.  „Nach  drei  Jahren?"  —  „Nein!"  — 
„Nach  drei  Tatren?"   Der  Dämon  nickt  zustimmend.  Am  Sonn- 


1  A.  öS.,  30.  April. 

2  Ibid.,  13.  Feljr. 
»  Ibid.,  20.  Febr. 


10.    Ileiligendienst  und  Mariencultus.  189 

tage,  der  auf  das  Fest  folgte,  schreit  der  Dämon :  „Ich  kann  nicht 
länger  weilen,  der  heilige  Ambrosius  verjagt  mich."  Da  be- 
eilte man  sich,  die  Besessene  zum  Grabe  des  Heiligen  zu  brin- 
gen, worauf  der  Dämon  zu  spucken  anfängt,  die  Lichter  aus- 
löscht, nach  kurzem  aber  endlich  weicht.  ^  Die  Dämonen, 
welche  alsobald  nach  Sonnenuntergang  ein  Gefängniss  ein- 
nahmen und  die  Gefans^enen  mit  nächtlichen  Schrecknissen 
plagten,  wurden  durch  die  Coletaglocke,  sobald  diese  das 
Zeichen  zur  Matutina  gab,  verscheucht.  -  Ein  gewisser  Fürst 
Ferdinandus  Roderici  de  Castro  bricht  in  das  Kloster  des 
heiligen  Rudesindus  ein  und  verwüstet  es  durch  Brand  und 
Plünderung.  Die  Mönche  versammeln  sich  am  Grabe  des 
Heiligen  und  bitten  um  seinen  Schutz.  Da  ergreift  der  Teufel 
den  Fürsten  und  wirft  ihn  ungeachtet  des  Widerstandes  der 
Soldaten  ins  Feuer.  Als  diese  ihn  aber  dennoch  herausziehen, 
fängt  der  Teufel  durch  den  Mund  des  Fürsten  zu  sprechen 
an:  sie  sollten  den  Räuber  des  Heiligen  verbrennen  lassen, 
er  sei  zum  Rächer  des  Heiligen  bestellt,  denn  der  Fürst  habe 
das  Gebiet  desselben  geplündert,  u.  s.  f.  Die  Soldaten  legen 
hierauf  den  Fürsten  in  die  Gruft  des  Heiligen,  wo  jener  noch 
halblebend  die  ganze  Nacht  lag.  Des  Morgens  aber  ergreift 
ihn  wieder  der  Teufel,  und  auf  die  Frage  der  Anwesenden: 
unter  welcher  Bedingung  er  ihn  loslassen  würde,  antwortet 
er:  wenn  der  Fürst  alle  Beute  zurückstellte  und  den  Eid 
leistete,  dass  er  und  seine  Söldlinge  nie  mehr  in  das  Kloster 
einbrechen  würden.  Nachdem  der  Fürst  und  die  Söldlinge 
unter  Herbeiziehung  des  Abtes  und  der  Mönche  das  verlangte 
Versprechen  geleistet  hatten,  wurde  der  Fürst  zur  selbigen 
Stunde  ganz  hergestellt. ^  Einer,  der  durch  Einflüsterung 
■des  Teufels  zur  Reue  bewogen,  die  Welt  verlassen  hatte 
und  ins  Kloster  gegangen  war,  plagte  oft  den  Abt,  den 
heiligen  Gualbertus,  um  die  Erlaubniss,  es  wieder  verlassen  zu 
diirfen.  Als  er  nicht  abliess,  ward  der  HeiHge  zornig  und 
rief  ihm  zu,  er  möge  sich  packen.  Dieser  hatte  sich  aber 
kaum  vom  Kloster  entfernt,  als  ihn  der  Teufel  von  einem 
hohen  Felsen,  über  den  er  ging,  hinabstürzte,  worauf  er  seinen 


1  A.  SS.,  20.  Mart. 
^  Ibid.,  6.  Mart. 
3  Ibid.,  1.  Mart. 


190       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Geist  aufgab.  ^  In  Cacsarii  Heistcrbacensis  Vita  St.  Engel- 
berti ^  wird  von  einem  in  der  Stadt  Magdeburg  erzählt,  den  ein 
sehr  böser  Dämon  besass,  welcher  keinen  Exorcisten  fürchtete, 
keinem  antwortete,  ausser  einem  Priester  von  besonderer  Heilig- 
keit, dem  von  Gott  besondere  Gnade  verliehen  war.  Dieser 
benutzte  den  Dämon  als  Neuigkeitsträger,  forschte  ihn  aus 
und  erfuhr  auf  diesem  Wege  auch  den  Tod  des  Erzbisehofs 
Eno-elbert.  „Da  nur  dieser  Eine  Priester  die  Macht  über  den 
Dämon  hat",  sagt  der  Chronist,  „so  muss  dieser  auch  stets 
die  Wahrheit  sagen  und  zwar  gegen  seinen  Willen." 

Die  Gegensätzlichkeit  des  Teufels  zu  den  Heiligen  äussert 
sich  häufig  in  blossen  Neckereien,  wo  die  dämonische  Wirk- 
samkeit nur  auf  einen  Spuk  hinausläuft,  wodurch  ein  Heiliger 
belästigt  oder  ein  heiliges  Unternehmen  gehindert  werden 
soll.  Andererseits  fehlt  es  auch  nicht  an  Beispielen,  wo  Hei- 
lige den  Teufel  dadurch  peinigen ,  dass  sie  ihn  festhalten,  um 
die  Qualen,  welche  er  durch  ihre  Nähe  und  Macht  empfindet, 
zu  verlängern. 

Der  heilige  Albertus,  der  sich  kasteit,  was  den  Teufel 
ärgert,  wird  von  diesem  geneckt,  dass  er  ihm  verschiedene 
Frauensestalten  erscheinen  lässt.  ^  In  der  Vita  St.  Frodo- 
berti  Abbatis  wirft  der  Teufel  in  der  Nacht  den  Leuchter 
mit  den  Wachskerzen  um,  dass  diese  verlöschen.*  Jun- 
gen Mönchen,  die  des  Nachts  Psalmen  singend  beisam- 
men sitzen,  hält  der  Teufel  seine  Hand  vor  die  Kerze, 
sodass  sie  nichts  sehen  können.  Der  Greis,  der  sie  be- 
aufsichtigt, räth  den  Erschrockenen,  sich  zu  bekreuzen 
und  David'sche  Psalmen  zu  singen.  Da  löscht  ihnen  der 
Teufel  unter  lautem  Gelächter  die  Kerze  ganz  aus,  stürzt 
auf  einen  nahen  Steinhaufen,  macht  mit  den  Steinen  ein  ent- 
setzliches Getöse  und  neckt  sie  noch  auf  verschiedene  Weise, 
dass  sie  das  Gef äss,  das  mit  Wein  gefüllt  in  ihrer  Nähe  stand, 
leer  finden,  u.  dgl.  m.  ^  Dem  heiligen  Abrahamus  erscheint 
beim  Essen  der  Teufel  als  Jüngling  und  will  ihm  die  Schüssel 


'  A.  SS.,  12.  Juli. 

'■*  Boehmer  Ibnt.  rer.  gerra.,  II,  323. 

■■'  A.  SS.,  7.  Febr. 

*  Ibid.,  Jan.,  tom.  I,  50!).  IG. 

6  Ibid.,  2t).  Jan.,  Vita  St.  Gildae  sap.  Abb. 


10.    Heiligendienst  und  JMariencultus.  191 

umwerfen,  die  aber  jener  festhält  und  weiter  isst.  Hierauf 
ändert  der  Teufel  seine  List  und  thut,  als  ob  er  einen  Leuchter 
aufstellte  und  eine  Kerze  daraufsteckte,  indem  er  Psalm  118,  1 
zu  singen  anfängt.  Der  Heilige  aber  bekreuzt  sich  mit  den 
Worten:  „Du  unreiner  Hund,  feiger  Thor!  wenn  du  weisst, 
dass  die  Reinen  selig  sind,  warum  belästigst  du  sie?"  Nach 
längerm  Gespräch,  in  welchem  der  Teufel  dem  Heiligen  nicht 
aufkommen  kann,  verschwindet  er. '  Dem  heiligen  Philii^pus 
erscheint  der  Teufel  beim  Gebete  in  Ziegengestalt  und  löscht 
ihm  die  Lampe  aus.  Der  Heilige  sagt  aber  unerschrocken: 
„Spare  deine  läppischen  Kunststücke,  sie  niitzen  dir  nichts, 
du  kannst  mich  doch  vom  Gebete  nicht  abhalten."  Er  geht 
in  die  Kirche,  holt  sich  Licht;  das  Verlöschen  wiederholt  sich 
einigemal,  die  Ziegengestalt  verwandelt  sich  in  einen  stinken- 
den Bock;  der  Heilige  wird  ärgerlich  und  befiehlt  ihm  im 
Namen  Gottes,  dass  er  abfahre;  jener  wird  betroffen,  weicht  und 
oretraut  sich  nicht  wieder  zu  kommen.^  Ein  Knecht,  vom 
Teufel  arg  geplagt,  ward  von  seiner  Herrin  zum  heiligen 
Theodorus  gebracht,  wonach  der  Dämon  in  Aufruhr  an  dem 
Kranken  herumriss,  als  ob  er  nicht  weichen  wollte.  Nachdem 
er  aber  von  der  Macht  des  Heiligen  angegriffen  worden,  ver- 
bot ihm  dieser,  die  Stelle  zu  verlassen,  damit  er  noch  gequält 
werde.  Der  Heilige  sprach  hierauf  ein  Gebet,  ging  in  seine 
Zelle,  sao-te  eine  bestimmte  Anzahl  Psalmen  her.  Als  der 
Knecht  so  dastand  und  der  böse  Geist  in  ihm  gebannt  Qua- 
len litt,  fing  dieser  mit  kläglicher  Stimme  zu  schreien  an: 
„Ich  fahre  aus,  Diener  Gottes,  denn  ich  kann  diese  Qual 
nicht  ertragen,  komm,  erlöse  mich,  damit  ich  ausfahre,  peinige 
mich  nicht  länger."  Nachdem  der  Heilige  aus  seiner  Zelle 
herausgetreten  war,  sagte  er:  „Ich  will  nicht,  dass  du,  un- 
reiner Geist,  jetzt  ausfahrest."  Der  Dämon  aber  rief:  „Ach, 
ich  Armer,  ich  bitte  dich,  erlöse  mich,  ich  habe  schon  genug 
gelitten!  Wann  wirst  du  erlauben,  dass  ich  ausfahre?"  — 
„Ich  will",  erwiderte  der  Heilige,  „dass  du  um  die  Mitter- 
nachtstunde weichest."  Hierauf  warf  er  ihn  sich  zu  Füssen. 
Um  Mitternacht  aber,  als  der  heilige  Mann  zum  Gebete  auf- 
stand,   fing  der  Dämon  zu  schreien  an:    „Komm  heraus,  du 


1  A.  SS.,  15.  Mart. 

2  Ibid.,  4.  Mai. 


192     Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Eisenfresser,  dass  ich  weichen  könne."  Nach  einer  Stunde 
kam  der  Heilige,  griff  ihn  im  Namen  Jesu  Christi  an  mit  dem 
Befehle,  dass  er  weiche,  und  alsobald  fuhr  der  Dämon  aus, 
und  der  Knecht  war  gesund.  ^ 

Mancher  Heilige  hat  die  Macht,  nicht  nur  die  Zeit,  son- 
dern auch  den  Ort,  wohin  der  Dämon  fahren,  oder  den  Körpcr- 
theil  zu  bestimmen,  durch  den  er  heraus  muss. 

Ein  seit  vielen  Jahren  besessenes  Mädchen,  das  gebunden 
zum  heiligen  Vincentius  gebracht  ward,  war  so  unbändig, 
dass  es  acht  Männer  nicht  bewältigen  konnten.  Auf  die  An- 
rede des  Heiligen  wird  es  aber  ruhig,  und  dieser  stellt  ein 
förmliches  Verhör  an.  Der  Dämon  muss  die  Uebermacht  des 
Heiligen  anerkennen,  der  er  weichen  muss,  und  bittet  um  An- 
gabe des  Körpertheils,  durch  den  er  ausftihren  dürfe.  Nach- 
dem die  Bitte  gewährt  ist,  fährt  der  Dämon  aus  dem  auf  dem 
Boden  liegenden  Mädchen  mit  grässlichem  Gestank  aus,  in- 
dem er  dasselbe  wie  halbtodt  zurücklässt,  das  aber  an  Leib 
und  Seele  heil  aufsteht.^  Nach  dem  Machtspruch  des  heiligen 
Frauciscus  de  Paula  darf  der  Teufel  nicht,  wie  er  möchte, 
durch  die  Augen  einer  Besessenen  ins  Weite  ausfahren,  son- 
dern muss  in  eine  Flasche.  ^ 

Den  Heiligen  ist  ein  höheres  Wissen  des  Kiinftigen  zu- 
erkannt, wie  auch  dem  Teufel,  natürlich  aber  mit  entgegen- 
gesetzter Tendenz. 

Als  man  einen,  der  sich  mit  siedendem  Pech  übergössen 
und  verbrannt,  dem  heiligen  Frauciscus  de  Paula  brachte, 
fand  man  diesen  schon  mit  der  Bereitung  der  Heilmittel  für 
den  Beschädigten  beschäftigt,  ohne  dass  er  von  dem  Unfall 
benachrichtigt  gewesen.  ■*  Auch  in  der  Legende  von  der  hei- 
ligen Coleta  wird  ausdrücklich  hervorgehoben,  dass  sie  Ab- 
wesendes und  Künftiges  gewusst  habe.  ^ 

Der  Antagonismus  zwischen  den  Heiligen  und  dem  Teufel 
ninnnt,  gemäss  der  magischen  Kraft,  die  beiden  Seiten  eignet, 
auch    eine    magische   Form    an,    indem    jene    die    Nähe    des 


1  A.  SS.,  22.  Apr. 

■2  Ibid.,  8.  Apr. 

3  Ibid.,  Apr.,  tom.  I,  113. 

*  Ibid.,  S.  128. 

s  Iliid.,  6.  Mart. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  193 

Teufels,    aiicli  wenn  er  verkappt  ist,    empfinden,    und    dieser 
die  Heiligen,  deren  Nähe  er  nicht  vertragen  kann,   wittert. 

Nachdem  der  heilige  Amator  auf  die  Insel  „c[uae  Galli- 
naria nuncupatur",  auf  welcher  Beizebub,  der  Fürst  der 
Dämonen,  hauste,  seinen  Fuss  gesetzt  hatte,  verliess  dieser  mit 
seinem  Tross  das  Gebiet  mit  Lärm  und  Geheul,  um  sich  auf 
einem  Felsen  unweit  der  Strasse  niederzulassen,  wo  er  die 
Vorüberorehenden  belästio:te.  Der  PIeilio;c  fol»t  ihnen  aber 
auch  dahin  und  vertreibt  sie  im  Namen  Christi.  ^  Der  heilisfe 
Raynaldus  wird  von  der  Legende  besonders  deswegen  ge- 
riihmt,  dass  er  die  Dämonen  in  jeder  Gestalt  erkannte,  ob 
sie  die  von  Jupiter,  Bacchus,  der  Hebe  u.  a.  annehmen  moch- 
ten. Einst  erscheint  ihm  ein  Dämon  im  PurjDurmantel  mit 
einem  Diademe,  goldenen  Schuhen  und  heiterm  Gesichte, 
gleich  einem  Könige,  und  gibt  sich  für  Christus  aus,  den  er 
verehi'e  und  der  sich  vor  allen  andern  dem  Heilio-en  oifen- 
baren  wolle.  Dieser  zweifelt,  und  auf  die  Frage  warum?  er- 
widert er:  Mein  Christus  weissagte  seine  Ankunft  nicht  im 
Purpur  und  mit  der  Krone;  wenn  ich  nicht  Christum  sehe, 
wie  er  gelitten  hat,  mit  Wunden  auf  dem  Kreuze,  solange 
glaube  ich  nicht.  Der  Teufel  fährt  hierauf  unter  Nachlass 
eines  schrecklichen  Gestanks  ab.  ^  Aehnliches  berichtet  Sulp. 
Severus.  ^  Als  der  heilige  Antonius  (Patriarcha)  noch  ganz 
jung  war  und  die  Davidharfe  in  der  Kirche  des  heiligen  Theo- 
dor des  Märtyrers  spielte,  hörte  er  zwei  hässliche  Gestalten, 
die  gegenwärtig  waren,  ärgerlich  zueinander  sagen:  „Lass  uns 
von  hinnen  gehen,  die  Gegenwart  dieses  Jünglings  ist  uner- 
träglich", worauf  sie  verschwanden.^  Der  heilige  Nicetus  geht 
eines  Morgens  in  die  Matutina,  und  als  der  Diakonus  den 
respondirenden  Psalm  zu  singen  beginnt,  ruft  der  Heilige  aus : 
„Schweige!  der  Feind  der  Gerechtigkeit  wage  es  nicht  zu 
singen!"  Als  dieser  schweigt,  lässt  ihn  der  Heilige  vor  sich 
kommen  und  sagt:  „Habe  ich  dir  nicht  verboten,  die  Kirche 
zu  betreten,  wie  kannst  du  es  wagen,  sogar  die  Stimme  zum 
Gesang  zu  erheben?"     Alle  Anwesenden,   nichts  Arges  vom 


1  A.  SS.,  1.  Mai. 

2  Ibid.,  9.  Febr. 

3  Dial.,  I,  24. 

*  A.  SS.,  12.  Febr. 

Eoskoff,  Geschichte  des  Teufels.   II.  iq 


194      Zweiter  Abschnitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Diakonus  ahnend,  sind  erstaunt;  da  schreit  aber  der  Dämon: 
dass  er  vom  Heiligen  gequält  werde.  Das  Volk  hatte  den 
Teufel  beim  Singen  nicht  erkannt,  wol  aber  der  Heilige,  der 
ihn  daher  auch  hart  anfuhr.  Er  legte  hierauf  dem  Diakonus 
die  Hände  auf  und  trieb  den  Dämon  aus,  worauf  jener  ganz 
gesund  war.  ^  Der  Sohn  eines  Schenkwirths  hatte  ein  Herz- 
leiden, ohne  die  Ursache  seiner  Qual  zu  kennen.  Sein  Vater 
brachte  ihn  zum  heiligen  Theodorus,  damit  dieser  bei  Gott 
bitte,  dem  Uebel  ein  Ende  zu  setzen.  Der  Heilige  erkannte 
aber  sogleich  den  Grund  der  Krankheit,  führte  den  Patienten 
in  die  Zelle,  bezeichnete  dessen  Gesicht  mit  dem  Kreuze  und 
klopfte  ihm  an  die  Herzstelle,  indem  er  rief:  „Verbirg  dich 
nicht,  unreiner  Geist,  es  sollen  deine  Werke  an  den  Tag  kom- 
men. Der  Herr  Jesus  Christus,  der  Erforscher  der  Herzen, 
befiehlt  dir,  dass  du  von  dannen  weichest."  Alsogleich  fing 
der  Dämon  zu  heulen  an:  „Ich  gehe  schon,  du  Eisenfresser, 
ich  leiste  keinen  Widerstand,  kann  deine  Drohungen  nicht 
vertragen,  sowenig  als  das  Feuer,  das  aus  deinem  Munde 
ausgeht  und  mich  brennt."  Dies  und  noch  mehr  ausstossend, 
fuhr  er  mit  grossem  Geheul  aus.  ^ 

Obschon  die  Heiligen  weit  über  den  gewöhnlichen  Men- 
schen stehen,  haben  sie  doch  eine  menschliche  Seite  an  sich, 
und  kann  daher  der  Fall  eintreten,  dass  sie  den  Teufel,  ihren 
Widersacher,  nicht  erkennen  oder  wenigstens  über  seine  Er- 
scheinung in  Ungewissheit  sind  und  sich  täuschen  lassen. 

Ein  ausgelassener  Junge  wird  vom  Teufel  angeregt,  den 
heiligen  Fridericus  in  dem  Gewände  einer  jüngst  verstorbenen 
Frau  zu  schrecken.  Als  er  vor  dem  Heiligen  erscheint,  hält 
ihn  dieser  für  den  Teufel  und  schlägt  das  Kreuz.  Da  der 
Junge  nicht  weicht,  geräth  der  Heilige  in  grossen  Schrecken, 
wovon  aber  auch  jener  ergrificn  und  zur  Strafe  von  da  an 
selbst  vom  Teufel  geplagt  wird.  ^  Der  heiligen  Katharina  er- 
scheint der  Teufel  unter  der  Gestalt  der  Jungfrau  Maria,  ein 
andermal  als  der  Gekreuzigte,  um  sie  ungehorsam  zu  machen. 
Die  Heilige  lässt  sich  wirklich  täuschen  und  verringert  ihren 


•  A.  SS.,  2.  Apr. 

2  Ibid.,  22.  Apr. 

3  Ibid.,  3.  Mart. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  195 

Gehorsam  gegen  die  Oberin  des  Klosters.     Nachdem  sie  aber 
bereut   und   der  Teufel  seinen   Zweck    eigentlich    doch    nicht 
erreicht  sieht,    macht    er   dafür  im   Hause   nächtlich   grossen 
Lärm.  ^     Als  die  heilige  Juliana  des  Christenthums  wegen  im 
Kerker  lag,   erschien  ihr  der  Teufel   in   Gestalt   eines   Engels 
und  sagte:  „Meine  Liebe,  der  Präfect  bereitet  dir  die  grössten 
Qualen;    höre  mich  und  du  wirst  gerettet.     Wenn  er  dir  aus 
dem  Gefängnisse  zu  gehen  befiehlt,  so  bringe   der  Diana   ein 
Opfer."   Die  Heilige,  welche  den  Teufel  für  einen  Engel  hält, 
fragt:   woher  er   sei?     Der  Teufel:    „Ich    bin   ein  Engel    des 
Herrn,  der  mich  gesandt  hat,  damit  du  opferest,  um  nicht  zu 
sterben."     Juliana  rief  tief  aufseufzend   mit  gen  Himmel   er- 
hobenem Blick:    „Herr   des   Himmels  und   der  Erde,  verlass 
nicht  deine  Magd  und   stärke   mich   in    deiner  Tugend,    thue 
mir  kund,    wer  dieser  ist,    der  solches  zu  mir  spricht."     Da 
erscholl  eine  Stimme  vom  Himmel:   „Glaube  mir  Juliana,  ich 
bin  mit  dir,    du  aber   ergreife  jenen,    der    mit    dir    sj)richt." 
Juliana  springt  sofort  vom  Boden  auf  und,  nachdem  sie  sich 
bekreuzt,  fasst  sie  den  Teufel  mit  den  Worten:  „Sag  mir  zuerst, 
wer  du  bist,  wenn  ich  dich  loslassen  soll."  —  ^Jch  bin  Belial, 
den  einige  den  Schwarzen  nennen,    der   sich   an   der  Bosheit 
der  Menschen  erfreut,  am  Todtschlag  sich  ergötzt,   ein  Lieb- 
haber der  Wollust,  des  Streites,  der  den  Frieden  bricht;   ich 
bin  es,  der  Adam  und  Eva  im  Paradiese  sündigen  gemacht", 
und   so    fährt   er    fort    seine    teuflischen   Thaten    zu    erzählen. 
Juliana:  „Wer  hat  dich  zu  mir  gesandt?"    Er:  „Satan,  mein 
Vater"  u.  s.  f.     Nach  sehr  langem  Gespräch,  worin  der  Teufel 
bekennt,  dass  er  sie  zur  Verleugnung  Gottes  und  zum  Opfern 
habe  verführen  wollen,    bindet   die  Heilige    dem  Dämon    die 
Hände  auf  den  Rücken,  wirft  ihn  zu  Boden,  ergreift  eine  der 
Fesseln,  mit  denen  sie  gebunden  gewesen  und  schlägt  wacker 
auf  ihn   los.     Dieser  bittet   um    Gnade   und    muss    noch    eine 
Beichte  ablegen.     Als  Juliana   aus   dem  Kerker  geführt  wird, 
schleppt  sie  den  Dämon   mit  auf  das  Forum.     Endlich   nach 
langen   Bitten   desselben    um  Loslassung,    schleudert    sie  ihn 
an  einen  mit   Schmuz    erfüllten  Ort.  ^     Der   heilige  Antonius 


1  A.  SS.,  Mart.,  tom.  II,  48. 

2  Ibid.,  IG.  Febr. 

13 


lOG     Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

ergreift  beim  Anblicke  eines  Goldluaufens  die  Flucht,  weil 
er  in  Ungewissheit  ist,  ob  diesen  nicht  der  Teufel  vorge- 
spiegelt. ' 

Beispiele  von  handgreiflichen,  gröblichen  Aeusserungen 
des  Gegensatzes,  ähnlich  dem  obigen  in  der  Legende  von  der 
heiligen  Juliana,  kommen  auch  oft  von  selten  des  Teu- 
fels vor. 

Die  heilige  Veronika  wird  vom  Teufel  öfter  wie  von 
einem  brüllenden  Löwen  angefallen  und  so  geschlagen,  dass 
ihr  die  AuGfen  anschwellen.  Einmal  wird  sie  von  ihm  so 
gepriigelt,  dass  sie  ganz  schwarz  wird,  er  presst  sie  dabei  so 
gewaltig,  dass  sie  nicht  im  Stande  ist,  den  Namen  Jesu  aus- 
zusprechen.^ Nach  einer  „Vita"  von  Hieronymus  Eremita  wurde 
der  heilige  Komuald  von  dem  Teufel  mit  solcher  Gewalt  an 
eine  ßreterwand  geschleudert,  dass  diese  zollbreit  ausein- 
andersprang. ^  Nachdem  der  heilige  Romanus  den  Versuchun- 
gen des  Teufels  zur  Unkeuschheit  Widerstand  geleistet,  em- 
2^ fängt  er  von  diesem  selbst  eine  ungeheuere  Ohrfeige,  dass 
ihm  der  Backen  schwillt  und  verrenkt  wird.  *  Dagegen  wird 
der  Teufel  von  der  heiligen  Margaretha  streng  behandelt, 
die  ihm  den  Fuss  auf  den  Nacken  setzt  und  er  bittet  de- 
miithig:  „Den  christes  diern,  heb  auf  deinen  fuez  von  meiner 
halsadern!"  mit  dem  Versprechen,  ihr  alles  zu  sagen,  was  sie 
ihn  fragen  würde.  ^ 

Die  Gegensätzlichkeit  zwischen  den  Heiligen  und  dem 
Teufel  äussert  sich  von  beiden  Seiten  unwillkürlich  auch  auf 
eine  für  den  Dritten  sinnlich  wahrnehmbare  Weise.  In  den 
Legenden  duftet  es  von  dem  köstlichen  Gerüche,  welchen  die 
Heiligen  sowol  bei  Lebzeiten  als  nach  dem  Tode  nooh  von 
sich  geben  und  damit  sogar  heilsame  Wirkungen  hervorbrin- 
gen; der  Teufel  hingegen  mnss  gewöhnlich  mit  Hinterlassung 
eines  grässlichen  Gestanks  abfahren. 

Die  Legende   über   den    heiligen  Clarus    rühmt    den   lieb- 


'  A.  SS.,  17.  Jan.  ' 

2  Ibid.,  Jan.,  tom.  I,  896.  10.  * 

3  Ibid.,  Febr.,  tom.  II,  126. 

«  Ibid.,  2S.  Febr.  ü 

^  Legende  von  der  heiligen  INIargaretha ,  bei  Diemer,  Kleine  Beiträge 
zur  altern  deutschen  Sprache  und  Literatur,  I,  123  fg. 


10.    Ileiligendienst  und  Mariencultus.  197 

liehen  Duft  in  seiner  Zelle.  ^  Der  heiligen  Oringa  erscheint 
der  Teufel  mit  so  grossem  Rachen,  dass  er  wie  eine  aufge- 
sperrte Thüre  aussieht.  Da  die  Heilige  nicht  entfliehen  kann, 
empfiehlt  sie  sich  dem  heiligen  Michael,  zu  dem  sie  um  Ret- 
tung betet.  Der  Teufel  wird  verjagt,  die  Heilige  sieht  nur 
Angenehmes,  und  ein  köstHcher  Duft  verbreitet  sich.  ^  Zwei 
Engel,  die  der  heihgen  Margarita  erscheinen,  erzählen  ihr, 
dass  sie  durch  ihren  Wohlgeruch,  w-elchen  sie  aus  der  Gemein- 
schaft mit  Gott  angezogen,  die  Dämonen  vertrieben  und  die 
Luft  rein  gemacht  hätten,  dagegen  den  Gestank  des  Hoch- 
muths,  der  vom  Teufel  ausströmt,  nicht  vertragen  könnten.  ^ 
Von  der  heiligen  Coleta  verbreitet  sich  ein  wunderbarer  Duft, 
wodurch  eine  Nonne,  die  an  einer  grossen  Geschwulst  leidet, 
geheilt  wird.  Um  das  Fest  derselben  erfüllt  stets  ein  würzi- 
ger Duft  nicht  nur  ihr  Oratorium,  sondern  auch  die  an- 
stossenden  Räumlichkeiten.*  Solcher  Wolilgeruch  entströmt 
auch  dem  Leichnam  der  heiligen  Fraucisca.^  Hingegen  hinter- 
lässt  der  Teufel,  der  dem  heiligen  Vincentius  in  Gestalt  eines 
ehrwürdigen  Greises  mit  bis  an  die  Knie  reichendem  Barte 
erschienen  war,  nach  seiner  Verscheuchung  durch  den  Heili- 
gen einen  schrecklichen  Gestank.  «  Bei  der  Heilung  eines 
dämonischen  Mädchens  durch  den  heiligen  Zeno  fährt  der 
Dämon  mit  ungeheuerm  Gestank  aus.^  In  der  „Vita  St.  Mar- 
tini" ^  verschwindet  der  Teufel,  der  dem  Heiligen  als  Christus 
erschienen  und  von  jenem  erkannt  worden  war,  als  Rauch 
und  erfüllt  die  Zelle  mit  Gestank,  zum  Zeichen,  dass  er  der 
Teufel  gewesen.  „Hoc  ita  gestum  —  ex  ipsius  Martini 
ore  cognovi,  ne  quis  forte  existimet  fabulosum",  fügt  der 
Biograph  hinzu.  Der  Wohlgeruch  verbreitet  sich  auch  von 
den  einzelnen  Reliquien  der  verstorbenen  Heihgen.  Die  Bart- 
haare des  heiligen  Beruard  üben  nach  dessen  Tode  nicht  nur 


1  A.  SS.,  Jan.,  tom.,  I,  5G.  12. 

2  Ibid.,  10.  Jan. 

5  Ibid.,  22.  Febr. 

*  Ibid.,  6.  Mart. 

5  Ibid.,  9.  Mart. 

•^  Ibid.,  5.  Apr. 

^  Ibid.,  12.  Apr. 

8  Sulp.  Sever.,  c.  XXIV,  p.  491. 


198       Zweiter  Abschuitt:   Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

heilende  Kraft,  sondern  verbreiten  auch  einen  wunderbaren 
Duft.  Letztern  haben  auch  die  „intestina  putrefacta"  der 
heiligen  Ledwina  *,  u.  a.  m. 


Marieucultus. 

Wie  der  Heiligendienst  wirkte  auch  der  Mariencultus 
als  sollicitirendes  Moment  auf  die  Ausbildung  und  Festigung 
des  Teufelsglaubens.  Die  Verehrung  der  Maria  hatte  sich  seit 
dem  4.  Jahrhundert  vom  Osten  her  verbreitet.  Nachdem  die 
Versammlung  der  Bischöfe  zu  Nicäa  im  Jahre  325  eine  gleiche 
Wesenheit  Christi  mit  der  Gottes  zu  glauben  geboten  hatte, 
schien  die  Mittlerschaft  Jesu  eine  Schmälerung  erlitten  zu 
haben  und  man  fand  die  Mutter  Jesu  am  meisten  geeignet 
und  berechtigt,  als  Vermittlerin  einzutreten.  Schon  um 
das  Jahr  380  führten  getaufte  Thrazierinnen  und  Scythin- 
ncn  Bilder  der  Maria  auf  Waiden  mit  sich  herum  und  brachten 
ihr,  wie  einer  heidnischen  Göttin,  kleine  Kuchen  zum  Opfer 
dar.  Dagegen  erhoben  sich  zwar  Stimmen  der  Antidicomaria- 
niten,  wie  die  Gegner  der  Marienverehrung  genannt  wurden, 
und  fanden  an  Helvidius  in  Palästina  und  dem  illyrischen 
Bischof  Bonosus  kräftige  Unterstützung;  allein  letztere  An- 
sicht ward  bald  als  ketzerisch  verworfen  und  auf  dem  Concil 
zu  Ephesus  im  Jahre  431  setzte  Cyrillus  durch,  dass  Maria 
nicht,  wie  Nestorius  wollte,  nur  „Christgebärerin"  Qigiaxoxoy.oc.'), 
sondern  „immerjungfräuliche  Gottgebärerin"-  (^aeiKO.g'iivoc,  '5'so- 
x6y.0Q)  genannt  werden  sollte.  Seit  dem  G.  Jahrhundert  wur- 
den die  Feste  zur  Verehrung  der  Maria  allgemein,  und  gegen 
das  12.  Jahrhundert  war  der  Mariencultus  beinahe  zur  aus- 
schliesslichen A])götterei  geworden.  Das  parallele  Fortschrei- 
ten des  Mariendienstes  mit  dem  Teufelsglauben  ist  nicht  zu 
verkennen,  und  hieraus  erklärt  es  sich,  dass  beide  vom 
13.  Jahrhundert  ab  noch  immer  zunehmen.  Wie  weit  der 
Mariencultus  bis  zum  15.  Jahrhundert  vorgeschritten  war, 
zeigen  die  Statuten  des  Rosenkranzordens  und  der  Briider- 
schaft  der  heiligen  Ursula,  deren  Glieder  in  diesem  Sinne 
jährlich  11000  Vaterunser  und  Ave-Maria  beten  sollten.  Ebenso 


'  A.  SS.,  14.  Apr. 


10.    Heiligendienst  und  Marieucultus.  J[99 

ausschreitend  war  der  Geschmack  m  Bezug  auf  die  Lob- 
preisungen der  Maria,  ihrer  Gestalt,  Tugenden,  Leiden,  Wun- 
der. Dies  zeigt  uns  Haltaus  an  Beispielen  aus  Muskatblüt, 
dessen  Name  zu  den  bessern  Dichtern  der  ersten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  gerechnet  wird,  welcher  von  Maria  sagt:  sie 
sei  eine  Lade,  in  der  Gott  selbst  innewohne,  eine  wohldurch- 
leuchtete Fackel,  eine  keusche  Arche,  ein  tiefer  Teich,  ein 
Myrrhenfass,  ein  keusches  Monstranzenglas,  eine  Zelle  und 
Ostersonne,  ein  Gnadenstengel  in  Gottes  Hand  u.  dgl.;  oder 
wenn  er  ihren  Leib  mit  einem  Sarge  oder  Schlosse  ver- 
gleicht u.  s.  f.  ^  Es  sind  allerdings  mehrere  Momente,  die 
zur  Erhebung  der  Maria  mitgewirkt  haben  ^;  im  vorliegenden 
Falle  genügt  es  auf  das  eine  hinzudeuten,  welches  mit  der  Ge- 
schichte des  Teufels  in  besonderer  Beziehung  steht,  nämlich 
die  Bedeutung  Maria's  als  Trägerin  der  Weichheit,  Milde, 
Barmherzigkeit.  Sie  ist  ,,die  schützende  Mutter  der  Sünder", 
wie  sie  in  Legenden  ausdrücklich  genannt  wird,  daher  auch 
das  unerschütterliche  Festhalten  an  ihr,  trotz  dem  Bewusst- 
sein  der  Sünde.  Li  der  Wesensbedeutung  Maria's  liegt  aber 
zugleich  der  Grund  des  schneidenden  Gegensatzes,  in  welchem 
der  Teufel  zu  ihr  steht,  der  die  Härte,  Herbe  und  Grausam- 
keit selbst  ist.  Der  Antagonismus  gewinnt  noch  mehr  Schärfe 
durch  die  hohe  Stellung  Maria's  als  „Himmelskönigin",  wo- 
durch sie  die  himmlische  Macht  stets  auf  ihre  Seite  lenkt 
und  für  ihre  Günstlinge,  die  von  ihr  bemutterten  Sünder  ge- 
winnt und  dem  Teufel  entreisst,  welcher  sie  von  seinem  abstrac- 
ten,  dürren  Rechtstandpunkte  als  seine  ihm  rechtmässig  zu- 
kommende Beute  betrachtet.  Denn  die  alte  Vorstellung  -  von 
einem  Rechtsansprüche  des  Teufels  auf  den  sündigen  Men- 
schen ist  im  Mittelalter  noch  nicht  erloschen.  In  der  „Vita 
St.  Godehardi"  lässt  sich  der  Heilige  mit  dem  Dämon  in  ein 
langes  Gespräch  ein,  worin  letzterer  die  Rechtmässigkeit  seines 
Besitzes  auf  Grund  biblischer  Aussprüche  nachzuweisen  sucht.^ 


^  Liederbuch  der  Klara  Haetzlerin,  S.  26;  in  Bibliothek  der  gesamm- 
ten  deutschen  Nationalliteratur,  VIII. 

^  Vgl.  Georg  Ed.  Steitz,  Maria  Mutter  des  Herrn,  in  Herzog's  Rcal- 
encyklopädie,  IX. 

3  A.  SS.,  4.  Mai. 


200      Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

Die  Thätlgkeit  des  Teufels  wird  überdies  vornehmlich 
entwickelt  und  hervortT^erufen  durch  dessen  Hass  ßregen  die 
Heilige  Jungfrau,  der  um  so  mehr  gesteigert  wird,  als  diese, 
nach  Frauenart,  sich  in  alle  Angelegenheiten  hineinmengt, 
und  ihr,  wie  im  gewöhnlichen  Leben,  in  allem  willfahren  wird, 
sodass  sie  ihren  Willen  immer  durchsetzt  und  ihre  Schlitz- 
linge,  die  nun  einmal  ihre  Gunst  durch  eifrigen  Mariencultus 
erlangt  haben,  auch  nie  fallen  lässt,  wenn  sie  iibrigens  auch 
die  ärgsten  Lumpe  sein  sollten.  Der  Teufel  muss  demnach 
stets  als  verküi'zt  erscheinen  und  mit  langer  Nase  abziehen. 
Hiervon  nur  einige  Proben. 

Ein  Strassenräuber  von  Profession  pflegte,  so  oft  er  auf 
liaub  ausging,  regelnicässig  sein  andächtiges  Gebet  an  die 
Jungfrau  Maria  zu  richten.  Endlich  ward  er  ergrifien  und 
zur  Galgenstrafe  verurtheilt.  Als  schon  der  Strick  um  seinen 
Hals  geschlungen  war,  verrichtete  er  sein  gewöhnliches 
Gebet,  und  dies  blieb  nicht  unerhört.  Die  Mutter  Gottes 
stützte  seine  Fiisse  mit  ihren  weichen  Händen  und  erhielt  ihn 
so  zwei  Tage  am  Leben,  zum  grossen  Erstaunen  des  Hen- 
kers, der  hierauf  den  Versuch  machte,  sein  Werk  durch 
Schwertstreiche  zu  vollenden.  Allein  dieselbe  unsichtbare 
Hand  wandte  auch  die  Schwertstreiche  ab,  und  der  Nach- 
richter sah  sich  genöthigt,  sein  Schlachtopfer  fahren  zu  lassen. 
Nach  der  gewöhnlichen  Schablone  solcher  Marienlegenden 
endigt  auch  diese  damit,  dass  der  Räuber  ins  Kloster  geht.  ^ 
Dasselbe  Beispiel  findet  sich  auch  in  „Pothonis  Presb)  teri  et 
Monachi  Prunveningensis  ord.  St.  Benedicti,  lib.  de  miraculis 
s.  Dei  genitricis  Mariae''  '^^  wo  noch  eine  Menge  ähnlicher  Ge- 
schichten vorkommen,  in  welchen  Maria  Diebe  und  andere 
Taugenichtse  begünstigt  und  Mirakel  wirkt,  nur  weil  jene 
ihrer  eingedenk  waren.  So  Kap.  IH,  wo  ein  leichtsinniger, 
den  fleischlichen  Lüsten  ergebener  Kleriker  von  seinen  Fein- 
den in  der  Voi'aussetzung  getödtet  ward,  dass  er  seines  be- 
kannten gottlosen  Lebenswandels  wegen  kein  ehrliches  Be- 
gräbniss  auf  dem  Friedhofe  erhalten  würde.  Maria  aber, 
deren  er  stets  eingedenk  gewesen,  erscheint  und  verordnet 
ihm  ein  ordentliches  Begräbniss  in  geweihter  Erde.     Nachdem 


1  Aus  Le  Grand  d'Aussy,  Fabliaux,  V. 

2  Ed.  Pez,  c.  VI,  p.  314. 


10.    Heiligendienst  und  Mariencultus.  201 

er  ausgegraben  worden,  fand  man  eine  sehr  schöne  Blume 
in  seinem  Munde  und  seine  Zunge  war  ganz  unversehrt  ge- 
blieben, „gleichsam  zum  Lobe  des  Herrn".  Ein  Glöckner, 
der  des  Nachts  immer  aus  dem  Kloster  zu  laufen  pflegte, 
dabei  aber  vor  keinem  Marienbilde  vorbeio-ino;  ohne  sein 
Ave  davor  zu  beten,  fiel  einst  vom  Stege  ins  Wasser  und 
ertrank,  worauf  Engel  und  Teufel  um  seine  Seele  in  Streit 
geriethen.  INlaria  aber  nahm  sich  seiner  an,  überliess  Gott 
die  Entscheidung,  welcher  ihn  ihr  zu  Liebe  dem  Leben  zurück- 
gab. Als  die  Briider  ihren  ertrunkenen  Glöckner  im  Bache 
fanden,  kam  er  wieder  zu  sich,  erzählte  was  mit  ihm  ge- 
schehen und,  nachdem  er  von  der  Si'inde  abgelassen,  starb 
er  selio;.  i 

Beispiele  von  der  unwiderstehlichen  Macht  der  Heiligen 
Jungfrau  oder  ihrer  stets  erfolgreichen  Vermittelung  bei  ihrem 
göttlichen  Sohne  oder  dem  himmlischen  Vater  gegeniiber  den 
Bestrebungen  des  Teufels,  liefern  die  Legenden  eine  grosse 
Menge. 

Zu  dem  heiligen  Ulricus  kam  in  einer  Nacht  eine  ganze 
Schar  von  Dämonen.  Diese,  beriethen  unter  sich,  was  sie  mit 
dem  Heiligen,  ihrem  grossen  Gegnei^,  anfangen  sollten,  da  er 
ihnen  stets  mit  voller  Kraft  entgec-enarbeite.  Nach  dem  ein- 
stimmigen  Urtheile,  er  sei  des  Todes  schuldig  und  mit  diesem 
zu  bestrafen,  ergreifen  sie  ihn,  schleppen  ihn  zuerst  in  die  Kirche, 
dann  in  dieser  herum  und  mishandeln  ihn  erbarmuno;slos.  Als 
er  eben  aus  der  Kirche  hinausgeworfen  werden  sollte,  kommt 
eine  hochwürdige  Jungfrau,  fragt  nach  der  Ursache  der  Mis- 
handlung  des  Unschuldigen  und  schlägt  hierauf  mit  ihrem 
ausgezogenen  Handschuhe  sämmtliche  Dämonen  in  die  Flucht. 
Der  Heilige  hatte  nämlich  an  demselben  Tage  in  der  Messe 
der  Heiligen  Jungfrau  gedacht  und  Erwähnung  gethan,  und 
diese  war  es,  die  ihn  nun  aus  der  Hand  seiner  Feinde  befreite.* 
Eine  Frau  wird,  nachdem  sie  in  die  Kirche  getreten  und  vor 
den  Altar  sich  hingestellt  hatte,  durch  den  unbegreiflichen 
Rathschluss  Gottes  von  einem  Dämon  besessen  und  elendiglich 
geplagt.     Auf  den  Rath  des  Klosterseniors  bindet  man  sie  an 


1  Gödeke,  Dichtungen  im  Mittelalter,  ö.  134,  Nr.  4G.  11. 
-  A.  SS.,  20.  Febr. 


202       Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

die  Grabstätte  des  heiligen  Robertus,  wo  sie  aber  dermassen 
raste,  dass  sie  jeden,  der  sicli  ihr  näherte,  beissen  wollte. 
Auf  das  Zureden  ihres  Mannes  ruft  sie  endlich  den  heiligen 
Kobertus  an,  sagend:  „Bitte,  o  heiliger  Robertus,  die  Heilige 
Jungfrau,  dass  sie  mir  von  ihrem  Sohne  die  Befreiung  er- 
mittele ! "  Hierauf  ward  die  Frau  allsogleich  gesund.  *  Im 
Peterskloster  zu  Köln  lebte  ein  sehr  ausschweifender  Mönch, 
der  aber  den  heiligen  Petrus  aufs  andächtigste  verehrte.  Un- 
gliicklicherweise  ging  er  plötzlich  ohne  Beichte  und  Absolu- 
tion mit  Tode  ab.  Wie  in  solchen  Fällen  gewöhnhch,  kommt 
sogleich  der  Teufel,  um  sich  der  Seele  zu  bemächtigen.  Sanct- 
Peter,  betriibt  einen  so  treuen  Verehrer  zu  verlieren,  fleht  zu 
Gott,  den  Mönch  ins  Paradies  eingehen  zu  lassen;  aber  ver- 
gebens vereinigt  sich  der  ganze  Chor  der  Heihgen,  Engel, 
Apostel  und  Märtyrer  mit  der  Bitte  Sanct-Peter's.  In  dieser 
äussersten  Noth  nimmt  er  seine  Zuflucht  zur  Muttergottes: 
„O  du  Holde",  so  flehte  der  Apostel,  „mein  Mönch  ist  ver- 
loren, wenn  nicht  du  für  ihn  bittest;  was  uns  unmöglich  ist, 
wird  dir  eine  Kleinigkeit  sein.  Sprich  nur  du  ein  Wort,  so 
muss  dein  Sohn  nachgeben,  denn  es  steht  in  deiner  Macht, 
ihm  zu  befehlen."  Die  königliche  Mutter  verspricht  ihre 
Fürbitte,  und  gefolgt  von  allen  Jungfrauen,  erscheint  sie  vor 
ihrem  Sohne.  Dieser,  das  Gebot :  „Du  sollst  Vater  und  Mut- 
ter ehren",  heilig  haltend,  sieht  kaum  seine  Mutter  nahen,  als 
er  ihre  Hand  ergreift  und  sich  nach  ihren  Wünschen  crkun- 
dio-t.     Das  Ende  ist  selbstverständlich  zu  errathen.  ^ 

Der  Teufel  weiss  es  auch,  dass  er  der  Maria  gegenüber 
sein  Spiel  verliere. 

In  einem  weiten  Klosterhofe,  mit  Gras  und  Blumen  die 
Fülle  bewachsen  und  einem  mitten  hindurchfliessenden  Wasser, 
lustwandelten  gewöhnlich  die  Mönche.  Eines  Morgens  stan- 
den sie  an  dem  Wasser  und  ergötzten  sich  an  Gesprächen 
und  Scherzreden.  Während  sie  viele  eitle  Worte  wechselten, 
sahen  sie  ein  Schifi"  daherrudern,  worüber  sie  sich  verwunder- 
ten und  fragten:  wer  darin  sei?  Die  im  Schifi'e  sagten:  sie 
seien  Teufel,  führen  die  Seele  des  Probstes  von  Sanct-Gallen 


1  A.  SS.,  29.  Apr. 

2  Lc  Grand  d'Aussy,  Fabliaux,  tom.  V. 


10.    Ileiligendienst  und  Mariencultus.  203 


'o 


mit  sieb,  der  naeli  ihrem  "Willen  in  Sünden  gelebt  habe.  Da 
erschraken  die  Mönche,  riefen  Maria  um  Hiilfe  an  und  flohen 
hinweg  von  dem  Bache,  damit  sie  nicht  auch  ergriffen  wür- 
den. Die  Teufel  schrien  ihnen  aber  nach:  es  sei  ihr  Glück, 
dass  sie  Maria  angerufen,  sonst  wären  sie  als  unordentliche 
Mönche  für  ihre  unnützen  und  unzeitigen  Reden  gewiss  er- 
trcänkt  worden.  Damit  fuhren  die  Teufel  ihre  Strasse;  die 
Mönche  aber  mässigten  ihre  Reden  und  dankten  der  Mutter 
Gottes  für  ihre  Rettung.  ^ 

Auch  in  geringfügigen  Angelegenheiten  beschützt  Maria 
die  ihr  Zugethanen  gegen  den  Teufel. 

Ein  trefi'licher  und  fleissiger  Maler  hatte  seinen  Sinn  vor 
allen  unserer  lieben  Frauen  mit  Liebe  zugewandt  und  zeigte 
dies  oft  in  seinen  Werken.  Einst  malte  er  zum  Behängen 
der  Wände  einen  Umhang,  wo  in  der  Reihe  der  Darstellungen 
auch  Maria  und  der  Teufel  erschien.  Da  bildete  er  die 
Himmelskönigin  so  schön  er  irgend  vermochte,  den  Teufel 
da2:e<2;en  höchst  uno-estalt.  Darob  zürnte  dieser,  trat  an  den 
Maler  heran  und  stellte  ihn  zur  Rede:  weshalb  er  sie  so  lieb- 
lich und  ihn  so  hässlich  male?  Der  Maler  erschrak,  ermannte 
sich  jedoch  und  schalt  ihn:  dass  er  ihn  gern  noch  scheuss- 
licher  und  sie  noch  viel  schöner  gemalt  hätte,  wenn  er  es  ver- 
möchte. Hierauf  hub  der  Teufel  an  mit  ihm  zu  toben  und 
wollte  ihn  vom  Gerüste  werfen.  Der  Maler  aber  rief  Maria 
an:  da  streckte  ihr  Bild  aus  der  Leinwand  die  rechte  Hand 
aus  und  hielt  ihn  damit  empor.  Der  Teufel  floh  hinweg  und 
liess  ihn  in  Frieden.^ 

Es  fehlt  auch  nicht  an  Beispielen,  wo  der  Teufel  durch 
Maria  um  seinen  Lohn  geprellt  wii^d. 

Ein  Ritter  hochgemuth,  kühn  und  milde,  versäumte  kein 
Turnei  und  ward  von  allen  gepriesen,  denn  er  gab  den  Spicl- 
leuten  so  reichlich,  dass  sie  überall  sein  Lob  verkündeten. 
So  verthat  er  aber  endlich  all  sein  Gut,  dass  er  in  tiefe  Ar- 
muth  gerieth  und  schweres  Herzeleid  hatte.  Da  fügte  es 
sich  noch,  dass  ein  Gastmahl  an  ihn  kam  und  die  bisher  frei- 


'  Von  der  Ilagen,  Gesammtabenteuer,  S.  477,  LXXVII. 

-  Aus  dem   grossen  Gedicht  von  „Unserm  Herrn,  Unser  Frauen  und 
alle  Heiligen",  llagen,  Gesammtabenteuer,  474,  LXXVI. 


204        Zweiter  Abschnitt:    Ausbildung  der  Vorstellung  vom  Teufel. 

gebig  von    ihm  bewirtheten   Gäste   sich   wie  gewöhnlich    ein- 
fanden.   Er  hatte  und  wusste  nicht,  was  er  ihnen  bieten  sollte 
und    entfloh    in    einen    dichten   Wald.     Er   hatte  ein  schönes, 
tugendreiches   Weib,    das   seine  Verschwendung    ungern   sah, 
lieber  den  Gottesarmen  c-ab  und  Marien  herzlich  diente.    Der 
Teufel  neidete  ihr  deshalb,  und  als  der  Mann  in  der  Wildniss 
umherlief,    erschien  er  ihm  als   Mensch,    jedoch  schwarz   und 
auf  einem  schwarzen  Pferde.     Der  Ritter  erschrak,    aber  auf 
Befragen  klagte  er  sein  Leid.    Der  Teufel  verhiess  noch  glän- 
zendere Herstellung,  wenn  ihm  dafiir   nur  ein   geringes  Ding 
geleistet  würde.     Der  Ritter  ging  alles   ein,    und   der  Teufel 
wdes  ihm,  wo  er  einen  reichen  Ilort  Silbers  und  Goldes  aus- 
graben könne;    dafür  verlangte  er  nur:    dass   der  Ritter  ihm 
zur  bestimmten    Zeit  und   Statt  seine  Hausfrau  bringe.     Der 
Ritter  versprach  es,    fand   den  Schatz,    ging  heim  und  lebte 
wieder  üppig   wie   zuvor.      So   verlief  das  Jahr  und   die  ge- 
stellte Frist;   da  zauderte   er  nicht,    Hess  zwei  Pferde   satteln 
und  gebot  der  Frau,  mit   ihm  zu   reiten.     Als   sie  keine  Be- 
gleitung sah  und  vernahm  wohin   es  ging,    erschrak   sie,    ge- 
horchte jedoch  und  befahl  sich  in  Maria's  Schutz.     Der  W^eg 
führte  an  eine  Kapelle:   sie  sprang  ab,  lief  hinein  und  betete 
inbrünstig  zur  Heiligen  Jungfrau.  Darüber  entschlief  sie;  Maria 
aber  nahm   ihre  Gestalt  und  Kleidung   an,   trat  aus   der  Ka- 
pelle und  liess  sich  zu  Pferde  von  dem  Ritter  zur  verabrede- 
ten Stelle   führen.     Da  kam   auch   der  Teufel   freudig:  herbei, 
entfloh  aber  eilig,  als  er  die  Jimgfrau  erkannte,  und  schalt  den 
Ritter,  dass  er  wortbrüchig  nicht  sein  Weib  bringe,   die  ihm 
durch  ihre  Tugenden  so  viel  Leid  thue;   anstatt  ihrer  bringe 
er  ihm  die  gewaltige  Himmelskönigin.     Hierauf  verwies  diese 
dem  bösen  Geiste,  dass  er  die  ihr  treulich  Dienenden  so  ver- 
folge,   und    gebot    ihm    im  Namen   Jesu  Christi    alsbald    zur 
Hölle   zu   fahren   und  den   sie  Anrufenden   nimmer  Leid  und 
Schmach    zu  thun.     Mit    Getöse   und  heulend    hub    sich    der 
Teufel  von  hinnen.  ^ 

Von  der  Wundermacht  Maria's,   zu  der  sich  der  Sünder 


1 


1  Gesammtabenteuer ,  S.  480,  LXXVIII;  auch  bei  Lassberg,  111, 
Nr.  LXXXll;  andere  Beispiele  vgl.  Gesammtabenteuer,  S.  512,  LXXXII: 
„Maria  und  die  Sündenwage";  ibid.,  S.  öll»,  IjXXXIH:  „Marienritter  und 
der  Teufel";  Lassb.  111,  Kr.  CCYL 


10.    Ileiligendienst  und  Mariencultus.  205 

im  Gebete  ^yelldet,  sind  die  Legenden  voll.  ^  Schon  der 
blosse  Name  Maria's  übt  überhaupt  eine  unwiderstehliche 
Zauberkraft,  die  in  der  Legende  auch  gehörig  ausgebeutet  wird. 
Unter  vielen  Beispielen  nur  das  eine,  wo  ein  Staar,  der 
„Ave-Maria"  sagen  gelernt,  aus  den  Klauen  eines  Habichts 
sofort  befreit  ward,  als  ihm  die  Todesangst  sein  Ave-Maria 
auspresste. 


1  Vgl.  A.  SS.,  De  St.  Dominico,  4.  Aug.,  u.  a.  v.  a.  St. 


Dritter  Abschnitt. 

Periode   der  gerichtlichen  Hexen  Verfolgung. 


1.  Der  Zaiil)erglaiil3e. 

JNachdcm  der  Tcufelsglaube  zur  grössten  Höhe  angeschwol- 
len war  lind  eine  Ausdehnung  erlangt  hatte,  um  ganz  Europa 
zu  überfluten,  mündete  er  im  15.  Jahrhundert  in  den  Hexen- 
process  als  gerichtliche  Ilexenverfolgung.  Zwar  gab  es  schon 
lange  vorher  Zauberei  und  Magie,  denn  der  Glaube  daran  ist 
so  alt  als  das  Menschengeschlecht.  Wo  der  Begriff  des  Cau- 
salzusammenhangs  dem  Menschen  fehlt,  sieht  er  in  seiner  Um- 
gebung geheimnissvolle  Magie,  und  derjenige,  welcher  auf  magi- 
sche Weise  operirt,  ist  ihm  ein  Zauberer.  Alle  Wirkungen, 
die  sein  eigenes  Mass  der  Kraft  übersteigen,  bekommen  die 
Bedeutung  des  Magischen,  und  jede  Erkenntniss  ausserhalb 
seines  Gesichtskreises  wird  eine  zauberhafte.  Was  ihm  jen- 
seit  der  Grenze  des  Natürlichen  liegt,  erscheint  ihm  als  Wun- 
der oder  Zauber,  und  beide  vinterscheidet  er  nach  seiner  reli- 
giösen Anschauuno;.  So  mochten  die  christlichen  Kirchenväter 
die  heidnischen  Orakel  nicht  für  Wunder  erklären,  und  die 
Heiden  konnten  die  christlichen  Wunder  für  zauberisch  halten. 
Soldan  wird  wol  Recht  haben:  „Man  könnte  sagen,  die  Zau- 
berei sei  das  illegitime  Wunder,  das  Wunder  die  legitime 
Zauberei;  die  Legitimität  aber  ist  so  relativ,  wie  die  Ortho- 
doxie." ^     Diese  „Wandelbarkeit   der  Gesichtspunkte"  hat  zu 


Hexenproc,  S.  1. 


1.    Der  Zauberglaube.  207 

allen  Zeiten  unter  den  verschiedensten  Völkern  geherrscht, 
und  die  Magie  hat  nicht  nur  ihrem  Wesen  nach  verschiedene 
Aufnahme  gefunden,  auch  die  Geltung  ihres  Namens  ist  ver- 
schieden erklärt  worden.  Wir  übergehen  das  Schamanenthum, 
den  Fetischismus,  die  bei  Naturstämmen  und  Völkern  der 
heutigen  Welt  weit  verbreitet  sind;  wir  wollen  über  den  ma- 
gischen Glauben  der  Culturvölker  des  Alterthums  nicht  wie- 
derholen, was  von  Mythologen  und  Symbolikern  weitläufig 
erörtert  und  in  der  Geschichte  der  Magie  von  Hauber,  Horst, 
Ennemoser  und  vielen  andern  verwerthet  worden  ist;  wir  er- 
innern nur  an  den  uns  zunächst  liegenden  Zauberglauben  der 
Griechen  und  Römer.  Aus  Homer  ist  Circe  durch  ihre 
Zaubertränke  und  ihren  Zauberstab  bekannt  i,  und  wird  in 
späterer  Zeit  zur  Königin  der  Zauberinnen.  In  der  Iliade  er- 
scheint Agameda  so  vieler  Pharmaka  kundig,  als  die  weite 
Erde  trägt.  -  Helena  mischt  aus  ägyptischen  Kräutern  einen 
Zaubertrank.  ^  Here  erhält  von  Aphrodite  einen  Zaubergürtel, 
womit  sie  den  Gemahl  fesselt.'*  Wer  erinnert  sich  nicht  an 
die  Verwandlungen  des  Proteus,  den  sinnbethörenden  Gesang 
der  Sirenen,  die  nekromantischen  Scenen  der  Odysee?  ^ 
Bei  Hesiod  finden  wir  Tagwählerei.  ^  Lange  vor  den  Perser- 
kriegen findet  sich  bei  den  Griechen  eine  Menge  von  Zauber- 
vorstellungen und  damit  zusammenhängenden  Gebräuchen. 
Plato  ^  spricht  von  herumziehenden  Leuten,  die  sich  der  Zau- 
berkunst rühmen,  durch  Götterbeschwörungen  und  Flüche 
einem  Feinde  Uebles  zuzufügen.  Bekanntlich  gilt  Thessalien 
für  das  Land  der  Zauberei,  und  thessalische  Weiber  verstehen 
mittels  Salben  den  Menschen  in  ein  Thier  oder  einen  Stein 
zu  verwandeln.  Hekate,  bei  Hesiod  noch  eine  Göttin,  ver- 
wandelt sich  später  in  die  grauenvolle  Vorsteherin  der  Unter- 
welt und  des  Zauberwesens,  die,  wo  sie  gerufen  wird,  in  fin- 
sterer Nacht  mit  Fackel  und  Schwert,  mit  Drachenfüssen  und 


1  Odyss.  X,  212  fg. 

2  II.  Xr,  740. 

3  Odyss.  IV,  220. 
^  IL  XIV,  214. 

^  Vgl.  Apollonius  Argonaut.,  III,  1032. 
•*  Op.  et  dies  7G5  squ. 
^  De  republ.  II,  7. 


208    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtliclien  Hexenverfolgung. 

Schlangenhaar  erscheint,  von  belleudeu  Hunden  umgeben,  von 
der  gespenstischen  Empusa  begleitet.  ^  In  Rom  sind  es  vor- 
nehmlich die  Chaldäer,  die  als  Mathematici,  Genethliaci  und 
Magi  schon  um  die  Zeit  der  punischen  Kriege  auftreten,  in 
der  Kaiserzeit  in  den  höchsten  Kreisen  sich  bewegen,  da  ihnen 
eine  tiefere  Erkenntniss  der  Zukunft  aus  den  Sternen  und  ge- 
heimnissvoller Mächte  zugeschrieben  wird.  Obschon  es  nicht 
an  Männern  fehlte,  die  solchen  Künsten  auf  den  Grund  sahen, 
wie  Ennius,  Cicero,  Seneca,  Tacitus;  so  war  doch  nicht  nur 
die  grosse  Menge,  sondern  selbst  hervorragende  Köpfe  im 
Glauben  an  Zauberei  befangen.  Sulla  liess  sich  von  Magiern 
aus  gewissen  Zeichen  seines  Leibes  weissagen  2;  Varro  wusste 
geheime  Sprüche  gegen  das  Podagra;  Julius  Cäsar  sprach 
stets  vor  Besteigung  seines  Keisewagens  eine  bestimmte  For- 
mel dreimal  aus^;  Vespasian  war  den  Priestern  des  Serapis 
zu  Alexandrien  bei  der  magischen  Heilung  eines  Blinden 
behülflich.*  Kom  ist  wiederholt  als  Sammelplatz  aller  Arten 
von  Zauberei  dargestellt  worden.  Ausser  den  Etruskern  *, 
Sabinern  sind  besonders  die  Marser  verrufen,  die  wegen  ihrer 
Schlangenbeschwöruno;en  von  Circe  abstammen  sollten.  ^  Schon 
in  sehr  alter  Zeit  glaubte  man  an  die  Zauberkunst,  das  Ge- 
treide von  fremden  Aeckern  an  sich  zu  locken  %  Regengüsse 
durch  Beschwörungen  herbeizuziehen  oder  zu  entfernen.* 
Liebeszauber,  Nekromantie,  Thierverwandlungen  und  fast  alle 
Vorstellungen  von  der  Macht  der  Zauberei  erbten  die  Römer 
von  den  Griechen.  Durch  Zauber  erforschte  man  das  Ver- 
borgene, gebot  dem  Monde,  behei-rschte  die  Natur  überhaupt, 
heilte,  schädigte,  tödtete,  konnte  Liebe  und  ILiss  erregen, 
leibliche  und  geistige  Fähigkeiten  lähmen.^  Dem  mittelalter- 
lichen Hexenglauben  nähern  sich  vornehmlich  die  Vorstelluu- 


*  Horat.  Sat.  8,  32;  Lucian.  Philopseud.  14. 
"  Vellej.  Patercul.  II,  32. 

3  Plin.  bist.  N.  XXXVIII,  2. 

*  Tacit.  bist.  IV,  81;  Sueton.  vit.  Vesp.  7. 

*  Dionys.  Halic.  I,  24. 

«  Gell.  N.  A.  XVI,  11 ;  Plin.  XXVII,  2. 

7  Virgil.,  Prolog.  VIII,  1)9;  Tibull.  El.  8.  19. 

^  Seneca  Quaest.  nat.  IV,  7. 

»  Vgl.  Ovid  Metamorph.  VII,  199;  Lucan,  Pharsal.  VI,  452  sequ. 


1.  Der  Zauberglaube.  209 

gen  von  den  Strigen,  Lamien  oder  Empnsen.  Bei  Ovid^ 
erscheinen  die  erstem  als  gefrässige  "Wesen  in  Eulengestalt, 
den  Harpyien  verwandt,  die  des  Nachts  den  Kindern  das  Blut 
aussaugen  und  die  Eingeweide  aufzehren.  Auch  plötzlich  ein- 
tretende Kraftlosigkeit  bei  Erwachsenen  wird  der  Bosheit  der 
Strigen  zugeschrieben.'*  Dass  diese  Strigen  nicht  als  blosse 
gespenstische  Ungethüme,  sondern  als  boshafte  Zauberinnen 
zu  fassen  seien,  hat  Soldan ^  bereits  dargethan.  Sie  saugen 
die  menschlichen  Körper  aus,  entweder  zum  Liebeszauber  für 
andere,  oder  zur  eigenen  Ernährung.  Den  Strigen  ähnliche 
Wesen  sind  die  Lamien  oder  Empnsen.  Die  Empusa  erscheint 
bald  einzeln,  im  Geleite  der  Hecate,  bald  als  ganze  Gattung. 
Strigen,  Lamien,  Empnsen  theilen  die  Verwandlungsfähigkeit, 
das  Ausgehen  auf  Liebesabenteuer,  die  Gier  nach  dem  Blute 
und  den  Eingeweiden  der  Menschen.  Die  Abweichungen  in 
ihrer  Schilderung  kommen  wol  nur  auf  Rechnung  des  Zeit- 
alters, der  Oertlichkeit  oder  der  Phantasie  des  einzelnen 
Dichters. 

Die  Zaubermittel,  deren  man  sich  bediente,  waren  so  ver- 
schieden als  zahlreich,  vor  allen:  Carmen,  incantatio,  de- 
precatio,  also  das  Wort*,  das  gesungen,  gemurmelt  oder 
geschrieben  Zauber  und  Gegenzauber  bewirkte,  und  zwar 
Schnee,  Regen  und  Sonnenschein.^  Fremdartige  Wörter, 
namentlich  ägyptische,  babylonische,  hebräische,  hatten  be- 
stimmte AVirkungen,  Zettel  und  Bleche  mit  gewissen  Buch- 
staben dienten  als  Amulete,  „Arse  vorse"  an  die  Thiire  ge- 
schrieben, schützte  vor  Feuersgefahr,  „Huat  hanat  huat  ista 
pista  sista  domiabo  damnaustra"  wird  von  Cato  gegen  Ver- 
renkungen empfohlen^,  und  andere  Formeln  sollen  andere 
Uebel  heilen.  Aus  allen  drei  Reichen  der  Natur  gebrauchte 
man  magische  Heilmittel.  Die  Bezauberung  durch  das  böse 
Auge  ward  gefürchtet,  und  selbst  Cicero  soll  den  Blick  der 
mit  doppelter  Pupille  begabten  Weiber  für  schädlich  gehalten 


1  Fasti  VI,  131.  170. 

2  Patron.  134. 

3  S.  45  fg. 

*  Plin.  H.  N.  XVIII ,  2. 

5  Tibull.  I,  2.  45;  Virgil.  Eclog.  VIII,  64. 

«  R.  R.  cap.  160. 

Eoskoff,  Geschichte  des  Teufels.    U.  ^4 


210    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gericbtliclien  Hexenverfolgung. 

habend  Besonders  häufig  wird  der  Liebeszauber  von  den 
Dichtern  erwähnt.  ^  Der  Geliebten  wächsernes  Bild  am  Feuer 
geschmolzen  zwingt  diese  zur  Gegenliebe;  in  gleicher  Absicht 
werden  Puppen  von  AVoile  oder  Thon  gebraucht;  Venusknoten 
werden  aus  farbiger  Wolle  geschlungen  u.  dgl.  m.  Der  Tod 
eines  Feindes  erfolgt,  wenn  sein  Bildniss  oder  Name  auf  einer 
Platte  durchbohrt  wird  3;  oder  es  wird  ihm  hierdurch  die 
männhche  Kraft  entzogen.*  Die  spätere  römische  Zeit  glaubte 
an  die  Macht  eines  Spiritus  familiaris  oder  paredros  ^,  mittels 
dessen  man  die  Zukunft  erforschen  und  den  Gegner  mannich- 
fach  schädigen  könne.  Aus  der  vorchristlichen  Zeit  finden 
sich  daher  Strafbestimmungen  gegen  Zauberei,  die  als  Gesetze 
oder  polizeihche  Massregeln  jedoch  nur  den  Schaden,  der 
durch  Zauberei  bewirkt  wird,  im  Auge  haben,  und  demnach 
zum  Schutze  der  Person  oder  des  Eigenthums  erlassen  sind.  ^ 
Indess  w^irden  die  Magier  und  ihre  Künste  bald  verfolgt, 
bald  begünstigt,  je  nach  den  persönlichen  und  politischen  Ver- 
hältnissen, und  in  der  spätem  Zeit  hatte  die  Magie  unter 
den  Kaisern  mehr  Freunde  als  Feinde. 

"Wenn  wir  erinnern,  dass  die  orientalische  Dämonologie 
durch  das  Judenthum  und  die  Kirchenlehre  in  das  Christen- 
thum  hineingezogen  worden,  dass  ferner  die  dämonischen 
Elemente,  welche  die  zum  Christenthum  bekehrten  Heiden- 
völker von  ihren  heimatlichen  Religionsanschauungen  mitge- 
bracht, mit  der  Kirchenlehre  sich  amalgamirt  hatten,  und 
wenn  wir  das  römische  Zauberwesen,  welches  sich  auf  römi- 
schem Boden  vorfand,  hinzusummiren;  so  sollte  man  glauben: 
der  Stoff  war  überreich,  von  dem  sich  das  mittelalterliche 
Hexenwesen  nähren  konnte.  Die  christlichen  Kirchenlehrer 
stürzten  Freya's  Altar,  deren  Dienst  in  gewissen  Nächten,  be- 
sonders der  Walpurgisnacht  stattfand,  um  den  Saturnalien  des 
Teufels    und    seiner  Verbündeten  Platz    zu  machen,    und   die 


1  Plin.  H.  N.  VII,  2;  Gell.  N.  A.  IX,  4;    Virg.  Eclog.  III,  163. 

2  Horat.  Sat.  I,  8;     Epod.  V,  XVII;  Virg.  Eclog. VIII;  Theocrit.  Id. 
II;  OvidHeroid.VI;  Amor.1,8;  Tibull.1,2,8;  Propert.  111,5;  Lucan.  VI,46Ü. 

ä  Tacit.  Annal.  II,  69. 
4  Ovid  Amor.  III,  7.  29. 

6  Justin.  Apol.  U;     Tcrtull.  Apologet.  23;     Irenäus  I,  24. 
«  Seneca  Quaest.   nat.  IV,    7;     Plin.  H.  N.  XV.  III.    XXVIII,  2;    In- 
stitut. IV,  Tit.  XVIII,  5. 


1.  Der  Zauberglaube.  211 

Priesterinnen,  die  Bewahrerinnen  magischer  Kräfte,  erschienen 
im  Bunde  mit  dem  Teufel  als  Hexen. 

Die  Controverse  zwischen  J.  Grimm,  der  die  Zauberwei- 
ber und  ihre  Nachtfahrten  aus  dem  germanischen  Alterthum 
ableitet',  und  Soldan,  nach  dessen  Behauptung  sie  auf  das - 
sischem  Boden  fussen-,  wird  kaum  zu  schlichten  sein,  und 
zwar  nicht  nur  wegen  der  Aehnlichkeit  der  Ziige  auf  beiden 
Seiten,  sondern  auch,  weil  die  Scheidelinie  durch  das  Hinund- 
herfluten  der  Erinnerungen  aus  beiden  Welten,  der  germani- 
schen und  altclassischen ,  ins  Schwanken  gebracht  und,  von 
den   Wellen  überspült,  kaum  zu  erkennen  sein  diirfte. 

Der  inniire  Zusammenhanij  des  deutschen  Lebens  mit  dem 
römischen  Alterthum  durch  die  Traditionen  des  römischen 
Kaiserreichs,  durch  das  römische  Ivecht,  die  lateinische  Sprache, 
welche  in  die  deutsche  Bildung  hineinragen,  steht  ausser  Zwei- 
fel, luid  es  bedarf  zum  Beweise  kaum  der  Wiederanfiihrung 
vieler  Ackergeräthschaften,  des  Weizens,  der  Gerste,  vieler 
Obstsorten,  des  Weins,  der  Gartenblumen,  der  Fabrikation 
vieler  Stoft'e  und  anderer  Dinge,  die  Freytag  in  seinen  „Bil- 
dern deutscher  Vergangenheit"  als  Momente  erwähnt,  welche 
A'on  den  Deutschen  aufijenommen  und  zu  eiaen  gemacht 
worden  sind.  Dies  sind  Thatsachen  ausser  allem  Zweifel. 
Handelt  es  sich  aber  um  die  Scheidumj  der  altclassischen  und 
oei'manischen  Elemente  in  den  Vorstelluno-eu  von  den  Hexen 
und  ihrem  Meister,  so  wird  man  bemerken,  dass  die  christlichen 
Kirchenlehrer  der  ersten  christlichen  Jahrhiuiderte  das  Hexen- 
wesen mehr  imter  dem  Gesichtspunkte  des  classischen  Alter- 
tliums  betrachteten,  daher  auch  auf  dem  Concil  zu  Ancyra  bei 
der  Verwerfung  des  Hexenwesens  von  der  Diana  die  Rede  war. 
Mag  die  Jahreszahl  314,  wo  das  Concil  gehalten  worden,  auch 
fraglich  sein,  so  ist  doch  die  Abfassung  des  darauf  bezüglichen 
Kanons^  auf  römischem  Boden  gewiss.  In  der  Volksmasse, 
namentlich  dem  germanischen  Stamme ,  wurden  die  analogen 
heimatlichen ,  heidnischen  Vorstellungen  hervoi'gerufen  und 
die  germanischen  Züge,  die  wie  auf  einem  Pallmpsest  hervor- 
traten, erscheinen  nun  mit  den  gleichartigen  römischen  Zügen 


1  D.  Myth.  Cap.  von  der  Zauberei. 

2  S.  71  fg. 

3  Beeret.  XIX,  5. 

14  = 


212     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

SO  eng  verschlungen,  dass  sie  sich  fast  decken,  daher  die  erste 
Schrift  von  der  zweiten  kaum  zu  unterscheiden  sein  diirfte. 

Bei  der  massenhaften  Literatur  iiber  Hexenprocesse,  wo 
die  Massregehi  der  Kirche  und  des  Staats  dagegen  gewöhnHch 
ausführlich  erörtert  sind,  können  diese  der  Wiederholung  hier 
entbehren.  Zu  bemerken  ist  nur,  dass  die  Gesetze  und  De- 
crete  gegen  das  Hexenwesen  in  jenen  Zeiten  ebenso  fruchtlos 
blieben,  wie  die  gegen  den  teuflischen  Aberglauben,  und  zwar 
aus  demselben  Grunde,  weil  die  kirchlichen  und  staatlichen 
Organe  den  Glauben  an  die  Realität  des  Hexenwesens  mit 
dem  Volke  theilten  und  die  daran  Betheiligten  verfolgten,  um 
mit  ihnen  die  Hexerei  selbst  zu  vernichten. 

Da  wir  die  Periode  der  Hexenprocesse  vom  15.  Jahr- 
hundert datiren,  ist  die  Streitfrage  über  den  Anfang  derselben 
nicht  zu  umgehen. 

Wir  haben  gesehen,  dass  der  Glaube  an  Hexerei  nicht 
erst  der  christlichen  Periode  eigen,  und  ebenso  ist  es  That- 
sache,  dass  der  Hexenprocess  nicht  erst  durch  die  Bulle  In- 
nocenz'  VIII.  erfunden  worden  ist,  da  alles  Material  dazu  schon 
lange  vor  dieser  aufgehäuft  vorliegt.  Soldan  und  andere  ha- 
ben strafrechtliche  Vorkehrungen  in  dieser  Beziehung  vor  dem 
13.  Jahrhundert  angeführt,  wonach  Zauberei  mit  körperlicher 
Züchtigung,  mit  Vermögens-  und  Lebensstrafe  belegt  worden 
ist.  Wir  erinnern  an  die  Vorgänge  in  ,,dem  Pelopidenhause 
der  Merovinger",  wo  infolge  des  Todes  der  Söhne  Frede- 
gund's  ein  Weib,  das  ihn  durch  Zauberkünste  herbeigeführt 
haben  soll,  gefoltert  und  lebendig  verbrannt  wird^,  und  aus 
demselben  Grunde  der  Majordomus  Mummolus  durch  die  er- 
littene Folter  das  Leben  einbüsst.^  Soldan,  der  noch  mehrere 
Fälle  aufzählt^,  macht  die  richtige  Bemerkung:  dass  schon  die 
Verschiedenheit  in  den  Bestrafungen  der  Zauberei:  Erdolchen, 
Verbrennen,  Rädern,  Enthaupten,  mehr  auf  die  Laune  der 
Machthaber  als  auf  gesetzliche  Bestimmungen  hindeute.  Karl 
der  Grosse  verordnet  in  einem  seiner  Capitularien'*:  ,,Wenn 
jemand  vom  Teufel   verblendet   nach  Art  der  Heiden  glaubt, 


'  Greg.  Tur.  hist.  Franc.  V,  40. 

■'  Ibid.,  VI,  35. 

3  S.  91. 

^  Capitul.  de  i)artib.  Sax. 


2.  Vorläufer  der  Hexenprocesse.  213 

dass  ein  Mann  oder  eine  Frau  eine  Striga  sei  und  einen 
Menschen  aufzehre,  und  deshalb  ihn  oder  sie  verbrennt,  und 
das  Fleisch  desselben  oder  derselben  zum  Aufessen  hingibt,  so 
soll  er  des  Todes  sterben."  —  Anderwärts  befiehlt  er:  dass 
die  Zauberer  jeder  Art  verhaftet,  belehrt  und  gebessert,  wenn 
sie  hartnäckig  sind,  mit  Gefängniss,  aber  nicht  am  Leben  be- 
straft werden  sollen. '  In  den  nächsten  vier  Jahrhunderten 
fehlen  die  Hinrichtungen,  wenigstens  in  Deutschland,  fast 
gänzlich,  denn  die  einzelnen  beglaubigten  Beispiele  sind  als 
keine  eigentlich  gerichtlichen  Handlungen  zu  betrachten. 


2.  Vorläufer  der  Hexenprocesse. 

Da  keine  geschichtliche  Periode  von  der  vorhergehenden 
mit  scharfer  Linie  sich  plötzlich  abtrennt,  weil  die  Zukunft 
in  der  Gegenwart  vorbereitet  wird,  so  hat  auch  die  Periode 
der  Hexenprocesse  ihre  Vorläufer,  die  ihr  gleich  Plänklern 
vorangehen.  Aus  den  Jahren  1230  —  40  ist  nach  einer  Bulle 
Gregorys  IX.  ein  grosser  Process  aus  der  Gegend  von  Trier 
bekannt;  der  Process  gegen  die  Templer  von  1309  — 13,  der 
mit  Verbrennen  der  (Jrdensmitglieder  endete,  wird  gewöhnlich 
hierher  gerechnet,  so  auch  der  grosse  Process  zu  Arras,  wo 
Peter  Boussard  die  Leute  der  Waldenserei  und  des  Manichäis- 
mus  beschuldigte  und  eine  grosse  Anzahl  im  Jahre  1439  dem 
Scheiterhaufen  iibcrlieferte.  Diese  Fälle  sind  als  Vorläufer 
unserer  Hexenperiode  und  somit  auch  der  Bulle  Innocenz'  des 
VIII.  zu  betrachten;  es  ist  aber  zu  bemerken,  dass  bei 
ihnen  in  der  Anklage  die  Ketzerei  mehr  oder  weniger  im 
Vordergrund  steht,  dass  sie  nicht  das  specifische  Hexenwesen 
der  spätem  Zeit  repräsentiren.  Das  specifische  Hexen- 
wesen der  eigentlichen  Periode  der  Hexenprocesse  beruht 
nicht  mehr  blos  auf  der  Abweichiuig  von  Glaubens-  und  Lehr- 
sätzen der  Kirche,  sondern,  wie  aus  der  Bulle  Innocenz'  VIII. 
und  dem  Hexenhammer  ersichtlich  ist,  lautet  die  Anklage 
vornehmlich  auf:  Bündniss  mit  dem  Teufel  und  vertrau- 
testen   Umgang    mit    demselben.      Es   ist    nicht    mehr   das 


'  Capitul.  ecclesiast.  v.  709;  Dccret.  synodale  v.  799. 


214  Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgimg. 

apologetische  Interesse  und  die  clogmatisehe  Autorität,  welche 
die  Kirche  gegenüber  der  Ketzerei  in  Polemik  und  Verfolgung 
zu  wahren  sucht;   in   der  Periode  der   eigentlichen  Ilexenpro- 
cesse    stellt   sich    die    Kirche    als   Macht    der   Macht    des 
Teufels  gegenüber  und  sucht  diejenigen  zu  vernichten,w eiche 
mit  letztem!  im  Bunde  stehen  und  kraft    dieses  Hexerei  aus- 
üben.    In  der  Ilexenperiode  misst  sich  die  Macht  der  Kirche 
mit   der   des   Teufels,    wie   sie    sich   einst    im    Streite    mit  den 
Hohenstaufen  mit  der  staatlichen  Macht  gemessen  hatte.    Die 
Kirche   bewegt   sich   der   Hexerei    gegenüber   in   dem   AVider- 
spruche :   dass   sie    einerseits   den    teuflischen    Aberglauben   an 
dessen  Anhängern  ausrotten  will,  d.  h.   die  Anerkennung  der 
Macht  des  Teufels  zu  vertilgen,  als  nichtig  darzustellen  sucht; 
sie  aber  andererseits  doch  wieder  selbst  als  Macht  anerkennt, 
indem  sie  es  nöthig  findet,  ihre  eigene  Macht  dagegen  einzu- 
setzen, um  jene  nicht  wachsen  zu  lassen.    Im  Kampfe  mit  den 
Hohenstaufen  hatte  der  Kirche  eine  wirkliche  Macht  entgegen- 
gestanden;   diese   Kaiser    ^yaren   zwar   nicht    im   vollen    Siege 
untergegangen,    aber    auf   ihren    Fall    folgte    bekanntlich    das 
Exil    der  Päpste   in  Avignon,   die   öffentliche  Meinung   neigte 
sich  auf  die  Seite  der  Staatsmacht,   und  das  Bewusstsein  der 
Zeit  ward  vom  Bedürfniss  nach  einer  Keformation  der  Kirche 
an  Haupt  und  Gliedern  immer  mehr   erfüllt.     In  der  Periode 
der  gerichtlichen  Ilexenverfolgung   entwickelt  die  Kirche  ihre 
Macht  gegen  die  vorgestellte  Macht  des  Teufels,  und  bei  einem 
llückblick  auf  die  Entstehung  und  Ausbildung  dieser  Vprstel- 
lunir    müssen    wir    wahrnehmen,    dass    die   Kirche    dabei   dem 
heidnischen  Kronos  gleich  verfährt,  der  seine  eigenen  Kinder 
verschlingt;    dass  sie  den  realen  Boden    verloren  hat  und  den 
Kampf    mit    einem    abstract    spiritualistischen    Gebilde     führt, 
wobei   freilich    die   Unglücklichen,   die   in   Flanunen   aufgehen 
müssen,  an  der  Materie  tödlich  getroftcn  werden. 

Es  muss  auffallen,  dass  die  gerichtliche  Verfolgung  der 
Hexen  von  einer  bestimmten  Zeit  an,  nämlich  vom  Ausgange 
des  15.  Jahrhunderts,  in  progressiver  Weise  zuninnnt;  ja  zu 
einer  Art  Wuth  sich  steigert,  daher  man  füglich  von  einer 
Periode  der  Ilexcnprocesse  sprechen  darf.  Ein  kurzer 
chronologischer  Ueberblick  des  Hexenwesens  und  Verlaufs  der 
Hexenprocesse  wird  vielleicht  den  Beweis  liefern. 

Die  Ineinandersetzung  der  Ketzerei  und  Hexerei  im  Sinne 


2.  Vorläufer  der  Hexenpi'ocesse.  215 

des  Teufelsdienstes  ist  schon  mehrere  Jahrhunderte  vor  der 
eio-entlichen  Hexenperiode  ans  den  Gerüchten  über  die  Katha- 
rer  bemerklich.  Sie  werden  des  Umgangs  mit  dem  Teufel 
und  damit  verbundener  abscheulicher  Handlungen  beschuldigt. 
AVir  erwähnen  nur  die  Schilderung  der  Katharerversammlung 
bei  Alanus  Nyssel,  wo  die  Ceremonie  des  Kniebeugens  als 
Adoration  in  den  Untersuchungsacten  oft  erwähnt  und  dahin 
entstellt  ist:  in  den  katharischen  Versammlungen  erscheine  der 
Teufel  in  Gestalt  eines  Katers,  um  einen  ekelhaften  Huldi- 
gungskuss  in  Empfang  zu  nehmen ,  worauf  schändliche  Wollust 
geübt  werde.  ^  Dieser  Alanus  von  Nyssel  ist  nach  Soldan  der 
erste,  der  von  einem  dem  Teufel  dargebrachten  Huldigungs- 
kusse spricht,  den  er  den  Katharern  aufbürdet,  wobei  er  zu- 
gleich,   wie  schon  erwähnt,    seinen  etymologischen  Scharfsinn 

wetzt. 

Papst  Gregor  IX.  hatte  durch  eine  Bulle  dem  Ketzer- 
meister Konrad  von  Marburg  schrankenlose  Gewalt  verliehen, 
auch  alle  der  Hexerei  Verdächtigen  vor  sein  Gericht  zu  ziehen, 
und  wenn  er  sie  schuldig  finde,  zum  Scheiterhaufen  zu  führen. 
Die  Verfolgungswuth  Konrad's  versetzte  hierauf  Ketzerei  und 
Teufelsbündniss  gleichsam  praktisch  ineinander.  „Wer  ihm 
in  die  Hände  fiel",  schreibt  der  Erzbischof  von  Mainz  an  den 
Papst,  „dem  blieb  nur  die  Wahl,  entweder  freiwillig  zu  be- 
kennen und  dadurch  sich  das  Leben  zu  retten,  oder  seine  Un- 
schuld zu  beschwören  und  unmittelbar  darauf  verbrannt  zu 
werden.  Jedem  falschen  Zeugen  ward  geglaubt,  rechtliche 
Vertheidigung  war  Niemand  gestattet,  auch  dem  Vornehm- 
sten nicht;  der  Angeklagte  musste  gestehen,  dass  er  ein  Ketzer 
sei,  eine  Kröte  berührt,  einen  blassen  Mann  oder  sonst  ein 
Ungeheuer  geküsst  habe.  Darum  Hessen  sich  viele  Katho- 
lische lieber  um  ihres  Leugnens  willen  unschuldig  verbrennen, 
als  dass  sie  so  schändliche  Verbrechen,  deren  sie  sich  nicht 
bewusst  waren,  auf  sich  genommen  hätten.  Die  Schwächern 
losren,  um  mit  dem  Leben  davon  zu  kommen,  auf  sich  selbst 
und  jeden  beliebigen  anderen,  besonders  Vornehme,  deren 
Namen  ihnen  Konrad  als  verdächtig  suggerirte.     So  gab  der 


1  Alani  ab  Insulis  insignis  theologi  opus  adv.  haeret.  et  Valdeus.  qui 
postea  Albigens.  dicti  etc.,  bei  Soldan,  130. 


216    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Bruder  den  Bruder,  die  Frau  den  Mann ,  der  Knecht  den 
Herrn  an;  viele  gaben  den  Geistlichen  Geld,  um  Mittel  zu 
erfahren,  wie  man  sich  entziehen  könne,  und  es  entstand  auf 
diese  Weise  eine  unerhörte  Verwirrung".  ^ 

Die  Vorstellung   vom   Teufelsbund,   deren  Entstehung 
wir  gesehen  haben,  wovon  der  Grundzug  von  einem  Pactum 
und  einem  Ilomagium,  als   eine  dem  Satan  persönlich  darge- 
brachte Huldigung    auch    in    der  Versuchungsgeschichte  ent- 
halten ist,  gewinnt  nun  immer  mehr  Breite  und  V^ordcrgrund. 
Die    christliche  Kircheulehre    sprach    auch    schon    von    einem 
alten  und  neuen  Bund  des  Menschen  mit  Gott  und  von  My- 
sterien  dieses  Bundes,   und   diese  Vorstellungen   wurden  nun 
auf  die  Kirche  übertragen.     An   die   herrschende  Anschauung 
von  der  Gegensätzlichkeit  zwischen  Kirche  und  Teufel  knüpfte 
sich  die  Vorstellung  von  einem  Bündnisse  der  von  der  Kirche 
Abgefallenen,  also  der  Ketzer  als  Verbündeter  mit  dem  Teufel. 
Diese  Vorstellung  fand  in  dem  Zeiträume,  wo  das  CorporationS- 
wesen  auf  fast  alle  Verhältnisse  angewandt  ward,  einen  frucht- 
baren Boden.  Im  Sinne  des  Feudalwesens  wurde  jeder  durch  das 
Homagium,  den  Kuss  dem  Teufel  dargebracht,  als  dessen  Va- 
sall betrachtet.     Ein  Schritt  weiter,  und   die  Unzucht,  Incest 
u.  dgl. ,    deren    die  Ketzer    beschuldigt   worden,    verwandelte 
sich  in   fleischlichen   Umgang   mit   dem  Teufel   selbst.     Präli- 
minarien  dazu   fanden    sich   nicht   nur   in   dem   Liebesverkehr 
der  himmlischen  und  Halbgötter  mit  Menschen  im  classischen 
Alterthum,  auch  die  Pseudepigraphen  der  Juden,   namentlich 
das  Buch  Henoch,    sprechen    vom  Umgang    der   Geister    mit 
den  Menschen,    und    die  Kirchenväter  Justin,    Lactanz   u.  a. 
deuten  die    Stelle  1   Mos.  6,    1   fg-  auf  eine  Vermischung  der 
Dämonen  mit  den  Töchtern  der  Menschen.    Da  nach  der  uns 
bekannten  Herabdrückungsmethode   die   heidnischen  mytholo- 
gischen Wesen  zu  Dämonen  umgedeutet  wurden,  konnten  die 
in     den    Bibeliibersetzungen    gebrauchten     Namen:     Lamien, 
Sirenen,  Faune  u.  dgl.,  auch  specielle  Anwendung  finden.   So 
verweist  Augustin   die  Faune,  Sylvane  und   gallischen  Dusii, 
die  solchen  Verkehr  treiben.  ^     Die  Vorstellung  von  dem  Um- 


'  Alberici  Monaclii  Chrou.  ad  a.  1233. 
*  De  civ,  D.  XV,  22  squ. 


2.  Vorläufer  der  Hexenprocesse.  217 

gang  der  Drachen  in  Menschengestalt  mit  Weibern  war  aus 
dem  Oriente  bekannt.  Es  kann  also  nicht  befremden,  wenn 
im  13.  Jahrhundert  manche  Buhlgeschicliten  mit  Dämonen  im 
Schwange  waren.  Bei  der  bekannten  Allgestaltigkeit  des 
Teufels  musste  der  Glaube  an  dessen  Verwandlung  in  einen 
Incubus  oder  Succubus,  je  nach  Gelegenheit  ^ ,  allgemein  ver- 
breitet werden,  und  im  Zusammenhange  mit  der  Vorstellung 
vom  Teufelsbtindniss  trat  auch  die  von  dem  fleischlichen  Um- 
gang mit  ihm  beim  Hexenwesen  in  den  Vordergrund. 

Als  erstes  Beispiel  der  Verurtheilung  auf  Grund  solcher 
Anklage  gilt  das  schon  erwähnte  grosse  Auto  da  Fe  im 
Jahre  1275  zu  Toulouse,  wo  unter  den  lebendig  Verbrannten 
auch  die  56jährige  Angela,  Herrin  von  Labarethe,  dieses  Verbre- 
chens beschuldigt  worden.  Ueberhaupt  kommen  im  13.  Jahrhun- 
dert schon  einzelne  eigentliche  Hexenprocesse  vor.^  Im  M.Jahr- 
hundert werden  die  Verurtheiluno-en  wesen  Hexerei  häufisfer. 
und  Soldan's  Vermuthung^,  dass  die  persönliche  Furcht  Jo- 
hann XXH.  vor  dem  zauberischen  Unwesen  daran  theilhabeu 
dürfte,  erscheint  nicht  immöglich.  Im  Jahre  1320  ertheilte 
er  dem  Inquisitor  ausdrücklich  die  Vollmacht  zur  eifrigen 
Verfolgung  derjenigen,  welche  den  Dämonen  opfern,  den  Hul- 
digungsact  abstatten,  eine  Verschreibuug  geben  u.  dgl.*  In 
Carcassonne  wurden  von  1320  —  50  schon  iiber  400  we^en 
Hexerei  verurtheilt,  wovon  mehr  als  die  Hälfte  den  Tod  er- 
litt. In  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhundert  erschien 
das  „Directorium  Inquisitorum  von  Nicol.  Eymericus"  (von 
1356  —  93  Generalincpiisitor)  als  systematische  Unterweisung 
für  Ketzerrichtcr,  worin  alle  Zauberkünste  aufgenommen  sind, 
die  als  ketzerisch  gelten  oder  nach  Ketzerei  schmecken.  Im 
Jahre  1404  trat  die  Synode  von  Langres  dem  Hexenwesen 
insofern  entgegen,  als  sie  bei  Fällen,  wo  sie  Betrügereien  an- 
nahm, Belehrung  und  Disciplin  vorschrieb. 

Während  das  Uebcl  in  Frankreich  abzunehmen  schien, 
regte  es  sich  in  Deutschland.     Um   die  Zeit   des  Basler  Con- 


1  Thora.  V.  Aqu.  Comment.  ad  Jes.  40. 

2  Vgl.  Soldai),  147. 

3  S.  181. 

*  Vgl.  die  Bulle  bei  Soldau,  182. 


218     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

cils  suchte  der  Dominicaner  Joannes  Nider  durch  seinen 
„Formicarius"  1  die  Deutschen  über  die  Geheimnisse  des 
Hexenwesens  systematisch  zu  belehren  und  die  der  Zauberei 
Beflissenen  als  Sekte  mit  schändlichem  Cultus  dai'zustellen. 
Sie  verleugnen  die  christliche  Religion  und  die  Taufe,  treten 
das  Kreuz,  schliessen  ein  Pactum  mit  dem  Teufel,  leisten  die- 
sem den  Huldigungsact,  halten  Versammlungen,  in  welchen 
der  Teufel  in  Menschengestalt  erscheint,  machen  Luftfahrten, 
Hagel  und  Blitz,  locken  das  Getreide  an,  erregen  Hass  und 
unkeusche  Liebe,  hindern  die  Conception  bei  Menschen  und 
Thieren,  verwandeln  sich  in  Thiergestalten,  wozu  sie  sich  einer 
Salbe  aus  den  Leichen  imigebrachter  Kinder  bedienen,  tödten 
die  Frucht  im  Mutterleibe;  die  Existenz  der  Licuben  und 
Succuben  wird  aus  Thomas   von  Ac^uino  bewiesen,  u.  dgl.  m. 

Ln  Jahre  1446  werden  einige  Frauen  wegen  Hexerei  in 
Heidelberg  verbrannt  und  fallen  noch  andere  Opfer. ^ 

Wilhelm  von  Edelin,  Prior  von  St. -Germain,  der  gegen 
die  Wirklichkeit  der  Hexenfiihrten  gepredigt,  muss  am  12.  Sep- 
tember 1453  in  der  bischöflichen  Kapelle  zu  Evreux  vor  dem 
geistlichen  Gerichte  Abbitte  thun  und  bekennen,  dass  er  selbst 
mit  andern  wirklich  dem  Satan  seine  Verehrung  dargebracht, 
den  Glauben  an  das  Kreuz  verleugnet  und  im  Auftrage  des 
Teufels  zur  Mehi-ung  des  satanischen  Reichs  gepredigt  habe, 
dass  die  Hexerei  ein  Ding  der  Einbildung  sei.  ^ 

Im  Jahre  1458  erschien:  „Flagellum  haereticorum  fas- 
cinariorum,  autore  J.  Nicoiao  Jaquerio  ordin.  fr.  praedi- 
catorum  et  olim  haereticae  pravitatis  Inquisitore",  worin 
die  Realität  der  Hexerei  aus  Scholastikern,  Legenden  der 
Heiligen  und  Bekenntnissen  bewiesen  und  hiermit  das  System 
derselben  nach  allen  ihren  Zweigen  abgeschlossen  wird.  Die 
Grundzüge  sind  folgende.  Die  Handlungen  und  Zusammen- 
künfte dieser  Zaubersekte  (haeresis  et  sectae  fascinariorum) 
sind  nicht  Täuschungen  der  Phantasie,  sondern  verwerfliche, 
wirkliche  und   leibliche  Handlungen   AVachender.     Es   ist   ein 


1  Fr.  Joan.  Nider  (gest.  1440)  Suevi  ordin.  pracdicat.  s.  theolog. 
profess.  et  hereticae  pestis  inquisitoris,  über  insignis  de  maleficiis  et 
eorum  deceptionibus. 

«  Soldan  198. 

3  Raynald  ad  ann.  1451. 


2.  Vorläufer  der  Ilexenprocesse,  219 

feiner  Kunstgriff  des  Teufels,  den  Glauben  zu  verbreiten,  als 
gehörten  die  Hexenfahrten  nur  ins  Reich  der  Träume.  In 
der  Sekte  oder  Synagoge  dieser  Zauberer  erscheinen  nicht 
blos  Weiber,  sondern  auch  Männer,  und  was  noch  schlimmer 
ist,  sogar  Geistliche  und  Mönche,  die  dastehen  und  mit  den 
sinnlich  wahrnehmbar  in  mancherlei  Gestalt  erscheinenden 
Dämonen  reden,  sich  von  denselben  mit  eigenen  Namen  be- 
nennen lassen,  unter  Verleugnung  Gottes,  des  katholi- 
schen Glaubens  und  seiner  Mysterien.  Dafür  versprechen 
die  Dämonen  Schutz  und  Hülfe,  erscheinen  auf  den  Ruf  der 
Zauberer  auch  ausser  der  Synagoge,  um  ihx'e  Wünsche  zu  er- 
füllen, geben  ihnen  „Veneficien"  und  Stoffe,  um  Zaubereien  zu 
vollbringen.  Dies  Verhältniss  beruht  auf  einem  wirklichen 
Vertrage  mit  den  Dämonen.  Diese  bezwingt  nur  die  göttliche 
Kraft,  wie  sie  dem  Diener  der  Kirche  verliehen  ist.  Die 
Zauberer  bewirken  Krankheiten,  Wahnsinn,  Tod  von  Men- 
schen und  Thieren,  Unglück  im  ehelichen  Leben,  Verderben 
der  Feldfrüchte  und  anderer  Güter.  In  den  Versammlungen, 
die  meist  am  Donnerstag  stattfinden,  wird  das  Kreuz  bespien 
und  getreten,  besonders  zur  Osterzeit,  eine  geweihte  Hostie 
geschändet  und  dem  Teufel  geopfert,  fleischliche  Vermischung 
mit  den  bösen  Geistern  vollzogen.  Keiner  darf  das  Zeichen 
des  Kreuzes  machen,  sonst  verschwindet  im  Augenblicke  die 
ganze  Gesellschaft,  woraus  ein  Beweis  für  die  Vortrefflichkeit 
des  den  Dämonen  so  verhassten  katholischen  Glaubens  ffe- 
nommen  wird.  Jedem  Zauberer  wird  ein  unvertilo;bares  Zei- 
chen,  das  signum  diabolicum,  aufgedrückt.  Dem  Ein- 
wände, dass  ein  beim  Hexensabbat  Anwesender  nicht  mit 
Gewissheit  behaupten  könne,  diese  oder  jene  Person  daselbst 
gesehen  zu  haben,  da  der  Teufel  auch  ein  Trugbild  in  Gestalt 
jener  Person  habe  erscheinen  lassen  können,  begegnet  Jaquier 
durch  folgende  Anweisung:  „Sagt  der  von  Mitschuldigen  An- 
geklagte, der  Teufel  habe  nur  sein  Scheinbild  vorgeführt,  so 
antworte  man  ihm:  dass  der  Teufel  dies  nicht  ohne  Erlaubniss 
Gottes  habe  thun  können.  Behauptet  der  Angeklagte  weiter, 
dass  Gott  diese  Erlaubniss  gegeben  habe,  so  erwidere  man 
ihm,  dass  der  Behauptende  deshalb  dem  Richter  genügende 
Beweise  beizubringen  habe ;  thut  er  dies  nicht,  so  ist  ihm  kein 
Glaube  beizumessen,  weil  er  nicht  dem  Rathe  Gottes  beige- 
wohnt hat.     Denn  so   wie   der  Procurator  des   Glaubens  die 


220    Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gericlitlichen  Hexenverfolgung. 

Maleficien  zu  beweisen  hat,  die  er  dem  Angeklagten  zu  Last 
legt,  so  liegt  auch  dem  Angeklagten  der  Beweis  dessen  ob, 
was  er  zu  seiner  Vertheidigung  anfiährt."  Aus  der  Aussage 
von  Zeugen,  dass  sie  in  einer  Versammlung  zwar  die  Hexen, 
aber  nicht  die  Dämonen  gesehen  haben,  wird  das  Dasein  der 
letztern  so  sefol^ert:  weil  der  Teufel  machen  könne,  dass  er 
von  dem  einen  gesehen  werde,  von  dem  andern  nicht.  Schliess- 
lich behauptet  Jac[uier,  dass  die  Zauberer,  auch  wenn  sie  be- 
reuen, nicht  wieder  in  den  Schos  der  Kirche  aufzunehmen, 
sondern  dem  weltlichen  Gerichte  zu  überliefern  seien,  da  bei 
ihnen  alles  aus  bösem  Willen,  nicht  aus  Irrthum  hervorgehe, 
und  sowol  ihre  abscheuliche  Ketzerei  an  sich  als  die  damit 
verbundenen  Verbrechen:  Mord,  Sodomie,  Apostasie  und 
Idololatrie,  die  strengste  Strafe  verlangen.  Ja  selbst  wenn 
man  die  Realität  des  Hexenwesens  als  unerweislich  betrachten 
wollte,  machen  sich  die  Mitglieder  der  Zaubersekte  dennoch 
der  Ketzerei  schuldig,  sofern  sie  im  wachen  Zustande  thun, 
was  ihnen  der  Satan  im  Traume  befohlen  hat,  z.  B.  die  gött- 
lichen Mysterien  nicht  zu  verehren,  was  ihnen  begegnet  ist, 
nicht  zu  beichten,  u.  dgl.  m. 

Im  Jahre  1459  erschien:  „Fortalitium  fidei  contra  Judaeos, 
Saracenos  aliosque  Christianae  fidei  inimicos"  von  Alphonsus 
de  Spina,  dessen  fünftes  Buch  von  der  Dämonologie  und  Zau- 
berei handelt.  Er  variirt  das  Thema  von  den  Hexen,  Incuben 
und  Succuben  auf  seine  eigenthümliche  Weise,  erklärt  die 
Hexenfahrt  für  eine  teuflische  Verblendung,  bringt  aber  im 
ganzen  ebenso  wenig  Neues  als  die  nachfolgenden  Schriftsteller. 
In  demselben  Jahre  ward  auf  Veranlassung  des  Domini- 
caners und  Inquisitors  zu  Arras,  Pierre  le  Broussard,  ein  Weib 
inquirirt,  das  unter  der  Folter  gestand,  auf  derWaldenserei(vau- 
derie,  so  nannte  man  die  Hexerei)  gewesen  zu  sein  und  verschie- 
dene Personen  gesehen  zu  haben ,  welche  auch  eingezogen  und 
irefoltert  wurden.  Sie  wurden  des  Verbrechens  beschuldigt: 
dass  sie  auf  gesalbten  Stöcken  zur  Vauderie  ritten,  daselbst 
speisten,  dem  als  Bock,  Hund,  Affe  oder  Mensch  erscheinen- 
den Teufel  durch  den  bekannten  obscönen  Kuss  und  durch 
Opfer  huldigten,  ihn  anbeteten,  ihm  ihre  Seelen  ergäben,  das 
Kreuz  träten,  darauf  spien,  Gott  imd  Christum  verhöhnten, 
nach  der  Mahlzeit  untereinander  und  mit  dem  Teufel,  der 
bald  die  Gestalt  eines   Mannes,    bald   die  eines  Weibes   an- 


2,  Voi'läufer  der  Hexenprocesse.  221 

nehme,  abscheulichste  Unzucht  trieben.  Dass,  wie  der 
Inquisitor  hinzufiigte,  die  zum  FHegen  dienende  Salbe  aus 
einer  mit  geweihten  Hostien  gefütterten  Kröte,  den  gepulver- 
ten Knochen  eines  Gehenkten,  dem  Blute  kleiner  Kinder  und 
einigen  Kräutern  bereitet  sei.  Der  Teufel  predige  in  den 
Versammlungen,  verbiete  die  Messe  zu  hören,  zu  beichten, 
sich  mit  Weihwasser  zu  besprengen,  u.  dgl.  Als  nach  ge- 
fälltem Urtheile  die  Angeklagten,  die  vor  der  versammelten 
Volksmenge  auf  einem  hohen  Gerüste  standen,  mit  Mützen 
auf  dem  Kopfe,  worauf  die  Teufelsanbetung  gemalt  war,  dem 
weltlichen  Arme  übergeben,  ihre  Liegenschaften  confiscirt 
wurden,  ihr  bewegliches  Gut  dem  Bischof  zugesprochen  ward: 
schrien  zwar  die  Verurtheilten,  dass  sie  betrogen  worden,  in- 
dem man  ihnen,  wenn  sie  bekenneten,  eine  Pilgerfahrt,  wenn 
sie  leugneten,  den  Tod  in  Aussicht  gestellt  habe,  dass  sie  durch 
die  Folter  gezwungen  worden  seien;  allein  trotz  den  Be- 
theuerungen ihrer  Unschuld,  dass  sie  weder  an  der  Vauderie 
theilgenommen  hätten,  noch  wüssten,  was  das  wäre,  mussten 
doch  sechs  im  Jahre  1460  auf  dem  Scheiterhaufen  sterben.  * 
Dieser  Hinrichtung  zu  Arras  folgte  in  demselben  Jahre  eine 
zweite  und  dann  noch  andere  infolge  der  Anklage  auf  Wal- 
denserei. 

Das  Hexenwesen,  das  bisher  vornehmlich  in  Frankreich 
und  den  angrenzenden  Ländern  sich  gezeigt  hatte,  sollte  den 
Inquisitoren  bald  auch  in  Deutschland  Beschäftigung  geben. 
Im  letzten  Viertel  des  15.  Jahrhunderts  waren  Heinrich  Insti- 
toris  (Krämer)  für  Oberdeutschland  und  Jakob  Sprenger  für 
die  Rheingegenden  zu  Ketzerinquisitoren  bestellt  worden,  die 
„ihr  Geschäft",  wie  Soldan  sich  ausdrückt  %  „vorerst  durch 
Verfolgung  des  Plexenwesens  zu  popularisiren "  gedachten. 
Nachdem  sie  aber  nicht  nur  hinsichtlich  ihrer  richter- 
lichen Competenz,  sondern,  wie  sie  selbst  gestehen^  und 
in  der  Bulle  darauf  hingedeutet  wird,  auch  in  Bezug 
auf  den  Gegenstand  Widerstand  gefunden,  wandten  sie 
sich  an  den  Papst  Innocenz  VHL,  der  durch  seine  Bulle 
„Summis    desiderantes"    vom    5.   December    1484    nicht    nur 


1  Vgl.  Sold.,  206. 

2  S.  212. 

3  Mall,  malef.,  p.  3,  225  u.  a.  ed.  Francof.  v.  1588. 


222    Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

dieser  Verlegenheit  abhalf,  sondern  der  Lehre  vom  Hexen- 
wesen überhaupt  auch  die  endgiütige  päpstliche  Sanction  verlieh. 
Dieses  Actenstiick  ist  zwar  nicht  als  die  Quelle  des  ganzen 
Hexenwesens  zu  betrachten,  was  nach  dem  Vorgange  Schwa- 
ger's  ^  öfter  behauptet  worden;  es  ist  aber  epochemachend 
in  der  Geschichte  der  Hexenprocesse  durch  den  gewaltigen 
Vorschub,  welchen  es  ihnen  geleistet  hat. 

Wortlaut  der  Bulle:  „Innocentius,  Episcopus,  servus  ser- 
vorum  Dei.  Ad  futuram  rei  memoriam.  Summis  desiderantes 
affectibus,  prout  pastoralis  sollicitudinis  cura  requirit,  ut  fides 
catholica  nostris  potissime  temporibus  ubique  augeatur  et  flo- 
reat,  ac  omnis  haeretica  pravitas  de  finibus  fidelium  procul 
pellatur,  ea  libenter  declaramus,  ac  etiam  de  novo  concedimus, 
per  quae  hujusmodi  pium  desiderium  nostrum  votivum  sor- 
tiatur  effectum,  cunctisque  propter  ea  per  nostrae  opera- 
tionis  ministerium  quasi  per  providi  operatoris  sarculum  erro- 
ribus  extirpatis  ejusque  fidei  zelus  et  observantia  in  ipsorum 
corda  fidelium  fortius  imprimatur.  Sane  nuper  ad  nostrum 
non  sine  ingenti  molestia  pervenit  auditum,  quod  in  nonnullis 
partibus  Alemaniae  suj^erioris,  nee  non  in  Moguntinen.,  Colo- 
nien.,  Treveren.,  Saltzburgen.  et  Bremen,  provinciis,  civitatibus, 
terris,  locis  et  dioecesibus  complures  utriusque  Sexus  personae, 
propriae  salutis  immemores  et  a  fide  catholica  deviantes,  cum 
daemonibus  incubis  et  succubis  abuti,  ac  suis  incantationibus, 
carminibus  et  conjurationibus  aliisque  infandis  superstitiis  et 
sortilegiis,  excessibus,  criminibus  et  delictis  mulierum  jDartus, 
animalium  foetus,  terrae  fruges,  vinearum  uvas  et  arborum 
fructus,  nee  non  homines,  mulieres,  pecora,  pecudes,  et  alia 
diversorum  generum  animalia,  vineas  quoque,  pomeria,  prata, 
pascua,  blada,  frumenta  et  alia  terrae  legumina,  perire,  suffo- 
cari  et  extingui  facere,  et  procurare,  ipsosque  homines,  mu- 
lieres, jumenta,  pecora,  pecudes  et  animalia  diris  tam  intrin- 
secis  quam  extrinsecis  doloribus  et  tormentis  afficere  et  ex- 
cruciare,  ac  eosdem  homines  ne  gignere,  et  mulieres  ne 
concipere,  virosque  ne  uxoribus  et  mulieres  ne  viris  actus 
conjugales  reddere  valeant,  impedire.  Fidem  praeterea  ipsam 
quam  in  sacri  susceptione  baptismi  susceperunt  ore  sacrilego 
abnegare.    Aliaque  quam  plurima  nefanda  excessus  et  crimina, 


'  Versuch  einer  Gesch.  der  Hexenprocesse,  I,  39. 


2.  Vorläufer  der  Hexenprocesse.  223 

I 

instigante  hiimaui  geuerls  inimico,  committere  et  perpetrare 
non  verentur,  in  animarum  suarum  periculum,  divinae  maje- 
statis  offensam  ac  perniciosum  exemplum  ac  scandalum  pliiri- 
morum.  Quodque  licet  dilecti  filii  Henricus  Institoris,  in  prae- 
dictis  partibus  Alemaniae  superioris,  in  quibns  etiam  pro- 
vinciae,  civitates,  terrae,  dioeces.,  et  alia  loca  hujusmodi 
comprehensa  fore  ceusetur,  nee  non  Jacobus  Sprenger  per 
certas  partes  lineae  Rheni,  ordinis  praedicatorum  et  theologiae 
professores,  haereticae  pravitatis  inquisitores  per  literas  Apo- 
stolicas  depiitati  fuernnt,  pront  adhnc  existunt,  tarnen  nonnulli 
clerici  et  laici  illarnm  partium,  qnaerentes  plura  sapere,  quam 
oporteat,  jjro  eo,  quod  in  literis  deputationis  hujusmodi 
provinciae,  civitates,  dioeces.,  terrae  et  alia  loca  praedicta, 
illarumque  personae  ac  excessus  hujusmodi  nominatim  et 
specifice  expressa  non  fuerunt,  illa  sub  iisdem  partibus  minime 
contineri  et  propterea  praefatis  inquisitoribus  in  provinciis, 
civitatibus,  dioeces.,  terris,  et  locis  praedictis  hujusmodi  in- 
quisitiouis  officium  exequi  non  licere  et  ad  personarum  earun- 
dem  super  excessibus  et  criminibus  ante  dictis  punitionem, 
incarcerationem  et  correctionem  admitti  non  debere,  pertinaci- 
ter  asserere  non  erubescunt.  Propter  quod  in  provinciis,  civi- 
tatibus, dioeces.  terris  et  locis  praedictis  excessus  et  crimina 
hujusmodi  non  sine  animarum  evidenti  jactura  et  aeternae  salutis 
dispendio  remanent  impunita.  Nos  igltur  impedimenta  quae- 
libet  quae  per  ipsorum  inquisitorum  officii  executio  quomodo 
libet  retardari  posset,  de  medio  submovere,  et  ne  labes  haere- 
ticae pravitatis  aliorumque  excessuum  hujusmodi,  in  perni- 
ciem  aliorum  innocentum  sua  venena  diffundat,  opportunis  re- 
mediis,  prout  nostro  incumbit  officio,  providere  valentes,  fidei 
zelo  ad  hoc  maxime  nos  impellente,  ne  propterea  contingat, 
provincias,  civitates,  dioeces.,  terras  et  loca  praedicta  sub 
eisdem  partibus  Alemaniae  superioris,  debito  inquisitionis  offi- 
cio carere,  eisdem  inquisitoribus  in  illis  officium  inquisitionis 
hujusmodi  exequi  licere,  et  ad  personarum  earundem  super 
excessibus  et  criminibus  praedictis  correctionem,  incarcera- 
tionem et  punitionem  admitti  debere,  perinde  in  omnibus  et 
per  omnia,  ac  si  in  literis  praedictis  provinciae,  civitates, 
dioeces.,  terrae  et  loca  ac  personae  et  excessus  hujusmodi 
nominatim  et  specifice  expressa  forent,  autoritate  Apostolica 
tenore  praesentium  statuimus.     Proque  potiori   cautela   literas 


224    Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hcxenverfolgung. 

et  depiüatlonem  praedictas  ad  provincias,  civitates,  dioces., 
terras  et  loca,  nee  iion  personas  et  crimina  hujusmodi  exten- 
dentes,  praefatis  inquisitoribus,  qiiod  ipsi  et  alter  eorum, 
accersito  secum  dilecto  filio  Joanne  Gremper,  clerico  Con- 
stantien.  niagistro  in  artibus,  eorum  moderno  seil  quovis  alio 
Notario  publico,  per  ipsos  et  quemlibet  eorum  pro  tempore 
deputando,  in  provinciis ,  civitatibus ,  dioces. ,  terris  et  locis 
praedictis  contra  quascunque  personas,  cujuscunque  condi- 
tionis  et  praeeminentiae  fuerint,  hujusmodi  inquisitionis  offi- 
cium exequi,  ipsasque  personas,  quas  in  j^raemissis  culpabiles 
reperierint,  juxta  earum  demerita  corrigere,  incarcerare,  punire 
et  mulctare.  Nee  non  in  siugulis  provinciarum  hujusmodi 
parochialibus  Ecclesiis,  verbum  Dei  fideli  populo,  quotiens 
expedierit,  ac  eis  visum  fuerit,  jDroponere  et  praedicare,  om- 
niaque  aUa  et  singula  in  praemissis  et  circa  ea  necessaria  et 
opportuna  facere,  et  similiter  exequi  libere  et  licite  valeant, 
plenam  ac  liberam  eadem  autoritate  de  novo  concedimus  fa- 
cultatem.  Et  nihilominus  venerabili  fratri  nostro  Episcopo 
Argentinensi  scripta  mandamus,  quatenus  ipse  per  se,  vel  per 
alium  seu  aHos,  praemissa  ubi,  quando  et  quotiens  expedire 
cognoverit,  fueritque  pro  parte  inquisitorum  hujusmodi  seu 
alterius  eorum  legitime  requisitus,  solemniter  i^ublicans,  non 
permittat,  eos  quoscunque  super  hoc,  contra  praedictarum  et 
praesentium  literarum  tenorem,  quavis  autoritate  molestari, 
seu  alius  quomodo  übet  impediri,  molestatores  et  impedientes 
et  contradictores  quoslibet,  et  rebelles,  cujuscunque  diguitatis 
Status,  gradus,  praeeimentiae,  nobilitatis  et  cxcellentiae  aut 
conditionis  fuerint,  et  quocunque  exemtionis  privilegio  sint 
muniti,  per  excommunicationis,  suspensionis  et  interdieti,  ac 
alias  etiam  formidabiliores,  de  quibus  sibi  videbitur,  senten- 
tias,  censuras  et  poenas,  omni  appellationc  postposita,  compes- 
cendo  et  etiam  legitimis  super  his  per  eum  servandis  pro- 
cessibus  sententias  ipsas',  quotiens  opus  fuerit,  aggravare  et 
reaggravare  autoritate  nostra  procuret,  invocato  ad  hoc,  si 
opus  fuerit  auxilio  brachii  secularis.  Non  obstantibus  prae- 
missis et  constitutiouibus  et  ordinationibus  Apostolicis  contra- 
riis  quibuscunque.  Aut  si  aliquibus  communiter,  vel  divisim 
ab  Apostolica  sit  sede  indultum,  quod  interdici,  suspendi  vel 
excommunicari  non  possint,  per  literas  A^Dostolicas  non  facien- 
tes  plenam  et  expressam,  ac  de  verbo  ad  verbum,  de  indultu 


2.    Vorläufer  der  Ilexenprocesse.  225 

hnjusmodi  mentionem,  et  qualibet  alia  dictae  sedis  indulgen- 
tia  generali  vel  special!,  cujusciinque  tenoris  existat,  per 
quam  praesentibus  non  expressam,  vel  totaliter  non  insertain 
effcctus  hujiismodi  gratiae  impediri  valeat,  quomodo  libet 
vel  differri,  et  de  quaciinquc,  toto  tenore  habenda,  sit  in 
nostris  literis  mentio  specialis.  Nnlli  ergo  omnino  hominum 
liceat  hanc  paginam  nostrae  declarationis ,  extensionis,  con- 
cessionis  et  mandati  infringere,  vel  ei  ausu  temerario  contra- 
iare.  Si  qiiis  autem  hoc  attentare  praesumpserit,  indignationem 
omnipoteutis  Dei  ac  beatorum  Petri  et  Pauli  Apostolorum 
ejus  se  noverit  incursurum.  —  Datum  Romae  apud  sanctum 
Petrum.  Anno  incarnationis  Dominicae  Millesimo  quadringen- 
tesimo  octuagesimo  quarto.  Non.  Decembris.  Pontificatus 
nostri  anno  primo." 

Auf  Grund  dieser  Bulle  verfassten  die  in  derselben  er- 
wähnten Inquisitoren  im  Jahre  1487  den  beriichtigten  „Mal- 
leus maleficarum",  den  sogenannten  „Hexenhammer",  worin 
nicht  nur  das  Ganze  der  Hexerei  in  ihrer  Wirklichkeit  er- 
wiesen, sondern  auch  das  gerichtliche  Verfahren  mit  den 
Hexen  grundsätzlich  festgestellt  wird.  Ausser  der  Sanction 
des  Papstes  erhielten  die  Verfasser  das  Patent  des  Kaisers 
Maximilian  vom  G.  November  1486  und  erwirkten  überdies 
die  Approbation  der  theologischen  Facultät  zu  Köln.  Dieser 
„Plexenhammer"  hatte  nach  dem  Zeugnisse  des  beriihmten  Cri- 
minalisten  des  IG.  Jahrhunderts,  Damhonder  ^,  fast  Gesetzes- 
kraft erhalten,  mit  der  er,  drei  Jahrhunderte  hindurch  ge- 
schwungen, unerbittlich  losschlug,  um  unter  seiner  schweren 
Wucht  Millionen  unglücklicher  Menschen  unbarmherzig  zu 
zermalmen.  Da  nun  hiermit  der  Hexenprocess  auch  für 
Deutschland  durch  den  Papst  autorisirt  und  eine  feste  Gestalt 
erhalten  hatte,  indem  er  in  aller  Form  auf  das  Biindniss  mit 
dem  Teufel  gegründet  und  die  Aufgabe  gestellt  ward,  Hexen 
zu  suchen,  welche  denn  auch  gefunden  wurden,  so  glauben 
wir  vom  Erscheinen  der  Bulle  in  Verbindung  mit  ihrem  prak- 
tischen Commentar,  dem  „Hexenhammer",  die  Periode  der  ge- 
richtlichen Hexenverfolgung  datiren  zu  dürfen. 


1  Bei  Soldan,  S.  222. 

Iloskoff,    Geschichte  Jts  Teufels.    II.  15 


22G     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Ilexenverfolgung. 


3.   Malleus  maleflcarum.    Der  HexenliairLiiier. 

Indem  dieses  Buch,  das  mehrere  Ausgaben,  aber  nie  eine 
Uebersetzung  erlebt  hat,  für  unsere  Hexenperiode  von  so 
grosser  Bedeutung  und  auch  für  den  Stand  des  Hexen-  und 
Teufelsglaubens  der  Zeit  so  wichtig  ist,  können  wir  kaum  um- 
hin, den  Hauptinhalt  desselben  mit  Hervorhebung  der  wesent- 
lichen Punkte  darzulegen.  ^  Dem  Werke  ist  der  Wortlaut 
der  Bulle  Innocenz'  VIII.  vorgedruckt  und  als  Anhang  die 
Approbation  der  kölner  Theologen  am  Schlüsse  beigefügt. 
Die  Stelle  einer  Vorrede  vertritt  die  „Apologia  auctoris  in 
Malleum  maleficarum",  ohne  Zweifel  auf  Sprenger  zu  beziehen, 
dessen  Antheil  an  dem  Werke  überhaupt  als  vorwiegend  an- 
erkannt ist.  Es  wird  die  Gefahr  der  Kirche,  in  der  sie  durch 
die  Ketzerei  des  Hexenwesens  sich  befindet,  als  Motiv  des 
Unternehmens  angegeben.  Das  Getriebe  der  Zauberer  und 
Hexen  fusst  auf  einem  Bündniss  mit  dem  Teufel:  „Ex 
pacto  enim  cum  inferno,  et  foedere  cum  morte,  foetidissimae 
servituti,  pro  earum  pravis  explendis  spurcitiis  se  subjiciunt." 
Mit  angeblich  grosser  Bescheidenheit  nennt  sich  Sprenger 
vmd  seinen  werthesten  Genossen,  der  mit  ihm  vom  päpstlichen 
Stuhle  zur  Ausrottung  der  ketzerischen  Seuche  ausgesandt 
worden,  „inter  divinorum  eloquiorum  professores,  sub  prae- 
dictorum  ordine  militautium  minimi";  im  frommen  Eifer  und 
unter  schwerer  Betrübniss  haben  sie  erwogen,  welches  Mittel 
und  welcher  Trost  den  Sterblichen  als  heilsames  Antidotum 
zu  bieten  sei,  und  —  so  sei  dieses  Werk  entstanden.  Es  sei 
aus  andern  Quellen  geschöpft  und  von  dem  Ihrigen  nur  We- 
niges hinzugekommen,  neu  sei  nur  die  Zusammenstellung.  Die 
Herausgeber  wollen  keine  Dichtungen  schaflfen,  noch  sublime 
Theorien  erörtern,  sondern  nach  Art  der  Nachtreter  nur  fort- 
setzen zur  Ehre  der  höchsten  Dreieinigkeit  und  untheilbaren 
Einheit  u.  s.  w. 

Das  Buch  zerfällt  in  drei  Theile,  worin  der  Gegenstand 
auf  Grund    von   einer   Menge  Haupt-    und  Nebenfragen,    die 


'  Ich  habe  die  frankfurter  Ausgabe  vom  Jahre  1588  vor  mir,  welcher 
der  „Formicarius"  von  Joann.  Nieder  beigefügt  ist. 


3.    Der  Hexenhammer.  227 

bunt  diircbcinanilergeworfen,  nicht  selten  im  Widerspruche 
miteinander  stehen,  ebenso  kraus  und  wirr  abgehandelt  wird. 
Von  einem  streng  logischen  Nacheinander  ist  so  wenig  die  Rede, 
dass  bei  Heraushebung  einzelner  Punkte  der  Vorwurf  des 
Herausreissens  aus  dem  Zusammenhang  keinen  Raum  finden 
kann. 

Im  ersten  Theile  wird  in  achtzehn  Quästionen  die  Rea- 
lität des  Hexenwesens  aus  der  Heiligen  Schrift,  dem  kanoni- 
schen und  bürgerlichen  Rechte  nachgewiesen,  wobei  vornehm- 
lich Augustinus  und  Thomas  von  Aquino  die  Argumente  lie- 
fern. Die  drei  Hauptmomente,  die  das  Hexenwesen  in  sich 
beo-rcift:  der  Teufel,  der  Zauberer  oder  die  Hexe,  die 
göttliche  Zulassung,  werden  in  Betracht  genommen. 

1.  Frage.     Ob  es  Zauberei  gebe?    Ob   diese  Behaup- 
tunc:  ebenso   orthodox  als   die   des  Gegentheils  allerdings 


'ö 


ketzerisch  sei? 

Es  ist  ketzerisch  zu  glauben,  dass  ein  Geschöpf  durch 
Zauberer  zum  Bessern  oder  Schlechtem,  oder  in  eine  andere 
Art  umgewandelt  werden  könne  als  von  dem  Schöpfer  selbst.^ 

Das  Werk  Gottes  beweist  grössere  Macht  als  das  des 
Teufels,  es  ist  darum  auch  unerlaubt  zu  glauben,  dass  die 
Geschöpfe,  die  Werke  Gottes  an  Mensch  und  Vieh  durch 
die  Macht  des  Teufels  verderbt  werden  können.  ^  Die  Teufel 
wirken  nur  durch  Kunst,  diese  kann  aber  keine  wahre  Ge- 
stalt geben.  Es  ist  ein  ketzerischer  Irrthum,  zu  glauben, 
es  gebe  keine  Zauberei  in  der  Welt  ausser  in  der  Meinung 
des  Volks,  ebenso,  Zauberer  anzunehmen,  aber  die  zaube- 
rischen Wirkungen  nur  als  eingebildet  zu  betrachten.  ^  Der 
Teufel  hat  grosse  Gewalt  über  körperliche  Dinge  und  die 
Einbildung  der  Menschen,  wenn  es  Gott  zulässt.  Dies  be- 
weisen eine  Menge  Stellen  der  Heiligen  Schrift.  Diejenigen, 
welche  keine  Realität  der  Zauberei  annehmen,  widerstehen 
dem  wahren  Glauben,  wonach  wir  die  aus  dem  Himmel  ge- 
fallenen Engel  für  Teufel  halten  müssen,  die  kraft  ihrer  Natur 
vieles  vermögen,  was  wir  nicht  können.  Diejenigen,  die  ihnen 
dazu  Anlass  geben,  heissen  Zauberer  (Malefici).  Weil  aber 
Unglaube    bei    einem   Getauften   Ketzerei    heisst,    so    werden 


S.  1.         2  S.  2.         3  s,  3, 

15  = 


228     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gericlitlichen  Ilexcnvcrfolguiig. 

solche  mit  Recht  der  Ketzerei  beschuldigt.  ^  Viele  werden 
durch  ihre  Phantasie  getäuscht,  etwas  für  ein  Factum  zu 
halten;  aber  deswegen  die  Wirkungen  des  Teufels  als  real  zu 
leugnen  und  sie  nur  für  Phantasiestücke  zu  halten,  ist  ein 
Irrthum,  der  nach  Ketzerei  schmeckt.^  Dies  wird  durch 
göttliche,  kirchliche  und  bürgerliche  Gesetze  bewiesen.  Denn 
das  göttliche  Gesetz  befiehlt,  niclit  nur  mit  Hexen  nicht  zu 
verkehren,  sondern  sie  zu  tödtcn,  und  solche  Strafe  würde 
Gott  nicht  verhängen,  wenn  sie  nicht  wahrhaftige  und  wirk- 
liche Dinge  mit  Hülfe  des  Teufels  vollbrächten.  ^  Jeder,  der 
in  der  Erklärung  von  jener  der  Kirche  abweicht,  wird  mit 
Recht  für  einen  Ketzer  gehalten;  und  ebenso  jeder,  der  in 
Glaubenssachen  anders  denkt  als  die  Kirche.  '^  Folq;t  der 
Beweis  aus  dem  Kanon,  aus  dem  bürgerlichen  Rechte. 

Zur  Anklage  auf  Hexerei  wird  bei  diesem  Verbrechen 
der  beleidigten  Majestät  jeder  zugelassen  und  als  legal  be- 
trachtet. ^ 

Die  katholische  und  einzig  wahre  Behauptung  ist:  es  gibt 
Zauberer,  die  mit  Hülfe  des  Teufels  kraft  eines  Bundes  mit 
ihm  unter  Gottes  Zulassung  nicht  nur  eingebildete,  sondern 
auch  wirkliche  Zauberhandlungen  vollbringen  können,  ob- 
schon  es  auch  Hexereien  gibt,  die  auf  Einbildung  be- 
ruhen. ^ 

Zauberinnen  sind  Weiber,  durch  die  der  Teufel  spricht 
oder  wunderbar  wirkt;  die  erstem  sind  die  Weissagerinnen 
(species  Pythonum)  %  die  übrigen  sind  die  eigentlichen  Hexen. 
Die  Hexe  hat  sich  durch  einen  Vertrag  dem  Teufel  fjanz  er- 
geben  und  verpflichtet,  wahrhaft  und  wirklich,  nicht  blos  in 
der  Phantasie  oder  eingebildet,  daher  sie  auch  wirklich  und 
körperlich  mit  dem  Teufel  zusammenwirkt.  ^  Prediger  und 
Priester  haben  daher  ihren  Gemeinden  vier  Stücke  beson- 
ders einzuschärfen:  1)  Ausser  dem  Einen  Gott  gibt  es  kein 
göttliches  Wesen;  2)  Mit  der  Diana  oder  Herodias  reiten  ist 
eigentlich  mit  dem  Teufel  (der  sich  so  stellt  und  nennt); 
3)  Ein  solcher  Ritt  geschieht  in  der  Einbildung,  indem  der 
Teufel  auf  die  Seele,  die  ihm  durch  Unglauben  unterthan  ge- 
worden,   so   wirkt,    dass   sie    ihn  leiblich    geschehen    glavÜDt; 


»  S.  4.  2  g^  5_  3  s.  5.  "  S.  6.  5  S.  9.  «  S.  10. 

'  S.  10.        8  S.  11. 


3.    Der  Hexenhammer.  229 

4)   tlass    sie   (die  Hexen  und  Zauberer)    dem  Teufel    in    allen 
Stiicken  gehorchen  miissen.  ^ 

Obschon  die  Verwandlungen  lediglich  durch  göttliche 
Autorität  geschehen  zur  Besserung  oder  Strafe,  so  doch  auch 
oftmals  mit  Hiilfe  des  Teufels  unter  göttlicher  Zulassung,  wie 
auch  die  modernen  Zauberer  durch  den  Teufel  in  Wölfe  und 
andere  Bestien  verwandelt  werden.  So  spricht  der  Kanon: 
„de  reali  transformatione  et  esseutiale,  et  non  de  praestigiosa 
quae  saepius  fit." 

2.  Abtheilung  der  1.  Frage.    Ist  es  Ketzerei,  Zauberer 
anzunehmen  ? 

Ein  offenbarer  Ketzer  ist  1)  wer  auf  Ketzerei  betroffen 
oder  2)  dem  sie  durch  Zeugen  bewiesen  wird,  oder  3)  der 
sich  selbst  dazu  bekennt.  Die  dem  bisher  Gesagten  wider- 
sprechen und  behaupten:  es  gebe  keine  Zauberer  oder  diese 
könnten  den  Menschen  nicht  schaden,  werden  mit  Recht 
als  Ketzer  b'festraft.  ^  Da  es  aber  in  der  Absicht  der  Ver- 
fasser liegt,  Prediger  beziiglich  des  Lasters  der  Ketzerei  nach 
Möglichkeit  lieber  zu  entschuldigen  als  zu  beschuldigen  (pro 
posse  excusare  quam  incusare),  so  sollen  sie  nicht  gleich  ver- 
dammt werden,  wenn  der  Verdacht  auch  ziemlich  stark  sein 
sollte.  Da  es  einen  dreiüichen  Verdacht  gibt  (suspicio  levis, 
vehemens  et  violenta),  ist  zu  untersuchen,  welchem  ein  solcher 
Prediger  unterliege.  ^  Unkenntniss  kann  zwar  einigermassen, 
aber  nicht  ganz  entschuldigen,  weil  sie  nicht  unüberwindlich 
ist;  geflissentlich  aber  eine  Sache  nicht  wdssen  wollen,  ist  ver- 
danunlich.  Bleibt  einer  in  Unwissenheit,  weil  er  zu  viel  an- 
dere Geschäfte  hat,  um  das  zu  erlernen,  was  er  wissen  sollte 
(das  Ilexenwesen),  so  ist  namentlich  in  der  gegenwärtigen 
Zeit,  Avo  den  bedrohten  Seelen  geholfen  werden  muss,  die 
Unwissenheit  mit  aller  Anstrengung  zu  verscheuchen.  ■* 

2.  Frage.     Ist   es  katholisch,  zu  behaupten,    dass  bei 
einer  Zauberei  der  Teufel  immer  mit  dem  Zauberer  vereint 
wirke,   oder  dass  einer  ohne  den  andern  eine  solche  Wir- 
kung hervorbringe? 
Der  Teufel    kann  allerdings   ohne   den   Hexer   vieles   be- 
wirken.    Alle  körperlichen  Beschädigungen  sind  nicht  unsicht- 
bar, sondern  fiihlbar,   daher  sie  auch  vom  Teufel   angerichtet 

1  S.  12.         ■'  S.  14.         3  s.  15.         "•  ö.  17. 


230    Dritter  Abschnitt:   Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

werben  können.  Beispiele  sind:  Hiob,  die  Jungf'ran  Sara, 
welcher  vom  Tenfel  sieben  Männer  getödtet  wnrden.  ^  Wenn 
der  Teufel  wirkt  vermittels  der  Hexe ,  so  bedient  er  sich  der- 
selben als  eines  Werkzeugs.  ^ 

Jede  körperliche  Handlung  geschieht  durch  Beriihrung. 
Und  weil  dem  Teufel  keine  Berührung  der  Körper  eignet, 
da  er  mit  ihnen  nichts  gemein  hat,  so  bedient  er  sich  eines 
Werkzeugs,  dem  er  die  Kraft  durch  Beriihrung  zu  schädigen 
mittheilt.  Dass  Bezauberungen  auch  ohne  Hiilfe  des  Teufels 
geschehen  können,  sagt  Galat.  3,  1.  Oft  wirkt  eine  Seele  in 
einem  fremden  Körper  wie  im  eigenen.  ^  Die  Einbildungs- 
kraft kann  auf  verschiedene  Weise  auf  den  Körper  wirken. 

Auch  ohne  die  Kraft  der  Seele  können  die  Körper  wun- 
derbare Wirkungen  hervorbringen.  So  bluten  die  Wunden 
des  Getödteten  in  Gegenwart  des  Todtschlägers;  ein  Lebender, 
der  an  einem  Leichnam  vorübergeht,  ohne  ihn  wahrzunehmen, 
wird  von  Schauer  ergriffen. 

Natürliche  Dinge  haben  gewisse  verborgene  Kräfte,  deren 
Grund  der  Mensch  nicht  angeben  kann.  So  zieht  der  Dia- 
mant (?  Adamas)  das  Eisen.  *  Die  Zauberer  bedienen  sich 
gewisser  Bilder  und  anderer  Werkzeuge,  die  sie  unter  die 
Thürsch wellen  der  Häuser  legen  oder  an  gewisse  Orte,  wo 
das  Vieh  oder  auch  die  Menschen  darüber  kommen,  die  da- 
durch behext  werden  und  bisweilen  sterben.  Solche  Wirkun- 
gen können  wol  von  den  Bildern  herrühren,  insofern  diese 
gewisse  Einflüsse  von  den  Himmelskörpern  empfangen  haben. 
Auch  die  Heiligen  können  Wunder  wirken,  bald  durch  das 
Gebet,  bald  durch  eigene  Macht.  *  Nach  Isidorus  hcissen  die 
Malefici  so  wegen  der  Grösse  ihrer  Missethatcn,  womit  sie 
vor  allen  Uebelthätern  am  meisten  Uebel  thun.  Sie  bringen 
mit  Hülfe  des  Teufels  die  Elemente  durcheinander,  treiben 
Hagel  und  Gewitter  zusammen,  verwirren  die  Gemiither  der 
Menschen,  verursachen  Wahnsinn,  Hass,  unbändige  Liebe, 
sie  tödten  ohne  Gift,  blos  durch  die  Gewalt  eines  Gesangs 
die  Seelen.  ^ 

Warum  Hiob  nicht  mittels  zauberischer  Wirkung  durch 
den  Teufel  geschlagen  worden  sei?  Dass  Pliob  durch  den 
Teufel  allein    ohne  Vermittelung  eines  Zauberers    oder  einer 

'  S.  20.         2  S.  21.         3  s.  21.        4  S.  22.         '  S.  23.         «  S.  24. 


3.    Der  Hexenhammer.  231 

Hexe  geschlagen  worden,  erklärt  sich  darans,  dass  diese 
Art  Aberglaube  damals  noch  nicht  erfunden  war;  die  gött- 
liche Vorsicht  wollte  jedoch,  dass  die  Macht  des  Teufels  in 
der  Welt,  lun  dessen  Nachstellungen  zur  Ehre  Gottes  zu  ver- 
hiiten,  bekannt  werde,  da  jener  ohne  Gottes  Zulassung  nichts 
bewirken  kann.  ^  —  Der  Leser  wird  aufmerksam  gemacht, 
dass  die  verschiedenen  Zauberkünste  im  Verlaufe  der  Zeit 
erfunden  worden  sind,  daher  es  nicht  befremdlich  ist,  dass  es 
zu  Iliob's  Zeit  noch  keine  Hexen  gab.  Denn  wie,  nach  dem 
Ausspruche  Gregor's  in  seiner  Moral,  die  Kenntniss  der  Hei- 
ligen wuchs,  so  nahmen  auch  die  Hexenkünste  zu.  Und  wie 
die  Erde  von  der  Erkenntniss  des  Herrn  erfüllt  ist,  nach 
Jesaia,  so  ist  die  Welt,  die  sich  zum  Untergange  neigt,  nach- 
dem die  Bosheit  der  Menschen  gewachsen,  die  Liebe  erkaltet 
ist,  von  der  Boshaftigkeit  der  Hexereien  ganz  überschwemmt.* 
Es  ist  katholische  Wahrheit:  bei  einer  zauberischen  Handlung, 
wenn  sie  auch  keine  schädliche  ist,  muss  der  Zauberer  stets 
mit  dem  Teufel  zusammenwirken.  Es  ist  wahr,  der  Teufel 
bedieut  sich  der  Zauberer  zu  deren  eigenem  Verderben;  aber 
wenn  gesagt  wird:  diese  seien  nicht  zu  bestrafen,  weil  sie 
nur  als  Werkzeuge  dienen,  die  sich  nach  dem  Willen  ihres 
Herrn  bewegen  müssen,  so  antworten  wir:  sie  sind  beseelte 
und  frei  handelnde  Werkzeuge,  obschon  sie  nach  eingegange- 
nem Vertrage  mit  dem  Teufel  ihrer  Freiheit  nicht  mehr  Herr 
sind,  weil  sie,  wie  wir  aus  den  Bekenntnissen  verbrannter 
Weiber  wissen,  wenn  sie  den  Schlägen  des  Teufels  entfliehen 
wollen,  bei  den  meisten  Hexereien  gezwungen  mitwirken 
miissen,  da  sie  durch  das  erste  Versprechen,  wodurch  sie  sich 
freiwillig  dem  Teufel  ergeben  haben,  gebunden  bleiben.  ^  — 
In  diesem  Abschnitte  wird  von  verschiedenen  Arten  der  Be- 
hexung von  dem  bösen  Auge,  meistens  an  alten  Weibern, 
vom  Eiufluss  der  Himmelskörper  gehandelt,  und  das  Bluten 
der  Wunden  eines  Ermordeten  bei  Annäherung  des  Mör- 
ders u.  a.  m.  erklärt. 

3.  Frage.     Ob   es  katholisch   sei   zu   behaupten:    dass 

durch  Incuben  und  Succuben  wirkliche  Menschen  erzeugt 

werden? 
Zunächst  scheint  es  nicht  katholisch   zu  sein,  zu  beluuq)- 

1  S.  26.         2  y_  27.         3  y.  28. 


232    Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtliclaeu  Ilexeuverfolguug. 

ten,  dass  der  Teufel  durch  Ineuben  und  Succuben  wirkliehe 
Menschen  zu  Stande  bringen  könne,  die  Fortpflanzung  des 
Menschen  stammt  vor  dem  Sündenfalle  von  Gott;  ausser- 
dem ist  sie  ein  Act  eines  lebendigen  Leibes,  der  Teufel  gibt 
aber  den  Leibern,  die  er  annimmt,  kein  Leben.  ^  Der  Teufel 
kann  keinen  Körper  localiter  bewegen  —  ergo  nee  semen 
poterunt  (daemones)  movere  localiter  de  loco  ad  locum.  ^ 
Allein,  nach  Augustinus:  Daemones  coUigunt  semina  quae  ad- 
hibent  ad  corporales  efiectus,  dies  kann  ohne  locale  Bewegung 
nicht  stattfinden;  die  Giganten  sind  jedoch  auch  von  Dämo- 
nen gezeugt.  ^  —  Da  vieles,  was  die  Macht  des  Teufels  be- 
triflft,  übergangen  werden  muss  und  der  Leser  sich  aus  den 
Schriften  der  Kirchenväter  unterrichten  kann,  so  wird  er  ein- 
sehen, dass  der  Teufel  alle  seine  Werke  durch  seinen  Ver- 
stand und  seinen  Willen  ausführe,  da  seine  natürlichen  ur- 
sprünglichen Gaben  nicht  verändert  w^orden  sind.  Er  wird 
finden,  dass  es  auf  Erden  keine  Macht  gibt,  die  der  seinigen 
gleichkäme,  dass  er  niemand  fürchtet,  nur  den  Verdiensten 
der  Heiligen  unterliegt.  ^ 

Nach  all  dem  Vorherffesao-ten  lässt  sich  in  Betrefi"  der 
Ineuben  und  Succuben  behaupten:  dass  durch  sie  bisweilen 
Menschen  erzeugt  werden ;  dies  anzunehmen  ist  in  so  weit  ka- 
tholisch, als  das  Gegentheil  weder  durch  die  Heiligen  Schilif- 
ten noch  durch  die  Tradition  abgeleitet  wird.  ^ 

Die  Giganten  stammen  nach  der  Heiligen  Schrift  von 
Ineuben  her.  Die  Sylvani  und  Fauni  sind  Ineuben.  ^  Die 
Frauen  sollen  sich  der  Ineuben  wegen  verschleiern.  ^  Der 
Grund,  warum  die  bösen  Geister  sich  zu  Ineuben  oder  Suc- 
cuben machen,  ist,  damit  sie  durch  das  Laster  der  Wollust 
die  beiderlei  Natur  des  Menschen  verderben,  nämlich  die  des 
Leibes  und  der  Seele,  damit  sie  dadurch  zu  allen  übrigen 
Lastern  geneigter  werden.  ^ 

Folgt  die  Theorie:  Quomodo  incubi  procreent.  —  Incubi 
fiunt  succumbi,  etc.  ^ 

4.  Frage.  Ist  es  katholisch  zu  behaupten,  dass  die 
Verrichtungen  der  Ineuben  und  Succuben  allen  unreinen 
Geistern  gleich  zukommen? 


1  S.  41.         -  S.  42.         3  S.  43. 
^  S.  48.         8  S.  48,         9  S.  50  sequ. 


S.  44. 


5  ö.  40. 


«  ö.  47. 


3.    Der  Hexenhammer.  233 

Katholisch  ist  die  Behauptung,  dass  eine  gewisse  Ord- 
nung in  Bezug  auf  innere  und  äussere  Handhingen  unter  den 
Dämonen  stattfindet;  dass  gewisse  Abscheulichkeiten  von  den 
niedrigsten  begangen  werden,  von  denen  die  vornehmern  aus- 
geschlossen bleiben.  Denn  die  Teufel  unterscheiden  sich  durch 
die  Art,  einige  sind  vom  Hause  aus  vornehmer.  ^  Dies  stimmt 
auch  zur  göttlichen  Weisheit,  wonach  alles  nach  einer  Ord- 
nung gehen  muss.  Dies  stimmt  auch  mit  der  Bosheit  der 
Dämonen  überein,  denn  da  diese  das  Menschengeschlecht  be- 
kämpfen, so  richten  sie  diesem  mehr  Schaden  an,  wenn  sie 
es  nach  einer  gewissen  Ordnung  unternehmen.  ^  Wie  sich 
die  Dämonen  durch  eine  gewisse  Rangordnung  unterscheiden, 
so  auch  in  ihren  Verrichtungen,  daher  es  klar  ist,  dass  "nur 
die  vom  niedersten  Range  solche  Abscheulichkeiten,  die  auch 
unter  den  Menschen  die  niedrigsten  sind,  vollziehen.^ 

Dass  eine  gewisse  Ordnung  unter  den  Dämonen  herrsche, 
beweisen  auch  ihre  Namen.  Von  den  etymologischen  Sonder- 
barkeiten sei  nur  die  Ableitung  des  Namens  Diabolus  heraus- 
gehoben, nämlich  von  dia  quod  est  duo  et  bolus,  quod  est 
morsellus:  quia  duo  occidit,  scilicet  corpus  et  animam.  * 

Die  Eintracht  unter  den  Dämonen  besteht  nicht  in  Freund- 
schaft, sondern  in  der  Bosheit,  mit  der  sie  die  Menschen 
hassen  und  der  Gerechtigkeit  so  viel  sie  können  wider- 
streiten. ^ 

5.  Frage.     Woher  die  Vermehrung  der  Hexereien? 

Kann  es  für  katholisch  gelten,  dass  der  Ursprung  und 
die  Vermehrung  der  Zaubereien  vom  Einflüsse  der  Himmels- 
körper oder  der  übermässigen  Bosheit  der  Menschen  und 
nicht  von  den  Abscheulichkeiteu  der  Incubeu  und  Succuben 
abgeleitet  werde.  ^ 

Es  scheint,  dass  sie  von  der  eigenen  Bosheit  der  Men- 
schen herrühren,  denn  nach  Augustinus  wird  der  Zauberer 
durch  die  Sünde  verderbt,  also  ist  die  Ursache  nicht  der 
Teufel,  sondern  der  menschliche  Wille.  Derselbe  sagt  auch, 
jeder  sei  selbst  die  Ursache  seiner  Bosheit,  die  Sünde  ent- 
springe aus  dem  freien  Willen.  Der  Teufel  kann  nicht  den 
freien  Willen  bewegen,  das  wäre  gegen  die  Freiheit.  —  Was 
nun  die  Herleitung  vom  Einflüsse  der  Himmelskörper  betrifi't, 

'  S.  58.  2  s.  59.  3  s.  (jo.  1  S.  61.  ^  y.  gs.  e  g.  (j4. 


234    Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Ilexenverfolgung. 

so  ist  zu  bemerken,  dass  alles  Vielgestaltige  auf  ein  einheit- 
liches Principium  sich  zuriickleitet.  Die  menschlichen  Hand- 
lungen sind  vielfältig,  sowol  betreffs  der  Laster  als  der  Tu- 
genden, es  scheint  also,  dass  sie  auf  einige  einheitliche  Prin- 
cipien  zuriickleiten,  und  diese  sind  nur  aus  den  Bewegungen 
der  Himmelskörper  zu  erklären,  die  einförmig  sind,  also  sind 
jene  Körper  die  Ursache  solcher  Folgen. 

Ausserdem:  wenn  die  Himmelskörper  nicht  die  Ursache 
wären  der  menschlichen  Handlungen  in  Beziehung  auf  Tu- 
genden und  Laster,  würden  die  Astrologen  nicht  so  häufig 
den  Ausgang  der  Kriege  und  anderer  menschlicher  Unter- 
nehmungen wahrsagen:  sie  sind  also  einigermassen  Ursache. 
Auch  können  sie  auf  die  Teufel  wirken,  also  um  so  mehr 
auf  die  Menschen.  Denn  die  Mondsiichtigen  werden  zu  ge- 
wissen Zeiten  mehr  als  zu  andern  von  den  Dämonen  geplagt, 
was  nicht  der  Fall  wäre,  wenn  nicht  diese  selbst  vom  Monde 
belästigt  würden.  Die  Nigromantiker  beobachten  gewisse 
Constellationen,  um  die  Dämonen  anzurufen,  was  sie  nicht 
tliäten,  wenn  sie  nicht  wüssten,  dass  die  Dämonen  den  Him- 
melskörpern unterworfen  sind.  Dies  erhellt  auch  daraus,  dass 
nach  Augustinus  die  Dämonen  durch  gewisse  untergeordnete 
Körper  beeinflusst  werden,  als  Kräuter,  Steine,  Thiere,  ge- 
wisse Laute,  Wörter,  Figurationen.  Da  nun  die  Himmels- 
körper mächtiger  sind  als  diese  niedrigen  Körper,  um  so 
mehr  in  Beziehung  auf  die  Wirkungen  des  Teufels.  Und 
noch  mehr  sind  die  Zauberer  dem  Einflüsse  jener  Körper 
unterworfen.  ^ 

Hingegen:  Es  kann  unmöglich  eine  Wirkung  ohne  Ur- 
sache geben;  alles  was  von  neuem  angefangen  wird,  nuiss 
eine  bcstinnnte  Ursache  haben.  Der  Mensch  beginnt  zu  han- 
deln, zu  wollen,  indem  er  dazu  angeregt  wird  und  zwar  von 
aussen.  Der  Grund  von  allem  Guten  ist  Gott,  der  nicht  die 
Ursache  der  Sünde  ist;  von  allem  Bösen,  das  der  Mensch 
zr  thiin  und  zu  wollen  anfängt,  muss  es  auch  eine  äusser- 
liche  Ursache  geben,  die  keine  andere  sein  kann  als  der  Teufel^ 
und  zwar  besonders  bei  der  Hexerei.  Es  scheint  also,  dass 
der  böse  Wille  des  Teufels  die  Ursache  des  bösen  Willens 
besonders  bei  den  Zauberern  ist.  ^ 


1  S.  G5.         =  b.  GG.         '  S.  G7. 


3.    Der  Hexenhammer.  235 

Es  sind  drei  Dinge  im  Menschen  zu  erwägen :  die  Hand- 
lung des  Willens,  des  Verstandes,  des  Körpers,  deren  erstere 
unmittelbar  und  nur  von  Gott,  die  zweite  von  einem  Engel 
und  die  dritte  von  einem  Himmelskörper  gelenkt  wird.  ^ 
Es  kann  aber  geschehen,  dass  der  Mensch  die  Eingebung 
Gottes  zum  Guten  verachtet  sowie  die  Erleuchtung  durch 
den  Eusel,  und  von  der  Nei^ng  des  Leibes  dahin  geleitet 
wird,  wohin  er  auch  durch  den  Einfluss  der  Gestirne  hin- 
neigt, sodass  sowol  sein  Wille  als  sein  Verstand  von  der 
Bosheit  umhüllt  wird.  So  sagt  auch  Guilielmus  in  seinem 
Werke  „De  universo",  was  durch  Erfohrung  bestätigt  ist: 
wenn  eine  Hure  einen  Olivenbaum  pflanzt,  wird  dieser  nicht 
fruchtbar,  wol  aber  den  eine  Keusche  gepflanzt  hat.  ^ 

Von  den  Himmelskörpern  werden  die  Zaubereien  nicht 
verursacht.  ^  Aus  der  menschlichen  Bosheit  entspringen  sie 
auch  nicht.  ■*  Auch  nicht  Worte  in  Uebereinstimmung  mit 
der  Macht  der  Sterne  verursachen  Zaubereien.^ 

Der  Teufel  wird  die  Ursache  der  Sünde  genannt,  aber 
nur  unter  Zulassung  Gottes,  der  das  Böse  um  des  Guten 
wegen  zulässt.  Der  Teufel  disponirt  den  Menschen  durch 
Eingebung,  Ueberredung  und  äusserlich  durch  stärkern  Reiz. 
Denen  aber,  die  sich  ihm  ganz  ergeben  haben,  wie  die  Zau- 
berer, befiehlt  er,  und  braucht  sie  nicht  zu  reizen.  ^ 

W^ir  -überocehen  die  weitern  Erörterungen  dieses  Ab- 
Schnittes:  über  die  Einwirkungen  des  Mondes  auf  das  Gehirn, 
wie  die  Dämonen  durch  Gesänge,  Musik,  Kräuter  beinflusst 
werden,  von  den  Ligaturen  u.  s.  w. ;  nur  die  Bemerkung: 
David  vertrieb  den  bösen  Geist  nicht  durch  die  Macht  seiner 
Zither,  sondern  durch  das  Zeichen  des  Kreuzes,  das  durch 
das  Holz  und  die  ausgespannten  Seiten  gebildet  wurde.  Denn 
schon  damals  flohen  die  Dämonen  vor  dem  Kreuze.  "^ 

6.  Frage.     Von  den  Hexen,   die,  sich   dem  Teufel  er- 
geben haben. 

Nach  mehrern  berührten  Schwierigkeiten  dieser  Fraco 
werden  vornehmlich  zwei  aufgeworfen. 

1)  Warum  bei  dem  schwachen  Geschlechte,  dem  weib« 
liehen,  mehr  Hexerei  bctrofi'en  werde  als  dem  luännlichen? 


'  S.  73.         ■'  S.  74.         ''  S.  77.         '  ö.  80.         »  g,  §3.         g  g,  35. 
'  S.  90. 


2o6     Dritter  Abschnitt:   Periode  der  gcricLtliclien  Ilexenverfolguiig. 

Einige  Lehrer  sagen:  es  gibt  drei,  die  weder  im  Guten 
noch  im  Bösen  Mass  zu  halten  wissen:  die  Zunge,  der 
Geistliche  und  das  Weib.  *  —  Es  wird  über  die  Vielfältig- 
keit der  Zunge,  gute  und  schlechte  Geistliche  gesprochen, 
von  guten  Weibern,  dass  unter  dem  Tadel  der  Weiber 
fleischliche  Begierde  zu  verstehen  sei.^  Auch  andere  Griindc 
werden  angeführt,  warum  die  Weiber  der  Hexerei  mehr  er- 
geben sind:  a)  weil  sie  leichtgläubig  sind,  und  da  der  Teufel 
vornehmlich  den  Glauben  verdirbt,    so    greift   er  sie  gern  an. 

b)  Weil  sie  wegen  der  Flüssigkeit  (fluxibilitas)  ihrer  Com- 
plexion    für   Eingebungen    (revelationes)    empfänglicher    sind. 

c)  Weil  sie  eine  schlüpfrige  Zunge  haben  und  was  sie  un- 
rechtmässigerweise (mala  arte)  wissen,  ihren  Genossinnen 
nicht  verschweigen  und  sich,  da  sie  keine  Kraft  haben,  ge- 
heim mittels  Hexerei  rächen.^  Die  geringere  Gläubigkeit 
des  Weibes,  die  in  der  Schöpfungsgeschichte  sich  zeigt,  wird 
auch  auf  etymologischem  Wege  bewiesen:  „Dicitur  enim  foe- 
mina  a  fe  et  minus,  quia  semper  minorem  habet  et  servat 
fidem."  Das  Weib  zweifelt  von  Natur  aus  leichter  und  ver- 
leuirnet  früher  den  Glauben,  und  das  ist  die  Grundursache 
der  Hexen.  Gehandelt  wird  ferner  von  der  Eifersucht  und 
Ungeduld  der  Weiber,  dass  beinahe  alle  Keiche  durch  Wei- 
ber  zu  Grunde  gegangen,  ohne  die  Weiber  wäre  die  Welt 
ein  Verkehr  der  Götter,  u.  s.  w. 

2)  Welcherlei  Weiber  sind  vor  andern  dem  Aberglauben 
und  der  Hexerei  ergeben? 

Aus  dem  Vorhergehenden  erhellt,  dass  es  drei  Laster 
sind,  denen  die  Weiber  vornehmlich  ergeben  sind:  a)  Unglaube, 
b)  Ehrgeiz,  c)  Wollust,  und  zwar  letzterer  besonders.  In  dieser 
Beziehung  wird  in  der  Bulle  eine  siebenfache  Hexerei  ange- 
führt, wodurch  sie  1)  die  Gemüther  mit  ungezügelter  Liebe 
erfüllen  oder  mit  unbändigem  Hasse,  2)  die  Zeugungskraft 
verhindern,  3)  die  dazu  nöthigen  Glieder  beseitigen,  4)  die 
J^Ienschen  durch  ihre  Gaukelkunst  in  Thiergestalten  verwan- 
deln, 5)  bei  den  Weibern  die  Empfängnisskraft  zerstören, 
0)  Frühgeburt  verursachen,  7)  die  Kinder  dem  Teufel  dar- 
bringen, abgesehen  von  den  Thieren,  Feldfrüchten,  denen  sie 
verschiedenen  Schaden  zufügen.'* 

1  ö.  'Jl.         -  S.  Ö5.         »  S.  yO.         '  ö.  103. 


3.    Der  Ilexenhammer.  2o7 

7.  Frage.  Ob  die  Zauberer  die  Geiniither  der  Men- 
schen zur  Liebe  und  zum  Hasse  reizen  und  diese  inein- 
ander umwandeln  können? 
Der  Teufel  kann  die  innern  Gedanken  der  Menschen  nicht 
sehen.  Nicht  alle  unsere  bösen  Gedanken  werden  A-om  Teu- 
fel angeregt,  oft  tauchen  sie  aus  unserm  freien  Willen  auf.  ^  Der 
Teufel  ist  die  mittelbare  Ursache  aller  Sünden,  indem  er  den 
ersten  Menschen  zur  Sünde  verführte,  wodurch  sieh  die  Neiffunc: 
dazu  über  das  ganze  Geschlecht  verbreitete.  Unmittelbar  kann 
der  Teufel  durch  Ueberredung  wirken,  und  zwar  theils  un- 
sichtbarerweise, theils  sichtbar,  indem  er  den  Zauberern  in 
irgendeiner  Gestalt  erscheint.^  Innere  Kräfte  wirken  auf 
körperliche,  weil  es  in  der  Natur  des  Körperlichen  liegt,  durch 
Geistiges  bewegt  zu  werden.  Beweise  sind:  unsere  eigenen 
Leiber,  die  durch  Seelen  in  Bewegung  gesetzt  werden,  fer- 
ner die  Himmelskörper.  3  Hiernach  können  die  Dämonen 
durch  örtliche  Bewegung  den  Samen  sammeln,  denselben  ver- 
binden und  verwenden.  —  Erörteruno;  über  Erscheinungen, 
Träume,  die  Phantasie;  diese  wird  eine  Schatzkammer  aller 
Gestaltungen  genannt.*  Unter  Zulassung  Gottes  kann  der 
Teufel  verschiedene  Gestalten  aus  dieser  Schatzkammer  her- 
vorlocken \md  dadurch  verführen,  Liebe  und  Hass  erre- 
gen. Bei  der  Zauberei  verleiht  der  Teufel  den  Zauberern 
und  Hexen  in  Folge  des  Vertrags  dieses  Vermögen:  daraus 
erklärt  sich,  dass  Ehebrecher  oft  die  schönsten  Gattinnen  be- 
seitigen und  für  ganz  hässhche  Weiber  entbrennen.  Wir  ken- 
nen ein  altes  Weib,  das  hintereinander  drei  Aebte  eines  Klo- 
sters nicht  nvir  behexte,  sondern  sogar  tödtete  und  den  vierten 
auf  ähnliche  Weise  verrückt  machte.  Sie  gesteht  es  selbst 
und  scheut  sich  nicht  zu  sagen:  ich  habe  es  gethan  und  thue 
es,  und  sie  können  nicht  von  der  Liebe  zu  mir  ablassen,  weil 
sie  so  viel  von  meinem  Kothe  verzehrt  haben,  wobei  sie  die 
Quantität  mit  ihrem  Arme  anzeigt.  Ich  bekenne,  dass  sie 
noeli  vorhanden  ist  (setzt  Sprenger  hinzu),  weil  wir  noch 
nicht  ermächtigt  waren,  die  Sache  zu  untersuchen  und  Kache 
zu  üben.^  Der  Teufel  reizt  auf  unsichtbare  Weise  auch 
durch  Disposition,  er  macht  durch  Zureden  die  Flüssigkeiten 
geeignet  zur  Begierde  u.  dgl,^  —   Folgt  eine  Anweisung,  den 


'  S.  106.        2  s.  107.        ■'  S.  109.        »  S.  111.        5  S.  113.        «  S.  113. 


238     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexen  Verfolgung. 

abgeliaiulclten  Gegenstand   dem  Volke  in  Predigten  vorzutra- 
gen.^ —  Darstellung  der  Beweisgrinide.^ 

8.  Frage.  Ob  die  Zauberer  das  Zeugungsvermögen 
und  den  Beischlaf,  wie  es  in  der  Bulle  gesagt  wird,  ver- 
hindern? 

Da  die  Menschen  durch  verschiedene  Mittel  die  Zeugungs- 
kraft vernichten  können,  so  kann  es  der  Teufel,  der  mächtiger 
ist,  als  jene,  um  so  mehr.^  Gott  räumt  ihm  diese  Macht 
ein,  weil  in  diesem  Punkte  die  Verderbtheit  der  Menschen 
grösser  ist,  als  in  den  iibrigen  Handlungen.*  Aus  Petrus 
de  Palude  werden  fünf  Weisen,  durch  die  der  Teufel  die 
Berührung  der  Leiber  hindern  kann,  angegeben:  1)  indem  er 
sich  mit  seinem  angenommenen  Leibe  dazwischenlegt;  2)  in- 
dem er  geheime,  ihm  bekannte  Kräfte  von  Dingen  anwendet, 
wodurch  er  erhitzen  oder  erkalten  machen  kann;  3)  dass  er 
die  Einbildungskraft  so  einnimmt,  dass  das  Weib  verhasst  er- 
scheint; 4)  dass  er  das  membrum  virile  erschlaffen  lässt; 
5)  intercludcndo  vias  seminis  ne  ad  vasa  generationis  descen- 
dat,  vel  ne  ab  eis  recedat  etc.  ^ 

\et^  den  übrigen  Unflätereien,  die  als  Zweifel  vorgebracht 
wef  3n,  wollen  wir  vorbeigehen. 

9.  Frage.  Ob  die  Hexen  durch  teuflische  Künste  im 
Stande  seien ,  die  membra  virilia  wirklich  und  thatsächlich 
oder  nur  durch  gaukelhafte  Vorspiegelung  wegzuhexen? 

Es  ist  das  erstere  anzunehmen.  «^  Bei  der  Erörterung 
der  verschiedenen  Gaukeleien  des  Teufels,  womit  er  die  Men- 
schen betrügt,  wird  auch  erwähnt,  dass  der  Teufel  in  ange- 
nommener Gestalt  erscheinen  kann  und  so  als  etwas  gilt, 
was  er  eigentlich  doch  nicht  ist.  Zur  Bestätigung  dient  ein 
Beispiel  aus  Gregor  von  Tours  ^,  wonach  eine  Nonne  Salat 
ass,  der  aber,  wie  der  Teufel  selbst  bekannte,  nicht  wirklicher 
Salat,  sondern  der  Teufel  in  Form  des  Salates  war.« 

Nebenfrage:   Wie   kann  Bezauberung   von   natürlicher 

Impotenz  unterschieden  werden? 

Als  Merkmale   werden   angegeben:    1)    Es  sind   grössten- 

theils  Ehebrecher  und  Hurer,   denen  die  Impotenz  aus  Rache 

über  ihre  Treulosigkeit  angehext  wird;  2)  ist  die  angehexte 


1  S.  114.  2  s.  118.  3  s.  123.  "  S.  124.  *  S.  125. 

ß  S.  132.         ^  Dialog.  I.         "  S.  137. 


3.    Der  Hexenhammer.  239 

Impotenz  nicht  dauerhaft,    es  wäre  denn,    dass  sie  durch  die 
Hexe  nicht  wieder  beseitigt  werden  könnte. 

10.  Frage.     Ob   die  Hexen  durch  Gaukelei  die  Men- 
schen in  thierische  Gestalten  verwandeln? 

Eine  eigentliche  Verwandlung  eines  Geschöpfs  in  ein  an- 
deres kann  im  Grunde  nur  der  Schöpfer  selbst  bewirken.^ 
Der  Teufel  kann  aber  die  Phantasie  der  Menschen  täuschen, 
so  dass  sie  wirkliche  Thiere  zu  sehen  glauben.  ^  So  ver- 
wandelte Circe  die  Gefährten  des  Ulysses  nicht  in  wirkliche 
Schweine.^  Der  Teufel  kann  die  Sinne  täuschen.'*  Wenn 
eine  Thierverwandlung  stattzufinden  scheint,  so  ist  die  Er- 
scheinung Gaukelei,  oder  der  Teufel  steckt  selbst  in  dem  an- 
genommenen Körper  und  treibt  vor  dem  Menschen  sein 
Wesen.  ^ 

Nebenfrage.      Was    von    den  Wölfen    zu    halten    sei, 
welche   Menschen   angreifen    oder  Kinder   aus   der   AViege 
rauben  und  fressen,  ob  dies  auch  durch  Gaukelei  von  den 
Hexen  geschehe? 
Dies  geht  bisweilen  auf  natürliche  Weise  zu,  zuweilen  ist 
es  Gaukelei,   bisweilen  geschieht   es  durch  Hexen.     Bisweilen 
sind  es  natürliche  Wölfe    oder  andere  Bestien,    die   sich  dem 
Menschen    nahen,    bisweilen   sind    sie    von    Dämonen    Beses- 
sene, wie  die,  welche  die  40  Kinder  frassen,  die  den  Prophe- 
ten  Elisa   verhöhnt  hatten;   zuweilen   sind   es  Gaukeleien  der 
Hexen.  ^ 

11.  Frage.  Hebammen,  die  Hexen  sind,  vernichten 
die  Frucht  im  Mutterleibe  auf  verschiedene  Weise,  bewir- 
ken eine  Frühgeburt,  und  wo  sie  dies  nicht  thun,  da  ge- 
loben sie  die  geboruen  Kinder  dem  Teufel. 

So  behaupten  die  Kanonisten  und  Theologen;  es  ist 
noch  hinzuzufügen,  dass  die  Hexen,  als  Hebammen,  das  Kind 
auch  fressen.''  Es  sind  uns  Beispiele  bekannt,  dass  Hexen 
Kinder  fressen.  Hexen  haben  uns  selbst  bekannt,  dass  die 
Hebammen  dem  katholischen  Glauben  am  gefährlichsten  und 
schädlichsten  seien,  denn  wenn  sie  ein  Kind  nicht  umbringen, 
so  tragen  sie  es  aus  der  Stube  hinaus,  als  wenn   sie  ein  Ge^ 


1  S.  141.       ^  S.  143.        ^  S.  145.        "  S.  147.        '  S.  148.        «  S.  151, 
S.  151. 


240    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gericlitlichen  Ilexenvcrfolgung. 

scliäft    hätten,    heben    es  in  die  Höhe    und    bringen    es  dem 
Teufel  dar. 

12.  Frage.  Ob  die  göttliche  Zulassung  bei  der  Zau- 
berei nothwendig  sei? 

Obschon  Gott  das  Böse  nicht  will,  lässt  er  es  doch  zu, 
weiren  der  Vollkommenheit  des  Universum.  ^  Gott  kann 
durch  einzelne  Uebel  Gutes  hervorrufen,  so  durch  die  Hexerei 
die  Reinigung  der  Rechtgläubigen.^ 

Gott  konnte  der  Crcatur  nicht  Unsündhaftigkcit  verleihen, 
nicht  aus  Mangel  an  Macht,  sondern  wegen  der  UnvoUkom- 
menheit  der  Creatur.  Der  freie  Wille  im  Menschen  bringt 
es  mit  sich,  dass  der  Mensch  sündigen  könne.  ' 

13.  Frage.  Erklärung  der  doppelten  Zulassung  Gottes, 
nämlich:  l)eim  Siindigen  des  Teufels,  des  Urhebers  alles 
Bösen,  und  dem  Falle  der  ersten  Aeltern,  woraus  die 
göttliche  Zulassung  der  Zauberei  sich  ergibt.* 

14.  Frage  betrachtet  den  Ungeheuern  Greuel  der  Hexen, 
welcher  Gegenstand  ganz  gepredigt  zxi  werden  verdient. 

Die  Laster  der  Hexerei  übertreffen  alles  Böse,  was  Gott 
bisher  zugelassen  hat,  sowol  in  Betreff  der  Schuld  als  der 
Strafen  ^  sowol  wegen  Verleugnung  des  Gekreuzigten,  als  auch 
wegen  der  Neigung  zu  Abscheulichkeiten.  ^ 

Die  Sünde  ist  tmi  so  grösser,  je  weiter  sich  der  Mensch 
von  Gott  entfernt,  da  der  Unglaube  den  Menschen  am  weite- 
sten von  Gott  abbringt,  daher  ist  die  Hexerei  als  Ketzerei 
die  grösste  Sünde,  weil  das  ganze  Leben  eine  Sünde  wird. 

Die  Hexen  gehen  einen  Vertrag  mit  dem  Teufel  ein,  wer 
aber  bei  den  Dämonen  Hülfe  sucht,  fällt  vom  Glauben  ab. 
Denn  niemand  kann  zwei  Herrn  dienen. '^ 

Die  Hexen  verdienen  grössere  Strafe  als  alle  andern 
Lasterhaften.^  Die  Strafe  der  Ketzer  ist  Kirchenbann,  Ein- 
ziehung des  Vermöo-ens  inid  Lebensstrafe.  Jene  sind  härter 
zu  bestrafen  als  Ketzer,  weil  sie  auch  Apostaten  sind,  und  noch 
mehr,  weil  sie  nicht  aus  Menschenfurcht  oder  Fleischeslust  den 
Glauben    ableugnen,    sondern   überdies    dem   Teufel    huldigen 


1  >S.  157.  ^  S.  161.  2  S.  1G4.  ^  S.  165.  *  S.  172. 

•^  S.  176.  '  S.  179.  «  S.  181. 


3.    Der  Hexenhammer.  241 

und  mit  Leib  und  Seele  sich  ergeben.  Daher  sie  nicht  wie 
bekehrte  Ketzer  mit  immerwährendem  Gefängniss,  sondern 
mit  dem  Tode  zu  bestrafen  sind,  und  zwar  schon  wegen  des 
Schadens,  den  sie  anrichten,  sowol  den  Menschen  als  dem 
Vieh.i 

15.  Frage  erklärt,  wie  unschädliche  Leute  bisweilen 
wegen  der  Siinden  der  Hexen,  bisweilen  auch  um  ihrer 
eigenen  Slinden  willen  behext  werden. 

Es  möge  niemand  befremden,  wenn  sonst  unschädliche 
Leute  ATCgen  der  Sünden  der  Hexen  bestraft  werden,  ist 
ja  auch  der  Sohn  David's,  der  im  Ehebruche  erzeugt  worden, 
frühzeitig  gestorben.^  —  Ausser  andern  Beispielen  wird  avicli 
angeführt,  wie  die  Pest  eine  Menge  Volks  hinwegraflfte ,  weil 
es  David  hatte  zählen  lassen.  Einer  muss  für  alle  und  alle 
für  einen  leiden,  zum  Beweise,  welch  ein  Greuel  eine  solche 
Sünde  sei,  und  zur  Warnung,  nicht  zu  sündigen,  und  um  Ab- 
scheu davor  zu  erregen.^ 

16.  Frage  erklärt  die  Wahrheit  der  frühern  Erörte- 
runo;  durch  Yerci;leichung  der  Hexerei  mit  andern  Arten 
von  Aberglauben. 

Es  sind  14  Arten  von  Aberglauben,  die  theils  mit  Hülfe 
des  Teufels,  theils  ohne  ihn  verübt  werden.* 

Es  werden  alle  möglichen  Arten  von  Mantie  aufgezählt, 
als:  Nigromantie,  Geomantie,  Hydromantie,  Aeromantie,  Pyro- 
mantie  und  alle  Sorten  von  Wahrsagerei.  Alle  solche 
Künste,  die  selbst  mit  Anrufung  des  Teufels  geübt  werden, 
sind  nicht  zu  vergleichen  mit  der  Zauberei  der  Hexen,  da  jene 
es  nicht  auf  die  Beschädigung  der  Menschen,  des  Viehs  und 
der  Feldfrüchte  abgesehen  haben ,  sondern  nur  auf  das  Vor- 
herwissen der  Zukunft.^ 

17.  Frage  erklärt  die  14.  Frage,  im  Vergleich  der 
Schwere   des  Verbrechens    mit   den  Sünden  der  Dämonen. 

DieGrösse  jenes  Verbrechens  der  Zauberei  ist  so  ungeheuer, 
dass  sie  die  Sünden  und  den  Fall  der  bösen  Engel  übersteigt, 
und  der  Grösse  der  Verschuldung  muss  auch  die  Grösse  der 
Strafe  entsprechen.*'  Obschon  die  Sünde  des  Teufels  unver- 
zeihlich ist  und  zwar  nicht  wegen  der  Grösse  des  Verbrechens, 


1  S.  182.       •'  S.  183.       3  S.  184.      *  S.  189.      ^  s.  195.         "  S.  19G. 

Boskoff,  Geschichte  üca  Teufels.    II  16 


242    Dritter  Al)scbnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Ilexenverfolgung. 

da  der  Teufel  nur  im  Stande  der  Natürlichkeit,  nicht  im 
Stande  der  Gnaden  erschaffen  ist;  so  simdigen  die  Hexen  weit 
schwerer  als  der  Teufel,  weil  sie  aus  der  Gnade  fallen,  indem 
sie  den  Glauben  ableugnen,  den  sie  in  der  Taufe  angenommen 
haben.  ^  Die  Verschuldung  des  Teufels  ist  viel  kleiner  als 
die  der  Hexen,  weil  vor  jenem  noch  keine  Bestrafung  eines 
Vergehens,  die  er  missachtet  oder  gefürchtet  hätte,  stattge- 
funden hat;  die  Hexen  aber  haben  so  viele  Strafen,  die  an- 
dere Hexen  vorher  getragen,  ja  kirchliche  Strafen,  die  sie  selbst 
betroffen  haben,  die  Strafe  des  Teufels  bei  Gelegenheit  seines 
Falls,  zur  Warnung.  Sie  verachten  jedoch  alles  dieses  luid  be- 
gehen nicht  die  kleinsten  Todsünden  wie  die  übrigen  Sünder 
aus  Schwäche  oder  Bosheit,  die  aber  nicht  zur  Gewohnheit 
geworden  ist,  sondern  die  Hexen  sündigen  aus  tiefster  Bos- 
heit des  Herzens  und  sind  den  schrecklichsten  Lastern  er- 
geben.^ 

Der  Teufel,  der  einmal  aus  dem  Stande  der  Unschuld  ge- 
fallen, ist  niemals  restituirt  worden.  Der  Sünder  ist  aber 
durch  die  Taufe  in  den  Stand  der  Unschuld  restituirt  worden, 
aber  wieder  herausgefallen  und  tief  gesunken.  Insbesondere 
aber  die  Hexen,  wie  deren  Laster  beweisen.  Der  Teufel  sün- 
digte blos  gegen  den  Schöpfer,  wir  aber,  und  vornehmlich  die 
Hexen,  sündigen  gegen  den  Schöpfer  und  Erlöser.  ^ 

18.  Frage.  Die  Art  zu  predigen  gegen  die  fünf  Be- 
weise der  Laien,  durch  die  sie  zeigen  wollen,  dass  Gott 
dem  Teufel  und  den  Zauberern  keine  so  grosse  Macht  ver- 
leihe, um  solche  Bezauberungen  anzuthun. 

Ein  Prediger  muss  vorsichtig  sein  gegeniiber  gewissen 
Beweisgründen  der  Laien  oder  auch  mancher  Sachverständi- 
ger, die  insofern  das  Dasein  der  Hexen  leugnen,  dass  sie 
zwar  die  Bosheit  und  Macht  des  Teufels,  aus  eigenem  Triebe 
derlei  Uebel  zuzufügen,  anerkennen,  aber  die  göttliche  Zulas- 
sung, und  dass  sie  wirklich  zugefügt  werden,  leugnen. 

Die  Beweisgründe,  dass  Gott  es  nicht  zulasse,  dass  es 
also  auch  keine  Hexerei  in  der  Welt  gebe,  sind  fünffach: 
1)  Gott  kann  den  Menschen  seiner  Sünden  wegen  strafen  und 
straft  ihn  auch  mit  dem  Schwerte,  Hunger,  Sterblichkeit,  mit 


1  S.  196.         2  S.  197.         3  y.  197. 


3.   Der  Hexentammer.  243 

unzähligen  und  verschiedenen  Krankheiten,  daher  er  nicht 
nöthig  hat,  noch  andere  Strafen  hinzuzufügen,  und  sie  also 
auch  nicht  zulässt.  ^  2)  Wenn  es  wahr  wäre,  dass  der  Teufel 
die  Zeugungskraft  verhindern  oder  bewirken  könne,  dass  ein 
Weib  nicht  empfange  und,  wenn  sie  empfängt,  abortire,  oder 
das  Geborene  tödten  könne,  so  würde  er  die  ganze  Welt  ver- 
nichten, und  die  Wirksamkeit  des  Teufels  wäre  grösser  als 
das  Werk  Gottes,  das  Sakrament  der  Ehe.  3)  Gebe  es  Hexe- 
rei, so  müssten  einige  Menschen  um  ihrer  Sünden  willen  vor 
andern  behext  werden,  sonach  die  grössern  Sünder  mehr  be- 
straft werden;  dies  ist  aber  falsch,  wie  man  bisweilen  au 
rechtschaffenen  Menschen  und  an  unschuldigen  Kindern  sieht, 
die  für  behext  av;sgegeben  werden.  4)  Wenn  jemand  etwas 
verhindern  kann,  es  aber  nicht  thut,  so  ist  anzunehmen,  dass 
es  mit  seinem  Willen  geschehe.  Da  Gott  im  höchsten  Masse 
gut  ist,  kann  er  das  Böse  nicht  wollen,  kann  also  auch  nicht 
zulassen,  dass  es  geschehe,  da  er  es  verhindern  kann.  5)  Die 
Prediger,  welche  gegen  die  Hexen  predigen,  und  die  Richter, 
die  gegen  sie  vorgehen,  würden  wegen  des  Zornes  der  Hexen 
niemals  vor  diesen  sicher  sein.  —  Die  Gründe  dagegen  sind 
aus  der  1.  Frao;e  dieses  ersten  Theils  zu  nehmen  und  ist  dem 
Volke  zu  zeigen:  dass  Gott  das  Böse  zwar  zulasse,  aber  nicht 
wolle,  und  zwar  lasse  er  es  zu  wegen  der  Vollkommenheit 
des  Ganzen.^  Es  wäre  der  göttlichen  Weisheit  nicht  an- 
gemessen, die  Bosheit  des  Teufels  ganz  zu  hindern,  vielmehr 
ist  es  gemäss,  sie  zuzulassen,  soweit  sie  zur  Vollkommenheit 
des  Ganzen  nothwendig  ist,  obschon  sie  stets  durch  gute  En- 
gel beschränkt  wird,  dass  nicht  so  grosser  Schaden  gestiftet 
werde,  als  der  Teufel  möchte.  Ebenso  wird  der  böse  Mensch 
nicht  gehindert,  aus  freiem  Willen  zu  handeln,  nämlich  den 
Glauben  zu  verleugnen,  sich  dem  Teufel  zu  ergeben.  Gott 
selbst,  durch  beides  am  meisten  beleidigt,  lässt  doch  die  Hexe 
thun,  was  sie  will,  den  Glauben  verleugnen,  sich  dem  Teufel 
ergeben,  den  Thieren  und  Früchten  schaden.^  Durch  das 
Böse,  was  der  Teufel  mittels  der  Hexen  anrichtet,  wird  jener 
am  meisten  gequält,  da  es  gegen  seinen  Willen  zur  Ehre  des 
göttlichen  Namens,  zur  Förderung  des  Glaubens,  zur  Läute- 
rung   der  Auserwählten    und    zur   Häufung   von  Verdiensten 

'  S.  200.         2  s_  202.         3  S.  203. 

IG* 


244    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gcrichtlicheu  Ilexenvcrfolgung. 

ffereichen  miiss.  Der  Teufel  und  seine  Wirksamkeit  ist  nicht 
grösser  als  die  göttliche  Macht,  da  er  ohne  göttliche  Zulas- 
sung nichts  vermag.  Dass  die  Hexen  das  Zeugungsvermö- 
gen und  den  Beischlaf  hindern  können,  erklärt  sich  aus  der 
Erbsiinde,  die  sich  von  der  Schidd  der  ersten  Aeltern  herleitet 
und  durch  jenen  Act  fortgepflanzt  wird.^  Der  Teufel  ver- 
sucht lieber  die  guten  als  die  bösen  Menschen,  weil  er 
diese  ohnehin  schon  besitzt,  jene  aber  erst  unter  seine  Herr- 
schaft zu  bi'ingen  trachten  muss.  ^ 

Zum  Schlüsse  des  ersten  Theiles  wird  noch  die  Ant- 
wort gegeben  auf  die  Fragen:  1)  warum  die  Hexen  nicht  reich 
werden  ? 

Weil  sie  dem  Teufel  zu  Gefallen  und  zur  Schande  Got- 
tes um  den  bilho-sten  Preis  zu  haben  sind  und  nicht  durch 
Reichthum  auffallen  wollen. 

2)  Warum  sie  ihren  Feinden  nicht  schaden? 

Weil  ein  guter  Engel  zur  Seite  steht,  der  die  Hexerei 
verhindert.  ^ 

Der  zweite  Theil  des  „Hexenhammers"  enthält  2  Fragen : 

1.  Fraofe.     Wem  kann  ein  Zauberer  nicht  schaden?  — 
wird  in  16  Kapiteln  erörtert. 

2.  Frage.     Wie    ist  die  Hexerei  aufzuheben,    und  wie 
sind  die  Behexten  zu  heilen?  —  in  8  Kapiteln. 

1.  Frage    handelt    zunächst    von    den   Präservativmitteln. 

Gute  Engel  gewähren  nicht  immer  Schutz  gegen  Hexerei, 
denn  es  ist  schon  gezeigt  worden,  dass  selbst  unschuldige 
Kinder  derselben  ausgesetzt  sind,  und  dass  fromme  Menschen 
vielfach  von  Dämonen  zu  leiden  haben,  wie  z.  B.  Hiob. 

Drei  Arten  von  Menschen  sind  vor  Hexerei  sicher  durch 
Gottes  Segen: 

1)  Die  Gerichtspersonen,  die  wider  sie  das  Recht  pflegen. 

2)  Die  Geistlichen,  die  durch  den  Gebrauch  der  kirch- 
lichen Mittel,  als:  Besprengen  mit  AVeihwasser,  durch 
Nehmen  geweihten  Salzes ,  durch  den  Gebrauch  zu 
Maria  Reinigung  geweihter  Kerzen  und  der  am  Palm- 
sonntag geweihten  Zweige  sich  verwahrt  haben,  womit 
die  Kirche  exorcisirt,  um  die  Macht  des  Teufels  zu 
mindern. 


1  S.  204.        =  S.  205.         3  s.  209. 


3.    Der  Hexenbammer.  245 

3)  Die   durch    heilige  Engel    auf   verschiedene    unzählige 
Weisen  ganz  besonders  begi'instigt  sind.  ^ 

In  Bezu«:  auf  die  obrio^keitlichen  Personen  wird  durch 
eine  Reihe  von  Thatsachen  der  Beweis  geliefert,  dass  sie  be- 
sonders geschützt  wenlen,  da  alle  Obrigkeit  von  Gott  ist.  Die 
Ki'inste  der  Hexen  versagen,  wenn  diese  von  der  Obrigkeit 
eingefangeu  sind.     Dazu  Beispiele  ^. 

Bestätigende  Thatsachen  aus  der  Praxis  der  Inquisitoren 
von  dem  Schutze  des  Weihwassers  ^,  geweihter  Kerzen,  gewis- 
ser Kräuter,  des  geweihten  Salzes.'*  Es  wird  bemerkt,  dass 
manche,  aber  nicht  alle  durch  heilige  Engel  gegen  Hexerei 
geschützt  werden,  dass  vornehmlich  bei  einigen  ihre  Keusch- 
heit des  besondern  Schutzes  sich  erfreut.  ^  Als  Beispiele  werden 
angeführt  der  heilige  Serenus  ^,  der  heilige  Equitius,  der  von 
einem  Engel  castrirt  wird. ''  Der  heilige  Hellas,  der  300  Non- 
nen um  sich  versammelt  hatte,  w-urde  in  der  Einode,  in  die 
er  sich  gefliichtet  hatte,  auf  die  angegebene  Weise  operirt, 
worauf  er  zu  den  trauernden  Frauenzimmern  (ad  lugentes  foe- 
minas  rediit)  zurückkehrte  und  noch  40  Jahre  unter  ihnen 
fortlebte.  —  Der  heilige  Thomas  des  Dominicanerordens  erhält 
von  heiligen  Engeln  einen  Keuschheitsgürtel.'* 

Erstes  Kapitel.  Von  den  verschiedenen  Weisen,  wo- 
durch die  Teufel  mittels  der  Hexen  die  Unschuldigen  an  sich 
ziehen  zur  Förderung  des  Unglaubens. 

Erste  Weise:  durch  Verdruss  über  erlittenen  zeitlichen  Ver- 
lust. Der  Teufel  lässt  ihnen  durch  die  Hexen  so  viel  Schaden 
zufügen,  bis  die  Beschädigten  sich  gleichsam  genöthigt  sehen, 
sich  bei  den  Hexen  liaths  zu  erholen,  denselben  sich  unter- 
werfen und  schliesslich  selbst  die  Hexerei  lernen.  —  Mehrere 
Beispiele,  wo  Weiber  wegen  Behexung  der  Hausthiere,  der 
Milch  u.  dgl.  sich  an  Hexen  gewendet  haben.  '■*  Die  Ilexen- 
richter  erfuhren,  dass  die  Hexen  für  die  Enthexung  nach  der 
Aussage  der  Inquisiten  oft  nur  Geringfügiges  zu  leisten  ge- 
habt, womit  zugleich  die  Einweihung  in  die  Hexerei  zu  be- 
ginnen pflegt,  als:  bei  Erhebung  des  Venerabile  auf  die  Erde 
spucken,   die   Augen  schliessen,   gewisse  Wörter  sagen,  z.  B. 


1  S.  212.       2  S.  211.       3  s.  215.       *  S.  21(].       ^  S.  220.      «  S.  221. 
ö.  222.         s  S.  223.         "  ö.  229. 


24G    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlicben  Hexcnverfolgung. 

während  der  Priester  das  Volk  segnet  mit  den  Worten :  „Do- 
minus vobiscum",  beizufügen:  „vulgari  sermone  kehr  mir  die 
Zunge  im  Arss  umb"  u.  dgl.  ^ 

Die  zweite  Weise  ist  durch  Aufreizung  zur  sinnlichen 
Wollust.  Folgen  Beispiele,  dass  der  Teufel  besonders  gerne 
fromme  Jungfrauen  und  Mädchen  zu  verführen  beflissen  ist. 

Dritte  Weise  durch  Traurigkeit  und  Armuth,  beson- 
ders bei  verführten,  von  ihren  Liebhabern  verlassenen  Mäd- 
chen, die  sich  aus  Rache  der  Hexerei  ergeben.  Folgen  Bei- 
spiele. ^ 

Zweites  Kapitel.  Von  der  Weise,  die  Hexenprofession 
(Hexenhandwerk)  zu  betreiben. 

Das  Hexenhandwerk  beruht  auf  einem  Bündniss  mit  dem 
Teufel  und  wird  auf  verschiedene  Weise  ausgeübt.  Es  gibt 
drei  Sorten  von  Hexen:  1)  solche,  die  beschädigen,  aber  nicht 
wieder  helfen  können.  2)  Helfende,  die  kraft  eines  besondern 
Uebereinkommens  mit  dem  Teufel  nicht  schaden.  3)  Schädi- 
gende, die  aber  wieder  helfen  können.  Unter  den  Schädigen- 
den sind  vornehmlich  herauszuheben  diejenigen,  welche  Kinder 
zu  fressen  pflegen^,  die  auch  anderwärtigen  unzähligen  Scha- 
den anrichten,  Hagel,  Sturmwinde  und  Gewitter  hervorbringen, 
Menschen  und  Thiere  unfruchtbar  machen,  imd  die  Kinder, 
die  sie  nicht  selbst  fressen,  dem  Teufel  opfern  oder  sonstwie 
umbringen.  Dies  bezieht  sich  aber  nur  auf  die  ungetauften 
Kinder,  die  getauften  fressen  sie  nur  unter  Gottes  Zulassung. 
Sie  pflegen  auch  Kinder,  die  sich  beim  Wasser  aufhalten,  un- 
gesehen in  Gegenwart  der  Aeltern  hineinzuwerfen,  Pferde  unter 
den  Reitern  scheu  zu  machen,  sie  fliegen  von  Ort  zu  Ort  durch 
die  Lüfte,  entweder  leiblich  oder  in  der  Einbildung,  kön- 
nen die  Gemüther  der  Richter  und  Vorsitzer  für  sich  umstim- 
men, dass  diese  ihnen  nicht  zu  schaden  vermögen,  können  sich 
und  andere  während  der  Folter  verschwiegen  machen,  wissen 
die  Hände  und  Herzen  der  Häscher  vor  Furcht  zittern  zu 
machen,  manches  Zukünftige  mittels  Ofi'enbarung  des  Teufels 
andern  vorherzusagen  und  Verborgenes  zu  ofienbaren.  Sie 
sehen  das  Abwesende,  als  ob  es  gegenwärtig  wäre,  können 
unbändige  Liebe  oder  eben  solchen  Hass  in  den  Gemüthern 
hervorbringen,    wenn    sie  wollen,    Menschen    oder  Vieh    vom 


>  S.  230.         2  S.  233  fg.         ^  S.  236. 


3.   Der  Hexenhamraer.  247 

Blitze  tödten  lassen,  die  Zeugungskraft  oder  das  Begattuugs- 
vermögen  nehmen,  Frühgeburten  bewii-ken,  die  Kinder  im 
Mutterleibe  durch  blosse  Berührung  der  Schwangern  umbrin- 
gen, durch  blossen  Anblick  Menschen  und  Vieh  behexen  und 
tödten,  ihre  eigenen  Kinder  dem  Teufel  opfern,  kurz  alles 
Böse  allein  verüben,  wenn  Gottes  Gerechtigkeit  es  zulässt. 
Allen  ist  aber  gemein,  mit  dem  Teufel  abscheuliche  Unzucht 
zu  treiben.^ 

Die  Art,  das  Bündniss  mit  dem  Teufel  zu  schliessen,  ist 
doppelt:  die  eine  feierlich,  die  andere  ein  Privatvertrag,  der 
zu  jeder  Stunde  eingegangen  werden  kann.  Ein  feierlicher 
Vertrag  wird  geschlossen,  wenn  die  Hexen  sich  zu  einer  ge- 
wissen Versammlung  an  einem  bestimmten  Tage  einfinden,  wo 
sie  den  Teufel  in  angenommener  Menschengestalt  sehen,  der 
sie  zur  Treue  oreo;en  ihn  ermahnt  und  ihnen  dafür  zeitliches 
Glück  und  ein  langes  Leben  verspricht,  worauf  die  Hexen  die 
aufzunehmende  Novize  vorschlagen.  Findet  der  Teufel  diese 
willig,  den  christlichen  Glauben  zu  verleugnen,  der  dicken 
Frau,  wie  sie  die  heilige  Jungfrau  Maria  nennen,  und  den 
heiligen  Sakramenten  zu  entsagen,  dann  reicht  ihr  der  Teufel 
die  Hand,  und  sie  geloben  sich  Treue.  Nach  dem  Gelöbniss 
verlangt  aber  der  Teufel  noch  überdies  die  Huldigung  (Ho- 
magium),  die  darin  besteht,  dass  der  oder  die  Neuaufgenom- 
mene ihm  mit  Leib  und  Seele  für  ewig  anzugehören  sich 
verpflichtet  und  ihm  nach  Möglichkeit  auch  andere  beiderlei 
Geschlechts  zuzuführen  verspricht.  Schliesslich  gebietet  ihnen 
der  Teufel,  gewisse  Salben  aus  den  Knochen  und  Gliedern, 
vornehmlich  von  getaviften  Kindern,  zu  bereiten,  durch  welche 
sie  mittels  seiner  Hülfe  alles  was  sie  wollen  bewirken  kön- 
nen sollen.^  —  Wird  durch  Beispiele  aus  der  Praxis  der  In- 
quisiten  bestätigt. 

Zur  Erläuterung  der  zu  leistenden  Huldigung  ist  zu  be- 
merken, warum  und  wie  verschieden  diese  geschieht.  Denn 
obschon  der  Teufel  vornehmlich  fordert,  die  Majestät  Gottes 
zu  beleidigen,  seine  ihm  gehörige  Creatur  an  sich  zu  reissen, 
um  deren  künftiger  Verdammung  gewiss  zu  sein,  an  der 
ihm  besonders  gelegen  ist;   so   haben  wir   doch   oft  gefunden, 


S.  236  fg.         -  S.  238. 


248    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

dass  diese  Huldigung  sammt  dem  Gelöbniss  nur  auf  gewisse 
Jahre  geleistet  worden  ist.  Das  Gelöbniss  bezieht  sich  auch 
entweder  auf  gänzliche  oder  nur  theilweise  Ableugnuug  des 
Glaubens.  Bei  letzterer  sind  gewisse,  den  Gesetzen  der  Kirche 
zuwiderlaufende  Gebräuche  zu  beobachten,  wie:  Sonntags  zu 
fasten,  am  Freitage  Fleisch  zu  essen,  gewisse  Verbrechen  in 
der  Beichte  zu  verschweigen  u.  dgl.  m.  Die  Huldigung  selbst 
besteht  in  der  Uebergabe  des  Leibes  und  der  Seele.  ^ 

Da  nur  Gott,  aber  nicht  der  Teufel  das  Innerste  des  Her- 
zens der  Menschen  kennt,  dieser  durch  Vermuthungen  zu  der 
Kenntniss  gelangt,  so  sucht  der  schlaue  Feind  eine  Novize, 
die  er  beim  Angriffe  schwierig  findet,  durch  Schmeicheleien 
zu  gewinnen,  indem  er  sie  zunächst  zu  Geringem  und  allmählich 
zu  Grösserm  zu  verleiten  sucht.  Der  Teufel  bestimmt  eine 
gewisse  Anzahl  von  Jahren,  um  zu  erforschen,  ob  sie  ihm  mit 
Leib  und  Seele  ergeben  sei.  Merkt  er  innerhalb  dieses  Zeit- 
raums, dass  die  Novize  ihm  nur  mit  dem  Munde,  nicht  auch 
mit  dem  Herzen  ergeben,  dass  ilir  durch  Vermittelung  eines 
guten  Engels  die  göttliche  Barmherzigkeit  günstig  sei,  so 
verwirft  er  sie  und  sucht  sie  zeitlichen  Unglücksfällen  aus- 
zusetzen, dass  sie  aus  Verzweiflung  seine  Beute  wird.-  Alle 
Hexen,  die  wir  verbrennen  Hessen,  gestanden,  dass  sie  durch 
Plagen  und  Prügel  vom  Teufel  zum  Hexen  gezwungen  wur- 
den, was  ihre  geschwollenen  und  bläulichen  Gesichter  bestä- 
tigten, und  ebenso,  dass  sie  nach  dem  abgefolterten  Bekennt- 
niss  sich  selbst  zu  entleiben  suchtön,  und  zwar  auf  Einjxe- 
bung  des  bösen  Feindes,  damit  sie  nicht  durch  Busse  mid 
Beichte  die  göttliche  Gnade  erlangen.  Die  ihm  nicht  v/illfährig 
waren,  sucht  er  schliesslich  durch  Sinnenverwirrung  und  einen 
schrecklichen  Tod  zur  Verzweiflung  zu  bringen.  ^  Durch  eine 
gewisse  Waltpurgis,  die  wegen  der  Hexerei  der  Verschwiegen- 
heit besonders  merkwiirdig  war,  ist  bekannt  geworden,  dass 
die  Hexen  diese  hartnäckige  Verschwiegenheit  während  der 
Tortur  mittels  eines  erstgeborenen  Knäbleins,  das  im  Ofen 
gekocht  wird,  sich  verschaffen.* 

Die  Teufel  können  verborgene  und  zukünftige  Dinge  wis- 
sen.   1)  Sie  sind  von  Natur  scharfsinnig  in  Bezug  auf  mensch- 


•  S.  243.         -  S.  244.         '  S.  245.         *  S.  246. 


3.    Der  Hexenhammer.  249 

liehe  Handlungen,  aus  denen  sie  ohne  Rede  die  Gedanken 
abmerken.  2)  Aus  langer  Erfahrung  und  durch  Ofi'enbarung 
höherer  Geister  wissen  sie  mehr  als  M'ir.  3)  Infolge  der 
schnellen  Bewegung  können  sie,  was  im  Oriente  vorgeht,  im 
Occidente  vorher  wissen.  4)  Sie  können  mit  Gottes  Zulas- 
sung Krankheiten  herbeiziehen,  die  Luft  vergiften,  Hungers- 
noth  bewirken  und  dieselbe  vorhersagen.  5)  Sie  können 
durch  Zeichen  den  Tod  sicherer  vorhersagen  als  der  Arzt 
durch  den  Urin  und  den  Puls.  6)  Weü  sie  aus  äussern  Zei- 
chen auf  das,  was  der  Mensch  in  der  Seele  hat  oder  haben 
wird,  besser  schliessen,  als  der  kliigste  Mann.  7)  Weil  sie 
die  Thaten  und  Schriften  der  Prof)heten  besser  als  die  Men- 
schen kennen,  und  da  von  jenen  die  zukünftigen  Dinge  ab- 
hängen, können  sie  viel  davon  vorhersagen.  Daher  es  nicht 
zu  wundern  ist,  wenn  der  Teufel  das  Lebensende  des  Menschen 
weiss,  besonders  wenn  es  durch  Yerbreununo:  herbeioreführt 
wird,  die  er  selbst  verursacht.  ^  —  Folgen  Beispiele. 

Drittes  Kapitel.  Von  der  Art,  wie  die  Hexen  von 
einem  Ort  zum  andern  fahren. 

Wenn  von  einigen  gesagt  wurde,  die  Hexenflihrten  ge- 
schehen nur  in  verschrobener  Phantasie,  so  ist  diese  Meinuno- 
als  ketzerisch  zu  verwerfen ;  sie  ist  gegen  den  Sinn  der  Heiligen 
Schrift  und  gereicht  der  heiligen  Kirche  zu  imerträglichem  Scha- 
den, da  ihr  zufolge  viele  Jahre  hindurch  der  weltliche  Arm  ver- 
hindert wurde,  solche  Hexenleute  zu  bestrafen,  dass  sie  zu  einer 
solchen  Menge  herangewachsen  sind,  und  ihre  Ausrottung  nicht 
mehr  möglich  ist.  Dass  die  Hexenfahrten  leiblich  geschehen, 
wird  auf  verschiedene  Weise  bewiesen.  Wäre  dies  nicht  mög- 
lich, so  müsste  es  Gott  entweder  nicht  zulassen,  oder  der 
Teufel  es  zu  bewirken  nicht  im  Stande  sein ;  allein  wo  grössere 
Dinge  durch  Gottes  Zulassung  vor  sich  gehen,  da  können  auch 
kleinere  geschehen;  Grösseres  ist  aber  an  Kindern  und  Er- 
Avachsenen  oft  geschehen,  die  durch  den  Teufel  von  einem 
Orte  zum  andern  gebracht  worden  sind.^  Den  Beweis  o-eben 
die  Wechselkinder  (Kielkröpfe).  Mit  Gottes  Zulassung 
schafft  der  Teufel  ein  Kind  anstatt  des  andern  herbei.  Solche 
Wechselkinder  heulen  beständig,  nehmen  nicht  zu  und  wenn  vier 
bis  fünf  sie  säugten,  sind  aber  ausserordentlich  schwer.  Solches 

1  S.  247.         ■  S.  251. 


250    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

erlaubt  Gott  wegen  der  Sünde  der  Aeltern.  —  Kommen  Bei- 
spiele, wo  erwachsene  Leute  durch  den  Teufel  weggefiihrt 
werden.  ^  Die  Magier,  welche  Nigromantici  hei.ssen,  werden 
oft  vom  Teufel  in  die  weiteste  Ferne  geführt.  Ein  Schüler 
wird  von  einem  zu  veranstaltenden  Biergelage  durch  den 
Teufel  we2;Gi;ef ührt.  ^  Auch  schlafend  können  Leute  wefjge- 
führt  werden,  so  die  Nachtwandler.  Die  Teufel  sind  viel- 
fach unterschieden:  Einige,  aus  der  niedrigem  Ordnung  der 
Engel,  können  niemand  schaden,  sondern  üben  blos  Necke- 
reien. Andere  sind  Licuben  und  Succuben,  welche  die  Men- 
schen durch  Unzucht  verunreinigen;  noch  andere  sind  so  wii- 
thend,  dass  sie  die  menschlichen  Leiber  in  Besitz  nehmen, 
durch  Verzerrungen  quälen,  auch  bisweilen  umbringen.  ^  Man 
darf  also  nicht  sagen,  dass  die  Hexen  nicht  leiblich  fortgefiihrt 
werden.  Hat  nicht  der  Teufel  unsern  Erlöser  fortgefidnt? 
Die  natürliche  Kraft  des  Teufels  übersteigt  alle  körperlichen 
Dinge,  ihr  ist  keine  irdische  Kraft  zu  vergleichen,  selbst  die 
der  guten  Engel  ist  nicht  grösser;  obschon  er  alles  über- 
windet, so  zieht  er  doch  gegenüber  den  Verdiensten  der  Hei- 
ligen den  kiirzern.  ■* 

Die  Vorbereitung  zur  Hexenfahrt  ist  diese:  nach  Anwei- 
sung des  Teufels  bereiten  sie  aus  den  Gliedern  von  Kindern, 
die  vor  der  Taufe  von  ihnen  getödtet  worden,  eine  Salbe,  mit 
der  sie  einen  Sitz  oder  ein  Holz  bestreichen,  worauf  sie  sofort 
in  die  Luft  geführt  werden ,  und  zwar  sowol  des  Tags  als  bei 
Nacht,  sichtbarer-  oder  unsichtbarerweise,  wie  sie  wollen.* 
Der  Teufel  kann  aber  auch  bewirken,  dass  die  Hexen  ohne  die 
Salbe  auf  Thieren,  die  eigentlich  keine  wirklichen  Thiere  sind, 
sondern  Dämonen  in  solcher  Gestalt,  ja  selbst  ohne  alle  äus- 
sere Mittel  sichtbar  ausfahren  können.  *'  Wird  durch  Beispiele 
erhärtet  zur  Widerlegung  derjenigen,  welche  diese  Hexen- 
fuhrten  ganz  leugnen  oder  flir  blosse  Einbildung  und  Hirn- 
gesj^inste  ausgeben.  Es  hätte  nichts  zu  bedeuten,  wenn  die- 
jenigen, welche  alle  Zauberei  der  Hexen,  deren  sich  der  Teufel 
als  AVerkzeuge  bedient,  luid  die  jenen  mit  Recht  als  Schuld 
angerechnet  wird,  für  eiteln  Wahn  erklären ,  ihren  Irrthum  f i'ir 
sich  behielten;  indem  sie  sich  aber  erfrechen,  auch  andere  da- 


>  ö.  252.       ''  S.  253.       '  S.  254.       ^  S.  255.       »  S.  257.      «  S.  258. 


3.    Der  Hexenhammer.  251 

mit  anzustecken  und  die  Hexen  für  imschuldig  zu  halten, 
verursachen  sie  deren  Vermehruno;  und  die  Verminderung  des 
Glaubens,  daher  dem  Schöpfer  zur  Sehmach  Hexen  öfter  un- 
gestraft bleiben.  ^  Aus  Hexenbekenntnissen  geht  allerdings 
hervor,  dass  diese  nicht  nur  thatsächlich,  sondern  auch  in  der 
Einbildung  ausfahren  können.  Wenn  sie  es  nämlich  nicht 
leiblich  thun  wollen,  aber  doch  alles  erfahren  möchten,  was 
auf  der  Hexenversammlung  vor  sich  geht,  so  legen  sie  sich 
im  Namen  aller  Teufel  auf  die  linke  Seite  ins  Bette,  wo  dann 
ein  gelblicher  Dampf  ihrem  Munde  entsteigt.^ 

Viertes  Kapitel.  Von  der  Weise,  in  der  sich  die  Hexen 
den  Incuben  (Teufeln  in  Männergestalt)  hingeben. 

Hierbei  ist  sechserlei  zu  bemerken:  1)  der  Leib,  den  der 
Teufel  annimmt,  besteht  aus  verdichteter,  der  Erde  nahekom- 
mender Luft,  die  aber  die  Eigenthümlichkeit  der  Luft  behält. 
Indem  sie  diese  Luftverdichtung  hervorbringen  können  mit 
Hiilfe  dicker  Dünste,  die  aus  der  Erde  aufsteigen,  haben  sie 
die  bewegende  Kraft  und  verhalten  sich  zu  ihren  geformten 
Leibern  wie  der  Schiffer  zu  seinem  Schiffe.  Die  Teufel  kön- 
nen sprechen,  obschon  sie  keine  eigentlichen  Sprechwerkzeuge 
haben,  sehen,  obschon  sie  keine  wirklichen  Augen  haben, 
hören  u.  s.  w.  ^ 

Zwischenfrage:  Auf  welche  Weise  die  Hexen  in  neue- 
ren Zeiten  mit  den  Incuben  Unzucht  treiben  und  dadurch 
vermehrt  werden? 
Incuben  und  Succuben  sowie  Hexen,  die  Menschen  und 
Vieh  Schaden  bringen,  hat  es  immer  gegeben,  wie  jedermann 
weiss,  der  in  der  Geschichte  bewandert  ist;  in  alten  Zeiten 
wurde  den  Weibern  gegen  ihren  Willen  von  den  Incuben  nach- 
gestellt, wie  dies  vonNider  in  seinem  „Formicarius"  und  in  dem 
Buche  „De  universali  bono"  von  Thomas  Brabantinus  ffezeio:t 
worden  ist.  Dagegen  unterscheiden  sich  die  modernen  Hexen 
dadurch,  dass  sie  sich  freiwillig  der  Unzucht  mit  dem  Teufel 
hingeben,  wie  alle  freiwillig  bekannt  haben,  die  wir  Ilexen- 
richter  dem  weltlichen  Arme  zum  Einäschern  übergeben  ha- 
ben, deren  binnen  fünf  Jahren  48  waren.  Dasselbe  bekannten 
diejenigen,  die  unser  Mitbruder,  der  Inquisitor  Cumanus,  gericht- 
lich untersuchte,  der  innerhalb  eines  Jahres  41  verbrennen  liess.* 


1  S.  259.         2  S.  261.         3  s.  265  squ.         <>  S.  269. 


252    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Die  Frage:  ob  die  Zauberer  selbst  aus  solcher  Unzucht  eut- 
springen  wird  ^  bejaht.  Menschen,  die  von  Hexen  und  Teu- 
feln erzeugt  werden,  sind  stärker.  2)  Ist  der  Act  immer  cum 
infusione  seminis  verbunden.  3)  Wählt  der  Teufel  gern  hohe 
Feste  dazu.  Nach  den  Bekenntnissen  der  Hexen  können  sie 
an  heiligen  Orten  derlei  nicht  ausiiben.  4)  Wird  der  Act 
sichtbar  bej2;anii;en.  Der  Incubus  ist  zwar  der  Hexe,  aber  nicht 
andern  Menschen  sichtbar,  wenigstens  nicht  innner.  Bei 
Eheweibern  sind  die  Incuben  den  Männern  oft  sichtbar,  die 
sie  aber  für  andere  Männer  halten,  wo  bei  einem  Angriffe 
der  Teufel  dann  verschwunden  ist,  wonach  sie  von  den  Wei- 
bern ausgelacht  werden.^  Nicht  nur  solche  Weiber,  die  aus 
solcher  Unzucht  entspringen,  oder  die  bei  ihrer  Geburt  von 
den  Hebammen  dem  Teufel  verlobt  worden  sind,  überfällt 
dieser,  sondern  auch  andere  Frauenzimmer,  besonders  heilige 
Jungfrauen,  die  er  sich  durch  Hexen  verkuppeln  lässt.  ^ 

Fünftes  Kapitel.  Wie  die  Hexen  der  heiligen  Sakra- 
mente der  Kirche  zur  Hexerei  sich  bedienen  u.  s.  w.  ^  Zum 
Beispiel,  wenn  sie  ein  Wachsbild  eine  Zeit  lang  unter  die  Al- 
tardecke stecken,  oder  durch  das  heilige  Chrisma  einen  Faden 
ziehen  u.  dgl.  ^  Sie  pflegen  auch  die  heiligen  Jahresfeste, 
z.  B.  den  Advent,  zu  ihren  Hexereien  zu  misbrauchen,  u.  dgl.  m. 

Sechstes  Kapitel.  Wie  die  Hexen  das  Zeugungsver- 
mögen hemmen. 

Siebentes  Kapitel.  De  modo  quo  membra  vii'ilia  au- 
ferre  solent.  ^ 

Achtes  Kapitel.  Wie  die  Hexen  die  Menschen  in 
Thiergestalten  verwandeln. '^  Der  oft  erwähnte  Canon  Epi- 
scopi  2^^  qu.  5,  sagt :  „Quisquis  credit  posse  fieri  aliquam  crea- 
turam  aut  in  melius  aut  in  deterius  transmutari,  aut  transfor- 
mari  in  aliam  speciem  vel  in  aliam  siniilitudiuem  nisi  ab  ipso 
Creatore,  qui  onmia  fecit,  procid  dubio  inlidelis  est".  Nach 
der  sophistischen  Erklärung  des  „Hexenhanuners"  sind  hier 
creaturac  perfectae,  wie  der  Mensch,  der  Esel  u.  s.  w.,  von  den 
imperfectis,  wie  Schlangen,  Frösche,  Mäuse  u.  s.  w.,  zu  unter- 
scheiden, ^welche  letztere  auch  aus  der  Verwesung  entspringen 


'  S.  275.       -  S.  27G.       »  ö.  27G.       '  S.  277.       ^  S.  280.       "  S.  28G. 
'  S.  296. 


3.    Der  Plexenhammer.  253 

können.  ^  Die  Verwandlnng  der  ersten  Ordnung  ist  nur  eine 
accidentalis,  sie  beruht  auf  Schein.  So  verhält  es  sich  mit  den 
verwandeken  Gefährten  des  Ulysses,  den  Gefährten  des  Dio- 
medes.  Sie  schienen  nicht  nur  andern,  sondern  auch  sich 
selbst  verwandelt  zu  sein.  So  verhält  es  sich  auch  mit  Prä- 
stantius,  der  sich  erinnerte,  als  Pferd  Getreide  in  die  Mühle 
getragen  zu  haben.  Aehnlich  Nebukadnezar,  der  wirklich  wie 
ein  Ochse  Heu  frass. 

Was  die  unvollkommenen  Thierc  betrifi't,  so  kann  der 
Teufel  die  Verwandlung  unter  göttlicher  Zulassung  be- 
wirken. ^ 

Neuntes  Kapitel.  Wie  die  Teufel,  wenn  sie  solche 
gauklerische  Verwandlungen  bewirken,  den  Leuten  in  den 
Leibern  und  Köpfen,  ohne  sie  zu  verletzen,  stecken.  —  Wo 
die  Teufel  wirken,  da  sind  sie  auch,  also  auch  wo  sie  die 
Phantasie  oder  die  Innern  Vermögen  der  Menschen  verwir- 
ren, miissen  sie  gegenwärtig  sein.  Mit  Zulassung  Gottes  kön- 
nen die  Teufel  in  unsere  Leiber  kommen,  und  von  da  auch 
auf  die  inneren  Vermögen  wirken,  die  mit  den  leiblichen  Or- 
ganen verknüpft  sind,  indem  sie  Eindriicke  auf  dieselben  her- 
vorbrinsfen.  So  können  sie  aus  dem  Gedächtniss,  das  im 
Hinterkopfe  sitzt,  das  Gebilde  eines  Pferdes  nach  dem  mitt- 
lem Kopfe  bewegen,  wo  die  Einbildungskraft  ihre  Zelle  hat, 
und  sonach  auch  in  den  Vorderkopf,  wo  der  sensus  commu- 
nis haust,  und  dies  so  schnell,  dass  solche  Gestalten  für 
wirkliche  gehalten  werden.  Dies  alles  verursacht  keine  Kopf- 
schmerzen. —  Der  Unterschied  solcher  Begebenheiten  von  gött- 
lichen Wundern.^  —  Einige  Geschichten  zur  Erhärtung. 

Zehntes  Kapitel.  Wie  die  Teufel  durch  Mitwirkung 
der  Hexen  bisweilen  Menschen  leibhaftig  besitzen. 

Die  Seele  des  Menschen  kann  der  Teufel  eigentlich  nicht 
bewohnen,  wol  aber  den  Leib,  und  zwar  durch  die  Todsünde, 
wodurch  der  Mensch  dem  Teufel  verfällt,  oder  auch  im 
Stande  der  Gnade.*  Beides  kann  unter  Gottes  Zulassung 
auf  Betrieb  der  Hexen  geschehen.  Zuweilen  wird  der  Mensch 
besessen  nach  seinem  eigenen  Verdienste,  oder  wegen  eines 
leichten  Vergehens    von  ihm   selbst   oder  von    einem  andern, 


S.  297.         2  y.  30Q  f^,         3  g,  3^7,         4  g.  314. 


254    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

oder  wegen  einer  grossen  Siinde.  ^  —  Verschiedene  Geschichten: 
Nach  dem  „Dialogus  Sevcri"  treibt  ein  fronnncr  Pater  mittels 
Briefen  den  Tenfel  aus.  Derselbe,  von  Hochmuth  besessen, 
-wird  auf  seine  eigene  Bitte  durch  fünf  Monate  zur  Demüthi- 
gung  vom  Teufel  besessen.  Nach  dieser  Zeit  wird  er  vom 
Teufel  und  vom  Hochmuth  verlassen,  u.  dgl,  m.* 

Elftes  Kapitel.  Wie  die  Hexen  alle  Arten  von  Krank- 
heiten verursachen  können. 

Zwölftes  Kapitel.  Wie  sie  die  Leute  mit  allerlei  Ge- 
brechen plagen. 

Folgen  lauter  „Res  gestae". 

Zum  Schlüsse  wird  behauptet,  dass  Hexen  durch  den 
blossen  Anblick  die  Kichter  behexen  können.  ^ 

Dreizehntes  Kapitel.  Wie  die  hexenhaften  Hebammen 
grossen  Schaden  anrichten,  indem  sie  die  Kinder  entweder 
umbringen  oder  dem  Teufel  geloben. 

Vierzehntes  Kapitel.  Wie  die  Hexen  dem  Vieh  ver- 
schiedenen Schaden  beifuoren.'* 

Die  Hexen  stossen  ein  Messer  in  die  Wand,  nehmen  ein 
Gefäss  zwischen  die  Knie,  rufen  dann  ihren  Teufel  herbei, 
dass  er  ihnen  Milch  verschaffe,  der  melkt  die  Kuh  und  die 
Milch  fliesst  angeblich  von  dem  Messer  herab.  ^  Auch  Wein 
können  die  Hexen  verschaffen.^ 

Das  Vieh  tödten  sie  wie  die  Menschen,  und  ebenso  be- 
hexen sie  es  durch  Berühren,  Ansehen,  oder  indem  sie 
Zaubermittel  unter  die  Schwelle  der  Tliüre  leiten.''  Auch 
der  Teufel  kann  nur  mittelbar  auf  die  Geschöpfe  schädlich 
wirken.  ^ 

Fünfzehntes  Kapitel.  Wie  sie  Hagel  und  Gewitter 
erregen  und  Blitze  auf  Mensch  und  Vieh  herabzubringen  pfle- 
gen. Diese  Macht  haben  sie  von  Gott,  und  die  Hexen  üben 
sie  durch  götthchc  Zulassung.  ^ 

Die  körperlichen  Dinge  folgen  zwar  in  Betreff  der  Ge- 
staltung weder  den  Engeln  noch  den  Teufeln,  sondern  nur 
Gott  dem  Schöpfer;  was  aber  die  örtliche  Bewegung  betrifft, 
so  muss    die   körperliche  Natur   der  geistigen  folgen.  ^^^     Was 


1  S.  315,       ^s.SlGsqu.       ^  S.S-iO.      *  S.  353.      ^  s.  354.      «  S.  357. 
S.  358.         «  S.  359.         "  S.  3G0.         >»  S.  3G0. 


3.  Der  Hexenhammer.  255 

lediglich  durch  örtliche  Bewegung  entsteht,  kann  durch  die 
natürliche  Kraft  sowol  guter  als  böser  Geister  bewirkt  wer- 
den, wenn  es  Gott  nicht  untersagt.  Winde,  Regen  und  Aehn- 
liches  entstehen  aber  eben  lediglich  durch  Dünste,  die  sich 
aus  der  Erde  und  Wasser  loslösen,  daher  reicht  zu  ihrer  Be- 
wirkung  die  natürliche  Kraft  der  Dämonen  hin.^ 

Sechzehntes  Kapitel.  Ueber  drei  Arten  Zauberei, 
denen  nur  Männer  ergeben  sind. 

Zuerst  von  den  zauberischen  Bogenschützen.  Diese  neh- 
men am  Charfreitage  während  der  feierlichen  Messe  das  aller- 
heiligste  Bild  des  Gekreuzigten  zum  Ziele  ihrer  Schüsse.^  Ein 
solcher  schiesst  drei  bis  vier  Geschosse  ab,  und  kann  ebenso 
viele  Menschen  täglich  tödten,  und  den  er  zu  morden  sich 
vorgenommen  hat,  der  kann  nirgends  Schutz  finden,  der  Teu- 
fel macht,  dass  ihn  der  Pfeil  trifft. ^  —  Beispiele.  —  Dieje- 
nigen, welche  solche  Schützen  aufnehmen  oder  verhehlen,  sind 
straffällig.* 

Zwei  andere  Arten  von  Zaubereien  sind:  die  durch  Zauberei 
und  Segensprechen  was  immer  für  Waffen  zu  beschwören 
verstehen,  dass  sie  ilmen  auf  keine  Weise  in  der  Welt  schaden 
noch  sie  verwunden  können.  Einige,  ähnlich  wie  bei  den  früher 
erwähnten  Bogenschützen,  bestehen  darin,  dass  sie  dergleichen 
bei  einem  Bilde  des  Gekreuzigten  erlernen  und  ihm  gleiche 
Schmach  anthun.  Wenn  Einer  z.  B.  seinen  Kopf  schuss-  und 
stichfest  machen  will,  so  nimmt  er  dem  Bilde  den  Kopf  weg,  wer 
den  Hals  schützen  will,  nimmt  den  Hals  u.  s.  w.  Daher  kommt 
es,  dass  man  auf  Scheidewegen  oder  dem  Felde  unter  zehn 
Bildern  kaum  ein  ganzes  findet.  Andere  gibt  es,  welche  durch 
Zauberlieder  (Zauberworte)  die  Waffen  beschwören,  sodass 
sie  mit  blossen  Füssen  auf  ihnen  herumgehen  können,  ohne 
beschädigt  zu  werden.'' 

Des  zweiten  Theiles  zweite  Hauptfrage. 

Die  Weisen,  Zauberei  zu  heben  und  zu  heilen. 

Zauberei  wieder  durch  Zauberei  zu  vertreiben,  ist  nicht 
erlaubt,  ist  Apostasie.  Da  sie  nicht  durch  Menschenkunst 
gelöst  werden  kann,  so  ist  es  nur  durch  die  Macht  Gottes 
oder    des  Teufels    möglich.      Eine    geringe  Kraft    kann  keine 

1  S.  361.         2  S.  367.         3  S.  368.         ^  S.  371.         "  S.  379. 


256    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlielien  Hcxenverfolgung. 

hölierc  brechen.  Gott  wirkt  aber  nach  eigenem  Ermessen, 
nicht  auf  unser  Verlangen,  also  wäre  sie  nur  mit  Hülfe  der 
Dämonen  zu  heben,  welche  aber  anzusprechen  nicht  erlaubt 
ist.  Trotzdem  zeigt  die  Erfahrung,  dass  Behexte  zu  Hexen- 
weibern (raulierculas  superstitiosas)  laufen,  von  denen  sie  sehr 
oft  befreit  werden,  und  nicht  durch  Priester  und  Exorcisten. 
In  der  Praxis  werden  also  Hexereien  mit  HUdfe  der  Dämonen 
vertrieben,  da  jedoch  deren  Hülfe  anzurufen  unerlaubt  ist,  so 
müssen  jene  geduldet  werden.  ^ 

Die  Exorcismen  der  Kirche  vermöijen  nicht  immer  die 
Dämonen,  in  Bezug  auf  alle  leiblichen  Plagen,  zu  bändigen,  sie 
taugen  nur  gegen  diejenigen  teuflischen  Q.uälereien,  gegen 
welche  sie  eingerichtet  sind,  als,  gegen  Besitzungen  von 
Kindern.^  Unerlaubt  ist,  wenn  eine  Zauberei  durch  ei- 
nen andern  Zauberer  und  durch  eine  andere  Zauberei 
gehoben  wird;  ebenso  diu'ch  zauberische  Bräuche,  nämlich 
durch  die  Macht  eines  Dämonen.^  Unerlaubt  ist  auch,  wenn 
ein  ehrlicher  Mensch  den  einen  von  der  Bezauberung  befreit, 
sodass  sie  durch  abergläubische  Mittel  auf  einen  andern 
übertragen  wird.  Ebenso  unerlaubt  ist  es,  wenn  das  Uebel 
zwar  nicht  übertragen,  dabei  aber  stillschweigend  oder  aus- 
drücklich der  Teufel  angerufen  wird.  ^  Die  Mittel  der  Kirche 
sind:  Exorcismen,  Anrufung  des  Beistandes  der  Heiligen,  auf- 
richtige Busse;  diese  können  in  Anwendung  gebracht  werden. 
Folgt  ein  Fall,  wo  ein  Bischof  von  seiner  Concubine  behext 
wird,  auf  die  eine  andere  Hexe  die  Bezauberung  übertragen 
will.  Der  Bischof  erbittet  sich  den  Rath  des  Papstes,  der  die 
Befreiving  des  Bischofs  von  dem  Tode  der  zauberischen  Con- 
cubine abhängig  macht,  welcher  durch  die  Zauberkunst  der 
andern  Hexe  erfolgt.^  Hierzu  wird  die  Bemerkung  gemacht: 
dass  das  Privilegium  des  einen  kein  allgemeines  Gesetz,  und 
die  Dispensation  des  Papstes  nicht  auf  alle  Fälle  anwend- 
bar sei. 

Eine  Art,  die  Zauberei  zu  heben  oder  sich  an  der  Hexe 
zu  rächen,  ist  nach  Nider  in  seinem  ,,Formicarius",  dass  eine 
andere  Hexe  geschmolzenes  Blei  in  Wasser  giesst  bis  sich 
durch    Bewirkung    des  Teufels    am    Blei    irgendeine    Gestalt 


'  S.  383.         '  S.  384.         ^  S.  387.         '  S.  388.         ^  S.  389  squ. 


3.   Der  Hexenhanimer.  257 

zeio-t.  Die  entzaubernde  Hexe  bringt  an  der  Stelle  des  Bildes 
mit  einem  Messer  einen  Schnitt  oder  Stich  bei,  wo  die  andere 
Hexe,  welche  das  Uebel  angethan  hat,  es  haben  soll,  die  dann 
auch  sofort  damit  behaftet  wird,  sodass  sie  sich  dadurch 
verräth.  1  Solche  Mittel  sind  zwar  als  unerlaubt  betrachtet, 
werden  aber  aus  Liebe  für  das  leibliche  Wohl  in  der  Hoff- 
nuno;  auf  Vero-ebuno;  angewendet.  —  Werden  noch  andere  ahn- 
liehe  Mittel  der  Weiber,  die  Hexen  zu  entdecken,  angefiihrt.^ 
So  z.  B.  werden  einer  behexten  Kuh,  durch  die  man  die  Hexe 
auskundschaften  will,  die  Hosen  des  Mannes  auf  den  Kopf 
gelegt,  und  treibt  jene,  besonders  gern  an  heiligen  Festtagen, 
hinaus,  die  dann  geradeswegs  auf  das  Haus  der  Hexe  zuläuft, 
mit  den  Hörnern  unter  Gebrüll  an  die  Thüre  stösst.  Diese 
Mittel  sind  indess  nicht  zu  empfehlen,  weil  sie  doch  Gott  be- 
leidigen können,  daher  lieber  Weihwasser,  geweihtes  Salz  u. 
s.  w.  anzuwenden  ist.  Was  von  den  erwähnten  Mitteln,  gilt 
auch  von  der  Art,  durch  die  Eingeweide  eines  durch  Behexung 
verendeten  Yiehs  die  Hexe  zu  entdecken.  Die  Eingeweide 
des  abgedeckten  Viehs  werden  auf  der  Erde  bis  zum  Hause, 
aber  nicht  über  die  Thürschwelle  gezerrt,  auf  einen  Rost  ge- 
leert und  Feuer  darunter  angezündet.  Wie  die  Eingeweide  warm 
werden  und  zu  brennen  anfangen,  so  wird  die  betreffende  Hexe 
von  der  Glut  und  Schmerzen  gepeinigt.  Es  ist  aber  die  Thüre 
zu  verschliessen ,  weil  die  Hexe  kommt,  iim  Feuer  zu  holen, 
und  wenn  sie  eine  Kohle  erwischt,  hören  ihre  Schmerzen 
auf.  ^ 

Geistliche  Mittel  gegen  die  Incuben  inid  Suecuben. 

Erstes  Kapitel.  Es  soll  hier  von  den  Mitteln  die  Rede 
sein  gegen  Zauberkünste,  wo  Menschen  von  Behexung  geheilt, 
oder  das  Vieh  und  Feldfrüchte  bewahrt  werden.  Ausser  denen, 
die  sich  gern  den  Incuben  unterwerfen,  werden  durch  die 
Hexen  auch  Personen  gegen  ihren  Willen  mit  Suecuben  oder 
Incuben  in  Berührung  gebracht,  vornehmlich  Jungfrauen  wider 
Willen  durch  Veranstaltung  der  Hexen  von  Incuben  belästigt.'* 
—  Wird  durch  Beispiele  erläutert. 

Es  gibt  fünf  Mittel,  sich  von  Incuben  und  Suecuben 
zu  befreien:   Die  Beichte,  das  Zeichen    des   heiligen  Kreuzes, 


1  S.  391.         -  S.  392.         3  s,  399,         4  g.  492. 

Roskoff,  Geschichte  des  Teufels.  II.  17 


258     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gericlitlichen  Hexenverfolgung. 

der  Englische  Griiss,  der  Exorcismus,  Ortsverändeniiig,  Ex- 
commxniication  durch  Heilige.  Obschon  sie  nicht  in  jedem 
Falle  helfen,  sind  diese  Mittel  doch  anzuwenden. ^  Dass  In- 
cuben  oft  diirch  das  Vaterunser,  AVeihwasser  u.  dgl.  vertrieben 
worden  seien,  lehrt  die  Geschichte.- —  Beispiele.  —  Es  wird  die 
Bemerkung  gemacht,  dass  Frauen  und  Mädchen  mit  schönen 
Haaren  von  Buhlteufeln  (Incuben)  mehr  geplagt  werden  sollen, 
weil  sie  eitel  darauf  sind  und  dadurch  die  Männer  verliebt 
machen.^  Beispiel  von  einer  Frau,  die  sechs  Jahre  hindurch 
von  einem  Incubus  geplagt  wird,  bis  er  durch  den  Stock  des 
heiligen  Bernhard,  den  sie  zu  sich  ins  Bett  gelegt,  vertineben 
wird,  so  dass  er  sich  nicht  mehr  in  das  Gemach  wagt,  aber 
vor  der  Thüre  gar  sehr  poltert,  schliesslich  von  dem  Pleiligen 
verbannt  wird.*  Hierbei  ist  zu  bemerken,  dass  die  Schlüssel- 
gewalt, die  dem  Petrus  und  seinen  Nachfolgern  verliehen  ist, 
zum  Heile  der  Kirche  auf  Erden,  merkwiirdigerweise  auch 
die  Mächte  der  Luft  zu  überwältigen  im  Stande  ist.  Weil 
die  Personen,  die  vom  Tenfel  geplagt  werden,  unter  der  Ge- 
richtsbarkeit des  Papstes  und  seiner  Schlüssel  stehen,  so  ist 
es  nicht  zu  verwundern,  wenn  jene  Mächte  auf  indirecte  Weise 
durch  die  Schlüsselgewalt  bezwungen  werden,  wie  sie  auf 
dieselbe  Art  auch  die  Seelen  von  den  Strafen  des  Fegfeuers 
befreien  kann. ^  Es  ist  zu  bemerken,  dass  manche  Weiber 
nicht  wirklich  von  Incuben  geplagt  werden,  sondern  solches 
sich  nur  einbilden.*  Es  scheint  auch,  dass  Weiber  nie  von 
Incuben  schwanger  werden,  denn  obschon  sie  am  Leibe  an- 
schwellen, bringen  sie  schliesslich  doch  nur  Wind  hervor. '^ 

Zweites  Kapitel.  Mittel  für  diejenigen,  die  am  Zeu- 
gungsvermögen behext  sind. 

Obschon  die  AVeiber  der  Hexerei  mehr  ergeben  sind  als 
die  Männer,  so  werden  doch  diese  mehr  behext  als  jene.  Der 
Grund  davon  ist,  dass  Gott  in  Beziehung  auf  fleischlichen 
Umgang,  wodurch  die  Erbsünde  fortgepflanzt  wird,  dem  Teu- 
fel mehr  freie  Hand  lässt  als  bei  andern  menschlichen  Hand- 
lungen, wie  auch  die  Schlange,  das  erste  Werkzeug  des  Teu- 
fels, beim  Hexenwesen  eine  grössere  Rolle  spielt  als  andere 
Thiere.     Ein  zweiter  Grund  ist,  dass  in  dem  geschlechtlichen 


»  S.  405.  2  S.  4ÜG.  ^  S.  407.  "  S.  407.  '  S.  408. 

«  S.  409.  '  S.  409. 


3.    Der  Hexenhammer.  259 

Verhältniss  die  Behexung  des  Mtannes  leichter  ist  als  die  des 
Weibes.  Es  Averden  fünf  Arten  dieser  Behexung  unterschie- 
den.'  Dafür  werden  fünf  geistliche  Mittel  vorgeschlagen: 
Wallfahrten  verbunden  mit  aufrichtiger  Busse,  das  Zeichen 
des  Kreuzes,  vermehrtes  Gebet,  Exorcisation  und  vorsichtiges 
Gelöbniss,  um  die  Behexung  los  zu  werden.  ^ 

Drittes  Kapitel.  Mittel  gegen  angehexte  ausserordent- 
liche Liebe  oder  ausserordentlichen  Hass.  ^ 

Mittel:  dem  Gesetze  des  Verstandes  mehr  gehorchen  als 
der  Natur.  —  Gegen  die  (philocaptio)  Liebeszauber:  Exorcis- 
men  durch  heilige  Worte,  tägliche  Anrufung  des  heiligen  En- 
gels zum  Schutze,  fleissige  Beichte,  Besuch  der  Heiligen, 
besonders  der  Heiligen  Jungfrau.* 

Weil  sich  die  Hexen  bei  Hexereien  dieser  Art  häufig  der 
Schlangen  bedienen,  Kopf  oder  Haut  unter  die  Thürsch welle 
dessen,  dem  sie  es  anthun  wollen,  legen,  so  sind  möglichst 
alle  Winkel  des  Hauses  wol  zu  untersuchen.  Die  Behexten 
können  selbst  die  heiligen  Worte,  Segensprüche  u.  dgl.  gegen 
die  Behexung  sprechen,  und  im  Falle  sie  nicht  lesen  oder  sich 
selbst  segnen  können,  mögen  sie  die  Segensformeln  am  Halse 
tragen.  * 

Viertes  Kapitel.  Mittel  für  diejenigen,  denen  die 
virilia  membra  Aveggehext,  und  wenn  bisweilen  Menschen  in 
Thiergestalten  verwandelt  wurden. 

Wird  bemerkt,  dass  im  erstem  Falle  das  Uebel  nur  auf 
trügerischem  Scheine  beruht.  Der  Betrofiene  soll  sich  mit 
der  Hexe  womöglich  gütlich  ausgleichen.^  In  Beziehung  auf 
den  zweiten  Fall  ist  das  beste  Mittel  die  Ausrottung  der 
Hexen.''  Folgt  eine  wunderbare  Geschichte  von  einem,  der 
in  einen  Esel  verwandelt  worden. 

Fünftes  Kapitel.  Mittel  gegen  Besessenheit  durch 
Hexerei. 

Durch  Hexerei  werden  Menschen  vom  Teufel  besessen, 
und  zwar  wegen  eigener  oder  fremder  schwerer  oder  leichter 
Sünden.  ^  Ausser  dem  Exorcismus  der  Kirche,  der  wahren 
Busse  oder  auch  Beichte,  wenn  jemand  um  einer  Todsünde 
willen  besessen   ist,   sind   noch  folgende  Mittel  wirksam:    der 


1  S.  410.  ■'  S.  41(;.  ''  S.  416.  "  S.  420.  "  S.  422. 

"  S.  423.  7  S.  424.  **  S.  427. 

17* 


260     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gericlitliclien  Hexeiiverfolgung. 

GebravK'h  des  heiligen  Abendmahls,  Besuch  heiliger  Orte, 
Fürbitte  der  Gläubigen,  Aufheben  des  Bannes. '  Da  sich  die 
Exorcisten  aller  verdächtigen  und  abergläubischen  Mittel  zu 
enthalten  haben,  so  fragt  es  sich:  ob  gewisse  Kräuter  oder 
Steine  angewendet  w^erden  dürfen?  Wenn  sie  geweiht  sind, 
desto  besser,  wenn  aber  nicht,  so  können  sie  zwar  auch  ge- 
braucht werden,  der  Exorcist  darf  aber  nur  nicht  glauben, 
dass  sie  durch  ihre  natürliche  Kraft  den  Teufel  vertreiben, 
sonst  verfällt  er  dem  Irrthum  der  Schwarzkünstler.* 

Sechstes  Kapitel.  Die  Exorcismen  der  Kirche  als 
Mittel  gegen  allerlei  angehexte  Krankheiten,  und  die  Weise, 
die  Behexten  zu  exorcisiren. 

Werden  mehrere  Fragen  aufgeworfen  als:  ob  ein  Laie, 
der  kein  berufener  und  verordneter  Exorcist  ist,  den  Teufel 
oder  seine  Zaubereien  exorcisiren  dürfe?  ^  Obschon  es  zur 
Befreiung  des  Behexten  dienlich  ist,  einen  ordinirten  Exorcisten 
zu  haben,  so  können  doch  bisweilen  auch  fromme  Personen 
mit  Exorcismus  solche  angehexte  Krankheiten  vertreiben.  * 
Sie  dürfen  aber  keine  abergläubischen  Dinge  in  Anwendung 
bringen.  ^  Die  Segensprechung,  wenn  sie  auch  die  Form  einer 
Beschwörung  hat,  muss  geschehen  durch  die  Kraft  des  gött- 
lichen Namens,  der  Werke  Christi,  durch  die  der  Teufel  be- 
siegt und  Verstössen  worden  ist.  Die  Besprechungsformeln 
dürfen  keine  fremden  und  unbekannten  Wörter  enthalten,  weil 
nach  Chrysostomus  zu  befürchten  ist,  dass  in  ihnen  etwas 
Abergläubisches  stecken  könnte;  sie  dürfen  nichts  Falsches  ent- 
halten, keine  eiteln  Possen  oder  Zeichen,  ausser  dem  Zeichen 
des  Kreuzes.  *^  Ob  die  Krankheit  zu  exorcisiren  und  der 
Teufel  zu  beschwören  sei?  Antwort:  Nicht  die  Krankheit, 
sondern  der  Kranke  selbst,  der  behext  ist,  wird  exorcisirt  und 
hernach  der  Teufel.^  Folgt  eine  Formel  des  Exorcismus  als 
Muster.  »  Ebenso  Gebete.  ^  Während  des  Exorcisirejis  ist 
das  Weihwasser  fleissig  zu  sprengen.  Der  zu  Exorcisirende 
hat  zunächst  Beichte  abzulegen;  alle  AVinkel  des  Hauses  sol- 
len durchsucht  werden,  ob  sich  keine  Zaubersachen  finden, 
wenn  sie  gefunden,  gleich  dem  Feuer  übergeben  werden. 
Dienhch    ist  es   auch,    dass    das   Bette    und    die   Kleider  des 


1  S.  428.  2  S.  434.  ^  S.  437.  *  S.  438.  '  S.  439. 

«  S.  442.  "  S.  447.  »  S.  448.  »  S.  449. 


3.    Der  Hexeuliammer.  261 

Kranken  erneut  werden,  dass  er  die  Wohnung  und  das  Haus 
wechsle;  wenn  es  möglich  ist,  gehe  er  des  Morgens  in  die 
Kirche,  ist  ein  Feiertag,  desto  besser,  halte  eine  geweihte 
Kerze  sitzend  oder  kniend  in  der  Hand,  die  Anwesenden 
sollen  Gebete  halten,  und  es  beginne  die  Litanei:  „Adju- 
torium  nostrum"  u.  s.  w.  Dergleichen  Exorcismen  können 
dreimal  wöchentlich  wiederholt  werden.  Wesentlich  ist,  dass 
der  zu  Exorcisirende  das  heilige  Abendmahl  erhalte,  und  bei 
der  Beichte  hat  der  Beichtvater  darauf  zu  achten,  ob  er  nicht 
auch  excommunicirt  ist.  Ist  der  Exorcist  nicht  ordinirt,  kann 
aber  lesen,  so  lese  er  die  vier  Evangelien,  das  Evangelium: 
„Missus  est  Angelus",  die  Leidensgeschichte  des  Herrn,  wel- 
ches alles  eine  grosse  Kraft  den  Teufel  auszutreiben  hat,  und 
dann  erwarte  man  die  Genesung  von  der  Gnade  Gottes.  ^ 
Der  Unterschied  zwischen  dem  Weihwasser  und  dem  Exor- 
cismus  ist  dieser:  ersteres  wird  gegen  äusserliche  Anfech- 
tung des  Teufels,  letzterer  gegen  innerliche  angewendet.  Was 
ist  zu  thun,  wenn  auf  den  Exorcismus  die  Gesundheit  nicht 
erfolgt?  Es  kann  dies  geschehen,  entweder  wegen  mangel- 
haften Glaubens  der  Umstehenden,  oder  wegen  Sünden,  die 
den  Zauber  unterhalten,  oder  wegen  Versäumung  der  dien- 
lichen Mittel,  oder  wegen  fehlerhaften  Glaubens  beim  Exor- 
cisten,  u.  dgl.  m.  ^  Der  vor  der  Taufe  nicht  gehörig  exor- 
cisirt  worden,  ist  unter  Gottes  Zulassung  innuer  der  Macht 
des  Teufels  mehr  unterworfen.  ^ 

Siebentes  Kapitel.  Mittel  gegen  Hagelschlag  und 
Behexung  des  Viehs. 

Zunächst  sind  einige  unerlaubte  Mittel  zu  erwähnen, 
deren  sich  manche  bisweilen  bedienen,  als:  abergläubische 
Zauberformeln  gegen  den  Wurm  im  Finger;  einige  sprengen 
nicht  das  Weihwasser,  sondern  giessen  es  dem  Vieh  ins  Maul*; 
in  einigen  Gegenden  Schwabens  gehen  die  Weiber  am  ersten 
Mai  vor  Sonnenaufo-anor  hinaus,  um  sich  Zweite  von  Weiden 
und  andern  Bäumen  zu  holen,  die  sie  kreisförmig  biegen  und 
am  Eingange  der  Stallthüre  aufhängen,  um,  wie  sie  sagen, 
das  Vieh  für  das  Jahr  vor  Behexung  zu  bewahren.  ^  Diese 
Mittel  sind  unerlaubt.  Dagegen  wäre  nichts  einzuwenden, 
wenn   jemand,    ohne   Berücksichtigung    der   Sonne,    Kräuter 


»  S.  449  fg.         ■  S.  450.         3  S.  453.         ^  S.  461.         »  s.  462. 


262     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtliclien  Hexenverfolgung. 


> 


und  Zweige  sammelt  unter  Ilerbetung  des  Vaterunser  oder 
des  Glaubenssymbols,  um  sie  über  der  Stallthüre  aufzuhängen, 
im  guten  Glauben  die  Wirkung  dem  göttlichen  Willen  über- 
lassend. Ebenso  ist  erlaubt:  in  W^einbergen  oder  auf  Saat- 
feldern am  Palmsonntage  das  Zeichen  des  Kreuzes,  geweihte 
Zweige  oder  Blumen  zu  stecken,  um  sie  unbeschädigt  zu  er- 
halten; oder  die  am  Sonnabend  gemolkene  Milch  den  Armen 
als  Almosen  zu  geben,  um  die  Milchwirthschaft  vor  den 
Hexen  zu  bewahren,  wobei  aber  der  fjöttliche  Schutz  anofe- 
fleht  werden  muss.  ^  —  Nach  Nider  kann  man  auch  mit  ge- 
schriebenen  Liedern  und  heiligen  Sprüchen  die  Krankheit  so- 
wol  der  Leute  als  des  Viehs  wegsegnen.  Er  führt  Thatsachen 
als  Beweise  dafür  an.  Weil  die  Hexen,  um  es  dem  Vieh 
anzuthun,  nur  etwas  Milch  oder  Butter  aus  dem  Haus,  wo 
sich  jenes  befindet,  brauchen,  sollen  die  Hausfrauen  verdäch- 
tigen Weibern  nichts  derlei  borgen  oder  schenken.'^  Manche 
Weiber,  denen  sich  beim  Butterrühren  die  Butter  nicht  her- 
stellen will,  infolge  der  Behexung,  suchen  ein  Stückchen 
Butter  aus  dem  Hause  der  Verdächtiii-en  zu  bekommen,  wovon 
sie  drei  Würfel  machen  und  unter  Anrufung:  der  heilijrsten 
Dreieinigkeit  in  das  Gefäss  werfen  und  so  die  Hexerei  ver- 
treiben. Wenn  sie  überhauiDt  von  irgendwelcher  Butter  drei 
Stückchen  unter  Anrufuno;  der  heiligen  Dreieinio;keit  nähmen 
und  die  Wirkung  Gott  überliessen,  wäre  nichts  gegen  dieses 
Mittel  einzuwenden,  empfehlenswerth  ist  vielmehr  die  Sprengung 
des  Weihwassers  oder  der  Gebrauch  geweihten  Salzes,  ver- 
bunden mit  Gebet,  gegen  derlei  Hexerei.  ^  —  Gegen  Hagel 
und  Gewitter  werden  drei  Hagelkörner  ins  Feuer  geworfen 
unter  Anrufung  der  Heiligen  Dreieinigkeit,  das  Vaterunser, 
der  Englische  Gruss  zwei-  bis  dreimal  hergesagt  und  der 
Anfang  des  Johannesevangeliums;  macht  nach  vorn  und  hinten 
imd  nach  allen  Richtungen  das  Kreuz,  und  das  durch  Hexerei 
hervorgebrachte  Gewitter  hört  auf.  Hierbei  ist  nichts  Ver- 
dächtiges zu  finden,  abergläubisch  wären  nur  die  drei  Hagel- 
körner ohne  Anrufung  des  göttlichen  Namens.*  —  Durch 
mancherlei  werden  die  Hexen  bei  ihrer  Hexerei  gehindert, 
sich  an  Personen  zu  machen:  durch  den  festen  Glauben  derer, 


'  S.  463.         =  S.  464.         ^  S.  465.         "  S.  466. 


3.    Der  Hexenhamnier.  263 

die  Gottes  Gebote  halten,  sich  mit  dem  Kreuze  und  durch 
Gebete  schützen,  die  Bräuche  der  Kirche  pflegen,  die  öfient- 
liche  Justiz  gut  verwalten,  der  Leiden  Christi  stets  eingedenk 
sind.  Darum  werden  beim  Gewitter  die  Kirchenglocken  ge- 
läutet, um  die  Dämonen  zu  vertreiben,  damit  sie  von  ihrem 
Zauberwerke  ablassen.  ^ 

Achtes  Kapitel.  Mittel  gegen  einige  verborgene  An- 
fechtungen des  Teufels. 

Auf  die  Frage:  ob  es  erlaubt  sei,  unvernünftige  Geschöpfe 
zu  beschwören,  antwortet  der  „Hexenhammer"  mit  Ja!  aber 
unter  Beziehung  auf  den  Teufel,  der  sich  ihrer  zu  unserm 
Schaden  bedient.  '^  —  Eine  andere  göttliche  Zulassimg  ist, 
wenn  durch  die  Teufel  den  Weibern  ihre  eigenen  Kinder 
entzogen  und  andere  untergeschoben  werden,  die  man  in 
Deutschland  Wechselkinder  nennt,  welche  di'eierlei  Art  sind: 
Einige,  die  immer  mager  bleiben  und  beständig  heulen;  an- 
dere, die  durch  die  Dämonen  hervorgebracht,  aber  nicht  deren 
Kinder  sind,  sondern  eigentlich  dessen  „cujus  semen  recej^e- 
runt";  die  dritte  Art  sind  die  Dämonen  selbst  in  Gestalt  klei- 
ner Kinder.  ^  Alle  drei  Arten  haben  ausser  der  Hagerkeit 
und  ungewöhnlichen  Schwere  noch  gemein,  dass  sie  oft  ver- 
schwinden. 

Der  dritte  Theil  des  „Hexenhammers"  ist  der  Cr  im  in  al- 
codex,  wonach  vor  dem  geistlichen  und  weltlichen  Richter- 
Stuhle  gegen  die  Zauberer  und  alle  Ketzer  zu  verfahren  ist. 
Er  enthält  35  Fragen,  in  welchen  die  Weise,  den  Process  an- 
zufangen, fortzufahren  und  das  Urtheil  zu  schöpfen,  sehr  weit- 
läufig angegeben  wird. 

Allgemeines  und  Einleitendes:  Ob  die  Hexen, 
ihre  Gönner,  Beschützer  und  Vertheidiger  dem  geistlichen 
und  dem  weltlichen  Gerichte  unterworfen  seien?  Ja!  wenn 
die  Sache  nicht  nach  Ketzerei  riecht,  sind  die  Hexen 
ihren  Richtern  zu  überlassen.  *  Dem  steht  aber  nicht  ent- 
gegen, dass  die  Hexen  dem  Gerichte  der  Inquisitoren 
unterzogen  werden,  weil  sie  des  Verbrechens  der  Ketzerei 
schuldig  sind.  ^  Man  behauptet:  die  Handlungen  der  Hexen 
könnten  auch  ohne  Ketzerei  begangen  werden,  denn  wenn  sie 

1  Ö.  4G7.         ■'  ö.  470.         ^  Ö.  471.         ^  ö.  475.         '=  S.  47Ü. 


264     Dritter  Absclmitt:   Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

den  Leib  Christi  in  den  Koth  treten,  so  könne  dies  ohne 
Fehler  des  Verstandes,  also  auch  ohne  Ketzerei  geschehen. 
Da  man  vuibeschadet  des  Glaubens  an  den  Leib  Christi  den- 
selben hinwerfen  könne,  um  den  Teufel  kraft  eines  Vertrags 
zu  nöthigen,  etwa  einen  Schatz  zu  heben,  so  sei  dies  zwar 
ein  schweres  Verbrechen,  aber  keine  Ketzerei,  daher  die  Hexen 
nicht  vor  den  Kichterstuhl  der  Liquisitoren  gehören.  Ferner: 
wenn  die  Hexen  den  Glauben  abschwören,  so  w'äre  dies  nicht 
Häresie,  sondern  Apostasie  zu  nennen,  und  was  dergleichen  mehr.i 
Dagegen  ist  leicht  zu  beweisen,  dass  das  geistliche  Gericht 
in  Verbindung  mit  dem  weltlichen  über  Hexerei  zu  urtheilen 
hat.  Denn  bei  einem  kanonischen  Verbrechen  hat  der  Präses 
des  Gerichtshofes  mit  dem  Metropolitan  zu  entscheiden.  * 
Obschon  der  weltliche  Fürst  die  Lebensstrafe  auferlegt,  so 
schliesst  dies  die  Gerichtsbarkeit  der  Kirche  nicht  aus,  da  es 
dieser  zukommt,  über  diese  Art  Verbrechen  zu  erkennen  und 
Strafe  zu  bemessen.  Sowie  es  kanonisch  gesetzlich  bestimmt 
ist,  dass  die  Geistlichen  ihrer  eigenen  Gerichtsbarkeit  und  nicht 
der  weltlichen  unterzogen  werden,  weil  ihr  Verbrechen  als 
kirchliches  betrachtet  wird,  so  ist  das  Verbrechen  der  Hexen 
theils  kirchlich,  theils  bürgerlich,  dieses  wegen  des  zeitlichen 
Schadens,  jenes  wegen  der  Verletzung  des  Glaubens,  daher 
es  von  beiderlei  Richtern  zu  erkennen,  zu  richten  und  zu 
strafen  ist.^  —  „Crimen  mixtum  ab  utrisque  est  puniendum."* 
—  Nach  der  Ansicht  der  spanischen  Inquisitoren  gehören 
alle  Zauberer,  Nigromanten,  alle  Sorten  Wahrsager,  die  ein- 
mal den  heiligen  Glauben  angenommen  und  bekannt  haben, 
unter  die  Gerichtsbarkeit  der  Inquisitoren.  *  Die  künst- 
lichen Wahrsager,  die  nur  durch  Kunst  wahrsagen,  gehören 
nicht  hierher;  aber  diejenigen,  welche  den  Teufel  anrufen  und 
mit  seiner  Hülfe  Künftiges  vorhersagen,  sind  ketzerisch,  ver- 
fallen dem  Inqiiisitionsgerichte.  ^  Bei  allem,  wo  der  Erfolg 
von  der  Macht  des  Teufels  erwartet  wird,  findet  Apostasie 
statt,  wegen  des  Bündnisses  mit  jenem.  Die  den  Teufel  zu  Iliilfe 
anrufen,  sind  Apostaten  und  folglich  auch  Ketzer,  daher  den 
Ketzerrichtern  unterworfen.  ^  —  Im  Uebrigen  bis  S.  501  wird 
zu  beweisen  gesucht,  dass  eigentlich  weder  weltliche  Richter 


'  S.  477.  2  s.  479^  3  g.  450.  '  S.  481.  '  S.  481. 

'  S.  483.  7  S.  484. 


3.    Der  Hexenhammer.  265 

noch  die  Bischöfe  sich  mit  dem  Hexenwesen  befassen  sollen, 
da  die  Incßiisition  diese  Angelegenheit  am  geeignetsten  zu 
fiihren  im  Stande  ist. 

1.   Frage.      Ueber    die    Weise    den    Process    zu    be- 
ginnen. 

Es  sind  drei  Weisen:  1)  es  klagt  einer  den  andern  des 
Verbrechens  der  Ketzerei  an,  mit  dem  Bedeuten,  den  Beweis 
liefern  zu  wollen,  widrigenfalls  die  Strafe  der  Wiedervergel- 
tung zu  tragen ;  2)  es  denuncirt  einer  den  andern  ohne  Beweis- 
lieferung, sondern  angeblich  aus  Glaubenseifer,  oder  im  Hin- 
blick auf  den  Kirchenbann  oder  die  zeitliche  Strafe,  womit 
derjenige  belegt  wird,  der  nicht  denuncirt.  3)  Der  Richter 
strengt  ex  officio  den  Process  an,  auf  das  Gerücht  hin,  dass 
es  irgendwo  Hexen  gebe.  '  —  Zu  bemerken  ist,  dass  der 
Richter  die  erste  Weise  nicht  leicht  zulässt,  weil  sie  in 
Glaubenssachen  nicht  gebräuchlich  ist,  also  auch  nicht  im 
Hexenprocesse,  da  die  Hexerei  geheim  geübt  wird,  und  dann 
auch,  weil  die  Anklage  wegen  der  poena  talionis  gefährlich 
sein  kann,  und  endlich,  weil  sie  viele  Streitigkeiten  nach  sich 
zieht.  Der  Process  werde  eingeleitet  durch  eine  allgemeine 
Citation,  die,  an  den  Thüren  der  Pfarrkirche  angeschlagen, 
jeden  auffordert,  welcher  weiss,  gesehen  oder  gehört  hat, 
dass  eine  Person  der  Ketzerei  oder  Hexerei  berüchtigt  oder 
verdächtig  sei,  oder  dergleichen  übe,  das  zum  Schaden  der 
Menschen,  des  Viehs,  der  Feldfrüchte,  des  gemeinen  Wesens 
gereicht,  innerhalb  14  Tagen  die  Anzeige  zu  machen,  und 
zwar  bei  Strafe  des  Kirchenbanns.  ^ 

Zu  bemerken  ist  bei  der  zweiten  Weise  durch  Denun- 
ciation,  womit  der  Process  beginnt,  dass  der  Richter  in  seiner 
Citation  den  Denuncianten  aufmerksam  mache,  dass  keiner 
straffällig  werde,  wenn  er  auch  den  Beweis  nicht  liefern 
könne,  da  er  nicht  als  Ankläger,  sondern  als  Angeber  auf- 
tritt. Weil  mehrere  als  Angeber  erscheinen  werden,  so  soll 
der  Richter  einen  Notarius  und  zwei  ehrsame  Personen  gegen- 
wärtig haben;  sollte  kein  Notarius  zu  haben  sein,  so  sollen 
anstatt  dessen  zwei  geeignete  Männer  da  sein,  in  deren  Gegen- 
wart das  Protokoll  abgefasst  wird  und  zwar  folgendermassen : 


1  S.  503.        2  s.  505. 


266     Dritter  Abschuitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenvcrfolgung, 

„Im  Namen  des  Herrn.     Amen. 

„Im  Jahre  nach  der  Geburt  Christi  u.  s.  w.,  am  Tage.  .  . 
des  Monats  .  .  .  erschien  N.  N.  in  Gegenwart  des  Notarius  und 
der  unterfertigten  Zeugen  N.  N.  vor  dem  löbhchen  Ivichter 
und  überreichte  diesem  einen  Zettel  folgenden  Inhalts"  (der 
ganz  mitgetheilt  werden  soll).  —  Geschieht  die  Anzeige  nicht 
schriftlich,  sondern  miindlich,  so  wird  folgendermassen  gesetzt: 
„erschien  u.  s.  w.  und  zeigte  ihm  au,  dass  er  von  N.  N.  dies 
oder  jenes  wisse,  oder  dies  oder  jenes  sich  oder  andern  zum 
Schaden  zugefügt  habe";  hierauf  soll  dem  Denuncianten  der 
Eid  abgenommen  und  einige  Fragen  an  ihn  gestellt  werden: 
woher  der  Denunciant  wisse,  ob  er  selbst  gesehen,  oder  von 
wem  er  gehört  habe  u.  s.  w.  ^ 

Die  dritte  Weise,  den  Process  auf  das  blosse  Gerücht 
hin  anzustrengen,  ohne  Anklage  oder  Denuuciation,  ist  die 
am  meisten  gebräuchliche,  und  das  Verfahren  im  Beisein  der 
angeführten  Personen  ist  folgendes: 

„In  Nomine  Domini.     Amen. 

„Im  Jahre  u.  s.  w.  Es  ist  dem  Beamten  oder  Richter 
zu  Ohren  gekommen  infolge  des  sich  mehrüich  wiederholenden 
Gerüchtes,  dass  N.  N.  Dinge  gethan  oder  gesagt  habe,  die 
zur  Hexerei  gehören,  gegen  den  Glauben  und  das  Gemein- 
wesen gerichtet  sind,  u.  s.  w."  ^ 

2.  Frage.     Von  der  Anzahl  der  Zeugen. 

Ob  der  Richter  auf  Grund  zweier  gesetzlicher,  nicht 
sin2;ulärer  Zeuo-en  eine  als  Hexe  verurtheilen  könne?  Singu- 
iure  Zeugen  sind,  die  zwar  nicht  im  einzelnen,  wol  aber  im 
Wiesen  der  Sache  übereinstimmen,  z.  B.  der  eine:  sie  hat  mir 
eine  Kuh  behext;  der  andere:  mir  ein  Kind;  beide  treflen  in 
der  Hexerei  zusammen.  ^  Nach  der  Regel  soll  zwar  die 
Wahrheit  im  Munde  von  zweien  oder  dreien  bestehen;  es 
geheint  aber,  dass  in  Bezug  auf  das  ungeheuere  Verbrechen 
der  Hexerei  zwei  Zeugen  zwar  zur  Verdächtigung,  aber  nicht 
zur  Verurtheilung  genügen.  Man  lässt  in  diesem  Falle  den 
Lujuisiten  zum  Eide  der  Reinigung,  oder  fragt  ihn  summa- 
risch, oder  schiebt  das  Urtheil  auf. 

3.  Frage.     Ob   der  Richter   die   Zeugen   zum  Eid   die 

1  S.  507.         2  s,  509.         3  s.  509. 


3.    Der  Hexenhammer.  267 

"Wahrheit  zu   bekennen  zwingen  und  sie   mehrmals  exami- 

niren  darf? 
Ja,  besonders  ein  geistlicher  Richter.  Denn  wenn  ein 
Erzbischof  oder  Bischof  erfährt,  dass  in  einem  Pfarrsprengel 
Ketzer  sich  befinden,  hat  er  zu  untersuchen,  drei  oder  meh- 
rere Zeugen,  auch  wol  die  ganze  Nachbarschaft  eidlich  zu 
verpflichten.  Wer  sich  zu  schwören  weigert,  ist  als  Ketzer 
zu  behandeln.  * 

4.  Frage.     Von  der  Beschaffenheit  der  Zeugen. 
Excommunicirte,  Theilnehmer  am  Verbrechen,  Infame  und 

Lasterhafte,  Sklaven  wider  ihre  Herren  werden  in  Glaubens- 
sachen jeder  Art  als  Zeugen  zugelassen.  Ebenso  wie  Ketzer 
gegen  Ketzer  als  Zeuge  zugelassen  wird,  so  auch  ein  Zau- 
berer gegen  einen  Zauberer,  in  Ermangelung  anderer,  aber 
nur  wenn  er  gegen  den  Angeklagten  zeugt.  Ebenso  die  Frau, 
die  Kinder,  die  Freunde,  wenn  sie  gegen  denselben  auftreten. 
Auch  Meineidige,  bei  denen  vorausgesetzt  wird,  dass  sie  aus 
Glaubenseifer  zeugen,  sind  nicht  zurückzuweisen.  ^ 

5.  Frage.     Ob  Todfeinde  (des  Inquisiten)  als  Zeugen 
zuzulassen  seien? 

Solche,  von  denen  es  erwiesen  ist,  dass  sie  dem  Beschul- 
digten nach  dem  Leben  gestrebt,  Wunden  oder  schwere  Ver- 
letzungen beigebracht  haben,  sind  als  Zeugen  abzuweisen; 
aber  andere  Feindschaften,  auch  schwere,  oder  solche  wie  sie 
unter  Weibern  stattzufinden  pflegen,  sind  nicht  ganz  hinder- 
lich, die  Aussage  gibt  aber  erst  durch  die  Aussage  anderer 
Zeugnisse  einen  ganzen  Beweis.  ^ 

6.  Frage.      Zweiter  Abschnitt.     Wie   ist  der  Process 
fortzusetzen  ? 

Zu  beachten  ist  zunächst,  dass,  weil  der  Process  den 
Glauben  betrifft,  summarisch  ohne  viele  Umstände  (simpliciter 
et  de  piano),  ohne  viel  Aufhebens  von  Seiten  der  Advocaten  und 
Kichter  und  ohne  Formalitäten  verfahren  werde.  Zu  vermeiden 
sind  also  vom  Richter  so  viel  als  möglich  Exceptionen,  Appel- 
lationen, Dilatationen,  eine  überfliissige  Zahl  von  Zeugen ;  er 
soll  die  Citation  verfügen,  die  Zeugen  in  Eid  nehmen,  damit 
die   Wahrheit     nicht    verborgen   bleibe.  *     Der    Richter    soll, 

'  S.  512.         ■'  S.  513.         3  s.  515.         "  S.  517. 


268     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

da  die  mit  Hülfe  des  Teufels  geübte  Hexerei  geheim  gehalten 
wird,  dem  Ankläger  rathen,  anstatt  der  Anklage  lieber  eine 
Denuneiation  abzugeben,  wegen  des  Gefährlichen  der  Beweis- 
führung, welchen  diese  Art  mit  sich  bringt,  daher  auch  lieber 
nach  der  zweiten  oder  dritten  Art,  wäe  es  auch  üblicher  ist,  zu 
verfahren  sein  wird.  Der  Richter  soll  den  Denuncianten  be- 
sonders fragen:  wer  mit  ihm  noch  von  der  Sache  etwas  wisse, 
wer  etwas  wissen  könne?  Daher  lasse  der  Richter  diejenigen 
als  Zeugen  vorladen,  die  der  Denunciant  angegeben  hat,  und 
die  mehr  in  der  Angelegenheit  zu  wässen  scheinen.  Das  Ver- 
hör der  Zeugen  wird  folgendermassen  protokollai'isch  be- 
stimmt 1 : 

Der  vorgeladene  Zeuge  N.  N.  hat,  nachdem  er  beeidigt 
worden,  die  Frage:  ob  er  N.  N.  kenne,  bejaht;  wie  er  mit 
dem  Beschuldigten  bekannt  geworden ;  wann ;  in  welchem 
Rufe  jener  stehe,  besonders  in  Bezug  auf  den  Glauben;  wo 
er  das  früher  Angegebene  gehört;  in  wessen  Gegenwart; 
ob  Verwandte  des  Bescluildigten  wegen  Hexerei  verbrannt 
worden  oder  verdächtig  seien;  ob  er  mit  Verdächtigen  umge- 
gangen; wie  Zeuge  das  Ausgegebene  vernommen,  warum 
es  gesagt  worden,  u.  s.  w.  Ob  Zeuge  aus  Hass  oder  Un- 
muth,  oder  aus  Liebe  und  Wohlwollen  die  Angabe  gethan.  — 
Darauf  wird  der  Zeuge  unter  Aufbietung  der  Geheimhaltung 
entlassen.^  —  Bei  einem  solchen  Zeugenverhör  müssen  wenig- 
stens fünf  Personen  zugegen  sein:  der  Richter,  der  Zeuge 
oder  Angeber,  der  Beschuldigte,  der  erst  später  erscheint, 
der  dritte  ist  der  Notarius  oder  Schreiber,  und  noch  ein  an- 
derer ehrsamer  Mann.  Aehnlich  w^erden  andere  Zeugen  ver- 
nommen. Findet  der  Richter  das  Factum  als  bewiesen, 
oder,  wenn  nicht  ganz,  doch  den  Verdacht  gross  und  weit  ver- 
breitet, und  befürchtet,  dass  die  beschuldigte  Person  fliehen 
könnte,  so  lasse  er  sie  einfangen,  sonst  einfach  vorladen.  In 
jedem  Falle  lasse  der  Richter  ihr  Haus  unversehens  genau 
untersuchen,  alle  Schränke  öffnen  u.  s.  f.  Hierauf  beeidet  der 
Richter  den  Beschuldigten,  von  sich  und  andern  die  Wahrheit 
zu  sagen,  und  fasst  alles,  was  er  vernommen  und  durch  Zeugen 
bewiesen  ist,  zusammen  und  schreitet  auf  Grund  dessen  zum 


•  S.  518.         ==  ö.  519. 


3.    Der  Ilexenhammer.  269 

Verhör  des  Beschuldigten,  das  auch  ins  Protokoll  aufgenom- 
men wird.  * 

Allgemeines  Verhör  einer  Hexe  oder  eines  Hexers.  Erster  Act. 
N.  N.  ist  denuncirt  und  nachdem  er  einen  Eid  auf  die 
vier  Evangelien  geleistet,  die  Wahrheit  sagen  zu  wollen,  wurde 
er  gefragt:  woher  er  gebürtig,  wer  seine  Aeltern  seien  oder 
gewesen,  ob  sie  leben  oder  gestorben,  und  wenn  letzteres,  ob 
sie  natürlichen  Todes  abgegangen  oder  verbrannt  worden. 
Letzteres  ist  darum  zu  bemerken,  w^eil  Hexenältern  ihre 
Kinder  dem  Teufel  geloben  und  dadurch  die  ganze  Nach- 
kommenschaft angesteckt  wird,  und  im  Falle  die  Angeber  es 
behaupten,  die  Hexe  es  aber  leugnet,  diese  schon  verdächtig 
ist.  Wo  sie  erzogen  worden  vmd  sich  in  neuester  Zeit  auf- 
gehalten habe?  (Hat  sie  den  Ort  ihrer  Geburt  verlassen  und 
sich  an  Orten  aufgehalten,  wo  Hexen  sind,  so  wird  weiter  ge- 
fragt): Warum?  Ob  sie  an  diesen  Orten  von  Hexerei  gehört, 
dass  Hexer  oder  Hexen  Gewitter  macheu,  Vieh  behexen,  den 
Kühen  die  Milch  entziehen  u.  s.  w.  Sagt  sie  Ja:  Was  sie 
sagen  gehört?  wenn  Nein:  Ob  sie  glaube,  dass  es  Hexen  gebe 
und  dass  sie  derlei  bewirken  können?  —  Zu  bemerken  ist, 
dass  Hexen  dies  anfänglich  meistens  verneinen,  wodurch  sie 
mehr  verdächtig  werden,  als  wenn  sie  sagen:  Ob  es  Hexen 
gibt  oder  nicht,  überlasse  ich  den  Obern.  Wenn  sie  es  also 
verneinen,  ist  zu  fragen:  ob  sie  denn  glauben,  dass  diejenigen, 
die  verbraunt,  unschuldig  verurtheilt  wurden?  ^ 

Besonderes  Verhör  derselben. 
Der  Richter  darf  folgende  Fragen  nicht  verschieben,  son- 
dern soll  sie  unverzüglich  der  Hexe  vorlegen:  Warum  sich 
das  Volk  allgemein  vor  ihr  fürchte?  Ob  sie  wisse,  dass  sie 
in  schlechtem  Rufe  stehe  und  gehasst  werde?  Warum  sie 
dieser  oder  jener  Person  gedroht  habe:  das  soll  dir  nicht 
unvergolten  bleiben!  Was  ihr  die  Person  Böses  gethan,  dass 
sie  solche  Drohung  ausgestossen?  (Diese  Frage  ist  noth- 
wendig,  um  der  Feindschaft  auf  den  Grund  zu  kommen,  weil 
sich  die  Denuncirte  schliesslich  auf  die  Feindschaft  berufen 
dürfte,  was  freilich  kein  Hinderniss  w^äre,  wenn  es  keine  Tod- 
feindschaft ist,    sondern  um  ihr  die  Ausflucht  zu  versperren.) 


i'S.  520.         2  S.  522. 


270     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

—  Bemerkung:  Denn  dies  ist  das  Eigentbümliche  der  Hexen, 
dass  sie  durch  Worte  oder  Thaten  die  Menschen    «xesren    sich 
aufbrini2;cn  und  sich  dadurch   kenntlich   machen^:    zu   bemer- 
ken  ist,   dass  sie  vom  Teufel  angeregt  werden,    wie   wir   von 
vielen,  die  hernach  eingeäschert  wurden,  erfahren  haben,  dass 
sie  ireccen  ihren  Willen  sich  aufbringen  lassen  und  hexen  mussten. 
Ferner  ist   zu  fragen:    wie  die  Wirkung  ihrer  Drohung    habe 
nachfolgen  können,    dass  das  Kind   oder  Vieh   so   schnell  be- 
hext worden?     Und  ist  die  Frage  zu  wiederholen,  warum  sie 
gedroht:   sie   (die  Feindin)   solle   keinen    gesunden   Tag   mehr 
haben,  und  ob  dies  so  geschehen  sei?    Wenn  sie  alles  leugnet, 
ist   sie   über  andere  Hexereien   zu   befragen,    die   von   andern 
angegeben  worden,  etwa  an  Vieh  oder  Kindern ;  ist  zu  fragen : 
warum  sie  sich   auf  dem  Felde  habe   sehen  lassen,    oder   im 
Stalle;    warum    sie    das  Vieh   beriihrt    habe;    warum   sie    das 
Kind  berührt  habe,   und  wie  es  gekommen,    dass  dieses  bald 
darauf  erkrankt  sei.     Was  sie  auf  dem  Felde  gethan  während 
des   Gewitters,   und   vieles   andere.     Woher   es   komme,    dass 
sie  von    einer  Kuh   oder   von  zwei   Kühen  mehr   Milch    habe 
als  ihre  Nachbarin  von  vier  bis  sechs  Kühen?    Ob  sie  im  Ehe- 
bruche oder  im  Concubinate  lebt,  gehört  zwar  nicht  unmittel- 
l)ar    zur  Sache,    erzeugt   aber   mehr  Verdacht,  wenn   letzteres 
der  Fall  ist,  als  bei  einer  unbescholtenen  Person.    Der  Richter 
soll  die  Fragen  auch  öfter  wiederholen,  um  zu  sehen,  ob  ihre 
Aussagen  übereinstimmen  oder  sich  widersprechen. 

7.  Frage,    in   welcher  verschiedene  Zweifel   in   Bezug 
auf  vorhergehende  Verhöre  und  verneinende  Antworten  er- 
klärt   werden.      Ob    die   Angeschuldigte    einzukerkern    sei 
und   wann   sie   für   eine   i'iberwiesene  Hexe    gehalten    wer- 
den soll.     2.  Act. 
Wenn  die  Beschuldigte  alles  leugnet,  hat  der  Richter  auf 
drei  Momente   zu  achten:    den  Übeln  Ruf  (iufamia),    die  An- 
zeigen der  That,  die  Aussagen  der  Zeugen,  ob  die  alle  über- 
einstimmen   oder    nicht.      Im  Wesentlichen   der  That  pflegen 
sie  iibereinzukommen ,   nämlich  in  der  Hexerei   oder  im  Ver- 
dacht    bezüglich    der    Beschuldi<Tten.  -      Es    ist     aber     nicht 
nothwendig,    dass    die   erwähnten    drei   Momente    zusammen- 


1  S.  522.         ■■'  S.  524. 


3.    Der  Ilexenhammer.  271 

treflfen,  um  die  Hexe  als  überwiesen  zu  erachten,  der  Beweis 
ergibt  sich  per  argumentum  a  fortiori.  Eins  von  beiden,  die 
Anzeige  der  That  oder  die  Aussage  der  Zeugen  genügt,  um 
jemand  der  Ketzerei  überführt  zu  betrachten,  um  so  mehr, 
wenn  beide  Beweisgründe  zusammenfallen.  Als  Beweis  der 
That  betrachten  wir  eine  Drohung,  der  die  Wirkung  gefolgt, 
wenn  z.  B.  der  Bedrohte  krank  o-eworden  ist.  Wenn  nun 
schon  eines  dieser  Momente  hinreicht  luid  den  Verdacht  be- 
gründet, um  so  mehr  beim  Hinzutritt  des  Übeln  Leumundes 
oder  der  Zeugenaussagen.  ^  Auf  der  That  ertappt  zu  be- 
trachten ist  die  Beschuldigte  durch  den  Beweis  der  That  oder 
die  Zeugenaussage,  sie  mag  bekennen  oder  nicht.  Bekennt 
sie  und  bekehrt  sich  nicht,  ist  sie  dem  weltlichen  Arme  zu 
überliefern,  zur  Vollziehung  der  Todesstrafe  oder  zur  lebens- 
länglichen Einkerkerung;  leugnet  sie,  ist  sie  als  unbussfertig 
ebenfalls  dem  weltlichen  Gerichte  zu  derselben  Strafe  zu 
übercreben.  Wenn  nun  der  Richter  nach  der  voroeschriebenen 
Weise  verhört  und  auf  Grund  der  Angabe  der  Zeugen  in 
Glaubenssacheu  summarisch  und  ohne  Umstände  (summarie, 
simpliciter  et  de  piano)  verfährt,  die  Beschuldigte  auf  eine 
geraume  Zeit  in  den  Kerker  wirft,  dass  sie  vielleicht  nach 
mehrern  Jahren,  durch  die  Scheusslichkeit  des  Kerkers  mürbe 
gemacht,  das  Verbrechen  bekennt,  so  handelt  er  ganz  gerecht.  * 

8.  Frage.  Ob  sie  einzukerkern  und  wie  sie  zur  Haft 
zu  bringen  sei.     3.  Act. 

Ob  die  Hexe,  die  geleugnet,  sich  aber  verdächtig  ge- 
macht hat,  gefangen  gehalten  oder  auf  Bürgschaft,  sich 
auf  Vorladung  zu  stellen,  auf  freien  Fuss  gelassen  w^er- 
den   soll? 

Es  wird  von  den  verschiedenen  Ansichten  die  Meinunof 
derjenigen  als  die  vernünftigste  betrachtet,  wonach  es  in  dem 
gegebenen  Falle  dem  Ermessen  des  Richters  zu  überlassen 
sei,  nach  Umständen  zu  verfahren.  Kann  die  Beschuldigte 
keine  genügende  Bürgschaft  stellen,  und  steht  zu  besorgen, 
dass  sie  die  Flucht  ergreife,  so  ist  sie  in  Verwahrsam  zu 
halten.  ^  Nebstbei  ist  aber  zu  bemerken:  1)  dass  ihr  Haus, 
darin  alle  Winkel,  Löcher  und  Schränke  sorgfältigst  genau 
untersucht  werden,   2)  dass   ihre  Mägde  oder  Genossinnen  je 

1  S.  525.         2  s.  526.         3  g.  527. 


272     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtliclieii  Hexenvcrfolgung. 

einzeln  gefangen  gesetzt  werden,  auch  wenn  sie  nicht  ange- 
geben worden  sind,  weil  sie  von  den  Hexengeheimnissen 
etwas  wissen  können;  3)  dass  bei  der  Verhaftung  der  Hexe 
in  ihrem  Hause  diese  verhindert  werde,  in  eine  Kammer  zu 
gehen,  damit  sie  nicht  Hexenmittel  zu  sich  nehme,  um  sich 
schweigsam  zu  machen.  ^  Es  ist  auch  erlaubt  und  rathsam, 
die  Hexe  bei  der  Verhaftung  vom  Boden  aufzuheben  und  sie 
in  einem  Korbe  wegzutragen,  damit  sie  nicht  mehr  die  Erde 
berühre,  da  viele  Eingeäscherte  gestanden  haben,  dass  sie  sich 
befreit  haben  würden,  wenn  sie  nur  mit  einem  Fusse  die  Erde 
hätten  berühren  können.  ^ 

9.  Frage.     Was   nach   der  Verhaftung    zu   geschehen. 

Ob    der   Gefangenen   die   Namen   der  Zeugen  bekannt  zu 

machen.  4.  Act. 
Nach  der  Verhaftung  handelt  es  sich  zunächst  darum,  ob 
der  Richter  eine  Vertheidigung  zulassen  will,  was  von  dessen 
Belieben  abhängt.  Hierauf  wird  Inquisitin  in  die  Folterkammer 
gebracht  und  befragt,  doch  ohne  Folter;  aber  zuvor  müssen 
die  Dienstboten  oder  Genossinnen  im  Hause  examinirt  werden. 
Wenn  die  Gefangene  behauptet,  sie  sei  unschuldig  angegeben 
worden,  sie  wolle  ihre  Angeber  kennen,  so  ist  dies  ein  Zeichen, 
dass  sie  eine  Vertheidigung  verlangt.  Der  Richter  braucht 
aber  die  Zeugen  weder  zu  nennen  noch  sie  der  Beschuldigten 
vorzuführen,  ausser  die  Angeber  erbieten  sich  freiwilhg,  um 
jener  ihre  Angabe  ins  Gesicht  zu  werfen.  Der  Richter  ist 
aber  nicht  dazu  verpflichtet,  weil  es  den  Angebern  Gefahr 
bringen  könnte.  ^  Einige  Päpste  haben  gar  behauptet ,  dass 
in  keinem  Falle  erlaubt  sei,  die  Angeber  zu  nennen.*  — 
Bonifacius  VHI.  in  seinem  Statut  verordnet,  dass  zur  Ver- 
meidung der  Gefxhr  für  Zeugen  und  Angeber  diejenigen, 
die  bei  einem  solchen  Processe  betheiligt,  von  dessen  Geheim- 
nissen nichts  verrathen  dürfen,  bei  Strafe  der  Excommuni- 
cation.  ^ 

10.  Frage.     Wie   die  Vertheidigung  zu  gestalten  und 

ein  Anwalt  zu  bestimmen  sei. 

Wenn  die  Vertheidigung  verlangt  wird,  fragt  es  sich,  wie 
sie   bei   Geheimhaltung    der   Namen   der   Zeugen   zu  gestatten 


1  S.  528.        ^  S,  529.        =>  S.  530.        "  S.  531.        '  S.  532. 


3.    Der  Hexenhammer.  273 

sei.  Zu  bemerken  ist  hierbei  dreierlei:  1)  ein  Anwalt  wird 
bestellt;  2)  diesem  werden  die  Namen  der  Zeugen  nicht  be- 
kannt gemacht,  selbst  wenn  er  sich  eidlich  verpflichten  wollte, 
sie  nicht  zu  verratlien,  es  wird  ihm  nur  der  besondere  Inhalt 
des  Processes  mitgetheilt;  3)  die  Sache  des  Beschuldigten 
mag  so  gut  es  geht  geführt  werden,  jedoch  nicht  zum  Aerger- 
niss  des  Glaubens  oder  zum  Nachtheile  der  Gerechtigkeit. 
Gleichermassen  soll  der  Procurator  für  die  Inquisition  ver- 
fahren, aber  mit  Geheimhaltung  der  Namen  der  Zeugen  und 
Angeber.  Zunächst  ist  zu  beachten,  dass  der  Beschuldigte 
nicht  nach  Belieben  seinen  Vertheidiger  wähle,  sondern  der 
Kichter  einen  Mann  bestelle,  der  nicht  streitsüchtig,  oder  bös- 
willig, oder  bestechlich  ist.  Dieser  muss  aber  die  Angelegen- 
heit prüfen,  und  findet  er  sie  gerecht,  kann  er  sich  derselben 
annehmen;  ist  sie  aber  ungerecht,  soll  er  sie  abweisen.  Denn 
wenn  er  eine  desperate  Angelegenheit  übernimmt,  so  muss  er 
das  Salär,  das  er  vorweg  erhalten  hat,  zurückgeben,  und  wenn 
er  die  Vertheidiguug  einer  ungerechten  Sache  übernimmt,  so 
hat  er  den  Schadenersatz  und  die  Kosten  zu  tragen.  ^  Dem 
Advocaten  obliegt:  Bescheidenheit,  Wahrheit,  dass  er  keine 
Frist  nachsuche,  da  der  Process  summarisch  geführt  werden 
soll.  Alles  dies  hat  der  Richter  dem  Vertheidiger  zur  Be- 
dino-una;  zu  stellen  und  ihn  schliesslich  zu  warnen:  sich  kei- 
ner  Bej^ünstig-uno^  der  Ketzerei  schuldig  zu  machen,  da  er  in 
diesem  Falle  die  Strafe  der  Excommunication  auf  sich  lüde.^ 
Sagt  der  Vertheidiger  dem  Richter:  er  vertheidige  die  Per- 
son,  nicht  den  Irrthum,  so  ist  dies  eine  ungültige  Ausflucht, 
denn  er  soll  auf  gar  keine  Weise  vertheidigen,  wodurch  er 
das  summarische  Verfahren  verhindern  könnte,  als :  durch  An- 
suchen um  Frist,  durch  Einmischung  von  Berufungen,  was 
alles  zurückgewiesen  werden  muss.  Denn  wenn  er  ungehörig 
den  der  Ketzerei  schon  Verdächtigen  vertheidigt,  so  macht 
er  sich  zum  Gönner  der  Ketzerei,  und  der  Verdacht  wird  um 
so  grösser.  Hat  aber  der  Richter  einen  unbescholtenen,  eifri- 
gen, gerechtigkeitsliebenden  Mann  zum  Vertheidiger  des  Be- 
schuldigten aufgestellt,  so  kann  er  ihm  die  Namen  der  Zeugen 
augeben,  die  aber  unter  eidlicher  Verpflichtung  geheim  zu 
halten  sind.  ^ 


1  S.  535.         2  S.  535.         =*  S.  536. 

Roskoff,    Geschichte  des  Teufels.    II.  jy 


274     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  geriehtlichcn  Ilexenverfolgung. 

11.  Frage.  Was  hat  der  Advocat  zu  thun,  wenn  ihm 
die  Namen  der  Zeugen  nicht  bekannt  gemacht  werden? 
G.  Act. 
Der  Vertheidiger  muss  in  diesem  Falle  die  Information 
über  die  Einzelheiten  im  Processe  vom  Richter  erhalten  und 
dann  zum  Beschuldigten  gehen,  und  diesen  nach  Umstän- 
den zur  Geduld  ermahnen.  ^  Wenn  der  Vertheidiger  nach 
seiner  Unterredung  mit  seinem  Clienten  eine  Feindschaft 
zwischen  diesem  und  den  vermutheten  Angebern  (Zeugen) 
findet,  hat  er  es  dem  Richter  zu  cröfinen,  der  dann  die  Unter- 
suchung anstellt.^  Sollte  eine  Todfeindschaft  stattfinden,  so 
ist  dahin  zu  sehen,  ob  diese  durch  den  Inquisiten  oder  den 
Angeber  veranlasst  ist,  ob  die  Freunde  des  einen  die  des 
andern  tödlich  verfolgt  haben,  ob  die  angegebene  Behexung 
richtig  ist,  ob  nicht  noch  andere  Zeugen  vorhanden  sind  u.  s.  f. 
Ist  die  Denunciation  aus  Rache  geschehen,  so  ist  die  Denun- 
cirte  frei  zu  lassen,  aber  unter  der  Bedingung,  sich  nicht  zu 
rächen.  Saoen  aber  andere  Zeugen  wider  sie  betrefls  der 
That  oder  auch  des  i'ibeln  Rufs,  so  weist  zwar  der  Richter 
die  Angeber  aus  Rache  zuriick,  aber  die  Angabc  des  Factums, 
die  durch  andere  Zeugen  des  iibeln  Rufs  ergänzt  wird,  bleibt 
als  Beweis.  Wenn  die  Beschuldigte  das  Verbrechen  gesteht 
und  bereut,  so  wird  sie  dem  weltlichen  Arme  nicht  zur  Todes- 
strafe übergeben,  sondern  vom  geistlichen  Gerichte  zum  lebens- 
länglichen Kerker  verurtheilt,  obschon  sie  wegen  zeitlichen 
Schadens  (noch  immer)  verbrannt  werden  kann.  ^  Der 
Richter  hüte  sich,  dem  Vertheidiger,  wenn  er  Todfeindschaft 
vorschützt,  immer  zu  glauben,  weil  die  Hexen  gewöhnlich 
verhasst  sind.^  —  In  Betrefi'  der  Drohuno-en  der  Hexen  ist  zu 
bemerken,  dass  wenn  der  Vertheidiger  behauptet,  die  Krank- 
heit sei  aus  natürlichen  Ursachen  und  nicht  infolge  der  Drohung 
entstanden,  diese  Entschuldigung  stattfinden  kaini;  dies  ist 
aber  nicht  der  Fall,  Avenn  keine  Mittel  helfen,  wenn  die 
Aerzte  das  Uebel  für  Behexung,  den  sogenannten  ,, Nacht- 
schaden" erklären  und  vielleicht  andere  Hexen  die  Krankheit 
für  eine  angehexte  erachten,  da  sie  plötzlich  und  nicht  wie 
die  natürlichen  Krankheiten  allmählich  entstanden  ist,  u.  dgl.  m."' 


1  ö.  537.         -'  S.  538.         3  s.  539.         ^  S.  540.         '  S.  541. 


3.    Der  Hexenhammer.  275 

12.  Frage  erklärt  deutlicher,  wie  Todfeindschaft  zu  er- 
forschen sei.  7.  Act. 
Um  sich  von  der  wirklichen  Todfeindschaft  zu  überzeugen, 
kann  der  Richter  sich  verschiedener  Mittel  bedienen,  die,  ob- 
schon  sie  schlau  und  listig,  doch  erlaubt  sind,  da  sie  zum 
Heile  der  Religion  und  des  Staates  gereichen.  1)  Es  wird 
dem  Beschuldigten  und  dessen  Vertheidiger  eine  Abschrift 
des  Processes  gegeben,  worin  die  Aussagen  der  Zeugen  nicht 
bei  den  betreflenden  Namen  stehen,  sondern  untereinander 
geworfen  sind,  sodass  aus  der  Copie  nicht  ersichtlich  wird, 
wer  von  den  Zeugen  das  oder  jenes  ausgesagt  habe,  und  der 
Inquisit  sich  fangen  muss;  wenn  er  die  ersten  angeführten 
Zeugen  für  seine  Todfeinde  erklärt,  beschuldigt  er  alle  einer 
Todfeindschaft,  imd  so  ist  er  um  so  leichter  der  Lüge  zu 
überweisen.  ^  2)  Man  gibt  dem  Advocaten  eine  Copie  des 
Processes  einer  Partei,  und  die  Namen  der  Angeber  der  an- 
dern Partei,  mengt  aber  allerlei  Facta  hinein,  die  von  andern 
Hexen  anderwärts  verübt,  aber  nicht  von  den  genannten  Zeu- 
gen ausgesagt  worden  sind.  So  kann  der  Beschuldigte  nicht 
sagen,  dieser  oder  jener  sei  sein  Todfeind,  da  er  nicht  weiss, 
was  sie  gegen  ihn  vorgebracht  haben.  3)  Gleich  nach  dem 
zweiten  Verhör,  also  noch  bevor  der  Inquisit  einen  Verthei- 
diger angesucht  und  dieser  ihm  bestellt  worden,  soll  ersterer 
gefragt  werden,  ob  er  solche  Todfeinde  zu  haben  glaube,  die 
ihn  des  Verbrechens  der  Hexerei  fälschlich  beschuldigen  könn- 
ten. Da  er  auf  diese  Frage  nicht  gefasst  sein  dürfte  und 
die  Aussagen  der  Zeugen  noch  nicht  vernommen  hat,  so  wird 
er  antworten,  entweder:  er  glaube  nicht  solche  Feinde  zu 
haben,  oder:  er  vermuthe  derlei.  Dann  nennt  er  sie,  sie  wer- 
den verzeichnet  sowie  die  Ursache  der  Feindschaft,  und  der 
Richter  kann  nach  der  angegebenen  Weise  verfahren.^  4)  Eben- 
falls nach  dem  zweiten  Verhöre,  bevor  er  einen  Vertheidiger 
und  ehe  er  die  Aussagen  der  Zeugen  kennt,  werde  der  Beschul- 
digte über  die  Zeugen  befragt,  die  ihn  am  schwersten  beschuldigt 
haben,  ohne  dass  er  es  weiss:  ob  er  diesen  oder  jenen  dem 
Namen  nach  kenne.  Verneint  er  es,  so  kann  sein  nachfolgen- 
des Vorgeben  bei  der  Vertheidigung:  es  sei  N.  N.  sein  Feind, 
nicht  berücksichtigt  werden.  Sagt  er  aber:  ich  bin  sein  Freund, 

•  S.  542.         ■'  S.  543. 

18* 


27G     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Ilexenverfolgung. 

wüsste  ich  aber  etwas  von  ihm,  so  wurde  ich  es  doch  sagen, 
so  kann  er  ihn  später  nicht  wieder  fi'ir  einen  Feind  ausgeben. 
5)  Man  gibt  dem  Beschuldigten  oder  Advocaten  eine  Copie 
des  Processes  mit  Vorenthalt  der  Namen  der  Angeber.  AVenn 
er  nun,  durch  Vermuthung  auf  einen  oder  den  andern  geleitet, 
sairt:  der  ist  mein  Todfeind  und  ich  will  es  durch  Zeugen 
beweisen,  dann  soll  der  Richter  die  Zeugen  verhören  und  in 
Gemeinschaft  einer  geheim  zusammenberufenen  Rathsversamm- 
luno:  von  alten  und  erfahrenen  Leuten  die  Ursachen  der 
Feindschaft  erforschen,  und  stellen  sich  diese  als  begriindet 
heraus,  sollen  zunächst  die  Zeugen  abgewiesen  und  der  Be- 
schuldigte entlassen  werden,  wenn  nicht  Aussagen  anderer 
Zeugen  vorliegen.  ^ 

13.  Frage.  Was  der  Richter  vor  dem  Verhöre  im 
Kerker  und  der  Folterkammer  zu  beobachten  hat.  8.  Act. 
Da  kein  Bluturtheil  ohne  eigenes  Geständuiss  gesprochen 
werden  soll,  wenngleich  der  Beweis  der  ketzerischen  Bosheit 
durch  die  That  oder  die  Zeugenaussage  vorliegt,  so  muss 
allerdings  das  Bekenntniss  durch  Fragen  unter  der  Tortur 
erlangt  werden.  ^  Um  das  durch  Hexerei  bewirkte  Still- 
schweigen  zu  verhüten,  hat  der  Richter  vielerlei  zu  beobachten. 
Zunächst  eile  er  nicht  alsobald  zum  peinlichen  Verhör^,  son- 
dern habe  auf  gewisse  Merkmale  Acht.  Denn  wxnn  nicht 
durch  göttlichen  Zwang  mittels  eines  heiligen  Engels  die 
Zauberei  des  Teufels  gebrochen  wird,  so  wird  auch  die  Hexe 
unter  der  Tortur  so  unempfindlich  sein,  dass  ihr  die  Glieder 
eher  vom  Leibe  gerissen  werden  können,  bevor  sie  die  Wahr- 
heit bekennt.'*  Es  ist  aber  nicht  zu  iibersehen,  dass  nicht 
alle  in  die  Hexerei  glcichermassen  verstrickt  sind,  und  dass 
der  Teufel  bisweilen  von  selbst,  ohne  durch  einen  heiligen 
Engel  gezwungen  zu  sein,  das  Geständuiss  zulässt,  da  ihm 
nicht  jede  Hexe  gleich  in  den  ersten  Jahren  ihres  Verkehrs 
das  Homagium  leistet,  weil  er  sie  vorher  erst  priifen  will,  in- 
dem er  mit  bloss  äusserer  Hingebung  nicht  zufrieden  ist, 
sondern  auch  eine  innerliche,  also  gänzliche  verlangt.     Daher 


\ 


1  S.  545.         ■'  S.  545. 

2  Das  heisst  eigentlich  die  Folter,  die  immer  unter  quaestionarc  ver- 
standen wird. 

<  S.  &49. 


3.    Der  Hexenhammer.  277 

kommt  CS,  dass  solche,  die  aus  Noth  oder  durch  audere 
Hexen  gezwungen,  in  der  Hofinung  wieder  los  zu  werden,  sich 
nur  halb  dem  Teufel  ergeben  haben,  von  diesem  verlassen 
werden,  damit  sie  durch  Sinnesverwirrung  und  einen  schreck- 
lichen Tod  in  Verzweiflung  stürzen,  da  er  sie  nie  ganz  haben 
konnte.  Solche  Ilalbhexen  kommen  leichter  zum  Geständniss. 
Diejenigen  hingegen,  die  dem  Teufel  mit  Mund  und  Herz 
verbunden  sind,  werden  auch  kräftig  von  ihm  vertheidigt, 
hart  und  schweigsam  gemacht.  ^ 

14.  Frage.  Wie  eine  Hexe  zur  Tortur  zu  verurtheilen, 
wie  sie  am  ersten  Tage  zu  foltern  sei.  Ob  man  ihr  das 
Leben  versprechen  dürfe.      (10.  Act  in  meiner  Ausgabe.) 

Der  Ivichter  spricht  das  Urtheil  in  dieser  Form:  Wir 
Richter  und  Beisitzer,  die  wir  den  Process  gegen  dich  N.  N. 
u,  s.  w.  eingeleitet  und  alles  erwogen  haben,  finden,  dass  du 
verschiedene  Aussagen  gemacht  hast,  indem  du  gestehst, 
solche  Drohungen  zwar  ausgestossen,  aber  nicht  die  Absicht 
zu  schaden  gehabt  zu  haben;  doch  sind  verschiedene  In- 
dicien  vorhanden,  welche  hinreichen,  dich  auf  die  Folter  zu 
brino;en.  Damit  nini  die  W  ahrheit  aus  deinem  eio;enen  Munde 
kund  werde  und  du  die  Ohren  der  Richter  nicht  durch 
Zwischenreden  weiter  beleidigst,  erklären,  verurtheilen  und 
verdammen  wir  dich  zum  Verhör  auf  der  Folter  am  heutigen 
Tage  um  .  .  .  Uhr.     Dies  Urtheil  ist  gesprochen  u.  s.  w\  ^ 

Hierauf  wird  Inc|uisit  wieder  ins  Gefängniss  abgeführt, 
und  zwar  nicht  mehr  zum  Gewahrsam,  sondern  schon  zur 
Strafe.  Es  werden  aber  seine  Freunde  zugelassen,  denen  der 
Richter  vorschlage,  dass  sie  ihn  durch  Zureden  und  die  Aus- 
sicht, er  werde  vielleicht  der  Todesstrafe  entgehen,  wenn  er 
die  Wahrheit  sagt,  zum  Geständniss  dessen  bringen,  was  über 
ihn  ausgesagt  worden.  Denn  die  Ueberlegung,  die  Noth  des 
Kerkers  und  die  Information  von  ehrlichen  Männern,  sind 
geeignete  Mittel,  die  Wahrheit  herauszubringen.  Wir  haben 
es  an  vielen  Hexen  erfahren,  die  so  mürbe  wurden,  dass  sie, 
vom  Teufel  sich  lossagend,  ihre  Verbrechen  häufig  einge- 
standen. 

Die  Weise,  das  Verhör  auf  der  Folter  zu  beginnen,  ist 
diese:    zunächst    machen  die  liüttel    die   Vorbereitungen   zum 

1  S.  550.         -  S.  552. 


278     Di'itter  Abschnitt:    Periode  der  gericlitlicheu  Iloxenvcrfolgung. 

Foltern,  entkleiden  den  Inquisiten,  ist  es  ein  Frauenzimmer, 
so  geschieht  es  von  ehrbaren  Weibern,  um  die  Zaubermitte], 
die  etwa  in  die  Kleider  eingenäht  sind,  wie  sie  derlei  aus  den 
Gliedern  ungetaufter  Kinder  bereiten,  zu  beseitigen.  Dann 
werden  die  Folterwerkzeuge  zurecht  gelegt  und  der  Richter 
sucht  selbst  und  durch  andere'  gute,  glaubenseifrige  Männer 
den  Inquisiten  zum  freien  Geständniss  der  Wahrheit  zu  brin- 
gen, will  er  aber  nicht  bekennen,  so  befiehlt  der  Richter, 
dass  man  ihn  an  das  Seil  spanne,  auf  die  Leiter  binde, 
oder  andere  Folterinstrumente  anlege.  Die  Büttel  sollen 
diesem  Befehle  sogleich,  aber  gleichsam  erschreckt  ge- 
horchen. Hierauf  werde  er  wieder  auf  das  Ansuchen  einiger 
losgeschnürt  und  beiseite  gebracht,  und  suche  man  ihn  zu 
überreden  und  ihm  merken  zu  lassen,  dass  er  im  Falle  seines 
Geständnisses  nicht  der  Todesstrafe  verfallen  würde.  ^  Hier 
ist  die  Frage:  ob  der  Richter  einem  denuncirten,  berüchtig- 
ten, durch  Zeugen  und  Indicien  der  That  völlig  überführten 
Hexer,  bei  dem  nur  das  eigene  Geständniss  abgeht,  das  Leben 
versprechen  dürfe.  Es  gibt  verschiedene  Ansichten.  Einige 
meinen:  einer  berüchtigten,  durch  Anzeichen  der  That  schwer 
verdächtigen  Haupthexe,  die  von  grossem  Schaden  ist,  könne 
man  dennoch  das  Leben  zusichern  und  sie  zu  lebenslänglichem 
Gefängniss  bei  Wasser  und  Brot  verurtheilen,  wofern  sie  an- 
dere Hexen  an  gewissen  wahrhaftigen  Zeichen  angeben  wolle; 
jedoch  sei  ihr  nicht  die  Gefängnisstrafe  zu  verkünden,  son- 
dern nur  die  Hoffnung  zum  Leben  zu  lassen.  ^  Ohne  Zweifel 
wären  auch  solche  berüchtigte  Hexen  geeignet,  um  andere 
Hexen  zu  verrathen,  wenn  dem  nicht  entgegenstünde,  dass 
der  Tetifel  ein  Lügner  ist,  der  letztern  wieder  Beistand  leisten 
kann.  ^  Andere  meinen :  man  könnte  einer  zum  Gefänsjuiss 
Verurtheilten  auf  einige  Zeit  das  Versprechen  halten ,  danach 
sie  aber  einäschern.  Dritte  saoren:  der  Richter  könne  ihr  eje- 
trost  das  Leben  zusichern,  er  solle  aber  das  Urtheil  von  einem 
andern  sprechen  lassen.  Will  eine  Hexe  durch  derlei  Ver- 
sprechungen sich  nicht  zum  Geständniss  bewegen  lassen,  dann 
haben  die  Büttel  das  Urtheil  zu  vollziehen  und  nach  üblicher 
Weise  zu  foltern,  leichter  oder  stärker,  je  nachdem  es  das 
Verbrechen    erfordert.      Man    beginnt    das    peinliche    Verhör 

'  S.  553.         2  S.  553.         •'  Ö.  554. 


3.    Der  Hexenhammer.  279 

über  leichtere  Verbrechen,  da  sie  der  Verbrecher  eher  ein- 
gestehen wird  als  schwere.  Währenddessen  hat  der  Notarius 
alles  protokollarisch  aufzunehmen.  Bekennt  Inquisitin  unter  der 
Folter,  so  liringe  man  sie  an  einen  andern  Ort,  um  daselbst 
ihr  Bekenntniss  wiederholen  zu  lassen.  Will  sie  aber  nicht 
gestehen,  so  zeige  man  ihr  andere  Folterwerkzeuge  mit  dem 
Bedeuten,  dass  sie  auch  durch  diese  leiden  müsse,  wenn  sie 
nicht  die  Wahrheit  eingestehe.  Wenn  auch  dies  nicht  verfängt, 
dann  wird  am  folsxenden  oder  dritten  Ta<T;e  die  Folter  fort- 
gesetzt,  nicht  wiederholt.  Denn  sie  darf  nicht  wiederholt 
werden,  ausser  es  wären  neue  Anzeigen  hinzugekommen.  Der 
Richter  verkündet  der  Inquisitin  das  Urtheil:  Wir  Richter 
u.  s.  w.  verurtheilen  dich,  dass  morgen  die  Folter  mit  dir  fort- 
gesetzt werde,  um  aus  deinem  Munde  die  Wahrheit  zu  ver- 
nehmen. ^  In  der  Zwischenzeit  hat  der  Richter  die  erwähnten 
Ueberredungskünste  mit  Zusicherung  des  Lebens  anzuwenden, 
wenn  er  es  für  zweckmässiür  hält.  Auch  soll  er  in  dieser 
Zeit  Wächter  bei  der  Inquisitin  aufstellen,  damit  sie  nie  allein 
sei  und  vom  Teufel  überredet  werde,  sich  selbst  zu  tödten. 

15.  Frage:  Ueber  die  fortzusetzende  Tortur,  die  Cau- 
telen  und  Zeichen,  woran  der  Richter  eine  Hexe  erkennen 
kann;  wie  er  sich  gegen  ihre  Hexenkünste  zu  schützen  hat; 
wie  sie  da  zu  scheren,  wo  sie  ihre  Zaubermittel  verborgen 
hat,   wie  dem  hexenhaften  Stillschweigen  voi'zubeugen  ist. 
11.  Act. 
W^enn   der  Richter   erforschen   will,    ob   die   Hexe   durch 
Zauberei  sich  in  Stillschweigen  verhüllt,   so  beobachte  er:    ob 
sie    vor  ihm   und    im    Anblicke    der  Folterwerkzeuge    weinen 
könne.      Denn    es   ist    eine    auf  Erfahrvuig   gegründete   That- 
sache,  dass  eine  Hexe  nicht  weinen  kann,    sondern   sich  nur 
den  Anschein  gibt,  indem   sie  Klagetöne   ausstösst,    Wangen 
und    Augen    mit   Speichel    benetzt,    worauf   daher    besonders 
Acht  zu  haben  ist.     Um  der  Sache   auf  den  Grund  zu   kom- 
men, lege  ihr  der  Richter  die  Hand  auf  den  Kopf  und   sage 
folgende  Beschwörungsformel:    „Ich   beschwöre   dich  um  der 
bittersten  Thränen  willen,  die  von  unserm  Heilande  dem  Herrn 
Jesus   Christus   am  Kreuze   für  unser   Heil  vergossen  worden 

»  S.  555. 


\ 


{ 


280    Dritter  Abschnitt:   Periode  der  gericlitlichcn  Hexenverfolgung. 

sind  11.  s.  w.,  dass  du,  im  Falle  du  unschuldig  bist,  Thränen 
vergiessest,  wenn  schuldig,  keineswegs.  Im  Namen  u.  s.  w." 
Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  je  mehr  Hexen  auf  diese 
Weise  beschworen  wurden,  um  so  weniger  weinen  konnten.* 
Thränen  sind  Zeichen  der  Busse,  und  diese  sucht  der  Teufel 
mit  aller  Gewalt  zu  verhindern.  Eine  andere  Vorsicht,  die 
der  Richter  und  die  Beisitzer  stets  zu  beobachten  haben,  ist: 
von  der  Hexe  nicht  leiblich  berührt  zu  werden.  Man  trage 
daher  immer  am  Palmsonntao;e  c^eweihtes  Salz  und  s^eweihte 
Kräuter   nebst  geweihtem  Wachs   am  Halse,    die,    nach  dem  . 

Geständniss  der  Hexen  selbst  und  dem  Zeugnisse  der  Kirche,  * 

eine  grosse  Kraft  üben.  ^  Es  gibt  Beispiele,  dass  Hexen  den 
Richter  und  seine  Beisitzer  eher  zu  erblicken  suchten,  als  sie 
von  jenen  gesehen  wurden,  wodurch  diese  allen  Unwillen 
verloren  und  sie  frei  Hessen.'  Daher,  wenn  thunlich,  so  lasse 
man  die  Hexe  rücklings  vor  den  Richter  und  die  Beisitzer 
führen,  schütze  sich  mit  dem  heiligen  Kreuze  und  greife 
muthig  an,  um  mit  Gottes  Hülfe  die  Macht  der  alten  Schlange 
zu  brechen.*  Zur  Vorsicht  müssen  den  Hexen  alle  Haare 
am  ganzen  Leibe  abgeschoren  werden,  denn  sie  haben  oft 
behufs  der  hexenhaften  Verschwiegenheit  luiter  den  Klei- 
dern, auch  unter  den  Haaren  und  bisweilen  an  den  geheimsten 
Orten  Zaubermittel  versteckt,  wo  sie  dann  auf  keine  Weise 
zum  Geständniss  zu  bringen  sind. 

16.  Frage.  Von  der  zweiten  Art  des  Verhörs  und 
einigen  Cautelen  für  den  Richter.  12.  Act. 
Zunächst  unternehme  man  das  Verhör  an  heiligen  Fest- 
tagen, während  der  Messe,  wo  die  Gemeinde  ermahnt  werde, 
die  Hülfe  Gottes  anzuflehen  und  die  Heiligen  anzurufen  wider 
die  Anfechtungen  des  Teufels.  Ferner  nehme  man  geweihtes 
Salz  und  andere  geweihte  Sachen,  schreibe  die  sieben  Worte 
am  Kreuze  auf  einen  Zettel  und  hänge  dies  alles  zusammen 
der  zu  Verhörenden  um  den  Hals;  wenn  man  das  Mass  der 
Länge  Jesu  haben  kann,  binde  man  es  ihr  an  den  nackten 
Leib.  Die  Erfahrung  hat  es  bewiesen,  dass  Hexen  durch 
diese  Dinge  auf  Aviuidcrbare  Weise  gequält  werden,  sodass 
sie  es  kaum  aushalten  können,   vornehmlich   aber  durch  Reli- 

1  ö.  558.         ''  S.  55i).         ^  S.  559.         »  S.  5G0. 


3.   Der  Hexenhammer.  281 

quien  der  Heiligen.  ^  Sind  die  Vorbereitungen  getroffen,  ist 
das  Weihwasser  zum  Trinken  überreicht  worden,  so  schreite 
man  wieder  zur  Tortur,  ermahne  sie  wie  früher  immerfort. 
Ist  sie  vom  Erdboden  gehoben,  um  auf  die  Folter  gebracht 
zu  werden,  dann  werden  ihr  die  Aussagen  der  Zeugen  ohne 
deren  Namen  vorgelesen,  und  der  Richter  sage:  Siehe  du  bist 
durch  Zeugen  überführt!  Haben  sich  die  Zeugen  zur  Con- 
frontation  erboten,  dann  frage  er  wieder:  ob  sie  gestehen 
wolle,  wenn  ihr  die  Zeugen  vor  das  Gesicht  träten?  Willigt 
sie  ein,  so  lasse  man  die  Zeugen  hereinkommen  und  vor  sie 
stellen,  vielleicht  dass  dann  ihre  Schamröthe  wider  sie  zeugt. 
Will  sie  ihre  Laster  noch  nicht  verrathen,  dann  frage  sie  der 
Richter:  ob  sie  um  ihrer  Unschuld  willen  die  Probe  mit  dem 
glühenden  Eisen  bestehen  wolle?  Da  nun  alle  Hexen  dazu 
bereit  sind,  indem  sie  wissen,  dass  sie  der  Teufel  unbeschädigt 
erhalten  werde  —  woran  man  daher  auch  sehen  kann,  dass  es 
wahrhaftige  Hexen  gebe  — ,  wird  ihnen  der  Richter  erwidern: 
mit  welcher  Keckheit  sie  sich  solchen  Gefahren  aussetzen 
können?  Dass  ihnen  die  Feuerprobe  nicht  gestattet  werde, 
wird  später  erörtert.  ^  Ist  zur  äussersten  Tortur  geschritten 
worden,  und  sie  bleibt  beharrlich  beim  Leugnen,  so  gebrauche 
der  Richter  noch  die  Vorsichtsmassregel :  dass  er  sie  aus  dem 
Strafnefängniss  an  einen  andern  sichern  Ort  in  Gewahrsam 
bringen  lasse,  aber  sie  durchaus  nicht  auf  Bürgschaft  entlasse, 
sie  mit  Speise  und  Trank  menschlich  versorgt  werde,  bisweilen 
unbescholtene  und  unverdächtige  Leute  sie  besuchen  können, 
die  sie  zum  Geständniss  zu  überreden  suchen,  mit  Hindeutung 
auf  zu  erlangende  Gnade,  und  der  Richter,  der  dann  eintritt, 
verspreche  Gnade  zu  üben,  wobei  er  aber  an  sich  oder  das 
Gemeinwesen  zu  denken  hat,  zu  dessen  Erhaltung  alles,  was 
geschieht,  gnädig  ist.  ^  Bittet  sie  um  Gnade  und  entdeckt 
Thatsachen,  so  verspreche  man  ihr  ganz  im  allgemeinen,  dass 
sie  mehr  erhalten  solle  als  sie  gebeten,  um  sie  zutraulicher 
zu  machen.  Will  sie  keineswegs  die  Wahrheit  bekennen,  und 
haben  ihre  Mitschuldigen,  die  der  Richter,  ohne  dass  sie  es 
weiss,  verhört  hat,  etwas  Beweisendes  ausgesagt,  so  lasse  er 
im  Hause  nachforschen  nach  Zaubersachen,  Salben,  Büchsen 
und  wozu  sie  diese  gebraucht  habe.  *     Verharrt  sie  im  Leug- 

'  S.  566.         ■'  S.  566.         '    Ö.  567.         ^  S.  567. 


282    Dritter  Abschnitt :   Periode  der  gerichtlichen  Ilexcnverfolgung. 

nen  und  sie  hat  Genossen,  die  gegen  sie  ausgesagt  haben,  so 
lasse  man  diese  zu  ihr,  oder  einen  Vertrauten,  der  sich  als 
ihren  Freund  oder  Gönner  stellt,  um  sie  in  ein  Gespräch  zu 
ziehen,  das  heimlich  von  aussen  belauscht  und  zu  Protokoll 
gebracht  werde.  Fängt  sie  dann  an  die  Wahrheit  zu  sagen, 
so  lasse  sich  der  Kichter  durch  nichts  abhalten,  ihr  Gestand« 
niss  zu  vernehmen,  sei  es  inmitten  der  Nacht,  und  sollte 
er  das  Mittag-  oder  Abendessen  versäumen,  er  muss  alles 
daran  setzen,  dass  sie  ihre  Beichte  zu  Ende  bringe.  Denn 
mau  hat  es  öfter  erfahren,  dass,  wenn  diese  unterbrochen 
wird,  die  Hexen  wieder  leugnen,  was  sie  zu  gestehen  ange- 
fangen haben.  Nach  dem  Geständniss  ihrer  Bosheit,  mit  der 
sie  Menschen  und  Vieh  geschädigt,  frage  sie  der  llichter:  wie 
lange  sie  mit  dem  Teufel  als  Incubus  Umgang  gehabt,  wann 
sie  den  Glauben  abgeschworen  habe.  Derlei  ist  zuletzt  zu 
fragen,  weil  sie  es  nie  bekennen,  ausser  sie  haben  schon  an- 
deres eingestanden.  '  Wenn  all  das  Gesagte  fehlt,  dann 
bringe  man  sie,  wenn  es  möglich  ist,  auf  ein  Castell,  und 
nach  einigen  Tagen  stelle  sich  der  Castellan  so,  als  hätte  er 
eine  lange  Reise  vor,  inzwischen  kommen  einige  Freundinnen 
oder  andere  ehrbare  Weiber,  die  Gefangene  zu  besuchen  mit 
dem  Versprechen,  ihr  zur  Flucht  behülflich  zu  sein,  wenn  sie 
ihnen  nur  einiofes  von  ihren  Hexenkünsten  mittheilen  wollte. 
Auf  diese  Weise  haben  sie  sich  meistens  zum  Geständniss 
bringen  lassen  und  sind  überwiesen  worden. 

17.  Frage,  lieber  das  gewöhnliche  Reinigungsmittel, 
besonders  die  Probe  mit  dem  gliilienden  Eisen. 
Hier  wird  über  die  Ordalien  gesprochen,  die  im  allge- 
meinen als  Mittel  Verborgenes  zu  erfahren,  zu  verwerfen  seien, 
da  Gott  allein  dieses  richten  könne.^  —  Was  die  Feuerprobe 
betrifl't,  so  ist  nicht  zu  verwundern,  dass  die  Hexen  mit  Hülfe 
des  Teufels  dabei  unversehrt  bleiben,  da  der  Saft  eines  ge- 
wissen Krautes  vor  dem  Verbrennen  schützt  und  dem  Teufel 
die  Kräfte  der  Kräuter  bekannt  sind,  er  auch  etwas  zwischen 
das  glüliende  Eisen  und  die  Hand  schieben  kann,  was  er  auf 
unsichtbare  Weise  vermag.  Daher  ist  diese  Probe  mit 
den    Hexen,     die    mit    dem   Teufel    im    Bunde    stehen,    ohne 

1  b.  uGH.         '  b.  571—7-1. 


3.    Der  Hexenhammer.  283 

Belang  und  weniger  als  jede  andere  anzustellen,  im  Gegen- 
tlieil  ist  ihre  Berufung  darauf  als  ein  Verdaclitsgrund  zu  be- 
trachten. * 

18.  Frage.  Wie  das  Endurtheil  abzufassen  sei. 
Weil  das  Verbrechen  der  Hexerei  ein  nicht  rein  geist- 
liches ist  (non  est  mere  ecclesiasticum),  verbieten  wir  den 
weltlichen  Richtern  nicht,  dariiber  zu  richten  und  zu  strafen, 
aber  die  Hinzuziehung  der  Kirche  ist  nothwendig.^  Im  Hexen- 
process,  wo  es  sich  um  Glaubenssachen  und  das  Verbrechen 
der  Ketzerei  handelt,  muss  summarisch,  ohne  die  sonst  übli- 
chen Formalitäten,  verfahren  werden.  Der  Richter  braucht 
keine  Klageschrift,  er  verlangt  keine  contestatio  litis  u.  dgl. 
Die  noth wendigen  Beweise,  Citationen,  Protestationen  jura- 
menti  de  calumnia  u.  s.  w.  soll  er  aber  zulassen.  Das  Urtheil 
darf,  wenn  es  gelten  soll,  von  keinem  andern  als  dem  Richter, 
und  zwar  an  einem  öflFentlichen  ehrbaren  Orte,  sitzend,  bei 
lichtem  Tage,  nicht  an  Festtagen  gesprochen  werden,  darf 
nicht  schriftlich  verfasst  sein.  —  Obgleich  in  Criminalsachcn 
das  Urtheil  sofort  zu  vollziehen  ist,  gibt  es  doch  Fälle,  wo 
die  Execution  aufgeschoben  wird,  als:  bei  einer  Schwan- 
geren, wo  die  Geburt  abgewartet  wird;  wenn  einer  gestanden 
hat,  und  hernach  leugnet.  ^ 

19.  Frage.     Auf  wie  vielerlei  Art  so   schwerer   Ver- 
dacht geschöpft  werden  könne,  um  zu  verurtheilen. 

Mit  Berücksichtigung  alter  und  neuer  Gesetze  gibt  es 
vier  Arten  der  Ueberführung:  durch  das  Recht,  nämlich 
durch  Folterwerkzeuge,  Zeugen;  durch  die  Evidenz  der  That; 
durch  die  Rechtsauslegung;  durch  starken  Verdacht  (1.  jure, 
2.  facti  evidentia,  3.  juris  interpretatione ,  4.  violenta  sus- 
picione).  Ist  der  Verdacht  wahrscheinlich,  so  erfordert  er 
die  Reinigung;  der  starke  Verdacht  (violenta)  zieht  die  Ver- 
urtheilung  nach  sich.*  Ein  leichter  oder  entfernter  Verdacht 
fällt  auf  diejenigen,  welche  heimliche  Zusammenkünfte  halten, 
in  Sitten  und  Gebräuchen  von  dem  gewöhnlichen  Brauche  der 
Gläubigen  abweichen,  zu  geheiligten  Zeiten  auf  Feldern  oder 
in  Wäldern  am  Tage  oder  des  Nachts  zusammenkommen, 
mit  der  Zauberei  Verdächtigen  geheimen  Umgang  pflegen,  die 

'  S.  575.         ■'  S.  576.        ''  S.  579.         *  S.  580. 


284    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Ilexenvcrfolgung. 

Kirche  nicht  zur  gehörigen  Zeit  besuchen.  ^  Gross  ist  der 
Verdacht,  wo  jemand  von  einem  andern  weiss,  dass  er  ein 
Ketzer  sei  und  ihn  nicht  anzeigt,  ihm  Gunst  erweist,  mit  ihm 
in  Verbindung  tritt,  ihn  besucht,  ihn  verbirgt,  vertheidigt  u. 
dgl.  m.  Ebenso  verhält  es  sich  auch  in  Bezug  auf  die  Ketze- 
rei der  Hexen.*  Der  grösste  oder  starke  (violenta)  Verdacht 
ist  da,  wenn  jemand,  z.  B.  bei  der  einfachen  Ketzerei,  den 
Ketzern  Verehrung  erweist,  Rath  und  Hülfe  bei  ihnen  sucht 
oder  annimmt,  Umgang  u.  s.  w.  pflegt.  In  Bezug  auf  das  Hexen- 
wesen tritt  dieser  Verdacht  ein,  z.  B.  wenn  jemand  Drohun- 
gen ausstösst,  die  in  Erfüllung  gehen,  Menschen  und  Vieh 
schädigt,  Wetter  macht  u.  s.  w.  ^  Wer  von  solchem  Verdachte 
betrofien  wird  und  in  übelm  Rufe  steht,  der  ist  überwiesen, 
besonders  wenn  seine  Drohung  eingetrofien  ist.  Geschieht 
dies  auch  nicht  und  es  finden  sich  blos  von  ihm  versteckte 
Zauberinstrumente,  so  trifl't  ihn  schon  der  äusserste  Verdacht.* 
Der  Teufel  kann  allerdings  jemand  bezaubern,  ohne  dass 
diesen  die  Hexenweiber  anblicken  oder  berühren,  wenn"  Gott 
es  zulässt.  Weil  aber  die  Zulassung  Gottes  grösser  sein  muss, 
wo  eine  geweihte  Creatur  durch  Abschwörung  des  Glaubens 
und  andere  schreckliche  Laster  mithilft,  so  sucht  der  Teufel 
sich  der  Hexen  zu  bedienen,  was  er  auch  ohne  sie  bewirken 
könnte.  •'' 

20.    Frage.      Ueber    die    erste    Art,    ein    Urtheil    zu 
fällen.  I 

Werden  die  verschiedenen  Arten,  wie  jemand  bezüglich 
der  Hexerei  befunden  werden  kann,  angegeben.  Wird  eine 
angegebene  Person  ganz  unschuldig  befunden,  so  lautet  das 
Endurtheil  so:  „Nachdem  wir  u.  s.  w.  wider  dich  gerichtlich 
proccdirt  —  aber  nichts  Gewisses  wider  dich  gefunden  haben, 
um  dich  als  Hexe  zu  verurtheilen,  so  entheben  wir  dich  von 
diesem  Augenblicke  der  Untersuchung  u.  s.  w.  —  Man  hüte 
sich  aber,  im  Urtheil  irgendwie  zu  erwähnen,  dass  die  Beklagte 
unschuldig  sei,  sondern  nur:  dass  man  keinen  gesetzlichen 
Beweis  gegen  sie  habe,  denn  wenn  sie  später  wieder  denun- 
cirt  und  überführt  werden  sollte,  kann  sie  ungeachtet  des  ab- 
solutorischen   Urtheils   doch   verurtheilt  werden.  »^ 


I 


1  Ö.  öbl.       ^  Ö.  b&2.       '  S.  583.       '  S.  584.       '  S.  584.       •"  Ö.  591. 


3.    Der  Ilexenhammcr.  285 

21.  Frage.  Ucber  die  zweite  Art,  ein  Urtheil  zu  fäl- 
len, nnd  zwar  über  eine  blos  berüchtigte  Person. 
Diese  zweite  Art  erfolgt,  wenn  die  Beklagte  im  Rufe 
dieser  Ketzerei  steht,  aber  nicht  durch  Zeugen  überwiesen  ist, 
noch  selbst  bekannt  hat,  noch  sonstige  Judicien  vorliegen,  je- 
doch bewiesen  werden  kann,  dass  sie  Drohungen  ausgestossen, 
durch  deren  Erfüllung  Menschen  oder  Vieh  geschädigt  wer- 
den, wodurch  der  üble  Ruf  rechtlich  erwiesen  ist,  so  dringt 
die  Processordnung  auf  kanonische  Reinigung,  und  die  Sentenz 
lautet  folgendermassen :  „Wir  u.  s.  w,  —  es  wird  dir  hiermit  auf- 
erlegt, dich  an  bestimmtem  Tage  zu  stellen  und  eidlich  zu 
reinigen";  und  falls  sie  es  nicht  vermag,  wird  sie  als  über- 
wiesen betrachtet.  ^  Die  kanonische  Reinigung  besteht  darin, 
dass  der  übel  Berüchtigte  einige  Männer,  sieben,  zehn,  zwan- 
zig, dreissig,  die  seines  Standes,  Katholiken  und  ehrbare  Leute 
sein  und  ihn  schon  längere  Zeit  gekannt  haben  müssen,  als 
Mitreiniger  (Compurgatores)  aufzubringen  hat.  An  dem  be- 
stimmten Tage  soll  er  sammt  seinen  Reinigern  vor  dem  Bi- 
schof, der  die  Angelegenheit  führt,  und  wo  er  berüch- 
tigt ist,  erscheinen,  seine  Hand  auf  das  vor  ihm  aufge- 
schlagene Evangelienbuch  legen  und  sprechen:  „Ich  schwöre 
auf  diese  heiligen  Evangelien,  dass  ich  mich  der  Ketzerei,  der 
ich  beschuldigt  werde,  niemals  schuldig  gemacht,  sie  weder 
geglaubt  noch  gelehrt  habe,  und  sie  auch  nicht  übe  noch 
glaube".  Hierauf  legen  auch  alle  Mitreiniger  die  Hände  auf 
das  Buch  und  jeder  sagt:  „Auch  ich  schwöre  auf  diese  heili- 
gen Evangelien  Gottes,  dass  ich  glaube,  dass  er  wahr  ge- 
schworen habe".  Ist  der  üble  Ruf  an  mehrern  Orten  ver- 
breitet, so  muss  der  Berüchtigte  sich  überall  reinigen,  den 
katholischen  Glauben  bekennen.  Verfällt  er  nachgehends  wirk- 
lich dieser  Ketzerei,  so  wird  er  als  rückfällig  betrachtet  und 
bestraft.  ^ 

Sollte  der  Berüchtigte  sich  nicht  reinigen  wollen,  so  wird 
er  zunächst  in  den  Kirchenbann  gelegt,  und  bleibt  er  ein  Jahr 
excommunicirt,  so  macht  er  sich  zu  einem  verstockten  Sünder 
und  wird  als  Ketzer  verurtheilt.  Sollte  er  zur  Reinigung  be- 
reit sein,  aber  die  bestimmte  Anzahl  von  Reinigern  nicht  auf- 


1  S.  593.         ■"-  S.  595. 


28G     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Ilcxcnverfolgung. 

bringen  können,  so  wird  er  als  iiberwiesen  betrachtet  und  als 
Ketzer  verurtheilt. 

22.  Frage.  Ueber  die  dritte  Art,  eine  Beriichtigte  zu 
foltern  und  das  Urtheil  über  sie  zu  fällen. 
Die  dritte  Art,  einen  solchen  Process  abzuthun,  betrifi't 
einen  Inquisiten,  dessen  Aussagen  nicht  gleich,  oder  Aus- 
sagen gegen  ihn  vorhanden  sind,  wodurch  er  sich  zur  Folter 
qualificirt.  Wenn  auch  gar  nichts  gegen  den  Inquisiten  auf- 
gebracht werden  kann,  er  aber  verschieden  aussagt,  so  wird 
er  nach  gefälltem  Urtheil  auf  die  Folter  gespannt.  Indessen 
übereile  sich  der  Richter  nicht  mit  der  Folter,  da  diese  nin- 
in  Ermangelung  anderer  Beweise  angewendet  werden  soll;  er 
mag  sich  nach  andern  Beweismitteln  umsehen,  er  bediene  sich 
der  Freunde  des  Inquisiten,  ihn  zum  Geständniss  zu  bringen, 
damit  die  Procedur  nicht  gehemmt  werde.  Nachdenken  und 
Noth  des  Kerkers,  Zureden  guter  Männer  sind  geeignet,  die 
Wahrheit  herauszubringen.  ^  Hat  alles  dieses  beim  Inquisiten 
nicht  verfangen,  dann  mag  ihn  der  Richter  getrost  „moderate" 
foltern  lassen,  aber  noch  ohne  Blutvergiessen ,  da  die  Folter 
trüglich  sein  kann.  Denn  einige  sind  so  weichlich,  dass  sie 
unter  leichter  Folter  alles,  auch  Unwahres  zugestehen,  wäh- 
rend andere  selbst  unter  den  schrecklichsten  Qualen  hart- 
näckig bleiben,  und  andere  durch  Zaubermittel  sich  gegen 
Schmerzen  unempfindlich  machen.  Ist  aber  auf  Folter  erkannt 
worden,  so  haben  die  Büttel  sofort  Anstalt  zu  trefien,  und  in- 
zwischen mag  der  Bischof  oder  der  Richter  entweder  selbst 
oder  durch  andere  den  Inquisiten  zum  Geständniss  zu  über- 
reden suchen.  Hilft  alles  nicht,  so  kann  man  den  andern 
oder  den  dritten  Tag  zur  Fortsetzung  der  Folter,  nicht  zur 
Wiederholung  festsetzen.  ^  Er  werde  also  stärker  oder  leich- 
ter, je  nach  der  Schwere  der  Schuld  gefoltert.  Ist  er  gehörig 
gefoltert  worden  und  will  nicht  gestchen,  so  soll  er  frei  ge- 
lassen werden.  Gesteht  er  die  Wahrheit,  bereut  seine  eigene 
Schuld  und  verlangt  die  Vergebung  der  Kirche,  dann  werde 
er  als  auf  Ketzerei  Betrofi'ener  und  Geständiger  verurtheilt. 
Gesteht  er  aber  ohne  Reue,  wird  er  dem  weltlichen  Arme  zur 
Hinrichtung  überliefert.  ^ 


S.  598.         ''  S.  599.         »  Ö.  600. 


3.    Der  Hexenhammer.  287 

23.  Frage.    Die  vierte  Art,  eine  Angezeigte,  die  leich- 
ter Verdacht  trifft,  zu  verurtheilen. 

Ist  der  Verdacht  nur  leicht  und  alle  andern  Beweise 
fehlen,  so  niuss  die  Angezeigte  die  ihr  angeschuldigte  Ketzerei 
abschwören  (nach  beigefügter  Formel),  und  soll,  wenn  sie 
nachgehends  derselben  verfcällt,  nicht  als  Riickfällige,  aber 
doch  härter  bestraft  Averden.  ^ 

24.  Frage.    Die  fiinfte  Art,  das  Urtheil  iiber  eine  stark 
Verdächtige  zu  fällen. 

Wenn  die  Angezeigte  nicht  gehörig  überfiihrt  ist,  nicht 
selbst  bekannt  hat,  die  Zeugenaussagen  in  gehöriger  Form 
fehlen,  aber  schwere  Anzeichen  einen  starken  Verdacht  be- 
gründen, so  muss  die  Verdächtige  nicht  nur  die  Ketzerei, 
deren  sie  verdächtig  ist,  abschwören,  sondern  wird  auch,  wenn 
sie  später  sich  schuldig  machen  sollte,  als  Iviickfälligc  dem 
weltlichen  Arm  zur  Todesstrafe  übergeben.  ^  Eine  stark  wie 
auch  leicht  Verdächtige  soll  nicht  lebenslänglich,  sondern  auf 
einige  Zeit  eingekerkert  werden.  ^ 

25.  Frage.     Die  sechste  Art,   wie  eine  äusserst  Ver- 
dächtifj-e  zu  verurtheilen  ist. 

Dieser  Fall  tritt  ein,  wenn  Inquisit  durch  rechtmässige 
Beweise  zwar  nicht  überwiesen  ist,  aber  äusserst  starken  Ver- 
dacht auf  sich  geladen  hat,  dass  er  z.  B.  schon  der  Ketzerei 
leicht  verdächtig  war.  Bedenkliches  gesagt  oder  gcthan 
hat,  besonders  wenn  er  ein  Jahr  oder  länger  excommunicirt 
und,  zur  Verantwortung  geladen,  nicht  erschienen  war,  wo- 
durch der  leichte  Verdacht  zu  einem  äusserst  starken  Avird. 
Mag  ein  äusserst  schwer  Verdächtiger  auch  keinen  Irrthum 
im  Gemüthe  noch  Halsstarrigkeit  im  Willen  haben,  ist  er 
doch  als  Ketzer  zu  verurtheilen  wegen  des  äusserst  schweren 
Verdachts.'*  Ist  Inquisitin  der  Hexerei  stark  verdächtig  und 
bcharrt  auf  Leugnen,  und  der  Richter  meint  sie  nicht  dem 
Feuertode  überliefern  zu  können,  so  muss  sie  gefangen  bleiben 
und  die  Untersuchung  unter  Foltern  weiter  geführt  werden. 
Im  Falle,  dass  noch  keine  Indicien  zu  Händen  kämen,  ist  sie 
wenigstens  ein  Jahr  lang  in  einem  schmuzigen  Kerker,  wo 
sie  Elend   zu   ertragen   hat,  festzuhalten   und   recht  häufig  zu 


1  S.  601.         2  s_  CM.         *  S.  G09.         '  S.  Gll. 


288    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

examiniren,  besonders  an  Festtagen.  Wenn  nun  der  Richter  sie 
auch  wegen  einfacher  Ketzerei  zum  Feuer  verurtheilen  könnte, 
hat  aber  Scheu  davor,  so  muss  er  auf  Reinigungseid  antragen, 
wozu  aber  zwanzig  bis  dreissig  Reiniger  erforderlich  sind.  Kann 
Inquisitin  sich  nicht  reinigen,  ist  sie  als  schuldig  zum  Feuer 
zu  verurtheilen.  *  Kann  sie  sich  reinigen,  so  muss  sie  die  Ab- 
sclnvörung  leisten  mit  der  Warnung,  dass  sie  im  Betretungs- 
falle  als  Rückfällige  bestraft  werden  solle  und  wolle.  Hierauf 
wird  Inculpatin  absolvirt  (folgt  die  Absolutionsformel),  woraus 
nur  hervorzuheben,  dass  sie  zur  Busse  einen  grauen  Anzug 
mit  einem  gelben  Kreuze,  drei  Handbreit  lang  und  zwei  breit,  so 
und  so  lange  tragen  und  an  bestimmten  Festtagen  vor  der 
Kirchenthüre  stehen  muss,  und  überdies  (auf  immer  oder  auf 
gewisse  Jahre)  zum  Gefängniss  verdammt  wird.  ^ 

26.  Frage.  Die  Art,  eine  gründlich  Verdächtige  und 
Berüchtigte  zu  verurtheilen. 

Eine  Verdächtige,  die  im  Übeln  Rufe  steht,  wenn  sie  auch 
nicht  gerichtlich  überwiesen  ist  und  Indicien  wider  sich  hat, 
die  das  Geriicht  bestärken,  z.  B.  wenn  sie  mit  Ketzern  ver- 
trauten Umgang  pflegt,  ist  zur  kanonischen  Reinigung  zu  ver- 
halten. 

27.  Frage.  Die  Art,  über  einen  Ketzer,  der  gesteht, 
aber  bussfertig  ist,  das  Urtheil  zu  fällen. 

Wenn  ein  Beklagter  im  Gerichte  gesteht,  dass  er  eine 
Zeit  lang  Ketzerei  getrieben,  nach  erhaltener  Belehrung  aber 
in  den  Schos  der  Kirche  zurückkehren  wolle,  der  aufer- 
legten Busse  sich  zu  unterziehen  und  die  Ketzerei  abzuschwö- 
ren bereit  sei,  der  ist  nicht  dem  weltlichen  Arme  zu  iiber- 
geben,  sondern  nachdem  er  die  Ketzerei  abgeschworen  hat,  zu 
immerwährendem  Kerker  zu  verurtheilen.  ^ 

28.  Frage.  Wie  mit  einer  Person  zu  verfohren,  die 
einmal  ihre  Ketzerei  eingestanden  hat,  darauf  riickfällig 
geworden,  aber  bussfertig  ist. 

Einer  solchen  Person  sind  auf  ihre  demüthiü;en  Bitten  die 
Sakramente  der  Busse  und  des  Abendmahls  nicht  zu  verwei- 
gern, war  aber  die  abgeschworene  Ketzerei  Zauberei,  deren 
sie  sich  wieder  schuldig  gemacht,   so   soll  sie  dem  weltlichen 


'  S.  012.        •'  ö.  015  fg.        «  ö.  Ü23. 


3.  Hexenhammer.  289 

Arme  zur  Todesstrafe  überliefert  werden,  dies  aber  nur,  wenn 
sie  auf  der  Ketzerei  ertappt  worden  oder  derselben  schwer  ver- 
dächtig war. ' 

29.  Frage.  Verfahren  mit  einer  Person,  die  ihre 
Ketzerei  eingestanden,  nicht  rückfällig  geworden,  aber  un- 
bussfertig  ist. 

Dieser  sehr  seltene  Fall  ist  uns  Inquisitoren  doch  vorge- 
kommen. Der  Bischof  und  die  Richter  sollen  sich  bei  solcher 
Gelegenheit  nicht  übereilen,  sondern  die  Person  in  guten  Ge- 
wahrsam nehmen,  zu  ihrer  Bekehrung  selbst  einige  Monate 
verwenden.-  Wird  sie  weder  durch  Glück  noch  Unglück, 
weder  durch  Drohungen  noch  Schmeicheleien  dazu  bewogen, 
so  ist  sie  dem  weltlichen  Arme  zu  übergeben.  ^ 

30.  Frage.  Ueber  eingestandene  Ketzerei  bei  Rückfall 
imd  Unbussfertigkeit. 

I»  diesem  Falle  ist  wie  im  vorigen  zu  verfahren.  * 

31.  Frage.  Wenn  jemand  ertappt  und  überwiesen  wird, 
aber  doch  alles  leugnet. 

Ein  solcher  ist  in  schweren  Kerker  an  Händen  und  Füs- 
sen in  Ketten  zu  legen,  von  den  Officialen  oft  bald  einzeln, 
bald  gemeinschaftlich  zu  besuchen  und  zum  Bekenntniss  und 
zur  Busse  zu  ermahnen ,  mit  der  Todesstrafe  zu  bedrohen.  ^ 
Es  ist  öfter  vorgekommen,  dass  boshafte  und  feindselige  Leute 
sich  verbündeten,  einen  Unschuldigen  der  Ketzerei  zu  beschul- 
digen, nachher  aber,  vom  Gewissen  getrieben,  widerriefen,  was 
sie  ausgesagt  hatten.  Daher  ist  mit  einem  Leugnenden  nicht 
zu  eilen,  sondern  ein  Jahr  und  mehrere  Jahre  zu  verziehen, 
bevor  er  dem  weltlichen  Gerichte  übergeben  wird.  ^  Gesteht 
er,  dass  er  der  Ketzerei  verfallen,  ohne  aber  bussfertig  zu 
sein ,  so  ist  er  dem  weltlichen  Arme  zu  überliefern.  Bleibt 
er  beim  Leugnen,  die  Zeugen  aber  widerrufen  und  bekennen 
ihre  Schuld  des  falschen  Zeugnisses,  sind  diese  als  falsche  Zeugen 
zu  bestrafen. '  Verharrt  der  Beschuldigte  beim  Leugnen  und 
die  Zeugen  bei  ihrer  Aussage  wider  ihn,  so  ist  er  dem  welt- 
lichen Gerichte  zu  übergeben. 


1  S.  628.       2  S.  634.       »  S.  635.       *  S.  637.       ^  g.  641.       «  S.  642. 
'  S.  644. 

Eoskoff,  Geschichte  des  Teufels.  II.       .  ■<  q 


290    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverl'olgung. 

32.  Frage.    Ucber  einen,  der  überwiesen,  aber  flüchtig  | 
und  contiunaciter  abwesend  ist.  * 

Hier  sind  drei  Fälle  zu  bemerken.    Entweder  ist  der  Be-  ] 

schuldigte  völlig  überwiesen,  aber  entflohen  und  will  nicht  er- 
scheinen; oder  der  Angeklagte,  gegen  den  sich  bei  einiger 
Untersuchung  ein  leichter  Verdacht  herausstellt,  erscheint  nicht 
auf  die  Vorladung,  selbst  nachdem  er  excommunicirt  wor- 
den ist;  oder  es  hat  jemand  das  Urtheil  des  geistlichen  Ge- 
richts gehemmt,  oder  zur  Verhinderung  gerathen,  oder  sie  be- 
günstigt, so  wird  ein  solcher  excommunicirt,  und  bleibt  er  ein 
Jahr  im  Kirchenbanne,  ist  er  als  Ketzer  zu  verurthcilen.  Im 
ersten  Falle  ist  der  Beklagte  als  unbussfertiger  Ketzer  zu  ver- 
urthcilen, im  zweiten  und  dritten  Falle  als  bussfertiger  Ketzer 
zu  behandeln.  ^  Wenn  der  Flüchtige  auf  die  Citation  ersclieint 
und  sich  zur  Abschwörung  aller  Ketzerei  bereit  erklärt  und 
kein  Rückfälliger  ist,  so  kann  er  auf  die  bereits  erwähnte 
achte  Art  abschwören  und  Busse  thun.  War  er  sehr  vöHäch- 
tig  und  ist  auf  die  Vorladung,  sich  zu  verantworten,  nicht  er- 
schienen, und  war  desshalb  excommunicirt  und  blieb  es  ein  Jahr 
lang,  bereut  aber  schliesslich,  so  ist  ein  solcher  nach  der  sechs- 
ten Art  als  Bussfertiger  zu  behandeln.  Wenn  aber  der  Citirte 
erscheint,  ohne  abschwören  zu  wollen,  wird  er  als  unbussfer- 
tiger Ketzer  dem  weltlichen  Gerichte  übergeben.^ 

33.  Frage.  Ueber  eine  Person,  die  von  einer  ein- 
geäscherten oder  einzuäschernden  Hexe  angegeben  wor- 
den ist. 

In  dieser  Frage  werden  nicht  weniger  als  dreizehn  Fälle, 
in  denen  sich  die  Angegebenen  befinden  können,  aufgezählt, 
wo  bei  dem  Verfahren  gewöhnlich  auf  die  früher  erörterten 
Arten  das  Urtheil  zu  fällen,  zuriickgewiesen  wird,  daher  der 
Abschnitt  meistens  Wietierholunü:  ist. 

34.  Frage.  Ueber  das  Verfahren  mit  einer  Hexe,  die 
eine  Zauberei  gelöst  hat,  und  über  zauberische  Hebammen 
und  Schi'itzcn. 

Es  fragt  sich,  ob  die  Mittel,  die  zur  Lösung  der  Hexerei 
gebraucht  wurden,  erlaubt  oder  unerlaubt  sind.  Wer  erlaubte 
Mittel    anwendet,    ist    kein   Zauberer,    sondern    ein   Verehrer 

'  S.  648.         '  S.  052. 


f 


3.  Der  Hexenhammer.  291 

Christi.  Es  können  aber  die  Mittel  schlechthin  oder  in  ge- 
wisser Beziehung  (secnndum  quid)  unei'laubt  sein.  Schlecht- 
hin unerlaubte  Mittel,  ob  sie  schädlich  oder  unschädlich  wir- 
ken, sind  solche,  wobei  der  Teufel  angerufen  wird.  In  gewisser 
Beziehung  unerlaubte  Mittel,  die  zwar  ohne  ausdrückliche  An- 
rufung, obgleich  nicht  ohne  stillschweigende  Anrufung  des 
Teufels  gebraucht,  und  von  den  Kanonisten  und  Theologen 
eitle  (vana)  genannt  werden,  sind  eher  zu  empfehlen  als 
zu  verbieten,  weil  es  nach  dem  Ausspruche  der  Kanonisten 
erlaubt  ist.  Eitles  mit  Eitlem  zu  zerstören.  ^ 

Jene  Mittel  aber,  die  unter  ausdrücklicher  Anrufimg  des 
Teufels  gebraucht  werden,  sind  auf  keine  Weise  zu  dulden, 
besonders  aber,  wenn  sie  einem  andern  zum  Schaden  gerei- 
chen.^—  Was  soll  der  Richter  thun,  wenn  die  Entzauberung 
durch  angeblich  erlaubte  Mittel  geschehen  ist?  Hier  wird  eine 
sorgfältige  Untersuchung  dariiber  anzustellen  sein,  ob  die 
Mittel  erlaubte  oder  unerlaubte  waren.  Die  erlaubten  Mittel 
lassen  sich  von  den  unerlaubten  bei  sorgfältiger  Prüfung  un- 
terscheiden, da  letztere  gewöhnlich  geheim  angewendet  wca-- 
den.  Man  kann  auch  erforschen,  ob  die  entzaubernde  Person 
eine  Hexe  ist  oder  nicht.  Sie  ist  eine  Hexe,  wenn  sie  Ver- 
borgenes weiss,  was  ihr  nur  durch  böse  Geister  geoffenbart 
sein  kann;  wenn  sie  nur  gewisse  Uebel  heben  kann  und  an- 
dere nicht,  weil  ein  Dämon  dem  andern  nicht  immer  weichen 
will;  wenn  sie  bei  der  Hebung  von  Behexungen  gewisse  Be- 
dingungen macht;  wenn  sie  auf  gewissen  abergläubischen  Ge- 
bräuchen besteht.  ^  Die  zauberischen  Hebammen  übertreffen 
alle  andern  Hexen  an  Lasterhaftigkeit,  und  sind  deren  so 
viele,  wie  ihre  Geständnisse  beweisen,  dass  es  keine  Ortschaft 
gibt,  wo  sie  nicht  zu  finden  wären.'*  Die  Zauberschützen  fin- 
den zur  Schmach  der  christlichen  Religion  an  den  Grossen 
und  Fürsten  des  Landes  ihre  Gönner,  Beschützer  und  Ver- 
theidiger,  und  diese  sind  in  gewissen  Fällen  verdammungs- 
würdiger als  jene  und  sind  nicht  als  Ketzer,  sondern  als  Erz- 
ketzer zu  betrachten.^ 

Die  Zauberhebammen  sind  wie  andere  Hexen,  die  andere 
behexen,  nach  Mass  des  Verbrechens  zu  verurtheUen ,  sowie 
diejenigen ,    welche    mit   Hülfe    des   Teufels    enthexen.  ^      Die 


1  S.  665.       2  s.  666.       ^  g.  667.       '  S.  G68.       '  S.  669.       «  S.  673. 

19* 


292    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexcnvcrfolgung. 

Zauberschützcn   und  andere   Waffcnbchexer    sind    den  vorge- 
schriebenen Strafen  zu  unterziehen. 

35.  Frage.     Verfahren  gegen  Hexer,  die  appelliren. 

Wenn  der  Richter  merkt,  dass  Inquisit  schHessHch  die 
Berufung  einlegen  wolle,  so  ist  zu  bemerken,  dass  diese  bis- 
weilen rechtsgi'dtig,  zuweilen  aber  nichtig  sein  kann.  In  Glau- 
benssachen ist  summarisch  und  ohne  Formalitäten  zu  verfahren. 
Wenn  die  Richter  die  Angelegenheitsuntersuchung  sehr  lange 
vertagt  haben,  und  Inquisit  meint,  gegen  Recht  und  Gerechtigkeit 
beschuldigt  zu  werden,  wenn  ihm  die  Vertheidigung  verweigert 
wird;  oder  wenn  sich  der  Richter  erlaubt  hat,  allein,  ohne  Beirath 
inid  ohne  Genehmigung  des  Bischofs,  die  Inquisition  anzustellen 
und  dergl.  mehr;  dann,  aber  dann  allein  ist  die  Berufung  gül- 
tig.' Der  Richter  soll  von  einer  solchen  Berufung  eine  Ab- 
schrift verlangen,  nach  vorhergegangener  Protestation  zwei 
Tage  zur  Antwort  und  noch  dreissig  Tage  nehmen,  um  die 
Acten  abzugeben.  Inzwischen  soll  der  Richter  die  Gründe 
der  Appellation  oder  die  Beschwerden  sorgfältig  prüfen,  und 
findet  er  von  seinei'  Seite  ein  Versehen,  dasselbe  verbessern, 
die  Beschwerden  heben,  und  nun  den  Process  von  da  ab  weiter 
verfolgen.  Die  Appellation  verfällt  also  von  selbst."  Ist  der 
Fehler  jedoch  nicht  zu  verbessern,  hat  der  Richter  z.  B.  den 
Appellanten  unbefugterweisc  foltern,  oder  ihm  angeblich  ver- 
dächtige Sachen  verbrennen  lassen,  so  findet  die  Berufung 
statt. 

Obschon  der  Richter  dreissig  Tage  Zeit  hat,  ehe  er  den 
Process  abgibt,  so  mag  er,  um  den  Schein  der  Vexation  zu 
vermeiden,  lieber  einen  frühern  Termin  zur  Beantwortung  an- 
setzen, etwa  den  zehnten  oder  zwanzigsten  Tag,  da  er  dann, 
wenn  er  die  Acten  nicht  absenden  will,  unter  dem  Vorwande 
vieler  anderer  Geschäfte  den  Termin  verlän2;ern  kann. "  Bei 
der  Ansetzung  des  Termins  sage  er  dem  Appellanten  nicht, 
ob  er  die  Berufung  geschehen  lassen  werde  oder  nicht.  ^ 


S.  G74.         -  S.  076.         2  S.  077. 


4.  Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  293 

4.  Weiterer  Verlauf  und  Atinalime  der  Hexenprocesse. 

Wie  der  Begrifi'  der  Ketzerei  mit  dem  der  Hexerei  inein- 
andergesetzt  ward,  so  übernahmen  die  Ketjerrichter  das  Ge- 
scliäft  von  Hexenrichtern.  Nach  dem  „Hexenhammer",  diesem 
„theologisch -juridischen  Commentar  des  Criminal-Codexes  der 
Zauberbulle",  sagt  Ennemoser  i,  „wurde  der  Glaube  an  die 
Buhlteufel  und  an  die  Gemeinschaft  mit  dem  Hexenheer  in 
allerlei  Unzucht  und  Ucbelthat  ein  unverwerfliches  Axiom, 
und  der  Feuertod  ein  unumstössliches  Recht  und  Gebot."  Die 
Processe  kamen  in  Gang  und  wie  nach  der  Bulle  Inno- 
cenz'  VIII.  für  andere  Länder  Bullen  ähnlichen  Inhalts  von 
Alexander  VI.,  Julius  II.,  Leo  X.  und  Hadrian  IV.  bald  auf- 
einanderfolgten, so  drängten  sich  die  Hexenprocesse,  die  bis- 
her einzeln  aufgetreten  waren,  von  nun  an  nahe  aneinander, 
dass  sie  wie  Glieder  einer  gewaltigen  Kette  sich  zusammen 
schlössen,  womit  die  Menschheit  erdrosselt  zu  werden  drohte. 

Sprenger  und  Institoris  hatten  binnen  einer  fünfjährigen 
Wirksamheit  48,  und  ihr  College  im  Wormserbad  in  dem  ein- 
zigen Jahre  1485  sogar  85  Opfer  den  Flammen  übergeben. 
Zwar  o-ab  schon  1489  der  Konstanzer  Sachwalter  Dr.  Ulrich 
Molitoris  seinem  Unmuthe  i'iber  den  neuverbreiteten  Unsinn 
Ausdruck  in  seiner,  dem  Erzherzog  Sigismund  gewidmeten 
Schrift:  „Dialogus  de  lamiis  et  pythonibus  mulieribus",  worin 
er  den  Glauben  an  die  Macht  der  Hexen,  an  ihre  Buhlschaf- 
ten, das  Wettermachen,  ihre  Luftüxhrten  u.  dgl.  zu  unter- 
ifraben  sucht,  und  auch  die  Juristen  Alciatus^  und  Ponzini- 
bius  erklärten  sich  gegen  die  leibliche  Ausfahrt  der  Hexen  und 
den  Hexentanz,  und  suchten  sie  als  pure  Einbildung  dar- 
zustellen; Bartholomäus  de  Spina,  Sacri  palatii  magister 
zu  Rom,  führte  dagegen  den  Beweis:  dass  ein  Jurist  vom 
Hexenwesen  gar  nichts  verstehen  könne.  ^  Erasmus  von  Rot- 
terdam nannte  in  einem  Briefe  von  1500  den  Bund  mit  dem 
Teufel  eine  neue,  erst  von  den  Ilexenrichtern  erfundene  Misse- 
that    und    machte   die   Angelegenheit   zum  Gegenstand   seiner 


J  Gescbichte  der  Magic,  S.  7G2. 
^  Parerg.  juris  cap.  21. 

^  In  Ponziuibium  de  lamiis  apologia  I  und  II  im  zweiten  Tlieile   des 
Mall,  malef. 


294    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Satire.  *  Luther  erschien  zwar  die  Vermischung  mit  Incuben 
und  Succuben  nicht  unmöglich,  er  behandelte  aber,  gleich  sei- 
nem Freunde  Melanchthon,  die  Nachtfahrten  als  Phantasiege- 
bildc,  und  beide  .empfahlen  Besonnenheit  in  den  Processen. 
Inzwischen  waren  diese  doch  trotz  manchem  Widerspruche 
namentlich  von  deutschen  Kanzeln  in  Bezus;  auf  die  Macht 
der  Hexen,  durch  teuflische  Künste  Mensch  und  Thier  schädi- 
gen zu  können,  immer  landläufiger  geworden. 

Wir  ersparen  dem  Leser  die  Beschreibung  der  Einzeln- 
heiten im  Verlaufe  der  Hexenprocesse,  als:  Folterkammer 
sammt  Instrumenten ,  Weise  zu  foltern  u.  dgl.,  nicht  nur  weil 
sie  anderwärts  ausführlichst  und  wiederholt  vorliegt^,  sondern 
vornehmlich,  weil  es  sich  hier  um  das  Ganze  der  Erscheinung 
handelt  und  zunächst  das  rasch  steigende  Ueberhandnehmen 
der  Hexenverfolgung  durch  folgende  Blumenlese  bestätigt 
werden  soll. 

Bald  nach  der  Bulle  Innocenz'  VIII.  tritt  in  Oesterreichs 
bürgerlichen  Gesetzen  die  Zauberei  unter  den  Malefizhändeln 
auf.  Im  Jahre  1498  am  21.  October  kommt  eine  Hinrichtunix 
durch  das  Schwert  und  Verbrennen  vor,  wobei  die  "VX'eige- 
rung  des  wiener  Scharfrichters  bemerkenswerth  ist,  „der 
nicht  richten  hat  wollen".  Dies  ist  der  einzige  actenmässige 
Fall  im  15.  Jahrhundert.  ^ 

Im  December  1508  entstand  ein  Hexenprocess  auf  die 
Klage  der  Anna  Spielerin  aus  Ringingen  gegen  23  Einwohner 
von  Ringingen  auf  Entschädigung  für  eine  durch  deren  Schuld 
erlittene  Unbill.*  Um  diese  Zeit  (1515)  wurden  zu  Ravens- 
burg in  fünf  Jahren  48  Hexen  verbrannt.* 

1519  erzählt  Agrippa  von  Nettersheim,  dass  Inquisitor  ein 
Bauernweib  zur  Abschlachtung  vor  sein  Forum  gezogen  habe.*^ 

Aus  demselben  Jahre  wird  der  Ilexenprozess  der  Anna 
Schienbeinin  von  Nüwenburg  mitgetheilt. '^ 


Vgl.  Soldan,  321  fg. 

Vgl.  Horst,  Weier,  Spee,  Binsfeld,  Lamberg,  Soldan,  Wächter  u.  a. 

Schlager,  Wiener  Skizzen  aus  dem  Mittelalter.     Neue  Folge,  II,  35. 

Soldan,  322. 

Mall.  mal.  II.  qu.  1,  c.  4. 

Epist.  lib.  II,  38.  39.  40.     De  vanit.  scient.  cap.  96. 

Fr.  Fischer,  die  Basler  Hexenprooesse  im  Ifi.  und  17.  Jahrhundert. 


4.  Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  295 

1521  wurde  zu  Hamburg  der  Arzt  Veythes,  der  ein  von 
der  Hebamme  aufgegebenes  Weib  gbäcklich  entbunden  hatte, 
verbraunt.  * 

Gleichzeitig  wurden  in  dem  damals  noch  deutschen  Be- 
san^on  drei  Personen  als  Werwölfe  hingerichtet.- 

Mehrere  Hexenprocesse  in  Basel  aus  den  Jahren  1530, 
1532,  1546,  1550  werden  von  Fr.  Fischer  a.  a.  O.  vorgefiihrt. 

lieber  brandenburgische  Processe  aus  der  Zeit  von  1545, 
1554  und  weiter  hat  von  Raumer  berichtet.^ 

Zu  Freiburg  im  Breisgau,  wo  die  Processe  erst  später 
häufiger  sind,  wird  1546  eine  Hexe,  die  Hagel  gemacht,  ver- 
brannt.* 

In  Genf  wurden  1515  in  drei  Monaten  500  Personen 
hingerichtet,  die  nach  Delrio's  Vorrede  zu  seinen  „Disquisitio- 
nes  magicae",  der  Waldenserei  angeklagt,  als  Hexenbrut  be- 
handelt wurden. 

In  Italien,  wo  die  Bauern  der  Lombardei  gegen  die  In- 
quisition die  Waffen  ergriffen  hatten,  da  derjenige,  der  sich 
nicht  loskaufen  konnte,  verbrannt  vvurde,  wie  Agrippa^  und 
Alciatus^  aus  eigener  Wahrnehmung  erzählen,  wurden  nach 
letzterm  in  den  Alpenthälern  allein  über  hundert  Personen 
verbrannt.  Nachdem  PajDSt  Hadrian  VI.  im  Jahre  1523  eine 
neue  Hexenbulle  erlassen,  wuchs  das  Uebel  in  dem  Masse, 
dass  nach  der  Aussage  des  Bartholomäus  de  Spina  in  der  Diö- 
cese  von  Como  die  Processe  vor  der  Inquisition  im  Durch- 
schnitt jährlich  sich  auf  1000,  die  Hexenbrände  sich  iiber 
100  behefen.7 

In  Spanien  verbrannte  die  Inquisition  von  Calahorra  im 
Jahre  1507  mehr  als  dreissig  Weiber.  Im  Jahre  1527  denuncirtcn 
zwei  Mädchen  von  9  bis  11  Jahren  gegen  Zusage  der  eigenen 
Straflosigkeit  eine  Menge  von  Hexen,  die  sie  an  einem  Zeichen 
des  linken  Auges  erkannten.  150  wurden  von  der  Inquisition 
zu  Estella  zu    200  Peitschenhieben  und  mehrjährigem  Kerker 


'  Agrippa  a.  a.  0. 

-  Garinet,  Hist.  de  la  mag.  en  France,  pag.  118. 

2  Mark.  Foräcliungcn,  I,  236  fg. 

■•  Schreiber,  Der  Hcxeupr.  im  lireisgau,  S.  15. 

5  De  vanit.  scieut.  cap.  9G. 

«  Parcrg.  VIII,  21. 

'  De  gti'igib.  cap.  12. 


296     Dritter  Abschnitt :  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

verurtheilt.  Im  Jahre  1536  veranstaltete  das  heilige  Officium 
zu  Saragossa  mehrere  Brände.^ 

In  England  waren  die  Hexenprocesse  anfänglich  mit  der 
Politik  in  Zusammenhang  gebracht.  So  wurde  die  Herzogin 
von  Gloucester  zur  Kirchenbusse  und  Verbannung  auf  die 
Insel  Man  verurtheilt,  weil  sie  sich  iiber  die  Tödtuno-  Hein- 
rieh's  VI.  mit  Hexen  berathen  hatte.  Richard  III.  erhob  1483 
die  Anklage  auf  Hexerei  gegen  die  Königin -Witwe,  gegen 
Morton  und  andere  Anhänger  des  Grafen  von  Richmond.  Im 
Jahre  1541  ward  Lord  Hungerford  enthauptet,  weil  er  eine 
Wahrsagung  über  die  Lebensdauer  Heinrich's  VIII.  eingeholt, 
worauf  zwei  Parlamentsacten  erschienen,  deren  eine  gegen 
falsche  Prophezeiungen ,  die  andere  gegen  Beschwörung, 
Hexerei  u.  dgl.  gerichtet  war,  die  zwar  unter  Eduard  VI. 
aufgehoben,  aber  unter  Elisabeth  im  Jahre  1562  wiederher- 
gestellt wurden.  Schon  1569  wurde  zu  Cambridge  eine  Mutter 
sammt  ihrer  Tochter  wegen  Teufelsbiindnisses  gehenkt.  Unter 
der  Regierung  dieser  Königin  fielen  im  Jahre  1576  in  Essex 
17,  in  Warbois  3  Personen  als  Opfer. 

Auch  in  Schottland  war  das  Hexenwesen  zunächst  mit 
Politik  verflochten.  Jakob  III.  Hess  seinen  Bruder,  Grafen 
von  Mar,  der  in  feindseliger  Absicht  Hexen  befragt  haben 
sollte,  ermorden  und  darauf  12  Weiber  und  4  Männer  wegen 
Hexerei  verbrennen.  Von  da  ab  mehrten  sich  die  Hexenpro- 
cesse und  wurden  besonders  zahlreich  unter  Maria  Stuart, 
deren  Sohn  Jakob  seiner  persönlichen  Theilnahme  wegen  in 
der  Geschichte  des  Hexenwesens  einen  Namen  hat.* 

In  Frankreich,  das  schon  im  14.  Jahrhundert  seine  Opfer 
brachte,  wurde  der  Hexenprocess,  nachdem  ihn  1390  das  pa- 
riser Parlament  den  geistlichen  Richtern  abgenommen,  sel- 
tener, daher  Bodin^  sagen  konnte:  der  Teufel  habe  seit 
dieser  Zeit  sein  Spiel  so  w^eit  getrieben,  dass  man  die  Erzäh- 
lungen über  Zauberer  und  Hexen  für  Fabeln  gehalten  habe. 
Untei-  Ludwig  XI.,  Karl  VIII.  und  Ludwig  XII.  kamen  die 
alten  Greuel   nicht   auf,    und    nur  wenig  unter  Franz  I.     Im 


'  Llorente,  Geschichte  der  spanischen  Inquisition,  II,  c.  15. 
■^  Vgl.  Hutchinson,   Rist.   Vers,  von   der  Hexerei,   Walter  Scott,  Br. 
über  Dämonol.,  'J.  Thl. 

^  Dämonom.,  lib.  IV,  ca^.  1. 


4.  Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  297 

Jahre  1582  wird  Abel  de  la  Rue  als  Zauberer  verbrannt  we- 
gen der  teuflischen  Kunst  des  Nestelknüpfens,  derselbe  scheint 
aber  noch  andere  Künste  getrieben  zu  haben,  da  ihn  J.  Collin 
de  Plancy  als  „mauvais  coquin,  voleur"  und  „meurtrier"  be- 
zeichnet. ^  Soldan  ^  weist  auf  andere  Urtheile  desselben  pari- 
ser Parlaments  hin^,  erinnert  aber  auch,  dass  wenn  Crespet* 
klagt:  die  Zahl  der  angegebenen  Zauberer  habe  damals  100000 
iiberstiegen ,  dies  von  Scheltema  ^  misverstanden  worden  sei, 
der  unter  Franz  I.  über  100000  Verurtheilungen  wegen  Hexe- 
rei angibt.  Unter  Heinrich  H.  kamen  die  Hexenprocesse 
mehr  in  Gang.  1540  wurden  zu  Nantes  auf  einmal  7  Hexer 
verbrannt,  bald  darauf  andere  zu  Laon  und  anderwärts.^ 
Unter  Karl  IX.  wiederholen  sich  die  Hinrichtungen.  Ein 
Verurtheilter,  Trois-Echelles,  versprach  um  den  Preis  der  Be- 
gnadigung alle  Hexen  Frankreichs  zu  entdecken,  die  er  nach 
Bodin  auf  300000  angab  ^,  mittels  der  Nadelprobe  am  Stigma 
über  oOOO  als  schuldig  erkannte  und  der  Obrigkeit  anzeigte, 
deren  Verfolgung  aber  unterdrückt  wurde.  ^ 

Bevor  wir  unsere  Blumenlese  fortsetzen,  wollen  wir  einen 
Blick  auf  die  literarischen  Bestrebungen  gegen  und  für  das 
Hexenwesen  werfen.  Denn  dessen  rasches  Umsichgreifen 
musste  natürlich  auch  Widersprüche  hervorrufen,  und  einer 
der  ersten  oder  vielleicht  der  erste,  welcher  oflen  dasreiren 
auftrat,  war  Johann  Weier  ( Wierus,  auch  Piscinarius).  Er 
war  1515  zu  Grave  an  der  Grenze  Brabants  geboren,  hatte 
sich  medicinischer  Studien  halber  längere  Zeit  in  Paris  aufge- 
halten, eine  Reise  nach  Afrika  unternommen,  wo  er  Zauber- 
künstler zu  beobachten  Gelegenheit  fand.  '^  Hierauf  ging  er 
nach  Kreta  und  wurde  nach  seiner  Rückkehr  Leibarzt  des 
Herzogs  Wilhelm  von  Cleve.  Sein  Werk:  „De  praestigiis 
Daemonum  et  incantationibus  ac  Veneficiis  libri  sex"  erschien 


'  Dictionaire  infernal,  6.  edit.,  p.  2. 

2    S.333. 

"'  Nach  Le  Brun,  Hist.  crit.  des  pratiques  superstitieuses,  Vol.  1,  p.  306. 

*  De  odio  Satanae  bei  Delrio,  IV,  scct.  16. 

*  Geschiedenis  der  Heksenpr.,  p.  106. 
^  Bodin,  Daemonom.  II,  5. 

"  Daemonom.  IV,  5. 

«  Vgl.  Hauber,  Bibl.  mag.  II,  438  fg. 

^  Wierus  De  praestigiis,  lib.  II,  cap.  15. 


298     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Ilexenverfolguug. 

1563,  das  von  ilim  selbst  sechsmal  aufgelegt  worden  und  ihn 
als  wackern  Menschen  erscheinen  lässt,  den  das  Mitleid  mit 
der  gepeinigten  Hülflosigkeit  von  Ungliicklichcn  schonungslos 
macht  gegen  Beschränktheit  und  Schlechtigkeit,  sodass  wir 
ihm,  dem  Kinde  seiner  Zeit,  den  Mangel  tiefern  Denkens, 
das  auf  den  Grund  der  Dinge  di'ingt,  gerne  nachsehen  iiber 
seinem  sittlichen  Ernste,  und  uns  an  seiner  eifrigen  Beobach- 
tung der  Einzelheiten  begniigen.  Obschon  er  dem  Teufel  eine 
Macht  zuerkennt,  und  die  Magie  mit  ihr  in  Beziehung  sieht, 
bekämpft  er  doch  die  crassen  Vorstellungen  von  seinem  per- 
sönlichen Umgange  mit  Menschen  und  führt  eine  Menge  Er- 
scheinungen auf  einen  natürlichen  Grund  oder  auf  Täuschun- 
gen und  Einbildung  zurück.  Er  leugnet  nur  die  Hexerei  mit 
Hülfe  des  Teufelsbündnisses.  In  dem  allgemeinen  Ausdrucke 
„Zauberei"  unterscheidet  er  den  Magus,  als  den  geflissent- 
lichen Täuscher  aus  Profession,  von  der  Hexe  (saga  vel  lamia), 
die  aus  Geistesschwäche  und  verschrobener  Phantasie  vom 
Teufel  getäuscht  wird,  und  dem  Veneficus,  Giftmischer,  der 
sich  absichtlich  des  Giftes  bedient.*  Den  erstem  nennt  er 
daher  „magus  infamis"  und  definirt  ihn  als  solchen,  der  sich 
aus  freiem  Willen  vom  Teufel  oder  andern  oder  durch  Bücher 
hat  unterweisen  lassen,  durch  vorgeschriebene  Formeln  aus 
bekannten  oder  unbekannten  Wörtern,  die  er  hersagt  oder 
murmelt,  oder  durch  gewisse  Zeichen,  Beschwörungen  und 
Ceremonien  wissentlich  und  geflissentlich  teuflische  Gaukeleien 
vorzumachen,  dass  sie  mittels  Erscheinungen,  oder  durch 
Laute,  oder  anderswie  auf  das  Verlangte  antworten.^  Wierus 
macht  namentlich  den  meisten  Priestern  und  Mönchen  den 
Vorwurf,  dass  sie,  „ut  indoctissimi  ita  et  incomparabilis  impu- 
dentiae,perditissimaeque  impietatis  homines",  sich  den  Anschein 
«•eben,  in  die  Arzneikunde  eingeweiht  zu  sein,  „quam  ne  primis 
quidem  labris  eos  gustasse  constat",  und  den  hülfesuchenden 
Kranken  einreden,  dass  ihr  Uebel  von  Hexerei  herrühre.  ^  Sie 
erfrechen  sich  sogar  oftmals,  eine  ehrbare  Matrone  als  Hexe 
zu  bezeichnen,    und    brennen    dadurch    der    Schuldlosen    und 


1  Jo.  Wieri  Opp.  omnia  edit.  nova  IGGU;    De  praestig.  lib.  II,  cap.  I, 

§•  18- 

^  Cap.  II,  §.  1. 

3  Cap.  XVII,  t5.  1. 


4.  Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenproccsse.  299 

Frommen  ein  Mal  ein,  von  dem  weder  diese  noch  ihre  Nach- 
kommen je  befreit  werden.  Nicht  genug,  dass  sie  die  Krank- 
heit fälschlich  deuten,  sie  überhäufen  auch  Unschuldige  mit 
Verleumdung,  erregen  unauslöschlichen  Hass  bei  dem  leicht- 
gläubigen Volke,  machen,  dass  unter  den  Nachbarschaften 
lauter  Zank  herrscht,  zerreissen  Freundschaften,  vernichten  die 
Bande  der  Blutsverwandtschaft,  sodass  Kampf  entsteht,  die 
Kerker  sich  füllen,  sogar  Todtschlag  auf  mancherlei  Art  ver- 
übt wird,  und  zwar  nicht  nur  an  den  von  ihnen  als  der  Hexe- 
rei unschuldig  Verdächtigten,  sondern  auch  an  denen,  welche 
diese  zu  beschützen  suchen.  ^  „Diese  geistlichen  scilicet! 
Männer",  fährt  der  Verfasser  fort%  „sind  für  die  Absicht  des 
Teufels  vortreffliche  Werkzeuge,  denn  unter  dem  Deckmantel 
der  Religion  sind  sie  mit  grossem  Eifer  ihm  zu  dienen  beflis- 
sen, Beelzebub  weiss  es  auch  und  rühmt  sich  ihrer,  da  sie 
aus  Geldgier  oder  falschem  Ehrgeiz  ihre  und  anderer  Seelen 
den  Dämonen  übermitteln  und  weihen,  und  auf  diese  Art  die 
Medicin,  der  Künste  älteste,  nützlichste  und  so  nothwendige, 
durch  den  Glauben  an  Hexerei  Ijei  natürlichen  Krankheiten 
zum  Schaden  des  Lebens  und  der  Gesundheit  besudeln".  Im 
nächsten  Abschnitt^  spricht  der  Verfasser  von  den  unwissenden 
Aerzten  und  Chirurgen,  die  sich  unverschämterweise  ihrer 
Kunst  rühmen  und  ihre  Unwissenheit  dadurch  zu  verdecken 
suchen,  dass  sie  Hexerei  als  Ursache  der  Krankheit  anareben. 
Er  sucht  zu  beweisen,  dass  das  Bekenntniss  der  Hexen  auf 
Blendwerk  beruhe  und  ohne  Belang  sei.'*  Der  Teufel  verdirbt 
die  Phantasie  der  Hexen.  *  Weier  will,  dass  die  magi  infames 
bestraft  werden,  aber  nicht  alle  auf  dieselbe  Weise  ^:  Die  ab- 
sichtlich religiösen  Frevel  üben,  sollen  am  Leben  bestraft  wer- 
den, bei  andern  will  er  die  Strafe  nach  dem  angerichteten 
Schaden  bemessen.  Ebenso  soll  bei  Giftmischern  die  Strafe 
nach  der  Grösse  des   gestifteten  Schadens   bestimmt  werden. '^ 


1  A.  a.  0.  §.  2. 

2  Ibid.  §.  3.' 

3  Lib.  II,  cap.  XVIII. 
*  Lib   III,  cap.  HI. 

'  Lib.  III,  cap.  IV. 

«  Lib.  VI,  cap.  I,  §.  1. 

'  Cap.  XXVI,  §.  1. 


300    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexcnvcrfolgung. 

Die  Hexen  sind  nicht  im  Stande,  das  zu  bewirken,  was  zu 
vermögen  oder  gethan  zu  haben  sie  sich  einbilden^,  sie  sind 
eher  des  Mitleids  als  der  Strafe  wiirdig.^ 

Dieses  Werk  fand  beifällige  Anüiahme,  wue  die  wieder- 
holten Auflagen  und  die  von  Fuglinus  veranstaltete  deutsehe 
Uebersetzung  beweisen.  Der  Pfalzgraf  Friedrich,  die  kleve- 
sche  Regierung,  der  Graf  von  Niuwenar  hörten  auf  Weier's 
Stimme.  Crespet  und  Bartholomäus  klagen  über  die  Verbrei- 
tung der  Ansicht,  dass  das  ganze  Hexenwesen  auf  thörichter 
Einbildung  beruhe,  und  schreiben  dies  auf  Weier's  Rechnung. ^ 
Da  der  Glaube  an  Hexerei  noch  nicht  vernichtet  war,  konnte 
die  Reaction  nicht  ausbleiben.  „Der  Theorie  und  der  Praxis", 
bemerkt  Soldan*,  „war  von  dem  muthigen  Arzte  allzu  derb  auf 
den  Fuss  getreten  worden,  als  dass  sie  nicht  beide  zum  Bunde 
üceeen  ihn  hätten  die  Hand  sich  reichen  sollen.  Kaum  hatte 
man  sich  daher  von  der  ersten  Ueberraschung  etwas  erholt, 
so  eröffneten  Gesetzgeber,  Richter  und  Gelehrte  aus  den  vier 
akademischen  Facultäten  gegen  ihn  einen  dreijährigen  Krieg" 
u.  s.  w. 

Da  der  Streit  über  das  Hexenwesen  so  vielfach  erörtert 
worden  und  unser  Augenmerk  vornehmlich  auf  die  Daten  des 
zunehmenden  Hexenproccsscs  gerichtet  ist,  können  wir  uns 
auf  eine  summarische  Uebersicht  beschränken. 

Weier  antwortete  seinen  Gegnern  Paulus  Scalichius  und 
Leo  Suavius  (Joannes  Campanus)  mit  einer  „Apologia  adver- 
sus  quendam  Paulum  Scalichium  Cjui  sc  principem  de  la  Scala 
vocitat",  worin  er  sie  abweist.  Weniger  bekannt  als  Bestrei- 
ter  des  Hexenwesens  ist  der  Rechtsgelehrte  Godelmann,  der 
nach  Weier  einer  der  ersten  war,  welcher,  obschon  dem 
Teufelsglauben  ergeben,  doch  Zweifel  an  der  Hexerei  er- 
regte und  den  Hexenrichtern  grössere  Vorsicht  empfahl. 
Der  deutsche  Titel  seines  Buchs  ist:  „Von  Zauberern, 
Hexen  vndt  Vnholden  warhafftiger  vndt  wolgegründeter  Be- 
richt hn.  Georgjj  Godelmanni,  beyder  Rechte  Doct.  etc.,  wie 
dieselben   zu   erkennen  vndt  zu   straffen.     Allen  Beampten  zu 


'  Lib.  VI,  cap.  XXVII. 

2  Ibid.  §.  25. 

3  Dehio,  lib.  V,  scct.  16. 
1  S.  345. 


I 

i 


4.  Verlauf  und  Abnahme  der  Hcxcnprocesse.  301 

vnsern  Zeiten  von  wegen  vieller  vngleiclier  vndt  streittiger 
Meynung  sehr  nützlieh  vndt  nothwendig  zn  wissen  etc.  Alles 
durch  M.  Georgium  Nigrinum  Superintend.  zu  Echzell  in  der 
Wetterawe.  Frankf.  a.  M.  MDXLII."  Aber  das  Hexenwesen 
und  dessen  Verfolgung  setzten  ihren  Gang  bald  mit  beschleu- 
nigtem Schritte  weiter  fort. 

Im  Jahre  1572  erschien  im  protestantischen  Kursachsen 
eine  Criminalordnung  mit  folgender  Straf bestimmung:  „So 
jemands  in  Vergessung  seines  christlichen  Glaubens  mit  dem 
Teufel  ein  Verbündniss  aufrichtet,  umgehet  oder  zu  schaf- 
fen hat,  dass  dieselbige  Person,  ob  sie  gleich  mit  Zau- 
berei niemauds  Schaden  zugefüget,  mit  dem  Feuer  vom 
Leben  zum  Tode  gerichtet  und  gestraft  werden  soll ". 
Der  Heidelberger  Arzt  Thomas  Erastus  wärmte  in  sei- 
nem Buche:  „De  lamiis  et  strigibus ,  1577  den  Inhalt  des 
„Hexenhammers"  in  dialogischer  Form  wieder  auf,  mahnte  in- 
dess  zur  Besonnenheit  und  Vorsicht  im  Hexenprocesse.  Der 
Franzose  Jean  Bodin,  der  1579  „De  Magorum  daemouomania 
seu  detestando  lamiarum  et  magorum  cum  Satana  commercio" 
herausgab,  suchte  zur  Verfolgung  des  Hexenwesens  aufzu- 
hetzen. Der  deutsche  Professor  zu  Marburg,  Wilhelm  Adolf 
Scribonius,  rechtfertigt  1583  das  Hexenbad.  Dagegen  verfolgte 
der  Engländer  Reginald  Scott  in  seinem  Buche:  „Discovery 
of  witchcraft"  1584  das  von  Weier  eingeschlagene  Gleis.  Im 
Jahre  1589  schrieb  der  triersche  Suffraganbischof  Peter  Bins- 
feld  seinen  „Tractatus  de  confessionibus  maleficorum  et  saga- 
rum",  der  in  der  Praxis  der  Hexenprocesse  sich  Ansehen 
erwarb.  Cornelius  Loos  (gest.  1595),  Kanouicus,  deckte  in 
seiner  Schrift:  „De  vera  et  falsa  magia"  die  Blosse  und 
Schlechtio;keit  der  Hexenrichter  auf.  Das  Buch  wurde  con- 
fiscirt,  der  Verfasser  auf  Befehl  des  päpstlichen  Nuntius  ein- 
gesperrt und  wiederholt  zum  Widerrufe  gezwungen.  Der 
herzogliche  Geheimrath  und  Oberrichter  Nikolaus  Remigius 
verfasste  (1598?)  eine  „Daemonolatria",  die  ihrer  Gemein- 
nützigkeit wegen  bald  auch  deutsch  erschien  und  von  Soldan^ 
treflend  „ein  wahres  Arsenal  in  jeder  Verlegenheit  für  den 
Hexenrichter"    genannt    wird.     Ilcmigius    erfreute    sich    auch 


1  S.  351. 


302    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

einer  ausgiebigen  Praxis,  denn  während  seiner  16jährigen 
Amtsthätigkeit  beim  Halsgerichte  wurden  800  Todesurtheile 
wegen  Hexerei  gefällt,  abgesehen  von  denjenigen  Angeklagten, 
die  entflohen  oder  durch  die  Tortur  nicht  überfiihrt  worden 
waren.  Jakob  I,  König  von  Schottland  und  England,  schrieb 
vor  seiner  Besteio-un«:  des  englischen  Throns  eine  Dämono- 
logie,  worin  ausser  anderm  das  mündliche  oder  schriftliche 
Pactum  der  Zauberer  mit  dem  Teufel,  die  Hexenfahrt,  der 
Coitus  mit  In-  und  Succuben  bestätigt  werden.  Hexen  und 
Hexer  seien  mit  dem  Tode  zu  bestrafen.  In  einem  andern, 
der  Ausbildung  seines  Sohnes  zum  Regenten  gewidmeten 
Werke:  „Bac.Atxwv  6wpov"  ^,  stellt  Jakob  unter  den  Verbrechen, 
wo  königliche  Begnadigung  Sltnde  wäre,  die  Zauberei  obenan. 
Den  Ruhm  des  gelehrtesten  und  schlauestcn  llexenverfolgers 
geniesst  der  Jesuit  Martin  Delrio,  dessen  „Disquisitiones 
magicae"  1599  erschienen.  Durch  seine  Bekämpfung  verschie- 
dener Arten  von  magischen  Heilungen  mittels  Charakteren, 
Bildern,  Sigillen  u.  dgl.  nimmt  er  den  Anschein  von  Auf- 
geklärtheit, stellt  aber  den  Bund  mit  dem  Teufel  als 
Fundament  aller  Hexerei  auf,  die  desshalb  todeswiirdig  sei, 
und  erklärt  das  Leuouen  der  teuflischen  Zauberei  fi'ir  ketze- 
risch.  Gegen  Hexerei  schützen  nur  die  Heilmittel  der  katho- 
lischen Kirche:  Segen,  Kreuze,  Reliquien,  Exorcismen,  Agnus 
Dei  u.  dgl.  Die  Hexen  sind,  auch  wenn  sie  keinen  beschädigt 
haben,  um  ihres  teuflischen  Bundes  willen  zu  tödten.  Ob- 
schon  der  Verfasser  bei  der  Tortiu-  Mässigung  empfiehlt,  er- 
klärt er  doch,  gleich  dem  Hexenhammer,  die  Zauberei  fiir  ein 
„crimen  exceptum",  wobei  alles  dem  Ermessen  des  Richters 
überlassen  bleiben  soll.  Er  ist  gegen  die  völlige  Lossprechung 
und  nur  für  die  Absolution  von  der  Instanz.  Sein  Lands- 
mann Torreblanca,  der  bald  nach  Delrio  eine  Dämonologie 
in  vier  Bänden  schrieb,  ist  auch  dessen  Gesinnungsgenosse. 

Greifen  wir  nach  diesem  Excurs  die  unterbrochene  Ueber-^ 
sieht  der  überhandnehmenden  Hexenprocesse  mit  deren  tödt- 
lichen  Ausgängen  wieder  auf,  so  wird  sie,  trotz  ihrer  Lücken- 
h'iftigkeit,  bestätigen,  dass  am  Ausgange  des  10.  und  Anfang 
des  folgenden  Jahrhunderts  das  Uebel  gipfelte. 


'  Lib.  IL 


4.  Verlauf  und  Abnahme  der  Hoxenprocesse.  303 

Im  Jahre  1565  wird  ein  Weib  zum  Tode  venirtheilt,  das 
der  Buhlscliaft  mit  dem  Teufel  und  der  Behexung  der  Pferde 
des  Amtmanns  zu  Ginsheim  angeklagt  worden,  nachdem  die 
Juristenfacultät  des  protestantischen  Marburg  dessen  Verthei- 
digung  verworfen  hatte.  ^ 

Aus  dem  Jahre  1572  ist  der  Process  gegen  die  Herzogin 
Sidonie  von  Braunschweig,  geborene  Prinzessin  von  Sachsen, 
bekannt,  die  beschuldigt  wurde,  im  Bunde  mit  dem  Teufel, 
und  durch  Gift  versucht  zu  haben,  ihren  Gemahl  aus  dem 
Wege  zu  räumen.  2 

Im  Jahre  1572  wurde  ein  Weib  zu  Zwickau  als  Hexe 
verbrannt.  ^ 

Im  Jahre  1583  wird  Elise  Plainacherin,  70  Jahre  alt,  in 
Wien  verurtheilt,  nachdem  sie  torturirt  worden,  an  einen 
Pferdeschweif  gebunden,  auf  die  sogenannte  „Gänseweide"  am 
Erdberg  bei  Wien  ,,geschlapft",  um  dort  lebendig  verbrannt 
zu  werden,  lieber  ihre  Enkelin,  die  sie  behext  haben  soll, 
sagt  die  actenmässige  Anmerkung  des  Bischofs  von  Wien, 
Kaspar  Neudeck:  „dass  dieses  Mädchen  am  14.  August  1583 
von  allen  ihren  Teufeln,  deren  12652  an  der  Zahl  waren, 
glücklich  befreit  und  in  das  Kloster  der  Laurenzerinnen  ge- 
bracht worden  sei".^ 

Im  Jahre  1585  wurden  zu  Dresden  zwei  Weiber  himre- 
richtet.  ^ 

Die  von  Carpzov  ^  angeführten  Urtheile  von  1582  bis 
1620  beweisen  die  grosse  Rührigkeit  des  Schöppenstuhls  zu 
Leipzig. 

Brandenburgische  Erkenntnisse  aus  dieser  Zeit  hat  von 
Raumer  gesammelt. '^ 

Johann  Bischof  von  Trier  Hess  1585  so  viele  Hexen  ver- 
brennen, dass  in  zwei  Ortschaften  nur  zwei  Weiber  übrig- 
blieben, und  ein  mainzer  Dechant  Hess  in  den  Dörfern  Kretzen- 


'  Soldan,  S.  357. 

'■^  Weber,  Aus  vier  Jahrhunderten,  II,  38  fg. 

"  Gantsch,  Zur  Geschichte  des  Aberglaubens  im  16.  Jahrhundert. 

*  Schlager,  Wien.  Skiz.  im  Mittelalter,  II,  65  fg. 

'  Hasche,  Diplomat.  Gesch.  v.  Dresden,  II,  369. 

"  Nuva  Pract.  crim.  P.  I,  yu.  50. 

'  Märkische  Forschungen,  I,  231  fg. 


f 


304    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexcnverfolgung- 

burir  und  Bürsel  über  300  Menschen  verbrennen,  um  ihre 
Güter  zu  confisch'en.* 

Im  Trierschen  war  das  Land  derart  verwüstet,  dass  das 
Vermögen  der  Begüterten  in  die  Hände  der  Gerichtspersonen 
und  der  Nachrichter  übergegangen  war.  Weltliehe  und  Geist- 
liche höhern  und  niedern  Kangs  wurden  verbrannt,  sodass 
aus  22  Dörfern  in  der  Umgebung  von  Trier  von  1587  bis  1593, 
ohne  die  Hinrichtungen  der  Hauptstadt  zu  rechnen,  368  Per- 
sonen den  Tod  erlitten.^ 

In  Quedlinburg  wurden  1589  an  einem  Tage  133  Hexen 
verbrannt. 

1588  ward  aus  Wien  an  das  Fugger'sche  Handlungshaus 
in  Augsburg  berichtet:  „Man  hat  in  der  Neystatt  6  meylen 
von  Wien  gelegen  2  alte  Weiber  sambt  einem  Bauer  gefan- 
gen, die  sollen  durch  ihre  Zauberey  solch  schedliche  Vngeziefer 
in  das  Land  khommen  machen,  die  thuen  allenthalben  in 
Weingärten  vnd  Veldern  grossen  Schaden.  Was  man  derhal- 
ben  mit  solchen  Leuten  fürnemen  wird,  kann  man  derzeit 
nit  wissen."  ^ 

Im  Braunschweigischen  wird  die  Menge  der  Brandpfähle 
auf  der  Richtstätte  vor  dem  Löchelnholze  von  zeitgenössischen 
Schriftstellern  mit  einem  Walde  verglicJien,  da  in  den  Jahren 
1590  und  1600  an  manchen  Tagen  10  bis  12  Hexen  verbrannt 
wurden.'* 

In  dem  kleinen  Städtchen  Nördlingen  wurden  von  1590 
bis  1594  nicht  weniger  als  32  Personen  dem  Feuer  übergeben.^ 

In  Ellingen,  einer  Landcomthurei  des  Deutschen  Ordens, 
wurden  1590  in  acht  Monaten  65  Personen  wegen  Hexerei 
hingerichtet.  ^ 

In  der  Grafschaft  Werdenfels  fand  in  den  Jahren  1589 
bis  1592  ein  grauenvoller  Process  statt,  der  damit  endete,  dass 
in  sieben  Malefizrechtstagen  48  Weiber  nach  dem  grausamsten 
Foltern  verbrannt   wurden.     Ein    besonderes  Actenheft    trägt 


'  Schindler,  301,  Note. 

2  Linden,  Gosta  Trevir.  III,  53  qu.  bei  Soldan,  S.  358. 

3  Schlager,  a.  a.  0.  S.  48. 

*  Spittlcr,  Geschichte  des  Fürsteiithunis  Kaienberg,  I,  307. 

^  Weng,  Der  Hcxeiiprocess  in  Nördlingen,  S.  60. 

«  Bopp,  Art.  Ilexenprocess  in  Rotteck  und  Welcker's  Staatslexikon. 


^  4.    Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  305 

die  Aufschrift:  „Hierin  lauter  Expensregister  was  versoffen 
und  verfressen  worden,  als  Weiber  zu  Wcrdenfels  im  Schlosse 
in  Verhaft  gelegen  und  hernach  als  Hexen  verbrannt  wor- 
den." ^ 

In  Offenburfic  wurden  binnen  neun  Jahren  auf  dem  kleinen 
Stadtgebiete  24  Personen  hingerichtet.^ 

In  den  ganz  kleinen  Städtchen  Wiesenburg  und  Ingel- 
fingen  wurden  in  einem  Processe  doi't  25,  hier  13  verurtheilt, 
und  zu  Lindheim,  welches  540  Einwohner  zählte,  wurden  von 
1640  —  51  30  Personen  verbrannt.  ^ 

In  der  kleinen  Grafschaft  Henneberg  wurden  im  Jahre 
1612  22  Hexen  verbrannt  und  von  den  Jahren  1597  bis  1676 
im  ganzen  197. 

In  den  Jahren  1601  und  1603  waren  zwei  Hexen  im  Cri- 
minalhause  in  der  Himmelpfortgasse  in  Wien  in  Untersuchung. 
Eine  davon  hatte  ihrem  Leben  durch  Selbstmord  ein  Ende 
gemacht  in  dem  Brunnen  des  Gefangenhauses.  Die  zweite 
war  den  Qualen  des  Gefängnisses  und  der  Tortur  unterlegen 
und  starb  daselbst.  Ihre  Leiche  wurde  auf  der  „Gänseweide" 
am  Erdberg  verbrannt.  Die  Leiche  der  erstem  durfte  nicht 
verbrannt,  aber  auch  nicht  wegen  der  „Magia  posthuma"  bei 
Wien  begraben  werden.  Ihre  Leiche  wurde  daher  in  ein  Fass 
gepackt  und  in  die  Donau  geworfen,  damit  sie  von  Wien  ent- 
fernt verwese.*  Dieser  Fall  macht  nach  Schlager  den  Be- 
schluss  solcher  Justificationen  in  Wien. 

In  England  wurde  1593  ein  altes  Weib  sammt  ihrem 
Ehemanne  und  ihrer  Tochter  zu  Huntingdon  zum  Tode 
verurtheilt.^  In  der  Zueignung  sagt  Hutchinson:  „In  un- 
serer Nation  sind  seit  der  Reformation  über  140  hingerichtet 
worden". 

In  Schottland  schürte  besonders  Jakob  VI.  das  Feuer 
und  wohnte  selbst  den  Verhören  bei. 

In  den  Niederlanden  wird  durch  die  Verordnungen  Phi- 
lipp's  IL  von  1592  und  1595   die  Zunahme  des   Hexenwesens 


'  Hormayr,  Tasclienl3uch  für  vaterländ.    Geschichte,  1831. 
-  Schreiber,  Hexenprocess  im  Breisgau. 
3  Schindler,  S.  301. 
^  Schlager,  S.  52. 
^  Hutchinson,  Kap.  7. 

Koskoff,  Geschichte  des  Teufels.    II.  <■)() 


306     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

beklagt  und  dessen  strenge  Verfolgung  geboten.  Ein  Rescript 
von  Albert  und  Isabella  vom  Jahre  IGOG  ermächtigt  die  Rich- 
ter, einen  Denuncianten ,  auch  wenn  er  mitschuldig  wäre,  zu 
begnadigen.  ^ 

In  Frankreich  verurtheilte  das  Parlament  von  Dole  im 
Jahre  1573  Gilles  Garnier  zum  Feuer,  weil  er  als  Werwolf 
Kinder  zerrissen  haben  sollte. ^  Das  Parlament  von  Paris 
verfuhr  ebenso  gegen  den  Werwolf  Jacques  Rollet  im  Jahre 
1578.  Dasselbe  bestätigte  1582  das  Todesurtheil  einer  Hexe, 
die  einem  jungen  Mädchen  den  Teufel  in  den  Leib  geschickt 
hatte.  Verschiedene  andere  Urtheile  fiihrt  Plancy  an.  ^  Hein- 
rich III.  wurde  als  Begünstiger  der  Hexerei  verrufen,  weil  er 
einst  einige  angeblich  Besessene  als  Betrüger  nur  einsperren 
liess.  Unter  Heinrich  IV.  blühten  die  Hexenprocesse,  und  als 
Beweis  führt  Soldan  •*,  ausser  den  Berichten  aus  Poitou  imd 
den  Registern  der  Parlamente  zu  Bordeaux  und  Paris,  das 
Zeugniss  des  Jesuitenjüngers  Florimond  de  Remond  an,  wel- 
cher mit  Beziehung  auf  das  Jahr  1594  sagt:  „Unsere  Gefäng- 
nisse sind  voll  von  Zauberern;  kein  Tag  vergeht,  dass  unsere 
Gerichte  nicht  mit  ihrem  Blute  sich  färben,  und  dass  wir  nicht 
traurig  in  unsere  Wohnungen  zurückkehren,  entsetzt  über  die 
abscheulichen,  schrecklichen  Dinge,  die  sie  bekennen.  Und 
der  Teufel  ist  ein  so  guter  Meister,  dass  wir  nicht  eine  so 
grosse  Anzahl  derselben  zum  Feuer  schicken  können,  dass 
nicht  aus  ihrer  Asche  sich  wieder  neue  erzeugten".^  Im 
Jahre  1G09  stellten  Despagnet  und  De  Lauere  im  königlichen 
Auftrage  eine  Untersuchung  unter  den  Basken  von  Latura 
an,  in  deren  Folge  mehr  als  000  Personen  verbrannt  wurden.'* 

In  Spanien  wurden  am  7.  und  8.  November  1810  zu 
Logrone  bei  Gelegenheit  eines  Auto  da  Fe  11  Personen,  welche 
leugneten,  wegen  Zauberei  verurthcilt. 

In  Frankreich  wurden  luiter  Ludwig  XIII.  die  beiden 
Processe  gegen    die    Geistlichen    Gaufridy    und    Grandier   be- 


'  Cannaert,  Bydragen,  bei  Sold.,  S.  366. 

2  Garinet,  Ilist.  de  la  Magie  en  France,  129;  bei  Sold.,  S.  3G6. 

^  Dictionnaire  infernal,  an  verschiedenen  Orten. 

*  S.  367. 

*  Delri,  V.  Append. 

«  Le  Brun,  I,  p.  3U8;  bei  Sold.,  S.  368. 


! 


\ 


n: 


4.    Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  307 

rühmt.  Der  erstere  ward  angeklagt:  die  Nonne  Magdalena 
de  la  Padua  verführt  und  zum  Hexentanze  mitgenommen  zu 
haben.  Er  wurde  jrefoltert  und  im  Jahre  1611  auf  dem  Do- 
minicanerplatz  zu  Aix  lebendig  verbrannt.  Urbain  Grandier 
wurde  laut  Sentenz  vom  18.  August  1634  des  Lasters  der 
Hexerei  und  der  durch  ihn  veranlassten  Teufelsbesitzung  eini- 
ger Nonnen  zu  London  und  anderer  weiblicher  Personen  an- 
geklagt, gefoltert  und  hingerichtet. 

Im  Bisthume  Bamberg,  wo  die  Reformation  sehr  frühe 
Eingang  gefunden  hatte,  war  die  Reaction  der  Bischöfe, 
daher  die  Verfolgung  der  Ketzerei  und  also  auch  Hexerei 
sehr  gross.  Vom  Jahre  1624  —  30  betrug  die  Zahl  der 
in  den  beiden  Landgerichten  Bamberg  und  Zeil  anhängi- 
gen Processe  nach  Lamberg's  actenmässiger  Bestimmung  mehr 
als  900  mit  285  Hinrichtungen.  ^  Eine  im  Jahre  1659  mit 
bischöflicher  Genehmigung  zu  Bamberg  gedruckte  Schrift  mel- 
det in  ihrem  Titel:  „Kurtzer  und  wahrhafi'tiger  Bericht  und 
erschreckliche  Zeitung  von  sechshundert  Hexen,  Zauberern 
und  Teuffels  -  Bannern ,  welche  der  Bischoff  von  Bamberg  hat 
verbrennen  lassen,  was  sie  in  gütlicher  und  peinlicher  Frage 
bekannt.  Auch  hat  der  Bischoff  im  Stifft  Würtzburg  über 
die  900  verbrennen  lassen.  —  Und  haben  etliche  hundert 
Menschen  durch  ihre  Teuffels -Kunst  um  das  Leben  gebracht, 
auch  die  lieben  Früchte  auf  dem  Feld  durch  lieiffen  und  Frost 
verderbt,  darunter  nicht  allein  gemeine  Personen,  sondern  et- 
liche der  vornehme  Herren,  Doctor  und  Doctors -Weiber,  auch 
etliche  Rathspersonen,  alle  hingericht  und  verbrannt  worden, 
welche  schreckliche  Thaten  bekannt,  dass  nicht  alles  zu  be- 
schreiben ist,  die  sie  mit  ihrer  Zauberey  getrieben  haben, 
werdet  ihr  hierinnen  allen  Bericht  finden"  u.  s.  w.  ^  Auch 
im  Stifte  Würzburg  hatte  die  Gegenreformation  Anlass  ge- 
nommen, ihren  Bestrebungen  durch  Hexenverfolgung  Nach- 
druck zu  geben,  namentlich  war  es  Bischof  Philipp  Adolf 
von  Ehrenberg  (1623  —  31),  der  sie  im  grossen  betrieb. 
Durch  rasch  aufeinanderfolgende  Brände  wurden  Personen  aller 


1  Crirainalverf'aliren  vorzüglich  ))ei  Hexeriprocesscn  im  ehemaligen 
Bisthum  Bamberg  während  der  Jahre  1624  —  30  aus  actemnässigen  Ur- 
kunden gezogen  von  G.  Lamberg. 

2  Bei  Hauber,  Bibl.  mag.,  III,  441  lg.  abgedruckt. 

20* 


308     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Art  verzehrt.  Ein  Verzcichuiss  der  Hinrichtungen  bis  1029, 
das  bis  zum  29.  Brande  reicht  und  wir  weiter  unten  aus 
Hauber  entlehnen,  zählt  157  Personen,  und  Soldan  ^  weist  auf 
die  Fortsetzung  bis  zum  42.  Brande  hin,  die  der  Biograph  des 
Bischofs  bei  Gropp^gibt,  wo  die  Zahl  der  Unglücklichen  219 
erreicht,  worin  aber  nur  die  in  der  Stadt  A¥ürzburg  voll- 
zogenen Urtheile  begriffen  sind,  da  die  Gesammtzahl  der 
Hinrichtungen  unter  Philipp  Adolf  nach  dem  erwähnten,  mit 
bambergischer  Censur  gedruckten  Bericht  auf  900  steigt. 

In  der  Provinz  Fulda  wüthete  Balthasar  Voss,  der  sich 
riihmte,  über  700  Unholde  dem  Scheiterhaiifen  überliefert  zu 
haben  ^  und  das  Tausend  vollzumachen  hoffte. 

In  dem  kleinen  Städtchen  Ofienburg,  dessen  Thätigkeit 
schon  aus  dem  ersten  Jahrzehnt  bekannt  ist,  wurden  von  1027 
— 31   60  Personen  hino-erichtet.  *  ff 

In  der  kleinen  Stadt  Büdingen  im  Isenburc-ischen  wurden 
im  Jahre  1033  nicht  weniger  als  64  Personen,  im  Jahre  1634 
abermals  50  angeklagt  und  hingerichtet.  ^  ; 

In  dem  mainzischen  Städtchen  Dieburg  wurden  im  Jahre 
1627    36  Einwohner  hingerichtet.  ^ 

Adam  Tanner,  ein  Jesuit  in  Baiern,  der  den  Richtern 
bei  den  llexenprocessen  grössere  Vorsicht  gerathen  luid  auf 
sichere  Beweisstellung  gedrungen  hatte,  erhielt,  als  er  1632 
in  Tirol  starb,  kein  christliches  Begräbniss,  weil  man  einen 
haarigen  Teufel  in  einem  Glase  bei  ihm  fand,  der  sich  als 
Floh  in  einem  Mikroskope  aufbewahrt  herausstellte.  Um 
diese  Zeit  hatte  sich  auch  eine  andere  Stimme  erhoben,  die 
freilich,  wie  Soldan  bemerkt  ^,  in  ihrer  Wirkung  nicht  glück- 
licher war  als  die  Stimme  des  Predigers  in  der  Wüste.  Es 
erschien  nämlich  im  Jahre  1361  die  Schrift:  „Cautio  crimina- 
lis,  scu  de  processi!)us  contra  sagas  liber  ad  magistratus  Ger- 
maniae    hoc    tem2)ore    neccssarius;    tum    autcm    consiliariis   et 


1  b,  3S(]. 

-  J.  Groppii  Collect,  noviss.  Script,  et  rer.  \Vircc])urg.,  tom.  III,   102. 

^  Bopp,  Rotteck  und  Wclckor,  Staatslcxikon,  Art.  Ilcxenprocess. 

^  Schreiber,  Ilcxenprocess  im  Breisgau,  S.  22. 

^  Thudichum,  Geschichte  des  Gymiuisiunis  zu  Biidingen,  S.  33. 

'■  Steiner,  Gescliichte  von  Dieburg,  S.  (J8. 

'  S.  397. 


4.    Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  309 

confessariis  princiiHim,  inquisitoribus,  judicibus,  advocatis,  con- 
fessariis  reorum,  concionatoribus  ceterisque  lectu  iitilissimus. 
Auetore  incerto  Theologo  orthodoxo.  Rintelii,  typis  exscripsit 
Petrus  Lucius,  typogr.  Acad.  MDCXXXI",  deren  Verfasser, 
der  Jesuit  Friedrich  Spee,  als  Seelsorger  in  Franken  binnen 
weniger  Jahre  200  der  Hexerei  Beschuldigte  zum  Scheiter- 
haufen hatte  begleiten  miisscn.  Es  kennzeichnet  den  Ver- 
ftisser  als  Mensehen,  wenn  er  dem  nachmaligen  Kurfürsten 
von  Mainz,  Philipp  von  Schönborn,  auf  die  Frage:  woher  er, 
kaum  30  Jahr  alt,  doch  schon  ergraut  sei?  antwortete:  aus 
Gram  über  die  vielen  Hexen,  die  er  zum  Tode  vorbereitet, 
doch  keine  für  schuldig  befunden.  Das  Herz,  das  dieser 
Mann  unter  seinem  Jesuitengewande  trug,  war  weiter  als 
der  Gesichtskreis  seines  Denkens.  Der  Schmerzensschrei, 
den  ihm  das  Gefiihl  der  Menschlichkeit  erpresst  hat,  betriiFt 
nur  die  Unmenschlichkeit  der  Praxis  und  nicht  die  Sache 
selbst,  da  er  die  Existenz  der  Hexerei  und  die  Noth wendig- 
keit von  Massregeln  dagegen  einräumt,  die  er  aber  nicht  nur 
mit  Vorsicht  und  Gewissenhaftigkeit  gehandhabt,  sondern 
auch  grundsätzlich  beschränkt  wissen  will.  Dabei  bekämpft 
er  die  Gehässigkeit  des  Volks,  die  Unwissenheit  und  Geld- 
gier der  Richter,  das  leichtsinnige  Verfahren  der  Fürsten, 
den  beschränkten  Fanatismus  der  Geistlichen,  die  Unsicher- 
heit der  Indicien,  die  Trüglichkeit  der  abgefolterten  oder  durch 
Zeugen  erlangten  Thatsachen,  die  Unmenschlichkeit  der  Tortur 
und  das  ganze  Verfahren  überhaujDt.  „Denn  bei  diesen  Pro- 
cessen wird  keinem  Menschen  ein  Advocatus  oder  auch  einiire 
Defension,  wie  aufrichtig  sie  immer  sein  möchte,  gestattet; 
denn  da  rufen  sie,  dies  sei  ein  «ci'imen  exceptum»,  ein  solches 
Laster,  das  dem  gerichtlichen  Processe  nicht  imterworfen  sei; 
ja  wenn  einer  sich  als  Advocatus  dal:iei  gebrauchen  lassen, 
oder  der  Herrschaft  einreden  und  daran  erinnern  wollte,  dass 
sie  voi'sichtig  verfahren  solle,  der  ist  schon  im  Verdacht  des 
Lasters,  muss  ein  Patron  und  Schutzherr  der  Hexen  sein, 
sodass  aller  Mund  verstummen  und  alle  Schreibfedern  stumpf 
werden,  und  man  weder  reden  noch  schreiben  darf.^"  „Ja  ich 
schwöre  feierlich,  von  den  vielen,  welche  ich  wegen  angeb- 
licher Hexerei  zum  Scheiterhaufen  begleitete,   war   keine   ein- 


'  Cautio  criiri.,  Duljium  LI,  15. 


310    Diitter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung.  ^ 

zige,  von  der  man,  alles  genau  erwogen,  hätte  sagen  können, 
dass  sie  schuldig  gewesen  wäre,  und  das  Gleiche  gestanden 
mir  zuvor  zwei  andere  Theologen  aus  ihrer  Erfahrung!  Aber 
behandelt  die  Kirchenobern,  behandelt  Richter,  behandelt 
mich  ebenso,  wie  jene  Unglik'klichen,  werft  uns  auf  dieselben 
Foltern,  und  ihr  werdet  uns  alle  als  Zauberer  erfinden."  ' 
Nachdem  Schönborn  mit  Spee  vertrauter  geworden,  dessen 
Verfasserschaft  der  „Cautio  criminalis"  erfahren,  Bischof  und 
Reichsfürst  geworden,  verlöschten  die  Menschenbrände  in 
dieser  Gegend,  wenigstens  bis  1749,  wo  die  Nonne  Maria 
Renata  zu  Wiirzburg  den  Scheiterhaufen  besteigen  musste. 

Wenn  die  Stimme  des  katholischen  Priesters  im  ganzen 
keinen  rechten  Widerhall  hervorrief,  sowenig  als  die  seines 
Vorgängers,  des  protestantischen  Arztes  Weier,  unmittelbar 
eine  Veränderung  in  den  Hexenprocessen  hervorgebracht  hatte, 
so  liegt  der  Grund  wol  zum  Theil  in  dem  Mangel  der  einen 
Bedingung,  der  guten  Erbschaft,  die  nach  Goethe  einem  Re- 
formator nicht  fehlen  darf,  wenn  er  Erfolg  haben  soll.  Trotz-  ^ 
dem  dürfen  wir  die  tröstliche  Ueberzeugung  hegen:  keine 
sitthch  gute  That  bleibt  fruchtlos,  nur  fällt  die  süsse  Frucht 
meist  erst  der  Zukunft  in  den  Schos.  So  haben  die  Bestrc- 
bunofen  dieser  Männer  zum  Erbtheil  späterer  Generationen  ihr 
Scherflein  beigetragen. 

Das  Feuer  der  Hexenverfolgungswuth  brannte  fort  und 
wurde  durch  katholische  und  protestantische  Prediger  mit 
•zleichem  Fanatismus  geschürt.  Einen  Beweis  des  letztern 
liefert  der  starke  Quartband:  „Neue  auserlesene  und  wohl- 
begründete Hexenpredigten  u.  s.  w.,  von  M.  Hermann  Sam- 
sonius,  Superintendent  zu  Riga,  182G."  Einen  charakteristi- 
schen Zug  zu  dem  dunkeln  Gemälde  des  17.  Jahrhunderts 
liefert  die  von  Horst  ^  angeführte  „Druten-Zeitung",  die  in 
Nürnberg  1G27  anonym  vom  Buchdrucker  Lochner,  mit  dem 
Orte  „Schmalkalden"  bezeichnet,  erschien.  Es  sind  Lieder- 
verse, in  welchen  die  Inquisitionsacten  der  grossen  Hexen- 
processe  die  Unterlage  abgeben.  Horst  bemerkt,  dass  die 
Reimereien  offenbar  von  einem  Protestanten  herrühren ,  der 
seine  Freude  und  seinen  Dank  gegen  Gott  darüber  ausdrückt, 


1  Dubium  XX,  Ratio  IV,  Dubium  XXX,  Document.  XIX. 
■'  Zaubcrbibl.,  VI.,  310. 


4.    Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  311 

dass  es  den  katholischen  Nachbarstädten  Bamberg  und  Würz- 
burg  gelungen,  die  Zauberrotte  zu  vertilgen,  und  beglück- 
wünscht beide  frommen  Städte  wegen  ihrer  gottseligen  Hexen- 
])rände.  Der  Titel  ist:  „Druten-Zeitung,  Verlauf  was  sich 
hin  und  wieder  in  Frankreich,  Bamberg  vnd  Würtzburg  mit 
den  Vn holden  vnd  denen  so  sich  aus  Ehr-  vnd  Geldgeitz 
muthwillig  dem  Teufel  ergeben,  Denkswürdiges  zugetragen, 
auch  wie  sie  zuletzt  ihren  Lohn  empümgen  haben,  gesang- 
weiss  gestellt,  im  Thon  wie  man  «Dorothea»  singt."  Hierzu 
Abbilduno-en. 

Im  Jahre  1635  schrieb  der  jüngere  Carpzov  sein  pem- 
liches  Recht,  „Bened.  Carpzovii  ICti  Practica  nova  rerum 
criminalium  Iraperialis,  Saxonica,  in  tres  partes  divisa".  *  Man 
hat  den  Verfasser  trefiend  einen  starren,  autoritätsgläubigen 
Juristen  genannt,  der  selbst  wiederum  zur  Autorität  geworden 
ist.  Seine  Autoritäten  in  Hexensachen  sind  Bodin,  Remigius, 
Jakob  I.  und  Delrio,  in  Strafbestimmungen  ist  es  das  säch- 
sische Recht;  er  autorisirt  den  inquisitorischen  Process  als 
den  ordentlichen  bei  allen  grössern  Verbrechen  und  das  sum- 
marische Verfahren  beim  crimen  exceptum  der  Hexerei.  ^  Und 
die  Hexenprocesse  machten  ihren  Gang  weiter: 

In  Hannover  wurden  in  einem  Jahre  10  Personen  zum 
Feuer  verurtheilt.  ^    In  Osnabrück  über  80  Personen  verbrannt. 

Im  Fürstenthum  Neisse  mögen  von  1640 — 51  an  1000  Hexen 
verurtheilt  worden  sein,  denn  über  242  Brände  liegen  Acten 
vor,  und  es  waren  Kinder  von  ein  bis  sechs  Jahren  darunter.* 

In  der  Stadt  Neisse  (Schlesien)  wurden  im  Jahre  1651 
42  Weiber  verbrannt,  wozu  in  der  Nähe  des  Hochgerichts 
ein  eigener  Ofen  stand.  ^ 

Soldan  führt  aus  dem  „Theatrum  europaeum"  die  Opfer 
an,  die  das  Jahr  1652  hinraffte,  und  zwar  in  Homburg,  in 
der  Wetterau,  in  Isenburg-Büdingen,  Waldeck,  auf  der  Insel 


i  Viteb.,  1G35. 

=  Vgl.  Pars  III,  qu.  103,  n.  50;  qu.  107,  n.  22.  72;  qii.  103,  n.  18; 
qu.  108,  n.  4.  5.  26.  83;  qu.  122,  u.  60. 

2  I)ie  Hexen  in  Hitzaekcr,  im  2.  Bd.  der  Zeitschrift:  Neues  vaterl. 
Archiv  oder  Beilrag"  zur  Keiinüiiss  des  Königreichs  Hannover. 

^  Schindler,  S.  301. 

^  Zeitschrift  des  Vereins  für  Geschichte  und  Alterthumsk.  Schlesiens, 
1856,  I,  119. 


312     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Schutt;  er  erinnert  an  das  zehnjährige  Mädchen  in  Vorpom- 
mern, das  gestehen  musste,  mit  dem  bösen  Geiste  bereits  zwei 
Kinder  gezeugt  zu  haben  und  mit  einem  dritten  schwanger 
zu  gehen;  im  Jahre  1662  wurden  zu  Marienburg  mehrere 
Personen  verbrannt  infolge  der  AnkLage:  dass  sie  mittels  eines 
Pulvers  Mäuse  mit  Fischschnauzen  hervorgebracht  hätten;  in 
München  im  Jahre  1666  ein  siebzigjähriger  Greis  mit  glühen- 
den Zangen  gezwickt  und  dann  verbrannt,  weil  er  Ungewitter 
gemacht,  indem  er  durch  die  Wolken  gefahren  sei.  ^ 

Nach  den  Bruchstücken,  die  Heldritt  mittheilt,  wurden 
von  1639 — 51  zu  Zuckmantel  85,  zu  Freiwaldau  102,  zu 
Niklasdorf  22,  zu  Ziegenhai«  22,  zu  Neisse  11,  zusammen 
242  Personen  hingerichtet,  darunter  Frauen  und  Töchter  von 
Rathsherrn,  Gastwirthen,  Wein-  und  Garnhändlern,  Bleichern 
und  andern  vermögenden  Leuten,  auch  einige  Kinder,  grössten- 
theils  aber  arme  alte  Mütterchen  wegen  Hexerei  verbrannt.  '-^ 
In  Zuckmantel,  dem  Bischof  von  Breslau  gehörig,  waren  acht 
Henker  in  voller  Thätigkeit,  und  1651  starben  102  Personen 
den  Feuertod,  worunter  auch  zwei  Kinder,  deren  Vater  der 
Teufel  gewesen  sein  sollte.  ^ 

Das  Dorf  Lindheim  in  der  Wetterau  sah  von  1661 — 66 
30  Personen  hinrichten. 

Ln  Fürstenthum  Kaienberg  brennen  in  der  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  die  Scheiterhaufen.  * 

Salzburg  verbrannte  1678  97  Personen,  wobei  der  Pro- 
testantismus zur  Carikatur  der  Hexerei  geworden  war. 

Ein  Herr  Christoph  von  Rantzow  Hess  1686  auf  einem 
seiner  Güter  in  Holstein  an  einem  Tage  18  Hexen  ver- 
brennen. * 

In  Steiermark  hat  das  17.  Jahrhundert  alle  seine  Vor- 
gänger in  Hexenprocessen  weit  übertroffen,  fast  alle  Hexen- 
processe  in  Steiermark  sind  aus  diesem  Jahrhundert.  ^ 


'  Öoldan,  416. 

2  Dr.  Elvert,   Das  Zauber-  und  Hexen wesen  u.  s.  w.  in  Mähren  und 
Oeeterrcichisch-Schlcsien,  S.  99. 

3  Theatr.  Europ.,  VII,  148. 

*  Küling,   Auszüge    merkwürdiger  Hexenprocesse  in    der  Mitte   des 
17.  Jahrhunderts. 

'^  Horst,  Dämonom.,  S.  198. 

^  Graetf,  Versuch  einer  Geschichte  der  Crfminalgesetzgebung  u,  s.  w.,  175. 


i 


4.    Verlauf  und  Abnahme  der  Hexenprocesse.  313 

In  Mähren  wurden  1679  4  Weiber  verbrfinnt;  1680  am 
5.  April  5  Frauen;  1684  am  5.  September  4  Weiber;  1685  3; 
1686  am  7.  October  4  Weiber  hingerichtet.  Aus  den  Jahren 
1687,  1689  werden  15  Hexenbrände  aus  Ullerdorf  gemeldet; 
besonders  langwierig  ist  der  Hexenprocess  gegen  den  scliön- 
berger  Dechant  Lautner.  ^ 

Im  Sachsen-Gothaschen  wurden  in  den  Jahren  1670 — 75 
unter  den  Auo;en  des  Herzoo;s  Ernst  des  Frommen  im  kleinen 
Amte  Georgenthal  38  Hexenprocesse  meist  mit  dem  Feuer- 
tode abgeschlossen.  ^ 

Der  Hexenrichter  Nikolaus  Remy  rühmte  sich  (1697), 
dass  er  in  Lothringen  binnen  15  Jahren  900  Menschen  wegen 
Zauberei  habe  verbrennen  lassen.^ 

Nach  den  Ausziigen  aus  den  Hexenprocessen  der  beiden 
Städte  Braunsberg  (Alt-  und  Neustadt)  beginnen  die  Hin- 
richtungen erst  im  17.  Jahrhundert.  In  der  Altstadt  wird 
1605  die  erste  und  1670  die  letzte  Hexe  verbrannt;  in  der 
Neustadt  wahrscheinlich  1610  die  erste  und  1686  die  letzte.  * 

In  Rottweil  wurden  im  16.  Jahrhundert  in  30  Jahren  42, 
und  im  17.  Jahrhundert  binnen  48  Jahren  71  Hexen  und 
Zauberer  verbrannt.  ^ 

In  England  durchzog  Matthias  Hopkins  vom  Jahre  1642 
als  Generalhexenfinder  die  Grafschaften  Essex,  Sussex,  Norfolk 
und  Huntingdon  und  brachte  Hunderte  ungliicklicher  Men- 
schen zum  Tode.  1642  wurden  zu  Yarmouth  16  hingerichtet; 
1645  zu  Chelmsford  15  hingerichtet  und  einige  zu  Maningree 
verdammt,  zu  Cambridge  1  gehenkt;  60  zu  Sanct-Edmunds 
in  Suflfolk  bei  verschiedenen  Executionen  und  ebenso  viel  auf 
dem  Lande  in  den  Jahren  1645  und  1646.  ^  Im  nördlichen 
England  war  ein  aus  Schottland  verschriebener  Hexenfinder 
geschäftig,  der  dann  am  Galgen  gestand,  dass  er  iiber 
200  Weiber  um  den  Lohn  von  20  Schilling  per  Kopf  zum 
Tode    geliefert    habe.     In  Schottland   starben   binnen   Jahres- 


'  Bischof,  Zur  Geschichte  des  Glaubens  an  Zauberer,  Hexen  u.  s.  w., 
S.  21.  103  fg.  146.  148. 

2  BoiDp,  Rotteck  und  Welcker,  Staatslexikon. 

3  Schindler,  S.  301. 

^  Lilienthal,  Die  Hexenprocesse  der  beiden  Städte  Braunsberg. 
*  Schindler,  S.  301. 
**  Hutchinson,  Kap.  4. 


314    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gericbtlichcn  Hexenverfolgung. 

frist  GOO  Beschuldigte  den  Feuertod.  Mr.  Ady  rechnet  die 
in  diesen  greulichen  Zeiten  Vej-brannten  auf  viele  Tausende. 

In  Schweden  ist  der  grosse  Process  von  Mora  im  Jahre 
1069  durch  seine  Furchtbarkeit  bekannt,  indem  72  Weiber 
und  15  Kinder  wegen  Hexerei  zum  Tode,  56  jüngere  Kinder 
zu  andern  schweren  Strafen  verurtheilt  wurden.  ■ 

Im  Jahre  1G70  erhob  da.<  Parlament  von  Ronen  Ein- 
sprache gegen  die  Begnadigung  der  Hexen,  und  die  Verfolgung 
wüthete  mit  äusserster  Heftigkeit  im  ganzen  Süden  von  Frank- 
reich. ^ 

Die  Hexenprocesse  verbreiteten  sich  auch  über  Europa 
hinaus.  Im  Jahre  1664  wurde  Mary  Johnson  zu  Hartfortshire 
in  Neuengland  hingerichtet.  Im  Jahre  1692  am  10.  Juni  zu 
Salem  1  Person  hingerichtet;  am  9.  Juli  5;  am  19.  August 
noch  andere  5;  am  22.  Sei^tember  8.  Ebenso  hatten  Boston, 
Andover,  Bury  in  Neuengland  ihre  Hexenprocesse  und  Hin- 
richtumjen.  * 

Mit  dem  18.  Jahrhundert  wird  die  Abnahme  der  Hexen- 
processe augenmerklich.  Im  Jahre  1713  verurtheilte  die  Ju- 
ristenfacultät  von  Tübingen  noch  eine  alte  Frau  wegen  Hexerei.  ^ 
Ein  bekanntes  Beispiel  ist  die  Hinrichtung  der  Supriorin  des 
Klosters  Unterzell  bei  Würzburg,  Renata  Sänger,  im  Jahre 
1749.  Zu  Landshut  wird  im  Jahre  1756  ein  Mädchen  von 
13  Jahren  als  Hexe  hingerichtet,  weil  es  mit  dem  Teufel  Um- 
gang gepflogen.  ^  Zu  Sevilla  schloss  1781  die  ganze  Reihe 
von  Hinrichtungen  in  Spanien  eine  weibliche  Person;  als 
letzte  Hinrichtung  wegen  Hexerei  auf  deutscher  Erde  wird 
die  vom  Jahre  1783  in  Glarus  genannt. 


5.   ErMärimg  der  Hexenperiode. 

Auf  den  ersten  Blick  mag  es  unbegreiflich  scheinen,  dass 
eine  Zeit,   von  der  wir  unsere   heutige  Culturstufe  zu  datireu 


1  Lccky,  Geschichte  der  AufkUiruiig  in  Europa,  I,  3,  Note. 

2  Hutchinson,  Kap.  5;  vgl.  Görres,  Christliche  Mystik,  IV,  2,  S.  534. 
^  Bopp,  llollcck  und  Welcker,  Siaatslexikon. 

'  Bopp,  a.  a.  0. 


5.    Erklärung  der  Ilexenperiode.  315 

gewohnt  sind,  welche  neben  der  Verbreitung  einer  classischen 
Bildung  durch  die  merkwürdigsten  Entdeckungen  reforma- 
torisch  wirkte,  welche  durch  den  Humanismus  die  scholastische 
Philosophie  stürzte,  gegen  das  Feudalsystem  kämpfte,  Reli- 
gion und  Sittlichkeit  zu  heben  trachtete,  in  welcher  Zeit  dar, 
dringende  Bedürfniss  nach  einer  Verbesserung  der  Kirche  in 
Haupt  und  Gliedern  nicht  nur  in  einem  allgemeinen  Schrei 
laut  geworden,  sondern  von  einer  Seite  selbst  Hand  angelegt 
ward ,  dass  gerade  in  solcher  Zeit  das  Hexenwesen  und  deren 
Verfolgung,  also  der  Teufelsglaube,  der  jenem  zu  Grunde 
liecrt,  eine  solche  Tiefe  und  Breite  erreichen  konnte.  *  Auf 
den  ersten  Blick  scheint  diese  Thatsache  allerdings  unbegreif- 
lich; allein  blicken  wir  auf  den  bisherigen  Verlauf  der 
Geschichte  des  Teufelsglaubens  zurück,  werfen  wir  einen 
zweiten  Blick  auf  die  allgemeine  Weltlage  und  die  socialen 
Verhältnisse,  suchen  wir  dann  weiter  nach  den  speci- 
fischen  Factoren,  die  in  der  Hexenperiode  mitwirkten,  so 
werden  wir  finden,  dass  auch  diese  Periode  nicht  urplötz- 
lich in  die  Geschichte  hineingeplatzt  ist,  sondern,  wie  jede 
geschichtliche  Erscheinung,  gleich  einem  vielverschlungenen 
Gewebe  aus  vielen  mannichfaltigen  Fäden,  die  das  Menschen- 
leben durchziehen,  sich  herausgewoben  hat.  Aber  eben  weil 
die  herrschenden  Vorstellungen  einer  Zeit  das  Product  von 
unendlich  vielen  Vermittelungen  sind,  setzt  auch  eine  Ver- 
änderung in  jenen  wieder  einen  Vermittelungsprocess  voraus, 
dessen  Ergebniss  zwar  nie  ausbleibt,  aber  geraume  Zeit  in 
Anspruch  nimmt,   bis  es  als  fertige  Erscheinung  auftritt. 

Betrachten  wir  die  Zeitumstände.  Das  päpstliche  An- 
sehen hatte  unter  Bonifaz  VHI.  im  Streite  gegen  Philipp  IV. 
von  Frankreich,  der  den  Sitz  des  Papstes  von  Rom  nach 
Avignon  verlegte  (1309),  eine  grosse  Niederlage  erlitten.  Der 
päpstliche  Stuhl  kam  zwar  im  Jahre  1378  wieder  nach  Rom 
zurück,  indem  aber  dem  Papste  von  Rom  ein  anderer  gegen- 
übergestellt ward,  musste  durch  diese  Kirchenspaltung  das 
päpstliche  Ansehen  überhaupt  vermindert  erscheinen.  Auf 
der  allgemeinen  Kirchenversammlung  zu  Pisa  1409  erfüllte 
sich  Kaiser  Ruprecht's  Wort:   es  werde  „aus  der  päpstlichen 


1  Vgl.  Schindler,  S.  74. 


316    Dritter  Abschnitt :  Periode  der  gerichtlichen  Hexenvcrfolgung. 

Zwcifaltigkeit  eine  Dreifaltigkeit  werden",  da  die  beiden  von 
der  Versammlung  entsetzten  Päpste  sich  neben  dem  neuge- 
wählten zu  behaupten  suchten.  Das  Concil  zu  Kostniz  1414 
hob  zwar  die  Kirchenspaltung,  aber  die  von  den  deutschen 
lleichsständen  dringendst  verlangte  Reformation  der  Kirche 
an  Haupt  und  Gliedei-n  stieg  mit  der  Verbrennung  des  Jo- 
hannes Huss  zugleich  in  Rauch  auf.  Das  Basler  Concil  1431 
dämpfte  wol  die  hussitischen  Unruhen;  aber  die  Franzosen 
lockerten  das  Band,  das  sie  an  Rom  festgeknüi^ft  hatte,  durch 
die  Griindung  ihrer  Nationalkirche.  Der  Eifer  eines  Pins  II. 
war  nicht  mehr  im  Stande,  ein  gemeinsames  Unternehmen 
gegen  die  Eroberung  Konstantinopels  durch  die  Türken  1453 
hervorzurufen,  und  Mohammed  II.  machte  14(34  dem  griechi- 
schen Kaiserthum  ein  Ende.  Es  herrschte  „'Auflösung  des 
gesammten  kirchlichen  Wesens  durch  alle  europäischen  Reiche", 
sagt  Görres  über  diesen  Zustand,  „in  der  Hierarchie  die  Zer- 
riittung  der  Innern  Rundung,  der  Geschlossenheit,  Auflehnen 
der  Glieder  gegeneinander  und  gegen  die  Einheit,  auf  dem 
Concilium ;  die  Prälaten  und  die  untern  Priesterordnungen 
im  Hader".  ^ 

In  Betreff  der  Rechtspflege  dieser  Zeit  ist  es  geläufig, 
von  Fehde  und  Faustrecht  des  Mittelalters  zu  sprechen.  Wir 
theilen  zwar  nicht  den  Irrthum,  welcher  Fehde  und  Faust- 
recht seinem  Ursprünge  nach  für  das  inibeschränkte  Recht 
des  Stärkern,  also  für  das  Unrecht  ansieht,  und  Wächter^ 
hat  wiederholt  und  überzeugend  nachgewiesen:  dass  das  Fehde- 
recht  ursprünglich  wirkliches  Rechtsverhältniss  gewesen  und 
nur  durch  Misbrauch  ausartete;  allein  dieser  Misbrauch 
war  in  der  Praxis  am  Ausgange  des  15.  Jahrhunderts  eben 
im  Gange,  und  so  herrschte  allerdings  mehr  Unrecht  als  Recht. 
Wohl  waren  schon  im  Anfange  des  13.  Jahrhunderts  die  zwei 
berühmten  Rechtsquellen  der  Deutschen,  der  „Sachsenspiegel" 
und  der  „Schwabenspiegel",  zusammengestellt,  verschiedene 
„Landrechte"  und  „Wcisthümer"  im  Verlaufe  dieses  Zeitraums 
niedergeschrieben  worden;  die  Stammeseifersüchtelei  hielt  je- 
doch an  den  besondern  Rechtsgewohnheiten  so  fest,  dass 
keine    kräftige    Rechtseinheit    platzgreifen    konnte.      Daneben 


) 


1  Chribtlichc  Mystik,  IV,  2,  S.  57;). 

2  Beiträge  zur  deutschen  Geschichte,  ö.  247. 


5.    Erklärung  der  Ilexenpcriodc.  317 

war  das  Ansehen  der  staatlichen  Macht  so  sehr  geschwächt, 
dass  ihm  die  Kraft  gebrach,  den  willkürlichen  Ansschreitnngen 
der  Stärkern  Einhalt  zn  thnn  und  den  Schwachen  unter  den 
Schutz  des  Rechts  zu  stellen,  daher  die  vielberufenen  Fem- 
gerichte, die,  gleich  der  Fehde,  dem  Ursprünge  nach  Noth- 
mittel  zur  Selbsthülfe  waren,  ihre  Zuflucht  zur  Heimlichkeit 
nehmen  mussten,  weil  öfientlich  kein  Recht  zu  schaffen  war. 
Wegelageruug  und  roheste  Räuberei  waren  gang  und  gebe, 
die  Herren  vom  Stegreife  machten  ein  Gewerbe  daraus,  über 
Hab  imd  Gut  des  Bürgers  herzufallen.  Der  Kanzler  der 
Universität  Tübingen,  Naviclerus,  am  Ende  des  15.  Jahrhun- 
derts, entwirft  mit  wenigen  Zügen  ein  lebendiges  Bild  vom 
Getriebe  der  Ritter  jener  Zeit.  „Sie  bauen  Burgen  und 
Schlösser  auf  Bergen  und  in  Wäldern,  leben  von  dem,  was 
sie  geerbt  und  ihren  Einkünften,  wo  aber  diese  nicht  aus- 
reichen, scheuen  sie  keine  Gelegenheit  zu  rauben."  Noch 
bündiger  und  drastischer  äussert  sich  um  dieselbe  Zeit  ein 
römischer  Cardinal:  „Ganz  Deutschland  ist  voll  Räuberei  und 
unter  den  Adelichen  gilt  der  für  um  so  rvdimreicher,  je  räu- 
berischer er  ist." 

Die  materielle  Lage,  in  der  sich  das  „mühselige  Volk  der 
Bawren"  unter  solchen  Umständen  befunden,  zeigt  die  Kos- 
mographie  von  Münster,  worin  es  unter  anderm  von  den 
Landleuten  heisst:  „Diese  fürn  gar  ein  schlecht  und  nieder- 
trächtig Leben;  ihre  Häuser  sind  schlechte  Häuser  von  Kot 
und  Holz  gemacht,  uff  daz  Ertrich  gesetzt  und  mit  Strow 
gedeckt.  Ihre  Speiss  ist  schwarzrucken  Brot,  Haberbrey  oder 
gekochte  Erbsen  und  Linsen,  Wasser  und  Molken  ist  fast  ihr 
Trank.  Ein  Zwilchgüppe,  zween  Buntsckuch  und  ein  Filzhut 
ist  ihre  Kleidung.  Diese  Leut  haben  nimmer  Ruh.  Früw 
imd  spat  hangen  sie  der  Arbeit  an.  Ihren  Herrn  müssen  sie 
offt  durch  das  Jahr  dienen,  das  Feld  bawen,  säen,  die  Frucht 
abschneiden  und  in  die  Scheune  fürn,  Holz  hawen  und  Graben 
machen.  So  ist  nichts,  das  das  arme  Volk  nitt  thun  muss 
und  on  Verlust  nitt  aufschieben  darff."  —  „Diess  mühselig 
Volk  der  Bawren",  fügt  ein  anderer  zeitgenössischer  Schrift- 
steller hinzu,  „kohler,  hirten  ist  ein  seer  arbeitsam  Volk,  das 
jedermanns  Fusshader  ist  und  mit  fronen,  scharwerken,  zinsen, 
gülten,  steuern,  zollen  hart  beschwert  und  überladen." 

Die  Bürger  in  den  Städten,    darauf  bedacht,    ihr  Leben, 


318    Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Hab  und  Gut  gegen  die  herrschende  Räuberei  und  Gewalt- 
samkeit zu  schützen  und  ihre  bürgerliche  Existenz  gegen 
fürstliche  und  geistliche  Vergewaltigung  zu  sichern,  erstrebten 
dies  durch  Vereinigung  zu  den  bekannten  Städtebünden,  die 
seit  der  AuflösunG;  der  grossen  Stammesherzogthümer  vom 
12.  Jahrhundert  ab  immer  häufiger  wurden,  seit  dem  Verfalle 
der  Kaisermacht  im  13.  Jahrhundert  auch  nach  grösserer 
Selbständigkeit  trachteten.  Die  Noth  hatte  das  Corporations- 
wesen  hervorgerufen,  das  sich  bis  zum  Zunftwesen  besonderte. 
Durch  Vereinbarung  war  die  Macht  erlangt,  das  durch  Handel 
und  Gewerbe  gewonnene  Gut  in  den  Städten  anzuhäufen,  der 
städtische  Wohlstand  reizte  zum  Genüsse,  den  die  herrschende 
Roheit  zur  Verschwendung,  Völlerei  und  Ausschweifung  ver- 
renkte. Die  städtischen  Luxusgesetze  und  Kleiderordnungen, 
die  vom  14.  Jahrhundert  ab  immer  häufiger  ergehen,  sind  ein 
Beweis  der  Nothwendigkeit,  dem  verderblichen  Aufwände  zu 
steuern.  Als  Beispiel  genügt  der  Becker  Veit  Gundlinger  zu 
Augsburg,  der  bei  seiner  Tochter  Hochzeit,  im  Jahre  1493, 
nicht  weniger  als  270  Gäste  an  60  Tischen  acht  Tage  hin- 
durch bewirthete.  Es  wurde  dabei  dermassen  geschlemmt, 
getanzt  u.  s.  w.,  dass,  wie  der  Chronist  bemerkt,  „am  sie- 
benten Tage  schon  viele  wie  todt  hinfielen".  ^  Aehnhch 
lauten  die  Berichte  über  die  Genusssucht  beim  „Leichen- 
trank" und  bei  andern  Gelegenheiten  des  geselligen  Beisammen- 
seins. Die  furchtbare  Strenge  der  wiederholt  erlassenen  Straf- 
gesetze gegen  die  „Notnumpft"  weisen  handgreiflich  auf  die 
herrschende  Unzüchtigkeit,  und  die  umfangreiche  Blumenlese 
der  gangbaren  Ausdrücke  für  „lichte  Fröwlein"  bezeugen  das 
Vorhandensein  des  Gegenstandes.  Man  hat  mit  Recht  be- 
merkt, dass  die  Schilderung  der  bürgerlichen  Sparsamkeit, 
Ehrbarkeit  und  Zucht,  die  Aeneas  Sylvius  in  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  von  Wien  entwirft,  auch  auf 
viele  andere  Städte  ihre  Anwendung  finde,  und  dieser  Gewährs- 
mann verschafi't  in  dieser  Hinsicht  eine  genügende  Vorstellung 
wenn  er  sagt:  das  Volk  ist  ganz  dem  Leibe  geneigt  und  er- 
geben und  verprasst  am  Sonntag,  was  es  die  Woche  über 
verdient.    Wir  können  die  Auscfclassenheit  des  mittelalterlichen 

O 


J  Cui-iositaten,  I,  214  fg. 


5.    Erklärung  der  Hcxenperiode.  319 

Badelebens,  der  Tänze  u.  dgl.  unerörtert  lassen,  um  go  mehr 
als  die  sittlichen  Zustände  schon  andern  Orts  berührt  wurden, 
und  sich  seitdem  nicht  gehoben  hatten.  ^ 

Der  Züofellosio'keit  des  deutschen  Städtelebens  im  letzten 
Jahrhundert  des  Mittelalters  entsprachen  die.  Wirren  der 
staatlichen  Verhältnisse  ausserhalb  Deutschlands. 
Zwischen  England  imd  Frankreich  Kämpfe  um  die  Erbfolge; 
in  England  der  Bürgerkrieg  zwischen  der  weissen  und  rothen 
Rose;  in  Frankreich  Streit  zwischen  Burgund  und  dem  Lehns- 
herrn; Condottieris,  Armagnacs,  Landsknechte  streichen  um- 
her; im  Norden  die  Schweden  mit  den  Dänen  im  Kriege;  die 
Türken  seit  der  Eroberung  Konstantinopels  immer  furchtbarer. 

Inmitten  dieser  allgemeinen  Gärung,  die  das  Gemüth  mit 
Bangigkeit  erfiillen  musste,  trat  die  Pestkrankheit,  die  im 
14.  Jahrhundert  unter  dem  Namen  „der  schwarze  Tod"  oder 
„das  grosse  sterbent"  ganz  Europa  in  furchtbarster  Weise 
verheert  hatte,  auch  im  15.  Jahrhundert  in  einzelnen  Ländern 
verderblich  auf;  die  Pocken,  seit  dem  11.  Jahrhundert  in 
Europa  heimisch,  ängstigten  durch  ihre  seuchenhafte  Ver- 
heerung; die  im  Jahre  1475  erschienenen  Heuschreckenzüge 
mit  der  darauffolgenden  The uerung  mussten  die  Aufregung 
der  Gemüther  nicht  nur  aufs  höchste  steigern,  sie  nachgerade 
ausser  Fassung  bringen. 

Unter  solchen  Verhältnissen  kann  es  nicht  befremden, 
dass  die  schon  im  IG.  Jahrhundert  aufgetauchte  Besorgniss 
der  baldigen  Auflösung  der  Welt  sich  auch  in  diesem  Zeit- 
alter der  Menschen  bemächtigte,  oder:  dass  der  Teufel,  der 
ja  als  Urheber  alles  Uebels  überhaupt  gedacht  ward,  infolge 
der  durch  die  allgemeine  Sündhaftigkeic  beleidigten  Majestät 
Gottes  durch  dessen  Zulassung  zum  Regiment  der  Welt  ge- 
langt sei  und  mittels  seiner  Helfershelfer,  der  Hexer  und 
Hexen,  allenthalben  die  Hand  im  Spiele  habe. 


lutelleetuelle  Oultiirstufe. 

Eine    derartige   Vorstellung   konnte   selbstredend   nur  auf 
einer    ihr    gemässen    intellectuellen    Cultur stufe    Raum    ge- 

*  Vgl.  übrigens   bei  Sclierr,    Deutsche   Cullurgcschiclite ;    Geschichte 
der  deutschen  Frauen,  die  betreffenden  Abschnitte. 


320    Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtliclien  Hexenverfolgung. 

winnen,  und  auf  einer  solchen  befand  sich  das  Volk  im  all- 
gemeinen zu  jener  Zeit.  Da  die  Wissenschaft  in  den  seltensten 
Fällen  auf  das  Volk  iinmittelbar  einwirkt,  diesem  vielmehr 
ihre  Früchte  gewöhnlich  auf  langem  Wege  vielfältiger  Ver- 
mittelung  zugute  kommen,  sodass  den  Kurzsichtigen  der  Zu- 
sammenhang von  Wissenschaft  und  Leben  meistens  nicht  nur 
entgeht,  sondern  ganz  zu  fehlen  scheint;  so  waren  auch  die 
Bewegungen,  wodurch  ein  Galilei  und  Koj)ernicus  die  mittel- 
alterliche Anschauung  erschüttern  sollten,  noch  nicht  bis  zum 
geistigen  Gesichtskreis  des  Volks  gedrungen.  Die  Buch- 
druckerkunst konnte  erst  viel  später  auf  ihre  civilisatorische 
Wirkung  hinweisen,  nachdem  das  Bedürfniss  zu  lesen  und 
geistige  Selbstthätigkeit  im  Volke  erwacht  war.  Die  geistige 
Selbstthätigkeit,  jahrhundertelang  daniedergehalten,  lag  noch 
in  tiefem  Schlafe,  der  Sinn  des  Volks  war  nur  nach  aussen 
gerichtet,  wie  es  seinen  sittlichen  Werth  auch  nur  in  der 
Aeusserlichkeit  suchte,  den  ihm  die  Ascese  und  das  bekannte 
mittelalterliche  Busswesen  verschaffen  sollte.  Die  von  Ge- 
schlechtern zu  Geschlechtern  gepredigte  und  tiefeingeprägte 
Lehre  von  der  unbedingten  Schlechtigkeit  der  menschlichen 
Natur,  von  dem  Fluche  der  Erbsünde,  welcher  auch  auf  der  leb- 
losen Natur  lasten  sollte,  waren  dem  Volksgemüthe  tief  ein- 
gesessen, und  das  Gebot  der  Abtödtung  des  Fleisches  fand 
noch  immer  eifrige  Anhänger.  Die  erhabenen  Dome  mit  ihrer 
dramatischen  Liturgie  konnten  das  Phantasieleben  des  Volks 
erregen,  ihr  Dämmerlicht  konnte  aber  sein  intellectuelles  Leben 
nicht  erleuchten.  In  gesteigerter  religiöser  Aufregung  suchte 
es  nach  seinem  Gotte,  während  es  im  Glauben  mit  infernali- 
schen Ketten  an  Gottes  Widersacher  geschmiedet  war;  es 
trug  die  Sehnsucht  nach  dem  höchsten  Wesen  im  Herzen,  und 
war  zuo-leicli  von  der  Furcht  vor  dem  Teufel  und  dessen 
Macht  gepeinigt.  Das  Volk  war  in  Dumpfheit  und  Roheit 
versenkt.  Zu  jeder  Zeit  bewegen  sich  die  Menschen  in  Gegen- 
sätzen, aber  im  Zustande  der  Roheit  liegen  die  schroffsten 
Gegensätze  stets  unvermittelt  nahe  beieinander.  So  auch  in 
diesem  Zeiträume.  Daher  die  glänzende  Farbenpracht  dieser 
Periode  neben  dem  tiefsten  Dunkel,  die  härteste  Ascese  neben 
wildester  Genusssucht  und  Ausschweifung  und  andere  gegeu- 
füsslerische  Erscheinungen.  Hieraus  erklären  sich  wol  auch 
die  enthusiastischen  Verehrer   des  Mittelalters   auf  der   einen, 


5.  Erklärung  der  Ilexenperiode.  321 

und  die  rücksichtslosen  Tadler  desselben  auf  der  andern  Seite, 
beide  bedingt  durch  den  besondern  Gesichtspunkt,  unter  dem 
sie  es  betrachten. 

Im  Hinblick  auf  die  Wissenschaft  in  dieser  Zeit  wurde 
zwar  schon  angedeutet,  dass  einzelne  Lichtstrahlen  zu  leuchten 
angefangen;  im  ganzen  war  aber  noch  alles  Wissen  von  der 
Natur  und  ihren  Kräften  in  die  Nebel  der  Alchemie,  Magie 
und  Astrologie  eingehüllt.  Durch  die  Entdeckung  des  neuen 
AVelttheils  (1492),  die  Auffindung  des  Seewegs  nach  Ostindien 
wurde  Eiu-opa  mit  einer  Menge  neuer  Gegenstände  bekannt, 
der  Handel  nahm  einen  neuen  Aufschwung,  der  Austausch 
von  Kenntnissen  und  Erfahrungen  wurde  unter  den  Völkern 
gefördert,  und  durch  alles  zusammen  musste  das  intellectuelle 
Leben  in  Anregung  gebracht  werden;  allein  abgesehen  davon, 
dass  diese  mächtigen  Factoren  die  intellectuelle  Thätigkeit 
des  Volks  zunächst  nur  in  Gärung  versetzten,  zu  deren 
Klärung  es  überhaupt  einiger  Zeit  bedurfte,  war  die  geistige 
Entwickelung  noch  hintangehalten  durch  die  Macht  des  Auto- 
ritätsglaubens, auf  dem  das  ganze  Mittelalter  beruht.  Die 
Betrachtung  der  Erscheinungen  der  Natur,  noch  mit  kirchlich- 
theologistischem  Elemente  versetzt,  ward  von  dessen  magi- 
schem Zauberlaternenlichte  geblendet  und  ermangelte  der 
Schärfe  des  Auges;  das  Denken,  von  der  mächtigen  Faust  der 
Autorität  gehalten,  konnte  sich  nicht  frei  bewegen,  um  die 
Ursachen  zu  suchen  und  mit  den  Erscheinungen  in  Zusammen- 
hang zu  setzen.  Es  wird  daher  nicht  befremden,  wenn  in 
jener  Zeit  die  Kabbala,  Chiromantie  und  andere  magische 
Künste  eifrige  Anhänger  zählen,  wenn  VV  eihwasser,  Reliquien, 
Gebete,  Amulete  und  derlei  kirchliche  Mittel  gegen  Krank- 
heiten und  andere  Uebel  in  Anwendung  kommen,  da  letztere 
vom  Teufel  ausgehend  gedacht  werden.  Die  Geschichte  „Vom 
goldenen  Zahn",  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  dient  als 
Beweis,  „wie  gründlich  sich  die  Fähigkeit,  die  einfachste  Er- 
scheinung zu  ermitteln,  selbst  in  den  gebildetem  Klassen  ver- 
loren hatte"  1,  und  wird  zu  diesem  Zwecke  von  manchen 
Schriftstellern  angef  iihrt.  ^     Die  Nachricht ,   dass  am  22.  De- 


'  Liebig,  Chemische  Briefe,  S.  74. 

^  Liebig,  a.  a.  0.,  Anhang;    Sprengel,    Geschichte  der  Arzneikunde, 
III,  408;  Buckle,  Gesfliiclite  der  Civilisation,  I,  1,  280,  u.  a. 
Boskoff,  Gescliiclite  des  Teufels.    II.  21 


322     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexen  Verfolgung. 

cembcr    läSG    ein    Kind    mit    einem    goldenen    Zahn    geboren 
worden   sei,    brachte   ganz    Deutschland    in    die   grösste  Auf- 
regung,  da  das  Wunder   für   eine   geheimnissvolle  Vorbedei> 
tung  gehalten  wurde,   die  Unerklärlichkeit   desselben   aber  in 
die   peinlichste  Angst  versetzte.     Der  Arzt  Dr.  Horst  machte 
das  Ergcbniss   seiner  Untersuchung   1595  in   einer  besondern 
Schrift  bekannt,  worin  er  zeigte,  dass  die  übernatürliche  Ur- 
sache, wodurch  der  Zahn  erzeugt  worden,  in  der  Constellation, 
unter  welcher  der  Knabe  geboren,  begründet  sei,  da  die  Sonne 
in  Verbindung  mit  Saturn  im  Zeichen  des  Widders  gestanden 
habe.     Er   fand  ferner  in  diesem   Wunder  die  Vorbedeutung 
des  goldenen  Zeitalters,  indem  der  römische  Kaiser  die  Tür- 
ken  aus   der  Christenheit  hinauswerfen   und   den  Grund   zum 
tausendjährigen    Reich    legen    werde.      Die    Wahrheit    seiner 
Weissagung  erhärtete  Dr.  Horst  aus  Dan.  2,  wo  der  Prophet 
von  einem  Bildniss  mit   einem   goldenen  Kopfe  spricht.     Wir 
können    zur    KennzeichnunjT;    der    Culturstufe    auch    das    von 
Buckle  ^  wiederholte  Beisiiiel  von  Stöffler  hinzufügen.     Dieser 
berühmte    Mathematiker    und    Astronom,    einer    der    ersten, 
der  auf  die  nothwendige  Verbesserung  des  Julianischen  Ka- 
lenders   aufmerksam  machte,    hatte    nach    langwierigen  Kecli- 
nungen    herausgebracht,    dass   die  Erde  in    dem  Jahre   1524 
durch    eine    zweite   Sündflut    zerstört    werden    sollte,    worauf 
ganz  Europa  in  Bestürzung  gerieth  und  viele  Leute  fast  ver- 
rückt  wurden.      Von    den   vielen  vorgeschlagenen   Massregcln 
gewann  eine  den   meisten  Beifall,    der   die   Zeit  kennzeichnet. 
Auriol,   Professor  des  kanonischen  Rechts  zu  Toulouse,  fand 
nach  reiflicher  Erwägung  die  Nachahmung  Noalf  s  am  zweck- 
mässigsten,   und  so  wurde  mit  grossem  Eifer  eine  Arche   ge- 
baut, damit  wenigstens  ein  Theil  des  menschlichen  Geschlechts 
zur  Fortpflanzung   ei'halten  werde.     Wollte   man    das    Sprich- 
wort von  der  Schwalbe  im  umtrekehrten  Sinne  in  Anwenduns^ 
bringen  und   diese    einzelnen   Beispiele   eben  als   solche    nicht 
als  Mass  für  das  Ganze  gelten  lassen ,    so   genügt    der   fliich- 
tigstc    Blick    in    die    Geschichte    der    Naturwissenschaft,    um 
zu  überzeugen,  dass  noch  im  IG.  Jahrhundert,  ungeachtet  des 
Aufschwungs,  den  das  humanistische  Studium  genommen  hatte, 


1  A.  a.  0.,  I,  1,  281. 


5.    Erklärung  der  Hexenperiode.  323 

trotzdem  dass  die  forschenden  Aerzte  zu  den  Quellen  der 
Arzneikunde  zuriickkehrten  und  die  Kritik  zu  erwachen  anfing, 
aber  eben  weil  sie  erst  anfing,  die  Natur  noch  immer  unter 
dem  geheimnissvollen  Zaubermantel  des  Wunderbaren  ange- 
schaut wurde,  und  zwar  von  den  besten  Köpfen  jener  Zeit. 
Bekannt  ist  Melanchthon's  Neigung  zur  Astrologie,  und  man 
schreibt  dessen  Ansehen  viel  bei  zu  der  grossen  Aufnahme 
dieser  Kunst.  Seine  „Initia  doctrinae  physicae"  stehen  ganz 
unter  dem  Gesichts]3unkte  der  Macht  des  Teufels,  dessen  Ein- 
fluss  auf  Luft,  Wetter  und  Kenntniss  der  Gestirne.  Sprengel 
behauptet:  Servet's  freie  Vergleichung  der  griechischen  und 
(damals)  neuern  medicinischen  Grimdsätze,  seine  zwanglose 
Untersuchung  der  hergebrachten  Lehnneinungen  habe  viel 
beigetragen,  dass  ihn  Calvin's  Rache  auf  den  Scheiterhaufen 
zu  bringen  vermochte.  ^  Petrus  Forestus,  dessen  Sammlung 
medicinischer  Beobachtungen  in  der  Geschichte  der  Arznei- 
kuude  als  „classisch"  bezeichnet  werden,  will  doch  die  Ver- 
wandlung eines  Menschen  in  einen  Wolf  (Lycanthropie)  ge- 
sehen haben.  ^  Paracelsus'  Verdienst  um  die  Naturwissen- 
schaft ist  anerkannt,  indem  er  das  Zeitalter  eröfihet,  wo  die  Al- 
chemie  vom  Studium  der  Chemie  getrennt  wird  und  diese 
mit  der  Arzueikunde  in  Verbindung  tritt.  ^  Dabei  wird  aber 
doch  seine  vornehmliche  schriftstellerische  Bemiihung  darin 
gesehen,  die  Kabbala  jDopulär  zu  machen  und  sie  aufs  innigste 
mit  der  Medicin  zu  vereinigen."*  Van  Helmont  (geb.  1577), 
der  die  medicinische  Chemie  auf  ihren  Höhepunkt  brachte, 
hegte  doch  den  festen  Glauben  an  Metallverwandlung,  an  den 
Stein  der  Weisen;  er  fasste  Donner,  Blitz,  Erdbeben,  Regen- 
bogen und  andere  Naturerscheinungen  als  die  Wirkung  ein- 
zelner Geister  auf,  nahm  im  Menschen  einen  besondern  geistigen 
Regenten  an,  den  er  Archäus  nannte,  welchen  auch  Paracelsus 
angenommen  hatte.  Der  Einfluss  der  Kabbala  auf  Paracelsus 
und  seine  Zeitgenossen  ist  von  Sprengel  nachgewiesen,  und 
es  ist  bekannt,  dass  die  Naturwissenschaft  durch  die  Kabbala 


'  Geschichte  der  Arzneikunde,  III,  33. 
2  Sprengel,  III,  1G7  fg. 
*  Kopp,  Geschichte  der  Chemie,  I,  89. 
"•  Sprengel,  III,  335 

21 


324    Dritter  Absdmitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hcxcnvorfolgnng. 

zur  Theosophie  geworden,  die  an  Reuchhn,  Fr.  Pico  de  Miran- 
dola,    Franz   Giorgio,    Joh.    Trithemius    und    Ileinr.    Corncl. 
Ao-rippa  von  Nettesheiin   ihre   eifrigsten  Beförderer  fand.     In 
dem    Jahrhundert    der    Reformation    erfreute    sich    daher    die 
Astrologie   der  grössten   Verbreitung,    und    vor    jeder    merk- 
Avi:n-digen  Begebenheit   geschahen  Wunder,   die  von  müssigen 
Mönchen  und  fahrenden  Schillern   zu   ihrem  Vortheile  ausge- 
beutet wurden.     Die  einsichtsvollsten  Gelehrten  des  17.  Jahr- 
hunderts  waren   im  Glauben  an   magische  Kräfte,    an  zaube- 
i'ische  Geister  befangen.    Dass  Thomas  Campanella  iiberall 
Geister  und  Teufel  sah,  meint  Sprengel  aus   der  Behandlung 
des  armen  Dulders  durch  Teufel  in  Menschengestalt   erklären 
zu   können.^     Wir   erinnern  indess    an    die   Rosenkreuzer, 
die,  von  1G2Ö  immer  mehr  verbreitet,    sich  des  Geheimnisses 
rühmten,   durch  ein   sympathetisches  Pulver    oder    durch  ihre 
beriihmte  Waifensalbe   alle  Wunden,   Blutungen,  Geschwüre, 
überhaupt    sämmtliche    Krankheiten    augenblicklich    heilen   zu 
können.      Als    der    Physiker    Goldenius    die   Wirkung    dieser 
Wundersalbe,  die  er  nicht  anzweifelte,   auf  natürliche  Weise 
zu  erklären  gesucht  und  darüber  mit  einem  Jesuiten   in   hef- 
tio-en  Streit  gerathen  war,   der  sie  vom  Teufel  herleitete,   er- 
klärt dieser  die  Rosenkreuzer  für  Zauberer  und  den  Paracelsus 
als  ihren  Stammvater  für  den  ärgsten  Hexenmeister,  und  nach 
einer  Replik  von  Goldenius  und  einer  Duplik  von  seinem  Gegner 
endete   der  Kampf  damit,  dass  der  Jesuit  jenen   einen  Calvi- 
nisten  schimpfte  und  ihn  sammt  Calvin  zu  Kindern  des  Teufels 
stempelte.  2     Johann  Rudolf  G lau  her  (geb.  1G04),    dessen 
grosse    Verdienste    um    die    technologische   Chemie   anerkannt 
sind,  namentlich  um  die  Bereitung  des  Salpeters,   des  Glases 
u.  a.  m.,   glaubte   doch  noch  an  MctallverAvandlung,    an   sein 
all""emcines  Auflösungsmittel  „Alkahest",  Jessen  Heilkraft  sich 
in    allen   Krankheiten    bewähren   sollte.  ^     Der   londoner   Arzt 
Robert    Fludd    (gest.    1G37),    der    berühmteste    unter    den 
Rosenkreuzern,    leitete  die  Entstehung   der  Krankheiten   von 
bösen  Dämonen  her,  gegen  die  der  gläubige  Arzt  zu  kämpfen 
habe,    daher   den  Harnisch  Gottes  anlegen  müsse,    inn   ihnen 


I 


1  Sprengel,  IV,  321. 

2  Ibid.,  S.  321  fg. 
s  Kopp,  I,  127. 


5.    Erklärung  der  Hexenperiode.  325 

Widerstand  leisten  zu  könrten.  In  jedem  Planeten  hause  ein 
böser  Dämon,  und  so  gebe  es  saturnische,  jovialische,  vene- 
rische, martialische  und  mercurialische  Dämonen,  welche  ihnen 
gemässe  Krankheiten  erzeugen.  Kenelm  Digby,  der  als  tapfe- 
rer Seeheld  16G5  starb  und  als  besonders  eitriger  Verbreiter 
des  Glaubens  an  die  Heilkraft  des  sympathetischen  Pulvers 
bekannt  ist,  arbeitete  emsig  an  einem  Mittel,  das  Leben  in 
Ewigkeit  zu  verlängern,  an  das  selbst  Cartesius  geglaubt 
haben  soll.  ^  In  Deutschland  nahmen  die  Rosenki-euzer  wäh- 
rend dieses  Zeitraums  sehr  überhand.  Der  rostocker  Professor 
Sebastian  Wirdig  (gest.  1GS7)  sah  zwei  Arten  von  Geistern 
durch  die  ganze  Natur  verbreitet  ■■^,  deren  sich  auch  im  mensch- 
lichen Körper  befänden  und  mit  den  Geistern  der  Luft  in  den 
Gestirnen  in  Gemeinschaft  ständen,  dui'ch  deren  Einfluss  sie 
regiert  würden.  Wie  Campanella,  Fludd  u.  a.  gibt  auch 
Wirdig  der  Wärme,  Kälte,  Luft  einen  Geist  und  leitet  die 
Krankheiten  von  den  zornigen  und  rachsüchtigen  Geistern 
der  Luft  und  des  Firmaments  her.  Er  vertheidigt  die  Wünschel- 
ruthe  wie  die  Nekromautie  und  findet  die  Beweise  in  bibli- 
schen Sprüchen.  Wir  können  auch  an  ähnliche  Beispiele  des 
folgenden  Jahrhunderts  erinnern,  als:  an  die  Geschichte  der 
Ermordung  eines  Studenten  in  Jena  im  Jahre  1716,  die  nach 
dem  herrschenden  Glauben  durch  den  Teufel  stattgefunden  hatte, 
und  deren  Erklärung  durch  Kohlendampf  von  Fr.  HoflPmann 
allgemeinen  Austoss  erregte.  Selbst  Thomasius  (gest.  1728), 
den  wir  später  in  hellerm  Lichte  sehen  werden,  verfasste  eine 
Pneumatologia ,  die  man  nach  Sprengel  ^  fast  einem  Fludd 
zuschreiben  könnte.  Er  lässt,  gleich  Campanella,  von  dem 
obersten  Geiste  die  beiden  thätigeu  Principien,  den  männlichen 
Geist  der  Wärme  und  den  weiblichen  der  Kälte  emaniren 
und  durch  deren  Zusammentreten  die  Materie  entstehen.  Wir 
können  an  Samuel  Stryke's  „Dissertatio  de  jure  spectrorum, 
Halis  1738"  erinnern,  wo  S.  13  das  Leugnen  der  Gespenster 
für  ein  Zeichen  des  Atheismus  erkannt  wird,  u.  dgl.  m. 

Wie    die  Vertreter  der  Wissenschaft   die   vitalen  Thätig- 
keiten    noch    lange    nach    Paracelsus    in   dessen  Archäus    zu- 


1  Sprengel,  IV,  328. 

^  Vgl.  dessen  Medicina  spirituum. 

3  IV,  332. 


326    Dritter  Abschnitt :   Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

sammenfassten,  einem  Geiste,  der  seinen  Sitz  im  Magen  haben 
und  mit  allen  Leidenschaften  des  Menschen  begabt,  die  Ver- 
dauung, die  Bewegungserscheinungen  und  Seelenstimmungen 
regieren  sollte;  so  glaubte  das  Volk  um  so  unbedingter  die 
Ursache  von  allen  Erscheinungen  in  der  Natur  sowol  als  im 
Seelenleben  in  einem  dämonischen  Wesen  zu  erkennen,  das 
nach  Beziehung  und  Wirkung  als  Gott  oder  als  Teufel  sich 
kennzeichnete.  Hieraus  erklärt  sich  wol,  wie  der  Hexen- 
glaube vom  15.  Jahrhundert  ab  eine  solche  Höhe  erreichen 
konnte,  dass  das  Volk  hinter  jedem  Ereigniss  nicht  alltäg- 
licher Art  Hexerei  witterte,  hinter  der  eigentlich  der  Teufel 
steckte,  der  ja  schon  seit  dem  13.  Jahrhundert  die  Welt  er- 
füllte. Bei  der  allgemeinen  Gebundenheit  des  Denkens  war 
das  meiste  unerklärlich  und  geheimnissvoll,  und  der  Mensch 
sah  sich  in  einer  bezauberten  Welt,  wo  der  Zauber  mittels 
Hexen,  die  mit  dem  Teufel  im  Biindnisse  standen,  bewirkt 
ward.  Wie  einst  im  alten  Heidenthum  alle  Erscheinungen 
auf  Gottheiten  zurückgeführt  wurden  und  der  Mensch  in 
allen  Kraftäusserungen  ein  göttliches  Walten  erkannte,  so 
ward  am  Ausgange  des  Mittelalters  jede  aussergewöhnliche 
Erscheinung  als  Wirkung  von  Hexerei  betrachtet,  deren  Spur 
auf  den  Teufel  als  letzten  Grund  hinleitete.  Die  Kirche 
glaubte  sich,  als  Stellvertreterin  Gottes  auf  Erden,  berufen, 
dem  teuflischen  Wirken  entgegenzutreten,  und  die  staatliche 
Macht  versagte  ihr  nicht  ihren  Beistand.  Damit  begannen 
eigentlich  die  ordentlichen  Hexenprocesse. 

Nachdem  wir  den  Boden  dazu  im  allgemeinen  vorbereitet 
gefiinden,  haben  wir  nach  den  sj^ecifischen  Factoren  der  ra- 
piden Verbreitung  der  Hexenprocesse  hinzusehen. 

Nach  dem  Vorgange  des  Alten  Testaments,  wo  Zauberei 
und  Abgötterei  stets  zusammengestellt^,  da  beide,  auf  Ab- 
triinnigkeit  beruhend,  als  theokratische  Verbrechen  betrachtet 
werden,  nahm  auch  die  Kirche  des  Mittelalters  jede  Ab- 
weichung von  ihrer  Anschauung  gleichbedeutend  mit  Abfall 
von  Gott,  worauf  sie  Verdammung  aussprechen  zu  müssen 
glaubte,  denniach  Ketzerei  und  Zauberei  als  gleichschwere 
Verljrechcn  betrachtete  und  behandelte.    Die  Handhabe  hierzu 


1  Vgl.  5  Mos.  18,  10.  11;    2  Chron.  38;  1  Sam.  15,  23;  28,  11,  u.  a. 


5.   Erklärung  der  Hexenperiode.  327 

laiid  sie  in  2  Mos.  22,  18  ',  das  heisst:  sie  iibersctzte  die 
alttestamentliclie  Anschaimug  von  der  Tlieokratie,  welche  durch 
die  Kirche  im  Christenthum  dargestellt  werden  sollte,  ins 
Christliche.  Wir  haben  gesehen,  wie  die  Zauberei,  die  zu 
allen  Zeiten  und  bei  allen  Völkern  vor  der  christlichen  Zeit- 
rechnung üblich  gewesen,  im  Verlaufe  des  Mittelalters  infolge 
des  allgemein  herrschenden  Teufelsglaubens  und  der  Vorstel- 
lung von  einem  freiwilligen  Teufelsbiindnisse  eine  specifische 
Bedeutung  erhalten  hatte.  Die  Zauberei  wurde  zur  Hexerei 
durch  eben  den  Bund  mit  dem  Teufel,  wodurch  die  Hexe 
ihre  aussergewöhnliche  Macht  im  Sinne  des  Teufels  zu  wirken 
erlangte.  Indem  der  Glaube  an  das  Hexen wesen,  mit  dem 
Teufelsglauben  Hand  in  Hand  gehend,  sich  immer  mehr  aus- 
bildete, in  den  Gemüthern  immer  tiefere  Wurzel  fasste,  die 
ganze  Anschauung  dieser  Periode  innerhalb  des  schnei- 
denden Gegensatzes  von  Gott  und  Teufel  sich  bewegte,  alles 
Uebel,  physisches  und  moralisches,  auf  den  Teufel  zurück- 
geführt ward,  der  die  Herrschaft  der  Kirche  zu  gefährden 
und  seine  eigene  auf  Erden  immer  mehr  zu  vergrössern  suche; 
so  musste  den  Hexen  als  den  eigentlichen  Organen  des  Sa- 
tans, ihres  Herrn  und  Meisters,  der  sie  zur  Erweiterung  sei- 
nes Reiches  gebrauchte,  die  Schuld  an  jeglichem  Uebel  zu- 
gerechnet werden.  Den  Widerspruch  zwischen  des  Teufels 
und  seiner  Verbündeten  Wirksamkeit  mit  der  göttlichen  Re- 
gierung meinte  die  Kirche  durch  den  Glaubenssatz  von  der 
göttlichen  Zulassung  gehoben  zu  haben,  und  sah  sich  ganz 
besonders  verpflichtet,  die  Hexerei  gleich  der  Ketzerei  zu  vei-- 
folgen.  Nach  kirchlicher  Anschauung  hatten  die  der  Hexerei 
Ergebenen  mit  ihrem  Teufelsbundesschluss  ihr  Taufgelübde 
(gleich  den  Ketzern)  gebrochen,  also  auch  den  Bund,  in  den 
sie  durch  jenes  mit  Gott,  d.  h.  mit  der  Kirche,  getreten 
waren.  Darum  sind  die  Hexer  und  Hexen  gleich  den  Ketzern 
auszurotten.  Wir  bemerken  hier  wieder  eine  alttestamentliclie 
Anschauung,  nämlich  die  von  einem  Bunde  mit  Gott,  unter 
dem  sich  das  Volk  Israel  seine  Beziehung  zu  jenem  vorgestellt, 
welcher  durch  Vermittelung  der  Kirche  auf  christlichen  Boden 
verpflanzt  und  zum  Zeitbewusstsein  erhoben  wurde.  —  Nach  dem 


Vgl.  3  Mos.  19,  31;  20,  27. 


328     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Ucxenvcrfolgung. 

Erörterten  stimmen  wir  mit  Schindler  überein,  wenn  er  es 
einen  unbegründeten  Vorwurf  nennt,  den  luthersche  Schrift- 
steller der  römischen  Kirche  machen,  „dass  sie  die  Gleich- 
stellung der  Ketzerei  und  Zauberei  erfunden  habe,  um  unter 
dem  Vorwande  der  Zauberei  die  Ketzer  zu  vertilgen".  ^  Ab- 
gesehen von  dem  historischen  Irrthum,  der  hiermit  ausge- 
sprochen wird,  finde  ich  überdies  keinen  Grund  zu  einem 
Vorwande  für  die  Kirche,  welche  die  Zauberer  und  Hexen 
ohne  Vorwand  verfolgen  konnte,  wie  sie  die  Ketzer  seit  jeher 
verfolgt  hatte.  Bedenklich  aber  ist,  dass  die  Kirche  den  Ge- 
sichtspunkt der  althebräischen  Theokratie  festhielt  und  sich 
an  deren  Stelle  setzte.  Nach  althebräischer  Anschauung  war 
Jahveh  die  allein  berechtigte  Macht,  und  in  der  Anerkennung 
einer  andern  beruhte  das  theokratische  Verbrechen ,  welches 
durch  den  Abfall  zum  Ileidenthum,  also  durch  die  Verehrung 
einer  heidnischen  Gottheit,  oder  durch  Zauberei,  d.  h.  durch 
die  Anerkennung  der  Wirksamkeit  einer  Macht,  die  nicht 
Jahveh  ist,  begangen  ward.  Auf  beide  Arten  theokratischer 
Verbrechen  stand  die  Ausrottung,  d.  h.  der  Tod.  Indem  die 
Kirche  des  Mittelalters  unter  demselben  Gesichtspunkte  als 
Repräsentantin  der  Theokratie  sich  als  allein  berechtigte  Macht 
gefasst  wissen  wollte  und  auch  von  damaliger  Zeit  gefasst 
wurde,  verfuhr  sie  allerdings  von  diesem  Standpunkte  aus 
folgerichtig,  wenn  sie  jede  Abweichung  von  ihren  Satzungen 
als  Ketzerei,  und  die  Anerkennung  der  Macht  des  Teufels, 
ihres  Widersachers,  als  Hexerei  verdammte.  Bedauerlich  ist 
diese  Folgerichtigkeit  um  der  ungezählten  vielen  Ketzer  und 
um  der  luigefähr  9  Millionen  Hexer  und  Hexen  willen,  die 
in  Flammen  aufgehen  nuissten.  Bedenklich  ist  ferner,  dass 
die  Kirche  ihren  alttheokratischcn  Standpunkt  noch  festhielt, 
als  das  Zeitbewusstsein  über  dessen  Schranken  hinaus  ge- 
wachsen war. 

Das  Streben,  die  mittelalterliche  Hexenperiode  zu  er- 
klären, rief  eine  umfangreiche  Literatur  hervor,  zu  welcher 
von  Vertretern  verschiedener  Zweige  des  Wissens  schätzens- 
werthe  Beiträge  geliefert  wurden.  Das  erschreckende  Ueber- 
handnehmen    der  Hexenverfolgung   zu  begreifen,    beschäftigte 


1 


'  Schindler,  S.  315. 


5.    Erklärung  der  Hexenperiode.  329 

viele  denkende  Köpfe,  sowie  das  unsägliche  Elend,  das  wäh- 
rend dei'  Hexenporiode  über  Millionen  verbreitet  worden,  das 
menschliehe  Herz  erschiittern  niuss.  Die  bedeutenden  und 
vielen  Bearbeitungen  dieses  Gegenstandes,  unter  denen  wir 
von  den  altern  Soldan's  öfter  angeführte  Schrift  nicht  mehr 
herauszuheben  brauchen,  lassen  daher  auch  eine  kürzere,  nur 
ergänzende  Behandlung  zu. 

Obschon  alle  Bearbeiter  der  Hexenperiode  nach  bestimm- 
ten Factoren  suchen,  die  in  derselben  thätig  waren,  so  kann 
es  nicht  befremden,  dass  von  verschiedenen  Standpunkten  aus 
auch  jene  verschieden  gefunden  wurden.  Dies  ist  schon 
bei  der  Erklärung  des  Ursprungs  des  Hexenwesens  der 
Fall.  In  Bezug  auf  die  Ursachen  der  steigenden  Verbreitung 
der  gerichtlichen  Hexenverfolgung  haben  ihr  namentlich  Ju- 
risten grosse  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  schätzbare  Ar- 
beiten geliefert,  unter  denen  Wächter  eine  hervorragende 
Stelle  einnimmt.  ^  Görres  klagt '^,  dass  die  Aerzte,  die  gleich- 
falls ihre  Stimme  über  den  Grund  der  furchtbaren  Erschei- 
nungen der  Hexenpei'iode  abgegeben,  „durch  die  Deutung 
auf  blose  Krankheit,  die  sie  in  ihrem  vorwiegend  materialisti- 
schen Streben  der  ganzen  Sache  gaben,  den  verworrenen 
Handel  nur  noch  mehr  verwirren."  Ich  halte  uns  den  Aerz- 
ten  vielmehr  zu  Dank  verpflichtet,  dass  sie  uns  einen  Factor, 
den  wir  bei  Betrachtung  des  Hexenwesens  finden,  be- 
stätigen und  begründen  helfen,  obschon  wir  auch  andere 
Gesichtspunkte  festhalten  miissen.  Dem  Vorwurfe  der  Un- 
zulänglichkeit, Einseitigkeit  dürften  theologische  Erklärer,  wie 
Görres,  am  wenigsten  entgehen,  wenn  d{?,s  Wesen  der  Hexerei 
einfach  auf  Abfall  von  der  Kirche  reducirt  wird,  die  Massen- 
haftigkeit  des  Auftretens  aber  fast  unerörtert  abseits  liegen  bleibt. 

In  neuester  Zeit  hat  Dr.  Haas  ^  seine  Meinung  abgegeben, 
wonach  die  Hexerei  genannter  Periode  „aus  der  Ketzerei  der 
ihr  unmittelbar  vorangehenden  Zeit"  entstand,  und  „wie  die 
Ketzerei  betrieben  und  behandelt  ward,  so  ihre  Base,  wenn 
nicht  Tochter,  die  Hexerei.  .  .  .  Eben  war  der  Ketzerei  und 


^  Vgl.  dessen  schon   angeführte  Beiträge    zur  deutschen    Geschichte, 
IV.  Abhandlung  und  Excurs. 

2  Christliche  Mystik,  III,  66. 

^  Die  Hexenprocesse.  Ein  culturhistorischer  Versuch  (Tübingen  1865). 


330     Di'ittei'  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Ilcxenvcrfoigung. 

Ketzerriecherei  das  Handwerk  gelegt  worden,  da  erhob  sich 
die  Hexerei."  *  Mit  dieser  Andeutung  der  historischen  Auf- 
einanderfolge und  des  engen  Zusammenhangs,  welchen  die  Kirche 
zwischen  Ketzerei  und  Hexerei  sah,  kann  man  sich  kaum  ein- 
verstanden erklären,  wie  auch  der  geschichtliche  Beweis, 
den  Haas^  „in  möglichst  gedrängter  Kürze"  geliefert  zu  haben 
meint,  mehr  ein  möglichst  flüchtiger  genannt  zu  werden  ver- 
dient. Dr.  Haas  hat  gewiss  recht,  wenn  er  behauptet:  „Nir- 
gends Lücke  und  Leere,  überall  nothwendiger  Uebergang." 
Hierauf  führt  der  Verfasser  eine  Reihe  von  Sätzen  an,  wie: 
„Beide  (Ketzerei  und  Hexerei)  entstehen  aus  Unglauben  und 
Unklarheit,  Hochmuth,  Ueberspannung,  sind  Wahngeschöpfe, 
mishandcln  und  werden  mishandelt  und  wachsen  dabei,  bis 
ihnen  mit  Kraft  und  Vernunft  entgegengetreten  wird.  —  Denn 
noch  waren  die  Gemüther  vieler  nicht  frei  vom  eben  unter- 
drückten Wahne  (der  Ketzerei),  und  in  dem  gesäuberten  Hause 
traten  ärgere  Geister  auf,  sodass  es  mit  den  Menschen  schlim- 
mer ward  denn  zuvor.  ^  .  .  .  Auch  der  Papst  niisbilligte  das 
Verfahren  Konrad's  (des  Ketzerrichters  von  Marburg)  und 
sprach  seine  Verwunderung  dariiber  aus,  wie  man  eine  so 
unerhörte  Weise  so  lange  habe  ertragen  können.  Dass  er 
aber  seine  Leute  kannte,  zeigt  die  beigesetzte  Bemcj-kung  des 
Papstes:  «Die  Deutschen  waren  stets  furios,  darum  bekamen 
sie  auch  furiose  Richter.»  So  verlor  sich  die  Ketzerverfolgung, 
sobald  gegen  sie  milde  Gerechtigkeit  und  Vernunft  Raum  ge- 
wonnen. Und  wo  dies  nicht  der  Fall  war,  ward  das  Uebel 
nur  mit  einem  Palliativmittel  behandelt  und  so  niedergehalten, 
dass  an  seine  Stelle  ein  verwandter  Wahn  treten  konnte :  das 
war  die  Hexerei.  Eine  Krankheit  erzeugt  bei  falscher  Be- 
handlung oder  bei  dem  Vorhandensein  unerkannter  Ursachen 
die  andere."  *  Wenn  nun  hierauf  der  Verfasser  ausruft :  „Hier 
der  geschichtliche  und  psychologische  Beweis  für  unsere  Mei- 
nung von  der  Hexerei  der  genannten  Zeitperiode"  ^,  so  über- 
rascht er  den  Leser  mit  der  unglaublichen  Zumuthung,  die 
Sache  als  bewiesen  hinnehmen  zu  sollen.  Auch  scheint  mir, 
dass  die  „Erklärung  oder  Lösung  dieser  räthselhafteu  Er- 
scheinung"   kaum    befriedigend   vollzogen    sein   dürfte,    wenn 


1  S.  G3.         -  S.  03—65.         3  s.  53.         i  g.  65.         5  s.  66. 


I 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  331 

der  Verfasser  fortfährt:  „Es  gab  und  wird  stets  Zauberkreise 
geben,  welchen  der  Mensch  nicht  ungestraft  nahen  darf,  Gei- 
ster, deren  man  sich  bemächtigen  möchte,  und  deren  Herr 
man  nicht  mehr  werden  kann,  wie  Goethe's  Zauberlehrling". 
Ob  nicht  GÖthe  bei  Lesmig  dieses  Satzes  dieselben  Worte 
ausgerufen  hätte,  die  ihm  entfuhren,  nachdem  er  das  be- 
kannte Gedicht  gelesen:  „Ins  Innere  der  Natur  dringt 
kein  erschaffener  Geist  u.  s.  w."?  Hingegen  ist  der  Ver- 
fasser im  richtigen  Geleise,  wenn  er  im  Hexenwesen  eine 
„Kepristination  heidnischer  Ideen  in  Verbindung  mit  falschem 
Christenthume"  sucht',  obschon  hiermit  der  Gegenstand  nicht 
erschöpft  ist.  Bei  unserer  bisherigen  Verfolgung  der  Ge- 
schichte de'S  Teufels  Hess  sich  abmerken,  wie  es  mit  dieser 
„Kepristination"  sich  verhalte,  und  wir  mussten  wahrnehmen, 
dass  nicht  nur  „mancher  Zug  der  nordischen  Götter",  wie 
Schindler  meint-,  sondern  sehr  viele  oder  gar  die  meisten 
Züge  aus  dem  Heidenthum,  nachdem  sie  vermittels  der  llerab- 
drückungsmethode  alterirt  und  ins  Dunkle  gezogen  worden, 
an  die  Gestalt  des  Teufels  und  seiner  Verbiindeten  sich  ange- 
heftet haben,  was  von  J.  Grimm,  Soldan,  Simrock  u.  a.  be- 
reits erschöpfend  nachgewiesen  wurde. 

Von  manchen  Seiten  wurde  die  furchtbar  schnelle  Verbrei- 
tuns:  der  Hexeuverfokung  lediglich  als  Product  der  Bosheit, 
des  Neides,  Hasses,  der  Gewinnsucht  und  Verfolgungswuth 
angesehen.  Wer  wollte  leugnen,  dass  die  schlimmen  Leiden- 
schaften der  Menschen  seit  jeher  als  wirksame  Hebel  in  der 
menschlichen  Geschichte  mitgespielt  haben?  Wo  wäre  irgend- 
etwas geschehen,  bei  dem  nicht  persönliche  Neigung  oder  Ab- 
neigung, w^o  nicht  das  Laster,  wie  die  Tugend  und  deren 
ffanze  Tonleiter  daran  theilgenommen  hätte?  Ist  nicht  iiber- 
haupt  ein  grosser  Theil  der  Geschichte  auf  Rechnung  der 
Materie  zu  schreiben?  Und  doch  wird  heute  kaum  jemand 
mehr  mit  einer  Erklärung  des  Ursprungs  der  Kreuzzüge  aus 
Habsucht  oder  Lust  nach  Abenteuern  sich  befriedigt  finden, 
obschon  jedermann  weiss,  dass  diese  bei  sehr  vielen  Kreuz- 
fahrern die  eigentlichen  Beweggründe  waren.  Der  Hexen- 
process  bot  allerdings  besonders  günstige  Gelegenheit,  um  die 
unsaubersten  Triebfedern   springen   zu  lassen.     Da  nach  dem 

1  S.  G8.         -  S.  325. 


332    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenvcrfolgung. 

Criininalverfahreu  des  Hexeuhauuners  eine  Deniineiation  ohne 
Beweisführung  des  Denuncianten,  dessen  Name  dem  Denun- 
cirten  nicht  einmal  bekannt  gemacht  werden  musste,  hinreichte, 
um  einen  llexenprocess  anzustrengen  ^ ,  so  waren  hiermit  der 
Schel-  und  Kachsucht  die  Thore  weit  geöfinet,  um  ihre 
Opfer  auf  die  Folterbank  und  den  Scheiterhaufen  zu  bringen. 
Der  „Hexenhammer"  deutet  ferner  selbst  wiederholt  an,  dass 
Hass  und  Feindschaft  häufige  Beweggriinde  der  Denunciation 
gewesen,  da  er  der  Erörterung  über  Feindschaft,  deren  Er- 
irründunff  und  Unterscheiduno;  in  2;ewöhnliche  und  Todfeind- 
Schaft  ganze  Abschnitte  widmet.^  Beispiele,  wo  Feindschaft 
und  Hass  denuncirte,  sind  daher  sehr  häufig.  Soldau^  erin- 
nert uns  an  Grandier's  Geschichte,  an  Beispiele  iö  England, 
wo  Männer  ihre  Weiber,  deren  sie  überdrüssig  waren,  nicht 
nur  als  Waare  am  Stricke  auf  den  Markt,  sondern  auch  als 
Hexen  dem  Strange  des  Henkers  zuführten ;  an  ein  achtjähri- 
ges Mädchen,  das'*  sich  nach  einem  Zank  mit  der  Ilausmagd 
dadurch  rächte,  dass  es  sich  behext  stellte,  infolge  dessen 
20  Personen  auf  sein  Zeugniss  verurtheilt  wurden,  wovon  5 
wirklich  den  Tod  erlitten.  Auch  Gewinnsucht  und  Habgier 
haben  wir  als  thätige  Helfer  bei  der  Verbreitung  der  Hexen- 
processe  zu  verzeichnen.  Denn  da  das  Vermögen  der  Verur- 
theilten  entweder  förmlich  confiscirt,  oder  unter  dem  Titel 
„Processkosten"  oder  „Sportuliren"  eingezogen  wurde,  ei'öff- 
neten  die  Plexenprocesse  eine  Art  Finanzqueile.  Die  Hexen- 
richter, die  nach  Localverhältnissen  von  der  geistlichen  oder 
weltlichen  Behörde  bestellt  waren,  und  auch  die  Henker  be- 
zogen fiir  jede  ihrer  Verrichtungen  eine  bestimmte  Gebühr 
nebst  allerlei  Vortheilen.  Einer  der  neuern  Schriftsteller^  be- 
richtet, dass  in  Oesterreichisch-Schlesicn  und  Mähren  zur  Lei- 
tung eines  Hexenprocesses  gewöhnlich  ein  darin  erfahrener 
Mann  gewonnen  werden  nuisste,  und  indem  selbst  unter  den 
Amt-  und  Hofleuten  der  Gerichtsherren  sich  selten  solche  fan- 


! 


1  Mall,  malef.  P.  III,  qu.  1. 

2  Vgl.  P.  III,  qu.  f),  12  u.  a. 

3  S.  31G. 

«  Nach  Walter  Scott,  Br.  üb.  Dam.,  II,  IKi». 

^  Zur  Geschichte  des  Glaubens  an  Zauberer,  Hexen  und  Vampyrc  in 
Mähren  und  Ocsterrcichisch-Schlesien,  von  Bischof  und  d'Elvcrt. 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  333 

den,  die  dazu  bereit  oder  geeignet  gewesen  wären,  so  musste 
bei  dei'  geringen  Auswahl  die  Gerichtsherrschaft  guten  Lohn 
geben.     Die    Hexenrichterci   wurde    also    zum  Gewerbe,    von 
dem  mancher  lebte,  und  Bischof  macht  uns  mit  einem  solchen 
Namens  Boblig  bekannt,  der  von  der  Gerichtsherrschaft  (der 
Gräfin  Galle)  Kost  und  bequeme  Wohnung  für  sich  und  sei- 
nen Diener,  einen  Reichsthaler  täglich  und  für  Commissions- 
reisen  die  ircwöhnlichen  nicht  unbedeutenden  Zehr-  und  Warte- 
gelder  erhielt.     Eine    gleiche   Bezahlung    erhielt  er  auch  vom 
Fürsten  Lichtenstein,  als  die  Processe  auf  dessen  Gebiet  hin- 
übergespielt   worden    waren,    und    jene    wurde    bei    weiterer 
Ausdehnung  des  Processes  so  verbessert,  dass  Boblig  wöchent- 
lich drei  Gulden  und  einen  halben  Eimer  Bier,  jährlich  zwölf 
Klafter    Holz    und    in    der    Stadt    Schönberg    eine    bequeme 
Wohnung  erhalten  sollte,   bei  welcher  Gelegenheit   der  fürst- 
liche Richter  eine  kräftige  Rüge  erhielt,  dass   er  dem  Boblig 
nicht   früher  schon   eine   Wohnung    einräumen    liess.     „Dann 
Ihr    wisst    wol",    heisst    es,    „dass    dergleichen    leuth,     so 
man  zu  einem  solchen  vornemben  Werckh  vonnöten   hat,   ein 
taugliches  Quartier  haben  müssen,  so  Ihme  vnsere  Stadt  (Schön- 
berg)   nicht  verweigern    kann,    dann    sie    ist   selbst  schuldig, 
dergleichen  schweres  Laster,   so  wider   die  göttliche  Majestät 
ist,  auszutilgen".    Eben  dieselbe  Bezahlung,  wie  er  sie  ander- 
wärts bekam,   versprach   auch  der  olmützer  Fürstbischof  dem 
Boblig  zu,   als   er   ihm   die  Leitung   der  Untersuchung  gegen 
den    schönberger    Dechant    (Lauthner)    auftrug.     Inzwischen 
hatte  Boblig  auch   in  Prosznitz   zwei   Weiber,   Elisabeth  Bra- 
benetzki  und  Katharina  Wodak,  auf  den  Scheiterhaufen  beför- 
dert,  und  dafür  an  täglichen  3  Gulden   246  Gulden  erhalten. 
Ausserdem  mai?  Boblisi;  wol  noch  manchen  andern  Vortheil  — 
abgesehen    von    den   Rehen    und    Rebhühnern,    die    ihm    zur 
Weihnacht    oder    an   andern   Feiertagen   von    den    fürstlichen 
Beamten    in  die  Küche  geschickt  wurden  —    aus  den  Hexen- 
processen  gezogen  haben,   obwol  er  sich  gegen  solche  Zumu- 
thungen  mit  Entrüstung  verwahrt.     Wenigstens   erweckt  eine 
den  Acten   beiliegende  Beschwerde   der  Söhne   des   verbrann- 
ten seydersdorfer  Richters,    worin  dieselben  die  Gerichtsherr- 
schaft   um    Rückstellung    von    neun    harten    Dukaten    bitten, 
welche  ihnen  Boblig  durch  das  nicht  erfüllte  Versprechen  ab- 
geredet  habe,   er  würde  von  der   prager  Appellationskammer 


334     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Ilexonvcrfolgung. 

erwirken,  dass  ihr  Vater  zuerst  enthauptet  und  dann  erst  ver- 
brannt werde,  manches  Bedenken  über  seine  selbstgepriesene 
Redlichkeit.  Wenn  man  ferner  erwägt,  dass  die  Hexenrichter 
keine  andere  feste  Stellung  einnahmen,  so  wird  man  nicht 
zweifeln  können,  dass  sie  an  der  steten  Weiterverbreitung  der 
Hexenprocesse  das  grösste  Interesse  haben  mussten.  Die  vor- 
liegenden Papiere  lassen  es  deutlich  wahrnehmen,  wie  eifrig 
Boblig  dafür  besorgt  war,  die  Hexenprocesse  nicht  in's  Stocken 
gerathen  zu  lassen.  ^  Schon  der  Kanonicus  Loos  nennt  die 
Hexenprocesse  eine  „neuerfundene  Alchymie",  durch  die  man 
aus  Menschenblut  Gold  und  Silber  mache.  ^  S]3ee  erwähnt  in 
seiner  „Cautio  criminalis",  dass  auf  den  Kopf  eines  wiegen 
Hexerei  Verurtheilten  4 — 5  Thaler  als  Prämie  den  Inqui- 
sitoren verabfolgt  werden  und  grämt  sich  über  deren  Trink- 
gelage. Er  sagt:  dass  viele  nach  den  Verurtheilungen  der 
Zauberer  und  Hexen  hungerten  „als  den  Brocken,  davon  sie 
fette  Suppen  essen  wollten",  und  erzählt  von  einem  ihm  be- 
kannten Inquisitor,  welcher  durch  seine  Leute  das  Landvolk 
so  in  Hexenfurcht  jagen  liess,  dass  es  zuletzt  zum  Inquisitor 
seine  Zuflucht  nahm,  der  durch  zusammengeschossenes  schwe- 
res Geld  zur  Untersuchung  sich  einfand,  aber  unter  dem  Vor- 
wande  anderweitiger  Geschäfte  abbrach,  um  abermals  Geld 
herauszulocken.^  Anderwärts  erheben  sich  Klagen  über  den 
Aufwand  der  Henker  und  ihrer  Weiber,  dass  diese  in  seide- 
nen Kleidern  einherrauschen  oder  gar  in  Kutschen  fahren,  '^ 
jene  auf  stattlichen  Rossen  reiten,  und  dies  alles  infolge  der 
gewinnreichen  Hexenprocesse.  Der  coesfelder  Henker  erhielt 
binnen  sechs  Monaten  1G9  Reichsthaler  für  seine  Bemühungen 
an  Hexen.*  Der  koburger  veranlasste  für  sich,  seine  Knechte, 
Boten  und  Pferde  in  einem  Jahre  einen  Kostenaufwand  von 
mehr  als  1100  Gulden.-'^  Fr.  Müller  berichtet  aus  siebenbür- 
gischcn  Hexenprocessacten:  „Für  die  Hinrichtung  einer  Hexe 


>  Bischof,  S.  6  fg. 

-  Ilauber,  Bibl.  mag.  I,  74. 

^  Caut.  criui.  Dub.  XVI,  6. 

*  Niesert,  merkwürdiger  Hexenprocess  gegen  den  Kaufmann  G.  Kölb- 
ling  zu  Coesfeld. 

^  Leib,  Consilia,  responsa  ac  deductiones  juris  variae,  p.  124;  bei 
Soldan,  S.  312. 


I 


5.  Erkliirung  der  Hexenpcriodc.  335 

erhält  nach  der  schüssburger  Stadtrechnung  der  Henker  1  Gul- 
den; der  von  Grosssclienk  hat  nach  einer  Bestimmung  des 
dasigen  Rathes  in  ähnlichen  Fällen  2  ungarische  Gulden 
anzusprechen,  dazu  ein  Eimer  Wein,  ein  Brot  und  ein  Pfund 
Speck".  Der  englische  Hexenfinder  Hopkins  erhielt  Transport- 
kosten, freien  Unterhalt  und  ausserdem  Diäten;  ein  anderer, 
ausser  den  Reisekosten,  ftir  jede  entdeckte  Hexe  20  Schil- 
linge. ^  Nach  dem  Zeugnisse  Agrippa's  ^  verwandelte  der  In- 
quisitor nach  Umständen  das  Urtheil  in  eine  Geldstrafo,  und 
es  kam  Methode  in  das  Geschäft,  indem  viele  eine  Art  jähr- 
licher Steuer  zahlen  mussten,  um  nicht  vor  das  Inquisitions- 
gericht gezogen  zu  werden,  Oder  die  bischöflichen  Officialen 
Hessen  eine  im  Rufe  der  Hexerei  stehende  Person  vorladen, 
einen  Reinigungseid  schwören,  wofür  sie  dann  einen  losspre- 
chenden Urtheilsbrief  mit  2V2  Gulden  bezahlen  musste. 
Die  41.  Beschwerde  von  denen,  welche  der  Nürnberger 
Reichstag  vom  Jahre  1522  gegen  den  römischen  Stuhl  erhob, 
führt  diesen  Uebelstand  an.  Lilienthal  berichtet  aus  Process- 
acten: „Ein  Weib  Regina,  der  Hexerei  beschuldigt,  lief  fort, 
man  nahm  alle  ihre  zurückgelassenen  Habseligkeiten  und  gab 
ihrem  Manne  nur  ein  Paar  lederne  Hosen.  ^  Derselbe  Ver- 
fasser theilt  die  Entscheidung  einer  Appellation  in  dritter  In- 
stanz aus  dem  Jahre  1644  mit:  „Die  bischöflichen  Commissa- 
rien  M.  Böhme,  Erzpriester  zu  Braunsberg  und  Domherr  zu 
Guttstadt,  und  von  Oelsen,  Schlosshauptmann,  entschieden 
über  den  neustädtischen  Bürger  Arendt  und  sein  Weib,  dass 
beide,  weil  sie  fremde  Götter  gesucht,  Ratli  bei  einer  Zaube- 
rinn  in  Elbing  geholt  u.  s.  w.,  75  Thaler  Strafe  zahlen  und  das 
Kammeramt  meiden  sollen.  Der  Administrator  Dzyalinski 
erlässt  ihnen  auf  vornehmer  Leute  Bitten  die  Verstossung".  * 
Schliesslich  noch  ein  merkwürdiges  Actenstiick,  das  Horst  ^ 
mitgetheilt  hat.  Der  J  ustizamtmann  Geisz  zu  Lindheim  schreibt 
an  seine  adelichen  Herren,  dass  neuerdings  das  Zauberwesen 
ausbreche,    „dass    auch  der  mehren  Theilsz  von  der  Bürger- 


'  Hutchinson,  Kap.  4. 

2  De  incertitud.  et  vaiütut.  scient.  cap.  90. 

■'  Die  Hexenprocesse  der  beiden  Städte  Braunsberg,  S.  154. 

'  S.  157. 

5  Dämonom.  II,  369. 


330    Dritter  Abschnitt:  Peinode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Schaft  sehr  dariiber  bcstiirzet  und  sich  erholten,  wenn  die 
Herrschaft  nur  Lust  zum  Brennen  hätte,  da  wollten  sie  gerne 
das  Holtz  und  alle  Unkosten  erstatten  undt  könnte  die  Herr- 
schaft auch  so  viel  bei  denen  bekommen,  dass  die  Briigk 
undt  die  Kirche  kondten  wiederumb  in  guten  Stand  gebracht 
werden.  Noch  über  dass  so  kondten  sie  so  viel  haben,  dass 
deren  Diener  kondten  so  viel  besser  besuldet  werden,  denn 
es  dürften  vielleicht  ganze  Häuser  undt  eben  diejenigen,  welche 
genug  darzu  zu  thun  haben,  inforcirt  seyn".  Derselbe  Geisz 
leitete  den  grossen  Lindheim'schen  Hexenproccss,  wobei  er 
für  einen  Kitt  nach  einem  zwei  Stunden  entlegenen  Städtchen 
5  Thaler  Gebiihr  anrechnete.  Nach  einer  von  ihm  selbst 
ausgestellten  Rechnung  hatte  er  bei  den  verschiedenen  Ver- 
haftungen allein  an  baarem  Gelde  188  Thaler  18  Silberpfennige 
sich  zugeeignet.  Ausserdem  rechnet  Geisz  an  ' :  „  Item  von 
denen  so  aus  der  custodia  im  Hexenthurn  gebrochen  undt 
was  ich  an  Unkosten  ausgeleget:  Johann  Schüler  20  Thaler; 
seine  Fraweu  10  Thaler;  Peter  Weber  Rest  noch  5  Thaler; 
Hannsz  Pepel  Rest  noch  10  Thaler ;  Heinrich  Froch  Rest  noch 
10  Thaler;  Hannsz  Pepelsz  Frawen  20  Thaler;  Hannsz  An- 
nigsz  Frawen  20  Thaler".  Dabei  hat  Geisz  das  von  den 
lindheimer  Unterthanen  sich  angeeignete  Vieh  u.  dgl.  gar 
nicht  in  Rechnung  gestellt.  Der  Gewinn  der  Gerichtsdiener 
ist  auch  aus  den  Geisz'schen  Rechnungen  ersichtlich  '^i 
„Dem  Wirth  zu  Hanichcn.  NB.  Was  die  der  Hexenkönigin 
nachgesetzedten  Schützen  dasclben  vertrunken:  2  Rthaler 
7  Alb."    „Den  20.   July  aus   dem  Keller    zu  Geisern   bei   der  fl 

Hexenverfolgung  im  Beyseyn  Herrn  Verwaltern  12  Reichs- 
thaler 15  Alb. "3  „Den  12.  Januarii  1664  Hanns  Em- 
meichen  zu  Bleichenbach  was  der  Ausschuss  bei  der  Hexen- 
jagd allda  verzehret.  NB.  in  2  Tag  daselbst  versoffen  8  Tlia-  ^ 
1er  u.  s.  w."  *  Aus  diesen  Beispielen  ist  ersichtlich,  dass 
aus  der  Asche  der  verbrannten  Hexen  für  Hexenrichter,  Hen- 
ker, Gerichtsdiener  u.  s.  w.  nicht  nur  mannichfaltiger  und  er- 
heblicher Vortheil,  sondern  oft  deren  ganze  Existenz  als  Phö- 
nix hervorging,  und  sie  werden  daher  dafür  gesorgt  haben,  « 
dass  die  Ilexcnbrände  nicht  ausgingen.  Ausser  dem  Verluste 
am  Vermögen  der  wegen  Hexerei  Verfolgten,  wovon  die  beim 


S.  13.         2  s_  i5_         3  s.  IG.         1  Horst,  Dämonom.  H,  436. 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  337 

Gerichte  thätigen  Personen  ihren  Gewinn  zogen,  hatten  auch 
die  Behexten  mannichfache  Axisgaben  hinsichtlich  ihrer  Hei- 
lung, sowie  auch  die  Verwahrungsmittel  gegen  Behexung  mit 
Unkosten  verbunden  waren.  Die  Priester  hatten  ihren  Vor- 
theil  durch  Messelesen  zur  Aliwehr  oder  Heilung  der  ange- 
hexten Krankheiten,  oder  durch  feierlichen  Exorcismus.  Herum- 
ziehende Mönche  verkauften  den  „Hexenrauch"  sackweise,  und 
so  ward  auch  mit  andern  Schutzmitteln  förmlicher'  Handel  ge- 
trieben. 

Wir  anerkennen  also,  dass  Neid,  Hass,  Gewinnsucht  u.  dgl. 
zur  Verbreitung  der  Hexenprocesse  mitgeholfen,  müssen  aber 
in  Abrede  stellen,  dass  diese  Motive  in  ihrer  Einzelheit  aus- 
reichen, um  den  Sturm  der  Hexenverfolgung,  der  mehrere 
elahrhunderte  lang  i'iber  ganz  Europa  verwüstend  einherbrauste, 
zu  erklären.  Eine  einzioe  Liste  von  Verurtheilten  aus  Hau- 
ber's  Bibl.  mag.,  die  sich  auch  bei  Soldan  ^,  aber  zu  einem 
andern  Zwecke  abgedruckt  findet,  kann  den  Beweis  liefern. 

V^erzeichniss    der    Hexen -Leut,    so    zu    Würzburg    mit    dem 
Schwerte  gerichtet  und  hernacher  verbrannt  woiden. 

Im  ersten  Brandt  vier  Personen. 
Die  Lieblerin. 
Die  alte  Auekers  Wittwe. 
Die  Gutbrodtiu. 
Die  dicke  Höckerin. 

Im  andern  Brandt  vier  Personen. 
Die  alte  Beutleriu. 
Zwey  fremde  Weiber. 
Die  alte  Scheukiu.  / 

Im  dritten  Brandt  fünf  Personen. 
Der  Jungersleber,   ein   S})ielmaun. 
Die  Kuleriu. 

Die  Stierin,   eine  Procuratoriu. 
Die  Bürsten -Binderin. 
Die   Goldscbniidtin. 

Im  vierten  Brandt  fünf  Personen. 
Die  Sigmund   Glaserin,   eine  Burgemeisteriu. 
Die  Brickmannin. 
Die    Schickelte   Amfrau     (Hebamme).      NB.    Von     der    kommt    das 

ganze   Unwesen  her. 
Die  alte  Rumin. 
Ein   fremder  Manu. 


1  S.  387  fg. 
Roskoff,  Geschichte  Jes  TuufeU.    II.  22 


338     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Im  fünften  Brandt  neun  Personen. 
Der  Lutz,  ein   vornehmer   Kramer. 

Der  Rutscher,   ein  Kramer.  ' 

Des  Herrn  Dom-Propst  Vögtin. 
Die  alte  Hof- Seilerin. 
Des  Jo.   Steinbachs   Vögtin. 
Die  Baunachin.   eines   Raths   Herrn   Frau. 
Die  Znickel  Babel. 
Ein  alt  Weib. 

Im  sechsten  Brandt  sechs  Personen. 
Der  Raths -Vogt,   Gering  genannt. 
Die   alte   Canzlerin. 

Die  dicke  Schneiderin,  f 

Der  Herrn  Mengerdörfers  Köchin. 

Ein   fremder   Mann.  x 

Ein  fremd   Weib.  »' 

Im  siebenden  Brandt  sieben  Personen.  f 

Ein  fremd  Mägdlein   von  zwöll'  Jahren.  |- 

Ein  fremder  Mann.  » 

Ein  fremd   Weib. 
Ein  fremder  Schultheiss. 
Drey   fremde  Weiber. 

NB,  Damalüs  ist  ein  Wächter,  so  theils  Hexen  ausgelassen,  auf  dem 
Markt  gerichtet  worden. 

Im  achten  Brandt  sieben  Personen. 
Der  Baunach,   ein   Rathsherr,   und   der   dickste  Bürger   in  Würzburg. 
Des  Herrn   Dom-Propst  Vogt. 
Ein  fremder  Mann. 
Der  Schleipner. 
Die  Visirerin. 

Zwei  fremde  Weiber. 

Im  neundten  Brandt  fünf  Personen. 

Der  Wagner   Wunth. 

Ein  fremder  INIanu. 

Der  Bentzen   Tochter. 

Die  Bentzin  selbst. 

Die  Eyeringin. 

Im  zehnten  Brandt  drey  Personen. 

Der  Steinacher,  ein  gar  reicher  Mann. 

Ein  fremd  Weib. 

Ein  fremder  Mann. 

Im  eilften  Brandt  vier  Personen. 

Der  Schwerdt,  Vicarius   am   Dom. 

Die  Vögtin   von   Reusacker. 

Die  Stiecheriu. 

Der   Silberhaus,  ein   Spielmaun. 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  339 

Im  zwölften  Brandt  zwey  Personen. 
Zwey  fremde  Weiber. 

Im  dreyzehenden  Brandt  vier  Personen. 
Der  alte  Hof- Schmidt. 
Ein  alt  AVeib. 

Ein   klein   Mägdlein  von   neun   oder  zebu  Jahren. 
Ein  geringeres,  ihr  Schwesterlein. 

Im  vierzehendenn  Brandt  zwey  Personen. 
Der  erstgemeldten  zwey   Mägdlein   IMutter. 
Der  Liebleriu   Tochter   von    24   Jahren. 

Im  fiinfzehenden  Brandt  zwey  Personen. 
Ein   Knab  von    1 2   Jahren,  in  der  ersten   Schule. 
Eine  Metzgerin. 

Im  sechzehenden  Brandt  sechs  Personen. 

Ein  Edelknab  von  Ratzenstein,  ist  Morgens  um  G  Uhr  auf  dem 
Cantzley-Hof  gerichtet  worden  und  den  ganzen  Tag  auf  der  Bahr 
stehen  blieben,  dann  hernacher  den  andern  Tag  mit  den  hierbey- 
geschriebeneu   verbraunt  worden. 

Ein  Knab   von  zehn  Jahren. 

Des  obgedachteu  Raths-Vogt  zwo  Töchter   und  seine  Magd. 

Die  dicke  Seilerin. 

Im  siebenzehenden  Brandt  vier  Personen. 
Der  Wirth   zum  Baumgarten. 
Ein   Knab   von  eilf  Jahren. 

Eine  Apothekerin  zum  Hirsch  und   ihre   Tochter. 
NB.  Eine  Harfberin   hat  sich  selbst  erhenkt. 

Im  achtzehenden  Brandt  sechs  Personen. 
Der  Batsch,  ein  Rothgerber. 
Ein  Knab   von    12   Jahren,  noch 
Ein   Knab   von    1 2   Jahren. 
Des  D.  Jungen  Tochter.  / 

Ein  Mägdlein   von    15   Jahren. 
Ein  fremd  AVeib. 

Im  nennzehenden  Brandt  sechs  Personen. 
Ein  Edelknab   von   Rotenhan,  ist  um    G    Uhr  auf  dem  Cautzley-Hof 

gerichtet  und  den  andern   Tag  verbrannt   worden. 
Die  Secretärin  Schellharin,  noch 
Ein  Weib. 

Ein  Knab  von    10  Jahren. 
Noch  ein  Knab  von    12  Jahren. 
Die  Brüglerin,  eine  Beckin,  ist  lebendig  verbrannt  worden. 

•   Im  zwanzigsten  Brandt  sechs  Personen. 
Das  Göbel  Babelin,   die  schönste  Jungfrau  in   Würzburg. 
Ein  Student   in  der    fünften  Schule,    so   viel  Sprachen  gekont ,    und 

ein  vortreflicher  Musikus  vocaliter  und  iustrumentaliter. 
Zwey  Knaben  aus  dem  neuen  Münster  von    1 2  Jahren. 

22* 


340     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Der  Steppers  Babel  Tochter. 
Die  Hüterin   auf  der  Brücken. 

Im  einundzwanzigsten  Brandt  sechs  Personen.  * 

Der  Spitalmeister  im   Dietricher   Spital,   ein   sehr  gelehrter  Manu. 
Der  Stoffel  Holtzmann.  j 

Ein  Knab   von    14   Jahren. 
Des  Stolzenbergers  Raths-Herrn  Söhnlein. 
Zween  Alumni. 

Im  zweiundzwanzigsten  Brandt  sechs  Personen. 
Der  Stürmer,  ein  reicher  Büttner. 
Ein  fremder  Knab. 

Des  Stolzenbergers  Raths-Herrn  grosse  Tochter. 
Die  Stolzenbergerin  selbst. 
Die  Wäscherin  im  neuen  Bau. 
Ein  fremd  Weib. 

Im  dreiundzwanzigsten  Brandt  neun  Personen. 
Des   David   Croten   Knab   von    12  Jahren  in   der  andern   Schule. 
Des  Fürsten  Kochs  zwei   Söhnlcin,   einer  von    14   Jahren,  der   ander 

von    10   Jahren   aus   der  ersten   Schule. 
Der  Melchior  Hamraelmann,   Vicarius  zu   Hacli. 
Der  Nicodemus  Hirsch,   Chor-Herr  im   neuen  Münster. 
Der  Christophorus  Berger,  Vicarius  im  neuen  Münster. 
Ein  Alumnus. 

NB.    Der    Vogt   im    Brennerbacher  -  Hof    und   ein    Alumnus    sind 
lebendig  verbrannt  worden. 

Im  vierundzwanzigsten  Brandt  sieben  Personen. 
Zween  Knaben  im   Spital. 
Ein  reicher  Bütner. 

Der  Lorenz  Stüber,   Vicarius  im  neuen  Münster. 
Der  Betz,   Vicarius   im   neuen   Münster. 
Der  Lorenz  Roth,  Vicaiüus   im  neuen  Münster. 
Die  Rossleins  Martin. 

Im  fiinfundzwanzigsten  Brand  sechs  Personen. 
Der  Friedrich  Basser,   Vicarius  im   Dom   Stift. 
Der   Stab,   Vicarius  zu   Hach. 
Der  Lambrecht,  Chor -Herr  im  neuen  Münster.  * 

Des  Gallus  Hausen  Weib. 
Ein  fremder  Knab. 

■    '. ^ , I 

Der  David  Hans,   Chor- Herr   im   neuen  Münster. 
Der  Weydenbusch,  ein  Raths-Herr. 
Die  Wirthin  zum  Baumgarten, 
Ein  alt  Weib. 

Des  Valkenbergers  Töchterleiu  ist  heimlich  hingerichtet  und  mit  der 
Laden  verbrannt  worden. 


V 

I 


Die  Schelmerey  Krämerin. 

Im  sechsundzwanziffsten  Brandt  sieben  Personen. 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  341 

Des   Raths-Vogt  klein   Söhnlein. 

Der  Herr  Wagner,    Vicarius    im   Dom -Stift,  ist    lebendig  verbrannt 
worden. 

Im  siebenundzwanzigsten  Brand  sieben  Personen. 
Ein  Metzger,  Kilian  Hans  genannt. 
Ein  Hüter  auf  der  Brücken. 
Ein  fremder   Knab. 
Ein  fremd  Weib. 

Der  Harfnerin  Sohn,  Vicarius  zu  Hach. 
Der  Michel  Wagner,  Vicarius  zu  Hach. 
Der  Knor,   Vicarius  zu  Hach. 

Im  achtundzwanzigsten  Brandt,  nach  Lichtmess  anno 
1629  sechs  Personen. 

Die  Knertzin,  eine  Metzgerin. 
Der  David  Schützen  Babel. 
Ein  blind  Mägdlein.      NB. 
Der   Schwartz,  Chor -Herr  zu   Hach. 
Der  Ehling,  Vicarius. 

Der  Bernhard  Mark,  Vicarius  zu  Dom -Stift,  ist  lebendig  verbrannt 
worden. 

Im  neunundzwanzigsten  Brandt  sieben  Personen. 
Der  Viertel  Beck. 
Der  Klingen  Wirth. 
Der  Vogt  zu  Mergelsheim. 
Die  Beckin  bei  dem  Ochsen -Thor. 
Die  dicke  Edelfrau. 

NB.  Ein  geistlicher  Doctor,  Meyer  genannt,  zu  Hach  und  Ein 
Chor -Herr  ist  früh  um  5  Uhr  gerichtet  und  mit  der  Bar  verbrannt 
worden. 

Ein  guter   vom   Adel,  Junker   Fleischbaum  genannt. 

Ein  Chor -Herr  zu   Hach  ist    auch    mit    dem   Doctor,    eben    um    die 

Stunde  heimlich   gerichtet   und  mit   der  Bar   verbrannt   worden. 
Paulus  Vaecker  zum  Breiten  Huet. 

Seithero  sind  noch  zwei  Brändte  gethan  worden. 

Datum  den    16.  Febr.  1629. 

Bisher  aber  noch  unterschiedliche  Brände  gethan   worden. 


Aus  diesem  Verzeichniss  von  Unglücklichen  aus  den  ver- 
schiedensten Schichten  der  Gesellschaft,  sehr  ungleichen  Ver- 
hältnissen und  Bildungsstufen  diirfte  es  klar  werden,  dass  alle 
nicht  aus  ein  und  demselben  Motive  zum  Tode  gebracht  wor- 
den seien,  ja  dass  bei  manchen  der  Verurtheilten  überhaupt 
gar  keiner    der    angeführten  Beweggründe    seine  Anwendung 


342     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

finden  könne.  Die  in  der  Liste  angefiihrten  armen  alten  Frauen, 
die  Fremden,    wahrscheinlich  heimatlosen   Leute  konnten   we-  \ 

der  Habsucht  noch  Neid  erregt  haben,  da  bei  ihnen  kein  Ver-  l 

mögen    zu    confisciren,    daher    kein    Gewinn    zu    hoffen    war.  * 

Ebenso  wenig  lässt  sich  die  Hinrichtung  der  vielen  minder- 
jährigen Kinder  auf  Grund  der  Ketzersucht  oder  Verfolgungs- 
wuth  erklären;  die  Herrschsucht  der  Geistlichkeit,  in  der  man 
auch  die  alleinige  L^rsache  der  Hexenprocesse  zu  erblicken 
meinte,  muss  bei  der  Verurtheilung  ihrer  eigenen  Glieder  laut 
unserer  Liste  mindestens  zweifelhaft  erscheinen.  Dagegen 
liefert  unser  Verzeichniss  allerdings  Maeder  Belege  dafür,  Avie 
der  Hexenprocess  dem  Neide,  Hasse  u.  s.  w.  die  erwünschte 
Gelegenheit  bot,  sich  durch  Denunciation  Luft  zu  machen. 
Die  im  vierten  Brande  beigefügte  Bemerkung:  „von  der  konmit 
das  ganze  Unwesen  her",  gibt  einen  Fingerzeig.  Die  Schel- 
sucht,  durch  irgendeinen  augenfälligen  Vorzug  des  andern 
angeregt,  entledigte  sich  durch  Verdächtigung,  und  „das  Göbel 
Babelin,  die  schönste  Jungfrau  in  Würzburg",  konnte  wol 
infolge  ihrer  im  zwanzigsten  Brande  angeführten  beneideten  Ei- 
genschaften dem  Tode  verfallen  sein.  Da  alles  Ungewöhnliche 
den  beschränkten  Gesichtskreis  jener  Zeit  mit  Mistrauen  erfüllte, 
jede  auffällige  Erscheinung,  deren  Ursprung  unerklärlich  war, 
von  infernalischen  Mächten  hergeleitet  wurde,  so  konnten  auch 
leibliche  Gebrechen  den  damit  Behafteten  leicht  in  Verdacht 
bringen,  und  „das  blind  Mägdlein"  mit  dem  NB.  im  achtund- 
zwanzigsten Brande  mochte  wol  wegen  des  mangelnden  Augen- 
lichts auch  das  Leben  verlieren.  Noch  wahrscheinlicher  ist 
dass  der  im  zweiten  Brande  erwähnte  Student,  der  ,,so  viel 
Sprachen  gekont  und  ein  vortreflicher  Musikus  vocaliter  und 
instrumentaliter"  war,  und  im  einundzwanzigsten  Brande  der 
Spitalmeister  „ein  sehr  gelehrter  Mann"  ihre  gerühmten  Vor- 
züge mit  dem  Leben  bezahlen  mussten.  Jene  Zeit  pflegte  um 
alle  über  die  Alltäglichkeit  hervori'agenden  Persönlichkeiten 
einen  düstern  Hexennimbus  zu  ziehen,  eine  Fertigkeit,  deren 
Erlangung  nicht  jedermanns  Sache  war,  genügte,  um  in  den 
Ruf  der  Hexerei  zu  bringen.  In  den  Hexenprocessacten  fin- 
den sich  daher  häufig  „Spielleute",  wie  auch  im  elften  Brande 
unserer  Liste  ein  Spielmann  aufgeführt  wird.  Es  scheint,  dass 
auch  das  Fremdsein  an  sich  schon  Anstoss  erregte  und  unheimlich 
war,  daher  die  vielen  „fremden"  Männer,  Weiber,  Kinder  in 


'■^ 


I 


5.  Erklärung  der  Hexenpei'iode.  343 

dem  Yerzeichniss  der  Hingerichteten.  Konnte  doch  selbst  die 
harmloseste  Beschäftignng,  wenn  sie  keine  ganz  gewöhnliche 
war  und  unheimlichen  Yorstellinigen  Raum  gab,  gefährlich 
werden.  Es  liegen  viele  Beispiele  vor,  soll  aber  ein  einziges 
aus  Hormayr's  ,,Oesterreichischem  Archiv"  genügen,  wonach  zwei 
alte  Weiber,  Rosina  Kotel  und  Estera  Supal,  auf  dem  Plinzen- 
planel  bei  Fulnek  lebendig  verbrannt  wurden,  „weil  sie  zur 
Sommerszeit  viel  in  Felsen  und  Wäldern  herumgewandelt  und 
Kräuter  gesucht". 

Wir  wiederholen  also,  dass  die  bösen  Leidenschaften  zum 
Unterhalt  und  zur  Verbreitung  der  Hexenbrände  ihren  grossen 
Theil  beigetragen  haben,  aber  weder  in  ihrer  Besonderheit 
noch  in  ihrer  Summe  als  einziger  Factor,  geschweige  denn 
als  Grund  des  Ursprungs  der  Hexenprocesse  betrachtet  wer- 
den können.  Diese  boten  den  verderblichen  Neigungen  nur 
die  günstige  Gelegenheit  zum  Ausbruche  zu  kommen.  Hass 
und  Neid,  Herrschsucht  und  Habgier  sind  unter  den  Men- 
schen heute  noch  rege,  und  ihre  Macht  ist  gross,  um 
das  Leben  zu  verbittern,  die  Verbreitung  des  Guten  zu  ver- 
zögerj) ;  können  sie  aber  heute  eine  Hexenperiode  hervorbrin- 
gen? Der  Hass  vernichtet  noch  heute  das  Lebensglück  des 
Gehassten,  aber  auf  den  Scheiterhaufen  bringen  kann  er  ihn 
nicht  mehr;  und  die  Habsucht  kann  durch  hundertfältige 
Mittel  den  andern  seines  Vermögens  berauben,  aber  nicht  mehr 
durch  einen  Hexenprocess.  Sind  ja  auch  die  schlimmen  Lei- 
denschaften, obgleich  abnorme,  doch  organisch  bedingte  Aeus- 
serungen  des  menschlichen  Lebens,  und  wie  dieses  in  und  mit 
der  Zeit  sich  entwickelt,  so  müssen  avich  jene  ihre  Wandlun- 
gen der  Form  nach  mitmachen.  Es  ist  nicht  anzunehmen, 
dass  je  eine  Periode  kommen  werde,  avo  es  keinen  Hass  mehr 
gibt,  aber  die  Zeit  ist  doch  schon  da,  wo  er  nicht  mehr  den 
Holzstoss  für  den  Gehassten  anzi'mden  kann,  und  dies  ist 
schon  als  Gewinn  zu  betrachten. 

Ein  wesentlicher  specieller  Factor  der  rapiden  Ausbrei- 
tung der  Hexenprocesse  am  Ausgange  des  15.  Jahrhunderts, 
auf  den  zuerst  von  Wächter  aufmerksam  machte,  ist  die 
Thatsache:  dass  um  diese  Zeit  in  Deutschland  ein  völlig 
anderes  Beweissystem  und  processualisches  Verfahren  in 
Gang  gebracht,    und    bei  dem  Einschreiten  von  Amts  wegen 


: 


344     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Ilexenverfolgung. 


die  Folter  willki'ulich  angewendet  ward.  ^  Von  Wächter 
weist    nach,    dass    man    bei    der  Entscheidung    im    deutschen  . 

Strafprocesse    bis    ins    15.  Jahrhundert    auf  Zeugen   und  Ge-  1 

ständniss   als  Beweismittel   ein   nur   sehr  untergeordnetes  Ge-  " 

wicht  zu  legen  pflegte,  obschon  der  Grundsatz  galt:  wenn 
der  Ano-eklao-te  üesteht,  hat  er  sich  selbst  gerichtet  und 
wird  verurthoilt.  Man  war  aber  weit  entfernt,  sein  Ge- 
ständniss  herbeizuführen,  da  der  germanische  Criminalprocess 
durchaus  Anklageprocess  war  und  nicht  der  Ankläger  die 
Schuld  des  Angeklagten,  sondern  dieser  seine  Unschuld  zu 
beweisen  hatte.  Dazu  diente  ihm  der  Eid,  wodurch  er  sich 
A'on  der  Anklage  rein  schwören  konnte,  und  die  Eidhelfer, 
welche  beschworen,  dass  sie  überzeugt  seien,  der  Angeklagte 
habe  keinen  Meineid  geschworen.  In  Fällen,  wo  der  Ankläger 
den  Eidhelfern  nicht  traute,  oder  der  Angeklagte  die  nöthige 
Zahl  derselben  nicht  auftreiben  konnte ,  oder  wenn  er  selbst 
als  Unfreier  oder  Uebelberüchtigter  sich  nicht  losschwören 
durfte,  entschied  ein  Gottesurtheil.  Von  Wächter  zeigt  fer- 
ner, dass  der  Unterschied  von  handfester  und  nicht  hand- 
fester That  im  germanischen  Recht  zwar  enthalten,  aber 
nicht  von  durchgreifender  Wichtigkeit  gewesen,  vom  12.  bis 
15.  Jahrhundert  jedoch  die  Grundlage  des  Processes  ist. 
Bei  der  Einleitung  des  Processes  auf  handfeste  That,  wenn 
der  Verbrecher  auf  der  That  selbst  betrofien,  oder  auf  der 
Flucht  begriffen  von  dem  Ankläger  gefangen  genommen  ward, 
musste  dieser  die  Schuld  des  Angeklagten  beweisen  durch  Eid 
und  Helfer,  die  hier  als  Zeugen  fungirten;  lautete  die  Anklage 
auf  übernächtige  That,  so  musste  der  Angeklagte  sich  reini- 
gen. Dieses  Beweissystem  wurde  geändert,  da  es  der  Rechts- 
einheit keine  hinlängliche  Gewähr  leistete.  In  Dänemark, 
Schweden,  England  war  schon  früher  an  die  Stelle  des  ger- 
manischen Beweissystems  das  Geschworenengericht  getreten; 
in  Deutschland  suchten  besonders  die  Städte  bei  übelberüch- 
tigten Leuten  das  ,,Uebersiebnen"-  und  die  Gottesurtheile 
abzuschaffen  und  nach  Zeugenaussagen,   Geständniss  und  In- 


'  Beiträge  zur  deutschen  Geschichte  insbesonders  des  deutschen  Straf- 
rechts; vierte  Abhandlung. 

^  Von  den  sechs  Eiden  der  Helfer  und  dem  des  Anklägers,  der  den 
Angeklagten  mit  sieben  Eiden     übersiebnete". 


t 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  345 

dicien  zu  verurtheilcn.  Die  Städte  und  auch  Landesherren 
erhielten  vom  Kaiser  Privilegien,  womit  den  Gerichten  bei 
gewissen  Gelegenheiten  das  Recht  eingeräumt  ward,  blos  nach 
ihrer  Ueberzeugung,  dem  Resultate  des  ganzen  mündlichen 
und  öffentlichen  Verfahrens,  über  Schuld  und  Uns(;huld  zu 
richten.  „Es  bedurfte  nur  eines  kleinen  Schrittes",  sagt  von 
Wächter,  ,,um  ganz  zum  Richtigen  und  zu  dem  zu  gelangen, 
wozu  unser  Jahrhundert  kommen  muss  und  wird.  Allein  um 
allmählich  und  erst  durch  die  bittersten  Erfahrungen  dahin  ge- 
führt zu  werden,  bedurfte  man  bei  uns  vier  volle  Jahrhun- 
derte. ^ 

Um  dem  neuen  Verfahren,  das  sich  auf  kaiserliche  Privi- 
legien stützte,  auch  eine  principielle  Grundlage  zu  geben,  griff 
man  nach  dem  römischen  Rechte,  und  dem  was  die  Geistlich- 
keit in  ihren  Gerichten  bereits  zu  üben  angefangen  hatte,  wo 
auf  das  Geständniss  grosser  Werth  gelegt  wurde,  und  die 
Folter,  in  Deutschland  früher  höchst  spärlich  gebraucht,  war 
das  Mittel,  nach  dem  Vorgange  der  italienischen  Praxis  und 
der  geistlichen  Gerichte,  das  Geständniss  herbeizuführen.  Aus 
diesem  Umstände,  dass  man  erst  gegen  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts in  Deutschland  alles  vom  Geständniss  des  Ange- 
schuldigten abhängig  machte,  und  dieses  wieder  nach  dem 
Vorgange  der  geistlichen  Gerichte  und  der  italienischen  Praxis 
und  Doctrin  durch  die  Folter  herbeizuführen  suchte,  erklärt 
es  sich :  dass  vor  dieser  Zeit  nur  wenige  Verurtheilungen  von 
Hexen  stattfanden.^  Die  Folter  wurde  nach  und  nach  durch 
Landesgesetze  und  im  16.  Jahrhundert  durch  die  Reichsge- 
setzgebung, die  peinliche  Gerichtsordnung  Karl's  V.  bestätigt. 
Das  Beweisverfahren  im  Criminalprocesse  beruhte  nunmehr 
avif  Zeugen  und  auf  Geständniss  des  Angeschuldigten,  und 
letzteres  herbeizuführen  diente  die  Folter. 

Indem  der  berühmte  Jurist,  unser  Gewährsmann,  das  Ge- 
ständniss des  Angeschuldigten  als  die  Grundlage  des  neuen 
Beweissystems  von  den  geistlichen  Gerichten  herleitet,  von 
wo  es  in  das  strafrechtliche  Verfahren  herübergenommen  wor- 
den, wendet  sich   unsere  Aufmerksamkeit  auf  die  Kirche  und 


'  Wächter,  dritte  Abhandlung,  S.  75. 
^  "Wächter,  vierte  AbhandUmg,  S.  Ü8. 


346     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenvcrfolgung. 

ihre  geistlichen  Gerichte,  und  umvillkürlich  drängt  sich 
uns  die  Frage  auf:  warum  diese  wol  die  Entscheidung  der 
Thatfrage  gerade  auf  das  eigene  Geständniss  gründete? 
Die  christliche  Moraltheologie  bestimmt  den  Werth  einer 
Handlunff  nach  dem  freien  Willen  des  Handelnden,  nach  des- 
sen  Gesinnung,  sie  dringt  daher  auf  Erkenntuiss  dieses  Wil- 
lens, verlangt  dessen  Aeusserung,  d.  h.  das  Geständniss,  ilm 
die  Zurechnungsfähigkeit  des  Thäters  und  die  sittliche  Schwere 
der  That  zu  bemessen.  Wir  wissen,  dass  die  mittelalterliche 
Kirche  aus  Geistlichen  sich  zusammensetzte,  die  als  Träger  und 
Bewahrer  ihrer  Glaubenssätze  die  Kirche  repräsentirten.  Die 
Kirche  sollte  auch  die  Lade  sein,  in  welcher  der  moralische 
Inhalt  des  christlich  religiösen  Bewusstscins  niedergelegt  ist. 
W^o  nun  die  Kirche  das  Richteramt  ausiibt,  kann  der  theolo- 
gistische  Charakter  nicht  ausbleiben  und,  indem  sie  das  mora- 
lische Moment  in  das  juristische  bei  der  Justiz  versetzt,  erklärt 
es  sich,  dass  sie  auf  das  eigene  Geständniss  des  Beschuldig- 
ten den  schwersten  Ton  legt  und  die  Verurtheilung  davon 
abhäno-iiT  macht.  Wir  erinnern  uns  aber  auch,  dass  die  Kirche 
schon  inmitten  und  auch  am  Ausgange  des  Mittelalters  in 
pure  Aeusserlichkeit  zerfahren  war,  während  sie  doch  das 
Innerste,  den  Glaubensinhalt  der  Religion,  bewahren  sollte; 
wir  wissen,  dass  die  ganze  Busstheorie  in  einem  Verkehren 
der  Sittlichkeit  in  rein  äusserliche  Werke  bestand.  Der 
Widerspruch,  in  den  die  Kirche  als  äussere  Anstalt  und  welt- 
liche Macht  mit  ihrem  eigenen  Wesen  gerathen  war,  stellte 
sich  auch  bei  der  Erzielung  des  Geständnisses  im  Hexenpro- 
cessc  heraus.  Das  Geständniss,  das  seinem  Begriffe  nach  aus 
der  Innerlichkeit  frei  entspringen,  ein  freiwilliges  sein  sollte, 
das  nur  als  solches  Werth  und  Bedeutung  haben  kann,  wurde 
durch  die  Folter  erzwungen,  durch  auferlegten  körperlichen 
Schmerz  erpresst,  somit  in  reine  Aeusserlichkeit  verkehrt  und 
das  wesentliche  Moment  der  Freiwilligkeit  vernichtet.  Dieses 
Verkehren  des  ursprünglichen  Wesens  in  reine  Aeusserlich- 
keit befolgt  die  mittelalterliche  Kirche  mit  eiserner  Consequenz 
in  allem,  wo  sie  mitspricht.  Die  Umwandlung  des  Anklage- 
processes  in  einen  inquisitorischen  mit  abgefoltertem  Geständ- 
niss reducirt  sich  schliesslich  auf  das  kirchlich  theologische 
Element,   das   den    ganzen  Zeitraum   nach   allen  Beziehungen, 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  347 

und  am  Ausgange  des  15.  Jnhrhiniderts  auch  das  Processver- 
fahren  durchdringt  und  charakterisirt. 

Schon  Nicolaus  Eymericus,  Generalinquisitor  von  1356 
bis  lo'Jo,  der  in  den  ersten  Jahren  seiner  Amtsthätigkeit  sein 
„Directorium  Inquisitorum",  die  erste  systematische  Unter- 
weisung fiir  Ketzerrichter,  schrieb  und  Hexerei  mit  Ketzerei 
auf  gleiche  Weise  behandelt  wissen  will,  hält  jedes  Mittel  f  ur 
erlaubt,  um  das  Geständniss  zu  erpressen.  ^  Der  „Hexenham- 
mer" gibt  einen  scheinbaren  Rechtstitel  für  die  Anwendung 
der  Folter  durch  seine  Definition  der  Hexerei  als  „crimen 
exceptum",  als  Ausnahmsverbrechen,  das  im  Verborgenen 
schleiche,  dessen  Gefährlichkeit  so  ausserordentlich,  dass  die 
Pflicht,  dasselbe  zu  verfolgen,  den  Richter  über  die  Schranken 
des  Gesetzes,  über  die  gesetzlichen  Formen  des  Processes  und 
die  gesetzlichen  Vorschriften  in  Betrefl:'  des  Beweises  hinüber- 
heben müsse. 

Wir  unterlassen  die  Aufzählung  der  verschiedenen  soge- 
nannten „Proben  der  Hexen",  welche  der  Folter  vorausgingen, 
die  unglaublich  grausamen,  ekelhaften  und  schamlosen  Tor- 
turen und  der  dabei  angewandten  Werkzeuge,  obschon  nicht 
gerade  aus  dem  Grunde,  „weil  sie  dem  Herzen  der  Mensch- 
heit zur  Schande  gereichen "2,  sondern  weil  die  Folterkam- 
mern so  oft  und  lebendig  geschildert  worden,  vornehmlich 
aber,  weil  unsere  Gesichtspunkte  andershin  zielen.  Kurz, 
der  Raum  „zwischen  der  ersten  Einkerkerung  der  Hexe  bis 
zu  ihrem  letzten  Athemzug"  war,  wie  Haas  richtig  sagt,  „ein 
unbeschreiblicher  Weg  voll  Jammer  und  Elend". ^ 

Nachdem  die  Beschuldigte  im  scheusslichsten  Kerker 
geschmachtet,  durch  Drohungen,  schlechte  Behandlung  einge- 
schüchtert, durch  Hunger,  Schlaflosigkeit,  Kummer  und  Angst 
leiblich  herunter  gebracht,  auf  die  sogenannte  „leichtere  Tor- 
tur" gespannt  worden,  sagte  sie  gewöhnlich  alles  aus,  was  ihr 
während  der  Folter  in  den  Mund  gelegt  wurde,  um  ihren  Lei- 
den ein  Ende  zu  machen.  Ein  solches  Geständniss  ward  im 
gerichtlichen  Protokoll  ohne  Erwähnung  der  „leichtern  Tor- 
tur"    als     „freiwilliges    Geständniss"     oder     ,, Bekennen     in 


1  Part.  II.  qu.  42,  43. 
■'  Haas,  S.  12. 
'  Ibid.,  S.  13. 


348    Dritter  Alischnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Güte"  verzeichnet.  Was  es  daher  mit  den  in  den  Acten  der 
Hexenprocesse  so  häufig  erwähnten  „freiwilligen  Geständ- 
nissen" für  ein  Bewandtniss  hat,  müsste  aus  diesen  wenigen 
Zügen  schon  einleuchten,  ist  aber  von  Graeff,  Soldan,  Wäch- 
ter, Bischof  u.  a.  noch  ausführlicher  klar  gemacht  wor- 
den. Die  Furcht  vor  der  angedrohten  oder  wiederholten 
Folter,  das  ostentative  Vorweisen  und  Herrichten  des  Folter- 
apparats, die  Zudringlichkeit  der  Inquisitoren,  Henker  und 
ihrer  Gehülfen,  falsche  Versprechungen,  alle  möglichen  Sug- 
gestivmittel,  die  der  „Hexenhammer"  bei  der  Gelegenheit  an- 
empfiehlt, mochten  wol  zu  einem  sogenannten  Geständniss 
bewegen.  Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  grossen  Ueber- 
einstimmung  der  Geständnisse,  worauf  die  altern  Juristen, 
namentlich  Carpzov  ^  ein  so  grosses  Gewicht  legten.  Wächter 
hat  gezeigt,  dass  diese  Uebereinstimmung  nicht  das  Geringste 
für  die  Realität  des  Gegenstandes  beweisen  könne.  „Was 
sollten  die  armen  Personen  aussagen,  um  sich  von  den  Qualen 
der  Folter  zu  befreien,  wenn  als  einziges  Rettungsmittel  ihnen 
nur  das  Geständniss  übrigblieb,  dass  sie  Hexen  seien,  und 
sie  nun  um  die  nähern  Umstände  befragt  wurden?  Sie  muss- 
ten  eben  gestehen  und  gestanden,  was  man  in  jenen  Zeiten 
gewöhnlich  von  den  Hexen  erzählte,  was  die  Kirche  dem 
Volke  genugsam  als  Warnung  vorhielt,  und  was  noch  in  einer 
Reihe  populärer  Traktätchen  über  das  Getriebe  der  Hexen 
und  über  die  Geschichte  und  Bekenntnisse  hingerichteter 
Hexen  unter  das  Volk  gebracht  wurde.  So  erklärt  sich  voll- 
kommen die  Uebereinstimmung  ihrer  Erzählungen  im  ganzen, 
wie  die  Verschiedenheit  derselben  in  Eiuzelnheiten.  Aber 
auch  in  vielen  Besonderheiten  konnten  sie  leicht  übereinstim- 
men, selbst  in  der  so  gefährhchen,  in  den  Hexenprocessen  so 
häufig  vorkommenden  Angabe  der  Personen,  die  bei  Hexen- 
versammlungen  gewesen  sein  sollten.  Hatten  sie  die  Hexerei 
eingestanden,  so  verlangte  man  natürlich  von  ihnen  auch  zu 
wissen,  mit  wem  sie  auf  den  Hexentänzen  gewesen  seien.  Die 
liäutige  Angabe,  dass  sie  die  Anwesenden  nicht  gekannt  hät- 
ten, oder  die  Nennung  bereits  Verstorbener  oder  Hingerich- 
teter genügte  natürlich  nicht,  man  folterte,  bis  sie  Lebende 
nannten,   und  hier  nannten  sie  meist  eben   solche,   die,   wozu 


'  Qu.  XLIX,  no.  67  sq. 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  349 

man  in  jenen  Zeiten  so  gar  leicht  kommen  konnte,  im  Ge- 
rüche der  Hexerei  standen  oder  von  denen  sie  wussten,  dass 
sie  bereits  in  Untersuchung  oder  von  andern  genannt  seien, 
und  so  erklärt  sich  ein  Zusammentreffen  der  Aussagen  ver- 
schiedener Angeschuldigten  leicht ;  und  nannten  sie  auch  eine 
Reihe  von  Personen  auf  geradewol,  so  konnte  leicht  eine  solche 
Person  unter  denen  sein,  die  auch  eine  andere  Gefolterte  auf 
geradewol  genannt  hatte.  ^  Was  dann  durch  solche  natürliche 
Verhältnisse  nicht  vermittelt  wurde,  ergänzten  Suggestionen 
aller  Art,  des  Gefangenwärters,  des  Beichtvaters,  des  Richters".^ 

Die  Wirksamkeit  der  Folter  bezeugt  Spee  als  Augen- 
zeuge, wenn  er  ausruft:  „Behandelt  die  Kirchenobern,  behan- 
delt Richter,  behandelt  mich  ebenso,  wie  jene  Unglücklichen, 
werft  uns  auf  dieselben  Foltern,  und  ihr  werdet  uns  alle  als 
Zauberer  erfinden."  Oder:  „Wehe  der  Armen,  welche  einmal 
ihren  Fuss  in  die  Folterkammer  gesetzt  hat!  Sie  wird  ihn 
nicht  wieder  herausziehen,  als  bis  sie  alles  nur  Denkbare  ge- 
standen hat.  Häufig  dachte  ich  bei  mir:  dass  wir  alle  nicht 
auch  Zauberer  sind,  sei  die  Ursache  allein  die,  dass  die  Folter 
nicht  auch  an  uns  kam,  und  sehr  wahr  ist,  was  neulich  der 
Inquisitor  eines  grossen  Fürsten  von  sich  zu  prahlen  wagte, 
dass,  wenn  unter  seine  Hände  und  Torturen  selbst  der  Papst 
fallen  würde,  ganz  gewiss  auch  er  endlich  sich  als  Zauberer 
bekennen  würde.  Das  Gleiche  würde  Binsfeld  thun,  das 
Gleiche  ich,  das  Gleiche  alle  andern,  vielleicht  wenige  über- 
starke Naturen  ausgenommen".^  Bestätigungen  hierzu  gebeu 
die  vom  Gr.  Lamberg  und  andern  aus  Urkunden  bezeugten 
Aussagen  vieler  wegen  Hexerei  Hingerichteten,  die  dem  Herrn 
Pfarrer  ihre  Unschuld  gebeichtet  hatten,  aber  mit  der  Bitte, 
ja  keine  Anzeige  davon  zu  machen,  damit  sie  nicht  neuerdings 
gefoltert  würden,  da  sie  lieber  sterben,  als  diese  Qualen  noch 
einmal  leiden  wollten. 

Die  Folter  war  also  das  sicherste  Mittel,  ein  Geständniss 
der  Hexerei  zu  erzielen,  auf  dieses  stützte  sich  aber  das  ganze 
Processverfahren,  das  als  vorzüglicher  Factor  der  Verbreitung 
der  Hexenprocesse  zu  betrachten  ist,  und  zwar  durch  die  Be- 


1  Vgl.  auch  Spee,  Dub.  XLIX. 

^  Excurs  zur  vierten  Abhandlung,  S.  325  fg. 

^  Caut  crim.  Dub.  XL.  XL VIII. 


350    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

handlung  der  Hexerei  als  „crimen  exceptum",  durch  die  In- 
dicien,  unter  denen  von  Wächter  als  das  gefährlichste  und 
wichtigste  die  „nominatio  socii"  heraushebt',  wodurch  es  er- 
klärlich wird,  wie  aus  Einem  Hexenprocesse  Hunderte  von 
Hexenprocessen  entstehen  mussten.  Dieser  ganze  Hexenpro- 
cessapparat  mit  allem,  was  daran  vmd  darum  hängt,  ist  mit 
dem  „Hexenhammer"  den  Inquisitoren  in  die  Hand  gegeben,  und 
diesen  wird  durch  die  Bulle  Innocenz'  VIH.  aufgegeben,  „die 
heisse  Sehnsucht,  wie  es  die  Sorge  unseres  höchsten  Hirten- 
amtes erfordert"  zu  erfüllen,  „dass  der  katholische  Glaube 
vornehmlich  zu  unsern  Zeiten  allenthalben  vermehrt  und  blühen 
möge,  und  alle  ketzerische  Bosheit  von  den  Grenzen  der 
Gläubigen  weit  hinweg  getrieben  werde".    Der  religiöse  Eifer, 


durch  Vertilgung  der  Plexen  ein  frommes  Werk  zu  thun,  die 
der  SufFraganbischof  Binsfeld  ein  Privilegium  der  Freunde 
Gottes  nennt,  wobei  er  den  Beweis  dahin  führt:  dass  Gott 
das  strenge  Verfahren  in  den  Hexenprocessen  billige,  weil  er 
nicht  zugeben  würde,  dass  Unschuldige  mit  Schuldigen  zu 
Grunde  gehen 2;  der  zur  Herrschaft  erhobene  Glaube,  durch 
Ausrottung  der  Hexen  die  ewige  Seligkeit  erlangen  zu  können ; 
diese  und  ähnliche  Sätze  hatte  auch  „  der  Hexenhammer "  als 
Wahrheit  gepredigt.  Wir  dürfen  also  in  Summa  sagen:  die  Bulle 
und  der  „Hexenhammer"  waren  die  vornemlich  wirksamsten 
speciellen  Hebel,  die  Verbreitung  der  Hexenprocesse  zu  einer  so 
erschreckenden  Höhe  zu  bringen.  Dabeibleibt  Schindler^s  Bemer- 
kung richtig :  Innocenz  und  Sprenger  sind  Erzeugnisse  ihrer  Zeit 
und  die  unglücklichen  Persönlichkeiten,  die  ihr  den  Ausdruck 
gegeben  haben  ^,  und  der  Hexenprocess  ist  nichts  Gemachtes, 
nichts  Erfundenes,  sondern  aus  der  Anschauung  der  Zeit  her- 
vorgegangen*, und  dieser  gehört  auch  das  besondere  Mittel,  ihn 
zu  fördern  und  zu  verbreiten,  nämlich  die  Bulle  mit  dem  „Hexen- 
hammer". Es  scheint  aber,  dass  Schwager  sowol  als  Hauber 
von  Schindler  unrichtig  verstanden  wurden,  als  wollten  sie 
den  Ursprung  der  Hexenprocesse  auf  die  Bulle  zurückleiten, 


>  Vierte  Abtheilung,  S.  103. 

"^  Tractat.  de  confessionibus  maleficorum  et  sagarum.  Commentar.  in 
Lit,  C,  Lex  V,  qu.  I. 
3  S.  307. 
*  S.  308. 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  351 

da  ersterer  ausdrücklich  sagt:  „dass  Inuocenz  den  Hexenpro- 
cess  zuerst  eingeführt  habe,  kann  man  freilich  nicht  behaup- 
ten, denn  die  Waldenserey  ist  älter  als  seine  Bulle,  und  man 
findet  schon  vor  deren  Entstehung  hin  und  wieder  Plackereyen 
dieser  Art"'.  Aehnlich  äussert  sich  auch  Hauber. ^  Wo 
die  Hexerei  als  Ausnahmsverbrechen  hingestellt,  der  Process 
auf  blosse  Denunciation,  oder  auf  lediges  Gerücht  hin  einge- 
leitet, das  zur  Verurtheilung  nöthige  Geständniss  durch  die 
Folter  abgepresst  wird  —  alles  nach  Angabe  des  Hexenham- 
mers,—  da  mussten  die  Hexenprocesse  wol  in  Schwung  kommen 
und  allen  schlimmen  Leidenschaften  die  willkommene  Hand- 
habe bieten,  ihre  Opfer  zu  fassen  und  zu  fällen.  Selbstver- 
ständlich wucherte  die  Angeberei,  die  Spee  besonders  hervor- 
hebt, deren  sich  manche  auch  beflissen,  um  selbst  dem  Verdachte 
der  Hexerei  zu  entgehen,  was  auch  häufig  gelungen  sein  mag, 
dagegen  aber  Beispiele  vorkommen,  wo  Yerurtheilte  nicht 
nur  den  Angeber,  sondern  selbst  den  Kichter  der  Mitschuld 
ziehen  und  in  den  Process  hineinzogen.  Spee  kannte  mehrere 
durch  Verfolgungseifer  ausgezeichnete  Richter,  die  selbst  der 
Hexerei  überführt,  eingeäschert  wurden  3;  es  ist  aber  üeber- 
treibung,  aus  solchen  Fällen  die  spätere  Abnahme  der  Hexen- 
processe erklären  zu  wollen,  wie  man  gethan  hat.  Die 
Behauptung  von  Görres"*,  das  Ueberhandnehmen  der  Hexen- 
processe in  protestantischen  Ländern  habe  in  ihrer  Saeculari- 
sirung  ihren  Grund,  wird  durch  die  constatirte  Thatsache 
vernichtet,  dass  die  Hexenbrände  gerade  in  den  Bisthümern 
am  häufigsten  loderten,  wie  aus  der  früher  gegebenen  Ueber- 
sicht  hervorgeht. 

Dass  sowohl  in  Ländern,  wo  die  Hexenprocesse  von  Laien 
geführt  wurden,  als  auch  in  Ländern,  wo  der  Protestantismus 
Eingang  gefunden,  Brände  stattfanden,  erklärt  sich  einfach 
daraus,  dass  der  Glaube  an  das  Hexenwesen  überall  herrschte, 
und  die  Hexerei  überall  nach  der  Schablone  des  Hexenham- 
mers behandelt  wurde.  Luther  und  Melanchthon  sind  in  Bezug 
auf  Teufel  und  Hexenglauben  Söhne  ihrer  Zeit   und  die  Re- 


^  Versuch  einer  Geschichte  der  Hexenprocesse  von  Schwager,  I,  39. 
^  Biblioth.  mag.,  S.  69  fg. 
3  Caut.  crim.,  Dub.  XI,  4. 
*  Christi.  Myst.,  IV,  2,  S.  587. 


352     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

formation  wirkte  der  Hexenvcrfolgung  nicht  unmittelbar  ent- 
gegen. In  katliolisclien  Ländern  wurden  die  Anhänger  der 
Reformation  der  Hexerei  verdächtigt  und  deshalb  verfolgt,  in 
protestantischen  Ländern  blieb  man  mit  den  Hexenbränden 
nicht  zurück,  und  der  Bürgermeister  Pheringer  von  Nördlingcn 
konnte  sich  die  Aufgabe  stellen:  „die  Unholden  mit  Stumpf 
und  Stiel  auszurotten".  Von  dem  leipziger  Juristen  Benedikt 
Carpzov,  welcher  seiner  Zeit  eine  juristische  Autorität  war,  ist 
bekannt,  dass  er  mehr  als  hundert  Hexen  zum  Scheiterhaufen 
verurtheilte.  Weitere  Beweise  von  Hexenprocessen  in  pro- 
testantischen Ländern  boten  uns  die  von  Schweden,  Eng- 
land und  Schottland.  Wenn  das  Hexenwesen  und  dessen 
Verfolgung  von  den  hochgehenden  Wogen  der  Reformation 
einige  Zeit  hindurch  in  den  Hintergrund  gespült  wurde,  so 
liegt  der  Grund  vornehmlich  in  der  Ausserordentlichkeit  der 
Ereignisse  in  Kirche  und  Staat,  wodurch  die  Gemüther  ganz 
laid  gar  angezogen  und  von  jener  Richtung  abgewendet 
waren. 

Alle  bisher  angeführten  Momente  zur  Erklärung  der 
reissenden  Ueberhandnahme  des  Glaubens  an  Hexerei  und 
der  Hexenprocesse  scheinen  noch  immer  nicht  genügend,  und 
ist  daher  noch  eins  anzuführen. 

Obschon  es  ausser  Zweifel  ist,  dass  nicht  nur  viele  Un- 
glückliche, die  zum  Scheiterhaufen  verdammt  wurden,  sicli 
klar  bewusst  waren,  weder  mit  dem  Teufel  Umgang  gepflogen 
noch  am  Hexensabbat  theilgenommen  zu  haben,  überhaupt 
von  aller  Hexerei,  deren  sie  beschuldigt  worden,  rein  zu  sein; 
dass  ferner  manche  der  Inquisiten  sowol  als  der  Liquisitoren 
an  das  ganze  Hexenwesen  gar  nicht  ernstlich  geglaubt  haben 
mögen,  wofür  sie  nach  dem  „Hexenhammer"  der  Strafe  der 
Ketzerei  verfallen  wären,  wenn  sie  es  gestanden  hätten;  so 
lässt  sich  doch  mit  völliger  Sicherheit  behaupten:  dass  die 
bei  weitem  überwiegende  Menge  von  der  Wirklichkeit 
der  Hexerei  innigst  iiberzeugt  war.  Selbst  die  Männer, 
welche  gegen  die  Unmenschlichkeit  der  Hexenverfolgungen 
kämpfend  auftraten,  von  dem  protestantischen  Arzte  Weier 
angefaiigen,  die  Jesuiten  Tanner  und  Spee  miteingerech- 
net, waren  meistens  selbst  im  Hexenglauben  befangen,  und 
diejenigen  unter  ihnen,  welche  den  ganzen  Hexenapparat 
für  eine  Täuschung  erklärten,    leiteten  diese  doch  vom  Teufel 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  353 

ab,  von  dem  sie  zum  Verderben  der  Menschheit  und  Schaden 
der  Kirche  ausgehe.  Denn  bei  nahezu  allen  Bekäuipfern  der 
Hexenverfolgung  war  das  lebendige  Gefühl  der  Menschlichkeit 
grösser  als  der  Kreis  der  Anschauung  ihrer  Zeit,  in  dein 
sie  eingeengt  standen.  Der  Hexenglaube  übte  nicht  nur  eine 
Herrschaft  aus,  gleich  der  von  Vorstellungen  überhaupt,  w^elche 
bei  dem  grössten  Theile  der  Menschen  die  Stelle  von  leiten- 
den Grundsätzen  vertreten;  der  nähern  Betrachtung  der  He- 
xenperiode wird  auch  nicht  entgehen ,  dass  diese  Erscheinung 
im  Verlaufe  der  Zeit  das  Symptom  der  Krankheit  annahm. 
Der  Hexenglaube  und  die  Hexenverfolguno;  wurde  zur 
krankhaften  Sucht,  und  trat  in  der  Form  einer  psychi- 
schen Epidemie  auf,  von  der  ein  grosser  Theil  der  Zeit- 
genossen, vornehmlich  jiingere  Leute  und  Kinder,  ergriffen 
wurden.  Die  ungesunden,  zur  höchsten  Spannung  gereizten 
Zustände,  welche  die  unterste  Grundlage  der  Hexenperiode 
bilden,  waren  ganz  danach,  eine  Menge  von  Menschen  einer 
Psychopathie  verfallen  zu  lassen.  Das  Auftreten  epidemischer 
Psychopathien,  die  auch  „imitatorische  Epidemien"  genannt 
werden,  wobei  der  Nachahmungstrieb  gleichsam  das  miasma- 
tische Vehikel  bildet  i,  ist  längst  erwiesen  und  durch  geschicht- 
liche Belege  bestätigt.  Unter  den  ältesten  Beispielen  psychi- 
scher Epidemien  ist  das  von  Herodot^  erzählte  bekannt,  wo 
die  Krankheit  unter  den  Argiverinnen  von  Prötos'  Töchtei-n 
ausging.  Einen  andern  Fall  erwähnt  Plutarch  ^,  wo  die  mile- 
sischen  Mädchen  von  der  Monomanie  sich  zu  erhängen  er- 
griffen  wurden.  Als  eine  der  merkwürdigsten  psychischen 
Epidemien  ist  die  um  das  Jahr  1212  zuerst  erscheinende,  von 
Hecker  in  seiner  Monographie  vortrefflich  geschilderte  Tanz- 
wuth.  Tausende  junger  Leute,  meist  in  den  Pubertätsjahren, 
rotteten  sich  zu  den  sogenannten  „Kindfahrten"  zusammen, 
zogen  fort,  z.  B.  1237,  bis  sie  erschöpft  zu  Boden  fielen,  wo- 
bei viele  starben  und  die  meisten  bis  zum  Tode  mit  Zittern 
behaftet  blieben.  Diese  Krankheit  „kam  die  Knaben  und 
Mädchen  plötzlich  an"  und  war  nebst  andern  Erscheinungen 
mit    krankhafter    Antipathie    gegen    die    rothe    Farbe,    gegen 


'  Feuchtersleben,  Lehrbucli  der  ärztliclion  Seelonlicilknndp,  S.  271. 

2  IX,  33. 

^  De  virtut.  mulier. 

Koskoff,   Geschichte  des  Teufels.    II.  90 


o54    dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexciiverfolgung. 

weinende  Personen  und  in  ausgebildeten  Fällen  mit  Auftreibung 
des  Unterleibs  verbunden.  Heulen,  Schreien,  Springen,  über- 
mässiger Hang  zum  Tanzen  stellte  sich  paroxysmenweise  ein. 
Als  im  Jahre  1374  die  Apostelkirche  zu  Lüttich  eingeweiht 
wurde,  kamen  ganze  Scharen  aus  Oberdeutschland,  vom  Rheine 
und  von  der  Maas  nach  Aachen,  dann  nach  Utrecht  und  end- 
lich nach  Lüttich  herangezogen,  Männer,  Frauen,  halbnackt. 
Kränze  auf  den  Häuptern,  sich  an  den  Händen  fassend,  Tänze 
aufführend,  wobei  sie  hoch  aufsprangen,  in  ihren  Liedern  Na- 
men von  Dämonen  nannten,  darauf  gewöhnlich  in  Krämpfe 
verfielen.  Diese  Haufen  schwollen  vom  September  bis  October 
zu  Tausenden  an,  denn  es  kamen  aus  Deutschland  immer  mehr 
Tänzer  herbei.  Da  sie  für  von  Dämonen  Besessene  galten, 
wurden  sie  mit  Exorcismus  behandelt,  zum  Theil  durch  die 
Stola  geheilt,  wie  der  Berichterstatter  bemerkt.  Webster  ^ 
erwähnt  einer  epidemischen  Tollheit,  die  um  das  Jahr  10.54 
herrschte.  Feuchtersieben  führt  die  Kriebelkrankheit  an,  die 
sich  als  Manie  äusserte,  auch  epidemisch  auftrat  und  mit  Blöd- 
sinn endete.  Benekc^  berichtet  von  Erscheinungen  bei  den 
Methodisten,  die  von  einer  methodistischen  Kapelle  der  Stadt 
Redruth  in  Cornwallis  ausgegangen  waren.  Während  des 
Gottesdienstes  rief  ein  Mann  mit  lauter  Stimme  aus:  „Was 
soll  ich  thun,  um  selig  zu  werden!"  wobei  er  zugleich  die 
orösste  Unruhe  und  Beängstigung  über  den  Zustand  seiner 
Seele  in  heftigen  Geberden  ausdrückte,  wie  sie  bei  den  Me- 
thodisten als  Zeichen  innerer  Zerknirschung  damals  gewöhn- 
lich waren,  ja  gewisscrmasscn  einen  regelmässigen  Bestandtheil 
ihres  Gottesdienstes  ausmachten.  Sogleich  wiederholten  meh- 
rere diesen  Ausruf  und  diese  Geberden,  und  ebenso  erging  es 
vielen  Hunderten,  welche  herbeikamen,  um  diese  Zufälle  mit 
anzusehen;  mehrere  bliel)en  zwei  bis  drei  Tage  und  Nächte  ohne 
etwas  zu  geniessen  und  ohne  auszuruhen  in  der  Kapelle  zu- 
sammen, unter  steten  Zuckungen.  Dieselben  Qualen  verbrei- 
teten sich  auch  auf  die  benachbarten  Städte  Cambone,  Heston, 
Tonro,  Penvyn  und  Falmouth  und  deren  umliegende  Dörfer, 
jedoch  nur  auf  die  Methodisten,  und  vor  allem  auf  solche, 
deren    Verstandesbildung    der    niedersten    Klasse    angehörte. 


Untersuchungen  der  Hexereien  (aus  dem  Englischen). 
Archiv  für  die  pragmatische  Psychologie,  ITI.  Bd.,  185:1. 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  355 

Die  Zahl  der  davon  Ergriffenen  schlägt  der  Berichterstatter 
auf  nicht  weniger  als  4000  an,  die  Dauer  70  —  80  Stunden  bei 
manchen;  kein  Alter,  kein  Geschlecht  blieb  daA'on  verschont, 
nur  dass  vorziiglich  Frauen  und  junge  Mädchen  davon  er- 
griffen wurden.  Die  Geistlichen  machten  die  davon  Besesse- 
neu,  statt  sie  zu  beruhigen,  noch  beängstigter  durch  die 
dringendsten  Ermahnungen,  ihre  Slindenerkenntuiss  zu  ver- 
stärken: sie  seien  von  Natur  Christi  Feinde,  und  wenn  der 
Tod  sie  in  ihren  Siinden  überrasche,  werde  die  nie  erlöschende 
Qual  der  Höllenflammen  ihr  Antheil  sein,  —  wodurch  die 
Zuckungen  gesteigert  wurden. 

Ein  Vortrag  von  Herrn.  Reimer  über  Geistesepidemien 
macht  auf  Beispiele  aus  neuer  und  neuester  Zeit  aufmerksam, 
als:  auf  die  Geistesepidemien  in  der  Provinz  Smäland  in 
Schweden  in  den  Jahren  1842  und  1843,  von  der  hauptsächlich 
junge  Mädchen  ergriffen  wurden,  die  über  Schmerzen  im  Kopfe 
und  in  der  Brust  klagten  und  dann  von  krankhaften  heftigen 
Bewegungen  in  den  Armen  ergriffen  wurden,  denen  ein  Schwall 
von  Worten  folgte,  die  vornehmlich  Ermahnungen  zur  Busse 
enthielten.  Bedeutenderes  Aufsehen  machte  die  sogenannte 
„Predigtkrankheit",  die  18,50—52  in  den  Lappenmarken  verbrei- 
tet war,  wo  g-anze  Gemeinden  und  Landstriche  von  Erweckten 
wimmelten,  die  unermüdlich  mit  lauter  Stimme  Predigten  vor- 
lasen, abwechselnd  in  Ohnmächten  und  Zuckiuigen  verfielen, 
aus  denen  sie  nach  drei  bis  vier  Stunden  erwachten  um  allerhand 
Visionen  zu  beschreiben.  Ln  Januar  1862  wurden  die  Kinder 
des  Elberfelder  "Waisenhauses  durch  eine  Anrede  in  einen 
Zustand  tiefer  Zerknirschung,  zugleich  aber  in  eine  krankhafte 
Erschütterung  des  Nervensj'stems  versetzt.  Die  Folge  zeigte 
sich  zunächst  an  einem  Mädchen,  das  sich  abzusondern  anfing 
und  über  Seelenangst  und  Sündennoth  klagte.  Es  weinte, 
stöhnte,  wälzte  sich  auf  dem  Boden ;  ihm  folgte  bald  ein  zwei- 
tes Kind,  deren  Empfindungen  der  Angst  unter  frommen  An- 
rufungen, häufig  angeführten  Bibelsprüchen,  schliesslich  in  die 
heftigsten  Convulsionen,  ja  in  Starrkrampf  übergingen.  An- 
fangs lagen  20,  in  der  folgenden  Woche  33  Kinder  danieder, 
und  zwar  unter  so  heftigen  Convulsionen,  dass  die  Kranken 
kein  Wort  mehr  sprechen  konnten. ' 


'  Gartenlaube  1863,  Nr.  22. 

2.3* 


3ÖG     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenvcrfolgung. 

Wer   bei   epidemischen  Erscheinungen  nur  das  Leibliche 
im  Auge  haben  wollte  und  innerhalb  des  Bereiches  des  Seelen- 
lebens, in  welches  der  Hexenglaube  mit  seinen  Vorstellungen 
fällt,    eine  Ansteckung    und  Fortpflanzung   zweifelhaft  fände, 
der  erinnere   sich    an   die  Ansteckung   der  Vergnügungssucht, 
des  Zorns  u.  a.  ni.    Eine  wesentliche  Bedingung  zur  epidemi- 
schen Fortpflanzung  gewisser  Vorstellungen  und  Empfindungen 
ist  allerdings  die  Empfänglichkeit   des  Gemiiths.     Die  Erfah- 
rung lehrt,   dass  Personen,   die  unter  gleichen  Einfliissen,  in 
denselben  Verhältnissen   luid  miteinander  in  naher  Berührung 
leben,  besonders  weiblichen  Geschlechts  und  jugendlichen  Al- 
ters,  wegen   ihres   reizempfänglichen   Nervensystems,   psychi- 
schen Epidemien  am   meisten   ausgesetzt   sind.     Darum  waren 
Nonnenklöster  seit  jeher  der  Schauplatz   krankhafter  Erschei- 
nungen dieser  Art,  die  von  ihrer  Zeit   für  Besessenheit  und 
dergleichen  gehalten,  und  das  Uebel  gewöhnlich  als  von  einer 
auf   die   andere   übergehend  geschildert  wird.  ^     GÖrres^  hebt 
unter  mehrern  J^ällen  aus  weiblichen  Klöstern  besonders  einen 
hervor,   der   von   4  Bischöfen   und  4  Doctoren   der  Sorbonne 
genau    beobachtet     und     worüber     sie     Bericht     abgestattet, 
nachdem   von  dem  Bischof  von   Besan^on   14  Tage  hindurch 
der  Exorcismus  geleitet  und  Morel,  städtischer  Arzt  von  Cha- 
lons,  sein  Urtheil  beigegeben,   und  das  Resultat  vom  Bischof 
unter   folgende   Gesichtspunkte   gestellt  wurde:    „1)  Dass  alle 
jene  Jungfrauen,  18  an  der  Zahl,  ihm  die  Gabe  der  Sprache 
zu   haben    geschienen;    2)   beinahe    alle   gezeigt,    wie    sie    ein 
Wissen    um    das  Innere    und    das  Geheimniss    der  Gedanken 
besassen ;  3)  bei  verschiedenen  Gelegenheiten  Künftiges  vorher- 
gesagt;   4)   alle    eine    grosse  Abneigung    gegen    alle  heiligen 
Dinge  gehabt;  5)  alle  gedrungen  wurden,  durch  iibernatürliche 
Zeichen  die  Anwesenheit  des   Dämons    zu    beweisen;    6)  auf 
Geheiss  des  Exorcisten  bisweilen  eine  wunderbare  Unempfind- 
lichkeit  bewiesen;    7)  nach   mehrern  Stunden  Exorcismus  und 
Beschwörungen   aus   dem  Grunde   ihres  Magens   fremde  Kör- 
per,  die  sie  Maleficien  und  Zaubermittel   zu  nennen  pflegten, 
Stücke  Wachs,  Knochen,  Haare,  herauszuwürgen  geschienen". 


•  Vgl.  noch  andere  Beispiele   bei  Ideler,  Versuch   einer  Theorie  des 
religiösen  Wahnsinns;  Carus,  Ueber  Geislesepidemien,  u.  a. 
2  Christliche  Mystik,  IV,  2,  S,  334. 


5.  ErkUlruug  der  Hexeuperiode.  357 

Wenn  wir  auch  nicht  leugnen,  duss  unserm  Urtheile  manche 
Einzelheit  anders  erschiene,  so  halten  wir  doch  die  That- 
sache  der  psychischen  Epidemie  fest.  Görres  fuhrt  auch 
den  Fall  aus  dem  Kloster  Werte  in  der  Grafschaft  Hörn 
an,  wo  eine  Anzahl  Nonnen  in  eigenthiimlicher  Weise  ge- 
plagt wurde.  „Wollte  etwa  eine  von  ihnen  in  das  Nachtge- 
schirr ihr  Wasser  lassen,  dann  wurde  es  ihr  mit  Gewalt  ent- 
rissen und  das  Bett  mit  dem  Gelassenen  besudelt.  Bisweilen 
wurden  sie  aus  dem  Bette  auf  einige  Schritte  herausgezogen, 
und  unter  den  Fusssohlen  also  gekitzelt,  dass  sie  vor  Lachen 
sterben  zu  miissen  fürchteten.  Mchrern  wurden  Stücke  Fleisch 
ausgerissen,  die  Beine,  Gesicht  rückwärts  gedreht"  u.  s.  w.  * 
Bekannt  ist  der  vom  Holländer  Hoofit  erzählte  Vorgang  im 
Jahre  15CG  in  dem  Waisenhause  von  Amsterdam,  wo  sich  in 
den  Kindern  ein  unwiderstehlicher  Hang  äusserte,  wie  Katzen 
herumzuklettern.  Oder  die  Erscheinung  in  dem  Waisenhause 
von  Hörn  im  Jahre  1670,  wo  die  Zöglinge  mit  den  Füssen 
strampelten  und  oft  plötzlich  zu  Boden  fielen.  Aus  dem 
Baskenlande  wird  der  Fall  erzählt,  dass  bei  2000  Kinder 
aussagten,  auf  dem  Hexensabbat  gewesen  zu  sein.  Ein  ähn- 
licher Fall  ist  von  Ryssel  bekannt  u.  dgl.  m.  bei  Horst, 
Weier,  Becker  u.  a.  Die  Psychiatrie  spricht  von  Pöschelianis- 
mus  als  Epidemie,  die  ihren  Namen  von  einem  gewissen 
Pöschel  erhielt,  von  dem  der  religiöse  Fixwahn  ausgegangen 
war. 

Im  Mittelalter  und  auch  noch  in  späterer  Zeit,  wo  derlei 
Erscheinungen  auf  den  Teufel  und  seine  Verbiindeten  zurück- 
geleitet wurden,  suchte  man  solche  Zufälle  durch  Exorcismus 
zu  heilen,  und  es  liegt  gar  nicht  ausser  der  Möglichkeit,  dass 
die  Cur  bisweilen  gelungen  sein  mag,  in  welchem  Falle  wir 
eine  Heilung  durch  ein  psychisches  Mittel,  nämlich  durch  die 
Vorstellung,  erkennen  würden.  Auch  die  von  Plutarch  er- 
wähnte Monomanie  der  milesischen  Mädchen  soll  auf  psychi- 
schem Wege  gehoben  worden  sein,  nämlich  durch  die  gesetz- 
liche Bestimmung:  dass  die  Erhenkten  ganz  nackt  hinaus  ge- 
tragen werden  sollten.  Das  psychische  Mittel  war  hier  also 
das  Schamgefühl.  Durch  die  Phantasie  werden  Empfindungen 
und  Vorstellungen  der  Menschen  miteinander  vermittelt,  eben 


Christliche  Mystik,  IV,  2,  S.  372. 


358     Dritter  Abschnitt:   Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

SO  auch  die  Antipathie  und  Sympathie,  das  Sich-Abstossen 
und  Anziehen  der  Individualitäten.  Wie  das  Nervensystem 
bei  Sinnes  Wahrnehmungen  von  aussen  nach  innen  angeregt 
wird,  so  kann  bei  somatischen  Zuständen  eine  Erregung  der 
Phantasie,  also  eine  Erregung  von  innen  nach  aussen  statt- 
finden. Es  wird  ein  Reiz  erweckt,  und  ein  bestimmter  Zustand, 
der  die  Phantasie  eben  g-anz  eingenommen  hat,  wird  im  strcn- 
gen  Sinne  eingebildet.  Die  Wirkung  des  erhöhten  Einbildens 
auf  das  Leibliche  äussert  sich  nicht  nur  in  Zügen,  Blicken, 
der  Färbung,  Haltung,  sondern  auch  in  stofflichen  Absonde- 
rungen, z.  B.  in  Thränen,  Speichel  und  andern  Ausscheidun- 
gen. Darum  kann  die  Phantasie  nicht  nur  psychologisch  und 
pathologisch,  sondern  auch  therapeutisch  wirken.  Eine  solche 
Heilwirkung  diuxh  Einbildung  ist  die  von  Plutarch  angeführte, 
und  eben  darauf  gründet  sich  auch  die  Möglichkeit  der  Hei- 
lung durch  den  mittelalterlichen  Exorcismus.  Durch  Sympa- 
thie, die  freilich  eine  psychisch  vorbereitete  Empfänglichkeit 
voraussetzt,  können  sich  auch  religiöse  Vorstellungen  fort- 
[)flanzen,  die  von  einem  ausgehen  können  und  von  vielen  fort- 
gepflanzt werden.  Denn  das  religiöse  Bewusstsein  und  dessen 
Anschauungen  und  Vorstelluno;en  steht  mit  der  ganzen  Gei- 
stes-  und  Gemüthsverfassung;  in  dem  innigsten  wechselwirkeii- 
den  Zusammenhans.  Dass  der  Seelenzustand  und  dieGemüths- 
Verfassung  der  Menschen  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters, 
und  namentlich  während  der  Hexenperiode,  fiir  erwähnte  psy- 
chopathischc  Erscheinungen  präparirt  und  völlig  geeignet  war, 
ist  in  der  skizzirten  Schilderung  der  damaligen  Zustände  an- 
gedeutet. Kriege,  Zerrissenheit  im  Innern,  Seuchen  und  an- 
dere Calamitäten  mussten  wol  eine  allgemeine  dumpfe  Auf- 
geregtheit des  Gemüths-  und  Phantasielebens  zur  Folge  haben, 
welche  durch  manche  Ereignisse,  die  im  Verlaufe  der  Zeit 
allerdings  zur  Herstellung  des  Gleichgewichts,  zur  Förderung 
und  Klärung  des  menschlichen  Bildungsprocesses  vom  grössten 
Einfluss  waren,  als:  die  Entdeckung  eines  neuen  Welttheils, 
die  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  u.  a.  m.,  zuallernäclist 
aber  noch  mehr  gesteigert  werden  musste.  Auf  solchem  Boden 
und  mittels  erwähnter  und  vielleicht  mancher  nicht  erwähnter 
Factoren  konnte  wol  der  Glaube  an  das  Hexenwesen  und  die 
Sucht,  es  zu  verfolgen  die  Form    einer  psychischen  Epidemie 


5.  Erklärung  der  Hexenperiode.  359 

erhalten,   und  als  solche  namentlich  das  weibliche  Geschlecht, 
jiingere  Leute  und  Kinder  ergreifen. 

Fassen  wir  das  Ergobniss  der  bisherigen  Betrachtung  in 
Kürze  zusammen,  so  liegt  der  allgemeine  Erklärungsgrund  für 
die  martervolle  Sturm  -  und  Drangperiode  des  Hexenwesens 
und  dessen  gerichtlicher  Verfolgung  in  der  Weltlage  der  da- 
maligen Zeit  und  der  eigenthiimlichen  Richtung  des  Zeitbe- 
wusstseins.  Letztere  machte  sich  als  kirchlich-theologistische  gel- 
tend in  der  Auffassung  der  Natur  und  aller  Verhältnisse  über- 
haupt, es  drückte  der  llcchtspflege  ihr  Gepräge  auf,  gab  dem 
Strafjsrocesse  eine  ihm  adäquate  Richtung  und  die  Folter  als 
Mittel  an  die  Hand.  An  den  Teufelsglauben,  der  alle  Gemü- 
ther unter  despotischer  Vergewaltigung  hielt,  in  dem  das  Zeit- 
alter seinen  Ausdruck  fand ,  knüpfte  sich  die  Vorstellung  von 
einem  Bündniss  mit  dem  Satan,  worauf  sowol  Ketzerei  als 
Hexerei  zurückgeführt,  daher  mit  gleichem  Fanatismus  ver- 
folgt und  mit  gleichen  Strafen  belegt  wurden.  Die  unter 
Menschen  gewöhnlichen  Übeln  Leidenschaften  nutzten  den 
Glauben  an  Hexerei  und  deren  Verfolgungswuth  in  ihrem  Sinne 
aus.  Durch  diese  Factoren  gefördert  und  gesteigert,  gedieh 
das  Hexenwesen  und  dessen  Verfolgung  zur  f»sychischen  Epi- 
demie, welcher  empfängliche  Gemüther  verfielen,  um  wieder 
andere  anzustecken.  Die  wohlo^emeinten  Mittel  von  kirchlichen 
und  landesfürstlichen  Behörden,  zeitweise  dagegen  angewandt, 
konnten  die  Fieberhitze  dieser  Periode  nicht  dämpfen  ,  weil 
sie,  selbst  ungesund,  die  kranke  Zeit  nicht  zu  heilen  ver- 
mochten. 


6.  Allmäliliclie  Abnalime  der  Hexenprocesse. 

Jede  geschichtliche  Erscheinung,  sofern  sie  nur  in  der  Zeit- 
1  ichkeit  wurzelt,  wird  von  der  fortschreitenden  Zeit  zertreten  und 
muss  verkümmern.  Kronos  verzehrt  seine  eigenen  Kinder.  So 
erging  es  denHexenprocessen.  „WasKeppler,  Galilei,  Gassendi, 
Guericke,  Huygens  u.  a.  geleistet  hatten,  ist  nicht  blos  den 
mathematischen  luid  physikalischen  Wissenschaften,  es  ist  auch 
der  Philosophie  und  Humanität  zugute  gekommen.  Die 
grossen  Geister  des  Jahrhunderts,  Bacon,  Descartes,   Spinoza, 


360     Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Leibniz  und  Newton,  lioben  die  ganze  alte  Methode  der  Wis- 
senschaft aus  den  Angeln  und  zündeten  ein  Licht  an,  das 
freilich  die  blöden  Augen  gar  mancher  Zeitgenossen  schmerzte, 
aber  der  dankbaren  Nachkommenschaft  desto  wohlthätiiier 
vorgeleuchtet  hat."  ^  Mit  dem  Cartesischen  „Cogito  ergo  sum" 
hatte  die  Philosophie  ihre  l)isherige  Dienstbarkeit  der  kirch- 
lichen Theologie  aufgekündigt  und  zugleich  die  Erklärung 
abgegeben,  dass  die  Gewissheit  des  denkenden  Subjects  auf 
keiner  andern  Autorität,  als  der  des  selbsteigenen  Denkens 
fussen  soll.  Die  Naturwissenschaft  trat  durch  Experiment 
und  Beobachtung  an  die  materielle  Erscheinung  selbst  heran, 
forschte  nach  den  Gesetzen,  wodurch  jene  bedingt  ist,  und 
löste  die  magischen  Nebel  des  Wunder-  und  Zauberwesens. 
Da  aber  der  Fortsclu'itt  in  der  Geschichte  der  Menschheit 
stets  unter  Kämpfen  geschieht,  da  nicht  nur  die  äussere  Exi- 
stenz durch  Arbeit  errungen,  sondern  auch  die  Wahrheit  ero- 
bert werden  muss,  so  ging  auch  die  Abnahme  der  Ilexenpro- 
cesse  unter  Kämpfen  vor  sich.  Die  Bestrebungen  eines  Weier, 
Tanner,  Spee  gegen  die  Hexenverfolgung  wurden  im  17.  Jahr- 
hundert fortgesetzt  von  dem  Franzosen  Gabriel  Naude,  der 
mit  seinem  Werke  ^  die  Unschuld  der  Männer,  die  als  Zaube- 
rer verschrien  worden,  zu  retten  suchte,  wobei  er  die  Grund- 
lage des  Hexenglaubens  kritisch  untersuchte  und  untergrub. 
In  England  suchte  die  Schrift  des  Arztes  Webster  ^  gegen 
GlanviFs  Vertheidigung  des  Hexenprocesses  die  ganze  Lehre 
vom  Hexenwesen  als  Albernheit  darzustellen.  Der  reformirte 
Prediger  zu  Amsterdam,  Balthasar  Bekker,  überbot  die  zeitge- 
nössischen Bestrebuntjen  ":e£i;en  das  Hexenwesen  durch  Gründ- 
lichkeit  und  Ausführlichkeit  der  Behandlung  des  Gegenstandes 
in  seinem  Werke:  ,,Die  bezauberte  Welt",  das  holländisch 
geschrieben  1691 — 93  erschien,  in  dem  er  das  Hexenwesen 
selbst  angrift'  und  als  nichtig  hinstellte.  Bekker  erkannte  ganz 
richtig  dessen  Princip  in  dem  Glaubenssatze  vom  Teufel ,  be- 
diente sich  aber  eines  unzulänglichen  Mittels,  der  ledigen  Exe- 


1  Soldan,  S.  429. 

-  Apologie  pour  tous  Ics  grands  honinics  qui  ont  ete  accuses  do 
magie  (Paris  1669). 

•*  Display  of  supposed  witchcral't,  167.'^  (aus  dem  Englischen  übersetzt, 
mit  einer  Vorrede  von  Thouiasius,  1719). 


6.  Allmähliche  Abnahme  der  Hexenprocesse.  361 

gese,  womit  er  auch  nicht  die  Existenz  des  Teufels,  sondern 
nur  dessen  Einfluss  auf  den  Menschen  bekämpfte.  Sein  Be- 
streben, das  Auftreten  Satans  in  der  Bibel,  der  gegeniiber 
seine  unbegrenzte  Ehrfurcht  alle  Kritik  ausschloss,  möglichst 
zu  beschränken,  trieb  ihn  häutig  zu  einer  gezwungenen,  daher 
imrichtigcn  Interpretation,  indem  er  oft  seine  Anschauung  in 
die  betrefienden  Bibelstellen  hineinlegte,  nicht  aber  die  des 
biblischen  Schriftstellers  auslegte.  Obschon  wir  heutigentags 
die  exegetische  Waffe  überhaupt  gegenüber  dem  Teufels-  und 
Hexenglauben  fiir  unzureichend  erklären  müssen,  kann  uns 
dies  nicht  hindern,  den  streng  sittlichen  Ernst  Bekker's  auch 
heute  noch  anzuerkennen,  und  das  grosse  Aufsehen,  das  sein 
Werk  zu  seiner  Zeit  machte,  gerechtfertigt  zu  finden.  Pierre 
Bayle  leitet  zwar  die  Besessenheit  auf  Krankheit  oder  Betrug 
zuriick,  seine  Zuerkennung  der  Todesstrafe  auf  wirkliche  Zau- 
berei, die  er  iibrigens  nur  bedingungsweise  annimmt,  wider- 
spricht aber  seiner  sonst  gehegten  Toleranz,  obschon  er  die 
obrigkeitliche  Verfolgung  beschränkt  wissen  will.  ^  Christian 
Thomasius  wird  mit  Kecht  ein  entscheidender  Streiter  in 
dieser  Richtung  genannt.  Nachdem  er  1694  bei  Gelegenheit 
eines  Hexenprocesses,  wo  er  nach  eigenem  Geständniss  auf 
Grund  Carpzovii  Praxis  criminalis,  des  „Hexenhammers"  Torre- 
blanca's,  Bodin's,  Delrio's  und  anderer  Hexenverfolger  auf  Fol- 
terung der  Beschuldigten  angetragen,  mit  seinem  Antrage  im 
Facidtätscollegium  in  der  Minorität  geblieben  war,  dachte  er 
nicht  nur  dem  Gegenstande  reiflicher  nach,  sondern  suchte 
auch  die  Vorkämpfer  Weier,  Spee,  van  Dale  und  Bekker 
näher  kennen  zu  lernen.  Im  Jahre  1701  trat  er  schon  als  ihr 
Bundesgenosse  auf  durch  seine  Schrift:  „De  crimine  magiae". 
Er  glaubte  zwar  an  den  Teufel  als  unsichtbares  Wesen,  das 
niemals  einen  Leib  angenommen,  schränkte  aber  dessen  Wirk- 
samkeit ein  und  erklärte  das  angebliche  Bündniss  mit  dem- 
selben für  eine  Fabel.  Da  Thomasius  die  Griinde,  die  von 
Juristen  und  Theolofren  für  die  Wirklichkeit  des  Hexenwesens 
aufgestellt  worden,  zum  Absurden  zu  führen  suchte,  wurde 
er  auch  von  beiden  Seiten  angegrifien.  Thomasius  selbst  er- 
widerte zwar  gelegentlich,  besonders  thätig  waren  aber  seine 
Anhänger,  namentlich  lieiche  und  andere,  und  durch  Ueber- 


'  Reponse  aux  qucstions  d'un  proviucial,  chap.  35,  39. 


362    Dritter  Abschnitt:  Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

Setzungen  der  Schriften  Webster's,  Hutchinson's,  Beaumont's, 
Prätorius',  Wagstaffs,  die  er  leitete  und  mit  Vorreden  versah, 
wurde  die  Bahn  fi'ir  seine  Ansichten  immer  freier.  Seine 
früher  erwähnte  Abhandhing  kam  auch  ausführhch  bearbeitet 
heraus  unter  dem  Titel:  „Thomasii  kurze  Lehrsätze  von  dem 
Laster  der  Zauberei  mit  beigefügten  Actis  magicis  von  Joh. 
Reichen"  (ITOo).  Thomasius  schrieb  ferner:  „De  origine  et 
progressu  proccssus  inquisitorum  contra  sagas"  (1712),  und 
berührt  den  Gegenstand  auch  in  „Juristische  Händel".^  Tho- 
masius wird  im  Vergleicli  mit  Bekker  ein  gewandterer  Käm- 
pfer genannt  und  kann  ihm  dieser  Vorzug  auch  nicht  abge- 
sprochen werden;  aber  beim  Hinblick  auf  seinen  günstigen 
Erfolg  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  Bekker  dem  ersten  Anprall 
ausgesetzt  war,  dem  er  seinerzeit  zwar  unterliegen  musste, 
dass  aber  im  Feldzuge  um  Recht  und  Wahrheit  die  Niederlatjc 
der  Vorkämpfer  stets  eine  Stafiel  bildet,  über  die  der  Nach- 
folger zum  Siege  gelangt. 

Diese  Bestrebungen  wurden  von  ihrer  Zeit  unterstützt 
und  getragen,  und  so  konnten  ihnen  entsprechende  Wirkungen 
nicht  ausbleiben.  Sie  zeigten  sich  zuerst  im  preussischen 
Staate,  w^o  Friedrich  I.  im  Jahre  1701  einen  Cxerichtsherrn 
aus  der  Mark  wegen  einer  Hinrichtung  zur  Verantwortung 
zog  und  170(")  die  Hexenprocesse  in  Pommern  beschränkte. 
Sein  Nachfolger  Friedrich  Wilhelm  befahl  im  Jahre  1714 
alle  auf  Tortur  oder  auf  Tod  lautenden  Urtheile  ihm  zur 
Bestätigung  vorzulegen  und  verbot  im  Jahre  1721  die  Hexen- 
processe überhaupt.  Der  Grundsatz  Fi-iedrich's  des  Grossen 
ist  bekannt:  in  seinem  Staate  sollten  die  alten  Frauen  ruhisf 
sterben  können.  In  England  und  Schottland  wurde  das  Sta- 
tut Jakob's  1.  durch  eine  Parlamentsacte  im  Jahre  1736  auf- 
gehoben. Schweden,  das  die  Verfolgung  der  Hexerei  zunächst 
beschränkt  hatte,  cassirte  die  daraufgesetzte  Todesstrafe  1771». 
Dem  Beispiele  Preussens  folgte  das  übrige  Deutschland  bälder 
oder  später.  In  der  peinlichen  Gerichtsordnung  eloseph's  I. 
für  Böhmen,  Mähren  und  Schlesien  vom  Jahre  1707  lauten 
die  auf  Hexenwesen  bezüglichen  Paragraphen  noch  ganz  im 
Sinne  des  „  Hexenhammers  ".'^     In  der  Landesordnung  Maria 


1  Th.  I,  l'J7,  II,  .*50U,  111,  221  u.  a. 

=  Art.  XIII,  §.  4  und  21»,  Art.  XIX,  §.  3. 


6.  Allmähliche  Abnahme  der  Hexenprocesse.  363 

Theresia^s  heisst  es  aber:  „dass  solche  vorkommende  Processe 
vor  Kundmachung  eines  Urtheils  zu  Unserer  höchsten  Einsicht 
und  Entschliessuno-  eiuo-eschicket  werden  sollen;  welch  Unsere 
höchste  Verordnung  die  heilsame  Wirkung  hervorgebracht,  dass 
derlei  Inquisitionen  mit  sorgfältiger  Behutsamkeit  abgeführt 
und  in  Unserer  Regierung  bisher  kein  wahrer  Zauberer,  Hexen- 
meister oder  Hexe  entdeckt  worden,  sondern  derley  Processe 
allemal  durch  einen  boshaften  Betrüger  oder  eine  Dummheit 
und  Wahnwitzigkeit  des  Inquisiten,  oder  auf  ein  anderes 
Laster  hinausgeloffen  seyen,"  *  Nach  §.  4  dieser  Landesord- 
nung wird  aber  doch  zu  untersuchen  eingeschärft,  „ob  eine 
Gottes  und  ihres  Seelenheils  vergessene  Person  solcher  Sachen, 
die  auf  ein  Biuidniss  mit  dem  Teufel  abzielen,  sich  ihres  Ortes 
ernsthaft,  jedoch  ohne  Erfolg  unterzogen  habe,  oder  ob 
untrügliche  Kennzeichen  eines  wahren  zauberischen,  von  teuf- 
lischer Zuthuung  herkommen  sollenden  Unwesens  vorhanden 
zu  seyn  erachtet  werden."  Für  den  ersten  Fall  verfügt  das 
Gesetz  nach  Umständen  die  schärfste  Leibesstrafe,  oder  wenn 
bürgerliche  Verbrechen  oder  Blasphemie  concurriren,  ge- 
schärfte Todesstrafe  bis  zum  Scheiterhaufen.  Im  letztern  Falle 
sagt  das  Gesetz:  „Wenn  —  aus  einigen  unbegreiflichen  über- 
natürlichen L^niständen  und  Begegnissen  ein  wahrhaft  teufli- 
sches Zauber-  und  Hexen wesen  gcmuthmasset  werden  müsste, 
so  wollen  Wir  in  einem  ausserordentlichen  Ereignisse  Uns 
selbst  den  Entschluss  über  die  Strafiirt  eines  dergleichen 
Uebelthäters  ausdrücklich  vorbehalten  haben;  zu  welchem 
Ende  obgeordnetermassen  der  ganze  Process  an  Uns  zu  über- 
reichen ist."  Die  Verordninig  verbietet  alle  Hexenproben  und 
beschränkt  die  Anwendung  der  Tortur  durch  gewisse  Mass- 
regeln. —  Im  Strafgesetzbuche  Kaiser  Joseph's  II.  vom 
Jahre  1787  hat  der  Hexenprocess  gar  keinen  Raum  mehr.  In 
Kurbaiern  wurde  zwar  durch  eine  Rede,  die  der  Theatiner 
Ferdinand  Sterzinger  1766  an  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften gehalten,  und  worin  er  zu  beweisen  suchte,  ,,dass  die 
Hexerei  ein  ebenso  nichts  wirkendes  als  nichtsthätiges  Ding 
sey"  noch  viel  Staub  aufgewirbelt;  indess  war  den  Ilexen- 
richtern  doch  der  Faden  allmählich  ausgegangen,  und  die  ge- 


^  Semer  k.  k.  apostol.  Maj.  allergn.  Landesordniuig  wie  es  mit  dem 
Hexenprocesse  zu  halten  sej'  (17G6). 


364     Dritter  Abschnitt:    Periode  der  gerichtlichen  Hexenverfolgung. 

richtlichc  Procedur  gegen  das  Hexenwesen  hatte  ihr  Ende  er- 
reicht. Aber  auch  der  Ghiube  im  Volke  an  Hexen?  Silber- 
schlag ^  behauptet:  „In  Deutschland  und  überhaupt  in  Europa 
können  wir  gegenwärtig  auf  den  Hexenglauben  und  den  Hexen- 
process  als  auf  eine  vollständig  überwundene  Barbarei  zurück- 
blicken." Dieser  sanguinischen  Behauptung  v^on  dem  völlig 
überwundenen  Hexenglauben  im  Volke  widersprechen  That- 
sachen,  die  Adolf  Wuttke  aus  der  Gegenwart  herausge- 
griffen hat.^  Nach  einer  Mittheilung  der  „Unterhaltungen 
am  häuslichen  Herd",^  wurde  vor  einigen  zwanzig  Jah- 
ren"* bei  Danzig  ein  altes  Weib,  im  Verdachte  stehend, 
Wetter  gemacht  und  die  Milch  der  Kühe  versetzt  zu  haben, 
mittelalterlich  „getauft",  wobei  es  um's  Leben  kam.  RiehP 
sagt:  „Die  Pfälzer  sagen  freilich,  die  französische  Revolution 
habe  allen  Aberglauben  aus  dem  Lande  gespült,  es  ist  aber 
doch  vor  wenigen  Jahren  in  einer  sehr  aufgeklärten  Gegend 
der  Pfalz  eine  alte  Frau  schwer  mishandelt  worden,  weil  sie 
für  eine  Hexe  galt."  Nach  der  Aeusserung  eines  Geistlichen 
glaubt  der  tiroler  Bauer,  dass  man  jetzt  darum  keine  Hexen 
mehr  sehe:  „weil  nun  allerorten  auf  Wiesen  und  Scheide- 
wegen Feldkreuze  errichtet  sind,  an  denen  sich  der  Spuk  nicht 
vorüber  wagt."''  Die  allgemeine  Kirchenzeitung ^  schreibt: 
„Aus  dem  Banate  wird  das  Unglaubliche  gemeldet,  dass  in 
dem  Dorfe  Starikör  bei  Neusatz  ein  Mädchen,  das  in  Irrsinn 
verfallen  war  und  infolge  dessen  die  Sprache  verloren  hatte, 
vom  Volke  als  Hexe  verbrannt  worden  sei."  — 


•  Ueber  Ilexenverfolgung  und  Ilexenprocess  ira  „Deutschen  Museum" 
von  Prutz,  18(33,  Nr.  21),  30. 

-  Der  deutsche  Volksaberglaube  der  Gegenwart,  l^GO,  '6.   HO  fg. 
•'  Neue  Folge,  1856,  I,  653. 

*  Also  jetzt  30  Jahren. 

ä  „Die  Pfälzer",  ein  rheinisches  Volksl)ild,  1857,  S.  16[). 
^  Pichler,  Aus  den  tirulcr  Bergen,  S.  70. 
'  Nr.  32,  Jahrgang  1863,  Aprilheft. 


Vierter  Abschnitt. 

Fortsetzung   der   Geschichte   des  Teufels. 
Abnahme  des  Glaubens  an   den  Teufel. 


1.  Luther's  Grlaiil}e  an  den  Teufel. 

Das  IG.  Jahrhundert  hatte,  wie  wir  bemerkten,  den 
Hexenglanben  nicht  gebrochen,  weil  das  Zeitalter  der  Refor- 
mation den  Teufelsglauben  mit  dem  Mittelalter  theilte  und 
die  Vorstellungen  von  der  Macht  des  Teufels  Protestanten 
und  Katholiken  gemeinsam  waren.  Nach  der  herrschenden 
Anschauung  der  Zeit  blieb  die  Welt  in  zwei  Lager  geschieden, 
in  das  Gottes  und  das  des  Teufels,  und  wie  alles  Gute  im 
Physischen  und  Moralischen  von  jenem  ausgehend  gedacht 
ward,  so  wurde  jegliches  Uebel  und  alles  Böse  von  diesem 
hergeleitet. 

Luther,  der,  aus  deutschem  Bauernblut  stammend,  die 
Derbheit  und  Zähigkeit  seines  Geschlechts  mit  der  Tiefe  und 
dem  Ernste  seines  Stammes  in  sich  vereinigte,  wurde  Mönch 
und  vorzugsweise  Theo  log.  Es  kennzeichnet  die  neue  Aera, 
dass  sie  von  theologischer  Hand  eröfinet  worden,  denn  die 
neue  Periode  der  Weltgeschichte  theilt  in  ihrem  Anfange  die 
theologische  Färbung  mit  dem  Mittelalter,  nur  dass  sie  eine 
protestantisch -theologische  ist.  Luther  war  von  der  huma- 
nistischen Bewegung,  die  ihm  zur  Seite  getreten,  ohne  jedoch 
dessen  religiöse  Begeisterung  zu  theilen,  nicht  in  seiner  Tiefe 
ergriffen  worden  imd  konnte  darum  später  mit  ihr  brechen, 
obschon    das    humanistische    Studium    seinen    geistigen   Blick 


366      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

geklärt  und  crfrisclit  hatte.  Ihm  war  der  Staat  der  Idee  nach 
als  Verwirklichung  einer  sittlichen  Macht,  als  Gebiet  sittlicher 
Aufgaben  nicht  zum  vollen  Bewusstsein  gedrungen,  darum 
blieb  er  der  politischen  Regung  fern  und  trat  dem  wilden 
Sturme  entgegen,  der  sein  begonnenes  "Werk  zu  vernichten 
drohte.  Luther  beschränkte  sich,  Theolog  zu  sein.  Die  Angst 
des  Todes,  der  an  ihn  herangetreten  w^ar,  die  Sorge  um  sein 
Seelenheil  hatten  ihn  aus  der  sündhaften  Zerfahrenheit  um 
ihn  her  in  das  Kloster  getrieben,  er  wurde  Mönch,  um  in 
krampfhafter  Anstrengung  durch  klösterliche  Ascetik  und 
Busse  den  Zorn  des  Ilinnnels  zu  si'dnien  und  den  Frieden 
mit  Gott  zu  erringen.  Im  Gefühle,  ein  Kind  des  Zornes  und 
der  Yerdamnniiss  zu  sein,  trat  er  in  einen  Stand,  „der  die 
zehn  Gebote  weit  überträfe",  um  sich  zu  üben  in  „viel  mehr 
und  bessern  Werken,  denn  im  Evangelio  geboten  werden", 
um  seine  Schuld  zu  tilgen  und  die  Gnade  zu  verdienen.  Mit 
dem  ganzen  Ernste  seiner  energischen  Natur  unternahm  er 
alle  üebungen,  wodurch  er  die  Sünde  zu  tödten,  die  Heilig- 
keit zu  erlangen  und  die  Gnade  Gottes  zu  erkämpfen  hoffte. 
Es  ist  durch  Zeitgenossen  beglaubigt,  was  er  später  selbst 
schildert,  wie  er  gewacht,  gebetet,  gefastet,  gefroren,  sich  zer- 
kasteit und  zermartert,  wie  er  gehorsamt  habe,  sodass  er  be- 
haupten konnte:  „Wahr  ist's,  ein  frommer  Mönch  bin  ich  ge- 
west  und  habe  so  strenge  meinen  Orden  gehalten,  dass  ich 
sagen  darf:  ist  je  ein  Mönch  gen  Himmel  kommen  durch 
Möncherei,  so  wollt  ich  auch  hineingekommen  sein;  dass  wer- 
den mir  zeugen  alle  meine  Klostergesellen;  denn  ich  hätte 
mich,  wo  es  länger  gewährt  hätte,  zu  Tod  gemartert  mit 
W^achen,  Beten,  Lesen  und  anderer  Arbeit."  ^  Die  von  der 
Kirche  angegebenen  Gnadcmnittel,  die  hergebrachten  Formeln 
der  Beichte,  die  äusserlichen  guten  Werke  Hessen  jedoch 
seine  ringende  Seele  den  Ruhepunkt  der  Gewissheit  nicht 
finden.  Der  Zuspruch  eines  einfachen  alten  Klosterbruders, 
der  ihn  auf  den  Artikel  von  der  Sündenvergebung  verwies 
imd  vom  Glauben  mit  ihm  redete,  die  tröstliche  Belehrung 
seines  geistlichen  Rathgebers:  dass  die  wahre  Busse  mit  der 
Liebe  zu  Gott  ihren  Anfang  nehmen  und  den  Gnadenmitteln 


Kleine  Antwort  auf  Herzog  Georg's  nähestes  Bucli. 


1.  Liither's  Glaube  an  den  Teufel.  367 

der  Kirche  voraiTSgehen  müsse,  wurden  von  dem  jungen 
Mönche  gierig  aufgenommen.  Er  fühlte  sich  nach  der  unter- 
sten Tiefe  seines  Gemüths  getrieben  und  fand  im  inbrünstigen 
Gebete  den  Hort  des  festen  Glaubens  an  den  Gott  der  Liebe, 
der  in  uns  wirkt,  und  dass  zu  diesem  jedes  in  Reue  zer- 
knirschte Herz  sich  erheben  könne.  Im  Gebete,  in  der  eigenen 
Erhebuno;  zu  Gott  o-ewann  der  Mönch  den  Frieden  mit  sei- 
nem  Gott. 

Die  wahlvcrwandte,  in  sich  ringende  Natur  seines  Ordens- 
heiligen Augustinus  hatte  ihn  unter  den  alten  Kirchenlehrern 
am  meisten  angezogen,  obschon  Luther  nicht  wie  jener  „in 
die  Netze  offenen,  simdhaften,  fleischlichen  Lebens  verstrickt 
war,  vielmehr  mit  aller  eigenen  sittlichen  Kraft  gegen  das- 
selbe angekämpft  hatte"  \  daher  er  mit  Recht  später  sagen 
konnte:  „Ich  bin  fünfzehn  Jahre  ein  Mönch  gewesen,  ohne 
was  ich  zuvor  gelebt  habe."  Tauler  und  die  „deutsche  Theo- 
logie" gewannen  durch  die  Innigkeit  ihrer  Mystik  bleibenden 
Einfluss  auf  das  volle  Geniüth  des  Theologen  Luther;  das 
unablässige  Studium  der  Bibel  Hess  ihn  in  der  Heiligen  Schrift 
die  einzige  theologische  Erkenntnissquelle  finden,  und  er  ward 
zum  biblischen  Theologen.  Augustinus  und  die  mittelalter- 
lichen Mystiker  begegnen  sich  in  dem  Gefühle  der  moralischen 
Nichtio-keit  des  Menschen,  und  dies  wurde  die  unterste  Grund- 
läge  der  theologischen  Anschauung  Luther"s.  Gott  ist  ihm 
alles,  der  Mensch  oder  die  Creatur  ist  nichts.  Er  überbrückt 
aber  diese  Kluft  mit  der  „Gnade  Gottes",  die  den  Glauben 
bewirkt.  An  sich  vermag  der  Mensch  nichts,  aber  im  Glau- 
ben vermag  der  Mensch  alles.  „Gott  thut  den  Willen  des 
Gläubigen."  Dieser  Glaube  hat  die  Menschwerdung,  das 
Leiden,  die  Auferstehung  Christi  nicht  als  ledige  Thatsacho 
an  sich  zum  Inhalt;  dieser  Glaube  ist  vielmehr  die  eigenste, 
innigste  Ueberzeugung,  dass  sie  um  der  Menschen  willen  voll- 
zogen worden  ist.  „Darum  so  ist's  nicht  genug,  dass  einer 
glaubt,  es  sei  Gott,  Christus  habe  gelitten  u.  dgl. ;  sondern  er 
muss  festiglich  glauben,  dass  Gott  ihm  zur  Seligkeit  ein  Gott 
sei,  dass  Christus  für  ihn  gehtten  habe  u.  s.  w.  —  Christus 
ist  Gott  und  Mensch  und  ist  also  Gott  und  Mensch,  dass  er 


'  Köstlin,  Luiher's  Theologie,  I,  53. 


368      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

nicht  ihm  selbst  Cliristus  ist,  sondern  uns.  —  Alles,  was  wir 
im  Glauben  erzählen  ist  fi'ir  uns  geschehen  und  kommet  uns 
heim.  —  Wenn  Gott  allein  im  Plimmel  sässe  wie  ein  Klotz, 
so  wäre  er  nicht  Gott."  *  Der  Mensch  ist  einerseits  in  un- 
bedingter Abhängigkeit  von  der  göttlichen  Gnade,  andererseits 
muss  aber  alles  durch  die  eigene  Selbstthätigkeit  des  Men- 
schen vermittelt  werden.  „Des  Glaubens  Materia  ist  unser 
Wille.  Die  Forma  ist,  dass  man  das  Wort  Christi  ergreift, 
von  Gott  einffeseben.  Die  endliche  Ursache  aber  und  Frucht 
ist,  dass  er  das  Herz  reinigt,  machet  uns  zu  Gottes  Kindern 
und  bringt  mit  sich  Verj^ebuno;  der  Si'mden."  -  Hiermit  wird 
der  Mensch  durch  das  protestantische  Princip  zum  Bewusst- 
sein  eines  sittlichen  Subjects  erhoben.  Die  Reformation  pro- 
testirte  daher  ihrer  urspriinglichen  Tendenz  nach  gegen  die 
übermenschliche  Heiligkeit  der  Priester  und  der  Kirche  und 
wollte  die  Heilswahrheit  in  lebendige,  wirkliche  Sittlichkeit 
umsetzen;  sie  protestirte  gegen  die  Autorität  der  hergebrachten 
Tradition  und  wollte  die  Berechtigung  der  persönlichen  Ueber- 
zeugung  zur  Geltung  bringen ;  sie  protestirte  gegen  die  mittel- 
alterliche Ascetik  und  wollte  der  natürlichen  Individualität  zu 
ihrem  Rechte  verhelfen ;  sie  protestirte  gegen  äusserliche  Werk- 
heiliofkeit  und  wollte  das  sittliche  Leben  im  Geist  und  im 
Herzen  aufgefasst  wissen.  Wie  weit  sich  das  Reformations- 
werk  vollzogen  oder  nicht  vollzogen  hat,  ist  bekannt;  dass  es 
nicht  schon  im  16.  Jahrhundert  in  voller  Breite  durchgeschla- 
gen den  Reformatoren  allein  auf  Rechnung  zu  schreiben,  ist 
Mano-el  an  historischem  Blicke. 

Als  echtes  Kind  aus  dem  Volke  stand  Luther  in  Be- 
ziehung auf  den  Teufel  im  allgemeinen  Volksglauben,  und  als 
biblischer  Theolog  sah  sich  der  Reformator  mit  der  Schrift, 
der  einzigen  Erkenntnissquelle,  in  keinem  Widerspruche.  Es 
kann  daher  nicht  befremden,  wenn  seine  Schriften  den  Teufel 
sehr  häufig  erwähnen.  ^  Seine  Vorstellung  vom  Teufel  hängt 
mit  seiner   dogmatischen  Anschauung,    namentlich  seiner  Er- 


'  Vgl.  Feuerbach,  Säramtl.  Werke,  I,  273. 

2  Walch,  Tischreden,  XXII,  743. 

3  Vgl.  Auslegung  von  1  Mos.  G,  1 ;  Ausführliche  P>klärung  der 
Fpistol  an  die  Galater;  Kürzere  Erklärung  derselben  Epistel;  Tisch- 
reden, u.  a.  m. 


1.    Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  369 

lösungslehre ,  enge  zusammen,    er  stellt  den  Tod  Christi  gern 
unter    dem   Bilde   eines   Kampfes    dar   mit   Gesetz,    Tod   und 
Teufel,  und  erinnert  in  dieser  Beziehung  an  Gregor  von  Nyssa, 
nach  welchem  bei  dem  Kampfe   eine  Ueberlistung   stattfindet, 
wodurch  jene  satanischen  Mächte,    die    sich   an   Christo   ver- 
griflen  haben,  zu  Schanden  werden.  ^     Entsprechend  den  zwei 
Seiten,    die    in    Luther's   Bewusstsein    von  Gott   neben-    und 
gegeneinander  stehen,  die  der  göttlichen  Macht  und  Erhaben- 
heit und   die    der   Liebe   inid    Gnade,    unterscheidet    er   zwei 
Gebiete,   das  des  Zorns  und  das  der  Seligkeit.     Die  Ursache 
des  Zorns  Gottes  ist   die  von  Adam   überkommene   und   fort- 
gepflanzte  Sünde   und   Schuld    des   ganzen  Geschlechts.     Der 
Zorn  Gottes  reicht   so  weit  als   seine   Gerechtigkeit,    der  ge- 
rechte  Gott   ist   dem   Sünder    gegenüber    der   zornige   Gott.  '•^ 
Die  Gerechtigkeit  Gottes  ist  der  Zorn  Gottes  ^;  jene  fordert, 
dass  Gott  im  Zorne   strafe.  *     Das  Hauptwerkzeug   des   gött- 
lichen Zorns,    wodurch   sich  die  Strafgerechtigkeit  Gottes    an 
den   sündigen   Menschen   vollzieht,    ist    der  Teufel.      Diesen 
braucht   Gott   als   „seinen   Henker,    durch    welchen    er    seine 
Strafe   und   Zorn  ausrichtet."  ^     ])ie   Gewalt    des   Teufels   er- 
streckt sich  nicht  weiter  als  das  Zorngebiet  Gottes^,  jener  hat 
sie   nur    „wo    Gott   ihm   verhängt    und   Raum  lasset". '     Der 
Zorn  Gottes  verleiht  zwar   dem  Teufel  das  Recht,   seine   ver- 
derbliche Wirksamkeit  zu  entfalten,  sie  findet  Raum  innerhalb 
des  Gebietes  der  Sünde;  aber  die  Liebe  Gottes,  als  die  Macht, 
welche  alle  Creatui-  erhalten  will,  setzt  der  Macht  des  Teufels 
die  Schranke,    „die   unermessliche  Güte   und   Barmherzigkeit 
Gottes  übertrifl't  weit  die  Bosheit  des  Teufels  und  erhält  alle 
Dinge   auf  Erden   wunderbarlicherweise  wider    allen    grimmi  - 
gen  Zorn,    Wüthen  und  Anfall   desselben".  *     Die   Liebe   be- 
schränkt   die   Gewalt   des  Teufels   und   die   göttliche  Weisheit 


'  Vgl.  Luther's  Kirchenpostille. 

2  Walch  14,  461. 

3  2,  468. 

*  6,  1920. 

5  5,  839.  1109;  8,  1234;  10,  1257;  12,  481.  2043. 

«  18,  2471. 

7  5,  1779.  1162;  22,  183. 

«  2,  1071. 

RoBkoff,    Geschichte  des  Teufels.    II.  94 


370      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

verwendet  sie  selbst  zu  ihren  Zwecken,  denen  der  Teufel 
wider  Willen  dienen  muss  „zu  ihrer  Ehre  und  unserm  Heil".^ 
„Gott  braucht  auch  derer  Teufel  und  bösen  Engel.  Die  woll- 
ten wol  alles  gern  verderben,  aber  Gott  lässt  es  nicht  zu,  es 
sei  denn  eine  Kuthe  vorhanden,  die  wir  wol  verdienet  haben. 
Er  lässt  kommen  Pestilenz,  Krieg  oder  sonst  eine  Plage,  dass 
wir  uns  vor  ihm  demi'ithigen  und  fiu'chten,  uns  zu  ihm  halten 
und  ihn  anrufen.  Also  muss  der  Teufel  uns  eben  mit  dem 
dienen,  damit  er  gedenket  Schaden  zu  thun.  Denn  Gott  ist 
ein  solcher  Meister,  welcher  des  Teufels  Bosheit  also  kann 
brauchen,  dass  er  Gutes  daraus  mache."  ^  Die  Gerechtigkeit 
Gottes  verlangt,  dass  die  Sünde  bestraft  werde,  ihm  ist  aber 
volles  Recht  geschehen  durch  den  Tod  Christi,  der  die  Siinden 
der  Menschen  auf  sich  genommen  und  dafür  den  Tod  erlitten 
hat.  Für  alle  Menschen  ist  der  Sohn  Gottes  gestorben,  alle 
sollen  glauben  und  alle  Glaubenden  nicht  verloren  werden. 
Nachdem  der  Gerechtigkeit  Gottes  genug  geschehen,  hat  die 
Barmherzigkeit  und  Gnade  Raum.  Denn  ,,Gott  selbst  ist  die 
Liebe  und  sein  Wesen  ist  lauter  Liebe".  Christus  hätte  uns 
die  Liebe  nicht  erzeigen  können,  wenn  es  Gott  nicht  in  ewi- 
ger Liebe  hätte  haben  wollen;  deragemäss  sollen  wir  jetzt 
durch  Christum  in  Gottes  Herz  steigen.  In  dieser  Liebe 
schüttet  Gott  alles  Gute  aus,  gibt  uns  Leib  und  Leben  und 
seine  Gnade  und  alle  Giiter,  sein  eigen  Herz  und  seinen 
eigenen  Sohn.  Zum  Ziirnen,  Richten,  Verdammen  wird  Gott 
„genöthigt"  durch  unsern  eigenen  Stolz,  durch  Demüthigung 
und  Busse  will  er  uns  zu  sich  führen,  denn  er  ist  ,,ein  Gott 
des  Lebens  und  kann  durch  sich  selbst  anderes  nichts  denn 
Gutes  thun".  Nicht  Gott  wandle  sich,  sondern  unser  Ge- 
wissen, er  bleibt  immer  gütig,  während  in  unserm  Gewissen 
nicht  anders  ist,  denn  dass  er  zornig  sei;  „also  ist  er  den 
Verdammten  nichts  denn  eitel  Zorn,  straft  sie  nur  mit  ihrem 
eigenen  Gewissen". 

„Luther's  Auffassung  von  Gott  als  der  reinen  Liebe  scheint 
mitunter  sogar  zu  führen  bis  zu  einem  Dualismus  zwischen 
Gott,  aus  den»  alles  Gute  und  lauter  Gutes  fi'ir  unser  inneres 
und   äusseres  Leben   fliosse,    und    zwischen  dem  Teufel,    von 


'  18,  2297. 
■'  10,  1259. 


1.    Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  371 

welchem  alle  äussern  und  innern  Lebensliemmvingen  ausgehen. 
Indem  er  sagt,  Gott  die  Liebe  brenne  voll  alles  Guten,  sagt 
er  vom  Teufel,  dieser  treibe  das  eitle  Widerspiel  der  Liebe 
und  richte  alh^  Plao-o  in  der  Welt  an.  So  stellt  er  dann  auch 
das  die  Siuide  richtende  und  verfluchende  Gesetz,  welches 
Christus  zu  tragen  und  zu  iiberwinden  hatte,  mit  dem  Teufel 
zusammen,  der  auf  diesen  eindrang  und  von  ihm  iiberwunden 
wurde.  Allein  eben  Gott  selbst  ist  es  doch,  nach  Luther, 
der  den  Teufel  gemäss  dessen  Willen  und  Wesen  solches 
wirken  lässt.  Eben  auch  den  Teufel  gebraucht  Gott  —  als 
Stachel.  « Der  Teufel  thut's  und  Gott  verhängt's ,  denn  wir 
würden  sonst  gar  zu  bös»;  er  verhängt's,  indem  er,  soweit 
als  es  seinen  eigenen  Zwecken  entspricht,  dem  Teufel  das, 
was  dieser  von  sich  aus  in  reinem  Hass  und  bösem  Willen 
thut,  zu  thun  gestattet;  so  redet  Luther  hierbei  von  einem 
K  Verhängen»  und  auch  wieder  von  einem  blossen  «permittere». 
Und  eben  darum  nun,  damit  wir  nicht  nach  Art  der  Mani- 
chäer  uns  einbilden,  es  gebe  zwei  Götter  oder  aliud  princi- 
pium  bonorum  et  malorum,  nennt  Gott,  wie  Luther  einmal 
äussert,  auch  jenes  fremde  Werk,  welches  nicht  das  ihm 
eigenthümliche  ist,  dennoch  sein  Werk."  ^ 

Obschon  nun  Luther  die  Vorstellung  vom  Teufel  und 
seiner  Macht,  die  ihm  die  Kirchenlehrc  i\bcrmittelt,  nicht  auf- 
gegeben hat,  so  ist  doch  eine  wesentliche  Wandlung  in 
dessen  Anschauung  nicht  zu  verkennen.  Wenn  Soldan  sagt: 
„Luther  hat  keinen  neuen  Teufel  erfunden,  sein  Teufel  ist 
ganz  der  altkatholische,  scholastische"^,  so  trifft  er  nur  zum 
Theil  das  Wahre,  denn  das  Verhalten  des  Menschen  im 
Kampfe  mit  dem  Teufel  ist  hierbei  unberiicksichtigt  geblieben, 
und  dies  ist  von  Bedeutung  im  lutherischen  Teufelsglauben. 
Freytag  hat  Luther's  Anschauung  vom  Teufel  tiefer  erfasst 
und  das  Specifische  richtig  erkannt.  ,, Luther  hatte  nicht  um- 
sonst die  Kirchenlehre  vergeistigt,  durch  ihn  war  der  Kampf 
des  Menschen  um  das  ewige  Heil  in  das  Gemüth  des  einzel- 
nen verlegt;  vom  Glauben  an  Gott  und  von  dem  eigenen  Ge- 
wissen hing  das  Schicksal  des  Menschen  ab.     Auch  der  Streit 


'  Köstlin,    Luther's  Theologie,    II,   313  fg.     Uel)Pr    den  Umfang  der 
Wirksamkeit  des  Teufels,  vgl.  ebendaselbst  S.  351  fg. 
•'  S.  300. 

24* 


372       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

des  Menschen  mit  dem  Bösen  wurde  J€tzt  vorzugsweise  ein 
innerlicher.  Nicht  die  Erscheinung  des  Teufels  und  sein 
Rasseln  waren  besonders  fürchterlich,  sondern  seine  Ein- 
fli'isterungen  in  die  Seele  des  Menschen.  Eine  beständige 
innere  Busse  war  nöthig  gegen  die  Gefahr,  häufiges  Gebet, 
ein  immerwährendes,  liebevolles  Denken  an  Gott."  ^  Denn 
die  Vorstellung  Luther's  vom  Teufel  steht  mit  seiner  Lehre 
von  der  Sündhaftigkeit  der  menschlichen  Natur  im  engsten 
Zusammenhange  und  er  erblickte  in  der  Herrschaft  des  Teu- 
fels über  das  Innere  des  Sünders  ihren  höchsten  Gipfelpunkt. 
—  Wir  werden  hierbei  unwillkürlich  an  den  parsischen  Ke- 
formator  Zarathustra  erinnert,  welcher  den  Kampf  zwischen 
Ahriman  und  Ormuzd  um  den  Menschen  auch  in  diesen 
verlegt.  Zu  Psalm  6,  2.  3  sagt  Luther:  „Gottes  Zorn  und 
Grimm  ist,  dass  das  Gewissen  fühlet,  dass  es  von  Gott,  vom 
Wort,  vom  Glauben  verlassen  ist;  und  wirket  solches  im 
Herzen  der  Satan,  der  den  Tod,  die  Sünde  und  das  (böse) 
Gewissen  anrichtet,  und  auf  Unglauben,  Verzweiflung  und 
Gotteslästerung  dringet  und  treibet,  mit  seinen  feurigen  Pfei- 
len 2,  welche,  wie  Hiob  ^  sagt,  den  Geist  aussaufen.  Dass 
aber  dieses  nicht  zugerichtet  werde  vom  Satan,  sondern  dass 
vielmehr  Gott  allein  darauf  dringet,  fühlet  und  glaubet  das 
Herz.  Denn  der  Satan  verkleidet  sich  in  die  Gestalt  der 
Majestät.  Dieses  ist  die  allergrösste  Anfechtung.  —  Die  be- 
trübte oder  erschrockene  Seele  ist  das  Verzagen  am  Leben 
und  Fühlen  des  Todes  in  dem,  das  Gott  zürnet.  Und  konmit 
aber  solch  Schrecken  alles  her  vom  Satan,  wenn  der  Mensch 
vom  Wort,  Geist  und  Gnade  gelassen  wird,  und  er  da  allein 
im  Kampf  und  Noth  wider  den  Teufel  stehen  muss."  *  —  Der 
tief- sittliche  Ernst  Luther's  schlägt  auch  in  seiner  An- 
schauung vom  Teufel  durch.  Da  das  Wesen  seines  reforma- 
torischen Strebens  nach  Verinnerlichung  gerichtet  war  gegen- 
über der  veräusserlichten  Kirche  als  Heilsanstalt,  konnte  er 
das  Mittel  zur  Seligkeit  nur  in  der  innigsten  Busse  er- 
kennen.    „Das  heisst  eine  rechte  Busse,   da  das  Herz  anders 


'  Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit,  S.  338  (3.  Aufl.). 

■'  Ephes.  0,  16. 

'  ß,  14. 

*  Walch,  4,   1901.  19(»4  u.  a.  m. 


1.    Luther's  Glaube  au  den  Teufel.  373 

wird  und  ein  Misfallen  folget  gegen  die  Sünde  und  dem  Un- 
recht, da  man  vor  Gefallen  an  hat  gehabt.^  .  .  .  Denn  das 
heisst  die  Sünde  erkennen,  Reue  und  Leid  darob  tragen  und 
erschrecken  von  Herzen  vor  Gottes  Zorn  und  Gericht.'^  .  .  . 
Durch  Ablassbriefe  vertrauen  selig  zu  werden,  ist  nichtig  und 
erlogen  Ding,  obgleich  der  Ablassvogt,  ja  der  Papst  selbst 
seine  Seele  dafür  zum  Pfände  wollte  setzen."  ^  —  Demgemäss 
musste  auch  die  Waffe  gegen  den  Teufel  eine  andere  werden. 
Zwar  hatten  schon  die  alten  Kirchenlehrer  das  Gebet  als 
Schutzwehr  gegen  den  Angriff  des  Satans  empfohlen;  allein 
bei  der  radicalen  Veräusserlichung  des  ganzen  religiösen  In- 
halts der  Kirche  des  Mittelalters  war  auch  dieses  Mittel  zur 
äusserlichen  fixen  Formel  geworden,  und  handelte  sich  dabei 
nur  um  die  Worte,  die  blosse  Nennung  des  Namens  Jesu, 
um  äussere  Zeichen.  Das  Gebet,  das  Luther  meint  und 
empfiehlt,  soll  die  Erhebung  des  ganzen  innerlichen  Menschen 
sein.  „Seine  Seele  erheben,  das  ist  der  rechte  Ernst  des 
Gebetes,  welches  nicht  ist  ein  unnützes  Gespräch,  noch  von 
vielen  Worten.  .  .  .  Die  Seele  aber  ist  das  Verlangen  und 
Seufzen  des  Herzens,  so  da  Angst  und  Schmerzen  fühlet  vor 
grossem  Verlangen.  •*  .  .  .  Durch  das  Gebet  wird  auch  ver- 
standen nicht  allein  das  mündliche  Gebet,  sondern  alles ,  was 
die  Seele  schaffet,  in  Gottes  Wort  zu  hören,  zu  reden,  zu 
dichten,  zu  betrachten  u.  s.  w."  ^  Der  Teufel  sollte  also  nicht 
mehr  wie  ehedem  mittels  eines  durch  die  Kirche  verliehenen 
Apparats,  als:  Gebetformeln,  Stola,  Weihwasser  u.  dgl.,  be- 
kämpft werden,  sondern  durch  die  persönliche  That  des  Men- 
schen selbst.  Da  die  Kirche,  wie  sie  in  der  Wirklichkeit 
bestand,  von  dem  Reformator  nicht  als  die  wahre  anerkannt 
ward  und  das  Wesen  der  Kirche  iiberhaupt  nicht  in  ihrem 
Aeussern  gesucht  werden  sollte,  so  lehnt  Luther  auch  in  Be- 
ziehung auf  den  Kampf  mit  dem  Teufel  die  Vermittelung  der 
Kirche  ab  und  verlangt  unmittelbares  Eintreten  in  den  Streit. 
Es  entspricht   dies   dem  Schlagworte   des  Reformators:    „Der 


1  13,  2531. 

2  10,  1941. 

3  18,  254. 
'  4,  2134. 

■'  11,  377  u.  a.  in. 


374       Vierter  Abaehuitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Glaube  rechtfertigt",  cl.  h.  dein  eigenes  Sein  ist  es,  wo  du 
deinen  Gott  und  den  Frieden  mit  ihm  suchen  musst  und 
finden  kannst,  und  niemand  kann  ihn  für  dich,  du  selbst 
musst  ihn  erringen.  Daher  legt  der  Reformator  den  Ilaupt- 
ton  auf  das  Gewissen,  die  eigene  üeberzeugung  als  ent- 
scheidende Instanz.  „Des  Menschen  Gewissen  gilt  so  viel  als 
tausend  Zeugen,  ja  unser  Gewissen  ist  entweder  unsere  Ehre 
oder  Schande.  Auch  werden  wir  in  Gottes  Gericht  nach 
keinem  andern  Zeugniss,  als  nach  dem  Zeugniss  unseres  Ge- 
wissens gerichtet  werden.  Das  wird  mehr  sein  als  aller  Welt 
Zeugen.  ^  .  .  .  In  Sachen  des  Gewissens  sind  alle  menschlichen 
Gesetze  zu  verdammen  und  ist  nichts  tüchtig  denn  das  Ge- 
setz und  das  Wort  Gottes.  Und  darinnen  soll  der  Wille 
Gottes  genugsam  sein,  der  es  also  setzet,  wiewol  es  auch 
Vernunft  und  Nothdurft  erfordert.  ^  .  .  .  Das  Gewissen  ist 
ein  viel  grösser  Ding  denn  Ilinniiel  und  Erde,  welches  durch 
die  Sünde  o;etödtet  und  durch  das  Wort  Christi  wiederum 
lebendig  gemacht  wird.  ^  .  .  .  Das  böse  Gewissen  zündet  das 
höllische  Feuer  an  und  erwecket  im  Herzen  drinnen  die  er- 
schreckliche Pein  und  höllischen  Teufelein,  die  Erynnias  (wie 
sie  die  Poeten  genennet  haben).  ^  .  .  .  Die  Christum  recht 
verstehen,  die  wird  keine  Menschensatzung  gefangen  neh- 
men können.  Sie  sind  frei,  nicht  nach  dem  Fleisch,  son- 
dern nach  dem  Gewissen.  ^  .  .  .  Der  Leib  wird  allen 
Lasten  unterworfen,  das  Gewissen  aber  soll  niemandem  luiter- 
worfen  sein,  weil  es  durch  das  Evangelium  Freiheit  hat,  dass 
es  frei  von  der  Sünde,  vom  Tode,  vom  Gesetze,  von  der  Hölle 
und  von  allen  menschlichen  Satzungen.  •'  .  .  .  Die  Gewissen 
können  nicht  gebunden  werden  denn  allein  durch  Gottes  Wort.^ 
.  .  .  Der  Seelen  soll  luid  kann  niemand  gebieten,  er  wisse 
denn  ihr  den  Weg  zu  weisen  gen  Himmel.  Das  kann  aber 
kein  Mensch  thim,  sondern  Gott  allein.  Darinue,  in  der 
Sachen,   die  der  Seelen  Seligkeit  betreflen,    soll    nichts    denn 


•  12,  1430. 
■'  3,  2078. 

3  2,  2343. 

*  2,  2559. 
»  6,  6B9. 

«  6,  940. 

'  18,  2098. 


1.    Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  375 

Gottes  Wort  gelehret  und  angenommen  werden.  .  .  .  Auch 
so  liegt  einem  jeglichen  seine  eigene  Gefahr  dran  wie  er 
glaubt  und  muss  für  sich  selbst  sehn,  wie  er  recht  glaube. 
Denn  so  wenig  ein  anderer  für  mich  in  die  Hölle  oder  Him- 
mel fahren  kann,  so  wenig  kann  er  auch  für  mich  glauben 
oder  nicht  glauben;  und  so  wenig  er  mir  kann  Himmel  oder 
Hölle  auf-  oder  zuschliesseu,  so  wenig  kann  er  mich  zum 
Glauben  oder  Unglauben  treiben.  Weil  es  deiui  einem  jeg- 
lichen auf  seinem  Gewissen  liegt,  wie  er  glaubt  oder  nicht 
glaubt.  ^  .  .  .  Hüte  dich  und  lasse  ja  kein  Ding  so  gross  sein 
auf  Erden,  ob  es  auch  Engel  vom  Himmel  wären,  als  dich 
wider  dein  Gewissen  treibe  von  der  Lehre,  die  du  göttlich 
erkennst  und  achtest."  —  Die  Theologie  Luther's  ist  trefiend 
als  „Theologie  der  Gewissheit  und  des  Gewissens"  bezeichnet 
worden.  ^ 

Frey  tag  macht  die  richtige  Bemerkung,  es  sei  in  der 
alten  Kirche  dem  Gläubigen  verhältnissmässig  bequem  ge- 
wesen, dem  Teufel  zu  entrinnen.  „Durch  eine  klug  zusammen- 
addirte  Summe  von  frommen  Aeusserlichkeiten  konnte  der 
Christ  im  schlinnnsten  Falle  noch  zur  letzten  Stunde  dem 
Satan  entgehen,  selbst  wenn  er  sich  tief  mit  ihm  eingelassen. 
Daher  ist  bei  Verträgen,  welche  der  Teufel  vor  der  Refor- 
mation mit  dem  Menschen  abschliesst,  der  Teufel  fast  immer 
der  Gei^rellte.  Solchem  geschäftsmässigen  und  unsittlichen 
Verhältniss  zum  Hinmielreich  trat  Luther  mit  der  tiefsten 
Empörung  gegenüber.  Da  er  die  Lehre  Augustin's  stark  be- 
tonte, dass  der  Mensch  durch  die  Erbsiinde  verworfen,  also 
eine  Beute  des  Teufels  sei,  und  dass  fortwährende  innere 
Busse  allein  zur  Seligkeit  helfe,  so  verfiel  jetzt  der  unbuss- 
fertige  Sünder  ohne  Rettung  der  Hölle.  Daher  kommt  es,  . 
dass  seit  dem  16.  Jahrhundert  die  Menschen,  welche  einen 
Pact  mit  der  Hölle  geschlossen  hatten,  in  der  Regel  vom 
Teufel  geholt  werden.  Allbekannt  ist  das  traurige  Ende  des 
sagenhaften  Doctor  Faust,  aber  er  war  nicht  die  einzige 
Beute  des  Satans.  Es  wurde  ganz  gewöhnlich  zu  glauben, 
dass  Menschen  von  zweideutigem  Charakter,  ruchlose  Säufer, 


'  10,  453. 

'^  Harnack,  Luther's  Theologie,  I,  59. 


o 


76       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 


Spieler,  Flucher,  oder  solche,  welche  als  Feinde  bitter  gehasst 
wurden,  in  das  unterirdische  Keich  abgeholt  seien."  ' 

Luther,  der  den  Menschen  mündig  erklärt,  ihm  Selbs^- 
verantwortung,  also  Selbstthätigkeit  zumuthet,  lehnt  das  Ritual 
der  Kirche  als  Schutzmittel  gegen  den  Teufel  nicht  nur  ab, 
sondern,  nachdem  er  mit  dieser  gebrochen,  erblickt  er  in  dem 
kirchlichen  Apparate  sogar  eine  Schlinge,  mit  welcher  der 
Teufel  den  Menschen  verstricken  will. ^  Ausser  dem  festen 
Glauben  auf  Gottes  Gnade  und  dem  innigen,  „hitzigen" 
Gebete  empfiehlt  der  Reformator  derbe  Abfertigung  des 
zudringlichen  Geistes.  ^  Wie  erstere  Mittel  mit  der  theologi- 
schen Anschauung  Luther's  principiell  aufs  innigste  zusammen- 
hängen, so  spiegelt  sich  in  letzterm  deutlich  seine  männlich- 
kräftige Persönlichkeit,  in  welcher  der  Grundsatz:  ,, Selbst  ist 
der  Mann"  verkörpert  war  und  dadurch  zum  Träger  der  Re- 
formation eignete.  Auf  religiösem  Glauben  feststehend,  männ- 
lichen Muth  in  der  Brust,  fürchtet  sich  Luther  nicht  vor  dem 
Teufel,  und  wo  er  ihn  persönlich  vorstellt,  bietet  er  ihm 
kecken  Trotz  und  behandelt  „den  gefallenen  Buben",  wie  er 
ihn  häufig  nennt,  mit  höhnischer  Verachtung.  „Der  Teufel 
ist  ein  stolzer,  hochmüthiger  Geist,  aber  er  hat  kein  Recht 
stolz  zu  sein,  denn  er  ist  von  Gott  abgefallen  imd  von  Gott 
Verstössen.  Uns  dagegen  hat  Gott  in  Christo  angenommen, 
und  wir  sollten  dem  Teufel  damit  trotzen,  dass  Gott  uns  in 
seinem  lieben  Sohn  so  hoch  geachtet  hat.  Mit  Verachtung 
müssen  wir  ihm  begegnen,  dies  verträgt  sein  Stolz  nicht,  und 
so  fleugt  er  am  ersten  vor  mis ",  u.  a.  m.  Luther  betrachtet 
den  Teufel  als  seinen,  wie  jedes  Christen,  persönlichen  Feind. 
Hatte  er  von  körperlichen  Beschwerden  oder  geistlichen  An- 
fechtungen zu  leiden,  mit  trüben,  sorgenvollen  Gedanken  zu 
kämpfen,  was  er  mit  seiner  Zeit  auf  den  Teufel  zuriickführte, 
dann  setzte  ihm  Luther  auf  seine  bekannte  drastische  Weise 
den  bittersten  Hohn  entgegen  und  fertigte  ihn  mit  tiefster 
Veiachtung  ab.  Die  Geschichte  mit  dem  Tintenfasse  auf  der 
Wartburg  mag  immerhin  in  Zweifel  gezogen  werden;  wir 
möchten    aber,    im  Falle    sie   nur  auf  eine    Sage    zusamraen- 


>  A.  a.  0.,  S.  359. 

2  Tischreden  17—19. 

3  Tischreden  41—44. 


1.    Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  377 

liefe,    Horst    beistimmen:    „dass    sie    mich    Lutliei-'s   Teufels- 
glauben und  Individualität  wol  hätte  stattfinden  können".  * 

Obschon  nicht  alle  Wahnsinnigen  oder  Epileptischen  mehr 
fiir  Besessene  galten,  glaubte  doch  Luther  luid  sein  Nach- 
folg, dass  solche  durch  irgendein  Versehen  in  die  Gewalt 
des  Teufels  «xerathen  seien  und  daher  durch  Gebet  und  Be- 
schwörung  von  ihm  befreit  werden  könnten.  Bei  dem  grossen 
Ansehen,  das  Luther  erlangt  hatte,  ist  es  erklärlich,  dass  man 
in  Fällen,  wo  das  böse  S^Diel  des  Teufels  vermuthet  ward, 
sich  an  ihn  wandte.  Beispiele  dieser  Art  sind  bekannt.  Die 
gegensätzliche  Stellung  der  Protestanten  gegenüber  den  Katho- 
liken äusserte  sich  nicht  nur  dadurch,  dass  jede  Partei  auf 
der  gegnerischen  Seite  den  Teufel  mit  im  Spiele  sah,  sondern 
auch,  dass  in  der  Heilung  der  Besessenen,  der  Austreibung, 
eine  Art  Rivalität  einriss,  wobei  jede  Confession  die  Macht 
ihres  Glaubens  durch  die  grössere  Wirksamkeit  ihrer  Mittel, 
die  Katholiken  durch  Exorcismus,  die  Protestanten  durch 
Gebet,  zu  beweisen  meinte.  „Die  gerettete  Seele  gereichte 
dann  der  gliicklichen  Kirche  zum  Ruhm",  bemerkt  Frey  tag, 
der  aus  den  zahlreichen  Berichten  über  Fälle  dieser  Art  einen 
heraushebt,  der  seinerzeit  veröffentlicht  worden  durch  die 
Flugschrift:  ,,Erschröckliche  gantz  warhafftige  Geschieht, 
welche  sich  mit  Apolonia,  Hannsen  Geiszelbrechts  Burgers  zu 
Spalt  inn  den  Eystätter  Bistump,  Haussfrawen,  verlauffen  hat. 
Durch  M.  Sixtum  Agricolam  etc.     Ingolstadt   1584".  ^ 

Da  Luther  die  volksthümliche  Anschauung  hegte,  alles, 
was  dem  religiös-sittlichen  Streben  hindernd  entgegentritt,  in 
der  Person  des  Teufels  zusammenzufassen,  so  kann  es  nicht  be- 
fremden, wenn  diese  Vorstellung  auch  in  den  Katechismen 
zum  Ausdruck  kam  ^  und  in  den  lutherschen  Symbolen  ihre 
Stelle  fand  "*,  da  selbst  die  Nüchternheit  der  reformirten  Sym- 
bole sich  nicht  ganz  entbrach,  des  Glaubens  an  Engel  und 
Dämonen    zu    erwähnen  •'',   indem  Calvin   sich    an    die  einfache 


1  Zauberbibliotbek,  I,  35ö. 

-  Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit,  I,  365. 
3  Catech.  maj.,  Art.  II,  405.  494;  Precatio  IV,  525.  .535. 
*  Aug.  cont.,  Art.  XX,  18.  85;  Form.  Conc.  sol.  declar.  I,   (i41.  «48; 
II,  m2.  667:  Apolog.  VIII,  220,  Art.  Smalc.  II;  Art.  11,  308;  IV,  315. 
ä  Conf.  Helv.,  II,  c.  7;  Conf.  Belg.,  c.  12. 


378       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

biblische  Vorstellung  anschloss.  '  Auf  katholischer  Seite  hatte 
zwar  das  trienter  Concil  nur  gelegentlich  des  Teufels  er- 
wähnt^, es  wies  ihm  aber  eine  sichere,  bleibende  Stätte  im 
„Catechismus  Rouianus"  an,  der,  auf  Befehl  der  Kirchen- 
versammlung herausgegeben,  den  Religionslehrern  als  Norm 
dienen  sollte.  ^ 

Dass    unter   solchen  Umständen   der   Teufelsglaube  nicht 
nur  drüben,  sondern  auch  hüben  noch  nicht  abnehmen  konnte, 
ist  wol  erklärlich.     Ein  Sanmielwerk  aus  dem  16.  Jahrhundert, 
dessen  Beiträge  von  lauter  protestantischen  Schriftstellern  her- 
rühren, bietet  die  richtigste  Einsicht  in  die  Anschauungsweise 
der   Anhänger    und  Nachfolger   Luther's    und    dürfte   deshalb 
der    nähern  Besichtigung   werth   sein.      Sigmund    Feyerabend 
hat  es  herausgegeben  unter  folgendem  Titel: 
„Theatrum  Diabolorum, 
das  ist 
Ein   sehr  nützliches   verstenndiges  Buch, 

darauss  ein  jeder  Christ,  sonderlich  vnnd  fleissig  zu  lernen,  wie 
dass  wir  in  dieser  Welt,  nicht  mit  Kaysern,  Königen,  Fürsten 
vnd  Herrn,  oder  andern  Potentaten,  sondern  mit  dem  aller- 
mechtigsten  Fürsten  dieser  Welt,  dem  Teufiel  zu  kempfien 
vnd  zu  streiten,  welcher  (wie  Sanct-Paulus  schreibt)  vmbher 
geht,  wie  ein  brüllender  Löwe,  vns  zu  verschlingen  (also  das 
er  vns  täglich  nachschleicht,  damit  er  vns  zu  fall  bringen,  in 
allerley  sündt,  schandt  vnd  laster  einführen ,  vnd  endlich  mit 
Leib  vnd  Seel  in  abgrundt  der  Hellen  stürtzen  mügc.  Vnd 
derwegen  seine  grausame  Tyranney  vnd  Wüterey,  recht  lernen 
ei'kennen,  Gott  vmb  hülfl'  vnd  beystandt  seiner  Gottliehen 
gnaden  vnd  heiligen  Geistes  anruften,  alle  giö'tige  Pfeile,  tödt- 
liche  geschoss,  genugsam  auft'zvifahen,  ausszuschlahen,  vnd  in 
Christo  Jesu  vnserm  einigen  Heyland  vberwinden,  victoriam 
vnd  das  Feldt  behalten.  —  Allen  frommen  Christen,  so  ihrer 
Seelen  heil  vnd  Seligkeit  angelegen,  in  diesen  letzten  zeiten, 
da  allerley  Laster  gransamlich  im  schwang  gehn,  mit  gantzem 


'  Instit.  rel.  ehr.  I,  c.  14,  §.  13  sequ. 

■^  iScss.  XIV,  c.  I. 

^  Catechisni.  Roman,  ad  Parochos  ex  Decrcto  concil.  Tritl.  oditus  etc., 
Pars  II,  cap.  II,  qu.  LV;  cap.  III,  qu.  XVI;  Pars  IV,  cap,  XIV,  qu.  II. 
JII.  IV.  V  et  sequ. 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  379 

ernst  vnnd  fleiss  zu  betrachten.  —  Gebessert  vnd  gemehret, 
mit  einem  newcn  Pestelentz  TeufFel,  so  zuvor  noch  nie  im 
Truck  aussgangen,  sampt  einem  nutzHchcn  Register.  —  Ge- 
truckt  zu  Franckfurt  am  Mayn,  im  Jar  1509." 

In  der  Vorrede  an  den  „Christlichen  Läser"  entschuldigt 
der  Herausgeber  Sigmund  Feyerabend  den  Titel  „die weil  er 
so  vieler  Teuffei  Namen  treget"  damit,  dass  das  Buch  „eine 
treuwe  Warnung  für  allerley  list  vnd  mord  des  Teuffels"  sein 
solle.  Der  Vorredner  beruft  sich  dabei  auf  die  Heilige  Schrift, 
worin  der  Teufel  auch  oft  genannt  werde,  und  gibt  dem  Leser 
zu  bedenken  „die  vbermessige  vnchristliche  Sicherheit  schier 
aller  Menschen  dieser  Zeit  da  man  beynah  nichts  für  sünd 
helt,  nicht  wol  glaubt  das  ein  Teuffei  sey,  oder  das  er  so 
böse  sey,  vnd  vns  zu  vnserm  verderben  reitze  vnd  treibe  etc." 
—  Das  Buch  sei  jedem  sehr  nützlich,  da  in  ihm  die  Nach- 
stellungen des  Teufels  angezeigt,  mancherlei  Exempel  und 
Fälle  erzählt  und  „dessgleichen  viel  herrlicher  Spriiche  Gottes- 
förchtiger  Gelehrter  vnd  sonderlich  der  heiligen  Schrift  an- 
geführt werden  .  .  .  Das  also  diss  Buch  ist  gleich  wie  Loci 
Communes  oder  ein  gemein  Register,  darinn  man  alleihand 
nützliche  Lehr  leicht  finden  kann."  Es  sei  das  Buch  „eine 
rechte  ausslegung  der  zehen  Gebott  ...  in  welchem  alle  siinden 
begriffen  sind  .  .  .  Darum  ich  auch",  sagt  Herausgeber, 
„diese  Teuffei  so  viel  müglich  nach  der  Ordnung  der  zehen 
Gebott  einander  nachgesetzt  habe." 


Der    Teuffei    selbs    durcli   Hn.    Jodocura   Hockerura   Osnaburgensem    vnd 
Hermannum  Hamelmannum  Licentiatum. 

Es  wird  bewiesen:  „dass  der  Teuffei  nur  allzuviel  seind 
vnd  mehr  als  wir  vns  vermuthen  vnd  diinken  lassen".  Be- 
weise sind:  1)  die  Heilige  Schrift;  2)  die  Schriften  der  Hei- 
den, „bey  welchen  der  Teuffel  sehr  viel  gedacht  wirt",  denn 
dass  der  Heiden  Götter  Teufel  gewesen  seien,  beweise  der 
96.  Psalm.  Besonders  werden  die  Platoniker  angeführt; 
3)  weltliche  Historien,  wie  deren  auch  viele  der  „w^ohlgelahrte" 
Wierus  anführt;  4)  die  tägliche  Erfahrung,  welche  zeigt,  dass 
die  Teufel  allerlei  Unglück  in  der  Welt  anrichten,  als:  Krieg, 
Theuerung,  Pestilenz,  Arm-  und  Beinbrüche  u.  s.  w.;  5)  un- 
sere eigene  Natur,  indem  alle  Menschen,  so  beherzt  sie  auch 


f 


380       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

sein  mögen,  an  finstern,  unheimlichen  Orten  böse  Geister 
vermuthen  und  sich  vor  ihnen  fürchten.  Folgen  etliche  Zeug- 
nisse von  Gelehrten  für  das  Dasein  der  Teufel,  und  zwar: 
Origenes,  Luther,  Bucerus,  Wolfgangus  Musculus. 

Kapitel  2  führt  die  Namen  der  Teufel  an. 

Kapitel  3.  Was  die  Teufel  seien:  nicht  anders  als 
„Geister  oder  geistliche  Wesen",  von  Gott  ursprünglich  ge- 
recht, mit  freiem  Willen,  zur  Ehre  Gottes  geschaffen,  wie 
alle  andern  Engel  mit  hohen  Gaben  und  Tugenden  geziert, 
die  sie  aber  misbraucht,  sich  von  Gott  abgewendet  und  Gottes 
Sohn  verachtet  haben,  daher  sie  ihrer  ursprünglichen  Ge- 
rechtigkeit beraubt.  Feinde  Gottes  und  der  Menschen  sind, 
wider  die  sie  täglich  in  grossem  Grimm  und  Hass  wüthen 
und  toben,  daher  sie  von  Gott  Verstössen  und  der  ewigen 
Verdammniss  unterworfen  sein  werden. 

Kapitel  4  beweist,  dass  die  Teufel  Creaturen  seien. 

Kapitel  5  widerlegt  die  Meinung  früherer  Zeiten,  z.  B. 
des  Origenes,  dass  die  Teufel  leibliche  Creaturen  seien,  als 
irrigen  Wahn,  „weil  dieselbigen  in  jhren  wesen  mit  den 
eusserlichen  sinnen  nicht  mögen  begriffen  werden".  —  Man 
soll  bei  den  Teufeln  überhaupt  an  nichts  Leibliches  denken, 
sie  sind  Geister,  die  man  weder  mit  der  Hand  greifen  noch 
mit  den  Augen  sehen  kann,  gleich  dem  Winde. 

Kapitel  G.     Sie  sind  von  Gott  geschaffen. 

Kapitel  7.  Wann  sie  geschaffen  worden,  sagt  die  Schrift 
nirgends,  es  gibt  daher  verschiedene  Meinungen,  da  jedoch 
diese  Sache  keinen  Artikel  des  Glaubens  betrifft  und  die 
Kenntniss  davon  nicht  zur  Seligkeit  dient,  so  ist  auch  nichts 
daran  gelegen. 

Kapitel  8  beweist,  dass  es  eine  grosse  Menge  Teufel 
gebe.  Ihre  Zahl  ist  nicht  geringer  als  die  der  Engel,  wobei 
die  Meinung  von  Martinus  Borrhaus  angeführt  wird,  der 
ihre  Zahl  auf  2,GG5,8G(  1,746664  berechnet. 

Kapitel  [).  Wie  sie  geschaffen  seien:  nicht  aus  leiblichen 
Elementen  wie  die  Menschen,  sondern  „durch  sein  Wort  aus 
Nichten". 

Kapitel  K).  Wozu?  Anfänglich  zur  Ehre  Gottes  und 
zum  Dienste  der  Menschen,  und  sie  müssen  noch  wider  ihren 
Wilhni  Gott  und  den  Menschen  zum  Besten  dienen. 

Kapitel   11.    Woher  ihre  Bosheit?     Sie  haben  sich  durch 


1.   Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  381 

ihren  eigenen  Mnthwillen  von  dem  Höchsten  abgewandt  und 
sind  durch  ihre  eigenwilHge  Sünde  dahin  gekommen,  dass  sie 
ans  Engehi  Teufel  geworden  sind.  —  Die  Sünde  „in  specie" 
wodurch  der  Teufel  gefallen,  ist  in  der  Schrift  nirgends  aus- 
drücklich angezeigt,  „die  alten  Väter  haben  wol  nachgedacht, 
aber  nicht  alle  gleich  troffen".  Etliche  geben  an:  propter 
concupiscentiam  mulierum;  andere  aus  Neid,  gemeiniglich 
wird  aber  der  Fall  des  Teufels  aus  Hoffart  erklärt.  Auch 
die  Neuern  stimmen  bei,  so  Luther  cap.  Genes,  in  explicatione 
oper.  secundi. 

Kapitel  12.  Wann  die  Teufel  gefallen?  obschon  in  der 
Schrift  nicht  angezeigt,  so  doch  selbstverständlich  vor  der 
Schöpfung  des  Menschen.  „Sintemal  die  Menschen  durch 
jre  Bossheit  auch  zum  Fall  gebracht  seind  worden." 

Kapitel  13.  Was  der  Teufel  Fleiss  und  Wirkung  sei? 
Gott  selbst,  dann  allen  Menschen  und  Creaturen  Gottes  auf 
allerlei  Weise  zu  schaden.  Wider  die  göttliche  Person  selbst 
können  sie  zwar  nichts  ausrichten,  aber  doch  die  Vermehrung 
des  göttlichen  Namens  verhindern  und  verringern.  Dagegen 
als  Feinde  der  Menschen  suchen  sie  dieselben  von  allen  guten 
Werken  abzuhalten,  reizen  die  Gottlosen,  ihnen  als  Werkzeuge 
zu  dienen,  indem  sie  andere  Menschen  schädigen,  treiben  zu 
allerlei  Laster  u.  s.  w. 

Kapitel  14.      Andere  Wirkungen   des  Teufels:    er   sucht 
die  frommen  Diener  Gottes  in  ihrem  Amte  zu  hindern;  stiftet 
Unfrieden  unter  den  Fürsten,  Hass  und  Eifersucht  unter  den 
Eheleuten;    von   ihm    stammt   alle    ftilsche   Lehr    und   Gottes- 
lästerung; die  Teufel  können  die  Luft  verpesten,  u.  s.  w.    Der 
Teufel  ist  so  giftig,  dass  er  dir  nicht  so  viel  Raum  gönnt,  deinen 
Fuss  hinzusetzen ,  es  verdriesst  ihn,  dass  du  gesunde  Glieder 
hast,  und  wenn  er's  thun  dürfte,  Hess  er  dir  nicht  eine  Kuh, 
nicht  eine  Gans  leben.    Ausser  den  Aussprüchen  der  Kirchen- 
väter  wird   von   den    Neuern   wie   gewöhnlich   Luther   ange- 
führt, in  einer  Predigt  von  den  Engeln:    „Darumb  sage  ich, 
lasset  uns  nun   fleissig  lernen,   was   der  Teuffei   doch  für   ein 
Geist  sei  und  wie  viel  er  uns  Schadens  thue  an  Leib  und  au 
Seel.     An  der   Seel    mit    falscher  Lehr,    mit    verzweiffelung, 
mit  bösen    lüsten  etc.     Alles   darumb,    dass   er   den  Glauben 
hinwegreisse    und    ziehe   ihn    in    ein  wancken,    oder    in    einen 
faulen,    schwachen    gedancken.     Ich    fühle    den    Teuffol    sehi' 


382      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

wol,  kan  es  aber  dannooht  nit  so  maflien,  wie  ich  gerne  wolte. 
Ich  wolt  gern  hefftiger,  liitziger  und  ernster  in  meinem  thun 
seyn,  aber  ich  kan  für  dem  TenflPel  nicht,  der  immer  zurück 
ziehet.  Wenn  er  nun  die  Seele  also  gefasset  hat,  so  greifiet 
er  nach  dem  Leibe  auch,  da  schickt  er  Pestilentz,  Hunger 
und  Kummer,  Krieg,  Mordt  etc.  Den  jamer  richtet  der 
Teufi'el  aller  an.  Das  nun  einer  ein  Bein  bricht,  der  ander 
erseufft,  der  dritte  ein  Mordt  thut.  Wer  richtet  solches  alles 
an?  Niemand  denn  der  Teuffei.  Das  sehen  wir  für  äugen 
und  fühlen  es,  dennoch  sind  wir  sicher  und  meinen  er  sei 
nit  da.  Neyn  lieber,  er  ist  warlich  da,  rings  umb  dich  und 
uns  alle.  .  •  .  Das  sey  gesagt,  dass  wir  wissen,  dass  wir  nicht 
sitzen  in  einem  sichern  Lustgarten.  Lieber,  ist  er  zu  Adam 
und  Hevam  in  das  Paradeiss  kommen,  ist  er  zu  andern  Kin- 
dern Gottes  kommen,  ja  zu  Christo  selber,  so  kan  er  ja 
eigentlich  auch  zu  dir  kommen.  Darumb  lasset  uns  Gott 
fleissig  bitten  und  flehen,  dass  wir  wider  jn  können  wachen, 
dass  er  uns  nit  in  Unglauben  und  allerley  sünde  und  anfech- 
tung  führe."  —  Item  in  der  Jhenischen  Hauspostille  über  das 
Evangelium  am  Tage  Michaelis:  „Das  hat  euwer  Lieb  otft 
0-ehört,  das  der  Teuö'el  allenthalb  umb  die  Menschen  ist,  an 
Förstenhöfen,  in  Heusern,  auff  dem  Felde,  auff  allen  Strassen, 
in  Wasser,  in  Höltzern,  in  feuwer,  da  ist  alles  voll  Teuffei. 
Die  thun  nichts  anders,  denn  das  sie  gern  jedermann  allen 
augenblick  wollen  den  Halss  brechen.  Und  ist  gewiss  war, 
wo  Gott  den  bösen  Feind  nit  on  Vnderlass  wehret,  er  liess 
nit  ein  Körnlein  auff"  'm  Felde  oder  auft'en  Boden,  nit  ein 
Fischlein  im  Wasser,  nit  ein  stücklin  Fleisch  im  Topff,  kein 
tropffen  Wassers,  Bier  oder  Weins  im  Keller  unvergifft.  Item 
liess  nit  ein  gesund  glied  am  Menschen.  Darumb  wenn  es 
so  gehet,  dass  da  einer  ein  Aug  oder  ein  Hand  verleuret, 
dort  einer  gar  erwürget  wirt,  oder  der  die  Pestilentz,  diser 
ein  ander  krankheit  kriegt,  das  sind  eitel  schlege  und  würft' 
des  Teuffels,  der  wirfi'  hie  einem,  da  dem  andern  nach  dem 
Kopff.  Triff't  er,  so  hat  ers,  trifft  er  aber  nicht,  so  ist  es  ein 
gewiss  zeichen,  dass  Gott  ihm  durch  die  lieben  Engel  ge- 
wehret hat.  Also  wenn  unversehne  feile  sich  zutragen,  dass 
der  in  ein  Feuwer,  jener  in  ein  Wasser  feilet,  das  seind  eitel 
Teuffelsschlege  und  würffc,  der  jmmerdar  nacli  mis  sticht  und 
wirfft,    und  gern  alles  Unglück   zufi"igete.   .  .  .   Solches   lasset 


1.    Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  383 

uns  lernen  und  merken,  das  der  Teuffel  uns  allen  schaden 
thut  an  Leib,  Gut  und  Ehr.  Er  thut  es  gleich  durch  sich 
selbst.  Als  da  er  den  Hiob  am  Leib  angreiftet,  oder  durch 
seine  Knechte,  die  böse  Leut.  Als  da  er  den  Hiob  am  Gut 
angreifi't,  und  die  Chaldcäer  und  andere  wider  jn  erreget. 
Denn  unser  Herrgott  ist  ein  Gott  des  Lebens,  und  kann 
durch  sich  selbst  anders  nichts  denn  eitel  guts  thun." 

Angeführt  werden  in  diesem  Sinne  J,  Galvinus  cap.  ß 
Institut.  Nr.  41 ;  H.  Bullingerus  Decad.  4.  Sermonum  Sermo  9. 
Kapitel  15.  Wie  die  Teufel  die  Menschen  versuchen. 
Die  ersten  Menschen  im  Paradiese  versuchte  er  in  der  Ge- 
stalt der  Schlange.  Noch  heutigentags  zeigt  er  sich  nicht  so 
schwarz  und  hässlich,  wenn  er  verfiihren  will,  sondern  er  „ver- 
stellet sich  gar  schön  und  geistlich",  er  verf'iihrt  durch  falsche 
Lehrer,  „welche  gemeiniglich  in  Geistlichkeit  der  Engel  ein- 
herffchen".  Er  greift  am  meisten  da  an,  wo  du  am  schwächsten 
bist,  wenn  du  zu  Geiz,  Hoftart  u.  dgl.  geneigt  bist. 

Kapitel  16.  „Eigentliche  Contrafactur  des  Teuftels,  so 
etwan  von  dem  Gottseligen  und  hocherleuchteten  Mann-Gottes 
Dr.  Martino  Luthero  aufl*  eines  begeren  der  den  Teufi'el  gern 
kennen  wolt,  auss  den  Sünden  wider  die  zehen  Gebot  gestalt 
ist  worden.  .  .  .  Denn  aufi"  die  Frage  hat  Dr.  Martin  Luther 
also  Qceantwortet :  sicut  Dens  est  Thesis,  ita  Satan  est  Anti- 
thesis  Decaloi^i.  Darumb  wer  den  Teuftel  recht  erkennen 
will,  der  sehe  die  zehen  Gebote  an.  1)  Sein  Haupt  ist  wider 
die  erste  Tafel.  Als  nemlich,  im  ersten  Gebot,  Gott  nicht 
vertrauwen,  jn  nicht  fürchten,  jn  nicht  lieben.  2)  Darnach 
im  andern  Gebot,  Gott  schmehen  oder  lestern,  wider  jn  kurren 
oder  murren,  seinen  heiligen  Namen  missbrauchen,  das  ist  os 
&  lingua,  Mund  und  Zung.  3)  Im  dritten  Gebot,  Gottes 
wort  nicht  hören,  dasselbige  fälschlichten  deuten,  verachten, 
verfolgen,  und  seine  Diener  versäumen,  dass  sie  oft  Hungers 
sterben  müssen.     Das   ist   collnni  et  aures,    Hals   und  Ohren. 

4)  Weiter  nach  dem  vierdten  Gebot,  auff'rhürig  und  unge- 
horsam   seyn,    das    ist    Pectus    Diaboli    des    Teuftels   Brust. 

5)  Todtschlagen,  zörnen,  hassen,  jedermann  Übels  wündschen, 
abgünstig  seyn,  seim  Nechsten  schaden,  das  ist  cor,  das  Herz. 

6)  Ehebrechen,  Hurerey  treiben,  einen  Weichling  und  Sodo- 
miten,  unzüchtig  und  weibisch  sein  in  worten  und  wercken, 
das  ist  venter  Diaboli,   des  Teuftels  Bauch.     7)  Niemand  be- 


384       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

hülflich  seyn,  Andern  das  jre  abspannen,  stelen,  wuchern, 
rauben,  faule  Wahr  verkauffen,  verdienten  Lohn  wegern,  das 
sind  Manns,  die  Hand.  8)  Von  Gott  übel  reden,  die  Men- 
schen bescheissen,  und  jhnen  jhr  gut  gerücht  krencken,  das 
ist  Diaboli  voluntas,  des  Teuffels  Wille,  i).  10.  Seines  Nech- 
sten  Gut  begeren  etc.  Das  sind  Pedes  Diaboli,  seine  Füsse, 
sihe  so  freundlich  ist  der  Teufel."  —  „Bilde  dich  gar  einem 
verzweifelten  Menschen  für,  der  ein  gar  böss  gewissen  und 
Leben  führet,  so  sihstu  den  Teuffei  leibhaftig." 

Kapitel  17.  Wie  dem  Teufel  solches  alles  möglich  sei. 
—  weil  er  ein  sehr  gewaltiger  und  mächtiger  Geist  geschaffen 
ist  „auch  ein  rechter  Veteranus,  d.  i.  ein  wolgeübter  weiser 
und  erfahrner  Bosswicht." 

Kapitel  18.  Ob  die  Teufel  nach  Gefallen  schaden  mö- 
gen. —  Nur  unter  Gottes  Zulassung. 

Kapitel  19.  Warum  Gott  dem  Teufel  zuweilen  etwas 
zulässt.  Die  erste  L^rsache  ist  die  Erbsünde,  w'odurch  das 
Menschengeschlecht  dem  Teufel  unterworfen  worden,  dann  um 
die  P-öttliche  Allmacht  zu  off'enbaren,  um  die  Menschen  zu 
witzigen,  sie  zu  prüfen,  zu  strafen,  um  ihnen  die  Barmherzig- 
keit und  Gnade  Gottes  zu  zeigen,  die  sie  aus  des  Teufels 
Macht  rettet,  und  sie  zur  Dankbarkeit  anzuregen  u.  s.  w. 

Luther  in  der  Jhenischen  Hauspostille  erste  Predigt  am 
Tage  Michaelis:  „Der  Teufel  wolt  gern  alles  unglück  anrich- 
ten, wie  wir  täglich  sehen  und  erfahren,  dass  mancher  ein 
Bein  bricht  auff  ebener  Erden,  mancher  feilet  ein  Treppen 
oder  Stigen  ab,  dass  er  selbs  nicht  weiss  wie  ihm  geschehen 
ist.  Solchs  und  anders  würde  der  Teuffei  wol  jmmerdar  an- 
richten, wenn  Gott  nicht  durch  die  heben  Engel  wehret.  Er 
lesset  aber  derhalben  unss  solche  eintzele  stuck  bisweilen 
sehen,  Auff'  dass  wir  lernen,  wenn  Gott  nicht  alle  stunden 
wehrete,  dass  dergleichen  jnnnerdar  geschehen  würde,  und  wir 
derhalben   zum    betten  desto   fleissiger,    und  Gott  für  solchen 

schütz  desto  danckbarer  sollen  seyn Gott   lesset    den 

Teuff'el  zu  zeiten  treff'en,  auff'  dass  wir  lernen,  dass  wir  nicht 
Junkern  seind  vnd  es  nicht  Alles  in  unsern  henden  steht;  und 
derhalben  desto  fleissiger  betten,  dass  Gott  dem  Teuff'el  seinen 
räum  nicht  lassen,  sonder  durch  seine  lieben  Engel  gnedighch 
wehren  wolle."  Aehnlich  sprechen  sich  Spangenberg,  Borr- 
haus,  Bullinji-er  aus. 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  385 

Kapitel  20.  Von  der  Ordnung  der  Teufel.  Die  Klassi- 
ficiruno-  der  Eno-el  und  Teufel,  wie  sie  von  den  Lehrern  auf- 
gestellt  worden,  ist  in  der  Schrift  nicht  begründet,  aber  doch 
nicht  sfänzlich  zu  verwerfen.  Mart.  Lutherus  in  der  Jheni- 
sehen  Hauspostille  über  das  Evangelium  am  Tage  Michaelis 
in  der  zweiten  Predigt:  „Wir  sollen  wässen,  dass  die  Engel 
uuderschiedlich  sind.  Denn  gleichwie  under  den  Menschen 
einer  gross,  der  ander  klein,  einer  starck,  der  ander  schwach 
ist,  also  ist  auch  ein  Engel  grösser,  stercker  vmd  weiser  denn 
der  ander.  Daher  hat  ein  fürst  viel  einen  gewissem  und 
sterckern  Engel,  der  auch  klüger  und  weiser  ist ,  denn  ein 
Grafie,  und  ein  Graffe  einen  grössern  und  sterckern  Engel 
denn  ein  ander  gemeiner  Mann,  und  sofort  an.  Je  höher 
stand  und  geschefft  einer  hat,  je  grösseren  und  sterckern  En- 
gel hat  er  auch  der  jn  schützt,  jm  hilfi't  und  dem  Teuffei 
w^ehret."  —  In  der  ersten  Predigt:  ,,Es  ist  ein  underscheid 
gleich  sow^ol  under  den  Engeln,  als  under  den  Teufieln.  Für- 
sten und  herrn  haben  grosse  treffliche  Engel,  wie  man  siehet, 
Dan.  10  etc." 

Kapitel  21.  Wo  die  Teufel  wohnen  und  ihr  Wesen 
haben.  In  der  Luft,  wo  sie  wie  Wolken  schweben,  an  Was- 
sern, kriechen  in  die  Tümpel,  sind  gerne  an  wüsten  Orten, 
auf  Kirchhöfen.  Da  lauern  sie,  wie  sie  uns  schaden  können. 
Denn  sie  sind  noch  nicht  in  die  Hölle  Verstössen,  sondern 
erst  zur  Verdammniss  verurtheilt.  —  Mart.  Luther  in  der 
Kirchenpostille  über  die  Epistel  am  dritten  Sonntag  nach  Trini- 
tatis :  „Der  Teuffei  ist  noch  nicht  zur  straffe  seiner  Verdamnniiss 
Verstössen  biss  an  den  jüngsten  Tag,  wenn  er  endlich  auss 
der  lufft  und  von  der  Erden  in  abgrund  der  helle  geworffen, 
nicht  mehr  uns  wirf  können  anfechten  und  keine  Wolke  und 
Decke  mehr  zwischen  uns  und  Gott  sampt  den  Engeln  seyn 
wirt. " —  Ueber  das  zweite  Kapitel  der  zweiten  Epistel  Petri: 
„Hie  zeigt  S.  Peter  an,  dass  die  Teuffei  noch  nit  endlich  jre 
peiu  haben,  sonder  also  hingehen  in  einem  verstocktem  ver- 
zweiffeltem  wesen  und  allen  augenblick  auff'  ihr  Gericht  warten. 
Wie  ein  Mensch  der  zum  tode  verdampt  ist,  gantz  verzweiffeit, 
verstockt,  und  jmmer  je  böser  wirt.  Aber  jre  straff'  ist  noch 
nicht  über  sie  gangen,  sondern  sind  jetzt  allein  dazu  verfasset 
und  behalten." 

Kapitel  22.  Wo  und  was  die  Hölle  sei.  „Wo  aber  und 

Uoskoff,  Geschichte  des  Teufels.   II.  oc 


38G     Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

was  die  helle  sey  vor  dem  jiingsten  Tage,  bin  ich  noch  nicht 
allzu  gewiss",  spricht  Martin  Luther,  ,,denn  das  ein  sonder- 
licher ort  seyn  solt,  da  die  verdampten  Seelen  jetzt  jnnen 
seyen,  wie  die  Mahlcr  mahlen  und  die  Banchdiener  predigen, 
halt  ich  fiir  nichts.  Denn  die  Teuftel  sind  ja  noch  nicht  in 
der  hellen,  sondern  wie  Petrus  sagt,  mit  stricke  zur  hellen 
verbunden.  So  heist  sie  S.  Paulus  der  Welt  Kegenten  und 
Gewaltigen,  die  droben  in  der  Lufft  schweben.  Wie  Christns 
auch  den  Teuffei  der  Welt  Fürsten  nennet,  und  ja  nicht  seyn 
köndt,  wenn  sie  in  der  hellen  weren,  dass  sie  die  Welt  re- 
gierten und  so  vil  Biiberey  und  jammer  trieben,  die  Pein 
wiirde  jnen  wol  wehren."  —  Der  Ausdruck  „Schcol"  bedeutet 
die  Todesangst,  die  letzten  Nöthen.  „Denn  ein  Jeglicher  hat 
seine  helle  mit  sich  so  lang  er  die  letzte  nöten  des  todts  und 
Gottes  zorn  empfindet. "  —  Aber  am  jiingsten  Tag  wird  die 
Hölle  ein  besonderer  Ort  sein;  über  das  „wo"  will  der  Ver- 
fasser lieber  nicht  grübeln.  —  „Derhalben,  wie  D.  Luther  sagt 
von  der  Hellefahrt  Christi:  Er  lasse  es  jm  gefallen  dass  man 
den  Artickel  des  Glaubens  dem  jungen  Volck  und  einfeltigen 
also  fürbilde,  wie  man  jn  pflegt  vor  alters  an  die  Wende  zu 
mahlen,  dass  er  eine  Korkappen  anhab,  eine  Fahn  in  der 
rechten  Hand  und  fahr  also  hinab  in  die  Helle,  stürme  sie 
und  binde  den  Teuffei  mit  Ketten.  Denn  ob  es  wol  so  nit 
geschehen  ist  leiblich,  so  bildet  doch  und  drucket  uns  solchs 
gemählde  fein  auss  die  krafft  und  macht  der  Hellefahrt 
Christi." 

Kapitel  23.  Ob  die  Teufel  selig  werden  können.  —  Es 
wird  aus  der  Schrift  bewiesen,  dass  sie  ewig  verdammt  sind. 
Dr.  Luther  in  seinem  letzten  Bekenntniss  vom  Abendmahl: 
„Ich  halt  es  nit  mit  denen,  so  da  lehren,  dass  die  Teuffei 
werden  endthch  zur  Seligkeit  kommen."  In  gleichem  Sinne: 
Bullinger,  Calvin  u.  a. 

Kapitel  24.  Was  wir  aus  dieser  „erschrecklichen  ab- 
malung des  Teuftels  lernen  sollen".  Dass  wir  in  steter  „Wehr 
und  Rüstung"  stehen. 

Kapitel  25.  Die  Waffen  gegen  den  Teufel.  —  Kräuter, 
Weihwasser  u.  dgl.  gegen  den  Teufel  anwenden  ,,ist  lauter 
Gauckeley  und  Affenspiel  welches  der  Teuffei  selbs  lachet  und 
spottet."  Man  schlägt  den  Teufel  auch  nicht  mit  Spiessen 
und  Büchsen  u.  s.  w.,  sondern  im  Kampfe  mit  dem  Teufel  hilft 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  387 

nur  ,,cler  Harnisch  Gottes",  d.  li.  ein  reclitscliaffenes  Leben, 
ohne  Heuchelei,  Frömmigkeit,  die  Gutes  thut,  ein  friedliches 
Leben,  fester  Glaube,  wo  das  Wort  Gottes  nicht  nur  auf  der 
Zunge  schwebt,  sondern  im  Herzen  wurzelt,  unsere  Gegen- 
wehr ist  auch  das  Gebet.  —  Es  sind  also  nur  „geistliche  wehr 
und  wafien",  womit  der  Teufel  zu  Boden  oeschlaaren  werden 
muss.  Lutherus  über  die  zweite  Epistel  Petri,  fünftes  Kapitel: 
„  Nüchtern  solt  jr  seyn  und  wachen,  dazu  dass  beide  der  Leib 
und  die  Seel  geschickt  werden.  Aber  damit  ist  der  Teuffei 
noch  nicht  geschlagen.  Das  rechte  Schwert  ist  das,  dass  jr 
starck  und  fest  im  Glauben  seid.  Wenn  du  Gottes  Wort  im 
Hertzen  ergreiffest  und  haltest  mit  dem  Glauben  daran,  so 
kan  der  Teuftel  nicht  gewinnen,  sondern  muss  fliehen.  Wenn 
du  also  kanst  sagen,  das  hat  mein  Gott  gesagt,  da  stehe  ich 
auff,  da  wirstu  sehen,  dass  er  sich  bald  wirt  hinwegmachen, 
da  gehet  denn  unlust,  böse  lust,  zorn,  geitz,  Schwermut  und 
zweiffein  alles  hinweg.  Es  kost  nicht  vil  hin  und  her  laufiens, 
noch  irgend  ein  Werck  das  du  thun  kanst,  sondern  nicht 
mehr,  denn  dass  du  am  Wort  fest  hangest  durch  den  Glauben. 
Wenn  er  kompt  und  wil  dich  in  schwermütigkeit  treiben  der 
Sünde  halben,  so  ergreiffe  nur  das  Wort  der  Gnaden,  das 
da  Vergebung  der  Sünden  durch  Christum  verheisset  und  er- 
wege  dich  von  gantzem  Herzen  daraufi",  so  wirt  er  bald  ab- 
lassen." Aehnlich  M.  Cyprianus  Spangenberg  in  der  dreis- 
sigsten  Predigt  über  die  zweite  Epistel  an  die  Korinther:  „Durch 
den  Glauben  an  Jesum  Christum  und  durchs  Gebet,  wirt  der 
Teuffei  überwunden,  wenn  wir  mit  dem  Glauben  am  Wort  be- 
stendig halten  und  das  Gebet  auff  Gottes  Verheissung  luid  zu- 
sage gründen  etc." 

Kapitel  26.  Zum  Kampf  mit  dem  Teufel  soll  den  Christen 
bewegen:  Christi  Exempel,  unser  Taufgelübde,  die  Zusage  Got- 
tes denen  die  bei  ihm  beharren  und  nach  seinen  Geboten  leben, 
um  der  Strafe  zu  entfliehen  u.  dgl. 

Kapitel  27.  Was  für  einen  Trost  die  Christen  in  ihrer 
Anfechtung  wider  den  Erzfeind  haben:  den  Beistand  Christi, 
der  Engel,  den  Schutz  Gottes,  wenn  sie  in  seiner  Furcht 
leben. 

Kapitel  28.  Ob  und  wie  die  Teufel  Wunder  und  Zeichen 
thun  können.  Das  erste  zeigt  die  heilige  Schrift,  das  ,,Wie" 
(„waserlei  Weise")  ist  viererlei:  1)  durch  Anrufung  des  wahren 

25* 


388      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzunp:  der  GesHiiobte  des  Teufels. 

Gottes,  wie  die  falschen  Propheten,  oder:  durch  Anrufung  des 
Teufels,  durch  den  sie  unter  Gottes  Zulassung  viel  vermögen, 
aber  keine  wahren  Wunder.  2)  Durch  natürliche  Mittel, 
so  die  Zauberer  Pharaonis.  3)  Durch  Gespenster  und  Ver- 
blendung, so  die  Zauberin  von  Endor.  Der  Teufel  kann 
die  Innern  Sinne  verblenden,  wie  bei  Ketzern  und  Ungläubigen. 
4)  Durch  merae  imposturao,    durch  Kunst  und  Behendigkeit. 

Kapitel  29.  Die  göttlichen  wahrhaftigen  Wunder  ge- 
schehen durch  Gott,  seinen  Sohn  sanimt  dem  heiligen  Geist, 
oder  unmittelbar  durch  seine  Allmäclitigkeit,  oder  durch  den 
Dienst  der  Engel,  oder  auch  durch  Menschen  durch  göttliche 
Kraft;  des  Teufels  Mirakel  geschehen  auch  entweder  durch 
ihn  selbst  oder  seine  Gliedei-  oder  Diener.  Der  Teufel  kann 
aber  nicht:  neue  Creaturen  schaffen,  ei'schaffene  Dinge  mehren, 
Creaturen  verändern ,  Todte  auferwecken ,  natürliche  Krank- 
heiten oder  Gebrechen,  ohne  natürliche  Mittel  heilen.  Un- 
fruchtbare fruchtbar  machen,  den  Ivauf  des  Himmels  aufhalten, 
das  Meer  voneinander  spalten,  den  Elementen  ihre  Wirkung 
nehmen,  künftige  Dinge  wissen,  Gedanken  erkennen.  Dies  „sind 
in  Summa  dem  Teuffei  7a\  hoch  alle  Zeichen  der  Schrift". 

In  diesem  Abschnitte  wird  auch  angegeben:  „wie  mit 
den  Besessenen  zu  handien",  Avobei  eine  Historia  Dr.  Martin 
Luther  seliger"  erzählt  wird,  luid  wie  er  sich  bei  der  Gelegen- 
heit ausgesprochen. 

Eine  Jungfrau  aus  dem  Lande  Meissen,  viel  vom  Teufel 
geplagt,  wurde  zu  Luther  gebracht.  Auf  dessen  Geheiss  soll 
sie  den  Glauben  hersagen,  bleibt  aber  bei  dem  Artikel:  ,,ich 
jrlaube  an  Jesum  Christum"  stecken  und  wird  vom  bösen  Geist 
sehr  gerissen.  Da  sprach  Luther:  „Ich  kenne  dich  wohl,  du 
Teufel,  du  willst,  dass  man  ein  grosses  Gepränge  mit  dir  an- 
richte, wirst  es  aber  bei  mir  nicht  finden."  Am  nächsten  Tag 
sollte  man  die  Jungfrau  zu  seiner  Predigt  in  die  Kirche  brin- 
gen, als  man  sie  aber  in  die  Sakristei  führen  wollte,  fiel  sie 
nieder,  schlug  und  riss  herum,  dass  sie  etliche  Studenten  hhi- 
eintrugen  und  voi-  Luther  niederlegten,  der  die  Sakristei 
schliessen  Hess  und  an  die  in  der  Kirche  Anwesenden  eine 
kurze  Vermahnung  hielt,  deren  wesentlicher  Inhalt  folgender 
ist:  Man  soll  in  unserer  Zeit  die  Teufel  nicht  mehr  austreiben, 
wie  zur  Zeit  der  Apostel,  wo  Wunderwerke  nöthig  waren, 
um  die  neue  Lehre  zu  bestätigen,  was  heute  unnöthig  ist,   da 


1.  Lutlior's  Glaube  an  den  Teufel.  389 

das  Evangelium  keine  neue  Lehre,  sondern  genugsam  eonfir- 
mirt  ist;  auch  nicht  durch  Beschwörungen,  conjurationibus, 
sondern  orationibus  et  contemptu,  mit  dem  Gebete  und  Ver- 
achtung, denn  der  Teufel  ist  ein  stolzer  Geist,  kann  das  Ge- 
bet und  die  Verachtung  nicht  leiden,  .sondern  hat  Lust  ad 
pompam,  zum  Gepränge,  darum  soll  man  kein  Gepräng  mit 
ihm  machen,  sondern  ihn  verachten.  Man  soll  den  Teufel 
durch  das  Gebet  austreiben,  ohne  dem  Herrn  Christo  eine 
Regel,  eine  Weise  oder  Zeit  vorzuschreiben,  wann  und  wie  er 
die  Tfeufel  austreibe.  Sondern  wir  sollen  mit  dem  Gebete  an- 
halten so  lange,  bis  Gott  uns  erhört.  Martin  Luther  legte 
hierauf  seine  rechte  Hand  auf  der  Jungfrau  Haupt,  wie  bei 
einer  Ordination,  und  befahl  den  anwesenden  Dienern  des 
Evangeliums,  desgleichen  zu  thun  und  zu  sprechen:  das 
apostolische  Symbol ,  das  Vaterunser.  Dann  sprach  Luther 
Johannis  IG  und  Joh.  14,  worauf  Luther  Gott  „heftig"  an- 
flehte, er  möge  die  Jungfrau  von  dem  bösen  Geist  erlösen 
um  Christi  und  seines  heiligen  Namens  willen.  Hierauf  ging 
er  von  dem  Mädchen  weg,  nachdem  er  es  mit  dem  Fusse  ge- 
stossen  und  den  Satan  verspottet  mit  den  Worten:  „Du  stolzer 
Teufel,  du  sähest  gerne,  dass  ich  ein  Gepränge  mit  dir  machte, 
du  sollst  es  aber  nicht  erfahren,  ich  thue  es  nicht,  du  magst 
dich  stellen,  wie  du  willst,  so  geb  ich  nichts  darauf."  Nach 
diesem  Vorgange  v«'urde  das  Mädchen  andern  Tags  in  ihre 
Heimat  gebracht  und  etlichemal  an  Luther  berichtet,  dass  es 
der  böse  Geist  nicht  mehr  gequält  habe. 

Kapitel  30.  Warum  Gott  dem  Teufel  Wunder  zu  thun 
erlaubt.  Wenn  gottlose  Menschen  mit  Hiilfe  des  Teufels  Wun- 
derzeichen thun,  so  erlaubt  es  Gott,  damit  sie  in  ihrem  Irr- 
thum  bestärkt  werden,  die  daran  glauben,  wie  dem  Pharao 
und  seinen  Zauberern  geschehen;  damit  der  Gläubigen  Be- 
ständigkeit sich  bewähre,  sie  in  ihrer  Geduld  geübt  werden; 
damit  die  Frommen  sich  niclit  überheben;  damit  die  Heiligkeit 
der  Personen  nicht  nach  Wundern  bemessen  werde,  und  zu 
zeigen,  dass  die  Gabe,  Wunder  zu  thun,  nicht  die  grösste  in 
der  Kirche  sei.  Man  soll  gewarnt  sein,  dass  man  nach  der 
Oifenbarung  Christi  und  seines  Evangeliums  nicht  durch  falsche 
Zeichen  verführt  werde,  oder  die  reine  Lehre  aus  Mangel  an 
Zeichen  nicht  verachte.  Man  soll  am  Worte  Gottes  hangen 
und  sich  daran  genügen  lassen. 


390      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Gescliichte  des  Teufels. 

Kapitel  31.  Wie  man  sich  der  falschen  Zeichen  erwehren 
soll.  Dafür  gibt  Luther  den  Ruth:  zuerst  miissen  M'ir  wissen, 
dass  der  Teufel  grosse  Macht  luid  viel  List  hat,  um  Zeichen 
zu  thun,  wir  müssen  aber  auf  deren  Ende  (Zweck)  achten, 
und  sie  nach  dem  Worte  Christi  beurtheilen. 

Kapitel  32.  Gott  lässt  zuweilen  auch  Zeichen  durch 
böse  Leute  geschehen,  man  muss  sie  aber  nach  dem  Worte 
Gottes,  nicht  nach  der  Person  richten.  —  Regeln  um  Wunder- 
zeichen zu  unterscheiden:  zu  sehen  ob  Christus  durch  sie  ge- 
priesen und  der  Glaube  darin  gefördert  wird. 

Kapitel  33.  Ob  und  wie  die  Teufel  weissagen  imd 
künftige  Dinge  wissen  können.  Es  ist  nicht  dafür  zu  halten, 
dass  die  Teufel  wahrhaftig  künftige  Dinge  Avissen,  darüber  sind 
aber  die  Gottesgelehrten  nicht  einig. 

Kapitel  34.  Von  dem  Unterschiede  göttlicher  und  teuf- 
lischer Weissagungen. 

Kapitel  35.  Wariun  letztere  verboten  sind,  —  weil  sie 
zum  Bösen  gereichen. 

Kapitel  3G.  Von  der  Astronomie,  Astrologie  und  Stern- 
guckerkunst.   Werden  die  verschiedenen  Ansichten  angefühlt. 

Kapitel  37  ist  von  Hermann  Hammelmann:  Dass  die 
Teufel  keine  Gebrechen  oder  Krankheiten  der  Menschen,  ausser 
durch  natiirliche  Mittel,  heilen  können. 

Kapitel  38.  Wie  die  Teufel  der  Menschen  Sinne  be- 
trügen können.  Durch  Gespenster  und  andern  Spuk  werden 
die  Menschen  so  geblendet,  dass  sie  dieses  oder  jenes  zu  sehen 
und  zu  hören  meinen.  Vermöge  seiner  Macht  und  vie]f>-e- 
übten  Erfahrung  ist  es  dem  Teufel  möglich,  die  Menschen  zu 
afien  und  zu  betrügen.  Hieher  gehören  die  Lügen  von  den 
Hexenfahrten  der  Hexen  auf  Besen  u.  dgl.  und  die  Verwand- 
lung in  Katzen  u.  dgl.,  was  ihnen  der  Teufel  einbildet. 

Kapitel  39.  Ob  und  wie  die  Teufel  der  Menschen  Ge- 
danken wissen  können.  Gott  allein  ist  der  Erforscher  der 
Herzen,  die  Teufel  können  aber  aus  vielen  Anzeichen  schlies- 
sen  und  erfahren,  was  die  Menschen  im  Sinne  haben. 

Die  drei  nächstfolgenden  Kapitel  sind  „von  Hermann  Ham- 
melmann verzeichnet". 

Kapitel  40.  AVie  die  Teufel  in  die  lebendigen  Leiber 
der  Menschen  fahren  und  daselbst  wirken.   Der  Verfasser  be- 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  391 

ruft  sich  ausser  andern,  wie  auch  anderwärts  hierbei  auf  Weier, 
De  praestig.  dorn.  lib.   1,  cap.  4. 

Kapitel  41.  Ob  und  wie  sie  Leiber  annehmen.  Den 
Teufeln,  die  geistige  Wesen  sind,  darf  kein  Leib  zugeschrieben 
werden,  dennoch  ist  gewiss,  dass  sie  unter  Gottes  Zulassung 
eine  leibliche  Gestalt  angenommen  haben,  und  zwar  eine  sicht- 
liche und  greifbare,  die  zu  leiblichen  Werken  bequem  ist. 
Dies  zeigt  auch  die  A^ersuchungsgeschichte.  Der  Teufel  kann 
sich  in  Schweine,  Hunde,  Katzen  und  andere  Gestalt  ver- 
kleiden. 

Kapitel  42.  Ob  sie  auch  Incubi  und  Succubi  werden.  Dar- 
über ist  grosser  Streit  unter  den  Gelehrten.  Nach  Luther  sind  die 
Incubi  und  Succubi  Teufel.  ^  Nach  des  Verfassers  Ansicht 
kann  es  aus  der  Schrift  nicht  bewiesen  werden,  dass  die  Teufel 
Incuben  und  Succuben  werden  können.  Die  Fortpflanzung 
der  Teufel  will  der  Verfasser  auf  sich  beruhen  lassen,  die 
durch  gestohlenen  Samen  kommt  ihm  nicht  glaublich  vor, 
wahrscheinlicher  ist  ihm,  dass  sie  die  Leiber  aus  der  Luft 
nehmen.  Was  die  Wechselkinder  betrifft,  so  sind  nur  die 
Kinder  der  Ungläubigen  des  Teufels,  nicht  die  der  Gläubigen, 
die  ihre  Kinder  stets  dem  Herrn  befehlen.  Nur  den  Ungläu- 
bigen kann  es  geschehen,  dass  ihre  Augen  so  verblendet  sind, 
um  ihre  eigenen  Kinder  nicht  zu  erkennen. 

Kapitel  43.  Ob  die  Teufel  sich  in  die  Gestalt  Verstor- 
bener verkleiden  können.  Diese  Frage  wird  mit  Ja  beantwortet, 
auf  Grund  der  Schrift  und  anderer  Historien. 

Kapitel  44.  Ob  Menschen  in  Thiere  verwandelt  werden 
können,  verweist  der  Verfasser  nach  Milichius  Zauberteufel, 
Weier  lib.  II,  cap.  44;  lib.  A",  cap.  10. 

Kapitel  45.  Die  Teufel  können  Träume  und  Nachtge- 
sichter machen,  aber  teuflische  Träume,  wie  sie  die  Wieder- 
täufer und  Schwärmer  haben.  Durch  solche  teuflische  Visiones 
werden  die  Menschen  ins  Verderben  gestürzt,  wie  es  dem 
Thomas  Münzer  begegnet  ist. 

Kapitel  46.  Ob  die  Teufel  Wetter  machen  können.  Aus 
eigener  Kraft  können  die  Teufel  weder  Hagel  noch  Schnee, 
Regen  und  Reif  bewirken,  nur  wenn  es  Gott  gefällig  ist  und 
er  es  zulässt. 


1  Tischreden  vom  Teufel  und  seinen  Werken. 


302      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Kapitel  47.  Ob  sie  Milcli,  Butter,  Brot,  Wein,  Bier  etc. 
stehlen  können?  Wird  nicht  in  Zweifel  gezogen,  ebenso  kann 
der  Teufel  vermöge  seiner  Geschwindigkeit  als  Geist  im  Winter 
Sommerfrüchte  herbeischaffen. 

Kapitel  48.  Von  den  Hexen  vnd  Ynholden.  So  heissen 
die,  von  welchen  man  gemeiniglich  hält,  dass  sie  wegen  eines 
gottlosen  Pakts  zwischen  ihnen  und  dem  Teufel  entweder  aus 
eigenem  Willen  oder  auf  Anstiften  des  Teufels  unter  seinem 
Beistande  viele  böse  Stücke  vollbringen.  Man  meint,  dass  sie 
Macht  haben,  Wetter  zu  machen,  das  Korn  auf  dem  Felde 
zu  verrücken  und  zu  verwüsten,  Krankheiten  über  Menschen 
und  Thiere  zu  bringen  etc.  Mit  derlei  Vorstellungen  bethört 
der  Teufel  die  Christen.  Wir  glauben,  dass  dem  Teufel  die 
aufgezählten  Stücke  mehrentheils  zu  verrichten  möglich  sei, 
dass  die  Hexen  und  Unholden  „durch  natürliche  Gifft"  Men- 
schen und  Thieren  schaden  können;  dagegen  wird  „den  armen 
thorhafftigen  Weibern"  oft  viel  beigemessen,  ja  sie  „werden 
auch  selbst  in  jrer  Fantasey  vberredt",  dass  sie  dies  oder 
jenes  thun,  was  unmöglich  ist.  „Niemand",  sagt  Brentius  ^, 
„er  sey  Mann  oder  Weib,  daz  er  mit  seiner  kunst  oder 
zäuberey  ein  rechts  vngewitter  vnd  stürm  in  der  lufft  erwecken 
kan.  Denn  wenn  das  den  Menschen  nach  jhrem  gefallen  würd 
zugelassen,  so  würden  wir  fürwar  selten,  ja  nimmermehr  one 
Vngewitter,  Sturm,  Wind  vnd  Hagel  seyn,  so  böss  ist  mensch- 
liche Natur,  vnnd  so  gar  geneigt  schaden  zu  thun.  Aber  der 
Teuffcl,  der  da  in  der  Lufft  herrschet,  wie  Paulus  sagt,  kan 
wol  sehen,  wenn  grosse  Vngewitter  vnd  stürme  konmicn  wer- 
den, welche  schaden  thun  können.  Vnd  wenn  er  das  sihet, 
so  bewegt  er  der  Leute  gemüte,  welche  er  gefangen  helt  vnd 
bestrickt  hat,  dass  sie  anfangen  zu  zaubern,  vnd  jre  segen 
zusprechen.  Wenn  sie  das  gethan,  so  sich  dann  ein  vngewit- 
ter erhebt,  welclis  one  jr  zaubern  kommen  were,  so  meynen 
sie  gentzlich,  dass  es  durch  jre  krafft,  kunst  vnd  zäuberey  zu- 
wege bracht  sey."  —  Der  Verfasser  stellt  auch  in  Abrede,  dass 
die  Feldfrüchte  durch  Beschwören  oder  Verfluchen  beschädi<rt 
oder  verrückt  werden  können.  Die  Hexenfahrten  und  was 
damit  zusammenhängt,  werden  für  ,, eitel  Fantasey"  erklärt 
und  Dr.  Luther  sage  mit  Recht:  „dass  es  nicht  allein  verbotten 


^  In  der  31.  Iloniil.  über  das  Evangelium  Johannis. 


1.  Luthor's  Glaube  an  den  Teufel.  393 

sey  solelis  zu  thun,  sondern  auch  7a\  glauben."  Aue-h  das 
Buhlschaft  trcihen  mit  dem  Teufel  ist  „lauter  falscher  wahn 
vnd  starcke  einbildung."  Ebenso  wird  die  Verwandlung  in 
Thiere  erklärt,  da  der  Teufel  selbst  nicht  im  Stande  sei,  weder 
etwas  zu  schaffen,  noch  das  Geschaffene  wahrhaftig  zu  verwan- 
deln.   Hierauf  eine  Erörterung  über  die  Hölle.  ^ 

Dass  eine  Hölle  sei,  ist  aus  unsern  Glaubensartikeln  er- 
wiesen : 

„Er  ist  niedergefahren  zur  Hölle"  ist  klar,  nicht  tropisch, 
sondern  historisch  zu  verstehen.  Der  Verfasser  weist  hier- 
auf auf  die  Geschichte  von  Lazarus  u.  a.  m.  Nach  ihrem 
Sturze  sind  auch  die  Teufel  zur  Hölle  verdammt,  wo  sie  Pein 
haben.  In  diese  Höllenqual  gerathen  auch  die  Gottlosen,  die 
dann  dem  Teufel  übergeben  sind,  der  seinen  Muthwillen  an 
ilmen  üben  Avird.  Die  höchste  Pein  der  Verdammten  wird 
sein,  dass  sie  von  Christo  weichen  müssen  und  hören  das 
schreckliche  Wort:  „Discedite  a  me  maledicti  in  ignem  aeter- 


num." 


II. 

Vuii  des  Teufels  Tyrannei.  Macht  und  Gewalt,  sonderlicL  in  diesen  letzten 
Tagen,  durch  Andream  Musculuni. 

Der  Verfasser  sieht  die  Welt  sehr  im  argen  liegen,  „das 
diese  jetzige  zeyt  darinnen  wir  leben,  das  allerletzte  drümm- 
lein  von  der  Welt,  und  das  letzte  zipfflein  sey,  welches  uns 
bald  auss  den  Henden  entwischen  und  diesem  zeitlichen  und 
verfi-enfflichen  Reich  sein  end  und  auffhoren  geben  und  das 
ewige  unvergengkliche  ansehen  werde".  „Ist  dem  aber  so, 
so  ist  auch  gewiss,  dass  des  Teuffels  und  aller  seiner  Mitge- 
sellen und  bösen  Geistern  hass,  grimm,  tyranney,  heimliche 
tück  und  listigkeit  jetzunder  mehr  als  je  zuvor  sich  sey  zu 
vei'muten."  Dabei  sieht  sich  der  Verfasser  veranlasst  zu  be- 
weisen: dass  die  Zahl  der  Teufel  nicht  nur  in  grosser  Zahl 
allenthalben  vorhanden,  sondern  auch  trachten,  den  Menschen 
mancherlei  Schaden  zuzufügen;  dass  sie  mächtig  und  ver- 
schmitzt, und  unter  Gottes  Zulassung  mancherlei  Jammer 
und  Elend  anrichten ,  wobei  eine  Menge  Unglücksfälle  durch 


'  Fol.  CXXX,  6  sequ. 


394      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Ungewitter,  Stürme  n.  dgl.  angeführt  werden;  dass  sie  die  Men- 
schen änsserlieh  und  innerlich  angreifen,  nnd  ihnen  nicht  nur  am 
Leibe,  sondern  viel  mehr  an  der  Seele  schaden  und  ausser 
mit  zeitlichen  Sünden  auch  mit  ewigem  Jammer  beschweren. 
Gott  hat  Mittel,  dem  Teufel  und  seinen  Heerscharen  zu  wehren, 
dass  er  von  seiner  Gewalt  nicht  mehr  Gebrauch  mache,  als 
Gott  es  zulässt,  als:  die  Macht  Gottes  selbst,  die  der 
Teufel  anerkennt;  eine  grosse  Engelschar,  die  dem  Teufel 
wehrt;  die  Eltern,  welche  ihre  Kinder  zum  Guten  er- 
ziehen; die  Prediger,  welche  die  Erwachsenen  überwachen; 
die  weltliche  Obrigkeit,  der  Gott  das  Schwert  in  die  Hand 
gegeben  hat.  Der  Christ  selbst  schützt  sich  in  der  grossen 
Gefahr  vor  dem  Teufel  durch  Gottesfurcht  und  einen  der  ge- 
messen Lebenswandel,  und  wenn  er  etwa  strauchelt  oder  fällt, 
sich  schnell  wieder  aufrafft.  Ist  aber  ein  Angriff  auf  den 
Menschen  gethan  und  diesem  Schaden  zugefügt,  so  sind  die 
besten  Mittel:  aufrichtige  Busse,  nächst  dieser  das  Gebet  mit 
der  festen  Zuversicht  zu  dem  Herrn.  Das  dritte  Mittel  ist 
Verachtung,  die  im  Worte  Gottes  begründet  ist. 

HL 

Der  heilige,  kluge  und  gelehrte  Teufel.  Wider  das  erste  C4ebot  Gottes  den 
Glauben  und  Christum.  Aus  heiliger  Schrift  und  patre  Luthero  beschrie- 
ben von  M.  Andrea  Fabricio  Chemnicense,   Prediger  in  Nordhausen. 

Der  Teufel  wirkt  unter  der  Form  der  Scheinheiligkeit,  um 
die  rechte  Lehre  aus  der  Welt  zu  bringen,  und  den  Glauben 
im  Herzen  der  Menschen  geringer  zu  machen,  den  Glauben, 
dass  wir  todt  waren  in  Sünden,  „verloren  und  verdammt  mit 
Natur  und  Wesen,  durch  den  Glauben  mit  Christo  lebendig 
gemacht,  durch  sein  eigen  Blut  theuer  erkauft  seien."  Der 
Mensch  muss  sich  verleugnen,  aus  sich  selbst  herausgehen, 
sich  selbst  alles  nehmen  und  Gott  alles  zuschreiben.  Gott 
will  haben,  dass  man  ihm  seine  göttliche  Ehre  allein  lasse, 
dico  geschieht,  wenn  man  sich  in  Gottesfurcht  und  Vertrauen 
des  Herzens  ihm  allein  ergibt.  Der  böse  Geist  verdirbt  alles 
im  häuslichen  Regiment,  durch  den  Zusatz  in  unserm  Fleisch 
und  Blut,  der  da  heisset:  Ego,  Nos.  Im  Weltregiment  will 
dieser  Geist  auch  obenan  sitzen  und  wie  ein  Gott  alles  zu 
thun  haben.  Das  schändliche  Nos  und  Ego  richtet  alles  Herze- 
leid an.     Im   geistlichen  Regiment   in   der  Kirche  will  er  sich 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  395 

zu  einem  Gott  machen,  will  Christum  und  den  Glauben  ver- 
tilgen, deckt  die  Erbsünde,  dass  sie  niemand  erkenne.  —  Der 
listige  Satan  mit  seiner  Scheinheiligkeit  wider  das  erste  Ge- 
bot sieht  die  zwei  Hauptstücke,  nämlich  den  Glauben  an 
Christum  und  die  Erbsünde,  wie  alle  Ketzer  an.  Ueber  das 
Evangelium  am  neuen  Jahrestage  sagt  Luther:  „Peccatum 
est  hominis  substantia  in  Theologia"  und:  „Homo  massa  est 
perditionis".  Und  im  ersten  Theile,  Genes.,  Kap.  2:  „Sathan 
magnam  rem  agit,  ut  peccatum  originale  neget.  Atqui  hoc 
vere  est  negare  passionem  et  resurrectionem  Christi."  —  Die 
Schrift  nimmt  clem  natürlichen  Menschen  alles,  und  gibt 
Gott  alles  in  seine  Huld  und  Gnade;  der  Satan  erdichtet 
aber  „mitigata  voeabula",  wodurch  der  Mensch  gut  und  tüchtig 
erscheint,  als  könne  der  natürliche  Mensch  neben  dem  Heiligen 
Geist  aus  sich  selbst  sich  zur  Gnade  schicken.  Wenn  der 
Satan  nur  dieses  Modiculum  und  Conatulum  des  adamischen 
Menschen  erhält,  so  hat  er  Gesetz  und  Evangelium  im  Grunde 
verderbt.  —  Dem  Satan  ist  es  leid,  dass  noch  ein  Mensch 
auf  Erden  recht  glaubt  und  selig  wird,  könnte  er  sie  alle 
verführen,  er  thäte  es  sehr  gerne.  „Die  alte  Schlange",  sagt 
Luther  \  „kan  nicht  allein  die  leiblichen,  natürlichen  Sinne 
der  Menschen,  sondern  auch  die  Hertzen  und  Gewissen  be- 
triegen,  also  dass  sie  jrrige  Lehre  und  Opinion  für  recht- 
schafien  und  Göttliche  Wahrheit  annemen  und  behalten." 

IV. 

(Ist  wider  den  Exorcismus.) 

Der  Kannteufe],  eine  wohlmeinende  Warnung  vor ^  den  Teufelsbeschwöi'ern, 
von  Jodocus  Hockerius,  Prediger. 

Im  ersten  Theile  dieses  Buches  wird  bev/iesen,  dass -das 
gebräuchliche  Teufelsbannen  wider  Gott  und  unrecht  sei.  Die 
Griinde  für  den  Exorcismus  werden  widerlegt  mit  Berufung 
auf  Brentius:  „Scriptura  nusquam  tradit  publicam  professio- 
nem  exorcizandi  aut  adjurandi  daemones  divinitus  institutam 
esse  etc."  1)  Josephus,  der  als  Gewährsmann  von  den  Exor- 
cisten  angeführt  wird,  hat  viel  sviperstitiones,  und  die  Exor- 
cisten  unter  den  Juden  waren  ohne  Gottes  Wort.  2)  Christus 
und  die  Apostel  haben  Teufel  ausgetrieben,  die  Apostel  haben 


1  Genes.  21,  im  3.  Tlil. 


30G      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

die  Macht  dazu  gehabt:  in  der  ersten  Kirche  waren  die 
Zeichen  und  Mirakel  nothig,  durch  den  Tod  und  die  Auf- 
erstehung Christi  sind  sie  unnöthig  gCM^orden:  den  Geist  und 
die  Kraft  Wunder  zu  thun  hat  jetzt  niemand.  3)  Der  Ge- 
brauch heiliücer  Wörter  der  Exorcisten  ist  Misbrauch  des 
Wortes  Gottes,  das  Gebet  der  Exorcisten  ist  siindlich  und 
Gott  der  Herr  wird  den  nicht  ungestraft  lassen,  der  seinen 
Namen  misbraucht.  4)  Wenn  die  Exorcisten  sagen,  dass  ihr 
Handwerk  oft  gelinge,  so  wird  bemerkt,  dass  Gott  zuweilen 
auch  durch  falsche  Lehrer  Wunder  geschehen  lasse  zur  Strafe 
derer,  die  Gottes  Wort  nicht  achten  und  andern  zur  War- 
nunü'.  Der  Teufel  regiert  lieber  die  Seelen  als  er  den  Leil) 
besitzt,  darum  weicht  er  aus  diesem  leichter  in  der  Hoffnung 
jene  einzunehmen  mit  Unglauben  und  Abgötterei.  Darüber 
Luther^:  ,,Das  ist  dem  Teufel  ein  geringes  dass  er  sich  lesst 
ausstreiben  wenn  er  will,  auch  durch  einen  bösen  Buben, 
und  doch  wol  luiaussgetrieben  bleibt,  sonder  eben  damit  die 
Leute  desto  stercker  besitzet  und  bestricket  mit  der  schend- 
lichen  kriegerey".  5)  Die  Exorcisten  sagen,  ihr  Thun  gereiche 
Gott  zur  Ehre  und  dem  Nächsten  zum  Nutzen;  aber  sie  han- 
deln vielmehr  wider  Gottes  Gebot  und  suchen  ihre  eigene 
Ehre  und  weltlich  Gut.  Kommen  Ausspriiche  gegen  den 
Exorcismus  (ausser  einigen  Stellen  aus  Kirchenvätern)  von 
Luther,  Brentius,  Bucerus,  Wolfgang  Musculus,  Calvin, 
Bullinger  u.  a. 

Der  zweite  Theil  des  Buches  handelt  davon,  wie  man 
mit  Besessenen  verfahren  soll. 

Zunächst  hat  man  sich  zu  erkundigen,  ob  es  nicht  eine 
natürliche  Krankheit  sei,  die  für  Besessenheit  gilt.  Ist  es 
letztere,  so  ist  sie  als  zeitlich  Kreuz  zu  betrachten,  vom  Teufel 
zuofefüoft.  Dann  müssen  wir  die  Sache  Gott  befehlen  und 
durch  tägliches  Gebet  im  Namen  Christi,  und  zwar  nicht  nur 
durch  Privatgebet,  sondern  durch  Fürbitte  der  ganzen  Ge- 
meinde. Nüchtern  rauss  man  beten,  aber  nicht  unter  heuch- 
lerischem Fasten,  das  einen  Unterschied  der  Speisen  macht, 
sondern  dass  das  Volk  ein  züchtig  und  nüchtern  Leben  führe, 
das  heisst  christliches  Fasten,  wodurch  man  geschickt  wird 
zum  heftigen  und  fleissigen  Gebete. 


'  Ueber  das  Evangelium  Mattluü. 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  397  , 

V. 

Der  Zauberteufel,  durch  Ludovicuni  Milichium.  Von  Zauberei,  Wahr- 
sagung, Beschwören,  Segen,  Aberglauben,  Hexerei  und  mancherlei 
Werken  des  Teufels  u.  s.  w. 

Kapitel  1.  Diejenigen,  welche  nichts  auf  Zauberei  hal- 
ten, thun  recht,  es  ist  aber  leichtfertig  zu  glauben,  dass  es 
gar  keine  gebe,  denn  ihre  Existenz  beweist  die  Schrift, 
beweisen  die  Zeus-nisse  der  Heiden  und  wird  durch  die  Er- 
fahrung  gezeigt. 

Kapitel  2.  Die  Zauberei  besteht  eigentlich  darin,  dass 
die  Menschen  eine  Creatur  Gottes  anders  gebrauchen  und 
eine  andere  AVirkung  darin  suchen,  als  es  Gott  verordnet  hat. 
Dasselbe  gilt  von  Tagen,  Wörtern  u.  a.  m.  Die  Theologen 
unterscheiden  Abgötterei  von  Zauberei,  indem  bei  ersterer 
die  Ehre,  welche  Gott  alletn  gebührt,  einer  Creatur  zuge- 
wendet wird;  eigentlich  ist  aber  Zauberei  nichts  anderes  als 
teuflische  Abgötterei,  welche  Gott  verunehrt,  da  ander- 
wärts als  bei  Gott  Hülfe  gesucht  wird.  Darum  ist  sie  auch 
strafbar. 

Kapitel  3.  Die  Mannichfaltigkeit  der  Zauberei. 
Kapitel  4.  Der  Ursprung  der  Zauberei  liegt  in  der 
Verderbniss  der  Natur  und  Verfinsterung  der  Vernunft.  Wie 
heutzutage  der  Teufel  den  Hexen  zuweilen  in  Menschengestalt 
erscheint  und  mit  ihnen  einen  Bund  aufrichtet,  so  ist  es  viel- 
leicht schon  dem  Zoroaster  begegnet,  und  die  Zauberei,  die 
zuerst  in  Persien  aufgetreten,  hat  sich  dann  weiter  verbreitet. 
Kapitel  5.  Wer  sich  mit  Zaubern  abgibt,  sucht  ent- 
weder zu  schaden  oder  etwas  Nützliches  auszurichten. 
Der  Schade  betrifi't  den  Verstand  des  Menschen,  oder 
dass  dieser  vom  rechten  Glauben  abgelenkt,  das  Gemüth 
bezaubert,  Hass  oder  Liebe  in  unbändiger  Weise  ange- 
regt wird;  es  kann  aber  auch  der  Leib  durch  Zauberei  ge- 
schwächt, selbst  getödtet  werden.  „Denn  diss  ist  gewiss,  dass 
die  Hexen  etwan  tüchlin,  haar,  fischgräton,  spitzige  negel  und 
andere  Materi  den  Leuten  in  die  Leiber,  Köpfle  oder  Schenkel 
zaubern."  Durch  Zauberei  wird  auch  Vieh  beschädigt,  Wetter 
gemacht,  die  Frucht  verderbt.  „Lu  Zaubern"  wird  auch 
,,Yiel  dieberey  begangen.  Denn  gewiss  ist,  dass  die  Hexen 
Milch,  Eyer  vnd  andere  Speise  stelen".  —  Der  Nutzen,  der 
durch   Zauberei   gesucht    wird,    ist   auch    vielfältig.      „Etliche 


398      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

wollen  sich  damit  für  dem  Teufel,  für  Vngewitter,  für  Zau- 
berey,  für  Hawen  und  Stechen  und  vilen  Vbel  bewaren." 
Manche  geben  vor,  sie  können  Krankheiten  an  Menschen 
und  Thieren  heilen,  Hunden  und  Wölfen  die  Mäuler  zubinden, 
Ratten  und  Mäuse  verjagen,  im  Spiele  nicht  verlieren,  sich 
angenehm  machen,  grosse  Feuer  und  AVasser  dämpfen,  sich 
unsichtbar  machen.  Schätze  suchen  u.  s.  w.  Manche  geben 
vor,  dass  sie  nur  zur  Belustigung  Zauberei  lernen  inid  treiben, 
Gaukler,  Spielleute,  die  aber  eigentlich  nur  durch  Behendig- 
keit ihre  Stücke  vollbringen,  aber  doch  oft  mit  Zauberei  um- 
o-ehen.  Man  suche  übri^-ens  in  der  Zauberei  Nutzen,  Kurz- 
weil  oder  was  man  wolle,  so  findet  man  doch  nur  Schaden, 
Betrübniss,  Sünde  und  Schande  und  wer  sich  derlei  aber- 
witziger Dino-e  befleisst,  ist  für  einen  Widersacher  Gottes 
und  Diener  des  Teufels  zu  halten.  Denn  ^  solche  Werke 
kommen  vom  Teufel,  welcher  der  AVerkmeister  aller  Zaviberei 
ist,  die  Substanz  dazu  hat,  da  er  als  Geist  im  Augenblicke 
von  einem  Ort  zum  andern  kommen  kann;  er  ist  listig 
und  erfahren,  hat  die  Begierde  den  Menschen  zu  schaden 
und  auch  die  Gewalt  dazu,  wie  die  Heilige  Schrift  be- 
zeugt. 

Kapitel  7.  Von  zauberischen  Mitteln  und  Ceremonien. 
(Der  Verfasser  lässt  sich  in  keine  Discussion  ein.) 

Kapitel  8.  Von  dem  Gebrauche  der  Worte  bei  der 
Zauberei. 

Kapitel  Ü.  Von  der  Kraft  und  Wirkung  der  Worte. 
So  gross  die  Macht  des  Wortes  auch  ist,  kann  man  doch 
keine  Krankheit  damit  heilen,  man  kann  mit  Worten  leben- 
dige Creaturen  zur  Güte,  Barmherzigkeit  oder  zum  Zorn  u.  dgl. 
anregen;  aber  leblose  Wesen,  wie  Kräuter,  Steine,  können 
nicht  beweo't  werden.  Mit  Worten  tauft  man  Kinder,  man 
kann  sie  aber  nicht  zur  Zauberei  gebrauchen,  dasselbe  gilt 
vom  Vaterunser,  dem  Johannesevangelium  und  andern  heiligen 
Sprüchen.  Wenn  durch  Christi  Worte  Wunderwerke  ge- 
schehen sind,  so  ist  zu  bemerken,  dass  Christi  Worte  göttlich 
und  die  Worte  der  Menschen  sündlich  und  fleischlich  und 
zu  zauberischer  Wirkung  nirgends  verordnet  sind. 

Kapitel  10.    Warum  Worte  und  andere  Mittel  gebraucht 

1  Kapitel  6. 


1.  Lutber's  Glaube  an  den  Teufel.  399 

werden.  Hier  wird  bemerkt,  dass  die  Menschen  selbst  manche 
Mittel  erdichten,  denen  sie  eine  fremde  Kraft  zuschreiben, 
die  der  Aberwitz  für  wahr  annimmt.  Manche  Mittel  sind 
aber  vom  Teufel  erdacht,  mit  denen  nur  derjenige  etwas  aus- 
richtet, der  sich  dem  Teufel  ergeben  hat.  Der  Teufel  hasst 
Gott  und  ist  dessen  Affe,  der  ihm  alles  nachmacht,  zum  Theil 
um  seiner  und  der  Gläubigen  zu  spotten,  zum  Theil,  um  die 
Leute  von  Gott  abzuführen  und  in  Irrthum  und  Verwirrung 
zu  stürzen.  Wie  Gott  sein  Reich  und  alles  mit  seinem  ewigen 
Worte  erhält,  so  will  auch  der  Teufel  sein  Reich  und  Schel- 
merei mit  seinen  nichtigen  Worten  erhalten.  Gott  will,  dass 
wir  seinen  heiligen  Namen  in  allen  Geschäften  anrufen,  so  will 
auch  der  Teufel  zu  seinen  bösen  Sachen  angerufen  sein.  So 
Avie  das  Evangelium  durch  die  mündliche  Predigt  ausgebreitet, 
der  Leib  durch  Speise  gesättigt  werden  muss,  Gott  also 
Mittel  gebraucht  haben  will,  so  lässt  auch  der  Teufel  zur 
Zauberei  mancherlei  ungewöhnliche  Mittel  gebrauchen  und 
ziert  sie  mit  Worten  und  Geberden.  Dadurch  werden  die 
Leute  mehr  zur  Zauberei  gereizt.  Wird  durch  die  Zauber- 
mittel etwas  bewirkt,  so  hat  der  Zauberer  keine  Entschul- 
dio-ung,  denn  obschon  es  durch  den  Teufel  geschieht,  thut 
dieser  es  nicht  um  seinetwillen;  wirkt  die  Zauberei  nicht,  so 
bleibt  der  Teufel  ohne  Schuld,  diese  kommt  auf  die  unrich- 
tige Handhabung  des  Mittels. 

Kapitel  11.  Der  Teufel  und  die  Zauberer  vermögen 
nur  so  viel  als  Gott  zulässt,  denn  Gottes  Gewalt  geht  über 
alles,  ihm  ist  nichts  verborgen,  was  der  Teufel  und  seine  Gesellen 
im  Sinne  haben,  es  ist  Gottes  gnädiger  Wille  sich  dem  Teufel 
und  seinen  Werken  zu  widersetzen,  und  hat  darum  seinen 
Sohn  in  die  Welt  gesandt.  Es  haben  schon  die  Heiden  die 
Zaubermacht  nicht  geachtet,  um  so  viel  weniger  soll  der 
Christ  sich  vor  ihr  fürchten,  sondern  sich  unter  den  Schirm 
Gottes  geben. 

Kapitel  12.  Was  für  Werke  dem  Teufel  möghch  und 
unmöglich  sind.  Die  Werke  des  Teufels  sind  entweder  nur 
Spuk-  und  Blendwerke,  oder  sie  sind  wirkliche,  wahrnehm- 
bare Zeichen,  die  oft  auf  natürliche  Weise  geschehen.  Denn 
alles  was  die  Natur  vermag,  ist  auch  dem  Teufel  möglich. 
Unmöglich  ist  aber  dem  Teufel  etwas  zu  schaffen,  oder  etwas 
Geschaffenes  zu  vermehren  oder  zu  vergrösscrn,    oder   einem 


400      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

natürlichen  Dinge  eine  neue  Gestalt  zu  geben,  menschliche 
Gebrechen  zu  heilen,  Todte  auferwecken,  zukiinftige  Dinge 
vorher  zu  wissen.  Wenn  es  dem  Teufel  bisweilen  möglich 
wird,  übernatiirliche  Wunderwerke  zu  verrichten,  so  geschehen 
diese  nicht  durch  seine  Macht,  sondern  durch  Zulassung  und 
Kraft  Gottes.' 

Kapitel  13.  Gott  erlaubt  dem  Teufel  Wunder  zu  thun: 
damit  die  Gläubigen  einsehen  lernen,  dass  an  der  Lehre  des 
Evangeliums  mehr  gelegen  sei  als  an  Zeichen,  weil  auch  der 
Teufel  solche  thun  kann;  damit  die  Gläubigen  geprüft  werden 
und  Uebung  haben  ihren  Glauben  zu  offenbaren. 

Kapitel  14.  Wenn  der  Teufel  den  Gottlosen  Schaden 
zufügt,  so  geschieht  dies  zu  ihrer  Strafe,  wobei  der  Teufel 
den  Scharfrichter  macht.  Wenn  Gott  zulässt,  dass  der  Teufel 
die  Frommen  angreife,  so  geschieht  es  zu  ihrer  Prüfung.  Zu 
bemerken  ist  aber,  dass  er  diese  nicht  tödten  kann,  wol  aber 
kann  ein  Sünder  durch  Zauberei  getödtet  werden.  Darum 
sollen  die  Gläubigen  im  festen  Vertrauen  auf  Gott  sich  dem 
Teufel  widersetzen. 

KajDitel  15.  Von  der  Zauberei,  welche  (papjj.ax£L'a  ge- 
nannt wird;  sie  ist  eine  Todsünde. 

Kapitel   1().     Von  der  ^lor^xdtx;  sie  ist  eitel  Blendwerk. 

Kapitel  17.  Von  den  Verwandlungen  der  Menschen 
und  anderer  natürlicher  Dinge.  Diese  beruhen  auf  Einbildung 
der  Menschen. 

Kapitel  18.  Von  den  Beschädigungen  der  Leiber  an 
Menschen  und  Vieh.  Hierbei  ist  alles  von  der  Zulassung 
Gottes  abhängig,  unter  welcher  der  Teufel  auf  tausenderlei 
Weise  Menschen  und  Vieh  beschädigen  kann. 

Kapitel  20.  Von  dem  Milchstehlen.  Wird  als  gewöhn- 
licher Diebstahl  der  Hexen  mittels  des  Teufels  erklärt. 

Kapitel  21.  Von  dem  Hexenfahren  in  der  Luft.  Die 
Meinung  derjenigen,  dass  der  Teufel  die  Hexen  in  schweren 
Schlaf  versetze  und  ihnen  derlei  im  Traum  einbilde,  ist  nicht 
zu  strafen,  daneben  Avird  aber  zugegeben,  dass  der  Teufel 
mit  d(Mi  Hexen  und  Zauberern  Versammlungen  veranstalte, 
und  wenn  er  sie  durch  die  Luft  führt,  es  unter  Gottes 
Zulassung  geschehe.  Es  ist  gewiss,  dass  sie  mit  ihm  im  Bünd- 
niss  stehen,  denn  es  ist  dem  Teufel  daran  gelegen,  den  Bund 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  401 

bei  solchen  Versammlungen  zu  erneuen.  Es  wird  auf  Jakob 
Sprenger  ^  verwiesen. 

Kapitel  22.  Von  den  Incubis  und  Succubis.  Die  Buhl- 
scliaft  der  Hexen  mit  dem  Teufel  wird  für  möglich  gehalten, 
unter  Hinweisung  auf  Augustinus.  ^  Ob  Kinder  vom  Teufel 
erzeugt  werden  können,  sollte  ein  Christ  nicht  nachgrübeln, 
da  solche  Spitzfindigkeiten  gar  nichts  fruchten. 

Kapitel  23.  Von  den  Lamiis  und  Wechselkindern. 
Dass  gestohlene  Kinder  von  den  Lamiis  oder  Unholden  ge- 
fressen worden,  ist  ein  falscher  Wahn.  Was  die  Verwechselung 
der  Kinder  betrifft,  hält  der  Verfasser  dafür,  dass  der  Teufel 
Kinder  wegnehmen,  andere  oder  sich  selbst  in  Kindesge- 
stalt hinlegen  könne,  dass  die  Augen  der  Aeltern  zuge- 
bunden werden,  daher  sie  ihre  Kinder  nicht  erkennen. 

Kapitel  24.  Von  denen,  welche  ihre  Söhne  und  Töchter 
durchs  Feuer  führen,  und  Kapitel  25,  von  den  Weissagern, 
sind  ohne  Bedeutung. 

Kapitel  26.  Ob  der  Teufel  künftige  Dinge  wissen  und 
verkünden  könne,  wiederholt  schon  früher  Gesagtes. 

Kapitel  27.     Die  Tagwählerei  wird  verworfen. 

Kapitel  28.  Die  Astronomie  und  Astrologie  ist  eine 
vortreffliche  Kunst,  die  Prognostica  der  Astrologen  sind  aber 
nicht  unfehlbar,  sondern  dem  Willen  Gottes  unterworfen. 

Kapitel  29.  Die  pharisäische  Tagwählerei,  wonach 
manche  Tage  heiliger  sein  sollen ,  oder  gewisse  Stunden  zum 
Gebete  tauglicher  gehalten  werden,  wird  verworfen.  Dem 
Christen  sollen  alle  Zeiten  gleich  heilig  und  gut  sein,  er  soll 
sich  jeden  Tag  und  jede  Stunde  heiligen. 

Kapitel  30-  Von  den  Auguren.  Sie  werden  in  der 
Schrift  verboten.  Wenn  die  Auguria  öfter  eingetroffen  sind, 
so  ist  es  durch  den  Teufel  geschehen. 

Kapitel  31-  Zauberer  und  Schwarzkünstler  gehören  in 
eine  Zunft,  beide  machen  ihre  Sache  durch  den  Teufel,  und 
sind  Feinde  Gottes. 

Kapitel  32.  Von  den  Beschwörern;  diese  stehen  mit 
dem  Teufel  im  Bunde.     Das  Gebet  ist  eine  demüthige  Bitte, 


1  Malleus  malef.,  pars  II,  cap.  13. 
^  De  civ.  D.,  lib.  15,  cap.  23. 
Roskoff,  Geschichte  des  Teufels.  II.  26 


402      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

wobei  die  Gewährung  im  Willen  dessen  steht,  den  man  bittet. 
Die  Beschwörung  ist  eine  trotzige  Aufforderung  und  will 
gewährt  sein.  Zu  den  Beschwörungen  Gottes  rechnet  der 
Verfasser:  Agnus  Dei^  Sanct-Johannes- Evangelium  an  den 
Hals  häno^en ,  wodurch  Gott  die  Gewährunof  abo-enöthifft 
werden  soll,  Ablassbriefe  luid  Gebete  der  Mönche,  wo- 
durch Gott  beschworen  wird.  Ebenso  verwerflich  sind  die 
Besprechungen  von  Dingen,  dass  sie  etwas  bewirken  sollen, 
als:  Kräuter,  Salz,  Kuchen,  Lichter,  Wachs  u.  dgl.  weihen. 
Zur  dritten  Art  gehören  die  Beschwörer  des  Teufels,  dass 
er  erscheine,  oder  der  Schlangen,  oder  die  den  Teufel 
durch  Zauberei  austreiben.  Ob  den  Predigern  erlaubt  sei, 
Teufel  auszutreiben?  Darauf  antwortet  der  Verfasser:  „Dass 
sie  darzu  nit,  sonder  Gottes  Wort  zu  predigen  vnnd  die 
Sakramente  ausszutheilen  berußen  sind."  Paidus  l'ordert  nicht 
von  einem  Prediger,  dass  er  Teufel  austreibe,  sondern  dass 
er  lehrhaft  sei,  und  wenn  Christus  und  die  Apostel  Teufel 
ausgetrieben  haben,  so  ist  es  durch  ihren  besonderu  Beruf 
geschehen.  Wenn  die  Prediger  heutigentags  Christo  luid 
den  Aposteln  alles  nachthun  sollten,  so  müssten  sie  auch 
Todte  auferwecken  und  andere  Zeichen  thun. 

Kapitel  33.  Die  Wahrsager  um  Eath  zu  fragen,  ist 
verboten  in  der  Schrift.  Von  diesen  sind  zu  unterscheiden 
die  Weissagungen  der  Schrift;  zulässig  sind  die  Weissagungen 
aus  natürlichen  Dingen:  aus  dem  Himmelslauf  und  den  Ge- 
stirnen, aus  dem  Gewölk,  Kometen  vuid  andern  Meteoren,  aus 
Bewegungen  und  Eigenschaften  der  menschlichen  Leiber,  der 
Thiere,  u.  dgl.  Aber  auch  hierbei  soll  man  vorsichtig  und 
nicht  aberwitzig  sein.  Die  Chiromantie  hingegen  ist  nur  für 
eine  Zigeunerkunst  zu  halten. 

Kapitel  34.  Die  Zeichendeuterei  ist  Aberglaube,  und 
solcher  Aberglaube  ist  zauberisch,  der  Ordnung  Gottes  zu- 
wider, daher  in  der  Schrift  verdammt. 

Kapitel  35.  Traumauslegung  gründet  sich  auf  Aber- 
glauben. Träume ,  die  von  der  natürlichen  Beschaffenheit  des 
Menschen  abhängen,  sind  ohne  Bedeutung.  Nur  göttliche 
Träume,  die  von  Gott  kommen,  sind  glaubwürdig.  Teuflische 
Träume  hat  der  Teufel  vor  Zeiten  in  den  Heiden,  und  in  un- 
sern  Tagen  in  den  Ungläubigen  und  Gottlosen  bewirkt.  Nur 
auf  die  göttlichen  Trämne,  „welche  langsam  vnd  sehr  wenigen 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  403 

fiirkommen",  soll  ein  Gläubiger  halten,  das  übrige  Trnnm- 
werk  soll  er  sich  ans  dem  Sinn  schlagen  nnd  mit  dem  Teufel 
fiir  Eitelkeit  halten. 

Kapitel  oG.  Alle  Art  von  Nekromantie  ist  verdammt, 
sowie  auch  die,  welche  ,,in  derMattheis-Nacht  Sanct-Mattheissen 
nm  Rath  fragen",  oder  welche  anf  Sanct-Andreastag  sich 
segnen  in  des  Teufels  Namen,  damit  ihnen  ihr  eigen  Ge- 
spenst oder  Geist  erscheine.  Es  ist  lanter  „verlornes  nichts 
sollendes  Teufielswerk". 

Kapitel  37.  Von  den  Schatzgräbern.  Schatzgraben  ist 
voll  Sünde  nnd  gefährlich.  Denn  Schätze  werden  vergraben 
von  solchen,  die  das  Geld  für  ihren  Abgott  halten,  oder  aus 
teuflischer  Abgunst,  die  das  Geld  keinem  andern  gönnt,  oder 
den  Erben  stiehlt,  den  Armen  nicht  helfen  will.  Es  ist  bei 
alledem  zu  vermuthen,  dass  diese  Schätze  der  Teufel  in  Ver- 
wahrung halte,  daher  bei  dem  Schatzgraben  gewöhnlich 
Teufelsspuk  vorkommen  soll  und  manche  Leute  daliei  gar 
getödtet  werden.  Das  Schatzgraben  ist  mit  Gefahr  verbun- 
den und  gegen  Gottes  Gebote,  seine  Vorsehung,  seine  Güte 
und  Verheissung.  Die  Schatzgräber  sündigen  auch  gegen 
ihren  Beruf,  da  sie  in  Gottesfurcht  durch  Arbeit  ihre  Nah- 
rung erwerben  sollten,  ebenso  gegen  die  Taufe,  wo  sie  dem 
Teufel  und  seinen  Werken  abgeschworen  haben,  und  ihnen 
doch  wieder  verfallen  sind. 

Kapitel  38.  Wie  man  wider  die  Zauberei  predigen 
soll.  Obschon  etliche  „naseweise  Prädicanten"  meinen,  man 
solle  nicht  viel  über  Zauberei  predigen,  da  doch  nicht  jeder 
wisse,  was  sie  sei  und  ob  sie  sei,  und  die  Leute  erst  darauf 
hingelenkt  würden,  so  hält  es  der  Verfasser  doch  für  nöthig, 
dass  der  Prediger  die  Zauberei  mit  ihrem  ganzen  Apparate 
fleissig  erkläre,  damit  die  Leute  lernen,  was  Zauberei  und  wie 
mannichfaltig  sie  sei,  und  wie  damit  wider  Gott  gesündigt 
werde.  Alle  Zauberei  besteht,  wie  schon  gelehrt  worden,  in 
Bündnissen  des  Teufels,  in  Wahrsagerei  und  im  Aber- 
glauben. Im  Bündniss  mit  dem  Teufel  sind  alle  Schwarz- 
künstler,  Beschwörer,  Zauberer,  Hexen,  Milchdiebe,  Wetter- 
macherinnen und  solches  Gesindel  mehr.  Diesen  muss  ge- 
predigt werden  von  den  Werken  des  Teufels  und  seiner  Ge- 
walt, die  aber  ohne  Gottes  Zulassung  nichts  vermag,  lieber 
die  Wahrsager  muss  man  das  Volk  unterrichten,  da  es  ihnen 

26* 


404     Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Gescliichte  des  Teufels. 

zu  viel  zugibt,  man  soll  den  Unterschied  der  göttlichen  natiu-- 
lichen  luul  teuflischen  zauberischen  Weissafjuuiien  erklären- 
Den  Aberglauben  zu  strafen  erfordert  aber  viel  Vorsicht. 
Ueber  den  Aberglauben,  der  in  Worten  besteht,  hat  der  Pre- 
diger das  Volk  zu  unterrichten  und  auf  den  Misbrauch  auf- 
merksam zu  machen.  Den  Aberglauben  in  Bezug  auf  leib- 
liche Mittel,  z.  B.  Weihwasser,  Kerzenwachs,  Kräuter, 
Agnus -Dei,  Glockengeläute  u.  dgl.  hat  der  Prediger  mit 
Vorsicht  zu  bekämpfen  und  es  nicht  gar  zu  genau  damit  zu 
nehmen,  und  soll  alles  mit  Bescheidenheit  thun,  die  Umstände 
und  die  Personen  berücksichtigen. 

Kapitel  39.  Dass  die  Obrigkeit  der  Zauberei  wehren 
soll,  lehrt  die  Schrift.  x\m  Leben  sind  zu  strafen  alle,  die 
mit  dem  Teufel  im  Biindniss  stehen,  sie  mögen  Zauberer, 
Schwarzkünstler,  Beschwörer,  Wahrsager,  Hexen,  Nekro- 
inanten  oder  wie  immer  heissen.  Mose  sagt:  „Die  Zauberer 
sollt  ihr  nicht  leben  lassen",  damit  ist  angezeigt,  dass  man 
Feuer  oder  Schwert  oder  auch  andere  Wafien  oebrauchen 
könne.  Die  Obrigkeit  hat  aber  zu  sehen,  dass  sie  selbst  keine 
Zauberei  gebrauche  oder  brauchen  lasse,  um  deu  Greuel  nicht 
zu  fördern.  Wenn  man  die  Hexen  in  Bütten  oder  Fässer 
setzt,  sie  auf  Wagen  bindet,  damit  sie  die  Erde  nicht  berühren, 
so  ist  dies  „eine  zauberische  Fantasey  vnd  kompt  von  nie- 
mand denn  von  dem  Teufel,  welcher  gern  machen  wolt,  dass 
sich  jederman  für  den  Zauberinnen  förchten  solt".  Daher 
findet  der  Verfasser  den  Scharfrichter  zu  loben,  der  neulich 
in  einer  Stadt  eine  verurtheilte  Hexe  auf  der  Erde  bis  zum 
Rabenstein  führte,  wo  er  sie  vom  Teufel  ungehindert  zu 
Asche  verbrannte.  —  Mit  Geldstrafe  zu  belegen  oder  mit 
Gefängniss  oder -Exil  zu  bestrafen  sind  alle,  welche  Wahr- 
sagern oder  Zeichendeutern  nachlaufen,  sowie  die  den  Aber- 
glauben öfi'eutlich  vertheidigen.  Der  Verfasser  erinnert  an 
die  ungetreuen  Hebammen,  welche  zauberische  Werke  för- 
dern, er  lenkt  auch  die  Aufmerksamkeit  der  Obrigkeit  auf 
die  Spieler,  die  durch  Zauberei  gewinnen  oder  verlieren  kön- 
nen, und  diejenigen,  welche  mit  Teufelskünsten  das  Geschütz 
beschwören,  dass. sie  trefl'en  wen  sie  wollen,  oder  dass  der 
Schuss  des  andern  fehle.  Denn  es  geschieht  sehr  viel  Zau- 
berei, die  unbemerkt  hingeht  und  vom  Haufen  als  herrliche 
Kunst   gepriesen   wird;    von    den   Regenten   aber,    die    ihrem 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  405 

Amte  getreulich  nachkommen,  nicht  geduldet  werden  soll. 
Privatpersonen  sollen  dem  Teufel  fest  widerstehen  im  Glau- 
ben, die  Anfechtung  des  Teufels  mit  christlicher  Geduld  über- 
winden. Wenn  einer  oder  sein  Gesind  oder  Vieh  am  Leibe 
beschädigt  Avird,  soll  er  natiirliche  Arznei  anwenden;  kann 
er  die  Hexe,  die  solches  gethan,  überweisen,  soll  er  sie  bei 
der  Obrigkeit  belangen.  Wenn  aber  etliche  am  Tage  Philippi 
Jacobi  vor  Sonnenaufgang  Stöcke  und  Ruthen  unter  beson- 
dern Ceremonien  holen  und  an  einem  bestimmten  Tage  des 
Morgens  ins  Teufels  Namen  aufstehen  und  alles,  was  sie  thun, 
als  des  Teufels  Walten  betrachten  und  danach  schlagen,  um 
den  Teufel  oder  die  Hexe  zu  treifen  u.  dgl.,  so  ist  dies  ein 
Greuel,  und  die  solches  thun,  sind  der  Schläge  oder  des 
Feuers  mehr  wertli  als  die  Hexen.  Hierher  gehören  auch  die 
Künstler,  die  abwesend  den  Leuten  die  Augen  ausschlagen, 
indem  sie  auch  den  Teufel  zu  ihrem  Bundesgenossen  haben. 

VI. 

Der  Flucliteufel.     Wider  das  unchristliclie ,   erschreckliche  und  grausame 
Fluchen  und  Gotteslästern.     Eine  Vermahnung  und  Warnung. 

Der  Verfasser  klagt  über  die  Bosheit  der  Welt,  die 
aufs  höchste  gestiegen.  Bei  jedem  ist  fast  das  dritte  oder 
vierte  Wort  eine  Gotteslästerung,  wobei  die  Kinder  aufwach- 
sen, denen  das  Fluchen  bald  geläufiger  wird  als  die  Artikel 
des  Glaubens.  Die  Gotteslästerung  ist  eine  Sünde  und  grosse 
Verschmähung  des  grossen  Werks  und  Geheimnisses  der 
Menschwerdung  des  Sohnes  Gottes.  Darum  hat  sich  auch 
der  Satan  vom  Anfang  an  gegen  die  Vereinigung  der  zwei 
Naturen  in  einer  Person  aufgelehnt,  und  hat  keine  Ruhe  ge- 
creben,  bis  er  den  Messias  ans  Kreuz  und  vom  Kreuze  ins 
Grab  gebracht  hat.  Nachdem  aber  die  Kirche  und  das  ganze 
Reich  Christi  auf  der  Vereinigung  der  zwei  Naturen  in  einer 
Person  gegründet  ist  und  auf  diesem  Bekenntniss  besteht,  so 
ist  es  dem  Teufel  auch  um  dieses  Bekenntniss  zu  thun,  und  er 
setzt  alles  daran,  dies  Fundament  zu  fällen  und  sein  eigenes 
Reich  auszubreiten.  Da  Gott  aus  Liebe  zur  Welt  seinen 
eigenen  Sohn  zu  uns  herabgesandt,  der  sich  mit  unscrm 
Fleisch  und  Blut  vereinigt  hat  und  Mensch  worden  ist  blos 
darum,  dass  alle,  die  an  ihn  glauben,  nicht  verloren  gehen  u.s.  w., 
so  mögen  die  Gotteslästerer  bedenken,  ob  sie  sich  nicht  schmäh- 


406      Vierter  Absclinitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

lieber  an  dem  Sohne  Gottes  vergreifen,  als  es  von  irgend- 
welchen Ketzern,  Rotten  und  Sekten  geschehen  sein  mag. 
Die  Gotteslästerung  ist  auch  eine  Siuide  wider  das  Werk 
unserer  Erlösung  durch  das  Leiden  und  Sterben  unsers  Herrn 
Jesu,  den  die  Gotteslästerer  schmählicher  martern  und  morden, 
als  die  Kriegsknechte  zu  Jerusalem  gethan  haben.  Auch 
gegen  das  Erlösungswerk  hat  sich  der  Satan  aufgelehnt,  in- 
dem er  es  durch  Misverstand  und  Ketzerei  zunichte  und 
unfruchtbar  zu  machen  suchte.  —  Die  Gotteslästerung  ist  eine 
Si'inde  wider  das  ganze  Amt  des  Heiligen  Geistes  und  wider 
den  dritten  Artikel  unseres  christlichen  Glaul^ens.  Sie  ist 
eine  Sünde  gegen  die  heilige  Taufe,  indem  die  Gotteslästerer 
an  Gott,  dem  sie  sich  in  der  Taufe  zugesagt  haben,  mein- 
eidio;  werden.  Sie  ist  eine  Sünde  wider  das  hochwürdiffc 
Sakrament  des  Leibes  und  Blutes  unsers  lieben  Herrn  Jesu 
Christi. 

VII. 

Der  Tanzteufel.  Wider  den  leichtfertigen,  unverschämten  Welttauz  und 
die  ehrvergessenen  Nachttänze,  durch  Florianum  Daulen  von  Für- 
stenherg. 

Der  Verfasser  klagt  darüber,  dass  mehr  AVirthshäuser 
als  Kirchen  gebaut  werden.  Die  Ursache  davon  ist  die  Ver- 
achtung des  Wortes  Gottes.  Auch  hat  der  Geizteufel  über- 
hand genommen,  wo  jeder  Geld  zusammentreibt  und  von  den 
Wirthshäusern  Gewinn  zu  erreichen  sucht.  In  den  Wirths- 
häusern  wird  vornehmlich  dem  Teufel  sein  Dienst  mit  arar- 
stigen  Tänzen  dargebracht.  Die  Wirthshäuser,  ursprünglich 
zur  Aufiiahme  Fremder  errichtet,  werden  misbraucht,  Spieler, 
Säufer,  Tänzer  plagen  die  fremden  Gäste  durch  Lärmen, 
Tanzen  und  Springen,  je  mehr  dagegen  gepredigt  wird,  desto 
ärger  werden  die  Tänze  tief  in  die  Nacht  fortgesetzt.  Wenn 
die  Obrigkeit  Massregeln  dagegen  ergreifen  will,  so  rennen 
die  Wirthe  luid  schreien  über  Schmälerung  ihres  Verdienstes, 
beschenken  den  Miethsherrn  oder  die  Miethsfrau,  dass  sie 
ihnen  zu  Gefallen  thun.  Zuweilen  sind  die  Pfarrherren  selbst 
lässig  und  lassen  ihre  Töchter  oder  ihr  Gesinde  an  den 
Tänzen  theUnehmen;  sind  aber  die  Pfarrherren  treu  und 
strenge,  so  geht  das  Lästern  los.  An  manchen  Orten  herrscht 
der  Brauch,  dass  die  Mägde  erst  am  Abend  zum  Tanze 
laufen,    welcher  teuflische   Tanz   nicht  geduldet   werden   soll. 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  407 

Mütter  führen  ihre  Töchter  wol  selbst  zum  Tanz,  und  freuen 
sich,  wenn  diese  recht  herumgeschwungen  werden,  es  gibt 
auch  Mütter,  die  meinen,  ihre  Töchter  würden  ohne  Tanz 
keinen  Mann  bekommen.  Auch  Witwen  sind  so  toll  wie 
junge  Mägdlein,  lieber  viele  Arbeit  wird  geklagt,  aber  nimmer 
über  den  Tanz.  Dies  alles  bewirket  der  leidige  Tanzteufel, 
dem  sie  dienen.  Dieser  verleitet  die  Söhne  und  Mägde  zur 
Putzsucht,  um  beim  Tanze  schönstens  zu  erscheinen,  die  Dienst- 
boten werden  hofi'ärtig  und  wollen  es  nachmachen,  fordern 
grossen  Lohn.  Ermahnungen  an  Knechte,  Mägde,  Prediger. 
Ermahnung  wider  den  Tanzteufel.  Erinnerung,  dass  man  in 
der  Taufe  durch  die  Pathen  dem  Teufel  abgesagt  hat  und 
allen  seinen  AVerken  und  Wesen. 

vni. 

Gesiudeteufel,  von  M.  Peter  Glaser,  Prediger  zu  Dresden. 
Der  Teufel  bildet  dem  Gesinde  die  Siissigkeit  des  Miissig- 
gangs  und  der  Freiheit  ein,  dieses  sollte  aber  l^edenken,  dass 
Müssiggang  sündhaft  ist.  Der  Müssiggang  ist  nicht  nur 
an  sich  Sünde,  er  verleitet  auch  zu  allerlei  Sünden.  Darum 
ist  dem  Teufel  wol  bei  einem  Müssiggänger,  weil  er  ihn  eher 
als  einen  Arbeitsamen  zu  Sünden  bringen  kann.  Dem  Fleis- 
sigen  wird  in  der  Schrift  der  Segen  Gottes  verheissen,  der 
Müssiggänger  mit  dem  Fluche  Gottes  bedrohet.  Der  Müssig- 
gänger wird  von  allen  ehrlichen  Christen  verachtet.  Der  Teufel 
überredet  das  Gesinde,  welches  dienen  muss  oder  will,  dass 
es  lieber  bei  Gottlosen  diene,  und  bildet  ihm  ein,  dass  es  mehr 
Gewinn  davon  habe.  Wenn  das  Gesinde  sich  zum  Dienste 
versprochen  hat,  treibt  es  der  Teufel  an,  dass  es  wieder  auf- 
kündige, oder  wenn  es  schon  im  Dienste  ist,  nicht  bleiben 
solle,  und  wenn  es  im  Dienste  bleibt,  diesen  nicht  ordentlich 
versehe.  Der  Teufel  hetzt  die  Dienstboten  gegen  ihre  Herr- 
schaft auf. 

IX. 

Der  Jagdteufel.  Durch  M.  Cyriac.  Spangenberg. 
Das  Jagen  soll  in  Gottesfurcht,  ohne  Gotteslästerung  ge- 
schehen, ohne  andern  Leuten  zu  schaden,  ohne  Nachtheil  des 
Ackerbaus,   es  soll  nicht  Ursache  zum  Krieg  geben,    sondern 
zu   unvermeidlichem  Krieg   tüchtig   machen,    es   soll   zur  Er- 


40f>      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

quickung  des  Gemüths  dienen  u.  s.  f.  Es  gibt  auch  ein  gott- 
loses, unchristliches  Jagen,  wenn  Gotteslästerung  dabei  ge- 
schieht, arme  Unterthanen  unterdrückt,  deren  Aecker  verwüstet 
werden.  Besonders  wird  an  den  Jägern  getadelt,  wenn  sie 
der  Jagd  wegen  die  Predigt  versäumen,  wenn  sie  unmensch- 
lich wüthen  u.  dgl.  Die  Jagden  sind  nicht  nur  mit  Gefahr 
verbunden,  es  haben  sich  oft  manche  Schändlichkeiten  dabei 
zugetragen,  sind  Ursache  von  mancherlei  Uebel,  veranlassen 
grosse  Unkosten.  Die  wahre  Jagd  des  Christenmenschen  soll 
sein  nach  Gerechtigkeit,  Gottseligkeit,  dem  Glauben,  der  Liebe, 
Geduld  und  Sanftmuth,  „das  soll  unser  VVildpret  sein  und 
solchs  heisst  ein  rechte  Christliche  geistliche  jagt." 

X. 

Wider  den  Saufteufel.     Von  M.  Matth.  Friedrich  zu  Görentz. 

Die  Menschen  sollen  sich  vor  dem  Saufen  hüten,  denn  es 
ist  wider  Gottes  Gebot,  und  wird  Gott  die  Säufer  zeitlich  und 
ewig  strafen.  Wir  sind  keinen  Augenblick  vor  dem  Tode 
sicher  und  kein  Trunkenbold  wird  in  den  Himmel  kommen. 
Durch  Saufen  wird  der  Mensch  zum  unverständio-en  Narren, 
es  ist  auch  Ursache  von  allerlei  Sünden,  bringt  Schaden  an 
Ehre,  Leib  und  Gut.  Aus  diesen  Gründen  ist  das  teuflische 
Laster  zu  meiden. 

In  dem  beigefügten:  „Des  hellischen  Satans  vnd  der 
Stende  seines  Reichs  Sendbrieff  an  die  Zutrincker",  ist 
die  Aufforderung  gegeben,  sich  vom  Brauche  des  Zutrinkens 
nicht  abwendig  machen  zu  lassen  durch  das  Vorgeben ,  dass 
solches  ewige  Pein  bringe,  auch  nicht  durch  das  Edict,  das 
der  römische  Kaiser  Maximilian  ergehen  Hess,  sich  nicht  zu 
kümmern  um  das  Predigen  wider  das  Zutrinken. 

Hierauf  folgt  eine  „Instruction  des  Satans"  wie  die  ge- 
übten Zutrinker  andere  dazu  bewegen  sollen.  —  Beide  Schrift- 
stücke  haben  einen  humoristischen  Anflug. 

XI. 

Vom  Eheteufel,  durch  M.  Andr.  Musculum. 
„Ein  sehr  nützliches  Büchlein,    wie    man   den   heimlichen 
Listen,   damit   sich   der  leydige  Satan   wider    die  Ehestifftung 
aufflehnet,    auss   Gottes   Wort    begegnen    vnd   den   Ehestandt 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  409 

Christlich  anfahen,   friedlich  dariun  leben  vnd  glücklieh  voll- 
enden möge." 

Hierin  wird  gezeigt,  wie  nach  der  Weltschöpfung  der 
Ehestand  von  Gott  gestiftet  worden  und  wie  Gott  seinen  „Rath- 
schlag"  den  Menschen  eingepflanzet,  der  Satan  aber,  nun  Got- 
tes abgesagter  Feind,  aus  Neid  mit  seinen  Genossen  auch  zu 
Rathe  gegangen,  den  göttlichen  Rathschlag  zunichte  zu  machen, 
damit  sich  jeder  vor  der  Ehe  hüte  und  zur  unordentlichen 
Vermischung  greife.  Wie  der  Eheteufel  den  Rathschlag  Got- 
tes verwirrt  oder  den  Menschen  gar  aus  den  Herzen  reisst, 
das  erfahren  wir  an  den  Mönchen  und  Nonnen  und  aus 
vielen  Historien.  Der  Eheteufel  stört  die  Ehe  durch  Unfriede, 
verleitet  zum  Ehebruch,  er  stiftet  unpassende  Ehen,  wobei  auf 
Geld  u.  dgl.  gesehen  wird,  gibt  den  Weibern  das  Regiment 
in  die  Hand,  bewirkt,  dass  das  Weib  das  Haus  und  die  Kin- 
der vernachlässigt  und  der  Mann  dem  Weine  nachgeht. 

XH. 

Wider  den  Hurenteufel,  durch  Andr.  Hoppenrod. 

Die  vornehniste  Ursache  aller  Sünde  und  Schande  und 
namentlich  der  Unzucht  und  Hurerei  ist  der  Satan,  denn  er 
ist  ein  unreiner  und  unflätiger  Geist.  Er  gebraucht  mancher- 
lei Mittel.  Er  nimmt  den  Menschen  Gottes  Gebote  aus  den 
Herzen  oder  verkehrt  sie  wenigstens,  er  bildet  die  Schönheit 
einer  Person  ein,  reizt  durch  Geld  und  Gut,  dringt  auf  die 
Wollust  des  Leibes,  blendet  die  Menschen  mit  Geheimhal- 
tung u.  dgl.  Die  zweite  Ursache  der  Unzucht  liegt  in  der  Natur 
des  Menschen,  in  der  Yerderbtheit  des  Verstandes  und  des 
Herzens.  Unsere  böse  Natur  wird  aber  nur  gebessert  durch 
den  heiligen  Geist,  der  nur  denen  gegeben  wird,  die  Gottes 
Wort  hören.  Die  dritte  Ursache  ist  die  böse  Kinderzucht, 
wo  die  Aeltern  allen  Muthwillen  der  Kinder  gestatten.  Die 
vierte  Ursache  ist  die  Nachlässigkeit,  der  Herrschaft  in  dem 
Haushalte  und  in  Bezug  auf  das  Gesinde.  Die  fünfte  Ursache, 
dass  Mann  oder  Weib  das  Aufsehen  vermeiden  wollen.  Die 
sechste  Ursache  ist  die  Nachlässigkeit  der  Obrigkeit,  dass  sie 
nicht  straft.  Ferner:  böse  Gesellschaft,  unzüchtige  Oerter, 
Nachttänze,  helfen  auch  die  Schelmerei  anstiften. 

Im  andern  Theile  wird  gezeigt,  warum  solche  Sünde  und 
die  Anreizuuo^  dazu  vermieden  werden  soll. 


410      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

xin. 

Der  Geiz-  und  Wucherteufel,  durch  Albertum  von  Blankenberg. 
Nach  einer  langen  Reihe  von  Sprüchen  aus  dem  A.  und 
N.  T. ,  die  auf  Geiz  und  Wucher  Bezug  haben,  schliesst  der 
Verfasser  mit  einem  Vergleiche  seiner  Zeit  mit  der  unter  den 
Propheten  bei  den  Juden.  Die  Liebe  ist  erkaltet,  Niemand 
hilft  den  Armen,  Geiz  und  Wucher  hat  die  Menschen  einge- 
nommen. Christus  hat  befohlen,  umsonst  zu  leihen,  aber  die 
vermeinten  christlichen  Junker  und  Wucherer  achten  seines 
Wortes  nicht,  sondern  werden  aus  Christen  natürliche  Juden. 

XIV. 

Der  Schrapteufel.  Von  Ludwig  Milichius. 
Erster  Theil.  Was  man  der  Obrigkeit  schiddig  ist.  Zwei- 
ter Theil.  In  welchen  Dingen  die  Obrigkeit  sträflich  ist,  wenn 
sie  gegen  die  Unterthanen  zu  viel  tlmt.  Wird  die  Verschwen- 
dung der  Grossen  nach  Einzelheiten  dargestellt.  Dritter  Theil. 
Was  die  aufgezählten  „Beschwerungen  und  Schraperey  bey 
dem  Volck  aussrichten."  Vierter  Theih  Was  die  Schrift  der 
„Schinderey  und  den  Schrap-hansen"  für  Namen  gibt.  Fiinf- 
ter  Theil.  Wie  sich  Gott  der  armen  Unterthanen  annimmt. 
Sechster  Theil.  Wie  Gott  die  Herrschaften,  die  ihren  Unter- 
thanen so  schwere  Bürden  aufladen,  hart  bestraft.  Siebenter 
Theil.  Durch  welche  Sünden  das  Volk  die  Schraperei  und  die 
vielen  Beschwerden  verdient,  und  den  Zorn  Gottes  auf  sich 
ladet. 

XV. 

Der  Faulteufel.    Wider  das  Laster  des  Müssiggangs,  durch  Joachim  West- 
phalum. 

Der  Verfasser  unterscheidet  nach  dem  Vorgange  des  Jo- 
hann Brcntius  einen  doppelten  Müssiggang,  einen  ehrlichen, 
dem  sich  ehrliche  fromme  Leute  überlassen,  nachdem  sie  fleissig 
gewesen  sind,  und  einen  schändlichen,  dem  sich  die  faulen  zur 
fleischlichen  Wollust  ergeben.  Erster  ist  nicht  nur  erlaubt, 
Gott  gebietet  ihn  sogar  in  dem  Gebote  vom  Feiertag.  Wenn 
wir  im  Herzen  Jesum  Christum  feiern,  sind  wir  nicht  miissig. 
Der  faule  Müssiggänger  hingegen  misbraucht  die  Ruhe,  er 
sucht  nur  Wollust.  Den  faulen  Müssiggang  müssen  wir  mei- 
den, denn  er  ist  Avider  Gottes  Gebot  und  bringt  daher  man- 
cherlei Schaden.     Er  schadet  der  Seele,  indem  er  eine  Sünde 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  411 

ist,  entzündet  stets  die  Lust  zur  Scliwelgerei.  Er  schadet  auch 
dem  Leibe.  Er  bi-in2:t  ferner  Schande  und  führt  zu  andern 
Lastern  und  zu  Armuth. 

XVI. 

Wider  den  Hoffartsteufel,  durch  Joachim  Westphalum  und  M.  Cyriacum 
Spangenberg. 

Es  ist  ein  altes  SprichAvort:  dass  das  gute  Beine  sein 
miissen,  die  gute  Tage  ertragen  können.  Denn  wenn  dem 
Esel  zu  -svohl  ist,  geht  er  auf's  Eis  tanzen.  So  gehet  es  auch 
mit  den  Menschen.  Bei  uns  stolziert  nun  auch  der  Hoffiirts- 
teufel,  der  aus  AVelschland  und  Frankreich  zu  uns  heriiberge- 
kommen  ist.  Es  kommt  aber  der  Hoffartsteufel  nicht  allein 
und  nicht  verborgen,  sondern  lässt  sich  mit  seinen  AVerken 
sehen.  Diese  sind  Verachtung,  Verfolgung  und  Misbrauch 
des  göttlichen  "Worts,  Eigennutz,  "Wucher,  Geiz,  Hader,  Krieg 
und  Mord.  Darauf  ist  Gottes  ernstliche  Strafe  zu  erwarten. 
Der  Hoffartsteufel  ist  ein  stolzer  höhnischer  Geist,  der  alles 
leicht  verspottet.  Definition  des  Stolzes;  —  vom  geistlichen  und 
weltlichen  Stolz.  —  Aller  Stolz  und  alle  Hoffiirt  kommt  ur- 
sprünglich vom  Teufel,  der  selbst  aus  Hofiart  gefallen  ist,  und 
als  er  sich  über  und  wider  den  Sohn  Gottes  erhoben  hat,  aus 
dem  Himmel  gestossen  worden  ist.  Nachdem  der  Satan  die 
Hoffart  den  ersten  Aelteru  eingeträufelt  hat,  sind  wir  darin 
empfangen  und  geboren  und  wird  uns  in  der  Geburt  angeerbt, 
daher  sich  die  Hofiart  in  allen  Menschen  regt.  Es  ist  aber 
Schande  dem  Teufel  als  dem  Feinde  Gottes  und  Stifter  alles 
Bösen  zu  folgen,  daher  man  den  Stolz  meiden  soll,  und  auch, 
weil  aus  dem  Stolze  viele  andere  Siinden  und  Laster  entstehen. 
Diese  führt  der  Verfasser  als  Aeste  und  Zvveioe  an,  die  aus 
dem  Baume  „Hoffart"  hervor  wachsen.  Der  Stolz  ist  ferner 
zu  meiden,  weil  ihn  Gott  hasst,  daher  er  in  der  Heiligen  Schrift 
mit  vielen  hässlichen  Namen  belegt  wird.  Der  Verfasser  führt 
eine  Eeihe  von  Wahrzeichen  der  Hoffart  an  und  erörtert  na- 
mentlich die  verschwenderische  Kleiderpracht,  sowol  der  Män- 
ner als  der  Weiber,  das  Schminken,  er  spricht  von  der  leicht- 
fertigen „Vnbesteudigkeyt  der  Kleidung"  u.  dgl.  m.  Weil  die 
Hoffart  und  der  Stolz  ein  Gift  des  Teufels  ist,  womit  er  die 
Menschen  vergiftet  und  zum  ewigen  Tod  führt,  ist  es  nöthig 
eine  Arznei  dagegen    zu   suchen,    diese    ist;    der  Herr  Jesus 


412      Vierler  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Christ  durch  den  Mund  des  Glaubensgenossen,   Demuth,  die 
Erinnerung  an  die  Kürze  des  Lebens  etc. 

XVII. 

Vom  zuhiderten,  zucht  vnd  ehrerwegenen,  pluderichtcn  Hosenteuffel,  Ver- 
nianung  vnd  Warnung.     Durch  D.  Andream  Musculum. 

Der  Si\nde  Sold  ist  nicht  allein  der  Tod,  sondern  alles 
Ungliick  iiberhaupt,  und  Gott  lässt  neben  der  Sünde  auch 
seinen  Zorn  und  seine  Strafe  wachsen.  In  der  letzten  Zeit  ist 
die  Siinde  aufs  höchste  gestiegen  und  darum  auch  das  allge- 
meine Elend.  Der  Verfasser  findet  es  nöthig,  die  Ursache 
aufzudecken,  und  beschränkt  sich  allein  auf  den  „Hosenteufel", 
der  sich  in  seinen  Tagen  erst  aus  der  Hölle  begeben,  luid  den 
jungen  Gesellen  in  die  Hosen  gefahren  ist.  Die  Pluderhosen 
geben  Anlass  zur  Unkeuschheit,  und  sind  gegen  Gottes  Ord- 
nung, sind  gegen  die  heilige  Taufe,  wider  das  vierte  Gebot, 
wider  Gebrauch  und  Recht  aller  Völker  auf  Erden,  wider  un- 
sere Religion,  wider  das  Ebenbild  Gottes,  danach  der  Mensch 
geschaffen  ist,  wider  die  Wolfahrt  der  deutschen  Nation. 

XVIII. 

Der  Spielteufel.  Durch  H.  Eustachium  Schilde. 
Ist  „ein  gemein  ausschreiben",  das  die  Spieler  Briidcr- 
schaft  ergehen  lässt.  Der  Spielteufel,  der  sie  beschützt 
und  vom  Fürsten  dieser  Welt  ausgesandt  worden,  ist  ihr 
Abgott,  und  werden  durch  das  Ausschreiben  diejenigen  auf- 
gefordert, die  sich  unter  seinem  Schutze  in  den  Orden  auf- 
nehmen lassen  wollen.  Das  wüste  Leben  der  Spieler  wird 
geschildert;  ihr  Oberster  ist  „der  Spielteufel",  zu  dem  sich 
der  „Frass-  vuid  Saufteufel"  gesellt,  und  auch  der  „Possen- 
reisser  und  Lachteufel"  bleibt  nicht  aus,  und  heimlich  schleicht 
der  „Sauwrteuffel"  herbei,  wenn  sie  verspielen,  dazu  konunt 
der  „Haderteufel",  „der  Schwerenteuffel",  der  zum  Schwören 
anreizt,  „der  Nächtteuffel",  der  nicht  zur  rechten  Zeit  heim- 
gehen lässt;  „der  Lügenteufel",  zuletzt  „der  grobe  Vnflat", 
der  das  Spiel  zerstört. 

XIX. 

Der  Hoftcuftcl.     Das   sechste    Kapitel    Daniclis,    den  Gottesfürchtigen   zu 
trost,  den  Gottlosen  zur  Warnung,  Spielwciss  gestcllot,  vnd  in  Reimen 
verfasset,  durch  Joh.  Chryseum. 
Nach  damaligem  Brauche  der  Dramendichter  schickt  der 


1.  Luthers  Glaube  an  den  Teufel.  413 

Verfasser  seinem  fünfactigen  Drama  eine  Vorrede  voraus,  wo- 
rin er  den  Inhalt  sowol  als  auch  woher  er  diesen  entlehnt 
hat,  anzeigt. 

Vud  ist  der  Titel  darumb  worden  genannt 
Hofteuffel,  dieweil  hie  wirt  erkannt, 
Auss  Daniel  was  macht  vus  krafft 
Der  Teuffl  zu  weiln  zu  Hof  auch  hat. 


Weil  es  denn  zwar  thut  fehlen  nicht 
Zu  vnsern  Zeiten  ist  diess  Geschieht, 
In  Rlieim  verfasst,  Spielweiss  gemacht, 
Den  frommen  Leutn  zu  trost  erdacht. 

Er  schliesst  seinen  Prolog  mit  dem  üblichen  Zuruf  an  die 
Zuschauer: 

Jetzt  wollt  still  sein  Tud  hören  an, 
Was  disr  wil  bringen  auff  die  ban. 

Personen : 
Darius,  der  König.  Hanania,  , 

Josaphat,  der  Kantzier.  Misael,      (   Daniels  Freunde. 

Aspennas,  Kämmerer.  Asaria,      ) 

Heroldt.  Hofteuffel. 

Zwei  Trabanten.  Oncogenes,  ein  Cardinal. 

Lakay.  Licinius,  ein  gewaltiger  Fürst. 

Henger  oder  Profoss.  Cambyses,  ein  Fürst. 

Narr.  Pyromachus,  ein  Bischoff. 

Daniel.  Hybristes,  Pyromachi  Diener. 

Sibilla,  Daniels  Weib.  Blepsidemus,  ein  Kundschaffter. 

Balomon,        \  Dystyges,        |   zween  bedrängte 

Joseph,  [   Daniels  Kinder.  Baripemon,    \       Menner. 

Ben  Jamin,    ' 

Der  Anachronismus,  der  aus  der  Personenliste  in  die 
xVugen  springt,  wonach  am  Hofe  des  Königs  Darius  ein  römisch- 
katholischer Cardinal  und  ein  Bischof  erscheinen,  ist  weniger 
als  poetische  Licenz,  sondern  vielmehr  aus  der  Tendenz  des 
protestantischen  Verfassers  zu  erklären,  und  zeigt  sich  diese 
im  Verlaufe  des  Stücks  aus  deren  Zusammenwirken  mit  dem 
Hofteufel. 

Im  ersten  Act  tritt  Blepsidemus  auf  mit  der  Bemerkung, 
dass  in  der  jetzigen  Zeit  Lug  und  Trug  im  Schwange  seien, 
nicht  nur  unter  den  gemeinen  Leuten,  sondern  noch  mehr  bei 
den  grossen  Herrn 

Bey  Bischöflen  und  Cardinäln, 

Die  vns  der  Römisch  Hof  thut  wehin. 


414      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Sie  wüllen.s  wol  uioht  fierne  hau, 
Das  man  viel  sagn  thu  davon. 

Er  habe  neulich  zwei  Männer  belauscht  und  sei  dahinter 

gekommen,  dass  gegen  Daniel,  obschon  er  ein  redlicher  Mann, 

im  Geheimen  Ränke  geschmiedet  Avürden,  lun  ihn  um  die  Gunst 

des  Königs  und  das  ihm  A'crliehene  Amt  zu  bringen,  und  dabei 

sei  wunderlich,  dass  dieselben  Ränkeschmiede 

Sie  jm  soind  vutr  angn  so  gut, 

Ihr  keinr  für  jbm  der  gleicbeu  tliut, 

Ist  als  lieber  Oheim,  Vetter  vnd  Freund, 

Vnd  seind  jm  doch  im  licrtzcu  feiud. 

Die  Freunde  Daniel's,  Hanania  und  Misael,  kommen  erfreut 

mit  der  Neuigkeit: 

Wie  das  der  König  wüU  bestellu, 
Zu  einem  Statthalter  den  Danielu, 
All  Vogt  vnd  Fürsten  in  gemein, 
Die  solin  jm  vnderthenig  sein. 

Nun   begreift  Blcpsidemus    die   Ursache    der   Schelsucht 

jener    zwei    grossen  Herren    gegen  Daniel    und    theilt  dessen 

Freunden  seine  Erfahrung  mit,  mit  der  Aufforderung,  die  zwei 

Belauschten  zu  errathen.     Worauf  Hanania: 

Gut  Römisch  sinds  das  merck  ich  wol, 

Ich  glaub  Cambjses  sei  der  ein, 

Der  ander  wirt  Chereljcus  sein. 

Misael    räth    auf  Lianius    und   Achocolas.      Blephidemus 

wundert   sich,    dass    beide   fehlrathen,    und  entwirft  nun  eine 

Schilderung  der  zwei  geheimen  Feinde  Daniel's  als  Heuchler 

und  Wolliistlinge,  wovon  dereine  „ein  geistlich  Mann",  nennt 

aber  nicht  ihre  Namen.  Hanania  und  Misael  hoffen,  dass  Gott 

dem   Daniel  helfen  werde,   und  Blepsidemus   empfiehlt   ihnen, 

auf  der  Hut  zu  sein  und  diese  auch  dem  Daniel  anzurathen. 

Misael  und  Hanania  wollen  um  so  inbrünstiger  zu  Gott  flehen 

Dass  er  zurück  jr  anschleg  treib. 
Der  König  in  seim  fürsatz  bleib, 
Und  wöllu  jetzt  von  stunden  au, 
Zu  Daniel  als  bald  hingan, 
Im  anzuzeigen,  wie  es  sey  gestalt. 

Den  zweiten  Act  eröffnet  der  Auftritt  des  Hofteufels  mit 
der  Erörterung  seines  Charakters. 

„Wie  seit  jr  so?  vielleicht  nicht  wist, 
Was  mein  gevverb  vnd  namen  ist, 
Der  Hofteuffel  so  bin  ich  genannt, 
Vnd  komm  jetzt  her  aus  Perserland, 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  415 

Wil  ich  auch  weiter  anzeigen  dabey, 

Was  mein  gewerb  zu  Hofe  sey. 

All  Vnglück  rieht  ich  da  au, 

Wo  ichs  zu  wegn  uur  bringen  kau. 

Zum  ersten  so  rieht  ichs  dahiu, 

Wie  ich  denn  dess  ein  Meister  bin, 

Das  König,  Fürsten  sicher  lehn, 

Aufi"  Gottes  Wort  vnd  straif  nichts  gebn, 

Darnach  so  schick  ichs  wie  ich  kau, 

Das  sies  für  Ketzerey  auch  hau. 

So  ichs  dahin  nur  hab  gebracht, 

Meiner  sach  ist  schon  ein  grund  gemacht. 

Darnach  so  thu  ichs  weiter  treibn. 

Das  keiner  thu  mit  dem  andern  bleibn 

Zu  lang  in  frid  vnd  einigkeit. 

Ob  es  gleich  kost  jr  Land  vnd  Leut, 

Mein  lust  vnd  freud  hab  ich  daran, 

Hetz  nur  zu  hauff,  nur  wo  ich  kan. 

Gieng  es  recht  zu  es  wer  mir  leid, 

Abr  wie  gesagt,  ist  das  mein  freid. 

Wenn  ichs  fein  in  ander  meng, 

Diss  nach  der  zwerch,  Jens  nach  der  leng, 

Indess  vergessen  sie  fein  Gott, 

Wer  sie  wolt  straffn,  müsst  sein  bald  tod, 

Ist  als  für  mich  vnd  dünkt  mich  gut, 

Wenn  man  die  hend  fein  wescht  in  Blut. 

Wil  jemand  mir  entgegen  sein, 

Nicht  leben  nach  dem  willen  mein. 

Ich  jm  an  all  hertzen  plag, 

Lass  jm  zu  Hof  kein  guten  tag. 

Er  sey  gleich  Amptmann  oder  Rath, 

Kein  frid,  kein  rhu  er  für  mir  hat  u.  s.  f. 


Ja  so  ich  euch  alls  sagen  sol. 
Eins  halben  jars  bedürfft  ich  wol, 
Ich  hab  auch  hie  nicht  lang  zu  stan. 
Das  ist  aber  doch  die  Summ  davon. 


Was  jetzt  auch  mein  gewerbe  ist, 
Solt  jr  erfahru  in  kurzer  frist, 
Werd  sehn  was  ich  vermag  vnd  kau, 
Wider  die  so  mir  entgegen  stan, 
Wil  jn  erzeigen  mein  gnad  vnd  gunst, 
Hab  mich  jetzt  warlich  nicht  vmbsunst, 
Verkleidet  in  mein  Münches  kapn, 
Hat  ofl't  gemacht  gross  Herrn  zu  lapn, 
Weil  maus  für  grosse  Heiligkeit 
Gehalten  hat,  einr  schwur  eyd, 


41G      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Ich  ^ver  doch  ein  gantz  iVommer  Mann, 

Keiur  kennt  mich  nicht,  er  schaw  denn  au 

Mein  füss,  bin  doch  recht  fein  bekleidt, 

Wiewol  es  bringen  sei  gross  leidt 

Dem  Daniel,  ist  mir  gewesn 

Sehi"  schedlich,  sol  nicht  lenger  gnesn, 

Er  hat  mir  abgewandt  gar  viel, 

Seins  bluts  ich  mich  ergetzen  wil, 

Bin  zorus  voll,  hab  schaden  erlittn 

In  Persien,  da  ich  gestrittn 

Jetzt  hab  mit  Gabriel,  möcht  wol 

Vor  zorn  zuspringen,  Doch  keiner  sol 

Verzagen  drumb  so  gar  vud  gantz, 

Ob  er  einmal  versieht  die  schantz, 

Hah  ich  nun  gleich  jetzund  verlorn, 

Gilt  wider  gelten,  wil  meinen  zorn 

Am  Daniel  auslassen  frey, 

Was  gilts?   Wer  sind  aber  jene  drey? 

Ist  nichts  für  mich,  muss  gehn,  hab  zeit, 

Denn  mir  an  jener  sach  viel  leidt. 

Assaria,  Hanania  und  Misael  treten  auf,  sie  finden  es 
erklärlich,  wenn  dem  Daniel  an  einem  so  schweren  Regie- 
rungsamte nichts  gelegen  sei  in  dieser  Zeit,  namentlich  wie 
Hanania  sagt: 

Voraus  wenn  man  Avill  greiften  an 

Die  grossen  Herrn  die  recht  wölln  han. 

Als  Bischöff,  Cardinal  der  gleich, 

Die  höhen  grossen  Füi'stn  im  Reuch  u.  s.  w. 

Darum  f  iigt  Misael  hinzu,  sage  Daniel  selbst,  er  wollte  seines 
jetzigen  Amtes  gern  ledig  werden  und  es  einem  andern  gönnen, 
Denn  Herrn  gunst  wert  nicht  allzeit. 
Der  grösste  lohn  ist  hass  und  neid, 
Solchs  er  bey  jm  betrachtet  hat. 
Er  weiss  was  danks  ein  frommer  Raht 
Zu  Hof  erlaugt  mit  fleiss  vud  trew, 
Ist  wunder  nicht,  hat  er  gleich  schew. 

Ihre  Unterredung  schliessen  sie  mit  der  frommen  Hoflfnung: 

Doch  ist  wii'derumb  auch  offenbar 
Das  Gott  die  frommen  helt  in  hut. 
Ihn  widr  die  bösen  beystaud  thut  u.  s.  f. 

Und  Misael: 

Er  wirt  es  also  zum  besten  kern 
Er  weiss  wol  mittel  weg  vnd  mass. 
Das  er  kau  stewern  des  Neidhardts  hass, 
Vnd  sie  selbst  in  die  Gruben  feit, 
Die  sie  eim  andern  haben  bestelt. 


1,   Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  417 

Drumb  lass  nur  Gott  die  sach  heim  stelln, 
Wirts  besser  machen,  denn  wir  selbst  wölln. 

Dystyges,  der  mit  Parii^emon  und  Blepsidemus  kommt, 
klagt  diesem,  dass  er  nicht  zu  seinem  Rechte  kommen  könne, 
da  beim  Kammergericht  „so  grosse  Schalk  vud  Buben  weren", 
sein  Anwalt,  der  „Zungendreschr"  habe  ihn  ganz  ausgesogen, 
und  nun,  da  er  nichts  mehr  hat,  werde  er  von  jenem  in  der 
grössten  Noth  stecken  gelassen.  Blepsidemus  räth  ihm,  nicht 
zu  verzweifeln ,  dieser  wünscht  aber  nur  Rache  zu  nehmen. 
Paripemon  hingegen,  der  mit  seinem  Edelmann  in  Hader  ge- 
rathen ,  welcher  ihn  mit  Fron  und  Zinsen  bedrückte  aus  Hass, 
weil  er  ihn  wogen  eines  weggenommenen  Grenzzeichens  ver- 
klagt hatte,  erzählt,  dass  er  mit  Hülfe  eines  gelehrten  Rechts- 
freundes seinen  Handel  gewonnen  habe.  Hierauf  gibt  Blepsi- 
demus dem  Dystyges  den  Rath,  sich  schriftlich  an  den  König 
selbst  zu  wenden,  und  weist  ihn  deshalb  an  einen  frommen 
Mann.  Blepsidemus,  der  allein  zurückbleibt,  stellt  Betrach- 
tungen an  über  die  Herrschaft  des  Geldes  in  der  Welt  und 
das  Trachten  danach,  nicht  nur  unter  dem  Hofgesinde,  son- 
dern im  ganzen  Lande,  bei  allen  Ständen. 

Die  Pfaften  werden  auch  aufFtreibn 
Ein  feines  Spiel  mit  jrn  Gesellu, 
Darumb  muss  ich  gehn  Danielu, 
Gewarnen  doch  zu  dieser  Frist, 
Das  er  sich  hüt  für  jrem  list. 

Im   dritten  Act   tritt  Misael  auf,    dem  Herrn   dankend: 

Dieweil  mii-  Gott  aus  seinr  Gnad 
Mit  grossem  Ernst  befohlen  hat, 
Jetzt  seinem  Volck  beystand  zu  thun, 
Wil  ichs  mit  frewdn  aussriehtn  nun, 
Den  Daniel  wil  ich  auch  wol 
Errettn,  das  jm  nicht  schaden  sol 
Dess  Teuifels  vnd  aller  Pfaffen  list, 
Auch  nicht  das  gantz  Römisch  genist. 

Er  will  ihn  mit  Gottes  Hülfe  bewahren,  obschon  seine 
Feinde  auf  Teufels  Rath  ihm  nach  Leib  und  Leben  trachten. 
Daniel  werde  zwar  viel  leiden  müssen,  da  aber  Gott  die  Sei- 
nen auf  Erden  lieb  hat,  so  mag  ihm  der  Teufel  und  die  Welt 
zürnen,  zuletzt  werde  er  doch  den  Sieg  behalten.  Da  die 
Feinde  Daniel's  eilen,  könne  er  (Misael)  auch  nicht  länger 
verziehen. 

Roskoff,  Geschichte  des  Teufels.   U.  27 


418      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

In  der  zweiten  Scene  treten  auf  Oncogenes,  Pyroniachus, 
Hofteufel,  Cambyses  und  Ilybristes.     Nach  der  Aufforderung : 
Ach  lieber  Vater  raht  auch  zu, 
Wie  man  die  sach  fiu'nemen  thu 

sagt  Hofteufel:  Ir  seht  ich  bin  ein  Klostermanu, 

Ein  schlechten  Verstand  derhalben  ich  hau, 
!Meins  betens  ich  am  meisten  wart, 
In  meinen  Orden  streng  vnd  hart, 
Zu  solcher  sach  einfeltig  bin. 

Pyromachus  ist  für  summarisches  Verfahren: 
Habs  vor  gesagt,  sags  jetzund  auch, 
Man  schicksse  flugs  gen  Himmel  im  i'aucli, 
Schiess,  sclüag  in  sie,  würg  jiumer  todt 
Beid  ju  vnd  auch  sein  gantze  Rot. 

Cambyses  findet  den  Rath  zwar  gut,  aber  gefährlich,  wo- 
gegen Plofteufel: 

Ein  thewrer  Held  ein  trefflich  Mann. 

Cambyses  meint  die  Gunst  des  Königs  dazu  erforderlich, 
Pyromachus  aber: 

Er  ist  im  Baun  ich  acht  nicht  viel 
Was  sey  des  Königs  gunst  vnd  wil 
Und  weim  vns  das  nicht  gehn  wil  fort, 
Thu  man  bestelln  am  heiudich  ort 
Gut  Büchsenschützen  die  hurtig  seind 
Obs  jn  glück  das  sie  den  Feind 
Heimlich  erschlichen  vnd  vbereilen 
Jm  bald  ein  glüt  zwey  drey  mittheilen. 

Oncogenes    macht    auf   die  Gefahr    von  Daniel's  Einfluss 
aufmerksam : 

Er  würd  in  kürtz  gewiss  verführn 
Land  Leut  zu  seiner  schwermerey, 

daher  alles  aufzubieten,   ihn  zvi   beseitigen,    sonst   fürchtet  er 
keine  Gefahr: 

Seht  au  ich  bin  ein  Erblegat, 

Ein  Cardinal  vnd  Fürst  dabey, 

Hab  guter  Bisthumb  auch  wol  drey, 

Wer  hat  also  erhoben  mich? 

Pamachus  ^  allein  sag  ich 

Kann  euch  auch  gebn  des  Königs  Krön, 

Es  hats  vor  offt  den  sein  gethan. 

Denn  die  bey  jm  stets  halten  fest, 

Fürwar  er  sies  geniessen  lest. 

^  Der  Papst. 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  419 

Pyromachus  findet  dies  auf  seiner  Bahn,  und  Hofteufel: 

Ich  hab  auch  selbst  gefallen  dran. 
Cambyses  erklärt  sich   nun  bereit   mitzuhelfen,   nur   fragt 
er  nach  der  Weise  der  Durchführung  des  Plans.     Oncogenes 
Avill  dem  König  zunächst  einreden,  dass  er  dem  Daniel  seine 
Gnade  entziehe,  weil  er  das  Kammergericht  für  parteiisch  erklärt 
und  die  Klostergüter  anders  als  bisher  verwende.    Oncogenes 
will  den  Daniel  in  Verdacht   ziehen,    dass    er    die   königliche 
Gewalt  schmähe,  und  Pyromachus  will  ihn  als  Priedensbrecher 
vuid  Ketzer  dem  Könige  darstellen  und  meint: 
Es  sey  mit  ehren  oder  nicht, 
Wenn  er  nur  bald  würd  hiugericht. 

Hofteufel  gibt  nun  auch  seinen  Rath,  wodiu'ch  Daniel  zu 

stürzen  sei: 

Wie  meint  jr,  ob  das  best  würd  sein? 
Wenn  mau  ein  bad  jm  heitzet  ein 
Ob  seinem  Glauben  denn  er  helt 
Widr  Yus,  ja  widr  die  ganze  W^elt? 

Oncogenes  findet  den  Griff  sehr  fein,  und  Hofteufel  meint, 

man  könnte  den  König  selbst  dahin  bringen,  dem  Daniel  das 

Leben  nehmen  zu  lassen,  nur 

Müsst  mans  dermasseu  greüFen  an 

Damits  der  König  thets  verstau 

Als  sucht  jr  sein  ehr  gleich 

Zu  nutz  vnd  wolfahrt  seinem  Reich 

und  müssten    auch  die  Räthe   und  Amtleute   dafür  gewonnen 

werden.    Ist  dies  geschehen,  dann  sollten  sie  den  König  dahin 

bringen 

Das  ein  befehl  würd  gehn  zur  Handt 

Und  wird  gestelt  ein  streng  Gebot: 

Das  wer  von  Menschen  oder  Gott 

In  dreissyg  tagn  was  würd  begern 

(On  jn  allein)  Das  der  sol  werdu 

Zu  Löwen  in  den  graben  hin 

Alsbald  geworfFn,  bit  auch  jn 

Sagt  solchs  geschech  zu  seinen  ehrn. 

Das  Verbot  müsste  mit  der  königlichen  Unterschrift  ver- 
sehen werden,  und  dabei 

Muss  man  drauff  geben  gute  acht 
Ob  man  jn  (den  Daniel)  erschleichen  könd 
Vnd  in  seim  Hauss  sonst  betend  fünd,  — 
dann  würde   ihn  der  König    „nicht   ledig   lassn,    ob   er  auch 
wolt  er  muss  daran",   weil  jeder  sterben,  muss,   welcher  der 

27* 


420      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  äer  Geschichte  des  Teufels. 

Meder    oder   Perser   Recht    übertritt.      Alle   sind   über   diesen 
Rath  hoch  erfreut,  und  Oncogenes: 

Ach  Vater  jr  müsset  mit  vns  uch  gau. 
Hofteutel :    Mein  Horas  noch  zu  beten  han. 

Oncogenes  versiDricht,  ihn  davon  zu  absolviren,  und  nach 
einigem  Sperren  ist  Hofteufel  bereit  mitzuhelfen.  Inzwischen 
kommt  Hybristes  mit  der  Meldung,  dass  bei  Hofe  ein  GerVicht 
von  etlichen  Ketzern  herumgehe,  worauf  alle  voll  Hoffnung 
des  Gelingens  abtreten.  Dystyges,  der  auftritt  und  den  Hof- 
teufel gesehen  hat,  ist  befremdet: 

Sieh  da  ein  Münch  ein  seltzam  thier, 
Stehn  mir  die  har  gen  berg  doch  schier, 
Wie  seltzam  füsse  hat  denn  er, 
Gleich  schier  als  er  ein  Greiffe  wer, 
Wenn  er  mir  kem  im  Wald  allein, 
Glaubt  frey  es  müsst  der  Teuffei  seyn.  — 

Dystyges  ist  aber  sehr  froh,  denn  er  hat  ein  königliches 
Schreiben  in  der  Hand,  worauf  er  sein  verlorenes  Gut  wieder 
erhalten  soll. 

Vierter  Act.  Hofteufel  allein  äussert  in  einem  Monologe 
seine  Freude  darüber,  dass  er  hier  für  seine  Plane  so  feine 
Leute  gefunden,  die  ihn  an  Bosheit  übertreffen,  und  hofft,  dass 
Beizebub,  der  dem  Pomachius  drei  Kronen  gegeben,  ihm  für 
sein  Bemühen,  wenn  nicht  drei,  doch  wenigstens  eine  Krone 
schenken  werde.  Hierauf  kommen:  Oncogenes,  Darius,  Josa- 
phat,  Cambyses,  der  Herold,  Licinius,  Pyromachus.  Darius 
begrüsst  den  Hofteufel,  der  Herold  gebietet  auf  des  Darius 
Geheiss  allen  zu  schweigen,  und  Josaphat  verkündet  das  strenge 
Verbot  des  Betens  unter  Strafe  der  Lowengrube.  Darius  ladet 
hierauf  den  Licinius  und  Cambyses  ein,  mit  „Ein  abentrunck 
thun",  welche  ihm  folgen. 

Pyromachus,  der  Hofteufel,  Oncogenes,  Archocolax  und 
Hybristes  sind  in  der  Scene.  Der  Hofteufel  will  auf  die  Lauer 
gehen,  um  den  Daniel  beim  Gebete  zu  betreffen,  und  nimmt 
den  Hybristes  mit,  dass  dieser  Kundschaft  darüber  zurück- 
bringe, worüber  Archocolax  freudig  ausruft: 

Wenn  jetzt  Pomachius  nicht  Aver 
So  wer  kein  billichr  Bapst  denu  der. 

Hybristes  kommt  zurück  und  ruft  die  Anwesenden  eilig  ab. 
Es  treten   auf  Hanania,    Asaria,    Misael,    die    trotz   dem 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  421 

Verbote  sich  nicht  wollen  abhalten  lassen  ihrem  Gotte  zu  die- 
nen im  Gebete  und  Asaria  bemerkt: 

Aber  das  glaub  ich  wol  dabey 

Dass  solchs  der  Götzendiener  triebe  sey. 

und  Hanania :  Jr  werds  ei'fahrn  was  darft"  es  viel 
Vbr  VHS  ist  angericht  das  Spiel. 

Hierauf  erscheint  Hofteufel  mit  Oncogenes  und  Pyroma- 
chus  mit  der  Nachricht: 

Es  hat  geglückt,  nun  flugs  von  stund 
Thut  solchs  dem  König  jetzund  kund. 

Er  will  aber  dabei  nicht  als  Anzettler  genannt  sein.  On- 
cogenes „wils  mercken,  wol  ausrichten  fein",  in  der  Hoffnung, 
dass  es  Daniel's  letzten  Tag  gelte,  worauf  sie  abgehen.  Hana- 
nia sieht  den  „fein  Gesellen"  nach  und  will  es  Daniern  mit- 
theilen. Dieser  tritt  auf,  wird  iiber  das  Mandat  von  seinen 
Freunden  unterrichtet,  er  durchsieht  das  Complot  gegen   ihn: 

Bey  mir  ichs  auch  beschlossen  hau, 

Der  König  hat's  auch  nicht  erdacht, 

Es  habens  die  Gottlosn  Leut  gemacht. 
Er  erzählt,  dass  er  bei  offenem  Fenster  im  Sommerhause 
sein  Gebet  verrichtend  belauscht  worden  sei. 

Ich  hab  gebett  ich  leugn  es  nicht 

Und  wenn  ich  jetzt  seit  werdn  gericht. 

Eh  ich  Gotts  ehr  wolt  vnderlan 

Wolt  tausend  Hälss  ehe  setzen  dran. 

Ein  Lakai  tritt  auf  und  ruft  Daniel,  sofort  zum  König  zu 

kommen.     Asaria  und  Hanania  gehen  mit. 

Neue  Scene.    Darius,  Oncogenes,  Herold,  Narr,  Hofteufel. 

Die  Vorigen.     Der  Herold  gebietet  Stillschweigen,  Oncogenes 

klagt  nun  den  Daniel  an,  das  Verbot  iibertreten  zu  haben,  und 

motivirt  seine  Anklage: 

WeiLs  euch,  dem  Reich  zu  nachtheil  reichen  wil 
Sonst  hetten  wir  hertzlich  gern  geschwiegen  still 
Ohn  Zweiffei  ewr  königliche  Majestät 
Wirts  straffen  lassen,  wie  mit  bringt  euwr  Mandat. 

Worauf  der  Narr: 

Wenn  du  nit  lögsst,  so  werst  ein  feiner  Mann. 
Nachdem  Darius  gehofft  „der  Daniel  hats  nicht  gethan", 
und  Oncogenes  als  Augenzeuge  aufgetreten,  legt  Daniel  offe- 
nes Bekenntniss  ab: 

Ich  weyss  ewr  Majestät  hat  mich  erkannt 

Dermass,  dass  ich  meins  Diensts  noch  hab  kein  schand. 


422      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Mein  glaubn  bekenn  abr  ich,  geh  wie  es  geh, 
Bin  hie  Herr  König,  in  ewr  hand  ich  steh. 

Darius  sucht  die  That  des  Daniel  zu  entschuldigen,  dass 

sie   nicht  aus    Verachtung   begangen  worden,    wird    aber  von 

dessen  Feinden  gedrängt,  und 

will  ein  klein  Bedenken  han. 
In   der   nächsten    Scene:    Sybilla,    Ben  Jamin,   Salomon, 
Blepsidemus    klagen  gegenseitig   über   die   grosse  Gefahr  Da- 
niel's,  dessen  Weib  Sybilla  verweist  sie  auf  Gottes  Hülfe  und 
Blepsidemus  sucht  auch  zu  trösten. 

Es  kommen  Darius,  Hofteufel,  Henker,  Hanania  und  die 
übrigen  Personen  des  Stücks.  Der  König  wirft  dem  Daniel 
die  Uebertretung  des  Mandats  vor  und  will  ihm  die  Strafe 
des  Gefängnisses  dictiren,  Oncogenes  erinnert  aber  an  die 
amtlich  angedrohte  Löwengrube,  der  König  weigert  sich  län- 
gere Zeit,  muss  aber  endlich  den  Drängern  nachgeben: 

Mein  Daniel,  du  siehsts,  du  hast  gehört 

Das  ich  dir  nimmer  weiter  helfen  kan, 

Ich  bit  dich  drumb,  wolst  mich  entschuldigt  han. 

Der  Henker  bemächtigt  sich  endlich  DanieFs,  der  noch 
von  seinem  Weibe  und  seinen  Kindern  rührenden  Abschied 
nimmt,  seine  Freunde  sprechen  ihm  Muth  zu,  er  befiehlt  seinen 
Geist  Gott,  seine  Gegner  frohlocken. 

Oncogenes:    Wir  sind  sein  los,  dess  ich  sehr  frölich  bin. 

Hanania  betet  zu  dem  treuen  Gott  um  Hülfe. 

Fünfter  Act. 

Hofteufel:      Bey  Sathan  ich  het  schier  geschlafin 

Zu  lang,  daz  hettn  gemacht  mein  Aflfh. 

Er  hätte  es  kaum  gedacht,  dass  ihm  sein  Plan  so  leicht 
zum  Ausführen  geworden,  indess  seien  ihm  aber  auch  tüchtige 
Helfershelfer  zur  Seite  gestanden. 

Die  nichts  so  sehr  auflf  dieser  erdn 

Als  vnsers  Reichs  nutz  begeru. 

Er  habe  diese  Nacht  an  ihren  Ausschweifungen  seine 
Freude  gehabt.  Er  sei  zwar  sonst  nicht  gewohnt,  so  lange  zu 
schlafen,  wie  diesen  Morgen,  indess  der  gute  Erfolg  seines  Un- 
ternehmens könne  ihn  trösten,  und  er  hoffe  dafür  eine  schöne 
Krone  als  Belohnung  von  Beizebub.      Nun  sieht  er  nach  der 

Löwengrube  um  die  Lust  zu  haben 

Wenn  jetzt  die  Löwen  strotzen  fein 
Vom  Fleisch  des  Wiedersachers  mein. 


1.  Luther's  Glaulje  an  den  Teufel.  423 

Allein  Daniel  ist  noch  am  Leben,  die  Löwen  liegen  wie 
Hiindleiu  bei  ihm.  Er  berent,  dass  er  so  lange  geschlafen, 
und  will  nun  selbst  dem  Daniel  den  Hals  brechen,  da  bemerkt 
er  aber  einen  Engel  an  dessen  Seite.  Er  gibt  nun  sein  Spiel  auf 
und  fiirchtet  sich  auf  das  höllische  Feuer,  das  ihm  zum  Lohn 
dafiir,  dass  er  verschlafen  habe,  von  Beizebub  zutheil  werden 
wird.  Er  beschuldigt  die  Pfafi'en,  will  dem  Belzcbub  nicht 
vor  die  Augen  kommen,  bevor  er  nicht  ein  grosses  Unglück 
angerichtet 

Mein  Pfafln  soUns  iun  werden  wol, 

Sie  kommen  auch,  von  hin  ich  trol. 

Oncogenes,  Pyromachus,  Hybristes  treten  auf,  sie  sprechen 
iiber  ihre  beiderseitige  Trunkenheit  der  vorigen  Nacht,  sie 
wollen  zum  König  gehen,  wie  sie  verabredet,  wundern  sich, 
dass  „der  Münch"  (Hofteufel)  noch  nicht  da  ist.  Hybristes 
hat  ihn  schon  gesucht,  und  da  er  ihn  in  keinem  Winkel  ge- 
funden, besorgt  er,  dass  er  ins  Wasser  gefallen  sei.  Pyromachus: 

Die  Velteussucht  müsst  schlagen  darein 

Wenn  mir  der  Münch  jetzund  wer  tod, 

Viel  lieber  wer  mir  im  Himmel  Gott 

Frey  selbst  zu  dieser  Zeit  gestorbn 

Denn  wenn  der  Münch  sol  sein  verdorbn. 

Sie  wollen  zu  Hofe  gehen,  um  den  König  zu  veranlassen, 
einen  von  ihnen  zum  Statthalter  einzusetzen,  wo  sie  dann  im 
Bunde  miteinander  die  Freunde  Daniel's  ausrotten  werden 
INIit  Weib  vnd  Kindt  mit  wurtz  vnnd  grund. 
Hanania,  Misael,  Asaria  treten  auf,  und  Asaria  ärgerlich: 
Das  diese  Buben  vns  von  stundt 
Zu  äugen  kommen  also  schnei, 
Dagegen  müssn  wir  dess  Daniel 
Entbern,  das  Gott  geklagt  muss  sein. 

Misael  hofft  auf  Gottes  Gerechtigkeit.  Asaria  möchte 
wissen,  wie  es  um  Daniel  steht  und  hoift  auf  Gottes  Beistand. 
Misael  erzählt  seinen  Traum,  in  welchem  die  Rettung  Daniel's 
angedeutet  ist.  Hanania  wünscht  der  Angelegenheit  einen 
glücklichen  Ausgang.     Es  kommt  der  König. 

Darius,  Pyromachus,  Oncogenes,  Cambyses  und  alle  übri- 
gen Personen.     Die  Vorigen. 

Darius  klagt,  dass  er  weder  essen  noch  schlafen  könne 
vor  Betrübniss  iiber  seinen  treuen  Daniel ;  Josaphat,  der  Kanz- 
ler,   der   sein  Freund  gewesen,    beklagt   auch  seinen  Verlust. 


424     Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Der  König  hofft,  dass  DanieFs  Gott  diesen  gerettet  haben 
könne,  und  will  dann  dessen  Anbetung  proclamiren  lassen. 
Bevor  Josaphat  die  Thüre  zur  Löwengrube  aufmacht,  möge 
er  horchen,  ob  man  Daniel  hören  könne. 

Pyromachus:   Glaub  das  der  König  gar  thöricht  sei. 
Dieser  ruft  Daniel  an,    ob   er  durch  seinen  Gott  errettet 
worden. 

Daniel :  Herr  König  Gott  frist  ewr  leben  lanck 

Ich  sag  mein  Gott  ehr  lob  vnd  danck, 
Ich  hab  mein  leben  zu  diser  stund 
Bin  auch  noch  frisch  vnd  gantz  gesund. 

Pyromachus  meint,  der  König  soll  den  Bösewicht  todt- 
schlagen  lassen,  jener  lässt  aber  die  Thüre  öffnen,  Darius  freut 
sich  über  die  Erhaltung  seines  Freundes,  Misael  erinnert  sich 
an  seinen  Traum,  Daniel  erzählt,  wie  ihm  Gott  einen  Engel 
zur  Rettung  geschickt.  Darius  befiehlt,  die  Ankläger  DanieFs 
zu  ergreifen. 

Pyromachus:        Botz  wunden  das  Schwert  ich  in  dich  stich, 
Darius:  Schlagt  jhn  zu  Boden  wehrt  er  sich. 

Trabant   1 :         Hab  ich  dir  nun  erwehrt  dass  stechen  ? 
Pyromachus:        Ach  dass  ich  mich  an  dir  solt  rechen. 
Oncogenes:  Legst  hand  an  mich  du  bist  im  Bann. 

Darius:  Lasst  kein  davon,  das  wil  ich  han. 

Oncogenes:  Weist  nicht?  ich  bin  ein  Cardinal! 

Trabant  2:  Wie  sagst?  dess  Teufels  Official? 

Sie  werden  gebunden,  trotzdem  dass  Oncogenes  mit  Pama- 
chius  droht.  Die  Freunde  DanieFs  begrüssen  diesen,  Daniel 
verlangt  nach  seinem  "VVeibe  inid  seinen  Kindern,  nach  denen 
der  König  den  Blepsidemus  absendet.  Der  König  befiehlt  dem 
Kanzler  ein  Edict  ergehen  zu  lassen,  womit  das  geschehene 
Wunder  verkündet  und  die  Anbetung  des  Gottes  DanieFs  an- 
befohlen werden  soll.  Daniel  wird  mit  King  und  Purpur  als 
Statthalter  des  Keichs  geziert,  worüber  Oncogenes  und  Pyro- 
machus ihren  Verdruss  äussern.  Sybilla  kommt  mit  ihren 
Söhnen  freudig  herbeigeeilt,  und  Darius  verspricht  ihnen  Rache 
für  die  erlittene  Angst:  die  Feinde  DanieFs  werden  nun  selbst 
zur  Löwengrube  verurtheilt.  Worauf 
Oncogenes:  Du  Gottlosr  Ketzr,  du  bist  im  Bann, 

Darius:  Auss  ewrem  Bann  mir  helflfeu  wil.  • 

Cambyses:  Wo  ist  der  Münch?  der  vns  diss  Spil 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  425 

Hat  zugerieht  mit  seinem  Eaht? 
Der  Teuffei  jn  her  geschicket  hat. 
Pyromachus:  Wil  denn  kein  Mensch  mehr  helffen  mir 

Komb  Teuffei  hilff,  ich  geb  mich  dir. 

Darius  befiehlt,  die  Verbrecher  in  die  Löwengrube  zu  wer- 
fen und  mit  ihren  Familien  dasselbe  zu  thun. 
Blepsidemus:  Die  Bein  sie  auch  zumalmen  gar 

Sie  sind  dahin  mit  haut  vnd  har, 

Odr  übs  der  Teuffei  hinweg  selbst  hat, 

Dieweil  jn  jenr  vmb  hülff  jetzt  bat 

Zuvor  Ichs  nicht  gesehen  han, 

Scheint  wol  dass  vnrecht  habn  gethan. 

Der  König  ladet  Daniel  mit  Weib  und  Kindern  ein,  heute 
fröhlich  und  guter  Dinge  mit  ihm  zu  sein. 
Blepsidemus ;  Sih  wol  sie  wölln  hinein  jetzt  gan, 

Von  euch  will  auch  vi-laub  han, 

Hut  evch,  verfolgt  nicht  fromme  Leut 

Jr  seht  gar  bösen  lohn  es  geut. 

Folgt  der  „Beschluss",  wo  in  iiblicher  Weise  die  Moral 
des  Stücks  den  Zuschauern  zu  Gemiithe  geführt  wird. 

XX. 

Der  Pestilenz -Teuffei,  durch  Hermannum  Straccum,  Pfarrherrn  zu  Chris- 
tenberg. 

In  der  Vorrede,  worin  der  Verfasser  „diese  seine  colli- 
gierte  Predigt"  „der  Durchleuchtigen  Hochgebornen  Frauwen, 
Frauwen  Heidwigen,  geborne  Hertzogin  von  Wirtenberg,  Land- 
gräffin  zu  Hessen"  widmet,  wird  der  Ausspruch  der  alten 
Lehrer  erwähnt,  wonach  die  Seuche  „Deber  vnd  Chereb  zweyer 
TeufFel  Namen  seyn  sollen",  welche  die  Mensehen  umbringen. 
Als  Prediger  fühlt  sich  der  Verfasser  berufen,  da  „die  Pesti- 
lentz  allbereit  angegangen",  Trost  und  Lehre  als  göttliche 
Arznei  zu  bieten.  Es  folgt  nach  der  Vorrede  eine  Reihe  von 
Sprüchen  aus  dem  Alten  und  Neuen  Testament  und  hierauf  die 
Predigt.  Obwol  die  Aerzte  natürliche  Ursachen  der  Seuche  ange- 
ben, müssen  sie  doch  bekennen,  dass  Gott  solche  Plage  „durch  die 
mördischen  vnd  hellischen  Geister  in  die  weit  ausstrewc."  Der 
Teufel  ist  ein  giftiger  Wurm,  und  wenn  ihm  Gott  Kaum  lässt 
und  erlaubt  Schaden  zu  thun,  so  haucht  er  giftige  Winde  aus 
und  Menschen  und  Thiere  ziehen  das  Gift  in  sich.  Man  soll 
bei  der  Seuche  nicht  allein  an  natürliche  Ursachen  denken, 
sondern  Gottes  Zorn  und  des  Teufels  Hass  und  Bosheit  darin 


426      Vierter  Absclinitt:   Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

erkennen,  wie  durch  mehrere  Beispiele  aus  der  Bibel  vuid  der 
Geschichte  gezeigt   wird.      Die   Pestilenz   ist   eine   Strafe   der 
Simde,   die  auch  die  Frommen  hinwegrafft.     Sünde  muss  ge- 
straft werden.  Aesculap  und  andere  Heiden  konnten  in  solchen 
Zeiten  nicht  helfen,  es  muss  also  ein  Herz  mit  Johannis  und 
Christi    starkem  Glauben    mit  ernstem  Gebet    sich  verwahren. 
Man  kann  verständige  Aerzte  zu  Rathe  ziehen,  soll  aber  sein 
Vertrauen   nicht   auf  Menschen   und  Ajootheken,    sondern   auf 
Gott    setzen.      Man    soll    die   Wohnung    rein    halten,    wende 
Räucherwerk  an,    wozu  die  Ingredienzien  angegeben  werden; 
Aver  ohne  Hauswesen  und  Amt  der  Seuche  entflieht,   dem  ist 
es  nicht  zu  verargen,  denn  man  soll  sich  nicht  freventlich  der 
Gefahr  aussetzen.     Etwas  anderes  ist's ,  wer  von  Amts  wegen 
oder  aus  Freundschaft  zur  Hülfe  bereit  ist.   Keine  Sünde  wird 
vergeben  und  keine  Strafe  kann   aufhören,   es   muss  denn  die 
Sünde  mit  reuigem  Herzen  erkannt,  von  ihr  abgestanden  und 
Gott  durch  den  Glauben    an  Jesum  Christum  um  Vergebung 
der  Sünde  und  Nachlassung  der  Strafe  gebeten  werden.   Die- 
sen Arzt  muss  man   aber   zur   rechten  Zeit   suchen   und  nicht 
erst  am  Ende,  wo  kein  Ratli  und  keine  Hülfe  mehr  vorhanden 
ist.     Die  Leute  sollen  solange   sie  noch  gesund  und  vernünf- 
tig sind,  Busse  thun,  sich  zur  Versöhnung  mit  Gott  und  den 
Nächsten    durch   den   Gebrauch   der  heihgen    Sakramente   an- 
schicken.    Es  gibt  einen  Beruf,  der  heisst:  vocatio  charitatis 
oder  sanguinis,  wo  ein  Freund  den  andern  in  solchen  Leibes- 
nöthen  trotz    Gefahr   nicht   verlassen    wird.      Gott    kann    und 
will   solche   schützen.-    Mau    mag    auch    ohne   Verletzung  des 
Glaubens   bei    den   Kranken   Wachskerzen    mit  Myrrhen   und 
Weihrauch  zur  Arznei  der  Umstehenden  anzünden,  denn  auch 
der    Christ    kann    vernünftige   Vorkehrungen    treffen.      Wenn 
man  Busse  gethan,  zu  Gott  durch  Christum  geflohen  ist,  diesen 
in  wahrem  Ernst  und  Demuth  angerufen  hat,   soll  sich  jeder 
so  viel  als   möglich    mit  Arzneien  versorgen,    damit    er  nicht 
muthwilligerweise    Schaden  leide  oder  andern  zufüge.    Gegen 
Ende  erwähnt  der  Verfasser  die  Praesagia,  wodurch  die  Leute 
verzagt  gemacht  werden,  wenn  z.  B.  gesagt  wird,  dieser  und 
jener  sei  am  Todtentanz  gesehen  worden   und  sei  gefallen,  u. 
dgl.  m.    Die  von  der  Pestilenz  ergriffen  sind,  sollen  sich  dem 
gnädigen  W^illen  Gottes  ergeben,  der  ein  barmherziger  Vater 
ist  unsers  Herrn  Erlösers  und  Mittlers  Jesu  Christi,  und  ihm 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  427 

Leib  und  Seele  befehlen,  um  Geduld  und  Beständigkeit  bitten, 
Aerzte  berathen  und  natürliche  Mittel  anwenden.  —  Im  Schluss- 
satze „Von  des  Lebens  erlengerung"  meint  der  Verfasser, 
wenn  jemand  an  der  Pestilenz  stirbt,  sei  nicht  die  Krankheit 
schuld,  als  wäre  sie  so  gross  gewesen,  dass  Gott  davon 
nicht  hätte  retten  können,  sondern  zu  gedenken:  „Ira  Dei 
et  justitia  Dei  adversus  peccata  et  incredulitatem".  Gott  be- 
stimmt die  Zeit  des  Lebens,  wie  er  „auss  sonderlichen 
Göttlichen  Gnaden  den  Gottseligen  Frommen  solche  jre  zeit 
erstrecket,  die  zeit  der  Gottlosen  nach  seiner  Gerechtigkeit 
verkürtzet.  .  .  .  Wo  man  Artzney  haben  kan,  sol  man  solche 
gute  Gottes  Gaben  nit  verachten  oder  in  wind  schlagen,  doch 
dass  einer  allzeit  die  Zuversicht  und  Haupttrost  aufF  den  einigen 
Gott  setz".  —  Schliesslich  mehrere  Spriiche  und  Gebete. 


Bei  diesen,  meistens  moralischen  Tractaten,  in  deren 
Production  die  protestantischen  Schriftsteller  sehr  fruchtbar 
waren,  kann  dem  Leser  nicht  entgehen,  dass  bei  allem  Fest- 
halten der  Verfasser  an  der  Existenz  des  Teufels  die  sinn- 
liche Farbe  seines  persönlichen  Daseins  unter  den  protestan- 
tischen Händen  schon  zu  verblassen  beginnt.  Nach  dem  Vor- 
gange Luther's,  der  den  persönlichen  Teufel  als  „gefallenen 
Buben"  und  „Affen  Gottes"  mit  schnöder  Verachtung  furcht- 
los abgefertigt,  der  „die  schändlichen  Bilder  desselben  allzu- 
mal aus  der  Menschen  Gedanken  und  dem  falschen  Wahn 
von  Gott"  herleitet,  und  „sein  Bild  und  Contrafeit"  im  gott- 
losen Menschen  erblickt;  wird  er  bei  den  protestantischen 
Gelehrten  des  „Theatrum  Diabolorum"  schon  grossentheils 
zum  bildlichen  Repräsentanten  der  verkehrten,  sittlich-bösen 
Neigungen  und  Laster  der  Menschen.  Obschon  die  Gemüther 
in  dieser  und  nach  dieser  Zeit  die  Macht  des  Teufels  mit 
Furcht  erfüllte,  hatte  die  protestantische  Verständigkeit  des 
16.  Jahrhunderts  schon  den  Abstractionsprocess  begonnen, 
aus  welchem  der  Teufel  schliesslich  als  Abstractum  hervor- 
gehen sollte. 

Der  rationalisirende  Zug,  der  in  der  Anschauungsweise 
Luther's  und  seiner  Anhänger  unverkennbar  hervortritt,  bildet 
noch  keine  continuirliche  Linie,  sondern  besteht  zunächst  aus 


428      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

unzusammenhängenden  Punkten,  gleich  einem  projectirten  Eisen- 
bahnbaue. Der  Zweifel  ist  zwar  angeregt  und  macht  sich  nach 
einer  gewissen  Richtung  geltend,  er  tritt  aber  vor  aufgestellten 
Autoritäten  wieder  schüchtern  zurück.  Daher  das  schwan- 
kende, schaukelnde  Wesen  zwischen  der  Gewissheit  des  eige- 
nen Denkens  und  der  unbedingten  Annahme  des  Gegebenen. 
Dieses  schwankende  Wesen  musste  durch  die  fixirte  Vorstel- 
lung einer  Erden-  und  Geisterwelt,  zwischen  welcher  die 
Scheidelinie  unbestimmt  und  unbestimmbar  war,  vermehrt 
werden.  Allerdings  hatte  schon  der  junge  Protestantismus 
der  Macht  des  Teufels  einen  ffuten  Thcil  abgezwackt,  denn 
viele  Erscheinungen,  von  der  mittelalterlichen  Kirche  dem 
Teufel  zugeschrieben,  wurden  von  den  Protestanten  angezwei- 
felt, abgelehnt,  für  betrügerisch  erklärt  oder  auf  natiirliche 
Ursachen  zurückgeführt.  Allein  wo  war  die  Grenze  zu  finden 
zwischen  dem  Gebiete  des  Natürlichen,  wo  der  Mensch  das 
Gesetz  der  Causalität  erblicken  konnte,  und  dem  des  Ueber- 
natürlichen,  wo  dieses  Gesetz  aufgehoben  zu  sein  schien? 

Ein  Beispiel  dieser  Unsicherheit  und  Halbheit  liefert  das 
Buch  „De  spectris,  lemuribus  et  magnis  atque  insolitis  fra- 
goribus  variisque  praesagitionibus,  quae  plerumque  obitum 
hominum,  magnas  clades  etc.  praecedunt,  liber  unus,  in  tres 
partes  distributus,  omnibus  veritati  studiosis  summe  utilis, 
aufhöre  Ludov.  Lavatero.  Tigurino,  1570".'  Im  ersten  Theile 
verspricht  der  Verfasser  in  dem  vorangehenden  Briefe  an 
J.  Steigerus,  zu  beweisen,  dass  es  Gespenster  und  Geister 
gebe,  die  zuweilen  den  Menschen  vorkommen,  und  dass  sich 
überhaupt  viele  wunderbare  Dinge  ausserhalb  der  Ordnung 
der  Natur  zutragen.  Im  zweiten  Theile  will  er  zeigen:  dass 
diese  keine  Seelen  der  Verstorbenen,  wie  gewöhnlich  geglaubt 
wird,  sondern  gute  oder  böse  Engel  seien  oder  sonstige  ge- 
heime und  verborgene  Wirkungen  Gottes;  im  dritten  Theile: 
warum  Gott  bisweilen  Gespenster  erscheinen  lasse  und  ver- 
schiedene Vorzeichen,  und  wie  sich  bei  derlei  Ereignissen  zu 
benehmen  sei.  Diesen  „dunkeln  und  verwickelten"  Gegen- 
stand hofft  der  Verfasser,  gestiitzt  auf  die  Ausspriiche  der 
Heiligen  Schrift,  auf  die  alten  Väter,  auf  erprobte  historische 


'  Ich  benutze  die  Editio  quarta  prioribus  niulto  emendatior  (Lugd. 
Batav.  1687). 


1.    Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  429 

und  andere  gute  Schriftsteller  und  auf  Erfahrung,  so  klar 
und  deutlich  zu  entwickeln,  dass  diejenigen,  welche  die  gött- 
liche Wahrheit  lieben  und  dei'selben  sich  befleissen,  zur  Klar- 
heit kommen  sollen,  was  von  solchen  Erscheinungen  zu  halten 
ist.  Allein  gleich  im  zweiten  Caput,  wo  er  behauptet,  dass 
die  „Melancholici'-'  mancherlei  zu  sehen  und  zu  hören  sich 
einbilden,  sagt  er:  Furiosi  qui  usum  rationis  penitus  ami- 
serunt  aut  permissu  Dei  a  cacodaemone  vexantur,  mira  agunt, 
de  multis  visionibus  loquuntur  etc.  ^  Dieses  „aut"  lässt  uns 
ganz  ungewiss,  wer  als  furiosus  und  wer  als  vom  Kakodämon 
besessen  zu  halten  sei.  In  den  nächstfolgenden  Kapiteln  er- 
örtert der  Verfasser,  wie  furchtsame  Menschen  oft  Gespenster 
zu  sehen  glauben,  ebenso  diejenigen,  welche  am  Gesichte  oder 
Gehöre  schwach  sind,  auch  Betrunkene  manches  zu  vernehmen 
meinen,  w^as  nicht  existirt,  dass  ferner  oft  Betrug  und  Täu- 
schung bei  Erscheinungen  stattfinde,  wobei  der  Verfasser  Bei- 
spiele als  Belege  anführt.  Er  zeigt  '■^,  dass  viele  natürliche 
Erscheinungen  für  Gespenster  gehalten  werden ;  aber  bei  alle- 
dem wird  doch  wieder  durch  Geschichten  bewiesen,  dass  bis- 
weilen Geister  und  Gespenster  wirklich  erscheinen.  ^  Da- 
gegen findet  er  „in  libris  Monachorum  multae  ridiculae  et 
fabulosae  apparitiones"  ■*  und  behauptet  in  den  gleich  darauf- 
folgenden Abschnitten,  dass  die  tägliche  Erfahrung  die  Er- 
scheinung von  Gespenstern  beweise,  und  zwar  als  Zeichen 
eines  Todesfalles,  oder  sie  erscheinen  auch  danach  und  zwar 
bisweilen  unter  Lärmen  und  Gepolter.^  Der  Verfasser  erörtert 
die  Fragen:  wann,  wo  und  wie  die  Gespenster  erscheinen  und 
was  sie  bewirken  %  er  lässt  uns  aber  ganz  im  Stiche,  was  wir 
als  Einbildung  und  was  als  wirkliches  Gespenst  zu  betrachten 
haben.  Im  zweiten  Theile,  wo  bewiesen  werden  soll:  dass 
die  Gespenster  gute  oder  böse  Geister  seien  und  nicht  die 
Seelen  Abgeschiedener,  polemisirt  er  gegen  die  Papisten, 
welche  an  letztere  glauben  und  beruft  sich  auf  die  Zeugnisse 
der  Heiligen  Schrift,  der  alten  Väter;  sucht  zu  zeigen,  dass 
es  nicht  der  wirkliche  Samuel  gewesen  sei,  der  zu  Endor  er- 
schienen. ^  Er  findet  es  ausser  Zweifel ,  dass  der  Teufel  in 
Gestalt   eines   heiligen  Menschen  erscheinen  könne,    schwächt 


>  P.  17.  ^  Cap.  XI.         3  cap.  XII.         ■»  Cap.  XIV.         «  S.  108. 

«  Cap.  XIX.  '  Cap.  VU.  VIII. 


430      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

aber  die   häufigen  Erscheinungen    dadurch    ab,    dass   Gott    in 
den  ersten  Zeiten  oft  seine  Engel   in  sichtbarer  Form   an   die 
Menschen  gesandt  habe,  was  aber  nunmehr  nicht  nothwendig 
sei.     In  der  Apostelzeit  habe  es  auch  viele  Wunder  gegeben, 
die  jetzt  aufgehört,   da   sie  zu   unserm   Heile   nicht   erforder- 
lich  seien,    denn  was    wir   brauchen,    haben    wir   am    A\"orte 
Gottes.  1     Zuweilen  werden  doch  böse  Engel  gesehen,  die  dem 
Menschen    feind    und    beschwerlich    sind,     ihn    vom    wahren 
Gottesdienst  und   vom  Glauben    an  den   einigen   Sohn  Gottes 
abzubringen    suchen.  ^      Was    bedeutsame    Zeichen ,    Wunder 
und    derlei    betrifft,    sagt    der   Verfasser,    wie    in   Bezug   auf 
die  Gespenstererscheinungen,  ganz    einfach:   (simpliciter  dico) 
„wenn  sie  nicht  eitle  Einbildungen  oder   natürliche  Vorgänge 
sind,    so  sind   sie   göttliche   Ermahnungen,    die    durch   Boten 
Gottes,    oder   auf  andere    uns  unbekannte  Weise  an    uns   er- 
gehen, damit  wir  einsehen,  dass  nichts  ohne  den  Willen  Gottes 
geschehe,   dass  Leben  und  Tod,  Friede  und  Krieg,  Wechsel 
der  Religion,  der  Reiche  und  andere  Veränderungen  in  seiner 
Macht  liegen".  ^     Dabei  vergisst  der  Verfasser  abermals,  das 
Kennzeichen  anzugeben,  wodurch  Einbildungen  von  wirklichen, 
bedeutsamen  Erscheinungen  zu  unterscheiden  seien.    Ucbrigens, 
fährt  er'*  fort,  ist  es  dem  Teufel  ein  Leichtes,  in  verschiedenen 
Gestalten  von  Lebendigen  und  Todten  zu  erscheinen,    ja   um 
so    leichter,    in  thierischer    Form,    als    schwarzer   Hund,    als 
Kröte  u.  s.  w.    sich    sehen    zu    lassen.     Da    es    ihm  misfällt, 
wenn  wir  Gutes  thun,   so    sucht  er  uns  nur  Vertrauen    abzu- 
o-ewinnen,  wenn  er  zuweilen  zum  Guten  räth,   um   uns   dann 
zum  Bösen   verleiten   zu   können.  ^     Der  Zweck    der  Erschei- 
nungen <*  der  guten  Geister  ist:  die  frommen  Menschen  zu  er- 
mahnen  und  zu  schlitzen;  sind  es  aber  schlechte  Geister,  die 
erscheinen,   was   gewöhnlich   ist,  so  sollen  die   Gläubigen  zur 
Busse    angeregt,    die    Ungläubigen    bestraft    werden.''      Die 
Christen,    welche    derlei   Erscheinungen   haben,    sollen    stark, 
unerschrocken  und  fest   im    Glauben    sein. «     Gefällt   es  aber 
Gott,  dich  auf  einige  Zeit  durch  einen  bösen  Geist  zu  priifen, 
wie  den  Hiob,    so   ist   dies   mit   Geduld    zu   ertragen.  ^     Die- 
jenigen, welche  durch  Gespenster  geplagt  werden,  müssen  sich 


6 


1  Cap."  IX.        2  S.  230.        2  S.  232.        *  Cap.  XVII.        '  Cap.  XVIII. 
Pars  III."       '  Cap.  I.         «  S.  270.         »  S.  272. 


1.  Lutlier's  Glaube  an  den  Teufel.  431 

des  Gebetes,  des  Fastens,  eines  nüchternen  Lebens  nnd  from- 
men Wandels  befleissigen.  Denn  der  Teufel  schleicht,  nach 
dem  Zeugnisse  Petri,  umher  in  Häusern,  Wäldern,  auf  Fel- 
dern u.  s.  w.,  ohne  dass  man  ihn  immer  sieht.  Es  geschieht 
aber  immer  mit  Gottes  Zulassung,  ob  er  unsichtbar  bleibt 
oder  in  einer  sichtbaren  Gestalt  erscheint.  ^  —  Bei  Erschei- 
nungen sei  aber  der  Verdacht  und  der  Zweifel  nicht  beiseite 
zu  lassen,  da  sie  nach  der  Ankunft  Christi  seltener  geworden 
sind,  nachdem  Gott  seinen  Willen  durch  seine  Propheten, 
Apostel,  Evangelisten  und  vornehmlich  durch  seinen  Sohn 
kund  gethan,  der  uns  in  der  Heiligen  Schrift  aufbewahrt  ist, 
daher  wir  keine  andern  Offenbarungen  mehr  zu  erwarten 
haben.  ^  Wir  sollen  daher  nicht  jedem  Gerüchte  von  Ge- 
si^enstern  Glauben  schenken,  sondern  klug  sein  wie  die 
Schlangen  u.  s.  w.^  Was  die  Mittel  gegen  die  bösen  Geister, 
Englischer  Gruss,  Weihwasser,  geweihtes  Salz,  Glocken- 
geläute VI.  dgl.,  betrifl't,  seien  sie  nicht  zu  billigen,  denn  von 
diesen  Ceremonien  weiss  die  Schrift  nichts.  '^  Es  scheint, 
dass  der  Verfiisser  die  Unzulänglichkeit  seiner  Massregeln 
fühlt,  da  er  schliesslich  meint,  dass  der  gläubige  Christ  bei 
Spukgespenstern  und  Poltergeistern  zwar  auf  seiner  Hut  sein 
solle,  dabei  aber  am  besten  davonkomme,  wenn  er  derlei  Er- 
scheinungen als  Mahnzeichen  zu  einem  rechtlichen  Leben  be- 
trachtet,  um  zum  himmlischen  Leben  zu  gelangen,  und  ver- 
gleicht ihn  hierbei  mit  einem  edeln  Pferde,  dem  man  nur  ein 
Zeichen  zu  geben  oder  die  Sporen  zu  zeigen  brauche,  um  es 
in  einen  frischern  Gang  zu  bringen.  ^ 

Die  schwankende  Unsicherheit  in  dieser  protestantischen 
Anschauung  ist  ganz  deutlich  wahrzunehmen.  Der  Glaube  an  den 
Teufel  steht  fest;  aber  nicht  jede  Erscheinung,  sonst  des  Teufels 
Wirksamkeit  zugeschrieben,  wird  mehr  blindlings  als  solche 
angenommen.  Der  Zweifel  ist  angeregt,  an  die  Erscheinung 
soll  die  Kritik  angelegt  werden,  aber  leider  fehlt  das  ent- 
scheidende Kriterium.  In  jedem  Falle  soll  aber  alles,  also 
selbst  der  Teufel,  dem  Protestanten  als  Förderungsmittel  der 
Sittlichkeit  dienen. 

Vergleichen   wir  eine  Schrift  über  denselben  Gegenstand 


1  Cap.  V.  VI.  ■  S.  280.  ^  S.  289.  ■»  S.  303.  *  S.  310. 


432       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

von  einem  katholischen  Schriftsteller  aus  der  ersten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts:  „Petri  Thyraei  opera.  De  variis  appari- 
tionibus,  Dei,  Christi,  angelorum  jjariter  bonorum  atque  ma- 
lorum.  Colon.  1G28",  so  wird  hier  gar  keine  Schwierigkeit 
des  Prüfens  auferlegt,  es  ist  alles  ganz  eben,  es  bedarf  keiner 
Vorsicht  dem  Spuke  gegenüber,  da  es  keinen  Zweifel  gibt, 
denn  es  ist  die  althergebrachte,  sinnliche,  handgreifliche  An- 
schauung des  Mittelalters.  Thyraus  weiss  bestimmt,  dass  die 
Engel  stets  die  menschliche  Gestalt  haben,  und  zwar  die  männ- 
liche, die  Dämonen  hingegen  in  verschiedener  Form  erschei- 
nen, bald  in  menschlicher,  bald  in  der  von  verschiedenen 
Bestien.  „Gewiss  ist",  sagt  der  Verfasser,  „dass  der  Teufel 
niemals  als  Taube  oder  als  Lamm  gesehen  worden  ist,  nicht 
als  ob  er  diese  Gestalten  anzunehmen  ausser  Stande  wäre, 
sondern,  weil  es  ihm  nicht  erlaubt  wird  oder  weil  er  nicht 
will."  Denn  die  göttliche  Majestät  lässt  nicht  zu,  dass  böse 
Geister  Gestalten,  die  Gottes  sind,  annehmen,  oder  der  Hass 
der  Teufel  gegen  den  Schöpfer  ist  so  gross,  dass  sie  nicht 
einmal  eine  gleiche  Gestalt  oder  Aehnlichkeit  mit  ihm  haben 
wollen.  *  Thyräus  erinnert  an  die  Legenden  der  Heiligen, 
wo  der  Teufel  dem  heiligen  Martinus  in  der  Gestalt  eines 
Mannes  mit  Purpur  und  Krone  erschienen  war,  dem  heiligen 
Hilarion  als  Knabe,  dem  heiligen  Macarius  als  schwarzer 
Mohr,  einem  fünfjährigen  Knaben  als  schrecklicher  Drache 
u.  dgl.  Wir  finden  bei  Thyräus  die  alte  Ansicht,  dass  die 
Leiber  der  Teufel  aus  verdichteter  Luft  bestehen,  wie  die 
der  Engel,  dass  erstere  auch  in  Gestalt  Verstorbener  erschei- 
nen, was  für  letztere  nicht  passt;  dass  die  Teufel  als  Succuben 
und  Incuben  mit  beiderlei  Geschlecht  verkehren,  welches  zu 
leugnen  dem  Verfasser  als  Frechheit  erscheint.  '^  Die  Teufel 
können  sovvol  den  Leib  als  die  Seele  in  Besitz  nehmen,  aber 
sie  plagen  nicht  immerwährend  die  Besessenen,  ja  sie  sind 
zuweilen  sogar  für  einige  Zeit  abwesend,  und  von  letzterm 
Umstände  bringt  Thyräus  als  Beleg  ein  Beispiel.  Am  Todes- 
tage Luther's  waren  eine  Menge  Besessene  in  einem  braban- 
tischen  Orte  auf  einmal  von  ihren  Dämonen  befreit,  wurden 
aber  einige  Zeit   darauf  wieder  besessen.     „Kes    obscura   non 


'  S.  27,  De  spirituum  apparitione. 
2  S.  29. 


1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  433 

est",  sagt  der  Verfasser,  denn  als  am  nächsten  Tage  die 
armen  Menschen  von  den  Dämonen  auf  das  heftigste  geplagt, 
und  diese  gefragt  wurden:  wo  sie  denn  neulich  gesteckt  hätten? 
antworteten  sie :  sie  wären  abberufen  gewesen,  da  sie  auf  Be- 
fehl ihres  Obersten  bei  der  Leiche  seines  getreuen  Helfers- 
helfers, des  neuen  Propheten  Luther,  hätten  gegenwärtig  sein 
mi'isseu.  Diese  Geschichte  ist  bestätiot  durch  Luther's  Famu- 
lus,  welcher,  dessen  elendiglichem  Tode  beiwohnend  und  zum 
Fenster  hinaussehend,  zu  seinem  Schrecken  eine  Menge  der 
scheusslichsten  Teufel  erblickte,  die  in  der  Nähe  herumsi:)rangeu 
und  Iveigentänze  aufluhrten.  Bestätigt  wird  die  Geschichte 
auch  durch  die  Kaben,  welche  die  Leiche  Luther's,  als  sie 
von  Eisleben  nach  Wittenberg  gebracht  wurde,  unter  grossem 
Geschrei  begleiteten. ^  Unser  Verfasser  weiss,  dass  die  bösen 
Geister  häufig  durch  den  Mund  in  den  Menschen  gelangen, 
daher  sie  mit  der  Speise  oder  dem  Tranke,  worin  sie  ge- 
steckt, hineingegessen  oder  hineingetrunken  werden  können. 
Davon  leiten  viele  den  Gebrauch  der  Katholiken,  beim  Gäh- 
nen den  Mund  zu  bekreuzen,  ab,  um  das  Eindringen  böser 
Geister  abzuwehren.  Daher  kommt  es  auch,  dass  wenn  Dä- 
monen durch  Exorcismus  aus  den  Leibern  getrieben  werden, 
jene  häufig  als  Spinnen,  Fliegen  u.  dgl.  aus  dem  Munde  her- 
vorkommen. Damit  beweisen  sie,  dass  sie  durch  dieselbe 
Oeflnung,  durch  die  sie  hineingekommen,  auch  wieder  heraus 
miissen.  Die  bösen  Geister  können  indessen  auch  durch  an- 
dere Oeflnungen,  selbst  durch  die  engsten  Poren  in  den 
menschlichen  Leib  gelangen.  ^  Die  Dämonen  können  ent- 
weder den  ganzen  Leib  in  Besitz  nehmen,  oder  auch  nur 
einen,  selbst  den  kleinsten  Theil  desselben.  Sehr  häufig  neh- 
men sie  in  oder  neben  dem  Herzen  Platz,  oft  wechseln  sie 
aber  auch  ihre  Stelle.  ^  Es  gibt  gewisse  Zeichen  von  der 
Besitznahme:  Verleihung  eines  schrecklichen  Ansehens,  grosser 
Lärm,  grosse  Plackerei,  Gesichte  im  Traume  u.  dgl.,  aber  diese 
Zeichen  treten  nicht  immer  ein."*  Der  Zweck  der  bösen  Geister 
bei  der  Besitznahme  der  Menschen  ist:    diese  zu  quälen  und 


'  De  Daemoniacis,  lib.  I,  cap.  8,  p.  16. 

*  Ibid.,  cap.  9,  p.  17. 

^  Ibid.,  cap.  10,  p.  18. 

*  Ibid.,  cap.  11. 

Koskoff,  Gesclüchte  dea  Teufels.    II.  28 


434      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

zwar  aus  Hass,  der  seinen  Grund  wieder  in  ihrem  Hasse 
oegen  Gott  hat.  Sie  beneiden  die  Menschen  um  ihre 
Seligkeit  und  Gott  um  seine  Ehre.  ^  Die  Ungetauften  sind 
eigentlich  nicht  vom  Teufel  besessen,  er  hat  aber  grosse  Macht 
über  sie,  daher  der  Exorcismus  mit  Recht  angewendet  wird.^ 
Die  Ketzer  stehen  in  intimem  Verhältniss  mit  den  Dämonen, 
obschon  nicht  alle  besessen  genannt  werden  können,  ausser 
einigen  Anabaptisten,  die  sich  aber  auch  von  den  gewöhnlichen 
Besessenen  unterscheiden.  ^  Es  sind  sechs  äussere  Zeichen, 
welche  den  Verdacht  erregen,  dass  ein  Mensch  einen  Teufel 
im  Leibe  habe:  barbarae  voces,  horribilis  vultus,  membrorum 
Stupor,  svnnma  inquietudo ,  vires  humanis  superiores,  cruciatus. 
Die  Besessenen  sprechen  in  verschiedenen  Sprachen,  ohne  sie 
zu  kennen  und  die  Bedeutung  der  Wörter  zu  verstehen.  "* 
Die  Besessenen  müssen  die  Tyrannei  der  Dämonen  ertragen, 
oft  wegen  ihrer  eigenen  Sünden,  leichtern  und  schwerem; 
meistens  wegen  Unglauben,  Misbrauch  der  Hostie,  Gottes- 
lästerung, Hochmuth,  Wollust,  Geiz,  Verfolgung  der  Heiligen, 
Misachtung  Gottes  und  göttlicher  Dinge,  Ergebung  an  die 
Dämonen,  Wahrsagerei  u.  s.  w.^;  bisweilen  müssen  aber  Men- 
schen auch  wegen  Sünden  anderer  die  Quälerei  von  Dämonen 
leiden,  was  aus  angeführten  Beispielen  von  unschuldigen  Kin- 
dern, von  Heiligen  u.  s.  w.  klar  hervorgeht.  ^  —  Christus  hat 
der  Kirche  die  Macht,  Teufel  auszutreiben,  verliehen,  um  sei- 
nem Evangelium  Glauben  zu  verschaffen,  um  seine  Macht 
und  Göttlichkeit  zu  ofi'enbaren,  damit  seine  Anhänger  be- 
kannt, die  Besessenen  des  Teufels  ledig  werden,  um  der 
Majestät  der  Kirche  Anerkennung  zu  verschaffen,  um 
zu  zeigen,  dass  der  Mensch  durch  den  Teufel  zur  Sünde  nicht 
o-ezwungen  werde  u.  s.  w.^  Für  den  Exorcisten  ist  ein  reines 
Gewissen  zwar  vortheilhaft,  aber  keine  nothwcndige  Bedingung 
seiner  Wirksamkeit.  **     Dass  ein  ketzerischer  Exorcist  niemals 


•  De  daenioniac 

,  lib.  I, 

cap.  15. 

2  Ibid., 

cap. 

18, 

p.  35. 

3  Ibid., 

cap. 

21. 

*  Ibid., 

cap. 

25. 

0  Ibid., 

cap. 

29. 

30. 

«  Ibid., 

cap. 

31. 

7  Ibid., 

cap. 

36. 

8  Ibid., 

cap. 

3 

1.  Luther's  Glaube  an  den  Teufel.  435 

einen  Teufel  austreiben  könne,  ist  selbstverständlich,  da  die 
Teufelsaustreibung  ein  Beweis  der  Rechtgläubigkeit  ist,  und 
Gott  nicht  das  Falsche  bezeugen  wird.  Der  Verfasser  führt 
ein  Beispiel  an,  das  Staphilius  als  Augenzeuge  erzählt.  „Im 
Jahre  1544  brachte  man  ein  Mädchen  aus  dem  Meissnischen 
nach  Wittenberg  zu  Luther,  dass  er  es  vom  bösen  Dämon 
befreie.  Dieser  sperrte  sich  zwar  anfangs  dagegen,  liess  aber 
endlich  das  Mädchen  in  die  Sakristei  der  wittenberger  Pfarr- 
kirche bringen,  wo  er  in  Gegenwart  anderer  Doctoren  und 
gelehrter  Männer,  unter  denen  ich  mich  auch  als  junger  Ma- 
gister befand,  den  Dämon  zu  beschwören  anfing  luid  zu 
exorcisiren,  aber  nach  seiner  eigenen  Weise,  nicht  nach  der 
bei  den  Katholiken  üblichen.  Trotz  langen  Beschwörungen 
Avollte  der  Dämon  nicht  weichen,  versetzte  vielmehr  Lu- 
ther's Hosen  in  solche  Nöthen,  dass  dieser  aus  der  Sakristei 
hinauseilen  wollte.  Allein  was  geschah?  Der  boshafte  Dämon 
hatte  die  Thüre  der  Sakristei  so  verrammelt,  dass  sie  weder 
von  innen  noch  von  aussen  aufzubringen  war.  Dadurch 
wurde  Lvither  so  in  Angst  versetzt,  dass  er  zum  Fenster 
eilte,  um  hinauszuspringen.  Allein  daran  hinderten  die  eisernen 
Gitter,  sodass  er  genöthigt  war,  mit  uns  so  lange  eingesperrt 
zu  bleiben,  bis  man  uns  durch  die  Gitter  ein  Beil  reichte, 
das  mir  übergeben  ward,  um  den  Ausgang  durchzubrechen, 
was  ich  auch  that.  Inzwischen  war  es  wunderlich  anzusehen, 
wie  Luther  in  seiner  Noth  auf-  und  ablief  und  gleich  einem 
weidenden  Schafe  sich  hin  und  her  wendete".  ^  Die  fünf 
W^eisen,  aufweiche  bei  den  Katholiken  die  Teufel  ausgetrieben 
werden,  sind :  Anrufung  des  Namens  Jesu,  Gebrauch  von  Re- 
liquien, Anlegung  des  heiligen  Kreuzes,  Gebrauch  geweihter 
Sachen,  Exorcismus.  Schon  die  blosse  Nennung  des  Namens 
Jesvi  versetzt  die  Dämonen  in  grossen  Schrecken.  ^  Der  Ver- 
fasser findet  Apostelgeschichte  5  angedeutet,  dass  der  Schatten 
Petri  auf  Dämonen  grosse  Gewalt  ausgeübt  habe;  er  führt 
ferner  den  historischen  Beweis,  dass  durch  die  Fesseln  des 
heiligen  Petrus  eine  Menge  Dämonen  ausgetrieben  worden 
seien.  ^     Die  Dämonen   verlassen   sehr  ungern    die  Menschen, 


*  De  daemoniac,  lib.  I,  cap.  40,  p.  87. 

'''  Ibid.,  cap.  42. 

3  Ibid.,  cap.  43,  p.  96. 


28' 


436      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

die  sie  besitzen,  weil  sie,  einmal  ausgetrieben,  nicht  wieder 
zuriickkehren  dürfen,  oder  von  da  in  die  Hölle  geschickt  wer- 
den. ^  Die  ausgetriebenen  Teufel  suchen  wieder  andere  mensch- 
liche Körper,  darauf  Bestien,  hernach  einsame  üi'te.  Am 
unliebsten  gehen  sie  in  die  Holle,  weil  sie  dort  ihrer  Lust 
nicht  fröhnen  können,  Menschen  zu  peinigen,  und  die  Frei- 
heit umherzuirren  verlieren.^  Die  Wirksamkeit  des  wächser- 
nen Bildes,  des  sogenannten  Agnus-Dei,  gibt  Thyräus  in  fol- 
gendem Vers  zusammengefosst: 

Fulmina  pellit, 
Crimina  mundat. 
Daemones  arcet. 
Liberat  igne, 
Servat  ab  undis 
Morteque  jironipta. 
Subjugat  hustes, 
Et  parientem 
Prole  seeundat. 
Plurinia  dignis 
Muuera  coufert, 
Parvaque  tantum 
Portio  prodest 
Maxima  quautum.  ^ 

Es  gibt  drei  Arten  Quälgeister:  Dämonen  oder  böse 
Geister,  die  Seelen  der  Verdammten,  und  Seelen,  welche  im 
Fegfeuer  gereinigt  werden.  Diese  Gespenster  spuken  an  ge- 
wissen Orten."*  Orte,  wo  es  nicht  geheuer  ist,  sind  vornehm- 
licli:  Einöden,  sumpfige  Gegenden,  unterirdische  Hohlen, 
Schlösser  und  grosse  Gebäude,  Orte,  die  eines  Mordes  wegen 
bekannt  sind,  wo  Unschuldige  getödtet  worden,  wo  grosse 
Sünden  herrschen,  wo  sich  berühmte  Heilige  aufhalten.'^  Die 
Teufelsgespenster  spuken  da  herum,  um  Schrecken  einzujagen, 
Schaden  beizufügen,  ihrer  Lust  zu  fröhnen.  —  Dass  die  Ur- 
heber der  Ketzereien  und  Erfinder  falscher  Doii'men  ganz  be- 
sonders  von  Teufelsgespenstern  gequält  werden,  ist  aus  den 
Beispielen  Luther's,  Zwingli's  und  Karlstadt's  bekannt.^    Die 


'  Primus,  lib.  de  dacmoniac,  cap.  50. 

2  Ibid.,  cap.  56.  57. 

3  Ibid.,  p.  115. 

''  De  locis  iufestis,  cap.  3. 
*  Ibid.,  cap,  14. 
«  Ibid.,  p.  G8. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  437 

Thatsache,  dass  die  Dämonen  vor  den  Keliqnien  der  Heiligen 
die  Flucht  ergreifen,  wird  nicht  nur  von  Katholiken,  sondern 
auch  von  Ketzern  anerkannt.  Von  letztern  weiss  es  der  Ver- 
fasser aus  den  Magdebui'gischen  Centurien.  ^ 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert. 

Der  Teufel  trieb  also  sein  Spiel  im  16.  und  dem  folgenden 
Jahrhunderte  hüben  und  drüben  fort  und  war  um  so  geschäf- 
tiger, je  mehr  Zwietracht  und  Hass  auf  Erden  hauste.  Er 
war  es  ja,  dem  der  Riss  zwischen  Katholiken  vuid  Protestanten 
zugeschrieben  ward,  er  war  es  ja,  der  die  darauf  ausge- 
brochenen Streitigkeiten  im  protestantischen  Lager  angeregt 
hatte.  Denn  der  Teufel  griff  in  alle  Angelegenheiten  hinein, 
und  der  gelehrte  Jakob  Aeontius  im  16.  Jahrhundert  konnte 
daher  füglich  die  Lehrstreitigkeiten  der  Kirchenparteien  „Kriegs- 
listen des  Teufels"  nennen  und  ein  Buch  darüber  schreiben  % 
welche  buchstäbliche  Auflassung  des  Titels  auch  im  17.  Jahr- 
hundert festgehalten  und  weiter  ausgedehnt  wuirde. 

Unter  dem  theologischen  Gezanke  wurden  dem  Auf- 
schwung, den  die  Welt  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts  ge- 
nommen hatte,  die  Flügel  gebrochen,  und  um  die  Mitte  dieses 
Zeitraums  trat  die  lahme  Periode  des  dogmatischen  Ortho- 
doxismus ein.  Die  Reformation,  welche  zum  Urchristenthum 
zurückleiten  wollte,  fand  dieses  in  den  biblischen  Schriften 
niedergelegt  und  stellte  das  Wort  Gottes  als  die  einzige  wahre 
Erkenntnissquelle  hin,  das  daher,  um  selig  zu  werden,  ge- 
kannt, und  dem  sich  alles  menschliche  Denken  und  Wollen 
unterwerfen  muss.  Luther  wollte  zwar  demjenigen  sein  Baret 
aufsetzen  und  sich  einen  Narren  schelten  lassen,  der  ihm  die 
„stroherne"  Epistel  Jacobi  mit  dem  Apostel  Paulus  zusammen- 
reimen könnte;  er,  der  die  Allegorien  Pauli  „zu  schwach  zum 
Stich"  gefunden,  der  von  der  Ofi'enbarung  Johannis  gesagt: 
„mein  Geist  kann  sich  in  das  Buch  nicht  schicken,  und  das 
ist  mir  Ursache  genug,  dass  ich  sein  nicht  hochachte";  der- 
selbe konnte  unter  Verhältnissen  gedrängt,  in  Feuereifer  ver- 


'  De  locis  infestis,  cap.  G7,  p.  219. 

2  Strategematum  Satanae  lib.  VIU  (Basil.  1565). 


438      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

setzt,  den  später  zum  Schlagwort  gemachten  und  gebrauchten 
Ausruf  thun:    „rund   und   rein   ganz   und   alles   geglaubt   oder 
nichts   geglaubt;    der   Heilige  Geist  lässt   sich   nicht   trennen, 
dass   er  ein   Stück   sollte  wahrhaftig    und    das    andere    falsch 
lehren   und   glauben    lassen;    wo    die   Glocke    an    einem   Orte 
berstet,  klingt  sie  nichts  mehr  und  ist  ganz  untüchtig'^    Derlei 
Aussprüche  benutzten  die  Epigonen  als  Haken,  um  ihre  Fäden 
anzuheften  und  zu  dem  Gewebe  des  orthodoxen  Dogmatismus 
abzuspinnen.     Die  Schrift  sollte  dem  Buchstaben  nach  gefasst 
und  verstanden   werden,    und    auf  den  Buchstaben  gründete 
sich  die  protestantisch-theologische  Anschauung  bis  gegen  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts.     In  der  lutherischen  Kirche  hatte 
sich   schon   am  Ende    der    kryptocalvinistischen   Streitigkeiten 
eine  kirchliche  Zwangsherrschaft  errichtet,  wie  40  Jahre  nach 
der   Concordienforniel   die   dortrechter   Synode    in    der    refor- 
mirten   Kirche  einen  ähnlichen  Terrorismus   ausübte.     In  der 
protestantischen  Kirche,  welche  die  Wahrheit  ihrer  Lehre  auf 
die    Heilige    Schrift    gegründet    wissen    wollte,    wurde    jede 
Schriftauslegung    mit  Fluch   belegt,    die   es   wagte,    von   der 
durch  den   kirchlichen  Lehrbegriff"  bezeichneten  Richtung  ab- 
zuweichen, und  so  befand  sich  die  Exegese  auf  der  protestan- 
tischen wie  der  katholischen  Seite,  obschon  unter  verschiedener 
Form,    der  Autorität   der   Kirche    unterworfen.     Der    Unter- 
schied bestand  darin:   dass  in  letzterer  die  Tradition  in  der 
Kirche   aufbewahrt  als  Autorität  feststand,    während    erstere 
auf   den   Begriflf   der    Heiligen   Schrift,    als    auf   das    positive 
Princip  der  Reformation  hinwies   und   aus  diesem  Begriff  das 
Dogma    von    der   verbalen    Inspiration   herauserklärte.      Nach 
der  Inspirationstheorie  wurde  jedes  Wort  der  Schrift  zu  einem 
göttlichen  Orakel,  und  hiermit  sollte  der  subjectiven  Willkür 
eine  objective  Autorität  hingestellt   sein.     Demgemäss  fixirten 
sich  auch   die   hermeneutischen  Grundsätze:    „Der  hebräische 
Text  im  Alten  Testament  und  der  griechische  Text  im  Neuen 
Testament  rührt  unmittelbar  von  Gott  her,  nicht  allein  rück- 
sichtlich des  Sinnes,  sondern  auch  der  Schrift  und  Wörter.''- * 
Oder:  „Die  ganze  Schrift  ist  vollkommen,   sie   muss   also  aus 
inspirirten   Vocalen   bestehen;    denn    wie    sollte    eine    Schrift 


1  W.  Franz,    Professor   in   Wittenberg,    Tractat.   theolog.  novus  de 
interpretatione  maxime  legitima,  p.  33  (1619). 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  439 

vollkommen  sein,   die  nur  aus  dem  Leibe    bestünde,  der   es 
aber  an  der  Seele  der  Vocale  fehlte."  ^ 

Die  buchstäbliche  Erklärung  der  biblischen  Schriften  be- 
gegnete in  diesen  dem  Teufel  an  vielen  Orten  und  unterstützte 
durch  die  Exegese  den  Glauben  an  ihn.  Der  herrschende 
Teufelsglaube  übte  wieder  seinen  Einfluss  auf  die  Interpretation, 
und  die  Zeitanschauung  fand  nicht  nur  im  Neuen  Testament 
ihre  Bestätigung,  sie  fand  sie  auch  bei  Mose,  im  Hohenliede, 
im  Buche  Hiob,  sodass  sie  das  Krokodil  zum  Teufel  umdeu- 
tete und  in  der  Geschichte  Nebukadnezar's  ein  schlagendes 
Beispiel  einer  teuflischen  Thierverwandlung  erblickte.  Der 
Teufel  vi'urde  nicht  nur  in  alle  Händel,  auch  in  alle  Zweige 
des  Wissens  hineingemengt.  In  Beziehung  auf  ihn  gaben  die 
Rechtsgelehrten  ihre  Gutachten  und  die  juristischen  Facultäten 
ihre  Erkenntnisse  ab,  von  denen  Horst ^  mehrere  Proben  lie- 
fert. Sperhng  hatte  die  Daemones  succubi  und  incubi  in  die 
Physik  aufgenommen  3,  und  Danäus*  den  Buhlteufeln  und 
Buhlteufelinnen  in  der  Moral  einen  Platz  eingeräumt.* 

Selbst  die  Architektur  verwendete  die  verschiedenen  Ge- 
stalten des  Teufels  an  manchen  Theilen  der  Kirchen,  und  durch 
die  Teufelsgesichter  an  den  Dachrinnen  und  Wasserspeiern 
wurde  der  glävibige  Christ  stets  an  den  Höllenfürsten  erinnert. 
Eine  Menge  Schriften  waren  im  Umlauf,  welche  Anleitung 
gaben,  entweder  durch  Gebete,  durch  andere  fromme  Formeln 
die  Geisterwelt  sich  dienstbar  zu  machen,  oder  aber  den  Teufel 
zu  beschwören,  um  mit  dessen  Hülfe  das  Gewünschte  zu  erlangen. 
Eine  der  berüchtigtsten  Formeln  wird  mit  dem  im  Reforma- 
tionszeitalter bekannten  Teufelsbanner  Faust  in  Verbindung 
gebracht  und  fiihrt  den  Titel  „Höllenzwang."  ^  „Zwang  und 
Hauptbeschwerung,  wodurch  ich  Dr.  Faustus  aller  Welt  be- 
kandt  Teuffei  und  Geister  bezwungen  und  beschworen,  mir 
zu  bringen,  was  ich  gewollt  und  gethan,  was  ich  begärt  habe'; 
siben  gedruckte  Bücher  von  meiner  Beschwerung  werden  nach 


1  Dannhauer,  Professor  zu  Strassburg,  Herrn eneutica  sacra,  p.  19(1654). 

2  Zauberbibl.  VI,  dritte  Abtheilung,  Nr.  1. 

3  Institutiones  Physieae  Joh. Sperling  Prof.  publ.  etc.;  edit.  3,  lib.  II, 
384  —  87.  Witteb.  1653. 

*  Daneau,  ein  französischer  Protestant. 

'  Danaeus,  Ethica  christiana,  cap.  14,  lib.  2. 

*  Imperatioues  Fausti. 


440      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

mir  gefunden  werden,  der  aber  eins  von  meinen  Büchern  be- 
kommt und  ein  Liebhaber  ist  von  Gold,  Silber  und  Edelgstein, 
der  kann  durch  meine  Beschwerung  so  viel  als  er  in  diesem 
Buch  verzeichnet  finden  wird,  bekommen;  Er  muss  aber  auss 
meinem  weitläufigen  Buch  die  Kraft  und  Wörter  der  Beschwe- 
rung zusammenziehen,  dass  sie  in  dreymahl  drey  stundten 
gelesen  oder  ausswendig  gesprochen  werden,  und  die  Kunden 
Kreiss  mit  dem  silbernen  Dreyfuss  wohl  einsegnen,  mit  den 
umstehenden  Namen,  Worten  und  Buchstaben,  luid  das  an 
einem  tüchtigen  Ort,  wo  dich  niemand  verstört:  imd  nach 
Standsgebühr,  das  überlasse  ich  dir  —  gedruckt  im  Jahre  1571".^ 
Aber  nicht  blos  durch  das  Wort,  sondern  auch  durch  Anwen- 
dung äusserer  Mittel  suchte  man  sich  gegen  die  vielseitige 
Wirksamkeit  der  höllischen  Mächte  zu  wehren,  daher  auch 
in  dieser  Beziehung  literarische  Producte  zum  Vorschein  kamen, 
in  denen  sich  nicht  selten  der  unflätige  Witz  breit  machte, 
wie  unter  andern  Beisi:)ielen  nur  erwähnt  zu  werden  braucht 
„Dr.  J.  Christiani  Francisci  Paullini  heylsame  Dreck -Apothek. 
Frankf.  a.  M.  1687",  wo'-'  eine  Massregel  empfohlen  wird,  um 
die  Milch  vor  Unholden  und  dergleichen  „Teufels  geschmeiss" 
zu  bewahren.  Nach  der  gangbaren  dualistischen  Anschauung 
stellte  man  sich  entweder  unter  den  Schutz  des  Himmels  oder 
man  vertraute  auf  die  Macht  der  Hölle,  und  dieser  bediente 
man  sich  nach  den  Verhältnissen  der  Zeit,  freilich  mit  dem 
Verluste  des  Seelenheils.  Im  dreissigjährigen  Kriege  war  daher 
die  schon  früher  bekannte  Kunst  zu  „verfesten",  gegen  Schuss 
und  Hieb  sicher  zu  machen,  ganz  besonders  im  Schwange, 
lind  wurde  nicht  nur  durch  St.-Georg  oder  St.-Christophel, 
sondern  auch  durch  die  Macht  des  Teufels  erlangt.  Ein  durch 
die  höllische  Kunst  „fest"  oder  „gefroren"  gemachter  hiess 
„Bilwizkind"  (Pilmiskind),  was  wol  so  viel  als  Teufelskind  bedeu- 
ten mochte,  da  bei  ihm  ein  schlechtes  Ende  voraussichtlich  war, 
nämlich  dass  ihn  „der  schwarze  Kaspar"  holte.  Die  Mittel, 
sich  und  andere  fest  oder  gefroren  zu  machen,  waren  mannich- 


^  Adelung,  Geschichte  der  menschlichen  Narrheit,  VII.  Anhang ;  vgl. 
Scheible,  Das  Kloster,  V.  Bd.,  20.  Zelle,  ö.  1159  fg.;  Faust's  dreifacher 
HöUcnzwang  in  verschiedenen  Ausgaben. 

^  Cap.  5,  S.  263. 


r 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  441 

fach  und  wechselten  in  der  Zeit.  Es  gab  „Nothhemden",  wozu 
das  Leinengarn  in  der  Christnacht  von  unzweifelhaften  Jung- 
frauen in  Teufels  Namen  gesponnen  und  das  Gewebe  genäht 
werden  musste ,  auf  der  Brust  zwei  Häuj)ter ,  rechts  ein 
bärtiges  eingestickt,  links  Belzebubs  Kopf  mit  einer  Krone. 
Ein  solches  Nothhemd  unter  dem  Kleide  getragen,  schützte 
vor  Wunden.  Eine  ähnliche  Wirkung  erwartete  man  von  der 
Hostie,  die  man  unter  geheimer  Anrufung  des  Teufels  em- 
pfangen, sie  wieder  aus  dem  Mund  genommen,  und  an  einer 
Leibesstelle,  wo  die  Haut  vom  Fleische  losgelöst  worden, 
hineingesteckt  und  die  Wunde  hatte  verheilen  lassen.  Es  gab 
auch  einen  Benedisten  oder  Nothsegen,  einen  Papst -Leo- 
nis- Segen  mit  frommchristlichen  Worten  und  Verheissungen. 
Es  gab  Passavierzettel  auf  Jungfern-Pergament,  oder  auf  Ho- 
stien mit  Fledermausblut  geschrieben,  mit  Drudenfüssen,  frem- 
den Buchstaben,  seltsamen  Charakteren  versehen,  auch  wol 
den  Spruch  enthaltend:  „Teufel  hilf  mir,  Leib  und  Seel  geb 
ich  dir!"  Solche  Zettel  unter  den  linken  Arm  gebunden  bann- 
ten den  Schuss.  Da  der  Teufel  die  personificirte  Unheimlich- 
keit  ist,  sammelte  man  alles  Unheimliche,  lun  es  als  Schutz- 
mittel in  seinem  Sinne  zu  verwerthen.  Ein  Stück  Strick  oder 
Kette,  womit  ein  Mensch  gehenkt  worden ,  der  Bart  eines 
Bocks,  Wolfsaugen,  der  Kopf  der  Fledermaus  in  einem  Beu- 
telchen von  der  Haut  eines  schwarzen  Katers  am  Leibe  ge- 
tragen, machten  „fest";  während  der  andere  auf  ein  Agnus- 
Dei  oder  die  Reliquie,  die  er  am  Halse  hängen  hatte,  sich 
verliess.  Bekannt  ist  der  Gebrauch  verschiedener  Hexenkräu- 
ter. Die  weiteste  Verbreitung  des  Glaubens  an  die  Wirksam- 
keit solcher  Mittel  bezeugt  die  allgemeine  Klage  bei  der 
Blockirung  von  Magdeburg  1629,  worauf  uns  Freytag  auf- 
merksam macht  ^ ,  und  Gustav  Adolf  verbot  im  §.  1  seiner 
Kriegsartikel:  Götzendienst,  Hexerei  oder  Zauberei  der  Waffen 
als  Sünde  gegen  Gott.  Nach  dem  dreissigjährigen  Kriege,  der 
nicht  nur  die  Bande  der  bürgerlichen  Gesellschaft  furchtbar 
gelockert,  sondern  auch  die  Habe  von  Unzähligen  zerstört 
hatte,  wurde  die  Magie  mit  der  Theosophie  verquickt,  indem 
man  das  theologische  Moment  hineinzog,  die  Goldmache- 
rei  mit  Frömmigkeit   in  Verbindung    brachte   und    als  Bedin- 


1  A.  a.  0.  II,  81. 


442     Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

gung  des  Gelingens  betrachtete;  oder  es  wurde  der  Teufel  in 
Anspruch  genommen,  und  dieser  musste  helfen  das  Gold  zu 
machen  oder  den  Schatz  zu  heben.  Bei  der  dem  Teufel  zu- 
geschriebenen Vielseitigkeit  und  Gestaltungsfähigkeit  war  dies 
natürlich,  aber  ebenso,  dass  man  bei  jeder  einigermassen  auf- 
fälligen oder  unerwarteten  Erscheinung  seine  Künste  witterte. 
Eine  lebendige  Vorstellung  von  dem  Anschauungskreise  des 
17.  Jahrhunderts  in  dieser  Beziehung  gewährt:  „Der  höllische 
Proteus  oder  tausendkünstige  Vorsteller  vermittelst  Erzehlung 
der  vielfältigen  Bild- Verwechslungen  Erscheinender  Gespenster, 
werffender  und  polternder  Geister,  gespenstischer  Vorzeichen, 
Todesfälle,  wie  auch  anderer  abentheuerlicher  Händel,  arglisti- 
ger Possen  und  seltzamer  Auffziige  dieses  verdammten  Schau- 
spielers und  von  theils  Gelehrten  für  den  menschlichen  Lebens- 
geist irrig  angesehenen  Betriegers,  nebenst  vorberichtlichem 
Grundbeweiss  der  Gewissheit,  dass  es  wirklich  Gespenster 
gebe,  abgebildet  durch  Erasmum  Francisci  hochgräflichen 
Hohenlohe-Langenburgischen  Raht".  ^  In  diesem  dickleibigen 
Buche  ist  der  Gespensterglaube,  wie  er  namentlich  unter  den 
Protestanten  im  17.  Jahrhundert  gangbar  war,  aufgespeichert. 
Horst  nennt  den  Verfasser  den  „Wieland  seiner  Zeit",  „wegen 
seiner  zierlichen  Feder."  ^  Das  Buch  wurde  oftmals  auch  noch 
in  der  Zeit  nach  Bekker  und  Thomasius  aufgelegt^,  ein  Be- 
weis der  Beliebtheit  der  Schrift,  die  aber  kaum  in  der  zier- 
lichen Darstellung  allein,  sondern  wol  grossentheils  in  dem 
Stoffe  selbst  liegt,  welcher  der  Zeitanschauung  entsprach. 
Obschon  der  Verfasser  tief  im  Glauben  an  den  Teufel  steckt, 
der  „am  füglichsten  ein  rechter  Proteus  getituliret  werden 
mag  —  sintemal  er  nicht  allein  seine  verborgene  Tiicke  mit 
allerlei  Farben  gar  scheinheilig  anstreicht  und  zieret,  sondern 
auch  die  Menschen  mit  mancherlei  gespenstischen  Gestalten 
betriegt  oder  vexirt  und  das  Bild  seiner  Erscheinung  allezeit 
zu  seinem  Vorhaben  richtet  oder  verändert" ;  so  zeigt  sich  das 
protestantische  Bewusstsein  bei  Francisci  doch  darin,  dass  er 
dem  Satan  zwar  die  verschiedenartigsten  Gespenstererscheinun- 


1  Die    zweite  Auflage    erschien   Nürnberg   1695;    die   erste   Auflage 
konnte  ich  nicht  ausmittehi. 

2  Zauberbibliothek  II,  287  fg. 

3  Vor  mir  liegt  eine  Ausgabe  vom  Jahre  1708. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  443 

gen  zuschreibt,  ihn  aber  nur  als  „Aflfen  Gottes  und  des 
Menschen  als  des  göttlichen  Ebenbildes",  als  „höllischen 
Gaukler"  behandelt,  den  „Acherontischen  Komödianten"  nennt, 
der  „zur  Verspottung  und  Verleitung  der  Menschen  .  .  .  bald 
diese  bald  jene  Person  fürbildet."  ^  Ungeachtet  der  „tausend- 
künstigen  Vorstellungen",  die  dem  Teufel  zuerkannt  sind,  wird 
dieser  von  dem  protestantischen  Verfasser,  da  er  keine  rechte 
Furcht  mehr  hat,  abschätzig  behandelt.  Es  ist  aber  nicht 
Frivolität  der  Grund  dieser  leichten  Abfertigung,  sondern  das 
Gottesvertrauen,  das  reine  Herz  ist's,  das  den  protestantischen 
Christen  vor  dem  Teufel  sicherstellt.  Fehlt  indessen  auch 
der  bittere  Ernst  der  Furcht  vor  der  Macht  des  Satans  von 
ehedem  und  sind  dessen  Repräsentationen  nicht  viel  mehr  als 
„Wind,  Lufft  und  Rauch";  so  ist  jene  doch  immer  so  gross, 
um  dessen  bittere  Feindschaft  gegen  den  Menschen  auf  em- 
pfindliche Weise  an  den  Tag  zu  legen,  sich  „geschäflftig  und 
trutzig"  zu  erweisen,  die  ganze  Welt  mit  teuflischen  „Fürbil- 
dungen" zu  erfüllen,  und  dem  Menschen  sein  Leben  zu  ver- 
gällen. Denn  „der  Satan  thut  seinen  möglichsten  Versuch, 
dass  er  ihn  von  dem  Anker  der  Hoffnung  auf  Gott  verrücke, 
und  in  Verzweiflung  stürze".* 

Es  lässt  sich  erwarten,  dass  in  diesem  Jahrhundert,  welches 
dem  „der  Aufklärung"  voranging,  die  Polemik  in  Bezug  auf 
den  Teufel  nicht  geschwiegen  haben  werde.  Ausser  den  in 
der  Hexenperiode  erwähnten,  unsere  Geschichte  des  Teufels 
berührenden  Schriften  ist  der  holländische  Arzt  Anton  van 
Dale  zu  erwähnen,  der  zuerst  eine  Schrift  „De  oraculis  Eth- 
nicorum"  (Amsterdam  1685)  herausgab,  deren  sowol  Bekker^, 
als  auch  Thomasius  *  gedenkt.  Van  Dale  bewies  darin ,  dass 
hinter  den  heidnischen  Oi'akeln  nicht  der  Teufel,  sondern  viel- 
mehr Priesterbetrug  gesteckt  habe.  Derselbe  Verfasser  ver- 
öffentlichte aber  ein  zweites  Werk:  „Antonii  van  Dale  Po- 
liatri  Harlemensis  Dissertationes  de  origine  ac  progressu 
Idololatriae  et  superstitionum :  De  vera  ac  falsa  prophetia  uti 
et    de    divinationibus    idololatricis    Judaeorum.     Amstelodami 


1  S.  92. 

»  S.  300. 

3  I,  22.  Hauptstück,  S.  129. 

*  Kurze  Lehrsätze  von  dem  Laster  der  Zauberei,  §.  3. 


444      Vierter  /Vbschnitt;  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

1696".  Nach  dem  eigenen  Bekenntniss  des  Verfassers  in  der 
„Dedicatio"  ist  das  meiste  seiner  ersten  Schrift  in  der  zweiten 
wieder  aufgenommen,  daher  nur  diese  beriicksichtigt  werden 
soll.  In  dem  vorliegenden  Werke  zeigt  der  Verfasser,  dass 
der  Anfjing  der  Idolatrie  vor  die  nouchische  Flut  falle,  dass 
zunächst  die  Verehrung  der  Himmelskörper  stattgefunden, 
dann  die  der  Thiere  und  schliesslich  auf  die  menschlichen 
Wohlthäter,  als  Heroen,  Götter,  Dämonen,  übergegangen  sei. 
Der  Idolatrie  seien  auch  die  Hebräer  verfallen  und  die  Vor- 
stellungen von  Dämonen  vornehmlich  durch  die  Uebersetzer 
und  Ausleger  der  alttestamentlichen  Schriften  in  diese  über- 
a-eganoeu.  i  Denn  wo  im  Alten  Testament  voii  ano-eblich 
bösen  Dämonen  die  Rede  ist,  sei  dies  den  Erklärungen  der 
chaldäischen  Targumisten,  Talmudisten  und  Rabbinen  zu  ver- 
danken.'-^ Von  Dämonen  und  Dämonischen  wisse  der  Urtext 
des  Alten  Testaments  nichts,  und  wenn  das  Neue  Testament 
derselben  allerdings  erwähnt,  sowie  der  Teufelaustreibungen 
durch  Jesum  Christum,  so  sollte  damit  der  Ausspruch  1  Mos.  3, 
15  in  Erfüllung  gehen.  Die  Befreiung  der  Menschen  von  des 
Teufels  Macht  sei  durch  den  Heiland  vollzogen,  daher  es  der 
Verfasser  für  einen  Aberglauben  erklärt,  wenn  Menschen  jetzt 
noch  den  Teufel  fürchten,  oder  ihn  durch  Exorcismus  austrei- 
ben wollen.  ^  Den  Aberglauben  von  einem  Biinduiss  mit  dem 
Teufel  leitet  der  Verfasser  aus  dem  Ileidenthum  ab,  wo  ihn 
die  abergläubischen  Philosophen  und  Poeten  den  ersten  Chri- 
sten überliefert,  die  ihn  unvorsichtigerweise  angenommen 
haben.  Die  Reformation  habe  zwar  manche  Irrthümer  beseitigt, 
aber  der  Sauerteig  habe  viele,  auch  Theologen,  so  durchdrun- 
gen, dass  er  noch  immer  zu  gären  scheint.  Der  Verfasser 
will  keineswegs  böse  Dämonen  leugnen,  inwiefern  sie  aber 
Teufel  seien,  wie  weit  ihre  Macht  der  allmächtige  Gott  zulasse 
(nachdem  Christus  der  Schlange  den  Kopf  zertreten),  vermag 
er  nicht  zu  begreifen.*  Die  Idololatric  und  anderer  Aber- 
glaube ist  aus  dem  Chaldäismus  und  dem  übrigen  Ilcidentlunn 
in  das  Judcnthum  gekommen,  wo  ihn  namentlich  die  Phari- 
säer gepflegt  haben;  von  da  ist  er  in  die  christliche  Theologie 
jrelangt.  Die  sie1)ziüi;  Dolmetscher  und  die  iibrioen  alten  Lieber- 
Setzer  des  Alten  Testaments,    die    in    dem  alten  Aberglauben 


1  Cap.  IV.         -  Cap.  V.         »  Dedicatio.         '  Ibid. 


2.  Der  Teufel  im  IG.  und  17.  Jahrhundert.  445 

l)efnngen  waren,  brachten  die  teuflischen  Ungeheuer  in  manche 
Schriften  des  Alten  Testaments  hinein,  woran  deren  Ver- 
fasser, z.  B.  die  Proj^heten ,  nie  gedacht.  Die  ersten 
C'hristen,  die  vom  Heidenthum  zum  Christenthum  übertiaten, 
nahmen  auch  ihre  Vorstehungen  von  den  Dämonen  und  deren 
Erscheinungen  mit  herüber,  und  was  die  heidnischen  Priester, 
Mythologen  und  Dichter  von  den  heidnischen  Göttern  erzähl- 
ten, wurde  nun  den  Teufeln  zugeschrieben.  Die  Mönche  er- 
grifien  den  Gegenstand  gedankenloser  Weise,  bildeten  ihn 
weiter  aus,  der  Aberglaube  der  Kleriker,  frommer  Betrug, 
die  Sucht  nach  Vortheil  und  Ansehen  trugen  auch  ihr  Scherf- 
lein  bei,  und  so  kam  der  ganze  Teufelsapparat  zu  Stande.^ 

Diese  Wenigkeit  aus  dem  Buche  kann  genügen,  um  die 
geistige  Richtung  desselben  zu  erkennen.  In  demselben  Geiste 
schrieb  van  Dale's  Zeitgenosse,  der  uns  schon  bekannte  Bal- 
thasar Bekker  seine  ,, Bezauberte  Welt",  die  nach  jenes  erster 
Schrift  „De  oraculis  Ethnicorum"  erschien,  deren  Ansichten 
in  der  zweiten  wiedergegeben  sind.  Es  muss  auffallen,  dass 
der  Theologe  Bekker  einen  so  mächtigen  theologischen  Sturm 
hervorrief,  durch  den  er  aus  seinem  Amte  hinweggeweht  ward, 
während  der  Mediciner  van  Dale,  soviel  mir  bekannt  ist, 
weder  durch  sein  erstes  Auftreten  kurz  vor  dem  Erscheinen 
der  bezauberten  Welt,  noch  durch  sein  zweites  Werk,  drei 
Jahre  nach  dieser,  kaum  eine  besondere  Polemik  veranlasst 
zu  haben  scheint.  Ich  kann  mir  diese  auffallende  Erscheinung 
nur  daraus  erklären,  dass  van  Dale  den  Gegenstand  in  stren- 
ger, weniger  durchsichtiger  Gelehrtenform  und  in  lateinischer 
Sprache  behandelte,  daher  nur  einen  kleinern  Leserkreis  haben 
konnte;  während  Bekker  den  Gelehrtenapparat  zwar  beibringt, 
aljer  der  Landessprache  und  einer  allgemein  fasslichern  Dar- 
stellung sich  bedient,  wodurch  sein  Werk  einer  grössern 
Verbreitung  und  Popularität  gewiss  sein  musste.  Ausserdem 
griff  van  Dale  die  Existenz  des  Teufels  nicht  direct  an,  ob- 
schon  er  im  Grunde  den  Glauben  daran  aus  dem  Heidenthume 
ableitet ;  er  beschränkt  sich  dabei  nur  auf  das  Alte  Testament, 
vermeidet  den  Boden  des  Neuen  Testaments  zu  betreten,  und 
wo  er  die  Erwähnung  des  Satans  in  demselben  vorübergehend 
berührt,    klammert    er    sich  an   den   neutestamentlichen  Satz: 

1  Cap.  X. 


446      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

dass  Jesus  Chiistus  die  Macht  des  Satans  für  immer  orebrochen 
habe.  Bekker  hingegen  geht  dem  Teufel  unmittelbar  zu  Leibe, 
er  durchmustert  nicht  nur  das  Alte  Testament,  sondern  unter- 
zieht auch  die  betreffenden  Stellen  des  Neuen  Testaments  seiner 
Exegese,  welche  von  der  damals  landläufigen  abwich,  Grund 
genug,  um  den  Eifer  seiner  Collegen  in  Feuer  zu  setzen,  das, 
durch  das  negative  Ergebniss  der  Bekker'schen  Erklärungen  nur 
noch  mehr  angeschürt,  um  so  verzehrender  wurde. 

Balthasar  Bekker  machte  mit  seinem  Werke:  „Die  be- 
zauberte Welt"  den  gewaltigsten  Angriff  auf  die  allgemein 
gefürchtete  Macht  des  Teufels.  Von  der  Philosophie  des 
Cartesius  durchbildet,  mit  theologischer  Gelehrsamkeit  ausge- 
rüstet, lieferte  Bekker  ein  Werk,  welches  in  unserer  Geschichte 
des  Teufels  dadurch  epochemachend  ist,  dass  der  Angriff  nicht 
mehr,  wie  bei  der  bisherigen  Polemik,  den  Einzelheiten  gilt,  son- 
dern auf  das  Herz  des  Gegners  zielt,  nämlich  den  Teufel  selbst 
und  seine  Macht  zu  fällen  sucht.  Die  Existenz  des  erstem 
vernichtet  er  zwar  nicht  ganz,  was  Bekker's  biblische  Gläubig- 
keit nicht  zugelassen  und  seine  Waffe  der  Exegese,  deren  er 
sich  bediente,  auch  nicht  vermocht  hätte ;  aber  schliesslich  er- 
scheint die  Annahme  einer  Existenz  des  Teufels  doch  über- 
flüssig, und  die  Macht  des  Teufels  wird,  weniger  durch  die 
allegorische  Interpretation  als  vielmehr  durch  die  Schärfe  des 
Verstandes,  nachgerade  auf  Null  zurückgeführt.  Der  volle 
Titel  des  Werks  ist:  „Die  bezauberte  Welt  oder  eine  gründ- 
liche Untersuchung  des  allgemeinen  Aberglaubens,  betreffend 
die  Art  und  das  Vermögen,  Gewalt  und  Wirkung  des  Satans 
und  der  bösen  Geister  über  den  Menschen,  und  was  diese 
durch  derselben  Kraft  und  Gemeinschaft  thun:  So  aus  natür- 
licher Vernunft  und  heiliger  Schrift  in  vier  Büchern  sich 
unternommen  hat  Balthasar  Bekker  S.  Theolog.  Dr.  und  Pre- 
diger zu  Amsterdam"  (1691  —  93).^ 

Bekker  konnte  seine  Schrift  mit  Recht  „eine  gründliche 
Untersuchung"  nennen,  sie  war  die  gründlichste,  die  seine 
Zeit  zu  liefern  vermochte.     Wir  müssen  bemerken,  dass    er 


'  Vor  mir  liegt:  „Aus  dem  Holländischen  und  der  letzten  vom  Authore 
vermehrten  Edition.  Gedruckt  zu  Amsterdam  bey  Daniel  van  Dahleu, 
bey  der  Börse,  Anno  1693.  In  die  deutsche  Sprache  übersetzet."  Vom 
Originale  waren  zuerst  die  zwei  ersten  Bücher  erschienen. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  447 

nach   dem   rechten  Faden   sucht,   um    den  Knäuel  zu   entwir- 
ren, wenn  er  sagt:  „Die  gememe  Meynung,  die  man  von  dem 
Teuffei,  seiner  grossen  Erkänntniss,  Krafft  und  Wirkung  hat, 
und  von  Menschen,   die  man  dafür  hält,   dass  sie  mit  ihm  in 
Gemeinschafft  stehen,  kam  mir  bey  dem  Licht,    dass  ich  mit 
andern  Menschen  von  der  Natur  habe,  und  durch  die  Schrifft 
gestärcket  und  mehr    geneiget  ward,    sehr  zweiffelhafftig  fiir, 
ob  ich  es  wol  bey  dem  Lichte  besehen,  länger  dafiir  ansehen 
müsste  oder  nicht;   und    es  war  mein  Zweiffei  nicht  allein  ob 
es  wahr,  sondern  auch,  ob  es  Gottes  Furcht  geziemend  were. 
Und  mein  Gemiith  begunte  mich  selber  zu  dringen,  ich  miiste 
antworten  denen,  die  mich  fragten,  ich  miiste  wissen,  wie  ich 
mich  bey  solchem  Volck,  die  so  und  so  beschaffen  waren,  zu 
verhalten;    es   war  mein  Ampt,    und   es   kam   mir   täglich   zu 
Hause.     Davon  zu  reden  als  man  redet  und  zu  thun,   gleich- 
wie man  thut,  das  kam  mir  mehr  und  mehr  beschwerlich  fiir; 
und  mich  darwider  zu    setzen,   oder   in  Wort   oder  Thun  mit 
andern  nicht  einig   zu   seyn,   das  war  eines  Theils   meine   ge- 
wöhnliche Arth   nicht,   und    darbey   hatte   ich  keinen   Grund. 
Daher  war  mir  das  nechste,   dass  ich  mit  Ernst  darnach  for- 
schete,  von  wannen  diese  allgemeine  Meynung  ihren  Ursprung 
habe;    darnach,   was   doch   die  Wahrheit   seyn   möchte.     Und 
dieweil   ich   solches  von   fornen,    a  priore,    alles   untersuchte, 
und  nicht  von  hinten,   a  posteriore,  wie  man  in  den  Schulen 
redet,  so  konnte  ich  nicht  eher  zu  dem  Zustand  der  streitigen 
Sache,   als  gegen  Ende  des  ersten  Buchs,   worinn  ich  aus  so 
vielerley  Meynungen,  als  die  Menschen  dessfalls  in  der  Welt 
hatten,  endhch  diejenigen,  welche  noch  heutiges  Tags  bey  den 
Protestanten  angenommen  werden,  in  dem  22sten  Hauptstück 
eröffnet,    dieselben    in    dem    23sten    mit    andern    Meynungen 
vergleiche  und  in  dem  24sten   anweise,   wie  wir   auff'  die  un- 
sere kommen,  und  was  uns  annoch  darbey  behalte.  Ich  unter- 
suche also  den  rechten  Ursprung  der  heutigen  Meynung  und 
unter  uns  in  dem  ersten  Buche,   davon  ich  folgends  die  Un- 
gewissheit    und  Ungereimtheit    in   den   drey    andern  biss    auf 
den  Grund  entdecke  und  vor  Augen  stelle.    Alsdann  im  zwei- 
ten Buche  zeige  ich   das,  was   die  Geister   anlanget,    und   in 
dem  dritten  ferner  das,    was    die  Menschen  angehet,    welche 
man  achtet,  dass   sie   mit  den  Teuffein  Gemeinschafft  haben. 


448      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Im  vierten    untersiiclie   ich    die  Erfahrung,    worauff  mau  sich 
in  beyden  meistentheils  berußet."  ^ 

Wer  erkennt  hierin  nicht  den  denkenden  Menschen,  der  den 
Zweifel  zu  iiberwinden  sucht  und  nach  Gewissheit  strebt;  den 
sittHchen  Ernst,  der  nur  nach  eigener  Ueberzeugung  sprechen 
und  handehi,  aber  auch  nur  dieser  seine  Liebe  zur  Eintracht 
mit  andern  zum  Opfer  bringen  will ;  den  gewissenhaften  For- 
scher, der  auf  den  Ursprung  seines  Gegenstandes  znriickgeht, 
um  der  Wahrheit  auf  den  Grund  zu  sehen? 

Bekker  gibt  in  seiner  Wahrhaftigkeit  auch  getreulich  die 
Principien  an,  von  denen  er  bei  seinem  Werke  sich  leiten  lässt: 
„Aber  ob  ich  schon  den  besondern  Grund  noch  nicht  gefun- 
den habe,  welchen  mir  weder  das  Pabstthum,  Judenthum  noch 
Heidenthum,  als  solcher  Gestalt  angemcrcket  nicht  geben  kön- 
nen: so  habe  ich  doch  einen  festen  Boden  oder  Grund  mit 
denen  allen,  und  noch  einen  andern,  mit  einem  Theil  von 
ihnen  gemein.  Der  erste  ist  die  Vernunft,  die  allen  Menschen 
zu  einem  Licht  sich  erstrecket,  sofern  als  sie  rein  ist,  und  mit 
Vorurtheil  luid  Gemüths-Neigungen  nicht  verhindert  und  be- 
nebelt. Der  ander  ist  die  Schrifi't  von  Gott  eingegeben,  aber 
ingleichen  rein  an  ihr  selber,  so  von  uns  betrachtet,  als  ob  wir 
niemals  die  Schrift  gelesen  hetten;  und  also  ausser  aller  Men- 
schen Vor-Urtheil,  von  Uebersetzung  aus  dem  Hebreischen 
und  Griechischen,  darin  sie  urspriniglich  beschrieben  ist,  und 
der  Ausslegung  alter  oder  neuer  Lehrer.  Diese  stehen  eine 
nicht  unter  der  andern,  sondern  eigentlich  neben  einander."  — 
Bekker  dringt  also  auf  Unbefongenheit  bei  dem  Lesen  der 
Schrift,  obschon  er  sich  vorher  zur  Inspirationstheorie  bekannt 
hat.  Hören  wir  ihn  weiter:  ,,Es  ist  von  Philo  dem  Juden  erst 
erdacht,  dass  er  geneigt,  die  Schrifl't  allegorisch  ausszulegen, 
und  mit  dem  was  Paulus  von  der  Sara  und  Hagar  schreibt"^ 
nit  vergniigt,  den  Unterscheid  von  der  Frau  und  Magd  auö' 
die  Schrifl't  und  Vernunft  bringet,  und  sagt,  dass  dadurch 
bedeutet  sey,  dass  die  Philosophie  und  die  natiirliche  Ver- 
nunfi't  sich  unter  die  Schriöt  beugen  miisse.  —  Aber  die  Wahr- 
heit ist  es,  dass  die  Vernunft  vor  der  Schrifl't  vorher  gehen 
nuiss,  weil  die  Schrifl't  die  Vernunft   vorher  stellet:   ich  sage. 


'  Des  Authoris  generale  Vorrede,  S.  4  fg. 

2  Gal.  4,  22.  i; 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert,  449 

die  gesunde  Vernunfft,  welcher  sich  die  Schrift  muss  offen- 
bahren und  blicken  lassen,  dass  sie  von  Gott  ist.  Darnach 
stehet  die  Vernunfft  neben  der  Schrifft,  als  von  Dingen  redend, 
davon  die  Schrifft  schweiget;  und  die  Schrifft  stehet  neben 
der  Vernunfft,  weil  sie  uns  gantz  etwas  anderes  lehret  und 
welches  dem  Untersuchen  unsres  Verstandes  «"antz  nicht  unter- 
worfen  ist.  Endlich  so  ist  es  dennoch,  dass  die  Schrifft  iiber 
die  Vernunfft  ist,  nicht  als  Frau  und  Meisterin  (denn  sie 
jedweder  ihre  unterschiedene  Haushaltung  haben),  als  eine, 
die  von  höherem  Adel  und  von  grösseren  Mitteln  ist,  weil 
uns  Gott  darinnen  offenbahret  hat,  was  niemals  von  mensch- 
lichen Verstand  begriffen  war. '  Dennoch  begibt  es  sich  wol, 
dass  sie  einander  auff  dem  Wege  begegnen,  oder  in  einem 
Hausse  zusammen  kommen;  und  also  einander  die  Hand  leihen, 
doch  beyde  als  freye  Leute;  allein  mit  dem  Unterscheid,  dass 
die  Vernunfft  als  die  geringste,  der  Schrifft  allezeit  Ehrerbie- 
tung beweiset."  —  Bei  natürlichen  Dingen,  von  welchen  die 
Schrift  nicht  handelt,  ist  nach  Bekker  die  Vernunft  der  Grund 
und  die  Regel  der  Erkenntniss,  „aber  in  den  Sachen  der  See- 
ligkeit  ist  Gottes  Wort  allein  der  Grund  des  Glaubens  und 
Lebens".  Die  Vernunft  prüft  aber  die  Schrift,  „die  man  sagt 
von  Gott  zu  seyn,  oder  aus  der  Erkändtniss,  die  der  Mensch 
natürlich  von  Gott  hat";  sie  muss  darnach  „aus  dem  Sinn  der 
Worte  verstehen,  was  es  für  Lehren  sind,  die  uns  darinn  zur 
Seligkeit  beschrieben  stehen ",  —  es  „muss  die  Vernunfft  leh- 
ren, wie  man  dann  die  Schrifft  nach  Erforderung  der  Sachen 
soll  verstehen".^  Wie  er  nun,  fährt  er  fort  (in  den  sieben 
ersten  Hauptstücken  des  zweiten  Theils),  wo  er  sich  in  der  Natur 
umgesehen,  die  Schrift  beiseite  gelassen  habe,  um  darzuthun, 
„wie  fern  der  menschliche  Verstand,  wenn  er  seine  Kräffte  an- 
spannet, vor  sich  selbst  allein  kan  kommen ;  also  lasse  ich  auch 
die  Vernunfft  stehen,  so  bald  ich  in  das  Heiligthum  Gottes  un- 
fehlbaren Worts  getreten  bin".  ^  Aber  hierin  findet  Bekker  den 
Knoten,  dass  jeder  sich  auf  die  Schrift  beruft  und,  indem  jeder 
sie  in  seinem  Sinne  auslegt,  sie  zum  Beweise  seiner  Meinung 
anführt.     Den  Vorwurf,   dass  er  selbst  die  Schrift  verdrehe, 


1  Kor.  9. 

2  Generale  Vorrede,  S.  10  fg. 

3  Ibid.,  S.  14. 

Koskoff,  Geschichte  des  Teufels.   U.  29 


450      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Gescliichtc  des  Teufels. 

lehnt  er  daliin  ab,  dass  es  nicht  die  Schrift  sei,  sondern  „ihre 
Ausslegungen,  daran  ich  nicht  gebunden  bin".' 

Im  ersten  Buche  führt  Bekker,  nachdem  er  die  Wichtig- 
keit des  Gegenstandes  und  die  Nützlichkeit  der  Erkenntniss 
dargethan  hat,  die  verschiedenen  Vorstellungen  der  Griechen 
und  Römer  von  ihren  Göttern  und  Heroen,  von  den  verschie- 
denen Arten  von  AVahrsagerei  und  Zauberei  an,  welche  auf 
die  christliche  Anschauungsweise  eingewirkt  haben  mögen. 
Er  wendet  sich  hierauf  zu  den  heutigen  Heiden,  zunächst  im 
Norden  Europas,  um  ihre  religiösen  Vorstellungen  zu  be- 
trachten, dann  zu  den  Völkern  in  Asien,  Afrika,  Amerika,  um 
ihre  Ansichten  und  die  damit  verbundenen  Gebräuche  vorzu- 
führen und  mit  den  vorigen  zu  vergleichen.  Er  bespricht  die 
Dämonologie  der  Juden,  die  Lehre  von  den  Geistern  bei  den 
Mohammedanern,  die  christliche  Anschauung  in  den  ersten 
sechs  Jahrhundei'ten,  stellt  den  Vergleich  an,  um  den  Unter- 
schied und  den  Zusammenhang  ersichtlich  zu  machen,  und 
kommt  zu  der  Behauptung;  „in  dem  Pabstthum  hat  man  alles 
vorher  gesagte  zusammengebracht,  mit  neuen  Erfindungen  ver- 
mehret und  verstärcket"^,  und  erörtert  die  katholische  Lehre 
von  den  Engeln  und  Teufeln,  wobei  er  die  Ansichten  der 
Scholastiker  Thomas  von  Aquino,  Lombardus  und  neuerer 
Schriftsteller,  als  Delrio  u.  a.  anführt.  Hierauf  kommt  er  auf 
die  „Meinungen,  die  unter  uns  (Protestanten)  umbgehen",  führt 
den  Glauben  an  den  Teufel,  an  Gespenster  und  Zauberei,  wie 
er  „unter  den  gemeinen  Leuten"  herrscht,  an,  dann  die  in 
den  Schriften  bekannt  gemachten  Ansichten  der  Gelehrten. 
Ln  zweiten  Buche  wird  die  Lehre  von  den  Geistern ,  deren 
Vermögen  und  Wirkungen  aus  der  natiirlichen  Vernunft  und 
der  Schrift  untersucht.  Die  Erkenntniss  des  Leibes  und  der 
Seele  führt  zur  Erkenntniss  Gottes,  dieser  ist  nur  Einer,  daher 
keine  Vielheit  von  Dämonen,  Halbgöttern  oder  Untergöttern 
Raum  haben  kann,  wobei  der  Verfasser  nicht  leugnen  will, 
dass  auch  Geister  seien,  da  die  Bibel  deren  erwähnt;  was 
aber  ausserhalb  Gottes  Wort  von  dem  Zustande  der  See- 
len nach  diesem  Leben  gesagt  wird,  ist  der  Vernunft  nach 
zum  Theil   falsch,   zum  Theil  ungewiss,   ebenso  ist   aus  Ver- 


J  A.  a.  0.  S.  15. 
2  19.  Hauptstück. 


2.  Der  Teufel  im  IG.  und  17.  Jahrhundert.  451 

nimftgrüuden  nicht  erweislich,  dass  Engel  seien.  Was  min 
die  Heilige  Schrift  betrifft,  gibt  sie  wenig  Nachricht  von  der 
Art  und  dem  Ursprung  der  Engel;  von  dem  Herkommen 
und  dem  Zustande  der  bösen  Geister  gibt  sie  deutlichen 
Berieht:  sie  sind  von  der  Sünde  ihres  Abfalls  an  von 
Gott  verlassen  imd  in  ewige  Verdammniss  Verstössen.  Die 
Bibelstellen,  in  welchen  von  den  Yerrichtimgen  und  Wirkun- 
gen der  Engel  gesprochen  wird,  sind  nicht  buchstäblich  oder 
eigentlich  zu  verstehen;  von  besondern  Schutzengeln  der  Völ- 
ker oder  Menschen  weiss  die  Bibel  nichts.  Was  die  bösen 
Engel  betrifft,  so  wird  vielmal  mit  dem  Namen  Teufel  oder 
Satan  etwas  anderes  als  ein  böser  Geist  bezeichnet,  sehr  oft 
sind  böse  Menschen  darunter  verstanden,  oder  das  Böse  über- 
haupt. Was  den  Menschen  zum  Verderben  gereicht,  das  wird 
in  der  Schrift  dem  Teufel  zugeschrieben,  als  dem  ersten  Stifter 
des  Bösen.  „In  solchem  Sinn  wird  denn  auch  gesagt,  dass 
er  das  thut,  was  böse  Menschen  thun ;  weil  kein  Mensch  böses 
thut  als  aus  der  Verderbung,  die  ursprünglich  von  dem  Teuffei 
ist.  Er  hat  zu  allererst  das  Feuer  angezündet,  wird  das  her- 
nach unterhalten,  so  schlägt  die  Flamme  ferner  aus,  und  setzet 
die  gantze  Strasse  oder  Stadt  in  den  Brand  und  in  die  Asche ; 
es  wird  für  dessen  Werck  geachtet,  der  den  Brand  in  das 
Hauss  gebracht  hat.  Und  dass  mit  Grund;  denn  ohne  dem 
würde  nicht  der  geringste  Schaden  geschehen  seyn.  Alles 
Feuer  ist  aus  dem  Feuer  entstanden,  welches  er  erst  ange- 
stecket  hat,  ob  er  gleich  hinweggegangen  ist,  nachdem  er  das 
erste  Feuer  hat  angezündet;  ob  er  gleich  weiter  von  allen 
nichts  weiss,  wie  es  ferner  hergehet:  es  ist  dennoch  nach  sei- 
nem Sinn,  dass  der  Brand  wacker  fortgehet."  —  „Denn  durch 
das  allererste  Werck  ist  er  der  Vater  davon,  gleich  wie  Chri- 
stus sagt,  dass  er  ein  Mörder  von  Anfang,  ja  selbst  der  erste 
Lügner,  und  also  ein  Vater  der  Lügen.  Wer  denn  nmi  mor- 
det oder  lüget,  der  thut  ein  Teuffels -Werck:  und  man  mag 
wohl  sagen,  dass  der  Teuffei  selbst  solches  thue;  weil  er  die 
erste  Ursache  des  Menschen  Bossheit  ist,  daraus  dieses  Thun 
entspriesset.  Dass  dieses  der  Sinn  und  Zweck  der  Schrifft 
sey,  da  sie  von  dem  Teuffei  redet"  —  sucht  der  Verfasser  in 
den  einzelnen  Stellen  zu  beweisen.  ^  —  Der  erste  Ursprung  der 

'  II,  114. 

29* 


452      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschiclite' des  Teufels. 

Sünde  ist  also  aus  dem  Teufel  —  dieser  Gedanke  ist  der  Inhalt 
der  Erzählung  vom  Sündenfall,  bei  der  die  Einzelheiten  nicht 
eio-entlich  verstanden  werden  können.  Ebenso  ist  auch  die 
Versuchung  Christi  durch  den  Teufel  nicht  buchstäblich  zu 
nehmen.  Was  die  Schrift  von  David  sagt,  dass  er  vom  Satan 
gereizt  worden,  das  Volk  zählen  zu  lassen,  vom  Zank  des 
Teufels  mit  Michael  um  den  Leichnam  Mose's  ^ ,  beweist 
nicht  die  leibliche  Existenz  des  Teufels,  denn  die  Stelle 
ist  so  dunkel,  wie  die  vorhererwähnten.  Was  von  wahrsagen- 
den Geistern  in  der  Schrift  erwähnt  wird,  steht  in  keiner  Be- 
ziehunsc  auf  den  Teufel,  und  weder  Hiob  noch  Paulus  sind 
vom  Teufel  selbst  leibhaftig  geplagt  worden.  Die  Menschen, 
die  man  vom  Teufel  besessen  hielt,  waren  besondern  Krank- 
heiten unterworfen,  bei  der  Austreibung  der  Teufel  hat  sich 
Jesus,  wie  auch  sonst,  dem  Volke  accommodirt,  und  viele  Schrift- 
stellen, die  gewöhnlich  auf  den  Teufel  bezogen  werden,  sind 
von  bösen  Menschen  zu  verstehen.  Ueberhaupt  hat  der  Teufel 
gar  nicht  die  Freiheit,  durch  die  Welt  zu  spuken  und  den 
Menschen,  ausser  im  Traume,  zu  erscheinen,  denn  es  streitet 
gegen  alle  Vernunft,  dass  der  Teufel  oder  ein  böser  Geist  sich 
selbst  einen  Leib  erzeugen  könne,  oder  auch  nur  den  Schein 
eines  Leibes  annehme,  weil  es  wider  das  Wesen  des  Geistes 
ist.  Kein  Geist  warkt  anders  als  durch  den  Willen,  durch 
Denken.  Wie  sollte  es  der  Teufel  können,  der  doch  keinen 
eigenen  Leib  hat?  können  denn  wir  selbst  eine  Hand  oder 
einen  Fuss  rühren,  ohne  zu  wollen  und  zu  denken?  Kann 
aber  jemand  durch  Denken  auch  nur  einen  Schatten  auf  der 
Erde  oder  in  der  Luft  hervorbringen?  Ein  guter  Engel  hat 
Gottes  Macht  zur  Hülfe,  „ihm  einen  Leib  oder  Leibes  Gleich- 
niss  in  dem,  was  er  aus  Befehl  der  höchsten  Majestät  ver- 
richten muss,  zu  geben.  Aber  meynen  wir,  dass  der  höchste 
Richter  den  verfluchten  Feind  aus  dem  Kerker  lossgelassen 
und  noch  darüber  allenthalben  mit  allem,  was  ihm  gelüstet, 
fügen  wird,  und  nach  seinem  Belieben  nichts  als  Wunder 
thun,  mit  allemahl  etwas  neues  zu  schaflPen  und  den  einen 
oder  andern  Lumpen-Handel  ins  Werck  zu  setzen,  welches  zur 
Unehre  des  Schöi^ffers  und  seines  liebsten  Geschöpffes  miss- 


1  Br.  Jud.  9. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  453 

brauchen  soll!" —  „Aber  die  Schrifft  meynet  man,  lehret  uns, 
dass  Gespeustr  seyn.  So  das  wahr  ist,  so  wird  es  in  dem 
Lager  der  Syrer  von  Samarien  gewesen  seyn;  da  es  so  kräflf- 
tig  spockete,  dass  sie  alle  erschrocken  in  der  Nacht  wegliefen 
und  liessen  alles  stehen  da  es  stund.  Aber  dieses  Gespenst 
war  von  dem  Teufel  nicht,  sondern  der  Herr  hatte  die  Syrer 
lassen  hören  ein  Geschrey  von  Rossen,  Wagen  und  grosser 
Heereskrafft.  Derohalben  hatten  sie  sich  auflfgemacht  und 
flohen  in  der  Friihe  u.  s.  f."  ^  „Die  Apostel,  Leute  ohne  son- 
derliche Aufierziehung,  aus  dem  geringsten  Volck  der  Juden, 
die  insonderheit  zu  der  Zeit  zum  Aberglauben  geneigt  waren, 
schienen  im  Anfang  nicht  weiser  zu  seyn  als  die  übrigen. 
Denn  als  sie  Jesum  umb  die  vierdte  Nachtwache  auff  dem 
Meere  gehen  sahen,  erschracken  sie  und  sprachen,  es  ist  ein 
Gespenst  und  schrieen  f iir  Furcht.  "^  Da  er  sich  seit  dem  ersten 
mahl  nach  seinem  Tode  unvermuthet  ihnen  lebendig  erzeigete 
da  erschracken  sie  und  fürchten  sich,  meyneten  sie  sehen  einen 
Geist.  ^  Aber  Christus  ohne  zu  erklären,  ob  die  bösen  Geister 
auch  erschienen,  —  antworttet  auff  die  Sache,  dass  ein  Geist 
nicht  Fleisch  und  Bein  habe  wie  sie  sehen  dass  er  habe."*  — 
,,Was  will  ich  denn  alle  Spöckerey  läugnen?  bei  Nahe.  Von 
Engeln  vermeyne  ich  nicht  —  ob  jemand  sagen  möchte,  dass 
dieselbigen  noch  nun  und  dann  erscheinen.  Dass  man  aber 
so  viel  Spoocks  von  Specken  macht,  bin  ich  wohl  geruhig, 
dass  niemand  davon  viel  halten  solt."  —  „Die  Unachtsamkeit 
bey  den  Wercken  der  Natur  und  die  Unwissenheit  ihrer 
Krafft  und  Eigenschafi'ten,  und  das  stete  hören  sagen  ma- 
chen, dass  wir  leichtlich  auff  eine  andere  Ursache  dencken, 
als  die  Wahrheit  lehret;  und  das  Vor-Urtheil,  das  man  von 
den  Teuffein  und  Gespensten  hat,  so  wohl  gelehrt  als  unge- 
lehrt, bringet  den  Menschen  alsbald  zum  Gespenst.  Die  Auff- 
erziehung  der  Kinder  stärcket  diesen  Eindruck;  dieweil  man 
sie  von  Jugend  auff"  durch  gemachte  Gerüchte  erschrecket,  sie 
durch  eingebildete  Furcht  zu  stillen,  und  ferner  mit  allen 
solchen   alten  Mährlein   und   alten   Weiber -Geschwätz  unter- 


1  2  Kön.  7,  G.  7. 

2  Matth.  14,  26. 

3  Luc.  24,  37. 
«  Luc.  24,  39. 


454      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Gescliichte  des  Teufels. 

liäit«. Was  die  Träume  betriflft  „daran  man  auch  dem  Teuffei 

die  Ehre  giebt,    dass  er  seinen  Theil  daran  habe",    so   ist  es 
ein  o-emein  Mährleiu;    einer  hat  es  erst  so  erdacht,   und  die 
andern,  weil  es  sein  Ansehen  hatte,  haben  es  ferner  ohne  Un- 
tersuchung angenommen".  ^  —  „In  Ansehung  nun,  dass  in  der 
ganzen  Bibel  nichts    anders,    das    im    geringsten    nach   einen 
Königreiche  gleichet,    und  aufi"  dem  gedeutet  wird,  zu  finden 
ist:  so  wird  es  ausser  Grund  also  insgemein  gesaget,  dass  der 
Satan  auch   ein  Reich  auff  Erden  habe,   das  eben  so  weit  als 
Gottes    eigen   Reich   auft'  Erden   sich    erstrecket:    nicht    allein 
ausser,    sondern    auch    innerhalb    seiner    Kirche,    welche  das 
Himmelreich,    das   Reich   Gottes   und   Christi    geneunet  wird. 
Reich  gegen  Reich,  des  Teufiels  Reich  wider  Gottes:  und  ob 
das  noch  zu  wenig  wäre:    Reich  in  dem  Reiche:   Imperium  in 
imperio,   und   das   von   feindlicher  Macht.     AYie  kann  Gottes 
eio-en,  wie  kan  Christi  Reich  bestehen?  Ich  will  beweisen,  dass 
der  Teufiel  kein  Reich,   das  gegen  Gott  noch  unter  Gott  an- 
gestellet,    noch  wieder  das  Christenthumb   oder   davon  unter- 
scheiden,  noch  viel  weniger  darinnen,   weder  in  dem  meisten 
noch  in  dem  geringsten  noch  haben  kann."  —  „Und  das  habe 
ich  bald  o-ethan."  —  Der  Verfasser  weist  auf  seine  bisherigen 
Erörterungen  zurück.  —  „So  kan  sein  Reich  gegen  Gott  auch 
nicht    seyn,     oder    man    miisse    zugleich    begreiffen    können, 
dass   ein  Richter    jemand    zum  Könige    macht,    wenn    er    ihn 
zum     Kercker     verdammet,     wenn     er     ihn     in     die     Fessel 
schmiedet,    wenn   er    ihn    aus    dem    Lande  jaget."  —  „Man 
sage    mir    denn     einmahl,     wenn    Gott    den    Teuffei    wieder 
frey    gelassen,     von     diesem    schweren    Fluch:     und    das    in 
der  Welt-Herrschafft  zu  haben,   da  er  niemahls  hatte  vor  dem 
Fall,    welche    ihn  in  den  allertiefsten  Abgrund  brachte?"^  — 
„So  lasset  denn  des  Teuffels  Feindschafft  die  grosseste  seyn, 
die    jemahls    oder    irgendswo    sein    kann;     je    grösser    Feind 
Gottes   und  des  Guten   er    ist,    so    viel  weiter  muss   er   auch 
von    dem   sein ,    wo    Gott    ist,    das    ist  König    zu  seyn."  ^  — 
„Aber  dass  der  Teuffei,  auff'  sein  bestes  genommen,  nicht  mehr 
als    ein    Geschöpff'   ist,    unendlich   von   Gott    an    Macht    und 
Würde  unterschieden,   sich  gross  machen  soll  in  dem  Reiche 


1  II,  230  fg.         -  S.  242  fg.         =5  S.  244. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  455 

eines  geliebten  Sohnes,  der  den  Glantz  seiner  Herrligkeit  und 
das  ausgedruckte  Bild  seines  Wesens  ist:  wie  kau  das  ohne 
Missverstand  einen  Christen  Menschen  in  Gedanken  kommen? 
Viel  weniger  wird  er  leiden,  dass  der  allerschnödeste  seiner 
Unterthanen,  der  erst  den  AuflPstand  wider  Gott  erwecket,  und 
den  Menschen  zum  Abfall  hat  gebracht,  dessen  "Wircken  mit 
Vorsatz  kommt  zu  zerstören,  und  dazu  auch  sein  Reich  hat 
auffgerichtet :  dass  der  nun  selbst  als  ein  Könio-  in  dem  Him- 
melreich  soll  herrschen,  dessen  erste  Ankunfft  ihn  als  ein  Blitz 
auff  die  Erde  herunterstürtzte^,  das  ist  so  viel  zu  sagen,  als 
dass  alles,  was  Teufflisch  ist,  vor  Christi  Macht  und  Krafft 
verschwinden  muss."^  „Man  darff  sich  auch  nicht  allzu  sehr 
bekümmern,  zu  wissen,  was  der  Teufel  zu  thun  vermag:  "Wenn 
uns  diincket,  dass  etwas  über  die  Natur  geschieht:  Denn  so 
ist  es  gewiss,  dass  er  es  nicht  kan  thun,  Ich  sage,  dass  es 
allzu  sinnlos  fürgegeben  wird,  wenn  etwas  böses  geschieht, 
dass  nach  unserm  Verstand  über  die  Kräffte  der  Natur  gehet, 
dass  es  ein  Werck  des  Teuffels  sey?  Denn  welchem  das  dün- 
cket,  der  muss  nothwendig  glauben,  dass  der  Teuffei  etwas 
thun  kan,  das  natürlicher  Weise  nicht  kan  geschehen.  Ist  das 
wahr,  so  ist  der  Teuffel  Gott:  Siebet  jemand  diese  Folge  nicht, 
ich  wills  ihm  alsofort  sehen  lassen.  Alles  Avas  er  erdencken 
könnte,  das  da  ist,  das  muss  entweder  der  Schöpffer  selbst, 
oder  sein  Geschöpffe  seyn.  Was  ist  der  Teuffel  nun?  Ein 
verdorben  Geschöpffe,  werdet  ihr  sagen  müssen;  diesem  nach 
ein  Theil,  und  ein  verdorbener  Theil  der  erschaffenen  Natur. 
Wie  kan  nun  das,  welches  ein  Theil  der  Natur  ist,  tiber  die 
Natur  seyn?  Wer  ist  über  die  Natur,  denn  Gott  allein?  Der- 
halben  schliesse  ich  also  fort,  schnurgleich  wieder  die  gemeine 
Meynung;  so  bald  als  man  sagt,  dass  etwas  über  die  Natur 
geschehen  sey,  so  hat  es  denn  der  Teufel  nicht  gethan,  es  ist 
Gottes  eigen  Werck.  Ein  ander  sagt,  es  ist  doch  kein  natür- 
lich Werck,  derhalben  muss  es  Zauberey  seyn,  und  ein  unge- 
waschener Mund,  da  spielet  der  Teuffel  mit:  Aber  ich;  so  es 
kein  natürlich  AVerck  ist,  so  ist  es  gewisslich  auch  keine  Zau- 
berey. Denn  ist  Zauberey;  die  muss  obschon  betrieglich, 
dennoch  gantz  und  gar  natürlich  seyn,  gleich,   wie   ich  hoffe 


1  Luc.  16,  18. 

2  S.  245. 


456      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Gescliichte  des  Teufels. 

in  dem  dritten  Buche  dem  Leser  sehen  zu  lassen."  ^  —  „Ob 
aber  gleich  diese  ungereimte  Dinge,  die  aus  fürgewendeter 
Zulassung  entstehen,  nicht  zu  entschuldigen  sind,  so  ist  es 
doch  plum]3er  Unverstand  zu  sagen,  das  der  Teuflei  das  thun 
kan,  was  ihm  von  Gott  wird  zugelasssen,  der  muss  keine 
Sinne  haben  oder  nicht  wissen,  dass  er  sie  habe,  der  solches 
fürgibt  oder  sich  in  die  Hand  stecken  lasset.  Gibt  die  Zu- 
lassung  denn  das  Vermögen,  dass  man  ein  Ding  thun  könne? 
unterschieden  ist  die  Zulassung  von  dem  Vermögen;  sie  gibt 
Erlaubniss,  aber  nicht  die  Krafil  etwas  zu  thun."^ —  ^^Die  En- 
gel sind  Gottes  Diener  überall,  sowohl  zur  Strafi'e  als  Hut  der 
Menschen:  Der  Teufl'el,  Gottes  Gefangener  und  damit  ist  es 
aus."^  Im  nächsten  (35)  Hauptstiick  fi'ihrt  Bekker  den  Beweis, 
dass  die  Wahrheit  des  christlichen  Glaubens  mit  dem  gewöhn- 
lichen Teufelsglauben  nicht  bestehen  könne.  „Ein  Atheist  be- 
darfi'  keine  andern  Wafi'en,  denn  dieser  Meynung,  davon  ich 
in  diesem  Buche  rede,  das  gantze  Christenthumb  bis  aufi"  den 
Grund  nieder  zu  reissen,  und  welches  wir  ihm  selbst  in  die 
Hände  geben,  wenn  wir  von  dem  Teufel  reden,  wie  man  davon 
redet,  dass  man  solches  nicht  gemercket  hat,  kompt  meines 
Erachtens  daher,  dass  wir  schlechthin  die  Lehre  von  dem 
Gottes -Dienst,  mit  den  Grund -Ileden,  womit  dieselbe  bewie- 
sen wird,  annehmen,  ohne  sie  zu  untersuchen,  wo  die  Krafi't 
des  Beweises  lieget."* — Auch  die  wahre  Gottesfurcht  wird  durch 
den  Teufelsglauben  beeinträchtigt.^  „Aber  ist  es  nicht  schon 
weit  genug  gekommen,  dass  wir  den  Teuff'el  nöthig  haben, 
den  Menschen  zu  Gottesfurcht  anzuhalten?  Ist  der  allgenug- 
same  Gott  denn  nicht  genug,  uns  begreifi'en  zu  lassen,  dass 
Ihn  jedermann  fürchten  müsse?"  —  „So  wir  einen  Gott  vor 
uns  hätten,  der  wie  die  Könige  und  Richter  aufi"  Erden  andere 
vonnöthen  hätte,  die  Ungehorsamen  und  Uebelthäter  zu  straf- 
fen; so  möchte  dieses  fürwenden  einigermassen  bestehen; 
allein  Er  hat  nicht  nöthig  zu  solchem  Ende  den  Teufi'el  aus  der 
Höllen  loszulassen."^ —  „Denn  wer  fast  stets  an  die  List  und  die 
Macht  des  Teufels  dencket,  gibt  weder  Gott  dem  Schöpfler 
selbst  noch  seinen  heiligen  Engeln,  noch  den  Gläubigen  je- 
mahls  ihr  Theil.  Nicht  Gott,  dessen  kindliche  Furcht  ohn 
Unterlass  in  einem  Gottesfürchtigen  Hertzen  sein  muss.   Wie 


S.  249.         2  s,  251.         3  s.  252.         ■»  S.  253.         ^  Hauptstück  36. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  457 

kan  die  aber  gebührend  statt  haben,  da  derselbige  bereits  mit 
Schrecken  und  Furcht  vor  des  Teuflfels  Werck  vorher  ein- 
genommen ist?  Wie  kan  er  Zeit  und  Eyfer  haben  Gottes 
vollckommene  Wercke  zu  betrachten,  der  kaum  etwas  höret 
oder  siebet,  darinnen  ihm  des  Teufiels  Werck  nicht  vorkomme?  "^ 
„Was  für  Gedanken  haben  solche  Menschen  von  dem  grossen, 
gerechten  und  gestrengen  Gott,  welche  die  Noht  ihn  zu 
fürchten  in  des  Teuffels  Gewalt  setzen?  als  ob  der  Richter 
der  ganzen  W^elt  niemand  nach  Verdienst  straffen  könnte  wo 
der  Teuffei  darinnen  ihm  nicht  zur  Hand  gehen  müste.  .  .  . 
Die  Furcht  welche  der  arme  Mensch  vor  dem  nichtigen  Teuffei 
hat,  Avenn  er  sich  bemühet  ihn  aus  seinem  Haupt  zu  bringen, 
so  trachte  ich  desto  mehr  sein  beängstetes  Hertz  einzunehmen 
mit  der  Furcht  vor  dem  grossen  Gott.  Und  wenn  ich  also 
thue,  so  beweise  ich  dass  ich  keine  Teuffels-fürchtende  son- 
dern Gott-fürchtende  Menschen  machen  will."  ^ 

Im  dritten  Buche  untersucht  Bekker  die  o-ewöhnliche 
Meinung  über  den  Verkehr  der  Menschen  mit  dem  Teufel 
und  dessen  angebliche  zauberische  Wirksamkeit.  Da  „bey 
dem  Teuffei  weder  der  Verstand  noch  das  Vermöa^en  ist, 
woraus  die  Menschen  so  grosse  Dinge  durch  sein  Zuthun, 
Kraff't  und  Wirkung  zu  wege  bringen  solten,  wie  man  wähnet, 
was  solten  denn  seine  Diener,  Schüler  und  ünterthanen  thun? 
so  der  Meister  selber  das  Vermögen  nicht  hat.  .  .  .  Die  Kraff't, 
die  ihm  gebricht,  kann  an  keinen  Menschen  wirken.  So  muss 
dann  alsbald  mit  des  Teuffels  Nichtigkeit  der  gantze  Zauber- 
Krahm  zu  Nichte  gehen."  ^  Im  zweiten  Hauptstück  beweist 
der  Verfasser,  dass  die  Annahme  eines  Umgangs  der  Geister, 
besonders  der  bösen,  mit  den  Menschen  „schwerlich"  mit  der 
Vernunft  vereinbar  sei.  Er  leugnet  die  gewöhnlich  geglaubte 
Gemeinschaft  des  Teufels  mit  den  Menschen,  also  auch  das 
angebliche  Teuf elsbündniss,  er  zeigt  dass  der  Teufel  unkörperlich 
sei,  demnach  auch  keine  Macht  auf  die  menschlichen  Leiber 
besitze,  so  wie  die  Menschen  auf  den  Teufel  als  Geist  nicht 
wirken  können.  Er  verwirft  auch  die  angenommene  Wandel- 
barkeit des  Teufels  und  ruft: „Wer  von  der  protestantischen 
Kirche  verneint  Gott  die  Transsubstantiation,  und  stehet  dem 
Teufel  zu  die  Transformation?"*    Kein  Geist  kann  den  Men- 

1  S.  261.        2  S.  270.        3  iii^  1,        4  s,  9. 


458      Vierter  Abscbnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

sehen  so  besitzen  „wie  man  von  Besessenen  glaubet".  ^  Eine 
Vereiniofuno;  des  Teufels  mit  dem  Leibe  des  Menschen  ist 
nicht  möglich;  aber  auch  dessen  Seele  kann  nicht  von 
jenem,  nach  der  gewöhnlichen  Meinung,  eingenommen  werden.^ 
„Diesem  nach",  fährt  der  Verfasser  im  dritten  Hauptstück 
fort,  „ist  auch  insonderheit  das  Verbündniss  der  Zauberer  und 
Zauberinnen  streitig  mit  einem  unverderbten  Urtheil  und  ge- 
sunden Verstand."  In  den  folgenden  Hauptstücken  (4 — 10) 
führt  er  die  Stellen  des  Alten  Testaments  an,  welche  von 
Wahrsagerei  u.  dgl.  handeln  und  schliesst  damit:  „Wir  haben 
also  das  gantze  alte  Testament  von  fornen  biss  hinten  zu 
durchgesucht  und  nicht  gefunden,  woraus  blicken  mag,  dass 
einige  von  allen  den  vielerhand  Arten  der  Weissager,  beson- 
dere Gemeinschaft  mit  dem  Teuflei  hatte."  Und  „viel  weniger 
findet  man  das  geringste  in  der  Schrifl't  (das  Neue  Testament 
mitgerechnet),  auch  da  sie  von  dem  Bund  der  Bossheit  redet, 
dasjenige,  was  nach  dem  zauberischen  Fluch-Bund  gleichet".^ 
Der  Verfasser  zeigt  dann  *,  dass  das  Teufelsbündniss  gegen 
den  Zusammenhang  der  Lehre  der  Schrift  sei,  und  schliesst 
den  Abschnitt  damit:  „Denn  kann  man  Gott  auch  schwerer 
lästern  als  mit  solchen  Reden,  dass  er  die  Hexen  Ihn  zu 
verläusrnen  und  dem  Teufiel  zu  schweren  veranlasset?  Dass 
er  sie  durch  den  Teuflei  Gotteslästerungen  reden  machet? 
Dass  er  sie  durch  des  Teuffels  Dienst  die  Menschen  lasset 
beleidigen,  die  er  gebeut  zu  helffen  und  zu  lieben?  Dass  er 
sie  durch  den  Teuffei  L^no-ewitter  lasset  erwecken  und  aller- 
band  Wunder  thun,  womit  Er  zu  beweisen  pflegte,  dass  Er 
Gott  sey  und  sein  Wort  die  Wahrheit  ist?  und  dieses  noch 
allzumahl  zu  dem  Ende,  dass  sie  denken  sollen,  dass  es  Gott 
nicht  thue,  weil  sie  da  erst  schweren  müssen,  dass  sie  Gott 
A^erleugneu  und  dass  der  Teufel  selber  der  Gott  ist  der  es 
thut?  —  Nun  will  ich  denn  schliessen,  dass  dieser  Bund, 
davon  die  Welt  annoch  so  voll  ist,  worinnen  die  Menschen 
sich  also  mit  dem  Teufel  wider  Gott  verbinden  solten  und 
den  man  für  den  Grund  der  heutigen  Zauberey  hält,  in  allen 
Theilen  unwahrhafftig  ist,  als  der  dem  Teuffei  und  den 
Menschen  unmöglich  und  Gott  zuzulassen   unziemlich 


1  S.  11.         2  s.  12.         3  11.  Hauptstück.         *  12.  Hauptstück. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahiliuudert.  459 

und  der  Lehre  des  Evangelii  schnür  gleich  zuwider  ist,  dass 
ich  nicht  zugleich  sage,  dass  solches  glauben  nicht  zum 
äussersten  spöttlich  ist;  und  so  etwas  ernstliches  darinnen  ist, 
so  ist  es  der  Grund  der  Manicheer  Lehre,  es  machet  den 
Teufel  arbeitsam  wieder  Gott  und  darum  ohne  Gott,  und  was 
noch  ärger  ist  als  die  Manicheer,  über  Gott.  Er  stellet  uns 
Menschen  dar,  die  durch  des  Teuffels  Krafft  alles  thun  (und 
noch  viel  mehr)  was  jemahls  Propheten  oder  Apostel  (ja 
Christus  selbst)  durch  Gottes  Krafft  thäten  und  das  wieder 
Gott.  Und  darumb  sage  ich,  wer  solches  wohl  begreiffet  und 
mit  der  Schrift  und  Vernunft  vero-leichet  und  es  dennoch 
glaubet,  dass  ich  nicht  sehe  wie  er  kan  glauben,  dass  er  ein 
Christ  ist."  *  —  In  den  folgenden  Abschnitten  '^  wendet  sich 
Bekker  abermals  zur  Schrift,  um  die  Stellen  zu  untersuchen, 
wo  von  Zeichen  und  Zauberei  die  Rede  ist,  und  findet  nirgends 
eine  Beziehung  zu  dem  Teufel,  noch  ein  Bündniss  mit  diesem 
angedeutet.  Daraus  folgert  der  Verfasser:  dass  ,,die  Formu- 
lare" in  den  Katechismen,  Bekenntnissen,  in  Gebeten,  Trauungs- 
formeln u.  dgl.,  die  des  Teufels  und  seiner  Werke  erwähnen, 
nicht  im  eigentlichen  Sinne  von  einem  leiblichen  Teufel,  son- 
dern von  dem  Bösen  überhaupt  verstanden  werden  sollen.  ^ 
Darauf  beweist  er  *,  dass  der  Teufels^laube  dem  gottesfürch- 
tigen  Leben  schade  und  zu  Frevel  Anlass  gebe.  —  Nachdem 
der  Verfasser  bewiesen,  dass  von  der  Zauberei  im  gewöhn- 
lichen Sinne  als  Wirkung  des  Teufels  und  des  Bundes  mit 
ihm  die  Schrift  nichts  enthalte,  dass  sie  mit  dem  christlichen 
Glauben  im  Widerspruch  stehe,  findet  er,  dass  „alle  Zauberey 
mit  allen  was  derselben  abhängig  ist,  wie  dieselbe  gemeinig- 
lich geglaubt  wird  .  .  .  nichts  als  ein  reines  Gedichte  ist, 
dessen  sich  ein  Christ  schämen  mag".  ^  Aehnlich  äusserte 
sich  Bekker  schon  im  19.  Hauptstück  desselben  Buches:  „Der 
Bund  der  Zauberer  und  der  Zauberinnen  mit  dem  Teuffei  ist 
nur  ein  Gedichte,  das  in  Gottes  Wort  nicht  im  allgeringsten 
bekandt  ist,  ja  streitig  wieder  Gottes  Bund  und  Wort,  aller- 
dinge unmöglich,  das  allerungereimteste  Geschwätz,  das  je- 
mahls von  den  heydnischen  Poeten  ist  erdichtet  worden,  und 
dennoch  von  vielen  vornehmen  Lehrern  in  der  protestantischen 


1  S.  103.  2  Hauptstück   13  —  18.  =>  Hauptstück   19.  20. 

*  Hauptstück  21.  ^  Hauptstück  22. 


460      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Kirche  verthädiget,  wo  nur  nicht  nur  zum  Theil  erdacht. 
Denn  ich  finde  schier  keinen  Papisten,  die  von  den  Teuffein 
und  den  Zauberern  mehr  "Wunder  schreiben,  als  Danaeus, 
Zanchius  und  ihres  gleichen  thun.  Woraus  man  sehen  mag 
den  kläglichen  Zustand  der  Kirche,  in  welcher  ein  so  hess- 
liches ungestaltes  Ungeheur  von  Meynungen  nicht  allein  ge- 
litten, sondern  auch  geheget  und  unterhalten  wird."  ^  —  Nun- 
mehr will  der  Verfasser  ^  erklären,  wie  er  „alle  diese  Dinge" 
selbst  verstehe,  nämlich  „das  von  des  Teuffels  fälschlich  ge- 
nandter  Wissenschafft,  Krafft  und  Wirckung  wie  auch  von 
den  Gespensten  und  Besessenheit  —  so  fern  als  nun  das  Thun 
der  Menschen  hier  betrifft,  die  nach  der  gemeinen  Meynung 
mit  dem  Teufel  Umgang  haben".  ^  Die  Möglichkeit,  das 
Wetter  vorher  zu  verkünden  u.  dgi.,  „hat  seinen  Grund  in 
einer  natürlichen  Folge  der  Wirkungen  aus  ihren  Ursachen, 
so  durch  die  Erfahrung  vorher  bekandt  sind".  *  Dies  hat 
mit  dem  Teufel  nichts  zu  schaffen,  so  wenig  als  mit  „Vor- 
bedeutungen", obschon  er  diese  nicht  für  unmöglich,  aber 
auf  natürliche  Weise  erklärlich  hält;  was  die  Zauberer  be- 
trifft, sind  sie  entweder  Gaukler,  die  durch  Geschicklich- 
keit auf  natürliche  Weise  etwas  bewirken  imd  ihren  Unter- 
halt erwerben,  oder  sie  sind  Quacksalber,  Betrüger,  die  ihre 
Bosheit  bemänteln,  dazu  die  Einbildung  der  Menschen, 
die  Zauberei  daraus  macht.  Besessenheit  durch  den  Teufel, 
dessen  Beschwörung,  heimlicher  Vertrag  mit  dem  Teufel 
„ist  Eitelkeit  über  alle  Eitelkeiten,  es  ist  alles  eitel,  zum  Theil 
altvettelische,  zum  Theil  aufs  beste  noch  küusthch  erdichtete 
Fabulen,  entweder  ist  erst  das  eine  gewesen,  und  darnach  das 
andere.  Das  ist  nachdem  die  Menschen  aus  blossen  Miss- 
verstand, Aberglauben  und  Leichtgläubigkeit  solche  Gedichte 
vor  Wahrheit  angenommen  hatten,  so  haben  Gelehrte  sich 
selbst  den  Kopff  zerbrochen  Ursache  davon  zu  geben,  den 
Ursachen  der  Natur  nachzuforschen  und  weiter  die  Schrifft 
auch  so  reden  zu  hören".  ^ 

Im  vierten  Buche,  „worinnen  der  Be weiss  welcher  aus 
der  Erfahrung  genommen,  von  Grund  aus  untersucht  wird", 
sucht  Bekker  zu  zeigen,    dass   die   Erscheinungen  unbefangen 


1  3.  Buch,  S.  155.  2  3.  ßuch,   22.  Ilauptstück.  ^  S.  180. 

1  S.  181.  ^  S.  189. 


2.  Der  Teufel  im  16,  und  17.  Jahrhundert.  461 

und  vorurtheilsfrei  zu  betrachten  seien,  dass  etwas  darum 
noch  nicht  unnatürlich,  das  heisst  im  gewöhnhchen  Sinne 
zauberhaft  sei,  weil  uns  die  Ei^kenntniss  abgeht,  dass  oft  Be- 
trug und  Täuschung  mitspielen,  dass  bei  den  Besessenen 
gewöhnlich  Krankheiten  mit  unterlaufen.  Der  Verfasser  unter- 
sucht eine  Menge  Beispiele  von  Zauber-  und  Spukgeschichten, 
die  dem  Teufel  zugeschrieben  werden,  alter  und  seiner  Zeit, 
auch  selbsterlebte,  wobei  er  den  landläufigen  Teufelsglau- 
ben geiselt.  Er  zeigt  dabei,  wie  gross  der  Einfluss  .der 
Einbildung,  des  Vorurtheils,  des  Mangels  an  Beobachtung  bei 
solchen  vermeintlichen  Wunderwerken  des  Teufels  sei,  dass 
auch  der  Betrug  oft  mitspiele,  z.  B.  bei  der  merkwürdigen 
Geschichte  ,,der  Ursalynen  zu  Lodun".  ^  Er  weist  darauf 
hin,  dass  die  Berichterstatter  über  solche  Spuk-  und  Zauber- 
geschichten „Schwätzer  und  Poeten  seyn  oder  denselbigen  in 
ihrer  Seltzamkeit  mit  einem  Hauffen  zierlichen  Worte  sie  zu 
schmücken  folgen"^;  dass  den  Zeugen  nicht  zu  trauen  sei, 
weil  sie  mit  Vorurtheilen  beladen,  kein  gesundes  Urtheil 
haben.  Auch  „die  Untersuchung  der  Zauber-Richter  (Hexen- 
richter) gibt  gantz  keinen  Beweis  von  der  Zauberey." ^  ...  „Die 
Exempel,  die  das  (was  Bezauberung  oder  Behexung  genennet 
wird)  nach  der  allgemeinen  Meynung  am  klahrsten  beweisen, 
sind  meist  diejenigen  welche  genommen  werden  von  dem  Ge- 
richt, der  Untersuchung,  den  Straffen  und  den  eigenen  Be- 
kändtnissen  dieser  Menschen,  weil  sie  ohne  dieses  nicht  leicht 
zum  Tode  verurtheilet  werden."  Der  Verfasser  gibt  hierbei 
vornehmlich  zweierlei  zu  bedenken:  ,,wie  die  Rechtshandlungen 
gepfleget  worden  und  solche  Menschen  zur  Erkäntnis  gebracht, 
und  was  man  aus  diesen  Rechtspflegungen  von  solcher  eigener 
Bekäntnis  glauben  mag".  *  Er  empfiehlt  dem  Leser  das  Büch- 
lein ,, Versicherung"  von  einem  „Römischgesinnten"  ^,  und 
stellt  folgende  15  Sätze  auf  in  Bezug  auf  die  Hexeninquisi- 
tion  und  Hexenprocesse: 

1)  „Der  Anfang  ist  denn:  Ein  unglaublicher  Aberglaube 
des  gemeinen  Volks  in  Teutschland;  darbey  ich  wohl  sagen 
mag,  dass  derselbige  nicht  wenig  durch  die  Geistlichen  unter- 


1  4.  Buch,    11.  Hauptstück.  ^  s.  loo.  »  24.  Hauptstück. 

*  S.  214.  *  Es  ist  die  Cautio  criminalis  von  Fr.  Spec. 


4G2      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

halten  wird,  nicht  allein  des  Pabsthnmbs,  sondern  gewisslich 
auch  der  Protestanten.  Alle  Straffe,  die  uns  Gott  in  der 
heiligen  Schrifft  dräuet,  kommen  nach  den  gemeinen  Sagen 
von  den  Zauberern. 

2)  Daher  werden  die  Gerichte  in  den  fürstlichen  Höfen 
unauffhörlich  angelauffen,  mit  einem  gemeinen  Geschrey  und 
Untersuchung  zu  thun. 

3)  Das  erste,  Zauberin  zu  finden,  das  soll  derjenige  seyn, 
der  im  geringen  Stande  bey  diesem  oder  jenen  etwas  in  Augen 
ist,  oder  auch,  es  sey  mit  Schuld  oder  Unschuld,  fiber  etwas 
iro;end  in  keinem  ojuten  Gerüchte  steht. 

4)  Denn  machet  sothanig  eine  Schlussrede  mit  zwey 
Hörnern.  Ist  sie  von  keinem  guten  Leben  gewesen,  so  ist 
der  Argwohn  wohl  begründet;  so  ja,  so  sind  es  die,  welche 
das  Wolffs-Hertze  unter  dem  Schaff-Fell  bedecken. 

5)  Noch  eins,  wird  sie  bezi'ichtiget  und  entsetzet  sich 
nicht,  so  ist  es  ein  Beweis  teuff'Jischer  Verhärtung:  Wo  aber 
ja,  so  hat  sie  Schuld.  Ziehet  sie,  Friedens  halben  aus  der 
Nachbarschafft,  oder  der  Plage  zu  entgehen,  so  wird  alsbald 
sesagt:  Wer  laufft  hat  Schuld. 

6)  Wer  ihr  nun  nicht  zum  besten  will,  findet  leicht  etwas 
in  ihrem  Leben,  Worten,  Thaten,  das  von  dem  besten  nicht 
war  (denn  wer  lebet  sonder  Fehler)  das  dienet  denn  auch 
zur  Hegung  des  Vermuthens  ihrer  Zauberey. 

7)  Man  beschleunigt  auch  die  Untersuchung,  biss weilen 
noch  denselbigen  Tag  der  Beschuldigung;  und  lasset  ihnen 
selten  Advokaten  zu,  die  auch  zu  solchen  Dingen  nicht  sehr 
ungeneiget  (?)  seyn. 

8)  Auft'  die  erste  Befragung,  sie  mag  etwas  oder  nichts 
bekennen,  wird  sie  angeschlossen,  und  wenn  sie  bey  ihrer 
Unschuld  bleibet,  je  besser  sie  das  weiss  zu  sagen,  je  mehr 
wird  geglaubet,  dass  der  Teufel  ihr  diese  Lehre  gegeben,  wo 
nicht,  so  hat  die  Schuld,  die  sich  nicht  wohl  weiss  zu  ent- 
schuldigen. Alsdenn  gehet  man  ferner,  denn  man  will  dass 
sie  bekennen  soll. 

9)  Man  bedräuet  sie  mit  der  Pein-Banck,  kleidet  sie 
nacket  aus  und  bescheeret  sie  über  den  gantzen  Leib,  gleich- 
sahm  keine  Zauberey,  wie  geringe  die  auch  sey,  bey  sich 
verborgen  zu  behalten.  Dieses  wird  selber  auch  von  Männern 
an  Frauen  mit  Muthwillen  gepflegt. 


2.  Der  Teufel  im  16.  und  17,  Jahrhundert.  463 

10)  So  sie  durch  den  Drang  der  Pein-Banck  zur  Be- 
kändtniss  kommet,  so  ist  die  Sache  gethan;  sie  hat  die  Zau- 
berey  bekandt,  sie  muss  nach  dem  Feuer. 

11)  So  sie  aber  nicht  bekennet,  so  ist  es  Hartnäckigkeit; 
sie  muss  besser  daran,  so  hinge  biss  sie  endlich  bekennet; 
Wiederruffet  sie  nach  dem  Auffhalten  des  Schmertzen,  so  ist 
es  wiederumb  Hartnäckigkeit;  Bekennen  wird  geglaubet  aber 
kein  Verneinen. 

12)  Siehet  sie  rund  umb  sich  her,  so  ist  es  nach  dem 
Teuffei,  ihrem  Buhlen.  Schlägt  sie  die  Augen  nieder,  oder 
liegt  sie  aus  Pein  in  Ohnmacht,  sehe  da  die  Hexe  noch 
schlaffen,  denn  der  Teuffei  macht  sie  also  unempfindlich. 

13)  So  die  schwache  Frau  stirbt,  so  hat  ihr  alsdann  der 
Teuffei  den  Halss  umgedrehet ;  und  der  Leib  wird  unter  dem 
Galgen  begraben,  er  ist  nicht  besser  werth. 

14)  Kan  die  Pein-Banck  nicht  zuwege,  noch  sie  zur 
Bekändtniss  bringen,  so  muss  die  langwierige  Gefängniss 
es  thun. 

15)  Die  Geistlichen  bringen  sie  denn  auch  noch  auf  die 
Pein-Banck  des  Gemüths  und  bringen  sie  zur  Bekändtniss 
aus  Furcht,  dass  sie  sonst  nicht  kan  seelig  werden."  ^  .  .  . 
„Das  ist  kürzlich",  fügt  er  hinzu,  „was  diejenigen  belanget, 
die  zum  ersten  auff  ein  blosses  Gerücht  und  Bezüchtieunir 
gepeinigt  werden;  alsdenn  ist  es  auch  noch  zu  thun  auch  an- 
dere als  Mitschuldige  anzugeben  und  in  der  schweresten  Pei- 
nigung zu  erklähren,  ob  sie  keine  wissen,  es  wird  ihnen  die 
eine  und  andere  genennet  und  imgleichen  gefraget:  Ob  die 
nicht  auch  von  ihren  Volck  sey,  und  ob  sie  in  den  Zauber- 
Sabbathen  von  ihr  gesehen  worden?  Die  Pein  zwinget  sie 
endlich  zu  sagen:  Ja.  Darnach  wird  eine  andere  genennet 
und  desgleichen  gefraget,  ob  sie  nicht  auch  darunter  sey?  so 
sie  nicht  ja  sagen,  so  wird  die  Schraube  dichter  angesetzet 
und  das  Ja  zur  Kehlen  herausgepresset.  Wenn  das  einmal 
also  gestellet  ist,  so  hilfft  alsdenn  hernach  kein  leugnen  mehr. 
Die  welche  also  angegeben  ist,  wird  als  eine  Zauberin  ge- 
fangen und  gepeiniget  als  die  erste,  biss  dass  sie  durch  Un- 
gedult  auch  wohl  durch  Wahnsinnigkeit   von    der    unerträg- 


S.  215  fg. 


464      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

liehen  Peinigung  es  auch  zu  ihrem  eigenen  Nachtheil  bekennet, 
ob  sie  schon  die  Unschuldigsten  von  der  Welt  seyn."  ^  Auf 
solche  Bekenntnisse,  meint  der  Verfasser,  sei  demnach  gar 
kein  Werth  zu  legen,  ebenso  wenig  als  die  hier  und  da  ein 
kranker,  wahnwitziger  oder  schwermüthiger  Mensch  von  sich 
selbst  ablest.  —  Hierauf  kommt  Bekker  auf  die  bekann- 
ten  Vorgänge  in  dem  Waisenhause  zu  Amsterdam,  Hörn, 
dem  Armenkinderhause  zu  Ryssel  zu  sprechen  und  sie  zu 
beurtheilen,  und  zeigt,  dass  hierbei  ebenso  wenig  Zauberei 
stattgefunden  wie  bei  dem  wunderlichen  Kindbette  des  Wei- 
bes zu  Abbekerck.  Im  27.  Hauptstück  zeigt  der  Verfasser, 
dass  die  „Rechtshandlungen  bey  dem  Anfang  der  Reformation 
in  den  Niederlanden  über  Zauberey  geführet,  sind  nicht  nach 
Recht  und  Vernunfft  gewesen",  und  ähnlich  beweist  er  dies 
an  Beispielen  aus  Dänemark,  Schweden  und  andern  Ländei-n 
in  den  folgenden  Hauptstücken  und  findet  als  Ergebniss:  ,,dass 
gantz  keine  Erfahrung  von  solcher  Zauberey  oder  was  Nahmen 
es  haben  mag,  sey  die  durch  Hülffe  und  Wirckung  des 
Teuffels,  oder  auch  Krafft  eines  Bündnisses  mit  ihm  geschieht, 
noch  auch  von  einigen  der  geringsten  Wirckung  der  bösen 
Geister  auff  den  Menschen,  oder  etwas  davon  Erkäntniss  hat. 
Nicht  eines  von  allen  vorerwehnten  Exempeln,  da  es  nicht 
an  einen  oder  andern  vornehmen  Umbständen  gebricht,  die 
nöthiff  waren  zu  wissen,  so  man  etwas  davon  schliessen  sollte; 
nicht  eines,  da  nicht  Ursache  sey  zu  vermuthen,  dass  es 
durch  Betrug  angestellet  worden.  Sehr  viel  ist  nur  durch 
Einbildung  geschehen,  oder  durch  Vorurtheil  grösser  ausge- 
o-eben  worden,  und  ausser  diesen  ist  alles  natürlich  was  dar- 
innen  ist,  aber  ungemein,  aber  die  Ursachen  bey  den  meisten 
nicht  bekandt.  Ist  demnach  keine  Zauberey,  sondern  nur  in 
der  Meynung  der  Menschen,  kein  Gespenst,  keine  Wahrsagerey 
noch  Besessenheit  die  von  dem  Teufel  herrühret.  ^  .  .  .  Es 
ist  demnach  wohl  zu  sehen",  fährt  der  Verfasser  ^  fort,  „dass 
frey  viel  Wercks  zu  thun  ist,  da  so  viel  noch  unterm  Hauffen 
lieget,  die  protestantische  Christenheit  zu  reinigen  und  nach 
der  reinen  Satzunsf  des  Wortes  Gottes  und  den  ersten  Gründen 
der  erneuerten  Kirchen-Beckäntniss  zu  säubern.     Ich  will  die 


1  S.  216.         2  s.  292.         3  34,  Hauptstück. 


2.    Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  465 

Ursache  sagen,  warumb  dieses  billig  solte  getlian  werden  vind 
welche  hiezu  am  meisten  verflichtet  sind  und  das  meiste  Ver- 
mögen darzu  haben.  Solches  zu  thun  sollte  allein  genug  seyn, 
dass  wir  des  Teufels  Werck  oder  vielmehr  den  Glauben  davon 
nicht  von  nöhten  haben;  Denn  wie  reimt  sichs  jetzund  zu 
glauben  und  dennoch  so  starck  zu  treiben,  dass  der  Glaube 
von  der  Seligkeit  keinen  Nutz  davon  ziehet,  noch  die  Selig- 
keit die  geringste  Reclumng  dabey  findet?  Es  wird  aber 
noch  stärcker  binden,  wenn  wir  sehen,  dass  unser  Glaube  und 
Gottseligkeit  allda  beyde  Beschwerung  leyden  und  denselbigen 
höchlichst  zu  Sturtz  geschiehet.  —  Dass  wir  die  Meinung  von 
der  Zauberey  und  was  derselben  anklebet  gar  wohl  entbehren 
können,  erscheinet  klärlich  aus  unsrer  eigenen  Erfahrung, 
weil  sie  nirgends  mehr  gefunden  wird,  als  da  man  sie 
zu  seyn  glaubet.  Glaubt  sie  denn  nicht  mehr,  so  wird 
sie  nicht  mehr  seyn.  In  dem  Pabstthumb  hat  man  täglich 
Beschwerungen  zu  thun,  hie  nimmermehr.  So  viel  Besessene 
sind  denn  allda  mehr  als  hier.  Denn  sehet,  sie  sind  daselbst 
nöthig,  den  Geistlichen  Materie  zu  Mirakuln  zu  geben  und 
zu  zeigen,  welche  Krafft  ihr  Okusbokus  auff  den  Teufiel  habe; 
davon  rauchet  ihr  Schornstein.  Bey  uns  erkennet  man  nicht 
leichtlich  jemand  bezaubert,  so  da  keine  Handgucker  oder 
AVahrsager,  noch  sogenannte  Teuffels- Jäger  seyn.  Alle  die 
allda  kommen,  sind  bezaubert.  Kommen  aber  diese  Leute 
zu  Doctoren,  die  wissen  von  keiner  Zauberey.  •  .  .  Also 
siebet  man  auch,  dass  bey  uns  (in  Holland)  da  bey  keinen 
liichter  mehr  auf  Zauberey  Untersuchung  gethan  wird,  auch 
niemand  leichtlich  der  Zauberey  halben  wird  beschuldiget. 
Man  siehet  hier  niemals  weder  Pferd,  noch  Kuh,  noch  Kalb, 
noch  Schaaff  in  dem  Stall  oder  auff  der  Weyde  die  von  einem 
Weer-Wolff"  gebissen  sind.  So  dass  Grass  oder  Korn  nicht  wohl 
stehet,  giebt  man  niemahls  den  Zauberern  dessen  Schuld. 
Niemals  höret  man  hie  zu  Landen  von  Schiffen,  die  auff  der 
See  durch  Zauberey  untergangen,  oder  von  Häusern  oder 
Scheunen,  die  durch  Unholden  in  Brand  gestecket  worden 
u.  dgl.  Aber  anders  wo,  da  das  Hexenbrennen  statt  hat, 
wird  kein  Unglück  sich  begeben  haben,  das  man  nicht  der 
Zauberev  zuschreibet.  —  Man  siehet  nun  klärlich,  dass  gantz 
keine  Zauberey  seyn  wi'irde,  so  man  nicht  glaubete  dass  sie 
sey.     Derhalben  ist  es  keine  Atheisterey   dieselbe  zu  leugnen, 

Roskoff,  Geschichte  des  Teufels.    U.  gQ 


46G     Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

weil  von  Gott  niclit  angebet,  dass  man  von  dem  Teufel  etwas 
leugnet.  So  es  Atheisten  sind,  die  solche  Teufels-Dinge  leug- 
nen, so  sind  es  die  Heyden  und  nebst  ihnen  die  Papisten  am 
wenigsten;  Am  meisten  aber  dagegen  die  zum  reinesten  Re- 
formieret sind,  und  am  wenigsten  von  der  Zauberey  wissen. 
80  es  unsern  Glauben  und  Gottesdienst  hindert  wenn  man 
keine  Zauberey  glaubet,  und  ist  das  Glauben  der  Zauberey 
Gottesfurcht:  Warumb  denn  länger  hier  verzogen?  Warumb 
kehren  wir  nicht  mit  dem  ersten  zu  dem  Papstthumb?  Allda 
spiicket  es  täglich,  aus  der  Hölle  und  aus  dem  Feg-Feuer, 
ja  selbst  erscheinen  allda  wohl  die  Seelen  aus  dem  Himmel 
von  Jesu  und  Maria,  von  den  Aposteln  und  den  Märtyrern. 
Wenn  es  hier  einmahl  spiicket,  so  muss  es  allemahl  der  TeufiV-1 
thun,  wie  in  dem  1.  Buch,  Hauptstiick  15.  16  gezeiget  ist, 
dass  in  solchen  Zeiten  und  bey  solchen  Lehren,  am  meisten 
von  Zauberey,  Besessenheit,  Erscheinungen  und  Beschwerungen 
der  Geister  geredet  ist,  allda  sie  meist  von  den  heydnischen 
Aberglauben  statt  und  Raum  behalten  hatte.  Also  siebet  man 
heute,  dass  wo  am  meisten  von  dem  Pabstthumb  iibrig  ist, 
da  redet  man  auch  am  meisten  von  der  Zauberey.  —  Also 
kann  man  denn  die  Wahrheit  des  christlichen  Glaubens  ver- 
theidiscen  und  dennoch  so  viel  weiter  von  dem  Glauben  der 
Zauberey  ab  seyn,  so  kan  man  Gott  und  Christum  näher 
kennen,  wenn  man  weniger  von  dem  Teufel  meynet,  ausser 
dem  was  uns  die  Schrifft  davon  lehret.  Das  nur  zu  wissen 
ist  üfenus  zu  wissen  und  alles  was  dariiber  ist,  das  ist  nur 
Thorheit.  Es  sagen  fürnehme  Gottesgelehrten  selber,  dass 
wir  den  ganzen  Teufel  sollen  entbehren  können  und 
nichts  desto  weniger  vollkommlich  zur  Seligkeit 
wohl  unterweisen  seyn,  so  die  Schrifl't  uns  nicht  lehrete, 
dass  so  ein  Teufel  mit  seinen  Engeln  sey."  '  Der  Verfasser 
schliesst  sein  Buch  mit  dem  35.  Hauptstück:  „Von  allem  was 
biss  hieher  ist  gelehret,  ist  das  Ende  der  Sache:  der  ungeist- 
lichen und  altvettelischen  Fabeln  entschlage  dich,  übe  dich 
selbst  aber  in  der  Gottseligkeit." 


f  S.  298  fg. 


2.    Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  467 

Es    wurde    bereits    bei    Gelegenheit    der   Hexenprocesse 
Bekker's  erwähnt  und  ebenso  seiner  unzulänglichen  Waffe  der 
Exegese,  die  ihm  freilich  durch  seine  kritiklose  Achtung  vor 
der  Schrift   und   durch   sein  Streben  seine  UeberzeuffunQ-   mit 
der  Bibel  in  Einklang  zu  bringen,  in  die  Hand  gedrückt  wor- 
den.    Ungeachtet  des  reissenden  Absatzes   seiner  Schrift,  bil- 
deten seine  Gegner  doch   die  Mehrzahl,    wie  es  scheint,    da 
Bekker  seines  Amtes  entsetzt  wurde.  ^     Eine  Flut  von  Gegen- 
Schriften  strömte  auf  Bekker  ein,  um  diesem  gegeniiber,  dem 
der  ganze  Teufel  sammt  seiner  Sippschaft  überflüssig  erschie- 
nen war,  dessen  reales  Dasein  zu  beweisen.     Natürlich  wurde 
er  mehr  mit  vermeintlichen  Schimpfnamen  des  Cartesianismus, 
Anklagen  des  Atheismus,  Naturalismus,  der  Böhmisterei  und 
dergleichen  überhäuft,  als  durch  eine  gründliche  Widerlegung 
überführt.     Dass    Bekker    kein    plötzliches    Umschlagen    der 
Zeitvorstellung  unmittelbar  bewirkte,   liegt  in  der  Natur  der 
Sache,   aber  seine  philosophische  Durchbildung  und  der  sitt- 
liche Ernst  verlieh   seinem  Werke   die  Bedeutung,  die   nicht 
ohne  Tragweite  bleiben  konnte,  wenn  sie  auch  erst  im  18.  Jahr- 
hundert  zur  Anerkennung   kam.     Es    ist    aus  Schonung    für 
den  Leser,  wenn  wir  aus  dem  Wüste  der  Gegenschriften  nur 
eine  herausgreifen,   die  einen  ebenso   dicken  Quartband  aus- 
macht (958  Seiten  ohne  Vorrede)  als  die  „Bezauberte  Welt". 
Es  ist:  „Die  dreyfache  Welt,  als  der  Christen,  Phan- 
tasten  und   Bezauberten,    in  dreyen    Büchern    abgefasset, 
davon   das    erste    handelt   von    der    christlichen  Religion   etc. 
In  dem  andern  Buche  wird  erwiesen,  dass  keine  Hoffnung  zu 
einem  tausendjährigen  Reiche  etc.     Und  im  dritten  Buche  des 
Hn.  D.  Beckers  bezauberte  Welt,    worin  er  die   Gewalt  und 
das  Würcken    des  Satans    oder    der  bösen  Geister    auff   den 
Menschen  verleugnet,    von  Grund   aus    und    das  von  §  zu  § 
widerlegt.      Auff'gesetzt    von    M.    Michael    Berns,    Predigern 
zu  Weszlingburen   in  Norder-Dittmarschen.     Hamburg  —  im 
Jahre   1097."     Einige  Stellen    aus   der  Vorrede    des   Verfas- 
sers dürften  genügen,   um   dessen  Standpunkt   zu  kennzeich- 


^  Es  sollen  in  zwei  Monaten  von  Bekker's  Werk  4000  Exemplare 
abgesetzt  worden  sein.  Die  Synode,  der  Bekker  seine  Schrift  vorgelegt, 
verdammte  seine  Ansichten  und  entsetzte  den  Verfasser  seines  Amts. 
Er  starb  1698. 

30* 


4G8       Vierter  Abschnitt:   Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

neu.  Z.  B.:  „Und  weil  der  Herr  D.  Bekker  in  dem  ersten 
Buch  seiner  bezauberten  Welt  mir  die  höchste  Gelegenheit 
»riebet  den  Grund  auszuführen ;  was  das  Heidenthuni  sey  und 
wie  weit  die  Geister  sich  mit  diesem  Wesen  vermischet  hal- 
ten; als  derer  conversationen  sich  heut  zu  Tage  die  Böhmisten 
und  Rosen-Krcutzer,  wie  vormahls  bey  denen  Heyden  ge- 
bräuchlich, bedienen:  so  erwehlte  ich  draufi'  auch  dessen 
Schriflften  nachzugeben:  Und  dass  ich  dieses  mein  drittes  Buch 
angegangen,  nicht  nur  um  den  Hn.  D.  Bekker  zu  wieder- 
legen, sondern  auch  fiirnemlich  zu  zeigen,  wie  das  gelehrte 
Heidenthuni  von  jeher  eins  mit  dem  heutigen  Quackerthum, 
Böhmisterey  etc."  —  ^^Wie  ich  mich  denn  in  diesem  meinen 
Vorhaben  durch  sie  zu  einer  einfältigen  und  deutlichen  Wahr- 
heit gesetzet  habe,  damit  die  Scharfsinnige  möchten  hieran 
einen  genügsamen  Wiederstand  haben  und  auch  die  Einfältige 
einen  völligen  Begreiflf  darüber  fassen,  damit  sie  in  ihrer 
Schuld  nicht  ferner  einige  Verführung  durch  dergleichen 
Schrifi'tcn  litten,  noch  sich  weiter  durch  den  Schein  solcher 
verführerischen  Federn,  als  der  heutigen  Chiliasten,  Quackern 
etc.  und  des  Hn.  Bekkers  verleiten  lassen."  —  „Kann  auch  den 
Lesern  versichern,  dass  wo  er  nur  die  Mühe  will  nehmen 
und  diese  Meine  Schrifi't,  denen  Chiliastern,  Quackern  und 
dergleichen  Geschmeiss  und  was  voraus  Herrn  D.  Bekkern 
betriflPt,  beybehalten:  dass  sie  alsdann  den  Deckel  ihres  Irr- 
thums  werden  abgehoben  sehen  und  dass  sich  die  Unbändig- 
keit ihrer  Phantasie  damit  an  aller  Welt  ofienbahre."  —  Der 
Vorredner  versichert  ferner  dem  Leser,  der  seine  Schrift  mit  der 
Bekker'schen  vergleicht,  „dass  er  befinden  werde,  dass  die 
Welt  noch  nie  grober  durch  je  eine  Schrift  betrogen  und 
verführt,  als  eben  durch  diese  des  Hn.  Bekkers.  Wie  denn 
nicht  nur  hindurch  diese  seine  Schrifi't  Unwahrheiten,  grobe 
Verleumdereyen  wieder  die  Christenheit  und  Verdrehungen 
göttlichen  Worts  enthält:  Sondern  er  setzet  auch,  dass  gar 
der  Heyland  nach  irriger  popularität  fortgekommen."  —  Nach- 
dem unser  Apologet  des  Teufels  seinem  Gegner  in  den  ersten 
11  Kapiteln  nachgewiesen  zu  haben  meint,  dass  er  die  alten 
wie  die  neuen  Heiden  über  Zauberei  und  dergleichen  wenig 
verstehe,  als  auch  die  Ansicht  der  ersten  Kirche  verdrehe  u.  s.  f., 
sagt  er:  „Und  hat  meine  Feder  bissher  erwiesen,  wie  falsch, 
wie  unwahr  und  wie  verleumderisch  der  Herr  Bekker  darinn 


2.    Der  Teufel  im  1(3.  und  17.  Jahrhundert.  469 

verfahre,  wann  er  abermahl  in  seinem  §  15  vom  Munde  giebt, 
als  wenn  die  Lehre  von  denen  Geistern  bey  uns  aus  dem 
Heydenthum  hergeflossen,  als  die  von  dar  zuerst  denen  Jiiden, 
und  beydes  von  Juden  und  Heyden  zu  denen  Christen  über- 
geführet.  Wie  denn  auch  selbst  dieses  Capittel  weil  ein  an- 
ders zeiget  und  bezeuget:  Also  dass  keine  unverschämtere 
und  mit  gröberer  und  augenschentlicherer  Unwarheit  ver- 
wickelte Auflage  jemahls  wieder  die  Christenheit  und  die 
göttliche  Warheit  ergangen,  als  hiemit  der  Herr  Bekker  für- 
nimmt.  Irrig  ist  er  gegen  sich  selbst  und  bey  dieser  seiner 
Unwissenheit  will  er  dennoch  andere  lehren  und  sie  eines 
Irrthums  überführen.  Er  thut  durchgehends  nichts,  als  dass 
er  mit  seinem  verwickelten  Gehirn  die  Kertze  der  Warheit 
sucht  auszuleschen ,  und  wil  dafür  angesehen  seyn,  als  blase 
er  sie  auf.  Da  er  selbsten  Stockblind,  will  er  dennoch  alle 
Welt  eines  schwachen  Gesichtes  beschuldigen.  Da  sein  Eulen- 
Gesicht  zu  schwach  für  den  Tag,  da  wil  er  dass  auch  alle 
Welt  sich  mit  ihm  soll  zur  Nacht  der  Unwahrheit  und  Un- 
wissenheit wenden;  und  kan  nicht  leiden,  dass  sie  bey  der 
Sonnen-Licht,  als  am  Tage  und  bey  der  Warheyt  einher- 
gehen u.  s.  f."  ^  —  „Denn  alle  Blätter  von  des  Herrn  Bekkers 
Schriflften  sind  mit  Bildnissen  eines  phantastischen  Wurms 
erfüllet,  eitel  Scheusal  der  Ungereimtheiten  nimmt  man  da- 
selbst wahr,  sein  Vorurtheil  stellet  durchaus  Götzen  auf",  u.  s.  f.^ 
Der  Polemiker  streitet  nicht  nur  für  die  reale  Persönlichkeit 
der  Engel  und  Teufel,  auch  „dass  —  beiden  Cherubim  und 
Seraphim  Personalitäten,  selbstständige  Verständigkeiten,  dass 
bekräfftigen  zur  Genüge  die  angezogenen  Sprüche".  ^  Bekkcr's 
Interpretation  wird  hart  angegriffen,  namentlich  wo  er  den 
Sinn  nicht  buchstäblich  fasst,  wie  z.  B.,  dass  der  Teufel  in 
Judas  gefahren  sei.  „Damit  hat  freylich  der  Teufel  in  Person 
etwas  gegen  des  Judas  Seele  fürgenommen,  ja  seine  Werck- 
statt  in  ihm  auffgeschlagen ;  Denn  hier  kommt  die  böse  Natur 
nicht  zupass,  als  welche  nicht  in  Judas  fähret,  sondern  sich 
vielmehr  aus  seinem  Hertzen  heraus  begiebet  —  muss  also 
dieser  Teufel  so  in  Judas  gefahren,  ein  wesendtlich  entschie- 
denes von  der   sündlichen  Natur   seyn.     Darum  es  wolle  nur 


'  S.  780.        2  y,  783,        3  s_  845, 


470      Vierter  Abschnitt :    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

der   Herr   Bckker   die  Brille   seines  Vorurtheils    absetzen,    so 
wird   er   nach    gesundem   Urtheil    befinden,    dass    der  Teufel 
noch  diese  Stunde  gegen  die  Menschen   in   Person   anwi'u-cke 
und  seinen  Willen  an  ihnen  vollbringe." ^    „Denn  wo  je  eine 
Auslegung  von   dem  Buchstäblichen  Verstände  weicht, 
so  ist   es  wahrhafl'tig   diese  (Bekker's)  dafiir   auch    eine  gott- 
selige Seele  nicht   anders   als   grausam  nehmen   kann."  ^     Im 
25.   Kapitel    „wird    zum   Beschluss    erwiesen,    dass   Teuf'fel 
seyn".     Wie  Bekker  eine  Menge  Spukgeschichten  angefiihrt, 
um    die    Nichtigkeit    derselben    und    ihre  Beziehungslosigkeit 
auf  den  Teufel  zu  zeigen,  so  gibt  auch  sein  Polemiker  einige 
zum  besten,    um    das   Gegentheil    zu   beweisen,    „welche  zu 
läuffnen    eine    allzu    unverschämbte   Stirn    erforderten".  ^     Es 
genügt   eine  einzige,    um    die  Beweiskraft  derselben  und  der 
iibrigen  zu  ermessen.     „Es  ist  auch  in  Holstein  passiret,  dass 
ein  gewisser  Edelmann  (ein  Spötter  und  Verlächer  der  Teufel 
und  aller  Gcsjiensten,    als   der  nichts  von  beyden  geglaubet) 
sich    in   einer  gewissen  Herberge,    wider   des  Wirths  Willen 
und  Abmahnen  in  ein  Hinter-Gemach,  worin  es  sehr  gespücket, 
dass  kein  Mensch  drinn  dauren  können,   niedergelegt:   Damit 
er  aber  dennoch   nicht  als   gantz  tollkiihn   möchte  angesehen 
werden,  so  befiehlt  er  seinem  Knechte,  dass  er  sich  zu  nechst 
an    der   Kammer    soll    niederlegen   und   Feuerschlag  und   ein 
Licht  bey  sich  nehmen,    damit  er  aufi'   sein   Zuruffen  könne 
Licht  machen:    Wie   es  nun  kömmt  um  Mitternacht,    da   er- 
öfinet  sich  die  Thür  und  kömmt  ein  Knab,    ein  Licht  in  der 
Hand    führend,   herein,    grüsst  und   beleuchtet   ihn   und   geht 
drauf    wieder    hinaus.      Dieser    Edelmann    geräth    bey    dieser 
ersten  Begebenheit    in    Zweiffei,    ob    er    seinen    Augen    solle 
trauen   oder  ob    es    nur  Phantasie.     Bald    aber    eröffnet    sich 
die  Thür  von  neuen,   und  kommen  zwey  Knaben   mit  bren- 
nenden  Fackeln   herein,    machen    auch   ihren  Reverentz,    be- 
leuchten ihn  und  gehen  gleichfalls  wieder  davon.    Drauff  rufft 
dieser  Held   seinen  Knecht,    allein   umsonst,    weil  er  so  tieff 
in  den  Schlaff  verwickelt.     Hierauff  kommen  von   neuen  drey 
Knaben  herein  mit  brennenden  Fackeln  und  zeigen  gleichsam 
einem  alten    bemäntelten  Manne   sammt  dessen  Jungen,    der 


1  S.  872.         2  y,  cjii.         3  s.  955. 


2.    Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  471 

gleichfalls  einen  Mantel  umgehabt ,  den  Weg,  griissen  drauf 
diesen  Edelmann.  Und  redet  der  Alte,  ein  Becken,  gleich 
einem  Barbierer  in  der  Hand  haltend,  ihn  also  an:  Wilst  du 
geputzet  seyn?  Dieser  Edelmann,  dem  nunmehro  das  Lachen 
vergangen,  deprccirt  solches  sehr;  Allein  das  Gespenst  ant- 
wortet: Du  wilst  und  must  geputzet  seyn,  giest  daraufi  ein 
Wasser  über  dieses  Menschen  Haupt,  zerreibet  damit  sein 
gantzes  Haupt  und  Angesicht,  dass  Haut  mid  Haar  danach 
abgehen.  Und  wie  nun  dieses  an  ihm  verrichtet,  so  gehen 
sie  miteinander,  doch  nicht  ohne  Ceremonien  wieder  davon. 
Darauf  nun  recht  um  Mitternacht,  wacht  sein  Knecht  auf, 
schlägt  Licht  an  und  bringt  es  seinem  Herrn,  den  er  denn 
mit  Verwunderung  und  im  höchsten  Schrecken  ohne  Haar 
und  Bart  vorfindet,  und  so  kahl  und  glatt,  nicht  anders  als 
wenn  er  mit  warmen  Wasser  abgebrühet  wäre."  ^  —  Der  Ver- 
fasser erzählt  noch  einige  Spukgeschichten  desselben  Schlags 
und  ruft  dann  aus:  „Solte  aber  auch  diesem  allen  der  Herr 
Bekker  keinen  Glauben  zustellen  wollen,  so  kan  er  sich  an 
die  heutige  Rosenkräutzer  oder  Böhmisten  machen,  welche 
ihn  empfindlich  gnug  drüber  machen  werden."  ^  Und  zum 
Schlüsse:  „Sind  es  also,  wie  er  (Bekker)  caj).  ult. ,  lib.  4 
schreibet  keine  ungeistliche  und  altvettelische  Fabeln,  dass 
sowohl  gute  als  böse  Geister  und  Engel  seyn,  sondern  eine 
thätliche  Warlieit  als  derer  wir  überzeuget  werden  beydes 
von  Gott  und  der  Natur,  darinn  uns  also  beydes  die  erleuch- 
tete und  gesunde  Vernunfi't  beytrift  und  selbige  Warheit  be- 
kräflftiget:  Darum  mag  und  kan  auch  der  nichts  anders,  als 
grob  und  unverschämt  heissen,  der  sich  dieser  so  handgreif- 
lichen Warheit  widersetzet.  Wie  ich  denn  auch  dem  Herrn 
Dr.  Bekker  und  allem  seinen  Anhang  wünsche,  dass  wie 
Christus  gekommen  in  die  Welt,  des  Teufels  Werck  zu  zer- 
stöhren:  dass  Er  auch  dieses  ihr  teuflisches  Vornehmen  in 
ihnen  wolle  zerstöhren,  ihnen  erleuchtete  Augen  ihres  Ver- 
standes geben,  damit  sie  nicht  durch  Sicherheit  dem  höllischen 
Pfuhl  verfallen  und  daselbst  wider  ihren  mit  allzu  grossen 
bedauern  über  diese  Warheit  munter  und  mehr  als  empfind- 
lich gemacht  werden.     Welchem  unsern  Schlangen-Treter   als 


S.  956.        2  s_  fj57. 


J  S.  958. 

"^  Christliche  Morgen-  und  Abendgebete  auf  alle  Tage  der  Woche, 
wie  auch  schöne  Beicht-,  Comniunion-  und  andere  Gebete  nebst  Morgen-, 
Abend-  und  andern  neuen  Liedern  von  Dr.  Joh.  Habermann,  wiederholt 
aufgelegt. 

3  S.  3.  ••  ö.  (3.  5  y.  12.  6  y.  j^.  '  S.  20.  »  S.  22. 

»  S.  34. 


■^s"- 


472       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

für  dessen  Ehre  Ich  diese  Feder  führe,   sey  Ehre  von  Ewig- 
keit zu  Ewigkeit,  Amen."  ^ 


Der  Teufel  im  Gel)ete. 

Mit  unserm  Verfasser  war  die  Majorität,  Bekker  musste 
unterliegen,  und  die  Protestanten  hatten  ihren  Teufel  gerettet. 
Seiner  ward  selbst  im  Gebete  nicht  vergessen.  Zum  Be- 
weise diene  uns  die  ihrer  Wohlfeilheit  wegen  unter  dem  Na- 
men „Der  kleine  Habermann"  unter  den  Protestanten  bekannte 
weitverbreitete  Sammlung  von  Gebeten.  '^  Da  wird  im  Ge- 
bete am  Sonntag  früh  Gott  gedankt,  dass  er  „auch  vor  dem 
bösen  Feind    und   allen    seinen  Feindlichen    und  Tücken   be-  ^ 

wahret  und  ganz  väterlich  beschirmet"^;  am  Sonntag  abends 
„durch  den  Schutz  deiner  sieben  Engel  wider  den  bösen  Feind 
gnädiglich  beschirmet  hast"^;  am  Montag  früh;  „frühe  suche 
ich  dich  und  bitte  du  wollest  mich  mit  allem  was  mir  zu- 
ständig ist,  heute  ferner  behüten,  vor  der  List  und  Gewalt 
des  Teufels,  vor  Sünden  Schanden  und  allem  Uebel"^;  Mon- 
tag abends:  „auch  gnädiglich  bewahren  für  aller  Angst 
und  Beschwerniss  für  des  Teufels  List  und  Geschwindigkeit, 
damit  er  uns  Tag  und  Nacht  gedencket  und  bestricket"^; 
Dienstag  früh:  „preise  ich  dich,  dass  du  mich  in  dieser 
Nacht  hast  sicher  schlafien  und  ruhen  lassen  auch  wiederum 
gesund  erwachen,  darzu  für  aller  des  Feindes 'Gewalt  und 
Bosheit  vätterlich  beschirmet"^;  Dienstag  abends:  „dass 
mich  der  böse  Feind  im  Essen  und  Trinken  mit  Gift  und  an- 
dern tausendkünstlichen  Listen  nicht  verderbet  hat"*;  Don- 
nerstag früh:  „mich  hast  du  bewahret  für  dem  Grauen 
des  Nachts,  für  des  Teufels  Schrecken"^;  Donnerstag 
abends:    „Gelobet    sey   Gott,    der    mich  elenden   Menschen 


2.    Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  473 

heut  diesen  Tag  ganz  gnädiglieh  bewahret  hat  für  allen  feuri- 
gen Pfeilen  des  Satans  ctc."^;  Sonnabend  früh:  „Ich  bitte 
dich  du  wollest  mich  heut  diesen  Tag  auch  behüten,  dass 
mir  der  böse  Feind  keinen  Schaden  zufüge  u.  s.  w."  ^  Im 
Gebete  um  ein  seliges  Ende  heisst  es:  „tröste  mich  bei 
meinem  letzten  Seufzer,  auf  dass  mir  die  Sünde,  Hölle  und 
Teufel  nicht  schaden".^  Im  Gebete  eines  Ehemanns: 
„Bewahre  uns  Gott  des  Friedens!  für  Zank,  Uneinigkeit  und 
des  Feindes  Listen,  für  unzeitigen  Eifer,  unnöthigen  Arg- 
wohn, welche  der  Teufel  als  ein  Same  des  Verderbens  und 
Ausdürrung  ehelicher  Liebe  und  Treue  säet."*  Gebet  eines 
Jiinglings  und  Jungfrauen:  ,, Behüte  mich  vor  hoffärtiger 
Pracht,  vor  Miissiggang  und  Faulheit  als  Stricken  und  Netzen 
des  Teufels."^  Gebet  eines  Knechts  oder  Magd:  „Barm- 
herziger Gott  der  du  mich  von  der  Dienstbarkeit  der  Sünden, 
von  der  Obrigkeit  der  Finsterniss  und  von  der  grausamen 
Tyranney  des  Teufels  erlöset  —  hast."  ^  Gebet  am  letzten 
Stiindlein:  „Du  hast  mir  im  Anfang  deinen  lieben  Sohn 
Jesum  Christum  zugesagt,  derselbe  ist  kommen  und  hat  mich 
vom  Teufel,  Tod  und  Hölle  und  Sünde  erlöset."  ^ 


Der  Teufel  im  (jesaugbucli. 

Der  protestantische  Christ  gedachte  des  Teufels  nicht 
nur  in  seinen  Gebeten  täglich  und  in  jeder  Lebenslage,  die 
Dichter  geistlicher  Lieder  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  Hessen 
ihn  den  Namen  des  Teufels  auch  fleissig  singen.  Luther,  der 
bekanntlich  den  Teufel  gern  im  Munde  führte,  ging  auch  in 
dieser  Beziehung  voran.  Seine  „geistliche  Lieder  mit  einer 
neuen  Vorrede  D.  M.  L.  gedruckt  MDXLV,  Leipzig"  versah 
er  mit  der  „Warnung": 

Viel  falscher  Meister  itzt  Lieder  dichten 
Siehe  dich  für  und  lern  sie  recht  richten. 
Wo  Gott  hinbauet  sein  Kirch  und  sein  Wort, 
Da  will  der  Teufel  sein  mit  Trug  und  Mord. 


'  S.  37.         2  S.  53.         '  S.  63.         *  S.  100.         «  ö.  105.         *  S,  107. 
»  S.  120. 


474      Vierter  Abschnitt:   Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Er  erwähnt  des  Teufels  in  den  Liedern: 
Nr.  1.    Ein  Danklied  für  die  höchsten  Wohlthaten  so  uns 
Gott  in  Christo  erzeigt  hat. 

(„Nun  freut  euch  lieben  Christengmein.") 

V.  2,     Dem  Teufel  ich  gefangen  lag 
Im  Tod  war  ich  verloren, 
Mein  Sund  mich  quälet  Nacht  und  Tag, 
Darin  ich  war  geboren; 
Ich  fiel  auch  immer  tiefer  drein, 
Es  war  kein  Guts  am  Leben  mein. 
Die  Sund  hatt  mich  besessen. 

V.  6.     Der  Sohn  dem  Vatter  ghorsam  ward, 
Er  kam  zu  mir  auf  Erden 
Von  einer  Jungfrau  rein  und  zart, 
Er  soll  mein  Bruder  werden. 
Gar  heimlich  führt  er  sein  Gewalt 
Er  ging  in  meiner  armen  Gstalt 
Den  Teufel  wollt  er  fangen. 


"O^ 


Nr.  20.        („Gott  der  Vater  wohn  uns  bei.") 

Für  dem  Teufel  uns  bewahr 
Halt  uns  bei  festem  Glauben 
Und  auf  dich  lass  uns  bauen, 
Aus  Herzensgrund  vertrauen. 
Dir  uns  lassen  ganz  und  gar; 
Mit  allen  rechten  Christen 
Entfliehen  Teufels  Listen, 
Mit  Waffen  Gotts  uns  fristen, 
Amen,  Amen  das  sei  wahr. 
So  singen  wir  Hallelujah,  u.  s.  w. 

Nr.  25.    Ein  Lied  von   den   zvveen  Märtcrern  Christi,   zu 
Brüssel  von  den  Sophisten  zu  Löwen  verbrannt.    L  Juli  1523. 

V.  3.     Der  alte  Feind  sie  fangen  liess. 
Erschreckt  sie  lang  mit  Dräuen; 
Das  Wort  Gotts  man  sie  leugnen  hiess 
Mit  List  auch  wohl  sie  täuben. 
Von  Löwen  der  Sophisten  viel 
Mit  ihrer  Kunst  verloren, 
Versammlet  er  zu  diesem  Spiel 
Der  Geist  sie  macht  zu  Thoren, 
Sie  konnten  nichts  gewinnen. 


2.    Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  475 

Sie  sungen  süss,  sie  sungen  säur, 

Versuchten  manche  Listen, 

Die  Ivnaben  stunden  wie  ein  Maur 

Verachten  die  Sophisten. 

Den  alten  Feind  das  sehr  verdi'oss 

Dass  er  war  überwunden 

Von  solchen  Jungen,  er  so  gross : 

Er  ward  voll  Zorn  von  Stunden, 

Gedacht  sie  zu  verbrennen,  etc. 

Nr.  27.    Der  46.  Psalm: 

(„Gott  ist  unsre  Zuversicht  und  Stärke.") 
Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott 
Ein  gute  Wehr  und  Waffen, 
Er  hilft  uns  frei  aus  aller  Noth 
Die  uns  itzt  hat  betroffen. 
Der  alt  böse  Feind 
]VIit  Ernst  er's  izt  meint, 
Gross  Macht  und  viel  List 
Sein  grausam  Rüstzeug  ist, 
Auf  Erd  ist  nicht  seines  Gleichen. 

V.  3.     Und  wenn  die  Welt  voU  Teufel  war 
Und  wollt  uns  gar  verschlingen. 
So  fürchten  wir  uns  nicht  so  sehr 
Es  soll  uns  doch  gelingen. 
Der  Fürst  dieser  Welt 
So  säur  er  sich  stellt, 
Thut  er  uns  doch  nicht. 
Das  macht  er  ist  gericht. 
Ein  Wörtlein  kann  ihn  fällen. 

Nr.  31.     Ein  Lied  von  der  heiligen  christlichen  Kirchen. 

(„Sie  ist  mir  lieb  die  werthe  Magd.") 
V.  3.     Das  thut  dem  alten  Drachen  Zorn 
Und  will  das  Kind  verschlingen. 
Sein  Toben  ist  doch  ganz  verlorn 
Es  kann  ihm  nicht  gelingen,  u.  s.  w. 

Nr.  32.     Das  Vaterunser. 

(„Vater  unser  im  Hiramekeich.") 

V.  3.     Des  Satans  Zorn  und  gross  Gewalt 

Zerbrich,  vor  ihm  dein  Kirch  erhalt,  u.  s.  w. 


476      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Nr.  36.     Ein  geistlich  Lied  Muf  die  Weihnachten. 
(„Vom  Himmel  kam  der  Engel  Schar.") 
V.  4.      Was  kann  euch  thun  die  Sund  und  Tod? 
Ihr  habt  mit  euch  den  wahren  Gott 
Lasst  zürnen  Teufel  und  die  HÖH 
Gotts  Sohn  ist  worden  eur  Gesell,  u.  s.  w. 

In  der  „deutschen  Litaney"  heisst  es: 

Hilf  uns  lieber  Herre  Gott, 
für  allen  Sünden, 
für  allem  Irrsal, 
für  allem  Uebel, 
für  des  Teufels  List, 
für  bösem  Tod  u.  s.  w. 

Auch  Nikohuis  Selneccer  singt  den  Teufel  in  seinem  Liede: 
(„Ach  bleib  bei  uns  Herr  Jesu  Christ.") 
V.  4.      Erhalt  uns  nur  bei  deinem  Wort 

Und  wehr  des  Teufels  Trug  und  Mord, 
Gib  deiner  Kirchen  Gnad  und  Huld, 
Fried,  Einigkeit,  Muth  und  Geduld. 

Ein  Anderer  in  dem  Liede: 

(„Gott  lebet  noch.") 
V.  7.      Gott  lebet  noch! 

Seele  was  verzagst  du  doch? 
Lass  den  Himmel  samt  der  Erden 
Immerhin  in  Trümmer  gehn ; 
Lass  die  HÖH  entzündet  werden, 
Lass  den  Feind  verbittert  stehn. 
Lass  den  Tod  und  Teufel  blitzen. 
Wer  Gott  traut  den  will  er  schützen  I 
Seele  so  bedenke  doch 
Lebt  doch  imser  Herr  Gott  noch!  ^ 

In  dem  Liede: 

(„Wo  geht  die  Reise  hin.")'^ 
V.  4.     Ich  komm  aus  dieser  Welt 

Die  voller  Sund  und  Laster  ist 
Und  nichts  von  Gott  mehr  hält, 
Der  Satan  ist  der  Herr  darin, 
Drum  ich  ihr  überdrüssig  bin, 
Ihr  Thun  mir  nicht  srefällt. 


&"- 


1  Der  kleine  Ilabermann,  ö.  152. 

2  Ebend.,  S.  180. 


JiEL. 


2.    Der  Teufel  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  477 

V,  8.      Ich  hab  bey  meiner  Tauff 

Der  Sund  und  Teuffei  abgesagt. 
Und  bin  so  bald  darauf 
Durch  Christi  Blut  von  Sünden  rein, 
Ins   Himmelreich  geschrieben  ein 
Da  eil  ich  jetzt  hinauf. 

In  dem  Morgenliede: 

(„Das  walt  mein  Gott.")  ^ 
V.  5.      Ich  bitte  dich 

Du  woUst  hinfort 

Ach  Gott  mein  Hort 

Ferner  gnädiglich 

Mich  diesen  Tag  behüten , 

Fürs  Teufels  Macht  und  Wüten 

Und  List  tausendfeltig. 

In  dem  Lied  vor  der  Reise: 

(„Herzallerliebster  Vater  mein.") 
V.  3.      Fürm  bösen  Feind  und  schnellen  Tod, 
Für  Räubern,  Feuer  und  Wassers  Noth 
Für  bösen  Thieren,  Sund  und  Schand 
Sey  sicher  durch  Schutz  deiner  Hand. 

V.  5.      Dein  heiligen  Engel  send  zu  mir 
Dass  er  mich  sicher  leit  und  führ, 
Den  Teufel  und  alle  böse  Leut, 
Von  mir  verjag  und  fern  abtreib.  ^ 

(17.   Jahrhundert.)      Benjamin    Prätorius     in    seinem 
1659  verfassten  Liede: 

(„Wol  mir!  Jesus  meine  Freude.") 
V.  5.      Lasse  GitFt  den  Satan  speyen 
Und  die  Funken  blitzen  drein, 
Und  die  Klatsche-Mäuler  schreyen 
Und  die  Neider  spöttlich  seyu. 
Gottes  Hülff"  und  Wunder  schicken 
Soll  noch  darf  kein  Feind  verrücken. 

Johann  Rist,  Prediger  zu  Wedel,  in  seinem  1642  ver- 
fassten Liede: 

Werde  munter  mein  Gemüthe 
Und  ihr  Sinnen  geht  herfür, 
Dass  ihr  preiset  Gottes  Güte 
Die  er  hat  gethan  an  mir. 

1  Der  kleine  Habermann,  S.  125. 
ä  Ebend.,  S.  138. 


478      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Da  er  mich  den  ganzen  Tag 

Für  so  mancher  schweren  Plag 

Hat  erhalten  und  beschützet 

Dass  mich  Satan  nicht  beschmutzet. 

V.  5.     Herr  verzeihe  mir  aus  Gnaden 
Alle  Sund  und  Missethat; 
Die  mein  armes  Herz  beladen 
Und  so  gar  vergifftet  hat, 
Dass  auch  Satan  durch  sein  Spiel 
Mich  zur  Hölle  stürzen  will,  u.  s.  w. 

V.  G.      Schütze  mich  fürs  Teufels  Netzen 
Für  der  Macht  der  Finsternuss, 
Die  mir  manche  Nacht  zusetzen 
Und  erzeigen  viel  Verdruss,  u.  s.  f. 

Johann  Rist  war  bekannt  als  ein  „Vorkämpfer  gegen  des 

Teufels  Rotte",  unter  seinen  im  Jahre  1651  herausgegebenen 

Höllenliedern  kommt  die  Stelle  vor: 

Du  wirst  vor  Stank  vergehen 
Wenn  du  dein  Aas  musst  sehen, 
Dein  Mund  wird  lauter  Gallen 
Und  HöUenwehrmuth  schmecken 
Des  Teufels  Speichel  lecken 
Ja  fressen  Koth  im  linstern  Stall.  ^ 

In    seinem    Liede:    „O    grosses    Werk    geheimnissvoll" 

singt  er: 

Hier  wird  sein  Wesen  uns  zu  Theil 
Hier  finden  unsre  Seelen  Heil, 
Drum  Satan  komm  heraus  zum  Streit 
Wir  sind  bereit,  u.  s.  vf. 

In  dem  bekannten  Liede  von  Paul  Gerhardt  (1659):  „Be- 
fiehl du  deine  Wege",  heisst  es: 

Und  obgleich  alle  Teufel 
Hier  wollten  widerstehn. 

Und  Christoph  Titius  (1663)  in  dem  Liede: 
(„Solt  es  gleich  bisweilen  scheinen.") 
V.  5.      Trotz  dem  Teuffei!  trotz  dem  Drachen! 
Ich  kan  ihre  Macht  verlachen! 
Trotz  dem  schweren  Creutzes  Joch! 
Gott  mein  Vatter  lebet  noch. 


^  Koch,  Geschichte  des  Kirchenlieds,  2.  Aufl.,  I,  S.  "233. 


3.    Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  479 

3.   Der  Teufel  im  18.  JalirliiiiKiert. 

Dass  der  Teufel  auch  noch  in  geistlichen  Liedern  des 
18.  Jahrhunderts  spukt,  zeigt  unter  andern  Chr.  Fr.  Konnow 
(1725)  in  dem  Liede: 

(„Wer  Jesum  bey  sieh  hat.") 
V.  4.  Wer  Jesum  bey  sich  hat  kan  sicher  reisen 

Er  wird  ihm  schon  den  Weg  zum  Himmel  weisen , 
Wer  Jesum  bey  sich  hat  in  höchsten  Nöthen 
Den  kan  kein  Teufel  nicht  noch  Unglück  todten. 

Denn  der  Glaube  an  den  Teufel  zieht  sich  auch  in  das 
18.  Jahrhundert  hinein  und  war  in  der  ersten  Hälfte  desselben 
sogar  noch  recht  lebendig,  obgleich  er  im  vorhergehenden  sei- 
nen Zenith  schon  iiberschritten  hatte  und  nun  im  Absteigen 
begriflfen  war.  Thomasius,  den  wir  als  sieghaften  Bekämpfer 
des  Hexenprocesses  kennen  gelernt,  welchem  er  den  Todesstoss 
versetzte,  griflf  dadurch  mittelbar  auch  in  die  Geschichte  des 
Teufels  ein,  zunächst  insofern,  als  durch  die  Abnahme  der 
gerichtlichen  Hexenverfolgung  zugleich  das  Interesse  an  dem 
Hexenwesen  abgeschwächt  ward  und  somit  auch  an  dem  Teufel 
und  seiner  Macht  kiihler  zu  werden  anfing.  Thomasius 
wirkte  aber  auch  unmittelbar  auf  den  Tcufelsglauben,  obschon 
er  die  Existenz  des  Teufels  nicht  in  Zweifel  zog,  viel- 
mehr sagt:  „und  statuire,  dass  zwar  ein  Teufel  ausser  dem 
Menschen  sei,  und  dass  derselbe  gleichsam  von  aussen,  jedoch 
auf  innerliche  und  unsichtbare  Weise  in  den  Gottlosen  sein 
Wesen  treibe".  ^  Gesetzt  nun,  dass  dies  nur  eine  strategische 
Finte  des  gewandten  Kämpfers  war,  dass  Thomasius  an  den 
Teufel  als  besonderes  Wesen  gar  nicht  geglaubt  habe,  welche 
Annahme  allerdings  nicht  allen  Grundes  entbehrt;  so  kenn- 
zeichnet und  unterscheidet  sich  eben  dadurch  seine  Methode 
von  der  Bekker's,  welcher  die  Vorstellung  vom  Teufel  innerhalb 
des  christlichen  Glaubenskreises  für  unnöthig  erklärt  hatte. 
Thomasius  nimmt  zwar  seinen  Vordermann  in  Schutz  und 
kann  nicht  begreifen,  „warum  diejenigen,  welche  mit  Bekker 
den  Teufel  leugnen,  bisher  auch  von  frommen  Männern  fiir 
Atheisten  gehalten  worden,  da  man  sie  vielmehr  für  Adämonisten, 
d.  h.  für  solche  Leute,  die  keinen  Teufel  glauben,  hätte  halten 
sollen",  denn  er  findet  nicht,   dass  der  Glaube   an  Gott  vom 

^  Von  dem  Laster  der  Zauberei,  §.  6. 


480      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Glauben  an  den  Teufel  abhängig  sei»;  er  will  aber  trotzdem 
nicht  mit  dem  Teufel  tabula  rasa  machen,  sondern  gibt  „die 
ernstliche  Versicherung  von  der  Existenz  und  den  Wirkungen 
der  bösen  Geister",  obschon  er  weiss,  dass  er  dadurch  „von 
den  Lästerungen  der  Leute"  nicht  verschont  bleiben  werde.^ 
Dagegen  sucht  Thomasius  die  sinnliche  Vorstellung  von 
dem  Teufel  zu  zerstören  durch  die  Aufrechthaltung  des 
Satzes:  dass  dieser  ein  unsichtbares,  geistiges  Wesen  sei,  und  dem 
gemäss  in  den  gottlosen  Menschen  seine  Wirkung  habe.  ^  Er 
behauptet:  „der  Teufel  hat  niemals  einen  Leib  angenommen, 
er  kann  auch  solchen  nicht  annehmen".*  „Wenn  es  an  dem 
wäre,  dass  der  Teufel  einen  Leib  annehmen  könnte,  so  würde 
Christi  Aussj^ruch  falsch  sein,  dass  ein  Geist  weder  Fleisch 
noch  Bein  habe,  ja  Christi  Beweisgrund,  womit  er  die  Jiinger 
überzeugen  wollte,  wäre  inigereimt  gewesen".*''  Der  Teufel 
kann  keinen  Leib  annehmen,  so  wenig  als  die  Ordnung  der 
Natur  hindern  oder  aufheben,  Wettermachen,  einen  Menschen 
durch  die  Luft  führen  u.  s.  w.  ^  Allerdings  sind  die  Gründe  für 
die  Unkörperlichkeit  des  Teufels  für  Thomasius  zunächst  nur 
Auxiliarlinien  zu  seinem  Beweise:  dass  hiernach  kein  Bünd- 
niss  in  leiblicher  Weise  mit  ihm  stattfinden  könne,  daher  ein 
leiblicher  Umgang  der  Hexen  mit  ihm  nicht  denkbar  und 
somit  das  ganze  Hexenwesen  unter  angeblicher  Hülfe  des 
Teufels  eine  Fabel  sei,  abgesehen  davon,  dass  eine  solche  Ver- 
bindung weder  für  den  Menschen  einen  Nutzen  hätte,  da  die- 
ser bekanntlich  stets  der  Betrogene  zu  sein  pflegt,  noch  für 
den  Teufel,  weil  der  Lasterhafte  auch  ohnedies  sein  Leibeige- 
ner ist.'^  Lidem  Thomasius  gegen  die  Hexenprocesse  zu 
Felde  zog,  den  Glauben  an  die  Hexerei  auf  Grund  eines 
leiblichen  Verkehrs  mit  dem  Teufel  fällen  wollte,  musste  er 
zu  allernächst  diesem  seine  Leibliehkeit  entziehen.  Er  sagt 
daher  geradezu:  „gesetzt  auch,  dass  der  Teufel  selbst  Chri- 
stum versucht  habe,  so  ist  es  doch  eine  Unwahrheit  oder  kann 
zum  wenigsten  durch  keine  wahrscheinliche  Ursache  behauptet 
werden,  dass  er  solches  unter  der  Gestalt  eines  Menschen  oder 
eines  Ungeheuers  bewerkstelligt".     Er  weist  darauf  hin,  „wie 


1  §.  8.  =*  §.  8.  »  §.  7.  *  §.  31.  *  §.  32.  «  §.  33. 

7  §.  35,  36. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  481 

der  päpstliche  Aberglaube  in  den  lutherischen  Kirchen  durch 
die  Katechismus-  und  Evangelien-Bilder  in  der  ersten  Kindheit 
beigebracht  wird,  auch  nachmals  die  ganze  Zeit  ihres  Lebens 
hängen  bleibt".  ^  Indem  nicht  nur  jedes  sinnlich  wahrnehm- 
bare Moment  überhaupt,  sondern  auch  die  Möglichkeit,  leiblich 
zu  erscheinen,  dem  Teufel  abgesprochen  wird,  bleibt  von  ihm 
nur  ein  lediges  Abstractum  iibrig,  und  dadurch  ist  Thomasius  in 
unserer  Geschichte  bedeutsam,  dass  er  diesem  Abstractions- 
processe,  den  allerdings  andere  vor  ihm  schon  vorbereitet 
und  angefangen  hatten,  Raum  und  Geltung  zu  verschaffen 
wusste,  indem  er  die  Vorstellung  von  einem  leiblichen,  per- 
sönlichen Teufel  ad  absurdum  zu  fiihren  verstand.^ 

Thomasius  hatte  richtig  vorhergesagt,  dass  er  „Lästerun- 
gen" ausgesetzt  sein  werde.  Er  konnte  diese  um  so  mehr 
erwarten,  als  sich  die  Juristen  in  ihrem  Carpzov,  die  Theolo- 
gen in  ihrem  Spizelius,  welche  beide  Thomasius  arg  mitge- 
nommen hatte,  angegriffen  sahen.  Sowol  die  Taktik  der 
Gegner  als  auch  ihre  Waffen  führen  ein  und  dasselbe  Fabrik- 
zeichen, so  dass  eine  Gegenschrift  alle  andern  genau  repräsen- 
tirt.  Ich  greife  nach  der  zunächstliegenden :  „PetriGoldschmidt's 
Huso-Cimbri  p.  t.  Pastor  Sterup.  Verworffener  Hexen  und 
Zauberer  Advocat.  Das  ist:  Wolgegründete  Vernichtung  des 
thörichten  Vorhabens  Hn,  Christiani  Thomasii  J.  U.  D.  et  Pro- 
fessoris  Hallensis  und  aller  derer,  welche  durch  ihre  Super- 
kluge Phantasie-Grillen  dem  teufflischen  Ilexengeschmeiss  das 
Wort  reden  wollen,  indem  gegen  dieselbe  aus  dem  unwieder- 
sprechlichem  Göttlichen  Worte  und  der  täglich  lehrenden  Er- 
fahrung das  Gegentheil  zur  Genüge  angewiesen  und  bestättiget 
wird,  dass  in  der  That  eine  teufflische  Hexerey  und  Zauberey 
sey  etc.  —  Hamburg  1705."  Der  Verfasser  gibt  seine  Beweis- 
gründe schon  auf  dem  Titel  an  und  wiederholt  sie  dann  im 
Buche  selbst:  der  Teufel  kommt  in  der  Schrift  vor,  also  müs- 
sen wir  seine  Existenz  annehmen,  und  die  Erfahrung  bestätigt 
sie  durch  zahllose  Beispiele.^  Die  Beweisführung  besteht  in 
Schimpfen  und  Verdächtigungen.     Schon  in   der  „Zuschrift" 


'  §•  31. 

^  In  verwandtem  Sinne  äusserte  sich  Joh.  Christoph  Wolf  in  „De  Ma- 
nichaeismo  ante  Manichaeos  et  inter  Christianos  redivivo"  (Hamb.  1707). 
»  S.  111  u.  v.  a. 

Roskoff,   Geschichte  dea  Teufels.    II.  o-j 


4S2       Vierter  Ahschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

an   Friedrich  IV.,  König  von  Dänemark,  sagt  der  Verfasser: 
in  seinem  „geringen  Biicliloin"  werde  „die  Warlieit  der  gött- 
lichen Schrifft  betreflfend  das  Zauber-  und  Ilexenwesen  gegen 
einen  frechredenden  Philosophaster  und  Gottes-Wort-Schänder 
vertheidiget".    Die  „Vorreden  an  den  Leser"  ist  vollgepfropft 
mit  „Saduceisterey,   Atheisterey,    Ketzerey,  Thomasianischen 
Irrthumbs,  Ilexen-Advocaterey"  u.  dgl.,  die  als  Geschosse  dem 
Gegner    an    den  Kopf   geschleudert   werden.     Als    „redlicher 
Prediger"  sieht  sich  Goldschmidt  gedrängt,  „die  Sache  seines 
Herrn  zu  treiben"    und    zieht  daher    los   gegen „Scurrilische 
Erklährungen,  schleichenden  Atheismus,  —  Advocaten-Werke, 
die  nichts  als  Geburten  einer  thörichten  Phantasey  seyn",  — 
gegen  „Närrische  Vernunft-Grillen"  u.  s.  f.     Das  Buch  selbst 
sagt  über  Thomasius  „dass  alle  seine  Reden  nichtig,  betrieg- 
lich  und  die  göttliche  Schrifft   und  gesunde  Vernunfft  äffende 
seyn"i,   dass   „von   des  Herrn  Thomasii    docta  ignorantia  ad 
rei   negationem   (nämlich   des  Teufels  leiblichen  Umgang  mit 
den  Hexen)  zu  schliessen"  nichts  ist,  dass  vielmehr  „die  gött- 
liche Schrifft  Beweissthümer  darlegt,  wodurch  wir  können  be- 
wogen   werden    mächtig -betrieglichen    Teuffei    zu    glauben".'-* 
Und  was  ist  das  Motiv,  „dass  den  Herrn  Thomasius  bewogen 
hat,  wie  in  vielen,   also   auch   in   der  Lehre  von   dem  Teuffei 
und   desselben  Würckungen   durch   die   Zauberer  und  Hexen 
der  Warheit  göttlicher  Schrifft   und  der  täglichen  Erfohrung 
zu  widersprechen?  Fürwahr  nichts  als  ein  innerlicher  Hoffart, 
dadurch  er  meynet   sich  über  alle  Gelehrten  der  'Welt  zu  er- 
heben und  zu  zeigen,  dass  bey  ihm  allein  Kunst  und  Weiss- 
heit zu  finden,  weil  er  capabel  die  Wahrheit  in  Lügen  zu  ver- 
wandeln".^  Ganz  besonders  entrüstet  ist  der  Verfasser  darüber, 
dass  Thomasius  „als  ein  Professor  einer  orthodoxischen  Univer- 
sität keinen  Unterschied  machet  unter  den  Rotten  und  Secten 
und  unter  die  wahre  Evangelische  Lehre.    Gwäcker,  Socinia- 
ner,  Calvinisten,  Papisten  und  Lutheraner  sind  in  seinem  Con- 
cept  Gott  gleich    angenehm,    unter    ihnen    ist    bey  Gott  kein 
Unterschied".'*     Nach  des  Verfassers  Versicherung  „ist  nichts 
auf  der  AVeit  zu  ersinnen,  welches  der  Göttlichen  Schrifft  mehr 
Verachtung,  Spott,  Hohn  und  Gelächter  verursachen  und  den 
subtilen  Atheismum    in    die   Gemüther    der   Menschen    hinein 

'  S.  39.         ■'  ö.  45.         '  S.  .Oa.         "  S.  55. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  483 

flössen  kan,  wodurch  bey  ihnen  das  Fundament  des  Glaubens 
in  ZweifFel  gezogen  und  die  o-öttliche  Schrifft  ihrer  Autorität 
gäntzlich  mag  beraubet  werden,  als  dass  man  für  gewiss  hält, 
dass  die  Engel  und  Teuflei  anders  nichts  seyn,  als  Schwär- 
mereyen  unsrer  Phantasie  und  närrische  Gebührten  des  Tem- 
peraments". ^  Denn  „dass  Teuflei  seyn  beweiset  uns  die 
göttliche  Schrifl't  und  ausser  derselben  können  wir  keinen 
recht  kräfl'tigen  Be weiss  von  denselben  haben".  —  „Was  wir 
in  der  heiligen  Schrifl't  lesen,  woraus  wir  die  Existentiam  des 
Teufiels  erkennen,  finden  wir  darnächst  auch  in  der  Erfah- 
rung etc. "2  Ebenso  fest  steht:  „die  schändliche  und  ewig 
verderbende  Biindniss-Stifi'tuna;  zwischen  Teufteln  und  Men- 
sehen"  und  „dass  ohne  solche  Biindniss - Stifi'tung  keine 
teufflische  Zauberey  geschehen  könne".  ^  Der  Verfasser  meint 
aber  vorweg ,  er  werde  „  nicht  glücklich  seyn  einen  Atheisten 
zu  überreden""*,  und  da  wir  diese  Meinung  theilen,  nachdem 
wir  seine  Art  zu  widerlegen  kennen,  wollen  wir  von  ihm 
Abschied  nehmen. 

In  der  ersten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  tritt  in  England 
ein  anonymer  Historiograph  des  Teufels  auf.  Da  es  mir  nicht 
gelungen,  des  Originals  habhaft  zu  werden,  muss  ich  mich  mit 
der  deutschen  Uebersetzung  begnügen,  die  nach  der  „sogleich 
auf  die  erste"  erfolgten  zweiten  Auflage  angefertigt  ist.  „Ge- 
schichte des  Teufi'els,  aus  dem  Englischen  übersetzt  in  zwei 
Theilen.  Frankfurt  a.  M.  1733".  Der  humoristische  Engländer 
behandelt  den  Gegenstand  mit  vielem  Witz,  beissender  Satire 
und  schalkhafter  Laune,  er  vermeidet  bei  seinem  Anschlüsse 
an  die  biblischen  Geschichten,  dem  orthodoxen  Anglikanismus 
oflen  zu  widersprechen,  obschon  er  weit  entfernt  ist,  die  be- 
trefienden  Bibelstellen  buchstäblich  zu  fassen.  Dem  Anonymus 
ist  der  Teufel  schon  Repräsentant  des  Unvernünftigen,  sitt- 
lich Verderblichen,  das  mit  der  geschichtlichen  Entwickelung 
des  Menschengeschlechts  seine  Formen  verändert,  daher  der 
Teufel  zu  verschiedenen  Zeiten  in  verschiedener  Weise  auf- 
tritt oder  vielmehr  eine  verschiedene  Thätigkeit  entfaltet.  Mit 
der  Behauptung,  der  Teufel  habe  mehr  Religion,  „als  man 
heutzutage  einigen  unserer  Standespersonen  beilegen  kann"^, 
womit  der  Verfasser  den  Teufel  „in  den  Schafstall  der  Kirchen 


1  S.  64.         ■'  S.  112,  §.  2,  §.  3.         3  S.  212.         "  S.  113.         ^  >S.  4. 

31* 


484      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

gebracht"  haben  wilH,  deutet  er  dessen  Theihiahme  an  der 
„Verbreitung  der  Religion  "  an,  „wenn  man  nämlich  die  Sache 
nach  dem  Buchstaben  versteht",  und  weist  hin,  dass  er  „vieles 
zu  dem  alten  Krieg  beigetragen,  den  die  Unwissenheit  und 
blinder  Eifer  heilig  nennt".^  Er  erinnert  an  die  „Blutbäder, 
Kriege  und  Feldzüge",  die  um  der  Religion  willen  geschehen, 
„wobei  er  (der  Teufel)  die  Ehre  gehabt,  augenscheinlich  mit 
im  Spiele  zu  sein".^  „Ein  anderes  Stück  seiner  Geschichte" 
ist  „der  Einfluss,  den  der  Teufel  in  die  Staatsklugheit  des 
Menschengeschlechts  hat".*  Bei  der  satirischen  Ader  des 
Verfassers  fehlt  es  natürlich  nicht  an  Anspielungen  an  Er- 
scheinungen auf  den  Gebieten  der  Kirche  und  des  Staats  aus 
alter  und  seiner  Zeit.  Er  meint,  es  sei  „ein  grober  Irrthum, 
dass  man  sich  einbildet,  eine  vollkommene  Einsicht  in  die  Ge- 
schäfte des  Teufels  könne  nicht  überhaupt  uns  allen  zum  Nutzen 
sereichen.  Wer  nicht  weiss,  was  böse  ist,  weiss  auch  nicht, 
was  gut  ist".'"'  „Es  scheint,  Gott  und  der  Teufel,  so  sehr 
sie  auch  ihrer  Natur  nach  entgegen,  und  ihrer  Wohnung  nach 
von  einander  entfernt  sind,  haben  fast  einer  so  viel  Theil  als  der 
andere  an  unserem  Glauben."''  Daher  hat  man  zu  allen  Zeiten 
des  Heidenthums,  seither  die  Welt  stehet  .  .  .  diesen  Begriff 
vom  Teufel  gehabt".^  Er  kommt  in  den  folgenden  Kapiteln 
auf  den  Ursprung  des  Teufels,  seinen  Namen  in  der  Schrift 
zu  sprechen«  und  findet,  dass  „der  Name  Teufel  nicht  allein 
Personen,  sondern  auch  Handlungen  und  Gewohnheiten 
bedeutet",  dass  man  aber  „auf  diese  Weise  dem  Teufel  kein 
Unrecht"  thue,  „sondern  gibt  ihm  vielmehr  die  unumschränkte 
Gewalt  über  das  ganze  höllische  Heer  —  oder  mit  der  Schrift 
zu  reden,  machet  aus  ihnen  Engel  des  Satans,  den  grossen 
Teufel".  ^  Da  dem  Verfasser  „weder  die  heilige  Schrift  noch 
die  Historie"  in  Bezug  auf  das  Aussehen  des  Teufels  „Erläu- 
teruno"  geben,  so  schliesst  er  und  betrachtet  es  als  Thatsache: 
„dass  der  Teufel  für  sich  keinen  Leib  hat,  sondern  hing(>gen 
ein  Geist  ist"  und  für  die  Zeit,  wo  er  erscheinen  will,  „eine 
fremde  Gestalt  annehmen  nuiss".  *'^  Eine  Eigenthümlichkeit 
des  Verfassers  ist,    ])ei    manchem  Ueberlieferten    Zweifel    an- 


1  S.  5.  ■''  S.  (5.         ^0.8.         "  S.  11  fg.         s  S.  23.         «  S.  29. 

'  S.  31.         «  S.  50.         '•'  S.  52.         1"  S.  62. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  485 

zuregen,  sie  aber  ungelöst  zu  lassen  und  sich  abzuwenden.  So 
z.  B.  von  dem  Falle  des  Satans  sagt  er:  „Was  mich  aber  am 
meisten  wundert  und  welches  zu  erklären  nicht  leicht  jemand 
sich  die  Miihe  geben  wird,  ist,  dass  man  sagen  könne,  auf 
was  Weise  der  Satan  des  Lasters  in  eine  englische  Natur  ge- 
drungen und  Wurzel  gefasset?  In  eine  Natur,  welche  in  einem 
vollkommenen  Stand  und  in  vollkommener  Heiligkeit  erschaf- 
fen worden?  Wie  die  Siinde  sich  an  einem  Ort  eingefunden, 
wo  nichts  unreines  hinkommen  kann?  wie  Ehrgeiz,  Hochmuth 
imd  Neid  dahin  gekommen  und  sich  vermehret?"  etc.  Es  sei 
ein  Glück  für  ihn,  fährt  er  fort,  dass  es  nicht  seine  Aufgabe 
sei,  bei  seiner  Geschichte  solche  Aufgaben  zu  lösen  ^,  da  die 
Sache  in  den  Büchern  so  vorliege.  Man  wisse  auch  nicht, 
worin  die  Sünde  der  gefallenen  Engel  bestanden  habe,  „sie 
wird  eine  Empörung  gegen  Gott  genennet,  und  dies  ist  alles 
was  wir  wissen".^  Wie  die  Allmacht  Gottes  das  Geschöpf 
zum  Leben  geschaffen,  so  beschütze  sie  es  auch  gegen  alle 
,, Anläufe  der  Hölle"  und  setze  es  ,, gegen  die  giftigen  Pfeile 
des  Satans"  in  Sicherheit,  so  dass  „ohne  Zulassung  dieser 
Macht,  die  den  Himmel  gemacht,  dieser  abtrünnige  Engel 
nichts  vornehmen,  wodurch  —  der  Mensch  möchte  zernichtet 
werden,  welchen  zu  hassen  der  Satan  so  viele  Ursach  glaubt 
zu  haben,  weil  er  in  dem  Himmel  in  die  Glückseligkeit  sollte 
gesetzt  werden,  welche  er  vor  ihm  genoss".  Einen  andern 
Sieg  des  Himmels  über  den  Teufel  nennt  es  der  Verfasser, 
„dass  Gott  den  Menschen  gegen  ihm  übergesetzet  und  den- 
jenigen gezeiget,  welchen  er  so  sehr  anfeindet;  wo  er  an 
seinem  Ebenbilde  geschrieben  gesehen:  Unterstehe  dich  nicht 
ihn  anzurühren".^  Der  Verfasser  zweifelt  nicht,  dass  Satan 
durch  seinen  Fall  die  Vollkommenheit  seiner  englischen  Natur 
und  zu  gleicher  Zeit  seine  vorhergehabte  Macht  verloren  habe, 
und  erblickt  dies  in  den  Ketten  des  Satans,  den  Zeichen  sei- 
nes Abfalls,  und  der  Beschränkung  seiner  Macht,  irgendetwas 
ohne  besondere  Zulassung  zum  Schaden  dieser  Schöpfung  zu 
thun."*  In  dieser  Weise  geht  der  Verfasser  den  Sündenfall 
und  die  Geschichten  vor  und  nach  der  Noah'schen  Flut 
durch,  wobei  er  die  dunkeln  Seiten  mit  dem  Satan  in  Be- 
ziehung   bringt,    und   dann  die   Siege   des   Satans  mit  Hülfe 

1  S.  84.        2  ö.  94.        3  S.  125.        '  Ö.  127. 


486      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

der  menschlichen  Lüste  aufzählt.  „Einmal  hat  er  sich  des  Essens 
(bei  Eva)  bedient,   zweimal   des  Trinkens   oder  vielmehr   der 
Trunkenheit  (bei  Noah  und  Lot)."  '     Der  Verfasser   geht  die 
Geschichte  des  Alten  Testaments   durch,    wo    er  gelegentlich 
die   Gewalt  des  Teufels  zeigt.     Er    nennt    diesen  Theil  „die 
Alterthümer  der  Geschichte  des  Teufels"  oder  auch  den  „alten 
Theil   seines  Reichs".      Seitdem  gerieth  dieses  in    Abnahme, 
„und  ob   er  gleich   durch  seine   schreckliche  List  und   durch 
seinen    unermüdlichen    Flciss,    durch    die    Wachsamkeit    und 
Treue   seiner   menschlichen    und    teuflischen   Werkzeuge,  und 
unter    den    Menschen    sowohl    geistlicher  als   weltlicher,    das 
was  er  verloren  hat  wieder  bekam  und  das  allgemeine  Reich, 
welches  er  einmal  über  das  menschliche  Geschlecht  hatte,  wie- 
der aufzurichten   suchte ;  so  ist   er  doch   . . .  zurückgetrieben 
und  geschlagen  worden  und  sein  Reich  .  .  .  hat  abgenommen".^ 
Diese  Abnahme  datirt  insbesondere  von  dör  Erscheinung  Christi, 
womit  der  Verfasser  den  zweiten  Theil  eröffnet.    Er  nennt  es 
die  „gröbste  Thorheit,  welche  der  Teufel  beging  und  die  mit 
seiner  Erkenntniss  und  Klugheit,  die  man  ihm  allezeit  in  allen 
seinen  Handlungen  zugeschrieben  hat,    sich  gar  nicht  reimet, 
dass  er  zu  dem  Messia  in   die  Wüste  gegangen,  ihn  zu  ver- 
suchen".^    Nachdem  der  Teufel  unter  den  römischen  Kaisern 
dieser   sich  bedient    hatte    in    seiner  Politik  gegen  das  Reich 
Christi,    und    zwar  vergeblich,    „bediente    er    sich  dann  der 
Geistlichen,   und  damit  es  ihm  desto  besser  gelingen  möchte, 
hetzte  er  die  Lehrer  der  Kirchen  hintereinander,,  dass  sie  we- 
gen der  Oberstellc  zankten,    darinnen  wurden  die  Priester  so 
eifrig,  dass  sie  sich  leicht  fangen  Hessen,  und  der  Teufel,  als 
ein  geschickterer   Fischer    als   Petrus   jemals   gewesen,    seine 
Angel    zu    rechter   Zeit    zurückzuziehen    und    sie    zu    fangen 
wusste"."*     In  der  nachfolgenden  Geschichte,  nämlich  im  Mit- 
telalter, geht  dem  Teufel  alles  nach  Wunsche.    Der  Verfasser 
meint  aber,  ,,dass  man  sich  den  Teufel  als  eine  Person  in  einer 
räumlichen  Hölle  vorstellt,  ist  höchst  ungereimt  und  lächerlich. 
In  der  That  ist  es  falsch,  weil  er   eine  gewisse  Freiheit  hat, 
die,  ob  sie  gleich  eingeschränkt  ist,  nichts  für  das  Gegentheil 
beweist:   er  lässt  sich  alle  Tage  sehen,  man  kann  seine  Spur 
in  der  unterschiedenen  Art  finden,  mit  welcher  er  das  mensch- 


1  S.  213.        ■'  ö.  254.         3  ö.  258.         ^  S.  265. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  487 

liehe  Geschlecht  angreift,  und  so  ist  es  seit  seiner  ersten  Er- 
scheinung im  Paradiese  allezeit  gewesen.  Es  ist  hier  nicht 
gemeint,  dass  er  sich  körperlicher  Weise  sehen  lasse,  genug 
dass  man  ihm  Schritt  für  Schritt,  wie  die  Spiirhunde  dem 
Fuchs,  nachfolgen  kann.  "Wir  können  ihn  an  seinen  Wirkun- 
gen, an  dem  Bösen,  wozu  er  uns  verleitet,  eben  so  deutlich 
sehen,  als  wenn  wir  ihn  mit  körperlichen  Augen  sehen".  *  Auf 
ähnliche  Weise  sucht  der  Verfasser  die  sinnliche  Vorstellung 
von  der  Hölle  aufzulösen:  „Bei  allem,  w^as  man  uns  von  der 
Hölle  und  deren  Qual,  und  von  dem  Teufel  und  seiner  Fer- 
tigkeit uns  zu  quälen  sagt,  gedenkt  man  nicht  mit  einem  Wort 
dessen,  wofür  man  hauptsächlich  und  vielleicht  einzig  und 
allein  erschrecken,  und  welches  man  in  Ansehen  der  Hölle 
bedenken  soll,  ich  will  sagen,  der  Beraubung  des  Himmels, 
der  Verstossung  und  Entfernung  von  dem  Angesichte  des 
höchsten  Wesens,  des  alleinigen  ewigen  und  vollkommenen 
Gutes;  mit  einem  Worte,  des  Verlusts,  welchen  man  uns 
durch  eine  schändliche  Nachlässigkeit,  dass  wir  uns  um  dieses 
vortreffliche  Stück  nicht  bekümmern,  sondern  an  alte  verächt- 
liche und  billig  verworfene  Fabeln  halten,  leicht  macht,  ob  es 
gleich  die  Ewigkeit  und  einen  unwiderruflichen  Schluss  be- 
trifft. Man  sagt  nichts  von  dem  ewigen  Nagen  des  Gewissens, 
der  schrecklichen  Verzweiflung  und  der  Bekümmerniss  einer 
Seele,  welche  keine  Hoflnung  hat,  jemalen  die  Herrlichkeit, 
in  welcher  allein  der  Himmel  besteht,  und  ohne  welche  alle 
andern  Orte  fürchterlich  und  finster  sind,  zu  sehen."  —  „Das 
ist  eigentlich  die  Hölle,  welche  wir  vor  Augen  haben  müssen, 
w'enn  wir  vom  Teufel  in  der  Hölle  reden.  Das  ist  eigentlich 
die  Hölle,  w^elche  den  Teufel  quälet,  und  mit  einem  Worte: 
der  Teufel  ist  in  der  Hölle  und  die  Hölle  in  dem  Teufel."'^ 
Der  Verfasser  will  nicht  untersuchen,  „w^orauf  man  sich  gründet, 
wenn  man  die  Qual  der  Hölle  unter  dem  Bilde  eines  Feuers  . . . 
vorstellt;  es  hat  Gott  gefallen  uns  den  Schrecken  der  ewigen 
Todesangst  wegen  des  Verlusts  des  Himmels  unter  Bildern 
und  Gleichnissen  vorzustellen,  welche  auf  unsere  Gemüther 
den  meisten  Eindruck  machen".^  Er  glaubt  nicht,  dass 
sein  „Begrifi"  von  der  Hölle,  die  in  der  Beraubung  des- 
jenigen,   in  welchem  der  Himmel  ist,    besteht,    der  Meinung 

1  S.  276.         2  y.  278.         3  s.  gso. 


488      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

derjenigen,  welche  vorgeben,  es  sei  nichts  als  Feuer  und 
Schwefel,  im  geringsten  weiche";  fährt  ubcr  fort:  „doch 
muss  ich  gestehen,  dass  ich  nichts  thörichtcrcs  finde,  als  die 
Vorstellungen,  die  wir  uns  in  unserem  Gemüth  von  der  Hölle 
und  der  Qual,  die  der  Teufel  darinnen  den  Seelen  anthut, 
machen,  dass  er  sie  auf  den  Rost  legt,  an  Hacken  hängt,  auf 
seinen  Schultern  trägt  etc.,  welche  die  Hölle  als  einen  grossen 
mit  entsetzlichen  Zähnen  versehenen,  und  wie  eine  Höhle  an 
einem  Berg  cröfineten  Rachen  vorstellen,  daraus  ein  Feuerstrom 
geht,  und  wo  man  den  Teufel  oben  sieht,  und  viele  kleine 
Teufel  beständig  aus-  und  eingehen  und  Seelen  suchen  etc."  — 
,, Obgleich  der  Endzweck  dergleichen  Vorstellungen  ist,  Schre- 
cken einzujagen,  so  sind  sie  doch  so  einfältig,  dass  ich  ver- 
sichert bin,  der  Teufel  lacht  darüber,  und  ein  vernünftiger 
Mensch  wird  auch  kaum  das  Lachen  halten  können,"^  In 
den  vorhergehenden  Kajoiteln,  sagt  Verfasser,  habe  er  gezeigt: 
„dass  sich  der  Teufel  unter  die  Geistlichen  gemacht,  —  auf 
was  Weise  er  mit  der  weltlichen  und  geistlichen  Macht  ins- 
besondere umgegangen  und  sie  in  der  Regierung  vereinigt, 
so  dass  die  eine  unrechtmässige  Anmassung  der  Gewalt  der 
andern  ...  hülfreiche  Hand  geleistet".  —  „Also  muss  man  künf- 
tighin dem  Teufel  ein  mystisches  Reich  in  der  Welt  zuge- 
stehen."^ „Man  muss  glauben,  dass  nicht  einen  Augenblick  etwas 
ohne  ihn  und  nicht  die  geringste  Verrätherei  vorgehe,  da  er  nicht 
seinen  Antheil  habe;  dass  kein  Tyrann,  den  er  nicht  regiere,  keine 
Regierung,  die  er  nicht  anreize,  kein  Narr,  dem  er  nicht 
schmeichle,  kein  Spitzbub,  den  er  nicht  anführe;  er  findet  sich 
bei  allen  Betrügereien,  er  hat  einen  Schlüssel  zu  allen  Kabi- 
netten vom  Divan  zu  Konstantinopel  bis  auf  Mississippi  in 
Frankreich,  und  auf  die  Betrügereien  der  Südsec-Compagnie 
in  London;  von  seinem  ersten  Anfall  gegen  die  christliche 
Welt  —  bis  auf  die  Bullam  Unigenitus,  und  von  der  Vereini- 
gung des  heiligen  Petri  und  des  Confucii  in  China  bis  auf 
die  heilige  Inquisition  in  Spanien  und  endlich  bis  auf  die  Em- 
lins  und  Dodwells  unserer  Zeiten."^  Wir  wollen  dem  Ver- 
fasser nicht  weiter  folgen,  wenn  er  von  den  Geschäften  des 
Teufels  spricht,  die  dieser  in  der  Welt  verrichtet,  und  in 
welcher  Weise   er    sie  verrichtet,    wobei    der  Verfasser    seine 


1  S.  281.        2  ö.  284.        »  S.  285. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  480 

satirischen  Hiebe  auf  kirchliche  und  staatliche  Misbräuche 
austheilt,  da  wir  die  Anschauung  des  Vcrfossers  kennen;  es 
mögen  daher  nur  einige  Sätze  noch  Raum  finden.  So  sagt  er 
in  Bezug  auf  das  Teufelsbiindniss,  indem  er  schalkhafterweise 
eine  einfältige  Miene  annimmt:  „Ich  gestehe  es,  ich  kann  es  nicht 
begreifen,  wie  man  mit  einer  Kreatur,  so  weder  lesen  noch 
schreiben  kann,  einen  Bund  könne  machen;  ich  sehe  nicht, 
wer  derNotarius  sein  und  den  Kontrakt  aufsetzen  mag;  und  was 
das  schlimmste  ist,  so  hält  der  Teufel  niemals  Wort,  und  sagt 
man,  dass  er  fertig  ist,  Bedingungen  aufzurichten,  wer  kann 
ihn  aber  zwingen,  sie  zu  halten,  und  was  fiir  eine  Strafe  wird 
man  ihm  auflegen,  wenn  er  fehlt?" ^  „Sonst  versuchte  der 
Teufel  die  Menschen  zur  Sünde,  heutzutage  versuchen  sie  ihn. 
Sie  ergeben  sich  dem  Laster,  ehe  er  sie  dazu  reizt  —  sie  lau- 
fen ihm  auf  seinem  eigenen  Boden  vor  —  mit  einem  Wort, 
es  scheint,  der  Teufel  hat  nichts  anderes  zu  thun,  als  einen 
ruhigen  Zuschauer  ihrer  Handlungen  abzugeben."  -  „Der  Teufel 
hat  heutzutage  eine  ganz  andere  Art  die  Welt  zu  regieren, 
und  anstatt  geringer  schlechter  Leute  und  aller  erwähnten 
Werkzeuge,  die  er  sonst  brauchte,  hat  er  uunmehro  seinen 
Wandel  in  den  Petites  mäitres,  in  den  schönen  hohen  Geistern 
und  Narren"  U.S.  W.3  ?:D^  selbiger  Zeit  die  Bosheit  der  Men- 
schen mit  der  L^uM'issenheit  in  gleicher  Paar  gingen,  waren 
dergleichen  schlechte  und  geringe  Werkzeuge  vollkommen  gut, 
das  Werk  des  Teufels  zu  treiben."*  Aber,  „man  muss  nicht 
einem  jeden  leichtsinnigen  Kopf  glauben,  welcher  vorgibt,  dass 
er  vertraut  mit  dem  Teufel  umgehe  —  die  meisten  dieser  Leute 
sind  Betriiger  —  es  ist  offenbar,  dass  diese  Leute  dem  Teufel 
Unrecht  thun,  wenn  sie  alles  Böse,  was  sie  in  der  Welt  thun 
wollen,  ihm  zuschreiben.  Begehen  sie  einen  Mord,  Diebstahl 
—  so  sagt  man  alsbald,  es  wäre  durch  Reizung  und  Hülfe 
des  Teufels  geschehen,  also  dass  der  Satan  alle  Schuld  tragen 
muss,  wenn  sie  gleich  einzig  und  allein  alle  Schuld  tragen".-^ 
„Man  muss  gestehen,  dass  die  menschliche  Natur  und  sonder- 
lich der  gröbste  und  unwissendste  Theil  des  menschlichen  Ge- 
schlechts  über  alle  massen  geneigt  ist,  alles  was  seltsam  ist, 
es  mag   nun  wirklich  sein  oder  nicht,  für  Teufelsstreiche   zu 


>  S.  415.        2  S.  419.        3  s.  444.         '  S.  445.        '  S.  485. 


490      Vierter  Absclmitt:  Fortsetzung  der  Gescliiclite  dea  Teufels. 

halten,    und   von   allem,    das   sie   nicht  begreifen    können,    zu 
sagen,  es  komme  vom  Teufel."^ 

Die  Ansicht  von  der  Unpersönlichkeit  des  Teufels,  welcher 
Thomasius  die  Bahn  frei  gemacht  hatte,  griff  immer  mehr  um 
sich;   da  jedoch   der  alte  persönliche  Satan  unter  den  prote- 
stantischen Theologen   noch   immer  viele   warme  Vertheidiger 
zählte,  so  theilte  sich  die  theologische  Welt  in  zwei  Parteien, 
die  sich  zunächst  von   den  Kanzeln   und  Kathedern  herab  als 
„Dämoniaker"  und  „ Adämonisten"  titulirten  und  befehdeten. 
Im  Thomasius'schen  Geiste  der  Aufklärung  hatte  Hauber  seine 
bekannte  „Bibliotheca  magica"  geschrieben  2,  und  in  derselben 
Richtung  fasste  Semler  die  Zeitfrage  in's  Auge,  die  er  so  viel- 
fältig   behandelte.      Veranlassung    bot    ihm    ein    Schriftchen: 
„Gründliche    Nachricht    von    einer   begeisterten  Weibsperson 
Annen  Elisabeth  Lohmannin    von  Ilosdorf  in  Anhalt- Dessau 
aus    eigener    Erfahrung    und    Untersuchung    mitgetheilt    von 
Gottlieb  Müllern,  Probst   und  Superintendenten  in  Kemberg 
1759".     Hierauf  erliess  Semler  seine  „Abfertigung  der  neuen 
Geister  und  alten  Irrthümer   in  der  Lohmannischen  Begeiste- 
rung nebst  theoloo-ischem  Unterricht  von  den  leiblichen  Be- 
Sitzungen  des  Teufels  und  Bezauberungen  der  Christen  1759". 
Da  mir  die  erste  Ausgabe  dieser  Schrift  nicht  vorliegt,  erfahre 
ich  anderwärts,  dass  der  Verfasser  hierin  denselben  Standpunkt 
einnimmt,  den  er  in  seiner  „Dissertatio  theol.  hermeneutica  de 
daemoniacis,  quorum  in  evangeliis  fit  nientio,  1700",  behauptet, 
wonach  aus  den  Ausdrücken,  deren  sich  die  Evangelisten  zur 
Bezeichnung    der    Dämonischen    bedienen,    nicht    geschlossen 
werden  müsse,  dass  solche  Menschen  wirklich  von  einem  bösen 
Geiste  besessen  gewesen  seien,  weil  es  im  Sprachgebrauch  der 
Juden  liege;  er  gibt  aber  zu,  dass  zur  Zeit  Jesu,  wenn  auch 
nicht  Besitzungen,  doch  solche  Wirkungen   des  Teufels  statt- 
finden   mochten.  ^     In    der    zweiten    Auflage    der    „Abferti- 


1  S.  4'J3. 

'  Eberhard  David  llaubcr,  Biblioth.  aeta  et  scripta  magica.  Gründ- 
liche Nachrichten  und  Urtheile  solcher  Bücher  und  Handhingen,  welche 
die  Macht  des  Teufels  in  Icibhchen  Dingen  betreffen.  Zur  Ehre  Gottes 
und  zum  Dienst  der  Menschen.     3G  Stück  (1741). 

3  „Ex  pcculiari  et  omnino  singulari  consilio  Dei,  quod  istorum  teni- 
porum  rationes  in  suo  genere  individuas  et  Jesu  Christi  doctriuam  com- 
plectebatur,  solum  habere  potuisse",  i>.  37. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  491 

gung"  1  erklärt  Semler  zunächst  die  ganze  Geschichte  von  dem 
Mädchen,  das,  als  von  einem  bösen  Geiste  besessen,  dargestellt 
lind  auch  exorcisirt  worden,  für  „die  alte  gemeine  Täuscherey",. 
die  „gar  nichts  weiter  seye"^,  was  sich  auch  in  der  That 
herausstellte.  Im  zweiten  Abschnitt,  „Belehrung  von  der  leib- 
lichen Macht  des  Teufels",  legt  Semlcr  seine  Ansichten  darüber 
dar.  Nach  der  biblischen  Redeweise  ist  der  Teufel  „eine  in- 
dividuelle Substanz  oder  ein  für  sich  bestehendes  Ding,  das 
Vernunft  hat  —  und  mit  grosser  Macht  begabt  ist";  der  Ver- 
fasser ßndet  aber  zugleich  in  der  Schrift  bestätigt,  „dass  er 
(der  Teufel)  keinen  Körper  der  Art  und  Natur  hat,  als  ein 
menschlicher  ist"  —  und  obschon  ,, nicht  deutlich  beschrieben 
ist,  wie  der  böse  Geist  die  Verführung  der  ersten  Menschen 
bewirkt  hat",  so  „ersiehet  man  doch  so  viel,  dass  es  überhaupt 
dadurch  geschehen,  dass  die  Sinnlichkeit  der  Menschen  immer 
mehr  gereitzet  und  der  Gebrauch  des  Verstandes  und  der 
Eindruck  des  moralischen  —  nicht  sinnlichen  Vortheils,  den 
sie  vorzüglich  behaupten  sollten,  geschwächt  worden.  Kurz 
bey  der  allerwichtigsten,  grössten  und  gefährlichsten  Wirkung, 
die  der  Teufel  damalen  bewerkstelligen  können,  ist  ganz  ge- 
wiss, dass  er  weder  in  die  Seele  noch  in  den  Leib  der  ersten 
Menschen,  eine  unwiderstehliche  Wirkung  durch  sich  selbst 
vorgenommen  hat".  ^  Semler  behauptet,  „dass  wahrhaftig  kein 
einzig  Beisjiiel  von  einer  leiblichen  teuflischen  Besitzung  aus 
dem  ganzen  alten  Testament  kann  aufgebracht  werden"*,  er 
gesteht  zwar  zu,  „dass  es  unter  den  Erzählungen  der  Evan- 
gelisten manche  Stellen  gibt,  die"  er  „nach  aller  Ueberlegung 
noch  nicht  anders  auslegen  kann,  als  dass  wahrhaftig  gewisse 
Menschen  von  einem  bösen  Geiste  damalen  besessen  gewesen 
sind";  er  hat  aber  „von  dieser  Besitzung  nicht  denselben  Be- 
griff, den  man  gemeiniglich  annimmt".^  Gleichwie  der  Aus- 
druck „im  Himmel"  von  Gott  nicht  buchstäblich  gefasst 
werden  kann,  „obgleich  die  Redensarten  in  den  biblischen 
Büchern  es  ausdrücklich  so  bezeichnen",  so  ist  auch  die  Re- 
densart: „der  Teufel  seye  (selbst)  im  Menschen"  auch  nicht 
eigentlich   zu  verstehen.^     Der  Verfasser   bemerkt:   „dass  die 


'  Mit  einem  Anhange  vermehrt  1760. 

2  Vorrede,  ö.  12. 

3  S.  199.        ■•  S.  243.        5  s,  249.        «  S.  250. 


492      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Evangelisten  —  zunächst  für  damalige  Mensehen,  für  Juden 
und  angrenzende  Heiden   geschrieben",   und   sich   daher  über 
den  Teufel  „eben  so  ausgedrückt  haben,   als  diese  Menschen 
überall  von  ihm  redeten".    In  den  Reden  und  dem  Verhalten 
Jesu  gegenüber  den  Besessenen  findet  Semler  die  Bedeutung: 
„dass  Jesus    sich    als  Herrn    der  Geister    beweiset    imd    die 
Menschen  belehren  will,  dass  er  allen  wirklichen  Einfluss  der 
bösen  Geister  auf  die  Menschen-  aufgehoben   habe,   und    dass 
nun  alle    heidnischen   Fabeln    und  Vorurtheile,    welche   einen 
wahren  vernünftigen  Gottesdienst  unmöglich  machten,  ein  Ende 
haben  müssten".i     „Die  Rede  Matth.  12,  43  fg.  ist  ganz  im- 
leugbar  nach  den  gewöhnlichen  Begrifl'en  der  gemeinen  Leute" 
gehalten,  wie  er  (Jesus)  auch  V.  46  „zu  dem  Volke"  redete, 
also  sich  nach  demselben  richtete.     „Es  ist  eine  Parabel,   die 
nach  ihren  Gedanken  eingerichtet  ist,   um   ihnen  den   Schluss 
und  Endzweck  davon  eindrücklicher  zu  machen."  ■^   Die  Heilige 
Schrift  behauptet    nur  „den   moralischen  Einfluss  des  Teufels 
über  die  Menschen  und  auch  noch  über  manche  Christen,  und 
unterscheidet    ihn   von    den   eigenen   sündlichen   Gedanken  — 
Begierden  und  Unternehmungen  der  verderbten  Menschen,  so 
dass  sich  jener  auf  grössere  und  greulichere  Sünden  und  Un- 
ternehmungen  erstreckt,    welche    eine    grössere    Schädlichkeit 
und  allgemeinere  Ausbreitung   und  Vermehrung  der   Sünden 
und  ihrer  Beförderungen  mit  sich  führen".  ^     „Das  gesammte 
natürliche  Verderben    der  Menschen,    in   Absicht    der   Seele, 
besteht   in   der  angebornen  Blindheit   der   wahren  Beschafien- 
heit,  der  zu  unserm  Zusammenhange  gehöriger  Dinge  und  von 
unserem  Verhältniss  gegen  sie,  —  je  weniger  Erkenntniss  von 
der   wirklichen   Moralität  —  je   mehr  Uebergewicht    also    der 
Dinge,  so  sich  auf  unsern  Körper  und  seinen  Gebrauch  ohne 
Verbindung  unseres  völligen  Endzwecks  beziehen:  desto  mehr 
und   stärker  Gebiet   und  Einfluss   des  Teufels,   der   eigentlich 
in  der  Hinderniss  der  uns  nützlichen  Erkenntniss  des  Wahren, 
in  den  Verhältnissen  der  Dinge  auf  uns  besteht"*,   und   „in 
dem  Masse,  als  wir  nicht  wachsam  sind  in  der  Bekehi-ung  zu 
Gott    oder    abermaliger   Vereinigung    unserer   Neigungen    mit 
ihm   als   dem   einzigen   und  vollkommensten  Gute   —  entsteht 
ein  moralischer  Einfluss  des  Teufels  durch  Erregung  und  Un- 

1  S.  252.         2  ö.  265.         ^  Ö.  277.         ^  ö.  279. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  493 

terhaltung  mancher  unnützlichor  und  schädlicher  Vorstelhmgen 
bey  uns".  ^ 

Im    Jahre     1772    erschien    „Wilhehn    Abraham    Teller's 
Wörterbuch  des  Neuen  Testaments  zur  Erklärung  der  christ- 
lichen Lehre",  worin  der  Artikel  „Satan,  Teufel"  folgender- 
massen  lautet:  „Satan,  Teufel:  beede  "Wörter  werden  mitein- 
ander verwechselt.  —   Eins    wie    das    andere   bedeutet    einen 
Verleumder,   einen   nicht   schlechtweg  Ankläger;   sondern  fal- 
schen, im  gerichtlichen  Verstände.  —  Diese  ursprüngliche  Be- 
deutung hatten  die  Juden  im  Sinne,  wenn  sie  Jesu  den  Vor- 
wurf machten,  du  hast  den  Teufel,  Joh.  7,  48,  bist  du  nicht 
wirklich  ein  Erzverleumder?   wollten  sie  sasen,  in  Beziehunsf 
auf  den    gleich   vorhin    erhaltenen  Verweiss,    ihr  höret  nicht, 
widersetzt    euch    der  Wahrheit  v.  47.      Nach    eben   derselben 
antwortet  Jesus,  ich  habe  keinen  Teufel,  ich  verleumde  nicht. 
Eben  so  liegt  dieselbe  in  der  Geschichte  Hiobs,  cap.  1,  7  fg. 
und  der  Umschreibung,    Oflfenb.  12,   10    zum  Grunde.     Weil 
nun    solche    Anklasce    und    Verleumduno;    die   Liigen    in    sich 
schliessen,  so  bedeutet  es  auch  einen  Lügner.  Joh.  8,  44  und 
in  einem  noch  weitläufigeren  Verstände,  W^idersacher,  1  Petr. 
5,  8.  Nach  der  höhern  speculativischen  Philosophie  der  Juden, 
gibt  es  nun  gewisse  geistige,  den  Menschen  an  Kräften  über- 
legene Substanzen,  die  sie  mit  einem  allgemeinen  Namen  den 
Satan,  oder  den  Teufel,  den  allgemeinen  Menschenfeind  nann- 
ten. Marc.  I,  13.  2  Cor.  2,  11.     Ihnen  schreiben  sie  alles  L^n- 
glück  in  der  Welt,    und  nicht  nur  das  ganze  Sittenverderben 
der    Menschen,    Oflfenb.    12,    9,    sondern    auch    alle    leibliche 
LTebel  und  Krankheiten  zu.     Weil  dann  dieser  Lehrsatz  sehr 
gemissbraucht  wurde,  so  machen  ihn  weder  Jesus  noch  seine 
Apostel  zu  einem  Erkenntnissstück   der  allgemeinen  Religion, 
Matth.  5,  ß,  7,    Apostelg.  17,' 24  fg.,    weisen    geradezu    die 
Menschen  auf  Gott,  als  die  Quelle  alles  Guten,  und  verweisen 
ebenso  einen  jeden  auf  sich  selbsten,  als  seinen  eigenen  Feind. 
Jac.  1 ,  13.     Dass    es    also    auch    eigentlich    recht    christliche 
Weise  ist,  alle  hieher  gehörige  Untersuchungen  den  Philoso- 
phen überlassen.  —  Ich  bemerke  noch,  dass  wohl  Rom.  Iß,  20. 
1  Petr.  5,  8.   Ephes.  6,  11,   nach  der  dritten  Bedeutung  die 
damaligen  Verfolger   der  Christen  unter  Satan  und  Teufel  zu 

1  S.  280. 


Ö 


494      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

verstehen  sind,  und  Luc.  22,  3,  Joh.  13,  27,  der  Satan  als 
ein  Verfiibrer  zu  falschen  Anklagen,  v.  31,  und  Apostelg.  5,  3, 
als  ein  Einoeber  der  Lügen  nach  der  zweiten  Bedeutuni?  vor- 
gestellt  wird."i 

Dagegen  erschien:  „Schreiben  an  den  Herrn  Probst  und 
Oberconsistorialrath  Dr.  Wilhelm  Abraham  Teller  in  Berlin, 
wegen  seines  Wörterbuchs  des  Neuen  Testaments  zur  Erklä- 
rung der  christlichen  Lehre,  von  einem  ööentlichen  Lehrer 
der  heiligen  Schrift,  Leipzig  1773."  Darin  heisst  es:  „Die 
Summe  von  dem,  was  sie  hier  sagen  ist:  Satan,  Teufel,  be- 
deutet eigentlich  einen  Verleumder,  einen  falschen  Anklä- 
ger etc.  Diese  Bedeutung  liegt  auch  Hiob  1  und  Ofienb.  12, 
10  zum  Grunde.  Joh.  8,  44  heisst  es  ein  Lügner  und 
1  Petr.  5,  8,  ein  Widersacher  etc."  —  „ü  was  machen 
Sie  hier  für  ein  Gewirre!  Und  wem  zu  Gefallen?  Hoffen 
Sie  nur  einen  einzigen  Ungläubigen  zu  gewinnen,  wenn 
Sie  eine  Lehre  zu  verleugnen  suchen,  die  der  Christ  nicht 
entbehren  kann?  Ist  doch  der  Sohn  Gottes  erschienen,  die 
W  erke  des  Teufels  zu  zerstören.  Ist  Er  doch  Fleisches  und 
Blutes  theilhaftig  worden,  auf  dass  Er  durch  den  Tod  die 
Macht  nähme  dem,  der  des  Todes  Gewalt  hatte,  das  ist  dem 
Teufel.  Dieses  muss  ja  jeder  Christ  glauben.  Redet  nicht 
Jesus  noch  nach  seiner  Himmelfahrt,  Apostelg.  26,  18,  von 
der  Gewalt  des  Satans?  etc.  Ihr  Herr  Vater  sagte:  W"er 
einen  Christus  glaubte,  der  müste  auch  den  Teufel  glauben, 
und  wer  das  Evangelium  von  Christo  rein  und  lauter  lehren 
wollte,  der  könte  die  Lehre  vom  Teufel  nicht  entbehren.  Ja 
er  nannte  den  einen  Irrlehrer,  der  sie  aus  der  Theologie  weg- 
lassen wollte.  Und  Sie  nennen  es  recht  eigentlich  christlich- 
weise, alle  hieher  gehörige  Untersuchungen  und  Entscheidun- 
gen den  Philosophen  zu  überlassen!  Wie  können  Philosophen, 
die  nichts  als  Vernunft  und  äusserliche  Sinne  zum  Grunde 
ihrer  Erkenntniss  haben,  von  unsichtbaren  geistigen  bösen 
Substanzen  etwas  gewisses  herausbringen  ?  Unstreitig  ist  wohl 
die  Untersuchung  davon  viel  mehr  eine  Sache  der  Theologen, 
weil  sie  eine  eigentliche  Offenbarung  haben,  welche  sie  vom 
Daseyn  solcher  unsichtl)aren  geistigen  bösen  Substanzen  (En- 
gel und  Dämonen)  versichert,  die  nehmlich  gefiillen  sind,  oder 


'  S.  328  ig.     Vgl.  Zusätze  S.  8'J  fg. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  495 

gesündigt  haben,  deren  Oberster  Satan  oder  Teufel  genannt, 
und  manchmal  als  Anführer  und  Haupt  für  die  ganze  Schar 
dieser  Rebellen  (wie  ein  König  oder  General  für  seine  Armee) 
gesetzt  wird,  der  die  Menschen  in  Sünde  und  Tod  gebracht 
hat."  ^^Wer  heisst  es  uns,  dass  wir  uns  ungeschickte  und 
falsche  Vorstellunofen  von  diesem  unsichtbaren  Wesen  mach- 
ten?  —  Wer  die  Stellen  nachschlägt,  wird  sehen,  dass  Sie 
doch  nichts  gesagt  haben,  oder  vielmehr,  dass  Sie  die  Schrift 
lieber  nicht  erklären  sollten.  —  Die  folgenden  nächsten  Ar- 
tikel, die  ich  anfiihren  will,  werden  zeigen,  wie  gern  Sie  die 
Lehre  vom  Teufel  oder  Satan  und  seinen  Engeln  aus  der 
Schrift  selbst  herausschaffen  möchten,  wenn  es  möglich  wäre. 
Allein  so  wie  Sie  erklären,  könnten  Sie  wohl  Christum  selbst 
aus  der  Schrift  herausschaffen,  wenn  Sie  wollten."^  Der  An- 
zeiger des  Wörterbuchs^  fügt  hinzu:  er  glaube  „dass  das 
Publikum  und  alle  wahre  Freunde  der  evangelischen  Lehre 
dem  Herrn  Verfasser  dieses  Schreibens  vor  seine  Aufmerksam- 
keit und  Bemühung  vielen  Dank  im  Herzen  abstatten  werden, 
wenn  auch  mancher  heuchelnde  Recensent  mit  dem  Verfasser 
des  Wörterbuchs  säuberlich  verfährt  und  mancher  andere  un- 
reife und  eingebildete  Reforrair- Geist  stampfen  sollte". 

Um  diese  Zeit  erhielt  das  Interesse  für  den  Teufel  neuen 
Nährstoff  durch  den  Pater  Johann  Joseph  Gassner,  katholi- 
schen Pfarrer  zu  Klösterle  im  Bisthum  Chur.  Eigene  körper- 
liche Leiden,  besonders  nervöser  Kopfschmerz,  vergebliche 
Anwendung  medicinischer  Mittel,  daneben  eifriges  Lesen  der 
biblischen  Beschreibungen  von  Besessenen  und  deren  Heilungc 
und  Vertiefuno;  in  die  Literatur  über  Mame  brachten  ihn 
dahin,  die  Ursache  seines  Leidens  auf  den  Teufel  zurückzu- 
führen, und  überhaupt  die  Kraiikheiten  als  die  Wirkung  böser 
Geister  zu  betrachten.  Er  versuchte  daher  die  mittels  der 
Ordination  ihm  verliehene  Macht,  im  Namen  Jesu  Teufel  aus- 
zutreiben, an  sich  selbst,  und  nachdem  sieh  diese  bewährt  zu 
haben  schien,  begann  er  auch  an  seinen  Pfarrkindern  die  exor- 
cistische  Cur  in  Anwendung  zu  bringen.  Es  gelang  ihm  so 
viel  Aufsehen  zu  machen,  dass  sich  sein  Ruf  als  Wunderthäter 


'  S.  328  —  330. 

*  In  D.  Joh.  Friedr.  Ilirt's  Orientalische  und  Exegetische  Bibliothek, 
m,  182. 


496      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

bald  weiter  verbreitete,  fernere  Gegenden  ihre  Kranken  herbei- 
sandten oder  den  Exorcisten  herbeiwiinschten.  Mit  Geneh- 
migung des  Bischofs  von  Chur  kam  er  im  Jahre  1774  nach 
Konstanz.  Allein,  sei  es,  dass  der  Bischof  Schwindelei  wit- 
tern mochte,  Gassner  musste,  obschon  sich  der  Keichsprälat 
von  Salmansweiler  seiner  annahm,  in  seine  Pfarre  nach  Klö- 
sterle  zuriickkchren.  Indess  wurde  er  schon  im  Herbste  des- 
selben Jahrs  von  dem  Fiirstbischof  von  Uegensburg  nach  Ell- 
wangen berufen,  wo  Gassner  bald  als  Wunderthäter.  seine 
Triumphe  feierte,  und  unter  dem  fördernden  Schutze  des 
Keichsprälaten  seine  exorcistische  Heilkraft  allen  Hülfsbediirf- 
tigen  (als  vom  Teufel  Besessenen),  die  aus  Schwaben,  Tirol 
und  der  Schweiz  herbeigeströmt  waren,  zutheil  werden  Hess. 
Da  er  um  diese  Zeit  auf  sein  Amt  freiwillig  verzichtet  hatte  oder 
—  was  nicht  ausgemittelt  ist  —  dessen  enthoben  ward,  ernannte 
ihn  der  Fürstbischof  von  Regensburg  zu  seinem  geistlichen  Rath 
und  Hofkaplan.  Im  Jahre  1775  ging  er  nach  Amberg,  von 
da  nach  Sulzbach,  scheint  aber  keinen  besondern  Erfolg  mehr 
erzielt  zu  haben,  und  als  in  Regensburg  sein  wunderthätigcr 
Schein  wieder  helle  Strahlen  verbreitete,  wurde  dieser  durch  den 
kaiserlichen  Befehl,  wonach  Gassner  die  Stadt  verlassen  musste, 
getriibt.  Kaiser  Joseph  H.  verbot  ihm  hierauf  das  Exorcisiren 
im  ganzen  römischen  Reiche,  die  Erzbischöfe  Anton  Peter 
von  Prag  und  Hieronymus  von  Salzburg  erklärten  sich  gegen 
ihn,  verschiedene  Regierungen  verboten  den- Verkauf  seiner 
Schriften,  selbst  Pins  VI.  misbilligte  seine  Heilungen,  und 
Gassner's  Wirksamkeit  als  Exorcist  hatte  1776  ihr  Ende  erreicht. 
Er  starb  1779  in  einer  einträglichen  Dechantenstelle  zu  Bonn- 
dorf, die  ihm  der  Fi'irstbischof  von  Regensburg  verliehen  hatte. 
Gassner  hatte  zu  seiner  Zeit  durch  seine  exorcistischen 
Curcn  nicht  nur  unter  dem  Volke  grosses  Aufsehen  erregt, 
da  man  von  20000  Fällen  zu  erzählen  wusste,  sondern  auch 
die  schriftstellerischen  Federn  in  Bewegung  gesetzt,  wozu  er 
zum  Theil  durch  seine  eigenen  Schriften  beitrug.  „Weise, 
fromm  und  gesund  zu  leben,  auch  ruhig  und  gottselig  zu 
sterben,  oder  ni'itzlicher  Unterricht  wider  den  Teufel  zu  strei- 
ten, durch  Beantwortung  der  Fragen:  1)  Kann  der  Teufel 
dem  Leibe  der  Menschen  schaden?  2)  Welchem  am  meisten? 
3)  Wie  ist  zu  helfen?  Kempten  1774"  erschien  schon  1775  zu 
Augsburg    in   3.   Auflage.  —    „J.   J.  Gassner's  Antwort   auf 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  497 

die  Anmerkungen,  ^yclche  in  dem  münchnerischen  Intelhgenz- 
blatt  vom  12.  November  wider  seine  Griinde  nnd  Weise  zu 
exorciren,  wie  auch  von  der  deutschen  Chronik  und  andern 
Zeitungsschreibern  gemacht  worden"  (Augsburg  1774).  Er 
handelt  darin  von  der  Macht  der  bösen  Geister,  von  denen 
die  Anfechtungen  der  Seele  der  Menschen  und  leibliche  Krank- 
heiten herrühren,  die  er  in  natürliche  und  übernatürliche  eiu- 
theilt.  Er  kennt  drei  Arten  vom  Teufel  geplagter  Menschen: 
circumsessi,  Angefochtene,  obsessi  oder  maleficiati,  Verzauberte 
und  possessi,  Besessene.  Er  gibt  das  Praeceptum  probativum 
an,  woran  die  übernatürliche  Krankheit  zu  erkennen  ist,  wenn 
nämlich  der  Befehl  an  den  Teufel,  die  Paroxysmen  hervorzu- 
bringen, seine  Wirkung  thut.  Die  Heilung  ist  aber  bedingt 
durch  den  festen  Glauben  an  die  Macht  des  Namens  Jesu, 
und  durch  den  Glauben,  dass  die  Krankheit  durch  den  Teu- 
fel bewirkt  sei,  u.  s.  w. 

Der  Beweis,  dass  der  alte  unbedingte  Glaube  die  Men- 
schen nicht  mehr  ganz  überschattete,  der  Same  des  Zwei- 
fels bereits  Wurzel  geschlagen,  seine  Zweige  zu  erheben  und 
auszubreiten  anfing,  zeigte  sich  beim  Auftreten  Gassner's, 
dessen  durch  Erzählungen,  Zeitungen,  ungedruckte  und  ge- 
druckte Nachrichten  verbreitete  Wundercuren  von  verschiede- 
nen Gesichtspunkten  betrachtet  wurden.  Mesmer,  der  im 
Jahre  1775  vom  Kurfürsten  von  Baiern  von  Wien  berufen 
und  befragt  worden  war,  erklärte:  die  Curen  Gassner's  be- 
ständen in  magnetisch -geistigen  Anregungen.'  Andere  schal- 
ten den  Mann  einen  Betrüger  und  Charlatan,  während  mehrere 
in  ihm  einen  heiligen  Propheten  und  Wunderthäter  verehrten; 
die  einen  schrieben  seine  Curart  der  Einbildungskraft  und 
der  Sympathie  zu,  die  andern  verlegten  die  Heilkraft  in  die 
Stärke  des  Glaubens  und  die  Macht  des  Namens  Jesu,  und 
auf  dieser  Seite  standen  nicht  nur  Katholiken,  sondern  auch 
Protestanten,  nicht  nur  Theologen,  wie  der  protestantische 
Pfarrer  Johann  Kaspar  Lavater,  sondern  auch  Aerzte,  wie 
unter  anderm  aus  zwei  Schriften  hervorgeht :  „  llni^arteiische 
Gedanken,  oder  Etwas  von  der  Curart  des  Tit.  Herrn  Gass- 
ner's in  Elwaugen,  herausgegeben  von  Dr.  Schisei,  1775",  und: 


^  Enuemoser,  Geschichte  der  Magie,  2.  AuH.,  I,  939. 
Roskoff,  Geschichte  dea  Teufels.   II. 


32 


498      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

„Des  unparteiisclien  Arztes  Betrachtungen  über  Herrn  Lavater's 
Gründe  zur  Untersuchung  der  Gassnerischen  Curen,  ITTö". 
Der  Verfasser,  dem  wahrscheinlich  beide  Schriften  eignen, 
berichtet,  dass  er  sich  als  Arzt  Mühe  gegeben,  die  Behand- 
lungsweise  Gassner's  autoptisch  zu  beobachten  und  alles,  was 
darauf  Einfluss  haben  könnte,  zu  bemerken,  alle  Umstände, 
Meinungen  und  Einwürfe  genau  zu  berücksichtigen,  und  nach- 
dem er  dies  alles  gethan,  kommt  er  zu  dem  Schluss:  „dass 
Herr  Gassner  blos  durch  den  glorwürdigen  Namen  Jesus  und 
durch  Auflegung  seiner  Hände  und  Stola  alle  seine  Curen  ver- 
richtete. Er  gibt  aber  den  Leuten  noch  Oel,  Aiigenwasser 
und  dergleichen ;  er  rathet  solche  Mittel  an  nach  geschehener 
Cur  zu  gebrauchen.  Er  hat  aber,  um  Blinde  sehend  zu 
machen,  weder  Augen wasser,  noch  um  lahme  Glieder  in  Be- 
wegung zu  setzen,  ein  Oel,  viel  weniger  Pulver  und  Bauch 
zum  Teufelaustreiben  angewendet.  Er  betastet  zwar  die  Ge- 
lenke der  Lahmen,  er  reibt  die  Ohren  und  Drüsen  der  Gehör- 
losen; er  berührt  mit  seinen  Fingern  die  Augenlieder  der 
Blinden,  er  lockt  die  Schmerzen  unter  seinen  Händen  mit 
gebietender,  starker  Stimme  hervor,  aber  er  heisst  sie  auch 
mit  der  nämlichen  Gewalt,  eifrigem  und  polterndem  Ton  fort- 
weichen, und  es  geschieht.  Wo  bleibt  doch  die  Sympathie 
und  das  Electricum,  der  Magnet,  wo  aller  philosophischer 
Witz?"  .  .  .  „Herr  Gaszner  fordert  zur  Verhütung  des  Rück- 
falls in  die  Krankheiten  mit  dem  heiligen  Petrus  einen  bestän- 
digen, einen  unaufhörlichen  Streit.  Warum?  Weil  die  An- 
fechtungen  unsres  unsichtbaren  Feindes  immerwährende  sind." 
Diese  Ansicht  berührte  sich  mit  derjenigen,  welche  die  Sache 
der  Wirkung  des  Teufels  zuschrieb,  wie  der  Leibarzt  des 
Kaisers  Joseph  H.,  von  Haen,  luid  hiermit  ward  bei  der  Ge- 
legenheit die  alte  Streitfrage  über  die  Macht  des  Teufels  und 
deren  Grenzen  wieder  eröffnet  und  eine  Menge  Wechsel- 
schriften hervorgerufen.  Die  bedeutendem,  welche  das  Ueber- 
gewicht  ausmachten,  fochten  zwar  den  Teufel  selbst  nicht  an, 
suchten  aber  dessen  Macht  zu  beschränken.  So  Einzino;er  von 
Einzing  ^,   welcher  „aus  theologischen,   historischen,  physika- 


^  Joh.  Martin  Maximilian  Einzinger's  von  Einzing,  Kaiserlichen  Hof- 
und  Pfalzgrafen  etc.,   Dämonologie    oder    systematische    Abhandlung    von 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  499 

lischen  Quellen  zu  untersuchen"  vorgibt  ^,  „wie  weit  die  Macht 
des  Teufels  sich  erstrecke",  und  zu  dem  Ergebniss  kommt, 
dass  der  Teufel  ein  blosser  Geist  ist 2,  der  „aus  den  Kräften 
seiner  Natur  zu  einem  Körper  ohne  Gottes  Verordnung  nichts 
wirken"  kann^,  obschon  er  „aus  sonderbarer  Zulassung  durch 
Anfechtungen,  durch  Eingebung  verwirrter  und  böser  Gedan- 
ken und  andere  phantastische  Betrügereien  in  die  Seele  des 
Menschen  —  besonders  eines  gottvergessenen  und  boshaften" 
—  Einfluss  zu  haben  vermag,  und  „so  oft  die  Seele  krank, 
verwirrt  oder  angefochten  ist,  auch  der  Leib  mit  leidet". "* 
Jede  Krankheit  „so  ungewöhnlich  sie  sein  mag,  ist  für  eine 
natürliche  zu  halten,  bis  es  nicht  aufs  schärfste  bewiesen  ist, 
dass  sie  nicht  aus  natürlichen  Ursachen,  sondern  vom  Teufel 
herkomme".'^  Der  Verfasser  glaubt,  dass  „die  christliche 
Kirche,  wenn  dem  Teufel  das  Daseyn  oder  seine  Macht  völlig 
abgesprochen  wird,  keinen  so  grossen  Schaden  —  leidet,  als 
wenn  die  Macht  des  Teufels  allzuhoch  getrieben,  und  dadurch 
die  Allmacht  und  Regierung  Gottes,  durch  Aberglauben  und 
andere  verschiedene  Missbräuche  angegrifien  wird".  *>  In  ähn- 
lichem ,  die  Macht  des  Teufels  beschränkendem  Sinne  schrieb 
Sterzinger,  den  wir  auch  bei  den  Hexenverfolgungen  kennen 
gelernt:  „Die  aufgedeckten  Gassnerischen  Wundercuren  aus 
authentischen  Urkunden  beleuchtet  und  durch  Augenzeugen 
bewiesen"  (1775).  Nach  dem  Zeugnisse  Einzinger's  hatte  sich 
selbst  Seine  hochfürstliche  Eminenz  der  Cardinal  und  Bischof 
von  Konstanz  „laut  höchstdesselben  Schreibens  vom  6.  Sep- 
tember 1774  (Seite  19  und  20)  dahin  ausgesprochen,  dass  es 
nicht  wahr  sey,  dass  fast  alle  mögliche  Krankheiten  und  Ge- 
brechen, wie  der  obgedachte  Herr  Geistliche  Rath  Gassner 
dafürhält,  von  der  Gewalt  des  Satans  und  vom  Malefiz  her- 
kommen".^ Wir  können  die  übrigen  Schriften  über  dieGassner- 
sche  Angelegenheit  füglich  abseits  liegen  lassen  **,  und  wollen 


der  Natur  und  Macht  des  Teufels  etc.,  sammt  den  natürlichsten  Mitteln, 
die  meisten  Gespenster  am  sichersten  zu  vertreiben,  dem  Gassnerischen 
Teufelssysteme  entgegengesetzt  (1775). 

1  S.  15.  -'  S.  35.  3  S.  38.         "  S.  51.         *  S.  53.         «  S.  54. 

"  Einzinger,  Nachtrag  zu  der  Dämonologie,  S.  98. 

®  Sie  sind  dem   grössten  Theile   nach   angezeigt  in  der  Allgemeinen 

32* 


5oO      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

nur  den  schwersten  Ausspruch,  der  bei  dieser  Gelegenheit  in 
Beziehung  auf  den  Teufel  von  Semler  gethan  wurde,  anfuhren. 
„Es  ist  kein  Wunder,  dass  uusere  Christen,  bei  allem  Unter- 
schied der  Zeit  und  der  Hülfsmittel,  welche  Gottes  Regierung 
so  reichlich  unter  uns  ausgetheilet   hat,   noch   so  weit   zuriick 
sind  in  wahrer  göttlicher  Erkenntniss   des  Evangelii,   welches 
Gott   so    unvergleichlich    verherrlichen    und    bekannt    machen 
sollte,  dass  jener  alte  Wust  des  Aberglaubens,  der  den  Teufel 
zum  Mitherrn  und  Mitregenten  der  sichtbaren  Natur  gemacht 
hatte,   längst    unter   den  Christen  verschwunden   sein   müsste. 
Die   ganze  Macht  schändlicher   Unwissenheit,   die  Finsterniss 
des  heidnischen    und   jüdischen  Aberglaubens    hat    mehr    ge- 
herrscht unter  den  sogenannten  Christen,  bis  sogar  in  unsere 
Zeit,    als   sogar  zu  der  Zeit,    da  Jesus    mit    seiner  göttlichen 
Lehre  alle  geglaubte  Werke  des  Teufels  zerstörte,  und  Men- 
schen   aus    einer    erbärmlichen   Finsterniss    in    das   Reich  des 
Lichts   und  wahrer   Erkenntniss  versetzte.     Ein   wunderlicher 
roher  Eifer  beschützt  den  verfluchten  Teufel  selbst  wider  die 
Christen,   welche   nicht  Kinder   bleiben  wollen    in   der   christ- 
lichen Religion.     Es  ist  kein  Wunder,  dass  sehr  viel  von  die- 
sem Teufelsdreck   auch  unter  den  Protestanten   übrig  blieben 
und  zur  Lehre   soß-ar    mit    gerechnet  worden.     Freilich   ist  es 
mein  Ernst,  ich  fordere,  es  soll  in  dem  Artikel  des  theologi- 
schen Compendii  von  Engeln   und  bösen  Geistern,   also  auch 
in  der  casuistischen  Theologie  alles  ausgestrichen  werden,  was 
von   leiblichen  Handlungen   und   Thaten   des   Teufels   bejahet, 
geglaubet  und  gelehret  worden.     Es  ist  alter  heidnischer  Irr- 
thum    und    verfälscht    die   wahre    rechte    christliche    Religion. 
Ich  will  als  ein  christlicher  Theologus  solchen  ganzen  Teufels- 
kram  und   alten    schäbigen   Plunder    gerade    ausstreichen   aus 
dem  Herzen   und   der   sogenannten   christgläubigen  Seele,   die 
übrigens  von  Gott  und  Christo  Jesu   nicht  den  zehnten  Theil 
so  viel  und  so  ernsthaft,  und  so  oft  denket,  als  von  dem  theo- 
logischen Unthier,  Teufel,  Satan,  Beelzebub,  und  was  es  noch 
für  heidnische  Mützen  und  Namen  geben  mag,  darüber  immer- 
fort die  sogenannte  christliche  W^elt  mehr  vom  Teufel  besessen 
sein  will  und  mag,  als  die  grosse  helle  Erkenntniss  Gottes  zum 


deutschen  Bibliothek,  Bd.  27,  S.  5%  f.,  Bd.  28,  S.  277  ig.,  Bd.  33,  S.  285, 
Anhang  zu  Bd.  25  — 3<J,  H.  2491. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  501 

einzigen  Charakter   des   rechten   wahren  Christenthums   gelten 
lassen."  1 

Die  bisher  ano-efiihrten  und  diueh  Gassner's  Getriebe 
veranlassten  literai'ischen  Producte  in  Beziehung  auf  den  Teu- 
fel erscheinen  indess  nur  als  Flankier  vor  dem  eigentlichen 
Kampfe,  der  um  diese  Zeit  zum  offenen  Ausbruch  kam  und 
zwar  auf  Anlass  einer  anonym,  ohne  Nennung  des  Verlegers 
und  Druckorts  im  Jahre  1776  erschienenen  Schrift:  ,,Demii- 
thige  Bitte  um  Belehrung  an  die  grossen  Männer,  welche 
keinen  Teufel  glauben",  deren  Abfassung  dem  Professor  Köster 
in  Giessen  zuerkannt  wurde.-  Der  gereizte,  spöttische  Ton 
und  die  obenhinige  Behandlung  des  Gegenstandes  gibt  der 
Schrift  das  Gepräge  eines  Pamphlets.  Der  Verfasser,  welcher 
zugleich  der  Herausgeber  der  „Neuesten  Religionsbegebenhei- 
ten mit  unpartheyischen  Anmerkungen"  ist,  nennt  sie  „eine 
Satire"^,  und  wir  können  ihm  glauben,  dass  ihn  „der  hohe 
zuversichtliche  und  beleidigende  Ton"-  der  Gegner  dazu  ver- 
anlasste ,  da  wir  annehmen  können ,  dass  auch  bei  diesem 
Streite,  wie  gewöhnlich,  von  beiden  Parteien  über  das  Ziel 
geschossen  wurde.  Die  Schrift,  natürlich  auf  orthodoxem 
Standpunkt  stehend,  macht  den  Gegnern  den- Vorwurf:  dass 
sie  „dem  Teufel  seine  Persönlichkeit  nehmen  und  ihn  in  ein 
blosses  moralisches  Wesen,  in  ein  Bild  oder  in  eine  Allegorie 
und  ebenso  die  ganze  Religion  in  ledige  Moral  verwandeln"*; 
dass  durch  die  Annahme  der  Gegner:  „Christus  und  die  Apo- 
stel haben  sich  nach  dem  halsstarrigen  und  abergläubischen 
Volk  gerichtet",  da  sie  wussten,  dass  den  Juden  nichts 
beizubringen  war,  wenn  man  ihre  alten  Vorurtheile  (den 
Glauben  an  den  Teufel)  antastete, —  „Christus  und  die  Apostel 
des  so  oft  getadelten  frommen  Betrugs"  schuldig  gemacht 
werden.^  Der  Verfasser  fragt:  wie  dies  mit  der  göttlichen 
Sendung  Christi  übereinstimme,  „dass  er  Vorurtheile  ausdriick- 
lich  billigt  und   bekräftigt?    Hatte   es  Christus   nöthig,  da  er 


^  Sammkingen  von  Briefen  und  Aufsätzen  über  die  Gassner'schen 
Geisterbeschwörungen  (1776),  Vorrede. 

^  Vgl.  Kindleben,  Der  Teufeleien  des  18.  Jahrhunderts  letzter  Act 
(1779),  S.  11. 

^  Die  Neuesten  Religionsbegebeuheiten,  1.  Jahrgang,  S.  303. 

*  S.  4.         ä  S.  11. 


502      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

doch  so  viele  andere  Mittel  in  Händen  hatte,  seinen  Worten 
Eingang  zu  verschafi'en?  Wo  ist  noch  ein  einziger  ähnlicher 
anderer  Fall,  da  hundert  gegenseitige  Fälle  aufgezeichnet  sind, 
in  denen  er  Vorurtheile  bestritten  hat  ? "  —  „Oder  war  dieses 
Vorurtheil  zu  den  Zeiten  Christi  luischädlich?  Woraus  wollten 
Sie  dann  beweisen,  dass  es  heutigestags  schädlicher  sey,  als 
ehemals?"^  Ist  aber  der  Glaube,  dass  es  einen  Teufel  gibt, 
der  wahren  Religion  so  schädlich,  warum  sagte  dies  nicht 
schon  Christus  und  die  Apostel ,  von  denen  wir  doch  alle 
Religionswahrheiten  herhaben?^  Der  Verfasser  glaubt  nicht, 
dass  erst  ,,im  17.  imd  18.  Jahrhundert  einige  auserlesene  Köpfe 
die  Wahrheit  finden  oder  wenigstens  das  Herz  haben  wiirden, 
sie  öfientlich  vorzutragen,  welches  doch  Christus  und  die  Apo- 
stel nicht  gehabt  haben".  Er  beruft  sich  hinsichtlich  des 
Glaubens  an  Dämonen  auf  die  Uebereinstimmung  der  Juden 
mit  Römern  und  andern  Heiden,  „die  im  Grunde  das  Näm- 
liche geglaubt".^  Die  Berufung  der  Gegner  auf  den  Wider- 
spruch des  Glaubens  an  einen  persönlichen  Teufel  mit  der 
gesunden  V^ernimft  und  mit  den  göttlichen  Eigenschaften  lehnt 
der  Verfasser  einfach  damit  ab,  dass  der  Widerspruch  „noch  nicht 
erwiesen  ist"  und  „so  sind  alle  übrigen  Beweise,  die  Sie  bisher 
gegeben  haben,  nichts  als  Zirkel,  in  denen  das,  was  eigentlich 
erwiesen  werden  soll,  schon  als  ausgemacht  und  bekannt  an- 
genommen und  vorausgesetzt  wird,  nichts  als  petitiones  prin- 
cipii".  **  Der  Gegner  beruft  sich  seinerseits  auf  die  buchstäb- 
liche Auffassung  der  Heiligen  Schrift,  die  der  Lehre  vom  Teu- 
fel „günstig"  sei,  und  „ist  nun  die  Schrift  göttlichen  Ur- 
sprungs, so  hat  man  Grund  wegen  den  ausdrücklichen 
Zeugnissen  des  Neuen  Testaments  und  den  eigenen  Aus- 
sprüchen des  Erlösers  einen  Teufel  zu  glauben"  —  und  „alles, 
was  bisher  aus  Vernunftgründen  in  dieser  Materie  vorgebracht 
worden  ist,  beweist  weiter  nichts,  als  dass  wir  nicht  wissen, 
wie  der  Teufel  mit  den  göttlichen  Eigenschaften  in  eine  Ver- 
bindung zu  bringen  sey.  Aber  dieses  wissen  wir  auch  in  vie- 
len andern  Fällen  nicht".  ^  Der  Verfasser  deutet  auf  die  Lehre 
von  der  Dreieinigkeit  hin,  „welche  wir  wegen  des  göttlichen 
Zeugnisses  glauben,  und  bey  welcher  wir  zugestehen,  dass  sie 
über,    obgleich    nicht  wider    die  Vernunft    sey".''     Nach    des 

>■  S.  13.         ==  ö.  14.  3  S.  15.  *  S.  19.         *  S.  24.         «  S.  25. 


3.  Der  Teufel  im  IS.  Jahrhundert.  503 

Verfassers  Meinung  kann  zwar  jeder  denken,  was  er  will,  und 
niemand  hat  sich  darum  zu  beki'immern ,  was  er  sflaube :  aber 
„aus  der  Freiheit  zu  denken  folgt  die  Freiheit  zu  lehren  nicht 
unmittelbar";  „für  meine  eigene  Person",  fährt  er  fort, 
„steht  es  mir  nicht  frey,  mir  eine  selbstbeliebige  Vorstellung 
von  irgend  einer  christlichen  Lehre  zu  machen ;  sondern  wenn 
ich  von  der  Göttlichkeit  der  heiligen  Schrift  versichert  bin, 
so  muss  ich  mir  eine  Vorstellung  machen,  die  der  Schrift  ge- 
mäss ist".  *  „Es  ist  also  die  Freiheit  zu  denken  sehr  gering, 
und  erstreckt  sich  nur  auf  solche  Materien,  wo  die  Schrift 
nichts  bestimmt."-  Auf  den  Einwurf  der  Unvereinbarkeit 
der  Existenz  des  Teufels  mit  der  göttlichen  Vorsehung}  bittet 
der  Verfasser,  sie  möchten  ihm  doch  „deutlich  erklären,  wie 
diese  und  jene  Begebenheiten  mit  der  göttlichen  Vorsehung 
übereinstimmen.  Ich  schlage  die  weltliche  Geschichte  nach, 
und  finde  beinahe  nichts  als  glückliche  Schandthaten.  Warum 
gibt  es  die  göttliche  Gerechtigkeit,  die  bey  seiner  Vorsehung 
vorausgesetzt  wird,  zu,  dass  der  Unschuldige  unterdrückt  und 
gemartert  wird,  da  im  Gegentheil  der  Bösewicht  emporsteigt? 
Warum  werden  so  viele  Millionen  Menschen  unglücklich  ge- 
macht, um  den  Ehrgeiz  eines  einzigen  zu  befriedigen?  Warum 
sind  die  Güter  dieser  Erde  so  ungleich  ausgetheilt?  Warum 
erstrecken  sich  sogenannte  Landplagen  nur  auf  dieses  oder 
jenes  Volk?  Wo  ist  hier  Gerechtigkeit  zu  sehen?  Und  doch 
ist  Gott  unfehlbar  gerecht".  ^  Aehnliche  Erscheinungen  findet 
der  Verfasser  in  der  Kirchengeschichte  vmd  fährt  dann  fort: 
,,Wenden  Sie  dieses  auf  die  Lehre  vom  Teufel  an.  Ich  ge- 
stehe Ihnen:  ich  weiss  nicht,  warum  er  in  der  Welt  ist  und 
ihm  Gott  so  viel  Gewalt  gelassen  hat.  Ich  denke  aber,  Gott 
muss  hierzu  seine  weise,  heilige  und  gerechte  Ursache  haben. 
Diese  sehe  ich  freylich  nicht  ein;  aber  es  geht  mir  auch  in 
andern  gleich  wichtigen  Materien  auf  die  nemliche  Art."* 
Das  geht  aber  den  Verfasser  nichts  an,  er  hat  in  Bezug  auf 
den  Teufel  nur  zu  fragen:  „was  sind  für  Gründe  da,  die  Lehre 
vom  Teufel  anzunehmen?"  Und  hier  findet  er,  „dass  er  aus- 
drücklich in  den  göttlichen  Schriften  gelehrt  wird,  und  dass 
ich  von  dem  Wortverstand  nicht  abgehen  darf,  weil  ich  keine 
Unmöglichkeit  in   dieser  Lehre  zeigen  kann.     Hierauf  kommt 


S.  26.         2  s.  27.         3  S.  28.         *  ö.  30. 


504      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

alles  an".'  Der  Verfasser  sieht  aber  auch  gar  keinen  Vortheil 
für  die  Religion,  „wenn  der  Teufel  weggeschafft  wird"  ^^  und 
fräf^t:  „wird  nur  ein  einziger  Lehrsatz  in  der  christlichen  Re- 
licrion  begreiflicher?  Verstehen  wir  nun  die  Wege  der  gött- 
hchen  Vorsehung  um  ein  Haar  besser  als  zuvor?  —  Gesetzt, 
dass  der  Teufel  ein  blosses  Vorurtheil  ist,  so  ist  es  doch  ge- 
wiss, dass  viele  Leute  sich  seinetwegen  für  manchen  Sünden 
hüten.  Wenigstens  würde  es,  politisch  zu  reden,  besser  seyn, 
den  Teufel  beizubehalten,  als  ihn,  insonderheit  dem  gemeinen 
Mann  ganz  auszureden.  "^  Der  Verfasser  fürchtet  von  der 
Ausmerzung  des  Teufels  einen  wesentlichen  Schaden:  „Die 
ganze  Religion  wird  dadurch  schwankend  und  unsicher  ge- 
macht und  endlich  gar  umgestossen"-^,  denn  es  wird  damit 
der  Heiligen  Schrift  zu  nahe  getreten,  welche  die  Lehre  vom 
Teufel  enthält;  wird  dieser  geleugnet,  so  auch  die  göttliche 
Autorität  jener.  •'^ 

Bald  darauf  erschien:  „Demüthigste  Antwort  eines  ge- 
ringen Landgeistlichen  auf  die  demüthige  Bitte  um  Belehrung 
an  die  grossen  Männer,  welche  keinen  Teufel  glauben.  Li 
Deutschland  1776."  Wie  schon  der  Titel  zeigt,  sucht  es  der 
Anonymus  in  seiner  Schrift  an  Hohn  und  Spott  seinem  Vor- 
o-änger  zuvorzuthun.  Der  Verfasser  beruft  sich,  wie  sein 
Gegner,  ebenfalls  auf  die  Heilige  Schrift,  die  so  häufig  vom 
Teufel  redet,  damit  sei  es  „aber  noch  lange  nicht  ausgemacht, 
dass  er  eine  wirkliche  Persönlichkeit  habe".  ^  Auch  dem 
Verfasser  gilt  die  Bibel  alles,  aber  er  will  sich  „die  gelehrten 
oder  ungelehrten,  gedruckten  oder  ungedruckten  Auslegungen 
und  Glossen  der  Menschen  nicht  zugleich  für  göttlich  auf- 
dringen lassen".'  Die  den  „grossen  Männern"  vorgeworfene 
Annahme,  dass  sich  Jesus  dem  Teufelsglauben  des  Volks  an- 
bequemt habe,  hält  der  Verfasser  aufrecht,  denn  oft  „erfor- 
dert die  Klugheit  geringere  Dinge  auf  ihrem  Werthe  oder 
Unwerthe  beruhen  zu  lassen,  um  dadurch  nicht  von  wich- 
tigern Dingen  abgezogen  zu  werden",  und  das  sei  kein  Be- 
trug. ^  Als  Belege  führt  der  Verfasser  auch  biblische  Stellen 
an,  Marc.  4,  33,  1  Kor.  3,  1—3,  Hebr.  5,  11  —  14,  Joh.  IG,  12, 
in    welchen    Behutsamkeit    im    Lehren    angedeutet    sei.  ^     Ein 


1  S.  31.  ^  S.  32.         3  S.  33.  ^  S.  36.         ^  Ö.  37.         «  S.  11. 

S.  12.        »  S.  15.        "  S.  17. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  505 

Irrthum  werde  noch  nicht  gebilHgt,  „wenn  man  ihm  nicht 
ausdrückhch  widerspricht".  ^  Dass  sich  Jesus  ,,wirkHch  nach 
den  Vorurtheilen  der  schwachen  Lehrlinge  gerichtet",  sucht 
der  Verfasser  durch  Fälle  aus  dem  Alten  und  Neuen  Testa- 
ment nachzuweisen.^  Auf  die  Frage:  ob  der  Teufelsglaube 
heute  schädlicher  sei,  antwortet  der  Verfasser:  ein  Ding  könne 
allerdings  zu  verschiedenen  Zeiten  mehr  oder  weniger  schaden, 
—  will  sich  aber  nicht  näher  einlassen.^  Der  Verfasser  macht 
die  richtige  Bemerkung:  „Mir  dünkt,  mein  Herr,  Sie  unter- 
scheiden nicht  genug  die  zwei  Sätze:  «Es  ist  gar  kein  Teufel», 
und:  ('der  Teufel  ist  keine  wirkliche  Person».  Der  erstere, 
däucht  mich,  ist  ganz  falsch,  aber  nicht  der  andere." —  Die 
Sünde  sammt  allem  üebel  könne  da  sein,  „ohne  dass  man 
einen  persönlichen  Teufel  dazu  brauchet"."*  „Mit  blos  philo- 
sophischen Schlüssen  über  Möglich-  oder  Unmöglichkeit  eines 
persönlichen  Teufels  kann  gar  nichts,  nach  meinen  wenigen 
Einsichten,  ausgerichtet  werden;  die  Vernunft  weiss  sehr 
wenig  oder  gar  nichts  vom  Teufel."  —  t^Die  Heilige  Schrift 
allein  gibt  hier  sichere  Nachricht."  •"•  Die  verschiedene  Art, 
wie  der  Teufel  in  der  Heiligen  Schrift  erwähnt  wird,  sei 
schwer  ,,in  Eine  wirkliche  Person  zu  vereinigen".  ^  Was  die 
Wichtigkeit  der  Lehre  vom  Teufel  betrifft,  um  derentwillen 
der  Teufel  nicht  abzuschaffen  sein  soll,  beruft  sich  der  Ver- 
fasser auf  die  Reformation,  welche  unter  andern  auch  die 
Lehre  vom  Fegfeuer  aufgehoben,  obschon  diese  den  gemeinen 
Mann  zu  schrecken  auch  dienlich  sein  mochte.^  Der  Verfas- 
ser erklärt  den  Teufel  für  eine  mythologische  Vorstellung, 
wobei  „die  Klügeren  wohl  gewusst  hätten,  dass  der  Teufel 
keine  wahre  Person  sey,  obschon  sie  von  ihm  als  einer  Person 
redeten"*,  und  sucht  hiermit  dem  Vorwurfe,  den  Teufel  als 
Vorurtheil  oder  als  „Allegorie"  zu  fassen,  zu  entgehen.  Er 
beruft  sich  auch  hierbei  auf  die  Schrift  (1  Kor.  8,  4  —  7),  wo- 
nach ein  Götze  Nichts  sey.^  Er  weist  ierner  auf  5  Mos.  32, 
17;  Ps.  106,  37;  1  Kor.  10,  19  — 21  und  findet  in  diesen  Stellen 
angedeutet,  „dass  Teufel  und  Götzen  einerlei  sind".!*^  Da  es 
nun  „ziemlich  sicher  ist,  dass  die  dämonischen  Geister  mit- 
einander nichts    als    etwan    mythologische   Gedichte   sind;    so 


1  S.  21.         =  S.  23  fg.         3  S.  25.         *  S.  32.         «  S.  33.         «  S.  34. 
'  S.  36.         8  s_  49,         9  s_  49,         lo  g.  50. 


506      Viertel'  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

müssen  nothwendig  alle  teiif'elisc-he  Besitzungen  uneigentlich 
genommen  werden".  Die  Kliigeren  wussten,  wie  solche  Reden 
(vom  Teufel)  zu  nehmen  seien,  wenn  sich  Jesus  deren  bediente, 
und  für  die  Dümmeren  war  es  noch  nicht  Zeit  „sie  mit  spe- 
culativischen  Sätzen  von  dem  Einen  Nothwendigen  abzuhalten" 
—  so  bleibt  Jesus  „immer  der  Wahrhaftige,  Betrug  kam  nicht 
in  seinen  Mund".  ^  Der  Verfasser  schlicsst  damit:  „Ich  will 
lieber,  dass  man  Gott  fürchte,  dann  den  Teufel.  Denn  Got- 
tesfurcht ist  der  Weisheit  Anfang;  aber  Teufelsfurcht  —  sie 
wirke  was  sie  immer  wolle,  sie  zieret  meines  Erachtens  keinen 
Christen." 


Der  Kampf  für  und  wider  den  Teufel  wurde  natürlich 
auch  in  den  Zeitschriften  weiter  geführt,  so  in  der  Lemgoer 
auserlesenen  Bibliothek,  der  Mietauischen  allgemeinen  theolo- 
gischen Bibliothek,  der  Allgemeinen  deutschen  Bibliothek  und 
andern,  von  denen  die  meisten,  namentlich  die  letztgenannte, 
entschieden  auf  der  Seite  der  Antidiaboliker  standen.  Es  er- 
schienen aber  ausser  den  angeführten  auch  eine  Menge  selb- 
ständiger Schriftchen  von  Deutschen  und  Engländern,  die  wir 
ihrer  Unerheblichkeit  wegen  übergehen,  und  nur  noch  einige, 
die  grösseres  Aufsehen  machten  und  zur  Klärung  der  Streit- 
frage beitrugen,  erwähnen.  Zu  den  letztern  gehört  nament- 
lich: „lieber  die  Non -Existenz  des  Teufels",  die  auch  als 
Antwort  auf  die  „demüthige  Bitte  *um  Belehrung  an  die  gros- 
sen Männer,  die  keinen  Teufel  glauben"  177(i  erschienen  war. 
Der  Herausgeber  der  ,, Neuesten  Religionsbegebenheiten  mit 
unpartheyischen  Anmerkungen  für  das  Jahr  1778",  den  wir 
als  den  Verfasser  der  „Demüthigen  Bitte  um  Belehrung"  ken- 
nen gelernt  haben,  nennt  seinen  Gegner  „ernstlich  und  grob" 2; 
ich  finde  aber,  dass  der  „demüthige  Bittsteller"  nach  seinem 
eigenen  Vorgange  voll  Hohn  zu  letzterem  Vorwurfe  kaum 
berechtigt  ist.  „Ernstlich"  ist  aber  allerdings  die  „Non-Exi- 
stenz  des  Teufels"  gemeint,  denn  der  Verfasser  sagt  seine 
Meinung    gleich    beim  Eintritte  ernst    und  trocken,    „dass  es 


i  S.  51. 

2  Viertes  Stück,  S.  317. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  507 

keinen  Teufel  gebe,  wiefern  man  darunter  eine  Substanz  oder 
ein  geistiges  Wesen,  dem  Persönlichkeit  zukommt,  versteht, 
sondern  dass  alles,  was  in  der  Schrift  unter  diesem  Namen 
vorkommt,  nur  Modificationen  und  sinnliche  Vorstellungen 
von  dem  allgemeinen  abstracten  Begriff  sind,  den  wir  in  der 
Philosophie  das  moralische  Uebel  und  das  leibliche  Böse  über- 
haupt zu  nennen  pflegen".'  Dies  will  der  Verfasser  „aus  der 
Vernunft  und  Schrift"  beweisen,  „denn  beide  gehören  zusam- 
men, wenn  von  griindlichen  Beweisen  die  Rede  ist"^,  und 
wendet  sich  zunächst  an  die  Schrift,  die  er  nur  in  der  Origi- 
nalsprache als  fons  et  scaturigo  veritatis  anerkennt.  ^  Nach 
seinem  hermeneutischen  Grundsatz:  von  dem  „Wortverstande" 
abgehen  zu  müssen,  wo  dessen  „Beibehaltung  —  einen  Wider- 
spruch mit  sich  fuhrt,  und  wo  aus  dem  wörtlich  erklärten 
Texte  —  absurda  fliessen"*,  deutet  er  den  Widersacher  und 
Teufel  1  Petr.  5,  S  auf  Nero,  und  beruft  sich  auf  Ueberein- 
stimmung  der  grössten  und  bewährtesten  Ausleger,  eines 
Semler,  Nösselt,  Michaelis  etc. ^  Bei  der  Stelle  Joh.  8,  44 
rühmt  der  Verfasser  die  Weisheit  Jesu,  dass  er  dem  Irrthum 
der  Juden  von  der  Macht  und  Existenz  des  Teufels  nicht 
geradezu  widersprach,  um  „die  Juden,  so  zu  reden,  mit  ihren 
eigenen  W^affen  zu  schlagen"  —  sie  „auf  Gott  und  dessen 
allmächtige  Wirkungen  wies".  ^  In  der  Versuchungsgeschichte, 
Matth.  4,  findet  er  es  am  wahrscheinlichsten,  unter  dem  Ver- 
sucher „einen  listigen  und  verschlagenen  Abgesandten  oder 
Spion  von  der  jüdischen  Synagoge  zu  verstehen  ".'^  Zu  der 
Stelle  Judä  V.  6,  bemerkt  der  Verfasser,  dass  der  Brief,  wie 
die  Apokalypse,  apokryphisch,  daher  nicht  beweiskräftig  sei, 
und  der  Apostel  als  geborener  Jude  sich  eines  Exempels  aus 
der  jüdischen  Theologie  bediene,  um  die  Christen,  an  die  er 
schreibt,  an  vers<;hiedene  Beispiele  der  göttlichen  Rache  zu 
erinnern.^  Was  die  Stelle  Luc.  10,  8  betrifft,  so  „sieht  ein 
jeder  von  selbst,  dass  die  ganze  Redensart  figürlich  und  un- 
eigentlich ist.  Denn  gesetzt  der  Teufel  existirte,  wie  kann  er 
als  eine  geistige  Substanz  vom  Himmel  fallen,  und  wenn  er, 
wie  manche  behaupten  — ,  einen  Körper  annehmen  kann,    so 


1  S.  4.         ^  S.  4.         3  S.  4,  Note.  *  S.  6.  '  S.  7.         «  S.  9. 

'  S.  11.         8  s_  12. 


508      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

hätte  er  sich  von  einem  so  hohen  Sprung  längst  den  Hals 
brechen  müssen''.  Dieser  Ausspruch  kann  nach  dem  Verfasser 
keinen  andern  Sinn  haben,  als:  „Ich  sehe  im  Geiste  wie  durch 
mich  und  durch  meine  wahre  Lehre  die  bisherige  vermeinte 
Macht  des  Teufels  (die  im  Aberglauben,  Unglauben  und  herr- 
schenden Lastern  besteht)  auf  einmal  und  in  sehr  kurzer  Zeit 
von  ihrer  Höhe  heruntergestürzt  wurde.  "^  Die  Besessenen 
erklärt  der  Verfasser  für  „Kranke",  „unglückliche  Rasende", 
was  „die  grössten  Theologen  und  Schriftausleger"  seiner  Zeit, 
„namentlich  Semler,  Teller,  Bahrdt  u.  a.  längst  mit  den  er- 
forderlichen Gründen  erwiesen".  „Die  Juden  schrieben  der- 
gleichen Zufälle  —  nach  ihrer  Glaubenslehre  dem  Teufel  zu, 
weil  sie  unheilbar"  oder  ihre  Ursachen  „unbekannt  waren. "^ 
Die  Verrätherei  des  Judas  ist  ,, nicht  auf  Eingeben  des  Satans, 
sondern  auf  Antrieb  seines  eigenen  bösen  Herzens  und  aus 
eigener  Bewegung  geschehen''.^  Bei  Ephes.  6,  12  sieht  der 
Verfasser  nichts  anderes  „als  eine  Beschreibung  der  heydni- 
schen  Obrigkeit,  unter  deren  Drucke  die  ersten  Christen 
seufzten"."*  Auf  diese  Weise  exegesirt  der  Verfasser  aus 
allen  übrigen  angeführten  Stellen  den  Teufel  hinweg,  indem 
er  sie  uneigentlich  fasst  oder  auf  die  sogenannte  „natürliche 
Weise"  interpretirt,  welche  in  jener  Zeit  der  Verstandesrich- 
tung gäng  und  gebe  zu  wei'den  angefangen  hatte.  Der  Ver- 
fasser will  aber  die  Non- Existenz  des  Teufels  auch  aus 
Gründen  der  Vernunft  erweisen.  Mit  dem  Dasein  der  guten 
Engel,  meint  der  Verfasser,  könnte  es  noch  hingehen,  es  seien 
jedoch  auch  nur  Vermuthungen,  die  in  dieser  Beziehung  von 
Philosophen  vorgebracht  worden;  „aber  mit  den  bösen  Geistern, 
mit  dem  sogenannten  Teufel  hat  es  eine  andere  Bcwandtniss". 
Mit  all  seiner  Vernunft  kann  der  Verfasser  nicht  begreifen, 
„dass  sie  existiren,  und  wenn  sie  existiren,  zu  was  für  einer 
Absicht  sie  da  sind"."''  Der  Hauptgrund  ist:  dass  „kein  ver- 
nünftiger Mensch  etwas  umsonst  thut",  um  so  weniger  der 
allerweiseste  Gott,  von  dem  nicht  „zu  vermuthen,  dass  er 
Geister  werde  erschaffen  haben,  die,  nachdem  sie  eine  kurze 
Zeit  im  Guten  beständig  geblieben,  aus  Hochmuth  von  ihm 
abgefallen  wären,  um  nun  auf  ewig  autorisirtc  Menschenquäler 
7Ai   sein   und   sich   selbst   in   ein   unabsehbares  Elend   zu   stür- 


1  S.  13.         =  S.  14.         3  s.  1(3.         i  s.  17.         5  s.  26. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  509 

zen!"*  Der  Teufelsglaube  ist  daher  auszurotten,  und  wenn 
Christus  und  die  Apostel  den  Irrthum  stehen  liessen,  so  be- 
merkt der  Verfasser:  „fürs  erste  sind  wir  keine  dummen 
Juden  mehr,  wir  sind  im  Besitz  einer  vernimftigen  auf  Er- 
kenntniss  der  Wahrheit  und  Ausiibuno;  der  Tugend  ffeorün- 
deten  Religion,  —  fiirs  andere  konnte  ein  Irrthum  zu  den 
Zeiten  Christi  und  seiner  Apostel  unschädlich  sein,  der  zu 
unsern  erleuchteten  Zeiten  sehr  schädlich  ist,  und  einen  nach- 
theiligen Einfluss  in  das  sittliche  Verhalten  der  Menschen  hat"-. 
Denn  —  „viele  machen  sich  die  Lehre  vom  Teufel  zu  Nutzen, 
so  dass  sie  —  alle  Schuld  wegen  einer  begangenen  Frevel- 
that  von  sich  abwälzen  und  auf  den  armen  Teufel  schieben".  ^ 
Staat  und  Religion  gewinnen,  wenn  der  Teufel  aus  der  Glau- 
benslehre verwiesen  wird.  '^  Denn  „ein  Staat,  worin  Aberglau- 
ben und  Dummheit  herrschen",  könne  „nicht  ein  glücklicher 
Staat  genannt  werden,  weil  im  Gefolge  des  Aberglaubens  ge- 
meiniglich Bosheit  —  und  intolerante  Gesinnungen  gegen  die- 
jenigen sind,  die  sich  durch  eigenes  Nachdenken  und  fleissiges 
Forschen  in  der  Schrift  aufgeklärtere  Begrifle  angeschafft 
haben".  ^  Der  Verfasser  weist  hierbei  auf  Beispiele  hin.  In 
Bezug  auf  Religion  sieht  der  Verfasser  ,,die  Hauptsache,  dar- 
auf es  bey  dem  Christenthum  und  bey  der  Erlangung  des 
göttlichen  Wohlgefallens  ankommt"  in  rechtschaflteuer  Besse- 
rung und  unermüdetem  Fleisse  im  Guten. ^  ,,Ists  nicht  besser, 
wenn  ich  den  gemeinen  Christen,  anstatt  ihn  mit  den  jüdischen 
Fabeln  vom  Dasein,  von  der  Macht  und  den  Verführungen  des 
Teufels  länger  aufzuhalten,  geradezu  anweise,  sich  vor  nichts  in 
der  Welt,  als  vor  Gott,  vor  seinen  Strafen,  und  vor  seinem 
Gewissen  zu  fiirchten,  wenn  er  unrecht  thut."  —  Der  Verfas- 
ser nennt  die  alte  Theorie  vom  Teufel,  und  was  sich  daran 
knüpft,  einen  „subtilen  Manichäismus",  „eine  mit  dem  Schein 
der  Reehtgläubigkeit  überkleisterte  Abgötterey".^  Dem  Ver- 
fasser ist  es  „ein  unsinniger  Einfall,  vorzugeben,  dass  ein 
unsclnddiges  Kind  schon  von  seiner  Geburt  an  unter  die  Ge- 
walt des  bösen  Geistes  gehöre,  und  dass  es  daher  nöthig  sey, 
ihn  bey  des  Kindes  Taufe  durch  eine  lächerliche  Ceremonie 
auszutreiben". '"'  Er  deutet  auf  den  Zusammenhang  der  Lehre 
von   der  Erbsünde    und   der  vom  Teufel    hin    und   beider  mit 


S.  28.         2  S.  31.         ■'  S.  32.         *  S.  35.  »  S.  36.  «  S.  37. 


510      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

der  Lehre  von  Christo,  und  bemerkt,  dass  erstere  nach  der 
gewöhnlichen  Aufi'assung  keinen  erweislichen  Grnnd  in  der 
Schrift  habe,  nnd  nur  erfunden  sei,  „damit  man  die  Macht 
des  Teufels  erheben  und  die  Grille  von  seiner  Verführung 
der  ersten  Mensehen  wahrscheinlich  und  den  Werth  des  Ver- 
dienstes Christi  —  desto  grösser  machen  könnte ".  ^  Es 
sei  freilich  bequem,  die  althergebrachten  Meinungen  festzu- 
halten, „denn  da  braucht  man  nicht  viel  zu  studiren,  da  kann 
man  sich  hübsch  einen  guten  Tag  pflegen  und  bey  einem 
guten  Glase  Wein  auf  einem  geräumigen  Sopha  die  beschwer- 
liche Zeit  verträumen".''^  Dagegen  sei  es  Pflicht  „für  jeden 
gewissenhaften  Prediger  und  für  jeden  einzelnen  Christen"  — 
„sich  in  seinem  Glauben  so  viel  Licht  und  Gewissheit  als 
möglich  zu  schaflen".  ^  Der  Lehrsatz,  ,,dass  kein  Teufel  und 
keine  sinnliche  Hölle  ist,  dass  der  Teufel  nur  in  dem  Gehirne 
mancher  altvaterischen  Theologen  und  in  dem  Herzen  böser 
Menschen  existirt",  werde  „keine  andern  Übeln  Folgen  haben" 
als  solche,  denen  eine  jede  Wahrheit,  wenn  sie  anfängt  —  be- 
kannt und  alten  eingewurzelten  Lrthümern,  die  man  fälsch- 
lich für  göttliche  Wahrheit  ausgab,  entgegengestellt  zu  werden, 
unterworfen  ist".  *  Aus  dem  Umstände ,  dass  nicht  nur  die 
Juden,  sondern  auch  die  Heiden  an  Dämonen  geglaubt,  werde 
kein  vernünftiger  Mensch  das  Dasein  des  Teufels  folgern. 
„Jeder  Irrthum  hat  seine  Epoche  und  dauert  um  so  länger, 
je  mehr  er  in  dem  Stolze,  dem  Eigensinn,  in  der  Bosheit  und 
in  dem  Eigennutz  der  Menschen  —  seine  Nahrung  findet.  "■- 
Der  Verfasser  vermuthet,  dass  man  nach  50  Jahren  vielleicht 
ofar  nichts  mehr  vom  Teufel  hören  und  sich  wundern  werde, 
„dass  er  sein  Ansehen  so  lange  hat  behaupten  können".^ 

Nach  unserer  bisher  befolgten  Methode,  zunächst  die  Er- 
scheinungen vorzuführen,  und  dann  erst  nach  den  Factoren 
zu  suchen,  die  auf  jene  eingewirkt,  genügt  es  vorläufig  auf  den 
entschiedenen  Fortschritt  in  der  Streitfrage  hinzudeuten.  Nach- 
dem Bekker  an  der  Existenz  des  Teufels  erst  schüchtern  zu 
rütteln  angefangen,  indem  er  ihre  Nothwendigkeit  bezweifelte ; 
nachdem  durch  Thomasius  und  seine  Anhänger  die  Persön- 
lichkeit   des   Teufels    aufgehoben    worden;    will    die    letztbe- 


1  S.  40.         ä  S.  44.         3  s.  45.         ■»  S.  47.         '  S.  50.         '  S.  52. 


3.  Per  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  511 

sprochene  Schrift  die  Vorstelhmg  vom  Teufel  und  seiner  Macht 
überhaupt  aus  dem  christlichen  Glaubenskreis  hinausgebannt 
wissen.  Zunächst  grinidet  sich  diese  Forderung  auf  eine  von 
der  hergebrachten  orthodoxen  Exeoese  verschiedene  Erkläruno- 

O  O  O 

und  Aufiassung  der  biblischen  Stellen.  Wir  bemerken  eine 
veränderte  dogmatische  Anschauung,  eine  andere  Betrachtung 
der  Schrift  infolge  der  erwachten  Kritik,  die  jene  der  Un- 
tersuchung zu  unterziehen  begonnen  hatte.  Wir  bemerken 
ferner,  dass  der  eigenen  Vernunft,  oder  besser  dem  Verstände, 
eine  wichtigere  Stimme  eingeräumt  wird,  als  es  vordem  der 
Fall  war.  In  letzterer  Beziehung  ist  daher  erwähnenswerth 
eine  bald  nach  der  vorhergenannten  erschienene  Schrift :  „Doch 
die  Existenz  und  Würkung  des  Teiifels  auf  dieser  Erde, 
gründlich  und  ausführlich  erwiesen.  Eine  Skizze.  Nürnberg, 
1776."  Diese  Schrift  bedient  sich  im  Streite  gar  nicht  mehr 
der  Bibel  als  Waffe,  sondern  enthält,  wie  der  Herausgeber 
selbst  richtig  bemerkt  „blos  ein  aus  gesundem  Menschenver- 
stand kommendes  Raisonnement".  Der  Verfasser  stellt  ver- 
schiedene Definitionen  vom  Wesen  des  Teufels  hin  und  sucht 
dann  die  Widersprüche  blosszulegen.  „Die  Theologen  sagen,  er 
habe  einen  sehr  grossen  Verstand  luid  grosse  Macht"  —  „er 
sey  ein  Erzbösewicht,  der  dieses  Alles  zum  Verderben  miss- 
braucht", —  „er  ist  gefallen"  1  —  aus  Stolz  und  Ilochmuth. 
Nun  fragt  der  Verfasser:  woher  denn  sein  Stolz  und  Hoch- 
muth  kam?  Wenn  er  sich  selbst  verblendete,  so  steht  dies 
mit  seinem  gerühmten  Verstände,  seinem  Erkenntnissvermögen 
im  Widerspruch.^  Wollte  man  „ein  jedes  nicht  immer  nach 
deutlicher  Erkenntniss  handelndes  Wiesen  —  welches  böse 
Begierden  hat  und  ihnen  oft  folgt  —  Teufel  nennen,  so  sind 
wir  alle  Teufel".  —  „Ein  durch  und  durch  böses  Wesen  ist 
ein  wahres  Unding  in  der  Schöpfung"  —  weil  sich  die  Un- 
vollkommenheiten  gegenseitig  einschränken  —  ,,denn  ist  der 
Teufel  der  ärgste  Wollüstling,  so  kann  er  unmöglich  auch  der 
ärgste  Geizhals  sein."^  AVenn  der  „Teufel  nicht  so  ein  erz, 
erz  Dummkopf  ist,  wie  er  sein  muss,  wenn  er  durchgängig  böse 
sein  soll  —  wenn  er  wirklich  grosse  Einsicht  hat  —  wie  kann 
er  so  dumme  Streiche  angeben"  —  als  seine  Vertheidiger  selbst 
von   ihm   erzählen?*      Wenn   der  Teufel  Kenntniss   hatte   von 

1  S.  16.        2  S.  17.         3  S.  18.        ''  S.  21. 


\ 


512      Viertel"  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

seinem  Oberherrn,  wie  konnte  er  so  unsinnig  sein,  sich  gegen 
ihn  aufzulehnen?*  Der  Verfasser  fragt:  ob  man  jemals  etwas 
Böses  thun  sehe,  wenn  ein  Mensch  lebendig  erkennt,  dass  er 
Böses  thut?  Denn  „lebendige  Erkenntniss"  ist  nach  dem  Ver- 
fasser „Thätigkeit  selbst".^  Wenn  aber  der  Teufel  eine  irrige 
Erkenntniss  gehabt,  so  widerspricht  diese  seinem  gepriesenen 
Verstände  so  gut,  als  wenn  er  böse  ist,  nur  um  böse  zu  sein, 
„blos  um  andern  zu  schaden,  wenn  er  gleich  sieht,  dass  er 
dadurch  sein  Unglück  häufe".  ^  Ist  der  Teufel  nicht  der  gött- 
lichen Macht  unterworfen,  so  wird  er  zu  einem  Nebengott, 
und  das  ist  Manichäismus.  Als  äussern  Versucher  „bedürfen 
wir  schwache  Geschöjjfe"  des  Teufels  nicht.  Denn  „keimt 
nicht  in  uns  selbst  der  Same   des  Bösen"?*     Da  „böse  seyn 

—  in  jedem  Augenblick  desselben  irrige  Kenntniss"  voraus- 
setzt ;  „bey  keinem  denkenden  Wesen  —  blos  solche,  und  im- 
mer solche  stattfinden"  kann:  „also  ist  kein  durch  und  durch 
böses  Wesen  möglich".^  Der  Teufel  ist  weiter  nichts  als 
„blos  Idee"  —  „gewachsen  in  Köpfen,  die  zu  eingeschränkt 
sind  in  Abstracto  zu  denken  und  eine  Puppe  in  concreto  haben 
mussten",  erfunden  im  jugendlichen  Zeitalter  der  AVeit.''  In- 
dem der  Mensch  eine  Ursache  alles  Bösen   ausser  sich  setzte 

—  stand  der  Teufel  da.^  Die  Ursache  wurde  Person,  und 
weil  das  Kindesalter  der  Welt  eine  Kindersprache  hatte,  ,,ein 
Lallen  durch  Zeichen  und  Bilder,  malte  es  den  Teufel  in 
körperlicher  Gestalt".  Da  nach  der  Beobachtung  „mehr  Bö- 
ses durch  Menschen  gewirkt  war  —  gab  sie  ihm  Menschen- 
gestalt". „Aberglauben,  Stolz,  Bosheit,  Wollust,  Geiz,  Faulheit, 
Mord  —  ihr  musstet  Ursachen  haben  —  Priester  erschufen 
den  Teufel."  ^  „Die  Vernunft  besteigt  den  Thron  —  und  der 
Teufel  flieht."^  Als  Mittel  wider  die  Wirkung  gegen  den 
Teufel  gibt  der  Verfasser  eine  vernünftige  Erziehung  an.  — 
„Männer  von  Geist  und  Herz  —  legt  Hand  an  —  jagt  den 
Teufel  von  uns!"  Er  richtet  seinen  Aufruf  an  Regenten,  Aeltern 
und  Lehrer  —  und  wenn  diese  zusammenwirken  und  eine  tüch- 
tige Generation  herangezogen  haben  —  „  dann  lasst  uns  wieder 
nach  dem  Teufel  fragen ".  ^^  Auf  die  Frage :  Was  ist  vom 
Teufel  zu  lehren?  kann  der  Verfasser  nicht  antworten,  „wäre 


1  S.  22.  2  s,  23.  3  s    24.  "  S.  25.         *  S.  26.         «  S.  31. 

7  S.  32.         «  S.  33.         »  S.  36.         '»  S.  39. 


t 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  513 

ich  ein  Lehrer,  ich  sagte  vom  Teufel  nicht  ein  Wort  —  weil 
alles,  was  ich  davon  sagen  könnte  —  Lügen  sind."^  57 Un- 
wissende, bösdenkende  Menschen  in  Ordnung  zu  halten",  mag 
der  Teufel,  wie  der  Büttel  zu  gebrauchen  sein^,  aber  „bessert 
sie  mit  einem  stillen  und  sanften  Geiste,  und  allen  Aberglau- 
ben schafft  Aveg"  —  und  „wenn  Unthätigkeit,  Müssiggang, 
A\  ollust,  Ehrgeiz  und  Stolz  aus  den  Herzen  unserer  Menschen 
fliehen,  so  ist  der  Teufel  geflohen.  Lasst  uns  Geist  und  Herz 
haben,  so  schadet  uns  kein  Teufel  —  wir  schaden  uns  nur 
selbst".  —  Darum,  ruft  der  Verfasser,  „macht  euch  nicht 
lächerlich ,  und  vertheidigt  eine  nicht  existirende  Kreatur  — 
einen  Teufel  —  Schimpf  des  Schöpfers,  ein  durch  und  durch 
böses  Ding.  Wenn  ihr  nicht  reden  könnt,  schweigt  doch 
wenigstens".  ^ 

In  demselben  Jahre  (1776)  erschien  anonym:  „Versuch 
einer  biblischen  Dämonologie  oder  Untersuchung  der  Lehre 
der  heiligen  Schrift  vom  Teufel  und  seiner  Macht.  Mit  einer 
Vorrede  und  einem  Anhang  von  D.  Joh.  Salom.  Semler, 
Halle  1776."  In  der  Vorrede  sagt  Semler,  dass  die  „Ausle- 
gung der  heiligen  Schrift  von  Zeit  zu  Zeit  sowol  besserer 
Regeln  und  Bemerkungen  fähig  seye  —  dass  die  Denkungs- 
art  und  Gesinnung  der  Christen,  insofern  sie  die  neuen  Ver- 
änderiuigen  selbst  erfahren,  an  die  Einförmigkeit  aller  Vor- 
stellungen von  biblischen  Gegenständen  nicht  gebunden  sey". 
Er  findet  die  Voraussetzung  unbegreiflich,  „dass  alle  diese 
theologischen  Beschreibungen  vom  Teufel  etc.  als  christliche 
unumstössliche  Wahrheiten"  gelten  sollen.  Er  weist  auf  „die 
Abwechslung  und  Verschiedenheit  der  Vorstellungen  der  Chri- 
sten, selbst  der  Lehrer"  hin,  dann  auf  die  Anmasslichkeit  sei- 
ner Zeitgenossen,  von  denen  die  „alteifrigen  Vertheidiger"  des 
Teufels  jeden,  der  nicht  ihrer  Ansicht  ist,  der  Gotteslästerung 
anklagen.  „Am  allerwenigsten  dürften  ehrliche  und  freye 
lutherische  Lehrer  die  unwürdigen  Lügen  von  Teufeln  und 
ihrer  stets  fürchterlichen  Gewalt  mit  der  Ehre  Gottes  und 
der  christlichen  Religion  ferner  verbinden."  —  Semler  hofft, 
dass  von  nun  an  der  Artikel  der  Dogmatik,  der  vom  Teufel 
handelt,    eine  Verbesserung  und  Veränderung  erhalten  werde, 


1  S.  40.         ^  S.  42.         -  S.  43. 

ßoskoff,  Geschichte  des  Teufels.  II. 


,514       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschiebte  des  Teufels. 

und  will  die  Schmach,  ein  declarirter  Antidämoniacus  zu  sein, 

gern  tragen. 

Der  anonyme  Verfasser  hofft  den  Leser  durch  seine  Schrift 
zu    überzeugen,    „dass    der   jüdische   Lehrbegriff  vom  Teufel 
und   seiner  Macht,    den   die   Christen   zur  Verdunkelung    des 
Evangeliums  und  zu  ihrer  eigenen  Schmach  angeuonunen  haben, 
in   der   heiligen   Schrift   nicht   gegründet    sey ". '     Der  sei  zu 
beklagen,  „der  durch  die  Erkenntniss  Gottes  und  Christi  nicht 
von  Sünden   und  Lastern   abgezogen   und   zur  Tugend   belebt 
werden    kann.     Durch  die  Furcht  vor  dem  Teufel  wird    kein 
Sünder  bekehret   und   fromm   werden".     Er  nennt  die  alther- 
gebrachte Lehre  von   der   grossen  Macht    und   dem   fürchter- 
lichen   Eintluss   des   Teufels    einen   groben,    Gott   entehrenden 
Aberglauben. '2     Im  ersten  Abschnitt,  wo  der  Verfasser  allge- 
meine Bemerkungen  über  die  Lehre  vom  Teufel  vorausschickt, 
wendet  er  sich  zum  Alten  Testament.     Da  findet  er  im  Sün- 
denfalle, dass  „Mose  —  den  Lauf  der  Seele,  von  unschuldigen 
Empfindungen  bis  zum  Falle,  in  eine  Unterredung  der  Schlange 
mit  der  Eva"  einkleidet.  „Die  Vorstellungen,  die  die  Schlange 
bey  der  Eva  veranlasset,  werden  als  Reden  der  Schlange  vor- 
o-etrao-en. "  ^     Im  Buche  Hiob,    das  mehr  ein  Gedicht   als  ein 
geschichtliches  Buch   ist*,   ist   alles   das,   was  vom  Satan  ge- 
meldet wird,  bildlich  gemeint.-''     Die  Stelle  Sacharja  3,  2  ist 
eine  Vision*^   u.  s.  w.     Er   kommt   auf  die  Dämonenlehre  der 
Hebräer  zu  sprechen   und   leitet   den  Ursprung  derselben  von 
den  Chaldäern  her.  ^     Der  Verfasser  findet,  es  werde  im  gan- 
zen Alten  Testament  nicht  gelehrt,   dass  ein   böser   Geist  das 
Oberhaupt   vieler    anderer    böser    Geister    sei,    mit    denen   er 
Schaden    auf  Erden    anrichte.**     Nach    dem   Alten   Testament 
heisse    Satan    jeder  Feind   und    Widersacher.     Die    jüdische 
Vorstellung  vom  Teufel  sei  im  Alten  Testament  gar  nicht  ge- 
o-ründet;    sie    habe    überhaupt   keinen   reellen  Grund    und   sei 
auf  keinerlei  Weise  als  wahr  erweislich.^     Zum  Neuen  Testa- 
ment übergehend,  beginnt   er   mit   dem  Satze:   „Christus   ist, 
nach  dem  klaren  Wort  der  Schrift,  dazu  erschienen,   dass  er 


1  Vorrede  des  Verfassers. 

"  Ebendaselbst. 

»  S.  19.         "  Ö.  34.  '  S.  35.  ''  S.  37.         '  S.  48.         «  S.  64. 


9 


S.  65. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  515 

die  Werke  des  Teufels  zerstöre"  —  dazu  gehört  „alles  Irrige, 
alles  Böse,  das  dem  Teufel  zugeschrieben  wurde,  vuid  alle 
abergläubische  Vorstellungen  seiner  furchtbaren  Macht,  da- 
durch die  armen  Menschen  getäuschet  werden".  ^  Der  Ver- 
fasser geht  eine  Reihe  neutestamentlicher  Stellen  exegetisch 
durch  und  findet  in  ihnen  den  Beweis:  „dass  Satan  und  Teufel 
im  Neuen  Testament  nicht  einen  besondern  bösen  Geist,  son- 
dern überhaupt  jeden  Widersacher,  Lästerer  und  Hinderer  der 
evangelischen  Wahrheit  und  der  christlichen  Keligion,  auch 
unter  Menschen,  desgleichen  alles  Böse,  Widrige  und  Unan- 
genehme bedeute".-  Es  herrschten  unter  den  Juden  gewisse 
Vorstellungen,  die  von  den  Aposteln  benutzt  wurden,  um  an- 
dere Vorstellungen  zu  erläutern,  deren  innere  Wahrheit  des- 
halb unbeschadet  blieb.  ^  Das  Ergebniss  der  Untersuchung 
der  Stellen  im  Neuen  Testament,  in  welchen  der  Teufel  er- 
wähnt wird,  und  die  Beweise  seiner  Macht  enthalten  sollen, 
ist:  dass  unter  der  Gewalt  des  Satans  nichts  anders  zu  ver- 
stehen sei,  als:  „alles  was  der  wahren  christlichen  Religion 
entgegen  und  derselben  hinderlich  ist,  herrschende  Unwissen- 
heit, grobe  Irrthümer,  Aberglaube,  Laster,  alles  was  Juden 
und  Heiden  zu  einem  eiteln  und  falschen  Gottesdienst  ver- 
leitete, von  der  wahren  Religion  abzog,  und  wider  Christum 
und  seine  göttliche  Lehre  empörete,  die  Aufnahme  und  den 
Fortgang  derselben  hinderte".'*  Auch  in  der  Offenbarung 
Johannis  sind  Teufel  und  Satan  „allgemeine  Benennungen 
und  Personifikationen  des  Aberglaubens,  des  Unglaubens  und 
der  Bosheit".-^  Dämonische  Menschen  sind  Kranke,  deren 
ungewöhnliche,  schmerzhafte,  anhaltende  und  unheilbare  Krank- 
heiten dem  Teufel  und  bösen  Geistern  zugeschrieben  wurden, 
und  wovon  die  natürliche  Ursache  verborgen  lag.''  Der  Ver- 
fasser hält  es  für  möglich,  dass  Matthäus,  Marcus  und  Lucas 
selbst,  wie  andere  Juden,  der  Meinung  sein  konnten,  dass 
manche  Kranke  wirklich  von  bösen  Geistern  geplagt  worden.'' 
Da  der  jüdische  Aberglaube  von  der  Macht  des  Teufels  zu 
tiefe  Wurzel  geschlagen  hatte,  so  erforderte  es  die  Weisheit 
Christi,  „sich  nach  den  Vorstellungen  der  Kranken  selbst  zu 


1  S.  66.        2  S.  73.        «  S.  78.        *  S.  124,  vgl.  S.  161.        «  S.  186. 
6  S.  248.         '  S.  275. 

33* 


516      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

lichten",   womit  er  zugleich  den  Beweis   gab,   „dass   er  auch 
Krankheiten  heilen  könne,   die   darum   für   unheilbar  gehalten 
wurden,    weil   sie  unmittelbare  Wirkungen  böser  Geister  sein 
sollten"  1,  und  „jeder  Jude,  der  vor  der  Macht  des  Teufels  zit- 
terte,   musste   einsehen,    dass   die   bösen  Geister   die   uniiber- 
windliche  Gewalt  nicht  haben  konnten,  wenn  sie  auf  ein  ein- 
ziges  Wort   eines   ihrem   Urtheile  nach    geringen   Mannes   — 
weichen    und    gehorsam    sein    mussten."      Daher    ist    Christi 
Weisheit  zu    bewundern,    „die   die   Irrthiimer    der  Juden   in 
ihrer  Blosse    darstellte,    und    doch    allen  Anstoss  vermeldete, 
indem    er    sich    zu  ihren  Vorstellungen    herabliess".'^     In  der 
tranzen  Ileilisen  Schrift  werde    weder  von   der   angedichteten 
Macht  des  Teufels    ein   „positiver  Unterricht   ertheilt",  noch 
der  Glaube  an  einen  mächtigen  Teufel  gefordert.  ^   Da  es  fer- 
ner  aus   Gottes  Wort   ganz   unerweislich   ist,    dass    Gott  den 
bösen  Geistern  Macht  gegeben  habe,  auf  der  Erde  zu  wirken'*, 
der  Teufel  in  der  Bibel,  „wo  keine  Juden  reden  oder  redend 
angeführt  werden",  nichts  anderes  sei,  als  „das  personificirte 
Abstractum  alles  Bösen  ""\  so  erscheint  es  dem  Verfasser  ge- 
radezu „lächerlich",  —  „das  was  von  der  reellen  Macht  und 
Wirkung  des  jiidischen  Undings  geschrieben,  erzählet,  fortge- 
pflanzet,  gegläubet  und  gefürchtet  ist,   ausführhch  zu  wider- 
legen". Der  Verfasser  bezeichnet  daher  „Alles,  was  die  Juden 
von  ihrem  Teufel,    und   die  Christen  von  dem  Teufel  der  Ju- 
den erträumet  und  gefürchtet  haben",   als  „Aberglauben,  — 
Schwachheit  der  menschlichen  Vernunft",   die  „sich  von  der 
Leitung  göttlicher  Wahrheiten  losgerissen  hat".*^    „Alle  Arten 
von  Zaubereyen  und  Hexereien  —  als  Wirkungen  böser  Gei- 
ster —  sind  Erdichtungen."     Alle   Erscheinungen,  Gespenster, 
bösen    Geistern  zugeschrieben,  sind    nichts  „als  Betrug,  Täu- 
schereien einer  verin-ten  Einbildung  —  Wirkungen  der  Furcht, 
der  Dummheit,  des  Aberglaubens  und  der  Bosheit".  —  „Alle 
Weissagungen  inid  Entdeckungen  verborgener  Dinge,  die  dem 
Teufel  zugeschrieben  werden,  sind  Lügen  und  Erdichtungen"  ^ 
—  und  „jeder  vernünftige  Mensch  schändet  sich  und  hört  auf 
ein  treuer  Verehrer  und  Anbeter  Gottes   zu   seyn,   der   durch 
Hülfe  böser  Geister  ein  Glück  oder   ein  irdisches  Gut  zu  er- 


'  S.  283.         2  ö.  284.         3  S.  294.         *  S.  300.       ^  S.  301.         «  S.  302. 
'  S.  303. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  517 

halten  wünscht"  —  „es  ist  Thorheit  und  schwere  Sünde" 
daran  zu  glauben,  „weil  es  Gott  entehrender  Aberglaube  und 
eine  grobe  Art  der  Abgötterei  ist".  „Alles,  was  man  von 
Bündnissen  der  Menschen  mit  dem  Teufel  —  gesagt,  geschrie- 
ben und  geglaubet  hat,  ist  lauter  Unsinn  und  Thorheit."  Und 
„noch  weit  alberner  ist  der  Glaube  an  Succuben,  Incuben, 
Wechselbälge,  Wehrwölfe,  Kobolte  u.  dgl."  —  es  „sind  nichts 
als  demüthigende  Beweise  menschlicher  Schwachheit  und  Thor- 
heit". 1  „Alle  Beschwörer  sind  Narren  und  Betrüger"  —  „alle 
Beschwörungen  sind  Narrheiten  und  Betrügereien. "  Wenn 
„gelehrte  Männer  über  dergleichen  Possen  und  Thorheiten 
ernsthafte  und  weitläufige  Untersuchungen  angestellt  haben" 
—  so  sind  „dies  traurige  Beweise,  dass  auch  Gelehrsamkeit 
nicht  vor  allem  Aberglauben  schlitzet"  —  und  der  Verfasser 
findet  es  „bejammernswürdig",  dass  solcher  Aberglaube  „von 
vielen  Lehrern  der  christlichen  Religion  vertheidigt  und  noch 
empfohlen"  werde.  ^  Es  ist  kein  Teufel  nöthig,  „der  die  wilde 
Leidenschaft  anfachet"  —  oder  „der  sie  schädlich  machet.  Sie 
schadet  durch  ihre  eigene  Wuth  und  zerrüttet  Leib  und  Seel 
merklich  genug".  ^  Schliesslich  erinnert  der  Verfasser  seine 
Leser,  das  sie  „bei  der  Taufe  dem  Teufel  und  allen  seinen 
Werken  und  Wesen  entsaget",  womit  sie  angelobet:  „allem, 
was  den  Glauben  an  Vater,  Sohn  und  Geist  hindern  kann, 
allem  jüdischen  und  heidnischen  Aberglauben  von  Teufel  und 
Götzen,  allen  öfientlichen  Aufzügen  und  allem  Gepränge,  wo- 
durch die  Heiden  ihre  Götzen  ehrten  und  allen  abergläubi- 
schen Meinungen  der  Juden  vom  Teufel  und  seinen  Werken" 
zu  entsagen."* 

„Der  Anhang"  von  Semler  bringt  nichts  Neues,  es  sind 
sechs  Sätze,  in  denen  er  seine  Ansichten  erörtert,  daher  wir 
nur  Einiges  herausheben.  Nach  Semler  ist  es  „ein  theologi- 
scher, sehr  ungegründeter  Einfall,  dass  Gott  dem  Teufel,  wie 
wir  ihn  in  theologischer  Gestalt  denken,  damalen  gestattet 
habe,  durch  leibliche  Wirkungen  (dämonische  Besessenheit) 
seine  Macht  unter  den  Menschen  —  zu  beweisen".  ^  Auf  den 
Satz  der  Orthodoxen:  „Alles,  was  in  der  heiligen  Schrift  steht, 
ist  eine  göttliche  Wahrheit",  erwidert  Semler:  „nicht  alles  was 
in  der  heiligen  Schrift  von   anderer  Menschen  Meinungen  er- 


1  S.  305.         2  s,  306.         3  s.  307.         4  s.  310.  '  S.  327. 


51^      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

zählt  wird,  ist  an  sich  selbst  eine  göttliche  Wahrheit",  son- 
dern „alles,  was  die  heilige  Schrift  die  Menschen  lehrt,  ist 
göttliche  Wahrheit".  ^  Denn  „es  gibt  Stellen,  welche  um  der 
damaligen  Leser  und  Zeitgenossen  willen,  diese  Meinungen  — 
genau  ebenso  beschreiben,  dass  diese  Lehrer  es  wissen,  es 
werde  eben  hiervon  erzählet;  aber  es  wird  hiermit  ander 
Menschen  und  Lesern  anderer  Zeiten  und  Umstände  nicht 
auf'geleget,  diese  Beschreibungen  für  die  wahren  und  richtigen 
zu  halten,  und  sich  Lehrsätze  daraus  zu  ziehen".  ^  Semler  er- 
örtert auch  die  „Nachgebung"  oder  „Herablassung  Christi,  der 
Apostel  und  mehrerer  geschichtlicher  Lehrer  zu  der  Unfähig- 
keit und  Schwachheit  des  grossen  Haufens"  ^,  wobei  er  indess 
keinen  neuen  Gesichtspunkt  eröffnet. 

Der  Streit  für  und  wider  den  Teufelsglauben  war  hier- 
mit bei  weitem  nicht  beendigt.  Der  Verfasser  der  „demiithi- 
gen  Bitte",  der  die  eben  angeführten  Gegenschriften  hervor- 
gerufen hatte  und  in  der  „allgemeinen  deutschen  Bibliothek", 
wie  er  selbst  gesteht,  „ziemlich  scharf  beurtheilt"  worden 
war*,  schrieb  eine  „fortgesetzte  Belehrung",  die  aber  der 
Verleger  unter  dem  Titel:  „Teufeleien  des  18.  Jahrhunderts, 
Frankfurt  und  LeijDzig  1778"  herausgab.  Der  Verfasser  be- 
zieht sich  hierin  auf  die  schon  erwähnten  und  inzwischen  er- 
schienenen Schriften,  als:  „Man  muss  auch  dem  Teufel  nicht 
mehr  zutrauen."  —  „Sollte  der  Teufel  wohl  ein  Unding 
seyn?"  —  „Sollte  der  Teufel  wohl  aus  Giessen  relegirt  seyn?" 
„Des  geringen  Landgeistlichen  Antwort  auf  Belehrung  des 
Verfassers  der  demüthigen  Bitte."  Im  Jahre  1777  erschien 
„Der  Teufel  unter  den  Bauern",  ein  Gespräch,  worin  ein 
Bauer  einem  Gelehrten  die  Existenz  des  Teufels  beweisen 
möchte.  Das  Jahr  darauf:  „Emanuel  Swedenborg's  demüthi- 
ges  Danksagungsschreiben  an  den  grossen  Mann,  der  die 
Non- Existenz  des  Teufels  demonstrirt  hat.  Frankfurt  und 
Leipzig  1778",  worin  der  fingirte  Swedenborg  ganz  im  Sinne 
des  demüthigen  Bittstellers  schreibt.  Von  gegnerischer  Seite 
war:  „Die  Verbindung  des  Teufels  mit  den  Gespenstern"  er- 
schienen,   worin    die  Wirklichkeit    der  Gespenster    bestritten 


'  S.  337.        2  S.  338.        ^  S.  341  fg. 

^  Vgl.  Die  neuesten  Religionsbegebenheiten  für  das  Jahr  1778.    Achtes 
Stück,    S.  602. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  519 

lind  die  Nichtigkeit  durch  Anekdoten  gezeigt  wird,  daher  ein 
verniinftiger  Mensch  nicht  daran  glauben  kann.  Als  Replik 
auf  die  „Biblische  Dämonologie",  erschien  ., Untersuchung  und 
Beleuchtung  der  sogenannten  biblischen  Dämonologie,  die  mit 
Herrn  D.  Semler's  Anhange  herausgekommen  ist.  Danzig, 
1778".  In  der  Vorrede  äussert  der  Verfasser  seine  „Besorg- 
niss",  dass  es  „nicht  viel  Mühe  kosten"  werde,  „mit  eben 
solchen  Gründen"  —  „womit  die  Lehre  der  heiligen  Schrift 
vom  Teufel  über  den  Haufen  zu  werfen"  gesucht  wird,  „auch 
die  Lehren  derselben  von  der  Schöpfung  der  Welt,  von  der 
göttlichen  Vorsehung,  von  Christo,  von  der  Taufe,  vom  hei- 
ligen Abendmahle,  von  der  Auferstehung  der  Todten  u.  s.  w. 
niederzuschlagen".  Und  „dass  dieses  keine  leere  Besorgniss  sey, 
sondern  dass  schwache  Leser  durch  die  in  dieser  Dämonolo- 
gie wahrgenommene  Erklärungsart  schon  wirklich  angefangen 
haben  auf  solche  Abwege  zu  gerathen",  davon  sind  dem 
Vorredner  Beispiele  bekannt  geworden  und  dies  „war  die 
Veranlassung  gegenwärtige  Beleuchtung  abzufassen".  Obschon 
das  Buch  348  Seiten  zählt,  demnach  an  Umfang  der  biblischen 
Dämonologie  wenig  nachsteht,  ist  das  Wesentliche  seines  In- 
halts doch  sehr  leicht  ganz  kurz  zusammenzufassen,  nachdem 
wir  die  Beweisführung  der  Orthodoxen  bereits  kennen.  Erst- 
lich wird  die  Exegese  des  Gegners  verdammt,  da  sie  die 
Worte  der  heiligen  Schrift  mit  der  „leichtfertigsten  Kühnheit" 
behandle,  dieselben  ,,nach  blosser  Willkiir,  bald  im  eigent- 
lichen, bald  im  verblümten  Verstände"  fasse,  „bald  etwas  hin- 
zudichte". ^  Es  wird  ihr  vorgeworfen,  dass  es  ihr  ,, sauer 
werde,  „eine  Erzählung  der  Evangelisten  so  lange  zu  drehen 
und  zu  zerren,  dass  sie  mit  Gewalt  das  enthalten  soll,  was 
der  Verfasser  gerne  hineingebracht  wissen  wollte".  ^  Dann 
wird  auf  den  Wortlaut  der  Schrift  unerbittlich  hingewiesen, 
wonach  die  Lehre  vom  Teufel  und  den  bösen  Geistern  und 
deren  Macht  und  AVirkung  ofi'enbar  in  ihr  enthalten  ist,  „die 
man  darum  glauben  muss,  weil  Gott  sie  offenbaret  hat"  — 
und  dies  „eine  Pflicht  ist",  die  man  „den  Wahrheiten  des 
göttlichen  Wortes   schuldig  ist"^;   und   „weil  die   reine  Mei- 


1  S.  24. 

'■  S.  71  und  an  vielen  andern  Orten. 

3  S.  37. 


520     Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

nung  vom  Teufel  —  in  der  Schrift  enthalten"  und  „als  wahr 
erweislich   ist:    so   ist  sie   kein    Aberglaube".'      Denn    Jesus 
und   die  Ai^ostel,   die   doch   „unmöglich   die  Juden    in   einem 
so   höchst   schädlichen    Irrthum    konnten    stecken    lassen"    — 
„haben  niemals  das  Dasein  böser  Geister  widerlegt" ^  —  und 
es  sei   „unverschämt  zu  behaupten,    dass  Christus    und    seine 
Apostel  niemals  einen  so  ungereimten  und  schändlichen  Wahn 
sollten    bestritten    haben"  —  wenn  sie    den  Glauben    an    den 
Teufel    dafür   gehalten  hätten.  ^     Indem   die   „Untersuchung" 
aus    „Anmerkungen"    zur     biblischen    Dämonologie    besteht, 
knüpft  der  Verfasser  an  den  Satz :  Christus  ist  erschienen,  um 
die  Werke  des  Teufels  zu  zerstören,   folgendes  Raisonnement 
an:   „Ist   unser   göttlicher   Erlöser   erschienen   die  Werke   des 
Teufels   zu   zerstören,    so    muss   doch   wohl    ein   Teufel    seyn, 
dessen   Werke   zu   zerstören   er  kam:    denn   die  Werke   eines 
Nichts  lassen  sich  nicht  zerstören.     Sollen  die  Menschen  sich 
von   der   Gewalt    des   Satans    zu   Gott   wenden;    so   muss   der 
Satan  doch  eine  Gewalt  über  sie  haben,  und  diese  kann  daher 
nicht  erdichtet  seyn."*  „Der  Schluss,  dass  darum,  weil  Gott 
die  ganze  Welt  regieret  und  ein  Gott  der  Ordnung  ist,  kein 
böser  Geist  von  ihm  erschafien  seyn  könne,  beweiset  zu  viel, 
also  nichts.     Denn   es   würde   daraus   folgen,   dass  Gott  auch 
nicht  Löwen   und  Tiger,    Nattern    und  Scorpionen    erschaffen 
haben  könne:  denn  diese  verursachen  vielen  Schaden  und  Un- 
glück  unter  seinen  Geschöpfen.     Es    würde  folgen,   dass   ein 
Nero,  Domitian  imd  andere  Tyrannen  nicht  Geschöpfe  Gottes 
gewesen  seyn:  denn  was  für  Zerrüttung  und  Verwirrung  haben 
sie  nicht  in  seinen  Werken  unter  dem  menschlichen  Geschlecht 
angerichtet."*    Ganz  besonders  empört  ist  der  Verfasser  über 
die  Auslegung  der  Absagungsformel   bei   der  Taufe   nach  der 
biblischen  Dämonologie.     „Wir  alle,  meine  christlichen  Leser, 
haben  in  der  heiligen  Taufe  dem  Teufel,   seinen  Werken  und 
Wesen  entsaget;  und  was   für  ein    erschrecklicher  Leichtsinn 
wäre  es  gewesen,  vor  dem  Angesichte  Gottes  ein  Gaukelspiel 
zu  treiben,   einem  Undinge,    das  gar  nicht  vorhanden  ist,   zu 
entsagen;  diesem  Undinge  ein  Wesen  und  Werke  zuzuschrei- 
ben, und  dadurch  den  offenbarsten  Widerspruch  zu  begehen, 
wider   den    die   menschliche  Vernunft  sich   empöret!    Nein,  o 

1  S.  53.         ^  S.  63.         '  S.  159.         "  S.  43.         '  S.  44. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  521 

liebe  Mitchristen,  eine  solche  Entheiligung  der  ehrwürdigsten 
Handlungen  müsse  weit  von  uns  entfernt  seyn!  Wir  haben 
zugesaget,  an  Vater,  Sohn  und  heiligen  Geist  zu  glauben.  — 
Aber  eben  dieser  Glaube  an  Gott  erfordert  von  uns,  dass  wir 
alles,  was  er  in  seinem  Worte  bekannt  gemacht  hat,  und  da- 
her auch  die  so  deutlich  offenbarte  Lehre  vom  Teufel,  als  eine 
unstreitige  Wahrheit  mit  völligem  Beyfall  annehmen.  Er  er- 
fordert von  uns  die  göttlichen  Zeugnisse,  welche  davon  han- 
deln, keineswegs  so  lange  widernatürlich  zu  drehen  und  zu 
zerren^  bis  sie  sich  auf  unser  Vorurtheil  passen.  Ein  solches 
Verfahren  wäre  nicht  ein  Glaube  an  Gott,  sondern  der  schänd- 
lichste Unglaube,  die  grosseste  Geringschätzung  Gottes  und 
die  gröbste  Mishandlung,  die  nur  immer  mit  dem  W^orte  Got- 
tes kann  getrieben  werden."  ^  Die  ,,  Untersuchung"  schliesst 
im  Hinblick  auf  die  biblische  Dämonologie  und  Semler's  Vor- 
rede und  Anhang  mit  dem  Ergebnisse  „So  lange  demnach  die 
in  den  biblischen  Stellen,  Avelche  das  Daseyn  und  die  Wir- 
kungen der  bösen  Geister  lehren,  enthaltenen  Wahrheiten 
nicht  mit  stärkeren  Gründen  umgestossen  werden  können,  als 
deren  H.  Semler,  der  Verfasser  dieser  sogenannten  biblischen 
Dämonologie  und  andere,  die  es  mit  ihnen  halten,  sich  bedie- 
nen, so  lange  wird  kein  vernünftiger  Lehrer  der  Kirche  jene 
Wahrheiten  vor  seinen  Zuhörern  verschweigen,  vielweniger  sie 
für  heidnische  Irrthiimer  erklären."^ 

Der  Verfasser  der  Schrift  „Die  Non-Existenz  des  Teufels" 
trat  hierauf  aus  seiner  Anonymität  in  die  Oeffentlichkeit  mit 
einem  neuen  Product:  „Der  Teufeleien  des  18.  Jahrhunderts 
letzter  Akt,  worin  des  Emanuel  Swedenborg''s  demüthiges 
Dankschreiben  kürzlich  beantwortet,  der  ganze  bisher  geführte 
Streit  friedlich  beigelegt  etc.  von  M.  Christian  Wilhelm  Kind- 
leben, evangelischen  Prediger,  Leipzig  1779."  Dieser  bildete 
sich  ein  der  Kampf  sei  sofort  „friedlich  beigelegt",  wenn  er 
sich  einem  Schuljungen  gleich  entschuldigte:  er  sei  zu  seinen 
frühern  Aeusserungen  „verführt"  worden  „durch  einen  ge- 
wissen Leichtsinn  und  durch  das  Ansehen  gewisser  —  Män- 
ner"; er  sei  bestärkt  worden  durch  ,, des  Herrn  Probst  Teller 
(zu  Berlin)  Wörterbuch"  ^  und  habe  die  „demüthige  Bitte"  — 
für  eine  förmliche  Aufforderung  zum  Kriege"  gehalten.*  Er 


•>■> 


1  S.  300.         2  S.  347.        3  S.  17.         *  S.  18. 


522      "Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  gpr  Geschichte  des  Teufels. 

nahm  seine  Schrift  zurück  und  ging  unter  die  Orthodoxen, 
indem  er  ihnen  zurief:  „Hier  haben  Sie  meine  Patschhand 
zum  Frieden  —  zur  Aussöhnung  —  zum  Nimmerwiederkommen 
aufs  Theater  der  Teufeleien."^  Allein  diese  warfen  ihm  vor, 
dass  er  „in  seiner  ersten  Schrift  weiter  nichts  geleistet  hätte, 
als  dass  er  das,  w-as  andere  bereits  besser  gesagt  hatten, 
nachgeschrieben",  und  in  seiner  zweiten  Schrift  schlechter- 
dings die  gewöhnlichen  Gründe  der  Orthodoxen  nachgebetet 
habe,  „indem  nicht  das  Geringste  darinnen  enthalten  ist,  wo- 
durch die  bestrittene  Lehre  irgend  eine  Aufklärung  erhielte". 
Es  sei  „ein  blosser  förmlicher  Widerruf  seiner  Meinung,  mit 
welchem  Niemand,  als  wol  ihm  selbst,  einiger  Nutzen  geschafi't 
worden  seyn  mag".  Und  sie  hatten  richtig  geurtheilt,  da  der 
Widerruf  um  den  Preis  eines  Amtes  geschehen  war. '■^  Die 
Literatur  über  den  Teufel  setzte  sich  fort,  und  „Emanuel 
Swedenborg's  Epilog  zu  dem  letzten  Act  der  Teufeleien  des 
Magister  Kindleben,  Stockholm  1780"  belobte  letztern,  dass 
er  der  Wahrheit  die  Ehre  gegeben.  Elias  Kaspar  Reichard, 
Rector  des  Stadtgymnasiums  in  Magdeburg,  lieferte  „Ver- 
mischte Beiträge  zur  Beförderung  einer  nähern  Einsicht  in 
das  gesammte  Geisterreich,  zur  Verminderung  und  Tilgung 
des  Unglaubens  und  Aberglaubens,  als  Fortsetzung  von  D. 
David  Eberhard  Hauber's  magischen  Bibliothek".  —  Im  Jahre 
1780  erschien  die  zweite  Ausgabe  von:  „Historia  Dinboli  seu 
commentatio  de  Diaboli  malorumque  spirituum  existentia,  sta- 
tibus,  judiciis,  consiliis,  potestate,  auctore  Joh.  Godofr.  Mayer 
A.  M.  et  V.  D.  M.",  die  er  im  Vergleich  mit  der  veröfientlich- 
ten  ersten  Ausgabe,  in  der  Praefatio:  „post  virorum  quorum 
magna  est  et  esse  debet  apud  nos  auctoritas,  suasu  hortatuque 
secundis  curis  limata  et  emendata"  nennt.  In  der  vorliegen- 
den vertritt  der  Verfasser  die  Anschauung  der  Orthodoxie, 
findet  den  alleinigen  Grund  zur  Annahme  der  Existenz  und 
der  Macht  des  Teufels  ausschliesslich  in  der  Oflfenbarung 
durch  die  Schrift',  in  welcher  er  die  Lehre  davon  unzweifel- 
haft findet,  und  diese  daher  aufrecht  zu  erhalten  suchen  muss, 


1  S.  62. 

2  Die  neuesten  Religionsbegebenheiten  etc.   für  das  Jahr  1779.     Sie- 
bentes Stück,  S.  558. 

3  §.    XI. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  523 

da  es  sein  Grundsatz  ist:  Nos  malumus  cum  Scriptura,  si  Deo 
placet,  errare,  quam  cum  Adaemonistis  sapere. ^  Er  beweist 
daher  nicht  nur  das  Dasein,  sondern  auch  die  Persönlichkeit 
des  Teufels  aus  neutestamentliehen  Stellen 2,  wiederholt  die 
i'iberlief'erten  Ansichten  über  dessen  Zustand  vor  und  nach 
dem  Falle  ^,  bestätigt  seine  Macht  auf  Leib  und  Seele  des  Men- 
schen*, die  aber  natürlich  nur  unter  Gottes  Zulassung  wirksam 
sein  kann  u.  s.  f.  Dies  alles  wird  auf  Grund  der  Schrift 
angenommen  und  mit  der  bekannten  Starrheit  der  Orthodoxie 
festgehalten.  Demgemäss  ist  auch  das  Motiv,  das  ihn  zur 
Abfassung  der  Schrift  bew^ogen,  wie  er  selbst  angibt:  ,,Ut 
artes,  studia,  stratagemata  antiqui  hujus  veteratoris  solicitius 
adtendantur,  et  concatenata  ejus  molimiua,  quibus  civitatem 
Dei  inter  homines  mox  clam,  mox  aperto  marte,  mox  leonina, 
mox  vulpina  jDelle  subruere  tentavit,  adhucque  tentat,  per  om- 
nia  saecula  varie  inflexa,  evidentius  cognoscantur,  quibus  sub- 
inde  recte  cognitis,  dilucidius  de  omni  ipsius  opere  censeantur, 
et  unusquisque  cunctas  ejus  actiones  dilucido  mentis  oculo 
introspicere,  et  posthac  minus  impedite  penitiusque  pervidere 
queat."^  Auch  nachher  erhoben  sich  noch  einzelne  Stimmen, 
welche  die  Lehre  vom  Teufel  zu  vertheidigen  suchten,  als: 
,,  Göttliche  Eutwickelung  des  Satans  durch  das  Menschenge- 
schlecht" (1782),  womit  der  ungenannte  Verfasser  die  Colli- 
sion  dieser  Lehre  mit  der  göttlichen  Güte  vuid  Weisheit  zu 
heben  suchte.  Ein  anderer  Anonymus  veröffentlichte  „Von 
den  bösen  Geistern  und  der  Zauberey.  Ein  Sendschreiben  an 
den  Hn.  M.  Haubold,  Vesperprediger  bey  der  Universitäts- 
kirche zu  Leipzig,  auf  Veranlassung  —  einer  von  dem- 
selben —  gehaltenen  Nachmittagspredigt"  (1783),  worin  der 
Satz  des  Predigers,  dass  es  zwar  nach  der  Schrift  böse  Gei- 
ster gebe,  diese  aber  zu  unserer  Zeit  mit  der  Erde  in  keiner 
Verbindung  mehr  stünden,  von  dem  Sendschreiber  bekämpft, 
und  die  fortdauernden  Wirkungen  der  bösen  Geister  auf  Er- 
den aus  der  Schrift  zu  beweisen  gesucht  werden.  Dagegen 
wurden  die  negativen  Stimmen  immer  lauter  und  fanden  im- 
mer mehr  Gehör.     Der  Verfasser  des  Aufsatzes:  „Etwas  über 


1  Prolegomena,  S.  21.         ^  g    gg.         ^  g.  134  squ.         ^  Ö.  542  squ. 
*  Prolegomena,  S.  16. 


524      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

die   Existenz    und  Wirkungen    des    Teufels  "S    leugnet  beide, 
und    ebenso    der    „Versuch    einer    neuen    Ansicht    über     die 
Mosaische     Geschichte     vom     Fall     der      ersten     Menschen" 
(1785),      der     diese      Erzählungen     aus     alten     historischen 
Volksliedern  geschöpft  sein    lässt.     Die  „Betrachtungen    über 
die   Religion   Jesu    für  Denker" ^   gehen  in   dem    Teufel   kein 
Wesen    an    sich,    sondern    nur    eine    Personification    des    ab- 
stracten  Begriffs  von  der  Meigung  zum  Bösen.  Villaume  sucht 
die  Lehre  vom  Dasein,   der  Macht  und   den   Wirkungen  des 
Teufels    auf   rationalem  Wege   zu  widerlegen  %    und    sieht   in 
deren  Annahme  Manichäismus.^   In  dem  „Sendschreiben  über 
den  thierischen  Magnetismus  aus  dem  Schwedischen  und  Fran- 
zösischen mit  Zusätzen  von  Kurt  Sprengel"  (.1788)   wird  der 
Glaube   an  den  Teufel   schon    als  Vorurtheil   betrachtet,    dem 
Jesus  nachgegeben,   um   im  Vortrage   wichtiger  Lehren    nicht 
gehindert  zu  sein,    und  der  Nachwelt   überlassen   habe,  jenes 
Vorurtheil,  als  solches,  einzusehen.    Die  Schrift:  „Der  Teufel 
in  seiner  Ohnmacht,  ein  philosophisches  Fragment,  von  einem 
Antidiabolicus"    (1700),   trägt   den  wesentlichen  Lihalt  schon 
im  Titel,  und  auch  die    „Philosophische  Fragmente  über  den 
Teufel  und  die  Versuchung  Jesu  in  der  Wiiste"  (1792),  spre- 
chen dem  Teufel  sowol  Dasein  als  Macht  ab. 

Die  orthodoxe  Partei  war  bei  ihrer  ursprünglichen  An- 
schauung stehen  geblieben  und  musste  nach  der  Natur  ihrer 
Principien  von  der  Inspiration  und  der  buchstäblichen  Auf- 
fassung der  biblischen  Schriften  im  Teufelsglauben  erstarren; 
auf  der  gegnerischen  Seite  fand  aber  eine  Weiterbewegung 
statt,  indem  sie  von  der  Negation  der  Individualität  des 
Teufels  zu  der  seiner  Macht  fortschritt  und  schliesslich  mit 
seiner  Existenz  überhaupt  tabula  rasa  machte.  Schon  Wett- 
stein   hatte    in    seiner   Ausgabe    des    Neuen   Testaments    vom 


1  Freymüthige  Versuche  über  verschiedene  in  die  Theologie  und  bib- 
lische Kritik  einschlagende  Materien.  Dritter  Versuch  (Stettin  und  Ber- 
lin 1783). 

2  Dritte  Abhandlung  von  Dämonen,  Teufeln,  Satan  und  Hölle  (neue 
Auflage,  1785). 

'  Von  dem  Ursprung  und  den  Absichten  des  Uebels,  I,  56  fg.  (1V86). 

*  II,  434. 


3.  Der  Teufel  im  18.  Jahrhundert.  525 

Jahre  1751  die  Dämonischen  für  gewöhnHche  Geisteskranke  er- 
klärt, und  nach  dem  Erscheinen  von  Hugo  Farmer's  „Versuch 
über  die  Dämonischen  des  Neuen  Testaments'''  (London  1 775), 
den  Semler  deutsch  mit  einer  Vorrede  herausgab,  ergrifl"  die- 
ser jene  Erklärung  mit  Entschiedenheit  und  brach  ihr  in  der 
protestantischen  Theologie  die  Bahn ,  die  auch  Grüner  *  be- 
folgte. Die  Teufelsbesitzungen  waren  hiermit  aufgegeben,  und 
die  Aufiassung  der  Besessenen  als  natürlicher  Kranker  fand 
immer  weitere  Verbreitung.  Theologen,  die  sich  an  das  Wort 
der  Schrift  gebunden  glaubten,  bestritten  dem  Teufel  sein 
persönliches  Dasein  mittels  der  Annahme  einer  Anbequemung 
Jesu  an  die  Zeitvorstellung  des  Volks  und  durch  die  Erklä- 
runo; der  letzteren  als  traditionelles  Erbe.  Und  wenn  die 
Lehre  vom  Teufel  auch  nicht  gänzlich  übergangen  werden 
konnte,  so  ward  sie  doch  für  wenig  wichtig  erachtet,  die  wir 
nicht  zu  lernen  hätten,  „um  an  ihn  zu  glaulDen",  noch  „um  in 
steter  Furcht  zu  seyn,  nicht,  um  uns  vor  ihm  und  seinen  Versu- 
chungen in  Acht  zu  nehmen,  nicht  einmal  eigentlich  um  den 
Ursprung  des  Bösen  in  der  Welt  zu  erklären".''^  Diejenigen, 
welche  ausserhalb  des  biblischen  Gebietes  standen,  versagten 
nach  dem  Voro-anoe  G.  F.  Meier's^  dem  Teufel  die  Macht 
und  das  Dasein  aus  rationalen  und  historischen  Gründen  und 
erklärten  sein  Vorkommen  im  Glaubenskreise  auf  psychologi- 
schem Weo;e.     Kurz,  den  Zeito-enossen  dieser  Geistesrichtung; 

ovo  O 

galt  der  Teufelsglaube  für  antiquirt.  So  ward  dem  Teufel 
der  Boden  unter  den  Füssen  zunächst  geschmälert  und  dann 
ganz  entzogen,  die  Welt  wurde  immer  mehr  adämonisch,  un- 
geachtet der  Predigten  gegen  den  Adämonismus,  die  Hegel- 
meier im  Jahre  1778  herausgegeben  hatte.  Auch  unter  den 
Ungelehrten  im  Volke  wurde  der  Glaube  an  den  Teufel  und 
dessen  Macht  erschüttert,  denn  die  aufklärerischen  Hände 
waren  geschäftig,  ihre  Lichter  so  aufzustecken,  dass  Hexereien, 
Geistererscheinungen,  Beschwörungen,  Besessenheit  und  was 
überhaupt  mit  dem  Teufel  zusammenhing,  entweder  als  natür- 


1  Comment.  de    daemoniacis   a   Christo  sospitatore  percuratis    (Jena 
1775). 

2  J.  David  Michaelis  Dogmatik,  2.  Ausg.,  S.  284,  (1785). 

3  Philosophische   Gedanken   voa  den   Wirkungen    des  Teufels  (Halle 
1760). 


526      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

liches  Ergebniss  oder  als  Betrügerei  erscheinen  musste,  wobei 
der  Aberglaube  in  Schrecken  gesetzt  oder  geprellt  worden 
war.  Ausser  den  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts 
beliebten  „Bibliotheken",  in  welchen  die  Zeitfragen  erörtert 
zu  werden  pflegten,  worunter  die  von  Nicolai  herausgegebene 
im  Sinne  der  Aufklärung  eine  hervorragende  Stelle  einnahm, 
erschienen  auch  Schriften  für  die  Bedürfnisse  eines  weitern 
Leserkreises,  der  sich  bis  auf  die  unerwachsene  Jugend  aus- 
dehnen sollte,  welche  namentlich  den  Teufels-  und  Hexenglauben 
zu  zerstören  suchten.  Hierher  gehört  das  „Unterhaltungsbuch 
für  Knaben  und  Mädchen"  in  Giessen,  bändchenweise  heraus- 
gegeben; die  „Lektüre  für  die  kleine  Jugend",  die  fortlaufend 
erschien;  „M.  H.  P.  Rabenstein's  aufrichtige  Beiträge  zur  Er- 
schütterung des  Aberglaubens"  (178G);  „Fröbing's  Beyträge 
zu  einer  Bibliothek  fürs  Volk",  die  bandweise  herauskamen; 
ebenso  die  „Beiträge  zur  Beförderung  einer  nützlichen  Lec- 
ture",  von  Kummer  in  Leipzig  verlegt;  die  „011a  potrita"(!) 
u.  a.  m.  Es  gab  Sanmiel werke,  in  welchen  ausschliesslich 
Teufels-,  Hexen-  vmd  Gespenstergeschichten  zusammengetra- 
gen waren,  um  mit  dem  Secirmesser  des  Verstandes  vor  dem 
Volke  zerlegt  zu  werden,  z.  B.  „Uhuhuü  oder  Hexen-,  Ge- 
spenster- und  Erscheinungsgeschichten",  wovon  seit  1783  jähr- 
lich ein  „Pakt"^  in  Erfurt  bei  Georg  Adam  Keyser  erschien. 
Der  Glaube  au  den  Teufel  und  die  Furcht  vor  seiner  Macht, 
wodurch  die  Menschheit  jahrhundertelang  so  grausam  ge- 
plagt worden  war,  erschien  gegen  den  Ausgang  des  18-  Jahr- 
hunderts einem  grossen  Theile  der  Gelehrten  und  Ungelehrten 
als  lächerlicher  „Aberglaube".  Woher  diese  Wandlung  im 
menschlichen  Bewusstsein? 


4.  TJrsaclieii  der  Abnaliine  des  Teiifelsglaiibens. 

Nachdem  wir  die  Stimmen  der  Zeit  vernommen  und  de- 
ren Erscheinungen  dargestellt  haben,  tritt  die  Aufgabe  heran, 
nach  den  Factoren  zu  suchen,  welche  auf  die  so  sehr  verän- 
derte Anschauungsweise  Einfluss  gehabt  haben  mögen.  Denn 
deich  wie  bestimmte  Umstände  vorhanden  sein  mussten,  die 


1  Packet. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  527 

dem  Teufelsglaubeu  als  Hebel  dienlich  waren,  um  ihn  zu  der 
schwindelnden  Höhe  zu  bringen,  zu  der  er  schon  im  13.  Jahr- 
hundert gelangt  war,  ebenso  nothwendig  setzt  dessen  Ab- 
nahme gewisse  Bedingungen  voraus,  unter  denen  der  Glaube 
an  den  Teufel  und  seine  Macht  zum  lächerlichen  Aberglauben 
herabgedrückt  weiden  konnte.  Man  hört  und  liest  nicht  sel- 
ten die  Behauptung:  der  ganze  Teufelsglaube,  dessen  Förde- 
rung und  Erhaltung  sei  eine  Mache  der  Theologen,  und  zwar 
der  katholischen  sowol  als  der  protestantischen,  und  in  Bezug 
auf  den  theologischen  Stabilismus  enthält  ein  Schreiben  des 
Dr.  Heumaun  an  Hauber,  also  schon  voi-  mehr  als  einem 
Jahrhundert,  die  Stelle:  „Esse  qui  sentiunt,  Theologos  solere 
omnium  ultimos  novas  amplexari  veritates,  suoque  munire 
suffragio."^  Wenn  die  Theologen  auch  nicht  leugnen  können, 
zur  Verbreitung  und  Erhaltung  des  Glaubens  an  den  Teufel 
ihr  Scherflein  beigetragen  zu  haben,  so  dürfen  sie  mit  Recht 
auf  alle  andern  Stände  hinweisen  und  brauchen  ausser  man- 
chem andern  nur  einen  Carpzov  zu  nennen,  und  um  den 
Vorwurf  des  theologischen  Conservatisnms  abzuschwächen,  kön- 
nen, wenigstens  von  protestantischer  Seite,  Bekker  und  Sem- 
ler angeführt  werden,  deren  Bestrebungen  in  der  Geschichte 
des  Teufels  epochemachend  sind.  Dabei  würden  aber  die 
Theologen  sehr  irren,  wenn  sie  den  Sieg  über  den  Teufels- 
glauben oder  wenigstens  dessen  Abnahme  vornehmlich  oder 
gar  allein  sich  auf  die  Fahne  schreiben  wollten,  denn  auch 
die  sieghaften  Bekämpfer  des  Teufels  unter  den  Theologen 
wurden  von  dem  Strome  ihrer  Zeit  getragen,  der  von  allerseit 
herbeieilenden  Flüssen  und  Bächen  gespeist  wurde.  Denn 
jede  geschichtliche  Erscheinung  hängt  an  einer  Kette  von 
einer  Menge  von  Gliedern,  deren  jedes  einen  Theil  des  Ge- 
wichtes trägt,  und  wobei  die  Tragfähigkeit  des  einen  Gliedes 
durch  das  andere  bedingt  ist.  Bekker  wurde  bekaimtlich  als 
Anhänger  der  Cartesianischen  Philosophie  verlästert,  und  hätte 
er  nicht  an  dieser  seinen  Geist  gestärkt,  würde  er  wol  die 
kräftigen  Schläge  haben  führen  können,  womit  er  vom  Teufel 
einen  Theil  in  die  Pfanne  hieb  ?  Bei  der  Forschung  nach  dem 
Grunde   einer   Erscheinung   wird   daher    das  Auge   von   einem 


'  Bei  Semler  Abfertigung,  S.  296. 


528      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Momente  zum  andern  hingelenkt,  die  in  grosser  Menge  von 
allen  Seiten  zusammenlaufen  in  einen  Coincidenzpunkt,  wo 
jene  sich  als  Ergebniss  darstellt,  das  wieder  eine  neue 
Schöpfung  in  sich  birgt,  und  neue  Formen  ankündigt,  die 
sich  von  den  alten  kennzeichnend  ablieben. 

Jede  geschichtliche  Periode  datirt  sich  von  einem  neuen 
Princip  des  geistigen  Lebens,  von  einer  neuen  Form  des  Be- 
wusstseins.  So  auch  die  Periode  der  Neuzeit,  die  von  der 
Reformation  beginnt,  sich  aber,  wie  jede  andere,  lange  vorher 
vorbereitet  und  durch  mannigfjiche  Vorläufer  angekündigt  hat. 
Wir  hören  verschiedene  Aufltassungen  der  Keformation.  Der 
protestantische  Theologe  sagt:  „Die  Reformation  —  entsprang 
aus  einer  —  Auflehnung  des  Gewissens  wider  den  Gewissens- 
zwang" i;  der  Staatsmann  sagt:  „sie  war  ein  grosser  Auf- 
schwung des  menschlichen  Geistes  zur  Freiheit".^  Im  Grunde 
haben  Beide  recht,  weil  die  Reformation  nach  allen  Seiten 
hin  Wellen  schlug  und  auf  allen  Gebieten  eine  umgestaltende 
Bewegung  hervorbrachte.  Uebcrall  negative  Auflösung  des 
mittelalterlichen  Geistes  und  positive  Herausbildung  des  neuen 
Geistes. 

Der  dreissigjährige  Krieg,  von  religiösem  Interesse  ausgeh- 
end, verwandelt  dieses  in  das  politische,  und  der  westfälische 
Friede  errichtet  den  Grundsatz:  „wechselseitige  Anerkennung 
der  Staaten  ohne  Rücksicht  auf  Verschiedenheit  des  religiösen 
Glaubens".  Es  war  der  letzte  Religionskrieg,  in  politischer 
Beziehung  der  gänzliche  Abschluss  des  Mittelalters,  denn  seit 
1G48  ist  die  Religion  nicht  mehr  Motiv  der  Politik,  diese  be- 
ruht von  da  ab  auf  andern  Gründen.  Getrennt  von  der 
Kirche  bildet  sich  die  Staatsmacht,  die  Souveränetät  des  Staats, 
und  im  Verhältniss  der  Staaten  zueinander  sucht  sich  das 
politische  Gleichgewicht  derselben  zu  erhalten.  Die  Idee  der 
Staatsmacht  individualisirt  sich  zunächst  in  einzelnen  Monar- 
chien, in  denen  jene  im  absoluten  Monarchen  sich  zuspitzend, 
eigentlich  nur  in  diesem  verleiblicht  erscheint.  Es  gilt  also 
zunächst  das  Feudalwesen  zu  zertrümmern,  um  die  Staats- 
macht im  Einzelwesen  zu  concentriren,  oder  aus  dem  Stände- 


'  Hundeshagen,  Der  deutsche  Pi'otestant,  S.  3. 

^  Guizüt,  Allgemeine  Geschichte  der  europäischen  Civilisation ,  nach 
der  5.  Auflage  übertragen,  von  C.  Sachs,  S.  236. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  529 

Staat  den  Souveränetätsstaat  herauszuarbeiten.  Der  Politiker, 
der  den  Staat  seiner  Bestimmung  nach  als  Entwickelung  der 
Freiheit  auffasst,  erblickt  daher  in  den  nächsten  Wirkungen 
der  Neuzeit  auf  seinem  Gebiete  nur  Zerstörung  und  Schaden. 
Für  Deutschland,  wo  eine  Menge  Souveräne  als  absolute 
Träger  der  Staatsmacht  entstanden,  hat  man  in  diesem  Sinne 
die  Reformation  „das  grösste  Unglück,  welches  Deutschland 
je  getroffen  hat",  genannt.  ^  In  Schweden  wie  in  Dänemark 
drückt  die  Souveränetät  lähmend  auf  die  Stände;  in  Frank- 
reich werden  sie  dem  absoluten  Willen  des  Königs  luiterwor- 
fen,  und  in  England,  das  die  Grundfeste  seiner  Verfassung- 
schön  im  Mittelalter  gelegt,  beginnt  nach  der  Reforma- 
tion wenigstens  der  Kampf  zwischen  Königthum  und  Volks- 
thum.  Nach  der  Verschiedenheit  des  Bodens,  auf  welchen  die 
Neuzeit  ihren  Samen  streute,  wuchs  auch  die  Saat  hier  mehr, 
dort  weniger  gedeihlich,  und  es  bedurfte  selbst  schwerer  Wet- 
terschläge, die  den  durch  Despotismus  hart  gestampften  Bo- 
den auflockerten  und  fruchtbar  machten.  Die  Saat  zur  Reife 
zu  bringen,  ist  die  geschichtliche  Aufgabe  der  Staaten  Europas, 
an  deren  Lösung  noch  in  unsern  Tagen  gearbeitet  wird.  Es 
ist  das  Streben,  die  Idee  des  Staats,  die  im  16.  Jahrhundei't 
in  jedem  Reiche  in  einem  einzigen  Individuum  sich  gesammelt 
hatte,  in  allen  Individuen  des  Staats  zum  Bewusstsein  zu 
bringen,  dass  jeder  einzelne  als  Bürger  des  Staats  auch  Trä- 
ger desselben  sei,  und  zwar  nicht  nur  in  Bezug  auf  die 
Lasten,  sondern  auch  im  Sinne  der  Freiheit.  Um  diesem 
Ziele  sich  immer  mehr  zu  nähern  und  es  erreichen  zu  können, 
musste  der  Entwickelungsprocess  seinen  Anfang  nehmen  und 
dieser  machte  die  Loslösung  und  Eraancipation  des  Staats 
von  der  Kirche,  welche  im  Westfälischen  Frieden  zum  end- 
giltigen  Ausdruck  kam,  zur  nothwendigen  Bedingung  und 
Voraussetzung. 

Die  Ansicht,  als  wäre  die  Reformation  blos  eine  Aende- 
-rung  des  theologischen  Lehrbegrifi's  gewesen,  ist  ihrer  Einsei- 
tigkeit und  Oberflächlichkeit  wegen  wol  als  antiquirt  zu  be- 
trachten, und  hat  die  tiefere  Einsicht  Platz  gegriften,  dass  der 
neue  Geist  auch  eine  neue  theologische  Anschauung  hervor- 
bringen  musste.     Es  war    eine  Wandlung    des   Bewusstscins 


1  Hinrichs,  Die  Könige,  S.  245. 

Koskoff,  Geschichte  dea  Teufels.    II.  34 


530     Vierter  Absclinitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

überhaupt,  indem  der  Mensch,  aus  der  mittelalterlichen 
Veräusserlichung  seines  Glaubensinhalts  sich  herausreissend 
und  in  sich  einkehrend,  sein  Interesse  der  Totalität  sei- 
nes geistigen  Seins  und  Wesens  zuwandte  und  vertiefte.  Es 
war  eine  Ablehnung  der  bisherigen  äussern  Autorität  in 
Glaubenssachen.  Indem  aber  die  Anhänger  des  neuen  Pi-in- 
cips  nur  das  als  religiöse  AVahrheit  gelten  lassen,  was  in 
der  Heiligen  Schrift  begründet  ist,  weisen  sie  zwar  die  Auto- 
rität der  Kirche  zurück,  setzen  jedoch  eine  andere  Autorität 
an  deren  Stelle,  nämlich  die  des  Wortes  Gottes,  und  sich  in 
ausschliessliche  Abhänscififkeit  von  der  Schrift.  Allein  mit  der  Be- 
Stimmung,  die  Autorität  des  Wortes  Gottes,  das  in  jener  enthalten 
ist,  aus  eigenerUeberzeugung  zu  erkennen,  und  sich  damit  einig 
zu  wissen,  ist  die  Selbstthätigkeit  als  nothwendige  Bedingung 
gesetzt,  und  das  in  der  Schrift  enthaltene  Wort  Gottes  muss 
somit  Gegenstand  des  Denkens  werden,  welches  bekanntlich 
die  vornehmliche  Aufgabe  der  Philosophie  ist.  Es  ist  daher 
nicht  zufällig,  dass  die  Philosophie,  die  im  Mittelalter  im 
Dienste  der  Kirche  gestanden,  in  dieser  Periode  in  selbst- 
ständiger Bedeutung  und  freier  Selbstbestimmung  der  Theo- 
logie an  die  Seite  tritt. 

Der  neuerwachte  Geist  löste  das  Band,  wodurch  die  Phi- 
losophie an  das  Dogma  der  Kirche  gebunden  war,  und  strebte 
in  jener  zur  Selbstbesinnung  über  sein  eigenes  Wesen  und 
seinen  Inhalt.  Es  ist  von  Wichtiokeit.  dass  Rene  Descartes 
(159G  —  1G50),  der  als  Vater  der  neuern  Philosophie  betrach- 
tet wird,  gegen  alles  protestirt,  was  nicht  vom  Denken  ge- 
setzt ist,  von  diesem  also  die  Philosophie  ihren  Ausgangspunkt 
nehmen  lässt.  Ebenso  wichtio;  ist.  dass  Cartesius  den  denken- 
den  Geist  als  individuelles  Selbst,  als  Träger  des  Selbstbe- 
wusstseins  fasst^,  wodurch  das  Princip  des  Selbstbewussstseins 
ni  der  Philosojihie  seine  Stelle  findet,  und  in  dem  Streben, 
den  aufgestellten  Gegensatz  von  Dasein  und  Bewusstsein  zu 
vermitteln,  die  Aufgabe  der  neuern  Philosophie  angedeutet 
liegt.  Als  Bedingung  alles  Philosojjhirens  stellt  Descartes: 
„de  Omnibus  dubitandum",  womit  nicht  nur  jener  Protest  ge- 
gen alles  Gegebene  ausgesprochen  sein  soll,  sondern  zugleich 
der  Weg  zur  Selbstgewissheit  zu  gelangen  vorgezeichnet  Avird. 


1  Princ.  I,  Medit.  II. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  531 

Denn  indem  ich  an  allem  zweifle,  was  gegeben  ist,  muss  ich 
zu  der  Gewissheit  kommen,  dass  ich,  der  ich  zweifle,  bin. 
Daher  der  beriihmte  cartesianische  Satz:  „cogito  ergo  sum", 
der  so  viel  sagen  will  als:  indem  ich  denke,  erhalte  ich  die 
intuitive  Gew^issheit,  eine  Substanz  zu  sein,  in  welcher  Denken 
mid  Sein  zusammenfällt,  oder:  „Ich  bin  mir  meiner  bewusst, 
als  eines  Solchen,  dessen  Wesen  lediglich  im  Denken  besteht, 
wesswegen  auch  der  beste  Weg,  das  eigene  Wesen  zu  erken- 
nen, dass  man  an  der  Aussenwelt  zweifelt,  denn  eine  Steige- 
rung dieses  Zweifels  (Zweifeln  ist  nur  eine  Form  und  Weise 
des  Denkens)  steigert  das  Sein  des  Zweifelnden."  ^  Von  die- 
ser intuitiven  Gewissheit  wird  von  Cartcsius  die  aller  Erkennt- 
niss  abhängig  gemacht  und  abgeleitet. 

Spinoza  (1032^ — 77)  stellte  dem  System  des  Glaubens 
ein  System  des  Denkens  gegenüber,  welches  dem  Geiste  Be- 
friedigung geben  soll  und  dieselben  Ansprüche  auf  Wahrheit 
und  Noth wendigkeit  wie  jenes  erhebt.  Sein  philosophisches 
System,  aus  der  Kritik  der  cartesianischen  Philosophie  heraus- 
gebaut, steht  auf  ethischem  Boden,  sowie  Spinoza's  reiner 
Charakter  und  makelloses  Leben  damit  eng  verwachsen  ist. 
In  seinem  berühmten  „Tractatus  theologico-politicus",  der  in 
seinem  Todesjahre  unter  seinen  nachgelassenen  Schriften  un- 
vollendet erschien,  entwirft  er  die  Grundzüge  einer  Theorie 
des  Staats,  entwickelt  aber  auch  seine  Ansichten  über  das 
Verhältniss  des  Glaubens  und  Wissens,  der  Vernunft  und  der 
positiven  Religion  und  üfi'enbarung.  Die  entwickelten  Grund- 
sätze sind  Ergebnisse  des  vernünftigen  Denkens,  sind  allge- 
meine Vernunftwahrheiten,  hervorgegangen  aus  der  Autonomie 
der  Vernunft,  welche  dieser  in  Sachen  der  Religion  mit  ma- 
thematischer Evidenz  zuerkannt  wird. 

Es  bildete  sich  in  dieser  Periode  eine  natürliche  Theologie 
gegenüber  der  positiven  Ofienbarungstheologie,  welche  auf 
die,se  nicht  ohne  Einfluss  blieb  und  besonders  ausserhalb  der 
gelehrten  Kreise  grosse  Verbreitung  fand,  zunächst  in  Eng- 
land durch  die  sogenannten  englischen  Deisten,  deren  Ansich- 
ten durch  die  deutschen  Aufklärer,  besonders  die  Bemühungen 
Michaeli's,  Mosheim's,  Semlcr's  u.  a.,  auf  deutschen  Boden 
verpflanzt  wurden.    Schon  vor  Spinoza  suchte  Herbert  (1581  — 


1  Erdmann,  Grundriss  der  Geschichte  der  Philosophie,  II,  13. 

34* 


532      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

1648),   der  als  der  erste  der  englischen  Deisten  angeführt  zu 
werden  pflegt,  den  religiösen  Glaubensinhalt  auf  einige  wenige 
Wahrheitssätze  zurückzuführen,  die  er  als  den  Kern  aller  Religion 
überhaupt  betrachtete.  Sie  sollten  von  allen  zeitlichen  Momen- 
ten  geläutert,   allgemeine  Wahrheiten  sein,    daher  eine   über- 
natürliche Offenbarung  nichts  hinzufügen  könne,  was  zur  Er- 
lano-unir  des  sittlichen  Heils  nothwendig  wäre.  Locke  (1632  — 
1704),   dem   manche   die    kritische   Begründung   des   Deismus 
zuerkennen,  leitet  alles  Wissen   aus  Sensation   und   Reflexion 
ab,  und  geht  den  durch  Beobachtung  und  Erfahrung  gewon- 
nenen Ideen   nach,   um   zur  Wahrheit   zu    gelangen    und  das 
Verhältniss    der    Vernunft    zum    Glauben    zu    prüfen.      Dabei 
wird   das  Recht  der   Entscheidung   der  Vernunft,   welche   die 
Bedeutung  der  natürlichen  Ofienbarung  hat,  eingeräumt.  Denn 
die  Vernunft  ist  die  natürliche  Quelle,  aus  der  die  Wahrheit, 
die    im    Bereiche    der    Fähigkeiten    des    Menschen    liegt,    zu 
schöpfen   ist.     Die   christliche   Ofi'enbarung    ist   die   tou   Gott 
unmittelbar  mitgetheilte  Vernunft,  erweitert  durch  eine  Reihe 
von  Wahrheiten,    zu   denen   der   begabteste   Mensch    nur  auf 
laugen  Umwegen  gelangen  könnte.     Das  Christenthum  enthält 
aber  nichts,  was  wider  die  Vernunft  wäre.    Dies  ist  „die  Ver- 
nünftigkeit des  Christenthums,    wie  es  in  der  Schrift  überlie- 
fert ist".     So  heisst  Locke's  Werk  vom  Jahre   1695.     Den 
Beweis   für  das  Christenthum   als   göttliche  Offenbarung  sieht 
er  in  der  Wirkung  der  Lehre,   aber   nicht  in  den   übernatür- 
lichen Wundern,   die  der  historischen  Kritik  unterzogen  wer- 
den   können.      Er    trennt    die   Lehren    der  Evangelisten    und 
Apostel  von  der  Geschichte  ihrer  Thaten,  die  er  als  Legende 
ihrer  Wunder  betrachtet;  er  unterscheidet  auch  in  den  Lehren 
den  Inhalt  der  ewigen  Wahrheit  von  der  Hülle,  die  den  Zeit- 
genossen entsprach.    In  seinem  Buche  über  die  Toleranz  ver- 
langt Locke  unbedingte  Freiheit  für  jedermann:  Jude,  Heide, 
Mohammedaner  sollen  mit    dem  Christen    gleiche    bürgerliche 
Rechte  haben. 

Einen  neuen  Aufschwung  erhielt  der  Deismus  durch  To- 
land  (1670—1722),  der  in  seiner  1696  anonym  erschienenen 
Schrift:  „Das  Christenthum  ohne  Geheimniss"  zeigt,  dass  in 
demselben  nichts  wider  und  auch  nichts  über  die  Vernunft 
enthalten  sei,  daher  seine  Lehren  nicht  eigentliche  Geheimnisse 
genannt  werden  können.   Hiermit  ist  der  Deismus  zum  klaren 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  533 

Ausdruck  gekommen  und  wird,  im  Gegensatz  zu  allen  Prin- 
cipien  der  Autorität,  die  Vernunft  als  alleinige  Grundlage  aller 
Gewissheit  aufgestellt. 

Es  lässt  sich  erwarten,  dass  der  Deismus  Angrifien  aus- 
gesetzt war  und  in  Streitigkeiten  gerietb,  die  eine  Menge 
Gegen-  und  Vertheidigungsschriften  hervorriefen,  unter  wel- 
chen letztern  die  von  Tindal  (1656—1733)  „Das  Christen- 
thum  so  alt  als  die  Welt"  u.  s.  w.,  1739  veröflfentlicht,  als  die 
bedeutendste  hervorgehoben  wird.  Alle  positiven  Religionen 
werden  darin  als  Entstellungen,  die  christliche  als  Wieder- 
herstellung der  natürlichen  dargestellt.  Das  Christenthum  ist 
ganz  auf  die  Erfiillung  der  zur  Glückseligkeit  führenden 
Pflichten  gegründet,  womit  Gott  geehrt  wird,  der  aber  unseres 
Dienstes  nicht  bedarf.  Daran  schliesst  sich  Chubb  (1679  — 
1 747),  der  den  Deismus  auf  eine  dem  Handwerker  zugängliche 
und  verständliche  Weise  vortrug. 

Das  Streben  des  Deismus  ging  zu  allernächst  darauf  hin, 
der  Vernunft  auch  in  Beziehung  auf  Religion  ein  Recht  zu 
verschaffen;  das  vernünftige  Individuum  sollte,  auch  abgesehen 
von  der  christlichen  Lehre,  Berechtigung  haben,  es  sollte  mit- 
tels seiner  geistigen  Begabung  die  christliche  Wahrheit  sich 
aneignen  können. 

Im  Sinne  des  Individualismus  stehen  die  englischen  Mo- 
ralisten: Wallaston  (1659—1724),  Shaftesbury  (1671—1713), 
Hutcheson  (1694 — 1745),  auf  demselben  Boden,  und  die  so- 
genannte ,, schottische  Philosophie  des  gesunden  Menschenver- 
standes", als  deren  Hauptrepräsentanten  Reid  (1710  —  96), 
Beattie  (1735  — 1803)  u.  a.  gelten,  deuten  schon  durch  ihre 
Firma  die  Verwandtschaft  mit  dem  Deismus  an. 

Bei  dem  praktischen  Sinne  der  britischen  Inselbewohner 
fand  die  schlichte  Vernunftreligion,  welche  den  gesunden  Men- 
schenverstand mit  den  wesentlichsten  Forderungen  der  Reli- 
gion auf  leichtfassliche  Weise  zu  verbinden  suchte,  allgemeinen 
Eingang  und  nach  dem  Sturze  der  Stuarts,  womit  bürger- 
liche und  kirchliche  Freiheit  eingetreten  war,  grosse  Ver- 
breitung. 

Einen  besonders  günstigen  Boden  fanden  die  deistischen 
Ansichten  in  Frankreich,  wo  sie  nach  dem  Vorgange  Boling- 
broke's  (1698  — 1751),  der  die  Religion  als  Mittel  zu  politi- 
schen Zwecken  erhalten  wissen  wollte,  alle  Dogmen  iibrigens 


534      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

als  Erzeugnisse  eitler  Philosophie  und  geriebener  Priester- 
klugheit betrachtete,  mehr  oder  weniger  eine  den  christlichen 
Lehren  feindselige  Stellung  einnahmen  und  mit  leichtfertiger 
Frivolität  versetzt  wurden.  Peter  Bayle  (1(347  — 1706)  kämpfte 
noch  vornehmlich  für  Glaubensfreiheit  und  Toleranz,  und 
Mandeville  (1G70 — 1733)  folgte  ihm  in  dieser  Hinsicht  in  sei- 
ner Schrift:  „Freie  Gedanken  über  Religion,  Kirche  imd 
Glückseligkeit  der  Nation",  die  1723  in  französischer  Uebej- 
setzung  erschien.  Von  grösserer  Bedeutung  war  J.  J.  Rous- 
seau (1712  —  78),  der  seine  religiösen  Ansichten  hauptsächlich 
in  dem  „  Glaubensbekenntniss  des  savoyischen  Vicars"  und 
seinen  „Briefen  vom  Berge"  niederlegte.  Er  negirt  zwar  jede 
geschichtlich  positive  Autorität,  hält  aber  Gott,  Freiheit, 
Unsterblichkeit  als  die  Grundwahrheiten  einer  natürlichen 
Religion  aufrecht.  Das  Gefühl  leitet  den  Menschen  moralisch 
zu  handeln,  das  Gewissen  entscheidet,  was  moralisch  gut  ist. 
Die  Nothwendigkeit  einer  geoffenbarten  Religion  ist  nicht  zu 
beweisen.  Weit  höher  als  der  äusserliche  kirchliche  Cultus 
steht  der  innerliche  des  Herzens  ohne  Tempel  und  Altäre, 
der  dem  höchsten  AVesen  imd  der  Tugend  gilt.  Der  Mensch 
ist  frei,  und  was  ihm  widerfährt,  ist  Folge  seiner  Handlungen. 
Sollte  der  Staat  ein  Interesse  haben,  eine  Religion  einzuführen, 
so  muss  sie  auf  der  Grundlage  der  bürgerlichen  Gemeinschaft 
beruhen  und  das  einzige  Verbot  gegen  die  Intoleranz  gerich- 
tet sein.  Der  vornehmlichste  Repräsentant  des  Oppositions- 
geistes gegen  alle  positive  Religion,  der  um  diese  Zeit  sich 
in  Frankreich  geltend  machte,  ist  Voltaire  (1094 — 1778), 
der  durch  seinen  ausserordentlichen  AVitz,  die  hinreissende 
Kraft  seiner  Darstelluno;  seine  zeitQ-enössischen  höhern  Stände 
zu  beherrschen  wusstc.  Die  Verfolgungen  durch  die  Geist- 
lichen, die  ihm  seine  „Philosophischen  Briefe"  eintrugen, 
worin  er  auf  den  Deismus  Bolingbroke's  aufmerksam  machte, 
steigerten  seinen  Hass  gegen  das  überlieferte  positive  Christen- 
thum,  dass  er  dessen  Vernichtung  für  seine  Mission  be- 
trachtete, und  durch  die  gewandte  Schlagfertigkeit,  den  muth- 
willigen  Scherz,  die  beissende  Ironie  seiner  Angrifie  auf  jenes, 
seinen  Ansichten  grosse  Verbreitung  verschaffte.  Voltaire's 
Antagonismus  gegen  das  überlieferte  Christenthum  hat  ihn 
vielen  als  Atheisten  erscheinen  lassen,  allein  mit  Unrecht, 
denn   Voltaire    hält    das    Dasein    Gottes    aus    kosmolofriseliem 


■i.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  535 

Grunde  für  nothwendig,  da  wir  sowol  als  die  bewegte  Mate- 
rie eine  Ursache  haben  miissen;  ferner  aus  teleologischem 
Grunde,  indem  die  Natur  überall  eine  zweckmässige  Ordnung 
zeigt ;  und  endlich  aus  moralischem  Grunde,  indem  ohne  Gott 
kein  Gewissen,  keine  Sittlichkeit  denkbar  wäre.  Der  letzte 
Grund  scheint  für  Voltaire  der  wichtigste,  und  wie  er  selbst 
sagt,  beruht  seine  Philosophie  in  seiner  Moral.  Ebenso  hält 
Voltaire  das  Princip  der  Freiheit  des  menschlichen  Geistes 
aufrecht,  und  dass  in  allen  Menschen  gewisse  Ideen  von 
Recht  und  Gerechtigkeit  vorhanden  seien.  Noch  weiter  als 
Voltaire,  obschon  in  seinem  Gleis,  gingen  die  Männer, 
welche  durch  die  Herausgabe  der  bekannten  „Encyklopädie", 
des  „  Dictionnaire  raisonne"  gewöhnlich  „Encyklopädisten" 
genannt  werden.  Der  Hauptunternehmer,  der  auch  den  Plan 
dazu  entworfen,  Diderot  (1713  —  84)  zeigt  in  seinen  Schrif- 
ten ,  wie  er  vom  Dogmatismus  des  gesunden  Menschenver- 
standes anfangend  vom  Deismus  den  Pantheismus  hindurch 
bis  zum  Materialismus  und  Atheismus  gelangt,  den  er  aber 
in  der  Encyklopädie  nicht  ofien  ausspricht. 

Es  ist  nicht  nöthig,  die  Zeugnisse  damaliger  Denkweise 
bis  zu  den  Extremen  eines  Lamettrie  und  des  „System  der 
Natur'"  zu  verfolgen,  und  genügt,  auf  die  Bedeutung  dieser 
Erscheinungen  hinzuweisen.  Selbst  unter  den  Ausschreitungen 
bis  zur  dreisten  Frivolität  ist  in  dem  bewegenden  Princip  des 
Zeitbewusstseins  das  Streben  nicht  zu  verkennen,  den  Geist, 
der  sich  entfremdet  worden,  wieder  zu  sich  selbst  zurück- 
zubringen. Der  Mensch  wollte  auf  sein  eigenes  unmittelbares 
Bewusstsein  hinlenken,  diesem  sollte  alles,  woran  er  theil- 
nehmen  sollte,  nahe  gebracht  und  fasslich  gemacht  sein,  nur 
dasjenige  sollte  von  Werth  sein,  womit  er  sich  selbst  in 
seinem  Bewusstsein  in  Einheit  gesetzt.  Bei  aller  Verschie- 
denheit der  Ansichten  trefien  alle  heterodoxen  Richtvuigen 
in  dem  Einen  zusammen:  dass  der  Mensch  die  Religion  nicht 
ausser,  sondern  in  sich  haben  solle.  Die  englischen  Deisten 
sowie  die  französischen  Encyklopädisten,  die  Naturalisten, 
Materialisten,  Atheisten  und  wie  man  sie  sonst  noch  nennen 
möge:  insgesammt  predigen  sie  Toleranz,  also  Achtung  vor 
der  Subjectivität  des  Bewusstseins,  welche  die  Freiheit  der- 
selben als  nothwendige  Bedingung  voraussetzt. 

In    Deutschland    hatten    die    protestantischen    Theologen, 


536      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Gescliiclite  des  Teufels. 

nach  dem  Vorgange  Luther's,  auf  Grund  der  Annahme  eines 
gänzlichen  Verderbs  der  geistigen  Kräfte  des  Menschen,  ge- 
genüber der  Vernunft  in  Glaubenssachen  ein  negatives  Ver- 
halten eingenommen.  Dadurch  standen  sie  im  Widerspruch 
mit  dem  urspriinglicheu  Princip  der  Reformation,  wonach  das 
Selbstbewusstsein  über  der  Autorität  stehen  sollte.  Dieser 
Widerspruch  macht  sich  selbst  bei  den  altluthei'ischen  Theo- 
logen fühlbar,  welche  die  Vernunft  in  einer  Richtung  gelten 
lassen,  in  anderer  Beziehung  ihr  die  Stimme  entziehen  wollen. 
So  will  Gerhard  gegenüber  der  blossen  Offenbarung  neben  der 
Schrift  die  Vernunft  als  zweites  Princip  der  Theologie  nicht 
anerkennen,  weil  die  menschliche  Vernunft  zur  Erkenntniss 
der  Glaubensmysterien  sich  nicht  erheben  könne;  er  meint 
aber  doch,  dass  „der  organische  Gebrauch"  der  Vernunft  in 
der  Theologie  nothwendig  sei,  weil  diese  das  Organ  ist,  wo- 
mit die  Offenbarung  gefasst  werden  müsse,  und  während  der 
„kataskevastische"  Gebrauch  in  Betreff  der  natürlichen  Er- 
kenntniss Gottes  vor  der  Offenbarung  zurückzutreten  habe, 
solle  der  „anaskevastische"  das  Falsche  entdecken  und  nach 
der  Heiligen  Schrift  regeln.  ^  Im  Wesentlichen  macht  es 
Quenstedt  nicht  viel  anders,  indem  er  mit  der  einen  Hand 
gibt  und  mit  der  andern  wieder  nimmt,  wenn  er  von  einem 
„usus  Instrumentalis"  und  „normalis"  der  Vernunft  spricht, 
wovon  er  den  erstem  gelten  lässt,  weil  der  Theolog  auch 
Vernunft  nöthig  habe,  ohne  Vernunft  kein  Mensch  wäre  und 
den  Glaubensinhalt  nicht  aufnehmen  könnte;  wogegen  der 
„usus  normalis"  keine  Anwendung  auf  geoffenbarte  Wahr- 
heiten finden  soll,  da  auch  solche  Lehren,  die  der  mensch- 
lichen Vernunft  widersprechen,  geglaubt  werden  müssen.  ^  In- 
folge des  Schaukelns  der  lutherischen  Theologen  zwischen 
unbedingter  Autorität  der  Offenbarung  und  der  Vernunft,  auf 
deren  berechtigten  Gebrauch  sie  doch  auch  nicht  verzichten 
wollten,  mussten  sie  von  den  Katholiken  hören,  dass  sie  in- 
consequenterweise  ausser  dem  Schnftprincip  auch  noch  von 
Vernunft  sprächen,  und  von  den  Reformirten:  dass  sie  die 
Vernunft  und  Philosophie  aus  der  Theologie  verbannen  wollten. 
Letztern  Vorwurf  machten   die  Socinianer    den  Protestanten 


^  Loci  theol.  in  uberior.  cxplicat.,  prooem.,  §.  23. 
'  Theol.  didactico-polemica,  I,  3. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  537 

überhaupt,  wogegen  diese  behaupteten:  die  Vernunft  werde 
keineswegs  principiell  ausgeschlossen,  da  die  Schrift  nicht  in 
dem  Sinne  das  einzige  Princip  sei,  als  wäre  jede  ratiocinatio 
abgelehnt.  ^  Obschon  also  die  Vernunft  der  Oflenbarunn  ne- 
genüber  eine  untergeordnete  Stelle  einnehmen  sollte,  fand  sie 
doch  immer  ihre  Anhänger,  die  sie  nicht  gar  zu  tief  herab- 
gedrückt  wissen  wollten.  Auch  der  Begriff  der  Offenbarung 
wurde  von  den  protestantischen  Dogmatikern  erörtert,  man 
sprach  von  einer  allgemeinen  und  besonderen  Offenbarung 
und  verstand  unter  jener  jede  von  Gott  herrührende  Bekannt- 
machung der  AVahrheit,  unter  letzterer  aber  eine  übernatür- 
liche Offenbarung,  die  wieder  in  eine  formelle  und  materielle 
zerlegt  wurde.  ^  Dass  es  eine  übernatürliche  göttliche  Offeu- 
bai'ung  gebe,  werde  aus  der  Schrift  erkannt,  und  nur  aus  die- 
ser könne  die  Göttlichkeit  der  christlichen  Offenbarung  erkannt 
werden.  Die  Schrift,  als  das  in  ihr  enthaltene  Wort  Gottes, 
sei  das  unicum  theologiae  principium,  und  dieses  Princip,  als 
das  der  Reformation  der  Glaubenslehre,  stehe  daher  auch  an 
der  Spitze  der  Concordienformel.  Was  nicht  in  der  Schrift 
enthalten  ist,  ist  auch  keine  christliche  Wahrheit.  Diesem 
Grundsatze  der  Protestanten  gegenüber  sanctionirte  das  Trien- 
ter  Concil  die  Lehre  von  der  Tradition,  welche  der  Schrift 
vollkommen  gleichgestellt  wurde.  ^  Dadurch  war  auch  die 
Verschiedenheit  der  Kanonicität  bedingt.  Die  Katholiken 
machten  die  kanonische  Autorität  der  Schrift  von  den  histori- 
schen Zeugnissen  der  Kirche  abhängig;  die  jDrotestantischen 
Theologen  meinten:  die  Kirche  könne  nur  zur  Erkenntniss 
der  Kanonicität  hinleiten,  ihr  historisches  Zeugniss  sei  aber 
unzulänglich,  sie  gebe  nur  eine  fidcs  humana,  das  Göttliche 
der  Schrift  könne  nur  durch  die  fides  divina,  das  testimonium 
Spiritus  s.  erkannt  werden.  Das  Wort  Gottes  lege  von  sich 
selbst  Zeugniss  ab,  die  Schrift  trage  das  Gepräge  des  heiligen 
Geistes,  sei  demnach  die  unmittelbare  und  specifische  Kund- 
machung desselben,   das   heisst:   die  Schrift    ist   inspirirt  und 


*  Kortholt,  De  rationis  cum  revelatione  concursu  (1692). 

^  Vgl.  Job.  Musäus,  De  usu  principiorum  rationis  et  philosoijhiac  in 
controvers.  theologic.  libr.  tres  (1644). —  Abr.  Calovii  Systema  locor.  theo- 
log., cap.  3  de  revelatione  (1655). 

^  Sess.  IV,  cap.  1. 


538      Vierter  Abschnitt:   Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

zwar  in  Beziehung  auf  Sachen  und  Worte,  auf"  Form  und 
Inhalt.  Alles,  was  sie  enthält,  sei  den  heiligen  Schriftstellern 
vom  heiligen  Geiste  gleichsam  dietirt,  diese  seien  die  Ama- 
juienses  Gottes,  die  Notare  des  heiligen  Geistes.^  In  der 
katholischen  Kirche,  die  neben  der  Tradition  keine  absolute 
Autorität  der  Schritt  nöthig  hatte,  konnte  ein  Richard  Simon 
als  erster  Kritiker  der  neuern  Zeit  mit  seinen  Untersuchun- 
gen iiber  die  biblischen  Schriften  auftreten  (1678),  neben  dem 
auch  Spinoza,  der  eigentlich  nie  förmlich  zum  Christenthiun 
übergetreten,  durch  seinen  „Tractatus  theologico-politicus"  in 
kritischer  Beziehimg  Epoche  machte  (1677).  Die  katholische 
Kirche  hatte  auf  dem  Trionter  Concil  ihren  Lehrbegrifl"  end- 
gültig abgeschlossen,  und  somit  jede  wesentliche  Wandlung 
desselben  für  unmöglich  erklärt.  Der  Widerspruch,  in  den 
der  Orthodoxismus  auf  protestantischer  Seite  mit  demAVesen 
des  Protcstantisnms  gerathen  war,  indem  letzterer  auf  dem 
Princip  der  Selbstgewissheit  sich  aufbauen  wollte,  jener  aber 
den  absoluten  Grundsatz  der  Erkenntniss  ausser  sich  annahm, 
konnte  die  protestantische  Theologie  nicht  versteifen  lassen, 
es  musste  ein  Umschwung  eintreten. 

Schon  der  durch  Spener  erweckte  Pietisnnis  wandte  sich 
von  dem  starren  Orthodoxismus  ab,  und  so  eifrig  er  sich  für 
das  Bibelstudium  zeigte,  so  nachgiebig  erwies  er  sich  in  der 
Verpflichtung  auf  die  Symbole.  Er  liess  die  orthodoxen  Be- 
stimmungen der  Dogmen  auf  sich  beruhen  und  legte  den 
schweren  Accent  auf  die  Gefühlsseite  des  Bewusstseins,  wo 
er  nachgerade  in  süsslicher  Weichheit  zu  verschwimmen  drohte, 
als  sollicitirter  Gegensatz  zum  Orthodoxismus,  der  das  sitt- 
liche Moment  vernachlässigt  hatte. 

Nicht  weniger  Abbruch  dem  Ansehen  der  symbolischen 
Bücher  und  der  Dogmen  tliat  Leibniz  (1646  — 1716)  sowol 
durch  seine  irenischen  Versuche,  alle  Confessionen  zu  vereini- 
gen, als  auch  durch  seine  Philosoi^hie  überhaupt,  in  welcher 
das  Bewusstsein  gemeinschaftlichen  Interesses  der  Philosophie 
und  Theologie  und  der  Vermittlung  beider  zu  Tage  kommt. 
Das  freie  philosophische  Denken  hatte  schon  in  Descartes  inid 
Spinoza  dem  Dogma  als  selbstständige  Macht  sich  gegenüber- 


*  Gerhard,  Explic.  über.  loc.  1,  cap.  2,  §.  18.  —  Calovii  Syst.  1,  556. 
Quenstedt,  1,  80  squ. 


4.  Ursacheu  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  539 

gestellt  und  in  Bayle  und  andern  sogar  eine  negative  Richtung 
genommen ;  Leibniz  suchte  nun  in  seiner  Abhandlung  über 
die  Uebereinstimnnnig  des  Glaubens  mit  der  Vernunft  und 
den  Gebrauch  der  Philosophie  in  der  Theologie  den  Zwiespalt 
so  viel  als  möglich  auszugleichen  und  verhielt  sich  polemisch 
gegen  Cartesius,  Spinoza,  sowie  gegen  den  Empirismus  und 
Skepticisnuis  seiner  Zeit.  Er  unterscheidet  nicht  nur  eine 
dojipelte  Nothwendigkcit,  eine  physische  und  metaphysische, 
sondern  auch  das,  was  gegen  und  was  iiber  die  Vernunft  ist, 
wovon  ersteres  absolut  wider  gewisse  Wahrheiten ,  letzteres 
nur  gegen  die  gewohnte  "Weise  zu  denken  und  zu  erfahren 
streite.  Wunder  und  Mysterien  können,  soweit  es  zum  Glau- 
ben nöthig  ist,  erklärt,  das  heisst  gegen  Einwendungen  vei'- 
theidigt,  aber  nicht  begriffen  oder  bewiesen  werden.  Der 
wesentliche  Inhalt,  der  allen  Religionen  zu  Grunde  liegt,  also 
auch  der  christlichen,  sei  die  natiirliche  Religion,  als  deren 
wahrer  Erneuerer  Christus  zu  betrachten,  der  ihre  Lehren 
als  positive  Satzungen  verkündet  habe.  Die  natürliche  Reli- 
gion, die  im  Menschen  als  dunkler  Drang  vorhanden,  werde, 
indem  sie  sich  entwickelt,  aufgeklärt  zu  einer  natürlichen  Theo- 
logie, einem  Vernunftglauben,  dessen  Hauptlehren  von  einem 
ausser-  und  über  weltlichen  Gott  und  der  Unsterblichkeit  des 
Geistes  durch  die  Vernunft  in  ihrem  eigenen  Namen  verkün- 
det werden.  In  seiner  „Theodicee  oder  über  die  Güte  Gottes, 
die  Freiheit  des  Menschen  und  den  Ursprung  des  Uebels", 
die  durch  die  Verträge,  welche  Leibniz  vor  seiner  königlichen 
Freundin  Sophie  Charlotte  von  Preussen  zu  halten  pflegte, 
entstanden  war,  sucht  er  die  Frage:  wie  mit  der  besten  Welt 
das  Uebel  und  das  Böse  zu  vereinigen  sei?  dahin  zu  lösen: 
dass  er  das  physische  und  moralische  Uebel  auf  eine  Be- 
schränlunig  reducirt,  wonach  das  Böse  auf  keiner  positiven 
Ursache,  sondern  auf  Mangel  beruht,  das  Gott  dulde,  weil 
ohne  es  die  Tugenden  in  der  Welt  nicht  hervorträten,  was 
noth wendig  sei,  sowie  dunkle  Schatten  oder  Dissona)izen  im 
Kunstwerke  ihre  Anwendung  finden  müssen. 

Die  Leibniz'sche  Theorie  wurde  besonders  durch  Wolf 
(1679  — 1754)  dem  Bewusstsein  der  Zeit  zugeführt,  indem  er 
jene  commentirte  und  popularisirte.  In  seiner  natürlichen 
Theologie,  der  er  den  ontologischen  Beweis  zu  Grunde  legte, 
gegenüber    der    auf   übernatürlicher   Offenbarung    beruhenden 


540      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

positiven,  sollte  der  Riss  zwischen  Theologie  und  Philosophie 
vollends  ausgeglichen  werden.  Die  Philosophie  sollte  zur 
natiirlichen  Theologie  werden,  neben  welcher  jene  Often- 
barungstheologie  bestehen  könnte,  so  dass  die  erstere  alle 
Prädicate  aus  dem  Begrijffe  Gottes  mit  logischer  Consequenz 
ableitete,  die  andere  den  Aussagen  der  Schrift  sich  anschlösse. 
Obschon  Wolf  eine  unmittelbare  Ofienbarung  nicht  für  un- 
möglich hält,  diese  für  ebenso  übernatürlich  als  iiberveruünftig 
erklärt,  und  was  über  die  Vernunft,  nicht  geradezu  gegen 
dieselbe  sei,  so  beschränkt  er  doch  das  Gebiet  des  Ueber- 
natürlichen  und  also  auch  der  unmittelbaren  Offenbarung  so 
sehr,  dass  die  Beschränkung  von  der  völligen  Negation  kaum 
zu  imterscheiden  ist.  Wie  in  der  natürlichen  Theologie  das 
Wesentliche  auf  den  Inhalt  des  gemeinen  Bcwusstseins  be- 
schränkt -wird,  so  gründet  AVolf  die  ganze  praktische  Philo- 
sophie auf  sogenannte  Thatsachen  des  gemeinen  Bewusstseins, 
wobei  die  Grundsätze  der  Moral,  die  Begriffe  des  Willens, 
des  Guten  und  Bösen  und  der  Freiheit  von  der  empirischen 
Psychologie  hergenommen  werden.  Indem  Wolf  die  Verständ- 
lichkeit als  Haupterforderniss  der  Philosophie  vmd  Verständig- 
keit als  Charakter  derselben  proclamirt,  sucht  er  alles,  obschon 
unter  Voraussetzung  unbewiesener  Sätze,  weitläufig  zu  demon- 
striren,  und  es  erklärt  sich  hieraus  die  lange  Popularität  der 
Wolf 'sehen  Philosophie,  die  sich  zugleich  als  Vorläuferin  des 
spätem  verständigen  Rationalismus  kennzeichnet. 

Im  18.  Jahrhundert  verlor  der  kirchliche  Dogmatismus 
immer  mehr  seinen  Boden  im  Bewusstsein  der  Zeit.  Wenn 
im  Pietismus  das  Subject  im  fromm-erbaulichen  Gefühle  seine 
Befriedigung  gesucht  hatte,  so  sollte  nun  an  dessen  Stelle  das 
moralische  Moment  eintreten.  Man  war  dem  Dogma  gegen- 
über indifferent  und  erblickte  den  AVerth  des  christlichen 
Glaubens  nur  in  dem  moralischen  Nutzen  für  das  Subject, 
vmd  unter  Abschüttelung  des  Autoritätszwangs  fand  der  nüch- 
terne Verstand  die  Tendenz  des  Christenthums  in  der  morali- 
schen Ausbesserung  des  Menschen.  In  dem  bekannten  Worte 
Friedrich's  des  Grossen  (1740  — 8G),  wonach  jeder  nach  seiner 
Fa9on  selig  werden  solle,  kommt  das  Bewusstsein  der  Zeit  zum 
adäquaten  Ausdruck.  Es  ist  die  Periode  der  deutschen  Auf- 
klärung, wo  der  Mensch  als  Träger  der  Verständigkeit  auf 
Berechtigung  Anspruch  macht,  als  verständig  denkendes  Ein- 


4.  Ursachen  dei'  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  541 

zelwesen  zur  Geltiino-  kommen  soll.  Die  Verständio-keit  erklärt 
ihren  Inhaber  fiir  miindig  und  heisst  ihn  das  Gegebene  als 
Gegenstand  seiner  Erkenntniss  zu  betrachten  und  zur  Errei- 
chung seines  Zwecks  zu  benutzen.  Die  Zeit,  wo  der  Verstand 
in  den  Vordergrund  zu  stehen  kam,  warf  ungeachtet  der  herr- 
schenden Klarheit  allerdings  auch  ihre  Schatten,  wie  jede  Zeit 
neben  ihrem  normalen  Typus  sich  auch  in  Caricaturen  ver- 
sucht. Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  vieles,  was  die  Periode 
der  Aufklärung  hervorgebracht  hat,  heute  der  Betrachtung 
unterzogen,  als  seicht  und  platt  erscheinen  muss,  da  es  viel 
und  mancherlei  gibt,  „wms  kein  Verstand  der  Verständigen 
sieht";  es  ist  wahr,  dass  blos  verstandesmässiges  Denken  nicht 
ausreicht,  um  tiefer  auf  dieldeen  der  Sachen  einzugehen,  nament- 
lich um  den  innern  Zusammenhang  der  geschichtlichen  Erschei- 
nungen  zu  begreifen;  dass  wo  das  Individuum  als  Träger  der 
Verständigkeit  in  seiner  Isolirtheit  gefasst  wird,  wie  von  den 
meisten  Aufklärern,  das  Volk  nur  als  ein  Aggregat  von  ein- 
zelnen erscheint,  und  der  Staat  seinem  Wesen  nach  uubegrif- 
fen  bleibt,  daher  als  „Erfindung"  zum  Wohle  der  Menschen 
aufgefasst  werden  kann ;  ^  es  ist  nicht  nur  unzulässig,  es  kann 
nachgerade  lästig  werden,  wenn  der  ledige  Verstand  seinen 
Massstab  auch  ausserhalb  seines  Gebietes  anlegen  und  ihn  zu 
allgemeiner  Gültigkeit  erheben  will.  Aber  diejenigen  verfallen 
dem  Verdachte  der  Gereiztheit,  welche  die  Aufklärung  als 
„Aufkläricht"  mit  „Kehricht"  zusammenreimen  und  mit  diesem 
zugleich  dessen  Bestimmungsorte  zuweisen  wollen,  es  ist  ein 
Zeichen  abstracter  Betrachtung,  die  Verständigkeit  nur  in 
ihrer  Abstraction  und  Einseitigkeit  aus  dem  Ganzen  heraus- 
zugreifen. Der  blosse  Verstand  kann  allerdings  nicht  nur 
stören,  sondern  durch  seine  Negation  auch  zerstören;  allein  ist 
denn  das  negative  Moment  nicht  nothwendig,  um  durch  denEnt- 
wicklungsprocess  zu  einem  positiven  Ergebniss  zu  gelangen  ?  Die 
Periode  der  Aufklärung  hat  also  ihre  geschichtliche  Berechti- 
gung sowol  in  socialer  als  religiöser  Beziehung,  und  gleichwie 
das  menschliche  Bewusstsein  durch  den  äusserlich  versteiften 
Dogmatismus  gedrängt  w'ard,  in  die  Innerlichkeit  des  ge- 
fühlsseligen Pietismus  sich  zu  vertiefen,  so  wurde  es  wieder 
aus  der  dunklen  Tiefe  des  Gefühls  zur  klaren  Verständigkeit 


1  Schlözer,  Allgemeines  Staatsrecht  (1793). 


542      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

emporgetrieben.  Selbst  namhafte  protestantische  Theologen 
nnserer  Zeit,  die  nicht  zu  den  ungläubigen  gezählt  werden, 
erinnern  uns:  nicht  zu  vergessen,  dass  wir  jetzt  noch  von  den 
guten  Friichten  dieser  Periode  zehren,  „und  dass  das  Alte, 
das  sie,  namenthch  in  Staat,  Erziehung  und  Sitte  verdrängte, 
zum  Theil  wirklich  ein  Veraltetes  war"J  Wie  vielen  Kampf 
es  auf  dem  theologischen  Gebiete  gekostet,  den  Verstand  zur 
Berechtigung  und  Anerkennung  zu  bringen,  zeigt  die  lange 
Reihe  theologischer  Zänkereien,  die  seit  dem  Abschluss  der 
Concordienformel  bis  in  den  Anfang  des  18.  Jahrhunderts 
dauernd,  unter  dem  Namen  von  kryptocalvinistischen,  synkre- 
tistischen,  pietistischen  Streitigkeiten  bekannt  sind,  wobei  auch 
orthodoxe  Machthaber  zur  Aufrechterhaltung  des  alten  Dog- 
matismus ihre  Gewalt  einsetzten.  Der  Widerspruch  prote- 
stantischer Glaubens-  und  Gewissensfreiheit  mit  jenem,  der 
unbedingten  Autoritätsglauben  forderte,  äusserte  sich  in  einer 
masslosen  Polemik,  die  zuletzt  an  der  Streitsucht  selbst  ver- 
endete. 

Das  18.  Jahrhundert  hatte  mit  dem  orthodoxen  Dogma- 
tismus gebrochen,  das  Subject  war  zur  Freiheit  gelangt  und 
da  das  Recht  der  freien  Subjectivität  die  unbedingte  Voraus- 
setzung der  kritischen  Forschung  ist,  war  auch  dieser  freie 
Bahn  gemacht.  Diese  Periode  kennzeichnet  sich  daher  durch 
die  kritischen  Forschungen  in  der  protestantischen  Theologie, 
die  bis  in  unsere  Tage  hineinreichend  sich  fortsetzen.  Ob- 
gleich man  sich  vom  kirchlichen  Dogmatisnuis  abwandte,  der 
auf  die  Autorität  der  biblischen  Lehre  Anspruch  erhoben  hatte, 
wollte  man  diese  doch  nicht  aufgeben,  vielmehr  zu  ihr  zurück- 
kehren, aber  mit  Bewahrung  der  freien  Subjectivität.  Indem 
das  Subject  mit  der  Wahrheit  der  biblischen  Lehre  sich  selbst- 
thätig  in  Einheit  setzen  und  zur  Gewissheit  gelangen  wollte, 
nahm  es  die  biblischen  Schriften  zur  Hand,  um  sie  kritisch 
zu  betrachten.  Dadurch  wurde  aber  das  Urchristenthum  und 
die  Entstehung  und  Entwickelung  des  Dogma  überhaupt  der 
kritischen  Betrachtung  unterzogen,  wobei  das  Christenthum 
als  geschichtliche  Thatsache  erschien,  das  demnach  auch  nur 
geschichtlich  aufgeftisst  werden  sollte.  An  der  Stelle  des 
starren    Dogmatismus    erkannte    man    nun    den    beweglichen 


Tholuck  in  Herzog's  Encyklop.,  Art.  „Aufklärung". 


4.  Ui'sachen  der  Abnahme  des  Teiifelsglaubens.  543 

Fluss  der  Geschichte,  und  die  alte  buchstäbliche  AuflPassung 
der  Schrift  musste  der  historischen  Interpretation  den  Platz 
räumen,  nachdem  Joh.  Aug.  Ernesti  (1707— 81)  gezeigt  hatte, 
dass  der  Sinn  der  Worte  in  den  göttlich  inspirirten  Büchern 
auf  dieselbe  Weise  gesucht  und  gefunden  werden  müsse,  wie 
er  auch  in  andern,  das  heisst  menschlichen  Biichern  gesucht 
und  o;efunden  werden  muss.  ^  Bei  Ernesti  steht  zwar  noch 
der  kirchlich -dogmatische  Begriflf  von  der  Inspiration  der 
Schrift,  aber  durch  die  Klarheit  und  Bestimmtheit,  Avomit  die 
Anwenduna:  der  allij;emeinen  Grundsätze  der  Ausleffuno-  auf 
die  biblischen  Schriften  gefordert  wird,  erscheint  jene  in  zwei- 
ter Linie,  und  so  bildet  Ernesti's  grammatisch-philologische 
Methode  den  Uebergang  zur  historischen,  als  deren  Yater 
Semler  genannt  zu  werden  pflegt.  Vor  ihm  hatte  Wettsteiu 
auf  die  Nothwendigkeit  hingewiesen,  das  Neue  Testament  als 
historisches  Literaturproduct  zu  betrachten,  und  den  Sinn 
durch  unbefangenes  Studium  zu  suchen^,  und  so  konnte  Sem- 
ler die  neue  Periode  mit  dem  Grundsatze  eröfinen:  die  Er- 
scheinung des  Christenthums  ist  unter  historischem  Gesichts- 
punkte zu  betrachten.  „Die  Auslegung  des  Neuen  Testa- 
ments ist  vornehmlich  geschichtlich  und  beschreibt  die  Thaten 
oder  Bestrebungen  und  Veranstaltiuigen  jener  Zeit,  darauf 
berechnet,  die  Christen  damaliger  Zeit  zu  sammeln  und  zu 
befestigen."  ^  Ei-  will  die  Erscheinung  des  Christenthums  nicht 
nur  mit  Berücksichtigung  der  äussern  Verhältnisse,  des  Orts, 
der  Gebräuche  damaliger  Zeit,  sondern  auch  im  Hinblick  auf 
die  geistigen  Bedingungen  der  Zeitgenossen,  ihrer  Vorstellun- 
gen, religiösen  Denk-  und  Ausdrucksweise  aufgefasst  wissen. 
Er  macht  daher  auf  das  Locale  und  Temporelle  in  dem  In- 
halte der  christlichen  Religionsurkunden  aufmerksam,  um  das 
Allgemeingültige  aus  den  „judenzenden"  Schriften  herauszu- 
schälen, da  dies  allein  für  uns  religiöse  Bedeutung  habe.  Um 
den  substantiellen  Inhalt  dieser  Bücher,  der  für  uns  (xültiar- 
keit  hat,  von  dem  übrigen,  das  sich  blos  auf  die  damalige 
Zeit  bezieht,  ablösen,  imi  das  Wort  Gottes  in  der  Schrift 
finden,  die  jüdischen  Elemente  aus  dem  christlichen  Bewusst- 


'  Institutio  Interpretis  IM.  T.,  i,  c.  1,  §.  IG  (1761). 

^  Libelli  ad  crisiu  atque  interjiretationem  N.  T. 

^  Institut,  brevior.  ad  liberal,  erudition.  theol.,  1,  §.  ^u. 


544      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

sein  ausscheiden  zu  können:  verlangt  Semler  im  Namen  aller 
denkenden  Christen  das  Reclit  der  freien  Untersuchuns:  des 
Kanon.  ^  Semler  wird  häufig  geriigt,  dass  er  seinen  Stand- 
punkt nicht  reiner  und  grossartiger  durchzufiihren  vermochte, 
sich  zu  keiner  höhern  o-eschichtlichen  Anschauuno;  zu  erheben 
wusste,  dass  er  das  Bindende,  das  die  Autorität  Jesu  und  der 
Apostel  für  ihn  hatte,  nur  durch  die  zweideutige  Accommo- 
dationshypothese  zu  beseitigen  wusste,  und  diese  Bemängelun- 
gen haben  ihre  Richtigkeit;  allein  die  AVissenschaft  verdankt 
ihm  doch  den  Standpunkt,  von  dem  eine  freie  Kritik  erst 
möo'lich  wurde  und  sich  der  Uebergang  bilden  konnte  zu 
einer  höhern  Betrachtung,  wo  selbst  dem  Zweifel  sein  Recht 
eingeräumt,  durch  dessen  Ueberwindung  die  völlige,  wahre 
Gewissheit  erst  erlangt  wird. 

Es  wurde  schon  erinnert,  dass  der  englische  Deismus 
ausser  durch  die  Schriften  Baumgarten's,  Mosheim's,  Michae- 
lis', namentlich  durch  Semler,  theils  in  deutschen  Uebersetzun- 
geu,  theils  in  Ausziigen  in  Deutschland  bekannt,  sowie  die 
französischen  Freidenker  und  Encyklopädisten  durch  Frie- 
drich den  Grossen,  iiberhaupt  durch  die  höhern  Stände  in 
den  deutschen  Bildungsprocess  hineingebracht  wurden. 

In  der  Periode  der  Aufklärung  nimmt  Lessing  (1729  — 
81)  durch  sein  universelles  Streben,  das  Bewusstsein  von  jedem 
Drucke  zu  befreien,  eine  hervorragende  Stelle  ein.  Seine 
Herausgabe  der  „Fragmente  eines  AVolfenbiittler  Unbekannten" 
(Reimarus),  wovon  namentlich  der  vierte  Beitrag  (im  Jahre 
1777)  grosses  Aufsehen  erregte  und  eine  heftige  Polemik  her- 
vorrief, gab  ihm  Gelegenheit,  in  den  Entwickclungsgang  der 
Theologie  unmittelbar  einzugreifen.  In  negativer  Weise  that 
er  dies  in  seinen  anti-Göze'schen Streitschriften,  Avorin  er  gegen 
den  hamburger  Pastor  Göze,  den  Vertreter  der  symbolischen 
Orthodoxie,  auf  glänzende  Weise  die  Behauptung  verfocht: 
dass  die  W'ahrheit  keinen  Zweifel  scheuen  dürfe,  durch  dessen 
offene  Darlegung  und  Erörterung  vielmehr  gewinnen  müsse. 
Ausser  den  polemischen  Schriften  gegen  Göze,  den  Vorreden 
und  Zusätzen  zu  den  Fragmenten  ist  der  Gehalt  der  Wirksam- 
keit Lessing^s  niedergelegt  in  seiner  „Duplik",  der  „Erziehung 
des  Menschengeschlechts",  seinem  „Nathan"  und  mehrern  meist 


'  Abhandlung  von  freier  Untersuchung  des  Kanons,  S.  6G  fg. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  545 

unvollendeten    Aufsätzen.     Den    Kern    von    Lessing^s  Wesen 
bildete  die  kritische  Kraft.  „Seine  Kritik",  sagt  C.  Schwarz  \ 
war  „darin  der  echtesten  Art,  dass  sie  nicht  allein  trennend, 
sondern    auch    verbindend,    nicht   allein   verneinend,    sondern 
auch    aufbauend    sich    erwies.     Sie    war    mehr   als   sichtender 
Verstand,    Sonderung   des   üuzusammengehörigen ,   Auflösung 
der  Yerwirrungsknoten,  sie  war  zugleich  combinatorische  Thä- 
tigkeit,  Aufspürung  überraschender  Verbindungen,  Divination 
verborgener,   dem  gewöhnlichen  Auge   entzogener  Zusammen- 
hänge.     Sie   war  mit  Einem  Worte   combinatorische   Kritik." 
Um  Lessing's  Wesen  zu  kennzeichnen,  hebt  Schwarz  treffend 
jene  Stelle  der  Duplik  hervor:  „Nicht  die  Wahrheit,  in  deren 
Besitz  ein  Mensch  ist  oder  zu  sein  vermeint,  sondern  die  auf- 
richtige Mühe,    die   er  angewendet  hat,    hinter   die  Wahrheit 
zu   kommen,   macht   den   Werth   des   Menschen.      Denn   nicht 
durch  den  Besitz,  sondern  durch  die  Nachforschung  der  Wahr- 
heit erweitern  sich  die  Kräfte,  der  Besitz  macht  ruhitr,  träire, 
stolz.  —  AVenn  Gott   in   seiner  Rechten  alle  Wahrheit  und  in 
seiner  Linken  den  einzigen,  immer  regen  Trieb  nach  Wahrheit 
(obschon   mit    dem  Zusätze   mich  immer   und   ewig  zu  irren) 
verschlossen  hielte   und  spräche  zu  mir:  wähle!   Ich  fiele  ihm 
mit  Demuth  in  seine  Linke,  und  sagte :  Vater,  gib !  Die  reine 
Wahrheit  ist  ja  doch  nur  für  dich  allein !"  Dies  ist  das  eigent- 
liche Wesen  Lessing's,   zugleich  aber   das  Wesen  des  wahr- 
heitsbedürftigen Menschen   überhaupt,   das  unendliche  Wahr- 
heitsstreben im  Subject,  dessen  Recht  darauf  in  seiner  Natur 
begriindet  ist,  in  deren  freier  Entfaltung  auch  nur  der  Werth 
der  Wahrheit  für  das  Subject  beruhen  kann.     Dieses  Wesen 
des  menschlichen  Denkens  und  Strebens  nach  Wahrheit,   das 
nothwendig  ein  kritisches  ist,  war  in  Lessing's  gesunder,  freier 
Persönlichkeit  zur  Erscheinung  gekommen.    Seine  Kritik  hatte 
eine    ethische    Richtung,    die    nicht    negirt,    niu-    um  zu   zer- 
stören,   sondern  das  todte  Gestein  hinwegräumt,    um   frucht- 
baren Boden  zu  gewinnen  für  die  neue  Saat,  „die  nie  an  der 
Zerstörung  als  solcher  Gefallen  findet,  sondern  immer  zugleich 
ein  Ideal  hinstellt,   an  welchem  sich    der  Geist   erheben,   dem 
er  nachstreben  soll".'^     Dies  zeigt  Lessing  nicht  nur  in  Ver- 


'  Gotth.  Ephr.  Lessing  als  Theolog,  S.'S. 
'-'  Ebendas.,  S.  4. 

Roskoff,   freschichte  des  Teufels.    II.  35 


546      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

folgimg  einer  ästhetischen  Reformation  in  seiner  Dramaturgie, 
sowie  durch  seine  eigenen  dramatischen  Dichtungen,  obschon 
er  die  Schranken  seiner  dichterischen  Begabung  genauer  kannte, 
als  irgendeiner;  er  beweist  es  auch  in  seiner  theologischen 
Kritik,  wo  er  den  Dogmatismus  sowol  der  Kirche  als  den 
der  sogenannten  gesunden  Vernunft,  die  Intoleranz  sowol 
der  Gläubigen  als  der  Ungläubigen  unermüdlich  und  uner- 
bittlich bekämpfte.  Hieraus  erklärt  sich  wol  „das  Eigenthüm- 
liche  in  Lessing's  Stellung  —  dass  er  allein  war",  da  er  zu 
keiner  der  vorhandenen  Parteien  zählte,  weil  er  über  allen 
stand,  da  er  alles  Sekten-  und  Cliquenwesen  gründlich  hasste, 
weil  ihm  nur  die  selbsterrungene  Wahrheit  Werth  hatte.  Weil 
Lessing,  nur  nach  Wahrheit  strebend,  dahin  sich  neigte,  wo 
er  ein  Korn  davon  erblickte,  konnte  er  seinen  Zeitgenossen 
bald  als  Stütze  der  lutherischen  Kirche ,  bald  als  abtrünniger 
Ketzer,  bald  als  Gegner  der  neuen  Theologie  erscheinen.  Er 
hatte  auf  keiner  Seite  volle  Genüge,  wo  ihm  unklare  Geistes- 
forraen  entgegentraten,  und  solche  fand  er  auch  bei  den  da- 
maligen Aufklärern.  Jede  Halbheit  ist  ihm  zuwider,  er  will 
keine  Mixtur  von  Halb -Bibel  und  Halb -Vernunft.  „Und  was 
ist  sie  anders",  sagt  er  in  dem  bekannten  Briefe  an  seinen 
Bruder  vom  2.  Februar  1774,  „unsere  neumodische  Theologie 
gegen  die  Orthodoxie,  als  Mistjauche  gegen  unreines  Wasser?" 
Er  will  lieber  Philosophie  und  Theologie  ganz  getrennt  sehen, 
wie  in  frühern  Zeiten,  als  dass  diese  mit  ein  bischen  Popular- 
philosophie  gestützt  werde,  was  die  Philosophie  ruinire,  indem 
man  sie  theologisirt;  lieber  herrsche  in  der  Theologie  Wun- 
der, Oflfenbarung,  Mysterium,  in  der  Philosophie  Vernunft  — 
oder  wenn  einmal  aufgeräumt  werden  soll,  so  herrsche  der 
Geist  der  Prüfung  ganz  und  unbedingt.  Lessing,  der  mit  dem 
literarischen  Kreise,  dessen  Mittelpunkt  Nicolai  war,  in  Ver- 
bindung gestanden,  zog  sich  nicht  nur  zurück,  sondern  trat 
sogar  gegensätzlich  auf,  als  jener  zu  einem  Aufklärungsbureau 
geworden,  das  die  Aufklärung  geschäftsmässig  trieb,  jedes 
geistige  Product  vor  sein  Tribunal  forderte,  um  seinen  Mass- 
stab der  plattgewordenen  Verständigkeit  darauzulegen,  und 
über  alles,  was  darüber  hinaus  war,  mit  Intoleranz  aburtheilte. 
Nicolai,  dessen  „Allgemeine  deutsche  Bibliothek"  sich  versandet 
hatte,  las  Lessing's  Meinung  in  einem  Briefe  vom  25.  August 
1769  an  ihn:    „Sagen  Sie  mir  von  Ihrer  berlinischen  Freiheit 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  547 

zu  denken  und  zu  schreiben  ja  nichts.  Sie  reducirt  sich  ein- 
zig und  allein  auf  die  Freiheit,  gegen  die  Religion  so  viel 
Sottisen  zu  Markte  zu  bringen,  als  man  will.  Und  dieser 
Freiheit  muss  sich  der  rechtliche  Mann  nun  bald  zu  bedienen 
schämen."  Der  historisch -kritischen  Theologie,  durch  Ernesti, 
Michaelis  und  vornehmlich  Semler  vertreten,  wäre  Lessing 
näher  gestanden,  M^enn  ihm  nicht  deren  Hauptstützpunkte: 
jene  Unterscheidung  zwischen  localem  und  allgemeingültigem 
Christenthum,  und  die  beliebte  Accommodationstheorie  haltlos 
erschienen  wären.  In  der  ganzen  Theorie  erblickte  er  histo- 
rische UnM^ahrheit  und  Feigheit,  und  da  er  in  den  evangeli- 
schen Erzählungen  uuausgleichbare  Widersprüche  fand,  auf 
die  sein  Fragmentist  hingedeutet,  welchen  Semler  in  schmä- 
hendem Tone  und  etwas  hochmüthigerweise  angegriffen  hatte  \ 
so  war  der  Anlass  zum  Conflicte  vorhanden.  Dieser  kam  zwar 
nicht  öffentlich  zum  Ausbruch,  Lessing  äusserte  sich  aber 
wiederholt  sehr  erbittert  über  Semler's  Schrift,  und  dass  er 
die  Unzulänglichkeit  jener  Theologie  durchschaute,  geht  aus 
nachgelassenen  Fragmenten  deutlich  hervor.  Semler's  Verdienste 
um  die  Aufrüttelung  der  alten  Theologie  sind  anerkannt,  aber 
ebenso  seine  Unklarheit  in  PrincijDienfragen,  indem  er,  sich  in 
Einzeluntersuchungen  verlierend,  die  hinter  ihm  offen  gebliebene 
Frage  mit  der  spanischen  Wand  seiner  Theorie  verdeckte.  Les- 
sing dagegen  würd  mit  Kecht  „ein  Kritiker  viel  höhern  Stils 
und  viel  jjräciserer  Art"  genannt^,  und  wenn  Semler  für  die 
Anregung  der  Theologie  der  damaligen  Zeit  Dank  einerntet, 
so  bleibt  Lessing  der  Anreger  der  Theologie  für  alle  Zeiten. 
Lisbesondere  gilt  dies  hinsichtlich  der  innerhalb  der  protestan- 
tischen Theologie  so  wichtigen  Frage:  über  das  Kecht  der  Kri- 
tik in  ihrer  Anwendung  auf  die  Bibel,  „ob  Bibel  und  Christen- 
thum, als  sich  vollkommen  und  an  allen  Punkten  deckende 
Begriffe  anzusehen,  welche  miteinander  stehen  und  fallen,  er- 
halten und  angegriffen  werden?"  Lessing  kommt  aus  dem 
Wesen  der  Religion  und  des  Christenthums  zu  der  Ansicht, 
dass  ihre  Wahrheit  nicht  von  äussern  Zeugnissen  und  Urkun- 
den abhängig   sein    könne,    sondern    in    sich   beruhen   müsse, 


'  Beantwortung  der  Fragmente  eines  Ungenannten,  insbesondere  vom 
Zwecke  Jesu  und  seiner  Jünger  (1779). 
2  Schwarz,  S.  Gl. 

35* 


548       Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

daher  die  innere  Wahrheit  der  christlichen  Religion  durch  die 
Auerriffe  auf  die  Aussenwerke  nicht  betroffen  werden  soll.  Er 
mag  seine  Gedanken  mit  seinen  eigenen  Worten  in  den  zehn 
Thesen  seiner  Axiomata  zusammengefasst  geben,  und  zwar  in 
der  von  Schwarz  nur  wenig  veränderten  Ordnung  ' :  „1)  Die 
Bibel  enthält  offenbar  mehr  als  zur  Religion  gehört.  2)  Es  ist 
blosse  Hypothese,  dass  die  Bibel  in  diesem  Mehreren  gleich 
unfehlbar  sei.  3)  Der  Buchstabe  ist  nicht  der  Geist  und  die 
Bibel  ist  nicht  die  Religion.  4)  Folglich  sind  die  Einwürfe 
gegen  den  Buchstaben  und  gegen  die  Bibel  nicht  eben  auch 
Einwiirfe  gegen  den  Geist  und  gegen  die  Religion.  5)  Auch 
war  eine  Religion,  ehe  eine  Bibel  war.  6)  Das  Christenthum 
war,  ehe  Evangelisten  und  Apostel  geschrieben  hatten.  Es 
verlief  eine  geraume  Zeit,  ehe  der  erste  von  ihnen  schrieb,  und 
eine  sehr  beträchtliche,  ehe  der  ganze  Kanon  zu  Stande  kam. 
7)  Es  mag  also  von  diesen  Schriften  noch  so  viel  abhängen, 
so  kann  doch  inimöglich  die  ganze  Wahrheit  der  christlichen 
Religion  auf  ihnen  beruhen.  8)  War  ein  Zeitraum,  in  Avelchem 
die  christliche  Religion  bereits  so  ausgebreitet  war,  in  welchem 
sie  sich  bereits  so  vieler  Seelen  bemächtigt  hatte,  und  in  wel- 
chem gleichwol  noch  kein  Buchstabe  aus  dem  von  ihr  aufge- 
zeichnet war,  was  bis  auf  uns  gekommen  ist,  so  muss  es  auch 
möglich  sein,  dass  alles,  was  die  Evangelisten  und  Apostel 
o-eschrieben  haben,  wiederum  verloren  ginge,  und  die  von  ihnen 
gelehrte  Religion  doch  bestände.  9)  Die  Religion  ist  nicht 
wahr,  weil  die  Evangelisten  und  Apostel  sie  lehrten,  sondern 
sie  lehren  sie,  weil  sie  wahr  ist.  10)  Aus  ihrer  Innern  Wahr- 
heit müssen  die  schriftlichen  Ueberliefcrungen  erklärt  werden, 
und  alle  schriftlichen  Ueberlieferungen  können  ihr  keine  innere 
Wahrheit  geben,  wenn  sie  keine  hat."  Von  diesem  Gesichts- 
punkte hatte  Lessing  der  weitem  Entwickelung  der  prote- 
stantischen Theologie  das  Ziel  vorgezeichnet,  und  ein  namhafter 
protestantischer  Theologe  unserer  Tage  bestätigt  es,  dass  „sie 
diesem  Ziele  auch  wirklich  zustrebte,  und  in  der  That  seitdem 
keine  höhere  Aufgabe  vor  Augen  hatte  als  'eben  die  ihr  von 
Lessing  vorgezeichnete".  ^ 


o 


1  S.  146. 

-  Baur,  Vorlesungen  über  die  christliche  Dogmengeschichte,  heraus- 
gegeben von  Ferd.  Fr.  Baur  (1867),  III,  312. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsghiubens.  549 

Wie  Lessing's  Wahrheitsinteresse  ans  seiner  wahrheits- 
bedürftigen, reinen,  gesunden  Menschennatur  hervorging,  die 
nach  innerer  Beruhigung  strebte,  so  achtete  er  die  selbster- 
worbene individuelle  Form  der  Wahrheit  an  andern  und 
hasste  die  Unduldsamkeit.  Er  stritt  daher  nicht  nur  gegen 
die  Intoleranz  der  gelehrten  Theologen,  sondern  predigte  auch 
die  Toleranz  „auf  seiner  Kanzel,  dem  Theater",  vor  dem  Volke. 
Dies  that  er  vornehmlich  in  seinem  „Nathan",  wo  er  über  die 
Ausschliesslichkeit  des  Oflenbarungsglaubens  hinüber  und  zur 
humanen  Sittlichkeit  zu  erheben  sucht,  unbeschadet  der  Pietät 
für  die  eigene  Religion  der  Väter.  Da  der  fruchtbare  Kern 
jeder  Rehgion  in  der  Sittlichkeit  besteht,  so  wird  auch  der 
schwere  Ton  auf  die  praktisch -sittliche  Bethätigung  der  Re- 
ligion von  ihren  Bekennern  gelegt  werden.  In  seinem  „Nathan" 
predigt  Lessing  die  Humanität,  aus  welcher  die  Handlung 
entspringen  soll,  die  Idee  der  Menschheit,  die  über  allem  Be- 
sondern stehen,  in  der  alle  Unterschiede  des  gewöhnlichen 
Lebens  aufgehen  sollen,  die  Duldsamkeit,  die  auf  das  Evan- 
gelium der  Liebe  gegründet,  aus  echter  werkthätiger  Religio- 
sität hervorgeht,  im  Gegensatz  zur  Unduldsamkeit  des  religiösen 
Fanatismus,  der  mit  dem  Alleinbesitz  der  W^ahrheit  sich  brüstet. 
„Diese  Toleranz",  erinnert  Stahr  *,  dieses  in  der  ganzen  Dich- 
tung athmende  göttliche  Duldungs-  und  Schonungsgefühl  ist 
es,  was  Goethe,  Herder  und  Schiller,  was  alle  Geistesheroen 
des  deutschen  Volks  „als  ein  heiliges  und  wei'thes  Vermächt- 
niss  zu  bewahren,  unserer  Nation  ans  Herz  gelegt  haben ".^ 
Das  Individuelle  soll  nicht  untergehen,  es  soll  aber  keine 
Schranke  sein  im  sittlichen  Verkehr  der  Menschen,  die  Aner- 
kennung besonderer  Individualität  soll  sich  vereinen  mit  der 
allgemeinen  Menschenliebe,  in  deren  heiligem  Feuer  alle  an- 
geblichen Vorrechte  zusammenschmelzen  sollen.  „In  der  That", 
ruft  Stahr,  „dies  Werk  und  diese  Gesinnung  sind  ein  Testa- 
ment geworden,  welches  Lessing  der  Menschheit  hinterlassen, 
und  bei  diesem  Erbe  wollen  Avir  geschützt  sein  und  uns,  so 
Gott  will,  selber  schützen  gegen  jede  Verfinsterungs -  und 
Glaubenstyrannei.     Nathan's  Gesinnung,   zu  der  sich  Lessing 


'  Lessing,  sein  Leben  und  seine  Werke,  II,  245. 
2  Goethe's  Werke,  XLV,  22. 


550      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

bekannte,  ist  das  Erbe  von  Tausenden  und  Abertausenden 
geworden."^  Lessing  verstand  aber  auch,  wie  Schlosser  be- 
stätigt, „allein  unter  allen  seinen  Zeitgenossen  die  schwere 
Kunst,  zugleich  streng  logisch,  gründlich  belehrend,  und  doch 
auch  unterhaltend  und  lebhaft  zu  schreiben,  und  den  Leser 
durch  die  Form  des  Vortrags  zu  zwingen,  an  der  Sache  selbst 
theilzunehmen.  Er  konnte,  ohne  zu  Spielereien  oder  Witze- 
leien herabzusteigen,  oder  die  Phantasie  durch  allerlei  Schilde- 
reien zu  bewegen,  sogar  Abhandlungen  über  gelehrte  Gegen- 
stände oder  polemische  Schriften,  über  schwere  Materien  durch 
die  Form  des  Vortrags  dem  gewöhnlichen  Leser  anziehend 
machen".  2 

Auch  derjenige,  welcher  nicht  zu  den  enthusiastischen 
Verehrern  Lessing's  zählt,  wird  den  Stahr'schen  Schlusssatz, 
auf  die  Menge  angewendet,  richtig  finden,  und  wer  in  unsern 
Tagen  inmitten  confessioneller  Contlicte  steht,  wird  wahrneh- 
men müssen,  dass  diese  nicht  im  Volksbewusstsein  ihren  Grund 
haben,  sondern  auf  andere  Motoren  zurückzuleiten  sind.  Das 
sittlich-religiöse  Bewusstsein  der  Gegenwart  beruht  auf  dem- 
selben Grunde,  den  die  Arbeiter  der  Aufklärung  gelegt  haben, 
denn  trotz  der  hier  und  da  künstlich  hervorgebrachten  confes- 
sionellen  Spannung  kann  es  dem  schärfern  Auge  nicht  ent- 
gehen, dass  im  Herzen  der  Menge  das  Princip  der  religiösen 
Toleranz  lebt,  welches  von  den  englischen,  französischen  und 
deutschen  Aufklärern  gepredigt  worden  ist.  Der  Anhänger 
des  kirchlichen  Dogmatismus  muss  zwar  den  um  sich  gegrif- 
fenen Indifferentismus  gegen  dessen  Satzungen ,  und  um  so 
mehr  die  negative  Richtung  dagegen  beklagen;  allein  der 
Culturhistoriker  weist  dafür  auf  das  positive  Product  des 
geschichtlichen  Entwicklungsprocesses  hin,  nämlich  auf  die 
Menschlichkeit,  die  in  ihrer  sittlichen  Richtung  in  allen  Con- 
fessionen  platzgegriffen  hat,  und  nicht  ausschliesslich  ver- 
neinend, sondern  den  christlichen  Begriff  tief  bejahend  in 
humanen  Bestrebungen  die  Christlichkeit  repräsentirt  und  in 
der  Pflege  der  Armen,  in  der  Hebung  sittlich  Verwahrloster 
u.  dgl.  zum  Ausdruck  bringt.  Die  Träger  der  Kirche  sehen 
deren  Bestand  durch  die  überhandgenommene  Unkirchlichkeit 


1  Stahr,  Lessing,  S.  260. 

'^  Schlosser,  Geschichte  des  18.  Jahrhundert,  II,  589,  4.  Auf!. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  551 

gefährdet  und  ihre  Klagen  sind  tief  begründet,  denn  der  heu- 
tige Christ  legt  den  schweren  Ton  auf  die  christliche  Sitten- 
lehre, aus  der  er  seine  Kraft  und  Nahrung  zieht.  Der  moderne 
Mensch  sieht  in  der  Herausbildung  der  Humanität  die  eigent- 
liche Civilisation ,  er  setzt  seine  Bestimmung  darein  und  ist 
fest  tiberzeugt,  dadurch  mit  der  Wahrheit  des  Christenthums 
in  Einheit  zu  stehen.  Ja  er  rechnet  es  der  christlichen  Reli- 
gion zum  Vorzug  an  vor  allen  andern  Religionen,  und  erblickt 
in  ihr  „das  einzige  Beispiel  einer  Religion,  die  nicht  naturge- 
mäss  von  der  Civilisation  geschwächt  wurde",  während  in 
allen  andern  „der  Verfall  der  dogmatischen  Begriffe  ebenso 
viel  wie  eine  vollständige  Vernichtung  der  Religion"  ist;  er 
erkennt  den  grossen  sittlichen  Beweis  der  Göttlichkeit  des 
Christenthvmis  darin,  „dass  es  die  Hauptquelle  der  sittlichen 
Entwicklung  Eurof)as  war".  ^ 

Wir  haben  die  Philosophie,  die  im  16.  Jahrhundert  in 
selbständiger  Weise  der  Theologie  an  die  Seite  getreten  war, 
und  ihren  Einfluss  auf  diese,  sowie  die  Wirksamkeit  beider 
auf  das  Zeitalter  der  Aufklärung  in  Betracht  gezogen.  Aber 
das  Streben  nach  Emancipation  von  der  Herrschaft  der  Au- 
torität machte  sich  nicht  nur  in  der  Theologie  fifeltend.  Nicht 
unerwähnt  soll  daher  der  Beitrag  bleiben,  den  die  Pädagogen 
Basedow,  Campe,  Salzmann,  Pestalozzi  und  ihre  Schüler  da- 
durch lieferten,  dass  sie  die  Lehren  der  Aufklärung,  Toleranz 
und  christlichen  Menschlichkeit  dem  häuslichen  Leben  unmit- 
telbar zuführten.  Selbstverständlich  wirkte  die  gesammte  Li- 
teratur überhaupt  als  organisches  Product  des  Zeitbewusstseins 
in  derselben  Richtung.  Bekannt  ist  Wieland's  Thätigkeit,  der 
durch  seine  leichte  Manier  die  Resultate  französischer  und 
englischer  Denker  dem  grossen  Leserkreise  in  Deutschland 
näher  brachte,  bekannt  sind  Herder's  Bestrebungen,  die  er  in 
seinen  Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte,  in  seinen  Huma- 
nitätsbriefen niederlegte,  im  Sinne  des  Humanismus,  den  er 
in  der  Geschichte  und  Literatur  aufsuchte  und  darlegte.  Es 
müsste  die  ganze  Literatur  in  ihrem  Streben  nach  demselben 
Ziele  angeführt  werden,  wenn  der  Gegenstand  nicht  schon 
in  Schlosser,  Gervinus,  Hettner  und  andern  seine  Meister  ge- 


1  W.   E.  Ilartpole  Lecky,    Geschichte    der  Aufklärung    in    Europa. 
Deutsch  von  -Jolowitz,  I,  239. 


552       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

fluiden  hätte.  Es  genügt  daher,  auf  den  Einfluss  der  Literatur 
durch  Förderung  der  Humanität,  die  Schiller  und  Goethe 
,,Cultur"  zu  nennen  pflegten,  für  die  auch  sie  ihre  Kraft  ein- 
setzten, hingedeutet  zu  haben.  Um  so  mehr  enthalten  wir 
uns,  weiter  zuriickzugehen,  um  andere  selbstverständliche  Mo- 
mente anzuführen,  die  dem  Geiste  des  16.  Jahrhunderts  die 
Pforten  geöflnet,  als:  die  Einführung  der  Volkssprachen,  die 
Erfindung  der  Buchdruckerkunst,  die  Avachsende  Macht  der 
Presse,  das  infolge  der  Errichtung  von  Universitäten  ver- 
breitete Studium  des  classischen  Alterthums,  die  Entdeckung 
neuer  Welttheile,  die  Reisen  um  die  Erde  u.  s.  f. 

Auf  die  Wandlung  der  sittlichen  und  religiösen  Weltan- 
schauung, die  im  18.  Jahrhundert  ihren  charakteristischen 
Typus  erlangte,  wirkte,  ausser  den  angeführten  Factoren,  vor- 
nehmlich eine  Macht,  welche  die  Trennung  vom  alten  kirch- 
lichen Dogmatismus  zwar  mehr  mittelbar,  aber  um  so  durch- 
schlagender förderte,  daher  auch  von  diesem  bis  auf  den 
heutigen  Tag  ganz  richtig  als  sein  Erzfeind  erkannt  wird. 
Diese  Macht  ist  die  Naturforschuug.  Für  wen  es  in  der 
Geschichte  der  menschlichen  Entwicklung  Zufälligkeiten  gibt, 
der  muss  mindestens  vieles  sehr  merkwürdig  finden,  z.  B.  dass 
in  dem  Jahre,  wo  Columbus  geboren  wurde,  auch  der  Bücher- 
druck in  die  Welt  kam,  dass  in  demselben  Jahrhundert,  wek-hes 
Protest  gegen  die  Alleinherrschaft  der  kirchlichen  Macht  er- 
hob, auch  die  Astronomie  von  der  theologistischcn  Astrologie 
sieh  trennte  und  Kojiernicus  zuerst  die  förmliche  Behauptung 
aufstellte  (etwa  1536),  dass  sich  die  Erde  um  die  Sonne  be- 
wege. Im  Jahre  1543  erschien  sein  Werk:  „Libri  sex  de 
orbium  coelestium  revolutionibus",  worin  er  die  tägliche  Um- 
drehung der  Erde  um  ihre  Axe,  eine  jährliche  Kreisbewegung 
um  die  Sonne  und  eine  Bewegung  der  Abweichung  der  Axe 
lehrte,  und  wenige  Tage  darauf  starb.  Giordano  Bruno,  der 
auch  die  heliocentrische  Bewegung  der  Erde  behauptete,  er- 
fuhr den  Widerspi'uch  der  Kirche  auf  die  antidogmatische 
ketzerische  Lehre  in  einer  sechsjährigen  Gefangenschaft  unter 
den  Bleidächern  Venedigs,  luid  ward  am  16.  Februar  1600 
zu  Rom  verbrannt.  Allein  die  Theorie  war  deshalb  nicht  in 
Rauch  aufgegangen,  sie  verschafi'te  sieh  vielmehr  Geltung  und 
ward  der  klaren  Wahrnehmung  nahe  gebracht  durch  das  Te- 
leskop,  auf  dessen  Erfindung  Lipershey,   Adriaansz  mit  dem 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teul'elsglaubeus.  553 

Beinamen  Metius  und  Jansen  Anspruch  haben.  Galileo  wandte 
die  „raumdurchdringende  Kraft  des  Fernrohrs"  auf  die  Unter- 
suchung des  Himmels  an  und  verfertigte  sieh  ein  solches  für 
seinen  eigenen  Gebrauch.  Die  Entdeckung  zahlloser  Fixsterne, 
bisher  von  keinem  irdischen  Auge  gesehen,  der  vier  Satelliten 
des  Jupiter  (IGIO),  der  Phasen  der  Venus,  die  deren  Bewe- 
gung um  die  Sonne  feststellten,  waren  die  Erfolge  der  ersten 
teleskopisch-astronomischen  Untersuchungen.  Bekanntlich  ver- 
fiel auch  Galileo  der  Inquisition,  die  nicht  nur  das  koperni- 
canische  System  als  falsche,  der  Heiligen  Schrift  völlig  zuwider- 
laufende 2:)ythagoräische  Lehre  verdammte,  sondern  auch 
Galileo  zur  demüthigenden  Abschwörung  des  heliocentrischen 
Systems  zwang,  bis  er  1642  als  Gefangener  der  Inquisition  in 
seinem  78.  Jahre  starb.  Aber  die  Worte,  die  Galileo  leise 
fliisterte :  E  pur  si  muove,  als  er  im  Büsserhemde  von  den  Knien 
sich  erhob  —  sie  hallten  wider  und  erfüllen  noch  heute  die 
Welt. 

Die  Folge  dieser  Entdeckungen  war  eine  erweiterte  An- 
schauimg  vom  Universum,  in  welchem  der  Erde  die  Stelle 
eines  Gliedes  im  Sonnensystem  angewiesen  wurde.  Hiermit 
war  aber  zugleich  die  hergebrachte  Meinung,  dass  unsere  Erde 
der  Hauptzweck  des  Weltganzen  sei,  dass  Sonne  und  Mond 
sich  um  sie  bewegen,  dass  die  Sterne  als  blosse  Lichter  das 
Firmament  zu  schmücken  bestimmt  seien,  als  Irrthum  bloss- 
gelegt.  Ebenso  war  die  damit  zusammenhängende  Ansicht, 
welche  den  Menschen  als  Mittelpunkt  aller  Dinge  betrachtete 
und  jede  auft'allende  Naturerscheinung  mit  seinen  Handlungen 
in  Beziehung  setzte,  als  ob  Sonnenfinsterniss,  Kometen,  Me- 
teore, Stürme  um  des  Menschen  willen  da  wären,  die  ganze 
Geschichte  des  Universum  sich  um  ihn  drehte,  alle  Störungen 
oder  Abweichungen,  die  sich  zeigten,  mit  der  Geschichte  des 
Menschen  im  Zusammenhange  stünden  —  diese  Ansicht  war 
nun  durch  die  teleskopisch-astronomischen  Entdeckungen  ver- 
nichtet. 

Kepler  (1571  —  16o0),  der  mit  der  ganzen  Energie  seines 
Geistes  über  dem  kopernicanischen  System  gebrütet  hatte, 
wie  er  in  seinem  „Mysterium  cosmographicum"  selbst  sagt, 
unternahm  die  mühsamsten  Berechniuigen  mit  fast  über- 
menschlicher Geduld,  um  den  physischen  Zusammenhang  zwi- 
schen den  Theilen  des  Sonnensystems  auf  Grund  von  Gesetzen 


554     Vierter  Abschnitt :    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

sicherzustellen.  Das  Ergebuiss  war  die  Entdeckung  der  bei- 
den grossen  (jetzt  unter  dem  Namen  des  ersten  und  zweiten 
Kepler'schen  Gesetzes  bekannten)  Gesetze:  „die  Planetenbahnen 
sind  elliptisch"  und,  „der  vermittels  einer  vom  Planeten  nach 
der  Sonne  gezogenen  Linie  beschriebene  Flächeninhalt  ist  der 
Zeit  j3roportional",  wozu  im  Jahre  1617  das  dritte  Gesetz 
hinzukam:  „das  Quadrat  der  periodischen  Zeiten  steht  in 
demselben  Verhältniss,  wie  der  Kubus  der  Entfernungen". 
Zur  völligen  Klarheit  der  Vorstellung  des  Sonnensystems  ver- 
half die  Mechanik  der  Astronomie  durch  die  Entdeckung  der 
Bew^egungsgesetze,  Schon  Leonardo  da  Vinci  hatte  sich  da- 
mit beschäftigt,  Stevinus  im  Jahre  1580  ein  Werk  über  die 
Grundsätze  des  Gleichgewichts  geliefert,  Galileo  1592  in  einer 
Abhandlung  über  die  Mechanik  drei  BeM'egungsgesetze  aufzu- 
stellen versucht  und  1638  in  seinen  ,, Gesprächen  über  die  Me- 
chanik" das  Gesetz  der  Gleichmässigkeit  und  Beständigkeit  der 
Bewegung  erörtert.  Den  festen  Grund  zur  physischen  Astro- 
nomie legte  aber  Newton  durch  seine  „PrinciiDia"  (1686), 
worin  er  die  mechanische  Theorie  der  allgemeinen  Gravita- 
tion feststellte.  Nach  dieser  Gravitationstheorie  war  es  nun 
möglich,  nicht  nur  die  Gestalt  und  Schwere  der  Erde  zu  be- 
stimmen,  das  Vorrücken  der  Aequinoctien  gegen  Osten  zu 
erklären,  sondern  auch  augenscheinliche  Verwirrungen  der 
Körper  des  Sonnensystems  nach  Erkenntniss  ihrer  Masse  zu 
berechnen.  Durch  Kepler  waren  die  Kreisbewegungen  des 
kopernicanischen  Systems  zu  elliptischen  Bahnen  verbessert, 
er  hatte  die  Thatsachen,  die  sein  Vorgänger  gesehen,  auf  ma- 
thematischem Wege  in  allgemeine  Gesetze  gebracht,  Newton 
aber  erst  durch  seine  Gravitationstheorie  in  ihrer  innern  Noth- 
wendigkeit  bewiesen. 

Die  astronomischen  Entdeckungen  waren  von  weltge- 
schichtlicher Bedeutsamkeit  für  das  menschliche  Bewusstsein, 
indem  sie  diesem  die  Lehre  von  der  Weltregicrung  auf  Grund 
ewiger  Gesetze  vernünftiger  Nothwendigkeit  zuführten.  Der 
Mensch  musste  die  orthodoxen  Vorstellungen  von  Himmel 
und  Erde ,  von  der  ausnahmsweise  stehenden  Sonne  Josua's 
aufgeben,  die  Lichter,  am  Himmel  angeheftet,  erweiterten  sich 
zur  unendlichen  Menge  von  Weltkörpern,  die  sich  in  mathe- 
matisch zu  berechnenden  Bahnen  bewegen ;  der  Mensch  glaubte 
nicht  mehr   an  Ausnahmen    und  Willkiir,    an    den   kleinlichen 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  555 

Zweck  in  der  Natur,  er  sah  und  erkannte  die  ewige,  still- 
waltende, vernünftige  Gesetzmässigkeit  herrschend.  Er  fand 
sich  zwar  aus  dem  Brennpunkt  der  Schöpfung,  in  den  er  sich 
bisher  gesetzt  glaubte ,  herausgehoben ;  dafür  ward  er  aber 
auf  einen  erhabenem  Standpunkt  gestellt,  von  dem  er  die 
ewige  Gesetzmässigkeit  der  Vernunft  anschaute,  die  er  aus 
dem  Urquell,  dem  göttlichen  Wesen  und  dessen  Allgegen- 
wärtigkeit ableitete. 

Das  Vertrauen  auf  die  Macht  des  Selbsterkennens  war 
es,  das  die  Bande,  durch  welche  alle  Zweige  des  Wissens 
während  des  Mittelalters  an  äussere  Autorität  gefesselt  waren, 
gegen  den  Ausgang  desselben  allmählich  löste,  die  Tendenz  der 
Selbstprüfung  in  den  Vordergrund  drängte  und  eine  wunder- 
bare Entfaltung  wissenschaftlicher  Thätigkeit,  nach  allen  Seiten 
die  Natur  zu  erforschen,  hervorbrachte.  Vieta  (1560^ — 1608) 
führte  den  Gebrauch  der  Buchstaben  in  der  Algebra  ein  und 
wandte  diese  auf  die  Geometrie  an;  es  entstand  ein  neues 
Sternenverzeichniss ;  Gesner  (gest.  1565)  ebnete  den  Weg  zur 
Zoologie,  Fallopius,  Eustachius,  Avantius,  Varolius  unter- 
nahmen Secirungen. 

Im  Jahre  1600  schrieb  Gilbert  über  die  magnetisclien  und 
elektrischen  Kräfte :  „Physiologia  nova  de  Magnete."  Im  Jahre 
1620  verfertigen  Drebber  und  Jansen  zusammengesetzte  Ver- 
grösserungsgläser,  die  durch  Hook  und  Leuwenhoek  durch 
Anwendung  von  Hohlspiegeln  vervollkommnet  wurden.  Picuo- 
lomini  legte  durch  seine  Beschreibung  der  Zellengewebe  den 
Grund  zur  allgemeinen,  Coiter  zur  pathologischen  Anatomie. 
Durch  Descartes  ward  die  Anwendung  der  Algebra  auf  die 
Geometrie  und  die  des  mechanischen  Moments  auf  die  physi- 
sche Astronomie  entwickelt  und  der  Beweis  geliefert:  dass  das 
Gewicht  des  Wassers  im  leeren  Räume  dem  der  Luft  das 
Gleichgewicht  halte.  Die  Erfindung  der  Logarithmen  ward  durch 
Napier  vervollkommnet;  Toricelli,  durch  Galileo's  Beobach- 
tungen des  Luftdrucks  aufmerksam  gemacht,  erfand  (1643) 
das  Barometer,  das  bald  zu  Höhenmessungen  benutzt  wurde. 
Otto  von  Guerike  in  Magdeburg  (1602  —  86)  erfindet  die  Luft- 
pumpe, die  von  Boyle  vervollkommnet  wird;  Bacon  betrachtet 
in  seiner  „Historia  naturalis  et  experimentalis  de  ventis"  (1664) 
die  Richtung  der  Winde  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Tem- 
peratur und  den  Ilydrometeoren,  wird  aber  bei  seiner  Leugnung 


556      Vierter  Absclmitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

des  kopernicanischen  Systems  auf  falsche  Vermuthungcn  geführt. 
Der  dänische  Astronom  Römer  macht  1675  die  Entdeckung 
der  messbaren  Geschwindigkeit  des  Lichts,  u.  s.  f.  Es  Hesse 
sich  das  Verzeichniss  der  Detaihirbeiten  auf  dem  Gebiete 
der  Naturwissenschaft  aus  dieser  Zeit  ins  Masslose  fort- 
setzen. 

Gleichwie  die  Frage  iiber  die  Stellung  der  Erde  zum 
Weltganzen  und  das  Verhältniss  des  Menschen  zu  jeuer 
mit  der  kirchlichen  Anschauung  unmittelbar  zusanmienhängt, 
so  nicht  minder  die  über  das  Alter  und  die  Geschichte  der 
Erde.  Die  Lösung  einer  Menge  geognostischer  Fragen  ist 
zwar  noch  unsern  Tagen  vorbehalten,  aber  die  astronomischen 
und  physikalischen  Entdeckungen  in  den  Zeiten  Kopernik's, 
Galileo's,  Kepler^s  und  Newton's  haben  doch  schon  die  Be- 
trachtung auf  die  Geognosie  hingelenkt.  „Die  heilige  Theorie 
der  Erde"  von  Buonelt  (1643—1715)  lehnte  sich  zwar  noch  an 
die  biblische  Schöpfungsurkunde,  indem  sich  bei  ihm,  wie  bei 
Woodward,  Ray  und  Whiston  „Glauben  und  Wissen  mitein- 
ander vermengten".^  Nach  ihm  war  die  Erde  uranfänglich 
eine  flüssige  Masse,  in  der  sich  alles  nach  Schwere  und  Leich- 
tigkeit schied.  Einen  festen  Kern  umfloss  Wasser,  das  aber 
mit  einer  festen  Rinde  bedeckt  war,  die  in  der  Sündflut 
durch  innere  Gewässer  durchbrochen  wurde.  Schon  gegen 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  hatte  Leonardo  da  Vinci  Spuren 
einer  untergegangenen  Thierwelt  entdeckt,  und  Fracastaro 
(1517),  Palissy  (1563)  bestätigten  diese  Entdeckung.  Steno 
( 153g  _  3(3)  in  seinem  Werke  „De  Solido  intra  Solidum 
naturaliter  contento"  (1660)  spricht  schon  von  Gesteinschich- 
ten, die  sich  vor  der  Existenz  von  Pflanzen  und  Thieren  er- 
härtet, von  Sedimentschichten,  die  sich  über  jene  gelagert  und 
ihre  ursprüngliche  Lage  theils  durch  unterirdische  Dämpfe, 
durch  die  Centralwärme  erzeugt,  theils  durch  das  Weichen 
der  untern  Schichten  verändert  haben.  Steno  sj^richt  schon 
von  grossen  Naturepochen,  deren  er  in  der  geognostischen 
Bodenbeschaffenheit  von  Toscana  sechs  erkannte,  wo  das  Meer 
periodisch  eingedrungen  und  erst  nach  unermesslich  langen 
Zeiträumen  wieder  zurückgewichen  sei.  Lister  (1638 — 1711) 
behauptet     (1678),     dass     jede     wichtige     Gebirgsart     durch 


1  Humboldt,  KoKiuus,  II,  391. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  557 


o' 


eigene  Fossilien  sich  kennzeichne,  nnd  stellt  die  Verbreitung 
der  Lagen  über  o-rosse  Strecken  fest.  Leibniz  in  seiner 
„Protogaea"  (1680),  die  Humboldt  „ein  wildes  Phantasiebild" 
nennt,  lehrt  eine  Bewegung  der  Wärme  im  Innern  des  Welt- 
körpers, die  infolge  der  Ausstrahlung  durch  die  Oberfläche 
allmählich  abnehme,  und  wie  die  einst  glühende  Erdrinde  durch 
allmähliche  Abkühlung  sich  verschlackt  habe,  so  seien  auch  die 
Dämpfe,  welche  die  warmstrahlende  Oberfläche  umgeben,  ab- 
gekühlt und  als  Niederschlag  zu  Wasser  geworden.  Das 
Sinken  der  Meeresfläche  wird  durch  Eindringen  des  Wassers 
in  die  Innern  Erdhöhlen  und  durch  deren  Einsturz  die  Lagen- 
veränderunsf  erklärt. 

O 

Schon  bei  diesen  wenigen  Anfangsschritten  der  Geognosie 
sehen  wir  die  Trennung  von  dej-  thcologistischen  Anschauung 
der  Kirchenväter,  welche  unsern  Planeten  5 — 6000  Jahre 
alt  sein  Hess,  während  jene  die  Entstehung  der  Welt  in  un- 
absehbare Fernen  zurücklegt.  Der  Massstab  des  Kaumes, 
nach  welchem  die  Astronomie  die  Welt  gebildet  sieht,  wird 
der  Geoffnosie  zum  Massstab  der  Zeit  für  die  Geschichte  der 

TD 

allmählichen  Bildung  der  Erde.  Die  Geognosie  nuisste  auch 
mit  der  Vorstellung  vom  Tode  in  Widerspruch  kommen,  der 
nach  der  Lehre  der  Kirche  als  Folge  der  Sünde  in  die  Welt 
gekommen,  über  die  gesammte  Schöpfung  seine  Macht  ausge- 
dehnt habe,  während  die  Geologie  nach  ihren  ersten  For- 
schungen die  untergegangenen  Schöpfungen  in  voradamitischer 
Zeit  wenigstens  ahnte. 

Wie  die  Astronomie  von  der  Astrologie  sich  gelöst  hat, 
um  eine  selbständige  Wissenschaft  zu  werden,  so  zeigt  sich 
im  Zeitalter  vom  ersten  Viertel  des  1(J.  Jahrhunderts  an  die 
Tendenz  der  Scheidung  der  Chemie  von  der  Alchemie,  der 
Goldmacherkunst.  Es  charakterisirt  sich  der  wissenschaftliche 
Zustand  im  Mittelalter  auch  innerhalb  dieses  Gebietes  durch 
die  blinde  Anhänglichkeit  an  hergebrachte  Autoritäten,  woge- 
gen die  neuere  Zeit  durch  den  Drang  zur  Scibstprüfung  sich 
kennzeichnet.  Bevor  die  (Jhemie  zur  Selbständigkeit  gelangte, 
musste  sie  noch  eine  Verl)indung  mit  der  Heilkunde  eingehen. 
Paracelsus,  der  als 'Arzt  den  Lebensprocess  als  einen  chemi- 
schen auflPasste,  der  den  wahren  Gebrauch  der  Chemie  nicht 
im  Goldmachen,  sondern  in  der  Bereitung  der  Arzneien  er- 
kannte, eröflPnete  auch  das  Zeitalter  der  Jatrochemie,    wo  die 


558      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Chemie  aus  den  Händen  der  Goldköche  m  die  von  unterrich- 
teten Aerzten    überging.      Mit  den    gesamniten  Naturwissen- 
schaften nahm  auch  die  Chemie   einen   neuen  Aufschwung  am 
Anfange  des  17.  Jahrhunderts,  wo  das  Forschen  nach  Wahrheit 
aus    reinem    Interesse    an    derselben    auch    in    jene    eindrang. 
Nachdem    eine  Menge    chemischer    Kenntnisse    aufgespeichert      ^ml; 
waren,  trat  die  Wissenschaft  in  das  Zeitalter  der  Phlogiston-      J^H 
Theorie,    bis    diese   im    letzten  Viertel    des    18.   Jahrhunderts      ^^ 
dnrch  Lavoisier  ihre  Widerlegung  erhielt.     In  dieser  Periode 
ist  die  Chemie  schon  selbständige,  freie  Wissenschaft  und  setzt 
ihre  Aufgabe  in  die  Erkenntniss  der  Zersetzung  der  Körper, 
um  die  Erscheinungen  dabei   und  die  Gesetze,    wonach   diese 
vor  sich  gehen,  zu  erforschen. 

Es  liegt  ausserhalb  unsers  Zwecks,  den  weitern  Ent- 
wickelungsgang  der  Chemie  zu  verfolgen,  wie,  nach  dem  Vor- 
gange der  Alchemie,  die  in  den  Metallen  als  hypothetischen 
Crnndstofi"  den  Schwefel  angenommen  hatte,  auch  die  phlogi- 
stische  Theorie,  die  durch  Stahl  (1660—1734)  vollendet  dar- 
gestellt ward,  alle  gemeinsamen  Eigenschaften  von  Einem 
gemeinsamen  Bestandtheile,  dem  Phlogiston  ableitete;  wir 
müssen  aber  hervorheben,  dass  die  Phlogiston-Theorie  eine 
Menge  von  Erscheinungen  zusammenfasste  und  in  Phänomenen, 
die  vorher  nur  als  isolirte  Erfahrungen  bekannt  waren,  das 
Analoge  nachzuweisen  wusste,  dass  sie  zuerst  rationelle  Er- 
klärungen in  die  Chemie  einführte  und  für  den  Verbrennungs- 
process  eine  für  damals  genügende  Theorie  aufstellte ',  die, 
wie  jede,  den  Anlass  zur  Verbesserung  der  Erkenntniss 
in  sich  trug  und  der  wissenschaftlichen  Weiterentwickelung 
als  Basis  diente.  Nachdem  Priestley  (1733—1804)  seine  Ver- 
dienste um  die  Chemie  durch  die  Entdeckung  der  meisten 
Gasarten  durch  die  des  SauerstoflPs  (1774)  vermehrt  hatte, 
nahm  die  Chemie  einen  gewaltigen  Aufschwung,  indem  sie  bei 
ihren  Untersuchungen  nicht  mehr  wie  bisher  ausschliesslich 
die  qualitativen  Erscheinungen,  sondern  auch  die  quantitativen 
Verhältnisse  ins  Auge  fasste,  deren  Wichtigkeit  zuerst  Lavoi- 
sier (1743—94)  zur  Anerkennung  brachte.  Man  sah  nun  ins- 
besondere im  Verbrennungsprocesse  nicht  mehr,  wie  im  phlo- 
gistischen  Zeitalter,  eine  Zerlegung  des  verbrennlichen  Körpers, 


'  Kopp,  Geschichte  der  Chemie,  I,  265. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens,  559 

sondern  eine  Vereinimmg:  desselben  mit  dem  Sauerstoffe.  Mit 
der  antiphlogistischen  Periode  beginnt,  in  Folge  der  vervoll- 
kommneten Methode,  die  genauere  chemische  Analyse. 

Es  bedarf  keines  Beweises,  um  die  Nothwendigkeit  der 
alchemistischen  Bestrebungen  für  die  Chemie  einzusehen, 
welche  ohne  jene  nicht  bestehen  würde,  die  immerhin  als  Irr- 
thümer  bezeichnet  werden  mögen,  und  Liebig  mag  darin  recht 
haben,  dass  „was  wir  heute  für  wahr  halten,  vielleicht  mor- 
gen schon  ein  Irrthum"  ist^;  ein  wesentlicher  Unterschied 
zwischen  den  Arbeiten  der  Alchemisten  und  denen  der  Che- 
miker wird  diesen  vor  jenen  immer  den  Vorrang  geben,  selbst 
dann,  wenn  die  erstem  weniger  Irrthümer  und  letztere  weni- 
ger Wahrheit  zu  Tage  gebracht  hätten,  und  dieser  vorzügliche 
und  wesentliche  Unterschied  liegt  im  Beweggrunde  der  For- 
schung. In  der  Periode  der  Alchemie  war  es  das  Streben 
nach  irdischer  Glückseligkeit,  das  Tausende  von  Männern  alle 
ihre  Kräfte  anspannen  Hess,  um  mittels  der  Alchemie  in  Be- 
sitz dessen  zu  gelangen,  „was  die  höchsten  Wünsche  der 
höhern  Sinnlichkeit  umschliesst:  Gold,  Gesundheit  und  langes 
Leben",  die  geistige  Thätigkeit  war  also  das  Mittel  zum 
Zweck,  der  auf  Genuss  gestellt  war;  die  neuere  Wissenschaft 
forscht  nach  den  Gesetzen,  nach  der  Wahrheit  der  Dinge  um 
ihrer  selbst  willen,  die  Forschung  schliesst  Mittel  und  Zweck 
in  sich,  und  dadurch  ist  sie  nicht  nur  zur  selbständigen,  freien 
Wissenschaft  geworden,  dadurch  hat  sie  auch  eine  ethische 
Richtung  erhalten.  Der  Mensch  ist  dahin  gelangt,  wo  er  von 
dem  Wesensgrunde  der  Erscheinungen  sich  selbst  zweckmäs- 
sig Rechenschaft  geben  will,  wo  es  ihm  um  die  selbsterrungene 
Gewissheit  von  der  Wahrheit  zu  thun  ist. 

Durch  die  Natvirwissenschaft  hat  sich  die  Stellung  des 
Menschen  zum  Weltganzen  geändert  und  an  die  Stelle  seiner 
Neigung  zum  Wunderbaren,  weil  Unerklärten,  ist  das  Be- 
wusstsein  der  Gesetzmässigkeit  getreten.  Wohin  sein  Auge 
reicht,  erblickt  er  causalen  Zusammenhang  oder  setzt  ihn  we- 
nigstens apodiktisch  voraus,  er  sieht  Wechselverkehr  und 
Unzerstörbarkeit  der  Kräfte,  und  seine  Wahrnehmungen  bringt 
er  unwillki'ulich  mit  seinem  Begriffe  von  der  Gottheit  in  Ver- 
bindung.   Mit  seinem  gesteigerten  Interesse  an  der  Schöpfung 

'  S.  56. 


560      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

vervielfachen  sich  ihm  die  Beweise  für  die  Weisheit  und  Güte 
des  Schöpfers,  und  das  physische  Uebel  verliert  die  Bedeutung 
einer  göttlichen  Strafe.  So  muss  nothwendig  die  veränderte 
Weltanschauung  mit  der  religiösen  Hand  in  Hand  gehen,  und 
es  kann  daher  nicht  befremden,  auch  in  der  Erklärungs weise 
der  Bibel  und  der  Auflassung  ihrer  Lehren  eine  Wandlung 
wahrzunehmen,  wie  wir  sie  in  der  Periode  der  Aufklärung 
auch  wirklich  gefunden  haben. 

Betrachten  wir  das  Ergebniss  des  18.  Jahrhunderts  im 
Hinblick  auf  die  Vorstellung  vom  Teufel,  so  ward  demselben 
zunächst  seine  Persönlichkeit  entzogen,  die  Aufklärung  nahm 
ihm  jegliche  Macht  in  die  Natur  einzugreifen,  wo  nur  ver- 
nünftige Gesetzmässigkeit  herrschend  erkannt  ward,  auf  der 
das  Dasein  des  Ganzen  beruht.  Man  beschränkte  sonach  den 
Teufel  auf  die  Repräsentanz  des  moralisch  Bösen  und  dessen 
Anregung,  er  verlor  aber  auch  die  Bedeutung  des  Anregers 
und  wurde  zum  Begrifie  des  Bösen,  das  nicht  ausserhalb 
dos  Menschen,  sondern  in  dessen  Herzen  selbst  seinen  Sitz, 
kein  aussermenschliches  und  überhaupt  kein  selbständiges 
Dasein  hat.  Der  Glaube  an  den  Teufel  als  selbstpersönliches 
Wesen  gilt  nunmehr  für  Aberglaube,  u.nd  die  Furcht  vor  ihm 
ist  zur  Lächerlichkeit  geworden.  Der  Teufel,  seiner  persön- 
lichen Existenz  entkleidet,  ist  also  zum  begrifflichen,  ethischen 
Moment  des  menschlichen  Bewusstseins  herabgedrückt. 

Diese  Anschauung  hat  sich  bis  auf  unsere  Tage  erhalten, 
sie  ist  die  bei  der  Majorität  in  der  Gegenwart  henschende, 
und  durch  die  weitere  Entwickelung  der  Wissenschaft  und 
des  Lebens  im  wesentlichen  nicht  alterirt,  sondern  mehr  ver- 
tieft worden.  Die  Kant'sche  Philosophie,  deren  Einfluss  zwar 
auf  alle  Zweige  der  Wissenschaft  und,  wie  ich  glaube,  auch 
des  Lebens,  anerkannt  wird,  konnte  daher  in  unserer  Ge- 
schichte des  Teufels  bisher  unerwähnt  bleiben,  um  sie  jetzt 
erst  zu  berücksichtigen.  Dabei  liegt  es  nicht  in  der  gestellten 
Aufgabe,  die  Bedeutung  Kant's  (1724  — 1804)  und  seine  Stelle 
in  der  Geschichte  der  Philosophie  zu  erörtern,  inwiefern  er 
die  vorgefundenen  Einseitigkeiten  des  Empirisnms  und  luitio- 
nalismus  vermittelte  imd  die  Philosoi)hie  als  Wissen  vom  Em- 
pirismus und  Kationalismus  über  den  Gegensatz  beider  eihob. 
Bekanntlich  wird  Kant's  Philosophie  mit  Kriticismus  bezeich- 
net, indem  Kant  auf  die  Bedingungen  der  Anschauungs-  und 


i 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  561 

Begriffsbildung-  zurückgeht,  um  zu  erforschen,  ob,  wie  und 
was  der  Mensch  zu  erkennen  im  Stande  sei,  und  wie  er  zu 
seiner  Erkenntniss  komme.  Hiermit  ist  nicht  nur  der  Titel  der 
Kant'schen  Philosophie  gerechtfertigt  und  die  durch  die  Phi- 
losophie zu  lösende  Aufgabe  festgestellt,  sondern  zugleich 
auch  das  oppositionelle  Verhältniss  des  Kriticismus  dem  ferti- 
gen Dogmatismus  gegenüber  deutlich  bezeichnet.  Das  Resul- 
tat der  „Kritik  der  reinen  Vernunft"  (1781)  ist  ein  negatives: 
das  Ansich  der  Dinge  liegt  jenseit  der  Erscheinung  und  ist 
dem  Verstände  unerkennbar;  die  „Kritik  der  praktischen  Ver- 
nunft" (1787)  liefert  dagegen  ein  positives  Ergebniss:  der 
praktische  Geist,  der  über  das  Gegebene  hinausgeht,  bestimmt 
sich  selbst,  ist  autonomisch  und  gelangt  zu  den  Ideen:  Gott, 
Unsterblichkeit,  Freiheit  als  nothwendigen  Postulaten  der 
praktischen  Vernunft.  Der  Wille  ist  frei,  er  gibt  sich  selbst, 
unabhängig  von  äussern  Bestimmungsgründen,  sein  Gesetz, 
und  diese  seine  Selbstbestimmung  aus  sich  selbst  ist  der  ka- 
tegorische Imperativ:  „Du  sollst!"  Ohne  Freiheit  ist  kein 
Sollen,  und  ohne  dies  ist  kein  Sittengesetz  möglich.  Der 
oberste  Grundsatz  der  Moral  lautet:  Handle  so,  dass  die 
Maxime  deines  Handelns  Princip  allgemeiner  Gesetzgebung 
werden  kann,  oder  kürzer:  handle  so,  wie  du  wünschen  darfst, 
dass  alle  handeln.  Dies  ist  das  berühmte  Moralprincip  Kant's, 
das  man  häufig  als  blos  „formales"  bezeichnet,  aus  dem  sich 
aber  noth wendig  Bestimmungen  ergeben,  die  materieller  Art 
sind  ^,  nämlich :  dass  die  Menschheit,  wie  in  der  eigenen  Per- 
son, so  auch  in  der  eines  andern  niet  lediglich  als  Mittel, 
sondern  zugleich  als  Zweck  gebraucht,  also  respectirt  werden 
müsse,  dass  ferner  das  Handeln  nicht  aus  sinnlicher  Neiffune 
hervorgehen  dürfe,  da  die  Aufopferung  dieser  vielmehr  erst 
eine  tugendhafte  Gesinnung  geben  könne;  die  einzige  Trieb- 
feder unsers  Handelns  soll  die  Allgemeinheit  der  Vernunft  sein, 
der  allgemeine  Wille,  den  alle  Vernünftigen  haben  sollen.  Die 
ganze  Geschichte  erhält  dadurch  den  moralischen  Zweck  der 
Entwickelung  aller  moralischen  Anlagen  des  Menschen  als 
Gattung,  und  das  Ideal  des  Staats  ist  die  Kealisirung  des 
moralischen  Zwecks,  des  höchsten  Gutes,  das  zwei  sich  er- 
gänzende Momente  in  sich  begreift:   die  höchste  Tugend  und 


1  Vgl.  Erdmann,  Grundriss  der  Geschichte  der  Philosophie,  II,  350. 

Koskoff,  Geschichte  des  Teufels,    n.  3g 


562      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

die  höchste  Gliickseligkeit.  Zur  erstem  bedarf  es  einer  un- 
endlichen Annäherung  zum  sittlichen  Ideal,  daher  das  Postulat 
der  Unsterblichkeit;  zur  Realisirung  der  letztern  in  der  intel- 
ligenten Welt  muss  die  ganze  Natur  mit  den  Zwecken  des 
Vernunftwesens  übereingestimmt  sein,  die  Verknüipfüng  beider 
fordert  das  Postulat:  Gott,  der,  als  von  der  Natur  unterschie- 
den, die  Ursache  derselben  ist,  als  vernünftiger  Wille  den 
Grund  des  Zusammenhangs  enthält.  Er  ist  als  moralischer 
Gesetzgeber  und  Ertheiler  der  Glückseligkeit  das  höchste 
Gut. 

Für  unsern  Zweck  von  besonderer  Wichtigkeit  ist  Kant's 
Schrift:  „Die  Keligion  innerhalb  der  Grenzen  der  blossen 
Vernunft"  (1793),  worin  er  die  morahsche  Aufiassung  der 
Religion  auf  die  christliche  Lehre  anwendet,  und  deren  Dog- 
men unter  moralischen  Gesichtspunkt  stellt.  Die  Moral,  die 
sich  auf  die  Religion  gründet,  macht  Furcht  und  Hofiuung 
zu  moralischen  Triebfedern,  es  soll  daher  gerade  umgekehrt 
die  Moral  zur  Religion  führen.  Denn  im  Gewissen  ist  die 
Erkenntniss  der  Pflichten  als  göttlicher  Gebote,  es  ist  „ein 
Bewusstsein,  das  für  sich  selbst  Pflicht  ist".  ^  „Man  könnte 
das  Gewissen  auch  so  definiren:  es  ist  die  sich  selbst  richtende 
morahsche  ürtheilskraft."^  In  der  geoffenbarten  Religion 
weiss  ich  etwas,  als  göttliches  Gebot,  um  es  für  meine  Pflicht 
zu  halten;  in  der  Vernunftreligion  halte  ich  etwas  eher  für 
meine  Pflicht,  um  es  dann  als  göttliches  Gebot  anzuerkennen. 
Inhalt  und  Ziel  derselben  ist  der  Begriff  des  höchsten  Gutes, 
das  vermittels  der  lÄeen:  Gott,  Freiheit,  Unsterblichkeit  er- 
möglicht, deren  Gewissheit  durch  die  moralische  Vernunftreli- 
gion erlangt  wird. 

„Man  nennt  einen  Menschen  böse,  nicht  darum,  weil  er 
Handlungen  ausübt,  die  böse  (gesetzwidrig)  sind,  sondern  weil 
diese  so  beschafien  sind,  dass  sie  auf  böse  Maximen  in  ihm 
schliessen  lassen."^  Das  Böse  wohnt  also  der  menschlichen 
Natur  inne,  „unter  der  Natur  des  Menschen"  ist  „nur  der 
subjective  Grund  des  Gebrauchs  seiner  Freiheit  überhaujot, 
(unter  objectiven  moralischen  Gesetzen),  der  vor  aller  in  die 
Sinne  fallenden  That  vorhergeht,  verstanden".*   7:» Der  Mensch 


Ausgabe  von  1793,  S.  270.  «  g.  271.  ^  S.  5.  *  S.  6. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  563 

ist  von  Natur  gut  oder  er  ist  von  Natur  böse,  bedeutet  nur 
so  viel  als:  er  enthält  einen  ersten  Grund  der  Annehmung 
guter  oder  der  Annehmung  böser  Maximen,  und  zwar  allge- 
mein als  Mensch."  ^  Der  erste  Grund  der  Annehmung  unserer 
Maximen  muss  in  der  freien  Willkür  liegen,  kann  kein  Factum 
sein,  das  in  der  Natur  gegeben  werden  könnte  %  so  folgt:  dass 
das  Individuum  alles  Böse,  das  es  verübt,  seiner  eigenen 
Schuld  zuschreiben  muss.  ^  Es  ist  daher  höchste  Pflicht  ge- 
gen sich  selbst,  als  den  angeborenen  Richter  über  sich,  sich 
selbst  zu  erkennen  und  seine  Thaten  vor  den  Richterstuhl  der 
Vernunft  zu  stellen,  wo  den  Richterspruch  das  Gewissen  fäl- 
len muss.  Wie  der  in  die  Sinnenwelt  gestellte  Mensch  des 
ihm  innewohnenden  Bösen  nicht  mächtig  wird,  stellt  die  bib- 
lische Erzählung  durch  den  Siindenfall  dar,  und  ist  die  Be- 
deutung der  Lehre  von  der  Erbsünde*  Dieser  Schritt,  der 
durch  die  Wahl  ein  Schritt  der  Freiheit  ist,  hat  für  die  Gat- 
tung die  Bedeutung  des  Fortschritts  und  ist  für  das  Indivi- 
duum ein  Fall,  da  die  Wahl  vom  Bösen  anhebt,  daher  die 
Folge  ein  physisches  Uebel  in  der  Bedeutung  der  Strafe  ist. 
Neben  dem  radicalen  Bösen  ist  in  der  menschlichen  Natur 
auch  urs]3rünglich  die  Anlage  zum  Guten,  diese  muss  auch 
durch  die  freie  That  herausgestellt  werden.  „Was  der  Mensch 
im  moralischen  Sinne  ist  oder  werden  soll,  gut  oder  böse, 
dazu  muss  er  sich  selbst  machen  oder  gemacht  haben.  Beides 
muss  eine  Wirkung  seiner  freien  Willkür  sein,  denn  sonst 
könnte  es  ihm  nicht  zugerechnet  werden,  folglich  er  weder 
moralisch  gut  noch  böse  sein."-''  Der  Grund  des  Bösen  kann 
weder  in  die  Sinnlichkeit  und  die  daraus  entspringenden  Nei- 
gungen gelegt  werden*^,  noch  in  eine  Verderbniss  der  mora- 
lisch -  gesetzgebenden  Vernunft  ^ ,  sondern  er  liegt  in  der 
Umkehrung  der  sittlichen  Ordnung,  der  Triebfeder  durch 
seine  Maxime,  dass  der  Mensch  die  Triebfeder  der  Selbstliebe 
und  ihrer  Neigungen  zur  Maxime  seiner  Handlung  erhebt, 
anstatt  umgekehrt  die  Befolgung  des  moralischen  Gesetzes  als 
obersten  Grundsatz  aufzustellen.**  Indem  jedes  der  beiden 
Principien  einen  Rechtsanspruch  auf  den  Menschen  hat  und 
personificirt  wird,    wird  das  Böse  zum  Fürsten  dieser  Welt, 


1  S.  7.  ^  S.  8.  '  S.  22,  24.  "  S.  39  fg.  "  S.  45  fg. 

«  S.  27.        '  S.  28.        «  S.  30  fg. 

36* 


564      Vierter  Abschuitt:    Fortsetzung  der  Gescliichte  des  Teufels. 

das  Gute  zu  einem  persönlichen  Ideale    moralischer  Vollkom- 
menheit erhoben,  in  Christus  als  Gottessohn  angeschaut.' 

„Die  Heilige  Schrift  (christlichen  Antheils)  trägt  dieses 
intelligible  moralische  Verhältniss  in  der  Form  einer  Geschichte 
vor,  da  zwei,  wie  Himmel  und  Hölle  einander  entgegengesetzte 
Principien  im  Menschen  als  Personen  ausser  ihm  vorgestellt, 
nicht  blos  ihre  Macht  gegeneinander  versuchen,  sondern  auch 
(der  eine  Theil  als  Ankläger,  der  andere  als  Sachwalter  des 
Menschen)  ihre  Ansprüche  gleichsam  vor  einem  höchsten  Rich- 
ter durchs  Recht  geltend  machen  wollen."^  Der  moralische 
Ausgang  dieses  Streits  „ist  eigentlich  nicht  die  Besiegung  des 
bösen  Princips;  denn  sein  Reich  währet  noch,  sondern  nur 
Brechung  seiner  Gewalt".^  Diese  „für  ihre  Zeit  wahrschein- 
lich einzige  populäre  Vorstellungsart  von  ihrer  mystischen 
Hiille  entkleidet"  hat  den  Sinn :  „dass  es  schlechterdings  kein 
Heil  für  die  Menschen  gebe  als  in  innigster  Aufnehnunig 
echter  sittlicher  Grundsätze  in  ihre  Gesinnung:  dass  dieser 
Aufnahme  nicht  etwa  die  so  oft  beschuldigte  Sinnlichkeit, 
sondern  eine  gewisse  selbstverschuldete  Verkehrtheit,  oder 
wie  man  diese  Bösartigkeit  noch  sonst  nennen  will  (Satanslist, 
wodurch  das  Böse  in  die  Welt  gekommen),  entgegenwirket, 
eine  Verderbtheit,  welche  in  allen  Menschen  liegt  und  durch 
nichts  überwältigt  werden  kann  als  durch  die  Idee  des  Sitt- 
lichguten in  seiner  ganzen  Reinigkeit  und  sie  tief  in  unsere 
Gesinnung  aufzunehmen".'*  Das  in  der  allgemeinen  Vernunft 
liegende  Urbild,  welches  der  seligmachende  Glaube  in  der  Er- 
scheinung Christi  als  lebendigem  Beispiel  der  Verwirklichung 
dieses  Urbilds  anschaut,  ist  das  Ziel,  wonach  jeder  streben 
soll.  Um  es  zu  erreichen,  ist  eine  auf  die  Verhütung  des 
Bösen  und  zur  Förderung  des  Guten  im  Menschen,  auf  die 
Erhaltung  der  Moralität  angelegte  Gesellschaft  zu  errichten, 
die  nach  Tugendsesetzen  und  zum  Behuf  derselben  über  das 
ganze  Menschengeschlecht  sich  ausbreite-'^  als  das  Reich  Got- 
tes auf  Erden.  Als  die  Anschauung  und  die  Idee  von  der 
Vereinigung  aller  Rechtschaffenen  unter  der  göttlichen  Welt- 
regierung heisst  das  Reich  Gottes  die  „unsichtbare  Kirche"; 
die  wahre    sichtbare  Kirche    ist    diejenige,    welche   das  Reich 


1  S.  67.         =  S.  99.         =>  S.  104.         "  S.  105.        '  S.  121,  129,  132. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens,  565 

Gottes  auf  Erden,  so  viel  es  durch  Menschen  geschehen  kann, 
darstellt".^    i?Der  reine  Rehgionsglaube",  der  Vernunftglaube 
ist,  ,,der  sich  jedermann  zur  Ueberzeugung  mittheilen  lässt", 
kann   allein    eine   allgemeine  Kirche   griinden;   allein   eine   be- 
sondere   Schwäche    der    menschlichen    Natur,     die    auf  jenen 
reinen   nicht  so  viel  rechnet,    „als    er  wol   verdient,    nämlich 
eine  Kirche  auf  ihn  allein  zu   gründen"'-^,  verlangt   einen   auf 
äussere  Thatsachen  sich  gründenden  historischen  Glauben,  mit 
statutarischen,   nur   durch  Offenbarung   kund   werdenden   Ge- 
setzen, „welchen  man,  im  Gegensatz  mit  dem  reinen  Religions- 
glauben, den  Kirchenglauben  nennen  kann".  ^   Die  Orthodoxie 
hält  letztern   fest,   ohne  den  moralischen  Sinn  herauszidieben, 
sie    dringt    auf   blossen   Kirchenglauben.     Der    Kirchenglaube 
kann  sich  bis  zur  Uebercinstimmiuio;  mit  dem  Relig-ionsglauben 
entwickeln,   „es  kann  eine  Religion  die  natürliche,    gleichwol 
aber  auch  geofl'enbart  sein,    wenn   sie   so   beschaffen  ist,   dass 
die  Menschen  durch  den  blossen  Gebrauch  ihrer  Vernunft  auf 
sie  selbst  hätten  kommen  können  und  sollen".'*  Da  die  wahre 
alleinige    Religion    nichts    als    praktische    Principien    enthält, 
„deren  unbedingter  Nothwendigkeit  wir  uns  bewusst  sind,  die 
wir  durch  Vernunft  offenbar   anerkennen"^,   so   besteht   auch 
ihr  Gottesdienst  in  einem  guten  Lebenswandel,  durch  den  wir 
Gott  wohlgefällig  werden.      Kant  nimmt  den    Satz  als   einen 
keines  Beweises  benöthigten  Grundsatz  an:  „Alles,  was  ausser 
dem   guten  Lebenswandel   der  Mensch   noch   thun    zu  können 
vermeint,  um  Gott  wohlgefällig  zu  w^erden,  ist   blosser  Reli- 
gionswahn und  Afterdienst  Gottes."*'  Die  moralische  Religion, 
die  in  der  vollen  Erkenntniss   aller   unserer  Pflichten  besteht, 
und  die  Sittlichkeit  in  thatkräftige  Pflichttreue  setzt,  ist  auch 
das  Wesentliche  der  christlichen  Religion,   welche   „aus   dem 
Munde  des   ersten  Lehrers   als   eine   nicht  statutarische,    son- 
dern moralische  Religion  hervorgegangen"  ist.^     Kant  unter- 
scheidet davon  die  christliche  Ijehre,  die  ,,auf  Facta,  nicht  auf 
blosse   Vernunftbegrifie   gebaut    ist,    von  da  an  heisst  sie  der 
christliche  Glaube".**     Der  Rationalist,   der  sich  in  die  Mitte 
zwischen   den   Gottesdienst    der    moralischen   Vernunftreli2;ion 
und   den  Kirchenglauben   stellt,    beobachtet    die    äusserlichen 


'  y.  134.       2  S.  137.       3  s.  141.       4  g_  219.       s  g.  240.       "  S.  245. 
7  S.  239.         8  S.  234. 


566      Vierter  Abschnitt:   Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

gottesdienstliclicn  Handlungen  des  letztern  als  Erweckungs- 
und Stärkungsmittel  der  moralischen  Gesinnung. 

Bekanntlich  schlug  Kant  mit  seiner  Philosophie  nicht  so- 
fort durch,  und  der  Anhang  blieb  ziemlich  lange  aus;  dafür 
verbreitete  sie  sich,  besonders  durch  die  Jenaer  Allgemeine 
Literaturzeitung  und  die  Thätigkeit  namentlich  Reinhokrs, 
Chr.  Ehrh.  Schmidt's  in  dem  Masse,  dass  sie  am  Ende  der 
neunziger  Jahre  fast  an  allen  Universitäten  gelehrt  wurde  und 
die  Kanfschcn  Ideen  in  die  meisten  Wissenszweige  Eingang 
fanden.  Die  augenfälligste  Wirkung  brachte  die  neue  Philo- 
Sophie  in  der  Theologie  hervor,  die  ihre  Kichtung  im  Kant"- 
schen  Sinne  einschlug,  die  sich  durch  Verwerfung  aller  men- 
schenähnlichen Vorstellungen  des  höchsten  Wesens ,  dessen 
Unerkennbarkeit  durch  die  menschliche  Vernunft  u.  a.  m., 
vornehmlich  durch  Reduction  des  Cultus  auf  Moral  kenn- 
zeichnet. 

Wie  neulichst  wieder  mit  Recht  hervorgehoben  ward,  trug 
Schiller  „mehr  als  irgendein  Philosoph  von  Fach  zur  Aus- 
breitung Kant'scher  Ideen"  bei ',  der  in  seinem  Jiinglingsaltcr 
Lessing  eifrig  studirt  und  Rousseau  bewundert  hatte.  Schiller, 
seiner  ganzen  Natur  nach  zum  Kantianer  angelegt,  theilt  mit 
Kant  in  politischer  Beziehung  die  Antipathie  sowol  gegen 
Anarchie  als  gegen  Despotismus,  er  stimmt  mit  ihm  übercin 
in  Bezug  auf  die  philosophische  Deduction  in  der  Transcenden- 
talphilosophie,  er  entfaltet  Kant'sche  Ideen  in  ästhetischer  Be- 
ziehung (in  seinen  Abhandlungen  „riber  Anmuth  und  Würde", 
„vom  Erhabenen"  u.  a.),  hebt  namentlich  die  Bedeutung 
des  Schönheits-  und  Kunstgefühls  für  die  Entwickelung  des 
Ganzen  hervor  (in  den  Briefen  „über  die  ästhetische  Erziehung 
des  Menschen"  u.  a.).  Die  Kunst  soll  den  sinnlichen  Menschen 
zur  Form  und  zum  Denken  führen,  den  geistigen  zur  Materie 
und  Sinnlichkeit  zurückführen,  wodurch  die  AVahrheit  und 
das  Moralische  mit  Schönheit  ausgestattet  wird,  um  hiermit 
zur  ganzen  vollständigen  Menschlichkeit  zu  gelangen.  Die 
nahe  Verwandtschaft  Schiller's  mit  Kant  zeigt  er  insbesondere 
durch  dieselbe  ethische  Anschauung,  und  zwar  nicht  nur  in 
philosophischen  Fragen,  wie  z.  B.  in  seinem  Aufsatze:  „Etwas 
über  das   erste  Menschengeschlecht  nach  dem   Leitfaden    der 


1  Erdmann,  II,  378. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  567 

mosaischen  Urkunde",  wo  er  den  Sünden  fall  im  Kant'schen 
Sinne  als  das  Losreissen  der  Monschengattung  vom  Instinct 
und  den  Fortgang  zur  freien  Humanität  auÖasst,  sondern  auch 
als  Dichter,  vornehmlich  als  dramatischer,  steht  Schiller  unter 
dem  Gesichtspunkte  des  königsberger  Philosophen.  Die  au- 
tonome Macht  der  Sittlichkeit,  die  Majestät  des  freien  Wil- 
lens, der  titanenhafte  Kampf  der* Pflicht  wird  dem  Publikum 
in  erhabenen  Gestalten  vom  Dichter  dargestellt,  der  damit 
das  Herz  in  seinen  Tiefen  dafiir  anzuregen  vnid  hinzureissen 
versteht.  Indem  Schiller's  Wirkung  als  Dichter  auf  die  Menge 
abzielt,  ist  sein  Einfluss  auf  diese  im  Hinblick  auf  die  Kant'- 
sche  moralische  Auffassungsweise  von  so  grosser  Bedeutung. 
Kant  hatte  die  Zcitelemente  der  allgemeinen  Bildung  zimi  Ab- 
schluss  gebracht,  und  auf  seinen  Standpunkt  erhoben.  S^ine 
philosophische  Pflanzung  trieb  auf  dem  Boden  der  Autonomie 
des  Geistes  einen  hohen  sittlichen  Ernst  und  die  gewaltige 
Macht  der  sittlichen  Freiheit  hervor.  Schiller's  Kiiustlerhand 
reichte  die  goldenen  Früchte  in  silberner  Schale  seinen  Zeit- 
genossen dar,  und  die  bei  weitem  grössere  Menge  in  unsern 
Taaen  nährt  und  kräftio;t  sich  noch  an  denselben  Früchten. 
Schiller  ist  noch  in  der  Gegenwart  der  populärste  Dichter, 
und  das  deutsche  Volk  brachte  seinen  innigen  Zusammenhang 
mit  seinem  Poeten  an  dessen  hundertjähriger  Geburtsfeier  zum 
lebendigsten  Ausdruck  des  Dankes. 

Wenn  hier  der  Berücksichtigung  Schiller's  mehr  Raum  gege- 
ben ward,  als  es  nöthig  erscheinen  könnte,  so  geschah  es  eben  im 
Hinblick  auf  dessen  Bedeutung  als  Einführer  und  Verbreiter 
Kant'scher  Ideen  im  Volke ,  dessen  Bildungsgang  bei  der  Ge- 
schichte des  Teufels  doch  vornehmlich  ins  Auge  gefasst  ist.  Die 
Autonomie  des  Geistes, die  im  16.  Jahrhundert  sich  laut  zu  regen 
angefiingen,  im  1  S.Jahrhundert  in  den  Vordergrund  trat,  wurde 
von  da  ab  dem  Volke  zu  Gemüthc  geführt.  Obschon  dieses  Ave- 
der  darnach  fragt,  noch  Rechenschaft  darüber  ablegen  kann,  wie 
es  dazu  gelangt,  steht  es  gegenwärtig  doch  auf  der  Höhe  des 
ethischen  Gesichtspunkts,  auf  dem  die  Religiosität  durch  Sitt- 
lichkeit bedingt  erscheint,  und  dem  Gewissen  der  Urtheils- 
spruch  zuerkannt  wird.  Diesen  Standpunkt  nimmt  die 
Durchschnittsbildung  der  Gegenwart  ein.  Im  engsten  Zu- 
sammenhange damit  steht  aber  auch  die  gegenwärtig  gangbare 
Ansicht    über  die  Vorstellung  vom  Teufel    als  wirklich    und 


568      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

besonders  existirenclem  persönlichem  Wesen.  Nach  dem  Vor- 
gange der  Aufklärung  des  18.  Jahrhunderts,  welche  den  Teu- 
fel als  Erzeugniss  des  menschliehen  Bewusstseins  einer  ver- 
gangenen Zeit  gefasst  hat,  wird  der  Glaube  an  ihn  von  der 
Mehrheit  des  Volks  in  der  Gegenwart  als  antiquirt,  in  der 
Bedeutung  des  Aberglaubens,  betrachtet.  Ebenso  hatten  die 
protestantischen  Theologen,»  welche  gewöhnlich  als  Rationa- 
listen bezeichnet  werden,  in  der  Lehre  vom  Teufel  eine  aus 
dem  höhern  Oriente  zu  den  Juden,  und  durch  Accommoda- 
tion  in  das  christliche  Bewusstsein  verpflanzte  Zeitvorstellung 
gesehen,  deren  Unhaltbarkeit  sie  zu  beweisen  suchten,^  Sie 
stellten  den  Glauben  an  einen  persönlichen  Teufel  als  „mit- 
leidswerthen  Wahn  einer  unerleuchteten  Zeit"  dar^,  der  mög- 
lichst zu  verscheuchen  sei,  damit  der  Christ  sich  gewöhne, 
den  bösen  Geist  nicht  ausser  sich,  sondern  in  seinem  eigenen 
Innern  zu  suchen.^  Man  betrachtete  den  Teufel  als  Personi- 
fication  oder  als  Symbol  des  BÖsen  und  ignorirte  ihn  im 
übj'igen. 

Dem  Beispiele  Kaut's,  das  Böse  einer  tiefer  eingehenden 
Untersuchung  zu  unterziehen,  folgten  Dogmatiker  sowol  als 
Philosophen  und  zwar,  wie  Mallet  ganz  richtig  bemerkt,  „zum 
Theil  mit  grösserer  oder  geringerer  scheinbarer  Anlehnung  an 
die  Kirchenlehre".*  Es  ist  in  der  That  nur  eine  scheinbare 
Anlehnung  an  diese,  nicht  die  eigentliche  kirchliche  Teufels- 
vorstellung selbst,  für  die  der  Teufel  eine  wirkliche,  besondere, 
mit  den  Bedingungen  der  äussern  Erscheinung  begabte  Macht, 
aber  keine  blosse  Personification  und  kein  Symbol  ist,  als 
was  er  infolge  der  neuern  Erörterungen  sich  doch  heraus- 
stellt. „Die  Sympathien  für  die  kirchliche  Teufelsvorstellung", 
wie  sie  Strauss  nennt ^,  gingen  daher  oft  dahin,  diese  vom 
Vorwurfe  der  Ungereimtheit  loszusprechen.  Man  sah  in  dem 
Teufel,  im  Kant'schen  Sinne,  das  Ideal  der  Bosheit  gegenüber 
dem  Ideale  der  SittHchkeit,  und  wie  dieses  in  ein  Subject  sich 
zusammenfasst,  das  nur  aus  moralisch  guter  Gesinnung  han- 
delt, so  wird  jenes  gedacht,   dessen  Handlung  nur  aus  mate- 


'  Ammon,  Summa  thcol.  §.67. 

2  Köhr,  Cliristolog.  Predigten,  75. 

^  Wegscheider,  Institut.,  ed.  7,  p.  388. 

*  Herzog,  Keal-Encyklopädie,  Art.  Teufel. 

»  Glaubcnsl.,  II,  16. 


4-  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  569 

riellen  Maximen,  aus  Eigennutz,  Selbstliebe  u.  tlgl.  hervor- 
geht.^ Der  Teufel  kommt  hiernach  so  ziemlich  dem  personi- 
ficirten  absoluten  Ei^oismus  bleich. 

Schelling  (1715—1854)  gelangt  von  seinem  naturphiloso- 
phischen Gottesbegrifi'  zum  Begriff  des  Bösen.  In  seinen 
„Vorlesungen  über  die  Methode  des  akademischen  Studiums" 
(1803)  nennt  er  Natur  und  Geschichte  „die  Formen  oder 
Arten  ausser  dem  Absoluten  zu  seiu".^  «l^ie  Natur  ist  all- 
gemein die  Sphäre  des  in  sich  Selbstseins  der  Dinge,  in 
der  diese  Kraft  der  Einbildung  des  Unendlichen  in  ihr  End- 
liches als  Symbole  der  Ideen  zugleich  ein  von  ihrer  Bedeu- 
tung unabhängiges  Leben  haben.  Gott  wird  daher  in  der 
Natur  gleichsam  exoterisch,  das  Ideale  erscheint  durch  ein 
anderes  als  es  selbst,  durch  ein  Sein."^  In  seiner  Schrift 
„Philosophie  und  Religion"  (1804)  deutet  Schelling  schon  den 
Begriff  des  Bösen  an,  wie  er  ihn  fasst,  wenn  er  bei  Gelegen- 
heit des  parsischen  Dualismus  behauptet,  das  dem  Realen  ent- 
gegengesetzte Urwesen  sei  „keine  blosse  Privation,  ein  pures 
Nichts,  sondern  ein  Princip  des  Nichts  und  der  Finsterniss, 
eine  Macht  gleich  jenem  Principe,  das  in  der  Natur  auf  das 
Nichts  wirkt,  und  das  Licht  in  der  Refraction  trübt.  An  dem 
leeren  Nichts  aber  kann  nichts  sich  reflectiren,  oder  durch 
dasselbe  getrübt  werden",'*  „Die  Materie,  das  Nichts  hat  für 
sich  durchaus  keinen  positiven  Charakter,  es  nimmt  ihn  erst 
an  und  wird  zum  bösen  Princip,  nachdem  der  Abglanz  des 
Guten  mit  ihm  in  Conflict  tritt."  „Vom  Absoluten  zum 
Wirklichen  gibt  es  keinen  stetigen  Uebergang,  der  Ursprung 
der  Sinnenwelt  ist  nur  als  ein  vollkommenes  Abbrechen  von 
der  Absolutheit  durch  einen  Sprung  denkbar."  „Das  Absolute 
ist  das  einzig  Reale,  die  endlichen  Dinge  sind  nicht  real,  ihr 
Grund  kann  daher  nicht  in  einer  Mittheilung  von  Realität  an 
sich  oder  an  ihr  Substrat,  welche  Mittheilung  vom  Absoluten 
ausgegangen  wäre,  er  kann  nur  in  einer  Entfernung,  in  einem 
Abfall  von  dem  Absoluten  liegen."*   Es  ist  hiermit  die  Iden- 


1  Erhard  in  Niedhammer's  Philos.  Journal,  I,  2  (1795). 

2  Ges.  WW.,  V,  1.  Abth.,  S.  306. 

3  Ebendas.,  S.  289. 

^  Ebendas.,  VI,  1.  Abth.,  S.  37. 
5  Ebendas.,  S.  38. 


570      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

titätslehre,  zu  der  sich  Schelling  früher  bekannt  hatte,  aufge- 
geben und  ein  Dualismus  aufgestellt.  MerkwiÄrdig  sind  die 
„Philosophischen  Untersuchungen  über  die  menschliche  Frei- 
heit" (1809),  wozu  „Stuttgarter  Privatvorlesungen" i,  das 
1812  erschienene  „Denkmal  der  Schrift  von  den  göttlichen 
Dingen"  und  der  Briefwechsel  mit  Eschenmeyer  bezüglich  der 
Abhandlung  „iiber  das  Wesen  der  menschlichen  Freiheit  "^ 
erläuternde  Ergänzungen  bieten.  Jakob  Böhme's  theosophisch- 
mystische  Anschauungen  treten  uns  verarbeitet  entgegen, 
und  es  wurde  neuestens  ausgesprochen,  dass  der  Lausitzer 
nicht  nur  die  nächste  Veranlassung  zu  der  neuen  Wendung 
Schelling's  im  Philosophiren  gab,  sondern  selbst  den  einen 
Hauptgedanken  in  seiner  Abhandlung  über  die  Freiheit,  dass 
nichts  Realität  habe,  als  der  Wille,  geboten  haben  könnte.  =* 
In  den  philosophischen  Untersuchungen  über  das  Wesen  der 
menschlichen  Freiheit  wird  diese  zuo-leich  mit  einer  Geschichte 
Gottes  entwickelt,  wo  dieser  zuerst  als  Indifferenz,  dann  als 
Entzweiung  und  endlich  als  Versöhnung  der  Gegensätze  ge- 
fasst  wird,  wobei  sowol  der  Pantheismus,  wonach  Gott  zum 
Urheber  des  Bösen  wird,  als  auch  der  Dualismus,  welcher 
„ein  System  der  Selbstzerreissung  und  Verzweiflung  der  Ver- 
nunft" ist*,  vermieden  werden  soll.  Es  wird  die  von  der 
Naturphilosophie  aufgestellte  Unterscheidung  festgehalten,  „zwi- 
schen dem  Wesen,  sofern  es  existirt,  und  dem  Wesen,  sofern 
es  blos  Grund  der  Existenz  ist",  und  da  ,, nichts  vor  oder 
ausser  Gott  ist,  so  muss  er  den  Grund  seiner  Existenz  in 
sich  selbst  haben";  dieser  ist  die  Natur  in  Gott,  „ein  von 
ihm  trennbares,  aber  doch  luiterschiedenes  Wesen ".^  Von 
dieser  ewigen  Natur  in  Gott  als  Grund  seiner  Existenz,  oder 
dem  was  nicht  Gott  ist,  ist  zu  unterscheiden  der  existirende 
Gott  als  Verstand,  durch  den  Gott  offenbar  wird.  Auch  die 
Dinge  haben  ihren  Grund  in  dem,  ,,was  in  Gott  selbst,  nicht 
er  selbst  ist,    d.  h.  in  dem,   was  Grvmd  seiner  Existenz    ist; 


'  Aus  dem  handschriftlicheu  Nachlass  (1810),   beide   im  7.  Bde.  der 
Ges.  WW. 

-  Beide  in  Bd.  8  der  Ges.  WW. 
^  Erdmann,  11,  554. 
'  Vn,  354. 
'  S.  358. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  571 

dieser  ist  die  Sehnsucht,  die  das  ewige  Eine  empfindet,  sich 
selbst  zu  gebären"  1,  und  damit  nimmt  die  Schöpfung  ihren 
Anfang.  Diese  Sehnsucht  ist  Wille,  aber  Wille  in  dem  kein 
Verstand  ist,  Wille  des  Grundes ,  von  welchem  zu  unterschei- 
den ist  der  Wille  der  Liebe,  wodurch  Gott  zur  Persönlichkeit 
wird.  „Der  Grund  ist  nur  ein  Wille  zur  Offenbarung,  aber 
eben  damit  diese  sei,  muss  er  die  Eigenheit  und  den  Gegen- 
satz hervorrufen.  2  ti^Um  als  lebendiges,  persönliches  Wesen  zu 
existiren,  muss  Gott,  nach  dem  Grundgesetz  des  Gegensatzes, 
da  ohne  Gegensatz  kein  Leben,  sich  als  Seiender  von  seinem 
Sein  scheiden,  von  dem,  was  Gottes  Natur,  v/as  Materie,  was 
die  Selbstheit  oder  der  Egoismus  in  Gott  genannt  werden 
kann.  Indem  Gott  dieses  zur  Unterlage  des  Allgemeinen 
macht,  hört  er  auf  das  in  sich  Finstere,  Verschlossene  zu  sein, 
dies  ist  Liebe,  wodurch  er  expansiv  zum  Wesen  aller  Wesen, 
zur  geistigen  Persönlichkeit  wird.  Der  Anfang  des  Bewusst- 
seins  in  ihm  ist  also,  dass  er  sich  von  sich  selbst  scheidet, 
sich  selber  entgegensetzt,  er  hat  demnach  zwei  Potenzen  oder 
Principien  in  sich.  Im  noch  unbewussten  Zustand  erkennt  er 
sich  aber  weder  in  der  einen  noch  in  der  andern,  mit  dem 
anfangenden  Bewusstsein  geht  diese  Erkennung  vor  sich.  Das 
Höhere  in  Gott  drängt  das  Niedere,  mit  dem  es  bisher  in  In- 
differenz oder  Mischung  war,  gleichsam  von  sich  weg,  und 
umgekehrt,  das  Niedere  sondert  durch  seine  Contraction  sich 
selbst  von  dem  Höhern  ab.  Dies  ist  der  Anfang  seines  Be- 
wusstseins,  seines  Persönlichwerdens.  Dieses  untergeordnete 
Wesen,  dieses  Dunkle,  Bewusstlose,  was  Gott  von  sich  als 
seinem  Wesen  beständig  hinwegzudrängen,  auszuschliessen 
sucht,  ist  die  Materie,  der  bewusstlose  Tlieil  von  Gott.  Das 
Reale,  Bewusstlose  ist  das  Sein  Gottes  rein  als  solches;  das 
Ideale  ist  der  seiende  oder  existirende  Gott,  ist  das  Subject 
des  Seins,  während  das  Bewusstlose  nur  das  Prädicat  dieses 
Subjects  ist.  Dieses  Sein  in  Gott  ist  der  göttliche  Egoismus, 
als  die  Kraft,  wodurch  Gott  als  ein  eigenes  Wesen  besteht, 
ist  der  Exponent  oder  die  Potenz,  unter  welcher  das  göttliche 
Wesen  gesetzt  ist.  Dieser  Potenz  der  Egoität  steht  eine 
andere  der  Liebe  entgegen  und  mit  dem  Gegensatz  wird  das 
Göttliche  erweckt.  Alles,  was  Gott  ist,  ist  er  also  durch  sich 


1  S.  359.       '■'  S.  375. 


572      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

selbst,  denn  er  ist  ein  wirkliches  Wesen,  das  von  sich  selbst 
ausgeht,  um  zuletzt  wieder  rein  in  sich  selbst  zu  endigen. 
Also  mit  einem  Worte:  Gott  macht  sich  selbst.'  Der  ganze 
Process  der  Weltschöpfung,  der  noch  immer  fortwährende 
Lebensprocess  in  der  Natur  und  in  der  Geschichte  ist  eigent- 
lich nichts  anderes  als  der  Process  der  vollendeten  Bewusst- 
werdung,  der  vollendeten  Perspnalisirung  Gottes.  ^  Wie  in 
Gott  das  Dunkel  vor  ihm  hergeht  und  die  Klarheit  erst  aus 
der  Nacht  seines  Wesens  hervorbricht,  so  fängt  „alles  leben- 
dige Dasein  von  der  Bewusstlosigkeit  an,  von  einem  Zustande, 
worin  noch  alles  ungetrennt  beisammen  ist,  was  sich  hernach 
einzeln  aus  ihm  evolvirt".  Wir  haben,  wie  Gott,  dieselben 
zwei  Principien  in  uns  „und  von  dem  Augenblick  an,  dass 
wir  sie  gewahr  werden,  dass  wir  uns  in  uns  selbst  scheiden, 
und  vms  selbst  entgegensetzen,  und  uns  selbst  über  den  nie- 
drio-ern  erheben,  von  dem  Augenblicke  hebt  das  Bewusstsein 
an",  welches  aber  darum  noch  nicht  volles  Bewusstsein  ist. 
Denn  „das  ganze  Leben  ist  eigentlich  nur  ein  immer  höheres 
Bewusstwerden.  Die  meisten  stehen  auf  dem  niedrigsten 
Grade,  und  vielleicht  keiner  kommt  im  gegenwärtigen  Leben 
zur  absoluten  Klarheit,  immer  bleibt  noch  ein  dunkler  Rest".^ 
Auch  nach  der  ewigen  That  der  Selbstoft'enbarung  ist  zwar  in 
der  Welt,  wie  wir  sie  jetzt  erblicken,  alles  Regel,  Ordnung, 
Form;  „aber  immer  liegt  noch  im  Grunde  das  Regellose,  der 
nie  aufgehobene  Rest,  das,  was  sich  nicht  in  Verstand  auf- 
lösen lässt,  sondern  ewig  im  Grunde  bleibt.  Aus  diesem  Ver- 
standeslosen ist  im  eigentlichen  Sinne  der  Verstand  geboren. 
Ohne  dies  vorausgehende  Dunkel  gibt  es  keine  Realität  der 
Creatur.  Alle  Geburt  ist  Geburt  aus  Dunkel  ans  Licht"."* 
Das  Princip,  sofern  es  aus  dem  dunkeln  Grunde  stammt  und 
dunkel  ist,  ist  die  Selbstheit,  der  Eigenwille  der  Creatur  als 
blosse  Sucht  oder  Begierde,  d.  h.  blinder  Wille.  Durch  die- 
ses aus  dem  Grunde  der  Natur  emporgehobene  Princip,  durch 
Selbstheit  oder  Eigenwille,  wird  der  Mensch  von  Gott  ge- 
schieden,  ist  aber  durch  die  Einheit  mit  dem  idealen  Princip 


'  Stuttgarter  Privatvoi'lesungcn,  S.  432  fg. 

2  Ebendas. 

^  Ebendas. 

"1  Wesen  der  menschlichen  Freiheit,  S.  360  fg. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Tcufelsglaubens.  573 

Geist.  „Die  Selbstheit  als  solche  ist  Geist,  oder  der  Mensch 
ist  Geist  als  selbstisches,  besonderes,  von  Gott  geschiedenes 
Wesen."  *  Diesem  Eigenwillen  steht  der  Verstand  als  Uni- 
versalwille gegenüber,  der  jenen  als  Werkzeng  gebrauchend, 
sich  unterordnet.  Diese  beiden  Principien,  in  Gott  in  unzer- 
trennlicher Einheit,  sind  im  Menschen  zertrennlich ,  und  die_ 
Selbstheit  oder  der  Eigenwille  kann  streben,  als  Particularwille 
zu  existiren,  es  kann  im  Willen  des  Menschen  eine  Trennung 
der  geistig  gewordenen  Selbstheit  entstehen.  Darauf  beruht 
die  Möglichkeit  des  Guten  und  Bösen.  Denn  jene  Erhebung 
des  Eigenwillens  ist  das  Böse,  wo  der  Wille  sich  als  allge- 
meinen Willen  zugleich  particular  und  creatürlich  zu  machen 
sucht,  das  Verhältniss  der  Principien,  den  Grund  iiber  die  Ur- 
sache umzukehren  strebt,  um  den  Geist,  den  er  nur  für  das 
Centrum  erhalten,  ausser  demselben  und  gegen  die  Creatur 
zu  gebrauchen.  Daraus  erfolgt  Zerrüttung  in  ihm  selbst  und 
ausser  ihm.^  Ist  der  Eigenwille  selbst  aus  dem  Centrum  als 
seiner  Stelle  gewichen,  so  ist  auch  das  Band  der  Kräfte 
gewichen,  statt  desselben  herrscht  ein  blosser  Particularwille, 
der  die  Kräfte  nicht  mehr  unter  sich,  wie  der  ursprüngliche, 
vereinigen  kann,  und  daher  strebt  aus  den  voneinander  ge- 
wichenen Kräften,  dem  empörten  Heer  der  Begierden  und 
Lüste,  ein  eigenes  und  absonderliches  Leben  zu  formiren.  Da 
es  aber  kein  wahres  Leben  sein  kann,  welches  nur  in  den 
ursprünglichen  Verhältnissen  besteht,  so  entsteht  zwar  ein 
eigenes,  aber  ein  falsches  Leben,  ein  Leben  der  Lüge,  ein 
Gewächs  der  Unruhe,  der  Verderbniss.^  Das  Böse  besteht 
sonach  nicht  im  Eigenwillen,  auch  nicht  in  der  Trennung 
desselben  vom  Universalwillen,  sondern  in  einer  verkehrten 
Einheit  beider.  „Der  Grund  des  Bösen  muss  in  dem  höch- 
sten Positiven  liegen,  das  die  Natur  enthält,  in  dem  Urwillen 
des  ersten  Grundes."'*  Das  Positive  ist  immer  das  Ganze 
oder  die  Einheit,  das  ihm  Entges^enstehende  ist  Zertrennuuir 
des  Ganzen,  Disharmonie  der  Kräfte.  „Li  den  zertrennten 
Ganzen  sind  die  nämlichen  Elemente,  das  Materiale  in  beiden 
ist  dasselbe;  aber  das  Formale  ist  ganz  verschieden,  und  die- 
ses Formale  kommt  eben   aus   dem  Wesen  hervor,   daher  im 


1  Ebendas.,  S.  364.         ^  g.  365.         ^  §.  368.         *  S.  369. 


574      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Bösen  wie  im  Guten  ein  Wesen  sein  muss,  aber  in  jenem 
ein  dem  Guten  entgegengesetztes,  das  die  in  ihm  enthaltene 
Temperatur  in  Distemperatur  verkehrt.  —  Denn  es  ist  nicht 
die  Trennung  der  Kräfte  an  sich  Disharmonie,  sondern  die 
falsche  Einheit  derselben,  aber  eben  jene  falsche  Einheit  zu 
erklären,  bedarf  es  etwas  Positives,  welches  im  Bösen  ange- 
nommen werden  muss."^  nil^er  Teufel  nach  der  christlichen 
Ansicht  war  nicht  die  illimitirteste  Creatur",  imd  Unvoll- 
kommenheit  ist  im  allgemeinen  nicht  der  gewöhnliche  Cha- 
rakter des  Bösen.  2  Das  Böse  ist  der  Urgrund  zur  Existenz, 
inwiefern  dieser  im  erschaffenen  Wesen  zur  Actualisirung 
strebt,  also  die  höhere  Potenz  des  in  der  Natur  wirkenden 
Grundes,  der  aber  nur  ewig  Grund  ist,  ohne  selbst  zu  sein, 
sowie  das  Böse  nie  zur  Verwirklichung  gelangen  kann,  son- 
dern nur  als  Grund  dient,  damit  aus  ihm  das  Gute  aus  eige- 
ner Kraft  sich  herausbilde,  in  diesem  sich  selbst  als  Geschie- 
denes erkenne.^  Das  vor  dem  Erkennen  vermuthete  Sein  ist 
reales  Selbstsetzen,  es  ist  ein  Ur-  und  Grund  wollen,  das  sich 
selbst  und  die  Basis  aller  Wesenheit  ist.*  Die  allgemeine 
Möglichkeit  des  Bösen  besteht  sonach  darin :  dass  der  Mensch 
seine  Selbstheit,  anstatt  sie  zur  Basis,  zum  Organ  zu  machen, 
vielmehr  zum  Herrschenden  und  zum  Allwillen  zu  erheben, 
dagegen  das  Geistige  in  sich  zum  Mittel  zu  machen  streben 
kann.  *  Ist  in  dem  Menschen  das  finstere  Princip  der  Selbst- 
heit, des  Eigenwillens  ganz  vom  lichten  Principe,  dem  Uni- 
versalwillen durchdrungen,  so  ist  Gott,  die  ewige  Liebe  als 
Band  der  Kräfte  in  ihm;  sind  aber  die  beiden  Principien  in 
Zwieti'acht,  „so  schwingt  sich  ein  anderer  Geist  an  die  Stelle, 
da  Gott  sein  sollte,  der  umgekehrte  Gott  nämlich,  jenes  durch 
die  Offenbarung  Gottes  zur  Actualisirung  erregte  Wesen,  das 
nie  aus  der  Potenz  zum  Actus  gelangen  kann,  aber  immer 
sein  will,  das  daher  mit  Recht  nicht  nur  als  Feind  aller  Creatur 
und  vorzviglich  des  Menschen",  sondern  auch  als  Verführer 
desselben  dargestellt  wird,  der  ihn  zur  falschen  Lust  und 
Aufnahme  des  Nichtseienden  in  seine  Imagination  lockt,  worin 
er  von  der  eigenen  bösen  Neigung  des  Menschen  unterstützt 
wird.*    Im  Bösen  „ist  der  sich  selbst  aufzehrende  und  immer 


1  S.  370  fg.  -  S.  368.  3  S.  378.  "  S.  385.  ^  S.  389. 

«  S.  390. 


i 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  575 

vernichtende  Widerspruch,  dass  es  creatürlich  zu  werden 
strebt",  indem  es  „das  Band  der  Creatürlichkeit  vernichtet, 
und  aus  Uebermuth,  alles  zu  seyn,  ins  Nichtsein  fällt".  ^ 
Das  Böse  kann  aber  nur  „wirken  durch  Misbrauch  des  Gu- 
ten" 2,  und  „das  Ende  der  Offenbarung  ist  Ausstossung  des 
Bösen  vom  Guten".  ^ 

Auf  Grund  Schelling'scher  Ideen  versuchte  Daub  (1765  — 
1836)  in  seiner  Schrift:  „Judas  Ischariot  oder  das  Böse  im 
Verhältniss  zum  Guten"  (1816 — 18)  die  Idee  des  Bösen  oder 
den  Satan  in  eigenthümlicher  Weise  zu  betrachten  und  als 
Persönlichkeit  zu  construiren.  Der  Titel  „Ischariot"  scheint  auf 
die  adäquateste  Erscheinung  des  (subjectiv)  Bösen  hinzudeu- 
ten*, da  sein  Verhältniss  zum  Bösen,  „nicht  das  des  Satans 
zu  Beizebub,  nicht  das  des  an  sich  Bösen  zu  diesem  selber" 
war,  sondern  blos  „das  Verhältniss  des  mit  dem  Bösen  be- 
hafteten Guten  zu  dem  Bösen  an  sich,  oder  des  Menschen 
zum  Satan  oder  Beizebub".  ''  Der  Verfasser  sucht,  unbescha- 
det der  Idee  des  Guten  oder  Gottes,  den  Ursprung  und  das 
Wesen  des  Bösen  zu  begreifen.  Denn,  obschon  der  Mensch 
an  dem  Bösen  in  ihm,  sobald  er  es  zu  erkennen  anfängt, 
schuldig  ist,  so  trifft  doch  die  schwerere  Schuld  den  Teufel, 
oder  wie  man  das  nennen  will,  woraus  und  M^ovon  alle  Sünde 
und  Lasterhaftigkeit  in  der  menschlichen  Natur  anhebt.  "^  Das 
Böse  ist  zwar  in  der  Schöpfung,  „aber  nicht  aus  ihr,  sondern 
aus  sich  selbst  werdend  geworden",  es  ist  die  Position  seiner 
selbst,  folglich  nicht  nur  die  Negation  des  Guten,  sondern 
zugleich  auch  in  Opposition  gegen  dasselbe.  „Der  Satan  ist 
nicht  Gottes  Leugner,  sondern  Gottes  Feind,  nicht  Atheist, 
sondern  Antichrist."^  Das  Böse  an  sich  „ist  nicht  etwa  mit 
Mangel  nur  behaftet,  sondern  der  Mangel  selbst,  gleich  Null 
oder  Negation;  aber  in  ihm  ist  es  selber  und  insofern  ist  es 
nicht  Null,  nicht  Nichts,  sondern  das  Böse.  Sich  entziehend 
dem  Guten  und  sich  allein  auf  sich  beziehend,  erkennt  es 
sich;  dieses  Erkennen  ist  ein  zugleich  Sichselbsthassen ,  dieser 
Selbsthass,  das  Böse  in  dem  Bösen  (die  Position  in  der  Ne- 
gation) ist  bedingt  durch  ein  Verkennen,  mithin  durch  ein 
Hassen  des  Guten".  **   Von  diesem  an  sich  Bösen  (dem  Satan) 


1  S.  391.  -  S.  404.  3  S.  405.  "  Vgl.  Heft  I,  S.  19,  178. 


'  I,  46.         «  S.    48.         ^  S.  131.         8  S.  136. 


576      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

ist  zu  unterscheiden  „das  subjectiv  Böse,  das  des  Menschen, 
vorerst  als  die  Negation  des  Guten  in  dem  Guten,  welches 
die  Position  selber  ist".  ^  Uas  an  und  fi'ir  sich  Böse  ist 
„allenthalben  und  immerdar,  weder  blos  hier,  noch  blos  da, 
weder  jetzt  noch  dann".  Wird  es  „als  ein  Einzelnes,  als 
Eins  unter  Vielen  und  als  Individuum  (als  der  Satan  und 
dieser  als  Einer  und  als  der  Erste  unter  den  gefallenen  En- 
geln) vorgestellt,  so  kann  zu  solcher  Vorstellung  durch  die 
Schuld  der  Menschen  sich  der  Aberglaube  und  der  AVahn 
gesellen,  als  sei  der  Böse  leibhaftig  erschienen".^  ^^Wie  das 
an  sich  Gute  persönlich,  wie  Gott  der  lebendige  Gott,  so 
auch  ist  das  an  sich  Böse  persönliches  Wesen  und  kann  von 
den  Menschen  als  ein  Individuum,  ja  als  eine  Mehrheit  von 
Individuen  vorgestellt  werden."^  Es  ist  i3ersönlich,  ohne 
selbst  ein  Individuum  zu  sein,  treibt  aber  in  allen  ihm  erge- 
benen Individuen  sein  Wesen.  „Das  Sein  des  an  sich  Guten 
setzet  nicht  voraus  das  an  sich  Gute  (Gott  ist,  weil  er  ist), 
aber  das  Sein  des  an  sich  Bösen  setzt  voraus  das  an  sich 
Böse,  der  Teufel  ist,  weil  er  sich  selbst  hervorgebracht  und 
gewollt  hat".*  „Hätte  der  Satan  nicht  sich  selber  gewollt 
und  gemacht,  so  wiiirde  er  weder  sein,  noch  von  den  Men- 
schen ofedacht  werden  können."'^  Das  Böse  setzt  sich  durch 
sich  selbst  voraus  in  dessen  Persönlichkeit  und  ewiger  Ge- 
trenntheit. „Die  Natur  des  an  sich  Bösen  ist  eine  Persön- 
lichkeit, deren  Elemente  ein  lediglich  das  Böse  erschafiender 
und  begreifender  Verstand  und  eine  lediglich  selbst  wollende 
Willkür  sind;  seine  Natur  bringt  es  mit  sich",  dass  Gottes 
Heiligkeit  und  Wahrheit  verkannt  werde,  „dass  nicht  zwischen 
Gut  und  Bös  gewählt,  sondern  allezeit  das  Böse  gewollt,  und 
dass  es  Ihn  hassend,  stets  von  sich  selbst  gehasst  werde".'' 
„Der  Satan,  in  seinem  Wissen  vom  Sein  Gottes,  ermangelt 
des  Gewissens,  denn  mit  seinem  verrenkten  Verstände  vermag 
er  nicht  den  AVillen  Gottes  zu  erkennen,  und  in  seinem  Ver- 
kennen der  Natur  Gottes  ermangelt  er  der  Freiheit  des  Wil- 
lens." ^  ,^Der  Schöpfungsact  des  Bösen  war  zugleich  ein 
Vernichtungsact  der  Freiheit  des  Willens  und  der  Erkenntniss 


1  S.  139.         ''  S.  146.         ■'  S.  147.         ■"  S.  153.       ^  S.  154.       "^  S.  174. 
7  S.  175. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  577 

des  Guten".  *  Das  Böse  verkennt  die  Wahrheit,  weil  es  nicht 
anders  kann  und  widerstrebt  dem  Guten,  weil  es  muss.  „Der 
Satan  ist  sein  eigener  Schöpfer  und  als  solcher  das  wunder- 
vollste Scheusal  der  Schöpfung,  ...  er  ist  das  Princip  der  Un- 
vernunft und  Unnatur  in  der  Natur  selbst."  ^  Er  hasst  das 
Sein,  und  ,, darin  erkennt  man  ihn  als  das  absolut  unverniinf- 
tige  und  unnatürliche  Wesen,  dass  er  alles,  was  ist  und  wird, 
zu  nichts  machen  will".'  Die  Entstehung  des  Bösen  war 
eine  Störung  der  göttlichen  Weltordnung,  die  in  der  Natur 
und  Vernunft  sich  regende  Unnatur  und  Unvernunft,  und 
diese  störende  Regung  begann  weder  mit  noch  wider,  sondern 
ohne  den  Willen  Gottes.  Denn  damit  das  Gute,  Freie,  Ver- 
nünftige sich  durch  sich  selbst  bewähre,  muss  die  Möglichkeit 
der  Entstehung  seines  Gegentheils  auch  in  diesem  selbst  lie- 
gen.* In  der  von  Gott  aus  nichts,  d.  h.  absolut  positiver- 
weise erschaffenen  Welt  hat  dieses  an  sich  Böse  in  dem 
Nichts  absolut  negativerweise  sich  selbst  hervorgebracht , 
„es  ist  die  Substanz,  die  sich  selber  zum  Princij^  und  zu 
ihrem  Product  ihren  gegen  alles  gerichteten  Hass  hat";  es 
ist  die  Position  in  der  Negation  und  hat  die  Macht  ,jin  jede 
Substanz,  deren  Princip  die  schaffende  Kraft,  und  der  die 
Räumlichkeit  aufgedrungen  ist,  die  Nichtigkeit  und  so  in  jedes 
räumliche  Etwas  Nichts  zu  bringen".'^  Mit  der  Macht  des 
Bösen  im  Weltall  ist  es  wie  mit  der  Macht  des  Guten,  wir 
erfahren  sie  nicht  und  erkennen  sie  doch.  „Denn,  wie  das 
Gute,  so  ist  auch  die  Macht  des  Guten  übernatürlich,  und 
wie  das  Böse,  so  ist  auch  die  Macht,  durch  die  das  Böse  be- 
wirkt wird,  und  damit  dasselbe  wirkt,  unnatürlich.  Vom 
Uebernatürlichen  und  Unnatürlichen  ist  ^ar  keine  Erfahrun«: 
möglich."''  Die  göttliche  Zulassung  des  Bösen  kann  nur  den 
Sinn  haben:  sie  verhindert  aus  göttlicher  Liebe  nicht  die  Ent- 
stehung des  Hasses,  denn  die  Vernichtung  des  Bösen  an  sich 
wäre  zugleich  die  Vernichtung  des  Bösen  in  den  Geschöpfen 
und  ihren  Werken.  Das  Weltgesetz,  eine  der  Schöpfung  zu- 
getheilte  göttliche  Macht,  schränkt  die  der  Natur,  Freiheit 
und  Vernunft  feindliche  Macht  ein,  vernichtet  sie  aber  nicht, 
sondern  lässt  zu,  „dass  die,  durch  sie  gegeneinander  empörten 


'  S.  183.  2 11^  98.  3  s.  109.  *  S.  111.  '  S.  143. 

«  S.  303. 

Koskoff,   Geschichte  des  Teufels,    II.  yY 


578     Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Weltkräfte  einander  anfeinden,  und  dass,  indem  so  das  Natur-, 
Freiheit-  und  Vernunftwidrige  geschieht  und  die  Unvernunft 
zur  Wirklichkeit  und  Wirksamkeit  kommt,  das  Gesetzwidrige 
selber  geschehe''. '  „Das  absolut  Böse  ist  das  Urpi-incip  des 
sub-  und  objectiv  Bösen  und  aller  Grade  des  einen  wie 
des  andern."  Weder  die  von  Gott  erschaffene  (bedingt  gute) 
Welt  in  der  Selbstmacht  ihrer  zeugenden  und  bildenden  Kräfte, 
noch  die  Menschheit  in  ihrer  Vernunft  und  Freiheit,  den 
Elementen  ihrer  Persönlichkeit,  würden  an  dem  Bösen  theil- 
haben,  wenn  letzteres  selbst  nicht  wäre,  „der  Mensch  z.  B. 
Hesse  sich  nicht  verführen,  wenn  er  nicht  verführt  würde". 
„Der  erste  Schritt  zur  Sünde  würde  von  ihm  nicht  gethan, 
wenn  nicht  die  Sünde  wäre",  und  „die  Sündhaftigkeit  würde 
weder  entstehen  noch  zunehmen  können,  wenn  nicht  das 
Princip  ihrer  selbst,  kurz  das  Urprincip  des  subjectiv  und  ob- 
jectiven  Bösen  wäre".^  Wodurch  aber  die  Sündhaftigkeit  im 
Menschen  entstehen  konnte,  dass  er  sich  verführen  Hess? 
„wird  jeder  für  schlechthin  unbegreiflich  erklären,  und  darauf 
wird  man  wol  immer  die  Antwort  schuldig  bleiben  müssen".^ 
„Die  Notion  des  absolut  Bösen  ist  wie  ihr  Object,  absolut 
unvernünftig,  unsinnlich,  ja  wider-  und  unsinnig,  und  wie  ihr 
Princip,  das  unermesshch  mächtige  Nichts,  das  unendlich  nich- 
tige Etwas,  eine  unbedingte  positive  Negation,  eine  unbe- 
dingte negative  Position."*  Es  „ist  sich  selber  unerforschlich, 
denn  es  ist  nichts  Gutes  in  ihm,  mittels  dessen  es  auch  nur 
die  leiseste  Ahnung  von  seiner  Bosheit  zu  haben,  geschweige 
das  absolut  Gute  anzuerkennen  und  sich  von  ihm  zu  unter- 
scheiden vermöchte".  ^ 

Gleichwie  der  Teufel,  als  absoluter  Egoismus  gefasst,  eine 
contradictio  in  adjecto  an  sich  trägt,  da  Absolutheit  und  Egois- 
mus in  Einheit  sich  nicht  denken  lassen,  so  ist  bei  Daub's 
Versuch,  den  Begriff  des  an  sich  Bösen  zum  persönlichen 
Wesen  zu  erheben,  die  Schwierigkeit  im  Wege,  aus 'den  an- 
ffesrebenen  Elementen  des  an  sich  Bösen  den  Begriff  der 
Persönlichkeit  zu  construiren.  Wie  lässt  sich  ein  Wesen  als 
persönliches  denken,  das  absolut  unvernünftig,  unnatürlich  ist, 
das  der  Freiheit  des  Willens  absolut  ermangelt  und  dem- 
nach auch   des   Gewissens,    das   absolut  widernatiulich ,    ver- 

1  S.  170.         2  s,  242.         ^  S.  247.        "  S.  388.         *  S.  465. 


4.  Ursachen  der  Abnalime  des  Teufelsglaubens.  579 

nunftwidrig  und  widersinnig  ist?  Mittels  der  vielen  (besonders 
im  ersten  Hefte)  angezogenen  Bibelsprüche  scheint  sich  Danb 
an  die  kirchliche  Vorstellung  von  einem  persönlichen  Teufel 
anzulehnen,  eigentlich  aber  versetzt  er  die  Negativität  des 
Begrifls,  deren  Nothwendigkeit  zur  Verwirklichung  des  abso- 
luten Lebens  in  der  HegeFschen  Philosophie^  deutlich  vorlag, 
wie  Strauss  ganz  richtig  bemerkt-,  anf  theosophischen  Boden, 
um  einen  Dualismus  herauszubilden  und  das  Princip  des  Bösen 
in  ein  persönliches  Wesen  zu  setzen.  Zu  einem  bestinunten, 
wirklich  persönlichen  Wesen  im  Sinne  der  hergebrachten  Lehre 
kommt  es  bei  Daub  nicht. 

Im  allgemeinen  wurde,  nach  dem  Vorgange  des  soge- 
nannten altern  theologischen  Rationalismus ,  die  Lehre  vom 
Teufel  von  den  Dogmatikern  im  ersten  Viertel  unsers  Jahr- 
hunderts vernachlässigt.  Reinhard,  der  doch  für  supranatura- 
listisch angeflogen  gilt,  ist  zweifelhaft,  ob  die  Schriftlehre  vom 
Teufel  ernstlich  gemeint,  oder  als  „weise  Herablassung  zu 
dem  herrschenden  Aberglauben"  zu  nehmen  sei,  womit  er 
eigentlich  seine  Annahme  des  letztern  zu  verrathen  scheint, 
ungeachtet  seiner  Vorsicht,  mit  der  er  sich  dabei  benimmt.^ 
Li  der  Moral  glaubt  er  „die  Frage,  ob  und  inwiefern  auch 
der  Teufel  unter  die  Ursachen  des  Sittlichbösen  auf  Erden 
gezählt  werden  müsse,  ganz  unberührt  lassen"  zu  können, 
als  „den  höhern  Speculationen  der  Dogmatik  und  Metaphysik" 
angehörig.*  „Gotteslästerliche  Gedanken,  die  zuweilen  in 
der  Seele  entstehen,  für  Eingebungen  des  Teufels  zu  halten", 
erklärt  er  ausdrücklich  fiir  einen  „Wahn",  der  gefährlich 
werden  kann. "  Dasselbe  behauptet  er  in  Bezug  auf  Religions- 
zw^eifel*',  wie  auch  „das  eitle  Streben  nach  einer  Verbindung 
mit  der  Geisterwelt,  mit  gewissen  mächtigen  Dämonen  in 
Gemeinschaft"  zu  kommen. '^  De  Wette,  der  die  Vorstellun- 
gen  vom  Tevifel    „Volksvorstellungen"   nennt,    findet  in  Be- 


'  Phänomenol.,  S.  581.  Religionsphilos.,  II,  207. 

2  Glaubenslehre,  II,  Iß. 

^  Vorles.  über  die  Dogm.,  S.  108. 

*  System  der  christl.  Moral,  4.  AuH.,  I,  402,  Anmerk,  g. 

5  Ibid.,  S.  772. 

«  Ibid.,  II,  289. 

'  Ibid.,  I,  435  fg. 

37* 


580      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 


zieliung  auf  Jesus,  dass  sie  „in  seiner  Ueberzeugung  nur  eine 
sittlich  ideale  Bedeutung  haben  konnten.  In  anderer  Hinsicht 
gehört  die  Dämonologie  nicht  in  das  Christenthuni". '  Schleier- 
macher (1768 — 1834),  dessen  Werk:  „Der  christliche  Glaube 
nach  den  Grundsätzen  der  evangelischen  Kirche  im  Zusammen- 
hange dargestellt"  (1821—30,  4.  Ausgabe  1842)  von  Theolo- 
gen als  „das  reifste  Stadium  seiner  Schriften"  bezeichnet  wird, 
liefert  darin  eine  Kritik  der  Teufelslehre,  die  schon  darum  be- 
rühmt genannt  werden  müsste,  weil  sie  zu  vielfachen  Erörte- 
rungen Anlass  gab.  Schleiermacher  findet  ,,die  Vorstellung 
vom  Teufel,  wie  sie  sich  unter  uns  ausgebildet  hat,  so  hal- 
tungslos, dass  man  eine  Ueberzeugung  von  ihrer  Wahrheit 
niemand  zumuthen  kann".  Er  stellt  als  die  Hauptmomente  in 
der  Vorstellung  diese  auf:  „geistige Wesen  von  hoher  Einsicht, 
welche  in  naher  Verbindung  mit  Gott  lebten",  sind  „aus  die- 
sem Zustande  freiwillig  in  einen  Zustand  des  Widerspruchs 
und  der  EmjDÖrung  gegen  Gott  übergegangen".  Hierin  findet 
Schleiermacher  eine  Menge  Schwierigkeiten  und  zwar:  1)  „Von 
diesem  sogenannten  Fall  der  guten  Engel"  lassen  sich,  „je 
vollkommener  diese  gewesen  sein  sollen,  um  so  weniger  andere 
Motive  angeben,  als  welche  (wie  z.  B.  Hoflart  und  Neid) 
einen  solchen  Fall  schon  zur  Voraussetzung  haben".  2)  Nimmt 
man  an,  dass  „auch  nach  dem  Falle  die  natürlichen  Kräfte 
des  Teufels  unverrückt  geblieben"  seien,  „so  ist  nicht  zu  be- 
greifen, wie  beharrliche  Bosheit  bei  der  ausgezeichnetsten 
Einsicht  sollte  bestehen  können",  da  dieser  Einsicht  doch  jeder 
Streit  gegen  Gott  „als  ein  völlig  leeres  Unternehmen"  vor- 
kommen musste,  und  nur  derjenige  nach  einer  augenblicklichen 
Befriedigung  streben  kann,  dem  es  an  wahrer  Einsicht  fehlt. ^ 
Hat  aber  der  Teufel  bei  seinem  Falle  „auch  den  schönsten 
und  reinsten  Verstand  verloren,  ...  so  lässt  sich  auf  der  einen 
Seite  nicht  einsehen,  wie  durch  eine  Verirrung  des  Willens  der 
Verstand  für  immer  sollte  verloren  gehen  können,  wenn  nicht 
jene  selbst  schon  auf  einem  Mangel  an  Verstand  beruhte;  auf 
der  andern  Seite  wäre  nicht  zu  begreifen,  wie  der  Teufel  nach 
einem   solchen  Verlust  seines   Verstandes    noch    sollte  ein  so 


•  Bibl.  Dogmat.,  2.  Aufl.,  S.  221  (1818). 

*  I,  §.  44,  S.  209. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  581 

gefährlicher  Feind  sein  können,  da  nichts  leichter  ist  als  gegen 
das  unverständige  Böse  zu  streiten".  3)  Auch  das  Verhält- 
niss  der  gefallenen  Engel  zu  den  andern  ist  eben  so  schwer 
zurechtzulegen.  „Denn  wenn  sie  gleich  waren  und  es  doch 
für  die  einen  nicht  besondere  persönliche  Motive  geben 
konnte,  wie  ist  es  zu  begreifen,  dass  die  einen  gesündigt 
haben  luid  die  andern  nicht?"  Gesetzt  auch,  dass  man  an- 
nehme, alle  Engel  seien  vor  dem  Falle  des  einen  Theils  der- 
selben „in  einem  wandelbaren  Stand  der  Unschuld  gewesen", 
so  bleibt  es  nicht  minder  schwierig  zu  begreifen,  „wie  die 
einen  um  einer  That  willen  für  immer  gerichtet  und  ver- 
dammt, und  die  andern  um  eines  Widerstandes  willen  für 
immer  also  confirmirt  und  versichert  worden"  seien,  ,,dass 
sie  hernach  nie  mehr  haben  fallen  können".  4)  Was  den  Zu- 
stand der  gefallenen  Engel  nach  dem  Fall  betriflPt,  so  ist  auch 
schwer  zusammen  zu  denken,  dass  sie  von  grossen  Uebeln  be- 
drückt, noch  grössere  zu  erwarten  hätten,  und  doch  zugleich 
aus  Hass  gegen  Gott  und  um  sich  ihren  Übeln  Zustand  zu 
erleichtern,  in  einem  thätigen  Widerstand  gegen  Gott  begrif- 
fen sein  sollen,  jedoch  nichts  wirklich  ausrichten  können, 
als  mit  Gottes  Willen  und  Zulassung.  ^  Sie  würden  ja  in 
diesem  Falle  weit  mehr  Linderung  ihrer  Uebel  und  Befriedi- 
gung ihres  Hasses  finden,  wenn  sie  gänzlich  unthätig  blieben. 
5)  Soll  der  Teufel  mit  seinen  Engeln  als  ein  Reich  gedacht 
werden,  wo  alle  einheitlich  nach  aussen  und  namentlich  auf 
die  menschlichen  Angelegenheiten  wirken,  so  ist  dies  nur 
denkbar,  wenn  der  Oberherr  allwissend  ist,  und  vorher  weiss, 
was  Gott  gestatten  werde.*  In  der  weitern  Erörterung  über 
diesen  Gegenstand  behauptet  Schleiermacher,  dass  der  Teufel 
in  den  neutestamentlichen  Schriften  zwar  häufig  vorkomme, 
aber  „weder  Christus  noch  die  Apostel  eine  neue  Lehre  über 
ihn  aufstellen,  noch  weniger  diese  Vorstellung  irgend  in  un- 
sere Heilvorstellung  verflechten",  daher  „der  Glaube  an  ihn 
auf  keine  Weise  als  eine  Bedingung  des  Glaubens  an  Gott 
oder  an  Christum  aufgestellt  werden  darf,  und  dass  von  einem 
Einfluss  desselben  innerhalb  des  Reiches  Gottes  nicht  die  Rede 
sein  kann".  ^   Christus  oder  die  Apostel  „bedienen  sich  dieser 


S.  210.         ^  S.  211.         3  §.  45,  S.  212. 


582      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Vorstellung,  wie  sie  unter  dem  Volk  im  Schwange  ging", 
aber  zu  andern  Zwecken,  „ohne  ihr  dadurch  eine  neue  Hal- 
tung oder  Gewährleistung  geben"  zu  wollen.^  Mögen  also 
nur  einige  oder  auch  alle  bezüglichen  Schriftstcllen  vom  Teufel 
handeln,  „so  fehlt  es  uns  an  allem  Grunde,  diese  Vorstellung 
als  einen  bleibenden  Bestandtheil  in  die  christliche  Glaubens- 
lehre aufzunehmen".^  Denn  diese  Vorstellung  war  in  Christo 
und  seinen  Jüngern  nicht  „auf  irgendeinem  Wege  der  Offen- 
barung erworben ,  sondern  aus  dem  damaligen  gemeinsamen 
Leben  her".  Schleiermacher  behauptet,  die  Frage  über  das 
Dasein  des  Teufels  sei  gar  keine  christlich-theologische,  son- 
dern eine  kosmologische  im  weitesten  Sinne  des  Wortes,  wie 
etwa  die  über  die  Natur  des  Firmaments  und  der  Himmels- 
körper. Nur  so  viel  zeige  das  Vorkommen  in  der  Bibel,  dass 
diese  Vorstellung  aus  zwei  oder  drei  verschiedenen  Bestand- 
theilen  im  jüdischen  Volk  zusammengeflossen  sei,  nämlich 
aus  der  Vorstellung  vom  Bösen,  als  auskundschaftender  Die- 
ner Gottes  unter  den  andern  Engeln  in  der  Nähe  Gottes,  und 
aus  dem  bösen  Grundwesen  des  orientalischen  Dualismus, 
welche  beiden  Momente  mittels  der  Fiction  vom  Abfall  sich 
ineinandersetzten,  wozu  dann  noch  ein  drittes,  das  vom  Todes- 
engel, hinzugekommen  sein  kann.^  Wie  man  das  Gute  dem 
Dienste  der  Engel  zuschrieb,  so  leitete  man  das  Böse,  dessen 
Quelle  man  nicht  entdecken  konnte,  vom  Teufel  her.  Da  nun 
die  Schrift  in  dieser  Hinsicht  auf  unser  Inneres  verweist,  und 
die  Beobachtung  in  Beziehung  auf  das  Böse  immer  weiter 
fortgesetzt  werden  soll,  „so  soll  auch  immer  mehreres  auf- 
hören als  Einwirkung  des  Teufels  angesehen  werden  zu  kön- 
nen, also  auch  von  hieraus  die  Vorstellung  allmählich  veralten".* 
Schleiermacher  nennt  es  geradezu  höchst  gefährlich,  „einen 
Glauben  an  fortdauernde  Einwirkungen  des  Teufels  im  Reiche 
Gottes  oder  gar  an  ein  dem  Reiche  Gottes  gegenüber  fortbe- 
stehendes Reich  des  Satans  als  christliche  Lehre"  aufstellen 
zu  wollen.  Denn  dadurch  wird  nicht  nur  das  Bestreben,  „alle 
Erscheinungen  in  einer  einzelnen  Seele  aus  ihrer  Eigenthüm- 
lichkeit  und  aus  den  Einfliissen  gemeinsamen  Lebens  zu  ver- 
stehen, gehemmt",  sondern  „zugleich  der  ohnedies  so  grossen 
Neigung  des  Menschen,  die  Schuld  von  sich  abzuwälzen,  ein 


S.  213.         ^  S.  217.         3  g,  218.        *  S.  219. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  583 

bedenklicher  Vorschub  geleistet".  „Wie  es  schon  übel  genug 
wäre,  wenn  jemand  im  Vertrauen  auf  den  Schutz  der  Engel 
die  ihm  übertragene  Sorge  für  sich  und  andere  vernachlässigen 
wollte:  so  gewiss  noch  gefährlicher,  wenn  statt  strenger  Selbst- 
prüfung das  aufsteigende  Böse  den  Einwirkungen  des  Satans 
zugeschrieben  würde.  Ja,  da  Einwirkungen  des  Satans  im 
strengen  Sinne  nicht  anders  als  unmittelbar  innerlich,  also 
zauberhaft  sein  können:  so  muss  bei  einem  wirklichen  Glauben 
an  solche  das  freudige  Bewusstsein  eines  sichern  Besitzes  im 
Reiche  Gottes  aufhören,  indem  alles,  was  der  Geist  Gottes 
gewirkt  hat,  den  entgegengesetzten  Einwirkungen  des  Teufels 
preisgegeben  und  alle  Zuversicht  in  der  Leitung  des  eigenen 
Gemüths  aufgehoben  ist."  ^  Ebenso  muss  der  Glaube  an  ein 
fortbestehendes  Reich  des  Satans,  wobei  immer  einzelne  Men- 
schen als  seine  Werkzeuge  angesehen  werden  müssen,  die 
Freudigkeit  des  Muthes  schwächen,  die  Sicherheit  des  Betra- 
gens gefährden  und  der  christlichen  Liebe  verderblich  werden. 
Strauss  unterliess  eine  eingehende  Bekämpfung  der  Vorstel- 
lung vom  Teufel,  da  er  sie,  zugleich  mit  der  Lehre  von  den 
Engeln,  in  unserer  heutigen  Weltanschauung  „völlig  entwur- 
zelt" daliegen  sieht.  Er  begnügt  sich  mit  der  Behauptung: 
das  Princip  der  Immanenz  dulde  weder  ein  der  Menschenwelt 
jenseitiges  Geisterreich,  noch  gestatte  es  für  irgendwelche 
Erscheinungen  jener  die  Ursachen  in  dieser  aufzusuchen. ^  Im 
Geiste  der  Hegerschen  Philosophie  schrieb  Marheineke  sein 
„System  der  christlichen  Dogmatik"  (1847).  Er  nennt  die  Vor- 
stellung vom  Teufel  eine  „Hypostasirung",  wobei  in  der  Dog- 
matik nicht  zu  verweilen,  da  nur  der  Gedanke,  der  sich 
hyj)ostasirt  hat,  von  Interesse  sein  könne,  ob  er  sich  in  mytho- 
logische oder  symbolische  Formen  verlaufen,  und  die  Personi- 
fication  poetisch  oder  fratzenhaft  sein  mag.  Marheineke  hält 
es  schon  jDsychologisch,  noch  mehr  dogmatisch  für  wichtig, 
dem  Ursprünge  des  Gedankens  vom  Teufel  nachzuforschen, 
und  findet  den  Wahrheitsgehalt  darin,  „dass  der  Mensch  den 
subjectiveu  Gedanken  des  Bösen  sich  objectiv  macht,  und  ihm 
dadurch  eine  Macht  gönnt  über  sich  selbst".  Das  Umschla- 
gen des  Gedankens  des  Bösen  in  den  bösen  Gedanken  selbst 


1  S.  220. 

'^  Die  christliche  Glaubenslehre,  II,  17  (1841). 


584      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

ist  das   Satanische,    wodurch    von    Seiten    des    Menschen    der 
Unterschied  von  Gott  /.um  Gegensatz  und  Widerspruch  wird.^ 
Bei  der  Erklärung  des  Ursprungs  des  Bösen  geht  Marheineke 
von    der    unmittelbaren    Einheit    des    Menschen    mit    seinem 
Schöpfer  aus,  dem  Stande  der  Unschuld.    Die  erste  Aufhebung 
dieser  Einheit   ist  der  Unterschied  des  Geschöpfs  von  seinem 
Schöj)fer,  zunächst  nur  als  Negative  der  Einheit,  als  Möglich- 
keit des  Bösen.    Vom  geschichtlichen  Standpunkte  betrachtet, 
hat  das  Böse  sein  Dasein  im  Verderben  der  Welt;    vom   sitt- 
lichen,   in   der  Welt    und  Natur.     In   deren  Bevi'usstlosiffkeit 
liegt  der  Mangel  an  Vernunft  und  Freiheit.     Welt  und  Natur 
nimmt  der  Mensch   zunächst   als    Gedanke    in    sich    auf.     In- 
dem   das    Natürliche    das    menschliche    Bewusstsein    erreicht 
hat,    ist  der  Mensch    das   Denkende    und   das   sich  Denkende 
zugleich,  er  unterscheidet  sich  im  Bewusstsein  von  sich,  und 
bezieht  sich  in  diesem  Unterschiede  auf  sich  selbst.     „In  die- 
sem Sichselbstdenken    oder  Wissen    ist    erst    die   Natur   voll- 
kommen bei  sich,    die  Welt   hat  sich    als   bewusstseiende   er- 
fasst."     „So    ist  die   Natur   menschlich    geworden,    in   dieser 
Menschwerdung    der   Natur   hebt    schon   von   ferne   das  Böse 
an."'^     Diese  bewusstseiende  Natur,  die  nur  ihrer  selbst  sich 
bewusst   ist,    keinen  Gegenstand   als  sich  selbst  hat,    ist   das 
sich  selbst   denkende   und    wollende   Ich ,    als    der    natürliche 
Mensch,  der  alles  auf  sich  zu  beziehen  strebt,  er  ist  die  selbst- 
süchtige Ichheit,  hiermit  auch  abhängig  von  sich  selbst.   Nicht 
das  Dasein  an  sich    nicht  die  Welt  und  Natur,  ebenso  wenio- 
als  das  Bewusstsein,    das   Ich    ist  das   Böse,    sondern   dieses 
liegt  vielmehr  „in  der  Bewegung  des  Daseins  in  das  Bewusst- 
sein",  in  dem  ausschliesslichen  Festhalten    des  Ich,   in   dem 
„Naturwerden  des  Ich",  oder  „Ichwerden  der  Natur".    Es  ist 
das  „Insichreflectiren  des  Daseins  in  das  Bewusstsein,  welches 
zugleich    das   Sichinsichreflectiren    des   Daseins    als   Bewusst- 
sein" ist,  und  dieses  Keflectiren  in  sich  ist  das  Verlieren  der 
Unschuld.  3     Das  Böse  seiner  Wirklichkeit  nach   im  allgemei- 
nen   ist    „das   Walten    der   Sinnenwelt    in    der   Geistes  weit", 
indem  das  Zeitliche  als    das  Nichtewige,  und   das  Räumliche 
als  das  Nichtheilige,   also   das   Nichtige   vermittels   der  freien 
Willküi-  des  Willens  zum  Wirklichen  gemacht  wird.   „Dieser 

^  S.  214.         2  s.  212.         3  S.  213. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  585 

Widerspruch  ist  das  Böse  an  sich."  „Das  Böse  geht  darauf 
aus,  Alles  zu  Nichts  und  Nichts  zu  Allem  zu  machen",  es 
strebt  immer  wirklich  zu  sein,  kann  aber  nicht  dazu  gelan- 
gen. '  Da  es  alles  Wesen ,  wahrhaft  Seiende  in  Unwesent- 
liches zu  verwandeln,  das  Seiende  zu  vernichten  strebt,  äussert 
es  sich  in  seinen  zerstörenden  Wirkungen,  und  „kann  sich 
nur  an  dem  Seienden  propagiren ".  ^  Gut  kann  der  Mensch 
nur  sein  durch  den  Geist,  den  freien  W^illen,  „dem  Bewusst- 
sein  allein  gehört  das  Gutsein  an",  also  nicht  der  Natur;  „die 
Natürlichkeit,  die  Unmittelbarkeit  des  Herzens  ist  es  vielmehr, 
dem  entsagt  werden  muss".  Denn  die  Bestimmung  des  Men- 
schen ist  nicht  „Naturmensch"  zu  bleiben,  sondern  ,, Geist- 
mensch" zu  sein,  „was  der  Mensch  sein  soll,  ist  in  das  Gebiet 
der  Freiheit  verlegt".^  Die  Vorstellung  vom  Teufel  ist  we- 
sentlich der  Gedanke  eines  bösen  Geistes,  „der  als  solcher  der 
Verführende  ist,  als  das  abstract  böse  Wesen,  als  das  Grund- 
böse". „Er  ist  das  reine  Abstractum  von  dem  Bösen  im 
Guten,  also  ein  solches  Böses,  welches  nicht  im  Guten  ist, 
und  nichts  Gutes  an  ihm  hat."* 

Die  neuere  Mystik  und  Orthodoxie  nahm  sich  des  persön- 
lichen Teufels,  wie  Hase  sagt,  „aus  Neigung"^  an,  so  Jung 
Stilling%  Eschenmayer '^,  Ebrard^.  Ebrard  will  den  Teufel  nicht 
als  „Idee",  sondern  als  „historische  Person"  gefasst  wissen  % 
und  ist  daher  gegen  die  Schleiermacher'sche  Argumentation  ^«^ 
leugnet  jedoch,  dass  es  ein  Dogma  vom  Teufel  im  strengen 
Sinne  gebe,  „sofern  nämlich  nicht  jede  historisch-wahre  Nach- 
richt der  Heiligen  Schrift  Dogma  ist".  Unter  den  Satanologen 
der  neuern  Zeit  wird  Martensen  besonders  hervorgehoben,  als 
einer,  der  die  Lehre  vom  Teufel  „der  Wissenschaft  gerechter 
werden  zu  lassen"  versucht. '^  Martensen  will  in  seiner  christ- 
lichen Dogmatik  12   „den  nothwendigen  Zusammenhang  dieser 


1  S.  218.         2  s   219.         3  S.  222.         "  ö.  228. 

5  Dogmat.,  S.  186. 

^  Theorie  der  Geisterkunde,  S.  808. 

'  Religionsphilosophie  (1822),  II,  213  fg.;  Twesten,  II,  1,  S.  .361  fg. 

»  Dogmat.,  §.  240;  Evangel.  Kirchenz.,  1853,  Nr.  7  fg. 

9  Christi.  Dogm.  (1851),  I,  293,  Anm.  3. 
">  S.  292,  Anm.  2. 

"  Schenkel,  Christi.  Dogmatik,  II,  286. 
12  Aus  dem  Dänischen,  1850;   2.  verbess.  Aufl.  1853. 


586      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Lehre  mit  dem  christlichen  Ideenkreis  nachweisen,  die  Lehre 
vom  Teufel  darstellen,  als  die  Lehre  vom  bösen  Princip,  so 
wie  dieses  unter  den  Voraussetzungen  des  Christenthums 
möglich  ist".  1  Nach  Martensen  hat  das  Böse  „keine  Wirk- 
lichkeit an  sich  selber",  es  wirkt  aber  „als  ein  Reich  der 
Negativität",  in  seiner  Entwickelung  bedingt  durch  das  „Reich 
des  Guten,  der  wahren  Wirklichkeit".  Das  Reich  des  Bösen 
ist  nicht  die  sündige  Menschenwelt  als  solche,  diese  schliesst 
„den  Keim  des  Guten"  in  sich  ein,  „hat  wesentlich  eine  Rich- 
tung zum  Reiche  Gottes"  und  offenbart  auf  jeder  geschicht- 
lichen Entwicklungsstufe  „ein  relativ  Gutes".  Es  gibt  ein 
Reich  von  Kräften  und  Mächten,  die  alle  gegen  das  Reich 
Gottes  conspiriren,  es  ist  in  einem  unaufhörlichen  Streben 
begriffen,  sich  als  die  wahre  Wirklichkeit  zu  organisiren,  es 
gewinnt  auch  in  den  sündigen  Menschen  seine  Werkzeuge, 
die  fi'ir  dämonische  Zwecke  arbeiten.  Dieses  Dämonische  ist 
das  Böse,  als  rein  übersinnliche,  rein  spirituelle  Macht,  und 
der  Kampf  dieses  Reichs  wiederholt  sich  durch  die  ganze 
Geschichte.^  Der  Mittelpunkt  dieses  dämonischen  Reichs  ist 
der  Teufel,  Satanas,  Antichrist,  Fürst  dieser  Welt,  dieser  ist 
„nicht  das  Böse  in  dieser  oder  jener  Beziehung,  sondern  das 
Böse  an  und  für  sich,  der  böse  Geist  als  solcher,  nicht  blos 
ein  einzelnes  böses  Geschöpf,  nicht  blos  einer  von  den  vielen 
Dämonen,  sondern  das  böse  Princip  selber  in  persona ".  ^  In 
der  Vorstellung  vom  Teufel  als  einem  übermenschlichen,  aber 
doch  natürlichen  Geiste,  der  ursprünglich  gut  war,  aber  Got- 
tes Feind  wurde,  findet  die  christliche  Anschauung  vom  Wie- 
sen des  Bösen  ihren  Ausdruck,  und  ist  der  bestimmte  Gegen- 
satz gegen  den  heidnischen  Dualismus  darin  enthalten,  sowie 
der  Gegensatz  zur  Auffassung,  welche  das  Böse  in  die  Sinn- 
lichkeit, die  Materie  verlegt.  Die  Lehre  vom  Teufel  ist  in 
dieser  Hinsicht  der  Gegensatz  zum  Akosmismus.  „Wird  der 
Teufel  nicht  blos  in  seinem  Verhältniss  zu  Gott,  sondern  zum 
Menschen  betrachtet,  so  wird  er  als  ausser  dem  Menschen 
seiend  vorgestellt",  und  „hierin  liegt,  dass  das  Böse  der 
menschlichen  Natur  fremd  ist,  ausser  dem  Begriff  der  mensch- 
lichen Natur  liegt".     Obschon    das   Böse    in  der  Schöi^fung 


S.  215.        2  §.  99.         3  §.  100. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  587 

aufgekommen  ist^,  kann  es  doch  „nicht  selbst  einzebies  Ge- 
schöpf sein",  sondern  „nur  als  universelles  Princip  gedacht 
werden",  daher  dem  Teufel  auch  „eine  gewisse  Allgegenwart" 
zukommt.  Die  Eigenschaften  des  bösen  Geistes  sind  Macht, 
als  positiver  Charakter  des  Bösen,  und  List;  nichtsdestoweni- 
ger ist  sein  Reich  doch  nur  das  der  Lüge,  denn  seine  Macht 
ist  nur  eine  zeitliche  Macht,  er  seinem  Begriffe  nach  der 
ewig  Ausgestossene  und  Verdammte,  der  böse  Geist  vermag 
daher  nur  Satanas  zu  sein.^  Martensen  findet  die  tiefste  Vor- 
aussetzung der  Lehre  vom  Teufel  in  dem  Dogma  vom  „Sohn 
Gottes".  Das  Christenthum  erkennt  das  Böse  darin,  was  der 
Offenbarung  des  Sohnes  entgegensteht,  sich  an  dessen  Stelle 
setzen  will.  Das  böse  Princip  ist  daher  „das  kosmische  Prin- 
cip", sofern  dasselbe  seinen  creatiirlichen  Charakter  verleugnet 
und  in  falscher  Selbständigkeit  dem  heiligen  Weltprincip  oder 
dem  Sohne  Gottes  entgegensteht.  Der  Begriff  des  Teufels 
fällt  zusanunen  mit  dem  kosmischen  Princip,  hypostasirt  als 
negativer  Geist,  der  zunächst  nicht  als  einzelnes  Geschöpf 
gefasst  werden  muss.  „Der  Gegensatz  zwischen  Christus  und 
dem  Teufel  ist  seiner  innersten  Bedeutung  nach  der  Gegensatz 
zwischen  zwei  Principien,  Gott  und  Welt,  zwischen  dem  hei- 
ligen Centrum  und  dem  in  falscher  Selbständigkeit  auftreten- 
den Weltcentrum. "  ^  Wie  das  Gute  erst  als  Persönlichkeit 
wirkt,   so  auch  das  Böse,   das  nur  als  Wille  gedacht  werden 


1  Hierzu  macht  Schenkel  (11,287)  die  treffende  Bemerkung:  „Auf  die 
Frage,  wie  ein  solches  universelles,  dem  guten  contradictorisch  ento-eoen- 
gesetztes  böses  Princip  in  die  ursprünglich  vollkommene  Schöpfung  Gottes 
eingedrungen  sei,  hat  Martensen  freilich  nicht  einmal  den  Versuch  einer  Ant- 
wort in  Bereitschaft,  jaseineAuffassung  steht  in  dieser  Beziehung  soo-ar  hinter 
der  herkömmlichen  zurück.  Wenn  nach  dieser  das  Böse  in  dem  Falle  eines 
guten  Engelfürsten  seinen  Ursprung  genommen  hat,  so  hat  diese  Vor- 
stellung, wie  wenig  sie  auch  die  Möglichkeit  jenes  Falles  denkbar  zu 
machen  vermag,  doch  darin  Recht,  dass  sie  die  Entstehung  des  Bösen 
auf  dem  ethischen  Gebiete,  in  einer  widergöttlichen  persönlichen  Selbst- 
bestimmung aufsucht.  Die  Vorstellung  von  Martensen  dagegen  verlegt 
den  Ursprung  des  Bösen  in  die  unpersönliche  Schöpfung,  und  unter  die- 
sen Umständen  bleibt  dann  keine  andere  "Wahl,  als  das  Böse  entweder 
pantheistisch  aus  der  göttlichen  Ursächlichkeit ,  oder  manichäisch  aus 
einem  aussergöttlichen  Urprincipe  zu  erklären."  Vgl.  überhaupt  Schen- 
kel's  Kritik  der  Martensen'scheu  Satanologie  a.  a.  0. 

2  §.  101.         =>  §.  102. 


588       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

kann.  „Der  Teufel,  als  kosmisches  Princip,  kann  nur  in 
den  Geschöpfen  persönlich  sein,  die  sich  zu  seinen  Organen 
machen."  Eine  solche  Persönlichkeit  ist  immer  nur  eine  wer- 
dende, die  zwischen  Wirklichkeit  und  Möglichkeit  in  der  Mitte 
schwebt.  Als  das  böse  Princip  trachtet  der  Teufel  unaufhör- 
lich nach  der  Existenz,  welche  er  nur  in  der  Zeit,  in  dieser 
Welt  gewinnen  kann,  während  die  manichäische  Anschauung 
das  böse  Princip  in  einer  fertigen  abgeschlossenen  Existenz 
denkt.'  Die  empirische  Frage:  wie  das  böse  Princip  zuerst 
aufgetreten?  beantwortet  Martensen  folgendermassen :  „Ur- 
sprünglich ist  der  Teufel  das  kosmische  Princip,  welches  als 
solches  noch  nicht  böse  ist;  er  ist  ferner  das  versuchende, 
das  anfechtende  Princip,  welches  den  Menschen  im  Paradiese 
verführt,  aber  noch  ist  er  nicht  böse,  noch  ist  er  nur  die 
Möglichkeit  zum  Teufel,  in  der  Schlange  dämmert  nur  der 
böse  Geist,  in  ihr  ist  der  Satan,  sozusagen,  nur  noch  in 
den  Windeln.  Der  wirkliche  Teufel,  das  persönliche  Böse 
wird  er  erst,  wenn  der  Mensch  ihn  in  das  Bewusstsein  hinein- 
gelassen hat.  Der  Mensch  also  ist  es,  der  dem  Teufel  Da- 
sein gibt:  aber  hieraus  folgt  nicht,  dass  der  Mensch  nur  sein 
eigener  Teufel  ist.  Denn  es  ist  ein  anderes,  ein  übermensch- 
liches Princip,  welchem  durch  den  Menschen  zur  Existenz 
verholfen  wird,  eine  versuchende  und  verführende,  eine  beses- 
sen machende  und  inspirirende  Macht,  zu  welcher  der  Mensch 
sich  verhält  wie  zum  Nicht-Ich."^  Im  Hinblick  auf  die  bib- 
lische Tradition  und  die  kirchliche  Anschauung,  die  einen 
persönlichen  Abfall  von  Gott  vor  dem  Abfall  des  Menschen 
kennt,  muss  Martensen  freilich  sagen,  dass  das  negative  Prin- 
cip nicht  nur  in  der  menschlichen  Schöpfung  Persönlichkeit 
gewonnen  habe;  der  BegriflF  „Engel"  habe  zwar  „dieselbe 
Biegsamkeit,  die  im  Begriffe  Geister"  liegt,  und  sei  „keines- 
wegs nothwendig  überall  bei  Engeln  an  persönliche  Geister 
zu  denken";  die  Engel  in  der  Heiligen  Schrift  seien  „bald 
blosse  Personificationen,  bald  Zwischenwesen  zwischen  Per- 
sönlichkeit imd  Personification",  aber  Martensen  nimmt  doch 
an,  „dass  es  unter  den  Engeln  persönliche  Geister"  gebe, 
„und  unter  diesen  solche,  welche  von  Gott  abgefallen  sind". 
Der  Oberste  der  Teufel,   den  die  Offenbarung  kennt  als  An- 


1  §.  103.        ''  §.  104. 


4,  Ursachen  dei'  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  589 

fänger  des  Abfalls,  ist  „unter  allen  Geschöpfen  dasjenige, 
welches  sich  zur  CentralofFenbarung  des  kosmischen  Princips 
(als  des  bösen  Princips)  zu  machen  vermochte,  in  welchem 
dieses  Princip  die  vollständigste  Persönhchkeit  gewinnen 
konnte,  sodass  es  dessen  vollkommenster  Repräsentant  und 
Träger  ist".  Das  bisher  Entwickelte  wird  von  Martensen 
näher  dahin  bestimmt:  „das  böse  Princip  hat  keine  Persön- 
lichkeit an  sich  selber,  sondern  gewinnt  nur  in  seinem  Reiche 
eine  Universalpersönlichkeit,  hat  keine  individuelle  Persönlich- 
keit ausser  in  den  einzelnen  Geschöpfen;  unter  diesen  aber 
gibt  es  ein  Geschöpf,  in  welchem  dieses  Princip  so  hyposta- 
sirt  ist,  dass  es  der  persönliche  Mittelpunkt  und  das  Haupt 
im  Reiche  des  Bösen  geworden  ist."^  „Also  jenseit  der 
Menschenwelt  hat  das  Böse  seinen  geheimnissvollen  Ursprung, 
hat  es  eine  Geschichte  gehabt,  bevor  es  eine  Geschichte  er- 
hielt auf  Erden."  Die  Denkbarkeit  eines  Geschöpfs  als  Cen- 
traloffenbarung  des  Bösen,  die  „in  besonderm  Sinne  der  Böse 
heissen  kann",  meint  Martensen,  werde  keine  Speculation  mit 
Grund  leugnen  können,  sowie  „gegen  die  Denkbarkeit  des 
Teufels  als  eines  bösen  Geschöpfs  sich  nichts  einwenden" 
lasse;  „wol  aber  muss  gesagt  werden,  dass  sein  Wesen  sich 
weder  begreifen  noch  anschauen  lässt".  Und  zwar:  weil  wir 
nicht  begreifen,  „wie  ein  einzelnes  Geschöpf  die  Centraloffen- 
barung  des  Bösen  werden  kann",  welches  seine  kosmische 
Stellung  und  Bedeutung  ist ;  so  wenig  wir  die  reale  Möglich- 
keit zu  diesem  bösen  Geschöpf,  zu  seiner  Macht  und  Einwir- 
kung auf  die  Menschenwelt  einzusehen  vermögen,  ebenso 
wenig  vermögen  wir  es  anzuschauen,  weil  die  absolute  Bos- 
heit vor  der  Anschauung  sich  immer  in  ein  Abstractum  ver- 
wandelt.^ 

Lücke  bekämpft  ganz  entschieden  und  mit  seinem  gewohn- 
ten sittlichen  Ernst  den  Glauben  an  den  persönlichen  Teufel, 
der  „in  seiner  unkritischen  und  empirischen  Fassung  immer  in 
müssige  Speculationen  und  mythisirende  Phantasiespiele  ausar- 
tet, und  so  oft  praktisch  schädlich  wird"^;  er  bemerkt,  dass  der 


'  §.  105.        2  §.  i06. 

3  Lücke,  über  Dr.  Martensen's  Christliche  Dogmatik,  insbesondere 
über  seine  Lehre  vom  Teufel.  Deutsche  Zeitschrift  für  christliche  Wis- 
senschaft und  christliches  Leben,  1851,  Nr.  7  fg.,  S.  68. 


590     Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

christliche  Glaube  in  seiner  grössten  Bescheidenheit  und  Mu- 
thigkeit  an  dieser  dogmatischen  Vorstellung  oft  schwer  zu 
tragen  und  manche  Gefahr  zu  bestehen  gehabt  habe  %  und 
kann  „die  vornehme  Verachtung  vnid  Abfertigung  der  Schleier- 
macher^schen  Kritik  von  Seiten  der  sogenannten  Speculativen 
und  Conservativen  weder  für  gerecht  noch  für  gefahrlos" 
halten.^  Lücke  sieht  in  der  kirchlich  überlieferten  Vorstel- 
lung vom  Teufel  einen  manichäischen  Dualismus.  „Ich  gestehe, 
ausser  Stande  zu  sein,  mir  die  absolute  Verteufelung  des 
Willens  einer  Creatur  ohne  Verteufelung  seiner  Natur  zu 
denken,  der  absolut  böse  Teufel  ist  mir  nur  in  der  dualisti- 
schen Fassung  wahrhaft  denkbar. "^  Es  steht  ihm  „nichts 
fester  als  dieses,  dass  diese  Lehre  (vom  Bösen)  in  der  Schrift 
noch  zwischen  Begrijä'  und  Bild  oder  Symbol  seh  webt,  oder 
was  dasselbe  ist,  aus  einer  gewissen  geistigen  Keuschheit  oder 
edlen  Vorsichtigkeit  zu  keiner  festen  lehrbegrifflichen  Bestimmt- 
heit gekommen  ist".*  Johann  Peter  Lange  lässt  in  seiner 
Schrift  „Positive  Dogmatik"  (1851,  als  zweiter  Theil  der  christ- 
lichen Dogmatik)  „die  Menschheit  auf  dem  Wege  ethischer 
Ahndung  unter  dem  Einfluss  des  Geistes  Gottes  zu  der  Er- 
kenntniss  gelangt"  sein,  „dass  es  ein  Gebiet  gefallener  Geister 
Gottes  gebe  und  einen  Fürsten  desselben,  welcher  auf  den 
Fall  des  Menschen  verderblich  mitgewirkt  habe",  welche  An- 
schauung „nach  ihren  ersten  Anfängen  schon  dem  ersten  in 
die  Sünde  gefallenen  Menschen  beigelegt"  wird.  Die  biblische 
Lehre  vom  Satan  ist  aber  von  den  heidnisch  dualistischen 
Gestalten  der  bösen  Götter  wohl  zu  unterscheiden,  indem  jener 
eine  gefallene,  „durchaus  abhängige  Creatur"  ist,  die  stets 
„ein  ohnmächtiges  Werkzeug  der  Vorsehung"  bleibt.-''  Lange 
macht  auch  einen  Unterschied  „zwischen  der  symbolischen 
Darstellung  einer  Versuchung  und  dem  begrifflichen  Gehalte 
desselben",  sowie  „zwischen  der  symbolischen  Bedeutung  des 
Satans  in  der  Sprache  des  Glaubens  und  dem  dogmatisch  be- 
grifflichen Charakter  desselben".  Nach  der  symbolischen  Be- 
zeichnung ist  der  Satan  das  verkörperte,  personificirte  Böse 
selbst:  der  Repräsentant  und  das  Bild  aller  versucherischen 
Mächte,    d.  h.  aller  lähmenden  Einwirkung  böser  Sympathien 


S.  57.        ■'  S.  59.        3  s.  166.        '  S.  64.        ^  S.  559. 


4.  Ursaclien  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  591 

und  Stimmungen.     Nach  der  dogmatischen  Bestimmung  seines 
Wesens  kann  er  nur  gedacht  werden   „als   eine   beschränkte, 
gefallene,    tief  in    die  Bosheit  versunkene,    in   ihrer  Substanz 
aber  der  Schöpfung  wie  der  Vorsehung  Gottes  anheimfallende, 
mithin  keineswegs  absolut  böse,  sondern  im  Bösen  auch  immer 
noch  mit  sich  selber,  mit  ihrem  eigenen  Lebensgrunde  zerfal- 
lene Creatur".     Lange  sieht  in  der  Lehre   vom  Satan  ausge- 
sprochen, „dass  die  menschliche  Seele  ein  Sensorium  des  Alls 
sei,  auch  in  Bezug  auf  die  überirdischen,   aussermenschlichen 
bösen  Einflüsse ".  *     Die  Lehre   vom  Teufel    in  ihren   Grund- 
zügen leitet  Lange  „aus  dem  sittlichen  Tiefsinn  religiöser  Ge- 
nien"  her,   „welche   in    ihrer  Ahnung  der  dämonischen  Wir- 
kungen einer  überirdischen  Geisterwelt  von  dem  Geiste  Gottes 
erleuchtet  worden  sind",  daher  auch  Christus  über  das  Reich 
des  Satans  die  tiefsten  Aufschlüsse  gegeben  hat.    Der  Anfang 
dieses  Reichs  liegt  darin,   dass   ein   mächtiger  Geist    der  jen- 
seitigen Welt    zum   Empörer  wider   Gott  geworden   ist,    und 
dieses  jenseitige  Reich  ist  dadurch  zum  diesseitigen  geworden, 
dass  der  Fürst  desselben,  der  Teufel,  die  ersten  Menschen  zum 
Falle   gebracht   hat.      Der   eigenthümliche   Wirkungskreis   des 
dämonischen  Reichs  besteht   in    der  Zersetzung   der  christolo- 
gischen  Wahrheit.     Die  Macht  des  finstern  Reichs  liegt  darin, 
dass  es  die  Wahrheiten  und  Lebensbilder  des  Menschen  zmn 
voraus   in  Schein-  und  Zerrbildern    darstellt.      Die   Ohnmacht 
dieses  Reiches  aber  liegt  darin,   dass   es   auf  Trug  erbaut  ist, 
und  dass  die  göttliche  Gnade  durch  die  Sendung  Christi  allen 
Zerrbildern  die  reinen  Urbilder  der  Wahrheit  gegenüberstellt.^ 
„Der  Teufel  als  Symbol  ist  absolut  böse^  dagegen  jene  gefal- 
lene Creatur  kann  nicht  absolut  böse  sein."     „Der  schlimmste 
Böse  ist  uns  das  Symbol  des  absolut  Bösen.    Wir  haben  eben 
nach  seiner  Stellung  zu  uns  kein  anderes  ethisches  Verhältniss 
zu  ihm,    als    dass  wir   in   ihm   den  Repräsentanten  der  Sünde 
sehen  müssen",  woraus  aber  nicht  folgt,    „dass    er  auch  das 
absolut  Böse  sein  könne    in    seiner   substantiellen   Individuali- 
tät", nach  der  Beziehung  Gottes  zu  allem  Geschaffenen,  Sub- 
stantiellen   kann    er  das    „schlechterdings   nicht   sein".  ^     Als 
unzweifelhaft  individuelle  Persönlichkeit,  die  sinnlich  wahrire- 
nommen    werden    kann,    will    Vilmar    den    Teufel    aufgefasst 


'  S.  360  fg.         2  S.  162  fg.         3  S.  575. 


592      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

wissen  und  macht  dies  einem  richtigen  Theologen  zur  Bedin- 
gung. „Es  kommt  darauf  an,  wenn  man  recht  lehren  und 
die  Seelen  recht  behüten  will,  des  Teufels  Zähnefletschen  aus 
der  Tiefe  gesehen  (mit  leiblichen  Augen  gesehen,  ich  meine 
das  ganz  unfigürlich)  und  seine  Kraft  an  einer  armen  Seele 
empfunden,  sein  Lästern,  insbesondere  sein  Hohnlachen  aus 
dem  Abgrund  gehört  zu  haben.'' ^  J.  Chr.  K.  von  Hofmann 
scheint  die  Erscheinung  des  Teufels  auf  die  Versuchung  des 
Herrn  beschränken  zu  wollen. ^  G.  Thomasius  in  „Christi 
Person  und  Werk"^  fasst  den  Teufel  „nach  der  Schrift" 
als  den  argen  Geist,  die  persönliche  Macht  des  Bösen,  „nicht 
das  personificirte  oder  sich  personificirende  kosmische  Princip, 
wie  Martensen  will,  sondern  ein  geistig  persönliches  Wesen, 
das  sich  selbst  ins  Widergöttliche,  zum  Widersacher  Gottes, 
und  damit  eo  ipso  zum  Feind  alles  Guten  und  Wahren  in  der 
göttlichen  Schöpfung  verkehrt  hat",  und  den  Mittelpunkt  „eines 
Reiches  ihm  gleichartiger  Geister"  bildet.  Seine  Herrschaft 
über  die  Menschen  vermittelt  sich  durch  die  Sünde,  und  sein 
Reich  ist  die  Welt.*  In  der  unerlösten  Menschheit  herrscht 
er  mit  unbestrittener  Macht,  im  Heidenthum,  im  sittlichen 
Verderben  u.  s.  f.,  und  wie  die  Macht  des  Todes  Leib  und 
Seele  ergreift,  so  erstreckt  sich  die  Wirkung  des  Satans  auch 
auf  das  leibliche  Leben,  Krankheiten,  zahllose  Uebel  u.  s.  f. 
So  passiv  sich  Thomasius  andern  Auffiissungen  gegenüber  ver- 
hält, um  so  grössern  Eifer  legt  der  Superintendent  Sander  für 
den  persönlichen  schriftgemässen  Teufel  und  gegen  dessen  Be- 
kämpfer  an  den  Tag  in  seiner  kleinen  Schrift:  „Die  Ijehre 
der  Heiligen  Schrift  vom  Teufel"  (1858).  Von  den  Zeugnis- 
sen der  Heiligen  Schrift  für  die  Existenz  und  Wirksamkeit 
des  Satans  stellt  Sander  die  Versuchungsofeschichte  obenan,  der 
gegenüber  alle  Deutungsversuche  ,,  eines  gröbern  oder  feinern 
Rationalismus  zu  Schanden  geworden  sind",  und  selbst  „Schleier- 
macher, trotz  seiner  sonstigen  Künste,  die  Lehre  vom  Dasein 
und  der  Wirksamkeit  des  Teufels  zu  beseitigen,  trotz  seiner 
Kühnheit  oder  Vermessenheit,  das  bestimmte  Ja  der  Schrift  in  ein 


'  Die  Theologie  der  Thatsachen  (1856),  S.  39. 
2  Schriftbeweis,  2.  Aufl.,  I,  441. 
'  Dai'stellung  der  evangelisch- lutherischen  Dogmati 
2.  Aufl.,  I,  294. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  593 

Nein  zu  verwandeln",  bei  der  Gelegenheit  sich  nur  hypothe- 
tisch ausspreche,  und  nicht  gewagt  habe,  „die  Versuchungs- 
geschichte als  Geschichte  in  Abrede  zu  stellen".'  Obschon 
die  Versuchungsgeschichte  nicht  nöthige,  eine  vollständige  Lehre 
vom  Teufel  zu  construiren,  so  lehre  sie  doch  das  Dasein  des 
Teufels.'-^  Sander  macht  bei  dieser  Geschichte  besonders  auf- 
merksam, „dass  die  persönliche  Erscheinung  des  Satans  auf 
Erden,  da  er  in  der  Gestalt  eines  Menschen  oder  Engels  zu 
einem  Menschen,  wie  ein  Mann  mit -meinem  Manne  reden,  ver- 
handeln darf,  in  die  Zeit  verlegt  wird,  wo  der  volle  Mittags- 
glanz der  Geschichte  hell  am  Himmel  strahlt".  In  den  Büchern 
Moses'  findet  Sander,  „das  prooemium  Genes,  cap.  3  abgerech- 
net", keine  bestimmte  Hinweisung  auf  die  Lehre  vom  Satan, 
auch  nicht  in  den  altern  Biichern  des  Alten  Testaments,  Hiob 
ausgenommen,  erst  in  der  nähern  Beriihrung  mit  den  Chal- 
däern,  Persern  u.  a.  ^  „In  der  Fülle  der  Zeit,  da  Gott  offen- 
baret ist  im  Fleische,  darf  auch  der  Satan  unverhüllt  auf  dem 
Schauplatz  der  Geschichte  erscheinen",  und  „wie  er  in  die 
Geschichte  hineintritt,  das  Ileilswerk  aufhalten  will,  sagen 
uns  die  Berichte  der  Evangelisten,  die  Zeugnisse  in  den  apo- 
stolischen Briefen  und  das  prophetische  Wort,  das  uns  in  die 
Endgeschichte  der  Entwickelung  des  Reiches  Gottes  .  .  .  hin- 
weiset". In  diesen  Zeugnissen  erkeimen  wir  auch,  „wie  in 
die  ganze  Entwickelungsgeschichte  des  Reiches  Gottes,  ja  in 
die  Heilsordnung  die  Vorstellung  vom  Satan  verflochten  ist"; 
„wie  der  Herr  und  seine  Apostel  die  Lehre  vom  Teufel,  sei- 
nen Engeln  und  deren  grossen  Einfluss  darlegen  und  ein- 
schärfen".* Nachdem  der  Verfasser  die  buchstäbliche  Erklärung 
neutestamentlicher  Stellen,  den  Teufel  betreflend,  behauptet, 
und  in  einer  fortlaufenden ,  mit  Derbheiten  versetzten  Polemik 
gegen  Schleiermacher  diesen  zu  widerlegen  gesucht,  und  „die 
philosophischen,  ethischen  und  psychologischen  Bedenken  gegen 
die  Realität  des  Teufels"  hiermit  „als  beseitigt"  ansieht'',  er- 
gibt sich  ihm  folgendes  Resultat :  durch  die  Annahme  der  un- 
widersprechlich  bezeugten  Schriftlehre  ist  er  „dem  peinigenden 
Widerspruch  wider  die  Schrift  entnommen,  der  natürlich  da 
sein  muss,  wo  man  die  klar  bezeugte  Schriftlehre  verwirft". 
Die  Lehre  vom  Teufel,  „die  durch  die  ganze  Schrift  hindurch- 


'  S.  5.         ■•=  S.  (3.         ■'  S.  7.         "  S.  «.         5  S.  20. 

Roskoff,  Geschichte  des  Teufels.   II.  oo 


594      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels, 

geht",  hat  „auf  die  ganze  Dogmatik  und  Ethik  grossen  Eiu- 
fluss"\  denn  „diese  Vorstellung  oder  Lehre  vom  Satan"  ist 
„fast  in  jedes  Hauptstück  der  christliehen  Glaubenslehre  ver- 
flochten". Zum  Schlüsse  folgen  noch  zehn  Thesen  über  die 
Lehre  vom  Teufel,  z.  B.:  1)  „Die  Lehre  von  der  Existenz  und 
Wirksamkeit  eines  abgefallenen  Engelfürsten,  eines  persön- 
lichen Widersachers  Gottes  und  der  Menschen  ist  so  nach- 
drücklich und  deutlich  in  der  Heiligen  Schrift  bezeugt,  dass 
nur  ein  das  Zeugniss  muthwillig  verdrehender  und  verkehren- 
der Unglaube  es  leugnen  kann."  3)  „Die  Diener  am  Worte, 
Professoren  auf  dem  Katheder,  Prediger  auf  der  Kanzel  sind 
nicht  Herren,  sondern  nur  Haushalter  über  die  Geheimnisse 
Gottes,  und  haben  also  nichts  von  irgendeiner  Vollmacht, 
eine  durch  die  heiligen  Männer  Gottes  oflPenbarte  Lehre  zvi 
ignoriren,  beiseite  zu  setzen,  oder  zu  behaupten,  dieselbe 
habe  keine  Bedeutung  für  das  fromme  Bewusstsein."  8)  „Die 
Verunstaltung  der  Schriftlehre  vom  Satan  und  seinem  Reiche 
durch  rohen  Aberglauben  oder  spiritualistischen  Unglauben 
(z.  B.  in  Goethe^s  Mephistopheles)  kann  kein  Grund  sein,  diese 
Schriftlehre  der  christlichen  Gemeinde  vorzuenthalten,  sondern 
macht  es  desto  nöthiger,  das  Zeugniss  der  Heiligen  Schrift 
reden  zu  lassen."  Denselben  hohen  Grad  von  Feuereifer  in 
der  Vertheidigung  der  Kirchenlehre  vom  persönlichen  Teufel" 
und  dieselbe  Gereiztheit  in  der  mit  Schimpfen  unterstützten 
Bekämpfung  der  gegnerischen  Anschauung  zeigt  Philippi: 
„Die  Lehre  von  der  Sünde,  vom  Satan."  ^  Er  sieht  nach  dem 
Vorgange  Hengstenberg's  unter  der  Schlange  schon  den  fer- 
tigen Satan.*  „Die  Schlange  ist  der  Satan  in  nicht  blos 
scheinbarer,  sondern  wirklicher  Schlangengestalt."'''  Die  Ver- 
führung des  Menschen  ist  auch  keine  vorübergehende  und 
folgenlose  That  gewesen,  sondern  der  Satan  hat  infolge  der- 
selben eine  bleibende  Macht  über  das  Innere  des  Menschen 
gewonnen.      Philippi   sieht  in    dem   verkündeten    fortgehenden 


1  S.  21. 

*  „Die  von  uns  verti'etene  Anschauungsweise  von  der  Macht  und 
Wirksamkeit  des  Satans  hegte  die  Kirche  Christi  von  Anfang  an  und  zu 
allen  Zeiten"  (S,  259). 

3  Als  3.  Theil  der  kirchlichen  Glaubenslehre  (1859). 

*  S.  153.         '"  S.  272. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  595 

Kampfe  zwischen  dem  Schlangensamen  und  dem  Weibessamen 
bis  zur  Ueberwindung  der  Schlange  die  Geschichte  des  Kam- 
pfes zwischen  Satans  Reich  und  dem  Reiche  Gottes  auf  Erden 
bis  zum  Endziele  des  letztern  vorgezeichnet,  und  „ist  in  der 
That  in  der  Geschichte  des  Sündenfalls  in  geheimnissvoller 
Tiefe  die  ganze  Geschichte  und  Lehre  von  der  Sünde,  dem 
Teufel,  dem  Tode  und  der  Erlösung  mit  kurzen  aber  kräftigen 
Zügen  skizzirt".  ^  Dass  Asasel  Lev.  16,  8.  10.  20  den  Satan 
bedeute,  hält  Philippi  nach  der  Beweisführung  Hengstenberg's 
für  feststehend.  ^  Die  Idee  des  Satans  besteht  nach  Philippi 
dariit,  „dass  nicht  nur  innerhalb  der  Menschenwelt,  sondern 
auch  im  Reiche  der  hohem  Geisterwelt  ein  Fall  stattgefunden 
hat,  der  in  der  Form  der  Auflelinung  eines  Theils  der  höhern 
Geister  gegen  Gott  sich  vollzog  und  eine  perpetuirliche,  nicht 
aufzuhebende,  böse,  strafbare  Zuständlichkeit  derselben  zur 
Folge  hat".  Satan  ist  ein  gefallener  Engel,  also  eine  Creatur 
Gottes,  und  da  sich  in  der  Idee  des  Satans  die  Idee  des  Bö- 
sen spiegelt,  so  ist  das  Böse  nichts  ursprünglich  Selbständiges, 
nicht  Substanz.  „Und  stellt  Satan  die  sich  verfestet  habende 
Selbstsucht  dar,  so  kann  die  Sünde  nicht  blos  in  einem 
vorübergehenden  Willensacte  bestehen,  welcher  stets  wieder 
rückgängig  gemacht  und  in  sein  Gegentheil  verkehrt  werden 
könnte."^  Satan  ist  durch  Misb rauch  der  Freiheit  zum  Satan 
geworden,  das  Böse  in  ihm  erscheint  als  das  von  Gott  Ver- 
botene und  Gerichtete,  für  Satan  gibt  es  auch  keine  Erlö- 
sung.* Wie  die  Sünde  überhaupt,  so  ist  auch  die  Ursünde, 
wodurch  Satan  zum  Satan  ward,  nicht  zu  begreifen,  weil  eben 
die  Sünde  als  die  unvernünftige  Willkür  dem  Begreifen,  wel- 
ches nur  das  Gebiet  der  vernünftigen  Nothwendigkeit  um- 
spannt und  durchmisst,  sich  entzieht.  „Es  ist  mit  Recht  ge- 
sagt worden,  das  Böse  habe  keinen  Ursprung,  sondern  nur 
einen  Anfang." -^  Da  die  Satanslehre  im  richtigen  Zusammen- 
hange mit  der  richtigen  Lehre  von  der  Sünde  steht,  und  von 
Philippi  als  in  sich  widerspruchlos  bezeichnet  wird,  so  findet 
derselbe,  dass  die  negative  Kritik  dei-  Lehre  vom  Satan  eigent- 
lich die  biblisch -kirchliche  Lehre  von  der  Sünde  treffe,  und 
auf  einer  dieser  Lehre  fundamental   entgegengesetzten  specu- 


1  S.  275.         ''  S.  279,  Anmerk.         '  S.  235.         *  S.  23G.  .S.  240. 

38=^- 


596      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

lativen  Anschauung  ruhe,  die  in  den  Pantheismus  ausmündet.  ^ 
Phihppi  macht  den  Glauben  an  die  Existenz  des  Teufels  zur 
Bedinguno-  des  Glaubens  an  Gott  und  Christum^,  und  fin- 
det  die  Lehre  vom  Satan  heilsam,  weil  sie  das  Böse  in 
seiner  ganzen  Tiefe  kennen  lehrt,  den  diabolischen  Charakter 
der  Sünde  offenbart,  und  der  Mensch  sich  mit  Abscheu  und 
Entsetzen  von  ihr  abwenden  und  sich  zu  desto  ernsterm 
Kampfe  wider  sie  aufgefordert  fühlen  werde  3,  wobei  er  sich 
auf  A.  Hahn  ■*  beruft,  der  die  Schriftlehre  vom  Satan  auch  sehr 
heilsam  nennt,  wovon  freilich  die  Rationalisten  Vernunft  eines 
Wegscheider"^  nichts  wisse.  "^  Philippi  sieht  seine  Ansicht  auch 
durch  die  Erfahrung  unterstützt,  indem  „gerade  da  die  Sünde 
überall  geringer  geschätzt,  schonender  und  leichtfertiger  be- 
handelt wird,  wo  die  Idee  des  Satans  verloren  gegangen  oder 
verleugnet  worden  ist".  Die  „moderne  Verkennung  der  Satans- 
tiefe des  Bösen  und  die  reinmenschliche  Ableitung  desselben 
aus  sinnlicher  Schwäche,  Temperament,  Erziehung  u.  dgl." 
hat  auch  „den  Schrecken  vor  der  Sünde  verscheucht,  den 
Leichtsinn  des  Urtheils  und  des  Handelns,  die  Verbrechen 
gemehrt  und  selbst  den  Ernst  in  der  Beurtheilung  der  Ver- 
brechen sowie  die  Rechtstheorie  gelockert  und  verderbt  ".'^ 
Wie  die  Unvernunft  im  Teufel,  nicht  aber  in  der  Lehre  vom 
Teufel  liege,  gerade  so  auch  die  Unsittlichkeit  im  Teufel, 
nicht  aber  in  der  Lehre  vom  Teufel,  vielmehr  in  der  Leug- 
nung derselben.  Denjenigen,  welche  die  Lehre  vom  Satan 
eine  den  Menschen  entwürdigende  und  darum  selbst  unwür- 
dige nennen,  erwidert  Philippi:  „Die  Vertreter  dieser  Lehre 
können  allerdings  nicht  mit  dem  Dichter  singen:  der  Mensch 
ist  frei  geschaffen,  ist  frei  u.  s.  f.,  sondern  müssen  vielmehr 
bekennen,  der  Mensch  ist  als  Knecht  geboren,  ist  Knecht  und 
war'  er  in  Purpur  geboren";  aber  „die  gegenwärtige  Entwür- 
digung des  Menschen  und  der  Satansknecht"  weist  „auf 
seine  ursprüngliche  Würde  hin,  auf  die  Freiheit,  die  ihm  in 
Christo  wieder  erworben,  und  verhilft  ihm  so  nicht  zu  einer 
erträumten,  sondern  zu  der  wirklichen  und  wahrhaftigen  Würde 


1  S.  248.  ^  S.  261.  3  s.  263. 

^  Lehrbuch  des  christlichen  Glaubens,  S.  298. 
fi  Institut.,  §.  205. 
S.  262  fg.         "  S.  264. 


6 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  597 

und  Freiheit. "  Deshalb  sei  die  Lehre  vom  Teufel  keine  un- 
würdige zu  nennen,  vielmehr  liege  „die  Unwürdigkeit  wiederum 
in  der  Teufelsleugnung,  indem  sie  dem  Menschen  eine  Würde 
andichtet,  die  er  nicht  hat,  um  ihm  die  Würde  abzuerkennen, 
die  er  ursprünglich  besass,  und  ihn  nicht  zu  der  Würde  ge- 
langen zu  lassen,  die  ihm  aufs  neue  bereitet  ist".  ^  Es  sei 
gewiss,  fährt  der  Verfasser  fort,  „unaussprechlich  hart,  dass 
wir  von  Natur  Knechte  des  Teufels  sind;  doch  an  dieser 
Thatsache"  sei  „ja  die  Lehre  nicht  schuld",  sie  sei  vielmehr 
trostreich,  da  sie  uns  diese  Erkenntniss  gibt,  „weil  eben  der 
Mensch  ohne  Teufel  selbst  der  Teufel,  und  darum  wie  der 
Teufel  unerlÖsbar  wäre.  Erbarmungswürdig  und  der  Erlösung 
fähig  ist  er  nur  als  der  vom  Teufel  Versuchte  und  Verführte 
und  fortwährend  von  den  Banden  des  Teufels  Gehaltene ".^ 
Gegenüber  dem  Hinweis  auf  den  vielen  Aberglauben  von 
Hexerei,  Teufelsbündnissen  u.  s.  w.  will  zwar  PhilijDpi  dieses 
ganze  Gebiet  nicht  als  einen  abusus  preisgeben,  beruft  sich 
aber  doch  auf  die  Regel:  abusus  non  toUit  usum.  Was  die 
biblischen  Berichte  von  Besessenheit,  Zauberei  und  dämoni- 
schen Wundern  betrifft,  seien  „nur  diejenigen,  welche  die 
Schriftlehre  vom  Satan  anerkennen,  im  Stande,  mit  dogmati- 
scher Unbefangenheit  und  Voraussetzungslosigkeit  an  die  Prü- 
fung der  in  Rede  stehenden  Facta  zu  gehen". ^  „Was  aber 
die  praktische  Behandlung  der  Sache  betrifft,  so  wird  der 
Volksaberglaube  wahrlich  dadurch  nicht  ausgerottet  werden, 
dass  man  auch  die  richtige  Grundlage  desselben  zerstört, 
sondern  nur  dadurch,  dass  man  jede  Gemeinschaft  mit  dem 
Teufel,  sie  sei  nun  gewöhnlicher  oder  aussergewöhnlicher 
Art,  mit  dem  Katechismus  als  Sünde  straft,  das  unfreiwillige, 
leibliche  Bewältigtsein  von  ihm  aber  mit  den  Waffen  des 
Wortes  Gottes  und  des  Gebetes  bekämpft  und  zu  heilen 
sucht."* 

In  derselben  Tonart  hält  Dr.  Sartorius  in  der  Evangeli- 
schen Kirchenzeitung ^  eine  Vorlesung:  „lieber  die  Lehre  vom 
Satan",  dem  Obersten  im  Reiche  der  Finsterniss,  dem  es 
„wesentlich  ist  finster  und  in  Dunkel  gehüllt"  zu  sein,  „dass 
ihn  klar  machen,   ihn  vernichten  heissen  würde".  ^     Sartorius 


1  S.  265.         '  S.266.         «  g_267.         "  S.  268.         '  Nr.  8  und  9  (1858). 
«  S.  75. 


598      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

vernichtet  ihn  allerdings  nicht,  denn  er  stellt  ihn  auf  Grund 
von  Bibelsprüchen  als  den  bekannten  persönlichen  Teufel  dar, 
er  macht  ihn  aber  auch  nicht  klar,  denn  wir  erfahren  nichts 
als  die  „Summa:  Grund  und  Wesen  aller  Sünde,  aller  sitt- 
lichen Unordnung  und  Lüge  ist  die  Teufelei  der  Selbstsucht", 
die  aber  im  Teufel  persönlich  ist,  oder:  „der  Teufel  ist  der 
Egoismus  in  Person ". '  Dieses  Princip  ist  ein  persönliches, 
„es  ist  der  persönliche  Princeps",  der  „thatsächliche  Anstifter 
des  Bösen,  und  diejenigen  irren  weit,  welchen  der  böse  Prin- 
ceps nur  in  ein  böses  Principium,  das  energische  Masculin  in 
ein  mattes  Neutrum  verschwimmt".  Die  Hälfte  der  Vorlesung 
zielt  eigentlich  auf  die,  welche^ keinen  persönlichen  schriftge- 
mässen  Teufel  annehmen,  den  persönlichen  Urheber  der  Sünde 
in  eine  böse  Ursubstanz  verwandeln,  wodurch  die  Sünde  na- 
turalisirt  wird,  u.  s.  w.  „Wer  aber  den  Satan  verneint",  kann 
„auch  Christum  nicht  wahrhaft  bekennen.""  Sartorius  macht 
inzwischen  auf  die  Empfindlichkeit  des  Satans  betreffs  ehren- 
rühriger Namen  und  Prädicate  aufmerksam,  dass  er  sich  lieber 
Mephistopheles  nennen  lasse.  Der  Vorleser  behauptet  ausser- 
dem, dass  der  Satan  „das  Wort  der  Bibel  als  Fabel  oder 
Mythe  ausser  Credit  zu  bringen"  suche,  das  „Incognito"  liebe 
u.  dgl.  m.  Als  Vorgänger  Philippi's  findet  Sartorius  als  „un- 
leugbare Erfahrung,  dass  „seit  der  Unglaube  sich  erdreistet 
hat,  öffentlich  zu  verneinen,  dass  kein  (!)  Teufel,  kein  (!) 
Lügner,  kein  (!)  Mörder  von  Anfang  sei,  die  Laxheit  sub- 
und  objectiver  Zurechnung  der  Sünde  in  sehr  grossem  Masse 
zugenommen  hat". ^  So  heilsam  die  Lehre  vom  Satan  und 
deren  Erkenntniss  ist,  so  verderblich  ist  die  Negation  dessel- 
ben,  die  „recht  eigentlich  auch  zu  des  Teufels  Lügen"  ge- 
hört. * 

Einer  tiefeingehenden  Erörterung  hat  in  neuerer  Zeit 
Schenkel  die  Lehre  vom  Teufel  unterzogen  in  seinem  Werke: 
„Die  christliche  Dogmatik  vom  Standpunkte  des  Gewissens" •% 
worin  nicht  nur  die  einschlagende  Literatur  gehörig  ge- 
würdigt, sondern  auch  Schleiermacher's  bekannte  Kritik 
gegen  die  Angriffe  der  Orthodoxie  vertheidigt  und  unterstützt 
wird.     Schenkel  begründet  den  Satz:  ,,dass  es  keine  aus  dem 


'  S.  79.  ■'  S.  81,  82.         3  S.  85.         ••  S.  86.  MI,  1,  §.  28— 

33  (1859). 


4.  Ursachen  dei-  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  599 

Gewissen  und  der  Offenbarungskunde  geschöpfte  Lehre  vom 
Teufel  geben  kann";  er  lässt  zwar  die  Mittheilungen  der 
Heiligen  Schrift  nicht  unberücksichtigt  in  Betreff  des  Teu- 
fels und  seines  Reichs,  weist  sie  aber  demjenigen  Theile  des 
Inhalts  der  Schrift  zu,  „welcher  aus  dem  Weltbewusstsein  ihrer 
Verfasser  hervorgegangen  ist".  ^  Der  moralischen  Verdächti- 
gung Sander's^  gegenüber  wird  Schenkel  auf  dem  Gewissens- 
standpimkte  zu  einer  nur  um  so  gründlichem  Untersuchung 
angespornt,  welcher  „selbst  vom  strengsten  symbolgläubigen 
Standpunkte  nicht  das  geringste  Hinderniss  im  Wege"  steht. 
Er  findet  „in  den  drei  ältesten  ökumenischen  Symbolen"  den 
Teufel  „nicht  einmal  dem  Namen  nach  erwähnt,  in  keiner 
protestantischen  Bekenntnissschrift"  einen  „Lehrsatz  vom  Teu- 
fel". „Nirgends  hat  das  protestantische  Bekenntniss  auch  nur 
den  Versvich  gewagt,  einen  allgemein  verbindlichen  Lehrsatz 
über  Person  oder  Amt  des  Satans  aufzustellen.  Der  Teufel 
wird  im  protestantischen  Bekenntniss  nirgends  als  ein  Gegen- 
stand behandelt,  an  den  geglaubt  werden  müsste,  und  von 
dessen  dogmatischer  Auffassung  die  Substanz  der  Heilswahr- 
heit oder  der  Erwerb  des  Heilsbesitzes  abhängig  gedacht  wer- 
den könnte",  ja  in  der  Augustana  ^  wird  sogar  der  Ursprung 
der  Sünde  nicht  ausschliesslich  vom  Teufel  abgeleitet,  so  wenig 
als  die  Heilige  Schrift  den  Glauben  „an  die  persönliche  Rea- 
lität des  Teufels  oder  die  Anerkennung,  dass  der  Satan  als 
Einzelindividuum  existire,  als  ein  Postulat  des  Seligwerdens" 
fordert.*  Schenkel  sucht  nachzuweisen,  „dass  auf  dem  alt- 
testamentlichen  Ofi'enbarungsgebiete  eine  Lehre  vom  Satan, 
als  einem  schlechthin  bösen  Geistwesen  und  Urheber  des  Bö- 
sen" nicht  vorkomme '^j  dass  sich  „aus  den  neutestamentlichen, 
auf  den  Teufel  und  sein  Reich  bezüglichen  Stellen  ein  Lehr- 
begriff von  einem  persönlichen  schlechthin  bösen  Geistwesen 
und  Geisterfürsten  in  keiner  Weise  herstellen"  lasse.*'  Schenkel 
findet  es  bedenklich,  das  Böse  nach  der  Schrift  als  ein  „kos- 
misches Princip"  zu  verstehen,  dagegen  imi  so  wahrer,  „dass 
das  Böse  wie  das  Gute  nur  in  der  Form  der  Persönlichkeit, 
d.  h.  auf  dem  ethischen  Lebensgebiete  zur  Erscheinung  kom- 


'  S.  262. 

2  Die  Lehre  der  Heiligen  Schrift  vom  Teufel,  25.  These,  1. 

3  P.  1,  19.         '  S.  265.         *  S.  265  —71.         «  S.  271. 


600      Vierter  Abschnitt:   Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

men  kann,  und  dass  ein  schlechthin  Böses  diesem  nicht  an- 
gehört". Er  macht  aufmerksam,  dass  in  den  Schriftstellen 
„das  Ineinandersetzen  von  Volksvorstellung  und  Lchrdarstel- 
lung,  von  Symbol  und  ßegriö",  von  parabolischem  und  didak- 
tischem Sprachgebrauche  beachtet  werden  müsse ;  Vorstellung, 
Symbol,  Gleichniss  sei  nicht  ohne  weiteres  zum  Begriffe  zu 
stempeln,  und  dem  dogmatischen  Begriffe  einzugliedern,  so 
wenig  als  die  verschiedenen  Auffassungen  der  biblischen  Schrift- 
steller in  Betreff  dieses  Gegenstandes  als  unfehlbare,  göttlich 
documentirte  Offenbarungsmittheilungen  zu  betrachten  und  zu 
verwerthen  seien.  ^  Das  Gewissen,  zwar  „keiner  überirdischen 
persönlichen  uranfänglichen  Ursächlichkeit  der  Sünde"  sich 
bewusst,  hat  aber  die  volle  Klarheit  davon,  „dass  die  Sünde 
nicht  nur  am  Subjecte,  sondern  auch  ausserhalb  desselben,  dass 
sie  in  der  Welt  ist",  dass  das  Böse  als  solches  zwar  immer 
am  Subjecte  ist,  aber  zugleich  als  „das  Zusammenwirken  vie- 
ler sündlicher  Persönlichkeiten  zu  einem  und  demselben  bösen 
Zwecke"  in  der  Welt  eine  objective  Macht  gewonnen  hat.^ 
Das  Böse,  in  die  blosse  Innerlichkeit  eingeschlossen,  noch  an- 
scheinend völlig  wirkungslos,  wird  erst  dämonisch  und  sata- 
nisch, wenn  es  seine  Wirkungen  auf  andere  überträgt,  die 
Gemeinschaft  in  Besitz  nimmt,  eine  das  Gesammtleben  bestim- 
mende Potenz  wird.  Schenkel  nennt  es  einen  „Fehler  der 
neuern  Lehrausführungen  über  das  Wesen  des  Satans,  dass 
sie  sein  Reich  als  ein  wesentlich  (jenseitiges  »  auffassen  und 
seinen  Ursprung  in  den  Regionen  einer  überirdischen  Geister- 
welt aufsuchen",  da  „der  Satan  und  sein  Reich  nach  der 
Schrift  gar  nicht  den  ausserirdischen  Schöpfungskreisen"  an- 
gehören, in  der  Schrift  kein  jenseitiger  Sündenfall  gelehrt 
wird,  vielmehr  der  Satan  überall  in  der  Schrift  innerhalb 
dieser  Schöpfungsi'egion  erscheinend  und  wirkend  gedacht  ist, 
woher  auch  die  Bezeichnungen  seiner  als  „der  Fürst  dieser 
Welt"  u.  dgl.,  und  also  nichts  anderes  sein  kann  als:  „das 
Wesen  dieser  Welt  und  der  Geist  dieser  Zeit  in  ihrer  be- 
wussten  systematischen,  widergöttlichen  und  weltförmigen 
Selbstbestimmung".^  Die  richtige  und  auch  schriftgemässe 
Anschauung,  nach  Schenkel,  ist:  „das  Böse  als  Manifestation 
einer  Gesammtheit  oder  als  Collectiv- Böses",  das  „den  Cha- 


'  S.  281  fg.  =  S.  284.         3  s.  28G. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  601 

rakter  des  Satanischen  und  Dämonischen  an  sich  nimmt",  zu 
fassen,  das  in  diesem  Falle  zu  einer  Macht  wird,  das  nicht 
mehr  blos  einzelne  Subjecte,  sondern  die  ganze  Gemeinschaft 
mit  Verderben  bedroht. '  Die  Einwirkungen  dieser  satanischen 
Zeitmächte  des  Geistes  dieser  Welt  und  seiner  Diener  sind 
immer  ethische,  gegen  die  das  Subject  vermöge  der  Gewissens- 
action  reagiren  kann.  ,,Das  Böse  ist  immer  persönlich,  es 
gibt  kein  Böses  ausserhalb  der  Selbstmanifestation  des  Person- 
lebens. Aber  das  Satanisch-Böse  ist  nicht  mehr  subjeetiv,  son- 
dern collectiv-persönlich.  Der  Satan  ist  eine  Person,  juristisch 
betrachtet:  eine  sogenannte  moralische,  eine  Collectiv-Person 
des  Bösen  und  eben  daher  schreibt  sich  seine,  wenigstens  re- 
lativ ausserordentliche  iiberindividuelle  Macht.  Aber  zur  vol- 
len und  fertigen  Einzelpersönlichkeit  hat  er  es  bis  jetzt  nicht 
gebracht.  Als  Collectiv-Persönlichkeit  ist  er  eine  üibermensch- 
liche,  jedoch  nicht  überirdische  Persönlichkeit,  die  wie  das 
Böse  überhaupt,  stets  werden  will,  aber  doch  niemals  wahr- 
haft ist."  2 

Bei  der  Unendlichkeit  des  Seins  hält  es  Hase  für  wahr- 
scheinlich, dass  es  auch  in  ihrem  ursprünglichen  Sein  reicher 
ausgestattete  und  durch  die  Gebrechen  des  Körpers  minder 
gebundene  Wesen  gebe  als  dermalen  der  Mensch,  die  daher 
auch  einer  höhern  Entwickelung  wie  eines  tiefern  Falls  fähio- 
seien.  Die  Philosophie  habe  keinen  entscheidenden  Grund,  den 
Einfluss  jener  auf  die  Menschenwelt  für  unmöglich  zu  erklä- 
ren, soweit  dadurch  weder  die  göttliche  Vorsehung  beschränkt, 
noch  die  menschliche  Freiheit  aufgehoben  wird.  Weltkräfte 
wirken  auf  den  Erdplaneten,  die  nicht  in  ihm  begriften  sind, 
warum  nicht  auch  Geisteskräfte?  Da  jedoch  die  Denkmale 
dieses  Einflusses  als  geschichtliche  nicht  hinreichend  gesichert 
sind  und  insbesondere  der  Teufel  immer  nur  erschien,  wo 
er  geglaubt  wurde,  und  die  ihm  zugeschriebenen  Wirkun- 
gen sich  vor  der  höhern  Bildung  und  Reflexion  aus  dem 
Menschen  selbst  erklären:  so  bleibe  die  Wirklichkeit  solcher 
Wesen  immer  problematisch.^  Das  Bild  eines  dämonischen 
Herrschers,  der  Gottes  Wege  durchkreuzt,  während  seine 
Herrschaft  doch  nur  von  Gott  eingesetzt  sein   könnte,  wider- 


1  S.  293.         2  S.  294. 

'  Evangel.  protest.  Dogmat.,  5.  Aufl.,  S.  186  (1860). 


602      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

spreche   dem   unendlichen   Abstände   des    Schöpfers   vom   (le- 
schöpfe,  es  seien   unleugbar   die  verborgenen  Wege   der  Vor- 
sehung  oft   für   die  Wege    des  Teufels   auf  Erden    angesehen 
worden.     Nach  seiner  ganzen  geschichtlichen  Bildung  sei  der 
Teufel  nur  aus  Gott  selbst  herausgegrifien  und  durch  die  Zu- 
sammenfassung alles  menschlichen  Bösen  zum  düstern  Gegen- 
bilde Gottes  geworden.   Er  sei  entstanden  durch  eine  absolute, 
insofern  allerdings  religiöse  Anschauung  des  Bösen,  die  aber, 
weil  sie  nicht  auf  das  wahrhaft  Absolute  hingerichtet  ist,    im 
innern  Widerspruch  zum  Dualismus  hingedrängt  werde.  Auch 
gehöre  es  nicht  zur  glücklichen  Wirkung  eines  heiligen  Buchs, 
dass  dadurch  in  weltlichen  Dingen   ungebildete  Vorstellungen 
der  Vorzeit   gegen   die   höhere  Einsicht   späterer  Geschlechter 
festgehalten  werden  sollen.    Wenn  auch  das  Dasein  guter  und 
böser  Geister    und    deren   Einwirken    über    allem   Zweifei    zu 
stellen  wäre,  so  würden  sie  doch  keineswegs  der  Religion  selbst 
angehören,  und  seien  immer  nur  durch  Poesie  vmd  Aberglau- 
ben mit  ihr  verbunden  worden.     Denn    der  wahre  Glaube   an 
die  Vorsehung  bedürfe   nicht   erst   der  Engel,   und   die  wahre 
Verwahrung    vor   dem   Bösen   bedürfe   keiner   besondern  Ver- 
wahrung gegen  die  Anfechtungen  des  Teufels.  ^    Malle t^  findet 
die  Voraussetzung,  dass  zum  Begriff  des  Satanischen  das  Mo- 
ment des  Uebermenschlichen  gehöre,  imd  dass  also  der  Satan 
an  sich  seine  Daseins-   und  Wirkungssphäre  ausser  und  über 
der  Menschenwelt  habe,   gar   nicht   in  der  Schrift  begründet. 
Der  Teufel   der  Bibel   gehöre   in  jedem  Falle   der  Sphäre  des 
diesseitigen  Menschenlebens  an.     Die  neutestamentliche  Lehre 
vom   Teufel    werde   misverstanden ,    wenn    sie   dahin    gedeutet 
wird,  dass  der  Mensch  nicht,  wie  der  Teufel,  aus  sich  selbst, 
sondern  durch  Verführung  von  aussen  gefallen  sei,  daher  denn 
auch  das  menschlich  Böse  von  dem  satanisch  Bösen  verschie- 
den sein  soll.     Man   dürfe    auch    nicht    der  Ihia.  sm'ä^ufxia   den 
Teufel    als    einen   verhältnissmässig    äussern   Feind    entgegen- 
setzen,   vielmehr   sei   der   in   der   Welt   umgehende  Versucher 
und  Verkläger    mit    dem    in    unserem    Innern    sich    regenden 
Geist   der    bösen  Lust    und    des    bösen  Gewissens   wesenthch 
identisch.     Der  Satz,  dass  die  Sünde  durch  den  Teufel  in  die 


'  S.  187. 

2  In  Herzog's  Real-Encyklopädie,  Art.  Teufel,  XV,  591  fg. 


4.  Ursacheu  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  603 

Welt  gekommen  sei,  stehe  zwar  wol  in  der  kirchlichen  Dog- 
matik,  aber  nicht  in  der  Schrift.  Allerdings  bleibe  zwischen 
der  relativen  Bosheit  auch  des  bösesten  Menschen  und  der 
absoluten  des  Teufels  ein  grosser  Unterschied,  daraus  folge 
aber  nicht,  dass  der  Teufel  ein  übermenschliches  Böse  dar- 
stelle, oder  das  Böse,  wie  es  sich  auf  einer  übermenschlichen 
Stufe  des  Geisteslebens  verwirklicht  habe,  sondern  nur:  dass 
zwischen  der  empirischen  Erscheinung  des  Bösen  und  der  in 
allem  Bösen  wirksamen  und  sich  offenbarenden  Geistesmacht 
des  Abfalls  von  Gott  immer  ein  Unterschied,  oder,  dass  der 
Teufel  eben  die  an  sich  unpersönliche  Potenz  des  Bösen  ist, 
welche  nach  persönlicher  Wirklichkeit  strebt,  ohne  sie  je  weder 
in  der  Menschen  weit  noch  überhaupt  in  absoluter  Weise  zu  finden. 
Mallet  bleibt  dabei,  dass  in  dem  neutestamentlichen  Teufelsbilde 
das  Böse  überhaupt  veranschaulicht  werde,  wie  es  im  Menschen 
wohnt  und  Gestalt  gewonnen  hat.  Mallet  erkennt  in  dem  Teufel 
einerseits  das  Böse  in  seiner  Gottwidrigkeit,  absoluten  Lügenhaf- 
tigkeit und  Verdammlichkeit ,  und  zwar  wie  es  nicht  eine  blosse 
Privation,  nicht  blosser  Mangel,  blos  sinnliche  Schwachheit,  son- 
dern seinem  innersten  Wesen  nach  principiell  immer  feindselige 
negatio  boni,  titanenhafter  Trotz  und  freche  Selbsterhebung  wider 
Gott,  Losreissung  und  Abfall  von  demselben  ist.  Es  ist  also 
das  positive  Nichtseinsollende,  was  schlechterdings  kein  Recht 
der  Existenz  hat,  sondern  an  sich  schon  gerichtet  und  ver- 
worfen, nur  durch  die  Lüge  ein  nichtiges  Scheindasein  behaup- 
ten kann.  Andererseits  findet  Mallet  im  Verhältnisse  des 
Teufels  zum  Menschen  ausgedrückt:  das  Böse  an  sich  ist 
dem  Menschen,  als  der  nach  dem  Bilde  Gottes  geschaffenen 
persönlichen  Creatur  etwas  Fremdes,  d.  h.  es  gehört  nicht  zum 
Wiesen  des  Menschen,  sondern  ist  und  bleibt  ein  demselben 
schlechthin  Widerstrebendes,  es  steht  ihm,  ob  es  auch  in  ihm 
wohnt,  doch  als  ein  Aeusseres  gegenüber,  das  er  immer  von 
sich  selbst  unterscheidet,  das  seinem  innersten  Wesen  wider- 
streitet, und  also  eine  ihm  fremde,  feindselige  Gewalt  ist,  von 
der  er  sich  überlistet  und  gefangen  sieht ,  und  deren  Herr- 
schaft, eben  weil  sie  ihn  mit  seiner  Innern  Bestimmung  in 
Widerspruch  bringt,  ihn  in  Tod  und  Verderben  stürzt.  Der 
eigentliche  Sinn  und  wesentliche  Gehalt  der  Schriftlehre  vom 
Teufel  ist  demnach  durch  dessen  Vorstelluno;  nicht  die  Wirk- 
samkeit    einer    historischen    Person,    sondern    eines    geistigen 


604       Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Princips  zu  veranschaulichen.  Mallet  theih  mit  Lücke  die  An- 
sicht, dass  die  Lehre  der  Schrift  zwischen  Person  und  Per- 
sonification,  zwischen  Begriff  und  Bild  oder  Symbol  schwanke 
und  nirgends  zu  einer  lehrhaften  Bestimmung  über  den  Teufel 
als  transcendente  Persönlichkeit  komme.  Mallet  behauptet,  in 
der  weitern  kirchlichen  Ausbildung  dieser  Lehre  sei  die  Schale 
für  den  Kern,  das  Bild  für  die  Sache  genommen  worden  und 
findet  den  Teufel  dei-  Kirchenlehre  dem  rabbinischen  verwand- 
ter als  dem  der  Schrift.  Statt  an  dem  ethischen  Kern  der 
Schriftvorstellung  festzuhalten,  hielt  man  sich  an  die  phan- 
tastische Form,  welche  der  Darstellung  der  Apokalypse  eignet 
und  dogmatisirte  über  .die  Natur  und  den  Fall  der  über- 
menschlichen Dämonen.  Mallet  will  den  persönlichen  Teufel 
aus  der  christlichen  Dogmatik  hinaus  und  der  christlichen 
Symbolik  zuweisen,  er  möge  in  der  Homiletik  wie  in  der 
christlichen  Poesie  seinen  Platz  behalten.  Li  geistesverwand- 
tem Sinne  ist  auch  der  Aufsatz :  „Der  Streit  über  den  Teufel" 
von  Fitester^  geschrieben. 

Ueberblicken  wir  die  angeführten  Aeusserungen  über  den 
Teufel  von  namhaften  Gelehrten  der  neuern  und  neuesten  Zeit, 
so  sind  es  im  Grunde  Versuche,  den  Begriff  und  Ursprung  des 
Bösen  zu  erforschen  und  aus  der  überlieferten  Vorstellung 
vom  Teufel  herauszuschälen ,  oder  aus  der  Natur  des  Bösen 
die  Persönlichkeit  des  kirchen-  und  volksthümlichen  Teu- 
fels zu  construiren.  Es  zeigt  sich  bei  den  meisten  ein 
Schwanken  zwischen  Personification  und  Persönlichkeit,  zwi- 
schen Symbol  und  Sache,  Bild  und  Begriff,  Vorstellung  und 
Idee.  Es  ist  die  Minderzahl,  die  einen  individuell -persönlichen, 
gelegentlich  erscheinungsfähigen  und  sinnlich  wahrnehmbaren 
Teufel  annimmt.  Die  Mehrzahl  der  genannten  Schriftsteller, 
und  unter  ihnen  auch  solche,  die  zu  den  Orthodoxen  zählen, 
verfolgt  eigentlich  die  Tendenz:  die  Vorstellung  vom  Teufel 
dem  begreifenden  Denken  zu  unterziehen.  Selbst  Twesten, 
der  als  Vertheidiger  des  persönlichen  Teufels  aufgeführt  zu 
werden  pflegt ,  sagt  ausdrücklich :  es  komme  hinsichtlich  des 
Glaubens  an  Engel  und  Teufel  ,, nicht  so  sehr  auf  jede  ein- 
zelne der  Bestinmiungen"  an,  „als  auf  die  denselben  in  ihrer 


1  Protest.  Kirchenzeitung,  Jahrg.  1861,  Nr.  32,  33. 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  605 

Gesammtheit  zu  Grunde  liegende  Vorstellung" ' ;  aus  den  Aus- 
sagen des  religiösen  Bewusstseins  könne  ,,eine  eigentliche 
Nothwendigkeit"  der  Existenz  des  Teufels  „schwerlich  darge- 
than  werden;  glauben  wir  aber  den  Aussprüchen  der  Heiligen 
Schrift,  so  werden  Avir  auch  in  unserm  Bewusstsein  vieles  fin- 
den, was  jener  Annahme  zur  Bestätigung  dient,  oder  mit  der- 
selben zusammenhängt".^  Es  komme  „hierbei  alles  auf  die 
Vorstellung  an,  die  man  sich  von  der  Natur  und  dem  Grunde 
des  Bösen  macht",  ^  und  ., insofern  kann  man  den  Begriff  des 
Teufels  gleichsam  als  den  Exponenten  der  Ansicht  betrachten, 
die  jemand  sich  vom  Bösen  gebildet  hat".*  Twesten  macht  die 
richtioe  Bemerkuno^:  iu  diesem  Sinne  habe  auch  Erhard  seine 
Apologie  des  Teufels  geschrieben,  „nicht  um  den  Teufel  war 
es  ihm  zu  thun,  wol  aber  um  die  in  der  Idee  des  Teufels  zur 
Entscheidung  kommende  Frage  über  die,  ob  positive  oder  ne- 
gative Natur  des  Bösen". ^  Mit  Ausnahme  von  einigen,  die 
den  Glauben  au  den  persönlichen  Teufel  zur  Seligkeit  des 
Christen  für  nothwendig  erklären,  geht  also  das  Streben  selbst 
orthodoxer  protestantischer  Theologen  dahin:  die  Vorstellung 
vom  Teufel,  namentlich  die  schriftgemässe,  des  Nachdenkens 
werth  zu  erachten,  sie  nicht  blos  als  Gegenstand  gedanken- 
losen Spottes  behandelt  zu  wissen.  Dagegen  werden  wir  am 
wenigsten  etwas  einw^enden  wollen,  da  wir  selbst  die  Geschichte 
des  Teufels  verfolgen,  und  die  Vorstellung  von  ihm  als  einen 
der  denkenden  Betrachtung  würdigen  Vorwurf  gewählt  haben. 
Stellen  wir  aber  die  Frage:  glaubst  du  an  den  Teufel,  der  als 
reales  Subject  ausser  dir  existirt  und  die  Macht  hat,  unter 
Gottes  Zulassung,  dir  gelegentlich  sinnlich  wahrnehmbar  zu 
erscheinen  und  zwar  als  wirklicher  Teufel?  oder,  was  dasselbe 
heisst:  glaubst  du  an  den  kirchen- und  volksthümlichen  Teufel? 
so  dürfen  wir  annehmen,  dass  der  bei  weitem  grössere  Theil 
auch  derer,  die  sich  schriftgläubig  nennen,  den  Kopf  schütteln 
werde.  So  aber  lautet  die  Frage,  wie  sie  der  strenge  Dog- 
matismus stellt,  der  folgerichtig  vor  jedem  Zweifel  an  den 
persönlichen  Teufel  ein  Kreuz  schlagen  muss. 

Und  wie   verhält  sich   die   moderne  W  eltanschauung   der 


'  Vorlesungen  über  die  Dogmatik  der  evangelisch-lutherischen  Kirche, 
U,  361  (1837). 

2  S.  366.         3  S.  368.         *  S.  369.         *  S.  371,  Anmerk. 


(J06      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

Durchschnittsbiklung,    wie   verhält  sieh  die  Menge,  das  Volk 
in  unsern  Tagen  dieser  Frage   gegeniiher?    Die  überwiegende. 
Mehrheit   schüttelt    ebenfalls    das   Haupt.      Die    überwiegende 
Mehrheit!    Denn   wir   können    nicht   hinwecrleugnen,    dass   der 
Glaube  an   den  persönlichen  Teufel  und   seine  Wirkinigen  im 
Volke  noch  sporadisch  haust.   Wir  erinnern  an  das  junge  Dienst- 
mädchen,   das    im  Jahre  1863   in  Marseille   grosses  Aufsehen 
erregte,   indem  es  von  der  Nachbarschaft  für  vom  Teufel  be- 
sessen gehalten  wurde,   der  von   sechzehn  Bösen,   die   es   an- 
fänglich im  Leibe  hatte,  als  deren  Haupträdelsführer  zurück- 
geblieben war,  und  das  Mädchen  zu  jämmerlichen  Verzerrungen 
zwang,  sobald  man  es  mit  Weihwasser  besprengte."  ^    In  dem- 
selben Jahre  wird  ein  ähnlicher  Fall  aus  dem  Dorfe  Wellen- 
dingen   auf  dem    Schwarzwalde  berichtet,   wo   drei   Geistliche 
einem  vierzehnjährigen  Mädchen,  das  sie  für  besessen  hielten, 
den  Teufel  auszutreiben  vergeblich  versuchten.     Da   auch   ein 
aus  der  Schweiz  berufener  Kapuziner   sich  unmächtig  erwies, 
sollte  der  Vater  des  Kindes   an    den  Erzbischof  von  Freiburg 
sich    wenden.^      Abgesehen   von   andern   Belegen   nehmen  wir 
an:  der  Glaube  an  den  Teufel  lebt  noch  hier  inid  da  im  Volke, 
und  wir  wissen  auch,  dass  Katechismen  und  Liturgien  die  Erin- 
nerung an  ihn  wol  täglich  aufirischen.    Ungeachtet  dessen  dürfen 
wir  aber  behaupten:  dieser  Glaube  hat  in  der  grössern  Menge 
seinen    Boden    verloren.      Die   Wahrheit    dieser    Behauptung 
bestätigen  die  Klagen  derjenigen,   die   den  Teufel  als  wesent- 
lichen Bestandtheil  des  christlichen  Glaubensinhalts  betrachten. 
Wir  hatten  schon  Gelegenheit,  solche  Stimmen  zu  hören,  welche 
„die    Laxheit    sub-   und    objectiver  Zurechnung   der   Sünde", 
die  „in  sehr  grossem  Masse  zugenommen  hat",  lediglich  dem 
in    unsern    Tagen    überhandgenommenen    Unglauben    an    den 
persönlichen  Teufel  auf  die  Rechnung  schreiben.    Solche  Klage- 
oder Scheltestimmen  geben  uns  wol  die  sicherste  Gewähr  über 
die  Beschafi'enheit  der   hentioen  Anschauuncf  der  Menere.     Li 
dieser   Beziehung    kann    und    soll    auch    der    mit   E.  M.    sich 
zeichnende  Verfasser  der   „Zeitbetrachtungen  über  die  christ- 
liche   Lehie    vom  Teufel"^    für    uns    einstehen,    nach   dessen 


'  Wiener  Presse  vom  13.  Febr.  1863. 

-  Ebendas.,  Abendblatt  vom  13.  Nov.  1863. 

^  Evangelische  Kirchenzeitung,  Nr.  8  und  9  (1859). 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  607 

Ueberzeugmig  ,,die  Zugehörigkeit  der  Lehre  vom  Satan  zu 
dem  Ganzen  der  kirchlichen,  speciell  der  evangelisch -kirch- 
liehen Glaubenslehre  nicht  in  Frage  gestellt  werden  kann".' 
Der  Verfasser  findet  „die  Gegenwart  merkwürdig  durch  den 
A\  idei'spruch ,  welchen  sie  der  Annahme  eines  persönlichen 
Teufels  entgegensetzt"^  und  charakterisirt  „unsere  Zeit  der 
christlichen  Lehre  vom  Teufel  gegenüber"  sehr  bündig  und 
trefiend  mit  den  Worten:  „es  ist  die  allererklärteste  Anti- 
pathie." „Das  Verhalten  der  grossen  Masse  des  Volks  und 
zumeist  der  Gebildeten  unter  demselben,  auch  das  eines  nicht 
geringen  Theils  der  Vertreter  heutiger,  selbst  wol  der  sich 
glävibig  nennenden  Theologie,  wird  noch  immer  richtig  ge- 
zeichnet durch  den  Ausdruck"  von  Klaus  Harms  im  Jahre 
1817:  ,,Den  Teufel  hat  man  todtgeschlagen  und  die  Hölle  zu- 
gedämmt." Der  Verfasser  bestätigt  uns:  der  Fürst  der  Fin- 
sterniss  hat  für  die  Kinder  unserer  Zeit  „nicht  blos  seine 
Furchtbarkeit,  sondern  jede  lebendige  Bedeutung  verloren", 
er  ist  „in  das  Register  der  Todten  eingegraben,  der  Geschichte 
und  Dichtung  anheimgegeben,  und  in  dem  sicher  construirten 
Sarg  des  Begrifi's  zum  Nimmeraufstehen  beigesetzt"  worden. 
Satan  hat  „sich  gefallen  lassen  müssen  in  Tragödien  und 
Opern  eine  ßolle  zu  spielen  und  seine  Bosheit  auf  den  Bre- 
tern  zur  Schau  zu  stellen:  zu  gemüthlicher  Bestätigung  für 
die,  welche  ihn  selbst  für  eine  Ausgeburt  der  Phantasie  hal- 
ten". Die  Philosophie  hat  der  Menschheit  den  Dienst  ge- 
leistet .,  ihn  als  das  Symbol  für  den  abstracten  Begrifi'  des 
Bösen  kennen  zu  lehren".  ^  Der  Glaube  an  den  Teufel  gilt 
allgemein  für  „schwärmerische  Bornirtheit",  und  in  einer  An- 
merkung beruft  sich  der  Verfasser  auf  ein  von  der  medicini- 
schen  Facultät  in  Prag  vor  etlichen  Jahren  ausgestelltes 
Gutachten,  welches  über  den  Geisteszustand  eines  Schuh- 
machers in  Budweis  „schon  lediglich  aus  dem  Grunde  für 
dessen  Verrücktheit  gestimmt",  „weil  er  an  die  Existenz 
des  Teufels  glaubte".  ,,Die  in  solchen  Thatsachen  sich  ofi'en- 
barende  Stimmung"  erkennt  der  Verfasser  ganz  richtig  „nicht 
lediglich"  für  „ein  Kind  des  19.  Jahrhunderts";  eine  „frühere 
Zeit  schon"  habe  „es  empfangen  und  genährt";  aber  die 
neuere  Zeit  sei  es  doch,    „die   es   grossgezogen,    ausgebildet 


1  S.  73.         2  s.  74.         3  s.  75. 


608      Vierter  Abschnitt:  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

lind  zu  männlichem  Ansehen  gebracht."  *  Die  Tendenz,  welche 
das  vorige  Jahrhundert  auf  die  Bahn  gebracht,  bemerkt  der 
Verfasser  abermals  ganz  richtig,  könne  recht  eigentlich  als  die 
Tendenz  der  neueren  Zeit  betrachtet  werden^,  und  die  Philo- 
sophie sowol  als  auch  die  schöne  Literatur  seien  die  beiden 
Brunnen,  aus  denen  die  ganze  Bildung  der  Gegenwart  gespeist 
worden.  Wenn  man  auf  den  Kern  der  Wahrheit,  die  Goethe, 
Schiller  und  ihre  Geistesverwandten,  die  wirksamen  Erzieher 
des  jetzigen  Geschlechts,  gepredigt  haben,  eingeht,  so  liege 
in  dem  Einen:  „Humanität". 

Dass  der  Verfasser  mit  diesem  „Zaubei'wort",  wie  er  es 
ironisch  nennt,  nicht  einverstanden  sein  kann,  werden  wir  be- 
greiflich finden,  und  wenn  ihm  die  Bahn,  auf  der  die  Gegen- 
wart mit  ihrer  Anschauung  das  Leben  verfolgt,  als  eine  „ab- 
schiissige  Bahn"  erscheint,  weil  die  christliche  Grundlage 
abhanden,  so  liegt  es  ausserhalb  unserer  Aufgabe,  ihn  aus 
seinem  Gesichtspunkte  herausdrängen  zu  wollen.  Wir  haben 
ihn  nur  als  Schilderer  der  gegenwärtigen  Anschauung  ange- 
führt, und  sein  Urtheil  ist  uns  um  so  wichtiger,  als  es  von 
einem  Gegner  derselben  herriihrt.  Unsei-  Gewährsmann  er- 
kennt in  der  Humanität  das  Schlagwort  der  Gegenwart  und 
findet  den  Glauben  an  das  unablässige,  siegesgewisse  Streben 
der  idealen  Menschheit  an  die  Stelle  des  dogmatischen  Glaubens 
getreten.  Li  der  That  ist  Humanität  die  Grundlage  der 
gegenwärtigen  Weltanschauung,  und  der  Verfasser  hat 
auch  hierin  recht,  dass  „die  idealistische  Denkweise  am  frühesten 
daran  gearbeitet"  hat,  „den  Teufel  aus  der  objectiven  Wirk- 
lichkeit in  die  Subjectivität  des  Menschen  zu  übersetzen".' 
Es  ist  Thatsache,  der  Mensch  der  Gegenwart,  der  keinen 
Teufel  fürchtet,  weil  er  an  keinen  glaubt,  kann  ihm  auch 
nicht  die  Verführung  zum  Bösen  zuschreiben,  sondei-n  über- 
nimmt selbst  die  Verantwortung  seiner  bösen  That,  er  muss 
sich  selbst  die  Schuld  beimessen,  auch  wenn  er  dazu  verleitet 
worden  wäre.  Er  setzt  das  Böse  auch  nicht  in  eine  schlechte  Na- 
iuranlage,  sondern  beschuldigt  sich  bei  der  schlechten  Handlung, 
seine  Naturanlage  schlecht  angewendet  zu  haben,  und  sein 
Gewissen  dictirt  ihm  die  Strafe.  Er  ist  zum  Bewusstsein  der 
sittlichen  Mündigkeit  gekommen,  und  auf  diesem  Standpunkte 

1  S.  76.        ^  S.  91.        3  s.  94 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  609 

hat  für  ihn  nur  dasjenige  die  eigentliche  Bedeutung  der  Strafe, 
was  sein  eigenes  Gewissen  über  ihn  verhängt.  Nur  der  geistig 
Unmündige  kami  jedes  Uebel  auf  den  Teufel  zurückleiten,  der 
es,  nach  unerforschlicher  Zulassung  Gottes,  an  ihm  verübt;  der 
geistig  Mündige  sucht  auf  dem  Wege  des  erkannten  Cansalnexus 
die  Quelle  des  Uebels  zu  finden  und  womöglich  zu  verstopfen, 
oder  es  wenigstens,  und  zwar  Avieder  mittels  des  Zusammen- 
hangs von  Ursache  und  Wirkung,  zu  mildern.  Wo  diese 
Denkweise  im  Gange  ist,  wie  in  unsern  Tagen,  da  verlieren 
auch  alle  ausserordentlichen  Erscheinuno;en  die  Bedeutuno;  des 
Wunderbaren,  und  selbst  der  gemeine  Mann,  der  die  Einzel- 
heiten in  ihrem  Zusammenhange  sich  zu  erklären  nicht  ver- 
mag, setzt  diesen  ahnend  als  sicher  vorhanden  voraus.  Der 
einherbrausende  Dampfwagen ,  bei  dessen  Anblick  der  Land- 
mann ehedem  von  banger  Scheu  ergriffen  werden  mochte, 
wird  von  seinen  Nachkommen  mit  voller  Gelassenheit  betrach- 
tet und  selbst  bestiegen,  obschon  ihm  die  Theorie  des  Dampfs 
und  des  Dampfwagens  ebenso  unbekannt  ist  als  seinem  Ahn; 
er  setzt  aber  als  Axiom  voraus,  die  Bewegunt»:  der  Locomo- 
tive  miisse  auf  dem  natürlichen  Zusammenhang  von  Ursache 
und  Wirkung  beruhen.  Allerdings  hat  die  Gegenwart  von 
dem  alten  frommen  Wunderglauben  sehr  wenig  mehr  aufzu- 
weisen, dafür  rühmt  sie  sich  aber  nicht  nur  einer  tiefern 
Einsicht  in  den  Zusammenhang  der  Dinge  und  eines  regern 
Strebens  danach,  sondern  hält  auch  einen  Glauben  fest,  näm- 
lich den  Glauben  an  die  unbesiegbare  Macht  der  Wahrheit, 
der  in  ihr  um  so  unerschütterlicher  feststeht,  als  er  nicht  mehr 
durch  den  Zweifel  gestürzt  werden  kann,  weil  sie  den  Zwei- 
fel bereits  überwunden  und  durch  diesen  jene  feste  Ueber- 
zeugung  erlaugt  hat. 

Die  Gegenwart  hat  den  unbedingten  Glauben  an  die  von 
aussen  herantretende  Autorität  abgeschüttelt,  dagegen  macht 
sie  die  grössten  Ansprüche  an  die  eigene  Tragfähigkeit  und 
belastet  das  eigene  Gewissen  mit  dem  ganzen  Gewichte  der 
Verantwortlichkeit.  Die  ehrwürdige,  fromme  Mahnung:  „Bete 
und  arbeite!"  ist  trotz  der  verketzerten,  herrschenden  Ungläu- 
bigkeit  nicht  ausser  Kraft  gesetzt;  aber  der  Mensch  der  Ge- 
genwart will  das  Beten  und  Arbeiten  nicht  nacheinander-,  son- 
dern ineinandergestellt  wissen,  er  will,  dass  seine  Arbeit  als 
bewusste  Selbstthätigkeit  sittliche  Bedeutunrr  habe  und  damit 

Koakoff,  Geschichte  des  TeufeU.    II.  3g 


610      Vierter  Abschnitt :    Fortsetzung  der  Gescliiclite  des  Teufels. 

zugleicn  religiösen  Inhalt  gewinne.  Die  gegenwärtige  Welt- 
anscliannng  will  kein  doppeltes  Buch  mehr  führen,  ein  Werkel- 
tagsbuch  für  den  sittlichen  Menschen  und  ein  Sonntagsbuch 
für  den  religiösen  Christen,  weil  sie  Ileligiosität  und  Sittlich- 
keit ineinandersetzt,  eine  sittliche  Religiosität  und  relio-iöse 
Sittlichkeit  anstrebt,  weil  sie  sich  nicht  befirnütren  will,  die 
Religion  nur  innerhalb  der  Kirchenmauern  eingeschränkt  zu 
sehen,  sondern  das  Wesen  der  Religion  über  das  ganze  Leben 
ausgebreitet  werden  soll.  Die  moderne  Bildung  will  mir  die 
einfache  Buchhaltung  des  Gewissens,  die  der  religiös-sittliche 
Mensch  für  sich  selber  führt. 

Mit  dem  Streben   nach  Humanität   und   dem  Glauben  an 
die  stetige  Entwickelung  der  idealen  Menschheit   fürchtet  die 
moderne  Bildung    mit    dem  Christenthum    durchaus    nicht   im 
Widerspruch   zu  stehen,    sie    ist  vielmehr   fest  überzeugt,  auf 
dem  vom  Stifter  der  christlichen  Relioion  bezeic'hneten  Weize 
und  in   seinem  Sinn(j   fortzuschreiten.     Sie    erkennt   in   diesem 
den  Heiland,    durch    welchen    der   Menschheit    die   Wahrheit 
ihrer  Bestimmung  zum  Bewusstsein  gebracht,  offenbar  worden 
ist,  sie  erkennt  in  der  Religion  „des  menschgewordenen  Got- 
tes" den  versöhnenden  Ausgleich  des  Menschen  mit  Gott,  die 
Religion  bewusster  Liebe,  der  idealen  Menschlichkeit.    Sic  er- 
kennt in   der   Seligpreisung   des   reinen    Plerzens    die  religiös- 
sittliche Forderung:  aus  der  Aeusserlichkeit,  der  Weltlichkeit 
in  das  Innere  des  eigenen  Gemüthes   einzukehren   und  hinab- 
zudringen   in   die  Tiefe,    wo    es   in    der  Gottheit  wurzelt,    um 
von   da   heraus   von   göttlicher  Kraft   durchdrungen    zu  lel)en, 
zu  handeln  und  in  diesem  Bewusstsein  Befriediuuno;  zu  finden. 
Darein  legt  die  moderne  Bildung  das  „Specifisch-Christliche", 
dass   der  Mensch    seiner    sittlichen  Menschenwürde    sich    be- 
wusst,    dem   christlichen    Ilauptgebote    der   Liebe    mit   freiem 
Bewusstsein  folgend,   aus  seiner  Gesinnung  heraus  zum  Han- 
deln   gedrängt    werde.      Die    moderne    Bildung    stemmt    sich 
gegen  die  Annahme,  dass  das  Christenthum  Gebote  aufstellen 
könne,    die  gegen    die  ideale  Menschennatur  lauten;    sie    an- 
erkennt   keinen    directen    Gegensatz    von    Christlichem     und 
Reinmenschlichem,    sie   hält   die  reine  Menschenliebe    für   das 
wesentliche  Gebot  der  christlichen  Relisfion. 

Weil   die   moderne  Anschauung   den   Ausgangspunkt   der 
sittlichen  Handlung  vom  religiös-sittlichen  Bewusstsein  niunut 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufclsglaubens.  611 

und  den  Ricliterstuhl  zur  Beurtlicilung  des  sittlichen  Wcrthes 
der  Handlung  im  Gewissen  aul'gesclilagen  hat:  darum  kann 
sie  dem  Bösen  keine  ol)jective,  reale  Wirklichkeit  einräumen, 
muss  es  folgerichtig  in  das  sittliche  Subject  selbst  verlegen, 
rauss  in  der  Vorstellung  vom  Teufel  die  Personification 
oder  Symbolisirung  des  Begrifls  vom  Bösen  erblicken,  in 
jener  das  Product  des  menschlichen  Bewusstseins  anschauen. 
So  steht  das  Selbstbewusstsein  der  Projection  des  Bewusst- 
seins gegeniiber.  Der  Monismus  des  Gewissens  hat  den  Dua- 
lismus aufgelöst,  und  der  reine  Monotheismus  ist  zum  Durch- 
bruch gekonnnen.  Der  Mensch  verlegt  die  allein  berechtigte 
Macht  der  Wahrheit,  die  allein  Bleibendes  wirkt,  in  das 
göttliche  Wesen,  und  dieser  Glaube  anerkennt  auch  bei  zu- 
nächst unerklärten  Erscheinungen  keinen  Einfluss  unberechtig- 
ter Mächte. 

Die  moderne  Weltanschauung  ist  keine  teleologische  mehr 
in  jenem  veralteten  Sinne  des  menschlichen  Egoismus,  der 
sich  als  den  alleinigen  Zweck  und  alles  ausser  ihm  als  Mittel 
betrachtete;  sie  sieht  aber  die  Zweckmässigkeit  in  der  Ein- 
richtung der  Natur,  in  der  sie  eben  eine  durch  Vernunft  erhaltene 
begreift.  Der  Mensch  betrachtet  sich  nunmehr  als  Selbstzweck, 
der  Mittel  und  Zweck  in  sich  vereiniu't.  Er  sieht  sich  als 
Mittel  dem  (iranzen  des  allgemeinen  Entwickelungsi^rocesses 
gegenüber,  in  dessen  wesentlicher  Bedeutung  er  aber  zugleich 
seinen  eigenen  Zweck  erfüllt.  Durch  die  Arbeit,  in  der  er 
seinen  Theil  an  das  Ganze  abgibt,  wird  er  selbst  ethisirt 
und  darin  zeigt  er  seine  Bestimmung,  deren  Lösung  seine 
Aufgabe  ist.  Darin  besteht  auch  zugleich  seine  Menschen- 
würde, dass  er  mit  Bewusstsein  arbeitet,  durch  seine  freie 
Arbeit  seine  eigene  und  zugleich  die  allgemeine  freie  Entwicke- 
lung  fördert.  Ihm  ist  die  Geschichte  der  Menschheit  im 
Grunde  die  Geschichte  der  Wahrheit  und  er  kennt  nur  blei- 
bende Thaten  in  den  Anstrengungen,  welche  die  Wahrheit 
gefördert  haben  und  fördern.  Die  verschiedenen  sittlichen 
Anschauungen  zu  verschiedenen  Zeiten  erscheinen  ihm  als 
Interpretationen  des  ewigen  Gesetzes,  deren  Werth  von  dem 
Masse  der  Intelligenz  des  Auslegers  abhängt. 

Die  denkende  Betrachtung  des  Menschen  als  Organismus 
in  dem  organischen  Ganzen  sucht  nach  dem  wechselwirkenden 
Zusammenhang  und   findet   in   den  Anschauungen   der  Zeiten 


612      Vierter  Abschnitt:    Fortsetzung  der  Geschichte  des  Teufels. 

organische  Prodiicte.  Was  die  Gegenwart  als  Irrtbiim  ver- 
gangener Zeiten  bezeichnet,  ist  die  Mauser  des  Entwickelungs- 
processes  der  Menschheit.  Die  Wissenschaft,  die  den  Zu- 
sammenhang der  Dinge  zn  l)egreifen  sucht,  weiss  der  Ver- 
gangenheit Dank  fiir  ererbte  Wahrheiten  und  ist  duldsam 
gegen  ihre  Irrthiimer.  Als  lebendiger  Organismus  breitet 
die  Wissenschaft  ihre  Aeste  und  Zweige  aus,  um  Erkenntniss 
von  allen  Seiten  einzusaugen  und  sie  dem  Hauptstamme  als 
Nahrungssaft  zuzufidiren,  der  um  so  besser  gedeiht,  je  mehr 
die  Zweige  griinen.  Diejenige  Theologie  hat  nie  als  wissen- 
schaftlicher Zweig  gelebt,  die  sich  fiuchten  muss  zu  verdorren, 
wenn  ein  anderer  Zweig,  z.  B.  die  Naturwissenschaft,  üppig 
wächst.  Als  o1)  nicht  ein  Zweig  mit  dem  andern  organisch 
zusammenhinge  und  alle  zusammen  nach  einheitlichem,  orga- 
nischem Leben  hinstrel)ten!  Das  Streben  nach  Einheit,  das  in 
der  Natur  des  menschlichen  Geistes  als  Organismus  seinen 
Grund  hat,  muss  eben  darum  in  allen  Ivichtungen  des  Lebens 
zu  Tage  treten.  Wir  fanden  es  in  den  polytheistischen  Reli- 
gionen als  dunkeln  Drang,  der  die  Vielheit  der  Gottheiten 
in  eine  oberste  zuspitzend,  zusammenfasst,  wobei  die  vermit- 
telte wirkliche  Einheit  selbstredend  nicht  zum  vollen  Hechte 
kommen  kann.  Ebenso  wenig  gelingt  dies  der  selbstsiichtiijen 
Anschauung,  wo  die  Roheit  des  Individuums  alles  unter  dem 
Gesichtspunkte  des  Empfindens,  Geniessens  betrachtet  und 
danach  das  ürtheil  normirt,  wo  das  Wohl  und  Wehe  als  gut 
und  böse,  als  Lohn  und  Strafe  erscheint,  mid  der  Dualismus 
unvermeidlich  ist.  Das  Streben  nach  Einheit  zeio;t  sich  auf 
dem  ethischen  Standjiunkte  des  Gewissens,  wo  die  Handlung 
sowol  als  das  Urtheil  über  sie  von  jenem  ausgeht,  wo  Aus- 
gangs- und  Endpunkt  in  Einheit  zusammenlaufen  müssen,  um 
religiös-sittliche  Befriedigung  zu  gewähren. 

Wir  sind  bei  der  Geschichte  des  Teufels  vom  mensch- 
lichen Bewusstsein  ausgegangen,  haben  gesehen,  wie  sich  die 
Vorstellungen  von  gut  und  böse  in  allen  Religionen  der  Natur- 
völker, der  Culturvölker  in  einer  dualistischen  Anschauung 
von  guten  und  bösen  Gottheiten  fixirt  haben,  wie  der  Glaube 
an  den  Teufel,  als  den  Antipoden  Gottes,  in  der  christlich- 
kirchlichen Vorstellung  zu  einer  furchtbaren  Höhe  angewachsen 
ist.  In  der  Geschichte  des  Teufels  verfolgten  wir  eine  Stufen- 
leiter der  verschiedenen   Vorstellungen   vom   Uebel  und  dem 


4.  Ursachen  der  Abnahme  des  Teufelsglaubens.  613 

Bösen,  und  betrachteten  sie  als  Wandlungen  des  menschlichen 
Bewusstseins  und  Bewusstwerdens,  worin  ja  eben  die  Bedeu- 
tung der  Geschichte  iiberhaupt  liegt.  Wir  sind  bei  dem  mo- 
dernen Bewusstsein  angelangt,  welches  den  Dualismus  zur 
Einheit  zusammentasst,  wobei  es  dem  Teufel  keinen  Raum 
mehr  gönnt,  und  können  zum  Schlüsse  mit  Droysen  sagen: 
„Den  Dualismus  von  Gott  und  Teufel  widerlegt  die  Ge- 
schichte." ^ 


Grundriss  der  Historik,  S.  27. 


Druck  von  F.  A.  Brockhaus  in  Leipzig. 


Berichtigungen. 


Seite  25,  Zeile  4  v.  u.,  statt:  Schriftstellern,  lies:  Kirche 
»      72,      »       3  V.  n.,  St.:  chori,  1.:  thori 
»    138,  Note  2,  st.:  Mysterien,  1.:  Mystik 

145,  Zeile  7  v.  o.,  st.:  ihn,  1.:  es 

166,      »       5  V.  u.,  St.:  allgestaltig,  1.:  allgestaltig  werden 

226,  Note  1,  Zeile  1   v.  u.,  st.:  Nieder,  I.:  Nider 

232,  Zeile  4  v.  u.,  st.:   Succumbi,  1.:   Succubi 

322,      »     12  V.  o.,  st. :  indem,  1  :  in  dem 

391,      »       2  V.  c,  St.:  dorn.,  1.:  daem. 

413,  »     24  V.  c,  St.:  Pyromachus,  ein  Bischoff,   1.:  Fyromachus,    ein 

Fürst.  —  Hierauf:  Archocolax,  ein  Bischoff. 

414,  »     19  V.  u.,  St.:  Achocolas,  1.:   Archocolax 
508,      »     19  V.  o.,  St.:  exegesirt,  1.:   exegetirt 
608,      »       9  V.  o.,  st. :  so  liege,  1. :  so  liege  er 


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