(jescliiclite des Teufels.
Zweiter Band.
Geschichte des Teufels.
Von
Griistav Roskoff.
Zweiter -and.
Leipzig :
F. A. B r o c k h a u
'■lAlh.
1869.
Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen wird vorbehalten.
>
Inhalt des zweiten Bandes.
Zweiter AbscMitt.
Factoren bei der Ausbildimg und Verbreitung der Vorstellung
vom Teufel.
Seite
1. Die Herabdrückuugsmethode der Kirchenlclirei- 1
2. Amalgamirungsprocess 8
3. Geschichtliche Verhältnisse 18
Entwickelung der Kirche als Macht gegenüber dem Staate . 19
■4. Mittel zur Vergrösserung des geistlichen Ansehens 33
Kreuzzüge 38
Kanonische Lebensweise 39
Beichte 39
Ablass 40
Bettelmönche 40
Excommunication und Interdict 41
Kirchensprache 45
5. Bereicherung der Kirche an niaterielleu Gütern 46
Regalien 48
Stiftungen 49
Senden 52
Reliquien 53
6. Sittliche Zustände 58
Busswesen 82
7. Zustand der Gemüther. Das kirchlich -theologistische Gepräge . 93
Theologie 96
Philosophie 96
Rechtswissenschaft 97
Strafrecht 99
Arzneikunst 100
Astrologie 105
8. Mancherlei Erscheinungen und Ereignisse als Factoren in der
Geschichte des Teufels HO
/ u Inhalt.
(¥
Seite
Elementarereignisse 113
Mongoleneinfall (1242) 118
Das Interregnum 122
9. Sekten im Mittelalter 124
Die Inquisition 129
Kreuzzüge 138
Kinderpilgerfahrt 139
Flagellanten 140
Wunderglaube 144
10. Heiligendienst und Mariencultus als soUicitirende Factoren . . 148
Wohnstätte 154
Aussehen 155
Gegensatz im Streben 156
Physische Uebel 166
Krankheiten 168
Mariencultus 198
Dritter Absclmitt.
Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
1. Zaubergiaube 206
2. Vorläufer der Hexenprocesse 213
3. Malleus maleficarum. Der Hexenhammer 226
4. Weiterer Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse 293
5. Erklärung der Hexenperiode 314
Intellectuellc Culturstufe 319
6. AU mähliche Abnahme der Hexenprocesse 359
Vierter Absclinitt.
Fortsetzung der Geschichte des Teufels. Abnahme des
'ö
Glaubens an den Teufel.
1. Luther's Glaube an den Teufel 365
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert 437
Der Teufel im Gebete 472
Der Teufel im Gesangbuch 473
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert 479
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens 526
Anschauung der Gegenwart.
Zweiter Abschnitt.
Factoren bei der Ausbildung und Verbreitung
der Vorstellung vom Teufel.
1. Die Herabdrücknngsmetliode der Kirclieiilelirer.
Indem der vorige Abschnitt zu zeigen suchte, wie die
Vorstelhuig von der Existenz des Teufels durch die Ueber-
lieferung der positiven Kirchenlehre erhalten und gepflegt
wurde, Hess sich zugleich die Wahrnehmung machen: dass
die Figur des Teufels bald nach Beginn des Mittelalters immer
concreter sich gestaltet, sinnlich wahrnehmbarer, zum wirk-
lichen Individuvuu wird. Der Grund dieser Erscheinung liegt
zunächst in der Herabdrückungsmethode der Kirchenlehrer
wonach die heidnischen Gottheiten und mythologischen Wesen
zu teuflischen Wesen herabsinken. Schon in der ersten christ-
lichen Periode finden wir, dass die christlichen Kirchenväter
die Götter der Griechen und Kömer zu Dämonen herabdrücken,
und den Teufel als Urheber oder Vorstand und Schutzherrn
des götzendienerischen Heidenthvuns darstellen. Es kann nicht
befremden, wenn in spätem Zeiten, wo die christliche Kirche
mit den germanischen und andern heidnischen Völkerstämmen
in Berührung trat, dieselbe Herabdrückungsmethode von jener
befolgt wurde. Sie hielt den Satz aufrecht, den jede Partei
auf ihrem Banner trägt: „Wer nicht mit mir ist, ist gegen
mich." Die Kirche stellte sich unter den Gesichtspunkt der
Partei gegenüber dem Heidenthum, und später den innerhalb
der christlichen Kirche entstandenen Sekten. Gemäss der
Roskoff, Gescliiclite iles Teufels. II. 1
2 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
weltgeschiehtliclien Bewegung in Gegensätzen, die sich durch
Parteien darstellen, wo jede Action eine Reaction hervorruft,
und der Rückschlag den Schlag an Wuchtigkeit gewöhnlich
überwiegt, was nicht nur in der politischen Bewegung, son-
dern auch in der Religionsgeschichte wahrzunehmen ist, gründet
sich diese Herabdrückungsmethode auf denselben psychologi-
schen Process, der zwischen Parteien den Gegensatz zur Feind-
seligkeit spannt und letzteren zum Gesichtspunkt erhebt, von
dem aus alles, was ausserhalb des eigenen Kreises liegt, im
Dunkel erscheint. So erklärt es sich, dass wo Völker in
feindliche Berührung kommen, das unterdrückte nicht nur
den Unterdriicker selbst, sondern auch dessen Gottheit als
Feind betrachtet und als übelthätiges Wesen fürchtet. Dieser
Umwandlungsprocess geht aber auch vor sich, wenn von
einem Volke ein Zweig sich abgesondert, zu einem Volksstamme
herangewachsen seine religiöse Anschauung eigenartig ausge-
bildet hat, lind dadurch mit dem Urstamme in eine gegen-
sätzliche Stellung geräth. Der letzte Grund dieser Erscheinung
liegt wol in dem unmittelbaren Streben der Selbsterhaltung
der Individualität. Das vorstellende Bewusstsein, das nicht
wie das begreifende Denken die verschiedenen Vorstellungen
nach ihrem inneren Zusammenhange zusammenfasst , kenn-
zeichnet sich dadurch, dass es die bestimmte Anschauung
üxirt, sie von jeder andern abschliessend zur Parteianschauung
macht. Als solche umgibt sich diese mit den Schranken der
Individualität, ausserhalb deren sie ihr Ende hat. Indem sie
sich als allein berechtigt glaubt und als solche zur Geltung
zu kommen sucht, negirt sie die ihr fremden Vorstellungen,
welche ihr als verderblich erscheinen, und um sie als
solche darzustellen, sie herabärücken niuss. Beispiele dieser
Herabdrückungsmethode bietet die Religionsgeschichte des
Alterthums wie die christliche Periode. In Aegypten wird
Seth nach dem Einfalle des phönizischen Stammes, der in ihm
den eigenen Feuergott erkannt und anerkannt hatte, zum
Träger alles Nichtägyptischen, dem Aegypterlande Verderb-
lichen herabgedrückt. Bei den Ariern verlieren die Daevas
ihre ursprüngliche Bedeutung als gute göttliche Wiesen, und
werden nach der Trennung des Volks als böse Geister von
den Iraniern verabscheut. Im Alten Testament werden heid-
nische Götter mit bösen Dämonen auf eine Linie gestellt,
1. Die Herabdrückungsmethode der Kirchenlehrer. 3
daher die Alexandriner (LXX) statt der Eliliin ^ füglich „Dae-
monia" setzen, und durch diese auch die Schedim^ vertreten
lassen. Beelzebub, den das Alte Testament noch als heidnisches
Idol kennt, wird im Neuen Testament schon der oberste der
bösen Geister genannt. Was Cäcilius bei Minucius Felix über
die christliche Urgemeinde sagt, ist eigentlich der Ausdruck der
damals unter den Römern herrschenden Volksmeinung, wonach
die Christen als lichtscheue, aufrührerische Partei erscheinen,
und die Beschuldigungen, von den Römern den Christen auf-
gebürdet, bezeugen auch die gehandhabte Herabdrückungs-
methode. Die Verehrung des einzigen unsichtbaren Gottes
erschien den Römern als Atheismus, die Vermeidung der
heidnischen Tempel als Sacrilegium, die Glaubenstreue und
Erkennung durch das Symbol als Anzeichen der Verschwö-
rung, die Gedächtnissfeier des Gekreuzigten als Menschen-
opfer, die Kniebeugung wurde zur unanständigen Verehrung
herabgedrückt. Die einzelnen Züge gaben ein Bild vom christ-
lichen Cultus als purer Ruchlosigkeit, wonach die Christen
bei ihren nächtlichen Zusammenkünften unmenschliche Speise
geniessen, die Götter anspeien, die heiligen Gebräuche ver-
höhnen, sich untereinander Brüder und Schwestern nennen
und miteinander Unzucht treiben. Besonders grauenhaft wird
von heidnischer Seite die Aufnahme in den christlichen Ver-
band vorgestellt: da sollte ein mit Mehl überdecktes Kind
dem Aufzunehmenden vorgesetzt werden, auf welches dieser
losstechen müsse bis er es getödtet, wonach das Blut des
Kindes von den Versammelten gierig aufgeleckt, die Glieder
zerrissen und verzehrt werden, welches Menschenopfer zugleich
als Gewähr der Verschwiegenheit gelte. Wenn sich die Christen
an Festtagen zu gemeinschaftlichem Mahle versammeln, sollen
sie, nachdem sie geschlemmt haben, einem an das Lampen-
gestell angebundenen Hund einen Brocken hinwerfen, wo bei
dem Schnappen des gierigen Thiers die Lampe umgeworfen,
und nach ausgelöschtem Lichte die abscheulichste Unzucht
beginne. Der Vorwurf, den Apion gegen die Juden erhoben,
dass sie einen Eselskopf anbeten, daher Antiochus Epiphanes
einen solchen aus Gold bei der Plünderung des Tempels
' Ps. 96, 5.
2 Ps. 106, 37; 5 Mos. 32, 17.
4 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
gefunden haben soll \ wird von den Römern auch den Christen
gemacht; das alljährliche Schlachten eines Kindes, dessen die
Juden beschuldigt wurden, welche bis über das Mittelalter hin-
aus darunter leiden mussten, ward auch den Christen vorge-
worfen. Celsus stellt den christlichen Cultus dem ägyptischen
Götzendienst an die Seite, wo Katze, Krokodil, Bock und
Hund als Götter verehrt werden^.
In der christlichen Anschauung verwandeln sich die Götter
des classischen Heidenthums nicht nur zu blossen Götzen,
sondern sie w^erden zu Teufeln und teuflischen AVesen herab-
ffedrückt. Den alten Göttern wird die Existenz von den
christlichen Kirchenlehrern nicht abgesprochen, wol aber deren
Berechtigung geleugnet. Ihre einst lichtvollen Gestalten wer-
den durch die neue „Himmelsglorie" in dunkeln Schatten
gedrängt, sie sind entthront und zu bösen Geistern gestem-
pelt, deren Macht zwar durch Christi Erscheinung als ge-
brochen gedacht, aber doch noch immer gefürchtet wird.
Unter denselben Gesichtspunkt wird das germanische wie
jedes andere Heidenthum gestellt, und liefert zum Theil teuf-
lische Gestalten, zum Theil das Material zur sinnlichen Aus-
stattung der Vorstellung vom Teufel, einzelne Züge oder
Attribute bei dessen Erscheinung, oder wird mit seinem Ge-
triebe und Wirken in Verbindung gebracht. Die vom Heiden-
thum als wohlthätig anerkannte göttliche Macht wird zu einer
übelthätisen, teuflischen verkehrt und verabscheut, die Götter-
gestalten, als Träger dieser Macht, werden im feindlichen
Gegensatze zu dem wahren Gott dargestellt. J. Grimm zeigt
in seiner,, Deutschen Mythologie", wie Wuotan (Wodan, Guo-
dan, Othin), „die höchste und oberste Gottheit", die von allen
. deutschen Stämmen verehrt ward, als das allmächtige, all-
durchdringende Wesen, „als weiser Gott", durch die christlich-
kirchliche Anschauung zum Teufel herabgedrückt wurde, w^as
hier um so leichter war, da schon unter den Heiden neben
der Bedeutung des mächtigen w^eisen Gottes die des wilden,
ungestümen und heftigen gewaltet haben muss, die von den
Kirchenlehrern nur hervorgehoben und festgehalten zu werden
brauchte. Die Umwandlung des gütigen Wesens in ein böses
' Jos. c. Ap. lib. II.
2 Orig. c. Cels. III, 17.
1. Die Herabdrückungsmethode der Kirchenlehrer. 5
zeigt schon die unter den Christen gangbar gewordene Ver-
wünschung: Fahre zu Othin, d. h. zum Teufel. Mit breit-
krämpigem Hute und weitem Mantel fährt Othin an der Spitze
des wilden Heeres als Hackelberend durch die Lüfte. Den
breitkrämpigen Hut hat der Teufel in vielen Legenden und
Sagen, in denen er erscheint, aufgesetzt; der weite Mantel,
in welchen Othin, nach einer von Grimm ^ angeführten Sage
bei Saxo, einen Schützling fasst und durch die Lüfte führt,
dient in der Faustsage demselben Zwecke. Die Wölfe und
Raben, dem Othin als Siegesgott beigelegt, treten häufig in
Teufelssagen auf, ja dieser erscheint selbst häufig in Raben-
gestalt. Wenn aber Grimm den Othin mit Mercurius als Er-
finder des Würfelspiels zusammenstellt und dabei an unsere
Volkssagen erinnert, die den Teufel Karten spielen und andere
dazu verführen lassen; so dürfte dieser Zug wol auch ohne
Anlehnung an das Heidenthum daraus zu erklären sein: dass
Karten- und Würfelspiel, wie das Spiel überhaupt, von der
Kirche als etwas Verderbliches betrachtet, und alles Schäd-
liche und Böse auf den Teufel, als dessen Stifter, zurück-
geführt wurde. Der Teufel kommt, gleich Othin, oft reitend
vor, und das Pferd, namentlich das schwarze, spielt in Teufels-
geschichten seine Rolle. Den Bock, dessen Gestalt der Teufel
schon in alten Zeiten gern annimmt, lieferte Donar, der über
Wolken und Regen gebietende Gott; der Eber, auch zum
teuflischen Apparat gehörig, und vornehmlich den zum Sabbat
sich versammelnden Hexen als Reitthier dienend, erinnert an
Fro, dem der Eber geheiligt war. Die göttliche Gestalt der
Holda, der freundlichen, milden, gnädigen Göttin, wird in
der christlichen Uebersetzung zur hässlichen, langnasigen,
grosszahnigen, struppigen Kinderscheuche; die Eiben, ur-
sprünglich gute, dienstfertige Wesen, werden zu teuflischen
Unholden herabgedrückt; Bilwitz, früher ein guter Hausgeist,
wird in ein hexenhaftes , teuflisches Schreckgespenst verwan-
delt. Die Weissagung der nordischen Priester wird nach
dem Auftreten des Christenthums von dessen Lehrern für
teuflische Zauberei betrachtet. Die friesischen Götterbilder,
zum Orakelgeben eingerichtet, erklären die Christen für vom
Teufel besessen. Die angelsächsischen Weissager werden vom
' I, 133.
6 Zweiter Absclinitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
christlichen Gesetze streng bestraft. Die Capituhirien Karl's
des Grossen verhängen über denjenigen, der einer heidnischen
Gottheit, d. h. dem Teufel opfert, die Todesstrafe. Den zur
Verachtnn2r herabsedrlickten heidnischen Göttern wird die Zau-
berei zugeschrieben, und diese niuss, nachdem das Christen-
thum zur allein legitimen Rehgion erhoben worden, als ille-
«fitimes AVunder verabscheut werden, während ein auf christ-
lieber Seite vollbrachtes Wunder den Stempel der Legitimität
erhält. Dieselbe Ausschliesslichkeit der Anschauung, die sich
als allein berechtigt weiss, und als solche anerkannt wissen
will, finden wir im Alten Testamente, wo die mit Mose's
ausserordentlichen Thaten wetteifernden Aegypter als Zau-
berer hingestellt werden, wogegen jener Wunder verrichtet.
Nachdem der Glaube an den Teufel als den Urheber
und Stifter alles Bösen und jedes Uebels unter den Christen
zur Herrschaft gelangt war, wurde natiirlich jede Verderben
drohende Erscheinung in der Geschichte vom Teufel abgeleitet.
Es erklärt sich daher, warum die Hunnen von Dämonen ab-
stammen miissen: sie sind nämlich Abkömmlinge von den
magischen oder germanischen Weibern, die der gothische
König Filimer aus dem Lande jagen Hess, die in ihrer Er-
bitterung Dämonen zu sich beschworen und sich mit ihnen
begatteten. So Jornandes, der gothische Bischof.^ Attila
muss natürlich für einen Sohn des Teufels gelten, und Mer-
lin, der im Sagenkreise Arthur's von der Tafelrunde er-
scheint, wird für den Sohn eines Dämons und einer Nonne
erklärt.
Aus demselben Grunde bietet sich dieselbe Erscheinung,
wo sich innerhalb der christlichen Kirche Parteien, Sekten
bilden. Die von der allgemeinen Kirchenlehre Abweichenden
werden vom Eifer der Polemik nicht blos in moralischer Hin-
sicht herabgedrückt, sondern mit dem Teufel selbst in Zusam-
menhang gebracht. Da sich im kirchlichen Bewusstsein die
Vorstellung gefestigt hatte: die Kirche sei die Anstalt, die
das Reich Gottes auf Erden vertrete, und ihre Glieder seien
berufen, jene zu fördern, so musste jede von ihr abweichende
Meinung in dem Feinde der Kirche, nämlich dem Teufel als
Widersacher des göttlichen Reichs, ihren Grund haben, und
J De gothic. rcb. c. XXIV, 67.
1. Die Herabdrückunffsmethode der Kirchenlehrer.
-■o
mit ihm in Verbindung gedacht werden. So konnte Hetero-
doxie und Ketzerei als Teufelsdienst, und beide mit der da-
von fiir unzertrennlich gehaltenen Zauberei für gleichbedeu-
tend und mit gleich schweren Strafen zu belegende Verbrechen
ausgegeben werden. Der Glaube macht allerdings selig, inso-
fern er sich aber an bestimmte Vorstellungen bindet, die ihm
als die allein wahren gelten, macht er ausschliesslich und
feindselig. Die Gnostiker, deren sittlicher Rigorismus selbst
bei mehreren christlichen Schriftstellern Anerkennung fand,
wurden im allgemeinen doch als die lasterhaftesten Menschen
auf Erden verschrien. Irenäus, durch seinen Eifer gegen die
Ketzer bekannt, verdammt selbstredend die Lehre der Karpo-
kratianer; obschon er ihren Lebenswandel unangetastet lässt,
berichtet er doch, dass sie ihre Proselyten mit einem Zeichen
versehen, wie in späterer Zeit der Hexenprocesse der Teufel
seinen Bundesgenossen das Stigma aufdriickt. Marcus, Stifter
der Marcosier, gilt bei Irenäus nicht nur für einen argen
Wollüstling, sondern auch für einen teuflischen Zauberer. *
Von den Ophiten, deren moralische Conduiteliste im allge-
meinen nicht ausgestellt wird, glaubt Origenes doch, dass sie
unter der Schlange eigentlich den Teufel verehren.^ Diese
Satansverehrung unter der Gestalt der Schlange wird auch
den Marcioniten zur Last gelegt, wenngleich ihre Sittenstrenge
unbescholten bleibt. ^ Die strengen Moralgrundsätze der Mon-
tanisten schützen diese nicht vor der Beschuldigung, dass sie
Spieler, Wollüstlinge, Wucherer seien, die, vom Teufel be-
sessen, mit Exorcismus behandelt werden müssten. * Dass die
Moral der Manichäer sehr streng gewesen, bezeugt Hierony-
mus, der mit diesem Namen einen moralischen Rigoristen
bezeichnen will; trotzdem werden sie des Teufelsdienstes
geziehen.^ Die Geschichte der Stedinger, die schon früher
erwähnt worden, entspringt aus Zehntverweigerung, und
mündet in deren Beschuldigung der Verehrung des Teufels.
Ein ähnliches Verfahren, sich gegenseitig herabzudrücken
> I, 8. 9. Epiph. Haer. XXXIV, 1.
2 C. Geis. VI, 28; vgl. 43.
3 Theodoret adv. Marcion.
* Epiph. Haer. XL VIII, 14.
» Epiph. Haer. LXX.
8 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
und mit dem Teufel in Beziehung zu setzen, zeigt sich nach
der Parteiung durch die Reformation. Die Polemik des
16. Jahrhunderts machte die merkwiirdige Entdeckung, dass
Luther ein Sohn des Teufels sei; Luther erblickte im römisch-
kirchlichen Rituale eine Schlinge des Satans, womit dieser
vom reinen Christenthum abzieht. ^ Den Katholiken galt der
Teufel für das Haupt der gesammten protestantischen Ketze-
reien, und Delrio konnte mit andern behauj^ten, der Pro-
testantismus erfülle die Länder mit teuflischen Hexen; die
Protestanten stellten den Teufel einen grossen Blasebalg hinter
dem Papste handhabend dar u. dgl. m.
Diese Herabdrückungsmethode, in psychologischer Be-
ziehung merkwürdig, erlangt in der Geschichte des Teufels
culturhistorisches Interesse dadurch, dass sie innerhalb der
christlichen Zeit von der herrschenden Vorstellung vom Teufel
Zeugniss ablegt; sie zieht die Aufmerksamkeit um so mehr
auf sich, als sie die Bedeutung eines Factors zur Ausbildung
des Teufels gewinnt. Durch die Herabdrückung der heid-
nischen Götterwelt zur christlichen Teufelei wurde jene in
ihrem Bestände nicht vernichtet, sondern die sinnlichen Züge
der Göttergestalten dienten zur Versinnlichung und Individuali-
sirung des Teufels, dessen schemenhafte Gestalt dadurch Fleisch
und Blut erhielt; die lichtvollen Farben des heidnischen Götter-
himmels wurden ins Dunkle übersetzt, um das höllische Reich
des Teufels damit auszumalen. Durch die Herabdrückungs-
methode entlud sich die heidnische Mythologie ihres Lihalts
und bereicherte die christliche Vorstellung vom Teufel.
2. Amalgamiriingsprocess.
Ein Amalgamirungsproccss heidnischer Elemente mit dem
christlichen Teufel und seinem Anhange ging um so leich-
ter vor sich, wenn es auch innerhalb des Heidenthums
für böse gehaltene Wesen betraf, wo eine herabdrückende
Umwandlung von gut in böse gar nicht nothwendig war, und
' Tischreden, Kap. 24.
2. Amalgamirungspi'ocesa. 9
man die schon vorhandenen Züge des heidnischen bösen Wesens
dem christHchen Teufel nur anzuheften brauchte, wodurch
die vorläufige Skizze der teuflischen Gestalt die Einzelausfüh-
rung erhielt. J. Grimm hat nicht nur diese Bemerkung ge-
macht, sondern in seiner altmeisterhaften Weise in Betreff
des Teufels nachgewiesen, dass dieser jüdisch, heidnisch und
christlich zugleich sei. Dieser wächst gleich der Lavine, die
während der Strecke, über die sie hinrollt, immer mehr Stoff
aufnimmt, um eine erschreckliche Grösse zu erreichen.
Eine Ineinandersetzung heidnischer Bräuche mit christ-
lichen Ideen, oder heidnischer Vorstellungen mit christlichen
Einrichtungen, liegt in der Natur des Entwickelungsganges.
Es kann nicht erwartet werden, dass die Neubekehrten in den
Wesenskern der christlichen Wahrheit sofort eindrangen, noch
von den Bekehrern, dass sie mit dem äusseren Bekenntniss, der
Taufe, Verehrung des Kreuzes sich nicht begnügen sollten;
ja es ist zu bezweifeln, dass die Mehrzahl der Heidenapostel
ihre Neophyten geistig zu erleuchten im Stande gewesen sei.
Aus der Anweisung Gregor's I. für seinen Missionar Augusti-
nus ist es klar, dass die ersten Kirchenlehrer eine Accom-
modationstheorie grundsätzlich befolgten, die einen Amal-
gamirungsprocess heidnischer Elemente mit christlichen über-
haupt, also avich in Bezug auf die Vorstellung vom Teufel
zur Folge haben musste. In dem Erlasse von 601 ermahnt
Gregor der Grosse den Augustin: die heidnischen Tempel
nicht zu zerstören, sondern in christliche umzuwandeln, den
Heiden ihre gewohnten Festmahle zu lassen, sie aber zur
Feier von Kirchweihen und Märtyrerfesten zu verwenden. ^
„Weil sie (die neubekehrten Angelsachsen) an den Festen der
Teufel (d. h. der alten heidnischen Götter) viele Rinder und
Pferde zu schlachten pflegen, so ist es durchaus nothwendig,
dass man diese Feier bestehen lässt und ihr einen andern
Grund unterschiebt. So soll man auch auf den Kirchweih-
tagen und an Gedächtnisstagen der heiligen Märtyrer, deren
Reliquien in denjenigen Kirchen aufbewahrt werden, die an
der Stätte heidnischer Opferhaine erbaut sind, dort eine ähn-
liche Feier begehen, soll einen Festplatz mit grünen Maien
umstecken und ein kirchliches Gastmahl veranstalten. Doch
J Ep. XI, 76.
10 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
soll man nicht turder zu Ehren des Satans Thieropfer bringen,
sondern zum Lobe Gottes und um der Sättigung willen die
Thiere schlachten, und dem Geber alles Guten für die Gabe
danken." ^
. Die alten Väter, die sich bei der Bekehrung grundsätzlich
der Schonung beflissen, betrachteten die heidnischen Bräuche
nur als falschen Weg, von dem sie ihre Neubekehrten abzu-
lenken hätten. Ihnen erschien es, in Bezug auf das tief unter
den Heiden eingewurzelte Orakelwesen, als ein Uebergang ins
christliche Gleise, wenn die Christen das Alte und Neue Testa-
ment zu Rathe zogen (sortes sanctorum) und eine aufgeschlagene
Bibelstelle als Orakelsi^ruch auf ihre Angelegenheiten deuteten.
Aus Augustinus wird es ganz klar, warum die älteren Väter
diesen heidnischen Gebrauch der heiligen Bücher duldeten,
wenn er in seinem Briefe an Januarius schreibt: „Hi vero
qui de paginis evangelicis sortes legunt, et si optandum est
ut hoc potius faciant c[uam ad Daemonia consecranda concur-
rant, tamen etiam ista mihi displicet consuetudo ad negotia
saecularia et ad vitae hujus vanitatem propter aliam vitam
loquentia oracula divina velle convertere." Gregor von Tours
erlaubte diese Art Weissagung, die er selbst nicht verabscheute,
den Christen seines Sprengeis; sie war auch beim Klerus in
vollem Gange*, und wie beliebt sie überhaupt war, geht daraus
hervor, dass sie, trotz dem Proteste der Concilien, deren einige '
den Kirchenbann darüber verhängten, und trotzdem die Karo-
linger Gesetze dagegen erliessen*, bis ins 9. Jahrhundert und
im Geheimen unter dem Volke noch weit länger fortbestand.
Tiefer eingreifend ist die Anweisung zur Predigt beim
ersten Zusammentreffen mit den Heiden, die ein Brief des
Bischofs Daniel an Bonifaz enthält.^ Sie ist auch umsichtig
und wohlwollend, empfiehlt Sanftmuth, Mässigung, verbietet
aufreizende Schmähung, um die Heiden nicht zu erbittern,
sondern allmählich in den Schos der christlichen Kirche zu
führen. Der Bekehrer soll nicht gleich anfangs den heid-
' Beda Vencrab. bist, cccles. Britorum lib. 1, cap. 30.
2 Greg. Tiir. II, 37; V, 14.
" Wie das von Agdc im G. Jahrb.
< Capitul. 789, c. 4.
" Ep. 14, 99.
2. Amalgamirungsin'ocess. H
nischen Göttergenealogien widersprechen, sondern zu beweisen
suchen, dass die Götter aus geschlechtlicher Zeugung hervor-
gegangen, daher eher Menschen in ihnen zu erblicken seien.
Ueber den Ursprung der Welt solle er fragen: wer sie ge-
schaffen habe, bevor die Götter da waren? wer sie regiert?
woher der erste Gott seinen Ursprung habe? ob die Götter
noch fortzeugen? wenn nicht, wann sie damit aufgehört ha-
ben, und wenn ja, ob dann ihre Zahl ins Endlose fortgesetzt
werde? Wenn die Götter so mächtig seien, warum dulden
sie, dass ihnen die Christen solchen Abbruch thun, welche
die schönsten Länder bewohnen? wenn die Göttergewalt eine
legitime ist, wie kann daneben das Christenthum solche sieg-
reiche Fortschritte machen?^ — Rettberg ^ stellt hierbei die
Frage: ob diese Vorschriften, obschon wohlgemeint, auch
praktisch gewesen seien? Man sollte meinen, es hätte kaum
andere zu jener Zeit geben können. Abgesehen von dem Erfolge,
der dafür spricht, zielen sie auf das sinnliche Moment des
Heidenthums, das sie ad absurdum zu führen beabsichtigen,
und hat das ganze Vorgehen seine j)sychologische Rich-
Durch diese oder vielleicht ungeachtet dieser milden Me-
thode der älteren Väter wiederholte sich im christlichen Rom,
was einst im heidnischen geschehen war. Wie dieses einst
ein Pantheon aller Götterculte der überwundenen Völker dar-
gestellt hatte, so verchristlichte jenes die ererbten heidnischen
Elemente. Heidnische Tempel wurden zu christlichen Kirchen
umgewandelt, wie das römische Pantheon erst im 7. Jahr-
hundert; der Apollotempel auf Monte-Casino durch den hei-
ligen Benedictus in eine christliche Kapelle des heiligen Mar-
tinus; heidnische Naturfeste wurden in christliche uniiresetzt,
so das Julfest zum Weihnachtsfest; hatte man im Heidenthum
auf das Gedächtniss oder Minne (Memoria) des Wuotan oder
der Freya getrunken, so trank man nach der Verchristlichun«-
auf Christi, der Maria, des Johannes, Gertrud's Minne. Das
immerwährende Feuer des griechischen Prytaneion und des
römischen Vestaheerdes wurde zum ewigen Lichte auf dem
Kirchenchoi'e ; Papst Leo der Grosse liess aus der Bildsäule
1 Job. Ad. Bambach brevis illustrat. ep. Banielis Yin. ad Bouifac.
^ Kirchengesch. I, 408.
12 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
des Jupiter eine des heiligen Petras macheu, die Auua Perenna
wurde zur heiligen Anna Petronella, die heute noch in der
Campagna verehrt wird u. s. f . ^ Gleichwie man viele christ-
liche Kirchen in Rom aus dem Material heidnischer Tempel
erbaute, so wurden ähnlicherweise Momente aus einem Ge-
biete des Glaubens auf dem andern verwendet. Die Wachs-
bilder im höllischen Apparate, die von den Dienern des christ-
lichen Teufels verfertigt, durchstochen, verbrannt oder ge-
schmolzen wurden, um ihre Originale zu schädigen, sind aus
dem heidnischen Opferwesen herübergenommen, wo sich der
Brauch eingestellt hatte, Thiere von Teig oder Wachs zu
formen und zum Opfer darzubringen.^
Das Heidnische wurde also und konnte nicht ausgerottet
werden trotz dem Eifer, der sich nachher gegen heidnische
Bräuche in Predigten und Concilienbeschliissen erhob, trotz
Indiculus paganiarum und Abschwörungsformeln, kirchlichen
Massregeln und staatlichen Verordnungen. Trotz alledem
wurden die heidnischen Vorstellungen aus dem Glaubenskreise
der Bekehrten nicht ausgemerzt, sie verbargen sich unter
christlichen Formen, amalgamirten sich mit christlichen An-
schauungen, und dieses Amalgama erfüllte den gläubigen Ge-
sichtskreis. Ein schlagendes Beispiel von Vei-mengung des
Heidnischen mit Christlichem ist das von dem Dänenkönig
Suen Tueskiag ^, der bei einer Seefahrt nach England ein drei-
faches Gelübde that, dem heidnischen Bragafull, dem Christus
inid dem Michael zugleich; und das andere von einem Irländer
Kctil, der für gewöhnlich Christum anrief, in wichtigen Dingen
sich aber an Thor wandte. Bei den Bretonen war noch lange
nach Einführung des Christenthums die Verehrung heiliger
Bäume und Druidencult üblich.* Bei den Böhmen waren
noch im 12. Jahrhundert Spuren vom altceltischen Baumcultus
vorhanden, wie bei den Wenden im Lüneburgischen. Es ist
1 Vgl. die vielen Beispiele bei Grimm, Deutsche Mythologie (3. Aufl.),
XV, XXXI, XXXV, S. 57, 64, 157, 166, 173, 180, 194, 231, 242, 256, 267,
275, 279, 313, 337, 482, 581, 772, 899, 956 u. a. m.; Rettberg I, 326 u. a.;
Soldan, 244 u. a.; Gfrörer, IV, 1, S. 205 fg.; Schindler, 257; Beugnot, Hist.
de la dcstruction du paganisme en Occid., II, 266.
2 Dio Cass. 68; Aen. 2, 116.
3 Dahlmann, Gesch. v. Dänemark, bei Wachsmuth, Culturgesch., II, 92.
J Wachsmuth, Sittengesch., II, 466; 111,2,126.
2. Amalgamirungsprocess. 13
nicht zu verwundern, wenn die deutsche Wissenschaft bei
jedem Schritte im heutigen Volksleben in einer Menge von
Gebräuchen, Sprichwörtern, Kinderspielen, Liedern u. dgl. ni.
Spuren heidnischer Vorzeit nachzuAveisen im Stande ist, wenn
sie aus dem heiligen Florian und dem heiligen Ruprecht die
grossen germanischen Götter Donar und Wodan herausschälen
kann. Diese Erscheinung wird denjenigen nicht befremden,
der ihren Grund im psychischen Organismus sucht und findet.
Von diesem Gesichtspunkte dürfte auch die connivente Päda-
gogik Gregor's fiir zweckmässiger erachtet werden, als die
Strafdrohungen der kirchlichen Concilien und die strengen
Massregeln der staatlichen Behörden, wodurch Reactionen
hervorgerufen werden mussten, die dem Heidenthum inmitten
des Volkslebens nur mehr Zähigkeit verliehen.
Die Amalgamirung des heidnisch Nationalen mit dem
Christlichen ist auch in Bezug auf den sittlichen Inhalt des
Christenthums ersichtlich, der nach der Auffassunsr der Völker
in echt nationaler Färbung erscheint. Als Beispiel dienen die
Deutschen, deren grosse Empfänglichkeit für das Christenthum
zugleich den Grund dieser Erscheinung aufdeckt. J. Grimm
hat nachgewiesen, dass die Religion des deutschen Volks in
einem geordneten Götterglauben bestand, in dem sich die sitt-
lichen Mächte, die es bewegte, persönlich ausprägten. Einen
bequemen Anhaltspunkt bot dem Christenthum die Treue,
womit das deutsche Volk der Gottheit sich verbunden wusste,
die Sitte, die überall auf Ordnung und Recht abzielte im
öffentlichen Leben, wie Keuschheit und eheliche Treue inner-
halb der Familie; die sichere Hofinung auf eine Fortdauer
nach dem Tode, und die damit verbundene Verzichtleistunsr
in Bezug auf das Irdische. In Muspillii hat man auf die
nationalen Züge aufmerksam gemacht, die der christlichen
Predigt Verwandtes enthalten; man hat selbst die Zeichnung
einzelner Gottheiten als in die neue christliche Fassuncc leicht
hinübergehend gefunden; die Todesgöttin Helia als geeignet
fiir die christliche Unterwelt, Donar mit dem Hammer leicht
auf das Kreuzeszeichen zu beziehen. Die Dreiheit von Götter-
' Bruchstück einer althochdeutschen alliterirenden Dichtung vom
Ende der "Welt, herausgog. v. Schraeller.
14 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
personen, die Columban von den Alemannen verehrt fand',
ist von Grimm* als Wuotan, Donar und Zio erkannt worden,
die in der Abschwörungsformel als Tliunar, Woden und Saxnot
wiederkehren, und manche andere Züge boten für die Trini-
tätslehre Handhaben. ^ Viel bedeutsamer ist der Grundton
des germanischen Geistes, der mit dem christlichen AVesen
übereinstimmte, den christlichen Vorstellungen aber ein natio-
nales Gepräge aufdrückte. Den tiefsten Einblick in die ger-
manische Auflfassung des Christenthums unter echt nationalem
Gesichtspunkte, von dem aus das tief eingewurzelte Fidelitäts-
verhältniss der Vasallen zum Gefolgsherrn in seiner ganzen
Innigkeit auf die Beziehung des Gläubigen zu Christo über-
tragen ist, gewährt der „Heiland" oder die altsächsische Evan-
"•elienharmonie*, womit die deutsche Sprache schon zu Anfang
des 9. Jahrhunderts ihre Messiade in altsächsischer Mundart
besass. Die evangelische Geschichte wird ohne Entstellung
durch die Legende in Stabreimen erzählt, der Inhalt aber,
vom Dichter durch die Individualität seines Volks hindurch-
gezogen, erhält das eigenthümliche Colorit desselben und
seiner Zeit. „Es ist das Christenthum im deutschen Ge-
wände", wie Vilmar treffend bemerkt, „eingekleidet in die
Poesie und Sitte eines edeln deutschen Stammes — es ist
ein deutscher Christus." ^ Die ganze Geschichte Christi, seine
Thaten, sein Amt, selbst die Verhältnisse des jüdischen Volks,
der Apostel und aller übrigen Personen in der evangelischen
Erzählung werden mit deutschen Augen gefasst, deutsch em-
pfunden und ebenso dargestellt. Aus dem Hintergrunde tönen
noch einzelne Nachklänge des entschwundenen Ileidenthums
in die christliche Welt herüber, das Schicksal mit seiner un-
heimlichen, todbringenden Gewalt erscheint geradezu als Todes-
göttin Norne. Bei der Beschreibung der Auferstehung Christi
fährt der Engel daher im Federgewande, in welchem Freya,
die Nornen, Wieland in den Mythen erscheinen, und zwar
1 Vita St. Galli bei Pertz II, 7.
2 Mytli. I, DO.
ä Hefelc, Einführung des Christenthums im südwestl. Deutschland, I,
S. 124. Vgl. Rettberg, Kirchcngeschichte, I, 246.
* Herausgegeben von Schraeller 1830.
5 Deutsche Altcrthümer im Heiland von Dr. A. J. C. Vilmar.
2. Amalgamirungsprocess. 15
naht er mit lautem Getöne, ein Zug, von den Walkyren ent-
lehnt, wozu, wie Vilmar bemerkt, „der Text gar keine Ver-
anlassung bot". 1 Der Teufel in der Yersuchuno;so;eschichte
heisst der finstere „mirki", womit die Grauen des Waldes
bezeichnet werden; er ist der finstere, greuliche Schädiger,
„mirki menscado." '-^ Sonst heisst der Teufel vorzugsweise „the
fiund"3, der Feind auf Leben und Tod, oder „the letho", der
leidige, d. h. abgewiesene, untreu gewordene'*, „the gramo"
u.a.m.* Bei diesen Bezeichnungen, welche dem Teufel und seinem
Heere vom Dichter gegeben werden, die der alten Sagenpoesie
entlehnt sind, hebt Vilmar^ den Ausdruck „the dernio",' „dernen
wihti"^ hervor, der nach dessen gründlicher Forschung auf die
Bedeutung zuriickgefiihrt wird: „verborgen, heimlich in der
Weise, dass es sich nicht an das Licht wagen darf, mit Tiicke
versteckt; das verbum dernean, bidernean: verbergen mit der
Absicht, Schaden zu thun." Vilmar^ macht aufmerksam, wie
alle eigenthümlichen Verhältnisse ihre eioenthümlichen Be-
Zeichnungen haben, so sei auch fiir das Brechen der Treue
gegen den Herrn und König, fiir das Abtrünnigwerden vom
Gefolge das Wort „suikan" vorhanden, dessen sich der Dichter
oft bedient; „bisuikan" als causativum heisst: zur Untreue ver-
leiten. Dieses Wort, der Anschauungsweise des Dichters ge-
mäss, ist das allein treffende für die vom Teufel an Adam
und Eva geübte Verführung, er verleitete sie zur Untreue
gegen Gott: „Untreue ist dem deutschen Herzen die Grund-
und Ursünde." Die ganze Geschichte ist auf deutschen Boden
verpflanzt, und überall schimmert die nationale Anschauung
durch. Die Darstellung setzt voraus, dass die ganze evan-
gelische Geschichte bei den Deutschen ihren Verlauf gehabt
habe. Die Apostel erscheinen als deutsche Seefahrer, die
Hirten auf dem Felde, welchen die Geburt Christi verkündet
V. 24.
1 s.
14.
2 Heliand S. 31,
3 31
. 20. 32.
* 33
,9.
* Vilm., S. 69.
« S.
6.
^ S.
164, V. 19.
8 S.
31, V. 20; S
8 s.
58.
29, V. 3.
16 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
wird, als Pferdeknechte, die bei Nacht die Rosse auf dem
Felde hüten. Maria heisst „die minnigliche Maid" (nach Sim-
rock's Uebersetzung); die Weisen aus dem Morgenlande ei"-
scheinen als „Degen und Recken", auch Josei^h als „Degen",
Maria und Martha aber als Edelfrauen und Pilatus als
Herzoo-. Bei der Beschreibung einzelner Scenen herrscht
deutsche Sitte. So erscheint die Hochzeit zu Kana ^ als echt
deutsches Trinkgelage. Bei der Gefangennehmung Jesu haut
Petrus mit dem deutschen Beile ein.^ Da der an Schlachten
luid Wunden gewöhnte Germane an letztern nichts Schreck-
haftcs findet, so wird bei der Stelle Matth. 5, 27, die vom
Abhauen des Fusses und Ausreissen des Auges spricht, die
Forderung zur härtesten gespannt, die dem Germanen zuge-
muthet werden kann: lieber von seinem Freunde und Stammes-
genossen zu lassen, also seine Sippe aufzugeben, als mit ihm
der Sünde zu folgen. ^ Dem Germanen war jedes andere
Verhältniss des Niedern zum Höhern ausser dem der Fidelität
unverständlich, demnach konnte er seine Beziehung zu Christus
auch nur als die des treuen Vasallen zum mächtigen Volks-
herrn denken. Als letzterer erscheint Christus, der auf seinem
Heereszuge gegen Teufel und Welt begriffen ist und die
Scharen seiner getreuen Dienstmaimen um sich versammelt.
Der Zug geht von „Hierichoburg" aus, von allen Burgen
kommen die Vasallen ihrem lieben Herrn zum Dienste, von
dem sie dafür Lohn erwarten. Es ist nicht von Rom und
Bethlehem die Rede, sondern von „rumuburg" vmd „bethlehema-
burg". „Die ganze evangelische Geschichte erscheint als der
glorreiche Zug eines herrlichen Volkskönigs durch sein Land,
um zu rathen und zu richten."* Die Berufung der Apostel
ist folgendermassen geschildert: Der Herr nennt die zwölf,
die ihm als die treuesten Mannen näher gehen sollen, bei
Namen, und nachdem er seinen abgesonderten Königssitz ein-
genommen, gehen sie mit ihm zu „rüne", zur geheimen Be-
sprechung, um den Kriegszug gemeinschaftlich zu berathen,
der für das ganze Menschengeschlecht mit dem bösen Feind
1 S. 60, V. 20.
2 S. 148, Y. 22.
3 Heliand, S. 44, V. 22.
* Yilmar, a. a. 0., S. .'57.
2. Amalgamirungsprocess. 17
unternommen werden soll. Wie die Berufung der Apostel
die Form einer Berathung erhält, so ist die Bergpredigt ein
grosser Volkstag, eine Berathung vor dem ganzen Volke,
wo der Volkskönig an die Seinen eine Anrede richtet. Das
Heer lagert sich, die zwölf Apostel als seine treubewährten
Helden in seiner nächsten Umgebung, die übrigen Mannen
in weitern Kreisen.' Christus ist der Heilende (Heliand), der
Rettende (Neriand), Gottes eigen Kind, er verleiht seinen
Mannen den Sieg und einst auf den Auen (Wangen) des
Himmels den Lohn für ihre treue Dienstleistung. Der deutsche
Dienstmann sieht seinen höchsten Ruhm, treu zu seinem Herrn
zu halten, ihm zu Ehren zu sterben. ^ Wie es keinen grössern
Fehler gibt als zu zagen und zu zweifeln, so erwächst alle
Kraft allein aus dem Glauben. ^ Der innerste Kern der
evangelischen Predigt, dass der Mensch vor Gott gerecht
wird durch die Hingabe seines ganzen Sinnes an den Heiland,
trifft mit der hingebenden Treue, die das altsächsischc Epos
auf sein Gefolge überträgt, zusammen, und in dem sittlichen
Verhältniss der gegenseitigen Treue zwischen Vasallen und
Gefolgsherrn, auf dem die germanische Welt fusste, liegt der
Gleichheitspunkt, von dem aus die christliche Heilslehre dem
Germanen verständlich wurde.
Es ist hier nicht die Aufgabe, den Teufel einer Analyse
zu untei'ziehen und die Abstammunj^ der einzelnen Züsfe an
seiner Figur aus dem Heidenthum nachzuweisen. Abgesehen
davon, dass dies von andern, namentlich den Germanisten in
Bezug auf den deutschen Teufel geschehen ist, dass ferner
bei den im ersten Abschnitt angeführten dualistischen reli-
giösen Anschauungen der Griechen, Römer und der einge-
wanderten germanischen und slawischen Volksstämme die
übelthätigen, bösen Wesen im Hinblick auf den Teufel hervor-
gehoben worden sind; sollte hier nur darauf hingedeutet wer-
den : wie durch die Herabdrückungsmethode der Kirchenlehrer
des heidnischen Götterglaubens eine Menge Materials der
Ausstattung des christlichen Teufels zugute kam, wie bei
der Accommodationstheorie der Heidenbekehrer der an sich
1 S. 38, V. 11.
■' S. 122, V. 5; Vilm., S. 57.
S. 28, V. 21; S. ÜO, V. 22; Vilm., S. 58.
3
Eoakoff, Geschichte des Teufels. II
18 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
natürliche Amalgamirungsprocess gefördert wurde, wobei die
mythologischen Elemente der vorhandenen und eingewanderten
Völker nach deren Bekehrung zum Christenthum mit der
Vorstellung vom Teufel verschmolzen. Von diesem Gesichts-
punkte ist die Herabdriickungsmethode der Kirchenlehrer
als einer der Factoren zu betrachten, welche den Amal-
gamirungsprocess verschiedener Elemente mit sich bringen
musste und dadurch der Ausbildung des Teufels^laubens un-
mittelbar förderlich war. Hiermit erklärt sich zugleich die
Erscheinung, dass der Teufel nach der Bekehrung der ein-
gewanderten Völker sinnlich wahrnehmbarer, handgreiflicher
auftritt als in der neutestamentlichen Zeit.
3. G-escMcMlictie Yerliältnisse.
Zeitgenössische Zeugen aus dreizehn Jahrhunderten, die
grossentheils selbst gesprochen, bestätigten uns die That-
sache: dass die Vorstellung vom Teufel immer mehr aus-
gebildet, verbreitet, in den GemiJithern befestigt ward und im
13. und 14. Jahrhvuidert den obersten Höhepunkt erreichte.
Bei der Voraussetzung eines jeder Erscheinung unterliegenden
Grundes wird sich dem Betrachter einer so merkwürdigen
geschichtlichen Erscheinung die Frage aufdrängen: welchen
Mächten der Teufelsglaube seine Entwickelung, Verbreitung
und Steigerung verdankte, welche Factoren es waren, wodurch
die Teufelsperiode vorbereitet und um jene Zeit zu Stande
gebracht ward? Der Versuch, eine geschichtliche Thatsache
zu erklären, ist durch die Natur einer solchen Erscheinumr
bedingt und hat diese, als etwas Gewordenes, in ihrem Wer-
den zu beobachten, um die Hebel kennen zu lernen und von
verschiedenen Seiten und zu verschiedenen Zeiten eingreifen
zu sehen. Wie die Vorstellung von einem bösen Wesen dem
religiösen Glaubenskreise überhaupt angehört, der christlich-
kirchliche Teufel seine dogmatische Ausbildung und Fest-
stellung den christlichen Kirchenlehrern der ersten Jahrhun-
derte verdankt, so muss der mittelalterliche, specifische Teufel,
nach dem wir seine Periode bezeichnen, zu allernächst nacli
3. Geschichliche Verhältnisse. 19
der mittelalterlichen Kirche hinlenken. Sein Dasein und die
Zunahme seiner Herrschaft in den Gemiithern geht mit der
Entwickelung der Kirche als Macht parallel und ist sowol
unmittelbar als auch, und zwar vornehmlich mittelbar durch
diese bedingt. Auf welche Weise die Existenz des Teufels
unmittelbar durch die Ueberlieferung der kirchlichen, positiven
Lehre erhalten und gepflegt wurde, hat der vorhergehende
Abschnitt gezeigt. Wie die Kirche des Mittelalters den Glau-
ben an den Teufel mittelbar förderte dadurch, dass sie jeden
seinem Gedeihen hinderlichen oder sein Dasein gefährdenden
Einfluss durch ihre grosse Macht fern hielt, dies zu ver-
gegenwärtigen ist die Aufgabe dieses Abschnitts, und es be-
darf zunächst eines Blicks auf die Entwickelung der Kirche
als Macht.
Entwickelung der Kirche als Macht gegenüber dem
Staate.
Zur Zeit der Völkerwanderung war in Europa ein wüstes
Durcheinander, gleich der furchtbaren Masslosigkei^ in den
Königshäusern von damals, die ihre Periode durch Härte und
Grausamkeit kennzeichnet. Es war ein wirres Chaos, aus
dem sich erst nach langen Wehen eine neue Welt heraus-
gebären sollte. Die classische Bildung, die römische Civili-
sation, welche in den Städten ihre Zuflucht gesucht und hier und
da gefunden hatte, ward von den hochgehenden Wogen der
damaligen Kampfzeit weit überflutet, und es bedurfte einer
Reihe von Jahrhunderten, bis sie wieder Wurzel fasste und
ihre Früchte den Erobererstämmen zugute kommen konnten.
In den Ländern, die früher ein Theil des Komischen Reichs,
nun den Barbaren unterworfen, beßrann die Gestaltunf? neuer
Staaten, wobei die christliche Kirche wesentlich mithalf. Man
sagt gewöhnlich: die christliche Kirche habe als Bewahrerin
der religiösen, sittlichen Lehren und der Wissenschaften die
Barbaren zu bändigen vermocht; es ist aber Thatsache, die
leicht zu erklären, dass das Christenthum von den Heiden
zunächst meistens seiner äussern Erscheinuns: nach erfasst
wurde und wol kaum anders erfasst werden konnte. Aeusser-
liches Bekenntniss, Taufe, Verehrung des Kreuzes, Sonntags-
feier wurden gewöhnlich nur auf das Heidenthum gepfropft,
2*
20 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
das die Gcmiither der Bekehrten noch erfüllte. Viele Volks-
stämnie wurden der christliehen Kirche gewaltsam zugeführt,
entweder durch Eroberungen, als die durch Karl den Grossen,
Otto I., Bernhard von Sachsen, Heinrich den Löwen, Walde-
mar von Dänemark; oder selbst durch Dragonaden, wovon
Miesko von Polen, Boleslaw I. als Beispiele dienen. Aber
trotzdem bleibt es wahr, dass die eigentliche Geschichte der
neuen Staaten erst mit der Einführung des Christenthums
beginnt. Hierbei ist es jedoch wieder einseitig, nur das po-
sitiv bildende Moment des Christenthums im Auge zu haben,
als: Erhebung der neuen Reiche zur idealen Einheit, För-
derung des Ackerbaues und gewerblichen Fleisses, Unterricht
in den Sprachen des Alterthums und dadurch die Eröfihung
der Bahn, auf welcher Cultur und Wissenschaft fortschreiten
konnten, u. dgl. m. Von nicht geringerer Bedeutung ist das
negative Moment, wodurch die Kirche des Mittelalters auf
die europäische Staatenbildung sollicitirend einwirkte, nämlich
durch ihr eigenes Streben, ein grossartiges System äusserer
Macht zu verwirklichen, das von Gregor I. vorgezeichnet,
von den Päpsten Gregor VII. und Innocenz III. ausgeführt
wurde. Indem die Kirche als äussere Anstalt nach äusserer
Macht strebt und diese auch erlangt, geräth sie in Gegensatz
zur staatlichen, welthchen Macht. In diesem Gegensatze ent-
faltet sich zwar das angeblich vom Papstthum selbst auf das
Abendland übertragene Kaiserthum, aber dieses dient auch
wieder der Kirche ihre Machtstellung zu entwickeln. Hier-
mit wird zugleich die Wesensbedeutung der Kirche verändert.
Denn während sie, ihrer eigentlichen Bestimmung nach, das
Geistige, Heilige verwalten und vertreten sollte, versenkt sie
sich in die weltlichen Interessen und verliert im Verlaufe des
Mittelalters ihren ursprünglichen, ihr allein angemessenen
Boden. Erst nachdem die Kirche unter Innocenz III. den
Gipfel ihrer Machtstellung erreicht hat, wird das staatliche
Princip im Bewusstsein der Völker allmählich wach, um
durch lange Kämpfe zu erstarken.
Der Entwickclungsgang der kirchlichen Macht gegenüber
der staatlichen ist der Ilauptgegenstand der mittelalterlichen
Geschichte und kennzeichnet sich dadurch: dass die Kirche
verweltlicht, die weltlichen Dinge dagegen ein kirchlich-theo-
logistischcs Gepräge erhalten.
3. Geschichtliche Verhältnisse. 21
Die römische Kirche gewann ihr weitläufiges Gebiet durch
die Heidenbekehrungen, die grösstentheils von ihr ausgingen.
Schon im 4. und 5. Jahrhundert hatte sie die Germanen an
sich gezogen, im 6. Jahrhvmdert verbreitete sie das Christen-
thum in England, im 7. und 8. in Deutschland, im 10. in
Polen und Ungarn, die skandinavischen Germanen brachte sie
um das Jahr 1000 unter das Kreuz.
Die griechische Kirche, die zwar weniger theil an der
Heidenbekehrung zu nehmen schien, war doch nicht ohne
Eifer in Bezug auf die Slawen, die zur Zeit des Kaisers
Heraclius in Serbien iliren Sitz genommen hatten, und die
seit dem 7. Jahrhundert in den Peloponnes eingewandert
waren, bei welchen auch die griechische Sprache Eingang
fand. Die Bulgaren traten 860 in die griechische Kirche, die
zwei Slawenapostel Cyrill und Method verkündeten 8G0 in
Mähren das griechische Christenthum ; dasselbe ward aber dann
durch das römische von Salzburg aus verdrängt, wie auch das
Cyriirsche Alphabet der glagolitischen Schrift hatte weichen
müssen. Die Magyaren hatten einige Zeit zwischen griechi-
scher und römischer Kirche geschwankt, bis sie letzterer den
Vorrang gaben. Die bedeutendste Eroberung machte die
griechische Kirche an den Russen um 988.
Günstige Zeitverhältuisse, die jede sich gestaltende Daseins-
form bedingen, kamen der sich bildenden päpstlichen Macht-
stellung zu Hülfe.
Die Streitigkeiten des 7. und 8. Jahrhunderts zwischen
der orientalischen und occidentalischen Kirche boten den
römischen Bischöfen die beste Gelegenheit, sich immer mehr
Selbstständigkeit zu verschaflen, und die politischen Verhält-
nisse Italiens waren behülflich, das Abhängigkeitsverhältniss
zwischen Rom und Konstantinopel, also zwischen dem römi-
schen Papstthum und dem Kaiserthum, immer mehr zu
lösen.
Das fränkische Reich, selbst erst im Gestalten begrifien,
suchte und fand an der römischen Hierarchie eine ijewünschte
Stütze, und es gingen politische Macht und hierarchische
Macht, sich gegenseitig tragend, zur Erreichung ihrer Zwecke
eine Strecke lang Arm in Arm. Die Franken wurden zu Gunsten
der Karolinger vom Papste des Gehorsams und der Unterthans-
treue entbunden und dem neuen Königsgeschlecht ward die
22 Zweiter Abscbnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
geistliche Weihe erthcilt, der Papst erhielt dafür nach den
Feldzi'igen Pipin's (754, 755) gegen die Longobarden einen
grossen Theil des eroberten Landes, die Romagna. Pipin
empfing vom Papste den Titel eines Patricius von Rom, den
Karl der Grosse nach der Aufhebung des Longobardenreichs
übernahm. Hadrian I. begrüsst Karl den Grossen (777) als
einen neuen Konstantin, und Karl lässt sich (800) vom Papste
Leo III. die weströmische Kaiserkrone aufsetzen, empfängt
hiermit die höchste weltliche Macht aus päpstlicher Hand.
Der vom römischen Klerus, Adel und Volk auf den heiligen
Stuhl erhobene Papst erhält nach Angelobung der Treue die
kaiserliche Bestätigung. Papst und Kaiser wirken in dieser
Weise wechselseitig aufeinander, und eine Macht wird durch
die andere irehoben. Indem aber eine der andern als Hebel
dient, um eigentlich nur den eigenen Zweck zu erreichen,
kommen die mit- und ineinander wirkenden Mächte in Con-
flict, lim gegeneinander thätig zu sein.
Nicolaus I. (855—58) wird von dem Abte Regino in
dessen Chronik ^ schon gerühmt, dass er Könige und Tyran-
nen bezähmt und wie ein oberster Gebieter beherrscht habe,
da er den König Lothar und zwei Erzbischöfe von Köln
unter seine päpstliche Macht gebeugt. Weniger glücklich ist
Hadrian II. (867-72), und wenn Johann VIII. (872—82)
noch die kaiserliche Gunst geniesst infolge der verliehenen
Kaiserkrone an Karl den Kahlen, so bricht doch nach dem
Absterben des Karolingischen Kaiserhauses eine schwere Zeit
für das Papstthum herein. Adeliche Familien, seit dem An-
fange des 10. Jahrhunderts in Rom herrschend, handhaben
auch den Stuhl Petri, auf dem während dieses von den Ge-
schichtschreibern mit unsaubcrm Namen belegten Zeitraums
ein schneller Wechsel aufeinanderfolgt. Dabei müssen die
meisten Päpste mit ihrem Sitze auch das Leben auf gewalt-
same Weise verlassen, um irgendeinem Günstling Platz zu
machen. Johann XII. (956—63), mit 18 Jahren Papst ge-
werden, vor seiner Besteigung Octavianus genannt, ruft gegen
die immer weitergreifende Macht der Adelsfamilie der Tus-
culer den deutschen König zu Hülfe, den er salbt und krönt
(962); wird aber das Jahr darauf entsetzt und an seiner
1 Pertz, Mon., T, 578.
3. Geschichtliche Verhältnisse. 23
Statt Leo VIII. mit der Tiara geschmückt. Dem herrschen-
den Streite der Parteien fällt noch eine ganze Reihe von
Päpsten zum Opfer, bis die kaiserliche Macht dem Papste
Gregor V. (977 — 99) zu Hülfe kommt, um das päpstliche
Regiment wiederherzustellen. Nach Gregor V. hilft Kaiser
Otto III. seinem Lehrer Gerbert auf den heiligen Stuhl, den
er als Sylvester II. (999 — 1003) einnimmt. Aber nicht
lange leben Papstthum und Kaiserthum in Einheit, denn nach
dem frühen Tode Otto's III. (1002), dem ein Jahr darauf der
Sylvesters folgt, haben die Grafen von Tusculum mit der Plerr-
schaft über Rom auch das Papstthum v^ieder in Händen.
Unter den von den Tusculern eingesetzten Päpsten wird Bene-
dict VIII. (1012 — 24) als einer der ersten Reformatoren her-
vorgehoben, weil er gegen die Priesterehe und den Kauf
geistlicher Würden auftrat. ^ Sein Bestreben, die Kirche zu
reformiren, geschah in Gemeinschaft mit dem von ihm ge-
krönten Kaiser Heinrich II., den die mittelalterliche Kirche
unter die Heiligen verzeichnete. Unter Benedict IX. (1033
— 46), der als kaum 12jähriger Knabe von den Tusculern auf
den päpstlichen Stuhl gehoben ward, sank das Papstthum in
den tiefsten Sumpf, aus dem das Unkraut der Zucht- und
Sittenlosigkeit üppig hervorwucherte. Victor bezeugt, dass Be-
nedict den päpstlichen Stuhl gegen eine grosse Summe Geldes
an Greffor VI. überliess. ^ Und wieder war es die weltliche
Macht des Kaiserthums, die dem Papstthum aus der Ver-
sunkenheit emporhalf, es auf die Beine brachte, damit es sei-
nen Weg fortsetze. Das Verhältniss zwischen Papst und
Kaiser, wie es unter den Ottonen und noch unter Heinrich III.
(1039—56) stattfand, machte es möglich, dass letzterer bei
der allgemein für nothwendig erachteten Reform der Kirche
mithelfen mochte. Denn der Kaiser, dem der Papst den Eid
der Treue zu leisten hatte, war als Patricius von Rom dessen
Schirmvogt, hatte die höchste Gerichtsbarkeit, leitete die
Papstwahl und bestätigte die Besitzungen der Kirche. ^ Von
der Synode zu Sutri (1046), auf welcher Heinrich III. drei
1 Auf dem Concil zu Pavia 1018 oder 1022. Maiisi XIX, 343; Mon.
serm. leg., 11, 5G1.
2 Bibl. patr. max., XVIII, 853.
' Damiani lib. Gratissimus, c. 46.
24 Zweiter Abschnitt : Ausbildung der Vurstellung vom Teufel.
nebeneinander sitzende Päpste (Benedict IX., Sylvester III.,
Gregor VI.) absetzte und liiermit das Schisma beilegte, be-
ginnen die Reformbestrebungen , Avodurch die folgende Ge-
schichte ein reformatoriöches Gepräge erhält. Simonie und
Sittenlosigkeit des Klerus sind die Grundübel, die geheilt
werden sollen. Der Mönch Ilildebrund, welcher den Papst
Leo IX. nach Ivom begleitet hatte, leitete von da ab das
Papstthum, bis er selbst den Heiligen Stuhl einnahm. Ausser
dem mönchischen Geiste, den er zu fördern suchte, war sein
Hauptziel: absolute Unabhängigkeit der Kirche von
der weltlichen Macht. Dieser strebte er nach, und zu
ihrer Erreichung hatte er ein folgerichtiges System entworfen.
In diesem Sinne handelte Nicolaus II. (1058 — 61) durch sein
Decret (1059), die Papstwahl betreffend, wonach das Wahl-
recht ausschliesslich der Kirche, d. h. dem Klerus zuge-
sprochen, das Papstthum also sowol von den aristokratischen
Parteien als auch vom Kaiser für unabhängig erklärt ward.
Bei der nächsten Papstwahl, die auf Alexander IL (1061
— 73) fiel, wird der Grundsatz schon angewandt, indem das
Hecht des Kaisers dabei ganz unberücksichtigt bleibt. Hilde-
brand, als Leiter der Wahl, erfreut sich seines ersten Siegs
über die weltliche Macht, da der von kaiserlicher Seite auf-
gestellte Gegenpapst (Honorius IL) sich zu halten nicht
vermag.
Der zweite bedeutsame Regierungsact des Papstes Nico-
laus IL betrifft das Lehnsverhältniss der Normannen, wodurch
diese die lehnseidliche Verpfliehtung zur Unterstützung des
Papstthums übernehmen. Das Papstthum hatte dadurch eine
Macht für sich gewonnen, der es sich bei voraussichtlichen
Conflicten mit der weltlichen Macht bedienen konnte.
Die Besteigung des päpstlichen Stuhls durch den Car-
dinal Ilildebrand (1073) ist epochemachend; nach ihr datirt
die Geschichte der Päpste eine ganze Periode, in der er
gleich einem gegossenen Standbilde dasteht, während er rings-
um die gewaltigste Erschütterung hervorbringt. Mit klarem
Bewusstsein über die Aufgabe, die er sich gestellt, arbeitet
er unermüdlich an ihrer Lösung: die Kirche frei zu machen
von den „fleischlichen und w^eltlichen Banden", in welche sie
durch das „crimen fornicationis", und die „haeresis simoniaca"
gerathen war. Auf der römischen Fastensynode (1074) wird
3. Geschichtliche Vcrhilltnisse. 25
daher die als „fornicatio" bezeichnete Priesterehe aufgehoben,
im Jahre 1075 auf der FastensyUode die Excommunication
über die Simonia ausgesprochen. Unter dieser ist aber nicht
sowol der alte Misbrauch gemeint, als vielmehr: dass über-
haupt kein Geistlicher von einem Laien etwas Geistliches an-
nehmen dürfe, d. h. Abschaffung der Laieninvestitur. Hier-
mit hatte Gregor VII. der weltlichen Macht, die ihr altes
Recht nicht aufgeben konnte, in kühner Weise den Hand-
schuh hingeworfen, und der Kampf wurde zwischen Gregor
und Heinrich IV. um so erbitterter gefi'dirt, als der strafende
Ton des Papstes auf einen schroffen Charakter stiess, der die
päpstliche Excommunication mit einem kaiserlichen Absetzungs-
urtheil erwiderte. Zu der kläglichen Holle, die Heinrich IV.
nicht ohne eigene Schuld zu Canossa spielen musste, lieferte
zwar der traurige Abzug Gregorys VII. aus dem verwüsteten
Rom ins Exil nach Salerno ein entsprechendes Seitenstück,
und wenn dieser unter Flüchen gegen Heinrich IV. sein Le-
ben schloss mit dem Tröste: dass er in der Verbannung sterbe
(1085), weil er Gerechtigkeit geliebt und Ungerechtigkeit ge-
hasst habe, so war das dramatische Gleichgewicht einiger-
massen hergestellt; allein der dramatische Knoten wurde zu
einer Pandorabüchse, aus welcher der Zwist, der sich zum
Parteikampf erweiterte, seine Greuel über Deutschland und
Italien ausstreute und alle j)olitischen, kirchlichen und socia-
len Verhältnisse überwucherte und erstickte.
Kein Leser der Geschichte Gregor's wird der Festigkeit
seines Willens die Bewunderung versagen; aber nicht jeder
wird beim Hinblick auf sein Streben und Wirken sich be-
geistert fühlen, denn man vermisst darin den weltversöhnen-
den, menschlichen Zug, welcher geschichtlichen Personen den
Eingang in die Menschenherzen verschafft. Die Bedeutsam-
keit Gregor's bringt es mit sich, dass voneinander abweichende
Urtheile über ihn laut geworden sind. Anhänger der römi-
schen und ijrotestantischen Schriftsteller ^ haben die üuttre-
meinte Absicht desselben, die Menschen zu bessern, gegen die
Angriffe seiner Gegner zu vertheidigen gesucht. Das Urtheil
ist bedingt durch den Masstab, der angelegt wird. Gregor,
1 Vgl. Gieseler, II, 2, L. 8 %.; Neander, 5, 1. 8; Floto, Kais. Hein-
rich IV., II, 131 u. a.
2ß Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
in dem sich der Zug seiner Zeit verkörpert, der seinen Aus-
gangspunkt in der Kirche hat, muss mit dem Masstabe seiner
Zeit üfemesscn werden. Die Kirche und ihre Herrschaft war
für Gregor der absohite Zweck, wie Baur * treffend bemerkt,
„der Zweck, die Menschen zu bessern, hatte fiir ihn keinen
Sinn, wenn es nicht durch die Kirche und im Interesse der
Kirche geschah. Was liegt daran, wenn über solchen Planen
Länder und Völker zu Grunde gehen, wofern nur die Kirche
sies-t und die Idee ihrer Herrschaft realisirt". Alle Hand-
lungen Gregorys finden unter diesem Gesichtspunkte ihre Er-
klärung. Da Gregor in der Kirche die absolute, allein be-
rechtigte Macht auf Erden und im Papste den Inhaber dieser
Macht erblickte, so dachte er jede andere Macht und Würde
im Lehnsverhältnisse zum Heiligen Stuhle. Der Kaiser sollte
der Vasall des heiligen Petrus sein, und die Metropoliten
mussten dem Papste einen eigentlichen Vasalleneid leisten.
Trotz der mislichen Lage, in der sich das Papstthum
nach Gregor's Tode befand, war der von ihm angeffichte
ascetische Geist nicht erloschen. In einer auf der Kirchen-
versammlung zu Clermont (1095) von Urban II. gehaltenen
Kcde für den KreuzzuGT fluid die allgemeine Betceisterunsc fiir
diese Unternehmung ihren Ausdruck. Der Gegenpapst in
Rom, Clemens III., wurde von den Kreuzfahrern verjagt, und
das öffentliche Interesse zo«; nach dem crelobten Lande.
Heinrich V. erbte den Investiturstreit von dem Vierten
seines Namens. Urban II. (1088—99) hatte zu Melfi (1090)
und zu Clermont den traditionellen Grundsatz seiner Vor-
gänger aufrecht gehalten. Heinrich V. leistete bei seiner
Kaiserkrönung (1111) dem Papste Paschalis H. (1099—1118)
den Vasalleneid. Derselbe Heinrich V., dessen treulose Em-
pörung gegen seinen Vater Heinrich IV. die Kirche einst
freudig unterstützt hatte, führte nun einen kühnen Streich
gegen Paschalis, den er mit bewaffneter Hand gefangen nahm
und so der Kirche eine Schmach anthat, wie sie einst sein
Vater von Gregor VII. zu Canossa erlitten hatte. „Das Un-
niass von Canossa fand sein Widerspiel in Rom." '■*
' Geschiclite der Kirche im Mittelalter. S. 204, Note.
- Grcgorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, IV, 32'J.
3. Gescliichtlichc Verhältnisse. 27
Nachdem der Streit fünfzig Jahre hindurch mit grosser
Erbitterung geführt worden war, verlief er sich scheinbar im
Sande, und beide Mächte schienen am Ende auf demsolben
Punkte zu stehen, von dem sie ausgegangen waren. Im
Grunde hatten sie aber doch etwas WesentHches gewonnen,
nämlich: dass beide Mächte zu mehr Klarheit über ihre Stel-
lung: srelanirt waren. Die kirchliche Macht gewann die Ueber-
Zeugung, dass sie weltlichen Besitz brauche und von dieser
Seite von der weltlichen Macht abhänge; die weltliche Macht
kam zu der Einsicht, dass sie der Kirche nur Weltliches ver-
leihe, wenn sie dieselbe mit weltlichen Gütern belehne. In
Frankreich und England war die Ansicht, dass die weltlichen
Füi'sten nichts Geistliches verleihen, sondern nur mit welt-
lichen Gütern belehnen, schon früher zur Geltung gelangt:
in Frankreich durch den Bischof Ivo von Chartres 1099 aus-
gesprochen, in England seit 1106; in Deutschland aber erst
durch das Wormser Concordat (1122). Darin ward zwi-
schen Heinrich V. und Calixt II. festgesetzt: dass der er-
wählte Geistliche vom Kaiser die Re2;alien erhalte und dafür
von Rechts wegen das Schuldige zu leisten habe.
Mit diesem Documente war also der Principienstreit, der
ein halbes Jahrhundert lang gewüthet hatte, abgeschlossen;
es ist aber unzvilänglich, im wormser Concordate das alleinige
Resultat des Investiturstreits erkennen zu wollen. Denn wäh-
rend dieses ward der menschliche Geist aufgerüttelt, hiermit
auch die Liebe zum classischen Alterthum erweckt, die Ge-
meindefreiheit hatte angefangen flügge zu werden, und es be-
reitete sich eine menschlichere Form für die bürgerliche Ge-
sellschaft, aus welcher sich später eine dritte JMacht, die des
Bürgerthums, entwickeln sollte. Wie stets in geschichtlichen
Kämpfen traf auch hier ein, dass der ursprüngliche Gegen-
stand des Streites ausgenutzt und zur Unterlage wurde für
ein neues und zwar höheres Gebilde.
Es gab noch immer einen Gegensatz, in dem Papstthum
und Kaiserthum zueinander standen und aneinander sich ent-
wickelten. Die Bedeutung des Gegensatzes änderte sich aber
im Kampfe des Papstthums mit den Hohenstaufen , wo der
Streit nicht mehr, wie in der Investiturangelegenheit, um die
grössere Berechtigung geführt wurde, sondern wo das Papst-
thum als geistliche Macht dem Kaiserthum als weltlicher Macht
28 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
sich ireirenüberstellte. Es ist nunmebr ein Sichmessen zweier
Mächte, daher der Kcampf auch einen ganz welthchen Cha-
rakter hat, obschon die eine der beiden Mächte von geistlichen
Waffen dabei Gebrauch macht.
Der Zankapfel war das Reich der Normannen in Unter-
italien und Sicilien, welches die Päpste längst als sichern
Hinterhalt gegen die herandrängende Macht der Deutschen
betrachtet hatten, daher auch bemüht waren, die normanni-
schen Herrscher lehnseidlich dem päpstlichen Stuhle zu ver-
binden. Sie vermochten aber nicht, den Ehebund zwischen
Heinrich, dem Sohne Friedrich's I., mit der Erbin des Nor-
manncnreichs, Constantia, zu verhindern; trotz aller Vorsicht
kam er im Jahre 1186 zu Stande, und Heinrich VI. trat in
Besitz des angeerbten Reichs. Das Jahr darauf starb aber
schon der kaum 32jährige Kaiser.
Um dieselbe Zeit hatte Innocenz IH. den päpstlichen
Stuhl bestiegen (1198— 12 IG), und dieser Mann war berufen,
die päpstliche Macht auf den höchsten Gipfel zu erheben und
das von Gregor VII. entworfene System auszufiihren. Ihm
gelang es, die päpstliche Macht über ganz Mittelitalien auszu-
dehnen, die deutschen Machthaber zu verdrängen und die
weltliche Macht unter die geistliche zu bringen. Es war keine
Phrase, sondern die volle WirkUchkeit, wenn Innocenz III.
in einem seiner Briefe sagte: „Aber es ist die Hand des
Herrn, welche Uns aus dem Staube auf jenen Thron erhoben
hat, auf welchem Wir nicht nur mit den Fürsten, sondern
über die Fürsten zu Gericht sitzen." * Diesem Grundsatz
von der päpstlichen Amtsverwaltung gemäss hatte er das
Ziel erreicht und sein Ideal zur vollen Wirklichkeit ge-
bracht.
Unter der Regierung dieses Papstes entfaltet sich das
grossartigste Bild der päpstlichen Hoheit im glanzvollsten
Schimmer. Am vierten lateranischen Concll (1215) hatte der
Papst zwei Wünsche geäussert, die ihm besonders am Herzen
kiren: die Ei-oberung des Gelobten Landes und die Refor-
mation der allgemeinen Kirche. Beide sah er nicht in Er-
füllung gehen. Wol hatte Friedrich II. bei seiner Krönung
in Aachen (1215) dem Papste Innocenz, im Interesse der
1 Ilurtcr, Innocenz III., I, 114.
3. Geschichtliche Verhältnisse. 29
Kirche, das dieser zu bewahren wusste, nebst dem GeK'ibdc
eines Kreuzzugs auch das Versprechen leisten müssen : seinem
Sohne Heinrich das Königreich Sicilien als Lehn der römi-
schen Kirche zu vermachen; dieses Versprechen wurde aber
vom Kaiser nicht erfüllt, und ungeachtet des über Friedrich
ausgesprochenen Banns unternahm dieser den Kreuzzug erst
nach dem Tode des Papstes Innocenz III. (1216). Im Jahre
1228 eroberte zwar Friedrich Jerusalem, ward aber doch des
Bannes nicht ledig. Nun findet 1230 eine Versöhnung der
beiden Mächte statt, und der Papst Gregor IX. und Friedrich II.
schliessen Frieden; allein schon 1239 wird letzterer wieder in
den Bann gelegt, und sein Gegner steht mit dem alten un-
versöhnlichen Hasse ihm gegenüber. Bei der Gelegenheit er-
öffnen beide angesichts ihrer Mitwelt ein Kreuzfeuer, wobei
die gehässigsten Schimpfnamen wechselseitig abgedrückt wer-
den. 1250 stirbt Friedrich II. zwar nicht im vollen Siege,
aber doch unbesiegt.
Im Kampfe der Päpste mit den Hoheustaufen hatten es
jene mit den Ersten ihrer Zeit sowol an äusserer Macht, als
auch an geistiger Ivraft und Festigkeit des Charakters zu
thun. Die Hoheustaufen wurden von der öffentlichen Mei-
nung getragen, und diese hatte angefangen, sich auf die Seite
der Staatsmacht zu neigen, gegenüber der Herrschaft des
Papstthums. In diesem Kampfe auf Leben und Tod, der,
von rein weltlichen Motiven ausgegangen, zu einem rein welt-
lichen Kriege geworden war, hatte das Papstthum von Neapel
her empfindliche Schläge erhalten, und es fing bereits an,
wenn auch zunächst unmerklich, von der Höhe seiner äussern
Machtstellung herabzusinken.
Nach dem Untergange der Hoheustaufen nimmt Frank-
reich die Führerstelle ein. Auf die Bulle „Clericis laicos"
vom Jahre 1296, womit Bonifacius VIII. den alten Streit
über die unbedingte Unterordnung der staatlichen Gewalt
unter die kirchliche im päpstlichen Sinne entschieden zu ha-
ben glaubte, antwortete Philipp IV. der Schöne (1285—1314),
Köni'i" von Frankreich, damit: dass die Kirche nicht blos aus
Klerikern, sondern auch aus Laien bestehe, unter gleichem
Antheile an dem Heile, das Christus erworben. Diese An-
schauung wurde 1302 durch die Nationalversammlung, wozu
die drei Stände von Philipp berufen wurden, zur Geltung gc-
30 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
bracht. Hiermit war das Be\vusstscin über die Bedeutung
des Staats deutlieh ausgesprochen, und dieser trat von nun
an als selbständige Macht in die Geschichte ein. Philipp ge-
brauchte überdies noch ein Mittel gegen die Gewalt des
Papstthunis: die Appellation an eine allgemeine Kirchen-
versammlung. Die Gefangennchmung des Papstes zu Anagni
mag immerhin ein Act persönlicher Rache gewesen sein, für
das Papstthum ist sie jedenfalls als eine Niederlage zu be-
trachten. Dieselbe Macht, welche vom Papstthum gegen die
Hohenstaufen herbeigerufen, deren Träger Karl von Anjou es
mit Sicilien und Neapel belehnt hatte, war in Rom eingedrun-
gen, bemächtigte sich nach Benedict's XL Tode (1305) der kirch-
lichen Gewalt, um diese während des Exils der Päpste in
Aviirnon zu eigenen Zwecken auszunutzen. So diente das
Papstthum bis 1370 stets fremden Interessen.
In diesem Zustande der Abhängigkeit von Frankreich
erhob das Papstthum wieder sein Haupt und seine Ansprüche
bei dem Streite zwischen Ludwig von Baiern und Friedrich
von Oesterreich um die Königswahl. Ludwiir wird von Jo-
hann XXII. excommunicirt, weil er die päpstliche Bestätigung
neben der Wahl für unnöthig erachtet, und stirbt 1347 als
der letzte mit dem päpstlichen Bannfluche belastete deutsche
Kaiser, nachdem er wiederholt vor der päpstlichen Macht
sich gedemüthigt hat. Seine päpstlichen Gegner Johann XXIL,
Benedict XII. und Clemens VI. blieben unversöhnlich, und
der König von Frankreich suchte die Verwirrung in dem
unter dem Interdicte daniederliegenden Deutschland für
seine Zwecke auszubeuten. Urban V. nahm zuerst (13G7)
seinen Sitz wieder in Rom, und als Gregor XL im Jahre 1378
starb, entspann sich ein Streit über die Papstwahl, infolge
dessen dem Schosse der Kirche zwei Häupter entwuchsen.
Die Kirche erlitt dadurch einen Riss und ward zwischen zwei
Päpste gestellt, wovon der eine in Rom, der andere in
Avignon sich gegenseitig mit dem Bannfluche belegten.
Das A^erlangen nach einem allgemeinen Concil bemäch-
tigte sich des Zeitbewusstseins, und die Sehnsucht nach einer
Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern erfüllte die
Gemüther. Auf den grossen Reformationssynoden zu Konstanz
und Basel bildete sich eine neue kirchenrechtlichc Anschauung,
deren Hauptvertreter, der Kanzler Gerson und der Cardinal
3. Geschichtliche Verhältnisse. 31
von Cusa, das Concilsystem begründeten, wonach eine allge-
meine Kirchenversammlung über dem Papste stehen sollte.
Gegenüber dem alten Papalsystem lief also das ganze Refor-
mationswerk auf die Restaurirung der bisherigen Stellung des
Papstes zur Kirche hinaus.
Im weitern Verlaufe der Geschichte zeigt es sich, dass
die Bestrebungen der Gregore und Innocenze schliesslich auf
den ersten Ausgangspunkt zurückkamen, nur dass durch die
Kirchenversammlungen der päpstlichen Macht eine Schranke
irezeisft war.
Der grosse Reformationseifer der hervorragenden Persön-
lichkeiten auf dem päpstlichen Stuhle hatte sich in sich ver-
zehrt, und die Masslosigkeiten, in welchen die päpstliche Ge-
walt misbraucht wurde, waren nicht geeignet, die Kirche aus
der Verweltlichung, in die sie verrannt war, herauszuziehen,
um sie auf ihre ursprüngliche apostolische Bedeutung zurück-
zuführen, in der sie der Christenheit Befriedigung gewäh-
ren sollte.
Dieser Versuch, die Entwickelung der Kirche als Macht
zu skizziren, betraf zunächst deren Stellung dem Staate gegen-
über. Eine Hindeutung auf die Mittel, welche die Kirche
besass, vermehrte, und deren sie sich bediente zur Erlangung
und Erweiterung ihrer Macht, mag die mangelhafte Skizze
vielleicht ergänzen, sie wird um so nöthiger im Hinblicke
auf das Verhältniss. der kirchlichen Macht zum Volke
und die Wirkung auf es. Die Einzelerwähnung und Betrach-
tunix der besonders wirksamen Mittel der Kirche dürfte be-
hülflich sein, den geistigen Zustand der Menschen im Mittel-
alter zu erklären und zugleich den Glaubenskreis zu beleuchten,
innerhalb dessen der Teufel den geeigneten Raum finden
musste, sein Spiel zu treiben.
Der Zustand der Welt, durch den langen Streit zwischen
Kirche und Staat herbeigeführt, wird von Gregorovius ^ kurz
aber treffend geschildert: ,,Die langen Kriege zwischen der
Tiara und der Krone hatten das Reich in unbeschreibliches
Elend gestürzt, die Wuth der Parteien hatte alle Kreise der
1 Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, IV, 2G7.
32 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Gesellschaft mit unnatürlichem Ilass, Zwist und Schuld er-
füllt. Denn es stand in der Welt Vater o-eiren Solni, Bruder
gegen Bruder, Fürst gegen Fürst, Bischof wider den Bischof,
Papst wider den Papst. Eine Sjialtung des Lebens so tief-
gehender Natur, wie sie nie zuvor in der Geschichte gesehen
war, schien das Christenthum selbst zu zerreissen." Derselbe
Schriftsteller vergleicht die europäische Welt einem Schlacht-
felde, worauf sich tiefe Nacht gesenkt hatte. Nun inmitten
dieser Nacht stand das Volk, das jeden festen Halt verloren
hatte, und in den schroffsten Gegensätzen der Gefiihle, Stim-
nuuigen und Ansichten herumgeschleudert ward. Das staat-
liehe Bewusstsein war noch nicht zum Durchbruch gelangt, um
die Triebfeder des Lebens abzugeben, es herrschte W iderwille
jrescen die Satzungen der Kirche, Verachtunij des geistlichen
Standes, gröbste Sinnlichkeit, die in der verweltlichten Kirche
ihre Deckung zu finden suchte, das Gefühl der Unhaltbarkcit
dieser verzweifelten Zustände und dabei das der schlechthinigen
Abhängigkeit von der Kirche, die während des Verlaufs von
vielen Jahrhunderten die Mittel benutzt hatte, um eine vui-
geheuere Macht zu erlangen und zu vergrössern, unter der das
Volk in selbstloser Unmündigkeit erhalten wurde.
Das hohe Ansehen der Kirche und ihre Machtstellnng,
die sie erlangen sollte, ist schon durch die Grundbestimmung
ihres Begriffs durch die Kirchenväter angebahnt. Nach
Ignatius (1. Jahrhundert), Bischof von Antiochien, der zu-
erst den Namen s'xxVrjCta xa'ä'oXixvj gebraucht', ist es vor-
nehmlich Iren aus (gest. 2G2), der den Grundriss des Begriffs
der Kirche entwarf durch seinen Ausspruch: „Ubi ecclesia
ibi Spiritus Dei et ubi sj^iritus Dei ibi ecclesia."^ Cyprian
(gest. 259) spannt die vorhandene Anschauung höher und be-
zeichnet schon die fünf Prädicate des Wesens der Kirche,
nämlich: Einheit, Heiligkeit, Allgemeinheit, Ausschliesslichkeit
inid Apostolicität. ^ Die Einheit des Apostolats, die sich in
Petrus zusammengefasst, wurde durch ihn auf die Bischöfe
übertragen, durch deren Zusammenwirken die l^inheit der
' Ep. ad. Smyrn., c. 8.
- Adv. haorcs. 3, 21. 1.
^ Cyprian. de unitate ecclesiac, c. 4: Episcopatus unus est cujus
a singulis in solidum pars tcnetur. Ecclesia quoquc una est, quac in
4. Vergrösserung des geistlichen Ansehens. 33
Christenheit vergegenwärtigend gedacht und in dem Papste
sich zuspitzend in der Kirche angeschaut. Christliches und
Kirchliches ward so ineinandergesetzt, dass letzteres nicht als
zeitlicher, sondern als absoluter Ausdruck des erstem, ja als
dieses selbst galt. So lag es im Bewusstsein des Mittelalters,
dass der weltliche Fiirst nur durch den Kirchenfürsten in
Rom die höchste Würde empfangen könne, dass überhaupt
alles, was Ansehen erlangen sollte, von der Kirche ausgehen,
durch kirchliche Hände gegangen sein musste. Unter diesem
mittelalterlichen Gesichtspunkte mussten die Mittel, welche
die Diener der Kirche handhabten, zur Vergrösserung des
Ansehens und der Macht der letztern einschlagen, dagegen
die bürgerliche Gesellschaft im ganzen wie den einzelnen in
unbedingter Abhängigkeit und Unmündigkeit erhalten. Es be-
darf kaum der Erwähnung des Misbrauchs der Machtmittel,
noch der ängstlichen Aufzählung aller Einzelheiten, da die
Hervorhebung der vornehmsten die Ueberzeugung geben dürfte:
dass durch ihre Anwendung die geistliche Macht die Oberhand
behaupten, das Volk in Unterthänigkeit erhalten werden
musste.
4. Mittel zur Vergrössenmg des geistlicilen Anselieiis.
Im allgemeinen war die Ueberlegenheit der Geistlichkeit
an Bildung zunächst einer der Hauptpfeiler, auf den sich
multitudinem latius in cremento foecundidatis extenditur. — Avelle radium
solis a coi'pore, divisionem lucis unitas non capit, ab arbore frange ra-
mum, fructus germinare non poterit; a fönte pi-aecide rivum, praecisus
arescit. Sic et ecclesia Domini luce perfusa per orbem totum radios
suos pon-igit; unum tarnen lumen est, quod ubique diffunditur, nee unitas
corporis separatur. Ramos suos in uuiversam terram copia ubertatis ex-
tendit, profluentes lai-giter vivos latius expandit, unum tarnen caput est
et origo una et una mater foecunditatis successibus coiDiosa. Illius foetu
nascimur, illius lacte nutrimur, spiritu ejus animamur. — C. 6: Adulterari
non potest sponsa Christi — quisquis ab ecclesia separatus adulterae
adjungitur, a promissis ecclesiae separatur; nee pervenit ad Christi proe-
mia, qui relinquit ecclesiam Christi. Alienus est, profanus est, hostis
est. Habere non potest Deum patrem, qui ecclesiam non habet matrem.
— C. 14: Tales etiam si occisi in confessione nominis fueriut, niacula
ista nee sanguine obluitur. Esse martyr non potest qui in ecclesia non
est. Occidi talis potest, non coronari, etc.
Roskoff, Geschichte des Teufels. II. 3
34 Zweiter Al)schnitt: Ausbildung der Yorstellung vom Teufel.
die Herrschaft derselben stützte, der Besitz einiger Kenntnisse,
den sie in den frühem Jahrhunderten des Mittelalters voraus
hatte, und wodurch sie auch im bürgerlichen Leben eine Ueber-
leo-enheit erlano;te. Man muss es anerkennen: christliche
Priester waren die ersten Träger und Verbreiter der Civili-
sation, und Ilüllmann kann mit Eecht sagen: „Durch den
Staat sind die bessern A^ölker des Alterthums erzogen wor-
den, durch die Kirche die des Mittelalters." ^ Die vor ihren
Zeitgenossen gewöhnlich hervorragende Bildung machte na-
mentlich die Bischöfe vor andern fähig, einflussreiche Aemter
zu verwalten, daher schon unter Karl's des Grossen Hofgeist-
lichkeit der Erzkaplan als Erzkanzler amtirte. Der über-
wiegende Eiufluss der Bischöfe Avar sonach vornehmlich in
dieser Beziehung durch ihr intellectuelles Uebergewicht be-
dingt. Bei der allgemein herrschenden Unwissenheit, dem
Mangel an Kenntnissen nach dem Verfalle der Wissenschaf-
ten, der schon vor der Zerstörung des römischen Reichs sei-
nen Anfang genommen hatte und durch die Ansiedelung bar-
barischer Nationen in Gallien, Spanien, Italien vollendet ward,
blieb, nach dem Aufhören des Lateinischen als lebende
Sprache, der Schatz von Kenntnissen und Bildung dem Volke
verschlossen, und der Schlüssel war in den Händen der Geist-
lichen. Das Lateinische, dessen Kenntniss diese besassen,
war aber auch in allen gerichtlichen Urkunden und dem öffent-
lichen Schriftwechsel beibehalten worden, und wo das Volk
das Schreiben und Lesen vergessen oder noch nicht gelernt
hatte, da war der Klerus im Besitz dieser Kenntnisse, die
von dem geheimnissvollcn Berufe der Geistlichkeit, welche mit
den Mysterien des Gottesdienstes zu thun hatte, in den Augen
des Volks auch einen geheimnissvollen Anstrich erhielten. Meh-
rere Jahrhunderte hindurch war selten ein Laie zu finden, der
seinen Namen schreiben konnte, wie dies auch von Theodorich,
dem berühmtesten Ostgothenkönige, verlautet, selbst Kaiser
Friedrich Barbarossa war des Lesens iiukundig '^, was noch
in der Mitte des 14. Jahrhunderts von dem König Jo-
hann von Böhmen ^ und dem Sohne des heiligen Ludwig,
1 Städtewesen, IV, 292.
- Struv. Corp. Ilist. Germ. I, 377.
3 Sismoiidi, llistoirc des Fran(;ais, Y, 42ü.
4. Yergrösserung des geistlichen Ansehens. 35
Philipp dem Kühnen, behaujDtet wird. ^ Der niedere Klerus
stand in dieser Beziehung auf keiner höhern Stufe, denn fast
auf jedem Concil ist die Unwissenheit desselben Gegenstand
des Vorwurfs. So wurde auf dem Concil vom Jahre 992
geäussert: dass selbst in Rom fast keiner zu finden sei, der
die ersten Elemente der Wissenschaft innehabe. Auch in
Spanien soll zur Zeit Karl's des Grossen unter 1000 Prie-
stern kaum einer einen Begrüssungsbrief haben schreiben kön-
nen.^ In solchen Zeiten mussten wol die Bischöfe, welche der
lateinischen Schriftsprache und des Schreibens mächtig waren,
die zu den bedeutendsten Aemtern geeigneten Persönlichkeiten
sein. Bei Staatshandluugen waren die Fürsten darum auf
die höhern Geistlichen angewiesen, diese waren deshalb fast
ausschliesslich zu Gesandtschaften verwendbar. Bei den häu-
figen Streitigkeiten der Fürsten wurden, besonders im Zeit-
alter Karl's des Grossen, die hohen Geistlichen gewöhnlich als
Schiedsrichter benutzt.
Der Einfluss der Geistlichkeit auf das Gerichts-
wesen war schon ursprünglich angebahnt, dass Kirchen häufig
zur Verdrängung des Heidenthums an den alten Opfer- und
Gerichtsstätten errichtet wurden und das Asylrecht von den
heidnischen Tempeln ererbten. Er w^ar gesichert durch die
Betheiligunoc der Geistlichen bei den Gottesgerichten in den
Kirchen: beim Zweikampf wurden die Waffen vom Priester
geweiht, das Eisen ward während der Messe vor dem Altar
geglüht, den Angeklagten ward die Communion gereicht, ge-
weihtes Wasser zu trinken gegeben, bei der Wasserprobe
wurde der Verurtheilte in ein Priestergewand gekleidet u. dgl.
Karl der Grosse gestattete den Eid nur in der Kirche und
über Reliquien. Dies und manches andere bot die Fäden,
aus denen sich eine Art amtlicher Aufsicht der Geistlichkeit
über die Rechtspflege zusammenwob. Ein gewisses Strafrecht
gegen Frevler stand der Kirche immer zu, anfangs durch das
Gesellschaftsrecht, später durch das Busswesen, indem der
Grundsatz galt: dass Verbrechen nicht nur das bürgerliche,
sondern auch das göttliche Recht verletzen, also das theokra-
tische Verbrechen des Alten Testaments festgehalten wurde.
1 Velly, Histoire de France, VI, 42G.
2 Mabillon, De re diplomat., S. 55.
3*
36 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Die Kirche erschien neben dem Könio-c als selbständici-c Rechts-
quelle, und diese Anschauung dehnte sich aiif alle Verbrechen
aus, die man zur Religion in einige Beziehung setzen konnte,
als: Meineid, Fleisches-Vergehen und -Verbrechen, Kindermord,
Entweihung der Gräber, wofür die Kirche ein besonderes
Strafrecht handhabte. Schon ein Gesetz Konstantin's hatte
den biirgerlichen Obrigkeiten befohlen, die Aussprüche des
bischöflichen Gerichts zu vollstrecken. Auf mehrern Concilien
des 4. und 5. Jahrhunderts werden durch kirchliche Ent-
scheidung Priester und Bischöfe mit Absetzung bedroht, wenn
sie eine bürgerliche oder peinliche Rechtssache bei einer welt-
lichen Obrigkeit anhängig machen. Ein dem Theodosianischen
Codex anojehäno-tes Edict, das dem Kaiser Konstantin zuo-e-
schrieben wird, dehnt die bischöfliche Gerichtsbarkeit auf alle
Rechtssachen aus, wenn eine der streitenden Parteien an sie
appelliren will, wogegen von den Entscheidungen der Bi-
schöfe keine weitere Berufung mehr gestattet sein soll. Karl
der Grosse nahm diese Verordnungen aus dem Theodosiani-
schen Codex in seine Capitularien auf. ^ Dadurch, dass der
Staat der Kirche die Theilnahme an seinem Straftimte ein-
räumte, musste diese an Ansehen inul Macht gewinnen. Man
sah die Sühne erst dann fiir voll an, wenn der Veibrecher
ausser der weltlichen auch eine kirchliche Busse geleistet
hatte.
Der Staat förderte die Abhänr^io-keit der Laienwelt von
der Kirche in Gerichtssachen durch die bischöflichen Senden,
die unter Karl dem Grossen völlig ausgebildet wurden. ^
Eine Erweiterung der kirchlichen Macht bewirkte Papst
Alexander III. (1179) namentlich dadurch, dass er alle nicht
durch Lehnspflichten bedingten Beiträge zur Deckung der
Staatsbedürfnisse von der Bewilligung der Bischöfe und des
Klerus abhängig machte. ^ Nach der Verordnung des Papstes
Innoccnz III. (1215) müssen aber die Bischöfe und der Klerus
die päpstliche Erlaubniss dazu einholen. *
Die Geistlichkeit nahm die Immunität von allen welt-
1 Baluz. Capitul., I, 985.
2 Capit. a. im, c. 7. 813, c. 1.
3 Concil. lateran. III. can. 1!); Mansi XXII, 2i>G.
4 Concil. lat. IV. can. 4G; Mansi XXII, 1030.
•i. Ycrgrosserung dos geistlichen Ansehens. 37
liehen Gerichten in Anspruch, besonders in Personalsachen,
so unter Urban IL \ Alexander III, ^ und Innocenz III, ^
Von Kirchenfürsten waren allerdings manche wohlthätige
Gesetze in Bezug auf bürgerliche Ordnung ergangen, als:
zur Aufrechtcrhaltung der Treuga Dei auf dem Concil zu
Clermont 1095 und auf andern Kirchenversammlungen ; gegen
Seeräuberei auf dem dritten lateranischen Concil; gegen Raub
u. dgl. m.; die Kirche zog aber auch die bürgerliche Justiz
immer mehr an sich, durch die Vermehrung der Rechtssachen,
die ausschliesslich dem geistlichen Gerichte unterliegen soll-
ten. Schon nach Justinianischen Bestimmungen werden Kle-
riker zu bürijerlichen Richtern über Mönche und Nonnen ire-
setzt, zu Aufsehern über die Sitten und die Versorgung der
Unmiindigen, Findlinge, Wahnsinnigen, geraubten Kinder und
Weiber bestellt. Nun wurden aber alle Ehe-, Testaments-
und Eidessachen, Wucherprocesse, alle Klagen und Verbrechen
der Crucesignati als ausschliesslich unter das kirchliche Forum
gehörig betrachtet. Von Lucius III, wurde es den personis eccle-
siasticis freigestellt: malefactores suos sub quo maluerint ju-
dice convenire. "* Dies Privilegiimi wurde von Geistlichen
vortheilhaft ausgenutzt, indem sie Processe an sich kauften,
um sie vor das geistliche Gericht zu bringen. Dieser Mis-
brauch muss arg gewesen sein, da Gregor sich genöthigt
sah, ein Verbot darauf zu legen. ^ Durch den Recurs, der
in allen Fällen an das geistliche Gericht offen stand, hatte
die Kirche eigentlich die Oberaufsicht über die gesammte
Justiz. ^
Ausser den Appellationen an den Papst, die durch
den angenommenen Grundsatz : dass sie nicht nur post senten-
tiam, sondern auch ante sententiam stattfinden können, auf
die ordentlichen Gerichte lähmend wirkten, das Ansehen der
päpstlichen Curie dagegen zu heben halfen, waren in letzter
Beziehung auch die päjsstlichen Legaten thätig, die der
1 Epist. 14 ad Rudolphum coraitem; MansiXX, G59; vgl. ibid. XX, 036.
^ Concil. later. ann. 1179, can. 14.
3 Decret. Gregor, lib. II, tit. 2, c. 12.
1 Ibid., c. 8.
» Ibid. lib. I, tit. 42, c. 2.
^ Vgl. die Belegstellen bei Gieseler, Kirchengeschichtc, II, 2, S. 273.
38 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
päpstlichen Gewalt eine grosse Tragweite bahnten nnd neben-
bei auch die Schleusen zu öffnen verstanden, durch die viel
Geld nach Rom floss. Dass diese Legaten ihr Amt mis-
brauchten und sich Gelderpressungen erlaubten, beweist die
Klage des heiligen Bernhard über die Thätigkeit eines Car-
dinalle2:aten in den Kirchen Deutschlands luid Frankreichs:
„Replevit non evangelio sed sacrilegio."
Gegen Ende des 8. Jahrhunderts wurde eine Sammlung
kirchenrechtlicher Lehrsätze unter dem Namen Isidori De-
cretales bekannt, die auch zur Hebung des päpstlichen An-
sehens beitrug, zwar zunächst den Bischöfen gegeniiber, dann
aber die kirchliche Macht überhaupt begründen half. Nach-
dem mehrere kleinere Sammlungen erschienen waren, trat im
Jahre 1140 ein italienischer Mönch Gratian mit seinem „De-
cret" hervor, einer allgemeinen Sammlung Canones, päpst-
licher Sendschreiben und Urtheilen der Kirchenväter, nach
Art der Pandekten in Titel und Kapitel eingetheilt. Dieses
Werk letrt den Isidorischen Decretalen die höchste Autorität
bei. Greaor IX. Hess die fünf Biicher der Decretalen durch
Raimund von Pennaforte 1234 herausgeben, welche den we-
sentlichen Thcil des kanonischen Rechts liefern und ein voll-
ständiges Rechtssystem bilden. Bonifacius VIII. (1294 — 1303)
fügte einen sechsten Theil hinzu, und das Studium dieses Codex
wurde für jeden Geistlichen unerlässlich und brachte eine
neue Klasse von Rechtsgelehrten , die Kano nisten, hervor.
Dieses kanonische Recht gründet sich auf die gesetzgebende
Gewalt des Papstes, erhebt die Kirche über die weltliche
Macht, sodass ünterthanen einem excommunicirten Fürsten
keinen Gehorsam schuldig wären. Durch die Handhabung des
kanonischen Rechts musste das kirchliche Ansehen steigen und
die Kanonisten, als eifrige Yertheidigcr desselben in allen Län-
dern, trugen ihr Theil bei.
Kreiizzügc.
Auch die Kreuzzüge sind in diesem Sinne zu erwäh-
nen, diese Erscheinung einer tiefsterregten Zeit. In ihnen
mani'festirt sich der Zug nach dem sinnlichen Besitz der
Stätte, von wo das Heil ausgegangen, wonach die Mensch-
heit in ihrer heillosen Lage von heisser Sehnsucht sich ge-
4. Vei'grösserurig des geistlichen Ansehens. 39
'^O'^'-"^"^' ""& Vl^^ Q
trieben fühlte. Abgesehen von dem äussern AnLass, war der
Grund dieser Erscheinung ein idealer. In den Kreuzzügen
wird die Herrschaft des Christenthums, das in Rom seinen
Brennpunkt hat, angestrebt über die nicht christliche Welt.
In der öffentlichen Meinung, welche die lenkende Macht vom
päpstlichen Stuhle ausgehen, von da aus über die Kräfte des
Abendlandes verfügt sah, musste auch durch diese Unter-
nehmung das päpstliche Ansehen, die kirchliche Machtstellung
gewinnen.
Kaiiouisclie LeheusAveise.
Durch die vom Bischof Chrodegang von Metz (742 — 6G)
eingeführte vita canonica, kanonische Lebensweise, sollte
ein christliches Musterleben dargestellt werden; bewirkt wurde
aber ein Zusammenschliessen der Bischöfe mit ihren Klerikern
zu festen Körperschaften und ein Abschliessen gegen die
Laienwelt. Der Standesunterschied zwischen Laien und Kle-
rikern und zugleich der Vorzug der letztern vor jenen wurde
besonders scharf hervorgehoben durch den Cölibat. Es
ist bekannt, wie schwer diese Massregel, welche schon der
Bischof Siricius von Rom ums Jahr 385 zum Kirchengesetze
erhoben hatte, durchzuführen war, daher noch im IL Jahr-
hundert viele Priester im ordentlichen Ehestande lebten \ und
ueuestens wird ausser Zweifel gesetzt, dass es noch im
13. Jahrhundert viele verheirathete, oder wie die Kirche sich
damals ausdrückte: im Concubinate lebende Priester gab. ^
Ebenso bekannt ist, dass die Reformationsbestrebungen der
Päpste auf die Beseitigung der Priesterehe abzielten, im richtigen
Gefühle, dadurch ein Hauptmittel zur Erstarkung der geist-
lichen Macht zu erlangen.
Beichte.
Ein besonders wirksames Mittel, die Laienwelt von der
Priesterschaft in unbedingter Abhängigkeit zu erhalten, war
die Beichte. Im Karolingischen Zeitalter hatte sie noch die
Bedeutung eines sittlichen Acts und war noch fern von der
1 Vgl. die Belege bei Gfrörer, Allgemeine Kirchengeschiclitc, IV,
1. Abthl., S. 155 fg.
2 Lorenz, Deutsche Geschichte des 13. und 11. Jahrhunderts, I, 399.
40 Zweiter Absclniltt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Sacramentsiclee ; seit der Vorordnung des Papstes Innocenz III.
auf dem 4. lateranischen Concil 1215 wurde sie zur Bedin-
gung des Zutritts zur Kirche im Leben und eines christlichen
Begräbnisses im Tode. „Diligenter inquirere in peccatoris
circumstantias" wird dem Priester eingeschärft, und hiermit ist
der nächste Schritt zur Inquisition, von Innocenz III. auf
derselben Synode zur Unterdriickung der Ketzerei eingefiihrt,
geschehen. Die Toulouser Synode 1229 sanctionirt schon in
jeder Parochie zwei bis drei Ketzerriecher, Gregor IX. bestellt
1233 die Dominicaner zu päpstlichen Inquisitoren „der
ketzerischen Bosheit", und die Inquisitionsgerichte verbreiten
allenthalben Angst und Schrecken. Die von Leo IX. und
besonders Gregor VII. angestrebte „reformatio universalis
ecclesiae" wurde hiermit unversehens in eine Ileformation
der Laienwelt umgewandelt.
Al)lass.
Nebst der Beichte war der Ablas s ein mächtiger Hebel,
das Ansehen und die Herrschaft des päpstlichen Stuhls zu
fördern. Die geistliche Schliisselgewalt (zu lösen und zu
binden) war somit in voller Wirksamkeit. Es wurde das
Gericht iiber die Sünden der Gläubigen und die BefugJiiss,
jene zu erlassen, ausgevibt. Die Theilnahme an den Kreuz-
züüen irab dem Ablass einen bedeutenden Aufschwung, und
seine Theorie wurde besonders durch die Scholastiker ausge-
bildet.
Bettelmöuclie.
Auch die Bettelmönche arbeiteten in diesem Sinne.
Sie sind zwar, unter ethischem Gesichtspunkte betrachtet, zu-
nä<;list als Reaction gegen die sittliche Verkommenheit der
Kirche aufgetreten, denn so oft die kirchliche Disciplin ver-
darb, erhüben sich heilige Männer, um dem Verfalle der
Kirche aufzuhelfen; allein im Verlaufe der Zeit wurden die
Mönche ein wirksames Mittel zur Durchfiduung der geist-
lichen Oberherrschaft.
4. Vergrösscrung des geistlichen Auseliens. 41
Exconiiiiiiiiieation und Interdict.
Die fui-chtbarsten Mittel, die geistliche Oberherrschaft zu
bethätigen, waren: die Excommunication, der Kirchen-
bann über einzelne verhängt, und das Interdict, wodurch
eine ganze Gemeinde oder Landeskirche durch Einstellung
aller gottesdienstlichen Handlungen gleichsam „geistlich aus-
srehunjrert" wurde. Die Handhabung der Excommunication
DO C
war abhängig von der Grösse der Vergehungen und der
kirchlichen Wiirde, sodass dieses Mittel bei geringern Ueber-
tretungen dem Pfiirrer zustand, über die grössten Vergehungen
der Papst excommunicirte, und zwar Personen weltlichen oder
geistlichen Standes. Fürsten wurden excommunicirt, wenn
sie den erhobenen Verdacht gegen ihre Rechtgläubigkeit
nicht abwälzen konnten, überhaupt dem apostolischen Stuhle
als Gegner erschienen, und zwar in Bezug auf kirchliche
Personen, Güter oder Freiheiten und geistliche Wahlen. Kein
Christ durfte mit einem Excommunicirten Gemeinschaft pfle-
gen; war dieser ein Geistlicher, so wurden ihm seine Ein-
künfte entzogen, bisweilen wurde der Altar, an dem er Messe
las, niedergerissen, sein Messgewand verbrannt, der Kelch
eingeschmolzen. War er Bischof, so war seine Ertheilung
der Weihe und Pfründe ungültig. War er Fürst, so hatten
seine Gesetze und Verfügungen keine Geltung; war er ein
Laie niedern Rangs, so hatte er weder Wahlrecht noch
Wahlfähigkeit, als Richter hatte sein Urtheil keine Kraft.
Widerstrebte der Excommunicirte dem Strafmittel der Kirche,
so wurde ihm die Züchtigung durch die weltliche Hand
zutheil, wozu die Könige im allgemeinen bereit waren. Schon
Childerich I. um 554 hatte den Ungehorsam gegen die Kirche
an Unfreien mit 100 Stockprügeln, bei Freien mit standes-
mässiger Strafe belegt.^ Childebert II.- verbannte jeden Ex-
communicirten vom Hofe und nahm ihm das Recht des
Güterbesitzes. Pipin^ verbot dem mit dem Bann Belegten
die Kirche zu besuchen, jedem Christen, ihn zu grüssen,
überhaui)t in irgendeiner Gemeinschaft mit ihm zu stehen.
1 Pertz, III, 1.
- A. 790, c. 2.
3 A. 755, c. 9.
42 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
— Das Interdict erstreckte sieh zuweilen über ein ganzes
Land, oder auch nur über die Gegend, in welcher das zu
strafende Vergehen verübt worden war, oder wo der Betrofi'ene,
der sich widerspenstig erwies, verweilte. Die Kirche be-
trachtete in beiden Fällen das übrige Volk als schuldig, weil
es ihr durch sein Schweigen als Theilnehmer erschien. Das
erste Interdict verhängte Gregor V. (908) gegen Robert
von Frankreich; ein anderes Innocenz III. über England
wegen Verweigerung des Peterpfennigs, wo ganz England
infolo;e des Interdicts durch sechs Jahre, drei Monate und
vierzehn Ta2;e keinen Gottesdienst hatte. ^ Im 14. Jahrhundert
lauf Deutschland unter dem Interdict, das Benedict XII. in
dem Streite iiber die Kaiserswahl ausgesprochen hatte.
Um eine Vorstellung von der peinlichen Lage während
des verhängten Interdicts zu haben, bedarf es nur einiger
Züge aus der Schilderung, welche Hurter^ von dem Zustande
in Frankreich (im 12. Jahrhundert) entwirft. „Vorenthalten
war dem Gläubigen, was der Seele in den AVechself allen des
Lebens die sichere Richtung verleihen, in den Kämpfen des
irdischen Daseins das Gemüth emporheben soll. Wohl ragte
aus den niedrigen Wohnunc-en der Sterblichen das Haus her-
vor, in dessen Räumen so manches sichtbare Sinnbild die
Herrlichkeit des unsichtbaren Gottes und seines ewigen
Reichs darstellte; aber es glich einem gewaltigen Leichnam,
aus welchem jede Lebensregung entflohen war. Nimmer
weihte der Priester das Sakrament des Leibes und Blutes
unsers Herrn zur Erquickung verlangender Seelen. Ver-
stummt war der Feiergesang der Diener Gottes; kaum dass
einigen Klöstern gestattet war, ohne alles Beisein von Laien,
in leiser Stimme, bei uneröffneter Thüre, auch wol nur in
mitternächtlicher Einsamkeit zum Herrn zu flehen, ob seine
Gnade die Gemüther zur Busse erwecken möchte. Zum
letzten mal hatte die Orgel durch die Wölbungen gerauscht,
Grabesstille herrschte, wo sonst in Preis und Verherrlichung
des Ewigen die Gemüther aufgejubelt. Unter Trauerge-
bräuchen wurden die Lichter gelöscht, als wäre in Nacht und
' Eymer, Act. et ibed., 1, Gl.
2 Gesehicülc Papst Innocenz' III. und seiner Zeitgenossen, I, 385
(3. Aufl.)
4. Vergrösserung des geistlichen Ansehens. 43
Dunkelheit fortan das Leben gehüllt; ein Schleier entzog tlen
Anblick des Gekreuzigten den Augen der Unwiirdigen ; an
der Erde lagen die Bilder seiner glorreichsten Bekenner, die
Ueberreste frommer Glaubenshelden in ihren Schrein ver-
schlossen, als entflöhen sie das entartete Geschlecht. Die
Verkiindicuuff der Ileilswahrheiten, welche dem Leben Lust
und Muth verleihen soll, dem freundlichen Stern zu folgen,
dessen Strahlen in so manchen Gebräuchen das Gemüth er-
leuchten, hörte auf, und Steine in der letzten Stunde, da das
Heiligthum noch offen stand, von der Kanzel geworfen,
sollten die lebende Menge erinnern, so habe der Höchste sie
von seinem Angesichte verworfen, habe er die Thore der
ewigen Gottesstadt verschlossen, wie der Hüter die Pforten
seines Hauses auf Erden schliesse. Trauernd wandelte der
Christ seines Weges vorüber an dem Tempel, nicht einmal
ein flüchtiger Blick in das Lmere, wo so oft sein Herz die
segnende Nähe des Herrn empfunden, konnte auch nur für
den Augenblick seine Sehnsucht stillen, die Pforten blieben
unbeweglich. Selbst von aussen war ihm alles verborgen,
wodurch er sonst zu gottgefälligem Eintritt sollte gestimmt
werden. Nimmer quoll Trost, Vertrauen und Muth aus so
manchem Ermuthigenden, was durch den äussern Sinn zu
dem Innern spricht. Nimmer schauten sie seine Erzväter und
Propheten, jene Evangelisten und Kirchenlehrer, jene Glau-
bensboten und Gottesstreiter, jene Blutzeugen luul Bekenner,
deren hehrer Chor unter den Hallen des Gotteshauses diese
gleichsam zur Thüre des Hinmiels weihte; auch diese Bil-
der waren verhüllt. Nur jene Misgestalten, in welchen
der Mensch den entehrenden Ausdruck seiner verdammlichen
Sünden beherzigen soll, grinsten von den Gesimsen und
Dachrinnen auf ein Volk herab, dessen unwürdiges Dasein
von dem Heiligthinu abgewendet, in scheussliche Entartimg
versunken schien. Kein Glockengang, als etwa einmal die
dumpfen Schläge einer Klosterglocke beim Hinscheiden eines
Bruders erinnerte an das Voraneilcn auf der Laufbahn, au
das geheimnissvolle Ziel , an die höhern Bedürfnisse. Das
Leben, in allen seinen bedeutungsvollem Wendungen sonst
geheiligt durch die Kirche, erschien jetzt abgetrennt von ihr.
Der Sonneuglanz höherer Weihe war erbleicht, und das ir-
dische Dasein blieb ohne Vermittelung mit dem himmlischen.
44 Z\Yciter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel,
Wol fand das Kind noch Aufnahme in den göttlichen Gna-
denbund, aber gleichsam nur als hinvvegeilend: und den Tag,
welcher sonst durch alle Stände die Aeltern zu frohem Jubel
geweckt hätte, umgab jetzt ein düsteres Schweigen. Auf
Gräbern anstatt am Altar wurde zwischen den Todeswürdigen
das Band der Ehe angeknüpft. Dem beladenen Gewissen
ward oft keine Milderung durch Beichte und Lossprechung,
dem Bekümmerten kein Trost durch des Priesters Wort; dem
Hungrigen nicht gereicht die Speise des Lebens; niemandem
das Weihwasser gespendet. Einzig im Vorhofe und des
Sonntags allein durfte der Priester das Volk zur Busse
mahnen; dieses blos im Trauergewande, aus der Ferne gegen
das verschlossene Heiligthum gerichtet, zum Herrn seufzen.
In der öden Vorhalle nur mochte die genesene Wöchnerin
dem Höchsten für den ci-haltenen Beistand danken; dort mü-
der Pilger den Segen zu seiner Wallfahrt empfahen. Lis-
geheim, ob ihm Gott noch genaden möge,^^ wurde dem Ster-
benden die letzte Wegzehrung, von dem Priester einsam in
der Morgenfrühe des Freitags geweiht, dargereicht, die letzte
Oelung aber, als grösseres Sakrament, war ihm geweigert,
gleich wie den Todtcn (ausser Priestern, Bettlern, fremden
Pilgern und solchen, die mit dem Kreuz bezeichnet waren) die
geweihte Erde, oft sogar jedes Begräbniss. Selbst der Freund
durfte den Freund nicht bestatten; Kindern blieb es versagt,
hingeschiedene Aeltern mit einer Hand voll Erde zu bedecken."
Die grauenerregende Wirkung, die unser Schilderer her-
vorzubringen beflissen ist, hat das Literdict in jenen Zeiten
sicher ausgeiibt, und da es sich hier nur um die Macht der
Kirche und deren Tragweite handelt, miissen wir von allen
andern Gesichtspunkten absehen. Von dem wüsten Zustande
führt der Schilderer die bekannte Thatsache an, dass an vielen
Orten der Normandie im Jahre 1197 infolge eines Interdicts,
das der Erzbischof von Honen ausgesprochen hatte, die Lei-
chen auf der Strasse lagen. Beispiele der kirchlichen Strenge
an Hohen liefern Herzog Leopold von Oesterreich, der unbe-
graben blieb, Aveil nicht vollzogen wurde, was er, um des
Bannes ledig zu werden, auf dem Sterbebette verheissen
hatte. Graf Kaymund V. von Toulouse, der 1222 im Banne
gestorben war, lag noch im Jahre 1271 unbegrabeu und trotz
den Bemühungen seiner Tochter, durch Zeugen seinen reue-
4. Vergrösserung des geistlichen Ansehens. 45
vollen Tod 7A1 beweisen, blieb ihm das Begräbniss versagt, so-
dass ihn zuletzt die Raben frassen. Erwähnt maa: noch wer-
den, dass auch dem geselligen Verkehr durch das Interdict
jeder Frohsinn genommen wurde, allgemeines Fasten sollte
statthaben, selbst die Pflege des Leibes hintangehalten werden :
,,nemo tondeatur neque radatnr". Da jede Gemeinschaft mit
dem gebannten Landestheile untersagt war, litt der allgemeine
Erwerb und dadurch das Einkommen des Landesherrn, um
dessentwillen gewöhnlich das Interdict verhängt ward. Wem
ein solches Strafmass, das sich wegen des Einen, der für
schuldig gehalten wird, auch über eine grosse Zahl Unschul-
diger erstreckt, bedenklich erscheinen sollte, den verweisen
wir auf die rechtfertigende Erklärung Hurter's^: „Nun aber
hielt jene Zeit Fürst und Volk fi\r ein unzertrennliches Ganzes
und die Tugenden des einen für die Tugenden des andern, die
Sünden des einen für die Sünden des andern und unc^etheilt
empfänden so Haupt als Glieder Segnungen wie Strafen."
Kirclienspraclie.
Durch die mittelalterliche Handhabung der kirchlichen
Schlüsselgewalt wurde die Laienwelt in gänzliche Abhängig-
keit von der Geistlichkeit geschlagen.^ und durch das Auftreten
der Kirche gegen die Volkssprachen und deren bewirkte Be-
seitigung bei gottesdienstlichen Handlungen wurde das Laien-
volk gleichsam entselbstet. Nach Einführung des Lateinischen
als heilige Kirchensprache vernahm der Laie beim Got-
tesdienste nicht mehr den unmittelbaren Ausdruck seines reli-
giösen Bewusstseins, er konnte das Pleilige nur in der
Aeusserlichkeit des priesterlichen Cultus anschauen, durch
den die innersten menschlichen Interessen vermittelt werden
sollten. Unter Karl dem Grossen wurde auf der Synode zu
Tours (813) das Predigen in der Volkssprache noch empfohlen,
ward aber im Laufe der Zeit immer mehr verdrängt; die
Massregeln des Papstthnms gegen die Volkssprache wurden
durch Regenten gefördert. ^ Durch die Unterdrückung der
Muttersprache war der Laie auf rein passive Theilnahme an
der gottesdienstlichen Handlung herabgesetzt, bei welcher das
1 A. a. 0., S. 389.
- Tgl. Gfrürer, Allgemeine Kirchengeschicht o, IV, 1, S. MG,
4G Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Yorstellung vom Teufel,
ihm imverstäiulliche Latein im Gebrauch war, das ihm aller-
dings mysteriös erschien, wodurch aber dem religiösen Ge-
müthe keine Nahrung, dem sittlichen Willen keine Anregung
geboten, das religiöse Bewusstsein also ausgehöhlt wurde.
Wenn Gregor VII. ganz entschieden für die Ausmerzung der
Landessi^rachen eiferte, so hatte er das richtige Mittel er-
kannt, um die Laienwelt zu entselbsten, das kirchliche An-
sehen aber zu erhöhen.
5. Bereiclieniiig der Kirclie an materiellen Giltern.
Die Machtstellung der päpstlichen Kirche beruhte nicht
blos auf psychologischer Grundlage, sie stützte sich vorzüg-
lich auch auf den Besitz materieller Güter, wodurch sie
auf die Laienwelt einen bedeutenden Druck ausübte. Die zum
Christenthum bekehrten germanischen Stämme hatten gegen
die Kirche eine grosse Freigebigkeit bewiesen, insbesondere
war sie in Gallien schon unter römischer Herrschaft zu
reichem Güterbesitz gelangt, der durch Schenkungen der
Merovingischen Könige von Chlodwig an noch vergrössert wurde.
Als Muster der Freigebigkeit gegen die Kirche gilt ihr der
erste christliche Kaiser mit Berufung auf das Konstantinische
Edict, welches dahin geht, den Stuhl Petri über den irdischen
Thron zu erhöhen, ihm Macht und Würde zu verleihen, da-
her dem Papste als Papa universalis ausser dem lateranischen
Palast und den kaiserlichen Insignien auch die Stadt Rom
und alle Provinzen, üerter und Städte Italiens und der west-
lichen Gegenden als Eigenthum zugeschrieben werden. Mögen
die Historiker, welche dieses Schriftstück in Zweifel ziehen,
auch Recht behalten; es bleibt für uns bedeutsam durch die
ausgesprochene Tendenz. Schon unter den Merovingischen
Königen pflegte Chilperich zu klagen: Unser Fiscus ist ver-
armt, unsere Reichthümer sind an die Kirchen gekommen;
nur die Bischöfe herrschen, unsere Ehre ist verloren und auf
die Bischöfe der Städte übergegangen. ^ Loebell ^ sagt, diese
Aeusscrung sei berühmt als Beweis für die Anmassung der
1 Gregor Turon., VI, 4G.
- Gregor von Tours und seine Zeil, S. 3o().
5. Bereicherung der Kirche. 47
Bischöfe, es sei aber nicht ausser Acht zu lassen, dass, wenn
die Kirche an sich riss, was dem Staate gehörte, ein König
wie Chilj)erich ihr auch misgönnte, was ihr gebührte, und
nicht durch Gewalt, sondern durch die Entwickelung der
Dinge in ihre Hände gekommen war. Wir halten uns eben
an diese Entwickelung der Dinge, und können füglich davon
absehen, dass Gregor von Tours den König Chilperich, mit
dem er selbst in Conflict gerathcn, den grössten Feind der
Kirche nennt, „nulluni plus odio habens quam ecclesias".
Wir halten nur die Thatsache im Auge, dass die Kirche um
diese Zeit (6. Jahrhundert) schon mächtig und reich war und
es immer mehr zu werden strebte. Zu Ende des 7. Jahr-
hunderts, so wird behauptet, war gewiss ein volles Drittheil
in Gallien Kirchen- und Klostergut. Durch Karl Martell's
und seiner Söhne gewaltsame Säcularisation der Kirchengüter
o-ins zwar ein grosser Theil davon verloren, aber Karl der
Grosse und Ludwig der Fromme ersetzten das Verlorene
wdeder. Das Königsgeschlecht der Karolinger glaubte sich
den Päpsten zu Dank verpflichtet für die von ihnen ertheilte
köniijliche Weihe und die Entbindung der Franken von ihrer
Pflicht der Treue gegen die Merovinger, wodurch sie jenen
den fränkischen Thron verschaift hatten. Die Karoliuüische
Erkenntlichkeit erwies sich nach den Feldzügen Pipin's gegen
das Reich der Longobarden (754 und 755), wonach ein
grosser Theil des eroberten Gebietes, nämlich der Küstenstrich
von Kimini bis Ancona, dem päpstlichen Stuhle als Karo-
lingische Schenkung zufiel, wofür Pipin den Titel eines Pa-
tricius annahm. Karl der Grosse bestätigte die Schenkuns:
und soll sie noch bedeutend vermehrt haben. übschon die
völlige Einverleibung der Sachsen ins Frankenreich erst im
Jahre 805 vollendet ward, hatte Karl der Grosse doch schon
im Jahre 776 ihr Gebiet in Bisthümer getheilt und 781 den
südlichen Theil des Landes, 78G auch den nördlichen unter
die unmittelbare Herrschaft des Papstes gestellt. Im Jahre
780 ward das Bisthum Osnabrück errichtet, hierauf die Bis-
thümer Minden, Paderborn, Münster, Ilalberstadt, Verden,
Bremen. Mit der Aufnahme in die christliche Kirche waren
die Sachsen derselben zugleich zehntpflichtig gemacht, sie
sollten nach der Aussage Karl's des Grossen dem Herrn und
Heiland Jesus Christus und dessen Priestern einen allgemeinen
48 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Zehnt entrichten.^ Zunächst hatte der Zehnt an den Klerus
die Bedeutung von Ahnosen, dabei gingen die Fürsten mit
dem Beispiele voran, indem sie ihre grundherrlichen Zehnten
den Kirchen iiberliessen , wie Siegbert III. (G03 — 50) an die
Kirche von Speier; ähnlich verfuhren Pipin, Karlmann, Karl
der Grosse, wodurch die übrigen Grundbesitzer zu Gleichem
bestimmt wurden, bis letzterer den allgemeinen Zehnt gebot,
der, nach levitischem Gesetze von den grundherrlichen unter-
schieden, anfiinglich empfohlen, später zur Pflicht erhoben
ward. Die Predigten des 8. Jahrhunderts schärfen den Zehnt
gewöhnlich als eine Obliegenheit ein, durch deren Erfüllung
der höchste Grad christlicher Vollkommenheit erreicht werde ''^;
vom 9. Jahrhundert an erscheinen sie schon als Zwangspflicht ^,
und Karl der Grosse hat die kirchliche Anforderung durch
eine bürgerliche Verordnung bestätigt.*
Regalien.
Nach den vorhandenen zahlreichen Urkunden waren die
Kaiser aus dem sächsischen Hause, die Könige von England
und Leon nicht w^eniger freigebig als die ersten Karolino'er
und ihr Oberhaupt, Oft besass eine Kirche nicht weniger als
8000 Mansi (Bauernhöfe), und die nur 2000 eigen hatte, galt
nicht für reich. Viele dieser Schenkungen bestanden aus
unangebauten, herrenlosen Ländern, durch deren fleissigen
Anbau und kluge Verwaltung die Einkünfte der Klöster und
Kirchen sich mehrten. Dies setzte sie wieder in Stand, die
besonders zur Zeit der Kreuzzüge häufig feilgebotenen Güter
an sich zu bringen. Die Bisthümer wurden durch die deut-
schen Könige nicht nur mit reichem Güterbesitz ausgestattet,
selbst mit Grafschaften und Ilerzogthümern belehnt, sondern
auch mit verschiedenen Vorrechten, den sogenannten Rega-
lien versehen, wodurch die Bischöfe und Aebte im Lehns-
verhältniss standen, daher seit dem 9. Jahriiundert an den
Kriegen mit ihrer Dienstmannschaft theilzunehmen pflegten.
Die der Kirche geschenkten Krondomänen waren mit Im-
1 Urk. vom Juli 78«. Mon. Germ. VII, 288.
^ Paul, über die Beueficien, Kap. 11.
3 Seiden, Gescliiclite des Zehnten, III, 11U8.
4 Baluz. Capitul., I, 25:5.
5. Bereicherung der Kirche. 49
miinität ausgestattet, die bald auf die übrigen Kirchen-
ländereien iiberoinij;. Nicht selten waren die Kirchen ofüter,
die ohnehin steuerfrei waren, unter der Benennung „frankal-
moign" auch aller Kriegsdienstleistung enthoben, daher dann
Laien ihr Grundeigenthum zum Scheine der Kirche über-
trugen und von dieser wieder angeblich als Lehn oder Pach-
tung übernahmen, wodurch das Grundstück von öffentlichen
Lasten befreit blieb und dafür der Kirche auf Kosten des
Staats ein jährliches Einkommen zulloss. ^ Die Bischöfe ge-
nossen zwiefache Vortheile und Auszeichnunaren : als Gross-
grundbesitzer hatten sie wieder ihre Lehnsleute und bildeten
gleich den Königen einen Hofstaat; als erste Lehnsträger der
Krone waren sie ständic:e Mitglieder der Reichsversammluniren,
nahmen theil an allen Staatsangelegenheiten, hatten Sitz und
Stimme und daher in dieser Beziehung grossen Einfluss.
Bekanntlich waren noch, als die Verfassung zum Wahlreich
sich ausgebildet hatte, von den sieben Kurfürsten drei geist-
liche, und der Erzbischof von Mainz fungirte stets als Kanzler
des Reichs. Darin liegt wol ein wesentlicher Grund, dass
die Geschichte der deutschen Kirche und die deutsche Reichs-
geschichte eine geraume Zeit hindurch ineinander aufgehen.
Stiftungen.
Bei dem herrschenden Glauben, Religiosität könne durch
nichts besser an den Tag gelegt werden, als indem man die
Kirche bereichere, fühlten sich auch viele Privatpersonen be-
wogen, Stiftungen zum Besten der Kirche zu machen.
Nicht nur die in ein Kloster traten, vermachten diesem ge-
wöhnlich ihr ganzes Vermögen, auch die Anverwandten der
Eintretenden machten häufig Schenkungen, die sogar erwartet
wurden. Viele verschenkten ihr Vermögen an Kirchen oder
Klöster, bevor sie in den Krieg zogen oder wenigstens für
den Todesfall; andere wurden durch die Schrecken des Todes-
kampfs dazu getrieben, ja es ward beinahe dem Verbrechen
des Selbstmords gleichgeachtet, zu sterben, ohne die Kirche
wenigstens mit einem Theile seiner irdischen Güter bedacht
zu haben, sowie ohne Testament zu sterben als eine Ueber-
1 Muratori, Antiqu. Ital., V, Dissert. (jf), GS.
Eoskoff, üeachiclite des Teufels. II.
50 Zweiter Abschnitt : Ausbildung der Vorgtcllung vom Teufel.
vortheilung der Kirche betrachtet wurde. In Enghind be-
strafte die Kirche solche Vorgänge in dem Zwischenräume
der Regierungen von Heinrich III. und Eduard III. dadurch,
dass sie die Verwaltung der Güter des Verstorbenen selbst
übernahm. 1 Von den reichlichen Schenkungen der Fürsten,
die sich auch in der Folge fortsetzten, können wir uns eine
Vorstellung machen, wenn wir allein bei Pez^ in einem Bande
von Seite 1—285 lauter Scherikungsurkunden und Bcstä-
tio-ungsacte an Klöster, namentlich an Emeran gesammelt
finden. Der Codex diplomaticus ^ enthält ausser der Charta
donationis ab Opilione Patricio Romanorum factae Ecclesiae
S. Justinae de Padua, welche laut Randnote circa a. C. 453
erlassen ist, von Nr. VII (p. 10) an : Vetustissimae traditiones
nionasterii Monsensis seu lunaelacensis, olim in Boivaria, nunc
in Austria — vom Jahre 748—854 allein gegen hundertund-
drei Schenkungsurkunden an dieses Kloster ad S. Michaelem,
und zwar fast sämmthche: „pro peccatis meis minuendis, vel
pro aeterna retributione", oder: „pro anima mca seu pro aeterna
retributione", oder: „cogitans vel pertractans molem peccaminum
meorum vel pro relaxandis facinoribus meis in die judicii,
idcirco dono" etc., oder: „pro animae meae remedium". So
lauten die wiederkehrenden Formeln, womit die Schenkungs-
briefe ein-Teleitet werden. In demselben Bande befinden sich
noch ein Dutzend Schenkungsurkunden aus dem 11. und
12. Jahrhundert an Klöster, betrefi'end Weinberge, „quasdam
villas", oder: „plurium bonorum". Ferner enthält Codex
diplomaticus , tom. V, pars II, viele Schenkungsurkunden an
Carthusia Satzensis, Klosterneuburg, Schotten in Wien, Hei-
lifre-Kreuz in Oesterreich, das Frauenkloster in Erlach; Ver-
leihung verschiedener Privilegien an geistliche Stifte, z. B.
das Weinschenken. Auch solche Vorrechte wurden zur Er-
langung des Seelenheils ertheilt, wie folgendes Beispiel aus
dem Jahre 1397 zeigt: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden,
Hertzog ze Oesterreich, ze Steyr und Kärnten und ze Crain,
Graff ze Tyroll etc. bekennen, das Wir durch Unsere Vor-
1 Pryiie, Constitutions, III, 18; Blackstone, II, c. 32.
2 Pczii thcs. anecdot. noviss., tom. I, part. III.
•■' VI, bei B. l'ezii thes. anccd. noviss., VI, pars I.
Bereicherunj? der Kirche. 51
o
vordem löblicher Gcdeclitnus, Unser und Unser Nachkommen
Seel-Hail, dem Erbarn Geistlichen den Closterfrauen ze Ybbs,
die Gnad getan haben, und tuen es auch wissentlich mit die-
sem Brieff, das Sy Iren Weinn daselbst zu Ybbs mögen
lassen schenkhen, und davon kein Ungelt geben schollen, doch
Uns aiiff Uns oder Unser Erben Widerrunffen etc. Geben
ze Wienn am Sontag nach dem Heiligen Auffarts Tag, nach
Christi Gepurt 1397te Jare." i
Vermächtnisse zu wohlthätigem Zwecke, deren Ver-
waltung gewöhnlich der Geistlichkeit anvertraut ward, ver-
wandte diese auch oft zu eigenem Nutzen. Die Appel-
lationen, Absolutionen und Ablässe brachten dem
Haupte der Kirche schweres Geld ein. Die Redemptionen,
wonach die strengen kanonischen Büssungen, den reuigen
Siindern auferlegt, durch Geld oder Immobiliarschenkungen
abgelöst werden konnten und den Kirchen und Klöstern eine
Quelle des Reichthums waren, wurden in der Folge durch
die Einrichtung der Dispensationen und Indulgenzen
in die Schatzkammer nach Rom geleitet.^ Die seit dem
13. Jahrhundert aufgekommenen Annatae, wodurch der Be-
trag der jährlichen Einkünfte eines zu Rom consecrirten
Bischofs dahin abgeliefert werden musste, waren eine er-
giebige Quelle. Besonders einträglich für die römische Curie
waren die Streitigkeiten bei Bischofs wählen. AVenn
auch nicht anzunehmen ist, dass jeder Streitfall so ausgiebig
war als der von Fünfkirchen in Ungarn, den Lorenz ^ an-
führt, wo die Processkosten in Rom nicht weniger als
15000 Mark Gold betrugen*, so ist zu erinnern, dass die
Bischofswahlprocesse dagegen sehr häufig waren, daher eine
bedeutende Einnahme abgaben. Manche Päpste suchten dem
Misbrauche mit dem Kirchenbanne zu steuern, der von
Bischöfen oft zu eigennützigen Zwecken verhängt wurde. So
hatte z. B. der Bischof von Clermont seinen Sprengel mit
dem Interdicte belegt, weil die Bewohner bei seinem Einzüge
1 Cod. dipl., V, pars II. p. IIS; über Stiftungen von Klöstern und
Schenkungen au dieselben vgl. Harter, Innocenz III., Buch 28, bes. S. 473
— 507; über den grossen Besitz der Klöster ebendaselbst S. 599 fg.
* Muratori, Diss., 68.
3 I, 101.
^ Nach Fejer, Cod. diplom., IV, 2, 187.
4*
52 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
keine Freudensteuer entrichten wollten, i Andere Beispiele
von Bischöfen, die vom Banne nicht auf reumiithige Bitte,
sondern für Geld oder Bürgschaft lossprachen, werden von
Hurter^ u. a. angeführt. Innocenz IV. sah sich genöthigt,
strenge Verbote gegen Erpressungen beim Aussprechen und
Lösen des Bannes zu erlassen 3; allein die Päpste fingen selbst
an, diese Kirchenstrafe als Bereicherungsmittel zu gebrauchen
und für die Aufhebung derselben Geld anzunehmen. So
musste Pisa, das seit 1214 gegen dreissig Jahre lang unter dem
Interdicte gelegen, dem Papste für die Lösung 30000 Pfund
erlegen.* Bei der Versunkenheit des Klerus kann es iiber-
haupt nicht befremden, wenn er aus Habgier oder um dem
luxuriösen Leben zu fröhnen, bei jeder Gelegenheit sich zu
bereichern suchte, wenn z. B. „Bischöfe für ihre Verrichtun-
gen: Einweihungen von Kirchen und Altären, oder fiir das
Chrisma und das heilige Oel einen hohen Preis, oder für
Einsetzuno^ von Aebten kostbare Geschenke, Pferde, seidene
Kleider, für die Bestätigung Geld forderten"^, und gerecht-
fertigt erscheint demnach wol, wenn ein englischer Geschicht-
schreiber sagt: „den Bischöfen unserer Zeit ist die Welt nicht
ans Kreuz, sie sind an jene geheftet. Sie seufzen nicht mit
den Propheten: ach warum verlängerst d\\ die Tage meines
Erdenwallens? vielmehr scheint ihnen dessen Dauer zu kurz.
Müssen sie hinweg von ihren Reichthiimern oder Annehm-
lichkeiten, so fühlen sie sich von Schmerz zerrissen."*^
Senden.
Die Senden, deren Ursprung mit den jährlichen bischöf-
lichen Visitationen parallel geht und die Aufgabe hatten, das
kirchliche Leben in den Gemeinden zu erforschen und zu
i'iberwachen, besonders diejenigen Verbrechen .zu bestrafen,
die vom weltlichen Arm nicht getrofien wurden, arteten auch
zu Gelderpressungsmitteln aus, nachdem die Sendgerichte
1 Planck, IV, 2, 291.
2 Innocenz III., III, 362.
3 Ep. I, 181 ; Arcbives de Heims, II, 1, G59, bei Raumer, VI, 162.
* Räumer, a. a. 0.
* Ilurter, III, 362.
" Guil. Neubr., V, 8; bei Hurtcr, a. a. 0.
5. Bereicherung der Kirche. 53
Geldstrafen aufzulegen angefangen hatten, welche Alexan-
der III. im Jahre 1180 noch verwarf % Innocenz III. aber
schon billigte. Die Senden hatten sich nämlich mit der Zeit
in bischöfliche, archidiakonale und erzpriesterliche abge-
stuft, und der erzbischöfliche gestaltete sich zu einem stän-
digen Gericht, so z. B. im Mainzischen im 13. Jahrhundert.'-*
Die Geldstrafe, die z. B. urspriinglich für Arbeit an Sonn-
und Festtagen manche Gewerbe betroffen hatte, wurde zu
einer regelmässigen jährlich an die Sendherrn zu entrichtenden
Abgabe, die den Handwerkern sehr beschwerlich wurde. Der
Misbrauch der Senden muss arg gewesen sein, da die Send-
richter von den Bischöfen selbst zu Anfang des 16. Jahr-
hunderts zur Mässigung aufgefordert wurden. Unter den von
dem Convent zu Nürnberg 1522 und 1523 an den Papst ein-
gereichten Beschwerden der deutschen Nation waren die
Bedrückungen, die sich die Geistlichen bei den Senden
erlaubten, angefiihrt. Die Gelderpressungen waren besonders
unerträglich geworden, seit man statt unbescholtener Send-
zeugen bestochene Angeber hielt. Ein Bild gibt die Klage
im „Vntericht der Visitatoren an die Pfarhern ym Kur-
fürstenthum zu Sachsen". ^
Reliquien.
Eine sehr ergiebige Einnahmsquelle für Kirchen vmd
Klöster boten die Reliquien der Heiligen, theils durch deren
Verkauf theils durch deren heilkräftige Wunder, wodurch das
opfernde Volk herbeigelockt wurde. Eine besonders reiche
Beute an Rehquien machten die Kreuzfahrer nach der Er-
oberung Konstantinopels, wo die heiligen Ueberreste aus allen
Pflanzörtern des Christenthums von den christlichen Kaisern
angehäuft worden waren. Byzanz rühmte sich, ein Stiick von
dem Steine zu besitzen, auf welchem Jakob geschlafen, von
dem Stabe, den Mose in eine Schlange verwandelt hatte, hier
gab es Kleider der Heiligen Jungfrau, ihr Spinnrocken, von
ihrer Milch wurde hier aufbewahrt, das Kreuz, an welchem
' Decret. Gregor, lib. V, tit. V, 37, c. 3.
^ Bodmann, Rheingausche Alterthümer, S, 851 fg.
^ Vgl. bei Herzog, Art. Sende.
54 Zweiter ALsclmitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
der Heiland gelitten, von dem Blute, das er für die Sünden
der Menschen vergossen, die Windeln, in welchen er gelegen,
ein Zahn aus seiner Kindheit, einige Ilaare aus seiner Knabeu-
zeit , ein Stück von dem Brote , das er beim letzten Abend-
mahl unter seine Jünger gebrochen, ein Stück von dem
Purpurmantel, den er vor Pilatus umgehabt, die Dornenkrone,
die er getragen, u. dgl. Solche Kostbarkeiten wogen den
Werth von Gold und Edelsteinen weit auf und wurden daher
von den Kreuzfahrern, besonders den Geistlichen unter ihnen,
mit heisser Gier gesucht und nach Italien, Frankreich,
Deutschland und dem übrigen Europa gebracht, wo sie in
Kirchen, Stiftern und Klöstern aufbewahrt wiirden. Wo eine
Reliquie ankam, verbreitete sich der Ruhm ihrer Wunder-
kräftigkeit durch das ganze Land. Jede Kirche suchte eifrigst
in den Besitz einer heiligen Reliquie zu gelangen, nicht nur
wegen des Kapitalwerthes, der darauf lag, sondern vornehm-
lich wegen der reichlichen Zinsen, die der Kirche oder dem
Kloster durch ihren Besitz zuflössen, indem für die heil-
kräftigen Wunder, welche die Reliquie be^arkte, von den
herbeiströmenden Heilsbedürftigen bedeutende Geldopfer dar-
gebracht wurden. Schon im 0. Jahrhundert war die Trans-
lation von Reliquien ein förmliches Geschäft: man Hess die
Gebeine oder andere Ueberreste von einem Heiligen kommen,
baute eine neue Kirche, deren Glück durch die Translation
gewöhnlich gemacht war. Als der Körper des heiligen
Sebastian in Rom anlangte und der des heiligen Gregorius dazu
gestohlen worden war', um im Kloster St. -Medard von
Soissons aufbewahrt zu werden, kamen so viele Menschen zu
den neuen Heiligen, dass die Gegend wie mit Heuschrecken
besäet war und jene scharenweise geheilt wurden. Das Geld
dafür massen die Mönche, 85 Schefi:el, und das Gold betrug
800 Pfund. '^ Kirchen, die sich des Besitzes von bedeuten-
dem Reliquien rühmen konnten, erhielten zu Rom den Vor-
zug, dass dem sie Besuchenden an der Zeit auferlegter Busse
eine Anzahl von Tao;cn nach<T;eschen wurde. ^ Die An-
ziehungskraft der heiligen Reliquien ist begreiflich, wenn wir
1 A. SS. BolL, 20. Jan.
2 Roth, Geschichte des Bcneficienwesens, I, 255.
3 llurtcr, IV, Beil. ,'52, Kcliquien.
5. Bereicherung der Kirche. 55
hören, dass sie nicht nur alle Krankheiten und Gebrechen
heilten, sondern auch gegen Wassers- und Hungersnoth,
Seuchen, Krieg und Tod schlitzten, dass den hergestellten
Frieden im Lande ihre Ankunft bewirkte. „Bei Verträgen,
Schenkungen, Richtungen vertrat ihre Berührung die Stelle
des Eides." ^ 57 Die Kirchen und Klöster, welche im Besitze
solcher Reliquien waren, sammelten Beiträge, um die heiligen
Ueberbleibsel in kostbaren Gefässen aufbewahren zu können.
Besonders gross war der Aufwand an edeln Metallen und
Edelsteinen fi'ir die Särge der Schutzheiligen von Klöstern.
Im Jahre 1207 wurde der Leib des heiligen Benedictus zu
Fleuri an der Loire aus einem unscheinlichen Kasten in
einen kostbaren gelegt, welcher 23000 Solidi kostete." ^ Infolge
der herrschenden Sucht nach Reliquien nahm die Menge der-
selben auch zu, und „gleich wie manche Heilige verehrt
w^urden, deren Leben und Wirken völlig unbekannt war, die
vielleicht nie gelebt hatten, welchen man Handlungen ange-
dichtet, die sie nie konnten verrichtet haben" ^, ebenso stand
es mit der Echtheit der Reliquien. „Von manchem Heiligen
wurden mehr Köpfe vorgezeigt, als das Ungeheuer Lernäon
gehabt hatte, oder so viele Theilchen, dass derjenige, dem sie
hätten angehören sollen, an Grösse den Riesen Anteus müsste
übertroffen haben."'* Vom heiligen Johannes wollte jede be-
deutendere Kirche etwas Jiaben, den heiligen Dionysius ver-
sicherte Paris zu besitzen, ebenso gut wie die Abtei zu
St.-Denis, wie auch St.-Emeran in Regensburg das Gleiche
behauptete. Das Haupt Johannes des Täufers zeigte man
sowol in Konstantinopel als im Kloster St. -Jean d'Angeli.
Selbstverständlich gab es Streitigkeiten sowol über die Echt-
heit als auch über die Wunderkraft der Reliquien, da von
letzterer die Grösse der Einnahme abhing. Bei der stets sich
mehrenden Zahl der Reliquien gab es deren von der sonder-
barsten Art: das Kloster von Gladston in England rühmte
sich des Besitzes eines Stückes der Krij^pe, worin Jesus ge-
legen, der Geisel, womit er geschlagen worden, des Schwam-
1 Hurter, a. a. 0.
2 Ebeudas.
3 Hurter, IV, 487.
* Ebeudas.
56 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
mes,' den man ihm am Kreuze gereicht hatte, eines Theils
Ton dem Golde, das die Magier ihm dargebracht, von den
fünf Gerstenbroten, die einst das Volk speiste, es wies selbst
einen Stein vor von denen, die ihm der Teufel angeboten,
sie in Brote zn verwandeln, nnd das merkwiirdigste war wol
ein Theil des Lochs, in welches anf Golgatha das Kreuz ge-
steckt w^orden war. * Der Bischof von Liittich schenkte dem
Abt von St.-Laurenz zn Lüttich eine Thräne Christi, die er
von Innocenz III. erhalten hatte; daselbst zeigte man auch
das Präputium Christi; Graf Arnold von Andres trug an
seinem Halse ein Barthaar Christi in einem Gefässe; Erz-
bischof Ilartwich von Bremen begli;ckte seine Kirche mit dem
Schwerte, womit Petrus dem Malchus das Ohr abgehauen
hatte; in Laon wurde Milch der Heiligen Jungfrau in einer
krystallenen Taube aufbewahrt; Bischof Konrad von Ilalber-
stadt besass Fleisch von dem Körper des Apostels Paulus;
die Kirche zu Aegeri rühmte sich, etwas von dem Busche zu
besitzen, den Mose brennen gesehen, nnd von der Erde,
woraus Gott die ersten Menschen gebildet.^ Da man Reli-
quien ihrer Wunderkraft wegen gern als Anmiete bei sich J
trug, um durch sie vor Gefahren und Unfällen geschützt zu m
sein, so waren sie auch ein von Privatpersonen vielgcsuchter ^
Artikel, mit dem namentlich Kloster und Kirchen Handel
trieben. Das vierte lateranische Concil 1215 fand sich ge-
nöthigt, den Verkauf der Reliquien zu beschränken, insofern
dieselben durch den Papst approbirt sein mussten. Dadurch
wurde aber dem Handel noch nicht abgeholfen und jede
Kirche, jedes Kloster konnte sich für die Wunder, welche
ihre Reliquien an Kranken oder anderwärts bewirkten, be-
zahlen lassen.
Ausser den Reliquien waren noch eine Menge wunder-
kräftiger Sachen in Gebrauch, die von der Kirche angefertigt
und von den Laien gekauft wurden, um als Anuüete zu die-
nen, als: Gotteslämmer, Agnus Dei, durch deren Gebrauch
man der Sünden ledig und gegen Feuers- und AVassersnoth,
Sturm, Ungewitter, Hagel, Krankheit und Zauberei geschützt
ward; geweihte Bilder, Marienmedaillen, Schwciss-
1 Harter, IV, 493.
2 Hurter, IV, Buch 32, Reliquien.
5. Bereicherung der Kirche. 57
ti'iclilein, Conceptionszettel u. dgl. Erst im 15. Jahr-
hundert wurde das Recht, Gotteslämmer zu verfertigen und
auszugeben, als ein päpstliches Monopol in Anspruch ge-
nommen durch die Bulle Sixtus IV. vom 22. März 1471,
wodurch diese Geldquelle nach Rom geleitet wai'd; allein die
niedere Geistlichkeit liess sich nicht abhalten, auch fernerhin
daraus Nutzen zu schöpfen, und trieb den Verkauf von ge-
wissen Dingen immer fort, da der Gebrauch der Anmiete
immer mehr zunahm. Ein Beispiel von der wunderbaren
Kraft der päpstlichen Conceptionszettel wird, bei voraus-
gesetztem Glauben daran, das Verlangen, derlei zu besitzen,
erklären: P. P. „AVer einen solchen Zettel brauchen will,
muss ihn vorher benetzen mit heiligem Dreikönigswasser und
hernach nur einmal beten zu Ehren der Geburt Christi und
der unbefleckten Empfängniss Maria: drei Vaterunser, drei
Ave-Maria, dreimal das Gloria patris u. s. w. sammt einem
Glauben, nach diesen spricht er diese zwei Wörter: Ave,
Amen." — Gebrauch der Zettel. „Erstlich, wer einen sol-
chen Zettel bei sich trägt, ist sicher vor aller erdenklicher
Zauberei, sollte aber einer verzaubert sein, der muss einen
solchen Zettel verschlingen, also wird er davon befreit, und
kann auch dem verzauberten Vieh ein solcher Zettel einge-
geben werden, der Mensch muss aber anstatt des Viehs das
Gebet verrichten, also auch wenn ein solcher Zettel in einer
Wiege liegt oder dem Kinde angehängt wird, damit es nicht
verzaubert werde, so muss die Mutter anstatt des Kindes das
Gebet verrichten." 2. „Wenn solche Zettel in einen Blechel
verlöthet gelegt werden in die vier Ecken eines Gartens oder
Ackers, so können nicht schaden die bezauberten üngewitter
und Ungeziefer." 3. „Kann ein solcher Zettel eingespündet
werden in das Butterfass, damit die Zauberei verhütet werde."
4. „Können solche Zettel eingespündet werden unter die
Thürschwellen sowol in menschlichen Wohnungen als auch in
den Viehställen. Item in die Krippen und Leitex'n, daraus
die Schaaf, Pferd und anderes Vieh zu fressen pflegt, kann
im geringsten nicht verzaubert werden." 5. „Sind die Zettel
sehr dienlich den gebälirenden Frauen; wenn sie kurz vor der
Geburt einen solchen Zettel verschlingen, so bringt das Kind
öfters den Zettel auf die Welt, entweder an der Stirn, oder
zwischen den Lefzen, oder aber in einem Händel." G. „Vcr-
58 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
hüten sie im Braubaus unter dem Zapfen, wo man das Bier
abzulassen pflegt, alle Zauberei, auch in einer Mühle in dem
Mühlrad, wenn ein dergleichen Zettel eingesj^ündet wird, auch
in die Radel-Stuben seiteuhalben, so kann weder das Brau-
haus noch die Mühl keineswegs verzaubert werden." 7. ,, Ver-
hüten diese Zettel die Zauberei, wenn sie geleget werden in
die Büchsen, Röhren und anderes Geschoss." 8. „Diese
Zettel können auch geleget werden in die Agnus Dei, den-
jenigen aber, welchen man solche Agnus Dei gibt, muss ihnen
gesafift werden, damit sie das Gebet verrichten. Letzlichen
ist auch zu bemerken, dass eine jede kranke Person einen
solchen Zettel könne verschlingen, es mag sein eine gezauberte
oder natürliche Krankheit." ^
Nebst den bisher erwähnten Einkünften der Geistlichkeit
gab es noch verschiedene andere, als: Salz gefalle, Jagd,
Fischerei, Biberfang u. s. w., sowie ihr ausser den an-
geführten Erwerbsmitteln noch mancherlei andere Wege ofieu
standen, sich zu bereichern. Berücksichtigt man blos, was
vonBaumer^, Lorenz^, Hurter* und von andern Historikern
angeführt wird, so ist es klar, dass die Geldströmung nach
Rom während des Mittelalters eine unermessliche war, dass
Kirchen und Klöster ungeheuere Gütercomplexe besassen, und
die oft wiederholte Behauptung: dass schon zu Ende des
7. Jahrhunderts ein Dritttheil alles Grundeigenthums, beson-
ders in Gallien, Kirchengut gewesen^, ganz annehmbar er-
scheint, die Kirche im Verlaufe des Mittelalters in Besitz der
grossartigsten äussern Mittel gelangt war.
6. Sittliclie Zustände.
Der Umstand, dass die Kirche als Anstalt sich aufthun
musste, bietet den ersten Anknüpfungspunkt für das Streben
nach Aeusserlichkeit, namentlich nach äusserer Macht, wo-
1 Aus der „Fortgesetzten Sammlung von alten und neuen theologischen
Sachen auf das Jahr 1721, dritter Beitrag, JNeues" Nr. IX, S. 440—444.
"^ liohenst., VI.
3 Deutsche Geschichte, I, 21. 101.
1 III, Buch 28, bes. 473—507-, 599 fg.; III, 150, Anhang über die
päpstliche Heberolle.
* Roth, Beueficienwesen, 249.
6. Sittliche Zustände. 59
durch sie ihre Bedeutsamkeit an den Tag zu legen suchte.
Die Folge der immer mehr anwachsenden Strcbungeu, wobei
sie ihre Machtstellung durch äussern Güterbesitz unterstiitzte,
war, dass sie im Verlaufe der Zeit selbst immer mehr in
weltlichen Zwecken avifsrino;. Indem sie nach allen Seiten hin
die rührigen Hände ausbreitete, um allen menschlichen Be-
ziehungen ihr Gepräge aufzudrücken, versenkte sie sich selbst
in die Weltlichkeit und erhielt den Charakter der Aeusser-
lichkeit. Mit der Erhebung; des Christentimms zu allein be-
rechtisrtem Staatscultus wurde vornehmlich der Grvnid zur
Veräusserlichung der Kirche gelegt, indem das belebende
ethische Moment, in den Hintergrund geschoben, durch das
dogmatische Gerüste beinahe erstickt ward.
Mit dem Aufliören der Verfolgungen der Christen seit
dem 4. Jahrhundert nahm auch der Ernst und die Innigkeit
ab, die Uebertritte zum Christenthum geschahen häufig
irdischer Vortheile wegen, die Bekehrung war also oft eine
ganz äusserliche und die Verweltlichung der Kirche zog den
Verfall der Sittlichkeit nach sich. Eine Reaction gegen die
Verweltlichung der Kirche, die seit dem 4. Jahrhundert auf
abschüssigem Wege mit zunehmender Schnelligkeit fortschritt,
sollte das Mönchthum hervorbringen, dieses war aber selbst
auf falsche Fährte gerathen.
Unter den Bischöfen waren Zerwürfnisse eingetreten, im
Volke herrschte Parteisucht, am römischen Hofe Entsitt-
lichuno:. Von den sittlichen Zuständen in den liederlichen
Zeiten der römischen Kaiser gibt Seneca (gest. 65 nach Chi-isto)
eine entsetzliche, aber nicht übertriebene Schilderung: „Omnia
sceleribus ac vitiis plena sunt, plus committitur quam c^uod
possit coercitione sanari. Certatur ingenti nequitiae quodam
certamine major quotidie peccandi cupiditas, minor verecundia
est. Expulso melioris aequiorisque respectu quocunque visum
est, libido se impingit. Nee furtiva jam scelera sunt, praeter
oculos eunt, adeoque in publicum missa nequitia est et omnium
pectoribus evaluit ut innocentia non rara, sed nulla sit. Num
quid enim singuli aut pauci rupere legem? undique, velut
signo dato ad fas nefasque miscendum cooi'ti sunt"* u. s. w.
Diese Schilderung erhält ihre vollkommene Bestätigung durch
> De ira, II, H.
60 Zweiter Abschnitt: Ausbildung dei* Vorstellung vom Teufel.
Suetoniiis, Tacitus und die Satiriker Persiiis und Juvenalis.
Ueber die Entartung des Hofes zu Julian's Zeit (361 — 63)
legt Ammianus Marcelliuus ein kaum löblicheres Zeugniss ab.*
Die um sich greifende Verweltlichuno:; des reli"i;iösen Lebens
und Lauheit zur Zeit des Chrysostomus (3-14 — 407) be-
zeigen dessen Predigten.^
Mit den Bestrebungen der Kirche, ihre Macht durch
äussern Gilterbesitz und Reichthum zu fördern, wurde bei
der Geistlichkeit die Habgier vornehmlich rege, die schon
von mehrern Kirchenvätern getadelt wurde. Gegen Erb-
schleicherei der Geistlichen mussten Valentinian L (364
— 75)^ und Theodosius H. (408 — 50) scharfe Gesetze er-
lassen, und das Edict Valentinian's I. vom Jahre 370 fand es
für nöthig, der Geistlichkeit überhaupt zu verbieten von
Frauenzimmern Vermächtnisse anzunehmen.
Salvian von Marseille (gest. 485), der über die sittliche
Verwilderung seiner Zeit im Abendlande ein schreckliches,
aber getreues Bild entwirft, behauiDtet: dass Gott den deut-
schen Eroberern das Reich hingegeben, weil sie frömmer als
die Römer seien:* „Nee illos naturale robur corporum fecit
vincere, nee nos naturae infirmitas vinci. Nemo sibi aliud
persuadeat, nemo aliud arbitretur, sola nos morum nostrorum
vitia vicerunt."^ Das Zeugniss, das hier den bekehrten Deut-
schen ausgestellt wird, verdienten aljer mehr nur die ersten
Generationen, die überall besser waren als die folgenden.
Kurtz^ macht auf den grellen Contrast aufmerksam zwischen
der germanischen Sitte und Zucht nach der Schilderunir bei
Tacitus und der bei Gregor von Tours in dessen Geschichte
der Franken. Dort rohe, aber edle Einfalt, Geradheit der
Sitten, Zucht und Keuschheit des Lebens, Heilighaltung der
Ehe, Treue, Ehrenhaftigkeit; hier kolossale Entartung der
Mcrovingischen Zeit, brutale Zuchtlosigkeit, treulose Ver-
rätherei. Meineidigkeit, Heimtücke, Mordplane, Giftmischereien,
1 22, 4.
2 Aug. in Psalm. 90, Sermo 184; Psalm. 48, Sermo 284.
3 Cod. Theod., XVI, 2, 20.
1 Salv. de gubernat. Dei, VI, 2.3.
^ Der Arianer Alarich, westgotliischer Heerführer, hatte im Jahre 41U
Korn erobert.
" Handbuch der allgem. Kirchengeschichte, S. 376.
6. Sittliche Zustände. 61
Unersättlichkeit nach Schätzen, Ansschweifungen im ge-
schlechtlichen Leben und, obschon die schwärzesten Farben
des Gregor'schen Gemäldes den Kreisen des Hotlebens ange-
hören, so behauptet Kurtz ganz richtig, dass Entartung auch
ins Volk eingerissen war. Gibt doch Gregor von Tours selbst
von den Ungebührlichkeiten innerhalb des geistlichen Standes
eine Menge von Beispielen. Der Bischof Eonius von Vannes, dem
Trünke ergeben, fiel einst, während er Messe las, mit thieri-
schem Geschrei zu Boden, so dass ihm Blut aus Mund und
Nase stürzte.' An der Tafel des Königs Guntram kamen die
Bischöfe Palladius und Bertramnus in heftigen Streit, wobei
sie einander Ehebrüche, Hurereien und Meineide vorwarfen.^
Das Urtheil unseres Gewährsmannes Gregor selbst wird uns
nichts weniger als scrupulös vorkommen, wenn er berichtet,
wie der Abt Dagulf, der mit einer verheiratheten Frau Un-
zucht getrieben, eines Tags trunken liegen geblieben, von dem
heimkehrenden Manne, der das Lager in Brand steckte, mit
einer Axt erschlagen worden sei, und Gregor daran die
Moral knüpft: Geistliche mögen sich des Umgangs mit frem-
den Frauen enthalten und sich mit solchen begnügen, wo es
ihnen nicht zum Verbrechen angerechnet w^erden kann. ^ Die
Greuelthaten von Chlodwig (481 — 511) erzählt Gregor mit
bewamdernswürdiger Aufrichtigkeit: wie Chlodwig den Sohn
des ripuarischen Königs Sigibert zur Ermordung seines Vaters
bringt, ihn dann selbst durch die Gesandten erschlagen lässt.
Wir erfahren übei-haupt durch Gregor das schreckliche Ge-
webe von Tücke, Verrath und Ruchlosigkeit. Gregor fügt
seinem Berichte die Bemerkung bei: „Denn täglich streckte
Gott seine Feinde vor ihm nieder und vergrösserte seine
Herrschaft darum, weil er rechten Herzens vor ihm wandelte
und that, was in seinen Augen wohlgefällig war."^ Bekannt-
lich hat diese Schlussbemerkung Gregor's verschiedene Ur-
theile hervorgerufen; einige haben diese Aeusserung eine
Gotteslästerung tückischen Pftiffengeistes genannt; Schlosser*
1 IV, 41.
2 VIII, 7; andere Beispiele vgl. IV, 43; von Habgier, IV, 12; V, 5;
\I, 3G u. a. 0.
3 VIU, 19.
' II, 40.
5 Weltgeschichte, 2. ThL, I, 102.
G2 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
sielit in der nackten Aufzälilun<T der Grausamkeiten eben eine
Misbilligvmg; Loebell Mnterpretirt: „Trotz dieser Verbrechen,
wollte Gregor sagen, streckte Gott seine Feinde vor ihm nie-
der, denn das Grösste, was er gethan, war ein wohltluitiges
Werk." Loebell meint aber, Gregor habe die Sätze nur un-
geschickt aneinandergeknüpft. Es liegt uns ausserhalb des
Weges, die Ansicht Gregor's zu kritisiren, uns interessirt er
nur als Schilderer des sittlichen Zustandes seiner Zeit, imd
wir begnügen uns, die Thatsache mit Loebell^ zu constatiren:
dass auf die Sittlichkeit Chlodwig's das Christenthum wenig
oder keinen Einfluss geübt habe, da das Schlimmste, was die
Geschichtschreiber von ihm erzählen, nach seiner Bekehrung
von ihm verübt ward.
Die Erscheinung aber, dass die Germanen nach ihrer
Bekehrung schrittweise sittlich herabsanken, hat seinen Grund
in der Umgestaltung der Lebensverhältnisse, die durch die
Völkerwanderung herbeigeführt worden, indem die Germanen
aus ihren einfachen Naturzuständen herausgerissen, auf denen
ihre Sittlichkeit beruhte, auf einen Boden versetzt wurden,
auf dem sie den Verführungen preisgegeben waren, die aus
der neuen Umgebung auf sie eindrangen. Sie waren in üp-
pigen Ländern unter einem sittlich entarteten Volke a'ou
luxuriösem Leben umgeben, wo sie als Eroberer schrankenlose
Gewalt übten und dabei die entfesselten Leidenschaften alle
Zucht durchbrachen. Ihre Bekehrung war eine massenhafte,
und schon dadurch eine mehr äusserliche, die daher auch
keine sittliche Erneuerung hervorbringen konnte. Die den
Germanen eingepflanzte Hochschätzung des Weibes, im engen
Zusannnenhang mit deren gepriesenen Keuschheit und ehe-
lichen Treue, wurde herabgedrückt, das Weib herabgewürdigt
bei der innerhalb der Kirche aufgekommenen Hochschätzuno:
des ehelosen Lebens, wonach das Weib als Versuchungsmittel
des Satans galt. Auf der Synode zu Maon im Jahre 585
konnte ein gallischer Bischof behaupten: „mulierem hominem
noii posse vocitari".^ Die ethisirende Kraft des Christenthums
konnte sich noch nicht wirksam erweisen, und die Ursprung-
I
» S. 265.
2 S. 2G3.
3 Greg. Tur., VIII, 20.
C. Sittliche Zustände. G.'j
liehe Sittlichkeit war verkommen, das einfache Leben der
Dentschen wurde durch den Verkehr mit römischer Civili-
sation zunächst nicht civilisirt, sondern es schlug um und fiel
auf die Kehrseite der Civilisation : Genusssucht und Habsucht,
in denen das deutsche ritterliche Wesen unterging. Kampf
wurde nicht mehr des Kampfes, sondern des Besitzes wegen
gesucht. Es ist die Erscheinung, die bei jedem Uebergange
stattfindet, wo die alte Form zerbrochen, die neue noch nicht
gestaltet ist, Verwilderung und Zügellosigkeit platzgreift.
Mit dem anwachsenden Reichthum der Kirche wuchs
auch der Geiz und die Habsucht der Geistlichen und ver-
leitete sie zu der schon erwähnten Erbschleicherei, Urkunden-
fälschung, Simonie, Pfründenjagd. Eine Belegstelle für die
Habgier des Klerus und die Sucht, seinen Besitz mit ver-
werflichen Mitteln zu vermehren, liefert das Capitulare Karl's
des Grossen vom Jahre 811^, das den Vorwurf enthält: dass
die Kleriker nicht müde werden, täglich und auf jegliche Art
sich zu bereichern, und zwar sowol durch Verheissuuofen
himmlischer Seligkeiten als durch Drohungen mit höllischen
Qualen, wodurch sie die Leute berücken, ihre Güter abzu-
treten und ihre Erben um Hab und Gut zu bringen. Be-
zeichnend sind die Fragen, die Karl der Grosse bei seiner
Unzufriedenheit mit dem Erfolge seiner Arbeiten an die geist-
lichen und die weltlichen Stände richtet: warum sie so wenicf
für den allgemeinen Zweck zusammenwirken; woher der häu-
fige Streit unter ihnen; warum sich Geistliche in weltliche
Dinge mischen und umgekehrt? Bei seinen Ermahnungen der
Geistlichen, als Hirten der Gemeinden ein musterhaftes Leben
zu führen, fragt er: wie dazu die Habgier passe, womit sie
durch Vorspiegelungen, durch Erbauen von Kirchen, Auf-
stellen von Heiligenleichen den einfältigen Laien Erbe und
Habe ablocken; wie passe die Prunksucht, die sich mit Be-
waffneten umgibt? In dieser Weise fortfahrend, macht er sei-
nem Unmuthe darüber Luft, dass er bei der Gründung seines
christlichen Staats sich am Klerus sehr getäuscht habe.^ Er
hatte auch vernommen, dass Priester das Beichtgeheimniss
1 Pertz, Mon., III, leg. 1, p. 1G7.
2 Cap. 811; Pertz, III, IGG.
ß4 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
für Geld brechen und sich als Denuncianten gebrauchen
lassen. ^
Bei dem Eintritte des fremden Adels in bischöfliche
Stellen finden Avir namentlich zur Zeit Karl IMartelFs den
hohen Klerus in Rohheit und Unwissenheit versunken, und zu
seinen adelichen Sitten gehörten Lust am Kriegshandwerk, an
Jaad und Trinki^elawen. Die Geistlichkeit am Hofe war in
dessen Intriguen vermengt, und die grauenvollen Tage einer
Brunhilde imd Fredegunde, wo Verrath und Giftmischerei
gäng und gebe waren, liefern die bedauerlichsten Beispiele.
Pipin verbot im Jahre 742 den Bischöfen, selbst in den Krieg
zu ziehen, und die Verbote wiederholten sich unter Karl dem
Grossen und Ludwig dem Frommen. Concilien und Capitu-
larien eiferten gegen die Jagdlust der hohen Geistlichkeit,
aber ohne Ei'folg. Gegen die Trunksucht der Geistlichen
hatten schon die Synoden zu Tours 460, c. 2, zu Agde 50(5,
c. 42, zu wirken gesucht und auch die Verbote, Wirthshäuser
zu besuchen, erlassen.^ Der niedere Klerus, gewöhnlich aus
dem Stande der Leibeigenen, war natürlich nicht besser, und
es gab in dieser Zeit zahllose Clerici vagi, die als geistliche
Landstreicher herumzogen. Charakteristisch ist die Stelle
bei Gfrörer^: „Seit die adelichen Herrn (namentlich die Grafen
von Tusculum) sich der Herrschaft über Rom bemächtigt
hatten", sagt Bonizo*, „gerieth die Kirche in schmählichen
Verfall. Denn diese Menschen verkauften nicht nur die
Cardinalswürden, Abteien, Bisthiimer mit schamloser Frech-
heit, sondern sie erhoben auch Leute ihres Gelichters auf Petri
Stuhl; vom Haupte aus verbreitete sich dann das Verderben
in die Glieder." Aehnliches berichtet A'ictor^: „Alle Zucht
war dahin, das Volk verkaufte die Wahl, der Priester erstand
die AVeihen um schnödes Geld, und kaum gab es einige Aus-
erwählte, die sich von dem allgemeinen Laster der Simonie
rein zu erhalten wussten. Da niemand den Wandel der nie-
dern Kleriker überwachte, fingen die Diakonen und Presbyter
an, nach Laienart Weiber zu nehmen und ihre in solcher
J Capit. 81.3, c. 26, 6, p. 99.
- He-sonders zu Agde nOG, c 40; zu Auxerrc 578, c. 39.
3 AUgem. Kirchengescliichte, IV, 1, S. 392.
^ Oefole II, 799.
* Bibl. patr. max. XVIII, 853 scqu.
6. Sittliche Zustände. G5
Ehe ofezeuo;ten Kinder durch förmliche Testamente zu Erben
(der von ihnen besessenen Pfriinden) einzusetzen. Selbst ein-
zelne Bischöfe trieben die Schamlosigkeit so weit, mit Weibern
in einem Hause zu wohnen. Dieser verruchte Misbrauch
herrschte am meisten in der Stadt Rom," Derselbe Victor
bestätigt ' : dass Benedict das Papstthum selbst wie eine Waare
gegen eine schwere Summe Geldes an Gregor VI. verkaufte.
Benno ^ gibt als Kaufsumme 1500, der Codex vaticanus 1340
aber 2000 Pfd. an.
Die Sittenlosigkeit der Geistlichkeit im 10. Jahrhundert
spiegelt das Buch Gomorrhianus, das dem Papst Leo IX. ge-
widmet ist, und worin der strenge Mönch Damianus seinen
heiligen Aerger ausdriickt.^ Wie arg es in Bezug auf Fleisches-
sünden und unnatürliche Wollust gewesen, geht daraus her-
vor, dass es römische Sitte wurde, bei der Ordination den
Bischof vor seiner Weihe zu befragen, ob er von vier Ver-
brechen rein sei: pro arsenochita, qu. e. cum masculo; pro
ancilla Deo sacrata quae a Francis Nonnata dicitur; pro cpia-
tuor pedes; et j^ro muliere viro alio conjimcta, aut si conju-
gem habuit ex alio viro, quod Graecis dicitur deuterogamia."*
In derselben Richtung gibt schon die Vision des Wettin,
eines Mönchs in Reichenau am Anfang des 9. Jahrhunderts,
einen Spiegel der sittlichen Zustände, indem er unter den
Bestraften im Fegfeuer viele unzüchtige Mönche erblickt.
Eine damals herrschende Seuche wird als Strafe für die
verbreitete unnatürliche Wollust erklärt. ^
Bischof Ratherius, eine der hervorragendsten Persön-
lichkeiten des geistlichen Standes im 10. Jahrhundert, klagt
über seine traurigen Erfahrungen in Bezug auf die Sittlich-
keit der Geistlichen seiner Zeit: „AVelche Qual", hebt Rather
an, „erwartet diejenigen, welche, wenn sie überhaupt dazu
passend scheinen sollten, es nicht nur versäumen, die ihnen
anvertraute Heerde zu weiden, sondern auch zur Schande des
1 Bibl. x^atr. max., a. a. 0.
2 Vita Hildebrandi, p. 83.
3 Liber Gomorrhianus de diversitate peccantium contra naturam etc.,
Op. tom. I.
* Ordo Roman. VIII; Mabillon Mus. Ital. t. II, p. 86; Baluz. capit. II,
append. p. 1372.
5 MabiU. a. SS. IV, p. 266, §. 4.
Eoskoff, Geschichte des Teufels. II. 5
66 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Namens, den sie tragen, nicht aufhören, sich selbst durch die
Abgriinde der Laster zu schleppen. Sie beschäftigen sich be-
ständig mit weltlichen Spielen, mit Jagen und mit Vogelstellen.
Sie pflegen nach deutscher Sitte Wurfspiesse zu schwingen
und entwöhnen sich der heihgen Schriften. Sie haben sich
Gottes entkleidet, haben die Welt angezogen und scheuen
sich nicht, Laienkleider zu tragen. Aber was klage ich iiber
die Laienkleidung, da ich oft sah, dass man sich mit fremd-
modischen und gleichsam barbarischen Kopf binden zur Schande
des Priesterstandes schmückte, oder, was wahrer ist, verun-
ehrte, sodass man die quirinische Trabea und die gabinische
Gürtunc; höher achtete als die Zierde des kirchlichen Ge-
wandes. Sie wollen lieber Jäger als Lehrer, lieber kiihn als
milde, lieber verschlagen als herzenseinfältig, lieber Makkabäer
heissen als Bischöfe. Und wenn sie sich doch so, wie sie
sich nennen, auch zeigten in jenem Streite, in welchem
Christus sie zu den Siegern iiber die Welt und ihren Fiirsten
gesetzt hat! Sie spielen Kreisel und meiden darum das
Wvirfelspiel nicht. Sie gehen fleissig mit dem Spielbrete an-
statt mit der Schrift, mit der Wurfscheibe anstatt mit dem
Buche um. Sie wissen besser, was dich ein Fehlwurf kostet,
als Avas die Heilswahrheit fordert, verbietet oder verheisst
und was sie spricht; besser was der Glückswurf bringt, als
was sie Gott zu danken schuldig sind. Sie haben Schau-
spieler lieber als Priester, Lustigmacher lieber als Geistliche,
Säufer lieber als Philosophen, Schurken lieber als Wahrhaf-
tifTc, Unkeusche lieber als Schandiafte, Mimen lieber als
Mönche. Sic begehren nach griechischem Schmucke, baby-
lonischer Pracht, ausländischem Putze. Sie lassen sich gol-
dene Becher, silberne Schalen, Kannen von grosser Kostbar-
keit, ja Trinkhörner von bedeutendem Gewichte und von
einer jedem Zeitalter verhassten Grösse machen, Sie bemalen
den am Boden ruhenden Weinkrug, während die nahe Basi-
lika von Russ erfüllt ist. Dabei gibt es Speisen in Menge.
Die Mahlzeiten sind ebenso durch ihre Häufigkeit als durch
ihre Verschiedenheit bewundernswerth, luid wer darin der Gie-
rigste ist, der ist der Herrlichste, wer der Feinschnieckendste,
der der Beste, wer der Mannichfoltigste, der der Klügste,
wer der Gefrässigste, der der Gepriesenste, der ist ein Mann,
der ist berühmt, dessen Lol) ist in aller Munde. Bescheiden
6. Sittliche Zustände. 67
und genügsam zu sein, ist heutzutage so verrufen, dass man
es selbst an Mönchen tadelt. Denn es scheint ein Bischof
seinen Lebenszweck zu verfehlen, wenn er nicht Geld hat.
Zu den Scherzen kommt ein unmässiges Lachen und ein
Schelten derer, welche aus Furcht vor Gott jene Dinge mei-
den. Die Harfe ist bei den Gelagen und die Leier, wie der
Prophet sagt ^, aber das Wort des Herrn ist in niemands
Gedächtniss, noch das Wehe, das iiber diejenigen ausge-
sprochen ist, die solches thuu. Da gibt's musikalische Auf-
führungen und alle Arten von Musikern, die verkuppelnden
Lieder der Sänger, die Pest der Tänzerinnen. Das ganze
Gespräch, welches dabei geführt wird, handelt von Menschen,
nicht von Gott, vom Geschöpfe, nicht vom Schöpfer, vom
Gegenwärtigen, nicht vom Zukünftigen, vom irdischen Fürsten,
nicht vom himmlischen Herrn. Da wird jener gefeiert, dieses
erinnert sich niemand; auf jenes Namen schwört man, an die-
sen denkt man nicht, auf das Wohlsein jenes wird getrunken,
dieser, wenn ihn auch dürstet, wird nicht getränkt, aus Liebe
zu jenem wird der Leib durch Schwelgerei aufgetrieben, dieser
aber, arm und vielleicht im Gefängniss der Brosamen ent-
behrend, wird nicht erquickt; jener wird vorgezogen, dieser
wird nachgesetzt; jenes Andenken steht in der ersten Reihe,
dieses nicht in der zweiten. Ausserdem laufen die Hunde
auf dem Tische herum. Die Pferde fliegen mehr als sie lau-
fen an leicht beweglichen Wagen. Der Falke schwingt sich
im raschen Fluge empor, der Sperber fängt den rauhkehligen
Kranich.
„Triefend vom häufigen Weingenusse (um denen ganz zu
gleichen, von denen gesagt ist: das Volk setzte sich zu essen
und zu trinken und sie standen auf zu spielen)^ verlassen sie
ihren erhabenen Sitz und besteigen Wagen und Kutschen,
setzen sich auf schäumende Rosse, aufgeputzt mit goldenen
Zügeln, silbernen Kettengehängen, deutschen Zäumen, säch-
sischen Sätteln und eilen zu allerhand Zeitvertreiben, die ihnen
der Rausch eingegeben hat. Da kommt keinem derjenige in
den Sinn, der auf dem Esel sass, stark und mächtig im Streit.
Man bestrebt sich vielmehr, selbst den Königen der Welt an
1 Jes. 5, 11. 12.
2 Exod. 32, ß.
.5*
68 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Glanz vorzugehen, als die Armuth der Apostel nachzualimen,
vielmehr die Lust der Keichen zu iibertreffeu, als den Fischern
in der Heiligkeit nachzufolgen.
„Danach wird das mit goldenen Bildwerken wundersam
besetzte Bett gerixstet, die Bettpfosten werden aufgerichtet
und mit seidenen Stickereien geziert, das Kissen selbst wird
mit dem besten Stoffe iiberzogen, die Fussbank mit gothi-
schem Teppich bedeckt. Sie wälzen sich in der Lust des
Beilagers und können nicht zur Ruhe kommen; und wenn
ihnen nun Gewissensbisse allen Schlaf verscheucht haben, so
bringen sie statt der Morgenhymnen ein Gemurmel hervor,
vielmehr des Fluchs als der Erhörung werth.
„Ist es aber zum Ankleiden gekommen, so legen sie, wie
ich schon gesagt habe, lieber ausländischen als vaterländischen
Schmuck an. Den runden Beinen scheinen die Kleider viel-
mehr angedrechselt als mit der Hand angezogen zu sein, so-
dass jedes von ihnen richtiger eine Säule genannt werden
kann, als ein Schienbein. Der Leib aber wird mit grösster
Sorgfalt gejmtzt. Selbst der Ueberrock, den man nur gegen
die Kälte tragen sollte, je dichter, desto besser, hat, obgleich
er schon vom besten Tuche gemacht ist, einen Streifen von
anderm Tuche, was, wenn es möglich wäre, besser als das
beste ist. Die Weite des Ueberrocks übertrifi't die der andern
Röcke gewöhnlich um eine Elle. Wenn noch ein Kleidungs-
stück dariiber getragen wird, so ist es mit so prahlerischer
Kunstfertigkeit dem Ueberrocke angepasst, dass es entweder
durch seine Feinheit, oder durch irgendeine, selbst Schaden
bringende Zerschlitzung das Wunderwerk, das es bedecken
sollte, selbst vcrräth. Sogar das Unterkleid (wol noch von
den Beinkleidern zu unterscheiden), das beim Sitzen bis auf
die Füssc reicht, wird mit einer goldenen Schnalle zusammen-
gehalten und zeigt ganz oben noch eine goldene Kette. Man
kann aber auch solche sehen, welche statt einer Kutte einen
Pelz, eine ungarische Miitze statt des priesterliehen Hutes,
einen Scepter statt eines Stabes tragen. Darauf wird die
Messe mehr durchgejagt als gesungen und, was noch schlim-
mer ist, oftmals ganz versäumt. Nachdem sie nun gegessen
und getrunken haben, was wahrlich zu einem königliehcn Friih-
stück hinreichen wiirde, besteigen sie wieder faliskische Rosse,
aber nicht dieselben, welche sie am Tage vorher geritten hat-
6. Sittliche Zustände. 69
teu, damit ihr Anblick denen, welche auf sie sehen, nicht
etwa gewöhnlich und gemein werde. Die Pferde sind mit
goldenen Ketten geschmückt und mit silbernen Ziigeln, die
aber so schwer an Gewicht sind, dass nur die allerstärksten
Pferde sie tragen können. So eilen sie zum Ringkampfe oder
zum Wettrennen und Fahren oder zum Bogenschiessen, oder
sie lassen doch wenigstens das Himmlische dahinter und trei-
ben und besorgen nur Irdisches. Die, welche kirchliche Dinge
richten und entscheiden sollten, bestimmen, wie der Staat be-
schaffen sein sollte." ^ -^
Den Grund der allgemeinen Verachtung der Kirchen-
gesetze findet Rather, nach seiner Schrift „De contemtu ca-
nonum", in dem falschen Uebermuth und der Schwelgerei
der Bischöfe und ihrer grössern Furcht vor irdischer als jen-
seitiger Strafe. Die Italiener sind die allerschlechtesten Be-
folger der Canones wegen ihrer "Wollust, wegen ihres Ge-
brauchs sinnenreizender Geniisse, wegen des unaufhörlichen
Weintrinkens und der Nachlässigkeit in der Zucht. Nun ist
es dahin gekommen, dass die Bischöfe nur durch die Schur
des Kinnes und des Scheitels, geringen Kleiderunterschied
und den Kirchendienst von Laien unterschieden sind. Der
Klerus wird, wie ihm gebührt, von den Laien deshalb ver-
achtet. ^
So zeichnet Rather die sittlichen Zustände der Geistlich-
keit seiner Zeit nach dem Leben. Er sah sich genöthigt, den
Geistlichen seines Sprengeis zu verbieten , die Schenken zu
besuchen, berauscht am Altar zu erscheinen, Hunde und Fal-
ken zur Jagd zu halten, mit Sj^orn und Schwert an der Seite
die heilige Messe zu lesen.
Aehnliche Verbote mussten die Bischöfe auch anderwärts
ertheilen. Bischof Wibola von Cambrai wusste kein besseres
Mittel gegen die Spielsucht seiner Geistlichen, als dass er
ein geistliches Würfelspiel erfand, mit christlichen Tugenden
auf den Seiten des Würfels bezeichnet. ^
Rather's Schilderung '* eines völlig sittenlosen Menschen,
1 Vogel, Ratlierius und sein Zeitalter, I, 43 fg.
2 Ibid., I, 283.
2 Vgl. Hagenbach, Vorlesungen über die Kirchengesohichte des Mittel-
alters, III, 189.
* lu dem früher angeführten Buche.
70 Zweiter ALsclinitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
der gegen die Gesetze der Kirche und, wie manches, durch
die langmüthige Zulassung Gottes den päpstlichen Stuhl als
Johann XII. einnahm, hat Berühmtheit erlangt: „Pone tamen
quemhbet eorum forte bigamum ante clericatumj forte in cleri-
catu lascivum; inde post sacerdotium multinubuni, bellicosum,
perjurum, venatibus , aucupiis, aleae, vel ebriositati obnoxium,
expeti qualibet occasione ad Apostolicatum Romanae illius
sedis etc." ^
Ein abschreckendes Beispiel des unwürdigsten Betragens,
wodurch der päpstliche Stuhl im 11. Jahrhundert geschändet
wurde, bietet Papst Benedict IX. Gfrörer ^ nennt ihn „das
Geschöpf des Grafenhauses von Tusculum, das vom Anfang
an den Stuhl Petri durch das unwürdigste Betragen schän-
dete Seitdem er 1038 aus Rom vertrieben und durch
Kaiser Konrad II. wieder eingesetzt worden war, scheint er,
um sich an seinen Feinden zu rächen, zu den Ausschweifun-
gen, die ihn bisher verachtet machten, auch noch Grausam-
keiten o-efüsct zu haben". Nach dem Zeugnisse Bonizo's ^
Hess er viele Menschen umbringen, und übereinstimmend sagt
Victor III.: „Geraume Zeit verübte Benedict IX. ohne Auf-
hören Raub, Mord und Greuel an dem römischen Volke."'*
Lambert von Hersfeld, selbst Mönch um 1071, sagt: „Die
Verachtung, welche unsern Stand trifft, ist nicht unverdient.
Die Schlechtigkeit einzelner Mönche, welche ohne Achtung
vor Gott und seinem Wort, nur Gelderwerb treiben, hat der
Ehre des Klosters tiefe Wunden gesehlagen. Diese Menschen
liegen täglich den Mächtigen der Erde in den Ohren, um
Abteien und Bisthümer zu erhaschen, aber nicht auf dem
rauhen Pfade der Tugend streben sie nach solchen Ehren,
sondern mittels sehmuziger Bestechung für geringe Dienste
versprechen sie goldene Berge, und ist irgend ein niedriges
Amt erledigt, so kann kein Laie dasselbe erlangen, weil un-
fehlbar Mönche da sind, welche mehr dafür bieten. Kaum
wagt der Verkäufer so viel zu fordern als sie zu zahlen sich
bereit erklären. Die Welt fragt staunend, wo der Geldstrom
' Do contcmtu canonum, p. 35.
2 Allgcm. Kirclicngescbiclitc, IV, 1. Abtb., S. 384.
^ Oefcle, 11, 801.
* Bibl. piilr. max., XVllI, 853. B.
6. Sittliche Zustände. 71
quelle, der nach den Klöstern fliesst, wie und in welcher
Weise die Schätze des Tantalus und Krösus in die Hände
der Menschen gelangen, welche sich Jiinger Christi, Träger
seines Kreuzes, Nachahmer seines armen Lebens nennen und
den Laien vorliigen, dass sie nichts besitzen als die Kutte
auf dem Leibe und das tägliche Brot. Jedes Unkraut, das
den Acker des Herrn iiberwuclierte, hat den ganzen Stand
angesteckt und geschehen ist, was der Apostel schreibt: ein
wenig Sauerteig verdarb die ganze Masse. Man hält uns
alle fiir gleich schlecht, und setzt voraus, dass auch nicht
ein einziger Gerechter unter uns zu finden sei." * Und schon
früher äussert sich derselbe fromme Mönch: „So weit ist es
in jetziger Zeit und in unsern Gegenden gekommen, dass
man an den Mönchen nicht mehr Reinheit der Sitten schätzt,
sondern nur fragt: ob sie Geld haben. Nicht die Wiirdigsten
werden zu Aebten gewählt, sondern die, welche das meiste
bezahlen können. Oeffentlich versteigert man die Abteien,
und mag der Preis auch noch so hoch sein, fast nie fehlt es
an Käufern, weil die Mönche, völlig gleichgültig gegen Regel
und geistliche Zucht, nur darauf erpicht sind, durch Geld-
erwerb es einander zuvorzuthun." ^
Gfrörer ^ hebt eine Stelle der Biographie des osnabrücker
Bischofs Benno heraus zum Beweis, dass im 11. Jahrhun-
dert der Unterricht in gewissen Klöstern darauf gerichtet war,
nicht Kleriker, sondern Rentbeamte und Geldleute heranzu-
bilden. Der Lebensbeschreiber gibt über Benno's Kenntnisse
folgenden Bericht*: „Vollkommen verstand sich Benno auf
alle Fächer der Landwirthschaft, d. h. auf Errichtung länd-
licher Gebäude, auf Zucht des Zug- und Stallviehs, auf Be-
stellung der Aecker und andere Dinge derart; und zwar
hatte er alles dies nicht blos durch Erfahrung gelernt, son-
dern kunstmässig inue. Dabei war er Meister im Rech-
nungswesen, aber auch sehr strenge in Betreibung der Ab-
gaben; meist hielt er die Bauei'n mit Stockschlägen zum
pünktlichen Zahlen an, u. s. w." Gfrörer fügt die Bemerkung
' Pertz, V, 189.
2 Ibid., V, 184.
^ Papst Gregor VII. und sein Zeitalter, II, 320.
* Vita Bennon., cap. 10, p. 04; Pertz, XII, 62.
72 Zweite!' Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
bei: „Der Mönch soll das heilige Feuer klerikaler Be-
geisterung nähren, er vertritt die ideale Seite des Christen-
thums, wie der Pfarrer die reale. Beide Stande verhalten
sich wie Pfeiler und Gegenpfeiler im mittelalterlichen Dome.
Wenn aber die Mönche, statt ihres hohen Berufes zu warten,
sich in einen Haufen Schreiber, Rentbeamte, Bauernschinder
verwandeln, dann tritt der Fall ein, den der Erlöser mit den
Worten bezeichnet: das Salz der Erde ist verdorben". Dass
dieses Salz der Erde verdorben war, davon gibt auch das
Register der Frevelthaten des Bischofs Hugo von Langres
ein glaubwiirdiges Zeugniss. ^
Henricus Archidiaconus von Salzburg schreibt an seinen
Erzbischof Adelbert über die Nothwendigkeit, der Lasterhaftig-
keit zu steuern, in seiner „Historia calamitatum ecclesiae Salz-
burgensis": „AHoc[uin nisi Jezabel illa maledicta, quae tarn
petulanter Cjuam licenter circuit nunc domos sacerdotum stibio
(Spiessglanz) depicta habens oculos, et caput ornatum, vestra
industria zelum Dei habeute praecipitetur deorsum, in brevi
vires suas extendet, ut virgam et baculum vestrum contemnat,
gaudensque de impunitate sua eousque progrediatur, ut
inter laicum et sacerdotem praeter missam tantum parva sit
distantia, faciatque licenter Parochianus, quod ne praesumere
vel attentare audeat laicus. Clericus enim sive per occasionem
sive per veritatem Christum annuntians, a fornicationibus et
adulteriis laicum publica poenitentia — compescit: Clericus
nullo timore fraenatur. Quia et si turpissimae vitae fuerit,
arirui a laico non vult, Decanum contemnit et Archidiaconum,
nisi accusatus fuerit, nullusque accusator sit omnibus id ipsum
flicientibus et crimina propria in aliis foveutibus. Isti sunt
certe squamae Leviathan, cjuae ita sibi cohaerent, ut ad
laesionem pestifcri corporis nuUum pertranseat. Nimirum eo
usque ista causa perveniet, ut sacerdos unam tantum habens
uxorem sicut laicus, religiosus et sanctus praedicetur ab uxori-
bus aliorum se continens, fidemcpie alieni chori non violans.
Nam quid aliud speratur, cum apud nos tales esse noverimus,
qui turpem vitam ducentes, profanam quoque Nicolaitarum ^
1 Conc. Ehen. a. 1049; Mansi XIX, 739.
* Nikolaitisclic Ketzerei ist jede Abweichung vom geistlichen Cölibats-
gesctze durch Ehe, Concubinat oder sonst wie.
G. Sittliche Zustände. 73
doctrinam tenentes, quam se odisse in Apocalypsi Dominus
perhibet, auditoribus suis sacros legunt Canones, et qualiter
defendere debeant crimina fornicationum suarum ostendunt?
Cujus autoritate fretus conjugio copulavit, numerosam proleni
ipse habens de muliere, quam sexies coram antecessore meo
abjurasse perhibetur. — Quid dicara, quod me perbibente se-
cundum consuetudinem bujus ecclesiae filii Presbyterorum
cum uxoribus, quas maintis virentibus abstulerant, manentes
litteris Praelatorum quorundam muniti ad consecrationem ve-
niunt et conservantur, meque contempto in archidiaconatu
meo missam cantant et ad parocbias adspirant?" ^
Hören wir die Stimme eines andern Geistlichen aus dem
12. Jahrhundert ^ : „ Mönche verlassen das alte Gewand und
schweifen in neuersonnener Kleiderpracht umher, essen Fleisch,
wie es sie gelüstet. Bei AVahlen zeigen sich arge Zerwürf-
nisse, sodass ich ein Kloster kenne, welches vier lebende
Aebte hat. Die Cistercienser geben allerdings reichliche Al-
mosen, singen schön im Chor, thun viel Gutes; aber sie ziehen
auch Güter und Einkiinfte anderer Orden mit List oder Ge-
walt an sich, und tragen kein Bedenken, die Namen von
Heiligen, selbst in dem Sprengel, worin dieselben begraben
liegen, zu streichen. Die Bischöfe verlangen von den Pfarreien
ungewohnte Leistungen und lassen sich die Verpflegung mit
Geld abkaufen. Die Kirchen geben sie den Klerikern nicht
umsonst, sondern gegen Geschenke, die dann als Lohnknechte
die Schafe scheren. Noch schlimmer ist's, wenn diese durch
ungeordnetes Leben denjenigen, die sie zurechtweisen sollten,
selbst das Beispiel des Bösen geben. Fürsten und Ritter zer-
stören sich die Kirchen, die ihre Väter gebaut haben.
Wucherer wurden einst für schädlicli gehalten; jetzt sind sie
so häufig geworden, dass sie den Wucher einen Zins nennen,
gleich als wäre er Ertrag des Bodens. Alles Fleisch ist voll
Laster" u. s. w.
1 R. P. Pezii tlies. anecdot. uoviss., tom, II, pars III. Ilenrici Archi-
diaconi Salzburgensis et Praepositi Berchtolgadensis Historia calamitatura
ecclesiae Salzburg., p. 215, cap. IX: Ostenditur quam necessaria sit nie-
dela, tot absente Adelberto irrumpentibus vitiis et criminibus, quibus
nixa Clerici coucubinarii ac inipudentes obuoxii suut.
2 Chronica Gaufredi, Prioris Vosiensis ums Jahr 1184; in Labbe Bi-
blioth. manuscrixjt., t. 1, bei Hurter, IV, 456.
74 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Infolge der Verwilderung des Klerus im 12. Jahrhundert
sprach Bernhard, Abt von Clairvaux, im Jahre 1140 den
Wunsch aus: die Kirche Gottes zu sehen, wie sie in jenen
Tagen war, wo die Apostel ihre Netze nach Seelen, nicht
nach Gold und Silber auswarfen.*
Von den Geschichtschreibern wird ausser andern Leiden-
schaften der hohen Geistlichkeit vornehmlich die übermässige
Jagdliebhaberei riigend hervorgehoben, welche den Hang zum
Miissiggang nährte, Verachtung jeder nützlichen Beschäf-
tigung mit sich führte und eine schwere Unbill für den
Landmann war, dessen Grundstücke den Verheerungen der
Jäger preisgegeben waren. Papst Alexander III. (1159 — 81)
sah sich genöthigt, zum Schutze der niedern Geistlichkeit ein
Schreiben zu erlassen, worin er diese der Verbindlichkeit
enthob, den Archidiakonen auf ihren Visitationsreisen mit
Hunden und Falken zu Dienste zu stehen.^ Das dritte latera-
nische Concil 1180 verbietet die Jagdbelustigung auf amt-
lichen Reisen und beschränkt das Gefolge eines Bischofs auf
40—50 Pferde. 3
Johannes von Salisbury, einer der hervorragendsten
Schriftsteller und Kirchenmänner des 12. Jahrhunderts, der
treueste Freund des Primas von England, Becket, wairde in
der irländischen Angelegenheit an den Papst Hadrian IV. ge-
sendet, und als er bei der Gelegenheit von diesem gefragt ward,
was die Welt vom Papste und der römischen Kirche halte,
sprach er die bedeutsamen Worte: „Weil Ihr mich fragt, so
will ich Euch offenherzig sagen, was ich in vielen Ländern
gehört habe. Man sagt, die römische Kirche beweise sich
nicht als Mutter der übrigen Kirchen, sondern sie scheine
vielmehr ihre Stiefmutter zu sein. Schriftgelehrte und Phari-
säer seien dort zu Hause, diese legten schwere Lasten auf die
Schultern anderer Leute, ohne selbst auch nur einen Finger
auszustrecken, um sie zu heben. Sie regierten despotisch über
den Klerus, ohne ihrer Heerde ein gutes Beispiel zu geben,
sie hätten in ihren Häusern den köstlichsten Hausrath, ihre
Tische seien mit goldenem und silbernem Geschirr schwer
' Ep. ad. Eugen. III.
- llymer acta et foedera, I, 61.
3 Vclly, Iliat. de Frauce, III, 23G.
6. Sittliche Zustände. 75
belastet, ihr Geiz halte ihre Hände festgeschlossen. Sie
schenkten niemand etwas, und die Armen dürften ihnen selten
nahe kommen, ausser wenn ihre Eitelkeit ihnen eingebe, sie
auftreten zu lassen. Sie erhöhten Contributionen von den
Kirchen, veranlassten Rechtsstreitigkeiten, stifteten Zwist zwi-
schen dem geistlichen Hirten und seiner Heerde und hielten
dafiir, der beste Vortheil, den man aus der Religion ziehen
könne, sei, dass sie Reichthümer verschaffe. Ihnen sei alles
feil, und man könne sagen, sie machten es wie die abgefalle-
nen Engel, die, wenn sie einmal nichts Böses thun, mit ihrer
Vortrefflichkeit prahlen. Nur eine ganz kleine Zahl derselben
treffe vielleicht dieser Vorwurf nicht. Der Papst selbst wäre
für die Christenheit eine fast unerträgliche Last. Es werde
allgemein darüber geklagt, dass während die Kirchen, welche
die Frömmigrkeit unserer Vorältern erbaut hat, im Ver-
fall und ihre Altäre verlassen seien, die Päpste Paläste bau-
ten und sich nicht blos in purpurne Gewänder hüllten, son-
dern auch über und über vom Golde glänzten, lieber diese
und mehrere Dinge murre das Volk laut." Auf die Frage
des Papstes: „Und was ist denn Eure Meinung?" fährt
Salisbury fort : „Eure Frage setzt mich in Verlegenheit ; denn
wollte ich meine einzelne Meinung der allgemeinen Stimme
ento-escensetzen, so würde ich ein Lügner vmd Schmeichler
sein, und auf der andern Seite fürchte ich Anstoss zu geben."
Salisbury führt hierauf an, was ein Cardinal gesagt habe: die
Quelle aller Uebel der römischen Kirche sei die in ihr herr-
schende Falschheit und Habsucht, das habe der Cardinal in
einer öffentlichen Versammlung gesagt, wo Papst Eugen IH.
den Vorsitz gehabt. „Doch ich für meinen Theil", fährt Salis-
bury fort, „fand doch auch in dieser Kirche Geistliche von
ausgezeichneter Tugend und ganz frei von jeglicher Habsucht;
ich kann lebende Beispiele von Männern anführen, welche die
Massigkeit und die strengen Sitten eines Fabricius mit den
Eio'enschaften eines wahren Christen verbinden. Da Ihr nun
dui-chaus meine Meinung wissen wollt, so will ich Euch
sagen, dass man ganz wohlthut, immer Euern Lehren zu fol-
gen, wenn man gleich Eure Handlungen nicht nachahmen
darf. Die Welt jauchzt Euch zu, sie nennt Euch Herr und
Vater ; wenn Ihr aber wirklich Vater seid, warum fordert Ihr
Gaben von Euern Kindern? Seid Ihr aber Herr, warum gc-
76- Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
horchen Euch gerade Eure Eöiuer am wenigsten? Aber es
schemt, Ihr wollt diese Stadt durch Gaben gewinnen; hat sie
Sylvester durch solche Mittel erworben ? Heiliger Vater, Ihr
seid im Irrthum. Theilt andern frei mit, was Ihr selbst um-
sonst empfangen habt ; wenn Ihr andere initerdrückt, setzt Ihr
Euch selbst der Unterdriickung aus." ^
In welchem Rufe der Habsucht und Bestechlichkeit die
römische Curie namentlich im 12. und 13. Jahrhundert stand,
bezeugen die Klagen oder der Spott, in Prosa und Versen von
Klerikern verfasst.* Nur einige Beispiele aus den Gedichten
Bernhard's, Mönchs von Clugny um die Mitte des 12. Jahrhun-
derts, „De contemptu mundi ad Petrum Abb. suum", S. 226 fg.:
Roma dat omnibus omnia dantibus; omnia Romae
Cum pretio: quia juris ibi via, jus perit omue;
Ut rota labitur, ergo vocabitur hinc rota Romaua.
Roma nocens nocet, atque viam docet ipsa nocendi,
Jura relinquere, lucra requirere, patria vendi.
In einem Gedichte Walther's bei Mapes ^ heisst es :
In hoc consistorio si quis causam regat
Suam vel alterius, hie in primis legat:
Nisi dat pecuniam, Roma totum negat,
Qui plus dat pecuniae, melius allegat.
Oder ^:
Papa quaerit, chartula quaerit, bulla quaerit.
Porta quaerit, Cardinalis quaerit, Cursor quaerit.
Flögel ^ bringt eine Stelle von Bernhardus Morlanensis,
Mönch zu Clugny, den er mit dem Bernli. Clunicensis Tür
einerlei hält:
0 mala saecula, venditur iufula Pontificalis,
Infula venditur, haud reprohcnditur emtio talis.
Venditur annulus, hinc lucri Romulus äuget et urget.
Est modo mortua, Roma superüua, quando resurget?
' Job. Salisbury, Polycraticus lib. II, c. 23.
2 Vgl. die Stellen aus Hildeberti Arcliiep. Turon. (gest. 1134) Curiao
Romanae descript., bei Gieseler II, 2, S. 248, Note 20.
3 Bei Ilurtcr, Innocenz III., II, 775.
< Bei Ilurter a. a. 0., S. 77G; Catal. test. vcr., U, 492.
* Geschichte der kom. Literatur, II, 407.
6. Sittliche Zustände. 77
Roma superfluit, aritla corruit, afflua plena
Clamitat et tacet, erigit et jacet, et dat egena:
Roma dat omnibus omnia, dantibus omnia Romae
Cum precio : quia juris ibi via, jus perit omne.
Die Habsucht der Geistlichen im 13. Jahrhiindert musste
wol gross und allgemein bekannt sein, da Innocenz III. in
einer Predigt, wo er die Uneigenniitzigkeit des heiligen Lau-
rentius zum Muster aufgestellt hatte, öffentlich sagen konnte:
„Beherzigt dies, ihr, die ihr das Gut des Gekreuzigten zu
euerer eigenen Ueppigkeit oder zur Bereicherung euerer An-
verwandten masslos verwendet, die Armen aber vernachlässigt,
der Diirftigen keine Acht habt." ^ Auch Cacsarius von Heister-
bach ^ zeugt dafür, wenn er den Novicius sagen lässt: „Audivi,
quidam confessores pro uno gallinaceo et vini sextario mul-
torum poenam peccatorum vel relaxant vel dissimulant." Der
Mönch bestreitet nicht, dass die Beichte auch als Erwerbs-
quelle ausgeschöpft werde, bekräftigt es vielmehr durch das
Citat eines prophetischen Spruchs, w^onach Gott nicht blos
die Habsucht, sondern auch die Schwelgerei der Geistlichen
bestrafen werde.
Ein Beweis der Entsittlichung der Geistlichkeit ist auch der
Misbrauch, der mit der kirchlichen Disciphnargewalt, nämlich
mit dem Banne vmd dem Interdicte, geiibt wurde, was
zugleich ein Förderungsmittel der Sitten- und Zuchtlosigkeit
unter den Laien abgab. Hören wir einen katholischen Schrift-
steller, der uns in dieser Beziehung sichere Gewähr leistet.
Hurter ^ sagt: „Nichts aber ist in diesen Zeiten so sehr mis-
braucht worden, als die Ausschliessung aus der Kirche oder
die Entziehung des Gottesdienstes; und bei nichts war die
Oberaufsicht eines freier Gestellten, die unabhängige Einwir-
kung eines Unparteiischen nothwendiger als bei Bann und
Interdict. "*.... Häufig ging hieraus Zwiespalt der Gewissen
hervor mit dem, was anderweitige Pflicht, was vielleicht die
Noth wendigkeit gebot. Um jenem Genüge zu thun, mussten
oft manche, je höher sie standen, desto grösserer Trübsal ent-
1 Sermo in festum S. Lauventii.
2 Dial. mirac. Strange, I, c. XLI de eonfess.
3 Innocenz III. und seine Zeitgenossen, III, 48.
* S. 5Ü fg.
78 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
ffCirenixelien : denn es war allrjemeincr Glaube, dass die Seelen
der im Banne Gestorbenen der Hölle zuführen. Häufiger hatte
dieses Mittel, seiner leichtfertigen Anwendung wegen, die ent-
ixeorenoresetzte Wirkunii:. Die Gemiither wurden verhärteter,
die Widersetzlichkeit heftiger, das Beharren in dem, was den
Bann veranlasst hatte, hartnäckiger. Die längere Dauer eines
Interdicts, der grössere Umfang, über den es sich erstreckte,
war besonders gefährlich, wenn Irrlehre in einer Landschaft
tiefere Wurzeln geschlagen hatte. W^enn aber selbst Klöster,
ganze Kapitel und einzelne Geistliche, wie strenge Ahndung
sie auch dadurch sich zugezogen, ja wenn selbst Bischöfe an
solche Aussprüche sich nicht kehrten, wie sollte grössere
Scheu davor bei den Laien bewahrt werden?
„Bann und Inderdict in der Hand der Erzbischöfc
und Bischöfe wurden alliuählich eine abgestumpfte, weil all-
zu oft gebrauchte W^affe, aus Veranlassungen geführt, die
mit dem Sinne und dem Zweck dieser Zurechtweisungsmittel
nicht in dem geringsten Zusammenhang standen, häufig nicht
das eigentliche innere Leben der Kirche, sondern nur die
äussern Zufälligkeiten ihrer Personen berührten. Ilierdurch
verloren diese Waffen beides, ihre Schärfe luid ihre A^'irksam-
keit. Die Jahrbücher dieser Zeit enthalten eine Menge solcher
Vorkehrungen oft der geringfügigsten Ursachen wegen. So
entbehrte einst die Stadt Köln des Gottesdienstes, nur weil
ein Frevel innerhalb ihrer Mauern begangen worden. Das
Kapitel von Chartres sprach gegen die Gräfin von Blois den
Bann, weil es über die Beurtheilung eines Strassenräubers in
Zwist mit ihr stand. Die ganze Normandie kam im Jahre
IIDG durch den Erzbischof von Ronen unter das Literdict,
weil der König dessen Schloss Roche-Andeli für sich be-
festigte. Im Jahre 1207 unterlagen ihm alle Kirchen jener
Hauptstadt, weil der Stadtvogt einen Domherrn eines Ver-
gehens weiicn festo;enommen hatte. Dann interdicirte wieder
das Domkapitel die Domkirche, weil ihm der Erzbischof den
Zehnten von Dieppe vorenthielt. Die Bürger von Sanct-
Omer hatten wegen eines Streites mit dem Kloster Sanct-
Bertin um einige Bäche und Sümpfe den Bann zu tragen.
Als Erzbischof Adelbcrt von Salzburg 14 Tage von seinen
Dienstmannen gefongen gehalten wurde, unterblieb der uner-
hörten Tliat wegen in allen umliegenden Bisthümern der
G. Sittliche Zustände. 79
Gottesdienst. Der Bischof von Toni sprach schon im allge-
meinen das Interdict über alle Ortschaften, in welchen ent-
fremdetes geistliches Gut durchgef vihrt , übernachtet, verkauft
werden sollte, über alle Fürsten und Edle, die an solchem
sich vergreifen würden, über alle Gehülfen, Mitwisser und
Fehler des Frevels; und dieses, bis es zurückerstattet sei.
Nur denjenigen, welche gar nichts darum wussten, möge im
Todeskampfe ein Geistlicher mit den letzten Gnadenmitteln
beistehen, nicht aber ihnen ein christliches Begräbniss ge-
währen. Sollte jemand einen solchen mit Gewalt begraben,
so dürfe ihm selbst das Gleiche nie zutheil, müsse der Leich-
nam ausgeworfen und bis dies geschehen sei, der Ort noch
besonders interdicirt werden. ^ . . . . Bann und Interdict dien-
ten den Bischöfen nur allzu oft als Mittel der Selbsthülfe und
nicht selten ohne Unterschied gegen Schuldige wie gegen
Unschuldige, Sie sprachen Trennung von der Kirche oder
Einstellung des Gottesdienstes aus, weil ungemessene For-
derungen nicht wollten zugestanden werden, der leichtesten
Dinge wegen, aus Laune, voreilig in allzu grosser Strenge,
aus Rachsucht, um Zwang zu üben."
In diesen Jahrhunderten des Mittelalters fehlte es aller-
dings nicht an Erscheinungen der Reaction gegen die völlige
Auflösung der sittlichen Bande im Leben der Geistlichkeit;
wir brauchen in dieser Beziehung nur an Odo von Clugny,
Sanct-Nil, die Camaldulenser, die Orden des heiligen Francis-
cus und Dominicus zu erinnern. Als charakteristische Er-
scheinungen in sittlicher Beziehung sind auch die häretischen
Sekten dieser Periode, insbesondere die Katharer und Wal-
denser zu betrachten, die auch zunächst von dem Motive ge-
trieben worden, die ursprüngliche Form des Christenthums
wiederherzustellen. Bekannt ist ferner, das mehrere Päpste
das ausgelassene Leben des Klerus einzudämmen suchten und
dessen Reform in Angriff nahmen. Auch in Volksdichtern ^
und Volkspredigern wurde das religiös-sittliche Bewusstsein
laut, wobei nur der Franciscaner Bruder Berthold erwähnt
zu werden braucht, der um die Mitte des 13. Jahrhun-
derts die „Pfennigprediger", worunter er die Ablassprediger
1 S. 52.
2 Siehe Gieseler, II, 2, S. 509.
80 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vona Teufel.
meint, „die liebsten Knechte des Teufels" nennt. Allein diese
Keactionsersclieinungen verloren sich theils selbst in Extreme,
sodass sie , obschon urspriinglich von einerlei oder ähnlichem
Motive ausgehend, im weitem Verlaufe miteinander in Wider-
spruch geriethen und einander feindlich gegenüberzustehen
kamen, wie die Dominicaner und Hcäretiker; oder die Refor-
mationsversuche waren durch die Persönlichkeit bedingt und
nur von dieser getragen, daher mit deren Abtreten die Trag-
weite abgeschnitten war; oder die lleformbestrebungen waren
überhaupt zu schwach, um die allgemeine Strömung zu hem-
men; oder sie änderten mit der Zeit ihre Bedeutung und
wurden zu Organen der Kirchenmacht, gegen deren Aeusser-
lichkeit sie ursprünglich aufgetreten waren, wie die Mönche.
Die guten Beispiele von wahrhaft frommen Geistlichen blieben
in der Minderzahl gegenüber den verderbten, die auch an
Einfluss weit überwogen. Die übermässigen Einkünfte und
Besitzungen hatte ihre Habsucht immer mehr gesteigert, ihre
berufswidrige Einmischung in weltliche Angelegenheiten hatte
Aumassung, Herrschsucht, Gewaltthätigkeit in Begleitung, der
ehelose Stand, Müssiggang, die Abgesondertheit in Klöstern
brachten Trunksucht, Geilheit, Heuchelei mit sich. Ueber
unnatürliche Abscheulichkeiten hatten nicht nur Italien vmd
Frankreich, sondern auch Deutschland, wenn vielleicht auch
nicht in dem Masse zu klagen. Jakob von Vitry, selbst
Geistlicher, erzählt, wie im 13- Jahrhundert die Sodomie un-
ter den Klerikern in Paris geherrscht habe, dass wenn einer
die verworfenen Strassendirnen, die ihn anfielen, zurückwies,
sie ihm nachgerufen: „Sodomit". Er fügt noch hinzu, dass
solche, die der Lockung folgten oder sich Beischläferinnen
hielten, für tugendhafte Männer betrachtet worden seien. ^
In Köln, der heiligen Stadt, war es nöthig geworden, strenge
Gesetze gegen Kuplerinnen zu erlassen, welche Mädchen zur
Unzucht verleiteten, sie den Geistlichen zuführten, den Non-
nen Gelegenheit verschafften, den Ehemännern andere Frauen
zubrachten. '-*
Die Sittenlosigkeit dauerte wachsend fort und die Ge-
schichte bestätigt es, dass Clemangis, ein französischer Theo-
' Jacol)i de Vitriaco llist. occident., cap. VII, 278.
^ Statuta et Concoidata bei Ilülluiann^ IV, 258.
6. Sittliche Zustände. 81
löge des 15. Jahrhunderts, richtig schildert, wenn er von den
Nonnenklöstern sagt: „Quidquid aliud sunt hoc tempore pucl-
larum monasteria, nisi quaedam, non dicam Dei sanctuaria,
sed Veneris exercenda prostibula, sed lascivorum et inipudi-
corum juvenum ad libidines explendas receptacula?"i
Es versteht sich von selbst, dass die aus lauter Aussagen
von Geistlichen zusammengelesene Schilderung der sittlichen
Verkommenheit in dieser Periode auch auf die Laienwelt ein
Sti^eiflicht werfen muss. Bekanntlich war derbe Sinnlichkeit
die Basis der mittelalterlichen Welt und der Sinnengenuss
auch unter den Laien allgemein verbreitet. Es wird aber an-
genommen werden dürfen, dass dieser durch das Beispiel des
Klerus im allgemeinen bis zur Ausschreitung gefördert wurde,
dass er im Gegensatz zur gepredigten Kasteiung mehr hervor-
trat, wo ihm die Umstände günstig waren. Dies war der Fall
seitdem unter den sächsischen Kaisern die bürgerlichen Ge-
werbe und der Handel riihriger und ergiebiger geworden wa-
ren, sich bedeutende Marktplätze erhoben hatten. Mit dem zu-
nehmenden Aufschwünge der gewerblichen Thätigkeit nahm auch
Besitz und Wohlstand zu, damit auch die Sucht, die gewonnenen
Güter zu gemessen, wogegen die Einfachheit und Reinheit der
Sitten abnahm und die Unsittlichkeit immer mehr um sich
griff. Die Vorrede zu einem Concil vom Jahr 909 gibt eine
lebendige Anschauung: ,, Unsere Frevel sind bis über den
Kopf angehäuft, unsere Verbrechen bis zum Himmel ange-
wachsen. Hurerei und Ehebruch, Gottlosigkeit und Mord
sind übergeströmt, und Blut hat Blut getödtet. — Indem die
Ehrfurcht vor göttlichen und menschlichen Gesetzen danieder
ist, die bischöflichen Edicte verachtet werden, thut jeder, was
er will. Der Stärkere unterdrückt den Schwächern, und die
Menschen gleichen den Fischen des Meers, die voneinander
aufgefressen werden. Daher sieht man in der ganzen Welt
Beraubung der Armen, der kirchlichen Güter; daher die
steten Thränen, der Jammer der Waisen. Auch uns dürfen
wir nicht schonen, die wir die Fehler anderer bessern sollen,
Bischöfe heissen, aber das bischöfliche Amt nicht ausführen.
Wir sehen wie die uns Anvertrauten Gott verlassen und
' Vgl. William Prynne, Records, 11, 229.
Koskoff, Geschichte des ToiifelB. II.
82 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
schweigen. ^ Ueber die gewöhnlich geriihmte Sittsamkeit im
Mittelalter geben uns die häufig erlassenen, iiberaus strengen
städtischen Strafgesetze gegen „Notnumpft" gehörige Aus-
kunft sowie die Verordnungen in Bezug auf die „Frauen-
häuser", die „Jungfrauenhöfe" und deren Bewohnerinnen, die
„offenen Weiber" und „fahrenden Frauen". Beweise von der
überhandgenommenen Prunksucht und VerschAvendung sind
die bekannten Kleiderordnungen und die Massregelungen, die
entgegenwirken sollten, sowie die eifernden Predigten gegen
die Kleiderpracht, die „Pfauenschvyeife" der Frauen u. dgl. m.
Man hat ganz richtig bemerkt: das Bewusstsein der eige-
nen Verderbtheit habe sich in der im 10. Jahrhundert allge-
mein gehegten Erwartung des Weltuntergangs ausgedrückt.
In Verbindung damit steht, was Glaber Iludolphus erwähnt:
„Intra millesimum tertio jam fere imminente anno contigit in
universo paene terrarum orbe, praecipue tarnen in Italia et
in Galha, innovari Ecclesiarum Basilicas, licet pleraeque de-
center locatae minime iudigissent." "^ Bekanntlich stammen
aus dieser Zeit die herrlichen Miinster von Strasburg, Mainz,
Trier, Speier, Worms, Basel, Dijon, Toul u. a. Diese Er-
scheinung erldärt sich aus dem im Mittelalter herrschenden
Busswesen, das damit innig zusammenhängt, sowie über-
haupt die ethische Anschauung dieser Periode ans Licht setzt,
daher eines Blickes wol werth ist.
Busswesen.
Der sittlichen Verderbtheit, in welche der Klerus wie die
Laienwelt versunken war, stand das Busswesen gegenüber,
das dem Uebel abhelfen sollte; allein die Ascese drückte der
Sittlichkeit sowol als auch den wiederholten Reformbestrebun-
gen den Charakter reiner Aeusserlichkeit auf und so bewegte
sich die Zeit innerhalb mönchisch-ascetischen Uebungen und
der gröbsten Sinnlichkeit und Genusssucht. Zwar fehlt es
nicht an Beispielen wirklicher innerer Vertiefung, im allge-
1 Concil. Troslej. a. 909 praefat. Mansi, XVIII, 265; vgl. Gieseler, I,
1, S. 265, Note 5.
III, c. 4.
6. Sittliche Zustände. 83
meinen musste aber nach der in Uebung gekommenen Buss-
theorie doch nur die Veräusserlichung des religiösen Bewusst-
seius gefördert werden.
So wie Cultus und Religion überhaupt in die Aeusser-
lichkeit aufgegangen waren, wurde von damaliger Zeit Sitt-
lichkeit und Reliixiosität nach dem Masstabe der Aeusserlich-
keit bemessen, nämlich nach der Menge und Grösse sogenannter
verdienstlicher Werke, die in die Kirche mündeten. Wie sehr
die Gesinnung des einzelnen, die eigentliche Sittlichkeit bei
diesen Werken in den Hintergrund gedrängt oder eigentlich
gar nicht berücksichtigt ward, zeigt besonders augenfällig die
damalige Ablasspraktik, deren sich die Kirche bediente
und zwar zur Erreichung ihrer eigenen Zwecke. Der Erz-
bischof von Arles gab im Jahre 1016 eins der ersten Bei-
spiele von Ablasspromulgatiou für eine bestimmte Zeit. Von
Benedict IX. und Alexander II. wurden aus besondern An-
lässen Indulgentiae poenitentiae erlassen. Gregor VII. hatte
denjenigen Ablass verheissen, die ihm beim Sturze Heinrich's IV.
behülflich sein würden. Durch die Kreuzzüge erweiterte sich
die Ablasspraxis ins grosse und seit Alexander III. wurde
dieses Mittel, wodurch die Kirche den sittlichen Zweck för-
dern sollte, rein materieller Art, pures Gelderwerb mittel für
diese. In diesem Sinne ward im Jahre 1300 das Jubeljahr
gefeiert unter Verheissung der Sündenvergebung für diejeni-
gen, die nach Rom pilgerten und daselbst opferten. Die
Feier wurde dann vom je fünfzigsten Jahr auf das dreissigste,
ja auf das fünfundzwauzigste herabgesetzt, wobei sich die
Vermuthung aufdrängt, dass hierbei weniger die Kürze des
Lebens, als vielmehr die Einträglichkeit dieser Feier mass-
gebend gewesen sei.
Da die christliche Sittlichkeit ganz in die Form der
Aeusserlichkeit verrannt war, ihren Werth nicht nach der Ge-
sinnung, dem innern Motive schätzte, sondern nur nach dem
äussern Thun, so gab es nach der Vorstellung der Zeit kein
höheres Verdienst, als Kirchen und Klöster zu beschenken,
um nach demselben Masse die Segnungen der Kirche dafür
zu erlangen. Hiermit war der sittliche Werth des Menschen
ganz und gar abhängig von dem Geldwerthe, den dieser be-
sass, und das ganze Busswesen ging seines realen Inhalts ver-
lustig. Petrus Damianus konnte daher in frommem Ernste
6
*
84 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
unter Hinweisnng auf Spr. 13, 8 behaupten: um Geld und
Gut sei die Seligkeit von der Kii'clie zu erkaufen. Die Seg-
nungen der Kirche wuchsen nach der Grösse der Anstrengung
und des Aufwandes bei einem verdienstlichen Werke. Je
ausserordentlicher die Unternehmung war, die zur Ehre Got-
tes und Christi, der Jungfrau Maria und der Heiligen, d. h.
der Kirche, vollfiihrt wurde, um so grösser und sicherer war
die Anwartschaft auf Siindenvergebung. Darin haben die um
jene Zeit so häufigen Wallfahrten nach heiligen Orten ihren
Grund sowie die stets häufiger unternommenen Pilgerfahrten
nach dem heiligen Lande. Die Sehnsucht danach, die mit
der im 10. Jahrhundert allgemein verbreiteten Erwartung des
bevorstehenden Untergangs der Welt zusammenhängt, welche
Erwartung zum höchsten Schrecken sich gesteigert hatte,
brachte im Jahre 1033 jene grosse Bewegung hervor, infolge
deren eine ungeheuere Menschenmenge aus allen Ständen zu-
sammengeströmt war, um nach dem Grabe des Erlösers zu
ziehen. Im Gefühl der eigenen Hohlheit und Haltlosigkeit
trieb die Angst nach der unmittelbaren Nähe der Stätte, die
durch das Erlösungswerk geheiligt worden, um hier den
wiedererscheinenden Heiland zu erwarten. Das Höchste, w^as
der Mensch damaliger Zeit für erreichbar hielt, w^ar die sinn-
liche Vereinbarung mit der Stätte, von der das Heil der Welt
aus'Teo-anü-en war. Er klammerte sich an die äussere Wahr-
nehmung, die sinnliche Gewissheit, da ihm die innere Ueber-
zeugung, auf welcher der selbsteigenc Halt beruht, abhanden
gekommen war.
Die Form der Aeusserlichkeit, welche in jener Zeit das
Busswesen angenommen, wobei nur die guten Werke dienen
sollten, finden wir schon bei Eligius, einem Heiligen des
7. Jahrhunderts, festgestellt, wenn er sagt: „Der nur ist ein
guter Christ, der häufig die Kirche besucht, auf den Altar
Gaben bringt, nicht eher die Früchte seines Landes kostet,
als bis er einen Theil derselben dem Höchsten geweiht hat
unJ das Vaterunser oder das Credo hersagen kann. Kauft
euere Seelen von ewiger Strafe los solange es noch in euerer
Macht steht, gebt den Kirchen Geschenke und Zehnten, lasst
Ker/.en flannnen an heiliger Stätte soviel ihr nur vermögt,
und erficht den Schutz der Heiligen; denn wenn ihr dies
alles beobachtet, könnt ihr mit Sicherheit am Tage des Ge-
6. Sittliche Zustände. 85
riclits erscheinen nnd sprechen: Gib uns o Herr, denn wir
haben dir gegeben." ^
Kurtz 2 macht die richtige Bemerkung: „Wie verflacht
und veräusserhcht der Pönitenzbegrifif der Kirche schon war,
als sie den germanischen Völkern das Christenthum brachte,
zeigt sich schon darin, dass das lateinische Wort „poenitentia"
durch das germanische Wort „Busse", d. h. Ersatz, Ent-
schädigung, wiedergegeben werden konnte, und dass in den
Bussordnungen „poenitere" durchgängig völlig identisch mit
„jejunare" ist. Ging der Begriff der poenitentia aber in
äussere Leistungen auf, so konnte die übliche Bussleistung
des Fastens mit andern geistlichen Uebungen, ja mit Geld-
bussen vertauscht werden, es kam nur darauf an, dass für die
Siinde durch entsprechende Busswerke Ersatz geleistet werde,
diese konnten auch stellvertretend von andern geleistet wer-
den." Im Verlaufe der Zeit kam auch in der That eine
förmliche Stellvertretungstheorie in Schwang, wonach
eine Busse mit der andern vertauscht werden konnte, worüber
die Libri poenitentiales ordentliche Register führten. Diese
Verrenkung hatte schon im 8. und 9. Jahrhundert eine mäch-
tige Reactiou hervorgerufen, in England auf der Synode zu
Cloveshoe im Jahre 813, zu Paris 829, zu Mainz 847, eine
Reihe namhafter Theologen, Alcuin, Theodulf, Rhabanus Mau-
rus u. a. m., erhoben sich dagegen ; allein vergeblich. Petrus
Damianus, dem diese Theorie ihre vornehmliche Förderung
verdankt, empfiehlt besonders die Geiselbusse, die auch
durch ihn in Uebung gekommen ist. Selbst ein Kaiser, wie
Heinrich III., und edle Frauen unterzogen sich der Geiselung.
Im 11. Jahrhundert hatte man eine förmliche arithmetische
Berechnung, was die Zahl und den Werth der Geiselhiebe
betrifft, eingeführt. Ausser dem Geldwerthe, womit die Busse
erkauft werden konnte, galt eine entsprechende Zahl von
Geiselhieben unter Fasten und Psalmen als Aequivalent. Ein
Jahr der Busse konnte der Reiche mit der Summe von
26 Solidi (gleich 30 Thalern) einlösen, der Arme sollte nur
1 Moslieim, Cent., Vll, c. 3; Robertson, Geschichte Karl's V., Note 11;
bei Hallam, Geschichtliche Darstellung des Zustandes von Euroi)a im
Mittelalter, übertragen von Halem, II, 558.
2 Handbuch der allgemeinen Kirchengeschichtc, II, 401.
8G Zweiter Absclmitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
3 entrichten; das Aequivalent fiir einen Busstag waren
20 Schläge auf die Hand oder 50 Psalmen; 3000 Hiebe mit
dem Staupbesen, unter Gesangbeglcitung von Psalmen, wogen
ein Bussjahr auf, und so konnten Jahrhunderte von Busse
abgethan werden, wozu freilich einige Geschicklichkeit er-
forderlich war. Damianus, obgleich selbst kein Stiimper in
dieser Kunst, da er ein ßusssäculum in einem Jahre abzu-
ireiseln verstand, sah sich durch Dominicus loricatus, den
^^gejDanzerten Dominicus", weit übex-troffen, der es zu einer
solchen Fertigkeit gebracht zu haben versicherte, dass er nur
sechs Tage dazu in Anspruch nahm. Dieser Geiselvirtuos
rechnete folffendermassen: 3000 Geiselhiebe machen ein Jahr,
während des Singens von 10 Psalmen lassen sich 1000 Hiebe
versetzen, der Psalter, aus 150 Psalmen bestehend, umfasst
5 Bussjahre, dieselben mit 20 multiplicirt machen 100, der
Psalm 20 mal unter Geiselhieben abgesungen, thut also
fiir ein Jahrhundert Busse. Damianus konnte seinen Freund
wol mit Recht in dieser Beziehung als Muster aufstellen. ^
Diese Busstheorie allein muss die klarste Einsicht in die
gänzliche Ausgehöhltheit und Veräusserlichung aller Innerlich-
keit jener Zeit gewähren. Blicken wir dabei auf die derbe
Sinnlichkeit der Periode, die Genuss- und Vergniigungs-
sucht, die unmässige üeppigkeit, die sowol auf dem Stuhle
Petri thronte, den Klerus erfüllte und in der Laienwelt
hauste, so muss es begreiflich erscheinen, wenn gelegentlich
jeder Genuss bis zum Extrem ausgedehnt und die Heiterkeit
und Lust des Vergnügens als frivole Ausgelassenheit er-
scheint.
Diese frivole Ausgelassenheit finden wir bei den öffent-
lichen Festen jener Zeit, dem Narren- und Eselsfest, die
als schätzbare Beiträge zur Charakteristik der sittlichen Zu-
stände zu betrachten sind.
Das Narrenfest nennt Hase treffend „christianisirte
Saturnalien" ^; es gehörte zu den Freuden des Weihnachts-
festes, das von der abendländischen Kirche zu derselben Zeit
begangen wurde, in welcher die Ivömcr ihre Saturnalicu zur
Erinnerung an das goldene Zeitalter der Gleichheit und Frei-
' Damian. de vita Eremitica opuscul. L. I, c. 8.
^ Geistliche Schauspiele, S. 80.
6. Sittliche Zustäade. 87
heit unter der Herrschaft des Saturuus feierten. Nach der
Einführung des Christenthums trat au die Stelle der heid-
nischen Lustbarkeiten, welche die „Decemberfreiheit" gestattet
hatte, zur Erhöhung der christlichen Weihnachtsfreude die
Travestie des Heidnischen durch possenhafte Nachahmung,
wobei die mit den römischen Festen gewöhnlich verbundenen
Thierkämpfe dadurch andeutungsweise ersetzt wurden, dass
Menschen unter Thiermasken bei dem Aufzuge sich herum-
balgten. Nachdem die Erinnerung an das Heidenthum als
eine Macht erloschen, und die heidnischen Gebräuche in Ver-
gessenheit gerathen waren, wurde der christlich -kirchliche
Gottesdienst selbst Gegenstand der Verspottung. Hatte der
dazu Erwählte vorher einen Opferpriester vorgestellt, so wurde
nun ein Narrenbischof, in Kirchen, welche unmittelbar unter
dem Papste standen, ein Narrenpapst gewählt, und zwar von
den Priestern und Weltgeistlichen, die sich dazu versammelt
hatten, den AVahlact mit vielen possenhaften Ceremonien
vollzogen und ihn hierauf mit Pomp in die Kirche führten.
Während des Zuges und in der Kirche wurden die Possen
von den als Bestien maskirten, als Frauenzimmer verkleideten
Geistlichen tanzend und einander neckend fortgesetzt. Hier-
auf begann die feierlich possenhafte Travestie des Gottes-
dienstes. Der Almosenpfleger, der wie in der Wirklichkeit
so auch in der Travestie die rechte Hand des Bischofs war,
erliess den Ruf: Silete, silete, silentium habete! den die lustige
Versammlung mit: Deo gratias! erwiderte. Hierauf hielt der
Narrenbischof in üblicher Weise die Messe, beginnend mit
dem: „Adjutorium nostrum in nomine Dei", worauf das Con-
fiteor und dann die Absolution folgte, die der Almosenpfleger
im Namen seines Herrn dem Volke mit folgenden Worten
ertheilte * :
De par Mossenbor l'Eveque
Que Dieu vos donne mal al bescle
Avez una plena banasta de pardos,
Et dos de Rascbä de fol lo mento.
„Im Namen des Herrn Bischofs, dass Gott euch ein Uebel
an der Leber gebe; möget ihr ferner einen Korb voll von
1 Vgl. Alt, Theater und Kirche, S. 415 fg.
88 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Vergebung haben und ein j^aar Finger voll Krätze unter
dem Kinn."
Am folgenden Tage war die Absolutionstbrmel folgende:
Mossenhor, qu'es cissi present
Vos donna XX banastas de mal de dens,
Et ä tos vos aoutres acussi
Dona una coa de Roussi.
„Der Herr Bischof, der hier gegenwärtig ist, gibt euch
zwanzig Körbe voll Zahnschmerzen und fügt allen den Geschen-
ken, die er euch schon gemacht, einen alten Pferdeschwauz bei."
Das Hallelujah, das weiterhin folgte, wurde, wie Alt ^
aus einem alten Manuscript in der Kirche zu Sens, wo das
ganze Ritual beschrieben ist, ersehen hat, in dieser Weise
gesungen :
Alle:
Kesonent omnes Ecclesiae
Cum dulci melo symplioniae
Filium Mariae genetricis piae
Ut nos septiformis gratiae
Repleat donis et gloriae
Unde Deo dicamus luja.
Hierauf stimmten mehrere hinter dem Altare verborgene Sän-
ger folgende Verse an :
Haec est clara dies clararum clara dierum
Haec est festa dies festarum festa dierum.
oder auch:
Festum festorum de consuetudine morum
Omnibus urbs Senonis festivas nobilis annis,
Quo gaudet praecentor: tarnen omnis honor
Sit Christo circumciso nunc, semper et almo,
Tartara Bacchorum non pocula sunt fatuorum,
Tartara vincentes sie sinunt ut sapientes.
Während der Bischof die Messe las, waren die maskirten
Geistlichen mit Tanzen, Springen, Singen von Zotenliedern
auf das Chor gelangt, die Diaconi iind Subdiaconi assen auf
dem Altar vor dem Messelesenden, spielten vor ihm Karten,
Wi'irfel, räucherten ihm unter die Nase mit dem Ivauchfass,
in welchem altes Schuhlcder brannte. Nach der Messe lief,
1 A. a. 0.
6. Sittliche Zustände. 80
sprang und tanzte jeder nach seinem Belieben in der Kirche
herum, man erlaubte sich die gröbsten Ausschweifungen,
einio-e zosfen sich soffar nackt aus. Hierauf setzten sie sich
auf Karren, Hessen sich durch die Stadt fahren und warfen
die sie begleitende Volksmenge mit Koth, machten unzüchtige
Gebehrden, die sie mit den unverschämtesten Reden begleite-
ten. Auch Laien mischten sich unter die Geistlichen, um in
der Kleidung der Weltpriester, Mönche, Nonnen ihre Possen
zu treiben. Von dem trunkenen, bewaffneten Schwärm, wo-
Ton ein Theil oft zu Pferd den Zug begleitete, wurden nicht
selten Menschen angefallen, mishandelt, oft todtgeschlagen,
Häuser zerstört, Viehställe erstürmt, das Vieh fortgeschleppt. ^
Dieses Fest wurde an manchen Orten, wie zu Paris und
Sens, am Neujahrstage gefeiert, anderwärts am Tage der Er-
scheinuno- Christi und noch an andern Orten am 28. Decem-
ber, dem Tage der unschuldigen Kindlein, zum Andenken der
Kinder von Bethlehem als für das Christuskind gestorben,
wo alle kirchlichen Functionen von Knaben vollzogen wur-
den und aus dem Scherze des Kinderbischofs allmählich ein
Narrenbischof wurde. ^ In der griechischen Kirche hatte es
Theophylaktus im 10. Jahrhundert eingeführt, in der abend-
ländischen Kirche ist es älter, da es schon auf dem Concil
zu Toledo und später auf mehrern Concilien wiederholt ver-
boten wurde. Auch in einer Verordnung des päpstlichen
Leo-aten Cardinal Petrus an Odo Bischof von Paris im
Jahre 1198 wird die Zügellosigkeit bei diesem Feste in der
Kirche Notre-Dame hart gerügt. ^ Ungeachtet dessen soll
doch ein Doctor der Theologie zu Auxerre öffentlich behauptet
haben, es sei dieses Fest Gott ebenso wohlgefälhg, als das
der Empfängniss Maria. * Es wurde ausser in den Kirchen
der Weltgeistlichen auch in den Mönchs - und Nonnenklöstern
ffefeiert und die Possen dabei ad libitum variirt. Bei den
Franciscanern zu Antibes kamen am Tage der unschuldigen
Kindlein nicht der Guardian und die Priester, sondern die
Laienbrüder in das Chor. Sie hatten zerrissene Priesterkleidcr
1 Gemeine Chronik von Eegensburg, I, 357; bei Ilülhuami, IV, 134.
* Hase, Geistliche Schauspiele, 80.
3 Vgl. Bibl. patr. max., XXIV, p. 1370.
* Flügel, Geschichte des Grotesk-Komischen, S. G5.
90 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
verkehrt an, hielten auch die Bücher verdreht, trugen Brillen
mit Orangenschalen statt der Gläser auf der Nase, bliesen
die Asche von den Räucherfassern einander ins Gesicht oder
streuten sie auf die Kopfe, murmelten unverständliche Worte
oder blökten wie Schafe anstatt Psalmen zu singen, u. dgl. m.
Das Fest war so beliebt, dass es sich ungeachtet manchen
Eiferns dairefren bis über das 16. Jahrhundert erhielt.
In Frankreich war auch der Brauch eingerissen, an ver-
schiedenen Festtagen, z. B. bei den ersten Messen der
Priester, während des Gottesdienstes Schauspiele mit unan-
ständigen Masken unter zotenhaften Liedern aufzuführen.
Dies bezeugt die Verfügung der Synode zu Toledo im
Jahre 1473: „Da sowol in verschiedenen erzbischöflichen,
bischöflichen als auch andern Kirchen die Sitte eingerissen
ist, dass an verschiedenen Festtagen, z. B. an Weihnachten,
am Tage Sanct-Stephani und Sanct-Johannes und der un-
schiddigen Kinder, sowie auch bei den ersten Messen eines
Priesters, während des Gottesdienstes Schauspiele mit Larven,
ungethümen und zuweilen höchst unanständigen Erscheinungen
in den Kirchen aufgeführt werden, wobei Lärmen, schänd-
liche Verse und lästerliche Reden vorfallen, sodass der Gottes-
dienst und das Volk in seiner Andacht gestört wird, so ver-
bieten wir dergleichen Larven, Spiele und Ungethüme, Spec-
takel und Gaukeleien sowie das Recitiren schändlicher Ge-
dichte auf das ernstlichste und verfügen: dass diejenigen
Geistlichen, welche sich auf die Beimischung solcher unehr-
baren Spiele in der Kirche einlassen oder solche gestatten,
wenn sie an den gedachten Kirchen Beneficien geniessen, um
einen Monatsbetrag derselben gestraft werden." Dieses Verbot
musste im Jahre 1505 aufs neue wiederholt werden, und Alt ^ be-
merkt, dass fünfzig bis sechzig Jahre später Mariana nur schüch-
tern gegen dergleichen Lustbarkeiten zu sprechen wagte, wenn
er sagt: „Schwer ist es, diese verderbliche Gewohnheit aus-
zurotten, die schon lange Zeit unter dem Beifall der Menge
festgewurzelt ist, und es droht sogar die Gefahr des Anscheins,
als wollten wir den Gottesdienst beeinträchtigen. Aber es
werden in den Tempeln Dinge vorgestellt, die man sich kaum
in den schlechtesten und verworfensten Orten erlauben würde.
1 A. a. 0., S. 420.
6. Sittliche Zustände. 91
Mau gestattet, dass scliändliche Weibsbilder die Kirche be-
treten und daselbst Aufführungen veranstalten. Mehr als
einmal hat dies in diesen Jahren stattgefunden und nach ihrem
Vorgang auch in andern Kirchen des Königreichs, wobei
Diuffe dargestellt wurden, welche das Ohr nicht ohne Schau-
der vernehmen kann und welche wiederzuerzählen man Ab-
scheu fühlt." 1
Vom Eselsfest finden sich schon im 9. Jahrhundert
Spuren in Frankreich, und es wurde mehrere Jahrhunderte
hindurch gefeiert. Ueber den Tag der Feier lauten die An-
sraben verschieden und man kann mit Alt '•^ annehmen, dass
die lach- und spottlustigen Franzosen gern jede Gelegenheit
benutzten, die sich zur Veranstaltung solcher Possenspiele
darbot. Nach der Bemerkung Hase's ^ hatte der Esel ein
dreifaches Recht, seine kirchliche Feier aufzuweisen: „Zunächst
seine Unterhaltung mit dem widerwilligen Propheten Bileam,
dann seine vorausgesetzten Dienste auf der Flucht der heili-
gen Familie nach Aegypten und endlich zum Andenken der
Eselin und ihres Füllen, auf denen der Herr am Palmsonntage
in Jerusalem eingezogen ist." Je nach dem Momente das
bei der Feier festgehalten ward, mochte eine Verschiedenheit
dabei stattfinden. Wo es die Flucht der Jungfrau Maria
nach Aegypten galt, suchte man ein junges schöaes Mädchen
aus, das man geschmiickt, mit einem Knäblein im Arme, auf
einen Esel setzte. Oder man behing den Esel mit einem
Chorrock und führte ihn in feierlichem Aufzuge unter Be-
gleitung der Klerisei und des Volks durch die Strassen in
die Kirche, wo der Esel neben dem Altare aufgestellt und
die Messe unter possenhaftem Pomp gelesen wurde, sodass
es möglichst toll herging. Auf das „Kyrie", „Gloria" und
„Credo" ward mit „Hinliam! Hinham! Hinham!" geantwor-
tet. Anstatt der Segensformel, womit sonst der Priester das
Volk zu entlassen pflegte, ahmte dieser das Eselsgeschrei nach
und das Volk, anstatt sein „Amen" zu sagen, antwortete
wieder auf Eselsmanier. Selbstverständlich Avurden auch wäh-
rend der Travestie der Messe, wie beim Narrenfeste, Un-
1 In seiner Schrift „De spectaculis".
2 A. a. 0., S. 417.
» A. a. 0., S. 80.
92 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
flätereien sxetrleben. Den Bcschluss machte eiii halb Inteini-
sches, halb französisches Lied. *
Ausser diesen Possen pflegten die Prediger am Oster-
feste ihren Zuhörern allerlei lächerliche Schnurren von der
Kanzel herab zu erzählen, um für die traurige Fastenzeit zu
entschädigen. Diese „Ostermärlein", die das allgemeine
Gelächter zu erregen suchten, was ihnen auch gelingen mochte,
sind bekannt unter dem Namen Risus paschalis.
Flögel meint, es müsse uns „beim ersten Anblick unbe-
greiflich scheinen, wie die menschliche Vernunft und noch
mehr das Christenthum so tief herabsinken und Heiliges und
Profanes, geistliche Freude und weltliche Zügellosigkeit, An-
dacht und Possenreisserei so seltsam miteinander vermischen
können". 2 Betrachten wir die Sache näher, so zeigt sich
zunächst ein enger Zusammenhang der Ausgelassenheit der
Lust mit den friiher erörterten Ausschreitungen des sinnlichen
Lebens. Damit in Verbindung steht die ethische Anschauung
des Mittelalters, wonach Geistiges und Leibliches, Uebersinn-
liches und Irdisches wie Gott und die Welt als unversöhn-
licher Gegensatz gedacht wurde, was die ascetische Abtödtungs-
theorie zur Folge hatte. Jede Unterdrückung eines berech-
tio-ten Moments zieht eine Reaction nach sich, die zunächst
stets als Verrenkung erscheint, indeui die unterdrückte Seite
ins JExtrem geschnellt wird. Das natürliche Moment am
Menschen, das seine Berechtigung haben muss, durch Liein-
andersetzung mit dem geistigen vergeistigt, veredelt werden
soll, trat im Mittelalter in seiner unvermittelten nackten Na-
türlichkeit, d. h. als Roheit auf und wurde durch die gewalt-
same Abstraction der ethischen Forderung eben bis zur Aus-
schreitung gesteigert. Stand aber das Leibliche mit seinen
Re<Tungen nach der herrschenden kirchlichen Anschauung in
unvereinbarem Widerspruch mit Gott, so musste die Geltend-
machung des Sinnlichen als dem Sitze des Bösen mit dem
Teufel in Verbindung gedacht werden. Denjenigen, welche
ausserhalb der sinnlichen Ausschreitungen, der sittlichen Ver-
derbni^s standen, musste beim Anblick der sittlichen Ver-
kommenheit die Wirkung des Teufels vor die Augen treten.
1 Vgl. Flügel, Geschichte des Grotesk-Komischen, S. 168.
2 A. a. 0., ö. 159.
7. Zustand der Gemüthcr. 93
Wie sich in der Befiirclitung des herannahenden Weitendes,
die sich seit dem 10. Jahrhnndert der Gemüther bemächtigt,
das Gefühl der herrschenden Entsittlichung geregt hatte, so
musste deren stetiges Zunehmen, da die Katastrophe nicht
eingetreten war, als Zunahme der Macht des Teufels erschei-
nen, und zwar nach der gangbaren Annahme, dass dieser der
Stifter und Anreger davon sei, auch denjenigen, die sich selbst
in Verkommenheit versunken fühlten. Inmitten der herrschen-
den Rand- und Bandlosigkeit der sittlichen Zustände erwachte
das Gefühl, dass der Teufel das Regiment der Welt führe.
Die sittliche Weltlage ist insofern als Mitfactor zur Festigung
und Förderung der Vorstellung vom Teufel zu betrachten.
7. Zustand der Gemiitlier. Das kircMicli-tlieologistisclie
Gepräge.
Inmitten der Zerfahrenheit der äussern Verhältnisse, um-
geben von roher Gewaltthätigkeit und bodenlosem Sitten-
verderb, ohne Ruhepunkt in sich selbst, ergriff mancher die
Flucht aus dem wüsten Getümmel solcher Gottvergessenheit
und glaubte den Frieden in der Entsagung und in Buss-
übuno-en zu finden, die ihm die Kirche vorschrieb. Den
grellen Gegensatz von wilder Genusssucht, Habgier und
streng ascetischem Wandel erblicken wir nicht nur innerhalb
des Rahmens dieser Jahrhunderte, es finden sich häufige Bei-
spiele des plötzlichen Sprunges von einem zum andern im
Leben von einzelnen, die, mitten im Getriebe des genussreichen
Daseins vom Gefühle der Nichtigkeit ergriffen, jenem ent-
flohen, um in einem Kloster, im geistlichen Stande, in Selbst-
peinigungen, von der Kirche empfohlen, den Ruhepunkt zu
suchen. ^
Der Mensch des Mittelalters war von der Kirche dazu
erzogen, bei allem nach ihr zu blicken, sie hatte ihm nach-
1 Vgl. Scriptor. Rer. Italic, XVI, 315.
94 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
driicklich eingeschärft, sie als die einzige Bewahrcrin gött-
licher Dinge zu betrachten. Die mittelalterliche Welt hatte
die Ueberzeugun": , dass der Fürst seine rechtmässige "Würde
nur zu -Sanct-Peter in Rom erlangen könne , und die Kirche
hatte ihre Massregeln getroffen, dass nur das auf Geltung
Anspruch machen könne, was von ihr ausging. Das ist die
psychologische Grundlage der mittelalterlichen Anschauung,
auf welcher die Kirche ihre Allmacht aufbaute. Diese Vor-
stellung theilten alle Schichten der Gesellschaft, sie durch-
dransr alle Verhältnisse und Beziehungen im Mittelalter. Wie
das hebräische Alterthum Jerusalem und darin das Heilig-
thum mit seiner Bundeslade als den heiligen Mittelpunkt der
Welt betrachtet hatte, zu dem, nach den Weissagungen der
Propheten Jesaias und Micha, deren Anschauung die engen
Schranken des altern Particularismus durchbrach, in Zukunft
alle Völker als Wallfahrter centripetalkräftig angezogen wer-
den sollten, so sah die abendländische Welt des Mittelalters
auf dem Stuhle Petri die Verkörperung des ewigen Lichtes
der Religion Christi, und dieses Licht sandte seine Strahlen
auch centrifugalkräftig aus, um die Welt kirchlich-theo-
loo-istisch zu färben. Diese kirchlich-theologistische Fär-
buiio- traf]:en alle Aeusserungen des mittelalterlichen Lebens.
Die Kirche ist die oberste Autorität, von der die Welt sich
abhängig fühlt.
Das Verhältniss der Kirche zum Staate betreffend, hat
man den Grund der Abhängigkeit dieses von jener als „Un-
klarheit" angegeben. ^ Diese „Unklarheit" findet aber in
jedem Entwickelungsprocesse und auf allen Gebieten statt,
bevor nicht gewisse Momente sich geschieden, sich geklärt
haben. Im Mittelalter wurde Kirche vuid Staat in unmittel-
barer Einheit gedacht mit Ueberwiegen der Kirche. Bekannt-
lich sind im Orient die meisten Reiche Religionsstaaten und
ein nächstgelegcnes BeisiDiel gibt uns die althebräische Welt
durch die Theokratie, wo Religion und Staat in unmittelbarer
Einheit ineinandergesetzt sind, daher das staatliche Verhältniss
zugleich ein religiöses ist und umgekehrt, ein theokrati-
sches Verbrechen sowol gegen Staat als Religion begangen
gedacht wird. Aehnlich im Mittelalter, aber mit dem Unter-
1 Lorenz, Deutsche Geschichte, I, 7.
7. Zustand der Gemüther. 95
schiede, dass die Religion durch die Kirche vertreten, der
Staat als kirchlicher Staat erscheint. Die Einheit von Kirche
und Staat ist eine unmittelbare, aber die geschichtliche Be-
deutsamkeit des Mittelalters besteht eben darin, dass die Ab-
lösvuig des Staates von der Kirche beginnt, dass der staat-
liche Beirriff im Bewusstsein der Menschen erwacht, dass der
Scheidungsprocess sich zu vollziehen beginnt, und zwar unter
langdauernden Kämpfen und AVehen. Jegliche Entwickelung
beruht auf dem Gesetze der Lösung und der Selbständig-
werdung der Momente, die ursprünglich in unmittelbarer
Einheit begriffen waren. Diesen Vorgang sehen wir nicht
nur im Naturleben in der Pflanzen- und Thierwelt, sondern
auch in der Menschenwelt und zwar im physischen wie im
geistigen Leben. Das Kind löst sich vom Mutterschose los,
es entwöhnt die Muttermilch, es wird mündig und erlangt
die Selbständigkeit des Willens, um eine selbständige Fami-
lie zu gründen. Im socialen Leben vollzieht sich die Lösung
durch die Theilung der Arbeit, und so fort in allen Gebieten.
Es bedarf wol nicht der Bemerkung, dass mit dem Lösen und
Selbständigwerden keine gänzliche Beziehungslosigkeit ein-
trete, da wir am Eingange unserer Geschichte das Universum
als Organismus hinstellten, wonach jedes und alles in seiner
Selbständigkeit auf das Ganze bezogen, in organischem Zu-
sammenhange steht.
Wenn der Satz des christlichen Religionsstifters: „Mein
Reich ist nicht von dieser Welt" beziehungslos festgehalten
worden wäre, so hätte die christliche Religion auch nie die
Daseinsform der mittelalterlichen Kirche als äussere Anstalt
erlangt, und die abendländische Menschheit hätte kein Mittel-
alter zu durchleben gehabt; allein bekanntlich ist das „Wenn"
in der geschichtlichen Betrachtung unfruchtbar und ward nicht
zum W^orte gelassen. Nachdem die Kirche sich aufgethan
und vornehmlich auf äussere Macht gestellt hatte, und inn
jeden Preis ihre Obermacht zu erhalten strebte: konnte die
Sturm- und Drangperiode des Mittelalters nicht ausbleiben.
In dieser kirchlichen Obermacht der Kirche über die
abendländische Menschheit, die mit ihrer Lebensader an sie
gebunden war, liegt der Grund, dass alle Thätigkeiten, Be-
ziehungen und Erscheinungen im mittelalterlichen Leben ein
kirchlich-theologistischcs Gepräge erhielten. Alles geht
9G Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
von der Kirche aus oder mündet in sie ein. Alle Schulen
hatten eine geistliche Einrichtung, alle Intelligenz ging daher
einerseits von der Geistlichkeit aus und kam andererseits
unter ihren Einfluss.
Theologie.
Von den sogenannten verschiedenen Wissenschaften stand
selbstverständlich die Theologie obenan und tauchte alle an-
dern Zweio-e des Wissens in ihre Farbe. Das Verbot Gre-
o-or's des Grossen für die Bischöfe, heidnische Bücher zu
lesen ^ hatte das Geleise gezogen, in welchem die Gelehrsam-
keit fortschreiten sollte. Ob Europa darum die Höhe der
Bildung und Erkenntniss erreicht habe, wie behauptet worden
ist, „weil es mit der Theologie begonnen hat und weil alle
Wissenschaften, gepropft auf diesen göttlichen Stamm, aus
dem Schatz des götthchen Nahrungssaftes Zusehens gediehen
sind" 2^ möge dahingestellt bleiben, Thatsache ist: dass es
mit der Theologie den Anfang machte und ihr alles andere
Wissen als dienstbar unterordnete.
Philosophie.
Die Philosophie des Mittelalters, jene anrüchig ge-
wordene Scholastik, stand im Dienste der Kirche und befasste
sich ausschliesslich mit der Bearbeitung des von jener ihr
übergebenen Stoffes. Es ist ein antiquirter Irrthum, den Werth
der Scholastik nur nach ihren Verrenkungen zu messen, wo
sie, in Spitzfindigkeiten verrannt, mit der Beantwortung müssi-
ger und läppischer Fragen sich abmüht; ihre wesentliche Be-
deutung war vielmehr, die von der Kirche aufgestellten Dog-
men in den Dcnki^rocess hineinzuziehen. Sie versuchte die
Glaubenssätze zu Begriffen zu erheben und wollte Glauben
und Wissen vermitteln. Der Ausgangspunkt war ihrem Ur-
sprünge, der in der Kirche liegt, angemessen; indem sie aber
zur Kirche zurückkehren musste, die ihr beim Denken als
Ziel vorgesteckt war, entbehrte sie der Freiheit, ohne welche
1 Job. Diac, Vita Gregor., lib. III, 33. 44.
■^ Windiscliiiiaini, Ucbcr Etwas, was der Ileilkunst notbtliut, S. 144.
7. Das kirchlicl-f-theologistische Gepräge. 97
eine wissenschaftliehe Bewegung nicht möglich ist. Nicht der
Gegenstand der Scholastik fordert das Verdammungsurtheil
iiber sie heraus, sondern die Fesseln, die sie sich von der
Kirche anlegen und dadurch zu deren dienstbaren Magd
machen liess. Wie die Scholastik von der Kirche ausging,
so 2rinn:en die Scholastiker auch meistens aus Klöstern hervor.
Rechts Wissenschaft.
An der Spitze der Rechtswissenschaft stand das Kirch en-
recht, das namentlich durch Gratian einen neuen Aufschwung
erhielt. Ein tüchtiger Bischof sollte das Kirchenrecht ebenso
grimdlich kennen wie die Theologie. Noch grössere Wichtig-
keit verlieh dem Kirchenrechte Gregor IX. durch die Samm-
lung der Kirchengesetze von Pennaforte, welche bei allen
Gerichten als Norm angeordnet ward, deren man sich auf
allen Schulen bedienen musste mit Ausschliessung jeder an-
dern Decretensammlung. Der kirchlich-theologistische Ein-
üuss auf diese Disciplin, der nicht nur ein principieller war,
machte sich auch äusserlich bei deren Behandlung geltend,
indem selbst der aus der Theologie entlehnte Titel „Summa"
auf das Kirchenrecht angewendet wurde. Da das Kirchen-
recht fiir alle Länder gelten sollte, wirkte es auch auf
das weltliche Recht, wofür denn die Päpste Sorge trugen.
Das römische Recht, das die Lehrer zu Bologna wiederher-
stellten und in Italien nie ganz ausser Gebrauch gekommen
war, wurde von den Päpsten misgünstig angesehen, da es die
Kirche nicht als oberste Rechtsquelle aufstellt. Indem die
Kirche dadurch beeinträchtigt erschien, verbot Honorius III.
der pariser Universität Vorlesungen über römisches Recht;
Innocenz III. verordnete: dass Streitsachen nicht nach dem
römischen, sondern nach dem Gewohnheits- und Kirchen-
rechte entschieden werden sollen. ^ Indess verschmähte es
die Kirche nicht, die Folter aus dem römischen Rechte zur
Handhabung ihrer Inquisition sich anzueignen, die im kano-
nischen Rechte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts noch nicht
eingebürgert war. ^
1 Math. Paris adJ. 124.
2 Biener, Beitrag zur Geschichte des Inquisition8i)roccsses, S. 193.
Koskoff, Geschichte des Teufels. II. 7
98 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Die Kirclic suchte aiicli auf die Gerichtsbarkeit Ein-
fluss zu gewinnen. Theils aus der exceptionelleu Stelhing
des Klerus, theils aus dem geistlichen Grundbesitze gestaltete
sich eine eigene geistliche Gerichtsbarkeit, die ihren AVirkungs-
kreis immer mehr zu erweitern strebte, sodass im 12. Jahr-
hundert die Befreiung der Geistlichen von den weltlichen
Gerichten nur in Bezug auf Lehnsverbindung und auf welt-
liche Verbrechen mehr bestritten wurde. Die Geistlichen
suchten mit der Zeit auch alle bürgerlichen Streitigkeiten der
Laien vor ihre Gerichte zu ziehen nach dem Grundsatze: die
Kirche habe die Aufgabe, jede Siinde und jede Ungerechtig-
keit zu verhindern, daher jeder, der über Unrecht zu klagen
hat, an ein geistliches Gericht sich w^enden könne. Innocenz III.
hält diesen Grundsatz aufrecht unter Berufung auf Karl den
Grossen, der die Kirche habe ehren wollen, und deshalb eine
von Theodosius hergeleitete Vorschrift die Kirchenfreiheit be-
treffend, allgemein zu beobachten sei. Es solle jeder Kechts-
streit, auch der bis zum Urtheil fortgeführte, von jeder Partei
an das geistliche Gericht gebracht werden können, und die
Bischöfe haben das Recht, in allen Sachen das entscheidende
Urtheil zu schöpfen, von dem keine weitere Berufung mehr
stattfinden solle. ^ Solchen Ansprüchen setzten die weltlichen
Gerichte allerdings Widerstand entgegen, indem sie die von
geistlichen Gerichten gefällten Urthcile revidirten und den
kirchlichen Strafen bürgerliche hinzufügten. Ludwig IX. ver-
ordnete: kein Laie soll in bürgerlichen Angelegenheiten von
geistlichen Gerichten Hecht nehmen ^, und schon früher hatte
Philipp August die geistliche Gerichtsbarkeit zu beschränken
gesucht. ^ Dass die geistliche Gerichtsbarkeit ihren Wirkungs-
kreis zu erweitern eifrig bestrebt war imd die Geistlichen
dabei auch ihren äussern Vortheil im Auge hatten, bezeugt
die Bestimnuuig Gregor's IX., der, obschon selbst eifrig in
der Ausdehnung kirchlicher Rechte, doch sich gcnöthigt sah
zu dem Verbote: dass Geistliche des Gewinnes wegen Processe
von Laien übernehmen, um sie vor das geistliche Gericht zu
' Innoc. Ep. in Duchesne Scrij-it., V, 715, Nr. 10.
2 Raynald zu 1236, §. 31.
3 Ordonn., I, 30.
7. Das kirclilich-theologistische Gepräge. 99
bringen, von dem sie eine günstige Entscheidung hoflfen
konnten. ^
Straf recht.
Im Stiva fr echte der damaligen Zeit war Rad, Strang,
Verstümmeking an der Tagesordnung. Für eine mildere An-
schauung der Kirche können immerhin Beispiele angeführt
werden, wonach „selbst zum Tode verurtheilten Verbrechern
diu'ch kirchliche Personen das Leben erbeten wurde, um bei
dessen fernerm Lauf in Busse nach göttlicher Gnade zu rin-
gen". ^ Es soll das Verdienst der Kirche, durch manche wolil-
thätige Massregel der Wuth des Zweikampfs als besonderer
Art der Ordalien entgegenzuwirken nicht geschmälert werden,
es ist anzuerkennen, dass Cölestin III. den Zweikampf in
jedem Falle unter den Gläubigen auszumerzen wünschte^;
es ist aber ebenso wenig zu leugnen, dass die Kirche,
wo sie sich selbst verletzt glaubte, an Strenge und Unbarm-
herzigkeit der weltlichen Justiz nichts nachgab. Dies be-
weisen die von der Kirche über Verbrecher ausgesprochenen
Verfluchungen. In einer solchen Verfluchung vom Bischof
von Lüttich heisst es: „Der Uebelthäter sei abgesondert von
der Christenheit, verflucht im Hause, auf dem Acker, an
jedem Orte, wo er steht, sitzt oder liegt; verflucht beim
Essen und Trinken, beim Schlafen und Wachen, verflucht
sei jede seiner Bemühungen, seine Arbeit, die Frucht seines
Landes, sein Aus- und Eingang; verflucht sei er vom Scheitel
bis zur Fusssohle. Die Weiber solcher Frevler mögen kinder-
los bleiben und Witwen werden; Gott schlage sie mit Ar-
muth und Hunger, Fieber, Frost, Hitze, verdorbener Luft
und Zahnschmerzen; Gott möge sie verfolgen, bis sie von der
Erde vertilgt sind, die Erde möge sie verschlingen wie Da-
than und Abiram; sie sollen lebendig zur Hölle fahren und
mit Judas dem Verräther, Herodes, Pilatus und mit andern
Frevleni in der Hölle zusammen sein. So geschehe es, es
1 Concil. XIII, 1180. 1264; Nr. 19.
2 Harter, Innocenz III., IV, 390.
3 Mansi XXII, 630.
100 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
geschelic also!" ^ Wachsmutli '^ fi'ihrt ein Urtheil an, das
Inuocenz III. gefällt iiber einen Kerl, der einem Bischöfe die
Zunge auszuschneiden gezwungen worden: ,,Er soll 14 Tage
hincr barfuss, nur mit Hosen und ärmelloser Jacke bekleidet
öftentlich umherwandeln, die Zunge an einen dünnen Strick
gebunden, ein wenig herausgezogen, sodass sie über die Lippen
herausstehe, die Enden des Stricks um seinen Hals befestigt,
eine Ruthe in der Hand, so soll er sich vor jeder Kirche
niederwerfen und mit der Ruthe hauen lassen, fasten bis zum
Abend und dann nur Brot und Wasser geniessen, dann nach
dem heiliiren Lande ziehen" u. dofl. Dass die Kirche bei
Verfolirunir der Ketzer die christliche Milde ausser Acht ge-
lassen, ist zu bekannt, um erhärtende Beispiele anzuführen;
sie unterstiitzte nicht nur den welthchen Arm bei Errichtung
der Scheiterhaufen, ihr Eifer fachte vielmehr die Ketzerbrände
selbst an. ,,Sie gewöhnte den Sinn an das entsetzliche Schau-
spiel des Feuertodes und an grauscnvolle Hinrichtungen in
Masse." ^
Arziieikiiust.
Werfen wir einen Blick auf die Arzneikunst, so sehen
wir schon nach Galen (2. Jahrhundert), „dem Sterne" wie
ihn Sprengel nennt '*, dichte Finsterniss durch Einmengung
der persischen Astrologie über die Medicin sich lagern. Durch
die Eroberuniren der Römer im Oriente waren diese mit der
orientalischen Ueppigkeit vertraut und dadurch entnervt, auch
für die Arbeit der Forschung gelähmt worden. Seit dem
3. Jahrhundert waren die tlieurgischen Künste alleinherr-
schend, und viele Kaiser, welche Gelehrsamkeit begünstigten,
rechneten jene zu dieser, die sie demnach förderten. Von
Alexander Severus wird erzählt, er habe in seinem Larario
neben der Bildsäule des Apollonius von Tyana auch Abraham,
Christus und Orpheus verehrt^; der gelehrte Marc An-
1 Bei Raumer VI, 08, aus Marlene tbes.
^ Sittcngcsdnclite, III, 1, S. 2G3, Note 13.
^ Wacbsmutli, a. a. 0., S. 265.
* Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneikunde, II, 123.
* Lamprid., I, c. 29.
7. Das Idrchlich-theologistisclie Gepräge. 101
tonin holte sich in wichtigen Angelegenheiten Rath l^ei den
Chaldäern.\ Durch alexandrinische Sophisten hatte die Magie
eine disciplinartigc Form erhalten, und die neuplatonische
Schule des Amraonlus Saccas nahm zu den alten philosophi-
schen Anschauungen auch die Gcheimnisslehre des Morgen-
landes und christliche Vorstellungen auf. Alle AVirkungen
in der Natur, insbesondere also auch alle Krankheiten wurden
auf Dämonen zurückgeleitet % die miteinander im Weltganzen
durch Sympathie zusammenhängen, über die aber der wahre
Weise, durch ascetische Enthaltsamkeit vorbereitet, die Herr-
schaft erlangen könne. Die Pythagoräer sollen es dadurch
so weit gebracht haben, dass sie Geister bannen konnten. ^
So wird dem Plotinus ein eigener Dämon zv;erkannt, durch
dessen Vermittelunü' er nicht nur zukünftijxe Dini2;e vorher-
sagen, sondern auch Krankheiten zu heilen vermochte*, da
er durch Zurückziehung von aller Sinnenwelt zum unmittel-
baren Anschauen der Gottheit und dadurch zur Herrschaft
über die Geisterwelt gelangt war. ^ Die Magie, welche alle
Köpfe beherrschte, erhielt durch spätere Neuplatoniker die
Eintheilung in die gemeine oder Goetie, die vermittels
böser Dämonen operirte, die höhere, als die geheime Kunst
durch höhere Geister zu wirken, inid die Pharmacie, welche
durch Arzneimittel die Dämonen bändigte. Porphyr nennt
die Magie, welcher Gott selbst die Macht verleiht, die Theo-
sophie; die vermittels guter Geister geschieht, Theurgie;
wo man böse Geister gebraucht, die Goetie.^ Schon Galen
berichtet, dass zu seiner Zeit bei manchen Aerzten die Namen
der Arzneimittel stets babylonisch oder ägyptisch hätten sein
müssen, welchem Wahne er sich entgegengesetzt^; nach Plo-
tinus lassen sich aber die Dämonen durch Beschwörun<2:en,
allerlei Symbole und durch gewisse Worte ausländischer Spra-
chen vertreiben, und Porphyrius sowie spätere Theosophen
' Jul. Capitolin. vit. M. Anton., c. 10, Ilist. aug. Script.
^ Porphyr, de abstinent, ab esu animal. lib. II.
^ Lucian Philopseud., S. 347.
* Porphyr, vit. Plotin., c. 10.
5 Ibid. c. 23.
^ De abstin. lib. II, 210; Euseb. praeparat. evang. lib. IV, c. 10.
^ Galen de facult. simplic. medic. lib. VI, 68; bei Sprengel II, 110.
102 Zweiter Absclinitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
schrieben chaldälschcn und hebräischen Wörtern eine beson-
dere bändigende Kraft über die Dämonen zu. ^ Die ganze
AVeit war mit Dämonen erfüllt, und jede Erscheinung als
deren Wirkung gedacht. Sprengel kann daher behaupten:
„Im 4. Jahrhundert sah man es als eine lächerliche Paradoxic
an, wenn ein Arzt behauptete, die Krankheiten entstehen nicht
von Dämonen." ^ Der Rest der Bildung, dem die wieder-
holten Einfälle barbarischer Stämme verderblich waren, wurde
durch den herrschenden Wunderglauben vertreten, wonach die
Heilkraft der medicinischen Mittel von den Heilicren und
deren Reliquien abhängig gedacht, ja sogar ohne diese für
sündhaft gehalten ward. Gregor von Tours, der gegen Kopf-
schmerz Aderlass anwendet und befürchtet dass die Heiluns: da-
durch allein bewirkt werden könnte, berührt vorher die lei-
dende Stelle mit dem Vorhano:e von dem Grabe des heiliiren
Martinus und bittet diesen um Verzeihung wegen des auge-
wandten Mittels. ^ Der Archidiakonus Leonastes vertrieb
sich durch Fasten und Beten bei St.-Martin die Blindheit,
bediente sich aber überdies der Hülfe eines jiidischen Arztes,
der ihm Schröpf köpfe setzte. Aus dem Umstände, dass die
Blindheit wiederkehrte, zieht Gregor von Tours den be-
lehrenden Schluss: wer himmlischer Arznei würdig er-
achtet worden , dürfe sich keiner irdischen Hülfe bedie-
nen. * Den Mönchen , die seit dem 6. Jahrhundert die
Heilkunst fast ausschliesslich ausiibten, ersetzte der all-
gemein gangbare Wunderglaube, was ihnen an medicini-
schen Kenntnissen abging, da die von Ilippokrates oder Galen
aufgestellten Grundsätze weit über ihren Horizont o-imren. ^
In den Klöstern Avurden als gewöhnliche Heilmittel Weih-
wasser, Reliquien der Heiligen, Chrisam, Rosenkränze u. dgl.
angewendet, und Abendmahl, Taufwasser und das Paternoster
galten als untrügliche Mittel zur Genesung. Der Bischof
Agobard im 11. Jahrhundert wird als fast einzige Ausnahme
^ Jamblich., De myst. Acg., sect. III, c. It; sect. VII, c. 4. 5.
- Sprengel, Geschichte der Arzneikunde, II, 170.
3 Greg. Tur., Miracul. S. Martin., II, 60.
« Grog. Tur., Ilisl. Francor., V, G.
^ Möh.sen, Geschichte der W^issenschaft in der Mark Brandcnbui'g,
S. 257.
7. Das kirclilich-theologistisclie Gepräge. 103
angeführt, dessen anfgeklärter Verstand selbst die dämoni-
schen Krankheiten verwarf. Die Mönche aber, bemerkt Spren-
gel ^, bedienten sich dieser Mittel znr Hebung der Krankheiten,
und derselben Austliichte, wenn ihre Cur fehlgeschlagen war,
wie die Priester des Aesculap. Waren die Kranken gläubige
Seelen, so war ihr Uebel eine Wohlthat Gottes, die zur Prii-
fung diente; waren es verstockte Sünder, so war die Krank-
heit eine Strafe ihrer Vergehungen und eine Mahnung zur
Busse. Das Kloster Monte-Casino, in der Nähe der Stadt
Saleruo, war zwar durch die luigewöhnliche Gelehrsamkeit
seiner Mönche, die in Salcrno die Arzneikunde ausübten,
schon seit dem 8. Jahrhundert ausgezeichnet, und die saler-
nitanischen Aerzte kannten den Galen und den Hippokrates;
uuofeachtet dessen wurde doch noch im 12. Jahrhundert
Beruard Abt von Clairvaux nach Saleruo eingeladen , um
Wundercuren an unheilbaren Kranken zu verrichten. ^ Dies
kann nicht befremden bei dem herrschenden Wunderglauben,
der auf dem Trümmerhaufen der verwüsteten Cultur ü^jpig
gewnichert hatte. Dem kleinen Ueberbleibsel classischer Bil-
dung, welches die Zerstörung durch die fremden Völker über-
dauert hatte, wurde durch das Verbot Gregor's des Grossen
im G. Jahrhundert die Nahrung noch mehr entzogen, und in
der überhandnehmenden Finsterniss mochte ein Beda und solche
Mönche, die mehr als lesen und schreiben konnten, in den
Verdacht der Zauberei gerathen^, mochten die beiden Irländer
Virgilius imd Sidonius vom Papst Zacharias verketzert werden,
weil sie an Antipoden glaubten*, und die grosse Bewegung,
in welche ein Nordlicht im 9. Jahrhundert die Gemüther
versetzte, wird uns begreiflich.^ Augustin's Lehren, welche
die Meinungen der Menschen bis gegen das 13. Jahrhundert
beherrscht hatten, wurden durch Aristoteles verdrängt, der
besonders durch die Araber hervorgezogen worden war. Im
Anfang des 13. Jahrhunderts las man in Paris über Aristo-
teles, den aber die Kirche bald gefährlich fand und das
1 II, 386.
2 Fleury, Ilist. eccles., vol. XIV, p. 480; bei Sprengel II, 384.
' Gramer, Fortsetzung des Bossuet, V, 95.
* Gramer, V, 443.
' Sprengel, Geschichte Grossbritanniens, S. 235.
104 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Concil öffentlich verbrennen liess. ^ Sechs Jahre daraul' er-
hiubte zwar die Kirche das Lesen der dialektischen Schriften,
aber die physikalischen und metaphysischen wurden verdammt %
und Gregor schränkte (im Jahre 1227) nach 16 Jahren auch
dies Verbot durch die „seltsame Clausel" ein, dass die Lehrer
allemal die der christkatholischen Religion anstössigen Grund-
sätze im Vortrage widerlegen raüssten. ^ Bei alledem da-
tiren die ersten Regungen zur Wiederherstellung der Wissen-
schaften aus dem 13. Jahrhundert. In Deutschland war Kaiser
Friedrich II. von förderndem Einfluss darauf und sein Kanz-
ler Peter de Vineis stand ihm dabei getreulich an der Hand.
In Paris hatten sich an der Universität so viele Hörer ein-
gefunden, dass Philipp August die Stadt erweitern lassen
musste**; in Italien ist unter den Päpsten namentlich Ilono-
rius III. anzufiihren, der die Wissenschaften begünstigte; in
England erhielten die Erfahrungswissenschaften ein w^ohlthäti-
ges Licht und Roger Baco, der würdige Vorgänger des be-
riihmten Kanzlers, empfahl ausser dem Studium der Mathe-
matik auch das der Alten , war aber freilich „ein Prediger in
der Wiiste", w^ie Sprengel sagt. ^ Indessen trugen die mehr-
fachen Reisen im 13. Jahrhundert eines Job. de Piano Carpini,
Marco Polo, Wilh. Rubruquis, Ascelin das Ihrige bei, die
geistige Thätigkeit anzuregen und das Denken wachzurufen,
wie die Entdeckung der Polodixie der Magnetnadel, die Kunst
des Schleifens der Gläser zu Mikroskopen beweisen, sodass
im 14. Jahrhundert der Kampf gegenüber dem Druck, den
die Kirche auf die Geister der Menschen bisher ausireiibt,
innerlich merklich gärte, inu später zum Ausbruch zu kom-
men. Die päpstliche Hierarchie stiess auf manchen Seiten
auf AViderspruch, wo sie sonst nur Gefügigkeit gefunden
hatte, der von Rom aus gemachte Vorschlag zu einem Kreuz-
zug wollte nicht verfangen ^, die päpstlichen Briefe und Bullen,
^ Launoy de varia Aristotel. fortuna, c. 1, p. 17i; bei Sprengel,
II, 428.
^ Launoy, c. 4, l'Jl.
3 Ibid., c. ü, p. 192.
* l'ez, Anecdot. thes. uoviss., I, pars 1, p. 427.
* II, 440.
« Fleury, Ilist. eccl., vol. XIX, p. 4G8.
7. Das kirchlich-theologistiscbe Gepräge. 105
wie z. B. die „Axisculta fili", die Philipp der Schöne von
Bonifiiz VIII. erhielt, wirkten sollicitirend anf den Geist, nnd
der Same, den die einfältigen „bons hommes" oder Waldenscr
ansstrenten, wnrde dnrch einzelne gelehrte Männer gepflegt,
bis dass er in der Reformation zur Frncht gedieh. Der Eng-
länder Dnns wagte es von der orthodoxen Anschauung abzu-
weichen, indem er dem freien Willen bei den Handlungen des
Menschen mehr Raum gewährte als Augustinus und Thomas
von Aqnino; Durandus de Porciano verwarf gegen Thomas
von Aquino die unmittelbare Einwirkung in die menschlichen
Handlungen, und Ockam unterfing sich, die Untrüglichkeit des
Papstes anzutasten. Franz Petrarca erwarb sich nicht nur
den Kranz des Dichters, sondern auch die Dankbai'keit der
Nachwelt durch seine Bearbeitung gelehrter Sprachen und
das Studium der Kritik. Allein die Geschichte arbeitet
zwar solid, aber langsam. Im ganzen blieb die Wissenschaft
und somit auch die Arzneikunde auf der Stufe der voriffen
Jahrhunderte, Wundercuren durch Heilige gab es noch wie
ehedem, und Männer, die durch physikalische Kenntnisse
hervorragten, wurden noch immer für Schwarzkiinstler und
Hexenmeister im Bunde mit dem Teufel gehalten und selbst
mit Todesstrafe belegt, wie die Beispiele des Peter von Abano,
des Joh. Sanguinacius u. a. zeigen. ^ Zwei epidemische Er-
scheinungen dieses Jahrhunderts zeigen nicht nur die hohe
Spannung der Gemiither, sie sind auch von culturgeschicht-
licher Bedeutung, nämlich die Tänzerwuth oder der Sanct-
Veitstanz, durch ganz Deutschland herrschend, wo die da-
von Befallenen für eine besondere Sekte betrachtet wurden,
deren Anhänger vom Teufel besessen galten, den man durch
Bibelspriiche auszutreiben meinte.^ Ausser den Tänzern sind
es die Flagellanten, die wir schon kennen gelernt haben.
Astrologie.
Im 15. Jahrhundert, wo durch die Invasion der Tiirken
die griechischen Gelehrten nach den Occident versprengt
1 Bzovius aun. 1316, n. 15, p. 282; bei Sprengel, Geschichte, II, 482,
- Ibid., aim. 1374, u. 13, p. 1301; Raynaia 1374, n. 13, p. 527.
106 Zweiter Abschnitt: Aasbildung der Vorstellung vom Teufel.
wurden, gewann das Studium der Quellen der griechi-
schen Gelehrsamkeit. Neben Aristoteles, der bisher durch
arabische Vermittelung Ijekannt war, der nun aber aus der
Quelle unmittelbar geschöpft wurde, ward auch die Pla-
tonische Philosophie wieder hergestellt, die besonders am
Hofe des Kosmos dei Medici gepflegt und gefördert wurde,
von wo ihre eifrigsten Vertheidiger ausgingen. Ueber dieser
Moro:enröthe der Aufkläruno; lao-erte aber der dicke theo-
sophische Nebel der Astrologie, welche den Lauf und
den Stand der Himmelsköi^per mit dem menschlichen Leben
in engste Beziehung setzte und dasselbe mit Hülfe astrologi-
scher Kenntnisse zu verlängern suchte, worüber das Buch
des Marsilius Ficinus ^ Vorschriften gibt. Es ist be-
kannt, wie sehr die Astrologie durch die meisten Fürsten
in dieser Periode gefördert wurde und der Hofastrologe
eine ständiore Fio;ur war. Wie man bis zum 16. Jahr-
hundert die Erde als den Mittelpunkt der Schöpfung betrach-
tete, so las man alles, was auf der Erde geschah und ge-
schehen musste, in den Sternen geschrieben, vmd Geburt,
Thaten, Erlebnisse des einzelnen waren von dem Regiment
irgendeines Planeten abhängig gedacht, woneben die in ihrer
Erscheinung regellosen Kometen als Drohschrift der Bedräng-
niss für ganze Völker gedeutet wurden.
Aus der Mitte der magischen Kreise blickte der Mensch
nach dem Sternenhimmel, um mittels der Astrologie die Be-
dingung der irdischen Glückseligkeit, wie er ein langes Leben
erreichen könne, zu entdecken. Aus demselben Beweggrunde
suchte er mittels der Alchemie die Kräfte der Natur in den
Metallen zu erforschen. Es war der Drang nach irdischem
Glück, der ihn nach einem in der Erde verborgenen Dinge
suchen liess, um durch es in Besitz von Gold, Gesundheit,
langem Leben zu gelangen, welche drei er im „Steine der
Weisen" vereinigt zu finden hoffte. Man suchte nach der
„jungfräulichen Erde" als dem Mittel zur Darstellung der
geueimnissvollcn Substanz, wodurch der Weise oder Wissende
jedes unedle Metall in Gold verwandeln, die nach der spätem
Ansicht, in ihrer höchsten Vollkommenheit als Arzneimittel
Marsil. Ficiui de vita, III, 12.
7. Das kirchlich-theologistische Gepräge. 107
gebraucht, alle Krankheiten heilen, den Leib verjiingen, das
Leben verlängern sollte. Den arabischen Hochschulen wird
das Streben nach der Auffindung des Steines der Weisen
und dessen Ueberlieferung an das nordwestliche Europa vor-
nehmlich zugeschrieben. ^ Man glaubte in allen Metallen
ein Priucip enthalten, das ihnen die Metalleität ertheilt, welche
ausgezogen und als Quintessenz dargestellt, den Stein der
Weisen abgebe. Zur Darstellung desselben gehöre vor allem
„die erste Materie", die sogenannte „jungfräuliche" oder
„Adamserde". Vom 10. Jahrhundert an finden wir das kirch-
lich-theologistische Element auch in den Laboratorien der
Alchemisten und ist daran zu erkennen, dass das Geliucren
der Operation von der Wirksamkeit des Gebetes abhängig ge-
dacht wird, das ufspriinglich nur die Dauer derselben be-
zeichnen sollte, nach der Gewohnheit, Zeitlängen mittels Ge-
beten zu bestimmen. Schon im 13. Jahrhundert hatte sich die
Ansicht bei den Alchemisten festgesetzt, dass die Einweihung
in das Geheimniss ihrer Kunst auf göttlicher Berufung: be-
ruhe, und der glückliche Erfolg als Beweis der göttlichen
Gnade zu betrachten sei. Die Alchemisten tru2;en daher ece-
wohnlich eine gewisse kirchliche Frömmigkeit zur Schau,
wozu das Anrufen böser Geister, zu denen man in Ver-
zweiflung über die mislungene alchemistische Operation seine
Zuflucht nahm, Kopp wenig passend findet 2, wir aber
bei der herrschenden dualistischen Ansicht, wonach die Welt
in zwei Lager, in das der göttlichen Macht und das des
Teufels sammt seinen Gehiilfen, getheilt war, wol erklärlich
finden. „Als Kelley", erzählt Kopp ä, „zu Prag in Kaiser
Rudolf's Händen war und nun einmal den Stein der Weisen
nolens volens schaff'en sollte, beschwor er mit Dr. Dee's Hülfe
die infernalischen Mächte, die ihm aber nicht halfen. Einige
Alchemisten hatten Dämonen in ihrer Gewalt und führten
sie in mancherlei Gestalt mit sich herum. So zeiijte Thur-
neysser zu Berlin seinen gefangenen Teufel als eine kleine
Gestalt in einem Gläschen. Bragandius hatte über zwei Dä-
monen Gewalt, die ihn in Gestalt von zwei schwarzen Bullcn-
' Liebig, Chemische Briefe, S. 40.
2 Geschichte der Chemie, 11, 216.
3 A. a. 0.
108 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
beissern begleiteten. Bei der llinriclitung des erstem in
München 1590 wurden letztere nacli Urtbeil und Recht unter
dem Galgen erschossen."
Die Ineinandersetzung des Kirchlich-theologistischen mit
der Naturkunde wurde immer inniger, sodass noch im 17. Jahr-
hundert religiöse Begriffe und Vorstellungen mit alchemisti-
schen Ausdrücken bezeichnet werden, wie die Terminologie
J. Böhme's beweist. Gegen das 13. Jahrhundert wird die
Alchemie vornehmlich in Klöstern getrieben, die Pfleger und
Anhänger derselben sind meist Geistliche, wie Albrecht von
Bollstädt, gewöhnlich Albertus Magnus genannt, in seiner
Geschichte der Metalle und Mineralien; Thomas von Aquino,
dessen Schüler, in seiner Schrift von den Meteoren; Michael
Scotus, Roger Baco, der Franciscaner Richard von England,
der Minorit Raymund Lullus, der berühmteste Alchemist des
14. Jahrhunderts, u. a. m. ^ Obschon im Anfinge des 14. Jahr-
hunderts eine päpsthche Bulle von Johann XXII. „Spondent
quas non exhibent" im Jahre 1317 die Alchemie verbot, Kö-
nig Heinrich IV. von England 1404, und der Rath von Ve-
nedig 1488 Gesetze dagegen erliessen *, wurde die geheimniss-
volle verbotene Kunst im Verboro;enen fortiretrieben. Im
16. Jahrhundert finden wir an allen Höfen Alchemisten, denn
auch die Fürsten trugen Verlangen nach dem Steine der
Weisen und arbeiteten wol selbst in ihren Laboratorien, wie
Kaiser Rudolf IL, Kurfürst August von Sachsen sammt sei-
ner Gemahlin Anna von Dänemark, die Kurfiirsten August
und Christian, Herzog Friedrich von Würtemberg u. a. Auch
hervorragende Geister wie: Baco von Verulam, Luther, Spi-
noza , Leibniz und noch die spätere Zeit glaubte an den Stein
der Weisen, wobei man nur an die Rosenkreuzer oder Semler's
Luftsalz zu erinnern braucht. Wer aber in unsern Tafjen die
Alchemie als eine pure Verirrung der Köpfe abschätzig be-
urtheilt, der vergisst, dass die Geschichte des menschlichen
Geistes ähnlich dem Kiinstler verfährt, der sein Bild von der
dunkeln Grundfarbe ins Lichte herausmalt. Durch Irrthum
zur AVahrheit ist der Gang der Entwickelung, wie die alt-
testamentliche Schöpfungsgeschichte aus dem wüsten Chaos
^ Vgl. Scbmieder, Geschichte der Alchemie, S. 132 fg.
■' Kopp II, 192.
7. Das kirchlich-theologistische Gepräge. 109
die o-eordnete AVeit und ihre Geschöpfe hervorgehen lässt.
Wie Saul ausgegangen war, die Eselin zu suchen, und eme
Köuin-skrone fand, so verdanken wir dem Streben, den Stein
der Weisen darzustellen, eine Menge gemeinnützhcher Ent-
deckungen. Die Alchemie kann mit Stolz auf ihre Tochter,
die Chemie, blicken, und aus der mystischen Astrologie hat
sich die exacte Wissenschaft der Astronomie entwickelt.
Mit unserer Erörterung sollte angedeutet werden : wie die
Allgewalt der Kirche des Mittelalters in allen Richtungen
der damaligen Wissenszweige bemerklich war, und überall
ihr GejDräge aufdriickte. Dasselbe gilt jn Beziehung auf das
Leben des einzelnen Menschen. Die Kirche nahm ihn so-
fort nach seiner Geburt durch die Taufe unter ihre Obhut,
aber zugleich unter ihre Bevormundung, unter der er auch zu
Grabe gebracht wurde. In der ganzen Zwischenzeit war er
nicht nur äusserlich an sie gebunden durch Zehnqjflichtigkeit
und andere Abgaben, er befand sich auch innerlich durch
anderwärts erwähnte Bande, an denen sie sein Gewissen in
Händen hielt, in ihrer Gewalt. Die Kirche bestimmte ihm
die Tage zur Arbeit und die Tage zur Rast, sie thcilte ihm
die Stunden des Tags in Primizzeit, Terzzeit, Vesperzeit ein,
sie ordnete ihm selbst die Speisen an. „Die Länder wurden
nach Bisthümern gemessen; die Waffenrüstung, womit der
Knappe sich künftig als Ritter schmückte, bedurfte des Segens
der Kirche ; derselbe wurde über die Flur ertheilt und herab-
gefleht , er sollte Unfall und Gefahr von dem neugewählten
Hause abwenden." ^ Die Kirche sollte ihm milde Lehrerin
und Erzieherin sein, er sollte Trost bei ihr suchen und fin-
den; er hatte aber Grund, sie zu fürchten, denn sie war zur
strengen Zuchtmeisterin und allgewaltigen Beherrscherin ge-
worden. Li allen Lagen und Wendungen des Lebens stand
die Kirche vor den Augen des Menschen, sie überragte, gleich
ihren Domen, das ganze menschliche Getriebe, sie warf auch
ihre finstern Schatten darüber. „Es ist wahr", sagt Hurter^,
„auf alle Lebensthätigkeit des Menschen übte die Geistlich-
keit mächtigen Einfluss", und eben darum, fügen wir hinzu,
weil ihr Einfluss auf alle Thätigkeit ein bevormundender, bc-
1 Hurter, IV, 383.
2 IV, 416.
110 Zweiter Absclanitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teiifcl.
herrschender war, well sie ihre eigene Bestimmung über-
schreitend den ganzen Menschen an sich fesselte, band sie
ihm die Organe zur freien Thätigkeit, lähmte die Bewegung,
hemmte die Entwickelung. Die Behauptung: in der ganzen
Periode vom G. bis 10- Jahrhundert habe es in Europa nicht mehr
als drei bis vier Männer gegeben, die selbständig zu denken
wagten, und auch die mussten ihre Gedanken mit einer dun-
kein, mystischen Sprache verhüllen, die übrige Gesellschaft
sei während dieser Jahrhunderte in der entehrendsten Un-
wissenheit geblieben ^, brauchen wir ihrem ersten Theile nach
wol nicht buchstäblich zu nehmen; aber die Wahrheit ist:
dass selbst die hervorragenden Geister durch die Allgewalt
der Kirche in ihrer Entfaltung gehindert waren, die Menge
allen Innern Halts entbehrte und an einer verzweifelnden In-
nern Hohlheit krankte, wie die Kirche selbst, über ihrer An-
strengmig nach äusserer Machtstellung in pure Aeusserlich-
keit verrenkt, ihre innere Bedeutung und damit auch ihre
sittio'ende Wirkunj^; verloren hatte. Und dies war weit über
das 10. Jahrhundert hinaus der Fall.
8. Manclierlei Ersdieimingen und Ereignisse als Factoren
in der G-escliiclite des Teufels.
Wie in der Natur aus der Verwesung neue Lebensgebilde
hervorgehen, so liefert auch die Geschichte aus den Perioden
der Auflösung und des drohenden Untergangs positive Pro-
ducte, die freilich zunächst nur gleich einzelnen Lichtfunken
in finsterer Nacht aufflackern ohne weitströmende Erleuchtung
oder langhin merkliche Erwärmung. Obschon aber wohl-
thätige Erscheinuno;en inmitten verderbter Zustände auch keine
plötzliche oder gänzliche Verbesserung der Weltlage hervor-
bringen, so gewährt die Beobachtung des Verlaufs der Ge-
schichte doch die ermuthigcnde Ueberzeugung: dass keine
Buckle, Geschichte der Civilisation in England, I, 232.
8. Mancherlei Erscheinungeu und Ereignisse. Hl
Aeusserung der Vernunft unfniclitbar bleibt oder wirkungslos
aus der Geschichte hinausfällt. Lichtfunken des Geistes der
Wahi'heit, die in dunkeln Zeiträumen sich entzündet, um
scheinbar wieder zu verlöschen, glimmen unbemerkt unter
der Asche fort, bis die Periode eintritt, wo der günstige Luft-
zug sie zur Flamme auflodern macht, um ganze Zeiten zu
erleuchten und die lebenden Geschlechter zu erwärmen. Auch
die schrecklichen Zeitabschnitte des Mittelalters haben wohl-
thätige Institutionen hervorgerufen ; wir erinnern unter andern
nur an das Gesetz vom „Gottesfrieden" (Treuga Dei) im
11. Jahrhundert, wonach von Mittwochs Sonnenuntergang
bis Montags Sonnenuntergang das Schwert zu ziehen bei
Strafe des Bannes verboten war. Dass diese Bestimmung
nicht nachhaltig durchgeschlagen, schreibt ein frommer clugny-
scher Mönch ^ auf Rechnung der menschlichen Schwäche, in-
dem nach kaum überstandenen göttlichen Strafgerichten jeder
Frevel wieder begangen wurde, wobei weltliche und geistliche
Fürsten nicht die letzten gewesen seien. Das ungestüme
Streben der päpstlichen Macht, nach der weltlichen Seite hin
sich zu erweitern, brachte auf dieser heilsame Keactionen
hervor: die Magna charta, dieser Grundj) feiler des englischen
Staatslebens, erbaute sich, während Johann von England dem
Papste Innocenz III. dienstbar war (1215); die Bullen, welche
Bonifacius YIII. von seinem Stuhle über Philipp IV. von
Frankreich herabdonnerte, erweckten in Frankreich das staat-
liche Bewusstsein, und der Staat fing an als berechtigte
Macht sich zu erheben; in Deutschland bereitete sich durch
den Sturz der Hohenstaufen eine veränderte Weltanschauung
vor, die am Ende des Mittelalters einen frischen Aufschwung
nahm. Die föderative Verfassung, mit dem kurfürstlichen
Directorium seit dem 13. Jahrhundert herangebildet, zog durch
die Kurvereine und das Keichsgesetz der Goldenen Bulle
die Scheidelinie, wodurch der päpstliche Einfluss auf die
staatlichen Angelegenheiten abgeschnitten ward. Wir brauchen
wol kaum die Beispiele zu mehren, etwa auf die Werke der
mittelalterlichen Kunst hinzuweisen, um anzudeuten, dass
auch das Mittelalter Früchte getragen, an denen wir bis auf
den heutigen Tag noch zehren. Blicken wir aber im allge-
Glaber Rudolph!, Ilistor., IV, c. 5.
112 Zweitor Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
meinen auf den Zustand der Gemütlier, so ging durch die
mittelalterliche Welt „das Gefühl der Nichtigkeit ihres Zu-
standes. In dem Zustande der Vereinzelung, wo durchaus
nur die Gewalt des Machthabers galt, haben die Menschen
zu keiner Ruhe kommen können, und gleichsam ein böses Ge-
wissen hat die Christenheit durchschauert." ^ Vom 10. Jahr-
hundert, in welchem das Papstthum im Innersten zerri'ittet
war, sagt Gfrörer^: „Kaum konnte es fehlen, dass in schwa-
chen Gemüthern durch das, was in und ausserhalb der Metro-
pole des christlichen Abendlandes vorging, Zweifel angeregt
wurden, ob die römische Kirche, die solches ruhig dulde,
theils durch ihre Häupter verübe, die wahre Kirche Christi
sei." Die ungebändigte Wildheit des Feudaladels zeigte sich
in der herrschenden Fehdewuth, wogegen die Anwendung der
angedrohten Strafe auf Landfriedensbruch wenig half, die
1041 von Burgund aus verkiindete Treuga Dei nicht lange
beobachtet ward. Rohe Kraft einerseits, die in massloser
Schwelgerei sich austobt; andererseits kleinmixthiger Bigotis-
mus, der die Seelen zusammenschnürt; hier ergeben sich
manche lebenslänglicher Busse, doi't stiirzen sich die meisten
in die ausschweifendste Völlerei; von den einen wird das
Besitzthum verprasst, von den andern der Kirche geschenkt;
da Verzückung und Schwärmerei, dort Raufsucht und Par-
teiuns. Hier unverbrüchliche Treue und Festhalten am Ge-
löbniss, dort gewissenlosester Leichtsinn, dem nichts für
heilig gilt. Hier bieten sich Beispiele freiwillig auferlegter
Selbstquälerci , wie Margarethe von Ungarn,' die aus Religio-
sität die niedrigsten Dienste in Lazarethen verrichtet, oder
eine heilige AVilbirgis mit einem eisernen Ring um den Leib,
i'iber welchen das Fleisch herauswächst und fault; dort ein
englischer König, von dem sein Zeitgenosse behauptet, dass
er nie einen Schwur oder Bund gehalten, dagegen nicht ab-
gelassen habe, ehrbare Frauen und Mädchen zu schänden.
Neben der Abtödtung natürlicher Triebe zeigt sich die roheste
Zügellosigkeit viehischer Lust; gegenüber der bis zur kindi-
schen Aengstlichkeit gesteigerten Gewissenhaftigkeit, werden
alle kirchlichen und bürgerlichen Gesetze mit Frechheit nieder-
getreten.
' Hegel, Philosophie der Geschichte, S. 453.
^ Papst Gregorius VII. und sein Zeitalter, VII, 104.
8. Mancherlei Erscheinungen und Ereignisse. 113
Es ist wahr, der Gegensatz macht sich zu allen Zeiten
und unter allen Völkern geltend, er ist die Bedingung der
menschlichen Entvvickelung; aber in jenem Zeitabschnitte des
Mittelalters erscheint die Gegensätzlichkeit in acuter Form,
die Zustände haben einen fieberhaften Charakter, sie deuten
auf die Haltlosigkeit hin, die den Schwerpunkt verloren hat,
von einem Extrem zum andern geworfen wird. Inmitten der
Zerbrochenheit der Zustände mussten die Gemüther von einem
innerlichen unheimlichen Grauen ergrifien sein, das schon im
10. Jahrhundert in der furchtbaren Vorstellung von dem
Untergänge der Welt zum Ausdruck gekommen war. Nach-
dem das erste Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung ab-
gelaufen war, bemächtigte sich der Gemiither die Angst, dass
der Zeitpunkt gekommen, wo der Himmel einstiirzcn und
der Antichrist sein Regiment beginnen soll, bis der Heiland
zum zweiten mal erscheinen werde, um zu richten die Lebendigen
und die Todten. Diese quälende Furcht lauert von da ab
im Hintergrunde und tritt wiederholt bei verschiedenen Epo-
chen hervor. Viele Urkunden aus dieser Zeit fangen mit den
Worten an: „Da die Welt sich ihrem Ende naht" u. s. w.
Die Aufgeregtheit der Gemiither musste noch höher ge-
steigert werden, wenn Erscheinungen eintraten, wodurch
zum Innern Elend der Haltlosigkeit auch die äussere Noth
hinzukam. Dies geschah durch wiederkehrende, sich auf-
einander häufende Unfälle und Elementarereignisse. Vom 10.
bis 14. Jahrhundert bieten die Chroniken ganze Verzeichnisse
von Miswachs, Heuschrecken, Hungersnöthen, Theuerungen,
und die Chronisten melden solche Nothstände meist ganz
kurz, gleich den Nachrichten über Witterungsverhältnisse
und den Ausfall der Ernte, ein Beweis, dass derlei Uebel
häufig eintraten. Ein kleiner Ausstich aus zunächstliegenden
Chronikensammlungen und einigen andern Schriften mag einen
Masstab abgeben.
Elementarereigiiisse.
Im Jahre 988 meldet Chronicon monasterii Melliccns.
eine grosse Ilungersnoth. ^
1 IL Pez, Script, rer. Austr., I, 225.
Roskoff, Gescliichte des Teufels. II.
114 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellnng vom Teufel.
Vom Jahre 1028 — 30 herrschte in Griechenland, Italien,
Frankreich und England ein überaus grosser Regen, sodass
die Ueberschweniinungen alle Ernten verdarben und die gräss-
lichste Hungersnoth erfolgte. Man nahm seine Zuflucht zu
den unnatiirlichsten Nahrungsmitteln, als Gras, Wurzeln,
Thonerde mit Kleie vermischt, selbst Menscheufleisch. Rei-
sende wurden ermordet und gliedweise verzehrt, Leichen wur-
den ausgegraben, auf dem Markte ward gekochtes Menschen-
fleisch feilgeboten. ^
„Im Jahre des Herrn 1043 war so grosse Hungersnoth
in Böhmen, dass der dritte Theil des Volkes starb." '^ Der-
selbe Chronist berichtet, als er von Mainz nach Prag zurück-
kehrte: „Es war Fastenzeit und grosse Sterblichkeit in Deutsch-
land. Die Bischöfe wollten in der ziemhch grossen Kirche
vor einem Dorfe Messe feiern, aber sie konnten nicht hinein,
weil am Fussboden ein Leichnam neben dem anderif lag."
Sie berührten eine kleine Stadt, in der kein Haus war, wo
nicht drei oder vier Leichen gelegen hätten. „Wir zogen
vorbei und übernachteten auf dem Felde." ^
Vom Jahre 1095 wird von einer Theuerung berichtet , wo
das Kloster Gembleux von allen seinen Aeckern und Zehnten
nicht fiir zwei Monate Brot hatte. „Da verhungerten so
viele, dass die Kirchhöfe nicht zureichten, statt der Gräber
wurden grosse Gruben gemacht und die Leichen an Stricken
hinuntergelassen." ^
Besonders häufig werden die traurigen Nachrichten vom
12. Jahrhundert abwärts.
Im Jahre 1164 berichtet das Chronicon auctoris incerti
eine grosse allgemeine Hungersnoth. *
Im Jahre 1202 ein Erdbeben „per totam terram" laut
Chron. monast. Mellicens. ^
Grosses Erdbeben in York; ein anderes in Italien ^; eines
1 Bei Stenzel, Geschichte Deutschlands unter den fränkischen Kaisern,
1, 288.
"^ Kosmas von Prag, bei Floto, Kaiser Heinrich IV., I, 1)1.
3 Floto, a. a. 0.
* Ibid., I, 92.
5 Pez, I, 5G0.
« Ibid., I, 236.
^ Chron. Fossae novac.
8. Mancherlei Erscheinungen und Ereignisse. 115
in Syrien, welches bei 200000 Menschen tödtete ; darauf Mis-
wachs und Seuchen ; ein anderes das ebenfalls viele Städte und
Kirchen schädigte und Menschen erschlug, wurde an vielen Or-
ten Deutschlands verspürt ; dann furchtbare Ungewitter, Don-
ner, Blitz, Hagel, Ueberschwemmungen ; allgemeiner Schrecken,
Angst vor dem nahen Jüngsten Tag; Sagen von einem vom
Himmel gefallenen Brief. ^
Vom Jahre 1224 meldet Paltrami seu Vatzonis consulis
Viennensis Chron. austriac. eine Seuche. *
Im Jahre 1225 herrscht eine Viehseuche und darauf grosse
Sterblichkeit der Menschen. '
Im Jahre 1239 eine unerhörte Hungersnoth in Ungarn,
nach Anonymi Leobiens. Chron. lib. 1.*
Im Jahre 1243 meldet Paltrami Chron. Hunger und
Heuschrecken in Ungarn ^ und im Jahre 1252 Hungersnoth
in ganz Oesterreich. ^
Im Jahre 1253 Miswachs in mehrern Ländern nach der
lOosterneuburger Chronik. ^
Im Jahre 1259 grosse Hungersnoth nach Excerpta ex
vetustiori Chron. Weichen-Stephanensi. **
Im Jahre 1263 Hungersnoth in Oesterreich nach Chron.
Mellicens. ^
Im Jahre 1270 verzeichnet der Chronist Paltram eine un-
erhörte Pestilenz in Oesterreich und Ungarn. ^'^
Im Jahre 1282 grosse Sterblichkeit in Böhmen und Mäh-
ren, sodass die Leichname „velut foenum in agrum duce-
bantur". ^^
Im Jahre 1337 berichtet eine salzburger Chronik über
eine grosse Seuche unter den Menschen. *^
1 Rog. Hoved, bei Hurter, I, 465, Note 5.
2 Pez, I, 710.
3 Ibid., I, 238.
^ Ibid., I, 816.
5 Ibid., I, 714.
« Ibid.
7 Ibid., I, 462.
8 Ibid., II, 404.
8 Ibid., I, 241.
'0 Ibid., I, 718.
^^ Klostei-neuburger Chronik, bei Pez, I, 467.
12 Pez, I, 411.
8*
llö Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Im Jahre 1338 Heuschrecken zur Erntezeit nach Ano-
nymi coenobitae Zwetlcns. Chron. ^ Nach dem Berichte des
Johann Victoriensis ^ verwiistetc im Jahre 1338 die Zuglicu-
schrecke Ungarn, Polen, Böhmen, Mähren, Oesterreich, Steier-
mark, Kärnten, Krain, Schwaben, Baiern, die Lombardei und
die Rheinprovinzen. Dieselbe Heuschreckenverwiistung meldet
Michael Herbipolensis ^ und im Jahre 1348 ein Erdbeben. *
Das Chronicon de ducibus Bavariae ^ erzählt, dass im Jahre
1348 infolge einer grossen Seuche in Baiern, Böhmen und
Oesterreich viele Wohnungen menschenleer gewesen seien. Es
ist dies wol jene furchtbare Seuche, die in Asien, Afrika und
Europa das Menschengeschlecht zu vernichten drohte und bei
den Chronisten gewöhnlich: „grosser sterb", das grosse Ster-
ben, „AVeltsterben", „der schwarze Tod" hcisst. Die Men-
schen erlagen der Krankheit meist innerhalb der ersten Tage,
nachdem sie ergriffen worden, „mortalitas hominum tanta fuit
et est, quod plerumque una in hospicio moriente persona, caeteri
cohabitantes homines et saepius quasi subito moriuntur" sagt
ein Chronist. ^ In China sollen 13 Millionen Menschen daran
gestorben sein, in Kairo täglich 10 — 15000; in Aleppo täglich
500, in Gaza binnen sechs Wochen 22000; auf Cypern fast
alle Einwohner, und auf dem Mittclmeere schwammen oft
Schiffe ohne Mannschaft. In Europa sollen 25 Millionen dem
schwarzen Tode erlegen sein. Es half keine Arznei, viele
Häuser waren ganz ausgestorben. „Do worden stet und markte
öd von dem sterben", sagt der leobner Chronist.^ Zu manchem
Nachlass fand sich kein Erbe und der Besitz der Verstorbenen
kam oft erst an den vierten Mann. **
Im Jahre 1346 grosses Sterben in Italien laut Chronicon
Bohemiae.^ — In demselben Jahre eine grosse Hungersnoth.^"
1 Bei Pez, I, im.
2 Boehmer, I, 430.
3 Ibid., I, 488.
* Ibid., I, 473.
6 Ibid., I, Üb.
« Boehm. fönt., I, 430.
7 Pez Script., I, ;)G8.
** Vgl. llecker, Der schwarze Tod im 11. Jahrhundert.
9 Pez, I, 1040.
10 Il)id.
8. Mancherlei Erscheinungen und Ereignisse. 117
In den Jahren 1348 und 1349 Erdbeben, Pestilenz und
Theuerung. ^
Im Jahre 1350 Erdbeben in der Schweiz. ^
Im Jahre 1351 Heuschrecken in O esterreich. ^
Im Jahre 1359 meldet die salzburgische Chronik eine
„crudelissima pestilentia, quae interemit forsan tertiam partem
hominum", die nach und nach über die ganze Erde sich ver-
breitete. *
Im Jahre 1370 grosse Pestilenz. ^
Im Jahre 1381 grosses Sterben im Lande, wobei in Wien
allein 15000 Menschen umkamen. ^
Im Jahre 1399 Pestilenz. ^
Auch Caesarius von Heisterbach meldet solche allgemeine
Unglücksfälle: dass nach dem Tode Heinrich's (also im 12. Jahr-
hundert) eine ausserordentliche Theuerung in Deutschland ge-
herrscht habe ^ ; er berichtet über ein Erdbeben auf Cypern *
und Brescia ^^, wobei 12000 Menschen ihren Untergang ge-
funden. Die Mailänder, erzählt er, hatten aus Furcht ihre
Stadt verlassen und lebten über acht Tage lang auf freiem Felde
unter Zelten. Um dieselbe Zeit wurden Bergamo, Venedig
und viele andere Orte von demselben Unglück betroffen.
Der fürstenfelder Chronist ^^ weiss von einer grossen
Hunscersnoth nach dem Tode Ottokar's von Böhmen und
einer grossen Seuche, die unter dem Volke wüthete. Derselbe
berichtet über eine entsetzliche Hungersnoth um die Zeit des
Regierungsantritts Kudolf s, wo die Aermern mit Eicheln und
Feldkräutern ihren Hunger zu stillen suchten, trotzdem aber
viele erliegen mussten.
1 Bei Pez, l, 728. 1080.
2 Ibid.
3 Ibid.
* Pez, I, 412.
5 Ibid.
« Ibid., I, 1161.
' Ibid., I, 1397. 1399.
* Dialog, miraculor., c. 47.
9 Cap. 48.
1» Caix 49.
'* Bei Boehmer fönt., I, 11.
1 18 Zweiter Abschnitt : Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Bei dem in jenen Zeiten herrschenden Glauben, der alle
schädlichen Elementarereignisse wie überhaupt alle Ucbel, die
den Menschen betrelFen, der finstern Macht des Teufels zu-
schrieb, deren Walten die göttliche Vorsehung zulasse, um zu
ziichtigen, zu bessern oder zu prüfen, mussten die geängstigten
Gemüther bei den aufeinanderfolgenden Calamitätcn, die oft
mehrere Reiche betrafen, wovon die Nachrichten auch Aveiter
drangen, die Vorstelhmg von dem Teufel stets lebendig er-
halten. Der Mensch sah in den grossen Nöthen, welche seine
Zeit betrafen, nur die bestätigenden Belege zu dem Glauben,
der ihm von den Kirchenlehrern gepredigt wurde. Wir sehen
daher in verderblichen Erscheinungen einen der Factoren,
welcher beitrug, den Teufelsglauben zu fördern und bei der
allgemeinen Haltlosigkeit die Furcht vor der höllischen Macht
ZU steigern.
Mougoleneiufall. 1242.
Der Untergang der Welt und die Erscheinung des Anti-
christs war zwar noch nicht thatsächlich eingetreten, wie man
vom 10. Jahrhundert an mit Angst erwartete, aber das
12. Jahrhundert war auch nicht danach angethan, diese Furcht
zu zerstreuen. Denn ausser Hungersnöthen herrschte auf allen
Seiten Zwietracht, Kampf und Aufstand, und die Welt schien
nur mehr ein Tummelplatz für blutige Streitigkeiten zu sein.
Ein solches Bild von der damaligen Weltlage entwerfen uns
die Chronikensehreiber. ^ Im 13. Jahrhundert schien nun der
befiirchtete Weltuntero:an<x eintreten zu wollen, als eine Horde
wilder Reiter von Asien her nach Europa, gleich einem Un-
geheuern Hagelwetter, sich herüberwälzte, und alles unter seinen
Schlägen zu vernichten drohte. Es ist der bekannte Einfall
der Mongolen oder Tartaren, wie sie nach dem Vorgange
Roger's auch genannt werden. ^ Nähere Schilderungen liegen
' Vgl. Viti Arnpeckhii Chronicon Bojoariorum lib. iV, c. 51, bei
IL r. Pezii thes. anecdot. noviss., tom. III, pars III.
^ Bei Endlicher, Monumenta Arpadiana: M. Rogerii Canonici Vala-
diensis Carmen miserabilc sujier destructioue regni Ilungariae temporibus
Belae IV rcgis per Tartaros facta.
8. Mancherlei Erscbeiuuugcn und Ereignisse. 119
bei Raumer ^ und andern vor und genügt daher mit einigen
Strichen das Grauenhafte dieses Ereignisses anzudeuten. Die
Wildheit des Dschingls (geb. 1155, gest. 1227) kennzeichnet
sich, dass er bei Eröffnung seiner Laufbahn als Sieger über
seine gegnerischen Stammesgenossen, die angesehensten Ge-
fangenen in 70 Kesseln sieden liess. Als Dschingis-Khan
(d. h. Khan aller Khane) brach er hierauf mit seinen Horden,
deren einzelne von einem meist aus der Familie Dschingis-
Khan's stammenden Anführer geleitet wurden, während er selbst
die Oberaufsicht behielt, aus den wüsten Höhen seines Heimat-
landes auf, um nach einer unter den Mongolen gangbaren
Tradition die Welt zu erobern, zu deren Herrschaft, nach
einer durch den Schamanen Gökdschu mitgetheilten göttlichen
Offenbarung, Dschingis-Khan bestimmt sein sollte. Nach dem
Einfalle in China werden einem Prinzen des Kaiserhauses
Niutschen die Beine abgehauen, weil er nicht niederknien
wollte und der Mund bis an die Ohren aufgeschlitzt, damit
er nicht weiter reden könne. In Bochara, einem Hauptsitze
mohammedanischer Gelehrsamkeit, w^erden die Büchersäle als
Ställe benutzt, die Bücher zerstört, die Stadt verbrannt.
Samarkand wird nach der Anschauung der Mongolen milde
behandelt, indem sie nur 30000 Einwohner umbringen und
ebenso viele zu Sklaven machen. Bei der Eroberung von
Chowaresm werden 100000 Einwohner erschlagen. Eine Menge
blühender Städte, die von dem Mongolenzuge berührt worden,
sind gründlich zerstört. Diese Greuel sind glaublich, wenn
wir hören, dass Dschingis-Khan einem seiner Söhne zugerufen :
„Ich verbiete dir, jemals ohne meinen ausdrücklichen Befehl
milde sesen die Bewohner eines Landes zu verfahren. Mit-
leid findet sich nur in schwächlichen Gemüthern und Strenge
allein erhält die Menschen bei ihrer Schuldigkeit." Unter
dieser Strenge ist eben gänzliche Verwüstung verstanden und
die Reeel heisst : alle Besiec-ten zu schlachten oder als Sklaven
zu verkaufen. Die Söhne Dschingis-Khan's folgten nach
dessen Tode seinem Beispiele. Das eingeschlossene Heer des
Fürsten von Kiew, dem Leben und Freiheit versprochen ward
im Falle der Uebergabe, wurde nach dieser doch niederge-
metzelt und die Vornehmern unter den Bretern, auf welchen
' IV, 1 fg.
120 Zweiter Abschnitt: Ausljildung der Vorstellung vom Teufel.
die Mongolen beim Siegesfest sassen, zu Tode geqnetsclit.
Nach der Zerstörung der vorzüglichsten Städte Russlands,
deren im Februar 1238 allein vierzehn vernichtet wurden,
stiirzte sich die durch die unterjochten Völker verstärkte Horde
nach Polen , das den vernichtenden Zug ebenso wenig auf-
halten konnte. Die mongolischen Reiterscharen überfielen
gewöhnlich das nächste Volk und erdrückten es, das sich
unterwerfende musste seine berittene Mannschaft der Räuber-
schar einverleiben, um bei der Verwüstung des nächsten Lan-
des mitzuhelfen. Die Mongolen dringen bis an die Weichsel,
erreichen Krakau, dessen Bewohner aus Furcht geflohen
waren, und verbrennen es. Im Jahre 1241 zerstören sie Bres-
lau, wenden sich nach Liegnitz und behaupten auf der Ebene
von Wahlstatt das Schlachtfeld als Sieger. Nach Mongolen-
brauch wird dem Herzog Heinrich, der den Heldentod ge-
funden, der Kopf abgehauen, auf eine Lanze gesteckt, um
damit die Burg von Liegnitz zur gutwilligen Uebergabe ein-
zuladen. Als dies nicht gelingt, wenden sie sich nach grossem
Verluste, den der Sieg gekostet, nach Mähren, um es bis
Brunn zu verwüsten ^, von Sternberg schlägt sie aber in der
Nähe von Olmiitz (1241) und drängt sie nach Ungarn. König
Bela IV. wird «>:eschla<T;en, und sein Land sowie auch Sieben-
bürgen, Serbien, Bosnien verfallen der Zerstörung und Grau-
samkeit der Mongolen. Die Einwohner werden niedergehauen,
die Einwohnerinnen von den Mongolinnen erstochen, ver-
stümmelt oder zu Sklavinnen gemacht, die gefangenen Kinder
müssen sich setzen, um von mongolischen Knaben erschlagen
zu werden, von denen derjenige als Meister gilt, der mit
Einem Hiebe einen Kopf zerschmettert. Dass manche Ge-
fangene lebendiiji:en Leibes ijeschunden und anderweise ge-
martert werden, versteht sich von selbst. Rogerius erzählt,
was er selbst gesehen oder von andern Augenzeugen gehört
liat^, und wir können ihm glauben, wenn er sagt: nach einer
Schlacht sei der Boden zwei Tagereisen im Umfimge mit
Leichen bedeckt gewesen, dass sie Raubvögel und wilde
Thiere bis auf die Knochen verzehrten und die Reste, die
nicht vom Feuer in den Ortschaften und Kirchen ver-
' Wiener Jahrbücher, XLIII, 257.
^ Monum. Arp., p. 255, Epistola.
8. Mancherlei Erscheinuugen und Ereignisse. 121
brannt worden, noch lange Zeit umhergelegen haben. ^ Die
durch Verwesunir verdorbene Luft brachte den Halbtodten
auf den Feldern, Strassen und AVäldern den Tod. Kost-
bare Gefässe, von Flüchtlingen weggeworfen, um auf der
Flucht nicht gehindert zu sein, lagen zerstreut umher. Unser
Verfasser, selbst unter die Mongolen gerathen, wird der
Skhive eines Khans und hat daher Gelegenheit zum Beobach-
ten. Er sao-t: Dem Leser würde das Herz erstarren, wenn
ihm die einzelnen Grausamkeiten beschrieben würden 2; er
fürchtet nicht, zu viel zu sagen, wenn er behauptet, dass bei der
Verwüstung von Gran nur 15 Menschen von der ganzen Be-
völkerung der Stadt übriggebheben seien, „qui non fuissent
tam intus quam extra omnes nequiter interfecti". ^ Das Elend
darauf und die Hungersnoth war so entsetzHch, dass Menschen-
fleisch öffentlich verkauft wurde. Der Schrecken, der den
Mongolen von Asien her voranzog und nachfolgte, durchdrang
ganz Europa bis Sicilien. Die Angst vor einem qualvollen
Tode war nicht grösser als die Furcht vor der mongolischen
Sklaverei. „Denn wer in die Hände der Tartaren gerathen",
sagt Rogerius *, dem wäre besser gewesen, er wäre gar nicht
geboren worden, denn es war ihm, als ob er nicht von Tar-
taren, sondern vom Tartarus gefangen gehalten würde, „se
non a Tartaris sed a Tartaro detineri". Dies bezeugt Rogerius
aus Erfiihrung, der in der Zeit, die er unter ihnen zugebracht,
zu sterben für einen Trost gehalten, da das Leben eine Todes-
strafe war. Auf seiner Flucht von den Mongolen muss er
zwei Taae lauo- ohne Nahrung in einer Grube unbeweglich
wie ein Todter sich verhaltend zubringen. Mit Hunger und
Durst kämpfend, schlägt er nach dem Abzüge der Mongolen
seinen Weg nach der Heimat ein, und nach acht Tagen in
Weissenburg angelangt, findet er nichts als die Gebeine und
Köpfe der Erschlagenen. Er schleppt sich mühselig weiter
und bemerkt in der Nähe einer Ortschaft (Ivata) auf einem
Berge einige Menschen, welche daselbst eine Zuflucht ge-
1 Monum., S. 277, Nr. 30.
2 A. a. 0., S. 290, Nr. 37.
3 Ibid., S. 291, Nr. 39.
' Ibid., S. 25(3.
122 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
flmden, und bei denen er seinen Hunger mit etwas Brot von
Mehl und Eichenrinde stillen kann.
Das Iiiterregiinm. 1250 — 73.
Deutschland und Italien hatten zwar unter den Verwiistun-
gen der Mongolen nicht unmittelbar vuid thatsächlich gelitten, sie
waren mit dem Schrecken davon gekommen; dagegen hatten
diese Länder in demselben Jahrhundert an den verderblichsten
Zuständen des sogenannten Interregnum zu dulden. Nach
den Hohenstaufen lag die königliche Würde so sehr danieder,
dass ein König (Wilhelm von Holland) auf den Strassen von
Utrecht mit Steinen geworfen wurde. ^ In Italien lag es im
Interesse der päpstlichen Macht, nach dem Tode Friedrich's
die kaiserliche Macht einschlafen zu lassen, um selbst an
Uebergewicht zu gewinnen. In Ober- und Mittelitalien tobte
der Parteikampf der Weifen und Ghibellinen fort, bis sie sich
um den letzten Hohenstaufen gruppirten. Im Jahre 12G<S fiel
aber Konradin's Kopf auf dem Blutgerüste, und hiermit war
der von den Päpsten oft geäusserte Wunsch erfüllt, obschon
die Hoffnung, die kirchliche Macht von der weltlichen ganz
unabhäno-ior zu sehen, damit doch nicht verwirklicht ward. Das
vom Papste herbeigezogene Mittel, um das kaiserliche Haus
der Hohenstaufen zu vernichten, drohte nun dem Stuhle Petri
selbst verderblich zu werden, sodass Clemens IV. über Karl
von Anjou klagen konnte: so arg habe es Kaiser Friedrich II.
als Feind der Kirche nie getrieben. Erst 14 Jahre nach
Konradin's Tode kam der Tag, mit welchem Gregor X. den
Usurpator Karl von Anjou gedroht hatte, wo über diesen
und seine Erben das Strafgericht hereinbrach. Es war der
zweite Ostertag im Jahre 1272, an dem die Sicilische Vesper
den Franzosen auf der Insel Sicilien zu Grabe läutete.
In Deutschland gab es während des Interregnum nur
Namenkönige, das Reich entbehrte einer festen Hand zur
Führung des Regiments und schwankte daher am Rande des
Abgrunds. Nirgends Ruhe, allenthalben Zwistigkeit, jegliche
1 Magn. Chron. Ijelg. ad annum 1254, bei Pfister, Geschichte der Deut-
schen, II, 597.
8. Mancherlei Erscheinungen und Ereignisse. 123
Existenz bedroht. In allen Provinzen Dentsclilands die ver-
zehrenden Flammen der Parteikämpfe, und niemand da, der
dem umsichgreifenden Verderben Einhalt thäte. Gewalt ver-
tritt die Stelle des Rechts, und Räuberei hat sich zur Herr-
schaft erhoben. „Damals", sagt der fürstenfelder Chronist *,
„war der Friede ins Exil gewandert, Zwist und Unfriede
triumphirten Die Feldereien, nachdem das Zugvieh ge-
raubt war, lagen unbebaut und dem Verderben preisgegeben,
und selten sah man den Landmann hinter einem Pferde oder
Ochsen einhergehen, um zu pfliigen und den Boden fruchtbar
zu machen. Nachdem Haus- und Zugvieh abhanden ist,
wuchern Disteln und Nesseln im ländlichen Aufenthalte."
Solche Zustände waren wol geeignet, den Glauben zu
fördern, die wohlwollende Gottheit habe ihre Hand von der
Menschenwelt abgezogen und deren Verwaltung dem bösen
Wesen überlassen. Es soll hiermit vorläufig die damalige
Weltlage als mitwirkendes Moment erwähnt sein, als geeignet,
in den erregten Gemüthern die Vorstellung vom Teufel und
die Furcht vor seiner Macht zu fördern.
Als bedeutendes Moment zur Hegung, Ausbreitung und
Fcstiffumr der Vorstelluno; vom Teufel müssen auch die im
Mittelalter herrschenden Sekten erwähnt werden. Sie wirkten
in dieser Beziehung sowol durch ihre dualistische Anschauung,
die sie insgesammt vertraten; vornehmlich wui-de aber der
Teufelsglaube durch die von der Kirche ausgehende und
urgirte Ansicht gefördert, wonach die Ketzer als Diener des
Teufels betrachtet werden müssen. Mit der Ausbreitung der
Sekten gewann der Dualismus an Boden, für die kirchliche
Anschauung war die Existenz der Ketzer ein lebender Be-
weis von der Herrschaft des Teufels.
' Bochmer foutcs, I, 2.
124 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
9. Sekten im Mittelalter.
Nachdem das Christentlium von der gebildeten Welt auf-
genommen worden, die Kirclienlehre bis auf Einzelheiten fest-
gestellt war, trat auch das apologetische Bestreben in den
Hintergrund, und wenn sich kirchliche Streitigkeiten erhoben,
so sind diese im Grunde als Ergänzungen zu frühern zu be-
trachten. Die Ketzereien aber innerhalb dieses Zeitraums
sind weniger gegen die Dogmen der Kirche als vielmehr
gegen diese selbst als äussere Anstalt gerichtet, in der das
Streben, die Idee der Kirche in einem imponirenden Systeme
zu verwirklichen, sehr augenfällig hervortrat. Das ganze
Mittelalter hindurch geht mit der Kirche parallel eine Reihe
von Sekten, welche mit dieser in Opposition sind, und sich
durch eine dualistische Weltanschauung kennzeichnen, gleich
dem Manichäismus mit der katholischen Kirche im Wider-
spruch stehen, mit diesem daher gern in Zusammenhang ge-
bracht werden. So die Marcioniten, die schon im 4. Jahr-
hundert in der Gegend von Edessa sehr häufig waren, die
zwei Principien, ein böses und ein gutes annahmen, jenes als
Urheber dieser AVeit, letzteres als Schöpfer der jenseitigen,
geistigen Welt. Sie verwarfen alle Hierarchie, wiesen die
priesterliche Vermittelung zurück und hielten sich an den
Grundsatz: Jeder habe das Recht, in der Schrift selbst zu
lesen, nach dem Willen Gottes sollen alle selig werden und
zur Erkenntniss der Wahrheit kommen. Seit der zweiten
Hälfte des 7. Jahrhunderts treten die Paulicianer auf, von
Photius und Petrus Siculus schon als Manichäer bezeichnet,
die mit den Marcioniten die dualistische Anschauung theilen,
den sinnlichen Leib von Demiurg geschaffen sein und nur
die Seele von Gott abstammen lassen. Sie legen, gleich den
Manichäern, obschon sie Ehe und Fleischgenuss für erlaubt
erklären, den kirchlichen Sakramenten nur eine geistige Be-
deutuns: bei, verwerfen alle Aeusserlichkcit des katholischen
Cultus und sind entschiedene Feinde der Hierarchie.
Um das Jahr Uli erschienen zu Konstantinopcl die
Bogomilen, die bis ins 13- Jahrhundert hineinragen und
Spuren ihrer Ketzerei zurücklassen. Ihr Haupt, Basilius,
wurde durch den Kaiser Alexius Komnenus zum Feuertode
9. Sekten im Mittelalter. 125
vcrurthcilt. Obschon sie zum Unterschiede von den Pauli-
cianern die Ehe und den Fleischgenuss verwarfen, waren sie
doch gleich jenen Dualisten, hielten aber den bösen Dämon,
den Satan oder Satanael, ursprünglich fiir einen Sohn Gottes,
der sich aus Uebermuth gegen den Vater empört, und obwol
vom Himmel gestiirzt, dennoch seine Schöpferkraft behalten,
einen zweiten Himmel mit seinen Engeln geschaffen habe und
zwar mit derselben Ordnung wie Gott den seinigen. Der
Dualismus der Bogomilen zeigt sich vornehmlich bei ihrer
Vorstellung von der Schöpfvuig des Menschen. Satan bildete
zwar den Leib Adam's aus Erde und Wasser, aber der gute
Gott sandte auf Satans Verlangen den belebenden Hauch,
doch unter der Bedingung, dass der Mensch fortan ihnen
beiden angehören sollte, die Materie dem Satanael, das Geistige
dem guten Gott. Da hierauf Satanael sein Versprechen be-
reute, fuhr er in die Schlange, beschlief die Eva, welche den
Kain und dessen Zwillingsschwester Kalomena gebar. Auch
Adam erzeugte mit Eva den Abel und dessen Mörder Kain.
Satanaels Engel empfanden Neid, dass die Wohnungen,
aus denen sie gestürzt worden waren, von den Menschen ein-
genommen werden sollten, sie beschliefen daher deren Töchter,
woraus Riesen entstanden, die sich gegen Satanael empörten,
der sich aber durch die Sündflut an den Menschen rächte.
Die erste Weltperiode stellen die Bogumilen unter die Herr-
schaft der Dämonen. Es herrschte seit der Sündflut Satanael
als xoc;[j.oxpaTop unter den Menschen, deren grössten Theil er
verführte, bis Gott aus Mitleid „das Wort", d. h. den zweiten
Sohn, aus seinem Herzen hervorgehen liess, der vom Himmel
herabstieg, in das rechte Ohr der Jungfrau hinein und durch
das Ohr wieder herausging. Da die Bogomilen Doketen waren,
erklärten sie den Kreuzestod für nur scheinbar, dass am dritten
Tage nach demselben Christus die Gestalt des irdischen Fleisches
abgeleo-t und in seiner himmlischen Gestalt dem Satan erschie-
nen sei, den er auch seinen göttlichen Namen (El) abzulegen ge-
nöthigt habe, sodass von Satanael blos Satan geblieben sei. In-
dem die Bogomilen die wesentliche Bedeutung Christi nur in das
hörbare Wort legten, waren sie Verächter der katholischen
Kirche, die sie als Wohnung der Dämonen betrachteten. Nur
das Gebet und die Geistestaufe waren ihnen wesentliche
religiöse Acte. Sowol die Paulicianer als auch die Bogomilen
126 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
trieben aber die Accommodation sehr weit, macliten den katho-
lischen Cultus mit und verkehrten mit den Katholiken, wobei ihre
dualistische Anschauung natürlich auch ihre Fortpflanzung fand.
Im Abendlande wurden schon in friihern Jahrhunderten
verschiedene dualistische Sekten, als Messalianer, Satanianer
und unter andern Namen angefiihrt, deren Zahl besonders
seit dem 11. Jahrhundert in mehrern Ländern zunahm und
die gewöhnlich in den gemeinsamen Namen der Katharer zu-
sammengefasst werden. Unbeachtet der Dunkelheit über die
Einzelheiten ihrer Anschauung, wodurch sie sich unterscheiden,
sind wir i\ber ihre Wesenseinheit im Klaren, nämlich dass sie
alle den Dualismus hochhielten. Ebenso sicher ist, dass der
Ilauptzug dieser Ketzereien von Osten her durch die slawi-
schen Länder Bulgarien und Dalmatien über Obcritalicn nach
dem übrigen Europa gegangen ist. Schafarik ' betrachtet
die Slawen als Träger und Verbreiter des Katharismus, der
in Thrazien unter der Form des erwähnten Bogomilismus auf-
getreten. In Macedonien soll im 12. Jahrhundert ein katha-
risches Bisthum existirt haben. Die Vermuthung Baur's ^,
dass der altpersische Dualismus auf die Messalianer oder
Eucheten, die zuerst in Mesopotamien, dann in Syrien, Pam-
phylien, Lykaonien und andern Ländern des griechischen
Eeichs erschienen, eingewirkt habe, lässt sich wol auf alle
dualistischen Katharer ausdehnen. Man wird die Annahme
rechtfertioren : dass durch diese neue Strömuno; der dualistischen
Häresie aus dem Orient vermittels der slawischen Stämme
der ins Volksbewusstsein der europäischen Christen einge-
drungenen dualistischen Anschauung frische Nahrung zuge-
fi'ihrt wHirde.
Von Italien, wo schon ums Jahr 1035 Girardus nebst andern
Ketzern verbrannt worden war, verbreiteten sich die Katharer
zunächst über das südliche Frankreich, wo sie friihe mehrere
Bisthiimer organisirt hatten, worunter Toulouse und Albi,
von welchem letztern sie auch Albigenser hiessen, die bedeu-
tendsten waren. Ihr ernster Sinn, ihre Sittenstrenge ver-
schaffte ihnen grossen Anhang bei dem herrschenden Wider-
willen gegen die sittenlose Lebensweise der Geistlichen inmitten
' Denkmäler der glagolitischen Literatur.
'^ Die christliche Kirche im Mittelalter, S. 182.
i). Sekten im Mittelalter. 127
der trostlosen politischen und kirchlichen Zustände der Zeit,
sodass am Anfange des 13. Jahrhunderts in Languedoc, in
der Provence, in Guienne, Gascogne die ketzerische Lehre
herrschend war. Die vornehmsten Familien zählten zu den
Katharern und Hessen ihre Kinder von ihnen erziehen. Aus
Südfrankreich verbreitete sich das Katharerthum in das nörd-
liche Spanien, nach Deutschland, wo schon im Jahre 1052
Katharer hingerichtet wurden; in der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts finden sich katharische Gemeinden in Oester-
reich, Baiern, Niederlanden und dem Ivhein entlang. In Eng-
land waren sie weniger bemerkt und scheinen nur sporadisch
gewesen zu sein. Dabei waren die katharischen Gemeinden,
besonders die in Frankreich und Italien, in organischem Zu-
sammenhange mit den urspriinglichen in Bulgarien und Dal-
matieu, was aus den Berichten des Katharerbischofs Nicetas
aus Konstantinopel, auf der von den Katharern im Jahre 1167
zu Saint-Felix de Caraman abgehaltenen Synode, klar her-
vorgeht.
Nach der dualistischen Anschauung: der Katharer ist der
böse Gott der eigentliche Schöi^fer dieser sinnlichen Welt,
dem guten Gott eignen sie das Unsichtbare, Ewige, die Licht-
welt, das himmlische Jerusalem. Eifersüchtig auf das Reich
des guten Gottes, habe der böse die himmlischen Seelen ver-
fiihrt, welche ihm auf die Erde folgten und in Leiber eingeschlos-
sen wurden, was der gute Gott geschehen liess, damit die
gefallenen Seelen durch diese Busse auf der Erde wieder in
den Himmel gelangen könnten. Zu ihrer Erlösung sei der
Sohn des guten Gottes erschienen, aber mit einem Schein-
körper. Auch auf Jesu Wunder wie auf Maria übertrugen die
Katharer den Doketismus.
Eine Partei der Katharer, die Concorcenser, nahm zwar
dem schrofien Dualismus seine Schärfe, indem sie Gott allein
als den Schöpfer anerkannte, wich aber von der katholischen
Kirche doch darin ab, dass sie die von Gott geschafienc
materielle AVeit von Lucifer geordnet und gestaltet wer-
den liess.
Die Kirche, die schon in den altern Zeiten den Mani-
chäismus für ihren schlimmsten Feind betrachtet hatte, sah
sich durch den Katharismus, in dem sie den wiedererstandenen
Manichäismus erblickte, hart bedroht, um so mehr, als sich
128 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
ihr das katliarisclie Lehrsystem mit der grösstcn Schroffheit
entgegenstellte, indem es unter anderm auch den Grundsatz
enthielt: dass Busse thun und durch diese selig zu werden,
nur in der Gemeinde der Katharer möglich sei, in die man
durch das Consolamentum , d. h. die Geistestaufe Eingang
finde. Die weite Verbreitung des Katharerthums , welches
immer mehr zunahm und zwar bis in die nächste Nähe des
Papstes gelangte, musste die Reaction der Kirche hervorrufen.
Mehrere Synoden des 12. Jahrhunderts suchten ihre Be-
schlüsse gegen die Katharer durch blutige Mittel auszufiihren,
konnten aber deren weiterm Umsichgreifen keinen Einhalt
thun, sodass Innocenz III. bekennen musste: diese teuflische
Bosheit gegen die rechtgläubige Kirche sei es, welche unter
allen Gefahren, die der katholischen Kirche drohten, sein
Gemüth am meisten betriibe. Er wusste daher in dem
Abt Arnold von Citaux den Eifer dahin anzuregen, dass
dieser sich an die S^^itze eines Kreuzheeres stellte, nicht
mn das heilige Land zu erobern, sondern um die Ketzer zu
vernichten. Das Kreuzheer fiel im Jahre 1220 zuerst in das
Gebiet des Vicomte von Albi ein, wandte sich dann gegen
den Grafen von Toulouse und eröffnete hiermit die bekannten
Greuel des Albigenserkriegs, der 20 Jahre hindurch seuchen-
artig wirkte, dessen Fortsetzung dann den Händen der In-
quisition anvertraut ward.
Bekanntlich erstreckten sich die blutigen Massregeln gegen
die Katharer auch über die Waldenser, die zwar nicht auf
der dualistischen Grundlage der Anschauung fussten, aber
durch ihre Grundsätze von der evangelischen Armuth und der
apostolischen Predigt mit der päpstlichen Kirche in Oppo-
sition la^-en. Der Katharismus ist seinem Wesen nach als
„populärer halb christlicher, halb heidnischer Versuch, das
Problem vom Ursprung des Bösen zu lösen", bezeichnet wor-
den. ^ Diese Bezeichnung ist treffend nach der theoretischen
Seite, berührt aber nicht die praktische Tendenz des Katha-
rismus, welche von der Kirche sehr wohl ins Auge gefasst
wurde, daher deren Erbitterung gegen den Katharisnuis nicht
blos in dessen dogmatischem Gegensatze zu ihr, sondern vor-
nehmlich darin ihren Grund hatte, dass sie ihre Herrschaft
' 0. Schmitt in Ilerzog's p]ncykIopädio, Ari. Kiitharer.
9. Sekten im Mittelalter. 129
über die Gemüther durch sein Ueberhandnehnien geschmälert
sah, wie ihr auch äusserlicb ein grosses Gebiet entzogen ward.
Nach der uns bereits bekannten Herabdrückungsmethode,
die von der Kirche in frühern Zeiten den Heiden wie auch
den Häretikern gegenüber befolgt ward, erklärte sie diese
für Teufelsdieuer und, wie schon Augustinus dem himmlischen
Staate einen teuflischen entgegengestellt hatte, so stempelte
die Kirche des Mittelalters jede von ihr abweichende oder
ihr gegensätzlich erscheinende Anschauung zum Teufelscultus-
Das Volk musste hiernach in der Ausbreitung des Katharis-
mus ein Ueberhandnehnien der Macht des Teufels erblicken
und in seinem Glauben daran bestärkt werden. Dies musste
um so mehr der Fall sein, wenn es die Kirche Massregeln er-
greifen sah, womit sie dem Teufelscult entgegenzuwirken suchte.
Solches geschah durch das eingeführte heilige Officium, das
Gericht der Kirche zur Entdeckung und Bestrafung des teuf-
lischen Aberglaubens, der ketzerischen Bosheit.
Die IiKiuisitiou.
Während der unaufhörlichen Kämpfe der Hierarchie um
die Oberhand über die weltliche Macht, durch anderwärts
erwähnte Mittel zur Machterweiterung, wodurch die Gewissen
der Menschen ganz und gar ecclesiae adstricti werden sollten,
hatten die Heilsmittel der Kirche ihre sittliche Kraft einge-
büsst, und jene glaubte sich genöthigt, ihre Zuflucht zu äussern
Zwangsmitteln nehmen zu sollen. Die alte Kirchenzucht,
welche ursprünglich von den Landesbischöfen gehandhabt
worden, hatte als grösste Strafe die Excommunication ver-
hängt, wodurch der Betroffene zwar als dem Teufel verfallen
betrachtet wurde, zugleich die bürgerliche Strafe der Ver-
bannung, aber nicht die Todesstrafe erlitt. Als Theodosius
(382) die Todesstrafe gegeji die Manichäer gesetzlich be-
stimmte , fand er noch Widerspruch bei den angesehensten
Kirchenvätern, als Chrysostomus ' und Augustinus^; wogegen
1 Homil. 29 u. 46 in Matth.
2 Epist. 93 ad Vincentium; contrd Gaudentium üb. 1, Ep. 185 ad
Bonifaciuin.
Koskoff, Gcsclüchtc Jea Teufels. II Q
130 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Hieronymus die Todesstrafe auf Ketzerei schon rechtfertigt,
gestiitzt auf 5 Mos. 13, 6 fg., und Leo der Grosse die Hin-
richtung in diesem Falle ganz billigt. ^ Die weltliche Obrig-
keit, die im Dienste der Kirche stand, welche vom Blut-
vergiessen sich frei erhalten wollte, musste die Urtheile voll-
ziehen. Den Bischöfen blieb das Recht und die Pflicht, die
Kirche von Ketzerei rein zu erhalten, und die weltliche Macht
unterstützte sie kräftig dabei. Zur Erforschung unkirchlicher
Meinungen dienten die Sendgerichte, welche seit dem
11. Jahrhundert in ein ordentliches System gebracht wurden.
Das Ueberhandnehmen des Katharismus der Albigenser und
Waldenser machte den römischen Stuhl erzittern, daher er
Legaten ohne Berücksichtii]fims der bischöflichen Rechte mit
dem kirchlichen Strafamt ausri'istete, das sie gegen der Ketzerei
Verdächtiofe auch oft mit Grausamkeit vollzoo-en. Die römische
Curie sah sich aber weder durch diese noch durch die stren-
gen Verordnungen der Concilien zu Toulouse 1119 und des
dritten lateranischen Concils 1170, noch durch die Blutarbeit
der Kreuzheere befriedigt. Papst Innocenz III. wollte die Aus-
spiirung der Ketzer ordentlich organisirt wissen und liess im
vierten lateranischen Concil das Verfahren o-eofen die Ketzer
als Hauptgeschäft der bischöflichen Senden aufstellen, wonach
jeder Bischof verpflichtet ward, seinen Sprengel, von welchem
ruchbar geworden, dass sich Ketzer darin aufhielten, entweder
selbst zu visitiren oder von in gutem Rufe stehenden Per-
sonen visitiren zu lassen, wobei nöthigenfalls sämmtliche Ein-
wohner beschwören sollten, die ihnen bekannten Ketzer anzu-
zeigen. Wer den Eid verweigerte, lade den Verdacht der
häretischen Bosheit auf sich selbst, und der im Straftimte
lässige Bischof solle abgesetzt werden. ^ Das Concil von
Toulouse im Jahre 1229 erweiterte den von Innocenz III. se-
macliten Entwurf einer systematischen Ausspiirung der Ketzerei,
und so ward die Einrichtung der Inquisition vollendet. In
den 45 Sätzen, die das Concil erliess ^, sind dies die wesent-
lichen Bestimmungen : Die Erzbischöfe und Bischöfe sollen in
ihren Parochien einen Priester und einige unbescholtene Laien
' Epist. IT) ad Turribium.
^ Mansi, Conc. uova et ampliss. collect., toni. XXII, 98G sq., c. 3.
3 Mansi, XXIII, 1Ü2.
9. Sekten im Mittelalter. 131
zur Aufspürung der Ketzer eidlich verpflichten, sie sollen die
Wohnungen und geheimen Schlupfwinkel durchforschen, nicht
nur entdeckte Ketzer, sondern auch deren Bcschiitzer, Freunde
und Vertheidiger einfangen und zur Bestrafung ausliefern.
Wer wissentlich einen Ketzer verleugnet, soll wie dieser am
Leibe und mit Verlust des Vermögens bestraft werden. Das
Haus, in dem ein Ketzer entdeckt wird, soll zerstört werden,
der Ortsrichter, der bei der Ketzerverfolgung lässig wäre,
gehe seines Amtes und seiner Giiter verlustig und diirfe nie
wieder angestellt werden. Jeder Inquisitor habe das Recht,
auch im Gebiete des andern seine Nachforschungen anzustellen.
Ketzer, die sich freiwillig zum Glauben bekehren, sollen von
ihren bisherigen Wohnsitzen nach einem unverdächtigem Orte
versetzt werden, müssen aber auf jeder Seite zwei durch die
Farbe bemerkliche Kreuze tragen und können, infolge bischöf-
lichen Zeuirnisses über ihre Aussöhnung mit der Kirche und
wenn sie vom Papste oder dessen Legaten in integrum resti-
tuirt sind, zu einem öffentlichen Amte oder rechtsgültigen
Handlungen zuo;elassen werden. Ist die Rückkehr zur Kirche
nicht freiwillig, sondern aus irgendeinem Grunde, z. B. aus
Furcht vor dem Tode, erfolgt, dann werde der Inquisit in
ein Kloster gesperrt und von seinen eigenen Mitteln erhalten,
und wenn er ganz arm wäre, sein Unterhalt von dem Vor-
steher besorgt. Jede Parochie soll ein Verzeichniss aller
Personen innerhalb derselben führen, w^ovon die männlichen
von ihrem vierzehnten, die weiblichen vom zwölften Jahre an
aller Ketzerei abschwören müssen, dagegen in jedem zweiten
Jahre eidlich zu verpflichten seien, den römischen Kirchen-
glauben zu halten, alle Ketzer nach Kräften zu verfolgen und
das ihnen bekannte Vermögen getreulich anzugeben. Ab-
wesende Personen, die vierzehn Tage nach ihrer Rückkehr
den Eid zu leisten versäumten, sollen wia Ketzer behandelt
werden. — Um Ketzereien auf die Spur zu kommen, wird für
die Laien verordnet, dreimal des Jahrs Ohrenbeichte abzu-
legen, w^er sie unterliesse, sei der Ketzerei verdächtig. Da-
gegen wird den Laien der Besitz der biblischen Schriften,
besonders deren Uebersetzungen in die Landessprache ver-
boten, nur das Psalterium oder ein Breviarium ist gestattet;
Kranken, die der Ketzerei verdächtig sind, wird untersagt
einen Arzt zu haben. . . Testamentarische Verfügungen habcMi
9*
132 Zweiter A])schnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
nur Gültigkeit, wenn sie in Gegenwart eines Geistlichen oder
unbescholtener Männer getrofien worden.
So furchtbar diese Satzungen sind, nach denen die In-
(juisition in Frankreich zu Werke ging und zu deren Aus-
führung die Bischöfe von den Legaten angeeifert wurden,
glaubte der päpstliche Stuhl seinen Zweck doch eher zu er-
reichen, wenn er das Inquisitionsgeschäft den Bischöfen ab
und in die eigenen Hände nehme, die Inquisition zu einem
selbständigen päpstlichen Institute mache vmd die Bischöfe
selbst diesem Tribunale unterwerfe. In diesem Sinne wurden
1232 lind 1333 die Dominicaner von Gregor IX. zu ständigen
päpstlichen Inquisitoren bestellt. Die weltlichen Fürsten muss-
ten die Ausführung der kirchlichen Massregeln besorgen. So
erliess Ludwig der IX. sein Mandat „ad cives Narbonae"
(1228), wonach die weltlichen Behörden seines Landes ver-
pflichtet werden, die von der Kirche gefällten Urtheile gegen
Ketzer genau zu vollstrecken. Niemand, bei Verlust seiner
bür<Terlichen Rechte, dürfe einen Verurtheilten aufnehmen
oder vertheidigen, dagegen solle jeder Denunciant belohnt
werden. In ähnlichem Sinne musste Graf Raymund VI. von
Beziers Verordnungen geben. Wie unwiderstehlich dieser
Zu"- jener Zeit war, erhellt daraus, dass auch Kaiser Fried-
rich IL, der jene durch seine Denkweise um Kopfeslänge
überragte, doch nicht verhindern konnte, dass die Bestim-
mun'Ten des vierten lateranischen Concils in seine hierher be-
züfj-lichen Erlasse beinahe wörtlich aufgenommen wurden. Hier-
her gehört: ein allgemeines Gesetz Friedrich's IL vom 22. Nov.
1220 ^; ein Gesetz vom März 1224 in Beziehung auf die
Ketzereien in der Lombardei'-^; ferner die Bestinunungen des
Reichstags von Ravenna 1232 ^; endlich die Verordnung vom
2ß. Juni 1238.^
Das gerichtliche Verfahren gegen Ketzer wich von der
bürgerlichen Procedur ganz ab, und alle bisher gebrauchten
Formen wurden zersprengt durch den aufgestellten Grund-
satz: die Häresie sei ein „crimen exceptum". Die Bclastungs-
1 Pertz, Mon. Legg., II, 244.
2 Ibid., II, 252 fg.
3 Ibid., II, 287—81».
* Il)id,, U, ;32(i-2!).
9. Sekten im Mittelalter. 133
zeugen blieben dem Angeklagten verschwiegen kraft der Con-
cilienbeschlüsse von Beziers und Narbonne 1235. Diese Mass-
regel wurde von Innocenz IV. 1254 durch die Bulle „Cum
negotium" bekräftigt, und zwar mit der Grundanführung: um
Aergerniss oder Gefahr zu vermeiden. Bei dem Inquitjitions-
verfahren wurden auch Verbrecher, selbst wenn sie mitschul-
dig waren, als Kläger oder beweiskräftige Zeugen zugelassen.
Schon der Verdacht einer ketzerischen Meinuns: berechtigte
die Verhaftung. Das Gestand niss wurde erpresst. Innocenz IV.
verordnete in der Bulle „Ad exstirpanda" vom Jahre 1252,
dass die weltlichen Obrigkeiten nicht nur das Geständniss,
sondern auch die Anklage durch die Tortur erzwino-en sollen.
Diese, bisher von der weltlichen Obrigkeit gehandhabt, über-
nahm kurz darauf wegen Geheimhaltung der Aussagen die
Inquisition selbst, zu deren Gerichten, wie schon erwähnt,
Geistliche, meistens Dominicaner, delegirt waren, indem das
beanspruchte und ausgeübte Recht des Priesters: in Glaubens-
sachen Richter zu sein, auf eigene Inquisitionsgerichte über-
tragen ward.
Die Inquisition, die ihre Thätigkeit zuerst in Frankreich
mit grossen Grausamkeiten eröfinete und wiederholt Volksem-
pörungen veranlasste , wobei Inquisitoren ihr Leben einbüssten,
sollte zwar durch Philipp des Schönen Befehl (vom Jahre 1291)
der Vorsicht halber in ihrer Willkür beschränkt werden, und
in dieser Beziehung wollte auch Clemens V. (1311) zu dem
Vorschreiten gegen den Angeklagten den Diöcesanbischof her-
beigezogen wissen; ^ allein die Grausamkeiten dauerten fort,
wie aus Limborch ^ bekannt ist, und noch im 15. Jahrhun-
dert wurden viele Personen als Waldenser verbrannt.
In Deutschland hatte sich die Inquisition sofort nach ihrer
Organisirung durch das Concil von Toulouse verbreitet, und
der Dominicaner Droso oder Torso, besonders aber Konrad
von Marburg wiitheten von 1231 — 33 mit furchtbarer Grau-
samkeit, wovon die Stedinger, die er zu Ketzern stempelte,
ein trauriges Beispiel liefern. Dass Konrad es arg getrieben
1 Biener, Beitr. zur Geschichte des Inquisitionsprocesses, S. 72 fg.
^ Hist. Inquis. cui subjungitur über sententiarum Inquis. Tholosanae
ab a. Chr. 1307 — 1323.
134 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
habe, gclit daraus hervor, dass die Erzbischöfe von Mainz,
Trier, Köln sich veranlasst sahen, Mahnungen zur Mässigung
an ihn ergehen zu lassen, wofür er aber den Spiess gegen
diese Kirchenfürsten kehrte und das Kreuz gegen sie pre-
digte, bis er selbst bei Marburg der aufs höchste gereizten
Volkswuth erlag. Auch die Verordnungen Friedrich's IL, die
er seit 1232 zur Vollziehung der Bluturtheile der Inquisition
ergehen lassen mussteS um den Verdacht der Ketzerei von
sich zu halten, erregten den Ingrimm des Volks. Im 14. Jalu--
hundert gaben die Bcgharden der Inquisition neue Veranlas-
suno- zur Thätiokeit, und die Dominicaner wurden von Ur-
ban V. auch für Deutschland zu Inquisitoren ernannt.
In England, Schweden, Norwegen und Dänemark konnte
die Inquisition keine recht heimische Stätte finden; dagegen
fasste sie tiefe Wurzel in den Niederlanden, wo sie nament-
lich der Reformation gegenüber üppig wucherte und blutrothe
Früchte trug. Erst in der zweiten Hälfte des IG. Jahrhun-
derts wollte der Versuch, die Inquisition in Frankreich gegen
die Hugenotten spielen zu lassen, nicht mehr gelingen, ob-
schon Papst Paul IV. durch seine Bulle vom 25. April 1557
sie neu in Scene zu setzen suchte und Heinrich IL ein ent-
sprechendes Edict dem Parlamente aufgedrungen hatte. Die
Zeit war eine andere geworden, der Boden M^ard der Inquisition
in Europa immer mehr entzogen. Sie streckte ihre Fangarme
anderwärts aus, mit denen sie bis über den Ocean reichte.
Durch die Spanier ward sie bald nach der Entdeckung Ame-
rikas dahin gebracht, um ihre Blutgerüste besonders in Mexico
und Lima aufzuschlagen. Die Portugiesen führten sie in Ost-
indien ein.
Obschon die Habsucht der Inquisitoren nicht als Haupt-
grund anzunehmen ist, trug sie allerdings bei zur Aufrecht-
erhaltung der Ketzergerichte, da die Ketzerrichter nicht nur
mit ausserordentlicher Macht ausgestattet waren, und an An-
sehen den Bischöfen beinahe gleichkamen, sondern von ihrem
Geschäfte auch ein ausserordentliches Einkommen genossen.
Der Inquisitor wurde anfangs auf Kosten der Gemeinde erhal-
J Pertz, Mon. hist. Germ. IV, p. 287, 326.
9. Sekten im Mittelalter. 135
teil, innerhalb deren er seinen Richterstnhl aufgeschlagen hatte.
Papst Innocenz IV. bestimmte (1252) ein Drittel von dem
confiscirten Vermögen des eingezogenen Inquisiten, während
ein zweites Drittel für künftige Inqiiisitionszwecke hinterlegt
werden sollte, das also auch den Inquisitoren zufiel ; aber bald
gelang es der Inquisition, das ganze Vermögen des Inquisiten
in Beschlag zu nehmen. Das Ketzergericht ward hiernach eine
reiche Einnahmsquelle für die Inquisition, und die Inquisitoren
hatten also Grund genug, dafür zu sorgen, dass jene nie ver-
siegte, blieben daher taub für die Mahnungen des Concils zu
Narbonne 1243 zur Mässigung, und die Versuche Philipp's
des Schönen, das geistliche Tribunal zu beschränken, waren
vergeblich. Die Inquisitoren wussten die beschränkenden Be-
stimmungen zu umgehen oder trotzten denselben, ungeachtet
der Volksbewegungen, die sie wiederholt veranlassten, z. B. in
Albi und Narbonne 1234, in Toulouse 1245.
Von besonderer Wichtigkeit ist für uns der Umstand,
dass durch den inquisitorischen Klerus der BegriiF der Ketze-
rei weiter ausgedehnt wurde, indem jener sich nicht mehr be-
gnügte, Häresie als eine vom kirchlichen Dogma abweichende
Meinung zu betrachten, sondern als Abfall von der Kirche
und Bündniss mit dem Teufel darstellte. Letzteres
wurde so stark betont, dass schliesslich Ketzerei und Bündniss
mit dem Teufel nicht nur gleichbedeutend, vielmehr die Hin-
gebung an den Teufel und der Umgang mit ihm als Ursache
des Abfalls von der Kirche und jeglicher Ketzerei erklärt
ward. Hiernach begreifen wir nun auch, wie die Kirche dazu
kam, allem, Avas ihr missliebig oder feindlich erschien, ein
Teufelsbündniss unterzuschieben, und demnach allenthalben
angeblich die Thätigkeit des Teufels wahrzunehmen, auf Ver-
bindung mit dem Teufel zu klagen, wo wir den Ursprung der
Erscheinung ganz fern davon liegen sehen. Ein trefi'endes
Beispiel liefert die Geschichte der Stedinger.
In den Briefen des Papstes Innocenz III. wird, wo er
von Ketzern spricht, ob Waldensern, Katharern, Patarenern
oder andern, sehr häufig der Teufel erwähnt, z. B. sie seien
„gleich dem schwarzen Pferde in der üfi'enbarung , auf wel-
chem der Teufel sitzend die AVage hält"; die Ketzerei nennt
er gewöhnlich „teuflische Verkehrtheit"; er erklärt die bei
13(3 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
ihrer ketzerischen Ansicht Verharrenden „der Gewalt des Sa-
tans heimccefallen". *
Man hat die Eintührung der Inquisition als eine notli-
wendige Vorkchrnno; rjesren den teuflischen Aberglauben oder
Teufelscultus dargestellt, und Görres füln-t als Beweis die
Stedinger an 2, die er auch zu Teufelsdienern macht. Das
Uebel, sagt dieser Schriftsteller, keimte fort: im Jahre 1303
wird ein Bischof von Conventry des Verbrechens ange-
schuldigt, er habe, nebst andern Greueln, dem Satan gehul-
digt, ihn hinterwärts geküsst und oft sich mit ihm unterredet ;
selbst an dem Oberhaupte der Kirche versucht sich die böse
Kunst; Johann XXII. bestellt daher den Bischof Frejus, auf
die Vergifter zu forschen, denn, sagt der Papst: „AVir haben
vernommen, wie Joannes von Limoges, und Jacobus von Cra-
bancon, und Joannes von Amant, nebst einigen andern, sich
aus Trieb eines verdammlichen Fiirwitzes auf die Schwarz-
kunst und anderes Zauberwerk verlegen. Sie bedienen sich
dazu gewisser Spiegel und Bilder, die sie nach ihrer Art
weihen ; sie stellen sich in einen Kreis umher, rufen die bösen
Geister an, und trachten durch solch ihr Zauberwerk gewisse
Personen zu tödten oder durch langsame Krankheiten hinzu-
richten. Zuweilen versperren sie die bösen Geister in Spiegel,
in Cirkel oder Ring. Sie geben zuweilen vor, sie hätten die
Kraft und Wirkung solcher Kiinste oft erfahren, und scheuen
sich nicht zu behaupten: sie könnten nicht nur durch gewisse
Speisen und Getränke, sondern auch durch blosse Worte den
Leuten das Leben verkiirzen, verlängern oder gar nehmen,
zuirleich Krankheiten heilen". — Schon früher hatte der Papst
eine ähnliche Zuschrift zu gleichem Zwecke an den Bischof
von Rie erlassen, worin er unter andcrm sagt: „Sie haben,
um uns mit Gift hinzurichten, gewisse Getränke bereitet, weil
sie aber selbige uns beizubringen keine Gelegenheit gefunden,
haben sie unter unserem Namen Bildnisse gestaltet und solche
unter Zauberspri'ichen und Anrufung böser Geister mit Nadeln
durchstochen, damit sie uns dadurch ums Leben bringen
möchten". — Am 20. August 1320 schreibt darauf Wilhelm,
Cardinal von Godin, an den Inquisitor zu Carcassone: „Der
1 Vgl. llurtcr, Innocenz III., II, 257 fg.
•■i Mystik 111, 50 fg.
9. Sekten im Mittelalter, 137
Papst befiehlt euch, gerichthche Untersuchung wider diejeni-
gen vorzunehmen, welche den Dämonen opfern, selbige an-
beten, sich ihnen verloben und schriftlich oder sonst durch
ausdriicklichen Bund verpflichten; um sie zu bannen, gewisse
Bildnisse oder andere Malereien taufen, das heilige Sakrament
der Taufe auch zu andern Maleficien misbrauchen. Gegen
solche Bösewichter sollt ihr mit Beihülfe der Bischöfe Avie
gegen Häretiker verfahren, wozu euch der Papst hiermit
ermächtigt".
Wenn wir diese Beispiele von Görres entlehnen, so wol-
len wir nicht nach seinem Vorgange die Nothwendigkcit der
Inquisition damit beweisen, vielmehr die herrschende An-
schauung zeigen, wie die Inc[uisition Ketzer und Teufelsdie-
ner nicht nur über ein und denselben Kamm schor, sondern
ganz o-leichbedeutend fasste. Auch unser Gewährsmann be-
stätigt dies, wenn er fortfährt: „Dinge dieser Art erfüllen
die Inquisitionsacten vom 13. Jahrhundert herein, und aus-
drücklich positive Zeugnisse bestätigen jetzt den nahen Zu-
sammenhang des Zauberwesens mit den Häretikern." Görres
führt eine Actensanimlung an (im Cod. 3446 der Pariser Biblio-
thek, durch Döllinger ausgezogen), worin es unter anderm
heisst: „Alle Waldenser sind von Berufs wegen wesentlich wie
formal imi ihrer Aufnahme in die Gesellschaft willen — Teu-
felsbeschwörer; obgleich nicht alle Beschwörer Waldenser
sind, aber oft treffen Beschwörer und Waldenserei (Valdesia)
zusammen." ^ Also nicht nur die Katharer mit ihrer Annahme
von zwei Urwesen, einem guten und einem bösen , womit sie
eine Handhabe boten sie als Teufelsdiener zu betrachten,
sondern auch die sittenstrengen Waldenser, deren Lehre nichts
Dämonisches enthielt, werden des Teufelscultus und der da-
mit verbundenen Unzucht beschuldigt. ^ Die Beschuldigung
hat ihren Grund in der oppositionellen Stellung der Walden-
ser gegen die Kirche, indem sie das Christenthum wesentlich
auf die evangelische Armuth und apostolische Predigt zurück-
zuführen strebten. Zur Zeit der Albigenserkriege werden
1 Görres, a. a. 0., S. 54.
- Alani (ab insulis) insij^uis theulogi upus a dver?. haereticos ot Vul-
denses, qui postea Albigeuses dicti etc., p. 180; (vgl. Bernard ALb. Font.
Calid. adv. Waldensium Sectam. praefut. in Bibl. patr. max. Tom. XXIV).
138 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Katharer und Alblgcnscr nicht als gesonderte Parteien be-
trachtet, und auch Schriftstellern sind sie gleichbedeutend;
z. B. die Schrift des Lucas Tudensis contra Waldenses wider-
legt grösstentheils Irrthümer, deren sonst die Katharer ge-
ziehen Averden, wie auch sonst in polemischen Schriften die
Lehren und Ansichten untereinandergeworfen sind. ^
Die Inquisition, w^elche über die Reinheit der Lehre zu
wachen hatte, übernahm das Gericht auch in Zaubersachen,
die auf den Teufel zurückcceführt werden. Für Frankreich
entschied eine Parlamentsacte vom Jahre 1282 auf Betrieb des
Erzbischofs von Paris, wonach die Erkenntniss in Zaubersachen
den Geistlichen, mit Ausschluss der Laien, überlassen werden
sollte.^ Die „Christusmiliz gegen die Häretiker" spürte
niui vornehmlich nach den Dienern des Teufels, imd da sie
erstere überall wdtterte , musste dieser auch allenthalben vor-
handen sein. Durch die geistlichen Ketzergerichte wurde der
Glaube an den Teufel im Volke nicht nur gefördert, sondern
die Vorstellung von diesem und seiner Macht zur herrschen-
den erhoben.
Kreuzzüge.
Die phantastischen Erscheinungen innerhalb des Mittel-
alters verlieren das Befremdende bei Betrachtung der Factoren,
welche auf die Gemüther der Menschen eingewirkt, als deren
Resultate sie sich erweisen. Die bisher berührten Momente
könnten schon hinreichen, einige Einsicht in das Gemüthsleben
des mittelalterlichen Menschen zu eröffnen und manche heri--
schende Vorstellung genetisch zu erklären. Schon im H. Jahr-
hundert hatte eine Sturmbewegung die Gemi'ither ergriffen,
und die Kreuzzüge hervorgebracht, und es ist zu erwarten
dass so hochgehende Wogen nicht sofort verlaufen konnten,
oh.ie manches Ausserordentliche als Folge herbeizutreiben.
Wir wollen absehen von der specicllen Folge der Kreuzzüge
1 Vgl. Ilurter, Innoc. III., II, 237, Note.
2 Üörrcs, Mysterien, IV, 2, S. 509.
9. Sekten im Mittelalter. 139
auf die Geschichte des Teufels, die von Soldan ^ darin erkannt
wird, dass die Kreuzfahrer mit den griechischen Speculationen
über die Zeugung der Dämonen mit menschlichen Weibern,
wie mit den materiellen Geistern des Mohammedanismus, na-
mentlich den Dschins, bekannt geworden seien, und hierin die
Ursache vermuthet, dass mit dem Anfange des 13. Jahrlnm-
derts das Abendland mit zahllosen Buhlgeschichten von Dä-
monen und Feen überfluihet worden sei. Wir berücksichtigen
hier vornehmlich die Folge der Kreuzzüge auf das Empfin-
dungs- und Phantasieleben des Volks im allgemeinen. Die
Erfiihrunoren durch die KreuzzüiTe erweiterten zwar in man-
eher Beziehung den Gesichtskreis, aber die Ungeheuerlich-
keiten, die von den Kreuzfahrern gesammelt und vermehrt
nach der Heimat gebracht wurden, wirkten, bei dem gebun-
denen Denkvermögen des Volks, vorzüglich auf das Empfin-
dungs- und Phantasieleben, das hierdurch ganz schrankenlos
wurde. Dieses äusserte sich in Kraftausbriichen eines epide-
mischen religiösen Enthusiasmus, der sturmartig dahinbrauste
und alles mit sich fortriss. Bei innerer Haltlosigkeit fühlte
sich das Volk instinctartig getrieben, ohne das Ziel klar zu
sehen und den Weg zu finden, wo seinem Bedürfnisse Befrie-
digung werden könnte. Mit der massenhaften Einfiihrung
der Reliquien durch die Kreuzfahrer wurde zugleich eine Un-
zahl von Legenden aus dem Oriente nach Europa verpflanzt,
unter denen die Sucht nach Wundern ins Masslose wucherte,
wobei die rotlie Gluth der Phantasie bis zum Weissglühen
gesteigert ward. Die Sammlung der Legenden durch den
Dominicaner Ja.cobus a Voragine (gest. 1298) wurde zur Le-
genda aurea des Abendlandes, wie in demselben Jahrhundert
die des Simon Metaphrastes im Morgenlande. Im Jahre 1295
wird das Haus der Heiligen Jungfrau durch die Engel von
Nazareth nach Loretto gebracht, und es spinnt sich der Faden
der Legenden in dieser Periode ins Endlose.
Kiiulerpilgerfalirt.
Eine der seltsamsten Kraftäusserungen, durch den Geist
der Kreuzzüge hervorgerufen, zeigte sich in der Kinderpii-
1 S. 150 fg.
140 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
gerfalirt im Jahre 1211, wo eine grösstentheils aus Kindern
bestellende Menge, die auf 90(X)0 angeschlagen wird, auszog,
um das heihge Land zu erobern, begreiflicherweise aber schon
unterwegs ihren Untergang fand.
Schon im vorhergehenden (12.) Jahrhundert waren als
merkwiirdiire Erscheinunci; die Brüder von der weis-
sen Mütze aufgestanden, die, von sittlicher Ascese ge-
trieben, sich verpflichteten, keine AYiirfel zu spielen, keine
Schenken zu besuchen, keine ausgezeichnete Kleidung zu tra-
gen, nicht zu fluchen, die aber, obschon durch ihre freiwillige
Ausübuuff der Polizei der herrschenden Landstreicherei heil-
sam entgegenwirkend, doch bald abgeschafi't wurden, nachdem
sie ihren Kigorisnuis so weit gespannt hatten, den Gutsherren
die Abo^abenforderunüc zu verbieten.
Es wiederholt sich stets in der Geschichte des Menschen,
dass er bei mangelnder Erkenntniss des Causalzusammenhangs
mit aufffereo-tem Gemüthe den Grund eines Unfalls nicht nur
ungehörigen Ortes sucht, sondern auch zu finden glaubt. So
machte sich die allgemeine Bestürzung, welche der schwarze Tod
hervorgervifen , zunächst Luft in der Verfolgung der Ju-
den, die im Mittelalter, oft auch bei minder gefährlichen Um-
ständen, als Stifter des Unheils im Dienste des Teufels den
Hass der Christen auf grausame Weise zu empfinden beka-
men. Das allgemeine Unglück rief aber noch eine andere
aussergewöhnliche Erscheinung hervor, die ein Zeugniss ab-
legt, sowol von der krankhaften Aufregung der Gemüther
als auch von der sittlichen Haltlosigkeit und dem Suchen nach
einem Haltepunkte.
Flagellauteii.
Durch die in Gang gekommene bekannte Stellvertretungs-
theorie im Busswesen war dieses inuner mehr herabgesunken
und hatte seinen Werth so gänzlich eingebüsst, dass der
Mensch verzweifelte, die Vergebung der Sünden dadurch zu
erlangen, wenn er nur etwas rein Aeusserliches von seinem
Besitze zum Opfer brachte. Er glaubte daher eine eindring-
lichere Busse zu üben, wenn er seine eigene Leiblichkeit an-
greife. Nach dem Vorgange Damiani's lag es nahe,- sich dessen
9. Sekten im Mittelalter. 141
Bussniittels zu bedienen, das von diesem frommen Meister der
Busse so dringlich empfohlen ward, nämlich der Geiselung.
Wie sollte man es einer Zeit verdenken, dass sie nicht zum
Innersten eindrang, und nicht den Weg fand bis zur Gesin-
nung, von wo die Busse ausgehen und in einem reinen, lau-
tern Leben sich äussern soll, einer Zeit, in welcher die Kirche
selbst den grössten Werth auf das Weltliche gelegt hatte,
wo die sittliche Wi\rdio;kcit des Menschen für das Reich
Gottes vom Geldwerthe abhängig gemacht ward, wo die
Kirche die geistigen Bussmittel ausser Kraft gesetzt hatte?
Schon im Jahr 1260, wo der Streit der Weifen und Ghibelli-
nen das «leselliüe Leben in Italien zerrissen hatte, war da-
selbst die Geiselbusse, bisher nur von einzelnen geübt, in
massenhafter Erscheinung aufgetreten. In den verheerenden
Kämpfen dieser Parteien wurden viele Bewohner der wei-
fischen Stadt Perugia, die von der Niederlage, durch die Ghi-
bellinen in der Schlacht von Monte -Aperto den Weifen bei-
gebracht, hart gelitten hatte, wie von einem mächtigen
Schauder der Busse ergriffen. Mit entblösstem Oberleib zogen
sie paarweise durch die Strassen, mit Bussriemen sich bis aufs
Blut geiselnd. Sie zogen aus Perugia hinaus durch die Lom-
bardei bis nach der Provence, ein Theil bis nach Rom, Aväh-
reud des Zuges an Zahl immer mehr anwachsend. Zu der-
selben Zeit bewegten sich Geislerschaarcn durch Krain,
Kärnten, Steiermark, Oesterreich, Böhmen, Mähren bis nach
Ungarn und Polen, den blossen Körper geiselnd, mit ver-
hiUltem Gesicht, Fahnen und Kreuze einhertragend, unter Ab-
sinffuno: von Bussliedern. Solche Geislergesellschaften treffen
wir auch im 14. Jahrhundert, die im Gedränge der Bürger-
kriege durch die allgemeine Calamität des schwarzen Todes
aufgeregt wurden. Die ganze biirgerliche Ordnung des ge-
sellschaftlichen Lebens war durch die furchtbare Seuche auf-
gelöst, Deutschland lag geknebelt unter dem Interdict, der
Bannfluch (von 1346), der im Kampfe Ludwig's des Baiern
mit dem Papste durch diesen vom Vatican herabgeschleudei't
worden, lastete schwer auf dem Volke. Es war eine ver-
zweiflungsvolle Lage, wo das fromme Gemüth die heilige
Stätte verschlossen fand, an der es sich den Seelenfrieden
holen sollte, oder wo die Segnungen der Kirche nur durch
Geld und Geldes werth zu erkaufen waren, das dem Aermern
142 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
mangelte, dem also auch das Mittel fehlte, sich mit Ausge-
lassenheit den Lüsten zu ergeben, um, gleich dem Reichern,
in halber Vergessenheit hinzutaumeln, oder wo dem Menschen
in seinem zerknirschenden Seelenhunger nach geistigen Gaben
von der Kirche, wenn sie ihm ofien stand. Steine anstatt des
Brotes gereicht wurden. Einer solchen Zeit entrang sich die
Hofinung auf die Wiederkunft Friedrich's II. um die gesunkene
Menschheit wieder aufzurichten und die zerrütteten Zustände
zu ordnen. Das Volk aber, dem weder von der Kirche noch
von staatlichen Organen geholfen ward, griff zur Selbsthülfe,
zur Geiselung, um dadurch, wie es glaubte, vor dem Unter-
gange der Welt, der verkündet ward, die Vergebung seiner
Sünden der erzürnten Gottheit gleichsam abzunöthigen.
Der Ursprung der Geislerzüge ist durchaus nur aus dem
heissen Verlangen nach Busse in einer Zeit allgemeiner Ver-
derbtheit zu erklären. Die gleichzeitigen Chronisten deuten
dies au durch die Bemerkung: dass Niemand gewusst habe,
woher der Eifer gekommen sei. Dass die Erscheinung epide-
misch wirkte, ist nicht nur von den Psychiatern nachgewiesen;
in Hermanni Altahensis Annales ^ , wo ein Bericht über die
Flagellanten aus dem Jahre 12G0 steht, ist auch der epidemi-
sche Zug bei dieser krankhaften Erscheinung deutlich, obschon
imbewusst angezeigt, wenn er sagt: „Miserabilis itaque gestus
ipsorum et dira verbera multos ad lacrymas et ad suscipien-
dam eandem poenitentiam provocabant". Derselbe Chronist
fügt hinzu: 2 dass diese Geislerwallfahrten, da sie im Be-
ginne weder vom Heiligen Stuhle noch von sonst einer Au-
torität gestützt, mit der Zeit zum Gespötte wurden, und so
masslos sie angefangen hatten, doch in kurzem abnahmen.
Der Umstand, dass die Geislerzüge von Laien und zwar aus
den niedern Schichten der Gesellschaft ausgingen, was in den
dazu anregenden Verhältnissen seine Erklärung findet, musste
dieser Erscheinung ein eigenthümhches Gej^räge geben, da sie,
obschon religiöser Bedeutung, doch nicht in der Kirche ihren
1 Bei Boehmer, fontes, II, p. 156.
2 „Sed quia origo ejusdem poenitentiae nee a sede llomana nee ab
aliqua persona auctorabili fulciebatur, a quibusdam episcopis et domino
Henrico Bavariae cepit liaberi contemptui. Unde tepescere in brevi cepit
eicut res iinmoderate concepta.
9. Sekten im Mittelalter. 143
Ausgangspunkt hatte. Die Kirche mochte anfänglich befremdet
sein, aber Papst Clemens VI. gibt in seiner an die deutschen
Bischöfe erlassenen Bulle vom Jahre 1349 schon seinen Tadel
über das eigenmächtige Bussverfahren kund, indem er darin,
von seinem Standpunkte ganz richtig, ein Mistrauensvotum
gegen die Kirche erkennt. Als die dritte grosse Geislerfohrt
1399, zu der, ausser dem allgemeinen Elende der Zustände,
namentlich die traurige Lage der Kirche durch das päpstliche
Schisma den Anlass gegeben hatte , ihre Richtung geradezu
nach Rom einschlug, da liess Bonifaz IX. das Haupt der
Weissen , wie die Flagellanten von ihrem weissen Bussge-
wande hicssen, hinrichten. Die kirchenfeindliche Tendenz der
Geisler erkannte die Kirche darin, dass sie die kirchliche
Bussdisciplin ganz ignorirten , indem der Meister die Absolu-
tion infolge der Marterbusse ertheilte, mit der Ermahnung,
künftig vor Sünden sich zu hüten:
„Stant uf durch der reinen Martel ern
Unn hut dich vor der Sünden mern". '
Hiermit war jede Yermittelung durch die Kirche und ihre
Priester abgelehnt und deutlich ausgesprochen: dass die Busse
unmittelbarer Ausdruck der eigenen Innerlichkeit sein solle.
In dieser Tendenz liegt die Grundbedeutung dieser merkwür-
digen Erscheinung, die aber eine krankhafte ist, weil sie nur
als negative Reaction gegen einen kranken Zustand auftritt.
Eben darum konnte sie epidemisch werden und an Wahnwitz
streifen. Die Flagellanten, wie das Mönchswesen, sind bei
ihrem Ursprünge als sittliche Reaction gegen ihre damaligen
Zustände zu betrachten, sie sind aber, gleich dem Fieber, noch
nicht die Gesundheit, obschon wie dieses eine Reaction gegen
die Ungesundheit. Es braucht keiner Erörterung, dass die
Geislerfahrten, sowie die mönchische Ascetik überhaupt,
den Zweck nicht erreichen konnten, da sie 3as richtige Mittel
nicht fanden, um die sittliche Gesundheit herzustellen; sie
sind aber von pathologischem Interesse für jene Zeit und
desshalb werth, dem Grunde ihrer Erscheinung nachzugehen.
Das ganze Busswesen des Mittelalters, also auch seine Gei-
^ Bei Baur, Geschichte des Mittelalters, aus Closener's Strassburger
Chronik, Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, I, 85.
144 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
selbusse, als Mittel gegen Unsittliclikek angewendet, hat un-
gefähr die Bedeutung einer chirurgischen Operation an dem
selben Gesichte eines Gelbsüchtiii^en. In beiden Fällen ist die
Voraussetzung eines kranken Zustandes richtig, und das Stre-
ben, diesen zu heilen, nicht zu verkennen; es fehlt aber der
Beo-riff des Wesens der Krankheit und daher fällt die Wahl
auf das unzulängliche Mittel. Es ist die mechanische An-
schauung, die das Princip des Mechanismus auf den höhern
Oriranismus anwendet.
Aehnliche Verwechselungen der Principien und des davon
entnommenen Massstabes, der dann ungehörigerweise au^e-
leo-t wird, begegnen uns noch in der Gegenwart auf jedem
Schritte, werden also im Mittelalter nicht befremden können,
sie lagen im herrschenden System der Geistlichkeit. „Zwei
beweo-ende Kräfte, beide mit gewaltigem Einfluss, ziehen durch
das Leben des christlichen Menschengeschlechts in dieser Zeit:
der Glaube an ausserordentliches Eingreifen der göttlichen
Macht in die menschlichen Begegnisse; sodann die Ansicht,
dass alles, was sowol der Gesammtheit, als was dem einzel-
nen an Ungemach widerfahre, göttliche Vergeltung für be-
<zan£rene Sünden sei." ^ Diese Bemerkung Hurter's ist rieh-
tio-, kann aber kürzer so gefasst werden: es herrschte in jener
Zeit noch immer die althebräische Anschauung. Die althe-
bräische Vergeltungstheorie, diese natürliche Folge des Stand-
punktes der Legalität, erblickt in jedem Begegniss die ver-
geltende Hand des göttlichen Richters, und bei dem Mangel
an Naturwissenschaft, da der Begrifl' „ Natur " dem Bewusst-
sein noch nicht aufgegangen war, erhielt jede äussere Erschei-
nung die Bedeutung eines unmittelbaren schöpferischen Ein-
grifi's.
Wunderglaube.
Das gläubige Gemüth, dem die oft lange Kette des Cau-
salnexus verborgen ist, und den Zusammenhang zwischen Ur-
sache und Wirkung nicht übersieht, führt alles und jedes
vuuuittelbar auf Gott, mit dem es den Urgrund alles Seins
J Ilurtor, lunoc. 111., VI, 505.
9. Sekten im Mittelalter. 145
bezeichnet, zuriick. Es erkennt nicht das organische Zusam-
menwirken, weder in der Natur, noch in der Menschenwelt,
noch sich als Organ in dem grossen Ganzen, weil ihm der
Begriff vom Organismus iiberhaupt fehlt. In seiner Iso-
lirtheit erscheinen ihm die Ereignisse, die seine Aufmerksam-
keit dadurch auf sich ziehen, dass sie wohlthätig oder ver-
derblich auf ihn wirken, und fiir Lohn oder Strafe gelten,
als Wunder. Unter diesem Gesichtspunkte des Mechanismus
bezieht es jede Erscheinung mechanisch auf sich, als den Mit-
telpunkt der Erscheinungen, in sein speciell beschränktes In-
teresse versenkt, sieht es nicht den Zusammenhang der Dinge,
es erhebt nicht das Auge zur Forschung nach demselben und
entfaltet nicht die Kraft zur Erforschung. Bei der stetigen
Beziehung zur Aussenwelt, durch die es berührt wird, kann
daher das gläubige Gemiith über ein für Tausende schädliches,
für es aber vortheilhaftes Ereigniss dankerfüllt seinen Schö-
pfer preisen, hingegen eine Erscheinung, die in der Natur der
Sache gelegen, unter den gegebenen Umständen eintreten muss,
wodurch es aber Schaden leidet, als eine Ziichtigung von
oben betrachten. Bei diesem herrschenden Mechanismus in
der Anschauung des Mittelalters in Bezug auf Siuide, Busse,
Strafe u. dgl., bei der sittlichen Haltlosigkeit, erklärt es sich,
dass jede aussergewöhuliche Erscheinung als Strafe, oder we-
nigstens als AYarnung oder Aufforderung* zur Busse betrachtet
wurde. Schriftsteller jener Zeit, die solche ausserordentliche
Erscheinungen verzeichnen und Sammlungen davon anlegen,
führen jedes Ei'eigniss auf einen übersinnlichen Grund zurück
und geben ihm eine rehgiöse Bedeutung für die Gegenwart
oder Zukunft. Denn das Mittelalter ist voll Ahnungen des
Zukimftigen, die es an äusserliche Erscheinungen knüpft, wo-
dvirch diese zu Anzeichen gestempelt werden. In jenen Zeiten
war aber Religiosität gleichbedeutend mit Kirchlichkeit, und
die Kirche galt für die einzige Stätte , wo das heilige Feuer
der Itelio;ion unterhalten wird. Die Reduction der Erschei-
nungen auf Gott war daher gleichbedeutend mit der Zuriick-
führuno; auf die Kirche. So konnten Ueberschwemmungen,
Miswachs, Erdbeben, Pest, Donnerwetter im Winter zu
Zeichen der Misbilligung einer von der Kirche verbotenen
und misbilligten Verbindung fi'irstlicher Personen werden,
wobei freilich die Deutung erst später nachgehinkt kam. Oder
Roskoff, Geschichte des Teufels. II. JQ
146 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
man betrachtete schädliche Naturereignisse als Strafen für
allgemeine Uebertretung der Kirchengesetze. ^ Das gewöhn-
liche Bewusstsein war dahin gekommen, bei jeder nicht all-
täglichen Erscheinung an eine ausserordentliche Massregel in
der übersinnlichen AVeltregierung zu glauben, und wurde
selbst durch die Deutung post eventum in seinem Glauben
bestärkt. Man glaubt, unter die Waldindianer versetzt zu
sein, wenn man in den Chroniken liest, was alles für bedeut-
sam und der Aufzeichnung werth erachtet wurde, z. B. dass
einst während der Messe ein schlichter Ordensbruder bei den
Worten: „Wir bitten dich inbrünstig", ein Nebelwölkchen
zwischen Kreuz und Kelch sich bilden sah, sodann bei dem
Emporheben desselben darin ein Schein wie von einem Kerzen-
licht gesehen wurde, dass endlich aus beiden eine Hand hervor-
"•egangen, die auf das Altartuch ernste Mahnungen an das
entartete Menschengeschlecht geschrieben, und dieses unter vier
Messen sich ereignet habe, jedesmal mit einer andern Vorher-
verkündigung. '^
In dieser Zeit wird das Erfreuliche auf die Gnade Got-
tes und seine Heiligen zurückgeführt, bei allem Verderblichen
ist aber der Teufel und seine Genossen im Spiel, der als Straf-
werkzeug oder als Urheber aller Uebel, diese unter Gottes
Zulassung über die Menschen bringt, oder als Verkündiger
von Ungliick auftritt, und wenigstens allerlei Spuk oder
Neckereien verursacht. So hatte bei der Scheiduno;skla<ie
Philipp's von Frankreich ein alter Geistlicher den Teufel ge-
sehen, der in rother Gestalt auf den Knien der Königin
herumhüpfte und grässliche Gesichter schnitt. ^ „Wie es aber
überhaupt Kirchenlehre ist, dass die Sünde durch Vorspiege-
lungen des gefallenen Geistes in die Welt gekommen sei,
so dürfen wir nicht darüber erstaunen, dass eine Zeit, welche
allen Glauben wirkend in das Leben hineinpflauzte, eine un-
unterbrochene Fortsetzung jenes tückischen Anlockens sich
dachte, und in dem Bösen, was sie verwerfen musste, ein
Zusammentreffen des menschlichen Willens mit solchem un-
1 Vgl. Hurter, IV, 509.
'^ Chron. Turon. in Martöne Thes. V. magn. Chron. Belg. ; andere
Beispiele bei llurtcr, IV, 511 fg.
^ Bei llurtcr IV, 128. Capeiiquo II, 160, aus einer alten Chronik.
9. Sekten im Mittelalter. 147
mittelbaren verderblichen Einfluss gerne annahm." ^ Nnn, wir
erstaunen auch nicht, finden es geradezu natürlich, da der
Mensch des Mittelalters, durch die Hebel, die in sein Leben
eingriflen, emporgeschnellt, den festen, natürlichen Boden ver-
tieren musste und in aänzlicher HaltlosiQ;keit weder in noch
ausser sich den sichern Stützpunkt finden konnte. Die Er-
fahrung lehrt, dass selbst der ununterrichtete, denkungeübte
Mensch ein Ungemach leichter erträgt, wenn er die natürliche
Folo;e vorausgehender Umstände erkennt. Man darf dies für
einen praktischen Beweis ansehen, den er unbewussterweise
gibt, dass seine Natur auf das Denken, das Begreifen der
Dinge in ihrem Zusammenhange gestellt ist. Mag daher der
Brauch mancher Aerzte, den Kranken über die Ursache und
den Verlauf der Krankheit aufzuklären, auf was immer für
Motiven beruhen, gewiss ist, dass seine Erscheinung am
Krankenlager dadurch beruhigender wirkt, als wenn er sich
in den geheimnissvollen Zaubermantel einhviUt. Der Mensch
des Mittelalters war aber von lauter Wundern oder Zauberei
umgeben, wodurch er in krankhafter Spannung erhalten wurde.
Die Wunder hatten zwar nach der Kirchenlehre ihren letzten
Grund in Gott, dieser wurde aber durch den Apparat der
Kirche den Augen des Volks ganz verdeckt, welches die
Wunder durch Reliquien und Heilige, deren Legenden, lawi-
nenartig anwachsend, sich durch das Land bewegten, an allen
Kirchen und Klöstern geschehen sah. Die Zauberei rührt
vom Teufel her und seineu Bundesgenossen, welche in seinem
Dienste stehen; sie wii-d von der Kirche verdammt, die an Got-
tes statt die gegensätzliche Stellung zum Teufel übernimmt.
Dem Glauben an Wunder und Zauber ist die Erkenntniss des
Causalzusammenhangs ganz fremd, bei beiden trägt das Ein-
o-reifen der übermenschlichen Macht in das Leben des Men-
sehen den Charakter der Willkür, die sich beim Wunder
durch die Vorstellung von der göttlichen Gnade, welche mittels
der Kirche vollzogen wird, maskirt, während beim Zauber
die Bosheit des Teufels hervorgrinst. Auf keiner Seite ist
Glaube an das unabänderliche Walten einer höhern Macht,
viel weniger Erkenntniss des ewigen Gesetzes, nach dem
1 Ilurter, IV, 515.
10
148 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
die Widersprüche sich auflösen müssen. Der Wunder- und
Zaubergläubige kann sich nicht vom Einzehien zum Allgemei-
nen erheben, er ahnt oder vermuthet nur eine Regel mit Aus-
nahmen, weiss aber wieder nicht, wann die Ausnahme ein-
tritt. Wunder und Zauber sind die Ausnahmen von der
Regel, die eintreten können oder auch nicht. Der Glaube
an Wimder und Zauber ermangelt des sichern Haltpunktes
und kann daher dem Gläubigen weder Ruhe noch Sicherheit
gewähren. Darin liegt der Grund, dass neben dem dicksten
Wunderglauben die crasseste Sittenverderbtheit Raum zu fin-
den vei-mag, dass beide ihre Plätze häufig wechseln können,
da beide des festigenden Haltepunktes im Sittengesetze er-
mangeln.
10. Heiligendienst und Marienciiltiis als soUicitirende
Eactoren.
Schon im Neuen Testament werden die Genossen der
christlichen Gemeinde als Glieder am Leibe Christi, nach alt-
testamentlichem Vorgange , Heilige genannt,^ und dieser
Brauch erhielt sich bis ins 3. Jahrhundert. Eine Handhabe
zur Aufrechterhaltung dieses Titels boten die Märtyrer,
welche für die christliche Wahrheit ihr Leben geopfert
oder doch Qualen ausgestanden hatten, als Menschen dem
frommen Gemüthe zu Mustern christlicher Heiligkeit dienten,
als Zeugen für Jesus aufgetreten waren, um den sie einen hei-
ligen Kreis bildeten und mit ihm auch gleiche Verehrung
theilen sollten. Schon die Kirchenväter Hermas ", Clemens Ale-
xandrinus', Tertullian-* preisen die Verdienstlichkeit des Märty-
rerthums, das als sündentilgende Bluttaufe betrachtet wird. Der
Fürbitte der Heiligen wird eine ausserordentliche Wirksam-
keit zuerkannt ^, und Origenes ^ stellt das Märtyrerthum den
1 Rom. 1, 7; 1 Kor. 1, 2; Ephes. 1, 1, u.a.
2 Pastor III. Simil. 1), 28.
3 Strom. IV, r/JG.
•* De resurr. carn. c. 43.
* Cypr. ep. 12, 13.
'' Ilomil. in Num. 10, 2.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 149
Leiden Christi au die Seite. Grossen Vorschub leisteten der
Heiligenverehrung Basilius der Grosse, Gregor von Nyssa
und der von Nazianz, Chrysostomus und Ephrem der Syrer
durch ihre iibersehwengHchen Lobreden auf die Märtyrer und
durch ihre Ermahnungen, zu deren Fiirbitte Zuflucht zu neh-
men. Hieronymus ist ein eifriger Vertheidiger der Märtyrer
und ihrer Reliquien; Augustinus, obschon die Verehrung der
Heiligen nicht geradezu empfehlend, behauptet doch, dass die
Körper der Märtyrer Wunder wirken. Aus dem Brauche, zur
Feier der Jahrestage der Märtyrer an ihren Gräbern sich zu
versammeln, entstand ein förmlicher Märtyrercultus, der durch
die Verbote heidnischer Statthalter nicht vermindert, sondern
gesteigert wurde. Im 4. Jahrhundert waren die Feste der
Märtyrer (natalitia) im allgemeinen Ansehen, und das Concil
zu Gangra ^ verhängt über deren Verächter schon das Ana-
then^a.
Nachdem die kirchliche Frömmigkeit jene Bahnen der
Ascetik eingeschlagen hatte, wodurch sie eine höhere Stufe
der christlichen Sittlichkeit zu erreichen hoflfte, gelangten auch
diejenigen, welche durch strenges Einsiedler- und Mönchsleben
für ausgezeichnet galten, in den Ruf der Heiligkeit und w^u'-
den, gleich den Märtyrern, nach ihrem Tode in den himmli-
schen Hofstaat versetzt. An die Vorstellung, dass die Heili-
gen als Vorbilder einen höhern Grad christlicher Tugend
einnehmen, knüpfte sich eine andere: dass sie dem göttlichen
Wesen auch näher stehen und, gleich den Engeln, die Ver-
mittelung zwischen Gott und den Menschen besorgen, daher
in die menschlichen Schicksale unmittelbar eingreifen, was
selbstverständlich nur durch Wunder geschehen kann. Mit
der Zahl der Heiligen wuchs auch der Glaube an ihre Wunder,
die sie nicht nur bei Lebzeit, sondern auch nach ihrem Tode
noch verrichteten, daher man zu ihren Grabstätten wahlfahr-
tete. Der Glaube an die Wunderthätio;keit der Heihsen und
deren Reliquien, und die Sucht, solche zu besitzen, wirkten
wieder als Multiplicatoren auf die Zahl der Heiligen. Die
Wundersucht, unterstützt von der Leichtgläubigkeit, griff in
vergangene Jahrhunderte zurück, um mit geschäftiger Hand
1 Can. 20.
150 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Tausende von Heiligen ans Tageslicht zn ziehen. Die Mas-
senhaftigkeit der sich steigernden Zunahme der Heiligen be-
zeugt die Synode von Frankfurt a. M. im Jahre 794 durch
den Beschlüsse keine neuen Heiligen mehr anzurufen. Auch
Karl der Grosse fand Anlass, zu verordnen, dass ohne Ge-
nehmigung des Bischofs die vorhandene Zahl der Heiligen
nicht vergrössert werden dürfe. ^ Jede Stadt, jedes Dorf",
jede Kirche hatte im Verlaufe der Zeit einen Heiligen erhal-
ten, kein Handwerk, kein Lebensbediirfniss konnte einen
solchen entbehren. Die heilige Barbara stand in der Schweiz
den Schiesswafien der Männer vor; Sanct-Rochus gebot der
Pest, die heilige Anna den galanten Krankheiten ; ^ Petrus
und Paulus wurden die Patrone Roms, Andreas Griechenlands,
Jacobus Spaniens, Pliokas der Schutzheilige der Seefahrer,
Lucas für die Maler, Johannes Evangelist und Augustinus
für die Theologen, Ivo für die Juristen, die heilige Afra für
die fahrenden Frauen, u. s. f. Der Bischof jedes Sprengeis
handhabte gewöhnlich das Recht zu bestimmen, welcher Hei-
lige gelten sollte, bis zum Jahre 993, wo das erste Beispiel
einer Kanonisation durch den Papst Johann XI. bekannt ist;
allein die Bischöfe übten auch nachher noch das Recht, inner-
halb ihrer Diöcese Heilige zu ernennen, fort. ^ Erst Papst
Alexander III. nahm das ausschliessHche Privilegium der Hei-
ligsprechung fiir seinen Stuhl in Anspruch und eröffnete hiermit
zugleich eine reichlich fliessende Quelle für die Einkünfte der
römischen Curie. Die Kanonisation einer fürstlichen Person
wurde auf 100000 Thaler taxirt, gewöhnlich kostete eine Hei-
ligsprechung 70000 Gulden, bei der des Johannes von Ne-
pouuik soll die von dem herbeigeströmten Volke geopferte
Summe über 200000 betragen haben. ^
Ein geschichtlicher Umstand war der Ausbreitung des
Ileiligendienstes sehr förderlich: die vom 4.bis 10. Jahrhundert
vor sich gehende Heidenbekchrung. Die in den Schos der
christlichen Kirche aufgenommenen heidnischen Völkerstämmc
1 Capitul. 11, c. 14, p. 427 bei Baluz. Capitul. Regg. Francor. Tom. I.
- Vulpius, Vorzeit, I, 253.
3 Pagi breviar. Pontific. Rom. Tom. II, 2G0; III, 80.
* Müller, Encyklopädisdies Handbuch dea katholischen und prote-
stantischen Kirchenrechts, Art. Canonisation.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 151
hatten ihr väterliches Erbe sinnlicher Anschauungen von Gott-
heiten, Schutzgöttern und Heroen auf das neue Gebiet mit
herübergebracht und trugen es unwillkürlich auf die christ-
lichen Märtyrer und Heiligen über, die ihnen als verwandte
Gebilde entgegenkamen. Die Kirchenlehrer griffen in diesen
Amalgamirungsprocess nicht störend ein, und Eusebius ^ führte
aus Hesiod und Plato den Beweis: dass auch die tugendhaften
Todten, die Heroen und Halbgötter an ihren Gräbern verehrt
worden, und wenn dies im heidnischen Cultus stattgefunden,
so habe die Verehrung der Gott wohlgefälligen Märtyrer in-
nerhalb der christlichen Kirche um so grössere Berechtio-unor.
Aus den Vergleichen, namentlich von griechischen Kirchen-
vätern angestellt, zwischen heidnischen Göttern, Heroen mit
christlichen Heiliscen ero-ab sich: dass der christliche Cultus
alles, was der heidnische enthält, aufweisen könne, und zwar
in vollkommenerm Masse, indem an die Stelle des Falschen
das Wahre getreten sei.^ In der occidentalischen Kirche fand
das germanische Heidenthum eine ähnliche Anwendung. Diese
Erscheinung ist erklärlich. Solange das Heidenthum dem
Christenthum feindlich gegenüberstand, musste jede Vorstel-
lung aus dem heidnischen Glaubenskreise auch feindlich, teuf-
lisch erscheinen; nun aber das Heidenthum besiegt war, die
feindliche Spannung aufgehört hatte, konnte die siegende An-
schauung der besiegten sich nähern, und die Uebersetzung
des Heidnischen ins Christliche gewähren lassen. Es war un-
vermeidlich, dass mythologische Elemente aus dem Heiden-
thum, namentlich dem Heroencultus, in die christliche Legende
übertragen wurden. Daher verrichten die christlichen Heiligen
auch Thaten gleich den heidnischen Heroen. Der heilige Rofilus
oder Ruphilus, nachdem er vorher gebetet und gefastet, tödtet
einen grossen Drachen, der, wo er sass, alle durch seinen blossen
Hauch krank gemacht hatte. ^ Der heilige Paris überwältigt
einen Drachen, der von den Einwohnern in einer Höhle ge-
füttert und verehrt wurde, durch das Gebet und wirft das
kraftlos gewordene üngethüm in das Wasser. * — An die
1 Praeparat. evang. I, 13, c. 11.
2 Theodoret. Graec. affect. curativ. Disput. 8.
3 Acta SS. 18. Juli.
* Acta SS, Boll. Aug. Tom. II, 74, 5. Aug.
152 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Stelle der ehedem heidnischen Schiüzgöttcr der einzelnen Land-
schaften, Städte, Stände konnten leicht die christlichen Hei-
ligen treten, die ja mit denselben Aemtern betrant waren. Die
übersinnlichen Engel hatten in den Heiligen eine menschliche
Form erhalten, imd der Engelcnltus, der während der ersten
vier Jahrhunderte mit dem Heiligenciiltus sich parallel ausge-
bildet hatte, ging auch in den Heiligencultus über und ver-
wuchs mit ihm. Der Charakterzug der Kampfbereitwilligkeit,
den die kirchliche Glaubenslehre den Engeln verliehen hatte,
diese im christlichen Himmel um den göttlichen Thron ge-
schart, die Flammenschwerter gegen die Engel der Finstcrniss
schwingend, darstellte, war auch auf die Heiligen übergegan-
gen. Diese Kampffreudigkeit der Heiligen war besonders mit
dem germanischen Wesen übereingestimmt, das in ihnen die
tapfern, kampflustigen Gefolgsmannen anschaute, die sich um
den christlichen Volkskönig scharten. Die Heiligen werden
in den Acten der Heiligen gewöhnlich treffend „Athletae
Christi" genannt, womit das übertragene Heroeuthum festge-
halten erscheint.
Die Amalgamirung des Heidnischen mit Christlichem,
wobei man heidnischen Formen eine christliche Bedeutung
unterzulegen suchte, erhielt durch Gregor den Grossen kirch-
liche Legitimation mittels der uns schon bekannten Anwei-
sung (a. 601): die heidnischen Tempel nicht zu zerstören,
sondern in christliche Kirchen umzuwandeln, die gewohnten
heidnischen Feste zu belassen, sie aber bei der Feier der Kir-
chen und Märtyrerfeste zu veranstalten. Im Heiligendienste
sollte das Volk in Wahrheit schauen, was es in seinen heid-
nischen Gottheiten und Halbgöttern oder Heroen nur als Schein
oder Trug geschaut hatte.
Vom menschlichen Gesichtspunkte ist es begreiflich, dass
das Gemüth des christlichen Volks, dem die himudischen
Heerschaaren der Engel zu übermenschlich gewesen, sich desto
inniger den kirchlichen Heiligen anschloss. Diese standen
nicht nur, wie jene, in vertrauter Nähe Gottes, und vollzogen
die Vermittelung zwischen Gott und den Menschen ; die Hei-
ligen waren selbst Menschen gewesen, sie wurden noch nach
ihrem Tode als herzliche Theilnehmer am Menschlichen ge-
dacht, dem sie ihre Hidfe angedeihcn Hessen. Es kann daher
auch nicht befremden, wenn die Engel bei Wundergeschichteu
10. Ilciligendienst und Marieucultus. 15
Q
im Volksglauben weit hinter den Heiligen zu stehen kamen.
Diese zeigten sich immer bereit, ihren Wohnort der himmli-
schen Seligkeit, den sie mit den Engeln in göttlicher Nähe
theilen, zu verlassen, und zwar nicht nur, wie jene, um die
Befehle Gottes zu vollziehen, sondern aus eigenem Antriebe,
aus persönlicher Thcilnahme am Menschen.
Mit der Zunahme der Verehrung der Heiligen, an deren
Spitze die Heilige Jungfrau als Gottesgebärerin gestellt und
zum Haupte des himmlischen Chors erhoben ward, wuchs
auch der bange Glaube an die überhandnehmende Zahl und
Thätigkeit der teuflischen Plagegeister unter ihrem Obersten,
dem Teufel. Wenn „die ganze Statistik des infernalen Sab-
bats der kirchlichen nachgebildet" ist, wie Görres sagt i, so
steht die dämonische Welt auch der Engel und Heiligenschar
als dunkler, aber getreuer Schattenriss gegenüber. Die Vor-
stellung vom Teufel und seinen Gehülfen bildet aber nicht
nur die Kehrseite zum Wesen der Engel und Heiligen; son-
dern die Heiligenschar und die Dämonenrotte stehen sich
ö"
wechselseitig sollicitirend gegenüber. Der Heiligencultus übte
eine sollicitirende Wirkung auf die Ausbildung der Vorstel-
lung vom Teufel und seinem Wirken, auf die Verbrei-
tung des Glaubens daran, und dieser Glaube grifl" wieder in
die Geschichte der Heiligen förderlich ein. „Nisi enim Dia-
bolus Christianos persecutus esset ac adversus ecclesiam bellum
suscepisset, nullos haberemus Martyres, moesta ac nihil hilaris
festaque (?) vita nobis ageretur", sagt naiverweise Aste-
rius. ^ Und: „Quando nullus hostis infestat, legitimi milites
et regis amici non innotescunt. Si nulla sit pugna vel lucta,
nulla erit victoria, nrüla erit Corona, nulla merces". ^ Auch in
der Entwickelung vom Abstracten zum Concreten gehen beide
Seiten gleichen Schritt. Wie von den übersinnlichen abstrac-
ten Engeln zu den halbmenschlichen Heiligen durch die Auf-
nahme vorchristlicher Elemente diese eine ganz concrete Ge-
stalt erhielten, so wuchs das abstracto böse Wesen durch As-
similirung heidnischer Elemente zu einem concreten persön-
1 CLristlicbe Mystik, IV, 2, S. 250.
- L. P. N. Asterii Encüinium in IS. Martyres , in Bibl. patr. max.
Tom. V, fol. 832, F.
^ Anastasii Sinaitae quaestiones, Qu. CXIX.
154 Zweiter Abschnitt: Ausbildung Jer Vorstellung vom Teufel.
liehen Teufel heran. Wie tlrüben die Heiligen von den Heroen
die Heldennatur angezogen hatten, so nahm hiiben der Teufel
von der Natur der alten Riesen an, was er durch das Riesen-
hafte bei der Gestaltung von Bergen, Felsen, Bauten, Brücken
u. dgl. sowie durch Plumplieit zuweilen verräth. Den Engeln,
diesen übersinnlichen Gebilden, gegenüber hatte der Teufel
auch noch etwas Schattenhaftes, Schemenartiges; nachdem die
Verehrung der Heiligen, als solcher Wesen, die eine mensch-
liche Seite an sich tragen, in die erste Linie getreten war,
wurde die Gestalt des Teufels bestimmter und sinnlicher. Dem
urspriinglichen Gegensatz gemäss, in welchem die himmlische
Heerschar zu den gefallenen Engeln steht, bewegt sich der
Teufel mit seinen Genossen im antagonistischen Parallelismus
auch zu den Heiligen. Schon bei den Kirchenvätern findet
sich eine Rangordnung der Engel angedeutet, gemäss den
verschiedenen, ihnen anvertrauten Aemtern, denen sie als gött-
liche Orgaue vorstehen. W^o die Heiligen an die Stelle der
Engel treten, erheischt die Folgerichtigkeit, dass sie in ihrer
Beziehung zur Menschen weit, mit der sie unmittelbar ver-
kehren, auch über bestimmte Verhältnisse gestellt seien, denen
sie ihren besondern Schutz gewähren. Häufig findet sich
die förmliche Eintheilung der Heiligenschar in sechs Klassen
unter dem Vortritte der Muttergottes. In Betrefi" der hölli-
schen Dunkelseite ist schon im Neuen Testamente von Dienern
und Genossen des Teufels die Rede, im Verlaufe der Zeit
bildet sich aber eine ordentliche Klasseneintheilung, die frei-
lich nicht immer dieselbe ist. Ein Beispiel lieferten die Kab-
balisten. Kurz, wie früher der Angelologie, so steht später
der Hagiologie die Dämonenwelt gegenüber.
Die gegensätzliche Parallele zwischen den Hei-
Hgen und dem Teufel ist in jeder Beziehung ersichtlich,
und so wirken sie sollicitirend auf einander.
Wohnstätte.
Nach der biblischen Tradition ist der Aufenthalt der
bösen Wesen vornehmlich die Einöde, die Wüste. Diese Vor-
stellung wird von der kirchlichen Dämonologie festgehalten,
nach welcher verödete Stätten, Wälder u. s. f. als Lieblings-
plätze der Teufelei gelten. Der heilige Peregrinus, der in
10. Heiligendienst und Mariencultus. 155
einen dunkeln Wald kommt, hört ein ungeheueres Lärmen und
Heulen der Dämonen und Stimmen von Schreienden, als
wären sie in der Hölle. Plötzlich sieht er sich von einer
solchen Menge von Dämonen in verschiedener Gestalt um-
geben, dass er von der Luft oder Erde kaum etwas sehen
konnte. Einstimmig fingen sie zu schreien an: „Wozu bist
du hierher gekommen, da dieser Wald doch uns eigen ist, da-
mit wir unsere Bosheit darin ausüben, zu der wir durch die
Sünden der Menschen die Macht haben." ^ — Nach der An-
schauung der Zeit war eine Ruine, besonders die eines Hei-
dentempels, als einstige Wohnstätte von Dämonen mit der
Vorstellun<y von diesen unzertrennlich. Wenn sich ein heiliger
Mann in die Einöde zurückzog, so betrat er das Revier des
Teufels, abgesehen davon dass er ihm durch sein Vorhaben
zuwider sein musste. Wenn jener durch das Kreuzeszeichen
Gebet u. s. f. dem Grimme des Teufels auch Widerstand
leistete, so hatte er doch immerwährende Kämpfe zu bestehen,
zu denen der Teufel sich herausgefordert sah. Erhob sich
nun gar eine Kirche oder ein Kloster, um die sich das Volk
ansiedelte, wurden Wälder ausgerodet, unbebaute Landstrecken
urbar gemacht; so sah der Teufel, der nur im Wüsten, Oeden,
Unfruchtbaren in seinem Elemente ist, sich stark beeinträch-
tigt und zu höllischen Werken angeregt. Obschon die An-
siedelungen durch Kirche und Kloster in ihrer Mitte, die
gewöhnlich Reliquien des Schutzheiligen aufbewahrten, gegen
vernichtende Anschläge des Teufels gesichert waren, so ver-
säumte dieser doch keine Gelegenheit, die Schmälerung seines
Gebietes durch unablässige Versuchungen, durch ängstigenden
Spuk aller Art zu rächen.
Aussehen.
Von Christus, dem Ideale menschlicher Schönheit,
spiegelt sich diese auch an den Heiligen, an denen sie beson-
ders nach ihrem verklärenden Tode angeschaut wird. Lucifers
ursprüngliche Schönheit hat sich nach dem Falle in absolute
Hässlichkeit verwandelt, gemäss seiner höchsten Bosheit.
1 A. SS. Boll. Aug. Tom. 1, 7. Aug., p. 80.
156 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Die Lieblichkeit der Heilic^en gibt sich in einem himmlischen
Dufte kund, den sie und ihre Reliquien aushauchen; folge-
richtig: muss dem Teufel und seinen Genossen ein höllischer
Gestank zukommen, den sie gewöhnlich nach ihrem Ver-
schwinden zuriicklassen.
Gegensatz im Streben.
Die Heiligen haben stets das Wohl, sowol das physische
als moralische, der Menschen im Auge, zu dessen Förderung
sie jederzeit bereit sind; andrerseits ist aber der Mensch kei-
nen Augenblick sicher des Teufels zu werden, der es auf sei-
nen Untergang abgesehen hat, und während die Heiligen iiber
den menschlichen Unternehmungen wachen, trachtet der Teufel
sie zu gefährden.
Die Heihgen haben als Streiter Christi ihren Kampfplatz
vornehmlich auf ethischem Gebiete, sind zum Schutze und Tröste
des Seelenheils des gläubigen Christenmenschen. Der Teufel
trachtet, Leidenschaften anzufachen, diese Urheberinnen der
Siinden. Er ist am meisten in solchen Zeiten thätig, wo die sitt-
lichen Zustände ausser Rand und Band zu kommen drohen,
wo die sittliche Verkommenheit am meisten zu Tage tritt.
Wo Raub, Mord, Unzucht herrscheu, da hat der Teufel sein
Spiel. So war es besonders um das 10. und 13. Jahrhundert,
um welche Zeit auch die Heiligenverehrung in steigendem
Aufschwung war.
Wie früher in den heidnischen Götzentempeln , wurden
später in den christlichen Kirchen und Kapellen Abbildimgen
von Gliedern, deren Heilung man von der Fiirbitte der Hei-
ligen oder von ihnen selbst erwartete, als Weihgeschenke auf-
gehängt; man trug Reliquien als Anmiete von heilsamer Wirk-
samkeit; man feierte, nach der Art und statt der heidnischen
Opfermahlzeiten zum Besten der Manes, christliche Gastmäh-
ler zu Ehren der Heiligen, die als Gäste geladen waren, flehte
um ihren Beistand zu einer beabsichtigten Reise, setzte ihnen
ihre Portion auf die Tafel der Passagiere des Schiffs, das unter
die Obhut eines Heiligen gestellt war. ^ Von Dämonenopfern
1 Neandcr, K. G. 11, 2; S, 714 fg.
^ 10. Heiligendienst und Mariencultus. 157
sprechen schon die Kirchenväter vom 4. bis 6. Jahrhundert.
Die Hülfe des Teufels ward von dem, der sich ihm um den
Preis der Erfüllung eines Wunsches ergeben will, angerufen,
er verleiht den Seinen verschiedene Mittel, andern Böses zu-
zufügen, luid ihre nächste Absicht zu erreichen.
Es wurde schon berührt, dass das beiderseitige Wachsen
ein gleichzeitiges war, und synchronistische Daten sprechen
dafür; z. B. : im 11. Jahrhundert sammelte Bischof Burchard
sein „Magnum decretorum volumen", wo im zehnten Buche die
Priester dringlichst aufgefordert werden, dem Teufelsglauben
durch Lehre und Strafe zu steuern; in demselben Jahrhun-
dert schrieb Guibert von Nogent seine vier Bücher „De pig-
noribus Sanctorum" gegen die Misbräuche der Heiligenver-
ehrung.
Wie die Engel als göttliche Werkzeuge zur Ausführung
des höchsten Willens mit göttlicher Vollmacht ausgerüstet
waren, so musste den Heiligen, welche denselben Beruf über-
nahmen, auch Wunderkraft zukommen, durch die sie über
das menschliche Mass hinausragen. Gott verleiht ihnen diese
Kraft nicht nur bei Lebzeit, sondern auch nach ihrem Tode,
wo sie durch das Gebet des Menschen in Anspruch genom-
men werden kann, das auf den Heiligen eine zwingende
Gewalt ausübt. Schon Gregor von Tours ^ behauptet: Nee
moratur effectus si petitionis tantum justa proferatur oratio.
Die Festigkeit dieser Vorstellung erklärt es, wie die Bewohner
von Tours dem heiligen Martinus drohen konnten, ihm keine
Ehre mehr zu erweisen, wenn er ihre Bitte um Hülfe nicht
gewähren würde. - Auch der Teufel kann citirt werden und
muss der Beschwörung folgen, was er oft mit grossem Un-
willen thut. Es findet auf höllischer Seite, wie auf jener der
Heiligen, eine sinnlich wahrnehmbare Vermittelung der über-
menschlichen Macht statt durch Aussprechen gewisser Worte
und Namen, durch Auflegen der Hände, Bestreichen des Lei-
bes, Anwenden von Salben, dämonischen Zeichen, entsprechend
den Relic[uien und dem andern magischen Apparate, wodurch
die Macht der Heiligen in Anspruch genommen wird. Je
nach der verschiedenen Seite, auf welche der Mensch sich
1 Gloria Martini, I, 2<S.
^ Greg. Turon. Miracula Mart.
158 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
stellt, um die gewünschte Hilfe zu erlangen, gebraucht er
Segensformeln fiir die Heiligen oder Beschwörungsfor-
meln, um den Teufel herbeizurufen. Von den vielen 8egens-
spri'ichen, die Grimm, Mone, Haupt und Andere mitgetheilt
haben, sind manche noch heutigentags gangljar und rufen
ausser Christus vornehmlich Maria und Heilige an. Von meh-
rern ist nachgewiesen, dass sie bis in die Heidenzeit hinauf-
reichen, wie jener Zauberspruch iiber den verrenkten Fuss
des Pferdes, den Grimm aufgefunden hat.
Ein Beispiel einer Segensformel:
Gets meine lieben Buebn !
Holz woUme zsamme tragn.
Jetzt springmer übers Fuic
Denn gehmer ünse Stuie.
Haiige Veit!
Schenk uns c Scheit;
Haiige Marks !
Schenk uns e starks ;
Haiige Sixt!
Schenk >uns e dicks ;
Haiige Kolomann!
Zünd unse Haus net an.
Wer mer e Scheit gibt is e brave man,
Wer mer kans gibt is e rechte gogkelhan. '
Analog sind die Beschwörungsformeln in Bezug auf die
bösen Wesen. Als Beispiel diene eine der kiirzeru:
„Ich N. N. beschwöre dich, Lucifer, Beizebub und alle
Obersten, wie ihr heissen imd Namen haben mögt, bei der
allerheiligsten Dreifaltigkeit, dem Vater, Sohn und Heiligen
Geiste, Alpha und Omega, Michael, llaphael u. s. w. Ja ich
beschwöre euch alle miteinander in der Hölle, in der Luft
und auf der Erde, in den Steinkliiften, unter dem Himmel, im
Feuer und allen Orten und Ländern, wo ihr nur seid und
euern Aufenthalt habt, keinen Ort ausgenommen, dass ihr die-
sen Geist Aziel augenblicklich bestellet und von Stund an,
so viel ich begehre, bringet" u. s. f. ^
Nach beiden Seiten, nämlich der heiligen und teuflischen,
1 Bei Schindler, Aberglaube des Mittelalters, 107.
^ Eine ganze Sammlung solcher Formeln, besonders von „Fausts
Hüllcnzwang" befindet sich bei Scheible, Das Kloster, V, 20. Zelle,
10. Heiligendienst und Mariencultus. 159
gebrauchte man auch Bilder von "Wachs, Thon, Metall, die
man in magischer Beziehung zum Originale dachte. Mit Ma-
rienmedaillen und Heiligenbildern geschahen Wirkungen im
guten Sinne; man hatte aber auch Bilder von Personen, denen
man schaden wollte („Atzmann" genannt) , deren Lebenskraft
man an das Bild gebunden glaubte. Solche Bilder hatten ihre
Wirksamkeit vom Teufel; wurden sie geschmolzen oder sonst
verletzt, so schwand die Lebenskraft des Originals, hing man
sie in den Rauch, so siechte jenes langsam dahin.
Da es im Wesen des Teufels liegt, Unheil zu stiften, den
Menschen an Leib und Seele zu schädigen, dagegen das Streben
der Heiligen auf dessen Heil gerichtet ist, so muss die teuf-
lische Bosheit immer mehr herausgefordert und gesteigert
werden, wodurch die Heiligen wieder durch zahlreichere und
grössere Wunderthaten ihn zu überbieten trachten müssen.
Hier wächst dadurch das Ansehen und die Verehrung der
Heiligen, dort gewinnt der Glaube an den Teufel und seine
Macht immer tiefere Wurzeln und weitere Verbreitung.
Obschon dem Teufel weder volle Allgegenwart noch All-
wissenheit zukommt und seine Macht an der göttlichen ihre
Schranke findet, so ist er dem Menschen doch weit überle-
gen, da er mit unbegreiflicher Schnelligkeit bald da, bald dort
erscheint und alles, was in der Menschenwelt vorgeht, er-
spähen kann. Der Mensch wendet sich daher im Gebete an
die Heiligen und fordert sie heraus, durch Wunderthaten der
Wirksamkeit des Teufels den Rang abzulaufen, um vor diesem
sichergestellt zu werden. Dafür wendet sich natürlich der
bitterste Hass des Teufels gegen die Heiligen. Zu dem un-
versöhnlichen Hasse, den der Teufel an sich als Widersacher
des Reiches Jesu und der christlichen Kirche gegen die Hei-
ligen als deren getreue Anhänger und Streiter hegen muss,
zu der Rachsucht, die ihn wegen seiner Verstossung zu ewi-
ger Verdammniss martert, gesellt sich noch der verzehrende
Neid über die Verehrung, die den Heiligen zutheil wird,
welcher ihn nie ruhen lässt, diese von ihrer Heiligkeit abzubrin-
gen. Hieraus erklärt sich der besondere Reiz, den die Heili-
gen für den Teufel haben, sie unablässig durch Versuchungen
zu plagen, wodurch seine Erfindungskraft immer mehr ange-
regt und geschärft wird. Die Heiligen, die am meisten und
unaufhörhch mit dem Teufel zu kämpfen haben, gewinnen
100 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
dadurch wieder an Charakterausprägmig und Gestaltung, und
so ruft jede Bewegung auf der einen Seite eine correlate Tliä-
ti'dveit auf der andern hervor, es spiegehi sich die Formen im
Antagonismus mit gegensützhchen Farben.
Eine concretere Anschauung von dem gegensätzhchen
Parallehsmus gewinnen wir vielleicht durch einen Umblick in
den Legenden der Heiligen, wo diese so viel wie möglich
selbst sprechen mögen.
Dass der Teufel über die gelungene Versuchung eines
Heiligen zu einer leichten Sünde mehr Freude habe, als wenn
er einen Sünder zu einer Todsünde bringt, das weiss die
Wienerin Blannbeckin vom Teufel selbst. ^
Die Legenden geben häufig selbst als Grund der Ge-
hässigkeit des Teufels gegen die Heiligen den Neid an. So
hatte der heilige Winiwal in Britannien, wie die Legende be-
richtet, durch seine Frömmigkeit den Neid des Teufels erregt,
der daher, ihm als schreckliches Ungeheuer erscheinend, ihn in
Angst versetzen w^ollte. Der Teufel war ganz „quasi" russig,
nahm bald die Gestalt von Vögeln, bald von Schlangen, wil-
den Thieren, Seeungeheuern, richtete sich auf, bald bis an die
Wolken reichend, bald wälzte er sich im Staube. Nachdem
er aber wahrgenommen , dass der Psalmii-ende nicht aus der
Fassuno- zu bringen sei, verschwand er endlich wie ein leich-
ter Schatten. '■^
Als Jungfrau war die heilige Dorothea ein blühendes
Keis der Tugend, und der Ruf ihrer Unschuld und Schönheit
verbreitete sich allenthalben im ganzen Lande. Der Teufel
konnte dies nicht vertragen und entzündete das Herz des Fa-
bricius (Statthalters), dass er ihrer in sündhafter Liebe be-
fj-ehrte. Er sandte auch alsobald Boten an sie mit freund-
lichem Grusse und Hess ihr sagen : es zieme sich wol für sie,
sich bald einen Gemahl zu nehmen; er habe Geld und Gut
im Ueberfluss. Nachdem sie dies standhaft abgelehnt, wird
sie gemartert und endlich hingerichtet. ^
Im Leben der heiligen Coleta meldet die Legende: Der
1 Agn. Blannb. vitii et revelat. , ]). 232.
2 A. SS. 15oll. 3. Mtu't.
^ Diemer, Kleine Beiträge zur altern deutschen Sprache und Litera-
tur, II, 10.
10. Heiligendienst und Mariencultus. IGl
alte Feind habe die Eigenthümlichkcit, je mehr er sehe, dass
sich jemand Gott nähere, desto mehr suche er ihn zu ver-
folgen, zu beunruhigen und abzuhalten, grosse Uebel über ihn
zu verhänsren und sie zu vermehren. ^ Da der Teufel wahr-
nahm, dass die Magd Christi durch die vollste Liebe mit Gott
vereint sei, suchte er ihr alle möglichen Hindernisse in den
Weg zu legen. Noch in ihrer Jugend, als sie schon den Ent-
schluss gefasst hatte, Gott von ganzem Herzen zu lieben und
ihm zu dienen, erschien ihr ein böser Geist mehrere Jahre
hindurch in jeder Nacht, wenn sie ihre Gebete anfing, und
in ihrer Nähe stehend, gab er wunderbare Laute von sich,
um sie in ihren heiligen Gebeten zu stören. So jung sie aber
auch war, stand sie doch so fest im Glauben an den Herrn,
dass sie dem Bösen gar kein Zeichen gab und kein Wort zu
ihm sprach, worauf er sich im Ueberdrusse zurückzog. Als
sie im mittlem Alter ihres religiösen Standes war, überfielen
sie oft die bösen Geister, schlugen sie grausam mit Knitteln,
dass ilire Schienbeine halben Leibes dick geschwollen waren.
Als sie einmal ein ganz besonderes Gebet dem Herrn dar-
brino-en wollte, fielen mehrere solcher Feinde über sie her,
um sie daran zu hindern, und zwar in Gestalt von Füchsen,
und schickten sich an, sie stark zu schlagen. Der Herr ver-
lieh ihr aber Muth den Angriff abzuwehren, so dass diese
wichen und die HeiHge Siegerin blieb , obschon sie vom
Kampfe sehr ermüdet war. Die Bösen, darüber erbost, dass die
Gebete der Heiligen den Geschöpfen so heilsam waren, schie-
nen es unter sich abgemacht zu haben , der Heiligen keine
Ruhe zu lassen, suchten ihr Schrecken einzujagen und
kamen deshalb unter verschiedener Gestalt, bald als ganz
rothe Menschen, zuweilen in der Form einer furchtbaren Sta-
tue, grässlich anzusehen, so gross, dass sie in den Himmel zu
ragen schien. Einmal erschien ihr der Teufel in der Gestalt
eines bösen, fürchterlichen Drachen, der nach seiner Erschei-
nuno- in der Mauer verschwand. Da sie beim Anblicke von
Kröten, Fröschen, Schlangen, Spinnen und ähnlichen giftigen
Reptilien grossen Abscheu empfand, zeigten sich die bösen
Geister gerade unter diesen Gestalten. Als aber die Heilige
1 A. SS. Boll. Mart. Tom. I, p. 572, cap. XVI.
Eoskoff, Geschichte des Teufels. II. . jj
1G2 Zweiter Abschnitt : Ansliildung der Vorstellung vom Teufel.
die List durchschaute, nahm sie jedesmal ihre Zuflucht zu
Gott, worauf die Erscheinungen immer verschwanden. Mehr-
mals hatten die Bösen die Leichname von Erhenkten in das
Oratorium der Heiligen gebracht, nur um sie zu stören,
mussten aber jene auf ihren Befehl wieder wegschaffen. Wie
der heilige Franciscus grossen Abscheu vor Ameisen hatte,
so fino- es auch unserer heiligen Magd Christi, die bei deren
Anblick im Herzen betrübt ward. Darum eben erschienen
ihr die Bösen gerne in dieser Gestalt, auch in der von
Fliegen in grosser Menge, um sie zu belästigen, oder in Ge-
stalt von Schildkröten, Schnecken u. dgl.
Als der heilige ColujDpanus sich in einer Steinhöhle ein
kleines Oratorium bereitete, fielen öfter Schlangen über ihn
her, die sich um seinen Hals wanden, worüber er sehr er-
schrak. Er erkannte, dass diese vom Teufel ausgingen luid
dessen Nachstellungen seien. Eines Tages aber kamen zwei
Drachen, wovon der eine der oberste Verführer selbst war,
der stärker als die andern, dem Heiligen sich so nahe stellte,
als ob er ihm etwas zuflüstern wollte. Der Heilige stand vor
Schrecken wie von Erz, ohne ein Glied rühren und das Kreuz
machen zu können. Nachdem sie geraume Zeit stumm dage-
standen, fiel dem Heiligen, der nicht einmal die Lippen be-
weo-en konnte, ein: das Gebet des Herrn „im Herzen zu
schreien". Als er dies gethan, fühlte er, dass seine erstarr-
ten Glieder sich zu lösen anfingen, und nachdem er seine
rechte Hand frei fühlte, machte er das Kreuz, kanzelte übei*-
dies den Teufel tüchtig herunter, der ganz verstört Reissaus
nahm mit Hinterlassung eines schrecklichen Gestanks. '
Die heilige Francisca Ilomana musste unzählige Verfol-
o-iui'1'en der bösen Geister ertragen, die ihr als Löwen, Hunde,
Schlangen, Menschen, Engel erschienen, sie im Hause herum-
zerrten, in die Luft schleppten, sie mit grosser Gewalt nieder-
warfen, prügelten u. dgl. Einmal mit dem Lesen heiliger
Bücher beschäftigt, erschienen ihr die Teufel in Gestalt ver-
schiedener wilder Tliiere, zerrissen ihr die Bücher, warfen die
Heiliire auf einen Aschenhaufen inid zerschunden sie der Art,
dass sie niemand für ein weibliches Wesen erkannte.^
1 A. SS. Boll. Vita S. Cohippani, 3. Mart.
2 A. SS. Boll. Vita Franciscac Ronianae, 9. Mart.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 163
Dem heiligen Einsiedler Nikolaus erscheint der Teufel in
der Einsamkeit als feiner Herr auf edelm Koss, im Seiden-
kleid, mit einem Saphir am Finger, einer goldenen Kette um
den Hals und sucht den Heiligen fiir das weltliche Leben zu
gewinnen, wird aber zu Schanden. Ein andermal kommt
er als reicher Kaufmann und sucht den Heiligen zu überzeu-
gen, dass er von seinen Erfahrungen und Rathschlägen unter
den Menschen mehr Nutzen gewinnen könne, als in der Ein-
samkeit. Der Heiliije bleibt aber standhaft. ^
Als der „heilige Johannes im Brunnen" noch jung war,
erschien ihm der Teufel in Gestalt seiner Mutter und suchte
ihn durch Beschwörungen zu bewegen, sein Leben im Brun-
nen aufzugeben. Er erinnerte ihn an die mütterlichen Schmer-
zen bei seiner Geburt, an seine Schwester und deren Liebe
zu ihm. Der Teufel nahm auch die Gestalt der Schwester
des Heiligen an und suchte ihn zu erweichen, ihm vorstellend,
dass sie des Vaters beraubt, seiner Stütze bedürfe. Der Hei-
lige, der sich im Brunnen befindet, gibt keine Antwort, wor-
auf der Teufel sehr zornig wird, sich als Drache in den
Brunnen stürzt, den Heiligen ergreift und dessen Fleisch zu
essen und wieder auszuspeien scheint. Der Heilige lässt sich
aber in seinem Gebete nicht stören und lebt zehn Jahre in
dem Brunnen.^
Als der heilige Franciscus das Kloster zu Paula zu bauen
anfing, errichtete er einen Kalkofen, der, als er mit Steinen
gefüllt in vollem Brande stand, einstürzte. Von den Mön-
chen zur Hülfe herbeigerufen, schickte er dieselben zum Früh-
stück und blieb allein zurück. Nach ihrer Rückkunft finden
sie den Kalkofen ganz hergestellt, als ob ihm nie etwas ge-
fehlt hätte. 3
Da die heilige Juliana beflissen war, bei jeder Gelegen-
heit die Seelen der Macht des Bösen zu entreissen, so ist es
natürlich, sagt die Legende, dass sie dadurch den Hass des
Teufels besonders auf sich geladen hatte. Er wüthete daher
mit seiner ganzen Bosheit gegen sie, ob sie im Schlafe war
oder ob sie wachte. Er erschien ihr auch sichtbar. Je mehr
1 A. SS. Boll. Vita S. Nicolai de Hupe Anachor., 22. Mart.
^ Acta SS. Vita S. Joannis in putco, 30. Mart.
^ Acta SS. Vita S. Francisci de Paula, 2. April.
11*
1G4 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
er sich aber gßgen sie anstrengte, desto mehr suchte sie die
Seelen aus seiner Gewalt zu befreien, denn sie wusste, dass
sie dadurch um so mehr in der Liebe Christi gewinne, je mehr
der Böse in Wuth gcrathe. Sie war daher unablässig auf
ihrer Hut, um nicht vielleicht irgendwie A^on ihm überlistet zu
w^erden. Unter dem Schilde des Gebets hielt sie die Angrifie
ihres Verfolgers aus, und aus dem Sakramente des Altars
schöpfte sie immer wieder frische Kraft. Da er sie lange un-
sichtbarerweise gequält hatte, kam er auch in sichtbarer
Gestalt in ihr Haus um von ihr gezüchtigt zu werden. Es
entstand einmal bei dem Angriffe, den Juliana auf den Bösen
machte, ein starkes Geräusch, da sie ihn mit den Händen er-
griffen festhielt, aus Leibeskräften auf ihn losschlug, ihn
mit Füssen stiess unter heftigen Vorwürfen. Der sich zum
Höchsten erhoben wissen wollte, wurde von einem Weibe mit
Schmach und Schlägen überschüttet. Da er fliehen wollte,
aber nicht konnte, sprach er zur Heiligen: lasse mich los iind
o-eh zu deinen Schwestern, die an der Schwelle deines Schlaf-
gemachs horchen, um hinterlistigerweise dessen dich anzu-
klagen, das du geheim halten willst. Hierauf entliess sie ihn
und fand in der That die Schwestern an der Thüre liegen,
was die Heilige mit Traurigkeit erfüllte. Denn in diesem
Hause üab es zweierlei Personen, solche, welche die Braut
Christi beobachteten um sie nachzualimen, und solche, um sie
zu beneiden, was bisher (sagt die Legende) in allen Jungfrau-
klöstern der Fall ist. ^
Der heilige Alferius, dem der Teufel wegen seiner Erfolge
aufsässig ist, wird von diesem von einem Berge an das Mee-
resufer heruntergestürzt. Die in seiner Gesellschaft waren,
kommen unter Klagen an die Küste, finden ihn aber unver-
sehrt daselbst stehen. Dadurch wuchs natürlich der Kuhm
des Heiligen, fügt die Legende bei, den der Teufel zu min-
dern beabsichtigt hatte. '-^
Der Teufel, der auch auf die Zunahme der heiligen Wi-
borada neidisch ist, sucht ihrem Eifer im Kirchenbesuche
hinderlich zu sein, indem er sie häufig zu Kämpfen heraus-
fordert, sie unter verschiedenen Gestalten umgaukelt, um sie
' Acta SS. Vita S. Julianae virg., 5. April.
2 Acta SS. Vitii S. Allerii, 12. April.
10. Ileiligeiidienst und Mariencultus. 165
zu änffstiffen, wowcen aber die Heiliee durch das Zeichen des
Kreuzes die Oberhand behält. Als sie einmal des Nachts,
nach ihrer gewohnten AVeise, nach der Kirche eilte, hörte sie
an deren Schwelle ein schreckliches Getöse, wie von einem
grunzenden Schweine, wodurch die Eintretende abgeschreckt
werden sollte. Die Heilige merkt aber die Absicht und den
Urheber, nimmt ihre Zuflucht zum Kreuzeszeichen, und Ruhe
stellt sich ein.
Dieselbe heilige Wiborada pflegte von dem, was ihr selbst
geboten ward, den Armen reichlich mitzutheilen. Unter die-
sen hatte sich, zur Zeit, wo sie gespeist wurden, einer regel-
mässig eingefunden, der nur mit Hülfe von Kriicken gehen
konnte. Der Teufel, der alles Gute beneidet, übernahm eines
Tags die Rolle dieses Armen und erschien um die gewöhn-
liche Mahlzeit, legte sich vor da§ Fenster der Heiligen und
that, als ob er sofort verenden müsste, wenn er das Almosen
nicht erhielte. Die Heilige, im Gebete vertieft, gibt keine
Antwort, der Böse aber erhebt sich nach einigen eindring-
lichen Worten unter dem Fenster um hineinzusehen und zeigt
sein schreckliches Haupt. Da ruft die Heilige: „Weiche hin-
wee: im Namen Christi, von mir erhältst du nichts!" worauf
der Teufel, wie vom Winde hinweggeblasen, verschwindet.*
Der heilige Gerlacus, der sich einer herrlichen Nachtruhe
erfreut, erregt dadurch den Neid des Teufels, und dieser sucht
den Heiligen zu quälen, indem er Lärm macht, bald als ob
Feinde oder Räuber einbrächen, oder dass er wie ein Dieb
um seine Zelle herumschleicht. Jedesmal vertreibt ihn aber
der Heilige mittels eines kleinen Kreuzes, das er ihm ent-
gegenhält. ^
Die heilige Ida oder Ita, die Gott ihre Keuschheit ver-
lobt hatte und den Schleier nehmen wollte, hatte drei Tage
und drei Nächte gefastet, wodurch sich der Teufel zu gewal-
tigen Anstrengungen genöthigt sah, imi sie von ihrem Vor-
haben abzubringen. Als diese aber an dem wackern Wider-
stände der heiligen Jungfrau scheiterten, da erschien ihr der
Teufel des Nachts vor ihrer Einweihung sehr nicdergeschla-
' A. SS. Maj. Tom. I, 286, 2. Mai.
^ Ibid., Tom. I, Januar, p. 402, 3.
166 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
gen und äusserte ganz offen seine Betrvibniss dariiber, dass er
nicht nur ihrer, sondern durch sie auch vieler anderer ver-
lustig gehen werde. ^
Als einst der heilige Petrus auf dem Markte vor einer grossen
Menge andächtiger Zuhörer predigte, worüber der Neid des
Teufels rege ward und die Frucht der Predigt zu zerstören
trachtete, erschien er in Gestalt eines schwarzen Pferdes im
wildesten Laufe dahergerannt, um die andächtige Versamm-
lung auseinanderzusprengen und in die Flucht zu jagen. Der
Heilige schlägt aber ein Kreuz und sofort verschwindet der
Böse, ohne dass jemand verletzt worden wäre. Der Teufel
hatte hiermit seine Absicht nicht nur nicht erreicht, vielmehr
wurden die Anwesenden als Augenzeugen des Mirakels in
ihrem Glauben noch mehr befestigt. '^
Aus diesen wenigen Beispielen ist nicht nur der Beweg-
grund, aus dem der Teufel die Heiligen so gerne heimzusuchen
pflegt, den die Legenden auch anzugeben selten unterlassen,
ersichtlich; sondern auch: dass er zu grosser Beweglichkeit
und Vielgestaltigkeit genöthigt wird, um nach vorhandenen
Umständen seine Versuchungen anzustellen. Um die Heiligen
aus ihrem Gleis der Heiligkeit herauszuleuken und auf sei-
nen höllischen Weg zu bringen, muss er seinen Plan den
Verhältnissen anpassen, sich nach dem Geschlechte, dem Alter,
der Eigenthiimlichkeit der heiligen Person richten. Seinem
Wesen gemäss ist zwar sein gewöhnliches Aussehen furchtbar
und hässlich, und er erscheint auch in schrecklicher Gestalt,
wo er dadurcli einen Heiligen in dessen heiligender Unter-
nehmung zu hindern hofft; er erscheint dagegen als feiner
Vcrfrdu-er, wo er vom ascctischen Leben abzubringen trachtet.
Er muss also zur Erreichung seiner Absichten allgcstaltig
Physische UeLcl.
Es liegt im Wesen der Heiligen als Verbreiter des Guten
und Aufrechterhalter des Regelmässigen, dass sie mit der Na-
tur nicht nur in gutem Einvernehmen stehen, sondern iiber
1 Jan. I, p. 10Ü3, G.
2 A. SS. Vita S. Petri Mart. Urd. Traedic, 29. April.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 167
sie auch eine Macht ausüben, indem sie zum Wohle des Men-
schen deren wohlthätige Wirkung hervorrufen und die iible besei-
tigen. Auch der Teufel hat eine Macht über die Natur, allein
er bedient sich ihrer, um schädliche Wirkungen hervorzubrin-
gen. Er ist ja vom Beginne seiner Geschichte als Stifter aller
physischen Uebel bekannt, verursacht alle Arten von Plagen,
die ganze Länder oder einzelne Personen treffen, er und seine
Gehülfen bringen Dürre hervor, wodurch der Fleiss des Feld-
bauers zunichte wird, Sturm, Hagel und Ungewitter, wodurch
der Mensch zu Schaden kommt. Solche Uebel sind häufig
die Strafe für irgendeine Verschuldung, selbst für Unterlas-
sung der Heiligen Verehrung. So wurden die „Tamienser" im
Jahre 1322 wegen Vernachlässigung des Dienstes, den sie der
heiligen Amalberga zu Pfingsten leisten sollten, dvirch ein
Hagelwetter bestraft, wobei Hagelkörner von der Grösse eines
grossen Apfels niedergingen, auf denen Teufelsgesichter
scheusslichen Anblicks zu sehen waren, den Schlössen gleich-
sam aufgedrückt. Die erfahrensten Männer behaupteten, es
sei dies Unwetter zur Mahnung gewesen, in Zukunft die Hei-
liare fleissis-er zu verehren. ^
Die Heiligen , welche sowol ganzen Ländern zum Schutze
als auch einzelnen Menschen zum Heile bestimmt sind, suchen
den verderblichen Erscheinungen in der Natur entgeo-enzu-
wirken und den Schaden wieder gut zu machen. So wird
durch die heilige Aj^atha das Feuer des Aetna für eine ganze
Reihe von Jahrhunderten ausgelöscht.* In dem feuerspeienden
Berge hausen Dämonen, die der heilige Philippus austreibt,
indem er sagt: „Zeige o Herr dein Antlitz, und es werden die
Scharen der Dämonen vertilgt!" Dabei machte der Heilige
mit dem Buche, das er in der Hand hielt, ein Zeichen, worauf
die Dämonen aus dem Gipfel des Berges wie Steine ausflogen,
und auf der Flucht mit kläglicher Stimme riefen: „Wehe
uns! .... wieder werden wir von Petrus durch den Pres-
byter Philippus verjagt! "3 — Der heilige Donatus hilft einer
ganzen Gegend, die an Wassermaugel leidet, dadurch, dass
1 A. SS. Vita S. Amalbergae virginis die 10. Julii, Tom. III, 105.
2 A. SS. 5. Febr.
3 A. SS. 12. Mai, Tom. III, 30.
1G8 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
er (wie Mose) eine Wasserqiielle hervorruft. ^ Der heilige
Clarus vertreibt durch sein Gebet Sturm und Hao-ehvetter^;
bei einem argen Res-cn und Hacrelwettcr hilft der hciliire Lau-
rentius durch das vcrbum Dei^; auf das Gebet der heili<'-en
Margarita legt sich sofort ein heftiger Sturm; dieselbe bewirkt
durch ihr Gebet, dass eine grosse Ueberschwemmung der Do-
nau aufhört'*; der heilige Majolus legt durch sein Gebet eine
sumpfige Gegend trocken^; hingegen regnet es auf das Gebet
des heiligen Desideratus in einer Gegend in Spanien, nach-
dem sieben Jahre lang kein Regen gefallen war*^; auch dem
heiligen Isidorus zu Liebe regnet es wiederholt bei grosser
Diirre. ^
Das schädliche Ungeziefer, welches der Teufel schickt, suchen
die Heiligen zu vertreiben. Der heilige Simon der Stvlite ver-
tilgt durch sein Gebet die Raupen ^; der heilige Theodorus
vertreibt die Heuschrecken; er reinigt ausserdem eine ganze
Gegend, die von Dämonen heimgesucht worden, dass nicht
nur Menschen, sondern auch Thiere zum Theil zu Grunde
gingen, oder doch unbezähmbar wild gemacht waren. ^ Der
heilige Ursmarinus verscheucht die der Saat gefährlichen
Mäuse. ^^
Krankheiten.
Da der Teufel Krankheiten, ja selbst den Tod über Men-
schen und Thiere bringt, so miissen die Heiligen Kranke heilen
und Todte wieder lebendig machen. Eine Unzahl von Hcili-
genlegenden meldet die Heilungen aller Art innerer Krank-
heiten sowol als äusserer Schäden und Gebrechen. Sie stillen
Blutfliisse, heilen die Schmerzen in allen Theilen des Leibes,
beseitigen sehr häufig Brüche, Kröpfe, Stein, Krebs u. s. f.,
1 A. SS. 30. April.
2 Ibid., Jan. Tom. I, p. 55. 2. 5ß. 7.
3 Ibid., 8. Jan.
4 Ibid., 28. Jan.
s Ibid., 10. Mai.
« Ibid., 8. Mai.
' Ibid., 15. Mai.
* Ibid., 5. Jan.
^ Ibid., Vita Thcdor. Siccotae, 22. April,
1» Ibid., 18. April.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 1G9
sie erleichtern die Geburt, machen Blinde sehend, Taube hö-
rend u. s. f., und zwar auf mittelbare oder unmittelbare
Weise. Der heiliixe Franciscus de Paula heilt einen Besesse-
nen, der \yegen des vielen Uebels, das er angerichtet, gekne-
belt, von sieben Männern herbeigebracht worden, mit drei
trockenen Feigen, die er ihm zu essen gegeben, worauf der
Kranke vollkommen gesund nach Hause geht. Derselbe Hei-
lige befreit ein Mädchen von einem Ungeheuern Kröpfe durch
gewisse Kräuter, nachdem viele Aerzte ihre Arzneien umsonst
anü^ewendet hatten. ^ Der heiliii-e Huo;o treibt einer Frau eine
schreckliche Schlange aus dem Leibe mit herbeigeschafftem
Wasser, über das er Gebete gesjH-ochen und das er geweiht
hat, davon der Frau dreimal in den Mund giesst, wodurch
das schreckliche Thier alsbald herauskommt.^ Der heilige
Melanins macht einen vom Teufel ersäuften Knaben wieder
lebendige- ^ Dasselbe thut der heilio;e Eleutherus mit einem
Knaben, der vom Teufel in Gestalt eines Löwen getödtet
worden.* Die heilige Coleta erweckt mit dem Kreuze mehr
als hundert Kinder vom Tode.^ Der heilige Andreas (de
Guileranis) heilt nicht nur alle Krankheiten, er befreit auch
einen Buckeligen, der an seinem Grabe demüthig betet, von
seinem Höcker. ^ Denn die wunderbare Heilkraft der Ileilisfen
wirkt nicht nur bei deren Lebzeit, sondern auch nach ihrem
Tode, und an den Gräbern der Heiligen geschehen unzählige
Mirakel, und zwar nicht nur infolge von Anrufungen und
inbrünstigen Gebeten, sondern auf echt magische Weise durch
blosse Berührung oder selbst durch ihre Nähe. Am Grabe
des heiligen Yincentius verliert einer, dessen Vater ein Wachs-
bild und den lebenslangen Besuch der Stätte bei angezündeter
Wachskerze gelobt, einen nussgrossen Blasenstein. ^ Eine
Frau, die an heftigem Kopfschmerz litt, wurde gesund, nach-
dem sie der heiligen Coleta die Hand geküsst hatte. ^ Die
1 A. Sit
>. 2.
April.
2 Ibid.,
29.
April.
3 Ibid.,
Tom. I, 331, 23.
* Ibid.,
20.
Febr.
5 Ibid.,
6.
Mart.
« Ibid.,
19
Mart.
7 Ibid.,
5.
April.
« Ibid.,
6.
xMart.
1-70 Zweiter Abschnitt: Aus1)ildung der Vorstellung vom Teufel.
magische Kraft der Heiligen gibt sich auf die maunichfaltigstc
Weise kund. Als einst die Lampe am Grabe des heiligen
Severinus herabfiel und verlosch, sagte ein gegenwärtiger Abt:
,,Wo ist deine Kraft, Heiliger? Einst machtest du die Lampe
von Oel überfliessen , zündetest die verlöschten Wachskerzen
an; jetzt hast du uns, die wir dir dienen, deines Lichtes be-
raubt. Wenn ich dich nicht liebte, wäirde ich diesen deinen
Hof ohne Licht lassen." Nach diesen Worten befahl er den
L^mstehenden, die Lampentrümmer zu sammeln, und siehe!
man fand die Lamj^e nicht nur ganz, sondern auch bis oben
mit Oel gefüllt. ' Mit dem Wasser, womit der heilige Sul-
picius sich die Hände gewaschen, w^ erden Krankheiten geheilt*;
ebenso mit den Blumen, die auf das Grab des heiligen Ber-
nardus gelegt worden waren. ^ Durch die blosse Berührung
der Todtenbahre der heiligen Eusebia oder des Tuchs, womit
ihre Ileliquien bedeckt sind, werden Kranke gesund."* Die
Haare des heiligen Bonifacius, die eine Mutter ihrer todtkran-
ken Tochter ins Gesicht hängt, heilen diese. ^ Der Staub von
dem Grabe der heilio;en Coleta heilt Krankheiten und vertreibt
Schmerzen. Einige Haare von ihr, die ein Gefangener besass,
welche zum Geständniss eines Verbrechens unschuldig gefoltert
ward, machen diesen so standhaft, dass er die Folter über-
steht und frei w^ird. Ein Stückchen von ihrem Schleier heilt
einen Bruch; von demselben Gebrechen wird ein Mann da-
durch befreit, dass ihm der Mantel, den die Heilige bei Leb-
zeit gebraucht, umgehängt wird. Eine Besessene wird da-
durch heil, dass sie aus dem Becher trinkt, aus dem die
Heilige einst getrunken. ^ Die Reliquien dieser Heiligen helfen
auch Gebärenden, was ihr Hauch bei Lebzeit oft gethan.'^
Wie die Bosheit des Teufels auch Thiere nicht verschont,
so erstreckt sich auch auf diese die wohlthätige Macht der
Heiligen, indem sie nicht nur Seuchen vertreiben, sondern
auch im Besondern der unvernünftigen Geschöpfe sich au-
1 A. SS. Addenda ad S. Jan. Severini post translat. miracula.
2 Ibid., Jan. Tom. II, p. 173. 38.
3 Ibid., 23. Jan.
^ Ibid., 2-4. Jan.
s Ibid., lU. Febr.
6 Ibid., Mart. Tom. I, 592.
' Ibid., p. G26.
10. Heiligeudienst und Mariencultus. 171
nehmen. In Ländern, wo die Heiligen noch verehrt werden,
haben die verschiedenen Arten von Plansthieren ihre Sohutz-
heiliicen. Bekannt ist das Lied:
Heiliger Kilian, du grosser Viecher Patron,
Nimm uns gnädig als deine Kinder an.
Der heihge Gerlacus heilt ein Pferd, befreit eine Kuh
von der Seuche. ^ Die Vita S. Kierani berichtet, der Heilige
habe schon als Knabe einen von einem Plabicht gefangenen
Vogel durch sein Gebet befreit,^ Der heilige Franciscus
macht ein todtes Lamm wieder lebendig. ^ Dem Esel des
heiligen Jacobus (Episc. Tarentasius) wird auf einer Heise auf
Anstiften des Teufels von einem schwarzen Vogel ein Auge
ausgehackt und davongetragen. Auf das Gebet des Heiligen
muss der Vogel das Auge wieder zurückbringen und dem
Esel einsetzen, der sofort wieder damit sehen kann.* Auf das
Geheiss des heiligen Gerardus bringt ein Fuchs eine von ihm
geraubte Henne sogleich wieder zurück^; auf das des heiligen
Lauromarus lassen AVölfe eine erjagte Hirschkuh wieder los. ^
Der heilige Macarius, dem, als er im Hofe sitzt, eine Hyäne
ihr Junges, das blind war, zur Heilung bringt, macht dieses
dadurch sehend, dass er ihm in die Augen spuckt imd betet.
Am andern Tas-e brincrt die dankbare Thiermutter dem Hei-
ligen ein Schaffell, der es aber nur unter der Bedingung an-
nimmt, dass die Hyäne kein Schaf von Armen mehi- zerreisse,
was diese auch verspricht, worauf der Heilige das Honorar
annimmt. ^
Der Teufel verübt nur Stücke der Zauberei, welche dem
Quell gemäss, aus dem sie entspringen, auch nur Böses und
Unheil zum Zwecke haben, daher der davon gehoö'te Vortheil
den Menschen zum Nachtheil ausschlagen muss. Die Heili-
gen hingegen wirken Wunder, die nach ihrem Ausgangs-
und Endpunkte nur zum Heile gereichen. Auf ihrer Seite
' A. SS. Jan. Tom. I, p. 318. 31. 33.
2 Ibid., 5. Mart.
3 Ibid., 2. April.
* Ibid. , 16. Jan.
5 Ibid., 13. Mai.
6 Ibid., Jan. Tom. II, 230. 14.
' Ibid., 2. Jan.
172 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
wiederholen sich die Wunder des Alten und Neuen Testaments.
Der heilige Orontius feiert seine Wahl zum Seelsorger (Pastor)
der Stadt Auxitana damit, dass er eine Gerte, die er eben in
der Hand hält, in die Erde steckt, die sofort zu grünen und
zu keimen anfängt, ihre Zweige ausbreitet und zu einem gros-
sen Baume wird. ^ Der heilige Gualterius, der mit mehrern
Begleitern durch eine wasserlose Gegend wandert, wobei
alle von heftigem Durst geplagt werden, betet unter Thränen
zu Gott und schlägt mit seinem Stabe auf den Boden, woraus
alsbald ein frischer Quell hervorsprudelt. ^ Der heilige An-
toninus, der als Bischof zu einem Pfarrer seiner Diöcese kommt,
welcher nichts zur Bewirthung hat, lässt diesen ein Netz neh-
men, um in einem fischleeren Wasser zu fischen. Als das
Netz herausgezogen wird, ist es zur grössten Verwunderung
des Pfarrers voll von Fischen — durch die Verdienste des
Heiligen, erklärt die Legende. =^ Der heilige Comgallus
schickt einen Frater über eine Meerenge, und durch die Ver-
dienste des Ileilio-en kommt dieser trockenen Fusses hinüber. *
Der heilige Philippus (Presbyter Agyriens.) ruft einen von
einem Dämon Getödteten dreimal bei seinem Namen, wie
Christus den Lazarus, und durch das Gebet des Heiligen wird
der Todte lebendig.^ Der heilige Carthacus will nach einer
jenseit des Flusses gelegenen Gegend, und da kein Fahrzeug
da ist, theilt sich auf das Gebet des Heiligen das Wasser und
dieser schreitet, sammt zwei andern heiligen Männern, trocke-
nen Fusses auf das jenseitige Land. *' Der heilige Lugidius
verwandelt Wasser in Milch, die süss wie Honig und wie
Wein berauschend ist.'^ Die heilige Elisabeth verwandelt
Wasser in Wein.** Der heilige Stephanus geht auf dem Was-
ser wie auf trockenem Lande. ^ Die heilige Klara verviel-
1 A. SS. 1. Mai.
2 Ibid., 11. Mai.
3 Ibid., 2. Mai.
^ Ibid., Vita Comgalli Ab. Benchor. 10. Mai.
5 Ibid., 12. Mai.
« Ibid., 14. Mai.
^ Ibid., 4. Aug. De S. Lugidio sive Luano.
« Ibid., 4. Juli.
9 Ibid., Vita S. Stepliani Sabaitac Thaumaturgi Monachi, 13. Juli.
10. rieiligendienst und Mariencultus. 173
fältigt auf wunderbare Weise Brot und Ocl. ^ Die heilige
Radegundis macht einen dürren Lorberzweig wieder grünen.^
Eine Frau, die der heiligen Coleta ein neues Kleid gelobt,
besitzt zu wenig Stofi", aber im Vertrauen auf die Macht der
Heiligen übergibt sie ihn dem Schneider, unter dessen Schere
der Stoff so anwächst, dass ein vollkommenes Kleid daraus
wird. ^
So wohlthätig es immer ist, die Heiligen anzurufen, so
verderblich wird es, den Teufel in Anspruch zu nehmen.
Die heilige Agnes, die im Gebete angerufen ward, be-
freit einen Frater, der eine Fischgräte verschluckt hat, davon.*
Eine Frau, in Gefahr zu ertrinken, ruft den heiligen Petrus
an luid wird gerettet, u. s. f. ^ Ein Ochsenhirt, der im Aer-
srer über seine auseinanderlaufenden Ochsen den Teufel an<xe-
rufen hatte, wurde von diesem durch die Luft geführt. Nach
einiger Zeit wird der Knecht im Walde zwar gefunden, aber
im Zustande der Besessenheit. Der Herr desselben stellt nun
mit dem Dämon ein Examen an, fragt ihn: wann er den Be-
sessenen verlassen werde? Jener ist so o-efällis^. Ort und Zeit
anzugeben: im Hause der heiligen Margarita und zwar heute
noch, wenn der, mit dessen Zunge er jetzt redet, an der
Grabstätte der Heiligen eine Kohle ausspeien werde. Man
bringt den Besessenen dahin, der mit der Kohle zugleich den
Bewohner des Höllenfeuers von sich gibt. ^ Von den ver-
derblichen Folgen der Anrufung des Teufels wissen die Sagen
besonders viel zu berichten. Ein toller Junker, der nach seinem
Brauche alle Teufel gerufen, wurde von einem grossen Haufen
derselben einmal überfallen, die ihn wegführen wollten. Eine
reiche Jungfrau betheuert ihrem Verlobten: wenn ich einen
andern Mann nehme, so hole mich der Teufel auf der Hoch-
zeit, Als sie sich mit einem andern verehelicht, kommen zwei
Teufel in Gestalt von Reitern in das Brauthaus und fiihren
die Braut in der Luft mit sich fort. ^
' A. SS. 12. Aug.
2 Ibid., 13. Aug.
3 Ibid., 6. Mart.
4 Ibid., Jan. Tom. II, 362. 2.
5 Ibid., 29. April.
^ Ibid., 22. Febr. Append. zur Vita S. Marg. de Tortona.
^ Godelmann, Von Zauberei, Hexen und Unholden.
174 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Eine Menge Legenden erzählen von dem heilbringenden
Verkehre mit Heiligen. Von der Verder])lichkeit des Umgangs
mit dem Teufel möge aus vielen andern Beispielen nur das
eine angeführt werden: „Der llichter und der Teufel'' von
dem Sti'icker (aus dem 13. Jahrhundert: „Der richtaere mid
der tiuvel").
Diz ist von dem richter hie
mit dem der tiuvel gie.
In einer Stadt sass ein Richter, der so reich und ein so
bekannter Sünder war, dass die Leute meinten, die Erde
müsste ihn verschlingen. Eines Markttags ritt er früh hinaus,
seinen liebsten Weingarten zai besehen, und als er zurück-
kehrte, trat der Teufel reichgekleidet ihm entgegen. Der
Richter grüsste ihn und fragte, wer und woher er wäre. Der
Teufel weigerte sich zu antworten, der Richter zürnte dariiber
und drohte ihm an Gut und Leben; der Fremde bekannte hierauf,
er sei der Teufel. Der Richter fragte ihn um sein Gewerbe,
und der Teufel sagte: er wolle in die Stadt gehen, weil er
heute alles nehmen dürfe, was ihm ernstlich gegeben werde. Der
Richter wollte ihn während des Marktes begleiten und gebot ihm
bei Gottes Zorn, in seiner Gegenwart das ihm Verfallene zu
nehmen. Der Teufel weigerte sich, weil es dem Richter nicht
fromme; dieser aber bestand darauf und wollte trotz der
Warnung vor der Feindschaft zwischen Mensch und Teufel
das AVunder schauen. Beide gingen also in die Stadt durch
das Marktgewühl. Mancher bot dem Richter da zu trinken,
luid dieser bot es auch seinem unbekannten Gesellen, der es
jedoch ablehnte. So trafen sie eine Frau, die von einem
Schweine Ungemach hatte, es vor die Thüre trieb und es zum
Teufel laufen hiess. Der Richter forderte diesen auf, es zu
nehmen, der Teufel aber wagte es nicht, da es nicht ihr Ernst
wäre. Hierauf begegneten sie einem andern Weibe, das eben
so ein Kind zum Teufel wünschte. Der Richter hiess ihn
greifen, der Teufel entschuldigte sich wie früher. Weiter
hörten sie ein Weib sein ungehorsames Kind dem Teufel
übergeben. Der Richter heisst ihn abermals zugreifen; der
Teufel entgegnet aber, jenes würde das Kind nicht für
2000 Pfund missen wollen. Sie kamen nun auf den Markt
und wurden im Gedränge aufgehalten. Da ging eine arme
alte Witwe mühselig an einem Stabe daher, die, als sie den
10. Ileiligendienst und Maricncultus. 175
Kiclitcr erblickte, zu weinen anhub und rief Wehe über ihn,
dass er ihr unverschuldet ihr Kühlein genommen, von dem
sie allein sich genährt habe, und dass er ihre Bettelarmuth
verspotte. Sie bitte daher Gott um Christi Leiden willen,
dass der Teufel des Richters Leib und Seele hole. Da be-
merkte der Teufel zAun Richter: es sei ihr ernst, ergriff ihn
beim Haar und fuhr mit ihm, vi^ie der Aar mit dem Huhn,
zu Bersfe anofcsichts aller Marktleute, die ihm fern nachsahen.
So ward der gewinnsüchtige Richter betrogen und bewährt
sich, dass es unweise ist, mit dem Teufel umzugehen. ^
Ihre magische Kraft verwenden die Heiligen, sowol bei
Lebzeit als nach dem Tode, zum Wohle, und zwar auch bei
minder wichtigen Fällen; wogegen der Teufel mit seiner
Zauberkraft die Menschen neckt und beunruhigt.
Als dem heiligen Ulricus die Mäuse seine Kappe zernagt
hatten, entschlüpfte dem Manne Gottes der Fluch: „Pereat
mus"! worauf ihm sogleich eine Maus todt zu Füssen fiel.
Reuig berichtet er seinem Presbyter die unbesonnenen Fluch-
worte; jener aber: ,,Wenn du doch alle Mäuse dieser Gegend
durch einen Fluch vernichten wolltest", was der Heilige je-
doch ablehnt. ^ Bei einem Gastmahle, wo Kaiser Heinrich ein
kostbares Glas als alexandrinisches Kunstwerk vorzeigte, wurde
dieses, wie es scheint durch Unachtsamkeit der anwesenden
Geistlichen, beim Herumreichen zerbrochen. Der heilige Odilo,
der auch zu Tische war, geht, um die Geistlichen vor dem
Unwillen des Kaisers zu schützen, in die Kirche, fleht unter
Psalmen und Gebeten die göttliche Gnade an und — das
Glas wird ganz.' Die heilige Genoveva lässt einen Baum,
welcher den Schifi:en gefährlich war, unter Gebeten umhauen,
worauf zwei dämonische Ungeheuer aus der Stelle hervor-
kommen, durch deren stinkenden Dampf die Schiffer zwei
Stunden lang gequält %verden. "* Der heilige Consalvus ver-
wandelt weisse Brote, die eine Frau an ihm vorüberträgt, in
ganz schwarze und nach Besprengung mit Weihwasser wüeder
in weisse. ^ Der heilige Sulpicius löscht mit dem Kreuze
1 Auch bei Lassberg-, II, 341).
2 A. SS., 20. Febr.
3 Ibid., Jan., tom. I, 74, 21.
^ Ibid., 141. 34.
» Ibid., tora. I, G47. 36.
17G Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
wiederholt Feuersbrünste, bewirkt, dass ein gefällter Baum
nicht auf die Seite fällt, wo ein Knabe steht, der erschlagen
würde. ' Auch der heilige Launomarus löscht das Feuer mit
dem Kreuze, zündet aber eine vom Teufel ausgelöschte Lampe
durch sein Gebet wieder an und öflhet durch dasselbe auch
eine verschlossene Tliür. ^ Durch das Gebet der heiligen
Margarita zerbricht ein Wagen, wird aber ebenso wieder
ganz.^ Die heilige Brigida verwandelt Wasser in Bier, macht
vermittels des Kreuzes von einem kleinen Stiick Butter ein
grosses Gefäss voll, segnet Wasser, worauf es aus einem zer-
brochenen Gefässe nicht herausfliessen kann; ein zerbrochenes
Geschirr macht sie durch ihr Gebet ganz, macht morsches
Holz frisch, verwandelt einen Stein in Salz. * Auf das Gebet
des heiligen Juventius wird ein mit Geld gefülltes Gefäss,
das in den Tessin gefallen, durch das Wasser aus dem Grunde
hervorgehoben und dem am Ufer stehenden Heiligen an die
Füsse gespült.* Der heilige Ulricus, welchem durch Ver-
mittelung einer göttlichen Ofienbarung ein Fuchspelz zur Be-
deckung zugestellt worden, verwandelt durch seinen Segen
sehr oft Wasser in Wein, macht aus einem Brote viele, ver-
wandelt ein von einem Knaben gestohlenes Brot in einen
Stein und stellt es ebenso wieder her. ^ Die heilige Coleta
macht ein ausgeronnenes Fass Wein MÜeder voll; als der
Teufel ein mannsgrosses Loch in die Mauer gemacht, stellt
die Heihge das Bild der Mutter Gottes vor, und das Loch
ist verschwunden. ^ Der heihge Franciscus de Paula befahl
einem Frater, Bohnen zu kochen, dieser stellt den Topf auf
den Herd, vergisst aber Feuer anzuzinulen. Als die Bohnen
herausgenommen und gegessen werden sollen, brechen die
Anwesenden, die den Topf ohne Feuer bemerken, in lautes
Gelächter aus. Der Heilige tritt aber hinzu, nimmt den
1 A. SS., Jan., tom. II, 170. 21.
'' Ibid., Jan., tom. II, 230. 10. 11. 12.
3 Ibid., 28. Jan.
1 Ibid., 1. Febr.
5 ll)id., 8. Febr.
e Ibid., 20. Febr.
7 Ibid., 6. Mart.
10. Ileiligendienst und Maricncultus. 177
Deckel vom Topfe und — die Bohnen sind gekocht und kön-
nen gegessen werden. ^
Der Teufel, der es auf das physische Verderben der
Menschen überhaupt, vornehmlich aber auf das der Heiligen
abgesehen hat, sucht diese in der Ascese, wodurch sie die
Heiligkeit erlangen wollen, zur Uebertreibung zu verleiten,
damit sie zu ihrem leiblichen Untergang führe.
Eines Tages kommen zwei „Zabuli" wie aus der Luft
gefjillen in menschlicher Gestalt zum heiligen Guthlac vmd
suchen ihn zu überreden, dass er sich nur recht mit Fasten
kasteie, denn je mehr er sich in dieser Welt herunterbringe,
desto höher werde er in der andern stehen, er solle daher
nur jeden siebenten Tag essen, denn wie der Herr durch
sechs Tage die Schöpfung hervorbrachte und am siebenten
ruhte, so solle auch der Mensch durch sechstägiges Fasten
den Geist bilden und am siebenten dem Fleische durch Essen
Ruhe gewähren. Guthlac merkt aber die Absicht und —
psalmirt: „Es mögen meine Feinde von mir weichen!" Diese
thun es und verschwinden wie Rauch in der Luft. Der Hei-
lige ergreift hierauf ihnen zum Trotz ein Stück Roggenbrot
und beginnt seine tägliche Mahlzeit, worauf die Teufel ein
Geheul und Jammergeschrei erschallen lassen, da sie sich von
Guthlac verachtet sehen. ^ Dem heiligen Jordanus erscheint
der Teufel als frommer Mann und ermahnt ihn zu noch
grösserer Enthaltsamkeit. Dem Heiligen wird aber durch Gott
den Herrn offenbart, dass es der Teufel gewesen, welcher
ihm den Rath gegeben. ^ Als der Heilige auf einer Reise
erkrankt, von dem Bischöfe aufgenommen in dessen Bett ge-
bracht ward, erschien ihm des Nachts der Teufel in Gestalt
eines Engels des Lichts und machte ihm Vorwürfe, dass er
als Pater des Predigerordens in einem weichen Federbette
liege, er solle aufstehen und sich auf den Boden legen. Voll
Angst folgt ihm der Pleilige und wird des Morgens so liegend
gefunden, wird aber genöthigt, sich ins Bett zu legen. In
der folgenden Nacht dieselbe Scene. Als aber in der dritten
Nacht der Teufel wieder kommt, sagt ihm der Heilige, dass
' A. SS., 2. Apr.
^ Ibid., 11. Apr.
3 Ibid., 13. Febr.
Roskoff, Geschichte des Teufels. II. in
178 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
er seine Einfalt misbraucht habe und spuckt ihm in das
schattenhafte Teufelsgesicht. Am siebenten Tage tritt die
Krisis ein und der Heilige genest von seiner Krankheit. ^
Da es eine Lieblingsneigung des Teufels ist, die Leiber
der Menschen in Besitz zu nehmen, so ist die Thätigkeit der
Heiligen ganz besonders auf die Befreiung der Besessenen
von ihren Dämonen gerichtet. Sie verrichten den Exorcismus
gleich andern Heilungen bald unmittelbar, bald mittelbar, bei
Lebzeit und nach dem Tode.
Der heilige Godehard befand sich einmal in Angelegen-
heiten seines Klosters in llegensburg, da wurde eine Be-
sessene zur Heilung zu ihm gebracht. Nachdem der Heilige
die Kranke betrachtet hatte, sagte er: „Antworte mir, unsau-
berer Geist auf das, was ich dich fragen werde. Was machst
du in diesem Geschöpfe Gottes?" Der Dämon: „Diese Seele
besitze ich mit vollem Rechte, da sie eine Zauberin- ist
durch die ich viele Seelen gewonnen habe." Der Heilige:
„Warum ist sie wegen Zauberei die deinige?" Der Dämon:
„Hast du nicht gelesen, dass der Herr die Zauberer und
Wahrsager auszurotten befohlen hat? Denn was machen
solche anders, als dass sie mir und meinem Obersten dienen?
Sie sind Götzendiener und wir haben auf keine andern mehr
ein Recht als die solchen Lastern ergeben sind. Weisst du
nicht, dass unter tausend Zauberinnen kaum eine dieses Laster
eingestehen würde, da wir ihnen den Mund sperren, dass sie
derlei nicht vorbringen können." Der Heilige: „Ich weiss,
dass deine Bosheit so gross ist wie die deiner Genossen, ich
zweifle aber nicht, dass die Gnade Gottes noch grösser ist.
Also, unreiner Geist! gib Gott die Ehre und weiche von
dieser seiner Creatur, dass sie wieder zur Gnade gelange,
deren du sie beraubt hast." Dämon: „AVas machst du einen
solchen Angriff auf mich, was habe ich dir gethan oder was
hast du wider mich?" Der Heilige: „Höre frecher, unreiner
Geist, in jenem ewigen Vaterlande, aus dem du dich über-
müthigerweise gestiirzt hast, habe ich an dem allgemeinen
Wohle mehr Anthcil als an meinem eigenen, daher muss ich
an dem Unheile eines andern mehr theilnehmen als an dem
A. SS., S. 737.
10. Heiliofendienst uud Mariencultus. 179
o
eigenen. Denn dadurch mache ich mich um das ewige Leben
verdient. Ich habe also gerechte Ursache gegen dich, da du
unrechtmässig meine Schwester besitzest, dieses Geschöpf
deines Schöpfers. Sein Eingeborner hat sein Bkit vergossen
und den bittersten Tod erhtten und dadurch den Sieg iiber
dich errungen. Daher befehle ich dir, unreiner Geist, weiche
von ihr und nicht unterfange dich ferner ein Geschöpf Gottes
zu belästigen." Und so wich der böse Dämon, und das Weib
fiel wie todt hin; aber der heilige Mann richtete es sofort
wieder auf, und es legte öfientlich unter Thränen ein reuiges
Bekenntniss ab, worauf der Heilige die Absolution ertheilte. ^
Ein Mann, der oft in einen wahnsinnigen Zustand versetzt
ward, wird zum Grabe des heiligen Nicolaus gebracht und
während er betet, gibt er mancherlei von sich, als: Stücke
von Hufeisen, kleine Messer u. dgl., worauf er gesund wird.'*
Die heilige Apollinaris vertreibt den Dämon, der ihre Schwester
belästigt, durch Auflegen der Hände und Gebet. ' Eine Frau
fiihrt ihre Tochter, die durch des Teufels Bosheit wahnwitzig
geworden, ihre eigene Mutter nicht erkannte, an die Grab-
stätte des heiligen Marcus, betet inbrünstig, worauf jene
ganz gesund wird. * Eine Frau , seit fünf Jahren besessen,
wird zum Grabe des heiligen Ambrosius (Sansedonius) geführt.
Hier gibt der Dämon das Zeichen an, worauf er weichen
werde, nämlich das Niesen der Besessenen. Nachdem es ein-
getreten, ergreift er sofort die Flucht.^ Die heilige Zita heilt
unter mehrern Dämonischen eine gewisse Migliora, die seit
dreizehn Jahren von 24 Dämonen geplagt ward. ^
Beispiele von Teufelaustreibungen mittels der Reliquien be-
richten die Legenden eine grosse Menge. Der Wein, mit dem die
Reliquien des heiligen Genulphus gewaschen worden, wird einem
Besessenen zu trinken gegeben, und der Dämon fährt ihm mit
Blut aus dem Munde. '^ Ein Dämonischer wird geheilt, als
er Reliquien des heiligen Anastasius trägt. Der Teufel er-
1 A. SS., 4. Mai.
2 Ibid., 22. Hart.
3 Il)id., Jan., toin. I, 260. IG.
^ Ibid., Vita St. Marci, Ep. Atin., 28. April.
5 Ibid., 20. Mart.
« Ibid., 27. Apr.
' Ibid., 17. Jan.
12*
180 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung voin Teufel.
scheint und fragt ganz unbefangen, ob er Reliquien trage, und
als dieser bejaht, geht er von danncn. ' Ein Frater des Pre-
digerordens legt einige Barthaare des heiligen Vincentius in
einem Tuche eingewickelt einer Besessenen um den Hals.
Der Teufel, die Macht der Haare spürend, fängt an den Leib
der Besessenen fürchterlich zu verdrehen. Auf die Frage:
warum er dies thue, erwidert er: wegen der Barthaare des
Heiligen, deren starke Wirkung er emiDfinde. Nach mancher-
lei, das er aus der Besessenen herausgesprochen, geht der
Teufel aus deren Leibe heraus, indem er diese fast todt
zurücklässt. ^ Die heilige Katharina wird zu einer Besessenen
geführt, und bei der Gelegenheit lässt sich der Dämon mit
der Heiligen und dem assistirenden Frater in ein langes Ge-
spräch ein. Auf den Befehl der Heiligen, dass der böse Geist
aus der Creatur Jesu Christi ausfähre und diese nicht mehr
plage, verlässt er die übrigen Theile des Leibes und setzt
sich in die Kehle der Kranken, wo er heftige Zuckungen und
eine Geschwulst hervorbringt. Die Heilige legt ihre Hand
auf den Theil, macht das Zeichen des Kreuzes darüber und
so wird der Böse gänzlich ausgetrieben. ^
Da der Teufel und seine Genossen bisweilen auch von
Thieren Besitz nimmt, so muss sich der Exorcismus, durch
die Heiligen geübt, auch auf jene erstrecken.
Der heilige Raynaldus, dessen Kraft im Teufelaustreiben
von der Legende besonders gerühmt wird, treibt von einer
besessenen Kuh den Teufel fort, der ihr auf dem Rücken
sitzt •*, u. a. m.
Der Teufel, als Vater der Sünde, ist der Stifter der
moralischen Uebel, der Urheber der Abgötterei als Feind
der christlichen Kirche. Die Heiligen, als Zeugen Christi,
wirken daher dem Götzendienste entgegen und zerstören als
Athletae Dei die Idole.
Ein solcher Athleta war der heihge Julianus. Als er ein
Götzenbild durch die Anrufung des Namens Jesu Christi
stürzte und dieses sich in Asche verwandelte, sprang ein un-
1 A. SS., 22. Jan.
2 Ibid., ry. Apr.
3 Und., 30. April.
' Ibid., 17. Febr.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 181
geheuerer Drache hervor, der sich mit schwefeldampfendem
Hauehe und mit Schlägen seines schrecklichen Schwanzes
gegen die eigenen Verehrer wandte. Mit erhobenem Kreuzes-
zeichen befiehlt ihm der Heilige, dass er in Gegenden fliehe,
wo keine menschliche Creatur haust, worauf der Drache ge-
horsamst die Flucht antritt. * Auf das Gebet der heiligen
Glyceria stürzt eine Jupiterstatue zusammen. *
Die Heiligen, die das moralische Heil zu verbreiten haben,
suchen es in sich selbst in voller Reinheit darzustellen. Der
Teufel trachtet insbesondere, die Heiligen davon abzubringen
durch Versuchungen zur Sinnlichkeit, zur Weltlust, zum
Hochmuth u. s. f , deren Rej^räsentant er ist.
Aus diesem Grunde hängt sich der heilige Eusebius ein
schweres Gewicht um den Hals, damit er genöthigt sei, vor
sich hin auf den Boden zu schauen und durch seine Auffen
nicht verführt werden könne. ^ Als sich einmal der heilige
Pachomius zum Mahle setzen will, erscheinen ihm einio-e
Dämonen als Frauen in obscöner Gestalt und mit gleichem Be-
tragen, indem sie thun, als wollten sie mit ihm gemeinschaft-
lich Mahlzeit halten. Da alle ihre Versuchungen an der
Standhaftigkeit des Heihgen abprallen, ertheilen sie ihm aus
Rache solche Schläge, dass er tagelang die heftigsten Schmerzen
leidet. Als ein andermal der Heilige mit seinem geliebten
Theodorus des Nachts innerhalb des Hofraums wandelte, er-
schien der Teufel in Gestalt eines sehr schönen Frauen-
zimmers, worüber Theodorus in sehr grosse Aufregung kommt,
sodass Pachomius ihn zu beruhigen suchen muss. Dieser will
die Teufelin durch Gebet verscheuchen, sie will aber nicht
weichen, sondern spinnt ein langes Gespräch an, worin sie
sich für die Tochter des Teufels ausgibt, dass sie auch gegen
Heilige zu kämpfen vermöge, obschon keiner wie Pachomius
ihre Macht zu mindern verstehe. Letzterer verjagt auch
schliesslich die reizende Erscheinung. * Dem heiligen Pater-
nianus erscheint der Teufel in Gestalt eines Mädchens, nach-
dem sich in der Umgebung der Zelle ein Lärm wie von wil-
1 A. SS., Jan., tom. II, 7G5. 21.
2 Ibid., 13. Mai.
3 Ibid., 23. Jan.
* Ibid., 14. Mai.
182 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
den Bestien erhoben hatte. Das Mädchen gibt vor, es sei,
von seiner Herrschaft um Wasser ausgeschickt, wobei es sich
verirrt habe, hierher geeilt, um Schutz zu suchen. Als ihm der
Heilige den Eintritt in die Zelle verweigern will, droht es
dem Heiligen, dass auf ihn die Schuld falle, Avenn es von
wilden Thieren zerrissen werde. Der Heilige weist dem
Mädchen hierauf eine Stätte in einiger Entfernung von seiner
Zelle an ; als sich aber, nachdem er in diese zuriickgekehrt, die
Sinnlichkeit in ihm regt, erkennt er sogleich die List des Teufels
und erinnert sich dabei, dass alle, die sich durch Unzucht
besudeln, durch Feuer gerichtet werden. Er zündet sofort
Feuer an und streckt seine Hand darüber aus. Da schlägt
das Feuer, gleich dem Blitze, auf die Stelle hin wo der
Teufel war, der heulend verschwindet. Der Heilige fällt auf
sein Angesicht und bringt die ganze Nacht zum Lobe Gottes
schlaflos zu. 1 Als der heilige Jordanus einmal heftig dürstete,
erschien ihm der Teufel als Jüngling, mit einer Flasche Wein
und einem silbernen Becher ihm freundlich aufwartend. Der
Heilige merkt aber die List, bekreuzt sich, worauf der Satan
sogleich verschwindet.^ Den heihgen Martiuianus belästigt
der Teufel in Gestalt eines Drachen, der seine Zelle zu unter-
wühlen droht, wodurch sich aber der Heilige nicht schrecken
lässt. Hierauf sendet der Teufel eine Hure über ihn,
deren Versuchungen der Heilige beinahe unterlegen wäre,
aber, zu rechter Zeit sich ermannend, auf- und zwar ins Feuer
springt, sich dabei die Füsse verbrennt und nun, auf der Erde
liegend, Gottes Barmherzigkeit anfleht. Die Hure selbst wird
bekehrt und stii'bt als Heilige. ^ Der heilige Conradus, der
Einsiedler, weiss den Versuchungen des Teufels zum Essen
von Schweinefleisch, fetten Hühnern und Käsekuchen nur da-
durch zu entgehen, dass er diese von Freunden dargebrachten
Leckerbissen unberührt so lange liegen lässt, bis sie von
Würmern wimmeln und er Ekel davor empfindet. Den Heiss-
hunjxer nach frischen Feioen vertreibt er sich dadurch, dass
er sich auf Dornen herumwälzt. Als der Teufel in Gestalt
eines schönen Mädchens erscheint, unter dem Vorwande, sich
1 A. SS., Jul., tom. 111, 298.
■^ Ibid., Febr., tum. II, 72'J.
3 Ibid., 13. Febr.
10. Heiligcndienst und Mariencultus. 183
im Walde verirrt zu haben und in der Höhle des Eremiten
um eine Nachtherberge bittet, läuft jener in den Wald und
geiselt seinen Rücken blutig. * Dem heiligen Albertus Ere-
mita erscheint der Teufel als schöne Frau in der Zelle, ihn
freundlich grüssend und sich für eine reiche Witwe aus-
gebend. Er widersteht zwar ihren einschmeichelnden Reden,
als er aber doch durch den Anblick der Schönheit die ganze
Nacht hindurch von einem Zittern der Glieder gequält wird,
schaiFt er sich erst Ruhe, nachdem er gebeichtet und seinen
Leib zu kasteien angefangen, indem er sich, gleich dem heili-
gen Benedictus, auf Nesseln herumwälzt, bis der Stimulus
carnis aufgehört hat.* Der heilige Macarius wohnt in einer
Einöde, in deren Nähe viele Brüder hausen. Auf dem Wege
bemerkt der Heilige einen Dämon in Menschengestalt in
einem leinenen, durchlöcherten Rocke, mit Flaschen beladen.
Der Heilige fragt: „Wozu die vielen Flaschen?" Jener: Er
bringe den Fratribus zu trinken. — ,, Diese alle?" Worauf
der Teufel: „Wenn eine von den Flaschen weniger schmecken
sollte, reiche ich eine zweite und dritte, bis eine unter den
vielen besonders anlächelt", und hiernach weiter geht. Der
heilige Greis erwartet seine Rückkunft und erfährt, dass
die Flaschen keinen Absatz gefunden haben. „Also hast du
keinen Freund unter den Brüdern?" Worauf der Teufel:
„Einer ist da, "der an mich glaubt und heisst Theopemptus,
aber wenn er mich sieht, wendet er sich wie der Wind."
Der Heilige sucht hierauf den Theopemptus auf und entlockt
ihm das Geständniss, dass er vom „spiritus fornicationis" ge-
plagt werde. Nach den Ermahnungen des Heiligen kehrt
dieser nach seinem Aufenthaltsorte zvirück, und als er wieder
dem Teufel begegnet, hört er diesen klagen, dass Theopemptus
nicht mehr zu ihm halte, und strenger geworden als alle
übrigen, ihm kein Gehör mehr geben wolle. ^ Der heilige
Peregrinus wandert unter grossen Mühseligkeiten nach Jeru-
salem, besucht die heiligen Orte, auch die Wüste, in welcher
der Herr vierzig Tage gefastet, in grösster Herzenszerknirscht-
heit. Er kasteit sich so sehr mit Fasten u. dgl., dass er
1 A. SS., 19. Febr.
"^ Ibid., Jan., tom. I, 422. 22.
ä Ibid., 15. Jan.
184 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
einem Gespenste gleicht. Als er einst einsam betete, erschien
ihm der Teufel in Gestalt des Gek"reuzigten , sagend: „Pere-
grine, Peregrine! für jede Sünde gegen Gott ist Vergebung
zu erlangen, ausser wenn jemand sein Leben vor der Zeit
abkürzt." Der Heilige ents^egnet hierauf, und da nach län-
germ Discurs der Teufel einsieht, dass es nicht gelinge den
Heiligen zu verfiihren, schlagt er ihn „horribiliter" auf die
Kinnbacke. Der Heilige aber reicht, im Sinne des Gebotes,
auch die zweite hin zum Schlage, und da der Feind diese
Demuth nicht ertragen kann, sagt er: „Peregrine, deine
Demuth hat mich besiegt, und wenn ich dir in dieser Be-
ziehung nichts anhaben kann, so wird die Zeit doch kommen,
wo ich dich herumkriege." Und plötzlich entstand eine Ver-
änderung der Luft, die Erde erbebte, der ganze Platz drohte
zu verbrennen. Nachdem aber der Heilige gebetet und das
Kreuz gemacht, verschwand die „Machinatio". ^ Dem heili-
gen Simeon, dem Styliten, erscheint der Teufel in Gestalt des
Herrn auf einem Cherub wagen und sagt: „Komm steige auf
den Wagen, auf dass du deine Krone erhaltest." Der Heilige
thut es, nachdem er aber die teuflische Versuchung zum
Hochmuth bemerkt, zieht er den Fuss wieder zurück, wird
jedoch am Schenkel lahm, sodass er nur das eine Bein mehr
gebrauchen kann. ^ Den heiligen Jordanus sucht der Teufel
auf verschiedene Weise zum Hochmuth imd zur eiteln Ruhm-
sucht zu führen. Unter anderm übergoss er ihn so sehr mit
Wohlgeruch, dass dieser seine Hände v^bergen musste, um
für keinen Heiligen gehalten zu werden, da er sich damals,
wie die Legende bemerkt, noch nicht der Heiligkeit bewusst
war. Wenn er den Kelch trug, ging ein so süsser Duft von
ihm aus, dass ihn die ganze Versammlung bewunderte. Schliess-
lich wird ihm derselbe auf seine Bitte genommen, und zugleich
geoffenbart, dass er dadurch vom Teufel zu eitclm Kuhm und
Hochmuth verleitet werden sollte. Von da ab hörten seine
Hände auf wohlriechend zu sein. ^
Die Heiligen stehen auf verschiedenen Stufen der Heilig-
keit, und nach dem Grade, den sie errungen, ist auch ihre
I A. SS., 1. Aug.
* Ibid., 5. Jan.
3 Ibid., 13. Febr.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 185
Macht, die sie lebend oder nach dem Tode iiber den Teufel
ausüben, mehr oder weniger eindringlich und wirksam. Dies
zeigen die Legenden an zahllosen Beispielen. Wo der Exorcis-
mus des gewöhnlichen Priesters nicht ausreicht, weil der
Exorcist selbst nicht untadelig ist, muss ein Heiliger zu Hülfe
kommen, und steht dieser nicht hoch genug in der Heiligkeit,
wird ein höherer nothwendig. Deniijemäss stuft sich auch
die Teufelei verschieden ab und muss ihre Anstrengungen
steigern, schliesslich aber dem vollwichtigen Heiligen gewöhn-
lich weichen.
In der Vita St. Joannis Gualberti ^ sind viele Fälle, wo
die Dämonen so hartnäckig sind, dass sie den gewöhnlichen
Exorcisten nicht weichen und erst der Macht des Heiligen
nachgeben müssen. Zuweilen hat es den Anschein, als ob die
Verdienste eines Heiligen, in deren Folge ihm die Macht
über den Teufel zukommt, nicht ausreichen und die Maria's
mitwirken müssen. Auch davon ein Beispiel in der Vita
Joannis Gualberti. Ein Dämon hat ein altes Weib im Besitz
und ist besonders hartnäckig, ja er heuchelt sogar Frömmig-
keit, indem er häufig Redensarten gebraucht, als: Guter Jesus!
u. dgl. , sodass ihn niemand erkennt. Das besessene Weib
betet den englischen Gruss, das Vaterunser, macht das Kreuz,
kurz gibt alle Anzeichen der Frömmigkeit, sodass es von
den Mönchen gar nicht als besessen betrachtet wird. Der
Dämon räth dem Weibe zu fliehen, sich ins Wasser zu
stürzen, wird aber durch die Verdienste der heiligen Maria
und des heiligen Johannes Gualbertus daran verhindert. Bei
den Gesängen und Gebeten kann aber der Teufel die Macht
der Heiligen nicht länger ertragen und muss ausfahren. Eine
Frau war dermassen von höllischen Geistern besessen, dass
sie sich oft getödtet hätte, wäre sie nicht gehindert worden.
Bei oft wiederholtem Exorcismus schrien die Dämonen aus
dem Leibe heraus: sie würden nicht herauskommen, ausser
die Frau besuche die Kirche der heiligen Agnes. Als man
die Frau dahin zu bringen siichte und der Kirche sich näherte,
fingen die Dämonen an, in der Voraussicht ihrer Austreibung,
ungeheuerliche Bewegungen und einen grässlichen Lärm zu
1 A. SS., 12. Juli.
186 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
machen, wobei sie äusserten, unmöglich weiter gehen zu kön-
nen. Die Angehörigen der Frau brachten daher diese ge-
waltsam in die Kirche der Heiligen mid nachdem dies ge-
lungen , war die Besessene sofort ihrer Teufel los. ' Ein
Augenzeuge erzählt, der Teufel sei einst in eine Frau ge-
fahren, die er sehr ge[)lagt habe. Ihr Mann hatte sie schon
an verschiedene Orte geführt, um ihre Heilung durch die
Anrufung Auserwählter Gottes zu ei'zielen, jedoch vergeblich.
Da der Mann, der seine Frau sehr liebte, von der heiligen
Opportuna gehört hatte, dass sie durch Vcrmittelung der
glorreichen Jungfrau die Kraft der Dämonen zu brechen
wisse, suchte der fromme Gatte ihre Hülfe auf. Als er seine
Frau dahin gebracht und der Teufel ahnte, dass seine Bosheit
durch die Verdienste der heiligen Opportuna vernichtet wer-
den soll, fing er durch den Mund der Frau zu reden an:
„Weh mir, o Opportuna! o veraltete Opportuna, du warst
stets meine Widersacherin in Gallien und Neustrien, dein
Gebet machte oft meine Unternehmungen zunichte, du stell-
test mir nach solange du lebtest, und thust es noch nach-
dem du todt bist." Der Augenzeuge, der mit andern trauernd
und betend dabei stand, will dies und Aehnliches durch den
Mund der Besessenen gehört haben, so auch, dass der Teufel
behauptete: nicht der Bischof sei es, den er fürchte, sondern
die heilige Opportuna, deren Kraft er weichen müsse, wäh-
rend der Bischof nur ein unniitzer Knecht sei. Die Anwesen-
den, gekommen, den Spectakel zu sehen, Hessen aber nicht
ab von ihren Gebeten. Die Besessene wird mit Weihwasser
besprengt, mit dem heiligen Kreuze bezeichnet, und als man
in dem Gebete, das über sie gesprochen ward, an die Stelle
kam, wo es heisst: „Ich beschwöre dich, Drache, im Namen
des Lammes, welches über die Schlange und den Basilisken
schreitet, das den Löwen zertritt und den Drachen", da pei-
nigte der Teufel die Besessene so gewaltig, dass sie mit Nä-
geln und Zähnen die eigenen Glieder zerfleischte. Und der
Teufel schrie aus ihr: „Wisse, du Vettel Opportuna, dass ich
jetzt zwar ausfahre, aber bald wiederkehren werde." Nach
diesen Worten wurde die Frau ruhig, richtete Augen und
1 A. SS., 20. Apr.
10. Ileiligendienst und Marienciiltus. 187
Hände gegen Himmel und, sich dem Altäre nähernd, gelobte
sie, sich dem Dienste der heiligen Opportuna weihen zu wollen,
luid nachdem sie das gesegnete Brot empfangen, ging sie in
das Hospiz. Da ihr Mann sicher hofi'te, dass sie genesen sei,
und wimschte, dass sie in sein Haus zuriickkehre, verliessen
sie nach einigen Taigen den Ort. Da erschien der Teufel mit
einer Menge von Dienern in Gestalt von Wölfen, Hunden,
welche die Frau anfielen. Diese aber rief: „Herrin Oppor-
tuna, befreie deine Magd!" und lief, von den Bestien bis zur
Kirchenthüre verfolgt, bis an den Altar, betete da längere
Zeit und blieb unverletzt. Als sie aber der Mann wie-
der nach Hause bringen wollte, fand er sie ärger als
früher vom Teufel geplagt. Endlich wird sie mit Hülfe der
heiligen Opportuna wieder befreit und weiht sich dem Dienste
der Heiligen. ^ Eine Frau, durch vierzehn Jahre von unreinen
Geistern geplagt, kam zu einem Priester, sagend: ich bin be-
sessen, der böse Geist plagt mich. Der Priester erschreckt,
läuft in die Sakristei, nimmt ein Buch mit Beschwörungs-
formeln und die Stola, und zur Frau herausgekommen, beginnt
er seine Beschwörungen. Allein er bringt keine Wirkung
hervor. Hierauf geht die Frau zum heiligen Petrus, da dieser
noch lebte, und begehrt Hülfe von ihm. Dieser sagt mit
prophetischer Stimme: ,, Glaube, Tochter, verzweifle nicht, denn
obschon ich nicht in dem Augenblicke das, was du begehrst,
zu leisten im Stande bin, so wird doch die Zeit kommen, wo
du das Begehrte erlangst." Und dies traf auch ein. Denn
nach seinem Märtyrertode erlangte die Frau, die zum Grabe
des Heiligen gekommen war, Heilung und Befreiung vom
Dämon, wie ihr der Lebende versprochen hatte, aber erst nach
dessen Blutvergiessen.^ — Ein Mädchen, Namens Laurentia,
wurde von seinem Vater ins Kloster gebracht. Nach einiger
Zeit wird es von einem bösen Geist besessen, welcher durch den
Mund des Mädchens lateinisch spricht, obwol es dieses nie
gelernt. Es antwortet auf die schwierigsten Fragen, entdeckt
die geheimsten Siinden und Angelegenheiten. Die Aeltern, in
ihrer Betrübniss Hülfe suchend, führen ihre Tochter zu Re-
liquien verschiedener Heiligen. Da sie auf die Kraft des
1 A. SS., 22. Apr.
- Ibid., Vita St. Petri ord. Praedicat., 29. Apr.
188 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
heiligen Ambrosius besonderes Vertrauen hatten, riefen sie
dessen Hiilfe an, wurden aber auch nicht erhört. SchHesslich
wird den Aeltern geratheu, der heihgen Katharina sich anzu-
vertrauen, und so wird das Mädchen endlich vom Dämon
befreit. *
An der vollen Kraft eines richtigen Heiligen bricht die
Macht des Teufels.
Ein besessener Frater in Bologna, der so stark war, dass
er alle Stricke zerriss, lag einst gebunden auf dem Bette und
sagte zu dem heiligen Jordanus, der in der Nähe war: „O
Blinder, wenn ich dich nur hätte, zerbräche ich dich ganz
und gar!" Der Heilige lässt ihn losbinden und sagt: „Siehe,
du bist frei, und thue, was du kannst." Dieser konnte sich
aber nicht regen. Der Heilige legte hierauf seine Nase an
jenes Mund, ohne dass dieser ihm schaden konnte, die Nase
vielmehr sanft leckte. * — Als einmal der heilige Ulricus un-
pässlich war, kam der Teufel, schaute ihn mit grinnnigen
Auffen an und versetzte ihm mit einem Stocke drei entsetz-
liehe Hiebe. Hierauf sagte der Heilige, der bisher ruhig ge-
blieben: „Jetzt aber weiche zuriick, denn weiter reicht deine
Macht nicht, und sie ginge nicht einmal so weit, wenn sie
nicht von oben zugelassen würde." Es war nämlich friiher
einmal der Teufel vom Heiligen festgehalten, geraume Zeit
tüchtig durchgepeitscht und nur unter der Bedingung los-
gelassen worden, dass jener mit einem Eide versprach, nie
mehr zurückzukehren. ^
Die Macht mancher Heiligen ist bisweilen so überwälti-
gend, dass der Teufel genöthigt wird, zur festgesetzten Frist
auszufahren oder anzugeben, wie er zu vertreiben ist, ja selbst
im Sinne der Heiligen zu handeln, und zwar als Straf-
werkzeug.
Eine Frau wurde durch mehrere Jahre vom Teufel ge-
plagt. Drei Tage vor dem Feste des heiligen Ambi'osius
wurde der Teufel gefragt, wann er weichen würde, worauf
dieser drei Finger erhob. „Nach drei Jahren?" — „Nein!" —
„Nach drei Tatren?" Der Dämon nickt zustimmend. Am Sonn-
1 A. öS., 30. April.
2 Ibid., 13. Feljr.
» Ibid., 20. Febr.
10. Ileiligendienst und Mariencultus. 189
tage, der auf das Fest folgte, schreit der Dämon : „Ich kann nicht
länger weilen, der heilige Ambrosius verjagt mich." Da be-
eilte man sich, die Besessene zum Grabe des Heiligen zu brin-
gen, worauf der Dämon zu spucken anfängt, die Lichter aus-
löscht, nach kurzem aber endlich weicht. ^ Die Dämonen,
welche alsobald nach Sonnenuntergang ein Gefängniss ein-
nahmen und die Gefans^enen mit nächtlichen Schrecknissen
plagten, wurden durch die Coletaglocke, sobald diese das
Zeichen zur Matutina gab, verscheucht. - Ein gewisser Fürst
Ferdinandus Roderici de Castro bricht in das Kloster des
heiligen Rudesindus ein und verwüstet es durch Brand und
Plünderung. Die Mönche versammeln sich am Grabe des
Heiligen und bitten um seinen Schutz. Da ergreift der Teufel
den Fürsten und wirft ihn ungeachtet des Widerstandes der
Soldaten ins Feuer. Als diese ihn aber dennoch herausziehen,
fängt der Teufel durch den Mund des Fürsten zu sprechen
an: sie sollten den Räuber des Heiligen verbrennen lassen,
er sei zum Rächer des Heiligen bestellt, denn der Fürst habe
das Gebiet desselben geplündert, u. s. f. Die Soldaten legen
hierauf den Fürsten in die Gruft des Heiligen, wo jener noch
halblebend die ganze Nacht lag. Des Morgens aber ergreift
ihn wieder der Teufel, und auf die Frage der Anwesenden:
unter welcher Bedingung er ihn loslassen würde, antwortet
er: wenn der Fürst alle Beute zurückstellte und den Eid
leistete, dass er und seine Söldlinge nie mehr in das Kloster
einbrechen würden. Nachdem der Fürst und die Söldlinge
unter Herbeiziehung des Abtes und der Mönche das verlangte
Versprechen geleistet hatten, wurde der Fürst zur selbigen
Stunde ganz hergestellt. ^ Einer, der durch Einflüsterung
■des Teufels zur Reue bewogen, die Welt verlassen hatte
und ins Kloster gegangen war, plagte oft den Abt, den
heiligen Gualbertus, um die Erlaubniss, es wieder verlassen zu
diirfen. Als er nicht abliess, ward der HeiHge zornig und
rief ihm zu, er möge sich packen. Dieser hatte sich aber
kaum vom Kloster entfernt, als ihn der Teufel von einem
hohen Felsen, über den er ging, hinabstürzte, worauf er seinen
1 A. SS., 20. Mart.
^ Ibid., 6. Mart.
3 Ibid., 1. Mart.
190 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Geist aufgab. ^ In Cacsarii Heistcrbacensis Vita St. Engel-
berti ^ wird von einem in der Stadt Magdeburg erzählt, den ein
sehr böser Dämon besass, welcher keinen Exorcisten fürchtete,
keinem antwortete, ausser einem Priester von besonderer Heilig-
keit, dem von Gott besondere Gnade verliehen war. Dieser
benutzte den Dämon als Neuigkeitsträger, forschte ihn aus
und erfuhr auf diesem Wege auch den Tod des Erzbisehofs
Eno-elbert. „Da nur dieser Eine Priester die Macht über den
Dämon hat", sagt der Chronist, „so muss dieser auch stets
die Wahrheit sagen und zwar gegen seinen Willen."
Die Gegensätzlichkeit des Teufels zu den Heiligen äussert
sich häufig in blossen Neckereien, wo die dämonische Wirk-
samkeit nur auf einen Spuk hinausläuft, wodurch ein Heiliger
belästigt oder ein heiliges Unternehmen gehindert werden
soll. Andererseits fehlt es auch nicht an Beispielen, wo Hei-
lige den Teufel dadurch peinigen , dass sie ihn festhalten, um
die Qualen, welche er durch ihre Nähe und Macht empfindet,
zu verlängern.
Der heilige Albertus, der sich kasteit, was den Teufel
ärgert, wird von diesem geneckt, dass er ihm verschiedene
Frauensestalten erscheinen lässt. ^ In der Vita St. Frodo-
berti Abbatis wirft der Teufel in der Nacht den Leuchter
mit den Wachskerzen um, dass diese verlöschen.* Jun-
gen Mönchen, die des Nachts Psalmen singend beisam-
men sitzen, hält der Teufel seine Hand vor die Kerze,
sodass sie nichts sehen können. Der Greis, der sie be-
aufsichtigt, räth den Erschrockenen, sich zu bekreuzen
und David'sche Psalmen zu singen. Da löscht ihnen der
Teufel unter lautem Gelächter die Kerze ganz aus, stürzt
auf einen nahen Steinhaufen, macht mit den Steinen ein ent-
setzliches Getöse und neckt sie noch auf verschiedene Weise,
dass sie das Gef äss, das mit Wein gefüllt in ihrer Nähe stand,
leer finden, u. dgl. m. ^ Dem heiligen Abrahamus erscheint
beim Essen der Teufel als Jüngling und will ihm die Schüssel
' A. SS., 12. Juli.
'■* Boehmer Ibnt. rer. gerra., II, 323.
■■' A. SS., 7. Febr.
* Ibid., Jan., tom. I, 50!). IG.
6 Ibid., 2t). Jan., Vita St. Gildae sap. Abb.
10. Heiligendienst und JMariencultus. 191
umwerfen, die aber jener festhält und weiter isst. Hierauf
ändert der Teufel seine List und thut, als ob er einen Leuchter
aufstellte und eine Kerze daraufsteckte, indem er Psalm 118, 1
zu singen anfängt. Der Heilige aber bekreuzt sich mit den
Worten: „Du unreiner Hund, feiger Thor! wenn du weisst,
dass die Reinen selig sind, warum belästigst du sie?" Nach
längerm Gespräch, in welchem der Teufel dem Heiligen nicht
aufkommen kann, verschwindet er. ' Dem heiligen Philii^pus
erscheint der Teufel beim Gebete in Ziegengestalt und löscht
ihm die Lampe aus. Der Heilige sagt aber unerschrocken:
„Spare deine läppischen Kunststücke, sie niitzen dir nichts,
du kannst mich doch vom Gebete nicht abhalten." Er geht
in die Kirche, holt sich Licht; das Verlöschen wiederholt sich
einigemal, die Ziegengestalt verwandelt sich in einen stinken-
den Bock; der Heilige wird ärgerlich und befiehlt ihm im
Namen Gottes, dass er abfahre; jener wird betroffen, weicht und
oretraut sich nicht wieder zu kommen.^ Ein Knecht, vom
Teufel arg geplagt, ward von seiner Herrin zum heiligen
Theodorus gebracht, wonach der Dämon in Aufruhr an dem
Kranken herumriss, als ob er nicht weichen wollte. Nachdem
er aber von der Macht des Heiligen angegriffen worden, ver-
bot ihm dieser, die Stelle zu verlassen, damit er noch gequält
werde. Der Heilige sprach hierauf ein Gebet, ging in seine
Zelle, sao-te eine bestimmte Anzahl Psalmen her. Als der
Knecht so dastand und der böse Geist in ihm gebannt Qua-
len litt, fing dieser mit kläglicher Stimme zu schreien an:
„Ich fahre aus, Diener Gottes, denn ich kann diese Qual
nicht ertragen, komm, erlöse mich, damit ich ausfahre, peinige
mich nicht länger." Nachdem der Heilige aus seiner Zelle
herausgetreten war, sagte er: „Ich will nicht, dass du, un-
reiner Geist, jetzt ausfahrest." Der Dämon aber rief: „Ach,
ich Armer, ich bitte dich, erlöse mich, ich habe schon genug
gelitten! Wann wirst du erlauben, dass ich ausfahre?" —
„Ich will", erwiderte der Heilige, „dass du um die Mitter-
nachtstunde weichest." Hierauf warf er ihn sich zu Füssen.
Um Mitternacht aber, als der heilige Mann zum Gebete auf-
stand, fing der Dämon zu schreien an: „Komm heraus, du
1 A. SS., 15. Mart.
2 Ibid., 4. Mai.
192 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Eisenfresser, dass ich weichen könne." Nach einer Stunde
kam der Heilige, griff ihn im Namen Jesu Christi an mit dem
Befehle, dass er weiche, und alsobald fuhr der Dämon aus,
und der Knecht war gesund. ^
Mancher Heilige hat die Macht, nicht nur die Zeit, son-
dern auch den Ort, wohin der Dämon fahren, oder den Körpcr-
theil zu bestimmen, durch den er heraus muss.
Ein seit vielen Jahren besessenes Mädchen, das gebunden
zum heiligen Vincentius gebracht ward, war so unbändig,
dass es acht Männer nicht bewältigen konnten. Auf die An-
rede des Heiligen wird es aber ruhig, und dieser stellt ein
förmliches Verhör an. Der Dämon muss die Uebermacht des
Heiligen anerkennen, der er weichen muss, und bittet um An-
gabe des Körpertheils, durch den er ausftihren dürfe. Nach-
dem die Bitte gewährt ist, fährt der Dämon aus dem auf dem
Boden liegenden Mädchen mit grässlichem Gestank aus, in-
dem er dasselbe wie halbtodt zurücklässt, das aber an Leib
und Seele heil aufsteht.^ Nach dem Machtspruch des heiligen
Frauciscus de Paula darf der Teufel nicht, wie er möchte,
durch die Augen einer Besessenen ins Weite ausfahren, son-
dern muss in eine Flasche. ^
Den Heiligen ist ein höheres Wissen des Kiinftigen zu-
erkannt, wie auch dem Teufel, natürlich aber mit entgegen-
gesetzter Tendenz.
Als man einen, der sich mit siedendem Pech übergössen
und verbrannt, dem heiligen Frauciscus de Paula brachte,
fand man diesen schon mit der Bereitung der Heilmittel für
den Beschädigten beschäftigt, ohne dass er von dem Unfall
benachrichtigt gewesen. ■* Auch in der Legende von der hei-
ligen Coleta wird ausdrücklich hervorgehoben, dass sie Ab-
wesendes und Künftiges gewusst habe. ^
Der Antagonismus zwischen den Heiligen und dem Teufel
ninnnt, gemäss der magischen Kraft, die beiden Seiten eignet,
auch eine magische Form an, indem jene die Nähe des
1 A. SS., 22. Apr.
■2 Ibid., 8. Apr.
3 Ibid., Apr., tom. I, 113.
* Ibid., S. 128.
s Iliid., 6. Mart.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 193
Teufels, aiicli wenn er verkappt ist, empfinden, und dieser
die Heiligen, deren Nähe er nicht vertragen kann, wittert.
Nachdem der heilige Amator auf die Insel „c[uae Galli-
naria nuncupatur", auf welcher Beizebub, der Fürst der
Dämonen, hauste, seinen Fuss gesetzt hatte, verliess dieser mit
seinem Tross das Gebiet mit Lärm und Geheul, um sich auf
einem Felsen unweit der Strasse niederzulassen, wo er die
Vorüberorehenden belästio:te. Der PIeilio;c fol»t ihnen aber
auch dahin und vertreibt sie im Namen Christi. ^ Der heilisfe
Raynaldus wird von der Legende besonders deswegen ge-
riihmt, dass er die Dämonen in jeder Gestalt erkannte, ob
sie die von Jupiter, Bacchus, der Hebe u. a. annehmen moch-
ten. Einst erscheint ihm ein Dämon im PurjDurmantel mit
einem Diademe, goldenen Schuhen und heiterm Gesichte,
gleich einem Könige, und gibt sich für Christus aus, den er
verehi'e und der sich vor allen andern dem Heilio-en oifen-
baren wolle. Dieser zweifelt, und auf die Frage warum? er-
widert er: Mein Christus weissagte seine Ankunft nicht im
Purpur und mit der Krone; wenn ich nicht Christum sehe,
wie er gelitten hat, mit Wunden auf dem Kreuze, solange
glaube ich nicht. Der Teufel fährt hierauf unter Nachlass
eines schrecklichen Gestanks ab. ^ Aehnliches berichtet Sulp.
Severus. ^ Als der heilige Antonius (Patriarcha) noch ganz
jung war und die Davidharfe in der Kirche des heiligen Theo-
dor des Märtyrers spielte, hörte er zwei hässliche Gestalten,
die gegenwärtig waren, ärgerlich zueinander sagen: „Lass uns
von hinnen gehen, die Gegenwart dieses Jünglings ist uner-
träglich", worauf sie verschwanden.^ Der heilige Nicetus geht
eines Morgens in die Matutina, und als der Diakonus den
respondirenden Psalm zu singen beginnt, ruft der Heilige aus :
„Schweige! der Feind der Gerechtigkeit wage es nicht zu
singen!" Als dieser schweigt, lässt ihn der Heilige vor sich
kommen und sagt: „Habe ich dir nicht verboten, die Kirche
zu betreten, wie kannst du es wagen, sogar die Stimme zum
Gesang zu erheben?" Alle Anwesenden, nichts Arges vom
1 A. SS., 1. Mai.
2 Ibid., 9. Febr.
3 Dial., I, 24.
* A. SS., 12. Febr.
Eoskoff, Geschichte des Teufels. II. iq
194 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Diakonus ahnend, sind erstaunt; da schreit aber der Dämon:
dass er vom Heiligen gequält werde. Das Volk hatte den
Teufel beim Singen nicht erkannt, wol aber der Heilige, der
ihn daher auch hart anfuhr. Er legte hierauf dem Diakonus
die Hände auf und trieb den Dämon aus, worauf jener ganz
gesund war. ^ Der Sohn eines Schenkwirths hatte ein Herz-
leiden, ohne die Ursache seiner Qual zu kennen. Sein Vater
brachte ihn zum heiligen Theodorus, damit dieser bei Gott
bitte, dem Uebel ein Ende zu setzen. Der Heilige erkannte
aber sogleich den Grund der Krankheit, führte den Patienten
in die Zelle, bezeichnete dessen Gesicht mit dem Kreuze und
klopfte ihm an die Herzstelle, indem er rief: „Verbirg dich
nicht, unreiner Geist, es sollen deine Werke an den Tag kom-
men. Der Herr Jesus Christus, der Erforscher der Herzen,
befiehlt dir, dass du von dannen weichest." Alsogleich fing
der Dämon zu heulen an: „Ich gehe schon, du Eisenfresser,
ich leiste keinen Widerstand, kann deine Drohungen nicht
vertragen, sowenig als das Feuer, das aus deinem Munde
ausgeht und mich brennt." Dies und noch mehr ausstossend,
fuhr er mit grossem Geheul aus. ^
Obschon die Heiligen weit über den gewöhnlichen Men-
schen stehen, haben sie doch eine menschliche Seite an sich,
und kann daher der Fall eintreten, dass sie den Teufel, ihren
Widersacher, nicht erkennen oder wenigstens über seine Er-
scheinung in Ungewissheit sind und sich täuschen lassen.
Ein ausgelassener Junge wird vom Teufel angeregt, den
heiligen Fridericus in dem Gewände einer jüngst verstorbenen
Frau zu schrecken. Als er vor dem Heiligen erscheint, hält
ihn dieser für den Teufel und schlägt das Kreuz. Da der
Junge nicht weicht, geräth der Heilige in grossen Schrecken,
wovon aber auch jener ergrificn und zur Strafe von da an
selbst vom Teufel geplagt wird. ^ Der heiligen Katharina er-
scheint der Teufel unter der Gestalt der Jungfrau Maria, ein
andermal als der Gekreuzigte, um sie ungehorsam zu machen.
Die Heilige lässt sich wirklich täuschen und verringert ihren
• A. SS., 2. Apr.
2 Ibid., 22. Apr.
3 Ibid., 3. Mart.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 195
Gehorsam gegen die Oberin des Klosters. Nachdem sie aber
bereut und der Teufel seinen Zweck eigentlich doch nicht
erreicht sieht, macht er dafür im Hause nächtlich grossen
Lärm. ^ Als die heilige Juliana des Christenthums wegen im
Kerker lag, erschien ihr der Teufel in Gestalt eines Engels
und sagte: „Meine Liebe, der Präfect bereitet dir die grössten
Qualen; höre mich und du wirst gerettet. Wenn er dir aus
dem Gefängnisse zu gehen befiehlt, so bringe der Diana ein
Opfer." Die Heilige, welche den Teufel für einen Engel hält,
fragt: woher er sei? Der Teufel: „Ich bin ein Engel des
Herrn, der mich gesandt hat, damit du opferest, um nicht zu
sterben." Juliana rief tief aufseufzend mit gen Himmel er-
hobenem Blick: „Herr des Himmels und der Erde, verlass
nicht deine Magd und stärke mich in deiner Tugend, thue
mir kund, wer dieser ist, der solches zu mir spricht." Da
erscholl eine Stimme vom Himmel: „Glaube mir Juliana, ich
bin mit dir, du aber ergreife jenen, der mit dir sj)richt."
Juliana springt sofort vom Boden auf und, nachdem sie sich
bekreuzt, fasst sie den Teufel mit den Worten: „Sag mir zuerst,
wer du bist, wenn ich dich loslassen soll." — ^Jch bin Belial,
den einige den Schwarzen nennen, der sich an der Bosheit
der Menschen erfreut, am Todtschlag sich ergötzt, ein Lieb-
haber der Wollust, des Streites, der den Frieden bricht; ich
bin es, der Adam und Eva im Paradiese sündigen gemacht",
und so fährt er fort seine teuflischen Thaten zu erzählen.
Juliana: „Wer hat dich zu mir gesandt?" Er: „Satan, mein
Vater" u. s. f. Nach sehr langem Gespräch, worin der Teufel
bekennt, dass er sie zur Verleugnung Gottes und zum Opfern
habe verführen wollen, bindet die Heilige dem Dämon die
Hände auf den Rücken, wirft ihn zu Boden, ergreift eine der
Fesseln, mit denen sie gebunden gewesen und schlägt wacker
auf ihn los. Dieser bittet um Gnade und muss noch eine
Beichte ablegen. Als Juliana aus dem Kerker geführt wird,
schleppt sie den Dämon mit auf das Forum. Endlich nach
langen Bitten desselben um Loslassung, schleudert sie ihn
an einen mit Schmuz erfüllten Ort. ^ Der heilige Antonius
1 A. SS., Mart., tom. II, 48.
2 Ibid., IG. Febr.
13
lOG Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
ergreift beim Anblicke eines Goldluaufens die Flucht, weil
er in Ungewissheit ist, ob diesen nicht der Teufel vorge-
spiegelt. '
Beispiele von handgreiflichen, gröblichen Aeusserungen
des Gegensatzes, ähnlich dem obigen in der Legende von der
heiligen Juliana, kommen auch oft von selten des Teu-
fels vor.
Die heilige Veronika wird vom Teufel öfter wie von
einem brüllenden Löwen angefallen und so geschlagen, dass
ihr die AuGfen anschwellen. Einmal wird sie von ihm so
gepriigelt, dass sie ganz schwarz wird, er presst sie dabei so
gewaltig, dass sie nicht im Stande ist, den Namen Jesu aus-
zusprechen.^ Nach einer „Vita" von Hieronymus Eremita wurde
der heilige Komuald von dem Teufel mit solcher Gewalt an
eine ßreterwand geschleudert, dass diese zollbreit ausein-
andersprang. ^ Nachdem der heilige Romanus den Versuchun-
gen des Teufels zur Unkeuschheit Widerstand geleistet, em-
2^ fängt er von diesem selbst eine ungeheuere Ohrfeige, dass
ihm der Backen schwillt und verrenkt wird. * Dagegen wird
der Teufel von der heiligen Margaretha streng behandelt,
die ihm den Fuss auf den Nacken setzt und er bittet de-
miithig: „Den christes diern, heb auf deinen fuez von meiner
halsadern!" mit dem Versprechen, ihr alles zu sagen, was sie
ihn fragen würde. ^
Die Gegensätzlichkeit zwischen den Heiligen und dem
Teufel äussert sich von beiden Seiten unwillkürlich auch auf
eine für den Dritten sinnlich wahrnehmbare Weise. In den
Legenden duftet es von dem köstlichen Gerüche, welchen die
Heiligen sowol bei Lebzeiten als nach dem Tode nooh von
sich geben und damit sogar heilsame Wirkungen hervorbrin-
gen; der Teufel hingegen mnss gewöhnlich mit Hinterlassung
eines grässlichen Gestanks abfahren.
Die Legende über den heiligen Clarus rühmt den lieb-
' A. SS., 17. Jan. '
2 Ibid., Jan., tom. I, 896. 10. *
3 Ibid., Febr., tom. II, 126.
« Ibid., 2S. Febr. ü
^ Legende von der heiligen INIargaretha , bei Diemer, Kleine Beiträge
zur altern deutschen Sprache und Literatur, I, 123 fg.
10. Ileiligendienst und Mariencultus. 197
liehen Duft in seiner Zelle. ^ Der heiligen Oringa erscheint
der Teufel mit so grossem Rachen, dass er wie eine aufge-
sperrte Thüre aussieht. Da die Heilige nicht entfliehen kann,
empfiehlt sie sich dem heiligen Michael, zu dem sie um Ret-
tung betet. Der Teufel wird verjagt, die Heilige sieht nur
Angenehmes, und ein köstHcher Duft verbreitet sich. ^ Zwei
Engel, die der heihgen Margarita erscheinen, erzählen ihr,
dass sie durch ihren Wohlgeruch, w-elchen sie aus der Gemein-
schaft mit Gott angezogen, die Dämonen vertrieben und die
Luft rein gemacht hätten, dagegen den Gestank des Hoch-
muths, der vom Teufel ausströmt, nicht vertragen könnten. ^
Von der heiligen Coleta verbreitet sich ein wunderbarer Duft,
wodurch eine Nonne, die an einer grossen Geschwulst leidet,
geheilt wird. Um das Fest derselben erfüllt stets ein würzi-
ger Duft nicht nur ihr Oratorium, sondern auch die an-
stossenden Räumlichkeiten.* Solcher Wolilgeruch entströmt
auch dem Leichnam der heiligen Fraucisca.^ Hingegen hinter-
lässt der Teufel, der dem heiligen Vincentius in Gestalt eines
ehrwürdigen Greises mit bis an die Knie reichendem Barte
erschienen war, nach seiner Verscheuchung durch den Heili-
gen einen schrecklichen Gestank. « Bei der Heilung eines
dämonischen Mädchens durch den heiligen Zeno fährt der
Dämon mit ungeheuerm Gestank aus.^ In der „Vita St. Mar-
tini" ^ verschwindet der Teufel, der dem Heiligen als Christus
erschienen und von jenem erkannt worden war, als Rauch
und erfüllt die Zelle mit Gestank, zum Zeichen, dass er der
Teufel gewesen. „Hoc ita gestum — ex ipsius Martini
ore cognovi, ne quis forte existimet fabulosum", fügt der
Biograph hinzu. Der Wohlgeruch verbreitet sich auch von
den einzelnen Reliquien der verstorbenen Heihgen. Die Bart-
haare des heiligen Beruard üben nach dessen Tode nicht nur
1 A. SS., Jan., tom., I, 5G. 12.
2 Ibid., 10. Jan.
5 Ibid., 22. Febr.
* Ibid., 6. Mart.
5 Ibid., 9. Mart.
•^ Ibid., 5. Apr.
^ Ibid., 12. Apr.
8 Sulp. Sever., c. XXIV, p. 491.
198 Zweiter Abschuitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
heilende Kraft, sondern verbreiten auch einen wunderbaren
Duft. Letztern haben auch die „intestina putrefacta" der
heiligen Ledwina *, u. a. m.
Marieucultus.
Wie der Heiligendienst wirkte auch der Mariencultus
als sollicitirendes Moment auf die Ausbildung und Festigung
des Teufelsglaubens. Die Verehrung der Maria hatte sich seit
dem 4. Jahrhundert vom Osten her verbreitet. Nachdem die
Versammlung der Bischöfe zu Nicäa im Jahre 325 eine gleiche
Wesenheit Christi mit der Gottes zu glauben geboten hatte,
schien die Mittlerschaft Jesu eine Schmälerung erlitten zu
haben und man fand die Mutter Jesu am meisten geeignet
und berechtigt, als Vermittlerin einzutreten. Schon um
das Jahr 380 führten getaufte Thrazierinnen und Scythin-
ncn Bilder der Maria auf Waiden mit sich herum und brachten
ihr, wie einer heidnischen Göttin, kleine Kuchen zum Opfer
dar. Dagegen erhoben sich zwar Stimmen der Antidicomaria-
niten, wie die Gegner der Marienverehrung genannt wurden,
und fanden an Helvidius in Palästina und dem illyrischen
Bischof Bonosus kräftige Unterstützung; allein letztere An-
sicht ward bald als ketzerisch verworfen und auf dem Concil
zu Ephesus im Jahre 431 setzte Cyrillus durch, dass Maria
nicht, wie Nestorius wollte, nur „Christgebärerin" Qigiaxoxoy.oc.'),
sondern „immerjungfräuliche Gottgebärerin"- (^aeiKO.g'iivoc, '5'so-
x6y.0Q) genannt werden sollte. Seit dem G. Jahrhundert wur-
den die Feste zur Verehrung der Maria allgemein, und gegen
das 12. Jahrhundert war der Mariencultus beinahe zur aus-
schliesslichen A])götterei geworden. Das parallele Fortschrei-
ten des Mariendienstes mit dem Teufelsglauben ist nicht zu
verkennen, und hieraus erklärt es sich, dass beide vom
13. Jahrhundert ab noch immer zunehmen. Wie weit der
Mariencultus bis zum 15. Jahrhundert vorgeschritten war,
zeigen die Statuten des Rosenkranzordens und der Briider-
schaft der heiligen Ursula, deren Glieder in diesem Sinne
jährlich 11000 Vaterunser und Ave-Maria beten sollten. Ebenso
' A. SS., 14. Apr.
10. Heiligendienst und Marieucultus. J[99
ausschreitend war der Geschmack m Bezug auf die Lob-
preisungen der Maria, ihrer Gestalt, Tugenden, Leiden, Wun-
der. Dies zeigt uns Haltaus an Beispielen aus Muskatblüt,
dessen Name zu den bessern Dichtern der ersten Hälfte des
15. Jahrhunderts gerechnet wird, welcher von Maria sagt: sie
sei eine Lade, in der Gott selbst innewohne, eine wohldurch-
leuchtete Fackel, eine keusche Arche, ein tiefer Teich, ein
Myrrhenfass, ein keusches Monstranzenglas, eine Zelle und
Ostersonne, ein Gnadenstengel in Gottes Hand u. dgl.; oder
wenn er ihren Leib mit einem Sarge oder Schlosse ver-
gleicht u. s. f. ^ Es sind allerdings mehrere Momente, die
zur Erhebung der Maria mitgewirkt haben ^; im vorliegenden
Falle genügt es auf das eine hinzudeuten, welches mit der Ge-
schichte des Teufels in besonderer Beziehung steht, nämlich
die Bedeutung Maria's als Trägerin der Weichheit, Milde,
Barmherzigkeit. Sie ist ,,die schützende Mutter der Sünder",
wie sie in Legenden ausdrücklich genannt wird, daher auch
das unerschütterliche Festhalten an ihr, trotz dem Bewusst-
sein der Sünde. Li der Wesensbedeutung Maria's liegt aber
zugleich der Grund des schneidenden Gegensatzes, in welchem
der Teufel zu ihr steht, der die Härte, Herbe und Grausam-
keit selbst ist. Der Antagonismus gewinnt noch mehr Schärfe
durch die hohe Stellung Maria's als „Himmelskönigin", wo-
durch sie die himmlische Macht stets auf ihre Seite lenkt
und für ihre Günstlinge, die von ihr bemutterten Sünder ge-
winnt und dem Teufel entreisst, welcher sie von seinem abstrac-
ten, dürren Rechtstandpunkte als seine ihm rechtmässig zu-
kommende Beute betrachtet. Denn die alte Vorstellung - von
einem Rechtsansprüche des Teufels auf den sündigen Men-
schen ist im Mittelalter noch nicht erloschen. In der „Vita
St. Godehardi" lässt sich der Heilige mit dem Dämon in ein
langes Gespräch ein, worin letzterer die Rechtmässigkeit seines
Besitzes auf Grund biblischer Aussprüche nachzuweisen sucht.^
^ Liederbuch der Klara Haetzlerin, S. 26; in Bibliothek der gesamm-
ten deutschen Nationalliteratur, VIII.
^ Vgl. Georg Ed. Steitz, Maria Mutter des Herrn, in Herzog's Rcal-
encyklopädie, IX.
3 A. SS., 4. Mai.
200 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
Die Thätlgkeit des Teufels wird überdies vornehmlich
entwickelt und hervortT^erufen durch dessen Hass ßregen die
Heilige Jungfrau, der um so mehr gesteigert wird, als diese,
nach Frauenart, sich in alle Angelegenheiten hineinmengt,
und ihr, wie im gewöhnlichen Leben, in allem willfahren wird,
sodass sie ihren Willen immer durchsetzt und ihre Schlitz-
linge, die nun einmal ihre Gunst durch eifrigen Mariencultus
erlangt haben, auch nie fallen lässt, wenn sie iibrigens auch
die ärgsten Lumpe sein sollten. Der Teufel muss demnach
stets als verküi'zt erscheinen und mit langer Nase abziehen.
Hiervon nur einige Proben.
Ein Strassenräuber von Profession pflegte, so oft er auf
liaub ausging, regelnicässig sein andächtiges Gebet an die
Jungfrau Maria zu richten. Endlich ward er ergrifien und
zur Galgenstrafe verurtheilt. Als schon der Strick um seinen
Hals geschlungen war, verrichtete er sein gewöhnliches
Gebet, und dies blieb nicht unerhört. Die Mutter Gottes
stützte seine Fiisse mit ihren weichen Händen und erhielt ihn
so zwei Tage am Leben, zum grossen Erstaunen des Hen-
kers, der hierauf den Versuch machte, sein Werk durch
Schwertstreiche zu vollenden. Allein dieselbe unsichtbare
Hand wandte auch die Schwertstreiche ab, und der Nach-
richter sah sich genöthigt, sein Schlachtopfer fahren zu lassen.
Nach der gewöhnlichen Schablone solcher Marienlegenden
endigt auch diese damit, dass der Räuber ins Kloster geht. ^
Dasselbe Beispiel findet sich auch in „Pothonis Presb) teri et
Monachi Prunveningensis ord. St. Benedicti, lib. de miraculis
s. Dei genitricis Mariae'' '^^ wo noch eine Menge ähnlicher Ge-
schichten vorkommen, in welchen Maria Diebe und andere
Taugenichtse begünstigt und Mirakel wirkt, nur weil jene
ihrer eingedenk waren. So Kap. IH, wo ein leichtsinniger,
den fleischlichen Lüsten ergebener Kleriker von seinen Fein-
den in der Voi'aussetzung getödtet ward, dass er seines be-
kannten gottlosen Lebenswandels wegen kein ehrliches Be-
gräbniss auf dem Friedhofe erhalten würde. Maria aber,
deren er stets eingedenk gewesen, erscheint und verordnet
ihm ein ordentliches Begräbniss in geweihter Erde. Nachdem
1 Aus Le Grand d'Aussy, Fabliaux, V.
2 Ed. Pez, c. VI, p. 314.
10. Heiligendienst und Mariencultus. 201
er ausgegraben worden, fand man eine sehr schöne Blume
in seinem Munde und seine Zunge war ganz unversehrt ge-
blieben, „gleichsam zum Lobe des Herrn". Ein Glöckner,
der des Nachts immer aus dem Kloster zu laufen pflegte,
dabei aber vor keinem Marienbilde vorbeio-ino; ohne sein
Ave davor zu beten, fiel einst vom Stege ins Wasser und
ertrank, worauf Engel und Teufel um seine Seele in Streit
geriethen. INlaria aber nahm sich seiner an, überliess Gott
die Entscheidung, welcher ihn ihr zu Liebe dem Leben zurück-
gab. Als die Briider ihren ertrunkenen Glöckner im Bache
fanden, kam er wieder zu sich, erzählte was mit ihm ge-
schehen und, nachdem er von der Si'inde abgelassen, starb
er selio;. i
Beispiele von der unwiderstehlichen Macht der Heiligen
Jungfrau oder ihrer stets erfolgreichen Vermittelung bei ihrem
göttlichen Sohne oder dem himmlischen Vater gegeniiber den
Bestrebungen des Teufels, liefern die Legenden eine grosse
Menge.
Zu dem heiligen Ulricus kam in einer Nacht eine ganze
Schar von Dämonen. Diese, beriethen unter sich, was sie mit
dem Heiligen, ihrem grossen Gegnei^, anfangen sollten, da er
ihnen stets mit voller Kraft entgec-enarbeite. Nach dem ein-
stimmigen Urtheile, er sei des Todes schuldig und mit diesem
zu bestrafen, ergreifen sie ihn, schleppen ihn zuerst in die Kirche,
dann in dieser herum und mishandeln ihn erbarmuno;slos. Als
er eben aus der Kirche hinausgeworfen werden sollte, kommt
eine hochwürdige Jungfrau, fragt nach der Ursache der Mis-
handlung des Unschuldigen und schlägt hierauf mit ihrem
ausgezogenen Handschuhe sämmtliche Dämonen in die Flucht.
Der Heilige hatte nämlich an demselben Tage in der Messe
der Heiligen Jungfrau gedacht und Erwähnung gethan, und
diese war es, die ihn nun aus der Hand seiner Feinde befreite.*
Eine Frau wird, nachdem sie in die Kirche getreten und vor
den Altar sich hingestellt hatte, durch den unbegreiflichen
Rathschluss Gottes von einem Dämon besessen und elendiglich
geplagt. Auf den Rath des Klosterseniors bindet man sie an
1 Gödeke, Dichtungen im Mittelalter, ö. 134, Nr. 4G. 11.
- A. SS., 20. Febr.
202 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
die Grabstätte des heiligen Robertus, wo sie aber dermassen
raste, dass sie jeden, der sicli ihr näherte, beissen wollte.
Auf das Zureden ihres Mannes ruft sie endlich den heiligen
Kobertus an, sagend: „Bitte, o heiliger Robertus, die Heilige
Jungfrau, dass sie mir von ihrem Sohne die Befreiung er-
mittele ! " Hierauf ward die Frau allsogleich gesund. * Im
Peterskloster zu Köln lebte ein sehr ausschweifender Mönch,
der aber den heiligen Petrus aufs andächtigste verehrte. Un-
gliicklicherweise ging er plötzlich ohne Beichte und Absolu-
tion mit Tode ab. Wie in solchen Fällen gewöhnhch, kommt
sogleich der Teufel, um sich der Seele zu bemächtigen. Sanct-
Peter, betriibt einen so treuen Verehrer zu verlieren, fleht zu
Gott, den Mönch ins Paradies eingehen zu lassen; aber ver-
gebens vereinigt sich der ganze Chor der Heihgen, Engel,
Apostel und Märtyrer mit der Bitte Sanct-Peter's. In dieser
äussersten Noth nimmt er seine Zuflucht zur Muttergottes:
„O du Holde", so flehte der Apostel, „mein Mönch ist ver-
loren, wenn nicht du für ihn bittest; was uns unmöglich ist,
wird dir eine Kleinigkeit sein. Sprich nur du ein Wort, so
muss dein Sohn nachgeben, denn es steht in deiner Macht,
ihm zu befehlen." Die königliche Mutter verspricht ihre
Fürbitte, und gefolgt von allen Jungfrauen, erscheint sie vor
ihrem Sohne. Dieser, das Gebot : „Du sollst Vater und Mut-
ter ehren", heilig haltend, sieht kaum seine Mutter nahen, als
er ihre Hand ergreift und sich nach ihren Wünschen crkun-
dio-t. Das Ende ist selbstverständlich zu errathen. ^
Der Teufel weiss es auch, dass er der Maria gegenüber
sein Spiel verliere.
In einem weiten Klosterhofe, mit Gras und Blumen die
Fülle bewachsen und einem mitten hindurchfliessenden Wasser,
lustwandelten gewöhnlich die Mönche. Eines Morgens stan-
den sie an dem Wasser und ergötzten sich an Gesprächen
und Scherzreden. Während sie viele eitle Worte wechselten,
sahen sie ein Schifi" daherrudern, worüber sie sich verwunder-
ten und fragten: wer darin sei? Die im Schifi'e sagten: sie
seien Teufel, führen die Seele des Probstes von Sanct-Gallen
1 A. SS., 29. Apr.
2 Lc Grand d'Aussy, Fabliaux, tom. V.
10. Ileiligendienst und Mariencultus. 203
'o
mit sieb, der naeli ihrem "Willen in Sünden gelebt habe. Da
erschraken die Mönche, riefen Maria um Hiilfe an und flohen
hinweg von dem Bache, damit sie nicht auch ergriffen wür-
den. Die Teufel schrien ihnen aber nach: es sei ihr Glück,
dass sie Maria angerufen, sonst wären sie als unordentliche
Mönche für ihre unnützen und unzeitigen Reden gewiss er-
trcänkt worden. Damit fuhren die Teufel ihre Strasse; die
Mönche aber mässigten ihre Reden und dankten der Mutter
Gottes für ihre Rettung. ^
Auch in geringfügigen Angelegenheiten beschützt Maria
die ihr Zugethanen gegen den Teufel.
Ein trefi'licher und fleissiger Maler hatte seinen Sinn vor
allen unserer lieben Frauen mit Liebe zugewandt und zeigte
dies oft in seinen Werken. Einst malte er zum Behängen
der Wände einen Umhang, wo in der Reihe der Darstellungen
auch Maria und der Teufel erschien. Da bildete er die
Himmelskönigin so schön er irgend vermochte, den Teufel
da2:e<2;en höchst uno-estalt. Darob zürnte dieser, trat an den
Maler heran und stellte ihn zur Rede: weshalb er sie so lieb-
lich und ihn so hässlich male? Der Maler erschrak, ermannte
sich jedoch und schalt ihn: dass er ihn gern noch scheuss-
licher und sie noch viel schöner gemalt hätte, wenn er es ver-
möchte. Hierauf hub der Teufel an mit ihm zu toben und
wollte ihn vom Gerüste werfen. Der Maler aber rief Maria
an: da streckte ihr Bild aus der Leinwand die rechte Hand
aus und hielt ihn damit empor. Der Teufel floh hinweg und
liess ihn in Frieden.^
Es fehlt auch nicht an Beispielen, wo der Teufel durch
Maria um seinen Lohn geprellt wii^d.
Ein Ritter hochgemuth, kühn und milde, versäumte kein
Turnei und ward von allen gepriesen, denn er gab den Spicl-
leuten so reichlich, dass sie überall sein Lob verkündeten.
So verthat er aber endlich all sein Gut, dass er in tiefe Ar-
muth gerieth und schweres Herzeleid hatte. Da fügte es
sich noch, dass ein Gastmahl an ihn kam und die bisher frei-
' Von der Ilagen, Gesammtabenteuer, S. 477, LXXVII.
- Aus dem grossen Gedicht von „Unserm Herrn, Unser Frauen und
alle Heiligen", llagen, Gesammtabenteuer, 474, LXXVI.
204 Zweiter Abschnitt: Ausbildung der Vorstellung vom Teufel.
gebig von ihm bewirtheten Gäste sich wie gewöhnlich ein-
fanden. Er hatte und wusste nicht, was er ihnen bieten sollte
und entfloh in einen dichten Wald. Er hatte ein schönes,
tugendreiches Weib, das seine Verschwendung ungern sah,
lieber den Gottesarmen c-ab und Marien herzlich diente. Der
Teufel neidete ihr deshalb, und als der Mann in der Wildniss
umherlief, erschien er ihm als Mensch, jedoch schwarz und
auf einem schwarzen Pferde. Der Ritter erschrak, aber auf
Befragen klagte er sein Leid. Der Teufel verhiess noch glän-
zendere Herstellung, wenn ihm dafiir nur ein geringes Ding
geleistet würde. Der Ritter ging alles ein, und der Teufel
wdes ihm, wo er einen reichen Ilort Silbers und Goldes aus-
graben könne; dafür verlangte er nur: dass der Ritter ihm
zur bestimmten Zeit und Statt seine Hausfrau bringe. Der
Ritter versprach es, fand den Schatz, ging heim und lebte
wieder üppig wie zuvor. So verlief das Jahr und die ge-
stellte Frist; da zauderte er nicht, Hess zwei Pferde satteln
und gebot der Frau, mit ihm zu reiten. Als sie keine Be-
gleitung sah und vernahm wohin es ging, erschrak sie, ge-
horchte jedoch und befahl sich in Maria's Schutz. Der W^eg
führte an eine Kapelle: sie sprang ab, lief hinein und betete
inbrünstig zur Heiligen Jungfrau. Darüber entschlief sie; Maria
aber nahm ihre Gestalt und Kleidung an, trat aus der Ka-
pelle und liess sich zu Pferde von dem Ritter zur verabrede-
ten Stelle führen. Da kam auch der Teufel freudig: herbei,
entfloh aber eilig, als er die Jimgfrau erkannte, und schalt den
Ritter, dass er wortbrüchig nicht sein Weib bringe, die ihm
durch ihre Tugenden so viel Leid thue; anstatt ihrer bringe
er ihm die gewaltige Himmelskönigin. Hierauf verwies diese
dem bösen Geiste, dass er die ihr treulich Dienenden so ver-
folge, und gebot ihm im Namen Jesu Christi alsbald zur
Hölle zu fahren und den sie Anrufenden nimmer Leid und
Schmach zu thun. Mit Getöse und heulend hub sich der
Teufel von hinnen. ^
Von der Wundermacht Maria's, zu der sich der Sünder
1
1 Gesammtabenteuer , S. 480, LXXVIII; auch bei Lassberg, 111,
Nr. LXXXll; andere Beispiele vgl. Gesammtabenteuer, S. 512, LXXXII:
„Maria und die Sündenwage"; ibid., S. öll», IjXXXIH: „Marienritter und
der Teufel"; Lassb. 111, Kr. CCYL
10. Ileiligendienst und Mariencultus. 205
im Gebete ^yelldet, sind die Legenden voll. ^ Schon der
blosse Name Maria's übt überhaupt eine unwiderstehliche
Zauberkraft, die in der Legende auch gehörig ausgebeutet wird.
Unter vielen Beispielen nur das eine, wo ein Staar, der
„Ave-Maria" sagen gelernt, aus den Klauen eines Habichts
sofort befreit ward, als ihm die Todesangst sein Ave-Maria
auspresste.
1 Vgl. A. SS., De St. Dominico, 4. Aug., u. a. v. a. St.
Dritter Abschnitt.
Periode der gerichtlichen Hexen Verfolgung.
1. Der Zaiil)erglaiil3e.
JNachdcm der Tcufelsglaube zur grössten Höhe angeschwol-
len war lind eine Ausdehnung erlangt hatte, um ganz Europa
zu überfluten, mündete er im 15. Jahrhundert in den Hexen-
process als gerichtliche Ilexenverfolgung. Zwar gab es schon
lange vorher Zauberei und Magie, denn der Glaube daran ist
so alt als das Menschengeschlecht. Wo der Begriff des Cau-
salzusammenhangs dem Menschen fehlt, sieht er in seiner Um-
gebung geheimnissvolle Magie, und derjenige, welcher auf magi-
sche Weise operirt, ist ihm ein Zauberer. Alle Wirkungen,
die sein eigenes Mass der Kraft übersteigen, bekommen die
Bedeutung des Magischen, und jede Erkenntniss ausserhalb
seines Gesichtskreises wird eine zauberhafte. Was ihm jen-
seit der Grenze des Natürlichen liegt, erscheint ihm als Wun-
der oder Zauber, und beide vinterscheidet er nach seiner reli-
giösen Anschauuno;. So mochten die christlichen Kirchenväter
die heidnischen Orakel nicht für Wunder erklären, und die
Heiden konnten die christlichen Wunder für zauberisch halten.
Soldan wird wol Recht haben: „Man könnte sagen, die Zau-
berei sei das illegitime Wunder, das Wunder die legitime
Zauberei; die Legitimität aber ist so relativ, wie die Ortho-
doxie." ^ Diese „Wandelbarkeit der Gesichtspunkte" hat zu
Hexenproc, S. 1.
1. Der Zauberglaube. 207
allen Zeiten unter den verschiedensten Völkern geherrscht,
und die Magie hat nicht nur ihrem Wesen nach verschiedene
Aufnahme gefunden, auch die Geltung ihres Namens ist ver-
schieden erklärt worden. Wir übergehen das Schamanenthum,
den Fetischismus, die bei Naturstämmen und Völkern der
heutigen Welt weit verbreitet sind; wir wollen über den ma-
gischen Glauben der Culturvölker des Alterthums nicht wie-
derholen, was von Mythologen und Symbolikern weitläufig
erörtert und in der Geschichte der Magie von Hauber, Horst,
Ennemoser und vielen andern verwerthet worden ist; wir er-
innern nur an den uns zunächst liegenden Zauberglauben der
Griechen und Römer. Aus Homer ist Circe durch ihre
Zaubertränke und ihren Zauberstab bekannt i, und wird in
späterer Zeit zur Königin der Zauberinnen. In der Iliade er-
scheint Agameda so vieler Pharmaka kundig, als die weite
Erde trägt. - Helena mischt aus ägyptischen Kräutern einen
Zaubertrank. ^ Here erhält von Aphrodite einen Zaubergürtel,
womit sie den Gemahl fesselt.'* Wer erinnert sich nicht an
die Verwandlungen des Proteus, den sinnbethörenden Gesang
der Sirenen, die nekromantischen Scenen der Odysee? ^
Bei Hesiod finden wir Tagwählerei. ^ Lange vor den Perser-
kriegen findet sich bei den Griechen eine Menge von Zauber-
vorstellungen und damit zusammenhängenden Gebräuchen.
Plato ^ spricht von herumziehenden Leuten, die sich der Zau-
berkunst rühmen, durch Götterbeschwörungen und Flüche
einem Feinde Uebles zuzufügen. Bekanntlich gilt Thessalien
für das Land der Zauberei, und thessalische Weiber verstehen
mittels Salben den Menschen in ein Thier oder einen Stein
zu verwandeln. Hekate, bei Hesiod noch eine Göttin, ver-
wandelt sich später in die grauenvolle Vorsteherin der Unter-
welt und des Zauberwesens, die, wo sie gerufen wird, in fin-
sterer Nacht mit Fackel und Schwert, mit Drachenfüssen und
1 Odyss. X, 212 fg.
2 II. Xr, 740.
3 Odyss. IV, 220.
^ IL XIV, 214.
^ Vgl. Apollonius Argonaut., III, 1032.
•* Op. et dies 7G5 squ.
^ De republ. II, 7.
208 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtliclien Hexenverfolgung.
Schlangenhaar erscheint, von belleudeu Hunden umgeben, von
der gespenstischen Empusa begleitet. ^ In Rom sind es vor-
nehmlich die Chaldäer, die als Mathematici, Genethliaci und
Magi schon um die Zeit der punischen Kriege auftreten, in
der Kaiserzeit in den höchsten Kreisen sich bewegen, da ihnen
eine tiefere Erkenntniss der Zukunft aus den Sternen und ge-
heimnissvoller Mächte zugeschrieben wird. Obschon es nicht
an Männern fehlte, die solchen Künsten auf den Grund sahen,
wie Ennius, Cicero, Seneca, Tacitus; so war doch nicht nur
die grosse Menge, sondern selbst hervorragende Köpfe im
Glauben an Zauberei befangen. Sulla liess sich von Magiern
aus gewissen Zeichen seines Leibes weissagen 2; Varro wusste
geheime Sprüche gegen das Podagra; Julius Cäsar sprach
stets vor Besteigung seines Keisewagens eine bestimmte For-
mel dreimal aus^; Vespasian war den Priestern des Serapis
zu Alexandrien bei der magischen Heilung eines Blinden
behülflich.* Kom ist wiederholt als Sammelplatz aller Arten
von Zauberei dargestellt worden. Ausser den Etruskern *,
Sabinern sind besonders die Marser verrufen, die wegen ihrer
Schlangenbeschwöruno;en von Circe abstammen sollten. ^ Schon
in sehr alter Zeit glaubte man an die Zauberkunst, das Ge-
treide von fremden Aeckern an sich zu locken % Regengüsse
durch Beschwörungen herbeizuziehen oder zu entfernen.*
Liebeszauber, Nekromantie, Thierverwandlungen und fast alle
Vorstellungen von der Macht der Zauberei erbten die Römer
von den Griechen. Durch Zauber erforschte man das Ver-
borgene, gebot dem Monde, behei-rschte die Natur überhaupt,
heilte, schädigte, tödtete, konnte Liebe und ILiss erregen,
leibliche und geistige Fähigkeiten lähmen.^ Dem mittelalter-
lichen Hexenglauben nähern sich vornehmlich die Vorstelluu-
* Horat. Sat. 8, 32; Lucian. Philopseud. 14.
" Vellej. Patercul. II, 32.
3 Plin. bist. N. XXXVIII, 2.
* Tacit. bist. IV, 81; Sueton. vit. Vesp. 7.
* Dionys. Halic. I, 24.
« Gell. N. A. XVI, 11 ; Plin. XXVII, 2.
7 Virgil., Prolog. VIII, 1)9; Tibull. El. 8. 19.
^ Seneca Quaest. nat. IV, 7.
» Vgl. Ovid Metamorph. VII, 199; Lucan, Pharsal. VI, 452 sequ.
1. Der Zauberglaube. 209
gen von den Strigen, Lamien oder Empnsen. Bei Ovid^
erscheinen die erstem als gefrässige "Wesen in Eulengestalt,
den Harpyien verwandt, die des Nachts den Kindern das Blut
aussaugen und die Eingeweide aufzehren. Auch plötzlich ein-
tretende Kraftlosigkeit bei Erwachsenen wird der Bosheit der
Strigen zugeschrieben.'* Dass diese Strigen nicht als blosse
gespenstische Ungethüme, sondern als boshafte Zauberinnen
zu fassen seien, hat Soldan ^ bereits dargethan. Sie saugen
die menschlichen Körper aus, entweder zum Liebeszauber für
andere, oder zur eigenen Ernährung. Den Strigen ähnliche
Wesen sind die Lamien oder Empnsen. Die Empusa erscheint
bald einzeln, im Geleite der Hecate, bald als ganze Gattung.
Strigen, Lamien, Empnsen theilen die Verwandlungsfähigkeit,
das Ausgehen auf Liebesabenteuer, die Gier nach dem Blute
und den Eingeweiden der Menschen. Die Abweichungen in
ihrer Schilderung kommen wol nur auf Rechnung des Zeit-
alters, der Oertlichkeit oder der Phantasie des einzelnen
Dichters.
Die Zaubermittel, deren man sich bediente, waren so ver-
schieden als zahlreich, vor allen: Carmen, incantatio, de-
precatio, also das Wort*, das gesungen, gemurmelt oder
geschrieben Zauber und Gegenzauber bewirkte, und zwar
Schnee, Regen und Sonnenschein.^ Fremdartige Wörter,
namentlich ägyptische, babylonische, hebräische, hatten be-
stimmte AVirkungen, Zettel und Bleche mit gewissen Buch-
staben dienten als Amulete, „Arse vorse" an die Thiire ge-
schrieben, schützte vor Feuersgefahr, „Huat hanat huat ista
pista sista domiabo damnaustra" wird von Cato gegen Ver-
renkungen empfohlen^, und andere Formeln sollen andere
Uebel heilen. Aus allen drei Reichen der Natur gebrauchte
man magische Heilmittel. Die Bezauberung durch das böse
Auge ward gefürchtet, und selbst Cicero soll den Blick der
mit doppelter Pupille begabten Weiber für schädlich gehalten
1 Fasti VI, 131. 170.
2 Patron. 134.
3 S. 45 fg.
* Plin. H. N. XVIII , 2.
5 Tibull. I, 2. 45; Virgil. Eclog. VIII, 64.
« R. R. cap. 160.
Eoskoff, Geschichte des Teufels. U. ^4
210 Dritter Abschnitt: Periode der gericbtliclien Hexenverfolgung.
habend Besonders häufig wird der Liebeszauber von den
Dichtern erwähnt. ^ Der Geliebten wächsernes Bild am Feuer
geschmolzen zwingt diese zur Gegenliebe; in gleicher Absicht
werden Puppen von AVoile oder Thon gebraucht; Venusknoten
werden aus farbiger Wolle geschlungen u. dgl. m. Der Tod
eines Feindes erfolgt, wenn sein Bildniss oder Name auf einer
Platte durchbohrt wird 3; oder es wird ihm hierdurch die
männhche Kraft entzogen.* Die spätere römische Zeit glaubte
an die Macht eines Spiritus familiaris oder paredros ^, mittels
dessen man die Zukunft erforschen und den Gegner mannich-
fach schädigen könne. Aus der vorchristlichen Zeit finden
sich daher Strafbestimmungen gegen Zauberei, die als Gesetze
oder polizeihche Massregeln jedoch nur den Schaden, der
durch Zauberei bewirkt wird, im Auge haben, und demnach
zum Schutze der Person oder des Eigenthums erlassen sind. ^
Indess w^irden die Magier und ihre Künste bald verfolgt,
bald begünstigt, je nach den persönlichen und politischen Ver-
hältnissen, und in der spätem Zeit hatte die Magie unter
den Kaisern mehr Freunde als Feinde.
"Wenn wir erinnern, dass die orientalische Dämonologie
durch das Judenthum und die Kirchenlehre in das Christen-
thum hineingezogen worden, dass ferner die dämonischen
Elemente, welche die zum Christenthum bekehrten Heiden-
völker von ihren heimatlichen Religionsanschauungen mitge-
bracht, mit der Kirchenlehre sich amalgamirt hatten, und
wenn wir das römische Zauberwesen, welches sich auf römi-
schem Boden vorfand, hinzusummiren; so sollte man glauben:
der Stoff war überreich, von dem sich das mittelalterliche
Hexenwesen nähren konnte. Die christlichen Kirchenlehrer
stürzten Freya's Altar, deren Dienst in gewissen Nächten, be-
sonders der Walpurgisnacht stattfand, um den Saturnalien des
Teufels und seiner Verbündeten Platz zu machen, und die
1 Plin. H. N. VII, 2; Gell. N. A. IX, 4; Virg. Eclog. III, 163.
2 Horat. Sat. I, 8; Epod. V, XVII; Virg. Eclog. VIII; Theocrit. Id.
II; OvidHeroid.VI; Amor.1,8; Tibull.1,2,8; Propert. 111,5; Lucan. VI,46Ü.
ä Tacit. Annal. II, 69.
4 Ovid Amor. III, 7. 29.
6 Justin. Apol. U; Tcrtull. Apologet. 23; Irenäus I, 24.
« Seneca Quaest. nat. IV, 7; Plin. H. N. XV. III. XXVIII, 2; In-
stitut. IV, Tit. XVIII, 5.
1. Der Zauberglaube. 211
Priesterinnen, die Bewahrerinnen magischer Kräfte, erschienen
im Bunde mit dem Teufel als Hexen.
Die Controverse zwischen J. Grimm, der die Zauberwei-
ber und ihre Nachtfahrten aus dem germanischen Alterthum
ableitet', und Soldan, nach dessen Behauptung sie auf das -
sischem Boden fussen-, wird kaum zu schlichten sein, und
zwar nicht nur wegen der Aehnlichkeit der Ziige auf beiden
Seiten, sondern auch, weil die Scheidelinie durch das Hinund-
herfluten der Erinnerungen aus beiden Welten, der germani-
schen und altclassischen , ins Schwanken gebracht und, von
den Wellen überspült, kaum zu erkennen sein diirfte.
Der inniire Zusammenhanij des deutschen Lebens mit dem
römischen Alterthum durch die Traditionen des römischen
Kaiserreichs, durch das römische Ivecht, die lateinische Sprache,
welche in die deutsche Bildung hineinragen, steht ausser Zwei-
fel, luid es bedarf zum Beweise kaum der Wiederanfiihrung
vieler Ackergeräthschaften, des Weizens, der Gerste, vieler
Obstsorten, des Weins, der Gartenblumen, der Fabrikation
vieler Stoft'e und anderer Dinge, die Freytag in seinen „Bil-
dern deutscher Vergangenheit" als Momente erwähnt, welche
A'on den Deutschen aufijenommen und zu eiaen gemacht
worden sind. Dies sind Thatsachen ausser allem Zweifel.
Handelt es sich aber um die Scheidumj der altclassischen und
oei'manischen Elemente in den Vorstelluno-eu von den Hexen
und ihrem Meister, so wird man bemerken, dass die christlichen
Kirchenlehrer der ersten christlichen Jahrhiuiderte das Hexen-
wesen mehr imter dem Gesichtspunkte des classischen Alter-
tliums betrachteten, daher auch auf dem Concil zu Ancyra bei
der Verwerfung des Hexenwesens von der Diana die Rede war.
Mag die Jahreszahl 314, wo das Concil gehalten worden, auch
fraglich sein, so ist doch die Abfassung des darauf bezüglichen
Kanons^ auf römischem Boden gewiss. In der Volksmasse,
namentlich dem germanischen Stamme , wurden die analogen
heimatlichen , heidnischen Vorstellungen hervoi'gerufen und
die germanischen Züge, die wie auf einem Pallmpsest hervor-
traten, erscheinen nun mit den gleichartigen römischen Zügen
1 D. Myth. Cap. von der Zauberei.
2 S. 71 fg.
3 Beeret. XIX, 5.
14 =
212 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
SO eng verschlungen, dass sie sich fast decken, daher die erste
Schrift von der zweiten kaum zu unterscheiden sein diirfte.
Bei der massenhaften Literatur iiber Hexenprocesse, wo
die Massregehi der Kirche und des Staats dagegen gewöhnHch
ausführlich erörtert sind, können diese der Wiederholung hier
entbehren. Zu bemerken ist nur, dass die Gesetze und De-
crete gegen das Hexenwesen in jenen Zeiten ebenso fruchtlos
blieben, wie die gegen den teuflischen Aberglauben, und zwar
aus demselben Grunde, weil die kirchlichen und staatlichen
Organe den Glauben an die Realität des Hexenwesens mit
dem Volke theilten und die daran Betheiligten verfolgten, um
mit ihnen die Hexerei selbst zu vernichten.
Da wir die Periode der Hexenprocesse vom 15. Jahr-
hundert datiren, ist die Streitfrage über den Anfang derselben
nicht zu umgehen.
Wir haben gesehen, dass der Glaube an Hexerei nicht
erst der christlichen Periode eigen, und ebenso ist es That-
sache, dass der Hexenprocess nicht erst durch die Bulle In-
nocenz' VIII. erfunden worden ist, da alles Material dazu schon
lange vor dieser aufgehäuft vorliegt. Soldan und andere ha-
ben strafrechtliche Vorkehrungen in dieser Beziehung vor dem
13. Jahrhundert angeführt, wonach Zauberei mit körperlicher
Züchtigung, mit Vermögens- und Lebensstrafe belegt worden
ist. Wir erinnern an die Vorgänge in ,,dem Pelopidenhause
der Merovinger", wo infolge des Todes der Söhne Frede-
gund's ein Weib, das ihn durch Zauberkünste herbeigeführt
haben soll, gefoltert und lebendig verbrannt wird^, und aus
demselben Grunde der Majordomus Mummolus durch die er-
littene Folter das Leben einbüsst.^ Soldan, der noch mehrere
Fälle aufzählt^, macht die richtige Bemerkung: dass schon die
Verschiedenheit in den Bestrafungen der Zauberei: Erdolchen,
Verbrennen, Rädern, Enthaupten, mehr auf die Laune der
Machthaber als auf gesetzliche Bestimmungen hindeute. Karl
der Grosse verordnet in einem seiner Capitularien'*: ,,Wenn
jemand vom Teufel verblendet nach Art der Heiden glaubt,
' Greg. Tur. hist. Franc. V, 40.
■' Ibid., VI, 35.
3 S. 91.
^ Capitul. de i)artib. Sax.
2. Vorläufer der Hexenprocesse. 213
dass ein Mann oder eine Frau eine Striga sei und einen
Menschen aufzehre, und deshalb ihn oder sie verbrennt, und
das Fleisch desselben oder derselben zum Aufessen hingibt, so
soll er des Todes sterben." — Anderwärts befiehlt er: dass
die Zauberer jeder Art verhaftet, belehrt und gebessert, wenn
sie hartnäckig sind, mit Gefängniss, aber nicht am Leben be-
straft werden sollen. ' In den nächsten vier Jahrhunderten
fehlen die Hinrichtungen, wenigstens in Deutschland, fast
gänzlich, denn die einzelnen beglaubigten Beispiele sind als
keine eigentlich gerichtlichen Handlungen zu betrachten.
2. Vorläufer der Hexenprocesse.
Da keine geschichtliche Periode von der vorhergehenden
mit scharfer Linie sich plötzlich abtrennt, weil die Zukunft
in der Gegenwart vorbereitet wird, so hat auch die Periode
der Hexenprocesse ihre Vorläufer, die ihr gleich Plänklern
vorangehen. Aus den Jahren 1230 — 40 ist nach einer Bulle
Gregorys IX. ein grosser Process aus der Gegend von Trier
bekannt; der Process gegen die Templer von 1309 — 13, der
mit Verbrennen der (Jrdensmitglieder endete, wird gewöhnlich
hierher gerechnet, so auch der grosse Process zu Arras, wo
Peter Boussard die Leute der Waldenserei und des Manichäis-
mus beschuldigte und eine grosse Anzahl im Jahre 1439 dem
Scheiterhaufen iibcrlieferte. Diese Fälle sind als Vorläufer
unserer Hexenperiode und somit auch der Bulle Innocenz' des
VIII. zu betrachten; es ist aber zu bemerken, dass bei
ihnen in der Anklage die Ketzerei mehr oder weniger im
Vordergrund steht, dass sie nicht das specifische Hexenwesen
der spätem Zeit repräsentiren. Das specifische Hexen-
wesen der eigentlichen Periode der Hexenprocesse beruht
nicht mehr blos auf der Abweichiuig von Glaubens- und Lehr-
sätzen der Kirche, sondern, wie aus der Bulle Innocenz' VIII.
und dem Hexenhammer ersichtlich ist, lautet die Anklage
vornehmlich auf: Bündniss mit dem Teufel und vertrau-
testen Umgang mit demselben. Es ist nicht mehr das
' Capitul. ecclesiast. v. 709; Dccret. synodale v. 799.
214 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgimg.
apologetische Interesse und die clogmatisehe Autorität, welche
die Kirche gegenüber der Ketzerei in Polemik und Verfolgung
zu wahren sucht; in der Periode der eigentlichen Ilexenpro-
cesse stellt sich die Kirche als Macht der Macht des
Teufels gegenüber und sucht diejenigen zu vernichten,w eiche
mit letztem! im Bunde stehen und kraft dieses Hexerei aus-
üben. In der Ilexenperiode misst sich die Macht der Kirche
mit der des Teufels, wie sie sich einst im Streite mit den
Hohenstaufen mit der staatlichen Macht gemessen hatte. Die
Kirche bewegt sich der Hexerei gegenüber in dem AVider-
spruche : dass sie einerseits den teuflischen Aberglauben an
dessen Anhängern ausrotten will, d. h. die Anerkennung der
Macht des Teufels zu vertilgen, als nichtig darzustellen sucht;
sie aber andererseits doch wieder selbst als Macht anerkennt,
indem sie es nöthig findet, ihre eigene Macht dagegen einzu-
setzen, um jene nicht wachsen zu lassen. Im Kampfe mit den
Hohenstaufen hatte der Kirche eine wirkliche Macht entgegen-
gestanden; diese Kaiser ^yaren zwar nicht im vollen Siege
untergegangen, aber auf ihren Fall folgte bekanntlich das
Exil der Päpste in Avignon, die öffentliche Meinung neigte
sich auf die Seite der Staatsmacht, und das Bewusstsein der
Zeit ward vom Bedürfniss nach einer Keformation der Kirche
an Haupt und Gliedern immer mehr erfüllt. In der Periode
der gerichtlichen Ilexenverfolgung entwickelt die Kirche ihre
Macht gegen die vorgestellte Macht des Teufels, und bei einem
llückblick auf die Entstehung und Ausbildung dieser Vprstel-
lunir müssen wir wahrnehmen, dass die Kirche dabei dem
heidnischen Kronos gleich verfährt, der seine eigenen Kinder
verschlingt; dass sie den realen Boden verloren hat und den
Kampf mit einem abstract spiritualistischen Gebilde führt,
wobei freilich die Unglücklichen, die in Flanunen aufgehen
müssen, an der Materie tödlich getroftcn werden.
Es muss auffallen, dass die gerichtliche Verfolgung der
Hexen von einer bestimmten Zeit an, nämlich vom Ausgange
des 15. Jahrhunderts, in progressiver Weise zuninnnt; ja zu
einer Art Wuth sich steigert, daher man füglich von einer
Periode der Ilexcnprocesse sprechen darf. Ein kurzer
chronologischer Ueberblick des Hexenwesens und Verlaufs der
Hexenprocesse wird vielleicht den Beweis liefern.
Die Ineinandersetzung der Ketzerei und Hexerei im Sinne
2. Vorläufer der Hexenpi'ocesse. 215
des Teufelsdienstes ist schon mehrere Jahrhunderte vor der
eio-entlichen Hexenperiode ans den Gerüchten über die Katha-
rer bemerklich. Sie werden des Umgangs mit dem Teufel
und damit verbundener abscheulicher Handlungen beschuldigt.
AVir erwähnen nur die Schilderung der Katharerversammlung
bei Alanus Nyssel, wo die Ceremonie des Kniebeugens als
Adoration in den Untersuchungsacten oft erwähnt und dahin
entstellt ist: in den katharischen Versammlungen erscheine der
Teufel in Gestalt eines Katers, um einen ekelhaften Huldi-
gungskuss in Empfang zu nehmen , worauf schändliche Wollust
geübt werde. ^ Dieser Alanus von Nyssel ist nach Soldan der
erste, der von einem dem Teufel dargebrachten Huldigungs-
kusse spricht, den er den Katharern aufbürdet, wobei er zu-
gleich, wie schon erwähnt, seinen etymologischen Scharfsinn
wetzt.
Papst Gregor IX. hatte durch eine Bulle dem Ketzer-
meister Konrad von Marburg schrankenlose Gewalt verliehen,
auch alle der Hexerei Verdächtigen vor sein Gericht zu ziehen,
und wenn er sie schuldig finde, zum Scheiterhaufen zu führen.
Die Verfolgungswuth Konrad's versetzte hierauf Ketzerei und
Teufelsbündniss gleichsam praktisch ineinander. „Wer ihm
in die Hände fiel", schreibt der Erzbischof von Mainz an den
Papst, „dem blieb nur die Wahl, entweder freiwillig zu be-
kennen und dadurch sich das Leben zu retten, oder seine Un-
schuld zu beschwören und unmittelbar darauf verbrannt zu
werden. Jedem falschen Zeugen ward geglaubt, rechtliche
Vertheidigung war Niemand gestattet, auch dem Vornehm-
sten nicht; der Angeklagte musste gestehen, dass er ein Ketzer
sei, eine Kröte berührt, einen blassen Mann oder sonst ein
Ungeheuer geküsst habe. Darum Hessen sich viele Katho-
lische lieber um ihres Leugnens willen unschuldig verbrennen,
als dass sie so schändliche Verbrechen, deren sie sich nicht
bewusst waren, auf sich genommen hätten. Die Schwächern
losren, um mit dem Leben davon zu kommen, auf sich selbst
und jeden beliebigen anderen, besonders Vornehme, deren
Namen ihnen Konrad als verdächtig suggerirte. So gab der
1 Alani ab Insulis insignis theologi opus adv. haeret. et Valdeus. qui
postea Albigens. dicti etc., bei Soldan, 130.
216 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Bruder den Bruder, die Frau den Mann , der Knecht den
Herrn an; viele gaben den Geistlichen Geld, um Mittel zu
erfahren, wie man sich entziehen könne, und es entstand auf
diese Weise eine unerhörte Verwirrung". ^
Die Vorstellung vom Teufelsbund, deren Entstehung
wir gesehen haben, wovon der Grundzug von einem Pactum
und einem Ilomagium, als eine dem Satan persönlich darge-
brachte Huldigung auch in der Versuchungsgeschichte ent-
halten ist, gewinnt nun immer mehr Breite und V^ordcrgrund.
Die christliche Kircheulehre sprach auch schon von einem
alten und neuen Bund des Menschen mit Gott und von My-
sterien dieses Bundes, und diese Vorstellungen wurden nun
auf die Kirche übertragen. An die herrschende Anschauung
von der Gegensätzlichkeit zwischen Kirche und Teufel knüpfte
sich die Vorstellung von einem Bündnisse der von der Kirche
Abgefallenen, also der Ketzer als Verbündeter mit dem Teufel.
Diese Vorstellung fand in dem Zeiträume, wo das CorporationS-
wesen auf fast alle Verhältnisse angewandt ward, einen frucht-
baren Boden. Im Sinne des Feudalwesens wurde jeder durch das
Homagium, den Kuss dem Teufel dargebracht, als dessen Va-
sall betrachtet. Ein Schritt weiter, und die Unzucht, Incest
u. dgl. , deren die Ketzer beschuldigt worden, verwandelte
sich in fleischlichen Umgang mit dem Teufel selbst. Präli-
minarien dazu fanden sich nicht nur in dem Liebesverkehr
der himmlischen und Halbgötter mit Menschen im classischen
Alterthum, auch die Pseudepigraphen der Juden, namentlich
das Buch Henoch, sprechen vom Umgang der Geister mit
den Menschen, und die Kirchenväter Justin, Lactanz u. a.
deuten die Stelle 1 Mos. 6, 1 fg- auf eine Vermischung der
Dämonen mit den Töchtern der Menschen. Da nach der uns
bekannten Herabdrückungsmethode die heidnischen mytholo-
gischen Wesen zu Dämonen umgedeutet wurden, konnten die
in den Bibeliibersetzungen gebrauchten Namen: Lamien,
Sirenen, Faune u. dgl., auch specielle Anwendung finden. So
verweist Augustin die Faune, Sylvane und gallischen Dusii,
die solchen Verkehr treiben. ^ Die Vorstellung von dem Um-
' Alberici Monaclii Chrou. ad a. 1233.
* De civ, D. XV, 22 squ.
2. Vorläufer der Hexenprocesse. 217
gang der Drachen in Menschengestalt mit Weibern war aus
dem Oriente bekannt. Es kann also nicht befremden, wenn
im 13. Jahrhundert manche Buhlgeschicliten mit Dämonen im
Schwange waren. Bei der bekannten Allgestaltigkeit des
Teufels musste der Glaube an dessen Verwandlung in einen
Incubus oder Succubus, je nach Gelegenheit ^ , allgemein ver-
breitet werden, und im Zusammenhange mit der Vorstellung
vom Teufelsbtindniss trat auch die von dem fleischlichen Um-
gang mit ihm beim Hexenwesen in den Vordergrund.
Als erstes Beispiel der Verurtheilung auf Grund solcher
Anklage gilt das schon erwähnte grosse Auto da Fe im
Jahre 1275 zu Toulouse, wo unter den lebendig Verbrannten
auch die 56jährige Angela, Herrin von Labarethe, dieses Verbre-
chens beschuldigt worden. Ueberhaupt kommen im 13. Jahrhun-
dert schon einzelne eigentliche Hexenprocesse vor.^ Im M.Jahr-
hundert werden die Verurtheiluno-en wesen Hexerei häufisfer.
und Soldan's Vermuthung^, dass die persönliche Furcht Jo-
hann XXH. vor dem zauberischen Unwesen daran theilhabeu
dürfte, erscheint nicht immöglich. Im Jahre 1320 ertheilte
er dem Inquisitor ausdrücklich die Vollmacht zur eifrigen
Verfolgung derjenigen, welche den Dämonen opfern, den Hul-
digungsact abstatten, eine Verschreibuug geben u. dgl.* In
Carcassonne wurden von 1320 — 50 schon iiber 400 we^en
Hexerei verurtheilt, wovon mehr als die Hälfte den Tod er-
litt. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundert erschien
das „Directorium Inquisitorum von Nicol. Eymericus" (von
1356 — 93 Generalincpiisitor) als systematische Unterweisung
für Ketzerrichtcr, worin alle Zauberkünste aufgenommen sind,
die als ketzerisch gelten oder nach Ketzerei schmecken. Im
Jahre 1404 trat die Synode von Langres dem Hexenwesen
insofern entgegen, als sie bei Fällen, wo sie Betrügereien an-
nahm, Belehrung und Disciplin vorschrieb.
Während das Uebcl in Frankreich abzunehmen schien,
regte es sich in Deutschland. Um die Zeit des Basler Con-
1 Thora. V. Aqu. Comment. ad Jes. 40.
2 Vgl. Soldai), 147.
3 S. 181.
* Vgl. die Bulle bei Soldau, 182.
218 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
cils suchte der Dominicaner Joannes Nider durch seinen
„Formicarius" 1 die Deutschen über die Geheimnisse des
Hexenwesens systematisch zu belehren und die der Zauberei
Beflissenen als Sekte mit schändlichem Cultus dai'zustellen.
Sie verleugnen die christliche Religion und die Taufe, treten
das Kreuz, schliessen ein Pactum mit dem Teufel, leisten die-
sem den Huldigungsact, halten Versammlungen, in welchen
der Teufel in Menschengestalt erscheint, machen Luftfahrten,
Hagel und Blitz, locken das Getreide an, erregen Hass und
unkeusche Liebe, hindern die Conception bei Menschen und
Thieren, verwandeln sich in Thiergestalten, wozu sie sich einer
Salbe aus den Leichen imigebrachter Kinder bedienen, tödten
die Frucht im Mutterleibe; die Existenz der Licuben und
Succuben wird aus Thomas von Ac^uino bewiesen, u. dgl. m.
Ln Jahre 1446 werden einige Frauen wegen Hexerei in
Heidelberg verbrannt und fallen noch andere Opfer. ^
Wilhelm von Edelin, Prior von St. -Germain, der gegen
die Wirklichkeit der Hexenfiihrten gepredigt, muss am 12. Sep-
tember 1453 in der bischöflichen Kapelle zu Evreux vor dem
geistlichen Gerichte Abbitte thun und bekennen, dass er selbst
mit andern wirklich dem Satan seine Verehrung dargebracht,
den Glauben an das Kreuz verleugnet und im Auftrage des
Teufels zur Mehi-ung des satanischen Reichs gepredigt habe,
dass die Hexerei ein Ding der Einbildung sei. ^
Im Jahre 1458 erschien: „Flagellum haereticorum fas-
cinariorum, autore J. Nicoiao Jaquerio ordin. fr. praedi-
catorum et olim haereticae pravitatis Inquisitore", worin
die Realität der Hexerei aus Scholastikern, Legenden der
Heiligen und Bekenntnissen bewiesen und hiermit das System
derselben nach allen ihren Zweigen abgeschlossen wird. Die
Grundzüge sind folgende. Die Handlungen und Zusammen-
künfte dieser Zaubersekte (haeresis et sectae fascinariorum)
sind nicht Täuschungen der Phantasie, sondern verwerfliche,
wirkliche und leibliche Handlungen AVachender. Es ist ein
1 Fr. Joan. Nider (gest. 1440) Suevi ordin. pracdicat. s. theolog.
profess. et hereticae pestis inquisitoris, über insignis de maleficiis et
eorum deceptionibus.
« Soldan 198.
3 Raynald ad ann. 1451.
2. Vorläufer der Ilexenprocesse, 219
feiner Kunstgriff des Teufels, den Glauben zu verbreiten, als
gehörten die Hexenfahrten nur ins Reich der Träume. In
der Sekte oder Synagoge dieser Zauberer erscheinen nicht
blos Weiber, sondern auch Männer, und was noch schlimmer
ist, sogar Geistliche und Mönche, die dastehen und mit den
sinnlich wahrnehmbar in mancherlei Gestalt erscheinenden
Dämonen reden, sich von denselben mit eigenen Namen be-
nennen lassen, unter Verleugnung Gottes, des katholi-
schen Glaubens und seiner Mysterien. Dafür versprechen
die Dämonen Schutz und Hülfe, erscheinen auf den Ruf der
Zauberer auch ausser der Synagoge, um ihx'e Wünsche zu er-
füllen, geben ihnen „Veneficien" und Stoffe, um Zaubereien zu
vollbringen. Dies Verhältniss beruht auf einem wirklichen
Vertrage mit den Dämonen. Diese bezwingt nur die göttliche
Kraft, wie sie dem Diener der Kirche verliehen ist. Die
Zauberer bewirken Krankheiten, Wahnsinn, Tod von Men-
schen und Thieren, Unglück im ehelichen Leben, Verderben
der Feldfrüchte und anderer Güter. In den Versammlungen,
die meist am Donnerstag stattfinden, wird das Kreuz bespien
und getreten, besonders zur Osterzeit, eine geweihte Hostie
geschändet und dem Teufel geopfert, fleischliche Vermischung
mit den bösen Geistern vollzogen. Keiner darf das Zeichen
des Kreuzes machen, sonst verschwindet im Augenblicke die
ganze Gesellschaft, woraus ein Beweis für die Vortrefflichkeit
des den Dämonen so verhassten katholischen Glaubens ffe-
nommen wird. Jedem Zauberer wird ein unvertilo;bares Zei-
chen, das signum diabolicum, aufgedrückt. Dem Ein-
wände, dass ein beim Hexensabbat Anwesender nicht mit
Gewissheit behaupten könne, diese oder jene Person daselbst
gesehen zu haben, da der Teufel auch ein Trugbild in Gestalt
jener Person habe erscheinen lassen können, begegnet Jaquier
durch folgende Anweisung: „Sagt der von Mitschuldigen An-
geklagte, der Teufel habe nur sein Scheinbild vorgeführt, so
antworte man ihm: dass der Teufel dies nicht ohne Erlaubniss
Gottes habe thun können. Behauptet der Angeklagte weiter,
dass Gott diese Erlaubniss gegeben habe, so erwidere man
ihm, dass der Behauptende deshalb dem Richter genügende
Beweise beizubringen habe ; thut er dies nicht, so ist ihm kein
Glaube beizumessen, weil er nicht dem Rathe Gottes beige-
wohnt hat. Denn so wie der Procurator des Glaubens die
220 Dritter Abschnitt: Periode der gericlitlichen Hexenverfolgung.
Maleficien zu beweisen hat, die er dem Angeklagten zu Last
legt, so liegt auch dem Angeklagten der Beweis dessen ob,
was er zu seiner Vertheidigung anfiährt." Aus der Aussage
von Zeugen, dass sie in einer Versammlung zwar die Hexen,
aber nicht die Dämonen gesehen haben, wird das Dasein der
letztern so sefol^ert: weil der Teufel machen könne, dass er
von dem einen gesehen werde, von dem andern nicht. Schliess-
lich behauptet Jac[uier, dass die Zauberer, auch wenn sie be-
reuen, nicht wieder in den Schos der Kirche aufzunehmen,
sondern dem weltlichen Gerichte zu überliefern seien, da bei
ihnen alles aus bösem Willen, nicht aus Irrthum hervorgehe,
und sowol ihre abscheuliche Ketzerei an sich als die damit
verbundenen Verbrechen: Mord, Sodomie, Apostasie und
Idololatrie, die strengste Strafe verlangen. Ja selbst wenn
man die Realität des Hexenwesens als unerweislich betrachten
wollte, machen sich die Mitglieder der Zaubersekte dennoch
der Ketzerei schuldig, sofern sie im wachen Zustande thun,
was ihnen der Satan im Traume befohlen hat, z. B. die gött-
lichen Mysterien nicht zu verehren, was ihnen begegnet ist,
nicht zu beichten, u. dgl. m.
Im Jahre 1459 erschien: „Fortalitium fidei contra Judaeos,
Saracenos aliosque Christianae fidei inimicos" von Alphonsus
de Spina, dessen fünftes Buch von der Dämonologie und Zau-
berei handelt. Er variirt das Thema von den Hexen, Incuben
und Succuben auf seine eigenthümliche Weise, erklärt die
Hexenfahrt für eine teuflische Verblendung, bringt aber im
ganzen ebenso wenig Neues als die nachfolgenden Schriftsteller.
In demselben Jahre ward auf Veranlassung des Domini-
caners und Inquisitors zu Arras, Pierre le Broussard, ein Weib
inquirirt, das unter der Folter gestand, auf derWaldenserei(vau-
derie, so nannte man die Hexerei) gewesen zu sein und verschie-
dene Personen gesehen zu haben , welche auch eingezogen und
irefoltert wurden. Sie wurden des Verbrechens beschuldigt:
dass sie auf gesalbten Stöcken zur Vauderie ritten, daselbst
speisten, dem als Bock, Hund, Affe oder Mensch erscheinen-
den Teufel durch den bekannten obscönen Kuss und durch
Opfer huldigten, ihn anbeteten, ihm ihre Seelen ergäben, das
Kreuz träten, darauf spien, Gott imd Christum verhöhnten,
nach der Mahlzeit untereinander und mit dem Teufel, der
bald die Gestalt eines Mannes, bald die eines Weibes an-
2, Voi'läufer der Hexenprocesse. 221
nehme, abscheulichste Unzucht trieben. Dass, wie der
Inquisitor hinzufiigte, die zum FHegen dienende Salbe aus
einer mit geweihten Hostien gefütterten Kröte, den gepulver-
ten Knochen eines Gehenkten, dem Blute kleiner Kinder und
einigen Kräutern bereitet sei. Der Teufel predige in den
Versammlungen, verbiete die Messe zu hören, zu beichten,
sich mit Weihwasser zu besprengen, u. dgl. Als nach ge-
fälltem Urtheile die Angeklagten, die vor der versammelten
Volksmenge auf einem hohen Gerüste standen, mit Mützen
auf dem Kopfe, worauf die Teufelsanbetung gemalt war, dem
weltlichen Arme übergeben, ihre Liegenschaften confiscirt
wurden, ihr bewegliches Gut dem Bischof zugesprochen ward:
schrien zwar die Verurtheilten, dass sie betrogen worden, in-
dem man ihnen, wenn sie bekenneten, eine Pilgerfahrt, wenn
sie leugneten, den Tod in Aussicht gestellt habe, dass sie durch
die Folter gezwungen worden seien; allein trotz den Be-
theuerungen ihrer Unschuld, dass sie weder an der Vauderie
theilgenommen hätten, noch wüssten, was das wäre, mussten
doch sechs im Jahre 1460 auf dem Scheiterhaufen sterben. *
Dieser Hinrichtung zu Arras folgte in demselben Jahre eine
zweite und dann noch andere infolge der Anklage auf Wal-
denserei.
Das Hexenwesen, das bisher vornehmlich in Frankreich
und den angrenzenden Ländern sich gezeigt hatte, sollte den
Inquisitoren bald auch in Deutschland Beschäftigung geben.
Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts waren Heinrich Insti-
toris (Krämer) für Oberdeutschland und Jakob Sprenger für
die Rheingegenden zu Ketzerinquisitoren bestellt worden, die
„ihr Geschäft", wie Soldan sich ausdrückt % „vorerst durch
Verfolgung des Plexenwesens zu popularisiren " gedachten.
Nachdem sie aber nicht nur hinsichtlich ihrer richter-
lichen Competenz, sondern, wie sie selbst gestehen^ und
in der Bulle darauf hingedeutet wird, auch in Bezug
auf den Gegenstand Widerstand gefunden, wandten sie
sich an den Papst Innocenz VHL, der durch seine Bulle
„Summis desiderantes" vom 5. December 1484 nicht nur
1 Vgl. Sold., 206.
2 S. 212.
3 Mall, malef., p. 3, 225 u. a. ed. Francof. v. 1588.
222 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
dieser Verlegenheit abhalf, sondern der Lehre vom Hexen-
wesen überhaupt auch die endgiütige päpstliche Sanction verlieh.
Dieses Actenstiick ist zwar nicht als die Quelle des ganzen
Hexenwesens zu betrachten, was nach dem Vorgange Schwa-
ger's ^ öfter behauptet worden; es ist aber epochemachend
in der Geschichte der Hexenprocesse durch den gewaltigen
Vorschub, welchen es ihnen geleistet hat.
Wortlaut der Bulle: „Innocentius, Episcopus, servus ser-
vorum Dei. Ad futuram rei memoriam. Summis desiderantes
affectibus, prout pastoralis sollicitudinis cura requirit, ut fides
catholica nostris potissime temporibus ubique augeatur et flo-
reat, ac omnis haeretica pravitas de finibus fidelium procul
pellatur, ea libenter declaramus, ac etiam de novo concedimus,
per quae hujusmodi pium desiderium nostrum votivum sor-
tiatur effectum, cunctisque propter ea per nostrae opera-
tionis ministerium quasi per providi operatoris sarculum erro-
ribus extirpatis ejusque fidei zelus et observantia in ipsorum
corda fidelium fortius imprimatur. Sane nuper ad nostrum
non sine ingenti molestia pervenit auditum, quod in nonnullis
partibus Alemaniae suj^erioris, nee non in Moguntinen., Colo-
nien., Treveren., Saltzburgen. et Bremen, provinciis, civitatibus,
terris, locis et dioecesibus complures utriusque Sexus personae,
propriae salutis immemores et a fide catholica deviantes, cum
daemonibus incubis et succubis abuti, ac suis incantationibus,
carminibus et conjurationibus aliisque infandis superstitiis et
sortilegiis, excessibus, criminibus et delictis mulierum jDartus,
animalium foetus, terrae fruges, vinearum uvas et arborum
fructus, nee non homines, mulieres, pecora, pecudes, et alia
diversorum generum animalia, vineas quoque, pomeria, prata,
pascua, blada, frumenta et alia terrae legumina, perire, suffo-
cari et extingui facere, et procurare, ipsosque homines, mu-
lieres, jumenta, pecora, pecudes et animalia diris tam intrin-
secis quam extrinsecis doloribus et tormentis afficere et ex-
cruciare, ac eosdem homines ne gignere, et mulieres ne
concipere, virosque ne uxoribus et mulieres ne viris actus
conjugales reddere valeant, impedire. Fidem praeterea ipsam
quam in sacri susceptione baptismi susceperunt ore sacrilego
abnegare. Aliaque quam plurima nefanda excessus et crimina,
' Versuch einer Gesch. der Hexenprocesse, I, 39.
2. Vorläufer der Hexenprocesse. 223
I
instigante hiimaui geuerls inimico, committere et perpetrare
non verentur, in animarum suarum periculum, divinae maje-
statis offensam ac perniciosum exemplum ac scandalum pliiri-
morum. Quodque licet dilecti filii Henricus Institoris, in prae-
dictis partibus Alemaniae superioris, in quibns etiam pro-
vinciae, civitates, terrae, dioeces., et alia loca hujusmodi
comprehensa fore ceusetur, nee non Jacobus Sprenger per
certas partes lineae Rheni, ordinis praedicatorum et theologiae
professores, haereticae pravitatis inquisitores per literas Apo-
stolicas depiitati fuernnt, pront adhnc existunt, tarnen nonnulli
clerici et laici illarnm partium, qnaerentes plura sapere, quam
oporteat, jjro eo, quod in literis deputationis hujusmodi
provinciae, civitates, dioeces., terrae et alia loca praedicta,
illarumque personae ac excessus hujusmodi nominatim et
specifice expressa non fuerunt, illa sub iisdem partibus minime
contineri et propterea praefatis inquisitoribus in provinciis,
civitatibus, dioeces., terris, et locis praedictis hujusmodi in-
quisitiouis officium exequi non licere et ad personarum earun-
dem super excessibus et criminibus ante dictis punitionem,
incarcerationem et correctionem admitti non debere, pertinaci-
ter asserere non erubescunt. Propter quod in provinciis, civi-
tatibus, dioeces. terris et locis praedictis excessus et crimina
hujusmodi non sine animarum evidenti jactura et aeternae salutis
dispendio remanent impunita. Nos igltur impedimenta quae-
libet quae per ipsorum inquisitorum officii executio quomodo
libet retardari posset, de medio submovere, et ne labes haere-
ticae pravitatis aliorumque excessuum hujusmodi, in perni-
ciem aliorum innocentum sua venena diffundat, opportunis re-
mediis, prout nostro incumbit officio, providere valentes, fidei
zelo ad hoc maxime nos impellente, ne propterea contingat,
provincias, civitates, dioeces., terras et loca praedicta sub
eisdem partibus Alemaniae superioris, debito inquisitionis offi-
cio carere, eisdem inquisitoribus in illis officium inquisitionis
hujusmodi exequi licere, et ad personarum earundem super
excessibus et criminibus praedictis correctionem, incarcera-
tionem et punitionem admitti debere, perinde in omnibus et
per omnia, ac si in literis praedictis provinciae, civitates,
dioeces., terrae et loca ac personae et excessus hujusmodi
nominatim et specifice expressa forent, autoritate Apostolica
tenore praesentium statuimus. Proque potiori cautela literas
224 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hcxenverfolgung.
et depiüatlonem praedictas ad provincias, civitates, dioces.,
terras et loca, nee iion personas et crimina hujusmodi exten-
dentes, praefatis inquisitoribus, qiiod ipsi et alter eorum,
accersito secum dilecto filio Joanne Gremper, clerico Con-
stantien. niagistro in artibus, eorum moderno seil quovis alio
Notario publico, per ipsos et quemlibet eorum pro tempore
deputando, in provinciis , civitatibus , dioces. , terris et locis
praedictis contra quascunque personas, cujuscunque condi-
tionis et praeeminentiae fuerint, hujusmodi inquisitionis offi-
cium exequi, ipsasque personas, quas in j^raemissis culpabiles
reperierint, juxta earum demerita corrigere, incarcerare, punire
et mulctare. Nee non in siugulis provinciarum hujusmodi
parochialibus Ecclesiis, verbum Dei fideli populo, quotiens
expedierit, ac eis visum fuerit, jDroponere et praedicare, om-
niaque aUa et singula in praemissis et circa ea necessaria et
opportuna facere, et similiter exequi libere et licite valeant,
plenam ac liberam eadem autoritate de novo concedimus fa-
cultatem. Et nihilominus venerabili fratri nostro Episcopo
Argentinensi scripta mandamus, quatenus ipse per se, vel per
alium seu aHos, praemissa ubi, quando et quotiens expedire
cognoverit, fueritque pro parte inquisitorum hujusmodi seu
alterius eorum legitime requisitus, solemniter i^ublicans, non
permittat, eos quoscunque super hoc, contra praedictarum et
praesentium literarum tenorem, quavis autoritate molestari,
seu alius quomodo übet impediri, molestatores et impedientes
et contradictores quoslibet, et rebelles, cujuscunque diguitatis
Status, gradus, praeeimentiae, nobilitatis et cxcellentiae aut
conditionis fuerint, et quocunque exemtionis privilegio sint
muniti, per excommunicationis, suspensionis et interdieti, ac
alias etiam formidabiliores, de quibus sibi videbitur, senten-
tias, censuras et poenas, omni appellationc postposita, compes-
cendo et etiam legitimis super his per eum servandis pro-
cessibus sententias ipsas', quotiens opus fuerit, aggravare et
reaggravare autoritate nostra procuret, invocato ad hoc, si
opus fuerit auxilio brachii secularis. Non obstantibus prae-
missis et constitutiouibus et ordinationibus Apostolicis contra-
riis quibuscunque. Aut si aliquibus communiter, vel divisim
ab Apostolica sit sede indultum, quod interdici, suspendi vel
excommunicari non possint, per literas A^Dostolicas non facien-
tes plenam et expressam, ac de verbo ad verbum, de indultu
2. Vorläufer der Ilexenprocesse. 225
hnjusmodi mentionem, et qualibet alia dictae sedis indulgen-
tia generali vel special!, cujusciinque tenoris existat, per
quam praesentibus non expressam, vel totaliter non insertain
effcctus hujiismodi gratiae impediri valeat, quomodo libet
vel differri, et de quaciinquc, toto tenore habenda, sit in
nostris literis mentio specialis. Nnlli ergo omnino hominum
liceat hanc paginam nostrae declarationis , extensionis, con-
cessionis et mandati infringere, vel ei ausu temerario contra-
iare. Si qiiis autem hoc attentare praesumpserit, indignationem
omnipoteutis Dei ac beatorum Petri et Pauli Apostolorum
ejus se noverit incursurum. — Datum Romae apud sanctum
Petrum. Anno incarnationis Dominicae Millesimo quadringen-
tesimo octuagesimo quarto. Non. Decembris. Pontificatus
nostri anno primo."
Auf Grund dieser Bulle verfassten die in derselben er-
wähnten Inquisitoren im Jahre 1487 den beriichtigten „Mal-
leus maleficarum", den sogenannten „Hexenhammer", worin
nicht nur das Ganze der Hexerei in ihrer Wirklichkeit er-
wiesen, sondern auch das gerichtliche Verfahren mit den
Hexen grundsätzlich festgestellt wird. Ausser der Sanction
des Papstes erhielten die Verfasser das Patent des Kaisers
Maximilian vom G. November 1486 und erwirkten überdies
die Approbation der theologischen Facultät zu Köln. Dieser
„Plexenhammer" hatte nach dem Zeugnisse des beriihmten Cri-
minalisten des IG. Jahrhunderts, Damhonder ^, fast Gesetzes-
kraft erhalten, mit der er, drei Jahrhunderte hindurch ge-
schwungen, unerbittlich losschlug, um unter seiner schweren
Wucht Millionen unglücklicher Menschen unbarmherzig zu
zermalmen. Da nun hiermit der Hexenprocess auch für
Deutschland durch den Papst autorisirt und eine feste Gestalt
erhalten hatte, indem er in aller Form auf das Biindniss mit
dem Teufel gegründet und die Aufgabe gestellt ward, Hexen
zu suchen, welche denn auch gefunden wurden, so glauben
wir vom Erscheinen der Bulle in Verbindung mit ihrem prak-
tischen Commentar, dem „Hexenhammer", die Periode der ge-
richtlichen Hexenverfolgung datiren zu dürfen.
1 Bei Soldan, S. 222.
Iloskoff, Geschichte Jts Teufels. II. 15
22G Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilexenverfolgung.
3. Malleus maleflcarum. Der HexenliairLiiier.
Indem dieses Buch, das mehrere Ausgaben, aber nie eine
Uebersetzung erlebt hat, für unsere Hexenperiode von so
grosser Bedeutung und auch für den Stand des Hexen- und
Teufelsglaubens der Zeit so wichtig ist, können wir kaum um-
hin, den Hauptinhalt desselben mit Hervorhebung der wesent-
lichen Punkte darzulegen. ^ Dem Werke ist der Wortlaut
der Bulle Innocenz' VIII. vorgedruckt und als Anhang die
Approbation der kölner Theologen am Schlüsse beigefügt.
Die Stelle einer Vorrede vertritt die „Apologia auctoris in
Malleum maleficarum", ohne Zweifel auf Sprenger zu beziehen,
dessen Antheil an dem Werke überhaupt als vorwiegend an-
erkannt ist. Es wird die Gefahr der Kirche, in der sie durch
die Ketzerei des Hexenwesens sich befindet, als Motiv des
Unternehmens angegeben. Das Getriebe der Zauberer und
Hexen fusst auf einem Bündniss mit dem Teufel: „Ex
pacto enim cum inferno, et foedere cum morte, foetidissimae
servituti, pro earum pravis explendis spurcitiis se subjiciunt."
Mit angeblich grosser Bescheidenheit nennt sich Sprenger
vmd seinen werthesten Genossen, der mit ihm vom päpstlichen
Stuhle zur Ausrottung der ketzerischen Seuche ausgesandt
worden, „inter divinorum eloquiorum professores, sub prae-
dictorum ordine militautium minimi"; im frommen Eifer und
unter schwerer Betrübniss haben sie erwogen, welches Mittel
und welcher Trost den Sterblichen als heilsames Antidotum
zu bieten sei, und — so sei dieses Werk entstanden. Es sei
aus andern Quellen geschöpft und von dem Ihrigen nur We-
niges hinzugekommen, neu sei nur die Zusammenstellung. Die
Herausgeber wollen keine Dichtungen schaflfen, noch sublime
Theorien erörtern, sondern nach Art der Nachtreter nur fort-
setzen zur Ehre der höchsten Dreieinigkeit und untheilbaren
Einheit u. s. w.
Das Buch zerfällt in drei Theile, worin der Gegenstand
auf Grund von einer Menge Haupt- und Nebenfragen, die
' Ich habe die frankfurter Ausgabe vom Jahre 1588 vor mir, welcher
der „Formicarius" von Joann. Nieder beigefügt ist.
3. Der Hexenhammer. 227
bunt diircbcinanilergeworfen, nicht selten im Widerspruche
miteinander stehen, ebenso kraus und wirr abgehandelt wird.
Von einem streng logischen Nacheinander ist so wenig die Rede,
dass bei Heraushebung einzelner Punkte der Vorwurf des
Herausreissens aus dem Zusammenhang keinen Raum finden
kann.
Im ersten Theile wird in achtzehn Quästionen die Rea-
lität des Hexenwesens aus der Heiligen Schrift, dem kanoni-
schen und bürgerlichen Rechte nachgewiesen, wobei vornehm-
lich Augustinus und Thomas von Aquino die Argumente lie-
fern. Die drei Hauptmomente, die das Hexenwesen in sich
beo-rcift: der Teufel, der Zauberer oder die Hexe, die
göttliche Zulassung, werden in Betracht genommen.
1. Frage. Ob es Zauberei gebe? Ob diese Behaup-
tunc: ebenso orthodox als die des Gegentheils allerdings
'ö
ketzerisch sei?
Es ist ketzerisch zu glauben, dass ein Geschöpf durch
Zauberer zum Bessern oder Schlechtem, oder in eine andere
Art umgewandelt werden könne als von dem Schöpfer selbst.^
Das Werk Gottes beweist grössere Macht als das des
Teufels, es ist darum auch unerlaubt zu glauben, dass die
Geschöpfe, die Werke Gottes an Mensch und Vieh durch
die Macht des Teufels verderbt werden können. ^ Die Teufel
wirken nur durch Kunst, diese kann aber keine wahre Ge-
stalt geben. Es ist ein ketzerischer Irrthum, zu glauben,
es gebe keine Zauberei in der Welt ausser in der Meinung
des Volks, ebenso, Zauberer anzunehmen, aber die zaube-
rischen Wirkungen nur als eingebildet zu betrachten. ^ Der
Teufel hat grosse Gewalt über körperliche Dinge und die
Einbildung der Menschen, wenn es Gott zulässt. Dies be-
weisen eine Menge Stellen der Heiligen Schrift. Diejenigen,
welche keine Realität der Zauberei annehmen, widerstehen
dem wahren Glauben, wonach wir die aus dem Himmel ge-
fallenen Engel für Teufel halten müssen, die kraft ihrer Natur
vieles vermögen, was wir nicht können. Diejenigen, die ihnen
dazu Anlass geben, heissen Zauberer (Malefici). Weil aber
Unglaube bei einem Getauften Ketzerei heisst, so werden
S. 1. 2 S. 2. 3 s, 3,
15 =
228 Dritter Abschnitt: Periode der gericlitlichen Ilexcnvcrfolguiig.
solche mit Recht der Ketzerei beschuldigt. ^ Viele werden
durch ihre Phantasie getäuscht, etwas für ein Factum zu
halten; aber deswegen die Wirkungen des Teufels als real zu
leugnen und sie nur für Phantasiestücke zu halten, ist ein
Irrthum, der nach Ketzerei schmeckt.^ Dies wird durch
göttliche, kirchliche und bürgerliche Gesetze bewiesen. Denn
das göttliche Gesetz befiehlt, niclit nur mit Hexen nicht zu
verkehren, sondern sie zu tödtcn, und solche Strafe würde
Gott nicht verhängen, wenn sie nicht wahrhaftige und wirk-
liche Dinge mit Hülfe des Teufels vollbrächten. ^ Jeder, der
in der Erklärung von jener der Kirche abweicht, wird mit
Recht für einen Ketzer gehalten; und ebenso jeder, der in
Glaubenssachen anders denkt als die Kirche. '^ Folq;t der
Beweis aus dem Kanon, aus dem bürgerlichen Rechte.
Zur Anklage auf Hexerei wird bei diesem Verbrechen
der beleidigten Majestät jeder zugelassen und als legal be-
trachtet. ^
Die katholische und einzig wahre Behauptung ist: es gibt
Zauberer, die mit Hülfe des Teufels kraft eines Bundes mit
ihm unter Gottes Zulassung nicht nur eingebildete, sondern
auch wirkliche Zauberhandlungen vollbringen können, ob-
schon es auch Hexereien gibt, die auf Einbildung be-
ruhen. ^
Zauberinnen sind Weiber, durch die der Teufel spricht
oder wunderbar wirkt; die erstem sind die Weissagerinnen
(species Pythonum) % die übrigen sind die eigentlichen Hexen.
Die Hexe hat sich durch einen Vertrag dem Teufel fjanz er-
geben und verpflichtet, wahrhaft und wirklich, nicht blos in
der Phantasie oder eingebildet, daher sie auch wirklich und
körperlich mit dem Teufel zusammenwirkt. ^ Prediger und
Priester haben daher ihren Gemeinden vier Stücke beson-
ders einzuschärfen: 1) Ausser dem Einen Gott gibt es kein
göttliches Wesen; 2) Mit der Diana oder Herodias reiten ist
eigentlich mit dem Teufel (der sich so stellt und nennt);
3) Ein solcher Ritt geschieht in der Einbildung, indem der
Teufel auf die Seele, die ihm durch Unglauben unterthan ge-
worden, so wirkt, dass sie ihn leiblich geschehen glavÜDt;
» S. 4. 2 g^ 5_ 3 s. 5. " S. 6. 5 S. 9. « S. 10.
' S. 10. 8 S. 11.
3. Der Hexenhammer. 229
4) tlass sie (die Hexen und Zauberer) dem Teufel in allen
Stiicken gehorchen miissen. ^
Obschon die Verwandlungen lediglich durch göttliche
Autorität geschehen zur Besserung oder Strafe, so doch auch
oftmals mit Hiilfe des Teufels unter göttlicher Zulassung, wie
auch die modernen Zauberer durch den Teufel in Wölfe und
andere Bestien verwandelt werden. So spricht der Kanon:
„de reali transformatione et esseutiale, et non de praestigiosa
quae saepius fit."
2. Abtheilung der 1. Frage. Ist es Ketzerei, Zauberer
anzunehmen ?
Ein offenbarer Ketzer ist 1) wer auf Ketzerei betroffen
oder 2) dem sie durch Zeugen bewiesen wird, oder 3) der
sich selbst dazu bekennt. Die dem bisher Gesagten wider-
sprechen und behaupten: es gebe keine Zauberer oder diese
könnten den Menschen nicht schaden, werden mit Recht
als Ketzer b'festraft. ^ Da es aber in der Absicht der Ver-
fasser liegt, Prediger beziiglich des Lasters der Ketzerei nach
Möglichkeit lieber zu entschuldigen als zu beschuldigen (pro
posse excusare quam incusare), so sollen sie nicht gleich ver-
dammt werden, wenn der Verdacht auch ziemlich stark sein
sollte. Da es einen dreiüichen Verdacht gibt (suspicio levis,
vehemens et violenta), ist zu untersuchen, welchem ein solcher
Prediger unterliege. ^ Unkenntniss kann zwar einigermassen,
aber nicht ganz entschuldigen, weil sie nicht unüberwindlich
ist; geflissentlich aber eine Sache nicht wdssen wollen, ist ver-
danunlich. Bleibt einer in Unwissenheit, weil er zu viel an-
dere Geschäfte hat, um das zu erlernen, was er wissen sollte
(das Ilexenwesen), so ist namentlich in der gegenwärtigen
Zeit, Avo den bedrohten Seelen geholfen werden muss, die
Unwissenheit mit aller Anstrengung zu verscheuchen. ■*
2. Frage. Ist es katholisch, zu behaupten, dass bei
einer Zauberei der Teufel immer mit dem Zauberer vereint
wirke, oder dass einer ohne den andern eine solche Wir-
kung hervorbringe?
Der Teufel kann allerdings ohne den Hexer vieles be-
wirken. Alle körperlichen Beschädigungen sind nicht unsicht-
bar, sondern fiihlbar, daher sie auch vom Teufel angerichtet
1 S. 12. ■' S. 14. 3 s. 15. "• ö. 17.
230 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
werben können. Beispiele sind: Hiob, die Jungf'ran Sara,
welcher vom Tenfel sieben Männer getödtet wnrden. ^ Wenn
der Teufel wirkt vermittels der Hexe , so bedient er sich der-
selben als eines Werkzeugs. ^
Jede körperliche Handlung geschieht durch Beriihrung.
Und weil dem Teufel keine Berührung der Körper eignet,
da er mit ihnen nichts gemein hat, so bedient er sich eines
Werkzeugs, dem er die Kraft durch Beriihrung zu schädigen
mittheilt. Dass Bezauberungen auch ohne Hiilfe des Teufels
geschehen können, sagt Galat. 3, 1. Oft wirkt eine Seele in
einem fremden Körper wie im eigenen. ^ Die Einbildungs-
kraft kann auf verschiedene Weise auf den Körper wirken.
Auch ohne die Kraft der Seele können die Körper wun-
derbare Wirkungen hervorbringen. So bluten die Wunden
des Getödteten in Gegenwart des Todtschlägers; ein Lebender,
der an einem Leichnam vorübergeht, ohne ihn wahrzunehmen,
wird von Schauer ergriffen.
Natürliche Dinge haben gewisse verborgene Kräfte, deren
Grund der Mensch nicht angeben kann. So zieht der Dia-
mant (? Adamas) das Eisen. * Die Zauberer bedienen sich
gewisser Bilder und anderer Werkzeuge, die sie unter die
Thürsch wellen der Häuser legen oder an gewisse Orte, wo
das Vieh oder auch die Menschen darüber kommen, die da-
durch behext werden und bisweilen sterben. Solche Wirkun-
gen können wol von den Bildern herrühren, insofern diese
gewisse Einflüsse von den Himmelskörpern empfangen haben.
Auch die Heiligen können Wunder wirken, bald durch das
Gebet, bald durch eigene Macht. * Nach Isidorus hcissen die
Malefici so wegen der Grösse ihrer Missethatcn, womit sie
vor allen Uebelthätern am meisten Uebel thun. Sie bringen
mit Hülfe des Teufels die Elemente durcheinander, treiben
Hagel und Gewitter zusammen, verwirren die Gemiither der
Menschen, verursachen Wahnsinn, Hass, unbändige Liebe,
sie tödten ohne Gift, blos durch die Gewalt eines Gesangs
die Seelen. ^
Warum Hiob nicht mittels zauberischer Wirkung durch
den Teufel geschlagen worden sei? Dass Pliob durch den
Teufel allein ohne Vermittelung eines Zauberers oder einer
' S. 20. 2 S. 21. 3 s. 21. 4 S. 22. ' S. 23. « S. 24.
3. Der Hexenhammer. 231
Hexe geschlagen worden, erklärt sich darans, dass diese
Art Aberglaube damals noch nicht erfunden war; die gött-
liche Vorsicht wollte jedoch, dass die Macht des Teufels in
der Welt, lun dessen Nachstellungen zur Ehre Gottes zu ver-
hiiten, bekannt werde, da jener ohne Gottes Zulassung nichts
bewirken kann. ^ — Der Leser wird aufmerksam gemacht,
dass die verschiedenen Zauberkünste im Verlaufe der Zeit
erfunden worden sind, daher es nicht befremdlich ist, dass es
zu Iliob's Zeit noch keine Hexen gab. Denn wie, nach dem
Ausspruche Gregor's in seiner Moral, die Kenntniss der Hei-
ligen wuchs, so nahmen auch die Hexenkünste zu. Und wie
die Erde von der Erkenntniss des Herrn erfüllt ist, nach
Jesaia, so ist die Welt, die sich zum Untergange neigt, nach-
dem die Bosheit der Menschen gewachsen, die Liebe erkaltet
ist, von der Boshaftigkeit der Hexereien ganz überschwemmt.*
Es ist katholische Wahrheit: bei einer zauberischen Handlung,
wenn sie auch keine schädliche ist, muss der Zauberer stets
mit dem Teufel zusammenwirken. Es ist wahr, der Teufel
bedieut sich der Zauberer zu deren eigenem Verderben; aber
wenn gesagt wird: diese seien nicht zu bestrafen, weil sie
nur als Werkzeuge dienen, die sich nach dem Willen ihres
Herrn bewegen müssen, so antworten wir: sie sind beseelte
und frei handelnde Werkzeuge, obschon sie nach eingegange-
nem Vertrage mit dem Teufel ihrer Freiheit nicht mehr Herr
sind, weil sie, wie wir aus den Bekenntnissen verbrannter
Weiber wissen, wenn sie den Schlägen des Teufels entfliehen
wollen, bei den meisten Hexereien gezwungen mitwirken
miissen, da sie durch das erste Versprechen, wodurch sie sich
freiwillig dem Teufel ergeben haben, gebunden bleiben. ^ —
In diesem Abschnitte wird von verschiedenen Arten der Be-
hexung von dem bösen Auge, meistens an alten Weibern,
vom Eiufluss der Himmelskörper gehandelt, und das Bluten
der Wunden eines Ermordeten bei Annäherung des Mör-
ders u. a. m. erklärt.
3. Frage. Ob es katholisch sei zu behaupten: dass
durch Incuben und Succuben wirkliche Menschen erzeugt
werden?
Zunächst scheint es nicht katholisch zu sein, zu beluuq)-
1 S. 26. 2 y_ 27. 3 y. 28.
232 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtliclaeu Ilexeuverfolguug.
ten, dass der Teufel durch Ineuben und Succuben wirkliehe
Menschen zu Stande bringen könne, die Fortpflanzung des
Menschen stammt vor dem Sündenfalle von Gott; ausser-
dem ist sie ein Act eines lebendigen Leibes, der Teufel gibt
aber den Leibern, die er annimmt, kein Leben. ^ Der Teufel
kann keinen Körper localiter bewegen — ergo nee semen
poterunt (daemones) movere localiter de loco ad locum. ^
Allein, nach Augustinus: Daemones coUigunt semina quae ad-
hibent ad corporales efiectus, dies kann ohne locale Bewegung
nicht stattfinden; die Giganten sind jedoch auch von Dämo-
nen gezeugt. ^ — Da vieles, was die Macht des Teufels be-
triflft, übergangen werden muss und der Leser sich aus den
Schriften der Kirchenväter unterrichten kann, so wird er ein-
sehen, dass der Teufel alle seine Werke durch seinen Ver-
stand und seinen Willen ausführe, da seine natürlichen ur-
sprünglichen Gaben nicht verändert w^orden sind. Er wird
finden, dass es auf Erden keine Macht gibt, die der seinigen
gleichkäme, dass er niemand fürchtet, nur den Verdiensten
der Heiligen unterliegt. ^
Nach all dem Vorherffesao-ten lässt sich in Betrefi" der
Ineuben und Succuben behaupten: dass durch sie bisweilen
Menschen erzeugt werden ; dies anzunehmen ist in so weit ka-
tholisch, als das Gegentheil weder durch die Heiligen Schilif-
ten noch durch die Tradition abgeleitet wird. ^
Die Giganten stammen nach der Heiligen Schrift von
Ineuben her. Die Sylvani und Fauni sind Ineuben. ^ Die
Frauen sollen sich der Ineuben wegen verschleiern. ^ Der
Grund, warum die bösen Geister sich zu Ineuben oder Suc-
cuben machen, ist, damit sie durch das Laster der Wollust
die beiderlei Natur des Menschen verderben, nämlich die des
Leibes und der Seele, damit sie dadurch zu allen übrigen
Lastern geneigter werden. ^
Folgt die Theorie: Quomodo incubi procreent. — Incubi
fiunt succumbi, etc. ^
4. Frage. Ist es katholisch zu behaupten, dass die
Verrichtungen der Ineuben und Succuben allen unreinen
Geistern gleich zukommen?
1 S. 41. - S. 42. 3 S. 43.
^ S. 48. 8 S. 48, 9 S. 50 sequ.
S. 44.
5 ö. 40.
« ö. 47.
3. Der Hexenhammer. 233
Katholisch ist die Behauptung, dass eine gewisse Ord-
nung in Bezug auf innere und äussere Handhingen unter den
Dämonen stattfindet; dass gewisse Abscheulichkeiten von den
niedrigsten begangen werden, von denen die vornehmern aus-
geschlossen bleiben. Denn die Teufel unterscheiden sich durch
die Art, einige sind vom Hause aus vornehmer. ^ Dies stimmt
auch zur göttlichen Weisheit, wonach alles nach einer Ord-
nung gehen muss. Dies stimmt auch mit der Bosheit der
Dämonen überein, denn da diese das Menschengeschlecht be-
kämpfen, so richten sie diesem mehr Schaden an, wenn sie
es nach einer gewissen Ordnung unternehmen. ^ Wie sich
die Dämonen durch eine gewisse Rangordnung unterscheiden,
so auch in ihren Verrichtungen, daher es klar ist, dass "nur
die vom niedersten Range solche Abscheulichkeiten, die auch
unter den Menschen die niedrigsten sind, vollziehen.^
Dass eine gewisse Ordnung unter den Dämonen herrsche,
beweisen auch ihre Namen. Von den etymologischen Sonder-
barkeiten sei nur die Ableitung des Namens Diabolus heraus-
gehoben, nämlich von dia quod est duo et bolus, quod est
morsellus: quia duo occidit, scilicet corpus et animam. *
Die Eintracht unter den Dämonen besteht nicht in Freund-
schaft, sondern in der Bosheit, mit der sie die Menschen
hassen und der Gerechtigkeit so viel sie können wider-
streiten. ^
5. Frage. Woher die Vermehrung der Hexereien?
Kann es für katholisch gelten, dass der Ursprung und
die Vermehrung der Zaubereien vom Einflüsse der Himmels-
körper oder der übermässigen Bosheit der Menschen und
nicht von den Abscheulichkeiteu der Incubeu und Succuben
abgeleitet werde. ^
Es scheint, dass sie von der eigenen Bosheit der Men-
schen herrühren, denn nach Augustinus wird der Zauberer
durch die Sünde verderbt, also ist die Ursache nicht der
Teufel, sondern der menschliche Wille. Derselbe sagt auch,
jeder sei selbst die Ursache seiner Bosheit, die Sünde ent-
springe aus dem freien Willen. Der Teufel kann nicht den
freien Willen bewegen, das wäre gegen die Freiheit. — Was
nun die Herleitung vom Einflüsse der Himmelskörper betrifi't,
' S. 58. 2 s. 59. 3 s. (jo. 1 S. 61. ^ y. gs. e g. (j4.
234 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilexenverfolgung.
so ist zu bemerken, dass alles Vielgestaltige auf ein einheit-
liches Principium sich zuriickleitet. Die menschlichen Hand-
lungen sind vielfältig, sowol betreffs der Laster als der Tu-
genden, es scheint also, dass sie auf einige einheitliche Prin-
cipien zuriickleiten, und diese sind nur aus den Bewegungen
der Himmelskörper zu erklären, die einförmig sind, also sind
jene Körper die Ursache solcher Folgen.
Ausserdem: wenn die Himmelskörper nicht die Ursache
wären der menschlichen Handlungen in Beziehung auf Tu-
genden und Laster, würden die Astrologen nicht so häufig
den Ausgang der Kriege und anderer menschlicher Unter-
nehmungen wahrsagen: sie sind also einigermassen Ursache.
Auch können sie auf die Teufel wirken, also um so mehr
auf die Menschen. Denn die Mondsiichtigen werden zu ge-
wissen Zeiten mehr als zu andern von den Dämonen geplagt,
was nicht der Fall wäre, wenn nicht diese selbst vom Monde
belästigt würden. Die Nigromantiker beobachten gewisse
Constellationen, um die Dämonen anzurufen, was sie nicht
tliäten, wenn sie nicht wüssten, dass die Dämonen den Him-
melskörpern unterworfen sind. Dies erhellt auch daraus, dass
nach Augustinus die Dämonen durch gewisse untergeordnete
Körper beeinflusst werden, als Kräuter, Steine, Thiere, ge-
wisse Laute, Wörter, Figurationen. Da nun die Himmels-
körper mächtiger sind als diese niedrigen Körper, um so
mehr in Beziehung auf die Wirkungen des Teufels. Und
noch mehr sind die Zauberer dem Einflüsse jener Körper
unterworfen. ^
Hingegen: Es kann unmöglich eine Wirkung ohne Ur-
sache geben; alles was von neuem angefangen wird, nuiss
eine bcstinnnte Ursache haben. Der Mensch beginnt zu han-
deln, zu wollen, indem er dazu angeregt wird und zwar von
aussen. Der Grund von allem Guten ist Gott, der nicht die
Ursache der Sünde ist; von allem Bösen, das der Mensch
zr thiin und zu wollen anfängt, muss es auch eine äusser-
liche Ursache geben, die keine andere sein kann als der Teufel^
und zwar besonders bei der Hexerei. Es scheint also, dass
der böse Wille des Teufels die Ursache des bösen Willens
besonders bei den Zauberern ist. ^
1 S. G5. = b. GG. ' S. G7.
3. Der Hexenhammer. 235
Es sind drei Dinge im Menschen zu erwägen : die Hand-
lung des Willens, des Verstandes, des Körpers, deren erstere
unmittelbar und nur von Gott, die zweite von einem Engel
und die dritte von einem Himmelskörper gelenkt wird. ^
Es kann aber geschehen, dass der Mensch die Eingebung
Gottes zum Guten verachtet sowie die Erleuchtung durch
den Eusel, und von der Nei^ng des Leibes dahin geleitet
wird, wohin er auch durch den Einfluss der Gestirne hin-
neigt, sodass sowol sein Wille als sein Verstand von der
Bosheit umhüllt wird. So sagt auch Guilielmus in seinem
Werke „De universo", was durch Erfohrung bestätigt ist:
wenn eine Hure einen Olivenbaum pflanzt, wird dieser nicht
fruchtbar, wol aber den eine Keusche gepflanzt hat. ^
Von den Himmelskörpern werden die Zaubereien nicht
verursacht. ^ Aus der menschlichen Bosheit entspringen sie
auch nicht. ■* Auch nicht Worte in Uebereinstimmung mit
der Macht der Sterne verursachen Zaubereien.^
Der Teufel wird die Ursache der Sünde genannt, aber
nur unter Zulassung Gottes, der das Böse um des Guten
wegen zulässt. Der Teufel disponirt den Menschen durch
Eingebung, Ueberredung und äusserlich durch stärkern Reiz.
Denen aber, die sich ihm ganz ergeben haben, wie die Zau-
berer, befiehlt er, und braucht sie nicht zu reizen. ^
W^ir -überocehen die weitern Erörterungen dieses Ab-
Schnittes: über die Einwirkungen des Mondes auf das Gehirn,
wie die Dämonen durch Gesänge, Musik, Kräuter beinflusst
werden, von den Ligaturen u. s. w. ; nur die Bemerkung:
David vertrieb den bösen Geist nicht durch die Macht seiner
Zither, sondern durch das Zeichen des Kreuzes, das durch
das Holz und die ausgespannten Seiten gebildet wurde. Denn
schon damals flohen die Dämonen vor dem Kreuze. "^
6. Frage. Von den Hexen, die, sich dem Teufel er-
geben haben.
Nach mehrern berührten Schwierigkeiten dieser Fraco
werden vornehmlich zwei aufgeworfen.
1) Warum bei dem schwachen Geschlechte, dem weib«
liehen, mehr Hexerei bctrofi'en werde als dem luännlichen?
' S. 73. ■' S. 74. '' S. 77. ' ö. 80. » g, §3. g g, 35.
' S. 90.
2o6 Dritter Abschnitt: Periode der gcricLtliclien Ilexenverfolguiig.
Einige Lehrer sagen: es gibt drei, die weder im Guten
noch im Bösen Mass zu halten wissen: die Zunge, der
Geistliche und das Weib. * — Es wird über die Vielfältig-
keit der Zunge, gute und schlechte Geistliche gesprochen,
von guten Weibern, dass unter dem Tadel der Weiber
fleischliche Begierde zu verstehen sei.^ Auch andere Griindc
werden angeführt, warum die Weiber der Hexerei mehr er-
geben sind: a) weil sie leichtgläubig sind, und da der Teufel
vornehmlich den Glauben verdirbt, so greift er sie gern an.
b) Weil sie wegen der Flüssigkeit (fluxibilitas) ihrer Com-
plexion für Eingebungen (revelationes) empfänglicher sind.
c) Weil sie eine schlüpfrige Zunge haben und was sie un-
rechtmässigerweise (mala arte) wissen, ihren Genossinnen
nicht verschweigen und sich, da sie keine Kraft haben, ge-
heim mittels Hexerei rächen.^ Die geringere Gläubigkeit
des Weibes, die in der Schöpfungsgeschichte sich zeigt, wird
auch auf etymologischem Wege bewiesen: „Dicitur enim foe-
mina a fe et minus, quia semper minorem habet et servat
fidem." Das Weib zweifelt von Natur aus leichter und ver-
leuirnet früher den Glauben, und das ist die Grundursache
der Hexen. Gehandelt wird ferner von der Eifersucht und
Ungeduld der Weiber, dass beinahe alle Keiche durch Wei-
ber zu Grunde gegangen, ohne die Weiber wäre die Welt
ein Verkehr der Götter, u. s. w.
2) Welcherlei Weiber sind vor andern dem Aberglauben
und der Hexerei ergeben?
Aus dem Vorhergehenden erhellt, dass es drei Laster
sind, denen die Weiber vornehmlich ergeben sind: a) Unglaube,
b) Ehrgeiz, c) Wollust, und zwar letzterer besonders. In dieser
Beziehung wird in der Bulle eine siebenfache Hexerei ange-
führt, wodurch sie 1) die Gemüther mit ungezügelter Liebe
erfüllen oder mit unbändigem Hasse, 2) die Zeugungskraft
verhindern, 3) die dazu nöthigen Glieder beseitigen, 4) die
J^Ienschen durch ihre Gaukelkunst in Thiergestalten verwan-
deln, 5) bei den Weibern die Empfängnisskraft zerstören,
0) Frühgeburt verursachen, 7) die Kinder dem Teufel dar-
bringen, abgesehen von den Thieren, Feldfrüchten, denen sie
verschiedenen Schaden zufügen.'*
1 ö. 'Jl. - S. Ö5. » S. yO. ' ö. 103.
3. Der Ilexenhammer. 2o7
7. Frage. Ob die Zauberer die Geiniither der Men-
schen zur Liebe und zum Hasse reizen und diese inein-
ander umwandeln können?
Der Teufel kann die innern Gedanken der Menschen nicht
sehen. Nicht alle unsere bösen Gedanken werden A-om Teu-
fel angeregt, oft tauchen sie aus unserm freien Willen auf. ^ Der
Teufel ist die mittelbare Ursache aller Sünden, indem er den
ersten Menschen zur Sünde verführte, wodurch sieh die Neiffunc:
dazu über das ganze Geschlecht verbreitete. Unmittelbar kann
der Teufel durch Ueberredung wirken, und zwar theils un-
sichtbarerweise, theils sichtbar, indem er den Zauberern in
irgendeiner Gestalt erscheint.^ Innere Kräfte wirken auf
körperliche, weil es in der Natur des Körperlichen liegt, durch
Geistiges bewegt zu werden. Beweise sind: unsere eigenen
Leiber, die durch Seelen in Bewegung gesetzt werden, fer-
ner die Himmelskörper. 3 Hiernach können die Dämonen
durch örtliche Bewegung den Samen sammeln, denselben ver-
binden und verwenden. — Erörteruno; über Erscheinungen,
Träume, die Phantasie; diese wird eine Schatzkammer aller
Gestaltungen genannt.* Unter Zulassung Gottes kann der
Teufel verschiedene Gestalten aus dieser Schatzkammer her-
vorlocken \md dadurch verführen, Liebe und Hass erre-
gen. Bei der Zauberei verleiht der Teufel den Zauberern
und Hexen in Folge des Vertrags dieses Vermögen: daraus
erklärt sich, dass Ehebrecher oft die schönsten Gattinnen be-
seitigen und für ganz hässhche Weiber entbrennen. Wir ken-
nen ein altes Weib, das hintereinander drei Aebte eines Klo-
sters nicht nvir behexte, sondern sogar tödtete und den vierten
auf ähnliche Weise verrückt machte. Sie gesteht es selbst
und scheut sich nicht zu sagen: ich habe es gethan und thue
es, und sie können nicht von der Liebe zu mir ablassen, weil
sie so viel von meinem Kothe verzehrt haben, wobei sie die
Quantität mit ihrem Arme anzeigt. Ich bekenne, dass sie
noeli vorhanden ist (setzt Sprenger hinzu), weil wir noch
nicht ermächtigt waren, die Sache zu untersuchen und Kache
zu üben.^ Der Teufel reizt auf unsichtbare Weise auch
durch Disposition, er macht durch Zureden die Flüssigkeiten
geeignet zur Begierde u. dgl,^ — Folgt eine Anweisung, den
' S. 106. 2 s. 107. ■' S. 109. » S. 111. 5 S. 113. « S. 113.
238 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexen Verfolgung.
abgeliaiulclten Gegenstand dem Volke in Predigten vorzutra-
gen.^ — Darstellung der Beweisgrinide.^
8. Frage. Ob die Zauberer das Zeugungsvermögen
und den Beischlaf, wie es in der Bulle gesagt wird, ver-
hindern?
Da die Menschen durch verschiedene Mittel die Zeugungs-
kraft vernichten können, so kann es der Teufel, der mächtiger
ist, als jene, um so mehr.^ Gott räumt ihm diese Macht
ein, weil in diesem Punkte die Verderbtheit der Menschen
grösser ist, als in den iibrigen Handlungen.* Aus Petrus
de Palude werden fünf Weisen, durch die der Teufel die
Berührung der Leiber hindern kann, angegeben: 1) indem er
sich mit seinem angenommenen Leibe dazwischenlegt; 2) in-
dem er geheime, ihm bekannte Kräfte von Dingen anwendet,
wodurch er erhitzen oder erkalten machen kann; 3) dass er
die Einbildungskraft so einnimmt, dass das Weib verhasst er-
scheint; 4) dass er das membrum virile erschlaffen lässt;
5) intercludcndo vias seminis ne ad vasa generationis descen-
dat, vel ne ab eis recedat etc. ^
\et^ den übrigen Unflätereien, die als Zweifel vorgebracht
wef 3n, wollen wir vorbeigehen.
9. Frage. Ob die Hexen durch teuflische Künste im
Stande seien , die membra virilia wirklich und thatsächlich
oder nur durch gaukelhafte Vorspiegelung wegzuhexen?
Es ist das erstere anzunehmen. «^ Bei der Erörterung
der verschiedenen Gaukeleien des Teufels, womit er die Men-
schen betrügt, wird auch erwähnt, dass der Teufel in ange-
nommener Gestalt erscheinen kann und so als etwas gilt,
was er eigentlich doch nicht ist. Zur Bestätigung dient ein
Beispiel aus Gregor von Tours ^, wonach eine Nonne Salat
ass, der aber, wie der Teufel selbst bekannte, nicht wirklicher
Salat, sondern der Teufel in Form des Salates war.«
Nebenfrage: Wie kann Bezauberung von natürlicher
Impotenz unterschieden werden?
Als Merkmale werden angegeben: 1) Es sind grössten-
theils Ehebrecher und Hurer, denen die Impotenz aus Rache
über ihre Treulosigkeit angehext wird; 2) ist die angehexte
1 S. 114. 2 s. 118. 3 s. 123. " S. 124. * S. 125.
ß S. 132. ^ Dialog. I. " S. 137.
3. Der Hexenhammer. 239
Impotenz nicht dauerhaft, es wäre denn, dass sie durch die
Hexe nicht wieder beseitigt werden könnte.
10. Frage. Ob die Hexen durch Gaukelei die Men-
schen in thierische Gestalten verwandeln?
Eine eigentliche Verwandlung eines Geschöpfs in ein an-
deres kann im Grunde nur der Schöpfer selbst bewirken.^
Der Teufel kann aber die Phantasie der Menschen täuschen,
so dass sie wirkliche Thiere zu sehen glauben. ^ So ver-
wandelte Circe die Gefährten des Ulysses nicht in wirkliche
Schweine.^ Der Teufel kann die Sinne täuschen.'* Wenn
eine Thierverwandlung stattzufinden scheint, so ist die Er-
scheinung Gaukelei, oder der Teufel steckt selbst in dem an-
genommenen Körper und treibt vor dem Menschen sein
Wesen. ^
Nebenfrage. Was von den Wölfen zu halten sei,
welche Menschen angreifen oder Kinder aus der AViege
rauben und fressen, ob dies auch durch Gaukelei von den
Hexen geschehe?
Dies geht bisweilen auf natürliche Weise zu, zuweilen ist
es Gaukelei, bisweilen geschieht es durch Hexen. Bisweilen
sind es natürliche Wölfe oder andere Bestien, die sich dem
Menschen nahen, bisweilen sind sie von Dämonen Beses-
sene, wie die, welche die 40 Kinder frassen, die den Prophe-
ten Elisa verhöhnt hatten; zuweilen sind es Gaukeleien der
Hexen. ^
11. Frage. Hebammen, die Hexen sind, vernichten
die Frucht im Mutterleibe auf verschiedene Weise, bewir-
ken eine Frühgeburt, und wo sie dies nicht thun, da ge-
loben sie die geboruen Kinder dem Teufel.
So behaupten die Kanonisten und Theologen; es ist
noch hinzuzufügen, dass die Hexen, als Hebammen, das Kind
auch fressen.'' Es sind uns Beispiele bekannt, dass Hexen
Kinder fressen. Hexen haben uns selbst bekannt, dass die
Hebammen dem katholischen Glauben am gefährlichsten und
schädlichsten seien, denn wenn sie ein Kind nicht umbringen,
so tragen sie es aus der Stube hinaus, als wenn sie ein Ge^
1 S. 141. ^ S. 143. ^ S. 145. " S. 147. ' S. 148. « S. 151,
S. 151.
240 Dritter Abschnitt: Periode der gericlitlichen Ilexenvcrfolgung.
scliäft hätten, heben es in die Höhe und bringen es dem
Teufel dar.
12. Frage. Ob die göttliche Zulassung bei der Zau-
berei nothwendig sei?
Obschon Gott das Böse nicht will, lässt er es doch zu,
weiren der Vollkommenheit des Universum. ^ Gott kann
durch einzelne Uebel Gutes hervorrufen, so durch die Hexerei
die Reinigung der Rechtgläubigen.^
Gott konnte der Crcatur nicht Unsündhaftigkcit verleihen,
nicht aus Mangel an Macht, sondern wegen der UnvoUkom-
menheit der Creatur. Der freie Wille im Menschen bringt
es mit sich, dass der Mensch sündigen könne. '
13. Frage. Erklärung der doppelten Zulassung Gottes,
nämlich: l)eim Siindigen des Teufels, des Urhebers alles
Bösen, und dem Falle der ersten Aeltern, woraus die
göttliche Zulassung der Zauberei sich ergibt.*
14. Frage betrachtet den Ungeheuern Greuel der Hexen,
welcher Gegenstand ganz gepredigt zxi werden verdient.
Die Laster der Hexerei übertreffen alles Böse, was Gott
bisher zugelassen hat, sowol in Betreff der Schuld als der
Strafen ^ sowol wegen Verleugnung des Gekreuzigten, als auch
wegen der Neigung zu Abscheulichkeiten. ^
Die Sünde ist tmi so grösser, je weiter sich der Mensch
von Gott entfernt, da der Unglaube den Menschen am weite-
sten von Gott abbringt, daher ist die Hexerei als Ketzerei
die grösste Sünde, weil das ganze Leben eine Sünde wird.
Die Hexen gehen einen Vertrag mit dem Teufel ein, wer
aber bei den Dämonen Hülfe sucht, fällt vom Glauben ab.
Denn niemand kann zwei Herrn dienen. '^
Die Hexen verdienen grössere Strafe als alle andern
Lasterhaften.^ Die Strafe der Ketzer ist Kirchenbann, Ein-
ziehung des Vermöo-ens inid Lebensstrafe. Jene sind härter
zu bestrafen als Ketzer, weil sie auch Apostaten sind, und noch
mehr, weil sie nicht aus Menschenfurcht oder Fleischeslust den
Glauben ableugnen, sondern überdies dem Teufel huldigen
1 >S. 157. ^ S. 161. 2 S. 1G4. ^ S. 165. * S. 172.
•^ S. 176. ' S. 179. « S. 181.
3. Der Hexenhammer. 241
und mit Leib und Seele sich ergeben. Daher sie nicht wie
bekehrte Ketzer mit immerwährendem Gefängniss, sondern
mit dem Tode zu bestrafen sind, und zwar schon wegen des
Schadens, den sie anrichten, sowol den Menschen als dem
Vieh.i
15. Frage erklärt, wie unschädliche Leute bisweilen
wegen der Siinden der Hexen, bisweilen auch um ihrer
eigenen Slinden willen behext werden.
Es möge niemand befremden, wenn sonst unschädliche
Leute ATCgen der Sünden der Hexen bestraft werden, ist
ja auch der Sohn David's, der im Ehebruche erzeugt worden,
frühzeitig gestorben.^ — Ausser andern Beispielen wird avicli
angeführt, wie die Pest eine Menge Volks hinwegraflfte , weil
es David hatte zählen lassen. Einer muss für alle und alle
für einen leiden, zum Beweise, welch ein Greuel eine solche
Sünde sei, und zur Warnung, nicht zu sündigen, und um Ab-
scheu davor zu erregen.^
16. Frage erklärt die Wahrheit der frühern Erörte-
runo; durch Yerci;leichung der Hexerei mit andern Arten
von Aberglauben.
Es sind 14 Arten von Aberglauben, die theils mit Hülfe
des Teufels, theils ohne ihn verübt werden.*
Es werden alle möglichen Arten von Mantie aufgezählt,
als: Nigromantie, Geomantie, Hydromantie, Aeromantie, Pyro-
mantie und alle Sorten von Wahrsagerei. Alle solche
Künste, die selbst mit Anrufung des Teufels geübt werden,
sind nicht zu vergleichen mit der Zauberei der Hexen, da jene
es nicht auf die Beschädigung der Menschen, des Viehs und
der Feldfrüchte abgesehen haben , sondern nur auf das Vor-
herwissen der Zukunft.^
17. Frage erklärt die 14. Frage, im Vergleich der
Schwere des Verbrechens mit den Sünden der Dämonen.
DieGrösse jenes Verbrechens der Zauberei ist so ungeheuer,
dass sie die Sünden und den Fall der bösen Engel übersteigt,
und der Grösse der Verschuldung muss auch die Grösse der
Strafe entsprechen.*' Obschon die Sünde des Teufels unver-
zeihlich ist und zwar nicht wegen der Grösse des Verbrechens,
1 S. 182. •' S. 183. 3 S. 184. * S. 189. ^ s. 195. " S. 19G.
Boskoff, Geschichte üca Teufels. II 16
242 Dritter Al)scbnitt: Periode der gerichtlichen Ilexenverfolgung.
da der Teufel nur im Stande der Natürlichkeit, nicht im
Stande der Gnaden erschaffen ist; so simdigen die Hexen weit
schwerer als der Teufel, weil sie aus der Gnade fallen, indem
sie den Glauben ableugnen, den sie in der Taufe angenommen
haben. ^ Die Verschuldung des Teufels ist viel kleiner als
die der Hexen, weil vor jenem noch keine Bestrafung eines
Vergehens, die er missachtet oder gefürchtet hätte, stattge-
funden hat; die Hexen aber haben so viele Strafen, die an-
dere Hexen vorher getragen, ja kirchliche Strafen, die sie selbst
betroffen haben, die Strafe des Teufels bei Gelegenheit seines
Falls, zur Warnung. Sie verachten jedoch alles dieses luid be-
gehen nicht die kleinsten Todsünden wie die übrigen Sünder
aus Schwäche oder Bosheit, die aber nicht zur Gewohnheit
geworden ist, sondern die Hexen sündigen aus tiefster Bos-
heit des Herzens und sind den schrecklichsten Lastern er-
geben.^
Der Teufel, der einmal aus dem Stande der Unschuld ge-
fallen, ist niemals restituirt worden. Der Sünder ist aber
durch die Taufe in den Stand der Unschuld restituirt worden,
aber wieder herausgefallen und tief gesunken. Insbesondere
aber die Hexen, wie deren Laster beweisen. Der Teufel sün-
digte blos gegen den Schöpfer, wir aber, und vornehmlich die
Hexen, sündigen gegen den Schöpfer und Erlöser. ^
18. Frage. Die Art zu predigen gegen die fünf Be-
weise der Laien, durch die sie zeigen wollen, dass Gott
dem Teufel und den Zauberern keine so grosse Macht ver-
leihe, um solche Bezauberungen anzuthun.
Ein Prediger muss vorsichtig sein gegeniiber gewissen
Beweisgründen der Laien oder auch mancher Sachverständi-
ger, die insofern das Dasein der Hexen leugnen, dass sie
zwar die Bosheit und Macht des Teufels, aus eigenem Triebe
derlei Uebel zuzufügen, anerkennen, aber die göttliche Zulas-
sung, und dass sie wirklich zugefügt werden, leugnen.
Die Beweisgründe, dass Gott es nicht zulasse, dass es
also auch keine Hexerei in der Welt gebe, sind fünffach:
1) Gott kann den Menschen seiner Sünden wegen strafen und
straft ihn auch mit dem Schwerte, Hunger, Sterblichkeit, mit
1 S. 196. 2 S. 197. 3 y. 197.
3. Der Hexentammer. 243
unzähligen und verschiedenen Krankheiten, daher er nicht
nöthig hat, noch andere Strafen hinzuzufügen, und sie also
auch nicht zulässt. ^ 2) Wenn es wahr wäre, dass der Teufel
die Zeugungskraft verhindern oder bewirken könne, dass ein
Weib nicht empfange und, wenn sie empfängt, abortire, oder
das Geborene tödten könne, so würde er die ganze Welt ver-
nichten, und die Wirksamkeit des Teufels wäre grösser als
das Werk Gottes, das Sakrament der Ehe. 3) Gebe es Hexe-
rei, so müssten einige Menschen um ihrer Sünden willen vor
andern behext werden, sonach die grössern Sünder mehr be-
straft werden; dies ist aber falsch, wie man bisweilen au
rechtschaffenen Menschen und an unschuldigen Kindern sieht,
die für behext av;sgegeben werden. 4) Wenn jemand etwas
verhindern kann, es aber nicht thut, so ist anzunehmen, dass
es mit seinem Willen geschehe. Da Gott im höchsten Masse
gut ist, kann er das Böse nicht wollen, kann also auch nicht
zulassen, dass es geschehe, da er es verhindern kann. 5) Die
Prediger, welche gegen die Hexen predigen, und die Richter,
die gegen sie vorgehen, würden wegen des Zornes der Hexen
niemals vor diesen sicher sein. — Die Gründe dagegen sind
aus der 1. Frao;e dieses ersten Theils zu nehmen und ist dem
Volke zu zeigen: dass Gott das Böse zwar zulasse, aber nicht
wolle, und zwar lasse er es zu wegen der Vollkommenheit
des Ganzen.^ Es wäre der göttlichen Weisheit nicht an-
gemessen, die Bosheit des Teufels ganz zu hindern, vielmehr
ist es gemäss, sie zuzulassen, soweit sie zur Vollkommenheit
des Ganzen nothwendig ist, obschon sie stets durch gute En-
gel beschränkt wird, dass nicht so grosser Schaden gestiftet
werde, als der Teufel möchte. Ebenso wird der böse Mensch
nicht gehindert, aus freiem Willen zu handeln, nämlich den
Glauben zu verleugnen, sich dem Teufel zu ergeben. Gott
selbst, durch beides am meisten beleidigt, lässt doch die Hexe
thun, was sie will, den Glauben verleugnen, sich dem Teufel
ergeben, den Thieren und Früchten schaden.^ Durch das
Böse, was der Teufel mittels der Hexen anrichtet, wird jener
am meisten gequält, da es gegen seinen Willen zur Ehre des
göttlichen Namens, zur Förderung des Glaubens, zur Läute-
rung der Auserwählten und zur Häufung von Verdiensten
' S. 200. 2 s_ 202. 3 S. 203.
IG*
244 Dritter Abschnitt: Periode der gcrichtlicheu Ilexenvcrfolgung.
ffereichen miiss. Der Teufel und seine Wirksamkeit ist nicht
grösser als die göttliche Macht, da er ohne göttliche Zulas-
sung nichts vermag. Dass die Hexen das Zeugungsvermö-
gen und den Beischlaf hindern können, erklärt sich aus der
Erbsiinde, die sich von der Schidd der ersten Aeltern herleitet
und durch jenen Act fortgepflanzt wird.^ Der Teufel ver-
sucht lieber die guten als die bösen Menschen, weil er
diese ohnehin schon besitzt, jene aber erst unter seine Herr-
schaft zu bi'ingen trachten muss. ^
Zum Schlüsse des ersten Theiles wird noch die Ant-
wort gegeben auf die Fragen: 1) warum die Hexen nicht reich
werden ?
Weil sie dem Teufel zu Gefallen und zur Schande Got-
tes um den bilho-sten Preis zu haben sind und nicht durch
Reichthum auffallen wollen.
2) Warum sie ihren Feinden nicht schaden?
Weil ein guter Engel zur Seite steht, der die Hexerei
verhindert. ^
Der zweite Theil des „Hexenhammers" enthält 2 Fragen :
1. Fraofe. Wem kann ein Zauberer nicht schaden? —
wird in 16 Kapiteln erörtert.
2. Frage. Wie ist die Hexerei aufzuheben, und wie
sind die Behexten zu heilen? — in 8 Kapiteln.
1. Frage handelt zunächst von den Präservativmitteln.
Gute Engel gewähren nicht immer Schutz gegen Hexerei,
denn es ist schon gezeigt worden, dass selbst unschuldige
Kinder derselben ausgesetzt sind, und dass fromme Menschen
vielfach von Dämonen zu leiden haben, wie z. B. Hiob.
Drei Arten von Menschen sind vor Hexerei sicher durch
Gottes Segen:
1) Die Gerichtspersonen, die wider sie das Recht pflegen.
2) Die Geistlichen, die durch den Gebrauch der kirch-
lichen Mittel, als: Besprengen mit AVeihwasser, durch
Nehmen geweihten Salzes , durch den Gebrauch zu
Maria Reinigung geweihter Kerzen und der am Palm-
sonntag geweihten Zweige sich verwahrt haben, womit
die Kirche exorcisirt, um die Macht des Teufels zu
mindern.
1 S. 204. = S. 205. 3 s. 209.
3. Der Hexenbammer. 245
3) Die durch heilige Engel auf verschiedene unzählige
Weisen ganz besonders begi'instigt sind. ^
In Bezu«: auf die obrio^keitlichen Personen wird durch
eine Reihe von Thatsachen der Beweis geliefert, dass sie be-
sonders geschützt wenlen, da alle Obrigkeit von Gott ist. Die
Ki'inste der Hexen versagen, wenn diese von der Obrigkeit
eingefangeu sind. Dazu Beispiele ^.
Bestätigende Thatsachen aus der Praxis der Inquisitoren
von dem Schutze des Weihwassers ^, geweihter Kerzen, gewis-
ser Kräuter, des geweihten Salzes.'* Es wird bemerkt, dass
manche, aber nicht alle durch heilige Engel gegen Hexerei
geschützt werden, dass vornehmlich bei einigen ihre Keusch-
heit des besondern Schutzes sich erfreut. ^ Als Beispiele werden
angeführt der heilige Serenus ^, der heilige Equitius, der von
einem Engel castrirt wird. '' Der heilige Hellas, der 300 Non-
nen um sich versammelt hatte, w-urde in der Einode, in die
er sich gefliichtet hatte, auf die angegebene Weise operirt,
worauf er zu den trauernden Frauenzimmern (ad lugentes foe-
minas rediit) zurückkehrte und noch 40 Jahre unter ihnen
fortlebte. — Der heilige Thomas des Dominicanerordens erhält
von heiligen Engeln einen Keuschheitsgürtel.'*
Erstes Kapitel. Von den verschiedenen Weisen, wo-
durch die Teufel mittels der Hexen die Unschuldigen an sich
ziehen zur Förderung des Unglaubens.
Erste Weise: durch Verdruss über erlittenen zeitlichen Ver-
lust. Der Teufel lässt ihnen durch die Hexen so viel Schaden
zufügen, bis die Beschädigten sich gleichsam genöthigt sehen,
sich bei den Hexen liaths zu erholen, denselben sich unter-
werfen und schliesslich selbst die Hexerei lernen. — Mehrere
Beispiele, wo Weiber wegen Behexung der Hausthiere, der
Milch u. dgl. sich an Hexen gewendet haben. '■* Die Ilexen-
richter erfuhren, dass die Hexen für die Enthexung nach der
Aussage der Inquisiten oft nur Geringfügiges zu leisten ge-
habt, womit zugleich die Einweihung in die Hexerei zu be-
ginnen pflegt, als: bei Erhebung des Venerabile auf die Erde
spucken, die Augen schliessen, gewisse Wörter sagen, z. B.
1 S. 212. 2 S. 211. 3 s. 215. * S. 21(]. ^ S. 220. « S. 221.
ö. 222. s S. 223. " ö. 229.
24G Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlicben Hexcnverfolgung.
während der Priester das Volk segnet mit den Worten : „Do-
minus vobiscum", beizufügen: „vulgari sermone kehr mir die
Zunge im Arss umb" u. dgl. ^
Die zweite Weise ist durch Aufreizung zur sinnlichen
Wollust. Folgen Beispiele, dass der Teufel besonders gerne
fromme Jungfrauen und Mädchen zu verführen beflissen ist.
Dritte Weise durch Traurigkeit und Armuth, beson-
ders bei verführten, von ihren Liebhabern verlassenen Mäd-
chen, die sich aus Rache der Hexerei ergeben. Folgen Bei-
spiele. ^
Zweites Kapitel. Von der Weise, die Hexenprofession
(Hexenhandwerk) zu betreiben.
Das Hexenhandwerk beruht auf einem Bündniss mit dem
Teufel und wird auf verschiedene Weise ausgeübt. Es gibt
drei Sorten von Hexen: 1) solche, die beschädigen, aber nicht
wieder helfen können. 2) Helfende, die kraft eines besondern
Uebereinkommens mit dem Teufel nicht schaden. 3) Schädi-
gende, die aber wieder helfen können. Unter den Schädigen-
den sind vornehmlich herauszuheben diejenigen, welche Kinder
zu fressen pflegen^, die auch anderwärtigen unzähligen Scha-
den anrichten, Hagel, Sturmwinde und Gewitter hervorbringen,
Menschen und Thiere unfruchtbar machen, imd die Kinder,
die sie nicht selbst fressen, dem Teufel opfern oder sonstwie
umbringen. Dies bezieht sich aber nur auf die ungetauften
Kinder, die getauften fressen sie nur unter Gottes Zulassung.
Sie pflegen auch Kinder, die sich beim Wasser aufhalten, un-
gesehen in Gegenwart der Aeltern hineinzuwerfen, Pferde unter
den Reitern scheu zu machen, sie fliegen von Ort zu Ort durch
die Lüfte, entweder leiblich oder in der Einbildung, kön-
nen die Gemüther der Richter und Vorsitzer für sich umstim-
men, dass diese ihnen nicht zu schaden vermögen, können sich
und andere während der Folter verschwiegen machen, wissen
die Hände und Herzen der Häscher vor Furcht zittern zu
machen, manches Zukünftige mittels Ofi'enbarung des Teufels
andern vorherzusagen und Verborgenes zu ofienbaren. Sie
sehen das Abwesende, als ob es gegenwärtig wäre, können
unbändige Liebe oder eben solchen Hass in den Gemüthern
hervorbringen, wenn sie wollen, Menschen oder Vieh vom
> S. 230. 2 S. 233 fg. ^ S. 236.
3. Der Hexenhamraer. 247
Blitze tödten lassen, die Zeugungskraft oder das Begattuugs-
vermögen nehmen, Frühgeburten bewii-ken, die Kinder im
Mutterleibe durch blosse Berührung der Schwangern umbrin-
gen, durch blossen Anblick Menschen und Vieh behexen und
tödten, ihre eigenen Kinder dem Teufel opfern, kurz alles
Böse allein verüben, wenn Gottes Gerechtigkeit es zulässt.
Allen ist aber gemein, mit dem Teufel abscheuliche Unzucht
zu treiben.^
Die Art, das Bündniss mit dem Teufel zu schliessen, ist
doppelt: die eine feierlich, die andere ein Privatvertrag, der
zu jeder Stunde eingegangen werden kann. Ein feierlicher
Vertrag wird geschlossen, wenn die Hexen sich zu einer ge-
wissen Versammlung an einem bestimmten Tage einfinden, wo
sie den Teufel in angenommener Menschengestalt sehen, der
sie zur Treue oreo;en ihn ermahnt und ihnen dafür zeitliches
Glück und ein langes Leben verspricht, worauf die Hexen die
aufzunehmende Novize vorschlagen. Findet der Teufel diese
willig, den christlichen Glauben zu verleugnen, der dicken
Frau, wie sie die heilige Jungfrau Maria nennen, und den
heiligen Sakramenten zu entsagen, dann reicht ihr der Teufel
die Hand, und sie geloben sich Treue. Nach dem Gelöbniss
verlangt aber der Teufel noch überdies die Huldigung (Ho-
magium), die darin besteht, dass der oder die Neuaufgenom-
mene ihm mit Leib und Seele für ewig anzugehören sich
verpflichtet und ihm nach Möglichkeit auch andere beiderlei
Geschlechts zuzuführen verspricht. Schliesslich gebietet ihnen
der Teufel, gewisse Salben aus den Knochen und Gliedern,
vornehmlich von getaviften Kindern, zu bereiten, durch welche
sie mittels seiner Hülfe alles was sie wollen bewirken kön-
nen sollen.^ — Wird durch Beispiele aus der Praxis der In-
quisiten bestätigt.
Zur Erläuterung der zu leistenden Huldigung ist zu be-
merken, warum und wie verschieden diese geschieht. Denn
obschon der Teufel vornehmlich fordert, die Majestät Gottes
zu beleidigen, seine ihm gehörige Creatur an sich zu reissen,
um deren künftiger Verdammung gewiss zu sein, an der
ihm besonders gelegen ist; so haben wir doch oft gefunden,
S. 236 fg. - S. 238.
248 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
dass diese Huldigung sammt dem Gelöbniss nur auf gewisse
Jahre geleistet worden ist. Das Gelöbniss bezieht sich auch
entweder auf gänzliche oder nur theilweise Ableugnuug des
Glaubens. Bei letzterer sind gewisse, den Gesetzen der Kirche
zuwiderlaufende Gebräuche zu beobachten, wie: Sonntags zu
fasten, am Freitage Fleisch zu essen, gewisse Verbrechen in
der Beichte zu verschweigen u. dgl. m. Die Huldigung selbst
besteht in der Uebergabe des Leibes und der Seele. ^
Da nur Gott, aber nicht der Teufel das Innerste des Her-
zens der Menschen kennt, dieser durch Vermuthungen zu der
Kenntniss gelangt, so sucht der schlaue Feind eine Novize,
die er beim Angriffe schwierig findet, durch Schmeicheleien
zu gewinnen, indem er sie zunächst zu Geringem und allmählich
zu Grösserm zu verleiten sucht. Der Teufel bestimmt eine
gewisse Anzahl von Jahren, um zu erforschen, ob sie ihm mit
Leib und Seele ergeben sei. Merkt er innerhalb dieses Zeit-
raums, dass die Novize ihm nur mit dem Munde, nicht auch
mit dem Herzen ergeben, dass ilir durch Vermittelung eines
guten Engels die göttliche Barmherzigkeit günstig sei, so
verwirft er sie und sucht sie zeitlichen Unglücksfällen aus-
zusetzen, dass sie aus Verzweiflung seine Beute wird.- Alle
Hexen, die wir verbrennen Hessen, gestanden, dass sie durch
Plagen und Prügel vom Teufel zum Hexen gezwungen wur-
den, was ihre geschwollenen und bläulichen Gesichter bestä-
tigten, und ebenso, dass sie nach dem abgefolterten Bekennt-
niss sich selbst zu entleiben suchtön, und zwar auf Einjxe-
bung des bösen Feindes, damit sie nicht durch Busse mid
Beichte die göttliche Gnade erlangen. Die ihm nicht v/illfährig
waren, sucht er schliesslich durch Sinnenverwirrung und einen
schrecklichen Tod zur Verzweiflung zu bringen. ^ Durch eine
gewisse Waltpurgis, die wegen der Hexerei der Verschwiegen-
heit besonders merkwiirdig war, ist bekannt geworden, dass
die Hexen diese hartnäckige Verschwiegenheit während der
Tortur mittels eines erstgeborenen Knäbleins, das im Ofen
gekocht wird, sich verschaffen.*
Die Teufel können verborgene und zukünftige Dinge wis-
sen. 1) Sie sind von Natur scharfsinnig in Bezug auf mensch-
• S. 243. - S. 244. ' S. 245. * S. 246.
3. Der Hexenhammer. 249
liehe Handlungen, aus denen sie ohne Rede die Gedanken
abmerken. 2) Aus langer Erfahrung und durch Ofi'enbarung
höherer Geister wissen sie mehr als M'ir. 3) Infolge der
schnellen Bewegung können sie, was im Oriente vorgeht, im
Occidente vorher wissen. 4) Sie können mit Gottes Zulas-
sung Krankheiten herbeiziehen, die Luft vergiften, Hungers-
noth bewirken und dieselbe vorhersagen. 5) Sie können
durch Zeichen den Tod sicherer vorhersagen als der Arzt
durch den Urin und den Puls. 6) Weü sie aus äussern Zei-
chen auf das, was der Mensch in der Seele hat oder haben
wird, besser schliessen, als der kliigste Mann. 7) Weil sie
die Thaten und Schriften der Prof)heten besser als die Men-
schen kennen, und da von jenen die zukünftigen Dinge ab-
hängen, können sie viel davon vorhersagen. Daher es nicht
zu wundern ist, wenn der Teufel das Lebensende des Menschen
weiss, besonders wenn es durch Yerbreununo: herbeioreführt
wird, die er selbst verursacht. ^ — Folgen Beispiele.
Drittes Kapitel. Von der Art, wie die Hexen von
einem Ort zum andern fahren.
Wenn von einigen gesagt wurde, die Hexenflihrten ge-
schehen nur in verschrobener Phantasie, so ist diese Meinuno-
als ketzerisch zu verwerfen ; sie ist gegen den Sinn der Heiligen
Schrift und gereicht der heiligen Kirche zu imerträglichem Scha-
den, da ihr zufolge viele Jahre hindurch der weltliche Arm ver-
hindert wurde, solche Hexenleute zu bestrafen, dass sie zu einer
solchen Menge herangewachsen sind, und ihre Ausrottung nicht
mehr möglich ist. Dass die Hexenfahrten leiblich geschehen,
wird auf verschiedene Weise bewiesen. Wäre dies nicht mög-
lich, so müsste es Gott entweder nicht zulassen, oder der
Teufel es zu bewirken nicht im Stande sein ; allein wo grössere
Dinge durch Gottes Zulassung vor sich gehen, da können auch
kleinere geschehen; Grösseres ist aber an Kindern und Er-
Avachsenen oft geschehen, die durch den Teufel von einem
Orte zum andern gebracht worden sind.^ Den Beweis o-eben
die Wechselkinder (Kielkröpfe). Mit Gottes Zulassung
schafft der Teufel ein Kind anstatt des andern herbei. Solche
Wechselkinder heulen beständig, nehmen nicht zu und wenn vier
bis fünf sie säugten, sind aber ausserordentlich schwer. Solches
1 S. 247. ■ S. 251.
250 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
erlaubt Gott wegen der Sünde der Aeltern. — Kommen Bei-
spiele, wo erwachsene Leute durch den Teufel weggefiihrt
werden. ^ Die Magier, welche Nigromantici hei.ssen, werden
oft vom Teufel in die weiteste Ferne geführt. Ein Schüler
wird von einem zu veranstaltenden Biergelage durch den
Teufel we2;Gi;ef ührt. ^ Auch schlafend können Leute wefjge-
führt werden, so die Nachtwandler. Die Teufel sind viel-
fach unterschieden: Einige, aus der niedrigem Ordnung der
Engel, können niemand schaden, sondern üben blos Necke-
reien. Andere sind Licuben und Succuben, welche die Men-
schen durch Unzucht verunreinigen; noch andere sind so wii-
thend, dass sie die menschlichen Leiber in Besitz nehmen,
durch Verzerrungen quälen, auch bisweilen umbringen. ^ Man
darf also nicht sagen, dass die Hexen nicht leiblich fortgefiihrt
werden. Hat nicht der Teufel unsern Erlöser fortgefidnt?
Die natürliche Kraft des Teufels übersteigt alle körperlichen
Dinge, ihr ist keine irdische Kraft zu vergleichen, selbst die
der guten Engel ist nicht grösser; obschon er alles über-
windet, so zieht er doch gegenüber den Verdiensten der Hei-
ligen den kiirzern. ■*
Die Vorbereitung zur Hexenfahrt ist diese: nach Anwei-
sung des Teufels bereiten sie aus den Gliedern von Kindern,
die vor der Taufe von ihnen getödtet worden, eine Salbe, mit
der sie einen Sitz oder ein Holz bestreichen, worauf sie sofort
in die Luft geführt werden , und zwar sowol des Tags als bei
Nacht, sichtbarer- oder unsichtbarerweise, wie sie wollen.*
Der Teufel kann aber auch bewirken, dass die Hexen ohne die
Salbe auf Thieren, die eigentlich keine wirklichen Thiere sind,
sondern Dämonen in solcher Gestalt, ja selbst ohne alle äus-
sere Mittel sichtbar ausfahren können. *' Wird durch Beispiele
erhärtet zur Widerlegung derjenigen, welche diese Hexen-
fuhrten ganz leugnen oder flir blosse Einbildung und Hirn-
gesj^inste ausgeben. Es hätte nichts zu bedeuten, wenn die-
jenigen, welche alle Zauberei der Hexen, deren sich der Teufel
als AVerkzeuge bedient, luid die jenen mit Recht als Schuld
angerechnet wird, für eiteln Wahn erklären , ihren Irrthum f i'ir
sich behielten; indem sie sich aber erfrechen, auch andere da-
> ö. 252. '' S. 253. ' S. 254. ^ S. 255. » S. 257. « S. 258.
3. Der Hexenhammer. 251
mit anzustecken und die Hexen für imschuldig zu halten,
verursachen sie deren Vermehruno; und die Verminderung des
Glaubens, daher dem Schöpfer zur Sehmach Hexen öfter un-
gestraft bleiben. ^ Aus Hexenbekenntnissen geht allerdings
hervor, dass diese nicht nur thatsächlich, sondern auch in der
Einbildung ausfahren können. Wenn sie es nämlich nicht
leiblich thun wollen, aber doch alles erfahren möchten, was
auf der Hexenversammlung vor sich geht, so legen sie sich
im Namen aller Teufel auf die linke Seite ins Bette, wo dann
ein gelblicher Dampf ihrem Munde entsteigt.^
Viertes Kapitel. Von der Weise, in der sich die Hexen
den Incuben (Teufeln in Männergestalt) hingeben.
Hierbei ist sechserlei zu bemerken: 1) der Leib, den der
Teufel annimmt, besteht aus verdichteter, der Erde nahekom-
mender Luft, die aber die Eigenthümlichkeit der Luft behält.
Indem sie diese Luftverdichtung hervorbringen können mit
Hiilfe dicker Dünste, die aus der Erde aufsteigen, haben sie
die bewegende Kraft und verhalten sich zu ihren geformten
Leibern wie der Schiffer zu seinem Schiffe. Die Teufel kön-
nen sprechen, obschon sie keine eigentlichen Sprechwerkzeuge
haben, sehen, obschon sie keine wirklichen Augen haben,
hören u. s. w. ^
Zwischenfrage: Auf welche Weise die Hexen in neue-
ren Zeiten mit den Incuben Unzucht treiben und dadurch
vermehrt werden?
Incuben und Succuben sowie Hexen, die Menschen und
Vieh Schaden bringen, hat es immer gegeben, wie jedermann
weiss, der in der Geschichte bewandert ist; in alten Zeiten
wurde den Weibern gegen ihren Willen von den Incuben nach-
gestellt, wie dies vonNider in seinem „Formicarius" und in dem
Buche „De universali bono" von Thomas Brabantinus ffezeio:t
worden ist. Dagegen unterscheiden sich die modernen Hexen
dadurch, dass sie sich freiwillig der Unzucht mit dem Teufel
hingeben, wie alle freiwillig bekannt haben, die wir Ilexen-
richter dem weltlichen Arme zum Einäschern übergeben ha-
ben, deren binnen fünf Jahren 48 waren. Dasselbe bekannten
diejenigen, die unser Mitbruder, der Inquisitor Cumanus, gericht-
lich untersuchte, der innerhalb eines Jahres 41 verbrennen liess.*
1 S. 259. 2 S. 261. 3 s. 265 squ. <> S. 269.
252 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Die Frage: ob die Zauberer selbst aus solcher Unzucht eut-
springen wird ^ bejaht. Menschen, die von Hexen und Teu-
feln erzeugt werden, sind stärker. 2) Ist der Act immer cum
infusione seminis verbunden. 3) Wählt der Teufel gern hohe
Feste dazu. Nach den Bekenntnissen der Hexen können sie
an heiligen Orten derlei nicht ausiiben. 4) Wird der Act
sichtbar bej2;anii;en. Der Incubus ist zwar der Hexe, aber nicht
andern Menschen sichtbar, wenigstens nicht innner. Bei
Eheweibern sind die Incuben den Männern oft sichtbar, die
sie aber für andere Männer halten, wo bei einem Angriffe
der Teufel dann verschwunden ist, wonach sie von den Wei-
bern ausgelacht werden.^ Nicht nur solche Weiber, die aus
solcher Unzucht entspringen, oder die bei ihrer Geburt von
den Hebammen dem Teufel verlobt worden sind, überfällt
dieser, sondern auch andere Frauenzimmer, besonders heilige
Jungfrauen, die er sich durch Hexen verkuppeln lässt. ^
Fünftes Kapitel. Wie die Hexen der heiligen Sakra-
mente der Kirche zur Hexerei sich bedienen u. s. w. ^ Zum
Beispiel, wenn sie ein Wachsbild eine Zeit lang unter die Al-
tardecke stecken, oder durch das heilige Chrisma einen Faden
ziehen u. dgl. ^ Sie pflegen auch die heiligen Jahresfeste,
z. B. den Advent, zu ihren Hexereien zu misbrauchen, u. dgl. m.
Sechstes Kapitel. Wie die Hexen das Zeugungsver-
mögen hemmen.
Siebentes Kapitel. De modo quo membra vii'ilia au-
ferre solent. ^
Achtes Kapitel. Wie die Hexen die Menschen in
Thiergestalten verwandeln. '^ Der oft erwähnte Canon Epi-
scopi 2^^ qu. 5, sagt : „Quisquis credit posse fieri aliquam crea-
turam aut in melius aut in deterius transmutari, aut transfor-
mari in aliam speciem vel in aliam siniilitudiuem nisi ab ipso
Creatore, qui onmia fecit, procid dubio inlidelis est". Nach
der sophistischen Erklärung des „Hexenhanuners" sind hier
creaturac perfectae, wie der Mensch, der Esel u. s. w., von den
imperfectis, wie Schlangen, Frösche, Mäuse u. s. w., zu unter-
scheiden, ^welche letztere auch aus der Verwesung entspringen
' S. 275. - S. 27G. » ö. 27G. ' S. 277. ^ S. 280. " S. 28G.
' S. 296.
3. Der Plexenhammer. 253
können. ^ Die Verwandlnng der ersten Ordnung ist nur eine
accidentalis, sie beruht auf Schein. So verhält es sich mit den
verwandeken Gefährten des Ulysses, den Gefährten des Dio-
medes. Sie schienen nicht nur andern, sondern auch sich
selbst verwandelt zu sein. So verhält es sich auch mit Prä-
stantius, der sich erinnerte, als Pferd Getreide in die Mühle
getragen zu haben. Aehnlich Nebukadnezar, der wirklich wie
ein Ochse Heu frass.
Was die unvollkommenen Thierc betrifi't, so kann der
Teufel die Verwandlung unter göttlicher Zulassung be-
wirken. ^
Neuntes Kapitel. Wie die Teufel, wenn sie solche
gauklerische Verwandlungen bewirken, den Leuten in den
Leibern und Köpfen, ohne sie zu verletzen, stecken. — Wo
die Teufel wirken, da sind sie auch, also auch wo sie die
Phantasie oder die Innern Vermögen der Menschen verwir-
ren, miissen sie gegenwärtig sein. Mit Zulassung Gottes kön-
nen die Teufel in unsere Leiber kommen, und von da auch
auf die inneren Vermögen wirken, die mit den leiblichen Or-
ganen verknüpft sind, indem sie Eindriicke auf dieselben her-
vorbrinsfen. So können sie aus dem Gedächtniss, das im
Hinterkopfe sitzt, das Gebilde eines Pferdes nach dem mitt-
lem Kopfe bewegen, wo die Einbildungskraft ihre Zelle hat,
und sonach auch in den Vorderkopf, wo der sensus commu-
nis haust, und dies so schnell, dass solche Gestalten für
wirkliche gehalten werden. Dies alles verursacht keine Kopf-
schmerzen. — Der Unterschied solcher Begebenheiten von gött-
lichen Wundern.^ — Einige Geschichten zur Erhärtung.
Zehntes Kapitel. Wie die Teufel durch Mitwirkung
der Hexen bisweilen Menschen leibhaftig besitzen.
Die Seele des Menschen kann der Teufel eigentlich nicht
bewohnen, wol aber den Leib, und zwar durch die Todsünde,
wodurch der Mensch dem Teufel verfällt, oder auch im
Stande der Gnade.* Beides kann unter Gottes Zulassung
auf Betrieb der Hexen geschehen. Zuweilen wird der Mensch
besessen nach seinem eigenen Verdienste, oder wegen eines
leichten Vergehens von ihm selbst oder von einem andern,
S. 297. 2 y. 30Q f^, 3 g, 3^7, 4 g. 314.
254 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
oder wegen einer grossen Siinde. ^ — Verschiedene Geschichten:
Nach dem „Dialogus Sevcri" treibt ein fronnncr Pater mittels
Briefen den Tenfel aus. Derselbe, von Hochmuth besessen,
-wird auf seine eigene Bitte durch fünf Monate zur Demüthi-
gung vom Teufel besessen. Nach dieser Zeit wird er vom
Teufel und vom Hochmuth verlassen, u. dgl, m.*
Elftes Kapitel. Wie die Hexen alle Arten von Krank-
heiten verursachen können.
Zwölftes Kapitel. Wie sie die Leute mit allerlei Ge-
brechen plagen.
Folgen lauter „Res gestae".
Zum Schlüsse wird behauptet, dass Hexen durch den
blossen Anblick die Kichter behexen können. ^
Dreizehntes Kapitel. Wie die hexenhaften Hebammen
grossen Schaden anrichten, indem sie die Kinder entweder
umbringen oder dem Teufel geloben.
Vierzehntes Kapitel. Wie die Hexen dem Vieh ver-
schiedenen Schaden beifuoren.'*
Die Hexen stossen ein Messer in die Wand, nehmen ein
Gefäss zwischen die Knie, rufen dann ihren Teufel herbei,
dass er ihnen Milch verschaffe, der melkt die Kuh und die
Milch fliesst angeblich von dem Messer herab. ^ Auch Wein
können die Hexen verschaffen.^
Das Vieh tödten sie wie die Menschen, und ebenso be-
hexen sie es durch Berühren, Ansehen, oder indem sie
Zaubermittel unter die Schwelle der Tliüre leiten.'' Auch
der Teufel kann nur mittelbar auf die Geschöpfe schädlich
wirken. ^
Fünfzehntes Kapitel. Wie sie Hagel und Gewitter
erregen und Blitze auf Mensch und Vieh herabzubringen pfle-
gen. Diese Macht haben sie von Gott, und die Hexen üben
sie durch götthchc Zulassung. ^
Die körperlichen Dinge folgen zwar in Betreff der Ge-
staltung weder den Engeln noch den Teufeln, sondern nur
Gott dem Schöpfer; was aber die örtliche Bewegung betrifft,
so muss die körperliche Natur der geistigen folgen. ^^^ Was
1 S. 315, ^s.SlGsqu. ^ S.S-iO. * S. 353. ^ s. 354. « S. 357.
S. 358. « S. 359. " S. 3G0. >» S. 3G0.
3. Der Hexenhammer. 255
lediglich durch örtliche Bewegung entsteht, kann durch die
natürliche Kraft sowol guter als böser Geister bewirkt wer-
den, wenn es Gott nicht untersagt. Winde, Regen und Aehn-
liches entstehen aber eben lediglich durch Dünste, die sich
aus der Erde und Wasser loslösen, daher reicht zu ihrer Be-
wirkung die natürliche Kraft der Dämonen hin.^
Sechzehntes Kapitel. Ueber drei Arten Zauberei,
denen nur Männer ergeben sind.
Zuerst von den zauberischen Bogenschützen. Diese neh-
men am Charfreitage während der feierlichen Messe das aller-
heiligste Bild des Gekreuzigten zum Ziele ihrer Schüsse.^ Ein
solcher schiesst drei bis vier Geschosse ab, und kann ebenso
viele Menschen täglich tödten, und den er zu morden sich
vorgenommen hat, der kann nirgends Schutz finden, der Teu-
fel macht, dass ihn der Pfeil trifft. ^ — Beispiele. — Dieje-
nigen, welche solche Schützen aufnehmen oder verhehlen, sind
straffällig.*
Zwei andere Arten von Zaubereien sind: die durch Zauberei
und Segensprechen was immer für Waffen zu beschwören
verstehen, dass sie ilmen auf keine Weise in der Welt schaden
noch sie verwunden können. Einige, ähnlich wie bei den früher
erwähnten Bogenschützen, bestehen darin, dass sie dergleichen
bei einem Bilde des Gekreuzigten erlernen und ihm gleiche
Schmach anthun. Wenn Einer z. B. seinen Kopf schuss- und
stichfest machen will, so nimmt er dem Bilde den Kopf weg, wer
den Hals schützen will, nimmt den Hals u. s. w. Daher kommt
es, dass man auf Scheidewegen oder dem Felde unter zehn
Bildern kaum ein ganzes findet. Andere gibt es, welche durch
Zauberlieder (Zauberworte) die Waffen beschwören, sodass
sie mit blossen Füssen auf ihnen herumgehen können, ohne
beschädigt zu werden.''
Des zweiten Theiles zweite Hauptfrage.
Die Weisen, Zauberei zu heben und zu heilen.
Zauberei wieder durch Zauberei zu vertreiben, ist nicht
erlaubt, ist Apostasie. Da sie nicht durch Menschenkunst
gelöst werden kann, so ist es nur durch die Macht Gottes
oder des Teufels möglich. Eine geringe Kraft kann keine
1 S. 361. 2 S. 367. 3 S. 368. ^ S. 371. " S. 379.
256 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlielien Hcxenverfolgung.
hölierc brechen. Gott wirkt aber nach eigenem Ermessen,
nicht auf unser Verlangen, also wäre sie nur mit Hülfe der
Dämonen zu heben, welche aber anzusprechen nicht erlaubt
ist. Trotzdem zeigt die Erfahrung, dass Behexte zu Hexen-
weibern (raulierculas superstitiosas) laufen, von denen sie sehr
oft befreit werden, und nicht durch Priester und Exorcisten.
In der Praxis werden also Hexereien mit HUdfe der Dämonen
vertrieben, da jedoch deren Hülfe anzurufen unerlaubt ist, so
müssen jene geduldet werden. ^
Die Exorcismen der Kirche vermöijen nicht immer die
Dämonen, in Bezug auf alle leiblichen Plagen, zu bändigen, sie
taugen nur gegen diejenigen teuflischen Q.uälereien, gegen
welche sie eingerichtet sind, als, gegen Besitzungen von
Kindern.^ Unerlaubt ist, wenn eine Zauberei durch ei-
nen andern Zauberer und durch eine andere Zauberei
gehoben wird; ebenso diu'ch zauberische Bräuche, nämlich
durch die Macht eines Dämonen.^ Unerlaubt ist auch, wenn
ein ehrlicher Mensch den einen von der Bezauberung befreit,
sodass sie durch abergläubische Mittel auf einen andern
übertragen wird. Ebenso unerlaubt ist es, wenn das Uebel
zwar nicht übertragen, dabei aber stillschweigend oder aus-
drücklich der Teufel angerufen wird. ^ Die Mittel der Kirche
sind: Exorcismen, Anrufung des Beistandes der Heiligen, auf-
richtige Busse; diese können in Anwendung gebracht werden.
Folgt ein Fall, wo ein Bischof von seiner Concubine behext
wird, auf die eine andere Hexe die Bezauberung übertragen
will. Der Bischof erbittet sich den Rath des Papstes, der die
Befreiving des Bischofs von dem Tode der zauberischen Con-
cubine abhängig macht, welcher durch die Zauberkunst der
andern Hexe erfolgt.^ Hierzu wird die Bemerkung gemacht:
dass das Privilegium des einen kein allgemeines Gesetz, und
die Dispensation des Papstes nicht auf alle Fälle anwend-
bar sei.
Eine Art, die Zauberei zu heben oder sich an der Hexe
zu rächen, ist nach Nider in seinem ,,Formicarius", dass eine
andere Hexe geschmolzenes Blei in Wasser giesst bis sich
durch Bewirkung des Teufels am Blei irgendeine Gestalt
' S. 383. ' S. 384. ^ S. 387. ' S. 388. ^ S. 389 squ.
3. Der Hexenhanimer. 257
zeio-t. Die entzaubernde Hexe bringt an der Stelle des Bildes
mit einem Messer einen Schnitt oder Stich bei, wo die andere
Hexe, welche das Uebel angethan hat, es haben soll, die dann
auch sofort damit behaftet wird, sodass sie sich dadurch
verräth. 1 Solche Mittel sind zwar als unerlaubt betrachtet,
werden aber aus Liebe für das leibliche Wohl in der Hoff-
nuno; auf Vero-ebuno; angewendet. — Werden noch andere ahn-
liehe Mittel der Weiber, die Hexen zu entdecken, angefiihrt.^
So z. B. werden einer behexten Kuh, durch die man die Hexe
auskundschaften will, die Hosen des Mannes auf den Kopf
gelegt, und treibt jene, besonders gern an heiligen Festtagen,
hinaus, die dann geradeswegs auf das Haus der Hexe zuläuft,
mit den Hörnern unter Gebrüll an die Thüre stösst. Diese
Mittel sind indess nicht zu empfehlen, weil sie doch Gott be-
leidigen können, daher lieber Weihwasser, geweihtes Salz u.
s. w. anzuwenden ist. Was von den erwähnten Mitteln, gilt
auch von der Art, durch die Eingeweide eines durch Behexung
verendeten Yiehs die Hexe zu entdecken. Die Eingeweide
des abgedeckten Viehs werden auf der Erde bis zum Hause,
aber nicht über die Thürschwelle gezerrt, auf einen Rost ge-
leert und Feuer darunter angezündet. Wie die Eingeweide warm
werden und zu brennen anfangen, so wird die betreffende Hexe
von der Glut und Schmerzen gepeinigt. Es ist aber die Thüre
zu verschliessen , weil die Hexe kommt, iim Feuer zu holen,
und wenn sie eine Kohle erwischt, hören ihre Schmerzen
auf. ^
Geistliche Mittel gegen die Incuben inid Suecuben.
Erstes Kapitel. Es soll hier von den Mitteln die Rede
sein gegen Zauberkünste, wo Menschen von Behexung geheilt,
oder das Vieh und Feldfrüchte bewahrt werden. Ausser denen,
die sich gern den Incuben unterwerfen, werden durch die
Hexen auch Personen gegen ihren Willen mit Suecuben oder
Incuben in Berührung gebracht, vornehmlich Jungfrauen wider
Willen durch Veranstaltung der Hexen von Incuben belästigt.'*
— Wird durch Beispiele erläutert.
Es gibt fünf Mittel, sich von Incuben und Suecuben
zu befreien: Die Beichte, das Zeichen des heiligen Kreuzes,
1 S. 391. - S. 392. 3 s, 399, 4 g. 492.
Roskoff, Geschichte des Teufels. II. 17
258 Dritter Abschnitt: Periode der gericlitlichen Hexenverfolgung.
der Englische Griiss, der Exorcismus, Ortsverändeniiig, Ex-
commxniication durch Heilige. Obschon sie nicht in jedem
Falle helfen, sind diese Mittel doch anzuwenden. ^ Dass In-
cuben oft diirch das Vaterunser, AVeihwasser u. dgl. vertrieben
worden seien, lehrt die Geschichte.- — Beispiele. — Es wird die
Bemerkung gemacht, dass Frauen und Mädchen mit schönen
Haaren von Buhlteufeln (Incuben) mehr geplagt werden sollen,
weil sie eitel darauf sind und dadurch die Männer verliebt
machen.^ Beispiel von einer Frau, die sechs Jahre hindurch
von einem Incubus geplagt wird, bis er durch den Stock des
heiligen Bernhard, den sie zu sich ins Bett gelegt, vertineben
wird, so dass er sich nicht mehr in das Gemach wagt, aber
vor der Thüre gar sehr poltert, schliesslich von dem Pleiligen
verbannt wird.* Hierbei ist zu bemerken, dass die Schlüssel-
gewalt, die dem Petrus und seinen Nachfolgern verliehen ist,
zum Heile der Kirche auf Erden, merkwiirdigerweise auch
die Mächte der Luft zu überwältigen im Stande ist. Weil
die Personen, die vom Tenfel geplagt werden, unter der Ge-
richtsbarkeit des Papstes und seiner Schlüssel stehen, so ist
es nicht zu verwundern, wenn jene Mächte auf indirecte Weise
durch die Schlüsselgewalt bezwungen werden, wie sie auf
dieselbe Art auch die Seelen von den Strafen des Fegfeuers
befreien kann. ^ Es ist zu bemerken, dass manche Weiber
nicht wirklich von Incuben geplagt werden, sondern solches
sich nur einbilden.* Es scheint auch, dass Weiber nie von
Incuben schwanger werden, denn obschon sie am Leibe an-
schwellen, bringen sie schliesslich doch nur Wind hervor. '^
Zweites Kapitel. Mittel für diejenigen, die am Zeu-
gungsvermögen behext sind.
Obschon die AVeiber der Hexerei mehr ergeben sind als
die Männer, so werden doch diese mehr behext als jene. Der
Grund davon ist, dass Gott in Beziehung auf fleischlichen
Umgang, wodurch die Erbsünde fortgepflanzt wird, dem Teu-
fel mehr freie Hand lässt als bei andern menschlichen Hand-
lungen, wie auch die Schlange, das erste Werkzeug des Teu-
fels, beim Hexenwesen eine grössere Rolle spielt als andere
Thiere. Ein zweiter Grund ist, dass in dem geschlechtlichen
» S. 405. 2 S. 4ÜG. ^ S. 407. " S. 407. ' S. 408.
« S. 409. ' S. 409.
3. Der Hexenhammer. 259
Verhältniss die Behexung des Mtannes leichter ist als die des
Weibes. Es Averden fünf Arten dieser Behexung unterschie-
den.' Dafür werden fünf geistliche Mittel vorgeschlagen:
Wallfahrten verbunden mit aufrichtiger Busse, das Zeichen
des Kreuzes, vermehrtes Gebet, Exorcisation und vorsichtiges
Gelöbniss, um die Behexung los zu werden. ^
Drittes Kapitel. Mittel gegen angehexte ausserordent-
liche Liebe oder ausserordentlichen Hass. ^
Mittel: dem Gesetze des Verstandes mehr gehorchen als
der Natur. — Gegen die (philocaptio) Liebeszauber: Exorcis-
men durch heilige Worte, tägliche Anrufung des heiligen En-
gels zum Schutze, fleissige Beichte, Besuch der Heiligen,
besonders der Heiligen Jungfrau.*
Weil sich die Hexen bei Hexereien dieser Art häufig der
Schlangen bedienen, Kopf oder Haut unter die Thürsch welle
dessen, dem sie es anthun wollen, legen, so sind möglichst
alle Winkel des Hauses wol zu untersuchen. Die Behexten
können selbst die heiligen Worte, Segensprüche u. dgl. gegen
die Behexung sprechen, und im Falle sie nicht lesen oder sich
selbst segnen können, mögen sie die Segensformeln am Halse
tragen. *
Viertes Kapitel. Mittel für diejenigen, denen die
virilia membra Aveggehext, und wenn bisweilen Menschen in
Thiergestalten verwandelt wurden.
Wird bemerkt, dass im erstem Falle das Uebel nur auf
trügerischem Scheine beruht. Der Betrofiene soll sich mit
der Hexe womöglich gütlich ausgleichen.^ In Beziehung auf
den zweiten Fall ist das beste Mittel die Ausrottung der
Hexen.'' Folgt eine wunderbare Geschichte von einem, der
in einen Esel verwandelt worden.
Fünftes Kapitel. Mittel gegen Besessenheit durch
Hexerei.
Durch Hexerei werden Menschen vom Teufel besessen,
und zwar wegen eigener oder fremder schwerer oder leichter
Sünden. ^ Ausser dem Exorcismus der Kirche, der wahren
Busse oder auch Beichte, wenn jemand um einer Todsünde
willen besessen ist, sind noch folgende Mittel wirksam: der
1 S. 410. ■' S. 41(;. '' S. 416. " S. 420. " S. 422.
" S. 423. 7 S. 424. ** S. 427.
17*
260 Dritter Abschnitt: Periode der gericlitliclien Hexeiiverfolgung.
GebravK'h des heiligen Abendmahls, Besuch heiliger Orte,
Fürbitte der Gläubigen, Aufheben des Bannes. ' Da sich die
Exorcisten aller verdächtigen und abergläubischen Mittel zu
enthalten haben, so fragt es sich: ob gewisse Kräuter oder
Steine angewendet w^erden dürfen? Wenn sie geweiht sind,
desto besser, wenn aber nicht, so können sie zwar auch ge-
braucht werden, der Exorcist darf aber nur nicht glauben,
dass sie durch ihre natürliche Kraft den Teufel vertreiben,
sonst verfällt er dem Irrthum der Schwarzkünstler.*
Sechstes Kapitel. Die Exorcismen der Kirche als
Mittel gegen allerlei angehexte Krankheiten, und die Weise,
die Behexten zu exorcisiren.
Werden mehrere Fragen aufgeworfen als: ob ein Laie,
der kein berufener und verordneter Exorcist ist, den Teufel
oder seine Zaubereien exorcisiren dürfe? ^ Obschon es zur
Befreiung des Behexten dienlich ist, einen ordinirten Exorcisten
zu haben, so können doch bisweilen auch fromme Personen
mit Exorcismus solche angehexte Krankheiten vertreiben. *
Sie dürfen aber keine abergläubischen Dinge in Anwendung
bringen. ^ Die Segensprechung, wenn sie auch die Form einer
Beschwörung hat, muss geschehen durch die Kraft des gött-
lichen Namens, der Werke Christi, durch die der Teufel be-
siegt und Verstössen worden ist. Die Besprechungsformeln
dürfen keine fremden und unbekannten Wörter enthalten, weil
nach Chrysostomus zu befürchten ist, dass in ihnen etwas
Abergläubisches stecken könnte; sie dürfen nichts Falsches ent-
halten, keine eiteln Possen oder Zeichen, ausser dem Zeichen
des Kreuzes. *^ Ob die Krankheit zu exorcisiren und der
Teufel zu beschwören sei? Antwort: Nicht die Krankheit,
sondern der Kranke selbst, der behext ist, wird exorcisirt und
hernach der Teufel.^ Folgt eine Formel des Exorcismus als
Muster. » Ebenso Gebete. ^ Während des Exorcisirejis ist
das Weihwasser fleissig zu sprengen. Der zu Exorcisirende
hat zunächst Beichte abzulegen; alle AVinkel des Hauses sol-
len durchsucht werden, ob sich keine Zaubersachen finden,
wenn sie gefunden, gleich dem Feuer übergeben werden.
Dienhch ist es auch, dass das Bette und die Kleider des
1 S. 428. 2 S. 434. ^ S. 437. * S. 438. ' S. 439.
« S. 442. " S. 447. » S. 448. » S. 449.
3. Der Hexeuliammer. 261
Kranken erneut werden, dass er die Wohnung und das Haus
wechsle; wenn es möglich ist, gehe er des Morgens in die
Kirche, ist ein Feiertag, desto besser, halte eine geweihte
Kerze sitzend oder kniend in der Hand, die Anwesenden
sollen Gebete halten, und es beginne die Litanei: „Adju-
torium nostrum" u. s. w. Dergleichen Exorcismen können
dreimal wöchentlich wiederholt werden. Wesentlich ist, dass
der zu Exorcisirende das heilige Abendmahl erhalte, und bei
der Beichte hat der Beichtvater darauf zu achten, ob er nicht
auch excommunicirt ist. Ist der Exorcist nicht ordinirt, kann
aber lesen, so lese er die vier Evangelien, das Evangelium:
„Missus est Angelus", die Leidensgeschichte des Herrn, wel-
ches alles eine grosse Kraft den Teufel auszutreiben hat, und
dann erwarte man die Genesung von der Gnade Gottes. ^
Der Unterschied zwischen dem Weihwasser und dem Exor-
cismus ist dieser: ersteres wird gegen äusserliche Anfech-
tung des Teufels, letzterer gegen innerliche angewendet. Was
ist zu thun, wenn auf den Exorcismus die Gesundheit nicht
erfolgt? Es kann dies geschehen, entweder wegen mangel-
haften Glaubens der Umstehenden, oder wegen Sünden, die
den Zauber unterhalten, oder wegen Versäumung der dien-
lichen Mittel, oder wegen fehlerhaften Glaubens beim Exor-
cisten, u. dgl. m. ^ Der vor der Taufe nicht gehörig exor-
cisirt worden, ist unter Gottes Zulassung innuer der Macht
des Teufels mehr unterworfen. ^
Siebentes Kapitel. Mittel gegen Hagelschlag und
Behexung des Viehs.
Zunächst sind einige unerlaubte Mittel zu erwähnen,
deren sich manche bisweilen bedienen, als: abergläubische
Zauberformeln gegen den Wurm im Finger; einige sprengen
nicht das Weihwasser, sondern giessen es dem Vieh ins Maul*;
in einigen Gegenden Schwabens gehen die Weiber am ersten
Mai vor Sonnenaufo-anor hinaus, um sich Zweite von Weiden
und andern Bäumen zu holen, die sie kreisförmig biegen und
am Eingange der Stallthüre aufhängen, um, wie sie sagen,
das Vieh für das Jahr vor Behexung zu bewahren. ^ Diese
Mittel sind unerlaubt. Dagegen wäre nichts einzuwenden,
wenn jemand, ohne Berücksichtigung der Sonne, Kräuter
» S. 449 fg. ■ S. 450. 3 S. 453. ^ S. 461. » s. 462.
262 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtliclien Hexenverfolgung.
>
und Zweige sammelt unter Ilerbetung des Vaterunser oder
des Glaubenssymbols, um sie über der Stallthüre aufzuhängen,
im guten Glauben die Wirkung dem göttlichen Willen über-
lassend. Ebenso ist erlaubt: in W^einbergen oder auf Saat-
feldern am Palmsonntage das Zeichen des Kreuzes, geweihte
Zweige oder Blumen zu stecken, um sie unbeschädigt zu er-
halten; oder die am Sonnabend gemolkene Milch den Armen
als Almosen zu geben, um die Milchwirthschaft vor den
Hexen zu bewahren, wobei aber der fjöttliche Schutz anofe-
fleht werden muss. ^ — Nach Nider kann man auch mit ge-
schriebenen Liedern und heiligen Sprüchen die Krankheit so-
wol der Leute als des Viehs wegsegnen. Er führt Thatsachen
als Beweise dafür an. Weil die Hexen, um es dem Vieh
anzuthun, nur etwas Milch oder Butter aus dem Haus, wo
sich jenes befindet, brauchen, sollen die Hausfrauen verdäch-
tigen Weibern nichts derlei borgen oder schenken.'^ Manche
Weiber, denen sich beim Butterrühren die Butter nicht her-
stellen will, infolge der Behexung, suchen ein Stückchen
Butter aus dem Hause der Verdächtiii-en zu bekommen, wovon
sie drei Würfel machen und unter Anrufung: der heilijrsten
Dreieinigkeit in das Gefäss werfen und so die Hexerei ver-
treiben. Wenn sie überhauiDt von irgendwelcher Butter drei
Stückchen unter Anrufuno; der heiligen Dreieinio;keit nähmen
und die Wirkung Gott überliessen, wäre nichts gegen dieses
Mittel einzuwenden, empfehlenswerth ist vielmehr die Sprengung
des Weihwassers oder der Gebrauch geweihten Salzes, ver-
bunden mit Gebet, gegen derlei Hexerei. ^ — Gegen Hagel
und Gewitter werden drei Hagelkörner ins Feuer geworfen
unter Anrufung der Heiligen Dreieinigkeit, das Vaterunser,
der Englische Gruss zwei- bis dreimal hergesagt und der
Anfang des Johannesevangeliums; macht nach vorn und hinten
imd nach allen Richtungen das Kreuz, und das durch Hexerei
hervorgebrachte Gewitter hört auf. Hierbei ist nichts Ver-
dächtiges zu finden, abergläubisch wären nur die drei Hagel-
körner ohne Anrufung des göttlichen Namens.* — Durch
mancherlei werden die Hexen bei ihrer Hexerei gehindert,
sich an Personen zu machen: durch den festen Glauben derer,
' S. 463. = S. 464. ^ S. 465. " S. 466.
3. Der Hexenhamnier. 263
die Gottes Gebote halten, sich mit dem Kreuze und durch
Gebete schützen, die Bräuche der Kirche pflegen, die öfient-
liche Justiz gut verwalten, der Leiden Christi stets eingedenk
sind. Darum werden beim Gewitter die Kirchenglocken ge-
läutet, um die Dämonen zu vertreiben, damit sie von ihrem
Zauberwerke ablassen. ^
Achtes Kapitel. Mittel gegen einige verborgene An-
fechtungen des Teufels.
Auf die Frage: ob es erlaubt sei, unvernünftige Geschöpfe
zu beschwören, antwortet der „Hexenhammer" mit Ja! aber
unter Beziehung auf den Teufel, der sich ihrer zu unserm
Schaden bedient. '^ — Eine andere göttliche Zulassimg ist,
wenn durch die Teufel den Weibern ihre eigenen Kinder
entzogen und andere untergeschoben werden, die man in
Deutschland Wechselkinder nennt, welche di'eierlei Art sind:
Einige, die immer mager bleiben und beständig heulen; an-
dere, die durch die Dämonen hervorgebracht, aber nicht deren
Kinder sind, sondern eigentlich dessen „cujus semen recej^e-
runt"; die dritte Art sind die Dämonen selbst in Gestalt klei-
ner Kinder. ^ Alle drei Arten haben ausser der Hagerkeit
und ungewöhnlichen Schwere noch gemein, dass sie oft ver-
schwinden.
Der dritte Theil des „Hexenhammers" ist der Cr im in al-
codex, wonach vor dem geistlichen und weltlichen Richter-
Stuhle gegen die Zauberer und alle Ketzer zu verfahren ist.
Er enthält 35 Fragen, in welchen die Weise, den Process an-
zufangen, fortzufahren und das Urtheil zu schöpfen, sehr weit-
läufig angegeben wird.
Allgemeines und Einleitendes: Ob die Hexen,
ihre Gönner, Beschützer und Vertheidiger dem geistlichen
und dem weltlichen Gerichte unterworfen seien? Ja! wenn
die Sache nicht nach Ketzerei riecht, sind die Hexen
ihren Richtern zu überlassen. * Dem steht aber nicht ent-
gegen, dass die Hexen dem Gerichte der Inquisitoren
unterzogen werden, weil sie des Verbrechens der Ketzerei
schuldig sind. ^ Man behauptet: die Handlungen der Hexen
könnten auch ohne Ketzerei begangen werden, denn wenn sie
1 Ö. 4G7. ■' ö. 470. ^ Ö. 471. ^ ö. 475. '= S. 47Ü.
264 Dritter Absclmitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
den Leib Christi in den Koth treten, so könne dies ohne
Fehler des Verstandes, also auch ohne Ketzerei geschehen.
Da man vuibeschadet des Glaubens an den Leib Christi den-
selben hinwerfen könne, um den Teufel kraft eines Vertrags
zu nöthigen, etwa einen Schatz zu heben, so sei dies zwar
ein schweres Verbrechen, aber keine Ketzerei, daher die Hexen
nicht vor den Kichterstuhl der Liquisitoren gehören. Ferner:
wenn die Hexen den Glauben abschwören, so w'äre dies nicht
Häresie, sondern Apostasie zu nennen, und was dergleichen mehr.i
Dagegen ist leicht zu beweisen, dass das geistliche Gericht
in Verbindung mit dem weltlichen über Hexerei zu urtheilen
hat. Denn bei einem kanonischen Verbrechen hat der Präses
des Gerichtshofes mit dem Metropolitan zu entscheiden. *
Obschon der weltliche Fürst die Lebensstrafe auferlegt, so
schliesst dies die Gerichtsbarkeit der Kirche nicht aus, da es
dieser zukommt, über diese Art Verbrechen zu erkennen und
Strafe zu bemessen. Sowie es kanonisch gesetzlich bestimmt
ist, dass die Geistlichen ihrer eigenen Gerichtsbarkeit und nicht
der weltlichen unterzogen werden, weil ihr Verbrechen als
kirchliches betrachtet wird, so ist das Verbrechen der Hexen
theils kirchlich, theils bürgerlich, dieses wegen des zeitlichen
Schadens, jenes wegen der Verletzung des Glaubens, daher
es von beiderlei Richtern zu erkennen, zu richten und zu
strafen ist.^ — „Crimen mixtum ab utrisque est puniendum."*
— Nach der Ansicht der spanischen Inquisitoren gehören
alle Zauberer, Nigromanten, alle Sorten Wahrsager, die ein-
mal den heiligen Glauben angenommen und bekannt haben,
unter die Gerichtsbarkeit der Inquisitoren. * Die künst-
lichen Wahrsager, die nur durch Kunst wahrsagen, gehören
nicht hierher; aber diejenigen, welche den Teufel anrufen und
mit seiner Hülfe Künftiges vorhersagen, sind ketzerisch, ver-
fallen dem Inqiiisitionsgerichte. ^ Bei allem, wo der Erfolg
von der Macht des Teufels erwartet wird, findet Apostasie
statt, wegen des Bündnisses mit jenem. Die den Teufel zu Iliilfe
anrufen, sind Apostaten und folglich auch Ketzer, daher den
Ketzerrichtern unterworfen. ^ — Im Uebrigen bis S. 501 wird
zu beweisen gesucht, dass eigentlich weder weltliche Richter
' S. 477. 2 s. 479^ 3 g. 450. ' S. 481. ' S. 481.
' S. 483. 7 S. 484.
3. Der Hexenhammer. 265
noch die Bischöfe sich mit dem Hexenwesen befassen sollen,
da die Incßiisition diese Angelegenheit am geeignetsten zu
fiihren im Stande ist.
1. Frage. Ueber die Weise den Process zu be-
ginnen.
Es sind drei Weisen: 1) es klagt einer den andern des
Verbrechens der Ketzerei an, mit dem Bedeuten, den Beweis
liefern zu wollen, widrigenfalls die Strafe der Wiedervergel-
tung zu tragen ; 2) es denuncirt einer den andern ohne Beweis-
lieferung, sondern angeblich aus Glaubenseifer, oder im Hin-
blick auf den Kirchenbann oder die zeitliche Strafe, womit
derjenige belegt wird, der nicht denuncirt. 3) Der Richter
strengt ex officio den Process an, auf das Gerücht hin, dass
es irgendwo Hexen gebe. ' — Zu bemerken ist, dass der
Richter die erste Weise nicht leicht zulässt, weil sie in
Glaubenssachen nicht gebräuchlich ist, also auch nicht im
Hexenprocesse, da die Hexerei geheim geübt wird, und dann
auch, weil die Anklage wegen der poena talionis gefährlich
sein kann, und endlich, weil sie viele Streitigkeiten nach sich
zieht. Der Process werde eingeleitet durch eine allgemeine
Citation, die, an den Thüren der Pfarrkirche angeschlagen,
jeden auffordert, welcher weiss, gesehen oder gehört hat,
dass eine Person der Ketzerei oder Hexerei berüchtigt oder
verdächtig sei, oder dergleichen übe, das zum Schaden der
Menschen, des Viehs, der Feldfrüchte, des gemeinen Wesens
gereicht, innerhalb 14 Tagen die Anzeige zu machen, und
zwar bei Strafe des Kirchenbanns. ^
Zu bemerken ist bei der zweiten Weise durch Denun-
ciation, womit der Process beginnt, dass der Richter in seiner
Citation den Denuncianten aufmerksam mache, dass keiner
straffällig werde, wenn er auch den Beweis nicht liefern
könne, da er nicht als Ankläger, sondern als Angeber auf-
tritt. Weil mehrere als Angeber erscheinen werden, so soll
der Richter einen Notarius und zwei ehrsame Personen gegen-
wärtig haben; sollte kein Notarius zu haben sein, so sollen
anstatt dessen zwei geeignete Männer da sein, in deren Gegen-
wart das Protokoll abgefasst wird und zwar folgendermassen :
1 S. 503. 2 s. 505.
266 Dritter Abschuitt: Periode der gerichtlichen Hexenvcrfolgung,
„Im Namen des Herrn. Amen.
„Im Jahre nach der Geburt Christi u. s. w., am Tage. . .
des Monats . . . erschien N. N. in Gegenwart des Notarius und
der unterfertigten Zeugen N. N. vor dem löbhchen Ivichter
und überreichte diesem einen Zettel folgenden Inhalts" (der
ganz mitgetheilt werden soll). — Geschieht die Anzeige nicht
schriftlich, sondern miindlich, so wird folgendermassen gesetzt:
„erschien u. s. w. und zeigte ihm au, dass er von N. N. dies
oder jenes wisse, oder dies oder jenes sich oder andern zum
Schaden zugefügt habe"; hierauf soll dem Denuncianten der
Eid abgenommen und einige Fragen an ihn gestellt werden:
woher der Denunciant wisse, ob er selbst gesehen, oder von
wem er gehört habe u. s. w. ^
Die dritte Weise, den Process auf das blosse Gerücht
hin anzustrengen, ohne Anklage oder Denuuciation, ist die
am meisten gebräuchliche, und das Verfahren im Beisein der
angeführten Personen ist folgendes:
„In Nomine Domini. Amen.
„Im Jahre u. s. w. Es ist dem Beamten oder Richter
zu Ohren gekommen infolge des sich mehrüich wiederholenden
Gerüchtes, dass N. N. Dinge gethan oder gesagt habe, die
zur Hexerei gehören, gegen den Glauben und das Gemein-
wesen gerichtet sind, u. s. w." ^
2. Frage. Von der Anzahl der Zeugen.
Ob der Richter auf Grund zweier gesetzlicher, nicht
sin2;ulärer Zeuo-en eine als Hexe verurtheilen könne? Singu-
iure Zeugen sind, die zwar nicht im einzelnen, wol aber im
Wiesen der Sache übereinstimmen, z. B. der eine: sie hat mir
eine Kuh behext; der andere: mir ein Kind; beide treflen in
der Hexerei zusammen. ^ Nach der Regel soll zwar die
Wahrheit im Munde von zweien oder dreien bestehen; es
geheint aber, dass in Bezug auf das ungeheuere Verbrechen
der Hexerei zwei Zeugen zwar zur Verdächtigung, aber nicht
zur Verurtheilung genügen. Man lässt in diesem Falle den
Lujuisiten zum Eide der Reinigung, oder fragt ihn summa-
risch, oder schiebt das Urtheil auf.
3. Frage. Ob der Richter die Zeugen zum Eid die
1 S. 507. 2 s, 509. 3 s. 509.
3. Der Hexenhammer. 267
"Wahrheit zu bekennen zwingen und sie mehrmals exami-
niren darf?
Ja, besonders ein geistlicher Richter. Denn wenn ein
Erzbischof oder Bischof erfährt, dass in einem Pfarrsprengel
Ketzer sich befinden, hat er zu untersuchen, drei oder meh-
rere Zeugen, auch wol die ganze Nachbarschaft eidlich zu
verpflichten. Wer sich zu schwören weigert, ist als Ketzer
zu behandeln. *
4. Frage. Von der Beschaffenheit der Zeugen.
Excommunicirte, Theilnehmer am Verbrechen, Infame und
Lasterhafte, Sklaven wider ihre Herren werden in Glaubens-
sachen jeder Art als Zeugen zugelassen. Ebenso wie Ketzer
gegen Ketzer als Zeuge zugelassen wird, so auch ein Zau-
berer gegen einen Zauberer, in Ermangelung anderer, aber
nur wenn er gegen den Angeklagten zeugt. Ebenso die Frau,
die Kinder, die Freunde, wenn sie gegen denselben auftreten.
Auch Meineidige, bei denen vorausgesetzt wird, dass sie aus
Glaubenseifer zeugen, sind nicht zurückzuweisen. ^
5. Frage. Ob Todfeinde (des Inquisiten) als Zeugen
zuzulassen seien?
Solche, von denen es erwiesen ist, dass sie dem Beschul-
digten nach dem Leben gestrebt, Wunden oder schwere Ver-
letzungen beigebracht haben, sind als Zeugen abzuweisen;
aber andere Feindschaften, auch schwere, oder solche wie sie
unter Weibern stattzufinden pflegen, sind nicht ganz hinder-
lich, die Aussage gibt aber erst durch die Aussage anderer
Zeugnisse einen ganzen Beweis. ^
6. Frage. Zweiter Abschnitt. Wie ist der Process
fortzusetzen ?
Zu beachten ist zunächst, dass, weil der Process den
Glauben betrifft, summarisch ohne viele Umstände (simpliciter
et de piano), ohne viel Aufhebens von Seiten der Advocaten und
Kichter und ohne Formalitäten verfahren werde. Zu vermeiden
sind also vom Richter so viel als möglich Exceptionen, Appel-
lationen, Dilatationen, eine überfliissige Zahl von Zeugen ; er
soll die Citation verfügen, die Zeugen in Eid nehmen, damit
die Wahrheit nicht verborgen bleibe. * Der Richter soll,
' S. 512. ■' S. 513. 3 s. 515. " S. 517.
268 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
da die mit Hülfe des Teufels geübte Hexerei geheim gehalten
wird, dem Ankläger rathen, anstatt der Anklage lieber eine
Denuneiation abzugeben, wegen des Gefährlichen der Beweis-
führung, welchen diese Art mit sich bringt, daher auch lieber
nach der zweiten oder dritten Art, wäe es auch üblicher ist, zu
verfahren sein wird. Der Richter soll den Denuncianten be-
sonders fragen: wer mit ihm noch von der Sache etwas wisse,
wer etwas wissen könne? Daher lasse der Richter diejenigen
als Zeugen vorladen, die der Denunciant angegeben hat, und
die mehr in der Angelegenheit zu wässen scheinen. Das Ver-
hör der Zeugen wird folgendermassen protokollai'isch be-
stimmt 1 :
Der vorgeladene Zeuge N. N. hat, nachdem er beeidigt
worden, die Frage: ob er N. N. kenne, bejaht; wie er mit
dem Beschuldigten bekannt geworden ; wann ; in welchem
Rufe jener stehe, besonders in Bezug auf den Glauben; wo
er das früher Angegebene gehört; in wessen Gegenwart;
ob Verwandte des Bescluildigten wegen Hexerei verbrannt
worden oder verdächtig seien; ob er mit Verdächtigen umge-
gangen; wie Zeuge das Ausgegebene vernommen, warum
es gesagt worden, u. s. w. Ob Zeuge aus Hass oder Un-
muth, oder aus Liebe und Wohlwollen die Angabe gethan. —
Darauf wird der Zeuge unter Aufbietung der Geheimhaltung
entlassen.^ — Bei einem solchen Zeugenverhör müssen wenig-
stens fünf Personen zugegen sein: der Richter, der Zeuge
oder Angeber, der Beschuldigte, der erst später erscheint,
der dritte ist der Notarius oder Schreiber, und noch ein an-
derer ehrsamer Mann. Aehnlich w^erden andere Zeugen ver-
nommen. Findet der Richter das Factum als bewiesen,
oder, wenn nicht ganz, doch den Verdacht gross und weit ver-
breitet, und befürchtet, dass die beschuldigte Person fliehen
könnte, so lasse er sie einfangen, sonst einfach vorladen. In
jedem Falle lasse der Richter ihr Haus unversehens genau
untersuchen, alle Schränke öffnen u. s. f. Hierauf beeidet der
Richter den Beschuldigten, von sich und andern die Wahrheit
zu sagen, und fasst alles, was er vernommen und durch Zeugen
bewiesen ist, zusammen und schreitet auf Grund dessen zum
• S. 518. == ö. 519.
3. Der Ilexenhammer. 269
Verhör des Beschuldigten, das auch ins Protokoll aufgenom-
men wird. *
Allgemeines Verhör einer Hexe oder eines Hexers. Erster Act.
N. N. ist denuncirt und nachdem er einen Eid auf die
vier Evangelien geleistet, die Wahrheit sagen zu wollen, wurde
er gefragt: woher er gebürtig, wer seine Aeltern seien oder
gewesen, ob sie leben oder gestorben, und wenn letzteres, ob
sie natürlichen Todes abgegangen oder verbrannt worden.
Letzteres ist darum zu bemerken, w^eil Hexenältern ihre
Kinder dem Teufel geloben und dadurch die ganze Nach-
kommenschaft angesteckt wird, und im Falle die Angeber es
behaupten, die Hexe es aber leugnet, diese schon verdächtig
ist. Wo sie erzogen worden vmd sich in neuester Zeit auf-
gehalten habe? (Hat sie den Ort ihrer Geburt verlassen und
sich an Orten aufgehalten, wo Hexen sind, so wird weiter ge-
fragt): Warum? Ob sie an diesen Orten von Hexerei gehört,
dass Hexer oder Hexen Gewitter macheu, Vieh behexen, den
Kühen die Milch entziehen u. s. w. Sagt sie Ja: Was sie
sagen gehört? wenn Nein: Ob sie glaube, dass es Hexen gebe
und dass sie derlei bewirken können? — Zu bemerken ist,
dass Hexen dies anfänglich meistens verneinen, wodurch sie
mehr verdächtig werden, als wenn sie sagen: Ob es Hexen
gibt oder nicht, überlasse ich den Obern. Wenn sie es also
verneinen, ist zu fragen: ob sie denn glauben, dass diejenigen,
die verbraunt, unschuldig verurtheilt wurden? ^
Besonderes Verhör derselben.
Der Richter darf folgende Fragen nicht verschieben, son-
dern soll sie unverzüglich der Hexe vorlegen: Warum sich
das Volk allgemein vor ihr fürchte? Ob sie wisse, dass sie
in schlechtem Rufe stehe und gehasst werde? Warum sie
dieser oder jener Person gedroht habe: das soll dir nicht
unvergolten bleiben! Was ihr die Person Böses gethan, dass
sie solche Drohung ausgestossen? (Diese Frage ist noth-
wendig, um der Feindschaft auf den Grund zu kommen, weil
sich die Denuncirte schliesslich auf die Feindschaft berufen
dürfte, was freilich kein Hinderniss w^äre, wenn es keine Tod-
feindschaft ist, sondern um ihr die Ausflucht zu versperren.)
i'S. 520. 2 S. 522.
270 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
— Bemerkung: Denn dies ist das Eigentbümliche der Hexen,
dass sie durch Worte oder Thaten die Menschen «xesren sich
aufbrini2;cn und sich dadurch kenntlich machen^: zu bemer-
ken ist, dass sie vom Teufel angeregt werden, wie wir von
vielen, die hernach eingeäschert wurden, erfahren haben, dass
sie ireccen ihren Willen sich aufbringen lassen und hexen mussten.
Ferner ist zu fragen: wie die Wirkung ihrer Drohung habe
nachfolgen können, dass das Kind oder Vieh so schnell be-
hext worden? Und ist die Frage zu wiederholen, warum sie
gedroht: sie (die Feindin) solle keinen gesunden Tag mehr
haben, und ob dies so geschehen sei? Wenn sie alles leugnet,
ist sie über andere Hexereien zu befragen, die von andern
angegeben worden, etwa an Vieh oder Kindern ; ist zu fragen :
warum sie sich auf dem Felde habe sehen lassen, oder im
Stalle; warum sie das Vieh beriihrt habe; warum sie das
Kind berührt habe, und wie es gekommen, dass dieses bald
darauf erkrankt sei. Was sie auf dem Felde gethan während
des Gewitters, und vieles andere. Woher es komme, dass
sie von einer Kuh oder von zwei Kühen mehr Milch habe
als ihre Nachbarin von vier bis sechs Kühen? Ob sie im Ehe-
bruche oder im Concubinate lebt, gehört zwar nicht unmittel-
l)ar zur Sache, erzeugt aber mehr Verdacht, wenn letzteres
der Fall ist, als bei einer unbescholtenen Person. Der Richter
soll die Fragen auch öfter wiederholen, um zu sehen, ob ihre
Aussagen übereinstimmen oder sich widersprechen.
7. Frage, in welcher verschiedene Zweifel in Bezug
auf vorhergehende Verhöre und verneinende Antworten er-
klärt werden. Ob die Angeschuldigte einzukerkern sei
und wann sie für eine i'iberwiesene Hexe gehalten wer-
den soll. 2. Act.
Wenn die Beschuldigte alles leugnet, hat der Richter auf
drei Momente zu achten: den Übeln Ruf (iufamia), die An-
zeigen der That, die Aussagen der Zeugen, ob die alle über-
einstimmen oder nicht. Im Wesentlichen der That pflegen
sie iibereinzukommen , nämlich in der Hexerei oder im Ver-
dacht bezüglich der Beschuldi<Tten. - Es ist aber nicht
nothwendig, dass die erwähnten drei Momente zusammen-
1 S. 522. ■■' S. 524.
3. Der Ilexenhammer. 271
treflfen, um die Hexe als überwiesen zu erachten, der Beweis
ergibt sich per argumentum a fortiori. Eins von beiden, die
Anzeige der That oder die Aussage der Zeugen genügt, um
jemand der Ketzerei überführt zu betrachten, um so mehr,
wenn beide Beweisgründe zusammenfallen. Als Beweis der
That betrachten wir eine Drohung, der die Wirkung gefolgt,
wenn z. B. der Bedrohte krank o-eworden ist. Wenn nun
schon eines dieser Momente hinreicht luid den Verdacht be-
gründet, um so mehr beim Hinzutritt des Übeln Leumundes
oder der Zeugenaussagen. ^ Auf der That ertappt zu be-
trachten ist die Beschuldigte durch den Beweis der That oder
die Zeugenaussage, sie mag bekennen oder nicht. Bekennt
sie und bekehrt sich nicht, ist sie dem weltlichen Arme zu
überliefern, zur Vollziehung der Todesstrafe oder zur lebens-
länglichen Einkerkerung; leugnet sie, ist sie als unbussfertig
ebenfalls dem weltlichen Gerichte zu derselben Strafe zu
übercreben. Wenn nun der Richter nach der voroeschriebenen
Weise verhört und auf Grund der Angabe der Zeugen in
Glaubenssacheu summarisch und ohne Umstände (summarie,
simpliciter et de piano) verfährt, die Beschuldigte auf eine
geraume Zeit in den Kerker wirft, dass sie vielleicht nach
mehrern Jahren, durch die Scheusslichkeit des Kerkers mürbe
gemacht, das Verbrechen bekennt, so handelt er ganz gerecht. *
8. Frage. Ob sie einzukerkern und wie sie zur Haft
zu bringen sei. 3. Act.
Ob die Hexe, die geleugnet, sich aber verdächtig ge-
macht hat, gefangen gehalten oder auf Bürgschaft, sich
auf Vorladung zu stellen, auf freien Fuss gelassen w^er-
den soll?
Es wird von den verschiedenen Ansichten die Meinunof
derjenigen als die vernünftigste betrachtet, wonach es in dem
gegebenen Falle dem Ermessen des Richters zu überlassen
sei, nach Umständen zu verfahren. Kann die Beschuldigte
keine genügende Bürgschaft stellen, und steht zu besorgen,
dass sie die Flucht ergreife, so ist sie in Verwahrsam zu
halten. ^ Nebstbei ist aber zu bemerken: 1) dass ihr Haus,
darin alle Winkel, Löcher und Schränke sorgfältigst genau
untersucht werden, 2) dass ihre Mägde oder Genossinnen je
1 S. 525. 2 s. 526. 3 g. 527.
272 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtliclieii Hexenvcrfolgung.
einzeln gefangen gesetzt werden, auch wenn sie nicht ange-
geben worden sind, weil sie von den Hexengeheimnissen
etwas wissen können; 3) dass bei der Verhaftung der Hexe
in ihrem Hause diese verhindert werde, in eine Kammer zu
gehen, damit sie nicht Hexenmittel zu sich nehme, um sich
schweigsam zu machen. ^ Es ist auch erlaubt und rathsam,
die Hexe bei der Verhaftung vom Boden aufzuheben und sie
in einem Korbe wegzutragen, damit sie nicht mehr die Erde
berühre, da viele Eingeäscherte gestanden haben, dass sie sich
befreit haben würden, wenn sie nur mit einem Fusse die Erde
hätten berühren können. ^
9. Frage. Was nach der Verhaftung zu geschehen.
Ob der Gefangenen die Namen der Zeugen bekannt zu
machen. 4. Act.
Nach der Verhaftung handelt es sich zunächst darum, ob
der Richter eine Vertheidigung zulassen will, was von dessen
Belieben abhängt. Hierauf wird Inquisitin in die Folterkammer
gebracht und befragt, doch ohne Folter; aber zuvor müssen
die Dienstboten oder Genossinnen im Hause examinirt werden.
Wenn die Gefangene behauptet, sie sei unschuldig angegeben
worden, sie wolle ihre Angeber kennen, so ist dies ein Zeichen,
dass sie eine Vertheidigung verlangt. Der Richter braucht
aber die Zeugen weder zu nennen noch sie der Beschuldigten
vorzuführen, ausser die Angeber erbieten sich freiwilhg, um
jener ihre Angabe ins Gesicht zu werfen. Der Richter ist
aber nicht dazu verpflichtet, weil es den Angebern Gefahr
bringen könnte. ^ Einige Päpste haben gar behauptet , dass
in keinem Falle erlaubt sei, die Angeber zu nennen.* —
Bonifacius VHI. in seinem Statut verordnet, dass zur Ver-
meidung der Gefxhr für Zeugen und Angeber diejenigen,
die bei einem solchen Processe betheiligt, von dessen Geheim-
nissen nichts verrathen dürfen, bei Strafe der Excommuni-
cation. ^
10. Frage. Wie die Vertheidigung zu gestalten und
ein Anwalt zu bestimmen sei.
Wenn die Vertheidigung verlangt wird, fragt es sich, wie
sie bei Geheimhaltung der Namen der Zeugen zu gestatten
1 S. 528. ^ S, 529. => S. 530. " S. 531. ' S. 532.
3. Der Hexenhammer. 273
sei. Zu bemerken ist hierbei dreierlei: 1) ein Anwalt wird
bestellt; 2) diesem werden die Namen der Zeugen nicht be-
kannt gemacht, selbst wenn er sich eidlich verpflichten wollte,
sie nicht zu verratlien, es wird ihm nur der besondere Inhalt
des Processes mitgetheilt; 3) die Sache des Beschuldigten
mag so gut es geht geführt werden, jedoch nicht zum Aerger-
niss des Glaubens oder zum Nachtheile der Gerechtigkeit.
Gleichermassen soll der Procurator für die Inquisition ver-
fahren, aber mit Geheimhaltung der Namen der Zeugen und
Angeber. Zunächst ist zu beachten, dass der Beschuldigte
nicht nach Belieben seinen Vertheidiger wähle, sondern der
Kichter einen Mann bestelle, der nicht streitsüchtig, oder bös-
willig, oder bestechlich ist. Dieser muss aber die Angelegen-
heit prüfen, und findet er sie gerecht, kann er sich derselben
annehmen; ist sie aber ungerecht, soll er sie abweisen. Denn
wenn er eine desperate Angelegenheit übernimmt, so muss er
das Salär, das er vorweg erhalten hat, zurückgeben, und wenn
er die Vertheidiguug einer ungerechten Sache übernimmt, so
hat er den Schadenersatz und die Kosten zu tragen. ^ Dem
Advocaten obliegt: Bescheidenheit, Wahrheit, dass er keine
Frist nachsuche, da der Process summarisch geführt werden
soll. Alles dies hat der Richter dem Vertheidiger zur Be-
dino-una; zu stellen und ihn schliesslich zu warnen: sich kei-
ner Bej^ünstig-uno^ der Ketzerei schuldig zu machen, da er in
diesem Falle die Strafe der Excommunication auf sich lüde.^
Sagt der Vertheidiger dem Richter: er vertheidige die Per-
son, nicht den Irrthum, so ist dies eine ungültige Ausflucht,
denn er soll auf gar keine Weise vertheidigen, wodurch er
das summarische Verfahren verhindern könnte, als : durch An-
suchen um Frist, durch Einmischung von Berufungen, was
alles zurückgewiesen werden muss. Denn wenn er ungehörig
den der Ketzerei schon Verdächtigen vertheidigt, so macht
er sich zum Gönner der Ketzerei, und der Verdacht wird um
so grösser. Hat aber der Richter einen unbescholtenen, eifri-
gen, gerechtigkeitsliebenden Mann zum Vertheidiger des Be-
schuldigten aufgestellt, so kann er ihm die Namen der Zeugen
augeben, die aber unter eidlicher Verpflichtung geheim zu
halten sind. ^
1 S. 535. 2 S. 535. =* S. 536.
Roskoff, Geschichte des Teufels. II. jy
274 Dritter Abschnitt: Periode der geriehtlichcn Ilexenverfolgung.
11. Frage. Was hat der Advocat zu thun, wenn ihm
die Namen der Zeugen nicht bekannt gemacht werden?
G. Act.
Der Vertheidiger muss in diesem Falle die Information
über die Einzelheiten im Processe vom Richter erhalten und
dann zum Beschuldigten gehen, und diesen nach Umstän-
den zur Geduld ermahnen. ^ Wenn der Vertheidiger nach
seiner Unterredung mit seinem Clienten eine Feindschaft
zwischen diesem und den vermutheten Angebern (Zeugen)
findet, hat er es dem Richter zu cröfinen, der dann die Unter-
suchung anstellt.^ Sollte eine Todfeindschaft stattfinden, so
ist dahin zu sehen, ob diese durch den Inquisiten oder den
Angeber veranlasst ist, ob die Freunde des einen die des
andern tödlich verfolgt haben, ob die angegebene Behexung
richtig ist, ob nicht noch andere Zeugen vorhanden sind u. s. f.
Ist die Denunciation aus Rache geschehen, so ist die Denun-
cirte frei zu lassen, aber unter der Bedingung, sich nicht zu
rächen. Saoen aber andere Zeugen wider sie betrefls der
That oder auch des i'ibeln Rufs, so weist zwar der Richter
die Angeber aus Rache zuriick, aber die Angabc des Factums,
die durch andere Zeugen des iibeln Rufs ergänzt wird, bleibt
als Beweis. Wenn die Beschuldigte das Verbrechen gesteht
und bereut, so wird sie dem weltlichen Arme nicht zur Todes-
strafe übergeben, sondern vom geistlichen Gerichte zum lebens-
länglichen Kerker verurtheilt, obschon sie wegen zeitlichen
Schadens (noch immer) verbrannt werden kann. ^ Der
Richter hüte sich, dem Vertheidiger, wenn er Todfeindschaft
vorschützt, immer zu glauben, weil die Hexen gewöhnlich
verhasst sind.^ — In Betrefi' der Drohuno-en der Hexen ist zu
bemerken, dass wenn der Vertheidiger behauptet, die Krank-
heit sei aus natürlichen Ursachen und nicht infolge der Drohung
entstanden, diese Entschuldigung stattfinden kaini; dies ist
aber nicht der Fall, Avenn keine Mittel helfen, wenn die
Aerzte das Uebel für Behexung, den sogenannten ,, Nacht-
schaden" erklären und vielleicht andere Hexen die Krankheit
für eine angehexte erachten, da sie plötzlich und nicht wie
die natürlichen Krankheiten allmählich entstanden ist, u. dgl. m."'
1 ö. 537. -' S. 538. 3 s. 539. ^ S. 540. ' S. 541.
3. Der Hexenhammer. 275
12. Frage erklärt deutlicher, wie Todfeindschaft zu er-
forschen sei. 7. Act.
Um sich von der wirklichen Todfeindschaft zu überzeugen,
kann der Richter sich verschiedener Mittel bedienen, die, ob-
schon sie schlau und listig, doch erlaubt sind, da sie zum
Heile der Religion und des Staates gereichen. 1) Es wird
dem Beschuldigten und dessen Vertheidiger eine Abschrift
des Processes gegeben, worin die Aussagen der Zeugen nicht
bei den betreflenden Namen stehen, sondern untereinander
geworfen sind, sodass aus der Copie nicht ersichtlich wird,
wer von den Zeugen das oder jenes ausgesagt habe, und der
Inquisit sich fangen muss; wenn er die ersten angeführten
Zeugen für seine Todfeinde erklärt, beschuldigt er alle einer
Todfeindschaft, imd so ist er um so leichter der Lüge zu
überweisen. ^ 2) Man gibt dem Advocaten eine Copie des
Processes einer Partei, und die Namen der Angeber der an-
dern Partei, mengt aber allerlei Facta hinein, die von andern
Hexen anderwärts verübt, aber nicht von den genannten Zeu-
gen ausgesagt worden sind. So kann der Beschuldigte nicht
sagen, dieser oder jener sei sein Todfeind, da er nicht weiss,
was sie gegen ihn vorgebracht haben. 3) Gleich nach dem
zweiten Verhör, also noch bevor der Inquisit einen Verthei-
diger angesucht und dieser ihm bestellt worden, soll ersterer
gefragt werden, ob er solche Todfeinde zu haben glaube, die
ihn des Verbrechens der Hexerei fälschlich beschuldigen könn-
ten. Da er auf diese Frage nicht gefasst sein dürfte und
die Aussagen der Zeugen noch nicht vernommen hat, so wird
er antworten, entweder: er glaube nicht solche Feinde zu
haben, oder: er vermuthe derlei. Dann nennt er sie, sie wer-
den verzeichnet sowie die Ursache der Feindschaft, und der
Richter kann nach der angegebenen Weise verfahren.^ 4) Eben-
falls nach dem zweiten Verhöre, bevor er einen Vertheidiger
und ehe er die Aussagen der Zeugen kennt, werde der Beschul-
digte über die Zeugen befragt, die ihn am schwersten beschuldigt
haben, ohne dass er es weiss: ob er diesen oder jenen dem
Namen nach kenne. Verneint er es, so kann sein nachfolgen-
des Vorgeben bei der Vertheidigung: es sei N. N. sein Feind,
nicht berücksichtigt werden. Sagt er aber: ich bin sein Freund,
• S. 542. ■' S. 543.
18*
27G Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilexenverfolgung.
wüsste ich aber etwas von ihm, so wurde ich es doch sagen,
so kann er ihn später nicht wieder fi'ir einen Feind ausgeben.
5) Man gibt dem Beschuldigten oder Advocaten eine Copie
des Processes mit Vorenthalt der Namen der Angeber. AVenn
er nun, durch Vermuthung auf einen oder den andern geleitet,
sairt: der ist mein Todfeind und ich will es durch Zeugen
beweisen, dann soll der Richter die Zeugen verhören und in
Gemeinschaft einer geheim zusammenberufenen Rathsversamm-
luno: von alten und erfahrenen Leuten die Ursachen der
Feindschaft erforschen, und stellen sich diese als begriindet
heraus, sollen zunächst die Zeugen abgewiesen und der Be-
schuldigte entlassen werden, wenn nicht Aussagen anderer
Zeugen vorliegen. ^
13. Frage. Was der Richter vor dem Verhöre im
Kerker und der Folterkammer zu beobachten hat. 8. Act.
Da kein Bluturtheil ohne eigenes Geständuiss gesprochen
werden soll, wenngleich der Beweis der ketzerischen Bosheit
durch die That oder die Zeugenaussage vorliegt, so muss
allerdings das Bekenntniss durch Fragen unter der Tortur
erlangt werden. ^ Um das durch Hexerei bewirkte Still-
schweigen zu verhüten, hat der Richter vielerlei zu beobachten.
Zunächst eile er nicht alsobald zum peinlichen Verhör^, son-
dern habe auf gewisse Merkmale Acht. Denn wxnn nicht
durch göttlichen Zwang mittels eines heiligen Engels die
Zauberei des Teufels gebrochen wird, so wird auch die Hexe
unter der Tortur so unempfindlich sein, dass ihr die Glieder
eher vom Leibe gerissen werden können, bevor sie die Wahr-
heit bekennt.'* Es ist aber nicht zu iibersehen, dass nicht
alle in die Hexerei glcichermassen verstrickt sind, und dass
der Teufel bisweilen von selbst, ohne durch einen heiligen
Engel gezwungen zu sein, das Geständuiss zulässt, da ihm
nicht jede Hexe gleich in den ersten Jahren ihres Verkehrs
das Homagium leistet, weil er sie vorher erst priifen will, in-
dem er mit bloss äusserer Hingebung nicht zufrieden ist,
sondern auch eine innerliche, also gänzliche verlangt. Daher
\
1 S. 545. ■' S. 545.
2 Das heisst eigentlich die Folter, die immer unter quaestionarc ver-
standen wird.
< S. &49.
3. Der Hexenhammer. 277
kommt CS, dass solche, die aus Noth oder durch audere
Hexen gezwungen, in der Hofinung wieder los zu werden, sich
nur halb dem Teufel ergeben haben, von diesem verlassen
werden, damit sie durch Sinnesverwirrung und einen schreck-
lichen Tod in Verzweiflung stürzen, da er sie nie ganz haben
konnte. Solche Ilalbhexen kommen leichter zum Geständniss.
Diejenigen hingegen, die dem Teufel mit Mund und Herz
verbunden sind, werden auch kräftig von ihm vertheidigt,
hart und schweigsam gemacht. ^
14. Frage. Wie eine Hexe zur Tortur zu verurtheilen,
wie sie am ersten Tage zu foltern sei. Ob man ihr das
Leben versprechen dürfe. (10. Act in meiner Ausgabe.)
Der Ivichter spricht das Urtheil in dieser Form: Wir
Richter und Beisitzer, die wir den Process gegen dich N. N.
u, s. w. eingeleitet und alles erwogen haben, finden, dass du
verschiedene Aussagen gemacht hast, indem du gestehst,
solche Drohungen zwar ausgestossen, aber nicht die Absicht
zu schaden gehabt zu haben; doch sind verschiedene In-
dicien vorhanden, welche hinreichen, dich auf die Folter zu
brino;en. Damit nini die W ahrheit aus deinem eio;enen Munde
kund werde und du die Ohren der Richter nicht durch
Zwischenreden weiter beleidigst, erklären, verurtheilen und
verdammen wir dich zum Verhör auf der Folter am heutigen
Tage um . . . Uhr. Dies Urtheil ist gesprochen u. s. w\ ^
Hierauf wird Inc|uisit wieder ins Gefängniss abgeführt,
und zwar nicht mehr zum Gewahrsam, sondern schon zur
Strafe. Es werden aber seine Freunde zugelassen, denen der
Richter vorschlage, dass sie ihn durch Zureden und die Aus-
sicht, er werde vielleicht der Todesstrafe entgehen, wenn er
die Wahrheit sagt, zum Geständniss dessen bringen, was über
ihn ausgesagt worden. Denn die Ueberlegung, die Noth des
Kerkers und die Information von ehrlichen Männern, sind
geeignete Mittel, die Wahrheit herauszubringen. Wir haben
es an vielen Hexen erfahren, die so mürbe wurden, dass sie,
vom Teufel sich lossagend, ihre Verbrechen häufig einge-
standen.
Die Weise, das Verhör auf der Folter zu beginnen, ist
diese: zunächst machen die liüttel die Vorbereitungen zum
1 S. 550. - S. 552.
278 Di'itter Abschnitt: Periode der gericlitlicheu Iloxenvcrfolgung.
Foltern, entkleiden den Inquisiten, ist es ein Frauenzimmer,
so geschieht es von ehrbaren Weibern, um die Zaubermitte],
die etwa in die Kleider eingenäht sind, wie sie derlei aus den
Gliedern ungetaufter Kinder bereiten, zu beseitigen. Dann
werden die Folterwerkzeuge zurecht gelegt und der Richter
sucht selbst und durch andere' gute, glaubenseifrige Männer
den Inquisiten zum freien Geständniss der Wahrheit zu brin-
gen, will er aber nicht bekennen, so befiehlt der Richter,
dass man ihn an das Seil spanne, auf die Leiter binde,
oder andere Folterinstrumente anlege. Die Büttel sollen
diesem Befehle sogleich, aber gleichsam erschreckt ge-
horchen. Hierauf werde er wieder auf das Ansuchen einiger
losgeschnürt und beiseite gebracht, und suche man ihn zu
überreden und ihm merken zu lassen, dass er im Falle seines
Geständnisses nicht der Todesstrafe verfallen würde. ^ Hier
ist die Frage: ob der Richter einem denuncirten, berüchtig-
ten, durch Zeugen und Indicien der That völlig überführten
Hexer, bei dem nur das eigene Geständniss abgeht, das Leben
versprechen dürfe. Es gibt verschiedene Ansichten. Einige
meinen: einer berüchtigten, durch Anzeichen der That schwer
verdächtigen Haupthexe, die von grossem Schaden ist, könne
man dennoch das Leben zusichern und sie zu lebenslänglichem
Gefängniss bei Wasser und Brot verurtheilen, wofern sie an-
dere Hexen an gewissen wahrhaftigen Zeichen angeben wolle;
jedoch sei ihr nicht die Gefängnisstrafe zu verkünden, son-
dern nur die Hoffnung zum Leben zu lassen. ^ Ohne Zweifel
wären auch solche berüchtigte Hexen geeignet, um andere
Hexen zu verrathen, wenn dem nicht entgegenstünde, dass
der Tetifel ein Lügner ist, der letztern wieder Beistand leisten
kann. ^ Andere meinen : man könnte einer zum Gefänsjuiss
Verurtheilten auf einige Zeit das Versprechen halten , danach
sie aber einäschern. Dritte saoren: der Richter könne ihr eje-
trost das Leben zusichern, er solle aber das Urtheil von einem
andern sprechen lassen. Will eine Hexe durch derlei Ver-
sprechungen sich nicht zum Geständniss bewegen lassen, dann
haben die Büttel das Urtheil zu vollziehen und nach üblicher
Weise zu foltern, leichter oder stärker, je nachdem es das
Verbrechen erfordert. Man beginnt das peinliche Verhör
' S. 553. 2 S. 553. •' Ö. 554.
3. Der Hexenhammer. 279
über leichtere Verbrechen, da sie der Verbrecher eher ein-
gestehen wird als schwere. Währenddessen hat der Notarius
alles protokollarisch aufzunehmen. Bekennt Inquisitin unter der
Folter, so liringe man sie an einen andern Ort, um daselbst
ihr Bekenntniss wiederholen zu lassen. Will sie aber nicht
gestehen, so zeige man ihr andere Folterwerkzeuge mit dem
Bedeuten, dass sie auch durch diese leiden müsse, wenn sie
nicht die Wahrheit eingestehe. Wenn auch dies nicht verfängt,
dann wird am folsxenden oder dritten Ta<T;e die Folter fort-
gesetzt, nicht wiederholt. Denn sie darf nicht wiederholt
werden, ausser es wären neue Anzeigen hinzugekommen. Der
Richter verkündet der Inquisitin das Urtheil: Wir Richter
u. s. w. verurtheilen dich, dass morgen die Folter mit dir fort-
gesetzt werde, um aus deinem Munde die Wahrheit zu ver-
nehmen. ^ In der Zwischenzeit hat der Richter die erwähnten
Ueberredungskünste mit Zusicherung des Lebens anzuwenden,
wenn er es für zweckmässiür hält. Auch soll er in dieser
Zeit Wächter bei der Inquisitin aufstellen, damit sie nie allein
sei und vom Teufel überredet werde, sich selbst zu tödten.
15. Frage: Ueber die fortzusetzende Tortur, die Cau-
telen und Zeichen, woran der Richter eine Hexe erkennen
kann; wie er sich gegen ihre Hexenkünste zu schützen hat;
wie sie da zu scheren, wo sie ihre Zaubermittel verborgen
hat, wie dem hexenhaften Stillschweigen voi'zubeugen ist.
11. Act.
W^enn der Richter erforschen will, ob die Hexe durch
Zauberei sich in Stillschweigen verhüllt, so beobachte er: ob
sie vor ihm und im Anblicke der Folterwerkzeuge weinen
könne. Denn es ist eine auf Erfahrvuig gegründete That-
sache, dass eine Hexe nicht weinen kann, sondern sich nur
den Anschein gibt, indem sie Klagetöne ausstösst, Wangen
und Augen mit Speichel benetzt, worauf daher besonders
Acht zu haben ist. Um der Sache auf den Grund zu kom-
men, lege ihr der Richter die Hand auf den Kopf und sage
folgende Beschwörungsformel: „Ich beschwöre dich um der
bittersten Thränen willen, die von unserm Heilande dem Herrn
Jesus Christus am Kreuze für unser Heil vergossen worden
» S. 555.
\
{
280 Dritter Abschnitt: Periode der gericlitlichcn Hexenverfolgung.
sind 11. s. w., dass du, im Falle du unschuldig bist, Thränen
vergiessest, wenn schuldig, keineswegs. Im Namen u. s. w."
Die Erfahrung hat gelehrt, dass je mehr Hexen auf diese
Weise beschworen wurden, um so weniger weinen konnten.*
Thränen sind Zeichen der Busse, und diese sucht der Teufel
mit aller Gewalt zu verhindern. Eine andere Vorsicht, die
der Richter und die Beisitzer stets zu beobachten haben, ist:
von der Hexe nicht leiblich berührt zu werden. Man trage
daher immer am Palmsonntao;e c^eweihtes Salz und s^eweihte
Kräuter nebst geweihtem Wachs am Halse, die, nach dem .
Geständniss der Hexen selbst und dem Zeugnisse der Kirche, *
eine grosse Kraft üben. ^ Es gibt Beispiele, dass Hexen den
Richter und seine Beisitzer eher zu erblicken suchten, als sie
von jenen gesehen wurden, wodurch diese allen Unwillen
verloren und sie frei Hessen.' Daher, wenn thunlich, so lasse
man die Hexe rücklings vor den Richter und die Beisitzer
führen, schütze sich mit dem heiligen Kreuze und greife
muthig an, um mit Gottes Hülfe die Macht der alten Schlange
zu brechen.* Zur Vorsicht müssen den Hexen alle Haare
am ganzen Leibe abgeschoren werden, denn sie haben oft
behufs der hexenhaften Verschwiegenheit luiter den Klei-
dern, auch unter den Haaren und bisweilen an den geheimsten
Orten Zaubermittel versteckt, wo sie dann auf keine Weise
zum Geständniss zu bringen sind.
16. Frage. Von der zweiten Art des Verhörs und
einigen Cautelen für den Richter. 12. Act.
Zunächst unternehme man das Verhör an heiligen Fest-
tagen, während der Messe, wo die Gemeinde ermahnt werde,
die Hülfe Gottes anzuflehen und die Heiligen anzurufen wider
die Anfechtungen des Teufels. Ferner nehme man geweihtes
Salz und andere geweihte Sachen, schreibe die sieben Worte
am Kreuze auf einen Zettel und hänge dies alles zusammen
der zu Verhörenden um den Hals; wenn man das Mass der
Länge Jesu haben kann, binde man es ihr an den nackten
Leib. Die Erfahrung hat es bewiesen, dass Hexen durch
diese Dinge auf Aviuidcrbare Weise gequält werden, sodass
sie es kaum aushalten können, vornehmlich aber durch Reli-
1 ö. 558. '' S. 55i). ^ S. 559. » S. 5G0.
3. Der Hexenhammer. 281
quien der Heiligen. ^ Sind die Vorbereitungen getroffen, ist
das Weihwasser zum Trinken überreicht worden, so schreite
man wieder zur Tortur, ermahne sie wie früher immerfort.
Ist sie vom Erdboden gehoben, um auf die Folter gebracht
zu werden, dann werden ihr die Aussagen der Zeugen ohne
deren Namen vorgelesen, und der Richter sage: Siehe du bist
durch Zeugen überführt! Haben sich die Zeugen zur Con-
frontation erboten, dann frage er wieder: ob sie gestehen
wolle, wenn ihr die Zeugen vor das Gesicht träten? Willigt
sie ein, so lasse man die Zeugen hereinkommen und vor sie
stellen, vielleicht dass dann ihre Schamröthe wider sie zeugt.
Will sie ihre Laster noch nicht verrathen, dann frage sie der
Richter: ob sie um ihrer Unschuld willen die Probe mit dem
glühenden Eisen bestehen wolle? Da nun alle Hexen dazu
bereit sind, indem sie wissen, dass sie der Teufel unbeschädigt
erhalten werde — woran man daher auch sehen kann, dass es
wahrhaftige Hexen gebe — , wird ihnen der Richter erwidern:
mit welcher Keckheit sie sich solchen Gefahren aussetzen
können? Dass ihnen die Feuerprobe nicht gestattet werde,
wird später erörtert. ^ Ist zur äussersten Tortur geschritten
worden, und sie bleibt beharrlich beim Leugnen, so gebrauche
der Richter noch die Vorsichtsmassregel : dass er sie aus dem
Strafnefängniss an einen andern sichern Ort in Gewahrsam
bringen lasse, aber sie durchaus nicht auf Bürgschaft entlasse,
sie mit Speise und Trank menschlich versorgt werde, bisweilen
unbescholtene und unverdächtige Leute sie besuchen können,
die sie zum Geständniss zu überreden suchen, mit Hindeutung
auf zu erlangende Gnade, und der Richter, der dann eintritt,
verspreche Gnade zu üben, wobei er aber an sich oder das
Gemeinwesen zu denken hat, zu dessen Erhaltung alles, was
geschieht, gnädig ist. ^ Bittet sie um Gnade und entdeckt
Thatsachen, so verspreche man ihr ganz im allgemeinen, dass
sie mehr erhalten solle als sie gebeten, um sie zutraulicher
zu machen. Will sie keineswegs die Wahrheit bekennen, und
haben ihre Mitschuldigen, die der Richter, ohne dass sie es
weiss, verhört hat, etwas Beweisendes ausgesagt, so lasse er
im Hause nachforschen nach Zaubersachen, Salben, Büchsen
und wozu sie diese gebraucht habe. * Verharrt sie im Leug-
' S. 566. ■' S. 566. ' Ö. 567. ^ S. 567.
282 Dritter Abschnitt : Periode der gerichtlichen Ilexcnverfolgung.
nen und sie hat Genossen, die gegen sie ausgesagt haben, so
lasse man diese zu ihr, oder einen Vertrauten, der sich als
ihren Freund oder Gönner stellt, um sie in ein Gespräch zu
ziehen, das heimlich von aussen belauscht und zu Protokoll
gebracht werde. Fängt sie dann an die Wahrheit zu sagen,
so lasse sich der Kichter durch nichts abhalten, ihr Gestand«
niss zu vernehmen, sei es inmitten der Nacht, und sollte
er das Mittag- oder Abendessen versäumen, er muss alles
daran setzen, dass sie ihre Beichte zu Ende bringe. Denn
mau hat es öfter erfahren, dass, wenn diese unterbrochen
wird, die Hexen wieder leugnen, was sie zu gestehen ange-
fangen haben. Nach dem Geständniss ihrer Bosheit, mit der
sie Menschen und Vieh geschädigt, frage sie der llichter: wie
lange sie mit dem Teufel als Incubus Umgang gehabt, wann
sie den Glauben abgeschworen habe. Derlei ist zuletzt zu
fragen, weil sie es nie bekennen, ausser sie haben schon an-
deres eingestanden. ' Wenn all das Gesagte fehlt, dann
bringe man sie, wenn es möglich ist, auf ein Castell, und
nach einigen Tagen stelle sich der Castellan so, als hätte er
eine lange Reise vor, inzwischen kommen einige Freundinnen
oder andere ehrbare Weiber, die Gefangene zu besuchen mit
dem Versprechen, ihr zur Flucht behülflich zu sein, wenn sie
ihnen nur einiofes von ihren Hexenkünsten mittheilen wollte.
Auf diese Weise haben sie sich meistens zum Geständniss
bringen lassen und sind überwiesen worden.
17. Frage, lieber das gewöhnliche Reinigungsmittel,
besonders die Probe mit dem gliilienden Eisen.
Hier wird über die Ordalien gesprochen, die im allge-
meinen als Mittel Verborgenes zu erfahren, zu verwerfen seien,
da Gott allein dieses richten könne.^ — Was die Feuerprobe
betrifl't, so ist nicht zu verwundern, dass die Hexen mit Hülfe
des Teufels dabei unversehrt bleiben, da der Saft eines ge-
wissen Krautes vor dem Verbrennen schützt und dem Teufel
die Kräfte der Kräuter bekannt sind, er auch etwas zwischen
das glüliende Eisen und die Hand schieben kann, was er auf
unsichtbare Weise vermag. Daher ist diese Probe mit
den Hexen, die mit dem Teufel im Bunde stehen, ohne
1 b. uGH. ' b. 571—7-1.
3. Der Hexenhammer. 283
Belang und weniger als jede andere anzustellen, im Gegen-
tlieil ist ihre Berufung darauf als ein Verdaclitsgrund zu be-
trachten. *
18. Frage. Wie das Endurtheil abzufassen sei.
Weil das Verbrechen der Hexerei ein nicht rein geist-
liches ist (non est mere ecclesiasticum), verbieten wir den
weltlichen Richtern nicht, dariiber zu richten und zu strafen,
aber die Hinzuziehung der Kirche ist nothwendig.^ Im Hexen-
process, wo es sich um Glaubenssachen und das Verbrechen
der Ketzerei handelt, muss summarisch, ohne die sonst übli-
chen Formalitäten, verfahren werden. Der Richter braucht
keine Klageschrift, er verlangt keine contestatio litis u. dgl.
Die noth wendigen Beweise, Citationen, Protestationen jura-
menti de calumnia u. s. w. soll er aber zulassen. Das Urtheil
darf, wenn es gelten soll, von keinem andern als dem Richter,
und zwar an einem öflFentlichen ehrbaren Orte, sitzend, bei
lichtem Tage, nicht an Festtagen gesprochen werden, darf
nicht schriftlich verfasst sein. — Obgleich in Criminalsachcn
das Urtheil sofort zu vollziehen ist, gibt es doch Fälle, wo
die Execution aufgeschoben wird, als: bei einer Schwan-
geren, wo die Geburt abgewartet wird; wenn einer gestanden
hat, und hernach leugnet. ^
19. Frage. Auf wie vielerlei Art so schwerer Ver-
dacht geschöpft werden könne, um zu verurtheilen.
Mit Berücksichtigung alter und neuer Gesetze gibt es
vier Arten der Ueberführung: durch das Recht, nämlich
durch Folterwerkzeuge, Zeugen; durch die Evidenz der That;
durch die Rechtsauslegung; durch starken Verdacht (1. jure,
2. facti evidentia, 3. juris interpretatione , 4. violenta sus-
picione). Ist der Verdacht wahrscheinlich, so erfordert er
die Reinigung; der starke Verdacht (violenta) zieht die Ver-
urtheilung nach sich.* Ein leichter oder entfernter Verdacht
fällt auf diejenigen, welche heimliche Zusammenkünfte halten,
in Sitten und Gebräuchen von dem gewöhnlichen Brauche der
Gläubigen abweichen, zu geheiligten Zeiten auf Feldern oder
in Wäldern am Tage oder des Nachts zusammenkommen,
mit der Zauberei Verdächtigen geheimen Umgang pflegen, die
' S. 575. ■' S. 576. '' S. 579. * S. 580.
284 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilexenvcrfolgung.
Kirche nicht zur gehörigen Zeit besuchen. ^ Gross ist der
Verdacht, wo jemand von einem andern weiss, dass er ein
Ketzer sei und ihn nicht anzeigt, ihm Gunst erweist, mit ihm
in Verbindung tritt, ihn besucht, ihn verbirgt, vertheidigt u.
dgl. m. Ebenso verhält es sich auch in Bezug auf die Ketze-
rei der Hexen.* Der grösste oder starke (violenta) Verdacht
ist da, wenn jemand, z. B. bei der einfachen Ketzerei, den
Ketzern Verehrung erweist, Rath und Hülfe bei ihnen sucht
oder annimmt, Umgang u. s. w. pflegt. In Bezug auf das Hexen-
wesen tritt dieser Verdacht ein, z. B. wenn jemand Drohun-
gen ausstösst, die in Erfüllung gehen, Menschen und Vieh
schädigt, Wetter macht u. s. w. ^ Wer von solchem Verdachte
betrofien wird und in übelm Rufe steht, der ist überwiesen,
besonders wenn seine Drohung eingetrofien ist. Geschieht
dies auch nicht und es finden sich blos von ihm versteckte
Zauberinstrumente, so trifl't ihn schon der äusserste Verdacht.*
Der Teufel kann allerdings jemand bezaubern, ohne dass
diesen die Hexenweiber anblicken oder berühren, wenn" Gott
es zulässt. Weil aber die Zulassung Gottes grösser sein muss,
wo eine geweihte Creatur durch Abschwörung des Glaubens
und andere schreckliche Laster mithilft, so sucht der Teufel
sich der Hexen zu bedienen, was er auch ohne sie bewirken
könnte. •''
20. Frage. Ueber die erste Art, ein Urtheil zu
fällen. I
Werden die verschiedenen Arten, wie jemand bezüglich
der Hexerei befunden werden kann, angegeben. Wird eine
angegebene Person ganz unschuldig befunden, so lautet das
Endurtheil so: „Nachdem wir u. s. w. wider dich gerichtlich
proccdirt — aber nichts Gewisses wider dich gefunden haben,
um dich als Hexe zu verurtheilen, so entheben wir dich von
diesem Augenblicke der Untersuchung u. s. w. — Man hüte
sich aber, im Urtheil irgendwie zu erwähnen, dass die Beklagte
unschuldig sei, sondern nur: dass man keinen gesetzlichen
Beweis gegen sie habe, denn wenn sie später wieder denun-
cirt und überführt werden sollte, kann sie ungeachtet des ab-
solutorischen Urtheils doch verurtheilt werden. »^
I
1 Ö. öbl. ^ Ö. b&2. ' S. 583. ' S. 584. ' S. 584. •" Ö. 591.
3. Der Ilexenhammcr. 285
21. Frage. Ucber die zweite Art, ein Urtheil zu fäl-
len, nnd zwar über eine blos berüchtigte Person.
Diese zweite Art erfolgt, wenn die Beklagte im Rufe
dieser Ketzerei steht, aber nicht durch Zeugen überwiesen ist,
noch selbst bekannt hat, noch sonstige Judicien vorliegen, je-
doch bewiesen werden kann, dass sie Drohungen ausgestossen,
durch deren Erfüllung Menschen oder Vieh geschädigt wer-
den, wodurch der üble Ruf rechtlich erwiesen ist, so dringt
die Processordnung auf kanonische Reinigung, und die Sentenz
lautet folgendermassen : „Wir u. s. w, — es wird dir hiermit auf-
erlegt, dich an bestimmtem Tage zu stellen und eidlich zu
reinigen"; und falls sie es nicht vermag, wird sie als über-
wiesen betrachtet. ^ Die kanonische Reinigung besteht darin,
dass der übel Berüchtigte einige Männer, sieben, zehn, zwan-
zig, dreissig, die seines Standes, Katholiken und ehrbare Leute
sein und ihn schon längere Zeit gekannt haben müssen, als
Mitreiniger (Compurgatores) aufzubringen hat. An dem be-
stimmten Tage soll er sammt seinen Reinigern vor dem Bi-
schof, der die Angelegenheit führt, und wo er berüch-
tigt ist, erscheinen, seine Hand auf das vor ihm aufge-
schlagene Evangelienbuch legen und sprechen: „Ich schwöre
auf diese heiligen Evangelien, dass ich mich der Ketzerei, der
ich beschuldigt werde, niemals schuldig gemacht, sie weder
geglaubt noch gelehrt habe, und sie auch nicht übe noch
glaube". Hierauf legen auch alle Mitreiniger die Hände auf
das Buch und jeder sagt: „Auch ich schwöre auf diese heili-
gen Evangelien Gottes, dass ich glaube, dass er wahr ge-
schworen habe". Ist der üble Ruf an mehrern Orten ver-
breitet, so muss der Berüchtigte sich überall reinigen, den
katholischen Glauben bekennen. Verfällt er nachgehends wirk-
lich dieser Ketzerei, so wird er als rückfällig betrachtet und
bestraft. ^
Sollte der Berüchtigte sich nicht reinigen wollen, so wird
er zunächst in den Kirchenbann gelegt, und bleibt er ein Jahr
excommunicirt, so macht er sich zu einem verstockten Sünder
und wird als Ketzer verurtheilt. Sollte er zur Reinigung be-
reit sein, aber die bestimmte Anzahl von Reinigern nicht auf-
1 S. 593. ■"- S. 595.
28G Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilcxcnverfolgung.
bringen können, so wird er als iiberwiesen betrachtet und als
Ketzer verurtheilt.
22. Frage. Ueber die dritte Art, eine Beriichtigte zu
foltern und das Urtheil über sie zu fällen.
Die dritte Art, einen solchen Process abzuthun, betrifi't
einen Inquisiten, dessen Aussagen nicht gleich, oder Aus-
sagen gegen ihn vorhanden sind, wodurch er sich zur Folter
qualificirt. Wenn auch gar nichts gegen den Inquisiten auf-
gebracht werden kann, er aber verschieden aussagt, so wird
er nach gefälltem Urtheil auf die Folter gespannt. Indessen
übereile sich der Richter nicht mit der Folter, da diese nin-
in Ermangelung anderer Beweise angewendet werden soll; er
mag sich nach andern Beweismitteln umsehen, er bediene sich
der Freunde des Inquisiten, ihn zum Geständniss zu bringen,
damit die Procedur nicht gehemmt werde. Nachdenken und
Noth des Kerkers, Zureden guter Männer sind geeignet, die
Wahrheit herauszubringen. ^ Hat alles dieses beim Inquisiten
nicht verfangen, dann mag ihn der Richter getrost „moderate"
foltern lassen, aber noch ohne Blutvergiessen , da die Folter
trüglich sein kann. Denn einige sind so weichlich, dass sie
unter leichter Folter alles, auch Unwahres zugestehen, wäh-
rend andere selbst unter den schrecklichsten Qualen hart-
näckig bleiben, und andere durch Zaubermittel sich gegen
Schmerzen unempfindlich machen. Ist aber auf Folter erkannt
worden, so haben die Büttel sofort Anstalt zu trefien, und in-
zwischen mag der Bischof oder der Richter entweder selbst
oder durch andere den Inquisiten zum Geständniss zu über-
reden suchen. Hilft alles nicht, so kann man den andern
oder den dritten Tag zur Fortsetzung der Folter, nicht zur
Wiederholung festsetzen. ^ Er werde also stärker oder leich-
ter, je nach der Schwere der Schuld gefoltert. Ist er gehörig
gefoltert worden und will nicht gestchen, so soll er frei ge-
lassen werden. Gesteht er die Wahrheit, bereut seine eigene
Schuld und verlangt die Vergebung der Kirche, dann werde
er als auf Ketzerei Betrofi'ener und Geständiger verurtheilt.
Gesteht er aber ohne Reue, wird er dem weltlichen Arme zur
Hinrichtung überliefert. ^
S. 598. '' S. 599. » Ö. 600.
3. Der Hexenhammer. 287
23. Frage. Die vierte Art, eine Angezeigte, die leich-
ter Verdacht trifft, zu verurtheilen.
Ist der Verdacht nur leicht und alle andern Beweise
fehlen, so niuss die Angezeigte die ihr angeschuldigte Ketzerei
abschwören (nach beigefügter Formel), und soll, wenn sie
nachgehends derselben verfcällt, nicht als Riickfällige, aber
doch härter bestraft Averden. ^
24. Frage. Die fiinfte Art, das Urtheil iiber eine stark
Verdächtige zu fällen.
Wenn die Angezeigte nicht gehörig überfiihrt ist, nicht
selbst bekannt hat, die Zeugenaussagen in gehöriger Form
fehlen, aber schwere Anzeichen einen starken Verdacht be-
gründen, so muss die Verdächtige nicht nur die Ketzerei,
deren sie verdächtig ist, abschwören, sondern wird auch, wenn
sie später sich schuldig machen sollte, als Iviickfälligc dem
weltlichen Arm zur Todesstrafe übergeben. ^ Eine stark wie
auch leicht Verdächtige soll nicht lebenslänglich, sondern auf
einige Zeit eingekerkert werden. ^
25. Frage. Die sechste Art, wie eine äusserst Ver-
dächtifj-e zu verurtheilen ist.
Dieser Fall tritt ein, wenn Inquisit durch rechtmässige
Beweise zwar nicht überwiesen ist, aber äusserst starken Ver-
dacht auf sich geladen hat, dass er z. B. schon der Ketzerei
leicht verdächtig war. Bedenkliches gesagt oder gcthan
hat, besonders wenn er ein Jahr oder länger excommunicirt
und, zur Verantwortung geladen, nicht erschienen war, wo-
durch der leichte Verdacht zu einem äusserst starken Avird.
Mag ein äusserst schwer Verdächtiger auch keinen Irrthum
im Gemüthe noch Halsstarrigkeit im Willen haben, ist er
doch als Ketzer zu verurtheilen wegen des äusserst schweren
Verdachts.'* Ist Inquisitin der Hexerei stark verdächtig und
bcharrt auf Leugnen, und der Richter meint sie nicht dem
Feuertode überliefern zu können, so muss sie gefangen bleiben
und die Untersuchung unter Foltern weiter geführt werden.
Im Falle, dass noch keine Indicien zu Händen kämen, ist sie
wenigstens ein Jahr lang in einem schmuzigen Kerker, wo
sie Elend zu ertragen hat, festzuhalten und recht häufig zu
1 S. 601. 2 s_ CM. * S. G09. ' S. Gll.
288 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
examiniren, besonders an Festtagen. Wenn nun der Richter sie
auch wegen einfacher Ketzerei zum Feuer verurtheilen könnte,
hat aber Scheu davor, so muss er auf Reinigungseid antragen,
wozu aber zwanzig bis dreissig Reiniger erforderlich sind. Kann
Inquisitin sich nicht reinigen, ist sie als schuldig zum Feuer
zu verurtheilen. * Kann sie sich reinigen, so muss sie die Ab-
sclnvörung leisten mit der Warnung, dass sie im Betretungs-
falle als Rückfällige bestraft werden solle und wolle. Hierauf
wird Inculpatin absolvirt (folgt die Absolutionsformel), woraus
nur hervorzuheben, dass sie zur Busse einen grauen Anzug
mit einem gelben Kreuze, drei Handbreit lang und zwei breit, so
und so lange tragen und an bestimmten Festtagen vor der
Kirchenthüre stehen muss, und überdies (auf immer oder auf
gewisse Jahre) zum Gefängniss verdammt wird. ^
26. Frage. Die Art, eine gründlich Verdächtige und
Berüchtigte zu verurtheilen.
Eine Verdächtige, die im Übeln Rufe steht, wenn sie auch
nicht gerichtlich überwiesen ist und Indicien wider sich hat,
die das Geriicht bestärken, z. B. wenn sie mit Ketzern ver-
trauten Umgang pflegt, ist zur kanonischen Reinigung zu ver-
halten.
27. Frage. Die Art, über einen Ketzer, der gesteht,
aber bussfertig ist, das Urtheil zu fällen.
Wenn ein Beklagter im Gerichte gesteht, dass er eine
Zeit lang Ketzerei getrieben, nach erhaltener Belehrung aber
in den Schos der Kirche zurückkehren wolle, der aufer-
legten Busse sich zu unterziehen und die Ketzerei abzuschwö-
ren bereit sei, der ist nicht dem weltlichen Arme zu iiber-
geben, sondern nachdem er die Ketzerei abgeschworen hat, zu
immerwährendem Kerker zu verurtheilen. ^
28. Frage. Wie mit einer Person zu verfohren, die
einmal ihre Ketzerei eingestanden hat, darauf riickfällig
geworden, aber bussfertig ist.
Einer solchen Person sind auf ihre demüthiü;en Bitten die
Sakramente der Busse und des Abendmahls nicht zu verwei-
gern, war aber die abgeschworene Ketzerei Zauberei, deren
sie sich wieder schuldig gemacht, so soll sie dem weltlichen
' S. 012. •' ö. 015 fg. « ö. Ü23.
3. Hexenhammer. 289
Arme zur Todesstrafe überliefert werden, dies aber nur, wenn
sie auf der Ketzerei ertappt worden oder derselben schwer ver-
dächtig war. '
29. Frage. Verfahren mit einer Person, die ihre
Ketzerei eingestanden, nicht rückfällig geworden, aber un-
bussfertig ist.
Dieser sehr seltene Fall ist uns Inquisitoren doch vorge-
kommen. Der Bischof und die Richter sollen sich bei solcher
Gelegenheit nicht übereilen, sondern die Person in guten Ge-
wahrsam nehmen, zu ihrer Bekehrung selbst einige Monate
verwenden.- Wird sie weder durch Glück noch Unglück,
weder durch Drohungen noch Schmeicheleien dazu bewogen,
so ist sie dem weltlichen Arme zu übergeben. ^
30. Frage. Ueber eingestandene Ketzerei bei Rückfall
imd Unbussfertigkeit.
I» diesem Falle ist wie im vorigen zu verfahren. *
31. Frage. Wenn jemand ertappt und überwiesen wird,
aber doch alles leugnet.
Ein solcher ist in schweren Kerker an Händen und Füs-
sen in Ketten zu legen, von den Officialen oft bald einzeln,
bald gemeinschaftlich zu besuchen und zum Bekenntniss und
zur Busse zu ermahnen , mit der Todesstrafe zu bedrohen. ^
Es ist öfter vorgekommen, dass boshafte und feindselige Leute
sich verbündeten, einen Unschuldigen der Ketzerei zu beschul-
digen, nachher aber, vom Gewissen getrieben, widerriefen, was
sie ausgesagt hatten. Daher ist mit einem Leugnenden nicht
zu eilen, sondern ein Jahr und mehrere Jahre zu verziehen,
bevor er dem weltlichen Gerichte übergeben wird. ^ Gesteht
er, dass er der Ketzerei verfallen, ohne aber bussfertig zu
sein , so ist er dem weltlichen Arme zu überliefern. Bleibt
er beim Leugnen, die Zeugen aber widerrufen und bekennen
ihre Schuld des falschen Zeugnisses, sind diese als falsche Zeugen
zu bestrafen. ' Verharrt der Beschuldigte beim Leugnen und
die Zeugen bei ihrer Aussage wider ihn, so ist er dem welt-
lichen Gerichte zu übergeben.
1 S. 628. 2 S. 634. » S. 635. * S. 637. ^ g. 641. « S. 642.
' S. 644.
Eoskoff, Geschichte des Teufels. II. . ■< q
290 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverl'olgung.
32. Frage. Ucber einen, der überwiesen, aber flüchtig |
und contiunaciter abwesend ist. *
Hier sind drei Fälle zu bemerken. Entweder ist der Be- ]
schuldigte völlig überwiesen, aber entflohen und will nicht er-
scheinen; oder der Angeklagte, gegen den sich bei einiger
Untersuchung ein leichter Verdacht herausstellt, erscheint nicht
auf die Vorladung, selbst nachdem er excommunicirt wor-
den ist; oder es hat jemand das Urtheil des geistlichen Ge-
richts gehemmt, oder zur Verhinderung gerathen, oder sie be-
günstigt, so wird ein solcher excommunicirt, und bleibt er ein
Jahr im Kirchenbanne, ist er als Ketzer zu verurthcilen. Im
ersten Falle ist der Beklagte als unbussfertiger Ketzer zu ver-
urthcilen, im zweiten und dritten Falle als bussfertiger Ketzer
zu behandeln. ^ Wenn der Flüchtige auf die Citation ersclieint
und sich zur Abschwörung aller Ketzerei bereit erklärt und
kein Rückfälliger ist, so kann er auf die bereits erwähnte
achte Art abschwören und Busse thun. War er sehr vöHäch-
tig und ist auf die Vorladung, sich zu verantworten, nicht er-
schienen, und war desshalb excommunicirt und blieb es ein Jahr
lang, bereut aber schliesslich, so ist ein solcher nach der sechs-
ten Art als Bussfertiger zu behandeln. Wenn aber der Citirte
erscheint, ohne abschwören zu wollen, wird er als unbussfer-
tiger Ketzer dem weltlichen Gerichte übergeben.^
33. Frage. Ueber eine Person, die von einer ein-
geäscherten oder einzuäschernden Hexe angegeben wor-
den ist.
In dieser Frage werden nicht weniger als dreizehn Fälle,
in denen sich die Angegebenen befinden können, aufgezählt,
wo bei dem Verfahren gewöhnlich auf die früher erörterten
Arten das Urtheil zu fällen, zuriickgewiesen wird, daher der
Abschnitt meistens Wietierholunü: ist.
34. Frage. Ueber das Verfahren mit einer Hexe, die
eine Zauberei gelöst hat, und über zauberische Hebammen
und Schi'itzcn.
Es fragt sich, ob die Mittel, die zur Lösung der Hexerei
gebraucht wurden, erlaubt oder unerlaubt sind. Wer erlaubte
Mittel anwendet, ist kein Zauberer, sondern ein Verehrer
' S. 648. ' S. 052.
f
3. Der Hexenhammer. 291
Christi. Es können aber die Mittel schlechthin oder in ge-
wisser Beziehung (secnndum quid) unei'laubt sein. Schlecht-
hin unerlaubte Mittel, ob sie schädlich oder unschädlich wir-
ken, sind solche, wobei der Teufel angerufen wird. In gewisser
Beziehung unerlaubte Mittel, die zwar ohne ausdrückliche An-
rufung, obgleich nicht ohne stillschweigende Anrufung des
Teufels gebraucht, und von den Kanonisten und Theologen
eitle (vana) genannt werden, sind eher zu empfehlen als
zu verbieten, weil es nach dem Ausspruche der Kanonisten
erlaubt ist. Eitles mit Eitlem zu zerstören. ^
Jene Mittel aber, die unter ausdrücklicher Anrufimg des
Teufels gebraucht werden, sind auf keine Weise zu dulden,
besonders aber, wenn sie einem andern zum Schaden gerei-
chen.^— Was soll der Richter thun, wenn die Entzauberung
durch angeblich erlaubte Mittel geschehen ist? Hier wird eine
sorgfältige Untersuchung dariiber anzustellen sein, ob die
Mittel erlaubte oder unerlaubte waren. Die erlaubten Mittel
lassen sich von den unerlaubten bei sorgfältiger Prüfung un-
terscheiden, da letztere gewöhnlich geheim angewendet wca--
den. Man kann auch erforschen, ob die entzaubernde Person
eine Hexe ist oder nicht. Sie ist eine Hexe, wenn sie Ver-
borgenes weiss, was ihr nur durch böse Geister geoffenbart
sein kann; wenn sie nur gewisse Uebel heben kann und an-
dere nicht, weil ein Dämon dem andern nicht immer weichen
will; wenn sie bei der Hebung von Behexungen gewisse Be-
dingungen macht; wenn sie auf gewissen abergläubischen Ge-
bräuchen besteht. ^ Die zauberischen Hebammen übertreffen
alle andern Hexen an Lasterhaftigkeit, und sind deren so
viele, wie ihre Geständnisse beweisen, dass es keine Ortschaft
gibt, wo sie nicht zu finden wären.'* Die Zauberschützen fin-
den zur Schmach der christlichen Religion an den Grossen
und Fürsten des Landes ihre Gönner, Beschützer und Ver-
theidiger, und diese sind in gewissen Fällen verdammungs-
würdiger als jene und sind nicht als Ketzer, sondern als Erz-
ketzer zu betrachten.^
Die Zauberhebammen sind wie andere Hexen, die andere
behexen, nach Mass des Verbrechens zu verurtheUen , sowie
diejenigen , welche mit Hülfe des Teufels enthexen. ^ Die
1 S. 665. 2 s. 666. ^ g. 667. ' S. G68. ' S. 669. « S. 673.
19*
292 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexcnvcrfolgung.
Zauberschützcn und andere Waffcnbchexer sind den vorge-
schriebenen Strafen zu unterziehen.
35. Frage. Verfahren gegen Hexer, die appelliren.
Wenn der Richter merkt, dass Inquisit schHessHch die
Berufung einlegen wolle, so ist zu bemerken, dass diese bis-
weilen rechtsgi'dtig, zuweilen aber nichtig sein kann. In Glau-
benssachen ist summarisch und ohne Formalitäten zu verfahren.
Wenn die Richter die Angelegenheitsuntersuchung sehr lange
vertagt haben, und Inquisit meint, gegen Recht und Gerechtigkeit
beschuldigt zu werden, wenn ihm die Vertheidigung verweigert
wird; oder wenn sich der Richter erlaubt hat, allein, ohne Beirath
inid ohne Genehmigung des Bischofs, die Inquisition anzustellen
und dergl. mehr; dann, aber dann allein ist die Berufung gül-
tig.' Der Richter soll von einer solchen Berufung eine Ab-
schrift verlangen, nach vorhergegangener Protestation zwei
Tage zur Antwort und noch dreissig Tage nehmen, um die
Acten abzugeben. Inzwischen soll der Richter die Gründe
der Appellation oder die Beschwerden sorgfältig prüfen, und
findet er von seinei' Seite ein Versehen, dasselbe verbessern,
die Beschwerden heben, und nun den Process von da ab weiter
verfolgen. Die Appellation verfällt also von selbst." Ist der
Fehler jedoch nicht zu verbessern, hat der Richter z. B. den
Appellanten unbefugterweisc foltern, oder ihm angeblich ver-
dächtige Sachen verbrennen lassen, so findet die Berufung
statt.
Obschon der Richter dreissig Tage Zeit hat, ehe er den
Process abgibt, so mag er, um den Schein der Vexation zu
vermeiden, lieber einen frühern Termin zur Beantwortung an-
setzen, etwa den zehnten oder zwanzigsten Tag, da er dann,
wenn er die Acten nicht absenden will, unter dem Vorwande
vieler anderer Geschäfte den Termin verlän2;ern kann. " Bei
der Ansetzung des Termins sage er dem Appellanten nicht,
ob er die Berufung geschehen lassen werde oder nicht. ^
S. G74. - S. 076. 2 S. 077.
4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 293
4. Weiterer Verlauf und Atinalime der Hexenprocesse.
Wie der Begrifi' der Ketzerei mit dem der Hexerei inein-
andergesetzt ward, so übernahmen die Ketjerrichter das Ge-
scliäft von Hexenrichtern. Nach dem „Hexenhammer", diesem
„theologisch -juridischen Commentar des Criminal-Codexes der
Zauberbulle", sagt Ennemoser i, „wurde der Glaube an die
Buhlteufel und an die Gemeinschaft mit dem Hexenheer in
allerlei Unzucht und Ucbelthat ein unverwerfliches Axiom,
und der Feuertod ein unumstössliches Recht und Gebot." Die
Processe kamen in Gang und wie nach der Bulle Inno-
cenz' VIII. für andere Länder Bullen ähnlichen Inhalts von
Alexander VI., Julius II., Leo X. und Hadrian IV. bald auf-
einanderfolgten, so drängten sich die Hexenprocesse, die bis-
her einzeln aufgetreten waren, von nun an nahe aneinander,
dass sie wie Glieder einer gewaltigen Kette sich zusammen
schlössen, womit die Menschheit erdrosselt zu werden drohte.
Sprenger und Institoris hatten binnen einer fünfjährigen
Wirksamheit 48, und ihr College im Wormserbad in dem ein-
zigen Jahre 1485 sogar 85 Opfer den Flammen übergeben.
Zwar o-ab schon 1489 der Konstanzer Sachwalter Dr. Ulrich
Molitoris seinem Unmuthe i'iber den neuverbreiteten Unsinn
Ausdruck in seiner, dem Erzherzog Sigismund gewidmeten
Schrift: „Dialogus de lamiis et pythonibus mulieribus", worin
er den Glauben an die Macht der Hexen, an ihre Buhlschaf-
ten, das Wettermachen, ihre Luftüxhrten u. dgl. zu unter-
ifraben sucht, und auch die Juristen Alciatus^ und Ponzini-
bius erklärten sich gegen die leibliche Ausfahrt der Hexen und
den Hexentanz, und suchten sie als pure Einbildung dar-
zustellen; Bartholomäus de Spina, Sacri palatii magister
zu Rom, führte dagegen den Beweis: dass ein Jurist vom
Hexenwesen gar nichts verstehen könne. ^ Erasmus von Rot-
terdam nannte in einem Briefe von 1500 den Bund mit dem
Teufel eine neue, erst von den Ilexenrichtern erfundene Misse-
that und machte die Angelegenheit zum Gegenstand seiner
J Gescbichte der Magic, S. 7G2.
^ Parerg. juris cap. 21.
^ In Ponziuibium de lamiis apologia I und II im zweiten Tlieile des
Mall, malef.
294 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Satire. * Luther erschien zwar die Vermischung mit Incuben
und Succuben nicht unmöglich, er behandelte aber, gleich sei-
nem Freunde Melanchthon, die Nachtfahrten als Phantasiege-
bildc, und beide .empfahlen Besonnenheit in den Processen.
Inzwischen waren diese doch trotz manchem Widerspruche
namentlich von deutschen Kanzeln in Bezus; auf die Macht
der Hexen, durch teuflische Künste Mensch und Thier schädi-
gen zu können, immer landläufiger geworden.
Wir ersparen dem Leser die Beschreibung der Einzeln-
heiten im Verlaufe der Hexenprocesse, als: Folterkammer
sammt Instrumenten , Weise zu foltern u. dgl., nicht nur weil
sie anderwärts ausführlichst und wiederholt vorliegt^, sondern
vornehmlich, weil es sich hier um das Ganze der Erscheinung
handelt und zunächst das rasch steigende Ueberhandnehmen
der Hexenverfolgung durch folgende Blumenlese bestätigt
werden soll.
Bald nach der Bulle Innocenz' VIII. tritt in Oesterreichs
bürgerlichen Gesetzen die Zauberei unter den Malefizhändeln
auf. Im Jahre 1498 am 21. October kommt eine Hinrichtunix
durch das Schwert und Verbrennen vor, wobei die "VX'eige-
rung des wiener Scharfrichters bemerkenswerth ist, „der
nicht richten hat wollen". Dies ist der einzige actenmässige
Fall im 15. Jahrhundert. ^
Im December 1508 entstand ein Hexenprocess auf die
Klage der Anna Spielerin aus Ringingen gegen 23 Einwohner
von Ringingen auf Entschädigung für eine durch deren Schuld
erlittene Unbill.* Um diese Zeit (1515) wurden zu Ravens-
burg in fünf Jahren 48 Hexen verbrannt.*
1519 erzählt Agrippa von Nettersheim, dass Inquisitor ein
Bauernweib zur Abschlachtung vor sein Forum gezogen habe.*^
Aus demselben Jahre wird der Ilexenprozess der Anna
Schienbeinin von Nüwenburg mitgetheilt. '^
Vgl. Soldan, 321 fg.
Vgl. Horst, Weier, Spee, Binsfeld, Lamberg, Soldan, Wächter u. a.
Schlager, Wiener Skizzen aus dem Mittelalter. Neue Folge, II, 35.
Soldan, 322.
Mall. mal. II. qu. 1, c. 4.
Epist. lib. II, 38. 39. 40. De vanit. scient. cap. 96.
Fr. Fischer, die Basler Hexenprooesse im Ifi. und 17. Jahrhundert.
4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 295
1521 wurde zu Hamburg der Arzt Veythes, der ein von
der Hebamme aufgegebenes Weib gbäcklich entbunden hatte,
verbraunt. *
Gleichzeitig wurden in dem damals noch deutschen Be-
san^on drei Personen als Werwölfe hingerichtet.-
Mehrere Hexenprocesse in Basel aus den Jahren 1530,
1532, 1546, 1550 werden von Fr. Fischer a. a. O. vorgefiihrt.
lieber brandenburgische Processe aus der Zeit von 1545,
1554 und weiter hat von Raumer berichtet.^
Zu Freiburg im Breisgau, wo die Processe erst später
häufiger sind, wird 1546 eine Hexe, die Hagel gemacht, ver-
brannt.*
In Genf wurden 1515 in drei Monaten 500 Personen
hingerichtet, die nach Delrio's Vorrede zu seinen „Disquisitio-
nes magicae", der Waldenserei angeklagt, als Hexenbrut be-
handelt wurden.
In Italien, wo die Bauern der Lombardei gegen die In-
quisition die Waffen ergriffen hatten, da derjenige, der sich
nicht loskaufen konnte, verbrannt vvurde, wie Agrippa^ und
Alciatus^ aus eigener Wahrnehmung erzählen, wurden nach
letzterm in den Alpenthälern allein über hundert Personen
verbrannt. Nachdem PajDSt Hadrian VI. im Jahre 1523 eine
neue Hexenbulle erlassen, wuchs das Uebel in dem Masse,
dass nach der Aussage des Bartholomäus de Spina in der Diö-
cese von Como die Processe vor der Inquisition im Durch-
schnitt jährlich sich auf 1000, die Hexenbrände sich iiber
100 behefen.7
In Spanien verbrannte die Inquisition von Calahorra im
Jahre 1507 mehr als dreissig Weiber. Im Jahre 1527 denuncirtcn
zwei Mädchen von 9 bis 11 Jahren gegen Zusage der eigenen
Straflosigkeit eine Menge von Hexen, die sie an einem Zeichen
des linken Auges erkannten. 150 wurden von der Inquisition
zu Estella zu 200 Peitschenhieben und mehrjährigem Kerker
' Agrippa a. a. 0.
- Garinet, Hist. de la mag. en France, pag. 118.
2 Mark. Foräcliungcn, I, 236 fg.
■• Schreiber, Der Hcxeupr. im lireisgau, S. 15.
5 De vanit. scieut. cap. 9G.
« Parcrg. VIII, 21.
' De gti'igib. cap. 12.
296 Dritter Abschnitt : Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
verurtheilt. Im Jahre 1536 veranstaltete das heilige Officium
zu Saragossa mehrere Brände.^
In England waren die Hexenprocesse anfänglich mit der
Politik in Zusammenhang gebracht. So wurde die Herzogin
von Gloucester zur Kirchenbusse und Verbannung auf die
Insel Man verurtheilt, weil sie sich iiber die Tödtuno- Hein-
rieh's VI. mit Hexen berathen hatte. Richard III. erhob 1483
die Anklage auf Hexerei gegen die Königin -Witwe, gegen
Morton und andere Anhänger des Grafen von Richmond. Im
Jahre 1541 ward Lord Hungerford enthauptet, weil er eine
Wahrsagung über die Lebensdauer Heinrich's VIII. eingeholt,
worauf zwei Parlamentsacten erschienen, deren eine gegen
falsche Prophezeiungen , die andere gegen Beschwörung,
Hexerei u. dgl. gerichtet war, die zwar unter Eduard VI.
aufgehoben, aber unter Elisabeth im Jahre 1562 wiederher-
gestellt wurden. Schon 1569 wurde zu Cambridge eine Mutter
sammt ihrer Tochter wegen Teufelsbiindnisses gehenkt. Unter
der Regierung dieser Königin fielen im Jahre 1576 in Essex
17, in Warbois 3 Personen als Opfer.
Auch in Schottland war das Hexenwesen zunächst mit
Politik verflochten. Jakob III. Hess seinen Bruder, Grafen
von Mar, der in feindseliger Absicht Hexen befragt haben
sollte, ermorden und darauf 12 Weiber und 4 Männer wegen
Hexerei verbrennen. Von da ab mehrten sich die Hexenpro-
cesse und wurden besonders zahlreich unter Maria Stuart,
deren Sohn Jakob seiner persönlichen Theilnahme wegen in
der Geschichte des Hexenwesens einen Namen hat.*
In Frankreich, das schon im 14. Jahrhundert seine Opfer
brachte, wurde der Hexenprocess, nachdem ihn 1390 das pa-
riser Parlament den geistlichen Richtern abgenommen, sel-
tener, daher Bodin^ sagen konnte: der Teufel habe seit
dieser Zeit sein Spiel so w^eit getrieben, dass man die Erzäh-
lungen über Zauberer und Hexen für Fabeln gehalten habe.
Untei- Ludwig XI., Karl VIII. und Ludwig XII. kamen die
alten Greuel nicht auf, und nur wenig unter Franz I. Im
' Llorente, Geschichte der spanischen Inquisition, II, c. 15.
■^ Vgl. Hutchinson, Rist. Vers, von der Hexerei, Walter Scott, Br.
über Dämonol., 'J. Thl.
^ Dämonom., lib. IV, ca^. 1.
4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 297
Jahre 1582 wird Abel de la Rue als Zauberer verbrannt we-
gen der teuflischen Kunst des Nestelknüpfens, derselbe scheint
aber noch andere Künste getrieben zu haben, da ihn J. Collin
de Plancy als „mauvais coquin, voleur" und „meurtrier" be-
zeichnet. ^ Soldan ^ weist auf andere Urtheile desselben pari-
ser Parlaments hin^, erinnert aber auch, dass wenn Crespet*
klagt: die Zahl der angegebenen Zauberer habe damals 100000
iiberstiegen , dies von Scheltema ^ misverstanden worden sei,
der unter Franz I. über 100000 Verurtheilungen wegen Hexe-
rei angibt. Unter Heinrich H. kamen die Hexenprocesse
mehr in Gang. 1540 wurden zu Nantes auf einmal 7 Hexer
verbrannt, bald darauf andere zu Laon und anderwärts.^
Unter Karl IX. wiederholen sich die Hinrichtungen. Ein
Verurtheilter, Trois-Echelles, versprach um den Preis der Be-
gnadigung alle Hexen Frankreichs zu entdecken, die er nach
Bodin auf 300000 angab ^, mittels der Nadelprobe am Stigma
über oOOO als schuldig erkannte und der Obrigkeit anzeigte,
deren Verfolgung aber unterdrückt wurde. ^
Bevor wir unsere Blumenlese fortsetzen, wollen wir einen
Blick auf die literarischen Bestrebungen gegen und für das
Hexenwesen werfen. Denn dessen rasches Umsichgreifen
musste natürlich auch Widersprüche hervorrufen, und einer
der ersten oder vielleicht der erste, welcher oflen dasreiren
auftrat, war Johann Weier ( Wierus, auch Piscinarius). Er
war 1515 zu Grave an der Grenze Brabants geboren, hatte
sich medicinischer Studien halber längere Zeit in Paris aufge-
halten, eine Reise nach Afrika unternommen, wo er Zauber-
künstler zu beobachten Gelegenheit fand. '^ Hierauf ging er
nach Kreta und wurde nach seiner Rückkehr Leibarzt des
Herzogs Wilhelm von Cleve. Sein Werk: „De praestigiis
Daemonum et incantationibus ac Veneficiis libri sex" erschien
' Dictionaire infernal, 6. edit., p. 2.
2 S.333.
"' Nach Le Brun, Hist. crit. des pratiques superstitieuses, Vol. 1, p. 306.
* De odio Satanae bei Delrio, IV, scct. 16.
* Geschiedenis der Heksenpr., p. 106.
^ Bodin, Daemonom. II, 5.
" Daemonom. IV, 5.
« Vgl. Hauber, Bibl. mag. II, 438 fg.
^ Wierus De praestigiis, lib. II, cap. 15.
298 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilexenverfolguug.
1563, das von ilim selbst sechsmal aufgelegt worden und ihn
als wackern Menschen erscheinen lässt, den das Mitleid mit
der gepeinigten Hülflosigkeit von Ungliicklichcn schonungslos
macht gegen Beschränktheit und Schlechtigkeit, sodass wir
ihm, dem Kinde seiner Zeit, den Mangel tiefern Denkens,
das auf den Grund der Dinge di'ingt, gerne nachsehen iiber
seinem sittlichen Ernste, und uns an seiner eifrigen Beobach-
tung der Einzelheiten begniigen. Obschon er dem Teufel eine
Macht zuerkennt, und die Magie mit ihr in Beziehung sieht,
bekämpft er doch die crassen Vorstellungen von seinem per-
sönlichen Umgange mit Menschen und führt eine Menge Er-
scheinungen auf einen natürlichen Grund oder auf Täuschun-
gen und Einbildung zurück. Er leugnet nur die Hexerei mit
Hülfe des Teufelsbündnisses. In dem allgemeinen Ausdrucke
„Zauberei" unterscheidet er den Magus, als den geflissent-
lichen Täuscher aus Profession, von der Hexe (saga vel lamia),
die aus Geistesschwäche und verschrobener Phantasie vom
Teufel getäuscht wird, und dem Veneficus, Giftmischer, der
sich absichtlich des Giftes bedient.* Den erstem nennt er
daher „magus infamis" und definirt ihn als solchen, der sich
aus freiem Willen vom Teufel oder andern oder durch Bücher
hat unterweisen lassen, durch vorgeschriebene Formeln aus
bekannten oder unbekannten Wörtern, die er hersagt oder
murmelt, oder durch gewisse Zeichen, Beschwörungen und
Ceremonien wissentlich und geflissentlich teuflische Gaukeleien
vorzumachen, dass sie mittels Erscheinungen, oder durch
Laute, oder anderswie auf das Verlangte antworten.^ Wierus
macht namentlich den meisten Priestern und Mönchen den
Vorwurf, dass sie, „ut indoctissimi ita et incomparabilis impu-
dentiae,perditissimaeque impietatis homines", sich den Anschein
«•eben, in die Arzneikunde eingeweiht zu sein, „quam ne primis
quidem labris eos gustasse constat", und den hülfesuchenden
Kranken einreden, dass ihr Uebel von Hexerei herrühre. ^ Sie
erfrechen sich sogar oftmals, eine ehrbare Matrone als Hexe
zu bezeichnen, und brennen dadurch der Schuldlosen und
1 Jo. Wieri Opp. omnia edit. nova IGGU; De praestig. lib. II, cap. I,
§• 18-
^ Cap. II, §. 1.
3 Cap. XVII, t5. 1.
4. Verlauf und Abnahme der Hexenproccsse. 299
Frommen ein Mal ein, von dem weder diese noch ihre Nach-
kommen je befreit werden. Nicht genug, dass sie die Krank-
heit fälschlich deuten, sie überhäufen auch Unschuldige mit
Verleumdung, erregen unauslöschlichen Hass bei dem leicht-
gläubigen Volke, machen, dass unter den Nachbarschaften
lauter Zank herrscht, zerreissen Freundschaften, vernichten die
Bande der Blutsverwandtschaft, sodass Kampf entsteht, die
Kerker sich füllen, sogar Todtschlag auf mancherlei Art ver-
übt wird, und zwar nicht nur an den von ihnen als der Hexe-
rei unschuldig Verdächtigten, sondern auch an denen, welche
diese zu beschützen suchen. ^ „Diese geistlichen scilicet!
Männer", fährt der Verfasser fort% „sind für die Absicht des
Teufels vortreffliche Werkzeuge, denn unter dem Deckmantel
der Religion sind sie mit grossem Eifer ihm zu dienen beflis-
sen, Beelzebub weiss es auch und rühmt sich ihrer, da sie
aus Geldgier oder falschem Ehrgeiz ihre und anderer Seelen
den Dämonen übermitteln und weihen, und auf diese Art die
Medicin, der Künste älteste, nützlichste und so nothwendige,
durch den Glauben an Hexerei Ijei natürlichen Krankheiten
zum Schaden des Lebens und der Gesundheit besudeln". Im
nächsten Abschnitt^ spricht der Verfasser von den unwissenden
Aerzten und Chirurgen, die sich unverschämterweise ihrer
Kunst rühmen und ihre Unwissenheit dadurch zu verdecken
suchen, dass sie Hexerei als Ursache der Krankheit anareben.
Er sucht zu beweisen, dass das Bekenntniss der Hexen auf
Blendwerk beruhe und ohne Belang sei.'* Der Teufel verdirbt
die Phantasie der Hexen. * Weier will, dass die magi infames
bestraft werden, aber nicht alle auf dieselbe Weise ^: Die ab-
sichtlich religiösen Frevel üben, sollen am Leben bestraft wer-
den, bei andern will er die Strafe nach dem angerichteten
Schaden bemessen. Ebenso soll bei Giftmischern die Strafe
nach der Grösse des gestifteten Schadens bestimmt werden. '^
1 A. a. 0. §. 2.
2 Ibid. §. 3.'
3 Lib. II, cap. XVIII.
* Lib III, cap. HI.
' Lib. III, cap. IV.
« Lib. VI, cap. I, §. 1.
' Cap. XXVI, §. 1.
300 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexcnvcrfolgung.
Die Hexen sind nicht im Stande, das zu bewirken, was zu
vermögen oder gethan zu haben sie sich einbilden^, sie sind
eher des Mitleids als der Strafe wiirdig.^
Dieses Werk fand beifällige Anüiahme, wue die wieder-
holten Auflagen und die von Fuglinus veranstaltete deutsehe
Uebersetzung beweisen. Der Pfalzgraf Friedrich, die kleve-
sche Regierung, der Graf von Niuwenar hörten auf Weier's
Stimme. Crespet und Bartholomäus klagen über die Verbrei-
tung der Ansicht, dass das ganze Hexenwesen auf thörichter
Einbildung beruhe, und schreiben dies auf Weier's Rechnung. ^
Da der Glaube an Hexerei noch nicht vernichtet war, konnte
die Reaction nicht ausbleiben. „Der Theorie und der Praxis",
bemerkt Soldan*, „war von dem muthigen Arzte allzu derb auf
den Fuss getreten worden, als dass sie nicht beide zum Bunde
üceeen ihn hätten die Hand sich reichen sollen. Kaum hatte
man sich daher von der ersten Ueberraschung etwas erholt,
so eröffneten Gesetzgeber, Richter und Gelehrte aus den vier
akademischen Facultäten gegen ihn einen dreijährigen Krieg"
u. s. w.
Da der Streit über das Hexenwesen so vielfach erörtert
worden und unser Augenmerk vornehmlich auf die Daten des
zunehmenden Hexenproccsscs gerichtet ist, können wir uns
auf eine summarische Uebersicht beschränken.
Weier antwortete seinen Gegnern Paulus Scalichius und
Leo Suavius (Joannes Campanus) mit einer „Apologia adver-
sus quendam Paulum Scalichium Cjui sc principem de la Scala
vocitat", worin er sie abweist. Weniger bekannt als Bestrei-
ter des Hexenwesens ist der Rechtsgelehrte Godelmann, der
nach Weier einer der ersten war, welcher, obschon dem
Teufelsglauben ergeben, doch Zweifel an der Hexerei er-
regte und den Hexenrichtern grössere Vorsicht empfahl.
Der deutsche Titel seines Buchs ist: „Von Zauberern,
Hexen vndt Vnholden warhafftiger vndt wolgegründeter Be-
richt hn. Georgjj Godelmanni, beyder Rechte Doct. etc., wie
dieselben zu erkennen vndt zu straffen. Allen Beampten zu
' Lib. VI, cap. XXVII.
2 Ibid. §. 25.
3 Dehio, lib. V, scct. 16.
1 S. 345.
I
i
4. Verlauf und Abnahme der Hcxcnprocesse. 301
vnsern Zeiten von wegen vieller vngleiclier vndt streittiger
Meynung sehr nützlieh vndt nothwendig zn wissen etc. Alles
durch M. Georgium Nigrinum Superintend. zu Echzell in der
Wetterawe. Frankf. a. M. MDXLII." Aber das Hexenwesen
und dessen Verfolgung setzten ihren Gang bald mit beschleu-
nigtem Schritte weiter fort.
Im Jahre 1572 erschien im protestantischen Kursachsen
eine Criminalordnung mit folgender Straf bestimmung: „So
jemands in Vergessung seines christlichen Glaubens mit dem
Teufel ein Verbündniss aufrichtet, umgehet oder zu schaf-
fen hat, dass dieselbige Person, ob sie gleich mit Zau-
berei niemauds Schaden zugefüget, mit dem Feuer vom
Leben zum Tode gerichtet und gestraft werden soll ".
Der Heidelberger Arzt Thomas Erastus wärmte in sei-
nem Buche: „De lamiis et strigibus , 1577 den Inhalt des
„Hexenhammers" in dialogischer Form wieder auf, mahnte in-
dess zur Besonnenheit und Vorsicht im Hexenprocesse. Der
Franzose Jean Bodin, der 1579 „De Magorum daemouomania
seu detestando lamiarum et magorum cum Satana commercio"
herausgab, suchte zur Verfolgung des Hexenwesens aufzu-
hetzen. Der deutsche Professor zu Marburg, Wilhelm Adolf
Scribonius, rechtfertigt 1583 das Hexenbad. Dagegen verfolgte
der Engländer Reginald Scott in seinem Buche: „Discovery
of witchcraft" 1584 das von Weier eingeschlagene Gleis. Im
Jahre 1589 schrieb der triersche Suffraganbischof Peter Bins-
feld seinen „Tractatus de confessionibus maleficorum et saga-
rum", der in der Praxis der Hexenprocesse sich Ansehen
erwarb. Cornelius Loos (gest. 1595), Kanouicus, deckte in
seiner Schrift: „De vera et falsa magia" die Blosse und
Schlechtio;keit der Hexenrichter auf. Das Buch wurde con-
fiscirt, der Verfasser auf Befehl des päpstlichen Nuntius ein-
gesperrt und wiederholt zum Widerrufe gezwungen. Der
herzogliche Geheimrath und Oberrichter Nikolaus Remigius
verfasste (1598?) eine „Daemonolatria", die ihrer Gemein-
nützigkeit wegen bald auch deutsch erschien und von Soldan^
treflend „ein wahres Arsenal in jeder Verlegenheit für den
Hexenrichter" genannt wird. Ilcmigius erfreute sich auch
1 S. 351.
302 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
einer ausgiebigen Praxis, denn während seiner 16jährigen
Amtsthätigkeit beim Halsgerichte wurden 800 Todesurtheile
wegen Hexerei gefällt, abgesehen von denjenigen Angeklagten,
die entflohen oder durch die Tortur nicht überfiihrt worden
waren. Jakob I, König von Schottland und England, schrieb
vor seiner Besteio-un«: des englischen Throns eine Dämono-
logie, worin ausser anderm das mündliche oder schriftliche
Pactum der Zauberer mit dem Teufel, die Hexenfahrt, der
Coitus mit In- und Succuben bestätigt werden. Hexen und
Hexer seien mit dem Tode zu bestrafen. In einem andern,
der Ausbildung seines Sohnes zum Regenten gewidmeten
Werke: „Bac.Atxwv 6wpov" ^, stellt Jakob unter den Verbrechen,
wo königliche Begnadigung Sltnde wäre, die Zauberei obenan.
Den Ruhm des gelehrtesten und schlauestcn llexenverfolgers
geniesst der Jesuit Martin Delrio, dessen „Disquisitiones
magicae" 1599 erschienen. Durch seine Bekämpfung verschie-
dener Arten von magischen Heilungen mittels Charakteren,
Bildern, Sigillen u. dgl. nimmt er den Anschein von Auf-
geklärtheit, stellt aber den Bund mit dem Teufel als
Fundament aller Hexerei auf, die desshalb todeswiirdig sei,
und erklärt das Leuouen der teuflischen Zauberei fi'ir ketze-
risch. Gegen Hexerei schützen nur die Heilmittel der katho-
lischen Kirche: Segen, Kreuze, Reliquien, Exorcismen, Agnus
Dei u. dgl. Die Hexen sind, auch wenn sie keinen beschädigt
haben, um ihres teuflischen Bundes willen zu tödten. Ob-
schon der Verfasser bei der Tortiu- Mässigung empfiehlt, er-
klärt er doch, gleich dem Hexenhammer, die Zauberei fiir ein
„crimen exceptum", wobei alles dem Ermessen des Richters
überlassen bleiben soll. Er ist gegen die völlige Lossprechung
und nur für die Absolution von der Instanz. Sein Lands-
mann Torreblanca, der bald nach Delrio eine Dämonologie
in vier Bänden schrieb, ist auch dessen Gesinnungsgenosse.
Greifen wir nach diesem Excurs die unterbrochene Ueber-^
sieht der überhandnehmenden Hexenprocesse mit deren tödt-
lichen Ausgängen wieder auf, so wird sie, trotz ihrer Lücken-
h'iftigkeit, bestätigen, dass am Ausgange des 10. und Anfang
des folgenden Jahrhunderts das Uebel gipfelte.
' Lib. IL
4. Verlauf und Abnahme der Hoxenprocesse. 303
Im Jahre 1565 wird ein Weib zum Tode venirtheilt, das
der Buhlscliaft mit dem Teufel und der Behexung der Pferde
des Amtmanns zu Ginsheim angeklagt worden, nachdem die
Juristenfacultät des protestantischen Marburg dessen Verthei-
digung verworfen hatte. ^
Aus dem Jahre 1572 ist der Process gegen die Herzogin
Sidonie von Braunschweig, geborene Prinzessin von Sachsen,
bekannt, die beschuldigt wurde, im Bunde mit dem Teufel,
und durch Gift versucht zu haben, ihren Gemahl aus dem
Wege zu räumen. 2
Im Jahre 1572 wurde ein Weib zu Zwickau als Hexe
verbrannt. ^
Im Jahre 1583 wird Elise Plainacherin, 70 Jahre alt, in
Wien verurtheilt, nachdem sie torturirt worden, an einen
Pferdeschweif gebunden, auf die sogenannte „Gänseweide" am
Erdberg bei Wien ,,geschlapft", um dort lebendig verbrannt
zu werden, lieber ihre Enkelin, die sie behext haben soll,
sagt die actenmässige Anmerkung des Bischofs von Wien,
Kaspar Neudeck: „dass dieses Mädchen am 14. August 1583
von allen ihren Teufeln, deren 12652 an der Zahl waren,
glücklich befreit und in das Kloster der Laurenzerinnen ge-
bracht worden sei".^
Im Jahre 1585 wurden zu Dresden zwei Weiber himre-
richtet. ^
Die von Carpzov ^ angeführten Urtheile von 1582 bis
1620 beweisen die grosse Rührigkeit des Schöppenstuhls zu
Leipzig.
Brandenburgische Erkenntnisse aus dieser Zeit hat von
Raumer gesammelt. '^
Johann Bischof von Trier Hess 1585 so viele Hexen ver-
brennen, dass in zwei Ortschaften nur zwei Weiber übrig-
blieben, und ein mainzer Dechant Hess in den Dörfern Kretzen-
' Soldan, S. 357.
'■^ Weber, Aus vier Jahrhunderten, II, 38 fg.
" Gantsch, Zur Geschichte des Aberglaubens im 16. Jahrhundert.
* Schlager, Wien. Skiz. im Mittelalter, II, 65 fg.
' Hasche, Diplomat. Gesch. v. Dresden, II, 369.
" Nuva Pract. crim. P. I, yu. 50.
' Märkische Forschungen, I, 231 fg.
f
304 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexcnverfolgung-
burir und Bürsel über 300 Menschen verbrennen, um ihre
Güter zu confisch'en.*
Im Trierschen war das Land derart verwüstet, dass das
Vermögen der Begüterten in die Hände der Gerichtspersonen
und der Nachrichter übergegangen war. Weltliehe und Geist-
liche höhern und niedern Kangs wurden verbrannt, sodass
aus 22 Dörfern in der Umgebung von Trier von 1587 bis 1593,
ohne die Hinrichtungen der Hauptstadt zu rechnen, 368 Per-
sonen den Tod erlitten.^
In Quedlinburg wurden 1589 an einem Tage 133 Hexen
verbrannt.
1588 ward aus Wien an das Fugger'sche Handlungshaus
in Augsburg berichtet: „Man hat in der Neystatt 6 meylen
von Wien gelegen 2 alte Weiber sambt einem Bauer gefan-
gen, die sollen durch ihre Zauberey solch schedliche Vngeziefer
in das Land khommen machen, die thuen allenthalben in
Weingärten vnd Veldern grossen Schaden. Was man derhal-
ben mit solchen Leuten fürnemen wird, kann man derzeit
nit wissen." ^
Im Braunschweigischen wird die Menge der Brandpfähle
auf der Richtstätte vor dem Löchelnholze von zeitgenössischen
Schriftstellern mit einem Walde verglicJien, da in den Jahren
1590 und 1600 an manchen Tagen 10 bis 12 Hexen verbrannt
wurden.'*
In dem kleinen Städtchen Nördlingen wurden von 1590
bis 1594 nicht weniger als 32 Personen dem Feuer übergeben.^
In Ellingen, einer Landcomthurei des Deutschen Ordens,
wurden 1590 in acht Monaten 65 Personen wegen Hexerei
hingerichtet. ^
In der Grafschaft Werdenfels fand in den Jahren 1589
bis 1592 ein grauenvoller Process statt, der damit endete, dass
in sieben Malefizrechtstagen 48 Weiber nach dem grausamsten
Foltern verbrannt wurden. Ein besonderes Actenheft trägt
' Schindler, 301, Note.
2 Linden, Gosta Trevir. III, 53 qu. bei Soldan, S. 358.
3 Schlager, a. a. 0. S. 48.
* Spittlcr, Geschichte des Fürsteiithunis Kaienberg, I, 307.
^ Weng, Der Hcxeiiprocess in Nördlingen, S. 60.
« Bopp, Art. Ilexenprocess in Rotteck und Welcker's Staatslexikon.
^ 4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 305
die Aufschrift: „Hierin lauter Expensregister was versoffen
und verfressen worden, als Weiber zu Wcrdenfels im Schlosse
in Verhaft gelegen und hernach als Hexen verbrannt wor-
den." ^
In Offenburfic wurden binnen neun Jahren auf dem kleinen
Stadtgebiete 24 Personen hingerichtet.^
In den ganz kleinen Städtchen Wiesenburg und Ingel-
fingen wurden in einem Processe doi't 25, hier 13 verurtheilt,
und zu Lindheim, welches 540 Einwohner zählte, wurden von
1640 — 51 30 Personen verbrannt. ^
In der kleinen Grafschaft Henneberg wurden im Jahre
1612 22 Hexen verbrannt und von den Jahren 1597 bis 1676
im ganzen 197.
In den Jahren 1601 und 1603 waren zwei Hexen im Cri-
minalhause in der Himmelpfortgasse in Wien in Untersuchung.
Eine davon hatte ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende
gemacht in dem Brunnen des Gefangenhauses. Die zweite
war den Qualen des Gefängnisses und der Tortur unterlegen
und starb daselbst. Ihre Leiche wurde auf der „Gänseweide"
am Erdberg verbrannt. Die Leiche der erstem durfte nicht
verbrannt, aber auch nicht wegen der „Magia posthuma" bei
Wien begraben werden. Ihre Leiche wurde daher in ein Fass
gepackt und in die Donau geworfen, damit sie von Wien ent-
fernt verwese.* Dieser Fall macht nach Schlager den Be-
schluss solcher Justificationen in Wien.
In England wurde 1593 ein altes Weib sammt ihrem
Ehemanne und ihrer Tochter zu Huntingdon zum Tode
verurtheilt.^ In der Zueignung sagt Hutchinson: „In un-
serer Nation sind seit der Reformation über 140 hingerichtet
worden".
In Schottland schürte besonders Jakob VI. das Feuer
und wohnte selbst den Verhören bei.
In den Niederlanden wird durch die Verordnungen Phi-
lipp's IL von 1592 und 1595 die Zunahme des Hexenwesens
' Hormayr, Tasclienl3uch für vaterländ. Geschichte, 1831.
- Schreiber, Hexenprocess im Breisgau.
3 Schindler, S. 301.
^ Schlager, S. 52.
^ Hutchinson, Kap. 7.
Koskoff, Geschichte des Teufels. II. <■)()
306 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
beklagt und dessen strenge Verfolgung geboten. Ein Rescript
von Albert und Isabella vom Jahre IGOG ermächtigt die Rich-
ter, einen Denuncianten , auch wenn er mitschuldig wäre, zu
begnadigen. ^
In Frankreich verurtheilte das Parlament von Dole im
Jahre 1573 Gilles Garnier zum Feuer, weil er als Werwolf
Kinder zerrissen haben sollte. ^ Das Parlament von Paris
verfuhr ebenso gegen den Werwolf Jacques Rollet im Jahre
1578. Dasselbe bestätigte 1582 das Todesurtheil einer Hexe,
die einem jungen Mädchen den Teufel in den Leib geschickt
hatte. Verschiedene andere Urtheile fiihrt Plancy an. ^ Hein-
rich III. wurde als Begünstiger der Hexerei verrufen, weil er
einst einige angeblich Besessene als Betrüger nur einsperren
liess. Unter Heinrich IV. blühten die Hexenprocesse, und als
Beweis führt Soldan •*, ausser den Berichten aus Poitou imd
den Registern der Parlamente zu Bordeaux und Paris, das
Zeugniss des Jesuitenjüngers Florimond de Remond an, wel-
cher mit Beziehung auf das Jahr 1594 sagt: „Unsere Gefäng-
nisse sind voll von Zauberern; kein Tag vergeht, dass unsere
Gerichte nicht mit ihrem Blute sich färben, und dass wir nicht
traurig in unsere Wohnungen zurückkehren, entsetzt über die
abscheulichen, schrecklichen Dinge, die sie bekennen. Und
der Teufel ist ein so guter Meister, dass wir nicht eine so
grosse Anzahl derselben zum Feuer schicken können, dass
nicht aus ihrer Asche sich wieder neue erzeugten".^ Im
Jahre 1G09 stellten Despagnet und De Lauere im königlichen
Auftrage eine Untersuchung unter den Basken von Latura
an, in deren Folge mehr als 000 Personen verbrannt wurden.'*
In Spanien wurden am 7. und 8. November 1810 zu
Logrone bei Gelegenheit eines Auto da Fe 11 Personen, welche
leugneten, wegen Zauberei verurthcilt.
In Frankreich wurden luiter Ludwig XIII. die beiden
Processe gegen die Geistlichen Gaufridy und Grandier be-
' Cannaert, Bydragen, bei Sold., S. 366.
2 Garinet, Ilist. de la Magie en France, 129; bei Sold., S. 3G6.
^ Dictionnaire infernal, an verschiedenen Orten.
* S. 367.
* Delri, V. Append.
« Le Brun, I, p. 3U8; bei Sold., S. 368.
!
\
n:
4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 307
rühmt. Der erstere ward angeklagt: die Nonne Magdalena
de la Padua verführt und zum Hexentanze mitgenommen zu
haben. Er wurde jrefoltert und im Jahre 1611 auf dem Do-
minicanerplatz zu Aix lebendig verbrannt. Urbain Grandier
wurde laut Sentenz vom 18. August 1634 des Lasters der
Hexerei und der durch ihn veranlassten Teufelsbesitzung eini-
ger Nonnen zu London und anderer weiblicher Personen an-
geklagt, gefoltert und hingerichtet.
Im Bisthume Bamberg, wo die Reformation sehr frühe
Eingang gefunden hatte, war die Reaction der Bischöfe,
daher die Verfolgung der Ketzerei und also auch Hexerei
sehr gross. Vom Jahre 1624 — 30 betrug die Zahl der
in den beiden Landgerichten Bamberg und Zeil anhängi-
gen Processe nach Lamberg's actenmässiger Bestimmung mehr
als 900 mit 285 Hinrichtungen. ^ Eine im Jahre 1659 mit
bischöflicher Genehmigung zu Bamberg gedruckte Schrift mel-
det in ihrem Titel: „Kurtzer und wahrhafi'tiger Bericht und
erschreckliche Zeitung von sechshundert Hexen, Zauberern
und Teuffels - Bannern , welche der Bischoff von Bamberg hat
verbrennen lassen, was sie in gütlicher und peinlicher Frage
bekannt. Auch hat der Bischoff im Stifft Würtzburg über
die 900 verbrennen lassen. — Und haben etliche hundert
Menschen durch ihre Teuffels -Kunst um das Leben gebracht,
auch die lieben Früchte auf dem Feld durch lieiffen und Frost
verderbt, darunter nicht allein gemeine Personen, sondern et-
liche der vornehme Herren, Doctor und Doctors -Weiber, auch
etliche Rathspersonen, alle hingericht und verbrannt worden,
welche schreckliche Thaten bekannt, dass nicht alles zu be-
schreiben ist, die sie mit ihrer Zauberey getrieben haben,
werdet ihr hierinnen allen Bericht finden" u. s. w. ^ Auch
im Stifte Würzburg hatte die Gegenreformation Anlass ge-
nommen, ihren Bestrebungen durch Hexenverfolgung Nach-
druck zu geben, namentlich war es Bischof Philipp Adolf
von Ehrenberg (1623 — 31), der sie im grossen betrieb.
Durch rasch aufeinanderfolgende Brände wurden Personen aller
1 Crirainalverf'aliren vorzüglich ))ei Hexeriprocesscn im ehemaligen
Bisthum Bamberg während der Jahre 1624 — 30 aus actemnässigen Ur-
kunden gezogen von G. Lamberg.
2 Bei Hauber, Bibl. mag., III, 441 lg. abgedruckt.
20*
308 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Art verzehrt. Ein Verzcichuiss der Hinrichtungen bis 1029,
das bis zum 29. Brande reicht und wir weiter unten aus
Hauber entlehnen, zählt 157 Personen, und Soldan ^ weist auf
die Fortsetzung bis zum 42. Brande hin, die der Biograph des
Bischofs bei Gropp^gibt, wo die Zahl der Unglücklichen 219
erreicht, worin aber nur die in der Stadt A¥ürzburg voll-
zogenen Urtheile begriffen sind, da die Gesammtzahl der
Hinrichtungen unter Philipp Adolf nach dem erwähnten, mit
bambergischer Censur gedruckten Bericht auf 900 steigt.
In der Provinz Fulda wüthete Balthasar Voss, der sich
riihmte, über 700 Unholde dem Scheiterhaiifen überliefert zu
haben ^ und das Tausend vollzumachen hoffte.
In dem kleinen Städtchen Ofienburg, dessen Thätigkeit
schon aus dem ersten Jahrzehnt bekannt ist, wurden von 1027
— 31 60 Personen hino-erichtet. * ff
In der kleinen Stadt Büdingen im Isenburc-ischen wurden
im Jahre 1033 nicht weniger als 64 Personen, im Jahre 1634
abermals 50 angeklagt und hingerichtet. ^ ;
In dem mainzischen Städtchen Dieburg wurden im Jahre
1627 36 Einwohner hingerichtet. ^
Adam Tanner, ein Jesuit in Baiern, der den Richtern
bei den llexenprocessen grössere Vorsicht gerathen luid auf
sichere Beweisstellung gedrungen hatte, erhielt, als er 1632
in Tirol starb, kein christliches Begräbniss, weil man einen
haarigen Teufel in einem Glase bei ihm fand, der sich als
Floh in einem Mikroskope aufbewahrt herausstellte. Um
diese Zeit hatte sich auch eine andere Stimme erhoben, die
freilich, wie Soldan bemerkt ^, in ihrer Wirkung nicht glück-
licher war als die Stimme des Predigers in der Wüste. Es
erschien nämlich im Jahre 1361 die Schrift: „Cautio crimina-
lis, scu de processi!)us contra sagas liber ad magistratus Ger-
maniae hoc tem2)ore neccssarius; tum autcm consiliariis et
1 b, 3S(].
- J. Groppii Collect, noviss. Script, et rer. \Vircc])urg., tom. III, 102.
^ Bopp, Rotteck und Wclckor, Staatslcxikon, Art. Ilcxenprocess.
^ Schreiber, Ilcxenprocess im Breisgau, S. 22.
^ Thudichum, Geschichte des Gymiuisiunis zu Biidingen, S. 33.
'■ Steiner, Gescliichte von Dieburg, S. (J8.
' S. 397.
4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 309
confessariis princiiHim, inquisitoribus, judicibus, advocatis, con-
fessariis reorum, concionatoribus ceterisque lectu iitilissimus.
Auetore incerto Theologo orthodoxo. Rintelii, typis exscripsit
Petrus Lucius, typogr. Acad. MDCXXXI", deren Verfasser,
der Jesuit Friedrich Spee, als Seelsorger in Franken binnen
weniger Jahre 200 der Hexerei Beschuldigte zum Scheiter-
haufen hatte begleiten miisscn. Es kennzeichnet den Ver-
ftisser als Mensehen, wenn er dem nachmaligen Kurfürsten
von Mainz, Philipp von Schönborn, auf die Frage: woher er,
kaum 30 Jahr alt, doch schon ergraut sei? antwortete: aus
Gram über die vielen Hexen, die er zum Tode vorbereitet,
doch keine für schuldig befunden. Das Herz, das dieser
Mann unter seinem Jesuitengewande trug, war weiter als
der Gesichtskreis seines Denkens. Der Schmerzensschrei,
den ihm das Gefiihl der Menschlichkeit erpresst hat, betriiFt
nur die Unmenschlichkeit der Praxis und nicht die Sache
selbst, da er die Existenz der Hexerei und die Noth wendig-
keit von Massregeln dagegen einräumt, die er aber nicht nur
mit Vorsicht und Gewissenhaftigkeit gehandhabt, sondern
auch grundsätzlich beschränkt wissen will. Dabei bekämpft
er die Gehässigkeit des Volks, die Unwissenheit und Geld-
gier der Richter, das leichtsinnige Verfahren der Fürsten,
den beschränkten Fanatismus der Geistlichen, die Unsicher-
heit der Indicien, die Trüglichkeit der abgefolterten oder durch
Zeugen erlangten Thatsachen, die Unmenschlichkeit der Tortur
und das ganze Verfahren überhaujDt. „Denn bei diesen Pro-
cessen wird keinem Menschen ein Advocatus oder auch einiire
Defension, wie aufrichtig sie immer sein möchte, gestattet;
denn da rufen sie, dies sei ein «ci'imen exceptum», ein solches
Laster, das dem gerichtlichen Processe nicht imterworfen sei;
ja wenn einer sich als Advocatus dal:iei gebrauchen lassen,
oder der Herrschaft einreden und daran erinnern wollte, dass
sie voi'sichtig verfahren solle, der ist schon im Verdacht des
Lasters, muss ein Patron und Schutzherr der Hexen sein,
sodass aller Mund verstummen und alle Schreibfedern stumpf
werden, und man weder reden noch schreiben darf.^" „Ja ich
schwöre feierlich, von den vielen, welche ich wegen angeb-
licher Hexerei zum Scheiterhaufen begleitete, war keine ein-
' Cautio criiri., Duljium LI, 15.
310 Diitter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung. ^
zige, von der man, alles genau erwogen, hätte sagen können,
dass sie schuldig gewesen wäre, und das Gleiche gestanden
mir zuvor zwei andere Theologen aus ihrer Erfahrung! Aber
behandelt die Kirchenobern, behandelt Richter, behandelt
mich ebenso, wie jene Unglik'klichen, werft uns auf dieselben
Foltern, und ihr werdet uns alle als Zauberer erfinden." '
Nachdem Schönborn mit Spee vertrauter geworden, dessen
Verfasserschaft der „Cautio criminalis" erfahren, Bischof und
Reichsfürst geworden, verlöschten die Menschenbrände in
dieser Gegend, wenigstens bis 1749, wo die Nonne Maria
Renata zu Wiirzburg den Scheiterhaufen besteigen musste.
Wenn die Stimme des katholischen Priesters im ganzen
keinen rechten Widerhall hervorrief, sowenig als die seines
Vorgängers, des protestantischen Arztes Weier, unmittelbar
eine Veränderung in den Hexenprocessen hervorgebracht hatte,
so liegt der Grund wol zum Theil in dem Mangel der einen
Bedingung, der guten Erbschaft, die nach Goethe einem Re-
formator nicht fehlen darf, wenn er Erfolg haben soll. Trotz- ^
dem dürfen wir die tröstliche Ueberzeugung hegen: keine
sitthch gute That bleibt fruchtlos, nur fällt die süsse Frucht
meist erst der Zukunft in den Schos. So haben die Bestrc-
bunofen dieser Männer zum Erbtheil späterer Generationen ihr
Scherflein beigetragen.
Das Feuer der Hexenverfolgungswuth brannte fort und
wurde durch katholische und protestantische Prediger mit
•zleichem Fanatismus geschürt. Einen Beweis des letztern
liefert der starke Quartband: „Neue auserlesene und wohl-
begründete Hexenpredigten u. s. w., von M. Hermann Sam-
sonius, Superintendent zu Riga, 182G." Einen charakteristi-
schen Zug zu dem dunkeln Gemälde des 17. Jahrhunderts
liefert die von Horst ^ angeführte „Druten-Zeitung", die in
Nürnberg 1G27 anonym vom Buchdrucker Lochner, mit dem
Orte „Schmalkalden" bezeichnet, erschien. Es sind Lieder-
verse, in welchen die Inquisitionsacten der grossen Hexen-
processe die Unterlage abgeben. Horst bemerkt, dass die
Reimereien offenbar von einem Protestanten herrühren , der
seine Freude und seinen Dank gegen Gott darüber ausdrückt,
1 Dubium XX, Ratio IV, Dubium XXX, Document. XIX.
■' Zaubcrbibl., VI., 310.
4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 311
dass es den katholischen Nachbarstädten Bamberg und Würz-
burg gelungen, die Zauberrotte zu vertilgen, und beglück-
wünscht beide frommen Städte wegen ihrer gottseligen Hexen-
])rände. Der Titel ist: „Druten-Zeitung, Verlauf was sich
hin und wieder in Frankreich, Bamberg vnd Würtzburg mit
den Vn holden vnd denen so sich aus Ehr- vnd Geldgeitz
muthwillig dem Teufel ergeben, Denkswürdiges zugetragen,
auch wie sie zuletzt ihren Lohn empümgen haben, gesang-
weiss gestellt, im Thon wie man «Dorothea» singt." Hierzu
Abbilduno-en.
Im Jahre 1635 schrieb der jüngere Carpzov sein pem-
liches Recht, „Bened. Carpzovii ICti Practica nova rerum
criminalium Iraperialis, Saxonica, in tres partes divisa". * Man
hat den Verfasser trefiend einen starren, autoritätsgläubigen
Juristen genannt, der selbst wiederum zur Autorität geworden
ist. Seine Autoritäten in Hexensachen sind Bodin, Remigius,
Jakob I. und Delrio, in Strafbestimmungen ist es das säch-
sische Recht; er autorisirt den inquisitorischen Process als
den ordentlichen bei allen grössern Verbrechen und das sum-
marische Verfahren beim crimen exceptum der Hexerei. ^ Und
die Hexenprocesse machten ihren Gang weiter:
In Hannover wurden in einem Jahre 10 Personen zum
Feuer verurtheilt. ^ In Osnabrück über 80 Personen verbrannt.
Im Fürstenthum Neisse mögen von 1640 — 51 an 1000 Hexen
verurtheilt worden sein, denn über 242 Brände liegen Acten
vor, und es waren Kinder von ein bis sechs Jahren darunter.*
In der Stadt Neisse (Schlesien) wurden im Jahre 1651
42 Weiber verbrannt, wozu in der Nähe des Hochgerichts
ein eigener Ofen stand. ^
Soldan führt aus dem „Theatrum europaeum" die Opfer
an, die das Jahr 1652 hinraffte, und zwar in Homburg, in
der Wetterau, in Isenburg-Büdingen, Waldeck, auf der Insel
i Viteb., 1G35.
= Vgl. Pars III, qu. 103, n. 50; qu. 107, n. 22. 72; qii. 103, n. 18;
qu. 108, n. 4. 5. 26. 83; qu. 122, u. 60.
2 I)ie Hexen in Hitzaekcr, im 2. Bd. der Zeitschrift: Neues vaterl.
Archiv oder Beilrag" zur Keiinüiiss des Königreichs Hannover.
^ Schindler, S. 301.
^ Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthumsk. Schlesiens,
1856, I, 119.
312 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Schutt; er erinnert an das zehnjährige Mädchen in Vorpom-
mern, das gestehen musste, mit dem bösen Geiste bereits zwei
Kinder gezeugt zu haben und mit einem dritten schwanger
zu gehen; im Jahre 1662 wurden zu Marienburg mehrere
Personen verbrannt infolge der AnkLage: dass sie mittels eines
Pulvers Mäuse mit Fischschnauzen hervorgebracht hätten; in
München im Jahre 1666 ein siebzigjähriger Greis mit glühen-
den Zangen gezwickt und dann verbrannt, weil er Ungewitter
gemacht, indem er durch die Wolken gefahren sei. ^
Nach den Bruchstücken, die Heldritt mittheilt, wurden
von 1639 — 51 zu Zuckmantel 85, zu Freiwaldau 102, zu
Niklasdorf 22, zu Ziegenhai« 22, zu Neisse 11, zusammen
242 Personen hingerichtet, darunter Frauen und Töchter von
Rathsherrn, Gastwirthen, Wein- und Garnhändlern, Bleichern
und andern vermögenden Leuten, auch einige Kinder, grössten-
theils aber arme alte Mütterchen wegen Hexerei verbrannt. '-^
In Zuckmantel, dem Bischof von Breslau gehörig, waren acht
Henker in voller Thätigkeit, und 1651 starben 102 Personen
den Feuertod, worunter auch zwei Kinder, deren Vater der
Teufel gewesen sein sollte. ^
Das Dorf Lindheim in der Wetterau sah von 1661 — 66
30 Personen hinrichten.
Ln Fürstenthum Kaienberg brennen in der Mitte des
17. Jahrhunderts die Scheiterhaufen. *
Salzburg verbrannte 1678 97 Personen, wobei der Pro-
testantismus zur Carikatur der Hexerei geworden war.
Ein Herr Christoph von Rantzow Hess 1686 auf einem
seiner Güter in Holstein an einem Tage 18 Hexen ver-
brennen. *
In Steiermark hat das 17. Jahrhundert alle seine Vor-
gänger in Hexenprocessen weit übertroffen, fast alle Hexen-
processe in Steiermark sind aus diesem Jahrhundert. ^
' Öoldan, 416.
2 Dr. Elvert, Das Zauber- und Hexen wesen u. s. w. in Mähren und
Oeeterrcichisch-Schlcsien, S. 99.
3 Theatr. Europ., VII, 148.
* Küling, Auszüge merkwürdiger Hexenprocesse in der Mitte des
17. Jahrhunderts.
'^ Horst, Dämonom., S. 198.
^ Graetf, Versuch einer Geschichte der Crfminalgesetzgebung u, s. w., 175.
i
4. Verlauf und Abnahme der Hexenprocesse. 313
In Mähren wurden 1679 4 Weiber verbrfinnt; 1680 am
5. April 5 Frauen; 1684 am 5. September 4 Weiber; 1685 3;
1686 am 7. October 4 Weiber hingerichtet. Aus den Jahren
1687, 1689 werden 15 Hexenbrände aus Ullerdorf gemeldet;
besonders langwierig ist der Hexenprocess gegen den scliön-
berger Dechant Lautner. ^
Im Sachsen-Gothaschen wurden in den Jahren 1670 — 75
unter den Auo;en des Herzoo;s Ernst des Frommen im kleinen
Amte Georgenthal 38 Hexenprocesse meist mit dem Feuer-
tode abgeschlossen. ^
Der Hexenrichter Nikolaus Remy rühmte sich (1697),
dass er in Lothringen binnen 15 Jahren 900 Menschen wegen
Zauberei habe verbrennen lassen.^
Nach den Ausziigen aus den Hexenprocessen der beiden
Städte Braunsberg (Alt- und Neustadt) beginnen die Hin-
richtungen erst im 17. Jahrhundert. In der Altstadt wird
1605 die erste und 1670 die letzte Hexe verbrannt; in der
Neustadt wahrscheinlich 1610 die erste und 1686 die letzte. *
In Rottweil wurden im 16. Jahrhundert in 30 Jahren 42,
und im 17. Jahrhundert binnen 48 Jahren 71 Hexen und
Zauberer verbrannt. ^
In England durchzog Matthias Hopkins vom Jahre 1642
als Generalhexenfinder die Grafschaften Essex, Sussex, Norfolk
und Huntingdon und brachte Hunderte ungliicklicher Men-
schen zum Tode. 1642 wurden zu Yarmouth 16 hingerichtet;
1645 zu Chelmsford 15 hingerichtet und einige zu Maningree
verdammt, zu Cambridge 1 gehenkt; 60 zu Sanct-Edmunds
in Suflfolk bei verschiedenen Executionen und ebenso viel auf
dem Lande in den Jahren 1645 und 1646. ^ Im nördlichen
England war ein aus Schottland verschriebener Hexenfinder
geschäftig, der dann am Galgen gestand, dass er iiber
200 Weiber um den Lohn von 20 Schilling per Kopf zum
Tode geliefert habe. In Schottland starben binnen Jahres-
' Bischof, Zur Geschichte des Glaubens an Zauberer, Hexen u. s. w.,
S. 21. 103 fg. 146. 148.
2 BoiDp, Rotteck und Welcker, Staatslexikon.
3 Schindler, S. 301.
^ Lilienthal, Die Hexenprocesse der beiden Städte Braunsberg.
* Schindler, S. 301.
** Hutchinson, Kap. 4.
314 Dritter Abschnitt: Periode der gericbtlichcn Hexenverfolgung.
frist GOO Beschuldigte den Feuertod. Mr. Ady rechnet die
in diesen greulichen Zeiten Vej-brannten auf viele Tausende.
In Schweden ist der grosse Process von Mora im Jahre
1069 durch seine Furchtbarkeit bekannt, indem 72 Weiber
und 15 Kinder wegen Hexerei zum Tode, 56 jüngere Kinder
zu andern schweren Strafen verurtheilt wurden. ■
Im Jahre 1G70 erhob da.< Parlament von Ronen Ein-
sprache gegen die Begnadigung der Hexen, und die Verfolgung
wüthete mit äusserster Heftigkeit im ganzen Süden von Frank-
reich. ^
Die Hexenprocesse verbreiteten sich auch über Europa
hinaus. Im Jahre 1664 wurde Mary Johnson zu Hartfortshire
in Neuengland hingerichtet. Im Jahre 1692 am 10. Juni zu
Salem 1 Person hingerichtet; am 9. Juli 5; am 19. August
noch andere 5; am 22. Sei^tember 8. Ebenso hatten Boston,
Andover, Bury in Neuengland ihre Hexenprocesse und Hin-
richtumjen. *
Mit dem 18. Jahrhundert wird die Abnahme der Hexen-
processe augenmerklich. Im Jahre 1713 verurtheilte die Ju-
ristenfacultät von Tübingen noch eine alte Frau wegen Hexerei. ^
Ein bekanntes Beispiel ist die Hinrichtung der Supriorin des
Klosters Unterzell bei Würzburg, Renata Sänger, im Jahre
1749. Zu Landshut wird im Jahre 1756 ein Mädchen von
13 Jahren als Hexe hingerichtet, weil es mit dem Teufel Um-
gang gepflogen. ^ Zu Sevilla schloss 1781 die ganze Reihe
von Hinrichtungen in Spanien eine weibliche Person; als
letzte Hinrichtung wegen Hexerei auf deutscher Erde wird
die vom Jahre 1783 in Glarus genannt.
5. ErMärimg der Hexenperiode.
Auf den ersten Blick mag es unbegreiflich scheinen, dass
eine Zeit, von der wir unsere heutige Culturstufe zu datireu
1 Lccky, Geschichte der AufkUiruiig in Europa, I, 3, Note.
2 Hutchinson, Kap. 5; vgl. Görres, Christliche Mystik, IV, 2, S. 534.
^ Bopp, llollcck und Welcker, Siaatslexikon.
' Bopp, a. a. 0.
5. Erklärung der Ilexenperiode. 315
gewohnt sind, welche neben der Verbreitung einer classischen
Bildung durch die merkwürdigsten Entdeckungen reforma-
torisch wirkte, welche durch den Humanismus die scholastische
Philosophie stürzte, gegen das Feudalsystem kämpfte, Reli-
gion und Sittlichkeit zu heben trachtete, in welcher Zeit dar,
dringende Bedürfniss nach einer Verbesserung der Kirche in
Haupt und Gliedern nicht nur in einem allgemeinen Schrei
laut geworden, sondern von einer Seite selbst Hand angelegt
ward , dass gerade in solcher Zeit das Hexenwesen und deren
Verfolgung, also der Teufelsglaube, der jenem zu Grunde
liecrt, eine solche Tiefe und Breite erreichen konnte. * Auf
den ersten Blick scheint diese Thatsache allerdings unbegreif-
lich; allein blicken wir auf den bisherigen Verlauf der
Geschichte des Teufelsglaubens zurück, werfen wir einen
zweiten Blick auf die allgemeine Weltlage und die socialen
Verhältnisse, suchen wir dann weiter nach den speci-
fischen Factoren, die in der Hexenperiode mitwirkten, so
werden wir finden, dass auch diese Periode nicht urplötz-
lich in die Geschichte hineingeplatzt ist, sondern, wie jede
geschichtliche Erscheinung, gleich einem vielverschlungenen
Gewebe aus vielen mannichfaltigen Fäden, die das Menschen-
leben durchziehen, sich herausgewoben hat. Aber eben weil
die herrschenden Vorstellungen einer Zeit das Product von
unendlich vielen Vermittelungen sind, setzt auch eine Ver-
änderung in jenen wieder einen Vermittelungsprocess voraus,
dessen Ergebniss zwar nie ausbleibt, aber geraume Zeit in
Anspruch nimmt, bis es als fertige Erscheinung auftritt.
Betrachten wir die Zeitumstände. Das päpstliche An-
sehen hatte unter Bonifaz VHI. im Streite gegen Philipp IV.
von Frankreich, der den Sitz des Papstes von Rom nach
Avignon verlegte (1309), eine grosse Niederlage erlitten. Der
päpstliche Stuhl kam zwar im Jahre 1378 wieder nach Rom
zurück, indem aber dem Papste von Rom ein anderer gegen-
übergestellt ward, musste durch diese Kirchenspaltung das
päpstliche Ansehen überhaupt vermindert erscheinen. Auf
der allgemeinen Kirchenversammlung zu Pisa 1409 erfüllte
sich Kaiser Ruprecht's Wort: es werde „aus der päpstlichen
1 Vgl. Schindler, S. 74.
316 Dritter Abschnitt : Periode der gerichtlichen Hexenvcrfolgung.
Zwcifaltigkeit eine Dreifaltigkeit werden", da die beiden von
der Versammlung entsetzten Päpste sich neben dem neuge-
wählten zu behaupten suchten. Das Concil zu Kostniz 1414
hob zwar die Kirchenspaltung, aber die von den deutschen
lleichsständen dringendst verlangte Reformation der Kirche
an Haupt und Gliedei-n stieg mit der Verbrennung des Jo-
hannes Huss zugleich in Rauch auf. Das Basler Concil 1431
dämpfte wol die hussitischen Unruhen; aber die Franzosen
lockerten das Band, das sie an Rom festgeknüi^ft hatte, durch
die Griindung ihrer Nationalkirche. Der Eifer eines Pins II.
war nicht mehr im Stande, ein gemeinsames Unternehmen
gegen die Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453
hervorzurufen, und Mohammed II. machte 14(34 dem griechi-
schen Kaiserthum ein Ende. Es herrschte „'Auflösung des
gesammten kirchlichen Wesens durch alle europäischen Reiche",
sagt Görres über diesen Zustand, „in der Hierarchie die Zer-
riittung der Innern Rundung, der Geschlossenheit, Auflehnen
der Glieder gegeneinander und gegen die Einheit, auf dem
Concilium ; die Prälaten und die untern Priesterordnungen
im Hader". ^
In Betreff der Rechtspflege dieser Zeit ist es geläufig,
von Fehde und Faustrecht des Mittelalters zu sprechen. Wir
theilen zwar nicht den Irrthum, welcher Fehde und Faust-
recht seinem Ursprünge nach für das inibeschränkte Recht
des Stärkern, also für das Unrecht ansieht, und Wächter^
hat wiederholt und überzeugend nachgewiesen: dass das Fehde-
recht ursprünglich wirkliches Rechtsverhältniss gewesen und
nur durch Misbrauch ausartete; allein dieser Misbrauch
war in der Praxis am Ausgange des 15. Jahrhunderts eben
im Gange, und so herrschte allerdings mehr Unrecht als Recht.
Wohl waren schon im Anfange des 13. Jahrhunderts die zwei
berühmten Rechtsquellen der Deutschen, der „Sachsenspiegel"
und der „Schwabenspiegel", zusammengestellt, verschiedene
„Landrechte" und „Wcisthümer" im Verlaufe dieses Zeitraums
niedergeschrieben worden; die Stammeseifersüchtelei hielt je-
doch an den besondern Rechtsgewohnheiten so fest, dass
keine kräftige Rechtseinheit platzgreifen konnte. Daneben
)
1 Chribtlichc Mystik, IV, 2, S. 57;).
2 Beiträge zur deutschen Geschichte, ö. 247.
5. Erklärung der Ilexenpcriodc. 317
war das Ansehen der staatlichen Macht so sehr geschwächt,
dass ihm die Kraft gebrach, den willkürlichen Ansschreitnngen
der Stärkern Einhalt zn thnn und den Schwachen unter den
Schutz des Rechts zu stellen, daher die vielberufenen Fem-
gerichte, die, gleich der Fehde, dem Ursprünge nach Noth-
mittel zur Selbsthülfe waren, ihre Zuflucht zur Heimlichkeit
nehmen mussten, weil öfientlich kein Recht zu schaffen war.
Wegelageruug und roheste Räuberei waren gang und gebe,
die Herren vom Stegreife machten ein Gewerbe daraus, über
Hab imd Gut des Bürgers herzufallen. Der Kanzler der
Universität Tübingen, Naviclerus, am Ende des 15. Jahrhun-
derts, entwirft mit wenigen Zügen ein lebendiges Bild vom
Getriebe der Ritter jener Zeit. „Sie bauen Burgen und
Schlösser auf Bergen und in Wäldern, leben von dem, was
sie geerbt und ihren Einkünften, wo aber diese nicht aus-
reichen, scheuen sie keine Gelegenheit zu rauben." Noch
bündiger und drastischer äussert sich um dieselbe Zeit ein
römischer Cardinal: „Ganz Deutschland ist voll Räuberei und
unter den Adelichen gilt der für um so rvdimreicher, je räu-
berischer er ist."
Die materielle Lage, in der sich das „mühselige Volk der
Bawren" unter solchen Umständen befunden, zeigt die Kos-
mographie von Münster, worin es unter anderm von den
Landleuten heisst: „Diese fürn gar ein schlecht und nieder-
trächtig Leben; ihre Häuser sind schlechte Häuser von Kot
und Holz gemacht, uff daz Ertrich gesetzt und mit Strow
gedeckt. Ihre Speiss ist schwarzrucken Brot, Haberbrey oder
gekochte Erbsen und Linsen, Wasser und Molken ist fast ihr
Trank. Ein Zwilchgüppe, zween Buntsckuch und ein Filzhut
ist ihre Kleidung. Diese Leut haben nimmer Ruh. Früw
imd spat hangen sie der Arbeit an. Ihren Herrn müssen sie
offt durch das Jahr dienen, das Feld bawen, säen, die Frucht
abschneiden und in die Scheune fürn, Holz hawen und Graben
machen. So ist nichts, das das arme Volk nitt thun muss
und on Verlust nitt aufschieben darff." — „Diess mühselig
Volk der Bawren", fügt ein anderer zeitgenössischer Schrift-
steller hinzu, „kohler, hirten ist ein seer arbeitsam Volk, das
jedermanns Fusshader ist und mit fronen, scharwerken, zinsen,
gülten, steuern, zollen hart beschwert und überladen."
Die Bürger in den Städten, darauf bedacht, ihr Leben,
318 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Hab und Gut gegen die herrschende Räuberei und Gewalt-
samkeit zu schützen und ihre bürgerliche Existenz gegen
fürstliche und geistliche Vergewaltigung zu sichern, erstrebten
dies durch Vereinigung zu den bekannten Städtebünden, die
seit der AuflösunG; der grossen Stammesherzogthümer vom
12. Jahrhundert ab immer häufiger wurden, seit dem Verfalle
der Kaisermacht im 13. Jahrhundert auch nach grösserer
Selbständigkeit trachteten. Die Noth hatte das Corporations-
wesen hervorgerufen, das sich bis zum Zunftwesen besonderte.
Durch Vereinbarung war die Macht erlangt, das durch Handel
und Gewerbe gewonnene Gut in den Städten anzuhäufen, der
städtische Wohlstand reizte zum Genüsse, den die herrschende
Roheit zur Verschwendung, Völlerei und Ausschweifung ver-
renkte. Die städtischen Luxusgesetze und Kleiderordnungen,
die vom 14. Jahrhundert ab immer häufiger ergehen, sind ein
Beweis der Nothwendigkeit, dem verderblichen Aufwände zu
steuern. Als Beispiel genügt der Becker Veit Gundlinger zu
Augsburg, der bei seiner Tochter Hochzeit, im Jahre 1493,
nicht weniger als 270 Gäste an 60 Tischen acht Tage hin-
durch bewirthete. Es wurde dabei dermassen geschlemmt,
getanzt u. s. w., dass, wie der Chronist bemerkt, „am sie-
benten Tage schon viele wie todt hinfielen". ^ Aehnhch
lauten die Berichte über die Genusssucht beim „Leichen-
trank" und bei andern Gelegenheiten des geselligen Beisammen-
seins. Die furchtbare Strenge der wiederholt erlassenen Straf-
gesetze gegen die „Notnumpft" weisen handgreiflich auf die
herrschende Unzüchtigkeit, und die umfangreiche Blumenlese
der gangbaren Ausdrücke für „lichte Fröwlein" bezeugen das
Vorhandensein des Gegenstandes. Man hat mit Recht be-
merkt, dass die Schilderung der bürgerlichen Sparsamkeit,
Ehrbarkeit und Zucht, die Aeneas Sylvius in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts von Wien entwirft, auch auf
viele andere Städte ihre Anwendung finde, und dieser Gewährs-
mann verschafi't in dieser Hinsicht eine genügende Vorstellung
wenn er sagt: das Volk ist ganz dem Leibe geneigt und er-
geben und verprasst am Sonntag, was es die Woche über
verdient. Wir können die Auscfclassenheit des mittelalterlichen
O
J Cui-iositaten, I, 214 fg.
5. Erklärung der Hcxenperiode. 319
Badelebens, der Tänze u. dgl. unerörtert lassen, um go mehr
als die sittlichen Zustände schon andern Orts berührt wurden,
und sich seitdem nicht gehoben hatten. ^
Der Züofellosio'keit des deutschen Städtelebens im letzten
Jahrhundert des Mittelalters entsprachen die. Wirren der
staatlichen Verhältnisse ausserhalb Deutschlands.
Zwischen England imd Frankreich Kämpfe um die Erbfolge;
in England der Bürgerkrieg zwischen der weissen und rothen
Rose; in Frankreich Streit zwischen Burgund und dem Lehns-
herrn; Condottieris, Armagnacs, Landsknechte streichen um-
her; im Norden die Schweden mit den Dänen im Kriege; die
Türken seit der Eroberung Konstantinopels immer furchtbarer.
Inmitten dieser allgemeinen Gärung, die das Gemüth mit
Bangigkeit erfiillen musste, trat die Pestkrankheit, die im
14. Jahrhundert unter dem Namen „der schwarze Tod" oder
„das grosse sterbent" ganz Europa in furchtbarster Weise
verheert hatte, auch im 15. Jahrhundert in einzelnen Ländern
verderblich auf; die Pocken, seit dem 11. Jahrhundert in
Europa heimisch, ängstigten durch ihre seuchenhafte Ver-
heerung; die im Jahre 1475 erschienenen Heuschreckenzüge
mit der darauffolgenden The uerung mussten die Aufregung
der Gemüther nicht nur aufs höchste steigern, sie nachgerade
ausser Fassung bringen.
Unter solchen Verhältnissen kann es nicht befremden,
dass die schon im IG. Jahrhundert aufgetauchte Besorgniss
der baldigen Auflösung der Welt sich auch in diesem Zeit-
alter der Menschen bemächtigte, oder: dass der Teufel, der
ja als Urheber alles Uebels überhaupt gedacht ward, infolge
der durch die allgemeine Sündhaftigkeic beleidigten Majestät
Gottes durch dessen Zulassung zum Regiment der Welt ge-
langt sei und mittels seiner Helfershelfer, der Hexer und
Hexen, allenthalben die Hand im Spiele habe.
lutelleetuelle Oultiirstufe.
Eine derartige Vorstellung konnte selbstredend nur auf
einer ihr gemässen intellectuellen Cultur stufe Raum ge-
* Vgl. übrigens bei Sclierr, Deutsche Cullurgcschiclite ; Geschichte
der deutschen Frauen, die betreffenden Abschnitte.
320 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtliclien Hexenverfolgung.
winnen, und auf einer solchen befand sich das Volk im all-
gemeinen zu jener Zeit. Da die Wissenschaft in den seltensten
Fällen auf das Volk iinmittelbar einwirkt, diesem vielmehr
ihre Früchte gewöhnlich auf langem Wege vielfältiger Ver-
mittelung zugute kommen, sodass den Kurzsichtigen der Zu-
sammenhang von Wissenschaft und Leben meistens nicht nur
entgeht, sondern ganz zu fehlen scheint; so waren auch die
Bewegungen, wodurch ein Galilei und Koj)ernicus die mittel-
alterliche Anschauung erschüttern sollten, noch nicht bis zum
geistigen Gesichtskreis des Volks gedrungen. Die Buch-
druckerkunst konnte erst viel später auf ihre civilisatorische
Wirkung hinweisen, nachdem das Bedürfniss zu lesen und
geistige Selbstthätigkeit im Volke erwacht war. Die geistige
Selbstthätigkeit, jahrhundertelang daniedergehalten, lag noch
in tiefem Schlafe, der Sinn des Volks war nur nach aussen
gerichtet, wie es seinen sittlichen Werth auch nur in der
Aeusserlichkeit suchte, den ihm die Ascese und das bekannte
mittelalterliche Busswesen verschaffen sollte. Die von Ge-
schlechtern zu Geschlechtern gepredigte und tiefeingeprägte
Lehre von der unbedingten Schlechtigkeit der menschlichen
Natur, von dem Fluche der Erbsünde, welcher auch auf der leb-
losen Natur lasten sollte, waren dem Volksgemüthe tief ein-
gesessen, und das Gebot der Abtödtung des Fleisches fand
noch immer eifrige Anhänger. Die erhabenen Dome mit ihrer
dramatischen Liturgie konnten das Phantasieleben des Volks
erregen, ihr Dämmerlicht konnte aber sein intellectuelles Leben
nicht erleuchten. In gesteigerter religiöser Aufregung suchte
es nach seinem Gotte, während es im Glauben mit infernali-
schen Ketten an Gottes Widersacher geschmiedet war; es
trug die Sehnsucht nach dem höchsten Wesen im Herzen, und
war zuo-leicli von der Furcht vor dem Teufel und dessen
Macht gepeinigt. Das Volk war in Dumpfheit und Roheit
versenkt. Zu jeder Zeit bewegen sich die Menschen in Gegen-
sätzen, aber im Zustande der Roheit liegen die schroffsten
Gegensätze stets unvermittelt nahe beieinander. So auch in
diesem Zeiträume. Daher die glänzende Farbenpracht dieser
Periode neben dem tiefsten Dunkel, die härteste Ascese neben
wildester Genusssucht und Ausschweifung und andere gegeu-
füsslerische Erscheinungen. Hieraus erklären sich wol auch
die enthusiastischen Verehrer des Mittelalters auf der einen,
5. Erklärung der Ilexenperiode. 321
und die rücksichtslosen Tadler desselben auf der andern Seite,
beide bedingt durch den besondern Gesichtspunkt, unter dem
sie es betrachten.
Im Hinblick auf die Wissenschaft in dieser Zeit wurde
zwar schon angedeutet, dass einzelne Lichtstrahlen zu leuchten
angefangen; im ganzen war aber noch alles Wissen von der
Natur und ihren Kräften in die Nebel der Alchemie, Magie
und Astrologie eingehüllt. Durch die Entdeckung des neuen
AVelttheils (1492), die Auffindung des Seewegs nach Ostindien
wurde Eiu-opa mit einer Menge neuer Gegenstände bekannt,
der Handel nahm einen neuen Aufschwung, der Austausch
von Kenntnissen und Erfahrungen wurde unter den Völkern
gefördert, und durch alles zusammen musste das intellectuelle
Leben in Anregung gebracht werden; allein abgesehen davon,
dass diese mächtigen Factoren die intellectuelle Thätigkeit
des Volks zunächst nur in Gärung versetzten, zu deren
Klärung es überhaupt einiger Zeit bedurfte, war die geistige
Entwickelung noch hintangehalten durch die Macht des Auto-
ritätsglaubens, auf dem das ganze Mittelalter beruht. Die
Betrachtung der Erscheinungen der Natur, noch mit kirchlich-
theologistischem Elemente versetzt, ward von dessen magi-
schem Zauberlaternenlichte geblendet und ermangelte der
Schärfe des Auges; das Denken, von der mächtigen Faust der
Autorität gehalten, konnte sich nicht frei bewegen, um die
Ursachen zu suchen und mit den Erscheinungen in Zusammen-
hang zu setzen. Es wird daher nicht befremden, wenn in
jener Zeit die Kabbala, Chiromantie und andere magische
Künste eifrige Anhänger zählen, wenn VV eihwasser, Reliquien,
Gebete, Amulete und derlei kirchliche Mittel gegen Krank-
heiten und andere Uebel in Anwendung kommen, da letztere
vom Teufel ausgehend gedacht werden. Die Geschichte „Vom
goldenen Zahn", gegen Ende des 16. Jahrhunderts, dient als
Beweis, „wie gründlich sich die Fähigkeit, die einfachste Er-
scheinung zu ermitteln, selbst in den gebildetem Klassen ver-
loren hatte" 1, und wird zu diesem Zwecke von manchen
Schriftstellern angef iihrt. ^ Die Nachricht , dass am 22. De-
' Liebig, Chemische Briefe, S. 74.
^ Liebig, a. a. 0., Anhang; Sprengel, Geschichte der Arzneikunde,
III, 408; Buckle, Gesfliiclite der Civilisation, I, 1, 280, u. a.
Boskoff, Gescliiclite des Teufels. II. 21
322 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexen Verfolgung.
cembcr läSG ein Kind mit einem goldenen Zahn geboren
worden sei, brachte ganz Deutschland in die grösste Auf-
regung, da das Wunder für eine geheimnissvolle Vorbedei>
tung gehalten wurde, die Unerklärlichkeit desselben aber in
die peinlichste Angst versetzte. Der Arzt Dr. Horst machte
das Ergcbniss seiner Untersuchung 1595 in einer besondern
Schrift bekannt, worin er zeigte, dass die übernatürliche Ur-
sache, wodurch der Zahn erzeugt worden, in der Constellation,
unter welcher der Knabe geboren, begründet sei, da die Sonne
in Verbindung mit Saturn im Zeichen des Widders gestanden
habe. Er fand ferner in diesem Wunder die Vorbedeutung
des goldenen Zeitalters, indem der römische Kaiser die Tür-
ken aus der Christenheit hinauswerfen und den Grund zum
tausendjährigen Reich legen werde. Die Wahrheit seiner
Weissagung erhärtete Dr. Horst aus Dan. 2, wo der Prophet
von einem Bildniss mit einem goldenen Kopfe spricht. Wir
können zur KennzeichnunjT; der Culturstufe auch das von
Buckle ^ wiederholte Beisiiiel von Stöffler hinzufügen. Dieser
berühmte Mathematiker und Astronom, einer der ersten,
der auf die nothwendige Verbesserung des Julianischen Ka-
lenders aufmerksam machte, hatte nach langwierigen Kecli-
nungen herausgebracht, dass die Erde in dem Jahre 1524
durch eine zweite Sündflut zerstört werden sollte, worauf
ganz Europa in Bestürzung gerieth und viele Leute fast ver-
rückt wurden. Von den vielen vorgeschlagenen Massregcln
gewann eine den meisten Beifall, der die Zeit kennzeichnet.
Auriol, Professor des kanonischen Rechts zu Toulouse, fand
nach reiflicher Erwägung die Nachahmung Noalf s am zweck-
mässigsten, und so wurde mit grossem Eifer eine Arche ge-
baut, damit wenigstens ein Theil des menschlichen Geschlechts
zur Fortpflanzung ei'halten werde. Wollte man das Sprich-
wort von der Schwalbe im umtrekehrten Sinne in Anwenduns^
bringen und diese einzelnen Beispiele eben als solche nicht
als Mass für das Ganze gelten lassen , so genügt der fliich-
tigstc Blick in die Geschichte der Naturwissenschaft, um
zu überzeugen, dass noch im IG. Jahrhundert, ungeachtet des
Aufschwungs, den das humanistische Studium genommen hatte,
1 A. a. 0., I, 1, 281.
5. Erklärung der Hexenperiode. 323
trotzdem dass die forschenden Aerzte zu den Quellen der
Arzneikunde zuriickkehrten und die Kritik zu erwachen anfing,
aber eben weil sie erst anfing, die Natur noch immer unter
dem geheimnissvollen Zaubermantel des Wunderbaren ange-
schaut wurde, und zwar von den besten Köpfen jener Zeit.
Bekannt ist Melanchthon's Neigung zur Astrologie, und man
schreibt dessen Ansehen viel bei zu der grossen Aufnahme
dieser Kunst. Seine „Initia doctrinae physicae" stehen ganz
unter dem Gesichts]3unkte der Macht des Teufels, dessen Ein-
fluss auf Luft, Wetter und Kenntniss der Gestirne. Sprengel
behauptet: Servet's freie Vergleichung der griechischen und
(damals) neuern medicinischen Grimdsätze, seine zwanglose
Untersuchung der hergebrachten Lehnneinungen habe viel
beigetragen, dass ihn Calvin's Rache auf den Scheiterhaufen
zu bringen vermochte. ^ Petrus Forestus, dessen Sammlung
medicinischer Beobachtungen in der Geschichte der Arznei-
kuude als „classisch" bezeichnet werden, will doch die Ver-
wandlung eines Menschen in einen Wolf (Lycanthropie) ge-
sehen haben. ^ Paracelsus' Verdienst um die Naturwissen-
schaft ist anerkannt, indem er das Zeitalter eröfihet, wo die Al-
chemie vom Studium der Chemie getrennt wird und diese
mit der Arzueikunde in Verbindung tritt. ^ Dabei wird aber
doch seine vornehmliche schriftstellerische Bemiihung darin
gesehen, die Kabbala jDopulär zu machen und sie aufs innigste
mit der Medicin zu vereinigen."* Van Helmont (geb. 1577),
der die medicinische Chemie auf ihren Höhepunkt brachte,
hegte doch den festen Glauben an Metallverwandlung, an den
Stein der Weisen; er fasste Donner, Blitz, Erdbeben, Regen-
bogen und andere Naturerscheinungen als die Wirkung ein-
zelner Geister auf, nahm im Menschen einen besondern geistigen
Regenten an, den er Archäus nannte, welchen auch Paracelsus
angenommen hatte. Der Einfluss der Kabbala auf Paracelsus
und seine Zeitgenossen ist von Sprengel nachgewiesen, und
es ist bekannt, dass die Naturwissenschaft durch die Kabbala
' Geschichte der Arzneikunde, III, 33.
2 Sprengel, III, 1G7 fg.
* Kopp, Geschichte der Chemie, I, 89.
"• Sprengel, III, 335
21
324 Dritter Absdmitt: Periode der gerichtlichen Hcxcnvorfolgnng.
zur Theosophie geworden, die an Reuchhn, Fr. Pico de Miran-
dola, Franz Giorgio, Joh. Trithemius und Ileinr. Corncl.
Ao-rippa von Nettesheiin ihre eifrigsten Beförderer fand. In
dem Jahrhundert der Reformation erfreute sich daher die
Astrologie der grössten Verbreitung, und vor jeder merk-
Avi:n-digen Begebenheit geschahen Wunder, die von müssigen
Mönchen und fahrenden Schillern zu ihrem Vortheile ausge-
beutet wurden. Die einsichtsvollsten Gelehrten des 17. Jahr-
hunderts waren im Glauben an magische Kräfte, an zaube-
i'ische Geister befangen. Dass Thomas Campanella iiberall
Geister und Teufel sah, meint Sprengel aus der Behandlung
des armen Dulders durch Teufel in Menschengestalt erklären
zu können.^ Wir erinnern indess an die Rosenkreuzer,
die, von 1G2Ö immer mehr verbreitet, sich des Geheimnisses
rühmten, durch ein sympathetisches Pulver oder durch ihre
beriihmte Waifensalbe alle Wunden, Blutungen, Geschwüre,
überhaupt sämmtliche Krankheiten augenblicklich heilen zu
können. Als der Physiker Goldenius die Wirkung dieser
Wundersalbe, die er nicht anzweifelte, auf natürliche Weise
zu erklären gesucht und darüber mit einem Jesuiten in hef-
tio-en Streit gerathen war, der sie vom Teufel herleitete, er-
klärt dieser die Rosenkreuzer für Zauberer und den Paracelsus
als ihren Stammvater für den ärgsten Hexenmeister, und nach
einer Replik von Goldenius und einer Duplik von seinem Gegner
endete der Kampf damit, dass der Jesuit jenen einen Calvi-
nisten schimpfte und ihn sammt Calvin zu Kindern des Teufels
stempelte. 2 Johann Rudolf G lau her (geb. 1G04), dessen
grosse Verdienste um die technologische Chemie anerkannt
sind, namentlich um die Bereitung des Salpeters, des Glases
u. a. m., glaubte doch noch an MctallverAvandlung, an sein
all""emcines Auflösungsmittel „Alkahest", Jessen Heilkraft sich
in allen Krankheiten bewähren sollte. ^ Der londoner Arzt
Robert Fludd (gest. 1G37), der berühmteste unter den
Rosenkreuzern, leitete die Entstehung der Krankheiten von
bösen Dämonen her, gegen die der gläubige Arzt zu kämpfen
habe, daher den Harnisch Gottes anlegen müsse, inn ihnen
I
1 Sprengel, IV, 321.
2 Ibid., S. 321 fg.
s Kopp, I, 127.
5. Erklärung der Hexenperiode. 325
Widerstand leisten zu könrten. In jedem Planeten hause ein
böser Dämon, und so gebe es saturnische, jovialische, vene-
rische, martialische und mercurialische Dämonen, welche ihnen
gemässe Krankheiten erzeugen. Kenelm Digby, der als tapfe-
rer Seeheld 16G5 starb und als besonders eitriger Verbreiter
des Glaubens an die Heilkraft des sympathetischen Pulvers
bekannt ist, arbeitete emsig an einem Mittel, das Leben in
Ewigkeit zu verlängern, an das selbst Cartesius geglaubt
haben soll. ^ In Deutschland nahmen die Rosenki-euzer wäh-
rend dieses Zeitraums sehr überhand. Der rostocker Professor
Sebastian Wirdig (gest. 1GS7) sah zwei Arten von Geistern
durch die ganze Natur verbreitet ■■^, deren sich auch im mensch-
lichen Körper befänden und mit den Geistern der Luft in den
Gestirnen in Gemeinschaft ständen, dui'ch deren Einfluss sie
regiert würden. Wie Campanella, Fludd u. a. gibt auch
Wirdig der Wärme, Kälte, Luft einen Geist und leitet die
Krankheiten von den zornigen und rachsüchtigen Geistern
der Luft und des Firmaments her. Er vertheidigt die Wünschel-
ruthe wie die Nekromautie und findet die Beweise in bibli-
schen Sprüchen. Wir können auch an ähnliche Beispiele des
folgenden Jahrhunderts erinnern, als: an die Geschichte der
Ermordung eines Studenten in Jena im Jahre 1716, die nach
dem herrschenden Glauben durch den Teufel stattgefunden hatte,
und deren Erklärung durch Kohlendampf von Fr. HoflPmann
allgemeinen Austoss erregte. Selbst Thomasius (gest. 1728),
den wir später in hellerm Lichte sehen werden, verfasste eine
Pneumatologia , die man nach Sprengel ^ fast einem Fludd
zuschreiben könnte. Er lässt, gleich Campanella, von dem
obersten Geiste die beiden thätigeu Principien, den männlichen
Geist der Wärme und den weiblichen der Kälte emaniren
und durch deren Zusammentreten die Materie entstehen. Wir
können an Samuel Stryke's „Dissertatio de jure spectrorum,
Halis 1738" erinnern, wo S. 13 das Leugnen der Gespenster
für ein Zeichen des Atheismus erkannt wird, u. dgl. m.
Wie die Vertreter der Wissenschaft die vitalen Thätig-
keiten noch lange nach Paracelsus in dessen Archäus zu-
1 Sprengel, IV, 328.
^ Vgl. dessen Medicina spirituum.
3 IV, 332.
326 Dritter Abschnitt : Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
sammenfassten, einem Geiste, der seinen Sitz im Magen haben
und mit allen Leidenschaften des Menschen begabt, die Ver-
dauung, die Bewegungserscheinungen und Seelenstimmungen
regieren sollte; so glaubte das Volk um so unbedingter die
Ursache von allen Erscheinungen in der Natur sowol als im
Seelenleben in einem dämonischen Wesen zu erkennen, das
nach Beziehung und Wirkung als Gott oder als Teufel sich
kennzeichnete. Hieraus erklärt sich wol, wie der Hexen-
glaube vom 15. Jahrhundert ab eine solche Höhe erreichen
konnte, dass das Volk hinter jedem Ereigniss nicht alltäg-
licher Art Hexerei witterte, hinter der eigentlich der Teufel
steckte, der ja schon seit dem 13. Jahrhundert die Welt er-
füllte. Bei der allgemeinen Gebundenheit des Denkens war
das meiste unerklärlich und geheimnissvoll, und der Mensch
sah sich in einer bezauberten Welt, wo der Zauber mittels
Hexen, die mit dem Teufel im Biindnisse standen, bewirkt
ward. Wie einst im alten Heidenthum alle Erscheinungen
auf Gottheiten zurückgeführt wurden und der Mensch in
allen Kraftäusserungen ein göttliches Walten erkannte, so
ward am Ausgange des Mittelalters jede aussergewöhnliche
Erscheinung als Wirkung von Hexerei betrachtet, deren Spur
auf den Teufel als letzten Grund hinleitete. Die Kirche
glaubte sich, als Stellvertreterin Gottes auf Erden, berufen,
dem teuflischen Wirken entgegenzutreten, und die staatliche
Macht versagte ihr nicht ihren Beistand. Damit begannen
eigentlich die ordentlichen Hexenprocesse.
Nachdem wir den Boden dazu im allgemeinen vorbereitet
gefiinden, haben wir nach den sj^ecifischen Factoren der ra-
piden Verbreitung der Hexenprocesse hinzusehen.
Nach dem Vorgange des Alten Testaments, wo Zauberei
und Abgötterei stets zusammengestellt^, da beide, auf Ab-
triinnigkeit beruhend, als theokratische Verbrechen betrachtet
werden, nahm auch die Kirche des Mittelalters jede Ab-
weichung von ihrer Anschauung gleichbedeutend mit Abfall
von Gott, worauf sie Verdammung aussprechen zu müssen
glaubte, denniach Ketzerei und Zauberei als gleichschwere
Verljrechcn betrachtete und behandelte. Die Handhabe hierzu
1 Vgl. 5 Mos. 18, 10. 11; 2 Chron. 38; 1 Sam. 15, 23; 28, 11, u. a.
5. Erklärung der Hexenperiode. 327
laiid sie in 2 Mos. 22, 18 ', das heisst: sie iibersctzte die
alttestamentliclie Anschaimug von der Tlieokratie, welche durch
die Kirche im Christenthum dargestellt werden sollte, ins
Christliche. Wir haben gesehen, wie die Zauberei, die zu
allen Zeiten und bei allen Völkern vor der christlichen Zeit-
rechnung üblich gewesen, im Verlaufe des Mittelalters infolge
des allgemein herrschenden Teufelsglaubens und der Vorstel-
lung von einem freiwilligen Teufelsbiindnisse eine specifische
Bedeutung erhalten hatte. Die Zauberei wurde zur Hexerei
durch eben den Bund mit dem Teufel, wodurch die Hexe
ihre aussergewöhnliche Macht im Sinne des Teufels zu wirken
erlangte. Indem der Glaube an das Hexen wesen, mit dem
Teufelsglauben Hand in Hand gehend, sich immer mehr aus-
bildete, in den Gemüthern immer tiefere Wurzel fasste, die
ganze Anschauung dieser Periode innerhalb des schnei-
denden Gegensatzes von Gott und Teufel sich bewegte, alles
Uebel, physisches und moralisches, auf den Teufel zurück-
geführt ward, der die Herrschaft der Kirche zu gefährden
und seine eigene auf Erden immer mehr zu vergrössern suche;
so musste den Hexen als den eigentlichen Organen des Sa-
tans, ihres Herrn und Meisters, der sie zur Erweiterung sei-
nes Reiches gebrauchte, die Schuld an jeglichem Uebel zu-
gerechnet werden. Den Widerspruch zwischen des Teufels
und seiner Verbündeten Wirksamkeit mit der göttlichen Re-
gierung meinte die Kirche durch den Glaubenssatz von der
göttlichen Zulassung gehoben zu haben, und sah sich ganz
besonders verpflichtet, die Hexerei gleich der Ketzerei zu vei--
folgen. Nach kirchlicher Anschauung hatten die der Hexerei
Ergebenen mit ihrem Teufelsbundesschluss ihr Taufgelübde
(gleich den Ketzern) gebrochen, also auch den Bund, in den
sie durch jenes mit Gott, d. h. mit der Kirche, getreten
waren. Darum sind die Hexer und Hexen gleich den Ketzern
auszurotten. Wir bemerken hier wieder eine alttestamentliclie
Anschauung, nämlich die von einem Bunde mit Gott, unter
dem sich das Volk Israel seine Beziehung zu jenem vorgestellt,
welcher durch Vermittelung der Kirche auf christlichen Boden
verpflanzt und zum Zeitbewusstsein erhoben wurde. — Nach dem
Vgl. 3 Mos. 19, 31; 20, 27.
328 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ucxenvcrfolgung.
Erörterten stimmen wir mit Schindler überein, wenn er es
einen unbegründeten Vorwurf nennt, den luthersche Schrift-
steller der römischen Kirche machen, „dass sie die Gleich-
stellung der Ketzerei und Zauberei erfunden habe, um unter
dem Vorwande der Zauberei die Ketzer zu vertilgen". ^ Ab-
gesehen von dem historischen Irrthum, der hiermit ausge-
sprochen wird, finde ich überdies keinen Grund zu einem
Vorwande für die Kirche, welche die Zauberer und Hexen
ohne Vorwand verfolgen konnte, wie sie die Ketzer seit jeher
verfolgt hatte. Bedenklich aber ist, dass die Kirche den Ge-
sichtspunkt der althebräischen Theokratie festhielt und sich
an deren Stelle setzte. Nach althebräischer Anschauung war
Jahveh die allein berechtigte Macht, und in der Anerkennung
einer andern beruhte das theokratische Verbrechen , welches
durch den Abfall zum Ileidenthum, also durch die Verehrung
einer heidnischen Gottheit, oder durch Zauberei, d. h. durch
die Anerkennung der Wirksamkeit einer Macht, die nicht
Jahveh ist, begangen ward. Auf beide Arten theokratischer
Verbrechen stand die Ausrottung, d. h. der Tod. Indem die
Kirche des Mittelalters unter demselben Gesichtspunkte als
Repräsentantin der Theokratie sich als allein berechtigte Macht
gefasst wissen wollte und auch von damaliger Zeit gefasst
wurde, verfuhr sie allerdings von diesem Standpunkte aus
folgerichtig, wenn sie jede Abweichung von ihren Satzungen
als Ketzerei, und die Anerkennung der Macht des Teufels,
ihres Widersachers, als Hexerei verdammte. Bedauerlich ist
diese Folgerichtigkeit um der ungezählten vielen Ketzer und
um der luigefähr 9 Millionen Hexer und Hexen willen, die
in Flammen aufgehen nuissten. Bedenklich ist ferner, dass
die Kirche ihren alttheokratischcn Standpunkt noch festhielt,
als das Zeitbewusstsein über dessen Schranken hinaus ge-
wachsen war.
Das Streben, die mittelalterliche Hexenperiode zu er-
klären, rief eine umfangreiche Literatur hervor, zu welcher
von Vertretern verschiedener Zweige des Wissens schätzens-
werthe Beiträge geliefert wurden. Das erschreckende Ueber-
handnehmen der Hexenverfolgung zu begreifen, beschäftigte
1
' Schindler, S. 315.
5. Erklärung der Hexenperiode. 329
viele denkende Köpfe, sowie das unsägliche Elend, das wäh-
rend dei' Hexenporiode über Millionen verbreitet worden, das
menschliehe Herz erschiittern niuss. Die bedeutenden und
vielen Bearbeitungen dieses Gegenstandes, unter denen wir
von den altern Soldan's öfter angeführte Schrift nicht mehr
herauszuheben brauchen, lassen daher auch eine kürzere, nur
ergänzende Behandlung zu.
Obschon alle Bearbeiter der Hexenperiode nach bestimm-
ten Factoren suchen, die in derselben thätig waren, so kann
es nicht befremden, dass von verschiedenen Standpunkten aus
auch jene verschieden gefunden wurden. Dies ist schon
bei der Erklärung des Ursprungs des Hexenwesens der
Fall. In Bezug auf die Ursachen der steigenden Verbreitung
der gerichtlichen Hexenverfolgung haben ihr namentlich Ju-
risten grosse Aufmerksamkeit geschenkt und schätzbare Ar-
beiten geliefert, unter denen Wächter eine hervorragende
Stelle einnimmt. ^ Görres klagt '^, dass die Aerzte, die gleich-
falls ihre Stimme über den Grund der furchtbaren Erschei-
nungen der Hexenpei'iode abgegeben, „durch die Deutung
auf blose Krankheit, die sie in ihrem vorwiegend materialisti-
schen Streben der ganzen Sache gaben, den verworrenen
Handel nur noch mehr verwirren." Ich halte uns den Aerz-
ten vielmehr zu Dank verpflichtet, dass sie uns einen Factor,
den wir bei Betrachtung des Hexenwesens finden, be-
stätigen und begründen helfen, obschon wir auch andere
Gesichtspunkte festhalten miissen. Dem Vorwurfe der Un-
zulänglichkeit, Einseitigkeit dürften theologische Erklärer, wie
Görres, am wenigsten entgehen, wenn d{?,s Wesen der Hexerei
einfach auf Abfall von der Kirche reducirt wird, die Massen-
haftigkeit des Auftretens aber fast unerörtert abseits liegen bleibt.
In neuester Zeit hat Dr. Haas ^ seine Meinung abgegeben,
wonach die Hexerei genannter Periode „aus der Ketzerei der
ihr unmittelbar vorangehenden Zeit" entstand, und „wie die
Ketzerei betrieben und behandelt ward, so ihre Base, wenn
nicht Tochter, die Hexerei. . . . Eben war der Ketzerei und
^ Vgl. dessen schon angeführte Beiträge zur deutschen Geschichte,
IV. Abhandlung und Excurs.
2 Christliche Mystik, III, 66.
^ Die Hexenprocesse. Ein culturhistorischer Versuch (Tübingen 1865).
330 Di'ittei' Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilcxenvcrfoigung.
Ketzerriecherei das Handwerk gelegt worden, da erhob sich
die Hexerei." * Mit dieser Andeutung der historischen Auf-
einanderfolge und des engen Zusammenhangs, welchen die Kirche
zwischen Ketzerei und Hexerei sah, kann man sich kaum ein-
verstanden erklären, wie auch der geschichtliche Beweis,
den Haas^ „in möglichst gedrängter Kürze" geliefert zu haben
meint, mehr ein möglichst flüchtiger genannt zu werden ver-
dient. Dr. Haas hat gewiss recht, wenn er behauptet: „Nir-
gends Lücke und Leere, überall nothwendiger Uebergang."
Hierauf führt der Verfasser eine Reihe von Sätzen an, wie:
„Beide (Ketzerei und Hexerei) entstehen aus Unglauben und
Unklarheit, Hochmuth, Ueberspannung, sind Wahngeschöpfe,
mishandcln und werden mishandelt und wachsen dabei, bis
ihnen mit Kraft und Vernunft entgegengetreten wird. — Denn
noch waren die Gemüther vieler nicht frei vom eben unter-
drückten Wahne (der Ketzerei), und in dem gesäuberten Hause
traten ärgere Geister auf, sodass es mit den Menschen schlim-
mer ward denn zuvor. ^ . . . Auch der Papst niisbilligte das
Verfahren Konrad's (des Ketzerrichters von Marburg) und
sprach seine Verwunderung dariiber aus, wie man eine so
unerhörte Weise so lange habe ertragen können. Dass er
aber seine Leute kannte, zeigt die beigesetzte Bemcj-kung des
Papstes: «Die Deutschen waren stets furios, darum bekamen
sie auch furiose Richter.» So verlor sich die Ketzerverfolgung,
sobald gegen sie milde Gerechtigkeit und Vernunft Raum ge-
wonnen. Und wo dies nicht der Fall war, ward das Uebel
nur mit einem Palliativmittel behandelt und so niedergehalten,
dass an seine Stelle ein verwandter Wahn treten konnte : das
war die Hexerei. Eine Krankheit erzeugt bei falscher Be-
handlung oder bei dem Vorhandensein unerkannter Ursachen
die andere." * Wenn nun hierauf der Verfasser ausruft : „Hier
der geschichtliche und psychologische Beweis für unsere Mei-
nung von der Hexerei der genannten Zeitperiode" ^, so über-
rascht er den Leser mit der unglaublichen Zumuthung, die
Sache als bewiesen hinnehmen zu sollen. Auch scheint mir,
dass die „Erklärung oder Lösung dieser räthselhafteu Er-
scheinung" kaum befriedigend vollzogen sein dürfte, wenn
1 S. G3. - S. 03—65. 3 s. 53. i g. 65. 5 s. 66.
I
5. Erklärung der Hexenperiode. 331
der Verfasser fortfährt: „Es gab und wird stets Zauberkreise
geben, welchen der Mensch nicht ungestraft nahen darf, Gei-
ster, deren man sich bemächtigen möchte, und deren Herr
man nicht mehr werden kann, wie Goethe's Zauberlehrling".
Ob nicht GÖthe bei Lesmig dieses Satzes dieselben Worte
ausgerufen hätte, die ihm entfuhren, nachdem er das be-
kannte Gedicht gelesen: „Ins Innere der Natur dringt
kein erschaffener Geist u. s. w."? Hingegen ist der Ver-
fasser im richtigen Geleise, wenn er im Hexenwesen eine
„Kepristination heidnischer Ideen in Verbindung mit falschem
Christenthume" sucht', obschon hiermit der Gegenstand nicht
erschöpft ist. Bei unserer bisherigen Verfolgung der Ge-
schichte de'S Teufels Hess sich abmerken, wie es mit dieser
„Kepristination" sich verhalte, und wir mussten wahrnehmen,
dass nicht nur „mancher Zug der nordischen Götter", wie
Schindler meint-, sondern sehr viele oder gar die meisten
Züge aus dem Heidenthum, nachdem sie vermittels der llerab-
drückungsmethode alterirt und ins Dunkle gezogen worden,
an die Gestalt des Teufels und seiner Verbiindeten sich ange-
heftet haben, was von J. Grimm, Soldan, Simrock u. a. be-
reits erschöpfend nachgewiesen wurde.
Von manchen Seiten wurde die furchtbar schnelle Verbrei-
tuns: der Hexeuverfokung lediglich als Product der Bosheit,
des Neides, Hasses, der Gewinnsucht und Verfolgungswuth
angesehen. Wer wollte leugnen, dass die schlimmen Leiden-
schaften der Menschen seit jeher als wirksame Hebel in der
menschlichen Geschichte mitgespielt haben? Wo wäre irgend-
etwas geschehen, bei dem nicht persönliche Neigung oder Ab-
neigung, w^o nicht das Laster, wie die Tugend und deren
ffanze Tonleiter daran theilgenommen hätte? Ist nicht iiber-
haupt ein grosser Theil der Geschichte auf Rechnung der
Materie zu schreiben? Und doch wird heute kaum jemand
mehr mit einer Erklärung des Ursprungs der Kreuzzüge aus
Habsucht oder Lust nach Abenteuern sich befriedigt finden,
obschon jedermann weiss, dass diese bei sehr vielen Kreuz-
fahrern die eigentlichen Beweggründe waren. Der Hexen-
process bot allerdings besonders günstige Gelegenheit, um die
unsaubersten Triebfedern springen zu lassen. Da nach dem
1 S. G8. - S. 325.
332 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenvcrfolgung.
Criininalverfahreu des Hexeuhauuners eine Deniineiation ohne
Beweisführung des Denuncianten, dessen Name dem Denun-
cirten nicht einmal bekannt gemacht werden musste, hinreichte,
um einen llexenprocess anzustrengen ^ , so waren hiermit der
Schel- und Kachsucht die Thore weit geöfinet, um ihre
Opfer auf die Folterbank und den Scheiterhaufen zu bringen.
Der „Hexenhammer" deutet ferner selbst wiederholt an, dass
Hass und Feindschaft häufige Beweggriinde der Denunciation
gewesen, da er der Erörterung über Feindschaft, deren Er-
irründunff und Unterscheiduno; in 2;ewöhnliche und Todfeind-
Schaft ganze Abschnitte widmet.^ Beispiele, wo Feindschaft
und Hass denuncirte, sind daher sehr häufig. Soldau^ erin-
nert uns an Grandier's Geschichte, an Beispiele iö England,
wo Männer ihre Weiber, deren sie überdrüssig waren, nicht
nur als Waare am Stricke auf den Markt, sondern auch als
Hexen dem Strange des Henkers zuführten ; an ein achtjähri-
ges Mädchen, das'* sich nach einem Zank mit der Ilausmagd
dadurch rächte, dass es sich behext stellte, infolge dessen
20 Personen auf sein Zeugniss verurtheilt wurden, wovon 5
wirklich den Tod erlitten. Auch Gewinnsucht und Habgier
haben wir als thätige Helfer bei der Verbreitung der Hexen-
processe zu verzeichnen. Denn da das Vermögen der Verur-
theilten entweder förmlich confiscirt, oder unter dem Titel
„Processkosten" oder „Sportuliren" eingezogen wurde, ei'öff-
neten die Plexenprocesse eine Art Finanzqueile. Die Hexen-
richter, die nach Localverhältnissen von der geistlichen oder
weltlichen Behörde bestellt waren, und auch die Henker be-
zogen fiir jede ihrer Verrichtungen eine bestimmte Gebühr
nebst allerlei Vortheilen. Einer der neuern Schriftsteller^ be-
richtet, dass in Oesterreichisch-Schlesicn und Mähren zur Lei-
tung eines Hexenprocesses gewöhnlich ein darin erfahrener
Mann gewonnen werden nuisste, und indem selbst unter den
Amt- und Hofleuten der Gerichtsherren sich selten solche fan-
!
1 Mall, malef. P. III, qu. 1.
2 Vgl. P. III, qu. f), 12 u. a.
3 S. 31G.
« Nach Walter Scott, Br. üb. Dam., II, IKi».
^ Zur Geschichte des Glaubens an Zauberer, Hexen und Vampyrc in
Mähren und Ocsterrcichisch-Schlesien, von Bischof und d'Elvcrt.
5. Erklärung der Hexenperiode. 333
den, die dazu bereit oder geeignet gewesen wären, so musste
bei dei' geringen Auswahl die Gerichtsherrschaft guten Lohn
geben. Die Hexenrichterci wurde also zum Gewerbe, von
dem mancher lebte, und Bischof macht uns mit einem solchen
Namens Boblig bekannt, der von der Gerichtsherrschaft (der
Gräfin Galle) Kost und bequeme Wohnung für sich und sei-
nen Diener, einen Reichsthaler täglich und für Commissions-
reisen die ircwöhnlichen nicht unbedeutenden Zehr- und Warte-
gelder erhielt. Eine gleiche Bezahlung erhielt er auch vom
Fürsten Lichtenstein, als die Processe auf dessen Gebiet hin-
übergespielt worden waren, und jene wurde bei weiterer
Ausdehnung des Processes so verbessert, dass Boblig wöchent-
lich drei Gulden und einen halben Eimer Bier, jährlich zwölf
Klafter Holz und in der Stadt Schönberg eine bequeme
Wohnung erhalten sollte, bei welcher Gelegenheit der fürst-
liche Richter eine kräftige Rüge erhielt, dass er dem Boblig
nicht früher schon eine Wohnung einräumen liess. „Dann
Ihr wisst wol", heisst es, „dass dergleichen leuth, so
man zu einem solchen vornemben Werckh vonnöten hat, ein
taugliches Quartier haben müssen, so Ihme vnsere Stadt (Schön-
berg) nicht verweigern kann, dann sie ist selbst schuldig,
dergleichen schweres Laster, so wider die göttliche Majestät
ist, auszutilgen". Eben dieselbe Bezahlung, wie er sie ander-
wärts bekam, versprach auch der olmützer Fürstbischof dem
Boblig zu, als er ihm die Leitung der Untersuchung gegen
den schönberger Dechant (Lauthner) auftrug. Inzwischen
hatte Boblig auch in Prosznitz zwei Weiber, Elisabeth Bra-
benetzki und Katharina Wodak, auf den Scheiterhaufen beför-
dert, und dafür an täglichen 3 Gulden 246 Gulden erhalten.
Ausserdem mai? Boblisi; wol noch manchen andern Vortheil —
abgesehen von den Rehen und Rebhühnern, die ihm zur
Weihnacht oder an andern Feiertagen von den fürstlichen
Beamten in die Küche geschickt wurden — aus den Hexen-
processen gezogen haben, obwol er sich gegen solche Zumu-
thungen mit Entrüstung verwahrt. Wenigstens erweckt eine
den Acten beiliegende Beschwerde der Söhne des verbrann-
ten seydersdorfer Richters, worin dieselben die Gerichtsherr-
schaft um Rückstellung von neun harten Dukaten bitten,
welche ihnen Boblig durch das nicht erfüllte Versprechen ab-
geredet habe, er würde von der prager Appellationskammer
334 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilexonvcrfolgung.
erwirken, dass ihr Vater zuerst enthauptet und dann erst ver-
brannt werde, manches Bedenken über seine selbstgepriesene
Redlichkeit. Wenn man ferner erwägt, dass die Hexenrichter
keine andere feste Stellung einnahmen, so wird man nicht
zweifeln können, dass sie an der steten Weiterverbreitung der
Hexenprocesse das grösste Interesse haben mussten. Die vor-
liegenden Papiere lassen es deutlich wahrnehmen, wie eifrig
Boblig dafür besorgt war, die Hexenprocesse nicht in's Stocken
gerathen zu lassen. ^ Schon der Kanonicus Loos nennt die
Hexenprocesse eine „neuerfundene Alchymie", durch die man
aus Menschenblut Gold und Silber mache. ^ S]3ee erwähnt in
seiner „Cautio criminalis", dass auf den Kopf eines wiegen
Hexerei Verurtheilten 4 — 5 Thaler als Prämie den Inqui-
sitoren verabfolgt werden und grämt sich über deren Trink-
gelage. Er sagt: dass viele nach den Verurtheilungen der
Zauberer und Hexen hungerten „als den Brocken, davon sie
fette Suppen essen wollten", und erzählt von einem ihm be-
kannten Inquisitor, welcher durch seine Leute das Landvolk
so in Hexenfurcht jagen liess, dass es zuletzt zum Inquisitor
seine Zuflucht nahm, der durch zusammengeschossenes schwe-
res Geld zur Untersuchung sich einfand, aber unter dem Vor-
wande anderweitiger Geschäfte abbrach, um abermals Geld
herauszulocken.^ Anderwärts erheben sich Klagen über den
Aufwand der Henker und ihrer Weiber, dass diese in seide-
nen Kleidern einherrauschen oder gar in Kutschen fahren, '^
jene auf stattlichen Rossen reiten, und dies alles infolge der
gewinnreichen Hexenprocesse. Der coesfelder Henker erhielt
binnen sechs Monaten 1G9 Reichsthaler für seine Bemühungen
an Hexen.* Der koburger veranlasste für sich, seine Knechte,
Boten und Pferde in einem Jahre einen Kostenaufwand von
mehr als 1100 Gulden.-'^ Fr. Müller berichtet aus siebenbür-
gischcn Hexenprocessacten: „Für die Hinrichtung einer Hexe
> Bischof, S. 6 fg.
- Ilauber, Bibl. mag. I, 74.
^ Caut. criui. Dub. XVI, 6.
* Niesert, merkwürdiger Hexenprocess gegen den Kaufmann G. Kölb-
ling zu Coesfeld.
^ Leib, Consilia, responsa ac deductiones juris variae, p. 124; bei
Soldan, S. 312.
I
5. Erkliirung der Hexenpcriodc. 335
erhält nach der schüssburger Stadtrechnung der Henker 1 Gul-
den; der von Grosssclienk hat nach einer Bestimmung des
dasigen Rathes in ähnlichen Fällen 2 ungarische Gulden
anzusprechen, dazu ein Eimer Wein, ein Brot und ein Pfund
Speck". Der englische Hexenfinder Hopkins erhielt Transport-
kosten, freien Unterhalt und ausserdem Diäten; ein anderer,
ausser den Reisekosten, ftir jede entdeckte Hexe 20 Schil-
linge. ^ Nach dem Zeugnisse Agrippa's ^ verwandelte der In-
quisitor nach Umständen das Urtheil in eine Geldstrafo, und
es kam Methode in das Geschäft, indem viele eine Art jähr-
licher Steuer zahlen mussten, um nicht vor das Inquisitions-
gericht gezogen zu werden, Oder die bischöflichen Officialen
Hessen eine im Rufe der Hexerei stehende Person vorladen,
einen Reinigungseid schwören, wofür sie dann einen losspre-
chenden Urtheilsbrief mit 2V2 Gulden bezahlen musste.
Die 41. Beschwerde von denen, welche der Nürnberger
Reichstag vom Jahre 1522 gegen den römischen Stuhl erhob,
führt diesen Uebelstand an. Lilienthal berichtet aus Process-
acten: „Ein Weib Regina, der Hexerei beschuldigt, lief fort,
man nahm alle ihre zurückgelassenen Habseligkeiten und gab
ihrem Manne nur ein Paar lederne Hosen. ^ Derselbe Ver-
fasser theilt die Entscheidung einer Appellation in dritter In-
stanz aus dem Jahre 1644 mit: „Die bischöflichen Commissa-
rien M. Böhme, Erzpriester zu Braunsberg und Domherr zu
Guttstadt, und von Oelsen, Schlosshauptmann, entschieden
über den neustädtischen Bürger Arendt und sein Weib, dass
beide, weil sie fremde Götter gesucht, Ratli bei einer Zaube-
rinn in Elbing geholt u. s. w., 75 Thaler Strafe zahlen und das
Kammeramt meiden sollen. Der Administrator Dzyalinski
erlässt ihnen auf vornehmer Leute Bitten die Verstossung". *
Schliesslich noch ein merkwürdiges Actenstiick, das Horst ^
mitgetheilt hat. Der J ustizamtmann Geisz zu Lindheim schreibt
an seine adelichen Herren, dass neuerdings das Zauberwesen
ausbreche, „dass auch der mehren Theilsz von der Bürger-
' Hutchinson, Kap. 4.
2 De incertitud. et vaiütut. scient. cap. 90.
■' Die Hexenprocesse der beiden Städte Braunsberg, S. 154.
' S. 157.
5 Dämonom. II, 369.
330 Dritter Abschnitt: Peinode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Schaft sehr dariiber bcstiirzet und sich erholten, wenn die
Herrschaft nur Lust zum Brennen hätte, da wollten sie gerne
das Holtz und alle Unkosten erstatten undt könnte die Herr-
schaft auch so viel bei denen bekommen, dass die Briigk
undt die Kirche kondten wiederumb in guten Stand gebracht
werden. Noch über dass so kondten sie so viel haben, dass
deren Diener kondten so viel besser besuldet werden, denn
es dürften vielleicht ganze Häuser undt eben diejenigen, welche
genug darzu zu thun haben, inforcirt seyn". Derselbe Geisz
leitete den grossen Lindheim'schen Hexenproccss, wobei er
für einen Kitt nach einem zwei Stunden entlegenen Städtchen
5 Thaler Gebiihr anrechnete. Nach einer von ihm selbst
ausgestellten Rechnung hatte er bei den verschiedenen Ver-
haftungen allein an baarem Gelde 188 Thaler 18 Silberpfennige
sich zugeeignet. Ausserdem rechnet Geisz an ' : „ Item von
denen so aus der custodia im Hexenthurn gebrochen undt
was ich an Unkosten ausgeleget: Johann Schüler 20 Thaler;
seine Fraweu 10 Thaler; Peter Weber Rest noch 5 Thaler;
Hannsz Pepel Rest noch 10 Thaler ; Heinrich Froch Rest noch
10 Thaler; Hannsz Pepelsz Frawen 20 Thaler; Hannsz An-
nigsz Frawen 20 Thaler". Dabei hat Geisz das von den
lindheimer Unterthanen sich angeeignete Vieh u. dgl. gar
nicht in Rechnung gestellt. Der Gewinn der Gerichtsdiener
ist auch aus den Geisz'schen Rechnungen ersichtlich '^i
„Dem Wirth zu Hanichcn. NB. Was die der Hexenkönigin
nachgesetzedten Schützen dasclben vertrunken: 2 Rthaler
7 Alb." „Den 20. July aus dem Keller zu Geisern bei der fl
Hexenverfolgung im Beyseyn Herrn Verwaltern 12 Reichs-
thaler 15 Alb. "3 „Den 12. Januarii 1664 Hanns Em-
meichen zu Bleichenbach was der Ausschuss bei der Hexen-
jagd allda verzehret. NB. in 2 Tag daselbst versoffen 8 Tlia- ^
1er u. s. w." * Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, dass
aus der Asche der verbrannten Hexen für Hexenrichter, Hen-
ker, Gerichtsdiener u. s. w. nicht nur mannichfaltiger und er-
heblicher Vortheil, sondern oft deren ganze Existenz als Phö-
nix hervorging, und sie werden daher dafür gesorgt haben, «
dass die Ilexcnbrände nicht ausgingen. Ausser dem Verluste
am Vermögen der wegen Hexerei Verfolgten, wovon die beim
S. 13. 2 s_ i5_ 3 s. IG. 1 Horst, Dämonom. H, 436.
5. Erklärung der Hexenperiode. 337
Gerichte thätigen Personen ihren Gewinn zogen, hatten auch
die Behexten mannichfache Axisgaben hinsichtlich ihrer Hei-
lung, sowie auch die Verwahrungsmittel gegen Behexung mit
Unkosten verbunden waren. Die Priester hatten ihren Vor-
theil durch Messelesen zur Aliwehr oder Heilung der ange-
hexten Krankheiten, oder durch feierlichen Exorcismus. Herum-
ziehende Mönche verkauften den „Hexenrauch" sackweise, und
so ward auch mit andern Schutzmitteln förmlicher' Handel ge-
trieben.
Wir anerkennen also, dass Neid, Hass, Gewinnsucht u. dgl.
zur Verbreitung der Hexenprocesse mitgeholfen, müssen aber
in Abrede stellen, dass diese Motive in ihrer Einzelheit aus-
reichen, um den Sturm der Hexenverfolgung, der mehrere
elahrhunderte lang i'iber ganz Europa verwüstend einherbrauste,
zu erklären. Eine einzioe Liste von Verurtheilten aus Hau-
ber's Bibl. mag., die sich auch bei Soldan ^, aber zu einem
andern Zwecke abgedruckt findet, kann den Beweis liefern.
V^erzeichniss der Hexen -Leut, so zu Würzburg mit dem
Schwerte gerichtet und hernacher verbrannt woiden.
Im ersten Brandt vier Personen.
Die Lieblerin.
Die alte Auekers Wittwe.
Die Gutbrodtiu.
Die dicke Höckerin.
Im andern Brandt vier Personen.
Die alte Beutleriu.
Zwey fremde Weiber.
Die alte Scheukiu. /
Im dritten Brandt fünf Personen.
Der Jungersleber, ein S})ielmaun.
Die Kuleriu.
Die Stierin, eine Procuratoriu.
Die Bürsten -Binderin.
Die Goldscbniidtin.
Im vierten Brandt fünf Personen.
Die Sigmund Glaserin, eine Burgemeisteriu.
Die Brickmannin.
Die Schickelte Amfrau (Hebamme). NB. Von der kommt das
ganze Unwesen her.
Die alte Rumin.
Ein fremder Manu.
1 S. 387 fg.
Roskoff, Geschichte Jes TuufeU. II. 22
338 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Im fünften Brandt neun Personen.
Der Lutz, ein vornehmer Kramer.
Der Rutscher, ein Kramer. '
Des Herrn Dom-Propst Vögtin.
Die alte Hof- Seilerin.
Des Jo. Steinbachs Vögtin.
Die Baunachin. eines Raths Herrn Frau.
Die Znickel Babel.
Ein alt Weib.
Im sechsten Brandt sechs Personen.
Der Raths -Vogt, Gering genannt.
Die alte Canzlerin.
Die dicke Schneiderin, f
Der Herrn Mengerdörfers Köchin.
Ein fremder Mann. x
Ein fremd Weib. »'
Im siebenden Brandt sieben Personen. f
Ein fremd Mägdlein von zwöll' Jahren. |-
Ein fremder Mann. »
Ein fremd Weib.
Ein fremder Schultheiss.
Drey fremde Weiber.
NB, Damalüs ist ein Wächter, so theils Hexen ausgelassen, auf dem
Markt gerichtet worden.
Im achten Brandt sieben Personen.
Der Baunach, ein Rathsherr, und der dickste Bürger in Würzburg.
Des Herrn Dom-Propst Vogt.
Ein fremder Mann.
Der Schleipner.
Die Visirerin.
Zwei fremde Weiber.
Im neundten Brandt fünf Personen.
Der Wagner Wunth.
Ein fremder INIanu.
Der Bentzen Tochter.
Die Bentzin selbst.
Die Eyeringin.
Im zehnten Brandt drey Personen.
Der Steinacher, ein gar reicher Mann.
Ein fremd Weib.
Ein fremder Mann.
Im eilften Brandt vier Personen.
Der Schwerdt, Vicarius am Dom.
Die Vögtin von Reusacker.
Die Stiecheriu.
Der Silberhaus, ein Spielmaun.
5. Erklärung der Hexenperiode. 339
Im zwölften Brandt zwey Personen.
Zwey fremde Weiber.
Im dreyzehenden Brandt vier Personen.
Der alte Hof- Schmidt.
Ein alt AVeib.
Ein klein Mägdlein von neun oder zebu Jahren.
Ein geringeres, ihr Schwesterlein.
Im vierzehendenn Brandt zwey Personen.
Der erstgemeldten zwey Mägdlein IMutter.
Der Liebleriu Tochter von 24 Jahren.
Im fiinfzehenden Brandt zwey Personen.
Ein Knab von 1 2 Jahren, in der ersten Schule.
Eine Metzgerin.
Im sechzehenden Brandt sechs Personen.
Ein Edelknab von Ratzenstein, ist Morgens um G Uhr auf dem
Cantzley-Hof gerichtet worden und den ganzen Tag auf der Bahr
stehen blieben, dann hernacher den andern Tag mit den hierbey-
geschriebeneu verbraunt worden.
Ein Knab von zehn Jahren.
Des obgedachteu Raths-Vogt zwo Töchter und seine Magd.
Die dicke Seilerin.
Im siebenzehenden Brandt vier Personen.
Der Wirth zum Baumgarten.
Ein Knab von eilf Jahren.
Eine Apothekerin zum Hirsch und ihre Tochter.
NB. Eine Harfberin hat sich selbst erhenkt.
Im achtzehenden Brandt sechs Personen.
Der Batsch, ein Rothgerber.
Ein Knab von 12 Jahren, noch
Ein Knab von 1 2 Jahren.
Des D. Jungen Tochter. /
Ein Mägdlein von 15 Jahren.
Ein fremd AVeib.
Im nennzehenden Brandt sechs Personen.
Ein Edelknab von Rotenhan, ist um G Uhr auf dem Cautzley-Hof
gerichtet und den andern Tag verbrannt worden.
Die Secretärin Schellharin, noch
Ein Weib.
Ein Knab von 10 Jahren.
Noch ein Knab von 12 Jahren.
Die Brüglerin, eine Beckin, ist lebendig verbrannt worden.
• Im zwanzigsten Brandt sechs Personen.
Das Göbel Babelin, die schönste Jungfrau in Würzburg.
Ein Student in der fünften Schule, so viel Sprachen gekont , und
ein vortreflicher Musikus vocaliter und iustrumentaliter.
Zwey Knaben aus dem neuen Münster von 1 2 Jahren.
22*
340 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Der Steppers Babel Tochter.
Die Hüterin auf der Brücken.
Im einundzwanzigsten Brandt sechs Personen. *
Der Spitalmeister im Dietricher Spital, ein sehr gelehrter Manu.
Der Stoffel Holtzmann. j
Ein Knab von 14 Jahren.
Des Stolzenbergers Raths-Herrn Söhnlein.
Zween Alumni.
Im zweiundzwanzigsten Brandt sechs Personen.
Der Stürmer, ein reicher Büttner.
Ein fremder Knab.
Des Stolzenbergers Raths-Herrn grosse Tochter.
Die Stolzenbergerin selbst.
Die Wäscherin im neuen Bau.
Ein fremd Weib.
Im dreiundzwanzigsten Brandt neun Personen.
Des David Croten Knab von 12 Jahren in der andern Schule.
Des Fürsten Kochs zwei Söhnlcin, einer von 14 Jahren, der ander
von 10 Jahren aus der ersten Schule.
Der Melchior Hamraelmann, Vicarius zu Hacli.
Der Nicodemus Hirsch, Chor-Herr im neuen Münster.
Der Christophorus Berger, Vicarius im neuen Münster.
Ein Alumnus.
NB. Der Vogt im Brennerbacher - Hof und ein Alumnus sind
lebendig verbrannt worden.
Im vierundzwanzigsten Brandt sieben Personen.
Zween Knaben im Spital.
Ein reicher Bütner.
Der Lorenz Stüber, Vicarius im neuen Münster.
Der Betz, Vicarius im neuen Münster.
Der Lorenz Roth, Vicaiüus im neuen Münster.
Die Rossleins Martin.
Im fiinfundzwanzigsten Brand sechs Personen.
Der Friedrich Basser, Vicarius im Dom Stift.
Der Stab, Vicarius zu Hach.
Der Lambrecht, Chor -Herr im neuen Münster. *
Des Gallus Hausen Weib.
Ein fremder Knab.
■ '. ^ , I
Der David Hans, Chor- Herr im neuen Münster.
Der Weydenbusch, ein Raths-Herr.
Die Wirthin zum Baumgarten,
Ein alt Weib.
Des Valkenbergers Töchterleiu ist heimlich hingerichtet und mit der
Laden verbrannt worden.
V
I
Die Schelmerey Krämerin.
Im sechsundzwanziffsten Brandt sieben Personen.
5. Erklärung der Hexenperiode. 341
Des Raths-Vogt klein Söhnlein.
Der Herr Wagner, Vicarius im Dom -Stift, ist lebendig verbrannt
worden.
Im siebenundzwanzigsten Brand sieben Personen.
Ein Metzger, Kilian Hans genannt.
Ein Hüter auf der Brücken.
Ein fremder Knab.
Ein fremd Weib.
Der Harfnerin Sohn, Vicarius zu Hach.
Der Michel Wagner, Vicarius zu Hach.
Der Knor, Vicarius zu Hach.
Im achtundzwanzigsten Brandt, nach Lichtmess anno
1629 sechs Personen.
Die Knertzin, eine Metzgerin.
Der David Schützen Babel.
Ein blind Mägdlein. NB.
Der Schwartz, Chor -Herr zu Hach.
Der Ehling, Vicarius.
Der Bernhard Mark, Vicarius zu Dom -Stift, ist lebendig verbrannt
worden.
Im neunundzwanzigsten Brandt sieben Personen.
Der Viertel Beck.
Der Klingen Wirth.
Der Vogt zu Mergelsheim.
Die Beckin bei dem Ochsen -Thor.
Die dicke Edelfrau.
NB. Ein geistlicher Doctor, Meyer genannt, zu Hach und Ein
Chor -Herr ist früh um 5 Uhr gerichtet und mit der Bar verbrannt
worden.
Ein guter vom Adel, Junker Fleischbaum genannt.
Ein Chor -Herr zu Hach ist auch mit dem Doctor, eben um die
Stunde heimlich gerichtet und mit der Bar verbrannt worden.
Paulus Vaecker zum Breiten Huet.
Seithero sind noch zwei Brändte gethan worden.
Datum den 16. Febr. 1629.
Bisher aber noch unterschiedliche Brände gethan worden.
Aus diesem Verzeichniss von Unglücklichen aus den ver-
schiedensten Schichten der Gesellschaft, sehr ungleichen Ver-
hältnissen und Bildungsstufen diirfte es klar werden, dass alle
nicht aus ein und demselben Motive zum Tode gebracht wor-
den seien, ja dass bei manchen der Verurtheilten überhaupt
gar keiner der angeführten Beweggründe seine Anwendung
342 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
finden könne. Die in der Liste angefiihrten armen alten Frauen,
die Fremden, wahrscheinlich heimatlosen Leute konnten we- \
der Habsucht noch Neid erregt haben, da bei ihnen kein Ver- l
mögen zu confisciren, daher kein Gewinn zu hoffen war. *
Ebenso wenig lässt sich die Hinrichtung der vielen minder-
jährigen Kinder auf Grund der Ketzersucht oder Verfolgungs-
wuth erklären; die Herrschsucht der Geistlichkeit, in der man
auch die alleinige L^rsache der Hexenprocesse zu erblicken
meinte, muss bei der Verurtheilung ihrer eigenen Glieder laut
unserer Liste mindestens zweifelhaft erscheinen. Dagegen
liefert unser Verzeichniss allerdings Maeder Belege dafür, Avie
der Hexenprocess dem Neide, Hasse u. s. w. die erwünschte
Gelegenheit bot, sich durch Denunciation Luft zu machen.
Die im vierten Brande beigefügte Bemerkung: „von der konmit
das ganze Unwesen her", gibt einen Fingerzeig. Die Schel-
sucht, durch irgendeinen augenfälligen Vorzug des andern
angeregt, entledigte sich durch Verdächtigung, und „das Göbel
Babelin, die schönste Jungfrau in Würzburg", konnte wol
infolge ihrer im zwanzigsten Brande angeführten beneideten Ei-
genschaften dem Tode verfallen sein. Da alles Ungewöhnliche
den beschränkten Gesichtskreis jener Zeit mit Mistrauen erfüllte,
jede auffällige Erscheinung, deren Ursprung unerklärlich war,
von infernalischen Mächten hergeleitet wurde, so konnten auch
leibliche Gebrechen den damit Behafteten leicht in Verdacht
bringen, und „das blind Mägdlein" mit dem NB. im achtund-
zwanzigsten Brande mochte wol wegen des mangelnden Augen-
lichts auch das Leben verlieren. Noch wahrscheinlicher ist
dass der im zweiten Brande erwähnte Student, der ,,so viel
Sprachen gekont und ein vortreflicher Musikus vocaliter und
instrumentaliter" war, und im einundzwanzigsten Brande der
Spitalmeister „ein sehr gelehrter Mann" ihre gerühmten Vor-
züge mit dem Leben bezahlen mussten. Jene Zeit pflegte um
alle über die Alltäglichkeit hervori'agenden Persönlichkeiten
einen düstern Hexennimbus zu ziehen, eine Fertigkeit, deren
Erlangung nicht jedermanns Sache war, genügte, um in den
Ruf der Hexerei zu bringen. In den Hexenprocessacten fin-
den sich daher häufig „Spielleute", wie auch im elften Brande
unserer Liste ein Spielmann aufgeführt wird. Es scheint, dass
auch das Fremdsein an sich schon Anstoss erregte und unheimlich
war, daher die vielen „fremden" Männer, Weiber, Kinder in
'■^
I
5. Erklärung der Hexenpei'iode. 343
dem Yerzeichniss der Hingerichteten. Konnte doch selbst die
harmloseste Beschäftignng, wenn sie keine ganz gewöhnliche
war und unheimlichen Yorstellinigen Raum gab, gefährlich
werden. Es liegen viele Beispiele vor, soll aber ein einziges
aus Hormayr's ,,Oesterreichischem Archiv" genügen, wonach zwei
alte Weiber, Rosina Kotel und Estera Supal, auf dem Plinzen-
planel bei Fulnek lebendig verbrannt wurden, „weil sie zur
Sommerszeit viel in Felsen und Wäldern herumgewandelt und
Kräuter gesucht".
Wir wiederholen also, dass die bösen Leidenschaften zum
Unterhalt und zur Verbreitung der Hexenbrände ihren grossen
Theil beigetragen haben, aber weder in ihrer Besonderheit
noch in ihrer Summe als einziger Factor, geschweige denn
als Grund des Ursprungs der Hexenprocesse betrachtet wer-
den können. Diese boten den verderblichen Neigungen nur
die günstige Gelegenheit zum Ausbruche zu kommen. Hass
und Neid, Herrschsucht und Habgier sind unter den Men-
schen heute noch rege, und ihre Macht ist gross, um
das Leben zu verbittern, die Verbreitung des Guten zu ver-
zögerj) ; können sie aber heute eine Hexenperiode hervorbrin-
gen? Der Hass vernichtet noch heute das Lebensglück des
Gehassten, aber auf den Scheiterhaufen bringen kann er ihn
nicht mehr; und die Habsucht kann durch hundertfältige
Mittel den andern seines Vermögens berauben, aber nicht mehr
durch einen Hexenprocess. Sind ja auch die schlimmen Lei-
denschaften, obgleich abnorme, doch organisch bedingte Aeus-
serungen des menschlichen Lebens, und wie dieses in und mit
der Zeit sich entwickelt, so müssen avich jene ihre Wandlun-
gen der Form nach mitmachen. Es ist nicht anzunehmen,
dass je eine Periode kommen werde, avo es keinen Hass mehr
gibt, aber die Zeit ist doch schon da, wo er nicht mehr den
Holzstoss für den Gehassten anzi'mden kann, und dies ist
schon als Gewinn zu betrachten.
Ein wesentlicher specieller Factor der rapiden Ausbrei-
tung der Hexenprocesse am Ausgange des 15. Jahrhunderts,
auf den zuerst von Wächter aufmerksam machte, ist die
Thatsache: dass um diese Zeit in Deutschland ein völlig
anderes Beweissystem und processualisches Verfahren in
Gang gebracht, und bei dem Einschreiten von Amts wegen
:
344 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Ilexenverfolgung.
die Folter willki'ulich angewendet ward. ^ Von Wächter
weist nach, dass man bei der Entscheidung im deutschen .
Strafprocesse bis ins 15. Jahrhundert auf Zeugen und Ge- 1
ständniss als Beweismittel ein nur sehr untergeordnetes Ge- "
wicht zu legen pflegte, obschon der Grundsatz galt: wenn
der Ano-eklao-te üesteht, hat er sich selbst gerichtet und
wird verurthoilt. Man war aber weit entfernt, sein Ge-
ständniss herbeizuführen, da der germanische Criminalprocess
durchaus Anklageprocess war und nicht der Ankläger die
Schuld des Angeklagten, sondern dieser seine Unschuld zu
beweisen hatte. Dazu diente ihm der Eid, wodurch er sich
A'on der Anklage rein schwören konnte, und die Eidhelfer,
welche beschworen, dass sie überzeugt seien, der Angeklagte
habe keinen Meineid geschworen. In Fällen, wo der Ankläger
den Eidhelfern nicht traute, oder der Angeklagte die nöthige
Zahl derselben nicht auftreiben konnte , oder wenn er selbst
als Unfreier oder Uebelberüchtigter sich nicht losschwören
durfte, entschied ein Gottesurtheil. Von Wächter zeigt fer-
ner, dass der Unterschied von handfester und nicht hand-
fester That im germanischen Recht zwar enthalten, aber
nicht von durchgreifender Wichtigkeit gewesen, vom 12. bis
15. Jahrhundert jedoch die Grundlage des Processes ist.
Bei der Einleitung des Processes auf handfeste That, wenn
der Verbrecher auf der That selbst betrofien, oder auf der
Flucht begriffen von dem Ankläger gefangen genommen ward,
musste dieser die Schuld des Angeklagten beweisen durch Eid
und Helfer, die hier als Zeugen fungirten; lautete die Anklage
auf übernächtige That, so musste der Angeklagte sich reini-
gen. Dieses Beweissystem wurde geändert, da es der Rechts-
einheit keine hinlängliche Gewähr leistete. In Dänemark,
Schweden, England war schon früher an die Stelle des ger-
manischen Beweissystems das Geschworenengericht getreten;
in Deutschland suchten besonders die Städte bei übelberüch-
tigten Leuten das ,,Uebersiebnen"- und die Gottesurtheile
abzuschaffen und nach Zeugenaussagen, Geständniss und In-
' Beiträge zur deutschen Geschichte insbesonders des deutschen Straf-
rechts; vierte Abhandlung.
^ Von den sechs Eiden der Helfer und dem des Anklägers, der den
Angeklagten mit sieben Eiden übersiebnete".
t
5. Erklärung der Hexenperiode. 345
dicien zu verurtheilcn. Die Städte und auch Landesherren
erhielten vom Kaiser Privilegien, womit den Gerichten bei
gewissen Gelegenheiten das Recht eingeräumt ward, blos nach
ihrer Ueberzeugung, dem Resultate des ganzen mündlichen
und öffentlichen Verfahrens, über Schuld und Uns(;huld zu
richten. „Es bedurfte nur eines kleinen Schrittes", sagt von
Wächter, ,,um ganz zum Richtigen und zu dem zu gelangen,
wozu unser Jahrhundert kommen muss und wird. Allein um
allmählich und erst durch die bittersten Erfahrungen dahin ge-
führt zu werden, bedurfte man bei uns vier volle Jahrhun-
derte. ^
Um dem neuen Verfahren, das sich auf kaiserliche Privi-
legien stützte, auch eine principielle Grundlage zu geben, griff
man nach dem römischen Rechte, und dem was die Geistlich-
keit in ihren Gerichten bereits zu üben angefangen hatte, wo
auf das Geständniss grosser Werth gelegt wurde, und die
Folter, in Deutschland früher höchst spärlich gebraucht, war
das Mittel, nach dem Vorgange der italienischen Praxis und
der geistlichen Gerichte, das Geständniss herbeizuführen. Aus
diesem Umstände, dass man erst gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts in Deutschland alles vom Geständniss des Ange-
schuldigten abhängig machte, und dieses wieder nach dem
Vorgange der geistlichen Gerichte und der italienischen Praxis
und Doctrin durch die Folter herbeizuführen suchte, erklärt
es sich : dass vor dieser Zeit nur wenige Verurtheilungen von
Hexen stattfanden.^ Die Folter wurde nach und nach durch
Landesgesetze und im 16. Jahrhundert durch die Reichsge-
setzgebung, die peinliche Gerichtsordnung Karl's V. bestätigt.
Das Beweisverfahren im Criminalprocesse beruhte nunmehr
avif Zeugen und auf Geständniss des Angeschuldigten, und
letzteres herbeizuführen diente die Folter.
Indem der berühmte Jurist, unser Gewährsmann, das Ge-
ständniss des Angeschuldigten als die Grundlage des neuen
Beweissystems von den geistlichen Gerichten herleitet, von
wo es in das strafrechtliche Verfahren herübergenommen wor-
den, wendet sich unsere Aufmerksamkeit auf die Kirche und
' Wächter, dritte Abhandlung, S. 75.
^ "Wächter, vierte AbhandUmg, S. Ü8.
346 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenvcrfolgung.
ihre geistlichen Gerichte, und umvillkürlich drängt sich
uns die Frage auf: warum diese wol die Entscheidung der
Thatfrage gerade auf das eigene Geständniss gründete?
Die christliche Moraltheologie bestimmt den Werth einer
Handlunff nach dem freien Willen des Handelnden, nach des-
sen Gesinnung, sie dringt daher auf Erkenntuiss dieses Wil-
lens, verlangt dessen Aeusserung, d. h. das Geständniss, ilm
die Zurechnungsfähigkeit des Thäters und die sittliche Schwere
der That zu bemessen. Wir wissen, dass die mittelalterliche
Kirche aus Geistlichen sich zusammensetzte, die als Träger und
Bewahrer ihrer Glaubenssätze die Kirche repräsentirten. Die
Kirche sollte auch die Lade sein, in welcher der moralische
Inhalt des christlich religiösen Bewusstscins niedergelegt ist.
W^o nun die Kirche das Richteramt ausiibt, kann der theolo-
gistische Charakter nicht ausbleiben und, indem sie das mora-
lische Moment in das juristische bei der Justiz versetzt, erklärt
es sich, dass sie auf das eigene Geständniss des Beschuldig-
ten den schwersten Ton legt und die Verurtheilung davon
abhäno-iiT macht. Wir erinnern uns aber auch, dass die Kirche
schon inmitten und auch am Ausgange des Mittelalters in
pure Aeusserlichkeit zerfahren war, während sie doch das
Innerste, den Glaubensinhalt der Religion, bewahren sollte;
wir wissen, dass die ganze Busstheorie in einem Verkehren
der Sittlichkeit in rein äusserliche Werke bestand. Der
Widerspruch, in den die Kirche als äussere Anstalt und welt-
liche Macht mit ihrem eigenen Wesen gerathen war, stellte
sich auch bei der Erzielung des Geständnisses im Hexenpro-
cessc heraus. Das Geständniss, das seinem Begriffe nach aus
der Innerlichkeit frei entspringen, ein freiwilliges sein sollte,
das nur als solches Werth und Bedeutung haben kann, wurde
durch die Folter erzwungen, durch auferlegten körperlichen
Schmerz erpresst, somit in reine Aeusserlichkeit verkehrt und
das wesentliche Moment der Freiwilligkeit vernichtet. Dieses
Verkehren des ursprünglichen Wesens in reine Aeusserlich-
keit befolgt die mittelalterliche Kirche mit eiserner Consequenz
in allem, wo sie mitspricht. Die Umwandlung des Anklage-
processes in einen inquisitorischen mit abgefoltertem Geständ-
niss reducirt sich schliesslich auf das kirchlich theologische
Element, das den ganzen Zeitraum nach allen Beziehungen,
5. Erklärung der Hexenperiode. 347
und am Ausgange des 15. Jnhrhiniderts auch das Processver-
fahren durchdringt und charakterisirt.
Schon Nicolaus Eymericus, Generalinquisitor von 1356
bis lo'Jo, der in den ersten Jahren seiner Amtsthätigkeit sein
„Directorium Inquisitorum", die erste systematische Unter-
weisung fiir Ketzerrichter, schrieb und Hexerei mit Ketzerei
auf gleiche Weise behandelt wissen will, hält jedes Mittel f ur
erlaubt, um das Geständniss zu erpressen. ^ Der „Hexenham-
mer" gibt einen scheinbaren Rechtstitel für die Anwendung
der Folter durch seine Definition der Hexerei als „crimen
exceptum", als Ausnahmsverbrechen, das im Verborgenen
schleiche, dessen Gefährlichkeit so ausserordentlich, dass die
Pflicht, dasselbe zu verfolgen, den Richter über die Schranken
des Gesetzes, über die gesetzlichen Formen des Processes und
die gesetzlichen Vorschriften in Betrefl:' des Beweises hinüber-
heben müsse.
Wir unterlassen die Aufzählung der verschiedenen soge-
nannten „Proben der Hexen", welche der Folter vorausgingen,
die unglaublich grausamen, ekelhaften und schamlosen Tor-
turen und der dabei angewandten Werkzeuge, obschon nicht
gerade aus dem Grunde, „weil sie dem Herzen der Mensch-
heit zur Schande gereichen "2, sondern weil die Folterkam-
mern so oft und lebendig geschildert worden, vornehmlich
aber, weil unsere Gesichtspunkte andershin zielen. Kurz,
der Raum „zwischen der ersten Einkerkerung der Hexe bis
zu ihrem letzten Athemzug" war, wie Haas richtig sagt, „ein
unbeschreiblicher Weg voll Jammer und Elend". ^
Nachdem die Beschuldigte im scheusslichsten Kerker
geschmachtet, durch Drohungen, schlechte Behandlung einge-
schüchtert, durch Hunger, Schlaflosigkeit, Kummer und Angst
leiblich herunter gebracht, auf die sogenannte „leichtere Tor-
tur" gespannt worden, sagte sie gewöhnlich alles aus, was ihr
während der Folter in den Mund gelegt wurde, um ihren Lei-
den ein Ende zu machen. Ein solches Geständniss ward im
gerichtlichen Protokoll ohne Erwähnung der „leichtern Tor-
tur" als „freiwilliges Geständniss" oder ,, Bekennen in
1 Part. II. qu. 42, 43.
■' Haas, S. 12.
' Ibid., S. 13.
348 Dritter Alischnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Güte" verzeichnet. Was es daher mit den in den Acten der
Hexenprocesse so häufig erwähnten „freiwilligen Geständ-
nissen" für ein Bewandtniss hat, müsste aus diesen wenigen
Zügen schon einleuchten, ist aber von Graeff, Soldan, Wäch-
ter, Bischof u. a. noch ausführlicher klar gemacht wor-
den. Die Furcht vor der angedrohten oder wiederholten
Folter, das ostentative Vorweisen und Herrichten des Folter-
apparats, die Zudringlichkeit der Inquisitoren, Henker und
ihrer Gehülfen, falsche Versprechungen, alle möglichen Sug-
gestivmittel, die der „Hexenhammer" bei der Gelegenheit an-
empfiehlt, mochten wol zu einem sogenannten Geständniss
bewegen. Aehnlich verhält es sich mit der grossen Ueber-
einstimmung der Geständnisse, worauf die altern Juristen,
namentlich Carpzov ^ ein so grosses Gewicht legten. Wächter
hat gezeigt, dass diese Uebereinstimmung nicht das Geringste
für die Realität des Gegenstandes beweisen könne. „Was
sollten die armen Personen aussagen, um sich von den Qualen
der Folter zu befreien, wenn als einziges Rettungsmittel ihnen
nur das Geständniss übrigblieb, dass sie Hexen seien, und
sie nun um die nähern Umstände befragt wurden? Sie muss-
ten eben gestehen und gestanden, was man in jenen Zeiten
gewöhnlich von den Hexen erzählte, was die Kirche dem
Volke genugsam als Warnung vorhielt, und was noch in einer
Reihe populärer Traktätchen über das Getriebe der Hexen
und über die Geschichte und Bekenntnisse hingerichteter
Hexen unter das Volk gebracht wurde. So erklärt sich voll-
kommen die Uebereinstimmung ihrer Erzählungen im ganzen,
wie die Verschiedenheit derselben in Eiuzelnheiten. Aber
auch in vielen Besonderheiten konnten sie leicht übereinstim-
men, selbst in der so gefährhchen, in den Hexenprocessen so
häufig vorkommenden Angabe der Personen, die bei Hexen-
versammlungen gewesen sein sollten. Hatten sie die Hexerei
eingestanden, so verlangte man natürlich von ihnen auch zu
wissen, mit wem sie auf den Hexentänzen gewesen seien. Die
liäutige Angabe, dass sie die Anwesenden nicht gekannt hät-
ten, oder die Nennung bereits Verstorbener oder Hingerich-
teter genügte natürlich nicht, man folterte, bis sie Lebende
nannten, und hier nannten sie meist eben solche, die, wozu
' Qu. XLIX, no. 67 sq.
5. Erklärung der Hexenperiode. 349
man in jenen Zeiten so gar leicht kommen konnte, im Ge-
rüche der Hexerei standen oder von denen sie wussten, dass
sie bereits in Untersuchung oder von andern genannt seien,
und so erklärt sich ein Zusammentreffen der Aussagen ver-
schiedener Angeschuldigten leicht ; und nannten sie auch eine
Reihe von Personen auf geradewol, so konnte leicht eine solche
Person unter denen sein, die auch eine andere Gefolterte auf
geradewol genannt hatte. ^ Was dann durch solche natürliche
Verhältnisse nicht vermittelt wurde, ergänzten Suggestionen
aller Art, des Gefangenwärters, des Beichtvaters, des Richters".^
Die Wirksamkeit der Folter bezeugt Spee als Augen-
zeuge, wenn er ausruft: „Behandelt die Kirchenobern, behan-
delt Richter, behandelt mich ebenso, wie jene Unglücklichen,
werft uns auf dieselben Foltern, und ihr werdet uns alle als
Zauberer erfinden." Oder: „Wehe der Armen, welche einmal
ihren Fuss in die Folterkammer gesetzt hat! Sie wird ihn
nicht wieder herausziehen, als bis sie alles nur Denkbare ge-
standen hat. Häufig dachte ich bei mir: dass wir alle nicht
auch Zauberer sind, sei die Ursache allein die, dass die Folter
nicht auch an uns kam, und sehr wahr ist, was neulich der
Inquisitor eines grossen Fürsten von sich zu prahlen wagte,
dass, wenn unter seine Hände und Torturen selbst der Papst
fallen würde, ganz gewiss auch er endlich sich als Zauberer
bekennen würde. Das Gleiche würde Binsfeld thun, das
Gleiche ich, das Gleiche alle andern, vielleicht wenige über-
starke Naturen ausgenommen".^ Bestätigungen hierzu gebeu
die vom Gr. Lamberg und andern aus Urkunden bezeugten
Aussagen vieler wegen Hexerei Hingerichteten, die dem Herrn
Pfarrer ihre Unschuld gebeichtet hatten, aber mit der Bitte,
ja keine Anzeige davon zu machen, damit sie nicht neuerdings
gefoltert würden, da sie lieber sterben, als diese Qualen noch
einmal leiden wollten.
Die Folter war also das sicherste Mittel, ein Geständniss
der Hexerei zu erzielen, auf dieses stützte sich aber das ganze
Processverfahren, das als vorzüglicher Factor der Verbreitung
der Hexenprocesse zu betrachten ist, und zwar durch die Be-
1 Vgl. auch Spee, Dub. XLIX.
^ Excurs zur vierten Abhandlung, S. 325 fg.
^ Caut crim. Dub. XL. XL VIII.
350 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
handlung der Hexerei als „crimen exceptum", durch die In-
dicien, unter denen von Wächter als das gefährlichste und
wichtigste die „nominatio socii" heraushebt', wodurch es er-
klärlich wird, wie aus Einem Hexenprocesse Hunderte von
Hexenprocessen entstehen mussten. Dieser ganze Hexenpro-
cessapparat mit allem, was daran vmd darum hängt, ist mit
dem „Hexenhammer" den Inquisitoren in die Hand gegeben, und
diesen wird durch die Bulle Innocenz' VIH. aufgegeben, „die
heisse Sehnsucht, wie es die Sorge unseres höchsten Hirten-
amtes erfordert" zu erfüllen, „dass der katholische Glaube
vornehmlich zu unsern Zeiten allenthalben vermehrt und blühen
möge, und alle ketzerische Bosheit von den Grenzen der
Gläubigen weit hinweg getrieben werde". Der religiöse Eifer,
durch Vertilgung der Plexen ein frommes Werk zu thun, die
der SufFraganbischof Binsfeld ein Privilegium der Freunde
Gottes nennt, wobei er den Beweis dahin führt: dass Gott
das strenge Verfahren in den Hexenprocessen billige, weil er
nicht zugeben würde, dass Unschuldige mit Schuldigen zu
Grunde gehen 2; der zur Herrschaft erhobene Glaube, durch
Ausrottung der Hexen die ewige Seligkeit erlangen zu können ;
diese und ähnliche Sätze hatte auch „ der Hexenhammer " als
Wahrheit gepredigt. Wir dürfen also in Summa sagen: die Bulle
und der „Hexenhammer" waren die vornemlich wirksamsten
speciellen Hebel, die Verbreitung der Hexenprocesse zu einer so
erschreckenden Höhe zu bringen. Dabeibleibt Schindler^s Bemer-
kung richtig : Innocenz und Sprenger sind Erzeugnisse ihrer Zeit
und die unglücklichen Persönlichkeiten, die ihr den Ausdruck
gegeben haben ^, und der Hexenprocess ist nichts Gemachtes,
nichts Erfundenes, sondern aus der Anschauung der Zeit her-
vorgegangen*, und dieser gehört auch das besondere Mittel, ihn
zu fördern und zu verbreiten, nämlich die Bulle mit dem „Hexen-
hammer". Es scheint aber, dass Schwager sowol als Hauber
von Schindler unrichtig verstanden wurden, als wollten sie
den Ursprung der Hexenprocesse auf die Bulle zurückleiten,
> Vierte Abtheilung, S. 103.
"^ Tractat. de confessionibus maleficorum et sagarum. Commentar. in
Lit, C, Lex V, qu. I.
3 S. 307.
* S. 308.
5. Erklärung der Hexenperiode. 351
da ersterer ausdrücklich sagt: „dass Inuocenz den Hexenpro-
cess zuerst eingeführt habe, kann man freilich nicht behaup-
ten, denn die Waldenserey ist älter als seine Bulle, und man
findet schon vor deren Entstehung hin und wieder Plackereyen
dieser Art"'. Aehnlich äussert sich auch Hauber. ^ Wo
die Hexerei als Ausnahmsverbrechen hingestellt, der Process
auf blosse Denunciation, oder auf lediges Gerücht hin einge-
leitet, das zur Verurtheilung nöthige Geständniss durch die
Folter abgepresst wird — alles nach Angabe des Hexenham-
mers,— da mussten die Hexenprocesse wol in Schwung kommen
und allen schlimmen Leidenschaften die willkommene Hand-
habe bieten, ihre Opfer zu fassen und zu fällen. Selbstver-
ständlich wucherte die Angeberei, die Spee besonders hervor-
hebt, deren sich manche auch beflissen, um selbst dem Verdachte
der Hexerei zu entgehen, was auch häufig gelungen sein mag,
dagegen aber Beispiele vorkommen, wo Yerurtheilte nicht
nur den Angeber, sondern selbst den Kichter der Mitschuld
ziehen und in den Process hineinzogen. Spee kannte mehrere
durch Verfolgungseifer ausgezeichnete Richter, die selbst der
Hexerei überführt, eingeäschert wurden 3; es ist aber üeber-
treibung, aus solchen Fällen die spätere Abnahme der Hexen-
processe erklären zu wollen, wie man gethan hat. Die
Behauptung von Görres"*, das Ueberhandnehmen der Hexen-
processe in protestantischen Ländern habe in ihrer Saeculari-
sirung ihren Grund, wird durch die constatirte Thatsache
vernichtet, dass die Hexenbrände gerade in den Bisthümern
am häufigsten loderten, wie aus der früher gegebenen Ueber-
sicht hervorgeht.
Dass sowohl in Ländern, wo die Hexenprocesse von Laien
geführt wurden, als auch in Ländern, wo der Protestantismus
Eingang gefunden, Brände stattfanden, erklärt sich einfach
daraus, dass der Glaube an das Hexenwesen überall herrschte,
und die Hexerei überall nach der Schablone des Hexenham-
mers behandelt wurde. Luther und Melanchthon sind in Bezug
auf Teufel und Hexenglauben Söhne ihrer Zeit und die Re-
^ Versuch einer Geschichte der Hexenprocesse von Schwager, I, 39.
^ Biblioth. mag., S. 69 fg.
3 Caut. crim., Dub. XI, 4.
* Christi. Myst., IV, 2, S. 587.
352 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
formation wirkte der Hexenvcrfolgung nicht unmittelbar ent-
gegen. In katliolisclien Ländern wurden die Anhänger der
Reformation der Hexerei verdächtigt und deshalb verfolgt, in
protestantischen Ländern blieb man mit den Hexenbränden
nicht zurück, und der Bürgermeister Pheringer von Nördlingcn
konnte sich die Aufgabe stellen: „die Unholden mit Stumpf
und Stiel auszurotten". Von dem leipziger Juristen Benedikt
Carpzov, welcher seiner Zeit eine juristische Autorität war, ist
bekannt, dass er mehr als hundert Hexen zum Scheiterhaufen
verurtheilte. Weitere Beweise von Hexenprocessen in pro-
testantischen Ländern boten uns die von Schweden, Eng-
land und Schottland. Wenn das Hexenwesen und dessen
Verfolgung von den hochgehenden Wogen der Reformation
einige Zeit hindurch in den Hintergrund gespült wurde, so
liegt der Grund vornehmlich in der Ausserordentlichkeit der
Ereignisse in Kirche und Staat, wodurch die Gemüther ganz
laid gar angezogen und von jener Richtung abgewendet
waren.
Alle bisher angeführten Momente zur Erklärung der
reissenden Ueberhandnahme des Glaubens an Hexerei und
der Hexenprocesse scheinen noch immer nicht genügend, und
ist daher noch eins anzuführen.
Obschon es ausser Zweifel ist, dass nicht nur viele Un-
glückliche, die zum Scheiterhaufen verdammt wurden, sicli
klar bewusst waren, weder mit dem Teufel Umgang gepflogen
noch am Hexensabbat theilgenommen zu haben, überhaupt
von aller Hexerei, deren sie beschuldigt worden, rein zu sein;
dass ferner manche der Inquisiten sowol als der Liquisitoren
an das ganze Hexenwesen gar nicht ernstlich geglaubt haben
mögen, wofür sie nach dem „Hexenhammer" der Strafe der
Ketzerei verfallen wären, wenn sie es gestanden hätten; so
lässt sich doch mit völliger Sicherheit behaupten: dass die
bei weitem überwiegende Menge von der Wirklichkeit
der Hexerei innigst iiberzeugt war. Selbst die Männer,
welche gegen die Unmenschlichkeit der Hexenverfolgungen
kämpfend auftraten, von dem protestantischen Arzte Weier
angefaiigen, die Jesuiten Tanner und Spee miteingerech-
net, waren meistens selbst im Hexenglauben befangen, und
diejenigen unter ihnen, welche den ganzen Hexenapparat
für eine Täuschung erklärten, leiteten diese doch vom Teufel
5. Erklärung der Hexenperiode. 353
ab, von dem sie zum Verderben der Menschheit und Schaden
der Kirche ausgehe. Denn bei nahezu allen Bekäuipfern der
Hexenverfolgung war das lebendige Gefühl der Menschlichkeit
grösser als der Kreis der Anschauung ihrer Zeit, in dein
sie eingeengt standen. Der Hexenglaube übte nicht nur eine
Herrschaft aus, gleich der von Vorstellungen überhaupt, w^elche
bei dem grössten Theile der Menschen die Stelle von leiten-
den Grundsätzen vertreten; der nähern Betrachtung der He-
xenperiode wird auch nicht entgehen , dass diese Erscheinung
im Verlaufe der Zeit das Symptom der Krankheit annahm.
Der Hexenglaube und die Hexenverfolguno; wurde zur
krankhaften Sucht, und trat in der Form einer psychi-
schen Epidemie auf, von der ein grosser Theil der Zeit-
genossen, vornehmlich jiingere Leute und Kinder, ergriffen
wurden. Die ungesunden, zur höchsten Spannung gereizten
Zustände, welche die unterste Grundlage der Hexenperiode
bilden, waren ganz danach, eine Menge von Menschen einer
Psychopathie verfallen zu lassen. Das Auftreten epidemischer
Psychopathien, die auch „imitatorische Epidemien" genannt
werden, wobei der Nachahmungstrieb gleichsam das miasma-
tische Vehikel bildet i, ist längst erwiesen und durch geschicht-
liche Belege bestätigt. Unter den ältesten Beispielen psychi-
scher Epidemien ist das von Herodot^ erzählte bekannt, wo
die Krankheit unter den Argiverinnen von Prötos' Töchtei-n
ausging. Einen andern Fall erwähnt Plutarch ^, wo die mile-
sischen Mädchen von der Monomanie sich zu erhängen er-
griffen wurden. Als eine der merkwürdigsten psychischen
Epidemien ist die um das Jahr 1212 zuerst erscheinende, von
Hecker in seiner Monographie vortrefflich geschilderte Tanz-
wuth. Tausende junger Leute, meist in den Pubertätsjahren,
rotteten sich zu den sogenannten „Kindfahrten" zusammen,
zogen fort, z. B. 1237, bis sie erschöpft zu Boden fielen, wo-
bei viele starben und die meisten bis zum Tode mit Zittern
behaftet blieben. Diese Krankheit „kam die Knaben und
Mädchen plötzlich an" und war nebst andern Erscheinungen
mit krankhafter Antipathie gegen die rothe Farbe, gegen
' Feuchtersleben, Lehrbucli der ärztliclion Seelonlicilknndp, S. 271.
2 IX, 33.
^ De virtut. mulier.
Koskoff, Geschichte des Teufels. II. 90
o54 dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexciiverfolgung.
weinende Personen und in ausgebildeten Fällen mit Auftreibung
des Unterleibs verbunden. Heulen, Schreien, Springen, über-
mässiger Hang zum Tanzen stellte sich paroxysmenweise ein.
Als im Jahre 1374 die Apostelkirche zu Lüttich eingeweiht
wurde, kamen ganze Scharen aus Oberdeutschland, vom Rheine
und von der Maas nach Aachen, dann nach Utrecht und end-
lich nach Lüttich herangezogen, Männer, Frauen, halbnackt.
Kränze auf den Häuptern, sich an den Händen fassend, Tänze
aufführend, wobei sie hoch aufsprangen, in ihren Liedern Na-
men von Dämonen nannten, darauf gewöhnlich in Krämpfe
verfielen. Diese Haufen schwollen vom September bis October
zu Tausenden an, denn es kamen aus Deutschland immer mehr
Tänzer herbei. Da sie für von Dämonen Besessene galten,
wurden sie mit Exorcismus behandelt, zum Theil durch die
Stola geheilt, wie der Berichterstatter bemerkt. Webster ^
erwähnt einer epidemischen Tollheit, die um das Jahr 10.54
herrschte. Feuchtersieben führt die Kriebelkrankheit an, die
sich als Manie äusserte, auch epidemisch auftrat und mit Blöd-
sinn endete. Benekc^ berichtet von Erscheinungen bei den
Methodisten, die von einer methodistischen Kapelle der Stadt
Redruth in Cornwallis ausgegangen waren. Während des
Gottesdienstes rief ein Mann mit lauter Stimme aus: „Was
soll ich thun, um selig zu werden!" wobei er zugleich die
orösste Unruhe und Beängstigung über den Zustand seiner
Seele in heftigen Geberden ausdrückte, wie sie bei den Me-
thodisten als Zeichen innerer Zerknirschung damals gewöhn-
lich waren, ja gewisscrmasscn einen regelmässigen Bestandtheil
ihres Gottesdienstes ausmachten. Sogleich wiederholten meh-
rere diesen Ausruf und diese Geberden, und ebenso erging es
vielen Hunderten, welche herbeikamen, um diese Zufälle mit
anzusehen; mehrere bliel)en zwei bis drei Tage und Nächte ohne
etwas zu geniessen und ohne auszuruhen in der Kapelle zu-
sammen, unter steten Zuckungen. Dieselben Qualen verbrei-
teten sich auch auf die benachbarten Städte Cambone, Heston,
Tonro, Penvyn und Falmouth und deren umliegende Dörfer,
jedoch nur auf die Methodisten, und vor allem auf solche,
deren Verstandesbildung der niedersten Klasse angehörte.
Untersuchungen der Hexereien (aus dem Englischen).
Archiv für die pragmatische Psychologie, ITI. Bd., 185:1.
5. Erklärung der Hexenperiode. 355
Die Zahl der davon Ergriffenen schlägt der Berichterstatter
auf nicht weniger als 4000 an, die Dauer 70 — 80 Stunden bei
manchen; kein Alter, kein Geschlecht blieb daA'on verschont,
nur dass vorziiglich Frauen und junge Mädchen davon er-
griffen wurden. Die Geistlichen machten die davon Besesse-
neu, statt sie zu beruhigen, noch beängstigter durch die
dringendsten Ermahnungen, ihre Slindenerkenntuiss zu ver-
stärken: sie seien von Natur Christi Feinde, und wenn der
Tod sie in ihren Siinden überrasche, werde die nie erlöschende
Qual der Höllenflammen ihr Antheil sein, — wodurch die
Zuckungen gesteigert wurden.
Ein Vortrag von Herrn. Reimer über Geistesepidemien
macht auf Beispiele aus neuer und neuester Zeit aufmerksam,
als: auf die Geistesepidemien in der Provinz Smäland in
Schweden in den Jahren 1842 und 1843, von der hauptsächlich
junge Mädchen ergriffen wurden, die über Schmerzen im Kopfe
und in der Brust klagten und dann von krankhaften heftigen
Bewegungen in den Armen ergriffen wurden, denen ein Schwall
von Worten folgte, die vornehmlich Ermahnungen zur Busse
enthielten. Bedeutenderes Aufsehen machte die sogenannte
„Predigtkrankheit", die 18,50—52 in den Lappenmarken verbrei-
tet war, wo g-anze Gemeinden und Landstriche von Erweckten
wimmelten, die unermüdlich mit lauter Stimme Predigten vor-
lasen, abwechselnd in Ohnmächten und Zuckiuigen verfielen,
aus denen sie nach drei bis vier Stunden erwachten um allerhand
Visionen zu beschreiben. Ln Januar 1862 wurden die Kinder
des Elberfelder "Waisenhauses durch eine Anrede in einen
Zustand tiefer Zerknirschung, zugleich aber in eine krankhafte
Erschütterung des Nervensj'stems versetzt. Die Folge zeigte
sich zunächst an einem Mädchen, das sich abzusondern anfing
und über Seelenangst und Sündennoth klagte. Es weinte,
stöhnte, wälzte sich auf dem Boden ; ihm folgte bald ein zwei-
tes Kind, deren Empfindungen der Angst unter frommen An-
rufungen, häufig angeführten Bibelsprüchen, schliesslich in die
heftigsten Convulsionen, ja in Starrkrampf übergingen. An-
fangs lagen 20, in der folgenden Woche 33 Kinder danieder,
und zwar unter so heftigen Convulsionen, dass die Kranken
kein Wort mehr sprechen konnten. '
' Gartenlaube 1863, Nr. 22.
2.3*
3ÖG Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenvcrfolgung.
Wer bei epidemischen Erscheinungen nur das Leibliche
im Auge haben wollte und innerhalb des Bereiches des Seelen-
lebens, in welches der Hexenglaube mit seinen Vorstellungen
fällt, eine Ansteckung und Fortpflanzung zweifelhaft fände,
der erinnere sich an die Ansteckung der Vergnügungssucht,
des Zorns u. a. ni. Eine wesentliche Bedingung zur epidemi-
schen Fortpflanzung gewisser Vorstellungen und Empfindungen
ist allerdings die Empfänglichkeit des Gemiiths. Die Erfah-
rung lehrt, dass Personen, die unter gleichen Einfliissen, in
denselben Verhältnissen luid miteinander in naher Berührung
leben, besonders weiblichen Geschlechts und jugendlichen Al-
ters, wegen ihres reizempfänglichen Nervensystems, psychi-
schen Epidemien am meisten ausgesetzt sind. Darum waren
Nonnenklöster seit jeher der Schauplatz krankhafter Erschei-
nungen dieser Art, die von ihrer Zeit für Besessenheit und
dergleichen gehalten, und das Uebel gewöhnlich als von einer
auf die andere übergehend geschildert wird. ^ GÖrres^ hebt
unter mehrern J^ällen aus weiblichen Klöstern besonders einen
hervor, der von 4 Bischöfen und 4 Doctoren der Sorbonne
genau beobachtet und worüber sie Bericht abgestattet,
nachdem von dem Bischof von Besan^on 14 Tage hindurch
der Exorcismus geleitet und Morel, städtischer Arzt von Cha-
lons, sein Urtheil beigegeben, und das Resultat vom Bischof
unter folgende Gesichtspunkte gestellt wurde: „1) Dass alle
jene Jungfrauen, 18 an der Zahl, ihm die Gabe der Sprache
zu haben geschienen; 2) beinahe alle gezeigt, wie sie ein
Wissen um das Innere und das Geheimniss der Gedanken
besassen ; 3) bei verschiedenen Gelegenheiten Künftiges vorher-
gesagt; 4) alle eine grosse Abneigung gegen alle heiligen
Dinge gehabt; 5) alle gedrungen wurden, durch iibernatürliche
Zeichen die Anwesenheit des Dämons zu beweisen; 6) auf
Geheiss des Exorcisten bisweilen eine wunderbare Unempfind-
lichkeit bewiesen; 7) nach mehrern Stunden Exorcismus und
Beschwörungen aus dem Grunde ihres Magens fremde Kör-
per, die sie Maleficien und Zaubermittel zu nennen pflegten,
Stücke Wachs, Knochen, Haare, herauszuwürgen geschienen".
• Vgl. noch andere Beispiele bei Ideler, Versuch einer Theorie des
religiösen Wahnsinns; Carus, Ueber Geislesepidemien, u. a.
2 Christliche Mystik, IV, 2, S, 334.
5. ErkUlruug der Hexeuperiode. 357
Wenn wir auch nicht leugnen, duss unserm Urtheile manche
Einzelheit anders erschiene, so halten wir doch die That-
sache der psychischen Epidemie fest. Görres fuhrt auch
den Fall aus dem Kloster Werte in der Grafschaft Hörn
an, wo eine Anzahl Nonnen in eigenthiimlicher Weise ge-
plagt wurde. „Wollte etwa eine von ihnen in das Nachtge-
schirr ihr Wasser lassen, dann wurde es ihr mit Gewalt ent-
rissen und das Bett mit dem Gelassenen besudelt. Bisweilen
wurden sie aus dem Bette auf einige Schritte herausgezogen,
und unter den Fusssohlen also gekitzelt, dass sie vor Lachen
sterben zu miissen fürchteten. Mchrern wurden Stücke Fleisch
ausgerissen, die Beine, Gesicht rückwärts gedreht" u. s. w. *
Bekannt ist der vom Holländer Hoofit erzählte Vorgang im
Jahre 15CG in dem Waisenhause von Amsterdam, wo sich in
den Kindern ein unwiderstehlicher Hang äusserte, wie Katzen
herumzuklettern. Oder die Erscheinung in dem Waisenhause
von Hörn im Jahre 1670, wo die Zöglinge mit den Füssen
strampelten und oft plötzlich zu Boden fielen. Aus dem
Baskenlande wird der Fall erzählt, dass bei 2000 Kinder
aussagten, auf dem Hexensabbat gewesen zu sein. Ein ähn-
licher Fall ist von Ryssel bekannt u. dgl. m. bei Horst,
Weier, Becker u. a. Die Psychiatrie spricht von Pöschelianis-
mus als Epidemie, die ihren Namen von einem gewissen
Pöschel erhielt, von dem der religiöse Fixwahn ausgegangen
war.
Im Mittelalter und auch noch in späterer Zeit, wo derlei
Erscheinungen auf den Teufel und seine Verbiindeten zurück-
geleitet wurden, suchte man solche Zufälle durch Exorcismus
zu heilen, und es liegt gar nicht ausser der Möglichkeit, dass
die Cur bisweilen gelungen sein mag, in welchem Falle wir
eine Heilung durch ein psychisches Mittel, nämlich durch die
Vorstellung, erkennen würden. Auch die von Plutarch er-
wähnte Monomanie der milesischen Mädchen soll auf psychi-
schem Wege gehoben worden sein, nämlich durch die gesetz-
liche Bestimmung: dass die Erhenkten ganz nackt hinaus ge-
tragen werden sollten. Das psychische Mittel war hier also
das Schamgefühl. Durch die Phantasie werden Empfindungen
und Vorstellungen der Menschen miteinander vermittelt, eben
Christliche Mystik, IV, 2, S. 372.
358 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
SO auch die Antipathie und Sympathie, das Sich-Abstossen
und Anziehen der Individualitäten. Wie das Nervensystem
bei Sinnes Wahrnehmungen von aussen nach innen angeregt
wird, so kann bei somatischen Zuständen eine Erregung der
Phantasie, also eine Erregung von innen nach aussen statt-
finden. Es wird ein Reiz erweckt, und ein bestimmter Zustand,
der die Phantasie eben g-anz eingenommen hat, wird im strcn-
gen Sinne eingebildet. Die Wirkung des erhöhten Einbildens
auf das Leibliche äussert sich nicht nur in Zügen, Blicken,
der Färbung, Haltung, sondern auch in stofflichen Absonde-
rungen, z. B. in Thränen, Speichel und andern Ausscheidun-
gen. Darum kann die Phantasie nicht nur psychologisch und
pathologisch, sondern auch therapeutisch wirken. Eine solche
Heilwirkung diuxh Einbildung ist die von Plutarch angeführte,
und eben darauf gründet sich auch die Möglichkeit der Hei-
lung durch den mittelalterlichen Exorcismus. Durch Sympa-
thie, die freilich eine psychisch vorbereitete Empfänglichkeit
voraussetzt, können sich auch religiöse Vorstellungen fort-
[)flanzen, die von einem ausgehen können und von vielen fort-
gepflanzt werden. Denn das religiöse Bewusstsein und dessen
Anschauungen und Vorstelluno;en steht mit der ganzen Gei-
stes- und Gemüthsverfassung; in dem innigsten wechselwirkeii-
den Zusammenhans. Dass der Seelenzustand und dieGemüths-
Verfassung der Menschen in der zweiten Hälfte des Mittelalters,
und namentlich während der Hexenperiode, fiir erwähnte psy-
chopathischc Erscheinungen präparirt und völlig geeignet war,
ist in der skizzirten Schilderung der damaligen Zustände an-
gedeutet. Kriege, Zerrissenheit im Innern, Seuchen und an-
dere Calamitäten mussten wol eine allgemeine dumpfe Auf-
geregtheit des Gemüths- und Phantasielebens zur Folge haben,
welche durch manche Ereignisse, die im Verlaufe der Zeit
allerdings zur Herstellung des Gleichgewichts, zur Förderung
und Klärung des menschlichen Bildungsprocesses vom grössten
Einfluss waren, als: die Entdeckung eines neuen Welttheils,
die Erfindung der Buchdruckerkunst u. a. m., zuallernäclist
aber noch mehr gesteigert werden musste. Auf solchem Boden
und mittels erwähnter und vielleicht mancher nicht erwähnter
Factoren konnte wol der Glaube an das Hexenwesen und die
Sucht, es zu verfolgen die Form einer psychischen Epidemie
5. Erklärung der Hexenperiode. 359
erhalten, und als solche namentlich das weibliche Geschlecht,
jiingere Leute und Kinder ergreifen.
Fassen wir das Ergobniss der bisherigen Betrachtung in
Kürze zusammen, so liegt der allgemeine Erklärungsgrund für
die martervolle Sturm - und Drangperiode des Hexenwesens
und dessen gerichtlicher Verfolgung in der Weltlage der da-
maligen Zeit und der eigenthiimlichen Richtung des Zeitbe-
wusstseins. Letztere machte sich als kirchlich-theologistische gel-
tend in der Auffassung der Natur und aller Verhältnisse über-
haupt, es drückte der llcchtspflege ihr Gepräge auf, gab dem
Strafjsrocesse eine ihm adäquate Richtung und die Folter als
Mittel an die Hand. An den Teufelsglauben, der alle Gemü-
ther unter despotischer Vergewaltigung hielt, in dem das Zeit-
alter seinen Ausdruck fand , knüpfte sich die Vorstellung von
einem Bündniss mit dem Satan, worauf sowol Ketzerei als
Hexerei zurückgeführt, daher mit gleichem Fanatismus ver-
folgt und mit gleichen Strafen belegt wurden. Die unter
Menschen gewöhnlichen Übeln Leidenschaften nutzten den
Glauben an Hexerei und deren Verfolgungswuth in ihrem Sinne
aus. Durch diese Factoren gefördert und gesteigert, gedieh
das Hexenwesen und dessen Verfolgung zur f»sychischen Epi-
demie, welcher empfängliche Gemüther verfielen, um wieder
andere anzustecken. Die wohlo^emeinten Mittel von kirchlichen
und landesfürstlichen Behörden, zeitweise dagegen angewandt,
konnten die Fieberhitze dieser Periode nicht dämpfen , weil
sie, selbst ungesund, die kranke Zeit nicht zu heilen ver-
mochten.
6. Allmäliliclie Abnalime der Hexenprocesse.
Jede geschichtliche Erscheinung, sofern sie nur in der Zeit-
1 ichkeit wurzelt, wird von der fortschreitenden Zeit zertreten und
muss verkümmern. Kronos verzehrt seine eigenen Kinder. So
erging es denHexenprocessen. „WasKeppler, Galilei, Gassendi,
Guericke, Huygens u. a. geleistet hatten, ist nicht blos den
mathematischen luid physikalischen Wissenschaften, es ist auch
der Philosophie und Humanität zugute gekommen. Die
grossen Geister des Jahrhunderts, Bacon, Descartes, Spinoza,
360 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Leibniz und Newton, lioben die ganze alte Methode der Wis-
senschaft aus den Angeln und zündeten ein Licht an, das
freilich die blöden Augen gar mancher Zeitgenossen schmerzte,
aber der dankbaren Nachkommenschaft desto wohlthätiiier
vorgeleuchtet hat." ^ Mit dem Cartesischen „Cogito ergo sum"
hatte die Philosophie ihre l)isherige Dienstbarkeit der kirch-
lichen Theologie aufgekündigt und zugleich die Erklärung
abgegeben, dass die Gewissheit des denkenden Subjects auf
keiner andern Autorität, als der des selbsteigenen Denkens
fussen soll. Die Naturwissenschaft trat durch Experiment
und Beobachtung an die materielle Erscheinung selbst heran,
forschte nach den Gesetzen, wodurch jene bedingt ist, und
löste die magischen Nebel des Wunder- und Zauberwesens.
Da aber der Fortsclu'itt in der Geschichte der Menschheit
stets unter Kämpfen geschieht, da nicht nur die äussere Exi-
stenz durch Arbeit errungen, sondern auch die Wahrheit ero-
bert werden muss, so ging auch die Abnahme der Ilexenpro-
cesse unter Kämpfen vor sich. Die Bestrebungen eines Weier,
Tanner, Spee gegen die Hexenverfolgung wurden im 17. Jahr-
hundert fortgesetzt von dem Franzosen Gabriel Naude, der
mit seinem Werke ^ die Unschuld der Männer, die als Zaube-
rer verschrien worden, zu retten suchte, wobei er die Grund-
lage des Hexenglaubens kritisch untersuchte und untergrub.
In England suchte die Schrift des Arztes Webster ^ gegen
GlanviFs Vertheidigung des Hexenprocesses die ganze Lehre
vom Hexenwesen als Albernheit darzustellen. Der reformirte
Prediger zu Amsterdam, Balthasar Bekker, überbot die zeitge-
nössischen Bestrebuntjen ":e£i;en das Hexenwesen durch Gründ-
lichkeit und Ausführlichkeit der Behandlung des Gegenstandes
in seinem Werke: ,,Die bezauberte Welt", das holländisch
geschrieben 1691 — 93 erschien, in dem er das Hexenwesen
selbst angrift' und als nichtig hinstellte. Bekker erkannte ganz
richtig dessen Princip in dem Glaubenssatze vom Teufel , be-
diente sich aber eines unzulänglichen Mittels, der ledigen Exe-
1 Soldan, S. 429.
- Apologie pour tous Ics grands honinics qui ont ete accuses do
magie (Paris 1669).
•* Display of supposed witchcral't, 167.'^ (aus dem Englischen übersetzt,
mit einer Vorrede von Thouiasius, 1719).
6. Allmähliche Abnahme der Hexenprocesse. 361
gese, womit er auch nicht die Existenz des Teufels, sondern
nur dessen Einfluss auf den Menschen bekämpfte. Sein Be-
streben, das Auftreten Satans in der Bibel, der gegeniiber
seine unbegrenzte Ehrfurcht alle Kritik ausschloss, möglichst
zu beschränken, trieb ihn häutig zu einer gezwungenen, daher
imrichtigcn Interpretation, indem er oft seine Anschauung in
die betrefienden Bibelstellen hineinlegte, nicht aber die des
biblischen Schriftstellers auslegte. Obschon wir heutigentags
die exegetische Waffe überhaupt gegenüber dem Teufels- und
Hexenglauben fiir unzureichend erklären müssen, kann uns
dies nicht hindern, den streng sittlichen Ernst Bekker's auch
heute noch anzuerkennen, und das grosse Aufsehen, das sein
Werk zu seiner Zeit machte, gerechtfertigt zu finden. Pierre
Bayle leitet zwar die Besessenheit auf Krankheit oder Betrug
zuriick, seine Zuerkennung der Todesstrafe auf wirkliche Zau-
berei, die er iibrigens nur bedingungsweise annimmt, wider-
spricht aber seiner sonst gehegten Toleranz, obschon er die
obrigkeitliche Verfolgung beschränkt wissen will. ^ Christian
Thomasius wird mit Kecht ein entscheidender Streiter in
dieser Richtung genannt. Nachdem er 1694 bei Gelegenheit
eines Hexenprocesses, wo er nach eigenem Geständniss auf
Grund Carpzovii Praxis criminalis, des „Hexenhammers" Torre-
blanca's, Bodin's, Delrio's und anderer Hexenverfolger auf Fol-
terung der Beschuldigten angetragen, mit seinem Antrage im
Facidtätscollegium in der Minorität geblieben war, dachte er
nicht nur dem Gegenstande reiflicher nach, sondern suchte
auch die Vorkämpfer Weier, Spee, van Dale und Bekker
näher kennen zu lernen. Im Jahre 1701 trat er schon als ihr
Bundesgenosse auf durch seine Schrift: „De crimine magiae".
Er glaubte zwar an den Teufel als unsichtbares Wesen, das
niemals einen Leib angenommen, schränkte aber dessen Wirk-
samkeit ein und erklärte das angebliche Bündniss mit dem-
selben für eine Fabel. Da Thomasius die Griinde, die von
Juristen und Theolofren für die Wirklichkeit des Hexenwesens
aufgestellt worden, zum Absurden zu führen suchte, wurde
er auch von beiden Seiten angegrifien. Thomasius selbst er-
widerte zwar gelegentlich, besonders thätig waren aber seine
Anhänger, namentlich lieiche und andere, und durch Ueber-
' Reponse aux qucstions d'un proviucial, chap. 35, 39.
362 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
Setzungen der Schriften Webster's, Hutchinson's, Beaumont's,
Prätorius', Wagstaffs, die er leitete und mit Vorreden versah,
wurde die Bahn fi'ir seine Ansichten immer freier. Seine
früher erwähnte Abhandhing kam auch ausführhch bearbeitet
heraus unter dem Titel: „Thomasii kurze Lehrsätze von dem
Laster der Zauberei mit beigefügten Actis magicis von Joh.
Reichen" (ITOo). Thomasius schrieb ferner: „De origine et
progressu proccssus inquisitorum contra sagas" (1712), und
berührt den Gegenstand auch in „Juristische Händel".^ Tho-
masius wird im Vergleicli mit Bekker ein gewandterer Käm-
pfer genannt und kann ihm dieser Vorzug auch nicht abge-
sprochen werden; aber beim Hinblick auf seinen günstigen
Erfolg ist nicht zu vergessen, dass Bekker dem ersten Anprall
ausgesetzt war, dem er seinerzeit zwar unterliegen musste,
dass aber im Feldzuge um Recht und Wahrheit die Niederlatjc
der Vorkämpfer stets eine Stafiel bildet, über die der Nach-
folger zum Siege gelangt.
Diese Bestrebungen wurden von ihrer Zeit unterstützt
und getragen, und so konnten ihnen entsprechende Wirkungen
nicht ausbleiben. Sie zeigten sich zuerst im preussischen
Staate, w^o Friedrich I. im Jahre 1701 einen Cxerichtsherrn
aus der Mark wegen einer Hinrichtung zur Verantwortung
zog und 170(") die Hexenprocesse in Pommern beschränkte.
Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm befahl im Jahre 1714
alle auf Tortur oder auf Tod lautenden Urtheile ihm zur
Bestätigung vorzulegen und verbot im Jahre 1721 die Hexen-
processe überhaupt. Der Grundsatz Fi-iedrich's des Grossen
ist bekannt: in seinem Staate sollten die alten Frauen ruhisf
sterben können. In England und Schottland wurde das Sta-
tut Jakob's 1. durch eine Parlamentsacte im Jahre 1736 auf-
gehoben. Schweden, das die Verfolgung der Hexerei zunächst
beschränkt hatte, cassirte die daraufgesetzte Todesstrafe 1771».
Dem Beispiele Preussens folgte das übrige Deutschland bälder
oder später. In der peinlichen Gerichtsordnung eloseph's I.
für Böhmen, Mähren und Schlesien vom Jahre 1707 lauten
die auf Hexenwesen bezüglichen Paragraphen noch ganz im
Sinne des „ Hexenhammers ".'^ In der Landesordnung Maria
1 Th. I, l'J7, II, .*50U, 111, 221 u. a.
= Art. XIII, §. 4 und 21», Art. XIX, §. 3.
6. Allmähliche Abnahme der Hexenprocesse. 363
Theresia^s heisst es aber: „dass solche vorkommende Processe
vor Kundmachung eines Urtheils zu Unserer höchsten Einsicht
und Entschliessuno- eiuo-eschicket werden sollen; welch Unsere
höchste Verordnung die heilsame Wirkung hervorgebracht, dass
derlei Inquisitionen mit sorgfältiger Behutsamkeit abgeführt
und in Unserer Regierung bisher kein wahrer Zauberer, Hexen-
meister oder Hexe entdeckt worden, sondern derley Processe
allemal durch einen boshaften Betrüger oder eine Dummheit
und Wahnwitzigkeit des Inquisiten, oder auf ein anderes
Laster hinausgeloffen seyen," * Nach §. 4 dieser Landesord-
nung wird aber doch zu untersuchen eingeschärft, „ob eine
Gottes und ihres Seelenheils vergessene Person solcher Sachen,
die auf ein Biuidniss mit dem Teufel abzielen, sich ihres Ortes
ernsthaft, jedoch ohne Erfolg unterzogen habe, oder ob
untrügliche Kennzeichen eines wahren zauberischen, von teuf-
lischer Zuthuung herkommen sollenden Unwesens vorhanden
zu seyn erachtet werden." Für den ersten Fall verfügt das
Gesetz nach Umständen die schärfste Leibesstrafe, oder wenn
bürgerliche Verbrechen oder Blasphemie concurriren, ge-
schärfte Todesstrafe bis zum Scheiterhaufen. Im letztern Falle
sagt das Gesetz: „Wenn — aus einigen unbegreiflichen über-
natürlichen L^niständen und Begegnissen ein wahrhaft teufli-
sches Zauber- und Hexen wesen gcmuthmasset werden müsste,
so wollen Wir in einem ausserordentlichen Ereignisse Uns
selbst den Entschluss über die Strafiirt eines dergleichen
Uebelthäters ausdrücklich vorbehalten haben; zu welchem
Ende obgeordnetermassen der ganze Process an Uns zu über-
reichen ist." Die Verordninig verbietet alle Hexenproben und
beschränkt die Anwendung der Tortur durch gewisse Mass-
regeln. — Im Strafgesetzbuche Kaiser Joseph's II. vom
Jahre 1787 hat der Hexenprocess gar keinen Raum mehr. In
Kurbaiern wurde zwar durch eine Rede, die der Theatiner
Ferdinand Sterzinger 1766 an der Akademie der Wissen-
schaften gehalten, und worin er zu beweisen suchte, ,,dass die
Hexerei ein ebenso nichts wirkendes als nichtsthätiges Ding
sey" noch viel Staub aufgewirbelt; indess war den Ilexen-
richtern doch der Faden allmählich ausgegangen, und die ge-
^ Semer k. k. apostol. Maj. allergn. Landesordniuig wie es mit dem
Hexenprocesse zu halten sej' (17G6).
364 Dritter Abschnitt: Periode der gerichtlichen Hexenverfolgung.
richtlichc Procedur gegen das Hexenwesen hatte ihr Ende er-
reicht. Aber auch der Ghiube im Volke an Hexen? Silber-
schlag ^ behauptet: „In Deutschland und überhaupt in Europa
können wir gegenwärtig auf den Hexenglauben und den Hexen-
process als auf eine vollständig überwundene Barbarei zurück-
blicken." Dieser sanguinischen Behauptung v^on dem völlig
überwundenen Hexenglauben im Volke widersprechen That-
sachen, die Adolf Wuttke aus der Gegenwart herausge-
griffen hat.^ Nach einer Mittheilung der „Unterhaltungen
am häuslichen Herd",^ wurde vor einigen zwanzig Jah-
ren"* bei Danzig ein altes Weib, im Verdachte stehend,
Wetter gemacht und die Milch der Kühe versetzt zu haben,
mittelalterlich „getauft", wobei es um's Leben kam. RiehP
sagt: „Die Pfälzer sagen freilich, die französische Revolution
habe allen Aberglauben aus dem Lande gespült, es ist aber
doch vor wenigen Jahren in einer sehr aufgeklärten Gegend
der Pfalz eine alte Frau schwer mishandelt worden, weil sie
für eine Hexe galt." Nach der Aeusserung eines Geistlichen
glaubt der tiroler Bauer, dass man jetzt darum keine Hexen
mehr sehe: „weil nun allerorten auf Wiesen und Scheide-
wegen Feldkreuze errichtet sind, an denen sich der Spuk nicht
vorüber wagt."'' Die allgemeine Kirchenzeitung ^ schreibt:
„Aus dem Banate wird das Unglaubliche gemeldet, dass in
dem Dorfe Starikör bei Neusatz ein Mädchen, das in Irrsinn
verfallen war und infolge dessen die Sprache verloren hatte,
vom Volke als Hexe verbrannt worden sei." —
• Ueber Ilexenverfolgung und Ilexenprocess ira „Deutschen Museum"
von Prutz, 18(33, Nr. 21), 30.
- Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, l^GO, '6. HO fg.
•' Neue Folge, 1856, I, 653.
* Also jetzt 30 Jahren.
ä „Die Pfälzer", ein rheinisches Volksl)ild, 1857, S. 16[).
^ Pichler, Aus den tirulcr Bergen, S. 70.
' Nr. 32, Jahrgang 1863, Aprilheft.
Vierter Abschnitt.
Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Abnahme des Glaubens an den Teufel.
1. Luther's Grlaiil}e an den Teufel.
Das IG. Jahrhundert hatte, wie wir bemerkten, den
Hexenglanben nicht gebrochen, weil das Zeitalter der Refor-
mation den Teufelsglauben mit dem Mittelalter theilte und
die Vorstellungen von der Macht des Teufels Protestanten
und Katholiken gemeinsam waren. Nach der herrschenden
Anschauung der Zeit blieb die Welt in zwei Lager geschieden,
in das Gottes und das des Teufels, und wie alles Gute im
Physischen und Moralischen von jenem ausgehend gedacht
ward, so wurde jegliches Uebel und alles Böse von diesem
hergeleitet.
Luther, der, aus deutschem Bauernblut stammend, die
Derbheit und Zähigkeit seines Geschlechts mit der Tiefe und
dem Ernste seines Stammes in sich vereinigte, wurde Mönch
und vorzugsweise Theo log. Es kennzeichnet die neue Aera,
dass sie von theologischer Hand eröfinet worden, denn die
neue Periode der Weltgeschichte theilt in ihrem Anfange die
theologische Färbung mit dem Mittelalter, nur dass sie eine
protestantisch -theologische ist. Luther war von der huma-
nistischen Bewegung, die ihm zur Seite getreten, ohne jedoch
dessen religiöse Begeisterung zu theilen, nicht in seiner Tiefe
ergriffen worden imd konnte darum später mit ihr brechen,
obschon das humanistische Studium seinen geistigen Blick
366 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
geklärt und crfrisclit hatte. Ihm war der Staat der Idee nach
als Verwirklichung einer sittlichen Macht, als Gebiet sittlicher
Aufgaben nicht zum vollen Bewusstsein gedrungen, darum
blieb er der politischen Regung fern und trat dem wilden
Sturme entgegen, der sein begonnenes "Werk zu vernichten
drohte. Luther beschränkte sich, Theolog zu sein. Die Angst
des Todes, der an ihn herangetreten w^ar, die Sorge um sein
Seelenheil hatten ihn aus der sündhaften Zerfahrenheit um
ihn her in das Kloster getrieben, er wurde Mönch, um in
krampfhafter Anstrengung durch klösterliche Ascetik und
Busse den Zorn des Ilinnnels zu si'dnien und den Frieden
mit Gott zu erringen. Im Gefühle, ein Kind des Zornes und
der Yerdamnniiss zu sein, trat er in einen Stand, „der die
zehn Gebote weit überträfe", um sich zu üben in „viel mehr
und bessern Werken, denn im Evangelio geboten werden",
um seine Schuld zu tilgen und die Gnade zu verdienen. Mit
dem ganzen Ernste seiner energischen Natur unternahm er
alle üebungen, wodurch er die Sünde zu tödten, die Heilig-
keit zu erlangen und die Gnade Gottes zu erkämpfen hoffte.
Es ist durch Zeitgenossen beglaubigt, was er später selbst
schildert, wie er gewacht, gebetet, gefastet, gefroren, sich zer-
kasteit und zermartert, wie er gehorsamt habe, sodass er be-
haupten konnte: „Wahr ist's, ein frommer Mönch bin ich ge-
west und habe so strenge meinen Orden gehalten, dass ich
sagen darf: ist je ein Mönch gen Himmel kommen durch
Möncherei, so wollt ich auch hineingekommen sein; dass wer-
den mir zeugen alle meine Klostergesellen; denn ich hätte
mich, wo es länger gewährt hätte, zu Tod gemartert mit
W^achen, Beten, Lesen und anderer Arbeit." ^ Die von der
Kirche angegebenen Gnadcmnittel, die hergebrachten Formeln
der Beichte, die äusserlichen guten Werke Hessen jedoch
seine ringende Seele den Ruhepunkt der Gewissheit nicht
finden. Der Zuspruch eines einfachen alten Klosterbruders,
der ihn auf den Artikel von der Sündenvergebung verwies
imd vom Glauben mit ihm redete, die tröstliche Belehrung
seines geistlichen Rathgebers: dass die wahre Busse mit der
Liebe zu Gott ihren Anfang nehmen und den Gnadenmitteln
Kleine Antwort auf Herzog Georg's nähestes Bucli.
1. Liither's Glaube an den Teufel. 367
der Kirche voraiTSgehen müsse, wurden von dem jungen
Mönche gierig aufgenommen. Er fühlte sich nach der unter-
sten Tiefe seines Gemüths getrieben und fand im inbrünstigen
Gebete den Hort des festen Glaubens an den Gott der Liebe,
der in uns wirkt, und dass zu diesem jedes in Reue zer-
knirschte Herz sich erheben könne. Im Gebete, in der eigenen
Erhebuno; zu Gott o-ewann der Mönch den Frieden mit sei-
nem Gott.
Die wahlvcrwandte, in sich ringende Natur seines Ordens-
heiligen Augustinus hatte ihn unter den alten Kirchenlehrern
am meisten angezogen, obschon Luther nicht wie jener „in
die Netze offenen, simdhaften, fleischlichen Lebens verstrickt
war, vielmehr mit aller eigenen sittlichen Kraft gegen das-
selbe angekämpft hatte" \ daher er mit Recht später sagen
konnte: „Ich bin fünfzehn Jahre ein Mönch gewesen, ohne
was ich zuvor gelebt habe." Tauler und die „deutsche Theo-
logie" gewannen durch die Innigkeit ihrer Mystik bleibenden
Einfluss auf das volle Geniüth des Theologen Luther; das
unablässige Studium der Bibel Hess ihn in der Heiligen Schrift
die einzige theologische Erkenntnissquelle finden, und er ward
zum biblischen Theologen. Augustinus und die mittelalter-
lichen Mystiker begegnen sich in dem Gefühle der moralischen
Nichtio-keit des Menschen, und dies wurde die unterste Grund-
läge der theologischen Anschauung Luther"s. Gott ist ihm
alles, der Mensch oder die Creatur ist nichts. Er überbrückt
aber diese Kluft mit der „Gnade Gottes", die den Glauben
bewirkt. An sich vermag der Mensch nichts, aber im Glau-
ben vermag der Mensch alles. „Gott thut den Willen des
Gläubigen." Dieser Glaube hat die Menschwerdung, das
Leiden, die Auferstehung Christi nicht als ledige Thatsacho
an sich zum Inhalt; dieser Glaube ist vielmehr die eigenste,
innigste Ueberzeugung, dass sie um der Menschen willen voll-
zogen worden ist. „Darum so ist's nicht genug, dass einer
glaubt, es sei Gott, Christus habe gelitten u. dgl. ; sondern er
muss festiglich glauben, dass Gott ihm zur Seligkeit ein Gott
sei, dass Christus für ihn gehtten habe u. s. w. — Christus
ist Gott und Mensch und ist also Gott und Mensch, dass er
' Köstlin, Luiher's Theologie, I, 53.
368 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
nicht ihm selbst Cliristus ist, sondern uns. — Alles, was wir
im Glauben erzählen ist fi'ir uns geschehen und kommet uns
heim. — Wenn Gott allein im Plimmel sässe wie ein Klotz,
so wäre er nicht Gott." * Der Mensch ist einerseits in un-
bedingter Abhängigkeit von der göttlichen Gnade, andererseits
muss aber alles durch die eigene Selbstthätigkeit des Men-
schen vermittelt werden. „Des Glaubens Materia ist unser
Wille. Die Forma ist, dass man das Wort Christi ergreift,
von Gott einffeseben. Die endliche Ursache aber und Frucht
ist, dass er das Herz reinigt, machet uns zu Gottes Kindern
und bringt mit sich Verj^ebuno; der Si'mden." - Hiermit wird
der Mensch durch das protestantische Princip zum Bewusst-
sein eines sittlichen Subjects erhoben. Die Reformation pro-
testirte daher ihrer urspriinglichen Tendenz nach gegen die
übermenschliche Heiligkeit der Priester und der Kirche und
wollte die Heilswahrheit in lebendige, wirkliche Sittlichkeit
umsetzen; sie protestirte gegen die Autorität der hergebrachten
Tradition und wollte die Berechtigung der persönlichen Ueber-
zeugung zur Geltung bringen ; sie protestirte gegen die mittel-
alterliche Ascetik und wollte der natürlichen Individualität zu
ihrem Rechte verhelfen ; sie protestirte gegen äusserliche Werk-
heiliofkeit und wollte das sittliche Leben im Geist und im
Herzen aufgefasst wissen. Wie weit sich das Reformations-
werk vollzogen oder nicht vollzogen hat, ist bekannt; dass es
nicht schon im 16. Jahrhundert in voller Breite durchgeschla-
gen den Reformatoren allein auf Rechnung zu schreiben, ist
Mano-el an historischem Blicke.
Als echtes Kind aus dem Volke stand Luther in Be-
ziehung auf den Teufel im allgemeinen Volksglauben, und als
biblischer Theolog sah sich der Reformator mit der Schrift,
der einzigen Erkenntnissquelle, in keinem Widerspruche. Es
kann daher nicht befremden, wenn seine Schriften den Teufel
sehr häufig erwähnen. ^ Seine Vorstellung vom Teufel hängt
mit seiner dogmatischen Anschauung, namentlich seiner Er-
' Vgl. Feuerbach, Säramtl. Werke, I, 273.
2 Walch, Tischreden, XXII, 743.
3 Vgl. Auslegung von 1 Mos. G, 1 ; Ausführliche P>klärung der
Fpistol an die Galater; Kürzere Erklärung derselben Epistel; Tisch-
reden, u. a. m.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 369
lösungslehre , enge zusammen, er stellt den Tod Christi gern
unter dem Bilde eines Kampfes dar mit Gesetz, Tod und
Teufel, und erinnert in dieser Beziehung an Gregor von Nyssa,
nach welchem bei dem Kampfe eine Ueberlistung stattfindet,
wodurch jene satanischen Mächte, die sich an Christo ver-
griflen haben, zu Schanden werden. ^ Entsprechend den zwei
Seiten, die in Luther's Bewusstsein von Gott neben- und
gegeneinander stehen, die der göttlichen Macht und Erhaben-
heit und die der Liebe inid Gnade, unterscheidet er zwei
Gebiete, das des Zorns und das der Seligkeit. Die Ursache
des Zorns Gottes ist die von Adam überkommene und fort-
gepflanzte Sünde und Schuld des ganzen Geschlechts. Der
Zorn Gottes reicht so weit als seine Gerechtigkeit, der ge-
rechte Gott ist dem Sünder gegenüber der zornige Gott. '•^
Die Gerechtigkeit Gottes ist der Zorn Gottes ^; jene fordert,
dass Gott im Zorne strafe. * Das Hauptwerkzeug des gött-
lichen Zorns, wodurch sich die Strafgerechtigkeit Gottes an
den sündigen Menschen vollzieht, ist der Teufel. Diesen
braucht Gott als „seinen Henker, durch welchen er seine
Strafe und Zorn ausrichtet." ^ ])ie Gewalt des Teufels er-
streckt sich nicht weiter als das Zorngebiet Gottes^, jener hat
sie nur „wo Gott ihm verhängt und Raum lasset". ' Der
Zorn Gottes verleiht zwar dem Teufel das Recht, seine ver-
derbliche Wirksamkeit zu entfalten, sie findet Raum innerhalb
des Gebietes der Sünde; aber die Liebe Gottes, als die Macht,
welche alle Creatui- erhalten will, setzt der Macht des Teufels
die Schranke, „die unermessliche Güte und Barmherzigkeit
Gottes übertrifl't weit die Bosheit des Teufels und erhält alle
Dinge auf Erden wunderbarlicherweise wider allen grimmi -
gen Zorn, Wüthen und Anfall desselben". * Die Liebe be-
schränkt die Gewalt des Teufels und die göttliche Weisheit
' Vgl. Luther's Kirchenpostille.
2 Walch 14, 461.
3 2, 468.
* 6, 1920.
5 5, 839. 1109; 8, 1234; 10, 1257; 12, 481. 2043.
« 18, 2471.
7 5, 1779. 1162; 22, 183.
« 2, 1071.
RoBkoff, Geschichte des Teufels. II. 94
370 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
verwendet sie selbst zu ihren Zwecken, denen der Teufel
wider Willen dienen muss „zu ihrer Ehre und unserm Heil".^
„Gott braucht auch derer Teufel und bösen Engel. Die woll-
ten wol alles gern verderben, aber Gott lässt es nicht zu, es
sei denn eine Kuthe vorhanden, die wir wol verdienet haben.
Er lässt kommen Pestilenz, Krieg oder sonst eine Plage, dass
wir uns vor ihm demi'ithigen und fiu'chten, uns zu ihm halten
und ihn anrufen. Also muss der Teufel uns eben mit dem
dienen, damit er gedenket Schaden zu thun. Denn Gott ist
ein solcher Meister, welcher des Teufels Bosheit also kann
brauchen, dass er Gutes daraus mache." ^ Die Gerechtigkeit
Gottes verlangt, dass die Sünde bestraft werde, ihm ist aber
volles Recht geschehen durch den Tod Christi, der die Siinden
der Menschen auf sich genommen und dafür den Tod erlitten
hat. Für alle Menschen ist der Sohn Gottes gestorben, alle
sollen glauben und alle Glaubenden nicht verloren werden.
Nachdem der Gerechtigkeit Gottes genug geschehen, hat die
Barmherzigkeit und Gnade Raum. Denn ,,Gott selbst ist die
Liebe und sein Wesen ist lauter Liebe". Christus hätte uns
die Liebe nicht erzeigen können, wenn es Gott nicht in ewi-
ger Liebe hätte haben wollen; deragemäss sollen wir jetzt
durch Christum in Gottes Herz steigen. In dieser Liebe
schüttet Gott alles Gute aus, gibt uns Leib und Leben und
seine Gnade und alle Giiter, sein eigen Herz und seinen
eigenen Sohn. Zum Ziirnen, Richten, Verdammen wird Gott
„genöthigt" durch unsern eigenen Stolz, durch Demüthigung
und Busse will er uns zu sich führen, denn er ist ,,ein Gott
des Lebens und kann durch sich selbst anderes nichts denn
Gutes thun". Nicht Gott wandle sich, sondern unser Ge-
wissen, er bleibt immer gütig, während in unserm Gewissen
nicht anders ist, denn dass er zornig sei; „also ist er den
Verdammten nichts denn eitel Zorn, straft sie nur mit ihrem
eigenen Gewissen".
„Luther's Auffassung von Gott als der reinen Liebe scheint
mitunter sogar zu führen bis zu einem Dualismus zwischen
Gott, aus den» alles Gute und lauter Gutes fi'ir unser inneres
und äusseres Leben fliosse, und zwischen dem Teufel, von
' 18, 2297.
■' 10, 1259.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 371
welchem alle äussern und innern Lebensliemmvingen ausgehen.
Indem er sagt, Gott die Liebe brenne voll alles Guten, sagt
er vom Teufel, dieser treibe das eitle Widerspiel der Liebe
und richte alh^ Plao-o in der Welt an. So stellt er dann auch
das die Siuide richtende und verfluchende Gesetz, welches
Christus zu tragen und zu iiberwinden hatte, mit dem Teufel
zusammen, der auf diesen eindrang und von ihm iiberwunden
wurde. Allein eben Gott selbst ist es doch, nach Luther,
der den Teufel gemäss dessen Willen und Wesen solches
wirken lässt. Eben auch den Teufel gebraucht Gott — als
Stachel. « Der Teufel thut's und Gott verhängt's , denn wir
würden sonst gar zu bös»; er verhängt's, indem er, soweit
als es seinen eigenen Zwecken entspricht, dem Teufel das,
was dieser von sich aus in reinem Hass und bösem Willen
thut, zu thun gestattet; so redet Luther hierbei von einem
K Verhängen» und auch wieder von einem blossen «permittere».
Und eben darum nun, damit wir nicht nach Art der Mani-
chäer uns einbilden, es gebe zwei Götter oder aliud princi-
pium bonorum et malorum, nennt Gott, wie Luther einmal
äussert, auch jenes fremde Werk, welches nicht das ihm
eigenthümliche ist, dennoch sein Werk." ^
Obschon nun Luther die Vorstellung vom Teufel und
seiner Macht, die ihm die Kirchenlehrc i\bcrmittelt, nicht auf-
gegeben hat, so ist doch eine wesentliche Wandlung in
dessen Anschauung nicht zu verkennen. Wenn Soldan sagt:
„Luther hat keinen neuen Teufel erfunden, sein Teufel ist
ganz der altkatholische, scholastische"^, so trifft er nur zum
Theil das Wahre, denn das Verhalten des Menschen im
Kampfe mit dem Teufel ist hierbei unberiicksichtigt geblieben,
und dies ist von Bedeutung im lutherischen Teufelsglauben.
Freytag hat Luther's Anschauung vom Teufel tiefer erfasst
und das Specifische richtig erkannt. ,, Luther hatte nicht um-
sonst die Kirchenlehre vergeistigt, durch ihn war der Kampf
des Menschen um das ewige Heil in das Gemüth des einzel-
nen verlegt; vom Glauben an Gott und von dem eigenen Ge-
wissen hing das Schicksal des Menschen ab. Auch der Streit
' Köstlin, Luther's Theologie, II, 313 fg. Uel)Pr den Umfang der
Wirksamkeit des Teufels, vgl. ebendaselbst S. 351 fg.
•' S. 300.
24*
372 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
des Menschen mit dem Bösen wurde J€tzt vorzugsweise ein
innerlicher. Nicht die Erscheinung des Teufels und sein
Rasseln waren besonders fürchterlich, sondern seine Ein-
fli'isterungen in die Seele des Menschen. Eine beständige
innere Busse war nöthig gegen die Gefahr, häufiges Gebet,
ein immerwährendes, liebevolles Denken an Gott." ^ Denn
die Vorstellung Luther's vom Teufel steht mit seiner Lehre
von der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur im engsten
Zusammenhange und er erblickte in der Herrschaft des Teu-
fels über das Innere des Sünders ihren höchsten Gipfelpunkt.
— Wir werden hierbei unwillkürlich an den parsischen Ke-
formator Zarathustra erinnert, welcher den Kampf zwischen
Ahriman und Ormuzd um den Menschen auch in diesen
verlegt. Zu Psalm 6, 2. 3 sagt Luther: „Gottes Zorn und
Grimm ist, dass das Gewissen fühlet, dass es von Gott, vom
Wort, vom Glauben verlassen ist; und wirket solches im
Herzen der Satan, der den Tod, die Sünde und das (böse)
Gewissen anrichtet, und auf Unglauben, Verzweiflung und
Gotteslästerung dringet und treibet, mit seinen feurigen Pfei-
len 2, welche, wie Hiob ^ sagt, den Geist aussaufen. Dass
aber dieses nicht zugerichtet werde vom Satan, sondern dass
vielmehr Gott allein darauf dringet, fühlet und glaubet das
Herz. Denn der Satan verkleidet sich in die Gestalt der
Majestät. Dieses ist die allergrösste Anfechtung. — Die be-
trübte oder erschrockene Seele ist das Verzagen am Leben
und Fühlen des Todes in dem, das Gott zürnet. Und konmit
aber solch Schrecken alles her vom Satan, wenn der Mensch
vom Wort, Geist und Gnade gelassen wird, und er da allein
im Kampf und Noth wider den Teufel stehen muss." * — Der
tief- sittliche Ernst Luther's schlägt auch in seiner An-
schauung vom Teufel durch. Da das Wesen seines reforma-
torischen Strebens nach Verinnerlichung gerichtet war gegen-
über der veräusserlichten Kirche als Heilsanstalt, konnte er
das Mittel zur Seligkeit nur in der innigsten Busse er-
kennen. „Das heisst eine rechte Busse, da das Herz anders
' Bilder aus der deutschen Vergangenheit, S. 338 (3. Aufl.).
■' Ephes. 0, 16.
' ß, 14.
* Walch, 4, 1901. 19(»4 u. a. m.
1. Luther's Glaube au den Teufel. 373
wird und ein Misfallen folget gegen die Sünde und dem Un-
recht, da man vor Gefallen an hat gehabt.^ . . . Denn das
heisst die Sünde erkennen, Reue und Leid darob tragen und
erschrecken von Herzen vor Gottes Zorn und Gericht.'^ . . .
Durch Ablassbriefe vertrauen selig zu werden, ist nichtig und
erlogen Ding, obgleich der Ablassvogt, ja der Papst selbst
seine Seele dafür zum Pfände wollte setzen." ^ — Demgemäss
musste auch die Waffe gegen den Teufel eine andere werden.
Zwar hatten schon die alten Kirchenlehrer das Gebet als
Schutzwehr gegen den Angriff des Satans empfohlen; allein
bei der radicalen Veräusserlichung des ganzen religiösen In-
halts der Kirche des Mittelalters war auch dieses Mittel zur
äusserlichen fixen Formel geworden, und handelte sich dabei
nur um die Worte, die blosse Nennung des Namens Jesu,
um äussere Zeichen. Das Gebet, das Luther meint und
empfiehlt, soll die Erhebung des ganzen innerlichen Menschen
sein. „Seine Seele erheben, das ist der rechte Ernst des
Gebetes, welches nicht ist ein unnützes Gespräch, noch von
vielen Worten. . . . Die Seele aber ist das Verlangen und
Seufzen des Herzens, so da Angst und Schmerzen fühlet vor
grossem Verlangen. •* . . . Durch das Gebet wird auch ver-
standen nicht allein das mündliche Gebet, sondern alles , was
die Seele schaffet, in Gottes Wort zu hören, zu reden, zu
dichten, zu betrachten u. s. w." ^ Der Teufel sollte also nicht
mehr wie ehedem mittels eines durch die Kirche verliehenen
Apparats, als: Gebetformeln, Stola, Weihwasser u. dgl., be-
kämpft werden, sondern durch die persönliche That des Men-
schen selbst. Da die Kirche, wie sie in der Wirklichkeit
bestand, von dem Reformator nicht als die wahre anerkannt
ward und das Wesen der Kirche iiberhaupt nicht in ihrem
Aeussern gesucht werden sollte, so lehnt Luther auch in Be-
ziehung auf den Kampf mit dem Teufel die Vermittelung der
Kirche ab und verlangt unmittelbares Eintreten in den Streit.
Es entspricht dies dem Schlagworte des Reformators: „Der
1 13, 2531.
2 10, 1941.
3 18, 254.
' 4, 2134.
■' 11, 377 u. a. in.
374 Vierter Abaehuitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Glaube rechtfertigt", cl. h. dein eigenes Sein ist es, wo du
deinen Gott und den Frieden mit ihm suchen musst und
finden kannst, und niemand kann ihn für dich, du selbst
musst ihn erringen. Daher legt der Reformator den Ilaupt-
ton auf das Gewissen, die eigene üeberzeugung als ent-
scheidende Instanz. „Des Menschen Gewissen gilt so viel als
tausend Zeugen, ja unser Gewissen ist entweder unsere Ehre
oder Schande. Auch werden wir in Gottes Gericht nach
keinem andern Zeugniss, als nach dem Zeugniss unseres Ge-
wissens gerichtet werden. Das wird mehr sein als aller Welt
Zeugen. ^ . . . In Sachen des Gewissens sind alle menschlichen
Gesetze zu verdammen und ist nichts tüchtig denn das Ge-
setz und das Wort Gottes. Und darinnen soll der Wille
Gottes genugsam sein, der es also setzet, wiewol es auch
Vernunft und Nothdurft erfordert. ^ . . . Das Gewissen ist
ein viel grösser Ding denn Ilinniiel und Erde, welches durch
die Sünde o;etödtet und durch das Wort Christi wiederum
lebendig gemacht wird. ^ . . . Das böse Gewissen zündet das
höllische Feuer an und erwecket im Herzen drinnen die er-
schreckliche Pein und höllischen Teufelein, die Erynnias (wie
sie die Poeten genennet haben). ^ . . . Die Christum recht
verstehen, die wird keine Menschensatzung gefangen neh-
men können. Sie sind frei, nicht nach dem Fleisch, son-
dern nach dem Gewissen. ^ . . . Der Leib wird allen
Lasten unterworfen, das Gewissen aber soll niemandem luiter-
worfen sein, weil es durch das Evangelium Freiheit hat, dass
es frei von der Sünde, vom Tode, vom Gesetze, von der Hölle
und von allen menschlichen Satzungen. •' . . . Die Gewissen
können nicht gebunden werden denn allein durch Gottes Wort.^
. . . Der Seelen soll luid kann niemand gebieten, er wisse
denn ihr den Weg zu weisen gen Himmel. Das kann aber
kein Mensch thim, sondern Gott allein. Darinue, in der
Sachen, die der Seelen Seligkeit betreflen, soll nichts denn
• 12, 1430.
■' 3, 2078.
3 2, 2343.
* 2, 2559.
» 6, 6B9.
« 6, 940.
' 18, 2098.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 375
Gottes Wort gelehret und angenommen werden. . . . Auch
so liegt einem jeglichen seine eigene Gefahr dran wie er
glaubt und muss für sich selbst sehn, wie er recht glaube.
Denn so wenig ein anderer für mich in die Hölle oder Him-
mel fahren kann, so wenig kann er auch für mich glauben
oder nicht glauben; und so wenig er mir kann Himmel oder
Hölle auf- oder zuschliesseu, so wenig kann er mich zum
Glauben oder Unglauben treiben. Weil es deiui einem jeg-
lichen auf seinem Gewissen liegt, wie er glaubt oder nicht
glaubt. ^ . . . Hüte dich und lasse ja kein Ding so gross sein
auf Erden, ob es auch Engel vom Himmel wären, als dich
wider dein Gewissen treibe von der Lehre, die du göttlich
erkennst und achtest." — Die Theologie Luther's ist trefiend
als „Theologie der Gewissheit und des Gewissens" bezeichnet
worden. ^
Frey tag macht die richtige Bemerkung, es sei in der
alten Kirche dem Gläubigen verhältnissmässig bequem ge-
wesen, dem Teufel zu entrinnen. „Durch eine klug zusammen-
addirte Summe von frommen Aeusserlichkeiten konnte der
Christ im schlinnnsten Falle noch zur letzten Stunde dem
Satan entgehen, selbst wenn er sich tief mit ihm eingelassen.
Daher ist bei Verträgen, welche der Teufel vor der Refor-
mation mit dem Menschen abschliesst, der Teufel fast immer
der Gei^rellte. Solchem geschäftsmässigen und unsittlichen
Verhältniss zum Hinmielreich trat Luther mit der tiefsten
Empörung gegenüber. Da er die Lehre Augustin's stark be-
tonte, dass der Mensch durch die Erbsiinde verworfen, also
eine Beute des Teufels sei, und dass fortwährende innere
Busse allein zur Seligkeit helfe, so verfiel jetzt der unbuss-
fertige Sünder ohne Rettung der Hölle. Daher kommt es, .
dass seit dem 16. Jahrhundert die Menschen, welche einen
Pact mit der Hölle geschlossen hatten, in der Regel vom
Teufel geholt werden. Allbekannt ist das traurige Ende des
sagenhaften Doctor Faust, aber er war nicht die einzige
Beute des Satans. Es wurde ganz gewöhnlich zu glauben,
dass Menschen von zweideutigem Charakter, ruchlose Säufer,
' 10, 453.
'^ Harnack, Luther's Theologie, I, 59.
o
76 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Spieler, Flucher, oder solche, welche als Feinde bitter gehasst
wurden, in das unterirdische Keich abgeholt seien." '
Luther, der den Menschen mündig erklärt, ihm Selbs^-
verantwortung, also Selbstthätigkeit zumuthet, lehnt das Ritual
der Kirche als Schutzmittel gegen den Teufel nicht nur ab,
sondern, nachdem er mit dieser gebrochen, erblickt er in dem
kirchlichen Apparate sogar eine Schlinge, mit welcher der
Teufel den Menschen verstricken will. ^ Ausser dem festen
Glauben auf Gottes Gnade und dem innigen, „hitzigen"
Gebete empfiehlt der Reformator derbe Abfertigung des
zudringlichen Geistes. ^ Wie erstere Mittel mit der theologi-
schen Anschauung Luther's principiell aufs innigste zusammen-
hängen, so spiegelt sich in letzterm deutlich seine männlich-
kräftige Persönlichkeit, in welcher der Grundsatz: ,, Selbst ist
der Mann" verkörpert war und dadurch zum Träger der Re-
formation eignete. Auf religiösem Glauben feststehend, männ-
lichen Muth in der Brust, fürchtet sich Luther nicht vor dem
Teufel, und wo er ihn persönlich vorstellt, bietet er ihm
kecken Trotz und behandelt „den gefallenen Buben", wie er
ihn häufig nennt, mit höhnischer Verachtung. „Der Teufel
ist ein stolzer, hochmüthiger Geist, aber er hat kein Recht
stolz zu sein, denn er ist von Gott abgefallen imd von Gott
Verstössen. Uns dagegen hat Gott in Christo angenommen,
und wir sollten dem Teufel damit trotzen, dass Gott uns in
seinem lieben Sohn so hoch geachtet hat. Mit Verachtung
müssen wir ihm begegnen, dies verträgt sein Stolz nicht, und
so fleugt er am ersten vor mis ", u. a. m. Luther betrachtet
den Teufel als seinen, wie jedes Christen, persönlichen Feind.
Hatte er von körperlichen Beschwerden oder geistlichen An-
fechtungen zu leiden, mit trüben, sorgenvollen Gedanken zu
kämpfen, was er mit seiner Zeit auf den Teufel zuriickführte,
dann setzte ihm Luther auf seine bekannte drastische Weise
den bittersten Hohn entgegen und fertigte ihn mit tiefster
Veiachtung ab. Die Geschichte mit dem Tintenfasse auf der
Wartburg mag immerhin in Zweifel gezogen werden; wir
möchten aber, im Falle sie nur auf eine Sage zusamraen-
> A. a. 0., S. 359.
2 Tischreden 17—19.
3 Tischreden 41—44.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 377
liefe, Horst beistimmen: „dass sie mich Lutliei-'s Teufels-
glauben und Individualität wol hätte stattfinden können". *
Obschon nicht alle Wahnsinnigen oder Epileptischen mehr
fiir Besessene galten, glaubte doch Luther luid sein Nach-
folg, dass solche durch irgendein Versehen in die Gewalt
des Teufels «xerathen seien und daher durch Gebet und Be-
schwörung von ihm befreit werden könnten. Bei dem grossen
Ansehen, das Luther erlangt hatte, ist es erklärlich, dass man
in Fällen, wo das böse S^Diel des Teufels vermuthet ward,
sich an ihn wandte. Beispiele dieser Art sind bekannt. Die
gegensätzliche Stellung der Protestanten gegenüber den Katho-
liken äusserte sich nicht nur dadurch, dass jede Partei auf
der gegnerischen Seite den Teufel mit im Spiele sah, sondern
auch, dass in der Heilung der Besessenen, der Austreibung,
eine Art Rivalität einriss, wobei jede Confession die Macht
ihres Glaubens durch die grössere Wirksamkeit ihrer Mittel,
die Katholiken durch Exorcismus, die Protestanten durch
Gebet, zu beweisen meinte. „Die gerettete Seele gereichte
dann der gliicklichen Kirche zum Ruhm", bemerkt Frey tag,
der aus den zahlreichen Berichten über Fälle dieser Art einen
heraushebt, der seinerzeit veröffentlicht worden durch die
Flugschrift: ,,Erschröckliche gantz warhafftige Geschieht,
welche sich mit Apolonia, Hannsen Geiszelbrechts Burgers zu
Spalt inn den Eystätter Bistump, Haussfrawen, verlauffen hat.
Durch M. Sixtum Agricolam etc. Ingolstadt 1584". ^
Da Luther die volksthümliche Anschauung hegte, alles,
was dem religiös-sittlichen Streben hindernd entgegentritt, in
der Person des Teufels zusammenzufassen, so kann es nicht be-
fremden, wenn diese Vorstellung auch in den Katechismen
zum Ausdruck kam ^ und in den lutherschen Symbolen ihre
Stelle fand "*, da selbst die Nüchternheit der reformirten Sym-
bole sich nicht ganz entbrach, des Glaubens an Engel und
Dämonen zu erwähnen •'', indem Calvin sich an die einfache
1 Zauberbibliotbek, I, 35ö.
- Bilder aus der deutschen Vergangenheit, I, 365.
3 Catech. maj., Art. II, 405. 494; Precatio IV, 525. .535.
* Aug. cont., Art. XX, 18. 85; Form. Conc. sol. declar. I, (i41. «48;
II, m2. 667: Apolog. VIII, 220, Art. Smalc. II; Art. 11, 308; IV, 315.
ä Conf. Helv., II, c. 7; Conf. Belg., c. 12.
378 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
biblische Vorstellung anschloss. ' Auf katholischer Seite hatte
zwar das trienter Concil nur gelegentlich des Teufels er-
wähnt^, es wies ihm aber eine sichere, bleibende Stätte im
„Catechismus Rouianus" an, der, auf Befehl der Kirchen-
versammlung herausgegeben, den Religionslehrern als Norm
dienen sollte. ^
Dass unter solchen Umständen der Teufelsglaube nicht
nur drüben, sondern auch hüben noch nicht abnehmen konnte,
ist wol erklärlich. Ein Sanmielwerk aus dem 16. Jahrhundert,
dessen Beiträge von lauter protestantischen Schriftstellern her-
rühren, bietet die richtigste Einsicht in die Anschauungsweise
der Anhänger und Nachfolger Luther's und dürfte deshalb
der nähern Besichtigung werth sein. Sigmund Feyerabend
hat es herausgegeben unter folgendem Titel:
„Theatrum Diabolorum,
das ist
Ein sehr nützliches verstenndiges Buch,
darauss ein jeder Christ, sonderlich vnnd fleissig zu lernen, wie
dass wir in dieser Welt, nicht mit Kaysern, Königen, Fürsten
vnd Herrn, oder andern Potentaten, sondern mit dem aller-
mechtigsten Fürsten dieser Welt, dem Teufiel zu kempfien
vnd zu streiten, welcher (wie Sanct-Paulus schreibt) vmbher
geht, wie ein brüllender Löwe, vns zu verschlingen (also das
er vns täglich nachschleicht, damit er vns zu fall bringen, in
allerley sündt, schandt vnd laster einführen , vnd endlich mit
Leib vnd Seel in abgrundt der Hellen stürtzen mügc. Vnd
derwegen seine grausame Tyranney vnd Wüterey, recht lernen
ei'kennen, Gott vmb hülfl' vnd beystandt seiner Gottliehen
gnaden vnd heiligen Geistes anruften, alle giö'tige Pfeile, tödt-
liche geschoss, genugsam auft'zvifahen, ausszuschlahen, vnd in
Christo Jesu vnserm einigen Heyland vberwinden, victoriam
vnd das Feldt behalten. — Allen frommen Christen, so ihrer
Seelen heil vnd Seligkeit angelegen, in diesen letzten zeiten,
da allerley Laster gransamlich im schwang gehn, mit gantzem
' Instit. rel. ehr. I, c. 14, §. 13 sequ.
■^ iScss. XIV, c. I.
^ Catechisni. Roman, ad Parochos ex Decrcto concil. Tritl. oditus etc.,
Pars II, cap. II, qu. LV; cap. III, qu. XVI; Pars IV, cap, XIV, qu. II.
JII. IV. V et sequ.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 379
ernst vnnd fleiss zu betrachten. — Gebessert vnd gemehret,
mit einem newcn Pestelentz TeufFel, so zuvor noch nie im
Truck aussgangen, sampt einem nutzHchcn Register. — Ge-
truckt zu Franckfurt am Mayn, im Jar 1509."
In der Vorrede an den „Christlichen Läser" entschuldigt
der Herausgeber Sigmund Feyerabend den Titel „die weil er
so vieler Teuffei Namen treget" damit, dass das Buch „eine
treuwe Warnung für allerley list vnd mord des Teuffels" sein
solle. Der Vorredner beruft sich dabei auf die Heilige Schrift,
worin der Teufel auch oft genannt werde, und gibt dem Leser
zu bedenken „die vbermessige vnchristliche Sicherheit schier
aller Menschen dieser Zeit da man beynah nichts für sünd
helt, nicht wol glaubt das ein Teuffei sey, oder das er so
böse sey, vnd vns zu vnserm verderben reitze vnd treibe etc."
— Das Buch sei jedem sehr nützlich, da in ihm die Nach-
stellungen des Teufels angezeigt, mancherlei Exempel und
Fälle erzählt und „dessgleichen viel herrlicher Spriiche Gottes-
förchtiger Gelehrter vnd sonderlich der heiligen Schrift an-
geführt werden . . . Das also diss Buch ist gleich wie Loci
Communes oder ein gemein Register, darinn man alleihand
nützliche Lehr leicht finden kann." Es sei das Buch „eine
rechte ausslegung der zehen Gebott ... in welchem alle siinden
begriffen sind . . . Darum ich auch", sagt Herausgeber,
„diese Teuffei so viel müglich nach der Ordnung der zehen
Gebott einander nachgesetzt habe."
Der Teuffei selbs durcli Hn. Jodocura Hockerura Osnaburgensem vnd
Hermannum Hamelmannum Licentiatum.
Es wird bewiesen: „dass der Teuffei nur allzuviel seind
vnd mehr als wir vns vermuthen vnd diinken lassen". Be-
weise sind: 1) die Heilige Schrift; 2) die Schriften der Hei-
den, „bey welchen der Teuffel sehr viel gedacht wirt", denn
dass der Heiden Götter Teufel gewesen seien, beweise der
96. Psalm. Besonders werden die Platoniker angeführt;
3) weltliche Historien, wie deren auch viele der „w^ohlgelahrte"
Wierus anführt; 4) die tägliche Erfahrung, welche zeigt, dass
die Teufel allerlei Unglück in der Welt anrichten, als: Krieg,
Theuerung, Pestilenz, Arm- und Beinbrüche u. s. w.; 5) un-
sere eigene Natur, indem alle Menschen, so beherzt sie auch
f
380 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
sein mögen, an finstern, unheimlichen Orten böse Geister
vermuthen und sich vor ihnen fürchten. Folgen etliche Zeug-
nisse von Gelehrten für das Dasein der Teufel, und zwar:
Origenes, Luther, Bucerus, Wolfgangus Musculus.
Kapitel 2 führt die Namen der Teufel an.
Kapitel 3. Was die Teufel seien: nicht anders als
„Geister oder geistliche Wesen", von Gott ursprünglich ge-
recht, mit freiem Willen, zur Ehre Gottes geschaffen, wie
alle andern Engel mit hohen Gaben und Tugenden geziert,
die sie aber misbraucht, sich von Gott abgewendet und Gottes
Sohn verachtet haben, daher sie ihrer ursprünglichen Ge-
rechtigkeit beraubt. Feinde Gottes und der Menschen sind,
wider die sie täglich in grossem Grimm und Hass wüthen
und toben, daher sie von Gott Verstössen und der ewigen
Verdammniss unterworfen sein werden.
Kapitel 4 beweist, dass die Teufel Creaturen seien.
Kapitel 5 widerlegt die Meinung früherer Zeiten, z. B.
des Origenes, dass die Teufel leibliche Creaturen seien, als
irrigen Wahn, „weil dieselbigen in jhren wesen mit den
eusserlichen sinnen nicht mögen begriffen werden". — Man
soll bei den Teufeln überhaupt an nichts Leibliches denken,
sie sind Geister, die man weder mit der Hand greifen noch
mit den Augen sehen kann, gleich dem Winde.
Kapitel G. Sie sind von Gott geschaffen.
Kapitel 7. Wann sie geschaffen worden, sagt die Schrift
nirgends, es gibt daher verschiedene Meinungen, da jedoch
diese Sache keinen Artikel des Glaubens betrifft und die
Kenntniss davon nicht zur Seligkeit dient, so ist auch nichts
daran gelegen.
Kapitel 8 beweist, dass es eine grosse Menge Teufel
gebe. Ihre Zahl ist nicht geringer als die der Engel, wobei
die Meinung von Martinus Borrhaus angeführt wird, der
ihre Zahl auf 2,GG5,8G( 1,746664 berechnet.
Kapitel [). Wie sie geschaffen seien: nicht aus leiblichen
Elementen wie die Menschen, sondern „durch sein Wort aus
Nichten".
Kapitel K). Wozu? Anfänglich zur Ehre Gottes und
zum Dienste der Menschen, und sie müssen noch wider ihren
Wilhni Gott und den Menschen zum Besten dienen.
Kapitel 11. Woher ihre Bosheit? Sie haben sich durch
1. Luther's Glaube an den Teufel. 381
ihren eigenen Mnthwillen von dem Höchsten abgewandt und
sind durch ihre eigenwilHge Sünde dahin gekommen, dass sie
ans Engehi Teufel geworden sind. — Die Sünde „in specie"
wodurch der Teufel gefallen, ist in der Schrift nirgends aus-
drücklich angezeigt, „die alten Väter haben wol nachgedacht,
aber nicht alle gleich troffen". Etliche geben an: propter
concupiscentiam mulierum; andere aus Neid, gemeiniglich
wird aber der Fall des Teufels aus Hoffart erklärt. Auch
die Neuern stimmen bei, so Luther cap. Genes, in explicatione
oper. secundi.
Kapitel 12. Wann die Teufel gefallen? obschon in der
Schrift nicht angezeigt, so doch selbstverständlich vor der
Schöpfung des Menschen. „Sintemal die Menschen durch
jre Bossheit auch zum Fall gebracht seind worden."
Kapitel 13. Was der Teufel Fleiss und Wirkung sei?
Gott selbst, dann allen Menschen und Creaturen Gottes auf
allerlei Weise zu schaden. Wider die göttliche Person selbst
können sie zwar nichts ausrichten, aber doch die Vermehrung
des göttlichen Namens verhindern und verringern. Dagegen
als Feinde der Menschen suchen sie dieselben von allen guten
Werken abzuhalten, reizen die Gottlosen, ihnen als Werkzeuge
zu dienen, indem sie andere Menschen schädigen, treiben zu
allerlei Laster u. s. w.
Kapitel 14. Andere Wirkungen des Teufels: er sucht
die frommen Diener Gottes in ihrem Amte zu hindern; stiftet
Unfrieden unter den Fürsten, Hass und Eifersucht unter den
Eheleuten; von ihm stammt alle ftilsche Lehr und Gottes-
lästerung; die Teufel können die Luft verpesten, u. s. w. Der
Teufel ist so giftig, dass er dir nicht so viel Raum gönnt, deinen
Fuss hinzusetzen , es verdriesst ihn, dass du gesunde Glieder
hast, und wenn er's thun dürfte, Hess er dir nicht eine Kuh,
nicht eine Gans leben. Ausser den Aussprüchen der Kirchen-
väter wird von den Neuern wie gewöhnlich Luther ange-
führt, in einer Predigt von den Engeln: „Darumb sage ich,
lasset uns nun fleissig lernen, was der Teuffei doch für ein
Geist sei und wie viel er uns Schadens thue an Leib und au
Seel. An der Seel mit falscher Lehr, mit verzweiffelung,
mit bösen lüsten etc. Alles darumb, dass er den Glauben
hinwegreisse und ziehe ihn in ein wancken, oder in einen
faulen, schwachen gedancken. Ich fühle den Teuffol sehi'
382 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
wol, kan es aber dannooht nit so maflien, wie ich gerne wolte.
Ich wolt gern hefftiger, liitziger und ernster in meinem thun
seyn, aber ich kan für dem TenflPel nicht, der immer zurück
ziehet. Wenn er nun die Seele also gefasset hat, so greifiet
er nach dem Leibe auch, da schickt er Pestilentz, Hunger
und Kummer, Krieg, Mordt etc. Den jamer richtet der
Teufi'el aller an. Das nun einer ein Bein bricht, der ander
erseufft, der dritte ein Mordt thut. Wer richtet solches alles
an? Niemand denn der Teuffei. Das sehen wir für äugen
und fühlen es, dennoch sind wir sicher und meinen er sei
nit da. Neyn lieber, er ist warlich da, rings umb dich und
uns alle. . • . Das sey gesagt, dass wir wissen, dass wir nicht
sitzen in einem sichern Lustgarten. Lieber, ist er zu Adam
und Hevam in das Paradeiss kommen, ist er zu andern Kin-
dern Gottes kommen, ja zu Christo selber, so kan er ja
eigentlich auch zu dir kommen. Darumb lasset uns Gott
fleissig bitten und flehen, dass wir wider jn können wachen,
dass er uns nit in Unglauben und allerley sünde und anfech-
tung führe." — Item in der Jhenischen Hauspostille über das
Evangelium am Tage Michaelis: „Das hat euwer Lieb otft
0-ehört, das der Teuö'el allenthalb umb die Menschen ist, an
Förstenhöfen, in Heusern, auff dem Felde, auff allen Strassen,
in Wasser, in Höltzern, in feuwer, da ist alles voll Teuffei.
Die thun nichts anders, denn das sie gern jedermann allen
augenblick wollen den Halss brechen. Und ist gewiss war,
wo Gott den bösen Feind nit on Vnderlass wehret, er liess
nit ein Körnlein auff" 'm Felde oder auft'en Boden, nit ein
Fischlein im Wasser, nit ein stücklin Fleisch im Topff, kein
tropffen Wassers, Bier oder Weins im Keller unvergifft. Item
liess nit ein gesund glied am Menschen. Darumb wenn es
so gehet, dass da einer ein Aug oder ein Hand verleuret,
dort einer gar erwürget wirt, oder der die Pestilentz, diser
ein ander krankheit kriegt, das sind eitel schlege und würft'
des Teuffels, der wirfi' hie einem, da dem andern nach dem
Kopff. Triff't er, so hat ers, trifft er aber nicht, so ist es ein
gewiss zeichen, dass Gott ihm durch die lieben Engel ge-
wehret hat. Also wenn unversehne feile sich zutragen, dass
der in ein Feuwer, jener in ein Wasser feilet, das seind eitel
Teuffelsschlege und würffc, der jmmerdar nacli mis sticht und
wirfft, und gern alles Unglück zufi"igete. . . . Solches lasset
1. Luther's Glaube an den Teufel. 383
uns lernen und merken, das der Teuffel uns allen schaden
thut an Leib, Gut und Ehr. Er thut es gleich durch sich
selbst. Als da er den Hiob am Leib angreiftet, oder durch
seine Knechte, die böse Leut. Als da er den Hiob am Gut
angreifi't, und die Chaldcäer und andere wider jn erreget.
Denn unser Herrgott ist ein Gott des Lebens, und kann
durch sich selbst anders nichts denn eitel guts thun."
Angeführt werden in diesem Sinne J, Galvinus cap. ß
Institut. Nr. 41 ; H. Bullingerus Decad. 4. Sermonum Sermo 9.
Kapitel 15. Wie die Teufel die Menschen versuchen.
Die ersten Menschen im Paradiese versuchte er in der Ge-
stalt der Schlange. Noch heutigentags zeigt er sich nicht so
schwarz und hässlich, wenn er verfiihren will, sondern er „ver-
stellet sich gar schön und geistlich", er verf'iihrt durch falsche
Lehrer, „welche gemeiniglich in Geistlichkeit der Engel ein-
herffchen". Er greift am meisten da an, wo du am schwächsten
bist, wenn du zu Geiz, Hoftart u. dgl. geneigt bist.
Kapitel 16. „Eigentliche Contrafactur des Teuftels, so
etwan von dem Gottseligen und hocherleuchteten Mann-Gottes
Dr. Martino Luthero aufl* eines begeren der den Teufi'el gern
kennen wolt, auss den Sünden wider die zehen Gebot gestalt
ist worden. . . . Denn aufi" die Frage hat Dr. Martin Luther
also Qceantwortet : sicut Dens est Thesis, ita Satan est Anti-
thesis Decaloi^i. Darumb wer den Teuftel recht erkennen
will, der sehe die zehen Gebote an. 1) Sein Haupt ist wider
die erste Tafel. Als nemlich, im ersten Gebot, Gott nicht
vertrauwen, jn nicht fürchten, jn nicht lieben. 2) Darnach
im andern Gebot, Gott schmehen oder lestern, wider jn kurren
oder murren, seinen heiligen Namen missbrauchen, das ist os
& lingua, Mund und Zung. 3) Im dritten Gebot, Gottes
wort nicht hören, dasselbige fälschlichten deuten, verachten,
verfolgen, und seine Diener versäumen, dass sie oft Hungers
sterben müssen. Das ist collnni et aures, Hals und Ohren.
4) Weiter nach dem vierdten Gebot, auff'rhürig und unge-
horsam seyn, das ist Pectus Diaboli des Teuftels Brust.
5) Todtschlagen, zörnen, hassen, jedermann Übels wündschen,
abgünstig seyn, seim Nechsten schaden, das ist cor, das Herz.
6) Ehebrechen, Hurerey treiben, einen Weichling und Sodo-
miten, unzüchtig und weibisch sein in worten und wercken,
das ist venter Diaboli, des Teuftels Bauch. 7) Niemand be-
384 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
hülflich seyn, Andern das jre abspannen, stelen, wuchern,
rauben, faule Wahr verkauffen, verdienten Lohn wegern, das
sind Manns, die Hand. 8) Von Gott übel reden, die Men-
schen bescheissen, und jhnen jhr gut gerücht krencken, das
ist Diaboli voluntas, des Teuffels Wille, i). 10. Seines Nech-
sten Gut begeren etc. Das sind Pedes Diaboli, seine Füsse,
sihe so freundlich ist der Teufel." — „Bilde dich gar einem
verzweifelten Menschen für, der ein gar böss gewissen und
Leben führet, so sihstu den Teuffei leibhaftig."
Kapitel 17. Wie dem Teufel solches alles möglich sei.
— weil er ein sehr gewaltiger und mächtiger Geist geschaffen
ist „auch ein rechter Veteranus, d. i. ein wolgeübter weiser
und erfahrner Bosswicht."
Kapitel 18. Ob die Teufel nach Gefallen schaden mö-
gen. — Nur unter Gottes Zulassung.
Kapitel 19. Warum Gott dem Teufel zuweilen etwas
zulässt. Die erste L^rsache ist die Erbsünde, w'odurch das
Menschengeschlecht dem Teufel unterworfen worden, dann um
die P-öttliche Allmacht zu off'enbaren, um die Menschen zu
witzigen, sie zu prüfen, zu strafen, um ihnen die Barmherzig-
keit und Gnade Gottes zu zeigen, die sie aus des Teufels
Macht rettet, und sie zur Dankbarkeit anzuregen u. s. w.
Luther in der Jhenischen Hauspostille erste Predigt am
Tage Michaelis: „Der Teufel wolt gern alles unglück anrich-
ten, wie wir täglich sehen und erfahren, dass mancher ein
Bein bricht auff ebener Erden, mancher feilet ein Treppen
oder Stigen ab, dass er selbs nicht weiss wie ihm geschehen
ist. Solchs und anders würde der Teuffei wol jmmerdar an-
richten, wenn Gott nicht durch die heben Engel wehret. Er
lesset aber derhalben unss solche eintzele stuck bisweilen
sehen, Auff' dass wir lernen, wenn Gott nicht alle stunden
wehrete, dass dergleichen jnnnerdar geschehen würde, und wir
derhalben zum betten desto fleissiger, und Gott für solchen
schütz desto danckbarer sollen seyn Gott lesset den
Teuff'el zu zeiten treff'en, auff' dass wir lernen, dass wir nicht
Junkern seind vnd es nicht Alles in unsern henden steht; und
derhalben desto fleissiger betten, dass Gott dem Teuff'el seinen
räum nicht lassen, sonder durch seine lieben Engel gnedighch
wehren wolle." Aehnlich sprechen sich Spangenberg, Borr-
haus, Bullinji-er aus.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 385
Kapitel 20. Von der Ordnung der Teufel. Die Klassi-
ficiruno- der Eno-el und Teufel, wie sie von den Lehrern auf-
gestellt worden, ist in der Schrift nicht begründet, aber doch
nicht sfänzlich zu verwerfen. Mart. Lutherus in der Jheni-
sehen Hauspostille über das Evangelium am Tage Michaelis
in der zweiten Predigt: „Wir sollen wässen, dass die Engel
uuderschiedlich sind. Denn gleichwie under den Menschen
einer gross, der ander klein, einer starck, der ander schwach
ist, also ist auch ein Engel grösser, stercker vmd weiser denn
der ander. Daher hat ein fürst viel einen gewissem und
sterckern Engel, der auch klüger und weiser ist , denn ein
Grafie, und ein Graffe einen grössern und sterckern Engel
denn ein ander gemeiner Mann, und sofort an. Je höher
stand und geschefft einer hat, je grösseren und sterckern En-
gel hat er auch der jn schützt, jm hilfi't und dem Teuffei
w^ehret." — In der ersten Predigt: ,,Es ist ein underscheid
gleich sow^ol under den Engeln, als under den Teufieln. Für-
sten und herrn haben grosse treffliche Engel, wie man siehet,
Dan. 10 etc."
Kapitel 21. Wo die Teufel wohnen und ihr Wesen
haben. In der Luft, wo sie wie Wolken schweben, an Was-
sern, kriechen in die Tümpel, sind gerne an wüsten Orten,
auf Kirchhöfen. Da lauern sie, wie sie uns schaden können.
Denn sie sind noch nicht in die Hölle Verstössen, sondern
erst zur Verdammniss verurtheilt. — Mart. Luther in der
Kirchenpostille über die Epistel am dritten Sonntag nach Trini-
tatis : „Der Teuffei ist noch nicht zur straffe seiner Verdamnniiss
Verstössen biss an den jüngsten Tag, wenn er endlich auss
der lufft und von der Erden in abgrund der helle geworffen,
nicht mehr uns wirf können anfechten und keine Wolke und
Decke mehr zwischen uns und Gott sampt den Engeln seyn
wirt. " — Ueber das zweite Kapitel der zweiten Epistel Petri:
„Hie zeigt S. Peter an, dass die Teuffei noch nit endlich jre
peiu haben, sonder also hingehen in einem verstocktem ver-
zweiffeltem wesen und allen augenblick auff' ihr Gericht warten.
Wie ein Mensch der zum tode verdampt ist, gantz verzweiffeit,
verstockt, und jmmer je böser wirt. Aber jre straff' ist noch
nicht über sie gangen, sondern sind jetzt allein dazu verfasset
und behalten."
Kapitel 22. Wo und was die Hölle sei. „Wo aber und
Uoskoff, Geschichte des Teufels. II. oc
38G Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
was die helle sey vor dem jiingsten Tage, bin ich noch nicht
allzu gewiss", spricht Martin Luther, ,,denn das ein sonder-
licher ort seyn solt, da die verdampten Seelen jetzt jnnen
seyen, wie die Mahlcr mahlen und die Banchdiener predigen,
halt ich fiir nichts. Denn die Teuftel sind ja noch nicht in
der hellen, sondern wie Petrus sagt, mit stricke zur hellen
verbunden. So heist sie S. Paulus der Welt Kegenten und
Gewaltigen, die droben in der Lufft schweben. Wie Christns
auch den Teuffei der Welt Fürsten nennet, und ja nicht seyn
köndt, wenn sie in der hellen weren, dass sie die Welt re-
gierten und so vil Biiberey und jammer trieben, die Pein
wiirde jnen wol wehren." — Der Ausdruck „Schcol" bedeutet
die Todesangst, die letzten Nöthen. „Denn ein Jeglicher hat
seine helle mit sich so lang er die letzte nöten des todts und
Gottes zorn empfindet. " — Aber am jiingsten Tag wird die
Hölle ein besonderer Ort sein; über das „wo" will der Ver-
fasser lieber nicht grübeln. — „Derhalben, wie D. Luther sagt
von der Hellefahrt Christi: Er lasse es jm gefallen dass man
den Artickel des Glaubens dem jungen Volck und einfeltigen
also fürbilde, wie man jn pflegt vor alters an die Wende zu
mahlen, dass er eine Korkappen anhab, eine Fahn in der
rechten Hand und fahr also hinab in die Helle, stürme sie
und binde den Teuffei mit Ketten. Denn ob es wol so nit
geschehen ist leiblich, so bildet doch und drucket uns solchs
gemählde fein auss die krafft und macht der Hellefahrt
Christi."
Kapitel 23. Ob die Teufel selig werden können. — Es
wird aus der Schrift bewiesen, dass sie ewig verdammt sind.
Dr. Luther in seinem letzten Bekenntniss vom Abendmahl:
„Ich halt es nit mit denen, so da lehren, dass die Teuffei
werden endthch zur Seligkeit kommen." In gleichem Sinne:
Bullinger, Calvin u. a.
Kapitel 24. Was wir aus dieser „erschrecklichen ab-
malung des Teuftels lernen sollen". Dass wir in steter „Wehr
und Rüstung" stehen.
Kapitel 25. Die Waffen gegen den Teufel. — Kräuter,
Weihwasser u. dgl. gegen den Teufel anwenden ,,ist lauter
Gauckeley und Affenspiel welches der Teuffei selbs lachet und
spottet." Man schlägt den Teufel auch nicht mit Spiessen
und Büchsen u. s. w., sondern im Kampfe mit dem Teufel hilft
1. Luther's Glaube an den Teufel. 387
nur ,,cler Harnisch Gottes", d. li. ein reclitscliaffenes Leben,
ohne Heuchelei, Frömmigkeit, die Gutes thut, ein friedliches
Leben, fester Glaube, wo das Wort Gottes nicht nur auf der
Zunge schwebt, sondern im Herzen wurzelt, unsere Gegen-
wehr ist auch das Gebet. — Es sind also nur „geistliche wehr
und wafien", womit der Teufel zu Boden oeschlaaren werden
muss. Lutherus über die zweite Epistel Petri, fünftes Kapitel:
„ Nüchtern solt jr seyn und wachen, dazu dass beide der Leib
und die Seel geschickt werden. Aber damit ist der Teuffei
noch nicht geschlagen. Das rechte Schwert ist das, dass jr
starck und fest im Glauben seid. Wenn du Gottes Wort im
Hertzen ergreiffest und haltest mit dem Glauben daran, so
kan der Teuftel nicht gewinnen, sondern muss fliehen. Wenn
du also kanst sagen, das hat mein Gott gesagt, da stehe ich
auff, da wirstu sehen, dass er sich bald wirt hinwegmachen,
da gehet denn unlust, böse lust, zorn, geitz, Schwermut und
zweiffein alles hinweg. Es kost nicht vil hin und her laufiens,
noch irgend ein Werck das du thun kanst, sondern nicht
mehr, denn dass du am Wort fest hangest durch den Glauben.
Wenn er kompt und wil dich in schwermütigkeit treiben der
Sünde halben, so ergreiffe nur das Wort der Gnaden, das
da Vergebung der Sünden durch Christum verheisset und er-
wege dich von gantzem Herzen daraufi", so wirt er bald ab-
lassen." Aehnlich M. Cyprianus Spangenberg in der dreis-
sigsten Predigt über die zweite Epistel an die Korinther: „Durch
den Glauben an Jesum Christum und durchs Gebet, wirt der
Teuffei überwunden, wenn wir mit dem Glauben am Wort be-
stendig halten und das Gebet auff Gottes Verheissung luid zu-
sage gründen etc."
Kapitel 26. Zum Kampf mit dem Teufel soll den Christen
bewegen: Christi Exempel, unser Taufgelübde, die Zusage Got-
tes denen die bei ihm beharren und nach seinen Geboten leben,
um der Strafe zu entfliehen u. dgl.
Kapitel 27. Was für einen Trost die Christen in ihrer
Anfechtung wider den Erzfeind haben: den Beistand Christi,
der Engel, den Schutz Gottes, wenn sie in seiner Furcht
leben.
Kapitel 28. Ob und wie die Teufel Wunder und Zeichen
thun können. Das erste zeigt die heilige Schrift, das ,,Wie"
(„waserlei Weise") ist viererlei: 1) durch Anrufung des wahren
25*
388 Vierter Abschnitt: Fortsetzunp: der GesHiiobte des Teufels.
Gottes, wie die falschen Propheten, oder: durch Anrufung des
Teufels, durch den sie unter Gottes Zulassung viel vermögen,
aber keine wahren Wunder. 2) Durch natürliche Mittel,
so die Zauberer Pharaonis. 3) Durch Gespenster und Ver-
blendung, so die Zauberin von Endor. Der Teufel kann
die Innern Sinne verblenden, wie bei Ketzern und Ungläubigen.
4) Durch merae imposturao, durch Kunst und Behendigkeit.
Kapitel 29. Die göttlichen wahrhaftigen Wunder ge-
schehen durch Gott, seinen Sohn sanimt dem heiligen Geist,
oder unmittelbar durch seine Allmäclitigkeit, oder durch den
Dienst der Engel, oder auch durch Menschen durch göttliche
Kraft; des Teufels Mirakel geschehen auch entweder durch
ihn selbst oder seine Gliedei- oder Diener. Der Teufel kann
aber nicht: neue Creaturen schaffen, ei'schaffene Dinge mehren,
Creaturen verändern , Todte auferwecken , natürliche Krank-
heiten oder Gebrechen, ohne natürliche Mittel heilen. Un-
fruchtbare fruchtbar machen, den Ivauf des Himmels aufhalten,
das Meer voneinander spalten, den Elementen ihre Wirkung
nehmen, künftige Dinge wissen, Gedanken erkennen. Dies „sind
in Summa dem Teuffei 7a\ hoch alle Zeichen der Schrift".
In diesem Abschnitte wird auch angegeben: „wie mit
den Besessenen zu handien", Avobei eine Historia Dr. Martin
Luther seliger" erzählt wird, luid wie er sich bei der Gelegen-
heit ausgesprochen.
Eine Jungfrau aus dem Lande Meissen, viel vom Teufel
geplagt, wurde zu Luther gebracht. Auf dessen Geheiss soll
sie den Glauben hersagen, bleibt aber bei dem Artikel: ,,ich
jrlaube an Jesum Christum" stecken und wird vom bösen Geist
sehr gerissen. Da sprach Luther: „Ich kenne dich wohl, du
Teufel, du willst, dass man ein grosses Gepränge mit dir an-
richte, wirst es aber bei mir nicht finden." Am nächsten Tag
sollte man die Jungfrau zu seiner Predigt in die Kirche brin-
gen, als man sie aber in die Sakristei führen wollte, fiel sie
nieder, schlug und riss herum, dass sie etliche Studenten hhi-
eintrugen und voi- Luther niederlegten, der die Sakristei
schliessen Hess und an die in der Kirche Anwesenden eine
kurze Vermahnung hielt, deren wesentlicher Inhalt folgender
ist: Man soll in unserer Zeit die Teufel nicht mehr austreiben,
wie zur Zeit der Apostel, wo Wunderwerke nöthig waren,
um die neue Lehre zu bestätigen, was heute unnöthig ist, da
1. Lutlior's Glaube an den Teufel. 389
das Evangelium keine neue Lehre, sondern genugsam eonfir-
mirt ist; auch nicht durch Beschwörungen, conjurationibus,
sondern orationibus et contemptu, mit dem Gebete und Ver-
achtung, denn der Teufel ist ein stolzer Geist, kann das Ge-
bet und die Verachtung nicht leiden, .sondern hat Lust ad
pompam, zum Gepränge, darum soll man kein Gepräng mit
ihm machen, sondern ihn verachten. Man soll den Teufel
durch das Gebet austreiben, ohne dem Herrn Christo eine
Regel, eine Weise oder Zeit vorzuschreiben, wann und wie er
die Tfeufel austreibe. Sondern wir sollen mit dem Gebete an-
halten so lange, bis Gott uns erhört. Martin Luther legte
hierauf seine rechte Hand auf der Jungfrau Haupt, wie bei
einer Ordination, und befahl den anwesenden Dienern des
Evangeliums, desgleichen zu thun und zu sprechen: das
apostolische Symbol , das Vaterunser. Dann sprach Luther
Johannis IG und Joh. 14, worauf Luther Gott „heftig" an-
flehte, er möge die Jungfrau von dem bösen Geist erlösen
um Christi und seines heiligen Namens willen. Hierauf ging
er von dem Mädchen weg, nachdem er es mit dem Fusse ge-
stossen und den Satan verspottet mit den Worten: „Du stolzer
Teufel, du sähest gerne, dass ich ein Gepränge mit dir machte,
du sollst es aber nicht erfahren, ich thue es nicht, du magst
dich stellen, wie du willst, so geb ich nichts darauf." Nach
diesem Vorgange v«'urde das Mädchen andern Tags in ihre
Heimat gebracht und etlichemal an Luther berichtet, dass es
der böse Geist nicht mehr gequält habe.
Kapitel 30. Warum Gott dem Teufel Wunder zu thun
erlaubt. Wenn gottlose Menschen mit Hiilfe des Teufels Wun-
derzeichen thun, so erlaubt es Gott, damit sie in ihrem Irr-
thum bestärkt werden, die daran glauben, wie dem Pharao
und seinen Zauberern geschehen; damit der Gläubigen Be-
ständigkeit sich bewähre, sie in ihrer Geduld geübt werden;
damit die Frommen sich niclit überheben; damit die Heiligkeit
der Personen nicht nach Wundern bemessen werde, und zu
zeigen, dass die Gabe, Wunder zu thun, nicht die grösste in
der Kirche sei. Man soll gewarnt sein, dass man nach der
Oifenbarung Christi und seines Evangeliums nicht durch falsche
Zeichen verführt werde, oder die reine Lehre aus Mangel an
Zeichen nicht verachte. Man soll am Worte Gottes hangen
und sich daran genügen lassen.
390 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Gescliichte des Teufels.
Kapitel 31. Wie man sich der falschen Zeichen erwehren
soll. Dafür gibt Luther den Ruth: zuerst miissen M'ir wissen,
dass der Teufel grosse Macht luid viel List hat, um Zeichen
zu thun, wir müssen aber auf deren Ende (Zweck) achten,
und sie nach dem Worte Christi beurtheilen.
Kapitel 32. Gott lässt zuweilen auch Zeichen durch
böse Leute geschehen, man muss sie aber nach dem Worte
Gottes, nicht nach der Person richten. — Regeln um Wunder-
zeichen zu unterscheiden: zu sehen ob Christus durch sie ge-
priesen und der Glaube darin gefördert wird.
Kapitel 33. Ob und wie die Teufel weissagen imd
künftige Dinge wissen können. Es ist nicht dafür zu halten,
dass die Teufel wahrhaftig künftige Dinge Avissen, darüber sind
aber die Gottesgelehrten nicht einig.
Kapitel 34. Von dem Unterschiede göttlicher und teuf-
lischer Weissagungen.
Kapitel 35. Wariun letztere verboten sind, — weil sie
zum Bösen gereichen.
Kapitel 3G. Von der Astronomie, Astrologie und Stern-
guckerkunst. Werden die verschiedenen Ansichten angefühlt.
Kapitel 37 ist von Hermann Hammelmann: Dass die
Teufel keine Gebrechen oder Krankheiten der Menschen, ausser
durch natiirliche Mittel, heilen können.
Kapitel 38. Wie die Teufel der Menschen Sinne be-
trügen können. Durch Gespenster und andern Spuk werden
die Menschen so geblendet, dass sie dieses oder jenes zu sehen
und zu hören meinen. Vermöge seiner Macht und vie]f>-e-
übten Erfahrung ist es dem Teufel möglich, die Menschen zu
afien und zu betrügen. Hieher gehören die Lügen von den
Hexenfahrten der Hexen auf Besen u. dgl. und die Verwand-
lung in Katzen u. dgl., was ihnen der Teufel einbildet.
Kapitel 39. Ob und wie die Teufel der Menschen Ge-
danken wissen können. Gott allein ist der Erforscher der
Herzen, die Teufel können aber aus vielen Anzeichen schlies-
sen und erfahren, was die Menschen im Sinne haben.
Die drei nächstfolgenden Kapitel sind „von Hermann Ham-
melmann verzeichnet".
Kapitel 40. AVie die Teufel in die lebendigen Leiber
der Menschen fahren und daselbst wirken. Der Verfasser be-
1. Luther's Glaube an den Teufel. 391
ruft sich ausser andern, wie auch anderwärts hierbei auf Weier,
De praestig. dorn. lib. 1, cap. 4.
Kapitel 41. Ob und wie sie Leiber annehmen. Den
Teufeln, die geistige Wesen sind, darf kein Leib zugeschrieben
werden, dennoch ist gewiss, dass sie unter Gottes Zulassung
eine leibliche Gestalt angenommen haben, und zwar eine sicht-
liche und greifbare, die zu leiblichen Werken bequem ist.
Dies zeigt auch die A^ersuchungsgeschichte. Der Teufel kann
sich in Schweine, Hunde, Katzen und andere Gestalt ver-
kleiden.
Kapitel 42. Ob sie auch Incubi und Succubi werden. Dar-
über ist grosser Streit unter den Gelehrten. Nach Luther sind die
Incubi und Succubi Teufel. ^ Nach des Verfassers Ansicht
kann es aus der Schrift nicht bewiesen werden, dass die Teufel
Incuben und Succuben werden können. Die Fortpflanzung
der Teufel will der Verfasser auf sich beruhen lassen, die
durch gestohlenen Samen kommt ihm nicht glaublich vor,
wahrscheinlicher ist ihm, dass sie die Leiber aus der Luft
nehmen. Was die Wechselkinder betrifft, so sind nur die
Kinder der Ungläubigen des Teufels, nicht die der Gläubigen,
die ihre Kinder stets dem Herrn befehlen. Nur den Ungläu-
bigen kann es geschehen, dass ihre Augen so verblendet sind,
um ihre eigenen Kinder nicht zu erkennen.
Kapitel 43. Ob die Teufel sich in die Gestalt Verstor-
bener verkleiden können. Diese Frage wird mit Ja beantwortet,
auf Grund der Schrift und anderer Historien.
Kapitel 44. Ob Menschen in Thiere verwandelt werden
können, verweist der Verfasser nach Milichius Zauberteufel,
Weier lib. II, cap. 44; lib. A", cap. 10.
Kapitel 45. Die Teufel können Träume und Nachtge-
sichter machen, aber teuflische Träume, wie sie die Wieder-
täufer und Schwärmer haben. Durch solche teuflische Visiones
werden die Menschen ins Verderben gestürzt, wie es dem
Thomas Münzer begegnet ist.
Kapitel 46. Ob die Teufel Wetter machen können. Aus
eigener Kraft können die Teufel weder Hagel noch Schnee,
Regen und Reif bewirken, nur wenn es Gott gefällig ist und
er es zulässt.
1 Tischreden vom Teufel und seinen Werken.
302 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Kapitel 47. Ob sie Milcli, Butter, Brot, Wein, Bier etc.
stehlen können? Wird nicht in Zweifel gezogen, ebenso kann
der Teufel vermöge seiner Geschwindigkeit als Geist im Winter
Sommerfrüchte herbeischaffen.
Kapitel 48. Von den Hexen vnd Ynholden. So heissen
die, von welchen man gemeiniglich hält, dass sie wegen eines
gottlosen Pakts zwischen ihnen und dem Teufel entweder aus
eigenem Willen oder auf Anstiften des Teufels unter seinem
Beistande viele böse Stücke vollbringen. Man meint, dass sie
Macht haben, Wetter zu machen, das Korn auf dem Felde
zu verrücken und zu verwüsten, Krankheiten über Menschen
und Thiere zu bringen etc. Mit derlei Vorstellungen bethört
der Teufel die Christen. Wir glauben, dass dem Teufel die
aufgezählten Stücke mehrentheils zu verrichten möglich sei,
dass die Hexen und Unholden „durch natürliche Gifft" Men-
schen und Thieren schaden können; dagegen wird „den armen
thorhafftigen Weibern" oft viel beigemessen, ja sie „werden
auch selbst in jrer Fantasey vberredt", dass sie dies oder
jenes thun, was unmöglich ist. „Niemand", sagt Brentius ^,
„er sey Mann oder Weib, daz er mit seiner kunst oder
zäuberey ein rechts vngewitter vnd stürm in der lufft erwecken
kan. Denn wenn das den Menschen nach jhrem gefallen würd
zugelassen, so würden wir fürwar selten, ja nimmermehr one
Vngewitter, Sturm, Wind vnd Hagel seyn, so böss ist mensch-
liche Natur, vnnd so gar geneigt schaden zu thun. Aber der
Teuffcl, der da in der Lufft herrschet, wie Paulus sagt, kan
wol sehen, wenn grosse Vngewitter vnd stürme konmicn wer-
den, welche schaden thun können. Vnd wenn er das sihet,
so bewegt er der Leute gemüte, welche er gefangen helt vnd
bestrickt hat, dass sie anfangen zu zaubern, vnd jre segen
zusprechen. Wenn sie das gethan, so sich dann ein vngewit-
ter erhebt, welclis one jr zaubern kommen were, so meynen
sie gentzlich, dass es durch jre krafft, kunst vnd zäuberey zu-
wege bracht sey." — Der Verfasser stellt auch in Abrede, dass
die Feldfrüchte durch Beschwören oder Verfluchen beschädi<rt
oder verrückt werden können. Die Hexenfahrten und was
damit zusammenhängt, werden für ,, eitel Fantasey" erklärt
und Dr. Luther sage mit Recht: „dass es nicht allein verbotten
^ In der 31. Iloniil. über das Evangelium Johannis.
1. Luthor's Glaube an den Teufel. 393
sey solelis zu thun, sondern auch 7a\ glauben." Aue-h das
Buhlschaft trcihen mit dem Teufel ist „lauter falscher wahn
vnd starcke einbildung." Ebenso wird die Verwandlung in
Thiere erklärt, da der Teufel selbst nicht im Stande sei, weder
etwas zu schaffen, noch das Geschaffene wahrhaftig zu verwan-
deln. Hierauf eine Erörterung über die Hölle. ^
Dass eine Hölle sei, ist aus unsern Glaubensartikeln er-
wiesen :
„Er ist niedergefahren zur Hölle" ist klar, nicht tropisch,
sondern historisch zu verstehen. Der Verfasser weist hier-
auf auf die Geschichte von Lazarus u. a. m. Nach ihrem
Sturze sind auch die Teufel zur Hölle verdammt, wo sie Pein
haben. In diese Höllenqual gerathen auch die Gottlosen, die
dann dem Teufel übergeben sind, der seinen Muthwillen an
ilmen üben Avird. Die höchste Pein der Verdammten wird
sein, dass sie von Christo weichen müssen und hören das
schreckliche Wort: „Discedite a me maledicti in ignem aeter-
num."
II.
Vuii des Teufels Tyrannei. Macht und Gewalt, sonderlicL in diesen letzten
Tagen, durch Andream Musculuni.
Der Verfasser sieht die Welt sehr im argen liegen, „das
diese jetzige zeyt darinnen wir leben, das allerletzte drümm-
lein von der Welt, und das letzte zipfflein sey, welches uns
bald auss den Henden entwischen und diesem zeitlichen und
verfi-enfflichen Reich sein end und auffhoren geben und das
ewige unvergengkliche ansehen werde". „Ist dem aber so,
so ist auch gewiss, dass des Teuffels und aller seiner Mitge-
sellen und bösen Geistern hass, grimm, tyranney, heimliche
tück und listigkeit jetzunder mehr als je zuvor sich sey zu
vei'muten." Dabei sieht sich der Verfasser veranlasst zu be-
weisen: dass die Zahl der Teufel nicht nur in grosser Zahl
allenthalben vorhanden, sondern auch trachten, den Menschen
mancherlei Schaden zuzufügen; dass sie mächtig und ver-
schmitzt, und unter Gottes Zulassung mancherlei Jammer
und Elend anrichten , wobei eine Menge Unglücksfälle durch
' Fol. CXXX, 6 sequ.
394 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Ungewitter, Stürme n. dgl. angeführt werden; dass sie die Men-
schen änsserlieh und innerlich angreifen, nnd ihnen nicht nur am
Leibe, sondern viel mehr an der Seele schaden und ausser
mit zeitlichen Sünden auch mit ewigem Jammer beschweren.
Gott hat Mittel, dem Teufel und seinen Heerscharen zu wehren,
dass er von seiner Gewalt nicht mehr Gebrauch mache, als
Gott es zulässt, als: die Macht Gottes selbst, die der
Teufel anerkennt; eine grosse Engelschar, die dem Teufel
wehrt; die Eltern, welche ihre Kinder zum Guten er-
ziehen; die Prediger, welche die Erwachsenen überwachen;
die weltliche Obrigkeit, der Gott das Schwert in die Hand
gegeben hat. Der Christ selbst schützt sich in der grossen
Gefahr vor dem Teufel durch Gottesfurcht und einen der ge-
messen Lebenswandel, und wenn er etwa strauchelt oder fällt,
sich schnell wieder aufrafft. Ist aber ein Angriff auf den
Menschen gethan und diesem Schaden zugefügt, so sind die
besten Mittel: aufrichtige Busse, nächst dieser das Gebet mit
der festen Zuversicht zu dem Herrn. Das dritte Mittel ist
Verachtung, die im Worte Gottes begründet ist.
HL
Der heilige, kluge und gelehrte Teufel. Wider das erste C4ebot Gottes den
Glauben und Christum. Aus heiliger Schrift und patre Luthero beschrie-
ben von M. Andrea Fabricio Chemnicense, Prediger in Nordhausen.
Der Teufel wirkt unter der Form der Scheinheiligkeit, um
die rechte Lehre aus der Welt zu bringen, und den Glauben
im Herzen der Menschen geringer zu machen, den Glauben,
dass wir todt waren in Sünden, „verloren und verdammt mit
Natur und Wesen, durch den Glauben mit Christo lebendig
gemacht, durch sein eigen Blut theuer erkauft seien." Der
Mensch muss sich verleugnen, aus sich selbst herausgehen,
sich selbst alles nehmen und Gott alles zuschreiben. Gott
will haben, dass man ihm seine göttliche Ehre allein lasse,
dico geschieht, wenn man sich in Gottesfurcht und Vertrauen
des Herzens ihm allein ergibt. Der böse Geist verdirbt alles
im häuslichen Regiment, durch den Zusatz in unserm Fleisch
und Blut, der da heisset: Ego, Nos. Im Weltregiment will
dieser Geist auch obenan sitzen und wie ein Gott alles zu
thun haben. Das schändliche Nos und Ego richtet alles Herze-
leid an. Im geistlichen Regiment in der Kirche will er sich
1. Luther's Glaube an den Teufel. 395
zu einem Gott machen, will Christum und den Glauben ver-
tilgen, deckt die Erbsünde, dass sie niemand erkenne. — Der
listige Satan mit seiner Scheinheiligkeit wider das erste Ge-
bot sieht die zwei Hauptstücke, nämlich den Glauben an
Christum und die Erbsünde, wie alle Ketzer an. Ueber das
Evangelium am neuen Jahrestage sagt Luther: „Peccatum
est hominis substantia in Theologia" und: „Homo massa est
perditionis". Und im ersten Theile, Genes., Kap. 2: „Sathan
magnam rem agit, ut peccatum originale neget. Atqui hoc
vere est negare passionem et resurrectionem Christi." — Die
Schrift nimmt clem natürlichen Menschen alles, und gibt
Gott alles in seine Huld und Gnade; der Satan erdichtet
aber „mitigata voeabula", wodurch der Mensch gut und tüchtig
erscheint, als könne der natürliche Mensch neben dem Heiligen
Geist aus sich selbst sich zur Gnade schicken. Wenn der
Satan nur dieses Modiculum und Conatulum des adamischen
Menschen erhält, so hat er Gesetz und Evangelium im Grunde
verderbt. — Dem Satan ist es leid, dass noch ein Mensch
auf Erden recht glaubt und selig wird, könnte er sie alle
verführen, er thäte es sehr gerne. „Die alte Schlange", sagt
Luther \ „kan nicht allein die leiblichen, natürlichen Sinne
der Menschen, sondern auch die Hertzen und Gewissen be-
triegen, also dass sie jrrige Lehre und Opinion für recht-
schafien und Göttliche Wahrheit annemen und behalten."
IV.
(Ist wider den Exorcismus.)
Der Kannteufe], eine wohlmeinende Warnung vor ^ den Teufelsbeschwöi'ern,
von Jodocus Hockerius, Prediger.
Im ersten Theile dieses Buches wird bev/iesen, dass -das
gebräuchliche Teufelsbannen wider Gott und unrecht sei. Die
Griinde für den Exorcismus werden widerlegt mit Berufung
auf Brentius: „Scriptura nusquam tradit publicam professio-
nem exorcizandi aut adjurandi daemones divinitus institutam
esse etc." 1) Josephus, der als Gewährsmann von den Exor-
cisten angeführt wird, hat viel sviperstitiones, und die Exor-
cisten unter den Juden waren ohne Gottes Wort. 2) Christus
und die Apostel haben Teufel ausgetrieben, die Apostel haben
1 Genes. 21, im 3. Tlil.
30G Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
die Macht dazu gehabt: in der ersten Kirche waren die
Zeichen und Mirakel nothig, durch den Tod und die Auf-
erstehung Christi sind sie unnöthig gCM^orden: den Geist und
die Kraft Wunder zu thun hat jetzt niemand. 3) Der Ge-
brauch heiliücer Wörter der Exorcisten ist Misbrauch des
Wortes Gottes, das Gebet der Exorcisten ist siindlich und
Gott der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen
Namen misbraucht. 4) Wenn die Exorcisten sagen, dass ihr
Handwerk oft gelinge, so wird bemerkt, dass Gott zuweilen
auch durch falsche Lehrer Wunder geschehen lasse zur Strafe
derer, die Gottes Wort nicht achten und andern zur War-
nunü'. Der Teufel regiert lieber die Seelen als er den Leil)
besitzt, darum weicht er aus diesem leichter in der Hoffnung
jene einzunehmen mit Unglauben und Abgötterei. Darüber
Luther^: ,,Das ist dem Teufel ein geringes dass er sich lesst
ausstreiben wenn er will, auch durch einen bösen Buben,
und doch wol luiaussgetrieben bleibt, sonder eben damit die
Leute desto stercker besitzet und bestricket mit der schend-
lichen kriegerey". 5) Die Exorcisten sagen, ihr Thun gereiche
Gott zur Ehre und dem Nächsten zum Nutzen; aber sie han-
deln vielmehr wider Gottes Gebot und suchen ihre eigene
Ehre und weltlich Gut. Kommen Ausspriiche gegen den
Exorcismus (ausser einigen Stellen aus Kirchenvätern) von
Luther, Brentius, Bucerus, Wolfgang Musculus, Calvin,
Bullinger u. a.
Der zweite Theil des Buches handelt davon, wie man
mit Besessenen verfahren soll.
Zunächst hat man sich zu erkundigen, ob es nicht eine
natürliche Krankheit sei, die für Besessenheit gilt. Ist es
letztere, so ist sie als zeitlich Kreuz zu betrachten, vom Teufel
zuofefüoft. Dann müssen wir die Sache Gott befehlen und
durch tägliches Gebet im Namen Christi, und zwar nicht nur
durch Privatgebet, sondern durch Fürbitte der ganzen Ge-
meinde. Nüchtern rauss man beten, aber nicht unter heuch-
lerischem Fasten, das einen Unterschied der Speisen macht,
sondern dass das Volk ein züchtig und nüchtern Leben führe,
das heisst christliches Fasten, wodurch man geschickt wird
zum heftigen und fleissigen Gebete.
' Ueber das Evangelium Mattluü.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 397 ,
V.
Der Zauberteufel, durch Ludovicuni Milichium. Von Zauberei, Wahr-
sagung, Beschwören, Segen, Aberglauben, Hexerei und mancherlei
Werken des Teufels u. s. w.
Kapitel 1. Diejenigen, welche nichts auf Zauberei hal-
ten, thun recht, es ist aber leichtfertig zu glauben, dass es
gar keine gebe, denn ihre Existenz beweist die Schrift,
beweisen die Zeus-nisse der Heiden und wird durch die Er-
fahrung gezeigt.
Kapitel 2. Die Zauberei besteht eigentlich darin, dass
die Menschen eine Creatur Gottes anders gebrauchen und
eine andere AVirkung darin suchen, als es Gott verordnet hat.
Dasselbe gilt von Tagen, Wörtern u. a. m. Die Theologen
unterscheiden Abgötterei von Zauberei, indem bei ersterer
die Ehre, welche Gott alletn gebührt, einer Creatur zuge-
wendet wird; eigentlich ist aber Zauberei nichts anderes als
teuflische Abgötterei, welche Gott verunehrt, da ander-
wärts als bei Gott Hülfe gesucht wird. Darum ist sie auch
strafbar.
Kapitel 3. Die Mannichfaltigkeit der Zauberei.
Kapitel 4. Der Ursprung der Zauberei liegt in der
Verderbniss der Natur und Verfinsterung der Vernunft. Wie
heutzutage der Teufel den Hexen zuweilen in Menschengestalt
erscheint und mit ihnen einen Bund aufrichtet, so ist es viel-
leicht schon dem Zoroaster begegnet, und die Zauberei, die
zuerst in Persien aufgetreten, hat sich dann weiter verbreitet.
Kapitel 5. Wer sich mit Zaubern abgibt, sucht ent-
weder zu schaden oder etwas Nützliches auszurichten.
Der Schade betrifi't den Verstand des Menschen, oder
dass dieser vom rechten Glauben abgelenkt, das Gemüth
bezaubert, Hass oder Liebe in unbändiger Weise ange-
regt wird; es kann aber auch der Leib durch Zauberei ge-
schwächt, selbst getödtet werden. „Denn diss ist gewiss, dass
die Hexen etwan tüchlin, haar, fischgräton, spitzige negel und
andere Materi den Leuten in die Leiber, Köpfle oder Schenkel
zaubern." Durch Zauberei wird auch Vieh beschädigt, Wetter
gemacht, die Frucht verderbt. „Lu Zaubern" wird auch
,,Yiel dieberey begangen. Denn gewiss ist, dass die Hexen
Milch, Eyer vnd andere Speise stelen". — Der Nutzen, der
durch Zauberei gesucht wird, ist auch vielfältig. „Etliche
398 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
wollen sich damit für dem Teufel, für Vngewitter, für Zau-
berey, für Hawen und Stechen und vilen Vbel bewaren."
Manche geben vor, sie können Krankheiten an Menschen
und Thieren heilen, Hunden und Wölfen die Mäuler zubinden,
Ratten und Mäuse verjagen, im Spiele nicht verlieren, sich
angenehm machen, grosse Feuer und AVasser dämpfen, sich
unsichtbar machen. Schätze suchen u. s. w. Manche geben
vor, dass sie nur zur Belustigung Zauberei lernen inid treiben,
Gaukler, Spielleute, die aber eigentlich nur durch Behendig-
keit ihre Stücke vollbringen, aber doch oft mit Zauberei um-
o-ehen. Man suche übri^-ens in der Zauberei Nutzen, Kurz-
weil oder was man wolle, so findet man doch nur Schaden,
Betrübniss, Sünde und Schande und wer sich derlei aber-
witziger Dino-e befleisst, ist für einen Widersacher Gottes
und Diener des Teufels zu halten. Denn ^ solche Werke
kommen vom Teufel, welcher der AVerkmeister aller Zaviberei
ist, die Substanz dazu hat, da er als Geist im Augenblicke
von einem Ort zum andern kommen kann; er ist listig
und erfahren, hat die Begierde den Menschen zu schaden
und auch die Gewalt dazu, wie die Heilige Schrift be-
zeugt.
Kapitel 7. Von zauberischen Mitteln und Ceremonien.
(Der Verfasser lässt sich in keine Discussion ein.)
Kapitel 8. Von dem Gebrauche der Worte bei der
Zauberei.
Kapitel Ü. Von der Kraft und Wirkung der Worte.
So gross die Macht des Wortes auch ist, kann man doch
keine Krankheit damit heilen, man kann mit Worten leben-
dige Creaturen zur Güte, Barmherzigkeit oder zum Zorn u. dgl.
anregen; aber leblose Wesen, wie Kräuter, Steine, können
nicht beweo't werden. Mit Worten tauft man Kinder, man
kann sie aber nicht zur Zauberei gebrauchen, dasselbe gilt
vom Vaterunser, dem Johannesevangelium und andern heiligen
Sprüchen. Wenn durch Christi Worte Wunderwerke ge-
schehen sind, so ist zu bemerken, dass Christi Worte göttlich
und die Worte der Menschen sündlich und fleischlich und
zu zauberischer Wirkung nirgends verordnet sind.
Kapitel 10. Warum Worte und andere Mittel gebraucht
1 Kapitel 6.
1. Lutber's Glaube an den Teufel. 399
werden. Hier wird bemerkt, dass die Menschen selbst manche
Mittel erdichten, denen sie eine fremde Kraft zuschreiben,
die der Aberwitz für wahr annimmt. Manche Mittel sind
aber vom Teufel erdacht, mit denen nur derjenige etwas aus-
richtet, der sich dem Teufel ergeben hat. Der Teufel hasst
Gott und ist dessen Affe, der ihm alles nachmacht, zum Theil
um seiner und der Gläubigen zu spotten, zum Theil, um die
Leute von Gott abzuführen und in Irrthum und Verwirrung
zu stürzen. Wie Gott sein Reich und alles mit seinem ewigen
Worte erhält, so will auch der Teufel sein Reich und Schel-
merei mit seinen nichtigen Worten erhalten. Gott will, dass
wir seinen heiligen Namen in allen Geschäften anrufen, so will
auch der Teufel zu seinen bösen Sachen angerufen sein. So
Avie das Evangelium durch die mündliche Predigt ausgebreitet,
der Leib durch Speise gesättigt werden muss, Gott also
Mittel gebraucht haben will, so lässt auch der Teufel zur
Zauberei mancherlei ungewöhnliche Mittel gebrauchen und
ziert sie mit Worten und Geberden. Dadurch werden die
Leute mehr zur Zauberei gereizt. Wird durch die Zauber-
mittel etwas bewirkt, so hat der Zauberer keine Entschul-
dio-ung, denn obschon es durch den Teufel geschieht, thut
dieser es nicht um seinetwillen; wirkt die Zauberei nicht, so
bleibt der Teufel ohne Schuld, diese kommt auf die unrich-
tige Handhabung des Mittels.
Kapitel 11. Der Teufel und die Zauberer vermögen
nur so viel als Gott zulässt, denn Gottes Gewalt geht über
alles, ihm ist nichts verborgen, was der Teufel und seine Gesellen
im Sinne haben, es ist Gottes gnädiger Wille sich dem Teufel
und seinen Werken zu widersetzen, und hat darum seinen
Sohn in die Welt gesandt. Es haben schon die Heiden die
Zaubermacht nicht geachtet, um so viel weniger soll der
Christ sich vor ihr fürchten, sondern sich unter den Schirm
Gottes geben.
Kapitel 12. Was für Werke dem Teufel möghch und
unmöglich sind. Die Werke des Teufels sind entweder nur
Spuk- und Blendwerke, oder sie sind wirkliche, wahrnehm-
bare Zeichen, die oft auf natürliche Weise geschehen. Denn
alles was die Natur vermag, ist auch dem Teufel möglich.
Unmöglich ist aber dem Teufel etwas zu schaffen, oder etwas
Geschaffenes zu vermehren oder zu vergrösscrn, oder einem
400 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
natürlichen Dinge eine neue Gestalt zu geben, menschliche
Gebrechen zu heilen, Todte auferwecken, zukiinftige Dinge
vorher zu wissen. Wenn es dem Teufel bisweilen möglich
wird, übernatiirliche Wunderwerke zu verrichten, so geschehen
diese nicht durch seine Macht, sondern durch Zulassung und
Kraft Gottes.'
Kapitel 13. Gott erlaubt dem Teufel Wunder zu thun:
damit die Gläubigen einsehen lernen, dass an der Lehre des
Evangeliums mehr gelegen sei als an Zeichen, weil auch der
Teufel solche thun kann; damit die Gläubigen geprüft werden
und Uebung haben ihren Glauben zu offenbaren.
Kapitel 14. Wenn der Teufel den Gottlosen Schaden
zufügt, so geschieht dies zu ihrer Strafe, wobei der Teufel
den Scharfrichter macht. Wenn Gott zulässt, dass der Teufel
die Frommen angreife, so geschieht es zu ihrer Prüfung. Zu
bemerken ist aber, dass er diese nicht tödten kann, wol aber
kann ein Sünder durch Zauberei getödtet werden. Darum
sollen die Gläubigen im festen Vertrauen auf Gott sich dem
Teufel widersetzen.
KajDitel 15. Von der Zauberei, welche (papjj.ax£L'a ge-
nannt wird; sie ist eine Todsünde.
Kapitel 1(). Von der ^lor^xdtx; sie ist eitel Blendwerk.
Kapitel 17. Von den Verwandlungen der Menschen
und anderer natürlicher Dinge. Diese beruhen auf Einbildung
der Menschen.
Kapitel 18. Von den Beschädigungen der Leiber an
Menschen und Vieh. Hierbei ist alles von der Zulassung
Gottes abhängig, unter welcher der Teufel auf tausenderlei
Weise Menschen und Vieh beschädigen kann.
Kapitel 20. Von dem Milchstehlen. Wird als gewöhn-
licher Diebstahl der Hexen mittels des Teufels erklärt.
Kapitel 21. Von dem Hexenfahren in der Luft. Die
Meinung derjenigen, dass der Teufel die Hexen in schweren
Schlaf versetze und ihnen derlei im Traum einbilde, ist nicht
zu strafen, daneben Avird aber zugegeben, dass der Teufel
mit d(Mi Hexen und Zauberern Versammlungen veranstalte,
und wenn er sie durch die Luft führt, es unter Gottes
Zulassung geschehe. Es ist gewiss, dass sie mit ihm im Bünd-
niss stehen, denn es ist dem Teufel daran gelegen, den Bund
1. Luther's Glaube an den Teufel. 401
bei solchen Versammlungen zu erneuen. Es wird auf Jakob
Sprenger ^ verwiesen.
Kapitel 22. Von den Incubis und Succubis. Die Buhl-
scliaft der Hexen mit dem Teufel wird für möglich gehalten,
unter Hinweisung auf Augustinus. ^ Ob Kinder vom Teufel
erzeugt werden können, sollte ein Christ nicht nachgrübeln,
da solche Spitzfindigkeiten gar nichts fruchten.
Kapitel 23. Von den Lamiis und Wechselkindern.
Dass gestohlene Kinder von den Lamiis oder Unholden ge-
fressen worden, ist ein falscher Wahn. Was die Verwechselung
der Kinder betrifft, hält der Verfasser dafür, dass der Teufel
Kinder wegnehmen, andere oder sich selbst in Kindesge-
stalt hinlegen könne, dass die Augen der Aeltern zuge-
bunden werden, daher sie ihre Kinder nicht erkennen.
Kapitel 24. Von denen, welche ihre Söhne und Töchter
durchs Feuer führen, und Kapitel 25, von den Weissagern,
sind ohne Bedeutung.
Kapitel 26. Ob der Teufel künftige Dinge wissen und
verkünden könne, wiederholt schon früher Gesagtes.
Kapitel 27. Die Tagwählerei wird verworfen.
Kapitel 28. Die Astronomie und Astrologie ist eine
vortreffliche Kunst, die Prognostica der Astrologen sind aber
nicht unfehlbar, sondern dem Willen Gottes unterworfen.
Kapitel 29. Die pharisäische Tagwählerei, wonach
manche Tage heiliger sein sollen , oder gewisse Stunden zum
Gebete tauglicher gehalten werden, wird verworfen. Dem
Christen sollen alle Zeiten gleich heilig und gut sein, er soll
sich jeden Tag und jede Stunde heiligen.
Kapitel 30- Von den Auguren. Sie werden in der
Schrift verboten. Wenn die Auguria öfter eingetroffen sind,
so ist es durch den Teufel geschehen.
Kapitel 31- Zauberer und Schwarzkünstler gehören in
eine Zunft, beide machen ihre Sache durch den Teufel, und
sind Feinde Gottes.
Kapitel 32. Von den Beschwörern; diese stehen mit
dem Teufel im Bunde. Das Gebet ist eine demüthige Bitte,
1 Malleus malef., pars II, cap. 13.
^ De civ. D., lib. 15, cap. 23.
Roskoff, Geschichte des Teufels. II. 26
402 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
wobei die Gewährung im Willen dessen steht, den man bittet.
Die Beschwörung ist eine trotzige Aufforderung und will
gewährt sein. Zu den Beschwörungen Gottes rechnet der
Verfasser: Agnus Dei^ Sanct-Johannes- Evangelium an den
Hals häno^en , wodurch Gott die Gewährunof abo-enöthifft
werden soll, Ablassbriefe luid Gebete der Mönche, wo-
durch Gott beschworen wird. Ebenso verwerflich sind die
Besprechungen von Dingen, dass sie etwas bewirken sollen,
als: Kräuter, Salz, Kuchen, Lichter, Wachs u. dgl. weihen.
Zur dritten Art gehören die Beschwörer des Teufels, dass
er erscheine, oder der Schlangen, oder die den Teufel
durch Zauberei austreiben. Ob den Predigern erlaubt sei,
Teufel auszutreiben? Darauf antwortet der Verfasser: „Dass
sie darzu nit, sonder Gottes Wort zu predigen vnnd die
Sakramente ausszutheilen berußen sind." Paidus l'ordert nicht
von einem Prediger, dass er Teufel austreibe, sondern dass
er lehrhaft sei, und wenn Christus und die Apostel Teufel
ausgetrieben haben, so ist es durch ihren besonderu Beruf
geschehen. Wenn die Prediger heutigentags Christo luid
den Aposteln alles nachthun sollten, so müssten sie auch
Todte auferwecken und andere Zeichen thun.
Kapitel 33. Die Wahrsager um Eath zu fragen, ist
verboten in der Schrift. Von diesen sind zu unterscheiden
die Weissagungen der Schrift; zulässig sind die Weissagungen
aus natürlichen Dingen: aus dem Himmelslauf und den Ge-
stirnen, aus dem Gewölk, Kometen vuid andern Meteoren, aus
Bewegungen und Eigenschaften der menschlichen Leiber, der
Thiere, u. dgl. Aber auch hierbei soll man vorsichtig und
nicht aberwitzig sein. Die Chiromantie hingegen ist nur für
eine Zigeunerkunst zu halten.
Kapitel 34. Die Zeichendeuterei ist Aberglaube, und
solcher Aberglaube ist zauberisch, der Ordnung Gottes zu-
wider, daher in der Schrift verdammt.
Kapitel 35. Traumauslegung gründet sich auf Aber-
glauben. Träume , die von der natürlichen Beschaffenheit des
Menschen abhängen, sind ohne Bedeutung. Nur göttliche
Träume, die von Gott kommen, sind glaubwürdig. Teuflische
Träume hat der Teufel vor Zeiten in den Heiden, und in un-
sern Tagen in den Ungläubigen und Gottlosen bewirkt. Nur
auf die göttlichen Trämne, „welche langsam vnd sehr wenigen
1. Luther's Glaube an den Teufel. 403
fiirkommen", soll ein Gläubiger halten, das übrige Trnnm-
werk soll er sich ans dem Sinn schlagen nnd mit dem Teufel
fiir Eitelkeit halten.
Kapitel oG. Alle Art von Nekromantie ist verdammt,
sowie auch die, welche ,,in derMattheis-Nacht Sanct-Mattheissen
nm Rath fragen", oder welche anf Sanct-Andreastag sich
segnen in des Teufels Namen, damit ihnen ihr eigen Ge-
spenst oder Geist erscheine. Es ist lanter „verlornes nichts
sollendes Teufielswerk".
Kapitel 37. Von den Schatzgräbern. Schatzgraben ist
voll Sünde nnd gefährlich. Denn Schätze werden vergraben
von solchen, die das Geld für ihren Abgott halten, oder aus
teuflischer Abgunst, die das Geld keinem andern gönnt, oder
den Erben stiehlt, den Armen nicht helfen will. Es ist bei
alledem zu vermuthen, dass diese Schätze der Teufel in Ver-
wahrung halte, daher bei dem Schatzgraben gewöhnlich
Teufelsspuk vorkommen soll und manche Leute daliei gar
getödtet werden. Das Schatzgraben ist mit Gefahr verbun-
den und gegen Gottes Gebote, seine Vorsehung, seine Güte
und Verheissung. Die Schatzgräber sündigen auch gegen
ihren Beruf, da sie in Gottesfurcht durch Arbeit ihre Nah-
rung erwerben sollten, ebenso gegen die Taufe, wo sie dem
Teufel und seinen Werken abgeschworen haben, und ihnen
doch wieder verfallen sind.
Kapitel 38. Wie man wider die Zauberei predigen
soll. Obschon etliche „naseweise Prädicanten" meinen, man
solle nicht viel über Zauberei predigen, da doch nicht jeder
wisse, was sie sei und ob sie sei, und die Leute erst darauf
hingelenkt würden, so hält es der Verfasser doch für nöthig,
dass der Prediger die Zauberei mit ihrem ganzen Apparate
fleissig erkläre, damit die Leute lernen, was Zauberei und wie
mannichfaltig sie sei, und wie damit wider Gott gesündigt
werde. Alle Zauberei besteht, wie schon gelehrt worden, in
Bündnissen des Teufels, in Wahrsagerei und im Aber-
glauben. Im Bündniss mit dem Teufel sind alle Schwarz-
künstler, Beschwörer, Zauberer, Hexen, Milchdiebe, Wetter-
macherinnen und solches Gesindel mehr. Diesen muss ge-
predigt werden von den Werken des Teufels und seiner Ge-
walt, die aber ohne Gottes Zulassung nichts vermag, lieber
die Wahrsager muss man das Volk unterrichten, da es ihnen
26*
404 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Gescliichte des Teufels.
zu viel zugibt, man soll den Unterschied der göttlichen natiu--
lichen luul teuflischen zauberischen Weissafjuuiien erklären-
Den Aberglauben zu strafen erfordert aber viel Vorsicht.
Ueber den Aberglauben, der in Worten besteht, hat der Pre-
diger das Volk zu unterrichten und auf den Misbrauch auf-
merksam zu machen. Den Aberglauben in Bezug auf leib-
liche Mittel, z. B. Weihwasser, Kerzenwachs, Kräuter,
Agnus -Dei, Glockengeläute u. dgl. hat der Prediger mit
Vorsicht zu bekämpfen und es nicht gar zu genau damit zu
nehmen, und soll alles mit Bescheidenheit thun, die Umstände
und die Personen berücksichtigen.
Kapitel 39. Dass die Obrigkeit der Zauberei wehren
soll, lehrt die Schrift. x\m Leben sind zu strafen alle, die
mit dem Teufel im Biindniss stehen, sie mögen Zauberer,
Schwarzkünstler, Beschwörer, Wahrsager, Hexen, Nekro-
inanten oder wie immer heissen. Mose sagt: „Die Zauberer
sollt ihr nicht leben lassen", damit ist angezeigt, dass man
Feuer oder Schwert oder auch andere Wafien oebrauchen
könne. Die Obrigkeit hat aber zu sehen, dass sie selbst keine
Zauberei gebrauche oder brauchen lasse, um deu Greuel nicht
zu fördern. Wenn man die Hexen in Bütten oder Fässer
setzt, sie auf Wagen bindet, damit sie die Erde nicht berühren,
so ist dies „eine zauberische Fantasey vnd kompt von nie-
mand denn von dem Teufel, welcher gern machen wolt, dass
sich jederman für den Zauberinnen förchten solt". Daher
findet der Verfasser den Scharfrichter zu loben, der neulich
in einer Stadt eine verurtheilte Hexe auf der Erde bis zum
Rabenstein führte, wo er sie vom Teufel ungehindert zu
Asche verbrannte. — Mit Geldstrafe zu belegen oder mit
Gefängniss oder -Exil zu bestrafen sind alle, welche Wahr-
sagern oder Zeichendeutern nachlaufen, sowie die den Aber-
glauben öfi'eutlich vertheidigen. Der Verfasser erinnert an
die ungetreuen Hebammen, welche zauberische Werke för-
dern, er lenkt auch die Aufmerksamkeit der Obrigkeit auf
die Spieler, die durch Zauberei gewinnen oder verlieren kön-
nen, und diejenigen, welche mit Teufelskünsten das Geschütz
beschwören, dass. sie trefl'en wen sie wollen, oder dass der
Schuss des andern fehle. Denn es geschieht sehr viel Zau-
berei, die unbemerkt hingeht und vom Haufen als herrliche
Kunst gepriesen wird; von den Regenten aber, die ihrem
1. Luther's Glaube an den Teufel. 405
Amte getreulich nachkommen, nicht geduldet werden soll.
Privatpersonen sollen dem Teufel fest widerstehen im Glau-
ben, die Anfechtung des Teufels mit christlicher Geduld über-
winden. Wenn einer oder sein Gesind oder Vieh am Leibe
beschädigt Avird, soll er natiirliche Arznei anwenden; kann
er die Hexe, die solches gethan, überweisen, soll er sie bei
der Obrigkeit belangen. Wenn aber etliche am Tage Philippi
Jacobi vor Sonnenaufgang Stöcke und Ruthen unter beson-
dern Ceremonien holen und an einem bestimmten Tage des
Morgens ins Teufels Namen aufstehen und alles, was sie thun,
als des Teufels Walten betrachten und danach schlagen, um
den Teufel oder die Hexe zu treifen u. dgl., so ist dies ein
Greuel, und die solches thun, sind der Schläge oder des
Feuers mehr wertli als die Hexen. Hierher gehören auch die
Künstler, die abwesend den Leuten die Augen ausschlagen,
indem sie auch den Teufel zu ihrem Bundesgenossen haben.
VI.
Der Flucliteufel. Wider das unchristliclie , erschreckliche und grausame
Fluchen und Gotteslästern. Eine Vermahnung und Warnung.
Der Verfasser klagt über die Bosheit der Welt, die
aufs höchste gestiegen. Bei jedem ist fast das dritte oder
vierte Wort eine Gotteslästerung, wobei die Kinder aufwach-
sen, denen das Fluchen bald geläufiger wird als die Artikel
des Glaubens. Die Gotteslästerung ist eine Sünde und grosse
Verschmähung des grossen Werks und Geheimnisses der
Menschwerdung des Sohnes Gottes. Darum hat sich auch
der Satan vom Anfang an gegen die Vereinigung der zwei
Naturen in einer Person aufgelehnt, und hat keine Ruhe ge-
creben, bis er den Messias ans Kreuz und vom Kreuze ins
Grab gebracht hat. Nachdem aber die Kirche und das ganze
Reich Christi auf der Vereinigung der zwei Naturen in einer
Person gegründet ist und auf diesem Bekenntniss besteht, so
ist es dem Teufel auch um dieses Bekenntniss zu thun, und er
setzt alles daran, dies Fundament zu fällen und sein eigenes
Reich auszubreiten. Da Gott aus Liebe zur Welt seinen
eigenen Sohn zu uns herabgesandt, der sich mit unscrm
Fleisch und Blut vereinigt hat und Mensch worden ist blos
darum, dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen u.s. w.,
so mögen die Gotteslästerer bedenken, ob sie sich nicht schmäh-
406 Vierter Absclinitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
lieber an dem Sohne Gottes vergreifen, als es von irgend-
welchen Ketzern, Rotten und Sekten geschehen sein mag.
Die Gotteslästerung ist auch eine Siuide wider das Werk
unserer Erlösung durch das Leiden und Sterben unsers Herrn
Jesu, den die Gotteslästerer schmählicher martern und morden,
als die Kriegsknechte zu Jerusalem gethan haben. Auch
gegen das Erlösungswerk hat sich der Satan aufgelehnt, in-
dem er es durch Misverstand und Ketzerei zunichte und
unfruchtbar zu machen suchte. — Die Gotteslästerung ist eine
Si'inde wider das ganze Amt des Heiligen Geistes und wider
den dritten Artikel unseres christlichen Glaul^ens. Sie ist
eine Sünde gegen die heilige Taufe, indem die Gotteslästerer
an Gott, dem sie sich in der Taufe zugesagt haben, mein-
eidio; werden. Sie ist eine Sünde wider das hochwürdiffc
Sakrament des Leibes und Blutes unsers lieben Herrn Jesu
Christi.
VII.
Der Tanzteufel. Wider den leichtfertigen, unverschämten Welttauz und
die ehrvergessenen Nachttänze, durch Florianum Daulen von Für-
stenherg.
Der Verfasser klagt darüber, dass mehr AVirthshäuser
als Kirchen gebaut werden. Die Ursache davon ist die Ver-
achtung des Wortes Gottes. Auch hat der Geizteufel über-
hand genommen, wo jeder Geld zusammentreibt und von den
Wirthshäusern Gewinn zu erreichen sucht. In den Wirths-
häusern wird vornehmlich dem Teufel sein Dienst mit arar-
stigen Tänzen dargebracht. Die Wirthshäuser, ursprünglich
zur Aufiiahme Fremder errichtet, werden misbraucht, Spieler,
Säufer, Tänzer plagen die fremden Gäste durch Lärmen,
Tanzen und Springen, je mehr dagegen gepredigt wird, desto
ärger werden die Tänze tief in die Nacht fortgesetzt. Wenn
die Obrigkeit Massregeln dagegen ergreifen will, so rennen
die Wirthe luid schreien über Schmälerung ihres Verdienstes,
beschenken den Miethsherrn oder die Miethsfrau, dass sie
ihnen zu Gefallen thun. Zuweilen sind die Pfarrherren selbst
lässig und lassen ihre Töchter oder ihr Gesinde an den
Tänzen theUnehmen; sind aber die Pfarrherren treu und
strenge, so geht das Lästern los. An manchen Orten herrscht
der Brauch, dass die Mägde erst am Abend zum Tanze
laufen, welcher teuflische Tanz nicht geduldet werden soll.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 407
Mütter führen ihre Töchter wol selbst zum Tanz, und freuen
sich, wenn diese recht herumgeschwungen werden, es gibt
auch Mütter, die meinen, ihre Töchter würden ohne Tanz
keinen Mann bekommen. Auch Witwen sind so toll wie
junge Mägdlein, lieber viele Arbeit wird geklagt, aber nimmer
über den Tanz. Dies alles bewirket der leidige Tanzteufel,
dem sie dienen. Dieser verleitet die Söhne und Mägde zur
Putzsucht, um beim Tanze schönstens zu erscheinen, die Dienst-
boten werden hofi'ärtig und wollen es nachmachen, fordern
grossen Lohn. Ermahnungen an Knechte, Mägde, Prediger.
Ermahnung wider den Tanzteufel. Erinnerung, dass man in
der Taufe durch die Pathen dem Teufel abgesagt hat und
allen seinen AVerken und Wesen.
vni.
Gesiudeteufel, von M. Peter Glaser, Prediger zu Dresden.
Der Teufel bildet dem Gesinde die Siissigkeit des Miissig-
gangs und der Freiheit ein, dieses sollte aber l^edenken, dass
Müssiggang sündhaft ist. Der Müssiggang ist nicht nur
an sich Sünde, er verleitet auch zu allerlei Sünden. Darum
ist dem Teufel wol bei einem Müssiggänger, weil er ihn eher
als einen Arbeitsamen zu Sünden bringen kann. Dem Fleis-
sigen wird in der Schrift der Segen Gottes verheissen, der
Müssiggänger mit dem Fluche Gottes bedrohet. Der Müssig-
gänger wird von allen ehrlichen Christen verachtet. Der Teufel
überredet das Gesinde, welches dienen muss oder will, dass
es lieber bei Gottlosen diene, und bildet ihm ein, dass es mehr
Gewinn davon habe. Wenn das Gesinde sich zum Dienste
versprochen hat, treibt es der Teufel an, dass es wieder auf-
kündige, oder wenn es schon im Dienste ist, nicht bleiben
solle, und wenn es im Dienste bleibt, diesen nicht ordentlich
versehe. Der Teufel hetzt die Dienstboten gegen ihre Herr-
schaft auf.
IX.
Der Jagdteufel. Durch M. Cyriac. Spangenberg.
Das Jagen soll in Gottesfurcht, ohne Gotteslästerung ge-
schehen, ohne andern Leuten zu schaden, ohne Nachtheil des
Ackerbaus, es soll nicht Ursache zum Krieg geben, sondern
zu unvermeidlichem Krieg tüchtig machen, es soll zur Er-
40f> Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
quickung des Gemüths dienen u. s. f. Es gibt auch ein gott-
loses, unchristliches Jagen, wenn Gotteslästerung dabei ge-
schieht, arme Unterthanen unterdrückt, deren Aecker verwüstet
werden. Besonders wird an den Jägern getadelt, wenn sie
der Jagd wegen die Predigt versäumen, wenn sie unmensch-
lich wüthen u. dgl. Die Jagden sind nicht nur mit Gefahr
verbunden, es haben sich oft manche Schändlichkeiten dabei
zugetragen, sind Ursache von mancherlei Uebel, veranlassen
grosse Unkosten. Die wahre Jagd des Christenmenschen soll
sein nach Gerechtigkeit, Gottseligkeit, dem Glauben, der Liebe,
Geduld und Sanftmuth, „das soll unser VVildpret sein und
solchs heisst ein rechte Christliche geistliche jagt."
X.
Wider den Saufteufel. Von M. Matth. Friedrich zu Görentz.
Die Menschen sollen sich vor dem Saufen hüten, denn es
ist wider Gottes Gebot, und wird Gott die Säufer zeitlich und
ewig strafen. Wir sind keinen Augenblick vor dem Tode
sicher und kein Trunkenbold wird in den Himmel kommen.
Durch Saufen wird der Mensch zum unverständio-en Narren,
es ist auch Ursache von allerlei Sünden, bringt Schaden an
Ehre, Leib und Gut. Aus diesen Gründen ist das teuflische
Laster zu meiden.
In dem beigefügten: „Des hellischen Satans vnd der
Stende seines Reichs Sendbrieff an die Zutrincker", ist
die Aufforderung gegeben, sich vom Brauche des Zutrinkens
nicht abwendig machen zu lassen durch das Vorgeben , dass
solches ewige Pein bringe, auch nicht durch das Edict, das
der römische Kaiser Maximilian ergehen Hess, sich nicht zu
kümmern um das Predigen wider das Zutrinken.
Hierauf folgt eine „Instruction des Satans" wie die ge-
übten Zutrinker andere dazu bewegen sollen. — Beide Schrift-
stücke haben einen humoristischen Anflug.
XI.
Vom Eheteufel, durch M. Andr. Musculum.
„Ein sehr nützliches Büchlein, wie man den heimlichen
Listen, damit sich der leydige Satan wider die Ehestifftung
aufflehnet, auss Gottes Wort begegnen vnd den Ehestandt
1. Luther's Glaube an den Teufel. 409
Christlich anfahen, friedlich dariun leben vnd glücklieh voll-
enden möge."
Hierin wird gezeigt, wie nach der Weltschöpfung der
Ehestand von Gott gestiftet worden und wie Gott seinen „Rath-
schlag" den Menschen eingepflanzet, der Satan aber, nun Got-
tes abgesagter Feind, aus Neid mit seinen Genossen auch zu
Rathe gegangen, den göttlichen Rathschlag zunichte zu machen,
damit sich jeder vor der Ehe hüte und zur unordentlichen
Vermischung greife. Wie der Eheteufel den Rathschlag Got-
tes verwirrt oder den Menschen gar aus den Herzen reisst,
das erfahren wir an den Mönchen und Nonnen und aus
vielen Historien. Der Eheteufel stört die Ehe durch Unfriede,
verleitet zum Ehebruch, er stiftet unpassende Ehen, wobei auf
Geld u. dgl. gesehen wird, gibt den Weibern das Regiment
in die Hand, bewirkt, dass das Weib das Haus und die Kin-
der vernachlässigt und der Mann dem Weine nachgeht.
XH.
Wider den Hurenteufel, durch Andr. Hoppenrod.
Die vornehniste Ursache aller Sünde und Schande und
namentlich der Unzucht und Hurerei ist der Satan, denn er
ist ein unreiner und unflätiger Geist. Er gebraucht mancher-
lei Mittel. Er nimmt den Menschen Gottes Gebote aus den
Herzen oder verkehrt sie wenigstens, er bildet die Schönheit
einer Person ein, reizt durch Geld und Gut, dringt auf die
Wollust des Leibes, blendet die Menschen mit Geheimhal-
tung u. dgl. Die zweite Ursache der Unzucht liegt in der Natur
des Menschen, in der Yerderbtheit des Verstandes und des
Herzens. Unsere böse Natur wird aber nur gebessert durch
den heiligen Geist, der nur denen gegeben wird, die Gottes
Wort hören. Die dritte Ursache ist die böse Kinderzucht,
wo die Aeltern allen Muthwillen der Kinder gestatten. Die
vierte Ursache ist die Nachlässigkeit, der Herrschaft in dem
Haushalte und in Bezug auf das Gesinde. Die fünfte Ursache,
dass Mann oder Weib das Aufsehen vermeiden wollen. Die
sechste Ursache ist die Nachlässigkeit der Obrigkeit, dass sie
nicht straft. Ferner: böse Gesellschaft, unzüchtige Oerter,
Nachttänze, helfen auch die Schelmerei anstiften.
Im andern Theile wird gezeigt, warum solche Sünde und
die Anreizuuo^ dazu vermieden werden soll.
410 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
xin.
Der Geiz- und Wucherteufel, durch Albertum von Blankenberg.
Nach einer langen Reihe von Sprüchen aus dem A. und
N. T. , die auf Geiz und Wucher Bezug haben, schliesst der
Verfasser mit einem Vergleiche seiner Zeit mit der unter den
Propheten bei den Juden. Die Liebe ist erkaltet, Niemand
hilft den Armen, Geiz und Wucher hat die Menschen einge-
nommen. Christus hat befohlen, umsonst zu leihen, aber die
vermeinten christlichen Junker und Wucherer achten seines
Wortes nicht, sondern werden aus Christen natürliche Juden.
XIV.
Der Schrapteufel. Von Ludwig Milichius.
Erster Theil. Was man der Obrigkeit schiddig ist. Zwei-
ter Theil. In welchen Dingen die Obrigkeit sträflich ist, wenn
sie gegen die Unterthanen zu viel tlmt. Wird die Verschwen-
dung der Grossen nach Einzelheiten dargestellt. Dritter Theil.
Was die aufgezählten „Beschwerungen und Schraperey bey
dem Volck aussrichten." Vierter Theih Was die Schrift der
„Schinderey und den Schrap-hansen" für Namen gibt. Fiinf-
ter Theil. Wie sich Gott der armen Unterthanen annimmt.
Sechster Theil. Wie Gott die Herrschaften, die ihren Unter-
thanen so schwere Bürden aufladen, hart bestraft. Siebenter
Theil. Durch welche Sünden das Volk die Schraperei und die
vielen Beschwerden verdient, und den Zorn Gottes auf sich
ladet.
XV.
Der Faulteufel. Wider das Laster des Müssiggangs, durch Joachim West-
phalum.
Der Verfasser unterscheidet nach dem Vorgange des Jo-
hann Brcntius einen doppelten Müssiggang, einen ehrlichen,
dem sich ehrliche fromme Leute überlassen, nachdem sie fleissig
gewesen sind, und einen schändlichen, dem sich die faulen zur
fleischlichen Wollust ergeben. Erster ist nicht nur erlaubt,
Gott gebietet ihn sogar in dem Gebote vom Feiertag. Wenn
wir im Herzen Jesum Christum feiern, sind wir nicht miissig.
Der faule Müssiggänger hingegen misbraucht die Ruhe, er
sucht nur Wollust. Den faulen Müssiggang müssen wir mei-
den, denn er ist Avider Gottes Gebot und bringt daher man-
cherlei Schaden. Er schadet der Seele, indem er eine Sünde
1. Luther's Glaube an den Teufel. 411
ist, entzündet stets die Lust zur Scliwelgerei. Er schadet auch
dem Leibe. Er bi-in2:t ferner Schande und führt zu andern
Lastern und zu Armuth.
XVI.
Wider den Hoffartsteufel, durch Joachim Westphalum und M. Cyriacum
Spangenberg.
Es ist ein altes SprichAvort: dass das gute Beine sein
miissen, die gute Tage ertragen können. Denn wenn dem
Esel zu -svohl ist, geht er auf's Eis tanzen. So gehet es auch
mit den Menschen. Bei uns stolziert nun auch der Hoffiirts-
teufel, der aus AVelschland und Frankreich zu uns heriiberge-
kommen ist. Es kommt aber der Hoffartsteufel nicht allein
und nicht verborgen, sondern lässt sich mit seinen AVerken
sehen. Diese sind Verachtung, Verfolgung und Misbrauch
des göttlichen "Worts, Eigennutz, "Wucher, Geiz, Hader, Krieg
und Mord. Darauf ist Gottes ernstliche Strafe zu erwarten.
Der Hoffartsteufel ist ein stolzer höhnischer Geist, der alles
leicht verspottet. Definition des Stolzes; — vom geistlichen und
weltlichen Stolz. — Aller Stolz und alle Hoffiirt kommt ur-
sprünglich vom Teufel, der selbst aus Hofiart gefallen ist, und
als er sich über und wider den Sohn Gottes erhoben hat, aus
dem Himmel gestossen worden ist. Nachdem der Satan die
Hoffart den ersten Aelteru eingeträufelt hat, sind wir darin
empfangen und geboren und wird uns in der Geburt angeerbt,
daher sich die Hofiart in allen Menschen regt. Es ist aber
Schande dem Teufel als dem Feinde Gottes und Stifter alles
Bösen zu folgen, daher man den Stolz meiden soll, und auch,
weil aus dem Stolze viele andere Siinden und Laster entstehen.
Diese führt der Verfasser als Aeste und Zvveioe an, die aus
dem Baume „Hoffart" hervor wachsen. Der Stolz ist ferner
zu meiden, weil ihn Gott hasst, daher er in der Heiligen Schrift
mit vielen hässlichen Namen belegt wird. Der Verfasser führt
eine Eeihe von Wahrzeichen der Hoffart an und erörtert na-
mentlich die verschwenderische Kleiderpracht, sowol der Män-
ner als der Weiber, das Schminken, er spricht von der leicht-
fertigen „Vnbesteudigkeyt der Kleidung" u. dgl. m. Weil die
Hoffart und der Stolz ein Gift des Teufels ist, womit er die
Menschen vergiftet und zum ewigen Tod führt, ist es nöthig
eine Arznei dagegen zu suchen, diese ist; der Herr Jesus
412 Vierler Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Christ durch den Mund des Glaubensgenossen, Demuth, die
Erinnerung an die Kürze des Lebens etc.
XVII.
Vom zuhiderten, zucht vnd ehrerwegenen, pluderichtcn Hosenteuffel, Ver-
nianung vnd Warnung. Durch D. Andream Musculum.
Der Si\nde Sold ist nicht allein der Tod, sondern alles
Ungliick iiberhaupt, und Gott lässt neben der Sünde auch
seinen Zorn und seine Strafe wachsen. In der letzten Zeit ist
die Siinde aufs höchste gestiegen und darum auch das allge-
meine Elend. Der Verfasser findet es nöthig, die Ursache
aufzudecken, und beschränkt sich allein auf den „Hosenteufel",
der sich in seinen Tagen erst aus der Hölle begeben, luid den
jungen Gesellen in die Hosen gefahren ist. Die Pluderhosen
geben Anlass zur Unkeuschheit, und sind gegen Gottes Ord-
nung, sind gegen die heilige Taufe, wider das vierte Gebot,
wider Gebrauch und Recht aller Völker auf Erden, wider un-
sere Religion, wider das Ebenbild Gottes, danach der Mensch
geschaffen ist, wider die Wolfahrt der deutschen Nation.
XVIII.
Der Spielteufel. Durch H. Eustachium Schilde.
Ist „ein gemein ausschreiben", das die Spieler Briidcr-
schaft ergehen lässt. Der Spielteufel, der sie beschützt
und vom Fürsten dieser Welt ausgesandt worden, ist ihr
Abgott, und werden durch das Ausschreiben diejenigen auf-
gefordert, die sich unter seinem Schutze in den Orden auf-
nehmen lassen wollen. Das wüste Leben der Spieler wird
geschildert; ihr Oberster ist „der Spielteufel", zu dem sich
der „Frass- vuid Saufteufel" gesellt, und auch der „Possen-
reisser und Lachteufel" bleibt nicht aus, und heimlich schleicht
der „Sauwrteuffel" herbei, wenn sie verspielen, dazu konunt
der „Haderteufel", „der Schwerenteuffel", der zum Schwören
anreizt, „der Nächtteuffel", der nicht zur rechten Zeit heim-
gehen lässt; „der Lügenteufel", zuletzt „der grobe Vnflat",
der das Spiel zerstört.
XIX.
Der Hoftcuftcl. Das sechste Kapitel Daniclis, den Gottesfürchtigen zu
trost, den Gottlosen zur Warnung, Spielwciss gestcllot, vnd in Reimen
verfasset, durch Joh. Chryseum.
Nach damaligem Brauche der Dramendichter schickt der
1. Luthers Glaube an den Teufel. 413
Verfasser seinem fünfactigen Drama eine Vorrede voraus, wo-
rin er den Inhalt sowol als auch woher er diesen entlehnt
hat, anzeigt.
Vud ist der Titel darumb worden genannt
Hofteuffel, dieweil hie wirt erkannt,
Auss Daniel was macht vus krafft
Der Teuffl zu weiln zu Hof auch hat.
Weil es denn zwar thut fehlen nicht
Zu vnsern Zeiten ist diess Geschieht,
In Rlieim verfasst, Spielweiss gemacht,
Den frommen Leutn zu trost erdacht.
Er schliesst seinen Prolog mit dem üblichen Zuruf an die
Zuschauer:
Jetzt wollt still sein Tud hören an,
Was disr wil bringen auff die ban.
Personen :
Darius, der König. Hanania, ,
Josaphat, der Kantzier. Misael, ( Daniels Freunde.
Aspennas, Kämmerer. Asaria, )
Heroldt. Hofteuffel.
Zwei Trabanten. Oncogenes, ein Cardinal.
Lakay. Licinius, ein gewaltiger Fürst.
Henger oder Profoss. Cambyses, ein Fürst.
Narr. Pyromachus, ein Bischoff.
Daniel. Hybristes, Pyromachi Diener.
Sibilla, Daniels Weib. Blepsidemus, ein Kundschaffter.
Balomon, \ Dystyges, | zween bedrängte
Joseph, [ Daniels Kinder. Baripemon, \ Menner.
Ben Jamin, '
Der Anachronismus, der aus der Personenliste in die
xVugen springt, wonach am Hofe des Königs Darius ein römisch-
katholischer Cardinal und ein Bischof erscheinen, ist weniger
als poetische Licenz, sondern vielmehr aus der Tendenz des
protestantischen Verfassers zu erklären, und zeigt sich diese
im Verlaufe des Stücks aus deren Zusammenwirken mit dem
Hofteufel.
Im ersten Act tritt Blepsidemus auf mit der Bemerkung,
dass in der jetzigen Zeit Lug und Trug im Schwange seien,
nicht nur unter den gemeinen Leuten, sondern noch mehr bei
den grossen Herrn
Bey Bischöflen und Cardinäln,
Die vns der Römisch Hof thut wehin.
414 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Sie wüllen.s wol uioht fierne hau,
Das man viel sagn thu davon.
Er habe neulich zwei Männer belauscht und sei dahinter
gekommen, dass gegen Daniel, obschon er ein redlicher Mann,
im Geheimen Ränke geschmiedet Avürden, lun ihn um die Gunst
des Königs und das ihm A'crliehene Amt zu bringen, und dabei
sei wunderlich, dass dieselben Ränkeschmiede
Sie jm soind vutr angn so gut,
Ihr keinr für jbm der gleicbeu tliut,
Ist als lieber Oheim, Vetter vnd Freund,
Vnd seind jm doch im licrtzcu feiud.
Die Freunde Daniel's, Hanania und Misael, kommen erfreut
mit der Neuigkeit:
Wie das der König wüU bestellu,
Zu einem Statthalter den Danielu,
All Vogt vnd Fürsten in gemein,
Die solin jm vnderthenig sein.
Nun begreift Blcpsidemus die Ursache der Schelsucht
jener zwei grossen Herren gegen Daniel und theilt dessen
Freunden seine Erfahrung mit, mit der Aufforderung, die zwei
Belauschten zu errathen. Worauf Hanania:
Gut Römisch sinds das merck ich wol,
Ich glaub Cambjses sei der ein,
Der ander wirt Chereljcus sein.
Misael räth auf Lianius und Achocolas. Blephidemus
wundert sich, dass beide fehlrathen, und entwirft nun eine
Schilderung der zwei geheimen Feinde Daniel's als Heuchler
und Wolliistlinge, wovon dereine „ein geistlich Mann", nennt
aber nicht ihre Namen. Hanania und Misael hoffen, dass Gott
dem Daniel helfen werde, und Blepsidemus empfiehlt ihnen,
auf der Hut zu sein und diese auch dem Daniel anzurathen.
Misael und Hanania wollen um so inbrünstiger zu Gott flehen
Dass er zurück jr anschleg treib.
Der König in seim fürsatz bleib,
Und wöllu jetzt von stunden au,
Zu Daniel als bald hingan,
Im anzuzeigen, wie es sey gestalt.
Den zweiten Act eröffnet der Auftritt des Hofteufels mit
der Erörterung seines Charakters.
„Wie seit jr so? vielleicht nicht wist,
Was mein gevverb vnd namen ist,
Der Hofteuffel so bin ich genannt,
Vnd komm jetzt her aus Perserland,
1. Luther's Glaube an den Teufel. 415
Wil ich auch weiter anzeigen dabey,
Was mein gewerb zu Hofe sey.
All Vnglück rieht ich da au,
Wo ichs zu wegn uur bringen kau.
Zum ersten so rieht ichs dahiu,
Wie ich denn dess ein Meister bin,
Das König, Fürsten sicher lehn,
Aufi" Gottes Wort vnd straif nichts gebn,
Darnach so schick ichs wie ich kau,
Das sies für Ketzerey auch hau.
So ichs dahin nur hab gebracht,
Meiner sach ist schon ein grund gemacht.
Darnach so thu ichs weiter treibn.
Das keiner thu mit dem andern bleibn
Zu lang in frid vnd einigkeit.
Ob es gleich kost jr Land vnd Leut,
Mein lust vnd freud hab ich daran,
Hetz nur zu hauff, nur wo ich kan.
Gieng es recht zu es wer mir leid,
Abr wie gesagt, ist das mein freid.
Wenn ichs fein in ander meng,
Diss nach der zwerch, Jens nach der leng,
Indess vergessen sie fein Gott,
Wer sie wolt straffn, müsst sein bald tod,
Ist als für mich vnd dünkt mich gut,
Wenn man die hend fein wescht in Blut.
Wil jemand mir entgegen sein,
Nicht leben nach dem willen mein.
Ich jm an all hertzen plag,
Lass jm zu Hof kein guten tag.
Er sey gleich Amptmann oder Rath,
Kein frid, kein rhu er für mir hat u. s. f.
Ja so ich euch alls sagen sol.
Eins halben jars bedürfft ich wol,
Ich hab auch hie nicht lang zu stan.
Das ist aber doch die Summ davon.
Was jetzt auch mein gewerbe ist,
Solt jr erfahru in kurzer frist,
Werd sehn was ich vermag vnd kau,
Wider die so mir entgegen stan,
Wil jn erzeigen mein gnad vnd gunst,
Hab mich jetzt warlich nicht vmbsunst,
Verkleidet in mein Münches kapn,
Hat ofl't gemacht gross Herrn zu lapn,
Weil maus für grosse Heiligkeit
Gehalten hat, einr schwur eyd,
41G Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Ich ^ver doch ein gantz iVommer Mann,
Keiur kennt mich nicht, er schaw denn au
Mein füss, bin doch recht fein bekleidt,
Wiewol es bringen sei gross leidt
Dem Daniel, ist mir gewesn
Sehi" schedlich, sol nicht lenger gnesn,
Er hat mir abgewandt gar viel,
Seins bluts ich mich ergetzen wil,
Bin zorus voll, hab schaden erlittn
In Persien, da ich gestrittn
Jetzt hab mit Gabriel, möcht wol
Vor zorn zuspringen, Doch keiner sol
Verzagen drumb so gar vud gantz,
Ob er einmal versieht die schantz,
Hah ich nun gleich jetzund verlorn,
Gilt wider gelten, wil meinen zorn
Am Daniel auslassen frey,
Was gilts? Wer sind aber jene drey?
Ist nichts für mich, muss gehn, hab zeit,
Denn mir an jener sach viel leidt.
Assaria, Hanania und Misael treten auf, sie finden es
erklärlich, wenn dem Daniel an einem so schweren Regie-
rungsamte nichts gelegen sei in dieser Zeit, namentlich wie
Hanania sagt:
Voraus wenn man Avill greiften an
Die grossen Herrn die recht wölln han.
Als Bischöff, Cardinal der gleich,
Die höhen grossen Füi'stn im Reuch u. s. w.
Darum f iigt Misael hinzu, sage Daniel selbst, er wollte seines
jetzigen Amtes gern ledig werden und es einem andern gönnen,
Denn Herrn gunst wert nicht allzeit.
Der grösste lohn ist hass und neid,
Solchs er bey jm betrachtet hat.
Er weiss was danks ein frommer Raht
Zu Hof erlaugt mit fleiss vud trew,
Ist wunder nicht, hat er gleich schew.
Ihre Unterredung schliessen sie mit der frommen Hoflfnung:
Doch ist wii'derumb auch offenbar
Das Gott die frommen helt in hut.
Ihn widr die bösen beystaud thut u. s. f.
Und Misael:
Er wirt es also zum besten kern
Er weiss wol mittel weg vnd mass.
Das er kau stewern des Neidhardts hass,
Vnd sie selbst in die Gruben feit,
Die sie eim andern haben bestelt.
1, Luther's Glaube an den Teufel. 417
Drumb lass nur Gott die sach heim stelln,
Wirts besser machen, denn wir selbst wölln.
Dystyges, der mit Parii^emon und Blepsidemus kommt,
klagt diesem, dass er nicht zu seinem Rechte kommen könne,
da beim Kammergericht „so grosse Schalk vud Buben weren",
sein Anwalt, der „Zungendreschr" habe ihn ganz ausgesogen,
und nun, da er nichts mehr hat, werde er von jenem in der
grössten Noth stecken gelassen. Blepsidemus räth ihm, nicht
zu verzweifeln , dieser wünscht aber nur Rache zu nehmen.
Paripemon hingegen, der mit seinem Edelmann in Hader ge-
rathen , welcher ihn mit Fron und Zinsen bedrückte aus Hass,
weil er ihn wogen eines weggenommenen Grenzzeichens ver-
klagt hatte, erzählt, dass er mit Hülfe eines gelehrten Rechts-
freundes seinen Handel gewonnen habe. Hierauf gibt Blepsi-
demus dem Dystyges den Rath, sich schriftlich an den König
selbst zu wenden, und weist ihn deshalb an einen frommen
Mann. Blepsidemus, der allein zurückbleibt, stellt Betrach-
tungen an über die Herrschaft des Geldes in der Welt und
das Trachten danach, nicht nur unter dem Hofgesinde, son-
dern im ganzen Lande, bei allen Ständen.
Die Pfaften werden auch aufFtreibn
Ein feines Spiel mit jrn Gesellu,
Darumb muss ich gehn Danielu,
Gewarnen doch zu dieser Frist,
Das er sich hüt für jrem list.
Im dritten Act tritt Misael auf, dem Herrn dankend:
Dieweil mii- Gott aus seinr Gnad
Mit grossem Ernst befohlen hat,
Jetzt seinem Volck beystand zu thun,
Wil ichs mit frewdn aussriehtn nun,
Den Daniel wil ich auch wol
Errettn, das jm nicht schaden sol
Dess Teuifels vnd aller Pfaffen list,
Auch nicht das gantz Römisch genist.
Er will ihn mit Gottes Hülfe bewahren, obschon seine
Feinde auf Teufels Rath ihm nach Leib und Leben trachten.
Daniel werde zwar viel leiden müssen, da aber Gott die Sei-
nen auf Erden lieb hat, so mag ihm der Teufel und die Welt
zürnen, zuletzt werde er doch den Sieg behalten. Da die
Feinde Daniel's eilen, könne er (Misael) auch nicht länger
verziehen.
Roskoff, Geschichte des Teufels. U. 27
418 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
In der zweiten Scene treten auf Oncogenes, Pyroniachus,
Hofteufel, Cambyses und Ilybristes. Nach der Aufforderung :
Ach lieber Vater raht auch zu,
Wie man die sach fiu'nemen thu
sagt Hofteufel: Ir seht ich bin ein Klostermanu,
Ein schlechten Verstand derhalben ich hau,
!Meins betens ich am meisten wart,
In meinen Orden streng vnd hart,
Zu solcher sach einfeltig bin.
Pyromachus ist für summarisches Verfahren:
Habs vor gesagt, sags jetzund auch,
Man schicksse flugs gen Himmel im i'aucli,
Schiess, sclüag in sie, würg jiumer todt
Beid ju vnd auch sein gantze Rot.
Cambyses findet den Rath zwar gut, aber gefährlich, wo-
gegen Plofteufel:
Ein thewrer Held ein trefflich Mann.
Cambyses meint die Gunst des Königs dazu erforderlich,
Pyromachus aber:
Er ist im Baun ich acht nicht viel
Was sey des Königs gunst vnd wil
Und weim vns das nicht gehn wil fort,
Thu man bestelln am heiudich ort
Gut Büchsenschützen die hurtig seind
Obs jn glück das sie den Feind
Heimlich erschlichen vnd vbereilen
Jm bald ein glüt zwey drey mittheilen.
Oncogenes macht auf die Gefahr von Daniel's Einfluss
aufmerksam :
Er würd in kürtz gewiss verführn
Land Leut zu seiner schwermerey,
daher alles aufzubieten, ihn zvi beseitigen, sonst fürchtet er
keine Gefahr:
Seht au ich bin ein Erblegat,
Ein Cardinal vnd Fürst dabey,
Hab guter Bisthumb auch wol drey,
Wer hat also erhoben mich?
Pamachus ^ allein sag ich
Kann euch auch gebn des Königs Krön,
Es hats vor offt den sein gethan.
Denn die bey jm stets halten fest,
Fürwar er sies geniessen lest.
^ Der Papst.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 419
Pyromachus findet dies auf seiner Bahn, und Hofteufel:
Ich hab auch selbst gefallen dran.
Cambyses erklärt sich nun bereit mitzuhelfen, nur fragt
er nach der Weise der Durchführung des Plans. Oncogenes
Avill dem König zunächst einreden, dass er dem Daniel seine
Gnade entziehe, weil er das Kammergericht für parteiisch erklärt
und die Klostergüter anders als bisher verwende. Oncogenes
will den Daniel in Verdacht ziehen, dass er die königliche
Gewalt schmähe, und Pyromachus will ihn als Priedensbrecher
vuid Ketzer dem Könige darstellen und meint:
Es sey mit ehren oder nicht,
Wenn er nur bald würd hiugericht.
Hofteufel gibt nun auch seinen Rath, wodiu'ch Daniel zu
stürzen sei:
Wie meint jr, ob das best würd sein?
Wenn mau ein bad jm heitzet ein
Ob seinem Glauben denn er helt
Widr Yus, ja widr die ganze W^elt?
Oncogenes findet den Griff sehr fein, und Hofteufel meint,
man könnte den König selbst dahin bringen, dem Daniel das
Leben nehmen zu lassen, nur
Müsst mans dermasseu greüFen an
Damits der König thets verstau
Als sucht jr sein ehr gleich
Zu nutz vnd wolfahrt seinem Reich
und müssten auch die Räthe und Amtleute dafür gewonnen
werden. Ist dies geschehen, dann sollten sie den König dahin
bringen
Das ein befehl würd gehn zur Handt
Und wird gestelt ein streng Gebot:
Das wer von Menschen oder Gott
In dreissyg tagn was würd begern
(On jn allein) Das der sol werdu
Zu Löwen in den graben hin
Alsbald geworfFn, bit auch jn
Sagt solchs geschech zu seinen ehrn.
Das Verbot müsste mit der königlichen Unterschrift ver-
sehen werden, und dabei
Muss man drauff geben gute acht
Ob man jn (den Daniel) erschleichen könd
Vnd in seim Hauss sonst betend fünd, —
dann würde ihn der König „nicht ledig lassn, ob er auch
wolt er muss daran", weil jeder sterben, muss, welcher der
27*
420 Vierter Abschnitt: Fortsetzung äer Geschichte des Teufels.
Meder oder Perser Recht übertritt. Alle sind über diesen
Rath hoch erfreut, und Oncogenes:
Ach Vater jr müsset mit vns uch gau.
Hofteutel : Mein Horas noch zu beten han.
Oncogenes versiDricht, ihn davon zu absolviren, und nach
einigem Sperren ist Hofteufel bereit mitzuhelfen. Inzwischen
kommt Hybristes mit der Meldung, dass bei Hofe ein GerVicht
von etlichen Ketzern herumgehe, worauf alle voll Hoffnung
des Gelingens abtreten. Dystyges, der auftritt und den Hof-
teufel gesehen hat, ist befremdet:
Sieh da ein Münch ein seltzam thier,
Stehn mir die har gen berg doch schier,
Wie seltzam füsse hat denn er,
Gleich schier als er ein Greiffe wer,
Wenn er mir kem im Wald allein,
Glaubt frey es müsst der Teuffei seyn. —
Dystyges ist aber sehr froh, denn er hat ein königliches
Schreiben in der Hand, worauf er sein verlorenes Gut wieder
erhalten soll.
Vierter Act. Hofteufel allein äussert in einem Monologe
seine Freude darüber, dass er hier für seine Plane so feine
Leute gefunden, die ihn an Bosheit übertreffen, und hofft, dass
Beizebub, der dem Pomachius drei Kronen gegeben, ihm für
sein Bemühen, wenn nicht drei, doch wenigstens eine Krone
schenken werde. Hierauf kommen: Oncogenes, Darius, Josa-
phat, Cambyses, der Herold, Licinius, Pyromachus. Darius
begrüsst den Hofteufel, der Herold gebietet auf des Darius
Geheiss allen zu schweigen, und Josaphat verkündet das strenge
Verbot des Betens unter Strafe der Lowengrube. Darius ladet
hierauf den Licinius und Cambyses ein, mit „Ein abentrunck
thun", welche ihm folgen.
Pyromachus, der Hofteufel, Oncogenes, Archocolax und
Hybristes sind in der Scene. Der Hofteufel will auf die Lauer
gehen, um den Daniel beim Gebete zu betreffen, und nimmt
den Hybristes mit, dass dieser Kundschaft darüber zurück-
bringe, worüber Archocolax freudig ausruft:
Wenn jetzt Pomachius nicht Aver
So wer kein billichr Bapst denu der.
Hybristes kommt zurück und ruft die Anwesenden eilig ab.
Es treten auf Hanania, Asaria, Misael, die trotz dem
1. Luther's Glaube an den Teufel. 421
Verbote sich nicht wollen abhalten lassen ihrem Gotte zu die-
nen im Gebete und Asaria bemerkt:
Aber das glaub ich wol dabey
Dass solchs der Götzendiener triebe sey.
und Hanania : Jr werds ei'fahrn was darft" es viel
Vbr VHS ist angericht das Spiel.
Hierauf erscheint Hofteufel mit Oncogenes und Pyroma-
chus mit der Nachricht:
Es hat geglückt, nun flugs von stund
Thut solchs dem König jetzund kund.
Er will aber dabei nicht als Anzettler genannt sein. On-
cogenes „wils mercken, wol ausrichten fein", in der Hoffnung,
dass es Daniel's letzten Tag gelte, worauf sie abgehen. Hana-
nia sieht den „fein Gesellen" nach und will es Daniern mit-
theilen. Dieser tritt auf, wird iiber das Mandat von seinen
Freunden unterrichtet, er durchsieht das Complot gegen ihn:
Bey mir ichs auch beschlossen hau,
Der König hat's auch nicht erdacht,
Es habens die Gottlosn Leut gemacht.
Er erzählt, dass er bei offenem Fenster im Sommerhause
sein Gebet verrichtend belauscht worden sei.
Ich hab gebett ich leugn es nicht
Und wenn ich jetzt seit werdn gericht.
Eh ich Gotts ehr wolt vnderlan
Wolt tausend Hälss ehe setzen dran.
Ein Lakai tritt auf und ruft Daniel, sofort zum König zu
kommen. Asaria und Hanania gehen mit.
Neue Scene. Darius, Oncogenes, Herold, Narr, Hofteufel.
Die Vorigen. Der Herold gebietet Stillschweigen, Oncogenes
klagt nun den Daniel an, das Verbot iibertreten zu haben, und
motivirt seine Anklage:
WeiLs euch, dem Reich zu nachtheil reichen wil
Sonst hetten wir hertzlich gern geschwiegen still
Ohn Zweiffei ewr königliche Majestät
Wirts straffen lassen, wie mit bringt euwr Mandat.
Worauf der Narr:
Wenn du nit lögsst, so werst ein feiner Mann.
Nachdem Darius gehofft „der Daniel hats nicht gethan",
und Oncogenes als Augenzeuge aufgetreten, legt Daniel offe-
nes Bekenntniss ab:
Ich weyss ewr Majestät hat mich erkannt
Dermass, dass ich meins Diensts noch hab kein schand.
422 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Mein glaubn bekenn abr ich, geh wie es geh,
Bin hie Herr König, in ewr hand ich steh.
Darius sucht die That des Daniel zu entschuldigen, dass
sie nicht aus Verachtung begangen worden, wird aber von
dessen Feinden gedrängt, und
will ein klein Bedenken han.
In der nächsten Scene: Sybilla, Ben Jamin, Salomon,
Blepsidemus klagen gegenseitig über die grosse Gefahr Da-
niel's, dessen Weib Sybilla verweist sie auf Gottes Hülfe und
Blepsidemus sucht auch zu trösten.
Es kommen Darius, Hofteufel, Henker, Hanania und die
übrigen Personen des Stücks. Der König wirft dem Daniel
die Uebertretung des Mandats vor und will ihm die Strafe
des Gefängnisses dictiren, Oncogenes erinnert aber an die
amtlich angedrohte Löwengrube, der König weigert sich län-
gere Zeit, muss aber endlich den Drängern nachgeben:
Mein Daniel, du siehsts, du hast gehört
Das ich dir nimmer weiter helfen kan,
Ich bit dich drumb, wolst mich entschuldigt han.
Der Henker bemächtigt sich endlich DanieFs, der noch
von seinem Weibe und seinen Kindern rührenden Abschied
nimmt, seine Freunde sprechen ihm Muth zu, er befiehlt seinen
Geist Gott, seine Gegner frohlocken.
Oncogenes: Wir sind sein los, dess ich sehr frölich bin.
Hanania betet zu dem treuen Gott um Hülfe.
Fünfter Act.
Hofteufel: Bey Sathan ich het schier geschlafin
Zu lang, daz hettn gemacht mein Aflfh.
Er hätte es kaum gedacht, dass ihm sein Plan so leicht
zum Ausführen geworden, indess seien ihm aber auch tüchtige
Helfershelfer zur Seite gestanden.
Die nichts so sehr auflf dieser erdn
Als vnsers Reichs nutz begeru.
Er habe diese Nacht an ihren Ausschweifungen seine
Freude gehabt. Er sei zwar sonst nicht gewohnt, so lange zu
schlafen, wie diesen Morgen, indess der gute Erfolg seines Un-
ternehmens könne ihn trösten, und er hoffe dafür eine schöne
Krone als Belohnung von Beizebub. Nun sieht er nach der
Löwengrube um die Lust zu haben
Wenn jetzt die Löwen strotzen fein
Vom Fleisch des Wiedersachers mein.
1. Luther's Glaulje an den Teufel. 423
Allein Daniel ist noch am Leben, die Löwen liegen wie
Hiindleiu bei ihm. Er berent, dass er so lange geschlafen,
und will nun selbst dem Daniel den Hals brechen, da bemerkt
er aber einen Engel an dessen Seite. Er gibt nun sein Spiel auf
und fiirchtet sich auf das höllische Feuer, das ihm zum Lohn
dafiir, dass er verschlafen habe, von Beizebub zutheil werden
wird. Er beschuldigt die Pfafi'en, will dem Belzcbub nicht
vor die Augen kommen, bevor er nicht ein grosses Unglück
angerichtet
Mein Pfafln soUns iun werden wol,
Sie kommen auch, von hin ich trol.
Oncogenes, Pyromachus, Hybristes treten auf, sie sprechen
iiber ihre beiderseitige Trunkenheit der vorigen Nacht, sie
wollen zum König gehen, wie sie verabredet, wundern sich,
dass „der Münch" (Hofteufel) noch nicht da ist. Hybristes
hat ihn schon gesucht, und da er ihn in keinem Winkel ge-
funden, besorgt er, dass er ins Wasser gefallen sei. Pyromachus:
Die Velteussucht müsst schlagen darein
Wenn mir der Münch jetzund wer tod,
Viel lieber wer mir im Himmel Gott
Frey selbst zu dieser Zeit gestorbn
Denn wenn der Münch sol sein verdorbn.
Sie wollen zu Hofe gehen, um den König zu veranlassen,
einen von ihnen zum Statthalter einzusetzen, wo sie dann im
Bunde miteinander die Freunde Daniel's ausrotten werden
INIit Weib vnd Kindt mit wurtz vnnd grund.
Hanania, Misael, Asaria treten auf, und Asaria ärgerlich:
Das diese Buben vns von stundt
Zu äugen kommen also schnei,
Dagegen müssn wir dess Daniel
Entbern, das Gott geklagt muss sein.
Misael hofft auf Gottes Gerechtigkeit. Asaria möchte
wissen, wie es um Daniel steht und hoift auf Gottes Beistand.
Misael erzählt seinen Traum, in welchem die Rettung Daniel's
angedeutet ist. Hanania wünscht der Angelegenheit einen
glücklichen Ausgang. Es kommt der König.
Darius, Pyromachus, Oncogenes, Cambyses und alle übri-
gen Personen. Die Vorigen.
Darius klagt, dass er weder essen noch schlafen könne
vor Betrübniss iiber seinen treuen Daniel ; Josaphat, der Kanz-
ler, der sein Freund gewesen, beklagt auch seinen Verlust.
424 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Der König hofft, dass DanieFs Gott diesen gerettet haben
könne, und will dann dessen Anbetung proclamiren lassen.
Bevor Josaphat die Thüre zur Löwengrube aufmacht, möge
er horchen, ob man Daniel hören könne.
Pyromachus: Glaub das der König gar thöricht sei.
Dieser ruft Daniel an, ob er durch seinen Gott errettet
worden.
Daniel : Herr König Gott frist ewr leben lanck
Ich sag mein Gott ehr lob vnd danck,
Ich hab mein leben zu diser stund
Bin auch noch frisch vnd gantz gesund.
Pyromachus meint, der König soll den Bösewicht todt-
schlagen lassen, jener lässt aber die Thüre öffnen, Darius freut
sich über die Erhaltung seines Freundes, Misael erinnert sich
an seinen Traum, Daniel erzählt, wie ihm Gott einen Engel
zur Rettung geschickt. Darius befiehlt, die Ankläger DanieFs
zu ergreifen.
Pyromachus: Botz wunden das Schwert ich in dich stich,
Darius: Schlagt jhn zu Boden wehrt er sich.
Trabant 1 : Hab ich dir nun erwehrt dass stechen ?
Pyromachus: Ach dass ich mich an dir solt rechen.
Oncogenes: Legst hand an mich du bist im Bann.
Darius: Lasst kein davon, das wil ich han.
Oncogenes: Weist nicht? ich bin ein Cardinal!
Trabant 2: Wie sagst? dess Teufels Official?
Sie werden gebunden, trotzdem dass Oncogenes mit Pama-
chius droht. Die Freunde DanieFs begrüssen diesen, Daniel
verlangt nach seinem "VVeibe inid seinen Kindern, nach denen
der König den Blepsidemus absendet. Der König befiehlt dem
Kanzler ein Edict ergehen zu lassen, womit das geschehene
Wunder verkündet und die Anbetung des Gottes DanieFs an-
befohlen werden soll. Daniel wird mit King und Purpur als
Statthalter des Keichs geziert, worüber Oncogenes und Pyro-
machus ihren Verdruss äussern. Sybilla kommt mit ihren
Söhnen freudig herbeigeeilt, und Darius verspricht ihnen Rache
für die erlittene Angst: die Feinde DanieFs werden nun selbst
zur Löwengrube verurtheilt. Worauf
Oncogenes: Du Gottlosr Ketzr, du bist im Bann,
Darius: Auss ewrem Bann mir helflfeu wil. •
Cambyses: Wo ist der Münch? der vns diss Spil
1. Luther's Glaube an den Teufel. 425
Hat zugerieht mit seinem Eaht?
Der Teuffei jn her geschicket hat.
Pyromachus: Wil denn kein Mensch mehr helffen mir
Komb Teuffei hilff, ich geb mich dir.
Darius befiehlt, die Verbrecher in die Löwengrube zu wer-
fen und mit ihren Familien dasselbe zu thun.
Blepsidemus: Die Bein sie auch zumalmen gar
Sie sind dahin mit haut vnd har,
Odr übs der Teuffei hinweg selbst hat,
Dieweil jn jenr vmb hülff jetzt bat
Zuvor Ichs nicht gesehen han,
Scheint wol dass vnrecht habn gethan.
Der König ladet Daniel mit Weib und Kindern ein, heute
fröhlich und guter Dinge mit ihm zu sein.
Blepsidemus ; Sih wol sie wölln hinein jetzt gan,
Von euch will auch vi-laub han,
Hut evch, verfolgt nicht fromme Leut
Jr seht gar bösen lohn es geut.
Folgt der „Beschluss", wo in iiblicher Weise die Moral
des Stücks den Zuschauern zu Gemiithe geführt wird.
XX.
Der Pestilenz -Teuffei, durch Hermannum Straccum, Pfarrherrn zu Chris-
tenberg.
In der Vorrede, worin der Verfasser „diese seine colli-
gierte Predigt" „der Durchleuchtigen Hochgebornen Frauwen,
Frauwen Heidwigen, geborne Hertzogin von Wirtenberg, Land-
gräffin zu Hessen" widmet, wird der Ausspruch der alten
Lehrer erwähnt, wonach die Seuche „Deber vnd Chereb zweyer
TeufFel Namen seyn sollen", welche die Mensehen umbringen.
Als Prediger fühlt sich der Verfasser berufen, da „die Pesti-
lentz allbereit angegangen", Trost und Lehre als göttliche
Arznei zu bieten. Es folgt nach der Vorrede eine Reihe von
Sprüchen aus dem Alten und Neuen Testament und hierauf die
Predigt. Obwol die Aerzte natürliche Ursachen der Seuche ange-
ben, müssen sie doch bekennen, dass Gott solche Plage „durch die
mördischen vnd hellischen Geister in die weit ausstrewc." Der
Teufel ist ein giftiger Wurm, und wenn ihm Gott Kaum lässt
und erlaubt Schaden zu thun, so haucht er giftige Winde aus
und Menschen und Thiere ziehen das Gift in sich. Man soll
bei der Seuche nicht allein an natürliche Ursachen denken,
sondern Gottes Zorn und des Teufels Hass und Bosheit darin
426 Vierter Absclinitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
erkennen, wie durch mehrere Beispiele aus der Bibel vuid der
Geschichte gezeigt wird. Die Pestilenz ist eine Strafe der
Simde, die auch die Frommen hinwegrafft. Sünde muss ge-
straft werden. Aesculap und andere Heiden konnten in solchen
Zeiten nicht helfen, es muss also ein Herz mit Johannis und
Christi starkem Glauben mit ernstem Gebet sich verwahren.
Man kann verständige Aerzte zu Rathe ziehen, soll aber sein
Vertrauen nicht auf Menschen und Ajootheken, sondern auf
Gott setzen. Man soll die Wohnung rein halten, wende
Räucherwerk an, wozu die Ingredienzien angegeben werden;
Aver ohne Hauswesen und Amt der Seuche entflieht, dem ist
es nicht zu verargen, denn man soll sich nicht freventlich der
Gefahr aussetzen. Etwas anderes ist's , wer von Amts wegen
oder aus Freundschaft zur Hülfe bereit ist. Keine Sünde wird
vergeben und keine Strafe kann aufhören, es muss denn die
Sünde mit reuigem Herzen erkannt, von ihr abgestanden und
Gott durch den Glauben an Jesum Christum um Vergebung
der Sünde und Nachlassung der Strafe gebeten werden. Die-
sen Arzt muss man aber zur rechten Zeit suchen und nicht
erst am Ende, wo kein Ratli und keine Hülfe mehr vorhanden
ist. Die Leute sollen solange sie noch gesund und vernünf-
tig sind, Busse thun, sich zur Versöhnung mit Gott und den
Nächsten durch den Gebrauch der heihgen Sakramente an-
schicken. Es gibt einen Beruf, der heisst: vocatio charitatis
oder sanguinis, wo ein Freund den andern in solchen Leibes-
nöthen trotz Gefahr nicht verlassen wird. Gott kann und
will solche schützen.- Mau mag auch ohne Verletzung des
Glaubens bei den Kranken Wachskerzen mit Myrrhen und
Weihrauch zur Arznei der Umstehenden anzünden, denn auch
der Christ kann vernünftige Vorkehrungen treffen. Wenn
man Busse gethan, zu Gott durch Christum geflohen ist, diesen
in wahrem Ernst und Demuth angerufen hat, soll sich jeder
so viel als möglich mit Arzneien versorgen, damit er nicht
muthwilligerweise Schaden leide oder andern zufüge. Gegen
Ende erwähnt der Verfasser die Praesagia, wodurch die Leute
verzagt gemacht werden, wenn z. B. gesagt wird, dieser und
jener sei am Todtentanz gesehen worden und sei gefallen, u.
dgl. m. Die von der Pestilenz ergriffen sind, sollen sich dem
gnädigen W^illen Gottes ergeben, der ein barmherziger Vater
ist unsers Herrn Erlösers und Mittlers Jesu Christi, und ihm
1. Luther's Glaube an den Teufel. 427
Leib und Seele befehlen, um Geduld und Beständigkeit bitten,
Aerzte berathen und natürliche Mittel anwenden. — Im Schluss-
satze „Von des Lebens erlengerung" meint der Verfasser,
wenn jemand an der Pestilenz stirbt, sei nicht die Krankheit
schuld, als wäre sie so gross gewesen, dass Gott davon
nicht hätte retten können, sondern zu gedenken: „Ira Dei
et justitia Dei adversus peccata et incredulitatem". Gott be-
stimmt die Zeit des Lebens, wie er „auss sonderlichen
Göttlichen Gnaden den Gottseligen Frommen solche jre zeit
erstrecket, die zeit der Gottlosen nach seiner Gerechtigkeit
verkürtzet. . . . Wo man Artzney haben kan, sol man solche
gute Gottes Gaben nit verachten oder in wind schlagen, doch
dass einer allzeit die Zuversicht und Haupttrost aufF den einigen
Gott setz". — Schliesslich mehrere Spriiche und Gebete.
Bei diesen, meistens moralischen Tractaten, in deren
Production die protestantischen Schriftsteller sehr fruchtbar
waren, kann dem Leser nicht entgehen, dass bei allem Fest-
halten der Verfasser an der Existenz des Teufels die sinn-
liche Farbe seines persönlichen Daseins unter den protestan-
tischen Händen schon zu verblassen beginnt. Nach dem Vor-
gange Luther's, der den persönlichen Teufel als „gefallenen
Buben" und „Affen Gottes" mit schnöder Verachtung furcht-
los abgefertigt, der „die schändlichen Bilder desselben allzu-
mal aus der Menschen Gedanken und dem falschen Wahn
von Gott" herleitet, und „sein Bild und Contrafeit" im gott-
losen Menschen erblickt; wird er bei den protestantischen
Gelehrten des „Theatrum Diabolorum" schon grossentheils
zum bildlichen Repräsentanten der verkehrten, sittlich-bösen
Neigungen und Laster der Menschen. Obschon die Gemüther
in dieser und nach dieser Zeit die Macht des Teufels mit
Furcht erfüllte, hatte die protestantische Verständigkeit des
16. Jahrhunderts schon den Abstractionsprocess begonnen,
aus welchem der Teufel schliesslich als Abstractum hervor-
gehen sollte.
Der rationalisirende Zug, der in der Anschauungsweise
Luther's und seiner Anhänger unverkennbar hervortritt, bildet
noch keine continuirliche Linie, sondern besteht zunächst aus
428 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
unzusammenhängenden Punkten, gleich einem projectirten Eisen-
bahnbaue. Der Zweifel ist zwar angeregt und macht sich nach
einer gewissen Richtung geltend, er tritt aber vor aufgestellten
Autoritäten wieder schüchtern zurück. Daher das schwan-
kende, schaukelnde Wesen zwischen der Gewissheit des eige-
nen Denkens und der unbedingten Annahme des Gegebenen.
Dieses schwankende Wesen musste durch die fixirte Vorstel-
lung einer Erden- und Geisterwelt, zwischen welcher die
Scheidelinie unbestimmt und unbestimmbar war, vermehrt
werden. Allerdings hatte schon der junge Protestantismus
der Macht des Teufels einen ffuten Thcil abgezwackt, denn
viele Erscheinungen, von der mittelalterlichen Kirche dem
Teufel zugeschrieben, wurden von den Protestanten angezwei-
felt, abgelehnt, für betrügerisch erklärt oder auf natiirliche
Ursachen zurückgeführt. Allein wo war die Grenze zu finden
zwischen dem Gebiete des Natürlichen, wo der Mensch das
Gesetz der Causalität erblicken konnte, und dem des Ueber-
natürlichen, wo dieses Gesetz aufgehoben zu sein schien?
Ein Beispiel dieser Unsicherheit und Halbheit liefert das
Buch „De spectris, lemuribus et magnis atque insolitis fra-
goribus variisque praesagitionibus, quae plerumque obitum
hominum, magnas clades etc. praecedunt, liber unus, in tres
partes distributus, omnibus veritati studiosis summe utilis,
aufhöre Ludov. Lavatero. Tigurino, 1570".' Im ersten Theile
verspricht der Verfasser in dem vorangehenden Briefe an
J. Steigerus, zu beweisen, dass es Gespenster und Geister
gebe, die zuweilen den Menschen vorkommen, und dass sich
überhaupt viele wunderbare Dinge ausserhalb der Ordnung
der Natur zutragen. Im zweiten Theile will er zeigen: dass
diese keine Seelen der Verstorbenen, wie gewöhnlich geglaubt
wird, sondern gute oder böse Engel seien oder sonstige ge-
heime und verborgene Wirkungen Gottes; im dritten Theile:
warum Gott bisweilen Gespenster erscheinen lasse und ver-
schiedene Vorzeichen, und wie sich bei derlei Ereignissen zu
benehmen sei. Diesen „dunkeln und verwickelten" Gegen-
stand hofft der Verfasser, gestiitzt auf die Ausspriiche der
Heiligen Schrift, auf die alten Väter, auf erprobte historische
' Ich benutze die Editio quarta prioribus niulto emendatior (Lugd.
Batav. 1687).
1. Luther's Glaube an den Teufel. 429
und andere gute Schriftsteller und auf Erfahrung, so klar
und deutlich zu entwickeln, dass diejenigen, welche die gött-
liche Wahrheit lieben und dei'selben sich befleissen, zur Klar-
heit kommen sollen, was von solchen Erscheinungen zu halten
ist. Allein gleich im zweiten Caput, wo er behauptet, dass
die „Melancholici'-' mancherlei zu sehen und zu hören sich
einbilden, sagt er: Furiosi qui usum rationis penitus ami-
serunt aut permissu Dei a cacodaemone vexantur, mira agunt,
de multis visionibus loquuntur etc. ^ Dieses „aut" lässt uns
ganz ungewiss, wer als furiosus und wer als vom Kakodämon
besessen zu halten sei. In den nächstfolgenden Kapiteln er-
örtert der Verfasser, wie furchtsame Menschen oft Gespenster
zu sehen glauben, ebenso diejenigen, welche am Gesichte oder
Gehöre schwach sind, auch Betrunkene manches zu vernehmen
meinen, w^as nicht existirt, dass ferner oft Betrug und Täu-
schung bei Erscheinungen stattfinde, wobei der Verfasser Bei-
spiele als Belege anführt. Er zeigt '■^, dass viele natürliche
Erscheinungen für Gespenster gehalten werden ; aber bei alle-
dem wird doch wieder durch Geschichten bewiesen, dass bis-
weilen Geister und Gespenster wirklich erscheinen. ^ Da-
gegen findet er „in libris Monachorum multae ridiculae et
fabulosae apparitiones" ■* und behauptet in den gleich darauf-
folgenden Abschnitten, dass die tägliche Erfahrung die Er-
scheinung von Gespenstern beweise, und zwar als Zeichen
eines Todesfalles, oder sie erscheinen auch danach und zwar
bisweilen unter Lärmen und Gepolter.^ Der Verfasser erörtert
die Fragen: wann, wo und wie die Gespenster erscheinen und
was sie bewirken % er lässt uns aber ganz im Stiche, was wir
als Einbildung und was als wirkliches Gespenst zu betrachten
haben. Im zweiten Theile, wo bewiesen werden soll: dass
die Gespenster gute oder böse Geister seien und nicht die
Seelen Abgeschiedener, polemisirt er gegen die Papisten,
welche an letztere glauben und beruft sich auf die Zeugnisse
der Heiligen Schrift, der alten Väter; sucht zu zeigen, dass
es nicht der wirkliche Samuel gewesen sei, der zu Endor er-
schienen. ^ Er findet es ausser Zweifel , dass der Teufel in
Gestalt eines heiligen Menschen erscheinen könne, schwächt
> P. 17. ^ Cap. XI. 3 cap. XII. ■» Cap. XIV. « S. 108.
« Cap. XIX. ' Cap. VU. VIII.
430 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
aber die häufigen Erscheinungen dadurch ab, dass Gott in
den ersten Zeiten oft seine Engel in sichtbarer Form an die
Menschen gesandt habe, was aber nunmehr nicht nothwendig
sei. In der Apostelzeit habe es auch viele Wunder gegeben,
die jetzt aufgehört, da sie zu unserm Heile nicht erforder-
lich seien, denn was wir brauchen, haben wir am A\"orte
Gottes. 1 Zuweilen werden doch böse Engel gesehen, die dem
Menschen feind und beschwerlich sind, ihn vom wahren
Gottesdienst und vom Glauben an den einigen Sohn Gottes
abzubringen suchen. ^ Was bedeutsame Zeichen , Wunder
und derlei betrifft, sagt der Verfasser, wie in Bezug auf
die Gespenstererscheinungen, ganz einfach: (simpliciter dico)
„wenn sie nicht eitle Einbildungen oder natürliche Vorgänge
sind, so sind sie göttliche Ermahnungen, die durch Boten
Gottes, oder auf andere uns unbekannte Weise an uns er-
gehen, damit wir einsehen, dass nichts ohne den Willen Gottes
geschehe, dass Leben und Tod, Friede und Krieg, Wechsel
der Religion, der Reiche und andere Veränderungen in seiner
Macht liegen". ^ Dabei vergisst der Verfasser abermals, das
Kennzeichen anzugeben, wodurch Einbildungen von wirklichen,
bedeutsamen Erscheinungen zu unterscheiden seien. Ucbrigens,
fährt er'* fort, ist es dem Teufel ein Leichtes, in verschiedenen
Gestalten von Lebendigen und Todten zu erscheinen, ja um
so leichter, in thierischer Form, als schwarzer Hund, als
Kröte u. s. w. sich sehen zu lassen. Da es ihm misfällt,
wenn wir Gutes thun, so sucht er uns nur Vertrauen abzu-
o-ewinnen, wenn er zuweilen zum Guten räth, um uns dann
zum Bösen verleiten zu können. ^ Der Zweck der Erschei-
nungen <* der guten Geister ist: die frommen Menschen zu er-
mahnen und zu schlitzen; sind es aber schlechte Geister, die
erscheinen, was gewöhnlich ist, so sollen die Gläubigen zur
Busse angeregt, die Ungläubigen bestraft werden.'' Die
Christen, welche derlei Erscheinungen haben, sollen stark,
unerschrocken und fest im Glauben sein. « Gefällt es aber
Gott, dich auf einige Zeit durch einen bösen Geist zu priifen,
wie den Hiob, so ist dies mit Geduld zu ertragen. ^ Die-
jenigen, welche durch Gespenster geplagt werden, müssen sich
6
1 Cap." IX. 2 S. 230. 2 S. 232. * Cap. XVII. ' Cap. XVIII.
Pars III." ' Cap. I. « S. 270. » S. 272.
1. Lutlier's Glaube an den Teufel. 431
des Gebetes, des Fastens, eines nüchternen Lebens nnd from-
men Wandels befleissigen. Denn der Teufel schleicht, nach
dem Zeugnisse Petri, umher in Häusern, Wäldern, auf Fel-
dern u. s. w., ohne dass man ihn immer sieht. Es geschieht
aber immer mit Gottes Zulassung, ob er unsichtbar bleibt
oder in einer sichtbaren Gestalt erscheint. ^ — Bei Erschei-
nungen sei aber der Verdacht und der Zweifel nicht beiseite
zu lassen, da sie nach der Ankunft Christi seltener geworden
sind, nachdem Gott seinen Willen durch seine Propheten,
Apostel, Evangelisten und vornehmlich durch seinen Sohn
kund gethan, der uns in der Heiligen Schrift aufbewahrt ist,
daher wir keine andern Offenbarungen mehr zu erwarten
haben. ^ Wir sollen daher nicht jedem Gerüchte von Ge-
si^enstern Glauben schenken, sondern klug sein wie die
Schlangen u. s. w.^ Was die Mittel gegen die bösen Geister,
Englischer Gruss, Weihwasser, geweihtes Salz, Glocken-
geläute VI. dgl., betrifl't, seien sie nicht zu billigen, denn von
diesen Ceremonien weiss die Schrift nichts. '^ Es scheint,
dass der Verfiisser die Unzulänglichkeit seiner Massregeln
fühlt, da er schliesslich meint, dass der gläubige Christ bei
Spukgespenstern und Poltergeistern zwar auf seiner Hut sein
solle, dabei aber am besten davonkomme, wenn er derlei Er-
scheinungen als Mahnzeichen zu einem rechtlichen Leben be-
trachtet, um zum himmlischen Leben zu gelangen, und ver-
gleicht ihn hierbei mit einem edeln Pferde, dem man nur ein
Zeichen zu geben oder die Sporen zu zeigen brauche, um es
in einen frischern Gang zu bringen. ^
Die schwankende Unsicherheit in dieser protestantischen
Anschauung ist ganz deutlich wahrzunehmen. Der Glaube an den
Teufel steht fest; aber nicht jede Erscheinung, sonst des Teufels
Wirksamkeit zugeschrieben, wird mehr blindlings als solche
angenommen. Der Zweifel ist angeregt, an die Erscheinung
soll die Kritik angelegt werden, aber leider fehlt das ent-
scheidende Kriterium. In jedem Falle soll aber alles, also
selbst der Teufel, dem Protestanten als Förderungsmittel der
Sittlichkeit dienen.
Vergleichen wir eine Schrift über denselben Gegenstand
1 Cap. V. VI. ■ S. 280. ^ S. 289. ■» S. 303. * S. 310.
432 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
von einem katholischen Schriftsteller aus der ersten Hälfte
des 17. Jahrhunderts: „Petri Thyraei opera. De variis appari-
tionibus, Dei, Christi, angelorum jjariter bonorum atque ma-
lorum. Colon. 1G28", so wird hier gar keine Schwierigkeit
des Prüfens auferlegt, es ist alles ganz eben, es bedarf keiner
Vorsicht dem Spuke gegenüber, da es keinen Zweifel gibt,
denn es ist die althergebrachte, sinnliche, handgreifliche An-
schauung des Mittelalters. Thyraus weiss bestimmt, dass die
Engel stets die menschliche Gestalt haben, und zwar die männ-
liche, die Dämonen hingegen in verschiedener Form erschei-
nen, bald in menschlicher, bald in der von verschiedenen
Bestien. „Gewiss ist", sagt der Verfasser, „dass der Teufel
niemals als Taube oder als Lamm gesehen worden ist, nicht
als ob er diese Gestalten anzunehmen ausser Stande wäre,
sondern, weil es ihm nicht erlaubt wird oder weil er nicht
will." Denn die göttliche Majestät lässt nicht zu, dass böse
Geister Gestalten, die Gottes sind, annehmen, oder der Hass
der Teufel gegen den Schöpfer ist so gross, dass sie nicht
einmal eine gleiche Gestalt oder Aehnlichkeit mit ihm haben
wollen. * Thyräus erinnert an die Legenden der Heiligen,
wo der Teufel dem heiligen Martinus in der Gestalt eines
Mannes mit Purpur und Krone erschienen war, dem heiligen
Hilarion als Knabe, dem heiligen Macarius als schwarzer
Mohr, einem fünfjährigen Knaben als schrecklicher Drache
u. dgl. Wir finden bei Thyräus die alte Ansicht, dass die
Leiber der Teufel aus verdichteter Luft bestehen, wie die
der Engel, dass erstere auch in Gestalt Verstorbener erschei-
nen, was für letztere nicht passt; dass die Teufel als Succuben
und Incuben mit beiderlei Geschlecht verkehren, welches zu
leugnen dem Verfasser als Frechheit erscheint. '^ Die Teufel
können sovvol den Leib als die Seele in Besitz nehmen, aber
sie plagen nicht immerwährend die Besessenen, ja sie sind
zuweilen sogar für einige Zeit abwesend, und von letzterm
Umstände bringt Thyräus als Beleg ein Beispiel. Am Todes-
tage Luther's waren eine Menge Besessene in einem braban-
tischen Orte auf einmal von ihren Dämonen befreit, wurden
aber einige Zeit darauf wieder besessen. „Kes obscura non
' S. 27, De spirituum apparitione.
2 S. 29.
1. Luther's Glaube an den Teufel. 433
est", sagt der Verfasser, denn als am nächsten Tage die
armen Menschen von den Dämonen auf das heftigste geplagt,
und diese gefragt wurden: wo sie denn neulich gesteckt hätten?
antworteten sie : sie wären abberufen gewesen, da sie auf Be-
fehl ihres Obersten bei der Leiche seines getreuen Helfers-
helfers, des neuen Propheten Luther, hätten gegenwärtig sein
mi'isseu. Diese Geschichte ist bestätiot durch Luther's Famu-
lus, welcher, dessen elendiglichem Tode beiwohnend und zum
Fenster hinaussehend, zu seinem Schrecken eine Menge der
scheusslichsten Teufel erblickte, die in der Nähe herumsi:)rangeu
und Iveigentänze aufluhrten. Bestätigt wird die Geschichte
auch durch die Kaben, welche die Leiche Luther's, als sie
von Eisleben nach Wittenberg gebracht wurde, unter grossem
Geschrei begleiteten. ^ Unser Verfasser weiss, dass die bösen
Geister häufig durch den Mund in den Menschen gelangen,
daher sie mit der Speise oder dem Tranke, worin sie ge-
steckt, hineingegessen oder hineingetrunken werden können.
Davon leiten viele den Gebrauch der Katholiken, beim Gäh-
nen den Mund zu bekreuzen, ab, um das Eindringen böser
Geister abzuwehren. Daher kommt es auch, dass wenn Dä-
monen durch Exorcismus aus den Leibern getrieben werden,
jene häufig als Spinnen, Fliegen u. dgl. aus dem Munde her-
vorkommen. Damit beweisen sie, dass sie durch dieselbe
Oeflnung, durch die sie hineingekommen, auch wieder heraus
miissen. Die bösen Geister können indessen auch durch an-
dere Oeflnungen, selbst durch die engsten Poren in den
menschlichen Leib gelangen. ^ Die Dämonen können ent-
weder den ganzen Leib in Besitz nehmen, oder auch nur
einen, selbst den kleinsten Theil desselben. Sehr häufig neh-
men sie in oder neben dem Herzen Platz, oft wechseln sie
aber auch ihre Stelle. ^ Es gibt gewisse Zeichen von der
Besitznahme: Verleihung eines schrecklichen Ansehens, grosser
Lärm, grosse Plackerei, Gesichte im Traume u. dgl., aber diese
Zeichen treten nicht immer ein."* Der Zweck der bösen Geister
bei der Besitznahme der Menschen ist: diese zu quälen und
' De Daemoniacis, lib. I, cap. 8, p. 16.
* Ibid., cap. 9, p. 17.
^ Ibid., cap. 10, p. 18.
* Ibid., cap. 11.
Koskoff, Gesclüchte dea Teufels. II. 28
434 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
zwar aus Hass, der seinen Grund wieder in ihrem Hasse
oegen Gott hat. Sie beneiden die Menschen um ihre
Seligkeit und Gott um seine Ehre. ^ Die Ungetauften sind
eigentlich nicht vom Teufel besessen, er hat aber grosse Macht
über sie, daher der Exorcismus mit Recht angewendet wird.^
Die Ketzer stehen in intimem Verhältniss mit den Dämonen,
obschon nicht alle besessen genannt werden können, ausser
einigen Anabaptisten, die sich aber auch von den gewöhnlichen
Besessenen unterscheiden. ^ Es sind sechs äussere Zeichen,
welche den Verdacht erregen, dass ein Mensch einen Teufel
im Leibe habe: barbarae voces, horribilis vultus, membrorum
Stupor, svnnma inquietudo , vires humanis superiores, cruciatus.
Die Besessenen sprechen in verschiedenen Sprachen, ohne sie
zu kennen und die Bedeutung der Wörter zu verstehen. "*
Die Besessenen müssen die Tyrannei der Dämonen ertragen,
oft wegen ihrer eigenen Sünden, leichtern und schwerem;
meistens wegen Unglauben, Misbrauch der Hostie, Gottes-
lästerung, Hochmuth, Wollust, Geiz, Verfolgung der Heiligen,
Misachtung Gottes und göttlicher Dinge, Ergebung an die
Dämonen, Wahrsagerei u. s. w.^; bisweilen müssen aber Men-
schen auch wegen Sünden anderer die Quälerei von Dämonen
leiden, was aus angeführten Beispielen von unschuldigen Kin-
dern, von Heiligen u. s. w. klar hervorgeht. ^ — Christus hat
der Kirche die Macht, Teufel auszutreiben, verliehen, um sei-
nem Evangelium Glauben zu verschaffen, um seine Macht
und Göttlichkeit zu ofi'enbaren, damit seine Anhänger be-
kannt, die Besessenen des Teufels ledig werden, um der
Majestät der Kirche Anerkennung zu verschaffen, um
zu zeigen, dass der Mensch durch den Teufel zur Sünde nicht
o-ezwungen werde u. s. w.^ Für den Exorcisten ist ein reines
Gewissen zwar vortheilhaft, aber keine nothwcndige Bedingung
seiner Wirksamkeit. ** Dass ein ketzerischer Exorcist niemals
• De daenioniac
, lib. I,
cap. 15.
2 Ibid.,
cap.
18,
p. 35.
3 Ibid.,
cap.
21.
* Ibid.,
cap.
25.
0 Ibid.,
cap.
29.
30.
« Ibid.,
cap.
31.
7 Ibid.,
cap.
36.
8 Ibid.,
cap.
3
1. Luther's Glaube an den Teufel. 435
einen Teufel austreiben könne, ist selbstverständlich, da die
Teufelsaustreibung ein Beweis der Rechtgläubigkeit ist, und
Gott nicht das Falsche bezeugen wird. Der Verfasser führt
ein Beispiel an, das Staphilius als Augenzeuge erzählt. „Im
Jahre 1544 brachte man ein Mädchen aus dem Meissnischen
nach Wittenberg zu Luther, dass er es vom bösen Dämon
befreie. Dieser sperrte sich zwar anfangs dagegen, liess aber
endlich das Mädchen in die Sakristei der wittenberger Pfarr-
kirche bringen, wo er in Gegenwart anderer Doctoren und
gelehrter Männer, unter denen ich mich auch als junger Ma-
gister befand, den Dämon zu beschwören anfing luid zu
exorcisiren, aber nach seiner eigenen Weise, nicht nach der
bei den Katholiken üblichen. Trotz langen Beschwörungen
Avollte der Dämon nicht weichen, versetzte vielmehr Lu-
ther's Hosen in solche Nöthen, dass dieser aus der Sakristei
hinauseilen wollte. Allein was geschah? Der boshafte Dämon
hatte die Thüre der Sakristei so verrammelt, dass sie weder
von innen noch von aussen aufzubringen war. Dadurch
wurde Lvither so in Angst versetzt, dass er zum Fenster
eilte, um hinauszuspringen. Allein daran hinderten die eisernen
Gitter, sodass er genöthigt war, mit uns so lange eingesperrt
zu bleiben, bis man uns durch die Gitter ein Beil reichte,
das mir übergeben ward, um den Ausgang durchzubrechen,
was ich auch that. Inzwischen war es wunderlich anzusehen,
wie Luther in seiner Noth auf- und ablief und gleich einem
weidenden Schafe sich hin und her wendete". ^ Die fünf
W^eisen, aufweiche bei den Katholiken die Teufel ausgetrieben
werden, sind : Anrufung des Namens Jesu, Gebrauch von Re-
liquien, Anlegung des heiligen Kreuzes, Gebrauch geweihter
Sachen, Exorcismus. Schon die blosse Nennung des Namens
Jesvi versetzt die Dämonen in grossen Schrecken. ^ Der Ver-
fasser findet Apostelgeschichte 5 angedeutet, dass der Schatten
Petri auf Dämonen grosse Gewalt ausgeübt habe; er führt
ferner den historischen Beweis, dass durch die Fesseln des
heiligen Petrus eine Menge Dämonen ausgetrieben worden
seien. ^ Die Dämonen verlassen sehr ungern die Menschen,
* De daemoniac, lib. I, cap. 40, p. 87.
''' Ibid., cap. 42.
3 Ibid., cap. 43, p. 96.
28'
436 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
die sie besitzen, weil sie, einmal ausgetrieben, nicht wieder
zuriickkehren dürfen, oder von da in die Hölle geschickt wer-
den. ^ Die ausgetriebenen Teufel suchen wieder andere mensch-
liche Körper, darauf Bestien, hernach einsame üi'te. Am
unliebsten gehen sie in die Holle, weil sie dort ihrer Lust
nicht fröhnen können, Menschen zu peinigen, und die Frei-
heit umherzuirren verlieren.^ Die Wirksamkeit des wächser-
nen Bildes, des sogenannten Agnus-Dei, gibt Thyräus in fol-
gendem Vers zusammengefosst:
Fulmina pellit,
Crimina mundat.
Daemones arcet.
Liberat igne,
Servat ab undis
Morteque jironipta.
Subjugat hustes,
Et parientem
Prole seeundat.
Plurinia dignis
Muuera coufert,
Parvaque tantum
Portio prodest
Maxima quautum. ^
Es gibt drei Arten Quälgeister: Dämonen oder böse
Geister, die Seelen der Verdammten, und Seelen, welche im
Fegfeuer gereinigt werden. Diese Gespenster spuken an ge-
wissen Orten."* Orte, wo es nicht geheuer ist, sind vornehm-
licli: Einöden, sumpfige Gegenden, unterirdische Hohlen,
Schlösser und grosse Gebäude, Orte, die eines Mordes wegen
bekannt sind, wo Unschuldige getödtet worden, wo grosse
Sünden herrschen, wo sich berühmte Heilige aufhalten.'^ Die
Teufelsgespenster spuken da herum, um Schrecken einzujagen,
Schaden beizufügen, ihrer Lust zu fröhnen. — Dass die Ur-
heber der Ketzereien und Erfinder falscher Doii'men ganz be-
sonders von Teufelsgespenstern gequält werden, ist aus den
Beispielen Luther's, Zwingli's und Karlstadt's bekannt.^ Die
' Primus, lib. de dacmoniac, cap. 50.
2 Ibid., cap. 56. 57.
3 Ibid., p. 115.
'' De locis iufestis, cap. 3.
* Ibid., cap, 14.
« Ibid., p. G8.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 437
Thatsache, dass die Dämonen vor den Keliqnien der Heiligen
die Flucht ergreifen, wird nicht nur von Katholiken, sondern
auch von Ketzern anerkannt. Von letztern weiss es der Ver-
fasser aus den Magdebui'gischen Centurien. ^
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert.
Der Teufel trieb also sein Spiel im 16. und dem folgenden
Jahrhunderte hüben und drüben fort und war um so geschäf-
tiger, je mehr Zwietracht und Hass auf Erden hauste. Er
war es ja, dem der Riss zwischen Katholiken vuid Protestanten
zugeschrieben ward, er war es ja, der die darauf ausge-
brochenen Streitigkeiten im protestantischen Lager angeregt
hatte. Denn der Teufel griff in alle Angelegenheiten hinein,
und der gelehrte Jakob Aeontius im 16. Jahrhundert konnte
daher füglich die Lehrstreitigkeiten der Kirchenparteien „Kriegs-
listen des Teufels" nennen und ein Buch darüber schreiben %
welche buchstäbliche Auflassung des Titels auch im 17. Jahr-
hundert festgehalten und weiter ausgedehnt wuirde.
Unter dem theologischen Gezanke wurden dem Auf-
schwung, den die Welt im Anfange des 16. Jahrhunderts ge-
nommen hatte, die Flügel gebrochen, und um die Mitte dieses
Zeitraums trat die lahme Periode des dogmatischen Ortho-
doxismus ein. Die Reformation, welche zum Urchristenthum
zurückleiten wollte, fand dieses in den biblischen Schriften
niedergelegt und stellte das Wort Gottes als die einzige wahre
Erkenntnissquelle hin, das daher, um selig zu werden, ge-
kannt, und dem sich alles menschliche Denken und Wollen
unterwerfen muss. Luther wollte zwar demjenigen sein Baret
aufsetzen und sich einen Narren schelten lassen, der ihm die
„stroherne" Epistel Jacobi mit dem Apostel Paulus zusammen-
reimen könnte; er, der die Allegorien Pauli „zu schwach zum
Stich" gefunden, der von der Ofi'enbarung Johannis gesagt:
„mein Geist kann sich in das Buch nicht schicken, und das
ist mir Ursache genug, dass ich sein nicht hochachte"; der-
selbe konnte unter Verhältnissen gedrängt, in Feuereifer ver-
' De locis infestis, cap. G7, p. 219.
2 Strategematum Satanae lib. VIU (Basil. 1565).
438 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
setzt, den später zum Schlagwort gemachten und gebrauchten
Ausruf thun: „rund und rein ganz und alles geglaubt oder
nichts geglaubt; der Heilige Geist lässt sich nicht trennen,
dass er ein Stück sollte wahrhaftig und das andere falsch
lehren und glauben lassen; wo die Glocke an einem Orte
berstet, klingt sie nichts mehr und ist ganz untüchtig'^ Derlei
Aussprüche benutzten die Epigonen als Haken, um ihre Fäden
anzuheften und zu dem Gewebe des orthodoxen Dogmatismus
abzuspinnen. Die Schrift sollte dem Buchstaben nach gefasst
und verstanden werden, und auf den Buchstaben gründete
sich die protestantisch-theologische Anschauung bis gegen die
Mitte des 18. Jahrhunderts. In der lutherischen Kirche hatte
sich schon am Ende der kryptocalvinistischen Streitigkeiten
eine kirchliche Zwangsherrschaft errichtet, wie 40 Jahre nach
der Concordienforniel die dortrechter Synode in der refor-
mirten Kirche einen ähnlichen Terrorismus ausübte. In der
protestantischen Kirche, welche die Wahrheit ihrer Lehre auf
die Heilige Schrift gegründet wissen wollte, wurde jede
Schriftauslegung mit Fluch belegt, die es wagte, von der
durch den kirchlichen Lehrbegriff" bezeichneten Richtung ab-
zuweichen, und so befand sich die Exegese auf der protestan-
tischen wie der katholischen Seite, obschon unter verschiedener
Form, der Autorität der Kirche unterworfen. Der Unter-
schied bestand darin: dass in letzterer die Tradition in der
Kirche aufbewahrt als Autorität feststand, während erstere
auf den Begriflf der Heiligen Schrift, als auf das positive
Princip der Reformation hinwies und aus diesem Begriff das
Dogma von der verbalen Inspiration herauserklärte. Nach
der Inspirationstheorie wurde jedes Wort der Schrift zu einem
göttlichen Orakel, und hiermit sollte der subjectiven Willkür
eine objective Autorität hingestellt sein. Demgemäss fixirten
sich auch die hermeneutischen Grundsätze: „Der hebräische
Text im Alten Testament und der griechische Text im Neuen
Testament rührt unmittelbar von Gott her, nicht allein rück-
sichtlich des Sinnes, sondern auch der Schrift und Wörter.''- *
Oder: „Die ganze Schrift ist vollkommen, sie muss also aus
inspirirten Vocalen bestehen; denn wie sollte eine Schrift
1 W. Franz, Professor in Wittenberg, Tractat. theolog. novus de
interpretatione maxime legitima, p. 33 (1619).
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 439
vollkommen sein, die nur aus dem Leibe bestünde, der es
aber an der Seele der Vocale fehlte." ^
Die buchstäbliche Erklärung der biblischen Schriften be-
gegnete in diesen dem Teufel an vielen Orten und unterstützte
durch die Exegese den Glauben an ihn. Der herrschende
Teufelsglaube übte wieder seinen Einfluss auf die Interpretation,
und die Zeitanschauung fand nicht nur im Neuen Testament
ihre Bestätigung, sie fand sie auch bei Mose, im Hohenliede,
im Buche Hiob, sodass sie das Krokodil zum Teufel umdeu-
tete und in der Geschichte Nebukadnezar's ein schlagendes
Beispiel einer teuflischen Thierverwandlung erblickte. Der
Teufel vi'urde nicht nur in alle Händel, auch in alle Zweige
des Wissens hineingemengt. In Beziehung auf ihn gaben die
Rechtsgelehrten ihre Gutachten und die juristischen Facultäten
ihre Erkenntnisse ab, von denen Horst ^ mehrere Proben lie-
fert. Sperhng hatte die Daemones succubi und incubi in die
Physik aufgenommen 3, und Danäus* den Buhlteufeln und
Buhlteufelinnen in der Moral einen Platz eingeräumt.*
Selbst die Architektur verwendete die verschiedenen Ge-
stalten des Teufels an manchen Theilen der Kirchen, und durch
die Teufelsgesichter an den Dachrinnen und Wasserspeiern
wurde der glävibige Christ stets an den Höllenfürsten erinnert.
Eine Menge Schriften waren im Umlauf, welche Anleitung
gaben, entweder durch Gebete, durch andere fromme Formeln
die Geisterwelt sich dienstbar zu machen, oder aber den Teufel
zu beschwören, um mit dessen Hülfe das Gewünschte zu erlangen.
Eine der berüchtigtsten Formeln wird mit dem im Reforma-
tionszeitalter bekannten Teufelsbanner Faust in Verbindung
gebracht und fiihrt den Titel „Höllenzwang." ^ „Zwang und
Hauptbeschwerung, wodurch ich Dr. Faustus aller Welt be-
kandt Teuffei und Geister bezwungen und beschworen, mir
zu bringen, was ich gewollt und gethan, was ich begärt habe';
siben gedruckte Bücher von meiner Beschwerung werden nach
1 Dannhauer, Professor zu Strassburg, Herrn eneutica sacra, p. 19(1654).
2 Zauberbibl. VI, dritte Abtheilung, Nr. 1.
3 Institutiones Physieae Joh. Sperling Prof. publ. etc.; edit. 3, lib. II,
384 — 87. Witteb. 1653.
* Daneau, ein französischer Protestant.
' Danaeus, Ethica christiana, cap. 14, lib. 2.
* Imperatioues Fausti.
440 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
mir gefunden werden, der aber eins von meinen Büchern be-
kommt und ein Liebhaber ist von Gold, Silber und Edelgstein,
der kann durch meine Beschwerung so viel als er in diesem
Buch verzeichnet finden wird, bekommen; Er muss aber auss
meinem weitläufigen Buch die Kraft und Wörter der Beschwe-
rung zusammenziehen, dass sie in dreymahl drey stundten
gelesen oder ausswendig gesprochen werden, und die Kunden
Kreiss mit dem silbernen Dreyfuss wohl einsegnen, mit den
umstehenden Namen, Worten und Buchstaben, luid das an
einem tüchtigen Ort, wo dich niemand verstört: imd nach
Standsgebühr, das überlasse ich dir — gedruckt im Jahre 1571".^
Aber nicht blos durch das Wort, sondern auch durch Anwen-
dung äusserer Mittel suchte man sich gegen die vielseitige
Wirksamkeit der höllischen Mächte zu wehren, daher auch
in dieser Beziehung literarische Producte zum Vorschein kamen,
in denen sich nicht selten der unflätige Witz breit machte,
wie unter andern Beisi:)ielen nur erwähnt zu werden braucht
„Dr. J. Christiani Francisci Paullini heylsame Dreck -Apothek.
Frankf. a. M. 1687", wo'-' eine Massregel empfohlen wird, um
die Milch vor Unholden und dergleichen „Teufels geschmeiss"
zu bewahren. Nach der gangbaren dualistischen Anschauung
stellte man sich entweder unter den Schutz des Himmels oder
man vertraute auf die Macht der Hölle, und dieser bediente
man sich nach den Verhältnissen der Zeit, freilich mit dem
Verluste des Seelenheils. Im dreissigjährigen Kriege war daher
die schon früher bekannte Kunst zu „verfesten", gegen Schuss
und Hieb sicher zu machen, ganz besonders im Schwange,
lind wurde nicht nur durch St.-Georg oder St.-Christophel,
sondern auch durch die Macht des Teufels erlangt. Ein durch
die höllische Kunst „fest" oder „gefroren" gemachter hiess
„Bilwizkind" (Pilmiskind), was wol so viel als Teufelskind bedeu-
ten mochte, da bei ihm ein schlechtes Ende voraussichtlich war,
nämlich dass ihn „der schwarze Kaspar" holte. Die Mittel,
sich und andere fest oder gefroren zu machen, waren mannich-
^ Adelung, Geschichte der menschlichen Narrheit, VII. Anhang ; vgl.
Scheible, Das Kloster, V. Bd., 20. Zelle, ö. 1159 fg.; Faust's dreifacher
HöUcnzwang in verschiedenen Ausgaben.
^ Cap. 5, S. 263.
r
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 441
fach und wechselten in der Zeit. Es gab „Nothhemden", wozu
das Leinengarn in der Christnacht von unzweifelhaften Jung-
frauen in Teufels Namen gesponnen und das Gewebe genäht
werden musste , auf der Brust zwei Häuj)ter , rechts ein
bärtiges eingestickt, links Belzebubs Kopf mit einer Krone.
Ein solches Nothhemd unter dem Kleide getragen, schützte
vor Wunden. Eine ähnliche Wirkung erwartete man von der
Hostie, die man unter geheimer Anrufung des Teufels em-
pfangen, sie wieder aus dem Mund genommen, und an einer
Leibesstelle, wo die Haut vom Fleische losgelöst worden,
hineingesteckt und die Wunde hatte verheilen lassen. Es gab
auch einen Benedisten oder Nothsegen, einen Papst -Leo-
nis- Segen mit frommchristlichen Worten und Verheissungen.
Es gab Passavierzettel auf Jungfern-Pergament, oder auf Ho-
stien mit Fledermausblut geschrieben, mit Drudenfüssen, frem-
den Buchstaben, seltsamen Charakteren versehen, auch wol
den Spruch enthaltend: „Teufel hilf mir, Leib und Seel geb
ich dir!" Solche Zettel unter den linken Arm gebunden bann-
ten den Schuss. Da der Teufel die personificirte Unheimlich-
keit ist, sammelte man alles Unheimliche, lun es als Schutz-
mittel in seinem Sinne zu verwerthen. Ein Stück Strick oder
Kette, womit ein Mensch gehenkt worden , der Bart eines
Bocks, Wolfsaugen, der Kopf der Fledermaus in einem Beu-
telchen von der Haut eines schwarzen Katers am Leibe ge-
tragen, machten „fest"; während der andere auf ein Agnus-
Dei oder die Reliquie, die er am Halse hängen hatte, sich
verliess. Bekannt ist der Gebrauch verschiedener Hexenkräu-
ter. Die weiteste Verbreitung des Glaubens an die Wirksam-
keit solcher Mittel bezeugt die allgemeine Klage bei der
Blockirung von Magdeburg 1629, worauf uns Freytag auf-
merksam macht ^ , und Gustav Adolf verbot im §. 1 seiner
Kriegsartikel: Götzendienst, Hexerei oder Zauberei der Waffen
als Sünde gegen Gott. Nach dem dreissigjährigen Kriege, der
nicht nur die Bande der bürgerlichen Gesellschaft furchtbar
gelockert, sondern auch die Habe von Unzähligen zerstört
hatte, wurde die Magie mit der Theosophie verquickt, indem
man das theologische Moment hineinzog, die Goldmache-
rei mit Frömmigkeit in Verbindung brachte und als Bedin-
1 A. a. 0. II, 81.
442 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
gung des Gelingens betrachtete; oder es wurde der Teufel in
Anspruch genommen, und dieser musste helfen das Gold zu
machen oder den Schatz zu heben. Bei der dem Teufel zu-
geschriebenen Vielseitigkeit und Gestaltungsfähigkeit war dies
natürlich, aber ebenso, dass man bei jeder einigermassen auf-
fälligen oder unerwarteten Erscheinung seine Künste witterte.
Eine lebendige Vorstellung von dem Anschauungskreise des
17. Jahrhunderts in dieser Beziehung gewährt: „Der höllische
Proteus oder tausendkünstige Vorsteller vermittelst Erzehlung
der vielfältigen Bild- Verwechslungen Erscheinender Gespenster,
werffender und polternder Geister, gespenstischer Vorzeichen,
Todesfälle, wie auch anderer abentheuerlicher Händel, arglisti-
ger Possen und seltzamer Auffziige dieses verdammten Schau-
spielers und von theils Gelehrten für den menschlichen Lebens-
geist irrig angesehenen Betriegers, nebenst vorberichtlichem
Grundbeweiss der Gewissheit, dass es wirklich Gespenster
gebe, abgebildet durch Erasmum Francisci hochgräflichen
Hohenlohe-Langenburgischen Raht". ^ In diesem dickleibigen
Buche ist der Gespensterglaube, wie er namentlich unter den
Protestanten im 17. Jahrhundert gangbar war, aufgespeichert.
Horst nennt den Verfasser den „Wieland seiner Zeit", „wegen
seiner zierlichen Feder." ^ Das Buch wurde oftmals auch noch
in der Zeit nach Bekker und Thomasius aufgelegt^, ein Be-
weis der Beliebtheit der Schrift, die aber kaum in der zier-
lichen Darstellung allein, sondern wol grossentheils in dem
Stoffe selbst liegt, welcher der Zeitanschauung entsprach.
Obschon der Verfasser tief im Glauben an den Teufel steckt,
der „am füglichsten ein rechter Proteus getituliret werden
mag — sintemal er nicht allein seine verborgene Tiicke mit
allerlei Farben gar scheinheilig anstreicht und zieret, sondern
auch die Menschen mit mancherlei gespenstischen Gestalten
betriegt oder vexirt und das Bild seiner Erscheinung allezeit
zu seinem Vorhaben richtet oder verändert" ; so zeigt sich das
protestantische Bewusstsein bei Francisci doch darin, dass er
dem Satan zwar die verschiedenartigsten Gespenstererscheinun-
1 Die zweite Auflage erschien Nürnberg 1695; die erste Auflage
konnte ich nicht ausmittehi.
2 Zauberbibliothek II, 287 fg.
3 Vor mir liegt eine Ausgabe vom Jahre 1708.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 443
gen zuschreibt, ihn aber nur als „Aflfen Gottes und des
Menschen als des göttlichen Ebenbildes", als „höllischen
Gaukler" behandelt, den „Acherontischen Komödianten" nennt,
der „zur Verspottung und Verleitung der Menschen . . . bald
diese bald jene Person fürbildet." ^ Ungeachtet der „tausend-
künstigen Vorstellungen", die dem Teufel zuerkannt sind, wird
dieser von dem protestantischen Verfasser, da er keine rechte
Furcht mehr hat, abschätzig behandelt. Es ist aber nicht
Frivolität der Grund dieser leichten Abfertigung, sondern das
Gottesvertrauen, das reine Herz ist's, das den protestantischen
Christen vor dem Teufel sicherstellt. Fehlt indessen auch
der bittere Ernst der Furcht vor der Macht des Satans von
ehedem und sind dessen Repräsentationen nicht viel mehr als
„Wind, Lufft und Rauch"; so ist jene doch immer so gross,
um dessen bittere Feindschaft gegen den Menschen auf em-
pfindliche Weise an den Tag zu legen, sich „geschäflftig und
trutzig" zu erweisen, die ganze Welt mit teuflischen „Fürbil-
dungen" zu erfüllen, und dem Menschen sein Leben zu ver-
gällen. Denn „der Satan thut seinen möglichsten Versuch,
dass er ihn von dem Anker der Hoffnung auf Gott verrücke,
und in Verzweiflung stürze".*
Es lässt sich erwarten, dass in diesem Jahrhundert, welches
dem „der Aufklärung" voranging, die Polemik in Bezug auf
den Teufel nicht geschwiegen haben werde. Ausser den in
der Hexenperiode erwähnten, unsere Geschichte des Teufels
berührenden Schriften ist der holländische Arzt Anton van
Dale zu erwähnen, der zuerst eine Schrift „De oraculis Eth-
nicorum" (Amsterdam 1685) herausgab, deren sowol Bekker^,
als auch Thomasius * gedenkt. Van Dale bewies darin , dass
hinter den heidnischen Oi'akeln nicht der Teufel, sondern viel-
mehr Priesterbetrug gesteckt habe. Derselbe Verfasser ver-
öffentlichte aber ein zweites Werk: „Antonii van Dale Po-
liatri Harlemensis Dissertationes de origine ac progressu
Idololatriae et superstitionum : De vera ac falsa prophetia uti
et de divinationibus idololatricis Judaeorum. Amstelodami
1 S. 92.
» S. 300.
3 I, 22. Hauptstück, S. 129.
* Kurze Lehrsätze von dem Laster der Zauberei, §. 3.
444 Vierter /Vbschnitt; Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
1696". Nach dem eigenen Bekenntniss des Verfassers in der
„Dedicatio" ist das meiste seiner ersten Schrift in der zweiten
wieder aufgenommen, daher nur diese beriicksichtigt werden
soll. In dem vorliegenden Werke zeigt der Verfasser, dass
der Anfjing der Idolatrie vor die nouchische Flut falle, dass
zunächst die Verehrung der Himmelskörper stattgefunden,
dann die der Thiere und schliesslich auf die menschlichen
Wohlthäter, als Heroen, Götter, Dämonen, übergegangen sei.
Der Idolatrie seien auch die Hebräer verfallen und die Vor-
stellungen von Dämonen vornehmlich durch die Uebersetzer
und Ausleger der alttestamentlichen Schriften in diese über-
a-eganoeu. i Denn wo im Alten Testament voii ano-eblich
bösen Dämonen die Rede ist, sei dies den Erklärungen der
chaldäischen Targumisten, Talmudisten und Rabbinen zu ver-
danken.'-^ Von Dämonen und Dämonischen wisse der Urtext
des Alten Testaments nichts, und wenn das Neue Testament
derselben allerdings erwähnt, sowie der Teufelaustreibungen
durch Jesum Christum, so sollte damit der Ausspruch 1 Mos. 3,
15 in Erfüllung gehen. Die Befreiung der Menschen von des
Teufels Macht sei durch den Heiland vollzogen, daher es der
Verfasser für einen Aberglauben erklärt, wenn Menschen jetzt
noch den Teufel fürchten, oder ihn durch Exorcismus austrei-
ben wollen. ^ Den Aberglauben von einem Biinduiss mit dem
Teufel leitet der Verfasser aus dem Ileidenthum ab, wo ihn
die abergläubischen Philosophen und Poeten den ersten Chri-
sten überliefert, die ihn unvorsichtigerweise angenommen
haben. Die Reformation habe zwar manche Irrthümer beseitigt,
aber der Sauerteig habe viele, auch Theologen, so durchdrun-
gen, dass er noch immer zu gären scheint. Der Verfasser
will keineswegs böse Dämonen leugnen, inwiefern sie aber
Teufel seien, wie weit ihre Macht der allmächtige Gott zulasse
(nachdem Christus der Schlange den Kopf zertreten), vermag
er nicht zu begreifen.* Die Idololatric und anderer Aber-
glaube ist aus dem Chaldäismus und dem übrigen Ilcidentlunn
in das Judcnthum gekommen, wo ihn namentlich die Phari-
säer gepflegt haben; von da ist er in die christliche Theologie
jrelangt. Die sie1)ziüi; Dolmetscher und die iibrioen alten Lieber-
Setzer des Alten Testaments, die in dem alten Aberglauben
1 Cap. IV. - Cap. V. » Dedicatio. ' Ibid.
2. Der Teufel im IG. und 17. Jahrhundert. 445
l)efnngen waren, brachten die teuflischen Ungeheuer in manche
Schriften des Alten Testaments hinein, woran deren Ver-
fasser, z. B. die Proj^heten , nie gedacht. Die ersten
C'hristen, die vom Heidenthum zum Christenthum übertiaten,
nahmen auch ihre Vorstehungen von den Dämonen und deren
Erscheinungen mit herüber, und was die heidnischen Priester,
Mythologen und Dichter von den heidnischen Göttern erzähl-
ten, wurde nun den Teufeln zugeschrieben. Die Mönche er-
grifien den Gegenstand gedankenloser Weise, bildeten ihn
weiter aus, der Aberglaube der Kleriker, frommer Betrug,
die Sucht nach Vortheil und Ansehen trugen auch ihr Scherf-
lein bei, und so kam der ganze Teufelsapparat zu Stande.^
Diese Wenigkeit aus dem Buche kann genügen, um die
geistige Richtung desselben zu erkennen. In demselben Geiste
schrieb van Dale's Zeitgenosse, der uns schon bekannte Bal-
thasar Bekker seine ,, Bezauberte Welt", die nach jenes erster
Schrift „De oraculis Ethnicorum" erschien, deren Ansichten
in der zweiten wiedergegeben sind. Es muss auffallen, dass
der Theologe Bekker einen so mächtigen theologischen Sturm
hervorrief, durch den er aus seinem Amte hinweggeweht ward,
während der Mediciner van Dale, soviel mir bekannt ist,
weder durch sein erstes Auftreten kurz vor dem Erscheinen
der bezauberten Welt, noch durch sein zweites Werk, drei
Jahre nach dieser, kaum eine besondere Polemik veranlasst
zu haben scheint. Ich kann mir diese auffallende Erscheinung
nur daraus erklären, dass van Dale den Gegenstand in stren-
ger, weniger durchsichtiger Gelehrtenform und in lateinischer
Sprache behandelte, daher nur einen kleinern Leserkreis haben
konnte; während Bekker den Gelehrtenapparat zwar beibringt,
aljer der Landessprache und einer allgemein fasslichern Dar-
stellung sich bedient, wodurch sein Werk einer grössern
Verbreitung und Popularität gewiss sein musste. Ausserdem
griff van Dale die Existenz des Teufels nicht direct an, ob-
schon er im Grunde den Glauben daran aus dem Heidenthume
ableitet ; er beschränkt sich dabei nur auf das Alte Testament,
vermeidet den Boden des Neuen Testaments zu betreten, und
wo er die Erwähnung des Satans in demselben vorübergehend
berührt, klammert er sich an den neutestamentlichen Satz:
1 Cap. X.
446 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
dass Jesus Chiistus die Macht des Satans für immer orebrochen
habe. Bekker hingegen geht dem Teufel unmittelbar zu Leibe,
er durchmustert nicht nur das Alte Testament, sondern unter-
zieht auch die betreffenden Stellen des Neuen Testaments seiner
Exegese, welche von der damals landläufigen abwich, Grund
genug, um den Eifer seiner Collegen in Feuer zu setzen, das,
durch das negative Ergebniss der Bekker'schen Erklärungen nur
noch mehr angeschürt, um so verzehrender wurde.
Balthasar Bekker machte mit seinem Werke: „Die be-
zauberte Welt" den gewaltigsten Angriff auf die allgemein
gefürchtete Macht des Teufels. Von der Philosophie des
Cartesius durchbildet, mit theologischer Gelehrsamkeit ausge-
rüstet, lieferte Bekker ein Werk, welches in unserer Geschichte
des Teufels dadurch epochemachend ist, dass der Angriff nicht
mehr, wie bei der bisherigen Polemik, den Einzelheiten gilt, son-
dern auf das Herz des Gegners zielt, nämlich den Teufel selbst
und seine Macht zu fällen sucht. Die Existenz des erstem
vernichtet er zwar nicht ganz, was Bekker's biblische Gläubig-
keit nicht zugelassen und seine Waffe der Exegese, deren er
sich bediente, auch nicht vermocht hätte ; aber schliesslich er-
scheint die Annahme einer Existenz des Teufels doch über-
flüssig, und die Macht des Teufels wird, weniger durch die
allegorische Interpretation als vielmehr durch die Schärfe des
Verstandes, nachgerade auf Null zurückgeführt. Der volle
Titel des Werks ist: „Die bezauberte Welt oder eine gründ-
liche Untersuchung des allgemeinen Aberglaubens, betreffend
die Art und das Vermögen, Gewalt und Wirkung des Satans
und der bösen Geister über den Menschen, und was diese
durch derselben Kraft und Gemeinschaft thun: So aus natür-
licher Vernunft und heiliger Schrift in vier Büchern sich
unternommen hat Balthasar Bekker S. Theolog. Dr. und Pre-
diger zu Amsterdam" (1691 — 93).^
Bekker konnte seine Schrift mit Recht „eine gründliche
Untersuchung" nennen, sie war die gründlichste, die seine
Zeit zu liefern vermochte. Wir müssen bemerken, dass er
' Vor mir liegt: „Aus dem Holländischen und der letzten vom Authore
vermehrten Edition. Gedruckt zu Amsterdam bey Daniel van Dahleu,
bey der Börse, Anno 1693. In die deutsche Sprache übersetzet." Vom
Originale waren zuerst die zwei ersten Bücher erschienen.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 447
nach dem rechten Faden sucht, um den Knäuel zu entwir-
ren, wenn er sagt: „Die gememe Meynung, die man von dem
Teuffei, seiner grossen Erkänntniss, Krafft und Wirkung hat,
und von Menschen, die man dafür hält, dass sie mit ihm in
Gemeinschafft stehen, kam mir bey dem Licht, dass ich mit
andern Menschen von der Natur habe, und durch die Schrifft
gestärcket und mehr geneiget ward, sehr zweiffelhafftig fiir,
ob ich es wol bey dem Lichte besehen, länger dafiir ansehen
müsste oder nicht; und es war mein Zweiffei nicht allein ob
es wahr, sondern auch, ob es Gottes Furcht geziemend were.
Und mein Gemiith begunte mich selber zu dringen, ich miiste
antworten denen, die mich fragten, ich miiste wissen, wie ich
mich bey solchem Volck, die so und so beschaffen waren, zu
verhalten; es war mein Ampt, und es kam mir täglich zu
Hause. Davon zu reden als man redet und zu thun, gleich-
wie man thut, das kam mir mehr und mehr beschwerlich fiir;
und mich darwider zu setzen, oder in Wort oder Thun mit
andern nicht einig zu seyn, das war eines Theils meine ge-
wöhnliche Arth nicht, und darbey hatte ich keinen Grund.
Daher war mir das nechste, dass ich mit Ernst darnach for-
schete, von wannen diese allgemeine Meynung ihren Ursprung
habe; darnach, was doch die Wahrheit seyn möchte. Und
dieweil ich solches von fornen, a priore, alles untersuchte,
und nicht von hinten, a posteriore, wie man in den Schulen
redet, so konnte ich nicht eher zu dem Zustand der streitigen
Sache, als gegen Ende des ersten Buchs, worinn ich aus so
vielerley Meynungen, als die Menschen dessfalls in der Welt
hatten, endhch diejenigen, welche noch heutiges Tags bey den
Protestanten angenommen werden, in dem 22sten Hauptstück
eröffnet, dieselben in dem 23sten mit andern Meynungen
vergleiche und in dem 24sten anweise, wie wir auff' die un-
sere kommen, und was uns annoch darbey behalte. Ich unter-
suche also den rechten Ursprung der heutigen Meynung und
unter uns in dem ersten Buche, davon ich folgends die Un-
gewissheit und Ungereimtheit in den drey andern biss auf
den Grund entdecke und vor Augen stelle. Alsdann im zwei-
ten Buche zeige ich das, was die Geister anlanget, und in
dem dritten ferner das, was die Menschen angehet, welche
man achtet, dass sie mit den Teuffein Gemeinschafft haben.
448 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Im vierten untersiiclie ich die Erfahrung, worauff mau sich
in beyden meistentheils berußet." ^
Wer erkennt hierin nicht den denkenden Menschen, der den
Zweifel zu iiberwinden sucht und nach Gewissheit strebt; den
sittHchen Ernst, der nur nach eigener Ueberzeugung sprechen
und handehi, aber auch nur dieser seine Liebe zur Eintracht
mit andern zum Opfer bringen will ; den gewissenhaften For-
scher, der auf den Ursprung seines Gegenstandes znriickgeht,
um der Wahrheit auf den Grund zu sehen?
Bekker gibt in seiner Wahrhaftigkeit auch getreulich die
Principien an, von denen er bei seinem Werke sich leiten lässt:
„Aber ob ich schon den besondern Grund noch nicht gefun-
den habe, welchen mir weder das Pabstthum, Judenthum noch
Heidenthum, als solcher Gestalt angemcrcket nicht geben kön-
nen: so habe ich doch einen festen Boden oder Grund mit
denen allen, und noch einen andern, mit einem Theil von
ihnen gemein. Der erste ist die Vernunft, die allen Menschen
zu einem Licht sich erstrecket, sofern als sie rein ist, und mit
Vorurtheil luid Gemüths-Neigungen nicht verhindert und be-
nebelt. Der ander ist die Schrifi't von Gott eingegeben, aber
ingleichen rein an ihr selber, so von uns betrachtet, als ob wir
niemals die Schrift gelesen hetten; und also ausser aller Men-
schen Vor-Urtheil, von Uebersetzung aus dem Hebreischen
und Griechischen, darin sie urspriniglich beschrieben ist, und
der Ausslegung alter oder neuer Lehrer. Diese stehen eine
nicht unter der andern, sondern eigentlich neben einander." —
Bekker dringt also auf Unbefongenheit bei dem Lesen der
Schrift, obschon er sich vorher zur Inspirationstheorie bekannt
hat. Hören wir ihn weiter: ,,Es ist von Philo dem Juden erst
erdacht, dass er geneigt, die Schrifl't allegorisch ausszulegen,
und mit dem was Paulus von der Sara und Hagar schreibt"^
nit vergniigt, den Unterscheid von der Frau und Magd auö'
die Schrifl't und Vernunft bringet, und sagt, dass dadurch
bedeutet sey, dass die Philosophie und die natiirliche Ver-
nunfi't sich unter die Schriöt beugen miisse. — Aber die Wahr-
heit ist es, dass die Vernunft vor der Schrifl't vorher gehen
nuiss, weil die Schrifl't die Vernunft vorher stellet: ich sage.
' Des Authoris generale Vorrede, S. 4 fg.
2 Gal. 4, 22. i;
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert, 449
die gesunde Vernunfft, welcher sich die Schrift muss offen-
bahren und blicken lassen, dass sie von Gott ist. Darnach
stehet die Vernunfft neben der Schrifft, als von Dingen redend,
davon die Schrifft schweiget; und die Schrifft stehet neben
der Vernunfft, weil sie uns gantz etwas anderes lehret und
welches dem Untersuchen unsres Verstandes «"antz nicht unter-
worfen ist. Endlich so ist es dennoch, dass die Schrifft iiber
die Vernunfft ist, nicht als Frau und Meisterin (denn sie
jedweder ihre unterschiedene Haushaltung haben), als eine,
die von höherem Adel und von grösseren Mitteln ist, weil
uns Gott darinnen offenbahret hat, was niemals von mensch-
lichen Verstand begriffen war. ' Dennoch begibt es sich wol,
dass sie einander auff dem Wege begegnen, oder in einem
Hausse zusammen kommen; und also einander die Hand leihen,
doch beyde als freye Leute; allein mit dem Unterscheid, dass
die Vernunfft als die geringste, der Schrifft allezeit Ehrerbie-
tung beweiset." — Bei natürlichen Dingen, von welchen die
Schrift nicht handelt, ist nach Bekker die Vernunft der Grund
und die Regel der Erkenntniss, „aber in den Sachen der See-
ligkeit ist Gottes Wort allein der Grund des Glaubens und
Lebens". Die Vernunft prüft aber die Schrift, „die man sagt
von Gott zu seyn, oder aus der Erkändtniss, die der Mensch
natürlich von Gott hat"; sie muss darnach „aus dem Sinn der
Worte verstehen, was es für Lehren sind, die uns darinn zur
Seligkeit beschrieben stehen ", — es „muss die Vernunfft leh-
ren, wie man dann die Schrifft nach Erforderung der Sachen
soll verstehen".^ Wie er nun, fährt er fort (in den sieben
ersten Hauptstücken des zweiten Theils), wo er sich in der Natur
umgesehen, die Schrift beiseite gelassen habe, um darzuthun,
„wie fern der menschliche Verstand, wenn er seine Kräffte an-
spannet, vor sich selbst allein kan kommen ; also lasse ich auch
die Vernunfft stehen, so bald ich in das Heiligthum Gottes un-
fehlbaren Worts getreten bin". ^ Aber hierin findet Bekker den
Knoten, dass jeder sich auf die Schrift beruft und, indem jeder
sie in seinem Sinne auslegt, sie zum Beweise seiner Meinung
anführt. Den Vorwurf, dass er selbst die Schrift verdrehe,
1 Kor. 9.
2 Generale Vorrede, S. 10 fg.
3 Ibid., S. 14.
Koskoff, Geschichte des Teufels. U. 29
450 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Gescliichtc des Teufels.
lehnt er daliin ab, dass es nicht die Schrift sei, sondern „ihre
Ausslegungen, daran ich nicht gebunden bin".'
Im ersten Buche führt Bekker, nachdem er die Wichtig-
keit des Gegenstandes und die Nützlichkeit der Erkenntniss
dargethan hat, die verschiedenen Vorstellungen der Griechen
und Römer von ihren Göttern und Heroen, von den verschie-
denen Arten von AVahrsagerei und Zauberei an, welche auf
die christliche Anschauungsweise eingewirkt haben mögen.
Er wendet sich hierauf zu den heutigen Heiden, zunächst im
Norden Europas, um ihre religiösen Vorstellungen zu be-
trachten, dann zu den Völkern in Asien, Afrika, Amerika, um
ihre Ansichten und die damit verbundenen Gebräuche vorzu-
führen und mit den vorigen zu vergleichen. Er bespricht die
Dämonologie der Juden, die Lehre von den Geistern bei den
Mohammedanern, die christliche Anschauung in den ersten
sechs Jahrhundei'ten, stellt den Vergleich an, um den Unter-
schied und den Zusammenhang ersichtlich zu machen, und
kommt zu der Behauptung; „in dem Pabstthum hat man alles
vorher gesagte zusammengebracht, mit neuen Erfindungen ver-
mehret und verstärcket"^, und erörtert die katholische Lehre
von den Engeln und Teufeln, wobei er die Ansichten der
Scholastiker Thomas von Aquino, Lombardus und neuerer
Schriftsteller, als Delrio u. a. anführt. Hierauf kommt er auf
die „Meinungen, die unter uns (Protestanten) umbgehen", führt
den Glauben an den Teufel, an Gespenster und Zauberei, wie
er „unter den gemeinen Leuten" herrscht, an, dann die in
den Schriften bekannt gemachten Ansichten der Gelehrten.
Ln zweiten Buche wird die Lehre von den Geistern , deren
Vermögen und Wirkungen aus der natiirlichen Vernunft und
der Schrift untersucht. Die Erkenntniss des Leibes und der
Seele führt zur Erkenntniss Gottes, dieser ist nur Einer, daher
keine Vielheit von Dämonen, Halbgöttern oder Untergöttern
Raum haben kann, wobei der Verfasser nicht leugnen will,
dass auch Geister seien, da die Bibel deren erwähnt; was
aber ausserhalb Gottes Wort von dem Zustande der See-
len nach diesem Leben gesagt wird, ist der Vernunft nach
zum Theil falsch, zum Theil ungewiss, ebenso ist aus Ver-
J A. a. 0. S. 15.
2 19. Hauptstück.
2. Der Teufel im IG. und 17. Jahrhundert. 451
nimftgrüuden nicht erweislich, dass Engel seien. Was min
die Heilige Schrift betrifft, gibt sie wenig Nachricht von der
Art und dem Ursprung der Engel; von dem Herkommen
und dem Zustande der bösen Geister gibt sie deutlichen
Berieht: sie sind von der Sünde ihres Abfalls an von
Gott verlassen imd in ewige Verdammniss Verstössen. Die
Bibelstellen, in welchen von den Yerrichtimgen und Wirkun-
gen der Engel gesprochen wird, sind nicht buchstäblich oder
eigentlich zu verstehen; von besondern Schutzengeln der Völ-
ker oder Menschen weiss die Bibel nichts. Was die bösen
Engel betrifft, so wird vielmal mit dem Namen Teufel oder
Satan etwas anderes als ein böser Geist bezeichnet, sehr oft
sind böse Menschen darunter verstanden, oder das Böse über-
haupt. Was den Menschen zum Verderben gereicht, das wird
in der Schrift dem Teufel zugeschrieben, als dem ersten Stifter
des Bösen. „In solchem Sinn wird denn auch gesagt, dass
er das thut, was böse Menschen thun ; weil kein Mensch böses
thut als aus der Verderbung, die ursprünglich von dem Teuffei
ist. Er hat zu allererst das Feuer angezündet, wird das her-
nach unterhalten, so schlägt die Flamme ferner aus, und setzet
die gantze Strasse oder Stadt in den Brand und in die Asche ;
es wird für dessen Werck geachtet, der den Brand in das
Hauss gebracht hat. Und dass mit Grund; denn ohne dem
würde nicht der geringste Schaden geschehen seyn. Alles
Feuer ist aus dem Feuer entstanden, welches er erst ange-
stecket hat, ob er gleich hinweggegangen ist, nachdem er das
erste Feuer hat angezündet; ob er gleich weiter von allen
nichts weiss, wie es ferner hergehet: es ist dennoch nach sei-
nem Sinn, dass der Brand wacker fortgehet." — „Denn durch
das allererste Werck ist er der Vater davon, gleich wie Chri-
stus sagt, dass er ein Mörder von Anfang, ja selbst der erste
Lügner, und also ein Vater der Lügen. Wer denn nmi mor-
det oder lüget, der thut ein Teuffels -Werck: und man mag
wohl sagen, dass der Teuffei selbst solches thue; weil er die
erste Ursache des Menschen Bossheit ist, daraus dieses Thun
entspriesset. Dass dieses der Sinn und Zweck der Schrifft
sey, da sie von dem Teuffei redet" — sucht der Verfasser in
den einzelnen Stellen zu beweisen. ^ — Der erste Ursprung der
' II, 114.
29*
452 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschiclite' des Teufels.
Sünde ist also aus dem Teufel — dieser Gedanke ist der Inhalt
der Erzählung vom Sündenfall, bei der die Einzelheiten nicht
eio-entlich verstanden werden können. Ebenso ist auch die
Versuchung Christi durch den Teufel nicht buchstäblich zu
nehmen. Was die Schrift von David sagt, dass er vom Satan
gereizt worden, das Volk zählen zu lassen, vom Zank des
Teufels mit Michael um den Leichnam Mose's ^ , beweist
nicht die leibliche Existenz des Teufels, denn die Stelle
ist so dunkel, wie die vorhererwähnten. Was von wahrsagen-
den Geistern in der Schrift erwähnt wird, steht in keiner Be-
ziehunsc auf den Teufel, und weder Hiob noch Paulus sind
vom Teufel selbst leibhaftig geplagt worden. Die Menschen,
die man vom Teufel besessen hielt, waren besondern Krank-
heiten unterworfen, bei der Austreibung der Teufel hat sich
Jesus, wie auch sonst, dem Volke accommodirt, und viele Schrift-
stellen, die gewöhnlich auf den Teufel bezogen werden, sind
von bösen Menschen zu verstehen. Ueberhaupt hat der Teufel
gar nicht die Freiheit, durch die Welt zu spuken und den
Menschen, ausser im Traume, zu erscheinen, denn es streitet
gegen alle Vernunft, dass der Teufel oder ein böser Geist sich
selbst einen Leib erzeugen könne, oder auch nur den Schein
eines Leibes annehme, weil es wider das Wesen des Geistes
ist. Kein Geist warkt anders als durch den Willen, durch
Denken. Wie sollte es der Teufel können, der doch keinen
eigenen Leib hat? können denn wir selbst eine Hand oder
einen Fuss rühren, ohne zu wollen und zu denken? Kann
aber jemand durch Denken auch nur einen Schatten auf der
Erde oder in der Luft hervorbringen? Ein guter Engel hat
Gottes Macht zur Hülfe, „ihm einen Leib oder Leibes Gleich-
niss in dem, was er aus Befehl der höchsten Majestät ver-
richten muss, zu geben. Aber meynen wir, dass der höchste
Richter den verfluchten Feind aus dem Kerker lossgelassen
und noch darüber allenthalben mit allem, was ihm gelüstet,
fügen wird, und nach seinem Belieben nichts als Wunder
thun, mit allemahl etwas neues zu schaflPen und den einen
oder andern Lumpen-Handel ins Werck zu setzen, welches zur
Unehre des Schöi^ffers und seines liebsten Geschöpffes miss-
1 Br. Jud. 9.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 453
brauchen soll!" — „Aber die Schrifft meynet man, lehret uns,
dass Gespeustr seyn. So das wahr ist, so wird es in dem
Lager der Syrer von Samarien gewesen seyn; da es so kräflf-
tig spockete, dass sie alle erschrocken in der Nacht wegliefen
und liessen alles stehen da es stund. Aber dieses Gespenst
war von dem Teufel nicht, sondern der Herr hatte die Syrer
lassen hören ein Geschrey von Rossen, Wagen und grosser
Heereskrafft. Derohalben hatten sie sich auflfgemacht und
flohen in der Friihe u. s. f." ^ „Die Apostel, Leute ohne son-
derliche Aufierziehung, aus dem geringsten Volck der Juden,
die insonderheit zu der Zeit zum Aberglauben geneigt waren,
schienen im Anfang nicht weiser zu seyn als die übrigen.
Denn als sie Jesum umb die vierdte Nachtwache auff dem
Meere gehen sahen, erschracken sie und sprachen, es ist ein
Gespenst und schrieen f iir Furcht. "^ Da er sich seit dem ersten
mahl nach seinem Tode unvermuthet ihnen lebendig erzeigete
da erschracken sie und fürchten sich, meyneten sie sehen einen
Geist. ^ Aber Christus ohne zu erklären, ob die bösen Geister
auch erschienen, — antworttet auff die Sache, dass ein Geist
nicht Fleisch und Bein habe wie sie sehen dass er habe."* —
,,Was will ich denn alle Spöckerey läugnen? bei Nahe. Von
Engeln vermeyne ich nicht — ob jemand sagen möchte, dass
dieselbigen noch nun und dann erscheinen. Dass man aber
so viel Spoocks von Specken macht, bin ich wohl geruhig,
dass niemand davon viel halten solt." — „Die Unachtsamkeit
bey den Wercken der Natur und die Unwissenheit ihrer
Krafft und Eigenschafi'ten, und das stete hören sagen ma-
chen, dass wir leichtlich auff eine andere Ursache dencken,
als die Wahrheit lehret; und das Vor-Urtheil, das man von
den Teuffein und Gespensten hat, so wohl gelehrt als unge-
lehrt, bringet den Menschen alsbald zum Gespenst. Die Auff-
erziehung der Kinder stärcket diesen Eindruck; dieweil man
sie von Jugend auff" durch gemachte Gerüchte erschrecket, sie
durch eingebildete Furcht zu stillen, und ferner mit allen
solchen alten Mährlein und alten Weiber -Geschwätz unter-
1 2 Kön. 7, G. 7.
2 Matth. 14, 26.
3 Luc. 24, 37.
« Luc. 24, 39.
454 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Gescliichte des Teufels.
liäit«. Was die Träume betriflft „daran man auch dem Teuffei
die Ehre giebt, dass er seinen Theil daran habe", so ist es
ein o-emein Mährleiu; einer hat es erst so erdacht, und die
andern, weil es sein Ansehen hatte, haben es ferner ohne Un-
tersuchung angenommen". ^ — „In Ansehung nun, dass in der
ganzen Bibel nichts anders, das im geringsten nach einen
Königreiche gleichet, und aufi" dem gedeutet wird, zu finden
ist: so wird es ausser Grund also insgemein gesaget, dass der
Satan auch ein Reich auff Erden habe, das eben so weit als
Gottes eigen Reich auft' Erden sich erstrecket: nicht allein
ausser, sondern auch innerhalb seiner Kirche, welche das
Himmelreich, das Reich Gottes und Christi geneunet wird.
Reich gegen Reich, des Teufiels Reich wider Gottes: und ob
das noch zu wenig wäre: Reich in dem Reiche: Imperium in
imperio, und das von feindlicher Macht. AYie kann Gottes
eio-en, wie kan Christi Reich bestehen? Ich will beweisen, dass
der Teufiel kein Reich, das gegen Gott noch unter Gott an-
gestellet, noch wieder das Christenthumb oder davon unter-
scheiden, noch viel weniger darinnen, weder in dem meisten
noch in dem geringsten noch haben kann." — „Und das habe
ich bald o-ethan." — Der Verfasser weist auf seine bisherigen
Erörterungen zurück. — „So kan sein Reich gegen Gott auch
nicht seyn, oder man miisse zugleich begreiffen können,
dass ein Richter jemand zum Könige macht, wenn er ihn
zum Kercker verdammet, wenn er ihn in die Fessel
schmiedet, wenn er ihn aus dem Lande jaget." — „Man
sage mir denn einmahl, wenn Gott den Teuffei wieder
frey gelassen, von diesem schweren Fluch: und das in
der Welt-Herrschafft zu haben, da er niemahls hatte vor dem
Fall, welche ihn in den allertiefsten Abgrund brachte?"^ —
„So lasset denn des Teuffels Feindschafft die grosseste seyn,
die jemahls oder irgendswo sein kann; je grösser Feind
Gottes und des Guten er ist, so viel weiter muss er auch
von dem sein , wo Gott ist, das ist König zu seyn." ^ —
„Aber dass der Teuffei, auff' sein bestes genommen, nicht mehr
als ein Geschöpff' ist, unendlich von Gott an Macht und
Würde unterschieden, sich gross machen soll in dem Reiche
1 II, 230 fg. - S. 242 fg. =5 S. 244.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 455
eines geliebten Sohnes, der den Glantz seiner Herrligkeit und
das ausgedruckte Bild seines Wesens ist: wie kau das ohne
Missverstand einen Christen Menschen in Gedanken kommen?
Viel weniger wird er leiden, dass der allerschnödeste seiner
Unterthanen, der erst den AuflPstand wider Gott erwecket, und
den Menschen zum Abfall hat gebracht, dessen "Wircken mit
Vorsatz kommt zu zerstören, und dazu auch sein Reich hat
auffgerichtet : dass der nun selbst als ein Könio- in dem Him-
melreich soll herrschen, dessen erste Ankunfft ihn als ein Blitz
auff die Erde herunterstürtzte^, das ist so viel zu sagen, als
dass alles, was Teufflisch ist, vor Christi Macht und Krafft
verschwinden muss."^ „Man darff sich auch nicht allzu sehr
bekümmern, zu wissen, was der Teufel zu thun vermag: "Wenn
uns diincket, dass etwas über die Natur geschieht: Denn so
ist es gewiss, dass er es nicht kan thun, Ich sage, dass es
allzu sinnlos fürgegeben wird, wenn etwas böses geschieht,
dass nach unserm Verstand über die Kräffte der Natur gehet,
dass es ein Werck des Teuffels sey? Denn welchem das dün-
cket, der muss nothwendig glauben, dass der Teuffei etwas
thun kan, das natürlicher Weise nicht kan geschehen. Ist das
wahr, so ist der Teuffel Gott: Siebet jemand diese Folge nicht,
ich wills ihm alsofort sehen lassen. Alles Avas er erdencken
könnte, das da ist, das muss entweder der Schöpffer selbst,
oder sein Geschöpffe seyn. Was ist der Teuffel nun? Ein
verdorben Geschöpffe, werdet ihr sagen müssen; diesem nach
ein Theil, und ein verdorbener Theil der erschaffenen Natur.
Wie kan nun das, welches ein Theil der Natur ist, tiber die
Natur seyn? Wer ist über die Natur, denn Gott allein? Der-
halben schliesse ich also fort, schnurgleich wieder die gemeine
Meynung; so bald als man sagt, dass etwas über die Natur
geschehen sey, so hat es denn der Teufel nicht gethan, es ist
Gottes eigen Werck. Ein ander sagt, es ist doch kein natür-
lich Werck, derhalben muss es Zauberey seyn, und ein unge-
waschener Mund, da spielet der Teuffel mit: Aber ich; so es
kein natürlich AVerck ist, so ist es gewisslich auch keine Zau-
berey. Denn ist Zauberey; die muss obschon betrieglich,
dennoch gantz und gar natürlich seyn, gleich, wie ich hoffe
1 Luc. 16, 18.
2 S. 245.
456 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Gescliichte des Teufels.
in dem dritten Buche dem Leser sehen zu lassen." ^ — „Ob
aber gleich diese ungereimte Dinge, die aus fürgewendeter
Zulassung entstehen, nicht zu entschuldigen sind, so ist es
doch plum]3er Unverstand zu sagen, das der Teuflei das thun
kan, was ihm von Gott wird zugelasssen, der muss keine
Sinne haben oder nicht wissen, dass er sie habe, der solches
fürgibt oder sich in die Hand stecken lasset. Gibt die Zu-
lassung denn das Vermögen, dass man ein Ding thun könne?
unterschieden ist die Zulassung von dem Vermögen; sie gibt
Erlaubniss, aber nicht die Krafil etwas zu thun."^ — ^^Die En-
gel sind Gottes Diener überall, sowohl zur Strafi'e als Hut der
Menschen: Der Teufl'el, Gottes Gefangener und damit ist es
aus."^ Im nächsten (35) Hauptstiick fi'ihrt Bekker den Beweis,
dass die Wahrheit des christlichen Glaubens mit dem gewöhn-
lichen Teufelsglauben nicht bestehen könne. „Ein Atheist be-
darfi' keine andern Wafi'en, denn dieser Meynung, davon ich
in diesem Buche rede, das gantze Christenthumb bis aufi" den
Grund nieder zu reissen, und welches wir ihm selbst in die
Hände geben, wenn wir von dem Teufel reden, wie man davon
redet, dass man solches nicht gemercket hat, kompt meines
Erachtens daher, dass wir schlechthin die Lehre von dem
Gottes -Dienst, mit den Grund -Ileden, womit dieselbe bewie-
sen wird, annehmen, ohne sie zu untersuchen, wo die Krafi't
des Beweises lieget."* — Auch die wahre Gottesfurcht wird durch
den Teufelsglauben beeinträchtigt.^ „Aber ist es nicht schon
weit genug gekommen, dass wir den Teuff'el nöthig haben,
den Menschen zu Gottesfurcht anzuhalten? Ist der allgenug-
same Gott denn nicht genug, uns begreifi'en zu lassen, dass
Ihn jedermann fürchten müsse?" — „So wir einen Gott vor
uns hätten, der wie die Könige und Richter aufi" Erden andere
vonnöthen hätte, die Ungehorsamen und Uebelthäter zu straf-
fen; so möchte dieses fürwenden einigermassen bestehen;
allein Er hat nicht nöthig zu solchem Ende den Teufi'el aus der
Höllen loszulassen."^ — „Denn wer fast stets an die List und die
Macht des Teufels dencket, gibt weder Gott dem Schöpfler
selbst noch seinen heiligen Engeln, noch den Gläubigen je-
mahls ihr Theil. Nicht Gott, dessen kindliche Furcht ohn
Unterlass in einem Gottesfürchtigen Hertzen sein muss. Wie
S. 249. 2 s, 251. 3 s. 252. ■» S. 253. ^ Hauptstück 36.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 457
kan die aber gebührend statt haben, da derselbige bereits mit
Schrecken und Furcht vor des Teuflfels Werck vorher ein-
genommen ist? Wie kan er Zeit und Eyfer haben Gottes
vollckommene Wercke zu betrachten, der kaum etwas höret
oder siebet, darinnen ihm des Teufiels Werck nicht vorkomme? "^
„Was für Gedanken haben solche Menschen von dem grossen,
gerechten und gestrengen Gott, welche die Noht ihn zu
fürchten in des Teuffels Gewalt setzen? als ob der Richter
der ganzen W^elt niemand nach Verdienst straffen könnte wo
der Teuffei darinnen ihm nicht zur Hand gehen müste. . . .
Die Furcht welche der arme Mensch vor dem nichtigen Teuffei
hat, Avenn er sich bemühet ihn aus seinem Haupt zu bringen,
so trachte ich desto mehr sein beängstetes Hertz einzunehmen
mit der Furcht vor dem grossen Gott. Und wenn ich also
thue, so beweise ich dass ich keine Teuffels-fürchtende son-
dern Gott-fürchtende Menschen machen will." ^
Im dritten Buche untersucht Bekker die o-ewöhnliche
Meinung über den Verkehr der Menschen mit dem Teufel
und dessen angebliche zauberische Wirksamkeit. Da „bey
dem Teuffei weder der Verstand noch das Vermöa^en ist,
woraus die Menschen so grosse Dinge durch sein Zuthun,
Kraff't und Wirkung zu wege bringen solten, wie man wähnet,
was solten denn seine Diener, Schüler und ünterthanen thun?
so der Meister selber das Vermögen nicht hat. . . . Die Kraff't,
die ihm gebricht, kann an keinen Menschen wirken. So muss
dann alsbald mit des Teuffels Nichtigkeit der gantze Zauber-
Krahm zu Nichte gehen." ^ Im zweiten Hauptstück beweist
der Verfasser, dass die Annahme eines Umgangs der Geister,
besonders der bösen, mit den Menschen „schwerlich" mit der
Vernunft vereinbar sei. Er leugnet die gewöhnlich geglaubte
Gemeinschaft des Teufels mit den Menschen, also auch das
angebliche Teuf elsbündniss, er zeigt dass der Teufel unkörperlich
sei, demnach auch keine Macht auf die menschlichen Leiber
besitze, so wie die Menschen auf den Teufel als Geist nicht
wirken können. Er verwirft auch die angenommene Wandel-
barkeit des Teufels und ruft: „Wer von der protestantischen
Kirche verneint Gott die Transsubstantiation, und stehet dem
Teufel zu die Transformation?"* Kein Geist kann den Men-
1 S. 261. 2 S. 270. 3 iii^ 1, 4 s, 9.
458 Vierter Abscbnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
sehen so besitzen „wie man von Besessenen glaubet". ^ Eine
Vereiniofuno; des Teufels mit dem Leibe des Menschen ist
nicht möglich; aber auch dessen Seele kann nicht von
jenem, nach der gewöhnlichen Meinung, eingenommen werden.^
„Diesem nach", fährt der Verfasser im dritten Hauptstück
fort, „ist auch insonderheit das Verbündniss der Zauberer und
Zauberinnen streitig mit einem unverderbten Urtheil und ge-
sunden Verstand." In den folgenden Hauptstücken (4 — 10)
führt er die Stellen des Alten Testaments an, welche von
Wahrsagerei u. dgl. handeln und schliesst damit: „Wir haben
also das gantze alte Testament von fornen biss hinten zu
durchgesucht und nicht gefunden, woraus blicken mag, dass
einige von allen den vielerhand Arten der Weissager, beson-
dere Gemeinschaft mit dem Teuflei hatte." Und „viel weniger
findet man das geringste in der Schrifl't (das Neue Testament
mitgerechnet), auch da sie von dem Bund der Bossheit redet,
dasjenige, was nach dem zauberischen Fluch-Bund gleichet".^
Der Verfasser zeigt dann *, dass das Teufelsbündniss gegen
den Zusammenhang der Lehre der Schrift sei, und schliesst
den Abschnitt damit: „Denn kann man Gott auch schwerer
lästern als mit solchen Reden, dass er die Hexen Ihn zu
verläusrnen und dem Teufiel zu schweren veranlasset? Dass
er sie durch den Teuflei Gotteslästerungen reden machet?
Dass er sie durch des Teuffels Dienst die Menschen lasset
beleidigen, die er gebeut zu helffen und zu lieben? Dass er
sie durch den Teuffei L^no-ewitter lasset erwecken und aller-
band Wunder thun, womit Er zu beweisen pflegte, dass Er
Gott sey und sein Wort die Wahrheit ist? und dieses noch
allzumahl zu dem Ende, dass sie denken sollen, dass es Gott
nicht thue, weil sie da erst schweren müssen, dass sie Gott
A^erleugneu und dass der Teufel selber der Gott ist der es
thut? — Nun will ich denn schliessen, dass dieser Bund,
davon die Welt annoch so voll ist, worinnen die Menschen
sich also mit dem Teufel wider Gott verbinden solten und
den man für den Grund der heutigen Zauberey hält, in allen
Theilen unwahrhafftig ist, als der dem Teuffei und den
Menschen unmöglich und Gott zuzulassen unziemlich
1 S. 11. 2 s. 12. 3 11. Hauptstück. * 12. Hauptstück.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahiliuudert. 459
und der Lehre des Evangelii schnür gleich zuwider ist, dass
ich nicht zugleich sage, dass solches glauben nicht zum
äussersten spöttlich ist; und so etwas ernstliches darinnen ist,
so ist es der Grund der Manicheer Lehre, es machet den
Teufel arbeitsam wieder Gott und darum ohne Gott, und was
noch ärger ist als die Manicheer, über Gott. Er stellet uns
Menschen dar, die durch des Teuffels Krafft alles thun (und
noch viel mehr) was jemahls Propheten oder Apostel (ja
Christus selbst) durch Gottes Krafft thäten und das wieder
Gott. Und darumb sage ich, wer solches wohl begreiffet und
mit der Schrift und Vernunft vero-leichet und es dennoch
glaubet, dass ich nicht sehe wie er kan glauben, dass er ein
Christ ist." * — In den folgenden Abschnitten '^ wendet sich
Bekker abermals zur Schrift, um die Stellen zu untersuchen,
wo von Zeichen und Zauberei die Rede ist, und findet nirgends
eine Beziehung zu dem Teufel, noch ein Bündniss mit diesem
angedeutet. Daraus folgert der Verfasser: dass ,,die Formu-
lare" in den Katechismen, Bekenntnissen, in Gebeten, Trauungs-
formeln u. dgl., die des Teufels und seiner Werke erwähnen,
nicht im eigentlichen Sinne von einem leiblichen Teufel, son-
dern von dem Bösen überhaupt verstanden werden sollen. ^
Darauf beweist er *, dass der Teufels^laube dem gottesfürch-
tigen Leben schade und zu Frevel Anlass gebe. — Nachdem
der Verfasser bewiesen, dass von der Zauberei im gewöhn-
lichen Sinne als Wirkung des Teufels und des Bundes mit
ihm die Schrift nichts enthalte, dass sie mit dem christlichen
Glauben im Widerspruch stehe, findet er, dass „alle Zauberey
mit allen was derselben abhängig ist, wie dieselbe gemeinig-
lich geglaubt wird . . . nichts als ein reines Gedichte ist,
dessen sich ein Christ schämen mag". ^ Aehnlich äusserte
sich Bekker schon im 19. Hauptstück desselben Buches: „Der
Bund der Zauberer und der Zauberinnen mit dem Teuffei ist
nur ein Gedichte, das in Gottes Wort nicht im allgeringsten
bekandt ist, ja streitig wieder Gottes Bund und Wort, aller-
dinge unmöglich, das allerungereimteste Geschwätz, das je-
mahls von den heydnischen Poeten ist erdichtet worden, und
dennoch von vielen vornehmen Lehrern in der protestantischen
1 S. 103. 2 Hauptstück 13 — 18. => Hauptstück 19. 20.
* Hauptstück 21. ^ Hauptstück 22.
460 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Kirche verthädiget, wo nur nicht nur zum Theil erdacht.
Denn ich finde schier keinen Papisten, die von den Teuffein
und den Zauberern mehr "Wunder schreiben, als Danaeus,
Zanchius und ihres gleichen thun. Woraus man sehen mag
den kläglichen Zustand der Kirche, in welcher ein so hess-
liches ungestaltes Ungeheur von Meynungen nicht allein ge-
litten, sondern auch geheget und unterhalten wird." ^ — Nun-
mehr will der Verfasser ^ erklären, wie er „alle diese Dinge"
selbst verstehe, nämlich „das von des Teuffels fälschlich ge-
nandter Wissenschafft, Krafft und Wirckung wie auch von
den Gespensten und Besessenheit — so fern als nun das Thun
der Menschen hier betrifft, die nach der gemeinen Meynung
mit dem Teufel Umgang haben". ^ Die Möglichkeit, das
Wetter vorher zu verkünden u. dgi., „hat seinen Grund in
einer natürlichen Folge der Wirkungen aus ihren Ursachen,
so durch die Erfahrung vorher bekandt sind". * Dies hat
mit dem Teufel nichts zu schaffen, so wenig als mit „Vor-
bedeutungen", obschon er diese nicht für unmöglich, aber
auf natürliche Weise erklärlich hält; was die Zauberer be-
trifft, sind sie entweder Gaukler, die durch Geschicklich-
keit auf natürliche Weise etwas bewirken imd ihren Unter-
halt erwerben, oder sie sind Quacksalber, Betrüger, die ihre
Bosheit bemänteln, dazu die Einbildung der Menschen,
die Zauberei daraus macht. Besessenheit durch den Teufel,
dessen Beschwörung, heimlicher Vertrag mit dem Teufel
„ist Eitelkeit über alle Eitelkeiten, es ist alles eitel, zum Theil
altvettelische, zum Theil aufs beste noch küusthch erdichtete
Fabulen, entweder ist erst das eine gewesen, und darnach das
andere. Das ist nachdem die Menschen aus blossen Miss-
verstand, Aberglauben und Leichtgläubigkeit solche Gedichte
vor Wahrheit angenommen hatten, so haben Gelehrte sich
selbst den Kopff zerbrochen Ursache davon zu geben, den
Ursachen der Natur nachzuforschen und weiter die Schrifft
auch so reden zu hören". ^
Im vierten Buche, „worinnen der Be weiss welcher aus
der Erfahrung genommen, von Grund aus untersucht wird",
sucht Bekker zu zeigen, dass die Erscheinungen unbefangen
1 3. Buch, S. 155. 2 3. ßuch, 22. Ilauptstück. ^ S. 180.
1 S. 181. ^ S. 189.
2. Der Teufel im 16, und 17. Jahrhundert. 461
und vorurtheilsfrei zu betrachten seien, dass etwas darum
noch nicht unnatürlich, das heisst im gewöhnhchen Sinne
zauberhaft sei, weil uns die Ei^kenntniss abgeht, dass oft Be-
trug und Täuschung mitspielen, dass bei den Besessenen
gewöhnlich Krankheiten mit unterlaufen. Der Verfasser unter-
sucht eine Menge Beispiele von Zauber- und Spukgeschichten,
die dem Teufel zugeschrieben werden, alter und seiner Zeit,
auch selbsterlebte, wobei er den landläufigen Teufelsglau-
ben geiselt. Er zeigt dabei, wie gross der Einfluss .der
Einbildung, des Vorurtheils, des Mangels an Beobachtung bei
solchen vermeintlichen Wunderwerken des Teufels sei, dass
auch der Betrug oft mitspiele, z. B. bei der merkwürdigen
Geschichte ,,der Ursalynen zu Lodun". ^ Er weist darauf
hin, dass die Berichterstatter über solche Spuk- und Zauber-
geschichten „Schwätzer und Poeten seyn oder denselbigen in
ihrer Seltzamkeit mit einem Hauffen zierlichen Worte sie zu
schmücken folgen"^; dass den Zeugen nicht zu trauen sei,
weil sie mit Vorurtheilen beladen, kein gesundes Urtheil
haben. Auch „die Untersuchung der Zauber-Richter (Hexen-
richter) gibt gantz keinen Beweis von der Zauberey." ^ ... „Die
Exempel, die das (was Bezauberung oder Behexung genennet
wird) nach der allgemeinen Meynung am klahrsten beweisen,
sind meist diejenigen welche genommen werden von dem Ge-
richt, der Untersuchung, den Straffen und den eigenen Be-
kändtnissen dieser Menschen, weil sie ohne dieses nicht leicht
zum Tode verurtheilet werden." Der Verfasser gibt hierbei
vornehmlich zweierlei zu bedenken: ,,wie die Rechtshandlungen
gepfleget worden und solche Menschen zur Erkäntnis gebracht,
und was man aus diesen Rechtspflegungen von solcher eigener
Bekäntnis glauben mag". * Er empfiehlt dem Leser das Büch-
lein ,, Versicherung" von einem „Römischgesinnten" ^, und
stellt folgende 15 Sätze auf in Bezug auf die Hexeninquisi-
tion und Hexenprocesse:
1) „Der Anfang ist denn: Ein unglaublicher Aberglaube
des gemeinen Volks in Teutschland; darbey ich wohl sagen
mag, dass derselbige nicht wenig durch die Geistlichen unter-
1 4. Buch, 11. Hauptstück. ^ s. loo. » 24. Hauptstück.
* S. 214. * Es ist die Cautio criminalis von Fr. Spec.
4G2 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
halten wird, nicht allein des Pabsthnmbs, sondern gewisslich
auch der Protestanten. Alle Straffe, die uns Gott in der
heiligen Schrifft dräuet, kommen nach den gemeinen Sagen
von den Zauberern.
2) Daher werden die Gerichte in den fürstlichen Höfen
unauffhörlich angelauffen, mit einem gemeinen Geschrey und
Untersuchung zu thun.
3) Das erste, Zauberin zu finden, das soll derjenige seyn,
der im geringen Stande bey diesem oder jenen etwas in Augen
ist, oder auch, es sey mit Schuld oder Unschuld, fiber etwas
iro;end in keinem ojuten Gerüchte steht.
4) Denn machet sothanig eine Schlussrede mit zwey
Hörnern. Ist sie von keinem guten Leben gewesen, so ist
der Argwohn wohl begründet; so ja, so sind es die, welche
das Wolffs-Hertze unter dem Schaff-Fell bedecken.
5) Noch eins, wird sie bezi'ichtiget und entsetzet sich
nicht, so ist es ein Beweis teuff'Jischer Verhärtung: Wo aber
ja, so hat sie Schuld. Ziehet sie, Friedens halben aus der
Nachbarschafft, oder der Plage zu entgehen, so wird alsbald
sesagt: Wer laufft hat Schuld.
6) Wer ihr nun nicht zum besten will, findet leicht etwas
in ihrem Leben, Worten, Thaten, das von dem besten nicht
war (denn wer lebet sonder Fehler) das dienet denn auch
zur Hegung des Vermuthens ihrer Zauberey.
7) Man beschleunigt auch die Untersuchung, biss weilen
noch denselbigen Tag der Beschuldigung; und lasset ihnen
selten Advokaten zu, die auch zu solchen Dingen nicht sehr
ungeneiget (?) seyn.
8) Auft' die erste Befragung, sie mag etwas oder nichts
bekennen, wird sie angeschlossen, und wenn sie bey ihrer
Unschuld bleibet, je besser sie das weiss zu sagen, je mehr
wird geglaubet, dass der Teufel ihr diese Lehre gegeben, wo
nicht, so hat die Schuld, die sich nicht wohl weiss zu ent-
schuldigen. Alsdenn gehet man ferner, denn man will dass
sie bekennen soll.
9) Man bedräuet sie mit der Pein-Banck, kleidet sie
nacket aus und bescheeret sie über den gantzen Leib, gleich-
sahm keine Zauberey, wie geringe die auch sey, bey sich
verborgen zu behalten. Dieses wird selber auch von Männern
an Frauen mit Muthwillen gepflegt.
2. Der Teufel im 16. und 17, Jahrhundert. 463
10) So sie durch den Drang der Pein-Banck zur Be-
kändtniss kommet, so ist die Sache gethan; sie hat die Zau-
berey bekandt, sie muss nach dem Feuer.
11) So sie aber nicht bekennet, so ist es Hartnäckigkeit;
sie muss besser daran, so hinge biss sie endlich bekennet;
Wiederruffet sie nach dem Auffhalten des Schmertzen, so ist
es wiederumb Hartnäckigkeit; Bekennen wird geglaubet aber
kein Verneinen.
12) Siehet sie rund umb sich her, so ist es nach dem
Teuffei, ihrem Buhlen. Schlägt sie die Augen nieder, oder
liegt sie aus Pein in Ohnmacht, sehe da die Hexe noch
schlaffen, denn der Teuffei macht sie also unempfindlich.
13) So die schwache Frau stirbt, so hat ihr alsdann der
Teuffei den Halss umgedrehet ; und der Leib wird unter dem
Galgen begraben, er ist nicht besser werth.
14) Kan die Pein-Banck nicht zuwege, noch sie zur
Bekändtniss bringen, so muss die langwierige Gefängniss
es thun.
15) Die Geistlichen bringen sie denn auch noch auf die
Pein-Banck des Gemüths und bringen sie zur Bekändtniss
aus Furcht, dass sie sonst nicht kan seelig werden." ^ . . .
„Das ist kürzlich", fügt er hinzu, „was diejenigen belanget,
die zum ersten auff ein blosses Gerücht und Bezüchtieunir
gepeinigt werden; alsdenn ist es auch noch zu thun auch an-
dere als Mitschuldige anzugeben und in der schweresten Pei-
nigung zu erklähren, ob sie keine wissen, es wird ihnen die
eine und andere genennet und imgleichen gefraget: Ob die
nicht auch von ihren Volck sey, und ob sie in den Zauber-
Sabbathen von ihr gesehen worden? Die Pein zwinget sie
endlich zu sagen: Ja. Darnach wird eine andere genennet
und desgleichen gefraget, ob sie nicht auch darunter sey? so
sie nicht ja sagen, so wird die Schraube dichter angesetzet
und das Ja zur Kehlen herausgepresset. Wenn das einmal
also gestellet ist, so hilfft alsdenn hernach kein leugnen mehr.
Die welche also angegeben ist, wird als eine Zauberin ge-
fangen und gepeiniget als die erste, biss dass sie durch Un-
gedult auch wohl durch Wahnsinnigkeit von der unerträg-
S. 215 fg.
464 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
liehen Peinigung es auch zu ihrem eigenen Nachtheil bekennet,
ob sie schon die Unschuldigsten von der Welt seyn." ^ Auf
solche Bekenntnisse, meint der Verfasser, sei demnach gar
kein Werth zu legen, ebenso wenig als die hier und da ein
kranker, wahnwitziger oder schwermüthiger Mensch von sich
selbst ablest. — Hierauf kommt Bekker auf die bekann-
ten Vorgänge in dem Waisenhause zu Amsterdam, Hörn,
dem Armenkinderhause zu Ryssel zu sprechen und sie zu
beurtheilen, und zeigt, dass hierbei ebenso wenig Zauberei
stattgefunden wie bei dem wunderlichen Kindbette des Wei-
bes zu Abbekerck. Im 27. Hauptstück zeigt der Verfasser,
dass die „Rechtshandlungen bey dem Anfang der Reformation
in den Niederlanden über Zauberey geführet, sind nicht nach
Recht und Vernunfft gewesen", und ähnlich beweist er dies
an Beispielen aus Dänemark, Schweden und andern Ländei-n
in den folgenden Hauptstücken und findet als Ergebniss: ,,dass
gantz keine Erfahrung von solcher Zauberey oder was Nahmen
es haben mag, sey die durch Hülffe und Wirckung des
Teuffels, oder auch Krafft eines Bündnisses mit ihm geschieht,
noch auch von einigen der geringsten Wirckung der bösen
Geister auff den Menschen, oder etwas davon Erkäntniss hat.
Nicht eines von allen vorerwehnten Exempeln, da es nicht
an einen oder andern vornehmen Umbständen gebricht, die
nöthiff waren zu wissen, so man etwas davon schliessen sollte;
nicht eines, da nicht Ursache sey zu vermuthen, dass es
durch Betrug angestellet worden. Sehr viel ist nur durch
Einbildung geschehen, oder durch Vorurtheil grösser ausge-
o-eben worden, und ausser diesen ist alles natürlich was dar-
innen ist, aber ungemein, aber die Ursachen bey den meisten
nicht bekandt. Ist demnach keine Zauberey, sondern nur in
der Meynung der Menschen, kein Gespenst, keine Wahrsagerey
noch Besessenheit die von dem Teufel herrühret. ^ . . . Es
ist demnach wohl zu sehen", fährt der Verfasser ^ fort, „dass
frey viel Wercks zu thun ist, da so viel noch unterm Hauffen
lieget, die protestantische Christenheit zu reinigen und nach
der reinen Satzunsf des Wortes Gottes und den ersten Gründen
der erneuerten Kirchen-Beckäntniss zu säubern. Ich will die
1 S. 216. 2 s. 292. 3 34, Hauptstück.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 465
Ursache sagen, warumb dieses billig solte getlian werden vind
welche hiezu am meisten verflichtet sind und das meiste Ver-
mögen darzu haben. Solches zu thun sollte allein genug seyn,
dass wir des Teufels Werck oder vielmehr den Glauben davon
nicht von nöhten haben; Denn wie reimt sichs jetzund zu
glauben und dennoch so starck zu treiben, dass der Glaube
von der Seligkeit keinen Nutz davon ziehet, noch die Selig-
keit die geringste Reclumng dabey findet? Es wird aber
noch stärcker binden, wenn wir sehen, dass unser Glaube und
Gottseligkeit allda beyde Beschwerung leyden und denselbigen
höchlichst zu Sturtz geschiehet. — Dass wir die Meinung von
der Zauberey und was derselben anklebet gar wohl entbehren
können, erscheinet klärlich aus unsrer eigenen Erfahrung,
weil sie nirgends mehr gefunden wird, als da man sie
zu seyn glaubet. Glaubt sie denn nicht mehr, so wird
sie nicht mehr seyn. In dem Pabstthumb hat man täglich
Beschwerungen zu thun, hie nimmermehr. So viel Besessene
sind denn allda mehr als hier. Denn sehet, sie sind daselbst
nöthig, den Geistlichen Materie zu Mirakuln zu geben und
zu zeigen, welche Krafft ihr Okusbokus auff den Teufiel habe;
davon rauchet ihr Schornstein. Bey uns erkennet man nicht
leichtlich jemand bezaubert, so da keine Handgucker oder
AVahrsager, noch sogenannte Teuffels- Jäger seyn. Alle die
allda kommen, sind bezaubert. Kommen aber diese Leute
zu Doctoren, die wissen von keiner Zauberey. • . . Also
siebet man auch, dass bey uns (in Holland) da bey keinen
liichter mehr auf Zauberey Untersuchung gethan wird, auch
niemand leichtlich der Zauberey halben wird beschuldiget.
Man siehet hier niemals weder Pferd, noch Kuh, noch Kalb,
noch Schaaff in dem Stall oder auff der Weyde die von einem
Weer-Wolff" gebissen sind. So dass Grass oder Korn nicht wohl
stehet, giebt man niemahls den Zauberern dessen Schuld.
Niemals höret man hie zu Landen von Schiffen, die auff der
See durch Zauberey untergangen, oder von Häusern oder
Scheunen, die durch Unholden in Brand gestecket worden
u. dgl. Aber anders wo, da das Hexenbrennen statt hat,
wird kein Unglück sich begeben haben, das man nicht der
Zauberev zuschreibet. — Man siehet nun klärlich, dass gantz
keine Zauberey seyn wi'irde, so man nicht glaubete dass sie
sey. Derhalben ist es keine Atheisterey dieselbe zu leugnen,
Roskoff, Geschichte des Teufels. U. gQ
46G Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
weil von Gott niclit angebet, dass man von dem Teufel etwas
leugnet. So es Atheisten sind, die solche Teufels-Dinge leug-
nen, so sind es die Heyden und nebst ihnen die Papisten am
wenigsten; Am meisten aber dagegen die zum reinesten Re-
formieret sind, und am wenigsten von der Zauberey wissen.
80 es unsern Glauben und Gottesdienst hindert wenn man
keine Zauberey glaubet, und ist das Glauben der Zauberey
Gottesfurcht: Warumb denn länger hier verzogen? Warumb
kehren wir nicht mit dem ersten zu dem Papstthumb? Allda
spiicket es täglich, aus der Hölle und aus dem Feg-Feuer,
ja selbst erscheinen allda wohl die Seelen aus dem Himmel
von Jesu und Maria, von den Aposteln und den Märtyrern.
Wenn es hier einmahl spiicket, so muss es allemahl der TeufiV-1
thun, wie in dem 1. Buch, Hauptstiick 15. 16 gezeiget ist,
dass in solchen Zeiten und bey solchen Lehren, am meisten
von Zauberey, Besessenheit, Erscheinungen und Beschwerungen
der Geister geredet ist, allda sie meist von den heydnischen
Aberglauben statt und Raum behalten hatte. Also siebet man
heute, dass wo am meisten von dem Pabstthumb iibrig ist,
da redet man auch am meisten von der Zauberey. — Also
kann man denn die Wahrheit des christlichen Glaubens ver-
theidiscen und dennoch so viel weiter von dem Glauben der
Zauberey ab seyn, so kan man Gott und Christum näher
kennen, wenn man weniger von dem Teufel meynet, ausser
dem was uns die Schrifft davon lehret. Das nur zu wissen
ist üfenus zu wissen und alles was dariiber ist, das ist nur
Thorheit. Es sagen fürnehme Gottesgelehrten selber, dass
wir den ganzen Teufel sollen entbehren können und
nichts desto weniger vollkommlich zur Seligkeit
wohl unterweisen seyn, so die Schrifl't uns nicht lehrete,
dass so ein Teufel mit seinen Engeln sey." ' Der Verfasser
schliesst sein Buch mit dem 35. Hauptstück: „Von allem was
biss hieher ist gelehret, ist das Ende der Sache: der ungeist-
lichen und altvettelischen Fabeln entschlage dich, übe dich
selbst aber in der Gottseligkeit."
f S. 298 fg.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 467
Es wurde bereits bei Gelegenheit der Hexenprocesse
Bekker's erwähnt und ebenso seiner unzulänglichen Waffe der
Exegese, die ihm freilich durch seine kritiklose Achtung vor
der Schrift und durch sein Streben seine UeberzeuffunQ- mit
der Bibel in Einklang zu bringen, in die Hand gedrückt wor-
den. Ungeachtet des reissenden Absatzes seiner Schrift, bil-
deten seine Gegner doch die Mehrzahl, wie es scheint, da
Bekker seines Amtes entsetzt wurde. ^ Eine Flut von Gegen-
Schriften strömte auf Bekker ein, um diesem gegeniiber, dem
der ganze Teufel sammt seiner Sippschaft überflüssig erschie-
nen war, dessen reales Dasein zu beweisen. Natürlich wurde
er mehr mit vermeintlichen Schimpfnamen des Cartesianismus,
Anklagen des Atheismus, Naturalismus, der Böhmisterei und
dergleichen überhäuft, als durch eine gründliche Widerlegung
überführt. Dass Bekker kein plötzliches Umschlagen der
Zeitvorstellung unmittelbar bewirkte, liegt in der Natur der
Sache, aber seine philosophische Durchbildung und der sitt-
liche Ernst verlieh seinem Werke die Bedeutung, die nicht
ohne Tragweite bleiben konnte, wenn sie auch erst im 18. Jahr-
hundert zur Anerkennung kam. Es ist aus Schonung für
den Leser, wenn wir aus dem Wüste der Gegenschriften nur
eine herausgreifen, die einen ebenso dicken Quartband aus-
macht (958 Seiten ohne Vorrede) als die „Bezauberte Welt".
Es ist: „Die dreyfache Welt, als der Christen, Phan-
tasten und Bezauberten, in dreyen Büchern abgefasset,
davon das erste handelt von der christlichen Religion etc.
In dem andern Buche wird erwiesen, dass keine Hoffnung zu
einem tausendjährigen Reiche etc. Und im dritten Buche des
Hn. D. Beckers bezauberte Welt, worin er die Gewalt und
das Würcken des Satans oder der bösen Geister auff den
Menschen verleugnet, von Grund aus und das von § zu §
widerlegt. Auff'gesetzt von M. Michael Berns, Predigern
zu Weszlingburen in Norder-Dittmarschen. Hamburg — im
Jahre 1097." Einige Stellen aus der Vorrede des Verfas-
sers dürften genügen, um dessen Standpunkt zu kennzeich-
^ Es sollen in zwei Monaten von Bekker's Werk 4000 Exemplare
abgesetzt worden sein. Die Synode, der Bekker seine Schrift vorgelegt,
verdammte seine Ansichten und entsetzte den Verfasser seines Amts.
Er starb 1698.
30*
4G8 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
neu. Z. B.: „Und weil der Herr D. Bekker in dem ersten
Buch seiner bezauberten Welt mir die höchste Gelegenheit
»riebet den Grund auszuführen ; was das Heidenthuni sey und
wie weit die Geister sich mit diesem Wesen vermischet hal-
ten; als derer conversationen sich heut zu Tage die Böhmisten
und Rosen-Krcutzer, wie vormahls bey denen Heyden ge-
bräuchlich, bedienen: so erwehlte ich draufi' auch dessen
Schriflften nachzugeben: Und dass ich dieses mein drittes Buch
angegangen, nicht nur um den Hn. D. Bekker zu wieder-
legen, sondern auch fiirnemlich zu zeigen, wie das gelehrte
Heidenthuni von jeher eins mit dem heutigen Quackerthum,
Böhmisterey etc." — ^^Wie ich mich denn in diesem meinen
Vorhaben durch sie zu einer einfältigen und deutlichen Wahr-
heit gesetzet habe, damit die Scharfsinnige möchten hieran
einen genügsamen Wiederstand haben und auch die Einfältige
einen völligen Begreiflf darüber fassen, damit sie in ihrer
Schuld nicht ferner einige Verführung durch dergleichen
Schrifi'tcn litten, noch sich weiter durch den Schein solcher
verführerischen Federn, als der heutigen Chiliasten, Quackern
etc. und des Hn. Bekkers verleiten lassen." — „Kann auch den
Lesern versichern, dass wo er nur die Mühe will nehmen
und diese Meine Schrifi't, denen Chiliastern, Quackern und
dergleichen Geschmeiss und was voraus Herrn D. Bekkern
betriflPt, beybehalten: dass sie alsdann den Deckel ihres Irr-
thums werden abgehoben sehen und dass sich die Unbändig-
keit ihrer Phantasie damit an aller Welt ofienbahre." — Der
Vorredner versichert ferner dem Leser, der seine Schrift mit der
Bekker'schen vergleicht, „dass er befinden werde, dass die
Welt noch nie grober durch je eine Schrift betrogen und
verführt, als eben durch diese des Hn. Bekkers. Wie denn
nicht nur hindurch diese seine Schrifi't Unwahrheiten, grobe
Verleumdereyen wieder die Christenheit und Verdrehungen
göttlichen Worts enthält: Sondern er setzet auch, dass gar
der Heyland nach irriger popularität fortgekommen." — Nach-
dem unser Apologet des Teufels seinem Gegner in den ersten
11 Kapiteln nachgewiesen zu haben meint, dass er die alten
wie die neuen Heiden über Zauberei und dergleichen wenig
verstehe, als auch die Ansicht der ersten Kirche verdrehe u. s. f.,
sagt er: „Und hat meine Feder bissher erwiesen, wie falsch,
wie unwahr und wie verleumderisch der Herr Bekker darinn
2. Der Teufel im 1(3. und 17. Jahrhundert. 469
verfahre, wann er abermahl in seinem § 15 vom Munde giebt,
als wenn die Lehre von denen Geistern bey uns aus dem
Heydenthum hergeflossen, als die von dar zuerst denen Jiiden,
und beydes von Juden und Heyden zu denen Christen über-
geführet. Wie denn auch selbst dieses Capittel weil ein an-
ders zeiget und bezeuget: Also dass keine unverschämtere
und mit gröberer und augenschentlicherer Unwarheit ver-
wickelte Auflage jemahls wieder die Christenheit und die
göttliche Warheit ergangen, als hiemit der Herr Bekker für-
nimmt. Irrig ist er gegen sich selbst und bey dieser seiner
Unwissenheit will er dennoch andere lehren und sie eines
Irrthums überführen. Er thut durchgehends nichts, als dass
er mit seinem verwickelten Gehirn die Kertze der Warheit
sucht auszuleschen , und wil dafür angesehen seyn, als blase
er sie auf. Da er selbsten Stockblind, will er dennoch alle
Welt eines schwachen Gesichtes beschuldigen. Da sein Eulen-
Gesicht zu schwach für den Tag, da wil er dass auch alle
Welt sich mit ihm soll zur Nacht der Unwahrheit und Un-
wissenheit wenden; und kan nicht leiden, dass sie bey der
Sonnen-Licht, als am Tage und bey der Warheyt einher-
gehen u. s. f." ^ — „Denn alle Blätter von des Herrn Bekkers
Schriflften sind mit Bildnissen eines phantastischen Wurms
erfüllet, eitel Scheusal der Ungereimtheiten nimmt man da-
selbst wahr, sein Vorurtheil stellet durchaus Götzen auf", u. s. f.^
Der Polemiker streitet nicht nur für die reale Persönlichkeit
der Engel und Teufel, auch „dass — beiden Cherubim und
Seraphim Personalitäten, selbstständige Verständigkeiten, dass
bekräfftigen zur Genüge die angezogenen Sprüche". ^ Bekkcr's
Interpretation wird hart angegriffen, namentlich wo er den
Sinn nicht buchstäblich fasst, wie z. B., dass der Teufel in
Judas gefahren sei. „Damit hat freylich der Teufel in Person
etwas gegen des Judas Seele fürgenommen, ja seine Werck-
statt in ihm auffgeschlagen ; Denn hier kommt die böse Natur
nicht zupass, als welche nicht in Judas fähret, sondern sich
vielmehr aus seinem Hertzen heraus begiebet — muss also
dieser Teufel so in Judas gefahren, ein wesendtlich entschie-
denes von der sündlichen Natur seyn. Darum es wolle nur
' S. 780. 2 y, 783, 3 s_ 845,
470 Vierter Abschnitt : Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
der Herr Bckker die Brille seines Vorurtheils absetzen, so
wird er nach gesundem Urtheil befinden, dass der Teufel
noch diese Stunde gegen die Menschen in Person anwi'u-cke
und seinen Willen an ihnen vollbringe." ^ „Denn wo je eine
Auslegung von dem Buchstäblichen Verstände weicht,
so ist es wahrhafl'tig diese (Bekker's) dafiir auch eine gott-
selige Seele nicht anders als grausam nehmen kann." ^ Im
25. Kapitel „wird zum Beschluss erwiesen, dass Teuf'fel
seyn". Wie Bekker eine Menge Spukgeschichten angefiihrt,
um die Nichtigkeit derselben und ihre Beziehungslosigkeit
auf den Teufel zu zeigen, so gibt auch sein Polemiker einige
zum besten, um das Gegentheil zu beweisen, „welche zu
läuffnen eine allzu unverschämbte Stirn erforderten". ^ Es
genügt eine einzige, um die Beweiskraft derselben und der
iibrigen zu ermessen. „Es ist auch in Holstein passiret, dass
ein gewisser Edelmann (ein Spötter und Verlächer der Teufel
und aller Gcsjiensten, als der nichts von beyden geglaubet)
sich in einer gewissen Herberge, wider des Wirths Willen
und Abmahnen in ein Hinter-Gemach, worin es sehr gespücket,
dass kein Mensch drinn dauren können, niedergelegt: Damit
er aber dennoch nicht als gantz tollkiihn möchte angesehen
werden, so befiehlt er seinem Knechte, dass er sich zu nechst
an der Kammer soll niederlegen und Feuerschlag und ein
Licht bey sich nehmen, damit er aufi' sein Zuruffen könne
Licht machen: Wie es nun kömmt um Mitternacht, da er-
öfinet sich die Thür und kömmt ein Knab, ein Licht in der
Hand führend, herein, grüsst und beleuchtet ihn und geht
drauf wieder hinaus. Dieser Edelmann geräth bey dieser
ersten Begebenheit in Zweiffei, ob er seinen Augen solle
trauen oder ob es nur Phantasie. Bald aber eröffnet sich
die Thür von neuen, und kommen zwey Knaben mit bren-
nenden Fackeln herein, machen auch ihren Reverentz, be-
leuchten ihn und gehen gleichfalls wieder davon. Drauff rufft
dieser Held seinen Knecht, allein umsonst, weil er so tieff
in den Schlaff verwickelt. Hierauff kommen von neuen drey
Knaben herein mit brennenden Fackeln und zeigen gleichsam
einem alten bemäntelten Manne sammt dessen Jungen, der
1 S. 872. 2 y, cjii. 3 s. 955.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 471
gleichfalls einen Mantel umgehabt , den Weg, griissen drauf
diesen Edelmann. Und redet der Alte, ein Becken, gleich
einem Barbierer in der Hand haltend, ihn also an: Wilst du
geputzet seyn? Dieser Edelmann, dem nunmehro das Lachen
vergangen, deprccirt solches sehr; Allein das Gespenst ant-
wortet: Du wilst und must geputzet seyn, giest daraufi ein
Wasser über dieses Menschen Haupt, zerreibet damit sein
gantzes Haupt und Angesicht, dass Haut mid Haar danach
abgehen. Und wie nun dieses an ihm verrichtet, so gehen
sie miteinander, doch nicht ohne Ceremonien wieder davon.
Darauf nun recht um Mitternacht, wacht sein Knecht auf,
schlägt Licht an und bringt es seinem Herrn, den er denn
mit Verwunderung und im höchsten Schrecken ohne Haar
und Bart vorfindet, und so kahl und glatt, nicht anders als
wenn er mit warmen Wasser abgebrühet wäre." ^ — Der Ver-
fasser erzählt noch einige Spukgeschichten desselben Schlags
und ruft dann aus: „Solte aber auch diesem allen der Herr
Bekker keinen Glauben zustellen wollen, so kan er sich an
die heutige Rosenkräutzer oder Böhmisten machen, welche
ihn empfindlich gnug drüber machen werden." ^ Und zum
Schlüsse: „Sind es also, wie er (Bekker) caj). ult. , lib. 4
schreibet keine ungeistliche und altvettelische Fabeln, dass
sowohl gute als böse Geister und Engel seyn, sondern eine
thätliche Warlieit als derer wir überzeuget werden beydes
von Gott und der Natur, darinn uns also beydes die erleuch-
tete und gesunde Vernunfi't beytrift und selbige Warheit be-
kräflftiget: Darum mag und kan auch der nichts anders, als
grob und unverschämt heissen, der sich dieser so handgreif-
lichen Warheit widersetzet. Wie ich denn auch dem Herrn
Dr. Bekker und allem seinen Anhang wünsche, dass wie
Christus gekommen in die Welt, des Teufels Werck zu zer-
stöhren: dass Er auch dieses ihr teuflisches Vornehmen in
ihnen wolle zerstöhren, ihnen erleuchtete Augen ihres Ver-
standes geben, damit sie nicht durch Sicherheit dem höllischen
Pfuhl verfallen und daselbst wider ihren mit allzu grossen
bedauern über diese Warheit munter und mehr als empfind-
lich gemacht werden. Welchem unsern Schlangen-Treter als
S. 956. 2 s_ fj57.
J S. 958.
"^ Christliche Morgen- und Abendgebete auf alle Tage der Woche,
wie auch schöne Beicht-, Comniunion- und andere Gebete nebst Morgen-,
Abend- und andern neuen Liedern von Dr. Joh. Habermann, wiederholt
aufgelegt.
3 S. 3. •• ö. (3. 5 y. 12. 6 y. j^. ' S. 20. » S. 22.
» S. 34.
■^s"-
472 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
für dessen Ehre Ich diese Feder führe, sey Ehre von Ewig-
keit zu Ewigkeit, Amen." ^
Der Teufel im Gel)ete.
Mit unserm Verfasser war die Majorität, Bekker musste
unterliegen, und die Protestanten hatten ihren Teufel gerettet.
Seiner ward selbst im Gebete nicht vergessen. Zum Be-
weise diene uns die ihrer Wohlfeilheit wegen unter dem Na-
men „Der kleine Habermann" unter den Protestanten bekannte
weitverbreitete Sammlung von Gebeten. '^ Da wird im Ge-
bete am Sonntag früh Gott gedankt, dass er „auch vor dem
bösen Feind und allen seinen Feindlichen und Tücken be- ^
wahret und ganz väterlich beschirmet"^; am Sonntag abends
„durch den Schutz deiner sieben Engel wider den bösen Feind
gnädiglich beschirmet hast"^; am Montag früh; „frühe suche
ich dich und bitte du wollest mich mit allem was mir zu-
ständig ist, heute ferner behüten, vor der List und Gewalt
des Teufels, vor Sünden Schanden und allem Uebel"^; Mon-
tag abends: „auch gnädiglich bewahren für aller Angst
und Beschwerniss für des Teufels List und Geschwindigkeit,
damit er uns Tag und Nacht gedencket und bestricket"^;
Dienstag früh: „preise ich dich, dass du mich in dieser
Nacht hast sicher schlafien und ruhen lassen auch wiederum
gesund erwachen, darzu für aller des Feindes 'Gewalt und
Bosheit vätterlich beschirmet"^; Dienstag abends: „dass
mich der böse Feind im Essen und Trinken mit Gift und an-
dern tausendkünstlichen Listen nicht verderbet hat"*; Don-
nerstag früh: „mich hast du bewahret für dem Grauen
des Nachts, für des Teufels Schrecken"^; Donnerstag
abends: „Gelobet sey Gott, der mich elenden Menschen
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 473
heut diesen Tag ganz gnädiglieh bewahret hat für allen feuri-
gen Pfeilen des Satans ctc."^; Sonnabend früh: „Ich bitte
dich du wollest mich heut diesen Tag auch behüten, dass
mir der böse Feind keinen Schaden zufüge u. s. w." ^ Im
Gebete um ein seliges Ende heisst es: „tröste mich bei
meinem letzten Seufzer, auf dass mir die Sünde, Hölle und
Teufel nicht schaden".^ Im Gebete eines Ehemanns:
„Bewahre uns Gott des Friedens! für Zank, Uneinigkeit und
des Feindes Listen, für unzeitigen Eifer, unnöthigen Arg-
wohn, welche der Teufel als ein Same des Verderbens und
Ausdürrung ehelicher Liebe und Treue säet."* Gebet eines
Jiinglings und Jungfrauen: ,, Behüte mich vor hoffärtiger
Pracht, vor Miissiggang und Faulheit als Stricken und Netzen
des Teufels."^ Gebet eines Knechts oder Magd: „Barm-
herziger Gott der du mich von der Dienstbarkeit der Sünden,
von der Obrigkeit der Finsterniss und von der grausamen
Tyranney des Teufels erlöset — hast." ^ Gebet am letzten
Stiindlein: „Du hast mir im Anfang deinen lieben Sohn
Jesum Christum zugesagt, derselbe ist kommen und hat mich
vom Teufel, Tod und Hölle und Sünde erlöset." ^
Der Teufel im (jesaugbucli.
Der protestantische Christ gedachte des Teufels nicht
nur in seinen Gebeten täglich und in jeder Lebenslage, die
Dichter geistlicher Lieder des 16. und 17. Jahrhunderts Hessen
ihn den Namen des Teufels auch fleissig singen. Luther, der
bekanntlich den Teufel gern im Munde führte, ging auch in
dieser Beziehung voran. Seine „geistliche Lieder mit einer
neuen Vorrede D. M. L. gedruckt MDXLV, Leipzig" versah
er mit der „Warnung":
Viel falscher Meister itzt Lieder dichten
Siehe dich für und lern sie recht richten.
Wo Gott hinbauet sein Kirch und sein Wort,
Da will der Teufel sein mit Trug und Mord.
' S. 37. 2 S. 53. ' S. 63. * S. 100. « ö. 105. * S, 107.
» S. 120.
474 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Er erwähnt des Teufels in den Liedern:
Nr. 1. Ein Danklied für die höchsten Wohlthaten so uns
Gott in Christo erzeigt hat.
(„Nun freut euch lieben Christengmein.")
V. 2, Dem Teufel ich gefangen lag
Im Tod war ich verloren,
Mein Sund mich quälet Nacht und Tag,
Darin ich war geboren;
Ich fiel auch immer tiefer drein,
Es war kein Guts am Leben mein.
Die Sund hatt mich besessen.
V. 6. Der Sohn dem Vatter ghorsam ward,
Er kam zu mir auf Erden
Von einer Jungfrau rein und zart,
Er soll mein Bruder werden.
Gar heimlich führt er sein Gewalt
Er ging in meiner armen Gstalt
Den Teufel wollt er fangen.
"O^
Nr. 20. („Gott der Vater wohn uns bei.")
Für dem Teufel uns bewahr
Halt uns bei festem Glauben
Und auf dich lass uns bauen,
Aus Herzensgrund vertrauen.
Dir uns lassen ganz und gar;
Mit allen rechten Christen
Entfliehen Teufels Listen,
Mit Waffen Gotts uns fristen,
Amen, Amen das sei wahr.
So singen wir Hallelujah, u. s. w.
Nr. 25. Ein Lied von den zvveen Märtcrern Christi, zu
Brüssel von den Sophisten zu Löwen verbrannt. L Juli 1523.
V. 3. Der alte Feind sie fangen liess.
Erschreckt sie lang mit Dräuen;
Das Wort Gotts man sie leugnen hiess
Mit List auch wohl sie täuben.
Von Löwen der Sophisten viel
Mit ihrer Kunst verloren,
Versammlet er zu diesem Spiel
Der Geist sie macht zu Thoren,
Sie konnten nichts gewinnen.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 475
Sie sungen süss, sie sungen säur,
Versuchten manche Listen,
Die Ivnaben stunden wie ein Maur
Verachten die Sophisten.
Den alten Feind das sehr verdi'oss
Dass er war überwunden
Von solchen Jungen, er so gross :
Er ward voll Zorn von Stunden,
Gedacht sie zu verbrennen, etc.
Nr. 27. Der 46. Psalm:
(„Gott ist unsre Zuversicht und Stärke.")
Ein feste Burg ist unser Gott
Ein gute Wehr und Waffen,
Er hilft uns frei aus aller Noth
Die uns itzt hat betroffen.
Der alt böse Feind
]VIit Ernst er's izt meint,
Gross Macht und viel List
Sein grausam Rüstzeug ist,
Auf Erd ist nicht seines Gleichen.
V. 3. Und wenn die Welt voU Teufel war
Und wollt uns gar verschlingen.
So fürchten wir uns nicht so sehr
Es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt
So säur er sich stellt,
Thut er uns doch nicht.
Das macht er ist gericht.
Ein Wörtlein kann ihn fällen.
Nr. 31. Ein Lied von der heiligen christlichen Kirchen.
(„Sie ist mir lieb die werthe Magd.")
V. 3. Das thut dem alten Drachen Zorn
Und will das Kind verschlingen.
Sein Toben ist doch ganz verlorn
Es kann ihm nicht gelingen, u. s. w.
Nr. 32. Das Vaterunser.
(„Vater unser im Hiramekeich.")
V. 3. Des Satans Zorn und gross Gewalt
Zerbrich, vor ihm dein Kirch erhalt, u. s. w.
476 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Nr. 36. Ein geistlich Lied Muf die Weihnachten.
(„Vom Himmel kam der Engel Schar.")
V. 4. Was kann euch thun die Sund und Tod?
Ihr habt mit euch den wahren Gott
Lasst zürnen Teufel und die HÖH
Gotts Sohn ist worden eur Gesell, u. s. w.
In der „deutschen Litaney" heisst es:
Hilf uns lieber Herre Gott,
für allen Sünden,
für allem Irrsal,
für allem Uebel,
für des Teufels List,
für bösem Tod u. s. w.
Auch Nikohuis Selneccer singt den Teufel in seinem Liede:
(„Ach bleib bei uns Herr Jesu Christ.")
V. 4. Erhalt uns nur bei deinem Wort
Und wehr des Teufels Trug und Mord,
Gib deiner Kirchen Gnad und Huld,
Fried, Einigkeit, Muth und Geduld.
Ein Anderer in dem Liede:
(„Gott lebet noch.")
V. 7. Gott lebet noch!
Seele was verzagst du doch?
Lass den Himmel samt der Erden
Immerhin in Trümmer gehn ;
Lass die HÖH entzündet werden,
Lass den Feind verbittert stehn.
Lass den Tod und Teufel blitzen.
Wer Gott traut den will er schützen I
Seele so bedenke doch
Lebt doch imser Herr Gott noch! ^
In dem Liede:
(„Wo geht die Reise hin.")'^
V. 4. Ich komm aus dieser Welt
Die voller Sund und Laster ist
Und nichts von Gott mehr hält,
Der Satan ist der Herr darin,
Drum ich ihr überdrüssig bin,
Ihr Thun mir nicht srefällt.
&"-
1 Der kleine Ilabermann, ö. 152.
2 Ebend., S. 180.
JiEL.
2. Der Teufel im 16. und 17. Jahrhundert. 477
V, 8. Ich hab bey meiner Tauff
Der Sund und Teuffei abgesagt.
Und bin so bald darauf
Durch Christi Blut von Sünden rein,
Ins Himmelreich geschrieben ein
Da eil ich jetzt hinauf.
In dem Morgenliede:
(„Das walt mein Gott.") ^
V. 5. Ich bitte dich
Du woUst hinfort
Ach Gott mein Hort
Ferner gnädiglich
Mich diesen Tag behüten ,
Fürs Teufels Macht und Wüten
Und List tausendfeltig.
In dem Lied vor der Reise:
(„Herzallerliebster Vater mein.")
V. 3. Fürm bösen Feind und schnellen Tod,
Für Räubern, Feuer und Wassers Noth
Für bösen Thieren, Sund und Schand
Sey sicher durch Schutz deiner Hand.
V. 5. Dein heiligen Engel send zu mir
Dass er mich sicher leit und führ,
Den Teufel und alle böse Leut,
Von mir verjag und fern abtreib. ^
(17. Jahrhundert.) Benjamin Prätorius in seinem
1659 verfassten Liede:
(„Wol mir! Jesus meine Freude.")
V. 5. Lasse GitFt den Satan speyen
Und die Funken blitzen drein,
Und die Klatsche-Mäuler schreyen
Und die Neider spöttlich seyu.
Gottes Hülff" und Wunder schicken
Soll noch darf kein Feind verrücken.
Johann Rist, Prediger zu Wedel, in seinem 1642 ver-
fassten Liede:
Werde munter mein Gemüthe
Und ihr Sinnen geht herfür,
Dass ihr preiset Gottes Güte
Die er hat gethan an mir.
1 Der kleine Habermann, S. 125.
ä Ebend., S. 138.
478 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Da er mich den ganzen Tag
Für so mancher schweren Plag
Hat erhalten und beschützet
Dass mich Satan nicht beschmutzet.
V. 5. Herr verzeihe mir aus Gnaden
Alle Sund und Missethat;
Die mein armes Herz beladen
Und so gar vergifftet hat,
Dass auch Satan durch sein Spiel
Mich zur Hölle stürzen will, u. s. w.
V. G. Schütze mich fürs Teufels Netzen
Für der Macht der Finsternuss,
Die mir manche Nacht zusetzen
Und erzeigen viel Verdruss, u. s. f.
Johann Rist war bekannt als ein „Vorkämpfer gegen des
Teufels Rotte", unter seinen im Jahre 1651 herausgegebenen
Höllenliedern kommt die Stelle vor:
Du wirst vor Stank vergehen
Wenn du dein Aas musst sehen,
Dein Mund wird lauter Gallen
Und HöUenwehrmuth schmecken
Des Teufels Speichel lecken
Ja fressen Koth im linstern Stall. ^
In seinem Liede: „O grosses Werk geheimnissvoll"
singt er:
Hier wird sein Wesen uns zu Theil
Hier finden unsre Seelen Heil,
Drum Satan komm heraus zum Streit
Wir sind bereit, u. s. vf.
In dem bekannten Liede von Paul Gerhardt (1659): „Be-
fiehl du deine Wege", heisst es:
Und obgleich alle Teufel
Hier wollten widerstehn.
Und Christoph Titius (1663) in dem Liede:
(„Solt es gleich bisweilen scheinen.")
V. 5. Trotz dem Teuffei! trotz dem Drachen!
Ich kan ihre Macht verlachen!
Trotz dem schweren Creutzes Joch!
Gott mein Vatter lebet noch.
^ Koch, Geschichte des Kirchenlieds, 2. Aufl., I, S. "233.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 479
3. Der Teufel im 18. JalirliiiiKiert.
Dass der Teufel auch noch in geistlichen Liedern des
18. Jahrhunderts spukt, zeigt unter andern Chr. Fr. Konnow
(1725) in dem Liede:
(„Wer Jesum bey sieh hat.")
V. 4. Wer Jesum bey sich hat kan sicher reisen
Er wird ihm schon den Weg zum Himmel weisen ,
Wer Jesum bey sich hat in höchsten Nöthen
Den kan kein Teufel nicht noch Unglück todten.
Denn der Glaube an den Teufel zieht sich auch in das
18. Jahrhundert hinein und war in der ersten Hälfte desselben
sogar noch recht lebendig, obgleich er im vorhergehenden sei-
nen Zenith schon iiberschritten hatte und nun im Absteigen
begriflfen war. Thomasius, den wir als sieghaften Bekämpfer
des Hexenprocesses kennen gelernt, welchem er den Todesstoss
versetzte, griflf dadurch mittelbar auch in die Geschichte des
Teufels ein, zunächst insofern, als durch die Abnahme der
gerichtlichen Hexenverfolgung zugleich das Interesse an dem
Hexenwesen abgeschwächt ward und somit auch an dem Teufel
und seiner Macht kiihler zu werden anfing. Thomasius
wirkte aber auch unmittelbar auf den Tcufelsglauben, obschon
er die Existenz des Teufels nicht in Zweifel zog, viel-
mehr sagt: „und statuire, dass zwar ein Teufel ausser dem
Menschen sei, und dass derselbe gleichsam von aussen, jedoch
auf innerliche und unsichtbare Weise in den Gottlosen sein
Wesen treibe". ^ Gesetzt nun, dass dies nur eine strategische
Finte des gewandten Kämpfers war, dass Thomasius an den
Teufel als besonderes Wesen gar nicht geglaubt habe, welche
Annahme allerdings nicht allen Grundes entbehrt; so kenn-
zeichnet und unterscheidet sich eben dadurch seine Methode
von der Bekker's, welcher die Vorstellung vom Teufel innerhalb
des christlichen Glaubenskreises für unnöthig erklärt hatte.
Thomasius nimmt zwar seinen Vordermann in Schutz und
kann nicht begreifen, „warum diejenigen, welche mit Bekker
den Teufel leugnen, bisher auch von frommen Männern fiir
Atheisten gehalten worden, da man sie vielmehr für Adämonisten,
d. h. für solche Leute, die keinen Teufel glauben, hätte halten
sollen", denn er findet nicht, dass der Glaube an Gott vom
^ Von dem Laster der Zauberei, §. 6.
480 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Glauben an den Teufel abhängig sei»; er will aber trotzdem
nicht mit dem Teufel tabula rasa machen, sondern gibt „die
ernstliche Versicherung von der Existenz und den Wirkungen
der bösen Geister", obschon er weiss, dass er dadurch „von
den Lästerungen der Leute" nicht verschont bleiben werde.^
Dagegen sucht Thomasius die sinnliche Vorstellung von
dem Teufel zu zerstören durch die Aufrechthaltung des
Satzes: dass dieser ein unsichtbares, geistiges Wesen sei, und dem
gemäss in den gottlosen Menschen seine Wirkung habe. ^ Er
behauptet: „der Teufel hat niemals einen Leib angenommen,
er kann auch solchen nicht annehmen".* „Wenn es an dem
wäre, dass der Teufel einen Leib annehmen könnte, so würde
Christi Aussj^ruch falsch sein, dass ein Geist weder Fleisch
noch Bein habe, ja Christi Beweisgrund, womit er die Jiinger
überzeugen wollte, wäre inigereimt gewesen".*'' Der Teufel
kann keinen Leib annehmen, so wenig als die Ordnung der
Natur hindern oder aufheben, Wettermachen, einen Menschen
durch die Luft führen u. s. w. ^ Allerdings sind die Gründe für
die Unkörperlichkeit des Teufels für Thomasius zunächst nur
Auxiliarlinien zu seinem Beweise: dass hiernach kein Bünd-
niss in leiblicher Weise mit ihm stattfinden könne, daher ein
leiblicher Umgang der Hexen mit ihm nicht denkbar und
somit das ganze Hexenwesen unter angeblicher Hülfe des
Teufels eine Fabel sei, abgesehen davon, dass eine solche Ver-
bindung weder für den Menschen einen Nutzen hätte, da die-
ser bekanntlich stets der Betrogene zu sein pflegt, noch für
den Teufel, weil der Lasterhafte auch ohnedies sein Leibeige-
ner ist.'^ Lidem Thomasius gegen die Hexenprocesse zu
Felde zog, den Glauben an die Hexerei auf Grund eines
leiblichen Verkehrs mit dem Teufel fällen wollte, musste er
zu allernächst diesem seine Leibliehkeit entziehen. Er sagt
daher geradezu: „gesetzt auch, dass der Teufel selbst Chri-
stum versucht habe, so ist es doch eine Unwahrheit oder kann
zum wenigsten durch keine wahrscheinliche Ursache behauptet
werden, dass er solches unter der Gestalt eines Menschen oder
eines Ungeheuers bewerkstelligt". Er weist darauf hin, „wie
1 §. 8. =* §. 8. » §. 7. * §. 31. * §. 32. « §. 33.
7 §. 35, 36.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 481
der päpstliche Aberglaube in den lutherischen Kirchen durch
die Katechismus- und Evangelien-Bilder in der ersten Kindheit
beigebracht wird, auch nachmals die ganze Zeit ihres Lebens
hängen bleibt". ^ Indem nicht nur jedes sinnlich wahrnehm-
bare Moment überhaupt, sondern auch die Möglichkeit, leiblich
zu erscheinen, dem Teufel abgesprochen wird, bleibt von ihm
nur ein lediges Abstractum iibrig, und dadurch ist Thomasius in
unserer Geschichte bedeutsam, dass er diesem Abstractions-
processe, den allerdings andere vor ihm schon vorbereitet
und angefangen hatten, Raum und Geltung zu verschaffen
wusste, indem er die Vorstellung von einem leiblichen, per-
sönlichen Teufel ad absurdum zu fiihren verstand.^
Thomasius hatte richtig vorhergesagt, dass er „Lästerun-
gen" ausgesetzt sein werde. Er konnte diese um so mehr
erwarten, als sich die Juristen in ihrem Carpzov, die Theolo-
gen in ihrem Spizelius, welche beide Thomasius arg mitge-
nommen hatte, angegriffen sahen. Sowol die Taktik der
Gegner als auch ihre Waffen führen ein und dasselbe Fabrik-
zeichen, so dass eine Gegenschrift alle andern genau repräsen-
tirt. Ich greife nach der zunächstliegenden : „PetriGoldschmidt's
Huso-Cimbri p. t. Pastor Sterup. Verworffener Hexen und
Zauberer Advocat. Das ist: Wolgegründete Vernichtung des
thörichten Vorhabens Hn, Christiani Thomasii J. U. D. et Pro-
fessoris Hallensis und aller derer, welche durch ihre Super-
kluge Phantasie-Grillen dem teufflischen Ilexengeschmeiss das
Wort reden wollen, indem gegen dieselbe aus dem unwieder-
sprechlichem Göttlichen Worte und der täglich lehrenden Er-
fahrung das Gegentheil zur Genüge angewiesen und bestättiget
wird, dass in der That eine teufflische Hexerey und Zauberey
sey etc. — Hamburg 1705." Der Verfasser gibt seine Beweis-
gründe schon auf dem Titel an und wiederholt sie dann im
Buche selbst: der Teufel kommt in der Schrift vor, also müs-
sen wir seine Existenz annehmen, und die Erfahrung bestätigt
sie durch zahllose Beispiele.^ Die Beweisführung besteht in
Schimpfen und Verdächtigungen. Schon in der „Zuschrift"
' §• 31.
^ In verwandtem Sinne äusserte sich Joh. Christoph Wolf in „De Ma-
nichaeismo ante Manichaeos et inter Christianos redivivo" (Hamb. 1707).
» S. 111 u. v. a.
Roskoff, Geschichte dea Teufels. II. o-j
4S2 Vierter Ahschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
an Friedrich IV., König von Dänemark, sagt der Verfasser:
in seinem „geringen Biicliloin" werde „die Warlieit der gött-
lichen Schrifft betreflfend das Zauber- und Ilexenwesen gegen
einen frechredenden Philosophaster und Gottes-Wort-Schänder
vertheidiget". Die „Vorreden an den Leser" ist vollgepfropft
mit „Saduceisterey, Atheisterey, Ketzerey, Thomasianischen
Irrthumbs, Ilexen-Advocaterey" u. dgl., die als Geschosse dem
Gegner an den Kopf geschleudert werden. Als „redlicher
Prediger" sieht sich Goldschmidt gedrängt, „die Sache seines
Herrn zu treiben" und zieht daher los gegen „Scurrilische
Erklährungen, schleichenden Atheismus, — Advocaten-Werke,
die nichts als Geburten einer thörichten Phantasey seyn", —
gegen „Närrische Vernunft-Grillen" u. s. f. Das Buch selbst
sagt über Thomasius „dass alle seine Reden nichtig, betrieg-
lich und die göttliche Schrifft und gesunde Vernunfft äffende
seyn"i, dass „von des Herrn Thomasii docta ignorantia ad
rei negationem (nämlich des Teufels leiblichen Umgang mit
den Hexen) zu schliessen" nichts ist, dass vielmehr „die gött-
liche Schrifft Beweissthümer darlegt, wodurch wir können be-
wogen werden mächtig -betrieglichen Teuffei zu glauben".'-*
Und was ist das Motiv, „dass den Herrn Thomasius bewogen
hat, wie in vielen, also auch in der Lehre von dem Teuffei
und desselben Würckungen durch die Zauberer und Hexen
der Warheit göttlicher Schrifft und der täglichen Erfohrung
zu widersprechen? Fürwahr nichts als ein innerlicher Hoffart,
dadurch er meynet sich über alle Gelehrten der 'Welt zu er-
heben und zu zeigen, dass bey ihm allein Kunst und Weiss-
heit zu finden, weil er capabel die Wahrheit in Lügen zu ver-
wandeln".^ Ganz besonders entrüstet ist der Verfasser darüber,
dass Thomasius „als ein Professor einer orthodoxischen Univer-
sität keinen Unterschied machet unter den Rotten und Secten
und unter die wahre Evangelische Lehre. Gwäcker, Socinia-
ner, Calvinisten, Papisten und Lutheraner sind in seinem Con-
cept Gott gleich angenehm, unter ihnen ist bey Gott kein
Unterschied".'* Nach des Verfassers Versicherung „ist nichts
auf der AVeit zu ersinnen, welches der Göttlichen Schrifft mehr
Verachtung, Spott, Hohn und Gelächter verursachen und den
subtilen Atheismum in die Gemüther der Menschen hinein
' S. 39. ■' ö. 45. ' S. .Oa. " S. 55.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 483
flössen kan, wodurch bey ihnen das Fundament des Glaubens
in ZweifFel gezogen und die o-öttliche Schrifft ihrer Autorität
gäntzlich mag beraubet werden, als dass man für gewiss hält,
dass die Engel und Teuflei anders nichts seyn, als Schwär-
mereyen unsrer Phantasie und närrische Gebührten des Tem-
peraments". ^ Denn „dass Teuflei seyn beweiset uns die
göttliche Schrifl't und ausser derselben können wir keinen
recht kräfl'tigen Be weiss von denselben haben". — „Was wir
in der heiligen Schrifl't lesen, woraus wir die Existentiam des
Teufiels erkennen, finden wir darnächst auch in der Erfah-
rung etc. "2 Ebenso fest steht: „die schändliche und ewig
verderbende Biindniss-Stifi'tuna; zwischen Teufteln und Men-
sehen" und „dass ohne solche Biindniss - Stifi'tung keine
teufflische Zauberey geschehen könne". ^ Der Verfasser meint
aber vorweg , er werde „ nicht glücklich seyn einen Atheisten
zu überreden""*, und da wir diese Meinung theilen, nachdem
wir seine Art zu widerlegen kennen, wollen wir von ihm
Abschied nehmen.
In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts tritt in England
ein anonymer Historiograph des Teufels auf. Da es mir nicht
gelungen, des Originals habhaft zu werden, muss ich mich mit
der deutschen Uebersetzung begnügen, die nach der „sogleich
auf die erste" erfolgten zweiten Auflage angefertigt ist. „Ge-
schichte des Teufi'els, aus dem Englischen übersetzt in zwei
Theilen. Frankfurt a. M. 1733". Der humoristische Engländer
behandelt den Gegenstand mit vielem Witz, beissender Satire
und schalkhafter Laune, er vermeidet bei seinem Anschlüsse
an die biblischen Geschichten, dem orthodoxen Anglikanismus
oflen zu widersprechen, obschon er weit entfernt ist, die be-
trefienden Bibelstellen buchstäblich zu fassen. Dem Anonymus
ist der Teufel schon Repräsentant des Unvernünftigen, sitt-
lich Verderblichen, das mit der geschichtlichen Entwickelung
des Menschengeschlechts seine Formen verändert, daher der
Teufel zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Weise auf-
tritt oder vielmehr eine verschiedene Thätigkeit entfaltet. Mit
der Behauptung, der Teufel habe mehr Religion, „als man
heutzutage einigen unserer Standespersonen beilegen kann"^,
womit der Verfasser den Teufel „in den Schafstall der Kirchen
1 S. 64. ■' S. 112, §. 2, §. 3. 3 S. 212. " S. 113. ^ >S. 4.
31*
484 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
gebracht" haben wilH, deutet er dessen Theihiahme an der
„Verbreitung der Religion " an, „wenn man nämlich die Sache
nach dem Buchstaben versteht", und weist hin, dass er „vieles
zu dem alten Krieg beigetragen, den die Unwissenheit und
blinder Eifer heilig nennt".^ Er erinnert an die „Blutbäder,
Kriege und Feldzüge", die um der Religion willen geschehen,
„wobei er (der Teufel) die Ehre gehabt, augenscheinlich mit
im Spiele zu sein".^ „Ein anderes Stück seiner Geschichte"
ist „der Einfluss, den der Teufel in die Staatsklugheit des
Menschengeschlechts hat".* Bei der satirischen Ader des
Verfassers fehlt es natürlich nicht an Anspielungen an Er-
scheinungen auf den Gebieten der Kirche und des Staats aus
alter und seiner Zeit. Er meint, es sei „ein grober Irrthum,
dass man sich einbildet, eine vollkommene Einsicht in die Ge-
schäfte des Teufels könne nicht überhaupt uns allen zum Nutzen
sereichen. Wer nicht weiss, was böse ist, weiss auch nicht,
was gut ist".'"' „Es scheint, Gott und der Teufel, so sehr
sie auch ihrer Natur nach entgegen, und ihrer Wohnung nach
von einander entfernt sind, haben fast einer so viel Theil als der
andere an unserem Glauben."'' Daher hat man zu allen Zeiten
des Heidenthums, seither die Welt stehet . . . diesen Begriff
vom Teufel gehabt".^ Er kommt in den folgenden Kapiteln
auf den Ursprung des Teufels, seinen Namen in der Schrift
zu sprechen« und findet, dass „der Name Teufel nicht allein
Personen, sondern auch Handlungen und Gewohnheiten
bedeutet", dass man aber „auf diese Weise dem Teufel kein
Unrecht" thue, „sondern gibt ihm vielmehr die unumschränkte
Gewalt über das ganze höllische Heer — oder mit der Schrift
zu reden, machet aus ihnen Engel des Satans, den grossen
Teufel". ^ Da dem Verfasser „weder die heilige Schrift noch
die Historie" in Bezug auf das Aussehen des Teufels „Erläu-
teruno" geben, so schliesst er und betrachtet es als Thatsache:
„dass der Teufel für sich keinen Leib hat, sondern hing(>gen
ein Geist ist" und für die Zeit, wo er erscheinen will, „eine
fremde Gestalt annehmen nuiss". *'^ Eine Eigenthümlichkeit
des Verfassers ist, ])ei manchem Ueberlieferten Zweifel an-
1 S. 5. ■'' S. (5. ^0.8. " S. 11 fg. s S. 23. « S. 29.
' S. 31. « S. 50. '•' S. 52. 1" S. 62.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 485
zuregen, sie aber ungelöst zu lassen und sich abzuwenden. So
z. B. von dem Falle des Satans sagt er: „Was mich aber am
meisten wundert und welches zu erklären nicht leicht jemand
sich die Miihe geben wird, ist, dass man sagen könne, auf
was Weise der Satan des Lasters in eine englische Natur ge-
drungen und Wurzel gefasset? In eine Natur, welche in einem
vollkommenen Stand und in vollkommener Heiligkeit erschaf-
fen worden? Wie die Siinde sich an einem Ort eingefunden,
wo nichts unreines hinkommen kann? wie Ehrgeiz, Hochmuth
imd Neid dahin gekommen und sich vermehret?" etc. Es sei
ein Glück für ihn, fährt er fort, dass es nicht seine Aufgabe
sei, bei seiner Geschichte solche Aufgaben zu lösen ^, da die
Sache in den Büchern so vorliege. Man wisse auch nicht,
worin die Sünde der gefallenen Engel bestanden habe, „sie
wird eine Empörung gegen Gott genennet, und dies ist alles
was wir wissen".^ Wie die Allmacht Gottes das Geschöpf
zum Leben geschaffen, so beschütze sie es auch gegen alle
,, Anläufe der Hölle" und setze es ,, gegen die giftigen Pfeile
des Satans" in Sicherheit, so dass „ohne Zulassung dieser
Macht, die den Himmel gemacht, dieser abtrünnige Engel
nichts vornehmen, wodurch — der Mensch möchte zernichtet
werden, welchen zu hassen der Satan so viele Ursach glaubt
zu haben, weil er in dem Himmel in die Glückseligkeit sollte
gesetzt werden, welche er vor ihm genoss". Einen andern
Sieg des Himmels über den Teufel nennt es der Verfasser,
„dass Gott den Menschen gegen ihm übergesetzet und den-
jenigen gezeiget, welchen er so sehr anfeindet; wo er an
seinem Ebenbilde geschrieben gesehen: Unterstehe dich nicht
ihn anzurühren".^ Der Verfasser zweifelt nicht, dass Satan
durch seinen Fall die Vollkommenheit seiner englischen Natur
und zu gleicher Zeit seine vorhergehabte Macht verloren habe,
und erblickt dies in den Ketten des Satans, den Zeichen sei-
nes Abfalls, und der Beschränkung seiner Macht, irgendetwas
ohne besondere Zulassung zum Schaden dieser Schöpfung zu
thun."* In dieser Weise geht der Verfasser den Sündenfall
und die Geschichten vor und nach der Noah'schen Flut
durch, wobei er die dunkeln Seiten mit dem Satan in Be-
ziehung bringt, und dann die Siege des Satans mit Hülfe
1 S. 84. 2 ö. 94. 3 S. 125. ' Ö. 127.
486 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
der menschlichen Lüste aufzählt. „Einmal hat er sich des Essens
(bei Eva) bedient, zweimal des Trinkens oder vielmehr der
Trunkenheit (bei Noah und Lot)." ' Der Verfasser geht die
Geschichte des Alten Testaments durch, wo er gelegentlich
die Gewalt des Teufels zeigt. Er nennt diesen Theil „die
Alterthümer der Geschichte des Teufels" oder auch den „alten
Theil seines Reichs". Seitdem gerieth dieses in Abnahme,
„und ob er gleich durch seine schreckliche List und durch
seinen unermüdlichen Flciss, durch die Wachsamkeit und
Treue seiner menschlichen und teuflischen Werkzeuge, und
unter den Menschen sowohl geistlicher als weltlicher, das
was er verloren hat wieder bekam und das allgemeine Reich,
welches er einmal über das menschliche Geschlecht hatte, wie-
der aufzurichten suchte ; so ist er doch . . . zurückgetrieben
und geschlagen worden und sein Reich . . . hat abgenommen".^
Diese Abnahme datirt insbesondere von dör Erscheinung Christi,
womit der Verfasser den zweiten Theil eröffnet. Er nennt es
die „gröbste Thorheit, welche der Teufel beging und die mit
seiner Erkenntniss und Klugheit, die man ihm allezeit in allen
seinen Handlungen zugeschrieben hat, sich gar nicht reimet,
dass er zu dem Messia in die Wüste gegangen, ihn zu ver-
suchen".^ Nachdem der Teufel unter den römischen Kaisern
dieser sich bedient hatte in seiner Politik gegen das Reich
Christi, und zwar vergeblich, „bediente er sich dann der
Geistlichen, und damit es ihm desto besser gelingen möchte,
hetzte er die Lehrer der Kirchen hintereinander,, dass sie we-
gen der Oberstellc zankten, darinnen wurden die Priester so
eifrig, dass sie sich leicht fangen Hessen, und der Teufel, als
ein geschickterer Fischer als Petrus jemals gewesen, seine
Angel zu rechter Zeit zurückzuziehen und sie zu fangen
wusste"."* In der nachfolgenden Geschichte, nämlich im Mit-
telalter, geht dem Teufel alles nach Wunsche. Der Verfasser
meint aber, ,,dass man sich den Teufel als eine Person in einer
räumlichen Hölle vorstellt, ist höchst ungereimt und lächerlich.
In der That ist es falsch, weil er eine gewisse Freiheit hat,
die, ob sie gleich eingeschränkt ist, nichts für das Gegentheil
beweist: er lässt sich alle Tage sehen, man kann seine Spur
in der unterschiedenen Art finden, mit welcher er das mensch-
1 S. 213. ■' ö. 254. 3 ö. 258. ^ S. 265.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 487
liehe Geschlecht angreift, und so ist es seit seiner ersten Er-
scheinung im Paradiese allezeit gewesen. Es ist hier nicht
gemeint, dass er sich körperlicher Weise sehen lasse, genug
dass man ihm Schritt für Schritt, wie die Spiirhunde dem
Fuchs, nachfolgen kann. "Wir können ihn an seinen Wirkun-
gen, an dem Bösen, wozu er uns verleitet, eben so deutlich
sehen, als wenn wir ihn mit körperlichen Augen sehen". * Auf
ähnliche Weise sucht der Verfasser die sinnliche Vorstellung
von der Hölle aufzulösen: „Bei allem, w^as man uns von der
Hölle und deren Qual, und von dem Teufel und seiner Fer-
tigkeit uns zu quälen sagt, gedenkt man nicht mit einem Wort
dessen, wofür man hauptsächlich und vielleicht einzig und
allein erschrecken, und welches man in Ansehen der Hölle
bedenken soll, ich will sagen, der Beraubung des Himmels,
der Verstossung und Entfernung von dem Angesichte des
höchsten Wesens, des alleinigen ewigen und vollkommenen
Gutes; mit einem Worte, des Verlusts, welchen man uns
durch eine schändliche Nachlässigkeit, dass wir uns um dieses
vortreffliche Stück nicht bekümmern, sondern an alte verächt-
liche und billig verworfene Fabeln halten, leicht macht, ob es
gleich die Ewigkeit und einen unwiderruflichen Schluss be-
trifft. Man sagt nichts von dem ewigen Nagen des Gewissens,
der schrecklichen Verzweiflung und der Bekümmerniss einer
Seele, welche keine Hoflnung hat, jemalen die Herrlichkeit,
in welcher allein der Himmel besteht, und ohne welche alle
andern Orte fürchterlich und finster sind, zu sehen." — „Das
ist eigentlich die Hölle, welche wir vor Augen haben müssen,
w'enn wir vom Teufel in der Hölle reden. Das ist eigentlich
die Hölle, w^elche den Teufel quälet, und mit einem Worte:
der Teufel ist in der Hölle und die Hölle in dem Teufel."'^
Der Verfasser will nicht untersuchen, „w^orauf man sich gründet,
wenn man die Qual der Hölle unter dem Bilde eines Feuers . . .
vorstellt; es hat Gott gefallen uns den Schrecken der ewigen
Todesangst wegen des Verlusts des Himmels unter Bildern
und Gleichnissen vorzustellen, welche auf unsere Gemüther
den meisten Eindruck machen".^ Er glaubt nicht, dass
sein „Begrifi" von der Hölle, die in der Beraubung des-
jenigen, in welchem der Himmel ist, besteht, der Meinung
1 S. 276. 2 y. 278. 3 s. gso.
488 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
derjenigen, welche vorgeben, es sei nichts als Feuer und
Schwefel, im geringsten weiche"; fährt ubcr fort: „doch
muss ich gestehen, dass ich nichts thörichtcrcs finde, als die
Vorstellungen, die wir uns in unserem Gemüth von der Hölle
und der Qual, die der Teufel darinnen den Seelen anthut,
machen, dass er sie auf den Rost legt, an Hacken hängt, auf
seinen Schultern trägt etc., welche die Hölle als einen grossen
mit entsetzlichen Zähnen versehenen, und wie eine Höhle an
einem Berg cröfineten Rachen vorstellen, daraus ein Feuerstrom
geht, und wo man den Teufel oben sieht, und viele kleine
Teufel beständig aus- und eingehen und Seelen suchen etc." —
,, Obgleich der Endzweck dergleichen Vorstellungen ist, Schre-
cken einzujagen, so sind sie doch so einfältig, dass ich ver-
sichert bin, der Teufel lacht darüber, und ein vernünftiger
Mensch wird auch kaum das Lachen halten können,"^ In
den vorhergehenden Kajoiteln, sagt Verfasser, habe er gezeigt:
„dass sich der Teufel unter die Geistlichen gemacht, — auf
was Weise er mit der weltlichen und geistlichen Macht ins-
besondere umgegangen und sie in der Regierung vereinigt,
so dass die eine unrechtmässige Anmassung der Gewalt der
andern ... hülfreiche Hand geleistet". — „Also muss man künf-
tighin dem Teufel ein mystisches Reich in der Welt zuge-
stehen."^ „Man muss glauben, dass nicht einen Augenblick etwas
ohne ihn und nicht die geringste Verrätherei vorgehe, da er nicht
seinen Antheil habe; dass kein Tyrann, den er nicht regiere, keine
Regierung, die er nicht anreize, kein Narr, dem er nicht
schmeichle, kein Spitzbub, den er nicht anführe; er findet sich
bei allen Betrügereien, er hat einen Schlüssel zu allen Kabi-
netten vom Divan zu Konstantinopel bis auf Mississippi in
Frankreich, und auf die Betrügereien der Südsec-Compagnie
in London; von seinem ersten Anfall gegen die christliche
Welt — bis auf die Bullam Unigenitus, und von der Vereini-
gung des heiligen Petri und des Confucii in China bis auf
die heilige Inquisition in Spanien und endlich bis auf die Em-
lins und Dodwells unserer Zeiten."^ Wir wollen dem Ver-
fasser nicht weiter folgen, wenn er von den Geschäften des
Teufels spricht, die dieser in der Welt verrichtet, und in
welcher Weise er sie verrichtet, wobei der Verfasser seine
1 S. 281. 2 ö. 284. » S. 285.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 480
satirischen Hiebe auf kirchliche und staatliche Misbräuche
austheilt, da wir die Anschauung des Vcrfossers kennen; es
mögen daher nur einige Sätze noch Raum finden. So sagt er
in Bezug auf das Teufelsbiindniss, indem er schalkhafterweise
eine einfältige Miene annimmt: „Ich gestehe es, ich kann es nicht
begreifen, wie man mit einer Kreatur, so weder lesen noch
schreiben kann, einen Bund könne machen; ich sehe nicht,
wer derNotarius sein und den Kontrakt aufsetzen mag; und was
das schlimmste ist, so hält der Teufel niemals Wort, und sagt
man, dass er fertig ist, Bedingungen aufzurichten, wer kann
ihn aber zwingen, sie zu halten, und was fiir eine Strafe wird
man ihm auflegen, wenn er fehlt?" ^ „Sonst versuchte der
Teufel die Menschen zur Sünde, heutzutage versuchen sie ihn.
Sie ergeben sich dem Laster, ehe er sie dazu reizt — sie lau-
fen ihm auf seinem eigenen Boden vor — mit einem Wort,
es scheint, der Teufel hat nichts anderes zu thun, als einen
ruhigen Zuschauer ihrer Handlungen abzugeben." - „Der Teufel
hat heutzutage eine ganz andere Art die Welt zu regieren,
und anstatt geringer schlechter Leute und aller erwähnten
Werkzeuge, die er sonst brauchte, hat er uunmehro seinen
Wandel in den Petites mäitres, in den schönen hohen Geistern
und Narren" U.S. W.3 ?:D^ selbiger Zeit die Bosheit der Men-
schen mit der L^uM'issenheit in gleicher Paar gingen, waren
dergleichen schlechte und geringe Werkzeuge vollkommen gut,
das Werk des Teufels zu treiben."* Aber, „man muss nicht
einem jeden leichtsinnigen Kopf glauben, welcher vorgibt, dass
er vertraut mit dem Teufel umgehe — die meisten dieser Leute
sind Betriiger — es ist offenbar, dass diese Leute dem Teufel
Unrecht thun, wenn sie alles Böse, was sie in der Welt thun
wollen, ihm zuschreiben. Begehen sie einen Mord, Diebstahl
— so sagt man alsbald, es wäre durch Reizung und Hülfe
des Teufels geschehen, also dass der Satan alle Schuld tragen
muss, wenn sie gleich einzig und allein alle Schuld tragen".-^
„Man muss gestehen, dass die menschliche Natur und sonder-
lich der gröbste und unwissendste Theil des menschlichen Ge-
schlechts über alle massen geneigt ist, alles was seltsam ist,
es mag nun wirklich sein oder nicht, für Teufelsstreiche zu
> S. 415. 2 S. 419. 3 s. 444. ' S. 445. ' S. 485.
490 Vierter Absclmitt: Fortsetzung der Gescliiclite dea Teufels.
halten, und von allem, das sie nicht begreifen können, zu
sagen, es komme vom Teufel."^
Die Ansicht von der Unpersönlichkeit des Teufels, welcher
Thomasius die Bahn frei gemacht hatte, griff immer mehr um
sich; da jedoch der alte persönliche Satan unter den prote-
stantischen Theologen noch immer viele warme Vertheidiger
zählte, so theilte sich die theologische Welt in zwei Parteien,
die sich zunächst von den Kanzeln und Kathedern herab als
„Dämoniaker" und „ Adämonisten" titulirten und befehdeten.
Im Thomasius'schen Geiste der Aufklärung hatte Hauber seine
bekannte „Bibliotheca magica" geschrieben 2, und in derselben
Richtung fasste Semler die Zeitfrage in's Auge, die er so viel-
fältig behandelte. Veranlassung bot ihm ein Schriftchen:
„Gründliche Nachricht von einer begeisterten Weibsperson
Annen Elisabeth Lohmannin von Ilosdorf in Anhalt- Dessau
aus eigener Erfahrung und Untersuchung mitgetheilt von
Gottlieb Müllern, Probst und Superintendenten in Kemberg
1759". Hierauf erliess Semler seine „Abfertigung der neuen
Geister und alten Irrthümer in der Lohmannischen Begeiste-
rung nebst theoloo-ischem Unterricht von den leiblichen Be-
Sitzungen des Teufels und Bezauberungen der Christen 1759".
Da mir die erste Ausgabe dieser Schrift nicht vorliegt, erfahre
ich anderwärts, dass der Verfasser hierin denselben Standpunkt
einnimmt, den er in seiner „Dissertatio theol. hermeneutica de
daemoniacis, quorum in evangeliis fit nientio, 1700", behauptet,
wonach aus den Ausdrücken, deren sich die Evangelisten zur
Bezeichnung der Dämonischen bedienen, nicht geschlossen
werden müsse, dass solche Menschen wirklich von einem bösen
Geiste besessen gewesen seien, weil es im Sprachgebrauch der
Juden liege; er gibt aber zu, dass zur Zeit Jesu, wenn auch
nicht Besitzungen, doch solche Wirkungen des Teufels statt-
finden mochten. ^ In der zweiten Auflage der „Abferti-
1 S. 4'J3.
' Eberhard David llaubcr, Biblioth. aeta et scripta magica. Gründ-
liche Nachrichten und Urtheile solcher Bücher und Handhingen, welche
die Macht des Teufels in Icibhchen Dingen betreffen. Zur Ehre Gottes
und zum Dienst der Menschen. 3G Stück (1741).
3 „Ex pcculiari et omnino singulari consilio Dei, quod istorum teni-
porum rationes in suo genere individuas et Jesu Christi doctriuam com-
plectebatur, solum habere potuisse", i>. 37.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 491
gung" 1 erklärt Semler zunächst die ganze Geschichte von dem
Mädchen, das, als von einem bösen Geiste besessen, dargestellt
lind auch exorcisirt worden, für „die alte gemeine Täuscherey",.
die „gar nichts weiter seye"^, was sich auch in der That
herausstellte. Im zweiten Abschnitt, „Belehrung von der leib-
lichen Macht des Teufels", legt Semlcr seine Ansichten darüber
dar. Nach der biblischen Redeweise ist der Teufel „eine in-
dividuelle Substanz oder ein für sich bestehendes Ding, das
Vernunft hat — und mit grosser Macht begabt ist"; der Ver-
fasser ßndet aber zugleich in der Schrift bestätigt, „dass er
(der Teufel) keinen Körper der Art und Natur hat, als ein
menschlicher ist" — und obschon ,, nicht deutlich beschrieben
ist, wie der böse Geist die Verführung der ersten Menschen
bewirkt hat", so „ersiehet man doch so viel, dass es überhaupt
dadurch geschehen, dass die Sinnlichkeit der Menschen immer
mehr gereitzet und der Gebrauch des Verstandes und der
Eindruck des moralischen — nicht sinnlichen Vortheils, den
sie vorzüglich behaupten sollten, geschwächt worden. Kurz
bey der allerwichtigsten, grössten und gefährlichsten Wirkung,
die der Teufel damalen bewerkstelligen können, ist ganz ge-
wiss, dass er weder in die Seele noch in den Leib der ersten
Menschen, eine unwiderstehliche Wirkung durch sich selbst
vorgenommen hat". ^ Semler behauptet, „dass wahrhaftig kein
einzig Beisjiiel von einer leiblichen teuflischen Besitzung aus
dem ganzen alten Testament kann aufgebracht werden"*, er
gesteht zwar zu, „dass es unter den Erzählungen der Evan-
gelisten manche Stellen gibt, die" er „nach aller Ueberlegung
noch nicht anders auslegen kann, als dass wahrhaftig gewisse
Menschen von einem bösen Geiste damalen besessen gewesen
sind"; er hat aber „von dieser Besitzung nicht denselben Be-
griff, den man gemeiniglich annimmt".^ Gleichwie der Aus-
druck „im Himmel" von Gott nicht buchstäblich gefasst
werden kann, „obgleich die Redensarten in den biblischen
Büchern es ausdrücklich so bezeichnen", so ist auch die Re-
densart: „der Teufel seye (selbst) im Menschen" auch nicht
eigentlich zu verstehen.^ Der Verfasser bemerkt: „dass die
' Mit einem Anhange vermehrt 1760.
2 Vorrede, ö. 12.
3 S. 199. ■• S. 243. 5 s, 249. « S. 250.
492 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Evangelisten — zunächst für damalige Mensehen, für Juden
und angrenzende Heiden geschrieben", und sich daher über
den Teufel „eben so ausgedrückt haben, als diese Menschen
überall von ihm redeten". In den Reden und dem Verhalten
Jesu gegenüber den Besessenen findet Semler die Bedeutung:
„dass Jesus sich als Herrn der Geister beweiset imd die
Menschen belehren will, dass er allen wirklichen Einfluss der
bösen Geister auf die Menschen- aufgehoben habe, und dass
nun alle heidnischen Fabeln und Vorurtheile, welche einen
wahren vernünftigen Gottesdienst unmöglich machten, ein Ende
haben müssten".i „Die Rede Matth. 12, 43 fg. ist ganz im-
leugbar nach den gewöhnlichen Begrifl'en der gemeinen Leute"
gehalten, wie er (Jesus) auch V. 46 „zu dem Volke" redete,
also sich nach demselben richtete. „Es ist eine Parabel, die
nach ihren Gedanken eingerichtet ist, um ihnen den Schluss
und Endzweck davon eindrücklicher zu machen." ■^ Die Heilige
Schrift behauptet nur „den moralischen Einfluss des Teufels
über die Menschen und auch noch über manche Christen, und
unterscheidet ihn von den eigenen sündlichen Gedanken —
Begierden und Unternehmungen der verderbten Menschen, so
dass sich jener auf grössere und greulichere Sünden und Un-
ternehmungen erstreckt, welche eine grössere Schädlichkeit
und allgemeinere Ausbreitung und Vermehrung der Sünden
und ihrer Beförderungen mit sich führen". ^ „Das gesammte
natürliche Verderben der Menschen, in Absicht der Seele,
besteht in der angebornen Blindheit der wahren Beschafien-
heit, der zu unserm Zusammenhange gehöriger Dinge und von
unserem Verhältniss gegen sie, — je weniger Erkenntniss von
der wirklichen Moralität — je mehr Uebergewicht also der
Dinge, so sich auf unsern Körper und seinen Gebrauch ohne
Verbindung unseres völligen Endzwecks beziehen: desto mehr
und stärker Gebiet und Einfluss des Teufels, der eigentlich
in der Hinderniss der uns nützlichen Erkenntniss des Wahren,
in den Verhältnissen der Dinge auf uns besteht"*, und „in
dem Masse, als wir nicht wachsam sind in der Bekehi-ung zu
Gott oder abermaliger Vereinigung unserer Neigungen mit
ihm als dem einzigen und vollkommensten Gute — entsteht
ein moralischer Einfluss des Teufels durch Erregung und Un-
1 S. 252. 2 ö. 265. ^ Ö. 277. ^ ö. 279.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 493
terhaltung mancher unnützlichor und schädlicher Vorstelhmgen
bey uns". ^
Im Jahre 1772 erschien „Wilhehn Abraham Teller's
Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklärung der christ-
lichen Lehre", worin der Artikel „Satan, Teufel" folgender-
massen lautet: „Satan, Teufel: beede "Wörter werden mitein-
ander verwechselt. — Eins wie das andere bedeutet einen
Verleumder, einen nicht schlechtweg Ankläger; sondern fal-
schen, im gerichtlichen Verstände. — Diese ursprüngliche Be-
deutung hatten die Juden im Sinne, wenn sie Jesu den Vor-
wurf machten, du hast den Teufel, Joh. 7, 48, bist du nicht
wirklich ein Erzverleumder? wollten sie sasen, in Beziehunsf
auf den gleich vorhin erhaltenen Verweiss, ihr höret nicht,
widersetzt euch der Wahrheit v. 47. Nach eben derselben
antwortet Jesus, ich habe keinen Teufel, ich verleumde nicht.
Eben so liegt dieselbe in der Geschichte Hiobs, cap. 1, 7 fg.
und der Umschreibung, Oflfenb. 12, 10 zum Grunde. Weil
nun solche Anklasce und Verleumduno; die Liigen in sich
schliessen, so bedeutet es auch einen Lügner. Joh. 8, 44 und
in einem noch weitläufigeren Verstände, W^idersacher, 1 Petr.
5, 8. Nach der höhern speculativischen Philosophie der Juden,
gibt es nun gewisse geistige, den Menschen an Kräften über-
legene Substanzen, die sie mit einem allgemeinen Namen den
Satan, oder den Teufel, den allgemeinen Menschenfeind nann-
ten. Marc. I, 13. 2 Cor. 2, 11. Ihnen schreiben sie alles L^n-
glück in der Welt, und nicht nur das ganze Sittenverderben
der Menschen, Oflfenb. 12, 9, sondern auch alle leibliche
LTebel und Krankheiten zu. Weil dann dieser Lehrsatz sehr
gemissbraucht wurde, so machen ihn weder Jesus noch seine
Apostel zu einem Erkenntnissstück der allgemeinen Religion,
Matth. 5, ß, 7, Apostelg. 17,' 24 fg., weisen geradezu die
Menschen auf Gott, als die Quelle alles Guten, und verweisen
ebenso einen jeden auf sich selbsten, als seinen eigenen Feind.
Jac. 1 , 13. Dass es also auch eigentlich recht christliche
Weise ist, alle hieher gehörige Untersuchungen den Philoso-
phen überlassen. — Ich bemerke noch, dass wohl Rom. Iß, 20.
1 Petr. 5, 8. Ephes. 6, 11, nach der dritten Bedeutung die
damaligen Verfolger der Christen unter Satan und Teufel zu
1 S. 280.
Ö
494 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
verstehen sind, und Luc. 22, 3, Joh. 13, 27, der Satan als
ein Verfiibrer zu falschen Anklagen, v. 31, und Apostelg. 5, 3,
als ein Einoeber der Lügen nach der zweiten Bedeutuni? vor-
gestellt wird."i
Dagegen erschien: „Schreiben an den Herrn Probst und
Oberconsistorialrath Dr. Wilhelm Abraham Teller in Berlin,
wegen seines Wörterbuchs des Neuen Testaments zur Erklä-
rung der christlichen Lehre, von einem ööentlichen Lehrer
der heiligen Schrift, Leipzig 1773." Darin heisst es: „Die
Summe von dem, was sie hier sagen ist: Satan, Teufel, be-
deutet eigentlich einen Verleumder, einen falschen Anklä-
ger etc. Diese Bedeutung liegt auch Hiob 1 und Ofienb. 12,
10 zum Grunde. Joh. 8, 44 heisst es ein Lügner und
1 Petr. 5, 8, ein Widersacher etc." — „ü was machen
Sie hier für ein Gewirre! Und wem zu Gefallen? Hoffen
Sie nur einen einzigen Ungläubigen zu gewinnen, wenn
Sie eine Lehre zu verleugnen suchen, die der Christ nicht
entbehren kann? Ist doch der Sohn Gottes erschienen, die
W erke des Teufels zu zerstören. Ist Er doch Fleisches und
Blutes theilhaftig worden, auf dass Er durch den Tod die
Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem
Teufel. Dieses muss ja jeder Christ glauben. Redet nicht
Jesus noch nach seiner Himmelfahrt, Apostelg. 26, 18, von
der Gewalt des Satans? etc. Ihr Herr Vater sagte: W"er
einen Christus glaubte, der müste auch den Teufel glauben,
und wer das Evangelium von Christo rein und lauter lehren
wollte, der könte die Lehre vom Teufel nicht entbehren. Ja
er nannte den einen Irrlehrer, der sie aus der Theologie weg-
lassen wollte. Und Sie nennen es recht eigentlich christlich-
weise, alle hieher gehörige Untersuchungen und Entscheidun-
gen den Philosophen zu überlassen! Wie können Philosophen,
die nichts als Vernunft und äusserliche Sinne zum Grunde
ihrer Erkenntniss haben, von unsichtbaren geistigen bösen
Substanzen etwas gewisses herausbringen ? Unstreitig ist wohl
die Untersuchung davon viel mehr eine Sache der Theologen,
weil sie eine eigentliche Offenbarung haben, welche sie vom
Daseyn solcher unsichtl)aren geistigen bösen Substanzen (En-
gel und Dämonen) versichert, die nehmlich gefiillen sind, oder
' S. 328 ig. Vgl. Zusätze S. 8'J fg.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 495
gesündigt haben, deren Oberster Satan oder Teufel genannt,
und manchmal als Anführer und Haupt für die ganze Schar
dieser Rebellen (wie ein König oder General für seine Armee)
gesetzt wird, der die Menschen in Sünde und Tod gebracht
hat." ^^Wer heisst es uns, dass wir uns ungeschickte und
falsche Vorstellunofen von diesem unsichtbaren Wesen mach-
ten? — Wer die Stellen nachschlägt, wird sehen, dass Sie
doch nichts gesagt haben, oder vielmehr, dass Sie die Schrift
lieber nicht erklären sollten. — Die folgenden nächsten Ar-
tikel, die ich anfiihren will, werden zeigen, wie gern Sie die
Lehre vom Teufel oder Satan und seinen Engeln aus der
Schrift selbst herausschaffen möchten, wenn es möglich wäre.
Allein so wie Sie erklären, könnten Sie wohl Christum selbst
aus der Schrift herausschaffen, wenn Sie wollten."^ Der An-
zeiger des Wörterbuchs^ fügt hinzu: er glaube „dass das
Publikum und alle wahre Freunde der evangelischen Lehre
dem Herrn Verfasser dieses Schreibens vor seine Aufmerksam-
keit und Bemühung vielen Dank im Herzen abstatten werden,
wenn auch mancher heuchelnde Recensent mit dem Verfasser
des Wörterbuchs säuberlich verfährt und mancher andere un-
reife und eingebildete Reforrair- Geist stampfen sollte".
Um diese Zeit erhielt das Interesse für den Teufel neuen
Nährstoff durch den Pater Johann Joseph Gassner, katholi-
schen Pfarrer zu Klösterle im Bisthum Chur. Eigene körper-
liche Leiden, besonders nervöser Kopfschmerz, vergebliche
Anwendung medicinischer Mittel, daneben eifriges Lesen der
biblischen Beschreibungen von Besessenen und deren Heilungc
und Vertiefuno; in die Literatur über Mame brachten ihn
dahin, die Ursache seines Leidens auf den Teufel zurückzu-
führen, und überhaupt die Kraiikheiten als die Wirkung böser
Geister zu betrachten. Er versuchte daher die mittels der
Ordination ihm verliehene Macht, im Namen Jesu Teufel aus-
zutreiben, an sich selbst, und nachdem sieh diese bewährt zu
haben schien, begann er auch an seinen Pfarrkindern die exor-
cistische Cur in Anwendung zu bringen. Es gelang ihm so
viel Aufsehen zu machen, dass sich sein Ruf als Wunderthäter
' S. 328 — 330.
* In D. Joh. Friedr. Ilirt's Orientalische und Exegetische Bibliothek,
m, 182.
496 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
bald weiter verbreitete, fernere Gegenden ihre Kranken herbei-
sandten oder den Exorcisten herbeiwiinschten. Mit Geneh-
migung des Bischofs von Chur kam er im Jahre 1774 nach
Konstanz. Allein, sei es, dass der Bischof Schwindelei wit-
tern mochte, Gassner musste, obschon sich der Keichsprälat
von Salmansweiler seiner annahm, in seine Pfarre nach Klö-
sterle zuriickkchren. Indess wurde er schon im Herbste des-
selben Jahrs von dem Fiirstbischof von Uegensburg nach Ell-
wangen berufen, wo Gassner bald als Wunderthäter. seine
Triumphe feierte, und unter dem fördernden Schutze des
Keichsprälaten seine exorcistische Heilkraft allen Hülfsbediirf-
tigen (als vom Teufel Besessenen), die aus Schwaben, Tirol
und der Schweiz herbeigeströmt waren, zutheil werden Hess.
Da er um diese Zeit auf sein Amt freiwillig verzichtet hatte oder
— was nicht ausgemittelt ist — dessen enthoben ward, ernannte
ihn der Fürstbischof von Regensburg zu seinem geistlichen Rath
und Hofkaplan. Im Jahre 1775 ging er nach Amberg, von
da nach Sulzbach, scheint aber keinen besondern Erfolg mehr
erzielt zu haben, und als in Regensburg sein wunderthätigcr
Schein wieder helle Strahlen verbreitete, wurde dieser durch den
kaiserlichen Befehl, wonach Gassner die Stadt verlassen musste,
getriibt. Kaiser Joseph H. verbot ihm hierauf das Exorcisiren
im ganzen römischen Reiche, die Erzbischöfe Anton Peter
von Prag und Hieronymus von Salzburg erklärten sich gegen
ihn, verschiedene Regierungen verboten den- Verkauf seiner
Schriften, selbst Pins VI. misbilligte seine Heilungen, und
Gassner's Wirksamkeit als Exorcist hatte 1776 ihr Ende erreicht.
Er starb 1779 in einer einträglichen Dechantenstelle zu Bonn-
dorf, die ihm der Fi'irstbischof von Regensburg verliehen hatte.
Gassner hatte zu seiner Zeit durch seine exorcistischen
Curcn nicht nur unter dem Volke grosses Aufsehen erregt,
da man von 20000 Fällen zu erzählen wusste, sondern auch
die schriftstellerischen Federn in Bewegung gesetzt, wozu er
zum Theil durch seine eigenen Schriften beitrug. „Weise,
fromm und gesund zu leben, auch ruhig und gottselig zu
sterben, oder ni'itzlicher Unterricht wider den Teufel zu strei-
ten, durch Beantwortung der Fragen: 1) Kann der Teufel
dem Leibe der Menschen schaden? 2) Welchem am meisten?
3) Wie ist zu helfen? Kempten 1774" erschien schon 1775 zu
Augsburg in 3. Auflage. — „J. J. Gassner's Antwort auf
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 497
die Anmerkungen, ^yclche in dem münchnerischen Intelhgenz-
blatt vom 12. November wider seine Griinde nnd Weise zu
exorciren, wie auch von der deutschen Chronik und andern
Zeitungsschreibern gemacht worden" (Augsburg 1774). Er
handelt darin von der Macht der bösen Geister, von denen
die Anfechtungen der Seele der Menschen und leibliche Krank-
heiten herrühren, die er in natürliche und übernatürliche eiu-
theilt. Er kennt drei Arten vom Teufel geplagter Menschen:
circumsessi, Angefochtene, obsessi oder maleficiati, Verzauberte
und possessi, Besessene. Er gibt das Praeceptum probativum
an, woran die übernatürliche Krankheit zu erkennen ist, wenn
nämlich der Befehl an den Teufel, die Paroxysmen hervorzu-
bringen, seine Wirkung thut. Die Heilung ist aber bedingt
durch den festen Glauben an die Macht des Namens Jesu,
und durch den Glauben, dass die Krankheit durch den Teu-
fel bewirkt sei, u. s. w.
Der Beweis, dass der alte unbedingte Glaube die Men-
schen nicht mehr ganz überschattete, der Same des Zwei-
fels bereits Wurzel geschlagen, seine Zweige zu erheben und
auszubreiten anfing, zeigte sich beim Auftreten Gassner's,
dessen durch Erzählungen, Zeitungen, ungedruckte und ge-
druckte Nachrichten verbreitete Wundercuren von verschiede-
nen Gesichtspunkten betrachtet wurden. Mesmer, der im
Jahre 1775 vom Kurfürsten von Baiern von Wien berufen
und befragt worden war, erklärte: die Curen Gassner's be-
ständen in magnetisch -geistigen Anregungen.' Andere schal-
ten den Mann einen Betrüger und Charlatan, während mehrere
in ihm einen heiligen Propheten und Wunderthäter verehrten;
die einen schrieben seine Curart der Einbildungskraft und
der Sympathie zu, die andern verlegten die Heilkraft in die
Stärke des Glaubens und die Macht des Namens Jesu, und
auf dieser Seite standen nicht nur Katholiken, sondern auch
Protestanten, nicht nur Theologen, wie der protestantische
Pfarrer Johann Kaspar Lavater, sondern auch Aerzte, wie
unter anderm aus zwei Schriften hervorgeht : „ llni^arteiische
Gedanken, oder Etwas von der Curart des Tit. Herrn Gass-
ner's in Elwaugen, herausgegeben von Dr. Schisei, 1775", und:
^ Enuemoser, Geschichte der Magie, 2. AuH., I, 939.
Roskoff, Geschichte dea Teufels. II.
32
498 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
„Des unparteiisclien Arztes Betrachtungen über Herrn Lavater's
Gründe zur Untersuchung der Gassnerischen Curen, ITTö".
Der Verfasser, dem wahrscheinlich beide Schriften eignen,
berichtet, dass er sich als Arzt Mühe gegeben, die Behand-
lungsweise Gassner's autoptisch zu beobachten und alles, was
darauf Einfluss haben könnte, zu bemerken, alle Umstände,
Meinungen und Einwürfe genau zu berücksichtigen, und nach-
dem er dies alles gethan, kommt er zu dem Schluss: „dass
Herr Gassner blos durch den glorwürdigen Namen Jesus und
durch Auflegung seiner Hände und Stola alle seine Curen ver-
richtete. Er gibt aber den Leuten noch Oel, Aiigenwasser
und dergleichen ; er rathet solche Mittel an nach geschehener
Cur zu gebrauchen. Er hat aber, um Blinde sehend zu
machen, weder Augen wasser, noch um lahme Glieder in Be-
wegung zu setzen, ein Oel, viel weniger Pulver und Bauch
zum Teufelaustreiben angewendet. Er betastet zwar die Ge-
lenke der Lahmen, er reibt die Ohren und Drüsen der Gehör-
losen; er berührt mit seinen Fingern die Augenlieder der
Blinden, er lockt die Schmerzen unter seinen Händen mit
gebietender, starker Stimme hervor, aber er heisst sie auch
mit der nämlichen Gewalt, eifrigem und polterndem Ton fort-
weichen, und es geschieht. Wo bleibt doch die Sympathie
und das Electricum, der Magnet, wo aller philosophischer
Witz?" . . . „Herr Gaszner fordert zur Verhütung des Rück-
falls in die Krankheiten mit dem heiligen Petrus einen bestän-
digen, einen unaufhörlichen Streit. Warum? Weil die An-
fechtungen unsres unsichtbaren Feindes immerwährende sind."
Diese Ansicht berührte sich mit derjenigen, welche die Sache
der Wirkung des Teufels zuschrieb, wie der Leibarzt des
Kaisers Joseph H., von Haen, luid hiermit ward bei der Ge-
legenheit die alte Streitfrage über die Macht des Teufels und
deren Grenzen wieder eröffnet und eine Menge Wechsel-
schriften hervorgerufen. Die bedeutendem, welche das Ueber-
gewicht ausmachten, fochten zwar den Teufel selbst nicht an,
suchten aber dessen Macht zu beschränken. So Einzino;er von
Einzing ^, welcher „aus theologischen, historischen, physika-
^ Joh. Martin Maximilian Einzinger's von Einzing, Kaiserlichen Hof-
und Pfalzgrafen etc., Dämonologie oder systematische Abhandlung von
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 499
lischen Quellen zu untersuchen" vorgibt ^, „wie weit die Macht
des Teufels sich erstrecke", und zu dem Ergebniss kommt,
dass der Teufel ein blosser Geist ist 2, der „aus den Kräften
seiner Natur zu einem Körper ohne Gottes Verordnung nichts
wirken" kann^, obschon er „aus sonderbarer Zulassung durch
Anfechtungen, durch Eingebung verwirrter und böser Gedan-
ken und andere phantastische Betrügereien in die Seele des
Menschen — besonders eines gottvergessenen und boshaften"
— Einfluss zu haben vermag, und „so oft die Seele krank,
verwirrt oder angefochten ist, auch der Leib mit leidet". "*
Jede Krankheit „so ungewöhnlich sie sein mag, ist für eine
natürliche zu halten, bis es nicht aufs schärfste bewiesen ist,
dass sie nicht aus natürlichen Ursachen, sondern vom Teufel
herkomme".'^ Der Verfasser glaubt, dass „die christliche
Kirche, wenn dem Teufel das Daseyn oder seine Macht völlig
abgesprochen wird, keinen so grossen Schaden — leidet, als
wenn die Macht des Teufels allzuhoch getrieben, und dadurch
die Allmacht und Regierung Gottes, durch Aberglauben und
andere verschiedene Missbräuche angegrifien wird". *> In ähn-
lichem , die Macht des Teufels beschränkendem Sinne schrieb
Sterzinger, den wir auch bei den Hexenverfolgungen kennen
gelernt: „Die aufgedeckten Gassnerischen Wundercuren aus
authentischen Urkunden beleuchtet und durch Augenzeugen
bewiesen" (1775). Nach dem Zeugnisse Einzinger's hatte sich
selbst Seine hochfürstliche Eminenz der Cardinal und Bischof
von Konstanz „laut höchstdesselben Schreibens vom 6. Sep-
tember 1774 (Seite 19 und 20) dahin ausgesprochen, dass es
nicht wahr sey, dass fast alle mögliche Krankheiten und Ge-
brechen, wie der obgedachte Herr Geistliche Rath Gassner
dafürhält, von der Gewalt des Satans und vom Malefiz her-
kommen".^ Wir können die übrigen Schriften über dieGassner-
sche Angelegenheit füglich abseits liegen lassen **, und wollen
der Natur und Macht des Teufels etc., sammt den natürlichsten Mitteln,
die meisten Gespenster am sichersten zu vertreiben, dem Gassnerischen
Teufelssysteme entgegengesetzt (1775).
1 S. 15. -' S. 35. 3 S. 38. " S. 51. * S. 53. « S. 54.
" Einzinger, Nachtrag zu der Dämonologie, S. 98.
® Sie sind dem grössten Theile nach angezeigt in der Allgemeinen
32*
5oO Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
nur den schwersten Ausspruch, der bei dieser Gelegenheit in
Beziehung auf den Teufel von Semler gethan wurde, anfuhren.
„Es ist kein Wunder, dass uusere Christen, bei allem Unter-
schied der Zeit und der Hülfsmittel, welche Gottes Regierung
so reichlich unter uns ausgetheilet hat, noch so weit zuriick
sind in wahrer göttlicher Erkenntniss des Evangelii, welches
Gott so unvergleichlich verherrlichen und bekannt machen
sollte, dass jener alte Wust des Aberglaubens, der den Teufel
zum Mitherrn und Mitregenten der sichtbaren Natur gemacht
hatte, längst unter den Christen verschwunden sein müsste.
Die ganze Macht schändlicher Unwissenheit, die Finsterniss
des heidnischen und jüdischen Aberglaubens hat mehr ge-
herrscht unter den sogenannten Christen, bis sogar in unsere
Zeit, als sogar zu der Zeit, da Jesus mit seiner göttlichen
Lehre alle geglaubte Werke des Teufels zerstörte, und Men-
schen aus einer erbärmlichen Finsterniss in das Reich des
Lichts und wahrer Erkenntniss versetzte. Ein wunderlicher
roher Eifer beschützt den verfluchten Teufel selbst wider die
Christen, welche nicht Kinder bleiben wollen in der christ-
lichen Religion. Es ist kein Wunder, dass sehr viel von die-
sem Teufelsdreck auch unter den Protestanten übrig blieben
und zur Lehre soß-ar mit gerechnet worden. Freilich ist es
mein Ernst, ich fordere, es soll in dem Artikel des theologi-
schen Compendii von Engeln und bösen Geistern, also auch
in der casuistischen Theologie alles ausgestrichen werden, was
von leiblichen Handlungen und Thaten des Teufels bejahet,
geglaubet und gelehret worden. Es ist alter heidnischer Irr-
thum und verfälscht die wahre rechte christliche Religion.
Ich will als ein christlicher Theologus solchen ganzen Teufels-
kram und alten schäbigen Plunder gerade ausstreichen aus
dem Herzen und der sogenannten christgläubigen Seele, die
übrigens von Gott und Christo Jesu nicht den zehnten Theil
so viel und so ernsthaft, und so oft denket, als von dem theo-
logischen Unthier, Teufel, Satan, Beelzebub, und was es noch
für heidnische Mützen und Namen geben mag, darüber immer-
fort die sogenannte christliche W^elt mehr vom Teufel besessen
sein will und mag, als die grosse helle Erkenntniss Gottes zum
deutschen Bibliothek, Bd. 27, S. 5% f., Bd. 28, S. 277 ig., Bd. 33, S. 285,
Anhang zu Bd. 25 — 3<J, H. 2491.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 501
einzigen Charakter des rechten wahren Christenthums gelten
lassen." 1
Die bisher ano-efiihrten und diueh Gassner's Getriebe
veranlassten literai'ischen Producte in Beziehung auf den Teu-
fel erscheinen indess nur als Flankier vor dem eigentlichen
Kampfe, der um diese Zeit zum offenen Ausbruch kam und
zwar auf Anlass einer anonym, ohne Nennung des Verlegers
und Druckorts im Jahre 1776 erschienenen Schrift: ,,Demii-
thige Bitte um Belehrung an die grossen Männer, welche
keinen Teufel glauben", deren Abfassung dem Professor Köster
in Giessen zuerkannt wurde.- Der gereizte, spöttische Ton
und die obenhinige Behandlung des Gegenstandes gibt der
Schrift das Gepräge eines Pamphlets. Der Verfasser, welcher
zugleich der Herausgeber der „Neuesten Religionsbegebenhei-
ten mit unpartheyischen Anmerkungen" ist, nennt sie „eine
Satire"^, und wir können ihm glauben, dass ihn „der hohe
zuversichtliche und beleidigende Ton"- der Gegner dazu ver-
anlasste , da wir annehmen können , dass auch bei diesem
Streite, wie gewöhnlich, von beiden Parteien über das Ziel
geschossen wurde. Die Schrift, natürlich auf orthodoxem
Standpunkt stehend, macht den Gegnern den- Vorwurf: dass
sie „dem Teufel seine Persönlichkeit nehmen und ihn in ein
blosses moralisches Wesen, in ein Bild oder in eine Allegorie
und ebenso die ganze Religion in ledige Moral verwandeln"*;
dass durch die Annahme der Gegner: „Christus und die Apo-
stel haben sich nach dem halsstarrigen und abergläubischen
Volk gerichtet", da sie wussten, dass den Juden nichts
beizubringen war, wenn man ihre alten Vorurtheile (den
Glauben an den Teufel) antastete, — „Christus und die Apostel
des so oft getadelten frommen Betrugs" schuldig gemacht
werden.^ Der Verfasser fragt: wie dies mit der göttlichen
Sendung Christi übereinstimme, „dass er Vorurtheile ausdriick-
lich billigt und bekräftigt? Hatte es Christus nöthig, da er
^ Sammkingen von Briefen und Aufsätzen über die Gassner'schen
Geisterbeschwörungen (1776), Vorrede.
^ Vgl. Kindleben, Der Teufeleien des 18. Jahrhunderts letzter Act
(1779), S. 11.
^ Die Neuesten Religionsbegebeuheiten, 1. Jahrgang, S. 303.
* S. 4. ä S. 11.
502 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
doch so viele andere Mittel in Händen hatte, seinen Worten
Eingang zu verschafi'en? Wo ist noch ein einziger ähnlicher
anderer Fall, da hundert gegenseitige Fälle aufgezeichnet sind,
in denen er Vorurtheile bestritten hat ? " — „Oder war dieses
Vorurtheil zu den Zeiten Christi luischädlich? Woraus wollten
Sie dann beweisen, dass es heutigestags schädlicher sey, als
ehemals?"^ Ist aber der Glaube, dass es einen Teufel gibt,
der wahren Religion so schädlich, warum sagte dies nicht
schon Christus und die Apostel , von denen wir doch alle
Religionswahrheiten herhaben?^ Der Verfasser glaubt nicht,
dass erst ,,im 17. imd 18. Jahrhundert einige auserlesene Köpfe
die Wahrheit finden oder wenigstens das Herz haben wiirden,
sie öfientlich vorzutragen, welches doch Christus und die Apo-
stel nicht gehabt haben". Er beruft sich hinsichtlich des
Glaubens an Dämonen auf die Uebereinstimmung der Juden
mit Römern und andern Heiden, „die im Grunde das Näm-
liche geglaubt".^ Die Berufung der Gegner auf den Wider-
spruch des Glaubens an einen persönlichen Teufel mit der
gesunden V^ernimft und mit den göttlichen Eigenschaften lehnt
der Verfasser einfach damit ab, dass der Widerspruch „noch nicht
erwiesen ist" und „so sind alle übrigen Beweise, die Sie bisher
gegeben haben, nichts als Zirkel, in denen das, was eigentlich
erwiesen werden soll, schon als ausgemacht und bekannt an-
genommen und vorausgesetzt wird, nichts als petitiones prin-
cipii". ** Der Gegner beruft sich seinerseits auf die buchstäb-
liche Auffassung der Heiligen Schrift, die der Lehre vom Teu-
fel „günstig" sei, und „ist nun die Schrift göttlichen Ur-
sprungs, so hat man Grund wegen den ausdrücklichen
Zeugnissen des Neuen Testaments und den eigenen Aus-
sprüchen des Erlösers einen Teufel zu glauben" — und „alles,
was bisher aus Vernunftgründen in dieser Materie vorgebracht
worden ist, beweist weiter nichts, als dass wir nicht wissen,
wie der Teufel mit den göttlichen Eigenschaften in eine Ver-
bindung zu bringen sey. Aber dieses wissen wir auch in vie-
len andern Fällen nicht". ^ Der Verfasser deutet auf die Lehre
von der Dreieinigkeit hin, „welche wir wegen des göttlichen
Zeugnisses glauben, und bey welcher wir zugestehen, dass sie
über, obgleich nicht wider die Vernunft sey".'' Nach des
>■ S. 13. == ö. 14. 3 S. 15. * S. 19. * S. 24. « S. 25.
3. Der Teufel im IS. Jahrhundert. 503
Verfassers Meinung kann zwar jeder denken, was er will, und
niemand hat sich darum zu beki'immern , was er sflaube : aber
„aus der Freiheit zu denken folgt die Freiheit zu lehren nicht
unmittelbar"; „für meine eigene Person", fährt er fort,
„steht es mir nicht frey, mir eine selbstbeliebige Vorstellung
von irgend einer christlichen Lehre zu machen ; sondern wenn
ich von der Göttlichkeit der heiligen Schrift versichert bin,
so muss ich mir eine Vorstellung machen, die der Schrift ge-
mäss ist". * „Es ist also die Freiheit zu denken sehr gering,
und erstreckt sich nur auf solche Materien, wo die Schrift
nichts bestimmt."- Auf den Einwurf der Unvereinbarkeit
der Existenz des Teufels mit der göttlichen Vorsehung} bittet
der Verfasser, sie möchten ihm doch „deutlich erklären, wie
diese und jene Begebenheiten mit der göttlichen Vorsehung
übereinstimmen. Ich schlage die weltliche Geschichte nach,
und finde beinahe nichts als glückliche Schandthaten. Warum
gibt es die göttliche Gerechtigkeit, die bey seiner Vorsehung
vorausgesetzt wird, zu, dass der Unschuldige unterdrückt und
gemartert wird, da im Gegentheil der Bösewicht emporsteigt?
Warum werden so viele Millionen Menschen unglücklich ge-
macht, um den Ehrgeiz eines einzigen zu befriedigen? Warum
sind die Güter dieser Erde so ungleich ausgetheilt? Warum
erstrecken sich sogenannte Landplagen nur auf dieses oder
jenes Volk? Wo ist hier Gerechtigkeit zu sehen? Und doch
ist Gott unfehlbar gerecht". ^ Aehnliche Erscheinungen findet
der Verfasser in der Kirchengeschichte vmd fährt dann fort:
,,Wenden Sie dieses auf die Lehre vom Teufel an. Ich ge-
stehe Ihnen: ich weiss nicht, warum er in der Welt ist und
ihm Gott so viel Gewalt gelassen hat. Ich denke aber, Gott
muss hierzu seine weise, heilige und gerechte Ursache haben.
Diese sehe ich freylich nicht ein; aber es geht mir auch in
andern gleich wichtigen Materien auf die nemliche Art."*
Das geht aber den Verfasser nichts an, er hat in Bezug auf
den Teufel nur zu fragen: „was sind für Gründe da, die Lehre
vom Teufel anzunehmen?" Und hier findet er, „dass er aus-
drücklich in den göttlichen Schriften gelehrt wird, und dass
ich von dem Wortverstand nicht abgehen darf, weil ich keine
Unmöglichkeit in dieser Lehre zeigen kann. Hierauf kommt
S. 26. 2 s. 27. 3 S. 28. * ö. 30.
504 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
alles an".' Der Verfasser sieht aber auch gar keinen Vortheil
für die Religion, „wenn der Teufel weggeschafft wird" ^^ und
fräf^t: „wird nur ein einziger Lehrsatz in der christlichen Re-
licrion begreiflicher? Verstehen wir nun die Wege der gött-
hchen Vorsehung um ein Haar besser als zuvor? — Gesetzt,
dass der Teufel ein blosses Vorurtheil ist, so ist es doch ge-
wiss, dass viele Leute sich seinetwegen für manchen Sünden
hüten. Wenigstens würde es, politisch zu reden, besser seyn,
den Teufel beizubehalten, als ihn, insonderheit dem gemeinen
Mann ganz auszureden. "^ Der Verfasser fürchtet von der
Ausmerzung des Teufels einen wesentlichen Schaden: „Die
ganze Religion wird dadurch schwankend und unsicher ge-
macht und endlich gar umgestossen"-^, denn es wird damit
der Heiligen Schrift zu nahe getreten, welche die Lehre vom
Teufel enthält; wird dieser geleugnet, so auch die göttliche
Autorität jener. •'^
Bald darauf erschien: „Demüthigste Antwort eines ge-
ringen Landgeistlichen auf die demüthige Bitte um Belehrung
an die grossen Männer, welche keinen Teufel glauben. Li
Deutschland 1776." Wie schon der Titel zeigt, sucht es der
Anonymus in seiner Schrift an Hohn und Spott seinem Vor-
o-änger zuvorzuthun. Der Verfasser beruft sich, wie sein
Gegner, ebenfalls auf die Heilige Schrift, die so häufig vom
Teufel redet, damit sei es „aber noch lange nicht ausgemacht,
dass er eine wirkliche Persönlichkeit habe". ^ Auch dem
Verfasser gilt die Bibel alles, aber er will sich „die gelehrten
oder ungelehrten, gedruckten oder ungedruckten Auslegungen
und Glossen der Menschen nicht zugleich für göttlich auf-
dringen lassen".' Die den „grossen Männern" vorgeworfene
Annahme, dass sich Jesus dem Teufelsglauben des Volks an-
bequemt habe, hält der Verfasser aufrecht, denn oft „erfor-
dert die Klugheit geringere Dinge auf ihrem Werthe oder
Unwerthe beruhen zu lassen, um dadurch nicht von wich-
tigern Dingen abgezogen zu werden", und das sei kein Be-
trug. ^ Als Belege führt der Verfasser auch biblische Stellen
an, Marc. 4, 33, 1 Kor. 3, 1—3, Hebr. 5, 11 — 14, Joh. IG, 12,
in welchen Behutsamkeit im Lehren angedeutet sei. ^ Ein
1 S. 31. ^ S. 32. 3 S. 33. ^ S. 36. ^ Ö. 37. « S. 11.
S. 12. » S. 15. " S. 17.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 505
Irrthum werde noch nicht gebilHgt, „wenn man ihm nicht
ausdrückhch widerspricht". ^ Dass sich Jesus ,,wirkHch nach
den Vorurtheilen der schwachen Lehrlinge gerichtet", sucht
der Verfasser durch Fälle aus dem Alten und Neuen Testa-
ment nachzuweisen.^ Auf die Frage: ob der Teufelsglaube
heute schädlicher sei, antwortet der Verfasser: ein Ding könne
allerdings zu verschiedenen Zeiten mehr oder weniger schaden,
— will sich aber nicht näher einlassen.^ Der Verfasser macht
die richtige Bemerkung: „Mir dünkt, mein Herr, Sie unter-
scheiden nicht genug die zwei Sätze: «Es ist gar kein Teufel»,
und: ('der Teufel ist keine wirkliche Person». Der erstere,
däucht mich, ist ganz falsch, aber nicht der andere." — Die
Sünde sammt allem üebel könne da sein, „ohne dass man
einen persönlichen Teufel dazu brauchet"."* „Mit blos philo-
sophischen Schlüssen über Möglich- oder Unmöglichkeit eines
persönlichen Teufels kann gar nichts, nach meinen wenigen
Einsichten, ausgerichtet werden; die Vernunft weiss sehr
wenig oder gar nichts vom Teufel." — t^Die Heilige Schrift
allein gibt hier sichere Nachricht." •"• Die verschiedene Art,
wie der Teufel in der Heiligen Schrift erwähnt wird, sei
schwer ,,in Eine wirkliche Person zu vereinigen". ^ Was die
Wichtigkeit der Lehre vom Teufel betrifft, um derentwillen
der Teufel nicht abzuschaffen sein soll, beruft sich der Ver-
fasser auf die Reformation, welche unter andern auch die
Lehre vom Fegfeuer aufgehoben, obschon diese den gemeinen
Mann zu schrecken auch dienlich sein mochte.^ Der Verfas-
ser erklärt den Teufel für eine mythologische Vorstellung,
wobei „die Klügeren wohl gewusst hätten, dass der Teufel
keine wahre Person sey, obschon sie von ihm als einer Person
redeten"*, und sucht hiermit dem Vorwurfe, den Teufel als
Vorurtheil oder als „Allegorie" zu fassen, zu entgehen. Er
beruft sich auch hierbei auf die Schrift (1 Kor. 8, 4 — 7), wo-
nach ein Götze Nichts sey.^ Er weist ierner auf 5 Mos. 32,
17; Ps. 106, 37; 1 Kor. 10, 19 — 21 und findet in diesen Stellen
angedeutet, „dass Teufel und Götzen einerlei sind".!*^ Da es
nun „ziemlich sicher ist, dass die dämonischen Geister mit-
einander nichts als etwan mythologische Gedichte sind; so
1 S. 21. = S. 23 fg. 3 S. 25. * S. 32. « S. 33. « S. 34.
' S. 36. 8 s_ 49, 9 s_ 49, lo g. 50.
506 Viertel' Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
müssen nothwendig alle teiif'elisc-he Besitzungen uneigentlich
genommen werden". Die Kliigeren wussten, wie solche Reden
(vom Teufel) zu nehmen seien, wenn sich Jesus deren bediente,
und für die Dümmeren war es noch nicht Zeit „sie mit spe-
culativischen Sätzen von dem Einen Nothwendigen abzuhalten"
— so bleibt Jesus „immer der Wahrhaftige, Betrug kam nicht
in seinen Mund". ^ Der Verfasser schlicsst damit: „Ich will
lieber, dass man Gott fürchte, dann den Teufel. Denn Got-
tesfurcht ist der Weisheit Anfang; aber Teufelsfurcht — sie
wirke was sie immer wolle, sie zieret meines Erachtens keinen
Christen."
Der Kampf für und wider den Teufel wurde natürlich
auch in den Zeitschriften weiter geführt, so in der Lemgoer
auserlesenen Bibliothek, der Mietauischen allgemeinen theolo-
gischen Bibliothek, der Allgemeinen deutschen Bibliothek und
andern, von denen die meisten, namentlich die letztgenannte,
entschieden auf der Seite der Antidiaboliker standen. Es er-
schienen aber ausser den angeführten auch eine Menge selb-
ständiger Schriftchen von Deutschen und Engländern, die wir
ihrer Unerheblichkeit wegen übergehen, und nur noch einige,
die grösseres Aufsehen machten und zur Klärung der Streit-
frage beitrugen, erwähnen. Zu den letztern gehört nament-
lich: „lieber die Non -Existenz des Teufels", die auch als
Antwort auf die „demüthige Bitte *um Belehrung an die gros-
sen Männer, die keinen Teufel glauben" 177(i erschienen war.
Der Herausgeber der ,, Neuesten Religionsbegebenheiten mit
unpartheyischen Anmerkungen für das Jahr 1778", den wir
als den Verfasser der „Demüthigen Bitte um Belehrung" ken-
nen gelernt haben, nennt seinen Gegner „ernstlich und grob" 2;
ich finde aber, dass der „demüthige Bittsteller" nach seinem
eigenen Vorgange voll Hohn zu letzterem Vorwurfe kaum
berechtigt ist. „Ernstlich" ist aber allerdings die „Non-Exi-
stenz des Teufels" gemeint, denn der Verfasser sagt seine
Meinung gleich beim Eintritte ernst und trocken, „dass es
i S. 51.
2 Viertes Stück, S. 317.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 507
keinen Teufel gebe, wiefern man darunter eine Substanz oder
ein geistiges Wesen, dem Persönlichkeit zukommt, versteht,
sondern dass alles, was in der Schrift unter diesem Namen
vorkommt, nur Modificationen und sinnliche Vorstellungen
von dem allgemeinen abstracten Begriff sind, den wir in der
Philosophie das moralische Uebel und das leibliche Böse über-
haupt zu nennen pflegen".' Dies will der Verfasser „aus der
Vernunft und Schrift" beweisen, „denn beide gehören zusam-
men, wenn von griindlichen Beweisen die Rede ist"^, und
wendet sich zunächst an die Schrift, die er nur in der Origi-
nalsprache als fons et scaturigo veritatis anerkennt. ^ Nach
seinem hermeneutischen Grundsatz: von dem „Wortverstande"
abgehen zu müssen, wo dessen „Beibehaltung — einen Wider-
spruch mit sich fuhrt, und wo aus dem wörtlich erklärten
Texte — absurda fliessen"*, deutet er den Widersacher und
Teufel 1 Petr. 5, S auf Nero, und beruft sich auf Ueberein-
stimmung der grössten und bewährtesten Ausleger, eines
Semler, Nösselt, Michaelis etc. ^ Bei der Stelle Joh. 8, 44
rühmt der Verfasser die Weisheit Jesu, dass er dem Irrthum
der Juden von der Macht und Existenz des Teufels nicht
geradezu widersprach, um „die Juden, so zu reden, mit ihren
eigenen W^affen zu schlagen" — sie „auf Gott und dessen
allmächtige Wirkungen wies". ^ In der Versuchungsgeschichte,
Matth. 4, findet er es am wahrscheinlichsten, unter dem Ver-
sucher „einen listigen und verschlagenen Abgesandten oder
Spion von der jüdischen Synagoge zu verstehen ".'^ Zu der
Stelle Judä V. 6, bemerkt der Verfasser, dass der Brief, wie
die Apokalypse, apokryphisch, daher nicht beweiskräftig sei,
und der Apostel als geborener Jude sich eines Exempels aus
der jüdischen Theologie bediene, um die Christen, an die er
schreibt, an vers<;hiedene Beispiele der göttlichen Rache zu
erinnern.^ Was die Stelle Luc. 10, 8 betrifft, so „sieht ein
jeder von selbst, dass die ganze Redensart figürlich und un-
eigentlich ist. Denn gesetzt der Teufel existirte, wie kann er
als eine geistige Substanz vom Himmel fallen, und wenn er,
wie manche behaupten — , einen Körper annehmen kann, so
1 S. 4. ^ S. 4. 3 S. 4, Note. * S. 6. ' S. 7. « S. 9.
' S. 11. 8 s_ 12.
508 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
hätte er sich von einem so hohen Sprung längst den Hals
brechen müssen''. Dieser Ausspruch kann nach dem Verfasser
keinen andern Sinn haben, als: „Ich sehe im Geiste wie durch
mich und durch meine wahre Lehre die bisherige vermeinte
Macht des Teufels (die im Aberglauben, Unglauben und herr-
schenden Lastern besteht) auf einmal und in sehr kurzer Zeit
von ihrer Höhe heruntergestürzt wurde. "^ Die Besessenen
erklärt der Verfasser für „Kranke", „unglückliche Rasende",
was „die grössten Theologen und Schriftausleger" seiner Zeit,
„namentlich Semler, Teller, Bahrdt u. a. längst mit den er-
forderlichen Gründen erwiesen". „Die Juden schrieben der-
gleichen Zufälle — nach ihrer Glaubenslehre dem Teufel zu,
weil sie unheilbar" oder ihre Ursachen „unbekannt waren. "^
Die Verrätherei des Judas ist ,, nicht auf Eingeben des Satans,
sondern auf Antrieb seines eigenen bösen Herzens und aus
eigener Bewegung geschehen''.^ Bei Ephes. 6, 12 sieht der
Verfasser nichts anderes „als eine Beschreibung der heydni-
schen Obrigkeit, unter deren Drucke die ersten Christen
seufzten"."* Auf diese Weise exegesirt der Verfasser aus
allen übrigen angeführten Stellen den Teufel hinweg, indem
er sie uneigentlich fasst oder auf die sogenannte „natürliche
Weise" interpretirt, welche in jener Zeit der Verstandesrich-
tung gäng und gebe zu wei'den angefangen hatte. Der Ver-
fasser will aber die Non- Existenz des Teufels auch aus
Gründen der Vernunft erweisen. Mit dem Dasein der guten
Engel, meint der Verfasser, könnte es noch hingehen, es seien
jedoch auch nur Vermuthungen, die in dieser Beziehung von
Philosophen vorgebracht worden; „aber mit den bösen Geistern,
mit dem sogenannten Teufel hat es eine andere Bcwandtniss".
Mit all seiner Vernunft kann der Verfasser nicht begreifen,
„dass sie existiren, und wenn sie existiren, zu was für einer
Absicht sie da sind"."'' Der Hauptgrund ist: dass „kein ver-
nünftiger Mensch etwas umsonst thut", um so weniger der
allerweiseste Gott, von dem nicht „zu vermuthen, dass er
Geister werde erschaffen haben, die, nachdem sie eine kurze
Zeit im Guten beständig geblieben, aus Hochmuth von ihm
abgefallen wären, um nun auf ewig autorisirtc Menschenquäler
7Ai sein und sich selbst in ein unabsehbares Elend zu stür-
1 S. 13. = S. 14. 3 s. 1(3. i s. 17. 5 s. 26.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 509
zen!"* Der Teufelsglaube ist daher auszurotten, und wenn
Christus und die Apostel den Irrthum stehen liessen, so be-
merkt der Verfasser: „fürs erste sind wir keine dummen
Juden mehr, wir sind im Besitz einer vernimftigen auf Er-
kenntniss der Wahrheit und Ausiibuno; der Tugend ffeorün-
deten Religion, — fiirs andere konnte ein Irrthum zu den
Zeiten Christi und seiner Apostel unschädlich sein, der zu
unsern erleuchteten Zeiten sehr schädlich ist, und einen nach-
theiligen Einfluss in das sittliche Verhalten der Menschen hat"-.
Denn — „viele machen sich die Lehre vom Teufel zu Nutzen,
so dass sie — alle Schuld wegen einer begangenen Frevel-
that von sich abwälzen und auf den armen Teufel schieben". ^
Staat und Religion gewinnen, wenn der Teufel aus der Glau-
benslehre verwiesen wird. '^ Denn „ein Staat, worin Aberglau-
ben und Dummheit herrschen", könne „nicht ein glücklicher
Staat genannt werden, weil im Gefolge des Aberglaubens ge-
meiniglich Bosheit — und intolerante Gesinnungen gegen die-
jenigen sind, die sich durch eigenes Nachdenken und fleissiges
Forschen in der Schrift aufgeklärtere Begrifle angeschafft
haben". ^ Der Verfasser weist hierbei auf Beispiele hin. In
Bezug auf Religion sieht der Verfasser ,,die Hauptsache, dar-
auf es bey dem Christenthum und bey der Erlangung des
göttlichen Wohlgefallens ankommt" in rechtschaflteuer Besse-
rung und unermüdetem Fleisse im Guten. ^ ,,Ists nicht besser,
wenn ich den gemeinen Christen, anstatt ihn mit den jüdischen
Fabeln vom Dasein, von der Macht und den Verführungen des
Teufels länger aufzuhalten, geradezu anweise, sich vor nichts in
der Welt, als vor Gott, vor seinen Strafen, und vor seinem
Gewissen zu fiirchten, wenn er unrecht thut." — Der Verfas-
ser nennt die alte Theorie vom Teufel, und was sich daran
knüpft, einen „subtilen Manichäismus", „eine mit dem Schein
der Reehtgläubigkeit überkleisterte Abgötterey".^ Dem Ver-
fasser ist es „ein unsinniger Einfall, vorzugeben, dass ein
unsclnddiges Kind schon von seiner Geburt an unter die Ge-
walt des bösen Geistes gehöre, und dass es daher nöthig sey,
ihn bey des Kindes Taufe durch eine lächerliche Ceremonie
auszutreiben". '"' Er deutet auf den Zusammenhang der Lehre
von der Erbsünde und der vom Teufel hin und beider mit
S. 28. 2 S. 31. ■' S. 32. * S. 35. » S. 36. « S. 37.
510 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
der Lehre von Christo, und bemerkt, dass erstere nach der
gewöhnlichen Aufi'assung keinen erweislichen Grnnd in der
Schrift habe, nnd nur erfunden sei, „damit man die Macht
des Teufels erheben und die Grille von seiner Verführung
der ersten Mensehen wahrscheinlich und den Werth des Ver-
dienstes Christi — desto grösser machen könnte ". ^ Es
sei freilich bequem, die althergebrachten Meinungen festzu-
halten, „denn da braucht man nicht viel zu studiren, da kann
man sich hübsch einen guten Tag pflegen und bey einem
guten Glase Wein auf einem geräumigen Sopha die beschwer-
liche Zeit verträumen".''^ Dagegen sei es Pflicht „für jeden
gewissenhaften Prediger und für jeden einzelnen Christen" —
„sich in seinem Glauben so viel Licht und Gewissheit als
möglich zu schaflen". ^ Der Lehrsatz, ,,dass kein Teufel und
keine sinnliche Hölle ist, dass der Teufel nur in dem Gehirne
mancher altvaterischen Theologen und in dem Herzen böser
Menschen existirt", werde „keine andern Übeln Folgen haben"
als solche, denen eine jede Wahrheit, wenn sie anfängt — be-
kannt und alten eingewurzelten Lrthümern, die man fälsch-
lich für göttliche Wahrheit ausgab, entgegengestellt zu werden,
unterworfen ist". * Aus dem Umstände , dass nicht nur die
Juden, sondern auch die Heiden an Dämonen geglaubt, werde
kein vernünftiger Mensch das Dasein des Teufels folgern.
„Jeder Irrthum hat seine Epoche und dauert um so länger,
je mehr er in dem Stolze, dem Eigensinn, in der Bosheit und
in dem Eigennutz der Menschen — seine Nahrung findet. "■-
Der Verfasser vermuthet, dass man nach 50 Jahren vielleicht
ofar nichts mehr vom Teufel hören und sich wundern werde,
„dass er sein Ansehen so lange hat behaupten können".^
Nach unserer bisher befolgten Methode, zunächst die Er-
scheinungen vorzuführen, und dann erst nach den Factoren
zu suchen, die auf jene eingewirkt, genügt es vorläufig auf den
entschiedenen Fortschritt in der Streitfrage hinzudeuten. Nach-
dem Bekker an der Existenz des Teufels erst schüchtern zu
rütteln angefangen, indem er ihre Nothwendigkeit bezweifelte ;
nachdem durch Thomasius und seine Anhänger die Persön-
lichkeit des Teufels aufgehoben worden; will die letztbe-
1 S. 40. ä S. 44. 3 s. 45. ■» S. 47. ' S. 50. ' S. 52.
3. Per Teufel im 18. Jahrhundert. 511
sprochene Schrift die Vorstelhmg vom Teufel und seiner Macht
überhaupt aus dem christlichen Glaubenskreis hinausgebannt
wissen. Zunächst grinidet sich diese Forderung auf eine von
der hergebrachten orthodoxen Exeoese verschiedene Erkläruno-
O O O
und Aufiassung der biblischen Stellen. Wir bemerken eine
veränderte dogmatische Anschauung, eine andere Betrachtung
der Schrift infolge der erwachten Kritik, die jene der Un-
tersuchung zu unterziehen begonnen hatte. Wir bemerken
ferner, dass der eigenen Vernunft, oder besser dem Verstände,
eine wichtigere Stimme eingeräumt wird, als es vordem der
Fall war. In letzterer Beziehung ist daher erwähnenswerth
eine bald nach der vorhergenannten erschienene Schrift : „Doch
die Existenz und Würkung des Teiifels auf dieser Erde,
gründlich und ausführlich erwiesen. Eine Skizze. Nürnberg,
1776." Diese Schrift bedient sich im Streite gar nicht mehr
der Bibel als Waffe, sondern enthält, wie der Herausgeber
selbst richtig bemerkt „blos ein aus gesundem Menschenver-
stand kommendes Raisonnement". Der Verfasser stellt ver-
schiedene Definitionen vom Wesen des Teufels hin und sucht
dann die Widersprüche blosszulegen. „Die Theologen sagen, er
habe einen sehr grossen Verstand luid grosse Macht" — „er
sey ein Erzbösewicht, der dieses Alles zum Verderben miss-
braucht", — „er ist gefallen" 1 — aus Stolz und Ilochmuth.
Nun fragt der Verfasser: woher denn sein Stolz und Hoch-
muth kam? Wenn er sich selbst verblendete, so steht dies
mit seinem gerühmten Verstände, seinem Erkenntnissvermögen
im Widerspruch.^ Wollte man „ein jedes nicht immer nach
deutlicher Erkenntniss handelndes Wiesen — welches böse
Begierden hat und ihnen oft folgt — Teufel nennen, so sind
wir alle Teufel". — „Ein durch und durch böses Wesen ist
ein wahres Unding in der Schöpfung" — weil sich die Un-
vollkommenheiten gegenseitig einschränken — ,,denn ist der
Teufel der ärgste Wollüstling, so kann er unmöglich auch der
ärgste Geizhals sein."^ AVenn der „Teufel nicht so ein erz,
erz Dummkopf ist, wie er sein muss, wenn er durchgängig böse
sein soll — wenn er wirklich grosse Einsicht hat — wie kann
er so dumme Streiche angeben" — als seine Vertheidiger selbst
von ihm erzählen?* Wenn der Teufel Kenntniss hatte von
1 S. 16. 2 S. 17. 3 S. 18. '' S. 21.
\
512 Viertel" Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
seinem Oberherrn, wie konnte er so unsinnig sein, sich gegen
ihn aufzulehnen?* Der Verfasser fragt: ob man jemals etwas
Böses thun sehe, wenn ein Mensch lebendig erkennt, dass er
Böses thut? Denn „lebendige Erkenntniss" ist nach dem Ver-
fasser „Thätigkeit selbst".^ Wenn aber der Teufel eine irrige
Erkenntniss gehabt, so widerspricht diese seinem gepriesenen
Verstände so gut, als wenn er böse ist, nur um böse zu sein,
„blos um andern zu schaden, wenn er gleich sieht, dass er
dadurch sein Unglück häufe". ^ Ist der Teufel nicht der gött-
lichen Macht unterworfen, so wird er zu einem Nebengott,
und das ist Manichäismus. Als äussern Versucher „bedürfen
wir schwache Geschöjjfe" des Teufels nicht. Denn „keimt
nicht in uns selbst der Same des Bösen"?* Da „böse seyn
— in jedem Augenblick desselben irrige Kenntniss" voraus-
setzt ; „bey keinem denkenden Wesen — blos solche, und im-
mer solche stattfinden" kann: „also ist kein durch und durch
böses Wesen möglich".^ Der Teufel ist weiter nichts als
„blos Idee" — „gewachsen in Köpfen, die zu eingeschränkt
sind in Abstracto zu denken und eine Puppe in concreto haben
mussten", erfunden im jugendlichen Zeitalter der AVeit.'' In-
dem der Mensch eine Ursache alles Bösen ausser sich setzte
— stand der Teufel da.^ Die Ursache wurde Person, und
weil das Kindesalter der Welt eine Kindersprache hatte, ,,ein
Lallen durch Zeichen und Bilder, malte es den Teufel in
körperlicher Gestalt". Da nach der Beobachtung „mehr Bö-
ses durch Menschen gewirkt war — gab sie ihm Menschen-
gestalt". „Aberglauben, Stolz, Bosheit, Wollust, Geiz, Faulheit,
Mord — ihr musstet Ursachen haben — Priester erschufen
den Teufel." ^ „Die Vernunft besteigt den Thron — und der
Teufel flieht."^ Als Mittel wider die Wirkung gegen den
Teufel gibt der Verfasser eine vernünftige Erziehung an. —
„Männer von Geist und Herz — legt Hand an — jagt den
Teufel von uns!" Er richtet seinen Aufruf an Regenten, Aeltern
und Lehrer — und wenn diese zusammenwirken und eine tüch-
tige Generation herangezogen haben — „ dann lasst uns wieder
nach dem Teufel fragen ". ^^ Auf die Frage : Was ist vom
Teufel zu lehren? kann der Verfasser nicht antworten, „wäre
1 S. 22. 2 s, 23. 3 s 24. " S. 25. * S. 26. « S. 31.
7 S. 32. « S. 33. » S. 36. '» S. 39.
t
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 513
ich ein Lehrer, ich sagte vom Teufel nicht ein Wort — weil
alles, was ich davon sagen könnte — Lügen sind."^ 57 Un-
wissende, bösdenkende Menschen in Ordnung zu halten", mag
der Teufel, wie der Büttel zu gebrauchen sein^, aber „bessert
sie mit einem stillen und sanften Geiste, und allen Aberglau-
ben schafft Aveg" — und „wenn Unthätigkeit, Müssiggang,
A\ ollust, Ehrgeiz und Stolz aus den Herzen unserer Menschen
fliehen, so ist der Teufel geflohen. Lasst uns Geist und Herz
haben, so schadet uns kein Teufel — wir schaden uns nur
selbst". — Darum, ruft der Verfasser, „macht euch nicht
lächerlich , und vertheidigt eine nicht existirende Kreatur —
einen Teufel — Schimpf des Schöpfers, ein durch und durch
böses Ding. Wenn ihr nicht reden könnt, schweigt doch
wenigstens". ^
In demselben Jahre (1776) erschien anonym: „Versuch
einer biblischen Dämonologie oder Untersuchung der Lehre
der heiligen Schrift vom Teufel und seiner Macht. Mit einer
Vorrede und einem Anhang von D. Joh. Salom. Semler,
Halle 1776." In der Vorrede sagt Semler, dass die „Ausle-
gung der heiligen Schrift von Zeit zu Zeit sowol besserer
Regeln und Bemerkungen fähig seye — dass die Denkungs-
art und Gesinnung der Christen, insofern sie die neuen Ver-
änderiuigen selbst erfahren, an die Einförmigkeit aller Vor-
stellungen von biblischen Gegenständen nicht gebunden sey".
Er findet die Voraussetzung unbegreiflich, „dass alle diese
theologischen Beschreibungen vom Teufel etc. als christliche
unumstössliche Wahrheiten" gelten sollen. Er weist auf „die
Abwechslung und Verschiedenheit der Vorstellungen der Chri-
sten, selbst der Lehrer" hin, dann auf die Anmasslichkeit sei-
ner Zeitgenossen, von denen die „alteifrigen Vertheidiger" des
Teufels jeden, der nicht ihrer Ansicht ist, der Gotteslästerung
anklagen. „Am allerwenigsten dürften ehrliche und freye
lutherische Lehrer die unwürdigen Lügen von Teufeln und
ihrer stets fürchterlichen Gewalt mit der Ehre Gottes und
der christlichen Religion ferner verbinden." — Semler hofft,
dass von nun an der Artikel der Dogmatik, der vom Teufel
handelt, eine Verbesserung und Veränderung erhalten werde,
1 S. 40. ^ S. 42. - S. 43.
ßoskoff, Geschichte des Teufels. II.
,514 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschiebte des Teufels.
und will die Schmach, ein declarirter Antidämoniacus zu sein,
gern tragen.
Der anonyme Verfasser hofft den Leser durch seine Schrift
zu überzeugen, „dass der jüdische Lehrbegriff vom Teufel
und seiner Macht, den die Christen zur Verdunkelung des
Evangeliums und zu ihrer eigenen Schmach angeuonunen haben,
in der heiligen Schrift nicht gegründet sey ". ' Der sei zu
beklagen, „der durch die Erkenntniss Gottes und Christi nicht
von Sünden und Lastern abgezogen und zur Tugend belebt
werden kann. Durch die Furcht vor dem Teufel wird kein
Sünder bekehret und fromm werden". Er nennt die alther-
gebrachte Lehre von der grossen Macht und dem fürchter-
lichen Eintluss des Teufels einen groben, Gott entehrenden
Aberglauben. '2 Im ersten Abschnitt, wo der Verfasser allge-
meine Bemerkungen über die Lehre vom Teufel vorausschickt,
wendet er sich zum Alten Testament. Da findet er im Sün-
denfalle, dass „Mose — den Lauf der Seele, von unschuldigen
Empfindungen bis zum Falle, in eine Unterredung der Schlange
mit der Eva" einkleidet. „Die Vorstellungen, die die Schlange
bey der Eva veranlasset, werden als Reden der Schlange vor-
o-etrao-en. " ^ Im Buche Hiob, das mehr ein Gedicht als ein
geschichtliches Buch ist*, ist alles das, was vom Satan ge-
meldet wird, bildlich gemeint.-'' Die Stelle Sacharja 3, 2 ist
eine Vision*^ u. s. w. Er kommt auf die Dämonenlehre der
Hebräer zu sprechen und leitet den Ursprung derselben von
den Chaldäern her. ^ Der Verfasser findet, es werde im gan-
zen Alten Testament nicht gelehrt, dass ein böser Geist das
Oberhaupt vieler anderer böser Geister sei, mit denen er
Schaden auf Erden anrichte.** Nach dem Alten Testament
heisse Satan jeder Feind und Widersacher. Die jüdische
Vorstellung vom Teufel sei im Alten Testament gar nicht ge-
o-ründet; sie habe überhaupt keinen reellen Grund und sei
auf keinerlei Weise als wahr erweislich.^ Zum Neuen Testa-
ment übergehend, beginnt er mit dem Satze: „Christus ist,
nach dem klaren Wort der Schrift, dazu erschienen, dass er
1 Vorrede des Verfassers.
" Ebendaselbst.
» S. 19. " Ö. 34. ' S. 35. '' S. 37. ' S. 48. « S. 64.
9
S. 65.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 515
die Werke des Teufels zerstöre" — dazu gehört „alles Irrige,
alles Böse, das dem Teufel zugeschrieben wurde, vuid alle
abergläubische Vorstellungen seiner furchtbaren Macht, da-
durch die armen Menschen getäuschet werden". ^ Der Ver-
fasser geht eine Reihe neutestamentlicher Stellen exegetisch
durch und findet in ihnen den Beweis: „dass Satan und Teufel
im Neuen Testament nicht einen besondern bösen Geist, son-
dern überhaupt jeden Widersacher, Lästerer und Hinderer der
evangelischen Wahrheit und der christlichen Keligion, auch
unter Menschen, desgleichen alles Böse, Widrige und Unan-
genehme bedeute".- Es herrschten unter den Juden gewisse
Vorstellungen, die von den Aposteln benutzt wurden, um an-
dere Vorstellungen zu erläutern, deren innere Wahrheit des-
halb unbeschadet blieb. ^ Das Ergebniss der Untersuchung
der Stellen im Neuen Testament, in welchen der Teufel er-
wähnt wird, und die Beweise seiner Macht enthalten sollen,
ist: dass unter der Gewalt des Satans nichts anders zu ver-
stehen sei, als: „alles was der wahren christlichen Religion
entgegen und derselben hinderlich ist, herrschende Unwissen-
heit, grobe Irrthümer, Aberglaube, Laster, alles was Juden
und Heiden zu einem eiteln und falschen Gottesdienst ver-
leitete, von der wahren Religion abzog, und wider Christum
und seine göttliche Lehre empörete, die Aufnahme und den
Fortgang derselben hinderte".'* Auch in der Offenbarung
Johannis sind Teufel und Satan „allgemeine Benennungen
und Personifikationen des Aberglaubens, des Unglaubens und
der Bosheit".-^ Dämonische Menschen sind Kranke, deren
ungewöhnliche, schmerzhafte, anhaltende und unheilbare Krank-
heiten dem Teufel und bösen Geistern zugeschrieben wurden,
und wovon die natürliche Ursache verborgen lag.'' Der Ver-
fasser hält es für möglich, dass Matthäus, Marcus und Lucas
selbst, wie andere Juden, der Meinung sein konnten, dass
manche Kranke wirklich von bösen Geistern geplagt worden.''
Da der jüdische Aberglaube von der Macht des Teufels zu
tiefe Wurzel geschlagen hatte, so erforderte es die Weisheit
Christi, „sich nach den Vorstellungen der Kranken selbst zu
1 S. 66. 2 S. 73. « S. 78. * S. 124, vgl. S. 161. « S. 186.
6 S. 248. ' S. 275.
33*
516 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
lichten", womit er zugleich den Beweis gab, „dass er auch
Krankheiten heilen könne, die darum für unheilbar gehalten
wurden, weil sie unmittelbare Wirkungen böser Geister sein
sollten" 1, und „jeder Jude, der vor der Macht des Teufels zit-
terte, musste einsehen, dass die bösen Geister die uniiber-
windliche Gewalt nicht haben konnten, wenn sie auf ein ein-
ziges Wort eines ihrem Urtheile nach geringen Mannes —
weichen und gehorsam sein mussten." Daher ist Christi
Weisheit zu bewundern, „die die Irrthiimer der Juden in
ihrer Blosse darstellte, und doch allen Anstoss vermeldete,
indem er sich zu ihren Vorstellungen herabliess".'^ In der
tranzen Ileilisen Schrift werde weder von der angedichteten
Macht des Teufels ein „positiver Unterricht ertheilt", noch
der Glaube an einen mächtigen Teufel gefordert. ^ Da es fer-
ner aus Gottes Wort ganz unerweislich ist, dass Gott den
bösen Geistern Macht gegeben habe, auf der Erde zu wirken'*,
der Teufel in der Bibel, „wo keine Juden reden oder redend
angeführt werden", nichts anderes sei, als „das personificirte
Abstractum alles Bösen ""\ so erscheint es dem Verfasser ge-
radezu „lächerlich", — „das was von der reellen Macht und
Wirkung des jiidischen Undings geschrieben, erzählet, fortge-
pflanzet, gegläubet und gefürchtet ist, ausführhch zu wider-
legen". Der Verfasser bezeichnet daher „Alles, was die Juden
von ihrem Teufel, und die Christen von dem Teufel der Ju-
den erträumet und gefürchtet haben", als „Aberglauben, —
Schwachheit der menschlichen Vernunft", die „sich von der
Leitung göttlicher Wahrheiten losgerissen hat".*^ „Alle Arten
von Zaubereyen und Hexereien — als Wirkungen böser Gei-
ster — sind Erdichtungen." Alle Erscheinungen, Gespenster,
bösen Geistern zugeschrieben, sind nichts „als Betrug, Täu-
schereien einer verin-ten Einbildung — Wirkungen der Furcht,
der Dummheit, des Aberglaubens und der Bosheit". — „Alle
Weissagungen inid Entdeckungen verborgener Dinge, die dem
Teufel zugeschrieben werden, sind Lügen und Erdichtungen" ^
— und „jeder vernünftige Mensch schändet sich und hört auf
ein treuer Verehrer und Anbeter Gottes zu seyn, der durch
Hülfe böser Geister ein Glück oder ein irdisches Gut zu er-
' S. 283. 2 ö. 284. 3 S. 294. * S. 300. ^ S. 301. « S. 302.
' S. 303.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 517
halten wünscht" — „es ist Thorheit und schwere Sünde"
daran zu glauben, „weil es Gott entehrender Aberglaube und
eine grobe Art der Abgötterei ist". „Alles, was man von
Bündnissen der Menschen mit dem Teufel — gesagt, geschrie-
ben und geglaubet hat, ist lauter Unsinn und Thorheit." Und
„noch weit alberner ist der Glaube an Succuben, Incuben,
Wechselbälge, Wehrwölfe, Kobolte u. dgl." — es „sind nichts
als demüthigende Beweise menschlicher Schwachheit und Thor-
heit". 1 „Alle Beschwörer sind Narren und Betrüger" — „alle
Beschwörungen sind Narrheiten und Betrügereien. " Wenn
„gelehrte Männer über dergleichen Possen und Thorheiten
ernsthafte und weitläufige Untersuchungen angestellt haben"
— so sind „dies traurige Beweise, dass auch Gelehrsamkeit
nicht vor allem Aberglauben schlitzet" — und der Verfasser
findet es „bejammernswürdig", dass solcher Aberglaube „von
vielen Lehrern der christlichen Religion vertheidigt und noch
empfohlen" werde. ^ Es ist kein Teufel nöthig, „der die wilde
Leidenschaft anfachet" — oder „der sie schädlich machet. Sie
schadet durch ihre eigene Wuth und zerrüttet Leib und Seel
merklich genug". ^ Schliesslich erinnert der Verfasser seine
Leser, das sie „bei der Taufe dem Teufel und allen seinen
Werken und Wesen entsaget", womit sie angelobet: „allem,
was den Glauben an Vater, Sohn und Geist hindern kann,
allem jüdischen und heidnischen Aberglauben von Teufel und
Götzen, allen öfientlichen Aufzügen und allem Gepränge, wo-
durch die Heiden ihre Götzen ehrten und allen abergläubi-
schen Meinungen der Juden vom Teufel und seinen Werken"
zu entsagen."*
„Der Anhang" von Semler bringt nichts Neues, es sind
sechs Sätze, in denen er seine Ansichten erörtert, daher wir
nur Einiges herausheben. Nach Semler ist es „ein theologi-
scher, sehr ungegründeter Einfall, dass Gott dem Teufel, wie
wir ihn in theologischer Gestalt denken, damalen gestattet
habe, durch leibliche Wirkungen (dämonische Besessenheit)
seine Macht unter den Menschen — zu beweisen". ^ Auf den
Satz der Orthodoxen: „Alles, was in der heiligen Schrift steht,
ist eine göttliche Wahrheit", erwidert Semler: „nicht alles was
in der heiligen Schrift von anderer Menschen Meinungen er-
1 S. 305. 2 s, 306. 3 s. 307. 4 s. 310. ' S. 327.
51^ Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
zählt wird, ist an sich selbst eine göttliche Wahrheit", son-
dern „alles, was die heilige Schrift die Menschen lehrt, ist
göttliche Wahrheit". ^ Denn „es gibt Stellen, welche um der
damaligen Leser und Zeitgenossen willen, diese Meinungen —
genau ebenso beschreiben, dass diese Lehrer es wissen, es
werde eben hiervon erzählet; aber es wird hiermit ander
Menschen und Lesern anderer Zeiten und Umstände nicht
auf'geleget, diese Beschreibungen für die wahren und richtigen
zu halten, und sich Lehrsätze daraus zu ziehen". ^ Semler er-
örtert auch die „Nachgebung" oder „Herablassung Christi, der
Apostel und mehrerer geschichtlicher Lehrer zu der Unfähig-
keit und Schwachheit des grossen Haufens" ^, wobei er indess
keinen neuen Gesichtspunkt eröffnet.
Der Streit für und wider den Teufelsglauben war hier-
mit bei weitem nicht beendigt. Der Verfasser der „demiithi-
gen Bitte", der die eben angeführten Gegenschriften hervor-
gerufen hatte und in der „allgemeinen deutschen Bibliothek",
wie er selbst gesteht, „ziemlich scharf beurtheilt" worden
war*, schrieb eine „fortgesetzte Belehrung", die aber der
Verleger unter dem Titel: „Teufeleien des 18. Jahrhunderts,
Frankfurt und LeijDzig 1778" herausgab. Der Verfasser be-
zieht sich hierin auf die schon erwähnten und inzwischen er-
schienenen Schriften, als: „Man muss auch dem Teufel nicht
mehr zutrauen." — „Sollte der Teufel wohl ein Unding
seyn?" — „Sollte der Teufel wohl aus Giessen relegirt seyn?"
„Des geringen Landgeistlichen Antwort auf Belehrung des
Verfassers der demüthigen Bitte." Im Jahre 1777 erschien
„Der Teufel unter den Bauern", ein Gespräch, worin ein
Bauer einem Gelehrten die Existenz des Teufels beweisen
möchte. Das Jahr darauf: „Emanuel Swedenborg's demüthi-
ges Danksagungsschreiben an den grossen Mann, der die
Non- Existenz des Teufels demonstrirt hat. Frankfurt und
Leipzig 1778", worin der fingirte Swedenborg ganz im Sinne
des demüthigen Bittstellers schreibt. Von gegnerischer Seite
war: „Die Verbindung des Teufels mit den Gespenstern" er-
schienen, worin die Wirklichkeit der Gespenster bestritten
' S. 337. 2 S. 338. ^ S. 341 fg.
^ Vgl. Die neuesten Religionsbegebenheiten für das Jahr 1778. Achtes
Stück, S. 602.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 519
lind die Nichtigkeit durch Anekdoten gezeigt wird, daher ein
verniinftiger Mensch nicht daran glauben kann. Als Replik
auf die „Biblische Dämonologie", erschien ., Untersuchung und
Beleuchtung der sogenannten biblischen Dämonologie, die mit
Herrn D. Semler's Anhange herausgekommen ist. Danzig,
1778". In der Vorrede äussert der Verfasser seine „Besorg-
niss", dass es „nicht viel Mühe kosten" werde, „mit eben
solchen Gründen" — „womit die Lehre der heiligen Schrift
vom Teufel über den Haufen zu werfen" gesucht wird, „auch
die Lehren derselben von der Schöpfung der Welt, von der
göttlichen Vorsehung, von Christo, von der Taufe, vom hei-
ligen Abendmahle, von der Auferstehung der Todten u. s. w.
niederzuschlagen". Und „dass dieses keine leere Besorgniss sey,
sondern dass schwache Leser durch die in dieser Dämonolo-
gie wahrgenommene Erklärungsart schon wirklich angefangen
haben auf solche Abwege zu gerathen", davon sind dem
Vorredner Beispiele bekannt geworden und dies „war die
Veranlassung gegenwärtige Beleuchtung abzufassen". Obschon
das Buch 348 Seiten zählt, demnach an Umfang der biblischen
Dämonologie wenig nachsteht, ist das Wesentliche seines In-
halts doch sehr leicht ganz kurz zusammenzufassen, nachdem
wir die Beweisführung der Orthodoxen bereits kennen. Erst-
lich wird die Exegese des Gegners verdammt, da sie die
Worte der heiligen Schrift mit der „leichtfertigsten Kühnheit"
behandle, dieselben ,,nach blosser Willkiir, bald im eigent-
lichen, bald im verblümten Verstände" fasse, „bald etwas hin-
zudichte". ^ Es wird ihr vorgeworfen, dass es ihr ,, sauer
werde, „eine Erzählung der Evangelisten so lange zu drehen
und zu zerren, dass sie mit Gewalt das enthalten soll, was
der Verfasser gerne hineingebracht wissen wollte". ^ Dann
wird auf den Wortlaut der Schrift unerbittlich hingewiesen,
wonach die Lehre vom Teufel und den bösen Geistern und
deren Macht und AVirkung ofi'enbar in ihr enthalten ist, „die
man darum glauben muss, weil Gott sie offenbaret hat" —
und dies „eine Pflicht ist", die man „den Wahrheiten des
göttlichen Wortes schuldig ist"^; und „weil die reine Mei-
1 S. 24.
'■ S. 71 und an vielen andern Orten.
3 S. 37.
520 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
nung vom Teufel — in der Schrift enthalten" und „als wahr
erweislich ist: so ist sie kein Aberglaube".' Denn Jesus
und die Ai^ostel, die doch „unmöglich die Juden in einem
so höchst schädlichen Irrthum konnten stecken lassen" —
„haben niemals das Dasein böser Geister widerlegt" ^ — und
es sei „unverschämt zu behaupten, dass Christus und seine
Apostel niemals einen so ungereimten und schändlichen Wahn
sollten bestritten haben" — wenn sie den Glauben an den
Teufel dafür gehalten hätten. ^ Indem die „Untersuchung"
aus „Anmerkungen" zur biblischen Dämonologie besteht,
knüpft der Verfasser an den Satz : Christus ist erschienen, um
die Werke des Teufels zu zerstören, folgendes Raisonnement
an: „Ist unser göttlicher Erlöser erschienen die Werke des
Teufels zu zerstören, so muss doch wohl ein Teufel seyn,
dessen Werke zu zerstören er kam: denn die Werke eines
Nichts lassen sich nicht zerstören. Sollen die Menschen sich
von der Gewalt des Satans zu Gott wenden; so muss der
Satan doch eine Gewalt über sie haben, und diese kann daher
nicht erdichtet seyn."* „Der Schluss, dass darum, weil Gott
die ganze Welt regieret und ein Gott der Ordnung ist, kein
böser Geist von ihm erschafien seyn könne, beweiset zu viel,
also nichts. Denn es würde daraus folgen, dass Gott auch
nicht Löwen und Tiger, Nattern und Scorpionen erschaffen
haben könne: denn diese verursachen vielen Schaden und Un-
glück unter seinen Geschöpfen. Es würde folgen, dass ein
Nero, Domitian imd andere Tyrannen nicht Geschöpfe Gottes
gewesen seyn: denn was für Zerrüttung und Verwirrung haben
sie nicht in seinen Werken unter dem menschlichen Geschlecht
angerichtet."* Ganz besonders empört ist der Verfasser über
die Auslegung der Absagungsformel bei der Taufe nach der
biblischen Dämonologie. „Wir alle, meine christlichen Leser,
haben in der heiligen Taufe dem Teufel, seinen Werken und
Wesen entsaget; und was für ein erschrecklicher Leichtsinn
wäre es gewesen, vor dem Angesichte Gottes ein Gaukelspiel
zu treiben, einem Undinge, das gar nicht vorhanden ist, zu
entsagen; diesem Undinge ein Wesen und Werke zuzuschrei-
ben, und dadurch den offenbarsten Widerspruch zu begehen,
wider den die menschliche Vernunft sich empöret! Nein, o
1 S. 53. ^ S. 63. ' S. 159. " S. 43. ' S. 44.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 521
liebe Mitchristen, eine solche Entheiligung der ehrwürdigsten
Handlungen müsse weit von uns entfernt seyn! Wir haben
zugesaget, an Vater, Sohn und heiligen Geist zu glauben. —
Aber eben dieser Glaube an Gott erfordert von uns, dass wir
alles, was er in seinem Worte bekannt gemacht hat, und da-
her auch die so deutlich offenbarte Lehre vom Teufel, als eine
unstreitige Wahrheit mit völligem Beyfall annehmen. Er er-
fordert von uns die göttlichen Zeugnisse, welche davon han-
deln, keineswegs so lange widernatürlich zu drehen und zu
zerren^ bis sie sich auf unser Vorurtheil passen. Ein solches
Verfahren wäre nicht ein Glaube an Gott, sondern der schänd-
lichste Unglaube, die grosseste Geringschätzung Gottes und
die gröbste Mishandlung, die nur immer mit dem W^orte Got-
tes kann getrieben werden." ^ Die ,, Untersuchung" schliesst
im Hinblick auf die biblische Dämonologie und Semler's Vor-
rede und Anhang mit dem Ergebnisse „So lange demnach die
in den biblischen Stellen, Avelche das Daseyn und die Wir-
kungen der bösen Geister lehren, enthaltenen Wahrheiten
nicht mit stärkeren Gründen umgestossen werden können, als
deren H. Semler, der Verfasser dieser sogenannten biblischen
Dämonologie und andere, die es mit ihnen halten, sich bedie-
nen, so lange wird kein vernünftiger Lehrer der Kirche jene
Wahrheiten vor seinen Zuhörern verschweigen, vielweniger sie
für heidnische Irrthiimer erklären."^
Der Verfasser der Schrift „Die Non-Existenz des Teufels"
trat hierauf aus seiner Anonymität in die Oeffentlichkeit mit
einem neuen Product: „Der Teufeleien des 18. Jahrhunderts
letzter Akt, worin des Emanuel Swedenborg''s demüthiges
Dankschreiben kürzlich beantwortet, der ganze bisher geführte
Streit friedlich beigelegt etc. von M. Christian Wilhelm Kind-
leben, evangelischen Prediger, Leipzig 1779." Dieser bildete
sich ein der Kampf sei sofort „friedlich beigelegt", wenn er
sich einem Schuljungen gleich entschuldigte: er sei zu seinen
frühern Aeusserungen „verführt" worden „durch einen ge-
wissen Leichtsinn und durch das Ansehen gewisser — Män-
ner"; er sei bestärkt worden durch ,, des Herrn Probst Teller
(zu Berlin) Wörterbuch" ^ und habe die „demüthige Bitte" —
für eine förmliche Aufforderung zum Kriege" gehalten.* Er
•>■>
1 S. 300. 2 S. 347. 3 S. 17. * S. 18.
522 "Vierter Abschnitt: Fortsetzung gpr Geschichte des Teufels.
nahm seine Schrift zurück und ging unter die Orthodoxen,
indem er ihnen zurief: „Hier haben Sie meine Patschhand
zum Frieden — zur Aussöhnung — zum Nimmerwiederkommen
aufs Theater der Teufeleien."^ Allein diese warfen ihm vor,
dass er „in seiner ersten Schrift weiter nichts geleistet hätte,
als dass er das, w-as andere bereits besser gesagt hatten,
nachgeschrieben", und in seiner zweiten Schrift schlechter-
dings die gewöhnlichen Gründe der Orthodoxen nachgebetet
habe, „indem nicht das Geringste darinnen enthalten ist, wo-
durch die bestrittene Lehre irgend eine Aufklärung erhielte".
Es sei „ein blosser förmlicher Widerruf seiner Meinung, mit
welchem Niemand, als wol ihm selbst, einiger Nutzen geschafi't
worden seyn mag". Und sie hatten richtig geurtheilt, da der
Widerruf um den Preis eines Amtes geschehen war. '■^ Die
Literatur über den Teufel setzte sich fort, und „Emanuel
Swedenborg's Epilog zu dem letzten Act der Teufeleien des
Magister Kindleben, Stockholm 1780" belobte letztern, dass
er der Wahrheit die Ehre gegeben. Elias Kaspar Reichard,
Rector des Stadtgymnasiums in Magdeburg, lieferte „Ver-
mischte Beiträge zur Beförderung einer nähern Einsicht in
das gesammte Geisterreich, zur Verminderung und Tilgung
des Unglaubens und Aberglaubens, als Fortsetzung von D.
David Eberhard Hauber's magischen Bibliothek". — Im Jahre
1780 erschien die zweite Ausgabe von: „Historia Dinboli seu
commentatio de Diaboli malorumque spirituum existentia, sta-
tibus, judiciis, consiliis, potestate, auctore Joh. Godofr. Mayer
A. M. et V. D. M.", die er im Vergleich mit der veröfientlich-
ten ersten Ausgabe, in der Praefatio: „post virorum quorum
magna est et esse debet apud nos auctoritas, suasu hortatuque
secundis curis limata et emendata" nennt. In der vorliegen-
den vertritt der Verfasser die Anschauung der Orthodoxie,
findet den alleinigen Grund zur Annahme der Existenz und
der Macht des Teufels ausschliesslich in der Oflfenbarung
durch die Schrift', in welcher er die Lehre davon unzweifel-
haft findet, und diese daher aufrecht zu erhalten suchen muss,
1 S. 62.
2 Die neuesten Religionsbegebenheiten etc. für das Jahr 1779. Sie-
bentes Stück, S. 558.
3 §. XI.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 523
da es sein Grundsatz ist: Nos malumus cum Scriptura, si Deo
placet, errare, quam cum Adaemonistis sapere. ^ Er beweist
daher nicht nur das Dasein, sondern auch die Persönlichkeit
des Teufels aus neutestamentliehen Stellen 2, wiederholt die
i'iberlief'erten Ansichten über dessen Zustand vor und nach
dem Falle ^, bestätigt seine Macht auf Leib und Seele des Men-
schen*, die aber natürlich nur unter Gottes Zulassung wirksam
sein kann u. s. f. Dies alles wird auf Grund der Schrift
angenommen und mit der bekannten Starrheit der Orthodoxie
festgehalten. Demgemäss ist auch das Motiv, das ihn zur
Abfassung der Schrift bew^ogen, wie er selbst angibt: ,,Ut
artes, studia, stratagemata antiqui hujus veteratoris solicitius
adtendantur, et concatenata ejus molimiua, quibus civitatem
Dei inter homines mox clam, mox aperto marte, mox leonina,
mox vulpina jDelle subruere tentavit, adhucque tentat, per om-
nia saecula varie inflexa, evidentius cognoscantur, quibus sub-
inde recte cognitis, dilucidius de omni ipsius opere censeantur,
et unusquisque cunctas ejus actiones dilucido mentis oculo
introspicere, et posthac minus impedite penitiusque pervidere
queat."^ Auch nachher erhoben sich noch einzelne Stimmen,
welche die Lehre vom Teufel zu vertheidigen suchten, als:
,, Göttliche Eutwickelung des Satans durch das Menschenge-
schlecht" (1782), womit der ungenannte Verfasser die Colli-
sion dieser Lehre mit der göttlichen Güte vuid Weisheit zu
heben suchte. Ein anderer Anonymus veröffentlichte „Von
den bösen Geistern und der Zauberey. Ein Sendschreiben an
den Hn. M. Haubold, Vesperprediger bey der Universitäts-
kirche zu Leipzig, auf Veranlassung — einer von dem-
selben — gehaltenen Nachmittagspredigt" (1783), worin der
Satz des Predigers, dass es zwar nach der Schrift böse Gei-
ster gebe, diese aber zu unserer Zeit mit der Erde in keiner
Verbindung mehr stünden, von dem Sendschreiber bekämpft,
und die fortdauernden Wirkungen der bösen Geister auf Er-
den aus der Schrift zu beweisen gesucht werden. Dagegen
wurden die negativen Stimmen immer lauter und fanden im-
mer mehr Gehör. Der Verfasser des Aufsatzes: „Etwas über
1 Prolegomena, S. 21. ^ g gg. ^ g. 134 squ. ^ Ö. 542 squ.
* Prolegomena, S. 16.
524 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
die Existenz und Wirkungen des Teufels "S leugnet beide,
und ebenso der „Versuch einer neuen Ansicht über die
Mosaische Geschichte vom Fall der ersten Menschen"
(1785), der diese Erzählungen aus alten historischen
Volksliedern geschöpft sein lässt. Die „Betrachtungen über
die Religion Jesu für Denker" ^ gehen in dem Teufel kein
Wesen an sich, sondern nur eine Personification des ab-
stracten Begriffs von der Meigung zum Bösen. Villaume sucht
die Lehre vom Dasein, der Macht und den Wirkungen des
Teufels auf rationalem Wege zu widerlegen % und sieht in
deren Annahme Manichäismus.^ In dem „Sendschreiben über
den thierischen Magnetismus aus dem Schwedischen und Fran-
zösischen mit Zusätzen von Kurt Sprengel" (.1788) wird der
Glaube an den Teufel schon als Vorurtheil betrachtet, dem
Jesus nachgegeben, um im Vortrage wichtiger Lehren nicht
gehindert zu sein, und der Nachwelt überlassen habe, jenes
Vorurtheil, als solches, einzusehen. Die Schrift: „Der Teufel
in seiner Ohnmacht, ein philosophisches Fragment, von einem
Antidiabolicus" (1700), trägt den wesentlichen Lihalt schon
im Titel, und auch die „Philosophische Fragmente über den
Teufel und die Versuchung Jesu in der Wiiste" (1792), spre-
chen dem Teufel sowol Dasein als Macht ab.
Die orthodoxe Partei war bei ihrer ursprünglichen An-
schauung stehen geblieben und musste nach der Natur ihrer
Principien von der Inspiration und der buchstäblichen Auf-
fassung der biblischen Schriften im Teufelsglauben erstarren;
auf der gegnerischen Seite fand aber eine Weiterbewegung
statt, indem sie von der Negation der Individualität des
Teufels zu der seiner Macht fortschritt und schliesslich mit
seiner Existenz überhaupt tabula rasa machte. Schon Wett-
stein hatte in seiner Ausgabe des Neuen Testaments vom
1 Freymüthige Versuche über verschiedene in die Theologie und bib-
lische Kritik einschlagende Materien. Dritter Versuch (Stettin und Ber-
lin 1783).
2 Dritte Abhandlung von Dämonen, Teufeln, Satan und Hölle (neue
Auflage, 1785).
' Von dem Ursprung und den Absichten des Uebels, I, 56 fg. (1V86).
* II, 434.
3. Der Teufel im 18. Jahrhundert. 525
Jahre 1751 die Dämonischen für gewöhnHche Geisteskranke er-
klärt, und nach dem Erscheinen von Hugo Farmer's „Versuch
über die Dämonischen des Neuen Testaments''' (London 1 775),
den Semler deutsch mit einer Vorrede herausgab, ergrifl" die-
ser jene Erklärung mit Entschiedenheit und brach ihr in der
protestantischen Theologie die Bahn , die auch Grüner * be-
folgte. Die Teufelsbesitzungen waren hiermit aufgegeben, und
die Aufiassung der Besessenen als natürlicher Kranker fand
immer weitere Verbreitung. Theologen, die sich an das Wort
der Schrift gebunden glaubten, bestritten dem Teufel sein
persönliches Dasein mittels der Annahme einer Anbequemung
Jesu an die Zeitvorstellung des Volks und durch die Erklä-
runo; der letzteren als traditionelles Erbe. Und wenn die
Lehre vom Teufel auch nicht gänzlich übergangen werden
konnte, so ward sie doch für wenig wichtig erachtet, die wir
nicht zu lernen hätten, „um an ihn zu glaulDen", noch „um in
steter Furcht zu seyn, nicht, um uns vor ihm und seinen Versu-
chungen in Acht zu nehmen, nicht einmal eigentlich um den
Ursprung des Bösen in der Welt zu erklären".''^ Diejenigen,
welche ausserhalb des biblischen Gebietes standen, versagten
nach dem Voro-anoe G. F. Meier's^ dem Teufel die Macht
und das Dasein aus rationalen und historischen Gründen und
erklärten sein Vorkommen im Glaubenskreise auf psychologi-
schem Weo;e. Kurz, den Zeito-enossen dieser Geistesrichtung;
ovo O
galt der Teufelsglaube für antiquirt. So ward dem Teufel
der Boden unter den Füssen zunächst geschmälert und dann
ganz entzogen, die Welt wurde immer mehr adämonisch, un-
geachtet der Predigten gegen den Adämonismus, die Hegel-
meier im Jahre 1778 herausgegeben hatte. Auch unter den
Ungelehrten im Volke wurde der Glaube an den Teufel und
dessen Macht erschüttert, denn die aufklärerischen Hände
waren geschäftig, ihre Lichter so aufzustecken, dass Hexereien,
Geistererscheinungen, Beschwörungen, Besessenheit und was
überhaupt mit dem Teufel zusammenhing, entweder als natür-
1 Comment. de daemoniacis a Christo sospitatore percuratis (Jena
1775).
2 J. David Michaelis Dogmatik, 2. Ausg., S. 284, (1785).
3 Philosophische Gedanken voa den Wirkungen des Teufels (Halle
1760).
526 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
liches Ergebniss oder als Betrügerei erscheinen musste, wobei
der Aberglaube in Schrecken gesetzt oder geprellt worden
war. Ausser den in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
beliebten „Bibliotheken", in welchen die Zeitfragen erörtert
zu werden pflegten, worunter die von Nicolai herausgegebene
im Sinne der Aufklärung eine hervorragende Stelle einnahm,
erschienen auch Schriften für die Bedürfnisse eines weitern
Leserkreises, der sich bis auf die unerwachsene Jugend aus-
dehnen sollte, welche namentlich den Teufels- und Hexenglauben
zu zerstören suchten. Hierher gehört das „Unterhaltungsbuch
für Knaben und Mädchen" in Giessen, bändchenweise heraus-
gegeben; die „Lektüre für die kleine Jugend", die fortlaufend
erschien; „M. H. P. Rabenstein's aufrichtige Beiträge zur Er-
schütterung des Aberglaubens" (178G); „Fröbing's Beyträge
zu einer Bibliothek fürs Volk", die bandweise herauskamen;
ebenso die „Beiträge zur Beförderung einer nützlichen Lec-
ture", von Kummer in Leipzig verlegt; die „011a potrita"(!)
u. a. m. Es gab Sanmiel werke, in welchen ausschliesslich
Teufels-, Hexen- vmd Gespenstergeschichten zusammengetra-
gen waren, um mit dem Secirmesser des Verstandes vor dem
Volke zerlegt zu werden, z. B. „Uhuhuü oder Hexen-, Ge-
spenster- und Erscheinungsgeschichten", wovon seit 1783 jähr-
lich ein „Pakt"^ in Erfurt bei Georg Adam Keyser erschien.
Der Glaube au den Teufel und die Furcht vor seiner Macht,
wodurch die Menschheit jahrhundertelang so grausam ge-
plagt worden war, erschien gegen den Ausgang des 18- Jahr-
hunderts einem grossen Theile der Gelehrten und Ungelehrten
als lächerlicher „Aberglaube". Woher diese Wandlung im
menschlichen Bewusstsein?
4. TJrsaclieii der Abnaliine des Teiifelsglaiibens.
Nachdem wir die Stimmen der Zeit vernommen und de-
ren Erscheinungen dargestellt haben, tritt die Aufgabe heran,
nach den Factoren zu suchen, welche auf die so sehr verän-
derte Anschauungsweise Einfluss gehabt haben mögen. Denn
deich wie bestimmte Umstände vorhanden sein mussten, die
1 Packet.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 527
dem Teufelsglaubeu als Hebel dienlich waren, um ihn zu der
schwindelnden Höhe zu bringen, zu der er schon im 13. Jahr-
hundert gelangt war, ebenso nothwendig setzt dessen Ab-
nahme gewisse Bedingungen voraus, unter denen der Glaube
an den Teufel und seine Macht zum lächerlichen Aberglauben
herabgedrückt weiden konnte. Man hört und liest nicht sel-
ten die Behauptung: der ganze Teufelsglaube, dessen Förde-
rung und Erhaltung sei eine Mache der Theologen, und zwar
der katholischen sowol als der protestantischen, und in Bezug
auf den theologischen Stabilismus enthält ein Schreiben des
Dr. Heumaun an Hauber, also schon voi- mehr als einem
Jahrhundert, die Stelle: „Esse qui sentiunt, Theologos solere
omnium ultimos novas amplexari veritates, suoque munire
suffragio."^ Wenn die Theologen auch nicht leugnen können,
zur Verbreitung und Erhaltung des Glaubens an den Teufel
ihr Scherflein beigetragen zu haben, so dürfen sie mit Recht
auf alle andern Stände hinweisen und brauchen ausser man-
chem andern nur einen Carpzov zu nennen, und um den
Vorwurf des theologischen Conservatisnms abzuschwächen, kön-
nen, wenigstens von protestantischer Seite, Bekker und Sem-
ler angeführt werden, deren Bestrebungen in der Geschichte
des Teufels epochemachend sind. Dabei würden aber die
Theologen sehr irren, wenn sie den Sieg über den Teufels-
glauben oder wenigstens dessen Abnahme vornehmlich oder
gar allein sich auf die Fahne schreiben wollten, denn auch
die sieghaften Bekämpfer des Teufels unter den Theologen
wurden von dem Strome ihrer Zeit getragen, der von allerseit
herbeieilenden Flüssen und Bächen gespeist wurde. Denn
jede geschichtliche Erscheinung hängt an einer Kette von
einer Menge von Gliedern, deren jedes einen Theil des Ge-
wichtes trägt, und wobei die Tragfähigkeit des einen Gliedes
durch das andere bedingt ist. Bekker wurde bekaimtlich als
Anhänger der Cartesianischen Philosophie verlästert, und hätte
er nicht an dieser seinen Geist gestärkt, würde er wol die
kräftigen Schläge haben führen können, womit er vom Teufel
einen Theil in die Pfanne hieb ? Bei der Forschung nach dem
Grunde einer Erscheinung wird daher das Auge von einem
' Bei Semler Abfertigung, S. 296.
528 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Momente zum andern hingelenkt, die in grosser Menge von
allen Seiten zusammenlaufen in einen Coincidenzpunkt, wo
jene sich als Ergebniss darstellt, das wieder eine neue
Schöpfung in sich birgt, und neue Formen ankündigt, die
sich von den alten kennzeichnend ablieben.
Jede geschichtliche Periode datirt sich von einem neuen
Princip des geistigen Lebens, von einer neuen Form des Be-
wusstseins. So auch die Periode der Neuzeit, die von der
Reformation beginnt, sich aber, wie jede andere, lange vorher
vorbereitet und durch mannigfjiche Vorläufer angekündigt hat.
Wir hören verschiedene Aufltassungen der Keformation. Der
protestantische Theologe sagt: „Die Reformation — entsprang
aus einer — Auflehnung des Gewissens wider den Gewissens-
zwang" i; der Staatsmann sagt: „sie war ein grosser Auf-
schwung des menschlichen Geistes zur Freiheit".^ Im Grunde
haben Beide recht, weil die Reformation nach allen Seiten
hin Wellen schlug und auf allen Gebieten eine umgestaltende
Bewegung hervorbrachte. Uebcrall negative Auflösung des
mittelalterlichen Geistes und positive Herausbildung des neuen
Geistes.
Der dreissigjährige Krieg, von religiösem Interesse ausgeh-
end, verwandelt dieses in das politische, und der westfälische
Friede errichtet den Grundsatz: „wechselseitige Anerkennung
der Staaten ohne Rücksicht auf Verschiedenheit des religiösen
Glaubens". Es war der letzte Religionskrieg, in politischer
Beziehung der gänzliche Abschluss des Mittelalters, denn seit
1G48 ist die Religion nicht mehr Motiv der Politik, diese be-
ruht von da ab auf andern Gründen. Getrennt von der
Kirche bildet sich die Staatsmacht, die Souveränetät des Staats,
und im Verhältniss der Staaten zueinander sucht sich das
politische Gleichgewicht derselben zu erhalten. Die Idee der
Staatsmacht individualisirt sich zunächst in einzelnen Monar-
chien, in denen jene im absoluten Monarchen sich zuspitzend,
eigentlich nur in diesem verleiblicht erscheint. Es gilt also
zunächst das Feudalwesen zu zertrümmern, um die Staats-
macht im Einzelwesen zu concentriren, oder aus dem Stände-
' Hundeshagen, Der deutsche Pi'otestant, S. 3.
^ Guizüt, Allgemeine Geschichte der europäischen Civilisation , nach
der 5. Auflage übertragen, von C. Sachs, S. 236.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 529
Staat den Souveränetätsstaat herauszuarbeiten. Der Politiker,
der den Staat seiner Bestimmung nach als Entwickelung der
Freiheit auffasst, erblickt daher in den nächsten Wirkungen
der Neuzeit auf seinem Gebiete nur Zerstörung und Schaden.
Für Deutschland, wo eine Menge Souveräne als absolute
Träger der Staatsmacht entstanden, hat man in diesem Sinne
die Reformation „das grösste Unglück, welches Deutschland
je getroffen hat", genannt. ^ In Schweden wie in Dänemark
drückt die Souveränetät lähmend auf die Stände; in Frank-
reich werden sie dem absoluten Willen des Königs luiterwor-
fen, und in England, das die Grundfeste seiner Verfassung-
schön im Mittelalter gelegt, beginnt nach der Reforma-
tion wenigstens der Kampf zwischen Königthum und Volks-
thum. Nach der Verschiedenheit des Bodens, auf welchen die
Neuzeit ihren Samen streute, wuchs auch die Saat hier mehr,
dort weniger gedeihlich, und es bedurfte selbst schwerer Wet-
terschläge, die den durch Despotismus hart gestampften Bo-
den auflockerten und fruchtbar machten. Die Saat zur Reife
zu bringen, ist die geschichtliche Aufgabe der Staaten Europas,
an deren Lösung noch in unsern Tagen gearbeitet wird. Es
ist das Streben, die Idee des Staats, die im 16. Jahrhundei't
in jedem Reiche in einem einzigen Individuum sich gesammelt
hatte, in allen Individuen des Staats zum Bewusstsein zu
bringen, dass jeder einzelne als Bürger des Staats auch Trä-
ger desselben sei, und zwar nicht nur in Bezug auf die
Lasten, sondern auch im Sinne der Freiheit. Um diesem
Ziele sich immer mehr zu nähern und es erreichen zu können,
musste der Entwickelungsprocess seinen Anfang nehmen und
dieser machte die Loslösung und Eraancipation des Staats
von der Kirche, welche im Westfälischen Frieden zum end-
giltigen Ausdruck kam, zur nothwendigen Bedingung und
Voraussetzung.
Die Ansicht, als wäre die Reformation blos eine Aende-
-rung des theologischen Lehrbegrifi's gewesen, ist ihrer Einsei-
tigkeit und Oberflächlichkeit wegen wol als antiquirt zu be-
trachten, und hat die tiefere Einsicht Platz gegriften, dass der
neue Geist auch eine neue theologische Anschauung hervor-
bringen musste. Es war eine Wandlung des Bewusstscins
1 Hinrichs, Die Könige, S. 245.
Koskoff, Geschichte dea Teufels. II. 34
530 Vierter Absclinitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
überhaupt, indem der Mensch, aus der mittelalterlichen
Veräusserlichung seines Glaubensinhalts sich herausreissend
und in sich einkehrend, sein Interesse der Totalität sei-
nes geistigen Seins und Wesens zuwandte und vertiefte. Es
war eine Ablehnung der bisherigen äussern Autorität in
Glaubenssachen. Indem aber die Anhänger des neuen Pi-in-
cips nur das als religiöse AVahrheit gelten lassen, was in
der Heiligen Schrift begründet ist, weisen sie zwar die Auto-
rität der Kirche zurück, setzen jedoch eine andere Autorität
an deren Stelle, nämlich die des Wortes Gottes, und sich in
ausschliessliche Abhänscififkeit von der Schrift. Allein mit der Be-
Stimmung, die Autorität des Wortes Gottes, das in jener enthalten
ist, aus eigenerUeberzeugung zu erkennen, und sich damit einig
zu wissen, ist die Selbstthätigkeit als nothwendige Bedingung
gesetzt, und das in der Schrift enthaltene Wort Gottes muss
somit Gegenstand des Denkens werden, welches bekanntlich
die vornehmliche Aufgabe der Philosophie ist. Es ist daher
nicht zufällig, dass die Philosophie, die im Mittelalter im
Dienste der Kirche gestanden, in dieser Periode in selbst-
ständiger Bedeutung und freier Selbstbestimmung der Theo-
logie an die Seite tritt.
Der neuerwachte Geist löste das Band, wodurch die Phi-
losophie an das Dogma der Kirche gebunden war, und strebte
in jener zur Selbstbesinnung über sein eigenes Wesen und
seinen Inhalt. Es ist von Wichtiokeit. dass Rene Descartes
(159G — 1G50), der als Vater der neuern Philosophie betrach-
tet wird, gegen alles protestirt, was nicht vom Denken ge-
setzt ist, von diesem also die Philosophie ihren Ausgangspunkt
nehmen lässt. Ebenso wichtio; ist. dass Cartesius den denken-
den Geist als individuelles Selbst, als Träger des Selbstbe-
wusstseins fasst^, wodurch das Princip des Selbstbewussstseins
ni der Philosojihie seine Stelle findet, und in dem Streben,
den aufgestellten Gegensatz von Dasein und Bewusstsein zu
vermitteln, die Aufgabe der neuern Philosophie angedeutet
liegt. Als Bedingung alles Philosojjhirens stellt Descartes:
„de Omnibus dubitandum", womit nicht nur jener Protest ge-
gen alles Gegebene ausgesprochen sein soll, sondern zugleich
der Weg zur Selbstgewissheit zu gelangen vorgezeichnet Avird.
1 Princ. I, Medit. II.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 531
Denn indem ich an allem zweifle, was gegeben ist, muss ich
zu der Gewissheit kommen, dass ich, der ich zweifle, bin.
Daher der beriihmte cartesianische Satz: „cogito ergo sum",
der so viel sagen will als: indem ich denke, erhalte ich die
intuitive Gew^issheit, eine Substanz zu sein, in welcher Denken
mid Sein zusammenfällt, oder: „Ich bin mir meiner bewusst,
als eines Solchen, dessen Wesen lediglich im Denken besteht,
wesswegen auch der beste Weg, das eigene Wesen zu erken-
nen, dass man an der Aussenwelt zweifelt, denn eine Steige-
rung dieses Zweifels (Zweifeln ist nur eine Form und Weise
des Denkens) steigert das Sein des Zweifelnden." ^ Von die-
ser intuitiven Gewissheit wird von Cartcsius die aller Erkennt-
niss abhängig gemacht und abgeleitet.
Spinoza (1032^ — 77) stellte dem System des Glaubens
ein System des Denkens gegenüber, welches dem Geiste Be-
friedigung geben soll und dieselben Ansprüche auf Wahrheit
und Noth wendigkeit wie jenes erhebt. Sein philosophisches
System, aus der Kritik der cartesianischen Philosophie heraus-
gebaut, steht auf ethischem Boden, sowie Spinoza's reiner
Charakter und makelloses Leben damit eng verwachsen ist.
In seinem berühmten „Tractatus theologico-politicus", der in
seinem Todesjahre unter seinen nachgelassenen Schriften un-
vollendet erschien, entwirft er die Grundzüge einer Theorie
des Staats, entwickelt aber auch seine Ansichten über das
Verhältniss des Glaubens und Wissens, der Vernunft und der
positiven Religion und üfi'enbarung. Die entwickelten Grund-
sätze sind Ergebnisse des vernünftigen Denkens, sind allge-
meine Vernunftwahrheiten, hervorgegangen aus der Autonomie
der Vernunft, welche dieser in Sachen der Religion mit ma-
thematischer Evidenz zuerkannt wird.
Es bildete sich in dieser Periode eine natürliche Theologie
gegenüber der positiven Ofienbarungstheologie, welche auf
die,se nicht ohne Einfluss blieb und besonders ausserhalb der
gelehrten Kreise grosse Verbreitung fand, zunächst in Eng-
land durch die sogenannten englischen Deisten, deren Ansich-
ten durch die deutschen Aufklärer, besonders die Bemühungen
Michaeli's, Mosheim's, Semlcr's u. a., auf deutschen Boden
verpflanzt wurden. Schon vor Spinoza suchte Herbert (1581 —
1 Erdmann, Grundriss der Geschichte der Philosophie, II, 13.
34*
532 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
1648), der als der erste der englischen Deisten angeführt zu
werden pflegt, den religiösen Glaubensinhalt auf einige wenige
Wahrheitssätze zurückzuführen, die er als den Kern aller Religion
überhaupt betrachtete. Sie sollten von allen zeitlichen Momen-
ten geläutert, allgemeine Wahrheiten sein, daher eine über-
natürliche Offenbarung nichts hinzufügen könne, was zur Er-
lano-unir des sittlichen Heils nothwendig wäre. Locke (1632 —
1704), dem manche die kritische Begründung des Deismus
zuerkennen, leitet alles Wissen aus Sensation und Reflexion
ab, und geht den durch Beobachtung und Erfahrung gewon-
nenen Ideen nach, um zur Wahrheit zu gelangen und das
Verhältniss der Vernunft zum Glauben zu prüfen. Dabei
wird das Recht der Entscheidung der Vernunft, welche die
Bedeutung der natürlichen Ofienbarung hat, eingeräumt. Denn
die Vernunft ist die natürliche Quelle, aus der die Wahrheit,
die im Bereiche der Fähigkeiten des Menschen liegt, zu
schöpfen ist. Die christliche Ofi'enbarung ist die tou Gott
unmittelbar mitgetheilte Vernunft, erweitert durch eine Reihe
von Wahrheiten, zu denen der begabteste Mensch nur auf
laugen Umwegen gelangen könnte. Das Christenthum enthält
aber nichts, was wider die Vernunft wäre. Dies ist „die Ver-
nünftigkeit des Christenthums, wie es in der Schrift überlie-
fert ist". So heisst Locke's Werk vom Jahre 1695. Den
Beweis für das Christenthum als göttliche Offenbarung sieht
er in der Wirkung der Lehre, aber nicht in den übernatür-
lichen Wundern, die der historischen Kritik unterzogen wer-
den können. Er trennt die Lehren der Evangelisten und
Apostel von der Geschichte ihrer Thaten, die er als Legende
ihrer Wunder betrachtet; er unterscheidet auch in den Lehren
den Inhalt der ewigen Wahrheit von der Hülle, die den Zeit-
genossen entsprach. In seinem Buche über die Toleranz ver-
langt Locke unbedingte Freiheit für jedermann: Jude, Heide,
Mohammedaner sollen mit dem Christen gleiche bürgerliche
Rechte haben.
Einen neuen Aufschwung erhielt der Deismus durch To-
land (1670—1722), der in seiner 1696 anonym erschienenen
Schrift: „Das Christenthum ohne Geheimniss" zeigt, dass in
demselben nichts wider und auch nichts über die Vernunft
enthalten sei, daher seine Lehren nicht eigentliche Geheimnisse
genannt werden können. Hiermit ist der Deismus zum klaren
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 533
Ausdruck gekommen und wird, im Gegensatz zu allen Prin-
cipien der Autorität, die Vernunft als alleinige Grundlage aller
Gewissheit aufgestellt.
Es lässt sich erwarten, dass der Deismus Angrifien aus-
gesetzt war und in Streitigkeiten gerietb, die eine Menge
Gegen- und Vertheidigungsschriften hervorriefen, unter wel-
chen letztern die von Tindal (1656—1733) „Das Christen-
thum so alt als die Welt" u. s. w., 1739 veröflfentlicht, als die
bedeutendste hervorgehoben wird. Alle positiven Religionen
werden darin als Entstellungen, die christliche als Wieder-
herstellung der natürlichen dargestellt. Das Christenthum ist
ganz auf die Erfiillung der zur Glückseligkeit führenden
Pflichten gegründet, womit Gott geehrt wird, der aber unseres
Dienstes nicht bedarf. Daran schliesst sich Chubb (1679 —
1 747), der den Deismus auf eine dem Handwerker zugängliche
und verständliche Weise vortrug.
Das Streben des Deismus ging zu allernächst darauf hin,
der Vernunft auch in Beziehung auf Religion ein Recht zu
verschaffen; das vernünftige Individuum sollte, auch abgesehen
von der christlichen Lehre, Berechtigung haben, es sollte mit-
tels seiner geistigen Begabung die christliche Wahrheit sich
aneignen können.
Im Sinne des Individualismus stehen die englischen Mo-
ralisten: Wallaston (1659—1724), Shaftesbury (1671—1713),
Hutcheson (1694 — 1745), auf demselben Boden, und die so-
genannte ,, schottische Philosophie des gesunden Menschenver-
standes", als deren Hauptrepräsentanten Reid (1710 — 96),
Beattie (1735 — 1803) u. a. gelten, deuten schon durch ihre
Firma die Verwandtschaft mit dem Deismus an.
Bei dem praktischen Sinne der britischen Inselbewohner
fand die schlichte Vernunftreligion, welche den gesunden Men-
schenverstand mit den wesentlichsten Forderungen der Reli-
gion auf leichtfassliche Weise zu verbinden suchte, allgemeinen
Eingang und nach dem Sturze der Stuarts, womit bürger-
liche und kirchliche Freiheit eingetreten war, grosse Ver-
breitung.
Einen besonders günstigen Boden fanden die deistischen
Ansichten in Frankreich, wo sie nach dem Vorgange Boling-
broke's (1698 — 1751), der die Religion als Mittel zu politi-
schen Zwecken erhalten wissen wollte, alle Dogmen iibrigens
534 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
als Erzeugnisse eitler Philosophie und geriebener Priester-
klugheit betrachtete, mehr oder weniger eine den christlichen
Lehren feindselige Stellung einnahmen und mit leichtfertiger
Frivolität versetzt wurden. Peter Bayle (1(347 — 1706) kämpfte
noch vornehmlich für Glaubensfreiheit und Toleranz, und
Mandeville (1G70 — 1733) folgte ihm in dieser Hinsicht in sei-
ner Schrift: „Freie Gedanken über Religion, Kirche imd
Glückseligkeit der Nation", die 1723 in französischer Uebej-
setzung erschien. Von grösserer Bedeutung war J. J. Rous-
seau (1712 — 78), der seine religiösen Ansichten hauptsächlich
in dem „ Glaubensbekenntniss des savoyischen Vicars" und
seinen „Briefen vom Berge" niederlegte. Er negirt zwar jede
geschichtlich positive Autorität, hält aber Gott, Freiheit,
Unsterblichkeit als die Grundwahrheiten einer natürlichen
Religion aufrecht. Das Gefühl leitet den Menschen moralisch
zu handeln, das Gewissen entscheidet, was moralisch gut ist.
Die Nothwendigkeit einer geoffenbarten Religion ist nicht zu
beweisen. Weit höher als der äusserliche kirchliche Cultus
steht der innerliche des Herzens ohne Tempel und Altäre,
der dem höchsten AVesen imd der Tugend gilt. Der Mensch
ist frei, und was ihm widerfährt, ist Folge seiner Handlungen.
Sollte der Staat ein Interesse haben, eine Religion einzuführen,
so muss sie auf der Grundlage der bürgerlichen Gemeinschaft
beruhen und das einzige Verbot gegen die Intoleranz gerich-
tet sein. Der vornehmlichste Repräsentant des Oppositions-
geistes gegen alle positive Religion, der um diese Zeit sich
in Frankreich geltend machte, ist Voltaire (1094 — 1778),
der durch seinen ausserordentlichen AVitz, die hinreissende
Kraft seiner Darstelluno; seine zeitQ-enössischen höhern Stände
zu beherrschen wusstc. Die Verfolgungen durch die Geist-
lichen, die ihm seine „Philosophischen Briefe" eintrugen,
worin er auf den Deismus Bolingbroke's aufmerksam machte,
steigerten seinen Hass gegen das überlieferte positive Christen-
thum, dass er dessen Vernichtung für seine Mission be-
trachtete, und durch die gewandte Schlagfertigkeit, den muth-
willigen Scherz, die beissende Ironie seiner Angrifie auf jenes,
seinen Ansichten grosse Verbreitung verschaffte. Voltaire's
Antagonismus gegen das überlieferte Christenthum hat ihn
vielen als Atheisten erscheinen lassen, allein mit Unrecht,
denn Voltaire hält das Dasein Gottes aus kosmolofriseliem
■i. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 535
Grunde für nothwendig, da wir sowol als die bewegte Mate-
rie eine Ursache haben miissen; ferner aus teleologischem
Grunde, indem die Natur überall eine zweckmässige Ordnung
zeigt ; und endlich aus moralischem Grunde, indem ohne Gott
kein Gewissen, keine Sittlichkeit denkbar wäre. Der letzte
Grund scheint für Voltaire der wichtigste, und wie er selbst
sagt, beruht seine Philosophie in seiner Moral. Ebenso hält
Voltaire das Princip der Freiheit des menschlichen Geistes
aufrecht, und dass in allen Menschen gewisse Ideen von
Recht und Gerechtigkeit vorhanden seien. Noch weiter als
Voltaire, obschon in seinem Gleis, gingen die Männer,
welche durch die Herausgabe der bekannten „Encyklopädie",
des „ Dictionnaire raisonne" gewöhnlich „Encyklopädisten"
genannt werden. Der Hauptunternehmer, der auch den Plan
dazu entworfen, Diderot (1713 — 84) zeigt in seinen Schrif-
ten , wie er vom Dogmatismus des gesunden Menschenver-
standes anfangend vom Deismus den Pantheismus hindurch
bis zum Materialismus und Atheismus gelangt, den er aber
in der Encyklopädie nicht ofien ausspricht.
Es ist nicht nöthig, die Zeugnisse damaliger Denkweise
bis zu den Extremen eines Lamettrie und des „System der
Natur'" zu verfolgen, und genügt, auf die Bedeutung dieser
Erscheinungen hinzuweisen. Selbst unter den Ausschreitungen
bis zur dreisten Frivolität ist in dem bewegenden Princip des
Zeitbewusstseins das Streben nicht zu verkennen, den Geist,
der sich entfremdet worden, wieder zu sich selbst zurück-
zubringen. Der Mensch wollte auf sein eigenes unmittelbares
Bewusstsein hinlenken, diesem sollte alles, woran er theil-
nehmen sollte, nahe gebracht und fasslich gemacht sein, nur
dasjenige sollte von Werth sein, womit er sich selbst in
seinem Bewusstsein in Einheit gesetzt. Bei aller Verschie-
denheit der Ansichten trefien alle heterodoxen Richtvuigen
in dem Einen zusammen: dass der Mensch die Religion nicht
ausser, sondern in sich haben solle. Die englischen Deisten
sowie die französischen Encyklopädisten, die Naturalisten,
Materialisten, Atheisten und wie man sie sonst noch nennen
möge: insgesammt predigen sie Toleranz, also Achtung vor
der Subjectivität des Bewusstseins, welche die Freiheit der-
selben als nothwendige Bedingung voraussetzt.
In Deutschland hatten die protestantischen Theologen,
536 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Gescliiclite des Teufels.
nach dem Vorgange Luther's, auf Grund der Annahme eines
gänzlichen Verderbs der geistigen Kräfte des Menschen, ge-
genüber der Vernunft in Glaubenssachen ein negatives Ver-
halten eingenommen. Dadurch standen sie im Widerspruch
mit dem urspriinglicheu Princip der Reformation, wonach das
Selbstbewusstsein über der Autorität stehen sollte. Dieser
Widerspruch macht sich selbst bei den altluthei'ischen Theo-
logen fühlbar, welche die Vernunft in einer Richtung gelten
lassen, in anderer Beziehung ihr die Stimme entziehen wollen.
So will Gerhard gegenüber der blossen Offenbarung neben der
Schrift die Vernunft als zweites Princip der Theologie nicht
anerkennen, weil die menschliche Vernunft zur Erkenntniss
der Glaubensmysterien sich nicht erheben könne; er meint
aber doch, dass „der organische Gebrauch" der Vernunft in
der Theologie nothwendig sei, weil diese das Organ ist, wo-
mit die Offenbarung gefasst werden müsse, und während der
„kataskevastische" Gebrauch in Betreff der natürlichen Er-
kenntniss Gottes vor der Offenbarung zurückzutreten habe,
solle der „anaskevastische" das Falsche entdecken und nach
der Heiligen Schrift regeln. ^ Im Wesentlichen macht es
Quenstedt nicht viel anders, indem er mit der einen Hand
gibt und mit der andern wieder nimmt, wenn er von einem
„usus Instrumentalis" und „normalis" der Vernunft spricht,
wovon er den erstem gelten lässt, weil der Theolog auch
Vernunft nöthig habe, ohne Vernunft kein Mensch wäre und
den Glaubensinhalt nicht aufnehmen könnte; wogegen der
„usus normalis" keine Anwendung auf geoffenbarte Wahr-
heiten finden soll, da auch solche Lehren, die der mensch-
lichen Vernunft widersprechen, geglaubt werden müssen. ^ In-
folge des Schaukelns der lutherischen Theologen zwischen
unbedingter Autorität der Offenbarung und der Vernunft, auf
deren berechtigten Gebrauch sie doch auch nicht verzichten
wollten, mussten sie von den Katholiken hören, dass sie in-
consequenterweise ausser dem Schnftprincip auch noch von
Vernunft sprächen, und von den Reformirten: dass sie die
Vernunft und Philosophie aus der Theologie verbannen wollten.
Letztern Vorwurf machten die Socinianer den Protestanten
^ Loci theol. in uberior. cxplicat., prooem., §. 23.
' Theol. didactico-polemica, I, 3.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 537
überhaupt, wogegen diese behaupteten: die Vernunft werde
keineswegs principiell ausgeschlossen, da die Schrift nicht in
dem Sinne das einzige Princip sei, als wäre jede ratiocinatio
abgelehnt. ^ Obschon also die Vernunft der Oflenbarunn ne-
genüber eine untergeordnete Stelle einnehmen sollte, fand sie
doch immer ihre Anhänger, die sie nicht gar zu tief herab-
gedrückt wissen wollten. Auch der Begriff der Offenbarung
wurde von den protestantischen Dogmatikern erörtert, man
sprach von einer allgemeinen und besonderen Offenbarung
und verstand unter jener jede von Gott herrührende Bekannt-
machung der AVahrheit, unter letzterer aber eine übernatür-
liche Offenbarung, die wieder in eine formelle und materielle
zerlegt wurde. ^ Dass es eine übernatürliche göttliche Offeu-
bai'ung gebe, werde aus der Schrift erkannt, und nur aus die-
ser könne die Göttlichkeit der christlichen Offenbarung erkannt
werden. Die Schrift, als das in ihr enthaltene Wort Gottes,
sei das unicum theologiae principium, und dieses Princip, als
das der Reformation der Glaubenslehre, stehe daher auch an
der Spitze der Concordienformel. Was nicht in der Schrift
enthalten ist, ist auch keine christliche Wahrheit. Diesem
Grundsatze der Protestanten gegenüber sanctionirte das Trien-
ter Concil die Lehre von der Tradition, welche der Schrift
vollkommen gleichgestellt wurde. ^ Dadurch war auch die
Verschiedenheit der Kanonicität bedingt. Die Katholiken
machten die kanonische Autorität der Schrift von den histori-
schen Zeugnissen der Kirche abhängig; die jDrotestantischen
Theologen meinten: die Kirche könne nur zur Erkenntniss
der Kanonicität hinleiten, ihr historisches Zeugniss sei aber
unzulänglich, sie gebe nur eine fidcs humana, das Göttliche
der Schrift könne nur durch die fides divina, das testimonium
Spiritus s. erkannt werden. Das Wort Gottes lege von sich
selbst Zeugniss ab, die Schrift trage das Gepräge des heiligen
Geistes, sei demnach die unmittelbare und specifische Kund-
machung desselben, das heisst: die Schrift ist inspirirt und
* Kortholt, De rationis cum revelatione concursu (1692).
^ Vgl. Job. Musäus, De usu principiorum rationis et philosoijhiac in
controvers. theologic. libr. tres (1644). — Abr. Calovii Systema locor. theo-
log., cap. 3 de revelatione (1655).
^ Sess. IV, cap. 1.
538 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
zwar in Beziehung auf Sachen und Worte, auf" Form und
Inhalt. Alles, was sie enthält, sei den heiligen Schriftstellern
vom heiligen Geiste gleichsam dietirt, diese seien die Ama-
juienses Gottes, die Notare des heiligen Geistes.^ In der
katholischen Kirche, die neben der Tradition keine absolute
Autorität der Schritt nöthig hatte, konnte ein Richard Simon
als erster Kritiker der neuern Zeit mit seinen Untersuchun-
gen iiber die biblischen Schriften auftreten (1678), neben dem
auch Spinoza, der eigentlich nie förmlich zum Christenthiun
übergetreten, durch seinen „Tractatus theologico-politicus" in
kritischer Beziehimg Epoche machte (1677). Die katholische
Kirche hatte auf dem Trionter Concil ihren Lehrbegrifl" end-
gültig abgeschlossen, und somit jede wesentliche Wandlung
desselben für unmöglich erklärt. Der Widerspruch, in den
der Orthodoxismus auf protestantischer Seite mit demAVesen
des Protcstantisnms gerathen war, indem letzterer auf dem
Princip der Selbstgewissheit sich aufbauen wollte, jener aber
den absoluten Grundsatz der Erkenntniss ausser sich annahm,
konnte die protestantische Theologie nicht versteifen lassen,
es musste ein Umschwung eintreten.
Schon der durch Spener erweckte Pietisnnis wandte sich
von dem starren Orthodoxismus ab, und so eifrig er sich für
das Bibelstudium zeigte, so nachgiebig erwies er sich in der
Verpflichtung auf die Symbole. Er liess die orthodoxen Be-
stimmungen der Dogmen auf sich beruhen und legte den
schweren Accent auf die Gefühlsseite des Bewusstseins, wo
er nachgerade in süsslicher Weichheit zu verschwimmen drohte,
als sollicitirter Gegensatz zum Orthodoxismus, der das sitt-
liche Moment vernachlässigt hatte.
Nicht weniger Abbruch dem Ansehen der symbolischen
Bücher und der Dogmen tliat Leibniz (1646 — 1716) sowol
durch seine irenischen Versuche, alle Confessionen zu vereini-
gen, als auch durch seine Philosoi^hie überhaupt, in welcher
das Bewusstsein gemeinschaftlichen Interesses der Philosophie
und Theologie und der Vermittlung beider zu Tage kommt.
Das freie philosophische Denken hatte schon in Descartes inid
Spinoza dem Dogma als selbstständige Macht sich gegenüber-
* Gerhard, Explic. über. loc. 1, cap. 2, §. 18. — Calovii Syst. 1, 556.
Quenstedt, 1, 80 squ.
4. Ursacheu der Abnahme des Teufelsglaubens. 539
gestellt und in Bayle und andern sogar eine negative Richtung
genommen ; Leibniz suchte nun in seiner Abhandlung über
die Uebereinstimnnnig des Glaubens mit der Vernunft und
den Gebrauch der Philosophie in der Theologie den Zwiespalt
so viel als möglich auszugleichen und verhielt sich polemisch
gegen Cartesius, Spinoza, sowie gegen den Empirismus und
Skepticisnuis seiner Zeit. Er unterscheidet nicht nur eine
dojipelte Nothwendigkcit, eine physische und metaphysische,
sondern auch das, was gegen und was iiber die Vernunft ist,
wovon ersteres absolut wider gewisse Wahrheiten , letzteres
nur gegen die gewohnte "Weise zu denken und zu erfahren
streite. Wunder und Mysterien können, soweit es zum Glau-
ben nöthig ist, erklärt, das heisst gegen Einwendungen vei'-
theidigt, aber nicht begriffen oder bewiesen werden. Der
wesentliche Inhalt, der allen Religionen zu Grunde liegt, also
auch der christlichen, sei die natiirliche Religion, als deren
wahrer Erneuerer Christus zu betrachten, der ihre Lehren
als positive Satzungen verkündet habe. Die natürliche Reli-
gion, die im Menschen als dunkler Drang vorhanden, werde,
indem sie sich entwickelt, aufgeklärt zu einer natürlichen Theo-
logie, einem Vernunftglauben, dessen Hauptlehren von einem
ausser- und über weltlichen Gott und der Unsterblichkeit des
Geistes durch die Vernunft in ihrem eigenen Namen verkün-
det werden. In seiner „Theodicee oder über die Güte Gottes,
die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Uebels",
die durch die Verträge, welche Leibniz vor seiner königlichen
Freundin Sophie Charlotte von Preussen zu halten pflegte,
entstanden war, sucht er die Frage: wie mit der besten Welt
das Uebel und das Böse zu vereinigen sei? dahin zu lösen:
dass er das physische und moralische Uebel auf eine Be-
schränlunig reducirt, wonach das Böse auf keiner positiven
Ursache, sondern auf Mangel beruht, das Gott dulde, weil
ohne es die Tugenden in der Welt nicht hervorträten, was
noth wendig sei, sowie dunkle Schatten oder Dissona)izen im
Kunstwerke ihre Anwendung finden müssen.
Die Leibniz'sche Theorie wurde besonders durch Wolf
(1679 — 1754) dem Bewusstsein der Zeit zugeführt, indem er
jene commentirte und popularisirte. In seiner natürlichen
Theologie, der er den ontologischen Beweis zu Grunde legte,
gegenüber der auf übernatürlicher Offenbarung beruhenden
540 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
positiven, sollte der Riss zwischen Theologie und Philosophie
vollends ausgeglichen werden. Die Philosophie sollte zur
natiirlichen Theologie werden, neben welcher jene Often-
barungstheologie bestehen könnte, so dass die erstere alle
Prädicate aus dem Begrijffe Gottes mit logischer Consequenz
ableitete, die andere den Aussagen der Schrift sich anschlösse.
Obschon Wolf eine unmittelbare Ofienbarung nicht für un-
möglich hält, diese für ebenso übernatürlich als iiberveruünftig
erklärt, und was über die Vernunft, nicht geradezu gegen
dieselbe sei, so beschränkt er doch das Gebiet des Ueber-
natürlichen und also auch der unmittelbaren Offenbarung so
sehr, dass die Beschränkung von der völligen Negation kaum
zu imterscheiden ist. Wie in der natürlichen Theologie das
Wesentliche auf den Inhalt des gemeinen Bcwusstseins be-
schränkt -wird, so gründet AVolf die ganze praktische Philo-
sophie auf sogenannte Thatsachen des gemeinen Bewusstseins,
wobei die Grundsätze der Moral, die Begriffe des Willens,
des Guten und Bösen und der Freiheit von der empirischen
Psychologie hergenommen werden. Indem Wolf die Verständ-
lichkeit als Haupterforderniss der Philosophie vmd Verständig-
keit als Charakter derselben proclamirt, sucht er alles, obschon
unter Voraussetzung unbewiesener Sätze, weitläufig zu demon-
striren, und es erklärt sich hieraus die lange Popularität der
Wolf 'sehen Philosophie, die sich zugleich als Vorläuferin des
spätem verständigen Rationalismus kennzeichnet.
Im 18. Jahrhundert verlor der kirchliche Dogmatismus
immer mehr seinen Boden im Bewusstsein der Zeit. Wenn
im Pietismus das Subject im fromm-erbaulichen Gefühle seine
Befriedigung gesucht hatte, so sollte nun an dessen Stelle das
moralische Moment eintreten. Man war dem Dogma gegen-
über indifferent und erblickte den AVerth des christlichen
Glaubens nur in dem moralischen Nutzen für das Subject,
vmd unter Abschüttelung des Autoritätszwangs fand der nüch-
terne Verstand die Tendenz des Christenthums in der morali-
schen Ausbesserung des Menschen. In dem bekannten Worte
Friedrich's des Grossen (1740 — 8G), wonach jeder nach seiner
Fa9on selig werden solle, kommt das Bewusstsein der Zeit zum
adäquaten Ausdruck. Es ist die Periode der deutschen Auf-
klärung, wo der Mensch als Träger der Verständigkeit auf
Berechtigung Anspruch macht, als verständig denkendes Ein-
4. Ursachen dei' Abnahme des Teufelsglaubens. 541
zelwesen zur Geltiino- kommen soll. Die Verständio-keit erklärt
ihren Inhaber fiir miindig und heisst ihn das Gegebene als
Gegenstand seiner Erkenntniss zu betrachten und zur Errei-
chung seines Zwecks zu benutzen. Die Zeit, wo der Verstand
in den Vordergrund zu stehen kam, warf ungeachtet der herr-
schenden Klarheit allerdings auch ihre Schatten, wie jede Zeit
neben ihrem normalen Typus sich auch in Caricaturen ver-
sucht. Es ist nicht zu leugnen, dass vieles, was die Periode
der Aufklärung hervorgebracht hat, heute der Betrachtung
unterzogen, als seicht und platt erscheinen muss, da es viel
und mancherlei gibt, „wms kein Verstand der Verständigen
sieht"; es ist wahr, dass blos verstandesmässiges Denken nicht
ausreicht, um tiefer auf dieldeen der Sachen einzugehen, nament-
lich um den innern Zusammenhang der geschichtlichen Erschei-
nungen zu begreifen; dass wo das Individuum als Träger der
Verständigkeit in seiner Isolirtheit gefasst wird, wie von den
meisten Aufklärern, das Volk nur als ein Aggregat von ein-
zelnen erscheint, und der Staat seinem Wesen nach uubegrif-
fen bleibt, daher als „Erfindung" zum Wohle der Menschen
aufgefasst werden kann ; ^ es ist nicht nur unzulässig, es kann
nachgerade lästig werden, wenn der ledige Verstand seinen
Massstab auch ausserhalb seines Gebietes anlegen und ihn zu
allgemeiner Gültigkeit erheben will. Aber diejenigen verfallen
dem Verdachte der Gereiztheit, welche die Aufklärung als
„Aufkläricht" mit „Kehricht" zusammenreimen und mit diesem
zugleich dessen Bestimmungsorte zuweisen wollen, es ist ein
Zeichen abstracter Betrachtung, die Verständigkeit nur in
ihrer Abstraction und Einseitigkeit aus dem Ganzen heraus-
zugreifen. Der blosse Verstand kann allerdings nicht nur
stören, sondern durch seine Negation auch zerstören; allein ist
denn das negative Moment nicht nothwendig, um durch denEnt-
wicklungsprocess zu einem positiven Ergebniss zu gelangen ? Die
Periode der Aufklärung hat also ihre geschichtliche Berechti-
gung sowol in socialer als religiöser Beziehung, und gleichwie
das menschliche Bewusstsein durch den äusserlich versteiften
Dogmatismus gedrängt w'ard, in die Innerlichkeit des ge-
fühlsseligen Pietismus sich zu vertiefen, so wurde es wieder
aus der dunklen Tiefe des Gefühls zur klaren Verständigkeit
1 Schlözer, Allgemeines Staatsrecht (1793).
542 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
emporgetrieben. Selbst namhafte protestantische Theologen
nnserer Zeit, die nicht zu den ungläubigen gezählt werden,
erinnern uns: nicht zu vergessen, dass wir jetzt noch von den
guten Friichten dieser Periode zehren, „und dass das Alte,
das sie, namenthch in Staat, Erziehung und Sitte verdrängte,
zum Theil wirklich ein Veraltetes war"J Wie vielen Kampf
es auf dem theologischen Gebiete gekostet, den Verstand zur
Berechtigung und Anerkennung zu bringen, zeigt die lange
Reihe theologischer Zänkereien, die seit dem Abschluss der
Concordienformel bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts
dauernd, unter dem Namen von kryptocalvinistischen, synkre-
tistischen, pietistischen Streitigkeiten bekannt sind, wobei auch
orthodoxe Machthaber zur Aufrechterhaltung des alten Dog-
matismus ihre Gewalt einsetzten. Der Widerspruch prote-
stantischer Glaubens- und Gewissensfreiheit mit jenem, der
unbedingten Autoritätsglauben forderte, äusserte sich in einer
masslosen Polemik, die zuletzt an der Streitsucht selbst ver-
endete.
Das 18. Jahrhundert hatte mit dem orthodoxen Dogma-
tismus gebrochen, das Subject war zur Freiheit gelangt und
da das Recht der freien Subjectivität die unbedingte Voraus-
setzung der kritischen Forschung ist, war auch dieser freie
Bahn gemacht. Diese Periode kennzeichnet sich daher durch
die kritischen Forschungen in der protestantischen Theologie,
die bis in unsere Tage hineinreichend sich fortsetzen. Ob-
gleich man sich vom kirchlichen Dogmatisnuis abwandte, der
auf die Autorität der biblischen Lehre Anspruch erhoben hatte,
wollte man diese doch nicht aufgeben, vielmehr zu ihr zurück-
kehren, aber mit Bewahrung der freien Subjectivität. Indem
das Subject mit der Wahrheit der biblischen Lehre sich selbst-
thätig in Einheit setzen und zur Gewissheit gelangen wollte,
nahm es die biblischen Schriften zur Hand, um sie kritisch
zu betrachten. Dadurch wurde aber das Urchristenthum und
die Entstehung und Entwickelung des Dogma überhaupt der
kritischen Betrachtung unterzogen, wobei das Christenthum
als geschichtliche Thatsache erschien, das demnach auch nur
geschichtlich aufgeftisst werden sollte. An der Stelle des
starren Dogmatismus erkannte man nun den beweglichen
Tholuck in Herzog's Encyklop., Art. „Aufklärung".
4. Ui'sachen der Abnahme des Teiifelsglaubens. 543
Fluss der Geschichte, und die alte buchstäbliche AuflPassung
der Schrift musste der historischen Interpretation den Platz
räumen, nachdem Joh. Aug. Ernesti (1707— 81) gezeigt hatte,
dass der Sinn der Worte in den göttlich inspirirten Büchern
auf dieselbe Weise gesucht und gefunden werden müsse, wie
er auch in andern, das heisst menschlichen Biichern gesucht
und o;efunden werden muss. ^ Bei Ernesti steht zwar noch
der kirchlich -dogmatische Begriflf von der Inspiration der
Schrift, aber durch die Klarheit und Bestimmtheit, Avomit die
Anwenduna: der allij;emeinen Grundsätze der Ausleffuno- auf
die biblischen Schriften gefordert wird, erscheint jene in zwei-
ter Linie, und so bildet Ernesti's grammatisch-philologische
Methode den Uebergang zur historischen, als deren Yater
Semler genannt zu werden pflegt. Vor ihm hatte Wettsteiu
auf die Nothwendigkeit hingewiesen, das Neue Testament als
historisches Literaturproduct zu betrachten, und den Sinn
durch unbefangenes Studium zu suchen^, und so konnte Sem-
ler die neue Periode mit dem Grundsatze eröfinen: die Er-
scheinung des Christenthums ist unter historischem Gesichts-
punkte zu betrachten. „Die Auslegung des Neuen Testa-
ments ist vornehmlich geschichtlich und beschreibt die Thaten
oder Bestrebungen und Veranstaltiuigen jener Zeit, darauf
berechnet, die Christen damaliger Zeit zu sammeln und zu
befestigen." ^ Ei- will die Erscheinung des Christenthums nicht
nur mit Berücksichtigung der äussern Verhältnisse, des Orts,
der Gebräuche damaliger Zeit, sondern auch im Hinblick auf
die geistigen Bedingungen der Zeitgenossen, ihrer Vorstellun-
gen, religiösen Denk- und Ausdrucksweise aufgefasst wissen.
Er macht daher auf das Locale und Temporelle in dem In-
halte der christlichen Religionsurkunden aufmerksam, um das
Allgemeingültige aus den „judenzenden" Schriften herauszu-
schälen, da dies allein für uns religiöse Bedeutung habe. Um
den substantiellen Inhalt dieser Bücher, der für uns (xültiar-
keit hat, von dem übrigen, das sich blos auf die damalige
Zeit bezieht, ablösen, imi das Wort Gottes in der Schrift
finden, die jüdischen Elemente aus dem christlichen Bewusst-
' Institutio Interpretis IM. T., i, c. 1, §. IG (1761).
^ Libelli ad crisiu atque interjiretationem N. T.
^ Institut, brevior. ad liberal, erudition. theol., 1, §. ^u.
544 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
sein ausscheiden zu können: verlangt Semler im Namen aller
denkenden Christen das Reclit der freien Untersuchuns: des
Kanon. ^ Semler wird häufig geriigt, dass er seinen Stand-
punkt nicht reiner und grossartiger durchzufiihren vermochte,
sich zu keiner höhern o-eschichtlichen Anschauuno; zu erheben
wusste, dass er das Bindende, das die Autorität Jesu und der
Apostel für ihn hatte, nur durch die zweideutige Accommo-
dationshypothese zu beseitigen wusste, und diese Bemängelun-
gen haben ihre Richtigkeit; allein die AVissenschaft verdankt
ihm doch den Standpunkt, von dem eine freie Kritik erst
möo'lich wurde und sich der Uebergang bilden konnte zu
einer höhern Betrachtung, wo selbst dem Zweifel sein Recht
eingeräumt, durch dessen Ueberwindung die völlige, wahre
Gewissheit erst erlangt wird.
Es wurde schon erinnert, dass der englische Deismus
ausser durch die Schriften Baumgarten's, Mosheim's, Michae-
lis', namentlich durch Semler, theils in deutschen Uebersetzun-
geu, theils in Ausziigen in Deutschland bekannt, sowie die
französischen Freidenker und Encyklopädisten durch Frie-
drich den Grossen, iiberhaupt durch die höhern Stände in
den deutschen Bildungsprocess hineingebracht wurden.
In der Periode der Aufklärung nimmt Lessing (1729 —
81) durch sein universelles Streben, das Bewusstsein von jedem
Drucke zu befreien, eine hervorragende Stelle ein. Seine
Herausgabe der „Fragmente eines AVolfenbiittler Unbekannten"
(Reimarus), wovon namentlich der vierte Beitrag (im Jahre
1777) grosses Aufsehen erregte und eine heftige Polemik her-
vorrief, gab ihm Gelegenheit, in den Entwickclungsgang der
Theologie unmittelbar einzugreifen. In negativer Weise that
er dies in seinen anti-Göze'schen Streitschriften, Avorin er gegen
den hamburger Pastor Göze, den Vertreter der symbolischen
Orthodoxie, auf glänzende Weise die Behauptung verfocht:
dass die W'ahrheit keinen Zweifel scheuen dürfe, durch dessen
offene Darlegung und Erörterung vielmehr gewinnen müsse.
Ausser den polemischen Schriften gegen Göze, den Vorreden
und Zusätzen zu den Fragmenten ist der Gehalt der Wirksam-
keit Lessing^s niedergelegt in seiner „Duplik", der „Erziehung
des Menschengeschlechts", seinem „Nathan" und mehrern meist
' Abhandlung von freier Untersuchung des Kanons, S. 6G fg.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 545
unvollendeten Aufsätzen. Den Kern von Lessing^s Wesen
bildete die kritische Kraft. „Seine Kritik", sagt C. Schwarz \
war „darin der echtesten Art, dass sie nicht allein trennend,
sondern auch verbindend, nicht allein verneinend, sondern
auch aufbauend sich erwies. Sie war mehr als sichtender
Verstand, Sonderung des üuzusammengehörigen , Auflösung
der Yerwirrungsknoten, sie war zugleich combinatorische Thä-
tigkeit, Aufspürung überraschender Verbindungen, Divination
verborgener, dem gewöhnlichen Auge entzogener Zusammen-
hänge. Sie war mit Einem Worte combinatorische Kritik."
Um Lessing's Wesen zu kennzeichnen, hebt Schwarz treffend
jene Stelle der Duplik hervor: „Nicht die Wahrheit, in deren
Besitz ein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die auf-
richtige Mühe, die er angewendet hat, hinter die Wahrheit
zu kommen, macht den Werth des Menschen. Denn nicht
durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahr-
heit erweitern sich die Kräfte, der Besitz macht ruhitr, träire,
stolz. — AVenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in
seiner Linken den einzigen, immer regen Trieb nach Wahrheit
(obschon mit dem Zusätze mich immer und ewig zu irren)
verschlossen hielte und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm
mit Demuth in seine Linke, und sagte : Vater, gib ! Die reine
Wahrheit ist ja doch nur für dich allein !" Dies ist das eigent-
liche Wesen Lessing's, zugleich aber das Wesen des wahr-
heitsbedürftigen Menschen überhaupt, das unendliche Wahr-
heitsstreben im Subject, dessen Recht darauf in seiner Natur
begriindet ist, in deren freier Entfaltung auch nur der Werth
der Wahrheit für das Subject beruhen kann. Dieses Wesen
des menschlichen Denkens und Strebens nach Wahrheit, das
nothwendig ein kritisches ist, war in Lessing's gesunder, freier
Persönlichkeit zur Erscheinung gekommen. Seine Kritik hatte
eine ethische Richtung, die nicht negirt, niu- um zu zer-
stören, sondern das todte Gestein hinwegräumt, um frucht-
baren Boden zu gewinnen für die neue Saat, „die nie an der
Zerstörung als solcher Gefallen findet, sondern immer zugleich
ein Ideal hinstellt, an welchem sich der Geist erheben, dem
er nachstreben soll".'^ Dies zeigt Lessing nicht nur in Ver-
' Gotth. Ephr. Lessing als Theolog, S.'S.
'-' Ebendas., S. 4.
Roskoff, freschichte des Teufels. II. 35
546 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
folgimg einer ästhetischen Reformation in seiner Dramaturgie,
sowie durch seine eigenen dramatischen Dichtungen, obschon
er die Schranken seiner dichterischen Begabung genauer kannte,
als irgendeiner; er beweist es auch in seiner theologischen
Kritik, wo er den Dogmatismus sowol der Kirche als den
der sogenannten gesunden Vernunft, die Intoleranz sowol
der Gläubigen als der Ungläubigen unermüdlich und uner-
bittlich bekämpfte. Hieraus erklärt sich wol „das Eigenthüm-
liche in Lessing's Stellung — dass er allein war", da er zu
keiner der vorhandenen Parteien zählte, weil er über allen
stand, da er alles Sekten- und Cliquenwesen gründlich hasste,
weil ihm nur die selbsterrungene Wahrheit Werth hatte. Weil
Lessing, nur nach Wahrheit strebend, dahin sich neigte, wo
er ein Korn davon erblickte, konnte er seinen Zeitgenossen
bald als Stütze der lutherischen Kirche , bald als abtrünniger
Ketzer, bald als Gegner der neuen Theologie erscheinen. Er
hatte auf keiner Seite volle Genüge, wo ihm unklare Geistes-
forraen entgegentraten, und solche fand er auch bei den da-
maligen Aufklärern. Jede Halbheit ist ihm zuwider, er will
keine Mixtur von Halb -Bibel und Halb -Vernunft. „Und was
ist sie anders", sagt er in dem bekannten Briefe an seinen
Bruder vom 2. Februar 1774, „unsere neumodische Theologie
gegen die Orthodoxie, als Mistjauche gegen unreines Wasser?"
Er will lieber Philosophie und Theologie ganz getrennt sehen,
wie in frühern Zeiten, als dass diese mit ein bischen Popular-
philosophie gestützt werde, was die Philosophie ruinire, indem
man sie theologisirt; lieber herrsche in der Theologie Wun-
der, Oflfenbarung, Mysterium, in der Philosophie Vernunft —
oder wenn einmal aufgeräumt werden soll, so herrsche der
Geist der Prüfung ganz und unbedingt. Lessing, der mit dem
literarischen Kreise, dessen Mittelpunkt Nicolai war, in Ver-
bindung gestanden, zog sich nicht nur zurück, sondern trat
sogar gegensätzlich auf, als jener zu einem Aufklärungsbureau
geworden, das die Aufklärung geschäftsmässig trieb, jedes
geistige Product vor sein Tribunal forderte, um seinen Mass-
stab der plattgewordenen Verständigkeit darauzulegen, und
über alles, was darüber hinaus war, mit Intoleranz aburtheilte.
Nicolai, dessen „Allgemeine deutsche Bibliothek" sich versandet
hatte, las Lessing's Meinung in einem Briefe vom 25. August
1769 an ihn: „Sagen Sie mir von Ihrer berlinischen Freiheit
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 547
zu denken und zu schreiben ja nichts. Sie reducirt sich ein-
zig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion so viel
Sottisen zu Markte zu bringen, als man will. Und dieser
Freiheit muss sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen
schämen." Der historisch -kritischen Theologie, durch Ernesti,
Michaelis und vornehmlich Semler vertreten, wäre Lessing
näher gestanden, M^enn ihm nicht deren Hauptstützpunkte:
jene Unterscheidung zwischen localem und allgemeingültigem
Christenthum, und die beliebte Accommodationstheorie haltlos
erschienen wären. In der ganzen Theorie erblickte er histo-
rische UnM^ahrheit und Feigheit, und da er in den evangeli-
schen Erzählungen uuausgleichbare Widersprüche fand, auf
die sein Fragmentist hingedeutet, welchen Semler in schmä-
hendem Tone und etwas hochmüthigerweise angegriffen hatte \
so war der Anlass zum Conflicte vorhanden. Dieser kam zwar
nicht öffentlich zum Ausbruch, Lessing äusserte sich aber
wiederholt sehr erbittert über Semler's Schrift, und dass er
die Unzulänglichkeit jener Theologie durchschaute, geht aus
nachgelassenen Fragmenten deutlich hervor. Semler's Verdienste
um die Aufrüttelung der alten Theologie sind anerkannt, aber
ebenso seine Unklarheit in PrincijDienfragen, indem er, sich in
Einzeluntersuchungen verlierend, die hinter ihm offen gebliebene
Frage mit der spanischen Wand seiner Theorie verdeckte. Les-
sing dagegen würd mit Kecht „ein Kritiker viel höhern Stils
und viel jjräciserer Art" genannt^, und wenn Semler für die
Anregung der Theologie der damaligen Zeit Dank einerntet,
so bleibt Lessing der Anreger der Theologie für alle Zeiten.
Lisbesondere gilt dies hinsichtlich der innerhalb der protestan-
tischen Theologie so wichtigen Frage: über das Kecht der Kri-
tik in ihrer Anwendung auf die Bibel, „ob Bibel und Christen-
thum, als sich vollkommen und an allen Punkten deckende
Begriffe anzusehen, welche miteinander stehen und fallen, er-
halten und angegriffen werden?" Lessing kommt aus dem
Wesen der Religion und des Christenthums zu der Ansicht,
dass ihre Wahrheit nicht von äussern Zeugnissen und Urkun-
den abhängig sein könne, sondern in sich beruhen müsse,
' Beantwortung der Fragmente eines Ungenannten, insbesondere vom
Zwecke Jesu und seiner Jünger (1779).
2 Schwarz, S. Gl.
35*
548 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
daher die innere Wahrheit der christlichen Religion durch die
Auerriffe auf die Aussenwerke nicht betroffen werden soll. Er
mag seine Gedanken mit seinen eigenen Worten in den zehn
Thesen seiner Axiomata zusammengefasst geben, und zwar in
der von Schwarz nur wenig veränderten Ordnung ' : „1) Die
Bibel enthält offenbar mehr als zur Religion gehört. 2) Es ist
blosse Hypothese, dass die Bibel in diesem Mehreren gleich
unfehlbar sei. 3) Der Buchstabe ist nicht der Geist und die
Bibel ist nicht die Religion. 4) Folglich sind die Einwürfe
gegen den Buchstaben und gegen die Bibel nicht eben auch
Einwiirfe gegen den Geist und gegen die Religion. 5) Auch
war eine Religion, ehe eine Bibel war. 6) Das Christenthum
war, ehe Evangelisten und Apostel geschrieben hatten. Es
verlief eine geraume Zeit, ehe der erste von ihnen schrieb, und
eine sehr beträchtliche, ehe der ganze Kanon zu Stande kam.
7) Es mag also von diesen Schriften noch so viel abhängen,
so kann doch inimöglich die ganze Wahrheit der christlichen
Religion auf ihnen beruhen. 8) War ein Zeitraum, in Avelchem
die christliche Religion bereits so ausgebreitet war, in welchem
sie sich bereits so vieler Seelen bemächtigt hatte, und in wel-
chem gleichwol noch kein Buchstabe aus dem von ihr aufge-
zeichnet war, was bis auf uns gekommen ist, so muss es auch
möglich sein, dass alles, was die Evangelisten und Apostel
o-eschrieben haben, wiederum verloren ginge, und die von ihnen
gelehrte Religion doch bestände. 9) Die Religion ist nicht
wahr, weil die Evangelisten und Apostel sie lehrten, sondern
sie lehren sie, weil sie wahr ist. 10) Aus ihrer Innern Wahr-
heit müssen die schriftlichen Ueberliefcrungen erklärt werden,
und alle schriftlichen Ueberlieferungen können ihr keine innere
Wahrheit geben, wenn sie keine hat." Von diesem Gesichts-
punkte hatte Lessing der weitem Entwickelung der prote-
stantischen Theologie das Ziel vorgezeichnet, und ein namhafter
protestantischer Theologe unserer Tage bestätigt es, dass „sie
diesem Ziele auch wirklich zustrebte, und in der That seitdem
keine höhere Aufgabe vor Augen hatte als 'eben die ihr von
Lessing vorgezeichnete". ^
o
1 S. 146.
- Baur, Vorlesungen über die christliche Dogmengeschichte, heraus-
gegeben von Ferd. Fr. Baur (1867), III, 312.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsghiubens. 549
Wie Lessing's Wahrheitsinteresse ans seiner wahrheits-
bedürftigen, reinen, gesunden Menschennatur hervorging, die
nach innerer Beruhigung strebte, so achtete er die selbster-
worbene individuelle Form der Wahrheit an andern und
hasste die Unduldsamkeit. Er stritt daher nicht nur gegen
die Intoleranz der gelehrten Theologen, sondern predigte auch
die Toleranz „auf seiner Kanzel, dem Theater", vor dem Volke.
Dies that er vornehmlich in seinem „Nathan", wo er über die
Ausschliesslichkeit des Oflenbarungsglaubens hinüber und zur
humanen Sittlichkeit zu erheben sucht, unbeschadet der Pietät
für die eigene Religion der Väter. Da der fruchtbare Kern
jeder Rehgion in der Sittlichkeit besteht, so wird auch der
schwere Ton auf die praktisch -sittliche Bethätigung der Re-
ligion von ihren Bekennern gelegt werden. In seinem „Nathan"
predigt Lessing die Humanität, aus welcher die Handlung
entspringen soll, die Idee der Menschheit, die über allem Be-
sondern stehen, in der alle Unterschiede des gewöhnlichen
Lebens aufgehen sollen, die Duldsamkeit, die auf das Evan-
gelium der Liebe gegründet, aus echter werkthätiger Religio-
sität hervorgeht, im Gegensatz zur Unduldsamkeit des religiösen
Fanatismus, der mit dem Alleinbesitz der W^ahrheit sich brüstet.
„Diese Toleranz", erinnert Stahr *, dieses in der ganzen Dich-
tung athmende göttliche Duldungs- und Schonungsgefühl ist
es, was Goethe, Herder und Schiller, was alle Geistesheroen
des deutschen Volks „als ein heiliges und wei'thes Vermächt-
niss zu bewahren, unserer Nation ans Herz gelegt haben ".^
Das Individuelle soll nicht untergehen, es soll aber keine
Schranke sein im sittlichen Verkehr der Menschen, die Aner-
kennung besonderer Individualität soll sich vereinen mit der
allgemeinen Menschenliebe, in deren heiligem Feuer alle an-
geblichen Vorrechte zusammenschmelzen sollen. „In der That",
ruft Stahr, „dies Werk und diese Gesinnung sind ein Testa-
ment geworden, welches Lessing der Menschheit hinterlassen,
und bei diesem Erbe wollen Avir geschützt sein und uns, so
Gott will, selber schützen gegen jede Verfinsterungs - und
Glaubenstyrannei. Nathan's Gesinnung, zu der sich Lessing
' Lessing, sein Leben und seine Werke, II, 245.
2 Goethe's Werke, XLV, 22.
550 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
bekannte, ist das Erbe von Tausenden und Abertausenden
geworden."^ Lessing verstand aber auch, wie Schlosser be-
stätigt, „allein unter allen seinen Zeitgenossen die schwere
Kunst, zugleich streng logisch, gründlich belehrend, und doch
auch unterhaltend und lebhaft zu schreiben, und den Leser
durch die Form des Vortrags zu zwingen, an der Sache selbst
theilzunehmen. Er konnte, ohne zu Spielereien oder Witze-
leien herabzusteigen, oder die Phantasie durch allerlei Schilde-
reien zu bewegen, sogar Abhandlungen über gelehrte Gegen-
stände oder polemische Schriften, über schwere Materien durch
die Form des Vortrags dem gewöhnlichen Leser anziehend
machen". 2
Auch derjenige, welcher nicht zu den enthusiastischen
Verehrern Lessing's zählt, wird den Stahr'schen Schlusssatz,
auf die Menge angewendet, richtig finden, und wer in unsern
Tagen inmitten confessioneller Contlicte steht, wird wahrneh-
men müssen, dass diese nicht im Volksbewusstsein ihren Grund
haben, sondern auf andere Motoren zurückzuleiten sind. Das
sittlich-religiöse Bewusstsein der Gegenwart beruht auf dem-
selben Grunde, den die Arbeiter der Aufklärung gelegt haben,
denn trotz der hier und da künstlich hervorgebrachten confes-
sionellen Spannung kann es dem schärfern Auge nicht ent-
gehen, dass im Herzen der Menge das Princip der religiösen
Toleranz lebt, welches von den englischen, französischen und
deutschen Aufklärern gepredigt worden ist. Der Anhänger
des kirchlichen Dogmatismus muss zwar den um sich gegrif-
fenen Indifferentismus gegen dessen Satzungen , und um so
mehr die negative Richtung dagegen beklagen; allein der
Culturhistoriker weist dafür auf das positive Product des
geschichtlichen Entwicklungsprocesses hin, nämlich auf die
Menschlichkeit, die in ihrer sittlichen Richtung in allen Con-
fessionen platzgegriffen hat, und nicht ausschliesslich ver-
neinend, sondern den christlichen Begriff tief bejahend in
humanen Bestrebungen die Christlichkeit repräsentirt und in
der Pflege der Armen, in der Hebung sittlich Verwahrloster
u. dgl. zum Ausdruck bringt. Die Träger der Kirche sehen
deren Bestand durch die überhandgenommene Unkirchlichkeit
1 Stahr, Lessing, S. 260.
'^ Schlosser, Geschichte des 18. Jahrhundert, II, 589, 4. Auf!.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 551
gefährdet und ihre Klagen sind tief begründet, denn der heu-
tige Christ legt den schweren Ton auf die christliche Sitten-
lehre, aus der er seine Kraft und Nahrung zieht. Der moderne
Mensch sieht in der Herausbildung der Humanität die eigent-
liche Civilisation , er setzt seine Bestimmung darein und ist
fest tiberzeugt, dadurch mit der Wahrheit des Christenthums
in Einheit zu stehen. Ja er rechnet es der christlichen Reli-
gion zum Vorzug an vor allen andern Religionen, und erblickt
in ihr „das einzige Beispiel einer Religion, die nicht naturge-
mäss von der Civilisation geschwächt wurde", während in
allen andern „der Verfall der dogmatischen Begriffe ebenso
viel wie eine vollständige Vernichtung der Religion" ist; er
erkennt den grossen sittlichen Beweis der Göttlichkeit des
Christenthvmis darin, „dass es die Hauptquelle der sittlichen
Entwicklung Eurof)as war". ^
Wir haben die Philosophie, die im 16. Jahrhundert in
selbständiger Weise der Theologie an die Seite getreten war,
und ihren Einfluss auf diese, sowie die Wirksamkeit beider
auf das Zeitalter der Aufklärung in Betracht gezogen. Aber
das Streben nach Emancipation von der Herrschaft der Au-
torität machte sich nicht nur in der Theologie fifeltend. Nicht
unerwähnt soll daher der Beitrag bleiben, den die Pädagogen
Basedow, Campe, Salzmann, Pestalozzi und ihre Schüler da-
durch lieferten, dass sie die Lehren der Aufklärung, Toleranz
und christlichen Menschlichkeit dem häuslichen Leben unmit-
telbar zuführten. Selbstverständlich wirkte die gesammte Li-
teratur überhaupt als organisches Product des Zeitbewusstseins
in derselben Richtung. Bekannt ist Wieland's Thätigkeit, der
durch seine leichte Manier die Resultate französischer und
englischer Denker dem grossen Leserkreise in Deutschland
näher brachte, bekannt sind Herder's Bestrebungen, die er in
seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte, in seinen Huma-
nitätsbriefen niederlegte, im Sinne des Humanismus, den er
in der Geschichte und Literatur aufsuchte und darlegte. Es
müsste die ganze Literatur in ihrem Streben nach demselben
Ziele angeführt werden, wenn der Gegenstand nicht schon
in Schlosser, Gervinus, Hettner und andern seine Meister ge-
1 W. E. Ilartpole Lecky, Geschichte der Aufklärung in Europa.
Deutsch von -Jolowitz, I, 239.
552 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
fluiden hätte. Es genügt daher, auf den Einfluss der Literatur
durch Förderung der Humanität, die Schiller und Goethe
,,Cultur" zu nennen pflegten, für die auch sie ihre Kraft ein-
setzten, hingedeutet zu haben. Um so mehr enthalten wir
uns, weiter zuriickzugehen, um andere selbstverständliche Mo-
mente anzuführen, die dem Geiste des 16. Jahrhunderts die
Pforten geöflnet, als: die Einführung der Volkssprachen, die
Erfindung der Buchdruckerkunst, die Avachsende Macht der
Presse, das infolge der Errichtung von Universitäten ver-
breitete Studium des classischen Alterthums, die Entdeckung
neuer Welttheile, die Reisen um die Erde u. s. f.
Auf die Wandlung der sittlichen und religiösen Weltan-
schauung, die im 18. Jahrhundert ihren charakteristischen
Typus erlangte, wirkte, ausser den angeführten Factoren, vor-
nehmlich eine Macht, welche die Trennung vom alten kirch-
lichen Dogmatismus zwar mehr mittelbar, aber um so durch-
schlagender förderte, daher auch von diesem bis auf den
heutigen Tag ganz richtig als sein Erzfeind erkannt wird.
Diese Macht ist die Naturforschuug. Für wen es in der
Geschichte der menschlichen Entwicklung Zufälligkeiten gibt,
der muss mindestens vieles sehr merkwürdig finden, z. B. dass
in dem Jahre, wo Columbus geboren wurde, auch der Bücher-
druck in die Welt kam, dass in demselben Jahrhundert, wek-hes
Protest gegen die Alleinherrschaft der kirchlichen Macht er-
hob, auch die Astronomie von der theologistischcn Astrologie
sieh trennte und Kojiernicus zuerst die förmliche Behauptung
aufstellte (etwa 1536), dass sich die Erde um die Sonne be-
wege. Im Jahre 1543 erschien sein Werk: „Libri sex de
orbium coelestium revolutionibus", worin er die tägliche Um-
drehung der Erde um ihre Axe, eine jährliche Kreisbewegung
um die Sonne und eine Bewegung der Abweichung der Axe
lehrte, und wenige Tage darauf starb. Giordano Bruno, der
auch die heliocentrische Bewegung der Erde behauptete, er-
fuhr den Widerspi'uch der Kirche auf die antidogmatische
ketzerische Lehre in einer sechsjährigen Gefangenschaft unter
den Bleidächern Venedigs, luid ward am 16. Februar 1600
zu Rom verbrannt. Allein die Theorie war deshalb nicht in
Rauch aufgegangen, sie verschafi'te sieh vielmehr Geltung und
ward der klaren Wahrnehmung nahe gebracht durch das Te-
leskop, auf dessen Erfindung Lipershey, Adriaansz mit dem
4. Ursachen der Abnahme des Teul'elsglaubeus. 553
Beinamen Metius und Jansen Anspruch haben. Galileo wandte
die „raumdurchdringende Kraft des Fernrohrs" auf die Unter-
suchung des Himmels an und verfertigte sieh ein solches für
seinen eigenen Gebrauch. Die Entdeckung zahlloser Fixsterne,
bisher von keinem irdischen Auge gesehen, der vier Satelliten
des Jupiter (IGIO), der Phasen der Venus, die deren Bewe-
gung um die Sonne feststellten, waren die Erfolge der ersten
teleskopisch-astronomischen Untersuchungen. Bekanntlich ver-
fiel auch Galileo der Inquisition, die nicht nur das koperni-
canische System als falsche, der Heiligen Schrift völlig zuwider-
laufende 2:)ythagoräische Lehre verdammte, sondern auch
Galileo zur demüthigenden Abschwörung des heliocentrischen
Systems zwang, bis er 1642 als Gefangener der Inquisition in
seinem 78. Jahre starb. Aber die Worte, die Galileo leise
fliisterte : E pur si muove, als er im Büsserhemde von den Knien
sich erhob — sie hallten wider und erfüllen noch heute die
Welt.
Die Folge dieser Entdeckungen war eine erweiterte An-
schauimg vom Universum, in welchem der Erde die Stelle
eines Gliedes im Sonnensystem angewiesen wurde. Hiermit
war aber zugleich die hergebrachte Meinung, dass unsere Erde
der Hauptzweck des Weltganzen sei, dass Sonne und Mond
sich um sie bewegen, dass die Sterne als blosse Lichter das
Firmament zu schmücken bestimmt seien, als Irrthum bloss-
gelegt. Ebenso war die damit zusammenhängende Ansicht,
welche den Menschen als Mittelpunkt aller Dinge betrachtete
und jede auft'allende Naturerscheinung mit seinen Handlungen
in Beziehung setzte, als ob Sonnenfinsterniss, Kometen, Me-
teore, Stürme um des Menschen willen da wären, die ganze
Geschichte des Universum sich um ihn drehte, alle Störungen
oder Abweichungen, die sich zeigten, mit der Geschichte des
Menschen im Zusammenhange stünden — diese Ansicht war
nun durch die teleskopisch-astronomischen Entdeckungen ver-
nichtet.
Kepler (1571 — 16o0), der mit der ganzen Energie seines
Geistes über dem kopernicanischen System gebrütet hatte,
wie er in seinem „Mysterium cosmographicum" selbst sagt,
unternahm die mühsamsten Berechniuigen mit fast über-
menschlicher Geduld, um den physischen Zusammenhang zwi-
schen den Theilen des Sonnensystems auf Grund von Gesetzen
554 Vierter Abschnitt : Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
sicherzustellen. Das Ergebuiss war die Entdeckung der bei-
den grossen (jetzt unter dem Namen des ersten und zweiten
Kepler'schen Gesetzes bekannten) Gesetze: „die Planetenbahnen
sind elliptisch" und, „der vermittels einer vom Planeten nach
der Sonne gezogenen Linie beschriebene Flächeninhalt ist der
Zeit j3roportional", wozu im Jahre 1617 das dritte Gesetz
hinzukam: „das Quadrat der periodischen Zeiten steht in
demselben Verhältniss, wie der Kubus der Entfernungen".
Zur völligen Klarheit der Vorstellung des Sonnensystems ver-
half die Mechanik der Astronomie durch die Entdeckung der
Bew^egungsgesetze, Schon Leonardo da Vinci hatte sich da-
mit beschäftigt, Stevinus im Jahre 1580 ein Werk über die
Grundsätze des Gleichgewichts geliefert, Galileo 1592 in einer
Abhandlung über die Mechanik drei BeM'egungsgesetze aufzu-
stellen versucht und 1638 in seinen ,, Gesprächen über die Me-
chanik" das Gesetz der Gleichmässigkeit und Beständigkeit der
Bewegung erörtert. Den festen Grund zur physischen Astro-
nomie legte aber Newton durch seine „PrinciiDia" (1686),
worin er die mechanische Theorie der allgemeinen Gravita-
tion feststellte. Nach dieser Gravitationstheorie war es nun
möglich, nicht nur die Gestalt und Schwere der Erde zu be-
stimmen, das Vorrücken der Aequinoctien gegen Osten zu
erklären, sondern auch augenscheinliche Verwirrungen der
Körper des Sonnensystems nach Erkenntniss ihrer Masse zu
berechnen. Durch Kepler waren die Kreisbewegungen des
kopernicanischen Systems zu elliptischen Bahnen verbessert,
er hatte die Thatsachen, die sein Vorgänger gesehen, auf ma-
thematischem Wege in allgemeine Gesetze gebracht, Newton
aber erst durch seine Gravitationstheorie in ihrer innern Noth-
wendigkeit bewiesen.
Die astronomischen Entdeckungen waren von weltge-
schichtlicher Bedeutsamkeit für das menschliche Bewusstsein,
indem sie diesem die Lehre von der Weltregicrung auf Grund
ewiger Gesetze vernünftiger Nothwendigkeit zuführten. Der
Mensch musste die orthodoxen Vorstellungen von Himmel
und Erde , von der ausnahmsweise stehenden Sonne Josua's
aufgeben, die Lichter, am Himmel angeheftet, erweiterten sich
zur unendlichen Menge von Weltkörpern, die sich in mathe-
matisch zu berechnenden Bahnen bewegen ; der Mensch glaubte
nicht mehr an Ausnahmen und Willkiir, an den kleinlichen
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 555
Zweck in der Natur, er sah und erkannte die ewige, still-
waltende, vernünftige Gesetzmässigkeit herrschend. Er fand
sich zwar aus dem Brennpunkt der Schöpfung, in den er sich
bisher gesetzt glaubte , herausgehoben ; dafür ward er aber
auf einen erhabenem Standpunkt gestellt, von dem er die
ewige Gesetzmässigkeit der Vernunft anschaute, die er aus
dem Urquell, dem göttlichen Wesen und dessen Allgegen-
wärtigkeit ableitete.
Das Vertrauen auf die Macht des Selbsterkennens war
es, das die Bande, durch welche alle Zweige des Wissens
während des Mittelalters an äussere Autorität gefesselt waren,
gegen den Ausgang desselben allmählich löste, die Tendenz der
Selbstprüfung in den Vordergrund drängte und eine wunder-
bare Entfaltung wissenschaftlicher Thätigkeit, nach allen Seiten
die Natur zu erforschen, hervorbrachte. Vieta (1560^ — 1608)
führte den Gebrauch der Buchstaben in der Algebra ein und
wandte diese auf die Geometrie an; es entstand ein neues
Sternenverzeichniss ; Gesner (gest. 1565) ebnete den Weg zur
Zoologie, Fallopius, Eustachius, Avantius, Varolius unter-
nahmen Secirungen.
Im Jahre 1600 schrieb Gilbert über die magnetisclien und
elektrischen Kräfte : „Physiologia nova de Magnete." Im Jahre
1620 verfertigen Drebber und Jansen zusammengesetzte Ver-
grösserungsgläser, die durch Hook und Leuwenhoek durch
Anwendung von Hohlspiegeln vervollkommnet wurden. Picuo-
lomini legte durch seine Beschreibung der Zellengewebe den
Grund zur allgemeinen, Coiter zur pathologischen Anatomie.
Durch Descartes ward die Anwendung der Algebra auf die
Geometrie und die des mechanischen Moments auf die physi-
sche Astronomie entwickelt und der Beweis geliefert: dass das
Gewicht des Wassers im leeren Räume dem der Luft das
Gleichgewicht halte. Die Erfindung der Logarithmen ward durch
Napier vervollkommnet; Toricelli, durch Galileo's Beobach-
tungen des Luftdrucks aufmerksam gemacht, erfand (1643)
das Barometer, das bald zu Höhenmessungen benutzt wurde.
Otto von Guerike in Magdeburg (1602 — 86) erfindet die Luft-
pumpe, die von Boyle vervollkommnet wird; Bacon betrachtet
in seiner „Historia naturalis et experimentalis de ventis" (1664)
die Richtung der Winde in ihrer Abhängigkeit von der Tem-
peratur und den Ilydrometeoren, wird aber bei seiner Leugnung
556 Vierter Absclmitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
des kopernicanischen Systems auf falsche Vermuthungcn geführt.
Der dänische Astronom Römer macht 1675 die Entdeckung
der messbaren Geschwindigkeit des Lichts, u. s. f. Es Hesse
sich das Verzeichniss der Detaihirbeiten auf dem Gebiete
der Naturwissenschaft aus dieser Zeit ins Masslose fort-
setzen.
Gleichwie die Frage iiber die Stellung der Erde zum
Weltganzen und das Verhältniss des Menschen zu jeuer
mit der kirchlichen Anschauung unmittelbar zusanmienhängt,
so nicht minder die über das Alter und die Geschichte der
Erde. Die Lösung einer Menge geognostischer Fragen ist
zwar noch unsern Tagen vorbehalten, aber die astronomischen
und physikalischen Entdeckungen in den Zeiten Kopernik's,
Galileo's, Kepler^s und Newton's haben doch schon die Be-
trachtung auf die Geognosie hingelenkt. „Die heilige Theorie
der Erde" von Buonelt (1643—1715) lehnte sich zwar noch an
die biblische Schöpfungsurkunde, indem sich bei ihm, wie bei
Woodward, Ray und Whiston „Glauben und Wissen mitein-
ander vermengten".^ Nach ihm war die Erde uranfänglich
eine flüssige Masse, in der sich alles nach Schwere und Leich-
tigkeit schied. Einen festen Kern umfloss Wasser, das aber
mit einer festen Rinde bedeckt war, die in der Sündflut
durch innere Gewässer durchbrochen wurde. Schon gegen
Ende des 15. Jahrhunderts hatte Leonardo da Vinci Spuren
einer untergegangenen Thierwelt entdeckt, und Fracastaro
(1517), Palissy (1563) bestätigten diese Entdeckung. Steno
( 153g _ 3(3) in seinem Werke „De Solido intra Solidum
naturaliter contento" (1660) spricht schon von Gesteinschich-
ten, die sich vor der Existenz von Pflanzen und Thieren er-
härtet, von Sedimentschichten, die sich über jene gelagert und
ihre ursprüngliche Lage theils durch unterirdische Dämpfe,
durch die Centralwärme erzeugt, theils durch das Weichen
der untern Schichten verändert haben. Steno sj^richt schon
von grossen Naturepochen, deren er in der geognostischen
Bodenbeschaffenheit von Toscana sechs erkannte, wo das Meer
periodisch eingedrungen und erst nach unermesslich langen
Zeiträumen wieder zurückgewichen sei. Lister (1638 — 1711)
behauptet (1678), dass jede wichtige Gebirgsart durch
1 Humboldt, KoKiuus, II, 391.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 557
o'
eigene Fossilien sich kennzeichne, nnd stellt die Verbreitung
der Lagen über o-rosse Strecken fest. Leibniz in seiner
„Protogaea" (1680), die Humboldt „ein wildes Phantasiebild"
nennt, lehrt eine Bewegung der Wärme im Innern des Welt-
körpers, die infolge der Ausstrahlung durch die Oberfläche
allmählich abnehme, und wie die einst glühende Erdrinde durch
allmähliche Abkühlung sich verschlackt habe, so seien auch die
Dämpfe, welche die warmstrahlende Oberfläche umgeben, ab-
gekühlt und als Niederschlag zu Wasser geworden. Das
Sinken der Meeresfläche wird durch Eindringen des Wassers
in die Innern Erdhöhlen und durch deren Einsturz die Lagen-
veränderunsf erklärt.
O
Schon bei diesen wenigen Anfangsschritten der Geognosie
sehen wir die Trennung von dej- thcologistischen Anschauung
der Kirchenväter, welche unsern Planeten 5 — 6000 Jahre
alt sein Hess, während jene die Entstehung der Welt in un-
absehbare Fernen zurücklegt. Der Massstab des Kaumes,
nach welchem die Astronomie die Welt gebildet sieht, wird
der Geoffnosie zum Massstab der Zeit für die Geschichte der
TD
allmählichen Bildung der Erde. Die Geognosie nuisste auch
mit der Vorstellung vom Tode in Widerspruch kommen, der
nach der Lehre der Kirche als Folge der Sünde in die Welt
gekommen, über die gesammte Schöpfung seine Macht ausge-
dehnt habe, während die Geologie nach ihren ersten For-
schungen die untergegangenen Schöpfungen in voradamitischer
Zeit wenigstens ahnte.
Wie die Astronomie von der Astrologie sich gelöst hat,
um eine selbständige Wissenschaft zu werden, so zeigt sich
im Zeitalter vom ersten Viertel des 1(J. Jahrhunderts an die
Tendenz der Scheidung der Chemie von der Alchemie, der
Goldmacherkunst. Es charakterisirt sich der wissenschaftliche
Zustand im Mittelalter auch innerhalb dieses Gebietes durch
die blinde Anhänglichkeit an hergebrachte Autoritäten, woge-
gen die neuere Zeit durch den Drang zur Scibstprüfung sich
kennzeichnet. Bevor die (Jhemie zur Selbständigkeit gelangte,
musste sie noch eine Verl)indung mit der Heilkunde eingehen.
Paracelsus, der als 'Arzt den Lebensprocess als einen chemi-
schen auflPasste, der den wahren Gebrauch der Chemie nicht
im Goldmachen, sondern in der Bereitung der Arzneien er-
kannte, eröflPnete auch das Zeitalter der Jatrochemie, wo die
558 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Chemie aus den Händen der Goldköche m die von unterrich-
teten Aerzten überging. Mit den gesamniten Naturwissen-
schaften nahm auch die Chemie einen neuen Aufschwung am
Anfange des 17. Jahrhunderts, wo das Forschen nach Wahrheit
aus reinem Interesse an derselben auch in jene eindrang.
Nachdem eine Menge chemischer Kenntnisse aufgespeichert ^ml;
waren, trat die Wissenschaft in das Zeitalter der Phlogiston- J^H
Theorie, bis diese im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ^^
dnrch Lavoisier ihre Widerlegung erhielt. In dieser Periode
ist die Chemie schon selbständige, freie Wissenschaft und setzt
ihre Aufgabe in die Erkenntniss der Zersetzung der Körper,
um die Erscheinungen dabei und die Gesetze, wonach diese
vor sich gehen, zu erforschen.
Es liegt ausserhalb unsers Zwecks, den weitern Ent-
wickelungsgang der Chemie zu verfolgen, wie, nach dem Vor-
gange der Alchemie, die in den Metallen als hypothetischen
Crnndstofi" den Schwefel angenommen hatte, auch die phlogi-
stische Theorie, die durch Stahl (1660—1734) vollendet dar-
gestellt ward, alle gemeinsamen Eigenschaften von Einem
gemeinsamen Bestandtheile, dem Phlogiston ableitete; wir
müssen aber hervorheben, dass die Phlogiston-Theorie eine
Menge von Erscheinungen zusammenfasste und in Phänomenen,
die vorher nur als isolirte Erfahrungen bekannt waren, das
Analoge nachzuweisen wusste, dass sie zuerst rationelle Er-
klärungen in die Chemie einführte und für den Verbrennungs-
process eine für damals genügende Theorie aufstellte ', die,
wie jede, den Anlass zur Verbesserung der Erkenntniss
in sich trug und der wissenschaftlichen Weiterentwickelung
als Basis diente. Nachdem Priestley (1733—1804) seine Ver-
dienste um die Chemie durch die Entdeckung der meisten
Gasarten durch die des SauerstoflPs (1774) vermehrt hatte,
nahm die Chemie einen gewaltigen Aufschwung, indem sie bei
ihren Untersuchungen nicht mehr wie bisher ausschliesslich
die qualitativen Erscheinungen, sondern auch die quantitativen
Verhältnisse ins Auge fasste, deren Wichtigkeit zuerst Lavoi-
sier (1743—94) zur Anerkennung brachte. Man sah nun ins-
besondere im Verbrennungsprocesse nicht mehr, wie im phlo-
gistischen Zeitalter, eine Zerlegung des verbrennlichen Körpers,
' Kopp, Geschichte der Chemie, I, 265.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens, 559
sondern eine Vereinimmg: desselben mit dem Sauerstoffe. Mit
der antiphlogistischen Periode beginnt, in Folge der vervoll-
kommneten Methode, die genauere chemische Analyse.
Es bedarf keines Beweises, um die Nothwendigkeit der
alchemistischen Bestrebungen für die Chemie einzusehen,
welche ohne jene nicht bestehen würde, die immerhin als Irr-
thümer bezeichnet werden mögen, und Liebig mag darin recht
haben, dass „was wir heute für wahr halten, vielleicht mor-
gen schon ein Irrthum" ist^; ein wesentlicher Unterschied
zwischen den Arbeiten der Alchemisten und denen der Che-
miker wird diesen vor jenen immer den Vorrang geben, selbst
dann, wenn die erstem weniger Irrthümer und letztere weni-
ger Wahrheit zu Tage gebracht hätten, und dieser vorzügliche
und wesentliche Unterschied liegt im Beweggrunde der For-
schung. In der Periode der Alchemie war es das Streben
nach irdischer Glückseligkeit, das Tausende von Männern alle
ihre Kräfte anspannen Hess, um mittels der Alchemie in Be-
sitz dessen zu gelangen, „was die höchsten Wünsche der
höhern Sinnlichkeit umschliesst: Gold, Gesundheit und langes
Leben", die geistige Thätigkeit war also das Mittel zum
Zweck, der auf Genuss gestellt war; die neuere Wissenschaft
forscht nach den Gesetzen, nach der Wahrheit der Dinge um
ihrer selbst willen, die Forschung schliesst Mittel und Zweck
in sich, und dadurch ist sie nicht nur zur selbständigen, freien
Wissenschaft geworden, dadurch hat sie auch eine ethische
Richtung erhalten. Der Mensch ist dahin gelangt, wo er von
dem Wesensgrunde der Erscheinungen sich selbst zweckmäs-
sig Rechenschaft geben will, wo es ihm um die selbsterrungene
Gewissheit von der Wahrheit zu thun ist.
Durch die Natvirwissenschaft hat sich die Stellung des
Menschen zum Weltganzen geändert und an die Stelle seiner
Neigung zum Wunderbaren, weil Unerklärten, ist das Be-
wusstsein der Gesetzmässigkeit getreten. Wohin sein Auge
reicht, erblickt er causalen Zusammenhang oder setzt ihn we-
nigstens apodiktisch voraus, er sieht Wechselverkehr und
Unzerstörbarkeit der Kräfte, und seine Wahrnehmungen bringt
er unwillki'ulich mit seinem Begriffe von der Gottheit in Ver-
bindung. Mit seinem gesteigerten Interesse an der Schöpfung
' S. 56.
560 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
vervielfachen sich ihm die Beweise für die Weisheit und Güte
des Schöpfers, und das physische Uebel verliert die Bedeutung
einer göttlichen Strafe. So muss nothwendig die veränderte
Weltanschauung mit der religiösen Hand in Hand gehen, und
es kann daher nicht befremden, auch in der Erklärungs weise
der Bibel und der Auflassung ihrer Lehren eine Wandlung
wahrzunehmen, wie wir sie in der Periode der Aufklärung
auch wirklich gefunden haben.
Betrachten wir das Ergebniss des 18. Jahrhunderts im
Hinblick auf die Vorstellung vom Teufel, so ward demselben
zunächst seine Persönlichkeit entzogen, die Aufklärung nahm
ihm jegliche Macht in die Natur einzugreifen, wo nur ver-
nünftige Gesetzmässigkeit herrschend erkannt ward, auf der
das Dasein des Ganzen beruht. Man beschränkte sonach den
Teufel auf die Repräsentanz des moralisch Bösen und dessen
Anregung, er verlor aber auch die Bedeutung des Anregers
und wurde zum Begrifie des Bösen, das nicht ausserhalb
dos Menschen, sondern in dessen Herzen selbst seinen Sitz,
kein aussermenschliches und überhaupt kein selbständiges
Dasein hat. Der Glaube an den Teufel als selbstpersönliches
Wesen gilt nunmehr für Aberglaube, u.nd die Furcht vor ihm
ist zur Lächerlichkeit geworden. Der Teufel, seiner persön-
lichen Existenz entkleidet, ist also zum begrifflichen, ethischen
Moment des menschlichen Bewusstseins herabgedrückt.
Diese Anschauung hat sich bis auf unsere Tage erhalten,
sie ist die bei der Majorität in der Gegenwart henschende,
und durch die weitere Entwickelung der Wissenschaft und
des Lebens im wesentlichen nicht alterirt, sondern mehr ver-
tieft worden. Die Kant'sche Philosophie, deren Einfluss zwar
auf alle Zweige der Wissenschaft und, wie ich glaube, auch
des Lebens, anerkannt wird, konnte daher in unserer Ge-
schichte des Teufels bisher unerwähnt bleiben, um sie jetzt
erst zu berücksichtigen. Dabei liegt es nicht in der gestellten
Aufgabe, die Bedeutung Kant's (1724 — 1804) und seine Stelle
in der Geschichte der Philosophie zu erörtern, inwiefern er
die vorgefundenen Einseitigkeiten des Empirisnms und luitio-
nalismus vermittelte imd die Philosoi)hie als Wissen vom Em-
pirismus und Kationalismus über den Gegensatz beider eihob.
Bekanntlich wird Kant's Philosophie mit Kriticismus bezeich-
net, indem Kant auf die Bedingungen der Anschauungs- und
i
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 561
Begriffsbildung- zurückgeht, um zu erforschen, ob, wie und
was der Mensch zu erkennen im Stande sei, und wie er zu
seiner Erkenntniss komme. Hiermit ist nicht nur der Titel der
Kant'schen Philosophie gerechtfertigt und die durch die Phi-
losophie zu lösende Aufgabe festgestellt, sondern zugleich
auch das oppositionelle Verhältniss des Kriticismus dem ferti-
gen Dogmatismus gegenüber deutlich bezeichnet. Das Resul-
tat der „Kritik der reinen Vernunft" (1781) ist ein negatives:
das Ansich der Dinge liegt jenseit der Erscheinung und ist
dem Verstände unerkennbar; die „Kritik der praktischen Ver-
nunft" (1787) liefert dagegen ein positives Ergebniss: der
praktische Geist, der über das Gegebene hinausgeht, bestimmt
sich selbst, ist autonomisch und gelangt zu den Ideen: Gott,
Unsterblichkeit, Freiheit als nothwendigen Postulaten der
praktischen Vernunft. Der Wille ist frei, er gibt sich selbst,
unabhängig von äussern Bestimmungsgründen, sein Gesetz,
und diese seine Selbstbestimmung aus sich selbst ist der ka-
tegorische Imperativ: „Du sollst!" Ohne Freiheit ist kein
Sollen, und ohne dies ist kein Sittengesetz möglich. Der
oberste Grundsatz der Moral lautet: Handle so, dass die
Maxime deines Handelns Princip allgemeiner Gesetzgebung
werden kann, oder kürzer: handle so, wie du wünschen darfst,
dass alle handeln. Dies ist das berühmte Moralprincip Kant's,
das man häufig als blos „formales" bezeichnet, aus dem sich
aber noth wendig Bestimmungen ergeben, die materieller Art
sind ^, nämlich : dass die Menschheit, wie in der eigenen Per-
son, so auch in der eines andern niet lediglich als Mittel,
sondern zugleich als Zweck gebraucht, also respectirt werden
müsse, dass ferner das Handeln nicht aus sinnlicher Neiffune
hervorgehen dürfe, da die Aufopferung dieser vielmehr erst
eine tugendhafte Gesinnung geben könne; die einzige Trieb-
feder unsers Handelns soll die Allgemeinheit der Vernunft sein,
der allgemeine Wille, den alle Vernünftigen haben sollen. Die
ganze Geschichte erhält dadurch den moralischen Zweck der
Entwickelung aller moralischen Anlagen des Menschen als
Gattung, und das Ideal des Staats ist die Kealisirung des
moralischen Zwecks, des höchsten Gutes, das zwei sich er-
gänzende Momente in sich begreift: die höchste Tugend und
1 Vgl. Erdmann, Grundriss der Geschichte der Philosophie, II, 350.
Koskoff, Geschichte des Teufels, n. 3g
562 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
die höchste Gliickseligkeit. Zur erstem bedarf es einer un-
endlichen Annäherung zum sittlichen Ideal, daher das Postulat
der Unsterblichkeit; zur Realisirung der letztern in der intel-
ligenten Welt muss die ganze Natur mit den Zwecken des
Vernunftwesens übereingestimmt sein, die Verknüipfüng beider
fordert das Postulat: Gott, der, als von der Natur unterschie-
den, die Ursache derselben ist, als vernünftiger Wille den
Grund des Zusammenhangs enthält. Er ist als moralischer
Gesetzgeber und Ertheiler der Glückseligkeit das höchste
Gut.
Für unsern Zweck von besonderer Wichtigkeit ist Kant's
Schrift: „Die Keligion innerhalb der Grenzen der blossen
Vernunft" (1793), worin er die morahsche Aufiassung der
Religion auf die christliche Lehre anwendet, und deren Dog-
men unter moralischen Gesichtspunkt stellt. Die Moral, die
sich auf die Religion gründet, macht Furcht und Hofiuung
zu moralischen Triebfedern, es soll daher gerade umgekehrt
die Moral zur Religion führen. Denn im Gewissen ist die
Erkenntniss der Pflichten als göttlicher Gebote, es ist „ein
Bewusstsein, das für sich selbst Pflicht ist". ^ „Man könnte
das Gewissen auch so definiren: es ist die sich selbst richtende
morahsche ürtheilskraft."^ In der geoffenbarten Religion
weiss ich etwas, als göttliches Gebot, um es für meine Pflicht
zu halten; in der Vernunftreligion halte ich etwas eher für
meine Pflicht, um es dann als göttliches Gebot anzuerkennen.
Inhalt und Ziel derselben ist der Begriff des höchsten Gutes,
das vermittels der lÄeen: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit er-
möglicht, deren Gewissheit durch die moralische Vernunftreli-
gion erlangt wird.
„Man nennt einen Menschen böse, nicht darum, weil er
Handlungen ausübt, die böse (gesetzwidrig) sind, sondern weil
diese so beschafien sind, dass sie auf böse Maximen in ihm
schliessen lassen."^ Das Böse wohnt also der menschlichen
Natur inne, „unter der Natur des Menschen" ist „nur der
subjective Grund des Gebrauchs seiner Freiheit überhaujot,
(unter objectiven moralischen Gesetzen), der vor aller in die
Sinne fallenden That vorhergeht, verstanden".* 7:» Der Mensch
Ausgabe von 1793, S. 270. « g. 271. ^ S. 5. * S. 6.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 563
ist von Natur gut oder er ist von Natur böse, bedeutet nur
so viel als: er enthält einen ersten Grund der Annehmung
guter oder der Annehmung böser Maximen, und zwar allge-
mein als Mensch." ^ Der erste Grund der Annehmung unserer
Maximen muss in der freien Willkür liegen, kann kein Factum
sein, das in der Natur gegeben werden könnte % so folgt: dass
das Individuum alles Böse, das es verübt, seiner eigenen
Schuld zuschreiben muss. ^ Es ist daher höchste Pflicht ge-
gen sich selbst, als den angeborenen Richter über sich, sich
selbst zu erkennen und seine Thaten vor den Richterstuhl der
Vernunft zu stellen, wo den Richterspruch das Gewissen fäl-
len muss. Wie der in die Sinnenwelt gestellte Mensch des
ihm innewohnenden Bösen nicht mächtig wird, stellt die bib-
lische Erzählung durch den Siindenfall dar, und ist die Be-
deutung der Lehre von der Erbsünde* Dieser Schritt, der
durch die Wahl ein Schritt der Freiheit ist, hat für die Gat-
tung die Bedeutung des Fortschritts und ist für das Indivi-
duum ein Fall, da die Wahl vom Bösen anhebt, daher die
Folge ein physisches Uebel in der Bedeutung der Strafe ist.
Neben dem radicalen Bösen ist in der menschlichen Natur
auch urs]3rünglich die Anlage zum Guten, diese muss auch
durch die freie That herausgestellt werden. „Was der Mensch
im moralischen Sinne ist oder werden soll, gut oder böse,
dazu muss er sich selbst machen oder gemacht haben. Beides
muss eine Wirkung seiner freien Willkür sein, denn sonst
könnte es ihm nicht zugerechnet werden, folglich er weder
moralisch gut noch böse sein."-'' Der Grund des Bösen kann
weder in die Sinnlichkeit und die daraus entspringenden Nei-
gungen gelegt werden*^, noch in eine Verderbniss der mora-
lisch - gesetzgebenden Vernunft ^ , sondern er liegt in der
Umkehrung der sittlichen Ordnung, der Triebfeder durch
seine Maxime, dass der Mensch die Triebfeder der Selbstliebe
und ihrer Neigungen zur Maxime seiner Handlung erhebt,
anstatt umgekehrt die Befolgung des moralischen Gesetzes als
obersten Grundsatz aufzustellen.** Indem jedes der beiden
Principien einen Rechtsanspruch auf den Menschen hat und
personificirt wird, wird das Böse zum Fürsten dieser Welt,
1 S. 7. ^ S. 8. ' S. 22, 24. " S. 39 fg. " S. 45 fg.
« S. 27. ' S. 28. « S. 30 fg.
36*
564 Vierter Abschuitt: Fortsetzung der Gescliichte des Teufels.
das Gute zu einem persönlichen Ideale moralischer Vollkom-
menheit erhoben, in Christus als Gottessohn angeschaut.'
„Die Heilige Schrift (christlichen Antheils) trägt dieses
intelligible moralische Verhältniss in der Form einer Geschichte
vor, da zwei, wie Himmel und Hölle einander entgegengesetzte
Principien im Menschen als Personen ausser ihm vorgestellt,
nicht blos ihre Macht gegeneinander versuchen, sondern auch
(der eine Theil als Ankläger, der andere als Sachwalter des
Menschen) ihre Ansprüche gleichsam vor einem höchsten Rich-
ter durchs Recht geltend machen wollen."^ Der moralische
Ausgang dieses Streits „ist eigentlich nicht die Besiegung des
bösen Princips; denn sein Reich währet noch, sondern nur
Brechung seiner Gewalt".^ Diese „für ihre Zeit wahrschein-
lich einzige populäre Vorstellungsart von ihrer mystischen
Hiille entkleidet" hat den Sinn : „dass es schlechterdings kein
Heil für die Menschen gebe als in innigster Aufnehnunig
echter sittlicher Grundsätze in ihre Gesinnung: dass dieser
Aufnahme nicht etwa die so oft beschuldigte Sinnlichkeit,
sondern eine gewisse selbstverschuldete Verkehrtheit, oder
wie man diese Bösartigkeit noch sonst nennen will (Satanslist,
wodurch das Böse in die Welt gekommen), entgegenwirket,
eine Verderbtheit, welche in allen Menschen liegt und durch
nichts überwältigt werden kann als durch die Idee des Sitt-
lichguten in seiner ganzen Reinigkeit und sie tief in unsere
Gesinnung aufzunehmen".'* Das in der allgemeinen Vernunft
liegende Urbild, welches der seligmachende Glaube in der Er-
scheinung Christi als lebendigem Beispiel der Verwirklichung
dieses Urbilds anschaut, ist das Ziel, wonach jeder streben
soll. Um es zu erreichen, ist eine auf die Verhütung des
Bösen und zur Förderung des Guten im Menschen, auf die
Erhaltung der Moralität angelegte Gesellschaft zu errichten,
die nach Tugendsesetzen und zum Behuf derselben über das
ganze Menschengeschlecht sich ausbreite-'^ als das Reich Got-
tes auf Erden. Als die Anschauung und die Idee von der
Vereinigung aller Rechtschaffenen unter der göttlichen Welt-
regierung heisst das Reich Gottes die „unsichtbare Kirche";
die wahre sichtbare Kirche ist diejenige, welche das Reich
1 S. 67. = S. 99. => S. 104. " S. 105. ' S. 121, 129, 132.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens, 565
Gottes auf Erden, so viel es durch Menschen geschehen kann,
darstellt".^ i?Der reine Rehgionsglaube", der Vernunftglaube
ist, ,,der sich jedermann zur Ueberzeugung mittheilen lässt",
kann allein eine allgemeine Kirche griinden; allein eine be-
sondere Schwäche der menschlichen Natur, die auf jenen
reinen nicht so viel rechnet, „als er wol verdient, nämlich
eine Kirche auf ihn allein zu gründen"'-^, verlangt einen auf
äussere Thatsachen sich gründenden historischen Glauben, mit
statutarischen, nur durch Offenbarung kund werdenden Ge-
setzen, „welchen man, im Gegensatz mit dem reinen Religions-
glauben, den Kirchenglauben nennen kann". ^ Die Orthodoxie
hält letztern fest, ohne den moralischen Sinn herauszidieben,
sie dringt auf blossen Kirchenglauben. Der Kirchenglaube
kann sich bis zur Uebercinstimmiuio; mit dem Relig-ionsglauben
entwickeln, „es kann eine Religion die natürliche, gleichwol
aber auch geofl'enbart sein, wenn sie so beschaffen ist, dass
die Menschen durch den blossen Gebrauch ihrer Vernunft auf
sie selbst hätten kommen können und sollen".'* Da die wahre
alleinige Religion nichts als praktische Principien enthält,
„deren unbedingter Nothwendigkeit wir uns bewusst sind, die
wir durch Vernunft offenbar anerkennen"^, so besteht auch
ihr Gottesdienst in einem guten Lebenswandel, durch den wir
Gott wohlgefällig werden. Kant nimmt den Satz als einen
keines Beweises benöthigten Grundsatz an: „Alles, was ausser
dem guten Lebenswandel der Mensch noch thun zu können
vermeint, um Gott wohlgefällig zu w^erden, ist blosser Reli-
gionswahn und Afterdienst Gottes."*' Die moralische Religion,
die in der vollen Erkenntniss aller unserer Pflichten besteht,
und die Sittlichkeit in thatkräftige Pflichttreue setzt, ist auch
das Wesentliche der christlichen Religion, welche „aus dem
Munde des ersten Lehrers als eine nicht statutarische, son-
dern moralische Religion hervorgegangen" ist.^ Kant unter-
scheidet davon die christliche Ijehre, die ,,auf Facta, nicht auf
blosse Vernunftbegrifie gebaut ist, von da an heisst sie der
christliche Glaube".** Der Rationalist, der sich in die Mitte
zwischen den Gottesdienst der moralischen Vernunftreli2;ion
und den Kirchenglauben stellt, beobachtet die äusserlichen
' y. 134. 2 S. 137. 3 s. 141. 4 g_ 219. s g. 240. " S. 245.
7 S. 239. 8 S. 234.
566 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
gottesdienstliclicn Handlungen des letztern als Erweckungs-
und Stärkungsmittel der moralischen Gesinnung.
Bekanntlich schlug Kant mit seiner Philosophie nicht so-
fort durch, und der Anhang blieb ziemlich lange aus; dafür
verbreitete sie sich, besonders durch die Jenaer Allgemeine
Literaturzeitung und die Thätigkeit namentlich Reinhokrs,
Chr. Ehrh. Schmidt's in dem Masse, dass sie am Ende der
neunziger Jahre fast an allen Universitäten gelehrt wurde und
die Kanfschcn Ideen in die meisten Wissenszweige Eingang
fanden. Die augenfälligste Wirkung brachte die neue Philo-
Sophie in der Theologie hervor, die ihre Kichtung im Kant"-
schen Sinne einschlug, die sich durch Verwerfung aller men-
schenähnlichen Vorstellungen des höchsten Wesens , dessen
Unerkennbarkeit durch die menschliche Vernunft u. a. m.,
vornehmlich durch Reduction des Cultus auf Moral kenn-
zeichnet.
Wie neulichst wieder mit Recht hervorgehoben ward, trug
Schiller „mehr als irgendein Philosoph von Fach zur Aus-
breitung Kant'scher Ideen" bei ', der in seinem Jiinglingsaltcr
Lessing eifrig studirt und Rousseau bewundert hatte. Schiller,
seiner ganzen Natur nach zum Kantianer angelegt, theilt mit
Kant in politischer Beziehung die Antipathie sowol gegen
Anarchie als gegen Despotismus, er stimmt mit ihm übercin
in Bezug auf die philosophische Deduction in der Transcenden-
talphilosophie, er entfaltet Kant'sche Ideen in ästhetischer Be-
ziehung (in seinen Abhandlungen „riber Anmuth und Würde",
„vom Erhabenen" u. a.), hebt namentlich die Bedeutung
des Schönheits- und Kunstgefühls für die Entwickelung des
Ganzen hervor (in den Briefen „über die ästhetische Erziehung
des Menschen" u. a.). Die Kunst soll den sinnlichen Menschen
zur Form und zum Denken führen, den geistigen zur Materie
und Sinnlichkeit zurückführen, wodurch die AVahrheit und
das Moralische mit Schönheit ausgestattet wird, um hiermit
zur ganzen vollständigen Menschlichkeit zu gelangen. Die
nahe Verwandtschaft Schiller's mit Kant zeigt er insbesondere
durch dieselbe ethische Anschauung, und zwar nicht nur in
philosophischen Fragen, wie z. B. in seinem Aufsatze: „Etwas
über das erste Menschengeschlecht nach dem Leitfaden der
1 Erdmann, II, 378.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 567
mosaischen Urkunde", wo er den Sünden fall im Kant'schen
Sinne als das Losreissen der Monschengattung vom Instinct
und den Fortgang zur freien Humanität auÖasst, sondern auch
als Dichter, vornehmlich als dramatischer, steht Schiller unter
dem Gesichtspunkte des königsberger Philosophen. Die au-
tonome Macht der Sittlichkeit, die Majestät des freien Wil-
lens, der titanenhafte Kampf der* Pflicht wird dem Publikum
in erhabenen Gestalten vom Dichter dargestellt, der damit
das Herz in seinen Tiefen dafiir anzuregen vnid hinzureissen
versteht. Indem Schiller's Wirkung als Dichter auf die Menge
abzielt, ist sein Einfluss auf diese im Hinblick auf die Kant'-
sche moralische Auffassungsweise von so grosser Bedeutung.
Kant hatte die Zcitelemente der allgemeinen Bildung zimi Ab-
schluss gebracht, und auf seinen Standpunkt erhoben. S^ine
philosophische Pflanzung trieb auf dem Boden der Autonomie
des Geistes einen hohen sittlichen Ernst und die gewaltige
Macht der sittlichen Freiheit hervor. Schiller's Kiiustlerhand
reichte die goldenen Früchte in silberner Schale seinen Zeit-
genossen dar, und die bei weitem grössere Menge in unsern
Taaen nährt und kräftio;t sich noch an denselben Früchten.
Schiller ist noch in der Gegenwart der populärste Dichter,
und das deutsche Volk brachte seinen innigen Zusammenhang
mit seinem Poeten an dessen hundertjähriger Geburtsfeier zum
lebendigsten Ausdruck des Dankes.
Wenn hier der Berücksichtigung Schiller's mehr Raum gege-
ben ward, als es nöthig erscheinen könnte, so geschah es eben im
Hinblick auf dessen Bedeutung als Einführer und Verbreiter
Kant'scher Ideen im Volke , dessen Bildungsgang bei der Ge-
schichte des Teufels doch vornehmlich ins Auge gefasst ist. Die
Autonomie des Geistes, die im 16. Jahrhundert sich laut zu regen
angefiingen, im 1 S.Jahrhundert in den Vordergrund trat, wurde
von da ab dem Volke zu Gemüthc geführt. Obschon dieses Ave-
der darnach fragt, noch Rechenschaft darüber ablegen kann, wie
es dazu gelangt, steht es gegenwärtig doch auf der Höhe des
ethischen Gesichtspunkts, auf dem die Religiosität durch Sitt-
lichkeit bedingt erscheint, und dem Gewissen der Urtheils-
spruch zuerkannt wird. Diesen Standpunkt nimmt die
Durchschnittsbildung der Gegenwart ein. Im engsten Zu-
sammenhange damit steht aber auch die gegenwärtig gangbare
Ansicht über die Vorstellung vom Teufel als wirklich und
568 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
besonders existirenclem persönlichem Wesen. Nach dem Vor-
gange der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, welche den Teu-
fel als Erzeugniss des menschliehen Bewusstseins einer ver-
gangenen Zeit gefasst hat, wird der Glaube an ihn von der
Mehrheit des Volks in der Gegenwart als antiquirt, in der
Bedeutung des Aberglaubens, betrachtet. Ebenso hatten die
protestantischen Theologen,» welche gewöhnlich als Rationa-
listen bezeichnet werden, in der Lehre vom Teufel eine aus
dem höhern Oriente zu den Juden, und durch Accommoda-
tion in das christliche Bewusstsein verpflanzte Zeitvorstellung
gesehen, deren Unhaltbarkeit sie zu beweisen suchten,^ Sie
stellten den Glauben an einen persönlichen Teufel als „mit-
leidswerthen Wahn einer unerleuchteten Zeit" dar^, der mög-
lichst zu verscheuchen sei, damit der Christ sich gewöhne,
den bösen Geist nicht ausser sich, sondern in seinem eigenen
Innern zu suchen.^ Man betrachtete den Teufel als Personi-
fication oder als Symbol des BÖsen und ignorirte ihn im
übj'igen.
Dem Beispiele Kaut's, das Böse einer tiefer eingehenden
Untersuchung zu unterziehen, folgten Dogmatiker sowol als
Philosophen und zwar, wie Mallet ganz richtig bemerkt, „zum
Theil mit grösserer oder geringerer scheinbarer Anlehnung an
die Kirchenlehre".* Es ist in der That nur eine scheinbare
Anlehnung an diese, nicht die eigentliche kirchliche Teufels-
vorstellung selbst, für die der Teufel eine wirkliche, besondere,
mit den Bedingungen der äussern Erscheinung begabte Macht,
aber keine blosse Personification und kein Symbol ist, als
was er infolge der neuern Erörterungen sich doch heraus-
stellt. „Die Sympathien für die kirchliche Teufelsvorstellung",
wie sie Strauss nennt ^, gingen daher oft dahin, diese vom
Vorwurfe der Ungereimtheit loszusprechen. Man sah in dem
Teufel, im Kant'schen Sinne, das Ideal der Bosheit gegenüber
dem Ideale der SittHchkeit, und wie dieses in ein Subject sich
zusammenfasst, das nur aus moralisch guter Gesinnung han-
delt, so wird jenes gedacht, dessen Handlung nur aus mate-
' Ammon, Summa thcol. §.67.
2 Köhr, Cliristolog. Predigten, 75.
^ Wegscheider, Institut., ed. 7, p. 388.
* Herzog, Keal-Encyklopädie, Art. Teufel.
» Glaubcnsl., II, 16.
4- Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 569
riellen Maximen, aus Eigennutz, Selbstliebe u. tlgl. hervor-
geht.^ Der Teufel kommt hiernach so ziemlich dem personi-
ficirten absoluten Ei^oismus bleich.
Schelling (1715—1854) gelangt von seinem naturphiloso-
phischen Gottesbegrifi' zum Begriff des Bösen. In seinen
„Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums"
(1803) nennt er Natur und Geschichte „die Formen oder
Arten ausser dem Absoluten zu seiu".^ «l^ie Natur ist all-
gemein die Sphäre des in sich Selbstseins der Dinge, in
der diese Kraft der Einbildung des Unendlichen in ihr End-
liches als Symbole der Ideen zugleich ein von ihrer Bedeu-
tung unabhängiges Leben haben. Gott wird daher in der
Natur gleichsam exoterisch, das Ideale erscheint durch ein
anderes als es selbst, durch ein Sein."^ In seiner Schrift
„Philosophie und Religion" (1804) deutet Schelling schon den
Begriff des Bösen an, wie er ihn fasst, wenn er bei Gelegen-
heit des parsischen Dualismus behauptet, das dem Realen ent-
gegengesetzte Urwesen sei „keine blosse Privation, ein pures
Nichts, sondern ein Princip des Nichts und der Finsterniss,
eine Macht gleich jenem Principe, das in der Natur auf das
Nichts wirkt, und das Licht in der Refraction trübt. An dem
leeren Nichts aber kann nichts sich reflectiren, oder durch
dasselbe getrübt werden",'* „Die Materie, das Nichts hat für
sich durchaus keinen positiven Charakter, es nimmt ihn erst
an und wird zum bösen Princip, nachdem der Abglanz des
Guten mit ihm in Conflict tritt." „Vom Absoluten zum
Wirklichen gibt es keinen stetigen Uebergang, der Ursprung
der Sinnenwelt ist nur als ein vollkommenes Abbrechen von
der Absolutheit durch einen Sprung denkbar." „Das Absolute
ist das einzig Reale, die endlichen Dinge sind nicht real, ihr
Grund kann daher nicht in einer Mittheilung von Realität an
sich oder an ihr Substrat, welche Mittheilung vom Absoluten
ausgegangen wäre, er kann nur in einer Entfernung, in einem
Abfall von dem Absoluten liegen."* Es ist hiermit die Iden-
1 Erhard in Niedhammer's Philos. Journal, I, 2 (1795).
2 Ges. WW., V, 1. Abth., S. 306.
3 Ebendas., S. 289.
^ Ebendas., VI, 1. Abth., S. 37.
5 Ebendas., S. 38.
570 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
titätslehre, zu der sich Schelling früher bekannt hatte, aufge-
geben und ein Dualismus aufgestellt. MerkwiÄrdig sind die
„Philosophischen Untersuchungen über die menschliche Frei-
heit" (1809), wozu „Stuttgarter Privatvorlesungen" i, das
1812 erschienene „Denkmal der Schrift von den göttlichen
Dingen" und der Briefwechsel mit Eschenmeyer bezüglich der
Abhandlung „iiber das Wesen der menschlichen Freiheit "^
erläuternde Ergänzungen bieten. Jakob Böhme's theosophisch-
mystische Anschauungen treten uns verarbeitet entgegen,
und es wurde neuestens ausgesprochen, dass der Lausitzer
nicht nur die nächste Veranlassung zu der neuen Wendung
Schelling's im Philosophiren gab, sondern selbst den einen
Hauptgedanken in seiner Abhandlung über die Freiheit, dass
nichts Realität habe, als der Wille, geboten haben könnte. =*
In den philosophischen Untersuchungen über das Wesen der
menschlichen Freiheit wird diese zuo-leich mit einer Geschichte
Gottes entwickelt, wo dieser zuerst als Indifferenz, dann als
Entzweiung und endlich als Versöhnung der Gegensätze ge-
fasst wird, wobei sowol der Pantheismus, wonach Gott zum
Urheber des Bösen wird, als auch der Dualismus, welcher
„ein System der Selbstzerreissung und Verzweiflung der Ver-
nunft" ist*, vermieden werden soll. Es wird die von der
Naturphilosophie aufgestellte Unterscheidung festgehalten, „zwi-
schen dem Wesen, sofern es existirt, und dem Wesen, sofern
es blos Grund der Existenz ist", und da ,, nichts vor oder
ausser Gott ist, so muss er den Grund seiner Existenz in
sich selbst haben"; dieser ist die Natur in Gott, „ein von
ihm trennbares, aber doch luiterschiedenes Wesen ".^ Von
dieser ewigen Natur in Gott als Grund seiner Existenz, oder
dem was nicht Gott ist, ist zu unterscheiden der existirende
Gott als Verstand, durch den Gott offenbar wird. Auch die
Dinge haben ihren Grund in dem, ,,was in Gott selbst, nicht
er selbst ist, d. h. in dem, was Grvmd seiner Existenz ist;
' Aus dem handschriftlicheu Nachlass (1810), beide im 7. Bde. der
Ges. WW.
- Beide in Bd. 8 der Ges. WW.
^ Erdmann, 11, 554.
' Vn, 354.
' S. 358.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 571
dieser ist die Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich
selbst zu gebären" 1, und damit nimmt die Schöpfung ihren
Anfang. Diese Sehnsucht ist Wille, aber Wille in dem kein
Verstand ist, Wille des Grundes , von welchem zu unterschei-
den ist der Wille der Liebe, wodurch Gott zur Persönlichkeit
wird. „Der Grund ist nur ein Wille zur Offenbarung, aber
eben damit diese sei, muss er die Eigenheit und den Gegen-
satz hervorrufen. 2 ti^Um als lebendiges, persönliches Wesen zu
existiren, muss Gott, nach dem Grundgesetz des Gegensatzes,
da ohne Gegensatz kein Leben, sich als Seiender von seinem
Sein scheiden, von dem, was Gottes Natur, v/as Materie, was
die Selbstheit oder der Egoismus in Gott genannt werden
kann. Indem Gott dieses zur Unterlage des Allgemeinen
macht, hört er auf das in sich Finstere, Verschlossene zu sein,
dies ist Liebe, wodurch er expansiv zum Wesen aller Wesen,
zur geistigen Persönlichkeit wird. Der Anfang des Bewusst-
seins in ihm ist also, dass er sich von sich selbst scheidet,
sich selber entgegensetzt, er hat demnach zwei Potenzen oder
Principien in sich. Im noch unbewussten Zustand erkennt er
sich aber weder in der einen noch in der andern, mit dem
anfangenden Bewusstsein geht diese Erkennung vor sich. Das
Höhere in Gott drängt das Niedere, mit dem es bisher in In-
differenz oder Mischung war, gleichsam von sich weg, und
umgekehrt, das Niedere sondert durch seine Contraction sich
selbst von dem Höhern ab. Dies ist der Anfang seines Be-
wusstseins, seines Persönlichwerdens. Dieses untergeordnete
Wesen, dieses Dunkle, Bewusstlose, was Gott von sich als
seinem Wesen beständig hinwegzudrängen, auszuschliessen
sucht, ist die Materie, der bewusstlose Tlieil von Gott. Das
Reale, Bewusstlose ist das Sein Gottes rein als solches; das
Ideale ist der seiende oder existirende Gott, ist das Subject
des Seins, während das Bewusstlose nur das Prädicat dieses
Subjects ist. Dieses Sein in Gott ist der göttliche Egoismus,
als die Kraft, wodurch Gott als ein eigenes Wesen besteht,
ist der Exponent oder die Potenz, unter welcher das göttliche
Wesen gesetzt ist. Dieser Potenz der Egoität steht eine
andere der Liebe entgegen und mit dem Gegensatz wird das
Göttliche erweckt. Alles, was Gott ist, ist er also durch sich
1 S. 359. '■' S. 375.
572 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
selbst, denn er ist ein wirkliches Wesen, das von sich selbst
ausgeht, um zuletzt wieder rein in sich selbst zu endigen.
Also mit einem Worte: Gott macht sich selbst.' Der ganze
Process der Weltschöpfung, der noch immer fortwährende
Lebensprocess in der Natur und in der Geschichte ist eigent-
lich nichts anderes als der Process der vollendeten Bewusst-
werdung, der vollendeten Perspnalisirung Gottes. ^ Wie in
Gott das Dunkel vor ihm hergeht und die Klarheit erst aus
der Nacht seines Wesens hervorbricht, so fängt „alles leben-
dige Dasein von der Bewusstlosigkeit an, von einem Zustande,
worin noch alles ungetrennt beisammen ist, was sich hernach
einzeln aus ihm evolvirt". Wir haben, wie Gott, dieselben
zwei Principien in uns „und von dem Augenblick an, dass
wir sie gewahr werden, dass wir uns in uns selbst scheiden,
und vms selbst entgegensetzen, und uns selbst über den nie-
drio-ern erheben, von dem Augenblicke hebt das Bewusstsein
an", welches aber darum noch nicht volles Bewusstsein ist.
Denn „das ganze Leben ist eigentlich nur ein immer höheres
Bewusstwerden. Die meisten stehen auf dem niedrigsten
Grade, und vielleicht keiner kommt im gegenwärtigen Leben
zur absoluten Klarheit, immer bleibt noch ein dunkler Rest".^
Auch nach der ewigen That der Selbstoft'enbarung ist zwar in
der Welt, wie wir sie jetzt erblicken, alles Regel, Ordnung,
Form; „aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, der
nie aufgehobene Rest, das, was sich nicht in Verstand auf-
lösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt. Aus diesem Ver-
standeslosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand geboren.
Ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der
Creatur. Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ans Licht"."*
Das Princip, sofern es aus dem dunkeln Grunde stammt und
dunkel ist, ist die Selbstheit, der Eigenwille der Creatur als
blosse Sucht oder Begierde, d. h. blinder Wille. Durch die-
ses aus dem Grunde der Natur emporgehobene Princip, durch
Selbstheit oder Eigenwille, wird der Mensch von Gott ge-
schieden, ist aber durch die Einheit mit dem idealen Princip
' Stuttgarter Privatvoi'lesungcn, S. 432 fg.
2 Ebendas.
^ Ebendas.
"1 Wesen der menschlichen Freiheit, S. 360 fg.
4. Ursachen der Abnahme des Tcufelsglaubens. 573
Geist. „Die Selbstheit als solche ist Geist, oder der Mensch
ist Geist als selbstisches, besonderes, von Gott geschiedenes
Wesen." * Diesem Eigenwillen steht der Verstand als Uni-
versalwille gegenüber, der jenen als Werkzeng gebrauchend,
sich unterordnet. Diese beiden Principien, in Gott in unzer-
trennlicher Einheit, sind im Menschen zertrennlich , und die_
Selbstheit oder der Eigenwille kann streben, als Particularwille
zu existiren, es kann im Willen des Menschen eine Trennung
der geistig gewordenen Selbstheit entstehen. Darauf beruht
die Möglichkeit des Guten und Bösen. Denn jene Erhebung
des Eigenwillens ist das Böse, wo der Wille sich als allge-
meinen Willen zugleich particular und creatürlich zu machen
sucht, das Verhältniss der Principien, den Grund iiber die Ur-
sache umzukehren strebt, um den Geist, den er nur für das
Centrum erhalten, ausser demselben und gegen die Creatur
zu gebrauchen. Daraus erfolgt Zerrüttung in ihm selbst und
ausser ihm.^ Ist der Eigenwille selbst aus dem Centrum als
seiner Stelle gewichen, so ist auch das Band der Kräfte
gewichen, statt desselben herrscht ein blosser Particularwille,
der die Kräfte nicht mehr unter sich, wie der ursprüngliche,
vereinigen kann, und daher strebt aus den voneinander ge-
wichenen Kräften, dem empörten Heer der Begierden und
Lüste, ein eigenes und absonderliches Leben zu formiren. Da
es aber kein wahres Leben sein kann, welches nur in den
ursprünglichen Verhältnissen besteht, so entsteht zwar ein
eigenes, aber ein falsches Leben, ein Leben der Lüge, ein
Gewächs der Unruhe, der Verderbniss.^ Das Böse besteht
sonach nicht im Eigenwillen, auch nicht in der Trennung
desselben vom Universalwillen, sondern in einer verkehrten
Einheit beider. „Der Grund des Bösen muss in dem höch-
sten Positiven liegen, das die Natur enthält, in dem Urwillen
des ersten Grundes."'* Das Positive ist immer das Ganze
oder die Einheit, das ihm Entges^enstehende ist Zertrennuuir
des Ganzen, Disharmonie der Kräfte. „Li den zertrennten
Ganzen sind die nämlichen Elemente, das Materiale in beiden
ist dasselbe; aber das Formale ist ganz verschieden, und die-
ses Formale kommt eben aus dem Wesen hervor, daher im
1 Ebendas., S. 364. ^ g. 365. ^ §. 368. * S. 369.
574 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Bösen wie im Guten ein Wesen sein muss, aber in jenem
ein dem Guten entgegengesetztes, das die in ihm enthaltene
Temperatur in Distemperatur verkehrt. — Denn es ist nicht
die Trennung der Kräfte an sich Disharmonie, sondern die
falsche Einheit derselben, aber eben jene falsche Einheit zu
erklären, bedarf es etwas Positives, welches im Bösen ange-
nommen werden muss."^ nil^er Teufel nach der christlichen
Ansicht war nicht die illimitirteste Creatur", imd Unvoll-
kommenheit ist im allgemeinen nicht der gewöhnliche Cha-
rakter des Bösen. 2 Das Böse ist der Urgrund zur Existenz,
inwiefern dieser im erschaffenen Wesen zur Actualisirung
strebt, also die höhere Potenz des in der Natur wirkenden
Grundes, der aber nur ewig Grund ist, ohne selbst zu sein,
sowie das Böse nie zur Verwirklichung gelangen kann, son-
dern nur als Grund dient, damit aus ihm das Gute aus eige-
ner Kraft sich herausbilde, in diesem sich selbst als Geschie-
denes erkenne.^ Das vor dem Erkennen vermuthete Sein ist
reales Selbstsetzen, es ist ein Ur- und Grund wollen, das sich
selbst und die Basis aller Wesenheit ist.* Die allgemeine
Möglichkeit des Bösen besteht sonach darin : dass der Mensch
seine Selbstheit, anstatt sie zur Basis, zum Organ zu machen,
vielmehr zum Herrschenden und zum Allwillen zu erheben,
dagegen das Geistige in sich zum Mittel zu machen streben
kann. * Ist in dem Menschen das finstere Princip der Selbst-
heit, des Eigenwillens ganz vom lichten Principe, dem Uni-
versalwillen durchdrungen, so ist Gott, die ewige Liebe als
Band der Kräfte in ihm; sind aber die beiden Principien in
Zwieti'acht, „so schwingt sich ein anderer Geist an die Stelle,
da Gott sein sollte, der umgekehrte Gott nämlich, jenes durch
die Offenbarung Gottes zur Actualisirung erregte Wesen, das
nie aus der Potenz zum Actus gelangen kann, aber immer
sein will, das daher mit Recht nicht nur als Feind aller Creatur
und vorzviglich des Menschen", sondern auch als Verführer
desselben dargestellt wird, der ihn zur falschen Lust und
Aufnahme des Nichtseienden in seine Imagination lockt, worin
er von der eigenen bösen Neigung des Menschen unterstützt
wird.* Im Bösen „ist der sich selbst aufzehrende und immer
1 S. 370 fg. - S. 368. 3 S. 378. " S. 385. ^ S. 389.
« S. 390.
i
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 575
vernichtende Widerspruch, dass es creatürlich zu werden
strebt", indem es „das Band der Creatürlichkeit vernichtet,
und aus Uebermuth, alles zu seyn, ins Nichtsein fällt". ^
Das Böse kann aber nur „wirken durch Misbrauch des Gu-
ten" 2, und „das Ende der Offenbarung ist Ausstossung des
Bösen vom Guten". ^
Auf Grund Schelling'scher Ideen versuchte Daub (1765 —
1836) in seiner Schrift: „Judas Ischariot oder das Böse im
Verhältniss zum Guten" (1816 — 18) die Idee des Bösen oder
den Satan in eigenthümlicher Weise zu betrachten und als
Persönlichkeit zu construiren. Der Titel „Ischariot" scheint auf
die adäquateste Erscheinung des (subjectiv) Bösen hinzudeu-
ten*, da sein Verhältniss zum Bösen, „nicht das des Satans
zu Beizebub, nicht das des an sich Bösen zu diesem selber"
war, sondern blos „das Verhältniss des mit dem Bösen be-
hafteten Guten zu dem Bösen an sich, oder des Menschen
zum Satan oder Beizebub". '' Der Verfasser sucht, unbescha-
det der Idee des Guten oder Gottes, den Ursprung und das
Wesen des Bösen zu begreifen. Denn, obschon der Mensch
an dem Bösen in ihm, sobald er es zu erkennen anfängt,
schuldig ist, so trifft doch die schwerere Schuld den Teufel,
oder wie man das nennen will, woraus und M^ovon alle Sünde
und Lasterhaftigkeit in der menschlichen Natur anhebt. "^ Das
Böse ist zwar in der Schöpfung, „aber nicht aus ihr, sondern
aus sich selbst werdend geworden", es ist die Position seiner
selbst, folglich nicht nur die Negation des Guten, sondern
zugleich auch in Opposition gegen dasselbe. „Der Satan ist
nicht Gottes Leugner, sondern Gottes Feind, nicht Atheist,
sondern Antichrist."^ Das Böse an sich „ist nicht etwa mit
Mangel nur behaftet, sondern der Mangel selbst, gleich Null
oder Negation; aber in ihm ist es selber und insofern ist es
nicht Null, nicht Nichts, sondern das Böse. Sich entziehend
dem Guten und sich allein auf sich beziehend, erkennt es
sich; dieses Erkennen ist ein zugleich Sichselbsthassen , dieser
Selbsthass, das Böse in dem Bösen (die Position in der Ne-
gation) ist bedingt durch ein Verkennen, mithin durch ein
Hassen des Guten". ** Von diesem an sich Bösen (dem Satan)
1 S. 391. - S. 404. 3 S. 405. " Vgl. Heft I, S. 19, 178.
' I, 46. « S. 48. ^ S. 131. 8 S. 136.
576 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
ist zu unterscheiden „das subjectiv Böse, das des Menschen,
vorerst als die Negation des Guten in dem Guten, welches
die Position selber ist". ^ Uas an und fi'ir sich Böse ist
„allenthalben und immerdar, weder blos hier, noch blos da,
weder jetzt noch dann". Wird es „als ein Einzelnes, als
Eins unter Vielen und als Individuum (als der Satan und
dieser als Einer und als der Erste unter den gefallenen En-
geln) vorgestellt, so kann zu solcher Vorstellung durch die
Schuld der Menschen sich der Aberglaube und der AVahn
gesellen, als sei der Böse leibhaftig erschienen".^ ^^Wie das
an sich Gute persönlich, wie Gott der lebendige Gott, so
auch ist das an sich Böse persönliches Wesen und kann von
den Menschen als ein Individuum, ja als eine Mehrheit von
Individuen vorgestellt werden."^ Es ist i3ersönlich, ohne
selbst ein Individuum zu sein, treibt aber in allen ihm erge-
benen Individuen sein Wesen. „Das Sein des an sich Guten
setzet nicht voraus das an sich Gute (Gott ist, weil er ist),
aber das Sein des an sich Bösen setzt voraus das an sich
Böse, der Teufel ist, weil er sich selbst hervorgebracht und
gewollt hat".* „Hätte der Satan nicht sich selber gewollt
und gemacht, so wiiirde er weder sein, noch von den Men-
schen ofedacht werden können."'^ Das Böse setzt sich durch
sich selbst voraus in dessen Persönlichkeit und ewiger Ge-
trenntheit. „Die Natur des an sich Bösen ist eine Persön-
lichkeit, deren Elemente ein lediglich das Böse erschafiender
und begreifender Verstand und eine lediglich selbst wollende
Willkür sind; seine Natur bringt es mit sich", dass Gottes
Heiligkeit und Wahrheit verkannt werde, „dass nicht zwischen
Gut und Bös gewählt, sondern allezeit das Böse gewollt, und
dass es Ihn hassend, stets von sich selbst gehasst werde".''
„Der Satan, in seinem Wissen vom Sein Gottes, ermangelt
des Gewissens, denn mit seinem verrenkten Verstände vermag
er nicht den AVillen Gottes zu erkennen, und in seinem Ver-
kennen der Natur Gottes ermangelt er der Freiheit des Wil-
lens." ^ ,^Der Schöpfungsact des Bösen war zugleich ein
Vernichtungsact der Freiheit des Willens und der Erkenntniss
1 S. 139. '' S. 146. ■' S. 147. ■" S. 153. ^ S. 154. "^ S. 174.
7 S. 175.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 577
des Guten". * Das Böse verkennt die Wahrheit, weil es nicht
anders kann und widerstrebt dem Guten, weil es muss. „Der
Satan ist sein eigener Schöpfer und als solcher das wunder-
vollste Scheusal der Schöpfung, ... er ist das Princip der Un-
vernunft und Unnatur in der Natur selbst." ^ Er hasst das
Sein, und ,, darin erkennt man ihn als das absolut unverniinf-
tige und unnatürliche Wesen, dass er alles, was ist und wird,
zu nichts machen will".' Die Entstehung des Bösen war
eine Störung der göttlichen Weltordnung, die in der Natur
und Vernunft sich regende Unnatur und Unvernunft, und
diese störende Regung begann weder mit noch wider, sondern
ohne den Willen Gottes. Denn damit das Gute, Freie, Ver-
nünftige sich durch sich selbst bewähre, muss die Möglichkeit
der Entstehung seines Gegentheils auch in diesem selbst lie-
gen.* In der von Gott aus nichts, d. h. absolut positiver-
weise erschaffenen Welt hat dieses an sich Böse in dem
Nichts absolut negativerweise sich selbst hervorgebracht ,
„es ist die Substanz, die sich selber zum Princij^ und zu
ihrem Product ihren gegen alles gerichteten Hass hat"; es
ist die Position in der Negation und hat die Macht ,jin jede
Substanz, deren Princip die schaffende Kraft, und der die
Räumlichkeit aufgedrungen ist, die Nichtigkeit und so in jedes
räumliche Etwas Nichts zu bringen".'^ Mit der Macht des
Bösen im Weltall ist es wie mit der Macht des Guten, wir
erfahren sie nicht und erkennen sie doch. „Denn, wie das
Gute, so ist auch die Macht des Guten übernatürlich, und
wie das Böse, so ist auch die Macht, durch die das Böse be-
wirkt wird, und damit dasselbe wirkt, unnatürlich. Vom
Uebernatürlichen und Unnatürlichen ist ^ar keine Erfahrun«:
möglich."'' Die göttliche Zulassung des Bösen kann nur den
Sinn haben: sie verhindert aus göttlicher Liebe nicht die Ent-
stehung des Hasses, denn die Vernichtung des Bösen an sich
wäre zugleich die Vernichtung des Bösen in den Geschöpfen
und ihren Werken. Das Weltgesetz, eine der Schöpfung zu-
getheilte göttliche Macht, schränkt die der Natur, Freiheit
und Vernunft feindliche Macht ein, vernichtet sie aber nicht,
sondern lässt zu, „dass die, durch sie gegeneinander empörten
' S. 183. 2 11^ 98. 3 s. 109. * S. 111. ' S. 143.
« S. 303.
Koskoff, Geschichte des Teufels, II. yY
578 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Weltkräfte einander anfeinden, und dass, indem so das Natur-,
Freiheit- und Vernunftwidrige geschieht und die Unvernunft
zur Wirklichkeit und Wirksamkeit kommt, das Gesetzwidrige
selber geschehe''. ' „Das absolut Böse ist das Urpi-incip des
sub- und objectiv Bösen und aller Grade des einen wie
des andern." Weder die von Gott erschaffene (bedingt gute)
Welt in der Selbstmacht ihrer zeugenden und bildenden Kräfte,
noch die Menschheit in ihrer Vernunft und Freiheit, den
Elementen ihrer Persönlichkeit, würden an dem Bösen theil-
haben, wenn letzteres selbst nicht wäre, „der Mensch z. B.
Hesse sich nicht verführen, wenn er nicht verführt würde".
„Der erste Schritt zur Sünde würde von ihm nicht gethan,
wenn nicht die Sünde wäre", und „die Sündhaftigkeit würde
weder entstehen noch zunehmen können, wenn nicht das
Princip ihrer selbst, kurz das Urprincip des subjectiv und ob-
jectiven Bösen wäre".^ Wodurch aber die Sündhaftigkeit im
Menschen entstehen konnte, dass er sich verführen Hess?
„wird jeder für schlechthin unbegreiflich erklären, und darauf
wird man wol immer die Antwort schuldig bleiben müssen".^
„Die Notion des absolut Bösen ist wie ihr Object, absolut
unvernünftig, unsinnlich, ja wider- und unsinnig, und wie ihr
Princip, das unermesshch mächtige Nichts, das unendlich nich-
tige Etwas, eine unbedingte positive Negation, eine unbe-
dingte negative Position."* Es „ist sich selber unerforschlich,
denn es ist nichts Gutes in ihm, mittels dessen es auch nur
die leiseste Ahnung von seiner Bosheit zu haben, geschweige
das absolut Gute anzuerkennen und sich von ihm zu unter-
scheiden vermöchte". ^
Gleichwie der Teufel, als absoluter Egoismus gefasst, eine
contradictio in adjecto an sich trägt, da Absolutheit und Egois-
mus in Einheit sich nicht denken lassen, so ist bei Daub's
Versuch, den Begriff des an sich Bösen zum persönlichen
Wesen zu erheben, die Schwierigkeit im Wege, aus 'den an-
ffesrebenen Elementen des an sich Bösen den Begriff der
Persönlichkeit zu construiren. Wie lässt sich ein Wesen als
persönliches denken, das absolut unvernünftig, unnatürlich ist,
das der Freiheit des Willens absolut ermangelt und dem-
nach auch des Gewissens, das absolut widernatiulich , ver-
1 S. 170. 2 s, 242. ^ S. 247. " S. 388. * S. 465.
4. Ursachen der Abnalime des Teufelsglaubens. 579
nunftwidrig und widersinnig ist? Mittels der vielen (besonders
im ersten Hefte) angezogenen Bibelsprüche scheint sich Danb
an die kirchliche Vorstellung von einem persönlichen Teufel
anzulehnen, eigentlich aber versetzt er die Negativität des
Begrifls, deren Nothwendigkeit zur Verwirklichung des abso-
luten Lebens in der HegeFschen Philosophie^ deutlich vorlag,
wie Strauss ganz richtig bemerkt-, anf theosophischen Boden,
um einen Dualismus herauszubilden und das Princip des Bösen
in ein persönliches Wesen zu setzen. Zu einem bestinunten,
wirklich persönlichen Wesen im Sinne der hergebrachten Lehre
kommt es bei Daub nicht.
Im allgemeinen wurde, nach dem Vorgange des soge-
nannten altern theologischen Rationalismus , die Lehre vom
Teufel von den Dogmatikern im ersten Viertel unsers Jahr-
hunderts vernachlässigt. Reinhard, der doch für supranatura-
listisch angeflogen gilt, ist zweifelhaft, ob die Schriftlehre vom
Teufel ernstlich gemeint, oder als „weise Herablassung zu
dem herrschenden Aberglauben" zu nehmen sei, womit er
eigentlich seine Annahme des letztern zu verrathen scheint,
ungeachtet seiner Vorsicht, mit der er sich dabei benimmt.^
Li der Moral glaubt er „die Frage, ob und inwiefern auch
der Teufel unter die Ursachen des Sittlichbösen auf Erden
gezählt werden müsse, ganz unberührt lassen" zu können,
als „den höhern Speculationen der Dogmatik und Metaphysik"
angehörig.* „Gotteslästerliche Gedanken, die zuweilen in
der Seele entstehen, für Eingebungen des Teufels zu halten",
erklärt er ausdrücklich fiir einen „Wahn", der gefährlich
werden kann. " Dasselbe behauptet er in Bezug auf Religions-
zw^eifel*', wie auch „das eitle Streben nach einer Verbindung
mit der Geisterwelt, mit gewissen mächtigen Dämonen in
Gemeinschaft" zu kommen. '^ De Wette, der die Vorstellun-
gen vom Tevifel „Volksvorstellungen" nennt, findet in Be-
' Phänomenol., S. 581. Religionsphilos., II, 207.
2 Glaubenslehre, II, Iß.
^ Vorles. über die Dogm., S. 108.
* System der christl. Moral, 4. AuH., I, 402, Anmerk, g.
5 Ibid., S. 772.
« Ibid., II, 289.
' Ibid., I, 435 fg.
37*
580 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
zieliung auf Jesus, dass sie „in seiner Ueberzeugung nur eine
sittlich ideale Bedeutung haben konnten. In anderer Hinsicht
gehört die Dämonologie nicht in das Christenthuni". ' Schleier-
macher (1768 — 1834), dessen Werk: „Der christliche Glaube
nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammen-
hange dargestellt" (1821—30, 4. Ausgabe 1842) von Theolo-
gen als „das reifste Stadium seiner Schriften" bezeichnet wird,
liefert darin eine Kritik der Teufelslehre, die schon darum be-
rühmt genannt werden müsste, weil sie zu vielfachen Erörte-
rungen Anlass gab. Schleiermacher findet ,,die Vorstellung
vom Teufel, wie sie sich unter uns ausgebildet hat, so hal-
tungslos, dass man eine Ueberzeugung von ihrer Wahrheit
niemand zumuthen kann". Er stellt als die Hauptmomente in
der Vorstellung diese auf: „geistige Wesen von hoher Einsicht,
welche in naher Verbindung mit Gott lebten", sind „aus die-
sem Zustande freiwillig in einen Zustand des Widerspruchs
und der EmjDÖrung gegen Gott übergegangen". Hierin findet
Schleiermacher eine Menge Schwierigkeiten und zwar: 1) „Von
diesem sogenannten Fall der guten Engel" lassen sich, „je
vollkommener diese gewesen sein sollen, um so weniger andere
Motive angeben, als welche (wie z. B. Hoflart und Neid)
einen solchen Fall schon zur Voraussetzung haben". 2) Nimmt
man an, dass „auch nach dem Falle die natürlichen Kräfte
des Teufels unverrückt geblieben" seien, „so ist nicht zu be-
greifen, wie beharrliche Bosheit bei der ausgezeichnetsten
Einsicht sollte bestehen können", da dieser Einsicht doch jeder
Streit gegen Gott „als ein völlig leeres Unternehmen" vor-
kommen musste, und nur derjenige nach einer augenblicklichen
Befriedigung streben kann, dem es an wahrer Einsicht fehlt. ^
Hat aber der Teufel bei seinem Falle „auch den schönsten
und reinsten Verstand verloren, ... so lässt sich auf der einen
Seite nicht einsehen, wie durch eine Verirrung des Willens der
Verstand für immer sollte verloren gehen können, wenn nicht
jene selbst schon auf einem Mangel an Verstand beruhte; auf
der andern Seite wäre nicht zu begreifen, wie der Teufel nach
einem solchen Verlust seines Verstandes noch sollte ein so
• Bibl. Dogmat., 2. Aufl., S. 221 (1818).
* I, §. 44, S. 209.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 581
gefährlicher Feind sein können, da nichts leichter ist als gegen
das unverständige Böse zu streiten". 3) Auch das Verhält-
niss der gefallenen Engel zu den andern ist eben so schwer
zurechtzulegen. „Denn wenn sie gleich waren und es doch
für die einen nicht besondere persönliche Motive geben
konnte, wie ist es zu begreifen, dass die einen gesündigt
haben luid die andern nicht?" Gesetzt auch, dass man an-
nehme, alle Engel seien vor dem Falle des einen Theils der-
selben „in einem wandelbaren Stand der Unschuld gewesen",
so bleibt es nicht minder schwierig zu begreifen, „wie die
einen um einer That willen für immer gerichtet und ver-
dammt, und die andern um eines Widerstandes willen für
immer also confirmirt und versichert worden" seien, ,,dass
sie hernach nie mehr haben fallen können". 4) Was den Zu-
stand der gefallenen Engel nach dem Fall betriflPt, so ist auch
schwer zusammen zu denken, dass sie von grossen Uebeln be-
drückt, noch grössere zu erwarten hätten, und doch zugleich
aus Hass gegen Gott und um sich ihren Übeln Zustand zu
erleichtern, in einem thätigen Widerstand gegen Gott begrif-
fen sein sollen, jedoch nichts wirklich ausrichten können,
als mit Gottes Willen und Zulassung. ^ Sie würden ja in
diesem Falle weit mehr Linderung ihrer Uebel und Befriedi-
gung ihres Hasses finden, wenn sie gänzlich unthätig blieben.
5) Soll der Teufel mit seinen Engeln als ein Reich gedacht
werden, wo alle einheitlich nach aussen und namentlich auf
die menschlichen Angelegenheiten wirken, so ist dies nur
denkbar, wenn der Oberherr allwissend ist, und vorher weiss,
was Gott gestatten werde.* In der weitern Erörterung über
diesen Gegenstand behauptet Schleiermacher, dass der Teufel
in den neutestamentlichen Schriften zwar häufig vorkomme,
aber „weder Christus noch die Apostel eine neue Lehre über
ihn aufstellen, noch weniger diese Vorstellung irgend in un-
sere Heilvorstellung verflechten", daher „der Glaube an ihn
auf keine Weise als eine Bedingung des Glaubens an Gott
oder an Christum aufgestellt werden darf, und dass von einem
Einfluss desselben innerhalb des Reiches Gottes nicht die Rede
sein kann". ^ Christus oder die Apostel „bedienen sich dieser
S. 210. ^ S. 211. 3 §. 45, S. 212.
582 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Vorstellung, wie sie unter dem Volk im Schwange ging",
aber zu andern Zwecken, „ohne ihr dadurch eine neue Hal-
tung oder Gewährleistung geben" zu wollen.^ Mögen also
nur einige oder auch alle bezüglichen Schriftstcllen vom Teufel
handeln, „so fehlt es uns an allem Grunde, diese Vorstellung
als einen bleibenden Bestandtheil in die christliche Glaubens-
lehre aufzunehmen".^ Denn diese Vorstellung war in Christo
und seinen Jüngern nicht „auf irgendeinem Wege der Offen-
barung erworben , sondern aus dem damaligen gemeinsamen
Leben her". Schleiermacher behauptet, die Frage über das
Dasein des Teufels sei gar keine christlich-theologische, son-
dern eine kosmologische im weitesten Sinne des Wortes, wie
etwa die über die Natur des Firmaments und der Himmels-
körper. Nur so viel zeige das Vorkommen in der Bibel, dass
diese Vorstellung aus zwei oder drei verschiedenen Bestand-
theilen im jüdischen Volk zusammengeflossen sei, nämlich
aus der Vorstellung vom Bösen, als auskundschaftender Die-
ner Gottes unter den andern Engeln in der Nähe Gottes, und
aus dem bösen Grundwesen des orientalischen Dualismus,
welche beiden Momente mittels der Fiction vom Abfall sich
ineinandersetzten, wozu dann noch ein drittes, das vom Todes-
engel, hinzugekommen sein kann.^ Wie man das Gute dem
Dienste der Engel zuschrieb, so leitete man das Böse, dessen
Quelle man nicht entdecken konnte, vom Teufel her. Da nun
die Schrift in dieser Hinsicht auf unser Inneres verweist, und
die Beobachtung in Beziehung auf das Böse immer weiter
fortgesetzt werden soll, „so soll auch immer mehreres auf-
hören als Einwirkung des Teufels angesehen werden zu kön-
nen, also auch von hieraus die Vorstellung allmählich veralten".*
Schleiermacher nennt es geradezu höchst gefährlich, „einen
Glauben an fortdauernde Einwirkungen des Teufels im Reiche
Gottes oder gar an ein dem Reiche Gottes gegenüber fortbe-
stehendes Reich des Satans als christliche Lehre" aufstellen
zu wollen. Denn dadurch wird nicht nur das Bestreben, „alle
Erscheinungen in einer einzelnen Seele aus ihrer Eigenthüm-
lichkeit und aus den Einfliissen gemeinsamen Lebens zu ver-
stehen, gehemmt", sondern „zugleich der ohnedies so grossen
Neigung des Menschen, die Schuld von sich abzuwälzen, ein
S. 213. ^ S. 217. 3 g, 218. * S. 219.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 583
bedenklicher Vorschub geleistet". „Wie es schon übel genug
wäre, wenn jemand im Vertrauen auf den Schutz der Engel
die ihm übertragene Sorge für sich und andere vernachlässigen
wollte: so gewiss noch gefährlicher, wenn statt strenger Selbst-
prüfung das aufsteigende Böse den Einwirkungen des Satans
zugeschrieben würde. Ja, da Einwirkungen des Satans im
strengen Sinne nicht anders als unmittelbar innerlich, also
zauberhaft sein können: so muss bei einem wirklichen Glauben
an solche das freudige Bewusstsein eines sichern Besitzes im
Reiche Gottes aufhören, indem alles, was der Geist Gottes
gewirkt hat, den entgegengesetzten Einwirkungen des Teufels
preisgegeben und alle Zuversicht in der Leitung des eigenen
Gemüths aufgehoben ist." ^ Ebenso muss der Glaube an ein
fortbestehendes Reich des Satans, wobei immer einzelne Men-
schen als seine Werkzeuge angesehen werden müssen, die
Freudigkeit des Muthes schwächen, die Sicherheit des Betra-
gens gefährden und der christlichen Liebe verderblich werden.
Strauss unterliess eine eingehende Bekämpfung der Vorstel-
lung vom Teufel, da er sie, zugleich mit der Lehre von den
Engeln, in unserer heutigen Weltanschauung „völlig entwur-
zelt" daliegen sieht. Er begnügt sich mit der Behauptung:
das Princip der Immanenz dulde weder ein der Menschenwelt
jenseitiges Geisterreich, noch gestatte es für irgendwelche
Erscheinungen jener die Ursachen in dieser aufzusuchen. ^ Im
Geiste der Hegerschen Philosophie schrieb Marheineke sein
„System der christlichen Dogmatik" (1847). Er nennt die Vor-
stellung vom Teufel eine „Hypostasirung", wobei in der Dog-
matik nicht zu verweilen, da nur der Gedanke, der sich
hyj)ostasirt hat, von Interesse sein könne, ob er sich in mytho-
logische oder symbolische Formen verlaufen, und die Personi-
fication poetisch oder fratzenhaft sein mag. Marheineke hält
es schon jDsychologisch, noch mehr dogmatisch für wichtig,
dem Ursprünge des Gedankens vom Teufel nachzuforschen,
und findet den Wahrheitsgehalt darin, „dass der Mensch den
subjectiveu Gedanken des Bösen sich objectiv macht, und ihm
dadurch eine Macht gönnt über sich selbst". Das Umschla-
gen des Gedankens des Bösen in den bösen Gedanken selbst
1 S. 220.
'^ Die christliche Glaubenslehre, II, 17 (1841).
584 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
ist das Satanische, wodurch von Seiten des Menschen der
Unterschied von Gott /.um Gegensatz und Widerspruch wird.^
Bei der Erklärung des Ursprungs des Bösen geht Marheineke
von der unmittelbaren Einheit des Menschen mit seinem
Schöpfer aus, dem Stande der Unschuld. Die erste Aufhebung
dieser Einheit ist der Unterschied des Geschöpfs von seinem
Schöj)fer, zunächst nur als Negative der Einheit, als Möglich-
keit des Bösen. Vom geschichtlichen Standpunkte betrachtet,
hat das Böse sein Dasein im Verderben der Welt; vom sitt-
lichen, in der Welt und Natur. In deren Bevi'usstlosiffkeit
liegt der Mangel an Vernunft und Freiheit. Welt und Natur
nimmt der Mensch zunächst als Gedanke in sich auf. In-
dem das Natürliche das menschliche Bewusstsein erreicht
hat, ist der Mensch das Denkende und das sich Denkende
zugleich, er unterscheidet sich im Bewusstsein von sich, und
bezieht sich in diesem Unterschiede auf sich selbst. „In die-
sem Sichselbstdenken oder Wissen ist erst die Natur voll-
kommen bei sich, die Welt hat sich als bewusstseiende er-
fasst." „So ist die Natur menschlich geworden, in dieser
Menschwerdung der Natur hebt schon von ferne das Böse
an."'^ Diese bewusstseiende Natur, die nur ihrer selbst sich
bewusst ist, keinen Gegenstand als sich selbst hat, ist das
sich selbst denkende und wollende Ich , als der natürliche
Mensch, der alles auf sich zu beziehen strebt, er ist die selbst-
süchtige Ichheit, hiermit auch abhängig von sich selbst. Nicht
das Dasein an sich nicht die Welt und Natur, ebenso wenio-
als das Bewusstsein, das Ich ist das Böse, sondern dieses
liegt vielmehr „in der Bewegung des Daseins in das Bewusst-
sein", in dem ausschliesslichen Festhalten des Ich, in dem
„Naturwerden des Ich", oder „Ichwerden der Natur". Es ist
das „Insichreflectiren des Daseins in das Bewusstsein, welches
zugleich das Sichinsichreflectiren des Daseins als Bewusst-
sein" ist, und dieses Keflectiren in sich ist das Verlieren der
Unschuld. 3 Das Böse seiner Wirklichkeit nach im allgemei-
nen ist „das Walten der Sinnenwelt in der Geistes weit",
indem das Zeitliche als das Nichtewige, und das Räumliche
als das Nichtheilige, also das Nichtige vermittels der freien
Willküi- des Willens zum Wirklichen gemacht wird. „Dieser
^ S. 214. 2 s. 212. 3 S. 213.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 585
Widerspruch ist das Böse an sich." „Das Böse geht darauf
aus, Alles zu Nichts und Nichts zu Allem zu machen", es
strebt immer wirklich zu sein, kann aber nicht dazu gelan-
gen. ' Da es alles Wesen , wahrhaft Seiende in Unwesent-
liches zu verwandeln, das Seiende zu vernichten strebt, äussert
es sich in seinen zerstörenden Wirkungen, und „kann sich
nur an dem Seienden propagiren ". ^ Gut kann der Mensch
nur sein durch den Geist, den freien W^illen, „dem Bewusst-
sein allein gehört das Gutsein an", also nicht der Natur; „die
Natürlichkeit, die Unmittelbarkeit des Herzens ist es vielmehr,
dem entsagt werden muss". Denn die Bestimmung des Men-
schen ist nicht „Naturmensch" zu bleiben, sondern ,, Geist-
mensch" zu sein, „was der Mensch sein soll, ist in das Gebiet
der Freiheit verlegt".^ Die Vorstellung vom Teufel ist we-
sentlich der Gedanke eines bösen Geistes, „der als solcher der
Verführende ist, als das abstract böse Wesen, als das Grund-
böse". „Er ist das reine Abstractum von dem Bösen im
Guten, also ein solches Böses, welches nicht im Guten ist,
und nichts Gutes an ihm hat."*
Die neuere Mystik und Orthodoxie nahm sich des persön-
lichen Teufels, wie Hase sagt, „aus Neigung"^ an, so Jung
Stilling% Eschenmayer '^, Ebrard^. Ebrard will den Teufel nicht
als „Idee", sondern als „historische Person" gefasst wissen %
und ist daher gegen die Schleiermacher'sche Argumentation ^«^
leugnet jedoch, dass es ein Dogma vom Teufel im strengen
Sinne gebe, „sofern nämlich nicht jede historisch-wahre Nach-
richt der Heiligen Schrift Dogma ist". Unter den Satanologen
der neuern Zeit wird Martensen besonders hervorgehoben, als
einer, der die Lehre vom Teufel „der Wissenschaft gerechter
werden zu lassen" versucht. '^ Martensen will in seiner christ-
lichen Dogmatik 12 „den nothwendigen Zusammenhang dieser
1 S. 218. 2 s 219. 3 S. 222. " ö. 228.
5 Dogmat., S. 186.
^ Theorie der Geisterkunde, S. 808.
' Religionsphilosophie (1822), II, 213 fg.; Twesten, II, 1, S. .361 fg.
» Dogmat., §. 240; Evangel. Kirchenz., 1853, Nr. 7 fg.
9 Christi. Dogm. (1851), I, 293, Anm. 3.
"> S. 292, Anm. 2.
" Schenkel, Christi. Dogmatik, II, 286.
12 Aus dem Dänischen, 1850; 2. verbess. Aufl. 1853.
586 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Lehre mit dem christlichen Ideenkreis nachweisen, die Lehre
vom Teufel darstellen, als die Lehre vom bösen Princip, so
wie dieses unter den Voraussetzungen des Christenthums
möglich ist". 1 Nach Martensen hat das Böse „keine Wirk-
lichkeit an sich selber", es wirkt aber „als ein Reich der
Negativität", in seiner Entwickelung bedingt durch das „Reich
des Guten, der wahren Wirklichkeit". Das Reich des Bösen
ist nicht die sündige Menschenwelt als solche, diese schliesst
„den Keim des Guten" in sich ein, „hat wesentlich eine Rich-
tung zum Reiche Gottes" und offenbart auf jeder geschicht-
lichen Entwicklungsstufe „ein relativ Gutes". Es gibt ein
Reich von Kräften und Mächten, die alle gegen das Reich
Gottes conspiriren, es ist in einem unaufhörlichen Streben
begriffen, sich als die wahre Wirklichkeit zu organisiren, es
gewinnt auch in den sündigen Menschen seine Werkzeuge,
die fi'ir dämonische Zwecke arbeiten. Dieses Dämonische ist
das Böse, als rein übersinnliche, rein spirituelle Macht, und
der Kampf dieses Reichs wiederholt sich durch die ganze
Geschichte.^ Der Mittelpunkt dieses dämonischen Reichs ist
der Teufel, Satanas, Antichrist, Fürst dieser Welt, dieser ist
„nicht das Böse in dieser oder jener Beziehung, sondern das
Böse an und für sich, der böse Geist als solcher, nicht blos
ein einzelnes böses Geschöpf, nicht blos einer von den vielen
Dämonen, sondern das böse Princip selber in persona ". ^ In
der Vorstellung vom Teufel als einem übermenschlichen, aber
doch natürlichen Geiste, der ursprünglich gut war, aber Got-
tes Feind wurde, findet die christliche Anschauung vom Wie-
sen des Bösen ihren Ausdruck, und ist der bestimmte Gegen-
satz gegen den heidnischen Dualismus darin enthalten, sowie
der Gegensatz zur Auffassung, welche das Böse in die Sinn-
lichkeit, die Materie verlegt. Die Lehre vom Teufel ist in
dieser Hinsicht der Gegensatz zum Akosmismus. „Wird der
Teufel nicht blos in seinem Verhältniss zu Gott, sondern zum
Menschen betrachtet, so wird er als ausser dem Menschen
seiend vorgestellt", und „hierin liegt, dass das Böse der
menschlichen Natur fremd ist, ausser dem Begriff der mensch-
lichen Natur liegt". Obschon das Böse in der Schöi^fung
S. 215. 2 §. 99. 3 §. 100.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 587
aufgekommen ist^, kann es doch „nicht selbst einzebies Ge-
schöpf sein", sondern „nur als universelles Princip gedacht
werden", daher dem Teufel auch „eine gewisse Allgegenwart"
zukommt. Die Eigenschaften des bösen Geistes sind Macht,
als positiver Charakter des Bösen, und List; nichtsdestoweni-
ger ist sein Reich doch nur das der Lüge, denn seine Macht
ist nur eine zeitliche Macht, er seinem Begriffe nach der
ewig Ausgestossene und Verdammte, der böse Geist vermag
daher nur Satanas zu sein.^ Martensen findet die tiefste Vor-
aussetzung der Lehre vom Teufel in dem Dogma vom „Sohn
Gottes". Das Christenthum erkennt das Böse darin, was der
Offenbarung des Sohnes entgegensteht, sich an dessen Stelle
setzen will. Das böse Princip ist daher „das kosmische Prin-
cip", sofern dasselbe seinen creatiirlichen Charakter verleugnet
und in falscher Selbständigkeit dem heiligen Weltprincip oder
dem Sohne Gottes entgegensteht. Der Begriff des Teufels
fällt zusanunen mit dem kosmischen Princip, hypostasirt als
negativer Geist, der zunächst nicht als einzelnes Geschöpf
gefasst werden muss. „Der Gegensatz zwischen Christus und
dem Teufel ist seiner innersten Bedeutung nach der Gegensatz
zwischen zwei Principien, Gott und Welt, zwischen dem hei-
ligen Centrum und dem in falscher Selbständigkeit auftreten-
den Weltcentrum. " ^ Wie das Gute erst als Persönlichkeit
wirkt, so auch das Böse, das nur als Wille gedacht werden
1 Hierzu macht Schenkel (11,287) die treffende Bemerkung: „Auf die
Frage, wie ein solches universelles, dem guten contradictorisch ento-eoen-
gesetztes böses Princip in die ursprünglich vollkommene Schöpfung Gottes
eingedrungen sei, hat Martensen freilich nicht einmal den Versuch einer Ant-
wort in Bereitschaft, jaseineAuffassung steht in dieser Beziehung soo-ar hinter
der herkömmlichen zurück. Wenn nach dieser das Böse in dem Falle eines
guten Engelfürsten seinen Ursprung genommen hat, so hat diese Vor-
stellung, wie wenig sie auch die Möglichkeit jenes Falles denkbar zu
machen vermag, doch darin Recht, dass sie die Entstehung des Bösen
auf dem ethischen Gebiete, in einer widergöttlichen persönlichen Selbst-
bestimmung aufsucht. Die Vorstellung von Martensen dagegen verlegt
den Ursprung des Bösen in die unpersönliche Schöpfung, und unter die-
sen Umständen bleibt dann keine andere "Wahl, als das Böse entweder
pantheistisch aus der göttlichen Ursächlichkeit , oder manichäisch aus
einem aussergöttlichen Urprincipe zu erklären." Vgl. überhaupt Schen-
kel's Kritik der Martensen'scheu Satanologie a. a. 0.
2 §. 101. => §. 102.
588 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
kann. „Der Teufel, als kosmisches Princip, kann nur in
den Geschöpfen persönlich sein, die sich zu seinen Organen
machen." Eine solche Persönlichkeit ist immer nur eine wer-
dende, die zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit in der Mitte
schwebt. Als das böse Princip trachtet der Teufel unaufhör-
lich nach der Existenz, welche er nur in der Zeit, in dieser
Welt gewinnen kann, während die manichäische Anschauung
das böse Princip in einer fertigen abgeschlossenen Existenz
denkt.' Die empirische Frage: wie das böse Princip zuerst
aufgetreten? beantwortet Martensen folgendermassen : „Ur-
sprünglich ist der Teufel das kosmische Princip, welches als
solches noch nicht böse ist; er ist ferner das versuchende,
das anfechtende Princip, welches den Menschen im Paradiese
verführt, aber noch ist er nicht böse, noch ist er nur die
Möglichkeit zum Teufel, in der Schlange dämmert nur der
böse Geist, in ihr ist der Satan, sozusagen, nur noch in
den Windeln. Der wirkliche Teufel, das persönliche Böse
wird er erst, wenn der Mensch ihn in das Bewusstsein hinein-
gelassen hat. Der Mensch also ist es, der dem Teufel Da-
sein gibt: aber hieraus folgt nicht, dass der Mensch nur sein
eigener Teufel ist. Denn es ist ein anderes, ein übermensch-
liches Princip, welchem durch den Menschen zur Existenz
verholfen wird, eine versuchende und verführende, eine beses-
sen machende und inspirirende Macht, zu welcher der Mensch
sich verhält wie zum Nicht-Ich."^ Im Hinblick auf die bib-
lische Tradition und die kirchliche Anschauung, die einen
persönlichen Abfall von Gott vor dem Abfall des Menschen
kennt, muss Martensen freilich sagen, dass das negative Prin-
cip nicht nur in der menschlichen Schöpfung Persönlichkeit
gewonnen habe; der BegriflF „Engel" habe zwar „dieselbe
Biegsamkeit, die im Begriffe Geister" liegt, und sei „keines-
wegs nothwendig überall bei Engeln an persönliche Geister
zu denken"; die Engel in der Heiligen Schrift seien „bald
blosse Personificationen, bald Zwischenwesen zwischen Per-
sönlichkeit imd Personification", aber Martensen nimmt doch
an, „dass es unter den Engeln persönliche Geister" gebe,
„und unter diesen solche, welche von Gott abgefallen sind".
Der Oberste der Teufel, den die Offenbarung kennt als An-
1 §. 103. '' §. 104.
4, Ursachen dei' Abnahme des Teufelsglaubens. 589
fänger des Abfalls, ist „unter allen Geschöpfen dasjenige,
welches sich zur CentralofFenbarung des kosmischen Princips
(als des bösen Princips) zu machen vermochte, in welchem
dieses Princip die vollständigste Persönhchkeit gewinnen
konnte, sodass es dessen vollkommenster Repräsentant und
Träger ist". Das bisher Entwickelte wird von Martensen
näher dahin bestimmt: „das böse Princip hat keine Persön-
lichkeit an sich selber, sondern gewinnt nur in seinem Reiche
eine Universalpersönlichkeit, hat keine individuelle Persönlich-
keit ausser in den einzelnen Geschöpfen; unter diesen aber
gibt es ein Geschöpf, in welchem dieses Princip so hyposta-
sirt ist, dass es der persönliche Mittelpunkt und das Haupt
im Reiche des Bösen geworden ist."^ „Also jenseit der
Menschenwelt hat das Böse seinen geheimnissvollen Ursprung,
hat es eine Geschichte gehabt, bevor es eine Geschichte er-
hielt auf Erden." Die Denkbarkeit eines Geschöpfs als Cen-
traloffenbarung des Bösen, die „in besonderm Sinne der Böse
heissen kann", meint Martensen, werde keine Speculation mit
Grund leugnen können, sowie „gegen die Denkbarkeit des
Teufels als eines bösen Geschöpfs sich nichts einwenden"
lasse; „wol aber muss gesagt werden, dass sein Wesen sich
weder begreifen noch anschauen lässt". Und zwar: weil wir
nicht begreifen, „wie ein einzelnes Geschöpf die Centraloffen-
barung des Bösen werden kann", welches seine kosmische
Stellung und Bedeutung ist ; so wenig wir die reale Möglich-
keit zu diesem bösen Geschöpf, zu seiner Macht und Einwir-
kung auf die Menschenwelt einzusehen vermögen, ebenso
wenig vermögen wir es anzuschauen, weil die absolute Bos-
heit vor der Anschauung sich immer in ein Abstractum ver-
wandelt.^
Lücke bekämpft ganz entschieden und mit seinem gewohn-
ten sittlichen Ernst den Glauben an den persönlichen Teufel,
der „in seiner unkritischen und empirischen Fassung immer in
müssige Speculationen und mythisirende Phantasiespiele ausar-
tet, und so oft praktisch schädlich wird"^; er bemerkt, dass der
' §. 105. 2 §. i06.
3 Lücke, über Dr. Martensen's Christliche Dogmatik, insbesondere
über seine Lehre vom Teufel. Deutsche Zeitschrift für christliche Wis-
senschaft und christliches Leben, 1851, Nr. 7 fg., S. 68.
590 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
christliche Glaube in seiner grössten Bescheidenheit und Mu-
thigkeit an dieser dogmatischen Vorstellung oft schwer zu
tragen und manche Gefahr zu bestehen gehabt habe % und
kann „die vornehme Verachtung vnid Abfertigung der Schleier-
macher^schen Kritik von Seiten der sogenannten Speculativen
und Conservativen weder für gerecht noch für gefahrlos"
halten.^ Lücke sieht in der kirchlich überlieferten Vorstel-
lung vom Teufel einen manichäischen Dualismus. „Ich gestehe,
ausser Stande zu sein, mir die absolute Verteufelung des
Willens einer Creatur ohne Verteufelung seiner Natur zu
denken, der absolut böse Teufel ist mir nur in der dualisti-
schen Fassung wahrhaft denkbar. "^ Es steht ihm „nichts
fester als dieses, dass diese Lehre (vom Bösen) in der Schrift
noch zwischen Begrijä' und Bild oder Symbol seh webt, oder
was dasselbe ist, aus einer gewissen geistigen Keuschheit oder
edlen Vorsichtigkeit zu keiner festen lehrbegrifflichen Bestimmt-
heit gekommen ist".* Johann Peter Lange lässt in seiner
Schrift „Positive Dogmatik" (1851, als zweiter Theil der christ-
lichen Dogmatik) „die Menschheit auf dem Wege ethischer
Ahndung unter dem Einfluss des Geistes Gottes zu der Er-
kenntniss gelangt" sein, „dass es ein Gebiet gefallener Geister
Gottes gebe und einen Fürsten desselben, welcher auf den
Fall des Menschen verderblich mitgewirkt habe", welche An-
schauung „nach ihren ersten Anfängen schon dem ersten in
die Sünde gefallenen Menschen beigelegt" wird. Die biblische
Lehre vom Satan ist aber von den heidnisch dualistischen
Gestalten der bösen Götter wohl zu unterscheiden, indem jener
eine gefallene, „durchaus abhängige Creatur" ist, die stets
„ein ohnmächtiges Werkzeug der Vorsehung" bleibt.-'' Lange
macht auch einen Unterschied „zwischen der symbolischen
Darstellung einer Versuchung und dem begrifflichen Gehalte
desselben", sowie „zwischen der symbolischen Bedeutung des
Satans in der Sprache des Glaubens und dem dogmatisch be-
grifflichen Charakter desselben". Nach der symbolischen Be-
zeichnung ist der Satan das verkörperte, personificirte Böse
selbst: der Repräsentant und das Bild aller versucherischen
Mächte, d. h. aller lähmenden Einwirkung böser Sympathien
S. 57. ■' S. 59. 3 s. 166. ' S. 64. ^ S. 559.
4. Ursaclien der Abnahme des Teufelsglaubens. 591
und Stimmungen. Nach der dogmatischen Bestimmung seines
Wesens kann er nur gedacht werden „als eine beschränkte,
gefallene, tief in die Bosheit versunkene, in ihrer Substanz
aber der Schöpfung wie der Vorsehung Gottes anheimfallende,
mithin keineswegs absolut böse, sondern im Bösen auch immer
noch mit sich selber, mit ihrem eigenen Lebensgrunde zerfal-
lene Creatur". Lange sieht in der Lehre vom Satan ausge-
sprochen, „dass die menschliche Seele ein Sensorium des Alls
sei, auch in Bezug auf die überirdischen, aussermenschlichen
bösen Einflüsse ". * Die Lehre vom Teufel in ihren Grund-
zügen leitet Lange „aus dem sittlichen Tiefsinn religiöser Ge-
nien" her, „welche in ihrer Ahnung der dämonischen Wir-
kungen einer überirdischen Geisterwelt von dem Geiste Gottes
erleuchtet worden sind", daher auch Christus über das Reich
des Satans die tiefsten Aufschlüsse gegeben hat. Der Anfang
dieses Reichs liegt darin, dass ein mächtiger Geist der jen-
seitigen Welt zum Empörer wider Gott geworden ist, und
dieses jenseitige Reich ist dadurch zum diesseitigen geworden,
dass der Fürst desselben, der Teufel, die ersten Menschen zum
Falle gebracht hat. Der eigenthümliche Wirkungskreis des
dämonischen Reichs besteht in der Zersetzung der christolo-
gischen Wahrheit. Die Macht des finstern Reichs liegt darin,
dass es die Wahrheiten und Lebensbilder des Menschen zmn
voraus in Schein- und Zerrbildern darstellt. Die Ohnmacht
dieses Reiches aber liegt darin, dass es auf Trug erbaut ist,
und dass die göttliche Gnade durch die Sendung Christi allen
Zerrbildern die reinen Urbilder der Wahrheit gegenüberstellt.^
„Der Teufel als Symbol ist absolut böse^ dagegen jene gefal-
lene Creatur kann nicht absolut böse sein." „Der schlimmste
Böse ist uns das Symbol des absolut Bösen. Wir haben eben
nach seiner Stellung zu uns kein anderes ethisches Verhältniss
zu ihm, als dass wir in ihm den Repräsentanten der Sünde
sehen müssen", woraus aber nicht folgt, „dass er auch das
absolut Böse sein könne in seiner substantiellen Individuali-
tät", nach der Beziehung Gottes zu allem Geschaffenen, Sub-
stantiellen kann er das „schlechterdings nicht sein". ^ Als
unzweifelhaft individuelle Persönlichkeit, die sinnlich wahrire-
nommen werden kann, will Vilmar den Teufel aufgefasst
' S. 360 fg. 2 S. 162 fg. 3 S. 575.
592 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
wissen und macht dies einem richtigen Theologen zur Bedin-
gung. „Es kommt darauf an, wenn man recht lehren und
die Seelen recht behüten will, des Teufels Zähnefletschen aus
der Tiefe gesehen (mit leiblichen Augen gesehen, ich meine
das ganz unfigürlich) und seine Kraft an einer armen Seele
empfunden, sein Lästern, insbesondere sein Hohnlachen aus
dem Abgrund gehört zu haben.'' ^ J. Chr. K. von Hofmann
scheint die Erscheinung des Teufels auf die Versuchung des
Herrn beschränken zu wollen. ^ G. Thomasius in „Christi
Person und Werk"^ fasst den Teufel „nach der Schrift"
als den argen Geist, die persönliche Macht des Bösen, „nicht
das personificirte oder sich personificirende kosmische Princip,
wie Martensen will, sondern ein geistig persönliches Wesen,
das sich selbst ins Widergöttliche, zum Widersacher Gottes,
und damit eo ipso zum Feind alles Guten und Wahren in der
göttlichen Schöpfung verkehrt hat", und den Mittelpunkt „eines
Reiches ihm gleichartiger Geister" bildet. Seine Herrschaft
über die Menschen vermittelt sich durch die Sünde, und sein
Reich ist die Welt.* In der unerlösten Menschheit herrscht
er mit unbestrittener Macht, im Heidenthum, im sittlichen
Verderben u. s. f., und wie die Macht des Todes Leib und
Seele ergreift, so erstreckt sich die Wirkung des Satans auch
auf das leibliche Leben, Krankheiten, zahllose Uebel u. s. f.
So passiv sich Thomasius andern Auffiissungen gegenüber ver-
hält, um so grössern Eifer legt der Superintendent Sander für
den persönlichen schriftgemässen Teufel und gegen dessen Be-
kämpfer an den Tag in seiner kleinen Schrift: „Die Ijehre
der Heiligen Schrift vom Teufel" (1858). Von den Zeugnis-
sen der Heiligen Schrift für die Existenz und Wirksamkeit
des Satans stellt Sander die Versuchungsofeschichte obenan, der
gegenüber alle Deutungsversuche ,, eines gröbern oder feinern
Rationalismus zu Schanden geworden sind", und selbst „Schleier-
macher, trotz seiner sonstigen Künste, die Lehre vom Dasein
und der Wirksamkeit des Teufels zu beseitigen, trotz seiner
Kühnheit oder Vermessenheit, das bestimmte Ja der Schrift in ein
' Die Theologie der Thatsachen (1856), S. 39.
2 Schriftbeweis, 2. Aufl., I, 441.
' Dai'stellung der evangelisch- lutherischen Dogmati
2. Aufl., I, 294.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 593
Nein zu verwandeln", bei der Gelegenheit sich nur hypothe-
tisch ausspreche, und nicht gewagt habe, „die Versuchungs-
geschichte als Geschichte in Abrede zu stellen".' Obschon
die Versuchungsgeschichte nicht nöthige, eine vollständige Lehre
vom Teufel zu construiren, so lehre sie doch das Dasein des
Teufels.'-^ Sander macht bei dieser Geschichte besonders auf-
merksam, „dass die persönliche Erscheinung des Satans auf
Erden, da er in der Gestalt eines Menschen oder Engels zu
einem Menschen, wie ein Mann mit -meinem Manne reden, ver-
handeln darf, in die Zeit verlegt wird, wo der volle Mittags-
glanz der Geschichte hell am Himmel strahlt". In den Büchern
Moses' findet Sander, „das prooemium Genes, cap. 3 abgerech-
net", keine bestimmte Hinweisung auf die Lehre vom Satan,
auch nicht in den altern Biichern des Alten Testaments, Hiob
ausgenommen, erst in der nähern Beriihrung mit den Chal-
däern, Persern u. a. ^ „In der Fülle der Zeit, da Gott offen-
baret ist im Fleische, darf auch der Satan unverhüllt auf dem
Schauplatz der Geschichte erscheinen", und „wie er in die
Geschichte hineintritt, das Ileilswerk aufhalten will, sagen
uns die Berichte der Evangelisten, die Zeugnisse in den apo-
stolischen Briefen und das prophetische Wort, das uns in die
Endgeschichte der Entwickelung des Reiches Gottes . . . hin-
weiset". In diesen Zeugnissen erkeimen wir auch, „wie in
die ganze Entwickelungsgeschichte des Reiches Gottes, ja in
die Heilsordnung die Vorstellung vom Satan verflochten ist";
„wie der Herr und seine Apostel die Lehre vom Teufel, sei-
nen Engeln und deren grossen Einfluss darlegen und ein-
schärfen".* Nachdem der Verfasser die buchstäbliche Erklärung
neutestamentlicher Stellen, den Teufel betreflend, behauptet,
und in einer fortlaufenden , mit Derbheiten versetzten Polemik
gegen Schleiermacher diesen zu widerlegen gesucht, und „die
philosophischen, ethischen und psychologischen Bedenken gegen
die Realität des Teufels" hiermit „als beseitigt" ansieht'', er-
gibt sich ihm folgendes Resultat : durch die Annahme der un-
widersprechlich bezeugten Schriftlehre ist er „dem peinigenden
Widerspruch wider die Schrift entnommen, der natürlich da
sein muss, wo man die klar bezeugte Schriftlehre verwirft".
Die Lehre vom Teufel, „die durch die ganze Schrift hindurch-
' S. 5. ■•= S. (3. ■' S. 7. " S. «. 5 S. 20.
Roskoff, Geschichte des Teufels. II. oo
594 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels,
geht", hat „auf die ganze Dogmatik und Ethik grossen Eiu-
fluss"\ denn „diese Vorstellung oder Lehre vom Satan" ist
„fast in jedes Hauptstück der christliehen Glaubenslehre ver-
flochten". Zum Schlüsse folgen noch zehn Thesen über die
Lehre vom Teufel, z. B.: 1) „Die Lehre von der Existenz und
Wirksamkeit eines abgefallenen Engelfürsten, eines persön-
lichen Widersachers Gottes und der Menschen ist so nach-
drücklich und deutlich in der Heiligen Schrift bezeugt, dass
nur ein das Zeugniss muthwillig verdrehender und verkehren-
der Unglaube es leugnen kann." 3) „Die Diener am Worte,
Professoren auf dem Katheder, Prediger auf der Kanzel sind
nicht Herren, sondern nur Haushalter über die Geheimnisse
Gottes, und haben also nichts von irgendeiner Vollmacht,
eine durch die heiligen Männer Gottes oflPenbarte Lehre zvi
ignoriren, beiseite zu setzen, oder zu behaupten, dieselbe
habe keine Bedeutung für das fromme Bewusstsein." 8) „Die
Verunstaltung der Schriftlehre vom Satan und seinem Reiche
durch rohen Aberglauben oder spiritualistischen Unglauben
(z. B. in Goethe^s Mephistopheles) kann kein Grund sein, diese
Schriftlehre der christlichen Gemeinde vorzuenthalten, sondern
macht es desto nöthiger, das Zeugniss der Heiligen Schrift
reden zu lassen." Denselben hohen Grad von Feuereifer in
der Vertheidigung der Kirchenlehre vom persönlichen Teufel"
und dieselbe Gereiztheit in der mit Schimpfen unterstützten
Bekämpfung der gegnerischen Anschauung zeigt Philippi:
„Die Lehre von der Sünde, vom Satan." ^ Er sieht nach dem
Vorgange Hengstenberg's unter der Schlange schon den fer-
tigen Satan.* „Die Schlange ist der Satan in nicht blos
scheinbarer, sondern wirklicher Schlangengestalt."''' Die Ver-
führung des Menschen ist auch keine vorübergehende und
folgenlose That gewesen, sondern der Satan hat infolge der-
selben eine bleibende Macht über das Innere des Menschen
gewonnen. Philippi sieht in dem verkündeten fortgehenden
1 S. 21.
* „Die von uns verti'etene Anschauungsweise von der Macht und
Wirksamkeit des Satans hegte die Kirche Christi von Anfang an und zu
allen Zeiten" (S, 259).
3 Als 3. Theil der kirchlichen Glaubenslehre (1859).
* S. 153. '" S. 272.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 595
Kampfe zwischen dem Schlangensamen und dem Weibessamen
bis zur Ueberwindung der Schlange die Geschichte des Kam-
pfes zwischen Satans Reich und dem Reiche Gottes auf Erden
bis zum Endziele des letztern vorgezeichnet, und „ist in der
That in der Geschichte des Sündenfalls in geheimnissvoller
Tiefe die ganze Geschichte und Lehre von der Sünde, dem
Teufel, dem Tode und der Erlösung mit kurzen aber kräftigen
Zügen skizzirt". ^ Dass Asasel Lev. 16, 8. 10. 20 den Satan
bedeute, hält Philippi nach der Beweisführung Hengstenberg's
für feststehend. ^ Die Idee des Satans besteht nach Philippi
dariit, „dass nicht nur innerhalb der Menschenwelt, sondern
auch im Reiche der hohem Geisterwelt ein Fall stattgefunden
hat, der in der Form der Auflelinung eines Theils der höhern
Geister gegen Gott sich vollzog und eine perpetuirliche, nicht
aufzuhebende, böse, strafbare Zuständlichkeit derselben zur
Folge hat". Satan ist ein gefallener Engel, also eine Creatur
Gottes, und da sich in der Idee des Satans die Idee des Bö-
sen spiegelt, so ist das Böse nichts ursprünglich Selbständiges,
nicht Substanz. „Und stellt Satan die sich verfestet habende
Selbstsucht dar, so kann die Sünde nicht blos in einem
vorübergehenden Willensacte bestehen, welcher stets wieder
rückgängig gemacht und in sein Gegentheil verkehrt werden
könnte."^ Satan ist durch Misb rauch der Freiheit zum Satan
geworden, das Böse in ihm erscheint als das von Gott Ver-
botene und Gerichtete, für Satan gibt es auch keine Erlö-
sung.* Wie die Sünde überhaupt, so ist auch die Ursünde,
wodurch Satan zum Satan ward, nicht zu begreifen, weil eben
die Sünde als die unvernünftige Willkür dem Begreifen, wel-
ches nur das Gebiet der vernünftigen Nothwendigkeit um-
spannt und durchmisst, sich entzieht. „Es ist mit Recht ge-
sagt worden, das Böse habe keinen Ursprung, sondern nur
einen Anfang." -^ Da die Satanslehre im richtigen Zusammen-
hange mit der richtigen Lehre von der Sünde steht, und von
Philippi als in sich widerspruchlos bezeichnet wird, so findet
derselbe, dass die negative Kritik dei- Lehre vom Satan eigent-
lich die biblisch -kirchliche Lehre von der Sünde treffe, und
auf einer dieser Lehre fundamental entgegengesetzten specu-
1 S. 275. '' S. 279, Anmerk. ' S. 235. * S. 23G. .S. 240.
38=^-
596 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
lativen Anschauung ruhe, die in den Pantheismus ausmündet. ^
Phihppi macht den Glauben an die Existenz des Teufels zur
Bedinguno- des Glaubens an Gott und Christum^, und fin-
det die Lehre vom Satan heilsam, weil sie das Böse in
seiner ganzen Tiefe kennen lehrt, den diabolischen Charakter
der Sünde offenbart, und der Mensch sich mit Abscheu und
Entsetzen von ihr abwenden und sich zu desto ernsterm
Kampfe wider sie aufgefordert fühlen werde 3, wobei er sich
auf A. Hahn ■* beruft, der die Schriftlehre vom Satan auch sehr
heilsam nennt, wovon freilich die Rationalisten Vernunft eines
Wegscheider"^ nichts wisse. "^ Philippi sieht seine Ansicht auch
durch die Erfahrung unterstützt, indem „gerade da die Sünde
überall geringer geschätzt, schonender und leichtfertiger be-
handelt wird, wo die Idee des Satans verloren gegangen oder
verleugnet worden ist". Die „moderne Verkennung der Satans-
tiefe des Bösen und die reinmenschliche Ableitung desselben
aus sinnlicher Schwäche, Temperament, Erziehung u. dgl."
hat auch „den Schrecken vor der Sünde verscheucht, den
Leichtsinn des Urtheils und des Handelns, die Verbrechen
gemehrt und selbst den Ernst in der Beurtheilung der Ver-
brechen sowie die Rechtstheorie gelockert und verderbt ".'^
Wie die Unvernunft im Teufel, nicht aber in der Lehre vom
Teufel liege, gerade so auch die Unsittlichkeit im Teufel,
nicht aber in der Lehre vom Teufel, vielmehr in der Leug-
nung derselben. Denjenigen, welche die Lehre vom Satan
eine den Menschen entwürdigende und darum selbst unwür-
dige nennen, erwidert Philippi: „Die Vertreter dieser Lehre
können allerdings nicht mit dem Dichter singen: der Mensch
ist frei geschaffen, ist frei u. s. f., sondern müssen vielmehr
bekennen, der Mensch ist als Knecht geboren, ist Knecht und
war' er in Purpur geboren"; aber „die gegenwärtige Entwür-
digung des Menschen und der Satansknecht" weist „auf
seine ursprüngliche Würde hin, auf die Freiheit, die ihm in
Christo wieder erworben, und verhilft ihm so nicht zu einer
erträumten, sondern zu der wirklichen und wahrhaftigen Würde
1 S. 248. ^ S. 261. 3 s. 263.
^ Lehrbuch des christlichen Glaubens, S. 298.
fi Institut., §. 205.
S. 262 fg. " S. 264.
6
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 597
und Freiheit. " Deshalb sei die Lehre vom Teufel keine un-
würdige zu nennen, vielmehr liege „die Unwürdigkeit wiederum
in der Teufelsleugnung, indem sie dem Menschen eine Würde
andichtet, die er nicht hat, um ihm die Würde abzuerkennen,
die er ursprünglich besass, und ihn nicht zu der Würde ge-
langen zu lassen, die ihm aufs neue bereitet ist". ^ Es sei
gewiss, fährt der Verfasser fort, „unaussprechlich hart, dass
wir von Natur Knechte des Teufels sind; doch an dieser
Thatsache" sei „ja die Lehre nicht schuld", sie sei vielmehr
trostreich, da sie uns diese Erkenntniss gibt, „weil eben der
Mensch ohne Teufel selbst der Teufel, und darum wie der
Teufel unerlÖsbar wäre. Erbarmungswürdig und der Erlösung
fähig ist er nur als der vom Teufel Versuchte und Verführte
und fortwährend von den Banden des Teufels Gehaltene ".^
Gegenüber dem Hinweis auf den vielen Aberglauben von
Hexerei, Teufelsbündnissen u. s. w. will zwar PhilijDpi dieses
ganze Gebiet nicht als einen abusus preisgeben, beruft sich
aber doch auf die Regel: abusus non toUit usum. Was die
biblischen Berichte von Besessenheit, Zauberei und dämoni-
schen Wundern betrifft, seien „nur diejenigen, welche die
Schriftlehre vom Satan anerkennen, im Stande, mit dogmati-
scher Unbefangenheit und Voraussetzungslosigkeit an die Prü-
fung der in Rede stehenden Facta zu gehen". ^ „Was aber
die praktische Behandlung der Sache betrifft, so wird der
Volksaberglaube wahrlich dadurch nicht ausgerottet werden,
dass man auch die richtige Grundlage desselben zerstört,
sondern nur dadurch, dass man jede Gemeinschaft mit dem
Teufel, sie sei nun gewöhnlicher oder aussergewöhnlicher
Art, mit dem Katechismus als Sünde straft, das unfreiwillige,
leibliche Bewältigtsein von ihm aber mit den Waffen des
Wortes Gottes und des Gebetes bekämpft und zu heilen
sucht."*
In derselben Tonart hält Dr. Sartorius in der Evangeli-
schen Kirchenzeitung ^ eine Vorlesung: „lieber die Lehre vom
Satan", dem Obersten im Reiche der Finsterniss, dem es
„wesentlich ist finster und in Dunkel gehüllt" zu sein, „dass
ihn klar machen, ihn vernichten heissen würde". ^ Sartorius
1 S. 265. ' S.266. « g_267. " S. 268. ' Nr. 8 und 9 (1858).
« S. 75.
598 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
vernichtet ihn allerdings nicht, denn er stellt ihn auf Grund
von Bibelsprüchen als den bekannten persönlichen Teufel dar,
er macht ihn aber auch nicht klar, denn wir erfahren nichts
als die „Summa: Grund und Wesen aller Sünde, aller sitt-
lichen Unordnung und Lüge ist die Teufelei der Selbstsucht",
die aber im Teufel persönlich ist, oder: „der Teufel ist der
Egoismus in Person ". ' Dieses Princip ist ein persönliches,
„es ist der persönliche Princeps", der „thatsächliche Anstifter
des Bösen, und diejenigen irren weit, welchen der böse Prin-
ceps nur in ein böses Principium, das energische Masculin in
ein mattes Neutrum verschwimmt". Die Hälfte der Vorlesung
zielt eigentlich auf die, welche^ keinen persönlichen schriftge-
mässen Teufel annehmen, den persönlichen Urheber der Sünde
in eine böse Ursubstanz verwandeln, wodurch die Sünde na-
turalisirt wird, u. s. w. „Wer aber den Satan verneint", kann
„auch Christum nicht wahrhaft bekennen."" Sartorius macht
inzwischen auf die Empfindlichkeit des Satans betreffs ehren-
rühriger Namen und Prädicate aufmerksam, dass er sich lieber
Mephistopheles nennen lasse. Der Vorleser behauptet ausser-
dem, dass der Satan „das Wort der Bibel als Fabel oder
Mythe ausser Credit zu bringen" suche, das „Incognito" liebe
u. dgl. m. Als Vorgänger Philippi's findet Sartorius als „un-
leugbare Erfahrung, dass „seit der Unglaube sich erdreistet
hat, öffentlich zu verneinen, dass kein (!) Teufel, kein (!)
Lügner, kein (!) Mörder von Anfang sei, die Laxheit sub-
und objectiver Zurechnung der Sünde in sehr grossem Masse
zugenommen hat". ^ So heilsam die Lehre vom Satan und
deren Erkenntniss ist, so verderblich ist die Negation dessel-
ben, die „recht eigentlich auch zu des Teufels Lügen" ge-
hört. *
Einer tiefeingehenden Erörterung hat in neuerer Zeit
Schenkel die Lehre vom Teufel unterzogen in seinem Werke:
„Die christliche Dogmatik vom Standpunkte des Gewissens" •%
worin nicht nur die einschlagende Literatur gehörig ge-
würdigt, sondern auch Schleiermacher's bekannte Kritik
gegen die Angriffe der Orthodoxie vertheidigt und unterstützt
wird. Schenkel begründet den Satz: ,,dass es keine aus dem
' S. 79. ■' S. 81, 82. 3 S. 85. •• S. 86. MI, 1, §. 28—
33 (1859).
4. Ursachen dei- Abnahme des Teufelsglaubens. 599
Gewissen und der Offenbarungskunde geschöpfte Lehre vom
Teufel geben kann"; er lässt zwar die Mittheilungen der
Heiligen Schrift nicht unberücksichtigt in Betreff des Teu-
fels und seines Reichs, weist sie aber demjenigen Theile des
Inhalts der Schrift zu, „welcher aus dem Weltbewusstsein ihrer
Verfasser hervorgegangen ist". ^ Der moralischen Verdächti-
gung Sander's^ gegenüber wird Schenkel auf dem Gewissens-
standpimkte zu einer nur um so gründlichem Untersuchung
angespornt, welcher „selbst vom strengsten symbolgläubigen
Standpunkte nicht das geringste Hinderniss im Wege" steht.
Er findet „in den drei ältesten ökumenischen Symbolen" den
Teufel „nicht einmal dem Namen nach erwähnt, in keiner
protestantischen Bekenntnissschrift" einen „Lehrsatz vom Teu-
fel". „Nirgends hat das protestantische Bekenntniss auch nur
den Versvich gewagt, einen allgemein verbindlichen Lehrsatz
über Person oder Amt des Satans aufzustellen. Der Teufel
wird im protestantischen Bekenntniss nirgends als ein Gegen-
stand behandelt, an den geglaubt werden müsste, und von
dessen dogmatischer Auffassung die Substanz der Heilswahr-
heit oder der Erwerb des Heilsbesitzes abhängig gedacht wer-
den könnte", ja in der Augustana ^ wird sogar der Ursprung
der Sünde nicht ausschliesslich vom Teufel abgeleitet, so wenig
als die Heilige Schrift den Glauben „an die persönliche Rea-
lität des Teufels oder die Anerkennung, dass der Satan als
Einzelindividuum existire, als ein Postulat des Seligwerdens"
fordert.* Schenkel sucht nachzuweisen, „dass auf dem alt-
testamentlichen Ofi'enbarungsgebiete eine Lehre vom Satan,
als einem schlechthin bösen Geistwesen und Urheber des Bö-
sen" nicht vorkomme '^j dass sich „aus den neutestamentlichen,
auf den Teufel und sein Reich bezüglichen Stellen ein Lehr-
begriff von einem persönlichen schlechthin bösen Geistwesen
und Geisterfürsten in keiner Weise herstellen" lasse.*' Schenkel
findet es bedenklich, das Böse nach der Schrift als ein „kos-
misches Princip" zu verstehen, dagegen imi so wahrer, „dass
das Böse wie das Gute nur in der Form der Persönlichkeit,
d. h. auf dem ethischen Lebensgebiete zur Erscheinung kom-
' S. 262.
2 Die Lehre der Heiligen Schrift vom Teufel, 25. These, 1.
3 P. 1, 19. ' S. 265. * S. 265 —71. « S. 271.
600 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
men kann, und dass ein schlechthin Böses diesem nicht an-
gehört". Er macht aufmerksam, dass in den Schriftstellen
„das Ineinandersetzen von Volksvorstellung und Lchrdarstel-
lung, von Symbol und ßegriö", von parabolischem und didak-
tischem Sprachgebrauche beachtet werden müsse ; Vorstellung,
Symbol, Gleichniss sei nicht ohne weiteres zum Begriffe zu
stempeln, und dem dogmatischen Begriffe einzugliedern, so
wenig als die verschiedenen Auffassungen der biblischen Schrift-
steller in Betreff dieses Gegenstandes als unfehlbare, göttlich
documentirte Offenbarungsmittheilungen zu betrachten und zu
verwerthen seien. ^ Das Gewissen, zwar „keiner überirdischen
persönlichen uranfänglichen Ursächlichkeit der Sünde" sich
bewusst, hat aber die volle Klarheit davon, „dass die Sünde
nicht nur am Subjecte, sondern auch ausserhalb desselben, dass
sie in der Welt ist", dass das Böse als solches zwar immer
am Subjecte ist, aber zugleich als „das Zusammenwirken vie-
ler sündlicher Persönlichkeiten zu einem und demselben bösen
Zwecke" in der Welt eine objective Macht gewonnen hat.^
Das Böse, in die blosse Innerlichkeit eingeschlossen, noch an-
scheinend völlig wirkungslos, wird erst dämonisch und sata-
nisch, wenn es seine Wirkungen auf andere überträgt, die
Gemeinschaft in Besitz nimmt, eine das Gesammtleben bestim-
mende Potenz wird. Schenkel nennt es einen „Fehler der
neuern Lehrausführungen über das Wesen des Satans, dass
sie sein Reich als ein wesentlich (jenseitiges » auffassen und
seinen Ursprung in den Regionen einer überirdischen Geister-
welt aufsuchen", da „der Satan und sein Reich nach der
Schrift gar nicht den ausserirdischen Schöpfungskreisen" an-
gehören, in der Schrift kein jenseitiger Sündenfall gelehrt
wird, vielmehr der Satan überall in der Schrift innerhalb
dieser Schöpfungsi'egion erscheinend und wirkend gedacht ist,
woher auch die Bezeichnungen seiner als „der Fürst dieser
Welt" u. dgl., und also nichts anderes sein kann als: „das
Wesen dieser Welt und der Geist dieser Zeit in ihrer be-
wussten systematischen, widergöttlichen und weltförmigen
Selbstbestimmung".^ Die richtige und auch schriftgemässe
Anschauung, nach Schenkel, ist: „das Böse als Manifestation
einer Gesammtheit oder als Collectiv- Böses", das „den Cha-
' S. 281 fg. = S. 284. 3 s. 28G.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 601
rakter des Satanischen und Dämonischen an sich nimmt", zu
fassen, das in diesem Falle zu einer Macht wird, das nicht
mehr blos einzelne Subjecte, sondern die ganze Gemeinschaft
mit Verderben bedroht. ' Die Einwirkungen dieser satanischen
Zeitmächte des Geistes dieser Welt und seiner Diener sind
immer ethische, gegen die das Subject vermöge der Gewissens-
action reagiren kann. ,,Das Böse ist immer persönlich, es
gibt kein Böses ausserhalb der Selbstmanifestation des Person-
lebens. Aber das Satanisch-Böse ist nicht mehr subjeetiv, son-
dern collectiv-persönlich. Der Satan ist eine Person, juristisch
betrachtet: eine sogenannte moralische, eine Collectiv-Person
des Bösen und eben daher schreibt sich seine, wenigstens re-
lativ ausserordentliche iiberindividuelle Macht. Aber zur vol-
len und fertigen Einzelpersönlichkeit hat er es bis jetzt nicht
gebracht. Als Collectiv-Persönlichkeit ist er eine üibermensch-
liche, jedoch nicht überirdische Persönlichkeit, die wie das
Böse überhaupt, stets werden will, aber doch niemals wahr-
haft ist." 2
Bei der Unendlichkeit des Seins hält es Hase für wahr-
scheinlich, dass es auch in ihrem ursprünglichen Sein reicher
ausgestattete und durch die Gebrechen des Körpers minder
gebundene Wesen gebe als dermalen der Mensch, die daher
auch einer höhern Entwickelung wie eines tiefern Falls fähio-
seien. Die Philosophie habe keinen entscheidenden Grund, den
Einfluss jener auf die Menschenwelt für unmöglich zu erklä-
ren, soweit dadurch weder die göttliche Vorsehung beschränkt,
noch die menschliche Freiheit aufgehoben wird. Weltkräfte
wirken auf den Erdplaneten, die nicht in ihm begriften sind,
warum nicht auch Geisteskräfte? Da jedoch die Denkmale
dieses Einflusses als geschichtliche nicht hinreichend gesichert
sind und insbesondere der Teufel immer nur erschien, wo
er geglaubt wurde, und die ihm zugeschriebenen Wirkun-
gen sich vor der höhern Bildung und Reflexion aus dem
Menschen selbst erklären: so bleibe die Wirklichkeit solcher
Wesen immer problematisch.^ Das Bild eines dämonischen
Herrschers, der Gottes Wege durchkreuzt, während seine
Herrschaft doch nur von Gott eingesetzt sein könnte, wider-
1 S. 293. 2 S. 294.
' Evangel. protest. Dogmat., 5. Aufl., S. 186 (1860).
602 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
spreche dem unendlichen Abstände des Schöpfers vom (le-
schöpfe, es seien unleugbar die verborgenen Wege der Vor-
sehung oft für die Wege des Teufels auf Erden angesehen
worden. Nach seiner ganzen geschichtlichen Bildung sei der
Teufel nur aus Gott selbst herausgegrifien und durch die Zu-
sammenfassung alles menschlichen Bösen zum düstern Gegen-
bilde Gottes geworden. Er sei entstanden durch eine absolute,
insofern allerdings religiöse Anschauung des Bösen, die aber,
weil sie nicht auf das wahrhaft Absolute hingerichtet ist, im
innern Widerspruch zum Dualismus hingedrängt werde. Auch
gehöre es nicht zur glücklichen Wirkung eines heiligen Buchs,
dass dadurch in weltlichen Dingen ungebildete Vorstellungen
der Vorzeit gegen die höhere Einsicht späterer Geschlechter
festgehalten werden sollen. Wenn auch das Dasein guter und
böser Geister und deren Einwirken über allem Zweifei zu
stellen wäre, so würden sie doch keineswegs der Religion selbst
angehören, und seien immer nur durch Poesie vmd Aberglau-
ben mit ihr verbunden worden. Denn der wahre Glaube an
die Vorsehung bedürfe nicht erst der Engel, und die wahre
Verwahrung vor dem Bösen bedürfe keiner besondern Ver-
wahrung gegen die Anfechtungen des Teufels. ^ Malle t^ findet
die Voraussetzung, dass zum Begriff des Satanischen das Mo-
ment des Uebermenschlichen gehöre, imd dass also der Satan
an sich seine Daseins- und Wirkungssphäre ausser und über
der Menschenwelt habe, gar nicht in der Schrift begründet.
Der Teufel der Bibel gehöre in jedem Falle der Sphäre des
diesseitigen Menschenlebens an. Die neutestamentliche Lehre
vom Teufel werde misverstanden , wenn sie dahin gedeutet
wird, dass der Mensch nicht, wie der Teufel, aus sich selbst,
sondern durch Verführung von aussen gefallen sei, daher denn
auch das menschlich Böse von dem satanisch Bösen verschie-
den sein soll. Man dürfe auch nicht der Ihia. sm'ä^ufxia den
Teufel als einen verhältnissmässig äussern Feind entgegen-
setzen, vielmehr sei der in der Welt umgehende Versucher
und Verkläger mit dem in unserem Innern sich regenden
Geist der bösen Lust und des bösen Gewissens wesenthch
identisch. Der Satz, dass die Sünde durch den Teufel in die
' S. 187.
2 In Herzog's Real-Encyklopädie, Art. Teufel, XV, 591 fg.
4. Ursacheu der Abnahme des Teufelsglaubens. 603
Welt gekommen sei, stehe zwar wol in der kirchlichen Dog-
matik, aber nicht in der Schrift. Allerdings bleibe zwischen
der relativen Bosheit auch des bösesten Menschen und der
absoluten des Teufels ein grosser Unterschied, daraus folge
aber nicht, dass der Teufel ein übermenschliches Böse dar-
stelle, oder das Böse, wie es sich auf einer übermenschlichen
Stufe des Geisteslebens verwirklicht habe, sondern nur: dass
zwischen der empirischen Erscheinung des Bösen und der in
allem Bösen wirksamen und sich offenbarenden Geistesmacht
des Abfalls von Gott immer ein Unterschied, oder, dass der
Teufel eben die an sich unpersönliche Potenz des Bösen ist,
welche nach persönlicher Wirklichkeit strebt, ohne sie je weder
in der Menschen weit noch überhaupt in absoluter Weise zu finden.
Mallet bleibt dabei, dass in dem neutestamentlichen Teufelsbilde
das Böse überhaupt veranschaulicht werde, wie es im Menschen
wohnt und Gestalt gewonnen hat. Mallet erkennt in dem Teufel
einerseits das Böse in seiner Gottwidrigkeit, absoluten Lügenhaf-
tigkeit und Verdammlichkeit , und zwar wie es nicht eine blosse
Privation, nicht blosser Mangel, blos sinnliche Schwachheit, son-
dern seinem innersten Wesen nach principiell immer feindselige
negatio boni, titanenhafter Trotz und freche Selbsterhebung wider
Gott, Losreissung und Abfall von demselben ist. Es ist also
das positive Nichtseinsollende, was schlechterdings kein Recht
der Existenz hat, sondern an sich schon gerichtet und ver-
worfen, nur durch die Lüge ein nichtiges Scheindasein behaup-
ten kann. Andererseits findet Mallet im Verhältnisse des
Teufels zum Menschen ausgedrückt: das Böse an sich ist
dem Menschen, als der nach dem Bilde Gottes geschaffenen
persönlichen Creatur etwas Fremdes, d. h. es gehört nicht zum
Wiesen des Menschen, sondern ist und bleibt ein demselben
schlechthin Widerstrebendes, es steht ihm, ob es auch in ihm
wohnt, doch als ein Aeusseres gegenüber, das er immer von
sich selbst unterscheidet, das seinem innersten Wesen wider-
streitet, und also eine ihm fremde, feindselige Gewalt ist, von
der er sich überlistet und gefangen sieht , und deren Herr-
schaft, eben weil sie ihn mit seiner Innern Bestimmung in
Widerspruch bringt, ihn in Tod und Verderben stürzt. Der
eigentliche Sinn und wesentliche Gehalt der Schriftlehre vom
Teufel ist demnach durch dessen Vorstelluno; nicht die Wirk-
samkeit einer historischen Person, sondern eines geistigen
604 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Princips zu veranschaulichen. Mallet theih mit Lücke die An-
sicht, dass die Lehre der Schrift zwischen Person und Per-
sonification, zwischen Begriff und Bild oder Symbol schwanke
und nirgends zu einer lehrhaften Bestimmung über den Teufel
als transcendente Persönlichkeit komme. Mallet behauptet, in
der weitern kirchlichen Ausbildung dieser Lehre sei die Schale
für den Kern, das Bild für die Sache genommen worden und
findet den Teufel dei- Kirchenlehre dem rabbinischen verwand-
ter als dem der Schrift. Statt an dem ethischen Kern der
Schriftvorstellung festzuhalten, hielt man sich an die phan-
tastische Form, welche der Darstellung der Apokalypse eignet
und dogmatisirte über .die Natur und den Fall der über-
menschlichen Dämonen. Mallet will den persönlichen Teufel
aus der christlichen Dogmatik hinaus und der christlichen
Symbolik zuweisen, er möge in der Homiletik wie in der
christlichen Poesie seinen Platz behalten. Li geistesverwand-
tem Sinne ist auch der Aufsatz : „Der Streit über den Teufel"
von Fitester^ geschrieben.
Ueberblicken wir die angeführten Aeusserungen über den
Teufel von namhaften Gelehrten der neuern und neuesten Zeit,
so sind es im Grunde Versuche, den Begriff und Ursprung des
Bösen zu erforschen und aus der überlieferten Vorstellung
vom Teufel herauszuschälen , oder aus der Natur des Bösen
die Persönlichkeit des kirchen- und volksthümlichen Teu-
fels zu construiren. Es zeigt sich bei den meisten ein
Schwanken zwischen Personification und Persönlichkeit, zwi-
schen Symbol und Sache, Bild und Begriff, Vorstellung und
Idee. Es ist die Minderzahl, die einen individuell -persönlichen,
gelegentlich erscheinungsfähigen und sinnlich wahrnehmbaren
Teufel annimmt. Die Mehrzahl der genannten Schriftsteller,
und unter ihnen auch solche, die zu den Orthodoxen zählen,
verfolgt eigentlich die Tendenz: die Vorstellung vom Teufel
dem begreifenden Denken zu unterziehen. Selbst Twesten,
der als Vertheidiger des persönlichen Teufels aufgeführt zu
werden pflegt , sagt ausdrücklich : es komme hinsichtlich des
Glaubens an Engel und Teufel ,, nicht so sehr auf jede ein-
zelne der Bestinmiungen" an, „als auf die denselben in ihrer
1 Protest. Kirchenzeitung, Jahrg. 1861, Nr. 32, 33.
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 605
Gesammtheit zu Grunde liegende Vorstellung" ' ; aus den Aus-
sagen des religiösen Bewusstseins könne ,,eine eigentliche
Nothwendigkeit" der Existenz des Teufels „schwerlich darge-
than werden; glauben wir aber den Aussprüchen der Heiligen
Schrift, so werden Avir auch in unserm Bewusstsein vieles fin-
den, was jener Annahme zur Bestätigung dient, oder mit der-
selben zusammenhängt".^ Es komme „hierbei alles auf die
Vorstellung an, die man sich von der Natur und dem Grunde
des Bösen macht", ^ und ., insofern kann man den Begriff des
Teufels gleichsam als den Exponenten der Ansicht betrachten,
die jemand sich vom Bösen gebildet hat".* Twesten macht die
richtioe Bemerkuno^: iu diesem Sinne habe auch Erhard seine
Apologie des Teufels geschrieben, „nicht um den Teufel war
es ihm zu thun, wol aber um die in der Idee des Teufels zur
Entscheidung kommende Frage über die, ob positive oder ne-
gative Natur des Bösen". ^ Mit Ausnahme von einigen, die
den Glauben au den persönlichen Teufel zur Seligkeit des
Christen für nothwendig erklären, geht also das Streben selbst
orthodoxer protestantischer Theologen dahin: die Vorstellung
vom Teufel, namentlich die schriftgemässe, des Nachdenkens
werth zu erachten, sie nicht blos als Gegenstand gedanken-
losen Spottes behandelt zu wissen. Dagegen werden wir am
wenigsten etwas einw^enden wollen, da wir selbst die Geschichte
des Teufels verfolgen, und die Vorstellung von ihm als einen
der denkenden Betrachtung würdigen Vorwurf gewählt haben.
Stellen wir aber die Frage: glaubst du an den Teufel, der als
reales Subject ausser dir existirt und die Macht hat, unter
Gottes Zulassung, dir gelegentlich sinnlich wahrnehmbar zu
erscheinen und zwar als wirklicher Teufel? oder, was dasselbe
heisst: glaubst du an den kirchen- und volksthümlichen Teufel?
so dürfen wir annehmen, dass der bei weitem grössere Theil
auch derer, die sich schriftgläubig nennen, den Kopf schütteln
werde. So aber lautet die Frage, wie sie der strenge Dog-
matismus stellt, der folgerichtig vor jedem Zweifel an den
persönlichen Teufel ein Kreuz schlagen muss.
Und wie verhält sich die moderne W eltanschauung der
' Vorlesungen über die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche,
U, 361 (1837).
2 S. 366. 3 S. 368. * S. 369. * S. 371, Anmerk.
(J06 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
Durchschnittsbiklung, wie verhält sieh die Menge, das Volk
in unsern Tagen dieser Frage gegeniiher? Die überwiegende.
Mehrheit schüttelt ebenfalls das Haupt. Die überwiegende
Mehrheit! Denn wir können nicht hinwecrleugnen, dass der
Glaube an den persönlichen Teufel und seine Wirkinigen im
Volke noch sporadisch haust. Wir erinnern an das junge Dienst-
mädchen, das im Jahre 1863 in Marseille grosses Aufsehen
erregte, indem es von der Nachbarschaft für vom Teufel be-
sessen gehalten wurde, der von sechzehn Bösen, die es an-
fänglich im Leibe hatte, als deren Haupträdelsführer zurück-
geblieben war, und das Mädchen zu jämmerlichen Verzerrungen
zwang, sobald man es mit Weihwasser besprengte." ^ In dem-
selben Jahre wird ein ähnlicher Fall aus dem Dorfe Wellen-
dingen auf dem Schwarzwalde berichtet, wo drei Geistliche
einem vierzehnjährigen Mädchen, das sie für besessen hielten,
den Teufel auszutreiben vergeblich versuchten. Da auch ein
aus der Schweiz berufener Kapuziner sich unmächtig erwies,
sollte der Vater des Kindes an den Erzbischof von Freiburg
sich wenden.^ Abgesehen von andern Belegen nehmen wir
an: der Glaube an den Teufel lebt noch hier inid da im Volke,
und wir wissen auch, dass Katechismen und Liturgien die Erin-
nerung an ihn wol täglich aufirischen. Ungeachtet dessen dürfen
wir aber behaupten: dieser Glaube hat in der grössern Menge
seinen Boden verloren. Die Wahrheit dieser Behauptung
bestätigen die Klagen derjenigen, die den Teufel als wesent-
lichen Bestandtheil des christlichen Glaubensinhalts betrachten.
Wir hatten schon Gelegenheit, solche Stimmen zu hören, welche
„die Laxheit sub- und objectiver Zurechnung der Sünde",
die „in sehr grossem Masse zugenommen hat", lediglich dem
in unsern Tagen überhandgenommenen Unglauben an den
persönlichen Teufel auf die Rechnung schreiben. Solche Klage-
oder Scheltestimmen geben uns wol die sicherste Gewähr über
die Beschafi'enheit der hentioen Anschauuncf der Menere. Li
dieser Beziehung kann und soll auch der mit E. M. sich
zeichnende Verfasser der „Zeitbetrachtungen über die christ-
liche Lehie vom Teufel"^ für uns einstehen, nach dessen
' Wiener Presse vom 13. Febr. 1863.
- Ebendas., Abendblatt vom 13. Nov. 1863.
^ Evangelische Kirchenzeitung, Nr. 8 und 9 (1859).
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 607
Ueberzeugmig ,,die Zugehörigkeit der Lehre vom Satan zu
dem Ganzen der kirchlichen, speciell der evangelisch -kirch-
liehen Glaubenslehre nicht in Frage gestellt werden kann".'
Der Verfasser findet „die Gegenwart merkwürdig durch den
A\ idei'spruch , welchen sie der Annahme eines persönlichen
Teufels entgegensetzt"^ und charakterisirt „unsere Zeit der
christlichen Lehre vom Teufel gegenüber" sehr bündig und
trefiend mit den Worten: „es ist die allererklärteste Anti-
pathie." „Das Verhalten der grossen Masse des Volks und
zumeist der Gebildeten unter demselben, auch das eines nicht
geringen Theils der Vertreter heutiger, selbst wol der sich
glävibig nennenden Theologie, wird noch immer richtig ge-
zeichnet durch den Ausdruck" von Klaus Harms im Jahre
1817: ,,Den Teufel hat man todtgeschlagen und die Hölle zu-
gedämmt." Der Verfasser bestätigt uns: der Fürst der Fin-
sterniss hat für die Kinder unserer Zeit „nicht blos seine
Furchtbarkeit, sondern jede lebendige Bedeutung verloren",
er ist „in das Register der Todten eingegraben, der Geschichte
und Dichtung anheimgegeben, und in dem sicher construirten
Sarg des Begrifi's zum Nimmeraufstehen beigesetzt" worden.
Satan hat „sich gefallen lassen müssen in Tragödien und
Opern eine ßolle zu spielen und seine Bosheit auf den Bre-
tern zur Schau zu stellen: zu gemüthlicher Bestätigung für
die, welche ihn selbst für eine Ausgeburt der Phantasie hal-
ten". Die Philosophie hat der Menschheit den Dienst ge-
leistet ., ihn als das Symbol für den abstracten Begrifi' des
Bösen kennen zu lehren". ^ Der Glaube an den Teufel gilt
allgemein für „schwärmerische Bornirtheit", und in einer An-
merkung beruft sich der Verfasser auf ein von der medicini-
schen Facultät in Prag vor etlichen Jahren ausgestelltes
Gutachten, welches über den Geisteszustand eines Schuh-
machers in Budweis „schon lediglich aus dem Grunde für
dessen Verrücktheit gestimmt", „weil er an die Existenz
des Teufels glaubte". ,,Die in solchen Thatsachen sich ofi'en-
barende Stimmung" erkennt der Verfasser ganz richtig „nicht
lediglich" für „ein Kind des 19. Jahrhunderts"; eine „frühere
Zeit schon" habe „es empfangen und genährt"; aber die
neuere Zeit sei es doch, „die es grossgezogen, ausgebildet
1 S. 73. 2 s. 74. 3 s. 75.
608 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
lind zu männlichem Ansehen gebracht." * Die Tendenz, welche
das vorige Jahrhundert auf die Bahn gebracht, bemerkt der
Verfasser abermals ganz richtig, könne recht eigentlich als die
Tendenz der neueren Zeit betrachtet werden^, und die Philo-
sophie sowol als auch die schöne Literatur seien die beiden
Brunnen, aus denen die ganze Bildung der Gegenwart gespeist
worden. Wenn man auf den Kern der Wahrheit, die Goethe,
Schiller und ihre Geistesverwandten, die wirksamen Erzieher
des jetzigen Geschlechts, gepredigt haben, eingeht, so liege
in dem Einen: „Humanität".
Dass der Verfasser mit diesem „Zaubei'wort", wie er es
ironisch nennt, nicht einverstanden sein kann, werden wir be-
greiflich finden, und wenn ihm die Bahn, auf der die Gegen-
wart mit ihrer Anschauung das Leben verfolgt, als eine „ab-
schiissige Bahn" erscheint, weil die christliche Grundlage
abhanden, so liegt es ausserhalb unserer Aufgabe, ihn aus
seinem Gesichtspunkte herausdrängen zu wollen. Wir haben
ihn nur als Schilderer der gegenwärtigen Anschauung ange-
führt, und sein Urtheil ist uns um so wichtiger, als es von
einem Gegner derselben herriihrt. Unsei- Gewährsmann er-
kennt in der Humanität das Schlagwort der Gegenwart und
findet den Glauben an das unablässige, siegesgewisse Streben
der idealen Menschheit an die Stelle des dogmatischen Glaubens
getreten. Li der That ist Humanität die Grundlage der
gegenwärtigen Weltanschauung, und der Verfasser hat
auch hierin recht, dass „die idealistische Denkweise am frühesten
daran gearbeitet" hat, „den Teufel aus der objectiven Wirk-
lichkeit in die Subjectivität des Menschen zu übersetzen".'
Es ist Thatsache, der Mensch der Gegenwart, der keinen
Teufel fürchtet, weil er an keinen glaubt, kann ihm auch
nicht die Verführung zum Bösen zuschreiben, sondei-n über-
nimmt selbst die Verantwortung seiner bösen That, er muss
sich selbst die Schuld beimessen, auch wenn er dazu verleitet
worden wäre. Er setzt das Böse auch nicht in eine schlechte Na-
iuranlage, sondern beschuldigt sich bei der schlechten Handlung,
seine Naturanlage schlecht angewendet zu haben, und sein
Gewissen dictirt ihm die Strafe. Er ist zum Bewusstsein der
sittlichen Mündigkeit gekommen, und auf diesem Standpunkte
1 S. 76. ^ S. 91. 3 s. 94
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 609
hat für ihn nur dasjenige die eigentliche Bedeutung der Strafe,
was sein eigenes Gewissen über ihn verhängt. Nur der geistig
Unmündige kami jedes Uebel auf den Teufel zurückleiten, der
es, nach unerforschlicher Zulassung Gottes, an ihm verübt; der
geistig Mündige sucht auf dem Wege des erkannten Cansalnexus
die Quelle des Uebels zu finden und womöglich zu verstopfen,
oder es wenigstens, und zwar Avieder mittels des Zusammen-
hangs von Ursache und Wirkung, zu mildern. Wo diese
Denkweise im Gange ist, wie in unsern Tagen, da verlieren
auch alle ausserordentlichen Erscheinuno;en die Bedeutuno; des
Wunderbaren, und selbst der gemeine Mann, der die Einzel-
heiten in ihrem Zusammenhange sich zu erklären nicht ver-
mag, setzt diesen ahnend als sicher vorhanden voraus. Der
einherbrausende Dampfwagen , bei dessen Anblick der Land-
mann ehedem von banger Scheu ergriffen werden mochte,
wird von seinen Nachkommen mit voller Gelassenheit betrach-
tet und selbst bestiegen, obschon ihm die Theorie des Dampfs
und des Dampfwagens ebenso unbekannt ist als seinem Ahn;
er setzt aber als Axiom voraus, die Bewegunt»: der Locomo-
tive miisse auf dem natürlichen Zusammenhang von Ursache
und Wirkung beruhen. Allerdings hat die Gegenwart von
dem alten frommen Wunderglauben sehr wenig mehr aufzu-
weisen, dafür rühmt sie sich aber nicht nur einer tiefern
Einsicht in den Zusammenhang der Dinge und eines regern
Strebens danach, sondern hält auch einen Glauben fest, näm-
lich den Glauben an die unbesiegbare Macht der Wahrheit,
der in ihr um so unerschütterlicher feststeht, als er nicht mehr
durch den Zweifel gestürzt werden kann, weil sie den Zwei-
fel bereits überwunden und durch diesen jene feste Ueber-
zeugung erlaugt hat.
Die Gegenwart hat den unbedingten Glauben an die von
aussen herantretende Autorität abgeschüttelt, dagegen macht
sie die grössten Ansprüche an die eigene Tragfähigkeit und
belastet das eigene Gewissen mit dem ganzen Gewichte der
Verantwortlichkeit. Die ehrwürdige, fromme Mahnung: „Bete
und arbeite!" ist trotz der verketzerten, herrschenden Ungläu-
bigkeit nicht ausser Kraft gesetzt; aber der Mensch der Ge-
genwart will das Beten und Arbeiten nicht nacheinander-, son-
dern ineinandergestellt wissen, er will, dass seine Arbeit als
bewusste Selbstthätigkeit sittliche Bedeutunrr habe und damit
Koakoff, Geschichte des TeufeU. II. 3g
610 Vierter Abschnitt : Fortsetzung der Gescliiclite des Teufels.
zugleicn religiösen Inhalt gewinne. Die gegenwärtige Welt-
anscliannng will kein doppeltes Buch mehr führen, ein Werkel-
tagsbuch für den sittlichen Menschen und ein Sonntagsbuch
für den religiösen Christen, weil sie Ileligiosität und Sittlich-
keit ineinandersetzt, eine sittliche Religiosität und relio-iöse
Sittlichkeit anstrebt, weil sie sich nicht befirnütren will, die
Religion nur innerhalb der Kirchenmauern eingeschränkt zu
sehen, sondern das Wesen der Religion über das ganze Leben
ausgebreitet werden soll. Die moderne Bildung will mir die
einfache Buchhaltung des Gewissens, die der religiös-sittliche
Mensch für sich selber führt.
Mit dem Streben nach Humanität und dem Glauben an
die stetige Entwickelung der idealen Menschheit fürchtet die
moderne Bildung mit dem Christenthum durchaus nicht im
Widerspruch zu stehen, sie ist vielmehr fest überzeugt, auf
dem vom Stifter der christlichen Relioion bezeic'hneten Weize
und in seinem Sinn(j fortzuschreiten. Sie erkennt in diesem
den Heiland, durch welchen der Menschheit die Wahrheit
ihrer Bestimmung zum Bewusstsein gebracht, offenbar worden
ist, sie erkennt in der Religion „des menschgewordenen Got-
tes" den versöhnenden Ausgleich des Menschen mit Gott, die
Religion bewusster Liebe, der idealen Menschlichkeit. Sic er-
kennt in der Seligpreisung des reinen Plerzens die religiös-
sittliche Forderung: aus der Aeusserlichkeit, der Weltlichkeit
in das Innere des eigenen Gemüthes einzukehren und hinab-
zudringen in die Tiefe, wo es in der Gottheit wurzelt, um
von da heraus von göttlicher Kraft durchdrungen zu lel)en,
zu handeln und in diesem Bewusstsein Befriediuuno; zu finden.
Darein legt die moderne Bildung das „Specifisch-Christliche",
dass der Mensch seiner sittlichen Menschenwürde sich be-
wusst, dem christlichen Ilauptgebote der Liebe mit freiem
Bewusstsein folgend, aus seiner Gesinnung heraus zum Han-
deln gedrängt werde. Die moderne Bildung stemmt sich
gegen die Annahme, dass das Christenthum Gebote aufstellen
könne, die gegen die ideale Menschennatur lauten; sie an-
erkennt keinen directen Gegensatz von Christlichem und
Reinmenschlichem, sie hält die reine Menschenliebe für das
wesentliche Gebot der christlichen Relisfion.
Weil die moderne Anschauung den Ausgangspunkt der
sittlichen Handlung vom religiös-sittlichen Bewusstsein niunut
4. Ursachen der Abnahme des Teufclsglaubens. 611
und den Ricliterstuhl zur Beurtlicilung des sittlichen Wcrthes
der Handlung im Gewissen aul'gesclilagen hat: darum kann
sie dem Bösen keine ol)jective, reale Wirklichkeit einräumen,
muss es folgerichtig in das sittliche Subject selbst verlegen,
rauss in der Vorstellung vom Teufel die Personification
oder Symbolisirung des Begrifls vom Bösen erblicken, in
jener das Product des menschlichen Bewusstseins anschauen.
So steht das Selbstbewusstsein der Projection des Bewusst-
seins gegeniiber. Der Monismus des Gewissens hat den Dua-
lismus aufgelöst, und der reine Monotheismus ist zum Durch-
bruch gekonnnen. Der Mensch verlegt die allein berechtigte
Macht der Wahrheit, die allein Bleibendes wirkt, in das
göttliche Wesen, und dieser Glaube anerkennt auch bei zu-
nächst unerklärten Erscheinungen keinen Einfluss unberechtig-
ter Mächte.
Die moderne Weltanschauung ist keine teleologische mehr
in jenem veralteten Sinne des menschlichen Egoismus, der
sich als den alleinigen Zweck und alles ausser ihm als Mittel
betrachtete; sie sieht aber die Zweckmässigkeit in der Ein-
richtung der Natur, in der sie eben eine durch Vernunft erhaltene
begreift. Der Mensch betrachtet sich nunmehr als Selbstzweck,
der Mittel und Zweck in sich vereiniu't. Er sieht sich als
Mittel dem (iranzen des allgemeinen Entwickelungsi^rocesses
gegenüber, in dessen wesentlicher Bedeutung er aber zugleich
seinen eigenen Zweck erfüllt. Durch die Arbeit, in der er
seinen Theil an das Ganze abgibt, wird er selbst ethisirt
und darin zeigt er seine Bestimmung, deren Lösung seine
Aufgabe ist. Darin besteht auch zugleich seine Menschen-
würde, dass er mit Bewusstsein arbeitet, durch seine freie
Arbeit seine eigene und zugleich die allgemeine freie Entwicke-
lung fördert. Ihm ist die Geschichte der Menschheit im
Grunde die Geschichte der Wahrheit und er kennt nur blei-
bende Thaten in den Anstrengungen, welche die Wahrheit
gefördert haben und fördern. Die verschiedenen sittlichen
Anschauungen zu verschiedenen Zeiten erscheinen ihm als
Interpretationen des ewigen Gesetzes, deren Werth von dem
Masse der Intelligenz des Auslegers abhängt.
Die denkende Betrachtung des Menschen als Organismus
in dem organischen Ganzen sucht nach dem wechselwirkenden
Zusammenhang und findet in den Anschauungen der Zeiten
612 Vierter Abschnitt: Fortsetzung der Geschichte des Teufels.
organische Prodiicte. Was die Gegenwart als Irrtbiim ver-
gangener Zeiten bezeichnet, ist die Mauser des Entwickelungs-
processes der Menschheit. Die Wissenschaft, die den Zu-
sammenhang der Dinge zn l)egreifen sucht, weiss der Ver-
gangenheit Dank fiir ererbte Wahrheiten und ist duldsam
gegen ihre Irrthiimer. Als lebendiger Organismus breitet
die Wissenschaft ihre Aeste und Zweige aus, um Erkenntniss
von allen Seiten einzusaugen und sie dem Hauptstamme als
Nahrungssaft zuzufidiren, der um so besser gedeiht, je mehr
die Zweige griinen. Diejenige Theologie hat nie als wissen-
schaftlicher Zweig gelebt, die sich fiuchten muss zu verdorren,
wenn ein anderer Zweig, z. B. die Naturwissenschaft, üppig
wächst. Als o1) nicht ein Zweig mit dem andern organisch
zusammenhinge und alle zusammen nach einheitlichem, orga-
nischem Leben hinstrel)ten! Das Streben nach Einheit, das in
der Natur des menschlichen Geistes als Organismus seinen
Grund hat, muss eben darum in allen Ivichtungen des Lebens
zu Tage treten. Wir fanden es in den polytheistischen Reli-
gionen als dunkeln Drang, der die Vielheit der Gottheiten
in eine oberste zuspitzend, zusammenfasst, wobei die vermit-
telte wirkliche Einheit selbstredend nicht zum vollen Hechte
kommen kann. Ebenso wenig gelingt dies der selbstsiichtiijen
Anschauung, wo die Roheit des Individuums alles unter dem
Gesichtspunkte des Empfindens, Geniessens betrachtet und
danach das ürtheil normirt, wo das Wohl und Wehe als gut
und böse, als Lohn und Strafe erscheint, mid der Dualismus
unvermeidlich ist. Das Streben nach Einheit zeio;t sich auf
dem ethischen Standjiunkte des Gewissens, wo die Handlung
sowol als das Urtheil über sie von jenem ausgeht, wo Aus-
gangs- und Endpunkt in Einheit zusammenlaufen müssen, um
religiös-sittliche Befriedigung zu gewähren.
Wir sind bei der Geschichte des Teufels vom mensch-
lichen Bewusstsein ausgegangen, haben gesehen, wie sich die
Vorstellungen von gut und böse in allen Religionen der Natur-
völker, der Culturvölker in einer dualistischen Anschauung
von guten und bösen Gottheiten fixirt haben, wie der Glaube
an den Teufel, als den Antipoden Gottes, in der christlich-
kirchlichen Vorstellung zu einer furchtbaren Höhe angewachsen
ist. In der Geschichte des Teufels verfolgten wir eine Stufen-
leiter der verschiedenen Vorstellungen vom Uebel und dem
4. Ursachen der Abnahme des Teufelsglaubens. 613
Bösen, und betrachteten sie als Wandlungen des menschlichen
Bewusstseins und Bewusstwerdens, worin ja eben die Bedeu-
tung der Geschichte iiberhaupt liegt. Wir sind bei dem mo-
dernen Bewusstsein angelangt, welches den Dualismus zur
Einheit zusammentasst, wobei es dem Teufel keinen Raum
mehr gönnt, und können zum Schlüsse mit Droysen sagen:
„Den Dualismus von Gott und Teufel widerlegt die Ge-
schichte." ^
Grundriss der Historik, S. 27.
Druck von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Berichtigungen.
Seite 25, Zeile 4 v. u., statt: Schriftstellern, lies: Kirche
» 72, » 3 V. n., St.: chori, 1.: thori
» 138, Note 2, st.: Mysterien, 1.: Mystik
145, Zeile 7 v. o., st.: ihn, 1.: es
166, » 5 V. u., St.: allgestaltig, 1.: allgestaltig werden
226, Note 1, Zeile 1 v. u., st.: Nieder, I.: Nider
232, Zeile 4 v. u., st.: Succumbi, 1.: Succubi
322, » 12 V. o., st. : indem, 1 : in dem
391, » 2 V. c, St.: dorn., 1.: daem.
413, » 24 V. c, St.: Pyromachus, ein Bischoff, 1.: Fyromachus, ein
Fürst. — Hierauf: Archocolax, ein Bischoff.
414, » 19 V. u., St.: Achocolas, 1.: Archocolax
508, » 19 V. o., St.: exegesirt, 1.: exegetirt
608, » 9 V. o., st. : so liege, 1. : so liege er
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