Skip to main content

Full text of "Geschichte Europas seit dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts"

See other formats




Google 





This ıs a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before ıt was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 


It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear ın this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 


Google ıs proud to partner with lıbraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 


We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text ıs helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users ın other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance ın Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 


About Google Book Search 


Google’s mission is to organıze the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 


atihttp: //books.gooqle.com/ 


z 
* we. u 


“ “ > * 





| H668,32- 


— - G 
—f 











Geſchichte Europas 
f eit dem | 
Ende des funfgehnten Jahrhunderts 


Friedrich von Raumer. 


® 


Schöter Band. 


Bit Koͤniglich MWürtembergifhem Privilegium gegen ben Nachdruck. 
— — — —— Don 01.1.0. 5% 20057 22220020 — — —— 


Leipzig: 
F. a Brokhaus. 


1838. 


Geſchichte Europas 
feit dem | 
Ende des funfgehnten Jahrhunderts 


Friedrich von Raumer. 


Sechsſster Band. 


—— — — — — —— — — ———— ————— — 
Mit Koͤniglich Wuͤrtembergiſchem Privilegium gegen den Nachdruck. 
— — — — — ——— — — 


Leipzig: 
F. A. Brockhaus. 


1838. 


LI 


Borrede. 


J. länger und je niehe man ſich mit ber Geſchichte 
beſchaͤftigt, deſto mehr überzeugt man ſich daß bie 
hochgeruͤhmten Gefchichtichreibee Griechenlands und 
Roms, in Bezug auf Lebendigkeit der Auffaffung und 
Bolndung der Darftellung, als die trefflichſten Var: 
bilder zu uns hberüberleuchten. Andererfeitö darf man - 
aber daran erinnern, daß ihre Aufgabe meift eine leid» 
tere war, als die ber heutigen Sefchichtichreiber; wenn 
anderd dieſe ed wagen ben Kreis ihrer Aufgabe irgend 
auszudehnen. on Herobots mit reichen Abſchwei⸗ 
fungen burchflochtenem Werke verlangt Niemand eine, 
fpäter erſt noͤthig werdende, überfihtlihe Anordnung 
und genaue Beitfolges und umgekehrt läßt man. es fich 


vi 

gefallen, wenn Thucydides die legte fo ſtreng beruͤck⸗ 
fihtigt, daß er ihretwegen die Erzählung mehre Male 
unterbricht und vorausfegt, man werde fi) dennoch 
auf dem engen Schauplage des Krieges leicht zurecht⸗ 
finden. Salluſt begnügt fih Epifoden wie ein kuͤnſt⸗ 
liches Ganzes darzuftellen, Cäfar trägt feinen Mittel- 
punft in fi felbft, und Livius und Tacitus haben 
an der ewigen Koma eine feſte Stelle von welcher 
Alles ausgeht und auf die fi, Alles bezieht. 


Schon das chriftlihe Europa im Mittelalter ift 
reicher gegliebert, doch bieten Lehnsweſen und Kirche den 
verbindenden, zufammenhaltenden Faden oder Gedanken. 
Seit dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts zerreißen 
aber dieſe Fäden, es brechen diefe Gedanken in unverein- 
bare Gegenfäge auseinander und Alles fteht in gewifftr 
Hinſicht vereinzelt da, während ed fich Doch in Wahrheit 
noch immer auf einander bezieht. Wer nur eine 
Richtung ‚ einen Gegenfap, ein Land darzuftellen 
übernimmt, hat allerdings eine leichtere Aufgabe und 
erwirbt verdienten Beifall für deren glückliche Loͤſung; 
weil aber die Entwidelung der europäifchen Menſch⸗ 
heit (wie gefagt) ein Ganzes, zu einander Gehöriges 
bleibt was, in heile zerlegt, eben nur heile zeigt 
und erläutert; fo erfcheint die umfaflendere Aufgabe 
Europas Gefchichte zw ſchreihen an ſich natürlich 


0. 


— 


vB 


und gerechtfertigt. Daß fi hiebei manche Schwie⸗ 
rigkeiten, ‚Binderniffe und Mißftände (z. B. in Hins 
fiht auf Anorbnen, Berweifen, Wiederholen u. bergl.) 
gar nicht befeitigen laflen, darf dem Gefchichtfchreiber 
nicht zugerechnet werden. Nur wenn überall feine 
Kenntniffe mangelhafter, feine Grundſaͤtze irriger, feine 
Darftellung unvollfommener find, ald das was Ans 
dere bereits leifteten, fo ift fein Werk als werthlos, 
oder doch als überflüßig zu bezeichnen. Jeder Vers 
faſſer kennt (wenn er anders nicht von Eitelkeit thoͤ⸗ 
richt verblendet wird) die Mängel feines Werkes viel 
genauer als die meiften Lefer und Beurtheiler, und 
weiß am beiten, wie weit er vom 3iele der Voll⸗ 
konnnenheit entfernt geblieben ifl. Aber eben beshalb 
Tann er nicht allen den widerfprechenden Forderungen 
genügen, bie an ihn gemacht werden. Gr darf ſelbſt 
mohlgemeinte Rathſchlaͤge zuruͤckweiſen, fobald eine 
ſtrenge Prüfung und ernftes Nachdenken ihn von bes 
ten Unbrauchbarkeit bereitö überzeugten; er fol fich 
den Vorurtheilen nicht unterwerfen, welche über Per: 
fonen und Sachen zufällig im Schwange find; er 
muß endlich feiner Natur getven bleiben, weil jeder 
Verſuch dieſe (etwa durch Nachahmung eines An⸗ 
deren) zu verwandeln, nicht zu hoͤherer Vollkommen⸗ 
heit, ſondern zum Unnatuͤrlichen und Erkuͤnſtelten 


fuͤhrt. 


yını 


Die Schwierigkeiten, mit welchen ich zeither ber 
reits gis kaͤmpfen hatte, erhöhen ſich noch ‚mit dier 
fem Bande Denn feit ber Selbſtregierung Lub: 
wigs XIV greifen die europätfchen Angelegenheiten 
mehr in einander ald zuvor; und doch wird Fein 
Reich fo der allein beflimniende Mittelpunkt für die 
anberen, daß man etwa von Paris, London, Wien 
oder Madrit aus, alled Europaͤiſche genügend dar⸗ 
ftellen koͤnnte. Daher habe id an manchen Stellen 
die Kenntniß gewifler Thatſachen vorausjeßen müffen, 
oder nur kurz darauf: hinweifen können, um erft bei 
gewiſſen Wende: und Ruhepunkten die umfländlichere 
Erzählung nachzuholen. Verwirft man diefe organifche 
Anordnung größerer Maſſen, fo bleibt nichts übrig. 
als alle Zufammengehörige aus einander zu reißen, und 
ed atomiftifh etwa nad) Jahrgaͤngen neben einander zu 
flellen; wodurch Leben und Überſicht zweifelsohne in 
üblerer Weiſe zerſtoͤrt wird. 


Noch weniger als über Auswahl und Stellung 
der Thatſachen, ift man einig in Hinſicht auf die 
Beurtheilung derfelben. Vor Allem muß biebei der 
Maafftab der dargeftellten, und nicht einer anderen 
Zeit angelegt werden; obwohl jede Vergangenheit 
durch Die fpätere Gegenwart, ſowie biefe duch jene, 
Licht und Aufklärung erhält. So zeigt denn auch 


⸗ 


IX 
die Zeit von 1661 bis 1715 in einem Plaren Spie⸗ 
gel: was Geift und Thaͤtigkeit, Uwerſtand und 
Laͤſſigkeit, Achte Vaterlandsliebe und Parteiwuth, 
glaͤnzender, leichtſinniger und eigenſinniger Abſoln⸗ 
tismus, chriſtlicher Sinn und heilloſe Unduldſamkeit 
an ſich ſind und welche Fruͤchte ſie tragen. Alle die 
einleuchtenden Thatſachen jener und der ſpaͤteren Zei⸗ 
ten ſollten mit unwiderſtehlicher Kraft die Geiſter 
belehren und die Gemuͤther reinigen. Herrſcher und 
Unterthanen, ſowie die Ghriften aller Bekenntniſſe, 
ſollten ſich von den trennenden, aufloͤſenden, zerſtoͤren⸗ 
den Grundſaͤtzen einer verdammlichen Politik und Di⸗ 
plomatik, von der Luſt an Tyramei und Anarchie, 
vom Verfolgen und Berkegern, enblih mit Ent: 
fegen abwenden und zunaͤchſt in den Karbinaltugen 
den (welche ſchon die ‚Heiden als Richtſchnur aner- 
fannten) Huͤlfe ſuchen. Jedoch nicht in einer un- 
tergeorbneten , vereinzelten Auffafjung, wo Mäßi- 
gung ohne KZapferkeit, oder Tapferkeit ohne 
Mäßigung . die höchften Anfprüche macht, bie Ger 
rechtigkeit bloß am ertoͤdtenden Buchſtaben feſt 
haͤlt, und die Weisheit gewoͤhnlich ganz vergeſ⸗ 
ſen wird. Hat man zugleich die Eigenthuͤmlichkeit 
und die Einheit dieſer vierfachen Grundlagen aner⸗ 
kannt und ſich zu eigen gemacht; ſo werden die 
chriſtlichen Tugenden des Glaubens, ber Hoff— 


ei 
nung und der Liebe größere Ausfihten eröffnen, 
Wege bahnen und Biele offenbaren, welche zeither 
nur zu oft unverftänbig geleugnet und a ges 
wiß aber noch nie erreicht wurden. 


Berlin, den IAten Mai 1838. 


IIInhalt. 


Seite 
Sechstes Bud. 
Das ſuͤbweſtliche Europa von dem Tode des Kardinals Mazarin, 
bis zum Tode Ludwigs XIV. (1661 — 1715.) 
Erſtes Hauptfiüd. 
Frankreich von dem Tode bes Kardinals Mazarin, bis zum achener 
Frieben. (1661 — 16683)3... .... 1 
Zweites HYauptfiäd. 
Von dem achener Frieden, bis zum — Frieden. (1668 — 


678). 2 son ae a le 43 
Drittes Sdasıdka 
&ubenig KIV und fen Sof - © - 2 2 ee 2. ..79 


Biertes Hauptſtück. 
Frankreichs Verfaſſung, Verwaltung, Kriegeweien und Finanzen 115 
Fünftes Hauptſtüc. 
Siſſenſchaft und Kunſt, Religion und Kirche... 158 
Sechstes Hauptſtuck 
Bon dem Abſchluſſe bes nimweger Friedens, bis zum Ausbruche 
des dritten Krieges. (1673— 1688.) - » - 2 0. .92 
Siebentes Hauptfiid. 
England von der Herftellung Karls IL, bis zur Vertreibung Ja⸗ 
kobs U. (1660 — 1688.) . » 1 ee 1 1 2 2 02% 235 
Erfter Abſchnitt. Ron ber en. I, 
bis zu deſſen Tode. (1660— 1685.) - + - 
Zweiter Abſchnitt. Bon der Shronbefteigung Satobs u, 
Be -1688) . . . 


XII 


Achtes Hauptſtück. | 

Bon dem Ausbrucke bes briften Krieged von 1688, bis zu ben Sie 

bensfchlüffen von Ryswik und Carlowitz. (1688 — 1699.) . 422 
Neuntes Hauptfiüd. 

England von ber Vertreibung Jakobs II, bis sum ee Frie⸗ 

den. (1688 — 1697) -» 2 2 nn et. .. .447 
Zeyntes Haupefiüd. 

Der Streit über bie ſpaniſche Erbfolge vom porendifchen Frieden, 

bis zum Tode Karls UI. (1659-170) . . 475 
Eitlftes Hauptfike. 

Der ſpaniſche Erbfolgekrieg bis zu den Schlacht von Ramillies und 

Zurin (1701 —1706.) -  « 2 2... r 8. 08 
Zwölftes Sauptfiüe. 

Innere Verhaͤltniſſe Ungerns, Großbritanniens, Spaniens und 
Frankreichs, waͤhrend der erſten — des achtzehnten Jahr⸗ 
BundertB: .;. 3.0, 538 

Dreizehntes 

Der ſpaniſche Erbfolgekrieg von den erſten Friedensantraͤgen, bis 
zum Frieden von Utrecht und dem Tode Ludwigs XV. 
4706=-1713.)... & u a8 2 8. ri re 580 


Seite 


Sechstes Bud. 


Das ſuͤdweſtliche Europa von dem Tode 

des Kardinal. Mazarin, bid zum Tode 
Ludwigs XIV. | 
(1661 — 1715), 


VL 1 


Erſtes Hauptſtuͤck. 
Frankreich von dem Tode des Kardinals Mazarin, 
bis zum achener Frieden. 

(1661 — 1668). 


Yu ber Kardinal Mazarin am vierten Mai 1661 flard, 1661. 
glaubten Günftlinge, Hofleute und Weiber, nun gehe ihre 
Herrſchaft an. Denn ber König habe (ungeachtet feine Nas 
tur und feine Abfichten von denen jenes erſten Minifters fehr 
verſchieden wären) ihm niemals widerſprochen unb werbe 
(wie zuvor, fo auch kuͤnftig) von Anderen beherrfcht wer⸗ 
ben. Richtiger hatte Mazarin gefühlt: daß Lubwig jeber 
Abhängigkeit Längft uͤberdruͤßig fey *), und vieleicht die Kraft, 
gewiß aber den Willen habe, felbft zu regieren. Ein folcher 
Vorſatz erſchien indefien um fo unerwarteter, da die franz: 
ſiſchen Könige und Königinnen ſeit funfzig Jahren alle Ges 
walt in die Hände geſchickter ober ungefchidter Minifter nie 
bergelegt hatten; er erfchien um fo Fühner, da nur ber reife 
Geiſt eines Mannes, und nicht die ungelbte Hand eines 
jährigen Juͤnglings im Stande fey, ber ungimfligen Ver⸗ 
hältniffe Herr zu werben. Mag Ludwig diefelben auch dunk⸗ 
lee gefchilbert haben, um feine fpäteren Werbienfte in deſto 
helleres Licht zu fielen; Vieles iſt unleugbar, was er in 
den Ihm beigelegten Schriften barlıber ausſpricht). Meine 
Enge (erzäbtt er) war ungemein ſchwierig. Es gab Feinen 
Großen der nicht für feine Wünfche auch ein angeblihed 


1) Zheil IV, &. 2346. 
2) Oeuvres de Louis XIV, Vol. 1. 
1% 


4 Sechstes Bud. Erſtes Hauptflüd, 


1661. Recht aufgefunden, Feinen Statthalter der nicht alle höhere 
Leitung zurücgewiefen hätte. Jede Forderung war mit Vor⸗ 
würfen über die Wergangenheit, ober mit gebieterifchen Hin- 
weifungen "auf die Zukunft verbunden. Gunftbegeugungen 
pflegte man mehr zu erzwingen, ald abzuwarten, und eben 
deshalb ohne Dank hinzunehmen; während. fie doch unzaͤh⸗ 
ligen Anderen zum Vorwande dienten mit ähnlichen An- 
ſpruͤchen heroorzutreten. Die Finanzen erfchöpft, der Credit 
nur mit Mühe zu erhalten, und dennoch großer Aufwand 
und Reichthum bei den damit befchäftigten Perfonen. In 
der Kirche Streit über den Janſenismus, unter ben Adeligen 

. viele Eingefchobene und Unwürbige, welche ihre Unterthanen 
mißhandelten. Die Stellen der Richter meift durch Zufall 
ober für Gelb befeht, verwidelte Formen, Prozeßfucht, wi⸗ 
berfprechende Verfügungen bed koͤniglichen Rathes u. ſ. w., 
und alle diefe oder ähnliche Übel auf das fchwer belaflete 
Bolt zurüdwirkend. 

Daß dieſe Übel zingetreten, daß fie nicht laͤngſt befeis 
tigt waren, hatte gewiß mannigfahe und verfchiebenartige 
Gründe; Ludwig aber lebte der Überzeugung, es gebe dafuͤr 
fowie nur einen einzigen Grund, fo nur ein einziges 

Heilmittel; bort bie Bertingerung, bier die Ver⸗ 
ſtaͤrkung der Föniglihen Macht. Die Zeiten der Ligue, 
der Minderjährigkeit Ludwigs XIU, und vor Allem die Ge: 

ſchichte feiner eigenen Jugend und der Fronde, fehienen dem 
Könige hiefür unwiderlegliche Beweiſe zu geben. Die Prin- 
zen, der Adel, die Geiftlichen, bie Parlamente, bis zu dem 
Pöbel hinab, hatten ſich nacheinander und durcheinander für 
heilbringende Zionswaͤchter ausgegeben, jeber in feiner Pars 
teianficht die unbedingte Wahrheit, in feinen eigennüßigen 
Zweden den Mittelpunkt alles öffentlichen Lebend gefehen. 
Daher geſchah ed: daß der Stönig (nach fo vielen und bit⸗ 
tern Erfahrungen über bie Empörung und bie ungebührlichen 
Anfprüche der einzelnen Glieder) in flolzem Selbftgeflihl fein 
gekroͤntes Haupt eniporhob und ausrief: der Staat, das 
bin ih! 


Lage Frankreichs. 5 


Sehr oft haben bie Franzoſen und ihre Könige vers 1661. 


kannt, baß bie gleichzeitige Entwidelung bed Verſchieden⸗ 
artigen, ja bed Entgegengefesten zum Weſen bes 
Lebens gehört; fie haben bald dies, bald jenes, aber meift nur 
Eines geehrt und das Abweichende dann vernadfläffigt, ans 
gefeinbet ,. verachtet, zu Boden getreten. Alsdann wurben 
fie in einer ober ber anderen Richtung fortgeriffen, und bes 
berrfcht: von einem Könige, einem Minifter, einem Priefter, 
einem Zeldherrn, einem Gedanken, einem Gefuͤhle, einer 
Lehre, einer Wahrheit, einem Borurtheile, einer Dorheit. 
Die bunteflen und wiberfprechenbften Anfprlche, welche zur 
Zeit der Fronde vornehm einherfchritten, hatten allen Glaus 
ben verloren unb ſich abgenutzt; und ftatt der Allerweitöres 
giererei vieler Heiner Könige in den Gerichtöfälen ober auf 
den Straßen, drängte im Rüdfchlage und durch Gegenwirs 
kung, die ganze Zeit zu bem bin was Lubwig wollte und 
bezwedte: zur Einheit und Unumſchraͤnktheit ). Auf 
übertriebene Schwächung folgt uͤbertriebene Erhöhung ber 
Eöniglichen Macht, bis deren Mißbrauch fehr natuͤrlich noch⸗ 


mald umb mit verboppelter Kraft in die entgegengefehte Ride 


hineintreißt. 
Sefchidt und folgerecht in feinem Sinne vorfchreitend, 
entfernte ber König alle Prinzen und Vornehme von ber 
Leitung Öffentlicher Angelegenheiten, und duldete fie nur als 
Höflinge in feiner Nähe. Statt eines allmaͤchtigen Minis 
ſters, ftellte er mehre aus unbedeutenden Familien Ermählte 
neben einander, welche in allen erheblichen Sachen bie letzte 
Entſcheidung von ihm empfingen. Die Parlamente wurden, 
und mit Erfolg, auf unbedingten Gehorfam hingewieſen, bie 
gefährliche Stelle eined Oberſten bed gefammten franzöftfchen 
Kußvolls eingezogen und bad Heer, inöbefondere aber die 
Leibwache gewöhnt, in bem Könige die einzige Quelle alles 
Lohnes und aller Strafe zu erbliden. — 

Mit Verſtand und Thaͤtigkeit, und von — Maͤn⸗ 


1) La Fare Mem. 87, 42, 259. 


N 


6° | Schstes Bud. Erfes Hauptfiüd. 


1664.nern (wie Teller, Lyonne!), Colbert) unterſtuͤtzt, brachte 

Ludwig im Imneren Frankreichs fo viel au Stande ) , daß 

des Kardinals Verwaltung ſehr dadurch in Schatten geſtellt 

wurde. Aber nur zu fruͤh erſchienen dem ehrgeizigen Koͤnige 

dieſe einhemifchen Fortſchritte zu reizlos und glanzlos, und 

.er richtete feine Blicke auf das Ausland, um dort einen ans 
geblich größeren Ruhm zu erwerben. 

-Um die Zeit wo Ludwig XIV feine Selbfiregierung ans 
trat, war faft ganz Europa nach langen und hoͤchſt verderb⸗ 
lichen Kriegen zur Ruhe gekommen; es bedurfte eines viel⸗ 
jaͤhrigen Friedens und haͤtte, ohne jenen Koͤnig, ſich deſſen 

wahrſcheinlich erfreut. Die Friedensſchluͤſſe von Oliva, Kos 
penhagen und KRarbis?) hatten die Fehden zwiſchen Ruß⸗ 
land, Polen und Dänemark beendigt, der weitphälifche 
Friede das mittlere Europa, der pyrendifche Spanien berus 
bigt, und die Herftelung Karls HI England zunaͤchſt auf 
fi ſelbſt angewiefen. Bon keinem Staate konnte Frank⸗ 
reich irgend einen Angriff befürchten, mit allen Feinden mar 

es verföhnt, und ed kam nur auf fein eigened Benehmen 
an zu ben ehemaligen Freunden neue zu gewinnen. In Lud⸗ 
wigs Hand lag alfo in Wahrheit die Gegenwart unb Zus 
kunft Europas, und ſchon während ber erften Jahre feiner 
Selbftregierung ergab ſich, was man von ihm zu erwarten 
hatte. 
Inm Oktober 1661 erhob ſich beim Einzuge bes ſchwe⸗ 
bifchen Geſandten in London ein ungebübrlicher Streit uͤber 
den Vorrang bed. franzöfifchen und foanifchen Botfchafters *). 
Ludwig begnügte ſich nicht damit, daß Philipp IV feines. Ges 


1) Lyonne war fleißig und geiftweich, aber anbererfeits ben Ders 
gnuͤgungen ergeben, anmaaßend unb leichtſinnig in Bezug auf Verträge 
und Worthalten. Flassan III, 891. Evremond IX, 96. 
2) Hievon wirb ſpaͤter im Zuſ ammenhange Bericht erftattet werben. 
8) Theil V, &. 891. 
4) Bei den Verhandlungen mit Erommell im Jahre 1655 klagte 
der frangöfifche Gefandte, daß man Ludwig genannt: rex Gallorum, 
" flatt rex Gulliae. Thurloe statepapers IV, 107. 


Sefandte, Portugal, Rom. y 


fanbten Watteville Benehmen mißbiligte, fondern ber Schwies 1661. 
geroater mußte (um Krieg zu vermeiden) dem Schwiegers 
fohne in Paris eine Art förmlicher Abbitte In m Re 
hern Anfprücen entfagen '). 

Im pyrenaͤiſchen Frieden hatte Lubwig auf fine Ehre, 
im Glauben und mit bem Worte eined Königs verfprochen, 
die Portugiefen in Feiner Weiſe, weder jemals öffentlich 
noch insgeheim zu unterflügen, noch Werbungen, Durch: 
maͤrſche und dergl. zu verftatten. Dennoch gefchab dies ohne 
Shen und Lubwig fagte zu feiner Rechtfertigung: daß eben 
jene Feierlichkeit bed Verſprechens und bie Außerfte Vorſicht 
der Spanier ihren Glauben erweife: er werbe auf dies Al: 
18 Leine Rüdficht nehmen! Behauptete doch felbft ber 
gemäßigte Tuͤrenne: jened Werfprechen laufe gegen bie na⸗ 
tinliche Billigkeit, das Voͤlkerrecht unb bie Verpflichtung 
der Könige fi) untereinander beizuftehen!”) — Nur wenn 
Spanien bie Erbrechte feiner Gemahlinn (mindeſtens insges 
heim) wieder anertenne, deren Entfagung aufhebe und in bie 
Abtretung von Branchecomte, Luremburg, Hennegau und 
Cambrai willige, ober ihn mit der Branchecomte und Bel 
gien belehne, wollte Lubwig XIV fein Benehmen ändern und 
Rh mit Philipp IV verbinden!”) — Spanien wies natürs 
Ih dieſe Anträge zurüd, 

Ludwigs Befandter in Rom, der Herzog von Crequi, 
war wegen feines Stolzes gehaßt, unb nicht minder bie 
Stranzofen feines Gefolge welche ihres Herrn Beiſpiel fo 
viel als moͤglich nachahmten. Dies veranlaßte am 20ſten 
Auguſt 1662 einen Streit zwiſchen ihnen und einigen Kors 1662. 
fen welche zur päpfllihen Leibwache gehörten, der fi) all- 
mälig fo fleigete, daß des Botſchafters Haus beſtirmt 
wurbe unb mehre Menfchen umd Leben kamen. Aleran: 


1) Oeuvres de Louis XIV, I, 150. Larrey III, 250. 

2) Flassan Histoire de la Diplomatie frangaise TUI. 260. Py⸗ 
sendifcher Friede Artikel 60. Dument VI, 2, ©. 272. 

5) Mignet nögocietions sur la suocession d’ Espagne I, 100, 
108, 110. 





8 | Sechstes Bud. Erſtes Hauptſtuͤck. 


1662. der VII ließ es zwar an allgemeinen Entſchuldigungen nicht 
fehlen, welche aber dem Könige um fo weniger genügten, ba 
er glaubte daß der Papft, oder doch wenigftend deſſen Ver⸗ 
‚wandte, die Hand mit im Spiele hätten, und gern biefe - 
Gelegenheit ergriff jenen (gleichwie früher den König von 
Spanien) zu bemüthigen, Avignon und Venaiſſin zu befeßen, 

' ober auch mit Heeresmacht in Italien einzubrechen. Da 
Spanien und Sſterreich nicht geneigt waren um des Pap⸗ 
ſtes willen ſich in Krieg zu verwickeln), mußte dieſer zuletzt 
in Allem nachgeben. Der Kardinal Chigi, des Papſtes 
Neffe, bat in Paris feierlich um Verzeihung, Don Mario, 
des Papſtes Bruder, ward aus Rom verwieſen, Don Ago⸗ 
ſtino Chigi (ein zweiter Neffe des Papſtes) empfing nebſt 
andern Verwandten, den Herzog von Crequi an den Tho⸗ 
ren Roms mit großen Entſchuldigungen, der Polizeivorſteher 
ward abgeſetzt und verjagt und das Volk der Korſen fuͤr 
unfaͤhig erklaͤrt jemals wieder in paͤpſtliche Dienſte zu tre⸗ 
ten. Endlich mußte man in Rom eine Pyramide errichten 
und darauf den Hergang und den Ausſpruch gegen die Kor⸗ 
ſen zu ewigem Andenken verzeichnen. — Allerdings haͤtte 
ſich Alexander VII einem ehrgeizigen, uͤbermaͤchtigen Könige 
gegenuͤber, vorſichtiger benehmen koͤnnen und ihm durch ra⸗ 
ſche Beſtrafung der Schuldigen jeden Vorwand weiterer Be⸗ 
ſchwerde abſchneiden ſollen; andererſeits trieb aber Ludwig 

den Streit auf eine ungebührliche Höhe, und ber Papſt hatte 
Recht zu fagen ?): der König behandele ben Water der Glaͤu⸗ 
bigen (wegen eines zufälligen Streites, an dem er gar kei⸗ 
nen Theil habe) mit unwuͤrdiger Härte; während ex doch 
leide daß fein Botſchafter von den Tuͤrken geprügelt, einge: 
fpeert und wie ein geringer Sklave behandelt werbe ’). 


1) Desmarais Histoire des démèles avec la cour de Rome. 
Estrades lettres II, 74, 79, 163. Lettres de Louis XIV, I, 99. 
Flassan III, 310. 

2) Larrey Histoire de Louis XIV, III, 299. 


3) Siehe hierüber Hammer, Geſchichte der Türken Ju ‚ 490 und 
582. . 


Rheinbund, Lothringen. 9 


Der Plan Ludwigs, flatt Leopolbs I Kalfer zu werben, 1662. 
war banptfächlich durch den Widerſpruch ber Churfürften von 
Sachſen und Brandenburg mißgluͤckt; doch Fam fihon am 
44ten Auguſt 1658 ein, fpdter mehrmals erneuter Bund zu 
Stande ') zwiſchen Frankreich, den geiftlichen Churfärften, - 
dem Bifchofe von Münfter, dem Herzoge von Braunſchweig⸗ 
Lüneburg, dem Landgrafen von Heſſenkaſſel, dem Könige von 
Schweden und einigen anden Fürften und Ständen. Ver⸗ 
möge biefes Rheinbundes (wie man ihn nannte) warb 
Ludwig Schugherr über einen großen Theil Deutſchlands, 
trennte (unter dem Vorwande den weftshälifchen Zrieben 
aufrecht zu halten) undeutſch gefinnte Zürften ven ihren 
Landsleuten unb ihrem Kaifer, unb machte es dieſem uns 
möglich die fpanifche Linie feines Haufes irgendwie zu ums 
terſtuͤtzen. Ja in folhem Maaße milchte ſich Lubwig in bie 
deutſchen Angelegenheiten), daß er dem Churfürften von 
Mainz 3000 Dann zu Hülfe ſchickte, um (ohne Rüdficht 
auf dad buch Reichsgeſetze vorgefchriebene Verfahren) bie 
Stadt Erfurt zu Paaren zu treiben. 

Der Herzog Karl von Lothringen (gewonnen durch 
die Vorſtellungen des Minifters Lyonne) trat fein Land (im 
Binerfprucch mit allen Gefegen, Rechten und Pflichten) durch 
einen Vertrag vom Februar 1662, für den Fall feines 
Todes, an Frankreich ab. Als ded Herzogs Neffe feine ges 
sechten Anfprüche geltend zu machen fuchte, entgegnete Lud⸗ 
wig: Herzog Karl habe feit dem pyrendifchen Frieden fo viel 
gefimbigt, daß er ihm fein Land mit Gewalt hätte nehmen 
Finnen. Auch fey, Alle zu Allem gerechnet, jener Schen» 
kungsvertrag dem. Herzoge vortheilhafter, ald dem Könige: 
venn anflatt ſich die Herzogthümer Lothringen und Bar 
durch offene Fehde (de haute lutte) zuzueignen, habe er 
bie Herablaffung gehabt fie wie eine freie Gabe 


1) Flassan III, 220. Oeuvres de Louis XIV, 1, 78, 190. 
Dumoat VII, 2, Urt. 95. veiarich beutfche Reichgefchichte VIL, 67. 
2) Im Dftober 1664. ' Larrey III, 854, 


10 Seqhstes Buch. Erſtes Haupeftüd. 


1662. anzunehmen, welche er reichlich und prachtvoll 
dadurch gelohnt, daß er den lothringiſchen Prin⸗ 
zen bie Ehre bewilligt, für Prinzen von Geblüͤt 
gehalten zu werben!) — Während die franzöftfchen 
Großen biefe Boranftellung der Fremden uͤbel nahmen, wies 
das Parlament bei Eintragung jener Schenkungsurkunde 
Darauf hin: baß Ludwig (laut des Rheinbundes der Aufrecht- 
halter des weftphälifchen Friedens!) fein Bei bis zum 
Rheine ausdehnen möge, und fügte mit ſchnell einges 
lernter, hoͤfiſcher Schmeichelrebe hinzu: ein Wort bed Kds 
nigs, mit Wärme (chaleur) auögefprochen, verbreitet Schrek⸗ 
Sen bis jenfeit der Säulen bes Herkules”). 

So bezeichnend und wichtig auch alle die erzählten Eins 
geinheiten für Sinnedart und Richtung bed jungen Königs 
von Frankreich erfcheinen, tritt doch Gang und Methode ber 
franzöfifchen Politik noch deutlicher und zufammenhängenber 
in den Verhandlungen hervor, welche während jener Jahre 
im Haag (dem damaligen Mittelpunfte ver europdifchen Dis 
plomatif) hauptfächlih duch de Witt und ben ungemein 
Fugen und gewandten Botichafter Eftrades geflihrt wurden. 

Die Erinnerung früheren Beiſtandes und die Abnei⸗ 
gung ber republitanifchen Partei gegen bad -mit. ben Stuarts 
nahe verwandte Haus ber Dranier, trieb bie vereinigten 
Niederlande mehr zu Frankreich bin, als zu England’). 
Doc fehlte ed ſchon im Jahre 1656 nicht an ernſten Miß⸗ 
verftändniffen. Die Holländer führten damals einen fo vor⸗ 
theithaften Handel nad) Indien, und ſelbſt nach Spanien, 
daß Frankreich darüber eiferfüchtig ward und nach bem Grunb- 
füge: „feinblihes Gut fey überall wegzunehmen” *), durch 
feine Kaper unzählige nieberlänbifche Schiffe aufbringen ließ. 


1) Larrey IM, .280. Oeuvres de Louis XIV, I, 166. L’art 
de verifier les Dates XIII, 420. 

2) de Wätt lettres II, 807. 

9) Estrades Lettres et M&moires I, 192; II, 0. 

4) Robe d’ennemi confisque celle d’ami 


Frankreich und die Niederlande. 11 


As alle deshalb erhobenen Klagen umberhdfichtigt biichen, 1662. 
bemächtigten ſich die Holländer ebenfalld einiger franzoͤfiſcher 
Schiffe; weshalb Ludwig nicht nur alle hollaͤndiſchen Waa⸗ 
en und Kauffahrer mit Beſchlag belegte, ſondern auch aus 
genblickliche Senugthuung verlangte‘). Erſt naher werde 
er ſehen was zu thun ſey. — Weil indeß die Holländer ıms 
geſchreckt allen Handel mit Frankreich abbrachen. unb bie Bes 
ſorgniß entſtand fie möchten fi) ganz zu Spanien hinwen⸗ 
den, kam eine Ausgleichung zu Stande, woran ſich balb 
ber Berfuch einer engeren Verbindung anreihete. Denn Hols 
land wünfchte des Schutzes einer großen Landmacht gewiß 
zu feyn, und Ludwig wußte wie viel ihm bie erfle Handels⸗ 
md Seemacht, bei feinen Planen wiber Spanien bereinfl 
nuhen koͤnne. | 

Am 27ften April 1662 kam zwifchen beiben Theilen 
ein Bertrag zu Stande *), vermöge deſſen fie ſich alle jekigen, 
und Fünftig zu erwerbenden Beſitzungen und Rechte inners 
halb Europa verbärgten. Als fih ver Kanzler Clarendon 
etwas ſtark, ja faſt drohend uͤber biefen Vertrag dußertes 
(möbefondere weil bie engliſcherſeits beſtrittenen Anſpruͤche 
der Hollaͤnder auf gewiſſe Fiſchereien anerkannt waren) ſchrieb 
Lig XIV an Eſtrades):. „Ich kenne keine Gewalt auf 
Erden, die mich in folder Weile auch nur zu dem Gerings 
fien bewegen vermöchte. Ungluͤck kann mid, treffen, nies 
mals aber wirb mich Furcht berühren. Könige, die wie ih 
vor Allem Ehre und Ruhm im Auge haben, müffen auf 
ganz andere Weiſe bebanbelt werde, wenn man mit ihnen . 
zum Ziele kommen will. Des Kanzlerd hoher Ton wirb 
mich vielmehr dahin bringen das zu thun, was er zu vers 
meiden firebt.” — Und fo geſchah es, zur Freude aller hol: 
laͤndiſchen und franzöfifchen Kaufleute, weil vieliährige Stoͤ⸗ 


1) Flassan III, 203. Wagenaer V, 480. 

2) Estrades II, 1, 209. Die Vollziehung des Vertrags fand aus 
manchen Gründen erſt im April 1663 flatt. £ 

8) Estrades J, 210, 212; II, 273, 279, 304. 


42 | Sechſstes Buch. Erſtes Hauptftäd. 


1662. sungen nunmehr ein Ende nahmen und einige Abgaben vers 
windert wurden "). | 
Als die Engländer fahen, daß fie jenes Bimbniß nicht. 
bintertreiben konnten, fchlofien fie (um Holland mehr ober 
weniger von Frankreich abzuziehen), am 14ten September 
1662 ebenfalld einen Vertrag mit dieſem Sreiftante *) und bes 
wirkten (von den oraniſch Gefinnten unterflügt) bie Ruͤck⸗ 
nahme der durch Cromwell betriebenen - Ausſchließung bes 
Prinzen Wilhelm von allen öffentlichen Ämtern. Nachdrlck- 
lihere Verwendungen Karld IL für biefen, welche bie dama⸗ 
1663. lige VBerfaffung Hollands zum Theil umgeftaltet hätten, wurs 
den hingegen abgelehnt und durch ein befondeted Gefek °), 
allen Beamten Schadloshaltung zugefihert, im Fall fie 
wegen muthiger Verwaltung ihrer Stellen, an Gütern ober 
echten verkürzt werben follten. 
An biefe Maaßregel der republifanifchen Partei, reih⸗ 
ten fi neue Streitigkeiten mit England über angehaltene 
- Schiffe, Streichen der Flagge; Sränzen in Afrika und Ames 
rika u. f. w, *)5 welche fich leicht hätten ausgleichen laflen, wenn 
Karl II unbefangen und ſtaatsklug, fein Gefandter Downing 
höflich und feiebliebend gewefen wären, umb Lubwig XIV nicht 
in diefen Spannungen und Mißhelligkeiten ber beiden pro= 
teflantifchen Handelsſtaaten feinen Vortheil gefehen hätte ®). 
So fehr er nämlich auch nach allen Seiten hin etmanige 
Anfprüche geltend zu machen ‚fuchte, warb doch Alles feinem 
Hauptplane untergeorbnet: fi auf Unkoſten Spaniens, 
und zwar zunaͤchſt in ben Eatholifchen Niederlanden zu vers 
groͤßern. Da Spanien viel zu ſchwach war .allein ber 
franzöfifhen Übermacht zu wiberfiehn; fo kam Alles darauf 


1) de Witt Histoire I, 244, 47; II, 261. 

2). Schöll traitös I, 808. de Witt Histoire I, 252. 

8) Wagenaer V, 471— 480. 

4) Basnage annales des Provinces unies I, 680, 682, 713. 


5) 1662 war Streit’ zwifchen Frankreich und England über ben 
Be von Alabien. Estrades I, 288. 


Spanifge Niederlande. 13 


an England umb bie vereinigten Nieberlande für jene franz 1663. 
zfiichen Plane zu gewinnen, ober zu veruneinigen, damit 

fie außer Stanb geſetzt würben biefelben zu hindern. Um 
dieſen Hauptpunkt drehen fi alle Unterhanblungen und 
Ereigniffe der naͤchſten Jahre. 

Der fpanifche Gefandte im Haag, Don Eſtwan de 
Gamarra machte die Holländer aufmerkſam, welche Ge 
fahr für fie aus jeder Erweiterung ber franzöfifchen Macht 
entfiehen wuͤrde, und trug unter Anerbietung günftiger Hans 

- belöbebingungen darauf an, daß fie mit Spanien ein Buͤnd⸗ 
niß zur Wertheidigung ber fiebzehn nieberländifchen Lands 
(haften ſogleich abfchließen möchten. Weil aber bei der voͤl⸗ 
ligen Erſchoͤpfung Spaniens ') die ganze Laſt dieſes Bündnifs 
ſes den Hollaͤndern allein zugefallen waͤre und die Franzo⸗ 
fen lebhaft widerſprachen, fo kam jetzo nichts ‚zu Stande; 
doch beſchloß de Witt gewiſſe zeither umgangene Bragen 
zund heraus zur Sprache zu bringen, um ſich darüber wo 
nicht mit Ludwig zu einigen, doch feine Abfichten und Zwecke 
bDeutlicher zu burchfchauen ?). Er erflärte deshalb im April 
1663 dem franzöfifchen Gefandten Eſtrades: es fey zu fuͤrch⸗ 
ten, daß Lubwig XIV nach dem Zobe- Philipps IV (ungeachs 
tet aller Entfagungen) Anfprüche auf bie ſpaniſche Monar⸗ 
die machen werbe ”): entweber weil gewiffe Bebingungen 
des Heirathsvertrages nicht erfüllt wären, ober weil die Koͤ⸗ 
niginn Maria Thereſia ihren‘ Erbrechten auf die Nieberlanbe 
keineswegs habe entfagen koͤnnen. In diefer Lage müfle 
Frankreich und Holland fi über zu ergreifende Maaßre⸗ 
geln und Auswege verfländigen. Entweder nämlich nähmen 
beide nur gewiſſe Grängpläge in Beſitz um fich abzurunden, 
und bie zehn Landfchaften bildeten fi zu einem Freiſtaate 
unterdem Schuge Frankreichs und Hollands; oder aber man 
theile diefe Landſchaften unter beive Staaten. 


1) Estrades I, 319. 
2) Estrades II, 178, 220, 240, 266, 274. 
8) Siche Theil IV, &. 242, 


14 Schötes Bud. Erfes Hauptftüd. 


10a Anſtatt ſich naͤher auszufprechen, ober Einwendungen 


zu erheben, antwortete Ludwig im Junius 1663: er nehme 
beide Plane an, beide feyen ihm Recht. Obgleich nämlich 
de Witt dies Alles nur als feinen perſoͤnlichen Gedanken, 
ober Einfall hingeftellt hatte; fehlen dem Könige bie Meis 
nung bed Rathöpenfionard doch von großer Wichtigkeit, und 
Eſtrades fuchte in weiteren Geſpraͤchen zu erweifen daß 
Maria Therefiens Entfagung nichtig ſey: benn 

4) fey fie nur bedingt ertheilt, die verfprochene Ausſteuer 
aber nicht bezahlt worben, Ä 

2) babe man fie nicht (wie ber. Ehevertrag fordere) in 
Frankreich anerkannt und beftdtigt, 

3) koͤnne man einem Rechte der Natur, Uberhaupt nicht 
durch ein bürgerliches Abkommen entfagen. 

Dieſe Erklärungen wiefen allerdings fchon auf ums 
faffendere Plane binz doch nahm Ludwig in biefem "Augen 
blide jene Worfchläge an, weil ihm beide ſchon jetzt mehr 
ober weniger Vortheile zuficherten , und jebenfals bie 
Holländer außer Stand festen fi mit Spanien zur unver⸗ 
Fürsten Erhaltung ganz Belgiens zu verbinden. 

De Witt aber fah ein: daß er durch Ludwigs Fluges 
Benehmen in der Sache nicht weiter gekommen war, und 
insbefonbere ber Xheilungsplan ben größten Bedenklichkeiten 
und Schwierigkeiten unterlag. So würbe, alles Anberen nicht 
zu gedenken, ber freie Handel Antwerpen: (mochte e8 num 
an Frankreich oder die Niederlande fallen) ben Handel Ans 
ſterdams zu Grunde gerichtet haben. 

Wenn das Gefühl dieſer Schwierigkeiten de Witt obs 
bielt in einer fo wichtigen Sache rafcher vorzufchreitens fo 
wollte Ludwig ebenfalld nicht gern laut von feinen Anfprüs 
hen veben, damit Spanien nicht aufgereizt werbe, ober ihm - 
durch Zahlung der Außfteuer einen Hauptvorwand abſchneide. 
Im November 1663 ſah fich indeffen de Witt genöthigt 
dem franzdfifchen Geſandten neue Vorftellungen zu machen. 


_ 1) Estrades II, 269, 277, 290, 21. 


Spanifche Niederlande 16 


Bisher habe man an eine Theilung Belgiens, ober an Bil:. 1663. 
dung eined neuen Freiſtaates nur für den Fall gedacht, daß 
nicht bloß König Philipp, fondern auch beffen einziger Sohn . 
Den Karlod fterbe; jet hingegen gewinne es den Anfchein 
als wolle Frankreich fchon nach dem Tode bed Königs, und 
vor dem Tode des Prinzen, Anfprücde auf Fandern ges 
tend machen. Seit ben erſten Herzogen von Burgund häts 
ten aber Zöchter erfter Ehe niemals Söhne zweiter Che außs 
seihloffen, und nur in einem Kreife Brabants habe eine aͤhn⸗ 
liche Sewohnheit für Privatperfonen, nicht aber für höhere 
Lehn (biefs liges), flatt gefunden. Sollte ber König Ans 
fprüche die ſer Art machen, fo wuͤrde er, de Wil, großen 
Berwürfen ausgeſetzt ſeyn und bie allgemeine Stimmung in 
ven vereinzelten Staaten fich für einen Bund mit Spanien 
wöiprechen, aus Furcht an Frankreich einen übermächtigen 
Nachbar zu bekommen '). 

Den 20ften December 1663 fuchte Ludwig be Witte 
Behauptungen zu widerlegen und feine Anfprüche nochmals 
zu begründen. Gin Buͤndniß Hollands mit dem ſchwachen 
Spanien werbe zu nichts führenz ja zur Zeit ber Verhand⸗ 
Imgen über ben pyrenaͤiſchen Frieden babe Don Luis 
ve Haro ben Worſchlag gemacht: Frankreich folle ſich mit 
Opsim verbinden, und bie vereinigten Niederlande erobern. 
Verſuhren diefe nicht aufrichtig, fo werbe man. allen Han⸗ 
del mit ihnen unterfagen und ſich ganz ben Englänbern ans 
ſchließen. Ich void (fchreibt der König) mich nicht von 
dem Bern de Witt zu Allem binziehen laſſen, was ihm 
gefällt und wann es ihm gefällt, lediglich durch bie Furcht 
daß Holland fi mit Spanien verbinden werde. Meine 
Angelegenheiten find nicht in fo uͤbelem Zuſtandez ich weiß 
und fühle wer ich bin, auch ift meine Freundſchaft been 
die fie befigen, wuͤnſchenswerther und nüblicher als mir bie 
Übrige; und die, welche jene verlieren, büßen st, mehr 
an als ich.” ?) 

1) Estrades II, 382841. 

2) Estrades II, 848. Wagenaer V, 500. 


+ 
. 


16 Sechstes Bud. Erites Hauptftüd. 


1663. An demſelben Tage wo bied Schreiben abgefaßt wurbe, 
erftattete Eſtrades einen Bericht über neue Außerungen de 
Witts '). Die Gründung einer belgiſchen Republik (fo ſprach 
diefer) aus den zehn Latholifchen Landfchaften iſt faſt un- 
möglich. Leichtfinn der Voͤlker, verfchiedene Intereſſen des 
Handeld und ber Religion, ſowie vieles Andere ftehen dieſem 
Plane entgegen, und bas Ende wäre daß fi Alle an 
Frankreich Ubergäben. Nicht Wenige begen in Holland bie 
Überzeugung, der König fuche Händel Mit Spanien, wes⸗ 

- Halb man die Voͤrſchlaͤge des Kaiſers und Philipps IV ans 
hören muͤſſe. Jedes Vuͤndniß mit dem legten erfcheine aller 
dings gfährlih und führe zu langem und blutigen Kriege; 
aubererfeitö wuͤrde Belgien, wenn bie vereinigten Nieberlanbe 
ſich nicht zur rechten Zeit vorfähen und ficherten, ohne Zwei⸗ 
fel von Frankreich erobert werden. Died Ereigniß braͤchte 
aber den Holländern ſolche Gefahr, daß fie Alles aufbieten 
wuͤrden es zu bintertreiben. 
.Nach näherer Entwidelung ber Verhältniffe bemerkt 

Eftrades: der König müffe entfcheiden ober auf.bie milberen 
Plane der Holländer eingehn und gemeinfam mit ihnen 
vorfchreiten, ober feine Rechte mit den Waffen felbft wi: 

4664. der biefelben verfolgen wolle. Am 20ften April 1664 ant: 
wortet Lubwig: „meine eigentliche Abficht ift, mich durch 
nichts zu binden, fonbern die Unterhanblungen in, die Länge 
zu ziehen und nach den Umſtaͤnden das zu thun”), worin 
ich den höchiten Ruhm und den größten Vortheil für mich 
und ‚meinen Staat fehe””)., — Gleicherweife wollten fich 
auch die Generalftanten über bie noch unficheren Anfprüche 
der Königinn von Frankreich unb des Prinzen von Spanien 


1) DI, 812, 8599. 

2) Estrades II, 888, 421. Basnage I, 685— 690. 

8) Dies mußte de Witt fehr wohl und fagt in einer Denkfchrift: 
N faut que le Roi de France ait une moderation extraordinaire 
et presque miraculeuse, s’il se deponille de l’ambition qui est si 
naturelle à tous les prinoes. Mignet I, 267. 


Lage Europas, England. 9 


nicht beſtimmt ausſprachen, ober näher auf einen Plan eins 1664. 
gehen, worin: bie fernere Schließung ber Scheide von Ludwig 
nicht angenommen war. 

. Alle die bier beruͤhrten Fragen waren nicht bloß von 
böchfter Wichtigkeit flr die vereinigten Niederlande, ſondern 
fie landen auch in der weſentlichſten Werbindung mit ber 
Unabhängigkeit aller europdifchen Staaten, und be Witt . 
wide fie nicht fo Angftlich behandelt und bald dies bald jes 
ned verſuchsweiſe in Vorſchlag gebracht haben, wenn er ir⸗ 
gend mit Sicherheit auf mächtige Werbindete hätte zählen 
time. Aber Schweden fand feit Langer Zeit immer auf 
Frankreichs Seite, Spanien (ohne Heer unb ohne Gelb) bes 
derfte ſelbſt des Schutzes, und dad große Deutfchland nebſt 
ſeinem Kaiſer war durch den dreißigjaͤhrigen Krieg fo ges 
ſchwaͤcht und burch ben weftphälifchen Frieden nur fo uns 
volllommen geheilt; baß es kraftlos und gebankenlos ben 
Entwidelungens der europäifchen Angelegenheiten zuſah, als 
wenn bie Gefahr es nie felbft erreichen, ober jener verwerfs 
liche Rheinbund mit Frankreich hinreichende Hülfe gewähren 
fine! So blieb faſt nur die eine Hoffnung: daß Eng: 
land (gleich entfernt von bee Schwäche der erſten Stuarts, 
wo den ruheftörenden Grundſaͤtzen ber Republik und Crom⸗ 
weis) nach der Herfiellung' Karld II die edle Rolle wieder 
übernehmen werde, welche bie große Euüſabeth mit fo viel 
Kroft als Muth durchgefuͤhrt hatte‘). Daß niemals eine Hoffs 
nung ſchmerzlicher getäufcht worben ift, werben wir fpäter 
m Zuſammenhange erweiſen. 

Anſtatt in engſter Verbindung mit Holland den taͤglich 
ſteigenden Anſpruͤchen Frankreichs entgegen zu treten und 
dem ‚fonft unabwendbar nahenden, unermeßlihen Leiden eis 

gennuͤtziger Eroberungskriege vorzubeugen, hielt man in Eng» 
land feft am umtergeorbneten Standpunkten, exbitterte fich 


— 


1) de Witt ſagte: ſeit Eliſabeth ſey bie engliſche Politik fo ſchwan⸗ 
Im geweſen, daß man nicht für zwei Jahre darauf — bauen koͤn⸗ 
nen. Templo Works, letters 54. 

U, 


a er 


2 








y 


18 Sechstes Buch. Erſtes Hauptſtüͤck. 


1664. über allerlej Kleinigkeiten und kam einem thoͤrichten Rulege 
mit den vereinigten Niederlanden immer naͤher; obgleich dieſe 
ihn natuͤrlich aufs Hoͤchſte zu vermeiden ſuchten und zu jeder 
Genugthuung beveit waren, welche mit dem Wohle und der 
Ehre ihres Staates vereinbar erſchien. 

Während Biele glaubten Lubwig XIV freue fich heimlich 
biefer Mißverſtaͤndniſſe und’ fuche fie zu vergrößern '), erbot 
er fih zur Vermittelung und ermahnte zum Frieden. Seine 
wahre Gefingung offenbart fi wohl am beften in einem 
Briefe an Eftrades vom fünften December 1664, worin er 
im Weſenilichen fagt: „Ich glaube daß die Holländer es 

‚ ernſtlich mit mir meinen, fo lange fie von England bedroht 

find. So bald aber ihre Angelegenheiten ein beffered An⸗ 
fehn gewinnen, werben fie vieleicht anderd handeln und fich 
mit dem Kaifer und Spanien verbinden, um meinen An- 
ſpruͤchen auf Slandern entgegenzutreten. Daher befinde ich 
mich in großer Verlegenheit: benn einerfeitö will ich den im 
Jahre 1662 mit Holland gefchlofienen Vertrag nicht bre⸗ 
chen, und andererfeitd thue ich mir felbft Schaden und ver: 
liere England, fobalb ich den Niederlanden Beiftand leiſte. 
Karl IE bietet mir nämlich (wenn ich Holland preis gebe) 
freie Hand für alle meine Plane in Belgien) ohne felbft 
einen Zoll breit Landes zu verlangen, und behauptet er fey 
von Holland angegriffen, für welchen Fall mich obiger Wer: 
trag von 1662 nicht zur Hülftleiftung verpflichte.” 

Diefe letzte Bemerkung findet ihre Erläuterung darin, 
daß de Witt den wechfelfeitigen Beiſtand nur fir den Fall 

“verlangt und zugeftanden hatte, wern Holland oder Frank: 
veih angegriffen würden. Weil nämlich vorauszufehen 
war daß ber König von Spanien nie eimen Krieg wider 


| 1) Estrades II, 462, 486, 607, 611, 535. 


2) Estrades II, 567. L’Angleterre m’ofire la Carte blanche 
en tout ce que je pourrais desirer dans les pays bas, sans mome 
y pretendre une pouce de terre pour elle!! 


Holland, Frankreich, England. 19 


&ubwig XIV erheben würde, konnte biefer niemals hollaͤndi⸗ 1664. 


hen Beifland in Belgien verlangen, oder erwarten 9. 

Eſtrades antwortete den 25ften December 1664: „Man 
kam keineswegs dafuͤr einftehn daß fich in einem Freiſtaate 
die Anfichten nicht nach dem jebeömaligen Vortheile geflalten. 
Die Berfprechungen des Augenblid8 gewähren Feine volle 
Sicherheit?). Da fih nun die Holländer dem Plane, Bel⸗ 
gien mit Frankreich zu vereinigen, zweifelsohne widerſetzen 
werden, fo ift es wohl am beften ſich den Englaͤndern ans 
zufchließen um ben Hauptzwed zu erreichen. Wiederum wird 
auf diefem Wege England übermädtig zur See; die Nies 
derländer fchließen dann nothgebrungen ein Buͤndniß mit 
Spanien ab, und flürzen be Witt und alle franzöfifch Ges 
finnten, um ben Prinzen von Oranten an bie Spibe ber 
Geſchaͤfte zu bringen”).” — Und in der That klagt Lud⸗ 
wig XIV fchon in einem Schreiben vom 26flen December: 
daß fi die Holänder in Unterhandlungen mit ben Spas 
niern eingelafjen hätten unb zu beflchten fey, fie wuͤrden 
fih jetzt eben fo undankbar erweifen wie zu Muͤnſter. 


In diefer Lage verfchmähte Ludwig auch zweideutige 
Nittel nicht. Er ließ fih von Eſtrades ein Verzeichniß als 
le dee Männer fenden*), welche fih in Belgien unb ben 
vereinigten Niederlanden auf irgend eine Weile auszeichnes 
tm. Zu welchem Zwede dies gefhah, ergeben andere Schreis 
ben des Botſchafters. In einem berfelben heißt es): „ich 
fenne hier nur vier unbeflehlihe Perfonen, bie beiden 


de Witts, Beuning und Beverning.” — Und in einem ans ' 


deren erfühnt fi Eſtrades fogar zu fagen: „In der niebers 


1) Estrades III, 4. 

2) Das Eonnte Ludwig mit noch größerem Rechte von ſich fagen. 
3) Estrades II, 5; II, 574, 588. 

4) Estrades II, 146. 


5) Estrades III, 888. 
i 2* 


⸗ 


20 Sechsſtes Bud. Erſtes Hauptſtuͤck. 


1664. laͤndiſchen Reichsverſammlung find 300 Abgeordnete ber 
Städte, alle beſtechlich .“ 
Wie weit dieſe Übertreibung des mißvergnuͤgten Ge⸗ 
ſandten jedoch von der Wahrheit entfernt und wie lebendig 
die Vaterlandsliebe (trotz verſchiedener Spaltungen) in den 
Niederlanden noch immer war, ergab ſich als die Englaͤnder 
1665. (vor irgend einer Kriegserklaͤrung) den Seekrieg in den afri⸗ 
kaniſchen Gewäffern begannen ?). „Man Fan (fchreibt der⸗ 
felbe Eſtrades) nicht mehr Einigkeit und Eifer fehen um dies 
fen neuen Krieg zu führen’); bie Landſchaften bewilligen 
Alles was man von ihnen verlangt.” — Kühnheit, Macht und 
Reichthum des Beinen Freiſtaats offenbarte ſich, ald man bie 
Einfuhr der englifhen Fabrikwaaren verbot*), 103 Kriegs⸗ 
fhiffe ausfandte, und Anftalten traf den Lanbangriff des 
Biſchofs von Münfter zuruͤckzuſchlagen. Ban Galen, ein 
Mann von Kraft und Verſtand, zugleich aber auch anma= 
Bend, unruhig, ehrgeizig und habflchtig *), haßte die Hol⸗ 
länder, weil fie fi früher der Buͤrgerſchaft von Münfter 
gegen feine Anfprüche angenommen hatten, und verband fich 
gern mit den Engländern zum Angriff der vereinigten Nies 
derlande”). Im der That geriethen diefe In die hoͤchſte Ge⸗ 
fahr, als die Landmacht zur Deckung der Graͤnzen unzureichend 
erfchien, am 13ten Junius 1665 eine Seeſchlacht bei Leſtoffle 
verloren ging”), und bie Gegner de Witts ihm °) alle Schuld 


1) DO y a & present 800 De&putes des villes dans l’ assemblee, 
tous corruptibles, Estrades III, 518. | 

2) Die englifche Kriegserfiärung erging erft den 14ten März 1665 
nach vielen frühern Feindſeligkeiten. Wagenaer V, 513. 

8) Estrades III, 42, 64. 

4) Histoire de de Witt I, 880, 347. 

5) Temple letters in ben Werfen ©. 4 unb State paper office 
Bericht vom 24ften Juli 1765. Basnage.annales I, 496. Desormeaux 
Histoire de la maison de Montmorency IV, 533. 

6) Vertrag vom 13ten Junius 1665. Arlington letters I, 8. 

7) Clarke life of James I, 408. 

8 They begin to say very much that de Witt drives furi- ” 
ously, and that they do not understand why their country is put 


Krieg zwifhen Holland und England. 21 


beimaßen, während fie auf bie Erhebung bes Prinzen von 1665. 
- Deanien drangen. Bald aber fielite de Witt mit Kraft und 
Waͤtigkeit die Ordnung wieder her‘), und num wandte ſich 
ber Zorn der Niederlaͤnder gegen Ludwig XIV, weil dieſer 
wortbrüchig verfäume ben verfprochenen Beiftand zu leiften. 
Deſſen Betrachtungds und. Hanblungsweife erflärt fi) aus 
feinen biplomatifchen Briefwechſel. Am fünften Januar 
1665 fchreibt der franzöfifche Miniſter der auswärtigen Ans 
gelegenheiten Lyonne: „noch immer ift ber König völlig uns 
entſchloſſen was er thun foll?), weil die Gründe für und 
wider jede Entſcheidung faft gleich ſtark find.” Eſtrades bes 
merkt hierauf: die Gemüther wendeten fich ob biefer Zoͤge⸗ 
rungen immer mehr gegen Frankreich; ja man glaube Lud⸗ 
wig unterflüge England heimlich 'mit Gelde und ziehe bie 
Sache in die Länge, um beide Theile immer mehr. zu vers 
wideln und durch ihren Schaden zu gewinnen. Sollte fi) 
England und Holkand diefer Umftände halber ausföhnen, fo 
würde Frankreich es mit beiden heilen verborben haben, 
und noch größeren Verluſt leiden, wenn in Holland dadurch 
eine Regierungöveränberung und be Witts Sturz herbeige- 
führt werben follte. — Als Ludwig antwortet: er brauche 
den im Bunde mit Holland verfprodhenen Beiltand noch 
nicht zu leiſten, und wolle erſt verfuchen wie viel burdh Un- 
terhanblungen in England auszurichten fey; bemerkt Eſtra⸗ 
bes: „Will man jemald die Holländer zu Zreunben haben, 
upon these desperate extremities and hazards, "They discourse 
also much upon the french assistance, and they say that they do 
not'see any great certainty of their having it. But if they were 
sure of it, it were better_for them not to have it, for that to be 
sıre, the conditions upon which they would make it like the 
letting in of the trojan horse amongst them. Downings Bes 
richt vom Aten Julius 1765 im britifchen Reichsarchive. 

1) Den 18ten Julius 1765 ſchreibt Downing: de Witt und Guys 
gend haben auf der Zlotte die Macht römifcher Diktatoren. De Witt 
geht mit dem Entſchluſſe zu fiegen, ober zu fterben. 

2) Estrades III, 9, 64, 65, 139. 











22 Sechſstes Buch. Erfles Hauptſtuͤck. 


1665. muß man fie billiger behandeln. Alle unſere bisherigen 
Freunde klagen, daß man: fie verlaſſe, und unſere Gegner 
zuͤrnen und ſchelten auf ungemeſſene Weiſe, daß man mit 
Freuden die Niederlande zu Grunde gehen ſehe.“ — Hie⸗ 

durch unbewegt, behielt Ludwig allein feinen Wortheil im 
Auge, und ſchrieb ben 14m Auguft an Efirades: „Eng: 
and wiederholt fein Anerbieten uns das ganze fehle Land zu 
überloffen und uns mit allen feinen Kräften beizuftehen ?), 
vorauögefeßt daß ihm auf dem Deere freie Hand bleibe.” — 
Um biefelbe Zeit fagte Karl IE dem franzöfifchen Gefanbten: 
er muͤſſe den Bewegungen ded Parlaments folgen, um Ruhe 
Im Innern und Achtung im Audlande zu begränden. Er 
würde feinen Ruf preid geben, wenn er Frieden fchlöffe ohne 
irgend einen Vortheil zu erwerben. — Ald die Niederländer 
jedoch die englifchen Forderungen aus mehreren Gründen 
sicht zugeftehn wollten ſtellte ihnen Ludwig vor: ‚pas bie 
Ehre anbetrifft, fo bewahrt man biefelbe immer, fobald man 
einen verbrießlichen Streit mit einem mächtigeren Feinde ohne 
großen Verluſt zu Ende bringt; auch befteht bie wahre Ehre 
eined Staates mehr in feiner Ruhe und feiner Sicherheit, als 

‚ in irgend etwas Anderem’). — Diefe Ermahtrungen des 
Königs zu friedlicher Maͤßigung konnten um fo weniger Ein- 
prud machen, da fie nur auf Eigennuß beruhten und er 
felbft im Begriff war fie in jeber Weile zu übertreten. - 

Am 17ten September 1665 ftarb König Philipp IV 
von Spanien und hinterließ ein Zeflament, worin er feinen 
Sohn Karl zum Erben einfebte. Nach Abgang aller maͤnn⸗ 
lichen Erben ) auf öfterreichifcher Seite follte. der Herzog 
von Savoyen, und erft nach deſſen Abgange die Königinn 


1) Das Ludwig eigentlich Nichts für die" Niederlande that unb 
‚mehr auf englifcher. Seite fand. Guiche Mem. 52, 63. 

2) Estrades III, 274, 293, 828, 831. 

8) Le vrai honneur d’un 6tat consiste plus en son repos '«t 
en sa propre suret6, qu’en toute autre chose, Kstrades III, 845, 

4) Basnage annales I, 764. : 


Tod Philtpps-IV. Spanien. - 23 


ven Frankreich felgen, fofern fie Mitte und Ben IRB 
tes Ehe mit einem Bombone verheiratbet ſey. Der eins 
leuchtende Zweck al dieſer Beflimmungen war: Frankreich 
für immer von jedem Anſpruche an bie fpanifche Monarchie 
auszuſchließen. Die Königiim Maria Anna (eine Tochter 
Kaifer Ferdinands IM) übernahm die WVormundſchaft für 
ihren erft sierjährigen Sohn Karl"), war aber unfähig ein fin» 
kendes Reich aufrecht zu erhalten und ließ fich uͤberdies von 
einem beutfchen Iefuiten, Nith ar d, leiten, der Spanien nicht 
kannte, als Ausländer verhaßt war, und bei allem Scheine 
von Demuth und Strenge fich doch eitel, und fo ehrgeizig 
wie zum Herrſchen untuͤchtig zeigte). 

As man Nithard auf bie Gefahr aufmerkſam machte, 
weiche von Frankreich ber drohe, gab er. zur Antwort: „nicht 
der Schein® fondern die Vernunft entſcheidet. Run aber 
wäre es eine fehr große Unvernunft (sinrazon.muy grande) ’) 
daß ein allerchriſtlichſter König, nachdem ex ben Frieden bes 
ſchworen, Krieg gegen eine betruͤbte Wittwe und ein ihm 
nahe verwandtes Kind beginnen follte.” Die Königimm fand _ 
diefe Anficht um fo begruͤndeter und unzweifelhafter. als Lud⸗ 
wig XIV erklärte: „ich will den Schuß des jungen Könige 
übernehmen und ihm alle Beweiſe von Freunbichaft mb 
Zärtlichkeit geben, die in meiner Macht fliehen‘). — Rich⸗ 
tiger fah ber Statthalter ber ſpaniſchen Niederlande Caſtel 
Rodrigo: denn er begünftigte bie Deutfchen auf alle Weiſe, 
und fuchte jedes Verhaͤltniß zu dem Franzoſen bergeftalt ab- 
zuſchneiden, daß er nicht einmal ihre Farben, Kleider und 
Moden bulben wollte‘). 


1) Coxe Memeirs of the kings of Spain I, 17. 

2) L’ esprit de ce bon pere est asses altier, sa science prin- 
dipale est la thöologie scolastique, sa connaissance des affaires est 
fort mediocre. Bericht bes Erzbifchofs von Embrün. Mignet I, 899, 

3) Guiche Memoires 379. 

4) Estrades III, 426. 

5) Guiche Memoires 357, 859. Caftel Robrigo kam im Som⸗ 
mer 166% nadı Belgien. Migset I, 520. 





24 Sechsſstes Bud. Erfies Hauptflüd. 


1665: Doch nicht von ſolchen Ausbruͤchen eines vielleicht ge⸗ 
rechten, aber ohnmächtigen Zornes hing bie Entſcheidung ber 
vorliegenden hoͤchſt wichtigen .Bragen ab, ſondern von be 
Beichlüffen Spaniens und dem Benehmen Englands und 
Hollands. Vergebens ſtellte Caſtel Rodrigo vor: wie bad 
Dofeyn ber ganzen foanifchen Monarchie in Gefahr, ſchwebe. 
Wahrheit und Beredſamkeit reichten nicht hin, bad Abge⸗ 
florbene ind Leben zu rufen ). Wenn jeboch. Ludwig um 
diefe Zeit mit feinen Anfprüchen offen hervorgefreten wäre, 
hätten fich England und Holland, trog aller Leidenſchaftlich⸗ 
Zeit, doch wohl ausgeföhnt. Auch fchrieb Eſtrades nach Pas 
ris2): „wird Holland gezwungen wiber feinen Willen ben Enge 
ändern nachzugeben, fo verliert Frankreich alle, Zuneigung 
ber Niederländer, und leicht koͤnnten fich diefe mit Karl I 
wider ben franzöfifchen Handel verbinden. Werfigftens wer⸗ 
den fie fi niemals, um franzöfifcher Zwecke willen, mit 
England, wieber permeinigen. 

In dieſer Lage beſchloß Ludwig XIV bie Niederländer 
in fo weit zu unterfliigen, daß fie den Krieg mit. England 
er Fönnten, er aber hiedurch Zeit und Mittel gewinne 
alles Nöthige für feine Zwede ungefldrt und unbemerft 
vorzubereiten. Im November 1665 zog deshalb franzöftfche 
Mannſchaft den Houdndern wider den Biſchof von Mün- 
ſter zu Hülfe, der in feiner Kriegserklaͤrung neben andern 
unwahren Anklagen, die vereinigten Niederlande auch ber 
aͤrgſten Unduldſamkeit wider die Katholiken beſchuldigte °). 

41666. 3a, am 26ſten Januar 1666 erflärte Ludwig XIV an Enge 
land ben Krieg und bob dabei hervor: daß biefer Schritt 
faſt überall feinen Planen zuwiderlaufe und lediglich zum 
Vortheil Hollands gereihe‘). Nicht minder Tieß er be Witt 
verfichern: man habe in Hinficht auf Frankreichs Anfprüche 


. 1) Mignet II, 54. 
2) Estrades III, 450, 452. 
$) Basnage I, 760. ' 
4) Estrades IV, 65, 76. Flassen III, 341. 





I 


a 


Holland, England, Frankreich. 3 


an Spanien nichts zu beforgen und er werbe nie etwas in 1666 
diefer Angelegenheit befchließen, ohne ſich mit dem Raths⸗ 
penfionar verflänbigt und bie Beiſtimmung Hollanbs erhal: 
ten zu haben ”). 

De Witt ließ fich durch Höflichleiten folcher Art nicht 
täufchen, ſondern verboppelte feine Aufmerkſamkeit und Ihäs 
tigkeit). Im Februar 1666 kamen Vertraͤge mit Dänes 
mark und Brandenburg zu Stande, welche den, am 18ten 
April 1666 mit Münfter abgefchloffenen Frieven befchleunigten?). 
Eine viertägige Seefchlacht bei Norb : Foreland , vom 1iten bi8 
14ten Junius 1666 zeugte von der Zapferkeit beider Zheile*); 
doch konnten die Holländer fchon deshalb fich den Gewinn zus 
‘ reiben, als fie den früheren Ruhm wieber gewannen unb 

alle Zwecke der Engländer vor der Hand vereitelten. 

Im verboppelten Gefühle ihres Rechts und ihrer Kraft, 
Magten bie Holländer nun aber auch um fo lauter über bie 
Sramzofen und fprachen ): die Mannfchaft, welche und zur 
Hülfe 309, bat ſich ungeachtet ber freundlichften Aufnahme 
mit größter Anmaßung benommen, uns verächtlich behandelt 
und ihre Bebürfniffe gar nicht, ober in falfcher Münze bes 
zahlt. Ja der ganze Zweck diefer angeblichen Huͤlfsleiſtung 
war nicht und aus der Noth zu ertetten, fonbern hinter die⸗ 
ſem Borwande große Kriegdrüftungen wider Spanien, — 
und zulegt auch wider und —, zu verſtecken ). Daſſelbe 


1) Estrades IV, 254. 

2) Il sert ses maitres avec tant de’ zöle et d’ ardeur, qu’il ne 
se donne pas de repos et fait des choses presque impossibles & 
croire. Estrades IV, 348. 

3) Schäll traites I, 309. Wagenaer V, 832. 

&) Basnage I, 778. Vie de Tromp. 364. de Witt lettr. III, 
"477, 49. Kstrades IV ,322, 888. Histoire de de Witt 1I, 4. 

5) Certain it is that the Dutch and French have not lived 
very well together since their meeting. To which the scorn and 
insoience ef the one has oontributed as well, as the jealousy of 
the others. Bericht Zemples vom vierten December 1665 im britl 
den Reichsarchie. — Wagenaer V, 540. 

6) Daß Eyonne ben Krieg fo betsachtete, ergiebt ſich beutlich ans 


26 Schötes Buch. Erfies Hauptflüd. 


5666. gilt vom Seekriege: denn trotz ber beflimmteften Verſprechun⸗ 
gen iſt die franzoͤſiſche Flotte nirgends erſchienen und Hol⸗ 
land hat ben Kampf mit England allein wagen müfien. 
Nur den Worten nach führt. Ludwig Krieg mit England; 
in Wahrheit fieht er aus ficherer Ferne vergnügt zu, wie 
bie beiben. proteflantifchen Seemaͤchte ſich thoͤrichterweiſe zu 
Grunde richten und dadurch auf alle Weife feine Macht er- 
höben '). 

Ze mehr Ludwig von der Wahrheit diefer Klagen, über: 
zeugt war, beflo lauter wurden feine Gegenbefchulbigungen. 
So fchrieb er den 17ten September 1666 feinem Motſchaf⸗ 
ter: „bad iſt die Genugthuung welche man davon hat, wenn 
man Berbindungen mit Volksſtaaten (Etats ponulaires) 
eingeht II Die Holländer kennen kaum ihren eigenen Bor: 
theil, machen fid nichts aus Ehre, Verfprehung ober Ver: 
trag, und handeln noch weniger aus Dankbarkeit. Und doch 
habe ich fie gerettet vom Bifchofe von Münfter, Dänemark 
gewonnen, Schweben zurüdgehalten, England bekriegt u. 
f. w.“ In denfelben Ton einflimmenb fagte Eſtrades: „bie 
Niederländer find Kaufleute welche der Eigennuß beherrſcht, 


feinen Berichten an Ludwig XIV (Ballenier verivirrtes Europa I, Bei⸗ 
lage 1). Den i5ten März 1666 ſchrieb er dem englifchen GBefanbten 
Hollis: Car bien qu’un malheur ait mis une petite m&intelligence 
& present entre les deux Rois et les ait jettE en une guerre, qui 
‚ nil’un ni l’autre doivent disirer (et je pense qu’ils ne la desirent pas); 
neanmoins jej m’assure qu’ils s’entreaiment. si bien et le doivent 
aussi, qu’ils le feront de deux cot&s avec aussi peu d’aigreur qu’i 
sera possible, pour pouvoir tant plutöt se remettre comme aupa- 
ravant et terminer leurs differents par une amitie plus cordiale 
que jamais. C’est pourquoi je serais fort marry qu’aucune chose 
se passat qui fut hors du commun et hors de la bienssance d’une 
petite guerre d’honnegr et de generosit6 sans haine et sans inimi- 
‚tie, comme est celle ci. Britiſches Reichsarchiv, Frankreich, Band 71. 
4) Lockhart Histoire seerete des intzigues de la F'ränce I, 
650, 189. Burnet I, 882. 4 i 
2) Estrades IV, 462, 531. Oeuvses de Louis XIV, II, 
160, 220. 
& 


Ludwigs Anſprüche auf Belgien. 2 


fein Verſprechen bindet, und auf die man flr den Fall nicht 1667. 
rechnen Tann, daß man ihrer etwa bedarf.” 

Zuletzt berubte der Zorn Lubwigd lediglich baranf: daß 
die Miderlaͤnder nicht willenlos fir feine Zwecke wirken, 
fondern eben das thun wollten was bie Wohlfahrt und 
Ehre ihres Vaterlandes erforberte. Sie konnten fich aber 
die ungemeine Schwierigkeit und Gefahr ihrer Lage gar nicht 
verhehlen. Karl II wäre hoͤchſtens durch übermäßige Opfer 
zu gewinnen gewefen; ein Krieg gleichzeitig wider England ') 
und Frankreich erfihien ganz unmöglich; jebe Annäherung 
an dad ohnmaͤchtige Spanien führte zu einem Bruche mit 
Frankreich, und ohne niederlaͤndiſchen Beiſtand konnte end⸗ 
lich das heruntergekommene Spanien Ludwig dem Vierzehn⸗ 
ten gar nicht widerſtehen. In dieſer ſelbigen Zeit vereitelte 
der Koͤnig von Frankreich einen Bund zwiſchen England 
mb Spanien, ſchloß dagegen ſelbſt Buͤndniſſe mit Portugal, 
ım Spanien im Rüden zu bedrohen und mit beutfhen Für: 
fien °), um die Öfterreicher von Belgien abzufchneiden. . End: 
lich draͤngte er auf alle Weife Die Niederländer zum Frieden 
mit England : weil Karl II ihm Belgien preid ‘geben wollte, 
eder doch im April 1667 verſprach, er werde binnen Jah⸗ 
ir Ludwigs XIV Piane in keiner Weife flören, fobald 
dieſer nur Holland zu einem nachtheiligen Frieden zwinge, 
oder vermoͤge °). 

Ungeachtet dieſer Gefahren konnte de Witt Uber Lud⸗ 
wigs Abfichters auf’ Belgien nicht Länger ſchweigen und er- 


1) Obgleich Handelsneid hauptſaͤchlich zum Kriege angetrichen 
hatte, bemerkt doch Eſtrades (II, 812): 1’ acte de navigation, renou- 
vell& apres la restoration est demeur6d toujours sans 6xecution, par- 
ceque les Anglais memes trouvent plus de menage, de bonne foi 
et de suret& de charger leurs marchandises sur des vaisseaux hol- 
landais, que sur ceux de leur nation; et par cette raison on dissi- 
male en Angleterre cette infraction au commerce paroequ’ on I’ a 
trouree irr&mediable. 

2) So mit Mainz, Köln, Neuburg, Münfter. Mignet II, 22. 

‚3) de Witt lettres IV, 108, 128. Mignet II, 48. 








28 Sechstes Bud, Er ſtes Hauptſtuͤck. 


1667. hielt auf mancherlei Vorſchlaͤge, welche mehr oder weniger 
mit den ſchon erzählten uͤbereinſtimmten, am neunten Mat 
1667 die Antwort ): „zu Enbe dieſes Monats wird fih der 
König an die Spige feined Heeres fiellen, um basjenige 
in Befig zu nehmen was feiner Gemahlinn von der ſpani⸗ 
fhen Moriarchie rechtlich gebührt: Diefed Recht if Alter 
er das Jahr 1662, mithin find die. Niederlande verpflichtet 

ed zu verbürgen; doch will er fie in biefem Augenblide nicht 
durch einen neuen Krieg in Verlegenheit fegen, ſondern be> 
halt ſich in diefer Beziehung weitere Forderungen vor. und 
begnügt ſich wenn der Freiſtaat jego nur nicht wider ihn 
. auftritt. Der König, hegt übrigend das aufrichtige Verlan⸗ 
gen fih mit Spanien auf fehr gemäßigte Bebingungen zu 
Vergleichen, und mit einer Entichäbigung zu. begnügen wel- 
ehe in ben vereinigten Niederlanden Peine Beſorgniß erregen 
kann. Auch iſt er bereit feine Anfprüche an Alled das aufs 
zugeben, was Spanien bem Freiſtaate durch Be weſtphaͤli⸗ 
ſchen Frieden abgetreten hat!" 

Dieſem Schreiben war ein Buch zur Rechtfertigung je⸗ 
ner Anſpruͤche und die Abſchrift eines an die Koͤniginn von 
Spanien gerichteten Briefes beigelegt. Jene Rechtfertigung 
beruhte darauf: daß nach dem in Belgien gültigen Devo: 
Iutionsrechte den Töchtern erfter Ehe, in pieler Be 
ziehung ein Erbrecht vor den Söhnen zweiter Ehe ze. 
ſtehe. — Die Königinn von Spanien ſchrieb Ludwig *): da fie 
auf einen Brief feine Mutter Über die Rechte feiner Ge⸗ 
mahlinn nicht geantwortet, und der König von Spanien 
die Huldigung in Belgien angenommen habe, fo werde er 
mit feinem Heere dafelbft einruͤcken, um e8 nicht am demje⸗ 
nigen fehlen zu laffen was er feiner Ehre, der Königinn, 
‚fich ſelbſt, dem Dauphin u. f. w. ſchuldig fey. — Noch ehe 


9 Estrades V, 37, 210. Den 21ften Mei 1667 kam Ludwig in 
Amiens an und die Feindſeligkeiten begannen ſogleich. Am 14ten Ju⸗ 
lius erging die ſpaniſche Kriegserklaͤrung. — U, 120, iM. 


2) ———— V, 218. 








Devolutionsreht. Zriebe von Breda. 29 


die Königinn von Spanien hierauf antworten Tonnte , flellte 1667. 
de Witt dem franzöfifhen Botſchafter vor: man ſey fehr 
erftaunt baß ber König in bemfelben Augenblide wo er fi 
über die Anfprüche feiner Gemahlinn durchaus unbeftimmt 
erffäre, auch ſchon fein Heer in Bewegung ſetze, ohne fich 2 
(feinem wiederholten Verſprechen gemäß) mit Holland ver 
fländigt zu haben. Nicht minder fleigere er gerade jebt die 
Handelsabgaben zum Schaben ber Nieberländer dergeſtalt, 
daß fie viermal fo viel betrlgen, al& zur Zeit feines Vaters. 
Er, de Witt, müffe bei ſolchen Verhaͤltniſſen und Maaßre⸗ 
gein alles Anfehn und allen Einfluß verlieren, und wolle 
fich Tieber zuruͤckziehen, als Borwinfe und Unfälle abwarten. — 
Efiraded erwieberte: „der König iſt raſch und aufrichtig 
(prompt et sincere) denn er fenbet euch jenes Buch fruͤ⸗ 
ber als einem Anderen, und melbet euch feinen Einzug in 
Belgien fobald er ihn befhloß. Der König ift auch gemaͤ⸗ 
Bigt, denn er will den pyrendifchen Frieden nicht brechen; 
er tft uneigennügig, denn die hollaͤndiſchen Handelsabgaben 
find nicht geringer als die franzöfifchen. Wenn de Witt fih 
zuruͤckzieht, fo beißt dies nichts als er tritt zu feinen und - 
Ludwigs biöherigen Feinden über; während doch Holland fich 
mit Frankreich verbinden und Spanien zwingen follte den 
König zu befriedigen, bamit der Frieben erhalten werbe 
Den Umfang feiner Anſpruͤche braucht übrigens Ludwig nicht 
anzugeben fo lange bie Spanier ihm alle Genugthuung vers 
wei “4 

Diefe Antwort erwies von Neuem bie Größe ber Ges 
fahr, auch blieb de Witt wohl nicht verborgen, baß man 
Tranzöftfcherfeits Tiberlegte "J: ob es nicht beffer fey ihn und 
die biöherige Regierung bed Freiſtaats zu flürzen, und bem 
Prinzen von Oranien an bie Spitze zu bringen. Nur eine 
kuͤhne That, ein großes Ereigniß (das fühlte be Witt) konnte 
fein und feiner Fremde Anfehn herftelen und ihren Forde⸗ 
zungen überall Gewicht geben. Am 20ften Junius 1667 


1) Estrades V, 807, 881. 


30 Schötes Buch. Erſtes Hauptſtück. 


1667. fegelte Ruyterin die Themſe, verbrannte und zerflörte einen 
großen Theil’ der englifchen Flotte‘), und verbreitete Schrek⸗ 
fen in London. 

. Diefer glorreiche Sieg bewirkte am 31ſten Julius 1667 
ben Abfchluß des Friedens von Breda auf ven lebten Be⸗ 
fisfland. Dem gemäß behielten die Engländer Neuyork und 
Neuyerfey, Holland aber Surinam. Frankreich befam Aka⸗ 
bien zuruͤck, und trat dagegen St. Chriftoph, Antigua und 
Montferat ab). Das Schiffahrtögefeb kam für alle durch 
die Niederländer aud Deutfchland nach England geführten 
Erzeugniſſe nicht zur Anwendung”). — So unbebeutenb 
waren bie Ergebniffe eines Krieges, den England hätte ver- 

” melden Binnen und follen, unb ber beiden Zbeilen weit 
mehr Schaden als Vortheil brachte. 

Fuͤnf Tage nach der Unterzeichnung des Friedens von 

Breda, den fuͤnften Auguſt 1667 faßte Holland einen Be⸗ 
ſiuß, welcher nachmals unter dem Namen des ewigen 
Edikts bekannt geworden iſt. Vermoͤge deſſelben wurden 
die Rechte der Staͤnde erweitert und beſtaͤtigt, vor Allem 

aber feſtgeſetzt daß niemals ein Oberbefehlshaber ber Land⸗ 
und Seemacht, gleichzeitig Statthalter in irgend einer Land⸗ 
ſchaft feyn dürfe, ia dieſe Würde für Holland und dries⸗ 
land ganz aufgehoben werde). 
Der Friede zu Breba und das ewige Editt befe⸗ 
ſtigten einerſeits die Macht Hollands und de Witts; ande⸗ 
rerſeits aber war Ludwig unterdeſſen mit Herredmacht in 


1) Schöll I, 318. Evelyn Memoirs, Histoire de de Witt II, 
134. 

2) Oeuvres de Louis XIV, TI, 828. Wagenaer VI, 20. 

3) Eſtrades (VI 24) berichtet vom Friebensfefte: ou on boit des 
Sommetjes. On met du vin et du Sucre dans un verre, la fille 
commence & en avaler une gorgde, puis elle rend le verre & 
’homme qui le lui a presents et la baise A la bouche. L’ homme 
fatt la m&me chose de son cot& jusqu’a ce qu’il ne reste pas une 
goutte de vin dans le verre. 

4) Basnage I, 825. — VI, 30, Hist, de de Witt II, 
216-220 





Ludwigs Angriff Belgiens. 31 


Belgien eingerlickt und hatte während des Immins und Qu: 1667. 


lius viele wichtige Städte mit Gewalt eingenommen. Durch 
eine befondere Schrift fuchte er feine Anforliche nochmals zu 
erweiſen und ſagte in der Einleitung: er hege eine unge⸗ 
meine Liebe zur Gerechtigkeit und wolle lieber den Namen 
eines Koͤnigs, als ben eines gerechten Königs einbuͤ⸗ 
ben. Es ſey beſſer vernünftig zu regieren, als feine Staa⸗ 
ten durch Gewalt zu vergroͤßern und ſeinen Ruf einzubuͤßen! 
Er habe die Waffen wider Willen, und nur ergriffen um bie 
Spanier ju einem: vernimftigen Vergleiche zu bewegen. Auch 
fey der bewafimete Einmarfch in Belgien Bein Friedensbruch, 
weil :man fich Iebiglich in den Beſitz befien febe, was Spas 
nien wiberrechtlich vorenthalte. Er wünfde nicht durch Ges 
walt, fonbern wie eine wohlshätige Sonne, durch die Strah⸗ 
len feiner begluͤckenden Liebe in bie Städte und Häufer ein: 
zubringen u. f. w. | 
tiber diefe Gewalt und biefen Hohn fliegen die Klagen 
bee Spanier aufs Hoͤchſte. Bereits am 2ıflen Mai beant- 
wortete bie verwittwete Königinn von Spanien Ludwigs 
Brief und fehrieb Ihm '): „nur sin einziges Mal hat bie Koͤ⸗ 
niginn Anno mit dem fpanifchen Gefandten ‘über bie An⸗ 
ſpruͤche der Maria Zherefia geſprochen, und dies nicht ein 
mal amtlich, oder im Namen des Königs. Sie hat ſeitdem 
durchaus gefchwiegen. Doc, it Spanien bereit fich- über et: 
wanige Streitpunkte nach ber Borfchrift des pyrendifchen 
Friedend im Wege ber Güte zu vergleichen.” — Ludwig 
(verficherten die Spanier) gab hierauf fein feierliche Wort 
Frieden zu halten, und der franzöfifche Botfchafter Erzbi⸗ 
ſchof von Embruͤn, beftätigte dies Verfprechen bei dem Worte 
eined Prieſters?) noch zu ber Zeit, wo bie Sranzofen bes 
reits mit Heeresmacht in Belgien einruͤckten ). 


1) Kstrades V, 282. Larrey II, 498. 

2) State traets relating to the Government of Charles II, 
©. 6. Mignet II, 60. 

3) Der Erzbiſchof fchreibt ſelbſt am 19ten Mai 1667: Jai 
perdu tout mon credit aupres de Mr. le President de Castille et 





2 Schötes Buch. Erftes Hauptſtuͤck. 


4667. Glelchzeitig uͤberſandte der Statthalter Belgiens, Ca⸗ 
ſtel Rodrigo), den Hollaͤndern eine bittere Anklage Lud⸗ 
wigs XIV und forderte fie zur Vermittelung, oder wenn dieſe 
franzöfifcherfeitS verworfen werbe, zum Beiflande auf. Cr 
ſchrieb den 14ten Mei 1667 einen fehr nachdruͤcklichen Brief 
an Ludwig XIV felbft, worin e8 unter Anderem heißt: nach 
allem natürlichen Rechte dürfen Euer Majeſtaͤt nicht gegen 
Shre eigenen Unterthanen, ja nicht einmal gegen Sflaven 
in dieſer Weife vorfchreiten; wie viel weniger gegen einen 
unſchuldigen, Shnen fo nahe verwandten König und im Wis 
derſpruche mit Gefegen und Friedensſchluͤſſen u. ſ. w. 

Se weniger überhanpt die Spanier ihrer Kraft ver: 

trauen konnten ?), deſto mehr fuchten fie ihr Recht ins Licht 
zu ftellen. Nicht unwirkſam war in biefer Beziehung bie 
gründliche und beredte Schrift des Baron Lifola: Schild 

des Staates und Rechtes?) gegen den offenbar gewordenen 
Plan einer. Univerfalmonardie. Die franzöfifhen Partei⸗ 
ſchriftſteller (fo heißt es im Wefentlichen daſelbſt) rühmen 
die ungemeflene Friedensliebe ihres Herrn, während er im 
Begriff ift den Frieden zu brechen‘), beklagen ſich während 

fie beleidigen, greifen an ohne Veranlaffung, und denken fo 
verächtlich über die Unwiſſenheit und Leichtgläubigkeit ihrer 


. de Mr. l’inquisiteur general qui avaient jur6 sur ma parole que la 
paix serait durable Ipour plusieurs belles raisons que Jalleguais. 
Mignet II, 101. 

1) Estrades V, 292. 

2) Against all these dangers the Marquis Castel Rodrigo can 
oppose little but walls and works, having many and great places 
to.defend, and few bodies of mer to enforce them. : Schreiben Lem: 
ples vom 1Sten Mai 1667 im britifchen Reichsarchive. 

8) Bouclier d’ &tat et de justice contre le dessein manifeste- 
ment dscouvert de la monarchie miverselle. Mir ziehen bie Haupt⸗ 
punkte zufammen, Lifola, ober d' Iſola aus ber Franchecomts war 
kaiſerlicher Gefandter in London, nannte ſich aber nicht auf dem Titel 
jener Schrift. Mignet II, 219. 

4) Selbſt Mignet (II, 56, 109) fagt: Louis XIV voulut trom-. 
per la cour d’ Espagne jusqu’ au dernier moment. 





Spaniens Rechtfertigung. 33 


keſer, daß fie Gewalt für‘ Recht, Beleidigung für Mäßt: 1667. 
gung, Aumaßung ‚fir Großmuth und Vertheidigung für 
Verbrechen ausgeben. : Sie. forbern daß man als Lohn und 
Bedingung ihrer Freundfchaft ihnen Alles gebe, oder ihnen 
beim Nehmen von Allem beiflehe, und behaupten 3. B.: ganz 
Deutfchlanb gehöre ihnen weil Karl der Große es ‘einft bes 
feffen. — Gleich nach Ludwigs Thronbeſteigung begannen 
fie böfe Händel mit dem fpanifchen Gefandten über den 
Vorrang, obgleich beim Abfchluffe des pyrendifchen Friedens 
die Botfchafter beider Mächte ganz gleich behandelt wurden 
und fie gleichzeitige Beichimpfungen ihres Bevollmächtigten 
im Konftantinopel ohne Rüge erbuldeten. Sie leiften, im 
Widerfpruche mit den heiligfien Gelöbniffen, den Portugies 
jen Hülfe, mißhandeln den Papft während fie fich für bie 
älteften Söhne der Kirche auögeben, zwingen ben Herzog 
von Lothringen ihnen fein Herzogthum abzutreten, reizen 
heimlich die Engländer zum Kriege wiber! bie Holländer und 
beſtreiten die Entfagung der Maris Therefia, daß heißt ben 
pyrendifchen, fo wie jeben anderen Frieden. Es ift thöricht 
den Einfall in die fpanifchen Niederlande eine friedliche Bes 
fitnahme zu nennen: er if ein offenbarer Friebendbruch. 
Denn wären bie Anſprüche auch beffer begründet, fo ift 
Spanien doch im ruhigen Befite nach Herlommen, Geſetz, 
Sieden und Xeflament, und bei Kaifer und Reich mußte 
im Wege Rechtens das Möthige eingeleitet, aber nicht ges 
waltfam zugegriffen werben. 

Die Gültigkeit der Entfagung Maria Therefins leug⸗ 
nen, heißt das offenbarſte Recht und die einleuchtendſte 
Wahrheit durch leere Vorwaͤnde und unverhohlene Betruͤge⸗ 
rei beſeitigen wollen. Die Infantinn zaͤhlte bei ihrer Ver⸗ 
heirathung uͤber einundzwanzig Jahre, war alſo (wie in der Ur⸗ 
kunde ausdruͤckch geſagt iſt) großjaͤhrig und konnte entſagen. 
Sie erhielt, wenn man Alles zuſammenrechnet, eine übers 
reichliche Mitgift; und wäre dies nicht ber Fall, fo koͤnnte 
nur Nachzahlung gefordert, nicht aber ein unermeßlicher Ans 
foruch daraus hergeleitet werben, welcher damit in gar kei⸗ 

s 3 


- 


34 Sechstes Bud. Erſtes Hauptſtüd. 


1667. ner Verbindung ſteht. Auch hat Ludwig die Eintragung 


jener Urkunde bei den Parlamenten, trotz aller Verſprechun⸗ 
gen, nicht vornehmen laſſen, und dadurch das Zurtuͤckhalten 
eines Theils der dargebotenen Mitgabe ſelbſt veranlaßt. 
Wenn Frankreich keine Trennung ſeiner Landfchaften duldet, 
ſondern Alles dem ſaliſchen Geſetze unterwirft; warum ſol⸗ 
len ſpaniſche Geſetze nicht auch fuͤr Spanien gelten? Ganz 
verkehrt iſt es endlich Erbanſpruͤche auf die Niederlande aus 
dem ſogenannten Devolutionsrechte herzuleiten; da dies nur 
In einzelnen Gegenden unter Privatperſonen ſtatt fand ), 
hiemald aber auf Herrfcher und Herrfchaften angewandt 
ward. Die deutfchen Reichsgeſetze, die von allen Ständen 
beftätigte Verfügung Karls V und. dad Teſtament König 
Philipps IV fegen aufs Deutlichfte feft: daß Belgien (gleich 
wie die ganze fpanifhe Monarchie) ungetheilt auf bie Söhne 
übergehe, Toͤchter aber erſt erben follen, wenn gar Feine 
männlihen Nachkommen mehr vorhanden find. — Was 
fol aus Europa, was aus der Welt werden, wenn Rechte, 
Herkommen, Verfprehungen, Eide, Friedensſchluͤſſe, Ber: 
jaͤhrung und Befitftand nichts mehr gelten vor der Wilfär 
babfüchtiger Croberungsluſt? Sp verdammliche Grundſaͤtze und 
. fo freche Anmaßung wachfen durch jede Nachgiebigkeit, durch 
jedes Abweichen vom rechten Wege immer mächtiger und 
zügellofer empor. Es giebt nur ein Gegenmittel: nämlich 
Gewalt mit Gewalt zurüdzutreiben, und ſich nicht durch 
eitle Hoffnungen binhalten und durch unmürdige Schmei⸗ 
cheleien täufchen zu laffen. Die Gefahr bevroht Alle, da: 
rum müffen Alle gemeinfame Sache machen und nie ver: 
gefien daß des Eyclopen einzige Gnade barin befand, ben 
angeblich Beguͤnſtigten und Befreundeten zulebt zu vers 
ſchlingen! 

So uͤberwiegend auch dieſe Rechtsgruͤnde, fo richtig 
dleſe Weiffagungen waren, beharrte Doch dad uneinige Deutfch- 


1) Basnage I, 812. Flassan III, 347. Oeuvres de Louis XIV, 
III, 25 Monglat Mem. III, 185. 








& 


Anfprühe Ludwigs auf Flandern 35 


land und der eingefchüchterte Kaifer in Unthätigkeit '), England 1667. 
in hoͤchſt zweibentiger Stellung, und felbſt Spanien ohne ' 
alle großartige und allgemeine Begeifierung. Daher ſchreibt 

der. Ergbiichof von Embrün den 16 Junius 1667 aus Ma⸗ 

drit: „Alle Welt ift hier fo niebergefchlagen, ober fo un⸗ 
theitnehmend am Wohle ded Vaterlandes (fey ed nun ben 
ſchlechten Erfolge ober des Elends halber) daß jeber ben 
flandrifchen Krieg geduldig leidet. Einige fogen: Vernunft⸗/ 
und Recht fiehen auf Seiten des Königs von Frankreich. 
Andere: die Niederlande find Spanien zur Laſt und bie e 
Urfache feines Verfalls. — Es giebt Beinen Herrn ober. Bin⸗ 

ger, welcher daran dichte den Bequemlichkeiten feines täga 
lichen Lebens zu entfagen, zum Dienfle des Vaterlandes in 
Fandern, ober Portugal”). — Zuflände und Geffnnungen 
folder Art ertöbten felbft den klarſten Buchſtaben des Rechts, 

oder laſſen ed hinübergleiten wo Muth, Zhätigkeit und Be 
geifterung neued Leben und neue Zeiten hervorrufen. 

Bei Betrachtung al diefer Verhaͤltniſſe blieb für de Witt 
zunächft nichts übrig als zu verfuchen, wie viel dem übers 
mächtigen Ludwig durch Unterhandlungen abzugeroinnen fey. 

Am vierten Julius 1667 ließ dieſer feinem Botſchafter ſchrei⸗ 
ben: „ver König will fich mit den Landſchaften begnügen, 
welche den Holländern nicht zu nahe liegen, und fordert 
alfo die Zramchecomte, das Herzogthum Luremburg, Cam⸗ 
brai, Aire, St.⸗Omer, Bergued, Charleroi, Tournay, 
Douay u. fe w. Alles jedoch unbeſchadet ber Rechte feiner 


1) Det franzoͤſiſche Botſchafter in Wien Herr von Gremonville, 
benahm ſich fo, daß Lyonne den 2öften Oktober 1667 ſchrieb: Le 
Roi Vous trouve le ministre de la terre le plus offronté (et en 
cela sa Majest& Vous denne la plus grande lonange, que Vous 
puissiez jamais desirer) de Vous @tre mis en t&ke, d’empöcher par 
Vos persuasions et par Vos menäces, qu’un Empereur, suocesseur 
de tous les C£sars, n’ose pas faire des recrues à ses troupes. 
Mignet I, 248. 

2) Doch gab es Ausnahmen: fo fagte ber Graf von Gaftrillo ber 
Königiun die polle Wahrheit und zog ſich dann guräd. Mignet II, 
137, 604. 

3% 





3 Sechstes Bud. Erſtes Hauptſtuͤd 


1667. Gemahlinn, im Ball König Karl II ohne Kinder fitiht 9. 
Sollten die Spanier jene Forberungen abweifen, fo muͤſſen 
uns die Niederländer als Bürgen unferer Rechte beiftehen, 
und Sie mein Herr Botfchafter haben ein weites und fchös 
ned Selb bei dieſer Gelegenheit bem Herrn de Witt, in Be 
tracht ber Größe und Gerechtigkeit der franzöfiichen Ans 
forüche, die Maͤßigung Seiner —— bemerklich zu ma⸗ 
hen! u 
De Witt war nicht ein Mann ber fich durch leere Flos⸗ 
keln verblenden ließ. Ex antwortete am 2iften Julius: bie 
Friegerifchen Maaßregeln müßten eingeftelt und wenigftens 
auf drei Monate ein Waffenſtillſtand abgefchloffen werben, 
um mit den Spaniern Unterhandlungen einzuleiten. Des 
Könige Forderungen erfchienen nicht bloß fehr groß, fondern 
beträfen auch den Holländern zu nahe liegende Lanbfchaften. 

” Am wenigften koͤnne de Witt jene Vorſchlaͤge unterſtuͤtzen, 
wenn der König von Frankreich fi für den Todesfall König 
Karls II neue Anfprliche vorbehalte. Beſſer man komme 
auf den Gebanlen der Gründung eines belgifchen Freiſtaates 
zurüd; dann würde Ludwig XIV nach diefer Seite Frieden 
haben und Fönne feine Anfprüche, felbft mit Unterſtuͤtzung 
Hollands, anderwärtd geltend machen ?). 

Allerdings war (wie die Spanier nachmals mit Grunde 
bemerkten) der Rechts punkt bei diefen Worfchlägen ganz 
bei Seite gefebt, und nur verfucht das Unrecht, mit dem 
Vortheile und der Sicherheit Hollands in etwas beffere Übers 
einſtimmung zu bringen. Deshalb wollten die Spanier gern . 

die Entſcheidung über Ludwigs Anfprüche in die Hände ders 
jenigen Fürften oder Staaten niederlegen, welche er auswaͤhle, 
und einflweilen ald Pfand, daß fie fi dem Spruche unters 
werfen würben, mehre wichtige Pläbe den Schweizern eins 
räumen ’). — Ludwig wies aber dieſe Vorfchläge zuruͤck und 


1) Kstrades V, 893. | 

2) Estrades V, 444. de Witt lettres IV, 204. 
8) Bericht Temples vom Siften Mai 1667 im britifchen Reichs⸗ 
archive. 





Verhandlungen über Belgien. 37 


der hollaͤndiſche Botſchafter van Beuning ſchrieb aus Pa- 1667. 
ris: die Franzoſen haben die Abſicht ſo viel als moͤglich zu 
erobern, um nachher deſto bequemer zu unterhandeln. Wolle 
(ſprechen fie) Holland ſich nicht mit ihnen verſtaͤndigen, — 
nun fo müffe man ſich daräber troͤſten!) — Die Grün: 
dung eine zweiten Freiflantes (fährt der Gefanbte fort) 
fheint mir großen Schwierigkeiten unterworfen: beffer wenn 
man durch die übrigen europdifchen Mächte allgemeinere 
Bürgfchaften zu erlangen ſuchte. — De Witt theilte- ohne 
Zweifel die lebte Anficht, aber wo war bie eutopdifche 
Macht, welche fih mit Holland für Aufrechthaltung ber 
allgemeinen Freiheit verbinden wollte?) Auch erfchien dem 


1) de Witt kettres IV, 217—221. 

D) Den fünften Oktober 1667 ſchreibt Temple aus Dortmund 
(Bericht im britifchen Reichsardhive): „Herr de Witt fagte mir: fie 
würben fo ſchnell als möglich einen mit vollſtaͤndigen Ammwelfungen 
verſehenen Botichafter. nach England ficken, um ben König dur Als . 
les was in ihren Kräften flche zu vermögen, daß er einem gemeinfa- 
men Bunbe zur Erhaltung der Huhe in der Chriſtenheit -beitrete und 
bie beiberfeitige Sicherheit durch Beſchuͤtzung Flanderns begruͤnde. Hol⸗ 
land und England, (fagte de Witt) Liege eben fo viel daran Belgien 
zu erhalten, old bem Könige von Spanien. Eine Bereinigung jener 
beiden Maͤchte ſey fo gerecht, als ehrenvoll, und werbe ben König von 
Frankreich vieleicht bewegen, Vernunft anzunehmen, ohne baß es zum 
Kriege komme; wo nicht, fo hege er keinen Zweifel, wir würden bie 
Sache ruͤhmlichſt zu Ende bringen. 

Ich bemerkte: Holland ſey in dieſer Angelegenheit naͤher betheiligt, 
als England; worauf er erwiederte: „ſie wuͤßten ſehr wohl was ihr 
Intereſſe erheiſche, und wuͤrden alle nur moͤglichen Mittel anwenden 
die Dinge im gerechten und ehrenvollen Wege zu Ende zu bringen. 
Senn aber weder wir, noch ber Kaiſer hervortreten wollten, würben- 
fie genöthigt fern, mit Frankreich in Unterhandlungen zu treten, fi 
für jest fo gut als möglich zu fichern und für has übrige dee Zukunft 
zu vertraun. - 

Als hierauf gar keine Entſcheidung aus England einging, Tchrieb 
Zenple ben Z9ften Rovember 1667 aus Brüffel: „will ober Tann fi 
der König in dieſe Sache nicht einlaffen, fo wird Holland ſich entwe⸗ 
der durch einen Vertrag mit Frankreich ſichern, ober den ——— 
Beiftand unter den haͤrtelten Bedingungen verkaufen.” 


88 Schötes Bud. Erſtes Hauptfäg. 


1667. Rathöpenflonar bie Gefahr gleich groß, mochte mm nad 
Karls II Tode die fpanifche Monarchie ganz in die Hände 
Ludwigs XIV, oder bed Kaiſers fallen. Weil indeß die 
Spanier fo vid als irgend möglich rüfleten, Gelb anliehen 
und Städte befeftigten '), auch ein Bruch mit Holland bei 
weiterem Vordringen der Sranzofen unvermelblich erfchien, 
fo bewilligte Ludwig einen Waffenſtillſtand. Während dei: 
felben erklärte de Witt am 17ten September dem Botſchaf⸗ 
tee Eſtrades: da Frankreich Spanien angegriffen hat, fo if 
Holland nicht zum Beiſtande verpflichtet‘, vielmehr muß es 
eine Ausgleichung verfuchen und fich fichern bevor der K: 
nig ganz Belgien erobert. Ein Bünbniß mit Frankreich 
ift nüslich für die Niederländer, und gern wollen fie daran 
fefthalten, wenn Ludwig ſich mit gemäßigten Vorſchlaͤgen 
begnügt und fie nicht zwingt gegen feine Übergroße Macht 
anderwärts Schuß zu ſuchen. Ich bitte den König inſtaͤn⸗ 
digſt, nicht die Gelegenheit zu verfäumen auf bie ähm vor: 
gefchlagene fo glorreiche Weife den Krieg zu beenden. 

Diefe Worfchläge, welche darauf hinausgingen bie 
Graͤnzen Frankreichs und Hollands abzurunden, aus dem 
Überrefte Belgiend aber einen zweiten Freiſtaat zu bilben, 
fanden natlrlih den lauteſten Widerſpruch in Spanien. 
Ludwig XIV hingegen ging barauf ein, entfagte Charleroi 
und Tournai, forderte entweder bie Franchecomte ober u 
zemburg?), und fiellte die Frage uͤber die Fünftige ſpaniſche 

Erbſchaft ganz, zur Seite. Wenn Karl II das Eroberte nicht 
abtrete, werbe Frankreich im nächflen März den Krieg a: 
neuern. Ä 

An diefe Erklärung reihten fi) weitere Unterhandlun: 

- 1668. gen, welche aber im Januar 1668 durch ein Schreiben Lud⸗ 
wigd geftört wurben, des Inhalts ): er befege auch bie 
Franchecomté, um den Holländern mehr Mittel zu verfehaf: 


1) Estrades VI, M, 33. 
2) Estrades VI, 41—44, 49, 55, 68, 
8) Oeuvres de Louis XIV, II, 850. Estrades VI, 239, 381. 





Belgien, Francheeomté. — 39 


fm, die Spanier zu einem billigen. Abkommen zu vermoͤ⸗1668 
gen. — Vergebens klagten diefe daß Lubwig den, bis zum 
März 1668 zugefiherten Waffenſtillſtand breche; ſchon im 
Monate Februar war jene überrafchte, von allen Vertheidi⸗ 
gungsmitteln entblößte Srafichaft ohne allen Widerſtand durch 
Sonde befegt, wofür Schmeichler den König einen, Helden 

aller Jahreszeiten nannten '). 

Während die Schweizer noch fiberlegten ob und was 
fie hun follten, war der angebliche Feldzug bereitd geendet, 
und ald einige Deutfche über die franzöfifchen Kortfchritte in 
Belgien unruhig wurden, bewie8 man ihnen, dies gehe fie 
nichts an, und wenn ber König dieſe Lanbfchaften bereinft 
beſitze, ohne ihre ſtaatsrechtliche Verbindung mit Deutfchland 
aufzuloͤſen, fo fey gar Feine Veränderung eingetreten. Über⸗ 
haupt trachte er durchaus nicht nach fremdem Sute, fons 
dern ſuche nur fi aus ber Unterbrüdung heraus zu⸗ 
jieben?). 

Gefchwäß folcher Art verfehlte feine Wirkung auf Die: 
jenigen nicht, welche jeden Vorwand gern ergriffen ihre Unr 
thätigkeit, ober noch Übleres zu befchönigen; nur de Witt 
fühlte daß die Gefahr von Tag zu Zage flieg, und auch in 
England wuchs ber Zorn Über König Karld verbammliche | 
Staatskunſt dergeflalt, daß es ſich ermanute und den edeln - Ä 
William Temple nah Holland ſchickte, um zu befchließen 
was für Die Freiheit und Rettung biefed und anderer Läns 
dee zu thun fey. Lyonne und Eſtrades hatten allerdings 
Kunde von diefen Planen, verließen ſich aber auf Karld 11 
Charakterſchwaͤche, die MWeitläufigkeit und Langfamkeit bes 
Berathens und Beichließend in ben vereinigten Niederlanden, 
de Witts Furcht vor englifch>oranifchem Einfluffe u. f.w. ’). | 
Zempled Kraft und Arlingtons Vorſicht hielten aber ben | 
König Karl biedmal aufrecht, de Witt flellte alle Nebenruͤck⸗ Ä 


1) Larrey III, 530. 
2) De se tirex d’oppression. Basnage II, I6. 
3) Busnage II, 12. Wagenaer VI. 36. Mignet II, 529. 











40 Sechſtes Bud. Erſtes Hauptſtück. 


1668. ſichten um ſeines Vaterlandes willen bei Seite, und vollzog 
am 23ſten Januar 1668") (ohne Ruͤckfrage bei den Staͤn⸗ 
ben und auf eigene Gefahr) mit Temple und dem Grafen 
Dohna dad mit Recht fo berühmt gewordene dreifache 
Bündnif. Diefe Tripleallianz zwifchen England, Hol⸗ 
fand und Schweden bezweckte weſentlich den Etoberungen 
Zubwig XIV ein Ziel zu fegen. Deshalb folle dieſer mindes 
fiend bis Ende Mai einen Waffenſtillſtand eingehn und ſich 
mit dem begnügen was Spanien, nad) dem Vorſchlage der 
vermittelnben Mächte, abtreten werde. Miber jeden Ber | 
gernden fey man entfchloffen wirkfame Mittel anzuwenden. | 

Die franzoͤſiſchen Staatsmänner welche geweiſſagt hat⸗ 
ten: alle Plane ihrer Gegner würden in Rauch aufgehen ”), 
ſahen fich getäufcht und überrafchtz doch verbargen fie ihr 
Mißdergnuͤgen ald ihnen der Inhalt jenes Buͤndniſſes bes 
Tannt gemacht und von den Generalſtaaten gefagt warb: ihr 
Berfahren zeige, welchen Eifer fie fowohl für Lubwigs Ruhm 
und feine Zufriedenftellung ’), als für die Ruhe Europas 
hätten. — Lyonne fchrieb an Eſtrades; „Das find große und 
unvorhergefehene (assez imprevues) Neuigkeiten. Doch 
fiheint die Hauptfache für ben König vortheilhaft und nur 
die Form wenig angenehm.” 

Bei ernflerer Berathung flellte man in Paris die Em⸗ 
pfindlichfeit über die Form in ben Hintergrumdb und hielt füch 
mehr an die fachlichen Verhaͤltniſſe. Diefe ind Auge faf- 
fend flimmten Gonde und Zurenne für die Fortfegung bed 
Krieges *): denn Alles fey zum nächften Felbzuge vorbereitet, 
Spanien kraftlos, Deutfchland willenlos, Holland mehr feind- 
lich gefinnt ald mächtig, England ohne Heer und Geld, 
Schweden entfernt und nach einer neuen Eroberung der Frie> 
den leichter denn zuvor. — Zur Widerlegung biefer und ans 








1) Balkenier verwirrtes Europa I, Beilage 2. 

2) Tout cela s’en ira en famde. Temple letters 49, 57. Hi- 
stoire de de Witt II, 252, 

3) Estrades VI, 222, 233, 289, 268, 272. 

4) Oeuvres de Louis XIV, 1I, 360. Mignet U, 621. 


Dreifaches Bündnik Felede zu Achen. 41. 


derer Kriegsgruͤnde ward bemerkt: es iſt leichter zu erobern, 1668. 
als zu erhalten. Bei weiteren Fortſchritten der Franzoſen 
werden ſich ihre Feinde mehren und auf Ruͤckgabe des Er⸗ 
oberten dringen. Der Kaiſer und bie Schweiz ſind bereits 
in großer Beforgniß, der Papft und alle chriftlihen Mächte 
wuͤnſchen den Frieden um bie Benetianer gegen die Türken 
zu unterflüken, Alles das worauf ber König urfprünglich 
Anfpruch machte, wird ihm zugeflanden, und er barf endlich 
nicht vergefien daß der Friebe auch feinem Reiche nüglich 
unb nothwendig ifl. — Das Gewicht diefee Gründe warb 
wohl noch dadurch verſtaͤrkt, daß bes König auch der Ber: 
guägungen des Hofes gedachte und guͤnſtige Vorwaͤnde 
neuer Kriege vorausſah. 
Schwieriger als der ſo viel gewinnende Ludwig, waren 
die verlierenden Spanier mit den Planen der drei Maͤchte 
auszuſoͤhnen. Sie klagten daß ſich dieſe mit dem Staͤrke⸗ 
en, gegen den Schwaͤchern verbaͤnden); mußten aber, weil 
der mit Portugal abgefchloffene Friebe ihre Macht nicht mes 
ſentlich verfiärkte, fih damit begnügen‘ daß man ihnen die 
Baht überließ: ob fie die Franchecomte, oder einen Theil 
Belgiens einbüßen wollten. Sie erklärten fich für das lebte, 
um bei erneuten Anfprüchen Ludwigs deſto eher des hollaͤn⸗ 
diſchen und engliſchen Beiſtandes gewiß zu feyn. Vermoͤge 
des amı zweiten Mai 1668?) zu Achen abgefchloffenen Arie: 
dend gab der König die Zranchecone zurüd, erhielt aber 
Charlersi, Bin, Ah, Douay, Scarpe, Dornik, Oude⸗ 
narde, Ryſſel, Armentitres, Kortryk, Binggbergen Firnes 
und andere Orte. 
Viele dankten dem Himmel: daß ber uͤbermaͤchtige Koͤ⸗ 
nig von Frankreich durch das dreifache Buͤndniß in ſeinen 
Eroberungen gehemmt worden ſey; und allerdings konnte 
man dies in einer dit damals ein Gluͤck nennen. An: 











1) Arlington letters I, 202. 


2) Estrades, VI, 418. Temple Memois 857. Schöil Histoire 
des Traitss I, 337. 








/ ⸗ 


42 Seas Bud. Erfies Hauptflüd. 


4668. bererfeitö aber war ed ein Ungluͤck und ein Unrecht zugleich, 
Daß der weſtphaͤliſche und pyrenaͤiſche Frieden ruͤckſichtslos 
und ungeflraft übertreten wurben und bie, lediglich nad) 
der Staͤrke und nicht nach dem Rechte fragende Staatskunſt, 
durch glüdlihen Erfolg eine Beſtaͤtigung erhielt, welche ben 
ehrgeläigen . König zu aͤhnlichen Planen aufregen mußte. 
Doch darf man hinzufeßen: durch echt, wie durch Unrecht, 
buch wahre Fortfchritte wie duch Irrthuͤmer und Frevel, 
brachte Frankreich Leben und Bewegung in die Gefchichte 
jener Zeiten. Es erweckte Ale aus dem Schlafe! Ob zu 
neuem Leben, ober zum Tode, das hing wefentlich yon ih⸗ 
nen felbft ab; denn Voͤlker und Könige erreicht Noth und 
Tod politifcher Ar, in der Regel nur ald Folge und nad) 
Maaßgabe ihrer eigenen Schuld. 

Damals ließ Ludwig XIV fiegeöftoh und beheutungsvoll 
die Anſpruͤche zuſammenſtellen, welche Frankreich habe) auf 
Sicilien, Neapel, Genua, Nizza, Piemont, Lukka, Mai⸗ 
land, Aragonien, Kaſtilien, Navarra, Deutſchland, England, 
Flandern, Avignon, Venaiſſin und andere Laͤnder! 


1) Oouvres de Louis XIV, II, 875, 





Zweites HSauptflüd, 


Bon dem achener Frieden, bis zu dem nimmweger 
Frieden. 
(1668— 1678.) 


Bei unbefangener Betrachtung der erzaͤhlten Begebenheiten 1668. 
muß jedem bie merkwuͤrdige Umkehrung vieler früheren Ver⸗ 
haͤltniſſe in das Entgegengeſetzte ſehr auffallen. Spanien, 
einſt ſo uͤbermaͤchtig, daß man dorther die Unterdruͤckung der 
europaͤiſchen Freiheit fuͤrchtete, iſt in fo klaͤgliche Ohnmacht 
verſunken, daß es ohne den Beiſtand derer verloren geweſen 
waͤre, welche es ſo lange als veraͤchtliche Rebellen bezeichnet 
hatte. Und Frankreich, welches den Freiſtaat der vereinigten 
Niederlande als ein Werk ſeiner Haͤnde zu betrachten und 
unbedingte Nachgiebigkeit zu forbern geneigt war, findet da⸗ 
ſelbſt (trotz aller Beſchuldigungen von charakterlofer Uneinigs 
Leit und feiler Beftechlichkeit) den Mittelpunkt fo kuͤhnen, 
als beharrlihen Widerſtandes. Wenn. nun fchon in bie 
Freude dee Spanier fich einige Bitterfeit mifchen mochte, 
daß gerade bie Holländer fie errettet hatten; fo war ber Zorn 
Ludwigs ungemefien baß ex, der erſte König Europas, auf 
feiner ſtolzen Siegedlaufbahn buch einen „Däufes von 
raͤmern und Schiffen” gehemust worden fey! Diefe Hols 
länder, zufammengebrängt auf einen Winkel Europas, der 
nur mit Mühe ben Meeresfluthen chtriffen worden, biefe 
Froͤſche der Moräfte, Bettler und Meergeufen (wie hochmü- 
thige Gegner fie zu nennen beliebten) fanden jest allen 
Voͤlkern voran durch Reichtum und waren ber Mittelyunft, 
das Herz von Europa geworden. Woher bied fcheinbare 











4 Sechstes Bud. Zweites Yauptfiüd, 


4668. Wunder? als durch raſtloſe Thätigkeit, verbunden mit ruhi⸗ 
ger Mäßigung, durch religiöfe Duldfamkeit welche jede Ver⸗ 
folgung ander Gefinnter mißbilligte, durch unbezwingliche 
Vaterlandsliebe die kein Opfer ſcheute, und durch bürgers 
liche Freiheit welche blinden Gehorfam und anarchiſche Will⸗ 
kuͤr gleichmäßig verwarf. Allerdings gab ed (wie wir fahen) 
bebenkliche Mängel ſtaatsrechtlicher Formen, gefährliche Keime 
ſchaͤdlicher Auflöfung, Üübertriebene Gegenfäge republifanifcher 
und oranifcher Parteien; aber durch fernere Fuge Leitung 
boffte man dies Alles verbeffern, vermitteln und auöheilen 
zu koͤnnen. 

Jeder Parteilofe mußte den Freiſtaat (trotz ſeiner Maͤn⸗ 
gel) bewundern und ſeine Exhaltung winfchen; nicht fo 

. Zubwig XIV. 
Sein erfler und nächfter Zweck war bie Auflöfung des 
dreifachen Buͤndniſſes. Sehr richtig fah er ein, daß es mehr 
beroorgegangen war aud ber augenblidlichen Begeiſterung 


einzelner Männer, wie Zemple und: be Witt; ald aus der 


recht feften und allgemeinen Überzeugung von beffen Noth⸗ 
wenbigkeit und- Heilfamkeit. .Undb wenn ed auch in bey Nie 
derlanden tiefer wurzelte ), fo ſchien es doch für bie fehr 
thätige unb gewanbte franzoͤſiſche Staatökunft Feine unlösliche 
Aufgabe Schweden und England umzuſtimmen. Die erften 


i) Sharakteriftifch ift folgenhe Stelle aus einem Berichte Zemp- 
1e8 (vom 15ten Julius 1667) im britiſchen Steihsanhive: das große 
Intereſſe der Chriftenheit erforbert durch irgend einen Vertrag, ober 
Gegemvirktung, die Macht und ben Ehrgeiz ber Franzofen zu hanmen. 
Auch) ift keineswegs bloß ihre gegenwärtige große Macht in Betrady: 
tung gu giehen, fonbern noch mehr bie Kraft bes Geiſtes und Genius, 
weiche jest ihre Regierung, ober ihre Minifter in Bührung ber Ge⸗ 
ſchaͤſte zu einer feltenen und beharrlichen Orbnung und Thaͤtigkeit ‚bringt. 
Ic erfehe dies aus ben Briefen ihrer Minifter, welde der Marquis 
Gaftel Rodrigo oft auffängt, ober erkauſt, befonbers aus einem Pa⸗ 
tete des Herm Tellier, an Herrn Lyonne, woraus fich ergiebt, ba 
von Stalien und Portugal bi Pol, Taum ein Winkel in der Chriſten 
beit iſt, auf den fie nicht ihre Gebanten richteten, und bei ihren Be⸗ 
ſchtuſfen berickfichtigten. 


—— 
“ 


Frankreich und Schweben. 45 


Bedenken zeigten fich in jenem Reiche ald Holland verfangte: 1669. 
daß Karl XI den achener Frieden ſchon deshalb verbürge, 
weil dieſer den pyrendifchen beftätige. Doch bezogen fich die 
erhobenen Einreden nicht ſowohl auf das Stantsrecht, als 
auf bad Geld). Wir müffen (fagten die Schweben) felbft 
während bed Friebend ein Heer erhalten; mithin ift es na⸗ 
türlich daß diejenigen daſſelbe bezahlen, welche im Fall eines 
Krieges davon Vortheil ziehen. — De Witt entgegnete: 
Holland habe fo große Anftrengungen gemacht und feine 
Selbmitel fo erfhöpft, daß es im Frieden feine Ausgaben 
und feine Krieggmacht vermindern muͤſſe. — Hierauf bes 
merkte ber holländifche Geſandte Groot: die Schweden, bes 
fonberö die verſchwenderiſchen Edelleute, brauchen Geld, was 
ihnen vom Auslande. zulommen muß. Wer es ihnen zahlt, 
fiegt immer ob. Überhaupt werben bie wichtigften Angeles 
genbeiten weniger mit Berüdfihtigung des allgemeinen Wohls, 
als des befondern Vortheils entichieden und 20,000 Thaler 
an Geſchenken wirkten mehr ald 200,000 Thaler an Hüuͤlfs⸗ 
geldern. — Während nun bie Spanier, auf Antrieb de Witts 
" Hülfögelder verfprachen, aus Armuth ober Sparſamkeit aber 
nicht zahlten”), fchidte Lubwig XIV den Botfchafter Pom⸗ 
sonne nah Stodholm, um bie alte Verbindung mit Frank: 


1) Oeuvres de Louis XIV, Vol. II zu 1668. Lettres de de Witt 
IV, 87 —348. 

2) Temple fagte und fchrieb bem Botfehafter Liſola: bei ber Min⸗ 
berjährigleit des Könige von Spanien, ber Traftlofen Regierung ber 
Königin und den Zwiſtigkeiten der Räthe, halte ich nicht allein bie 
vorgefchlagenen Huͤlfsgelder, ſondern ben ganzen Verluſt Spantens fa 
Slandern, fir einen geringen Preis, wenn fie dafür eine Buͤrgſchaft 
des Ganzen von ben brei Mächten erlangen. Die Summe wodurch 
man Schweden gewinnen Tann und worüber man jegt fireitet, iſt fo 
gering, daß der fpanifche Hof vielleicht mehr zum Zeitvertreibe ber Koͤ⸗ 
niginn Chriftine verfchleubern wird, wenn es diefer einfallen follte nach 
Mabrit zu kommen. Gewiß iſt die erfle Stadt, deren ſich die Frans 
zofen bei Eröffnung eines Krieges bemächtigen würben, mehr werth 
als der ganze Betrag der Hülfsgelber. 

Bericht vom 29ften Januar 1669 im britifchen Relchsarchive. 


46 Sechstes Bud, Bweites Dauptfiüd. 


1669. reich wieder herzuftellen. Zwar bemeriten Anfangs. einige 
der älteren Reichsraͤthe: es ſey bedenklich ſich einem fo uns 
ruhigen und kriegsluſtigen Könige wie Ludwig anzufchließenz 
bald aber wirkten jene von Groot empfohlenen Mittel, und 
wenn Schweden dem dreifachen Bünbniffe nicht fogleich oͤf⸗ 
fentlich entfagte, .fo geſchah ed hauptfächlih um auch noch 
Huͤlfsgelder von den anderen Mächten zu ziehen. 

Gleichzeitig mit diefen Unterhandfungen erklärte Lud⸗ 
wig: er wolle die Entfcheidung aller Streitigkeiten zwifcher 
feiner Gemahlinn und Spanien, den Königen von England 
und Schweden überlaffen; nicht ald ob es ihm Ernſt gewes 
fen wäre, fih dem Ausfpruche eined Anderen zu unterwer- 
fen, fondern um durch Übergehung Hollands baffelbe zu 

vereinzeln. Und wiederum trug er dieſem Freiſtaate ein en⸗ 
ges Buͤndniß an), nicht in der Hoffnung ed werde zu 
. Stande kommen, fondern um ſchon durch den bloßen An⸗ 
trag boͤſen Argwohn unter den Verbuͤndeten herbeizuführen. 
Doch bedurfte ed für England kaum ſolcher Kimfte diploma⸗ 
tifcher Art; die Glieder des neuen Cabalminifteriums ließen 
fid ganz einfach hin beftechen, fo daß ber franzöfifche Ge⸗ 
ſandte Colbert Croiſſi ſchon im April 1669 an Ludwig fehreis 
ben Tonnte: die Herren haben nunmehr den ganzen Umfang 
ber Freigebigkeit Euer Majeftät empfunden). — Und kaum 
kann man ihnen deshalb Vorwürfe machen, ba Karl II ber 
König, flatt fich mit feinem mächtigen und freigefinnten 
Volke für die Erhaltung ber europaͤiſchen Freiheit zu vers 


1) Der neue framofiſche Botſchafter giebt wiederholte Verſicherun⸗ 
gen, daß Ludwig XIV den Frieden erhalten wolle. De Witt erwie⸗ 
dert: es ſey ihm ſehr lieb dies zu hoͤren, doch moͤge man ihn entſchul⸗ 
digen, daß er ſeine Maaßregeln nicht ganz danach einrichte. Denn 
Herr von Eſtrades habe früher das ungluͤck gehabt, ſchriftlich Ver⸗ 
ſicherungen gleicher Art auf ausdruͤcklichen Befehl ſeines Herrn in dem⸗ 
ſelben Augenblicke auszuſtellen, wo dieſer eine Erklaͤrung nach Spanien 
fanbte, welche ben Krieg veranlaßte. Schreiben Temples vom erſten 
"März 1669, im britifchen Reichsarchive. 


3) Basnage II, 78, 99. 


’ 


England und Holland. 47 


ftänbigen‘), diefelbe verrieth und vorzog ein Mielkling und 1669. 
Knecht Ludwigs XIV zu werben. Nach Empfang des Kaufe 
preiſes mußten dann die oberflächlichften Gründe fir voll gels 
ten. — Alle Freiſtaaten (fagte Ludwig feinem Trabanten 
Karl) find ſtolz, und haffenswerthe Zeinde ber Könige : 
Spanien wird fich Über die Süchtigung rebellifcher Untertha⸗ 
nen freuen, ber Kaifer ift mit Tuͤrken und Ungern befchäfs 
tigt, der Norben in fih unelnig und durch franzöfifches Geld 
beherrfht, Köln und Münfter den Hollaͤndern feindlich 
gefinnt u. f. w.”) 

Umtriebe ſolcher Art Tonnten dem fcharffichtigen de Witt 
nicht ganz verborgen bleiben, und er fuchte in London über 
die Sefinnungen- und Plane nähere Auskunft zu erhalten. 
Aber Arlington, ber englifche Dinifter heuchelte die aufrichs 
tigfte Freundſchaft), während er heimlich überall Händel 
anzufliften fuchte, und hinterruͤckks bie Glieder der Generals 
fiaaten und bie hollaͤndiſchen Minifter, Schurken und Schufte 
nannte! — Wo moͤglich noch unwuͤrdiger benahm fi) König 
Karl Er fagte dem holländifchen Sefandten Boreel: er 
wolle für die Niederlande bei Lubwig XIV vermitteln und 
wenn es nicht gelinge, an dem breifachen Buͤndniſſe feſthal⸗ 
ten. Denn dies fey fo beilfam, daß man es fchließen müßte, 
wenn es nicht bereitd gefchloffen wäre. Ja es fey eine Be | 
leidigung und man beflede feinen Ruf“), wenn man verbreite 
er werde fih an Frankreich anfchließen. — Es mag Fälle 


1) er bavon mehr, fin bem Kapitel über bie englifche Ge⸗ 
ſchichte feit der Herſtellugg Karls II. 

2) Histoire de de Witt II, 844 — 846, 

8) Temple letters 246. Basnage II, 74. Arlington ſchrieb dem 
hollaͤndiſchen Gefanbten Boreel: Der König verfichert wiederholt, daß 
keine Lockung, Erin Bortheil irgend einer Art ihn feinen Verpflichtun— 
gen (dem breifachen Bunde) abtrünnig machen fole. Gr wirb jebem 
Beiſtand leiſten ber deshalb beldfligt würde, und weiß wie ſehr bie 
Erhaltung bes Friedens, feiner Ehre und feinem Bortheile gemäß ift. 
Schreiben vom 18ten Sanımr 1672 im beitifchen Reicharchive. 

4) Basnage II, 138. Histoire de de Witt II, 851. 


? 


48 Sechstes Buch. Zweites Hauptſtück. 


1669. und Angenblicke geben, wo ein Anderer kein Recht hat bie 
volle Wahrheit zu fordern, oder wo ihr Ausſprechen, Frev⸗ 
len gegenüber, das Mißlingen ber ebeiften Plane herbeifüh- 
en kann: wenn: aber ein freier König eined eblen Wolle, 
feinem Vortheile, feiner Ehre und feinem Worte zuwider, 

treue Bundeögenoffen unter der Maske liebenswuͤrdiger Of⸗ 
fenheit und im Solbe bed Ungerechten gerabehin belügt; fo 
iſt dies eine Schänblichfeit fo wiberwärtiger und verdam⸗ 
menswerther Art, daß Fein Unrecht eines Privatmanns ihr 
gleichgeftelt werben ann, Feine Rüge dafür zu hart, erfcheint. 


Allerdings irrte be Witt, wenn er diesmal an Wahr⸗ 
heit und Ehrlichkeit glaubte, wenn er wähnte bie wahre 
Ehre und ber wahre Vortheil fey fo unſchaͤtzbar und ein⸗ 
leuchtend, daß am wenigften ein König von England fie für 
franzöfifche Louisd'or preis geben werbe; inbeß blieb bie 
wahre Lage der Dinge nicht lange verborgen, da Ludwig XIV, 
(Englands und Schwebens fiher) ed nicht mehr der Mühe 
werth hielt feine weiteren Plane und Anfprüche zu verbergen. 


Den 15ten Oktober 1669 ſchrieb der Botſchafter Li⸗ 
fola aus dem Haag an ben englifchen Minifter Arlington : 
„Ich geftehe Ihnen daß während biefer ganzen Zeit mein 
Geift nicht frei war, und ich mich in Betrachtungen verlor 
über dad Audfchweifende und Regellofe des böfen Genius, 
der unfere Angelegenheiten leitet. Eine Unterhandlung wor: 
auf dad Heil, die Sicherheit und der Ruhm Aller beruht 
die daran Theil nehmen, wird durch einen leicht wegzuſchaf⸗ 
fenden Nebenumftand aufgehalten, und während wiP und ges 
genfeitig babei hartnädig zeigen, flreiten wir Iediglich gegen - 
uns felbft, und wetteifern unferem Feinde einen angenehmen 
Zeitvertreib in dem Augenblicke zu geben, wo er raſtlos Als 
les zu unferem Verderben vorbereitet. — Diefer dreifache 
Bund, welcher in der Welt fo viel Aufichen gemacht hat, 

verſchwindet wie ein Rauch, und anflatt Achtung und Furcht 
zu verbreiten, wird er ein eitles Schreckbild und ein Gegen» 
ftand des Spottes, fo daß Frankreich kein Hinderniß mehr 


\ \ 











\ 


Srantreih und Spanien 9 





findet, um mit raſchen Schritten feine umfaſſenden Plane 1669- 


durchzuſetzen ). 

Anſtatt die Franchecomtẽ in dem Zuſtande zurůͤckzuge⸗ 
ben wie er fie beſetzt hatte, ließ Ludwig die Feſtungen ſchlei⸗ 
fen), das Geſchuͤtz und alle Kriegsvorraͤthe fortführen, ja 
feibft den Einzelnen ihre Waffen wegnehmen. Als Zubehoͤr 
des in Belgien ihm Abgetretenen nahm ex mehre Feflungen 
und Städte, fowie über 130 Dörfer.in Anſpruch, und z0g 
die Süter aller derer ein, die nicht innerhalb Frankreichs 
wohnen wollten”), felbft wenn fie auch in den fpanifchen 
Kiederlanden Befigungen hatten. Und alle diefe Schmach 
mußte Spanien erbulden, weil es ihm an jeber Kraft bes 
Siderſtandes fehlte; denn zu all den. oft erwähnten Übeln 
traten gerabe damals bie beftigften innern Streitigkeiten über 
bie Frage hinzu, ob Don Juan, ber unehelihe Sohn Phi: 
fipps IV *), oder die Königinn mit ihrem Beichtvater Nits 
hard die Geſchaͤfte leiten follten. Beide Gegner (fo wird . 
erzählt) Kießen von Gotteögelehrten und Glaubenswächtern 
Berathungen anftellm: ob jeber von ihnen nicht berechtigt 
fey den andern ald Feind des Waterlandes und Aufruͤhrer 
ermorben zu laffen ); und Viele ſollen dieſen Gedanken ge⸗ 


billigt haben! 





Bald nach dieſer Mißhandlung Spaniens verjagte Lud⸗1670. 


wig zum zweiten Male den Herzog Karl von Lothrin⸗ 
gen, verwarf kaiſerliche Vermittelung und behauptete kurz⸗ 
weg, dad Land gehöre aus zureichenden Gruͤnden ihm®). 
Üpnlicherweife hatte er bereits früher das Fuͤrſtenthum Orange 
befegt und die Feſtungswerke bee Stadt unter bem Vor⸗ 


1) Schreiben im britiſchen Keichsarchive. 

2) Histoire du Congrös d’Utrecht 9. 

5) Basnage II, 64. 

4) Relation des differents entre Don Juan d’Autriche et le 
Cardinal Nithard. 

5) Basnage II, 67. 

6) — U, 120. Macpherson History of Kaas I, 137. 
Larrey IV, 60 

VI. 4 


60 Sechsſstes Bud Zweites Hauptfiüd. | 


1670 wande fchleifen laſſen: bei den Zwiſtigkeiten welche zwifchen 
der Mutter und Großmutter Wilhelms III entflanden waͤ⸗ 
N‘ ven, ſey es am beften er komme allen uͤbeln Folgen für 
dad Land dadurch zuvor, daß er es bi8 zur Großjaͤhrigkeit 

des Fuͤrſten an ſich nehme‘). 

Maaßregeln ſolcher Art, wo der Koͤnig von Frankreich 
lediglich zu ſeinem eigenen Vortheile als Vormund, Klaͤger, 
Richter und Vollſtrecker auftrat, hätten kraͤftige Fuͤrſten und 
Voͤlker in Europa gar nicht dulden ſollen. Nur das einzige 
Holland war damals nicht qbgeſtumpft gegen dies Gefühl, 
ftand aber vereinzelt und beburfte dringend ber Ruhe und 
des Friedens. Schon bie franzäfifhe Zollrolle von 1664, 
noch weit mehr aber bie von 1667 hatte bie Handeldabgaz 
ben ungemein erhöht?) und Frankreich mehr ober weniger 
gefperrt, ohne daß nieberländifche Worftellungen über Wer: 
letzung ber beftehenden Hanbelöverträge in Paris den gerings 
ſten Eindrud machten. In biefer Lage ſchlug van Beuning 
vor, allen Handel mit Frankreich um fo mehr abzubrechen, 
da Holland aus diefem Lande mehr ausführe ald hinein: 
führe, alfo durch eine nachtheilige Handelsbalanz zu Grunbe 
"gehe. Mit Recht nahmen die Generalſtaaten diefen, auf 
unzureichende theoretifche Gründe beruhenden Plan”), nicht 
an: fie wußten baß kuͤnſtliche Unterbrechungen ſolcher Art, 
neue Handelswege eröffnen, und der fcheinbare Rachtheil 
übertriebener Einfuhr durch eine flärfere Ausfuhr nach an⸗ 

„bern Ländern ausgeglichen ward. Als aber endlich die Nie: 
1671. terlänber, nach Frankreich Worgange im Frühjahre 1671 
ihre Handelsſteuern ebenfalls erhöhten, zürnte Lubwig aufs 
Außerſte und verlangte Abänderung und Genugthuung *). 


1) — III. 186. 


2) 1632 gab ein hollaͤndiſches Stuͤck Tuch von etwa 25 Ellen, 


fech8 Gulden, unb fo fleigerte man bis 80 Gulden. Valkenier verwirr⸗ 
tes Europa I, 88. 


8) Basnage II, 83. 
4) Histoire de de Witt II, 889. Neufville Histoire de Hol- 
lande IV, 3. altenier I, Beilage 4. 


Holland und Frankreich. 51 


Obgleich die Holländer noch immer ber Übersengung lebten, 1671. 
Ludwig wolle ben Frieden erhalten, weil fein Land ebenfalls 
deſſen bebücfe; ‚obgleich fie noch immer Karls IE Freund⸗ 
ſchafts verficherungen für wahr und ehrlich hielten, benahmen 
fie fi) doch fo willfährig gegen Frankreich ald es einem 
unabhängigen Stante irgend erlaubt if. Hätten fie aber - 
diefe Willfährigkeit, ja Demuth, auch noch weiter getribn, 
es wäre völlig vergebens geblieben; denn Ludwig wollte nun 
einmal einen zweiten Eroberungsfrieg, und Eonbe, Zurenne 

und Louvois überflimmten ben frieblicher gefinnten Golbert. 
Diesmal aber hatte man den Freiſtaat ber Niederlande, und 
nicht Belgien auscrſehen: denn er fey bie reichere Beute 
und nach feinem Untergange falle bie fpanifche Hälfte von 
ſelbſt an Frankreich. 

Schweden war laͤngſt dem dreifachen Buͤndniß untren 
geworden, und Karl II hatte noch treuloſer ein geheimes 
Buündniß mit Ludwig XIV gefchloffen, wonach er dem Frei: 
ſtaate ebenfalls den Krieg erflären und Seeland nebfl dem 
Inſeln, Wilhelm IH Holland, Frankreich aber bie übrigen 
Landſchaften befommen follte ). 

A der holländifche Gefanbte Groot in Paris cin 
Schreiben überreichte, worin mit hoͤchſter Mäßigung jeder 
Grund ded Rechts und Friedens entwidelt unb zu jeber Ges 
nugthuung bie Hand geboten warb; erhielt er eine flolze 
Antwort”), worin die Niederländer ald bie Angreifenben dar⸗ 
geftellt, die Nothwenbigkeit Frankreich gegen drohende Ges 
fahren zu fihern behauptet ımb bes Himmels Segen für 
feine gerechte Sache erfieht ward. — Als Groot am vierten 
Sanuar 1672 in einer Aubienz gleicherweife nachbrüdliche 1672 


1) Basnage II, 104, 134. Histoire de de Witt II, 381—854. 


2) Die Berzoginn von Drleans (Anekdoten 97) behauptet Togar: 
der Krig ſey begonnen worden, weil Eyonne ben Prinzen von Fuͤrſten⸗ 
berg entfernen wollte, der mit feiner Frau eine Intrigue begonnen 
Hatte! Lubwig geftand 1672 daß er ben Krieg feit drei Iahren be - 
fchlofien, und geſucht Habe Spanten und Brandenburg für ſeine vun 
zu gewinnen. Pelisson lettzes I, 174. 
4% 


| 52 Sechsſtes Bud. Zweites Hauptſtc 


1672. Vorſtellungen machte, nahm (wie Frau von Sevigne nach 
‚ ihrer gewöhnlichen Weiſe berichtet) ) der König das Wort 
und fagte mit einer bewundernswuͤrdigen Majeflät und Anz 
muth: „Ich weiß dag Holland meine Feinde wider mich ‘auf: 
“reist, weshalb ed die Klugheit erfordert mich nicht überrafchen 

zu laffen. Mit bem Fruͤhjahre werbe ich das thun, was 
meiflem Ruhme und dem Vortheile meines Staates am ans 

gemeffenften erfcheint.” 

Mehr als dur Rudfiht auf wahren Ruhm und Frank⸗ 
reichs Wohl, ward Lubwig zum Angriffe Hollands beftimmt, 
weil die dortigen Beitungäfchreiber über ihn, feine Minifter 
und Beifchläferinnen in einer Weife Bericht erflatteten ?), 
welche allerdings von dem pariſer Gebrauche fehr verfchieben 
war. Solch republitanifche Prefreiheit erſchien dem, durch 
unbebingte Schmeichelei verwöhnten König, als das aͤrgſte 

WVerbrechen; während es ihm ganz willkommen war, wenn 
der Nachhall feiner Worte in allen niebern Kreifen leiden⸗ 
ſchaftlich wiebertönte. Die Holländer, fagt ein franzöfticher 
Schriftſteller“), behandeln die Katholiken wie Sklaven, wes⸗ 
balb ber König die Kirche ſchuͤtzen, Undank fixafen und ben 
lÜibermüthigen eine tüchtige Lektion geben muß. : Ein Ge: 
dicht, Frankreich an ben Freiſtaat der Niederländer, lautet 

wie folgt *): 

Peuple n& pour servir, que mon bras abandonne, 

Comme un fameux exemple & la posterite *), 

J’avais brise les fers de ta captivite, 

Pour donner à ton nom l’&clat de ma couronne. 

Ingrats que l’appareil de mes armes &tonne 

Vous vous meconnaisses dans la prosperite; 


M) Sevigne II, lettre 165. Basnage II, 135. 

2) 8. Pierre annales politiques I, 206. Desormea ont- 
morency IV, 126. la Fare 74. F'6ndlon correspond. II, 8 ck- 
hart Hist. secrete I, 61.. 


8) Du Belle journal de Ia Gnerre de Hollande 1, Ah, 
4) Sautreau siöcle:.de Louis XIV, II, 94. 


Frankreich und der Kaifer. 53 
Moi je porte les traits de ia divinite, 
Le sceptre est dans mes meins, je F’ote et je le donne. 


Mit nicht befferen Gründen ſuchte ber feanzöfifche Ges 
fandte Gremonville Ludwigs Abfichten auf Holland am kai⸗ 


1672. 


ferlichen Hofe zu rechtfertigen. Sie find: fprach er, Empoͤ— | 


ver gegen das Haus Öfterreih. Das ſchwere Gefchäft fie 
verbientermaaßen zu firafen und ihnen bie rechte Ehrfurcht 
für gekroͤnte Häupter beizubringen '), übernimmt der König 
von Franfreih um fo mehr zum Bellen bes Kaifers, als 
dadurch die fpanifchen Niederlande gefichert und die franzöfls 
ſchen Anſpruͤche an biefefben in ben Hintergrumb geftellt 
werben. — Nicht Geſchwaͤtz ſolcher Art, ſondern Gelbmans 
gel, Mißverhältniffe zu Ungern und auch wohl bie Treulos 
figfeit einzelner Beamten”) vermodten den Kaiſer am erften 
Movember 1671 mit Ludwig KIV einen Vertrag abzufchlies 
fen, wodurch er verſprach ſich in Leinen Krieg, ber außer: 
halb des dentſchen und fpanifchen Reiches ausbrechen duͤrfte, 
anders ald durch gütliche Wermittelung einzumifchen, und 
ven von Frankreich Angegriffenen keinen Beifland zu leiften. 
Richtiger fahen die Spanier in bie Zukunft und ſchloſſen am 


17ten December 1671 ein Schutzbuͤndniß mit Holland); 


allein dies bot leider Feine wahre Hülfe, und fo blieb ber 
Freiſtaat zulegt lediglich auf fich felbft angewiefen. 

Sobald hier die volle Größe der Gefahr erfannt warb, 
erhoben fich bittere Klagen gegen de Witt, daß er biefelbe 
nicht voraudgefehen, nicht abgelenft, oder genügende Vorkeh⸗ 
rungen dagegen getroffen babe‘). Doch Fonnten feine Wer: 
theidiger fprehen: allerdings ift für das Lanbheer und bie 
Zeftungen weniger geforgt, als für die Seemacht; würde man 


i) Basnage II, 143— 168, 185. 
2) de Witt hätte auch wohl äfterreichifche und englifche Miniſter 
koͤnnen, aber ex werachtete folche Mittel und Tonnte Frank⸗ 
reich body nicht überbieten. Basnage II, 186. State tracts during 
the reign of William III, I, 9. 
3) Histoire.de de Witt II, 865. 
4) Balkenier verwisrtes Suropa-I, 357. - 





64 Sechstes Bud. Zweites Hauptflüd. 


1672. aber in ber Zeit tiefen Friedens bie Auffielung und Beſol⸗ 
bung eines Toflfpieligen Heeres nicht mit noch erheblicheren 
Gruͤnden verweigert haben, ald zur Zeit Wilhelms N? 
Würde man es nicht fuͤr thöricht erflärt haben wenn be Witt 
feierliche Urkunden und Friedensfchlüffe, Fönigliche Verſpre⸗ 
ungen, volles gutes Recht und bie Kraft ber Dinge für 
unbebeutend ober nichtig erklärt, und ben Krieg für unab- 
wenbbar gehalten hätte? Unb wenn auch Lubwig XIV ſchon 
genligend zeigte, daß fein Ehrgeiz auf Recht und Billigkeit 
keine Rüdfiht nimmt; fo iſt doch des Kaiferd Benehmen 
fo unverftändig und Karl II Benehmen fo unverfländig und 
ſchaͤndlich qugleich, daß niemand es vorausſehen konnte, 
ober durfte). 

Gewiß gereichen dieſe und aͤhnliche Gründe zur Ent⸗ 
ſchuldigung de Witts, auch kann ihm das Verſaͤumte um ſo 
weniger allein zur Laſt gelegt werben”), da er Fein unum⸗ 
ſchraͤnkter Herrfcher und oft in feinen Planen, beſonders durch 
bie oranifche Partei gehemmt war. Möglich aber wäre es 
wohl geweſen in dieſem Augenblicke höchfter Gefahr von Aus 
Ben, ber geringeren eined monarchifchen Einfluffes im In⸗ 
nern nn zu gebenfen, und fich offen und herzlich mit 
Wilhelm IM und feinen Freunden für benfelben Zweck zu 
vereinigen’). Im Februar 1672 warb dieſer allerdings auf 
Andringen der übrigen Landfchaften zum Oberfeldherrn er- 
nennt, Holland und de Witt erhoben aber biebei fo viel 
Bedenken und zeigten fo viel ängflliche Vorſicht *), dag. fafl 


1) Siehe oben Seite 47, Rote 8. 

2) Ohne alle Vorſicht zeigten ſich die Holländer gewiß nicht, wenn 
Beuning ihr Geſandter in Paris auf bie Frage: ob er bem Könige 
nicht traue? zur Antwort gab: ich weiß nicht was der König will, aber 
ich überlege, was ex vermag. Voltaire siecle XX, 838, 

9) Lockhart I, 117. 

4) Die ſeche Eandfchaften beharren FR ei dem Gntfiufe den Pie 





Ensliſche Kriegesskiärung wider Holland. 55 


mehr Die alte Uneinigkeit wieder zu Tage kam, als neue Eis 1672. 
nigkeit begründet wurde. Auch die Geiftlichen nahmen Par⸗ 
tei, ober zaukten bed Waterlanbed vergeflenb über Gnabe 
und gute Werke, oder meinten bad Höchfte in ihrem Eifer 
für Staat und Kirche gethan zu haben, wenn fie bie firenge 
Beier des Sonntage einfchärften und biejenigen mit dem 
Banne bebrobten, welche an biefem Tage fpazieren fuhren ')- 

Sobald de Witt von ber Unvermelblichkeit des. Krieges 
überzeugt war, traf er mit hoͤchſter Anfivengung bie noͤthi⸗ 
gen Borbereitungen unb machte den kuͤhnen Antrag fich ber 
Magazine zu bemädtigen?), welche von ben Franzoſen im 
Kolniſchen, befondbers in Nuys zum Gebrauche wider bie 
Holländer waren aufgehäuft. worden. Der Churfuͤrſt, ein 
ſchwacher Mann, hatte, undeutſch und unwuͤrdig zugleich, den 
Sranzofen bereits fein ganzes Land preisgegeben; weil inbeß 
der Krieg noch nicht förmlich erflärt war, verwarf man je 
nen Vorſchlag de Witts. 

Minder gewiffenhaft war Karl II. Schon am 15ten 
Februar 1672 ließ er Spanien mit einem Kriege bebrohen, 
wenn es bie Holländer irgend unterſtuͤtze )3 ex ließ deren 


zu bintertrelben, welche man fo allgemein wuͤnſcht unb für das Wohl 
bes Staates fehlechterbings nothwendig hält. Der Prinz benimmt ſich 
. biebei fo klug als möglid und zeigt große Gewanbtheit, inbem er 
nirgends felbft offen Hervortritt, fondern den Landfchaften überläßt biefe 
Sache zu Ende gu bringen. | 
— — 63 ift fehr zu fürchten, daß wenn bie Franzoſen Port: 
fchritte machen, man hier im Stande feyn dürfte, etwas Verzweifeltes 
zu thun; denn fie find außer Stande fi zu verthelbigen, ohne Haupt 
und ımeinig in ihren Rathſchlaͤgen. 
Briefe des Sylvius vom 19ten und 22ften Ianuar 1672 im bri- 
tifchen Reichsarchtoe. 
1) Basnage UI, 174. 
2) la Fare Memoir. 94. Desormeaux Mgntmorency II, 144. 
Barnet History 1I, 548. 
8) Basugge U, 187, 198. Wagenaer VI, 116. Gelbft im eng: 
Lifchen Parlamente warb fpäter laut gefagt, man habe dadurch die Ehre 
preis gegeben. Hlistory of the house of Commons I, 575. Uber bas 





56 Sechstes Bud Zweites Hauptfikd. 


1672. Schiffe mit Beſchlag belegen und im März; 1672 ihre aus 
Smyena zurhdtehrende Hanbelöflotte angreifen"), obgleich 
bee Friede von Breba ausdruͤckuch fefifeste: im Ball eines 
Krieges ſollten die beiberfeitigen Unterthanen ſechs Donate 
Zeit haben ihre Güter und ihr Eigenthum fortzubringen. 
As Holland uͤber biefe und anbere Feindſeligkeiten gerechte 
Beſchwerde erhob, antwortete Karl: man habe die Jahres⸗ 
zeit und die obwealtenden Umſtaͤnde benutzen wollen. Erſt 
fpäter exfchien englifcherfeitd eine Kriegserklaͤrung (ohne Das 
tum”), um ſcheinbar bie früheren, Angriffe zu rechtfertigen) 
und angefült mit einer großen Zahl unbebeutenber Beichwer: 
ben (3. DB. über Segelſtreichen, hollaͤndiſche Schaumuͤnzen 
und Gemälde u. f. w.) welche theild gar Feine Erwähnung 
verdienten) , theild nach hollaͤndiſchen Anerbietungen ſich 
ſehr leicht hätten befeitigen laſſen. Dennoch fagte König 
Karl, gegen beffered Wiffen und Gewiffen: er befinde fi 
in einer unvermeidlichen Nothwendigkeit biefen (ungerechten 
und unklugen) Krieg zu beginnen ). 


Gefecht mit der fmyrnaer Flotte, History of the dutch war, in State 
tracts of William III, I, 17. 

1) Die Franzoſen verführten Karl burch bie Ausſicht auf eine über 
fhwenglich reiche Beute zum Angriff ber Flotte, damit ber Krieg ganz 
unvermeidlich werde. State tracts of William III, I, 85. 

2) &o erzählt Basnage II, 194. Bekannt gemacht warb fie ben 
Tten April, Valkenier verwirrtes Europa I, 167 wo auch alle englifchen 
Scheingründe umftänblich widerlegt find. 

8) Schreiben Boreeld an Arlington vom 17ten März 1672 im bri⸗ 
tifchen Reichsarchive. — Boreel a écrit de l’Angleterre que quoique 
Fon donne satisfaction sur le pavillon, et que l’ou fit le prince 
Göneral, que cela ne ferait pas changer le dessein ou la r&solu- 
tion que l’en avait prise de leur faire la guerre. &chreiben von 
Sylvius vom Z6ften Ianuar 1672. CEbenbafelbft. 

4) um biefe Zeit erfchlenen viele Spott⸗ und Schmäbfchriften. 
In einem Gebichte: the character of Holland betitelt, heißt es: 

Holland, that scarce deserves the name.of Land 
As but th’off scowring of the british sand, 

And so much earth as was coontributed 

By english pilots when they heav’d the lead 








:* forcent de donner de nos Intentions dans toutes les couts de 


Franzoͤſiſche Kriegserklärung. 67 


Ludwig XIV hielt es feiner für. unwuͤrdig, bergleichen 1672. 
Beine Scheingrimbe aufzufuchen und auszuſprechen. In feis 
ner Kriegserklaͤrung vom flebenten April 1672 fagt er bloß '): 
feine Ehre erlaube nicht dad Betragen ber Holländer länger 
zu dulben. 

Als nun Ludwig im Junius 1672 mit feinem teefflich 
gerhfleten, von Turenne und Gonbe geführten Heere in bie 
Niederlande einbrach, und hiedurch die lebte Hoffnung eines 
friedlichen Ausgangs fowie einer Trennung Englands von 
Frankreich verſchwand, ergriff ein panifcher Schrecken bie 
meiflen Gemüther, und man wandte nicht einmal biejenigen 
Mittel zur Vertheidigung an, welche vorhanden waren und 


Or what by th’ Oceans slow alluvion fell 
Of shipwreckt-cocle and the muscle- shell, 
This indigested vomit of the sea Ä 
Fell to the Dutch by just property etc. 

Dagegen heißt es in einer anberen an Karl II gerichteten Schrift; 
Zrenlofe Majeftätl Der von Euch herbeigeführte Verluſt don Blut 
unb Seelen, wird Euch und das Koͤnigreich zu Grunde richten. Ja 
bies vergoſſene Blut ber Britten, Irlaͤnder und Schotten, ladet Euch 
vor Gottes Gericht. Schon ſteht Ihr auf dem Blutgeruͤſte Cures ent⸗ 
haupteten Vaters, und handelt in derſelben Weiſe als Verraͤther des 
kandes und ber Seelen. Wo Eidbruch, Ketzerei und Mord bie Krone 
bilden; wie koͤmmt es, daß des Teufels Königreich den Namen Engel⸗ 
Sand trägt? 

Pfui, du Bluthund, du Nero deinen Hanblungen nach, ber du 
trittft in bie gräulichen Zußtapfen Pharaos. Hinweg bu Judas, ber 
uns, nad bes Teufels Rath, für 80 Millionen ermordet. — Lofe , 
Bündel im britifchen Reichsarchive. 

1) Balkenier I, Beilage 28 Avrigny 65. Histoire de Guillaume 
IL, L 62. Histoire de de Witt II, 379. Die Binigliche Berfügung 
vom 2öften April 1672, wodurch der Koͤniginn viele echte In Ludwigs 
Abweſenheit übertragen werben, beginnt: l’obligation que nous avons 
de prevoir tout ce qui peut &tre contraire & la dignits de notre 
couronne, et an bien et repos des peuples qui Dieu a soumis à 
sotre obeissance, nous ayant obliges de declarer la guerre aux 
&täts gäntraux, pour pr6venir les sinistzes impressions quils s’ef- 











P’Europe etc. Jsanbert oollection XIX, 18. 


v 





88 Sechſstes Buch. Zweiteg Hauptflüd. 


1672. in früherer Zeit gegen Tpanifche übermacht geſchlutzt hatten. 


Geldern, . Utrecht, Oberyſſel wurben faft ohne Widerſtand 
binnen Turzer Zeit befegt und nicht minder fchloffen fich der 
Erzbifchof von Köln’), die Biſchoͤfe von Mimſter und Os⸗ 
nabruͤck und Andere, dem erobernden Koͤnige in der Hoffnung 
an, aus der leichten Beute auch etwas davonzutragen. Sie 
vergaßen daß fie durch ihr Benehmen, ſelbſt im gluͤcklichſten 
Falle, nur die Knechte eines Maͤchtigern werden mußten. 
Seiner kuͤhnen Natur gemaͤß und durch die raſchen 
Fortſchritte des franzoͤſtſchen Heeres doppelt aufgeregt, wollte 
Condéè mit einer Abtheilung Reiterei Amſterdam überfallen 
und hierdurch dem ganzen Kriege ein Ende machen; Tuͤ⸗ 
venne hingegen bemerkte daß, fo fern bie Holländer ihre 
Schleufen öffneten, alle Angreifenden ertrinken müßten. 
Beide Feldherren erflärten fich indeb wider den vom Könige 


beſtaͤtigten Vorſchlag des Kriegsminiſters Louvois: ale er- 


oberten Staͤdte mit Beſatzungen zu verſehen und dadurch 
das Heer übermäßig zu zertheilen und zu ſchwaͤchen. Weil 
Louvois das Land ſchon wie franzöfifches Eigenthum bes 
trachtete ?), wollte er die Feflungswerke nirgends zerſtoͤren 
und lebte ber Überzeugung, die Holländer würden fich ei⸗ 
ügſt und unbedingt unterwerfen. 

In der That ſchickten dieſe Abgeordnete an den Koͤnig, 
welche aber das erſte Mal hochmlithig abgewieſen wurden 
weil ihre Vollmachten nicht hinreichend ſeyen. Das zweite 
Mal machten fie ſo billige Anerbietungen, daß ſelbſt der 
franzoͤſiſche Miniſter Pomponne fie annehmlich fand; Loubois 


1) Schöll traitoᷣs I, 544. 

2) Coste Vie de Conde 630. Rapoleon tabelte Louvois Syſtem 
und Verfahren (Montholon melanges ILE, 125) und fchon ‚ben 26ften 
Junius 1672 fchrieb ber englifche Botſchafter Godolphin an Arlington: 
J am of opinion, that the more the French advance, the less ad- 
vantagious the Kings conditions were like to be, and if your 
Lordship do not concur to this maxim, all. J have said is the 
grossest nonsense in the world and the greatest m Statepaper 
office. 








"Krieg wider Holland. Engliſche Sefandten. 9 


aber wollte aBed Eroberte behalten ımb Bedingungen aufle⸗1672. 
-. gen welche Handel, Reigien und Sreiheit der Mieberlanbe 
ganz zerſtoͤrt hätten. Sa der Gewalt noch übermüthigen 
Hohn hinzufuͤgend, forderte er unter Billigung bed Könige: 
die Holländer follten jährlich eine Denkmuͤnze prägen"), fie 
buch eine befonbere Gefandtfchaft in Paris überrichen und 
dafür ihren Dank bezeigen und ausſprechen: daß Ludwig E 
ibre Freiheit erhalten habe! . | 
Karl I, von biefen Verhandlungen benachrichtigt, fchrieb 
beuchlerifche Briefe an Wähelm von Dranien ald wirke er 
nur für ihn gegen die abfcheuliche zepublifanifche Partei; ja 
fein Geſandter Budingham hatte bie Frechheit, ber Mutter 
ded Prinzen zu fagen: „wir find gute Holländer.” — Es 
wäre hinreichend (gab fie zafch zur Antwort) wenn Ihr nur 
gute Engländer wire. — Wenn mir, fuhr Budingham 
fort, Holland auch nicht lieben wie unfere Braut, dann doch 
wie unfere Frau — Ja wohl, ſchloß die Finſtinn, Ihe 
liebt es wie bie Cie! ?) 
Vom Haag ging- Budingham, nebft feinem Genoſſen 
Arlington nad Brüffel. Obgleih Spanien mit ben Hollän- 
dern ein Schugbüundniß gefchloffen hatte, forderten beide doch 
von dem Statthalter Grafen Monterey (dem Sohne Don 
Luis de Haro): er. folle jenen feinen Beiſtand leiſten, ober 
noch befler diejenigen hollaͤndiſchen Stäbte für Spanien in 
Befis uchmen, wo fih Spanier als Huͤlfsmannſchaft bes 
fanden! — Mit Recht nannte Monterey dieſen Borfchlag nie 
derträchtig und verabfcheuungswürdig,;, — und fo mußten 
jene Botichafter, nachdem fie nirgends etwas bewirkt hatten, 
von Allen befhämt und verachtet, in ihre Heimath zuruͤck⸗ 
Tebren. | | 


Unterbeffen ließ Lubwig XIV, um fich nicht minder als 


1) Basnage II, 247. La Fare 86. Spanheim relation de la 
cour de France V, 66. Wagenaer VI, 161. Villars Mem. I, 11. 
Histoire de de Witt II, 480. 


2) Basnage U, 255, 259, 831. Temple Mem. 382. ge 








60: Sechstes Bud, Zweites Hauptſtück. 


4672. Kischenfürft denn als Kriegsfuͤrſt zu zeigen, ben Katholiken 


proteftantifche Kirchen übergeben, wofür denn auch. an einiz 
gen Altären die Infchrift angebracht warb"): dem trium⸗ 
phirenden, Könige. Im Utrecht weihte ber Kardinal Bouil⸗ 
Ton bie angeblich durch Tegerifchen Gottesdienſt verunteinigte 
Kirche von Neuem; unb in bemfelben proteflantifchen Utrecht 
‚fand der Kardinal fpäter Schug, ald er bei Lubiwig XIV in 
Ungnade gefallen war. Diefer hielt Übrigens Alles für abs 
gemacht und. Eehrte, des Kriegslebens überbrüßig, ſchon im 
Julius 1672 zu feinen Schmeihlern und Beifchläferinnen 
nach Paris zurüd?). Mit Wohlgefallen warb hervorgehoben 
er babe einft dem bolländifchen Geſandten Beuning prophes 
tifch gefagt ): mein Großvater hat euch erhoben, mein Water 

euch erhalten, ich aber werde euch zu Grunde richten wenn 
ihr unverfländig feyb. — Eine neugeprägte Denkmuͤnze zeigte 
die Sonne, welche Dünfte aus Mordften in bie Höhe zicht 
mit der Inſchrift: evexi, sed discutiam*). In demſelben 
Sinne hatte ber Sefuit Comire eine Fabel von der Sonne 
gebichtet, welche den Moraft ber hochmuͤthigen Froͤſche aus: 
tsodnet. Sie fand den größten Beifall; und gleichzeitig uns 
terfuchte man ob Ludwig zu nennen ſey magnus, maxi- 
mus, invincible, tres grand, maxime. 

So in Paris, während in den Niederlanden das Volk, 
durch das unermeßliche Unglüd zugleich bedruͤkt und aufge 
reizt, alle Schufb ben Obrigkeiten und in&befonbere ve Witt 
beimaß und dagegen Wilhelm von Dranien immer lauter 


1) Regi triumphanti. Basnage I, 235, 256. Pelisson lettres 
I, 41. 

2) Um bie Montefpan zu fehn, fagt die Herzoginn von Orleans. 
Anekboten 97. 'The King of France has been welcomed here with 
a 1000- papers of Verses, but none worth of reading, but one 
made by Despreaux. Sunderland the 22. u 1772 from Pa- 
ris. Statepaper office, 

3) Guy Patin lettres III, 277. 


4) Bagenaer VI, 116. Basnage II, 195. Burnet History II, 











 Rubwige Rädkehr nad) Paris. 61 


als den @inzigen bezeichnete ber das Vaterland erveiten koͤnne 1672. 
und werbe. Zu ben Leiden des auöwärtigen Krieges gefellte 
fih alfo die Gefahr vieler innen Fchden, auch Fam ed bereits 
in Dordrecht, Rotterdam und andern Stäbten zu offes 
nen Auffländen. Hierdurch vermocht bob man daB ewige 
Evift auf ) und ernannte im Julius 1672 Wilhelm 
zum Oberfelbberen und Statthalter zugleich. Deshalb nah⸗ 
men jedoch die Klagen über de Witt Fein Ende, fondern 
feigerten ſich 5i8 zu ber Verlaͤumdung: er habe das Land 
on Frankreich verrathen und Gelder zu feinem eigenen Vor⸗ 
fheile verwandt. Seiner Unfchulb bewußt forderte de Witt 
iego felbft von Wilhelm ein Zeugniß über feine Werwaltung, 
und diefer wuͤrde eine foldhe Gelegenheit feinen Gegner ans 
zuffagen nicht haben vorbeilaffen wollen, ja nicht vorbeilafs 
ſen duͤrfen, wenn dazu irgend ein unzweifelhafter Grund 
vorhanden geweien wäre. Wilhelms Anlage traf nur 
feige und verrätherifche Soldaten und Officiere; weil jedoch 
in feiner Antwort gefagt war”): er fey nicht von bem Hers 
gange aller Dinge unterrichtet, brachte diefelbe dem Raths⸗ 
penſionar mehr Schaden als Vortheil und er legte, an ber 
Ruͤtzlichkeit fernerer Einwirkung verzweifelnd, am vierten Aus 
guft 1672 fein in Ant nieder ”). 


1) Neufville IV, 10, 71. 

2) Histoire de de Witt II, 877— 469. 2 

3) In einent anonymen Briefe vom S6ften Julius 1672 im bri⸗ 
tiſchen Reichsarchive heißt es: le Grand Pensionaire tient encore sa 
maison. Il avait envoyé & son Altesse un Pasquin qui le touchait 
&sant: quoiqu’il ne faisait compte de telles bagatelles, il avait 
pourtant trouv6 bon de Mnvoyer à son Altesse, avec esperance 
qu'il y mettrait ordre. Le dit pasquin l’accuse d’avoir diverti les 
deniers de la correspondence secräte, et de n’avoir pas pourvu 
Farmee des necessit&s requises. — Son Altesse lui repondit devant 
son d&part par une lettre, disant: qu’il n’avoit jamais fait cas des 
übelles diffamatoires, et qu'il valait mieux de laisser causer la po- 
pulace, que de le defendre. Mais quil ne pouvait laisser de lui 
mettre devant les yeux, qu'il n’avoit pas seulement depuis quel- 
ques anndes souffert que beaucoup de libelles diffamatoires contre 


62 Schstes Bud. Zweites Hauptſtück. 


1672. Schon früßer erfolgten menchelmörberifche Angriffe auf 
ihn und feinen Bruder ben Birgermeifler in Dorbredht. 
As Jakob van ber Graaf baflır verbienterweife hingerichtet 
wurde), betzachteten ihn ‘(fo flieg bie Leidenfchaft) fchon 
Manche ald einen Märtyrer für die gute Sache. Bald bar 
auf Hagte ein Barbier Namend Tichelaer ben Buͤrgermeiſter 
Cornelius de Witt an, er habe ihn zur Ermorbung bed 
Prinzen von Dranien bingen wollen. Obgleich Zichelaer fruͤ⸗ 
ber bereits wegen Verläumbungen der Obrigkeit und wegen 
Notbzucht war verurtheilt worben, obgleih alle Beweife 
fehlten, der fchändliche Anklaͤger keinen Glauben verdiente 

und ſchon das erſte Verhoͤr mehre Lügen deſſelben entdeckte; 
ſo behielt man den Greiſen nicht bloß in der Haft, ſondern 
ließ ihn auch, gegen alles Recht auf ſchaͤndliche Weiſe fol⸗ 
tern. Aber unter den aͤrgſten Schmerzen behauptete er 
ſtandhaft ſeine Unſchuld und ſagte Horazens Worte: 

, Justum et tenacem propositi virum 

Non civiam ardor prava jubentiun, 
Non vultus instantis tyranmi 
Mente quatit solida. 

Zu diefem Unrecht gefellte dee Hof von Holland (durch 
Leidenfchaft verblendet) das zweite: er erfiärte, ohne Grund 
und Beweis, den Bürgermeifter feiner Stellen verluſtig und 
verbannte ihn aus dem Lande. Als Johann de Witt an 
diefem Tage, ben 20ften Auguft 1672, feinen Bruder aus 
dem Gefängniffe abholen wollte, ward bies von dem, durch 
Zichelaer und Andere aufgereisten Volke umringt und (meil 

die Obrigkeit nichts Genuͤgendes that die Aufrührer ausein- 
onderzutreiben) mit Gewalt erbrocheng beide Brüder heraus: 


ses ayeux étaiĩent en vogue; mais que loin de les defendre avait 
donne des octrois pour voir la lumidre. — Bon Altesse envoya un 
duplicat de sa reponse & l’assembl&e de Hollande, et une autre 
lettre touchant la dite affaire. — Vous voyez biem que les aflsi- 
res chargent fort de face ici, mais dans peu vous pourez voir des 
choses plus surprenantes. = 

1) Wagenaer Buch 54. Basnage II, 286— 289. 


Ermorbung de Witts. 63 


geſchleppt und obgleich fie die heldenmuͤthigſte Ruhe und 1672, 
Saflung bewiefen, unter frevelhaften Worten mit unzähligen 
Streichen ermordet‘ Aber ſelbſt hierdurch war bie Blutgier 
noch nieht geſtillt: man hing fie bei den Beinen auf, fchnitt 
ihnen Nafen, Ohren und Finger ab, und riß ihnen das 
Herz aus dem Leibe, anderer Niderträchtigeiten nicht zu 
gedenken '). 

Diefe beillofen Frevel bleiben ein ewiger Schandfleck in 
der hollaͤndiſchen Geſchichte, und erweiſen daß ſelbſt ein 
ruhiges, gemaͤßigtes, verſtaͤndiges Wolf zu dem Argſten kann 
verleitet werden, ſobald in Zeiten oͤffentlicher Aufregung ge⸗ 
wiſſe Vorurtheile Wurzel faſſen und Verlaͤumdungen Ein⸗ 
gang finden. Hatte die Obrigkeit nicht genug gethan, um die 
Unthat zu verhindern, fo durfte man erwarten fie wuͤrde nunmehr 
befto forgfältiger umterfuchen und beftxafen. Allein die Buͤr⸗ 
gerſchaft vor Haag überreichte bem Prinzen eine Bitt⸗ 
fHrift”): man möge Peine genauen Unterfuchungen anftels 
len, weil alle Welt aus uͤbertriebenem Eifer fuͤr das allge⸗ 
meine Wohl an den Freveln Theil genommen. — Und in der 
Dat hatten Männer, wiẽ der Admiral Tromp, der Predi⸗ 
ger Simonides und A. den Freveln gleichguͤltig, oder Bei⸗ 
fall ſpendend zugeſehen); ja ber letzte nannte des folgenden 
Tages die Ermordung der Bruͤder von der Kanzel herab 
eine Rache Gottes und behauptete die Thaͤter duͤrften nicht 
beſtraft, ſondern muͤßten vielmehr belohnt werden. Kein 
Wunder wenn nach ſolchem Vorgange chriſtlicher Geiſtlichen, 
weltlich geſinnte Hofleute ſich des Mordes freuten, und ihn 
als ein Gluͤck fir den Prinzen von Dranien betrachteten ). 
Bedraͤngt von aͤußerer Gefahr, und in Furcht daß ſtrenge 
Maaßregeln die innere Zerwuͤrfniß und Aufloͤſung noch erhoͤhen 


1) Valkenier verwirrtes Europa J, 407. 
2) Larrey IV, 117. Neufville Hist. de Hollande. 
3) Wagenaer IV, 169. Basnage II, 822 323. - 
‘ -4) Histoire de Guillaume II, I, 80. Gourville Mem. LIII, 
481. Auf das Einzelne können wir hier nicht eingehen. 


“ 


64 Sechstes Bud. Zweites Hauptfäd. - 


1672. bürften, ließ er es ſich gefallen daß eine allgemeine Am⸗ 
neftie, felbft für die Haupttheilnehmer ansgefprochen wurbe. 
Ja einige derfelben erhielten Ämter und Zichelaer fogar eine 
Denfion, welche aber fpäter wohl inne behalten warb, da 
ee ald ein verachteter Bettler ſtarb. Immerdar ſprach Wil⸗ 
heim mit größtem Abfcheu von den Freveln und insbeſondere 
von Tichelaer; am Beſten aber wäre biefer Abfcheu dargelegt 

worden, wenn er (wenigftend nah dem Verſchwinden ber 
politifchen Aufregung und Gefahr) der Gerechtigkeit freien 
Lauf gelafien, ober vielmehr auf ihre Handhabung gebruns 
gen hätte. Eine Amneflie fin die mißgeleitete und verflihrte 
Menge erfcheint aus allgemeinen Gruͤnden oft nothwenbig, 
eine Begnabigung Einzelner aus befondern Urfachen biöweis 
Ien billig: wo aber jene allgemeinen Gruͤnde und biefe bes 
fonderen Urfachen fehlen, kann Straflofigkeit unzweifelhafter 
Verbrechen durchaus nicht -gerechtfertigt werden. Deshalb 
ift zwar Feine Veranlaffung vorhanden den Prinzen zu bes 
fhuldigen er babe jenen Aufftand felbft hervorgerufen, ober 
begünftigt; wohl aber, er habe untergeorbnete Rüdfichten der 
ewigen Gerechtigkeit vorangeftellt und eine Schuld auf ſich 
geladen, welche nur durch die Größe feiner fpäteren Thaten 
gemilbert werben Tann. Zu einer Zeit, wo er bie gefammte 
Berwaltung de Witts genauer ald damals Fannte und fie 
unbefangener beurtheilte ); erflärte er ihn flr den größten 
Mann feiner Zeit, der, wie er glaube, feinem Waterlande treu 
gebient habe. 
.. De erfte und erheblichfle Grund des Sturzed beider 
Brüder und aller ehemaligen Freunde Frankreichs, war je: 
doch der ungerechte Angriff Lubwige XIV. Wilhelm III, dies 
einft von Allen. verlaffene, für immer (fo ſchien e8) unter= 
brüdte Kind, (welches auch Ludwig feined Eigenthumd zu 
berauben in flolzer Anmaaßung nicht verfchmäht hatte) ‚war 
unbemerkt ein Iüngling, und von einem ganzen Wolfe als 
Erretter begrüßt worden. Ludwig ſah darin nur einen Be: 


1) Burnet History II, 547. | 


Muthige Vertheidigung der Nieberlande. 68 


weiß der Verzweiflung, ober des Aberglaubens: er ahndete 172 
nicht, daß in dem verachteten, huͤlfloſen Dranier ihm ein 
Gegner emporwachſe, maͤchtiger und ausdauernder als Koͤ⸗ 
nige und Kaiſer; ex lebte der Überzeugung ein 22jähriger 
unerfahrener Fuͤrſt, werde ſich willig einem Könige fügen ber 
12 Sahre- älter, aller Künfte des Regiergus Punbig und von 
unwiderſtehlicher Macht unterſtuͤtzt ſey. In jedem Augen» 
blide erwartete er, gleichwie fein flolzer Kriegsminiſter Lous 
void, daß der nun auch innerlich zerfallene Fteiſtaat ſich uns 
bedingt unterwerfen werde, Statt befien hatte. Amflerbam 
mit heivenmithigem Beiſpiele vorangehend, ſeine Gchleufen 
öffnet"), Holland große Seldfummen aufgebracht und bez 
Prinz fowohl bie übermüthigen Bebingungen verworfen als 
mit raſtloſer Thaͤtigkeit für die Bildung eined neuen Heeres 
geſorgt?). Dennoch waren die Leiven bed. Krieges und 
Hungers, der Krankheiten und. Überfchpemmungen fo groß, 
daß der neue Rathoͤpenſtonait Bagel?), ein Frennd — 


1) Die Bargerweiſter Vooft und Haſſelaer feuerten dagu an. Bas 
nage II, 237, 250, 857. 

2) Mr. le prince d’Orange étant venu ici Mecrredi pass6 pour 
faire ouvertare des conditions lui presentdes des deux Rois, il en- , 
- tra Paprds-dtner & V’assemblde de Messieurs les étata generaux. 
Eu ayant fait Ja dite ouverture on lui demwanda in dessus son praead- 
vis; sur quoi son Altesse repligun, qu'il ne le pouvalit faire en pr6- 
senee de guelgnea personnes quil y voyait, Le dessus dam A 
trois de lV’assemblee des étata de Hollande, entre lesquels était 
PAmbassadeur de Groot, s’dtant retir6s pour communiquer cetig 
difficult& et rencontre & leurs principaux assemblez, et stant les 
deux autres retourn€s sans M. de Groot, son Altesse donna son 
praeadvis, disant pröalablement que celui qu'ĩil suspeetait étant ab- 
sent, il 6tait.pret d’adviser, et conclua qu’il jugeait lea oonditions 
infames et laches, et qu’il aimerait mieux d’&tze coupe en mille. 
pitces, que de les accepter et. y condescondre. Tellement: qu’on . 
eonclua unanimement de les refuser comme inacceptables. Anonymes 
Schreiben aus bem Haag vom 26ften Julius 1672 im britifchen Reichs⸗ 
archive. | 


3) Temple Mem. 881. Desormeaux Montmorency IV, 10 — 


Vi. | | 5 





66 Sechstes Bud. Zweites Hauptſtück. 


dord. nochmals Unterdandlungen auf die früher dargebotenen Be⸗ 
dingungenꝰ anzuknuͤpfen fuchte. Als er inbeß die Antwort 
erhielt: der Koaig wide nie von feinen fruͤhern Forberun⸗ 
gen ablaſſen, zug er fich ſchweigend zuruck. Louvbois, er⸗ 
ſtaunt dag anf der: früheren Eifer eiligſt Frieden zu ſchließen 
ſ6 große Gleichguͤltigkeit und Zoͤgerung folge, gab um die 
Unterwerfung zu erzwingen, Befehle man ſolle uͤberall aufs 
Haͤrteſte verfahren, pluͤndern und brennen und nirgends 
Milde oder- Mitleid zeigen. Allein dieſe Barbarei erhöhte 
fur den gerechten Zorn der Niederlaͤnder, und eben fo We 
nig wirkte Air" fchmeichelhafteß Anerbieten: deu Prinz möge 
ſich des Freiſtaates unter dem Schutze Englands und Frank: 
reichs bemaͤchtigen). Denn "Wilhelm erkannte ſehr wohl, 
daß er auf dieſem Wege ein Verräfher an ſeinem Waters 
terlande und zugleich ein Knecht Ludwigs geworden waͤre. 
No waren die Schaͤtze der Bank gerettet, eine indiſche 
Rotte glůcknch eingelaufen, Amſterdam lag wie eine Feſtung 
im Meere, und der Ingrimm über die neuen Leiden gleich⸗ 
role das Andenken an den Beldenmath und Die Ausdauer 
der Borfahren, riefen den, durch ploͤtzlichen Schreden erlos 
ſchenen Muth in’ ſolchem Manfe, wieder hervor, daß Kagel 
und Wilhelm mit Gleichgefinnten nochmals beſchloſſen ſich 
nie zu unterwerfen, fondem im dußerften Falle das Koftbarfte 
auf die Schiffe zu bringen, alles Übrige aber gänzlich zu 
gerfiören und in den Kolonien, nad) alten Vorbildern hel⸗ 
denmüthiger Voͤlker, ein neues Vaterland zu gründen ®). 


1) Vie de Guillaume III, 5, 91 —109. Somerrille Histery of 
England 59. Dairympie I, 63, 
£) Bamiage II, 256. Burnet History II, 567. Bieder gehört 
noch folgende Stelle ads einem Briefe Wichelms (im Britfichen Reiches 
archive) vom fiebenten Oktober 1672 ber wahrſcheinlich an einen eng⸗ 
liſchen Miniſter gerichtet ift. Touchant les affaires dont Vous m’a- 
ven serit, j’ai röpondu ia dessus & sa Majeste, Je n’ai rien & y 
ajouter que de Vous dire que je m’etonne d’apprendre par Mr. 
‚ de Reede que Vons semblez ajonter foi à des menteries que l’on 
a dit de moi comme si je voulais tramer quelque chose contre les 


Der Katfer und Deutfchlanb. or 


Vs ein andermal Karl II, ber eigenen Pflichten vergeſſend, 1672 
fernen Neffen fragte: was wollen fie anfangen wenn bie 
Franzefen ihr ganzes Land erobern? gab er feſten Sinnes 
zur Antwort: im legten Graben flerben. 

Nichts wäre natinficher, gerechter und kluͤger gewefen, 
als wem fih alle europäifchen Mächte, insbeſondere der 
Kaifer und Deutſchland ben Eroberungsplanen Ludwigs 
raſch und einſtimmig wiberfegt haͤtten; ſtatt beffen fühlte faft 
allein ber Churfuͤrſt Fried rich Wilhelm von Brandenburg 
was auf dem Spiele ſtand, ſchloß mit der Kühnheit und Weis 
keit eines großen Staatsmannes, bereits im Mai 1672 ein 
Bauͤndniß mit Holland ") und ſuchte den Faiferlichen Hof zu 
kraͤftigen Maaßregeln zu bewegen. Sobald ber franzoͤſiſche 
Botſchafter in Wien, Gremonville hievon Nachricht bekam, 
machte ex die beftigften Gegewworſtellungen und nannte bie: 
bei die Niederländer Kanaillen, welche fi) licher erfäufen 
als einem fo geoßen Sieger unterwerfen wollten?) De 
Streit Ludwigs mit den Holländern gehe niemand etwas 
an, fey keinem gefaͤhrlich, auch wären fie Ketzer, für bern 
Ausrottung jeder gute Chriſt eifrig zu Gott flehen, ja ſelbſt 
Hand anlegen müfle. — Ungeachtet diefer thörichten Einre⸗ 
den kam am IOften Anguſt 1672 ein Vertheldigungsbuͤnd⸗ 
niß) zwifchen Spanien, bem Kalfer und Holland zu Stans 


istöröis da Hof. Croyex moi Monsieur que pi tomt je monde “alt 
autant affectionne auy. interöts de sa Majests que moi, nos affalres 
n’en iraient pas plus mal. J’ai l’ame trop bien plaose pour ne 
pas r&pondre comme je dois aux graces que sa Majests me Mit et 
Pamitit qu’il me temoigne, Soyez persuad6 que je sacrifierei 
toujours tr&s volontiers mes inter&ts et ma vie pour son service, 
et que rien ne me pourra faire changer de os sentiments, 
Mais ne croyez pas au, qpe Vos menaces de mo faire döchirer 
en piöces par les peuples, me fasse, grande pour. Js ne suis 
point fort eraintif de mom naturel, mais fort, 

1) Schöll I, 848. Schoͤn ımb wahr ſpricht hierüͤber Stenzel Ge⸗ 
Ididte der preufiichen Staaten IL, 808. 
2) Bamage II, 312 — 875, 888. 

9) Wagenaer VI, 242%. 
3* 


® | Sechs tes Bud. Zweites Hauptfläd. - 


4672. de, deſſen Wirkung aber ungetreue Miniſter, fowie ımbeutfch 
gefinnte beutfche Fuͤrſten großentheils vereitelten). Doch 
mußte Ludwig dedhalb einen Theil feiner Macht unter Ts 
venne aus Holland bimmegziehen. 

Ob num gleich ſeitdem in den Niederlanden Feine gros 
ßen Schlachten vorfielen, warb bad franzöfifche Heer durch 
einzelne Kämpfe, Krankheiten, Entweichung u. f. w. doch 
gar fehr geſchwaͤcht), und ein Werfuch des neuen Oberbe- 
fehlshabers, des Herzogs von Zuremburg auf dem Eifeins 

Innerſte Hollands vorzudringen, mißlang gänzlich. Anfangs 
(fo wird erzählt) waren bie Sranzofen fo uͤppig, baß fie von 
den Kuͤhen nur die Zungen aßen’), daB übrige Fleifch aber 
vergruben um Geſtank zu vermeiben; jetzt begingen fie bei 
einbrechendem Unglüde, fo viel abfüheuliche Frevel, mit Pluͤn⸗ 
dern, Brandſchatzen, Brennen u. f. w. baß bie aͤrgſten Zeis 
tm des breißigiährigen Krieges wiederzukehren ſchienen. Lu⸗ 
remburg trifft der Vorwurf daß ei entweder die Zucht nicht 
erhalten Tone, oder. es nicht einmal wollte‘); während 
Wilhelm von Dranien hiefuͤr aufs Ernfllichite forgte und 
diejenigen beftrafen ließ, welche beim erſten Einbruche ber 
Sranzofen ihre Schuldigkeit nicht gethan hatten. 

Nach kurzer, uͤbertriebener Siegesfreube mußte Ludwig 
ſchon am Schluſſe des erſten Feldzuges die Hoffnung aufge⸗ 
ben die vereinigten Niederlande, und hinterher auch die 
ſpaniſchen zu erobern. An 3000 mit Beute beladene Was 
gen”), welche Luremburg bei feinem Abzuge binwegführte, 


. 1) Hierburch warb Ehurfürt Friedrich Wilhelm zum Vertrage 
son Voſſem (16ten Junius 1673) gepvungen (Stengel IL, 314— 823, 
829) und erft den erften Julius 1674 trat er von neuem ben gegen 
Frankreich Werbfindeten bei. 

3) Desormeaux Montmoreney IV, 154. 
8) Vie de Guillaume III, I, 62. 91. ®agenaer VI, 224. Bas- 
nage II, 858. Desormeaux IV, 193, 212. Larrey IV, 128, 
| 4) Pelisson lettres I, 332. Balkenier I, 194, 481, 444, 547. 
5) Desormeaux IV, 242. Eitel und die Gegner geringfchägend 
gaben die Franzofen 25000 Gefangene für 50000 Kronen zuruͤck. Bur- 
net History II, 875. 





Lubwigs Benchmen gegen Deutſchlanb. 1) 


erwieſen zwar wie ſchonungslos man bie Einzelnen beraubte, 1673. 
konnten aber für keinen wuͤrdigen Siegespreis eines ſtolzen 
Königs gelten. Jeden Falls war, fo wie Anfangs Fein aͤch⸗ 
te und genügender Grund zur Krigeßerbebung, fo auch 
jest Feiner zur Fortſetzung vorhanden. Am allenwenigften 
erſchien Deutfchland geeignet, ober geneigt mit Frankreich 
Krieg zu beginnen, ober ed in irgend einer Beziehung in 
fäinen Rechten und Befigungen zu verlegen. Aber gerabe 
deshalb weit Lubwig XIV fich überzeugte fein Angriff Hol⸗ 
Iands ſey ein Mißgriff geweſen, beburfte er einer neuen Wen⸗ 
dung den Krieg mit Erfolg fortzufeken und zu beenden. 

Da er biebei das Recht gar nicht in Betracht 309, fon: 
dern nur Die Machtverhaͤltniſſ⸗ beruͤckſichtigte, ſo hielt ex ed. 
am gerathenſten fich jetzo wider Deutſchland zu wenden. 
Er lieg bie ſtrasburger Rheinbruͤcke abbrennen "), die Reiche: 
fäbte im Elſaß befegen, Kaufmanndgüter anhalten ober 
weuehmen, feine Kriegsvoͤller nach Belieben durch beutiche 
Landſchaften ziehen, bafelbft einlagern und verpflegen, Steu⸗ 
ern beitreiben, und was ber Willfürlichkeiten mehr waren, 
zu benen felbft ber eigene Landesherr, ober Kaifer und Reich 
nicht berechtigt gewefen wären. Und das Altes follte kei⸗ 
neswegs für einen Angriff, ober eine Verlegung bes Frie⸗ 
dens, ſondern für großmüthigen Beiſtand wider den gefaͤhr⸗ 
ichen und dıbermächtigen Kaifer gelten! Ja Lubraig erklärte; 
Ihm liege des Reiches Wohlfahrt ganz ungemein am Her⸗ 
zn”), und fein Heer unter Zürenne betrete nur befien Bo⸗ 
den um Ruhe und Ordnung aufrecht zu halten. Doch fey 
er bereit feine Mannſchaft aus Deutſchland hinwegzuziehen, — 
wenn ber deutſche Kaifer daffelbe thue!! 

Wer noch irgend Gefühl für Wahrheit und Recht be- 
ff, mußte über die Frechheit jenes Benehmens und die 


1) Am 15ten November 1672 warb bie Rheinbruͤcke abgebrannt. 
Pachner Sammlung der Reichsſchluͤſſe J, 589, 671, 675. 

2) Theatr. europ. 385. Basnage II, 872—375, 388. Valle 
nier verwirrtes Europa I, 90. 


70 Sechstes Bud. "Zweites Hauptſtuͤck. 


1673. Erbaͤrmlichkeit diefer Sophiſtik empört werben, unb von ach⸗ 

tem Vaterlandsgefuͤhle begeiſtert darauf dringen, raſch, einig 

7— kraͤftig zu handeln. Statt deſſen haderten Staͤnde und 

Fuͤrſten uͤber unnlge Kleinigkeiten, gaben weniger ben preis⸗ 

wirbigen Ermahnungen ded Kaiferd '), ald den Anerbietun⸗ 

gen und Schmeicheleien des mächtigen Feindes Gehör, und 
täufchten und betrogen ſich zulest untereinander. 

Wahrlich diefe Schmach iſt fo entieglich, dieſe Nichtig⸗ 
keit fo jaͤmmerlich, dieſer Verrath am VBaterlande fo abſcheu⸗ 
lich; daß man bie Frevel ber Franzoſen wie eine vom Him⸗ 
mel gefanbte, verdiente Zuchtruthe betrachten Fönnte! Auch 
ift dieſe Nemefid über Deutfchland immer wieber einge: 
brochen, und wirb auch künftig jedesmal wieber einbrechen, 
fobald es vergißt daß bie Mannigfaltigkeit feined inneren, 
einheimifchen Lebens, nie in eine völige Trennung und Ents 
gegenfekung außarten darf, und daß das größte Volk natur: 
gemäß zu Grunde geht und eine Beute der Fremden wird, 
fobald es nicht mehr wie ein einiges, untheilbares Volk 
denkt, fühlt und handelt. 

Am 28fen Auguft 1673 erging bed Kaiſers wohlbe⸗ 
grühbete ‚Rriegserfiirung wider Frankreich, aber es dauerte 
faft noch ein Jahr bevor ein Reichöheer ſich verfanmelte und 
thätig warb. Überhaupt gab die Einheit und Kraft der 
franzöfifchen Regierung, fowie die Unabhängigkeit. ber fran⸗ 
zoͤſiſchen Kabherren?), den Deutfchen gegenüber große Vor⸗ 
theile; weil deren Heere bunt zufammengefeßt und ihre An: 
führer meift abhängig, uneinig oder ungehorfam waren ?). 
Deshalb mußte ſich (feibft wenn man Montecuculi ald Bel: 
bern dem Tuͤrenne gleichftellen wollte) *) der Sieg meifl 


1) Pachner I, 618, 623, 626, 676, 702. 
2) Memoires de Brandebourg 123. Pachner I, 671, 859. 
59) So zog ber Baron von Leyen im December 1675 mit ben 
feänlifchen Kreisvolkern trotz aller Gegenbefehle davon. Pachner I, 1. 
4) Eonde& war der Erfte am Tage einer Schlacht, Zürenne für bie 
Führung eines Feldzugs, Montecuculi für Anordnung ber Därfche und 
des Zuſammentreffens auf einen Punkt. Chavagnac I, 291. 





Deutfhland unb Frankreich Ihzenne. 74 


anf franzöfifihe Seite wenden. Mit Recht betrachteten bie 1674. 
Sranzofen bed Letzten Tod (er warb im naͤchſten Jahre, ben 
Aſten Julius 1675 bei Sasbach erſchoſſen), ald einen 
großen Verluſt; ein Deuticher kann jedoch in dad unbebingte 
Lob defjelben nicht einflimmen, wenn er bedenkt bag Tuͤ⸗ 
venue aus eigenem Entſchluſſe, oder in knechtiſchem Gehor: 
fans gegen pariſer Befehle, die Pfalz im Jahre 1674 auf 
grauſame Weife verwuͤſten und Städte und Dörfer plünbern 
und niebesbrennen ließ ?). 

Obgleich Conde die Sranchecomtd ohne Mühe zum 
zweiten Male befehte unb am Aiten Auguft 1674 den Ans 
griff Wilhelms von Dranien bei Senef zurückſchlug, blieben 
bad) die Leiden bed Krieges fchon jest für Frankreich nicht 
us, und felbft der aͤngſtliche Hofpoet Boileau ”) erlaubte 
fih (als man fehr junge Rekruten einzuflellen gezwungen 
war) die Bemerkung: Conbes Heer werde fehr gut feyn, 
ſebald es großjährig fey. — Manche glaubten Ludwig müffe, 
beim Mangel aller genuͤgenden Kriegsgruͤnde, dem Beifplele 
Karus U folgen*), welcher am 28ten Februar 1674 auf uns 


1) Pelisson lettres II, 336 und bie Briefe der Sevigno ya diefem 
Jahre. Larrey IV, 226. Basnage II, 519. Auvigny vie d’hommes 
ülastzes VI, 60. 

X Schon zu 1678 laute Klagen über Zuchtlofigkeiten. Verwirrtes 
Frevel der Franzoſen befdnverte , antwortete ber Generallinutenant 
Nochefort: er habe die Ehre ein geborner Franzose ımb ein Unterthan 
de allergrößten Könige von ber Wat gu ſeyn, dem er allein Stechen 
fhaft feines Altionen zu geben ſchuldig ſey. — Der Senerallicutenant 
Baubrän antwortete gar nicht. Der Gefandte Bethuͤne Hat nochma⸗ 
len mit vielen Sincerationen und Gonteflationen feines Leidweſens, feſtig⸗ 
lich begeuget, daß ex nichts hierumb wife. Es müßten bie Ordres an 
die Generallieutenants nach feiner Abreife vom Hofe ergangen fein, 
inne nicht wiſſen mas ben König dazu möge bewogen haben, wolle 
fi deſſen erkundigen u. ſ. w. Echreiben vom Mſten Day 1674 in Jenkins 
collection im State papes office Vol. I, nach einer deutfchen Schrift. 

3) Bevigns lettres II, 1, 260. Macpherson History I, 189. 

4) Vie de Guillaume III, I, 113. Bachage U, 498. Macpher- 
son State papers L 12. 





nd 


72 Sechstes Buch. Zweites Hauptſtück. 


1674. bebentenbe Bedingungen mit Holland Friebe ſchloß : allein 


» 


der König von England warb von feinem Parlamente biezu 
gezwungen '), der König von FZrankreich hingegen von 
Schmeichlern und Eigennuͤtzigen in ſeiner Eroberungsluſt 
beſtaͤrkt. 

Als der Kaiſer am 14ten Februar 1674 ben Prinzen 
Wilhelm von Sürftenberg in Köln aus mehreren Sein: 
ben gefangen nehmen ließ”), erhoben die Franzofen laute 
Klage über verlehtes Voͤlkerrecht und behaupteten: fie bürf- 
ten, gls Vertheidiger des beutichen Reiches und der beut- 
ſchen Freiheit, Maaßregeln folcher Art nicht dulden. Hie⸗ 
gegen ſuchte der Kaiſer zu erweiſen: daß Fuͤrſtenberg nie⸗ 
mals als Geſandter, insbeſondere des Churfuͤrſten von 
Koͤln aufgetreten, wohl aber ein Kundſchafter Frankreichs 
und an feinem Vaterlande zum Verraͤther geworden ſey). — 


Gewiß Fonnte von Verlegung des Voͤlkerrechts nicht mit. 


Stunde ‚gefprodden werben, und wenn fi aud bie Frage 
aufwerfen ließ: ob die Vorſchriften des deutſchen Staats⸗ 


rechts, oder die Regeln ber Staatölugheit bei dem Her: 


gange gebührend beobachtet feyen, fo hatte boch Ludwig XIV 


1) Karl II fchrieb den 12ten Januar 1774 an ben Herzog von 
Neuburg: Je souhaite la paix et recommande au Duc le parti 
tierce qui se forme présentement entre guelgues princes pour 
la paix, du nombre desquels je suis aussi, quoique l’&loignement 
de mes royaumes ne me qualifie pas d’y entrer formellement. Jen- 
kins collection in the statepaper office. Vol, I. — Im April und 


Mai 1674 ſqhioſſen auch Köln und Münfter Friede mit Holland. 


Schöll L 858. 

2) Larrey IV, 204. Basnage II, 484- 487. Schöll I, 363. 

8) Über die Art wie er das Churfürftentkum Koln den Franzo⸗ 
fen preis gegeben, Valkenier verwirrtes Europa I, 92. Diefe zween 
Gebruͤder, Prinz Wilhelm von Zürftenberg und der Biſchof von Stras⸗ 
burg, waren beibe, wiewohl beutfche Fürften, dermaßen gute Franzo⸗ 
fen, baß fe ſich nicht feheuten als offenbare Feinde wiber das beutfche 
Reich zu wüthen und alle teuflifche Lift zu erdenken unb anzumenben, 
das Reich, ihr Vaterland in Unruhe zu bringen und in einen elenden 
Zuſtand zu verfegen. Ebend. U, 21%, 258, 


Krieg, Schweden. Fehrbellin. 78 


Fein Recht hierüber in Deutſchland mitzuſprechen, ober gar 1674 
zu entſcheiden. Auch warb zulekt dad Ereigniß nur her⸗ 
vorgeboben, um es ald neuen Vorwand für bie Fortfekung 

des Krieges zu benußen '). 

Unter allen deutfchen Fürften war Ehurfürfl Friedrich 
Bilhelm von Brandenburg ber thätigfle unb maͤch⸗ 
tigfle Feind Frankreichs, weshalb Ludwig XIV gar fehr 
wuͤnſchte ihn anderswo zu befchäftigen. Auch ließen fi) bie 
Schweden ohne irgend einen erheblichen Grund überreden *), 
während des Decemberd 1674 in feine Länder einzubrechen ° 
und dabei zu erflären: ſie kaͤmen als Buͤrgen bed weſtphaͤ⸗ 
liſchen Friedens), fowie ald Freunde, um den Churfuͤrſten 
“über feinen wahren Bortheil aufzuklären. Mit. fo viel Zucht: 1675. 
Iofigfeiten und Grauſamkeiten biefer rechtöwibrige Anfall auch _ 
verbunden war, verlor ‚ber Churfürft die hoͤchſten Zwecke des 
franzoͤſiſchen Kriegs nicht erſchredt aus den Augen. Erſt 
im Junius 1675 brach er in Eilmaͤrſchen aus Franken auf, 
überfiel die Schweden bei Rathenau, ſchlug fie ben 28ften 
Junins 1675 bei Fehrbellin und eroberte allmälig Stets - 
tin nebft einem Theile Pomme 8. 

Während fo die Schweden ihren Kriegsruhm gegen bie 
Preußen einblißten, machten die Franzoſen in ben Feldzuͤ⸗ 
gen von 1676 bi6 1678 die erheblichften Fortſchritte. Sie 
fiegten den 11ten April 1677 bei Monttaſſel, und gewan⸗ 1677. 
nen allmdlig Conde, Bouchain, Balenciennes, Cambrat, 

St. Dmer, Freiburg, Ypern und. Gent. Mit Recht warb 
nach wie vor die Zuchtlofigkeit und Grauſamkeit ihrer Krieg: 
führung geruͤgt); wogegen nicht zu leugnen ift, daß ſich 


1) Dee König (ſchrieb ein Franzoſe) benugt den Kürftenberg, wie 
der Fifcher eine Angel, woran ex einen Wurm, ober ein Stüd faulen 
Kaͤſe befeftigt. Verwirrtes Europa UI, 274. — Muͤnch Gefchichte des 
Hauſes Fürftenberg Theil 8. 

2) Über den Vertrag Schwedens mit Frankreich unb ben ganzen 
Krieg, fiehe Stenzels Geſchichte v. Preußen II, 310. 

3) Basnage IL, 597. Memoeires de Brandebourg 130. 

4) Pfalzgraf Philipp Wilhelm Eingt laut, daß die Franzoſen uns 


1 GSchsrtes Bud. Bweites Hauptſtück. 


1677. unten ihnen wie gefagt mehr Einheit beim Entwerfen und 


% 


mehr Kraft beim Ausführen ber Plane fand ald unter den 
Verbündeten‘). Dean Kaifer und. Reich zeigten fich laͤſſig 
und oft uneinig, Spanien verfpradh viel und hielt wenig 
ober Nichts”), Holland war des Krieged überbrüfig und 
verfchulbet, und Wilhelm von Dranien troß aller Feſtigkeit 
des Charakters noch nicht zu dem fpätern enticheibeuben 
Einfluffe gelangt. 

Bei diefen Verhältniffen ließ fich vorausfehen, daß bie 
Erangofen, wie im Felde fo auch auf ber Friedensverſamm⸗ 
kung in Nimmwegen das Übergewicht bekommen würben. 
Nachdem viel Zeit durch unnuͤtze Streitigkeiten dıber Titel, 
Befuche, Cäremonien u. dgl. verloren worben, traten end» 
lich die Kriegführenden mit Forderungen hervor, welche fo 
weit audeinandergingen, daß bie Einen alles Eroberte behal⸗ 
ten wollten, bie Anderen hingegen Alles zurüdverlangten 


und ſelbſt auf vollen Erfah bed erlittenen Schadens hrans 
gen. Am lauteſten ſprachen die Franzoſen von ihrer Liebe 


für den Frieden, und allerdings wollten fie denſelben, auf 
die allervortheilhafteſten Bedingungen. 

Wilhelm von DOranien, obgleich ſchon jetzt bie Sede 
alles Widerſtandes gegen bie Franzofen, ward von biefen 
und von des Spanien gleich fehr mißhanbelt”).. Diefe 
vergönnten ihm nicht ein freundliches unb dankbares Wort 
unb Graf d'Avaux nahm von ihm gar keine Kenniniß, als 
babe er nicht ben mindeſten Antheil an ben Geſchaͤften ). 


begnügt mit ben Kriegäfteuern bes Landes, auf eine geither unerhörte 
Weife auch feine Domainen brandſchatten! Schreiben von Sſten 
Zunius 1676 in Jenkins collection Vol. I. Mehre Stände erklärten: 
es fey unmöglich dem kaiſerlichen Gerre Winterlager einguraͤumen, 


Wohnung, Nahrung unb Kriegsſteuern Hinreichenb zu ührer — 


* Sbenbaf. Schreiben vom Sten Zul 1680. 


1) Bolingbreke letters 179. 

i  &9 Burnet II, 698. - 
8) Clerenden oorresp. I. 629.: Betrades 1X, 161. 
4) Ibid. I, 27. 


Friedensſchlüfſe in Rimmegen. 5, 


Dennoch ſuchte der Botfchafter zu gleicher Zeit dle Gemuͤ⸗ 1678, 
ther der Holländer wider ihn als ihren gefährlichflen Feind 
aufzureizen, ben König von Frankreich aber als den Be 
ſchuͤtzer ihrer Freiheit darzuftelen. Wilhelm benahm fich jes 
doch fo Aug und vorfichtig daß «8, troß abweichender Ans 
fidten, zwiſchen ihm und ben Ständen zu Feinem Bruche 
kam; weshalb die Franzoſen in Ihren Verfuͤhrungsverſuchen 
abwechfelten und ihm vorftellten: mit fo ſchwachen Verbuͤn⸗ 
deten wie die Spanier, koͤnne man Teine Ehre gewinnen ; 
wohl aber fey Ludwig XIV bereit zu bewirken, daß bed 
Statthaltere Gewalt in den Niederlanden zu feiner ganz bes - 
fonberen Zufriedenheit neu gegründet und erweitert werbe. 
Um dieſen Lockungen Glauben zu verfchaffen behandelten bie 
Franzoſen (nad) Zemples Worten) die Holländer jegt de 
haut en bas, et comme‘ des coquins. Diefe geringen 
Künfte leicht durchſchauend gab Wilhelm gelaflen zur Ants 
wort: er fey nicht mehr Spanier als Franzoſe, werde ſich 
aber ſtets auf bie Seite deſſen ſtellen, ber ben wahren Vor⸗ 
theil feines Vaterlandes bezwecke. 

Daß Spanien und der Kalfer, (die verllerenden Theile) 7 
den Frieden auf den augenblicklichen Befiaflanb fo wenig 
wollten ?), ald umgekehrt die Branzofen ihn wuͤnſchten, vers 
ſteht fi von felbſt: zweifelhafter ſtand hingegen bie Stage 
in Bezug aufbie vereinigten Niederlande. Die Friedlieben⸗ 
den nämlich behauptetent man werbe den Krieg Bunftig nicht 
glüdlicher führen, als biäher; mithin fey «9 verflänbig ben 


1) Temple letters 469. Estrades VII, 263. Somerville 89. 
2), Din 12ten Iatius 1776 ſchreibt Sicton von Wien: I find 
® but little desire to the pence im any Ihave yet oonrerned with; for 
they believe themselves in se good a condition, and their ene- 
maies in ao a low, that they duubt net bringing them to what tetms 
they please, and their discourse upun that subject is so extrava- 
gaot that it is mot to be suffered with patience. But I hape the 
ministers are not.of 30 vislent a temper. Jenkins callsstions Vol. 
X, statepaper office. 
3) Estzades VII, 483; VIIE 59; IX, 29. 175. 


u} 





. 76 Sechs tes Bud. Zweites Hauptſtuͤk. 


4678. dringend nothwendigen Frieden anzunehmen, weil die Fran⸗ 
zoſen alle fruͤheren Eroberungsplane aufgegeben haͤtten, und den 
Freiſtaat unverbuͤrgt herſtellen und anerkennen wollten. Alle 
uͤber dieſen Zweck hinausliegenden Plane ſeyen unerreichbar, 
ober dad erſchoͤpfſte Holland wenigſtens nicht verpflichtet ſich 
in diefer Beziehung für Läffige und Undankbare aufzuopfern, — 
Hierauf entgegneten Wilhelm und feine Freunde: es fey thoͤ⸗ 

richt bloß den eigenen nächflen Vortheil im Auge zu behal⸗ 
ten und kurzſichtig zu vergeffen: daß das Schidfal ber Nach⸗ 
barn über kurz ober lang auf bie Niederlande unheilbringend 
zurüdwirken muͤſſe. So wie ſich einſt an beren heldenmuͤ⸗ 
thigem Widerftande die fpanifche Übermacht gebrochen habe; 
fo könne auch die franzöfifche dieſem Schickſale nicht ent: 
gehen, wenn Holland den gefchloffenen Bünbniffen treu 
bleibe. Und ſollte Spanien , Öfterreih und Deutfchland 
nach richtigerer Einficht in die Größe der drohenden Gefahr, 
nicht Eräftiger auftreten, würbe doch Karl II durch die Macht 
der Verhaͤltniſſe und feine Parlamentd gezwungen werben, 
bie Freiheit Europad gegen: ben eroberungsfüchtigen König 
von Sranfreich zu vertheidigen. 

Lange hielten fi) beide Parteien in Holland das Gleich⸗ 
gewicht; endlich fiegte die erfte und ſchloß den 10ten Au⸗ 
guft 1678 zu Nimmwegen einen befonderen Frieden mit 
Frankreich. Man hat gezweifelt,‘ ob Wilhelm von diefem 
Beſchluſſe ſchon unterrichtet war, ald er am 14ten Auguft 
Die Schlacht bei S. Denys wagte um ihn zu bintertreiben '). 


1) Basnage II, 942. Clarke History of James II, I, 511. 
Histoire de Guillaume IH, I, 207. Nach Cunningham Geſchichte von 
Großbritannien I, 35 war Wilhelm nicht amtlich durch bie Generat- ® 
ſtaaten unterrichtet. In einem Berichte im britifchen Reichsarchive vom 
Zöfen Auguft 1678 erzäßlt der engliſche Bevollmaͤchtigte Wecebith: 
ih höre daß ber Herzog von Luremburg Anfangs über die Schlacht 
bei &t. Denys ſehr gornig war, weil gr vorausfepte der Pring von 

. Dranien babe ſchon vorhes gewußt, daß ber Friebe abgefchloffen ſey. 
‚Der Herzog fagte deshalb zum Prinzen: Geftehen mir Cure Hoheit, 
Sic — um den Abſchluß, konnten ſich aber iu enthalten, eine 








Friedendſchluffe. 7 


Aber weber dieſe unentſcheidende Schlacht, noch bie lauten 1678. 
Klagen der Verbimdeten über Holland, — das Geſche⸗ 
hene ungeſchehen machen. 

Den 17ten September 1678 ſchloß Spanien ‚ben 
fünften Februar 1679 Kaiſer und Reich zu Nimwegen Frie⸗ 
den mit Brantreidh*), und am 29ften Janius 1679 kam 
er zu 8 Sermain en Laye auch zwifchen Brandenburg, 
Daͤnemark, Schweden und Frankreich zu Stande Die 1679. ° 
Hauptbebingungen diefer Friedensſchluͤſſe find folgende. .- Die 
| vereinigten Niederlande werben ganz wieber hergeſtellt und 
durch einen Handelövertrag ihre früheren Beſchwerden befeis 
tigt. Die Unferthanen beiver Staaten follen gleich behan⸗ 
beit und der Grundſatz anerkannt werben, baß freie Flagge 
frei Gut made. Spanien erhält das von ben Franzofen 
beſetzte Sicilien zuruͤck, und tritt bie Freigrafſchaft Bur⸗ 
gund ſowie in den Niederlanden vierzehn zum Theil befeſtigte 
Plaͤtze nebſt Zubehoͤr an Frankreich ab. Das deutſche Reich 
verliert Freiburg, wogegen Frankreich dem Beſatzungsrechte 
von Philippsburg entſagt. — Die Prinzen von Fuͤrſtenberg 
traten in ihre früheren Verhaͤltniſſe zuruͤck; der Herzog von 
Lothringen aber wiberfprach den aͤußerſt befchränkenden Bes 
dingungen feiner Wiedereinſetzung. Im Norben warb ber 
frühere Beſitzſtand (zum großen Verdruſſe des Churfürften 
von Brandenburg) faft ganz wieber hergeftellt 9. 

Bon den urfprünglichen Zwecken der Kriegserhebung wis 
der Holland, hatte Ludwig XIV alfo Nichts erreicht; woges 
gen die gleich unfchulbigen Spanier (eine Folge ihrer Uns 
thätigkeit und Schwäche) faſt allein ben Verluſt übernehs 
men mußten. Es war nicht fowohl der Umfang beö Ges 


fo glogreiche That zu unternehmen. — Der Prinz antwortete: mein Herr, . 
ich verfüchere Sie mit ber Linfachheit eines wahren Hollaͤndert, daß ich 
Richts davon gewußt habe. 

1) Flassan III, 400 - 440. Moetjens actes et memoires des 
Negociations de Nimtgue, 


2, Öfterreichs Siferfucht auf Brandenburg wirkte bei ben Unten 
hanblungen und Briebensfchlüffen ſchaͤdlich ein. 


78 Schstes Bud. Zweites Hauptſtück. 


4679. wennenen was feit den ninnueger Jrieden Ludwigs bermacht 
‚ begrimbeie, als daß ed ihm gelang feine Werbündeten im 
Norden gegen alle Einbuße zu fichen, und ben wiber ihn 
geeichteten. Bund des mittleren Europa aufzulöfen. Urkund⸗ 
liches Hecht und unzweifelhafter Beſitz verloren bei den nim⸗ 
weger Friebendumterhanblungen alle Bedeutung vor dem bios 
Gen Mechte der, allerdings auch durch Geift und Xhätigkeit 
unterflüsten, Stärke, und bie ſeitbem Wereinzelten konn⸗ 
ten noch weit weniger ald zuvor den König von Frankreich 
abhalten, auf ber einmal betzetenen Vahn rüudfichtslos. fort⸗ 
zuſchreiten. Ehe wir jedoch hieruͤber Bericht erſtatten koͤn⸗ 
nen, iſt es nothwendig von bee ſehr merkwierdigen, inneren 
Entwickelung Frankreichs umſtaͤndlicher zu ſprechen. 





Drittes Hauptfiüd. 
Ludwig XIV und fein Hof. 


Tiotz ded gereihten und mächtigen Wiberſtandet, ben Bub- 
wig XIV befonberd während ber zweiten ‚Hälfte feiner Bes 
gierung in Europa fand, wirkte er und bie franzoͤſiſche Ent⸗ 
widelung doch hinaus iber bie Graͤnzen feines Reiches und 
fein anderer König, fowie Fein anderes Bell, darf fi 
in jener Beit eines Ähnlichen Einfluſſes rühmm. . Daber 
haben feine Bewunderer von einem Jahrhunderte Pubs 
wigd XIV geſprochen, und ſelbſt Gegner fi dieſen Ausdruck 
gefallen laſſen. Vergleichen wir indeß bie; aͤhnlicherweiſe 
bezeichneten Jahrhunderte‘ des Perikles, Auguſtus und der 
Medicaͤer, mit ben Ludwigs. XVz fo finden mir daß jene 
in einer noch mannigfaltigeren ımb umfaſſenderen Weiſe welt⸗ 
beſtimmend geweſen find; wogegen dieſes theius der Schat⸗ 
tenſeiten gar viele zeigt, theils von dem fruͤher graͤnzenlos 
Geruͤhmten und Bewunderten, nach dem Ablaufe nur eines 
Jahrhunderts faſt Nichts mehr ungetadelt und unangetaſtet 
geblieben iſt. Verfaſſung und Verwaltung, Sitten und Ge⸗ 
ſetze, Religion und Kirche, Kunſt und Wiſſenſchaft u ſ. w. 
haben eine ganz andere Geſtalt angenommen, und ‚wenn 
die frühere allgemeine Betrachtungsweiſe die meiften Bes 
richtgerſtatter faſt unwiderſtehlich zu uͤbertriebenen Lobpreis 
ſungen fortriß; ſo koſtet es jetzo Muͤhe gerecht zu bleiben, 
jene Zeit mit ihrem eigenen Maaßſtabe zu meſſen und in 
ihrem umtrennlichen Zuſammenhange zu begreifen. | 
‚Ungeachtet dieſes Bufammenhanged und dieſes mein: 
andergreifens aller Gegenſtaͤnde, muͤſſen wir biefe doch der 


80 Schötes Bud. Drittes Hauptftüd. 


bequemeren liberficht halber. in drei Abſchnitte zerfällens ber 
erfte handelt von Lubwig XIV und feinem Hofe, der 
zweite von ber Gefepgebung und Verwaltung, der britte 
von Wiſſenſchaft und Kunft, Religion und Kirche‘). 


Wenn man die umftänblichen Nachrichten in ben Mes 
moiren Laported über die Erziehung Ludwigs XIV unpar⸗ 
teiifch erwägt, fo ergiedt fich daß feine Mutter Anna bis⸗ 
weilen zu zärtlich, der Hofmeifler Villeroi wohlmeinend aber 
ſchwach und einfeitig, und der Kammerdiener Laporte vor⸗ 
Iaut war, ober fi in Dinge mifchte die ihn Nichts angin- 
gen, Irrig aber Hi die Behauptung ald habe Anna, und 
insbefonbere Mazarin, des Königs Erziehung aus unreinen 
Grimden vorfäglich vernachlaͤſſigt. Sie glich ber faſt aller 
Prinzen, daß heißt: es warb gar Vieles begonnen und vers 
fuchtz aber es fehlte Ordnung, Bufammenhang und Aus⸗ 
dauer. im. Lernen und Arbeiten. Man behauptet: Ludwig 
habe ſpaniſch: und italtentfch verfkanden”), auch allerhand aus 
dem SKar: Bberfebt; wichtiger und gewiſſer iſt es, daß er 
fich mundlich in feiner Mutterſprache fo wuͤrdig, Ae leicht 
und gewandt auszudruͤcken wußte ). Auch mit Zeichnen und 
Guitarrenſpiel gab er ſich eine Zeltlang ab. Er war ges 
ſchickt in allen Llebesuͤbungen und verlangte von Andern- dafs 

ſelbe odet daß ir ie gang davon — Die Schuͤch⸗ 


er Dem Vorwurfe: es fey unrecht bas, was ſich von 1643 bis 1715 
allmaͤlig entwickelte, hier in ber Mitte ber eigentlichen Erzählung zu⸗ 
fammenzibrängen, dürfen wir entgegnen: baß e8, bei bem Plane und 
dem Umfande unferes Werkes, noch größere Übelftänbe mit ſich führen 
wärbe, wenn wir alle jene Dinge vor bem Anfange, ober nach bem 
Schluſſe ber äußeren Stegierungsgefchichte Ludwigs XIV behandelt, ober 
das Bufammengehdrige. auseinandergerifien und bie Bruchflüde an vers 
fchiebenen Stellen nach Jahrgaͤngen eingeſchaltet haͤtten. 


2)- Maintenon et Ursini lettres 2], 89. Motteville Mem. 


. XXXVI, 170. Orleans Anekdoten, 8 u f. ©. 


9 Nach Beaumelle mem. de Is Maintenon VI, 222 ſchrieb er 
nedoch nicht orthographiſch. — St, Pierre annales politigues I, 69. 








Ludwigs Perfoͤnlichkeie. 81 


ternheit Ludwigs "), von welcher Anfangs bie Rede tft, verlor 
fi gewiß bald; auch gab ihm einft feine Mutter zwei Tage 
Stubenarreft *), weil er geflucht batte (jure). Nur während 
feiner erften Jugend las er Romane, Gedichte und Schaus 
file; fpäter erwähnte er in vielen Jahren nur ein einziges 
Buch’), die Gefchichte Frankreichs von Daniel, weil ed die _ 
Anfpriche koͤniglicher Baſtarde hervorhob und zu begründen 
ſuchte. So blieb fein Wiffen hoͤchſt mittelmäßig, . weshalb 
unter Anderen bie Herzoginn von Orleans bezeugt *): ber Koͤ⸗ 
nig und feine Race (meinen Sohn ausgenommen) haſſen 
das Lefen. Died hat ihn ignorant gemacht und er fchämte 
fih darüber. 

Bei dieſen Verhaͤltniſſen iſt es ein um ſo groͤßerer 
Beweis natuͤrlichen Verſtandes und ungemeiner Gewandtheit, 
daß Ludwig ſeine lange Regierung hindurch den Koͤnig meiſter⸗ 
haft darzuſtellen wußte. Alles, bis auf die kleinſte Bewegung, 
das geringfle Wort hinab, war an ihm gemeffen, ſchicklich, 
höflich, ebel, groß, majeflätifch, und doch ungefucht und na⸗ 
tirlich. Nie bat ein Mann durch Mittel fdicher Art fo ges 
wirkt, fo imponirt. Er befaß aufs Höchfte die Kunſt durch 
Kleinigkeiten zu belohnen und zu beſtrafen: ſchon ein Blick 
ſeiner Augen, ein Zeichen ſeiner Hand, ward geſucht und 
bemerkt, machte gluͤcklich ober ungluͤcklich. Nach Verſchie⸗ 
denheit der Perſonen zeigte ſein Benehmen die mannigfal⸗ 
tigſten Abſtufungen; doch waren ſelbſt ſeine Zurechtweiſun⸗ 
sen milde), und er wußte das Herbeſte in hoͤfliche For⸗ 

men einzuleiten. Nur gegen feine Bedienten ließ er fich 
—* freier gehen, und ſie waren dann nicht ohne Ein⸗ 
fluß. Zeigten auch feine Äußerungen und Urtheile faſt nie 
von eigentlichem Tiefſinn, ſo ſprach er doch immer einneh⸗ 


1) Le roi timide et nullement savant. Mottev. XXXIX, 880. 
2) Choisy Memeir. 48, 

9) 8. Simon XI, 28, 

4). Orleans Anekboten 83. 

5) 8. Simen I, 102-118. Sevignd vn, 855. 


⸗ 


82 Schötes Bud. Drittes Hauptftäd. 


— zweckmaͤßig, verſtaͤndig und nicht ſelten witzig ). Er 
war‘ arbeitfam, brachte die größte Regelmaͤßigkeit in bie Ges 
fchäfte, und zeigte fich mehr ald je ein König eiferfüchtig 
darauf -baß er felbft herrfche, und nicht beherrſcht werde). 
Glaubte er dieſe Unabhängigkeit (etwa durch geheime Vers 
abrebungen) gefährdet, fo widerſprach er fandhaft; dann 
gab er, beruhigt über jenen Hauptpunkt, in hundert Din: 
gen nad) und ward oft ba von außen beflimmt, wo er eB 
am wenigften vermuthete. Sofern .er aber an feinem bödhs 
ften Entfcheidungsrechte und feiner Entſcheidungskraft nie- 
mals zweifelte, ließ er ſich biöweilen offenen Widerfpruch ge: 
fallen, wenn berfelbe nur nicht mit Anmaßung verknüpft 
war. 

Ludwigs Verſuch Freunde zu haben, mußte mißglüden, 
da er feine Zuneigung nur mittelmäßigen und zweibeutigen 
- Männern zumandte’) (fo dem Marquis Vardes und dem 
Herzoge von Lauzun), und bie nothwendige MWechfelfeitigkeit 
des Verhaͤltniſſes ganz fehlte Gluͤcklicher war er, mindes 
fiend während der erften Hälfte feiner Regierung, in ber 
Wahl feiner Muiſter; fpäter erhob er Leute von weniger 
Geiſt, in der Meinung er koͤnne fi ie leiten, erziehen und - 
feine Überlegenheit befto bequemer zeigen. Zuletzt aber blie⸗ 
ben auch dieſe in ihren Gefchäftökreifen faft unumſchraͤnkt, der 
König konnte ihre Unfähigkeit nicht überwiegen und indem 
er ed für feine Pflicht hielt fie uͤberall zu unterftügen und 
zu erhalten‘*), beraubte er fich oft des Beiſtandes ber Beſ⸗ 
feren und Klügeren. NRechtfertigen läßt es fich hingegen (ob- 


1) Torcy Mem, III, 249. Mottev. XL, 108. Caylus Souve- 
nirs 99, Choisy Mem. I, 22. Voltaire siöcle de Louis XIV, Oea- 
vres XXI, 180. Ludwig hielt taͤglich Rath, und arbeitete felbft oft 
Nachmittags und Abende. Dangeau Mem. I, 73. 

2) 8. Simon L 1— 85; II, 78, 79; VI, 96, Pelisson lettres 
"II, 41. Louis XIV, Oeuvres III, 6. 

3) Voltaire XXI, 10, Spanheim relation de la oour de Frrange 
III, 195. 

4) La Fare 306 — 307. 


\ 


Ludwigs Hof. 83 


gleich der hohe Abel barlber klagte) daß er den Miniſtern 
nebft ihren Frauen ben Zutritt bei Hofe verflattete. Trat 
aber hiebei ganz zufällig und umverfchuldet, das geringſte 
Verſehen gegen Hofgebrauch und Rangordnung ein, ſo ge⸗ 
rieth der König wohl in ſolchen Born, daß er nicht reden 
und nicht effen konnte 9. x | 
Anbererfeitd war biefed Hofleben nichts weniger als 
aus einem Stuͤck, ſondern neben der laͤcherlichſten Genauigs 
eit, den Bleinlichften mit Leidenfchaft verfochtenen Anfprl: 
hen, fland oft Sleichaliltigkeit gegen das Wichtigere, und 
neben der firengfien Regel bie unanfländigfte . Willkuͤr. So 
erhob ſich z. B. großer Streit darlıber wer bem Könige beim 
Merlaffen dad Kamifol anziehe )3 ob ihm, ‚wenn er pur- 
gire (und dies gefchah alle Monate) der Kammerherr ober. 
der Arzt die Brühe überreihe; welche Dame b’atour ber 
todten Dauphine dad Hemd anziehe und bergl. Während 
der König fich frifiren und barbieren ließ 9, machten ihm 
die vornehmſten Leute ihre Aufwartung; ja er und der Her⸗ 
zog von Bourgogne hatten (wie bie Herzoginm von Orleans 
erzählt) Geſellſchaft, felbft Damengefellfchaft zum Entreteni: 
ten bei fich, wenn fie auf bem Nachtfluhle ſaßen). Hinge⸗ 
gen nahm es Lubwig fehr Übel, als feine Schwägerinn ben 
Wunſch aͤußerte in Gegenwart der Königinn auf einem Lehn- 
ſtuhle zu figen, und feine Minifter mußten bei den längften 
Berathungen immerwährenb ftehen. Ja als Chamillart dies _ 
us Schwäche nicht mehr aushalten konnte“), bewilligte 
man ihm feinen Stuhl, fonbern er mußte wegbleiben. So 
hielt die Etikette zuletzt den Koͤnig ſelbſt in einer Art von 
kuͤnſtlcher Gefangenſchaft, und bie Schlichtung und Ent⸗ 


1) 8. Simon VI, 85. 

2) Dangeau Mem. I, 812; III, 10, 2381, 2337. Brienne fils 
Mem, I, 88. 

$) Spanheim V, 3. 

4) Orleans Anekdoten — Oeuvres de Louis XIV, I, 
0 - 60. 

5) 8. Simon, nouvelle edition V, 281. 

6* 


. 


34 Sechstes Buch. Drittes Hauptftäd. 


u ſcheidung ber zahllofen hieher gehörigen Fragen und Streit⸗ 


punkte koſtete ihm unfäglich viel Mühe und Zeit. Und doch 
hielt alle dieſe Strenge und Sorgfalt nicht einmal ganz un⸗ 
würbige Perfonen vom Hofe zurüd, die (wie Pomenars, 
Charnace, Falari u. A.) als unterhaltende Gefellen Überall 
in den hoͤchſten Kreifen aufgenommen wurben und fich gel« 
tend machten, obgleich man fie wegen Diebflahl, Falſchmuͤn⸗ 
zerei und anderer Schänblichfeiten zur Unterfuchung gezogen 
hatte‘). ' 
Wenn der Dauphin (nach dem Zengniffe feiner Tante) 
die Gewohnheit hatte, den Damen fobald fie fich fe&ten bie 
Fauſt mit ausgeftredtem Daumen unterzuftellen?), und über: 
haupt, wie jene ſich auöbrüdt, der gröbfte Gefelle im Koͤ⸗ 
nigreiche war, fo möchte man bied auf feine Perſoͤnlichkeit 
fhieben und ald Ausnahme betrachten. Wir hören aber 
gleich daneben nicht minder bevenkliche Berichte allgemeine: 
rer Art. Die Prinzen und Prinzeffinnen fpielten nicht bloß 
Komödie’), fondern ftellten auch auf Mastenbällen Narren 
und Närrinnen dar, und tanzten In Mari mit Operntän- 
zern und Xänzerinnen. Die Herzeginn von Bourgogne, 
nebft ihrem übermüthigen Gefolge, uͤberdeckten die Herzoginn 
von Harcourt zu ihrem größten Werdruße im Wette mit 
Schnee‘); die Geliebte Monſieurs Frau von Grancay 
ſchmauchte Tabak; die Töchter ded Königs ließen ſich zu 
gleichem Zeitvertreibe Pfeifen aus ben Wachfluben holen); 
nicht felten endlich tranken (andere Ungebühr zu verſchweigen,) 
die Damen zu viel Wein. Wie einfam, möchte man ben- 
ten, fland der König in feiner Würde, und wie nöthig war 
feine flete Aufmerkfamleit; und doch wird wiederum 5. B. 
ſelbſt von ihm erzählt: er ließ zu feinem Vergnuͤgen meh⸗ 


1) Lemontey ötablissement de la. Monarchie de Louis XIV, 


2) Orleans Anekdoten 83, 268. ‘ 

3) Dangeau I, 186; II, 181, 175, 182, 409; III, 8. 
4) 8, Simon nourv. ed. III, 401. Orleans 278. 

5) 8. Simon I, 328. Orleans 258, 830. 


Ludwigs Hof. Anna. 85 


ren Damen Haare In die Butter thun und in den Kuchen . 
‚ baden; wenn fie dann ed bemerkend fchrien, übel wurben 
und ſich übergaben, fo lachte" er aus vollem ‚Herzen '). 

Ludwig XIV aß fo gewaltig viel, daß felbft die Mainz 
tenon über feine Gefraͤßigkeit klagt) und die Koͤniginn von 
Spanien rathſchlagt wie man ihn mit Huͤlfe feined Arztes 
Fagon zur Mäßigkeit vermögen koͤnne. Sch ſah (erzählt die 
Herzoginn von Orleans) ihn oft effen ®): vier volle Teller un: 
terfgieblicher Suppen, einen ganzen Bafan, ein Belbhuhn, 
einen großen Zeller vol Salat, gefchnittenes Hammelfleifch 
mit einer Knoblauchöbrühe, zwei gute Stud Schinken, ei⸗ 
nen Zeller voll pajonne (?) und außerdem noch Obſt und 
Confituren. 

In ſeiner Familie lebte Ludwig nicht gluͤcklich, wenig⸗ 
find war fie nicht geeignet ihm einen Erſatz für andere Ges 
nüffe zu geben, ober feine Leidenfchaften zu bändigen. Nur 
feiner Mutter Anna war dies eine Zeit gelungen. Als fie 
nah langem Leiden am 20ften Januar 1666 flarb‘), gab 
es einen Menfchen mehr auf Erben, welcher dan Könige 
ald ein Vorbild, ober als ein Gegenſtand ber Achtung und 
Ehrfurcht erſchienen wäre. Daher fagte er in einem Falle, 
wo er ganz Unrecht hatte, felbft dem Papſte): er ſey nur 
da, Anderer Beifpiele und Muſter zu geben, nicht fie von ih⸗ 
nen anzunehmen. 

Seine Gemahlinn, Maria Thereſia, hatte Lud⸗ 


1) Elles se mettaient. à crier, & —— et lui & rire de tout 
son coeur, 8. Simon VI, 88. 

2) D ne se retient jamais sur sa voracite, Maintenon lettres 
VII, 42, 289. 

8) Orleans 76. 

4) Anna warb geliebt vor unb nach ihrer Bormunbfchaft, und bei 
Ihrem Tode allgemein bebauert. Ihr Todestag warb jährlich feierlich 
begangen. Montglat III, 187. Dangeau J, 100. Miotterille XL 
dit. de Petitot. 

5) Siehe unten im fünften Hauptftüde ben Streit über bie Quar⸗ 
feferibe. 





86 Sechster Bud. Drittes Hauptftüd. 


wig XIV nur aus politifchen Gruͤnden geheirathet, doch giebt 
‘er ihr dad Beugniß: es laſſe fich fchwerlich finden mehr 
‚ Schönheit, Zugend, hohe Geburt, Liebe und Zärtlichfeit für 
Gemahl und Kinder‘). Mit biefem übertriebenen Lobe 
glaubte indeß ber König feine Gemahlinn entfchäbigt, ober 
abgefunden. zu haben; wenigflend gab er ihr bald nach ber 
Hochzeit vielfache Gelegenheit zur Eiferfucht, worüber fie um 
fo Tautere Klagen erhob als fie ihren Gemahl wirklich liebte 
und feine Untreue auch aus anderem Stanbpunkte verdamm⸗ 
ich fand. Als fie einft gefragt wurde: ob fie nie gewünfcht 
babe einem der junge Männer an ihres Waters Hofe zu 
gefallen? gab fie zur Antwort: o nein, ed gab keinen Kös 
nig darunter)! Jene Liebe und dieſer Stolz konnten aber, 
beim Mangel anderer anziehenden Eigenfchaften, ihren bes 
weglichen und finnlihen Gemahl nicht feffeln. Die Koͤni⸗ 
ginm (jagt die Herzoginn von Orleans) ”) ift bie beſte und 
‚ tugenbhaftefte Frau von ber Welt, aber biuteinfältig. Sie 
‚glaubt Alles was ihr der König fagt, Gutes und Boͤſes. 
Sie fpielt fehr gern, bat häßliche, zerbrochene, ſchwarze 
Zähne und ißt oft viel Knoblauch. 

Ludwig XIV hatte ben ernften und Iöblichen Willen 
feinen erfigeborenen Sohn, den Dauphin aufs Sorgfältigfte 
erziehen zu laffen, und übertrug dies Geschäft an zwei fehr 
ausgezeichnete Männer, den Herzog von Montaufier und 
Boſſuet. Beide unterzogen fih dieſem wichtigen Gefchäfte 
nach beſtem Wiffen und Gewiſſen, auch ward Feine Mühe, 
‚beine Ausgabe gefcheut um baffelbe zu erleichtern und fie zu 
unterflügen. So wurde ja 3. B. eine große Zahl von 
klaſſiſchen Schriftftellern lediglich für den Gebrauch des Dau⸗ 
phins, ald eines chrifllichen Kronprinzen, bearbeitet, 


1) Louis XIV Oeuvres IL, 266, 291. S. Simon I, 76. Mot: 
teville XL, 127, 176. . 


2) Caylus souvenirs 43, La Fayette . de Henriette 
d’Angleterre 11. 


8) Orleans 148. 





Der Dauphin. 87 


Weihe Folgen und Ergebniſſe aud all dieſen Bemuͤ⸗ 
hungen und dieſer Erziehungsmethode hervorgingen, daruͤber 
lauten die Zeugniſſe ſo verſchieden und charakteriſtiſch, daß 
wir ſchon deshalb beiſpielsweiſe einige anfuͤhren muͤſſen. In 
einer Lobſchrift auf Ludwig XIV!) nennt Lamotte den Dau⸗ 
phin: ein ewiges Muſter der Koͤnigskinder, ein Beiſpiel 
durchaus nothwendig fuͤr das Gluͤck der Staaten u. ſ. w. — 
Hingegen erzählt Frau von Eaylus?): die harte Art mit wel: 
Ger man. ihn zum Lernen anbielt, brachte ihm einen fo 
großen Wiberwillen gegen alle Blicher bei, daß er befchloß, 
‚er wolle, fobald er unabhängig fey, Feines mehr auffchlagen. 
Und er bat Wort gehalten. — Diefe Angaben beftätigend 
fügt Spanhelm hinzu °): fein Geift, von dem man Wunder 
verfünbigt hatte, zeigte ſich nirgends. In den öffentlichen 
Audienzen nidte er bloß mit dem Kopfe, ober fagte furcht: 
ſam und unbeutlih zwei, drei unbebeutende Worte. Er. 
lichte weber die Gefchäfte, noch hatte er Antheil an denſel⸗ 
ben. Nur bie Jagd und einige geringe Liebfchaften fchienen 
ihn anzuziehen ). — Noch gerader heraus nennt die Herzoginn 
von Orleans ihren Neffen faul und grob‘). Bisweilen, 
fährt fie fort, ſprach er Hug, bisweilen fehr einfältig, Er 
konnte einen ganzen Tag lang auf einem Armfluhle figen, 
den Stock gegen die Schuhe fehlagen und Fein Wort reden. — 
Am ſchaͤrfſten beurtheilt ihn der Herzog von 9. Simon, 
nach feiner Weiſe ). Seitdem er feinen Lehrern entzogen 
ward, las er nichts ald die Anzeigen von Heirathen und 


1) Lamotte &loge de Louis XIV, ©. 24. 

2) Bausset Histoire de Fenelon I, 244. Caylus 97. 

8) Spanheim III, 203 — 208. 

4) 1707 heirathete ex eine Demotfelle Choin. Maurepas Memoi- 
res I, 48, 

5) 8. Pierre annales politig. I, 403 fagt: il avait tout le bon, 
et tout le mauvais de la paresse, unb erwelfet, er würbe doch für 
Frankreich und Europa ein beflerer König geweſen feyn, als Lud⸗ 
wig KIV. 

6) 8. Simon I, 77; V, 80; IX, 179— 200; VII, 310. 


88 Sechstes Buch Zweites Hauptſtuüͤc. 


Todesfaͤllen in ben Zeitungen. Er war ohne Laſter und 
ohne Tugend, ohne Geiſt und Kenntniſſe, ohne Faͤhigkeit 
ſie zu erwerben, ungemein faul, ohne Einbildungskraft, Ge⸗ 
ſchmack und Urtheil, eigenfinnig, kleinlich und geboren für bie 
Langeweile, welche er allen feinen Umgebungen mittheilte. — 
Dem Könige konnte die Natur feined Sohnes nicht verbors 
gen bleiben, doch hätte er gewiß beffer auf ihn gewirkt, und 
ihn weniger eingefchüchtert, wenn er nicht immer ben fixen: 
gen Herrfcher und König, fonbern auch den milden Water 
gezeigt hätte. 

Die Dauphine, eine Prinzeffinn von Baiern, Ans 
fangs nicht ohne Lebhaftigkeit und Würde, warb allmälig 
kraͤnklich und verdrießlich), und zwang faft ihren phlegmas 
tifchen Mann anderwärtd Zerſtreuung zu fuchen. 

Ohne Vergleich von größeren Anlagen ald ber Dauphin, . 
war fein Sohn ber Herzog von Bourgogne; weshalb je 
ner (foweit eö feine Unempfindlichkeit zuließ) biefen beneis 
bete, und Hofleute durch allerhand Raͤnke Water und Sohn 
zu entfremden fuchten”). Aber neben feiner großen Leichtig- 
keit im Auffaflen und Lernen, neben feinem ungewöhnlichen 
Scharffinne, war Bourgogne von Natur ſtolz unb anmaas 
Send, über jeden Widerſpruch und Widerſtand außer fich, ja 
‚ faft zw allen heftigen Leidenfchaften unwiderſtehlich hingezo⸗ 
gen. Daß Zenelon ifn von allen biefen Fehlern heilte und 
bahin brachte baß er Herr über fich felbft warb und blieb, 
ift ein Meifterftid der Erziehung des fo milden als feſten 
Mannes. Ad nun aber der Herzog im Gefühle deſſen, was 
urfprünglich in ihm lag und jeben Augenblick wieder hervor 
zubrechen drohte, die größte Angſt empfand jemand zu belei- 
digen, obet irgend wie Unrecht zu thun, als eine uͤbertrieben 
frömmelnde Richtung ihn felbft gegen erlaubte Genuͤſſe ein- 
nahm und der Welt entfrembdete, welche er doch beherrfchen 


1) Caylus 182. Spänheim III, 212. Sevigns V, lettre 613 


2) Bausset Histoire de Fénélon II, 141. 


Bourgogne. | 89 


follte; machte ihm Fenelon bie allerebeiften, offenſten und 
gruͤndlichſten Vorſtellungen: er möge ſich nicht einer aͤngſtli⸗ 
chen, ſchwaͤchlichen Froͤmmigkeit ergeben, welche uͤber Klei⸗ 
nigkeiten das wahrhaft Große verkenne und vergeſſe. Er 
dürfe ſich nicht vereinzeln, — muͤſſe die Menſchen ken⸗ 
nen und behandeln lernen; es ſey nicht ſeines Amtes ſich 
mit unfruchtbaren Gruͤbeleien zu verſtimmen und ſeine Kraͤfte 
zu erſchoͤpfen; ſondern ihm liege ob frei und muthig umher⸗ 
zuſchauen, fih zu entſchließen und zu handeln ). 

Ganz das’ Gegentheil des Herzogs von Bourgogne und 
doch zärtlich von ihm geliebt, war feine Semahlinn Marie 
Adelheid, gebome Prinzeffinn von Savoyen. Nicht bloß 
bie kuͤnſtlichen und übertriebenen Einrichtungen bed Hofges 
brauche, fonbern auch bie natuͤrlichen Worfchriften des Ans 
flandes fehte fie in ihrer übermüthigen Laune ganz bei Seite, 
und Ludwig XIV ließ fi von ihr Dinge gefallen, bie je 
bem Anderen bie höchfle Ungnabe wuͤrden zugezogen haben. 
Aber freilich beburfte der Gelangweilte in fpätern Jahren 
ſolches Zeitvertreibed ımb ber Herzog von Bourgogne 308 
fi) gebulbig zuruͤck wenn ihm der Laͤrm zu bunt warb, ober 
er auch wohl Gelegenheit zu einiger Eiferfucht befam”). Bus 
Lett (fchreibt die Herzoginn von Orleans) fand der König 
alles artig was fie that, und meinte es gefchehe nur um 
ihn zu divertiren; — fo brehte die alte Zott (bad heißt bie 
Maintenon) Alle um. Der diten Dauphine drehte man 
die größte Unſchuld en crime, und der zweiten admirirte 
man alle Impertinenzen. So ließ fie fih 3. B. von den 
Lakaien bei den Zügen auf dem Boden herumziehen ). Sie 
machte fi Nichts aus ihrem Mann, er aber war erfchred: - 


4) Spanbeim III, 220. Maurepas Mem. I, 45. 8. Simon 
Vm, 224; IX, 197. Bausset Fenelon III, 129, 177. Fenelon 
correspondence III, 169. 

23) 8. Simon IV, 261.  Maurepas I, 46. Maintenon lettres 
VI, 236. Dangeau II, 360, 439. Massillon Histoire de la mino- 
ritö 57. . 

3) Orleans 100, 257, 258. 


90 Sechſtes Bud. Drittes Hauptſtuͤck. 


lich verliebt In fi. Drei Jahre vor Ihrem Tode hat fie ſich 
inbeß ganz zu ihrer Avantage geänbert, that keine Eskapa⸗ 
den mehr, ſoff ſich auch nicht mehr voll. 

Der Herzog von Orleans, bed Koͤnigs Bruder, war 
ein offener, milder Mann, aber ohne Neigung zu ernſthaf⸗ 
ten Beichäftigungen und ohne Einfluß. Man befchuldigte 
ihn wiberwärtigen Unfittlichkeiten, und feine eigene Frau be- 
zeugt‘), daß er fich gegen beren Folgen durch Mittel zu 
helfen fuchte, die zugleich abergläubig und frech waren. 

ce Nach dem Tode feiner erfien Gemahlinn Henriette von 
England heirathete Orleans die Tochter des Churfürften 
Karl Lubwig von ber Pfalz Charlotte Elifabefh. Die berbe 
Natuͤrlichkeit und ruͤckſichtsloſe Offenheit diefer deutſchen Frau 
gab bem Hofe oft Anſtoß; aber fie befaß zu gleicher Zeit 
fo viel Verſtand, Beobachtungsgabe, Urtheil und Charakter: 
kraft, daß jeber fie ehrte und Manche fie fuͤrchteten; ja felbft 
der König behandelte fie mit Auszeichnung und Vorficht, und 
ſchwieg zu Dingen, welche Bein Anderer wie fie, gewagt 
hätte. Als z. B. ihr. Sohn, wider ihren Willen, Ludwigs 
natürliche Tochter heirathen follte, gab fie ihm zornig in ber 
feierlichen Verfammlung erft eine Maulfchelle?), und unter- 
zeichnete dann den Vertrag. 

Erlaubte es der Raum auch bie Mmebenzweige der koͤ⸗ 
niglichen Familie naͤher zu ſchildern, wir wuͤrden darunter 
nichts geiſtig Bedeutendes finden”); doch iſt man geneigt 
anzunehmen, Ludwigs XIV Schönheit und Würde ſey ein 


1) Le Duc se frottait quelques parties honteuses avec l’image 
de la vierge, persuad6 que cela garantit de tout mal. Sa femme . 
lui dit: Vous ne me persuaderez pas que c’est honorer la vierge, 
que de promener son image sur des parties distindes & Oter la vir- 
ite. Orleans 202. — Spanheim III, 223 — 225, 8. Simon n. 
edit. I, 21—27. 
2) Maurepas I, 108. 8, Pierre annales II, 625 


8) So war ber Herzog von Berry, Ludwigs Enkel, ohne Anla- 
gen, Kenntniffe und Charakter und feinem Leibenfchaftlichen , liederli⸗ 
dyen Weibe ganz unterthan. Bausset Fönslon III, 316. 


Maiftreſſen. Mancini, Valiere. 91 


u ober eine Eigenſchaft aller feiner Angehörigen ge: 

wein. Dem war aber nicht fo: ben Dauphin hatte ber 
Prinz von Eonti beim Spiel bie Nafe zerfchlagen, ber Her: 
zog von Bourgogue war ſehr klein und budlich, ber Herzog 
von Maine lahm, die Königinn mager und Hein, Senriette 
von England fchief, die Herzoginn von Bourgogne ohne 
Zahn im Munde, Mademoiſelle de Bourbon (eine Enkelinn 
Condes) einhänbig, Heinrich von Bourbon (der nachmalige 
Begent) einaͤugig ). 

Gehen wir nunmehr auf einen faſt nicht minder wichti⸗ 
gen Theil bed Hofes, auf bie Maitreffen über, fo haben 
Neugierige glaubhaft genug audgemittelt, daß wenn nicht 
Ludwigs erfle Neigung, doch feine erſte Begierde auf bie 
Beruvais, eine Kammerfrau der Königinn Anna verfiel), 
obgleich fie alt und eindugig war. Ernſter und heftiger er- 
ſchien (wie wir bereits erzählten) feine Liebe für Maria 
Mancini ”), und ohne den ernflen Widerſpruch feiner Mut: 
ter und Mazarins, hätte er fie wohl geheirathet. Sie war 
Iebhaft und voll Verſtand, aber ohne Sitte und Erziehung, 
und Tieß in fpäterer Zeit ihren heftigen Leidenſchaften freien 
Lauf, 


Daburch daß der Koͤnig uͤberzeugt ward das tugend⸗ 


hafte Fraͤulein la Valiere liebe ihn ohne alle Beziehung 


auf ſeine hohe Stellung, fuͤhlte er ſich zu ihr hingezogen, 
und fie geriethen in einen Briefwechſel der beiden ungemein 
wohlgefiel. Nach wahrfcheinlihen Berichten fchrieb aber 
Dangeau bie Briefe für ben König"), und verbefierte bie 
der Ia Walter. Sie war Plein, mager, etwas lahm und 


1) Barridre le cour de Louis XIV, 96, 

9) La Fare 52. 

8) Theil IV ©. 240. Brienne fils mem, II, 49. 8. Simon 
IV, 402; XI, 188. La Fayette Histoire de Henriette d’Angle- 
terre 21. 8. Pierre annales I, 69. 

4) Argenson essais 805. Rach Beaumelle Memoires de la 
Maintenon I, 232 leitete Benſerade ben Briefwechſel, denn Ludwig 
ſchrieb wicht orthographiſch. Ib. VI, 228, 


. 


92 Schttes Bud. Drittes Haupıfüd: 


etwas podennarbig; hingegen blond, ſchoͤne Haare, braune 

ſchmachtende Augen, befcheiden, milde, theilnehmend, aber ohne 
überwiegenden Geiſt). Die ewige Liebe, welche ihr der 
König geſchworen hatte, ging bald in Gleichgültigkeit über, 
und als fie fih ob feiner neuen Verbindung mit der Mon- 
teſpan beklagte, gab er zur Antwort: Warum ſollte ich nicht 
zweie lieben Finnen)? Begnuͤgen Sie fi) mit dem was 
ih für Sie thue und wuͤnſchen Sie nicht mehr, denn ich 
laſſe mich ungern ‘geniren. — Lhnlicherweiſe erzaͤhlt die Her⸗ 
zoginn von Orleans: die la Valiere war ein gar gut Menſch ’). 
Der König ging aber hart mit ihr um und vergaß fie fo 
ganz, ald wenn er fie im Leben nicht gefehen umb gekannt 
hätte. — Zur Buße blieb fie eine Zeitlang neben dr Mons 
. tefpan am Hofe, dann warb fie Karmeliterinn. Die ver: 
legte Königinn und bie früher fo leichtfinnige Herzoginn von 
Longuenille führten fie zum Altar”), und Hofleute bewun- 
derten wie geſchickt und kuͤnſtlich Boſſuet in feiner Einwei⸗ 
hungsrede dem Chriflenthume fein Recht habe widerfahren 
laſſen, ohne bie Etikette zu verlegen. Die Ia Valiere flgrb 
1710, im 6öften Jahre ihres Alters. - 

Der flillen, einfachen, milden Valiere, folgte bie ſchoͤ⸗ 
nere, kuͤhne, leidenſchaftliche, geiſtreiche, immerdar unterhal⸗ 
tende und witzige Athenais von Mortemar, verehelichte Mar: 
quifinn von Montefpan. Sie ift, fagt die Herzoginn 
von Orleans, ein lebendiger Zeufel, aber fo bivertiffant und 
poffierlich, daß einem bie Zeit micht bei ihr lang werben 
kann ’). — Schon vor ihrer Bebanntichaft mit dem Könige 


- 1) la Fare 67. Bussi Histoire amoureuse des Gaules II, 6. | 


2) Bussi III, 237. Motteville XL, 202. Caylus souvenirs 
87— 39. 


8) Orleans 1, i11, 112. 

4) Bausset Histoire de Bossuet II, 42. Beaumelle II, 58. 
Dangeau III, 135. Sevigne III, lett. 800. 

5) Orleans 1, 116. Bussi II, 239. Spanheim IH, 179. Cay- 
lus 96. Voltaire siecle XXI, 122. &. Simon XI, 115. Sa beauts 


Montefpan. Fontanges., 93 


fol Frau von Montefpan ihren Mann betrogen haben; ge⸗ 
wiß wollte fich biefer jegt nicht mit Zuruͤcklaſſung feiner Frau 
gebulbig verſetzen laſſen, ober gegen feinen mächtigen Nes 
benbubler ven Gefälligen fpielen. Als er aber bei einem 
beftigen Steeite feiner Frau eine Obrfeige gab, warb er vers 
wiefen, und betrauerte fie hierauf in aller Form, als fey fie 
geftorben. Um jedoch die Schwangerfchaft ber Montefpan, 
eine Folge doppelten Ehebruchs zu verbergen, erfand fie eine 
neue gar fonderbare Kleibung '), welche indeß die Aufmerk⸗ 
ſamkeit gewiß mehr erregte, als ablenkte. Ungeachtet biefes 
Wandel fiel es ber Montefpan im Jahre 1675 ein zu 
beichten, ohne daß fie Befferung geloben wollte. Mit Recht 
verfagte ihr deshalb der Geiftliche die Losfprechung, woruͤber 
fehr großer Lärm entfland?), und Ludwig (nach Montau⸗ 
fiers und Boſſuets eigdringlichen Vorflellungen) ſich entfchloß 
fie zu entlaffen. geh kurzer Friſt kehrte fie aber triumphi⸗ 
rend zurück. 

Mehr Sorge als die Geiſtlichen machten ihr feitbem 
Rebenbublerinnen, fo zunaͤchſt das Fräulein Fontanges. 
Sie war (erzählt die Herzogin von Orleans) ein gut 
Menſch, ſchoͤn von Haupt bis zu ben Füßen, Hatte aber 
nicht mehr Verſtand, als ein Kaͤtzchen“). Der Prinz von 
Merfilac fol dafür, daß er die Fontanges für den König 
gewann, bad Amt En: — erhalten haben. 


est extr&me, EEE EIERN sa beauts et sa galt comme 
sa parure. Sevigné IV, lettr. 444. 

1) Habillement comme les hommes & la reserre d’une jupe 
sur laquelle à l’endroit de la ceinture on tirait la chemise que 
Fon faisait bouffer le plus qu’on pouvait et qui. cachait ainsi le 
ventre. Bussi III, 240. Allerdings iſt Buffi keine eigentlich geſchicht⸗ 
liche Quelle, aber aus den gefammten Darftellungen laͤßt ſich doch vie⸗ 
les Vahrhafte herausfuͤhlen. 

D Bausset Histoire de Bossuet II, 58 — 71. 

8) Orleans 1, 119. Caylus sourvenirs 34. Beaumelle II, 131, 
185. Bussi 1II, 510. Belle comme un ange et sotte comme un 
panier. Choisy II, 166. Spanheim III, 180. Sevigns V, 610, 
616, 642, 647. - | 





94 Gehstes Bud. Drittes Hauptfiäd. 


Ste flarb, nachdem fle von ihrer Furzen und ſchon vorliber⸗ 
gegangenen Gunſt verfchwenderiichen Gebrauch gemacht, im 
Jahre 1681. — Der König (fagte jebt bie Monteſpan,) 
liebt mich nicht, aber er glaubt es feiner eigenen Größe und 
feinen Unterthanen fchuldig zu fenn, — die ſchoͤnſte Frau 
feines Königreichs zur Maitrefie zu haben )! — Diefe Schoͤn⸗ 
heit konnte aber, nach wie vor, ben König nicht fefthalten. 
Alles, fagt die Herzoginn von Orleans, war ihm recht, 
wenn ed nur Weibdleute waren: Bäuerinnen, Gärtnertäch- 
ter, Kammermäbchen, Damen von Qualität, — fobald fie 
ſich nur anftellten ald wenn fie verliebt in ihn wären”). — 
So überzeugt die Montefpan auch ‚war daß Vorflellungen 
über biefen Wandel ded Königs zu Nichts führten, verlor fie 
doch bisweilen die Geduld und fagte ihm einfl: er habe 
- doppelt Unrecht daß er ihr untren fen, ba fie ihm Zugend 

‚und Ruf geopfert babe, unb wenn auch täglich diter 
werde, fo fey fie doch noch nicht alt, und rieche nicht übel 
wie er’). 

Mag ed auch zweifelhaft bleiben in wie weit Erzählun 
gen folcher Art buchiläblich dee Wahrheit gemäß find, fo 
ſtimmen Fe doch untereinander und mit Erſcheinungen vers 
wanbter "Art fo überein, daß man ein im Ganzen und Gro⸗ 
Gen richtige Bild daraus zufammenfeben kann. Gewiß bes 
glücten alle diefe Genüfje den ‚König nicht: er mußte bie 
milden Klagen der la Valiere, die Ausbrüche leidenfchaftlis 
her Eiferfucht der Monteſpan, die Wunderlichkeiten der 
 Bontanged*), die Vorwürfe der Königinn und ſpaͤter bie 
Zurechtweifungen der Maintenon und feined eigenen Gewif- 
ſens uͤberſtehen. So viel er ſich auch In diefen Beziehun⸗ 
gen felbft erlaubte, fo pebantifch hielt er an feinem Hofe 


1) Hausset Me&moir. 54. 


2) Orleans 104. 


8) Bussi III, 867. Louis alma extr&mement & se parfumer. 
Opäter haßte er ſtarke Gerüde. 8. Simon II, 81. 
4) Beaumelle II, 191. 


Unzucht. 96 


auf änßeren Schein, dergeſtalt daß Frauen oͤffentllch kaum 
mit Männern zu reden ) und feine Beiſchlaͤferinnen Keinen 
anzufehen wagten. Ia biefe fpielten felbft die firengen Sit 
tenrichter und verurtheilten das Unſchuldigſte, während Eine 
nach der, Andern in Wochen kam und man fich über den 
größten Skandal am leichteften hinwegfebte. 

Der König, fogt ein Schriftfteller, machte bie Frauen 
baburch nicht weifer, fondern nur unhöflicher und, im Fall 
ihre Leidenfchaften bie erfünftelten Bande durchbrachen, nur 
unverfchämter. — Auch Tonnte jener Schein weber ernſte 
Rüge, noch ſcherzhaften Übermuth zurtchalten. So bildete 
man 3. B. ben König ab, umgeben von vier Weibern. Die 
Baliere legte die Hand auf fein Herz, bie Fontanges griff 
in feine Zafche, die Montefpan anderswohin und die Maine 
tenon bielt ihn bei der Nafe?). 

Es wäre unbillig zu verkeffen daß Ludwigs auß poll⸗ 
tifhen Sründen gefchloffene Ehe in mancher anderen Bezie⸗ 
bung eine war, und feine Natur ihn mächtig zu den Weis 
bern hintrieb; andererſeits aber verlegte er Zucht umb An: 
fland mehr als felbft nach folchen Zugeſtaͤndniſſen nöthig war, 
und Das Übel verbreitete fich ımbeilbringend vom Throne 
hinab in alle Kreiſe. So fuhr z. B. die Königinn mit ber . 

iere und ber Montefpan in einem Wagen, bis das Volt 

ie es wolle bie drei Königinnen fehen”). Die Könk 
ginn ſchaͤtzte ſich glüdlich (erzählt Frau von Sevignd) wenn 
fie bei der Montefpan, bie im Hauskleide blieb, angenoms 
men und zum Spiele zugezogen ward. Oft aber mußte fie 
fich auch auf einen bloßen Wink entfernen. Wir folgen 
(fährt die Sevigne fort) den Schritten der Monkkſpan. Wir 
laſſen un erzählen was fie jagt, was fie thut, was fle ißt 
und wie fie ſchlaͤft. Sie zeifet mit mehren fechöfpännigen 


1) La Fare 65. Duilos Mem. I, 151. 
2) Gebelin Histoire des Camisards II, 190. & 


3) Duclos Memoires 1, 131. Scevigns III, 808, 390, 413, 
417. i 


® 


94 Sechstes Bud. Drittes Hauptſtuͤc. 


Ste farb, nachbem fe von Ihrer kurzen und ſchon vorfiber. 
gegangenen Gunſt verſchwenderiſchen Gebrauch gemacht, im 


Jahre 1681. — Der König (fagte jebt die Montefpan,) 


liebt mich nicht, aber er glaubt es feiner eigenen Größe und 
feinen Unterthanen ſchuldig zu fenn, — bie ſchoͤnſte Frau 
feines Königreich zur Maitreffe zu haben )! — Diefe Schäns 
heit Sonnte aber, nach wie vor, ven König nicht fefthalten. 
Aled, fagt die Herzoginn von Drleand, 'war ihm recht, 
wenn ed nur Weibdleute waren: Bäuerinnen, Gärtnertäch- 
tee, Kammermäbchen, Damen von Qualität, — fobald fie 
ſich nur anftellten ald wenn fie verliebt in ihn wären?). — 
So überzeugt bie Montefpan auch ‚war daß Vorftellungen 
über dieſen Wandel ded Königs zu Nichts führten, verlor fie 


doch bisweilen bie Gebuld und fagte ihm einfl: er habe 


doppelt Unrecht daB er ihr umtreu fen, da fie ihm Tugend 


‚und Ruf geopfert babe, und wenn auch täglich Alter 


werde, fo fey fie Doch noch nicht alt, und rieche nicht übel 
wie er’). 

Mag es auch zweifelhaft bleiben in wie weit Erzähluns 
gen folcher Art buchftäblich der Wahrheit gemäß find, fo 


ſtimmen Fe doch untereinander und mit Erfcheinungen vers 


wanbter Art fo überein, daß man ein im Ganzen und Gro= 
en vichtiged Bild daraus zufammenfegen kann. Gewiß be 
gluͤckten alle dieſe Genüffe den ‚König nicht: er mußte bie 
milden Klagen ber la Valiere, die Ausbrüche leidenfchaftlis 
cher Eiferfucht der Montefpan, die Wunderlichkeiten ber 
FSontanges *), die Vorwuͤrfe der Königinn und fpdter bie 
Zurechtweifungen der Maintenon und feined eigenen Gewif- 
fens uͤberſtehen. So viel er ſich auch in diefen Beziehun⸗ 
gen felbft erlaubte, fo pebantifch hielt er an feinen Hofe 


1) Hausset Memoir. 54. 


2) Orleans 104. 


8) Bussi II, 867. Louls alma extr&mement à se parfumer. 
Opäter haßte er ſtarke Gerüde. 8. Bimon U, 81. 
4) Beaunelle II, 191. 


Unzudt. 96 


auf äußeren Schein, bergeftalt daß Frauen öffentlich kaum 
mit Männern zu reden ) und feine Beiſchlaͤferinnen Keinen 
anzufehen wagten. Ia biefe fpielten ſelbſt bie firengen Sit⸗ 
tenrichter und verurtheilten dad Unfchulbigfte, während Eine 
nach der Anbern in Wochen Fam und man fidh über den 
größten Skandal am leichteften hinwegſetzte. 

Dar König, fagt ein Schriftfteller, machte bie Frauen 
dadurch nicht weifer, fonbern nur unhöflicher und, im Kal 
ihre Leidenfchaften bie erfünftelten Bande durchbrachen, nur 
unverfchämter. — Auch Tonnte jener Schein weber ernfle 
Rüge, noch ſcherzhaften Übermuth zuruͤckhalten. So bildete 
man 3. DB. den König ab, umgeben von vier Weibern. Die 
Valiere legte die Hand auf fein Herz, bie Fontanges griff 
in feine Taſche, die Montefpan anderswohin und die Maine 
tenon hielt ihn bei der Naſe?). 

Es wäre unbillig zu verkeflen daß Ludwigs aus poll⸗ 
tiſchen Gründen gefchloffene Ehe in mancher anderen Bezie⸗ 
hung keine war, und feine Natur ihn mächtig zu den Wei: 
bern bintrieb; andererſeits aber verlehte er Zucht und An⸗ 
fand mehr als felbft nach ſolchen Zugeſtaͤndniſſen nöthig war, 
und das Übel verbreitete ſich unheilbringend vom Throne 


hinab in alle Kreiſe. So fuhr z. B. die Königinn mit der . 


iere und der Montefpan in einem Wagen, bid dad Volt 
ſchtie e8 wolle bie brei Königinnen fehen?). Die Könk 
ginn ſchaͤtzte fich glüdlich (erzählt Frau von Sevigne) wenn 
fie bei der Monteſpan, die im Hauskleide blieb, angenom⸗ 
men und zum Spiele zugezogen ward. Oft aber mußte fie 
fh auch auf einen bloßen Wink entfernen. Mir folgen 
(fährt die Sevigne fort) ben Schritten der Mo Wir 
laffen und erzählen was fie fagt, was fie thut, was fie ißt 
"und wie fie fchläft. Sie reifet mit mehren fechöfpännigen 


1) La Fare 65. Duilos Mem. I, 131. 
2) Gebelin Histoire des Camisards II, 190. ö 


8) Duclos Memoires I, 181. Sevigne III, 808, 390, 413, 
47. : 


Li 


90 Sechstes Bud. Drittes Hauptſtück. 


Wagen, hat an 45 Menſchen, auch Officiere zur Selte, und 
erhält täglich einen Kourier wenn ber König entfernt iſt; 
doch ward von ihr dad Anerbieten des Statthalterd la Vals 
liere abgelehnt, fie in: den Städten mit feierliehen Neben 
empfangen zu laffen. — In dem Allem findet bie Erzählerinn 
nur einen Gegenfland leichten Scherzed, und der Statthal⸗ 
ter that ſich auf feinen Knechtsſinn wohl noch etwas zu 
Gute. Ühnlicherweife erbot fih ein Herr von Villarceaur, 
feine Nichten für den König zu kuppeln und biefe- Nichten 
waren fehr unzufrieden, ald der König dies Anerbieten mit 
einem Scherze ablehnte‘). Ein anbermal, ald der König 
ein Auge auf dad Fräulein la Mothe warf und biefe fich 
zuruͤckzog, ſchalt ihre Mutter fehr daß fie die Leidenfchaft eis 
nes fo großen Monarchen nicht erwiebern wolle, und bie 
Muhmen und Bafen flimmten nah gehaltener Berathung 
bei: baß man die thörichte Einfalt der Vorfahren in derlei 
Dingen bei Seite ſetzen muͤſſe. 

Die Gräfin Laubefpin hatte fih non einenr Anderen 
ſchwaͤngern laffen und ſuchte, als alle Kunftmittel fie oder 
ihren Mann zu entfernen fehlfchlugen, Huͤlfe bei bem fpa= 
nifchen Gefandten. Diefer lebte unter Beiflinmung feine 
Hrrn der Überzeugung: ein galanter König werbe eine gas 
Iante Frau gern aus folcher Noth helfen. Auf Befehl Lud⸗ 
wigd XIV und mit Wiſſen feiner Mutter ward hierauf ber 
unſchuldige Dann, um ber Ehebrecherinn durchzubelfen, in 
die Baſtille gefest, bis diefe in Wochen gekommen und das 
Kind — war. Nunmehr ließ der Koͤnig dem Grafen 
ſagen, es ſey eine Verwechslung der Perſon vorgegangen 
und ber ſpalſche Gefanbte gab ſich dazu her den Mißhan⸗ 
deiten zu neuem Spotte bei Hofe vorzuftellen, wo er fich 
noch obenein bedanken mußte Es ift (fügt der Berichter⸗ 
flatter hinzu) etwad fehr Außerordentliches ?), daB eine Sache 

1) Sevigne lettres edit, de Grouvelle II, lettre 160. Brienne 
fils Möm. II, 175. 

2) C’est une chose extraordinaire qu’une affaire de cette 
nature ait &t& conduite et sue par deux rois, deux reines et un 


Unzudt. Spiel. 97 


dieſer Art gewußt und geleitet warb von zwei Könfgen, zwei 


Königinnen unb einem Gefanbten, und baß ein Mann Hahn⸗ 
rei, Gefangener und doch zufrieden war! 

Dieſe Erzaͤhlung iſt ein furchtbarer Beweis daß man 
unter den Vorwaͤnden und Entſchuldigungen beiterer Les 
bensluſt und Leidenfchaftlicher Sinnenluft, bis zu einer ſchaͤnd⸗ 
lichen libertretung ber ewigen Geſche ber Wahrheit und Ges 
rechtigkeis kommen kann; und wie man auch über unfere 
Zeit denken mag, zu einer folchen (angeblich wigigen) Ins 
fomie, würbe fich jetzo Fein rechtlicher Menſch, wie viel wes 
niger vier gekroͤnte Häupter mißbrauchen laſſen. : 

Zugegeben daß in ben Berichten jener Tage Manches 
erfunden, übertrieben, in ein falſches Licht geftellt feyn mag; 
jo finden wir doch aller Orten ben Wiederhall einer frivos 
im Zeit. Und boch entbehrt wieberum felbft die gewöhnliche 
Unfeufchheit oft des mächtigen Raturtriebes, und geht mur 
hervor aus Langerweile, Eitelkeit und Mode. Das Hofles 
ben zeigt ums nicht bie edelften Naturen, in der freieften 
und anmuthigften Bewegung; fondern ſchlechte Intriguen, 
bebentungslofe Beftrebungen, kleinlichen Ehrgeiz, erbärmliche 
Rangftreitigfeiten u. f. w. Wie fehrumpfte hiedurch der. 
Geiſt zuſammen, wie flach unb eng warb ber Kreis ber Ges 
banken, wie geringhaltig erſchienen bie aufgeflußten, anges 
beteten Borurtheile! 

Während Einige die Leibenfchaft des Königs für die 
Weiber teilten und Anbere fie aus Schmeichelei erheuchel: 
tn, wurden Viele von einer ungemäßigten Spielwuth 


griffen. Diejenigen Gtüdöfpiele, welche in Paris ſtreng, 


ia bei Todesſtrafe verboten waren ), fpielte man vom Mor⸗ 
gen bis zum Abenb am Hofe mit fo hohen Einfügen, daß 
es etwas ganz mn war in einer Sieung einige 


ambessadeur, et qu’un homme ait 6 cocu, ——— et content. 
Lenet Mem. LIV, 81. 
1) Über bie Spielwuth in Paris, Eacyclopsdie methodigue 
ride Jeu (Jurisprudence et Police). 
VI. 1. 


B Sechstes Bud. Drittes Hauptſtüe. 


lauſend Piflolen zu gewinnen, ober-zu verlieren‘). Fuͤr bie 

inn von Bourgogne bezahlte der König einft 12,000 
Louisd'or, und bie Koͤniginn verlor in einem Vormittage 
- 20,000 Thaler. Noch weiter trieb es bie Monteſpan. Sie 
verlor (erzählt Frau von Sevignẽ) in einer Sitzung vier 
Millionen Livres, zwang aber die Bankiers fortzufpielen bis 
fie Alles wieder gewonnen hatte. Diefe hofften fich ein ans 
dermal zu entfchäbigen, wurden aber getaͤuſcht, da das Spiel 
ber Baſſette jet verboten wart. 

Leicht haͤtte der König biefem Übel ein Enbe machen 
tönnen, aber feine leifen Warnungen verloren alled Gewicht, 
wenn er felbſt Lotterien mit lauter Gewinnſten bis zu Drei, 
viertauſend Louisd'or anlegfe und auöfpielte”). Überhaupt 
war er ein leidenfchaftlicher Zreunb einer, oft geſchmackloſen 
Pacht”). Dee Werth der Kronjuwelen, weldher beim Tode 
Ludwigs XUE, 700,000 Franken betrug), wurde 1696 auf 
41,333,000 abgeſchaͤtzt, und 1745 trug Lubwig bei der Au: 
bien; bed perſiſchen Befantten ein Meib 12%. Million an 
Werth und fo ſchwer, daß er ed balb audziehen mußte. 
Solchen Anreizungen folgend, machten Hofleute, die nicht 
einen Sen Im VBermoͤgen hatten, den größten Aufwand) 
bis der Koͤnig ihnen durch thoͤrichte Freigebigkeit aus ber 
Naeh halß, ober bie Glaͤnbiger nicht mehr borgen wollten. 


' 4) Damgeau I, 198; IE, 106, 1985 III, 121, 186. Sevigus 
III, 845,. 360; IV, 487, 441, 552. Pelisson lettxes historiques 
DI, 43, 

g) Dangeau I, 217, 2238. 

9) Le rot alme — la somptuosits Ala cour: 8, Si- 
mon H, 64. n.dd. 

4) Dangeau IE, 613 m, 8344. 

5) H y en euf qui firent faire .des. habits, qui, Isur nevennient 
& plus d’argent qu’ils n’avoient de bien en fonds. Et qu’on ne 
prenne pas cegi pour une maniere de parler, ni pour une &xag6- 
ration, c’est la pure verit&, — Voilä quelle est la folie des Fran- 
gois, et quoique je le sois moi même, et peut£tre aussi fou que 
les autres je ne me puis empöcher nsdanmoias de convenir de notre 

folie. Courtilz annales de la oour 541. Bevigus IV, 467; V, 598. 


Aufwand. Mode. Baue. 1) 


Es verhielt fich mit diefem Aufwande ungefähr, wie 
mit bem Spicle. Während Geſetze beides beſchraͤnken ober 
adſchaffen follten, ging ber Hof mit verführerifchem Beiſpiele 
voran. „Schon im Jahre 1639 finden wir ein Geſetz gegen 
ben Keiderluxus), und ein zweite vom Sabre 1700 ent⸗ 
hält noch genauere Beſtimmungen. Der Gebrauch mancher 
Dinge 3. B. der Edelſteine und Eoflbarer Stoffe wirb aflein 
den höheren Ständen erlaubt, ber Preis vieles Hausgeraͤths 
beſtimmt und anderes Unaußfährbare vorgefchrieben. Über⸗ 
all entſchied Ludwigs Beifpiel und Befehl, nur die Mobe 
entzog ſich ſeinet Herrſchaft und er erzaͤhlte ſelbſt: ich habe 
mit allem meinen Anſehen den zu hohen Kopfputz der 
Frauen, welcher mie mißfiel, nicht erniedrigen Binnen”) 
Kaum aber war ein unbekanntes aͤrmliches Frauenzimmer 
(une guenille) aus England mit einer niebrigen Haube ans 
gekommen, fo gingen ploͤtzüch alle Prinzeffinnen von einem 
Außerfter zum anderen über. Bisweilen warb aber.die Sache 
auch viel geimmblicher genommen. So verfammelten fih im 
Jahre 1715 bei der Herzogian von Berri, die geſchickteſten 
Schneiber, die berühmteflen Modehaͤndlerinnen unb Ber⸗ 
tin der Zeichner für die Oper, um zu unterfuchen unb zu ent» 
ſcheiden, ob und wie bie Kleivertracht geänbert werben ſolle ). 

Dorhber, wie Aufwanbögefehe und ſchneller ober lang⸗ 
ſamer Wechſel der Moden auf bad neubeſchuͤtzte Fabrikenſyſtem 
wirken möchten und weiche Ruͤckficht voranftche, fcheint man 
damals nicht nachgedacht zu haben; beflo weniger zweifelte 
der König Daß zu jeder ihm beliebigen Ausgabe Geld ba 
ſeyn müffe ).. Nächft den Weibern Eofteten ihm die Baue 
ſehr große Summen ; ihr Betrag ift indeſſen ohne Zweifel 


f) Sevign& IV, 467; V, 592. 

2) Isambert collection des lois francaises XVI, 515. — 
vn, 281. 

8) Orleans Bekenntniſſe 13. 

4) Dangeau III, 852. 

5) Im Faro 244. Aug SS na —— 








98 Sechstes Buch. — Haupifiäd. 


kauifend Piflolen zu gewinnen, ober- zu verlieren ‘). Wr bie 
Herzoginn von Bourgogne bezahlte der König einft 12,000 
Louisd'or, und bie Königinm verlor in einem Vormittage 
20,000 Thaler. Noch, weiter trieb ed die Montefpan. Sie 
verlor (erzaͤhlt Frau von Sevigné) in einer Sigung vier 
Millionen Livres, zwang aber bie Bankiers fortzufgielen bis 
fie Alles wieder gewonnen hatte. Dieſe hofften ſich ein ans 
dermal zu entſchaͤdigen, wurden aber getaͤuſcht, da das Spiel 
der Baſſette jetzt verboten warb. 

Leicht haͤtte der König biefem Übel ein Ende machen 
tönnen, aber feine. leifen Warnungen verloren alled Gewicht, 
wenn er felbſt Lotterien mit lauter Gewinnflen bis zu Drei, 
viertauſend Louisd'or anlegte und. ausſpielte ). Uberhaupt 
war er ein leidenſchaftlicher Freunb einer, oft geſchmackloſen 
Draht”). Der Werth der Kronjuwelen, welcher beim Tode 
Lubwigs XIII, 700,000 Franken betrug”), wurde 1696 auf 
41,333,000 abgeſchaͤtzt, und 1715. trug Ludwig bei ber Au: 
dienz bed perfiſchen Geſandten ein Meib 12. Millton an 
Werth unb fo ſchwer, daß er es balb aufziehen mußte. 
Solchen Anreizungen folgend, machten Hofleute, die nicht 
einen Sou Im Bermoͤgen halten, den groͤßten Aufwand) 
bis der Koͤnig ihnen durch thoeichte Freigebigkeit aus ber 
Naeh; halß, ober bie Glaͤnbiger nicht mehr borgen wollten, 


- 4) Damgeau I, 198; IE, 106, 198; III, 191, 186. Bevigns. 
IN, 845,. 360; IV, 487, 441, 552. Pelisson lettres historiques 
DI, 43, 

g) Dangeau I, 217, 2238. 

9) Le rot alme passionement la somptuosits Al wur: 8. Si- 
mon H, 64. n.dd. 

4) Dengeau IE, 613 11,884. 

8) Hy en euf qui fürent faire .des. habits, qui, leur zevennient 
& plus dargent qu'ils n’avoient de bien en fonds. Et qu’on ne 
prenne pas cegi pour une maniere de parler, ni pour -ung &xage- 
ration, c’est la pure verité — Voilä quelle est la folie des Fran- 
cois, et quoique je le sois moi meme, et peut£tre aussi fou que 
les autres je ne me puis emp6cher ndanmoins de convenir de notre 

folie. Courtilz annales de la oour 541. Bevigus IV, 467; V, 898. 


: Aufwand. Mode. Baue. 90 


Gs verhielt ſich mit dieſem Aufwande ungefähr, wie 
mit dem Gpide. Während Geſetze beides beſchraͤnken ober 
abſchaffen foliten, ging ber ‚Hof mit verführerifchem Beiſpiele 
voran. „Schon im Jahre 4639 finden wir ein Geſetz gegen 
ben Kleiderluxus), und ein zweite vom Jahre 1700 ents 


hält noch genauere Beſtimmungen. Der Gebraud manderr 


Dinge 3. B. der Ehelfteine und Eoftbarer Stoffe wird allein 
ben höheren Staͤnden erlaubt, ber Preis vieles Hausgeraͤths 
beftimmt und anderes Unausfuͤhrbare vorgefchrieben. Über⸗ 
all entfchleb Ludwigs Beiſpiel ımb Befehl, nur die Mobe 
entzog fich feiner Herrſchaſt und er erzählte felbft: ich habe 
mit allem meinen Anſehen ben zu hoben Kopfpuß ber 
Frauen, welcher mie mißfiel, sicht erniebrigen koͤnnen ⸗ 
Kaum aber war ein unbekanntes aͤrmliches Frauenzimmer 
(ane guenille) aus England niit einer niedrigen Haube ans 
gelommen, fo gingen ploͤtzich ‘alle Prinzeffinnen von einem 
zum anberen Über. Bisweilen warb aber die Sache 

auch viel grünblicher genommen. So verfammelten fi im 
Jahre 1715 bei der Herzoginn von Berri, bie geſchickteſten 
Schneider, . bie beruͤhmteſten Mobehänblerinnen unb Ber⸗ 
tin der Zeichner fie die Oper, um zu unterfuchen und zu ents 
ſcheiden, ob. und wie bie Kleidertracht geändert werben ſolle *). 
Daruͤber, wie Aufwanbögefete und fehneller ober langs 
famer Wechfel der Moden auf das neubefchüste Zabritenfoftem 
wirken möchten und welche Rüdficht voranſtehe, ſcheint man 
damals nicht nachgedacht zu haben; deſto weniger zweifelte 
der Koͤnig daß zu jeder ihm beliebigen Ausgabe Geld da 
ſeyn muͤſſe ). Naͤchſt den Weibern koſteten ihm die Baue 
ſehr große Summen; ihr Betrag iſt indeſſen ohne Zweifel 


Sevigas IV, 467; V, 592. 

2) Isambert collection des lois frangaises XVI, 515. — 
VIL, 281. 

3) Drieans Bekenntniffe 13. 

4) Dangeau III, 852. ' 

5) La Faro 2i4. Aus St nu ꝙ Ru 





100 Sechstes Bud. Drittes Hauptftäd: 


oft zu hoch angegeben worden, ja im Vergleiche mit den 
Kriegskoſten nur gering zu nennen. Die größten Bauaus⸗ 
gaben verurfachte Verſailles; follen doch einft in einer Woche 
daſelbſt 22,000 Menfchen und 6000 Pferde gearbeitet ha⸗ 
‘ben '); und dennoch ließ fich durch all diefe Anflrengungen we⸗ 
der Gegend unb Boden verändern, noch ein veiner Ges 
ſchmack berbeizaubern. Indeſſen glaubt man bei Betrach⸗ 
tung dieſer Säle, Zerraffen, Grotten, Springbrumnen, fabel- 
baften Thiere u. f. w., bier habe der König, erhaben über 
Sorgen und Eeinliched Treiben, ein heiteres, bichterifches, alls 
genugfames Leben geführt); wie, erflaunt man bahes zu 
vernehmen: er babe fih um die Pleinften Stadtgefchichten 


und Klatſchereien bekuͤmmert, fie zu erfahren Briefe erbrochen 


und Kundfchafter ausgefandt?). Er wollte, fagte S. Si: . 
mon, Alles willen was vorging, und ließ Tag und Nacht 
durch angeftellte Kundſchafter Paläfte, Gärten, Gänge, Trep- 
sen, Wege, Stege und geheime Orte beobachten. Sie muß: 
ten bin und her gehen, lauern, ſich verfteden, jeben Einzels 
nen bemerfen, verfolgen, horchen, ausfragen und Bericht 
erftatten ). — Und wäre nur auf dieſem Wege noch gelegent> - 
lich die Wahrheit an ihn gekommen; aber man wußte fich 
auch bier vorzufehen und übelen Folgen auszuweichen. Nie, 
Sagt S. Simon, drang die Wahrheit in ben Kreis, innerhalb 


wig fchenkte zur Verheirathung jebes ihrer Kinder gewöhnlich 200,000 


livres. Annales de la cour 218. 


1) In einem Jahre wurben bisweilen für 12 Millionen Liores 
verbaut. Dangeau I, 84; III, 172. Peignot (documens authenti- 
ues sur les depenses de Louis XIV en batimens) fucht gu bewei⸗ 
en, baß biefe Ausgaben weit geringer waren als man gewoͤhnlich an« 
nimmt, und während Ludwigs Regierung fich nur etwa auf 307 Mil 
lionen Liores heutigen Geldes beliefen. Siehe vor Allen Zinkeiſen über 
Nerfoilles in Raumers Taſchenbuche, achter Jahrgang. 
2) Ludwig wohnte an 20 Jahre in S. Germain, ſeit 1681 meiſt 
in Verſailles; Paris liebte er nicht. 8. Pierre annal, II, 485. 


8) 8. Simon I, 110, 231; V, 809. 
4) 8. Simon IV, 44. 


Schmeideleien. ' 101 


beffen er fich ſelbſt gefangen. hielt‘). Die boleete ſchlugen 
die Augen nieder bei den groͤßten Schmeicheleien und Luͤ⸗ 
gm ?), und hatten den außerordentlichen Muth ſich nachher 
ind Ohr zu flüflern was fie davon dachten! — Aber freilich 
verfland Ludwig weder Scherz noch Ernſt in dieſen Din: 
gen. So ließ er einen holländifchen Zeitungdfchreiber, der 
gegen ihn und die Maintenon gefchrieben hatte, auf franzoͤ⸗ 
fiihes Gebiet loden und 23 Jahre lang einfperren”). Will 
man aber biefen Bericht.ald nicht hinreichend beglaubigt ver: 
werten ,„ fo veranlaßten boch holländifche Spottichriften zum, 
Theil den Krieg von 1672, ober wurden wenigftend vom 
Könige mit höchflem Zorne "betrachtet. Er war, fagt mit 
Recht die Herzoginn von Orleans, zu fehr gewöhnt au tel 
est notre plaisir"), um Repliken leiden zu koͤnnen. — Auch) 
ward Alled was er that oder wöünfchte, durch WBallette, 
Schaufpiele, Gebichte u. f. w. entweber ganz ausdruͤck⸗ 
lich, oder doch allegoriſch und ſymboliſch gebilligt und ge⸗ 
prieſen ). 

Vor der abgekuͤrzten Gefechte Meyeraye ‚ (Chefin 
Wahrheitäfiebe Anſtoß gab) fleht folgende Zueignung): Ala . 
posteritd, pour la gloire perpetuelle da regne triom- 
‚pbant de. Louis le grand, roi tres chretien,. tou- 


1) Iis vous ont accoutumds à recevoir sans cesse des lonan- 
ges outrdes qui vont jusqu’ä Vidolätrie et que vons auriez dA, 
pour votre konneur rejeter Aveo indignation. Fénélon correspon- 
dence II, &. 384, 

2 8. Simon IV, 823, 432. 

9, Wraxal travels in France p. W. 

4) Drieans Anelb. 96. 

5) Larrey I, 877. 

- 6) Mezeray war gegen Gelb nicht gleichgültig und bereit nach 
Colberts Weiſung Manches in feiner Geſchichte audguftreicken, Seine 
Striche genügten indeß nicht und er verlor fein Jahrgeld. Peignot 
documens 124. Den Werth ber brittiichen Einrichtungen anerfennend, 
fagte er einem Engländer: wagen Sie Gut und Blut und Alles was 
fie befiten , ehe daß fie fich den elenden Berhältniffen unterwerfen, in 
denen wis in Frankreich und befinden. Calamy life and times 1, 893. 


102 Secdhstes Bud. Deittes Hauptſtüc. 


jours auguste, qui & commence de vaincre aussitöf 
que de regner, qui par sa cl&mente a rendu la tran- 
quillit& & la France, et par la justiece veut donner la 
paix & toute l’Europe; qui par la terreur de ses ar- 
mes a chasse les infideles de la chretiente, et vaincu 
en tous lieux sur mer et sur terre les ennemis de son 
etat et de sa gloire, qui par sa sagesse a retabli V’or- 
dre dans la police, dans les Finances et dans les 
loix, et qui par sa munificence a mis les sciences et 
les beaux arts dans leur perfection. Fasse le ciel 
que ses conguttes aillent aussi lein que sa renommee, 
‘que le nombre de ses annees é gale celui de ses vic- 
toires, et que le bonheur de son empire soit la feli- 
cit6 de tous les peuples de la terre. — Ganz in die 
ſem Sinne und Schmeicheleien folcher Art ald den Ausbrud 
einfacher, ihm gebührender Wahrheit betrachtenn, nahm ber 
König bei einem Zeftfpiele zum Abzeichen die Sonne, welche 

die Erbe befcheint, mit der Inſchrift: nec pluribus im- 
3 | 


Hiezu ein Gegenſtuüͤck?). Was halten Sie von biefem 
Madrigal? fragte Ludwig XIV die Marfchallinn von Gram⸗ 
mont. Haben fie etwad Alberneres gefehen? — Euer Mas 
jeftät urtheilen göttlich über alle Dinge. — Der Verſaſſer 
if ein Narr. — Man Tann ihm keinen anderen Namen 
geben. — Ich habe das Gedicht gemacht. — — Wenn ein 
europaͤiſches Reich wäre von den Meereswogen ploͤtzlich vers 
fhlungen worben, es hätte nicht fo viel Eindruck auf die 
Hofwelt gemadt, als biefe erflaunenswürbige Geſchichte. 
Gewiß fühlte ſich der König durch jene unerwartete, - oder 
herbeigeführte Wendung verlegt, aber er war zu fehr Her 
feiner felft um es zu zeigen Bisweilen brach indeß bie 
Eigenliebe durch alle Schranken ber Höflichkeit und bed er⸗ 
kuͤnſtelten Anſtandes. Als die Tcheinbar vom Könige fehr 


1) Oeuvres de Louis XIV, I, 290— 300. 
2) Sevigns ], 22. 











Rudwtg XIV. 108 


geliebte Hergepian von Bourgogne vorzeitig michergeluinmen 
war, und bee Herzog von Rochefoucauld fi) theilnehmend 
hierüber äußerte, antwortete jener mit großem Eifer: Gotts 
lob, daß fie vorzeitig niedergelommen iſt, ba es doch fo hat 
geſchehen muͤſſen ). Run werde ich in meinen Reifen und 
bem was ich fonfl zu thun Luft habe, nicht mehr durch die 
Vorftellungen der Ärzte und dad Gerede ber alten Weiber 
gehindert werden. — Diefer "Egoismus. ber niebrigften Art, 
welcher ſich in feinen herkömmlichen Genüffen nicht will ſtoͤ⸗ 
ven laſſen, ward dann auch mit der Lehre von. der Herr⸗ 
ſcherkunſt in vorgeblich tiefſinnige Verbindung gebracht, und 
vom Koͤnige ſeinem Enkel die allgemeine Regel gegeben: er 
ſolle niemals Anhaͤnglichkeit an jemand haben ?). — So — 
Ludwig ſich herausgeruͤckt aus allen Kreiſen menſchlicher Ver⸗ 
bindung und Gemeinſchaft, und nahm Unfehlbarkeit und 
Allgenugſamkeit, mehr wie ein Papſt, in Anſpruch. Er 
wollte daß man gehorche, und bewundere; Liebe erſchien ihm 
wie ein zu gleichartiges, herabwuͤrdigendes Verhaͤltniß, und 
ſeines Großvaters Heinrichs IV entgegengeſetztes Benehmen 
und Beſtreben, als Folge falſcher Herablaſſung und des noch 
nicht hinreichend begruͤndeten Koͤnigthums. 

Daß er in ſich den Mittelpunkt des ganzen Staates, 
das Haupt aller Haͤupter erblickte, waͤre nicht zu tadeln ge⸗ 
weſen, haͤtte er nur die Ratur und die Rechte der uͤbrigen 
Glieder und untergeordneten Haͤupter anerkannt, ſtatt dieſel⸗ 
ben abzuſchwaͤchen ‚ oder zu vernichten. Frankreich, fagt 
deshalb ein Geſchichtſchreiber, war waͤhrend des eilften Jahr⸗ 
hunderts lebendig in allen feinen Landſchaften “), vielleicht 
gerade wegen ber Unfähigkeit und Schwaͤche feiner Könige 
Bogegen in bem Maaße als ihte Macht zunahm, alle 
Spannkraft und Thaͤtigkeit ſich in bie ua zuſam⸗ 


1) 8. Simon VI, 149. n. dd. 
2) N’ayez jamais d’attachement pour personne. Lemontey 


8) Sismondi Histoice de France IV, 481. 





4108 Sechsſstes Bud. Drittes Hauptftäd. 


menbtängte, und die Nation zulegt nur aus dem Hofe bes 
fand. 

Bedenkt man daß Lubwig XIV, troß aller Mängel, 
mehr Kraft bed Geiftes und Charakters befaß, ald bie mei- 
ſten feiner Umgebungen, daß ihm viele Jahre hindurch faft 
Alles gelang und alled Gelungene, ja alles Gewünfchte oder 
Angedeutete ben uͤbertriebenſten Beifall fand ;3 ſo Tann 
man fich kaum wundern, daß er zuletzt in jebem Wider⸗ 
ſpruche, Mangel an Einſicht und boͤſen Wien, in: jedem 
Hinderniffe ein von Rechtswegen zu vertilgenbeß. Übel ſah. 
Dennoch konnte er fi) niemald ganz über ben thörichten 

. Bahn erheben ?): feine perfönlihe Ehre und: fein perfänlis 
ches Intereffe ſey getrennt von dem des Staated, ober gar 


entgegengeſetzt. Er wollte allein frei, ober vielmehr unge 


bunden feyn, und ‚vergaß daß die höchite und ebelfte Frei⸗ 
heit eines Königs in dem Maaße fleigt oder ſinkt, ald bie 
feines Volkes zunimmt oder abnimmt. Der Hof hielt abers 
gläubig den Wiederſchein ded koͤniglichen Glanzes für eiges 
ned Licht, und die Maſſen wußte Lubwig dadurch zu bes 
ftechen, daß er theild mit großer Gewanbtheit, theild unab⸗ 
fihtlich feinen Zuneigungen und Abneigungen ®), feinen Bors 
zuͤgen und Fehlern, feinem Ehrgeize und feiner Eitelfeit eis 
nen franzöfifchen Charakter aufdruͤckte. Kriege, Paläfte, Gaͤr⸗ 
ten, Feſtlichkeiten, Künfte und Wiffenfchaften, Alles biente 
gleichmäßig feinen Sweden und er warb ein wahrhaft fran⸗ 


zzooͤſiſcher König, weil er die preiswuͤrdigen wie bie tadels⸗ 


werthen Eigenſchaften biefes Volkes gleihmäßig wußte in 
Bewegung zu ſetzen. Erſt ſpaͤter als Noth hereinbrach, warb 
dad früher übertrieben Gepriefene, ein Gegenſtand des Ta⸗ 
dels und Graf Mulgrave Eonnte im Jahre 1692 äffentlich im 
engliſchen Parlamente fagen: „ich babe nie einen Franzo⸗ 


1) Bolingbroke letters 162. 
2) La Fare 246. Spanheim III, 189. 
$) Lemontey 380, 


- Beligion. | 105 


fen, felbft Teinen vom hoͤchften Range gefehen‘), der uns 
nicht beneibet hätte, beim Vergleichen unferer Zreiheit, mit 
der Sklaverei, unter welcher fie feufzen. Und biefe meine 
Bemerkung war ganz allgemein und hatte gar Feine. Aus⸗ 
nahme, es mäßten benn diejenigen Minifter feyn, welche 
ſelbſt jene Klagen veranlaffen, und bie Übrigen unter: _ 
druͤcken.“ 


‚Bon den Taͤuſchungen der Ehrſucht, ber Unruhe mans 
nigfacher Leibenfchaften, unb ber fcheinbaren Allgenugfams 
keit eines meiſt frivolen Lebens, bätte nichts fo wahr 
haft und gruͤndlich heilen koͤnnen, als das Chriftenthum. 
Anſtatt aber wahrhaft befreit zu werden, gerieth Ludwig 


waͤhrend ber zweiten Haͤlfte feiner Regierung durch daſſelbe 


me in eine Gefangenſchaft anderer Art. Sein Chriſtenthum 
mußte fich mit den noch fortbeftehenden Leidenfchaften (3.3. 
der Ehrfucht) nicht bloß vertragen, ſondern dazu auch 
wohl ben Worwand hergeben. So trat an. bie Stelle 
ber abfterbenden Borliebe flir die Weiber, erkuͤnſtelte Pruͤ⸗ 
derie, und an bie Stelle Tiederlichen Übermuths, ängftliche 
Heuchelei und wilde Verfolgungsſucht: — denn ſtets ents 
fihieb der König am Hofe und im Lande, über die Art bes 
augenblidtichen Goͤtzendienſtes. Vermoͤge deſſen trug er Re⸗ 
liquien auf dem Leibe und hoͤrte taͤglich Meſſe); aber von 
Demuth, Maͤßigung und aͤchter Wiedergeburt war nicht die 
Rebe. Verdruß Über fein fruͤheres Leben, Hoffnung ſchon 
hienieben Alles abzubuͤßen, fowie Furcht vor dem Tode unb 
den göttlichen Strafen”), machten ihn zum Knecht von 
Beichtvaͤtern und Eiferern; und wenn er fonft feinem eige⸗ 
nen Verſtande Alles zutraute, fo unterwarf er ihn nunmehr 
ganz dem ihrigen, ober flimmte fich allmdlig fo um baß 

1) Parliam. History V, 751. ä 

2) Maintenon lettres VI, 166. Der König trat nie am frei 
tage eine Reife an. 8. Simon, nouv. edit. vl, 223. 

8) 1} haissait tout ce qui était ne 8. Simon IV, 14. 
Spanheip IH, 1915 V, 35. 





108 Sechstes Bud. Drittes Hauptftüd. 


menbrängte, und bie Nation zuletzt nur aus dem Hofe bes 
fand. : 
Bedenkt man daß Ludwig XIV, troß aller Mängel, 

mehr Kraft bed Geiftes und Charakterd befaß, ald bie mei- 
fen feiner Umgebungen, daß ihm viele Jahre hindurch faft 
Alles gelang und alled Gelungene, ja alles Gewünfchte ober 
Angedeutere ben dibertriebenften Beifall fand 9;3 fo Tann 
- man fih kaum wundern, daß er zuleht in jebem Wider⸗ 
ſpruche, Mangel an Einſicht und boͤſen Biken, in jedem 
Hinderniffe ein von Rechtswegen zu vertilgenbes Übel ſah. 
Dennoch konnte er fi) niemald ganz über den thörichten 
. Bahn erheben ?): feine perfönliche Ehre und. fein perfönlis 
ches Intereffe fey getrennt von dem bed Staates, ober gar 


entgegengeſetzt. Er wollte allein frei, oder vielmehr unge⸗ 


bunden feyn, und vergaß daß die höchfle und ebelfte Frei: 
heit eined Königs in dem Maaße fleigt ober ſinkt, als bie 
feined Volkes zunimmt ober abnimmt. Der Hof hielt abers 
glaͤubig den Wieberfchein des koͤniglichen Glanzes für eiges 
med Echt, und die Maffen wußte Ludwig dadurch zu bes 
flechen, daß er theild mit großer Gewandtheit, theild unab⸗ 
fichtltch feinen Zuneigungen und Abneigungen ®), feinen Vor⸗ 
zügen und Fehlern, feinem Ehrgeize und feiner: Eitelfeit eis 
nen franzöfifchen Charakter aufdruͤckte. Kriege, Paldfte, Gaͤr⸗ 
ten, Seftlichfeiten, Kuͤnſte und Wiffenfchaften, Alles biente 
gleichmäßig feinen Zwecken und er ward ein wahrhaft frans 
zoͤſiſcher König, weil er die preiswuͤrdigen wie bie tadels⸗ 
werthen Eigenſchaften dieſes Volkes gleichmaͤßig wußte in 
Bewegung zu ſetzen. Erſt ſpaͤter als Noth hereinbrach, ward 
das fruͤher uͤbertrieben Geprieſene, ein Gegenſtand des Ta⸗ 
dels und Graf Mulgrave konnte im Jahre 1692 öffentlich im 
engliſchen Parlamente ſagen: „ich habe nie einen Franzo⸗ 


1) Bolingbroke letters 162. 
2) La Fare 246. Spanheim II], 189. 
8) Lemontey 380. \ 


— ES _— FE — a 


- Beligion. | 105 


fen, felbft Teinen vom höchften Range geſehen), der uns 
nicht beneibet hätte, beim Vergleichen unſerer Zreiheit, mit 
der Sklaverei, unter welcher fie feufzen. Und biefe- meine 
Bemerkung war ganz allgemein und hatte gar Feine. Aus⸗ 
nahme, ed mäßten denn diejenigen Miniſter ſeyn, welche 
ſelbſt jene Klagen veranlaffen, und bie Übrigen unters _ 
drüden.” 

Bon ben Taͤuſchungen der Ehrfucht, der Unruhe mans 
nigfacher Leibenfchaften, unb ber fcheinbaren Allgenugfams 
keit eines meiſt frivolen Lebens, hätte nichts fo wahr: 
baft und gruͤndlich heilen koͤnnen, als das Chriftenthum. 
Anfistt aber wahrhaft befreit zu werben, gerieth Lubioig 


‚während ber zweiten Hälfte feiner Megierung durch bäffelbe 


me in eine-Gefangenfchaft anderer Art. Sein Chriftenthum 
mußte fich mit ben noch fortbeftehenden Leidenfchaften (3.3. 
der Ehrfucht) nicht bloß versagen, fonden dazu auch 
wohl der VBorwand hergeben. So trat an: die Stelle 
der abfierbenden Borliebe für die Weiber, erfünftelte Pruͤ⸗ 
derie, und an die Stelle liederlichen UÜbermuths, ängftliche 
Harchelei und wilde Verfolgungsſucht: — denn flet3 ents 
ſchied der König am Hofe und im Lande, über bie Art bes 
augenblicklichen Goͤtzendienſtes. Vermoͤge deſſen trug er Mes 
liquien auf dem Leibe und hörte taͤglich Meſſe); aber von 
Demuth, Mäßtgung und Achter Wiedergeburt war nicht bie 
Rede. Verdruß über fein früheres Leben, Hoffnung ſchon 
bienieben Alles abzubüßen, ſowie Furcht vor dem Tode und 
den göttlichen Strafen”), machten ihn zum - Knecht von 
Beichtvaͤtern und Eiferern; und wenn er fonft feinem eige- 
nen Verſtande Alles zutraute, fo untermarf er ihn nunmehr 
ganz dem ihrigen, oder flimmte fi) allmälig fo um daß 


1) Parliam. History V, 751. 

2) Maintenon letires VI, 166. Der König trat, ag am Frei⸗ 
tage eine Reife an. 8. Simon, nouv. edit. v1, 223. 

8) N haissait tout ce qui etait a 8. Simon N 14. 
Spanheip III, 19135 V, 35. 





) 


106 Sechstes Buch. Deittes Hauptflüd. 


er faſt Allen in thörichtem Eifer zuvoreilte. Zuletzt ging 
aber die ganze Richtung nur gewaltfam nach anßen, und es 
war dem Könige fehr ungelegen, ald dee Herzog von Bour⸗ 
gogne fie ernſter und innerlicher ergriff"). Ludwig (fagt det 
Herzog von ©. Simon) wußte nichts von ber. Religion, 
und fchmeichelte fi fein ganzes Leben hindurch, er koͤnne 
auf dem Rüden Anderer Buße thun. — Noch weit weni: 
ger ernft als er, nahmen es indeß bie ſcheinheiligen Hofleute. 
Regelmäßig gingen fie (befonders bie Damen) zur Fruͤh⸗ 
meſſe und festen, um recht gefehen zu werben, ein brennen⸗ 
des Licht vor fih hin”). — Eines Morgend aun⸗ ſagte ih⸗ 
nen Briffac: der König werbe nicht konmmen, und fogleich 
biiefen alle ihre Lichter auß.und liefen nach Hauſe; fo bag 
Ludwig, ald er ankam, zu feinem Erſtaunen Alles dunkel 
und die Kirche leer fand. 

Sobald der König, bemerkt ein Schriftſteller, der Liebe 
zu entſagen ſchien, hielt ſich jeber für verbunden ſeinem 
Beiſpiele zu folgen”); vor Allen ſtellten die Damen ſich 
ſproͤde an, obgleich Temperament und Reigung fie auf ber 
alten Bahn vorwaͤrts trieben. 

Zu dieſem Übergange aus ſinnlichem Übermuthe zu 
ſcheinheiliger Froͤmmelei, hat niemand mehr beigetragen als 
Franziska d’Aubigne, nachmalige Marquiſinn von 
Maintenon. Ihr Vater war aus guter Familie, ihre 
Mutter die Tochter des Gefangenwaͤrters in Niort, welche 
jenen aus dem Gefaͤngniſſe befreite und ihn heirathete. 
Franziska, geboren den 27fien November 1635 verlor ihre 
tern im zwölften Jahre, litt Noth manderlei Art und * 
heiratete, um biefe zu beendigen und ber ſtrengen Aufficht 
einer Verwandten zu entgehen, im Jahre 1651 den Hugen, 


1) 8. Simon n. &d. X, 200; VO, 417. 

2) 8. Simon VI, 139. 1’Hypocrisis commence dont & devenir 
à la mode, et on ne vit jamais tant de Tartuffes. Les courtisans 
s’en mel&rent encore plus que les autres. Annales de la conr 187. 

3) Bussi Histoire amoureuse III, 386, 


Maintenon. | 107 


aber ſehr haͤßüchen und gichtbruͤchigen Scarron. Sie warb 
in dieſem neuen Verhaͤltniſſe ihrer Schönheit und Annchm⸗ 
lichkeit halber von Vielen gefucht, von Manchem ihres Bars 
dels halber angeklagt, von Andern hingegen vertheibigt % Ein 
hierauf bezügliches Gedicht lautet: . 

Vois, sur quoi fon erreur se fonde, 

Scarron, de cröire que le monde 
Te va voir pour: ton entretien. 
. Quoi? Ne vois tu pas grosse bete 
Si tu grattais un peü la tete 
Que tu le devinerais bien, a 
As Scarron im Jahre 1660 farb und fein Jahrge⸗ 
. halt eingezogen warb, gerieth feine Wittwe in neue Roth, 
bis ihr bie Monteſpan eine Penſion von 2000 Livres vers 
ſchaffte), ia fie im Jahre 1669 zur Erziehung ihrer Kinder 
anftellen ließ. Anfangs. vertrugen fich beide Frauen ſehr 
gut, und die Montefpan erholte ſich von ber etwas genir⸗ 
ten und trodenen Unterhaltung bed Königes, ‚mit der gewand⸗ 
ten, einfchmeichelnden Scarronꝰ). Bald darauf zog fie dieſe 
mit zu jener fleifen Gefellfchaft, oder (wie die Herzoginn 
von Orleans ſich ausdruͤckt): „vie Montefpan hatte Lange 
weile mit dem Könige allein zu feyn, alfo dachte fie ihn 
mit der Zott*) zu amüficen.” — Das gelang benn auch ‚nur 
zu gut, und ber König Hagte es ber Scarron, wenn bie 
Diontefpan ſich krittlich, herriſch, ober eiferfüchtig. zeigte 
Sa feine Achtung ward noch größer ald er entbedte daß bie 
Scarron mehre Briefe Namend der Montefpan geſchrieben 
hatte, welche ſehr ſeinen Beifall gewonnen. . 
Lange freute fich die Montefpan in ihrer flolzen Unbes 


1) Beaumelle M&moires de la Maintenon I, 99,.152, 161. 
Bussi IV, 8. 


2) Maintenon lettres I, 89, 44. 
8) Beaumel!e II, 13. 


4) &o wird (130) die Maintenon immer von ber Herzoginn ger - 
nannt. 





108 Sechstes Bug. Drittes Hauptflüd. 


fangenheit der freundlichen Dienfte, der günfligen Wermitte: 
lung, des milden Troſtes ihrer Freundinn; denn daß biefe 
(ſeechs Jahre Alter und weniger fchön als fie, und drei Jahre 
älter als ‘der König) ihre irgendwo felbft in den Weg treten 
koͤnne, war ihr nie eingefallen. Auch fah die fchlaue Wittwe 
fehr wohl, daß fie andere Wege einfchlagen müffe um zu 
ihrem Ziele zu gelangen. Statt ber Kraft des Charakters 
und Willens, welche die Montefpan befaß und zum Vers 
druffe des, an willenlofe Unterwerfung gewöhnten Königes 
herriſch geltend machte, zeigte die Scarron nur Milde, Nach⸗ 
giebigkeit und Demuth. Klagte die Monteſpan, ſo erging 
jene ſich in Erörterungen über dad Unangenehme ihres Ber: 
Haitniſſes i); klagte der König; ſo wies fie ſcheinheilig auf bie 
Unſittlichkeit beffelben hin, und ſuchte zu bewirken daß bie 
Geiſtlichen beiden um deswillen die Losfprechung verfagten ?). 
Gleichzeitig klagte die Scarron felbft über ihre Lage, huͤtete 
fi aber fehr fie aufzugeben. Die Sorge, fo ſprach fie, fin 
das Seelenheil des Königed, und dad Wohl feiner Kinder, 
balte fie gar zu feſt). — Als die Montefpan, nach heftigen 
Vorwuͤrſen über den Ehrgeiz und die Undankbarkeit ihrer 
Nebenbuhlerinn *), fich enblich überzeugte daß fie dieſelbe auf 
Feine Weiſe mehr verdrängen koͤnne, vieth fie ihr auch Mai⸗ 


: treffe des Königs zu werben; benn er brauche berem brei: . | 


eine de nom (die Montefpan), eine de coeur (die Scat- 
von) und eine dritte de fait. Die Scarron fah aber fehr 
wohl ein daß fie, uͤber vierzig Jahre alt, ben König kei⸗ 

1) Als ber Pater la Chaiſe dem Könige über fein Berhältnis 
zur Fontanges weniger Vorwürfe machte, als über bas zur Monteſpan, 
fagte diefe: er'fei une chaise de commodite. La Fare 237. 

2) Beaymelle II, 162; III, 89, 99. Maintenon lettz. I, 9; 
II, 9, 25, 95, 51, 95, 97, 109, 109, 116, 128. 

8) Beaumelle II, 188, 190; VI, 206. 

4) La Maintenon est d’un orgueuil qui la rend revoltee con- 
tre les ordres de la Montespan, elle n’aime pas à obeir; elle veut 
bien 6tre au pere et non pas & la mere. Sevigne III, 319, zum 
‚Auguft 1675. Beaumelle 11,171. - 


- Maintenon. 108 


neswegs Mehr finnlich feſſeln könne; vielmehr hoffte fie durch 
Keufchheit das für immer zu erlangen, was Andere durch 
Unteufchheit nur vorübergehend erreicht hatten. Die, indem 
alternden Könige aufkeimende Srömmelei war ber Punkt 
wohin fie geſchickt ihre Angeln auswarf und ihn allmaͤlig 
immer mehr zu fich hinzog. So unangenehm ed ihm auch 
feyn mußte, ald die Montefpan der Wahrheit gemäß fagte: 
feine neue geiſtliche Freundinn gehe nur darauf aus ihn zu 
beherrſchen, konnte er ſich doch nicht mehr von ihr losreißen. 
Endlich verließ die Montefpan den Hof, erhielt jährlich 
12,000 2ouisb’or ') ımb legte fi nun aus Werbruß, jedoch 
ernfllicher ald die Scarron, auch auf die Krömmigkeit 9. 

Niemand ſtand jetzt der, zur Marquiſinn von Maintes 
on erhobenen Scarron mehr im Wege; ja ald die Könis 
ginn im Jahre 1683 flarb, brang fie in den König: er folle 
durch den Schein eines unheiligen DBerhältniffes ihren Ruf 
nicht befleden und ihr Gewiſſen nicht beunruhigen. Als 
Louvoid (deffen ſtolzer Charakter fich beffer mit der kuͤhnen 
Montefpan ald mit der fchleichenben Maintenon vertrug)”) 
von biefem Plane hörte, warf er fich Ludwig zu Füßen und 
rief: „wie Sire, Sie, der größte König auf Erben will die 
Wittwe Scarron heirathen‘)? Nehmen Sie mir meine Gu⸗ 
ter, meine Freiheit, mein Leben, dennoch werde ich fagen 
Daß Sie ſich entehren.” — Diesmal fühlte der Minifter koͤ⸗ 
nigüucher ald ber Krig, « aber es war zu ſpaͤt. Zu Ende 

bes Jahres 1684 heirathete Ludwig die funfzigiährige Main⸗ 

tenon, erlaubte ihr indeß nicht ihrem Wunfche gemäß biefe 
Verbindung Öffentlich bekannt zu machen‘). Nie gewann 
- 4) 8. Bimon V, 247. Sie ſtarb 1707. Dangean III, 16. Main» 
tenon et Ursinus lettres I, 140, 

2) Sie fuchte geiſtliche Hütfe bei ber Valierel Dangean II, 40. 

3) Dafür hate ihn die Mafntenon. 8. Hilaire II, 29, 


4) Choisy II, 160. La Fare 239. Rulbiere 6claircissem, I, 
234. Beaumella IU, 60, 66. 8. Simon III, 73. 


5) Die alte Bott bat herzlich gewünfckt, daß bie verfluchte Hels 


410 Sechstes Bud. Drittes Hauptſtück. 


ſie die Liebe des Volles, ia fie mußte oft Drohworte anhoͤ⸗ 
“gen, wenn fie in Paris hineinfuhr). Die bamals herr⸗ 
ſchende Anficht druͤcken folgende Spottverfe aus: 

Le Roi se retire & Marly 

Et d’amant il devient mari, ⸗ 

XEt fait ce qu'on doit à son age, 

C'est du vieux soldat le destin 

En se retirant au village 

D’epouser la vieille putain ꝰ). 

Man hat die Maintenon als uneigennuͤtzig geruͤhmt, 
«ber mit Unrecht: ihre Werfchwendung an dem frömmelns 
den Hofe trug nur einen anberen Charakter ald bie der 
Monteſpan. So Foflete bie Erzlehungsanſtalt der Mainte: 
non für 200, oder gar für 330 Fräulein in ©. Eyr, un⸗ 
geheure Summen”). Will man biefe Anftalt aber für nügs 
lich erklaͤren, ober nicht tadeln daß die Maintenon au 
koſtſpielige Feſte, Kotterien und geiflveichere Schaufpiele ans _ 
orbnete; fiel fie doch den koͤniglichen Kaffen noch auf andere 
Urt ſehr zum Laſt). So war Aubigne, ihe Bruber, ein 
acrger Werfchwender, den fie um fo mehr zu beruhigen fuchte, 
weil er fonft in feiner Iufligen Laune bie wunderlichſten Ge 
ſchichten von ihe und feinem Schwager, dem Könige ums 


vath deklarirt würde, aber der König hat es nicht Leihen wollen. Or⸗ 
leens 122. 


1) Orleans 95. 


2) Sautreau nduveau siöcle de Louis XIV, II, 245. Manrepas 
Memoir. I, 22. 


8) Spanheim III, 186. Maintenon letttes_ I, 2845 II, 107. 
Bon 380 Fraͤulein ſpricht fie IL, 183. 


4) Die vornehmften Männer drängten fi) darnach einem Schaufpiele 
ia &. Cyr beizuwohnen, bie italienifchen Schaufpielee wurben ‚aber 
1697 fortgewiefen nicht ſowohl ber Anſtoͤßigkeit ihrer Stüde halber, 
als welt fie la fausse prude gegeben hatten, worin man bie Maintes 
"non zu erfiennen glaubte. 8. Simon, n. dd. I, 486. Dangeau I, 2215 
II, 69. 1712 fah der Köntg bei ber Maintenon den bourgeois gentil- 
komme auffühsen, m, 251. 


Maintenon. 211 


berbeachte ). Als ihre Nichte den Herrn von Ayen helra⸗ 
thete, ſchenkte ihr die Maintenon ein Gut 100,000 Thaler 
an Werth, ſicherte ihr außerdem 200,000 Thaler zu?), der König 
gab 800,000 Livres und zwei Eitatthalterfchaften welche 
jährlich. 68,000 Livres einbrachten. Gin anbermal fchenkte 
fie (ober vielmehr der König) einer Kammerfrau 20,000 Lis 
vres, und ein junge Mäbchen bad fie erzog, erhielt im 
Jahre 1706, zur Zeit der größten Noth des Staates, 
10,000 Thale. Nanon Babbien, eine alte Dienerinn ber 
Maintenon, wußte fi folden Einſtuß zu veufchaffen, daß 
‚fie Inter und Gnadenbezeigungen verkaufte”), und ihr 
Kammerdiener Leger mußte zur Beit bee Begentfchaft 
30,000 Liored berauögeben, welche ex genommen hatte um 
den Marquis Coetmadra aus dem Gefaͤngniſſe zu befreien 
Diefe und aͤhnliche Dinge bitten nie Statt: finden 
koͤnnen, wäre bie Maintenon nicht, trotz des Scheines 
von Beihelbenheit, Demuth und Abneigung vor ben Ges 
ſchaͤften, hoͤchſt ehrgeizig gewefen *), wodurch fie als 
mdlig Einflnß auf Alles uns Jedes gewann. Wenn bie 
Miniſter in ihrer Gegenwart Vortrag hielten, und-bie Main 
senon Fein Wort fagte bevor fie gefragt wurde, freute ſich 


Pudteig diefer weiblichen Vefiheibenheit: ber Selb ſtherrſcher 


ahndete nicht daß feine hoͤchſten Reichsbeamten bereits bie 
Entfheibung feiner Kebsfrau heimlich eingeholt Katten *), 
und dieſe Entſcheidung auch wohl durch die Meinung ihrer 
Kanmerfrau der Nanon Babbien berbeigefähtt war. In 
dieſer Bezichung ſagt die Herzoginn von Orleans: „Werfland 


1) Als die Maintenon einſt klagte und ſich den Tod wuͤnſchte, 
fragte er: haſt bu ein Eheverſprechen von unſerem Herr Gott? 

2) Angenommen bie erſten 100,000 Thaler, ſtecken vielleicht In den 
legten 200,000, bleibt bie Verſchwendung bach ungeheuer. Dangeau 
II, 87, 108, 404, 405. 

8) 8. Simon n, &d. I, 388. Lemontey Histoire de la rögence 
L, 584 Lemontey Louis XIV, 424. 

4) 8. Simon n. &d. IV, 62, 

5) Ducios Mim, I, 186. Maintsson et Ussinus lettres I, 12. 


112 Sechstes Buch. Drittes Hauptfläd. 


fehlt der alten Zott gar nicht, fie redet gar wohl wenn’ fie 
will’). Sie war das Geſetz und bie Propheten; was fie 
approbirte war gut, wad fie condemnirte war fchlimm fo 
gut ed auch fenn- möchte.” — Doch fügt der Herzög von 
©. Simon hinzu: mit Recht hält man die Maintenon für 
allmächtig; aber zu glauben‘ daß fie ed ohne Kimfte und 
Ummege fey, heißt ben König und den Hof nicht kennen?). 
Bei dem Allen follte man voraudfegen baß eine Frau, . 

die auf eine faft.beifpiellofe Weiſe aus ben niebrigften und 
befchränkteften Verhaͤltniſſen zur Beherrfcherinn Frankreichs 
erhoben war, in der Kraft ihres Geiſtes und Charakters, 
ober in. ihrer Außeren glänzenden Lage bie hoͤchſte Zufrieden⸗ 
heit und Beruhigung finden wuͤrde. Daß dem. nicht fo 
: war, unb bem argliflig herbeigeführten Siege fiber die Mons 
. tefpan die Nemeſis folgte, erweifen mehre Stellen aus ih: 
‚ven Briefen. Am Hofe (fagt fie z. B.) fieht man Nichts, 
als Eigennuuk, Reid, Feigheit und Nieberträchtigkeit ®). „Über 
bie Fehler Anderer iſt der König unverföhnlich; zur Mechts 
fertigung ber feinigen ſucht er dagegen gar zu gern Vor⸗ 
wände und Gründe Wenn ich auf mein Leben bis zum 
Anfange meines Gluͤcks im 3ten Jahre zuruͤckblicke, fo 
war Fein Augenblid ohne Leiden (peines), und biefe neh⸗ 
pen immer mehr zu. Könnte ih Shnen doch meine Ers 
fahrungen fchenken, und Ihnen bie Langeweile *) zeigen welche 
alle Großen verzehrt, und die Neth welche fie haben ihre 
Zeit auszufüllen, Sehen Sie denn nicht daß ich vor Trau⸗ 
rigkeit in einem Glüde flecbe, welches man kaum begreifen 
Tann? Ich war einft jung und huͤbſch, ich habe Vergnuͤ⸗ 
gungen genoffen, ich ward überall gelicht, ich brachte Jahre 


1) Orleans Anetd. 100, 121. 
2) 8. Simon n. &d. VI, 965 VIII, 86. 


$) Maintenon et Ursinus lettres I, 259. Maintenon lettres IV, 
239. Bausset Fenelon I, 261. 


4) Sie Hatte viel Langeweile und Chagrin. Orleans 135, 


Maintenon. 113 


in geifligem Umgange zu, ich flieg zum hoͤchſten Sluͤcke em⸗ 
per, und ich verfichere Sie daß alle Zuflände des Lebens 
eine entfegliche Leere zurtciafien! - 

Diefe merfwürdigen Selbftbefenntniffe, weiche das in; 
nerfte Leben ber Maintenon (und mittelbar auch bed Königs) 
enthüllen, erwecken daB tieffte Mitleid uͤber bie fo beneibete 
unb boch fo elende Frau; anbererfeit beftätigen fie aber auch 
das ſtrengere Urtheil, welches wir mit Berudfichtigung ihrer 
gefammten Einwirkung uͤber fie ausſprechen müflen. Es 
fehlte ihr an aller wahren Größe und Ziefe des Geiſtes und 
Charakters. Eitel und ehrgeizig genug ben König beherr⸗ 
fen und erleuchten zu wollen, betrachtete fie (wie &. Si⸗ 
mon fagt ")): Die Welt doch nur durch die Öffnung einer Bou⸗ 
teile, und warb von denen gegängelt die ihr Vertrauen ges 
wonnen hatten. Nie erhob fi ihre Gewandtheit zu Achter 
Weisheit, und nie hatte fie den Muth, Wahrheit und Uns 
fhuld zu vertheidigen, wenn fie irgend befürchten konnte 
daß ihr Widerſpruch bem Könige mißfalle. Immerdar bot 
fie Dagegen Angfllidh oder (wie bei Verfolgung der Hugenot⸗ 
ten) verbrecherifch die Hand zu Allem was feinen Neiguns 
gen und Leidenfchaften fchmeichelte. Ihre Liebebienerei und 
Feigheit, ihre erkuͤnſtelte Keuſchheit und falfche Frömmigkeit 
that mehr Schaden, ald bie Ungebulb, Kühnbeit und Ges 
nußliebe der Montefpan. Sie hatte ihren Einfluß erfauft, 
fogt Marmontel?), fir den Preis gar vieler Sorge, Schererei, 
Langerweile und Verdrießlichkeiten; ober derſelbe gründete 
fih vielmehr auf die Ausdauer, mit welcher fie fidh immer 
verftellte, in Alles fchite und Alles erduldete. — As 
Manche von ihe Beifland für große, dringend nothwendige 
VWerbeſſerungen erwarteten, fchrieb der mildeſte ihrer Zeitge- 
nofien, Benelon ”), mit Recht: „ich glaube nicht daß fie das 
Werkzeug Gottes ift, etwas Großes bervorzubringen. 


1) S. Simon n. &d. XI, 3. Orsanne Journal sur la Sale uni- 
genitus I, 133. 
2) Marmontel r&gence, oeuvres posthumes I, 7.. 
8) Bausset Fenelon 807. Fenslon corresp. I, p. 554. 
. ä 8 5 


114 GSchstes Bub. Drittes Hauptfiäd. 


Nur zu ehr, fürdhte ich, wird fie nach Weiberart befchäftigt 
feyn mit Eiferfüchteleien, Rüdfichten, Argwohn, Abneigun⸗ 
gen, Verdrießlichkeiten "und Feinheiten. - Eingehen wird fie 
nun auf ſchwache, oberflaͤchliche, fehmeichlerifche Worfchläge um 
ben König einzufchläfen und das Volk zu blenden; weldhe 
kleinlichen Mittel jedoch zu den großen Bebürfniffen bed Staa. 
tes in gar keinem richtigen Verhältniffe fliehen.” 

Betrachten wir den Hof und das Hofleben während der 
fpdteren Regierungszeit Ludwigs XIV, fo erfcheint ed in vie⸗ 
len Dingen ald ein Gegenflüd zu dem Srüheren; doch bleibt 
die Ahnlichkeit daß der genußfüchtigen, wie der frömmelnden 
Hälfte, immerbar Achte Haltung und Verklärung mangelte. 
Für die zahllofen Kleinigkeiten, welche ſich in den beſchraͤnk⸗ 
ten Kreifen ber Hofleute geltend machten, hatten fie ihr eige⸗ 
ned Maaß: was brüber hinaus lag und bie Welt bewegte, 
war den Meiften gleichgültig, ober biieb ihnen ganz verbors 
gen; und wenn Lubwig XIV hier oder dort auch fchärfer fah 
und beibes nicht vermifchte oder gleichfehte, To war er und 
fein Hof doch niemals in dem Maafe der wahre Mittels und 
aͤchte Glanzpunkt der ganzen Zeit, wie jene fich einbilbeten 
und die eitele Welt -oft glaubte. Erſt durch die Kraft der 
Sefebgebung, Verwaltung und Kriegführung, ſowie durch bie 
Entwidelung der Kunft und Wiſſenſchaft, erwaͤchſt und ſtellt 
fi in Frankreich ein Ganzes bar, zu welchem ber Hof nur 
als ein Mitwirlendes und Mitbeflinnmendes, nur als Gtied 
einer mannigfaltigeren Reihe gehört. Herausgeriſſen aus bie= 
fem Zuſammenhange und in kleineren Staaten nachgeahmt, 
ward dagegen ein Hofleben à la Louis XIV ganz aberwitzig 
und verdammlich: denn es trieb Goͤtzendienſt mit dem Be⸗ 
deutungsloſen, ja Sundhaften und entbehrte aller ber Stuͤtzen, 
welche einſtweilen in Frankreich die anbruͤchige Spitze des 
kunſtlichen Baues in ſchwindelnder Höhe aufrecht erhielten. 


Biertes Hauptflüd. 


Frankteichs Verfafſung, Verwaltung, Kriegsweſen und 
Finanzen. 


Durch Richelieus maͤchtigen Arm war, zum Beſten des 
Volkes, die Übermacht der Prinzen, Praͤlaten und Barone 
gebrochen worben, und Mazarin hatte den Verſuch berfelben, 
ihre früheren Anfprüche nochmals durch Empoͤrung zu bes 
gründen, bergeftalt vereitelt, daß die Fönigliche Gewalt fi 
überall ſchrankenlos und ohne Widerfpruch geltend machen 
tonnte. Ein König fo geflellt wie Ludwig XIV hätte nun 
wohl zuruͤckblicken, überlegen und befchließen follen, was von 
dem Fruͤheren wahrhaft veraltet, ober gar verbammlich fey 
und was, von Mißbräuchen gereinigt, eine Wiederbelebung 
verdiene. Dem Könige erſchien abes des Ichte, neugewon= 
nene Zuſtand, ald der einzig gefegliche, ober legitime; er be: 
zog fich niemald auf die Wergangenheit ald auf etwas Wuͤr⸗ 
diges, ald auf eine Autorität, fonbern begann bie Weltge⸗ 
ſchichte mit fich ſelbſt. Im Angebenfen an die Fronde und 
bie gleichzeitige englifhe Revolution hielt es jeve Mitwirkung 
bed Volkes bei der Geſetzgebung, jebed Recht ber Gelbbes 
willigung fr ein Unrecht und ein Ungluͤck; unbefchränkte 
Macht aber fr die nothwendige Bedingung, alles heilfamen 
Regierend. Insbeſondere fey diefe Regterungsform noths 
wendig und angemefien dem Genie, bem Charakter"), dem 
Sefhmade und den gefammten Werhältniffen ber Franzo⸗ 


1) Lemontey, sur l’&tablissement dela Monarchie de Louis XIV, 
837, 375. 


8* 











116 Sechstes Buch. Viertes Hauptfläd. 


ſen. Allerdings giebt es zwiſchen bloßem Zwange von oben, 
oder von unten, eine richtige Mitte; doch beſtaͤtigt die Ge⸗ 
ſchichte dieſes beweglichen Volkes, daß es dieſelbe nur ſelten 
finden konnte, ſondern Tyrannei und Anarchie nur zu oft 
abwechſelten. Gewiß gelang ed Ludwig XIV jenen Aus: 
ſpruch durch eine funfzigjährige Regierung feheinbar zu be⸗ 


„weifen, und zum Theil beöhalb für den größten König zu gelten, 


weil er aller eigentlichen Verfaffung, allem förmlichen Staats: 
rechte ein Ende gemacht hatte. Doch hielt ihn feine Lehre 
von der Nothwendigkeit und Heilſamkeit einer ſchrankenloſen, 
koͤniglichen Macht keineswegs ab, Empoͤrungen in Irland, 
Ungern, Siebenbuͤrgen, Sicitien und Katalonien zu be= 
günftigen. 

Seitdem G eiſtlichkeit und Adel ihre Bedeutung als 
unabhaͤngige Staͤnde verloren hatten, ſuchten und fanden ſie 
immer mehr den Mittelpunkt ihrer veraͤnderten Lebenskreiſe 
am Hofe. Gern ſah es der Koͤnig wenn Edelleute, um 
den Glanz deſſelben zu erhoͤhen, eitel und leichtſinnig ihr 
Vermoͤgen durchbrachten, und hiedurch doppelt abhaͤngig von 
feiner Gnade wurden‘). Hohe bürgerliche Amter vertraute er 
fehr felten ihren Händen; befto mehr wurden fie zum Kriegs: 
dienfte bingewiefen, deſſen unbebingter Gehorfam ald Vor⸗ 
bild und Voruͤbung für das ganze Leben gelten ſollte. 

Nachdem die Formen ber Berfaffun g abgefchafft waren, 


R mußte die Verwaltung mit doppelter Wichtigkeit hervor: 


treten und hätte jene (mie in manchen Ländern) *) bis auf 
einen gewiffen Punkt erfegen Tönnen, wenn ihr ein flarfer 
vepublifanifcher Beſtandtheil beigefellt gewefen wäre. Statt 


1) Sie fielen. wenn der König nicht Half, Wucherern in bie Hänbe, 
ober vechneten es fich felbft zur Ehre ihre Släubiger nicht zu befriebis 
gen. Lemontey 440. 8. Simon I, 100—110. Die SHofabeliden 


“ find plus resserr&s dans la d&pense, moins élévés dans les manie- 


res et d’ailleurs dans une dependance soumise et aveugle pour les 
volontes de la cour. Spanheim V, 87. Oeurres de Louis XIV, 
I, 48. 


2) So 4. 8. im Preußifchen. 


\ 


Verwaltung. Ämterverkauf. 117 


beffen fand ber monarchifche Abſolutismus Ludwigs XIV auch 
in ben nieberen Kreifen ein Gegenbild, unb es entfland eine 
Bureaukratie, Bielregiererei und Gentralifation ") welche zum 
Abfterben alles Iandfchaftlichen und örtlichen Lebens wefent- 
li) beitrug; ein Verluſt der durch die erhöhte Schnelligkeit 
und Ordnung?) in den Gefchäften, bis auf den heutigen Tag 
nicht erfegt werben Tonnte Alles hing ab-von ben Mi- 
niftern und den Intendanten. In die Hände der letzteren 
vereinten ſich faft alle innerhalb einer Landfchaft irgend vor- 
kommenden Geſchaͤfte; und doch mußten dieſe Maͤnner un⸗ 
geachtet ſolch einer Ausdehnung ihrer Macht nach unten, in 
voͤllige Abhaͤngigkeit von den Miniſtern gerathen. 

Ludwig wechſelte ungern mit den hoͤchſten Staatsbeam⸗ 
ten, nicht ſowohl weil erAnhänglichkeit für diefelben fühlte), 
oder-an ihre Unentbehrlichkeit glaubte, fondern weil ihm 
in jeber Veränderung ein Xabel feines früheren Beſchluſſes 
zu liegen ſchien. Aber auch bei ber vorfichtigften Ausmahl 
der tüchtigften Minifter litt die gefammte franzöfifche Ver⸗ 
waltung an einem furchtbaren Übel, welches während ber 
Regierung Ludwigs XIV auf faft unglaubliche Weiſe zunahm, 
naͤmlich an dem Verkaufe der Ämter‘). Schon im Jahre 
1664 ſollen in Frankreich 45,780 Ämter vorhanden gewe⸗ 
fen feyn, deren Kaufwertb auf 417,630,000 Livres abge⸗ 
ſchaͤtzt wurde; und in ben Jahren von 1691 bi8 1709 
wurden noch uͤber 40,000 Amter erfchaffen, ausgeboten und 


1) Mit Hecht klagt die Encyclop6die möthodique (Police, agrieul- 
ture) äber bie Duͤrftigkeit aller bie Werwaltung betreffenden Rachrichs 
ten, während über Krieg und Hof bie unbebeutenbften Kleinigkeiten er: 
zaͤhlt werben. 

2) Isambert collection de lois XVI, 442, Föndon oorresp. 
II, 334. 

. 9) Jamais Louis avait parl& autant avec son medecin d’Aquin 
et n’avait paru le mieux traiter que la veille de sa disgrace. 8, 
Simon I, 122. 

4) Encyclopedie möthodique, Finanoes, Artikel offices. Giche 

über den Amterverkauf und bie Paulette Band IV, ©. 19. 


118 Sechsſstes Bud. Biertes Hauptfiäd. | 


verkauft. Der weientliche, ja faft ganz ausſchließliche Grund 
biefee wahnfinnigen Maaßregel, wre bie Gelbverlegenheit. 
Anſtatt diefelbe durch allgemeine Steuern, ober burch Anlei⸗ 
hen von alkn Gelbinhabern zu befeitigen, Fam man auf den 
Gedanken Anleihen durch Verkauf von Stellen zu machen. 
Jeder einzelne Käufer warb alfo ein Gläubiger, welcher: 
überreichliche Verzinfung feines Kapitald entweber unmittels 
bar aus Eöniglichen Kaflen, oder vermöge bed ihm geworbes 
nen Amtes aus der Zafche feiner Mitbuͤrger erwartete. Bes 
beuft man nun daß bie alte Zahl ber. Beamten ſchon zu 
groß und der Geſchaͤftsgang ſchon beshalb zu weitläufig 
war; fo mußte bie Verwirrung und hie Laft unglaublich 
fleigen wenn 40,000 neue Beamten ſchon aus Eigennutz 
thaͤtig ſeyn und fich in Alles mifchen wollten. Kein Ver 

‚frag, kein Kauf, Fein Geſchaͤft irgend einer Art konnte mehr 
zu Stande gehracht werben, ohne baß eine nenberechtigte, 
ganz Uberflüffige Mittelsperſon zugezogen und bezahlt wurbe. 
So finden wir, höherer Stellen nicht zu gebenten, neue 
Biers, Wein: und Gemuͤſeaufſeher, Koms und Mehlmeſ⸗ 
fer, Bart und Peruͤquenbeſchauer, Butterfehmeder, Be 
amten und Monopoliſten für das Koſten und den Per⸗ 
kauf von Eis, Schnee, Auften w f. w.’). 

Im Einzelnen blieben wohl ausgebotene Stellen unher⸗ 
kauft; andere, beſonders bie höheren, waren ober wurden 
aber allmälig ſo einträglih und fliegen dergeflalt im Preiſe 
daß alle würdigen Männer davon ſchlechthin außgefchloffen 
blieben, fofern fie nicht zufällig überreich waren. Deshalb 
ſetzte Ludwig KIV ſchon 1665 die Preife herab, Es follte 
3. B. gelten”) die Stelle eines 


Generalprocuratord . - » . » 60,000 Ziored 
Dorlamentöratbed . . - . - 100,000 — 
Kequetenmeiflrd - - -» 150,000 — 


Präfidenten des Rechuungsrathes. 300,000 — 
Dräfiventen Amortier. . . - 400,00 — 


1) Isambert XX, 120, 189, 277, 348, 454, 628, 583 uf. w. 
ee: Larrey Ill, 892. 


Darlamente. - 419 


Un dieſe Herabfekung, ober Feſtſetzung der Kaufpeeife 
kebrten fich aber die Ahnterlufligen nicht; fie hofften alfo ihr 
Geld, nach damaliger Weiſe mindeſtens zu ſechs vom Hun⸗ 
dert zu mutzen. Dem Parlamentsrath mußte alſo fein Amt 
wenigſtens 6000, bem Präfibenten 24,000 Livres, als Ins 
feined Kauflapitald bringen, ehe nur die Rede war von Se; 
halt, ober Lohn für die eigentlichen Geſchaͤfte. Und daſſelbe 
gilt nun aͤhnlicherweiſe hinab, bis. zu ben Buster» und Au⸗ 
ſterkoſteral! Ja, ſofern der Weiterverkauf von Ymterm; 
ſchon ihrer Mehrung halber, immer mehr: Schwierigkeiten 
machte und die Regierung bie Kaufſummen zuruͤckzuzahlen 
außer Stande war, mußte ber Kaufende dangch trachten 
und darauf rechnen. fein. Kapital durch noch weit hoͤhere 
Zinſen faſt nach Weiſe der Lebbrenten) zu benitzen. 

Auch die Parlamente waren mit dem Verkaufe und 
der Vermehrung hieher gehoͤriger Stellen nicht verſchont ge⸗ 
blieben, obgleich fie diefer Neuerung gleichwie mancher ande: 

von widerſprachen. Wir ſahen daß fie durch ein Zuſammen⸗ 
* glidlicer oder ungluckücher Umſtaͤnde dahin kamen, 
in einzelnen Augenblicken ‚und Zeitraͤumen uͤber Dinge zu 
entſcheiden, welche nach aͤlterem Brauche und aus allgemei⸗ 
nen, Gründen, vor bie Reichsſtaͤnde gehörten‘). In dieſer 
wichtigen Erweiterung des Gefchaͤftskreiſes ſahen die Wera 
Weibiger ber Parlamente einen Gewinn, weil nad) dem Vers 
ſchwinden der Reichſstage mur auf biefem Wege eine vielſei⸗ 
Bge und ıumbefangene Berathung uͤber neue Geſetze und 
Staats angelegenheiten möglich bliebez der König und bie 
Miniſter hingegen machten geltend, daß Reichdtage faſt nie: 
mald den Erwartungen entfprochen hätten, und ihre Beru⸗ 
fung lediglich von koͤniglichem Belieben abhange. Des Pars 
lamentes Anfpruch, bie Reichstage zu erfeben, laffe ſich wer 
‚ber geſchichtlich noch theorttiſch vechtfertigen, ex beruhe ledig⸗ 
lich auf Anmaaßung, und fuͤhre (wie z. B. die Zeit der 
Fronde erweiſe) um. fo mehr zu eiwfeiligen und patteii- 


1) het IV, ©. 27. 





1% Sechsſstes Buch. Viertes Hauptflüd. 


ſchen Beſchluͤſſen, da die groͤßtentheils mit bloßen Rechts⸗ 
gelehrten beſezte Behoͤrde!), ganz unfähig ſey uͤber ale und 
jede Geſetze, oder alle oͤffentliche Angelegenheiten ein grand: 
liches und fachverfländiges Urtheil zu fällen. Daher fen ed 
ein Recht. und ein Verdienſt des Königs (zu allgemeinem 
Hele) den willkuͤrlich erweiterten Geſchaͤftskreis der Parka 
mente auf die urfprüngliche Beſtimmung des Rechtſprechens 
zurädzuführen. In diefem Sinne erging am 2aſten Fe⸗ 
bruar 1673 ein koͤniglicher Befehl): die Parlantente follen 
alle ihnen vorgelegte Geſetze, Verfuͤgungen, Anweifungen 
u. f. w. ohne den geringften Verzug und ohne Änderungen, 
Befchränkungen, Vorbehalte, Zuſaͤtze u. bergl. eintragen. 
Nachher dürfen fie binnen acht Tagen Vorſtellungen (re- 
montranoes) überreichen; bei Dem hierauf erhaltenen Befcheibe 
bat es aber fein Werbleiben, ohne baß neue Einwenbungen 
gemacht werben bürfen. 

Schon vor dem Erlaffen dieſes neuen Gefeges (fo wirb 
erzählt *)) zürnte einft Lubwig XIV Dergeflalt über Gegenvor⸗ 
ſftellungen des Parlaments, daß er ed nicht in feierlicher 
Sitzung und ımter Beobachtung vieler Sörmlichkeiten zurecht 
wies, fonden im Reitkleide, mit Stiefeln, Sporen unb 
Peitfche daſelbſt erſchien und den Verfammelten fagte: ihre 
allgemeinen Berathungen hätten zeither nur Unglüd gebracht, 
er verbiete dem Präfidenten fie zu leiten, den Räthen fie zu 
fordern. — Seit biefer Zeit verlor das Parlament alle ſtaats⸗ 
rechtliche Bedeutung, ohne daß irgend eine vollkommenere 
Form, die mangelhafte erſetzt hätte. Die gefammte Geſetz⸗ 
gebung kam und blieb in den oanden bes Königs und feis 
ner Minifter. 

Als vechtfprechende Behorde zerfiel das Parlament in 
mehre Kammern: la grand’ Chambre, Tournelle, en- 
quetes und requötes.. Die große Kammer bülbete einſt 


1) Oeuvres de Louis XIV, L, 50—57. 
- 2) Isambert XIX, 70. Recueil d’edits fol. II, 116. 
8) Dufey Histoire du Parlement I, 84, 85. 


x 


Darlamente. u 121 


wohl bad ganze Parlament, gewiß immer ben wichtigften 
heil deſſelben. Auch leitete man ihren Namen davon ab, 
daß bie größten und wichtigften Sachen vor ihr verhandelt 
wınden und bie Pairs bed Reiches urſpruͤnglich Mitglieder 
derfelben waren. Im erſter Stelle kamen an biefe Kanımer: 
Anklagen über Hochverrath und einige ſchwere Verbrechen, 
Streitigkeiten über koͤnigliche Rechte, Prozeſſe vieler bevor⸗ 
rechteten Adeligen, Praͤlaten, Kapitel, Staͤdte, Beamten 
u. ſ. w. In zweiter Stelle urtheilte dieſelbe über Berufun⸗ 
gen von den Amtmannſchaften, Seneſchallen und Schoͤppen. 
Sehr viele Sachen, bei denen irgendwie die Regierung be⸗ 
theiligt erſchien, mußten in Gegenwart des koͤniglichen Ge⸗ 
ſchaͤftstraͤgers (Procureur general) und der ſogenannten 
Generaladvokaten verhandelt werben. Endlich wurden bier 
vorgetragen alle Gnadenſachen, Mirberfelagungen, Beguas 
digungen u. bergl. | 

Die Kammer ver Zournelle befchäftigte ſih (unter 
Theilnahme und Oberleitung der großen Kammer) mit pein⸗ 
lichen Prozeſſen) und hatte ihren Namen davon daß ihre 
Glieder theild aus diefer, theild aus ber Kammer der En- 
queted genommen wurden, unb gewöhnlich alle drei Monate 
wechſelten (tournaient). 


In den Unterſuchungskammern (Chambres des 
enquetes) deren allmaͤlig fünf entſtanden, wurden viele 
Prozeſſe ſchriftlich eingeleitet, ohne daß man wie bei der 
großen Kammer mündlich plaidirte. Die Kammer da Bitt⸗ 
f&hriften (requetes) behandelte die Streitigkeiten und Ans 
gelegenheiten aller bei Hofe angeflellten Perfonen, gewiſſe 
Lehns⸗ und Huldigungdfachen u. ſ. wm”). on ihr konnte 
man fic) in einigen &ällen an bie große Kammer wenben. 


1) Doch entſtand auch eine Tournello pour le civil, weil ſich bie 
Geſchaͤſte haͤuften. 


D La Roche des Parlemens de France 8i— 84, 12 - 131, 
1038 — 1052, 1096. 


122 | Sechstes Bud. Biertes Hauptſtück. 


Jeder Parlamentörath ſollte wenigſtens 25, ein Requeten⸗ 
meiſter 30 Jahre alt ſeyn ). 

Obgleich unter Ludwig KIV keine große, bie bauͤrgerli⸗ 
den Verhaͤltniſſe umgeſtaltende Veraͤnderung mit den Ge⸗ 
ſetzen vorgenommen warb, ſinden wir Doch manche einzelne 
lobenäwerthe Verbeſſerung. Go wurden in ben. Jahren 1667 
und 1670: Berathungen eröffnet, über neue Gerich tsord⸗ 
nungen für ben bürgerlichen. unb peinlichen Mozeß?). Au 
benfelben hatten, unter dem Vorſitze des Kanzlers Segnier, 
Theil: Staatöräthe, Requetenmeiſter, Parlamentöpräfibenten 
und Räthe, Gefchäftöträger des Königd (pracureurs) und 
Geueralehuofaten: mithin. mar des Verfahren het Ferm nach 
fo verſtaͤndig als es Die beſtehenden Grundeinrichtungen ir⸗ | 
genb ‚erlaubten. Dennoch tragen bie Ergebnife mancherlei 
Zeichen: der einſeitigen Retrachtungsweiſe jener Zeit, So 
war z. DB. die neue peinlihe Gerichtsordnung zwer. — 
tiſcher abgefaßt, und beſeitigte manche Mißbraͤuche; 
andererſeits blieb ſie unbillig in den Formen, hart in on 
Strafen und ging im Algemeinen weniger barauf aus ben 
Unſchuldigen zu fügen, als in jebem Angellagten einen 
Schuldigen zu finden. Überhaupt. Fonnten biefe und aͤhn⸗ 
liche Verſuche, den Verwirrungen des franzöfifchen Rechtes 
fein Ende machen, da über 300 verfchiedene Gewohnheit 
rechte (coutumes) neben unb durch einander beftanben, und 
man erft feit 1680 das franzöfifche Recht auf Uninerfitäten 
einer viffenfchaftlichen Behandlung wuͤrdigte ”). 

Eine ganze Reihe von Gefegen, bie Zweikaͤmpfe bes 
treffend , erweifet daß man nicht mübe wurde uͤber dieſen 


1) Isambert XIX, 488 gu 1688. 

2) Procds verbal et ordonnances pour les matiöres civiles ei 
eriminelles. Encyclopsdie meöthodique Jurisprudence et Police, - 
Article Administration und Coutumes. Mittermaier Strafverfah- 
ven ©. 81. 

3) Jeber Stubent der Rechte follte minbeftens 17 Jahre alt ſeyn, 
beei Jahre fublren und täglich nicht wenigen ala zwei Vorleſengen ho⸗ 
ren. Isambert XIX, 1965 XX, 112. 


Imeitämpfe. 423 


ſchwierigen Gegenſtand dad echte aufzufuchen. Ungeachtet 
mancher kleinen Abänderung in ben Nebenbeflimmungen, las 
gen überall die firengen Anordnungen von 1643 zum Grunde. 
Ehrengerichte follten, unter dem Worfige von Marichällen 
und Befehlöhabern in den Lanbfchaften genau bie Ehre des 
Beleidigten wahren und Genugthuung zuerkennen )3 wer 
ſich aber, hiemit unbegnägt, dennoch ſchlug, verlor Amer, 
Einmahmen, vie Hälfte feiner eigenen Güter und warb auf brei 
Sabre verbannt. Ahnliche Beſtimmungen enthält ein Geſetz 
von 1651. Ein brittes von 1679 ſtellt noch Unterſchiede 
feſt hinfichtlich der Ehrenfachen von Bürgerfichen unb Abelis 
gen”), indeß ſoll jeder Duellant (felbft wen Feiner getöb: 
tet oder verwundet warb) mit dem Tode gefiraft und feine 
Goͤter eingezogen werben. Verhaͤltnißmaͤßige Strafen find 
für alle Gehuͤlfen und Theilnehmer auögefprochen. 

Niemald dat Ludwig, ſofern ein Zweikampf zu feiner 
Kenntniß Fam, die Schuldigen begnabigt und dieſe Gewiß- 
beit der Strenge machte jenen Mißbräuchen und ihren traus 
rigen Folgen faft ganz ein Ende’). So gewiß keine Obrigs 
Leit hindern Tann daß jemand für das, was er feine wahre 
Ehre nennt, dad Leben wagt, fo ſoll doch dad Geſetz ſelbſt 
da wo bie Weranlaffung dringender und eine anberweite ges 
nuͤgende Loͤſung ſchwieriger erſcheint, oͤffentliche Strafen als 
Folge des perſonlichen Entſchluſſes vorſchreiben; es ſoll da, 
wo Aberglaube und ganz leere Vorurtheile leidenſchaftlich vor⸗ 
herrſchen, mit verdoppelter Kraft entgegentreten. Gewiß war 
Ludwigs Strenge niutzlicher und den hoͤchſten, das heißt deu 
chriſtlichen Geboten angemeſſener, ald bie offene Duldung 


1) Recueil d’#dits et d’ordonnances Vol. II, I, 30 
2) Isambert XIX, 212. Xncyclopédie Jurispr. Article Duel. 


9) Lettres de Louis XIV, I, p. 89. Maintenon et Ursinus 
lettres I, 313. Bausset Fénélon I, 16, Il &tait inflexible de faire 
la grace & ceux qui 6taient convaincus de Duels. — On nevoit plus 
les desordres des querelles ot laurs suites funestes. ua 
lation II], 169; V, 35. 





4124 Sechsſtes Bud. Viertes Hauptſtück. 


der Zweikaͤmpfe im heutigen Frankreich und der Wechſel von 


Begnadigen und Beſtrafen, welcher in manchen anderen Laͤn⸗ 


dern faſt nur nach ganz perſoͤnlichen Einflüffen und Zufaͤl⸗ 
len ftatt findet. 

Wenn bie Parlamente im Widerfpruch mit ihrer urs 
ſpruͤnglichen Einrichtung unb ohne angemeflene Form bie 
Stelle der Reichsſtaͤnde einnehmen und bie allgemeine Ge- 
feßgebung leiten wollten; fo trachteten umgekehrt die Städte 


und Gemeinen danach, die große Mannigfaltigkeit ihrer aus 


früherer Zeit herſtammenden Einrichtungen feflzuhalten, und 
ſich dem koͤniglichen Einfluffe ganz zu entziehen. Eine foldhe 
Vereinzelung wiberfprach aber theild dem gemeinfamen Staats⸗ 
Veben, theild flanden bamit mancherlei Mißbraͤuche in Vers 
bindung, welche die Aufmerkfamkeit der Regierung erwecken 
mußten. So hatte Ludwig XIV hinreichende Veranlaſſung 
in den Jahren 1667 und 1683 Gefege gegen fchlechten 
Haushalt und. leichtfinniged Verdußern ober Schuldenmachen 
zu geben n. Daß legte ift folgenden Inhalts: Jede Gemeine 
ſoll einen Überfchlag ihrer Einnahmen und Audgaben anfer 
tigen und zur Beſtaͤtigung eimeihen. Summen für bes 
flimmte Zwecke angewiefen, dürfen nicht zu etwas Anderem 
verwandt werben. Reichen die gewöhnlichen Einnahmen nicht 
bin, fo verfammeln fich die Bürger auf herkoͤmmliche Weiſe 
und rathfchlagen unter Leitung ihrer Obrigkeit über die Auf⸗ 
bringung bed außerorbentlihen Bedarfs. Die Vorſchlaͤge 
gehen zunächfi an den Intendanten und hierauf zur Entſchei⸗ 
bung an den König. Ohne höhere Genehmigung findet Feine 
Veräußerung des Gemeinevermögens, keine neue Anleihe mehr 


ſtatt, und mit der letzten muß jebeömal fogleih ein Plan 


zu ihrer Werzinfung und Zilgung verbunden feyn. Das 
angeliehene Geld darf nur zu ben auögefprochenen Zwecken 
verwandt werben. 

Unbegnügt mit einer beilfamen, der wahren Freiheit 


1) Isambert XIX, 420. Oeuvres de Louis XIV, I, 160. Le- 


‘ ber Histoire du pouvoir municipal 448. 





Städte. 125 


sünftigen Einwirkung, machte der König auch in ben Stäb- 
ten bald feine Anfprüche auf Unbefchränktheit geltend, und 
doch fanden biefelben mit ber, durch Kriege herbeigeführten 
Geldnoth in engfler und Aäglicher Verbindung. Ohne Rüd: 
fiht auf Recht, Herkommen, Beſis, Betätigung, Nuten 
und Anhänglichkeit, bot der König im Auguft 1692 die Stels 
im aller Bingermeiſter und fehr vieler Stabträthe in feinem 
ganzen Reiche zum Verkaufe aus‘), und biefe Kaufenben 
follten überall regieren, entfcheiben, bie Städte in landſchaft⸗ 
lihen Verſammlungen vertreten u. f. w. Eine fo verbammliche 
Maaßregel welche zabllofe Ungerechtigkeiten und Zhorheiten, 
mit einer wiberwärtigen Gelbfchneiderei verband, warb oben⸗ 
ein durch abgeſchmackte Redensarten anempfohlen. Die neuen 
Herren (fagte z. B. der König) verdanken nun nichts mehr 
den Stimmen und ber Stimmung ihrer Mitbürger, und 
werben alfo deflo unparteiifcher und ohne Leidenſchaft (sans 
passion) regieren! Die zeither Berechtigten dürfen niemals 
wieder ſtaͤdtiſche Beamten wählen, und die jehigen Obrigkei⸗ 


ten nach Verlauf eines Monats Fein Gefchäft irgend einer- 


Art mehr vornehmen. — Alle alten Mairien wurden in bies 
fer Weife aufgehoben, unterbrädt, vernichtet, manche der 
neuen aber an Hochbezahlende auch wohl erblich verliehen. 


Indem Ludwig die Alles ald Ausfluß feiner Weisheit 


und Gerechtigkeit darſtellte, fühlte er nicht daß er im grell⸗ 
ſten Widerſpruch mit beiden handelte, und ben, ſelbſt noths 


wenbigen Einfluß ber Megierung auf die fläbtifche Verwal⸗ 


tung, dem erſten beflen Kauflufligen preis gab. Der Kb: 
nig (hat man zu feiner Entſchuldigung gefagt) wollte gar 
nicht daß Tauter neue und untauglihe Käufer. halb Krank: 
reich mitregieren follten; er feßte vielmehr voraus bie bishe⸗ 
rigen Beamten wiürben meift ihre Stellen Taufen und be 
halten. — Allein dieſe Vorausſetzung: daß Alle ihr gutes, ih⸗ 
nen geraubtes Mecht zurkdhlaufen würden, ſchloß eben bie 


ärgfte Ungerechtigkeit in fi. Konnte nicht jeber ehrgeizige 
| | N | 


3) Isambert IX, 158. 


126 Seqchstes Buch. Viertes Hauptſtüͤck. 


Geldbeſitzer ſie uͤberbieten, und ſich in den Herrn der Stadt 

verwandeln? Fehlten nicht den meiſten Beamten die Mittel 

den. Kaufpreis herbeizuſchaffen? ober, wenn dies möglich 

war, wer follte ihn denn verzinfen? Fiel nicht diefe thoͤ⸗ 

tichte Steuer dem Einzelnen, oder ber Bürgerfchaft Immer 
zur Laſt? 

Im December 17706 ging man noch einen Schritt weis 
ter, fo daß neben ben alten und neuen Würbenträgern noch ’ 
ausgeboten und verkauft wurden ): Stellen von Bürgers 
meiftern und flädtifchen Beamten, die alle drei Jahre wech⸗ 
fein ſollten. Als diefer Hanbel fchlecht ging, hob man zwar 
im September 1714 jene Verfügung von 1706 mit ſchein⸗ 
barer Großmuth wieder aufs doch follten Die, vermöge ders 
felben Verkuͤrzten, ihre alten Rechte nur wiedererhalten, 
wenn fie bie neuen Käufer an Kapital und Zinfen entſchaͤ⸗ 


Bern fi) au, im Widerfpruch mit Anordnungen und 
Srundfägen folder Art, manche ftädtifche Einrichtungen 
gluͤcklicherweiſe erhielten; fo warb boch biefe Fortdauer nur 
als ein verlichened Privilegium, als eine vom König ab⸗ 
haͤngige Gnabenfacdhe betrachtet, und bad politifche Leben 
entwich, wie aus Ständen und Parlamenten, fo auch aus 
den Städten. Lediglich auf den Erwerb bingerwiefen, warb . 
-diefer faſt ausſchließlicher Mittelpunkt aller Wünfche und 
aller Tpätigfeitz aber es ließ fi) vorausfehen: wenn biefe 
- Zhätigkeit in einem fo beweglichen, gewanbten und ehrgeizi⸗ 
gen Wolfe wie daB franzöfifche, erſt reichliche Früchte getra⸗ 
gen habe, wuͤrden andere Wuͤnſche und Zwecke hervortreis 
ben und bie amtliche Erklärung bekaͤmpft werben, der britte 
- &tanb fey: la gent oorveable et taillable & mercy et 
. misericorde”). 

Unter allen Zweigen der Verwaltung ftand bei einem fo 
ehrfüchtigen und eroberungslufligen Könige das Kriegs we⸗ 


. 1) Isamb&t XX, 492, 637. . 
2) Lemontey Monarchie de Louis XIV, 861. 


‘ 


y 


Kriegsweſen. Condé. Luremburg. 127 


ſen obenan. Waͤhrend der erſten Haͤlfte ſeiner Regierung 
fiegten meiſt die franzoͤſiſchen Feldherren, während ber zwei⸗ 
ten wurden. fie meiſt geſchlagen; was großentheils, jedoch 
keineswegs allein, die Folge ihrer Perſoͤnlichkeit war. Nach 
feiner Ruͤckkehr aus Spanien ſah Condé en, daß alle Ge 
walt in die Hände bed Königd gekommen fey und ein 
Prinz gehorchen muͤſſe Hleichwie jeder andere Unterthan. 
Er ſchloß fich deshalb ganz dem Hofe an, blieb jedoch uns 
beichäftigt bis es der Kriegsminiſter Louvois im Jahre 1668 
bequem fanb ihn dem Tuͤrenne) gegemüberzuftellen. Allein 
fhon ein Jahr nach des Lebteren Tode ward ber Oberbefehl 
bem Prinzen wieder abgenommen, angeblich feinen Wuͤn⸗ 
hen gemäß; in Wahrheit weil er fih dem Kriegsminiſter 
nicht unbebingt unterwerfen wollte,aund ber König wohl feis 
nen Ruhm beneidete. Seitdem lebte Condé entfernt vom 
Hofe in dem ungemein verfchönerten Chantilly, war zugaͤng⸗ 
licher und milder als in früherer Zeit und befchäftigte fich, 
fo lange es feine Kräfte erlaubten, mit Kunſt und Wiſſen⸗ 
ſchaft. Er flarb den 11ten December 1686”). 

Sein Nachfolger, der Herzog von Luremburg, ein 
Sohn des hingerichteten Grafen Bouteville), hatte mit 
Conde Frankreich verlafen und war auch mit. ibm wieber 
zurüdgelehrt. Er war ein Mann von großem Muthe, rich⸗ 
tigem Blide und raſch in der Ausführung wohl überlegter 
Plane. Seine Vorliebe flr Spiel, Weiber und andere Ges 
nüffe, hinderte ihn aber feine Kenmtniffe genuͤgend zu erwei⸗ 
ten und den Gang eines ganzen Feldzuges mit ſteter Aufs 
merkſamkeit zu leiten. Daher verflandb er auch befier zu 
fiegen, als den Sieg zu benutzen. Gleihwie Zürenne und 
Eonde zerfiel er mit Louvois: nicht weil er ſich hatte Graus 
famkeiten und Plünderungen zu Schulden kommen laſſen; 


1) Über Zürenne ſiehe Band IV, ©. 157. 


2) Brune Mämoires de Condé II, 292, 824, 516, 562, 569, 
579. Montglat Mem. III, 97. Spanheim relation III, 248. 


3) Band IV, ©. 86. 





128 Sechstes Bud. Viertes Hauptfäd. 


fonbern: weil er ebenfalls nicht ımbebingt gehorchen wollte, 
und allerdings in feinee Dienfiführung auch Bloͤßen gab. 
Noch nachtheiliger warb ihm die Schwäche, daß ‘er ein 
weiffagendes altes Weib befragt ‚hatte: wie er die Gunſt bes 
Königed und der Frauen gewinnen koͤnne? Auf bie Anklage 
unbelannter und geringer Menfchen ſah er fich unerwartet 
in/den Prozeß der Siftmifcherinn Brinvillierd verwidelt, und 
warb erft nach Tanger Haft und einer einfeitig geführten Un⸗ 
terfixchung als unſchuldig loßgefprochen. Etliche meinten diefe 
Verfolgung fey von. Louvois begünftigt worden, um den 
- Herzog zu entfernen”). Sein Plan mißlang indeß, auch über: 
lebte Luyemburg den Minifter um vier Jahre und farb aft 
am vierten Januar 1695. 

An der zweiten Hälfte der Regierung Ludwigs XIV tritt 
uns zuaft Catinat entgegen: eine wahrhaft edle, in fi 
unabhängige, felbfländige Natur. Niemals gab ex fich bie 
Mühe Neiver zu belämpfen, niemald brängte er fich her⸗ 
vor, nie machte er feine Verdienſte geltend. Aber Bes 
fheibenheit, Uneigennüsigkeit, gründliche Kenntnig feines 
Baches, reichte nicht hin ihm bie dauernde Gunſt bed neuen 
Kriegminifters, — der Maintenon zu erwerben”). Deshalb 
ſchreibt fie von ihm: „er verfteht fein Fach, aber verfteht nichts 
von Gott. Es iſt fehr Schade daß er Bott nicht liebt; 
der König aber will feine Angelegenheiten nur Leuten anver⸗ 
trauen bie fromm find.” 

Zulegt entfprangen aber bie Einwendungen gegen Ca⸗ 
tinat nicht einmal aus tiefgewurzelten Worurtheilen, fonbern 
- e8 waren leere Vorwaͤnde ben ebelen Mann zu entfernen; 


1) Villars Mém. I, 181, 184, 218. Spanheim V, 210. Mot- 
teville XXX VII, 275. Dangeau II, S. Desormeaux Histoire des 
Montmorency: IV, 1, 84, 50, 104, 124; V, 8— 75, 405. SBevigne 
V, 697. Larrey VI, 204. Perrault hommes illustres IL, 74. Vel- 
taire siecle XX, 442. 

2) Lettres de la Maintenon II, 158, Langalleri M&m. 198, 
279. Sevigne& VIII, 1096. 8. Simon IX, 62. Memoires de Ca- 
tinat. Gr ftarb ben 22ften Februar 1712. R 


DBendome Villars. 19 


benn was verzieh man nicht um ihres Feldherrngeſchicks Willen 
dem Vendome und Billard. Nur am Tage ber Schlacht 
zeigte jener Xhätigkeit, Geifteögegenwart und Scharfblid, 
fonft ließ er die Zucht im Heere finden und ergab fich einer faft 
unglaublichen FZaulheit und einer ekelhaften Unreinlichkeit. Die 
meiſte Zeit brachte er im Bette, am Tiſche und auf dem Nacht⸗ 
ſtuhle zuy aͤrgere Laſter trug er oͤffentlich zur Schau und die der 
Anderen wußte er überall zu feinem Vortheile zu benutzen ). 

Eben fo wenig wurden Billard Triegerifche Anlagen 
durch tabellofe Sitten unterflüßt. Er war eitel, großſpre⸗ 
cheriſch, Habfüchtig und ward befthulbigt allein für die Bewilli⸗ 
gung von Schugwächtern in Deutfchland 5 — 600,000 
genommen zu haben. Als die lauteften Klagen Über Erpreſ⸗ 
fungen folcher Art ſelbſt in Paris. Aufmerkſamkeit erregten, 
ſchrieb er dem Könige: zwei Drittel verwende er zu deſſen 
Beſten, ein Drittel aber um ſein Kalb zu maͤſten, pour 
engraisser son veauꝰ). — Vaux bieß nämlich fein Haupts 
gnt, und dieſes Wortfpiel galt für eine genuͤgende Rechtfer⸗ 
tigung. Wenigſtens that Ludwig Nichts um die Mißbraͤuche 
ernſtlich abzuſtellen. 

Wichtiger noch und einflußreicher als die einzelnen en 
herren, waren zur Zeit Ludwigs XIV bie Minifter. Er 
hatte deren in der Regel nur vier: für den Krieg, bie Fi⸗ 
nanzen, bie auswärtigen Angelegenheiten und die Zufliz. 
Die Minifterien für das Bönigliche Haus und bie Flotte wa⸗ 
en bisweilen ‚mit ben obigen vereint, biöweilen Davon ges 


1) 8. Simon IX, 162; XH, 83; nouv. &d. V, 87, 48. Fene- 
ion correspondence I, lettr. 62. Louville Mem. I, 296. Maintenon 
et Ursinus lettr. I, 284, Boufflers fagte von ihm: qu’on ne com- 
mande point une arme de dessus une chaise perc&e, ib. 399, Il 
portait le libertinage, la malpropret6 et la paresse à un extes 
prodigieux, Argenson essais 154. 

2) Villars Mem. II, 53. ‚Maurepas I, 210; IV, 247. Orleans 
Anekboten 26. S. Simon IV, 165; XII, 102, 198. Argenson es- 
seis 227. Bausset Kendlon III, 264. Anquetil Vie du Maréohol 
de Villars. ‘, 

VL . 9 


130 Sechsſstes Bud. Viertes Hauptſtück 


trennt ). Außerdem bearbeiteten gewöhnlich vier Staahſe⸗ 
kretaire die Angelegenheiten der einzeinen Landfchaften Kraus 
reichs, ſofern der König nicht auch diefen Theil der — 
tung jenen Miniſtern unmittelbar anvertraute. 

Zwei Familien le Zellier mb Eolbert aus an 
Ludwig nacheinander fieben Miniſter nahm, gewannen hie⸗ 


durch einen ſolchen Einflug und Reichthum, daß ihnen kaum 


jemand zu wiberfprechen wagte; ja felbft ber König mehr von 
ihnen abhängig warb, als er glaubte. Die flolzefien Hers 
zoͤge trachteten danach fih mit Familien zu verſchwaͤgern, 
auf welche fie unter anderen WVerhältniffen wirden mit Vers - 

tung berabgefehen haben. So heirathete Louvois Tochter 

Herzog von MRochefoucault?), und Colberts brei Toͤch⸗ 
ter heiratheten die Herzöge von Beauvilliers, Chevreufe und 
Mortemar. 

Der Kanzler le Tellier war ein Mann von großer 
Erfahrung und vielem Urtheit, ſofern nicht Schmeichelei ges 
gen den König und veligidfe Unduldſamkeit ihn vom vechten 
Wege abführten.?. Sein Sohn le Tellier, Marquis von 
Louvois war den 18ten Januar 1641 geboren und in ber 
Jugend den Leidenfchaften und Zerfkreuungen bergeflalt bins 
gegeben *), daß fein eigener Water ihn für unfähig hielt je⸗ 
mals mit Erfolg eine buͤrgerliche Laufbahn zu betreten. Da 


ging Louvois in ſich, und entwickelte unerwartet die qusge⸗ 


zeichnetſten Anlagen fuͤr die Verwaltung. Mit der ange⸗ 
ſtrengteſten Thaͤtigkeit und großem Gedaͤchtniß, verband ſich 
ein ſchneller Blick, ein durchdringender Scharfſinn und ein 
feſter Wille. In alle Theile des Kriegsweſens brachte er 


Ordnung und Zuſammenhang, und verſchaffte den Feldherren 


2) Auvigni vie des hommes illustres VI, 178. Bausset Vie de 
Fenelon I, 125, 276. ö 

8) 8. Hilaire Möm. I, 8. Spanheim V, 61. 8. Simen VII, 
25. Choisy Mem. I, 108. 

4) Oeurres de Louis XIV, III, 13. 8. Simon I, 9 — 48, 
Villars Mém. I, 63, 197, 220. Bonneral Möm. I, 21. 


konvois. 131 


mit größter Anſtrengung bie Mittel des Sieges. AU dieſem 
Lobe ſteht aber leider noch größerer Tadel gegenüber. Denn 
wollte man auch bie Strenge, ja Härte verzeihen, mit wels 
der Louvois alle Untergebenen behandelte, wollte man es 
auch natärlich finden daß er ‚Rebenbuhler um jeden Preis 
zu flürzen fuchtes fo laſtet doch auf ihn bie unaustilgliche 
Schande, daß er Überall (in den Niederlanden, Zrier, Sas 
voyen und vor Allem in ber Pfalz) nicht bloß die entfehfichs 
fien Barbareien duldete, fonbern file mit unmenfchlicher Kälte 
und Grauſamkeit unbebingt anbefahl 
Beil er, gleichwie der König, immer den falfchen Ruhm 
für den wahren hielt, fo mußte er flre fchlechte Imede auch 
zu verbammlichen "Mitteln greifen), und echt, Gefebe, 
Berträge, Eidſchwure erfchienen ihm wie Kleinigkeiten, wels 
de ein großer Herrſcher nach Belieben beruͤckſichtige, oder 
mit Füßen trete. So lange bad Gluͤck dem Könige und 
feinem Veziere zur Seite fand, billigen alle Eitelen und 
Feigen jedes Unrecht, wußten fhr jede Miſſethat Schein 
gruͤnde herbeizufehaffen und verfhmähten Feine Kriecherei um 
fih bei dem furdtbaren Louvois beliebt zu machen. Am 
Hofe (ſchreibt Frau von Sevigné) ”) ift gar groß Gedraͤnge 
um Frau von Fresnoy. Es gefchieht nichts Wichtiges im 
Staste woran fie nit Theil hätte — Die Frednoy war 
mur die Frau eine geringen Kriegsbeamten, — aber bie 
Beiſchlaͤferinn Louvois. Noch früher als deu König ergriff 
aber die Nemeſis ven allgemein gefürchteten und beneldeten 
Minifter. Er flarb am 16ten Julius 1691”), nachdem er 


1) 3u Monſieur von Lowois Beiten, waren alle Tanzmeiſter, 
Fechtmeiſter, Bereiter u. dal. engagirt, um an deutſchen Höfen zu 
fpionieen. Orleans Anelboten * 15. Catinat Mé m. 44. La Fare 
127, 227. 

2) Sevign6 II, lettr. 285, 40. 

8) Mömoires pour servir & l’Histoire de Louvois, Amsterd. 
1740. Dangeau I, 873. Desormeaux Histoire des Montmorency 
IV, ur: Spanheim V, 78— 78. Gr diente dem Könige wohl, war 

9* 








132 Sechstes Buch. Viertes Hauptſtuͤck. 


bie Gunſt Ludwigs eingebuͤßt), und fſich mit dem Haſſe 
Frankreichs, ja des ganzen Europa beladen hatte. Sein da⸗ 
mals achtzehnjähriger”) Sohn und Nachfolger Barbefieur, 
“ kam ihm weber im Guten noch im Boͤſen gleich, und 
verlor insbeſondere viel Zeit mit unbebeutenben Seſchaͤften 
und erſchoͤpfenden Vergnuͤgungen ”). 

Obgleich man laͤngſt davon uͤberzeugt war. daß der 
Lehnsdienſt zur Kriegfährung in neuerer Weife nicht aus⸗ 
xeiche, berief Ludwig im Zahre 1674 alle Adelige und Lehns⸗ 
leute (ban &t arriereban); man fieht aber nicht daß dar⸗ 
aus etwas Erhebliches folgte“), vielleicht war ed zuletzt auch 
bloß auf eine Geldzahlung, ober einen Loskauf abgefehen. 
- Da nun von einer allgemeinen Zwangseinſtellung nicht die 
Mebe war, fo gab es eigentlich nur freiwillige und gewor⸗ 
bene Soldaten. Franz I empfahl, bie Werbungen vorzugss 
weiſe zu richten auf Bettler, Umbertreiber, Gefindel u. f. w. 
Diefen thörichten und das Heer herabwürbigenden Grund⸗ 
fag verlaffend *), befahl Richelieu im Jahre 1636, man folle 
überall nur die Tauglichſten einftellen, womit ber Gedanke 
einer allgemeinen Pflicht der Landesvertheidigung verbunden 
wor. Diefer Gedanke Fam aber nicht zur Ausführung und 
Lubwig XIV ergänzte fein Heer durch freiwillige Werbung, 
bis das fleigende Beduͤrfniß theild zur Gründung ber Miliz 
führte, theils eine beſtimmte Zahl Rekruten von den einzels 


aber ein unböflicher, roher, abſcheulich boͤſer Dann. Orleans 397. 
Brienne fils II, 256. Larrey V, 470. 

1) Avrigny (I, 220) Hält es für wahrſcheinlich, daB Ludwig ſei⸗ 
nen fähigen Kriegsminifter während bes Krieges nicht würbe — 
haben. Man fand ſein Herz ganz vertrocknet. 

2) Torcy war nicht viel Alter, werhalb Wilhelm v. — 
ſagte: er wundere ſich daß der Koͤnig ſo junge Miniſter und ſo alte 
Geliebten habe. Villars IL, 222. 

8) Spanheim V, 80. Catinat Mem, 119. Argenson essais 196. 
Desormeaux V, 859. 

A ßFM Nur bie Einwohner von Paris wurben befreit. Isambert lois 
XIX, 189, 134. 
5) Carrion -Nisas Histoire de l’art militaire II, 7—18. 


Herr, Miliz. 4133 


"am Orten fordern ließ. Hieran reihte ſich Wulkuͤr mancher 


Art und zahlreiche Entweichungen, obgleich alle gewaltſame 
Werbung noch immer bei Strafe der Caſſation verboten blieb '). 
Auf Fürzere Zeit als drei Jahre follte niemand angenom⸗ 
men werben, gewöhnlich lauteten bie Dienftverträge auf 
ſechs Jahre. Heitathete ein Soldat, fo verlor er fein Dienfts 
alter und ed warb angenommen, er fey mit dem Hochzeit> 
tage erſt eingeiseten. Zeigte ex einen bevorſtehenden Zwei⸗ 
kampf an, fp- erhielt er Dagegen ben Abſchied und 50 Tha⸗ 
ler Belohnung. Jaͤhrlich follten die ſechs aͤlteſten Soldaten 
jeder Kontpagnie entlaſſen werden. Spaͤter ward die Zahl 
auf zwei, dann auf einen herabgeſetzt, und endlich dieſe Be⸗ 


ſtimmung für bie Zeit des Krieges ganz aufgehoben ?). 


. Heinrich TV hielt nur etwa 8—14,000 Soldaten, Lud⸗ 
wig XII im Durchſchnitte doppelt fo viel, welche viermal 
fo viel koſteten; denn (anderer Gründe nicht zu gedenken) 
ward das Geld vwohlfeiler und die Verwaltung Eoflbarer. 
Doc, wurden Alles zu Allem gerechnet, die Solbaten fruͤ⸗ 
ber beffer. .bezahlt als in fpäteren Zeiten”). Die Reiter 
befland aus Kiraffieren unb zum größeren Theil aus Dra: 
gonern die zu Pferde und zu Fuße kaͤmpfen folten- Über: 
haupt wuchs bie Zahl der leichteren Reiterei und im Jahre 
1692 errichtete man das erfie Hufarensesiment. Beim Ans 
fange der Negierung Ludwigs XIV befland dad Fußvolk zu 
zwei Theilen aus Muöfetieren und zu einem: Theile aus Pi: 
Lenträgern. Im Jahre 1703 wurben bie Piken uͤberall durch 
Flinten mit Zeuerfchlöffern und Bajonetten erſetzt), und 
mit ben Piken verſchwanden auch alle Schutzwaffen des Fuß⸗ 
volks. Man bewunderte daß die Regimenter gleich gekleidet, 


1) Isambert XIX, 150. Ordonnanees militairen du Roi, & la 
Haye 1711, p. 154. Dangean II, 8. 


. 9) Ordonnances 148. 
9) Carrion-Nisas II, 23—31, 46, 166. 


4) Boyer Geſchichte der Kriegskunft II, 84— 90. Rooquancourt 
cours d’art et d’Histoires militeires IL, 478 —516. 





4134 Gchstes Bud. Viertes Hauptitüd. 


und ſelbſt die Pferde ber einzelnen Reiterſchaaren gleicher 
Barbe waren’). Gin großer Theil bes Adels blieb auf den 
Kriegsdienſt hingewieſen, ımd bie Beförderung nad) bem 
Dienſtalter galt abs Regel. Weil aber der König die Zahl 
der Officierſtellen uͤbermaͤßig vermehrte, minberten fich die 
Ausfichtenz und weil der Mißbrauch jene Stellen zu hoben 
Preiſen zu verkaufen immer mehr uͤberhand nahm, wuchs 
Die Unzufrtedenheit. Deshalb klagt Feuquieres: man hat bie 
Negimenter jungen unerfahrenen Leuten gegeben und bie als 
ten Dfficiere verlegt welche Kindern gehorchen follen. Ja 
Diefe Kinder haben dem Miniſter lauter ımfähige Leute vor⸗ 
defchlagen, welche ſaͤmmtlich beförbert worden find‘). - 

Üpnlicherweife fagt S. Pierre: bei Beſetzung ber Stel⸗ 
ten von Oberften, fragte man nicht mehr nad Alter, Ers 
fahrung, Verdienſt und Tapferkeit; man fragte lebiglich nach 
dem Selbe"). 


Schon 1636 ‚gründete FRichelien eine Kriegsſchule fir 


junge Eheleute), 1675 entfland kine Artilkeriefchule und 
1674 daB Hotel der Invaliden, wo fie auf eine ſehr koſt⸗ 
ſpielige Weiſe untergebracht und verpflegt wurden. 

Die Gefetze Aber die Kriegs zucht lauteten fireng. Auf 
Entweichiing ſtand in der Regel Todesſtrafe; ober es wur⸗ 
den dem Ausreißer Naſe und Ohren abgeſchnitten, die Backen 
(mit flours de Lys) gebrandmarkt und er auf die Galeeren 
geſchickt. Zu jedem Kriegögerichte gehörten wenigſtens fies 
ben Dfficiere. Verbrechen von Soldaten und Officieren ge 
gen Ortseinwohner und andere Unterthbanen, wurden von 
den Bes mit Zuziehung von Miiteirperfonen ent⸗ 
ſchieben 4 


1) Histeire da oengräs d’Utrecht 5. 

2) Roquancourt II, 104 Hoyer II, 183. — 185. 
:8. Simon I, 82, 96. Nur Edelleute burften ige Frieden Waffen tra- 
gen. Isambert XIX, 222. | 

8) Annales politiques I, 64. 

4) Immbert XVJ, 466; XIX, 133. Hoyer IL, 60. 

6) Ordonnances 115, 119, 132. 


Mitiz. Flotte. 41% 


Beim Autbruche des Krieges non 1688 warb die Bil 
bung einer Miliz ober Landwehr anbefahlen. Die Hanptr 
beflinmungen bed barüber erlaffenen Gefeßes find falgenbe: 
Sobald die Zahl der im ganzen Reiche aufzuflellenden Land; 
wehrmaͤnner in Parid fefigeftellt worden, forgen bie Statt» 
halter und Intendanten für die weitere Vertheilung auf bie 
einzelnen Ortſchaften. Jeder Einzuftellenbe fol feyn. nicht 
unter 20 und nicht über 40 Jahre alt, unverheirathet, mit 
Flinte und Degen verfehen unb ordentlich gekleidet. Die 
Dienflzdt dauert zwei Sabre, und der Eingeſtellte erhält 
vom Dorfe täglich wei Som. Die Officiere merben aus 


Edelleuten, oder „us Männern genommen die abeliger Weiſe 


leben, Sie follen wo möglich ſchon gedient haben unb min⸗ 
deſtſens 22 Jahre alt ſeyn. Auf funfzig Landwehrmänner 
Tormnen gwei Machtmeifter mit doppelte Sole. So lange 
die Landwehr in ber Lanbfchaft bleibt erhält ver Oberſt mo; 
natlich SO Livred, der Major 40, der Hauptmann 30, der 
Lieutenant 15 Livres. Die Koften für die Lanbwehrmänner 
werden von ben Ortseinwohnern nach den, Grundſaͤtzen ber 
Haupiſteuer ober Taille aufgebracht, die Koften für die 
Wachtmeiſter und Officiere von allen Steuerpflihtigen (tail- 
lables) in der Landſchaft. Werläßt die Landwehr biefelbe, 
fo tritt. eine höhere Beſoldung aus Staatskaſſen ein: ber 
Solbat bekommt täglich drei Sous unb Brot, und be Of⸗ 
fiiere werben denen vom ſtehenden Heere gleich geſtellt. 
Stirbt ein kandwehrmann, ſo muß das Dorf einen neuen 
ſtellen; heirathet einer nach beendigter Dienſtzeit, fo bleibt 
er zwei Jahre lang frei von der Zaille‘). Kein Landwehr⸗ 
mann darf während feiner Dienſtzeit fir das ſtehende ‚Heer 
geworben, und Fein Fremder von den Dörfern eingeftellt wers 
ben. Das Loos entfcheibet unter den tauglichen Ortseinwoh⸗ 
nern 9). 

Ein neues Geſetz von 1701 — dieſe Art der Aus⸗ 


1) Isambert XX, 66. 
2) Sefeh v. 1601. Ebendaſ. ©. 138, 878. 








136 Sechsſstes Bud. Viertes Hauptſtück. 


wahl und Einſtellung bei; die neu gebildete Landwehr trat 
aber ſogleich in das ſtehende Heer ein, und ward vom Staate 
befoldet ’). 

Nicht mindere Sorgfalt als auf das Heer, wanbte Lub- 

wig XIV aufdie Flotte. Es wurden Schiffe gebaut, Schiffß= 
werften angelegt, Häfen in Stand gefest, Unterrichtsanftals 
ten gegründet und auöführliche Gefege uͤber alle hieher gehoͤ⸗ 
rigen Gegenflände erlaſſen). In ben Kuͤſtenlaͤndern ver⸗ 
zeichnete man alle zum Seedienſte brauchbare und dazu vor⸗ 
geübte Mannſchaft, und hielt fie an binnen einer dreijaͤhri⸗ 
gen Dienfizeit mehr oder weniger Monate auf ben koͤnigli⸗ 
chen Schiffen zuzubringen. Alle anderen Kauffahrer und Sees 
fahrer mußten fi nach biefen Beſtimmungen richten, unb 
auf je zehn Matrofen irgend einen jungen Menfchen mitneh⸗ 
men um ihn zum Seedienſt vorzubilden ‘).. Im Jannar 
1666 hatte Ludwig bereitd 34 Kriegsſchiffe ausgeruͤſtet, mit 
10,556 Matrofen und 1508 Kanonen, und fpäter wuchſen 
biefe Zahlen *). 
- Über die Entwidelung und die Fortfchritte ber eigentli⸗ 
chen Kriegs ku nſt unter Ludwig XIV koͤnnen wir hier nicht 
umſtaͤndlich ſprechen; ſondern muͤſſen es Anderen uͤberlaſſen 
nachzuweiſen, ob und in wie weit die franzoͤſiſche Schule 
mit der Guſtav Adolfs und der Dranier in Verbindung ſteht, 
und dann von Marlborough und Eugen von Savoyen uͤber⸗ 
fluͤgelt wurde. Dagegen iſt es um ſo nothwendiger uͤber Fi⸗ 
nanzen, Handel, Gewerbe u. ſ. w. hier Einiges mitzuthei⸗ 
len, weil die damals in Frankreich aufgeſtellten und ange⸗ 
wandten Grundſaͤtze nicht bloß fuͤr dieſes Reich, ſondern fuͤr 
ganz Europa fo wichtig und folgenreich geworden ſind. 


1) Die Zahl der Heere Ludwigs XIV war in ben verfchiebenen 
Beitpunkten feiner Regierung fehr verfchieben. 
2) Ordonnance touchant la marine voh 1681. 

. 8) Geſet von 1673. Isambert XIX, 114. In den Jahren 
1666 und 1667 ließ Ludwig XIV mehre Kriegsfchiffe in Holland bauen, 
und kaufte andere. Lockhart Hist, secröte ei 73. 

4) Mignet m. 49. 





Finanzen, Fouqué, Colbext. 137. 


Unter Mazarin wurden, wie ſchon früher erzählt iſt, die 
Finanzen niemals mit Einfiht und Ordnung verwaltet‘), 
und zu mannigfaltigen Mißgriffen und Willkürlichkeiten ges 
felite ber lette Finanzminifter Fouqué, Habfucht und Wer: 
ſchwendung ber Übertriebenften Art. Mit Recht ließ ihn des⸗ 
halb Ludwig XIV am fünften September 1661 (vielleicht nach 
Mazarind Rath) verhaften und ihm ben Prozeß machen. 
Zohelnswerth aber bleibt ed daß berfelbe leidenſchaftlich ger 
führt ward, und der König dad gefällte Urtheil fchärfte”). 
Reun Richter hatten auf den Tod, dreizehn auf Verbannung 


und Einziehung der Güter erkannt; Ludwig aber ließ ihn im 


Pignerol einfperren, wo er nach neunzehn Jahren flarb. 
Fonquẽs Nachfolger Colbert, ifl feit Sully der erſte 
unter ben frauzöfiichen Finanzminiftern ”), weicher einen ges 
ſchichtlichen Ruhm erworben und verbient hat. Er warb ges 
borean im November 1625 und von feinem Water, einem 
Kaufmann, zu bemfelben Stande beflimmt*). Statt veffen 


trat er, durch Verhältniffe bewogen, nacheinander -in bie 


Dienfte eines Notard, le Telliers und Mazarind. Der Lebte 
empfahl ihn dem Könige. Colbert hatte durch Unterricht 
nur wenig wiffenfchaftliche Bildung erworben, obgleich er fich 
in fpäteren Jahren dafuͤr ungemein thätig zeigte. Er beſaß 
ein fo ernfles, ja rauhes Weſen, daß ex faft niemals lachte 
und an gefeligen Zerflveuungen keinen Gefallen fand *). Ans 


1) Theil IV, ©. 163. 

2) Sevigne I, 1. 27 u. X. JIsambert XVII, 43. Louis XIV, 
Oeuvres I, 101. Choisy I, 107, 142. Louis XIV, lettres I, 51. 
Vie de Colbert 22. Voltaire siecle XXI, 98. Montglat III, 120, 
122: Das Einzelne gehört nicht hieher. 

8) Necker und Pellissery «loge de Necker. 

4) Später il se piguait d’avoir une gfnealogie des grands 
seigneurs d’Ecosse. Spanheim V, 59. - 

5) Doch erzählt Courtilz (annales de la cour 418): Louvois 
n’&tait pas le seul qui aimat & se divertir pas des fadaises, puis- 
que Mr. Colbert & ses heures perdues avoit des gens tout ex- 
pres pour l’entretenir de contes qui ressemblaient assez à ceux de 


peau d’ane. 


‚138 Sechstes Bud. Blertes Hanprfät. 


dererſeits befaß er Scharffinn, sin großes Gedaͤchtniß umb eine 
unerſchoͤpfliche Kraft zur anſtrengendſten Arbeit Es war 
‚them nit gegeben plöglich und wie durch höhere Eingebung 
Die Dinge zu erkennen und zu durchdringen; fonbern er Fam 
nur langſam, burch Nachdenken, großen Fleiß unb genaue 
Betrachtung aller Thatfachen und Verhaͤltniſſe, zu Klarheit 
und gründblicher Einfiht. Dann aber verfolgte er fein Ziel 
mit feſter Hand, ja mit ber Kuͤhnheit einer flarken Seele '). 
Immer blieb er vorzugdweife ein Mann der That, nicht ber 
iffenſchaft, und die Werbefferungen gingen mehr aus ber 
Kraft feined Charakters und Willens hervor, ald bag bie 
rechten Grundfäge and Bicht geſtellt, entwidelt und verwirk⸗ 
Gt wurden. Daher auch die Rage, daB er nicht felten 
mit zu großem. Eigenfinne an gewiſſen vorgefaßten Meinun⸗ 
gen feftgehalten habe. Noch oͤfter hinderten ihn jebo ber 
ehrgeizige und verſchwenderiſche König ſowie der kriegsbegierige 
Louvois, an der Ausführung mancher für das Innere vor⸗ 
theilhaften Plane. Gegen dad Ende feiner Laufbahn verlor 
er an Einfluß, und buͤßte die Gunſt feines, gegen Mider⸗ 
ſpruͤche ungebulbigen Herren faſt ganz ein. Kurz vor feinem 
Tode (er flatb den Hten September 1683) dußerte er, eins 
gedenk mancher erlittenen Kränkungen ?): ich will von dem Koͤ⸗ 
nige Nichts hören. Hätte ich für Gott fo viel gethan wie 
füre diefen Menſchen, würbe ich zweimal felig; — fo weiß 
ich nicht was mir bevorficht. — Vom Volke warb er berge 
flalt gebaßt, daß man ihn, um Beſchimpfungen zu vermei- 
den, heimlich in der Nacht begrub. . In gleichen Sinne 
ſprechen fich mehre Spottgebichte aus, deren wie zwei zur 
Probe mittheilen ). 


1) Monthion pasticularit£s des ministres de France 69, 79. 
S. Hilaire Me&m. I, 2. Forbonnais recherches sur les Finances I, 
391. Bresson Histoire des Finances I, 358. Gourville Mem. 
LII, 528. Perrault hommes illastres I, 83. 

2%) Manthion 84, Bresson I, 864. Vie de Colbeut 308. 


8) Sautzeau sidole de Louis XIV, II, 216, M8. 





Colbert, Staatseinnahmen, Schulden. 139 


1) Caren voyant Colbert sur son rivagb 
Le prend, & ce qu'on dit, et le noye emsartöt 
De. peur qu'il ne mette un impöt 
Sur la harque et sur le passage, 


: 2) Enfin Colbert n’est plus, et c’est nous faire entendre 
Que la France est reduite au plus bas de son sort: 
Car sl restait encore quelque chose à lui prendre, 
Le voleur ne serait pas mort, 


Um nun beuriheilen zu Binnen ob und in wie weit Gols 
dert in Wahrheit Lob ober Kabel vwerbient, iſt es nothwen⸗ 
big barzuflellen, in welchem Zuſtande er beim Autritte feis 
nes Niniſteriums, Finanzen, Handel, Gewerbe u. ſ. w. 
vorfand N, in welchem Zuſtande er fie beim Schluſſe deſſel⸗ 
ben binterließ, und wetche Mid er anwandte um zum Ziele 
zu gelangen. 

As Fouqud mit Recht von den Geſchaͤften entfernt 
wurde, betrugen bie jährlichen Stnatseinnahmen in vunden 
EEE ... 84 Millionen. 
Die Staatsſchulden nahmen hinweg *) — ⸗ 


Mithin blieben zu den laufenden Ausgaben nur 32 Millionen. 
Diefe befrugen aber . » 2 2 2 00.60 > 


Mithin fehlten ii . - . -  . . 28 Millionen. 

Mit ver Zinszahlung und den laufenden Ausgaben blieb 
man im Ruͤckſtande, weshalb die Staatsſchuldſcheine immer mehr 
an Werth verloren, und bie Anleihen Immer Boftfpieliger wurs 
den. liberal fehlte e8 an Ordnung und richtigen Grund» 
ſaͤtzen. Durch die willkuͤrliche Erhöhung alter Abgaben flies 
gen oͤfter die Hebungskoſten ald ber reine Überfguß, und 


1) Doch müffen wir, unferer Zwecke willen, bie Erzählung auch 
ſogleich auf das richten, was nad) bem Tode Colberts in Übereinftims 
mung ober fm Wiberfpruche mit feinem Syſteme geſchah. 

2) Ganilh sur le revenu public. Forbonnais I, 267, 278, 
1. Vie de Colbert 10, Baynal Histoire des Indes TI, 368. 





140 Sechsſstes Buch. Viertes Hauptftüd. 


vide neue Abgaben waren ungluͤcklich gewählt: z. B. vom 
Verkaufe ber Staatsſchuldſcheine, vom Taufen Begra⸗ 
ben u. ſ. w. Nicht wenig Domainen und Staatseinnah⸗ 
men hatte man verpfänbet, und der Gewinn ber Fingnzpächter 
flieg täglich, während König und — gleichmaͤßig 
verarmten. 

In dieſer Lage, (welche an die aͤhnliche zur Zeit Sul⸗ 
lys erinnert)) richtete Colbert feine Aufmerkſamkeit zunaͤchſt 
auf das Staatsſchuldenweſen und gründete zur Prüfung 
deſſelben, gleichwie jener, eine Kammer ber Gerechtigkeit 
(Chambre de justice). In der Einleitung zu dem des⸗ 
halb etlaffenen Gefege vom November 1661. heißt ed’): Un- 
orönung und Betrug, haben die Laften und die Noth herbei⸗ 
geführt und erhöht, während eine Heine Zahl von Leuten, 
durch ungefeglihe Wege und verbotene Mittel, vafch unges 
heuere Peichthuͤmer gewann, und dem Volke den größten 
Anftoß gab durch einen Aufwanb unb eine Verſchwendung, 
welche die guten Sitten und alle EN der Rechtlichkeit 
untergraben muͤſſen. 

Gewiß hatten bei den Anleihen und Vlrpachtungen man⸗ 
cherlei Mißbraͤuche und Betruͤgereien ſtatt gefunden welche 
Beſtrafung verdienten; allein der Hauptvorwurf, daß jene 
moͤglich wurden ımb Cimzelne ungeheuer großen Gewinn 
zogen, traf vorzugäweife die Regierung. Colbertd Maaßre⸗ 
geln richteten fich aber nicht bloß gegen Betrüger, ober uͤber⸗ 
reihe Perfonen, fondern gegen alle Inhaber von Staats: 
ſchuldſcheinen. Man erforfchte den Erwerbstitel, den Ein- 
kaufspreis, feste willkürlich hier die Kapitalfumme, dort ben 
Zinsfuß herab, verlangte baare Nachzahlungen, ober zahlte nach 
dem binabgedrüdten Curswerth zurüd, und belohnte Ange: 
ber mit einem Theile des eintretenden Gewinnes. 

Ze mehr Millionen man an Kapital und Zinfen zum 


1) Band II, &. 380, 


2) Ysambert XVN, 13. Oeuvres de Lonis XIV, I, 114, 156. 
Forbonnais I, 286, 381, 508. Bresson I, 315. 





Anleihen, Kriege. 441 


Beſten des Staates einzog ), deſto mehr verloren bie gros 
ßentheils rechtlichen Inhaber, ja fie verarmten zum Theil 
ganz und erhoben bie bitterfien Klagen?) Die angebliche 
Kammer der Gerechtigkeit bezweckte und bewirkte offenbar ei⸗ 
nen theilweifen Bankerott; obgleich man biefen nie als eine 
gerechte und weiſe Maaßregel anempfehlen und preifen, fon- 
dern nur in Augenblidlen ber dringendſten Noth als ein uns 
vermeiblicheß Übel entfchulbigen darf. — Später, ald wies 
derum neue Anleihen nöthig erſchienen, mußte man böflicher 
werben, beffer Wort halten und dennoch fehr hohe Zinfen zahlen. 

Golbertd firenge Behandlung ber Staatsgläubiger 
ging zum Xheil wohl aus feiner gerechten Abneigung 
gegen das Syſtem der Anleihen und funbirten Schulden 
hervor. As Louvois ed behufs ber Führung ungeredh: 
tee Kriege zur Anwendung bringen wollte und ber arla> 
mentöpräfident Lamoignon ihm beitrat, forach Golbert weiſſa⸗ 
gend): fie werden vor Gott Hechenfchaft fr all das Uns» 
glüd geben muͤſſen, welches hieraus fir den Staat und bie 
Völker entftehen muß. 

Ungeachtet der ungeheueren Verſchwendung des Königs 
fir Baue, Befte, Beifchläferinnen u. f. w. und der Ruͤſtun⸗ 
gen gegen England und Spanien bis zum brebaer und ache⸗ 
ner Srieben, hatte Eolbert Mittel herbeigefchafft für eine 
Menge innerer Verbefferungen, Verminderung ber Audgaben 
und Erhöhung der Einnahmen. 

Diefe betrugen im — 1670 x . . . 9% Milltonen. 


Jene on 0 60 . 8 er  .ı 060 . 101 3 
Mithin blieb noch immer ein —— Man⸗ 
gel vn... ... 5 Millionen, 


1) Nach dem tableau du ii de Colbert (einer Lobfchrift) 
hätte die Kammer der Gerechtigkeit für 884 Millionen falfche Ordon- 
nances de comptant gefunden! ! 

2) Larrey III, 272. 

8) Costaz Histoire de l’administration de France I, 68. For- 
bonnais II, 500. Bresson I, 820, 821, 857 


442 Sechsſstes Bud, Biertes Hauptftül. 


— jedoch bald verſchwunden ſeyn wirde, wenn nicht 
ber ungerechte niederlaͤndiſche Krieg die” heilſamen Plane 
Golbertd vereitelt umb ihm zu zmweibeutigen, ober fchlechten 
Hülfsmitteln gezwungen hätte. Jedes Jahr bed 1672 be 
gonnenen Krieges koſtete 110, jedes Jahr des Krieges von 
1688 aber 180 Millionen‘). Da ſich nun ein folder 
ungeheuerer Mehrbedarf keineswegs durch loͤbliche Mittel hers 
beiſchaffen ließ, ſo konnte eine ſchaͤdliche Erhoͤhung der 
Steuern und Schulden, nicht ausbleiben. Anftatt und je⸗ 
doch hierüber umfländlich ziz verbreiten, wollen wir dasje⸗ 
‚nige näher ind Auge faflen, was man fpäter wohl Golberts 
Merkantilfyfliem genamt hat. Er ging von bem ganz rich» 
‚tigen Orundfage aus: DaB ein Land wo bie Aderbauer bie 
Erzeugniffe des Bodens allein verzehren follen, ober binfichts 
-Tich des zu verlaufenden Überſchuſſes lediglich von dem zus 
fälligen Abfage ins. Ausland abhaͤngig find, weber in Hinficht 
der Bevölkerung nach des Wohlſtandes die hoͤchſtmoͤgliche 
Stufe erreichen kann. Die Gruͤndung von Babrifen und 
die Erweiterung des Handels, fchließt alfo die weſentlichſten 
Bortheile und Fortſchritte in ſich; — nur bleibt allerdings 
zu unterfuchen, wie das Wohl der verfchlebenen Klaſſen von 
Einwohnern in einander greift und wie weit die Regierung 
"die eine ober bie andere Richtung ermuntern und beglinftis 
gen, ober hemmen unb befihränten, oder — fih gar nicht eins 
mifchen fol. 
| Die Zahl der Beamten fuchte Colbert Anfangs moͤg⸗ 
lichſt zu vermindern, ſowohl um Gelb zu erſparen und bie 
Verwaltung zu vereinfachen, ald um Hände für nübliche 
Gewerbe zu gewinnen?). Zur Erhöhung dr Bevoͤlke⸗ 
rung erging 1666 ein Gefeh des Inhalte: wer ſich im 
20ften Jahre: verheirathet bleibt bis zum 2öflen von gewifs 
fen Abgaben frei. Daffelbe gilt von den Gteuerpflichtigen 
(taillables) die zehn bis zwölf Kinder haben. Altern 


1) Monthion 53, 
2) Forbonnais II, 285, 828. Vie de Colbert 146, 


Domainen. | 443 


and höheren Bürgerflande werben fuͤr diefen Ball 500, 
Adchgen 1000 Livres als Jahrgeld zur Unterftüung bewil⸗ 
ligt . Weil jedoch dies Geſetz theils viele Ausgaben ver 
urſachte, theils in anderer Beziehung nicht mehr zweck⸗ 
maͤßig erſchien, warb es int Jahre 1683 wieder aufge⸗ 
hoben. 
Ahnlichen Zwieſpalt zeigt die Geſetzgebung uͤber die 
Domainen. Einerſeits ſah Colbert ein, daß die Unvers 
aͤußerlichkeit und Untheilbarkeit der Domainen in vielen Faͤl⸗ 
len ben Ertrag hinabdruͤcke und übermäßige Verwaltungs» 
koſten herbeiführe?), weshalb ihr Übergang in die ‚Hände 
vom Einzelnen wünfchenswerth ſey. Andererfeitö war bie 
Furcht nicht: ungegründbet: man werbe den erhaltenen Kapi⸗ 
talwerth keineswegs heilfam anlegen und verwenden, fonbern 
nutzloe vergeuben, ober die Grundſtuͤcke zu unangemefienen 
Preifen verfhleuden. Daher finden wir Erlaubniß zum 
Veräußern, neben Verſuchen des Kuͤckkauſs, und überhaupt 
eine Behandlung ber Domainenkäufer ’), welche mit ber Bes 
handlung der Staatögläubiger auf gleicher Linie ſteht. Das 
Geſetz vom April 1667 ftellt nämlich den Srundfa ber Uns 
veräußerlichteit und bes Rechtes zur Rüdnabme an bie 
Spige, und leitet baraus folgende Beflimmungen ab: jeder 
Domainenkäufer muß feinen Erwerbstitel nadhweifen, unb 
ſelbſt da wo dies nach firengftem echte gefchieht, und fich 


ergiebt daß alle Zörmlichkeiten bei einer laͤſtigen Erwerbung 


beobachtet wurden, muß das Erworbene gegen Rüdgabe bed 
Kaufpreifed, oder gegen Anweifung einer, nach ſehr ſtrengen 
Srundfägen berechneten, Entſchaͤdigung zuruͤckgegeben werben. 
Iſt die Erwerbungsweife zweifelhaft, fo findet Feine Ente 
ſchaͤdigung ſtatt; laͤßt ſich noch mehr dagegen erinnern, fo 
muͤſſen auch die bezogenen Früchte bezahlt werden. Auf 


1) Forbonasis I, 892 
3%) Monthion 45. 


8) Vie de Colbert 156. Marmontel Histoire de In minorits 
1138. | 





144 Sechstes Buch. Viertes Hauptſtuͤc. | 


Schenkungen und’ Verleihungen, aus welchem Grunde und 
. unter welchem Vorwande fie auch flatt fanden, wird gar keine 
Rüuͤckſicht genommen ). 

Um den Ackerbau hatte Colbert weſentliche Verdienſte, 
ſofern er ſtets der Erhoͤhung der Grundſteuer (taille) ent⸗ 
gegenwirkte, und verbot den Bauern ihr Zugvieh, Brot, 
Betten oder Kleider abzupfänden. Auch mußte ed zur Er⸗ 
böhung des Grundwerthes wirken?), daß man bereits im 
November 1656 Bürgerlichen verflattete unter gewiflen Be 
ſchraͤnkungen Lehen und abelige Güter zu befisen ).. Doc 
blieben biefe und einige andere Verbefferungen unbedeutend, 
im Vergleiche mit den unheilbringenden Grunbfägen welche 
man hinſichtlich des Getraidehandels aufſtellte. Diefe 
genügten weber der Wiſſenſchaft, noch bewährten fie ſich 
in der Erfahrung, indem fie nämlich bezwediten durch Mittel 
mannigfacher Art zum Beſten der Zabrilanten eine kuͤnſtliche 
Wohlfeilheit zu erzeugen unb, gleich irrig, Davon ausgingen: 
alle Theuerung entftehe Lediglich durch Kornwucher unb Auf: 
Fauferei. Deshalb blieb in ber Hegel nicht bloß die Getrai- 
beausfuhr in die Fremde, bisweilen bei Todesſtrafe verbo⸗ 
ten; ſondern es traten felbft dann eine Menge von Schwie- 
rigfeiten nnd Befchränkungen ein, wenn bad Getraibe von 
einer franzöfifchen Landfchaft in die andere, ober vom Lande 
in die Stadt gebracht wurde. Ohne koͤnigliche Erlaubniß 
(heißt es 3. B. in den Geſetzen) darf niemand mit Getraide 
handeln, und den Bauern, Edelleuten, koͤniglichen und ſtaͤd⸗ 
tifhen Beamten wirb ed ganz verboten. Eben fo wenig 
duͤrfen mehre Perfonen zu einer Gefellfchaft für Getraidehan- 
bei zufammentreten. Kein Bürger fol vor ber Stabt, Fein 


1) Dons et concessions pour quelque cause et pretexte qu’ils 
aient été faits, Isambert XVII, 182. Doch erlaubte man 1681 
von Neuem bie Veräußerung Meiner Domainenftüce, und hoffte Kaͤu⸗ 
fer gu finden. Ib. XIX, 872. Recueil d’edits II, 84. 

2) Forbonnais I, 820. 


8) Recueil d’edits II, 49. 


Getraidehandel. 145 


— innerhalb des Umkreiſes von einer, und bei 
Paris von vier Meilen, Getraide kaufen. Den Baͤckern 
wird unterſagt vor einer gewiſſen Stunde auf dem Markte 
zu erſcheinen, und mehr als eine vorgeſchriebene Menge an 
ſich zu bringen. Die Landleute ſollen ihren etwanigen Be⸗ 
darf nirgend anders als auf den ſtaͤdtiſchen Maͤrkten kaufen, 
und jedesmal fo viel zum Verkauf mitbringen als fie (etwa 
in einer anderen Art) kaufen wollen. Kein Landmann (heißt 
es in einem Geſetze von 1693) ') barf mehr als die Hälfte 
des erzeugten Getraides für fich behalten; die zweite Hälfte 
muß er verfaufen und davon wöchentlich eine vorgefchriebene 
Menge zu Markte bringen. Zur Bollziehung dieſes Geſetzes 
wurden genaue Untkrſuchungen und Aufnahmen angeordnet. 
Im Jahre 1689 verbot man in ben Gegenben wohin viel 
leicht die Feinde kommen koͤnnten, Waizen, Roggen oder 
fonft etwas zu fan, wad zur Nahrung fuͤr Menfchen diene ). 

Ale diefe unverfländigen und tyrannifhen Maaßregeln 
druͤckten zunächft den Preis bed Getraided nieber, und führten 
hiedurch ganz natürlich zur Vernachlaͤſſigung des Aderbaues 
woraus denn zulegt Hungersnoth entſpringen mußte, und 
entfprang ). 

Seit dem Jahre 1674 handelte die Regierung aus⸗ 
ſchließlich mit Tabak, und beſtimmte willkuͤrlich wo und 
wie er gebaut, und wie theuer er eingekauft und verkauft 
- werden folle. Die früheren Fabrikanten wurden hiedurch au⸗ 
Ger Thaͤtigkeit gefebt, die Verbraucher des Tabaks übertheu- 
ert, und viele ber, zeitherigen Pflanzer gezwungen andere 
Zweige des Landbaues hervorzuſuchen). Den Verfuch Ta⸗ 
bak unter anderem Pflanzennamen zu bauen, vereitelten ſtrenge 


1) Isambert XX, 199, 321, 841. Encyclopédie methodique 
Finances, articles accaparement, agriculture, grains. Voltaire. 
giecle XXJ, 226. 

2, Isambert XX, 84. 

8) Forbonnais I, 291. 

4) Isambert XIX, 145, 274; XX, 73. Ordonnance sur plu- 
sieurs droits des fermes du 22 Juillet 1681. 

v1 —10 


\ 





146 Sechstes Bud. Viertes Hauptflüd. 


Geſetze. Im Sabre 1692 warb fogar der Alleinhanbel im 
Reiche mit Kaffee, Thee und Chokolade von der Res 
gierung eigamüsigen Unternehmern überlaffen ’). 

Die wichtigſten, vorzugsweife das Volk treffenden 
Steuern, waren die Gabelle, die Taille und bie Aides. 
Sie wurden jeboch Feineswegd im ganzen Lande nach gleis 


- chen Srundfägen erhoben. Die Gabelle oder Salzſteuer 


trug bereit8 im Jahre 1663 eine Pacht von 13,800,000 Lis 
vred ?), warb aber während der Regierung Lubwigd XIV bes 
deutend erhöht, ohne daß dieſe Erhöhungen zu einer glei 
cheren Bertheilung beitrugen. Vielmehr blieben die Preife 


des Salzed in ben aneinanderſtoßenden Landſchaften hoͤchſt 
verſchieden: fo daß dieſelbe Menge an' einer Stelle 1 Liore 


10 Sous galt, und am ber benachbarten für 61 Liores 
49 Sous verkauft ward. Deshalb finden wir innerhalb 


Frankreichs eine große Menge von Sperrungslinien, mit uns 


zähligen Zollwächtern, weiche inbefien Schmuggelei unb Ge: 
waltthaten nicht hindern konnten. Jaͤhrlich wurben erflauns 
üch viele Perfonen dafin ſehr hart, felbft mit den Galeeren 
befttaft ”), unb ber Verbrauch des Salzes ſank in ben ver- 
fhiedenen Landſchaften, nad) Maaßgabe des Preifes, von 
24 bis nem Pfund auf den Kopf. Einzelne Übelſtaͤnde 
wurben zur Zeit Lubwigd XIV abgeſchafft, das Syſtem ber 
Gabellen aber ig Ganzen und Großen theils beshalb nicht 
angetaftet weil es fehr ſchwer war ein beflereö, aber gleich 
einträglicheö aufzuftellen, theils weil es in mancher Bezie⸗ 


bung. auf Rechten und Verträgen beruhte. 


1) Isambert XX, 149. 
2) Encyclopedie Finances, Gabelle, Spanheim V, 156 — 166. 


“ Necker sur les finanoes. 


8) Die Strafen ftiegen im Wieberholungsfalle bis 9 Jahre Ga- 
leerenarbeit,, und für bewaffnete Schmuggler trat auch Todesſtrafe ein. 
Ordonnance sar le fait des Gabelles. Titre XVII, article 8. Den 
Galzbeamten war erlaubt überall, ſelbſt bei Geiſtüichen und Edelleu⸗ 
ten, Hausſuchungen anguftellen. XIX, 1. 


Zaille. | 147 


Die Taille war theils eine perfönliche, thells eine 
Grundſteuer, und warb in den verfchiebenen Landſchaften 
Frankreichs nach fehr verſchiedenen Ormbfägen ausgeſchrie⸗ 
ben und erhoben. Golbert beftzebte fich mancherlei Miß⸗ 
bräuche abzuftellen und bie Zahl ſowie den Umfang der Aus⸗ 
nahmen und Befreiungen zu vermindern; doch blieben von 
dee perfönlichen Taille ausgenommen die Adeligen, Geiſtü⸗ 
hen, Parlamente und manche andere Beamte. Richt mins 
ber traf die fachliche Taille (meiſt nach der Grundflaͤche und 
deni Biehſtande ausgeſchrieben) faft Aberall nur die Güter 
bee Bürger und Bauen‘). Hierin lag aber eine um fo 
größere Tingerechtigfeit, da aus vielen Gründen bie Laften 
des Lehns⸗ und Kriegsadels täglich abnahmen, während bie 
Beduͤrfniſſe des Staates und bie Abgaben der Bürger und 


-Bauern täglich wuchſen. So waren bie Zaillen feit Karl VI 


bid Franz I ſchon von 1,800,000 Liored auf 15,730,000 &is 
vres geftiegen”). Gegen fo ‚allgemeine und umfaffende Miß⸗ 
braͤuche war es ein kleinliches und wiederum ungerechtes Mit⸗ 
tel, daß man im Jahre 1664 alle ſeit 1634 ſtattgefundenen 
Abelßverleihungen aufhob®), um die Beguͤnſtigten wieder der 


Taille zu ımterwerfen. Wie weit man Übrigens trog aller 


nen erlaſſenen Geſetze von einer guten Steuerrolle entfernt 


. war, geht daraus hervor: daß bie Abgabe nicht felten ben 


Ertrag überflieg und die Eigenthlimen einzeln ihre Grund» 
ſtuͤcke verließen; weshalb Golbert befahl: dies ſey umgültig 


fo lange fie nicht auch allen anderen Befigungen entfagten. 


Noch in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts mußte ein 
armer Steuerpflichtiger, der feinen Wohnort verließ um fich 
anderwaͤrts zu nähren, nicht bloß in der neuen Heimath, 
fonbern noch zwei Jahre an bem früheren Aufenthaltsorte bie 
Zaille bezahlen *). 


1) Spankeim V, 156—166. Isambert XVI, 47; XVII, 22; 
XIX, 91.‘ 
2) Saliy VII, 455. i 
8) Recueil d’edits II, 77. Voltaire sidole XXI, 222 — 226. 
4) Forbonnals I, 816, i 
| j 10 *. 





148 Sechstes Bud. Viertes Hauptftäd. 


Gleichwie die Taille wurden die Abgaben, welche man 
unter dem Namen der Aides, oder Hülfsſteuern erhob), 
meiſt von der niederen und zahlreicheren Klaſſe des Volkes 
getragen. Hauptſaͤchlich trafen dieſelben alle Getraͤnke, alſo 
Wein, Bier und Branntwein; allmaͤlig beſteuerte man aber 
auch Holz, Vieh und Fiſche, ja zuletzt an ſechzig verſchie⸗ 
dene Gegenſtaͤnde. Und zu dem erſten einfachen Steuerfage, 
fügte man fo viele Feine Zufäge und Nachſchuͤſſe hinzu, daß 
die Hebungs⸗ und Berechnungsart höchft weitläufig und vers 
widelt war. So fteigerte ſich z. B. die urfprüngliche Ab⸗ 
gabe von einem Faͤßchen (muid) Bier auf diefe Weiſe von 
37 Sous, 6 Denare, auf 5 Livred, 5 Sous, 6 Denare. 
Zum erften Male wurben bie Aides im Jahre 1604 verpadh- 
tet, 1663 ein genauerer Vertrag darüber gefchloffen, und 
4680 ein Hauptgefeg darüber erlaſſen. Vermoͤge deſſelben 
ſtellte Colbert viele. zeitherige Mißbräuche ab und vereinfachte 
den Gefchäftögang; bie Hauptübel blieben jedoch unangeta⸗ 
ftet. Das beißt: die Zahl der Befreiungen von dieſer Abs 
gabe war nach wie vor fo groß”) und die Steuerfäge in 
den einzelnen Landſchaften fo fehr verfchieden, daß beim Übers 
gange der Gegenſtaͤnde von einer in bie andere Nachfchüffe 
erhoben wurden. Eine Aähnlide Sperrung finden wir zwis 
ſchen den Städten und bem platten Lande; ja weil bie 
Steuerfäge für Privatperfonen, Gaftwirthe, Großhändler, 
Kleinhändler u. f. w. nicht gleich waren, dauerte bie Auf⸗ 
fit ununterbrochen und mit folcher Strenge fort, daß bie 
Steuerbeamten zu jeder Zeit in alle Räume bes Haufes 
einbringen, für Steuerrefte ſelbſt Hauögeräth wegnehmen 
und in gewiffen Faͤllen die Zahlungspflichtigen einfperren 
durften. Anflatt ferner bie verfchiedenen Steuern von ben 


1) GenaueNachrichten hierüber enthalten: Jacquin conferences 
de l’ordonnance sur les aides und Brunet de Granmaison Dictionnaire 
des aydes. | 


3) Ordonnance sur le fait des aides p. 81, 105. Adelige und 
Geiftliche hatten gewiſſe Verkaufsmonopole 5. B. bad ban a vin. 





Stempel, Fabriken. Handel. 149 


ſelben Behörben erheben zu laffen, gab ed 278 Stellen für 
die Aides, und außerbem befondere für bie Zölle, das Salz, 
den Tabak, die Stabtabgaben u. ſ. w. Welch fehäbliche, 
koſtſpielige Werwaltungsart! Überhaupt verfchwinden Col: 
bertö hieher gehörige Verbeſſerungen vor dem einen Ums 
flande, daß er den Betrag der Aides von 1,520,000 Livres 
auf 21 Milfionen erhöhte‘) und den Städten willkürlich 
bie Hälfte ihrer Stabteinnahmen (octrois) entzog um fie 
ben Staatdeinnahmen beizulegen. Auch bie Stempel wurden 
allmälig fehr erhöht und erhoben für alle gerichtliche Verhandlun⸗ 
gen, Eingaben, Kauf, Miethe, Taufch, Pacht, Handelsbuͤcher, 
Zeugniffe, Diplome, Quittungen, Paͤſſe, Abfchiede u. f.w. ”). 

Hier, wie fo oft, warb Eolbert gezwungen Maaß⸗ 
regeln zu ergreifen, welche er ſelbſt nicht billigte; beutlis 
cher erkennt man feine eigenen Anfichten und Zwecke in 
der Gefebgebung für Handel und Gewerbe. Zwei: 
felsohne erlaubten, ja verlangten die Berhältniffe Frankreichs 
.eine Erweiterung derfelben, und es ift nicht zu tabeln Daß 
Die Regierung den Fabrik an ten Begünftigungen und Unter 
ftuͤtzungen bewilligte, um die Anfangs in verboppeltem Maaße 
bervortretenden Schwierigkeiten zu uͤberwinden. Auf biefe 
Meife wurden alfo zuerft gegründet, ober erweitert: Fabri⸗ 
Ten von Metall, Glas, Spiegel, Tuch, Spiben, Tapeten, 
Seidenwaaren, Leber, Strümpfen u. f. w.). Die in vier 
ſtarken Bänden gefammelten Geſetze über die Fabriken und 
Manufakturen*) zeigen eine ungemein große Sorgfalt, unb 
eine fehr genaue Kenntniß aller Gewerbe. Zaft jedes ber: 
felben, fowie jede Stadt und jeve Zunft erhielt ihre befonbe- 
sen Vorſchriften; und Colbert ergriff zweddienlihe Mittel 


- 4) Monthion gu Eolbert. Forbonnais I, 499. Encyclopedie 
Finances et Jurisprudence, article aides. Expilly Dictionnaire de 
France art, aides. 

2) Geſetz von 1680. Isambert XIX, 240, 

8) Vie de Colbert 150. Monthion 70. Yorbonnais I, 878. 

4) Recueil des räglements concernant les Manufactures etc. 
Paris 1730. 4 Vol. in 40. 





10 Sechstes Bud. Wiertes Haupeſtuͤck. 


daß fie wirklich zur Ausführung kamen und nicht bloß nutz⸗ 
[08 auf dem Papiere flanden. Eigens dazu ernannte Bes 
amte mußten in den einzelnen Landſchaften umberreifen und 
nach einer ſehr vollfkändigen und genauen Anweiſung nachfes 
ben, prüfen, belehren, helfen und tiber alles und jebes Be 
sicht erflatten, was die Fabriken und Manufalturen betraf. 
Durch ein Geſetz vom Auguft 1669 warb bie Berichtes 
barkeit. in allen Fabrikſachen ben erwählten Bürgermeiftern, 
Schoͤppen und Gefchworenen zugewieſen. Wenigſtens einer 
ber letzten follte Kaufmann, und jedes Gericht mit ſechs 
Perfonen befest fen. Es ſprach theild nach ben bisherigen 
Geſetzen für die Gewerbe, theils nach den neuen koͤniglichen Ges 
feben, 3. 8. über Güte der Warren, Lohn und Streit ber 
Sefellen,, Berechtigungen ber Meifter, Ausfchließung ber Uns 
zünftigen u. f. w. Kein anderes Gericht durfte fich in biefe 
Geſchaͤfte miſchen; wohl aber follte der Intendant Acht has 
ben, ob die ertheilten Borfchriften befolgt würden. So z. B. 
mußte jeded Stuͤck Tuch ober Zeug von Gewerbögefchwores 
nen genau nach Länge, Breite, Farbe, Güte, Zahl ber Faͤ⸗ 
ben u. f. w. geprüft werben, und eine zweite bazu gebildete 
Stadtbehoͤrde beauffichtigte wiederum die Gefchäftsführung je⸗ 
ner Gefchwerenen. Won Strafen und weggenommenen Waa⸗ 
ren erhielt "s der König, "« die Sefchworenen, “ bie Armen. 
Gleich forgfältig und vollftändig erfcheint ein Geſetz vom 
Mär; 1673 über den Handel‘). Vermoͤge beffelben, fol 
jeder kuͤnftige Kaufmann gewiffe Lehrjahre halten und ges 
prüft werben über einfache und doppelte Buchhaltung, Res 
chenkunſt, Maaße, Gewichte, Waarentenntniß u.f.w. Kein 
Wechſelagent oder Mäfler darf Handel treiben, oder ſelbſt 
Wechſel ausftellen; niemand darf Zins auf Zins nehmen, 
Streit in Handelsgeſellſchaften geht fuͤr die erfle Inſtanz jes 
desmal an Schiedsrichter. Nur die nach genauen Vorſchrif⸗ 
ten geflihrten Buͤcher haben Beweiskraft. Betruͤgliche Ban⸗ 
kerottirer trifft die Todesſtrafe; Beguͤnſtiger derſelben zahlen 


1) Isambert XIX, 92. 


Handelsgeſellſchaften, Kandie, Adlte. 151 


große Gelbfizafen und leiſten boppelten Erſatz. Edelleute 
dinfen, unbefchabet ihrer Rechte, Großhandel treiben 9. 

Colbert fliftete und begänfligte Handels geſellſch af⸗ 
ten nach Oſt⸗ und Weſtindien, Afrika, dem Norden und 
der Levante”). Obgleich faſt allen ein ausſchließliches Han⸗ 
delsrecht eingeraͤumt wurde, blieben fie doch aus mannigfal⸗ 
tigen Gruͤnden hinter den hollaͤndiſchen und engliſchen Un⸗ 
ternehmungen zuruͤck. Denn geſchickte Kaufleute und große 

Kapitalien ließen ſich nicht ploͤtzlich herbeiſchaffen; auch be⸗ 
gnuͤgten fi) bie reicheren Holländer mit geringeren Zinſen 
und verkauften zu mäßigeren Preifen. Die Beſſerung man⸗ 
her Landſtraßen brachte dem inlänbifchen Handel erheb⸗ 
lichen Vortheil, und die Anlegung des Kanals von Langue 
d'oc (angefangen 1664, beenbet 1681) gehört zu ben größ- 
ten’ und gemeinnügigflen Unternehmungen. 

Mit al diefen Dingen Rand in genauefler Verbindung 
dab Bollwefen. So wenig als bie Taille und bie Aides, 
ober bie Grund⸗, Perfonen= und Getränkefteuer, eben fo 
wenig waren die Zölle in ganz Frankreich biefelben. Es bes 
ſtand vielmehr in ben einzelnen Lanbfchaften, und wiederum 
in den einzelnen Städten berfelben Landſchaft, die größte 
und willkuͤrlichſte Verſchiedenheit. Colbert entwidelte in ei: 
nem fehr gründlichen Berichte den Urfprung und bie Natur 
al biefer verfchiebenen Rechte und Abgaben; er bewied wel: 
he Ungerechtigkeit und Verwirrung hieraus entſtehe, welche 
Erhöhung ber Verwaltungskoſten, welche Schererei für alle 
Gewerbtreibende. Gewiß hegte er den Gedanken für ganz . 
Sranfreih eine Hebungsrolle zu entwerfen und bie Zoll⸗ 
Unten an die Gränzen zu verlegen. Während aber der Des: 
potismus ſich an taufend Stellen ſchaͤdlicherweiſe geltend 
machte, fehlte es ihm bier an Kraft, Muth oder Einficht 
dad Heilfame durchzuſetzen und Colbert blieb auf halbem 


1) Isambext XX, 401. Forbonnais I, 436. . 
2) Isambert XVII, 85. Vie de Colbert 87. Porbonmais I, 
322, 377. | | | 


\ 


162 Gchstes Buch. Viertes Hauptfiüd. 


Wege, ja am Anfange ber Bahn fiehen. Seine neue Zolk- 
rolle von’1664 erſtreckte fich nur auf den Theil Frankreichs, 
welchen nachmald bie fünf großen Pachtungen umfaßten '); 
in anderen Landſchaften blieben unverändert die alten Einrich= 
tungen, umb einige neu gewonnene behandelte man noch als 
Ausland. Die natürliche und nothwendige Folge dieſes Grund- 
mangeld war, daß bie Zollfperrungslinien innerhalb ded Reiches 
ber Kreuz und Quer hin und herliefen, ja nicht einmal in 
den Landſchaften ganz wegfallen konnten wo die neue Zoll⸗ 
tolle eingeführt war. Diefe gewährte ben ungemeinen Vor⸗ 
theil, daß man nicht mehr an vielen Hebungöflellen zehn bis 
zwanzig verfchiebene Peine Abgaben zu zahlen hatte, ſondern 
alles in einen, an bemfelben Orte zu bezahlenden 30H zus . 
: fammengefaßt war. Allein biefer neue JZollſatz gründete ſich 
keineswegs auf wifienfchaftliche Grunbfäße, ober genaue Er⸗ 
waͤgung ber vorhandenen Verhaͤltniſſe: ſondern er entſtand 
in den meiſten Faͤllen durch unbedingte Anerkenntniß des 
alten Herkommens, oder durch bloßes Zuſammenziehen jener 
verſchiedenen kleinen Abgaben in eine Hauptfumme?). Da⸗ 
ber blieben felbft innerhalb der neu georbnefen fünf großen 
‚ Pachtungen noch fo thörichte Ungleichheiten, daß z. B. die 
Tonne ſchlechten Weined aus Anjou und Maine 16 Livres 
zahlte, während bie Zonne guten Weined aus Bourgogne 
. und Champagne nur 10 Livres entrichtete”). Und hieran 
reihten fich die muͤhſamſten Unterfuchungen über den Ertrag 
der Weinberge in den verfchiebenen Landſchaften. 


1) Declarons nos Provinces de Normandie, Picardie, Cham- 
pagne, Bourgogne, Bresse, Bourbonnois, Berry, Poitou et le pais 
d’Aunix, d’Anjou et le Maine, ensemble les Provinces qui y sont 
enfermdes, de l’Etendue de nostre fermes, et seront les autres 
Provinces de nostre Royaume reputses étrangères etc. Ordon- 
nance sur le fait des cing grosses fermes du F'&vrier 1687. 


2) Francheville Histoire des Finances, Vol, L 
8) Forbonnais I, 850, 868. überhaupt berechnete man bie Ab⸗ 


gaben auf ben Kopf in Rennes und Rancy auf 12 Liores, in Lyon 
auf 80, in Paris auf. 64. Kncyclop. Finances, Gönsralit6 pag. 368. 


Bille. . 483 


So geftaltete fich das Zollweſen im Inneren deö Reiches: 
von fremden Waaren nahm man bi 30 vom Hundert und 
verbot ben Eingang vieler Produkte und Fabrikate ganz und 
gar’). Ja die Zugelafienen mußten fi), bei Strafe ber 
Begnahme, allen franzöfifchen Fabrikgeſetzen unterwerfen (3. 8. 
über Länge, Breite, Barbe und dergl. der Züher) ") und 
waren auf fo wenig Eingangäftellen bingewiefen.”), daß jes 
ber Ausländer auch biefes nur ſcheinbar erlaubten Handels 
überbrüßig werben mußte. Durch die in ben Jahren 1667 
und 1687 berichtigten Zollrollen wurben manche Steuerfäße 
noch erhöht‘) und denfelben wieberum Rebenabgaben (3. B. 
Stempel und Quittungögebühren) hinzugefügt, auch fehr ges 
naue und firenge Worfchriften gegeben über verbotene Wege, 
Angaben der Waaren, Confiscationen“), Nachichüffe beim 
Übergange derfelben aus einer Landichaft in die andere (droits 
du mouvement) u. f. w. Viele Gegenſtaͤnde befteuerte man 
nach dem Gewichte, verflattete aber nur bei Gold, Silber, 
Seidenwaaren und Gewürzen einen Abzug (Tara) für Ges’ 
faͤße und dergl. Colbert forgte daß in ben Verträgen ber 
Bollpächter genauer ald zuvor ihre Mechte und Verpflichtun⸗ 
gen verzeichnet wurden; wenn aber ein folder Vertrag zus 


1) Eneyclopedie Finanoes, Article Tarif. Oeuvres de Louis XIV, 
I, 288. Gegenſtaͤnde bie nicht Im Tarif aufgefüpet waren, wurben 
von bem Beamten fogleih mit einer Steuer von 5—10 Procent bes 
Wertes befegt. Ordonnance sur les cinq gromses fermes ], $. 6. 

2) Recueil des reglements pour les manufactures I, 109, Ge⸗ 
feg von 1714. 

8) CEolonialwaaren (drogueries et Epiceries) burften 3. B. nur’ 
über Rocyelle, Rouen. und Galais, ımb in den andern heilen Frank: 
reiche nur über yon, Borbeaur und Marfeille eingehen. Ordonn. 
sur les cing fermes III, 1. 

4) Isambert XX, 24. Eneyclop. Finanoes, Discours prelimi- 
‚neire XLIV. 

5) Vom Werthe der weggenommenen Waaren warb erſt bie Steuer 
besahlt, */; bes Reſtes erhielten bie Angeber, *, ber König, *, ber 
©teuerpächter. Ordonn. sur les-cing fermes VIII, 2. 


154 Seqcotes Bud. Biretss Hauptfläd. 


legt über 600 Abſchnitte zählte"), fo exgiebt ſich chen dar⸗ 
aus bie große Schwierigkeit alles ımb ſedes hinreichend zu 
"beflimmen, und bie noch größere Schwierigkeit ſich von ge 
wiſſenhafter Erfuͤllung des Worgefchriebenen zu Überzeugen. 
Während num nicht bloß ber Eingang vieler Fabrikwaa⸗ 
ver (3. B. ber Spiegel, Spitzen, feibenen Zeuge u- f. w.) 
ſondern auch lange Zeit ber Eingang von Wein und Brannt⸗ 
wein umterfügt war”), verbot GColbert die Ausfuhr von 
Se, Edelgeſtrinen, Kriegsbebürfniffen, Pferden, Getraide, 
Wolle, Hanf und Lein, ober er legte auf manche Gegens 
flände große Ausfuhrzölle, z. B. auf Wein und Brannt⸗ 
wein. So brachte ber Geldmangel zu Maafregein, welche 
dem gepriefenen neuen Syſteme gerabehin widerſprachen. 
Hingegen leitete man aus bemfelben bie Nothwendigkeit ab, 
durch unzählige gefehliche Beſtimmungen die Freiheit ber Ge⸗ 
werbe und ihrer Entwidelung zu befchränten, und gerieth 
fo in eine Vielregiererei der willkuͤrlichſten und ſchaͤdlichſten 
Urt. Deshalb heißt es z. B. in Gefegen: es fol niemand 
Branntwein aus anderen Dingen als aus Wein brennen, 
niemand Laͤmmer verlaufen oder ſchlachten, niemand in ber 
Baftenzeit Fleiſch ober Gefluͤgel, niemand anderswo ald auf 
dem Markte Talg verkaufen”). Schloffer bürfen Feine Naͤ⸗ 
gel verfertigen, Tuchmacher ihr Tuch nicht färben, Faͤrber 
in Baumwolle nicht in Seide ober Wolle färben, Hutmas 
her nicht mit üben handeln, Schneider bei ſehr harten 
Strafen Feine Knöpfe von Tuch oder anderem Zeuge auf 
die Röde fegen. Selbſt in den Kreis der Künfte griff das 
Syſtem des Vorſchreibens und Beſchraͤnkens hinein. So 


1) Expilly, article fermes. 

2) Forbonnais I, 400, 464, 295. Ordonn. sur les fermes ütze 
VII. Während der Kriege warb faſt Immer alle Einfuhr aus fremben 
Bändern verboten. Isambert XX, 92. 

8) Monthion 63, Forbonnais I, 479. Isambert XX, 122, 181, 
227, 877, 397. Encyclop. article indtiers. Die Geſetze für ben Holz 
handel in Paris, — — oorpus juris. Lemon- 
tey Monarchie de Leuis 889 


Buhhbrucker und Buchhändler. 4155 


durſte, um das Monopol ber Oper Lullys aufrecht zu Halten, - 
Fein anderes Theater mehr ald zwei Saͤnger und ſechs Sels 
ger balten, und frembe Muſiker wurden ganz hinwegge⸗ 
wiefen 9. 

Zum Xhell in aͤhnlichem Sinne waren bie Gefeke für 
Buchd rucker und Buchhändler entworfen”), aud benen 
- wir beifpielöweife Folgendes ausheben. Die Druder follen. 
auf gutem Papier, richtig und mit guten Buchflaben bruden, 
fchlechtes Papier aber mit Beſchlag belegt werden. Jedem 
Buche wirb die erhaltene Druderlaubniß ber Cenſoren vor 
angeſchickt. Jeder Druder ımb Werleger muß fich nennen, 
Teiner darf bevorrechtete Bücher im Auslande nachbruden 
laffen. Nur beftätigte Druder und Buchhändler binfen Buͤ⸗ 
cher drucken und verkaufen. Sie müflen ſaͤmmtlich im Unt 
verfitätöriertel wohnen und zwei Abdrüde jedes Buchs zur 
SBibliothek abliefern, Ber mit alten Büchern handelt fol 
feine neuen verkaufen. Bon Schuͤlern, Dienfiboten, unbe 
Fannten Perfonen u f. w. dirfen fie keine Bücher erflchen, 
‚umb wöüfjen über Ankauf, Verkauf, Preife und bergl. genau 
Such führen. Niemand wird als Lehrling bei Drudern und 
Buchhänblern angenommen, ber nicht fein Latein gelernt bat °) 
umb ein Zeugniß des Univerſitaͤtsrektors beibringt. Kein 
Buchhändler darf zu gleicher Beit mehr als einen Lehrling 
haben, und ein Buchdrucker wenn er mehr als zwei Prefien 
befigt, hoͤchſtens zwei Schrlinge. Diefe dürfen untereinander 
in Feine Berbindung treten. Es ſollen nicht mehr als 
36 Buchhändler in Paris ſeyn, welchen auch ber ausſchließ⸗ 
liche Verkauf frander Bücher zuſteht. Diefe werben vorher 
von ben Behörden geprüft und mit Beichlag belegt ſobald 
fie etwas dem Staate und ber Kirche Nachtheiliges enthal⸗ 


1) Lully hinterließ anch deshalb 37,000 Eouisbor, 20,000 Khaler 
au Güberfachen und viele onbere Dinge. Dangenu I, 200; Isambert 
XIX, 110, 156. 

3) Isambert XX, 6, 122. 

3) S’ü n'est congru en langue latine. 


156 Sechstes Bud. Viertes Hauptfläd. 


ten, obes Verfaſſer, Druder und Drudort nicht ‚genannt, 
ober fofern es Nachdruͤcke franzöfifcher Bücher find. Ohne 

Wiſſen und Zuſtimmung der Polizei barf keine Druderprefle 
anderswohin gebracht oder verkauft werben. 

Nach Berhefichtigung der hier mitgetheilten Einzelhei⸗ 
ten ımb bes, (der Kürze halber Übergangenen), barf man fol- 
gende allgemeine Ergebniſſe ausfprechen und wieberholentlich 
zuſammenfaſſen . Durch das entſchiedene Übergewicht der koͤ⸗ 
niglichen Gewalt ward gar vieler früheren Wilke und Uns 
gerechtigfeit ein Ende gemacht; aber es gab für die neue Eds 
niglide Willkür Teinen Bügel feitbem man, flatt einzelne 
Mängel des Staatsrechts zu verbeffern, daſſelbe ganz zur 
Seite geworfen hatte Die bloße Berwaltung Tonnte aber 
in Srankreih um fo weniger biefe Lüde erfeben, da fie eis 
nerfeitd vom Hofe ſchlechterdings abhängig war, unb ande⸗ 
verfeitö der Verkauf ber nothwendigen und ber unzähligen 

- durchaus entbehrlihen Ämter, aufs Nachtheiligfte einwirkte. 
. Hinfichtlich der Nachtöpflege traten einzelne Befferungen ein, 
aber von einer durchgreifenderen Umgeflaltung war nicht die 
Rebe. Daffelbe gilt vom Kriegöwefen. Denn ungeachtet 

- der Fortfchritte welche Sachverflänbige hinfichtlich der Kriegs: 
kunſt nachweifen mögen, kam man doch nicht zu einem 
volksthuͤmlichen, wohlfeilen Vertheidigungsſyſteme; fondern bil- 
bete, meift zu ungerechten Kriegen, ſtehende Heere. Diele, 
felbft während des Friebend nur zum geringen Theil aufge- 
loͤſeten Heere, dieſe toͤdtliche Krankheit aller Staaten bed 
neuen Europa, welche die Kriege verewigt und bie Kräfte 
unerfegbar erfchöpft, iſt hervorgegangen und verbreitet wors 
ben durch Ludwigs Eroberungsluft und fein unbefchränktes 

Königthum. 

Ein zweites Hauptübel des achtzehnten Jahrhunderts 
flammt aber daher: nämlich dad libermaaß der Steuern und 
Anleihen, bie fchädlichen Monopole, die feinbfelige Abſper⸗ 
rung ber Völker, die Überzahl von Scherereien und Schmug⸗ 
geleien, der Aberglaube an eine in Wahrheit unmögliche AU- 
genugſamkeit einzelner Länder und bie Thorheit eines Egois- 


Mängel der franzsfifhen Entwidelung. 157 


mus, der hauptfächlich duch den Schaden Anderer zu ges 
winnen hofft. 

Colberts Berbienfte ). um vieles Einzelne und bie heils 
ſame Wirkfamkeit des von ihm gegebenen Anftoßes, lafien 
fih gar nicht verfennen; auch wiürbe ber Nußen ohne bie 
koͤniglichen Hemmungen noch fehr gewachfen feyn. Abgeſe⸗ 
ben von biefen waren jeboch feine Grundfäge felbft einfeitig, 
und in mancher Beziehung kaum minder tyrannifch ald bie 
feined Nebenmanned Louvois. Die Zeit hatte den Geſichts⸗ 
kreis erweitert und zur Berudfichtigung vieler Dinge ge 
zwungen, welche man früher nicht fehen Tonnte, ober wollte: 
allein die Ergebniffe der einfachen Verwaltung Sullys ges 
reichten dem Lande und Volke wefentlich zum Vortheil; 
während die, der Finftlicheren Verwaltung Colberts, großen: 
theils fuͤr die eitele Ehre feines Herren vergeubet wurden. 
Sully gemann die Liebe Heinrichs IV und bie hoͤchſte Ach⸗ 
tung feiner Zeitgenoffen; Ludwig dagegen ließ ber Diener 
fallen, welcher ſich treu für ihn geopfert und den Haß der 
Voͤlker auf fich ‚geladen hatte. Dennoch faßte der Irrthum 
und Aberglauben an das fogenannte Merkantilfyfiem Eofberts 
immer tiefewe Wurzel; und kaum gelingt es in unferen Ta⸗ 
gen beffen Ketten hier und da zu Idfen. — Überall finden 
wir alfo zur Zeit Ludwigs XIV eine gewanbte Hanbhabung 
mb Benutzung des Augenblicks; nirgends aber große, lei⸗ 
tende, erzeugende Gedanken und Ideen welche bie Nach: 
welt fruchtbar und fegendreich umgeftaltet, oder wenigftens 
den Übeln vorgebeugt hätten, bie aus ben ergriffenen Maaß⸗ 
regeln fonft nothwendig hervorbrechen mußten. 


1) Bon feinen Verdienſten um bie Wiſſenſchaften im naͤchſten Haupt⸗ 
flüde. 


Bünftes Hauptitüd. 
Wiſſenſchaft und Kunſt, Religion und Kirche. 


8 talien, Spanien und England beſaßen ſchon eine wahr⸗ 
haft neue und in ihrer Art klaſſiſche Literatur, als Frank⸗ 
reich meiſt unter Ludwigs AII und Richelieus Herrſchaft 
den Grund für das legte, was unter Ludwig XIV und Col⸗ 
bert zu einer eigenthümlichen Vollendung raſch emporwuchs. 
Gleichmaͤßig wirkten hiezu: Die im ganzen Volke zunehmende 
geiflige Xhätigkeit, die feltene Perfönlichkeit einzelner Maͤn⸗ 
ner, und bie große Xheilnahme und Mitwirkung ber Regies 
rung. Nur wenn biefe drei Beftandtheile zuſammentreffen, 
treten Ericheinungen hervor wie unter Perikles, Auguflus, 
den Mebicdern und Lubwig XIV. Diefer gründete (großens 
theild auf ben preiswuͤrdigen Antrieb Colberts)) Akademien 
für Wiſſenſchaften, Mufit, Malerei, Baukunſt und Als 
terthümer, erbaute die Sternwarte, verfchönerte Paris, fürs 
derte die wiffenfchaftlichen Reifen la Hires, Gaffinis und 
Zourneforts, bewilligge Jahrgelder an fremde Gelehrte u. drgl. — 
Indeſſen ift auf der anderen Seite bemerkt worben ?): baß fuͤr 
ben Unterricht bed Volks gar nichtd geſchah, und ein ver 
ſchwenderiſcher Hofmann, ober eine Beifchläferinn bem Koͤ⸗ 
nige mehr koſteten als ale Wiffenfchaften und Akademien. 
Die hoͤchſte Ausgabe eined Jahres für alle dieſe Dinge 
belief ſich etwa auf 86,000 Liored, wovon Fremde im 


1) Vie de Colbert 40, 123. Isambert XVIIL, 17, 27; XIX, 
8, 157, 166. Auch in ben Lanbfchaften entflanden viele Akademien. 


2) Lemontey 366. 





Wiffenfhaften, Akademien. 159 


Durdhfehnitte nım etwa 9000 biß 20,000 erhielten ). Die. 
Beglüdten fchmeichelten Iaut feiner Eitelkeit, und noch ans 
dere Zwecke wurben beabfichtigt und erreicht, wenn Lud⸗ 
wig XIV einflußreichen Staatsmaͤnnern Gelder anwies ”). 

Die obengenannte Akademie ber Wiffenfhaften 
zählte vier Arten von Mitgliedern ”), und befchäftigte fich Haupbe 
fächlih mit Groͤßenlehre, Scheidehmft, Zergliederungskunſt 
und Pflanzenfunde. Nur diejenigen follten zu Mitgliebern 
erwählt und vom Könige beftdtigt ‚werben, bie wichtige Buͤ⸗ 
cher gefchrieben, nuͤtzlich gelehrt, ober erhebliche. Erfindungen 
gemacht hätten. Wöchentlich hielt man zwei Sigimgen ımb 
zu wiflenfchaftlichen Verſuchen war Gelb ausgeſetzt. Nie⸗ 
manb burfte fi in einem Buche als Akademiker‘ namen, 
wenn die Akademie baffelbe nicht vorher .gepräft und gebil- 
Tigt hatte. Überhaupt ſollte die Akabemie wichtige Werke 
leſen und darüber Bericht erflatten. Bei Eutwickelung vew 
ſchiedener Meinungen (fogt dad Geſet) möge Keiner muͤnd⸗ 
lich oder ſchriftlich Ausdruͤcke des Zornes oder der Verachtung 
gebrauchen. 

Die franzoͤſiſche Akademie ſetzte waͤhrend ber Regie⸗ 
rung Ludwigs XIV ihre Thaͤtigkeit fort; hat aber durch das 
SBeftreben, die Sprache Überall beflimmten Gefeben zu unter 
werfen, auch ihre Beweglichkeit und Entwickelungsfaͤhigkeit 
gehemmt; fo daß ber großen Schriftfielee Werbienfte für 
wielfeitige Ausbildung der franzöfiichen Sprache gewiß viel 
höher anzufchlagen find, ald bad jener theoretifchen Se 

etzgeber. 

Jene ausgezeichneten Schriftſteller aus ber Zeit Lud⸗ 
wigs XIV find fo bekannt, und fo oft und gruͤndlich gewuͤr⸗ 
Digt, daß eine umſtaͤndliche Wiederholung bed bereits Ges 
fagten hier überfikßig wäre, ımb bie folgenden funzen Be⸗ 


- 41) Peignot decumens 139. 

2) Louis Oeuvres II, 80-40, 

3) Academiciens honoraires, associes, pensionnaires, elöves. — 
Ein ähnliches Geſet für die Alademie ber Pete Isambert XX, 
826 , 386. 


\ 


160 Schstes Bud. Fanftes Hauptſtuͤck. 


merkungen deshalb einer um ſo nachſichtigeren Aufnahme be⸗ 
duͤrfen. — Zum Beweiſe, wie einſeitig und ungerecht ber 
Vorwurf iſt: es fehle ben Franzoſen im Allgemeinen an 
gründlicher Gelehrfamfeit, genügt ed für dieſe Zeit du Frese, 
Mabillon, Martene, Achery, Baluͤze, Zillemont,"Herbelot, 
Fleurd, Petavius, ſowie die Mitglieder der Congregationen 
des Dratoriums und bed heiligen Maurus zu erwaͤhnen. 
Diefe. und ähnliche ausgezeichnete Männer. lebten und wirk⸗ 
ten .in-thkebr eigenen abgefonderten Welt; wogegen alled an: 
dere in Titeratur und Kunſt zu ber Zeit Ludwigs XIV Her: 
vortretende, fletd in einander greift, troß aller Mannigfal- 
tigkeit Der Richtungen ein Ganzes bildet, und ben unvers 
kennbaren Stempel, fowie das anerkannte Man jenes Jahr⸗ 
hunderts trägt. Mon biefem Standpunkte aus betrachtet, 
erhalten alle Erſcheinungen einen fetenen Zufammenhang und 
einen eigenthimlichen hohen Werth. 

Nachdem jedoch die Zranzofen faft Alle umgeaͤndert, 
ja umgeſtuͤrzt haben, was zur Zeit Ludwigs XIV in ihrem 
Vaterlande gegruͤndet, ausgebildet und bewundert ward; 
kann die unbedingte Herrſchaft einer angeblich klaſſiſchen Li⸗ 
teratur jener Zeit nicht laͤnger fortdauern. Nur beſtaͤnde die 
aͤchte Befreiung von laͤſtigen Feſſeln keineswegs darin, daß 
man ſich einer unfittlichen, faſt wahnſinnigen ln unb 
Regelloſigkeit hingaͤbe. 

So gewiß es ein Ungluͤck war daß die framoͤſiſchen An⸗ 
ſichten Über Kriegs⸗, Steuer⸗ und Schuldenweſen, uͤber Res 
gierung und Verwaltung in einem großen Theile Europas 
bersfhend wurden; fo gewiß hinderte bie Herrſchaft der 
franzöfifchen Literatur theild die Erforſchung der vollkomme⸗ 
neren Werke anderer Voͤlker, theild die Entwidelung-»ber 
nationalen Eigenthuͤmlichkeiten. Allerdings hat ein, m ge 
wiſſen Zeitpunkten vorwaltender Einfluß ber alten, forte 
ber fpanifchen und englifchen Literatur auch mande Stoͤ⸗ 
rung hervorgebracht; aber nie fo ertöbtende Feffeln bereitet 
als der franzöfifche Einfluß, fondern in größerem Maaße bie 
Geifter zu gleicher Zeit auch befreit, erweckt und befruchtet. 


Dichter. Künfller. 161 


Mit Recht iſt jener Abhängigkeit, jenem Aberglauben und 
Goͤtzendienſte ein Ende gemacht, und ber wahre Werth des 
Franzoͤſiſchen durch firenge Prüfung feflgeftellt worden. . Ans 
dererſeits entfland aber die Herrſchaft der Franzoſen chen 
Daraus: daß fie Damals zu herrſchen verfianden, und mehr 
Zhätigkeit, Geiſtes⸗ und Willenskraft befaßen, als ihre 
blinden ober verblendeten Nachahmer und Knechte. 

Hätte Corneille die athenifhen Tragiker, flatt bes 
Senefa zum Mufter genommen und fih nicht fo ſchnell von 
ben Spaniern abgewandt, fo wäürbe feine außgezeichnete 
Kraft feltener zu bloßer Rhetorik hinabgeſunken ſeyn; und 
flatt des, ind Franzoͤſiſche uͤberſetzten alten Römerthums, 
Hätten ihm vieleicht edle Männer und rauen Frank⸗ 
reichs, den Stoff zu unvergänglicheren unb weit wirkfames 
ren Zrauerfpielen gegeben. 

Selbft Racines Zartgefühl und Milde wirb oft durch 
den Firniß der damaligen Mobe verfümmert, und fo gern 
man bem Lobe beiftimmen möchte, welches bie Franzoſen 
beiden Männern In überreihem Maaße fpenden; find fie doch 
weber ald Zragiker ben hoͤchſten Meiftern dieſes Baches gleich“ 
zuſtellen, noch haben fie ſich über den Stand des Hofes ers 
hoben, und etwas in dem Sinne und ber Tiefe Patriotis 
fched und Nationales geliefert, wie etwa Aſchylus in den 
Derfern, oder Shakfpeare in den Heintiden. — Moliere 
erfcheint in feiner Weife reicher, eigenthuͤmlicher, origineller 
als jene beiden Tragiker, ja (weil Fein genügender Grund 
. vorhanden ift die Komödie an fich der Tragoͤdie nachzuftels 
len) als der größere Dichter. überhaupt. Er bietet und ein 
Bild feiner Zeit dar, welches treuer, ergöglicher, mannig⸗ 
‚faltiger, und fogar (troß aller Mängel) fittlicher ift, als das 
welches Plautus und Zerenz von Rom ober Griechenland 
aufficlen- j 

Einen Meiſter in feiner Art kann man auch Lafon= 
taine nennen, aber freilich iſt die Art felbft nur klein. 
Daß Boileau ben Dichten im höheren Sinne nicht beis 
zuzählen fey, geben bie meiflen neuen Beurtheiler wohl zu; 

VI. 11 


162 Sechstes Bud. Zünftes Hauptfiüd. 


während Viele um ber zierlichen Worte willen, bie Innere 
Bedeutungsloſigkeit der fenignefhen Briefe üuͤberſehen. 
An de Geſchichte wurben viele brauchbare Quellen, jes 
doch (fchon der damaligen oͤffentlichen Verhaͤltniſſe halber) 
Feine eigentlich unabhängigen, hiſtoriſchen Kunſtwerke erfien 
Ranges zu Tage gefördert. Deren Stelle vertreten bie pers 
fönlihen Dentwärdigleiten (me&moires), worin fich bie 
lebendige Auffaffing und der eigenthümliche Geift der Frans 
zofen in-einer fo mannigfaltigen und geſchickten Weiſe offens 
bart, daß in dieſer Beziehung Fein anderes Volk ihnen gleich 
zu ftellen if. — Bel den meiſten Kanzelrednern jme 
Zeit läßt fich (gleichwie bei den Tragikern) der Einfluß bed 
Hofes und dad Vorwalten des Nhetorifchen nicht verfennen. 
Freilich mögen beutfche, englifche, ſpaniſche Predigten aus 
jener Zeit, meift hinter denen Bourdaloues, Maffils 
lons und Flechiers zuruͤckſtehen; nur verlangt auch jetzt 
Keiner mehr, man ſolle jene leſen, bewundern und für uns 
“ Übertreffliche Muſter erklaͤren. 

. Die Baufunft warb unter Ludwig XIV vorzugsweiſe 
beguͤnſtigt; doch macht das Geleiſtete (3. B. Verſailles) 
mehr Eindruck durch ſeinen Umfang und in Erinnerung an 
dad glanzvoile Hofleben jener Zeiten, als durch Reinheit 
des Geſchmackes und vollendete Schoͤnheit. Man brach in 
Wahrheit Feine neuen Bahnen; ſondern verſchmaͤhte un Sans 
zen die heilige Baukunſt des Mittelalters, und blieb hinter 
der des Alterthums und des neuen Italiens zuruͤck 

Noch mehr Manier und Verkennen der einfachen Schoͤn⸗ 
beit, zeigte ſich bei der Bil dhauerei. — Die franzoͤſiſchen 
Maler wurden entweder ganz in Italien gebildet und Ich, 
ten immer bafelbft, fo daB man in ihren Werken (wie bei 
dem unübertroffenen Claude) gar nichts eigentlich Franzoͤfi⸗ 
ſches mehr erkennt. Oder fie nahmen löblicherweife bie 
Italiener im Weſentlichen zu Werbildern (wie Pauffin, Les 
run und Mignarb) ohne jeboch biefelben zu erreichen; .ober 
einige (wie etwa le Suͤeur) ‚gingen in ber täufchenden Hoffs 
nung einen eigenen Weg, er werbe bis zu einer. birchaud ei« 


Philoſophie. Descartes. 163 


genthämfichen und felbflänbigen Vollendung führen. — Die 
franzoͤſiſche Mufif wurzelte ebenfalld im ber italieniſchen; 
obwohl diefe unb die beutfche, Werke dauernderen Werthes 
hervorbrachten. | 
Sehen wir nunmehr zur Philofophie über, fo gilt 
RE Descartes (1596—1650) in der Regel ald der 
wahre Anfänger und Begründer bee neueren Philofophie, fos 
fern er alles Angenommene Tühn zur Seite und bergeflalt 
von Neuem in Frage ſtellte, ald habe noch gar keine Phis 
loſophie befanden und muͤſſe erſt aus dem Nichts erfchaffen 
werben. Bei feinem abmeifenden, auöftreichenben, verneis 
nenden Verfahren, blieb dem Descarted zulegt nur ein Satz 
als unbezweifelbar uͤbrig, das berühmt geworbene: Ich denke, 
alſo bin ichI Cogito, ergo sum. — Sollte bie Welt phis 
Iffophifcher Gedanken, welche ſich feit Thales entwidelt hats 
tm, in dieſe philofophifche Nuß zufammengepreßt und alled 
Übrige verworfen werben; fo wollte Descartes gewiß etwas 
Anderes damit ausfprechen, ald bie Zrivialität: daß es Mens 
fhen giebt, die da denken. 
Heißt nun ergo in jenem Satze: folglich, ſoll es 
den Zuſammenhang von Urſache und Wirkung, von vor und 
nach ausdruͤcken; fo liegt ber Verſuch nahe ben Satz auch 
einmal umzukehren, das nicht denkende Seyn hervorzuhe⸗ 
ben, oder das Denken vom materialen Seyn, oder das Ich 
vom Du ganz zu trennen. — Wird dagegen in jenem Sage 
die unbedingte Einheit, das flete und unbebingte Zufammens 
folen von Denken und Seyn auögebrüdt, fo mag man 
darin ein wmefentliched ‚Element neuer Forſchung und Ents 
widelung erbliden; gewiß aber war alsdann jene Hypothe⸗ 
ſis nichts weniger als an und fir fich ſelbſt klar und über 
allen Zweifel erhaben. — Auch bleiben die wichtigen Fragen 
übrig: ob die Bahn, welche mit dem unbebingten Zweifel 
beginnt, wirklich die allein richtige, bie tieffinmigfle und gotts 
verwanbtefte ſey? Ob die Lehre man müfle Alles bezweis 
feln nicht im letzter Stelle eben fo in Unglauben, als bie 
Ehre man muͤſſe uͤberall den Glauben voranſtellen, in 
Zu 41 


164 Sechstes Bud. Fuͤnftes Hauptfiäd. 


Aberglauben hineinfuͤhre? Ob das ſubjektive Denken, ſchon 
ein objektives Erkennen in ſich ſchließe, und dies daraus her⸗ 
vorgehe? Ob nicht aus jenem Grundkeime, viele Irrwege 
und Krankheiten der neueren Philoſophie nothwendig hervor⸗ 
brechen mußten? Und ob Descartes (wie Diogenes) ſeine 
Laterne nicht zu einer Zeit anſteckte wo ſchon ganz andere 
Lichter die Welt erleuchteten? 

Wenigſtens wurden biejenigen Nachfolger Descartes, 
welche lediglich an der Bejahung ihrer ſelbſt, mit ertraͤum⸗ 
ter Algenugfamkeit fefthielten, fpäter meift gewahr daß ſi ie 
fi ich in einer Wuͤſte befanden; Andere hingegen ſchritten in 
einer Richtung fort, welche der fruͤher allein geprieſenen wi⸗ 
derſprach. Jene wurden durch die Skepſis in Materialismus 
hineingefuͤhrt, bezweifelten zuletzt ihren eigenen Geiſt (wie 
viel mehr andere Geiſter), ſetzten das Zeitliche und Entſtan⸗ 
dene dem Nichtigen, das Fließende dem voͤllig Verſchwinden⸗ 
den gleich, und ſprachen der ſterblichen Seele alle wahre 
Weſenheit und Wirklichkeit ab. — Dieſe ſprangen, trotz an⸗ 
faͤnglichen Zweifelns (wie auch Descartes z. B. bei der Lehre 
vom Daſeyn Gottes) um in die dogmatiſche Demonſtration, 
welches allerdings ein Gefuͤhl und Beduͤrfniß hoͤherer Art 
nachweiſet und bezeugt, aber freilich auf ſo ſchmalem Boden 
nicht zum Ziele fuͤhren kann; ſondern die Duͤrftigkeit jenes 
erſten, angeblich allein herrſchenden und erzeugenden Grund⸗ 
ſatzes, doppelt ind Licht ſtellt. Gewiß hatten Anfelm von . 
Ganterburg und fein Gegner Gaunilo, Iängft denfelben Weg 
mit großem Scharffinne betreten. 

Weil Descartes Werfuch, Gotte gleich, aus Nichte et: 
was zu fihaffen, mehreren feiner Nachfolger mißlungen er: 
ſchien, warb er von ihnen mit gleichem Selbflvertrauen wies 
derholt; wie wir ja auch in ber zweiten Hälfte des achtzehn⸗ 
ten Jahrhunderts der Geifler genug finden, welche alles 
Frühere zur Seite warfen, und ſchoͤpferiſch Gefelligkeit und 
Staat aus ganz ungelannten Materialien und zu ganz ans 
deren Zwecken durchaus neu begründen wollten. — Das 
Bonvornanfangen hat überhaupt feine Licht, aber auch feine 


Descartes. Philoſophie. 165 


Schattenſeite. Gegen ben Reichthum, ben Sufammenhang, 
die Ausbildung der platoniſchen und ariftotelifhen Philoſo⸗ 
phie, erfcheint die bed Descartes aͤrmlich, unzufammenhans 
gend, formlos. Seine mechanifch matertaliftifche Naturphis 
loſophie läßt Seyn und Denken ganz auseinanderfallen und 
ift durchaus ungenügend; der dritte Haupttheil ber Philoſo⸗ 
phie, Ethik und Politik fehlt, endlich ganz. 

Daß Descarte (bei feiner Natur, und dem Gange feis 
ned Lebens und feiner Befchäftigungen), die Philofephen des 
Mittelalterd nicht las oder nur fehr wenig berüdfichtigte, ift 
um fo weniger zu verwundern, ba ja noch in unferen Tas 
gen behauptet wird: man müffe mit Siebenmeilenftiefeln 
über biefe Zeit der Barbarei hinwegeilen, und es fey kei⸗ 
nem Menfchen zuzumuthen die Philofophie ded Mittelalters 
aus Autopfie zu kennen ')! 


‚Hätte man ſich zur Zeit ded Descartes bloß der Herr⸗ 
fchaft bed mißgebeuteten Ariftoteled, ober ber Kirche wider: 
ſetzt, fofeen fie den Wernunftgebrauch übermäßig befchränten 
wollte; fo müßte jeber Unbefangene diefe Beftrebungen bil: 
ligen. Daß aber die tieffinnigflen Forſchungen (welche nach 
allen Richtungen fiber bie wichtigften, mit dem Chriftenthume 
in die Welt getretenen Fragen und Lehren, feit mehr als 
einen Sahrtaufend angeftellt waren) daß biefe damald und 
fpäter fo lange ganz unberudfichtigt blieben; daß die Einen 
eben fo eine chriftliche Philofophie, wie die Anderen An phis 
tofophifches Chriſtenthum verwarfen, und Xheologie und 
Philoſophie ſich in diefer Uneinigkeit, Zerwürfniß und Zers 
ſtuͤckelung vormwärtd bewegen wollten; daß man zwiſchen den 
Sehren von ber Allmacht oder Nichtigkeit des Ichs, zwifchen 
Vergoͤttern uud Verfluhen der Natur, fo lange und fo oft 
hin⸗ und herſchwankte: — das Alles war großentheils ein 
Unglüd und ein Irrweg; und wo fo Viele den untadelhaf⸗ 
ten Anfangspunkt geradlinigen Fortſchrittes fehen, ließe ſich 


1) Hegels Gefchichte der Philofophie, Werte KV, 99, 149. 


n 


164 Sechstes Buch. Fuͤnftes Hauptftüd. 


Aberglauben hineinführe? Ob das fubjektive Denken, fon 
ein objektives Erkennen in fich fehließe, und dies daraus herz 
vorgebe? Ob nicht aus jenem Grundfeime, viele Irrwege 
und Krankheiten ber neueren Philofophie nothwendig hervor: 
brechen mußten? Und ob Descarted (wie Diogenes) feine 
Laterne nicht zu einer Zeit anftedte, wo ſchon ganz andere 
Lichter die Welt erleuchteten? 

Menigftend wurden Diejenigen Nachfolger Descartes, 
welche lediglich an der Bejahung ihrer felbft, mit ertäums 
ter Allgenugſamkeit fefthielten, fpäter meiſt gewahr daß fie 
fih in einer Wüfte befanden; Andere hingegen fchritten in 
einer Richtung fort, welche der früher allein gepriefenen wis 
derſprach. Sene wurden durch die Skepſis in Materialismus 
hineingeführt, bezweifelten zuletzt ihren eigenen Geift (mie 
viel mehr andere Geifter), febten das Zeitliche und Entſtan⸗ 
dene dem Nichtigen, das Fließende dem völlig Berfchwindens 
ben gleich, und fprachen ber fierblihen Seele alle wahre 
Pefenheit und Wirklichkeit ab. — Diefe fprangen, troß ans 
fänglichen Zweifelns (mie auch Descartes z. B. bei der Lehre 
vom Dafeyn Gotted) um In die dogmatiſche Demonftration, 
“welches allerdings ein Gefühl und Bedirfniß höherer Art 
nachweiſet und bezeugt, aber freilich auf fo ſchmalem Boden 
nicht zum Ziele führen kann; fondern die Dürftigkeit jenes 
erften, angeblich allein berrfchenden und erzeugenden Grunds 
ſatzes, doppelt ind Licht flelll. Gewiß hatten Anſelm von 
Ganterbury und fein Gegner Gaunilo, längft denfelben Weg 
mit großem Scharffinne betreten. 

Weil Descartes Verſuch, Gotte gleich, aus Nichte et- 
was zu fihaffen, mehreren feiner Nachfolger mißlungen ers 
ſchien, ward er von ihnen mit gleichem Selbflvertrauen wie⸗ 
derholt; wie wir ja auch in ber zweiten Hälfte des achtzehn= 
"ten Bahrhunderts der Geifler genug finden, welche alles 
Frühere zur Seite warfen, und fhöpferifch Gefelligkeit und 
Staat aud ganz ungelannten Materialien und zu ganz ans 
deren Zwecken durchaus neu begründen wollten. — Das 
Bonvornanfangen hat Überhaupt feine Lichts, aber’ auch feine 


Descartes. Philoſophie. 165 


Schattenfeite. Gegen den Reichthum, den Zuſammenhang, 
die Ausbildung der platonifchen und ariftotelifhen Philoſo⸗ 
pbie, erfcheint die bed Descartes aͤrmlich, unzufammenhans 
gend, formlos. Seine mechaniſch matertaliflifche Naturphi⸗ 
loſophie laͤßt Seyn und Denken ganz auseinanderfallen und 
ift durchaus ungenügend; der dritte Haupttheil ber Philofos 
phie, Ethik und Politik fehlt, endlich ganz. | 

Daß Descartes (bei feiner Natur, und dem Gange feis 
ned Lebens und feiner Befchäftigungen), die Philofophen bes 
MittelalterB nicht las ober nur fehr wenig berüdjichtigte, ift 
um fo weniger zu verwunbern, ba ja noch in unferen Ta⸗ 
gen behauptet wird: man müffe mit Stebenmeilenftiefeln 
über dieſe Zeit der Barbarei hinmwegeilen, und es fey kei⸗ 
nem Menfchen zuzumuthen die Philofophie des Mittelalters 
au Autopfie zu Fennen ')! 


Hätte man fich zur Zeit des Descartes bloß der Herr⸗ 
ſchaft des mißgedeuteten Ariſtoteles, ober der Kirche wider⸗ 
fest, fofern fie den Vernunftgebrauch uͤbermaͤßig befchränten 
wollte, fo müßte jeder Unbefangene diefe Beſtrebungen bil: 
ligen. Daß aber die tieffinnigften Forſchungen (melde nad) 
allen Richtungen über bie wichtigften, mit dem CEhriftenthume 
in die Melt getretenen ragen und Lehren, feit mehr als 
einem Jahrtauſend angeftellt waren) daß dieſe damals und 
fpäter fo lange ganz unberhdlfichtigt blieben; daß bie Einen 
eben fo eine chriftliche Philofophie, wie bie Anderen ein phis 
loſophiſches Chriftenthum verwarfen, und Theologie und 
Philoſophie ſich im diefer Uneinigfeit, Zerwuͤrfniß und Zer⸗ 
flüdelung vorwaͤrts bewegen wollten; daß man zwiſchen ben 
Sehren von ber Allmacht oder Nichtigkeit des Ichs, zwiſchen 
Bergöttern uud Verfluhen der Natur, fo lange und fo oft 
bins und berfchwankte: — das Alles war großentheild ein 
Ungluͤck und ein Irrweg; und wo fo Diele ben untabelhafs 
ten Anfangöpunkt geradlinigen Fortſchrittes fehen, ließe fich 


1) Begels Gefchichte der Phitofophie, Werke XV, 99, 149. 


bu} 


x 


166 GSchutes Bud. Funftes Hauptſtück 


wohl von anderem Standpunkte aus ein Ruͤckſchritt, oder 
nur ber Anſang carteſianiſcher Wirbel erblicken ). 

Gewiß war es ein Verdienſt, daß Peter Bayle (1647 — 
1706), (vor Allem in ſeinem Hauptwerke, dem philoſophi⸗ 
ſchen Woͤrterbuche) Unbekanntes und Vergeſſenes mit unge⸗ 
meiner Gelehrſamkeit zu Tage foͤrderte, einer ſcharfſinnigen 
Pruͤfung unterwarf und es rund heraus ſagte: die damalige 
Philoſophie und die damalige Kirchenlehre ſeyen unvertraͤg⸗ 
lich und es bleibe nichts uͤbrig als eine von beiden anzuneh⸗ 
men, und die andere zu verwerfen. — Zuletzt war aber auch 


1) Die Gruͤnde dieſer Behauptungen und meiner hohen Schaͤz⸗ 
zung ber philofophifchen Schulen des Mittelalters, kann ich hier nicht 
näher entwickeln 5 doch mögen einige hieher gehörige Andeutungen 
Pas finden. 


a) War man damals ber Herrſchaft bloßer Autorität keineswegs 
fo unbedingt unterworfen, wie man gewöhnlich annimmt. So fagt 
Guilielmus Parisiensis (opera II, 116) Homines imbecillis intellec- 
tus quasi mole zmagnitudinis disjiciuntur in errores et permittitur 
ne resurgant ab eis; tanquam si nomen et auctoritas non solum 
verificaret, sed etiam quasi deificaret homines hujusmodi atque in- 
fallibiles efliceret. } 


b) Fehlte e8 damals keineswegs an allen fleptifchen Unterfuchuns 
gen. So fagte Abälarb vier Jahrhunderte vor Descartes: Dubitando 
ad inguisitionem venimus, inquirendo veritatem percipimus (Sic et 
non p. 16); und bas eben angeführte Werk beruht ganz auf biefen 
Grundfägen. Sehr fcharfiinnig zeigt aber Wilhelm von Paris (de fide 
cap. 1) wie ber bloße Zweifel (wenn er nicht ganz negativ werben 
will) faft im die Demonftration hineinzwingt, ohne baß biefe jemals 
ein ficheres Ziel erreiche, fobalb ber Anfang einer glaubenden, unmits 
telbaren Gewißheit fehle. (Jacobis Lehre). 


c) Das carteflanifche: cogito ergo aum; ift im Wefentlichen ſchon 
durch jenen Wilhelm von Paris folgenbergeftalt ausgefprochen; Non 
‚ est possibile homini intelligere animam suam non esse. — Patefac- 
tum est nullam animam rationabilem vel aliam substantiam intel- 
ligentem intelligere posse vel credere, vel etiam. dubitare se non 
esse. — Unicuique animali rationali notum est suum esse, et 
nota ipai sibi notitia certissima, qua certitudine nulla » 
major. (De anima, opera II, 68, 72). 


Baplez Malebranche Paetai. 467 


Bourbaloue dieſer Meinung, indem er predigte: wenn ich 
an bie Dreieinheit glaube, bringe ich Gott dem allerebelften 
Theil meiner ſelbſt zum Opfer, — ndmlih ‚meine Vers 
nunft!) | 

Malebrandhe (1638 — 1715), unbegnügt mit ber kal⸗ 
ten Negativität des Gartefianismus und ber Huͤlfsbedürftig⸗ 
keit des vereinzelten Menſchen, ſuchte ihn wieder zu einem 
unmittelbareren Verhaͤltniſſe mit Gott zu erheben und lehrte: 
Daß wir alle Dinge in Gott ſchauen?); was jedoch ebenſalls 
eine Einfeitigkeit in fich ſchloß, und bereitd vom heiligen 
Auguftinus ‚deutlicher fo ausgebrüdt wurbe: Tprecht nicht, 
daß ihr ſelbſt euer eigenes Licht feyd. — Dbgleiih Male 
branche ein Franzoſe war, fand feine Lehre unter feinen 
Zanböleuten doch nur wenig Anklang, während man aus 
Descartes mehr ihrer Natur Analoges und Zufagendes ent: 
wickeln konnte und entwidelte. 

Blaiſe Paskal (1623— 1662) war weder ein ſyſte⸗ 
matifcher Theolog, noch ein foftematifcher Philofoph, bat 
aber in feinen pensdes einen ſolchen Reichthum von Ge 
danken und von Keimen zu Gebanten (fermenta cognitio- 
"nis) niedergelegt, daß er den audgezeichnetfien Köpfen bei⸗ 
gezählt werden muß. Ein einzelner, abfoluter Sat, genügte 
feinem Geiſte und Gemüthe in Feiner Weiſe. „Er hilft (fagte 
Paskal) zu Nichts wenn man ihn nicht erklärt und auseins 
anderlegt; fo bald dies aber gefchieht, tritt gar Verſchiede⸗ 
nes hervor und ed erneuet ſich die Verwirrung, welche man 
eben vermeiden wollte. — Allerdings befteht bie menfchliche 
Wuͤrde im Gedanken, und nicht im Zeitlihen und Raͤum⸗ 
lichen; allein man ift fehr ſhhwach im Denken, fo lange 
man nicht einfieht daß unendlich viel Dinge über die Graͤn⸗ 


1) Quand je crois un Dien en trois personnes, je lui fais un 
sacrifice, et de quoi? De la plus noble partie de moi meme, qui 
est mu raison. Bourdaloue sermons Vol.J, sur la trinite, pag. 380. 


2) Ähnliches lehrte Bonaventura ſchon im breischnten Jahre 
Hunberte, = 


168 Sechstes Bud. Fuͤnftes Hauptftüd. 


zen und Kräfte ber Vernunft hinausliegen. Jeder ſoll wiſ⸗ 
fen wo er zweifeln, behaupten, oder fich unterwerfen muß. 
Wer Alle erweiſen will, verſteht fich nicht auf die Demon 
ſtration; wer an Allem zweifelt, weiß nicht wo er ſich uns 
terwerfen müßte; und wer fich überall unterwirft, begreift 
nicht wo er ıntheilen follte. — Wir leiden an einer Unfäs 
higkeit des Beweiſens, welche Fein Dogmatismus überwins 
den kann; wir haben einen Begriff der Wahrheit, welchen 
keine Skepſis zu zerſtoͤren vermag. Die Natur widerlegt 
und beſchaͤmt die Zweifler; die Vernunft widerlegt und be⸗ 
ſchaͤmt die Dogmatiker. — Durch bloße Schlußfolgen und 
Raiſonnements kommt der Menſch nicht zum hoͤchſten Ziele: 
naͤmlich Gott, ſich ſelbſt und ſeine Beſtimmung zu erkennen. 
Das Herz hat auch ſeine Gruͤnde, die der Verſtand nicht 


kennt, und gegen Hochmuth wie gegen Verzweiflung braucht - 


man andere Hülfe, ald welche bie bloße Schule barbietet. 
Ohne Religion lernt man wohl die Übel kennen, weiß aber 
nicht wie man von ihnen erlöfet werde.” 


Unter den SIanfeniften hatte Paskal Anſehen und Eins 
wirkung; aber um beöwillen auch viele theologifche und phi⸗ 
lofophifhe Gegner. 

Im Allgemeinen erlangte bad, was man in Frankreich 
Phitofophie nannte, erft im achtzehnten Jahrhunderte umfaffen: 
bere Wichtigkeit: wenigftend konnte ein König wie Lud⸗ 
wig XIV, ein Hof, eine Verwaltung wie bie feinige, wes 

der Philofophie brauchen, noch verfiehen, noch beguͤnſtigen. 

Wenden wir und jeßt zur Kirche und Geiſtlichkeit, 
fo findet fi daß ber Grund zu dem Denkwuͤrdigen und 
Loͤblichen welches die Zeit Lubwigs XIV zeigt, ſchon unter 
feinem Water gelegt wurde. Deshalb fagt Bauffet in feinem 
Leben Fenelons '): der Kardinal Richelieu gab bei der Wahl 
der Bifhöfe genau darauf Acht dag Wiffenfchaft mit Sit⸗ 
tenreinheit und Sorgfalt für die Kicchenzucht verbunden fey. 


1) Bausset I, 19, 


Geiſtlich keit. 169 


Unter ſeinem Miniſterium nahm Alles einen Charakter an, 
von Ordnung, Anſtand und Wuͤrde. Dieſer Zeitraum hat 
den wahren Ruhm der franzöfifchen Kirche gegruͤndet, und 
eine in jeder Beziehung treffliche Geiſtlichkeit gebildet. — 
Unter Ludwig XIV kam fie immer mehr in den Bereich des 
Hofes und warb für den Adel Mittel des Erwerbs '), ſowie 
fire den König Mittel feine Abfichten burchzufegen; ja ohne 
Geldbeduͤrfniß und Aberglauben würde er noch mehr in bie 
kirchlichen Kreife hineingegriffen haben. 

Erft nach erhaltener koͤniglicher Erlaubniß durften bie 
GSeiftlihen fi verfammeln. Jeder Sprengel erwählte Ab: 
geordnete für die Landfchaft”), und dieſe ermählten alsdann 
Abgeorbnete fir die allgemeine Verſammlung. Die eine 
Hälfte berfelben gehörte in ber Negel zur höheren, die zweite 
vertrat die niebere Geifllichkeit. Für fchnellere Behandlung 
ber Geſchaͤfte bildete man mehre Abtheilungen. Den Borfig 
fuͤhrte ein hiezu erwaͤhlter Erzbiſchof oder Biſchof, und ben 
Abgeordneten der niederen Geiſtlichkeit geſtand man nur eine 
berathende Stimme zu). Öfter als für religioͤſe Zwecke, warb 
die Geiftlichkeit berufen um freie Gaben (dons gratuits) 
zu berwilligen. Die Beiträge erhuben befondere Steuerein⸗ 
nehmer nach acht Klaffen, oder Abftufungen. Zur erflen ges 
hörten Abteien, Kiöfter, Priorate u. f. w. welche Beine Res 
fivenz erfordertenz zur zweiten Erzbisthuͤmer und Bisthis - 
mer, welche zu beftimmtem Aufenthalt verpflichteten; dann 
folgten ſechs Klaſſen nah Maaßgabe größerer oder geringerer 

1) Darüber bag unter Lubwig XIV auch viele geiftliche Stellen 
verfauft wunben, klagt S. Pierre Annales politiques I, 64. 

.2) Nach Expilly Dictionn. article archeveche gab es in Frank⸗ 
ceich 18 Erzbisthuͤmer, 101 Bisthümer, 738 Mannedabteien, 260 Wei: 
berabteien, 610 Kapitel. Hierbei ift aber von Beinen, beſonders Bet: 
telkloͤſtern nicht die Rebe. 

3) Bausset Vie de Bossuet IV, 8, 17. Necker sur T’adgini- 
atration des Finances Vol. 1. Chlöxr Staatsanzeigen VIII, 30, 
148. Voltaire XXI, 290. 


. 


"470 Sechstes Buch. Fuͤnftes Hauptſtück. 


VEUinnahme. Zur letzten gehörten alle Pfarrer welche weniger 
als 500 Livres bezogen, und mit. "+ ihrer Einkuͤnfte ange⸗ 
ſetzt wurden. Streitigkeiten hieruͤber entſchied in erſter 
Stelle die mit Geiſtlichen beſetzte Behoͤrde jedes Sprengels; 
in hoͤherer Stelle aber entſchieden acht Kammern, worin 
auch Rechtsgelehrte aufgenommen waren. Die Geiſtlichkeit 
hatte keineswegs immer ihre freien Gaben wirklich aufge⸗ 
bracht, ſondern oft Schulden gemacht, zum Theil um (die⸗ 
ſer übelen Lage halber) weitere Sorderungen deſto eher ableh⸗ 
nen zu koͤnnen. 

Bei Befegung geifllicher Stellen verfuhr man nach oͤrt⸗ 
lichem Rechte und Herkommen, fowie nach den allgempinen 
mit dem Papfte gefchloffenen Verträgen. Wer zu Rom, im 
Wege der Gnade franzöfifche Pfründen erhielt), follte vor 
feiner Einführung eine Prüfung feiner Sitten und Kennt: 
niffe beflehen. In ben buch Frankreich eroberten Land: 
ſchaften durften deutfche Patrone die Pfrunden nur an In⸗ 
Länder verleihen”). Den Bifchöfen verblieb bloß die Genfur 
gewiſſer geiftlichen zu Gottesdienſt und Unterricht beftimmten 
Bücher. Ein gegen den Erzbifchof von Paris gefchriebenes 
Werk, warb 1699 durch den Henker verbrannt’). 

Dbgleich ed, wie gefagt, Plan und Zweck unferes Wer: 
kes nicht erlaubt jeben zut Zeit Ludwigs XIV bebeutenden 
Mann zu fohildern, war doch Boffuetd Wirkſamkeit und 
Ruhm in-allen geifllichen Kreifen fo ungemein groß, daß ex 
bier eine umfländlichere Erwähnung: verbient. Und dies um 
fo mehr da ſich ebenfalld bei ihm die Licht und Schatten: 
feiten jener Zeit wiederfinden und das Bild derfelben ver: 
vollſtaͤndigen ). Er war geboren in Dijon den 27ſten Sep: 
tember 1627, warb 1652 Doktor, und erft Biſchof zu Con- 
bom, dann zu Meaus. Die Kraft und Lebhaftigkeit feines 


1) Recueil d’edits II, 15. 

.2) Isambert XIX, 259, 135. 

$) Dangeau II, 13. _ 

4) Bausset Histolre de Bossuet. 


\ 


Boffuer. 171 


Geiſtes, die Zefligkeit feines Willens, ber Umfang feiner 
Kenntniffe und die Macht feiner Beredſamkeit iſt von zahl 
reichen Werehrern aufs Hoͤchſte gepriefen worden; inbeffen 
ergiebt eine unbefangene Prüfung, daß feine Beredſamkeit 
oft-der unentbehrlichſten Grundlage, bes Wahrheit, ermans 
gelte und diefe duch ſchwuͤlſtige und zugleich froftige Über: 
treibungen zu erfeken fuchte. Seine Kenntniffe hatten fchon 
deshalb manche Lücken, weil er feine Forſchungen meift zu - 
Darteizweden anftellte und anwandte; die Lebhaftigfeit feis 
nes Geifted trieb ihm mehre Male über die Gränzen ber 
Milde und Mäßigung hinaus, und wenn man ihn der Kraft 
des Charakters und Willens halber welche er in mancher 
Streitigkeit bewies, einen geborenen Kirchenfürften nennen 
möchte, fo warb er doch (zwar nicht in allen‘), aber doch 
in vielen Fallen) bem Willen des Königs gegenüber, ein 
Achfelträger, ja ein fchmeichelnder Knecht. 
Seine allgemeine Gefchichte zeigt Geſchicküchkeit im 
Auffaffen und Gewanbtheit im Erzählen, auch weifet fie mit 
Recht hin auf die Vergänglichkeit alles Irdiſchen, und auf 


Gott und Vorſehung, ald die ewigen Leitflerne menſchlicher 


Entwidelung. Allein fie genügt weber in Hinfiht ber 
Forſchung, noch if fie in Hinfiht auf Anordnung und Dars 
ſtellung ein wahres Kunſtwerk, noch erfcheinen bie leitenden 
Grundſaͤtze frei von Parteilichleit und Borurtheilen. Daher 
find die Thatſachen nicht felten in eim falfches Licht geftellt 
und das Untergeordnete, kaum Halbwahre, wird ald unbes 
dingt letztes und hoͤchſtes Ergebniß ausgeſprochen. Ja als 
Frucht der ganzen Weltbetrachtung giebt der Biſchof dem 
Dauphin am Schluſſe des Werks die geheiligte Lehre): 
„Wenden Sie alle Ihre Macht an Jegliches was ſich von 
ver Kirche getrennt bat zu ihr zuruͤckzubringen, und ihr Gehör 


1) &o konnte er 3. 8. allerdings ben Skandal mit der Monted« 
pan, einem gewiffenhaften Geiftlichen gegenüber, nicht billigen; wie er 
fich aber-in anderen Fällen benahm, wird ſich ſogleich ergeben. 


2) Discours I, p. 882 om Ende der zweiten Abtheilung. 


+ 


172 Sechstes Buch. Fuͤnftes Hauptfüd. 


zu verfchaffen, da ber heilige Geift durch fie feine Orakel 
. ausfpricht ).“ | 

Ein zweites, hochgerühmtes Werk Boffuets, die Gefchichte 
ber religiöfen Veränderungen (variations) in ben proteflantifchen 
Kirchen, ift auch nur eine Parteifchrift und trifft fo wenig 
den wefentlihen Kern ihrer Lehre, ald ein ähnlicher, kei⸗ 
neöwegs ſchwieriger, Angriff auf ben Katholicismus, dieſem 
erheblichen Schaden bereiten ober viel wider ihn ermeifen 
würde. AU die kleinen Gegenfäbe und fcheinbaren Verwir⸗ 
rungen der allmäligen Entwidelung, betrachtet Boffuet nicht 
als natürliche, aber untergeordnete Zeichen höheren Lebens; 
fondern er hält fie für das Weſen felbft, und bleibt über: 
al auf dem untergeordneten Standpunkte fliehen, wo ein 
Entwidelungsgang der Weltgefchichte unbegreiflih, ober 
Glauben und Erkenntniß in unlöslichem Gegenſatze er: 
Scheint. — 

Ein drittes Werk das hier Erwaͤhnung verdient, iſt 
Boſſuets, der heiligen Schrift entnommene Politik (Politi- 
que tirée des propres paroles de Pécriture)). Sie 
ſchließt fih, wie der Titel fagt, fo genau dem Texte ber 
Bibel an, daß er nur die fchlechthin nothwendigen Külftüde 
und Züllworte binzugethan hat. Natürlich bietet dad Buch 
aller Bücher Weisheit in Überfluß dars jedoch mehr hin⸗ 
ſichtlich der allgemeinen Grundfäge von Gefelligkeit, Menfch- 
lichkeit und dgl., ald in Hinficht auf befontere Anwendung 
und Gründung irgend einer einzelnen Form bed Staats: 
rechts. Wenn ferner Boſſuet faft auöfchließend das alte 
Teſtament zu Grunde legte und alle Beifpiele und Regeln 
vom jübifhen Staate hernahm, fo mußte Manches eine eben 
fo einfeitige und verkehrte Richtung befommen, als wenn 
Macchiavelli Iediglih Rom im Auge behielt. Und ber flete 
Hinblid auf die Regierungdweife Lubwigd XIV, Eonnte jene 


1) Wir werben fogleich fehen, wie biefe Lehre zur Anwendung 
kam. 
2) Raumer über Recht und‘ Staat 161. 


, Voſſuet. Kirchliche Streitigkeiten. 173' 


Einſeitigkeit nur vermehren, nicht vermindern. Daher unter⸗ 
ſcheidet Boſſuet zwar unbeſchraͤnkte Gewalt von Willkuͤr, 
meint aber doch die einzige Schutzwehr der Einzelnen wider 
die hoͤchſte Gewalt, ſey bie Unſchuld; mit welcher Außerung 
eigentlich alles formale Staatörecht geleugnet ober für uns 
möglich erflärt wird. Auch weifet er feiner unbefchränkten 
Gewalt fo große und ausſchließliche Rechte zu‘), daß fie 
gar Vielen ald Zyrannei erfcheinen, ober bdiefelbe berbei- 
führen dürfte. Nur demüthige Worftelungen und Gebete 
um Beſſerung ber Fürften, werden ald Mittel gegen den 
Mißbrauch ihrer Gewalt aufgeführt. Ausrottung angeblich 
falfcher Religionsanfichten mit Gewalt, gilt dem, auf juͤdi⸗ 
ſche Beifpiele fich ſtuͤtzenden Bifhofe, auch bier nicht für 
Mißbrauch derfelben ?), fondern für Pfliptübung eines chriſt⸗ 
lichen Herrfchers. 

Während der Regierung Ludwigs XIV warb nicht bloß 
diefer Grundſatz verdammlicher Weife gegen bie Huguemotten 
zur Anwendung gebracht; fondern es entflanben auch inner⸗ 
balb der FTatholifchen Kirche ſehr große Streitigkeiten, bei 
denen Boſſuet meift eine Hauptrolle fpielte. Hieher gehört 

1) Der Streit mit dem Papſte über die fogenannte Res 
galie und bie Rechte der franzdfifhen Kirche. 

2) Der Streit mit dem Papfte Über bie Quartier 
freiheit in Rom. 

3) Der Streit Über den Janſenismus. 

4) Der Streit über den Quietiſsmus. 

5) Der Streit Uber dad Buch bed Pater Quesnel, 
welcher die Bulle unigenitus herbeiführte. 


1) Als man Boffuet, der felbft viele Bücher verbot, auch unter 
Cenſur ftellte, erfuhr er daß es bedenklich fey die Staatsmacht wills 
kuͤtlich zu erweitern. Ge fchrieb bem Karbinal Noailles: j'implore le 
secours de Madame de Maintenon, & qui je n’ose en &crire, Baus- 
set Vie de Bossuet IV, 275, 288. Lenormant cours d’Histoire an- 
ciemne 127. 

2) Le grand Bossuet — s’est trompe& dans presque toutes 
les questions de la libertö! Lenormant 130. 


>. 


TE Sechstes Buß. Fünftes Hauptfiäl. 


Alle. diefe Streitigkeiten find mit großer Leibenfchaft und 
ermüibender Weitläufigkeit geführt worden; fir unfere Zwecke 
genüuͤgt ed fie in möglichfler Kürze zu ſchildern. 

Zu 1. Vermoͤge des fogenannten Rechtes ber Reyalie 
ober Regale, ließen bie Könige während der Erledigung 
von Bisthuͤmern die Einkünfte derſelben verwalten unb bes 
fegten manche niebere geiftllihe Stellen. In Langueb’oc,. 
Guienne, Provence, Dauphine und einigen anberen Gegen 
den hatte jeboch dies Recht niemald beflanden, und deſſen 
Ausdehnung, zum Nachtheile der biſchoͤflichen und päpftlis 
den Macht, war auf der Kirchenverfammlung zu yon im 
Sabre 1274 ausbrüdlich verboten worden‘). Um hierüber 
entflandenen Zweifeln und Streitigkeiten en Ende zu mas 
hen, erließ der König aus eigener Machtvollkommenheit am 
18ten April 1673 unerwartet ein Geſetz wodurch er die Ne 
gale über ganz Frankreich außbehnte, und fie. unverdäußerlich 
unb unverjährbar nannte”). Die meiften Landfchaften und 
Biſchoͤfe hatten nicht den Muth Ihre Mechte zu vertheibis 
gen, nur bie Bifchöfe Pavillon von Aleth und Caulet von 
Pamierd widerfprachen und wandten fich, als die Erzbiſchoͤfe 
von Narbonne und Zouloufe ihnen Unrecht gaben, an ben 
Papſt. Innocenz XI hob den Spruch der Erzbiſchoͤfe auf, 
wogegen Ludwig am 10ten Julius 1680 eine ihm beiftims 
mende Erflärung vieler Prälaten bewirkte Manche wollten 
felbft in Rom die ganze Sache nur von dem Standpunkte 
Außerlicher Weltklugheit betrachten und bie Rechtsfrage ganz 
bei Seite ſtellen; weil aber hier gar nicht von einem wills 
kuͤrlichen Umfichgreifen des Papfted, fondern bed Königes die 
Rede war, hielt es jener für Pflicht die Rechte feiner Heerde 
gegen bie bloße Gewalt zu vertreten, und hemmte deshalb 
die geiftlichen Handlungen berer, welche ſich den koͤniglichen 
und erzbifchöflihen Berfügungen unterwarfen. Hieruͤber 
aͤußerſt erzuͤrnt, gedachte Ludwig den Papſt mit feinen eis 


1) Bausset Histoire de Bossuet II, 113, 
9) Becueil d’ödits JI, 116. 


Regale. Die vier Artikel. 125 


genen Waffen zu befiegen, und berief (fo hieß es) eine alls 
gemeine franzoͤfiſche Kircdenverfammlung. In Wahrheit bınfs 
ten aber für jeden ergbifchöflichen Sprengel nur zwei Bi⸗ 
(Höfe und zwei Abgeorbnete geringeren Ranges nad) Belieben 
des Hofes ausgewählt werben; unb, damit es ihnen nicht 
verborgen bleibe wad man von ihnen erwarte, wurden um 
biefelbe Zeit allein im Sprengel von Pamiers über SO Geiſt⸗ 
liche verwiefen, eingefperrt ober gezwungen fie zu verfleden. 
Ja man ſprach feldft Todesurtheile wider biefenigen aus, 
weiche bie alten Kirchenfreiheiten zu verfheibigen wagten. 

Am IJoſten Oktober 1681 eröffnete Boſſuet die Meine 
Kicchenverfommlung, wobei er fi aufs Außerſte abmihte 
die päpfitichen, Töniglichen und bifchöflichen Rechte auszuſoͤh⸗ 
nenz — eine Aufgabe keineswegs an ſich unmöglich, wohl 
aber in ſofern ald es diesmal barauf ankam Gewalt al 
Recht darzuſtellen. Das Einzelne zur Seite laſſend, 
drang befossderd Golbert, ſelbſt im Widerfpruche gegen Tel⸗ 
lier darauf, allgemeine Srunbfäge über die Rechte der fran⸗ 
zöfifchen Kirche auszufpredden, unb er wirb als ber eigent« 
liche Ucheber der berlihmt gewordenen vier Artikel genannt. 
Sie lauten ): 

1) Die geiſtliche Gewalt erſtreckt ſich nur auf geiſtliche, 
nicht auf weltliche Dinge, weshalb man die Koͤnige nicht 
abſetzen und ihre Unterthanen nicht vom Eide der Treue ent⸗ 
binden kann. 

2) Die yäpfllicde Gewalt geht nicht über die Befchläffe 
allgemeiner Kirchenverfammlungen hinaus. 

3) Die päpftliche Gewalt wird durch allgemeine Kirchen⸗ 
geſetze geregelt, und die Rechte und Gewohnheiten der fran⸗ 
zoͤſiſchen Kirche ſollen ihre Kraft behalten. 

4) Die Entſcheidungen des Papftes, beſonders in Glau⸗ 
bensſachen, verpflichten die Glaͤubigen; deßungeachtet ſtehen 
dieſe Entſcheidungen erſt durchaus feſt, wenn die Kirche fie 
angenommen hat. | 


1) Recneil d’edits I, 178. Larrey V, 76. 


176 Sechstes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck. 


»  &he die Kirchenverſammlung über dieſe Punkte zum 
Schluſſe kam, hatte fie fi den Forderungen Ludwigs Uber 
die Regale unterworfen; denn, fagte Bofluet, die Sache fey 
nit fo wichtig und für Rachgiebigfeit an biefer Stelle werbe 
man anderwärt3 weit größere Vortheile vom Könige erhal⸗ 
ten. Diefe Hoffnungen gingen inbeß faſt gar nicht in Er⸗ 
füllung, während ber König durch ein Geſetz vom 24ften 
Sanuar 1682 alle Zugefländniffe der Verfammlung im weis 
teften Umfange annahm). Den wahren Hergang erkennt 
man, indem bie Verſammlung dem Papfte meldete: fie habe 
einer Nothwendigkeit folcher Art nachgegeben, daß dieſelbe 
wohl im Stande gewefen wäre, bie Gefege umzuflürgen ). — 
Unbegnügt mit biefee Entſchuldigung antwortete Innocenz XI 
den 11ten April 1682: „Wer hat den Muth gehabt, in ei= 
ner fo gerechten und heiligen Sache dem Könige Gegenvors 
ftelungen zu machen? Wer hat fi wie eine Mauer vor 
Iſrael hingeſtellt?“ Der Papſt vernichtete die einfeitigen 
Befchlüffe über die Regale und war gewiß mehr im Rechte 
als Boffuet, ber da fagte: man muͤſſe den Muth für wich⸗ 
figere Falle aufſparen und, den Papſt anklagend, ſchrieb: 
„Gute Abſichten mit wenig Einſichten verbunden, iſt ein gro⸗ 
ßes Übel in fo hoher Stellung”). Laßt und beten und weh⸗ 
klagen!“ 

Unterdeſſen hatten 34 Biſchoͤfe und 34 Abgeorbnete am 
19ten März 1682 jene vier Grundfäge angenommen, was 
den Papft noch mehr erzürnte, obgleich er fie anderer Gruͤnde 
wegen nicht ausbrüdlich verdammte. 

Erfreut betätigte Ludwig (ohne nur bed Vapſtes zu er⸗ 
waͤhnen) jene vier Grundſaͤtze, befahl daß jeder. Geiſtliche ſie 
unterſchreibe und danach lehre), und alle welche Licentia⸗ 
ten oder Doktoren werden wollten, ſie oͤffentlich vertheidigen 


1) Recueil II, 171. 
2) Bausset II, 142. 
8) Bausset II, 196. 
4) Recueil II, 172. 





Sranzöfifche Kirche. 177 


mäßten. SBoffuets Boffaung, daß die Werfammiung nun 
ihre Beratungen unter feinem Cinfluffe auf manche andere 
Segenftände richten werbe, fchlug fehl, da ber König jene 
eligft auflöfete, nachdem er feine Zwecke durch fie erreicht 
hatte. Wohl aber mußte Boſſuet eine Wertheidigung jener 
Grundfäge entwerfen, während der Erzbifchof Roccaberti von 
Balentia behauptete: ber Papft habe eine unbebingte fchrans 
Tenlofe Gewalt über alles Weltliche); und ber Erzbifchof 
von Gran (gleich vielen Anderen) jene vier Grundfäge ver: 
dammte als beleidigend fuͤr chriftliche Ohren, abgeſchmackt, 
verabfcheuungswinbig, erfunden von Dienern des Satans 
und, unter einer Rinde von Frömmigkeit, dad Gift der gräus 
lichſten Spaltungen ausbrütend. 

War das nun Feine Variation innerhalb der Tatholifchen 
Kirche, welche Boſſuet noch mehr als bie proteftantifchen 
Entwidelungen hätte rügen können und follen? Denn biefe 
folgten aus ihrem oberften Grundſatze, während jene vier 
Srunbfäge keineswegs vom Standpunkte des damaligen Kas - 
tholicismus folgerecht und genligend erfcheinenz vielmehr Ans . 
erfanntes und Beſtrittenes durcheinanderwerfen, Rechte zu 
erhalten fixeben, während fle andere preisgeben, einer klei⸗ 
nen Zahl von Prälaten die gefehgebenbe Gewalt zufprechen, 
von unten herauf über ben Papft entfcheiden und während 
fie geiſtliche Tyrannei austreiben wollen, bie weltliche be 
grimden helfen. In diefem Sinne fagte Fenelon *): „Die Frei⸗ 
beiten der franzöfifchen Kirche find eine wahre Sklaverei. 
Allerdings macht Rom zu große Anſpruͤche, aber noch mehr 
fürdyte ich die weltliche Gewalt ımb eine Spaltung ber 


Unterbeffen beharrte dev Papft feft auf feinem Sinne 
und verweigerte allen Prälaten die Beflätigung, welche jes 
ned neue Syſtem anerlannten und fich bemfelben unterwärfen. 
As hiedurch die größten Verwirrungen in ber franzöftfchen 


1) Bausset Il, 883—885. 
2) Fenélon Correspondence I, p. 371. 
VI. 12 


173 Sechstes Bud. Zänftes Hauptſtuͤck 


Kirche entflanben, und ber Sinn bes Königs fich zu des 
dern fehien, machte Boſſuet kuͤnſtliche Unterfchiede zwifchen 
ber indefeotibilite und infaillibilite des Papftes, äußerte 
man habe Feine Entſcheidung (decision) machen wollen, und 
fuchte allerhand Wortflaubereien und Ausreden hervor, um 
"dem Gefchehenen eine andere Wendung zu geben. Auch war 
8 ihm wohl ganz willkommen, daß der König ihm fagen 
ließ: er möge bie zur Rechtfertigung jener vier Saͤtze ents 
woorfene Schrift nicht druden laffen ). 

Hiedurch ermuthigt forderte Papft Innocenz XI daß 
jedes Mitglied der Kirchenverfammlung unb jeber ſeitdem 
ernannte Erzbiſchof und Bifchof ihm zur Genusthuung ei- 
nen Brief fchreibe und feinen Kummer über die Ereigniffe 
audfpreche. Nach manchen Verhandlungen fchrieben bie Prä- 
laten am 14ten September 1693 dem Papfle”): „Alles was 
über die geiftliche Gewalt auögefprochen und befchloffen warb 
oder ſeyn koͤnnte, wird für nicht befchloffen erflärt und an⸗ 
erkannt. Daffelbe gilt von dem was zum Nachtheile ber 
Kirchenrechte gerathichlagt worden ift. Überhaupt ging bie 
Abficht nicht dahin irgend eine Verfügung (decret) zu mas 
chen, oder den Kirchen Schaden zu bereiten.” — Bald dar⸗ 
auf fab fich auch Ludwig XIV (hauptfächlich durch feine und 
des Papſtes Stellung zu dem übrigen Europa) genöthigt 
nicht bloß einzulenfen, ſondern Bleinmüthig Alles fallen zu 
laffen, was er vorher übermüthig burchgetrieben hatte. Am 
14ten November 1693 fehrieb er dem Papfte: „Es ift mir 
fehr angenehm Euer Heiligkeit benachrichtigen zu koͤnnen: 
daß nach dem von mir gegebenen Befehle, die Grundſaͤtze 
ber franzöfifchen GeiftlichFeit, welche ich (durch damalige Ums 
ftände veranlaßt) im März 1682 beftätigte, nit mehr 
beobachtet werben 1nlten). 4 

1) Schroͤckh girchengeſchehte VI, 841. 

2) Bausset II, 211., Flassan IV, 100. 


8) Pas observöes. Isambert XIX, 380. Dufey Histoire du 
Parlement I, 86. 


Quartierfreiheit. Lavardin. 179 


Zu 2% Einen aͤhnlichen Ausgang nahm ber Streit 
Lubwigd mit dem Papfte über bie Quartierfreibeit in 
Rom. Vermoͤge berfelben hatten die fremden Gefanbten 
nicht bloß in ihren Wohnungen, fondern über ganze dazu 
gerechnete Bezirke eine Gerichtöbarkeit audgelibt, welche alle 
gleichartige und firenge Rechtöpflege unmöglich machte, weil 
Bankerottirer, Schmuggler, ja bie drgften Verbrecher daſelbſt 
eine Freiſtaͤtte ſuchten und nur zu oft fanden. Als Papft 
Innocenz XI ben verfchievenen Herrfchern mit überwiegen: 
ben Gruͤnden vorftellen ließ: wie heilfam, ja bringenb noth⸗ 
wendig bie Abflelung jenes Mißbrauchs ſey; willigten ber 
Kaifer, die Könige von Spanien, England und Polen, fos 
wie ber Freiſtaat Venedig unbebenflih en. Als aber ber 
päpftlihe Nuntius jenen Antrag mit Bezug auf diefe Bei⸗ 
fpiele in Paris wieberholte, gab Lubwig in thörichtem Stolze 
zur Antwort ): „er fey nur ba Anderen Beifpiele zu geben, 
nicht nach dem Beifpiele Anderer zu handeln.” — Der Papfl 
fhwieg bis ber franzöfffche Geſandte Eſtreées farb, erflärte 
aber dann ald Landesherr und Kirchenfinft von Neuem: er 
werbe keinen franzöfifchen Gefandten annehmen bevor Frank⸗ 
reich ber Quartierfreiheit entfagt habe. Unbekimmert um 
biefe Erklärung fandte Ludwig im Jahre 1687 den Mars 
quis von Lavardin nach Rom, welder, bem Papfte trogend 
mit 800 bis 1000 Begleitern in Rom einzog, den farnefls 
ſchen Palaſt nebft der Umgegend befegte, Poften ausftellte, 
und ſich benahm als fey er alleiniger Here dieſes Theiles ber 
Stadt. As ihm ber Papſt deshalb Gehör verfagte und 
von der kirchlichen Gemeinfchaft ausfchloß, drang Lavarbin 
mit zahlreicher Begleitung in die Peterskirche, aber bie Geifls 
fichen entflohen um mit ibm durchaus Feine Gemeinfchaft zu 
haben. Gleichzeitig ließ Lubwig den von Paris abberufenen 
Nuntius fefihalten, Avignon und Venaißin befegen, und den 
Papft mit offener Fehde bedrohen. Gingefchüchterte fragten 
diefen: was innen Sie thun, wenn ein großes franzoͤſiſches 


1) Scheich VI, 348. 
12* 


180 Sechstes Buch. Bünftes Hauptſtuc. 
Heer über Sie herfaͤllt)? und er gab muthig zur Antwort: 


als Märtyrer fierben! Schon: im nächften Jahre erfuhr: 
Ludwig bei ber zwiftigen Wahl des Churfuͤrſten von Köln, 
wie thöricht ed geweien war bad Oberhatipt feiner eigenen 


‚Kirche in einer gerechten Sache fo hochmuͤthig zu behandeln. 


Zu fpdt entfagte er unter Alerander VI einer Borberung, 
bie er niemals hätte aufſtellen follen. 

Zu 3. Wichtiger und von Iängerer Dauer war der 
Streit, welcher ſich über den fogenannten Ianf enismus 
innerhalb der katholiſchen Kirche erhob. 

Comelius Ianfen, geboren im Sabre 1585 in dem 
Dorfe Accoy bei Leerdam, flubirte im Utrecht und Löwen, 
lebte und unterrichtete lange in Parts und Bayonne, warb 
1630 Profeffor der Zheologie in Löwen und 1636 Biſchof 


in Ypern, zum Xheil weil er ein fehr heftige Buch wider 


bie Franzoſen, Holländer und Proteftanten gefchrieben hatte ?). 
Kurz vor feinem Tode (er flarb 1638) beendete er nach viel- 
jähriger Arbeit fein Hauptwerf: Auguftinus, ober bie 
Lehre des heiligen Auguftinus über die Gefundheit, Krank: 


beit und Heilung der menfchlihen Natur, gegen bie Pela= 


gianer und Maoffilienfer. Die Fragen Uber Freiheit, Noth⸗ 
wendigkeit, Vorherbeflimmung, Erbfünde, Gnade, Rechtfers 
tigung und bergl. mit denen Luther, Melanchthon, Erasmus, 
Calvin, Flacius, Gomar, Arminius, Molinos und Andere. 
fih mehr ober weniger erfolgreich befchäftigt und abgemüht 
hatten, wurden bier nochmald einer Prüfung unterworfen 
und im Sinne des ftreng auguftinifchen Spftemd, mit ta⸗ 
deinden Hinweifungen auf anberd Gefinnte, befonders Jeſui⸗ 
ten beantwortet. 

Zu gleicher Zeit behauptete. Janſenius: nur aus der 


Schrift und den Kirchenvaͤtern der erſten Jahrhunderte laͤßt 
fich der wahre Glaube entnehmen; ber Vernunft und Phi⸗ 
Iofophie iſt hiebei aber gar Feine Stimme einzuräumen, da 


1) Burnet History III, 1205, 1302. 
2) Schroͤckh IV, 810. Leydecker Historia Jansenismi. 


Sanfenismus. 181 


aus ihnen alle Kebereien entfprungen find. Überhaupt kann 
man das Chriſtenthum nicht aus Grundſaͤtzen ableiten, oder 
philoſophiſch erweiien, fondern muß es in Liebe aufnehmen. 
und dem Herzen einprägen. 

Mit diefen bogmatifchen Anfichten ſtand eine Sittenlehre 
in Verbindung, welche nicht bloß ber zu nachfichtigen jefui- 
tifchen wiberfprach, ſondern ascetiſch ober moͤnchiſch warb, 
und trog mancher Hinneigung zu einzelnen Lehrfägen ber 
Proteflanten dieſe ald Keger betrachtete '). Sean be Verger 
de Hauranne, Abt von St. Eyran, ber naͤchſte Freund 
und. geiftreiche Vertheidiger Janſens, nahm z. B. nie ein 
proteſtantiſches Buch in die Hand bevor er die Formel der 
Teufelsbannung ausgeſprochen hatte: denn, ſagt der Be⸗ 
richtserſtatter, er zweifelte nicht daß ber Teufel darin hauſe?). 

Bald nach Erfcheinung des Auguflinus von Janſen er: 
bob ſich daruͤber fo großer Streit daß Papit Urban VII 
nicht nur jenes Werk, ſondern aud bie dawider gerichteten 
Streitſaͤtze der Zefuiten verbieten ließ. Hiedurch warb aber 
die Ruhe keineswegs, wie en hoffte, wieberhergeflellt, fon- 
ven ©. Cyran, Arnauld, Pascal und Andere vertheidigten 
den Sanfenismus; ja ber lebte griff in feinen landſchaftli⸗ 
sen Briefen die Jeſuiten an mit einer bis dahin ungelann- 
ten Gewandtheit und Kraft. Muß man auch einräumen 
daß Manches von ihm and bem Zuſanimenhange geriffen, 
feindfich gedeutet und auf die Spitze geftellt warb; fo fand 
fi doch in den Schriften ber Iefuiten fo viel Bedenkliches, 
Zweibeutiged, ja Unfittliched und Unchriflliches, daß wenn 
einmal bie ganze Kirche, ober iht Oberhaupt von derlei Ir⸗ 
Ichren und Übelfländen Kenntniß nehmen wollte, bie von 
Pascal angegriffenen Werke viel mehr Stoff zur Verdamm⸗ 
niß darboten, ald ber Auguflinud bed Janſen. 
Deßungeachtet u aus demſelben fünf ſchwer ver 


1) Leydecker 256, 269. 


2) Besoigue Histoire de Port royal III, 368. Laneelot Mo- 
moires touchant la vie de 8. Cyras. 


182 Sechstes Bud. Bänftse Hauptfiüd. 


ftändliche, abfirufe Saͤtze ausgezogen unb von ber Sorbonne, 
ſowie naͤchſtdem vom Papfte Innocenz X verbannt. Ar 
nauld und des Janſenius Fremde erklärten hierauf '): daß 
fie gleichfalls diefe Säge verdammlich fänden, diefelben aber 
nicht in jenem Werke gefunden hätten, ober badjenige, was 
man fo beute, von dem Verfaſſer anderd gedacht und verflan- 
den fey. Der Papft habe allerdings das Recht n Glau⸗ 
bensſach en zu entfcheiden, allein bei Fragen über That⸗ 
ſachen koͤnne ihm Peine Unfehlbarleit zugeflanden werben. — 
Durch neue Bullen entſchieden bie Paͤpſte: daß jene Säge 
in dem Sinne verdammt worben, welchen Sanfen bamit 
verbunden Habe; und als hierauf Wiele fich ſtillſchweigend 
unterwerfen wollten, ſich aber in ihrem Gewiflen für vers 
pflichtet hielten Feine ausdruͤckliche Erklärung barlıber abzu⸗ 
geben, wurben auch biefe Einreben ſchlechthin verworfen und 
am 29ften April 1665 eine Verfügung Alexanders VII vom 
Könige beftätigt ”), vermöge weicher alle Prälaten, Dokto⸗ 
ren, Geiſtliche, Mönche und Nonnen bei Werluft ihrer Am⸗ 
ter und bei anderen kirchlichen Strafen, eine vorgefchriebene 
Erklärung unterzeichnen follten. Es wurde ferner ber Au⸗ 
guflinus des Janſen überall weggenonnnen, unb auch verbo> 
ten über dies Werk irgend etwas zu lehren unb zu fehreiben. 
Nicht Wenige fanden es unverflänbig und tyrannifch 
daß man fünf Saͤtze ausdruͤcküch verbammen folle, die nir⸗ 
gends fo ausgeſprochen worben, bie niemand behauptete oder 
lehrte, und die nur Einzelne kannten, oder geprüft hatten. 
Aber alle Weigerungen und Widerſpruͤche wurben mit den 
härteften Strafen belegt, Ind die Leidenfchaft beiber Theile 
auf bie höchfle Spike getrieben. Gewiß wären biefe über: 
feinen Lehren der Schule bald unbemerkt abgeflorben, wenn 
man ihnen nit außerhalb derſelben die größte Wichtigkeit 
hätte. Aber Ludwig XIV, welcher die fpeculativen 
Verſchiedenheiten der Lehren nicht einzufehen vermochte, ließ 


1) Lattres provinsiales 1. Beseigne VI, 298. 
2) Isambert XVIIE, 51. Bausset Fénélon II, 616. 


Janſeniſten. 183 | 


fi überreven die Janſeniſten wären heilloſe Empoͤrer gegen 
die geiftliche und weltiiche ‚Obrigkeit‘. Als die Maintenon. 
(dad Echo, oder die Urheberinn koͤniglicher Worurtheile) auf 
den Verdacht Fam, ber von ihr feit fiebzehn Jahren geehrte 
Beichtvater neige fich in etwas zum Sanfenidams. hin”), 
erſchrak fie dergeflalt daß fie ſchrieb: „ich Lebe deshalb in 
einer 'Werzweiflung und Troſtloſigkeit die ſich nicht beſchrei⸗ 
ben laͤßt.“ — Nie gab Ludwig XIV einem Janſenlſten irgend 
ein Amt. Als er einſt and dieſem Grunde jemand zuruͤckwies, 

ſagte ihm der Herzog von Orlbeans: er iſt weit davon entfernt, 
ein Anhänger bed Janſen zu ſeyn, er glaubt nicht an Gott. — 
Wenn dem ſo ift, antwortete ber König, fo hat: es nichts 
zu ſagen ). — Ganz folgesecht; denn Ludwig fühlte daß 
in.den Janſeniſten ein Element der Freiheit verborgen lag, 
was ihm ein Graͤuel war, und daß fie erfi an Gott, und 
baun um ben König glaubten; während er feine Willkuͤr, 
den Gehoten bed Chriftenthums. voranftellte. 

Anders ald Ludwig und feine Maintenon erklaͤrte ein 
Jeſuit die Erſcheinungen. Er bemerkte: „vie Eiferfucht, wer 
von uns bie Gewiſſen beherrſchen folle, hat und hauptſaͤch⸗ 
lich mit den Ianfenifien in Streit gebracht“). Wir ges 
brauchten Milde und Nachſficht; wo fie Härte und Strenge 
anwandten; wis tröflen mit Gottes Gnade, fie ſchrecken mit 
feiner Gerechtigkeit, wir wirken mittsift der Hoffnung, fie 
mit der Kurt und wollen bieienigen -unterwerfen, welche 
‚wir an und zu ziehen fuchen.“— Noch einen anderen eigens - 


1) Massilleu Mm, de la rögenps 58. 

2) Maintenon lettres IV, 833;. VII, 188. .' — 
8) My a peint de mal. S. Mmon nouv. dd. VI, 113. 

4) 8. Evremant Oeuvres L, 28, edit. von 1753. Schr nalo 
preiſet Capeligue (Louis XIV, Vol. II, p. 81) die sociabilitE ea- 
tholique des J£suites, c’est à dire le partage habile de la loi sen- 
suelle et de la loi morale, la conciliation dowce de ce que la loi 
chretienne impose de devoirs et d’abnegation de sol, avec les pas- 
sions qui assiögent la jeunesse, la vie, co monde enfin tout d’en- 
trainement et de matiere! 


% 


1A Sechstes Bud. Zünftes Hauptſtuüͤck 


thiͤmlichen Standyunkt hatte Ninen. de lEuclos als fie ber 
Koͤniginn Chriſtine ſagte: die Pretioͤſen, ſind die Janſeniſten 
der Liebe’). 

Ein Hauptfüs janſeniſtiſchet Anfichten wor das Koſter 
Portroyal des Ehamps, welchen die Abtiffinn Angelika 
Arnauld eine neue Geflalt und Bebeutfamleit gegeben hatte. 
Den vielen Löblichen Seiten ihres Beſtrebens, ſtanden auch 
Schattenfeiten gegenüber. Die ‚Übung der aͤußerſten moͤnchi⸗ 
chen Strenge und Entfagung galt für den Mittelpunkt ab 
ler chriſtlichen Zugenben, und eine Schwefler Koͤchinn warb 
hoch gepriefen weil fie in ſechs Wochen Fein Wort gefpros 
hen hatte. Ja nicht bloß der Mund follte ſchweigen, fons 
bern auch der Geift: denn wenn man fidh bemüthige, vers 
nichte und gar nicht denke, komme man Gott am nächften. 
Diefe Verwechfelung falfcher Demuth mit der wahren, führte 
zu Aberglauben, welcher in ber. fleten Anbetung ber Hoſtie 
bie höchfle Anwendung aller menfchlichen Kräfte ſah und 
. eine Menge von Wundern erzählte die auf Taͤuſchung ober 
Betrug beruhten. Zulegt gaben viele den Standpunkt menſch⸗ 
licher Xhätigkeit und Zurechnung ganz auf, und behaupteten: 
all ihr Thun und Laſſen fey unmittelbar von Gott eingegeben. 

Trotz biefer Auswüchfe kann man nicht laͤugnen, bag ſich 
in ben Sanfeniften und ihrer Bezugnahme uuf ben heiligen 
Auguftinus, eine fehr wichtige Richtung ber Tatholifchen Ent> 
widelung offenbarte. Leichter war ed allerdings in jener Zeit 
die laͤcherlichen Seiten und fchroffen Übertreibungen ber Sans 
feniften aufzufaſſen und zu verfpotten, als innerer — 
nachzuſtreben; es war bequemer ſich mit gefchmeibigen Hof⸗ 
theologen als mit Ascetikern jener Art zu verſtaͤndigen. 
Wenn man ferner bedenkt auf welchem Meere von Eitellei⸗ 
ten und Sünden, ober von leeren Gebraͤuchen und unduld⸗ 
famer Werkheiligkeit, der König und fo viele Hochgeflellte, 
ohne Compaß und Ziel umherfegeften; fo wird ald Ruͤck⸗ 
flag und Gegenwirfung alles das begreiflih, twad wir an 

1) Besoigne 1, 40, 48, 73, 120, 138, 287, 359, 364, 883, 
466, 469. - 


Zanſenlſten. Portropal. 185 


ben Sanfeniften rügen mußten, ohne die tieferen Grundlagen 
und Beziehungen, ihrer Anfichten und Lehren zu verfennen. 

Als man den Nonnen von Portroyal zumuthete: fie 
folten ein Buch verbammen, was fie nicht gelefen hatten 
und nicht lefen konnten, ba8 aber von ihren Freunden hoch⸗ 
gehalten und vertheibigt warb, Tieß ſich aus den ‘oben fchon 
mitgetheilten Gründen, der beharrlichſte Widerſtand voraus 
fehen. Alle Gruͤnde des Erzbifchofs Perefire und alle Bes . 
redſamkeit Boffuetd blieben um fo mehr ohne Wirkung, ba 
fie in einer Sache unbebingten Gehorſam verlangten, wo 
- ed unndthig war die Meinung und dad Gewiſſen des Ein- 
zeinen zu feſſeln. Je weniger fie, fagte ihnen .Bofluet, von 
ver Sache verftänden, deſto eher Tönnten fie Anberen ver: 
traum. Es fen wicht genug daß fie fih den Entſcheidun⸗ 
gen in Glaubensſachen unterwärfen ’); fie müßten auch alle 
Tbrigen Vorſchriften befolgen, und die Behauptung daß fie 
an dem ganzen Streite keinen Antheil nähmen, ſey ein Zei⸗ 
chen und Beweis zu großer Sleichgültigkeit. — Viele ber in 
ihrer Weigerung beharrenden Schweftern wurben verwielen 
und beſtraft. Mom Jahre 1669 bis 1705 ruheten dieſe 
Streitigkeiten werigftend zum heil, wurden aber durch eine 
Bulle Elemend XI, worin er die frühere Verdammung bed 
Santen beftätigte, wieberum ‚hervorgerufen ?). Nirgends 
fparte man Strafen und Verfolgungen; das härtefle Schick⸗ 
fat fraf aber Portroyal. Als die Ronnen auf ihrer ehema⸗ 
ligen Weigerung beharzten, wurden fie in der Nacht aufge: 
hoben, in entfernte Kloͤſter untergeſteckt, Gebäube und Kir 
chen niebergerifien, die Materialien verfauft und ald Gnabe _ 
bezeichnet baß der Boden nicht mit Salz, ſondern mit Ges 
traide befäet werbe. | 

Zu 4. Neben ben Streitigkeiten über ben Janſenis⸗ 
mus gingen andere her Über den Quietismus. Schon 


1) Bausset vie de Bossuet 1, 194. Besoigne I, 485, 514; 
Hl, 45. ä 

2) Bausset FönslonIl, 471. 8. Simon VII, 414, Besoigne III, 
149 — 216. a 


N 
® 


186 Sechstes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤck. 


im Mittelalter hatten fi ber uͤberſpitzfindigen ſcholaſtiſchen 
. Xheologie gegenüber, die Myſtiker geltend gemacht, und im 
fiebzehnten Jahrhunderte betrat unter Anderen der Spanier 
Molinos denfelben Weg. Neben manchem Guten und 
Zieffinnigen, fanb fich inbeß (wie. es in diefem Gebiete 
ſtets zu geben pflegt), auch fo viel bes Willkuͤrlichen und 
‚ber Mißdeutung Unterworfenen, daß Innocen; XI unter 
Einwirkung der Jeſuiten, 68 Site aus den Schriften beö 
Molinod verdammte. . Hiedurch ungefchredit wirkte der Bars 
nabit Lacombe und feine geiftliche Schuͤlerinn be la Mothe 
Güyon in. derfelben Richtung; jener z. B. durch fein Buch 
über das Herzenögebet (oraison mentale), .biefe durch ihre 
Amveifung zum Beten und ihre Auslegung bed hohen Lies 
bed. Anfangs war bie Maintenon von biefer. Anweifung 
der Güyon fo ſehr eingenommen '), daß fie dem Könige 
daraus vorlad und als dieſer dußerte „das find Traͤnime⸗ 
reien”, am jemand fchrieb: „er iſt noch nicht fo weit in der 
Froͤmmigkeit vorgefihritten um an dieſer Vollkommenheit 
Geſchmack zu finden.” — Einen nicht minder wichtigen Bers 
theibiger fand die Guͤyon an ihrem Fteunde Francois de Sa⸗ 
lignac de la Mothe Fene lon. Er warb geboren ben ſechſten 
Auguſt 1651 zu Fenelon im Perigord und wegen feiner aus⸗ 
gezeichneten Verdienſte?) im Jahre 1689 zum Erzicher bed 
Herzogs von Bourgogne ernannt. Die größte Milde und 
Liebenswuͤrdigkeit verband er mit Achter Tugend und einem 
burchaus edelen Charakter; wenn aber Bofjuet ber wiſſen⸗ 
fhaftlichen Xhenlogie ben Vorzug gab und feiner Natur 
nach die Kirchenherrfchaft geltend machte, trat bei Bendon 
Gbegall dad Gefühl in den Vordergrund und 
und Gehorſam fchien ibm dem wahrhaft Chriftiihen näher 
zu fliehen, als die Kämpfe und Siege einer flreitenden Kir⸗ 
che. Bei diefer Sinnedart und dieſen Eigenfchaften warb 
Fenelon mehr geliebt, und Boſſuet mehr gefürchtet. 

Deshalb veranlaßte jener, ald Streitigkeiten über die 

1) Bausset Föndien I, 284. 

2) Bausset Fenslon I, 9, 131; II, 511. S. Simon X, 1. 





Quietiſten. Benelon, Boffuet. 49 


Lehren und Schriften ber Guͤyon entflanden, daß fie ſich 
den Urtheile Boſſuets unterwarf, und nach ſechsmonailichen 
Berathungen in Iſſy, Alles unterſchrieb und gelobte, was 
man von ihr verlangte. Und ſelbſt Fenelon, obgleich zum 
Ezbiſchofe von Cambray erhoben, ſtimmte jenen Erklaͤrun⸗ 
gen von Iſſy bei. Als aber die Guͤyon und Lacombe fort⸗ 
fuhren ihre Anfichten mitzutheilen, wurden Beide eingeſperrt 
und gegen Fenelon ein neuer Sturm erhoben, obgleich er 
zunaͤchſt nur den Wandel und bie guten Abfichten der Guͤyon 
in Schuß nahm. Um aber auch in ber Sache felbft bie 
Bahrheit nach Kräften zu fördern, ſchrieb er ein Buch: bie 
Grundſaͤtze der Heiligen betitelt, und ließ es bruden, 
nachdem angefehene Prälaten und Gotteögelehrte, wie Noailles, 
Tronſon und Pfrot ed gelefen und gebilligt hatten. Hier⸗ 
über doppelt erzürnt, entfchulbigte ſich Boſſuet beim Könige, 
daß er den gefährlichen Fanatismus feines Mitbruders nicht 
früher entdeckt habe. Obgleich Fenelon in feinem Buche in 
beflimmten Gegenfäben das Irrige und Werbammliche bei 
Myſticismus vom Wahren gefondert, ober gewiffenhaft zu 
ſondern bezweckt hatte, behauptete Boſſuet: „die Guͤyon ſey 
eine Rärrin, und Fenelon entehre ſich wenn er fie beſchuͤtze.“ 
In den Schriften jener finde fich ein Überfchwall von Uns 
gebundenheit , von Taͤuſchungen und Kinberelen; und auch 
fo wie Fenelon den Streit auffaffe und fortflhre, handele 
es ſich um bie ganze Religion. Denn das Chriſtenthum bes 
ſtehe weber in ſpitzfindigen Bragen , welche über bie Betas 
phyſck hinausgingen, noch in einer auögekünftelten und übers 
Punftelten Froͤmmigkeit, noch in dem Auffuchen eines ſchoͤ⸗ 
nen Ideals. Der myſtiſche Deismus führe zum philoſophi⸗ 
fen Deismus und die Grundſaͤtze der Heiligen enthielten 
ein Lehrſyſtem, geeignet lebhafte Gemuͤther zu verführen und 
ihnen eine trligerifche Sicherheit über bie Reinheit ihrer Abs 
fihten beizubringen). Insbeſondere gebe ed Feine Liebe 

1) Bausset Vie de Bossuet III, 256268, 281— 287, 298. 
In Fenelons Briefwechſel Handeln vier ſtarbe Wände lebdiglich non die⸗ 
ſen Streitigkeiten. 


188 Sechstes Bud. Eünftes Hauptfläd. 


Gottes lediglich um feiner feibft willen und ohne alle Be: 
‚siehung auf unfere Seligkeit. Die wahre Myſtik ſey uͤber⸗ 
haupt ſo ſelten und ſo wenig nothwendig, die falſche hin⸗ 
gegen fo gemein und gefährlich, daß man ſich ihr nicht zu 
ſehr widerſetzen koͤnne. 

Die lange Reihe der raſch aufeinander folgenden Streit⸗ 
ſchriften ergiebt: daß bei der Guͤyon Anmaaßung mit Irrthum 
vermiſcht war, Fenelon die Grundſaͤtze gereinigt, jedoch mehr 
ihre urſpruͤngliche Erhabenheit im Auge behalten hatte, als 
die möglichen Folgen und Mißbraͤuche; daB endlich Bofjuet 
durch Betrachtung ber lebten und andere perfönliche Gründe, 
. ‚bie Sache von dein Boden ruhiger Entwidelung hinwegwies 
und mit Unrecht Zenelon den Montanus einer neuen Prid> 
ala nannte, Ja Boffuetd Neffe ſchalt den milden Benelon 
fogar ein wildes Thier '). 

As der Streit endlich an ben Yapft kam, ward Fene⸗ 
lons Bud) in 64 Sitzungen muͤhſam geprüft und. zuletzt er⸗ 
klaͤrte ſich die Hälfte der Stimmen gegen und die Hälfte 
für daſſelbe. Weil aber Lubwig XIV die Verdammung aufs 
Außerſte betrieb und bie Maintenon ihren ehemaligen Freund 
längft preis gegeben hatte”); fo verurtheilte endlich Innos 
cenz XI, ben 12ten März 1699, die Grundſaͤtze ber Hei⸗ 
Eigen. Gegen bie Erwartung Vieler unterwarf fih Fene⸗ 
lon gebulbig dem Spruche der Kirche, machte ihn ſelbſt bes 
kannt und erhielt bafır, zum Verdruße der Eiferer, ein lo⸗ 
bendes Schreiben bed Papftes. Der König hatte die Ver⸗ 
urtheilung eines franzoͤſiſchen Erzbiſchofs ohne Theilnahme 
ber franzöfifchen Kirche herbeigeführt; Fenelon ber Beſiegte 
erwarb duch fein Benehmen mehr Ruhm als Boffuet der 
Sieger, und ber Papft fagte: ber Erzbifhof von Cambrai 


1) Une bete feroce. Bausset Fénélon H, 40, 48. 

2) Vielleicht war bie Maintenon beleibigt als ihr Fenelon nach 
ihrem erlangen, höflich aber body offen ihre Fehler vordielt. Fens- 
ion corresp. V, 466. Rach 8. Pierre annales politiques II, 508, 
entftanb bie Abneigung ber Maintenon gegen Fenelon daher, daß bies 
fer dem Könige gerathen hatte ſich nicht mit ihr au verheirathen. 


Senelon, Boffuet. — Queenei. 189 


ierte aus Übermaaß der Liche Gottes‘), der Biſchof von 
Meaur hingegen aus Mangel an Liebe des Naͤchſten. — 
Jeden Falls war ed bedauernswuͤrdig daß die erſten Prälas 
ten ihrer Zeit in foldhen Streit gerietben, und Irrthuͤmer 
und Mißbraͤuche nicht in milberem Wege berichtigt und bes 
feitigt wurden. 

Fenelon verlor feine &tette als Erzieher des Herzogs 
von Bourgogne, und ald um biefe Zeit der für biefen ges 
fihriebene Zelemach ohne des Werfaffers Wiffen und Willen 
gedruckt warb, zürmte ihm Ludwig noch mehr weil er glaubte: 
dad bewunberte Werk beswede lediglich einen bitteren Zabel 
feined Lebens und Regierens). 

Märe bie Gefahr des Fenelonfchen Myſticismus groß 
und Allgemein und die Schule zahlreich geweien, fo wiürbe 
des Papſtes Spruch und bes Urhebers Unterwerfung Feines: 
wegd die Bewegungen gehemmt haben. Manche ber geta- 
beiten Grundfäge mögen fie gewöhnliche Naturen unverſtaͤnd⸗ 
lich, für reizbare und überfpannte verführerifch feyn; immer 
war Fein Grund vorhanden Papfl und Kirche bergeftalt aufs 
zuregen unb Fenelon Tonnte am Schluffe feines Lebens fas 

gen”): Gott ift mein Zeuge, daß ich das verurtheilte Buch 
nur fehrieb um die Irrthuͤmer und Zauſchungen des Quie⸗ 
tismus zu widerlegen. 

Zu 5. Bon längerer Dauer und umfaſſender war ber, 
nur unter einer anderen Geflalt erneute Streit über ben Jan⸗ 
fenismus ). Der Pater Auesnel hatte unter dem Titel: 
fittlihe WBetrachtungen über das neue Zeflament, ein in 
verfchiedenen Ausgaben verbefjertes, feit Jahren viels 
fach gelefened und empfohlenes Buch heraudgegeben. Ad 


1) Bausset F'enelon II, 53. Isambert XX, 839. Larrey VII, 140. 

2). Bausset Fendlon IL, 177, 181. 

3) Fönelon corrospendence III, 245. Bausset Fenslon Il, 
535. 

4) Quesnel begab fich nach Belgien, warb 1708 verhaftet, ent: 
floh, und lebte bis 1719 im een AD GESRRDEN über bie Con⸗ 
flitution Unigenitus, Vorrede. 


1% Schttes Bud. Fuͤnftes Hauptfikd. 


zulebt der mit ben Jeſuiten zerfallene Kardinal Noailles eine 
ſolche Empfehlung ausfprach '), erhoben fie, vom Beichtvater 
Zellier unterflügt laute Klagen, und fegten den König und bie 
Maintenon in unverfländigen Eifer”). Zwar hatte diefe nicht 
Unrecht, wenn fie Feinen Theil von Schuld freifprechen wollte 
und ihren Verwandten und zeitherigen Schuͤtzling Noailles zu 
einem Vergleiche ermahnte; allein fie fland doch auf einem 
ganz falfchen Punkte indem fie fagte: werm ber Karbinal 
fortfährt den Wortheil des Paterd Queönel, dem feiner Fa⸗ 
milie vorzuziehen ?), fo iſt nicht zu verlangen, baß ich mid) 
fhr ihn aufopfere — Wie man auch über al die Streit: 
punkte denken mochte, fo Fonnten fie doch gewiß nicht wie 
eine bloße Zamillenangelegenheit betrachtet und nad ben 
aͤußerlichſten Nebengruͤnden entfchieben werben. Nach mehr: 
jährigen Raͤnken, Verfolgungen und Verketzerungen warb 
Glemend XI durch das Anbringen Ludwigs und Telliers fafl 
gezwungen .die Bulle Unigenitud am achten September 
1713 zu erlaffen wodurch 101 Saͤtze verdammt wurden, 
welche man aus Quesnels Buche ausgezogen hatte. Wir 
geben beren einige zur Probe um Gegenfland und Sinnes⸗ 
art daraus abzunehmen. 

Was bleibt einer Seele die Gott und feine Gnade vers 
foren hat“), als bie Sünde und deren Folgen, als eine flolze 
Armuth und faule Duͤrftigkeit, das heißt eine allgemeine 
Ohnmacht zur Arbeit, zum Gebet und zu allem Guten. 
Der Saame berjenigen Rebe welche bie Hand Gottes be= ' 
gießt, trägt immer feine Frucht. Alle die Gott durch Je⸗ 


1) 8. Simon nouv. &d. IX, 180. 

2) La Maintenon se r&jouit d’une maniere sotte sur la con- 
stitution,, et fit une description folle du Jansenisme et du livre 
de Quesnel. Beaumelle Möm. VL 196. 

8) Maintenon lettres V, 236, 269. 

4) Orsanne Journal sur la Bulle unigenitus II, 445. Viele, 
ſelbſt unbefragte Karbindle, waren in Rom mit ber Bulle ſehr unzu⸗ 
frieden. Geheime Nachrichten über bie Bulle Unigenitus I, 159, 162. 
S. Simon über bie gebrauchten Ränte n. dd. IX, 19. 





Bulle Unigenitus. 191 


fus Chriſtus erretten will, find unfehlbar gerettet. Die 
Wuͤnſche Jeſu gehen flet in Erfüllung und, fofern er 
will, trägt er den Frieden in das Annerfte ber 

Ale Erkenntnis Gottes, felbft die natürliche und Die ber 
beibnifchen Philofopben, kann nur von Sott fommen. Wenn 
die Liebe Gottes nicht mehr im Herzen des Simders res 
giert, fo muß die finnliche Luft vorberrfehen und alle Hands 
lungen verberben. Die Begier, ober bie Liebe, machen den 
Gebrauch der Sinne gut oder ſchlecht. Der Gehorfam ges 
gen dad Geſetz muß aus der Liebe entfpringen. Wenn bie 
Kiebe Gottes der innere Grund ımb feine Ehre der Zweck ift, fo 
iſt auch das Außere rein; darohne giebt es nur Heuchelei, 
ober falfche Gerechtigkeit. Vergebens ruft man zu Gott: D - 
mein Water! wenn ed nicht ber Geift der Liebe tft, welcher 
ruft. Der Glaube vechifertigt wenn er wirkt, aber ex wirkt 
nur durch die Liebe. Sobald einem Sünder bie Hoffnung 
fehlt, fehlt ihm Alles: es giebt Feine Hoffnung auf Gott, 
wo fi) Feine Liebe Gottes findet. Entſteht die Reue allein 
aus Furcht vor der Strafe, fo führt fie in dem Maaße cher 
zur Berzweifelung als fie heftiger if. Wer ſich Gott naben 
will, darf nicht geleitet werden von unwürbigen Leibenfchafs 
ten, natürlichen Zrieben, ober thierifher Furcht, fondern 
duch Glaube und Liebe wie die Kinder. Sklaviſche Furcht 
ſtellt ſich Gott nur vor wie einen Henn, hart, gebieterifch, 
ungerecht, unumgänglich (intraitable). Den Chriften das 
Leſen der Bibel, indbefondere bed Evangeliums verbieten, 
beißt die Kinder des Licht vom Lichte ausfchließen und fie 
einer Art von Bann unterwerfen. Die Furt vor einem 
ungerechten Banne fol uns niemals abhalten unfere Pflicht 
zu thun. 

Als Die Bulle Unigenitus nach Paris Fam, hielt Zub» 
wig XIV (fo erzählt man) Anfangs die verbammten Säge, 
für die gebilligten ); und im ber That war biefer Irrthum 
verzeiblicher, ald bie Tyrannei mit welcher er bie Annahme 


1) D’Alembert sur * Jesuites 114. 


192 Sechstes Bud, Fünftes Haupeftäd. 


jener: Bulle durchzuſetzen fuchte. Denn mochten auch einige 
ber gerügten Lehren zweifelhaft ober zweibeutig erfcheinen, 
ober an Myfticismus und Proteftantismus erinnern; fo wa- 
ven fie doch im Ganzen loͤblich, geiftreich, edel und guten⸗ 
theils früher in Rom felbft gebilligt worben '). Noailled und 
die fogenannten Appellanten hatten alfo (befonderd auf dem 
von Ludwig einft fo laut gebilligten Standpunkte ber franz 
zöfifchen Kirche) keineswegs fo Unrecht, wenn fie die Bulle 
nicht kurzweg und unbebingt annehmen und in jeber Bezie⸗ 
bung befldtigen wollten. Wie viele Bücher der Jeſuiten 
. hätte der Papft verbammen müffen, wenn er jene mitge⸗ 
theilten Grundfäge nennt: falſch, verfänglich, uͤbellautend, 
fromme Ohren verlegend, anftößig, gefährlich, verwegen, be⸗ 
leidigend für Staat und Kirche, aufrührerifch, gottlos, ſchmaͤh⸗ 
füchtig, verbächtig ber Keberei, riechend nach Ketzerei, guͤn⸗ 
ſtig für. die Keßerei, nahe der Keberei, verbammlich und oft 
verdammt u. f. w. u. f. w. Verboten wird allen Gläubi- 
gen beiverlei Gefchlechtd dieſe Site zu lehren, ober über 
biefelben anders als vorgefchriebenr Maaßen zu reden und 
zu denken! Es wirb verboten Quesnels Buch, oder ir⸗ 
gend etwas zu Iefen was zu deſſen Vertheidigung gefchrie= 
ben iſt. 

Und mit jenem unwuͤrdigen und gefchmadlofen Schels 
ten und biefer felbft das Denken verbietenden Ziyrannei, ging 
oberflächlicher Leichtfinn Hand in Hand. Auf die Frage: 
warum man gerade 101 Sat verdammte? foll nämlich ber 
Papſt geantwortet haben: Fonnte ich eine geringere Zahl 
wählen, da der Beichtvater Zellier fchrieb: es wären über 
100 verbammliche Irrthuͤmer im Buche?) | 

Mochten die Janfeniflen aus anderen Gründen Tadel 
und Rüge verbienen, bier war die Stelle des Angriff un⸗ 


1) Betrachtungen über bie Bulle Unigenitus, Vorrede. 


2 Die Ianfeniften fandten früher Auszüge aus einem Buche Tel: 
liers nach Kom, weldjes barauf verboten ward. Ex raͤchte ſich jetzt. — 
Dies erzählt Maurepas Mem. I, 36. 





Bulle Unigenitus. 193 


guͤcklich gewaͤhlt und die Art und MWelfe bed Verfahrens mır 
im Augenblicke übermäßigen Eiferd möglich geworben. Waͤh⸗ 
rend ſelbſt Fenelon, (das eigene Schickſal ber Rißdentung 
vergeſſend) ſchrieb: die kuͤnftigen Jahrhunderte werden im⸗ 
merdar einen Papft ſegnen ber ein fo verderbliches Buch 
herabſetzte und verurtheilte); entgegneten Andere: Molinos, 
Janſen, Arnauld, Portroyal, die Sorbonne, die Jeſuiten, 
der heilige Auguſtin und ber Papft”) verſtehen Alle gleich 
wenig von dem Verhaͤttniſſe der menſchlichen Freiheit zu 
Sott unb von allen hieher gehörigen Dingen; fie legen nur 
die Schwäche und. Unfähigkeit der — e Vernunft 
zu Tage. 

Gewiß führte diesmal die Einigkeit des. Papftes und 


des Koͤnigs, der geiſtlichen und weltlichen Macht, zu ver⸗ 


doppelter Tyrannei, und die unbefangenere Nachwelt hat 
uͤber die Bulle Unigenitus (welche mittelbar die jeſuitiſche 
Religions⸗ und Weltanficht beftätigte) und über bie Schlüffe 
der bordrechter Synode (welche den Ultracalvinismus aufs 
zwingen wollte) ?) ein ähnliches Urtheil außgefprochens zum 
Beweiſe daß Feine Kitche von Veraͤnderungen, Verwirrun⸗ 
gen umd falſchen Mitteln und Zwecken ganz frei geblieben 
iſt. Wenn nun aber Ludwigs Unbeſchraͤnktheit und Eigen⸗ 
wille ſchon in alle Streitigkeiten der katholiſchen Kirche ver⸗ 
derblich eingriff, fo laͤßt ſich vorausſehen, in’ welcher Weiſe 
er ſeine proteſtantiſchen Unterthanen behandelte! 
Bei feiner Thronbeſteigung beſtaͤtigte er am achten Ju⸗ 
lius 1643 dad von. Heinrich IV gegebene Edikt von Nantes 
und fagte: obgleich biefe Geſetze für immer gegeben find, 
haben wir fie dermoch in fo fern es noͤthig iſt ober noͤthig 
ſeyn koͤnnte, von neuem bekräftigt. — Als bie Hugue⸗ 


1) Fenelon corresp. II, 850. 

2) Marmontel sur la regence I], 193. 

8) Theil II, ©. 207. 

4) Bien que perpetuels, nous avons de nouveau en tant que, 
besoin est, on seroit, confirm6 etc. Isambert XVII, 33, Benoit 
II, url, ©. i. 

1 | 13 





194 Sechstes Bud. Fünftes Hauptflüäd. 


notten ſich während ber Unruhen ber Fronde durchaud 
treu und ruhig begeigt hatten, erfolgte eine nochmalige mit 
vielem Lobe begleitete Anerkenntniß und Beglaubigung ihrer 
Rechte‘). Gegen ben König Karl HI von England rühmt 
Ludwig XIV daß er fi) (gleichwie andere Tatholifche Fürs 
ften!) mit großer Milde und Mäßigung gegen feine Unter 
thanen anderen Glaubens benehme; unb bem Herzoge von 
Beauoillierd fchrieb er am erfien April 1666: da bie Hu⸗ 
guenstten mir nicht minder freu find als meine anderen 
Unterthanen, fol man fie nicht mit weniger Achtung und 
‚Güte behandeln. Im Fall Sie aber ımter jenen etwas be: 
merken was nicht zu dulden wäre, fo müflen Sie ſich fehr 
büten baraıs eine allgemeine Angelegenheit zu machen, und 
fih damit begnügen hinſichtlich der Einzelnen die nöthigen 
Vorſichtsmaaßregeln zu ergreifen. — In demfelben Jahre, 
im September 1666, ſchrieb er bem Churfürften Zriebrich 
Wilhelm von Brandenburg: Verlaͤumder breiten aus, als 
‚sehe man damit um bie beftätigten Rechte und Geſetze nicht 
zu halten. Ich trage vielmehr Sorge daß die Huguenotten 
mit meinen übrigen Unterthanen gleich behandelt werben, 
und bin Hiezu, gleichwie zur Erhaltung ihrer Rechte, burd) 
mein koͤnigliches Wort verpflichtet ”). 

Trotz dieſer verfländigen und erfreulichen Erklärungen, 
Hat ſich doch ſchon um biefelbe Zeit, ver Zwiefpalt ber An⸗ 
fichten und die Unzuverlaͤſſigkeit, ja Heuchelei der Verſpre 
chungen kund. In einem Geſetze uͤber den Janſenismus 
vom 2Hften April 1606 heißt es z. B.): wir haben ben 
Plan alle unfere Unterthanen für denfelben Glauben zu ver- 
einigen; und im Jahr 1666 vollzog der König eine Verfuͤ⸗ 
gung wobusch fechzig zweifelhafte, ober offenbare Punkte, 


1) Coste Histoire de Louis de Bourbon 841. Lettres de 
Louis, I, p. 185; II, p. 178. 


2) Benoit III, 8, url. V. 2. Eneycopsdie Jurisprudence, Cal- 
vinistes p. 167. 


8) Isambert XVII, 49. Benoit III, 2, Urf. 17. 





Duguen otten. 195 


ſaͤnnntlich ‚gegen bie Öuguenotten entfchieben wurden. Aus 
dem Standpunkte des unbebingten göttlichen Rechtes ber 
Könige ward erwiefen: daß jedes Recht, jebe Gabe, jedes 
Verſprechen nach Belieben widerruflich fey, und eine heilige 
Gewiſſenspflicht den Herrſchern auflege, alle Ketzer in ben 
Bezirk der Patholifchen Kirche hineinzuzwingen. Diefe Ans 
fihten und Exdrterungen wurben beſonders in ber Zeit gel⸗ 


tenb gemacht, wo ber alternde König fid) von ber Kbermüs 


tbigen Montefpan zu ber frömmelnden Maintenon wandte 
und durch Bekehrungen Anberer feine eigene Buße bequem 
zu vollenden wähnte. Ohne Froͤumigkeit, fogt Beau von 
ia Bayette, giebtö zu biefer Stunde Fein Heil mehr am Ho⸗ 
fe); — und wie preißwirbig erfehiene dieſe Veraͤnderung, 
wenn man nicht Froͤmmelei und Berfolgungsfucht überall 
anftatt wahrer Froͤmmigkeit exgriffen hätte. : So folgen num 
allmaͤlig eine lange Reihe von Verfuͤgungen, Maaßregein, 
Auslegungen, Beſchraͤnkungen und Neuerungen, wodurch 
Geiſtlichkeit, Parlamente, Miniſterien, und in letzter Stelle 
uͤberall der Koͤnig ſelbſt, die Huguenotten in jeder Weiſe 
widerrechtlich und unverflänbig aͤngſtigten und mißhandeiten. 
Es genügt an dieſer Stelle beiſpielsweiſe nur Einiges aus⸗ 
zuheben. Die Huguenotten duͤrfen an katholiſchen Faſttagen 
kein Fleiſch verkaufen, bei Tage keine Todten begraben, keine 
Pſalmen außerhalb ber Kirche ſingen?). Sie werben (mit 
ſehr wenigen von Golbert durchgeſetzten Ausnahmen) vom 
Zimften und Gewerken ausgeſchloſſen; benn felbft die Waͤ⸗ 
fcherimen in Paris (fonft mehe als zweidentigen Rufes) 
wolten ja Feine Ketzerinn unter ſich dulden”). Sie werben 


entfernt von allen Öffentlichen, feibft esfauften Ämtern, von . 
Pachtungen geiftlicher Güter und von aller Xheilnahme an’ 


Steuerpadhtungen, fowie von jedem zeitber gelibten Patro- 


1) La Fayette Mem. 1%. 
2) Benoit IH, 1 von 1662-1664. 


8) Benoit III, 2, 26, 29, urk. No. 13, 101. Isambert XIX, 
231, 257. 
13 * 











1 Sechsſstes Bud. Zünftes Hauptſtück. 


natsrechte. Aerzte, Apotheker und Hebanmmen follen katho⸗ 
liſch ſeyn. Kinder aus gemifchten Ehen werben als unehe⸗ 
lich betrachtet, und alle Baſtarde ſollen ſich zur katholiſchen 
Kirche halten. Dieſer letzten Beſtimmung gab man in ſol⸗ 
chem Maaße rüuͤckwirkende Kraft"), daß bie aͤlteſten Perſo⸗ 
nen, welche ihr ganzes Leben hindurch Huguenotten geweſen 
waren, aufgegriffen und eingeſperrt wurden wenn ſie ihren 
Glauben nicht wechſeln wollten. Die getheilten Gerichtshoͤfe 
ſchaffte man ab und riß allmaͤlig, unter vielfachen Vor⸗ 
waͤnden, an 400 von den Huguenotten erbaute Kirchen nie⸗ 
der. Sie duͤrfen nicht auswandern, und jeder ein Jahr vor 
etwaniger Entfernung abgeſchloſſener Verkauf iſt nichtig ). 
Es wird ihnen unterſagt außerhalb ihres Wohnortes dem 
Gottesdienſte beizuwohnen, und griechiſch, bebräifch, Philo⸗ 
ſophie ober Theologie zu lehren. Da fiebenjährige Kin⸗ 
der im Beige ber Vernunft und bereits fähig find in Sa⸗ 
den die ihr ‚Heil angehen eine jebe auch bie wichtigfie Wahl 
zu treffen; To entſcheiden fie, ob ſie bei ihren proteflantifchen 
Aitern bleiben, oder biefe verlaffen wollen’). In letztem 
Balle hat die väterlihe Gewalt ein Ende, die Kinder wers 
den auf Koſten der Altern bei Katholiken untergebracht und 


erzogen. 

Es fällt in bie Augen auf welche heillofe Weile, dieſe 
und ähnliche Werfüsungen urkundliche echte umfließen, 
wohlenworbenes Eigenthum raubten, häusliche Verhaͤltniſſe 
mit Füßen traten, frommen Gemüthern religioͤſen Troſt ent⸗ 
zogen, und allen Eiferern geiſtlichen und weltlichen Standes 

zu Raͤnken und Ungerechtigkeiten gefebliche Vollmacht ertheil⸗ 


1) Claude les plaintes des Protestans dans le royaume de 
France. Choisy Mem. II, 82. Rhulieres &claircissements sur la 
r&vocation de !’6dit de Nantes I, 172— 188. de Witt lettres I, 
411. 

2) Recueil d’edits des Bois IT, 966, 969. Bausset Vie de 
Rossuet IV, 55. Rhulires I, 264, 275. 


8) Recueil d’edits II, 965. Larrey V, 79. 





Huguenotten. La Chaiſe. 197 


ten. Seht, meinten biefe Eiferer, fey es Zeit bie von ih⸗ 
rem Hochmuthe zuruͤckgebrachten, erweichten unb hinreichend 
geängfteten Huguenotten, zu ihrem und bed Lanbes Güde, 
mühelos in den Schoß der heiligen Kirche zurückzuführen. 
Die franzöfifche Geiftlichkeit warb über dieſe wichtige Ange: 
legenheit nicht befragt und gehört: ed Fam damals nur bars 
auf an, was bie Minifter, ber Beichtvater, die Maitreffe 
und, durch alle dieſe beflimmt, ber König wollte ober nicht 
wolte. 

Unter allen Miniftern war Colbert ber einzige, wel 
cher fir die Erhaltung der Huguenotten und ihrer Rechte 
ſprach. Schon um deöwillen unterftügte fein Widerſacher 
Louvois die entgegengefeßte Meinung und benuste, wie 
wir gleich fehen werben, diefe Gelegenheit feinen Witkungs⸗ 
freid zu erweitern unb ber Maintenon ben Hof zu machen. 
Auch rlhmt diefe Louvois Brömmigkeit weil er nur eine 
Religion im Reiche laſſen wolle, während Colbert bloß an 
feine Finanzen und faft nie an Religion denke). In aͤhn⸗ 
lichem Sinne fchreibt fie: „man ift fehr zufrieden mit dem 
Beichtvater la Chaife, er begeiftert den König flr große 
Dane. Bald werden alle feine Unterthanen Sott im Geifle 
und in der Wahrheit dinen?).. Das wirb eine wahrhaft 
koͤnigliche Belehrung werben, und ihn vor Gott mit Ruhm 
bedecken. Der Pater und der Minifter Louvois haben gleich 
mäßig verfprochen, es folle ohne alles Blutvergießen abges 
ben, und wenn die Väter auch Heuchler bleiben, fo werden 
doch die Kinder wenigftens Katholiten feyn.” 

Bon Natur war der Iefuit Ia Chaiſe ein verftänbi- 
ger, milder, gemäßigter Mann’); aber die Grundfäge ſei⸗ 
ned Ordens, hergebrachte Worurtheile und taͤuſchende Hoff: 


1) Monthion Particularit&s etc, 65. Rhuliöres I, 66, Mainte- 
non lettres II, 111. 


9) Maintenon letires II, 118, 120, 122. 


8) 8, Simon n. &d. VII, 21. Räulieres II, 205-210. Span- 
heim V, 125. 


198 Sechstes Bub. Fünftes Hauptſtück. 


nungen führten ihn auf falſche Wege, und auch er iſt ein 
Beweis, daß fo wie ed Einwirkungen der Volksgunſt und 
der Volksſtimmung giebt durch welche bie ſcheinbar unabhäns 
gigſten Naturen betäubt werben; es ebenfo auch einen Dunfts 
kreis der Hofluft giebt welcher alle Mannhaftigkeit, Selbſtaͤn⸗ 
digkeit und alle Kraft eigenen Willens vernichtet. Weil je⸗ 
doch la Chaiſes Natur und Anſicht immer noch nicht ganz 
mit der ſchleichenden, froͤmmelnden, eigenſuͤchtigen Mainte⸗ 
non zufammenftimmte, fo klagt fie daß er eine Abneigung 
gegen die Frommen habe’). Diefe angebliche Froͤmmigkeit 
wider die Huguenotten geltend zu machen, hatte die Mains 
tenon noch einen befonderen Grund. Sie war nämlich felbft 
Calviniſtinn gewefen und wollte durch gefteigerten Eifer ben 
Ernſt ihrer Belehrung erweifen und den Befchulbigungen 
etwaniger Ankläger zuvorkommen. Ja fie entwarf Auffäge 
- wiber die Huguenotten”), welche abergläubig, thöricht und 
von Vernunft und chriftlicher Liebe entblößt erfcheinen. In 
bemfelben Sinne fchrieb fie Herrn von Villette, einem ihrer 
Verwandten): „bekehren Sie ſich wie fo viele Andere, be: 
kehren Sie ſich mit Gottes Hülfe, bekehren Sie ſich wie es 
Shen behagt, aber kurzum bekehren Sie ſich!“ Fragte 
man nach inneren Gruͤnden, ſo gab ſie mit ſcheinbar weiſer 
Beſcheidenheit zur Antwort: „ich trete ſtets der Meinung 
ber größeren: Zahl beit” Und doch war dies eine baare Uns 
wahrheit, denn ihre Anficht und Thätigkeit warb wefentlich 
durch die Vorurtheile eined Einzigen beftimmt. 

Der König (fagt die Herzoginn von Orleans) wußte 
nicht anders worin die Religion beftände, ald in dem was 
ihm feine Beichtodter fagten. Sie hatten ihm weiß gemacht 
in Religiondfacden wäre nicht erlaubt zu raiſonniren ), man 


1) Maintenon lettres IV, 171. 

2) Rhulitres I, 208. Duclos Me&moires I, 137. Beaumelle III, 
87; VI, 97. Spenheim III, 189. 

8) Maintenon lettres I, 273; IT, 123. Swift lettres III, 292. 

4) Orleans 92, 98, Lubiwig war in Religionsfachen ignorant 
beyond what can be well imagined. Burnet III, 1121. 


Die Maintenon, ber König. Bekehrungen. 199 


müßte die Vernunft gefangen nehmen um felig zu werben. 
Man konnte (heißt ed an einer. anderen Stelle) in ber Welt 
nicht einfältiger in ber Religion feyn ald ber König. Die 
alte Zott und der Pater Ia Chaife haben ihn perfuadirt daß 
alle Sünde fo Ihre Majeftät mit der Monteſpan begangen, 
‚vergeben feyn würbe wenn er die Meformirten plagte und 
megiagte unb bag dies der Weg ded Himmels fen. Das 
bat der arme König feft geglaubt; benn er hat in feinem 
Leben Fein Wort in ber Bibel gelefen, und darüber iſt bie 
biefige Perfecution angegangen. 

Anfangs zwar hieß ed: man wolle bie Verirrten nur 
mit Milde und Liebe auf den rechten’ Weg zurüdführen; 
bald aber gefellten fich zu dieſen fcheinbar edelen Zriebfedern, 
erft zweidentige und dann unmürbige mancherlei Art. So 
trachteten 3. DB. Ianfeniften und Sefuiten gleichmäßig bie 
HDuguenotten zu ſich berüberzuziehen; nur legten jene mehr 
Nachdruck auf geiflliche Mittel, während diefe glaubten man 
Tonne durch Mittel der bürgerlichen Gewalt fchneller zum 
erwünfchten Ziele kommen ). Beide zuͤrnten alö fie bet ben 
Huguenotten Widerfpruch fanden, und fahen barin eine vors 
ſaͤtzliche Verblendung gegen die Kraft der Wahrheit, ober 
ein Unrecht gegen die böchfle Obrigkeit. Im Allgemeinen 
waren bie Huguenotten und insbefondere deren Geiftliche befs 
fee unterrichtet, fittlicher und thätiger ald die Bekehrer. 
Wenn nun Grünbe nicht ausreichten, fuchten diefe das Volk 
beöhalb gegen die angeblichen Ketzer ungebührlich aufzureizen, 
und Schriftfteller und Seitungdfchreiber flimmten gem ben 
Anklagen und Vorwürfen bei. 

Gleichzeitig fammelten Geiſtliche mit paͤpſtlicher Geneh⸗ 
migung Beitraͤge, oder man verwandte auch die Einnahmen 
erledigter Pfruͤnden, um Bekehrungen fuͤr Geld zu bewir⸗ 


Ten. Wenn man aber dem Einzelnen in ber Regel nur 


fechs Livres, und ber zahlreichſten Familie nicht über 42 Li 
vres bot?); fo Tonnte man hieburch nur armes Gefindel ver⸗ 


1) Rulhieres I, 128- 184, 166. 
2) Rulhiöres I, 89, 144—149, 





’ J 


200 Sechstes Bud. Zünftes — 


führen, das jeboch :nady Empfang des Geldes bald ehefällig 
warb und zu ben haͤrteſten Vorſchriften wiber Abtruͤnnige 
Beranlaffung gab. — Mithin fleigerte ſich ber Eifer durch den 
Widerſtand, und Einer ſprach dem Anderen nach: eine all⸗ 
gemeine Bekehrung werde keine Schwierigkeit haben, ſobald 
man nur den Muth beſitze zweckgemaͤße Mittel anzuwenden. 
Zu dieſen zaͤhlte man eine Verfuͤgung vom Jahre 1684 des 
Inhalts ): Fein huguenottiſcher Geiſtlicher darf länger als 
drei Jahre in einem Orte fein Amt verrichten, er muß den⸗ 
felben nach Ablauf biefer Friſt verlaffen bei Strafe von 
3900 Livres und dem ‚Nieberreißen der Kirche. 

Louvois, welcher von feinen Kriegsminiſterium aus auf 
alte diefe Angelegenheiten nicht viel einwirken Tonnte, aber 
fih der neuen Richtung und Leidenſchaft des Königs bes 
mächtigen wollte, ſprach wahrfcheinlich deshalb zuerft den 
Gedanken aus: man folle zundchft den reichen Huguenotten, 
ohne Erwähnung ber Religion, Dragoner einlegen; als ſey 
dies eine nothwendig gewordene Verpflegung des Heeres. 
Wenm man bie Katholiken verſchone?), werde jeder Einfichs 
tige leicht begreifen worauf es eigentlich abgeſehen ſey und 
was man thun mäfle um die Einlagerung los zu werben. 
Bald aber festen die Eiferer diefe anfängliche Heuchelei und 
Bweibeutigkeit bei Seite, und in einer Anweifung Louvois 
heißt e8: ber König will daß man bie größte Strenge ges 
gen Alle anwende, welche feine Religion nicht annehmen 
wollen, und biejenigen welche nach bem thörichten Ruhme 
fireben biebei bie Legten zu bleiben, follen bis auf das Aller 
Außerfte getrieben werben ?). - —* 

So verdammlichen Anweiſungen ‚folgend, legte man eins 
zelnen Perfonen bid 100 Dragoner .ein, und wer da klagte, 
ober dad Verfahren rügte, ober die Gebulb verlierend fich 
zur Mehr feste, erlitt die härteften Strafen. Einzelne Dragoner 

| 


1) Benoit III, 3,-Urf. 161 
: 2) Rinlieres I, 194, 907. 
8) Ib. I, 845. 


Belehrungen. Dragonaten. Zrevel. 204 


zeigten fidh milder, als der abergläubige König und fein ty⸗ 
ranmifcher Miniſter, und ber Biſchof von Drleand uͤbernahm 
felbfl die Verpflegung ber ausgeſandten Mannfchaft '), weil 
ſolch eine Bekehrungsweiſe den liebevollen Grundſaͤtzen bed 
Chriſtenthums wiberfpreche. Im Allgemeinen aber uͤberbo⸗ 
ten Beamte, Dfficiere und Solbaten bie erhaltenen Vor⸗ 
ſchriften, und es finden fi) nach Zeit, Drt und Perfonen 
fo genau verzeichnete unzählige Grauſamkeiten und Niebers 
traͤchtigkeiten, daß man in die widerwaͤrtigſten Zeiten des 
dreißigiaͤhrigen Krieges verſetzt zu ſeyn glaubt”). Ja waͤre 
auch nur der hundertſte Theil des Erzaͤhlten wahr, ſo reichte 
dies hin alle Theilnehmer, welche ruhige Mitbuͤrger waͤh⸗ 
rend des tiefſten Friedens auf fo empoͤrende Weiſe mißhan⸗ 
delten, mit ewiger Schande zu brandmarken. Bei Hofe da⸗ 
gegen freute man ſich der wunderbaren, zahlreichen Bekeh⸗ 
rungen: obgleich jeder nicht ganz Verblendete auch hieruͤber 
nur zu wehklagen Urſache hatte. Als ein Dfficier mit ſeinen 
Dragonern in einen gewiffen Ort einruͤckte erklaͤrten bie Eins 
wohner: fie wären bereit fi augenblicklich zu befehren ?). 
Jener aber ſchrieb feinem Vorgeſetzten: Herr General, dieſe 
Kerle haben Sie zum Beten, Feiner hat und auch nur bie 
Zeit gelafien ihn zu unterrichten! 

Ernfter betrachtete Fenelon die unglüdlichen Verhaͤlt⸗ 
niffe und ſchrieb: „die Überreſte dieſer Partei gerathen all⸗ 
maͤlig in eine Gleichguͤltigkeit gegen die Religion und allen 
aͤußeren Gottesdienſt, ob welcher man erzitiern muß 9 
Wollte man ſie dahin bringen das Chriſtenthum abzuſchwoͤ⸗ 
ren, oder den Koran anzunehmen, ſo brauchte man ihnen 
nur Dragoner zu zeigen. Kaum von Einem Fan -marı 
vermuthen, oder willen daß feine Belehrung innerlich und 


1) 8. Simon nouv. &dit. V, 19. 


3) Rambach Schickſale der Proteftanten in Frankreich II, 115, 
140. Bürmet III, 1127. Benoit III, 2, 668-683, 887, 909, 919. 


$) Argenson essais 808. 
4) Fonélon corresp. II, &. 298. Bausset Fenelon I, 117. 


IM Gehstes Bud. -Künftes Hauptſtück. 


aufrichtig fen.” — Hlezu trug noch bei baß in dem abges 
forderten Glaubensbekenntniſſe ale Tatholifchen Lehren aufs 
Schaͤrffte hervorgehöben waren ), fo dag nur feige: Beißim⸗ 
men, ober feſter Widerſpruch möglich blieb. Dieſes Leichts 
finns und Stumpffinnd, dieſes Clenbs und diefer falfchen 
Eide eigentliche Urheber waren der König nebſt feinen Hel⸗ 
fern und Helfershelfern. Ich würde (fchreibt ein wohlunters 
sihteter Mann) es Anderen nicht geglaubt haben, wenn ich 
“ eb nicht wochenlang in Werfailled gefeben und gehört hätte. 
Perfonen jeven Standes und Ranges, die ben König täg- 
lich fahen, fprachen laut von ben aller Orten begangenen 
Gewaltthaten mit ihren Freunden”), am Tiſche, im Louvre, 
in den Galerien, auf Spaziergängen, in ben Vorzimmern 
bed Königs, fie fprachen felbft mit einer Art von Heftige 
feit, — und doch kam von all ihren Vorwiufen und Klas 
gen nichts zu ben Ohren dieſes Fuͤrſten! 

Dieſe Erfahrungen, verglichen mit denen eines ſpaͤteren 
Jahrhunderts, bieten einen nur zu’ unwiderleglichen Beweis 
daß von enigegengefebten Seiten ber gleich unbeilbringenbe 
Übel einbrechen koͤnnen und eingebrochen find. Die Lehre 
vom unbefchränften göttlichen Rechte ber Könige und von 
der Volksſouverainetaͤt, Schmeichler der Fürften und des 
Pöbels, feiges Schweigen und freches Raiſonniren, find nie- 
mals Zeichen der Geſundheit, ober unfehlbare Mittel fie zu 

erhalten und herzuftellen, ſondern verberbliche Arzneien aus 
der Duadfalberbube der Xhoren, oder Schurken. 

Lubwig bem XIV fiellte man bamald vor: wenn ber 
König fpreche, folge ihm feine Heerbe willig und den Laͤm⸗ 
mern gleih. Zur Zeit bed Friedens könne der König mit 
fo gelbten Heeren nichts Glorreichered und Chrifllicheres 
unternehmen als, was feine Borfahren vergebens verfucht 
hätten”). Ja dad große Werk fey eigentli ſchon voll 


1) Benoit IE, 2, uxk. 198. 
2) Benoit III, 2, 485. 
3) Choisy Mia, II, 33-36. 


Klagen. Aufhebung des Geſehes von Nantes. 203 


beacht, und es fehle nur noch ein leicht auszuſprechenbes 
Wort: — die Aufhebung des Gefebes von Nantes. Denn 
bied Geſetz fey kein Wertrag, fondern ein Befehl des Kb 
nigs, den er nad) Belieben beftätigen oder aufheben Tönne. 
Bon ihm bange e8 ab, Gnade oder Ungnabe zu erzeigen "), 
und jene werde ganz natürlich denen nicht zu heil welche 
eine befondere Partei bilbeten, ober fich erfrechten eine an⸗ 
dere Religion zu haben als Seine Majeftaͤt. 

Gruͤnde dieſer und aͤhnlicher Art erſchienen den Mini⸗ 
ſtern Louvois, Pelletier, Seignelai und allen Mitgliedern des 
koͤniglichen Rathes entweder fo einleuchtend, oder fie wagten 
eine beſſere Überzeugung aus Feigheit fo wenig auszuſprechen, 
daß fie fi) einſtimmig fr die Aufpebung jenes Geſetzes er⸗ 
Härten, ımd ber Kanzler le Tellier bei Unterzeichnung ber 
neuen Verordnung vom 22ften Oktober 1685 audrief”): 


Herr nun laß deinen Diener in Frieden fahren, denn ih 


habe Feinen Wunſch mehr auf Erben. 

Das vom Parlament ohne Widerrede eingetragene Se 
fe& lautet im Befentlichen : die Könige Heinrich IV und 
Ludwig XII hegten immer ben heilſamen Plan tie Einheit 
der Kirche herzuflellen, wurden aber durch mancherlei Ur⸗ 
fachen, befonders durch Krieg an der Ausführung beffelben 
gehindert. Jetzt aber, in Zeiten der Ruhe und des Glüuͤcks, 
und nach Abfchließung des Waffenflillfiandes von 1684, ift 


es um fo mehr Pflicht aus Dankbarkeit gegen Bott jenes 


Borhaben durchzufeben, da bie meiften Huguenotten bereits 
zur wahren Kicche Üibergetreten find. Das Gefeh von Nans 
tes erfcheint alfo unnötig und wird aufgehoben um jebes 


1) Bausset Vie de Bossuet IV, 57, 68. 


2) Choisy II, 86. Larrey V, 194. (Perrault hommes illn- . 


stres II, 108), In ber Leichens ober Lobrebe auf Tellier fagt Fe⸗ 
chier: Jo vois V’'heresie tomber d’un coup, comme un autre Je- 
richo, au bruit des trompettes &vangeligues, et de la puissance 
souverains qui l’invite ou qui la menace, Flechier oraisons fand- 
bres 862. 


8) Beaumelle III, 23, 24. Noaliies Möm. L, 1-78. 


— — — — 


208 Sechstes Buch. Fuͤnftes Hauptſtuͤc. 


Andenken an fruͤhere Unruhen und um das Unheil einer 
falſchen Religion ganz auszurotten. Demgemaͤß hoͤrt aller 
reformirte Gottesdienſt im RKeiche auf, und eben fo wenig - 
Dinfen Verſanunlungen zu religisfen Zwecken in Buͤrgerhaͤu⸗ 
fern flatt finden. Die Schulen werben gefchloffen, die Kin 
ber gleich denen der Katholiken erzogen, und Auswanderun= 
gem bei Strafe der Galeere und der Gütereinziehung unter= ” 
fagt '). Angeber der Auswandernden erhalten die Hälfte 
Diefee Güter. Geiſtliche welche fich fogleich belehren, be⸗ 
ziehen ein Sahrgeld, um ein Drittel ſtaͤrker als ihre bishe⸗ 
rigen Einnahmen; alle nichtbelehrte verlaffen dagegen binnen 
vierzehn Tagen bad Reich. 

As die Huguenotten, (welche noch immer gehofft hat⸗ 
ten bie fie treffenden WBerfolgungen wuͤrden aus mehr als 
zureichenben Gründen balb ein Ende nehmen) die völlige 
Aufhebung bed Geſetzes von Nantes erfuhren, flieg Jam⸗ 
mer, Zorn und Begeiſterung auf eine nicht gekannte und 
erwartete Höhe. Recht, Vertrag, Eid, Verſtand, Weisheit, 
ia ſelbſt der naͤchſte und augenfcheinlichfte Vortheil, verloren 
dem blinden Fanatismud gegenüber alle Bedeutung, und Lubs 
wig wuͤthete gegen Mitchriften drger, als die fpanifchen Phi⸗ 
- Iippe wider Muhamedaner ?). Unzähligen warb Baterland, 
Beruf und Eigenthum entrifien, oder fie opferten dies Alles 
um in freieren Ländern und unter mildern Fürften ven Glau⸗ 
ben zu erhalten, welchen fie wider ihre Überzeugung mit 
falfchen Eiben abſchwoͤren follten. An 100,000 Franzoſen, 
darunter 9000 Matrofen, 12000 Soldaten, 600 Dfficiere 
verließen allmdlig ihr altes Vaterland ’), und brachten dem 


1) Recueil d’edits II, 998, 1002. Benoit IH, 2, Urk. 197, 
200. 
2) Ludwig hatte ſelbſt den Muhamedanern in Marfeille Gottes: 
bienf erlaubt. Benoit III, 2, 874. 

3) Die Angaben finden fih in einem Auflage Baubans. Rhalie- 


res I, 380. Andere Zahlen fleigen von 66,732 bis 400,000. Baus- 


set Vie de Bonsuet IV, 68, sq. 


Verfolgungen- 205 


neuen ihre Kenntniſſe, ihe errettetes Bermögen und glühenben 
Haß gegen Ludwigs Tyramei). | 

As nun endlich die Thorheit früherer Selbſttaͤuſchungen 
und die Nichtöwirdigkeit frecher Lügen an ben Tag Fam, 
lenkte man nicht um zu Milde und Mäßigung; fonbern 
überbot bie früheren Befchläffe durch neue Graufamleiten ). 
Geiftliche (heißt es in ſpaͤteren Geſetzen) welche zuruüͤckkehren, 
werben hingerichtet. Wer ihren Aufenthaltsort anzeigt, ers 
balt 5500 Livres zur Belohnung; wer fie beherbergt ober 
verheimlicht kommt lebenslang auf die Galeeren und verllert 
feine Güter”). Neubekehrte werben entwaffuet unb ihre 
Kinder an Katholiten zur Erziehung übergeben. Sie duͤrfen 
über ihre Güter in Peiner Weiſe verfügen. Wer fich wei: 
gert auf dem Krankenbette die Sakramente im katholiſcher 
Weife zu nehmen, verliert, fofern er gefunbet, feine Güter 
und kommt auf bie Galeeren; flirht er, fo findet die Guͤterein⸗ 
ziehung ebenfalls flatt, unb fein Leichnam wird auf ben 
Schindanger geworfen. Weiber und Wittwen bie fih. nicht 
belebten, verlieren das Recht zu erben, ober em zu 
verfuͤgen. 

Wir greifen, ſchreibt ein Geiſtlicher, die Huguenotten 
beim Schnabel, wie die Schnepfen *), und ſchicken fie für 
das geringfte Wort in die Sefängniffe nad) Rochefort. — In 
einer Dienflanweifung, welche ber Befehlshaber von Langue⸗ 
D’oc, Marquis be Latrouffe gab, heißt ed: Im Namen bes. 
Königs. follen binnen 24 Stunden die genaueften Hausfuchun> 


1) In England ſchmolz man ungeheure Summen franzöfls 
ſchen mitgebradhten Golbes ein. Als Bettler gebleibete Auswanderer 
hatten 2—3000 Louisb’or bei fi. d’Avaux negoc. VI, 105; V, 
208. ! 

2) Alle Huguenotten bie ſich feit Jahre und Tag in Paris niebers 
gelafien hatten, mußten — die Stadt meiden. Dangeau I, 
142, 144. 

8) Rhuliöres I, 347, 881. Isambert XX, 60. Becneil d’edits 
II, 970, 974, 1001. Flassan IV, 92. 

4) Par le bec, comme les becasses, Benoit III, 2, 495. 


20 Gehstes Bud. Fünftes Hauptſtück. 


1) Isambert XX, 2-4. Benoit III, 2, uk. 219. 
2) Bausset Vie de Bossuet IV, 98. 
8) Beaumelle Mm. III, 83. 


Allgemeine Anftchten. 207 


Um He Schub Lubwigd XIV wegen all diefer Thom 
heiten und Verbrechen zu mindern, iſt eine boppelte Ent⸗ 
ſchuldigung ausgefproden worden; erſtens, man habe ihm 
das Meifte verheimlicht; zweitens, er habe nur in: dem all 
gemeinen Sinne feiner Zeit gehandelt. Abgefehen davon, 
baß diefe beiden Rechtfertigungdgrimbe ſich untereinander wis 
derfprechen, ift der erſte zum größten Theile unmwahr und 
ohne Zweifel fehr ungenügend fir einen König der ſich 
uͤberall sühmte felbft zu herrſchen. Einzelne Frevel blieben 
ihm gewiß verborgen; aber ohne feine Billigung ber allge 
meinen und verbammlichen Srundfäge wären fie gar nicht 
möglich geworden. — Was die zweite Entfchuldigung anbe⸗ 
trifft, fo werden wir fehen daß leider fein Gegner Kaifer 
Leopold I und das englifche Parlament gleich unbulbfam und 
verblendet handelten; wollte Ludwig aber (mad nicht ber Fall 
war) Anderen nachahmen, fo boten fi ihm Maximilian IL’ 
und Wilhelm von Dranien, ja fein eigener Water unb Groß⸗ 
vater nebſt den Karbindien der roͤmiſchen Kirche Richelien 
und Mazarin, al viel wörbigere Muſter dar. Allein ex. 
war nirgends zur Erkenntniß der wahren Religion. durchge⸗ 
drungen. — In dieſem Sinne ſchrieb ihm ein Unbekannter '): 
Sie lieben Bott nicht, ja Sie fürchten ibn nur wie ein Skla⸗ 
ve; oder vielmehr Sie fürchten auch ihn nicht, fonbern nur 
die Hölle. Ihre Religion beſteht nur in Aberglauben und 
oberflächlichen Gebräuchen, und auf Sie paßt was Bott von 
den Juden fagt: während fie mich mit den Lippen ehren, iſt 
ihe Herz weit von mir. Sie find aͤngſtlich über Kleinigkeiten 
und verhärtet gegen furchtbare übel. Sie lieben nur Ihren 
Ruhm und Ihre Bequemlichkeit und beziehen Alles lediglich 
auf fich felbft, als wären fie der Gott der Erbe und alles 
Übrige nur erfchaffen um Ihnen geopfert zu werben. Im 
Gegentheil hat Bott Sie nur in die Welt geſetzt um Ihres 


1) Ich zweifle daß biefer Brief von Fenelon herrührt, wenn fi 
auch eine Abfchrift von feiner Hand findet. Wohl aber kann ex dem 
Könige überfandt worben feyn. Fenslon corresp. II, 841. 


208 Sechstes Bud Sünftes Hauptflüd. 


Volkes willen; aber wie könnten Sie Gefallen finden an die 
fen Wahrheiten, da Sie nicht einmal im Stande find fie zu 
begreifen! ' 
Jenen ungenlgenden Entſchuldigungen gegenüber ſteht 
die von Anderen ausgeſprochene Anklage: daß Ludwig die 

Schuld jener Verfolgungen allein trage, alle uͤbrigen Fran⸗ 
zoſen aber keinen Theil daran gehabt, ja ſie mißbilligt haͤt⸗ 
ten. Zum Beweiſe der Unwahrheit dieſer Behauptung wol⸗ 
len wir aus unzaͤhligen Zeugniſſen nur einige beibringen. 
Kuͤnſtler bildeten den Koͤnig ab, mit einer ſterbenden Hydra 
unter ſeinen Fuͤßen, und von Behoͤrden, Akademien, Uni⸗ 
verſitaͤten u. dergl. liefen Schreiben ein, voll der uͤbertrieben⸗ 
ſten Lobpreiſungen des neuen Conſtantin und Theodoſius). 
Choiſy ſchreibt): die angewandten Mittel waren fanft und 
bewiefen eine tiefe Weisheit nur verfuhr der König zu 
langfam! Varillas ruft aus: Ludwigs Verdienſte über- 
treffen an biefer Stelle die Thaten des Herkules. Namens 
‘ ber Geiffichkeit fagte ber Biſchof von Walence dem Könige: 
Alles dies ift gefchehen ohne Gewalt, ohne Waffen, und 
weit weniger durch die Kraft ihrer Geſetze, als durch ihre 
mufterhafte Srömmigkeit ). Brueys billigt in einer Schift 
wider die Hugnenotten alle exrgriffenen Maaßregeln, und 
nennt fie fhan deshalb preißtwärbig und dirifich, — weil 
ein in ſich ımeiniges Reich zu Grunde gehe. Boileau fang: 
l’Univers sous ton regne, a-t-il des malheureux )7 
Frau von Sevigne fchreibt °) : nichts ift fo ſchoͤn als der ganze 
Inhalt bed neuen Geſetzes, und niemals hat Ein König et⸗ 
was getban und wirb etwas thun was denkwuͤrdiger wäre. 
Die ehemaligen Kriege und die Bluthochzeiten haben die 

1) Rhuliöres II, 139. . 

2) Choisy Mem. H, 82. Clande plaintes des Protestans 
135, 165. 

$) Breeys röpense aux plaintes des Protestans 20. 

4) Beaumelle M&m. III, 20. 

5) Sevigus lettres VI, L 743. 


Anſichten. Boffuet. 209 


Sekte nur vermehrt und Ihe Kraft gegebens der König 
hingegen hat fie nach und nach untergraben, und bad Ges 
ſetz des Widerrufs, unterflügt bon Dragonern und Bour- 
daloues, iſt ber legte Gnadenſtoß! 


Der Kardinal Noailles bewies: daß der geringſte Schein 
von Duldung und Nachſicht Alles zu Grunde richte‘). Ar⸗ 
nauld (welcher als Sanfenift doch felbft erfahren hatte, was 
- Berfotgung fey) erflärte: dad Geſetz von Nantes fl .eine 
Verfügung. die man zum allgemeinen Beſten gegeben hat, 
und die man aufheben Tann fobalb das allgemeine Beſte es 
verlangt. Man hat ein wenig heftige Mittel angewandt, 
doch halte ih fie nicht für ungerecht). Das Beiſpiel der 
Donatiften rechtfertigt vielmehr, daB man den Huguenotten 
durch Einlagerung zeitlichen Schaden zufügte und ihre Geift- 
lichen verbannte. 


Slechier fchrieb ): ich geftehe daB Gewalt und Unter⸗ 
drüdung nicht die Mittel find, welche Chriſtus empfohlen 
und zur Begründung bed Glaubens angewandt hatz — und 
Doch bot derfelbe Mann die Hand zu allen jenen harten 
Maaßregeln und empfahl diefelben! Boſſuet endlich, dies 
fer angebliche Vorkaͤmpfer für kirchliche Freiheit und tiefe 
Kenner des wahren Chriftentdums, fagte in feiner Leichenrede 
auf den Kanzler le Zellier: Unfere Väter haben nicht ge: 
feben, was wir fahen, eine hartnddige Ketzerei plößlich zu 
Boden ſtuͤrzen, verirrte Heerden haufenweife zurückkehren, 
unfere Kirchen zu eng für ihre Aufnahme. Alles ruhig in 
einer fo großen Bewegung‘), und das Weltall erflaunt in 


1) Rhulitres I, 849. 
2) Bausset Vie de Bossuet IV, 66. 
8) Flechier lettres I, 1. 19, 88, 92. 


4) Bossuet eut m&me la complaisance ou la — de nier 
ou de deguiser hautement les faits d’ailleurs aussi notoires et pal- 
pables, que ceux des traitemiens cruels et barbares qu’on employa 
pour operer les susdites conversions. Spanheim V, 147. 

VI. 14 


a 


d 


MO Sechstes Buch. Fünftes Hauptfüd. 


einer fo neuen Begebenheit zu erblicken das ſicherſte Zeichen 
und den fchönften Bebrauch der Negierungsgewalt (autorite), 
ſowie die Werbienfte eines Fürften welche noch mehr aners 
kannt und verehrt werben, als felhft feine Macht‘). — Und 
an einer amberen Stelle ruft Bofſuet: fehütten wir unfer 
Herz aus über die Frömmigkeit Ludwigs! Laſſen wir un⸗ 
feren Beifall erfchallen,bis zum Himmel! Sagen wir bie= 
fem neuen Gonftantin, diefem neuen Xheobofius, dieſem 
neuen Marcian, biefem neuen Karl dem Großen, was die 


630 Kirchenväter ehemals auf ber Kirchenverfammlung von 


Chalcedon fagten: Dir haft den Glauben befeftigt, Du haft die 
Ketzer audgerottet, dies ift das, wuͤrdige Werk Deiner Regie: 
rung, dies tft ihr eigenfler Charakter. König bed Himmels, 
erhalte den König der Erdel Das ift dad Gebet der Kir: 
hen, das Gebet der Biſchoͤfe! 


In ſolchem Zone fortfahrend‘, fagte die franzöfifche 
Geifttichkeit dem Könige: wenn Ihre früheren Xhaten Ihren 
Namen bid zu den aͤußerſten Gränzen der Erbe hingetragen 


‚haben, fo. wirb ihn biefe Zhat bis zum Himmel erheben 


und Ihnen einen Ruhm erwerben ber noch fortdauern wird — 
nach dem Untergange des Weltalls?)!! 


Gelehrte und Kuͤnſtler, Sefchichtöfchreiber und Dichter, - 
Parlamentöräthe und Officdere, Hofleute und gebildete Frauen, 


Geiſtliche, Praͤlaten und Kardindle, ſtimmten alfo zufammen 


in denfelben Chor thörichter Lobpreifung des Werdammlichen. 
Ohne allen Zweifel gab es im Frankreich der edelen Gemuͤ⸗ 
ter nicht wenige, welche jerie Mittel und Zwecke gleichmaͤ⸗ 
ig bejammerten; allein Eitelkeit, Leichtfinn, Dummbeit, 
Aberglaube, Furcht, Schmeihelfuht und Knechtsfinn wirt; 
ten fo mächtig und mannigfach aufeinander und durchein⸗ 


1) Bausset Vie de Bossuet IV, 64. Revue chronologique de 
l’histoire de F'rance 870. 


9%) Apres la ruine de l’univers. Revue Il, c, 


Schmeicheleien. 21 


anber, baß bie Anfichten des Wolke im Ganzen und Gro⸗ 
fen mit denen jener verbiendeten. Wortfuͤhrer übereinftimm- 
ten und bie Franzofen (in fo vieler Beziehung fie ſich da⸗ 
mals auch auszeichneten) doch gewiß nicht an der Spitze einer 
allgemeinen, für die Entwidelung der Menfchheit —— 
heilſamen Bildung flanden. 


14* 





! 


Sechstes Hauptſtuͤ ck. 
Von dem Abſchluſſe des nimweger Friedens, bis zum 


Ausbruche des dritten Krieges. 
(1678 —- 1688.) 


nn man nır da wahrhaft von Geſchichte ſprechen kann, 
wo Gedanken und Ideen ſich kund geben, der Geiſt herrſcht, 


und fuͤr die Entwickelung des menſchlichen Geſchlechtes heil⸗ 


ſame Thaten geſchehen; ſo ſchwindet das, was ſeit mehr als 
einem Jahrtauſend Aſien und Afrika in dieſer Beziehung 
darbieten, zu wenigen Blaͤttern zuſammen. Schon um des⸗ 
willen wuͤrde eine umſtaͤndliche Geſchichte des oͤſtlichen, nicht 
chriſtlichen Europa, in dieſem Werke an der unrechten Stelle 


ſeyn), den Raum für das Anziehendere und Denkwuͤrdigere 


befchränten, die Aufmerkfamkeit ablenken und das Licht 


nutzlos zerfireuen, flatt e8 für die rechten Punkte zu vers 


nn 


doppeln. Es fehlt nicht an gründlichen Werfen, wo ber 


Liebhaber dasjenige findet, was wir ihm bier nicht darbie⸗ 


ten wollen, oder auch nicht barbieten koͤnnen; weil jeder 
hoͤchſtens das feiner Natur Zufagende und Harmonifche 
zu erfermen und barzuftellen im Stande if. Wir werben 
beöhalb fo wenig ald möglich Über das uns befchievene Maaß 
binauögehen, und bitten bie Lefer folgende unentbehrlidhe 
Andeutungen über Öfterreichd Verhaͤltniß zu Ungern und 
Tuͤrken mit doppelter Nachficht aufzunehmen ?). 


) Bon Rußland und Polen ift fpäter im 3ufammenhange bie Rebe. 


2) Siehe Engels Gefchichte von Ungern, Hammers Gefchichte der 
Tuͤrken, Hormayrs Geſchichte Wiens, Vie du Comte Tökely etc. 


* 


Ungern. Leopold I. . 213 


Nachdem König Lubwig UI am 2Uften Auguft 1526 in 
der Schlacht bei Mohacz umgefommen war, ging Ungern 
duch Wahl und Vertrag auf Ferdinand I über. Allein 
er und feine Nachfolger hatten mit den unzufriedenen Ein- 
‚wohnen und ben übermächtigen Tuͤrken zu kaͤmpfen und 
Tonnten, felbft durch die härteflen Mittel, des SProteflans 
tismus Ausbreitung nicht verhindern. Ein Gluͤck fur Öfter: 
reich daß die Türken nicht bie Zeiten bes breißigiährigen . 
Krieged benusten, fonbern ſich der abendländifchen Kriege 
enthielten: theils weil fie im Oſten (z.B. gegen die Perfer) 
beichäftigt waren, theils weil im Inneren, neben ber ärgften 
Tyrannei, ſchon Schwäche und Erfchlaffung hervortraten. 

Leopold I (der Zeitgenoffe Ludwigs XIV, Kaifer von 
1658 bis 1705) war von Natur milde, weich, fleißig, von 
großem Gedaͤchtniſſe und mannigfaltigen Kenntniffen '); aber 
nicht von ber Einheit und Kraft der Erkenntniß und bed 
Charakters, daß er bad Rechte deutlich eingefehen und nach: 
druͤcklich gewollt hätte Daher fo viele Störungen, einfeis. 
tige Richtungen, WVernachläffigungen, halbe Maaßregeln, 
und — doch fo viel gefehwidrige und blutige Gewaltſtreiche. 

Lange ſchon hatten die Könige aus dem Haufe Habs: 
burg Klage geführt, daß die Ungern ed an Zutrauen und 
Gehorſam ermangeln ließen; während biefe ihrerfeitd glaub: 
ten noch mehr Gründe zu Beſchwerden zu haben. Urfprüng- 
ich (fo fprachen fie) war Ungern ein Wahlreih und dem 
Verdienſte ſtets der Zutritt zur böchften Winde offen. Jetzt 
hingegen will man es in ein Erbreich verwandeln, allmälig 
auch alle anderen Vorrechte und Freiheiten auf ähnliche 
Meife befeitigen, und ben Ungern nur diejenigen geringen 
‚Befugniffe übrig laffen, womit gewöhnliche Erbunterthanen 


1) Hormayıs Gefchihte von Wien. Villars Mem. I, 335. Eu- 
ropa gelosa II, 226. 2eopolb ſprach wenig und nur beutfch und ita= 
tieniſch. Er war von Prieſtern und ZIefuiten, nicht aber von Weibern 
abhängig. Geiftliche Übungen Xofteten ibm mehr Zeit, als bie Ges 
ſchaͤfte. Den großen Mund hielt er immer offen. Gramment Mé- 
moir. II, 183. Basnage Hist, d. Paysbas II, 529. 


2414 Sechsſtes Buch. Sechstes Hauptftüd. 


ſich begnuͤgen müffen. Adelige werben, im Widerſpruche 
mit den Landesgeſetzen, vor fremden Richtern zur Unterſu⸗ 
hung gezogen und ganze Klaſſen von Einwohnern, um ein 
seiner Schuldigen, willen, geſtraft. Hiezu koͤmmt der Ge⸗ 
wiſſenszwang, welcher fich troß aller Verträge und Friedensſ⸗ 
beflimmungen, immer wieder bdergeflalt erneut, daß Kirchen 
-weggenommen, Bebehrungen durch Soldaten erzwungen und 
‚bie Landleute zum katholiſchen Abendmahle hingetrieben wer⸗ 
ben. Aus dem grunbherrlichen Rechte leiten bie Jeſuiten bie 
Befugniß ab, die Religion zu beflimmen und bie Gewiffen 
zu zwingen; fremde Mannfchaft wirb mehr gegen bie Eins 
wohner bed Landes, ald gegen bie Türken in Bewegung ge= 
fest, und man behauptet: ein unbebingter Sieg bed Kathos 
licismus, muͤſſe einem glädlichen Kriege wiber bie Türken 
vorbergehen. 
Diefe wechfelfeitige Mißftimmung trieb, nicht ohne Schuld 
beider Zheile, zu immer fehärferen Einreden und Widerſpruͤ⸗ 
12 chen '), bis die Ungern fich weigerten ben deutſchen Soͤld⸗ 
nern irgend. etwad zu verabfolgen und vor ihnen bie Thore 
verfchloffen. Der Kaifer, von jener Stimmung und biefer 
übelen Lage: feines Heeres unterrichtet, berief einige der an⸗ 
geſehenſten ungerifchen Magnaten (fo ben Erzbifhof von 
Striegau und den Präfidenten bes oberſten Rathes Grafen 
Nadafli) nach Wien, deren Vermittelung auf kurze Beit befs 
fere Verhältnifie herftellte. Bald aber erlaubten ſich manche 
Deutfche neue Ausfchweifungen, zerfldrten Kirchen und plüns 
berten Häufer der Proteflanten, wofuͤr fie von ben Beein- 
trächtigten erfchlagen wurden. Diefe Selbftrache betrachtete 
der kaiſerliche Hof ald Majeflätöverbrechen und zog bie Be⸗ 
ſitzungen der Thaͤter ein; was die Meinung erzeugte: der 
letzte Zweck ſey weniger das Begruͤnden der katholiſchen Re⸗ 
ligion, als die Beſchlagnahme von Guͤtern der angeblichen 
Ketzer. 
Im Julius des Jahres 1662 entfernte der Kaiſer, zur 


1) Montecuculi M&m, III, 881. 


Ungeen. St Gotthard. ‚215 


Berubigung der Gemütber, mehre taufend Deutfche aus Un: 1662. 


gern; allein der Überreſt hielt noch immer nicht die vorge: 
fchriebene Mannszucht, und die Türken wurben geneigt dieſe 
mannigfachen Zerwürfmiffe möglichft zu benutzen. Trotz bie: 
fer nahenden Gefahr wollten die Ungern fich einerfeitö allein 
vertheidigen, und boch wiederum nicht außerhalb ihrer Graͤn⸗ 
zen dienen; was nothwendig vorausfeßte, entweder daß der 
Zeind ſtets in ihrem Lande fey, oder bei jedem Ruͤckzuge in 
das feinige, vollen Frieden finde. | 
Als die Zürken bei diefen Verhältniffen den Krieg be: 
gannen und Fortfchritte machten, fuchte der Kaifer die Un: 
gern zu bewegen nur die Koflen eined beutfchen Heeres auf: 
zubringen, fih um die Kriegführung aber nicht zu bekuͤm⸗ 
mern. Deffen weigerten fie fich inbeffen, weil fie flrchteten 
bieburch ihre eigenen Ketten zu ſchmieden. Mittlerweile be: 
willigte dad Reich dem Kaifer ein Huͤlfsheer von 30,000 
Mann unter Anführung des Bifchofd von Münfter und des 


1663. 


Markgrafen von Baden: Durlah. Seibft Ludwig XIV fandte 


(ed fey aus Großmuth, oder aus Zorn über die Mißhand⸗ 
ung feined Botſchafters in Konftantinopel, oder um ben 
deutſchen Fürflen zu gefallen, oder um fich, einen näheren 
Einfluß auf lingern vorzubereiten, oder aus all dieſen Grün: 
Den zufammengenommen) —, er Tanbte eine Huͤlfsmacht 
won 6000 Mann, welche zu bem Siege Montecuculis 
bei St. Sottharb (am erften Auguft 1664) loͤblich mits 
wirkte '). Weil indeſſen beide Theile fehr gelitten hatten und 
die eigenen Huͤlfsquellen bes Kaifers nur gering und unfis 
cher waren, ſchloß man ben 17ten September‘ 1664 einen 


1664. 


Waffenſtillſtand auf 20 Jahre, vermöge deffen die Tinten 


manches Eroberte behielten. 

So heilſam dieſer Waffenſtillſtand im Allgemeinen zu 
ſeyn fchien, waren die Ungern doch unzufrieden daß ‚man 
ihn ohne ihre Zuſtimmung eingegangen und einen Theil bed 
Reiches abgetxeten hatte. Die Kaiſerlichen beriefen ſich da⸗ 


1) Montecuonli Möm. IL, 421. fiber deſſen Verdienſte S. 485. 


u Sechstes Bud. Sechſstes Hauptſtück. 


1664. gegen auf die Unſicherheit des deutſchen Beiſtandes, und 
die zeitherige Unzulaͤnglichkeit aller ungeriſchen Anſtrengungen; 
fie behaupteten durch die neugewonnene Unabhängigkeit Sie⸗ 
benbürgens fey ber erlittene Verluſt mehr als erfeht. Hiezu 
kam daß ber erfte Eaiferliche Miniſter, Fürft von Porcia 
friedlich gefinnt war, großentheild weil er fürchtete fih im 
Kriege nicht erhalten zu koͤnnen, und der Kaifer (beim bes 
vorſtehenden Tode König Philipps IV,) einen Angriff von 
Seiten Frankreichs voraudfah.- 

Noch mehr Mühe die Ungern zu berubigen, gab fich 
Porcias Nachfolger, der Zürft Lobkowitz; auch fehlen im 
der That jeder Zwiſt eine Zeit lang befeitigt zu feyn. Bald 

1665. aber entwidelten ſich durch die fremden Söloner, bie unrus 
bigen Edelen und die Minifter des Kaifers (denen jedes fläns 
diſche Recht unangenehm war) neue Keime gegenfeitigen Miß⸗ 
vergnügens. Deshalb baten bie Ungern:, der Kaifer möge, 
‚ ben Reichögefegen gemäß, einem auf den 7 fien September 
1865 nach Preßburg berufenen Reichötage beiwohnen. Er 
lehnte ed jeboch ab, ed ſey (mie man ſpaͤter behauptete) aus 
Furcht vor einer Verſchworung oder weil er den vorauszu⸗ 

ſchenden Antrag, alle fremde Mannſchaft zu entfernen, nicht 

1666. in Perfon abfchlagen wollte. Während folchergeflalt beide 
Theile die Geſetze und Rechte nicht felten übertraten, ruͤhmte 
fih der Kaifer, daß er dieſelben ungemein achte; und bie 
Ungern erklärten: nicht Liege ihnen mehr am Herzen, wie 
der Ruhm bed Faiferlihen Haufes! _ 
| Als man die ungerifche Landwehr allmälig abbankte, 

. bie Feſtungen mit Ausländern befegte, die Proteflanten ohne 
Hehl bebrüdte-u. vergl. m. fuchten fich die Mißvergnügten 
ind Beeinträchtigten durch engere Verbindungen zu fichern. 
So die Grafen Nadafti, Zrini, Srangipani; allein ihre ges 
meinfchaftlichen Borftellungen blieben in Wien ohne Bits 

kung, und in Hinficht auf die Proteflanten war (nach des 

Beichtvaters Emerih Weifungen) nur vom Abfchwören der 
Kebereien bie Rebe. 

1669. So geriethen ‚die Ungern in ‘eine, wahrlich fehr übele 





Ungern, Berfhwörungen. 217 


Loge. ‚Gegen alle Bebrädungen ber Kaiferlichen ſchweigen, 1669. 

bieß in Elend und Verachtung leben, ober auch bie religidſe 
Überzeugung hinopfern; mit Gewalt entgegentreten aber, ei⸗ 

nen bürgerlichen Krieg entzunden und Breipeit und Dul- 

dung bei den Zürken fuchen! | 

Die Grafen Tattenbach, Zrini, Srangipani und Nadaſti, 

welche ſich (ohne hinreichende Vorſicht und Geſchicklichkeit) 

mehr oder weniger.in eine bald entdedte Verfchwärung ein: . ’ 
gelaffen hatten, wurden (ohne Rüdficht auf den Einwand, ; 
daß nur ungerifche Richter uͤber fie urteln koͤnnten) als Vers 

raͤthat enthauptet. Anflatt, diefer Strenge gegenüber, in Hinz 1671. 

ſicht aller Anderen Milde eintreten zu laſſen, wurden unzaͤh⸗ 
lige Ungern entweder als Mitfchuldige bezeichnet, oder ges 

ſtraft weil fie nicht nachdruͤckicher gegen die Schuldigen auf 

getreten wären. — Ja fobald die Beforgniß vor einem Tuͤr⸗ 

kenkriege verſchwand, glaubten bie Häupter in Wien: es fey 

jego Fein Grund mehr vorhanden, weshalb man Ungern nicht 

nah Willkür und wie ein eroberted Reich follte behandeln 1672. 
Eönnen. Kein Palatin warb mehr ernannt, fonbern ber 
Deutfchmeifter von Ambringer, ein harter Mann, an bie 

Spige einer neu errichteten höchften Behörde von acht Raͤ⸗ 

then, mit außerorbentlichen Bollmachten geftellt: Wie fchon 

früher, fehien die fremde Mannfchaft nur zur Unterjohung 

ber Landeseinwohner und zur Außrottung bed Proteſtan⸗ 

tismus beftimmt zu ſeyn). Sehr viele proteſtantiſche 

Geiftliche wurden zum Tode verurtheift, und Infamie und 

Verluſt der Güter über diejenigen ausgeſprochen welche nicht 

Fatholifch werden wollten. Als Begnadigung galt es bie 

Weigernden auf die Galeeren nach Neapel zu fchiden, und. 


1) Waldau 348 erzählt: daß nach bem weftphälifchen Frieden, bie 
Berfolgungen der Proteftanten auch in Öfterreich fortbauerten. Sie 
wurden mit Prügeln zur Kirche getrieben, und wer nicht das Abends 
mahl in einer Geftalt nahm, in Ketten gelegt und an Gelbe geftraft. 
Die Hoſtie ſteckte man mit Gewalt in den Mund u. f. w. — No 
1738 fanden Berfolgungen flatt, unb hörten erſt unter Joſeph II 
ganz auf. 





218 Sechstes Bud. Sechstes Heupikäd. 


nur Diejenigen verfchonte man, welche Kirchen und Schulen 
freiwillig hergaben. Selbſt katholiſche Bifhöfe riethen zu 
größerer Milde, damit das Vaterland nicht völlig, verwüflet 
werde, Vergebens! Selbſt die katholiſchen Magnaten (wel⸗ 
che jene Maaßregeln wider die Proteſtanten wohl gebilligt 
haͤtten) wurden zu Frankreich und den Tuͤrken hingetrieben, 
als willkuͤrliche Beſteuerung mit der Religionsverfolgung ver⸗ 
bunden und bie Gruͤndung eines unbeſchraͤnkten Monarchis⸗ 
mus bezweckt ward; — als ſey dieſer uͤberall und immerdar 
die ſchlechterdings nothwendige und einzig heilſame Regie⸗ 
rungsweiſe! 

Auf ſolchem Wege bereitete ſich Oſterreich im Oſten bie 
gefährlichften Beinde, und es mußte Lubwig dem XIV leicht wer⸗ 
den durch geſchickte Unterhänbler und andere Mittel die Uns 
zufciebenen gu befeuern und zu unterflügen). Überhaupt 
war Leopolbs Betragen gegen bie Ungern faſt eben fo ta> 

delnswerth und graufam, als das Ludwigs XIV gegen feine 
Nachbaren und gegen bie Huguenotten ?); nur warb bed letz⸗ 
ten Thun Im weſtlichen Curopa natürlich mehr bemerkt unb 


gerägt. 
1678, In diefer Zeit, wo man bie ungerechte Befteuerung bad 
geringfte Übel nannte und barüber Elagte daß in Wien kein 


Tökeli. Belagerung Wiens. 219 


biebet am meißten litt, avar es dem Kaifer doch mitt den Ber 1 
hanblungen um fo weniger Ernſt, ald ex nach Abſchluß des 
nimweger Friedens leicht alle Unruhigen zu bezwingen hoffte. 1679. 

Weil aber die Peſt viele Soldaten Leopolds wegraffte, 
andere wegen Nichtzahlung des Soldes zu feinen Gegnern 
übergingen und. die Tuͤrken in Bewegung gerietben, bewils 
ligte Leopold nothgebrungen auf dem Reichstage von Üben: 1681. 
burg im Jahre 1681: die Ernennung eined Palatind, bie 
Aufhebung der Gewalt bed Statthalterd, und bie Anerfennt- 
niß aller kundbaren Freiheitsurkunden. Ferner follte eine alls 
gemeine Verzeihung eintreten, Feine verfaffungswibrige Steuer 
erhoben werben und das Inquifitiondgericht aufhören. 

Diefe Bedingungen wurden, fo günflig fie auch im 
Bergleiche mit den früheren Iauteten, von ben Gegnern bed 
Kaiſers nicht angenommen, weil erfiend, nach fo mancher 
Taͤuſchung alle Bürgfchaft fir das Halten des Vertrages 
fehlte. Weil zmeitend der Kaifer die Zahlung einer ben 
Türken zugeficherten Summe nicht übernehmen wollte, wo⸗ 
fir man Weiber und Kinder zu Geißeln übergeben habe. 
Beil drittens bie Unzufriedenen Überhaupt glaubten: fie fönn- 
ten nur in Sicherheit leben wenn fich die Türken, um eines 
bewilligten jährlichen Zinfes willen, dauernd für fie interefs 
firten. Viertens wollte ber Kaifer, unter dem Vorwande 
daß die Patholifche Geiſtlichkeit widerfpreche, nicht in allen 
den Orten proteftantifchen Gottesbienft erlauben, wo biefer. 
einft flatt gefunden hatte. 

Entfcheidender jedoch, als ale diefe einzelnen Gründe, 
war ed bag Toͤkeli mit Hülfe ber framzöfiichen Gefanbten 
im Divan obfiegte, und die Tinten zur Kriegserhebung ver: 
mochte. Die Erbländer und dee Schab des Kaiferd waren 
um biefe Zeit erſchoͤpft, und in ber Verwaltung keineswegs 
genuͤgende Einſicht, Thaͤtigkeit und Uneigennuͤtzigkeit. Da⸗ 
her drangen die Tuͤrken, ohne ſich mit der Belagerung von 
Raab und Comorn aufzuhalten, unter dem Großvezier 
Kara Muſtapha gerade, vorwaͤrts und begannen ben 12ten 
Julius 1683 die Belagerung von Wien. Der Kaifer bes 1683, 


S 


20 Sechsſtes Buch. Sechstes Hauptſtuck. 


1683. gab fich Aber Linz nach Paſſan und manche Bewohner 
Wiens ſuchten ebenfalls ihr Heil in der Flucht. Weit die 
Meiſten aber harrten aus, und waren entſchloſſen zu ſiegen, 
oder zu ſterben. Die Vertheidigung der Stadt unter Stah⸗ 
renberg, Schwarzenberg, Colloredo u. A., durch Studenten, 
Bürger und Einwohner aller Art (vom 12ten Julius bis 
41ten September), der Entſatz und endliche Steg über die 
Zünken durch die oͤſterreichiſchen, deutſchen und polnifchen 
Heere'), umter Karl von Lothringen, ben Churfürften von - 
Sachſen und Baiern, und dem Könige Johann Sobieski 
von Polen; — dies Alles bildet eine gange Neihefolge edeler 
Entfchlüffe, beldenmüthiger Beharrlichkeit, großartiger Aufs 
opferung und denkwuͤrdiger Thaten. Seit biefer Zeit wuchs 
ÖfterreichE Macht und Hecht, während die Macht des Suk 
tand immer mehr ſank, bis es endlich fo Zweck ber äfterreis 
chiſchen Politik warb ihn zu erhalten, wie früher zu bes 
kaͤmpfen. 

Sehen wir jetzt wie Ludwig XIV biefe Zeiten ber Ges 
fahr (welche er für den Oſten bed chrifllichen Europas gro: 
Bentheils herbeigeführt hatte) felbft benuste um feine Herr: 
ſchaft auözubreiten und wie er alle Nachbaren im übermüthi- 
sen Bewußtſeyn feiner Macht mißhandelte. Nach dem Ab: 

4679. ſchluſſe des nimmweger Friedens fland der König von Krank: 
reich auf dem Gipfel feines, Europa blenbenden Ruhmes: 
er befaß das befte Heer, bie größten Feldherren, eine treffs 
liche Blotte, und neben ber Achtung des Auslandes, auch 
die feiner eigenen Unterthanen. Überall fah man preiswuͤr⸗ 
dige Bortfehritte: in Gewerben, Künften, Wiſſenſchaften, hei⸗ 


1) On ne croit quil se soit jamais donné Bataille avec plus 
de conduite et de vigueur, et en laquelle un chacun depuis le plus 
grand jusqu’au plus petit eut mieux rempli son devoir. — Le grand 
Vizir en se sauvant fit exercer une cruauté inouie, sur cing de 
ses maitresses, qu’il avait avec lui et qui &toient d’une beauté 
achev6e. Car de peur qu’elles ne tombassent entre les mains des: 
Chrestiens, il leur fit couper la töte, Gchreiben aus Wien vom 
16ten September 1683, in Jenkins collection Val. VII. 


. 





Frankreich. Pomponnt. Colbert⸗Croiſſi. 221 


terer Geſelligkeit u. ſ. w. und wie viel Anderes war außer⸗1679. 
dem bezweckt und vorbereitet, was im Gange friedlicher Ent⸗ 
widelung zweifelsohne erreichbar erfchien und den Franzofn 

fo viel Stud, als Ehre gebracht haben würde. Vald aber 
ergab ſich DaB der König, gleichwie feine tyrannifchen, oder 
kriechenden Minifter, dieſen höheren Standpunkt nicht bes 
greifen und fefthalten konnten; fonbern die Größe nur in 

dem Umfange des dußeren Beſitzes fahen, und jedes Mittel 
billigten um denſelben zu erweitenm. 

Der Dinifter der auswärtigen Angelegenheiten, Do m⸗ 
ponne, ein gemaͤßigter, rechtlicher Mann paßte nicht in daß, 
insgeheim ſich vorbereitende Syſtem erneueter Gewalt, und 
warb von Colbert und Loupois gleichmaͤßig angegriffen, zum 
Theil weil jeber hoffte an feinem Nachfolger einen gehorſa⸗ 
men Gghülfen zu finden. Louvois warb diesmal getaͤuſcht, 
denn der König ernannte ColhertsCroifft, hen Bruder - 
Colberts, zum Minifter er auswärtigen Angelegenheiten. 

As Hauptgrund der Entlaſſung Pomponmed warb angeges ; 
ben, baf er. ben Inhalt einer empfangenen Motichaft dem es 
Könige nicht ſchnell genug mitgetheilt habe; richtiger iſt bie 

Urfache in einem handfehriftiichen Aufſatze Ludwigs XIV ans 

gegeben, ‚worin er fagt '):; „Alles wad durch ie Hand Pom⸗ 

ponned ging, verlor den Charakter ber Groͤße und Kraft 
(grandeur et force), welcher überall herportreten muß, 

wenn man bie Befehle eines Königs von Frankreich ausführt.” 

Louvois, welcher immer. auf Erneuung ber Kriege drang, 
würde bei dem ehrfüchtigen Könige bald feine beiden Gegner, 
die Colberts, überflligelt haben, wenn biefe ſich gerabehin 
fir einen Achten, wahren Frieden auögefprochen hätten. Deds 
halb Colbert⸗ Croiſſi einen Plan wie man auch wohl 


1) Sevigno IV, l. 579, 580, 588, 585, 587. Spanheim V, 42. 
Auch that ed Pomponne Schaben, daß er zur janſeniſtiſchen Familie 
Arnauld gezählt wurbe. Argenson essays 194. Rach bem Tode von 
Lorwois nahm er’ wieber Antheil an ben Geſchaͤften und ſtarb 1699. 
S. Simon II, 359. 





2277 Sedhstes Bud. Seqch stes Hauptfiid. 


"im FMeben erwerben - Sinne‘), und⸗ Louvois bot zu demſel⸗ 
ben fogleih die Hand weit ex im Hintergrimde den Krieg 
zeigte. Beide Männer waren glei Bee und unge: 

vecht, nur jeder auf ſeine Welſe. 

1680. Unter deu Vorwande, mit rechtlcher Coins ee er⸗ 
mitteln, was eigentlich im den letzten Friedendfdgtäffen an 
Srankteich abgetteten fen, ließ Ludwig durch: die: in Mes 
und Sreiſach errichteten Reunionslammern, "bie allers 
verlegenften und ungerechteften Anfprüche hervorfuchen, und 
fich mit einer beifpielldfen Unverfchämtheit allmälig an 600 
Städte, Flecken, Dörfer, Bürgen, Schiöffer, Mühlen u. ſ. w. 
zufprecden?), — oder mehr als alle wahrhaften Friedens⸗ 
abtretungen betsugen. Die Kötige von Schweden ind Spa 
nien wurden, als waͤren fe framz oͤſiſche Unterthanen, vor 
jene Kammern geladen:), undꝰ alstſie nicht perſoͤglich er⸗ 
ſchienen, Ihnen dad in Anſpruch Benommene (fd Karl dem XI 
bas Herzogthum Zweibruͤcken, Karl dem I did Grafſchaft Chiney) 
abgeſprochen. Sleicherweiſe eignete ſich Ludwig XIV bie 
freien: Staͤdte im Elſaß und die Grafſchaft Muͤmpelgard zu. 
As dis Welesten, und inebeſonbere das deutſche Reich, 
laute Klage erhoben: dag der König alle Grunbſaͤtze bes 
Voͤlkerrechts und alle beſchworenen Friebendverträge ruͤckſichts⸗ 
608 uͤbertrete, und nach eigenem Belieben ald Kläger, Uns 
terſucher, Zeuge, Richter und Vollſtrecker auftrete; fügte 


— 


- 41) Bpanheim V, 86 fagt, daB Golbert⸗Croiſſi aus dent Meuntonse . 
plane das Hauptverbienft feines Winiſteriums gemacht Habe. Andere 
nennen Louvois als Haupturheber, gewiß wirkten beibe naͤchſtdem ges 
meinfam. Auvigny Vies d’hommes illustres VI, 111. 

2) Histoire du congres d’Utrecht 19—22. Bernard aotes de 
Ryswik I, 285; II, 94— 107, 112, 890. Flassan IV, 68. Larrey 
V, 47, 51. Fenelon correspondence II, 837. Lünig publico- 
ram negotiorum sylloge gu 1680, p. 696, 759. 

8) Le prince palatin de Birkenfeld a’est mis aves ses dtate 
sous la protection de la France, et lui a deja pr&t# serment de 
fidelit#. Jenkins oollection Vol. IV, Lettre da 28 Mai 1680. State 
paper office, 


D 


: Deutfhland und Frankreich. 223 ' 


man der unerhoͤrten Gewalt noch Spott und Hohn hinzu, 1680. 
und Colbert⸗Croiſſi hatte die Frechheit zu fagen: die Errich⸗ 
tung eine @erichtöhofes beweife ja augenſcheinlich , daß der 
Koͤnig nicht ungerecht ſeyn wolle! 
Zur einſtweiligen Beruhigung der Gemuͤther ward eine 
Zuſammenkunft in Cambray eingeleitet ), um insbeſondere 
die weiteren Anſpruͤche Frankreichs an Spanien zu eroͤrtern 
und zu beſeitigen. Unbekuͤmmert um bie bier gepflogenen 
Unterhandiungen, behielten die Franzoſen alie bereitö wegge: 
nommenen Plaͤtze, befehten nach Willkür andere, druͤckten 
ringsum das platte Land und hemmten die Jahlımg der Ab⸗ 
gaben an Spanten. 
Auf die Klagen und-- Gegenvorftellungen des ‚beutfchen 
Reiches, antwortete Ludwig am 10ten Oktober 1680 im 
Weſentlichen )2 „Schr geliebte, große Freunde und Verbuͤn⸗ 
dete! Wir koͤnnen den Inhalt Eueres Briefed vom 27ſten 
Julius nur der wenigen Sorgfalt "zufchreiben, mit welcher 
Euere Abgeorbnete Euch über das in Nimmegen. Verhandelte 
unterrichtet haben. Aus Liebe‘ zur Erhaltung des Friedens, 
innen wir Euch jedoch erweifen, daß die nad) unferem Be⸗ 
fehle beſetzten Orte fo geſetzlich und rechtlich unferer Krone 
zugehören daß die beutfchen Reichöftände fie nicht mehr in 
Anfpruch nehmen koͤnnen, ohne ihren zeitherigen Ruf bes 
unverleglichen Worthaltend zu untergraben, und bie feierlich 
fin und heiligfien. Verträge zu brechen, welche allein bie 
Öffentliche Sicherheit verbürgen u. f. w. Wir find Übrigend 
um fo eher bereit und auf eine Prüfung der Audfprüche un: 
ferer Beauftragten einzulaffen, da wir ſtets unfere Nach⸗ 
baren gern zufriebenflellen und ihnen Grund geben unfere 
Biligkeit zu loben. Wir Tönnen fogar behaupten daß bie 


8) Lamey V, 15. 

2) Yadhner II, 259, 271. Über die Stellung, weldye der Chur⸗ 
fürft Friedrich Wilhelm nach bem nimmeger Frieben glaubte einnehmen 
zu möffen, fiehe Gtenzel II, 406, und meine balb erfcheinenden Mit- 
theilungen ans dem britifäken AReichtarchive. 





/ 
' 


24 Sechs(ſtes Bud. Schetes Hauptfiid. 


Nachficht, welche wir gegen Diejenigen üben, bie unfere Abs 
fihten verläumden, und in Vorwuͤrfen und Raͤnken gegen 
uns Fein Maaß kennen, ber überzeugenbfte Beweis ift, wie 
gern wir bie Ruhe erhalten wollen „ beven hr. jest genießt.” 

Während num die Deutfchen in gutmuͤthiger Leichtgläus 


1681. bigfeit, ober vielmehr mit verdshtlicher Schwäche dies Schreis 


ben annghmen, welches ‚Hohn ber . Gewalt hinzufügte Y3 
während fie lang und breit rathſchlagten wie man in Frank⸗ 
furt mit den Franzoſen verhandeln, in welcher Ordnung die 
Abgeordneten an den Tiſchen und auf welchen Stuͤhlen ſie 
ſitzen ſollten und dergl. mehr ); beſchloß Lubwig- und fein 
Minifter Louvois den Uneinigen, Zaubernden, Abgeſchwaͤch⸗ 
ten und Fuxchtſamen gegenüber, noch mehr zu wagen). Er 
befeßte gqn. demfelben Tagt, ben ‚often September 1681, 
Gafgle den Schläffel Stalin, uud Straßburg bem 
Schlüffel. Deutſchlands. Dort hieß ‚ed: ber Herzog Ferdi⸗ 
nand Karl von Mantua , (ein. burchaus unwuͤrdiger Fuͤrſt) 
habe das Reichslehen an Frankreich verkauft; hier, Straß⸗ 
burg Icy ein unabhängiger Staat und habe ſich freiwillig 
bem großen Könige ergeben. In Wahrheit umlagerte ploͤtz⸗ 
lich ein. ſromofiſches Heer die Stadt, und fand durch Vers 


1) Der "Granbenburgffäe Geſandte „von Jena, ſagte laut in Re 
gensburg: ſechs Monate ang ſtritt man auf dem Reichstage über bie 
Rechtſchreibung des Wortes, Churfuͤrſten; ſechs andere Monate 
über die Einreichung der Beglaubigungsfchreiben zweier Geſandten; alle 
ernften Geſchaͤfte legt man dagegen zur Geite u. f. w. Jenkins col- 
lection Vol. IV; state paper office. 


I), PYadıner 323. Charakteriftifch ‚find folgende Stellen zweier Schreis 


Mn. Im erften vom 16ten Januar 1681 aus Regensburg heißt es: 


„der große Komet fest das Volk in die größte Furcht, fo daß oͤffent⸗ 
liche Vergnuͤgungen bier und in Wien verboten find.” — Den achten 
Vebruar ſchreibt Bertin aus Mainz: „ich habe nunmehr bie Höfe 
ber drei geiftlichen Ghurfürften befucht, und bin fo im Rheinwein ein- 


getaucht worben, baß ich nicht weiß,. was aus mir werden fol, wenn 


ich" zu den weltlichen Churfürften komme.“ Jenkins collection Vol. IV. 


3) Richt ein Reichsfuͤrſt will es ‚wagen, in einen Bund wider 
Frankreich zu treten. Jenkins, coll. Srhreiben vom. often Mai 1780. 


’ 


Gafate. Straßburg. | 225 


rath einiger obrigfeitlicher Perfonen ſchnell ben Eingang in 1681. 
biefelbe '). Hintennach behauptete Lubwig: Straßburg habe: 
bie beroilligte Neutralität verletzt), fey nicht im Frieden be: 
griffen und habe feindliche, das hieß beutfche, nicht aber 
franzöfifche, Mannfchaft aufgenommen | — 18 fich diefe 
und ähnliche Sophiftereien und Lügen leicht widerlegen lie⸗ 
ßen, ging indeſſen der König deutlicher mit der Sprache her: 
aus und erflärte: Straßburg hat ſich mir ergeben, und dies 
geht Niemanb etwas an. Wenn ich mich übrigens ber 
Stadt nicht fchon früher bemächtigte, fo hatte ich dazu meine 
Stände, uͤber die ich niemandem Rechenfchaft ſchuldig bin. — 
Nachdem das Zeughaus audgerdumt, bie Domlirche den Ka⸗ 
tholifchen zuruͤckgegeben und bie Buͤrgerſchaft entwaffnet war, 
erhielten die. Abgeorbneten ber, einfl freien Reichsſtadt Straß: 
burg, die Erlaubnig vor Lubwig XIV kniend eine Rebe zu 
halten und fich feine Unterthanen zu nennen‘). Der Bis 
ſchof von Straßburg, Franz Egon von Fürftenberg empfing 
ben König in dem Münfter mit ben Worten Simeond: Herr: 
nun läßt Du Deinen Diener in Frieben fahren, nachdem er 
biefen Tag gefehen! — Diefe Worte, welche eine neue Got⸗ 
teöoffenbarung mit ernflem Tiefſinne und Beiterer Ergebung 
begrüßten, wurden bier von einem der Schuldigſten ange⸗ 


1) Der Magiſtrat von Straßburg Plagte (Schreiben nom 1itn- 
Junius 1680) über bie vorhandenen Gefahren und die übele Behandlung 
durch die Franzoſen. Gr fagte: I n'y anulld defense et resistance 
du cot& de l’Empereur et de Pempire, de sorte que nous sommes 


“ plus mal ‚trait6s en cet ainsi nomm& e&tat de paix, que dans la 


pr&cödente guerre. Jenkins collection in the State paper oflice, 
Vol. IV. bu 

2) Memoires pour l’Histoire de Louvois 73— 81. Lottuols war: 
Urfache ber Überrumpelung von Straßburg. la Fare 21. 

8) Larrey V, 67. 8. Bimon n. edit. IL, 99. Somerville 132. 
Die Franzoſen verfolgten ihre Ausreißer nicht bloß auf deutſchen Bo⸗ 
den, fonbern nahmen auch Bürger in Ortenau gefangen und ſchleppten 
fie gebunden nad) Straßburg, weil fie jene nicht angepalten hätten. \ 
Pachner II, 472. 

4) Pellisson lettres III, 349, Eur 

VI. | - 45 


26 Schötes Buch. Sechstes Hauptſtück. 


1681. wendet zu ekelhafter VBerherrlichung des Verrathes an Dicht 
und Baterland. 
Seitdem ſteht der alte ehrwuͤrdige Muͤnſter nicht mehr 
im Mittelpunkte einer eigenen Welt und als Zeugniß des 
edelſten deutſchen Lebens; ſondern blickt hinuͤber nach Paris, 
wie nach dem Polarſterne alles Denkens und Wirkens. Daß 
dies moͤglich ward, iſt die Schuld der Deutſchen ſelbſt, und 
der Zorn über Ludwig XIV verſchwindet faſt vor dem’ Aber 
die Charakterloſigkeit und Kraftlofigkeit der Fuͤrſten dieſſeit 
des Rheines. Kaifer Karl V (wie groß, und wie oft ver- 
Ianııt!) fagte einfl: „wenn der Türke Wien und der Fran⸗ 
.zofe Straßburg umlagerte, würde ich jene Stadt ihrem 
Schickſale uͤberlaffen und Straßburg mit allen Kraͤften ver⸗ 
theidigen!“) — Jetzt kam man nieht Über einen unwuͤrdigen 
Schriftwechſel und papierne Kriegsvorbereitungen hinaus, 
welche die Schmach nur in deſto grelleres Licht ſtellten ) 
Eben fo wie Deutſchland, und unter ähnlichen Bor: 
wänben, mißhandelte Ludwig XIV au Spanien: Unbe- 
1683. gnügt mit dem Ergähisen beſetzte er im November 1683 
Courtray, Dieminben und andere Orte, belagerte Luxem⸗ 
big und ‚brach in Katalonien ein’). Dies Alles (fo bie 
ed) geſchehe ohne Verletzung dei Zriebend, und lediglich um 
die ſpaniſche Regierung zu vermoͤgen, die wohlgegruͤndeten 
Anſpruͤche Ludwigs anzuerkennen und ihm ſein Recht wie⸗ 
derfahren zu laſſen). Daß Spanten endlich den Krieg an⸗ 
kuͤndigte, konnte Ludwig XIV wenig fümmern, da jenes 


. 1) Wagner Historia Leopoldi vn, 522. — 


“. 2 Ein aufgefangener Brief des franzöftfchen Gefandten Geemon- 
ville, bewies/ daß beb- Kailere Schatzmeiſter und mehre feiner Käthe 
von Ludwig X IV. Geld nahmen und auch bei ber Kriegsverwaltung 
Veruntreuungen flatt fanpen. Skeltons Schreiben aus Prag vom 20Often 
April und Sten Mai 1680. Jenkins collect. Vol. IV. State paper 
office. 

9). Larry. v — 146, 189. Neufville Histoire de Hollande 
1, 67. Oeuvres de Louis XIV, IV, 261. 


4) Histoire du Congrès d’Ütrecht 28, 


Srankreich. Spanien. Holland. 227 


Land nach wie vor ganz erſchoͤpft, und der Kaiſer damals 1683. 
von den Zürken aufd Außerfle bebrängt war, von welchem 
Umflande großen Vortheil zu ziehen bex. allerchriftlichfie Kö 
nig Fein Bedenken trug. - Schwebens Abfall von Fran: 
reich, werd durch ein Bünbniß mit Dänemark auögeglichen, 
und nur in Holland lebte noch in Wilhelm von Dranien 
und feinen Freunden, ein Kern unabhängiger Gefinnung, 
den Ludwig XIV durch feinen verfchlagenen Botfchafter d'A⸗ 
vayr auf alle Weife auszurotten ſuchte. 

Nah Abſchluß des nimmeger Friedens traten, wie fchon 
früher, in den Niederlanden zwei Parteien einander gegens 
über: die ber Republilaner, und die ded Prinzen von Ora⸗ 
nien. Jene hielt ben abgefchloffenen Frieden für ein großes 
Gluͤck, und dad Einverfiändnig mit Frankreich für nothwen- - 
Dig zur Erhaltung des Handels und der Seemadt‘). Die 
oranifche Partei betrachtete Dagegen Lubwig XIV ald ben ge= 
faͤhrlichſten Feind des’ Freiftaates, und drang auf eine engere 
Verbindung mit England. Nachdem biefer Plan durch Lud⸗ 
wigd Widerfpruch und König Karls IE politifche Nichtigkeit 
vereitelt worden, wunſchte Wilhelm von Dranien fein Va⸗ 
terland, ja Europa durch Bimdniffe zu fehügen, welche bie 
Erhaltung der Friedensfchlüffe und bes biöherigen Beſitzſtan⸗ 
des ald Hauptziel darſtellten. Hätte Lubwig XIV (wie er fo 
oft vorgab) diefen Zwed wahrhaft gewuͤnſcht und gebilligt, 
fo wuͤrde er Wilhelms Bemühen nicht haben als ein feinb- 
liches bezeichnen koͤnnen. Jet aber erhielt d'Avaux ben Bes 
fehl: fih ganz ben Republifanern anzuſchließen, und den 
Prinzen von Oranien überaU als unruhig und herrſchſuͤchtig 
in ein nachtheiliges Licht zu flellen und verbächtig zu mas 
chen. Ja aus Übermuth, oder in dee irrigen Hoffnung Wil- 
helm einzufhlihtern und durch Eigennuß von feiner zeitheri- 
sen Bahn abzulenten, ließ Ludwig XIV von neuem range 
befeßen und ben Prinzen vorlaben, ald: Heren Wilhelm Gras 
fen von Naffau, wohnhaft im Hang”). Überhaupt behan⸗ 

1) d’Avaux negociatians I, 1—12, 169, 174. 

2) Histoire de Guillaume III, I, 329. 
15* 





2238 Sechstes Bud. Sechstes Hauptftäd. 


1683. delte ihn Ludwig fo gerinafchäkig, daß dem Schweigfamen 
doch dad Wort entfuhr: der König von Frankreich wird einft 
erfahren, was es heißt einen Prinzen von Oranien beleidigt 
(outrage) zu haben ). — Selbſt d'Avaux war mit dem gegen 
Wilhelm eingefchlagenen Verfahren nicht einverflanden, ſon⸗ 
dern bemerft: „man mußte ihn zu Grunde richten, ober bes 
ruhigen.” — Statt defien reiste man ihn unaufhörlich und 
feßte die Republifaner wider ihn in Bewegung ohne fie zu 
unterflügen. So blieb der Prinz ein Feind Ludwigs, und 
die republikaniſche Partei ein Traftlofer Verbuͤndeter. 

. Dennoch hemmte biefe Partei, insbefondere Amflerbam, 
alle Kriegöpläne bergeflalt *), daß der Prinz von Dranien - 
den angegriffenen Spaniern nur geringe Hülfe aus eigener 
Macht fenden Tonnte, und dad wichtige Luremburg am 

1684. erfien Junius 1684 von ben Franzofen erobert wurbe. Übri- 
"gend beharrte Ludwig XIV bei feiner früheren Rede, daß er. 
Nichts nehme ald was ihm nad ben Verträgen gebuͤhre, 
ober nur als ein geringes Äquivalent zu betrachten fey! Wenn 
Ludwig den europäifchen Mächten gegenüber feine Willkür, 
als geſetzliches Recht geltend machte, Tann man fich nicht 
verwunbern daß er alle in Frankreich liegenden Güter ſpa⸗ 
nifcher Unterthanen einzog”), und durch diefe Reunionen das 
Privatrecht nicht minder verlebte, als das Staatsrecht durch 
die, bereitd erzählten umfaflenden Maaßregeln. 

Anftatt mit vaterlänbifcher Begeiſterung zum Schwerte 
zu greifen und einmüthig dem Unrechte und dem Hohne zu 
widerftehen, zankten die deutſchen Fuͤrſten (ohne Rüdficht 
auf kaiſerliche Ermahnungen)*) auf ihrem Reichstage noch 
immer über Foͤrmlichkeiten, welche an fich hoͤchſt erbaͤrmlich 
waren und zugleich als Vorwaͤnde dienten, bie innere Unei⸗ 


1) d’Avaux 3, 12, 285. Histoire de Gullleume III, I, 220. Was 
genaer VI, 888. 

2) d’Avaux I, 880; II, 117, 246; IH, 191. 

8) Isambert XIX, 440, 

4) Padyner II, 849, 881, 426, 439, 458, Schmidt Gefchichte 
der Deutfchen XII, 885. i 


Frankreich und Holland. 229 


® . 
nigkeit, Faulheit und Faͤulniß zuzubeden '). Gleicherweiſe 1684. 


brachten es bie hollaͤndiſchen Republilaner nicht weiter, als 
in furchtfamer Demuth den König von Frankreich zu bitten: 
er möge doch feinen Streitigkeiten mit Spanien freundlich 
und im Wege der Güte ein Ende machen). Lubwig war 
auch fogleich bereit der Chriftenheit den Frieden zum zweiten 
Male zu ſchenken und auf 30 Jahre einen Waffenftiliftand 
einzugeben, wenn ihn Spanien und Deutfchland im ruhigen 


Belig alles Weggenommenen ließen. Diefem Vorfchlage wis 


berfprach Spanien aufs Lebhaftefle und Wilhelm von Oranien 
ftellte vor: daß feige Nachgiebigkeit folcher Art die Holläns 
der, ja alle Nachbaren, ganz der Willkuͤr Frankreichs preis 
gebe, und ihre Weisheit Fünftig nur darin beflehen koͤnne, 
den Bünfchen Lubwigs zuvorzulommen und feine Ungerech⸗ 
tigfeiten mit Inechtifcher Schmeichelei zu bewundern. 
Betrachtungen und Behauptungen folcher Art hielt ber 
König für verläumberifche Angriffe auf fein Recht und feine 
Ehre. Er fchrieb dem deutfchen Reichötage °): „da meine Ans 
ſpruͤche über alle Einwendungen erhaben find und weit 
über bad von mir Reunirte hinausgehen; fo kann jede naͤ⸗ 
bere Erörterung und Unterfuhung mir nur Vortheil brin- 
gen. Wenn die Deutfchen dies gehörig Überlegten, wlrben 
fie nicht auf Maaßregeln und Berathungen bringen, welche 
ein Übereintommen entfernen, und wie gewöhnlich den wah⸗ 


1) The empire is most incurably divided, and one part would 


treat upon any conditions, and the other not. The emperor soes 
that if he treates or not treates, he had but one part of the em- 
pire, and that his only safety is to find out some way by which 
he keeps the empire together, without which he is actually ruined. 


‚Schreiben aus Regensburg vom 12ten Auguft 1683. Jenkins oollec- 


tion Vol. VIII, im britifchen Reichsarchive. Guͤnſtig für den Churfürften 
Friedrich Wilhelm und feinen Eifer ben Kaiſer zu unterflügen, lautet 


ein anderes Schreiben aus Berlin vom 2iflen Julius 1688. Eben- 


dafelbft. 
2) Lartey V, 110—116. d’Avaux L, 221; III, 144, 188. 
3) Padmer II, 373. | 





230 Sechstes Bud. Sechſtes Hauptfiüd. 


1684. ren und bauernben Vorthell ihres Vaterlandes fremdem In⸗ 
tereſſe aufopfern.” 

Dieſe verhoͤhnenden Zurechtweiſungen ruhig hinnehmend, 
ja ihnen gehorchend, ſchloß das große Volk der Deutſchen 

(oder vielmehr feine Fuͤrſten und Stellvertreter) am 15ten 
Auguft 1684 einen Waffenftillfiand auf 20 Jahre und 
überließ angeblich zum wahren Wohle und dauernden Bors 

theile des Vaterlandes, dem Könige von Frankreich Alles 
was er bis zum erflen Auguft 1681 weggenonmen hatte, 
nebſt Straßburg und Kehl, biefen Schlüffeln bed, ſuͤdweſtli⸗ 
hen Deutſchlands )! 

Gleichermaaßen ſahen fich die Spanier genoͤthigt Bedin⸗ 
gungen anzunehmen, über welche ſfich auf ihre Koſten bie 
Holländer und Franzofen geeinigt hatten. Auch hier behielt 
Lubwig das wiberrechtlih Genommene (Luremburg, Bouvi⸗ 
ned, Beaumont und Chinay) und gab nur Courtray und 
Dirmnte aber geſchleift zuruͤck. 

So führte freche Anmaaßung von einer, und feiges Nach: 
geben von ber anderen Seite zu Ergebniffen wodurch Frank⸗ 
reich mehr gewann, als durch manchen mit, oder ohne Grund 
untenommenen Krieg; und bie Werlierenden fuchten und 
fanden nur darin Troſt und Beruhigung, daß man durch 
jene löblihe Nachgiebigkeit nunmehr alle und jede Streit 

und Klagepunfte befeitigt und eine flete Einigkeit mit dem 
ganz zufrieden geftellten Könige von Frankreich gegründet 
babe. Bald aber follten Deutfche, Spanier und Holländer 
erfahren, wie thöricht jene Hoffnung und wie oberflächlich 
biefe Schlußfolge fey. Doch war Ludwig zulegt nicht ſcharf⸗ 
fichtiger und weifer, indem er glaubte: wem man fo viel 
bieten dürfe, ber laſſe fih Alles gefallen, und was man 
einftweilen dulbe, ſey beöhalb auch für immer vergeſſen und 
vergeben. 

Bald nach Abſchluſſe des Waffenſtillſtandes verletzten ihn 


1) Flassan IV, 68. Oeuvres de Louis XIV, IV, 282. d’Avaux 
III, 256, Larsrey V, 164. 





Neue Beleidigungen. Pfalz. 231 


die Sranzofen am Oberrhein auf mannigfache Weiſe: fie leg: 1684. 
ten 3. B. Beſchlag auf Einnahmen die Ihnen nicht gebührs 
ten, fällten Hol; in deutſchen Forſten, erbauten einen 
Brüdenkopf in Hüningen u. dergl. mehr‘). Noch weit 
umfaffender und gefährlicher waren bie Anforüche welche Lud⸗ 
wig XIV Namens feiner Schwägerinn, der Hetzoginn von Dis 
leans, an einen großen Theil der pfälzifhen Lande machte. 
Als nämlich der Churfinft Karl, ein Bruder der Herzoginn, 
am 26ften Mai 1685 flarb, folgte ihm nach Reichsgrund⸗ 1685. 
geſetzen, perfönlihen Abkommen und teflamentarifcher: Ent: 
fcheibung , der Herzog Philipp Wilhelm von Neuburg ). 
Ludwig XIV verlangte dagegen für feine Schwägerinn nicht 
bloß die Mobiliarerbfhaft und Einiges vom Allode, fonbern 
(mit Verwerfung aller früheren Rechte, Berteäge und Ent 
fagungen) einen großen Theil des Landes. Zweifelsohne ge⸗ 
hörte die Entſcheidung aller Streitigkeiten uͤber eine folche 
deutſche Angelegenheit, vor die beutfchen Reichsgerichte und 
den Kaifer. Ludwig aber verwarf deren Einmiſchung als 
unzuläffig und parteiiſch, und wollte ſich hoͤchſtens dem 
fchiebsrichterlichen Spruche des Papſtes unterwerfen. 
Gleichzeitig mit diefen Eingriffen in die deutſche Unab: 
hängigkeit und der Aufhebung bed Geſetzes von Nantes, fa 
ben fi die Holländer in ihren Handelöintereffen verletzt. 
Ludwig XIV verbot 3. B., ohne Rüdficht auf das biöherige 
Abkommen, den Eingang wollener Tuͤcher, frifcher Häringe 
und anberer Gegenflände; er ließ gegen alles Recht hollaͤn⸗ 
difche Schiffe anhalten ?), gab neubekehrten Schulpnern will: 
kuͤrlich Zahlungsfriften auf drei Jahre, zwang die in Frank⸗ 
reich. wohnhaften Niederlaͤnder Katholiken zu werden, ober 
ließ fie bis zu ihrer Landeöverweifung eitfperren. Gegen 


1) Pachner II, 578. Neufville I, 97. 
2) Larrey V, 172 und in allen Reichsgeſchichten. " Länig sylloge 
zu 1685 unb 1686. 


. 8) d’Avaux IV, 6, 845; iv, 320; V, 144, 157, 181, 244; VI, 
90, 196, 232. 


282 Sechstes Buch. Sechstes Hauptſtaͤk. 


1688. biefe. fo unkluge als ungerechte Maaßregeln, machte d'Avaux 
bie gegründetiten und ernfllichfien Vorflellungen: er bewies 
daß fich die Stimmung in Holland täglich mehr wider Frank⸗ 
reich wende, unb weifiagte: ed werbe hieraus bereinft gar 
großes Übel entfiehen. Unbekümmert um diefe Einwendun⸗ 
gen brachte ber König den verkehrten Grundſatz einer Gans 
bel8abfperrung Frankreichs immer fchärfer zur Anwendung, und 
ſchrieb hinſichtlich der religiöfen Verfolgungen an feinen Ge⸗ 
fondten: „Man muß von der göttlichen Vorfehung das Aufs 
hören ber Auswanderungen erwarten '). Vielleicht find diefe 
aber auch nur zugelaflen, um mein Königreich von gottlofen 
und ungehorfamen Unterthanen zu reinigen.” — De Ges 
danke einiger unbulbfamen SProteflanten, die Katholifen aus 
Holland zu vertreiben, warb als ungerecht und ſchaͤdlich vers 
worfen ?); wogegen der Zreiftagt duch Aufnahme vieler aus 
Frankreich vertriebenen Neformirten, nicht bloß Menſchen 
und Geld, fondern auch den Ruhm aͤchter Duldung und - 
menfchenfreunblicher Theilnahme gewann. 

Daß Ludwig. um dieſelbe Zeit bie algierfchen Seeraͤu⸗ 
ber zu Paaren trieb, wuͤrde man unbedingter loben koͤnnen, 
hätte er nicht zu gleicher Zeit Genua gleich ſtreng, ja uͤber⸗ 
müthig behandelt. Erſt nachdem ber Doge nebft vier Raͤ⸗ 
then feierlich in Parid um Verzeihung gebeten, daß fie des 
Königs Willen nicht wie ein Geſetz befolgt hatten”); behan⸗ 
delte er fie Außerlich höflich, während feine Minifter die An- 
weifung erhielten, deflo härter mit-ihnen umzugehen. 

1686. Im naͤchſten Jahre zwang Lubwig den Herzog von 
Savoyen, unter allerhand erfundenen Vorwaͤnden, gegen 
die Waldenfer Krieg zu erheben, und ſchickte ihm ein fran- 
zöfifches Heer zu Hülfe*). Bei biefen blutigen Bekehrungs⸗ 

verſuchen wurden Viele mit Weibern und Kindern nieberge- 


1) d’Avaux I, 268; VI, 108. 

2) ibid. V, 208, 238 ; I, 152, 167. 

8) Dangeau I, 416, 

4) Catinat Memoires 32—37 zu 1686. 





MWaldenfer. "Bund von Augsburg. 233 


banen und die Gefangenen in fo elende Gefängniffe gewor⸗ 1686. 
fen, daß fie meift darin umlamen. 

Alle die erzählten Anmaaßungen und Ungerechtigfeiten 
Ludwigs, brachten die verlegten Nachbaren noch Immer nicht 
zu ehrlicher Einigung behufs eines fiegreich zu führenden 
Krieges; fondern nur zu gegenſeitigen Vertheidigungsbuͤnd⸗ 
niffen fin bie Erhaltung des Friedens und des letztgeſchloſ⸗ 
fenen Waffenſtillſtandes. Diefe Bündniffe zwifchen Holland, 
Brandenburg und Schweden, zwoifchen Spanien, dem Kat: 
fee und einem großen heile des Reiches (das letzte unter 
Wilhelms von Dranien Einfluß zu Augsburg am neunten Ju⸗ 

ins 1686 abgefchloffen) ), welche Frankreich nirgends zu nahe 
ur ‚ ja ben legten aufgezwungenen Zuftand geduldig ans 
ertannten, deranlaßten Ludwig XIV die lauteſten Klagen’ zu 
erheben. Er verlangte daß ber mit. ihm gefchloffene Waffen⸗ 
ſtillſtand in einen Frieden verwandelt und ihm alles früher 
-Beggenommene für immer überlafien werde”); baß man fer 
ner feine Anfprüche auf. die pfälzifche Erbſchaft anerfenne 
und den Bund von Augsburg auflöfe. Diefe Vorſchlaͤge 
welche Deutfchland, Spanien und die Niederlande wehrlos 
dem Könige von Frankreih zu Füßen gelegt hätten, wur⸗ 
den wie gewöhnlich ald Beweife aufgeführt der Uneigennuͤtzig⸗ 
Zeit, Großmuth, Friedensliebe und Frömmigkeit Lubwigs ?). 

Bald darauf ergab fich von neuem daß der König fich 
für berechtigt hielt, in rein beutfchen Angelegenheiten mitzu⸗ 
forechen, ja zu emtfeheiden. Nach dem Tode des Churfürs 
fin Marimilian Heinrich von Köln (er flarb den dritten Sunius 
1688) wählte ein Theil der Stiftöherren den Kardinal Wil: 4688. 
heim Egon von Zürftenberg, ber zweite den Priizen Cle⸗ 
mens von Baiern. Beide litten dergeſtalt an canonifchen 
Mängeln, daß allein vom Papfte die Beſtaͤtigung oder Vers 
werfung ber Worgefchlagenen abhing. Innocenz XI, da⸗ 


1) Dumont VI, 2, No. 72. Bolingbroke letters 191. 
2) Histoire du Congres d’Utrecht 25. Flassan IV, 107. 
3) Pachner II, 614. 





d 


234 Sechsſtes Bud. Sechstes Hauptſtück. 


1688. mals von Ludwig XIV in dem Streite über die Duartiers 
freiheit übermüthig behandelt"), entſchied um fo mehr nach 
den Wünfchen bed Kaiſers und der Deutfchen, da Köln ein 
beutfches Erzbisthum, Fürftenberg aber ein undeutfch gefinns 
tr Mann und ganz dem Könige von Frankreich ergeben 
war. Wie man auch über ben Hergang bei ber Wahl, ober 
des Papftes Entſcheidung denken mochte; gewiß erhielt Lud⸗ 
wig XIV dadurch Fein Recht Franzöfifche Mannfchaft in koͤlni⸗ 
fe Städte einzulegen, ober gar davon einen Hauptvorwand 
zum Kriege wider Deutfchland herzunehmen ). 

Nachdem Ludwig ſeit dem nimweger Frieden fo viel un: 
ter ungerechten Vorwaͤnden an ſich gebracht, als ohne offene 
Fehde irgend moͤglich war, wollte er den Krieg um zu ero⸗ 
bern und ſeine Herrſchaft immer weiter auszubreiten. Er 
verließ ſich auf ſeine und Frankreichs geiſtige und phyſiſche 
Ubermacht, auf Spaniens Erſchlaffung, Hollands und Deutſch⸗ 
lands innere Laͤſſigkeit oder Zerwuͤrfniß, des Kaiſers Feh⸗ 
den’) mit Türken und Ungern, vor Allem aber auf Eng⸗ 
lands fortdauernde politifche Nichtigkeit. In letzter Bezie⸗ 
hung hatte Wilhelm von Dranien ſchon im Jahre 1681 an 
Lord Hyde geſchrieben ): „Die Lage ber engliſchen Angele⸗ 
genheiten, iſt das groͤßte Ungluͤck fuͤr die Welt, und ohne 
ein Wunder find wir Alle verloren. Bon England muß 
die Errettung Europas ausgehen, ohne Eng- 
land wird es bald unterjocht ſeyn!“ 





1) Siehe oben, Seite 179. Innocenz Elagte: Ludwig habe ihn 


behandelt wie einen preticello, e ancora manco. Lamberty M&moi- 
res de la revolutipn d’Angleterre I, 292, 

9) Larrey V, 248. Mazure II, 479. Neufville Hist. de Hol- 
lande I, 115. La Fayette Mem. 8— 18. 

8) Doch Hatten bie Kaiſerlichen weſentliche Fortfchritte gegen bie ' 
Türken gemadjt, was Ludwig KIV auch aufreizte. 

4) Clarendon correspondence I, 56, 59. 





Siebentes Hauptfüd. | 


England von der Herſtellung Karls II, bis zur Ver⸗ 
: freibung Jakobs 1. 
(1660 — 1688,) 





Erfter Abſchnitt. 


Bon der Ehrondefleigung Karls II, bis zu deſſen 
Tode. 
(1660 — 1685.) 


Die Regierung der Parlamente und Cromwells, feit der 1660. . 
Hinrichtung Karls I, war in England nie beliebt gewefen, 
fondern hatte fich Yediglich durch die Kraft des Schwertes 
aufrecht erhalten. Daher entftand bei der Herftellung Karls U 
die größte Freude und ed entwickelten fich die mannigfachften 
Hoffnungen ). Der Adel und die Rechtögelehrten vechneten: 
auf Herftelung ihres Einfluffes bei der Verwaltung und 
Geſetzgebung; die Geiſtlichen auf groͤßere Achtung und Sicher⸗ 
heit unter einer erblichen Monarchie; das Volk auf Erleich⸗ 
terung der Abgaben; Alle ohne Ausnahme auf Vertilgung 
der Soldatenwillkuͤr, auf Herſtellung aller Rechte und Frei⸗ 
beiten des Landes, und auf Hinwegſchaffung der übelen Fol- 
. gen, welche aus großen und gewaltigen Ummwälzungen ber 


1) Hallam V, 846, 412. — Glifabeth von Böhmen, welche nach 
Karls I Zode fehr aͤrmlich im Haag lebte, kam im Mai 1661 nad 
England und flarb ben 18ten Februar 1662. Peterborough regi- 

ster 448. ’ 





\ 


236 Sechsſtes Bud. Siebentes Hauptfiüd. 


1660. vorzugehen pflegen. Rohe Härte galt 3. B. oft für Charak⸗ 
terfraft, ımb in dem Maaße ald die Macht des gefetlichen 
Schutzes abgenommen und bie Bebeutfamleit der Einzelnen 
zugenommen batte, fahen biefe nur zu oft in ehrgeizigen 
und eigennügigen‘ Beflrebungen, ben böchften Lebenszweck. 
Scloffen fich diefe Einzelnen aneinander, fo geſchah ed meift 
nur, um in der Geſtalt einer mädhtigeren Partei, gewiſſe 

+ Zorderungen durchzuſetzen. Diefe Forderungen bed Heeres 
und der Steuerpflichtigen, ber Republikaner und Royaliften, 
der hohen Kirche und der Preöbyterianer, der alten und 
neum Eigentümer von Staats: und Kirchengütern, ber 
Meichgewordenen und ber Werarmten, ber Parlamente und 
der Krone, flanden einander fo fehroff gegenüber und erſchie⸗ 
nen fo unvereinbar; daß in jenen Chor der Freude, auch 
Stimmen edler Männer hineintönten, welche Vergangenheit, 
Gegenwart -und Zukunft mit aufrichtigem Schmerze be⸗ 
trachteten. 

So ſagt z. B. William Temple in ſeinen Abhandlun⸗ 
gen uͤber die Verfaſſungen und die Unzufriedenheit der Voͤl⸗ 
fer ): „keine Regierung iſt ohne alle Fehler, daher werben 
immer Klagen geführt werden, bis alle Menfchen fehlerfrei 
find. Das Suchen nach einer unbedingt volllommenen Res 
gierung ift fo endlos und nuglos, ald nach dem Steine der . 

Weiſen und ber Univerfalmebizin. Wer eine alte Regie 
rungsform nieberreißt um eine neue zu errichten, gleicht dem 
welcher eine alte Eiche umhaut, weil ihre Früchte abnehmen 
und die Blätter büre werben, unb an ihre Stelle eine 
junge pflanzt. Allerdings wird der Sohn oder Enkel, wenn 
ber Baum fortlömmt, des Schattens und ber Früchte ge= 
nießen, aber, dad Vergnügen ber Einbildungskraft abgerech- 
net, bat der Pflanzende keinen anderen Vortheil ober Lohn, 
als das Graben, Begießen und Befchneiden, bie Furcht vor 
Stürmen und Regengüffen, und er kann von Glüd fagen, 
wenn ibn die herabgebrochenen Zweige, oder der Stamm 
des alten umgehauenen Baumes nicht erfchlagen.” 

1) Temple Works I, 87, 255. 


Karl I. | 237 


So wahr auch Vieles in diefer bildlichen Betrachtung 1660. 
if, darf man doch nicht unbemerkt laſſen, daß man bie buͤr⸗ 
gerliche Geſellſchaft nicht fowohl mit einem Baume, als 
mit einem großen Walde vergleichen Eönnte, wo an bie 
Stelle der überalten Bäume, nothwendig jüngere eintreten 
müffen. Daher wäre e8 eben fo thöricht die noch lebenskraͤf⸗ 
tigen im Übermuthe niederzuhauen ), als die abgeflorbenen 


1) Gewiß konnten Xheoretiler wie Harrington unb Hobbes 
die Entwidelung des englifhen Staatsrechtes nicht fördern. Jener P 
fuchte in feiner Dceana das Muſterbild einer Verfaſſung aufzuftellen. 
Das Volt wählt danach einen Senat, welcher wieberum bie höchften 
Staatsbeamten mit einem Gtrategus „an ber Spige ernennt. Dem 
Senate ftcht allein ber Vorſchlag ber Befege zu, das Volk billigt nur 
ober verwirft. Genforen haben Einfluß, befonbers bei religisfen und 
wiffenf&haftlichen Segenftänden. Gleichheit bes Vermoͤgens wird durch 
agrarifche Geſetze feftgehaltent 3 Lnterfchieb der Stände findet nicht 
ſtatt. — Alles dies iſt offenbar gang willfürlich, von bem was in Enge 
land und anberwärts Beſſeres beftanb abſehend, und zuletzt doch bürfs 
tig und ungenügend in jeder Ruͤckſicht. 

Noch übler geftalten fich die Dinge bei Hobbes. Wer in beflen 
Staat eintritt, wird ber aͤrgſten Willkuͤr foftematifch preis gegeben: 
denn aus Furcht vor der Anarchie fieht er Hülfe in ber nichtswuͤrdig⸗ 
ſten Despotie, vertennt außer derfelben bie Natürlichkeit und ben Werth 
aller Berfaffungen, verwirft thöricht alle formellen Bürgfchaften Achter 
Freiheit unb weiß noch weniger von ben inneren bes Wohlwollens , ber 
Eitte, des Rechtes, der Religion. Macht iſt ihm Recht, Wille des - 
Staͤrkeren Geſetz, und Gehorfam die Pflicht ber Schwächeren. Indem 
er Selbſterhaltung als höchfte unbebingte Pflicht darftellt, und bas Recht 
aus ben Verträgen, nicht biefe aus ber ewigen Idee bes Rechtes abe 
leitet, wirb ihr Halten lediglich von eigenmügiger Klugheit, ober von 
Furcht und Gewalt abhängig. Indem er bas Recht ber unumfchräntten 
Herrſcher nicht länger dauern läßt als ihre übermacht, wirft er ben kaum 
auferbauten Staat in bie Willkür feines. Naturſtandes zuruͤck; Indem 
er für Tugend und Geſetz Fein wefentliches Scenngeichen bes Werthes 
und ber ımbebingten Gültigkelt anerkennt, bleibt gar Kein fefter Grund 
bes Wahren, Guten und Rechten übrig. 

Wie damals, hat auch in unferen Zagen ber Überbruß an ober 
fiächlihen Theorien und praktiſchh mißlungenen Berfuchen, ganz abfos 
Iutiftifche Lehren wieber hervorgetrieben, welche fich jeboch eben fo wer 
nig bewähren bürften als bie bes Hobbes. 


— 





238 Sechstes Buch. Siebentes Hauptſtück. 


1660. für jung auözugeben und alles Nachpflanzen für entbehrlich 
‚zu halten. 

Weder Jakob I und Karl I, noch Strafforb und Laud, 
noch Hampden und Pym, noch "Fairfar und Cromwell hat⸗ 
ten in dieſer Beziehung den rechten Weg eingeſchlagen, ſon⸗ 
dern jeder in ſeiner Weiſe gefehlt. Jetzt war die Aufgabe 
nicht zu umgehen: an die Stelle des niedergeriſſenen Gebaͤu⸗ 
des, ein neues aufzufuͤhren; — allein jeder Mitarbeiter hatte 
einen eigenen Plan und Grundriß entworfen, und forderte 
daß derſelbe, mit Zuruͤckſetzung aller uͤbrigen, angenommen 
und befolgt werde. Bei dieſen Verhaͤltniſſen war die Per⸗ 
ſoͤnlichkelt des Königs und feiner hoͤchſten Staatsbeamten 
von doppelter Wichtigkeit. 

Weil Karl J die Abſicht hegte ſeinen Sohn ſelbſt und 
mit Sorgfalt zu erziehen, ſchien es ihm nicht von Wichtig⸗ 
keit, wem dies Geſchaͤft der Form nach ſcheinbar uͤbertragen 
werde. Als ſich nun aber der Koͤnig unerwartet von ſeiner 
Familie trennen mußte"), ergab ſich daß ber zum Prinzen⸗ 
erzieher ernannte Graf von Berkfhire biezu nicht taugte *), und 
eben fo wenig war Hobbes (welcher eine Zeit Iang in Paris 

- Karl dem zweiten Unterricht gab) ‚geeignet einen Tünftigen 
König von England auf den rechten Meg ‚u bringen. Mehr 
hätte das Schickſal feiner Familie und ein mannigfach bes 
brängtes Leben den Prinzen lehren koͤnnen; allein er befaß 
nicht eine flarfe Seele, welche Durch Unglüd gekräftigt und 
erhoben wird, fondern nur diejenige Art von Verſtand und 
Gewandtheit, welche in allen menſchlichen Dingen bloße 
Selbftfucht zu erbliden glaubt, unb deshalb Argwohn und 
Verftellung für die beften Mittel zum Erkennen und Be: 
Fampfen aller Hinderniffe hält. Bon biefem Standpunkte 
aus wirb man nie zu einer aufrichtigen und en Haltung 
und Gefinnumg kommen. 

Kaum konnte jemand liebenswinrdiger — 


1) Clarendon VII, 8. 
2) Mazure I, 18, 73. 





Kal 239 


und einnehmenber ſeyn als Karl, obgleich ihn dichte Thells 1660, 
nahme und tiefes Gefühl niemals ‚beflimmten ober erfüllten. Y4 | 
Weiber und Beifchläferinhen '). hatten den größten Einfluß, | 
und koſteten ihm ungeheuere Summen, ohne daß er je eine N 
liebte, ober ſich von einer für geliebt hielt. Keufchheit, 

fprach er, gehe hoͤchſtens aus Eitelkeit hervor, oder fey nur 

eine wunbderliche Laune. — So wurden allmälig liebenswuͤr⸗ 

dige Schufte und kecke Huren, wenn nicht fein ausſchließen⸗ 

der, boch fein Hebfler Umgang, und das Talent Anekdoten 

"und Poffen zu erzählen’), war das einzige was der König 

zur Vollfommenbeit ausbildet. Deshalb fagte Lorb Roche⸗ 


1) La Fare 248. Unter vielen Beiſchlaͤferinnen fpielte bie Schau: 
fpielerinn Gwin eine Sauptrolle, the indiscretest and wildest crea- 
ture, that ever was in a court (Burnet I, 445). Eile disoit 
(fchreibt die Sevigns III, lettre 836) que la Duchesse de Ports- 
mouth (die Obermaltreffe) fait ia personne de qualits, elle dit que 
tout est som parent en France: dès qu'il meurt quelque grand, 
elle prend le deuil. He bien puisqw'elle est de si grande qualite, 
ponrquoi s’est elle fait catin? Elle devroit mourir de honte. Pour 
moi c’est mon métier, je ne me pique d’autre chose, le Roi m’en- 
tretient, je ne suis qu’& Äui pr&sentement etc. Als man eine Bei⸗ 

. [hläferinn des Königs anlagen wollte, weil fle ihn arm mache, fagte Lorb 
Wordaunt: fie follten biefen Weibern vielmehr Bilbfäulen errichten, weil 
fie ihren Liebhaber vom Parlamente abhängig machten. Dalrymple 
1, 33. In einens namenlofen Briefe vom Yten San. 16830. (Jenkins 
collection, Vol. IV, (State paper office) heit es: Madame de 
Portsmouth cherche de se gagner l’aflection des communes, aux- 
quels elle fait mille civilites, les r&galant de vin, de confitures et 
d’autres choses. Elle y a fort bon succ&s, car au lieu qu’il n’y a 
longtemps qu’elle 6tait la haine et P’aversion du peuple, on l'ap- 
pelle à present l’Esther, et comme du temps d’Asverus, Esther 
sauva le peuple d’Israel, on attend que celle ci sauvera le peuple 
de Dieu qui est en Angleterre, et on boit A sa sants en cette qua- 
lit& la; ce que j’ai moi meme été oblige de faire depuis peu, 

2) Burnet II, 1058. I fear his immoderate light in ‘empty, . 
effeminate and vulgar conversations, is become an irresistible part 
of his nature, fchreibt Ormonb vor 1660. Lingard XI, 384. Eve- 
lyn I, 582. Warner 512. Clarendon life IV, 81, 129, 131.. $or 
Geſchichte 61. 





— 


240 Sechstes Bud. Siebentes Hauptflüd. 
1660. ſter: Karl habe ein fo großes Gedaͤchtniß, daß er von uns 


zähligen Geſchichten kein Wort vergeffe, — wohl aber, daß 
er fie ſchon unzählige Male erzählt habe '). — Alle Heineren 
Dinge begriff der König mit ungemeiner. Leichtigkeit, und 
bätte auch größere ergrümbet, wäre er längerer Aufmerkſam⸗ 
Teit fähig gewefen. Der naͤchſte und bequemfle Ausweg er: 
ſchien ihm, unbefümmert um Ehre und Kolgen, jedesmal als 
ber befle. Wenn rechtfchaffene Diener glaubten ihm eine 
edle Richtung beigebracht zn haben”), gab fich fein boden: 
loſes Gemuͤth unerwartet ganz abweichenden Anfichten preis, 
und leichtfinnigem Bewilligen, folgte oft noch leichtfinniges 
sed Vergeſſen. Er wünfchte fih unumfchräntte Macht, wes 
niger aud Ehrgeiz, ald um ganz ungeftdrt den Genüffen, 
ober noch mehr bequemer Ruhe nachhängen zu koͤnnen. 
Des Morgens (erzählt ein Berichtserſtatter) ) geht der Koͤ⸗ 
nig foazieren bi8 zehn Uhr, dann folgen Hahnenkämpfe bis 
zum Mittagbrot, nach Tiſche Pferberennen von brei bis 
fech8, wiederum Hahnenkaͤmpfe von ſechs bis fieben, bierauf 
Schaufpiel, Abenbbrot, endlich zur Herzoginn von Ports⸗ 
mouth bis Schlafenszeit. 

An den Zeiten, wo innere und aͤußere Sorgen jeden 
Freund des Vaterlandes druͤckten, blieb Karl unbekuͤmmert 
als gehe ihn das Alles gar Nichts an. Immer ſtand ſein 
Denken, Zühlen und Handeln im Widerſpruche mit dem 


ſeines Volkes; und ehe er ſich mit dieſem verſtaͤndigte, ver⸗ 


kaufte er ſich lieber an Ludwig XIV und ſchenkte vom fo 


Erworbenen der Herzoginn von Portsmouth 100,000 Pfund *). 


1) —— führte einen verdammlichen Wandel und war * im⸗ 
mer betrunken. Burnet I, 447, 


'.2) Reresby 63, 65. Buckingham Works II, 69.. 
8) Reresby 108. Der Puritanismus und folch ein ftttenlofer Hof 
waren unverträglich. ; 


4) Macpherson Statepapers I, 158, 185. Hiatory 1,83. &s | 
find doch wohl feanzöfifche Liores, und nicht Pfunde Sterling gemeint. 


Kar I. = 241 


Die wichtigſten Angelegenheiten beachten ihn nicht zur Thaͤ⸗ 1660. 
tigkeit, die feierlichſten Werpflihtungen nicht zu treuerem 
Worthalten, die unwuͤrdigſten Anträge nicht zu edlem Zorne, 
und die Zuneigung eines ganzen Volkes nicht zum Entſa⸗ 
gen urtwindiger Vergnuͤgungen ). Alle Religion war ihm 
gleichgültig; doch mochte ihm die Anficht der Katholiken in 
fofen am beften gefallen, als fie damals am meiſten bie 
Pflicht des ımbebingten Gehorſams hervorhoben. a 

Die puritanifhe Strenge der letztvergangenen Zeiten, 
warb am Hofe Karls II nicht zu würbiger Dulbfamfeit ver- 
Märt, die finftere, faft menfchenfeindliche ‚Lebensanficht kei⸗ 
neswegs baburch geläutert bag man das Schöne mit dem . 
Guten verbinden lernte; fondern man fprang von einem Aus . 
ferften in das entgegengefegte uͤber, und hielt Gleichgüiltig- 
keit gegen alle Religion, fowie Mißachten aller Sitte, für 
Zeichen und Beweis geifliger Aufklaͤrung und Lebensweis⸗ 
heit. Nur zu Viele aus dem Wolle fanden an bem vorneh⸗ 
men Beifpiele des Hofed Gefallen”), und auch bie Literas 
tur, inöbefondere bie dramatifche, nahm eine Wendung, wel: 
che heitere Lebenstuft mit Zuchtlofigkeit verwechfelte und nicht 
bloß den Zabel Eopfhängerifcher Sektirer, — er rechts 
lichen Mannes verdiente. 


Schon zu ber Zeit wo Unglüd und Mangel den ver⸗ 
triebenen Koͤnig im Auslande druͤckte, ſuchte er Troft und 
Zerfireuung lediglich auf unwuͤrdigem Meg, und ein Augen 
zeuge fehreibt im Jahre 1656 °): „verſchiedene hieher gelau- 
fene Engländer bringen ihr Vermögen mit dem Könige _ 


1) Russcl life of Lord Russel I, 89. La Fare Mm. 247. 
8. Evremond, Oeuvres IX, 108. Vaugham II, 273, 276. Somer- 
ville History 144. Burnet I, 148. Orme He of Baxter I, 44% 
Hallam IL, 509. a 

2) Dr. Bates ſprach im Namen biffentivender Gelftlichen zum Koͤ⸗ 
nige uͤber die Unſittlichkeit der Zeiten und empfahl deſſen Tugenden, als 
Mufter und Vorbilderl Somers tracts VIEL, 12. 

$) Thurloe State papers V, 447, 645. 

VL 16 











Ey 


42 Sechstes Bud. Siebentes Hauptſtück. 


1660. durch; huren, fludden, ſauſen und ehebrechen gliit unter ih⸗ 
nen für feine Simde.“ AÄhnlichetweiſe ſagt Lord Littleton 
in feinen perfifchen Briefen ): „alle Tugenden, ſowohl oͤffent⸗ 
liche als häusliche, werben ruͤckſichtslos laͤcherlich gemacht, 
und einem wird Wis, Geiſt, oder Geſchaͤftötalent zuge⸗ 
flanden, ber noch irgend Gefühl für Ehre oder Sinn für 
Schicklichkeit befigt” ). 

Gleich nach der Zuruͤckberufung des Königs erfchienen 
jedoch die Verhaͤltniſſe fo ſchwierig und die Gefahren fo groß, 
daß er bie Leitung ber Staatdangelegenbeiten nicht bem er- 
fen Beften, fondern nur gewiegten, reblihen Männern ans 

vertrauen konnte. Als folhe muß man Ormond, Sout⸗ 
bampton, Golepeper. und Nicholas bezeichnen‘), Monk, 
der zum Herzoge von Albemarle erhoben warb, erwarb fich 
neue Verdienſte indem er die allmälige Auflöfung des ans 
maaßenden Heeres herbeizuführen: wußte und ſich fpäter im 
Seekriege auszeichnete*). Auch biligte man: daß er weber das 
Übergewicht ber wilden Republikaner, noch ber engherzigen 

; Preöbyterianer gewollt hatte. Andererſeits warf man ihm 
Stolz, fowie zu große Liebe des Geldes vor, und behaup- 
tete: ex fey zwar ein kluger Mann, der feine Sache zum 
Ziele geführt habe; es mangele ihm aber die Offenheit ei- 
ned wahrhaft edlen Charakters, und bie Weisheit und Vor⸗ 
audſicht eines Achten Staatsmames. Eher Bine man fa= 
gen, ex fen frei von eigentlichen Laftern, als Im Beſitze Übers 
wiegender und glängenber Zugenben. 


1) ©. 259. . 

2) 3um Auguſt 1661 fagt Pepys (Mem. I, 115): At court 
tbings are in very ill condition, there being so much emulation, 
poverty and the vices of drinkiug, sweariag, and loose amenrs, 
that J know not what will be tho.end af it, but cenfusion. 


8) Mazure I, 27. 


4) Mont ftarb den weiten Sanuar 1670 an ber — Monks 
üfe 873. Hallam II, 410. %#or Sefchichte 18. Burnet I, 157, 268. 
Macpherson History I, 119. Clarke James IE, 1, 446. Bairympte 
Mem. I, 26. Ludlow 246. Cierendon Statepaperd II, 683. 


Mont. Glarendon. Parlament; - 243 


Bei weiten bem größten Einfluß erhielt Eduard Hode, 1660. 
Graf von Glarendon, welcher Karl I immerdar treu ges 
"dient, und Karl U nie in feinen Nöthen verlaffen hatte. 
Er war geboren ben 18ten Februar 1608, fludirte Die Rechte 
und war in ben alten Klaſſikern, ja felbft in ben Kirchen 
vaͤtern fehr wohl beliefen. Seine Redlichkeit) Unbeftechlich 
feit und, Gefchäftsfenntnig kann nicht in Zweifel gezogen 
werben; boch ging feine Fefligkeit bisweilen in Cigenfinn, 
feine Wahrheitsliebe in verlegende Härte, und feine religiöfe 
Übergeugung in Unduldſamkeit über. Hätte er aber auch alle 
die Bolllommenheiten befefien, welche feine: Gegner an ihm 
vermißten; er wuͤrde dadurch ihren Beifall um fo weniger 
gewonnen haben, ba fie hauptfächlich Nachficht gegen ihre eis 
genen Fehler, und Beiſtimmung zu ihren eigennügigen und 
verberblichen Planen forderten unb erwarteten. 

Schon dad vorige Parlament (Convention Parliament) 
Hatte erklaͤrt): daß unmittelbar nach der Hinrichtung Karls I 
die Krone nach Gefeb und Geburtögecht unzweifelhaft auf 
feinen Sohn übergegangen ſeyz es hatte ferner befohlen alle 
Richter jened Königs zu verhaften und ihre Güter einzuzie⸗ 
ben. Im neuen Parlamente warb Karl am Zoſten Mai 
1660 aufs Ehrenvolfte empfangen und von ben Sprechern' 
beiber Häufer bewillkommt ). , In feiner Antwort fagte 
ee unter Anberem: er hoffe (mit dem Beiſtande bes 
Parlaments) Zreiheit und Gluͤck des Volkes herzuftelen und 
werde nicht bloß ein wahrer Vertheidiger ded Glaubens, : 
fondern auch ber Gefege und aller Rechte feiner Unterthas 
nen ſeyn. — Welcher Weg jeboch in biefer Beziehung eins 
zufchlagen fey, darüber waren die Meinungen nichts wenis 


1) The History. and — of Commons 
from 1660. London 1741; L 1 
2 Parliam, History IV, 55 — 76. The speakers loaded him 
with compliments and took the best care to make him believe 
himself t9 be the best, greatest and bravest prince of the whole 
world, fagt der unzufriebene Ludlow 347— 348. 
16 * 





244 GSchötes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


1660. ger al3 übereinflimmend. Einige betrachteten "alle Ereignifle 


feit 1640 wie das Werk einer Über jede Zurechnung erhabe⸗ 
nen Nothmendigkeitz Andere leugneten zwar keineswegs Das 


. Dafeyn arger Verſchuldung, wohl aber die Zweckmaͤßigkeit 


und Heilſamkeit des Beſtrafens. Sie drangen auf eine 
ſchlechthin allgemeine Verzeihung alles Gefchehenen; waͤh⸗ 
rend Leidenfchaftliche nicht bloß die Richter des Königs am Leben 
firafen, fondern auch eine Unzahl von Perfonen’ abfegen, ober 
von allen öffentlichen Imtern ausſchließen wollten. Nicht. 
minder folle man gegen alle djejenigen ſtrenge Unterſuchun⸗ 
gen anftellen, welche fich während der Revolution wider⸗ 
rechtlich bereichert, oder Kirchen-, Staats⸗ und Privatgüter 
an ſich gebracht hätten. Einige wollten im legten Fall nur 
eine ſehr geringe, Anbere gar Peine Entſchadigung bewil⸗ 
ligen. 

Des Koͤnigs Ehre erforderte zunaͤchſt auf Befolgung 
feiner den "sften April 1660 in Breda aufgeſtellten Er⸗ 
klaͤrung zu dringen‘); auch war er vielleicht einer Stelle 
eingedenk, welche in den an ihn gerichteten Ermahnungen 
feines Waters?) alfo lautet: „laß dich nicht aus Leidenſchaft 
zu irgend einer Rachfucht gegen diejenigen verleiten, welche 
durch ihre eigenen Sünden und Thorheiten zur gebührenden 
Zeit werden hinreichend geftraft werden. Der Adel Deines 
Gemüthes muß Dich Über alle rachfüichtigen Gedanken und 
barüber erheben deinen Zorn gegen Viele audzulaffen. Gluͤck⸗ 
liche Zeiten (hoffe ich) warten Deiner, wo Deine Untertha- 
nen durch ihr Elend werben gelemt haben, daß religiöfer 
Sinn gegen Gott und Zreue gegen den König nicht — 
aufgegeben werben, ohne Unrecht und Unglück.“ 

Bon jener Milde und Verfähnlichkeit der Gefinnung 
war das Parlament, insbeſondere das Unterhaus, ſehr weit 


1) Shell V, ©. 857. Avrigny II, 7. 


.2) Eikon Baſilike p. 137, 141. Wir glauben annehmen zu duͤr⸗ 
fen daß biefe Ermahnungen nicht von Gouden erfunden find. 





Amneſtie. 245 


entfernt. Deſſen Sprecher Grimſtone ſagte in einer an den 1660. 
Konig gerichteten Rebe’): „Indem wir auf eine lange, 
ſchwarze, ſchrecliche, unf elige Reihe von Übelthaͤtern zuruͤck⸗ 
blicken, begegnen wir nicht Menſchen, ſondern Ungeheuern, 
ſchuldig des Blutes, koͤſtlichen Blutes, koͤſtlichen koͤniglichen 
Blutes, — unvergleichbar in allen Arten von Schaͤndlichkei⸗ 
ten die je begangen wurden, Unglaͤubige, Verfaͤlſcher der 
Religion, Zerſtoͤrer der Regierung, falſch gegen Gott, treulos 
gegen den beſten Koͤnig, Verraͤther an ihrem Vaterlande. 
Daher muß man keine allgemeine Verzeihung bewilligen, 
ſondern das Gift austreiben und ber goͤttlichen Rache Ge: 
nüge leiften.” 

Drohungen ſolcher Art ſtuͤrzten nicht bloß viele Schuld⸗ 
bewußte in die größte Sorge und Aufregung; ſondern auch 
der König gerieth in Beine geringe Verlegenheit und betrieb, 
obwohl vergeblich, die Abfaffung eines billigen Geſetzes uͤber \ 
Verzeihung und Nichtgebenten. Da entichloß er ſich zu eis 
nem Schritte, den man einft feinem Water fo fehr übel ge: 
nommen hatte, jet aber bei geänderten Werhältnifien nicht 
rügte. Er kam felbft am 27ſten Julius ins Oberhaus, 
brang auf fehleunige Annahme jened milderen Gefeked und 
fagte bei biefer Gelegenheit: Strenge unb Härte fey feiner 
Natur ganz zuwider, auch werde Milde gewiß Reue erzeus 
gen und jeber in bem Maaße ſtrenger gegen fich felbft feyn, 
ald Andere ed nicht waͤren. Wer künftig neue Unruhen ans 
zettele, möge um fo härter beſtraft werben; jetzt aber folle 
und müfle man alle Rachſucht und Parteilichkeit bei Seite 
fegen, und nur bie Koͤnigsmoͤrder von der Begnadigung 
audnehmen”). — In diefem Sinne warb endlih am 29ften 
Auguft 1660 ein Gefeß angenommen und nur eine gewifle 
Zahl nahmhaft gemachter Perfonen von ber Verzeihung aus: 
geſchloſſen ). | 


1) History of the House of — I, 21. 

2) Parliam. History IV, 80, 114. 

3) Anfangs wollte man nur fieben ausnehmen, witer erhoͤhte ſich 
die Zahl auf 20, laut Peterboroughs Register 177. | | 





246 Sechstes Buch. Siebentes Hauptftüd. 


1660. Einige ber Königsmörder waren eñtflohen ), einige 
wurden von den Niederländern audgeliefert*), einige flellten . 
ſich freiwillig des Könige Gnade anrufend; gegen die Kühn 
fin und Schuldigften endlich ward ein Rechtsgang eröffnet 
und dad Todesurtheil Über fie ausgefprohen. Nur Scroop 
und Soned anerkannten bie Gerechtigkeit des Spruches und 
zeigten einige Reue?); Peters, früher der Frechſte, war be⸗ 
trunfen, und auch Andere fchienen auf dieſe Weiſe Erfas 
des fehlenden Muthes gefucht zu haben. Die Meiften vers 
theidigten dagegen Fühn ihre Grundfäge und ihre Thaten. 
Wir handelten, fagte Harrifon, in hoͤchſter Vollmacht bes 


1) Strafe und Rache warb andy gegen einzelne Königemoͤrder im 
Ausiande geübt. Gorerzählt Hollis in einem Berichte vom Mten 
September 166% (Statepaperoffice, France, Vol. 70). Drei iriſche 
Ehelleute, Riordan, Macdonald und Cotter tödteten Lisle in Laus 
fanne. Sie fagen: baß biefer und feine Genoſſen, (Whaley, Goff, 
Fare und zwei genannt Whftes) daſelbſt lebten wie Beine Herrgätter 
(like little Gods allmightyes). Liste in einem Purpurkleibe, noch 
Kanzler von England geheißen, begleitet und aufgewartet vom Mides 
germeifter und Anſtmann, sin halb Dusenb Golbaten vor ihm, und 
bie ganze Stabt hinter ihm. Go ging.er zur Kirche, zwiſchen bem 
Bürgermeifter und Amtmann, das Schwert in einer unb ein Piſtol 
in der anderen Hand, mehre Engländer mit Piftolen in ben Händen 
dicht Hinter ihm, und bie übrige Geſellſchaft etwas weiter zurüd. Als 
er fo auf dem Kirchhofe ankoͤmmt, tritt ihm Gotter allein entgegen 
(bie beiben Anberen blieben zu Pferde am Eingange), nennt ihn einen 
Verraͤther, forbert im Ramen bes Königs von England daß er ihm 
folge, und fagt: Du bift ein tobter Diann, wenn Du dich weigerft ober 
wiberftehft! — Indem hun Lisle und feine Begleiter die Piſtolen er 
deben, fegt Eotter jenem fein Gewehr (musgueton) auf die Bruft, und 
erfchießt ihn mit fünf filbernen Kugeln. Whaley und die Übrigen 
ſchoſſen nach Gotter, fehlten aber, fo daß bie beiden Anderen herbeika⸗ 
men und er fein Pferd beftieg. Alle Drei ſchmaͤhten jest auf bie ganze 
Stadt daß fie ſolche Verraͤther aufnehme, ließen Lisles Leichnam durch 
ihre Pferde gertreten, und entkamen gluͤcklich aus ber Stabt u f. w. 

2) Histoire de de Witt I, 248. Ludlow 347. 

$) Salmon State trials 264 Burnet I, 269. Das Gericht be: 
fland aus 44 Männern, Richtern, Abeligen, Gentlemen u. ſ. w. Mac- 
pherson History I, 12, 


‘ 











. Königemörber. 07 


Varlaments, über welches kein Michter ſteht. Auch erhielt 1660. 
ih nach emfllihem Suchen Gottes, deſſen Zuftimmung, 
und leide fir die ruhnwollſte Sache der Welt. — Ih 
"wollte (rief Hader) taufenb Leben, wenn ich. fle beiäße, da⸗ 
für opfern. — Skot behauptete: bad Parlament konnte erſt 
bie Biſchoͤfe, dann bie Lords, dann feine eigenen unnüben 
Glieder fortfchaffenz und wenn die Übrigbleibenden auch keln 
Porlament geweſen wären, befaßen fie doch bie geſetzgebende 
Macht und durch Occupation einen Mechtötitel auf das 
Ganze. Oft babe ich Gott in Gebet und: mit Ihri 
sıın um Erleuchtung gebeten, und koͤnnte das was ich ge⸗ 
than habe, noch einmal thun. — Gleiches Sinnes ſagte 
Carew: wir handelten in der Furcht Gottes und im Gehor⸗ 
ſam gegen feine heiligen und untruͤglichen Geſetze. Bon 

ber Leiter herab rief Book: naͤchſt dem Tode Chriſti, if der 
unfere ber edelſte, und ich glaube daß en Heer von Mär: 
tyrern begehrt vom Himmel zu fleigei, um für dieſe eble 
Sache zu leiden. — Alle glaubten: ed müfle eine Zeit Tom: 
nen wo die Welt ihr Verfahren nicht bes entichulbigen, 
fonbern Lobpreifen, zum Muſter nehmen, und. * größerem 
Erfolge durchführen würbe '). 

Während Einige diefe Zuverſicht ber Hlugerichteten für 
eine "WBeftätigung ber Wahrheit ihrer Lehren hielten, fahen 
Andere darin nur einen Beweis der Hartnaͤckigkeit ihrer Ver⸗ 
blendung und behaupteten: nach fo vielfach erfittener und 
geübter Gewalt fey das Parlament Bein Iurlament mehr ge: 
weſen; fonft wuͤrde eine Gefellfchaft von Räubern fich auch 
dafür haben außgeben, und bie hoͤchſte Gewalt an fich brin⸗ 
gen, ober übertragen koͤnnen. — Gewiß befaßen jene Män- 
ner, eine ſtarke Kraft bes Willend und ber Überzeugung; 
jedoch nur folder Art wie fie aus dem Fanatismus ent: . 
fpringt, welcher die Grundſaͤtze bed natürlichen und pofitis 
ven Rechtes kuͤhn bei Seite ſetzt, um kalte Abftraktionen ruͤck⸗ 


1) Ludlow 366. Vemgham II. 282— 285. 


8 Sechstes Bud. Siebentes Hauptfiüd. 


1660 fichtslos geltend zu machen und ſelbſtgefaͤllige Meinungen für 
höhere untrügliche Offenbarung auszugeben. 

In ähnlichem Sinne dußerte Bane: Gott bat ben 
Kampf zwiſchen König und Parlament durch das: Schwert 
entfchieben, unb gegen diefes Gottesurtheil darf niemand fidh 
auflebnen. : Gehorfan ‘und Unterwinfigkeit find der Lohn 
für erwiefenen Schuß, nicht aber ein. urfprüngliches Recht 
der: Obrigkeit. Sobald ein König feine Unterthanen nicht 
mehr zu ſchuͤtzen im Stande ift, barf er fie wegen Ungehor⸗ 
ſams auch nicht ſtrafen. — Scharffian und Xhorheit zeig» 
ten fih wunderlich vermifht in Vanes Leben, un. nicht 
minder in feinen Schriften und legten Reden. Gleichwie 
Lambert (der noch 30 Jahre bebeutungsios in. Gusrufey 
lebte) hätte ber König ihn begnadigen koͤnnen und ſollen, 

da er nicht zu den Richtern Karls I gehörte"); aber ber 
Trob feines Benehmens und die Eriunerung daß ee Straf⸗ 
ford aufs Blutgeruͤſt gebracht hatte, flanden ihm entgegen. 
Mit der Hinsichtung des Grafen begann vor 21 Jahren, unb 
mit Vanes Zode (den 14ten Junius 1662) ſchloß fi au 
derfelben Stelle, die Reihe ber blutigen Opfer der engliſchen 
Revolution. 
"Aber auch nach dem Tode (die glaubte man) muͤſſe 
achte Verdienſt ſeinen Lohn, erhebliche Schuld ihre nach⸗ 
traͤgliche Strafe finden. Deshalb wurden die grauſam zer⸗ 
— Theile des Leichnams von Montroſ e ſorgfaͤltig wie⸗ 

der zuſammengebracht und feierlichſt in Edinburg beerdigt ?) 5 
und umgekehrt an 20 Perfonen welche man in Weftminfter 
begraben hatte, diefer Ruheſtaͤtte fuͤr unwuͤrdig erklaͤrt. Ins⸗ 
beſondere wurden nach einem vom Koͤnige beſtaͤtigten Schluſſe 


1) Macpherson History I, 48. Peterborough Register 704. 
Lingard XII, 389. Mont, bollis und Ashled Cooper wurben ange: 
klagt, überall fivenge Maaßregeln empfohlen zu haben. ' Hutchinson 
1l, 841, Vaugham II, 291. Fellowes 481. Papys I, 146, Hal- 
lam II, 415, 44. 


2) Peterborough 445, 536. Lamont Mém. 130. Burnet I, 
187. Acts of the Parliamant of Sootiand VII, 8. 





Rrönungs: und. Trauertag. 249 


beider Haͤuſer bed Parlaments, die Leihen Crom wells, Ir 1662. 
tond, Prides und Btadſhows, den Zoſten Jannar 1661, 
dem Hinrichtungstage Karls I -audygegraben, auf Schleifen 
nah Tyburn gebracht und bis Sommenuntergang an den 
Salgen gehängen. Dann fchlug ber Henker ihnen die Köpfe 
ab, ſtecte fie, zu: abfchredembem WBeifpiele, in Weſtminſter⸗ 
ball auf und begrub bie Ruͤmmfe unter dem Galgen. Auf 
bem ganzen Wege bis Tyburn begleitete unzaͤhliges Wolf 
ben Zug. mit lautem Geſchrei, nuud verfluchte bie einſt Hoch⸗ | 
verehrten auf alle Weife‘). 

& Einige jene Maaßregeln zu ſtreng "und, dies 
Benehmen umwärbig nannten, klagten Andere noch inmer 
daß man Verraͤthern verziehen und ihre Schuld in: Bergef⸗ 
ſenheit geſtellt habe, lediglich auf Koſten ber; Getrenen und 
Beeinträchtigten ”); daß Republikaner und Koͤnigäfeinde in 
Rath und Parlament fäßen, und zu Lords ernannt wuͤrden 
(fo Hollis, Ashley Cooper und Annesly), waͤhrend alte 
Royaliſten Mangel litten und Tür ihren Eifer noch Zurecht⸗ 
weifungen erbulben müßten, als flöre ihe Eifer fir Wahr: 
heit und Recht, die Ausſoͤhnung mit ber Lüge unb dem Un⸗ 
rechte). — Zu. den Dank: und Kroͤnungsfeſten (am 28ſten 
Junius 1660 und am 23ften April 1661) fügte man mit 
Recht für alle Zeiten einen Trauer⸗ und Bußtag, ben To⸗ 
beötag Karld 19. Diefer Beſchluß bezwedte und veranlaßte 
auf keine Weile eine neue Aufreizung der Parteien, und 
folte eben fo wenig unbillige allgemeine Anklagen in ſich 
fhliegen. Wohl aber wollte man baran erinnern, daß auh 


E - ® 
. 1) Cromwelliana 186. Peterborough 367. Parliamentary Hi- 
story IV, 158. Lingard XII, 19, Vaugham II, 287. Noble 
Mem. of Cromwel I, 874. Bradſhaw ftarb den 22ften November 
1659 und fagte: er würde ben König noch einmal verurtheilen. Fel- 
lowes 885. 


2) Lingard XII, 14. Hallam I, 420. Daleymple Mem. 


3) Peterborough 167.. 
4) Ebendaf. 174, 868, 412. 


200 Sechstes Bug Siebentes Hauptſtück. 


2660 ſcheinbhar Unſchalbige durch Schweigen und DOulben ihre 


Pücht vernachläffigen koͤnnen, daß bie Nemeſis für große 
Berbregen ganze Wöller urgreift, daß die menſchliche Fehl⸗ 
barkeit of zu Nichigenhndetem und Nichtgewolltem verlockt, 
oder fortreißt, und eitie Gehbflgefälligkeit fich nie über weh⸗ 
nrüthige Theilnahme und chriſtliche Demuth binauffegen, ober 
das Andenken an bie furchtbar erbabenen Lehren bes Ges 
ſchichte vernichten ſoll. 
So wie man vor zwanzig Jahren irrig glaubte: bie 
wahre Freiheit muͤſſe nothwendig in dem Maaße machten, 
als die Eönigliche Macht beſchraͤukt werbe; fühen jet Branche, 
necy fo bitteren Erfahrungen, In ihrer Erweiterung bie 
einzige Bürgschaft einer gluͤcklichen Sulunft. Selbſt Claren⸗ 
bon fuͤrchtete deshalb eine voͤllige Unabhaͤngigkeit bes Koͤnigs 
vom Parlamente, und fo kam man denn, nach inancher We⸗ 
rathung, zu folgenben, wichtigen Beſchluͤſſen: bie geſetzge⸗ 
bende Gewalt iſt bei dem Könige und ben beiden Haͤuſernz 
ihm aflein ſteht der Oberbeſchl über Die Kriegsmacht zu und 
kein Parlament darf wider ihn Angriffs ober Bertleibigungs- 
krieg Führen). Des Königs. Einnahmen werben von etwa 
820,000 Pfund anf 1,200,000 Pfund gebracht, und bie für 
bie Zukunft wegfallenden Lehnbeinnahmen, durch Verzeh⸗ 
rungsſteuern gedeckt ). Die letzte Veraͤnderung ſchloß einer 
ſeits allerdings die Abſchaffung mancher unzeitigen Miß⸗ 
Bräuche in ſich; andererſeits aber gewannen bie Vornchmen 
auf Koſten der Geringen, und es zeigt fich eine Richtung 


des Befteuerungsfuftemd welche allmdlig übermäßigen Reich⸗ 


thum wie übermäßige Armuth hervorrufen mußte. — Bei 
Überreichung des Geſetzes über bie Gelbbewilligungen fagte 
der Sprecher bed Unterhaufes: die Bergwerke des Königs 
von Spanien wuͤrden eher erfchöpft werben, ald bie Hülfs- 


1) Hallam II, 444, Lingard XU, 9. | 
2) Parliam. History IV, 118, 164, 168, 178. 318 man ben 
König 1654 in Köln befahl, ag ee: this is robbing the spittal. 


- Thsurloe II, 58. 








Finanzen. Kirche. 31 


quellen des Königs von England; denn biefe fliegen. und 1000 
wüchfen, je tiefer er in die Herzen des Volkes eindringe — 
In feiner hoͤflichen Antwort erwieberte ber König: bied Par: 
lament babe alle zeitherigen Tibertreffen und verbiene mit 
Recht den Namen bed Heil und Segen bringenden. | 
‚Kein Gegenftand befchäftigte Died Parlament und die 
folgenden fo fehr ald bie große Frage ber Kirche, Religion 
und Duldung. Während der Revolution hatte jede ſtegende 
Partei, ausſchließiich Wahrheit und Unfehlbarkeit in Anfpruch 
genoniihen, und wenn Cromwell aus politiſchen Grhuben 
fich Feiner ganz unterwarf, fo fehlte ihm buch (wie überall, 
fo auch Hier) der Sinn für aͤchte Freiheit). Neben den 
firengften. Geſetzen welche die Republikaner zus Aufrechthal⸗ 
tung guter Sitten, gegen Ehebtuch, Hurerei, Schauſpiele 
und andere Vergnuͤgungen erlleßen, erklaͤrten fie doch wie 
derum ˖ die Ehe für einen bloß buͤrgerlichen Vertrag und ent⸗ 
banden ſich in anderen Richtungen ganz von Maͤßigung und 
Sittlichkeit). Sm März 1654 warb zu London eine We 
börbe von 38 Perfonen errichtet, (darunter acht Laien) wei 
che mehr Firchliche Rechte erhielt als zunor bie Bifchöfe befaßen; 
ja auf ben Grund eines Geſetzes wonach anftoͤßige Geiſtliche 
(scandalous ministere) abgeſetzt werben follten, hatte man 
in bunter Miſchung unwindige Männer, Freunde bes engli⸗ 
ſchem Gebetbuchs, Beinde ber damaligen Regierung’, f. w. 
ruͤckfichtslos fortgejagt, und anßerbem von manchen bürger 
lichen Rechten (3. B. Vormünder zu werben) ausgeſchloſſen. 
Durch firenge Eide fuchte man alle Hinneigung zum gefuͤrch⸗ 
teten Katholicismus auszurotten, und ließ ſogar einen katho⸗ 
liſchen Geiſtlichen wegen Übung ſeiner Berufsgeſchaͤfte koͤ⸗ 


1) Durch die ſogenannten Unterſucher (tryex) wurden z. B. unge⸗ 
mein viele Geiſtliche verjagt, welche ſich nicht zum unbedingten Calvi⸗ 
nismus bekennen wollten. Jeder Vertriebene der ſich im Umkreiſe 
von fünf Meilen blicken ließ, ſollte wie ein Spion behaudelt und ges 
bangen werben. . 

2) Short II, 186-189, 207 — 209. Kens Hife I, 182, 139, 
153, 28 — A. 





252 Schstes Bud. Siebentes Hauptſtuͤck. 


1660. pfen. Nicht viel milder verfuhr mar mit mancher prote⸗ 
teſtantiſchen Selte, z. B. den Quaͤkern. 

Bei der Herſtelung Karls U wurden alle durch Crom⸗ 
wells libermacht niedergehaltenen Wimſche und. Hoffnungen 
der Episkopalen, Presbyterianer, Katholiken und ſonſtigen 
Diffenters wieder laut. Sie widerſprachen fi aber in fol 
em Maaße daß der Koͤnig fie unmöglich Aue befriedigen 
konnte; ja ed. ließ ſich vorausſehen daß bie Leidenſchaftlichen 
feine Anfichten ober Grundſaͤtze nicht als verbinblich aners 
kennen wuͤrden!). As am neunten Sulius 1660-1 Pars 
Iamente Berathungen eroͤffnet wurden über Kirche Kirchen⸗ 
gucht, Caͤremanien, Liturgie u. f w.,: zeigten ſich ſogleich 
Die verſchiedenſten Richtungen ). Einige wollten alle dieſe 
Dinge einer Kirchenwerſammlung, Andere dem Könige über: 
meiſen; «Einige Duldung „gewähren nach bem Inhalte. ber 
Erklaͤrung son Breda, Andere fie gerabehin. verweigern. In 
bester Beziehung fagte Find’): - „ich kenne kein Geſetz wo: 
nach die hiſchoͤſliche Kirche abgeſchafft wäre, und mean von 
Sreiheit ‚für. zarte Gewiſſen geredet warb, # weiß kein 
Menſch was das heißen foh.” 

BZulletzt ward Alles dem Konige und den. von ihen hiezu 
ernannten (Seiftlichen überwiefen. Jener hielt es beshalb für 
angemeſſen gm 2öften Dktober 1660 eine allgemeine Erklaͤ⸗ 
rung .yı erlaffen im Weſentlichen nachfiehenden Inhaltes: 
Ale wimſchen die Befoͤrderung ber Frömmigkeit und bed 
Kirchenfriebend, Alle billigen das bifchöflicde Syſtem und 
eine fefte Liturgie”), Alle verdammen die Vergeudung bes 
Kirchenvermögend. Daher erfcheint ed vernünftig diejenige 


1) Das Unterhaus war härter und undulbfamer als der König. 
Short II, 271. 

2) Diefe englifchen Dotums find meift nad) dem alten Kalender 
angegeben unb citirt. 

3) Parliam. Hist, IV, 84, 

4) Reihefolge ber liturgiſchen Veränderungen : 

1546 Kingsprimer. 1543 Communion service. 1549 first Li- 
turgy of Eduard VI. 1550 first ordination service. 1552 se 


F 





Kirgenverfaoffung + 253 


Kirchenverfaſſung beizubehalten, weiche durch Geſetze fefige: 166% 
flelt, ja in England fo alt iſt ald das Ehriſtenthum und 
mit weldjer die Monarchie fo fange geblüht hat. Doch koͤnn⸗ 
ten durch neue WVorfchriften einzelne Berbeſſerungen 6. B. 
über Suffraganbiſchoͤfe, geiſtliche Gerichte und dergl.) eine 
: treten, und eine neue Prüfung der Liturgie vorgenommen 
werben. Das lebte, aus Mitleiden für verſchiedene unferer 
guten Unterthanen, welche Bedenken tragen ſich ihrer in ber 
jekigen Form gu bedienen. Bis dahin bag eine ſolche Bes 
richtigung zu Stande gekommen ift, ſoll Feiner geftraft wer⸗ 
den, ber ſich ihrer nicht bebient, ober gegen Smiebeugen, 
geiflliche Kleibung und dergl. auf den früheren Widerſpruͤ⸗ 
chen beharrt. Die Erflärung von Breda wirb nochmals bes 
ſtaͤtigt, und eine Kircherwerſammlung zur Entfcheibung alles 
Streitigen berufen und exöffnet, fobalb nur bie Zeit in et⸗ 
was den übertriebenen Eifer und bie Leidenſchaften berubigt 
hat’). 

x BWöhrend diefe Erflärung, welche eine baldige Herſtel⸗ 
Iung des biſchoͤflichen Syſtems vorausfchen ließ, unter ben 
Preöbyterianern große Unzuftiebenheit‘ ervegte, erſchien fie ih⸗ 
ren Gegnern noch zu milde und nachſichtig. In ben Bes 
tathungen weiche daruͤber erhoben wurdene ob das Parlament 
fie beftätigen folle? fagte 3. B. ein Her Throckmorton: fie 
bewillige eine Übergroße Dulbung und made :aus den Bi⸗ 
fhöfen: vox et praeterea nikil?). Ale Keger und Pa⸗ 


cond Liturgy and second Ordination service, 1560 Litargy of 
Elisabeth. 1604 Alterations of James I. 1633 Alteration of Char- 
les I. 1661 last revision of the Liturgy. Short IL, 804. 

1) Parl. Hist, IV, 184. Peterborough 289. 

2) Nur neun ältere Bifchöfe überlebten die Reſtauration. Viele 
jetzt aus den Pfruͤnden Vertriebene. hatten keinen Theil an ber früheren 
Verſchulbung und lebten feit vielen Jahren in ruhigen SBefite. Short 
U, 219. Andererfeits war ben vertriebenen hochkirchlichen Geiftlichen, 
faft nirgends bie ihnen bewilligte geringe Abfindung wirklich ausges 
sahlt worben. (Bazire correspondence 47) und fie verlangten jept 
mit großer Lebhaftigkeit die Ruͤckgabe alles Verlornen. Somers tracts 


234 Sechstes Bud. Siebentes Hauptflüd. 


ee a en denn jebe 
Übereinftinmmung 


166 


õ 


bee Kirche nimmt ein Ende. — Hiegegen 
bemerkte Young: die Firchlichen Gaͤremonien finb nicht von fo 
großer Wichtigkeit, daß wir und deshalb in einem neuen 
Krieg- verwiddn follten; vielmehr muß man benen einige 
Duldung verflatten, bie ihr Leben. zum Bellen Aller gewagt 
haben. Bon einer Kichenverfammlung ift aber um fo wes 
niger etwas Gute gu erwarten, weil bie Leibenfchaften ber 
Geiftüchen durch ihre neuen Leiden jetzt gar fehr gefleigert 
find. — Nachdem Maynard zuletzt wider bie gu duldſame 
Bill geſprochen hatte, ſtellte er höflichft bie Frage fo: ob 
man fie zum zweiten Dale verleſen ſolle ? und es antwor⸗ 
teten 167 Ja, 183 aber Nein! 

In der Hoffnung auf anderem Bege eine Verſtandi⸗ 
gung und Bereinigung herbeiguführen, traten nach dem Be⸗ 
fehle des Königs am Zöften März. 1661 zwoͤlf Biſchoͤfe und 
neum zur englifden ober hoben Kirche gehörige Geiflfiche, 
mit eben fo viel Predbyterianern gufammen '). Hier erlärte 
Shelben ber Biſchof von Lonben gleich Anfangs: da bie 
bobe Kirche wicht finde daß an ihren Einrichtungen etwas 
zu aͤndern fey, fo möchten bie Abweichenden (die Diſſen⸗ 
ters) ihre Wünfche, und zwar auf einmal darlegen. —— Hier⸗ 
naͤchſt kamen alle die ſchon oft aufgezählten Ausſtellungen, 
und außerbem bie Frage zur Sprache: ob man die Rechte 
ber Bischöfe nicht nach einem früheren Vorſchlage des ges 
Iehrten Uſher ermäßigen, bie ber übrigen Geiſtlichkeit aber 
erhöhen koͤnne? Hiemit fand bie Unterfuchung im Zuſam⸗ 
menhange: ob und was in Firchlichen Dingen gleichgültig 


ſey, und ob man Abweichendes dulden dürfe, ober nicht. — 


Beide Theile glaubten hiebei ihren religiöfen Eifer ‚nicht beſ⸗ 
fer zeigen zu koͤnnen, als wenn fie Überall die Strenge der 
Milde vorzögen, und Insbefonbere verführen Guming und 


BGaxter, bie beiden Hauptfpredder mit folcher Schärfe und 


1) Die fogenannten Savoy cenferenors. Macpherson History I, 
20. Short II, 949. Burnet I, 801. 








Kirhenverfaffung. Darlament. 268 


Spiufinbigkeit daß eine Berfiänbigung fiber ein Mitlleres gar 1661. 
nicht möglich war‘). Auch meinten wohl bie Meiſten «8 
ſey beffer in der. Trermung verhatren, als irgendwie nachge⸗ 
ben. Entwickelung der Gruͤnde artete bald aus in Bank, 
und nach zweimonatlichen Bemuͤhungen war kein Punkt 
verglichen, wohl aber perſoͤnliche Abneigung und Feindſchaft 
zu ben theologiſchen Gegenfägen hinzugetteten. So fehr 
man biefen Ausgang beflagen muß, fofern ex zu einer gan⸗ 
zen Meihe von tyranniſchen Maaßregeln Veranlaſſung gab; 
wärbe anbererfeits. bie Annahme ‚irgend eines Gemeinfamen, 
den Grundſatz ber Unduldſamkeit und ben Aberglauben an 
bie Heilſamkelt derſelben nicht aufgehoben haben. So weils 
ten Barter und feine Anhänger bie Duldung, weiche fie für 
Die Diſſenters dringend forberien, doch den Katheliken ımb 
Socinianern verfagen ”); fie fühlten nicht daß fie hiedurch ſelbſt 
den eigentlichen Grund Ihrer Schlußfolgen untergruben ) und 
ben Boden  betraten auf welchem, nur zu oft, bie bloße 
Übermacht entfchleden hatte und entfcheiden mußte. 
Da ſich bie Geiſtlichkeit Über Nichts geeinigt hatte, bie 
Teilnahme an allen veligiöfen Angelegenheiten aber fiber 
— lebhaft fortdauerte; fo mußten dieſelben nothwendig in 
dem zweiten TERN Karls II zur Sprache kommen, 


1) Dies war um To tabelnswerther, ba der Streit Feine chriſtlichen 
Hauptlehren betraf. Doch waren bie Diffenters in: einer übelen Lage: 
forderten fie vie, fo hieß es ſie erreggen Spaltımgens forderten fie 
wenig „:fo hieß es, warum fibechaupt fish trennen? Gin Gauptpunkt 
blieb: ob bes Prieſter, ober bex Biſchof bie Kirchemucht (pewish dis- 
Gpline) leiten folle, Short II, 221. 

2) Short II, 229. Belsham History of England I, SR. Or- 
mes I, 232. Lingard XII, 27 

8) The Presbyterians thauked His Majesty for his Indulgence 
to themselves, so they distinguished the tolerable parties from 
the intolerable. For the former they humbly craved just lenity 
and farour; but for the Istter, such as the Papists and Socinians, 
for their part they could net make their toleratien their request. 
«Memoirs of the english Catholicks III, 3. 


- 





236 Sechsſtes Buch. Siebentes Hauptfläd. 


1661. welches am adhten Mai 1661 eröffnet wurde. Daſfelbe 


zeigte fich zunaͤchſt in Beziehung auf dad Staatsrecht übers 
koͤniglich gefimt, und gab Dinge preis worüber zwanzi » 
Jahre zuvor ber heftigfte Kampf ftatt gefunden hatte. 
Bifchöfe nahmen wiederum ihten Sig im Oberhaufe ‘), Die 
Preſſe ward unter Cenſur geflellt, die Miliz unb das ge⸗ 
ſammte Kriegsweſen allein dem Könige uͤberwieſen?), unb 
der Covenant auf Befehl beider Haufe vom Henker ver 
brannt. Daſſelbe wiberfuhr allen Beſchluͤſſen und Verfuͤ⸗ 
gungen über den Prozeß bed Königs, die Gründung ber 
Republik, die Bertreibung der Stuarts und bie Berechtigun⸗ 
‚gen Cromwells. Des Könige Veto warb für — 
feine Zuſtinmmung zu allen Beſchluͤſſen fuͤr nothwendig, und 

fuͤr Verrath erklaͤrt einen Unterſchied zu machen zwiſchen 
feiner Perſon und feinem Amte. — Nur mit Mühe gelang es 
ben Könige eine Beftdtigung der Amneflie vom Parlamente 
zu erhalten, wogegen daffelbe nach der Tirchlichen Seite hin, 
in dem nächflen Jahre eine Reihe von Gefegen entwarf um 
ber hoben bifchöflichen Kirche allmälig bie unbefchräntte Herr⸗ 
ſchaft wieber zuzuwenben. Die MWertheidiger berfeiben ſpra⸗ 
den: die Willkuͤr der Selten kennt Feine Graͤnzen, fonbern 
zerflört, (wie die Gefchichte der Rebellion erweifet) Staat 
und Kirche bis auf ben Grund. Gleichwie nun jener durch 
neue Reichsgeſetze bereitd gefichert warb, muß auch ber Kirche 
ein neuer und flärkerer Schuß zu Theil werben. Wer fich 
ihren Lehren, ihrer Verfaſſung nicht unterwerfen, aus Eis 
genfinn und Hochmuth das Schlechtere dem Beſſeren vors 
ziehen will; hat es fich ſelbſt zuzuſchreiben, wenn er aus 
ben Kreifen die ee verachtet, num auch gefeslich hinwegge⸗ 
wiefen und von ben Einnahmen und Vortheilen audgefchlof- 


1) History of the Commons I, 87. Macpherson History I, 
84. Parliam. History IV, 215, 233. Peterborough 456. 
‚ 2) We have (fagte ber Sprecher) according to our duties and 
the laws, declared the sole right of the militia, te be in Your 
Majesty. Parl. Hist. IV, 245. 


Religionsbulbung. 257 


fen wirb, welche nur den Gliedern berfelben Kirche gebühe 1661. 
ven. Ohne Gleichheit ber Lehre, ohne feftfichende, vorge: 
fhriebene Form des Gotteöbienftes, loͤſet fih die Religion , 
in thörichte und firdfliche Willkür auf, und wer ſich Difem . 
Grundſatze entgegenftellt, wirkt auch feinblich gegen ben mit 
ber Kirche unzertrennlich verbumbenen Staat; er muß mit 
Recht allen Amtern und Werhältnifien entfagen, von welchen 
aus er feine zerflörenden Lehren geltend macheh koͤnnte)). 
Zur Widerlegung diefer Behauptungen warb angeführt: 
bad Chriſtenthum beftehe nicht in einer flarren Gleichartigkeit 
von aufgebrungenen Formen und fpibfindigen Lehren; fondern 
in einer höheren auf Liebe gegründeten Einigkeit, welche den 
perſoͤnlichen Anfichten eine gewiſſe Freiheit, einen gewiſſen 
Spielraum verflatte. Ohne dieſe Freiheit, diefen Spiel: 
raum, entweiche alle Leben nicht bloß aus ber Kirche, fon: 
bern auch aus dem Staate, ja felbft aus ben Kreifen der 
Familie. Sofern offenbaren Unbilden. vorgebeugt werbe, ge 
‚ winne die Wahrheit auf diefem Wege freier Entwidelung 
‚weit mehr, als wenn man fie durch Zwungsmittel aufbrins 
gen wolle. Nur Duldung führe zu Achter Überzeugung und 
Einigkeit; Unduldſamkeit habe. überall ihr Ziel verfehlt und 
die beklagten Übel erhoͤht ?). 
Im Sinne jener erften Partei erging am 20flen De: 
cember 1661 ein Gefeß über die Genofienfchaften, Cor po⸗ 


1) Roch ſtaͤrker drückte ſich früher der übereifrige Presbpterianer 
Edwards aus (Gangrena I, 58). Er fagt: „Duldung ift bes Teufels 
Hauptplan und Meifterflüd um fein wankendes Königreich aufrecht zu 
halten. Sie ift der Heichtefte, Türzefte und ficherfte Weg alle Religion 
zu zerflören, Alles zu verwäften, Alle ins Berberben zu flürgen. Sie 
wiberfpricht dem ganzen Sinne und Inhalte der Heiligen Schrift fos 
wohl in Hinfiht auf Glauben, als auf Sitten, auf allgemeine und 
befondere Vorſchriften. Sie zerftört alle politifchen, kirchlichen und 
haͤuslichen Verhaͤltniſſe. - Alle Teufel der Hoͤlle und deren Werkzeuge 
fuchen viefelbe zu befoͤrdern.“ 

Jetzt machten die neuen Sieger biefe —— wider die Pres⸗ 
byterianer ſelbſt geltend. 

2) Macpherson History I, 49. 

Vi, 17 








28 Sechſstes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


rationen, des Inhalts: jeder oͤffentliche Beamte muß aus 
fer dem Huldigungseide, auch ben Suprematseid leiſten, Dem 
Covenant entſagen, und zum Beweiſe ſeiner Rechtglaͤubig⸗ 
keit das Abendmahl nach Vorſchrift der engliſchen Kirche 
nehmen. Wer ſich deſſen weigert, wird nicht angeſtellt und 
in keine oͤffentliche Corporation aufgenommen; auch hat der 
König dad Recht‘), ihm gefährlich ſcheinende Perſonen zu 
entfernen. | 
1662. Bei Eröffnung einer fpäteren Sigung bed Parlaments 
am 18ten Februar 1662 aͤußerte der König: „er ſey ein 
Feind aller Religionsverfolgungen.“ Gewiß wuͤnſchte er in⸗ 
nerlich eine milde Behandlung der Diſſenters und Rratholi⸗ 
ken. Aber jene Worte verloren faſt alle Bedeutung als er, 
der jetzo herrſchenden Anſicht zu gefallen, hinzuſetzte: „ſofern 
jene Religionsverfolgungen fich bis zu biutigen und Lebens» 
ſtrafen erſtrecken).“ — Dies ergreifend zeigte dad Parla⸗ 
ment ſeine Unduldſamkeit ohne Hehl und uͤberreichte dem 
Koͤnige am 27ſten Februar eine Vorſtellung im Weſentlichen 
des Inhalts: Keinem, der von der herrſchenden Kirche ab⸗ 
weicht iſt Duldung zu verſtatten: denn die Erklaͤrung von 
Breda, aus welcher man das Gegentheil erweiſen will, iſt 
eben nur eine Erklaͤrung, und kein Verſprechen. Denn 
wem haͤtten Euer Majeſtaͤt wohl etwas verſprochen? Etwa 
dem Volke? Das Volk übertrug ja aber feine Rechte dem 
Parlamente, und dies hat nie an bie Erfüllung eines Ver⸗ 
fprechens erinnert, oder biefelbe verlangt. Wenn ferner in 
der Erflärung von Breda von einer Freiheit für zarte Ge- 
wiſſen die Rede ift, fo Bann fich die hieraus abgeleitete Nach: 
ſicht hoͤchſtens auf die Mißgeleiteten, nicht aber auf die Miß- 
feitenden und Verfuͤhrer beziehen. Hiezu koͤmmt, daß ſchon 
damals Geſetze Über kirchliche Uberrinſtimmung (uniformity) 
beſtanden, von denen nur ein Parlamentsſchluß entbinden 


1) Macpherson I, 89. Längard XH, 40. 


2) When it extends to capital and sangulnary purishmunts. 
Parl. Hist. IV, 259. 


— 





Kirliches Einheitsgefes. 259 


kounte. ine ſolche Entbindung iſt aber nicht eingetreten, 1662. 
vielmehr hat dad Parlament feitbem firengere und beffer 

zum Ziele fuͤhrende Gefebe angenommen. Wer biefen wis 
verfpricht, der gebt darauf aus ale Bande der Regierung 
aufzuloͤſenz er leugnet dad Recht des Königd und Parla⸗ 
ments Geſetze zu geben und die bredaer Erklaͤrung zu erkia⸗ 

ren, oder noͤthigen Falls zu dndern ). 

Dieſer Eroͤrterung waren alle, ſchon oft aufgezaͤhlten 
allgemeinen Gruͤnde wider Retiglondbulbung angehängt, mb 
der König hatte um fo weniger den Muth folh einer Am: 
beutung ſeines bredaer Verſprechens entgegenzutreten, da 
felbft Glarendon (ein Miturheber veffelben) ?) feine Anfichten 
jest geändert, ober doch den Muth bekommen hatte fie un⸗ 
verhohlener auszufprechen. Den Ruf nach Gewiſſensfreiheit 
ſchrieb ex nur der Boßheit und Unverfchämtheit von Leuten 
zu, welche ihre Religion lediglich in ihrer Partei fähen ”). 
Gleichwie Strafforb und Laub hielt er dafuͤr: jebe Nachgie⸗ 
bigkeit fey verwerflih und führe nım zu größeren Zorberuns 
gen; er bedachte nicht daB nur ber ein großer Staatömann 
heißen kann, welcher im Stande ift Erduldetes zu vergeffen 
und Geſchicklichkeit befigt Gegenſaͤtze zu vermitteln. 

Am 19m Mai 1662. beftätigte, der König das vom 
Yarlamente ihm vorgelegte Einheitss oder Übereinftim; 
mungsgefe& (bill of uniformity). Es verlangte unbe: 
bingt von jebem Geiftlichen die Anerkennung aller Lehren, 
Grundfäge und Gebraͤuche der hohen Kirche, Abfchwörung 
des Covenants, Eid des kirchlichen Gehorfams gegen bie 


1) Parl. Bist. IV, 259—268. Lingerd XII, 45, 99. Vang- 
ham II, 821. Macpherson I, 42. 


2) Macpherson I, 86. Clarendon foll eine Zeit lang den Gedanken 
gehegt haben, den Katholiken und ihren unter einem Biſchof vereinig- 
tn Weitgeiftlichen eine größere Dulbung zuzugeftehen, unb nur Möns 
che · und Jeſuiten zu verbannen. Das hätte die Katholiken vielleicht 
getheilt; aber ed warb nichts daraus. Burnet I, 325. 


3) Vaugham II, 298, 808, 918, 924. 
17* 





200, Schötes Buch. Siebentes Hanptftäd. 


1662. Bifhdfe und des Teidenden Gehorfams gegen: ben 


König’). 

An 2000 Geiftliche ?), welche fich Diefen neuen Forde⸗ 
rungen nicht unterwerfen wollten, wurden fortgejagt, und 
obenein von Vielen ihres Ungehorfamd halber verdammt, und 
von Einigen verhöhnt: daß fie über Kleinigkeiten (5. B. den 
Gebrauch des Chorrodd u. dgl.) folchen Streit erhüben und 
fih nutzlos ins Unglüd flürzten. — Sie konnten erwiedern: 
dag wenn man das Beſtrittene eine Kleinigkeit nenne, ihre 
Gegner doppelt Unrecht hätten, barauf fireng zu halten. 
Run aber komme es erſtens nicht barauf an, wie wichtig 
oder unwichtig dad Einzelne, von ihnen Geforderte fey; ſon⸗ 
bern wie der Grundſatz beichaffen fey, auf welchen man die 
Zorderung gründe. So habe Hampden einft die Steuer vers 
weigert, nicht weil gr fie fir unerſchwinglich gehalten, fondern 
weil ber Bezahlende ein folgenreiches Princip anerlannt 
hätte. Zweitens handele es fich keineswegs bloß von einigen 
liturgiſchen Nebenpunkten, ſondern von dem Weſen der Kir⸗ 
chenverfaſſung und der chriſtlichen wie der buͤrgerlichen Frei⸗ 
heit, welche um aͤußerer Vortheile willen preis zu geben, nur 
dem Unchriſten zugemuthet werden koͤnne. 

Anſtatt ſich durch ſo zahlreichen Widerſpruch und ſo 
ruͤckſichtsloſe Aufopferung irdiſcher Vortheile zu verſtaͤndiger 
Maͤßigung hinweiſen zu laſſen, behauptete Clarendon (und 
Viele mit ihm): bei noch groͤßerer Strenge wuͤrde mehr ge⸗ 
lungen ſeyn“). Und doch mußte er nachmals eingeſtehen: 
man haͤtte jenes Geſetz mit zu vielen und zu aͤngſtlichen Be⸗ 
dingungen uͤberladen, und ſelbſt die Gehorchenden waͤren ge⸗ 


1) Macpherson J, 42. Es war, ſagt Cook (TIT, 287), ein Sprung 
von excesses of hypocrisy and austerity, to a daring contempt of 


. all sound principles. 


2) Vaugham III, 222. Somerville History 58. Hallam II, 
460. Ormes life of Baxter 291. Collier 889. Der Tag ber Annahme bes 
Geſetzes war auf ben Bartolomäustag gefest, fo daß ber ſich Weigernbe 
den Zehnten auf das ganze vergangene. Sahr verlor. Burnet I, 308. 

8) Hallam II, 478. Cilarendon life IU, 58. 


: 
Geſetz wider Conventikel. 261 


gen Staat und buͤrgerliche Ordnung ſeitdem feindlicher ge= 1662. 
finnt gewefen, als vor biefer angeblihen Begründung der 
Einheit und Übereinſtimmung. 

Die Furcht vor Anarchie trieb aber immer wieder zur 1664. 
Tyrannei, und der Argwohn: Karl felbft ſey heimlich ven 
‚ Katholiten geneigt '), fleigerte die Strenge wider biefelben 
und wider alle Diffenterd. Deshalb erging im Mai 1664 
ein drittes Geſetz gegen religidfe Werfammlungen. au 
ßerhalb der Kirchen und ohne Zuziehung der beſtaͤtigten 
Geiſtlichen. Jeder Conventikel oder jede Gefellfchaft, 
welche tiber fünf, nicht zu berfelben Familie gehörige Per⸗ 
fonen zählte und ſich mit religiöfen Angelegenheiten befchäfs 
tigte, warb für gefebwibrig und aufruͤhriſch erflärt. Die 
Strafen fleigerten fich für die erfle, zweite und dritte Theil⸗ 
nahme auf fünf, zehn unb 100 Pfund, oder auf 3, und 
6 Monat Einfperrung, und fiebenjährige Verbannung nad) 
den Kolonien”). Keine Religion, (dußerte man bei biefer 
Gelegenheit) verflattet Duldung; nicht die der Heiden, Ju⸗ 
den, Muhamedaner oder Chriſten. Ohne Eonventilel wer: 
den bie Kirchen deflo voller ſeyn; auch fol fi die Mutter 
keineswegs vor ausgearteten Kindern beugen. — In einer 
Rede zur Rechtfertigung der neuen kirchlichen Geſetzgebung 
fagte der Sprecher Namens des Unterhaufes dem Könige: 
„Fanatiker, Sektirer, Nonconformiften find nah Art und 
Geſtalt verfchieden und infofern mehr ober weniger gefähr- 
lich; darin aber flimmen alle überein daß fie Feine Freunde: 
ber beftehenden Regierung in Kirche und Staat find, und 
wenn die alte Regel wahr ift: „wer bee Kirche wiberfpricht, 
ift nie friedlich gefinnt”, fo haben wir große Urfache, das 
Wachsthum der Diffenters zu verhindern und ihr Thun zu 
beftrafen. Deshalb entwarfen wir ein Geſetz wider die Con: 
ventikel, welche unter dem Vorwande der Religion, ‘nur 


1) Hallam II, 488, 467. Vaugham II, 830. 


.2) Parl. Hist, IV, 294, 416. Vaugham II, 339. Ri xij, 
109. Hallam 11, 472. 








” au ? ‚uptkäd. 


Pr AMvrſchiag, denn 

u ee ur Oo gar autgefänitten. weten, 

— —— — — 
— polte ein viertes Geſetz, bie ſoge⸗ 
zu jenofte wirken '). Vermoͤge beffelben 
pP nl under Prediger in feinem ehemaligen Wohn⸗ 
satte MR fi in Stäbten aufhalten welche Abgeord⸗ 
ae ER ame fendeten. Er mußte fünf Meilen von 
eh — anfent bleiben, wo irgend ein Geifllicher ver 
OR erde lehte ober auch nur gepredigt hatte: und ver 
* jebe Ubertretung dieſer Vorſchrift in eine Strafe vom 
— Pfunden, oder ſechoͤmonatlicher Cinſperrung. Nur dies 
igen Gallien wurden von biefem Geſetze nicht getroffen, 
⸗ einen Eid ſchwuren, der jeden Widerſtand gegen obrig⸗ 
geitüche Befehle, ſowie jede Anderung in der Regierung 
yes Staates und der Kirche verdammte. — Ja man hatte 
fich damals mit ſolchem Gifer in diefe Anfichten und Grund» 
füge hineingedacht und gefpsochen, daß im Unterhaufe ber 
Antrag gemacht und nur mit einer Mehrheit von drei Stim⸗ 
men verworfen wurde, jenen Eib auf unbebingte Er 
haltung und Unveränderlihteit alles Beſtehen 
den in Staat und Kirche, bem gefammten Volke 

aufzulegen! ck | | 
Keine Sekte trat der herrſchenden hohen Kirche in mehr: 
facher Beziehung entgegen, als die Quaͤker, und feine ward 
deshalb auch firenger durch die neuen Kirchengeſetze getroffen. 
Georg or, geboren im Jahre 1624, legte den Grund m 
ben von Barklay und Penn weiter ausgebildeten Sy⸗ 
fleme. Anfangs, und währenh einer Zeit bie ſich in leiden 
ſchaftlichen Übertreibungen gefiel, waren auch die Quaͤker 
keineswegs davon frei; fonbern griffen dad Beſtehende theils 
im Allgemeinen heftig an, tbeild Tießen fie fih auch 
Störungen bed oͤffentlichen Gottesdienſtes fowie ähnliche 


1) Parliam, Hist. IV, 828. Vaugham II, 1. 


Fünfmeilenakte. Quäter. 263 


Dinge zu Schulden kommen, welche Feine Genoffenfchaft ie: 1665. 


gend einer Art ungerlgt wuͤrde gebulbet haben. Aber felbft 
nachdem ſich ihr Eifer gemäßigt und ihre Grundfähe geläus 
tert hatten, blieb noch viel für die damalige Betrachtungs⸗ 
weiſe fehr Anflößiges übrig. So weigerten ſich die Quaͤker 
irgendwie an einem Kriege Theil zu nehmen, bie vorgefchries 
bewen Eide zu leiſten, und bie kirchlichen Sehnten zu ent⸗ 
vichten; fie hielten die Philoſophie und Theologie ber Schule 
für ſchaͤdliche Auswüchfe, und verwarfen jebe Kirchenverfofs 
fing, welche auf einem gefchloffenen und bevorrechteten geifts 
Eichen Stande ruht; fie flellten Die innere Erleuchtung über 
die Schrift hinauf, und betrachteten jene ald Grund⸗ und 
Prüfen der lebten; fie zögen fich ganz vom oͤffentlichen 
Gotteövienfte zuruͤckk und verkuͤndeten über Werth und Wir: 
kung der Sakramente, durchaus abweichende Lehren. — 
Dies Alles mußte, (ſelbſt abgefehen won dußeren, übel vers 
merkten Dingen, 3. B. hinfichtlich der Kleidung und Rebe: 
weife) alle religiöfen Parteien dergefialt aufteizen, baß man 
die Quaͤker bereitd zur Zeit Cromwells, bed bürgerlichen wie 
bed kirchlichen Ungehorfams anklagte, in Geldſtrafe nahm, 
einſperrte und ihre Verſammlungshaͤuſer niederriß. Zwei 
Yahre nach der Herfielung Karls U behauptete man '), es 
wären feitbem 3068 oder gar 5400 Quaͤker ins Gefängniß 
geworfen, unb nicht weniger in völlige Armuth geſtuͤrzt, 
oder zur Flucht gezwungen worben. Daß die Quaͤker einen 
durchaus fittlichen Lebenswandel führten, galt damals für 
Beine genligende Entfchuldigung ihrer Lehren; auch hatte die 
hohe Kirche, bei entfchiebener Übermacht, von der geringen 
Dahl der Verfolgten nichts zu beforgen. Bedenklicher geftals 
teten fich, hingegen die Sachen in dem, meift preöbyterianifch 
gefinnten, Königreihe Scotland. 

Sowie vor zwanzig Jahren daſelbſt die Überzeugung 


1) Neal History of the Puritans V, p. 200.0. f. Somers 
tzasts VII, 247. Ormes 308. Gine gute Überficht der Geſchichte der 
Quaͤker, in. Schröths neuer Kicdhengefchichte, Thell 9. 


2 Sechstes Bu Sicbentes Hauptfiäd. 


1664. Soamenhäufer und Pflauzſchulen irriger Meinungen find; 

wir brachten harte Strafen in Vorſchlag, denn unheilbare 

Schaͤden muͤſſen mit dem Schwerte ausgefchnitten werben, 
damit ber geſunde Theil nicht leide. 

Bu demſelben Zwecke follte ein viertes Geſetz, die ſoge⸗ 
nannte Fuͤnfmeilenakte wirken). Vermoͤge beffelben 
durfte kein diſſentirender Prediger in ſeinem ehemaligen Wohn⸗ 
orte leben, oder ſich in Staͤdten aufhalten welche Abgeord⸗ 
nete ins Parlament fendeten. Er mußte fuͤnf Meilen von 
jebem Orte entfernt bleiben, wo irgend ein Geifllicher der 
hohen Kirche lebte ober auch nur gepredigt hatte: und ver⸗ 
fiel fuͤr jede Übertretung diefer Borfchrift in eine Strafe vom 
vierzig Pfunden, oder fechömonatlicher Einfperrung. Nur bies 
jenigen Geifllichen wurben non dieſem Gefehe nicht getroffen, 
welche einen Eid fchwuren, der jeben Widerſtand gegen obrig« 
Feitliche Befehle, fowie jede Anderung in ber Regierung 
des Staated und der Kirche verbammte. — Sa man hatte 
fih damals mit ſolchem Eifer in diefe Aufichten und Grund⸗ 
fäge hineingedacht und gefprochen, daß im Unterhaufe ber 
Antrag gemacht und nur mil einer Mehrheit von drei Stim⸗ 
men verworfen wurde, jenen Gib auf unbebingte Ex 

haltung und Unveraͤnderlichkeit alles Beſtehen 
den in Staat und Kirche, dem gefammten Volke 
aufzulegen! 

Keine Sekte trat. ber herrſchenden hohen Kirche in mehr⸗ 
facher Beziehung entgegen, als die Quaͤker, und keine ward 
deshalb auch ſtrenger durch die neuen Kirchengeſetze getroffen. 
Georg Kor, geboren im Jahre 1624, legte den Grund zu 
ben von Barklay und Penn weiter ausgebildeten Sy⸗ 
ſteme. Anfangs, und waͤhrend einer Zeit die fih in leiden⸗ 
fchaftlichen Übertreibungen gefiel, waren auch die Quaͤker 
keineswegs davon frei; ſondern griffen dad Beſtehende theils 
im Allgemeinen heftig an, theils ließen fie ſich auch 
Störungen des Öffentlichen Gottesdienſtes fowie ähnliche 


1) Parliam, Hist. IV, 328. Vaugham II, 31. 

















Fünfmeilenakte. Quäter. | 263 


Dinge zu Schulden kommen, welche Feine Genoſſenſchaft tes 1665. 
genb einer Art ungerlgt wuͤrde geduldet haben. Aber felbft 
nachdem fich ihr Eifer gemäßigt und ihre Grundſaͤtze geläus 
tert hatten, blieb noch viel für die banialige Betrachtungs⸗ 
weife fehr Anftößiges übrig. So weigerten fi) die Quaͤker 
irgendwie an einem Kriege Theil zu nehmen, bie vorgefchrie- 
benen Eide zu leiſten, und bie Zirchlichen Zebnten zu ents \ 
richten; fie hielten die Philofophie und Xheologie der Schule 
für ſchaͤdliche Auswuͤchſe, und verwarfen jebe Kirchenverfafs 
fung, welche auf einem gefchlofienen und bevorsechteten geifts 
lichen Stande ruht; fie fleliten die innere Erleuchtung über 
bie Schrift hinauf, und betrachteten jene ald Grund⸗ und 
Prüfften der lebten; fie zogen ſich ganz vom Öffentlichen 
Gottes dienſte zuruͤck und verkünbeten über Werth und Wir: 
kung der Sakramente, durchaus abweichende Lehren. — 
Died Alles mußte, (ſelbſt abgeſehen won äußeren, übel ver; 
merkten Dingen, z. B. binfichtlih der Kleidung und Rebe: 
weife) alle religiöfen Parteien bergeftalt aufreizen, daß man 
‚die Quaͤker bereits zur Zeit Cromwells, bes bürgerlichen wie 
des kirchlichen Ungehorſams anklagte, in Geldſtrafe nahm, 
einſperrte und ihre Verſammlungshaͤuſer niederriß. Zwei 
Jahre nach der Herſtellung Karls II behauptete man '), es 
wären feitbem 3068 oder gar 5400 Quaͤker ind Gefängniß 
geworfen, unb nicht weniger in völlige Armuth geflürzt, 
oder zur Zlucht gezwungen worden. Daß die Quaͤker einen 
durchaus fittlichen Lebenswandel führten, galt damals für 
keine genügende Entſchuldigung ihrer Lehren; auch hatte bie 
hohe Kirche, bei entfchiebener Übermacht, von ber geringen 
Zahl der Werfolgten nichts zu beforgen. Bedenklicher geſtal⸗ 
teten ſich hingegen die Sachen in dem, meift preöbyterianifch 
gefinnten, Königreihe Schottland. 

Sowie vor zwanzig nie daſelbſt die berzeans 


1) Neal History of the Puritans V,p. 200 u. f. Somers 
taste VIL, 347. Ormes 308. Cine gute — der Geſchichte der 
Quaͤker, in. Schroͤkhs neuer Kirchengeſchichte, Th 





” 


264 Sechstes Bud. Stebentes Hauptftäd. 


1661. geherrfcht hatte, daß man zur Gründung flaatörechtlicher und 
kirchlicher Freiheit, die Macht des Königs nicht bloß bes 
ſchraͤnken, fondern in der That vernichten muͤſſe; fo hielten 
‚jest, (nach vielen mißlungenen Verſuchen und großen Leis 
den) nicht Wenige deſſen fchrantenlofe Macht, für vie noth= 
wenbige Bedingung und bie einzige Bürgfchaft wiederkeh⸗ 
renden Glüded. Deshalb faßte das fchottifche Parlament 
im Sanuar 1661 (unter der härteflen Verurtheilung und 

- Schmähung alles früher Geſchehenen) folgende Beſchluͤſſe ): 

der König beruft und entläßt die Parlamente, beftätigt alle 
Geſetze und ernennt ‘alle Beamte. Ihm allein fleht das 
Recht zu Krieg zu erlären, Frieden zu ſchließen und Buͤnd⸗ 
niffe einzugehen. Die Kriegsmacht wird verflärkt, dem Kb- 
nige unterworfen und ihm eine reichlichere‘ Einnahme bewil⸗ 
liegt. Jede Verbindung der Unterthanen für öffentliche Zwede- 
ift rechtöwidrig und der Covenant (nebft allen ſich baran 
reihenden Verfügungen und Befchlüffen) vervammlich. Über⸗ 
haupt werben alle feit 1633 ‚gefaßten Befchlüffe vernichtet, 
und alle Eöniglihen Zugeftändniffe, Gaben und Berleihuns 
gen widerrufen die feit 1637 flatt gefunden haben. Jeder 
welcher im Staate und in der Gemeine ein Amt bekleidet, 
muß eine fchriftlihe Erklärung wider den Covenant und als 
led. dazu Gehörige unterfchreiben; fonft verliert er nicht allein 
feine Stelle, fondern auch feine Bürgerrechte, z. B. das 
Hecht Handel und Gewerbe zu treiben ?). 

Diefen weltlichen Befchlüffen flieht eine zweite Reihe 
kirchlicher Verfügungen gegenüber, des Inhalts: alle katho⸗ 
liſchen Priefter und Sefuiten verlaffen, bei Todesſtrafe, bins 
nen einem Monate dad Land’). Wer fie unterflügt, beher⸗ 


1) Acts of the Parliament of Scotland VII, 8, 10, 12, 13, 16, 
87, 271, 402. Lingard XII, 53. Macpherson. History I, 23. 
Burnet I, 344. Hallam III, 433. Somerville 96, 

2) Forfalted the privileges of merchandizeing, tradeing, and 
others.belonging to a burgesse. Acts of Parl. VII, 463. 

8) Acts of Parl. VII, 88, 370, 391, 455, 465, 554. Bere 
1, 235, 241, 342. Bussel life L, 167. 


[4 


Scotland. 265 


bergt, ihnen Nahrung reicht, ober mit ihnen in Briefwech⸗ 1661. 
fel flieht, unterliegt den härteften Strafen. Der König wirb 
pie Kirchenverfaffung fo anordnen, wie fie dem Worte Got: 
tes am argemeffenften ift, und fi) am beften mit Orbnung, 
Frieden und monarchiſcher Verfaſſung verträgt. Denn bies 
Recht gehört ganz eigentlich feiner Majeftät und iſt vermöge 
feiner höchften Gewalt in geiftlichen Sachen, ein unabtrenns 
barer Theil feiner Krone). Was er mit Rath der herge⸗ 
ſtellten und auch in bad Parlament wieber aufgenommenen 
Erzbifhöfe und Biſchoͤfe befiehit, iſt deshalb verbindlich für 
jedermann. — In fpäteren Befchlüffen wird die ausfchließ: 
liche und hoͤchſte Gewalt des Königs in geiftlichen Sachen 
immer beflimmter auögeforochen, ohne auch nur- den Rath 
und bie Xheilnahme der Geiftlichen, ober ber Parlamente 
zu erwähnen. Nicht minder verlor die Kirchenverfammlung, 
welde man zum Scheine berief, alle Bebeutung durch bie, 
Art wie fie nur mit Erzbifchäfen, Bifchöfen und anderen vom 
Koͤnige bezeichneten Perfonen befegt ward ?). 

Daß Beichlüffe diefer Art, nach den leidenſchaftlichſten 
Beſtrebungen entgegengefeßter Natur, ohne erheblichen Wis 
verfland durchgingen, erweifet wie verhaßt die antimonats 
chiſche Richtung mancher weltlichen Haͤupter, und ber finftere, be 
ſchraͤnkte Sinn vieler puritanifchen Geiftlichen geworben war ?)- 
Um deswillen fand man auch daß bie Hinrichtung bes Gras 
fen Argyle und des Predigers Guthry eine gerechte 
Strafe*) für dad fen, was fie während der bürgerlichen Un⸗ 


1) — Propertie unto his Majesty as ane inherent right of the 
crown, by vertew of his royal prerogative and supremacie in 
causes ecclesiasticaL Acts of Parl. VII, 312. Lamont Mém. 188, 
156. Cook II, 249. 


23) Burnet I, 842. 

8) A pious grimace and cant, the result of an affected devo- 
tion succeeded. Bei ben langen Predigten und Gebeten kam es zwi: 
fchen den Parteien oft zu Schlägen. -Laing HI, 499, 511. 

4) Cook History III, 289. Peterborough 451. Argyle ward 
wenig bebauert, wegen feiner Barbarei gegen Montrofe, und Guthry 


266 Sechstes Bud. Giebentes Hauptftüd. 


1561. ruhen verſchaldet hätten; und wenn Einzelne hiebei die Ver⸗ 


letzung einiger Prozeßformen ruͤgten, ſo lobten Andere des 


Koͤnigs Milde, daß er ſtatt perſoͤnlicher Beſtrafung vieler 


Schuldigen, fi) mit ber eines weltlichen und eines geiſtli⸗ 
hen Ehorführers begnüge '). Leider hatte aber Karl nicht 


den Willen ober die Kraft, den unduldſamen Maaßregeln 


der nunmehr auch in Schotland fiegreichen hoben Kirche ent⸗ 
gegenzutreten; auch ließ er fich die Audlegung gefallen daß 
durch feine Erflärung aus Breda, den Schotten gar nichts 
fen verfprochen worden‘). 

Ale puritanifchen Geiftlichen welche die vorgefchriebes 
nen Eide nicht leiflen wollten, ober die Weihe durch einen 
Biſchof zuruͤckwieſen, ober irgend einer ber neuen Einrich⸗ 
tungen wiberfpradden, wurben abgefeßt und weggeiagt. Fuh⸗ 
ven fie beßungeachtet fort irgendwo geiflliche Handlungen zu 
verrichten; fo erklärte man fie fir Aufrührer, welche mit 
Einziehung ihrer Güter, ja mit der Todesſtrafe zu belegen 
wären. Wer fi) Sonntags von feiner Pfarrkirche entfernte 
um (mie man voraudfeste) anderswo religiöfen Verſamm⸗ 
Iungen beizuwohnen, warb eingefperrt, ober zahlte bid ein 
Viertel feiner jährlichen Einnahme’). Ein neuer geifllicher 


Gerichtshof befegt mit neum Bifchöfen und 35 Laien, ers 


hielt das Recht einen jeden, der etwa wider bie neuen Ein- 
richtungen ſpreche, ſchreibe oder handele, abzufeken, einzu: 


hatte added wanton nes of insolence towards the king, to a con- 
duct subversive to all legal authority. Macpherson History I, 24. 
Sein Prozeß und feine Vertheibigung, Acts of Parl. ‚VII, Minutes 
34. Monk foll Argyles Hinrichtung betrieben haben. Cunnigham 
History I, 13. 

1) Schr Viele wurden aber, trog ber Amneſtie, in hohe Gelb: 
firafen genommen. Acts of Parl. VII, 421. 

2) Mazure I, 85. Die Codices in der Bibl, Harleyana 6548 
und 6544 enthalten eine fehe genaue Gradhlung aller Leiden ber 
f&hottifchen Kirche von 1670 bis 1684, unb aller wechfeljeitigen Irr⸗ 
thümer unb Sünden. 


8) History of the Gevenapters I, 186, 229. 














Schotland. | 267 


| een, oder in anderer Weiſe zu firafen, wobei die harten 1661. 
(fon oben erwähnten) engliſchen Geſetze, allmdlig in Schot⸗ 
land nicht Bloß zur Anwendung kamen, ſondern nod ge: 
fihärft wurden. So lautet ein Gefetz vom Auguft 1670: 
Die Magifirate der Orte wo man Gonventifel hält, werben 
nach Willkuͤr geſtraft. Wer ſolcherlei Verfammlungen bes _ 
ruft, die Schrift daſelbſt auslegt ober betet, leidet bie Ao⸗ 
desſtrafe und verliert feine Güter: denn jene Zuſammen⸗ 
Fünfte ſtoͤren den öffentlichen Frieden und führen Aufruhe 
herbei. Mer hingegen Schuldige nachweifet oder einfängt, 
erhält 500 Mark Belohnung, und wird zugleich entfchäbigt, 
ober von ber DBerantwortlichkeit für jches biebei flattgefun« 
dene Blutvergießen freigefpeohen. Die Obrigkeiten und 
Richter befommen (um fie eifriger zu machen) die auferleg⸗ 
ten Strafgelder '). 

Le höher nun aber dieſe abſcheuliche Tyrannei flieg, 
befto eifriger hielten Miele fefl an dem Covenante, und hoa 
ben hervor: daß deffen Inhalt doch gewiß nicht fo wahnfina 
nig und verbrecherifch ſeyn koͤnne, ald man jetzt vorgebe, da 
ihn ja der König felbft dreimal beſchworen habe, namlich: 
beim Abfchliegen des Vertrages mit den Schotten, bei ſei⸗ 
ner Landung, und bei feiner Krönung in Schotland ?). Im⸗ 
mer mehr füllten fich ſeitdem bie Gefängniffe mit Männern, 
Meibern und Kindern, von denen viele hiebucch an ben 
Bettelftab gebracht, oder obenein verbannt, und ausgepeitfcht, 
ja fogar als Sflaven nach den Kolonien verkauft wurben ”). 
Alles Unrecht was die Preöbyterianer früher ihren Gegnern 
irgend angethan hatten, warb ihnen jebt in erhöhtem Maaße 
_ vergolten,; und die Grauſamkeit der Herrfchenden trieb eis 
nen finfteren Fanatismus hervor, welcher Rache und Wider⸗ 
ſtand, fir Pflicht und Vollſtreckung göttliher Gerechtigkeit 


1) Acts of the Parliament of Scotland VII, 10—11. 
2) Ormes I, 214. 
3) History of the Covenanters I, 191, 192. 


2685 Gehstes Bud. Siebentes Hauptfläd. 


1661. hielt ). Daher die entfekliche Ermordung des harten Erz⸗ 
biſchofs Sharp”) und der Ausbruch eines Buͤrgerkrieges, 
welcher auf beiden Seiten bie größten Graͤuel erzeugte, unb 
alle Einfiht in das wahrhaft Chriflliche fo vertilgte, daß 
3. B. der Bifchof Burnet von Glasgow erflärte: wenn bie 

‚Soldaten aus feinem Sprengel himveggezogen würben, 
babe ed mit der Religion ganz ein Ende’)! 


Mehr. Ruhe zeigte Irland in diefen Jahren; jeboch 
keineswegs weil Ordnung und Gerechtigkeit herifchte, ſon⸗ 
“dern weil da8 Schwert allen Widerffandb gebrochen hatte 
und das Elend zu folcher Höhe gefliegen war, daß in den 
Erdrüdten kaum noch ein Gefühl bes Leidens übrig blieb *). 
Alle ſchwuren Karl dem II ohne Widerſpruch den Eid der Zreue, 
amd die vertriebenen Eigenthümer hofften fo gewiß auf Wie 
dereinfegung in die ihnen genommenen Güter, als die neuen 
Befiger auf Beftdtigung: ihrer Rechte. Es war unmöglich 
beiden zu genügen, und bie gebotenen oder gebulbeten Ab⸗ 
änderungen trugen lebiglich den Charakter des Zufalls und 
der Willkuͤr. Bon aller oͤffentlichen Wirkfamkeit warb die 
große Mehrheit der Tatholifchen Landeseinwohner ſchon da⸗ 
durch audgefchloffen, daß man von ihnen den Supremats⸗ 
eid forderte. Für ihre Anhänglichkeit an Karl I hatte man 
ibmen zur Zeit der Republif weggenommen ): “ 


1) Sehr viele Weiber wurden in biefer Zeit als Gern verfolgt 
anb beflrafl. Acts of Parl. VII, 128, 199, 235, 247, 248, 268. 
Somers tracts VII, 328, 


2) Sharpe unmenſchliche Ermordung fällt auf ben dritten Mai 
1679. Er war als ehemaliger Govenanter und Abtrünniger doppelt 
gehaßt. Cook History of the church III, 293, 344. Mazure I, 
45. History of the Covenanters I, 858. Burnet I, 233. Doch 
ſucht Seimon (examen I, 586) Eharps Verfahren zu redhtfertigen. 


$) History of the Covenanters I, 214. 
4) Macpherson History I, 25. Moore rervol, 399, 
5) Lingard XD, 73. Ciarendon fife Vol. IL. 








Irland. Befteuerung ber Geiſtlichkeit. 269 


on * | 7,708000 Ader Landes. 1664. 
Davon erhielten die neuen Anfieb> 
lex (adventurers) . . . . » 787,000 = 5 
Die Proviford in Folge älterer Ver: 
forehungen - © » » 0... 477,000 

Die proteflantifchen VBifhöfe . . 31,000 
Der Erzbifchof von Yard . . . 169,000 
Die Offitre - - - 2 0. . 450,000 
Die Soldaten . » 2»... 2,385,000 
u. ſ. w. 

Iſts ein Wunder wenn bie katholiſchen Irlaͤnder be: 
baupteten daß Proferiptionen, (wie fie feit den roͤmiſchen 
Triumvirn in der Welt nicht vorgelommen waren) keines⸗ 
wegs ber gerechte Anfangspunkt eines neuen angeblich unan⸗ 
taftbaren Rechtözuftandes feyn könnten; wenn Schmerz und 
Zorn in den Gemüthern unaustilgbar fortwirkte, fo lange 
man fie in Staat und Kirche nicht ald Mitbürger betrach: 
tete, und ihren proteflantifchen Gegnern nirgends gleich ſtellte? 

Solch unermeßlihem Umflurze ded Eigenthunid gegen= 
über, erfcheint ed unbedeutend daß dad Parlament fich durch 
einen Schluß vom Jahre 1664 dad Recht beilegte, die eng⸗ 
liſche Geiſtlichkeit zu befleuern. Died Recht war der 
legten vor und nach ber Reformation erhalten, wahrend ber a 
- Revolution verlebt, nach der Ruͤckkehr Karls II aber herges 
ftelt worden. Jetzo fürchteten viele Geiftlichen: ber Hof 
werde weit mehr von ihnen erwarten und forbern als je 
zuvor, und ed ſey ficherer und bequemer wenn fie in bie : 
Steuergefeße des Unterhaufes eingeſchloſſen und gleichwie alle 
übrigen Engländer behandelt würden. Um des Gewinned 
willen, ber hiedurch für fie ald Zahlungspflichtige entſtehen 
dürfte, flellten fie die kirchliche und flaatsrechtliche Betrach⸗ 
‚ tungöweife in- den Hintergrund, und obgleich jene Rechte. 
vor der Hand noch durch einen buchftäblichen Vorbehalt ge: 
fichert wurben, hat doch die Convocation feit diefer Zeit kei⸗ 
nen Geiſtlichen mehr befteuert ’). 

1) Parliam. Hist. IV, 809. 


W u 4 vw au 
X X [11 “ n 





270 Sechsttes Buch. Siebentes Hauptſtück. 


4661. Diefeb, mit ber Lehre vom Supremate ded Königs und 
des Staated, ganz uͤbereinſtimmende Verfahren, fand dauern⸗ 
deren Beifall als ein anderes Geſetz, wonach im Jahre 1662 
die Zahl dee Drucker feſtgeſetzt und alles zu Druckende ds 
ner Genfur unterworfen wurde. Auch follten Bücher nur 
erſcheinen dürfen In London, York und den Univerfitätd- 
flädten '). 

Menden wir nach diefer Darlegung der i inneren Berhält- 
niffe unferen Blick auf die auswärtigen Angelegenheiten, To 
verdient hier zuerſt Erwähnung die Verheirathbung bes 
Königs. Denn ed fchien den fremden Mächten fehr wich 
tg, ob Karl ſich hiedurch den Spaniern, Franzofen ober 
Proteftanten anfchließen würde. Während Ludwig XIV eine 
portugiefifche Prinzeffinn dringend empfahl, widerfprachen 
die Spanier, ſchlugen felbft eine proteſtantiſche Prinzeſſtun 
vor und fügten vortheilhafte Anerbietungen anderer Art hin= 
zu?). Als aber bie Portugiefen eine fehr große Ausſteuer, 

- Ranger und Bombay, fowie freien Handel nach ihren Kos 
lonien anboten, ließ fich nicht bloß ber Koͤnig, fondern auch 
@lnrendon gewinnen; ungewarnt durch bie Nachricht daß die 
Prinzefinn Katharine, die Tochter Johanns IV, ſchwer⸗ 
lich einen Mann wie Karl II dauernd feffeln, oder Kinder 

1662. gebären duͤrfte). Sie warb am 19ten Mai 1662 von 
ihm freundlich und glänzend empfangen, ohne daß er daran 
dachte um ihretwillen einen anderen Lebendwanbel zu begin- 
nen. Während bie Beifchläferinmen nad wie vor gefucht 


1) Hallam III, 5. 

2) Ablancourt 77. Macpherson History I, 29, 48. 

8) It was said to have had a constant fluor which rendered 
her incapable of conoeption. She was a very little woman with 
a pretty tolerable face. Reresby 6. On’ avait ras& la princesse, 
selon la mode portagaise, et differa son depart 7—8 mois, jus- 

quꝰ ce que la nature eut 6t6 r&parde, et cette moustache couta 
plus d’un Million de depenses a l’Angleterre. Maurepas III, 
816. Sie wollte bei ber Trauung ben proteftantifchen Crabifchof gar 
nicht ſehen. Burnet I, 289. 


Dortugiefifhe Heirath. Dünkirchen. 741 


und geehrt wurden, faß die Königinn oft verlaffen und fChweis 1662, 
genb ba und gab nach leidenſchaftlichem Widerſpruche ihren 
Nebenbuhlerinnen faft zu viel nach '). Als fie einft erkrankte, 

kom ed zu einer zärtlihen Scene zwifchen ihr und ihrem 
Gemahle und fie hoffte wohl. auf die Dauer feiner erneuten 
Zuneigung, Er aber ging unmittelbar darauf zur Graͤfinn 
Gaftlemmin, welche fich indeß über ihren Sieg auch nicht fehr 
freuen durfte, Ha der König an demſelben Abend ſchwur: 

er werde nie wieder zu ihr kommen, wenn fie nicht die. 
fhöne Stuart zu feinem Zeitvertreibe einlade ?). 

Obgleich bie Einnahmen des Königs größer waren als 
bie irgend eimed feiner Vorgaͤnger, reichten fie doch, feiner, 
unorbentlichen unb verſchwenderiſchen Wirthfchaft halber, nie 
aus und er kam auf den Gedanken Duͤnkirchen zu ber 
kaufen, indem biefe Stabt ben Engländern nichts nuͤtze unb 
obenein Ausgaben verurſache. Weil man nun mit den Hol: 
ländern bereitd in allerhand Streitigkeiten verwidelt war, 
und die Spanier Fein Geld hatten; fo blieb Ludwig XIV als 
ber einzige zahlungsfähige Käufer Übrig, und nach mancher 
lei diplomatifhen Fechterlünften kam der Verlauf am 27ſten 
Oftober 1662 für fünf Millionen Livres zu Stande’). Zus 
gegeben, Daß von dem Standpunkte eines Finanzminiſters 
der abgefchloffene Handel vwortheilhaft erfheinen Eonntes fo 
warb er doch auf Heinliche Weife betrieben, verlekte bie Ehr⸗ 
liebe des Volkes, und bot dem Parlamente bequeme Gele; 
genheit hieran laute Klagen befonderd über Clarendon ans 
zuknuͤpfen. Einen viel größeren Mißgriff ließ fich jeboch 
baffelbe zu Schulden Tommen, ald ed (ohne Ruͤckſicht auf 
Frankreichs fleigende Macht) um untergeorbnneter Streitpunfte 
willen einflimmig darauf drang den Holländen den Krieg 1664, 
zu erflären‘). Der König und fein Minifter hätten ihn 


) Clarendon life IH, 72. Oeuvres de Louis xw. I, 66. 
2) Lingard XU, 93 — 95. 
8) Ristrades I, 315, 384, 388, 415. EEE: Kfe II, 160. 
Macpherson History I, 41. Avrigny II, 24. 
4) Parliam. Hist. IV, 302, 808. Macpherson Statepap, 1, 


272 Schetes Bud. Siebentes Hauptſtie 


1664. gern vermieden, gaben aber dann dem Anbringen des Par⸗ 
laments, fowie den Wuͤnſchen ber Herzöge von York unb 
Albemarle nach, welche als — Ruhm zu erwerben 
hofften. 
Waͤhrend dieſes —— Krieges (ber vom 14ten 
März 1665 bis zum Abfchluffe des brebaer Friedens, 
den 3iften Julius 1667 dauerte) ') traf — und ins⸗ 

beſondere London, ein doppeltes, großes 

1665. Im Sommer des Jahres 1665 a u fich bafelbft 
‚eine furchtbare Peſt mit fo entfeßlidher Gewalt”), baß in 
einzelnen Wochen über S000 Menfchen und überhaupt 
97,309 Perfonen geflorben feun follen. Wie fo oft, zeigte 
fi auch bier zu gleicher Zeit das Übermaaß des bitterften 
Schmerzes unb Elendes, neben dem ungebundenften Über 
muthe und dem frechflen Leichtfinne; flumpfe- Gleichgültig- 
keit, neben gottlofer Verzweiflung; dchte Frömmigkeit, neben 
abergläubiger Froͤmmelei. Nur wenige Menfchen befigen 
Kraft ded Geiſtes und ded Willens genug, um bei Ereig- 
niſſen welche ben gewöhnlichen Gang der Dinge unterbre: 
chen, bad rechte Gleichgewicht feft zu halten. Freche Wi⸗ 
derfizeben unb feige Unterwerfen, find gleich weit entfernt 
von der veligiöfen Ergebung, weiche dad Ewige in dem Au⸗ 
genblicke am fefteften hält, wo bie Richtigkeit des Zeitlichen 
am fchärfiten heraustritt. 

1666... Am 12tm September 1666 Abends um zehn Uhr Fam, 
ungewiß auf. welche Weife, in London bei einem Bäder 


28; Hist. I, 71. Somerville History of political transactions 7. 
Clarke James I, 401, 404. Mazure I, 60. 


1) Die umftändliche Gefchichte diefes Seekriegs Tann Hier nicht er⸗ 
zählt werden. Gute Nachrichten finden fich unter Anderem in ben Me- 
morials of the Admiral William Penn, Siehe oben Seite 20. _ 


2) Bom erften bis fiebenten September ftarben 6978 an ber Peft unb 
überhaupt 8252 Perfonen: vom 14ten bis 2iften aber 8297 Perfonen. 
Pepys I, 863, 3871. Beresby 6. Lingard XII, 132. Orme Life 
of Baxter I, 315. Nachrichten über bie verfchiebenen Symptome ber 
Krankheit, Hllis letters II series, IV, 86. 


- 4 Brand in London. Glarendon. " 273 


Fener and. Anfangs fuchte man befien mit den gewöhnlis 1666, . 
hen Mitteln Herr zu werden, allein nach der langen Duͤrre 
entzuͤndete jeber Funke neue Flammen, und nicht bloß von 
Haus zu Haus fprang bg Brand binüber, fondern von’ 
Straße zu Straße, und auf fo große Entfernungen, daß 
fi die Hülfe Leiftenden oft mit unglaublicher Schnelligkeit 
von Zeuerkreifen eingefchloffen ſahen, und Muth und Ord⸗ 
nung überall entwichen. Der, Anfangs aus Eigennuß vers 
worfene: Plan, durch Nieberreißen von Häufern Raum zu 
gewinnen, konnte nach wenigen Stunden nicht mehr audges 
führt werben; ja Luft und Boden erglühte bergeftalt baß 
man nirgends den Branbflätten nahen konnte. Häufer, 
Thuͤrme, Kirchen fllrzten auf allen Seiten banieber, burch 
die brennenden Niederlagen von Kohlen und Holz flofien 
Ströme fiedenden Ols hindurch, und ber Feuerbogen ſtand 
Abends blutig roth und eine Meile lang am Himmel. Nach 
dreien Tagen waren zwei Drittel ber Stabt, an 13,200 Haͤu⸗ 
fer unb 89 Kirchen verbrannt; in ber furchtbaren gluͤhenden 
Wüfte, kein Haus, Feine Straße erkennbar und nur eins 
zelne Truͤmmer von Kirchen und Thuͤrmen dienten ald Wahr: 
zeichen um ſich einigermaßen zurecht zu finden unb zu ent= 
nehmen wo einft die Heimath der Einzelnen war. Unglüd 
und Elend überſtieg alles Maaß, obgleid) ed an Unterflügun- 
gen und Hllfsleiftungen nicht fehlte ). 

As das Parlament am 21ften September 1666, ber 
Deft halber nicht in London, fondern in Orforb zuſammen⸗ 
trat”), ergab fich noch deutlicher ald zuvor wie fehr ſich die 
Stimmung feit ſechs Jahren geändert, wie fehr die Regie: 
sung an Liebe und Zutrauen verloren hatte. Zunaͤchſt rich, 
tete fih der Sturm nicht wiber den König, ſondern miber 
den früher faft allmaͤchtigen Miniſter Clarendon. Die 
Royaliften haften ihn, weil er ihre Anfprüche nicht unbes 
dingt unterflüst, die Katholiten und Diffenter weil er für 


1) Evelyn I, 890 - 896; II, 21. Lingard X, 153. 
2) History of the Commons I, 85. 
VI. 18 


274 Sechstes Bub. Siebentes Hauptſtück. 


1666. fie keine größere Duldung ausgewirkt hatte; bie Spanier 
hielten ihn für zu franzoͤſiſch, die Franzoſen für zu ſpaniſch 
gefinnt "); bie Hofleute und Hofnarren verfpotteten fein Bes 
nehmen”), die Maitveffen verfgpten ihn weil er ihnen nie 
ben Hof machte, Karl enblich grollte daß Clarendon gewagt 
batte zu glauben und zu dußern: ein König von England 
dürfe nicht ganz unabhängig vom Parlamente feyn ’). Gern 

1667. ergriff der König die Gelegenheit alle Worwirfe von fich auf 

. feinen Minifter abzuleiten, und fobald er ihn Ende Auguft 

1667 entlaſſen hatte, trat auch das Unterhaus mit gar vie 

“2 In allgemeinen Auklagen wider ihn hervor. Obgleich bas 

Oberhaus ihn weder ausſtoßen noch feine Güter vor einer 

genaueren Beweisführung einziehen wollte*), begab er ſich 

doch nach Frankreich; zum Theil weil ber König dußerte ): 

er werbe fo wenig im Stande ſeyn ihn gegen das Parla: 

ment zu ſchuͤtzen, als fein Water früher den Grafen von 
Strafford. 

Garendon erwiederte: ber König richte ſich ſelbſt zu 

Grunde, indem ex eine folche gefehwidrige Macht des Par: 

laments zu fuͤrchten fcheine; mehr jeboch als biefe Warnung, 


1) Basnage annales I, 810. 

2) The Buffoones and the Misses — to whom he was an 
eye, zore. Evelyn I, 861. Clarendon, a victun to the revenge 
ef the dutchess of Cleveland, intrigues of rivals, resentment of 
Parliament, and his own imprudences. Dalrymple I, 43. 

8) Der König, ber Herzog von York und bie Ultraropaliften 
zürnten, baß er Feine größere Givillifte und Kriegsmacht verfchafft, 
nicht die Aufhebung aller Schläffe bes langen Parlaments bewirkt habe. 
Welwood 120. Macpherson State-papers L, 40. Clarke life of 
- James I, 891-893. Hallam II, 494—503. Burnet I, 265, 273, 
290. Somerville 9. 

4) Parliam,. Hist. IV, 3898— 401. m. XI, 173, 183. 
Clarendon life Vol. IV. 

5) Als Slarendon na Frankreich kam: Louis XIV devint dur 
et inhospitalier par politique. Il envoya auprös du chancelier 
proscrit et malade un gentilhomme qui devait le surveiller et le 
conduire hors de son royaume. Mignet II, 584, 








Glarendon. Cabal. 275 


galt die Behauptung von Beiſchlaͤferinnen und Speichel: 14667 
ledem '): buch bie Entfernung des anmaaßlichen Diners 
fey Karl erfl König geworben. Eine von Glarenbon zuruͤck⸗ 
gelaſſene Vertheidigungsſchrift ward vom Unterhauſe fuͤr auf⸗ 
ruͤhriſch erklaͤr und durch den Henker verbrannt. Niemand 
zweifelt mehr, daß der Verfolgte in Hinſicht auf alle Haupt⸗ 
pimkte der Anklage unſchuldig war, und feine Irrthuͤmer und 
Vorurtbeile 3. B. gegen die Möglichkeit religioͤſer Duldung, 
von feinen Gegnern getbeilt wurden. Beſaß er auch nicht 
alle Eigenſchaften eines großen Staatsmannes, fo erfcheint 
doch feine Werwaltung reblicher und ehrenwerther als bie 
feiner Nachfolger. Selbft Ludwig XIV bezengt bie Uneigens 
nüsigkeit Glarendond,’), Als biefer zornig feinem Herren ers 
zählte, welche Anerbietungen ihm der König von Frankreich 
hatte machen laſſen, erwieberte Karl nach feiner leichtfinnis 
gen Weiſe: Sie hätten dad Gelb nehmen follen. — Nahm 
ich es, entgegnete Clarendon, ohne Ihr Wiſſen, ſo war ich 
ein Verraͤther; nahm ich es mit Ihrer ———— ſo ent⸗ 
ehrte ich auch = ie. 

Fuͤnf Maͤnner, welche nach den Anfangebuchſtaben ih⸗ 
ver Namen dad Cabal miniſterium genannt wurden, erhiel⸗ 
ten jest fo nachtheiligen als entfcheidenden Einfluß: Clifford, 
Klington, Buckingham, Aſhley Graf Shaftesbury und Lau⸗ 
berbale. Cliffords Kühnheit beruhte fo wenig auf wah⸗ 


1) Der König ſelbſt ſchrieb an Ormonb: the truth is, his beha- 
viour and humour was grown so. unsupportable to myself and te 
all the world else, that I conld not longer endure it. Ellis let- 
ters, Series II, IV, 31. 


2) Clarendon life II, 216. Daß ber Herzog von York Glarens 
dons Tochter, ohne befien Wiſſen geheirathet hatte, befeftigte ihn nicht 
in feiner Stelle, fonbern erwedite nur Neiber und Zeinde. Die Hers 
goginn war: a very handsome personage, and a woman of fine wit. 
Reresby 7. — Oeuvres de Louis XIV, I, 67. Burnet I, 429. - 
Peterborough 381. Macpherson History I, 98. Ginige behaupte⸗ - 
ten: Clarendon habe bie Bifchöfe mehr unterftügt, feitbem fie die Hei⸗ 
rath feiner Tochter mit Jakob gebilligt hatten. Burnet I, 296. 

18* 





276 Sechstes Bud Siebentes Hauptſtück. 


1667. rer Charakterkraft, als Arlingtons Mangel an Entſchluß 
uf Maͤßigung!). Beide bewegten ſich meiſt in ber Rich⸗ 
tung, welche den Launen und Schwächen bed Königd am 
bequemfien erfchien. Noch nachtheiliger wirkte Budings 
bam, der Sohn bed 1628 durch Felton ermordeten Her⸗ 
zogs. Weil er einnehmendb in feinem Benehmen und wigig 
in- ber Unterhaltung war, uͤberſah der König feine Laſter; ja 
er ließ fich von ihm zu benfelben verführen. Um bed klein⸗ 
ſten Vortheils willen gab Budingham feine Ehre, um bes 
Heinften Vergnuͤgens willen feinen Vortheil auf, und fen 
einziger Grundfag war, allen. Löblichen Grundfägen Hohn 
zu fprehen. Nachdem er auf dieſem Wege fein Vermögen 
verfhwenbet, feine Geſundheit zu Grunde gerichtet, und feis 
nen Geift fo abgeflumpft hatte daß er nicht einmal mehr fäs 
big wear Böfes zu thun, flarb er felbft von denen verach⸗ 
tet, die einft die Frechheit feined nichtswuͤrdigen Wandels 
bewunbert hatten *).. — Lauderdale, ein Mann von Kennts 
niß und Gefchäftserfahrung, aber beherrſcht von heftigen 
Leidenfchaften, flolz gegen Untergebene und fo Friechend ges 
gen den König, daß er felbft diejenigen Plane beffelben bes 
förderte, welche er innerlich mißbilligte. — Shaftesbus 
ryg glänzende Zalente, feine Menſchenkenntniß, Berebfams 
‚ Teit und Gewandtheit, Tonnten den Mangel an Feſtigkeit, 
Aufrichtigkeit und Reblichkeit nicht erfegen. Eitelkeit und 
Leidenſchaft vermochten ihm nicht felten das aufzugeben, was 
ee früher bezwedite und er zeigte, wie alle unreife, haltungs⸗ 
lofe Geifter, mehr Kraft im Zerſtoͤren, als im Aufbauen. 
1668. In Übereinflimmung mit feinem neuen Minifterium hätte 
der König, gegen vortheilhafte Geldbewilligungen, die Aus⸗ 
dehnung der franzöfiichen Macht wohl ruhig geduldet. Weil 


4) John Buckingham (Works II, 68) Lobte Arlingtons Kennt 
niffe, doch war er weit mehr ein Hofmann, als ein Staatsmann. 

2) In all respects, an enemy to himself. Reresby 9, 139. 
Macphersen History I, 184. Burnet I, 154, 160. Russel on go- 
vernm, I, 69. Clarke James I, 689. Calamy lifsand times I, 98. 





Dreifahes Bündniß. 277 


aber Ludwig XIV mit jenen Bewilligungen zögerte, und Par: 1668. 
lament und Volt fi für die Rettung Hollands ausfpras 
hen, ward Karl gegen feine eigentliche Neigung, auf die bereits 
erzählte Weife, zu dem breifahen Bünbniffe gewuns 
gen‘). Denn, wie ed ihm fo gar Fein Ernſt war für Eu: ; 
ropad Unabhängigkeit mit Nachdrud aufzutreten”), geht 
daraus genügend hervor, daß ſchon ſechs Wochen nad dem 1669. 
Abfchluffe jenes Buͤndniſſes, befien Zweck insgeheim aufges 
geben und die lange Reihe von Unterhbandlungen mit Frank; 
reich begonnen ward, welche nicht bloß den König entehr: 
ten, fondern auf lange Zeit hinaus Ludwig dem XIV eine 
Ubermacht verfchafften, die zunächft für alle benachbarten 
Voͤlker und zulegt auch für die Sranzofen felbft verberblich 
ward. 

Es ift hiee nicht ber Ort diefe jahrelangen Berhandluns 
gen und geheimen Verträge in ihren widerwärtigen Einzeln: 
heiten genau ‚mitzutheilen; fondern ed genligt zu bemerken, 
daß beide Könige darauf audgingen fi zu uͤbervortheilen. 
Der franzöfifche verfuhr indefjen hiebei mit Würde und Klug⸗ 
heit; während ber englifche ſich durch Verwandte, Beifchläs 
ferinnen und zweibeutige Minifter unterjochen ließ, und boch 
wieberum zu gleicher Zeit die ſcheinbar Vertrauteſten hinter: 
ging und täufhte”). Er (dem alle Religion gleichgüktig 
war) verfprach für Geld Batholifch zu werben und den Ka: 1670. 
tholicismus in England neu zu begründen; er hoffte durch 
gleich unwuͤrdige Mittel alle Schranken des englifchen Staats: 
zechted zu durchbrechen, oder doch zu umgehen; er bot bie 
Hand zu einer Fünftigen Theilung der fpanifchen Monarchie 
zwifhen Frankreich und England und ſchloß fich (durch diefe 


1) Siehe oben Seite 39, 

2) Dalrymple I, 88. State tracts of William II, I, 34 - 44. 
Vaugham 860. Macpherson History I, 2 188. Clarke Hist. 
of Janies II, 1, 441. 

3) Kart verlangte von Ludwig XIV einen gelehrten Theologen 
dee ihn in den Geheimniſſen der Religion unterrichte, und ber — 
ein guter Chemiker a Dalrymple I, 49. 





278 Sechs tes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck. 


ferne Ausſicht gekoͤdert) den feindlichen Abfichten Ludwigs XIV 
wider die Holländer in’ dem Augenblide an, wo er vom 
Parlamente Geld zu deren Unterſtuͤtzung forderte und erhielt! 
Als er endlich die entgegengefegten Befchlüffe nicht mehr 
1673. verheimlichen konnte, fagte ber König im Februar 1673 dem 
Parlamente '): ich bin zu einem wichtigen, nothwendigen und 
koſtſpieligen Kriege gezwungen worden, wozu Ihr mir gewiß 
angemeflenen und wirkſamen Beifland leiften werdet. Ich 
will die Kirche erhalten, babe jedoch eine Erklärung erlaf- 
fen von welcher ich mir gute Wirkung verfpreche und bie 
beitragen wird, während bed auswärtigen Krieged den Frie- 
den im Inneren zu erhalten. — Nachdem Shafteöbury”) hier: 
Auf (welch ein Widerfpruch mit dem fpdteren Benehmen bie: 
ſes angeblichen Whigs!) bie größten Lobederhebungen bes 
Königs vorangeſchickt hatte, behauptete auch er: der Krieg 
wider bie vereinigten Niederländer fey fchlechterbings noth: 
wenbig, unvermeidlich und heilfam; denn fie wären die ge: 
fährlichften Feinde aller gekroͤnten Häupter und insbefondere 
(aud Neigung und Eigennuß)-bie ewigen Feinde England®. 
Sie müßten ganz und gar vernichtet werben, und nur Eng⸗ 
land flehe ihnen noh im Wege bei dem Unternehmen ein 
Reich zu gründen, fo groß und mädtig ald das roͤmiſche. — 
In aͤhnlichem Sinne fprachen Andere °): die Niederländer bil- 
den Peinen wahren und gefeglichen Freiflaat, fie find nur 
- eine Sippe von Räubern, welche aus allem Wölkerrechte ber: 
ausgefallen find, und die man ohne alle Kriegderflärung be: 
Triegen darf. Es ift klug und recht fich mit Ludwig XIV 


1) Parl. Hist. IV, 508. History of the Commons I, 166. 
Somerville 22, 28. ÄAhnlicherweiſe erflärte bee König in Schotland, 
er ſey engaged in a very just and necessary war! Acts of * 
Parliament of Scotland VIII, 57. 


.2) Somers tracts VIII, 37. 


.8) Parker commentarii de rebus sui temporis 124. Burnet 
I, 589. Dalrymple I, 51. Vaugham 866. Macpherson Hist. I, 
125—1238. Somerville 15. Russel I, 51. 








Krieg gegen Holland. 279 


als dem mädhtigften Könige und dem größten Feinde der 1673. 
Niederländer zu verbinden; es iſt ein gemeinfames Recht 

und der eigentliche Beruf der Könige, biefe ſtolze Dligarchie, 

bies verbammliche Garthago zu vernichten. 

Die Ungerechtigkeit und Xhorheit diefer geheimeren 
Gründe, fowie die völlige Bedeutungsloſigkeit ber laut außs 
gefprocbenen Kriegsvorwaͤnde, ließ fih ohne Mühe augen 
fällig erweifen ); als aber bolländifche Gefandte zu biefem 
Zwecke in Lonbon erfchienen, mwurben fie vom Hofe mit Ver- 
Achtung aufgenommen , ja ganz zuruͤckgewieſen weil ihre 
Päffe nicht in Ordnung wären ?). 

Bor aller Kriegderflärung ließ Karl erzähltermanßen die 
bolländifche aus Smyrna zuruͤckkehrende Kauffahrteiflotte ans 
greifen, und verlor dadurch feine Ehre, ohne irgend bedeu⸗ 
tenden Gewinn zu ziehen. Deshalb ging er auf Shaftes 
burys Plan ein die Schaßfammer zu fchließen: das beißt alle 
Bahlungen berfelben auf willfürliche Zeit audzufegen ’). Hier⸗ 
aus entfprang für alle Berechtigten der größte Schaden; 
dennoch beharrte man, ohne Rüdficht auf die lauteſten Kla⸗ 
gen, dabei: das allgemeine Wohl erforbere diefe Maaßregel, 
und fie fey lediglich durch die Übertriebene Sparſamkeit des 
Parlamented herbeigeführt. In Wahrheit aber ward Karl 
durch den richtigen Sinn des Volles und Parlamentes 
loͤblichen Widerfland gezwungen von feinem fchmachvollen 
franzöfifchen Bündniffe abzulaffen und den 18ten Februar 1674. 
1674 mit ven Holländern Friebe zu fchließen*). 


1) The war being thus resolved on, some pretences were in 
the 'next place to be sought out, to excuse it. Burnet II, 519. 
3. 8. das Gepräge einiger Denlmünzen, das Verweigern bes Flags 
- genftreichens u. dgl. Hist. de Guillaume III, I, 58, 

2) Macpherson Hist. I, 165. 

8) Macpherson I, 151 — 155. Basnage annalas — provinces 
unies II, 189. Burnet I, 528. Mazure I, 104. Parker commen- 


tarũ 12i. 


4) Karl ging aus dem Kriege hervor: in so poor and se dis- 
, honorable a manner, that with it he lost a oredit both of home 
and abroad. Burnet II, 628. 





1674. 


30 Sechsſstes Bud. Siebentes Hauptſtuͤg. 


An dieſe Umſtellung der Verhaͤltniſſe und Anſichten 
reihte ſich die Entlaſſung Shaftesburys und des Cabalmini⸗ 
ſteriums. Der erſte trat ſogleich zur Oppoſition uͤber und 
ſprach für den Widerruf mancher ungeſetzlichen Schritte zu 
benen er felbft gerathen hatte‘).: Es ward ihm leicht, fagt 
ein Schriftftellee *), fih aus einem Rathgeber der Tyrannei, 
in einen aufrührifhen Brandflifter zu verwandeln. _ Ar 
feiner Statt erhielt ben meiften Einfluß Thomas Osborn, 
Srafvon Danby. Er behauptete: der König thue beffer 
fih mit den alten Tories auszuföhnen, als ben Stliebern des 
Cabalminiſteriums, dieſen angeblichen Whigs zu vertrauen 5 
daß er den Proteftantismus in England erhalten und bie 
Abhängigkeit von Frankreich ganz aufheben muͤſſe ). Anbes 
rerfeitö war Danby aber auch Fein Staatsmann in großen 
Style, nicht Frei von Eigennug, und geneigt durch Beſte⸗ 
chungen oder andere verwerflihe Mittel feine Plane durchs 
zufegen, ober die Grundlagen ber Verfaffung zur Seite zu 
ſchieben. | 

Ein größerer Sinn offenbarte fih in William Temple. 
Er machte dem Könige die ernfleflen Vorſtellungen über 
feine falfhe Politik und fagte unter Anderem‘): England 
Tann nicht beherrfcht werden wie Frankreih, wo nur Adel 
und Geiſtlichkeit Einfluß üben, das Volk aber weber Rechte 
noch Willenskraft befist, weil ed durch Anſtrengungen und 


. Mangel entmuthigt if. Unmöglih Finnen in England 


Yıoo Katholiten, oo Proteflanten leiten und beberrfchen. 
Mit Recht bemerkte ſchon der Franzoſe Gourville: Ein Koͤ⸗ 
nig von England, welder ber Dann feines Volkes ſeyn 
will, ift ber größte König der Welt; will er aber etwas 
Andered und mehr fepn, bei Gott, fo ift er nichts 


‚ mehr! — Nach biefen Worten reichte ber König Templen 


1) Dalrymple I, 54. 

2) Macpherson Hist. I, 189. 

8) Dalrymple I, 56. Somerville 81. _ Burnet II, 678. 
4) Temple Memairs 884. 








Klagen über Karl IL , = 281 


die Hand und fagtet ich will ber Wem meines Volkes 1674. 
ſeyn! 

it Recht werben Kußerungen ſoicher und aͤhnlicher 
Art, wo Verſtand und Gemuͤth ſich erzeugend burchbringen 
in der Geſchichte großer Herrſcher als Silberblicke ihres Le⸗ 
bens hervorgehoben. Bei Karl IL fehlt ihnen hingegen nicht 
allein eine kraftvolle Befldtigung durch Thaten, fonbern man 
hat damals, fowie jetzt, den Zweifel keineswegs unterbrüden 
tömten, ob fie nicht weit mehr hervorgingen aus beformener 
Heuchelei, dem aus augenblidlicher. loͤblicher Aufregung. . 
Gewiß war die Liebe und bad Vertrauen womit man im 
Jahre 1660. dem Könige entgegentrat, ganz gefchwunben; 

und wenn bie unparteiliche Gefchichte fo viel wider ihm aus⸗ 
forechen muß, fo läßt fich begreifen in weichen Maaße und 
in welchen Ausdruͤcken leidenſchaftlich Aufgeregte, oder Zus 
ruͤckgeſetzte Damals von ihm rebeten. Wir geben nur ein Beifpiel, 
und keineswegs das fidrkfle, aus Marvels Staatögebichten "): 

But his fair soul transformed by a french Dame, 

Had lost all sense of Honour, Justice, Fe 

He m’s Seraglio like a spinster sits, 

Besieg’d by whores, Buffoons and bastard chite 

Luli’d in security, rolling in Lust. — 

Then th’ English shall a greater Tyrant know, 

Then either Greek or Latin story ahow. 

Diefe uͤbele Stimmung warb noch dadurch wefentlich ge: 
flyigert, daß des Königs Bruder Jakob, der wahrfcheinliche 
Zhronfolger, fchon im Jahre 1669 duch den Iefuitn Si; 
mons zum Katholicsmus befehrt wırde ’). Gern wäre Ja⸗ 
Lob Außerlih ein Proteftant geblieben; fobalb aber der Papft 


1) Marvels state poems 81, 45. Marvel war übrigens ein 
Schmeichler Scomwells gewefen, und fand feiner Sitten wegen felbft 
in übelem Rufe. Parker comment.275. 

2) Clarkes James I, 441, 452,482. Yalobe erfte Gemahlinn ſtarb 
1671, den 81ſten März Auch fie war katholiſch geworben. Die 
zweite hatte Verftand und wußte ſich Anfangs belicht zu — Bur- 
net II, 62. 





282 Sechsſtes Bud. Siebentes -Hauptitüd. 


Simons Ausſpruch beſtaͤtigte, daß dies nicht angehe, weis 
gerte ſich der Prinz beharrlich mit ſeinem Bruder zum Abend⸗ 

1673. mahle zu gehen, und heirathete am 26flen November 1673 
Marie Beatrix Eleonore, die katholiſche Tochter Herzog Al⸗ 
fons des zweiten von Modena. Anſtatt hieran freundlichen 
Antheil zu nehmen, gürnten ale englifchen Proteflanten; ja 
das geringere Volk hielt in London einen - Spottaufzug und 
perbrunnte bad Bild des Papſtes '). 

Nach dieſen Andeutungen über bie Lage ber auswaͤrti⸗ 
gen Angelegenheiten. und bie perfönlichen Verhaͤltniſſe, wird 
ſich der. Gang der inneren Geſetzgebung unb ber parlanienta> 
riſchen: Berhandlungen während biefer Sabre beſſer darſtel⸗ 
len und überfehen laſſen. 

Beim Ausbruche des zweiten bellänbifchen Krieges ?) hatte 
Karl DI eine Erflärung über religidfe Duldung erlaffen und 
dem Parlamente mitgetheilt. In berfelben heißt ed: ber 
König mache Gebrauch von den ihm in Firchlichen Angeles 
‚genheiten unbezweifelt zuflebenden Rechten”). Dem gemäß 
wolle er bie englifche Kirche fo erhalten wie fie durch Geſetze 
beftehbe, und deshalb indbefondere niemand von ber Entrich⸗ 
tung bed Zehnten ober von anderen Pflichten entbinben, auch 
keinen Abweichenden ober Diffenter zu irgend einem Amte 
beförbernz; wohl aber follten alle Strafen gegen biefelben 
aufhören und ihnen an gewiſſen Orten Gottesbienft verftats 
tet werben. Ebenmaͤßig befteie er die Katholilen von allen 
Strafen, ohne ihnen jebod freien Gottesdienft zu. bewilligen. 
Mißbraͤuche und Überfchreitungen des Zugeſtandenen, wür⸗ 
den ohne Rachficht ſtreng beſtraft werben. 

Gegen dieſe Erweiterung der Religionsduldung wurden 
von den Biſchoͤfen und anderen Mitgliedern der hohen Kirche 
ſowie vom Parlamente die lebhafteſten Einwendungen gemacht. 
Jene ſprachen: in jedem Lande kann und darf nur eine 


1) Evelm I, 467. Vaugham II, 390. 
2) Siche oben Seite 55. 
3) Parliam. History IV, 515. 


E Religionsduldung. 283 


Religion ſeyn, ſonſt bricht unvermeidlich Krieg und Auflds 1673. 
fung herein‘). Diefe Wahrheit ift durch die Gefchichte vies 
ler Reiche, insbefonbere des franzöfifchen erwiefen. . Kein 
Zugeſtaͤndniß wird die Diffenters zufriedenftellen; fie halten 
Seine Ruhe, bevor fie obgefiegt und ihre Gegner ausgerot⸗ 
tet haben. Auf ihr Gewiſſen bürfen fie fich nicht berufen 
(dies würbe zuletzt jebe Thorheit und Gewalt redhtfertigen); 
fondern allein und immerdar entfcheidet dad Geſetz. Die 
englifche Kirche verbietet nicht von Gott Gebotened; auch 
ift es falfh dag man im Botteödienfte nur das annehmen 
dürfe was Gott vorgefchrieben habe. Mit Ausnahme der 
beiden Sakramente bat Gott vielmehr hierüber Nichts anges 
ordnet, fondern alle anderweitigen Beſtimmungen ber Kirche 
überlaffen. Diefen Beflimmungen muß fidh jeder unterwers 
fen, und e8 wäre verkehrt um einiger unbebeutender Caͤre⸗ 
monien willen eine große Shaltung herbeizuführen. Auch 
find alle dieſe Forderungen (jest, fowie früher) nur Vor⸗ 
wände um bürgerlichen Ungehorfam zu rechtfertigen. Gar 
gern fähen ed bie Puritaner wenn ſich ber König ihnen 
nochmals preis gäbe und ihrer Tyrannei und ber fogenanns 
ten Volksſouberainetaͤt als dem vorgeblichen Willen Gottes 
unterwuͤrfe ). Zur Religion fol man zwar niemanb zwin⸗ 
gen, wohl aber das MWerkehrte und Irrige ausrotten. Wo 
kirchliche Mittel (wie in ben erflen Zeiten des Ehriftenthums) 
nicht ausreichen, muß der König die Widerfpenfligen nicht 
al® Chriften, ſondern als ÜÜbertreter der Geſetze unnachficht: 
lich beftrafen. So ift feit Konftantin dem Großen bie welt: 
liche Macht Vollzieherin der kirchlichen Gefehe gewefen, und 
fol ’e8 feyn. 
Diefe Gründe, Schlußfolgen und gefchichtlichen Beweife 

fuchten die Diffenterd möglichft zu widerlegen; bies Tonnte 





1) Parker comment. 292. 

2) Inbepenbenten unb Levellers wirft Parker (290) gufammen und 
fagt: fie legten bie höchfte Gewalt bem Wolke. bei, und verwürfen alle 
geiftliche Autorität und Priefterthum, ja fogar das Erbrecht. 








DA 2 Gehstes Bud Siebentes Hauptſtück 


ihnen jeboch ſchon deshalb nicht vollſtaͤndig gelingen, weil 
fie den Katholiken gegenüber ganz auf ähnliche Weiſe vers 
führen, und biefelben undulbfamen Anfichten geltend mach⸗ 
ten. Daß die hohe Kirche durch ihren Widerfpruch gegen 
Eönigliche Verfuͤgungen, mit ihrer eigenen Lehre vom =. 
dingten, leidenden Gehorfam in Widerſpruch gerieth, warb 

kaum gerügt; defto Iebhafter aber vom Parlamente die Frage 
erörtert: über das Recht bed Königs kirchliche Geſetze zu 


en. 

Die Monarchie (fo fprach man) ift im Jahre 1660 nicht 
smbebingt und unumfchränkt bergeftellt; fondern mancher 
finatörechtliche Gewinn ausdruͤcküch oder ſtillſchweigend übers 
nommen worden. Wenn ber König von Strafgefegen ent» 
binden dürfte, dann auch von allen anderen; woburd das 
Recht der Gefeggebung ausſchließlich in feine Hand übergehen 
und wir in elende Knechte verwandelt würden '). Geſetze 
ſollen nur von König und Parlament gegeben, nur von ih⸗ 
nen gemeinfam geändert werben; und wollte man jenem 
auch zugeftehen daß er bei dringender Gefahr, zur Erhaltung 
des Reichs, von Geſetzen entbinden duͤrſe; fo ift eben ein 
folder Fall nicht vorhanden, mithin die Töniglihe Verfuͤ⸗ 
gung über Religionsbuldung geſetzwidrig und aufzuheben. — 
An diefem Sinne warb mit 168,. gegen 116 Stimmen eine 
Vorſtellung an den König entworfen und ihm übergeben. — 
Er antwortete: er fehe feine geiſtlichen Rechte hiedurch auf 
eine Weiſe in Frage geſtellt wie unter keinem feiner es 
gaͤnger. Dies verletze ihn um ſo mehr, da er keineswegs 
Geſetze willkuͤrlich auſheben, oder die Mitwirkung des Par⸗ 
lamentes umgehen wolle, ſondern alles Heilſame in Form ei⸗ 
ner Bill zu beſtaͤtigen bereit ſey. — Weil aber das Unter⸗ 
haus gar nicht geneigt war die Religionsduldung zu erwei⸗ 
tern, kam es nur zu neuen Berathungen uͤber die Graͤnzen 
der koͤniglichen Gewalt, wobei Clifford die Vorſtellung des 
—— ein — Ungeheuer (monstrum horren- 


1) Parliam. Hist: w, 522 - 557.. 





Religionsbulbung Teſtakte. 285 


dum) nannte, Shaftesbury hingegen biefelbe im Mefentli- 1673. 
chen billigte. Hieburch gerietb der König in ſolche Werles 
genheit, daß er ben erneuten Anträgen des Unterhaufes ges 
mäß, feine Verfügung widerrief und babei erflärte: das was 
binfichtlih der Suspenfion von Strafgefehen gefchehen fey, 

folle für die Zukunft Feine Folge haben und nit 

als ein Beifpiel betrachtet werben‘). 

Dad Parlament war um fo weniger mit biefem Siege 
begnüigt, als Jakobs Übertritt zum Katholicismus neue 
Beſorgniſſe erregte”). Deshalb entwarf das Unterhaus, nicht 
ohne wefentliche Einwirkung Shaftesburys, die fogenannte 
Teſtakte, vermöge welcher niemand irgend ein äffentliches 
Amt erhalten folle, welcher ſich nicht feierlich gegen paͤpſt⸗ 
liche Herrſchaft, Heiligenverehrung, Brotverwandlung erfläre 
und das Abendmahl nach der Weife ber hohen Kirche nehme. 
Mit Unrecht unterflügten die Diffenterd, aus Haß gegen bie 
Katholiten, diefe unbilligen Anträge und fchloffen ſich das 
durch felbft von aller Theilnahme an ber Gefekgebung und 
Verwaltung aus’). Erſt nad 155 Jahren fiel das Wors 
urtheil zu Boden ald fey die Teſtakte bad Pallabium Eings 
lands, und der Achten Staatöweißheit fowie dem wahren 
Chriſtenthume angemefjen. 

Biel mehr Lob verdient die zum Schuße perfönlicher . 
Freiheit im Februar 1674 vom Parlamente entworfene, vom 1674. 
Könige aber erfi 1679 beftdtigte Habeas corpus -Afte*). 
Sie fegt unter Anderem bie Friſt feft, binnen welcher jeder 


1) Statetracts relating to the government of Charles II, 80. 
Vaugham II, 878. 

3) Leute welche fagten, Jakob ſey Tatholifch, wurden in Strafe 
genommen zu einer Zeit, wo er es bereits war. Welwood 118. 

3) Parliam. Hist. IV, 568. Parliam. Debates I, 51. Somer- 
ville 24. Macpherson Hist. I, 193. Galamy I, 98, erzählt Shaf⸗ 
tesbury, Budingham und A. hätten bie Diffenters verfichert, es folle 
ein Zufag zu ihrem Beſten beigefügt werben, ber abet ungluͤcklicherweiſe 
weggeblieben fey. 

4) Parliam. Hist, IV, 660, 665. 





| 286 Gchstes Bud. Stebentes Hauptſtuͤck 


1674. Gefangene vor ein geſetzliches Gericht geſtellt werden muß, 


X 


und verbietet allen Stockmeiſtern jemand einzuſperren, ohne 
einen ſchriftlichen, die Gruͤnde der Verhaftung angebenden 
Befehl der vorgeſetzten Behörde Auch ſollten dieſe Gruͤnde 
dem Verhafteten unverzuͤglich mitgetheilt und binnen 24 Stun⸗ 
den wenigſtens ein vorlaͤufiges Verhoͤr abgehalten werben. 
Diejenigen, welche in ber Habeatcorpuss Alte eine . 


ſchaͤdliche Beſchraͤnkung der Regierungsgewalt fahen, bofften 


der kirchlichen Teſtakte gegenüber eine ſtaats rechtliche 


1675. durchzuſetzen. Vermoͤge derſelben ſollte zunaͤchſt jeder Be⸗ 


amte, (ſpaͤter oder mittelbar wohl jeder Unterthan) ein Ge⸗ 
ſetz anerkennen und vollziehen, des Inhalts: ich erklaͤre daß 
es geſetzwidrig und verraͤtheriſch iſt unter irgend einem Vor⸗ 
wande die Waffen gegen den Koͤnig zu ergreifen, oder ge⸗ 
gen die von ihm Beauftragten. Auch ſchwoͤre ich, daß ich 
zu keiner Zeit eine Veraͤnderung der Regierung in Staat 
und Kirche betreiben will (endeavour). - 

Der König (fpeachen die Vertheidiger biefes Geſetzes) 
bat in Bezug auf bie frühere Zeit eine volle Verzeihung 
angelobt unb dies Verſprechen gehalten. Nun ift aber noch 
fo viel des alten Sauerteiged und fo viel Verkehrtheit der 
Geſinnung übrig geblieben, daß man ein Mittel auffuchen 
und anwenden muß, um bie guten Untertbanen von ben 
ſchlechten zu unterfcheiden. Jene Erklaͤrung bed Nichtwider⸗ 
ſtehens, der non resisting test, ſetzt eigentlich gar nichts 
Neues feſt; fie verſteht ſich ganz von felbft, iſt natürlich, 
gemäßigt und zum Schutze von Staat und Kirche noth⸗ 


Die Gegner ded neuen Vorſchlages erwieberten hierauf: 
Die jekigen Geſetze gentigten vollkommen, um jebe durch 
tbeoretifche Irrthuͤmer, oder praktiſche Verfuche entſtehende 
Gefahr abzuhalten. Beſonders falle es auf daß diejenige 
Partei, welche noch vor Kurzem fo lebhaft für Duldung, 
Milde und Freiheit der Anfihten gefprocdhen habe, plöglich 


1) Parliam. Hist, IV, 715—721. Burnet II, 657. 


Non resisting Test- Alte. 237 


eine fo fisenge Gleichheit und Übereinſtimmung Terbere. 1675. 
Mancher Angftliche werde durch ben neuverlangten Eid uns 
bedingten Gehorſams von aller Öffentlichen Xhätigkeit zuruͤck⸗ 
gefchredit, mancher Leichtfinnige zu falfchem Schwören vers 
lockt werben. Nur Mitglieder nieberer Behörden koͤnnten 
zum Gehorfam gegen bie beftehenden Geſetze verpflichtet wers . 
ben: aber Tönigliche Beauftragte, ohne Beziehung auf irgend 
‚ein Geſetz, uͤber alle Verantwortlichkeit erheben und unbes 
dingte Unterwuͤrfigkeit unter beren Willkuͤr forbern, heiße aus 
Beſorgniß vor einigen, vielleicht fehe gerechten Wiberforke . 
hen, ein ganzes Volk verfnechten. Nirgends habe man ſich 
deutlich gemacht was unter Staat und Kirche iq jenem Ges 
fegentwinfe zu verfichen ſey. Wie man aber auch beide 
Begriffe erklaͤre und entwidele, fo koͤnne doch ewiger 
Stillfand oder unbebingte Unveränberlichkeit, 
hier fo wenig als anderswo, für unbebingte Weisheit gel 
ten. Jener Vorſchlag vernichte die Täniglichen, wie bie pars | 
lamentariſchen Rechte: denn das eigentlihe und unverdus 
ßerliche Geſchaͤft aller Geſetzgeber beſtehe ja darin die zeit⸗ 
gemaͤßen Veränderungen herbeizuführen Wer 
alfo nicht alle weitere Entwidelung vernichten, nicht alle 
Freiheiten ertöbten wolle, muͤſſe fich jenem Antrage beharr⸗ 
lich wiberfegen. 

Pie wichtig berfelbe und wieviel den verfchiebenen Pars 
teilen auf dem Spiele zu flehen fchien, geht Daraus hervor 
Daß die Kämpfe im Parlamente fiebzehn Tage dauerten, und 
nur mit Mühe im Oberhaufe ein Zuſatz durchgefochten wurde, 
wonach unbebingter Gehorſam nur dann gefordert werben - 
koͤnne, wenn bie Befehle ben Geſetzen gemäß wären). Bes 
vor jeboch die Bill in beiben Käufern durchging, geriethen 
fie über die Frage: ob bad Oberhaus berechtigt fey in gewiſ⸗ 
fen Rechtöflveitigkeiten ein Mitglied des Unterhaufes vorzus 
Yaden, in fo heftigen Streit, daß der König es zur Beru⸗ 
bigung der Gemüther für gerathen fand, dad Parlament am 


1) According to law. 





238 Sechstes Bud. Gichentes Hauptſtück. 


41675 neunten Junlus 1675 zu yrorogiren. Bei der am 13ten 
Oktober neu eröffneten Sitzung waren die verfchiebenen Par: 
teilen um fo weniger geneigt auf jenes Gehorfamdgefeh zu: 
ruͤckzukommen, da der Ausgang zweifelhaft war und der 
Hof jede Aufregung zu vermeiden ſuchte, um binfichtlich ber 
in Berwirrung gerathenen Finanzen guͤnſtige Beſchluͤſſe 
zu erlangen. 

Bein Anfange feiner Regierung fand Karl außer fei- 
nen eigenen Schulden, auch Ruͤckſtaͤnde der angeblich res 
publikaniſchen Regierung an Sold fir Her und Slotte"). 
Hätte er einen verfländigen Haushalt eingerichtet und den 
thörichten bolländifchen Krieg vermieden, fo wären bie einge 
tretenen Gelbbewilligungen wohl zur Abzahlung genügend 
geweſen; jest konnte er bem Parlamente feine ibele Lage nicht 
länger verheblen, fügte indeß hinzu: er fey zwar nicht ims 
mer ein guter Wirth geweſen, aber auch kein fo fchlechter, 
wie Manche vorgäben. — Diefe halb fcherzhafte Entſchuldi⸗ 
gung, konnte eine nähere Unterfuchung nicht befeitigen ), wos 
bei ſich ergab, der König fey vier Millionen ſchuldig, bieje- 
nigen Summen nicht einmal gerechnet welche ex ben Ban 
Bern abgenommen und wofür er zum Ruine vieler Familien, 
nicht einmal Zinfen gezahlt habe. Hierüber erhoben fich im 
Parlamente bie lauteften Klagen: man müfje zur Zilgung 
der Schulden und Borgriffe Nichts bewilligen, fondern fireng 
Bm durch weſſen ergehen dieſelben herbeigeführt 
eyen. 

Mit dem Allem flanb eine anbere, ſchon früher eroͤr⸗ 
texte Frage in Verbindung: ob nämlid) dad Oberhaus bes 
rechtigt fey in den vom Unterhaufe eingehenden Geld- 
bill® WWeränderungen vorzunehmen”), ober ob es biefelben 
ſchlechthin beflätigen, oder verwerfen müffe. Die Lerdé be⸗ 

1) Macphersen Hist. I, 38. 
— 16. Perem. Hist. IV, 741 - 751. Burmet 
&) Der Vauptfireit Zirciber füRt fühen auf das Sehr 1671. Pusl. 
Bist, IV, 483. 








" Finanzen. 239 


baupteten : nirgends fey bem Unterbaufe bad Recht Gelbbill3 1675. 
zu entwerfen, ausfchließlich zugewieſen; vielmehr fiche alle 
und jede Gefebgebung dem Könige und beiden Bäufern zu. 
Alles Reben, Streiten, Unterſuchen, Erörtern erfcheine aber 
einfeitig und verkehrt, wenn nicht Oberhaus wie Unterhaus‘ 
Abänderungen zu ben vorgefchlagenen Gefehen machen koͤnn⸗ 
ten. Hiefür fpreche auch dad Herlommen, und eine entges 
gengefehte Entſcheidung würde dad Oberhaus in’ bie Noth⸗ 
wendigfeit verfeben, mangelhafte Anträge nicht auf leichte 
und zwedimäßige Weiſe zu berichtigen, ſondern kurzweg in 
‚allen Theilen zu verwerfen. — Das Unterhaus entgegnete: die 
vom Oberhaufe zum Erweiſe feiner Behauptung vorgelegten 
Beifpiele find durch weit zahlreicher entgegenftehende, mehr 
als hinreichend widerlegt. Das Oberhaus bat fowenig das 
Recht an den Geldbills Änderungen vorzunehmen, ald der Koͤ⸗ 
nig; vielmehr geht deren Werneinung oder Verwerfung ſtets 
"auf dad Ganze. Überhaupt ift e8 eine fehr bedenkliche Sache 
in einem georbneten Staate') die Urfachen feiner Grund⸗ 
einrichtungen in Unterfuhung zu ziehen; benn dies kann in 
Feiner Weife zum Vortheil des Ganzen bienen. 

Der Hauptgrund weshalb des Oberhaufes Einfluß bi 
den Geldbills früher zuruͤktrat, war zweifelöohne der: daß 
nur die Gemeinen, und nicht die Lords und Prälaten, durch 
die Steuern getroffen wurden. Obgleich dieſer Grund im 
Ablaufe der Zeit verfchwunben ift, hat dad Unterhaus den⸗ 
noch feine Forderung durchzuſetzen gewußt; was jedoch weder 
als Ergebniß eigentlicher Wiffenfchaft betrachtet, noch in ans 
deren Ländern als unbebingtes Vorbild behandelt werben 
ſollte. 

Waͤhrend das Unterhaus auf die erwaͤhnte Weiſe die 
Finanzverwaltung des Koͤnigs anklagte und den Forderungen 
des Oberhauſes mit Nachdruck widerſprach, ſah es ſich felbſt 
unerwartet harten Vorwuͤrfen ausgeſetzt. Nicht bloß Schrift⸗ 


1) Parl. Hist, IV, 492. Collection of Parliamentary debates 
I, 13. History of the Commons I, 146. 
Vi. 19. 


\ 





— — 


grad! paupiftüd. 

?- * zu . gr Anflang —— —— 
E59 2955 Die lüngere Dauer 
onen Jahren (fo ſprach 
—— — 

en fo gefaͤhrlich und fi 
= ur Sie werben entweber allmaͤch⸗ 
er eu abhängig, ben Wolfe und den Sab- 
ei ganz fremd. Jetzt figen im Unterhaufe 
yie nach, eitelem, leicptfianigen Lchen übers 





Guralictt In ‚ ungebulbige Runbhüte, luſtige Geſel⸗ 
* —— — 2), aber fehr. wenig wahre Freunde 
—— — Nur zu viele haben Anıter md Sahrgel- 
—— ‚Hofe angenommen; ja fie laſſen ſich geradechin be 
bintertreiben bie Auflöfung. beö Unterhauſes weil 
dann. ber Verfolgung ‚ihrer Gläubiger assgeſetzt 
wirden, und auf Wiedererwaͤhlung gar nicht rechnen 








. ver- 
s das bie 

und das ganze Feflland auch noch fernerhin 
Sranzoſen preis zugeben. Man kaͤnnte behaupten: Karls 

men ſey eine Folge tiefer Politik geweien, um Eng⸗ 

amd deſſen Dantel zu beben; in Wahcheit hatte er aber 

guim Folgen, weldje nebenher für England ans dem 

ge Hcland3 unt Franfreichs entjlanden, ger nicht be 

= ſondern Ietiglicdh seine Bequemlichkeit mb feinen 
— II gemtun im Ange bebalızm. Ja wälnzab er fh in fab- 


4 Statetracıts ef Charles H, 65, ©. Buraet II, 665. Se 
— —— hile SO) 60 Par His IV, 765, SS. Bass bie L 84 


N ent ri Mirstier i 
i ER Tice Mürzticrer fchten, gab der Ri 


. 


Parlament. Frankreich. 291 


wigs Dienfte begeben hatte, fuchte er durch Unterhanbluns 1676. 
gen und Verfprechungen mancherlei Art‘), auch den Spas 
niern und Holändern Gelb abzugewinnen. 

Weil jedoch alle dieſe verächtlichen. Mittel und Wege 1677. 
keineswegs hinreichende Summen herbeiſchafften, ſah ſich 
Karl genoͤthigt am 15ten Februat 1677 die 15te Sitzung 
des Parlaments zu eröffnen. Bei dieſer Gelegenheit erneus Ä 
ten ſich ‚nicht allein im Volke die obenerwähnten Klagen 
über die lange Dauer deffelben Parlaments; fondern im Uns | 
terhauſe felbft ward die Frage aufgeworfen: ob eine Unter: | 
brechung von 15 Monaten, nicht eine völlige Auflöfung in 
ſich fehließe? Ungeachtet diefe Frage verneint ward, dauerte 
die wechfelfeitige Mißſtimmung fort”), und die lange vernach⸗ 
laͤfſigte Betrachtung der auswärtigen Angelegenheiten trat fo 
in den Vordergrund, daß bem Könige am 15ten März eine 
ernfte Worftellung gegen Frankreichs wachfende Macht übers 
veicht warb. Seine auöweichenbe, ungenügende Antwort, 
führte am 2öften Mai zu einer zweiten Eingabe wider feine 
Buͤndniſſe und die Stellung Englands zu den Übrigen Maͤch⸗ 
ten. Anſtatt diefen wohlgemeinten und beilfamen Rath in 
ernfte Überlegung zu nehmen, erflärte der König bed Parla- = 
mented Benehmen für einen Eingriff in feine unleugbaren 
echte, verwarf die ihm uͤbergebene Schrift, und vertagte 
am 26flen Mai dad Parlament auf unbeflimmte Zeit. 

Diefe Maaßregel fleigerte Die Öffentliche Unzufriedenheit 
und bie Gefahr für Holland dergeflalt, daß Wilhelm von 
Dranien fi entfchloß nach England hinüberzugehen um 
feinen Oheim wo möglich flr ein anderes politifches Syſtem 
zu gewinnen. Temple und Danby Geide Gegner Frank: 
reichs) boten gern die Hand dazu, diefen Plan durch bie 
Verheirathung Wilhelms mit. Marie dev Nichte des Königs 


1) Dairymple I, 59— 68. 

2) Parl. Hist. IV, 813—889. Marvel gab eine Schrift heraus 
wiber lange Prorogationen des Parlamentes mit dem Zwecke Papfl- _ 
tum und unumfchräntte Derrfchaft zu gründen. Statetracts of Char- 
les DI, 69. History of the Commons I, 266. 





19* 








200 Sechstes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


1676 fieller, deren Behauptungen im Welle Anklang fanden, ſon⸗ 
dern auch die Lords erhoben ſich gegen die längere Dauer 
bed Unterhaus.’ Schon feit vierzehn Jahren (ſo fpradh 
man) gefeßgebern biefelben Mitglieder unb man vergißt, daß 
fiebende Parlamente eben fo gefährlih und ſchaͤdlich 
find als ſtehende Heere. Sie werden entweder allmäch⸗ 
tig, oder vom Könige abhängig, dein Wolfe und den Wäh- 
lern’ aber jebeömal ganz frand. Jetzt figen im Unterhaufe 
alte Gavaliere); die nach eitelem, teichtfinnigen Leben. übers 
form. geworben find, ungebulbige Runbhüte, kuflige Geſel⸗ 
len und hungerige Hofleute?), aber fehr. wenig wahre Freunde 
des Vaterlandes. Nur zu viele haben Amter und Jahrgel⸗ 
der vom Hofe angenommen; ja fie laſſen ſich geradehin bes 
fiechen und hintirtreiben die Aufloͤſung. bed Unterhaufes weil 
fie alsdann der Werfolgung. ihrer Gläubiger ansgefeht 
ſeyn winben, und auf Wiehererwaͤhlung gar nicht vechnen 
können 


* Der König, weldder fah daß das Unterhaus nicht ges 
weigt ſey feinen Geldverlegenheiten abzubelfen, und ſich noch 
mehr vor einem neugewählten fürditete, prorogirte das Par⸗ 
koment ‚und erneute auf untodizdige Weiſe feine Verbin: 

1676. dung mit Ludwig XIV. Für ein beſtimmtes Jahrgelb ver⸗ 
fprach er dad Parlament nicht wieder zu berufen: das hieß 
bie Holländer und das ganze Feſtland auch noch fernerhin 
den Sranzofen preis zugeben. Man könnte behaupten: Karls 
Benehmen fey eine Folge tiefer Politik geweſen, um Eng⸗ 
lanb und deſſen Handel zu heben; in Wahrheit hatte er aber 
die guten Folgen, welche nebenher fir England aus bem 
Kriege Hollands und Frankreich entſtanden, gar nicht bes 
zwedt, fonbern lediglich feine Bequemlichkeit und feinen 
Geldgewinn im Auge behalten. Ja während ex ſich in Lud⸗ 


1) Statetracts of Charles II, 65, 69. Burnet II, 665. So- 
merville 89, 60. Parl. Hist. IV, 765, 783. Russel life I, 84. 

2) Als einft viele Mitglieder im Parlamente fehlten, gab ber Koͤ⸗ 

nig feinem Oberfammerherren ben Befehl in die Spielhäufer und Bor: 

delle umherzuſchicken um bie Abweſenden herbeizuholen. Hallam II, 485. 


a 


— 


Parlament. Frankreich. 291 


wigs Dienfte begeben hatte, ſuchte er durch Unterhandlun⸗ 1676, 
gen und Verſprechungen manderlei Art), auch den Spas 
niern und Holländern Gelb abzugewinnen. 

Weil jeboch alle dieſe veraͤchtlichen Mittel und Wege 1677. 
keineswegs hinreichende Summen herbeiſchafften, ſah fidh 
Karl genoͤthigt am 15ten Februar 1677 die 15te Sitzung 
bed Parlaments zu eröffnen. Bei diefer Gelegenheit erneus 
ten ſich ‚nicht allein im Wolke die obenerwähnten Klagen 
üıber die lange Dauer deſſelben Parlaments; fondern im Un: 
terhaufe felbft warb die Frage aufgeworfen: ob eine Unter 
brechung von 15 Monaten, nicht eine völlige Auflöfung in. 
 fich ſchließe? Ungeachtet diefe Frage verneint ward, dauerte 
bie, wechfelfeitige Mißſtimmung fort”), und die lange vernach⸗ 
laͤfſigte Betrachtung ber ausmärtigen Angelegenheiten trat fo 
in den Vordergrund, daß bem Könige am 15ten März eine 
ernfle Vorſtellung gegen Frankreichs wachſende Macht übers 
reicht warb. Seine ausweichende, ungenügende Antwort, 
flhrte am 2öften Mai zu einer zweiten Eingabe wider feine 
Bündniffe und die Stellung Englands zu ben Übrigen Maͤch⸗ 
ten. Anflatt diefen wohlgemeinten unb heilfamen Rath in 
ernfte Überlegung zu uehmen , erflärte der König des Parla- 
mented Benehmen für einen Eingriff in feine unleugbaren 
Rechte, verwarf die ihm uͤbergebene Schrift, und vertagte 
am 26flen Mai dad Parlament auf unbeflimmte Zeit. 

Diefe Maaßregel fleigerte die öffentliche Unzufriedenheit 
und bie Gefahr flr Holland dergeſtalt, daß Wilhelm von 
Dranien ſich entfchloß nad England Hinhberzugehm um 
“ feinen Oheim wo moͤglich flr ein anderes politiſches Syſtem 
zu gewinnen. Temple und Danby (beide Gegner Frank⸗ 
reichs) boten gern die Hand dazu, dieſen Plan durch die | 
Verheirathung Wilhelms mit. Marie der Nichte des Königs 


1) Dalrymple I, 59— 68. 

2 Parl. Hist. IV, 818—889. Marvel gab eine Schrift heraus 
wider lange Prorogationen des Parlamentes mit dem Zwecke Papſt ˖ 
thum und unumfchräntte Herrfchaft zu gründen. Statetracts of Char- 
les II, 69. History of the Commons I, 266. 

19 * 





[4 


292 Sechstes Bud. Siebentes Hauptſtuͤck. 


1677. 


zu befördern‘). Dem Könige warb bie Zuſtimmung raſch 
abgewonnen und dem Prinzen Jakob faft abgezwungen. 
Jener glaubte hieburch die Gemüther der argwoͤhniſchen Pro= 
teftanten auf leichte Weiſe wo nicht ganz umzuflimmen, dann 
doch zu beruhigen und feinen Neffen nachmals willkürlich zu 
leiten. Als fich indeffen. der letzte Irrthum bald offenbarte, 
hätte Karl die Sache wohl gern durch neuerhobene Schwie- 
rigkeiten ganz vereitelt; aber Wilhelm erflärte ihm mit gro= 
ger Seftigkeit: fie müßten fortan als die größten Freunde, 
oder ald bie größten Feinde leben. Die entfchieb: am vier⸗ 
ten November 1677 fand bie Hochzeit, wo nicht zu allge 
meiner Freude ded Hofes, boch zu großer Freude ded Volkes 
ſtatt, welches hierin eine Buͤrgſchaft religisfer And ' bürgerliz 
cher Freiheit erblickte. 

Defto mehr war Ludwig xıV überrafcht als ihm gleich: 
fam ald Zugabe der Heirathonachricht, ein Friedensplan vor⸗ 


gelegt wurde, den er binnen zwei Tagen annehmen, ober 


verwerfen ſolle. Weil aber Karl fich zu gleicher Seit über. 
bie Verheirathung feiner Nichte mit Wilhelm von Oranien 
faft demüthig entfchuldigte”), dieſer auch England bereits 
verlaffen hatte; fo begnügte ſich Ludwig unbeflimmte aber 
höfliche Antworten zu geben, und die Sache möglichft in die 
Länge zu ziehen. Auch dawider, daß Karl auf der Fries 


densverſammlung in Nimmwegen die Rolle eined Vermittlers 


1678 


übernahm, konnte der König von Franfreih um fo weniger 
etwas einzuwenden haben, ba es erwiefen ift, daß jener ihn 
heimlich von ben Abfichten feiner Feinde benachrichtigte und 
in Übereinftimmung mit ihm handelte. Während das Unter- 


haus im Februar und März des Jahres 1678 den förmli- 


chen Antrag machte Ludwig dem XIV den Krieg zu erklaͤren und 


eine Million dazu_bewilligte, hatte Karl neue Unterhandlun⸗ 


1) Dalrymple I, 147—163. Macphers. Hist. I, 225. Burnet 
N, 727. Somerville 42. Mazure I, 156. Temple Mem. 454. 
Schon 1674 war inbeffen vorläufig von einer folchen ‚Heirath bie Rebe 
gewefen. Russel life I, 94, 


2) Ehen fo entſchuldigte fih Jakob beim Papfte. Reresby 51. 


Heirath Wilhelms und Mariens. 293 


gen mit jenem angeknuͤpft und erbot fich für ſechs Millionen 1678. 
Livres fein Heer zu entläffen unb binnen ſechs Monaten fein 
Parlament u verfammeln ). 

Fuͤr ein fo elendes Benehmen (bad bie Holländer zum 
nimmeger Frieben zwang) giebt ed Feine Entfchuldigung, viel: 
weniger eine Rechtfertigung: leider aber finden wir bie par: 
lamentarifche Oppofition auh nicht fo rein und flede 
als man wünfcht und zu erwarten berechtigt if. Allerdings 
hielt fie viel Boͤſes ab und half Staatsrecht und Verfaſſung 
gründen; indem fie aber mit unnügem eigenfinnigen Hin: 
unbherreben bie Zeit verbarb?), und Argwohn und Vers 
druß überall in ben Vordergrund ſtellte, verhinderte fie auch 
manche heilfame Beſchluͤſſe und trieb den König zu jenen 
verbammlichen Auswegen hin. In dieſer beflagenswerthen 
Verwirrung drängte dad Unterhaus einige Mal zu einem 
Kriege gegen Frankreich und verweigerte doch die dazu nöthi- 
gen Summen’); forberte die Werbung eined Heered beffen 
Auflöfung man faft gleichzeitig betrieb, und rieth zu Buͤnd⸗ 
niſſen welche man bald darauf mißbilligte. 

Dieſe Verhaͤltniſſe, welche Ludwig XIV durch feine 
Raͤnke gutentheils herbeigeführt hatte, wußte er aufs Geſchick⸗ 
teſte zu benutzen. Während er dem Könige Karl gegenuͤber 
fein Verdienſt gelten machte, daß er ihn durch reichliche 
Hülfögelder von dem läfligen Parlamente befreie, betrieb er 
bei der Oppofition bie Aufldfung der englifchen Heere, als 
bezwede er hiedurch Iebiglich die Freiheit des englifhen Vol⸗ 
tes. Und für die Zwecke Ludwigs mußten viele Mitglieder 
des Unterhaufes um fo mehr wirken, ba fie indgeheim eben 
- fo von ihm, wie andere von König Karl Gelb nahmen”). 

1) Macpherson Hist. I, 241. Dalrymple I, 167. Parl. Hist. 
IV, 948, 955. Bei ber Maitreffe, ber Serzoginn von Portsmouth, 
machte man ſich laut über diejenigen luſtig, welche an einen Bruch 
mit Frankreich glaubten. Beresby 38. ' | 

‚ 2) Somerville 51 — 62. 

$) Dairymple I, 167. Russel life I, 107 — 12%. Beresby 30. | 

4) Ruſſel gehörte nicht zu dieſer Zahl. Wiffen Memoirs of the 
house of Russel II, 241. | 


2 Schstrd Bud. Siebentes Hauptſtück. 


1678. Selbſt Algernon Sidney findet ſich unter den Empfaͤn⸗ 
gern franzoͤſiſchen Gelbes '); es fey (wie Dalrymple ſagt) 
weil erin Noth war, oder ed zu politifchen Parteizwecken ver 
wenden wollte, ober er fich ſelbſt uͤberredete: jedes Mittel 
fey vortrefflih um die Monarchie zu flürgen welche er ver 
abfcheute, und unbedingte Religiondgleichheit einzuführen wel- 
che er bezweckte. Raͤumt man auch ein, daß Sidney und 
einzelne feiner Genoffen für franzöfiiches Gelb nicht gegen 
ihre eigene Überzeugung ſprachen, alfo nicht als beflochene 
Lohndiener zu betrachten waren: fo wiberfprach ihr Beneh⸗ 
men doch der Würde und Unabhängigkeit britifcher Parla- 
mentsglieder; fie vergaßen dag man niemals ſchlechte, ober 
boch zweibeutige Mittel zu angeblich guten Zwecken anwen⸗ 
den fol ?), und daß Ludwig XIV überall der natürliche Feind 
ihres Vaterlandes, ihrer Religion”), ihres Ruhmes und ihrer 

Freiheit war. | | 
Doß einzelne Männer, durch Eigennuß und andere 
ſchlechte Gruͤnde verlodt, dem Wege der Tugend unb Wahr⸗ 


1) Dalrympie I, 166. Somerville 8. Schon früher fuchte Lud⸗ 

-  wig XIV mit Hülfe ber Republilaner in England Unruhen zu erres 

* gen, und Sidney forberte hiezu 100,000 Thaler. Dies war !bem Kö⸗ 

nige zu viel. Louis Oeanvres II, 208. Nor could any be more se- 

dulous as Sidney in representing the ageressions of Lewis XIV im 
the Netherlands, as indifferent to our honour and safety. Hallam 

II, 622. : 

2) Hallam II, 537, 546. Moore 31, 41. Dalrymple I, 881. 

- Wenn gehn Jahre fpäter ſich Unzufriedene an Wilhelm III wanbten, 

fo thaten fie nur ſcheinbar baffelbe, im Wefentlichen fanb ein großer 

unterſchied ftatt. 

8) Ludwig unterfchleb übrigens fehr wohl ben edleren ımb umebles 
ren Shell der englifchen Oppofition, wenn er ſchrieb: Ung faction est 
composse de gens zel&s pour la manatention tant de la religion 
protestante, que des privil&ges et liberts# de la nation anglaises 
l’autre de gens mal satisfaits du gouvernement, et ynl agissemt 
plutöt par un esprit de oabale, et par le seul plaisir qu’iis trou- 
vent dans le tzouble, et dans le desordre, que par ua veritable 
dessein de röformer le gouvernement. Willen Memoirs of tke house 

“ of Russel II, 263. 


Paͤpſtliche Verſchwoͤrung. 2 


heit entfagen, bleibt verbammlich und ſtrafbar; es iſt jedoch 1678. 


begreiflicher, als daß eine fo zahlreiche Koͤrperſchaft, wie daB 
Parlament '), in thörichter Überreizung und gränzenlofer 
Leichtgläubigkeit, die fogenannte paͤpſtliche Verſchwoͤ⸗ 
rung (popish plot) einſtimmig für erwieſen hielt. Der 
-Dapft (verlündete man) bat ſich zum Herrn von England 
erklaͤrt, alle hohen Meichäwürben bereitö befegt und ben Je⸗ 
fuiterr die Oberleitung überlaffen. Der König und alle Pro- 
tefianten follen ermorbei werben; ja felbft der Herzog von 
York fobald er fich weigert das Reich vom Papſte zu Lehn 
au nehmen. — Für diefe und viele andere aberwigige Dinge 
gand fich bei ber genauften Unterſuchung Fein befferer Be 
weis als die, obenein nicht Üibereinftimmende, Ausfage zwei 


der ſchaͤndlichſten Menfchen Dates und Bebloe?). Nirgenbs _ 


waren einzelne Katholifen über die befannten und gewoͤhnli⸗ 
then, aber thatenlofen Winfche hinausgegangen, und ben> 
noch wurden Unſchuldige mancherlei Art, auf den Grund 
her belohnten, und deshalb fich häufenden Angebereien ver 
haftet, verurtheilt und hingerichtet ). Volk, Parlament, Ges 


1) Er befchloß einftimmig am 31 Oktober“ that there has been 
and still is a damnable and hellish plot contrived arfd carried on 
by the papists, Macpherson Hist. I, 260. Mehre Schriften daruͤber 
in Bomers tracts Vol. VII. 

.2) Dates benahm ſich überall (vom allgemeinen Beifall gehoben) 
wit hoͤchſter Frechheit und fügte z. B. ber Herzog von York fey vom 
Teufel befeffen, und er, Dates, mache ſich Fein Gewiſſen baraus ihn, 
aus Liebe zum Volle, mit eigener Hand umzubringen. Beresby 68. 
Clarke James I, 514, 658. R 

9) Those mercenary spies are very officlous, that they may 
deserve their pay, and they shape this story to the temper of 
those whom they serve. Burnet II, 825. — Transactions, which 
imprint an indelible stain upon the wisdom and integrity of our 
ancestors. Somerville 70. Macpherson Hist. I, 247. Über bie da⸗ 
maligen Ansfdnvelfungen bes Pöbels, Verhoͤhnung alles Katholifchen u.f. w. 
Calamy life and times I, 84. Es wurden 10 Layen und 7 Priefter 
(barunter einee Aber 70 und einer über 80 Jahre alt) hingerichtet, 
und alle Geſetze über bie Katholiken mit fchrediicher Strenge — 
Memoirs of the = Catholicks III, 74. 


* 


296 Sechstes Buch Siebentes Hauptſtuͤck. 


1679. ſchworne, Zengen, Kläger und Richter hatten alle, obwohl 


nicht gleichen, Antheil an diefem Wahnfinne und diefen Fre⸗ 
ven. Ja es ift leider nicht zu bezweifeln daß Shaftesbury 
vorfäglih und wiffentlih ben blinden Eifer erhöhte, um 
feine Plane wider Danby unb York durchzufegen‘), und 


baß der König das Zobesurtheil über Perfonen (fo über 


n 


Lord. Stafforb) vollzog, von deren Unfchulb er vollkommen 
überzeugt feyn mußte ?). 

Danby, ber Gunſt des Königd wenig vertrauenb unb 
der fogenannten Volkspartei verhaßt, hoffte ſich dadurch zu 
fihern und beliebt zu machen, daß er jene Unterfuchungen 
über bie paͤpſtliche Verſchwoͤrung eifrig befördert. Allein 
dieſe firäfliche Nachgiebigkeit gegen berrfchende Vorurtheile 


des Volkes, brachte ihm keinen Vortheil, weil eine ähnliche 


Schwäche gegen Töniglihe Wünfhe an ben Tag Tam?). 
Im Auftrage Karld hatte Danby (obgleich fonft ein Gegner 
Frankreichs) die Hand zu neuen Unterhandlungen mit Lud⸗ 
wig XIV geboten und an den engliſchen Abgeordneten in 
Paris Montague geſchrieben: wenn ber Friede in Nimwegen 
angenommen werde, ſolle Ludwig binnen drei Jahren ſechs 
Millionen Livres an Karl zahlen; und dies um fo mehr da 
bed Lesten Nichttheilnahme am Kriege den Franzofen vors 


‚theilhaft gewefen und dad Parlament nicht in einer Stims 


mung fey während der nächften Jahre Geld zu bewilligen. — 
As der Inhalt dieſer Briefe und Verhandlungen bem Uus 


1) Moore Geſchichte 55. Vaugham u ‚428. Russel life I, 
127. Salmon examination of Burnets History 789. Dalrymple I, 


: 171. Bumet II, 732. No am 28ften Okt. 1680 warb Robert 


San aus bem Parlamente verjagt, weil-er ſagte: es gebe keine päpfls 
liche, fonbern eher eine proteftantifche Verſchwoͤrung. Hist. of Com- 
mons I, 386. 

2) Das Oberhaus verurtheilte Stafforb mit 86 gegen 31 Stim⸗ 
men. Hätten bie Lords ihn Losgefprochen, wären alle verwandten Bes 
fchlüffe .thöricht und ungerecht erfchienen. &o folgte Eines aus dem An⸗ 
deren. Lingard XIII, 239, 241. Proben ber bamaligen Streitſchrif⸗ 
ten, fiehe in Somers tracts VII, 819. 

$) Macpherson Hist. I, 257. 











® 


Danbys Fall Neues Minifierium. 297 


terhaufe bekannt warb, betrachtete es biefelben als einen vers-1679. 
- rätherifchen Verkauf der Rechte und Pflichten Englands, und 
ftellte damit andere Anklagen wider Danby in Verbindung. 
Er mußte abdanken und ward bis zum Jahre 1685 im Tower 
gefangen gehalten. Aus feinem Prozeffe wurben die allges 
meinen Folgerungen gezogen: daß bie in einer Sitzung bed 
Unterbaufes begonnene Klage in ber zweiten weiter geführt _ 
wird, jeber angeklagte Pair das Oberhaus verlaffen muß, 
und kein ausdruͤcklicher Befehl des Königs, fowie Feine von 
‚ihm im voraus audgefprochene Begnadigung, gegen Anklage 
und Verantwortlichkeit (übt ). 

Gleichzeitig mit dieſen Creigniffen und während der 
hoͤchſten Aufregung durch die papiftifche Verſchwoͤrung, wur: 
den alle Katholiken vom Parlamente audgefchlofien, und fos 
‚gar der Antrag gemacht bie Königinn fortzufchiden weil der 
. nichtöwirbige Dates allerlei gegen fie ausgefagt hatte”). 
Endlich machte Lord Ruffel den förmlihen Vorſchlag: den 
Herzog von York, ald Katholiken, für unfähig zur Thron⸗ 
folge zu erflären. In dieſer Bebrängniß Iöfete der König 
om 24ften Ianuar 1679 endlich dad Parlament auf und . 
ernannte, um bie Oppofition zu fehwächen, ſelbſt Ruffel, Efs 
fer und Shaftesburg zu Miniflern. Mit Recht hatte Temple 
geweiffagt daß vieſe Männer, insbefondere Shaftesbury, des⸗ 
halb nicht ihre Plane und bie Wähler des neuen Parlaments. 
nicht ihre Anfichten aufgeben wilden. Der König, fo ſprach 
“man, hofft durch diefen leichten Kunftgriff nur Geb wer - 
halten, und alle Klagen über Mißbraͤuche mühelos zu befei- . 
tigen. So fielen die neuen Wahlen (deren jede ſchon das 
mald 200 bi8 2000 Pfund Foftete) ’) großentheild im Sinne 


1) Russel life I, 98, 95, 140, 151 —158, Bist. of the Com- 
mons I, 316. Macpherson Hist. I, 271. Burnet II, 726, 761—764. 
Clarke James I, 513. Vaugham II, 484, BReresby 102. 

2) Parl. Hist. IV, 1050. Dan hoffte der König werde eine An⸗ 
dere beirathen und Kinder belommen. » 

3) Beresby 13. Temple Memoirs upon his retirement, Works 
J, 887. Zemple wollte fi) nicht mit Shaſtesbury und Monmouth ges 


v 


28 Gehstes Bud. Siebentes Hauptſtuͤck. 


1679. der alten Oppofition aus, weshalb der Herzog von Vork, 
um die Semüther zu beruhigen, nach ber Weiſung bed Kd- 
nigs England verlaffen mußte. 

Bei der Eröffnung feines dritten Parlamentes, am 
fechöten März 1679 fagte Karl: er habe die Katholiken vom 
Parlamente ausgeſchloſſen, Verſchwoͤrungen befiraft, dad Deer 
fo weit als möglich entlaſſen und feinen Bruder entferut; 


als auf mein Wolf verlaffen‘)1” — Barillon hingegen ſcheicb 
nach Paris: „Karld Anfehn ift fo geſunken, dag ein Bünb- 
niß wit üben Nichts werth erſcheint. Beſſer ben Partei: 
bäuptern ben Hof machen, damit die libelftände fort 

hg dann au in ſolchem Maaße daß Karl 


—— fir Dei Milionen Since Binnen De 


mit den Zahlungen inne zu halten und ihm boppelte Verle⸗ 
gen York verbinden, fondern bie Ginigleit in der Eöniglichen Familie 
erhalten. 

1) Deirymple I, 270-285. Macpherson Hist. I, 273 — 284. 


2) Willen Memeits ef the hause ef Ramcl IL, 250. 








‘ 


Karı U und Ludwig XIV. Threonfolge. 299 


genbeiten gu bereiten. Der höchfte Zweck ber franzöfifchen 1680. 

Politik (ſchreibt Bariton) gebt dahin zu hindern daß fich 

König und Parlament in England 'verfländigen und eini⸗ 

gen. — Dem gemäß machte Ludwig KIV dem Koͤnige Karl 

Hoffnung auf neue Geldzahlungen, und forderte ihn auf er 

folle feinen Unterthanen kuͤhn entgegentreten. Gleichzeitig 

bewilligte er mehreren vepublifanifchen Haͤuptern DIahrgelber 

und ermahnte fie, unter feinem mächtigen Schuhe die Frei⸗ 

heiten des Volkes zu vertheibigen ‘); ben Herzog von York 

endlich beftärkte er in der Meinung: man müffe einen Buͤr⸗ 

gerkrieg herbeiführen, um bie koͤnigliche Gewalt herzuſtel⸗ 

len. — Anſtatt dieſe nichtöwindige Staatskunft zu durch⸗ 

Schauen und Ihr kuͤhn entgegenzutreten, blieben ber Teichtfinnige 

bettelhaft arme König, ver bigotte Herzog und eine ganze 

Schaar angeblich freier und freigefinnter Republikaner, die 

Knechte eined fremden, ihrem Vaterlande feindlichen, fie 

ohne Ausnahme verachtenden Königs! Binnen zwei Iahren 

Köfete der König vier Parlamente auf, weil er eines zu behans 

bein verfland, und die ‚Forderungen feiner uͤberreizten Geg⸗ 

ner andererſeits immer ungemefjener und gefährlicher wur 

ven. Da uns jedoch der Raum fehlt alle Pleinen Ränte, 

Beſtechungen, Schwächen, Hoffnungen und Umſtellungen 

‚ber Parteien zu erzählen, muͤſſen wir uns auf die Entwicke⸗ 

ung ber wichtigften Hauptfrage befchränten, welche Jahre lang 

bie Semüther in die größte Bewegung fehte, nämlich bie 

Sage: über. bie Fünftige Thronfolge. | 
Die Parteien der Torys und Whigs, traten biebl 

aufs Beſtimmteſte einamber entgegen. Über ven Urſprung 

dieſer beiden Namen find die Meinungen verfehieden *); doch 

bezeichnete wahrſcheinlich jenes Wort die wilbeflen Icländer 

und dieſes die aͤrmlichſten Schotten. Was Anfangs Spott 

und Verachtung ausdruͤcken follte, rechneten fich bie Bezeich⸗ 3 

neten bald zur Ehre und fanden in jenen Worten, jenen 


1) Dalrymple I, 275 — 285, 8839—390. Flassan IV, 10. 
2) Somerville.82. Russel life I, 188. 





300 Sechstes Buch. Siebentes vauptſtae. 


1000. Namen, einen Vereinigungspunkt für recuſqh und religiöfe 
Grundſaͤtze und Zwecke. Dieſe haben fi) im Ablaufe ber 
Zeit allerdings bedeutend geaͤndert und umgeſtaltet, doch 
kann man im Allgemeinen behaupten: daß die Torys im⸗ 
merdar der Krone, und die Whigs dem Volke ſo viel Recht 
und Macht zuwenden wollten, als irgend mit Sicherheit 
und Freiheit vertraͤglich erſchien. Auf beiden Seiten fehlte 
es aber nicht an Mißverſtaͤndniſſen und Übertreibungen, wie 
fhon bie damaligen Verhandlungen über bie Thronfolge ex: 

weiſen. 

Jakob, Herzog von York, ber Bruder des kinderlo⸗ 
ſen Koͤnigs, war ohne Zweifel nach Geburt und Herkom⸗ 
men der naͤchſte Thronerbe. Deshalb wollten ihn die Einen 
unbedingt anerkennen, waͤhrend ihn die Anderen ſeines Ka⸗ 
tholicismus halber, unbedingt ausſchließen wollten, und zwi⸗ 
ſchen dieſen beiden aͤußerſten Vorſchlaͤgen entwickelte ſich eine 
dritte Anſicht wonach Jakob zwar den Thron beſteigen, aber 
durch gewiſſe Bedingungen beſchraͤnkt werden ſollte. 

Am vierten November 1678 brachte Lord Ruſſel zum 
erſten Male eine Bill auf Ausſchließung Jakobs ein; woge⸗ 
gen ber König bereits am neunten November erklaͤrte: er 
werde jeber Maaßregel zur Sicherung des Proteſtantismus 
beiftimmen, ſofern man bie geſetzliche Erbordnung nicht an⸗ 
taſte). — Als dieſe Erflärung fruchtlos blieb, loͤſete ber 
König das Parlament am 24ften Januar 1679 auf. Im 
bem neu berufenen warb aber jener Vorſchlag am 15ten 
Mai nochmals folgendergeflalt erneut: die Priefter und Se 

ſchaͤftstraͤger des Papftes haben, den Herzog von York ver- 

rätherifch zur katholiſchen Kirche zuruͤkgebracht, woraus Bes 

- gümfligungen der Katholiten und Franzofen zum größten 

Nachtheile Englands hervorgehen. Deshalb wird er fuͤr un: 
fähig zur Thronfolge erfiärt, und das Recht feinen naͤchſten 


1) Parl. Hist. TV, 1026--1086. History of the Commons I, 859, 
4245 II, 188. Shaftesbury benugte die Aufregung bes Volks durch bie 
päpftliche Verſchwoͤrung, wiber Jakob. Panzoni Mem. 319, 


⁊ 








Erbfolge. Ausſchließungsgeſetz. | 201 


Erben üuͤbertragen. Ale Handlungen der Souverainetaͤt 1680. j 
weiche Jakob vornehmen koͤnnte, gelten für Hochverrath. 
Deögleihen wenn jemand mit Ihm in Verbindung tritt, oder 
den Verbannten nach England zurhdfüht. In letztem Falle 
fol ber Herzog mit Gewalt verhaftet werben. 

In einem ſpaͤteren Gefebentwurfe betrachtete man die . 
Sache fo, als ſey Jakob bereits geftorben, und nahm auf 
die esneute Erflärung bes Königs keine Rüdfiht. Hieran 
reihte fich ben 12ten Julius 1679 die Aufloͤſung deg drit⸗ 
ten und im Oktober 1680 die Berufung des vierten Par 
laments, welches jedoch biefelbe Angelegenheit fogleich wieder 
in Anregung brachte. Die mit verboppeltem -Eifer entwidel- 
ten Anfichten ber Parteien laſſen fich am beften überfeben, 
wenn wir bie einzelnen Behauptungen von einem Tory und 
einem Whig ausfprechen und widerlegen laffen ). 

Zory. In jedem Staate giebt ed gewifie Grundge⸗ 
fege und Grumdeinrichtungen, welche man f chlechterdings als 
unveraͤnderlich anerkennen muß, wenn nicht Alles in anar⸗ 
chiſche Willkuͤr und regelloſe Bewegung gerathen ſoll. Zu 
dieſen Grundgeſetzen gehoͤren die uͤber die Thronfolge. Auch 
dürfen König und Parlament dieſelben um fo weniger anta⸗ 
fien, da fie im göttlichen Rechte ihre Wurzel haben. 

MWhig. Im Ablaufe der Zeit und aus genügenben 
Gründen find im den verfchiedenen Staaten die allergrößten 
und wichtigſten Weränderungen vorgenommen worden, und 
es erfcheint als bloße Willkuͤr dies ober jenes für unantaſt⸗ 
bar zu erflären, wodurch man Fortſchritt und Entwidelung 
unvdernünftigerweife unmöglih macht. König und Parlas 
ment haben fich deshalb nicht gefcheut das Allerwichtigfte, 
felbſt die Religion, umzugeftalten; wollte man aber bag Reht 
zu ſolchen Beſchluͤſſen leugnen, fo wuͤrde England nicht 
bloß an dem aberglänbigen Katholicismus, fondern fogar am 
blinden Heibenshume haben fefthalten muͤſſen. Nicht bloß 


1) Ich dränge den weientlichen Inhalt bee bamaligen fehr weit 
läufigen Reben und Schriften möglichft zuſammen. 


” 
‚, ® 


2 Sechsſtes Bud. Siebentes Hauptfikd. 


1680. dies ober jenes Kapitel aus dem Staats⸗, Kischens und 
VPrivatrechte, fondern. alles und jedes Recht hat feine goͤtt⸗ 
liche Beglaubigung; nur befteht diefe nicht darin dad Vor⸗ 
bandene dem Kreife vernünftiger Prüfung zu entziehen. Diefe 
vernünftige Prüfung widerfpricht Feinem ewigen Gefege bed 
Evangeliumd, und am wenigften bietet biefes einen Gober _ 
fiber das Erbrecht der Prinzen, oder Prinzeffinnen. Kein 
echt des Blutes ift fo wichtig, daß es nit bed allgemei= 

nm Beſtens willen koͤnnte zuruͤckgeſetzt werden. Auch find 
nicht alle Regierungen durch goͤttliches Recht gegruͤndet und 
beſtaͤtigt; ſonſt waͤre Gott mit managen Herrſchern zu⸗ 
gleich ſelbſt ungerecht. 

Tory. Allerdings haben Koͤnig und Parlament im 
Laufe der Zeit Unzaͤhliges, und fü insbeſondere die Geſetze 
über die Thronfolge abgeändert; allein diefe Anverungen ha⸗ 
ben (troß der vorhergegangenen angeblich vernünftigen Pruͤ⸗ 
fung) faft immer fehr fchlechte Folgen getragen und erwie- 
fen daß man da am glüdlichften und weifeften ifl, wo Fra⸗ 
gen fo fehmwieriger Art gar nicht aufgemorfen werben. 

Whig. Gewiß find die Verhältniffe am glüdlichften, 
wo gar feine Veranlaſſung vorhanden if dad Erbrecht in 
Zweifel zu zieben; wenn aber hiezu einmal Gründe vorhan⸗ 
ben find, hilft es zu Nichts wenn man dagegen bie Augen 
vorfäglich verfchlicßt. Auch if es imig zu befaupten daß 


Throufolge. Ausſchließungsgeſet. 303 


un: der Könige zur Anwendung, um den Katholicis⸗ 1680. 
mus zu Grunde zu richten. | 

Whig Das Weſen und ber Inhalt des Katholicis⸗ 
mus beſteht keineswegs bloß in einigen wiffenfchaftlichen 
Grundſaͤtzen und Slaubendlehren. Er ift wefentlich unduld⸗ 
fam, hält die Ausrottung abweichender Anſichten fir hoͤchſte 
Pflicht und bedient fich dazu ohne Scheu aller und jeder 
Mittel. Papftthum und unbefchränftes Koͤnigsthum find im⸗ 
merdar vereint; wenn biefe beiden Übel einbrechen, "werben 
bie Engländer. Hölgerne Schuhe tragen müfjen wie bie ‚Frans 

zofen und Gras effen wie die Spanier’). 

Tory. Es iſt eine kleinliche thoͤrichte Furcht daß ber 
Herzog von York und einige tauſend Katholiken, ben Pros 
teſtantismus ausrotten koͤnnten. 

Whig. Überall wo katholiſche Herrſcher waren (in 
Ungern, Öfterreih, Frankreich, ja in ganz; Europa) ift ber 
Proteſtantismus unterbrädt worden; unb wenn bied etwa 
nicht gleich Anfangs durch die bärteflen Maaßregeln gefchab, 
Dann doch allmälig durch - Belohnungen, Zuruͤckſetzungen 
und zweibeutige Mittel aller Art. 

Tory. Der ganze Plan if fehon deshalb. verdamm⸗ 
lich, weil er einen Bruch des Huldigungseides in fich fchließt, 
ober nothwendig herbeifühtt. 

Whig. Der Huldigungseid wird geleiftet, nach Vor⸗ 
fehrift und Inhalt der Erbgeſetze. Werben biefe unter Beob⸗ 
achtung parlamentarifcher Formen abgeändert, fo erhält auch 
jener Huldigungseid eine neue Bedeutung und Faffung. 

Tory. Wenn es fhon Unrecht iſt den Beinften Mann 
im Lande bed geringften. Rechtes zu berauben, wie darf 
man dem Kronprinzen ungehört ein ganzes Reich abfprechen? 

Whig Der Thron iſt nicht in dem Sinne Privatels 
genthum, wie eine andere Erbſchaft; dad Staatsrecht darf 
und muß bier dad Privatrecht befchränten und regeln. Fer⸗ 


1) Parl. Hist. IV, 1240, 1190. History of the Commons I, 
885. Russel life I, 215. Barnet II, 791. 


304 Sechstes Bud. Sirbentes Haupifkd. 


1680. ner wirb ber Herzog keineswegs ungehoͤrt verurtheilt, da die 


einfachen Gründe feiner Ausſchließung weltkundig ſind und 
es ihm nicht an Vertheidigern fehlt. 

Tory. Die Ausſchließung Jakobs wird alle katholi⸗ 
ſchen Maͤchte Europas beleidigen und England vielleicht in 
gefaͤhrliche Kriege verwickeln. 

Wiig. Es wäre eine elende Feigheit, wenn englifche 
Geſetzgeber ſich durch fremde Maͤchte beſtimmen ließen. Schon 
jetzt erwaͤchſt die thoͤrichte Verbindung mit Frankreich und 
die beklagenswerthe Nichtigkeit unigre® Vaterlandes, aus der 
Hinneigung zum Katholicismus; wogegen das vorgefchlageme 
Geſetz ade Proteftanten ermuthigen und ihren Bund vers 
ſtaͤrken wird. 

Zory. Der Herzog von York if ein edler, engliſch 
gefinnter, kluger Mann; er wird am wenigflen in jene Irr⸗ 
thümer und Abwege gerathen. 

Whig. Vor dem blinden Eifer der Neubekehrten, Con⸗ 
vertiten, verfchwinbet alle Klugheit und Vorficht; und wen 
Eein katholiſches Volk jetzt einen proteflantifchen König dul⸗ 
den winbe, fo ift auch für das proteflantifche England Bein 
Grund vorhanden fih einem Katholilen zu unterwerfen. 
Unſer mangelhafted Staatsrecht muße vervollſtaͤndigt werben 


und fich hieruͤber beſtimmt ausfprechen; .cben fo wie man 


fi in anderen Reihen, z. B. in Schweben bereitd auöges 
fprochen hat. 

Tory. Nur wenn man felbft mit Mäßigung vorſchrei⸗ 
tet, kann man Mäßigung von Anderen erwarten. Auf Dem 
betretenen Wege wirb, (wenn auch ein auswaͤrtiger Krieg zufällig 
vermieden werben follte) gewiß ein innerer Krieg hereinbre⸗ 


chen. Nur mit Heeresmacht laͤßt fi das Ausfhliegungs- 


gefeb wider Jakob geltend machen, und wenn dieſer obfiegen, 
als Eroberer auftreten follte, fo nehmen durch die Schuld 
ber heutigen Eiferer, alle Rechte und Freiheiten Englands 
ein Ende. 

Whig. Schwäche, die fi für Mäßigung hält und 
ausgiebt, gräbt fich felbft eine Grube ,‚ und wenn man mit 





Ausſchließungsgeſetz 305 


Recht von Jakob voraudfekt, daß er bem englifchen Staats» 1680. 
umd. Kirchentechte feind fen, fo ift es beſſer beflimmte Ges 
fete zu geben und -flr dieſe Geſetze zu kaͤmpfen, ald ohne 
been Beiſtand der uͤberhand nehmenben Tyrannei entgegen- 
zutreten. Es tft ummöglich daß ein Katholil ruhig in’ Eng: 
land herrfchen kann; ein papiflifcher Kopf zu einem proteſtan⸗ 
tifchen Körper iſt gin Ungeheuer. Der Bürgerkrieg bricht am 
wahrfcheinlichften aus, wenn Jakob Katholil bleibt und Kö: 
sig wird; mithin gereichen unfere Vorſchlaͤge gleichmäßig 
zu feinem und zu unferem Beften. Auch ift zulest ein Buͤr⸗ 
gerkrieg wider Goͤtzendienſt und Tyrannei beffer, als ſklaviſche 
Unterwerfung. 

Zory. Die Vorſchlaͤge der Whigs find fchon deshalb 
ganz unnuͤtz und tadelnswerth, weil ber König erflärt hat, 
er werbe fie niemals: befldtigen. 

Whig. Könige haben oft ſpaͤter beflätigt, was fie 
früher zuruͤckwieſen; und auf feine Weiſe dürfen und Ver⸗ 
muthungen über ein etwaiged Veto abhalten dad zu thun 
und zu befchließen, was Pfliht und Überzeugung vor: 
ſchreiben. 

Tory. Der König wird dad Parlament aufloͤſen, be- 
vor der Antrag burchgegangen iſt. 

Wihig. Der König wird ein neue Parlament berus 
fen muͤſſen und bied auf der Bahn beharren, welche es für 
die richtige hält. 

Tory. Die Ausfchliegung Jakobs führt zu einer Menge 
unbeantwortlicher, unlööbarer Fragen. Wer 3. B. fol flatt 
feiner regieren, oder bie Vormundſchaft führen? Etwa 
der Prinz von Oranien? Soll, noch ärger. ald zur Zeit 
ber beiden Rofen, die Tochter Krieg erheben wider ihren 
Bater? | 

Whig Es ift nicht unfere Aufgabe alle Eünftigen 
Möglichkeiten vorberzufehen und alle Fragen bereits jest zu. 
entſcheiden; fondern dad Nächte und Nöthige zu thun, ober 
boch dem Herzoge von York zu zeigen daß dad englifche 
Königthum und der Proteftantiömus unfrennlich verbunden 

vi. 20 


306 Sechstes Bud Siebentes Hauptſtück 


1680. find. Uberhaupt helfen dieſer Tadel und dieſe Einreden zu 
Nichts, da niemand etwas Beſſeres, wahrhaft Sicherndes 
vorzuſchlagen weiß. 

Tory. Beſſer würbe es ſchon feyn flatt bes aͤußer⸗ 
ſten Mittels, ber Ausfchließung des Herzogs ven York, in 
gewiſſe Bebingungen zur Sicherung bed Staats⸗ und Kir⸗ 
chenrechts vorzulegen, an ber gefeblichen Erbfolge abes feſt⸗ 
zuhalten. 

Wihig. Eifrigen Katholiken gegenuͤber helfen Verſpre⸗ 
chungen, Vorſchriften, Geſetze und Eide zu Nichts; fie hal⸗ 
ten ſich aus angeblich hoͤheren Gruͤnden fuͤr berechtigt und 
verpflichtet dieſelben zu umgehen, ja mit Fuͤßen zu treten. 
Hier, wo ſelbſt die ſtaͤrkſten Bande nicht binden, wie kann 
man hoffen Loͤwen in einer Mauſefalle zu fangen! Auch ver⸗ 
geſſen Viele daß große Beſchraͤnkungen der koͤniglichen Macht, 
dem Koͤnigthume viel gefährlicher find, als eine durch Geſetz 
ausgeſprochene, einmalige Abweichung von der gewoͤhnlichen 
Erbfolge. Endlich waͤre es weit haͤrter wenn man, wie 
Einige wollen, Jakob in allen Rechten und Anſpruͤchen uns . 
angetaftet ließe, die Katholiten aber verbannte, oder einen 
Theil ihrer Güter einzöge '). 

So ungefähr wurden Gründe und Gegengrunde ausge⸗ 
ſprochen; die für Jakobs Ausſchließung Stimmenden behiel⸗ 
sen aber im Unterhauſe die Oberhand, und am Ibten No⸗ 
vernber warb die Bill dem SOberhaufe durch Lorb Ruffel 
auf eine Weife überreicht an welcher Manche Anſtoß nah⸗ 
men. Schon in dieſem Augenblide mußte fich ber König 
daruͤber enticheiben: ob und wie er auf ben weiteren ‚Gang 
der Bill einwirken. und ob er fie im Kalle ber Beiſtinmung 
des Dberhaufes befidtigen wolle! Einige finchteten: ihre 
Verwerfung und bie damit in nothwenbiger Verbindung ſte⸗ 


1) Noch Andere fchlugen vor: man folle bie Katholiken bezeichnen 
damit man fie kenne, etwa wie die Huren in Rom, ober bie Peſtkran⸗ 
ken; beun fie. wären eine Peft für England! History of the —— 

maons ]J, 159, 


Ausſchließungsbill. 07 


hende Aufloͤſung bed Parlaments werde dad Volk immer 1680, 
mehr aufreizen, den Koͤnig ohnmaͤchtig machen und ganz in 
die Hände Frankreichs werfen. Beſſer fih den Gegnern 
biefer Macht, den Niederländern und Spaniern anfchließen 
und England: durch die Beſtaͤtigung eined Geſetzes beruhis 
gen, welches um beöwillen (wie fo viele Beifpiele zeigten) 
noch nicht zur Vollyiehung komme. — Umgekehrt warnte Ja⸗ 
kob nebft Gleichgefinnten feinen Bruder: er möge fich nicht 
in biefe Falle Ioden laſſen), für Holland und Spanien 
opfern und einen Krieg wagen, ber ihn ganz vom Parla⸗ 
mente abhängig mache. Im ber engften Verbindung mit 
Frankreich fey allein Hülfe zu finden, dorther müffe man 
Geld beziehen und ohne Parlamente regieren. — Die katho⸗ 
Uiſche Herzoginn von Portömouth ſchloß fich eine Beitlang 
ben Whigs an?), weil fie fhrchtete ſonſt von ihnen als ein 
wegzurdumender Übelftand (a grievance) bezeichnet. zu wers 
benz fobald aber Jakob bie Hand bazu bot ihr einen an⸗ 
ſehnlichen Geldgewinn zu verfchaffen, ſprang fie raſch um 
und trot auf feine Seite. Effer, Sunderland, Gobolphin 
und noch einige Mitglieber bed Rathes wollten jeden Bruch 
zwoifchen König und Parlament vermeiden ımb nur ben Bers 
ſuch machen im Oberhauſe gewiffe Abänderungen durchzu⸗ 
fegen; der König und Lorb Halifar Mlimmten hingegen da⸗ 
ſuͤr: die ganze Bill miffe beim erften Lefen verworfen wers 
den. Um in. biefem Augenblide bie Leidenfchaften aufs 
Höchfte zu treiben und bad Oberhaus wider Jakob einzu: 
nehmen, warb verfünbet: biefer habe den König buch Dans 
gerfield wollen umbringen laſſen; die Ausfagen ſchaͤndlicher 
Verlaͤumder fanden jeboch bei den Lords Feinen Glauben. 
Wohl aber flellten Jakobs Freunde ihm aufs Dringenbs 
fie vor: er folle wieder proteflantifch werben! Es gebe kein 
anderes Mittel fi, und für die Zukunft auch feine Familie 
zu vetten, und dad Meich vor Elend, Zerwuͤrfniß und Bir; 


1) Clarke James II, I, 615 — 639, 


2) Salmon examination of Burnet 858. 
| 20 * 


308 Sechstes Buch. Siebentes Hauptſtück. 


1680. gerkrieg zu bewahren. Durch ſeine Hartnaͤckigkeit entſtehe 
ſchon jetzo die Noth des Koͤnigs, die Verfolgung der Katho⸗ 
ſſken und widerwaͤrtiger Streit aller Art. König Heinrich IV 
von Frankreich habe in einer ähnlichen Lage erwiefen was 
ein Fuͤrſt feinem Waterlande, feinen Volke ſchuldig fey, und 
damalige Worurtheile am beſten durch Nachgiebigkeit be- 
kaͤmpft und vernichtet, ohne dad weſentlich Chriflliche preis 
zu geben. 

Jakob antwortete: ich hoffe daß man mich nie wieber 
in folcher Weiſe bebrängen wird, auch habe ich nicht die ges 
ringfle Weranlaffung zu dem Wahne gegeben, ich wolle je 
mals vom katholiſchen Glauben abfallen. Vielmehr hoffe 
ih als ein treuer Sohn der rechtgläubigen Kirche zu flerben, 
und will bis dahin Alles was mir deshalb zufloßen koͤnnte, 
mit chriftlicher Ergebung tragen. Denn id) habe jenen Schritt 
des Religionswechſels nicht uͤbereilt, oder umvorbereitet ges 
than, fondern in Folge der ernfteften Forſchung. Diefe übers 

: zeugte mich daß Fein Reformator, Feine proteflantifche Kies 
che irgend berechtigt war das zu thun, was fie that. Mit⸗ 
bin iſt meine Belehrung lebiglich Folge der Wahrheit, fie 
iſt nur um der Wahrheit willen gefchehen und Feine zeitliche, 
Feine weltliche Rüdfiht kann mich bewegen bad Ewige preis 
zu geben und zu verlehgnen. Auch wärbe ein neuer Reiz 
gionswechfel fehlechterbings nicht zu dem erwünfchten Ziele 
führen. Denn meine Gegner würden fagen: er fey unaufs 
richtig und nur Folge erhaltener paͤpſtlicher Erlaubniß, wes⸗ 
halb die Gefahr dadurch lediglich wachſe und noch fizengere 
Buͤrgſchaften und Sicherungsmittel dawider noͤthig wären. 
Dieſe muͤßten aber unfehlbar die Vernichtung der koͤniglichen 
Macht nach ſich ziehen, und eine Republik herbeiführen. 
Nicht mein Religiondwechfel, fondern lediglich Wankelmuth 
und Schwäche der Regierung haben bie jebigen Mißverhält- 
niſſe berbeigeführt,. und eigennüßigen Unrubfliftern den Muth 
gegeben, ald Kämpfer für die Religion aufzutreten, obgleich 
fie gar Feine Religion haben. Allerdings wuͤnſche ich, daß 
Ale meine Überzeugung theilen; doch Tann mir gar nicht 


König und. Parliament. 39 


einfallen ein ganzeß Koͤnigthum bekehren, ober Gewalt. ans 1680. 
wenden zu wollen, bie ich in Religionsſachen verabfcheue. 
Für bie Erhaltung der Monarchie iſt die Erhaltung ber eng⸗ 
liſchen Kirche nothwenbig, und diefer droht noch eher Ges 
fahr. von den Diffentern, ald von. ben Katholifen '). 
Am 19ten November 1680 erklaͤrte der König noch⸗ 
mals: er fey bereit zu Jeglichem, nur nicht zum Umfturze 
ber Thronfolge; und gleich darauf begannen im Oberhaufe 
fehr merkwürdige Kämpfe. Alles was fich fuͤr die Bill ir⸗ 
gend beibringen ließ, word hauptſaͤchlich von Shaftesbury 
geltend gemacht; aber ſein Neffe Lord Halifax trat ihm mit glei⸗ 
her Beredſamkeit und noch gewichtigeren Gruͤnden entgegen”): 
So ward die Bil mit 63 Stimmen gegen 30 vom Ober⸗ 
baufe verworfen. Hieruͤber gerieth das Unterhaus in bie 
größte Aufregung, forderte die Bildung proteflantifcher Vers 
bindungen wiber bie Katholiten, und faßte am neunten Ja⸗ 
muar 1681 auf eine übereilte und ungeorbnete Weife”) fal- 1681. 
gende Befchlüffe: die Ausſchließung des Herzogs von York 
ift nothwendig. Diejenigen welche, wie Lord Halifar *), ben 
König zu jener Segenerklärung vermochten, ober ihm rathen 
bad Parlament zu prorogiren, find beftochen, Beförberer des 
franzöfifchen Intereffed und Feinde des. Könige, des Landes 
und der Religion. London iſt im Jahre 1666 von den 
Papiften verbrannt worden. Dem Könige wirb fein Gelb 
bewilligt und jedem unterfagt ihm Gelb zu leihen oder auf 
die Staatseinkuͤnfte vorzufchtegen. — Ungeachtet biefer Bes 
ſchluͤſſe prorogirte der König dad Parlament am 10ten Ja⸗ 
nuar‘), und loͤſete es am 18ten Serie 1681 . ai 


1) Clarke I, 631, 656. 

2) Parl. Hist. IV, 1215 — 1220. Reresby 60, Wiffen Memoirs 
of the house of Russel II, 253. 

8) In a loose and disorderly manner heißt es felbft in Russels 
life I, 253. — Somerville 91. Macpherson History I, 336. * 

4) Dee König wollte mit Recht wider Lord Halifax nur vorſchrei⸗ 
ten, wenn eine gefegliche — wider ihn vorgebracht und erwieſen 
werde. Russel I, 282, 

5) Parl. Hist. IV, 1298, History of Commons 1I, 97. 


\ 


310 Sechstes Bub. Siebentes Hauptfiäd. 


1681. Hieburch hatte er aber um fo weniger etwas gewon⸗ 
nen, als feine Geldverlegenheit von Tage zu Tage wuchs. 
In diefer Noth Tieß er feinem Bruder fagen: wenn er nicht 
nachgebe, nicht zur Kirche gehe und fich ihr anſchließe ), 
richte er den König, fich felbft und feine ganze Familie zu 
Stunde. — Freunde wie Feinde unterflügten Karls Korberung; 
Jakob fand ganz allein, dennoch blieb er flanbhaft. Sole 

. Kraft des Willens und Charakters ift erhaben und bewun⸗ 
dernswerth, fobalb fie dem unbebingten Irrthume, den 
ſchlechthin verdammlichen Lafter entgegenfteht; fie iſt ſelbſt 
verdammlich, wenn fie auf die Seite des Irrthumes und 
Lafterd tritt. Beides läßt fih in Bezug auf Jakob nicht 
behaupten, weil zweifelohne die hoͤchſte Aufgabe Achter Weisheit 

darin beftanden hätte, die obmaltenden Gegenfäke milde zu 
vermitteln und einen höheren Frieden aufzufuchen. Daher 
fühlen wir in Bezug auf Jakob weder Bewunderung, noch 
Abſcheu; fondern zu gleicher Zeit eine aͤngſtliche Wehmuth 
über die menſchliche Kraft und die menſchliche Schwäche. 
Nochmals wurden die Vorfchläge zu Beſchraͤnkungen 
tiberlegt, durch welche man Jakobs falfchen Eifer hemmen 
und feine Ausſchließung vom Throne hintertreiben koͤnne. 
So wollte man nur Proteflanten zu wichtigen Amtern bes 
fördern, Beinen Beamten ohne parlamentarifche Buftimmung 
entlaffen, einen Rath von 41 Perfoneh ernennen und ihm 
mit Vorbehalt parlamentarifcher Genehmigung, die vollzies 
bende Gewalt übertragen, den Herzog für bie Lebensdauer 
des Königs auf 500 Meilen von England verbannen und 
ihn, wenn er eigenmäcdtig zurüdfehre, als Hochverraͤther 
betrachten). Bedingungen biefer, ober ähnlicher Art, fuͤrch⸗ 
tete Jakob noch mehr, als eine kurzweg feindliche Aus: 
ſchließung, und felbft Shaftesburg erwies daB man auf diefe 


1) Clarke I, 699— 700. Macphexsan Hist. I, 362. 


2) Clarke I, 685, 671, 679. Vaugham II, 451. Mazure I, 
232, 263. Russel life I, 158. Kor Geſchichte 37. Auch Wilhelm 
von Dranien war gegen große Beichränfungen 275. 


= 











König und Parlament. 311 


Bir das Koͤnigthum hindpfere, waͤhrend Halifar glaubte es 1681. 
werde ſich ein Mittelweg zur Zufriedenheit und Sicherſtellung 
aller Theile auffinden laſſen. 

Dieſelbe Hoffnung theilte wohl der Koͤnig als er zum 
Aſten März 1681 ein fuͤnftes Parlament ') nach Oxford bes 
rief. Er wieberholte feine Erklärung wider Jakobs Aus⸗ 
ſchließung, erbot ſich zud allen anderen genügenden Sicher 
heitsmaaßregeln und fügte hinzu: Euere Rechte und Freihei⸗ 
ten koͤnnen nicht beftehen, fobald die Achten Rechte ber Krone 
verlegt werben, oder die Ehre der Regierung erniebrigt und 
in Mißtredit gebracht wird. — Ohne Rüdfiht auf biefe 
fefte und wohlgemeinte Erklaͤrung, erneute das Unterhaus 
fogleich: feine Anträge über die Ausſchließung, worauf es ber 
König unerwartet, jeboch nicht ohne vorhergegangene befons 
nene Überlegung, am 28ften März 1681 auflöfete. 

Im Angedenken an bie Folgen ähnlicher Auflöfungen 
des Parlamentes unter Karl I, mußte jeder Wohlgefinnte 
die Ruͤckkehr trauriger Zeiten für England befürchten, und 
ernfte Betrachtungen über die Gefchichte der lebten Jahre 
anftellen. — Deshalb fagt Dalrymple fo ſchoͤn ald wahr”): 
„wenn ein König nicht geoßgefinnt dn die Liebe feiner Uns. 
terthanen glaubt, und dieſe Fein ehrenvolles Vertrauen zu 
ihrem Fürften hegen; fo müffen beide, König und Volk, un: 
glüdlih und ruhmlos ſeyn. Ein jeder Herrſcher, welcher 
mit Fremden Raͤnke gegen fein Volk fchmiebet, thut dies 
auf die Gefahr feiner Krone; und wenn umgekehrt Unter 
thanen bied mit Fremden gegen ihren Fuͤrſten verfuchen, fo 
fegen fie alle ihre Freiheiten aufs Spiel. Wenige Zürften 
find weife genug einzufehen, daß Fein König wahrhaft groß 


1) Parl, Hist. IV, 1298—1889. History of Commons II, 101. 
Somerville 94. Als in biefem Parlamente berathen warb: ob bie 
Parlamentsverhandlungen gebrudt werben follten, fagte Leoline Jen⸗ 
kins (life I, XII.): es fey gefährlich die Verhandlungen ber Prüfung 
des Volles auszufegen und geihfem an baflelbe zu appelliven. Doch 
warb bie Frage bejaht. 


2) Dalrymple Memoirs, review. of events XX, XXI, 18, 19. 





312 Sechstes Bud. Siebentes Hauptftäd. 


1681. feyn kann, defien Unterthanen nicht fo hohen Sinn befiken 
als er felbfi; und ‚wenige Unterthanen finb edel genug anzu⸗ 
erkennen, baß biefelben Bande welche den einzelnen Bürger 
an den andern Fetten, auch Alle mit bem Throne verbinden 
müfien. Nur zu oft betrachten beive Theile, bad. was fie 
fordern als ein Geringe, und das was fie zugeftehen als 
hoͤchſt wichtig.” 

So auch bamals in- England: nur ſchien das Parla⸗ 
ment weit mehr Macht und Beliebtheit zu beſitzen, um feine 
Betrachtungs⸗ und Erklärungsweife durchzuſetzen, ald ber 
König. Und doch trafen verſchiedene, minber bemerkte Gruͤnde 
zufammen, um ein entgegengefetztes Exgebniß herbeizuführen. 
Der Gedanke vie herfömmliche Erbfolge zu verlegen fanb 
von Anfang an bei Vielen keinen Beifall, und Andere, wel- 
che eher darauf eingegangen wären, glaubten doch: man koͤnne 
ihn, bei des Königs beharrlichem Widerſpruche nicht durch⸗ 
treiben, und bie Whigs hätten Unrecht alle anderen Vor⸗ 
fehläge und verfühmenden Maaßregeln von ber Hand zu weis 
fen. Noch ftärkeren Anftoß mußte ber in Flugſchriften geäus 
ßierte, oberflächliche und ungerechte Grunbfag geben '):. wer 
den fehlechteften Rechtötitel habe, werbe immer ber befte Koͤ⸗ 
nig. — Die Oppofition außerhalb ded Parlamente war und 
blieb gemäßigt, und es fehlte nunmehr an Gelegenheit baB 
Bolt bei neuen Parlamentswahlen aufzuregen. Auch ber 
Durch die paͤpſtliche Verſchwoͤrung bervorgerufene falſche Zorn 
hatte fich abgekühlt, und die allgemeinere Unduldſamkeit, ober 
auch die Sereligiofität und Beftechlichkeit mancher Eifexer*) 
war nicht unbemerkt und ungerlgt gebliebm. Eben fo we: 
nig hatte e8 allgemeinen Beifall gefunden, daß Shafteöbury 

. und Gleichgefinnte den Thronerben, ben Herzog von York, 
feines Katholicismus halber wie einen Werbrecher vor ber 
großen Jury angeklagt hatten ?). BT: der Schotten 


1) Hallam II, 885. 

2) Lingard XII, 261. | 

3) Die Jury warb vor Abfaffung eines Beſchluſſes entlafien. 
State trials of Charles U, 466. Clarke I, 647, 697. Somerville 








Sieg bes Königs. Die Stäbte. 313 


für Die Unantaſtbarkeit der Erbfolge zeigten im Hintergrunde 1681. 
einen gefährlichen Krieg, und man fürdhtete in biefem Aus 
genblide bereits mehr die Willkir bed anmaaßenden partei⸗ 
füchtigen Parlaments '), als diellbermacht des heftig angegrif⸗ 
fenen Koͤnigthums. Hatte jemed boch nicht felten bad Pris 
votrecht verletzt, Perfonen ohne zureichenden Grund verbal 
tet und Eingaben die ihm nicht behagten, (im Widerfpruche 
mit ban Petitionsrechte) ſtolz zuruͤckgewieſen, ja felbft beftraft. 
Aus dieſen und ähnlichen Gründen ſank der Einfluß 
und das Gewicht ber Whigs, während die Macht und das 
Anfehn des. Königs flieg; und es hätte ſich wohl ein richtis 
ged, mittleres. Maaß auffinden laffen, wenn Karl fich nicht 
in boppelter Weife alten und neuen Irrthüniern bingegeben 
hätte. Zunaͤchſt gerieth er auß Geldmangel wieberum in fo 
große Abhängigkeit von Ludwig XIV-*), daß dieſer ungeſtoͤrt 
feinen vechtöwibrigen Planen nachhängen Tonnte. . Berner 
glaubte Karl: er müfje den günfligen Augenblick benuben 
um kraftvolle Maaßregeln durchzuſetzen und für Erhoͤhung 1682. 
der koͤniglichen Gewalt einen breiteren und ſichereren Grund 
zu legen. Mit Übergehung deſſen was hinſichtlich Jakobs, 
Monmouths, Shaftesburys und Anderer geſchah, heben wir 
nur hervor: daß Karl unter allerhand Vorwaͤnden) faſt 
alle Freibriefe und Urkunben. der Staͤdte, Genoſſenſchaften, 
Zuͤnfte u. ſ. w. einforderte und nach Willkuͤr ſo umaͤnderte 
daß (andere Folgen zu verſchweigen) die Anſtellung der obrig⸗ 
keitlichen Perſonen und die Parlamentswahlen meiſt in ſeine 
Haͤnde, oder in die Haͤnde ſeiner Diener und Anhaͤnger ka⸗ 
men. Unbekuͤmmert um bie fernere Zukunft, behielt er wie 
ein fiegender Eroberer immer aut bie Gegenwart im Auge, 


“481. Russel life I, 211, 267. ——— I, 850. Rereaby 
66. Belsham History I, 35. 

1) Selbſt Hallam II, 602 fpricht von votes of Parliament mar- 
ked by the most extravagant factioussness. 

2) Durch einen Vertrag vom 24ften März 1681. Flassan IV, 22. 

8) Dalrymple Book I, 28. Somerville 140. Russel life II, 
7. Fox 57. Mazure Il, 349. 


31% Sechstes Buch. Siebentes Hauptſtück. 


1682. und erhob ſich nie auf ben Standpunkt aus welchenn damals 
faſt allein Wilhelm von Dranien bie Verhaͤltniſſe Eng> 
lands und Europas betrachtete. Diefer kam im Julius 1681 
felbft nach England und fielte feinem Oheim vor: er mäfle 
ſich ſchlechterdings mit Parlament und Boll vertragen, und 
dann in Europa kraͤftig entfcheiden. Ohne Parlament bleibe 
ein König von England unficher und ohnmaͤchtig. — Soll 
ich, (entgegnete Karl) Kriegsmacht, Miniſter, fell ich alle 
meine Rechte preis geben? — Nein, erwiederte Wilhelm; 
und des König glaubte durch diefe Werneinung völlig ges 
rechtfertigt zu feyn. In der That war aber diefe Gefahr 
keineswegs vorhanden, fobalb König Karl Englands und 
Europas VWerhaͤltniſſe richtig betrachtete und würbigte. Nur 

. für den Fall daß Frankreich Flandern angreife, verforach ex 
ein Parlament zu berufen, ob er gleich überzeugt fey es 
werbe keinen Pfennig zum Kriege bewilligen. In biefer 
Lage liberlegten die Holländer und Spanier ob man nicht 
„Luremburg preis geben folle, um ben König zu ber vers 
fprochenen Maaßregel zu zwingen unb jene fhrachen laut 
aus: Karl ſey von Frankreich beſtochen und Lafle. Alle zu 
Grunde geben. Geſtehen doch felbft die eifrigften Vertheidi⸗ 
ger der Stunts: die Maitrefien hatten mehr Einfluß auf 
den König, ald Wilhelm von Dranien und bad Schickſal 
Europas ')I 
1683. Auch wandte ſich bald bie Thaͤtigkeit zn Theilnahme 
hauptſaͤchlich auf wahre, ober eingebilbete Verſchwoͤrungen. 
Die eine, Verſchwoͤrung ded Roggen» ober Mehlhauſes ges 
nannıt, war von geringen Perſonen eingeleitet unb bezwedite 
wohl die Ermorbung bed Könige und des Herzogs von 
York. Die zweite, welche man bei Gelegenheit der erflen 
entbedt haben wollte, hatte nie in ber vorgeblichen Weiſe 
beftanden Und nie ein eigentliched Verbrechen beabfichtigt *). 


1) Clarke James I, 691, 720, 724. Macpherson RT, 366. 
D’Avaux negoc. I, 114. 

2) Bor (Sefchichte 204) meint: das Meiſte fey wohl als Gegen: 
ſtuͤck zur päpftlihen Berfäodrung erfunden, ' 








Verſchwoörungen. Ruſſel, Sidnen. 316 


Männer wie Ruſſel, Eſſer, Sidney, Shaftesbury, Mons 1683. 
mouth und Andere rathſchlagten oft uͤber die Lage der oͤf⸗ 
fentlichen Angelegenheiten, und einigten ſich daruͤber: daß es 
Faͤlle gebe wo der Widerſtand gegen geſetzwidrige Maaßre⸗ 
geln der Regierung, ein Recht und eine Pflicht ſey. — Von 
bier aus kamen fie zu dee Frage: wie bier oder dort eine 
bewaffnete Berbindung behufs ihrer Zwecke zu gründen ſey; 
allein weiter konnten fie ſchon um beswillen nicht vorge⸗ 
fehritten feyn, weil fie, über jene allgemeinen Betrachtungen 
hinaus, in ihren Anfichten und Zwecken nichts weniger als 
einig waren. Wuffel, Effer und Hambden weiten z. B. 
nur York ausfchließen und die Graͤnzen der koͤniglichen Macht 
näher feſtſetzen; Monmouch, Karls unehelicher Sohn, badhte 
Daran (troß feiner geiftigen Beſchraͤnktheit und feines Waters 
beharzlihem Widerfpruche) ben Thron zu befteigen; bem 
Shaftesbury genligte es ſich an feinen Feinden zu rächens 
währen. Sidney nichts Geringered bezweckte, al3 die Grim⸗ 
dung einer Republik nach antiker Weiſe ). 

Alle dieſe Maͤnner vergaßen: daß ungeſetzliche Mittel 
ſelbſt den Staͤrkſten ſchwaͤchen, zum Gebrauche offener Ge⸗ 
walt noch kein genuͤgender Grund vorhanden war, und dieſe 
gar leicht auch - Lebendgefahr fir den König herbeiführen 
tonnte. Die Klugheit, welche bei Unternehmungen falcher 
Art ebenfalls eine moralifche Yflicht ift, warb vernachlaͤſſigt; 
es warb nicht bedacht dag Mißgriffe und Irrthuͤmer in bie: 
‚ fen Regionen ganze Gefchlechter ind Verderben ſtuͤrzen koͤn⸗ 
nen, mithin die Geſetze ganz natürlich aufs Ersenae entge: 
gentreten. 

Andererſeits war felbft nach biefen — Geſetzen 
durchaus keine todeswuͤrdige Schuld gegen Ruſſel und 
Sidney erwieſen; vielmehr wurde bei ihrem Prozeſſe die 
Form auf eine empoͤrende Weiſe verlegt), und mit Recht be; 


1) They had public councils for carrying the republic, Dal- 
rympie J, 857, 890. B. book I, 16 — 50. 
3) Russels condemnation was one of the first fruits of the po- 


- 


316 Sechstes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck. 


4683. merkt: im Namen ber Gerechtigkeit morben, ſey ber aͤrgſte 
Mord. — Als Ruſſel auf Anbringen feiner würdigen Sat: 
tinn den König um Begnadigung bat, foll diefer das Ge⸗ 
ſuch mit dem Bemerken abgefchingen haben: bei dem Pros 
zeſſe Staffords behauptete Ruſſel, der König duͤrfe keinen 
Theil der Strafe erlaflen, weiche bad Geſetz über Verraͤther 
ausfpredhe” '). — Allerdings laͤßt fi) die Verblendung und 
Härte, welche Ruffel zur Zeit der angeblich paͤpſtlichen Ver⸗ 
ſchwoͤrung zeigte, nicht leugnen; aber noch weniger kann 
man ben, dad Todesurtheil Staffords beflätigenden König 
vechtfertigen: denn Ruffel hielt den Lord für ſchuldig, Karl 
hingegen konnte deſſen Unſchuld nicht bezweifeln. 

Ohne Zweifel war Ruſſel ein edler, wohlgeſinnter, lie⸗ 
benſswuͤrdiger Mann, allein nicht in Hinſicht auf Kraft bed 
Geiſtes und Charakters den uͤberlegenſten Naturen beizuzaͤh⸗ 
len. Und doch offenbart ſich wiederum waͤhrend ſeiner letz⸗ 
ten bitteren Pruͤfungszeit darin eine ſelbſtaͤndige Groͤße, daß 
et zwar fein Unrecht im Ganzen zugeſtand, fich aber nicht 
von Tillotſon durch bloß allgemeine, abflrafte Säge übers 
zeugen ließ: es fey unter gar Peiner Bebingung jemals ein 
Widerſtand gegen bie Herrfchenden erlaubt ). — So bezeug: 
ten dieſe legten Tage, und fein ruhiger, chriftlichergebener 
Tod, zugleich ſein Recht und ſein Unrecht, beſtaͤtigten Wahr⸗ 
heit und widerlegten Inthum, und wurden Vielen ein loͤb⸗ 
liches und nicht minder ein warnendes Beiſpiel, bis ſich in 
einem ſeiner Nachkommen alle ſeine guten Eigenſchaften in 
hoͤherem Maaße, und gereinigt von Fehlern und Auswuͤch⸗ 
ſen offenbarten. 


wer acquired by the crown to appoint both the judge and the jury 
while acting as prosecutor. Vaugham II, 475. Burnet II, 969. 
Sefferies ſtand an ber Gpige bes Gerichtshofes. Goldsmith History 
of England III, 107. 

1) Macpherson History I, 387— 398. 


2) Er fey betrayed by ignorance and inadverteuce. Russel 
life IL, 79. Birch life of Tillotson 159. 


Ruffel. Sidney. 317 


Algernon Sidney war ein herber Republikaner °), 1683. 
aber ohne genügende Einficht in die damalige, und befangen 
von einfeitiger Begeiſterung für eine untergegangene Welt. 
Um das Ideal feiner fpekulativen Traͤume zu verwirklichen, 
war er bereit die Freiheit Europas preiß zu geben, fein Ba ' 
terland in einen Bürgerkrieg zu flürzen, und ſich dem Schuße 
Srankreih zu unterwerfen”). Andererfeitö erfcheint fein ſte⸗ 
ter Haß gegen Xyrannei, und feine Freude: „daß er für 
eine Sache fterbe für welche er von Jugend -auf gelebt; 
in der That unſchuldig und erhaben, wenn wit Ihm gegens 
über Richter erblidlen welche von dem Grundſatze ausgehen: 
„Schreiben und Handeln fey Eins und Daſſelbe“). Aus 
Sidneys vor langer Zeit gefchriebenem, ungebrudtem Werke 
über die Regierungdformen *) erwiefen fie: was ber Ange 
Plagte daſelbſt über Verſchwoͤrungen gegen Galigula ımb Nero 
auöfpreche, miffe analog auf ben König von England anges i 
wendet werben! — Die Begnabigung Ruffels und Sidneys 
hätte diefem mehr Ehre und Ruhm gebracht, als ihre Ver 
bammung, und wenn er wirklich fagte: Ruſſels Leben bringe 
ihm ben Tod 9); fo war dies wohl mehr ein gehäßiger Vor⸗ 
wand, als eine durch Furcht hervorgebrängte Überzeugung. 


1) Bumet II, 930, 985. 

2) Hallam U, 619 — 622, 

8) Der Sollicitor general, Finch fagte: Seribere et agere unum 
et idem est. Mazure II, 853. F 

4) In biefem Werke offenbart fich ein edles, ber Freiheit guͤnſti⸗ 
ges Gemüth, er befämpft mit Hecht bespotifche Lehren, bas Ableug- 
nen aller Volksrechte, das Verwerfen aller Republiten u. f. w. Allein 
Sidney geht auf der anderen Seite wieberum felbft zu weit, begreift 
das Wefen ber, non ber Despotie weſentlich verichiebenen Monarchie 
und ber neueren Beit nicht, weil er mit falfcher Begeiſterung alle Kreis 
heit im Alterthunhe und ben Republiken fucht und ſieht; er loſet die un 
enblich ſchwere Frage von den Gränzen bes Gehorfams ımb bed Wis 
derftandes auf Feine Weife, und ermübet auch den wohlwollendften Les 
fer durch die Verwirrung und unendliche Breite feines Buches. Hau: 
mer gefchichtliche Entwickelung der Begriffe von Recht u. f. w. ©. 53. 

5) Dalrymple B. I, 120. Masure II, 345. Andere erzählen: 





318 Sechstes Bud Siebentes Hauptſtück. 


1683. Zur Zeit Wilhelms HI warb der Prozeß gegen die Hin⸗ 
gerichteten einer neuen Prüfung unterworfen und ihre Wen 
urtheilung für gefeßwidrig erflärt ). Monmouth geſtand an 
einer Verſchwoͤrung, nur nicht gegen bad Leben feines Va⸗ 
ter6, Theil genommen zu haben. Er erhielt Verzeihung, 
verfprach jeboch nie etwas weiber ben Herzog von York zu 
unternehmen. Effer brachte ſich im Gefängniffe um, wel: 
= Selbſtmord Parteifüchtige dem Könige und feinem Bru⸗ 

ber zur Loft legen wollten. Shaftesbury entfloh ben 
Ausgang ahndend uhd fand in Amflerdam ”), (dad er einfh, in 
biindem Eifer, als ein zweites Karthago bezeichnet und befs 
fen völlige Zerftörung ex gefordert hatte) mitleivige Aufnah⸗ 
me. Er flarb im Ianuar 1683 von Feiner Partei geach⸗ 
tet und erwies (gleichwie viele andere in ber Weltgefchichte 
bervortretende Männer) baß geiflige Anlagen und Gewandt⸗ 
beit bed Benehmens weber zum Erreichen großer Zwecke ges 
nügen, noch wahre Selbſtzufriedenheit begründen koͤnnen, fos 
balb ein ebler Gharakter und moralifhe Haltung nicht. beilis 
gend und verflärend hinzutreten ”). 

Auch ber König ‚ward feiner Siege nicht froh. Die 
Mifverhältniffe zu feiner Gemahlinn, feinem Bruder, feinem 
Sohne Monmouth, und vor Allem zu feinem Volke bauer- 
ten fort, und bad fcheinbar gute Vernehmen mit Ludwig XIV 
Eonnte ihm hierüber um fo weniger wahren Zroft gewähren, . 
da jedes Fordern und Empfangen franzöfifchen Geldes, eine 


Kart habe gefagt, er muͤſſe Bkuffels Hinrichtung genehmigen, ober mit 
. feinem Bruder brechen. Lediard life of Marlborough I, 45, 
1) Rassel life II, 60—73. Salmon examination of Barnet 
951. History of the Commons II, 285. 
2) Bussel II, 20. Counningham History I, 48. ee 
Dalrynple B. I, 97. 
8) In friendship false, implacable in hate, 
Beselved to ruin, or to rule the state, 
To compass this triple bond he broke 
The pillars of the publik safety, sheok 
And fitted Israel for a foreign yoke. 
Dryden IX, 222, 268. 


— — — 


Karlo Tod. 319 


unverfennbare Herabwärbigung für den König, von England 
in fi ſchloß?). So Iebte Karl fchlechten Zerſtreuungen ers 
geben, verächtlich und verachtet, bis ihn raſch eine tödtliche 
Krankheit am *ıs Bebruar 1685 (im Höflen Lebensjahre) 1685. 
dahinraffte”). Geiftliche der hohen Kirche bemühten fich von 
ihm vor dem Tode noch Zeugniffe feined rechten Glaubens - 
zu erlangen; während Jakob einen SPriefter herbeiholen, alle 
unfatholifchen Zufchauer entfernen, dem Kranken das Abend» 
mahl auf Fatholische Weiſe reichen ließ und ihm (fo wird 
berichtet) die Worte abgewann: er fey ein Katholil”). — 
Es mag unentſchieden bleiben ob Schwäche, Furt, Heus 
chelei ober Reue, biefed oder jenes angeblich religioͤſe Bezei⸗ 
gen hervortrieb; gewiß erwähnte Karl auf dem Sterbebette 
weder feine Gemahlinn, noch feinen Sohn, noch fein Wolf, 
fondern empfahl feinem Bruder nur zwei feiner Beiſchlaͤfe⸗ 
inner: die Herzoginn von Portömouth und die Komoͤdian⸗ 
tinn Gwyn. Noch den Tag vor feiner plöglichen Krankheit 
taͤndelte der König in zahlreicher Gefellfchaft.mit feinen Buh⸗ 
Ierinnen, ein junger Franzoſe fang dazu Piebeslieber, und 
Spieltifche und Banken von mindeſtens 2000 Goldſtuͤcken 
fanden in der Gallerie umher"). Jetzt war dies Alles wie 
vom Sturmwinde auseinandergeweht und gegen ben, vor 
Kurzem noch fo gefehmeichelten König, eine folche Gleichguͤl⸗ 
tigkeit und wiberwärtige Läffigkeit eingetreten, baß etliche 
Theile feined zerlegten Leichnames mit einem Eimer ausge⸗ 
goffen wurden, und mehre Zage lang im Rinnflein ums 
herfagen ')! 

1) Flassan IV, 24. 

2) Er ftarb natürlichen Todes. Als York ihn warnte, ſich nicht 
Lebensgefahren auszufegen, antwortete er: bentft bu, daß einer mid 
tödten wird, bir Plag zu machen? Dalrymple I, 64. Welwood 
120. Macpherson Hist. J, 424. Moore 554. 

8) Dairymple I, 65, 156. Burnet II, 1046—1056. Ellis let- 
ters II, ©. IV, 78. Clarke James I, 748. Mackintosh 714. Sa- 
mers tracts VIII, 429. 

4) Evelyn 581, 585, _ 

5) Burnet II, 1048. 


De U U 2 





320 Gehstes Bud. Bichentes Hauptſtück. 


Zweiter Abſchnitt. 
Bon der Thronbefteigung Jakobs II, bis zu beffen 


Bertreibung- 


( 1685 — 1688.) 


— 


HR 


va}! 


AAN 1 


Hall: 


H J— ich 


Hain EHRE 
" ne 


HELRON 


TRITT 


Mh 2 
Ha 


1) Clarke life ef James I, 1. Barnet II, 1062. Macphersen 


Histery I, 67, 124, 426, 430. ia Fare Mia. 251. 


2) Dairympie I, 230. 


Jakobs Grundfäge- RN 


peoteftantifchen Volkes und ber. Parlamente '); oder wenn er 1685. 
etwa der Regierung einige Schuld beimaß, fo fand er biefe 
lediglich in beflagenswerther Schwäche und thörichter Nach: 
giebigfeit. Won jet an müfle der Ernſt und die Vernunft, 
an die Stelle bed. Leichtfinnes und Zufalld treten; man 
müffe nach ewigen, unleugbaren Grundſaͤtzen handeln und 
Eönne dann das Ziel nicht, wie biöher,, verfehlen. In der 
katholiſchen Kirche, und in ihr allein finde man nicht bloß 
die wahre Religion, fondern auch die wahre Staatökunft: 
und der Proteflantiömus feg nicht bloß ein Abfall vom rech⸗ 
ten Glauben, zu Grillen und Irrlehren; fondern auch ein 
Abfall von bürgerlicher Ordnung und Gehorſam, zu Unord⸗ 
nung und Aufruhr. So gelte z. 3. bie Habeas⸗ Corpus⸗ 
akte fir eine Buͤrgſchaft perſoͤnlicher Freiheit); in Wahr⸗ 
heit aber beſtaͤrke und ermuthige fie nur alle Unrubigen und 
Mifvergnügten, und zwinge mithin die Regierung eine groͤ⸗ 
Bere Kriegsmacht zur Erhaltung der Ordnung aufzuflelen. — 
Diefe und ähnliche Grundfäge wurzelten um fo fefler, da 
fie die Ergebniſſe langen Nachdenkens waren, und er ben 
"Eigenfinn, mit welchem er jede Einrede zuruͤckwies und je⸗ 
den abweichenden Standpunkt betrachtete, felbftgefällig als 
Charakterſtaͤrke bezeichnete). Ex vergaß daß das Hauptge⸗ 
ſchaͤft aller Regierungen meiftentheild darin befteht, das En 
gegengefegte auf der mittleren (biagonalen) Linie ber Kräfte 
vorwärtd zu führen; er wollte (wie alle uͤbereilten Revolu⸗ | 
tionatre) zuletzt nur feine Willkuͤr umter dem Titel des Uns \ 
bedingten und Göttlichen, geltend machen. 

Anfangs jedoch war er (mit ober. ohne prieſterlichen 
Math) vorfichtig und fehlau genug feine innerften Geſinnun⸗ 
gen und Zwecke nicht auszufpiechen. In dem ſogleich nach 
Karls Tode berufenen Geheimenrathe hielt er eine Rebe bes 
Inhalts: ich werde meinem Vorgaͤnger nachfolgen in feiner 


1) Jakob wieberholte oft ein Wort feines Waters: that he was 
undone by his ooncessions, Burnet I, 45; II, 609. 
2) Russel life I, 163. 
8) Dairymple I, 89, 
VI. 21 





EMO GSchstes Buch. Siebentes Hauptflüd. 


1685. Milde und in feiner Liebe zum Wolle‘). Zwar bat man 
mir nachgefagt idy fey ein Freund willlürlicher Gewalt, als 
lein dad Gegentheil wird fich ergeben, und dies if nicht bie 
einzige Falſchheit die man über mich verbreitet. Die Geſetze 
machen den Koͤnig von England ſo groß als er irgend wuͤn⸗ 
ſchen kann. Ich werde mich bemuͤhen die Verfaſſung in 
Staat und Kirche fo zu erhalten wie fie durch Geſetze feſt⸗ 
ſteht; ih will alle gerechten Vorzüge und Frelbeiten be⸗ 
ſchuͤtzen. 

Dieſe und aͤhnliche, raſch verbreitete Zuſicherungen, er⸗ — 
regten die groͤßte Theilnahme und Freude. Die Partei, wel⸗ 
che einſt ſo heftig Jakobs Ausſchließung betrieben, ſchien 
nicht bloß ihre Kraft eingebuͤßt, ſondern ſelbſt ihre ÄÜberzeu⸗ 
‘gung geändert zu haben. Überall ward laut behauptet: jenes 
koͤnigliche Werfprechen gewährte bie möglichft größte Sichers 
beit, und es fey Thorheit nach fo bitteren Erfahrungen noch⸗ 
mals Ruhe und Frieden aufs Spiel zu feßen. Überbies ſey 
der König ein reifer, erfahrener Mann, der Geichäfte unb 
des Seeweſens Eundig; fo daß au bie Stelle einer unthätis 
gen und ſchwelgeriſchen Regierung, eine thätige, wohlgeord⸗ 
nete trete, welche auch das Abhängigkeitsverhältniß zu Frank⸗ 
eich um fo eher loͤſen werde”), ba fie befielben nicht bes 
dürfe. So erfolgte nun bie Huldigung im ganzen Reiche 
unter allen nur möglichen Freubensbezeigungen unb Jakob 
(der früher um keinen Preis hatte zur englifchen Kirche ges 
hen wollen) ließ fich durch den Erzbiſchof von Ganterbum 
mit allen Gebräuchen der englifchen Kirche Erönen ?). Dies i, 
ſagten manche hoffnungsvolle Proteſtanten, ein Zeichen der 
Rüuͤckkehr zur evangeliſchen Wahrheit; es iſt, entgegneten ſtren⸗ 
ger Geſinnte, vom Ehrgeize aufgezwungene und doch nur 
ſchlecht verbedtte Heuchelei: denn gleichzeitig geht ber König 
ohne Scheu und Öffentlich zur Mefle. 


1) Parliam. Hist. IV, 1842. Evelyn I, 583. Dalrymple book 
I, &. 160. 

2) Somerville 147. Burnet III, 1064, 1069. Masure II, 390. 

8) Clarke IT, 10. Reresby 18. 





I 


Darlament. 323 


Am 22ften Mai 1685 eröffnete Jakob dad Parla: 1685. 
ment mit einer Rede, deren Anfang buchftäblich fo lautete, 
wie bie oben im Auszuge mitgetheilte. Dann fligte er hin⸗ 
zu: ich wieberhole meine Worte, zum Beweiſe daß ich nicht 
zufällig fo ſprach, fondern daß fle ein feierliche Verſprechen 
enthalten dem Ihr vertrauen folt. Zur Unterflügung meis 
ner Forderung: baß man mir die Einnahmen bed vorigen 
Königs fogleich auf Lebenszeit bewillige; Tönnte ich gar 
Vieles anführen, über die Beduͤrfniſſe der Krone, den Un: 
terbalt der Flotte und dergleichen mehr, was Ihr Euch je: = 
doch leicht felbft fagen koͤnnt. Nur einen beliebten Grund 
will ich erwähnen, den man vielleicht meinem Verlangen 
entgegenftellen dürfte: daß es nämlich rathfam fey mir nur 
wenig Geld, und nur von Zeit zu Zeit zu bewilligen, damit 
ich hiedurch gendthigt wuͤrde häufig Parlamente zu berufen. 
Da ich heut zum erſten Male zu Euch freche, will ich dies 
fen Einwand ein für allemal beantworten. Es wuͤrde jenes 
Berfahren ein fehr fchlechter Ausweg ſeyn mich zu gewinnen; 
bad befle Mittel hingegen mich zu Eurer häufigen Berufung 
zu- vermögen, ift daB Ihr mir überall willig entgegenfommt "). 

Ungeachtet diefer Erklärung fchien ed fehr bedenk⸗ 
lich unter den obwaltenden Verhaͤltniſſen bes Könige For: 
berung zu bewilligen, da bie Abhängigkeit vom Parlamente 
binfichtlich des Geldes, bisher die einzig haltbare Schutzwehr 
gegen Anmaaßungen der Krone gewefen war. 

Der König: hatte jedoch, in Folge der Veränderungen, 
welche mit den Freibriefen ber Städte und Gmoffenfchaften 
vorgenommen waren, fo großen Einfluß auf die Wahlen 
gewonnen, daß Erörterungen obiger Art gar nicht eintraten ' 
und ein Antrag Seymourd: die Angemefjenheit, der Wahlen 
und jener Veränderungen zu prüfen, feine Unterſtuͤtung 
fand ?). Vielmehr erflärte das Unterhaus: ed berubige ſich 
völlig bei bem Föniglichen NWerfprechen Jakobs, und bewil- 


1) Parl. Hist. IV, 1853. Rapin VIL, 16. 


2) Mazure I, 441. Somerville 148. 
21* 





J 


324 Sechstes Buch. Siebentes Hauptfüd. 


1685. ligte ihm auf Lebenszeit eine jaͤhrliche Einnahme von zwei 
Milionen Pfund, während die gewöhnlichen Ausgaben nur etwa 
1,200,000 Pfund betrugen '). Ahnliche Bereitwilligkeit fand 
Ickot im Oberhauſe, welches z. B. die Verurtheilung des Lords 
Stafford auf Veranlaſſung der paͤpſtlichen Verſchwoͤrung, fuͤr 
ungerecht und nichtig erklaͤrte ). Daß der König unbewilligte 
Steuern hatte fort erheben laſſen, warb nicht geruͤgt: man 

. meinte, dies fey nothwendig gewefen | um Ausfälle und Be: 
- trügereien zu vermeiden. 

Während diefer felbigen Zeit, wo das Parlament dem 
Könige mit dem evelften Vertrauen, und der gutmüthigften 
Bereitwilligkeit entgegen Fam, afle früheren fo heftig erörters 
ten Streitpunkte ganz mit Stillſchweigen überging, und ihn 
durch Gelbbewilligungen einen jährlichen Überfchuß von min, 
deſtens 700,00 Pfund verſchaffte; trat Jakob in bie 
unwürdigften Verhältniffe zu Lubwig XIV. AU dad Er- 
zählte hatte weder fein Herz gerührt, noch feinen Verſtand 
aufgeklärt: er fah nach wie vor in Seglihem was nicht mit 
feinen zwei, ober drei angeblich unbedingten Grundſaͤtzen 
übereinftimmte, nur Ausartung und Verkehrtheit, und war 
entfchloffen für feine geheimen Zwecke jedes Mittel zu be 
nugen. Während er in feinem Reiche laut verkündete: fein 
Herz fey englifh und die Ehre feines Vaterlandes gehe ihm 
über Alles; bettelte er fchon im Februar bei Ludwig XIV, 
damit er nicht ganz abhängig von feinem Volke, nicht ganz 
& la mercy de son peuple fen! Und ald nun Ludwig 
in der Hoffnung zahlte ihn zu verfnechten wie feinen Bru⸗ 
der, vergoß Jakob Thraͤnen der Freude und entfchulbigte 
fih bei dem franzöfifhen Gefandten Barillon, daß er das 
Parlament zufammenberufen babe, weil er dem Könige von 
Frankreich nicht mit feinem ganzen Bebarfe und Unterhalte 
laͤſtig fallen wolle. Auch fey es fuͤr ihn unmöglich geweſen 


1) Macpherson Hist. I, 456. Hallam III, 70. 
2) History of the Commons II, 173. Macpherson Hist. I, 
428. Dalrymple I, 163. 


Jakob HE und Ludwig XIV. 3% 


bei bem Anfange feiner Regierung nicht einige Zeichen ber 1685. 
Milde zu geben! !) Dereinft hoffe er, ohne Parlament, im 
Einverftändniffe mit Frankreich unumfchränkt zu herrſchen. 

- Bor Begründung der Fatholifchen Religion koͤnne er jedoch 
in England nicht fiher leben und regieren; hiezu mitzuwir⸗ 
ten fen Lubwigs eigenfter Vortheil. — Ein andermal: fagte 
Jakob zu Barillon: ich habe dad Brot bed Königs von 
Frankreich gegeffen, mein Herz ift ganz franzöflfch und Ihr 
Herr kann weder meine unveränberlihe Anhänglichkeit .an 
feine Perfon bezweifeln, noch meine Hingebung an feine 
Intereſſen. 

So führte Jakobs vermeintliche Staatöweisheit und be⸗ 
ſchraͤnkte Religionsanſi cht, in dieſelbe klaͤgliche Abhaͤngigkeit 
von Ludwig XIV, wie Karls ſeines Bruders Leichtfinn, 
Verſchwendung und moraliſche Gleichguͤltigkeit. Allerdings 
ſuchte ſich Jakob zu uͤberreden, daß in der Verſchiedenheit 
jener ihn beſtimmenden Gruͤnde auch ſeine Rechtfertigung 
liege; unmoͤglich aber konnte, unmoͤglich durfte er vergeſſen: 
daß ein König von England, welcher ſich dem Könige von 
Frankreich unterorbnet, niemald der Mann feined Volkes 
fegn wird. Man möchte vermuthen daß ihn dies Gefühl 
der Wahrheit bisweilen ergriff; wenigſtens nahm er es übel 
fobald man ihn ald abhängig von Frankreich bezeichnete”). 
. Benn er aber hinzufeste: nur dad Parlament fey fchuld, 
daß er nicht mächtiger auftretes fo fchloß diefe Behauptung 
ine neue bewußte Unwahrheit in fich, denn bed Parlamen⸗ 
tes große Freigebigkeit würde fich gern noch. erweitert haben, 
wenn Jakob irgendwie der religiöfen und politifchen Tyran⸗ 
nei Ludwigs XIV hätte entgegentreten wollen. 

So hatte Jakob leichter als er ſelbſt erwarten konnte 
die Herrſchaft gewonnen, dem Parlamente große Geldbewil⸗ 


1) Moore 83, 109. Mazure II, 35, 898 — 404. Dalrymple 
11, 1—6, 58. Part I, book 2, p 38. Flassan IV, 111. Rapin 
VII, 20. 


2) Hallanı ITI, 109. 





35 Sechsſstes Buch. Siebentes Hauptſtüc. 


1685. ligungen entlockt und zur weiteren Ausfährung feiner Plane 
insgeheim engere Verbindungen mit Ludwig XIV angeknuͤpft; 
waͤhrend Unzufriedene und Verwieſene beſchloſſen, einen offe⸗ 
nen Kampf mit ihm zu wagen. Einige wurden hiezu aller⸗ 

dings von Leibenfchaft und Eigennutz angetrieben; Andere 
dagegen hielten es fuͤr ein Recht und eine Pflicht, ihr Va⸗ 
terland von der, ſelbſt im Parlamente ſo laut verkuͤndigten 
Gefahr weltlicher und geiſtlicher Tyrannei zu befreien. An 
ihre Spitze traten die Grafen von Argyle und der Herzog 
von Montmouth. Der erſte (ein Sohn des nach der 
Herſtellung Karls II hingerichteten Grafen Argyle) ') hatte 
zu der Zeit wo Jakob Statthalter in Schotland war, ber 
neuen torannifchen Teſtakte widerſprochen. Fuͤr bie, wo 
nicht ruhmvolle, doch ſchuldloſe Benehmen Hagte man: ihn 
bed Hochverrathed an, führte den Prozeß mit fehandbarer 
Willkür und verurtbeilte ihn zum Tode). Cr entlam jes 
doch nach Holland und hielt den jegigen Zeitpunkt für gim⸗ 
flig, feine und feines Vaterlandes Rechte, felbft mit ben 
Waffen wider Jakob geltend zu machen. 

Monmouth war der uneheliche Sohn Karls HI und 
der Barlow, oder Walters. Zwei abweichende, entgegenge⸗ 
feßte Anfichten wurden, nach Maaßgabe der bamaligen Par⸗ 
teiungen und Bwede, uͤber ihn laut verfünbet, ober insge⸗ 
heim ausgeſprochen. Die eine, weiber Monmouth gern 
beitrat, ging dahin daß Karl mit der Barlow in aller 
Form getraut geweien, ihr Sohn alfo ehelih, ja ebenbintig 
unb zur Thronfolge fähig fey. Jene erfie Behauptung hat 
jedoch Kari beharrlich geleugnet und die letzte Bolgerung mit 
— verworfen. — Nach ber zweiten Meinung war bie 

Barlow?) vor und nad) er Belanntfchaft mit dem Könige 


1) Cunningham Geſchichte von England I, 9 Einleitung. Mazu- _ 
re I, 454. 

2) State tracts of Charles II, 213. Mazure I, 805. Bose 
‘ observations on the History of Fox, 59 app. 


- 8) Sie flarb in Paris dürftig an einer böfen Krankheit. Clarke 
James II, I, 492. 


Monmouth— 227 
fo liederlich geweſen, daß man bie Vaterſchaft nicht mit 1688. 


Sigerhet ermitteln, ja um fo weniger dem Könige zuſpre⸗ 
chen koͤnne, als Monmouth dem ſchoͤnen Robert Sidney 
(auch einem Liebhaber der Barlow) uͤberaus aͤhnlich ſey. 
Selbſt eine Warze im Geſichte Sidneys, finde ſich bei Mon⸗ 
mouth wieder). — Nie ſcheint Karl II indeſſen an feiner 
Baterfchaft gezweifelt, nie Jakob II daran geglaubt zu haben. 
Wider biefen erflärte fih Monmouth zur Zeit der Bera⸗ 
thungen über bed Herzogs Ausfchließung vom Throne auf 
eine fo uͤbereilte als ungerechte Weiſe, indem er äußerte: Jakob 
gehe damit um ben König aus bem Wege zurdumen. Nicht 
suinder ließ-er ſich den fhon oben gerügten oberflächlichen, ja 
verbammlichen Grundſatz gefallen, welchen manche feiner Ans 
haͤnger ausfprachen *): nämlich der fchlechtefte Rechtötitel mache 
Den beften König! 


Zu dieſen politifden Gründen ber Feindſchaft trat, 


laut einigen Berichten, noch eine Weranlaffung anderer Axt”): 
der Oheim machte nämlich der Gemahlinn feines vermeintli⸗ 
chen Neffen bergefialt den Hof, daß biefer ihr verbot jenen 
wieder zu ſehen. Durch biefe und aͤhnliche Dinge gerieth 
Kari TI in tauſend Mißverhaͤltniſſe zu feinem Sohne und 
zu feinem Bruder. Bald fuchte er fie auszufoͤhnen halb 
einonber gegenüber zu ſtellen; er entfernte jetzt ben Einen, 
Dann ben Andern, unb gewährte balb biefem, bald jenem 
größeren Einfluß. Zuletzt war Jakob Sieger geblieben und 
Monmouth nah Holland verwiefen worben. Diefer war 
ein ſchoͤner, in allen Leibesübungen gewandter, milder, um: 
gängliher Mann, indbefondere bei ben Frauen beliebt und 
gleichwie Karl N ihnen, fowie anderen Wergnügungen erge> 
ben*). Dagegen fehlte es ihm an höheren Gaben des Gel: 


1) Monmouth proved the likest thing to Robert Sidney I ever 


saw, ever to a very warton his face. Jakobs Memoiren in Mac- 
pherson State papers I, 75. Evelyn I, 604. 


2) Russel life I, 173. Macpherson State papers I, 108. 
3) Buckingham Works II, 21. 
4) Evelyn 601 —604. Macpherson I, 179. take papers 1,75. 


328 Sechstes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


1685: ſtes, gleichwie an Kraft und Feſtigkeit des Charakters: er 
war unfähig eine gefchichtliche Rolle burchzuführen ). 

Bei dem Tode Karls II dachte Monmouth (feine Faͤhig⸗ 
feiten und fein Anrecht vielleicht richtig woürbigend) auch gar 
nicht daran irgendwie gegen Jakob II aufzutreten. Allmälig 
aber warb er von leibenfchaftlichen Freunden und insbefons 
bere vom Grafen Argyle aufgeregt, für die Kreiheiten Eng- 

lands zu wirken und feinen eigenen Rechten hiedurch eine 
- neue und dauerhafte Grundlage zu geben. Indeſſen waren 
bie Eiferer felbft untereinander über die Zwede nicht einig”), 
und ihre Mittel und Verbindungen blieben fo ganz unbes 
deutend, daß Jakob nach ruhiger Thronbefteigung kaum Ur: 
ſache hatte darüber in Sorge zu gerathen. Und die um fo 
weniger, da Wilhelm von Oranien keineswegs geneigt war, 
fid um Monmouths willen mit feinem Schwiegervater zu 
veruneinigen; da er auf Feine Weife wimfchen Eonnte, baß 
Monmouth den Thron gewinne, ober gar zum zweiten Male 
eine Republik gegründet werde. Auch rechnete Monmouth 
fo wenig auf Wilhelms Beifland, daß dieſer lange Zeit nicht 
einmal feinen Aufenthalt entdedden konnte?), und ihm fpäter 
dad Werfprechen abnahm: er wolle fih auf meuteriſche Un 
ternehmungen wider Jakob gar nicht eintaffen. Zu firengen 
Maaßregeln fehlte dem Dranier, nach Empfang dieſes Wer: 
ſprechens, fowie bie Weranlaflung, fo bie Macht; auch mußte 
er fuͤrchten durch uͤbereilte Maaßregeln alle engliſchen Wyhigs 


1) Welwood 149. 


2) Marchmont papers JII, 5, enthalten hierüber genaue Berichte. 
Dalrymple I, 170. Somerville 167. 


3) Den 3often April ſchreibt Wilhelm an Rochefort: Je vous peux 
assurer en homme d’honneur, que je n’ai point scu, ni ne sais 
jusqu’a pr&sent si le Duc de Monmouth est en Hollande. Gpäter 
(2öften Mat) ſchreibt Wilhelm: Il faut que je vous avoue que je 
n’aurais jamais cra le Duc de Monmouth capable d’une telle ac- 
tion, apres les assurances qu’il ım’a fait au contraire quand il prit 
cong6 de moi. Siehe ben ganzen Briefwechſel in Clarendon' corres- 
pondence I, 121-128. Mazure I, 464. . 








Argyle. Monmouth. 329 


wider ſich aufzuregen. Ob er außerdem Monmouths Unter⸗ 1685. 
gang gewimſcht), ob er danach getrachtet Babe ſich feinen 
Schwiegervater unentbehrlich zu zeigen; barlıber ift allerhand 
vermuthet, aber Nichts erwiefen worden. Auch ließ es der 
rafche Gang der Begebenheiten kaum zu beſtimmten Anſfich⸗ 

ten und Entſchluͤſſen kommen. 

Jeder Zoͤgerung ungeduldig ſegelte Graf Argyle nach 
Schotland, fand aber nicht den gehofften Anhang, ſondern 
warb beſiegt, gefangen, und am neunten Julius 1685 dem 
früher auögefprochenen Todesurtheile gemäß, hingerichtet ?). 
Er ſtarb ruhig und im Xertrauen auf die Gerechtigkeit ſei⸗ 
ner Unternehmung. 

Am achten Junius fegelte Mo nmouth mit drei klei⸗ 
nen Schiffen und etwa 150 Begleitern heimlich von Hol 
land ab’), landete glüdlih in England und ließ eine von 
dem heftigen Schotten Robert Zergufon entworfene Schrift 
verbreiten, worin zuvoͤrderſt alle früheren Thatſachen parteis 
iſch erzählt, dann .leivenfchaftlihe Vorwuͤrfe wider Jakob 
gehäuft und . endlich große Werfprechungen angehängt wa⸗ 
ren‘). Jakob, (hieß es unter Anderem) iſt ein Ufurpator 
deſſen Leben nur eine ununterbrochene Reihe von Verſchwoͤ⸗ 
rungen gegen bie proteftantifche Religion und die Rechte des 
Volkes enthält. Er ift Miturheber des Brandes von Lons 
don, ber papiſtiſchen Verſchwoͤrung und der Ermordung des 
Grafen Eifer; er beftach falfche Zeugen um Unfchuldige aufs 
Blutgerüfl zu bringen; er bat feinem Bruder nad) bem Le: 
ben getrachtet, ja ihn vergiftet. Fuͤr dieſe und andere Wer: 
brechen wollen wir ihn als einen Mörder, Verräter, Ty⸗ 


4) Monmouth ftand übrigens ben gefeglichen Anfprüchen Wilhelms _ 


. amd feiner Gemahlinn gar nicht im Wege. Clarke Il, 25. Macpher- 


son Hist. I, 443. Mackintosh 353. 

2) Lamberty Mem. I, 383, Cunnigham Hist. J 9 Ginteitung. 

8) Dalrymple I, 177. Burnet III, 1097. Lamberty Memoi- 
res de la derniere revolution d’Angleterre I, 1888. Clarke Ja- 
mes II, 28. 

4) Orme life of Owen 394. SBomers tracts IX, 251. 


Lj 


330 Sechsſstes Bud. Siebentes Hauptflüd. 


1685. rannen, Jeind alles Suten und Edlen, und als unferen 
biutigen Todfeind aufs Nußerfle verfolgen, bis ihn bie 
Strafe getzoffen hat, welche er fin fo abfcheuliche Unthaten 
verdient. Uns treibt weber Rachſucht, noch Eigennutz, obs 
wohl wir ein Anrecht auf die Krane haben, worüber zu feis 
ner Zeit bad Parlament entfchelden wird. Wir werben bies 
jährlich berufen, vor Abftelung der. Mißbräuche nicht aufld- 
fen, die Sheriffe jährlich von den freien Eigenthiunern waͤh⸗ 
len laffen und bie Landwehr ihren Befehlen anvertrauen; 
das fiehende Heer hingegen abfchaffen, die Zreibriefe der 
Städte herſtellen und den Diffenter® Duldung gewähren. 
Diejenigen, welche nicht reuig zu und übertreten, fonbern 
‚bei dem Ufurpator ausharren, wollen wir aufs Xußerfle ver 
folgen und ihnen nie unfere Gnabe zu Theil werben laſſen 

Diefe unverfländige Schrift verfehlte durchaus ihren 
Zweck, denn die firengen Royaliften, bie Freunde der hoben 
: Kirche und die Republikaner fühlten fi ohne Ausnahme 
verleßt, und jeber Beſonnene mußte überdies die Unwahr⸗ 
heit vieler Befchulbigungen, bie Heftigkeit ber damit verbun⸗ 
denen Drohungen und ben Leichtfinn der angehängten Ver⸗ 
ſprechungen mißbilligen. Im diefem Sinne bewilligte das 
Parlament dem Könige neue Hülfögelver, erklaͤrte Mon⸗ 
mouth fir einen Verraͤther, und ließ jene Schrift durch den 
Henker verbrennen). Als Monmouth hievon Nachricht er 
bielt und erfuhr daß ein Preis von 5000 Pfund auf feinen 
Kopf geſetzt fen, erſchrak er um fo mehr, da fich nur fehr 
weniged geringes und oft fittenlofes Volk um ihn verfam- 
melt hatte, dad er aus Mangel an Geld und Waffen nicht 
einmal in Thätigkeit ſetzen konnte?). In diefer Lage dran: 
gen mehre feiner leidenfchaftlichen und zugleich aͤngſtlichen 
Anhänger in ihn: er folle den Königötitel annehmen, denn 
allein hiedurch koͤnne er feinem Unternehmen ben rechten 


1) Parliam. Hist. IV, 1362, Evelyu I, 601. 


2) Dissolute persons.repairing to us — torob and pillage the 
good people ſchreibt ex felbft ben 18ten Junius Cod. Harleian. 7006. 





Monmoutd. 31 


Grund und bie gehörige Wuͤrbe geben, neue Yreunbe ges 1685. 
winnen, ober im Fall eined Ungluͤcks die alten vetten: weil 
ed nad) einem Geſetze Heinrichs VII Entſchuldigung finde 
fich einem Könige durch die That (de facto) anzufchließen ‘). 
Kaum hatte Monmouth diefen Ratbfchlägen nachgebend 
fi am 18ten Junius zum Könige, bad Parlament aber 
für eine aufrührifche und verraͤtheriſche Verſammlung erklaͤrt 
und ebenfalld. einen Preis auf Jakobs Haupt gefeht”), fo 
warb er am "ıs Julius von beffen Deere bei Sehgemoor 
angegriffen, geichlagen, auf ber Flucht in einem Graben 
entbedt und gefangen nach London gebracht. In feinen Ta⸗ 
fehen fand man Büchlein feinee Hanbfchrift, weiche außer 
Gebeten und Geſaͤngen, auch Zauberformeln enthielten um 
ſich dadurch in Schlachten gegen Verwunbungen zu fichern, 
vie Thuͤren eines — zu öffnen u. dgl.). Von 
leichtfinnigem e zur größten Niedergeſchlagenheit hin 
abgefunten, fchrieb Monmouth einen hoͤchſt bemüthigen Brief 
an ben König, und fchob alle Schuld auf unverftänbige 
und böswilige Verfuͤhrer: denn vor feiner Abfahrt nach 
England habe er noch bem Prinzen von Dranien und befs 
fen Gemahlin verfprochen, niemals etwas wider Jakob zu 
smternehmen *). Ex erklärte fi) für reuig und fehulbig, und 
bat dringend um fein Leben. Ungerührt durch diefe Worftels 
ungen und Bitten, lag dem Könige nur daran gewiſſe Ges 
heinmiffe zu erfahren, auf welche Monmouth bingebentet 
hatte. Wenigſtens darf man vermuthen, baß er um bed« 
willen den 14ten Julius eine lange Unterrebung mit feinem 
Neffen herbeiführte. Knieend und mit Thraͤnen bat dieſer 
wiederholt um Verzeihung, erbot fich Fatholifch zu werben, 


1) Welwood 149. Mazure‘ I, 471. Reresby 118. March- 
mont papers III, 10. 

2) &o ryählt Clarke H, 30. Cod. Harl. 7006. 

8) Reresby 121. Mazure Il, 9. Hardwicke Btate papers‘ 
II, 805. 

4) That I would never stiragainst you. Clarke u. 82. So- 
mers tracts IX, 259. 


332 Gehstes Bud. Siebentes Hauptſtuüͤck. 


1685. und eine Erklaͤrung zu unterſchreiben daß fein Vater nie mit 
feiner Mutter verheirathet gewefen fey. Hiemit unbegnügt 
forderte der König, Monmouth folle feine Mitſchuldigen 
nennen, und überhäufte ihn, ald er zögerte mit den heftig: 
fien Rorwürfen. Died gab dem Herzoge ben verlorenen 
Muth wieder, er fprang auf und behandelte ben König wie 
feines Gleichen '). 

Wenn Sie, fagte Lord Burghley zur Königinn Elife- 
beth, bie Königinn von Scotland fprechen, müflen Sie 
diefeibe begnabigen, und Eliſabeth fühlte die Wahrheit die 
fee Bemerkung. Nicht fo Jakob II: er befahl daß fein 
Neffe, am Tage nad) jener Zuſammenkunft gekoͤpft werben 
folle. Beim Empfange biefer Botjchaft fehrieb er dem Koͤ⸗ 
nige’): „Ich erhielt Ihren Befehl daß ich morgen flechen 
fol. Nah dem das mir Euer Majeflät geſtern fagten: 
Sie wollten fir meine Seele Sorge tragen, hätte ich auf 

mehr Zeit gehofft; denn biefe Friſt iſt wahrlich fehr 

Feen nt ee gen 

ein Chriſt aus diefer Welt zu fcheiben. — Ich hoffte 

um Euer Majefiät zu dienen; doch Died fcheint 
nen nicht angemeffen; deshalb ende ich meine Zage mit 


Al 
je 
Fre 

be 

Her 

: 
iur: 


‚ Euer Majeflät getreueſter Monmouth”. — Diefer 


g 
7 
€ 
g 
f 
a 
AH, 


er Blutvergießen herbeigeführt babe. Die Forderung 
Geifllichen, insbeſondere bed Biſchofs von Ely, er möge 
Lehre vom unbebingten leibenten Sehorfam uuf dem Blut: 
gerüfte laut als wahr anerkennen, wies er bagegen bebarı: 
lich zurüd ”). 


1) Dairymplie I, 187. Clarenden cerrespondence I, 144. 

£) Codex Harleian. 7006. 

5) Life ef Kom II, 116. Bumet III, 1105. BRereby 121. 
Mazure II, 9. Somers tracts IX, 251. 


ſich 
Monmouth milde und gefaßt, und erklaͤrte ſeine Reue daß 
der 
die 





Monmouthe ob. 333 


Mehr Sorge und Zweifel erweckte ihm wohl eine zweite 1685. 


Sorderung der Geiſtlichen, nämlich fein Verhältniß zu Maria 
Wentworth, der Tochter des Grafen Cleveland, als fünb: 
fich anzuerfennen,. mit welcher.er (der verheirathete Dann) feit 
einigen Jahren im Widerſpruche mit den Gefeken ber Kits 
che und des Landes gelebt Hatte Monmouth erwieberte: 
meine Gemahlinn ift mir zu einer Zeit angetraut worden, wo 
ich minderjährig und unfähig war gebührend einzuwilligen. 
Nicht fie, fondern Maria Wentworth iſt die Frau meiner . 
Wahl. —. Die Geiftlichen welche diefe eigenmächtige Scheis 
dung und Doppelehe nicht anerkennen wollten und Eomnten, 
hielten fich für berechtigt dem Unreuigen das Abendmahl zu 
verfagen. Sein Tod verfühnte Viele mit feinen Irtthuͤmern 
und Schwäden. Der König (fo ſprachen fie) hätte den 
Reuigen, Ohnmaͤchtigen, Berführten, den Sohn feines Bru⸗ 
ders nicht aufs Blutgeruͤſt bringen, fonbern ihn begnabigen 
und durch diefe Milde viele abgeneigte Gemüther gewinner 
und aͤngſtliche beruhigen follen. — Jakob hingegen meinte): 
an dem Sohne Robert Sibneys, der ſich für einen Königs: 
fohn audgebe, an dem Empörer und Hochverräther müſſe 
ein abſchreckendes Beifpiel gegeben werden, und er vollziche 
gegen ben fchulbigen Untertfan nur das, was biefer über 
ihn, den rechtmäßigen König, in feinen fo wahnfinnigen 
als ſchaͤndlichen Anklagefchriften, ausgeſprochen und womit 
er ihn bedroht habe 

Wenn Jakob, nach dem Rathe und Beiſpiele —— 
ner Tyrannen, ſich begnügt hätte die hoͤchſten Haͤupter ab⸗ 
zuſchlagen; ſo wuͤrde man dies vielleicht entſchuldigen, oder 
als nothwendige Staatsklugheit bezeichnen. Der raſche und 
entſcheidende Sieg uͤber Monmouth brachte ihn aber dahin 
die Schranken aufgezwungener Zurbdhaltung niederzureißen 
‚und mit unerwarteter Kühnheit auf feiner Bahn vorzufchrei= 
ten. Jeder Schuldige (das war feine Überzeugung) müffe 
. von Rechtöwegen geftraft werden, und Feine Strafe fey zu 


9 Lingard XI, 275; XIV, 68. 


334 Gehstes Bud. Siebentes Hauptflüd. 


1688. groß für vie Schuld der Empörung. Für diefe Anfichten 
und Bwede fand er einen willigen Knecht an dem Oberrich⸗ 
ter George Jeffreys oder Jefferies). Diefer Mann 
befaß andgezeichnete natirliche Anlagen, praßtifche Kenntniſſe 
und vebnerifche Gewandtheit; entbehrte aber zunaͤchſt aller 
zu feinem Amte erforderlihen Winde. So ließ er z. B. 
einft bei einem großen Gaſtmahle wo der Maire von Lon⸗ 
don zugegen war, burch einen ehemaligen Schaufpieler, alle 
Richter und Advokaten in Stimme, Bewegung u. ſ. w. nach⸗ 
ahmen und verfpotten. Trinken, Lachen, Spielen, Singen, 
Küffen, Pofien treiben, Witz machen, war fein gewöhnlicher 
Zeitvertreib; von bier aus aber fprang er (treulos felbft ge: 

gen Spiel: und Trinkgenoſſen) oft über in bie gewaltigfle 
Beideukhaft, und mit jenem Leichtfinne vertrug fich ſchaͤndliche 
Bosheit und nichtäwärbige Graufamfeit. Man erzählt Karl II 
babe von Jeffreys gefagt: er befige weder Gelehrfamkeit, noch 
Geſetzkenntniß, noch gute Sitten; aber mehr Unverſchaͤmt⸗ 
beit als zehn oͤffentliche Huren). Wenn diefe Außerung 
vom Könige berührt, fo mag man feine Beobachtungsgabe 
loben, muß ihm aber deſto ſtrenger vonverfen daß er eis 
nem folden Wanne, bie Stelle eined Oberrichters anver⸗ 
teaute. Wenigſtens wußte Jakob beffer warum er ihm nicht 
bloß diefe Stelle ließ, fondern auch neue Rechte damit vers 
“ band und ihn in die, von Monmouth durchzogenen Landſchaf⸗ 
ten binausfandte?). Hier begannen nun Gerichte bed Eis 
gennutzes und der Blutgier; denn wie viel man auch von 
dem genau und umflänblih Erzaͤhlten abrechnen unb als 
übertrieben zur Seite fielen will; es bleibt des Erwieſenen, 
Unleugbaren nur zu viel übrig. Wenige erhielten Verzei⸗ 
bung, Unzählige wırden (nicht ‚ohne Vortheil fir Jeffreys) 


1) Woolrych Memoirs' of Judge Jefireys. 

2) Clarendon correspondence I, 83, 191. Russel life II, 255. 
Life of Francis North p. 219. 

8) Nach Lingard AIV, 72 warb Jeffreys zugleich Generallieu⸗ 
tenant. 





Jeffreys. 336 
an Gelbe gebuͤßt, und z. B. unter die Ehrendamen ber Koͤ⸗ 1665. 
niginn das vertheilt, was junge Mäpchen zahlen mußten 
weil fie in Zaunton dem Herzoge von Monmouth Bibel 
und Schwert überreicht ‚hatten. Ärmere, bie nicht. zahlen 
Tonnten, blieben in willfürlicher.. Haft und wurden außges 
peitfcht. Über, 800 ſchidte man. zu Sklavenarbeit in die Ko: 
Ionien, 330, ober gar 600 Tießen die Blutrichter hängen, 
koͤpfen, räbern, verbrennen. Ginem Maͤbdchen (fo. wird er: 
zählt) verſprach Jeffreys dad Leben ihres Bruders; als fie 
ihn nachher dennoch gehangen fand, verfiel fie in Wahnſinn. 
Ein gewifler Berton Plagte nieberträchtig feine eigene Nettes 
rinn, Mifteiß Saure, wegen biefer Rettung an: er: warb los⸗ 
gefprochen, fie Dagegen lebendig verbrannt). Lady Lidle, 
die über .70 Jahre alte ganz unſchuldige Wittwe eines Koͤ⸗ 
nigsmoͤrders, hatte einen Fuͤchtigen bei fich aufgenommen 
und, da: fie fein Vergehen nicht Eannte, unangezeigt entwis 
ſchen laſſen. Die Frau war. fo ſchwach, daß fie während 
des lebendgefährlichen Verhoͤrs ruhig einfchlief, und die Jury 
ſchreckte zuriick vor dem Gedanken fie zu verurtheilen. Aber 
Jeffreys wußte mit. furchtbarer Leidenfchaft auch hier feinen 
Willen burchzufegen: fie warb gekoͤpft. Später, und felbfl 
auf dem Todtenbette hat Jeffreys behauptet: bie Gefchäftss 
anweifungen Jakobs wären an Härte und Grauſamkeit über 
Dad ihm Vorgeworfene weit hinausgegangen; Freunde bed 
Königs haben .diefen hingegen von aller Schuld freifprehen i 
und fie allein dem Oberrichter auflegen wollen. Dad Letzte | 
iſt irrig: denn arge Grauſamkeiten, welche in Schotland ges 
übt wurden, bat Jakob ebenfalls gebilligt, und wenn ihm 
auch einzelne Schänblichkeiten vielleicht verborgen blieben, fo 
erfuhr er doch dad Meifle, ja er hatte es ohne Zweifel bes 
zweckt, gewollt und angeordnet. So fchrieb er felbft an 
Wilhelm von Dranien: der Oberrichter hat feinen Feldzug 
foft vollendet und fehon mehre Hundert verurtheilt. Einige 
derfelben find bereitö hingerichtet, noch Mehre werben binges 


1) Goldsmith History of England III, 118, 





336 Sechstes Bud. Siebentes Hauptfiäd. 


1685. richtet ımb die Übrigen in bie Pflanzimgen geſchickt ). — 


Während Jeffreys und feine Genoffen allgemein gehaßt und 
verabfcheut wurden, ernannte der König (ein augenfälliges 
Beichen feined ungetheilten Beiſalls) jenen zum Lord unb 
zum Kanzler des Reichs”). 

Diefer gräulichen Siege froh berief der König dad am 
zweiten Julius prorogiste Parlament zu einer neuen Sitzung 
auf den neunten November 1685 und erflätte,. anderer Dinge 
zu geſchweigen, mit Nachdruck: die Miliz oder Landwehr 
babe fich unzureichend gezeigt, man bebürfe beöhalb eines 
ſtarken flehenden Heeres. Auch fey er gefonnen diejenigen, 
Ä — ſich tren gegen ihn bewieſen, im Dienſte zu behal⸗ 

ten, ſelbſt wenn fie den Teſteid nicht ſchwoͤren wollten. — 
Im Oberhaufe wurden biefe Außerungen des Königs ſtilt⸗ 
ſchweigend hingenommen; im Unterhaufe dagegen veranlaß⸗ 
ten fie: umſtaͤndliche Eroͤrterungen. Während nämlich die 
Einen auf Jakobs VBorfchläge eingingen, und die Untauglidhs 
Beit der Landwehr, fowie die Nothwendigkeit eines fichenden 
Heeres zur Abwendung innerer und dußerer ‘Gefahren ers 
wiejen; bemerkten bie Anderen: Die Landwehr hat gegen 
Monmouth gute und zureichende Dienfte geleiftet, mit 1800 
Mann ift ber ganze Auffland unterdrüdt worben. Sollten 
fih dereinfl im Inlande oder Auslande neue Gefahren zeis 
gen, fo werben fich auch zweckdienliche Mittel dawider aufs 
finden laffen. Einem ſtehenden Heere, unnuͤtzer koſtſpieliger 
Faullenzer vertrauen, heißt fein Gelb wegwerfen und alle 
Freiheiten preiß geben. Beſſer dad Doppelte zur Ausbildung 


1) Der König verſchenkte dieſe zur Sklavenarbeit in die Kolonien 


Berurtheilten, hundertweiſe an einzelne Perſonen; Jeffreys aber machte 
darauf aufmerkſam man koͤnne für jeden Verurtheilten 10 bis 15 Pfunb 
Kaufgeld erhalten unb warnte ‘gegen zu große Milde. Mackintosh 
685 — 688, 


2%) Dalrymple I, 199; II, 58. Burnet II, 979, 1004, 1110. 
Somerville 150 — 158, Clarke II, 43, Macpherson History 1. 


452; II, 19. Mazure II, 19—26. Lingard XIV, 76, 92. Mackin- 


‘tosh Hist. of the Revolution 20, 29, 32. ⸗ 


7 





Parlament, Miliz. _ 837 


der Landwehr bewilligen, welche zu fürchten kein Grund 1685. 
vorhanden iſt. — Hierauf warb ber Antrag, dem Könige 
zur Erhaltung eines größeren Heeres Zuſchuͤſſe anzumeifen, 
mit 225 Stimmen gegen 156 verworfen). — Auch die 
zweite Stage: ob man fogleich über Gelbbewilligungen zu 
anderen Zwecken berathen wolle, ward mit 183 Stimmen 
gegen 182 verneint und befchloffen unmittelbar zum folgen: 
ben Abſatz der Föniglichen Rebe überzugehn. ZZ 
Bei ber Prorogation des Parlaments am zweiten Ju⸗ 
lius batte daſſelbe in einer ungemein böflichen und theilneh⸗ 
menden: Eingabe erklaͤrt: man beruhige, veriafje und ſruße 
ſich ganz auf das hoͤchſt gnaͤdige Wort "Seiner Majeflät bie 
Kirche von England zu erhalten, welche jedem thenrer ſey 
als dad Leben. Diefen Wink glaubte der König bei feiner 
nen gewonnenen Übermacht in dem Augenblide ganz vers 
nachläffigen zu dürfen, wo bie Tyrannei feines Vorbildes, 
Ludwig XIV, durch die Aufhebung des Gefeges 
von Nantes”) felbfi in den Ruhigen Beforgniß, 
und in ben Eifrigeren Zorn und Abfcheu- erregte. 
Dennoch enthielt eine neue Eingabe des Parlaments vom 
A6ten November in bemütbiger Form nur bie Bitte: der 
König möge niemand anflellen welcher nicht bie. vorgefchries 
benen. Eide leifte, und überhaupt Erin Gefeb ohne Theil⸗ 
nahme des Parlamentes aufheben, ober davon eutbinden. — - 
Erzuͤrnt über dieſe Vorſtellung antwortete ber König am 
18ten November: ich hatte Urfache zu hoffen, daß ber Ruf 
mit welchem Gott mid vor der Welt gefegnet hat, größeres 
Zutrauen erweien winbe. Wie Ihr aber auch verfahren 
möget, ich will meinen Verſprechungen treu bleiben. — 
Diefe Antwort war um fo thörichter, da fie in ber Sache 
ſelbſt nichts entfchied und von irrigen Vorausſetzungen aus⸗ 


| 1) Parliam. Hist. IV, 1868 — 1888, History of the Commons 

ID, 181—185. Clarke II,52. Macpherson History I, 434. Moore 
88, 105. Reresby 125. 

2) Den 22ften Oktober 1685. 

VI. 22 


% 


m, 3. 


338 Gchstes Bud. Stebentes Haupefii: 


1685. ging. Jakob genoß eben nicht bed Rufes daß er 


‘ 


giondfachen unparteilfch fey, unb übertrat fo eben | 


ſprechungen, welche er in Bezug auf die unverfürzte 


tung ber englifchen Kirche gegeben hatte. 

Nach langem Schweigen fagte Sir Gofer i 
wir ſind alle Englaͤnder, und werden uns durch eini 
Worte nicht aus unſerer Pflicht herausfchredir- 5 
Diefe Kußerungen wurden von der Mehrh.-. u Werne 
nommen daß man. Coke nad) dem Tom. inzöfifch 

a: zie Antwort Strg Mehefät, fen, 1: "ob abeı 

gend. Anflatt biäten unernurteten Alögang, viert 
flige Stimmung zu benugen und einzulenfen, griff . 


nach einem leeren Vorwande um ſich des Parlamentes 


zu entiebigen. Am 20flen Rovember, eilf Tage nad 
Eröffnung, vertagte er es unter Beichen bes Stolzes 
Zornes, und Iöfete ed endlich, ohne je eine neue em 
veranlaffen, am zweiten Julius 1687 auf”). 

Mit als ein Unglüc betrachtete Jakob jegund 
Aufſtand Monmouths und die furchtbaren Beſtrafung 
ſondern als ein ungemein gluͤckliches Ereigniß um feine Krd 
zu fäyfen und feine Feinde aus dem Wege zu raͤum 
Habe es fo wenig Mühe gekoſtet dieſe Gefahr zu befieg 
und dem Parlamente lebenslaͤngliche Bewilligungen zu en 
locken); fo werbe es noch Leichter ſeyn bie verborgenere 
Zwecke zu erreichen. Der Koͤnig, ſo ſprachen ſeine Schmeich 
ler, iſt ein guter Wirth und kann mit dem bewilligten Geld: 
ein ſtarkes Heer befolben *): nur darauf iſt Verlaß, nicht 





auf die leeren Verſprechungen und pomphaften Ausdruͤcke 


des Parlamentes. — Dieſen Anſichten üuͤberall beiſtimmend 


1) I hope we are all English men, and arenot to be frighted 
out of our duty by a few high words. Parl. Hist. IV, 1885. Clarke 
II, 56. | 

2) Dalrymple Vol. II, app. 105. Mackintosh 47, 

8) Macpherson ‚History I, 456. Bissare Q, . Ballam 


4) Clarke II, 59, 69. 


Jakobs kühnes Benehmen. | 339 


I = der König die Parlamente ‚nicht bloß fuͤr entbehrlich, 1685. 
fogar für ſchaͤdlich und wollte, gleichwie Ludwig XIV, 


taat und Kirche un umſchraͤnkt regieren. Deshalb ents 
— — alle Beamte, welche im Parlamente nicht ſeinen Wuͤn⸗ 
13 * gemaͤß geſtimmt hatten‘), ohne zu beruͤckſichtigen daß 
— Zen eine doppelte Pflicht oblag, und daß fie glaubten bie: 
er Aa meinen Beften zu üben. Lord Halifax, dem 
ni uͤcken tige zu danken hatte daß die Ausſchließungs⸗ 
8 der Kt? thaufe durchfiel ), machte ihm fehr auf— 
* ol son Therite u © ‚reifenbe Regierung 
ug, Riſe, und der König hörte mit ſcheinbar großer Rube 
d Herablaffung zı. Des Lorbö vermeintliche Anmaafung 
Me aber unvergefien: fobalb bed Königs dußere Lage ir⸗ 
x Und gefichert ſchien), zeigte er jenem unverhohlen feine Un; 
Me und entfernte ihn von allen Gefchäften. Ich fehe 
Magte Halifar fih gern zuruͤckziehend) gewiffe Dinge im 
me, zu benen ich keineswegs bie Hand bieten mag; 
ch blieb‘ nicht lange verborgen, welche Gegenflände der 
rd hiemit bezeichnen wollte. 
min Der Eid des Königs lautete: er folle und werde nach 
zu u den Geſetzen regieren und die, auf die wahre Lehre des Evan⸗ 
r zuli geſiums gegruͤndete, Kirche ſchuͤtzen. Es konnte gar Fein 
gen 5 Zweifel barlıber ſeyn, daß das jetzige Staatsrecht und die 
aba jetzige hohe Kirche hiemit gemeint ſeyen; Jakob hingegen 
" Oder fagte dem franzoͤſiſchen Gefandten*): der Eid laute noch fo 
gend wie zur Zeit Eduards des Bekenners, und folgerte ſophi⸗ 
fs ſtiſch hieraus: er habe nur dad Damaige anzuerkennen und 
Ka zu ſchuͤtzen! Was ex aber auch anerkennen, herſtellen und 
iu beſchuͤtzen mochte; es erichien unficher und vergaͤnglich, fo 
lange er nicht feine Tochter und Erbin Marie, nebft ih- 


2 em Gemahle Wilhelm von Dranien für feine Plane 











1) Reresby 126, 128. 
4 2) Oben Beite 309. 
8) Reresby 109, 122, 128. 
4) Mazure II, 409, 411. 
22% 


338 Sechstes Buch. Siebentes Hauptftäd. 


1685. ging. Jakob genoß eben nicht bes Rufes daß er In Bdi- 


{ 


gionsſachen unparteüſch fey, und übertrat fo eben die Ver⸗ 


ſprechungen, welche er in Bezug auf bie unverkuͤrzte Erhal⸗ 


tung der engliſchen Kirche gegeben hatte. 

Nach langem Schweigen fagte Sir Coke? „Id hoffe 
wir find alle Engländer, und werden und durch einige hohe 
Borte nicht aus unferer Pflicht herausfchredi 1 "N - 
Diefe Äußerungen wurben von ber Mehrh, ı Vernehmens 
nommen gi man Coke nah dem Fon. :nzöfifche Ges 

R: ie. 0 . Mmeiät, fe er 1,05 aber ante 
—— ig ee —S oreſe güns 
ſtige Stimmung zu benutzen und einzulenken, griff Jakob 


‚nach einem leeren Vorwande um ſich des Parlamentes ganz 


zu entiebigen. Am 20ften November, eilf Tage nach ber 
Eröffnung, vertagte er es unter Zeichen des Stolzes und 
Zornes, und Idfete es endlich, ohne je eine neue Sigung zu 
veranlaffen, am zweiten Julius 1687 auf”). 

Richt als ein Unglüd betrachtete Jakob jekund den 
Aufftand Monmouths und die furchtbaren Beſtrafungen; 
ſondern als ein ungemein gluͤckliches Ereigniß um ſeine Kraͤfte 
zu flärfen und feine Feinde aus dem Wege zu räumen. 
Habe es fo wenig Mühe gekoſtet biefe Gefahr zu befiegen 
und dem Parlamente lebenslaͤngliche Bewilligungen zu ent 
locken)3 fo werbe ed noch Leichter ſeyn bie verborgeneren 
Zwecke zu erreichen. Der Kökig, fo ſprachen feine Schmeich⸗ 
Ier, ifl ein guter Wirth und kann mit bem bewilligten Selbe 
ein ſtarkes Heer befolben*): nur darauf iſt Verlag, nicht 


auf die leeren Verſprechungen und pomphaften Ausdruͤcke 


des Parlamentes. — Dieſen Anſichten überall beiſtimmend 


1) I hope we are all English men, and arenot to be frighted 
out of our duty by a few high words. Parl. Hist. IV, 1885. Clarke 
Il, 56. 

2) Dalrymple Vol. II, app. 105. Mackintosh 47, 

$) Macpherson ‚History I, 456. Mazure II, 407. Hallam 


m, 81. 


4) Clarke II, 59, 69. 


\ 


Jakobs kühnes Benehmen. | 339 


hielt der König die Parlamente nicht bloß fuͤr entbehrlich, 1685. 
fondern fogar für ſchaͤdlich und wollte, gleichwie Lubwig XIV, 
in Staat und Kirche un um ſchraͤnkt regieren. Deshalb ents 
ließ er alle Beamte, welche im Parlamente nicht feinen Wuͤn⸗ 
fchen gemäß geftimmt hatten"), ohne zu beridfichtigen daß 
ihren eine boppelte Pflicht oblag, und baß fie glaubten bie 

BO * meinen Beſten zu ben. Lord Halifar, dem 

enu⸗ fe zu banken hatte daß die Ausſchließungs⸗ 

es der BR baufe durchfiel ?), machte ihm ſehr aufs 
| son Werte u : Freifende Regierunge— 
"weile, und * König hörte mit ſcheinbar großer Ruhe 
und Herablaffung zu. Des Lords vermeintliche Anmaaßung 
bfieb aber umvergefien: fobalb des Königs dußere Sage ir⸗ 
genb gefichert fchten”), zeigte er jenem unverhohlen feine Uns 
gnade und entfernte ihn von allen Gefchäften. Ich fehe 
(fagte Haltfar fi gern zurüdziehend) gewiffe Dinge im 
Keime, zu benen ich keineswegs bie Hand bieten mag; 
auch blieb nicht lange verborgen, welche Gegenflände der 
Sordb biemit bezeichnen wollte. | 

Der Eid des Königs lautete: er folle und werbe nad 
Den Gefegen regieren und bie, auf bie wahre Lehre des Evan⸗ 
geltumd gegründete, Kicche ſchuͤtzen. Es konnte gar Fein 
Zweifel barlıber feyn, daß das jetzige Staatsrecht und die 
jetzige hohe Kirche hiemit gemeint ſeyen; Jakob hingegen 
ſagte dem franzoͤſiſchen Gefandten *): der Eid Iaute noch fo 
wie zur Zeit Eduards des Bekenners, und folgerte fophis 
fifch hieraus: er habe nur das Damalige anzuerkennen und 
zu fhüßen! Was er aber auch anerkennen, berfiellen und 
beſchuͤtzen mochte es erſchien unficher und vergänglich, fo 
lange er nicht feine Tochter und Erbinn Marie, nebft ih: 
rem Gemahle Wilhelm von Dranien für feine Plane 











1) Reresby 126, 128. 

2) Oben Beite 309. 

8) Beresby 109, 122, 128. 

4) Mazore II, 409, 411. 
22% 


20 Sechstes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


1685. gewinnen fonnte. Cifrige Kathofilen, weiche dies für un⸗ 
möglich hielten, riethen deshalb: der König folle feine Zoch 
ter von ber Thronfolge ansfchließen ); allein daS angeblich 
göttliche Erbrecht. gerieth hier mit ber angeblich göttlichen 
Dicht den Katholicismus herzuftellen, in folchen Widerſtreit 
daß der König, unfähig ihn zu löfen, zumaͤchſt andere Wege 
einſchlug um ſein Ziel zu erreichen. 

Bei dem erſten Schein eines freundlichen Vernehmens 
zwiſchen Jakob und Wilhelm, erhub der franzoͤſiſche Ges 
ſandte Barillon mannigfache Beſchwerden; Jakob aber ant⸗ 
wortete?): ich muß den Schein erwecken als ſey ich einig mit 
dem Prinzen, damit bie Volkspartei an ihm- — 
ſucht und finde. Ich kenne ihn übrigens zu gut, 
daß ich von ihm koͤnnte betrogen werden. — Wilhelm — 
wie wir ſahen, Monmouths Plane auf keine Weiſe gefoͤr⸗ 
dert, ſondern ihm vielmehr dad Verſprechen abgenommen 
Nichts wider Jakob zu unternehmen. Er hatte aber, oben: 

‚ein abhängig von ben hollaͤndiſchen Reichsſtaͤnden) ſich mac) 
Empfang jened Verſprechens feiner Abfahrt um fo weniger 
widerſetzt, ba die Zahl feiner Begleiter ganz unbebeutend und 
zu einer offenen Fehde Fein hinreichender Grund vorhanden 
war. Sobald indeß Monmouths feindliches Benehmen wi- 
ven Jakob bekamt warb, erbot fich der Prinz feinem Schwie- 
gervater Hurfemannfchaft zuzuführen”), welch Gxbielen der 
König aber ablehnte. Nach erfochtenem Siege forberte bie: 


1) Mazure IL, 404, 417. 

2) Dalrymple II, 11. Gunningbam IL, 48. 

8) Dex franzoͤſiſche Gefandte d’Avaux, ein heftiger Gegner Wil: 
beims, ſchreibt in mehreren Briefm: Monmouth partit furtivement, 
mais il est pourtant vrai quo Gaoillaume le savait. I} ne voulait 
ni l’aider, ni s’opposer et rompre avec Montmiouth ou Jaques. — 
Jaques demandait trois regimens &cossais qui €taient en Hollande 
et Guillaume consentit etc. d’Avaux V, 21, 0 —64. Monmouth 
war ebenfalls unzufrieden daß Wilhelm ihn nicht „unterflügen wollte. 
85. Hallan III, 92 Lamberty Mem, de la derniere r&rolation 
d’Angleterre I, 15. 


ud 











Jakob und Wilhelm von Dranlen. 34 


fer die Verhaftung und Auslieferung mancher nad) Holland 1685. 
geflüchteten Anhänger Monmouths, und Wilhelm entgeg- 
nete: er fey hiezu gern bereit, ſobald (wie bie nieberländis 
fhe Verfoffung forbere) die Angeklagten näher bezeichnet und 
Beroeife ihrer Schuld mitgetheilt wären. Zu gleicher Zeit 
(den achten Auguft 1685) ſchrieb er dem Oheime feiner Ges 
mahlinn, dem Herzoge von Rochefter: „ich kann Ihnen ‚nicht 
ausbrüden wie ſehr ich mich uͤber das Zutrauen freue, wel⸗ 
ches der König in mich zu ſetzen behauptet). Ich hoffe 
dies foll Seine Majeſtaͤt nie gereuen; meinerſeits werbe ich 
mich wenigftend immer fo zu benehmen fuchen, daß er da⸗ 
mit zufrieden feyn wird. Auch kanm ich nichts vorausfehen 
was dies Zutrauen ſtoͤren koͤnnte welches, ich wage es zu 
fogen, für und beide fo nothwendig iſt.“ 
In dieſer richtigen Überzeugung gelang es ben wahren 
Freunden Englands und Hollands am 17ten Augufl 1685 
eine Befldtigung und Erneuung ber alten, zwifchen beiden 
Reichen bereitd beftehenden Verträge durchzuſetzen ). Ob» 
gleich hiedurch die franzöfifhen Rechte und Verhaͤltniſſe nicht 
im minbeften verlegt wurben, betrachtete Lubwig XIV doch 
ven König von England als einen Penfionar welcher Teine 
unabhängige Beſchluͤſſe faffen dürfe. Anſtatt aber burch 
die flolze Verachtung mit welcher Lubwig, ja felbfl feine 
Minifter ihn behanbelten?), in gerechten Zorn zu gerathen und 
feine Unabhängigkeit geltend zu machen; finchtete König Ja⸗ 
kob bad Auöbleiben des franzöfifchen Geldes, und ließ fih 
durch Fatholifche Eiferer zu neuen Mißgriffen wider ben Prin⸗ 
zen von Dranien verleiten. Chudleigh ber englifche Sefanbte 


1) Schon im April 1685 ſchrieb Bentink an Rocheſter: Vous con- 
naissez l’humeur de Son Altesse qui n’est nullement de dire «e 
qu'il ne pense pas, ou de faire aucune chose à demi. Je vous 
assure qu’il est dans une disposition de faire tout ce que le Bei 
peut souhaiter de lui. Daffelbe ſchreibt Wilhelm. Clarendon cor- 
„ respondence I, 119, 121, 151, 152. 


2) Lamberty Mem. I, 44, | 
8) With a haughty disregard. Dairymple I, book 2, p. 35. 


x 


342 Sechſtes Buch. Siebentes Hauptfläd. 


16066. mußte aus dem Haag abberafen werben, weil er fich gegen 
den Prinzen unanſtaͤndig benommen hatte"), und fein Nach⸗ 
folger Skelton warb im Oktober 1685 überführt, daß ex 
mit Covell dem Kapellane der SPrinzeffinn ungebührliche 
Spionerei trieb. Nur Kuppler und Huren (fchrieb ber Letzte 
ungebührlich und unwahr zugleich) hatten am Hofe bed Prinz 
gen Einfluß, und feine Gemahlinn fey feine unbedingte Skla⸗ 
vinn. — Daß Marie dem größeren Geiſte Wilhelms vers 





traute, Batholifchen Einflüfterungen fein Gehör gab, und ih⸗ 


res Vaters Regierungsweiſe fowie fein Anfchließen an Frank⸗ 
reich nicht billigte, gab ſchon damals ihm und feinen überei- 
frigen Anhängern, großen Anſtoß. 
In der Hoffnung dag Schottland und Irland leichter 
. für feine Plane zu flimmen wären ald England, richtete ber 
. König zunaͤchſt feine Thätigkeit auf jene Reihe. Schon im 
Jahre 1681, hatte das ſchottiſche Parlament (den engliſchen 
Whigs ſcharf entgegentretend) einſtimmig befchloffen ): „wer 
die geſetzliche Erbfolge aͤndern oder umſtoßen will, iſt ein 
Hochverraͤther. Des Koͤnigs Macht und Rechte finb und 
bläben unumſchraͤnkt und heilig, und alle Unterthanen zu 
unbebingtem Gehorfame verpflichtet. Durch einen neuen 
Eid ſollen zumaͤchſt die Beamten biefe Grundbfäge beſchwoͤ⸗ 
sen, dem Govenant entfagen, und bed König Supremat 
anerkennen.” — An dieſe Geſetzgebung reihten fich die aͤrg⸗ 
fen Werfolgungen der Whigs und der Preöbpterianer; bie 
Zories und bie hohe Kirche herrfchten unter dem Namen und 
mit Beiſtimmung ded Könige nach Willkuͤr. 

1686. Bei dieſen Verhaͤltniſſen zweifelte Jakob keinen Augen- 
blick, fein im April 1686 dem ſchottiſchen Parlamente hoͤf⸗ 
lichſt vorgelegter Wunſch: bie verfolgten Katholiten milber 
zu behandeln und von ben gefehlihen Eiden zu entbinden, 
werde ohne Widerrede erfüllt und —— ein Geſetz entwor⸗ 


9 Clarendon correspondence I, 168, 165. 


2) Macpherson History I, 360, 440. Mazure II, 912. Rapin 
X, 45. Dalrymple I, 195. 


Scotland. Irland. | 343 


fen werben. Statt beffen erheben fd) Zweifel, Einschen, 1686. 
Zögerungen, bis Jakob umgebuldig dad Parlament entließ. 
‚Allerdings ſtand dad Benehmen deſſelben mit den oben auf⸗ 
geſtellten allgemeinen Grundſaͤtzen in Widerſpruch; allein es 
erwies ſich hier, wie ſo oft, daß Saͤtze ſo allgemeiner Art, 
beſtimmten Verhaͤltniſſen und inhaltsreichen Intereſſen gegen 
über ihre Kraft verlieren. Wenn naͤmlich die Tories und 
Episkopalen auch eben keinen Grund hatten ſich vor den 
wenigen Katholiken in Schotland zu fürchten; fo fühlten fie 
doch ganz richtig daß die größere Dulbung welche ber Koͤ⸗ 
nig auöfchließend für jene in Anfpruch nahm, auf bie Dauer 
keineswegs ben Preöbpterianern Eönne verfagt werben”), wo» 
durch die hohe Kirche in Schotiand Gewalt und Einfluß ver 
lieren muͤſſe. 

Die Hauptflüge für des Königs Plane fehlen Irland 
Darzubieten; allein der Gegenſatz zwiſchen Katholiken und 
Proteſtanten trat hier, wo möglich, noch fchroffer und uns 
buldfamer hervor, als in Schotlanb der Gegenſatz von Epis⸗ 
kopalen unb Presbpterionern. Jene, ungeachtet ihrer ent 
ſchiedenen Mehrzahl, immerbar befiegt und überall von oͤf⸗ 

fentlihen Imtern, ja oft von ‚ben Vortheilen des Privats 
rechtes außgefchloffen, hofften und forbetten von einem katho⸗ 
Iifchen Könige, eine völlige Umgeflaltung ihrer Werhältniffe. 
Insbeſondere lag ihnen daran ihre Kirche neu zu gründen, 
und die Anfiebelungsafte umzumwerfen, wodurch die ungeheus 
vers Gütereinziehungen und VWerleihungen beflätigt waren. 
Vielleicht hätten einzelne Proteflanten gern etwas aufgeos 
pfert, um das Übrige in größerer Sicherheit zu beſiten; a 
lein die Meiften fürchteten daß die Zorberungen mit jebem 
Zugeſtaͤndniſſe fleigen würden und verließen ſich auf ben fo 
oft bewährten Beiſtand der englifchen Proteflanten. Wenig 
um bie Letzteren bekuͤmmert, behielt Jakob nur die irländis 
ſchen Rerhältniffe im Auge, und ſtellte ohne Rüdficht auf 
befonnene Barnungen, Richard Zalbot, Grafen von Tyr⸗ 


1) Mackintosh 106— 112. 


344 Sechstes Bud. Siebentes Hauptſtück. 


1686.connel, bem Lordlieutenant Grafen Carendon zur Seite. 
So viel fich diefer auch von dem neuen Bertrauten ') bed Koͤ⸗ 
nigs gefallen ließ, mußte er ihm bennoch zulegt ganz weis 
chen, und Xyrconnel, deffen Benehmen fchon früher Anſtoß 
gegeben hatte, ſetzte nunmehr alle Rüdfichten bei Seite. Leis 
denſchaft und Anmaaßung trafen mit übertriebenem Eifer für 
den Katholicismus zufammen. Deshalb wird unter Anderem 
von ihm berichtet: Nichts Tann vernünftige Leute mehr ver: 
drießen als fein tobendes Schwaben, und die abfcheuliche 
Unverfchämtbeit womit er jeden bebanbelt”). Einige befons 
nene Katholiten haben ihm hierliber guten Rath gegeben, er 
aber verfluchte fie für ihre loͤbliche Abficht zu allen Zeufeln. 
Was er heute befiehlt und bejaht, verneint und hebt ex mor: 
sen auf. Seine wilde Leidenfchaft laͤßt ihn vergefien was 
er fagt und thut. — Will man diefer Schilderung feinen 
Glauben beimefien, fo halte man ſich an Xhatfachen. Die 
Proteftanten wurden allmälig aus bürgerlichen und Kriegs⸗ 
ämtern entfernt, die Bildung eines Tatholifchen Heeres ofs 
fentunbig bezwedt, und in allen wahlberechtigten Orten durch 
Tyrconnels Einfluß katholiſche Obrigkeiten erwählt. Wenn 
Städte, Zuͤnfte, oder andere Genoſſenſchaften hiegegen, mit 
Bezug auf Herlommen und Sreibriefe, Einwendungen mach⸗ 
tens fo nahm er biefe Freibriefe an fich und fagte: der König 
wolle ihre Rechte erhöhen, und nur die Spitzfindigkeiten her: 
ausfchaffen, welche ihrem wahren Vortheile entgegeufläns 
den‘). — Wer dieſem Verfahren wiberfpradh, "ber wurde 
feiner echte, eben bed Widerſpruchs halber, für verluftig 
erklaͤrt. Alle den Katholiten abgenommenen Kirchen, fagte 
Tyrconnel laut, würden balb ihnen wieder gehören, mit _ 


1) Tyrconnel war früher ber Vertraute von Jakobs Liebesgeſchich⸗ 
ten. Er heirathete die fchöne Sennings von Grammont, bie Schwes 
fer der Herzoginn von Marlborough. The Ellis correspondence I, 9. 

2) Clarendons correspendence überall, insbefonbere 198, 322 — 

| 326, 418 u. a. Drten. Moore 401. 


3) Clarke James II, 96. 





Geiſtliche Commiſſion. Tyrconnel. 345 


welcher Maaßregel ber Umſturz der Anſiedelungsakte Hand 1686. 
in Hand, gehen ſollte). — Selbſt Katholiken konnten dies 
ungefuͤge, gewaltſame Benehmen nicht billigen: ſo rief der, 
jenem Bekenntniſſe zugethane, Lord Bellaſis im koͤniglichen 
Geheimenrathe aus: warlich dieſer Tyrconnel iſt naͤrriſch und 
wahnfinnig genug, zehn Koͤnigreiche zu verderben! 

Ungeachtet der Warnungen einiger befonneneren Staats: 

‚ beamten, (3. B. Sunberlanbs) orbnete Jakob gleichzeitig für 
England eine Reihe von Maaßregeln an, welche ſaͤmmtlich 
von dem Grundfage audgingen und ihn beweifen follten: _ 
daß dem Könige in Staat und Kirche die hoͤchſte 
Gewalt unbedingt zuſtehe. 

Zur Zeit Karls I war bie, fo oft eigenmächtig verfah⸗ 
rende geiſtliche Commiffioen, durch einen Parlamentöfchluß 
aufgehoben und ihre Wiedereinführung verboten worden ?). . 
Ohne Rüdfiht auf die fpäteren Entwidelungen, gefeblichen 
Beflimmungen, und entfchiedenen Anfichten der Gegenwart, 
hielt Jakob feft an dem kirchlichen Supremat fowie er zur 
Zeit Heinrich VIII feftgeftelt worden, und bezweckte durch 
dies proteflantifche Papſtthum, den Katholicismus herzuftel- 
In. Scheinbar jedoch felbft in- den Hintergrund tretend, 
gründete er im Julius 1686 eine neue geiftlihe Com⸗ 
miffion. Von fieben Mitgliedern bildeten ſchon zwei, nebft 
dem Kanzler, ein vollfländiges Geriht. ES wınde von . 
Beobachtung unzähliger Formen und Landeögefehe entbuns ; 
den, und durfte Laien oder Geiftfüche vor ſich berufen und 
‚fie beſtrafen. Alle Univerfitäten, Kirchen, Kollegin, Stifs 
tungen u. f. w. waren ihm unterworfen, und bie Prüfung 
und Änderung aller Gefehe umd Einrichtungen berfelben in 
feine Hand gelegt. Die Commiffion durfte fuspendiren, ab> 
feten, bannen, Über Eheſachen entfcheiden und alle Perfos 
nen, bie man verbächtig zu nennen beliebte, zur Unterfus 


1) Dalrympie Boök V, app. 187. Mackintosh 113 — 124. 


2) Moore 130. Mazure II, 130, 134. Ellis letters, zweite 
Sammlung IV, 97. Lamberty Me&m. I, 58. 





246 Gehstes Buch. Siebentes Hauptfäd. 


1686. Hung ziehen. — Während man ben Schein eines rechili⸗ 
Ken Berfahrens zu erweden firebte und laut von Milde und 
Duldung rebete, ließ ſich jene Commiſſion viele Tyranneien 
zu Schulden kommen, und ſchonte feibft die Biſchoͤfe nicht. 
. Ein Prediger Namend Sharp hatte über die Gränzen 
der Töniglichen' Gewalt, eine dem Könige fo mißfällige Rede 
‚gehalten, daß diefer bem Biſchofe Henry Compton von Lon⸗ 
bon (dem juͤngſten Sohne des Grafen Spenfer von Nort⸗ 
‚ bampton) befahl, ihn zu entſetzen ). Der Biſchof wies ben 
gehorchenden Geiſtlichen fogleih an, ſich des —— a 

- enthalten, flellte aber dem Könige mit unzweifelhaften Grün: 
den vor: daß man ohne Rechtsgang und Urtheil Beinen Seit 
lichen abfegen koͤnne. Diefer Antwort halber warb ber Bi- 
fhof vor die geiſtliche Commiſſion geladen. Als er dern 
Gerichtsbarkeit nicht anerkennen wollte, fonbern verlangte 
vor ben Erzbifchof und feine Mitbifchöfe geftellt zu werben, 
traf ihn am fechöten September 1686 (gleich wie jenen 

Sharp) die Strafe der Suspenſion. 

Wenn der König ſich nicht fcheute einen Biſchof aus 
einer ſehr angefehenen Familie in dieſer Weife zu behandeln; 
fo ſcheute er ſich noch weniger andere Beamte willlkuͤrlich 
fortzufchidlen umb ihre Stellen fafl lauter Katholiken anzus 
vertrauen. Mag ed au) übertrieben feyn daß in ganz Eng: 
land nur ein einziger proteftantifcher Sheriff (und biefer nur 
auf den Grund einer Namensverwechſelung) in feinem Amte 
gebjieben ſey); fo hat es doch Feinen Zweifel daß jene Ent: 
laſſung eine außerordentliche Zahl würbiger Männer, ja faſt 
jeben traf ber irgendwo gegen bie Maafregeln der Regie: 

. zung Einwendungen erhoben, die beſtehende Kirche verthei⸗ 
bigt, und als Richter oder Parlamentöglie ben Winfchen 
ded Königs zuwider geſtimmt hatte. Zulegt erklärte biefer 
feinem Schwager dem Herzoge von Rochefter: Niemand barf 


4) The Ellis correspondence I, 3. Lamberty I, 66-70. 
. Clarke II, 92. Moore 150. Welwood 176, 178. 


‚2) Welwood 200. 


/ 


Beamte. Bekehrungen. | 347 


ein Amt bekleiden, der nicht meiner Meinung iſt ). Er darf 1666. 
kein anderes Intereſſe haben, als was ich anerkenne, — 
und befoͤrdere. 


Rocheſter, der nicht wie Sunderland und Andere zum 1687. 


Katholicismus übertreten wollte, zog fich mit dem Anfange 
des Jahres 1687 von Sefchäften zuruͤck; fo daß feitbem 
wenige katholiſche Räthe in allen Dingen entfchieben. Doch 
war Rocheſter nicht der einzige an welchem bed Könige Bes 
kehrungsverſuche fcheiterten. Als Herbert der Admiral, fonft 
ein. lebensluſtiger Dann, feine Stelle aufgab weil er ben 
Proteſtantismus nicht abſchwoͤren wollte, fagte ihm ber Ks 
nig: ich kenne fie als einen galanten Mann, baß fie aber 
- Gott fürchten, babe ich nicht gewußt ?). — Sire, antwortete 
Herbert, ich habe meine Schwächen gleichwie andere Mens 
fen; aber ich bin nicht wie gewiſſe Leute, die ungeachtet 
ihrer Gebrechlichkeit fo viel Redens machen von ihrem Ges 
wiſſen und ihrer Religion. — Ein Obtiſt Kirke, der in Tanger 
befehligt hatte, fagte bei ähnlicher Weranlaffung dem Koͤ⸗ 
nige: flir den Kal daß ich meine Religion aͤndern follte, habe 
ih dem Kaifer von Maroflo verſprochen Muhamebaner zu 
werden. — Diefe Antworten waren um fo bitterer da ber 
König, ungeachtet feiner Froͤmmelei mehren Liebſchaften 
nachhing, und insbeſondere wegen der zur Graͤfinn Dordhes 
fier erhobenen Demoifelle Sedley mit feiner Frau und feinen 
Geiſtlichen in ſteten Zaͤnkereien lebte. 

Um alle Einreden uͤber ſein Verfahren zu beſeitigen, und 
für daſſelbe eine feſte Regel und ſcheinbar unzweifelhafte Bes 
glaubigung zu. erhalten, hatte er ben zwölf Oberrichtern bie 
Frage vorgelegt: „wie weit fi fein Recht erfiredde von Ge 
fegen zu entbinden?” Sie entfchieven: ber König iſt ein 
unabhängiger Fuͤrſt, und die Geſetze find feine Gefege’). 


1) Of his opinion iſt bier. wohl „ſeines Glaubens.” Claren- 
don corresp. II, 117. Mackintosh 124, 188. Beresby 182. 


2) Mazure II, 17, 20; U, 147. 
8) Clarke James II, 80-90. Parl. Hist. IV, 138855—13868. 





318 Sechstes Bug Eicbenies Hauptſück 





* 


ik 


jaja appan 


Ih 


3 


ganz befon 


ll 


Ike 


a a I een 


biefe Ausnahme zur Regel 


hit 


Ioffen. 


unb bem 


erheben 


«gemeine: unbefhränftes Recht piyızden — allen 


a zu eutbinben; fo nimmst — 


It 


ir: 


HH 


! 


5227 


wegen eines fruͤhere n 


341 
— 


Welweod 172. 


Macpkersen 61. 





Dispenfationsredt. Religionsbuldung. 349 


um einzelne Faͤlle danach im voraus zu würdigen. Indbe: 1686. 
fonbere darf man nicht vergeflen, daß viele kirchliche Ein: 
richtungen getroffen wurden und ber Teſteid eingeführt ift, 
damit ein katholiſcher König ſich nicht mit Katholifen umges 
ben inne, fondern die Verwaltung in den Händen von Pro: 
teftanten Iafien muͤſſe. Es wäre die größte Verkehrtheit dies 
jenigen Geſetze, bes Willkuͤr des Königs anheimzugeben, wel: 
che eben zum Schuge gegen feine Willkuͤr vom Parlamente 


- entworfen und von ihm felbft beftätigt find. 


Jene vier Richter, welche dem Schluffe der übrigen wi⸗ 
derſprochen hatten, wurden abgefeßt, unb auf alle die ers 
waͤhnten Einreden Feine Rüdfiht genommen. Seitben bad 1687, 
unantaflbare Recht der Herrſcher durch die Rechtögelehtten 
feierlich anerfannt und befldtigt fey, glaubte der König noch 
ruͤckfichtsloſer als früher vorfchreiten, und insbefondere feine 
Firchlichen Plane verfolgen zu duͤrfen. Am 18ten Februar 
1687 erging für Schotland eine koͤnigliche Verfügung‘ über 
Sewiffensfreiheit‘), wodurch die Bekenner ber verſchie⸗ 
denen chriftlichen Bekenntniſſe in allen Dingen (alfo 5. B. 
in Hinficht auf Gottesdienſt, Öffentliche Amter, Wahlrechte 
u. f. w.) gleich geftellt und alle hierauf begügliche kirchlichen 
Eide abgeſchafft wınden?). Statt deſſen ward ein neuer 
Eid vorgeſchrieben, wo die Religion gar nicht erwähnt, un: 
bedingter Gehorfan gegen bie Befehle bed Königs aber 
vorgeſchrieben wird. Auch hieß es in der Einleitung zu jes 
me Verfuͤgung: der König befiehlt vermöge feines ſouve⸗ 
reinen Anfehens, feiner koͤniglichen Vorrechte und feiner un 
beſchraͤnkten Gewalt, welcher alle feine Unterthanen un: 
bedingt zu gehorchen haben u. f. w. 

AS diefe Verfügung in Schotland Feine lauten Wider: 
fprüche hervorrief, erging am vierten April eine aͤhnliche für 
England, und ihre Vertheidiger fuchten fie mit allen ben 


1) Brent und W. Penn follen beim Entwerfen biefer Berfigung 
mitgewirkt haben. The Ellis Correspondence I, 269. 

2) Olarke II, 108. Parliam, Hist. IV,1388. Dalrymple book 
V, app. 86. . 





30 Sechstes Bud. Siebentes Hauptfiäd. 


1687. Gruͤnden zu umterflügen, welche im Allgemeinen für reli- 
gioͤſe Duldung fo oft ausgefprocdhen unb erwieſen worben 
find. Sie fügten dann weiter hinzu: es ſey thoͤricht ſpitz⸗ 
findige Lehrfähe ver Schule beſchwoͤren zu laſſen ımb von ih: 
ver Annahme bie Bürgerrechte abhängig zu machen. Es fey 
unverftändig' unzählige Kirchenſtrafen aufzulegen, den Koͤnig 
hiedurch mittelbar fuͤr einen Goͤtzendiener zu erklaͤren und 
gleichzeitig zu behaupten: dies Alles geſchehe zu ſeiner Be⸗ 

ruhigung und Sicherheit!) So wie man Arzten , Hand: 
werten, Kaufleuten, Gerichten und Behoͤrden in allen Ge 
ſchaͤften vertrauen muͤſſe, ſo auch dem Köyige; unb wenn 
das Größte, Krieg und Brieben, im feine Hand gelegt fen, 
dann auch dad Seringere, 3. B. Entbinden von Strafen, 
Anordnung bed Gottesdienftes u. f. w. 

Biele Diffenters, welche zunaͤchſt nur bie Befreiung 
von ungerechtem, unerträglichen Drude im Auge behielten ”), 
zu fi) der größten Breube und dankten dem Könige 

zahlreichen, lobpreiſenden Eingaben. Sie verglichen ihn 
= Mofed, Cyrus und anderen Befreiern bed Volkes Got⸗ 
tes, und nannten bie biöherigen Gefege, cannibalifche Ge 
ſetze ). In einer Vorſtellung der Köche hieß es; e8 fen fo 
ſchwer allen Glauben, wie alle Gefchmäde in UÜbereinſtim⸗ 
mung zu bringen; bes Königs gnäbige Berfügung gleiche 
aber dem Manna Gottes, das jeder Zunge behage. 

Diefe begeifterte Billigung . war inbefin weber ale 
gemein, noch von langer Dauer; auch beruhte fie weſentlech 
darauf daß die Beguͤnſtigten überaus gern Rechte erwer: 
ben, nirgends aber ſelbſt bewilligen wollten. So führte 
man in Streitſchriften folgenbe Stellen und Lehrfäge aus 


1) Clarke II, 106, 148, 150. 

2) 58 warb behauptet, daß feit 1660 über 350 Diffenters in ben 
Gefängniffen geftorben und an 60,000 geftraft worden. Mag Wide 
übertrieben feyn, Immer bleibt arge Tyrannei übrig. Shert History 
of the church II, 838. 

9) Macpherson Hist, I, 482. Lamberty Mia. I, 268, Bia- 
sure II, 275. Deirymple II, 1, 89. Mackintesh 175. 


4 
.‘ 


ge. e 


Religionsduldung— 361 


den Schriften ber Diſſenter an: allgemeine Dulbung ſchließt 1687. 
jeden Irrthum im fich, zerflört Religion und Gewiffen, führt 
zum Papfttfume, widerfprit dem Evangelium und dem 
Eovenant, töbtet die Seele und Löfet Staaten und Familien 
auf. Die Diffenterd (klagte man weiter) find ſelbſt hoͤchſt 
undulbfam, verfolgen fich untereinander -ımb. möchten, getrennt 
vom Staate, In ihrer eigenen Weiſe tyranniſiren. Sie recht⸗ 
fertigen Empoͤrungen, unterwerfen den König der Willkuͤr 
Des Parlaments, ja des Pöbels, und haben Wohlgefallen 
an Blutvergießen, Koͤnigsmord und Anarchie‘). 

In Wahrheit hatte fi) damals Feine Religionspartet 
zu dem Gedanken erhoben, daß eine allgemeine Religionsbuls 
dung möglich, nuͤtzlich und heilfam fen; höchftens Fam man 
bis zu der Frage: ob Strenge, ober Milde dad beffere Mit⸗ 
tel ſey, die Abweichenden und Abgeneigten allmaͤlig umzu⸗ 
ſtimmen und zu gewinmen? Bei biefen Verhältniffen ward 
e8 der hohen Kirche nicht fehwer die Mehrzahl der Presby⸗ 
terianer zu Überzeugen, ed ſey rathſam bie früheren Streis 
tigkeiten jegunb bei Seite zu fegen, um gemeinfam ber bros 
benden Herefchaft des Katholicismus zu widerſtehen. 
Dem daß es König. Jakob mit feiner allgemeinen liebevol⸗ 
len und gleichartigen Religionsduldung nicht ernſtlich meine, 
fonbern daB er ganz andere Zwede dahinter verberge, . 
dafuͤr gab ed nur zu viel Anzeichen, ja Beweiſie. 

Bereits fruͤher, (fprach man) während feiner Statthal- 
terſchaft in Schotland, habe er fi) unduldſam und hart er: 
wiefen, nah Monmouths Niederlage diefelbe Gefinnung zu - 
Zage gelegt, und überall ben verfolgungsfüchtigen Zub: 
wig XIV zum Muſter genommen. Während er bie kirchli⸗ 
chen Eide als tyranniſch verdamme, verlange er einen neuen 
zur Einführung und Beſtaͤtigung bürgerlicher Sklaverei ”), 
auf welche ex naͤchſtdem auch die Fatholifche zu begründen 
wimfche. Dem gemäß wuͤrden proteftantifche Geiftliche (wie 
Johnſon) abgefegt und an ben Pranger geftellt, weil fie ih: 

1) Roger U’Estrange Dissenters Sayings. 

:2) Reresby 186. Clarke II, 70, 112. 








352 Sechstes Bud. - Stebentes Haupifüd- 


1687. ren Glauben wider Goͤtzendienſt und Paptämub vertbeibig 
ten. Ja daſſelbe Scidfal (eine Warnung für England) 
habe ſchottiſche Biſchoͤfe getroffen ’), weil fie nicht ihren Sott, 
fowie einft die Schotten ihren König, verlaufen wollt. 
Schon jekt, wo Werſtellung noch vorwelte, feyen doch iu 
jene Verfügung über die angeblich allgemeine Duldung fol 
gende worte eingefloffen: fie fey gemäßigten Presbyteria⸗ 
nern beroilligt, unb der König wolle feine Unterthanen nie 
durch eine unüberwinbfiche, ober unwiderſtehliche 
Nothwendigkeit zwingen ihre Religion zu ändern”). Hier⸗ 
aus fen flr jeden Einfichtigen deutlich gerug zu entnehmen, 
wohin ber geforberte unbebingte Gehorſam führen muͤſſe. 

Diefe und aͤhnliche Betrachtungen wurben jeboch mehr 

in der Stille gemacht, als laut audgefprochens fo daß ber 
König nicht zweifelte, er werbe ungeſtoͤrt auf feiner Wahn 
fortfchreiten innen. Deshalb fchidte er des Grafen Gaſt⸗ 
lemain al& Gefanbten nach Rom”), Iöfete am zweiten Julius 
bad Parlament auf und empfing bed naͤchſten Tages feierlich 
in Windſor einen päpftlihen Nuntins ben Grafen Abbe. 
Er ließ mehr Kapellen in London errichten, ald zum Ges 
brauche für bie jehigen Katholiken irgend nöthig waren und 
gründete ein Benebiktinerfiofter in ©. James ). Über dies 
und Üpnliches erſchraken feibft die gemäßigten Katholiken in 
England; fie wollten ſich zunaͤchſt mit Aufhebung aller 
Strafgeſete begnügen und fahen voraus daß des Königs 

1) Masure II, 98. Macpherson Hist. I, 481. 

2) Barnet III, 1216. Maxure II, 207. 

8) Saftiemain, der Gemahl der Gerzogien von (Giewelanb, einer 
Maitreffe Karls IT, benahm fi in Rom ungefchidt und anmeafend, 
ſchloß ſich den Jeſuiten an, welche der Papſt haßte, und richtete bei 
bieftm nichts aus. Burnet III, 1190, 1203. Marure II, 77. Clarke 
U, 117. Somers tracts IX, 267. 














a Übereitte Maafregein. 33 


Plan mißfingen und ein gefährlicher Ruͤckſchlag. fie treffen 1687. 
werde. Der Nuntiud wünfchte allerbingd daß für bie Kas 
tholiten Erhebliches gefchehe, wollte aber zugleih im Aufs 
trage des Papfted Innocenz XI, den König von der franzoͤ⸗ 
ſiſchen Verbindung ablenfen. Died mißlang jedoch, zum 
Theil weil der einflußreiche in den Töniglihen Geheimenrath 
aufgenommene Jeſuit Petre, nebfl einigen Gleichgefinnten, 
für das engfte Anfchließen an Frankreich und das Ergreifen 
der willkuͤrlichſten Manfregeln wirkte. König Jakob wiünfchte 
Ludwig dem XIV Stud zur Bertreibung dee Huguenotten und 
verhehlte das legte Ziel feiner religiöfen Bemühungen fo we | 
nig, daß Lubwig ihn warnte, ber Papſt fein Verfahren miß⸗ 
billige, und ber fpanifche Geſandte Ronquillo ſich wider 
den üibertriebenen Einfluß der Prieſter erklaͤrte?). Diefer : 
Einfluß, bemerkte der König, findet ja auch in Spanien 
flatt. — Allerdings, entgegnete Ronquillo, aber eben deshalb 
geben auch unfere Angelegenheiten fo ſchlecht. 

Unbekuͤmmert um alle diefe Einreben, kniete der König 
(da8 Oberhaupt der engliſchen Kirche) nebfl der Königinn '), 
vor dem Nuntius, während ber Maire von London ihm 
einen Eid leiſtete, worin Katholicismus und Papft verflucht 
wurden. Als der Herzog von Norfolt, das Schwert tras 
gend, vor ber katholiſchen Kapelle ſtehen blieb, fagte ihm der 
König: Ihr Vater wuͤrde weiter gegangen ſeyn; und Norfolk 
erwieberte: . Euer Majeſtaͤt Water, ein trefflicherer Mann, 
wuͤrde nicht fo weit gegangen ſeyn). — Als der Herzog 
von Somerfet und einige andere Hofbeamte, mit Bezug 
auf die beftehenden Gefeße, Bedenken trugen bei Tatholifchen 
Heierlichkeiten, fo beim Ginzuge bed Nuntius in Windſor 


thaͤtig zu feyn, wurden Alle entlaffen. 


Sunderland, welder früher den Grafen Rochefter 


j 1) Welwood 185. Mazure II, 72, 185. Burnet Ill, 1130. 
Wagenaer VI, 491. Belsham J, 45, 


2) Mazure II, 239, 806. 
8) Clarke U), 119. Reresby 189. 








» 354 Sechstes Bud. Siebentes Hauptfiäd. 


1637. verbrängt und ben Sefuiten Petre befördert hatte, ſah ſich 
jest von dieſem fiberflügelt, und fuchte vergeblich gemaͤßig⸗ 
tere Vorſchlaͤge durchzufesen. Es fehlte Sunderland wes 
der an Einſicht, noch an gutem Willen; beides verlor aber 
alfe Bedeutung, da er als ein Verſchwender immerbar von 
Anderen '), indbefondere von Ludwig XIV abbing ımb er, 
gleich fo Vielen, dem Könige Jakob gegenliber ein Knecht 
warb und war, um feine Stelle und feine Einnahmen zu 
behalten. Ob und zu welchen Zwecken er auch mit Wilhelm 
von Oranien in Verbindung fland, ift zweifelhaft geblieben ; 
gewiß hielt er fein yperfönliches Schickſal überall für bie 

Hauptſache, und ſchon deshalb kann man ihn nur ben uns 
tergeordneten und zweideutigen Staatömännern beizählen. 

Im Bergleihe mit dem Iefuiten Petre, erſcheint Sum⸗ 
derland freilich noch immer als ein Mann von Bedeutung. 
Der letzte verfland Nichts, als fich mit ber Bigotterie und 
dem Eigenfinne Jakobs in Übereinſtimmung zu ſetzen. Bon 
geringen Fähigkeiten und ohne Einficht in die wahre Lage 
der Dinge, galt ihm Willkuͤr fir Pfücht, und beſchraͤnktes 
Eifern für Gottbegeiſterung. Nirgends nahm er Ruͤckſicht 
auf entgegenftehende Hinberniffe, ja nicht einmal auf den Rath 
und bie Wimſche anderer Katholiken. Zuletzt Tag aber frei- 
lch Alles in ber Hand des Königs, ohne deſſen Beiſtim⸗ 
mung fo zweibeutige und thoͤrichte Beamte gar keinen Ein- 
fing hätten ausüben koͤnnen. 

Berblendet über ale Maaßen unternahm er ben Kampf 
wider bie hohe Kirche, die Presbyterianer, die Intereffen 
bed Landes, bie Gefege, dad Herkommen, bie öffentliche 
Meinung”); und ihm zur Seite landen etwa nur die Hälfte 
der vorhandenen Katholiten ımb wenige Qudfer. Zu Folge 
einer Berechnung waren bamald unter ben engliſchen Frei⸗ 


1) Dalrymple I, book 2, p. 67. app. 141, 146—151. Somer- 
ville 151, 157. Burnet III, 1065. Macpherson Hist. I, 464. 
Mazure II, 78, 103, 156, 224. Moore 189. Clarke II, 72, 144. 


2) Masure IL, 271. 





Cambridge, Orforb. 355 


autöbsfitern.(freeholders), 2,477,000 Sonformiften, 108,000 1687. 
Diffenterd und 13,000 Katholiten ); ober auf 22 Confors 
miſten Fam ein Diffenter, und auf 186 Gonformiften ein 
Katholil. Man bat gefagt: ſchon dies Zahlnverhältniß er⸗ 
weiſet daß von Jakobs Bekehrungsſucht Nichts zu fürchten 
war; allein er hatte ja bereits die willkuͤrlichſten Eingriffe 
in Dad beſtehende Staats⸗ und Kirchenrecht gewagt, und 
ſcheute ſich nun auch nicht mehr von feinem Stanbpuntie 
aus die Rechte einzelnes Kösperfchaften und bad Privateigens 
thum gu verlegen. 

So entließ er Rathmaͤnner in den Staͤdten, ernannte 
nach Willkuͤr neue, und entband fie von religioͤſen Eiden); 
fo verſuchte er der Univerfität Cambridge einen Benedik⸗ 
tinermönch aufzubringen und entfeste ben Vicekanzler Pea⸗ 
chell feines Widerfpruch8 halber”). In noch üblere Zerwürf- 
niß gerieth er durch ähnliche Maaßregeln mit der Univerfität 
Drford. Diefe hatte nicht allein während ber bürgerlichen 
Unruhen bie Rechte des Königs fo lange als möglich vers 
theibigt, fondern vertrat auch nach ber Herflellung Karls II 
pie Srundfäge der hohen Kirche und der Tories, über Staats: 
recht und wunbebingten Gehorfam. Noch am 2iften Julius 
1683 (dem Hinrichtungstage Ruffeld *), hatte die Univerfi- 
tät, meift aus den Schriften von Buchanan, Knor, Milton, 
Dwen, Barter, Gobwin und Anderen, 27 politiſche Säge _ 
audgezogen, und zum Verbrennen verurtheilt. Unter benfel- 
ben befanden fich nicht bloß Behauptungen einfeitiger, über: 
triebener, fanatifcher Art, ſondern auch Säge wie bie fol- 
genden: 


1) Dalcymple Part II, Chapt. 1, app. 40. 


2) Siche einen folchen Befehl für Eambribge vom 2öffen April 
1688. Cod. Lansdown. 1236 im britifchen Mufeum. ©, m 


8) Mackintosh 138. 


4) Wiffen Memoirs of the house of Busse I, 230. 
23* 





356 Schstes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


1) Die Souverainetät in England iſt bei dem Könige 
und den beiven Häufern des Parlaments '). 

2) Das Parlament kann dem Könige widerfprechen und 
fi ihm widerſetzen. 

3) Sobald der Koͤnig etwas befiehlt was den Geſetzen 
des Landes zuwiderlaͤuft, find chriſtliche Unterthanen nicht 
zu leidendem Gehorſame verpflichtet. Dieſe Saͤtze (heißt es 
in den Verdammungsurtheile der Univerſitaͤt) widerſprechen 
der heiligen Schrift, den Kirchenvaͤtern, dem urſpruͤnglichen 
chriſtlichen Glauben, der Sicherheit des Koͤnigs, dem oͤf⸗ 
fentlichen Frieden, den Geſetzen der Natur und den Banden 
der menſchlichen Gefellichaft *). — Mit dieſer Erklaͤrung mochte 
der König damals fehr einverflanden ſeyn; dad Unter: 
— jedoch ſpaͤter, ſie ſolle vom Henker verbrannt 
wer 

Gewiß mußte eine Koͤrperſchaft, welche fich mit folder 
Beſtimmcheit, ja Leidenſchaft fuͤr unbedingten Gehorſam aus⸗ 
geſprochen hatte, in ihren weſentlichſten Jutereſſen unge⸗ 
ſchickt verletzt werden; bevor ſie es uͤber ſich gewinnen konnte 
mit dem Koͤnige und mit ſich ſelbſt in ſchroffen Widerſpruch 
zu gerathen. Irrig aber glaubte der Koͤnig, daß die Kraft 
vereinzelter, allgemeiner Grundſaͤtze und Ausſpruͤche, allen 
anderen Rechten, Beſtimmungen und Triebfedern gegenuͤber, 
entſcheidend und allmaͤchtig bleiben koͤnne und ſolle. 

Schon im December 1686 ernannte der Koͤnig einen 
Katholiken John Maſſey), zum Dechanten von Chriſtchurch 


1) Maxure II, 252. Hallam III, 107. Jackson life of God- 
win. Somers tracts VIII, 420. 


2) Niemals hat das fo oft als tyranniſch angeklagte Lehnsſyſtem, 
in Theorie oder Praris ſolch eine unbebingte Unterwerfung, ober vid: 
mehr Knechtſchaft, mit Vernichtung alles Staatsrechts gelehrt und ges 
dulbet. Jeder Vaſall, jeber Minifteriale hatte eine ficherere, geheilig⸗ 
tere Stellung als abfegbare Beamte, Geiftliche und Profefforen in un: 
feren Tagen: willkürlicher Einführung und "Aufhebung ganzer Verfaſ⸗ 
fungen nicht zu gedenken. 

9) Clarendon oorresp. II, 473. 








Orforb. 357 


in Orforb, und entbandb ihn von allen Pflichten bie ihm 1687. 
als proteftantifchen Geiſtlichen oblagen. Etwa drei Monate 
fpäter ſtarb der Präfident des ungemein reihen Magdalenen⸗ 
collegiumd zu Drford, und der König befahl den zur Wahl 
feines Nachfolger berechtigten Mitgliedern (fellows) einen 
gewiffen Antonius Farmer zu ernennen. Sie flellten hier: 
auf vor: daß derfelbe kein Mitglied ihrer Körperfchaft und 
vor Kurzem zum Katholicismus dibergetreten fey; mit: 
bin nach den beftinnmten Gefehen ber Stiftung nicht ge 
wählt werben koͤnne. Deshalb bäten fie den König ihnen 
eine freie Wahl zu verflatten, oder doch feine Empfehlung 
nur auf jemand zu richten, welcher die erforderlichen Eigenfchaf: 
ten befite. Erft an dem lebten Tage, wo laut der Geſetze 
die Wahl durchaus vorgenommen werben mußte, traf ein 
Defehl ein, wonach der König unbebingten Gehorfam ver: 
Iangte. Während ein Theit der Wähler vorfchlug eine neue - 
Bittfchrift an den König zu richten, ernannte die Mehrzahl, 
mit Bezug auf die geſetzlich abgelaufene Wahlfriſt, einen 
Ham Hough zum Präfidenten. Diefe Wahl warb von 
dem geiftlicden Gerichtähofe für nichtig erflärt und der Vice⸗ 
präfident nebft zwei Wählern entſetzt; die Empfehlung Far: 
merd jeboch zuruͤckgenommen, weil deſſen Nichtöwürbigkeit 
» fich mittlerweile auch in anderen Beziehungen ergeben hatte. 
Der neue Befehl des Königs, den Bifhof Parker von Or: 
ford zu ernennen, fand aber noch größeren Widerſpruch: denn 
aus einem fanatifhen Puritaner, war er ein verfolgungd- 
füchtiger Anhänger der hohen Kirche geworden, und bot jetzt 
dem Hofe willig die Hand zur Audbreitung des Katholicid: 
mus. As König Jakob den vierten September 1687 nad 
DOrford Fam, berief er alle Glieder des Magdalenenkollegiums 
und fagte ihnen mit größter Aufregung: wenn fie nit 
fogleih den Biſchof wählten, follten fie die ſchwere Hand 
ihred Herren fühlen‘). — Beil fie dedungeachtet zögerten, 

1) Mackintosh 189. Clarke James II, 121 — 127. Die, &ch: 
ree welche fi) in Orford für den Katholicismus erflärten, wurben 
achänfelt und verachtet. Mazure II, 292. 

' 





358 Sechstes Buch. Siebentes Hauptſtück. 


1687. ſchickte der König Beauftragte nach Orford um flatt ber al⸗ 
E ten Geſetze des Collegiums neue zu entwerfen, und ließ alle 
diejenigen zur Unterfuchung ziehen, welche feinem Befehle 
nicht gehorcht hatten. Bei dieſer Gelegenheit warb laut 
behauptet: es fey lächerlich und thöricht zu leugnen daß der 
König von befonderen Gefegen und Statuten entbinden ober 
biefe aufheben dinfe; da er ja nach dem Auöfpruche der Rich⸗ 
ter von Reichsgeſetzen entbinden koͤnne. Nicht minder abge- 
fhmadt fey ed, daß fih die Wähler auf einen befondern, 
örtlichen Eid beriefen; denn diefer koͤnne fie doch unmöglich 
verpflichten dem Könige ungehorfam zu feyn. — Anftatt durch 
ächte Weisheit dad Staatsrecht mit dem Privatrechte 
zu verföhnen, fobald beide in wahrbaften Zwiefpalt geratben, 
ſchloſſen der König und feine Schmeichler von einem ſtaats⸗ 
rechtlichen Irrthume audgehend, fo kuͤhn als verkehrt im⸗ 
mer weiter, und griffen willfürlih und ohne Grund 
in privatrechtlihe Anorbnungen, Stiftungen, Verfprechungen 
n. dergl. hinein. Insbeſondere warb geltend gemacht: der 
König koͤnne, vermöge feines Supremats, alle Firchlichen 
Einrichtungen nach feinem Willen treffen und damit in Ver: 
bindung flehende Perfonen ernennen ober abfegen. Daß 
duch Grundſaͤtze foldyer Art, Staat und Kirche auf Die Zeit 
und bie Forderungen Jakobs I zuruͤckgedraͤngt wurden, konnte 
Leute nicht erfchreden, welche Died eben bezweckten und darin 
den größten Gewinn fahen. | 
Schon wollten viele Wähler, des langen Haberd mübe 
fi) nad Houghs Tode, dem Willen des Königs fügen '; 
da verlangte man von ihnen fie follten fchriftlich ihr Unrecht 
anerkennen und um Verzeihung bitten. Als fie, jebo neuen 
Muth fafiend, flatt deffen erklärten: fie könnten nicht aner- 
kennen daß fie Unrecht gethan hätten, wurden am 26ften 
November 1687 alle Weigernden, 25 an ber Zahl abgeſetzt 
und zu anderen geiftlichen Amtern unwuͤrdig erklärt. Der 


1) Dairymple. Book V, 92. Macpherson History I, 490. Wel- 
wood 179, 181. 











Rellgionsduldung- 359 


König freute fich dieſes fcheinbaren Sieges; in Wahrheit 1687. 
aber wurben die Vertriebenen faſt allgemein als Märtyrer 

für eine gute Sache betrachtet und fanden reichliche Unter: 
ſtuͤtzung. Selbft Jakobs Tochter, die milde Marie von 
Dranien, fehenkte ihnen 200 Pfund, und dußerte: würbe 

fie jemals Königinn von England, wolle fie ben proteflan- 
tifhen Glauben vertheidigen, gleichwie einft Elifabeth '). 

Hätte König Jakob noch jetzt bie Erfldrung von Breda 
über die Gewiflensfreiheit beflätigt, fo wide bie hohe Kirche 
kaum widerfprochen, und die Diffenterd und Katholiten wuͤr⸗ 
den fich beruhigt haben. Statt befien flellte ex fich feinen 
alten Freunden und Bertheidigern, ben Xoried und ber ho: 
ben Kirche, immer beflimmter entgegen und fdhien ſich mit 
ben Diffenters und Whigs zu verbinden, die ihn einfl vom 
Throne ausfchließen, ja auf Hochverrath anlagen wollten. 
Wie wenig ed aber der König mit diefem neuen Buͤndniſſe 
aufrichtig meinte, geht zur Genuͤge ſchon daraus hervor, daß 
er dem franzöfifchen Geſandten Barillon feine Freude über 
die Aufhebung des Geſetzes von Nantes bezeigte und ihm 
fagte *): ich halte Presbyterianer und Nonconfermiften für 
Republifaner, und bin nicht gefonnen ihnen bie minbefte 
Gunſt zu bezeigen. Unb ein andermal fehreibt der wohluns 
terrichtete Barillon: Fönnte man hoffen baß es gelänge, man 
würde gegen die Proteflanten bier fo verfahren wie in 
Frankreich! 

So war des Koͤnigs innere und wahre Geſinnung, 1688. 
ald er am Z7ften April 1688 feine frühere Verfügung über 
unbebingte Gewiffendfreiheit nochmals abbruden ließ 
und hinzufügte: unfer Benehmen iſt von jeher fo gewefen, . 
daß ein jeber von ber Feſtigkeit und Beharrlichkeit unferer 
Beichlüffe überzeugt feyn muß. Damit fich aber das Volk 
nicht durch die Bosheit einiger fchlechten Menfchen täufchen 
laffe, erflären wir daß unfere Grundfäge über Gewiffensfreis 


1) Mackintosh 144. Ä 
2) Moore 81, 102. Mazure IL, 127. Hallam HI, 70—76. 


3600 Sechstes Bud. Siebentes Hauptfiäd. 


1688, heit noch immer die naͤmlichen find, und den Beifall unferer 
Unterthanen finden, wie aus fehr vielen Eingaben und ans’ 
beren Zeugniffen hervorgeht. - Auch werben Fünftige Jahrhun⸗ 
derte die Früchte einer Maaßregel aͤrndten, welche unleugbar 
zum Beſten bed Köriigreiched dient. Überhaupt ift und bleibt 
es unfer Hauptzweck nicht der Unterbrüder, fondern ber Ba- 
ter unfered Volkes zu feyn. Hiefuͤr Finnen wir Teinen befs 
feren Beweis geben, als daß wir unfere Untertbanen be⸗ 
ſchwoͤren alle, Parteiungen und jeben übel begründeten Arg⸗ 
wohn bei Seite zu fegen und fir das naͤchſte Parlament 
Abgeordnete zu wählen, welche beitragen dad von und bes 
gonnene Werk zu Stande zu bringen. 

Unbegnügt mit der gewöhnlihen Bekanntmachung dies 
fer Verfügung, ließ der König fie den Biſchoͤfen mit dem 
Befehle zufertigen, daß ſie an gewiſſen Tagen in den Kir⸗ 
chen waͤhrend des Gottesdienſtes verleſen werde. Über die⸗ 
ſen Befehl geriethen die Biſchoͤfe in große Verlegenheit. Die 
in London Gegenwaͤrtigen traten deshalb unter dem Vorſitze 
des Erzbiſchofe Sancroft von Canterbury zuſammen und 
beſchloſſen dem Koͤnige eine Gegenvorſtellung wm überreichen, 
weil: 

. 4) ihre Gemeinen fie für furchtfam und heuchleriſch hal⸗ 
ten wuͤrden, wenn ſie eine mit den Geſetzen des Landes ſo 
ſehr in Widerſpruch ſtehende Verfuͤgung vorlaͤſen; 

2) weil die Waͤhler der Abgeordneten fuͤr das Parlament 
eine Billigung der Biſchoͤfe vorausſetzen und alsdann ihre 
Wahl auf Perſonen richten koͤnnten, welche der allgemeinen 
Religionsduldung und dem Dispenſationsrechte des Koͤnigs 
geneigt waͤren; 

3) weil willenloſe Nachgiebigkeit in dieſem Falle, leicht 
eine ganze Reihe koͤniglicher Verfuͤgungen nach ſich ziehen 
koͤnne denen man alsdaun nicht mehr wirkſam und mit 
Recht widerſprechen dürfe. 

Zu Folge dieſer Beſchluͤſſe entwarf und überreichte der 
Erzbiſchof Sancroft nebft ſechs Biſchoͤfen, dem Könige am 
18ten Mai 1688 nachfichende Bittfchrift: Der Erzbifchof Wil- 











Die Biſchoͤfe. ; 61 


helm von Canterbury und etliche Biſchoͤfe berfelben Lands 1668. 
fchaft, ſtellen theils in ihren eigenen Namen, theils fir mehre 
abwefende Mitbrüder und die niebere Beiftlichteit ihrer Spren⸗ 
gel ‚ Seiner Majeſtaͤt unterthänigft vor: daß ihre große A: > 
neigung die Verfügung über Gewiffensfreiheit zu verbreiten 
und in den Kirchen vorlefen zu laffen, nicht aus einem 
Mangel an Gehorfam und Pflichtgefühl hervorgeht; denn 
uunfere) heilige englifhe Mutterficche ruͤhmt fih, fowohl in 
ihren Grundſaͤtzen als In deren Anwendung einer unwan⸗ 
delbaren Treue, wie Seine Majeftät mehr als einmal gnd- 
digſt anerkannt haben. Eben fo wenig entfpringt jene Ab: 
neigung aus Mangel an Theilnahme für die Diffenters; 
benn wir find bereit im ihrer Hinficht angemefiene Maaß⸗ 
regeln zu befördern, ſobald dieſer Gegenfland im Parla⸗ 
mente unb ber Convokation verhandelt und georbnet 
wird. Unfere Bedenken entflehen vielmehr, anderer Gründe 
nicht zu gebenten, bauptfächlich daher daß jene Werfügung 
auf einem Dispenfationdrehte beruht, welches fo oft 
(3.3. in ben Sahren 1662, 1672 und zu Anfange det 
jetigen Regierung) im Parlamente für geſe zwidrig erklaͤrt iſt. 
Dieſer Gegenſtand iſt aber fuͤr das ganze Volk, fuͤr Staat 
und Kirche ſo wichtig und folgenreich, daß Klugheit, Ehre 
und Gewiſſen uns nicht erlauben, an der Verbreitung jener 
Verfuͤgung und ihrem Vorleſen in den Kirchen zur Zeit des 
Gottesdienſtes Theil zu nehmen ). 

Nach dem Durchlefen diefer Bittfchrift fagte der König 
erzuͤrnt: ich hatte von Eurer Abficht gehört, konnte aber nicht 
daran glauben. Won Ibelmollenden Männern verführt, rich: 
tet Ihr Euch und Andere zu Grunde, und das aufrührifche 
Prebigen der Puritaner im Jahre 1640 ift nicht fchlimmer 
als Euer jebiges Beginnen. Es if Aufruhr, und Ihr habt 
einen Teufel losgelaſſen, den Ihr nicht werdet bänbigen koͤn⸗ 

1) Reresby 188, 147. Welwood 184. Evelyn I, 639, 648. 


Dalrymple II, part 1, 94— 99. Moore 157. Somers tracts IX, 
120. 





362 Sechstes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


1688. nen. — Die Bifchöfe wieberheiten hierauf die Gründe ihres 
Benehmend und fügten hinzu: fie würben nie Aufruhr er⸗ 
beben, fonbern hätten ihn vielmehr baͤndigen helfen, und 
Freiheit des Gewiſſens, welche der König Allen bewillige, 
möge" ev auch ihnen nicht verfügen. — Einige rügten daß 
die Bifchöfe mit ihrer Vorftellung fo ſpaͤt hervortraͤten, der⸗ 
geftalt daß dem Könige Feine Wahl bleibe und er auf feis 
nenn Befehle befichen muͤſſe. Die Verfügung über Gewif: 
fenöfreiheit ſey bereitd alt, unbebingter Gehorſam Lehre der 
Kirche, und dad Bekanntmachen einer Verfügung deren In⸗ 
halt man nicht zu verantworten habe, keineswegs eine Sünde. — 
Man entgegnete: bie Eingabe beziehe ſich auf den ganz neuen 
Befehl, man babe nur wenige Tage zum Berathen und Ent⸗ 
werfen berfelben gebraucht, und es treffe allerdings jeden 
Verantwortung der, zum Schaden des Staates und 
der Kirche, Reichsgeſetzen zuwider handele). 
Anſtatt nach ernfter Beruͤckſichtigung aller Verhältniffe 
auf geſchickte Weife einzulenten und einen offenen Bruch mit 
bee hoben Kirche zu vermeiden, trieben Jakobs Fatholifche 
Rathgeber thörichterweife zu gefährlichen Schritten, und er 
felbft lebte der Überzeugung: wenn er nachgebe und folch 
eine Schmach dulde, werde fein Anſehn ganz verächtlich 
werden und er, gleichwie fein Vater, zu Grunde gehen ?). 
Auch fland ed allerdings mit feinem Wahne von unbebings 
te Macht im fchroffiten Widerfpruche, wenn jene Verfuͤ⸗ 
gung kaum in ein Paar Kirchen bed Reiches verlefen wurde, 
während Zaufende von Geifllichen auf feine Befehle nicht 
die geringſte Rüdficht nahmen. Einer berfelben fogte von 
der Kanzel herab: er wolle gehorchen und vorlefen, die Ges 
meine fey aber nicht verpflichtet zuzuhören. Und alsbald 
fanden ale Gegenwaͤrtigen auf, und gingen zur Kirche 
binaus. | 


1) Clarke II, 155, 366. Clarendon eoxresp. IL, 478. Vie de 
. Guillayme III, I, 263. 
2) Burnet IH, 1264, 1268. 


Die Bifhöfe 363 


Als Die vor den Töniglichen Geheimenrath berufenen Bi: 1688. 
fchöfe weder Ihre Bittfchrift zurücinehmen, noch ihre Rechte 
ald Paird mindern und die Gerichtöbarkeit eined gewoͤhnli⸗ 
chen Gerichts anerkennen, noch Buͤrgſchaft für ihr Beneh⸗ 
men und ihren ferneren Gehorfam fielen wollten, wurden 
fie am achten Junius 1688 nach dem Tower gebracht. Hie⸗ 
bei zeigte fich aber eine fo große und allgemeine Zheilnahme, 
daß das herzuftrömende Volk, ja felbft die Schildwachen im 
Tower nieberfnieten und um ihren Segen baten, ober fie 
mit lautem Gefchrei hoch eben ließen). Am 29ften Ju⸗ 
nius wurden fie vor Gericht geſtellt und die Anklage lau: 
tete: fie hätten fich des größten Vergehens (high misde- 
meanor) f&huldig gemacht, durch die Übergabe einer Schrift 
welche fey falſch, gefährlich, boshaft, gefegwidrig, aufruͤh⸗ 
riſch, anſtoͤßig, ein Libell u. (. w. — Die Vertheidiger der Bis 
fchöfe behaupteten Dagegen: alle Pair von England haben 
das Necht dem Könige Rath zu geben, und ven Bifchöfen 
liegt insbeſondere ob für die Religion zu forgen. Ihre Ein: 
gabe richtete fich nicht gegen die Rechte bed Königs, denn 
biefe fchließen keineswegs die Befugniß in fih, von Reiche: 
gefegen zu entbinden. Sie war nicht falfh, fonbern ihr 
Inhalt dee Wahrheit gemäß; nicht gefährlich, denn ſie be⸗ 
zweckte die Erhaltung ber geſetzlichen Ordnung; nicht bos⸗ 
haft, fondern wohlgemeintz nicht gefebwidrig, fonbern ben 
Gefegen gemäß; nicht aufrührifch, da man fie dem Könige 
perſoͤnlich übergeben und ihre Verbreitung nicht veranlaßt 


1) Clarendon diary 60. Reresby 149. Evelyn I, 649. Sud⸗ 
wig XIV bilfigte die Verhaftung der Bifchöfe (Dalrymple book V, 
p- 8) während felbft Sunderland und Petre biefen Schritt fcheuten. 
Mackintosh 254. — Lewis XIV was also pleased to take no- 
tice to me of the imprisonment of the bishops and very much ap- 
plauds the kings resolution in that affair, and said he was ready 
to give his Majesty all manner of assistance that was in his po- 
wer; which he spoke in such a cordial manner as the aincerity 
thereof is not to be doabted, Skeltons Beriht vom 26ſten Julius 
1688 im britifchen Reichsarchive. 








364 Sechsſtes Bud. Siebentes Hauptſtüͤck. 


1688. babe; nicht anſtoͤßig, ſondern in beſcheidenem Zone abge: 
faßt; kein Libell, da jedem Engländer dad Petitionsrecht au: 
fiebt . f. w. 

Verwoͤr und Verantwortung dauerte von neun uhr Mor⸗ 
gens bis ſieben Uhr Abends; dann traten die Geſchworenen 
zuſammen und erklaͤrten um neun Uhr des folgenden Mor⸗ 
gens, bie Siſchoͤfe für Nichtſchuldig. In dem Augen⸗ 

blicke als das zahllos verſammelte Volk dieſen Ausſpruch ver⸗ 
nahm, erhob es ein unermeßliches, endloſes Beifallsgeſchrei, 
laͤutete mit ben Glocken, zuͤndete Freudenfeuer an, und AÄhn⸗ 
liches geſchah, als ſich die Kunde ſchnell verbreitete, im 
vielen Staͤdten bed Reichs)). König Jakob befand ſich um 
dieſe Zeit in Heerlager bei Hondlew, und hörte ploͤtzlich ein 
eingeheured Gefchrei. Was bebeutet dies? fragte ex über- 
raſcht; und Graf Feversham überbrachte die Antwort: es iſt 
Nichts; die Soldaten bezeigen bloß ihre Freude über die 
Losſprechung der Bifchöfe. — Das nennen Sie Nichts? 
(entgegnete der König) doch deſto fehlimmer fuͤr diefe. — Er 
eifte nach London, entſetzte die Michter welche fich günflig 
für die Biſchoͤfe audgefprochen hatten, und verbot alle Freu: 
denöbezeugungen, forwie alle Berfammlungen bes Volks auf 
den Straßen. Indeß achtete man diefe Verbote um fo we: 
niger, weil die deshalb Verhafteten jebedmal von den Ge: 
ſchwornen freigefprochen wurden. 


1) The shouts and Huzzas yesterday, and the Jo triumphes 
to day were incredible. The Ellis cerrespondenoe II, 2, 5, 10. 
‚ A very Rebellion of noise, tho’very far from so either in fact or in- 
tention. Reresby 150. Burnet III, 1271. Welwood 186. Mac- 
pherson Bist. I, 500. Daſſelbe berichtet der päpftliche Nuntius. 
Mackintosh 658, 662. Most wonderful shout, that one would 
have thought the hall had cracked. Clarendon diary 53. In ei: 
nem Schreiben an ben Erzbiſchof von Ganterbury heißt es: der Ges 
brauch ift, daß jeder Geſchworne eine Guinee und alle ein gemeinſames 
Mittagsbrot erhalten. Das letzte, meint der Briefſteller ſey wohl zu 
ſparen, macht aber Vorſchlaͤge über die Bezahlung. Macphers. State 
papers I, 153. Mazure I, 451, 473. £ 











Darlament- 365 


Des Könige hoͤchſter Wunſch ging gewiß bahin, ohne 1688. 


Darlament zu bereichen; bei der feſten Anhänglichkeit des 
Volks an der biöherigen Form des Gefeßgebend wäre es ihm 
jedoch zunaͤchſt weit lieber geweſen wenn ein neuzuberufens 
bed Unterhaus fi) ganz feinen Wuͤnſchen angefchlofien hätte. 
Deshalb ward, wie ein Schriftfieller fagt, Fein Stein um: 
bewegt gelaffen, es wurden Drohungen und Verſprechungen 
gleichmaͤßig angewandt). Schon im Sabre 1687 befahl ber 
König den Lorblieutenants, ihre Stellvertreter (deputies) 
und die Zriebendrichter zu. berufen und ihnen folgende Fra⸗ 
gen vorzulegen: 1) ob fie, in dem Kalle daß man fie zu 
Parlamentöglievern wähle, flr Aufhebung bes Teſtakte und 
ber veligiöfen Strafgefebe ſtimmen wollten. 2) Ob fie bei 
den Wahlen ihre-Stimme folhen Perfonen geben wuͤrden, 
welche jene Frage zu bejahen geneigt wären. 3) Ob fie 
frieblih mit allen Bekennern anderer Gonfeffionen leben 
wollten. Während fich nur Wenige auf eine Beantwortung 
diefer Fragen einließen, bemerkten bie Meiften: bevor eine 
Entwidelung der Gründe und Gegengruͤnde im Parlamente 
ftatt finde, koͤnne man fich hieruͤber nicht entfcheiden, und 
noch weniger Anberen Bebingungen machen, und die Zreis 
heit des Berathung, fowie des Urtheils aufheben ). — Über 
diefe unverhofften Antworten zuͤrnte der König, ohne fie zu 
beruͤckſichtigen. Wer ihm nicht (fo lautete bie gewöhnliche 
Formel) in feinem (bed Königs) eigenem Wege bienen wollte, 
der warb entlaffen oder zur Seite gefchoben. 

Diefe Einmiſchung in alle Wahl: und Gemeineangeles 
genheiten, fowie dad Beſtreben felbft fie Gelb zum Katho⸗ 
licismus zu befehren, erregte immer allgemeinere Unzufrie: 
denheitz; auch war ed bei biefen MWerhältniffen auf Feine 
Weiſe des Königs ernſtliche Abficht ein: Parlament zu bes 
rufen. | 


1) Welwood 187, 188. Clarke If, 189. Dalrymple Vol I, 


Part. 1, 71. j 
3) Reresby 149, 146. 


366 Sechstes Bub. Sichentes Hauptſtück. 


1688. Mit der Hohen Kirche und ben Parlamenten nunmehr 
auf gleiche Weiſe zerfallen, bildete fich ihm ber Gedanke im- 
mer mehr. aus, ſich lediglich auf dad Heer zu flüsen. Als 
lein Beginftiguingen und Schmeichelelen zu welchen der Koͤ⸗ 
nig fi bembließ, konnten feinen Hauptzweck nicht verber⸗ 
gen. AB ex, in übergeoßem Vertmuen auf. feinen Einfluß, 
bei ber Heerſchau eines Regiments für die Abſchaffung ded Teſt⸗ 
eides ſprach und zuletzt außsief: „wer mir hiexin nicht beis 
ſtehen will, Inge die Waffen: nieder”; fo ſtredten, zu feis 
nem Erfiaunen, faſt alle bie Gewehre '). — Noch weniger wie 
von den’ Engländern wer. won den Schotten gu erwarten; 
auch aͤußerten Viele berfelben: dadurch daß fie fich weiger⸗ 
ten ihren Gott zu verkaufen, müßten fie bie Schmach aus⸗ 
Uſchen ihren König verkauft gu haben. Eben fo ſcheiterte 
ber Plan Irlaͤnder im engliſchen Heere aufzunehmen, am 
befien heftigem Widerſpruche?). ‚Doc ſollen allwmaͤlig und 
unter allerhand Vorwaͤnden an 400 proteſtantiſche Soldaten 
und über 300 proteſtantiſche Officiere entlaſſen worden feyn ?), 
während ber König in Portsmouth und Hull Tatholifche Bes 
fehtshaber anftellte, und im Lager öffentlich. Meſſe leſen ließ. 
Gleichzeitig wit al dieſen Maaßregeln und Ereigniſſen 
in England, verwickelten fich die euro daͤiſchen Verhaͤltniſfe 
dergeſtalt, daß eine gluͤckliche Loͤſung derſelben ohne ernſte 
und thaͤtige Theilnahme jemed „Reiches, taͤglich ſchwieriger 
ward. Schon um deswillen fonuie fih Wilhelm von Dres 
nien nicht länger von den englifchen Angelegenheiten fo fern 
halten, wie either. . Um meber. ben König feinen Schwieger⸗ 
vater, noch irgend eine andere ber mächtigen Parteien zu 
beleidigen, halte er bis jetzt kaum einen Wunſch geäußert 
und kaum einen Rath ertheilt. Seitdem aber Jakob auf 
dem erzaͤhlten Wege raſcher vorſchritt · und ber Gebdanke von 


1) Dalrymple Vol. II, app. 100, 110. Vie de Gaillaume III, 
I, 269. Mackintesh 288. 


2) Burnet III, 1318. 
8) Dairymple II, Part I, p. 74. Welwood 195. 











| Bykvelt. Wilhelm von Dranien. 887 


nenem assgeſprochen wurde: man mäffe bie Prinzeſſinn 1687. 
Anna zut katholiſchen Religion bekehren ), Maria und Wil⸗ 
helm aber von der Thronfolge ausſchließen, mußte dieſer 
daran denken ſein und des Landes Recht und Gluͤck, auf 
andere Weiſe zu wahren. Dykvelt, den er ſchon im Fruͤh⸗ 
linge 1687 nach England ſchickte, ſollte das gute Verneh⸗ 
men mit Holland erneuen, den König vom franzoͤſtſchen 
Buͤndniſſe, fowie von feinen revolutionairen Planen abbrin: 
gen, zu gleicher Beit aber ben Stand ber Parteien‘ kennen 
Vernen, mit ihnen vorläufige Verbindungen treffen und des 
Prinzen Geundſate und Meinungen mit men aus⸗ 
ſprechen. 

Weit entfernt auf Wilhelms ganäßigte: unb verfläntige 
Borſchlaͤge einzugehen, behauptete Jakob: die vom ihm bes 
zweckte Verſtaͤrkung der koͤniglichen Macht gereiche auch zum 
Vortheile ſeiner erwanigen Nachfolger, und fuͤr eine Fehde 
mit Ftankreich ſey Fein Grund vorhanden. — Eben ſo wenig 
Heß er fi von feinen kirchlichen Planen abbringen, obgleich 
er zunaͤchſt nur von Gewiſſensfreiheit fprach und Ludwigs XIV 
Unduldſamkeit tadelte ). 

Dieſen Augenblick nahm Oykoat wahr um dem Koͤ⸗ 
nige den Brirf eines londoner Jeſuiten vorzulegen, welchen 
man aufgefangen und bee ſehr großes Aufſehn erregt — 
In bemfelben hieß es: der Koͤnig hat mir geſagt/ er ſey 
entſchloſſen England zu bekehren, ober als Maͤrtyrer zu: ſter⸗ 
ben. Einen Tag mit dieſem Troſte gelebt, halte er fin mehr 
werth, als eine funfziajährige Regierung obne denfelben. Er 
betradyte fi) als ein wahres Kind unferer Gefellfchaft, des 
ven Wohl ihm fo am Herzen liege, wie fein eigenes; auch 
koͤnne er gar wicht ausdruͤcken, wie ſehr er ſich darüber freue 
daß ihm der Papft die Theilnahme an allen Verdienſten der 
GSefellfchaft, bewilligt habe. — Weil der König auf biefe 


1) Mazure II, 128. 


2) Butnet III, 1208—1214. d’Avaux negoc. VI, 62. Dal- 
rymple U, book V, p. 17. 


> 





368 Sechstes Bud. Siebentes Hauptftüd. 


1687. Mittheilumg Dykvelts gar nicht antwortete, nahm man an: 
er fey mit dem Inhalte des Briefes einverfianden; weshalb 
Wilhelm, beflimmter hervortretend, ihm am 17ten Junius 
1687 fchrieb: niemand in der Welt hat mehr Abſchen vor 
Religionsverfolgungen ald ich, und nie in meinem Leben 
werde ich die Hand dazu bieten). Allein eben fo wenig 
kann ich etwas zum Nachtheile ber Religion thun, welche 
ih bekenne. — Wenige Wochen fpäter erklärten Wil⸗ 

helm und Marie mit Bellimmtheit dem engliihen Ge: 
fanbten, daß fie die Abfchaffung bed Teſteides und bie 
Zulaffung der Katholiten zu öffentlichen Anıtern mißbil- 
Iigten, fonft aber den Katholiken gern bie Dulbung in Eng⸗ 
land gönnten, welche fie bereits in Holland genöffen. Uns 
geachtet diefer beſtimmten Erklärungen , hoffte Jakob: fein 
Schwiegerſohn werde (ſchon aus Beſorgniß das Thronerb⸗ 
recht zu verlieren) ſich zu groͤßerer Nachgiebigkeit bewegen 
laſſen und wo moͤglich eine Schrift ausſtellen, von welcher 
man oͤffentlich vortheilhaften Gebrauch machen koͤnne. Lange 
zoͤgerten Wilhelm und Marie ſich in dieſe unangenehmen 
Dinge weiter einzumiſchen, als es ſchlechterdings noͤthig gefchien. 
Sobald jedoch ein Herr Stewart, Namens des Koͤnigs, je⸗ 
nes Andringen widerholte; ließen ſie jenem im Novem⸗ 
ber 1687 durch den Rathspenſionar Fagel antworten: ſie 
waͤren nach wie vor der Meinung, daß niemand wegen ſei⸗ 
ner Abweichungen von einer angenommenen Religion verfolgt 
werden duͤrfe), und ben Katholiken und Diſſenters in Eng⸗ 
land (gleichwie bereits in Holland) freier Gottesdienſt und 
voͤllige Gewiſſensfreiheit, unter Aufhebung aller Strafgeſetze 
zu bewilligen ſey. Hingegen muͤßte, ihres Erachtens, der 
Sitz im Parlamente und jedes oͤffentliche Amt den Prote⸗ 
ſtanten, mit Ausſchluß der Katholiken, vorbehalten bleiben. — 


1) Dalrymple Book V, app. p. 55. d’Avaux VI, 66. Hal- 
lam III, 95. Vie de Guillaume I], 255. 

2) Welwood 192. Mazure II, 348, 359. d’Avaux VI, 583. 
Somers tracts IX, 183. ! 





Engliſch⸗-hollaͤnd iſche Regimenter. 369 


Als dieſes Schreiben, wahrſcheinlich nach ben Wuͤnſchen 1687. 
Wilhelms bekannt warb, leugnete Jakob nebſt feinen Hof⸗ 
leuten deſſen Achtheit; wodurch fie aber nur thoͤrichterweiſe 
ihre Wuͤnſche an den Tag legten, ohne den großen Eindruck 
deſſelben zu ſchwaͤchen. 

Zu dieſem Mißverſtaͤndniſſe geſellte ſich ein neuer Streit. 
Jakob nämlich forderte daß die Regimenter'), welche bie 
Holländer durch freie Werbung von Engländern errichtet hats 
ten, aufgelöfet und Soldaten wie Officiere aus ihrem Dien: 
fe entlaffen werben follten: denn jeber Unterthban fey ges 
zungen dahin zu gehen, wohin ihn fein König weiſe. Dies 
fer legte Grundſatz erſchien um fo bebenklicher, da ed bes _ 
kannt warb daß Jakob dem Könige von Frankreich anges 
fragen hatte, biefe Regimenter einfiweilen und fo lange in 
Dienſte zu nehmen, bis man Ihrer in England beduͤrfe. Lud⸗ 
wig, welcher aufdie Zreue ihm in folcher Weife Überwiefener 
Soldaten ‚nicht rechnen Eonnte, lehnte jened Anerbieten ab; - 
erklaͤrte fich jedoch bereit Gelb zu ihrer Beſoldung in Eng⸗ 
land zu geben, damit fie ihm nur ‚nicht auf dem Feſtlande 
dereinſt entgegentreten koͤnnten. Diefe Abfichten leicht durchs 1688. 
ſchauend, erflärten die Generalftsaten Anfangs: fie koͤnnten 
jene Regimenter nicht entbehren; erlaubten aber fpäter Allen 
nach England zuruͤckzukehren. Die deßungeachtet in Holland 
Verbleibenden, waren feitbem boppelt feft an Wilhelm ge: 
kettet; umb bie nach) England Zuruͤckkehrenden begten Anſich⸗ 
ten und Grundfäge, welche mit denen Jakobs in grellem 
Widerfpruche flanden und dad Heer nichts weniger als in 
feinem Sinne verſtaͤrkten. 

So zuverfichtlich Jakob auch auf ber betretenen Bahn 
vorfchritt, gefellte fi doch zu jedem Erfolge eine Störung, .. 
zu jeber Anerkenntniß ein Widerfpruch, zu jeder Freude ein . 
Verdruß. Nur bie enbliche Erfüllung eined lang gehegten 
Wunſches hielt der König für ein uͤbergroßes, folgenveiches 


1) Burnet III, 1256. Dalirymiple book V, app. 134 d’Avaux 
VI, 127. Clarke II, 134. 
VI. | 24 





370 Setchstes Bug. Siebentes Hauptſtück. 


1688. Glͤck: nämlich die am 20ften Junius 4688 eingetretene Ge⸗ 
burt eines Sohnes, welcher in der Taufe die Namen Ja⸗ 
kob Eduard Kranz erhielt‘). Zahlreich eingehende Sluͤck⸗ 
wimſchungsſchreiben fchienen die Xheilnahme des ganzen 
Landes zu beſtaͤtigen, und die Freude am franzöfifcher werd 
romiſchen Hofe war unermeßlich). Den 17m Julius 
fanden zur Feier jener Geburt in London die größten Feſte, 
Feuerwerke und allegoriſchen Darſtellungen ſtatt. Die Frucht⸗ 
barkeit, ber Uberfluß, die Treue und ähnliche weibliche Ge⸗ 
falten bezeichneten das Gluͤck der Gegenwart und die Run 
mehr doppelt frohen Audfüchten für die Zukanſt. Zehn Tage 
nachher fchreibt ein ſonſt fcharffihtiger Beobachter ): Altes 
it bier ruhig und ein voͤlliger Mangel an Neuigkeiten sub 
Geſpraͤchen 


So der Schein; in Wahrheit aber war die Geburt des 
Prinzen der entſcheidende Wendepunkt für eine rafche, ums 
geahndete Entwidelung ver englifchen Angelegenheiten. Gar 
Biele hatten zeifher ruhig geſchwiegen und geduldet, um nur 
nicht die Leiden ber revolutionairen Zeit wieder herbrizuftih⸗ 

renz fie lebten Der Überzeugung: Jakobs Beſtrebungen in 
Staat und Kirche wären vorhbergehmd, feine Maaßregelu 
wurzellos und dad bereinflige Einlenfen in die gefekliche Bahn 
ſo natürlich als nothwendig. Mit der bevorfichenden Throu⸗ 
befteigung Wilhelms und Rariens werde der Proteflaniis- 


Borkampfer 
und Erhalter der europaͤiſchen Freiheit. — Alle dieſe Erde 
flungen, Hoffnungen und Wuͤnſche verſchwanden mit eimene 


De WIR 80 De ICH N: 
o fature ills, nor accidents appear, . 
* sully or pollute the sacred infants year!! 
Mackintosh 381. 


2) Seeltons Beridit vom 26m Julius 1638, im Reichsarchive 
Somers tracts IX, 271. j 

———— Serie H, IV, 112. 
Macpherson History I, 





Jakobs Sohn. 31 


Male vor der Geburt bes, angeblich GHhd verbreitenben 1688. 
Prinzen. Daß ihn fen Water katholiſch kaufen ließ und 
ber Runtins dabei für den Papft Gevafter fand, gab Ans 
floß in der Gegenwart und Anbeistungen fir die Zukunft 
Die despotifchen Grundſaͤtze der Stuarts erfchlenen nun erſt 
in ihrer ganzen folgereihen Groͤße. Statt der Ausficht ba 
der ebelfte Helb Europas nach Jakobs Tode Englands Here 
. fee werde; fland die wiberwärtige Vormundſchaft einer 
katholiſchen fremden Königin vor Augen, nit allen Schreck⸗ 
niſſen uͤberkatholiſcher Beamten und jefultifcher Rathgeber. 
Geduld und Ergebung, welche man zeither als Tugenden 
und Pflichten bezeichnet hatte, galten nunmehr für Feigheit 
wab Sflavenfinn, und bie Überzeugung: es muͤſſe gegen bie 
jekigen und bevorſtehenden ibel irgend etwas geſchehen; 
war allgemein, obgleich kaum Einzelne uͤber die Mittel und 
Wege zu beſtimmten Anfichten wab u vorgedeun⸗ 
gen waren. 

So die Stimmung, als das Gerůcht makam: der Prinz, 
oder vielmehr dad Kind, ſey in einer Waͤrmflaſche unterge⸗ 
fhoben worden. Wer feinen Gott verleugnen kann, riefen 
Wiele, kann auch zur Gründung des Goͤtzendienſtes ), feine 
Töchter verleugnen; — und fo raſch verbreitete ſich Ber 
Glaube an die Wahrheit jened Geruͤchtes, daß von Tauſen⸗ . 
den kaum Giher das Kind flr Acht hielt, und deſſen Aus⸗ 
ſchließung von ber Thronfolge, ald Erhaltung des gefeglichen . 
Erbrechtes betrachtet wurde. Selbſt Anna, Wilhelm und 
Marie theilten diefe Zweifel”), und nur ein einziges Mittd 
wäre in dieſem Augenblicke noch übrig geweſen fie zu befeis 
Bam und bie anbringenden Gefahren zu — wenn 


V Dalrymple II, 101, 171» Somerrille 205. NMoore 1% 
195, 196. hi 
2) Der engliſche Geſandte in Holland Albiville gab ein Feſt wer 
gen der Geburt des Prinzen, aber bie vornehmften Perfonen, ſowie die 
Gefanbten von Spanien, Brandenburg, Zelle, Hannover blieben aus, 
D’Avaux negociat. VI, 169. 
24 * 


372 Sechstes Bud. Siebentes Hauptfiäd. 


1688. naͤmlich Jakob die am Tage vor des Prinzen Geburt vers 
hafteten Biſchoͤfe begnadigt, hiedurch die Kirche beruhigt und 
zu gleicher Zeit ſich den richtigen politiſchen Grundſaͤtzen fei⸗ 
nes Schwiegerſohnes und ſeines Volkes angeſchloſſen haͤtte. 
Von dem Allem geſchah aber geradehin das Gegentheil. 

In dieſer Lage entwarfen ſieben Lords, (Shrewsbury, 
Devonſhire, Danby, Lumley, Ruſſel, Sidney und der Biſchof 
Compton von London) ). am Zoſten Junius 1688 eine Vorſtel⸗ 
lang an den Prinzen von Dranien, worin fie ſich über ben 
bisherigen Gang der Regierung beflagten: alfo insbeſondere 
über Verletzung der Religionsgeſetze, Gerichtöverfaflung und 
Wahlfreiheit, über einfeitige Beſetzung der Stellen und Ver⸗ 
größerung bes Kriegäheered ). Außer biefer Eingabe erhieit 
‚Wilhelm eine große Zahl anderer Aufforderungen von anges 
fehenen Perſonen, nicht mehr wie bisher dem Untergange 
Englands theilnahmlos zuzufchauen; fondern huͤlfreich einzu⸗ 
greifen, bevor es zu fpät fey. Diefe Aufforberungen waren 
dem Prinzen ohne Zweifel willlemmen, benn fo abgeneigt 
er auch aus vielen Gruͤnden zeither immer geweien war fich 
in die englifhen Angelegenheiten einzumifchen, ſtellten fich 
jedoch im Sommer des Jahres 1688 die Öffentlichen Anges 
legenheiten fo, daß er einen beftimmten Entſchluß faffen 
mußte, von weichen (je nachdem er gelang, ober mißlang) 
das Schidfal Englands, Holland, Deutfchlanbs und aller 
Proteftanten, ja dad Schickſal Europas abhing. Jakobs 
ſteigender Religiondeifer, fein zahlreiches Heer, die Geburt 
des Prinzen von Wales, ber nach dem Tode des Churfuͤr⸗ 
fim von Köln unvermeibliche Landkrieg, der Plan Frank 
reichs Holland zugleich in einen Krieg mit England und 
Frankreich zu verwideln?), des Kaifers, Spaniens und Hol: 
lands vergebliches Bemühen Jakob II von Lubwig XIV zu 
trennen; — bied und wie vieled Andere mußte ber Prinz 


1) Macpherson History I, 506. Hallam III, 118. 
2) Vie de Guillaume III, IL, 290. Moore 161, 163. 
8) Mazure II, 161. Moore 172. 





Ludwig AV. Jakob II. 373 


nach allen Seiten erwägen, um naͤchſtdem zu entfcheiben 41688. 
was Verwandtſchaft, Ehre, Recht, Religion und Freiheit zu 
thun verbiete, erlaube, "Uber fordere! 

Zundrberft hielt er ed jeden Falls Für nothwendig ſich 
zu rüften. Dies geſchah mit fo ungemeiner Geſchicklichkeit 
und fo treu bewahrtem Geheimniffe, daß felbft der ſchlaue 
Graf d’Avaur nichts bemerkte; und als endlich die Kunde 
davon auskam, blieb Ludwig XIV zweifelhaft ob es gefchehe 
gegen Algier”), Dänemark, oder vielleicht gar gegen bie re: 
publifanifche Partei in Holland ſelbſt)y. Daß der Prinz aus 
Stanfreih, England und Irland berjagte, oder verabfchiebete - 
proteſtantiſche Soldaten und Dfficiere in Dienft nahm, durf⸗ 
ten die-Berfolger nicht ruͤgen, ohne bitterere  Wiberflagen her⸗ 
beizufuͤhren. 

D'Avaurs, ſchon im Mai 1688 außgefprochene War - 
nung, 2: Daß Wilhelm, fofern die Königin von England 
einen Sohn gebären follte, gewiß nicht länger unthätig 
bleiben werde und die Rüftungen jeden Falld England dd — 
ten, wurben in Paris gar nicht berüdfichtigtz oder vielmehr 
die überkünftlihe Politik Ludwigs XIV führte ihn diesmal 
zu falfchen Berechnungen und Hoffnungen. Anftatt nämlich 
Jakob TI ernſt von feinen gewaltfamen Maaßregeln abzura> 
then, hegte Ludwig den Glauben’): dem feflen. Willen eis 
nes Königs fey nichts unmöglich, und follten ja hieraus Vers 
legenheiten entfliehen, fo würde Jakob ſich deſto enger an 
Frankreich anfchließen. Derfelbe Zweck werde befördert, wenn 
der König von England feinen Schwiegerfohn und die Hols 
länder beargwoͤhne *); follte jedoch — endlich eine Fehde 


9) Moore 170. D’Avaux VI, — 88, 117. Dalrymple 2 
book V, 25 - 27. 


2) d’Avaux VI, 107, 145, 155 — 165. 8. "Bimon VII, 48, 
nouv. &dit. 


3) Mazure II, 301; Ill, 79. Larrey V, 273. 


4) Hieher gehören folgende Stellen aus Skeltons — 
* Berichten: 


374 Sethstes Buch. Siebentes Hauptfläd. 


1688. wider jenen beginnen, fo erhalte Frankreich für den Landkrieg 
in Deutfchland freie Hand, und nachdem fi England und 
Holland wechfelfeitig zu Grunde gerichtet hätten, Tönne ex, 
Ludwig XIV, Allen nach. Willkuͤr Geſetze vorfchreiben: 


1) Paris den 14ten Februar 1688. 

Mr. de Croissi said: that he haped His Mnjesty would: have a 
feet out answerable te the preparations making the Hollanders, 
that they may not be to much masters of the channel. 

2) Den 24ften Märy 1688. 

I think it my duty to acquaint your Lordship with some dig- 
courses I heard yesterday at court from some of the ministers, 
who making reflexion upon the states ill use of his Majesty» im 
the maiter'of his subjeats in, their service and other affairs, aay 
that they would not dare to do it, were they but made more 
sensible of the amity and good understanding that there ‚is bet- 
ween tbe two crownes, and that it is the asgurances which hie 
Majesty sometimes gives to the spanish minister, of his being in 
no manner of engagement with France, that makes the States 
thus insolent.. I have nothing more to say to it, then to tell yon 
what: gre the discourgen of the most considerahle men here, as 
well as of Mr. de Croissy, who again told me bin Malesty might 
depend upon all the service this crown, were. able to do. kim. 

3) Den 14ten Julius 1688. 

I have to acquamt you that being yesterday at Versailles I 
enquired of Mr. de Oreissy concerning a report which went here: 
that the Hollandish ambassador had asked hims whether it was 
tego that 15 ships of the french fieet were te join the english ? 
To which he answered me that the Hollandish Ambassador bad 

. asked him abaut it and that ke had told him: Jos. and that His 
Majesty should not only bave those, but as many more as he had 
occasion for or any thing else he pleased. And took occasion to 
tell. him of those scandalous libelles which have of late been 
piäinted in Holland. and of the medal which has given great of- 
fence loöking as he said like a trumpet of war. The Ambassador 
excused it, as well as he could by pretending the medal was not 
made in Holland, nor the libelles printed by authority, or with 
the states or the princes of Orange knowledge or consens. But 
Mr, de Croissy answered, that they should then have declared 
their. dislike of it, 

Statepaperoflice, France Vol, 77. 








Wilhelm und Ludwig XIV, - 375 


Ahnlicher Weiſe täufchte ich Jakob. Er hielt es für 1688. 


unmoͤglich daß feine Tochter etwanigen Planen ihres Ges 
mahls wider ihren Vater beitreten koͤnnte), und daß bie Se: 
neralſtaaten (bei der nam Frankreich her drohenden Ges 
fahr) jemald ihr Heer und ihre Zlotte dem Prinzen anver- 
tranen und hiedurch einen zweiten Krieg wider England thoͤ⸗ 
richter weiſe herbeiführen würden. Sollte der Prinz aber ia 
einen Angriff auf England wagen, fo koͤnne hiedurch wur 
die, koͤnigliche Macht verſtaͤrkt merben, denn: ihm fiche als⸗ 
dann ohne: Zweifel dad Schickſal Monmouths bevon. 

Während Wilhelms Feinde feine Plane auf diefe Weiße 
irxthuͤmlich faſt beförberten, wußte er den Kaiſer,“ Spanien 
und felbf den Papft. ISungcenz Xk darüber zu berubigen, ja 
fie zu. überzeugen daß Europas Breiheit hiedurch weſentlich 
astörbert ?), Ludwig XIV Anmaaßung beſchraͤnkt und für 
die Hatholiken in Wahrheit mehr gewonnen werde, wie 
durch Jakobs zuletzt unousführbare Befuhe 

Als endlich Wilhelms nicht mehr ganz zu verheimu⸗ 
chend⸗ Plane dem Könige won Frankreich nähen bekannt wur: 
den und ihm. gefährlicher duͤnkten dem zuvor, fchien e& 
ibm, nothmendig beflimmter eimzufchreiten und er gewann für 
dieſe Anſicht zwar nicht die Beiſtimmung Jakobs, wohl aber 
der englifchen Gefandten in Parid und Hang, Skelton unb 
Albipille. Am, achten September überreichte d'Avaur ben 
Generalſtaaten eine Erklaͤrung feined Herren: daß fie über 
die Grunde ihrer Rüftungen Rechenfchaft ablegen follten, und 
er jeden Angriff auf England als eine Kriegserklärung be: 
trachten werde. Im aͤhnlichem Sinne dußerte ſich Albiville 
an demfelben Tage, — Nachdem die Holländer ihre Antwort 
eine Zeit lang verzögert hatten, flellten fie Gegenfragen über 
den Grund ber früheren franzöfifchen Rüftungen auf, und 


1) Lingard XIV, 220. Mazure Ill. 73. 

2) d’Avaux VI, 110. Le Pape #tait ceriainement en aomimerce 
secret avec Guillaume. Dohna Memeoires. 73, Maopherson Häst: 
1, 495. Macpherson State papers I, 308. 


376 Gehstes Bud. Siebentes Hauptfiäd. 


1688. fügten Beſchwerden hinzu über die in Frankreich neu enges 
führten drüdenden Handelsſteuern, fowie über dad Anhalter 
ihrer Schiffe; fie forderten endlich bie Mittheilung des Buͤnd⸗ 
niſſes zwifchen Frankreich und England, vermöge deſſen Eud⸗ 
wig allein das Obige habe erflären koͤnnen ”). 

Als Jakob dies Alles vernahm, warb er fehr ungebal- 
ten: denn er wollte die Holländer nicht aufreigen, und in 
England nicht den. Schein erweden, als ſtehe er ganz unter 
der Bormundfchaft Ludwigs XIV. Er verleugnete deshalb 
die Schritte feined Gefandten Skelton, rief ihn von Paris 
ab, feste ihn in den Tower, und erflärte: es beflehe gar 
fein unbelanntes, geheimes Buͤndniß zwifchen Frankreich und 
England; auch babe d’Avaur jene Schrift ben Generalſtaa⸗ 
ten übergeben ohne fein Wiſſen und felbft gegen feinen Wil⸗ 
len *). — Diefe Schritte erzürnten Lubwig XIV, shne bie 
Holländer irgendwie in ihren Maaßregeln aufzuhalten”). 
Ban Eitterd, ihr Sefandter in London beharrte dabei: Hol: 
land rüfte, weil andere Reiche ringsum baffelbe .thäten, und 
werde feinblic wider biejenigen verfahren, welche etwas ge: 
gen die vereinigten Niederlande unternehmen wollten. 

Seine Mipftimmung gegen Jakob uͤberwindend bot Lubs 
wig nochmals Heer und Flotte; allein jener glaubte, ober 
ließ fih von dem zweibeutigen Bunderland einreben *): bie 
bollänbifche Ruͤſtung fey wider Frankreich und nicht wider 
England gerichtet. Ja felbit im Zall einer wirklichen Ges 

fahr, befite England genligende Mittel fie abzuwehren; auch 


1) The Ellis correspondence Il, 148, 180, Vie de Guillau- 
me I, 280. Dalrymple V, 39, 155. Clarke II, 178. Mazure III, 
90. Neufville Histoire de Hollande I, 120. - d’Avaux VI, 201-220. 

2) A son insfü et contre son gre meme.. Lamberty Mem. ], 
295, 296. D’Avaux VI, 276 erzählt ſogar: Jakob habe den Hollaͤn⸗ 
bern einen Bund gegen Frankreich angetragen. 

3) Dalrymple book V, app. 165. 

4) Burnet III, 1314. Macphersen State papers I, 168. I 
est certain qu’on ne pouvait avoir une plus pitoyable 'oondeite 
que celle du Roi d’Angleterre. d’Avaux VI, 182. ' 


® 








= 


Jakobs Naaßregeln. 437 


helfe ein Meines franzöfifches Hülfsheer zu Nichts und errege 1688. 


mr ben Haß, während ein großes die Entfcheibung in bie 
Hände des Königs von Frankreich lege. 

As nun aber endlih in der Mitte des Septembers 
1688 volle Bemeife uͤber Wilhelms Plane dem Könige Ja⸗ 
kob vorgelegt wurben, erſchrak' er fo fehr daß er erblaßte 
und Albivilled Bericht feinen Händen entſank). An die 
Stelle übermäßigen Selbflvertrauens, trat ängftliche Beforg- 
niß; und durch ein raſches Aufgeben mancher der früheren 
Plane follten alle die vorhandenen Gründe zu Beſchwerden 
mit einem Male abgefchnitten werben. Abgefehen aber das 
von daß bied rafche Umkehren lediglich ald Folge der augens 
blicklichen Furcht betrachtet. wurde und fein Zutrauen ers 
weckte; fegte der König auch die neuen Maaßregeln ungefchidt 
mit einigen in Verbindung, welche lediglich in dem alten 
Spiteme ihre Wurzel hatten. Am 25ften Sestember 1688 
erging eine Öffentliche Erklaͤrung worin Jakob die Rage der 
Dinge, die Unrechtmäßigkeit der hollaͤndiſchen Anfprlche und 
die gefährlichen Eroberungsplane Wilhelms audeinanberfeßte ). 
Während (hieß ed unter Anderem) einige unruhige und böfe 
Geifter, früheres Elend und empfangene Gnaden vergeffend, 
dad Königreich in Raub und Blutvergießen fürzen möchten, 
verlaffe er fih auf Muth, Treue und Anhänglichkeit feines 
Volkes; und fo wie er ehemald für deſſen Sicherheit und 
Ehre Alles gewagt habe, fo fey er auch jest entfchloffen da⸗ 


für zu leben und zu flerben. — Diefe und ähnliche AÄAuße⸗ 


rungen würben vieleicht mehr Eindruck gemacht haben, wenn 
Jakob nicht gleichzeitig die Ausfchreiben zu neuen Parla- 
mentswahlen widerrufen hätte, weil er Rh 0 an bie Spike, 
feines De ſtellen mäffe. 

1) Moore 1. Den 28ften September fchreibt bie Prinzeffinn 
Anna: der König ſey much disordered about the preparations which 
were making in Holland, Clarendon diary 65. 

2) Lamberty T, 818. Clarke James N, 185. Mackintosh 


' 


378 Sechstes Bud. Giebantes Hauptfiäd. 


- 4688. Uüberhavnt Bagten feine naͤchſten Freunde: os ſey fein. 


Verlaß auf ihn’), und wenn man ihn in einem Augenblide 
für vernünftige Maaßregeln gewonnen habe, wüßten Tho⸗ 
ven und Eiferer ihn umzuſtimmen; oder es komme fein ur⸗ 
foringlicher Eigenfinn, ſowie der Aberglaube zum Vorſchein: 
die Jungfrau Maria werde für ihn Wunder tun! — Die 
Furcht trieb jedoch zundchft zu dem, was aus tieferer Über: 
zeugung hätte herborgehn follen. Am zweiten Oktober warb 
eine allgemeine Verzeihung nur mit wenigen Ausnahmen an⸗ 
gekündigt, und ber Stadt London ihr Freibrief zuruͤckgege⸗ 
ben. Dies, ſchreibt ein Augenzeuge”), hat die größte Freude 
erregt und bie Stadt iſt einſtimmig entfchloffen ſich zu ver 
theidigen. Denn England ſank noch nicht ſo tief, daß es 
ſo jaͤmmerlichen Feinden zur Beute werden koͤnnte. — A⸗ 
lerdings wuͤrde der Gedanke ſich Feinden zu unterwerfen, 
allgemeinen Widerſtand hervorgerufen haben; daß aber dieſe 
Betrachtungsweiſe nicht die allgemeine war, geht ſchon dar⸗ 
gus hervor, daß bad Volk ungehindert am neunten Oktoher 
katholiſche Kapellen, zerftörte und ber König, obwohl verge⸗ 
bens, befahl alle Kaffehäufer und sffentlichen Orte zu ſchlie⸗ 
gen’), wo irgend eine einheimiſche, ober fremde Zeitung 
ausliege, bie Hofzeitung ausgenommen. Um biefelbe Zeit 
warb ein neues eindringliches Kirchengebet für König, Ver: 
foffung uyb Kirche angeorbnet. Sofern man aber jenen, 

als einen Widerſacher der kirchlichen und Staatseinrichtun⸗ 
gen betrachtete, meinten Viele mehr gegen, als fuͤr ihn zu 
beten. 


t) Rogues changed the kings mind +— that the virgin Mary 
was to do all. The Ellis corresp. MH, 212. Ciarenden. diary 66. 
James pursued his plans in spite of digsussion and wamings, and 
not through the suggestions of treacherous counsellors. Hallam 
Il, 120. 

2) The Ellis corresp. II, 282. The History of the. desertiom 
in ben State tracts of Willigm, IIL, I, 44. 

RE. ‚40, 88, Ellis letters II, Serie 
IV, 180. | 

) 





j 


Die BifHdfe Dez Prinzen Kaufe. 379 


Die Birhäfe und der König ſchlenen fich indeſſen un 1688. * 
tereinander dergeſtalt zu ‚bebinfen, daß ein erneuter Ver⸗ J 
ſuch wechſelſeitiger Verſtaͤndigung und Ausſoͤhnung rathſam 
biteb. Am dritten Oktober überreichte der Erzbiſchof von 
Canterbury nebſt acht anderen Biſchoͤfen dem Koͤnige eine 
Schrift worin fie ihn baten‘): er möge nur geſetzlich geeig⸗ 
nete Perſonen anftellen, bie geifttiche Gommiffion aufheben, 
die Mitglieder des Magbalenencollegiums wieder einfeßen, ' 
Seinem Kathobken die Erlanbniß ertheilen Schule zu gruͤn⸗ 
den, die paͤpſtlichen Vikarien entfernen ‚ Die Rechte der Städte 
berfielen, sin freied Parlament inäbefondere zur Berathung 
über Diepemfotiondrecht und Gewiſſensfreiheit besufen, vor 
Allen aber erkauben daß bie Bifchdfe ihm Gründe vorlegten, 
die ihn hoffentlich Tiberzeugen und. beflimmen wuͤrden zur ' 
englifchen Kieche zuruͤckzukehren, in, welcher ex getauft und 
erzogen werben. 

So bedraͤngt Jakob in dieſem Augenblicke auch wen, 
konnten doch bie Biſchoͤfo unmoͤglich hoffen daß er nicht 
bloß ſeine aͤuffere Macht, ſondern audy feine innerſte Übers 
zeugung mit einem Male ganz preis; geben wuͤrde. Ep dankte 
jedoch freundlich. für ihren guten. Math und glaubte fie Das 
durch hinreichend beruhigt zu haben, daß er bie Freibrieft 
ber übrigen... Siaͤdte zuruͤckgah, bie geiflläche Commiſffion 
aufhob und dad Magdalenencollegium herſtellte 9. 

Der gute Eindruck dieſer Maaßregeln ward aber Des 
durch fall ganz aufgehoben, daß Jakob am 15ten Oktober 
feinen Sohn feierlichſt auf katholiſche Weiſe taufen lleß und 
den Nuntius für den Papſt Gevatter ſtand Jy. Auch blieb 
in jenen aufgeregten Zeiten nicht unbemerkt, dag um Jakobe 
Geburtötage (. Oktober) diesmal Feine Kanonen vom Tor 
wes gelöfet wochen, baß am, dieſem Zuge der in Holland 


1) Masphersan Hist. I, 416, Mackintosh 446, 
2) Clarke James II, 190. 


3) Maephersen Hist. I, 517, Clarke II, 192. Beelyn I, 
655. ea z 





330 Sechsſstes Buch Siebentes Haupeftäd. 


. 1689. lang erwartete Dfkwlab eingelizten H unb vor 622 Jahren 
König Harald von Wilhelm dem Eroberer befiegt worben 
fey. 

Allerdings ruckte unterbeß bie fo lang bezweifelte Ges 
fahr immer näher. Am zehnten Oktober 1688 erließ ber 
Prinz von Dranien im Haag eine Erklärung, in welcher 
alle zeitherigen Beſchwerden über Jakobs Regierung zufams 
mengeflellt und bed Prinzen Plane und Zwecke entwidelt 
waren. Rechte, Freiheiten, Religion und Herkommen (heißt 
es 3.8. daſelbſt) find uͤbertreten und vernichtet werben, um 
offen oder verſteckt eine ganz willkuͤrliche Regierung zu gruͤn⸗ 
ben. Älble Rathgeber (welche dies Alles herbeifuͤhrten, um 

unter ſcheinbaren Vorwaͤnden noch weiter ſchreiten zu koͤn⸗ 
nen), erfanden und ſtellten die Lehre von des Koͤnigs ent⸗ 
bindender Gewalt auf?), vermoͤge welcher er alle Geſetze zur 
Seite fiellen dürfe: obgleich nichts gewiſſer ift, als daß Ges 
fege nur gegeben, oder aufgehoben werben bürfen, durch bie 
gemeinfchaftlihe Wirkſamkeit und Eimwilligung bes Könige 
unb beider Häufer bed Parlamente. — Nachdem bad Eins 
zelne genauer nachgewieſen und bie Zweifel über bie Kcht⸗ 
beit des neugebornen Prinzen erwähnt worben, beißt es weis 
ter: Wilhelm ſey von manchen geiftlidhen unb weltlichen 
Lords, fo wie von Perfonen aus allen Ständen aufgeforbert 
worben, fi einer Sache angımehmen, bie ihn unb feine 
Gemahlinn fo nahe angehe. Jetzo fey er entfchloflen baflr 
zu wirken, baß raſch ein freied Parlament berufen. werbe 
zur Abſtellung der eingeriffenen Übel und zur Gruͤndung dis 
ner wahren Freiheit. Nicht minder muͤſſe das Nöthige ges 
ſchehen für Erhaltung der Religion, ſowie für Einigung der 
hohen Kirche mit den Diffenterd. Ja felbft die Katholiken 
follten (fofern ſie ruhige Bürger wären) Teine Werfolgung 


1) Dan nannte ben Oſtwind: ben — Wind. Dal- 
rymple II, 48. 

2) Parliam. Hist, V, 1—11. Dalrymple II, 48. - Mackin- 
twsh 690. 











.. Wilhelms Plane. 881 


erleiden und dem Parlamente bie Unterſuchung über die Erb. 1688. 
folge und den Brinzen zugeroiefen werben. — An einer ſpaͤ⸗ 
teren Stelle ift als, Zweck der ganzen Unternehmung noch⸗ 
meld audgefprochent Erhaltung der proteflantifhen Religion, 
Schuß ‚gegen religiöfe Werfolgungen, ungeftörter Genuß als 
ler Rechte, Freiheiten ımb Gefebe unter einer gerechten und 
geſetzlichen Regierung. 

Diefer erften Erklärung folgte am 2uſten Oktober eine 
zweite, zur Widerlegung einer, um dieſe Zeit untergeſchobenen 
Schrift, worin dem Prinzen hoͤchſt unduldſame Grundſaͤtze 
in den Mund gelegt wurden. 

Nachdem alle Vorbereitungen beendet waren, nahm Wil⸗ 
heim am 16ten Oktober einen feierlichen und ruͤhrenden Abs 
ſchied von den Seneralflasten, bie mit feltenem Vertrauen 
und kuͤhner Worausſicht alle ihre Macht feiner Flıhrung 
übergeben. Ich habe, fagte der Prinz, nicht die Abficht das 
Land zul unterjochen und bie gefesliche Erbfolge umzuftoßen. 
Ich will vielmehr Rechte, Geſetze und Religion fichern und 
die Engländer in eine Lage bringen, daß fie für die gemeine 
Sache der Chriftenheit und für Erhaltung und Herftellung 
Des Friedens, mitwirken Binnen"). Ich nehme Gott zum 
Zeugen daß ich nie etwas. Anderes bezweckte ald das Wohl 
meines Vaterlandes. — Einige verfuchten dem Prinzen zu 
antworten, konnten aber vor Rübrung nicht dazu konmen ”). 

Daß Wilhelm nicht glaubte, er koͤnne mit frieblichem 
und freundlichen Rathgeben bei feinem Schwiegervater ets 
was ausrichten, geht ſchon daraus hervor daß er keineswegs 
ohne bedeutende Heeresmacht nach England gehen wollte. Er 
betrachtete feine Unternehmung wie einen Krieg, und war 
gefaßt auf einen Krieg; konnte aber. unmöglich alle Ereig⸗ 
niffe und Zufaͤlle vorausfehen und beim Anfange der für ganz 
Europa zweifelhaften Unternehmung ſchon den lebten Aus⸗ 


1) Macyhherson Hist, I, 522. Dalryapl book VI, p. 188. 
Vie de Guillaume I, 290. 


2) Burnet III, 1840. 














‚382 Sechstes Buch. Siebentes Hauptſtück. 


1688. gang vor Augen haben vnd ſich daruͤber ausſprechen. Daß 
England nach fo langen Schwankungen, Irrthuͤmern und 
Schlechtigkeiten, endlich wieder zu ber Politik der klugen 
Eüfabeth zuruͤckkehre war der naͤchſte und wichtigſte Zweck. 
Auch ſagten die Hollaͤnder rund heraus: dazu haͤtten ſie 
Heer und Flotte dem Prinzen uͤbergeben); denn wenn Ja⸗ 
kob mit ſeinen Planen obſiege, gingen ſie und der Prote⸗ 
ſtantismus durch ihn und Ludwig XIV zu Grunde. 

Des Koͤnigs von Frankreich Eroberungsluſt trennte die 
kacholiſche Welt, und trieb die eine Hälfte zum Bunde mit 
ber proteflantifchen. Hundert Jahre zuvor im Jahre 1588 
hielt es Philipp II für dad hoͤchſte Ziel chriſtkatholiſcher Pos 
litik die Königinn Eliſabeth, als den Mitkelpunkt aller pro⸗ 
tefiantifchen Macht, zu fllxgenz und jegt war Spanlen mit 
Holland vereint wider Jakob, der ben Katholicismus in Enz⸗ 
land zu begründen ſtrebte. In der Kapelle bes ſpaniſchen 
Gefandten im Haag ward für den gluͤckichen Erfolg dei 
heilſamen Unternehmens gebetet?) und bei einem Befte, welches 
er den vornehmſten Gliedern der Generalſtaaten gab, brachte 
er eine Sefundheit aus: Dem Pringen von Dranien! Möchte 
er binnen Jahresfriſt ald König von England niit 100000 
Mann in Partd einziehen! — Eben fo hielt ber ſpaniſche 
Sefandte in London, Ronguillo, feinen Kaplan an, -fır Wis 
bein zu beten’). Am "issften Dftober ging Wilhelms Flotte 
von Helvetslouis unter Segel. Sie befland aus 65 Krieges 
feaiffen unb 570 Laſtſchiffen, unb trug etwa 4000 Weiter 
und gegen 11000 Fußgaͤnger, bie beſte Mannſchaft des Frei⸗ 
ſtaates. Dreihundert (ober wie Anbere behaupten gar 736) 


1) State tracts of Williem IH, I, 77. 

9) Moore 172. Masure UI, 117, 118. Maopherson Btete pa- 
pers I, 270. d’Avaux VI, 805 — 808. 

8) Wilhelm erfegte fpäter ben Schaben, welchen Monquills in ei⸗ 
nem Poͤbelauflaufe erlitten. Der Botſchafter hatte ſeine eigenen Schul⸗ 
den geſchickt mit in die Berechnung geſtellt, und wirkte dafuͤr, daß das 
Haus fterreich den neuen König anerkannte. Buckingham II, 76. 
Cunningham I, 76. 





Wilhelms Abfahrt. Sturm. 383 


feanzöftfihe proteftantifche Officiere;"Torvie viele vertriebene ober 1688. 
entwichene Engländer, befanden füch in biefem Seete ?), und 
behufs kuͤnftiger Bewaffnung in England wurden für 20,000, 
oder für 30,000 Mann Gewehre mitgenommen. In ben 
Bahnen und Wimpeln lad man bie Juſchriften: fin die pro⸗ 
ſtantiſche Religion, fuͤr ein freied Parlament, und unter ben 
Wappen den oranifchen Spruch; je maintiendrai!?) ° 
Durch Faſten und befonderen Gottesdienſt furhte mean 

in ganz Holland Gluͤck fir Wilhelms Unternehmung zu ers 
fiehen. 38 nun aber Heer und Flotte den Augen ent: 
ſchwanden, drängten fi von Nenem die Beforgniffe hervor. 

Welche Kuͤhnheit lag in dem boppelten Kriege wiber bie 
beiben mächtigften Voͤlker Europad! die Niederlande voͤl⸗ 
lig entblößt, der Winter vor der Thür, Ludwigs Übers 
macht nwiberfiehlich! Und ar Beforgniife ſchienen fchnels 
fer in Erfüllung zu geben, als ſelbſt die Angſilichſten ges 
fürchtet hatten; denn ein ungehenrer Sturm ergriff und 
befchäbigte dergeftalt die Flotte, daß man viele Kanonen und 
Perde über Bord werfen und nach ben hollaͤndiſchen Häfen 
zuruͤckkehren mußte Jakob H fchrieb die Ereigniß dem 
wunderbaren Beiftande der Jungfrau Maria und dem Aus> 
ſtellen der heiligen Hoftie zu, und hielt das Unternehmen, 
wo nicht ganz, boch bis zum Brühlinge für vereitelt. Die 
ſelbe Anficht theilte man in Parts und Frau von Sevigne 
ſchreibt), im Widerhall allgemeiner Ausfprüche: es iſt ein 
Wunder, eine That der Worfehung, denn die Hand Got 
ted hat biefe Flotte ſichtbarlich zu Grunde gerichtet. 


.1) Dalrymple VI, 188-— 192. Somers tracts IX, 270. Ha- 
ure II, 120128. Clarke I, 206. D’Avaur VI, 805 — 310. 


Y Muthig unterſtuͤgte der neue Ghurfücft von Braudenburg, den 
Dranier. 


8) Bevigns VI, 795, 80%. Burnet III, i841. Maophexson 
History I, 522. Seignelay wollte buch die framoͤſiſche Ylotte die - 
hollaͤndiſche zuruͤckhalten; aber Louvois der nur an ben Landkrieg dach⸗ 
te, erflärte bies für Tächerlich und unmöglich). La Fare 252 —253, 
‚278. 


384 Sechstes Bad. Siebentes Hauptſtück. 


1686. Weit entfernt bie erlittenen Unfälle zu verheimlichen, 
oder zu verkleinern, ließ ſie Wilhelm in hollaͤndiſchen Zei⸗ 
tungen vielmebr- vergrößern, um feine Gegner zu beruhigen 
und einzufchläfern. Mittlerweile beharrte er unabaͤnderlich 
auf feinem einmal gefaßten Plane, und ed wurde mit fo 
rafllofer Thätigkeit an ber Herſtellung ber Flotte gearbeitet, 
daß fie am erften November wider auslaufen konnte. Nach⸗ 
dem fie eine kurze Zeit nörblich gefegelt und den König Ja⸗ 
kob veranlaßt hatte feine Mannfchaft in gleicher Richtung 
abzufenden, fleuerte fie plöklich in entgegengefester Richtung. 
Während vie englifche Flotte durch wibrige Winde zurliciges 
halten wurbe, dauerte ber ungeflörte Zug durch ben Kanal 
fieben Stunden lang, und von ben franzöfifchen und .englis 
ſchen Küften betrachteten unzählige Zufchauer das prachtvolle 
Schaufpiel, von den entgegengefehteften Wünfchen und Leis 
denfehaften, von Hoffnung und Furcht, von Freude unb 
Beforgniß aufs Zieffte bewegt. Am *ıten November, ſei⸗ 
nem Geburts⸗ und Heirathötage."), erreichte Wilhelm die 
Bucht von Zorbay und febte, ohne Widerſtand zu finden, 

am. "ısten fein Heer and Land. 

Betrachten wir jegt was Jakob that, ſeitdem er an ben 
feindlichen Abfichten feines Schwiegerfohnes nicht mehr zweis 
feln konnte. Zuvoͤrderſt verſchmaͤhte er nicht der Behaup⸗ 
fung: fein Sohn fey untergefchoben, dadurch entgegen zu tre⸗ 
ten, daß er in einer feierlichen Sigung (wo Lords, Bifchöfe, 
Richter, Prinzeffinnen und Frauen gegenwärtig waren) für 

deſſen Üchtheit viele und überwiegende Beweife zuſammen⸗ 
ſtellen ließ. Deßungeachtet beharrten die Meiſten in jener 
aufgeregten Zeit bei ihrer vorgefaßten Meinung, oder viel⸗ 
mehr ſie behielten von ihrem kirchlich politiſchen Standpunkte 
nur im Auge was zwei aufeinanderfolgende katholiſche Koͤ⸗ 
nige in England fuͤr Schaden ſtiften wuͤrden. Selbſt die 
Prinzeſſinn Anna erlaubte ihren Kammerfrauen in ihrer Ge⸗ 
genwart uͤber den neugebornen Bruder unanſtaͤndig zu ſcher⸗ 


1) Mackintosh 476. d’Avaux VI, 829. 


Jakobs Raaßregeln. Die Bifhöfe. 385 


zen '); obgleich fie ihren Water gegenhber ihre Bedenken 1688. 
ht audzufprechen wagte. Weich ein Zuſtand daB (umb 
keineswegs ohne dringende Weranlaffung) ein Water dahin 
gebracht werben konnte, feinen Kindern, ein König feinen 
Unterthanen zu erweifen — und obenein ohne Erfolg zu ers 
weifen —, daß er fich nicht felbft einen Sohn untergeſcho⸗ 
ben babel 


Wenn Jakob ferner behauptete): Wilhelm werbe ein 
ärgerer Tyrann feyn als Grommwells wenn feine Freunde 
dußerten, es gebe in ber Hölle Bein aͤrgeres Geſindel als bie 
engliſchen und ſchottiſchen Begleiter des Prinzen; fo machte 
dies Teinen, ober doch nur geringen Gindrud. Eben fo mißlang 
ein neuer Verſuch Jakobs manche Lords, und insbeſondere bie 
Biſchoͤſe zu gewinnen und für fich in Thaͤtigkeit zu ſetzen. 
Da in des Prinzen Erklärung gefagt war: er fen von welt⸗ 
lichen und geiſtlichen Lords eingeladen, fo verlangte der Kö⸗ 
nig: fie follten entweder die Wahrheit dieſer Behauptung 
zugeſtehen, ober ihr Öffentlich wiberfprechen, das Volk beleh⸗ 
ren und wiber ben Prinzen auftreten. Beides auf jede Weiſe 
umgehend, ober zuruͤckweiſend, erflärten bie Biſchoͤfe: fi 
wollten als Geiftliche für den König beten, und ald Mitglies 
der des Dberhaufes fich nicht von dem weltlichen Lords tren⸗ 
nen. ' Der König möge zum gemeinfamen Berathen und Bes 
fchließen ein Parlament berufen”), und zunaͤchſt Unterhand⸗ 
Iungen mit dem Prinzen von Oranien einleiten. Die letzte 
Maaßregel erfchien dem Könige unwuͤrdig, bie erſte gefährlich; 
deshalb Fam er zu dem ummwirkfamen Auswege*), bad Lefen 
der Erklärung Wilhelms zu verbieten, und ihr zugleich eine 
andere entgegenzuftelln bed Inhalts: trotz aller Vorwaͤnde 
treibe den Prinzen nur firäfliher Ehrgeiz, und obgleich er 


1) Clarendon diary 69, 77—81. Dalrymple II, 6,47. Eve- 
lyn I, 656. Mackintosh 449. 
2) Clarendon diary 74, 88. Macpherson State papers I, 279. 
8) Clarendon corresp. II, 500. Clarke II, 211213. Mackin-, 
tosh 465. 
4) Evelyn I, 658. 
VI. 25 


386 Sechetes Bub. Gicbentes Hauptſtück. 


1688. in England gar wicht mitzureden habe, benehme er ſich ınıb 
ſpreche wie ein Har. Es fey die Pflicht eines jeden trenen 
Unterthans, den Fremden, Unbexechtigten zu befämpfen. Erſt 
rg te ein Parlament 
berufen, dad um fo freier feyn. werde, da er alle Rechte 
der Staͤdte unb Burgen bereits hergeftellt habe"). 

Die Erinnerung an dad graufame Verfahren Jakebs 
nach der Beſiegung Monmouths ließ aber "ähnliche Maaßre⸗ 
geln befürchten, und das Verſprechen allgemeiner Verzei⸗ 
bung konnte wenig wirken, weil man glaubte die Schub 
fey auf feiner Seite und ein Parlament müfje gerabe im 
biefem Augenblide bie Gränze der Rechte und des Gehor⸗ 
fams feftfegen. So fah ſich Jakob aller Hülfe beraubt, bie 
ihm das Staatsrecht, ober bie Begeifberung hätte gewähren 
Können, amd die Unficherheit in ber Verwaltung gab fich 

chenfalls darin Eund daß Sunderland, zeither der ein⸗ 
flußreichſte Minifter am 29ften: Ofteber unerwartet entlaſſen 
wurde 9. Gewiß hatte diefer nicht alle gefahrvollen und ges 
waltfamen Plane des Königs gebilligt, zuletzt aber dazu im⸗ 
merbar feige die Band geboten, von Ludwig XIV große 
Gelbſummen erpreßt und wahrſcheinlich auch mit dem Prin⸗ 
zen vom Dranien Unterhandlungen angeknuͤpft, um ſich a 
allen Seiten gu decken ). 

Dennoch war fir Jakob, nach feiner Barachtungeweiſe, 
fein Grund zu verzweifeln: denn immerdar hatte er Plane 
und Hoffnungen vorzugsweiſe auf ben Beiſtand feines Hee⸗ 
ves gegruͤndet, und dies zaͤhlte an 6000 Reiter und 38,000 


1) Clarke II, 218. Parliam. Hist. V, 15. 


2) Evelyn I, 656. The Ellis corresp. II, 268. ' Dairymple 
H, 5, 21. 8omerrille 208. 


8) Er bat um einen Zufluchtsort in Frankreich, zu ber Beit wo 
er befchloffen hatte nach Holland zu gehen. Dalrymple II, 5, 158. — 
Sunderland revelait tout à Sidney et Bidney & Guillaume. Sid- 
ney avoit une galanterie. avec Milady Sunderland, qui gouvermalt 
absolument son mari. d’Avaux VI, 151. 





Das Heer. Wilheime Lage. .387 


Bußgänger ), während ihm Wilhelm nur etwa 15 000 Maun 1688. 
gegenüber ftellen konnte. Hiezu Sam daß diefer in den ers 

fien acht Tagen feiner Anweſenheit auf engfifchen‘ Boden, 

faft gar keinen Anhang ober Zulauf fand; weshalb man nicht 

nur in Paris der Überzeugung Iebte fein Unternehmen werbe 
mißglüden”), ſondern er feibft vol Verdruß über die flatts 
gefundene Taͤuſchung geäußert haben ſoll ): er wolle nad) 
Holland zuruͤckkehren und Alle nennen. die ihn eingeaben 
Hätten, zur Strafe ihres Verraths, Ihrer Thorheit und 
ihrer Feigheit! 

In der That war ed aber ungemein ſchwer und bitter 
unter den obwaltenden Werhältniffen einen entſcheldenden 
Beſchluß zu faſſen: denn das perfönliche Wohlergehen jedes 
Einzeinen, fowie Gluͤck ober Eiend des ganzen Reiches ſtand 
auf dem Spiele, und jeder Mißgriff mußte bie uͤbelſten Fol⸗ 
gen nach fich ziehen. Ja Hefer Blickende ahndeten und = 
ten: daß felbft in dem Falle des guͤnſtigſten Gelingen, hei⸗ 
lige Bande zeweißen, ehrenwerthe Verhaͤltniſſe ſich aufldfen 
und Spaltungen entſtehen muͤßten, welche auszuhellen ein 
Menſchenleben um fo weniger hinreichen bürfte, ba in Bes 
ten dieſer Art, Mäßigung für Scwäde, und keldenſchaft 
Ser vuhmwehrbige Pflicht zu gelten pflegt. Daͤre ein 
Parlament zur Hand geweim, fo hätten fi) wenigſtens 
Die Fotmen Weichter geſeunden, mittelſt beven man verhans 
deln und boſchließen Sonnte; allein gerade dieſe Komm 
war ben Könige vor Allem zuwider, und ex verſchmaͤhte 
jeden WBetanb, welchen er unter ber Bedingung langen 
konnte, feine kirchlichen und ſtaatdrechtlichen Plane aufzuges 
ben, ober doch wefentäch umpugeflalten. Auch warb er in 


4) Diefe Zahlen het Reresby 159. 40,000 Moore 250. Mar 
“ gherson His. 1, 518. 
- 4) La Fayette Mé m. 72. The oountry is not fond of him, 
nor forward to run to him. The Ellis Corresp. II, 288. Bomers 
tracts IX, 279. 
8) Dalrymple II, 195, 200. 
25% 


3835 Sechstes Bud. Stebentes Hauptſtuͤc. 


1688. feinen Hoffnungen dadurch ſehr verſtaͤrkt: daß gerade Whi⸗ 

tehall in. diefen Zagen am befuchteften war und von Wielen 
die größten Verſprechungen fleter Treue gegeben wurben ’); 
es ſey, weil Einige fi) dadurch in ihren Überzeugungen und 
PYflichten ſelbſt befeſtigen ‚ oder Mehre den König Über ihre 
bereitd mit Wilhelm eingegangenen Verbindungen — 
wollten. 
Weil nun — Verhandlungen mit oder ohne Parla⸗ 
ment von Jakob verworfen und Alles, ſo ſchien es, auf die 
unſelige Spitze eines Buͤrger⸗ und Religionskrieges hinauf 
getrieben ward; ſo glaubten Wiele, der Buchſtabe habe dem 
Geiſte gegenuͤber keine Bedeutung mehr, und mit einem neuen 
Inhalte werde ſich auch die abgeſtorbene Form wieder bele⸗ 
ben. Die dem Koͤnige zugeſicherte Treue ſey keine unbe⸗ 
dingte, der ihm verſprochene Gehorſam nicht der bloß wil⸗ 
lenloſer Sklaven; wenn jener alſo die Grundfaͤtze, welche 
Staats⸗ und Kirchenrecht ihm vorſchrieben, verwerfe, ſo 
muͤſſe man fi) von ihm losſagen bis er anerkenne: bie Koͤ⸗ 
nige -feyen keineswegs über die Gefege erhaben, und biefe 
dienten nicht minder zum Schuge bes mächtigften Thrones, 
als des Meinten Haushaltes. 

Betrachtungen biefer Art überwogen nach anfänglichen 
Sweifeln, und fo bildeten ſich Werbindungen des Adels für 
Bilhelm mit beigefligter Rechtfertigung ?): Aufruhr fey al- 
lerdings verboten, aber nur wiber benjenigen welcher nach 
Geſetzen und niht nach Willkür herrſche. Jetzt handele 
«8 ſich um Selbfivestheibigung; denn bie dem Könige abge⸗ 

zwungene Nachgiebigkeit beweife Nichts, und des Papftes 
Entbindung von Eiden fiehe im Hintergrunde. — Gleich 
zeitig hielten fih einzelne Officiere, dann ganze Abtheilums 
gen des Heeres für ermächtigt, fih nach Jakobs Worgange, 
aus eigener Macht von ihrem Eide zu entbinden und zu 
Wilhelm überzugeben. Diefe ihm ganz unerwartete Wen 


1) Clarke II, 190. 
2) History of the desertion I, 44. Clarke d, 219.. 





Abfall im Heere. London. 389 


dung bei Dinge erfchredite den König gar fehr unb er Eehrte, 1688. 
nach Furzem Aufenthalt im Heerlager, zu größtem Verdruſſe 
ber ihm noch Getreuen‘) nach London zuruͤck. Niemals 
ſchreibt ‘ein Beobachter?) am 22ften November) war London 
ruhiger als jebt. Jeder denkt an ‚feine Gefchäfte und an“ 
Sicherimg feiner Schulden, und die. große: Mehrzahl (the 
generality) der Gemäßigten und Reichen hat ihre Abges 
neigtheit gegen die Ereigniſſe ausgeſprochen. — Diefe ſchein⸗ 
bare Mäfigung, welche nicht über ein bequemes Meinen - 
und eigennuͤtzges Abwarten hinausging, konnte dem Koͤnige 
nur geringen Troſt und, bei den ſteigenden und, 
Unfällen, gar Feine Hülfe gewähren. 

ZTöplich, ja ſtuͤndlich liefen Nachrichten ein, wie fi P ber 
Anhang Wilhelms mehre, bad. herbeiftrömende Volk ihm 
Gluͤck wuͤnſche und für ihn bete, und er Befreiung - vom 
Pıpismusd und. unbebingter Herrſchaft verfpreche ?).. Bei dem 
Eingange jeder Trauerpoſt, bei der Nachricht‘ von jebem Ab- 
falle eines namhaften Mannes, rief des Könige zweiter 
Schwiegerſohn, Prinz Georg von Dänemark: est-il:ponsi- 
ble! und dennoch war eines Tags auch er verſchwunden 
und der König fagte bitter: est-il possible ift auch zum 
Prinzen von Dranien gegangen")! Daffelbe that, mit Bezug 
"auf die Sorberungen feines Gewiſſens, John Churchill, ber. 
nachmalige Herzog von Marlborough, ohne Rüdficht darauf 
daß ber König ihn auf alle Weiſe beguͤnſtigt und mit feiner 
Schwefter in vertraulichen Verhaͤltniſſe gelebt hatte. Der 
Prinz von. Dranien, rief Jakob, kommt lebiglih um mir 
meine Krone zu rauben, allein ich bin Bein Richard II um 
nich abfeßen zu laffen‘)! — Dennoch hätte auch wohl ein 
flärkerer Geiſt und Charakter von den unerwarteten Ereige 


1) Moore 287. \ 
2) The Kllis correspondence I, 811. 
8) Clarendon corresp. 102. 
4) Dalrymple II, 202— 210. 
5) Clarendon diary II, 96. Macpherson Hist. I, 585. 


— — — 


SM Sechsſstes Buch. Siebentes Hauptſtück 


1688. niffen erſchuͤttert und uͤbermannt werben koͤnnen. Und feine 
noch aͤngſtlicheren und unentſchloſſeneren Rathgeber beftimse- 
ten ihn mit den mannigfachſten Vorſchlaͤgen: er ſolle fechten 
um zu fliegen, abwarten und fich Feiner Gefahr ansfehen, 
das Außerfte wagen, kein unſchuldig Blut vergießen, eine 
verlorene Sache aufgeben, ſich entfernen um dadurch Alles in 
bie hoͤchſte Verwirrung zu ſtuͤrzen und feine Unentbehrlich 
keit zu enweifen u. f. w. Während jeber feinen Borfchlag 
bringend empfahl ımb allen Übrigen wiberfprady, mehrten 
fi) die Schwierigkeiten; es warb rings um ben König her 
Immer einfamer und bad Schweigen nur duch Meldung 
neuer Ungluͤcksfaͤlle unterbrochen. Vermieden, verlaffen, ver⸗ 
achtet, gehaßt, verlor er das Vertrauen zu ſich und Anderen, 
und fein Geh ſank unter der uͤbergroßen Laſt. 

8 er am 2öften November in ſolcher Stimmung vom 
Heere nad). London zmrüdtehtte, vernahm ex: feine Tochter 
Anna feg in ber letzten Racht mit Baby Churchill ebenfalls 
nach Northampton entfliehen I Da rief er weinenb aus: 
Helfe mir Gott, denn meine Kinder haben mich verlaffen! 
In feinem Schmerze wandte er ſich an den alten Grafen 
Bebford, (der einft 100,008 Pfund für das Leben feines 
Sohnes Muffel geboten, auf deſſen Tod aber Jakob gedrun⸗ 
gen hatte) ımb ſprach zu ihm: Sie ind ein guter Dann, 
Sie innen mie jetzt ſehr nuͤzen )! — Herr (antwortete 
Bedford) ich ſelbſt bin alt und ſchwach, aber Ich hatte einſt 


1) EClarendon diary 92, 103. Dalrymple MH, 202—%04. Mac-' 
pherson I, 581. Somerville Anna 570. Clarke If, 226. Anne 
behauptete: Liche und Pflicht theile ſich zwiſchen ihrem Water unb Ührem 
Gemahle; beshalb fey fie bavongegangen. Ellis Letters II, Ser. IV 
166. Daß Jakob nad Churchills Flucht beffen Papiere. mit Befhlag, 
belegen ließ, trieb feine Gemahlinn und Anna zu entfcheibenden Schritf 
ten. Buckingham Works Il, 0 Conduot of the Dutchess of 
Mariborough 19 


2) Mackintosh 525 erhebt Zweifel gegen bie Richtigkeit dieſer Er: 
zaͤhlung. Wiffen Memoirs of the House of Russel IE, 294 erzählt fie 
als Thatſache. 


vu ww er om u” 


ve wö WB ao» 


vu Ln 2 vs se 


=. va wu. m. va zn. ww’ ws 
% 


| ) | 
Unterhandlungen. Slucht der Königinn. 994 


einen Sohn ber Euer Majeſtaͤt in dieſer Zeit wurde gute 1688. 


Dienfte geleiftet haben! 

Zum Theil auf Anbringen mehrer Lords und Birbäfe 
perfprach der König allen feinen Gegnern Verzeihung, fowie 
bie Berufung eined Parlaments '), und ließ ſich zu fpät bes 
wegen Abgeordnete an Wilhelm behufs einer Unterhanblung 


- obzufenden. Während biefer (nebſt feinem Günftlinge Ben⸗ 


tin?) erklärte: er vente nicht daran Die Krane zu erwerben, 
ward diefer Gedanke immer allgemeiner. Anftatt felbft For⸗ 
berungen und Bebingtingen auszufprechen, wied er died Ge 
ſchaͤft denjenigen Lords und andern einflußreichen Männern 
su, welche ſich auf feine Seite geftellt hatten. Nur die Be; 
rufung eined Parlaments verlangte er mit Beflimmtheit, 
während jene Befragten (jebo entfernt von ihren Landſchaf⸗ 
ten und im. Geſitze des größten Einfluffes) Dazu fo wenig 
die Hand bieten wollten, als im Ernſte König Jakob. Ends 
U warb unter Anderem von dieſem gefordert: Entwaff⸗ 


‚nung und Entlaſſung aller Katholiten, Belegung Londond 


und Tilburys durch die Buͤrger, und Übergabe Portsmouths 
an bie von bem Prinzen erwählten Perfonen. Fremde 
Mannſchaft, hieß ed ferner, bürfe vom Könige nicht nad) 
England berufen werben, und im Falle biefer während ber 
nächften Parlamentsfigung in London bleibe, folle auch Wil: 
heim mit einer gleichen Zahl Soldaten daſelbſt verweilen ’). — 
Jakob ſtellte ſich mit dieſen Vorſchlaͤgen zufrieden, während 
er innerlich uͤberzeugt war ſeine Macht werde dadurch voͤllig 
zerſtoͤrt. Und dennoch haͤtten ihm alle dieſe Vorſchlaͤge und 


Bedingungen nicht fo viel ſchaden koͤnnen, als feine eigenen 


Beſchluͤſſe! 

In der Nacht des ſechſsten Decembers verließ die Koͤ⸗ 
nieinn mit dem Prinzen heimlich und verkleidet ben Palaft, 
fe beim aͤrgſten Regen über die Zhemfe fand aber am 


1) Lamberty I, 621. 


2) Dalrymple II, 208. Clarka II, 240. Clareadon oorresp. 
II, 215— 220. Parliam. Hist. V, 19. 


392 Sechstes Buch. Siebentes Hauptſtuͤck. 


1688. anderen Ufer nicht den für fie beſtelten Miethswagen und 
mußte ſich unter die Mauern einer alten Kirche Yon Lam⸗ 
betb flüchten". Won hier aus blidte fie mit Thraͤnen auf 
ihre Hauptflabt, welche fie aus Furcht vor gefährlichen An⸗ 
Hagen für immer verließ und nach Frankreich hinüberfegelte. 
Nachdem Frau und Kind entflohen waren, wuchs die Sorge 
bed verlafienen Königs von Stunde zu Stunde Geben 
Wegbleibenden hielt er fir einen Berräther, jeben Kommen- 
den für einen Heuchler oder heimlichen Feind. Eine Nach 
sicht, Daß Wilhelm feinem Leben nachftelle, marhte auf ben 
Überreizten fehr großen Eindruck und er wiederholte für ſich 
oft das Wort feines Waterd *): es find nur wenige Schritte 
vom Gefängniffe eined Fürften zu feinem Grabe! — Der 
Königinn Wunſch mit ihrem Gemahle wieber vereinigt zu 
feyn und die Angſtlichkeit mancher Katholiten, welche fir 
ſich ſelbſt fürdhteten, mögen jene Stimmung Jakobs noch 
erhöht haben; zulegt aber kamen, fo wie früher fo auch jetzt, 
alle Beſchluͤſſe von ihm felbft. 

Am Morgen des eüften December verbreitete ſich die 
wahrbafte Kunde: der König fey in ber Nacht, wahrſchein⸗ 
lich nach Frankreich entfliehen’). Died erhöhte den Muth, 
oder Übermuth des, zeither nur mit Mühe in Ordnung ge- 
haltenen Pöbeld. Er verhöhnte ruͤckſichtslos katholiſche Pries 
ſter, zerflörte katholiſche Kapellen, pluͤnderte das Haus bed 
fpanifchen Gefandten, und hielt einen Spottaufzug in wels 
chem Einige bie Leuchter, Lichte und anderes Kirchengeräth 
umbertrugen, während Andere Orangen auf ihre Stäbe ober 
Schwerter geſteckt hatten unb bie neuen Beiten beglüd: 
wuͤnſchten ). 


1) Burnet 1865. Mackintosh 523, 

2) Dalrymple II, 218. Reresby 178. Macpherson State pa- 
pers I, 168. 

3) State tracts of William III, I, 81. Clarke II, 251. Re- 
resby 170. 

4) "The Ellis oorresp. II, 850, letters IL, Ser. IV, 171. Dal- 
rymple book V, 214. 





Heer Jakob gefangen. 393 
Es if faſt weniger zu verwundern daß in einer fo aufs 1688. 


geregten Zeit und nach Auflöfung aller Obrigkeit derlei Uns 
bilden vorfielen, ald daß fie nicht noch allgemeiner und bis 


zu Blutvergießen gefleigert wurden. Dies zu verhindern . 


und den Dingen eine beftimmte Richtung zu geben, verei⸗ 
nigten fi) die anweſenden weltlichen und geifllichen Lords 
unverzüglich in Guildhall, tabelten in einer Öffentlichen Er⸗ 
Mdrung des Königs Flucht, und befchloffen ſich an den Prins 
zen von Dranien zu wenben, der mit fo großer Anflrengung, 
Unkoſten und Gefahr dahin firebe, Alle von Sklaverei und 
Papiemus zu. befreien. Auf biefem Wege beharrend,, möge 
er bis zu neuer Begründung ber Geſetze und der Regierung, 
die Ruhe erhalten und die nöthigen Anorbnungen treffen. 
Ahnlicherweiſe erklärte fich die Stadt London '), und auf diefe 
wichtige Beiſtimmung geſtuͤtzt, erließ ber Prinz nunmehr Bes 
fehle, die überall fo willig befolgt wurden, als fey er Koͤ⸗ 
nig. von England. 
Bor feiner Flucht fchrieb Jakob dem Feldherrn ſeines 
Heeres, Feversham: „ed ſey nun Nichts mehr zu ‚hun, oder 
zu kaͤmpfen).“ — Died betrachteten Alle wie eine Anweis 
* zur Entlaſſung des Heeres, und viele der nach Hauſe 
Gehenden mochten waͤhnen, hiedurch geſchehe dem Prinzen 
von Dranien ein großer Dienſt. Dieſer war aber ſeiner 
Sache ſo gewiß und dachte bereits daran ſich des engliſchen 
Heeres gegen ſeine Feinde, insbeſondere gegen Frankreich zu 
bedienen, daß er fehr uͤber Feversham zuͤrnte und auf jebe 
Weiſe die Mannſchaft beiſammen zu halten ſuchte. Uner— 
wartet trat jedoch ein Ereigniß ein, welches ſeine Plane von 
Neuem in jeder Beziehung zu hemmen ſchien. 
In dem Augenblicke wo Koͤnig Jakob nach Frankreich 
abſegeln wollte, ward er von Schiffern angehalten, welche 
darauf ausgingen entfliehende Katholiken zu entdecken und 


1) Parliam. Hist. V, 26. Dalrymple book VI, 217. -Lamberty 
L, 656, 663. 


2) Clarke U, 248. Reresby 171. 


⸗ 


38 Sechstes Bub. Siebentes Hauptftäe. 


1688. außzupländern. Weil Eduard Hales, ein Begleiter des Kö⸗ 
nigs, heimlich 50 Guineen dafuͤr bot daß man Alle unge⸗ 
ſtoͤrt abreiſen laſſe, erhoͤhte ſich die Aufmerkſamkeit und Beu⸗ 
teluſt dergeſtalt, daß die Kleider des Koͤnigs durchfucht und 
er in jeder Weiſe unanſtaͤndig behandelt wurde). Sobald 

man ihn indeſſen erkannte, kehrte in Manchem ploͤtzlich die 
alte Ehrfurcht zur: fie fielen zu feinen Juͤgen nicber 
und weinten, fo baß auch Jakob fich der Thraͤnen nicht er⸗ 
wehren konnte. Die Verſicherung von Fiſchern und Frei- 
beutern: daß ihm Fein Haar folle gekrümmt werben, war 
ein um fo geringerer Troſt für einen König, da ex feinen 
Hauptzweck aufgeben und nad, Feversham zurüdkehren 
mußte’). Durch einen armen Landmann fanhte der König 
ein Schreiben an bie in Whitehall verfammelten Lords und 
machte fie mit feinens Schidfate befannt. So unangenehm 
Mehren diefe unerwarteten Neuigkeiten auch feyn mußten, 
entihloß man ſich doch dem Könige eines Theil ber Leib- 
wache entgegen za ſenden, Damit er frei von Poͤbelzwange 
thun koͤnne, was er wolle. Bweifelsohne hatten ihm die 
kluͤgſten unter feinen Sreunden geratben nach London zurüd- 
zukehren. Als er am 16ten December, ſechs Tage nach 
ſeiner Flucht, wieder in dieſe Stadt einzog, wurden die 
Glocken geläutet, eine bedeutende Zahl angeſehendr Mäuner 
ging barhaupt vor ihm ber, und bie Menge brachte ihm 
mit lautem Gefchrei unzählige Lebehoch ). Diefer Beifall 
überrafchte und ermuthigte ihn bergeflalt, daß er manche fei- 
ner früheren Manfregeln zu rechtfertigen fuchte, diejenigen 
aber laut tabelte, welche bie Lords während feiner Abweſen⸗ 
beit ergriffen hatten. Solch ein übereiltes Kunbgeben deſſen, 
was bei einer Wiederkehr zu den alten Verhaͤltaiſſen zu be 
- fürchten fey, brachte Einige zu dem MWorfchlage: man 
1) Searching their pockets, opening their breeches. Clarke II, 

258. Mackintosh 703, 

‚ 9 Dalrymple book VI, 218, 259. Clarendon diary 114 
3) Ellis oorreep. II, 862% "Ellis letters, JI, serie, IV, 175. 





Wilhelm in London. | 395 


muͤfſe ven König in dem Tower einfperren. Und gerade 1688. 


diefe Männer welche von Gefangennehmung fprachen, ja auf 
Schlinmieres bindeuteten *), wechfelten nachmals Farbe und 


Charakter und zeigten ſich als bie effrigften Jakobiten! Ins 
deſſen Fam ed nicht darauf an was einzelne Tollkuͤhne, ober 


Ungfttiche wuͤnſchten, ober fürchteten, fondern was Wilhelm 
beſchließen und burchfegen werde. . Sehr wohl erkannte ber 
Prinz daß ihm Jakobs vorfägliche Zucht mehr Vortheil 
bringen müffe, als feine zufällige Ruͤckkehr ihm Schaden 
bringen Eönne. Auch waren die mitwirfenden. Lorbs, nach 
bem was fie gethan hatten, bergeftalt zu ihm hingewieſen, 
Daß fie je Ausſoͤhnung mit dem Könige zu hintertreiben 
bemüht waren. Während Wilhelms Heer fich immer mehr 
der Hauptftabt näherte, ſuchte Jakob eine Zuſammenkunſt 
mit feinem Schwiegerſohne; fie warb nach dem Mathe ber 
Lords abgelehnt und Halifar, Shrewsbury und Delamere 
übernahmen wine Botſchaft an ihren zeitherigen Henn: ex 
möge, behufs befferer Exhaltung der Ruhe Sonden verlaffen. 
So eifig warb biefe Forderung betrieben daß bie Abgeordne⸗ 
ten den Koͤnig in der Nacht wedten, um ihre Botfchaft 
auszurichten. Während er am Morgen des töten Decem⸗ 
bers unter holländifcher Bedeckung auf einer Barke feine 


Hauptſtadt verließ, hielt Wilhelmd Heer von ber anderen 


Scte einen Siegedeinzug und er ſelbſt warb nicht allen 
von bem Döbel mit gleichem Frohlocken empfangen, als brei 
Tage zuvor fein Gegner”); fonbern ed fanden ſich auch faſt 
alle die Lords und Praͤlaten bei ihm ein, welche fo eben 
noch dan Könige ihre Hulbigungen bezeigt hatten. Ja wäh- 
rend biefer einfam, huͤlfslos und von Todesfurcht ge 
ängftet entfloh, fuhr feine Tochter Anna unter Glodengt- 


1) Who yet have been since the greatest nonjurors and Ja- 


csbites proposed the sending King James to the Tower and hinted 


at something farther. Buckingham II, 79. Burnet III, 871. 


2) Ellis letters II, Serie, IV, 178. Mazure FH, 268. Bucking- 
ham 11, 77. 


396 Sechstes Bud. Siebentes Hauptfiüd. 


1658. laͤnte und Freudenfener, nebſt ihrer Favoritinn, ber nachmalis 
gen Herzoginn von Marlborough, mit orangenen Baͤndern 
geſchmuͤckt und im koͤniglichen Wagen, triumphirend zum 
Schauſpielhauſe '). 

Unterdeß hatte Jakob Rocheſter erreicht, warb aber um 
fo weniger fiteng bewacht, da Wilhelm behufs der Entfcheis 
dung hoͤchſt ſchwieriger Fragen nichts mehr wünfchen umßte, 

als eine zweite Flucht Jakobs. Die wenigen Freunde weiche 
biefem treu geblieben waren (fo bie. Lords Dartmouth, Dun⸗ 
dee und Middleton) ſahen dies fehr wohl ein und ſprachen: 
wenn Euer Majeſtaͤt den Muth nicht verlieren, fo werben 
Sie. obfiegen und ihre Unterthanen zu Befinnung und Gehor⸗ 
fam zuruͤckkehren. Wenn Sie dagegen England verlaffen, fo 
koͤnnen allerdings die größten Unruhen auöbrechen, allein 
keineswegs zu Ihrem Vortheile. Vielmehr wird nad) wes 
nigen Wochen die Ordnung bergeftellt und eine neue Res 
gierung gebilbet feyn; Sie aber und Ihre Familie find als: 
dann für immer verloren! — Diefe und Ähnliche, fo drin⸗ 
gende ald wahre Worfiellungen, konnten dem Könige weber 
Muth, noch Einſicht einflößen. Er vertraute ber Hülfe 
Frankreichs und hielt es zuletzt für einen Gewinn dag ihm, 
wenn er entfliehe, jedes Recht und jeder Anſpruch unvers 
kürzt bleibe Am 23flen December entlam er ungehindert 
aus Rochefter ); gerieth aber unter betrunfene Bauern und 
fürchtete fie würden ihn zum zweiten Male erkennen und 
zurüdführen. Sie berubigten fich indeſſen ald er ihnen Geld 
gab, und auf ihr Verlangen die Gefunbheit bed Prinzen von 
Oranien trank“). Den 2öflen December erreichte er bie 
franzöfifche Küfte, und wenige Tage nachher Paris. 

Bei feiner Abreife hatte Jakob eine Schrift zurüdigelaf: 


1) Clarendon corresp. II, 281. 


2) Macpberson Hist, I, 545— 548. State papers Ill, 102. 
Dalrymple book VI, 2%, 261. Clarke II, 267. Ciarendon cor- 
resp. II, 225 — 229. Evelyn 660. Mazure Ill, 221. 


3) La Fayette Men. 104. 


| Jakobs Erklärung. 397 


fen im Wefentlichen folgendes Inhalts): Die Welt kann 1688. 
fi) nit wundern daß ich mich zum zweiten Male entferne; 
denn mein Gegner hat alle Unterhanblungen abgelehnt, meis 
nen Bevollmaͤchtigten Feversham unter ungenügenden Vor⸗ 
waͤnden feftgehalten, Whitehall eigenmächtig beſetzt und mir 
durch drei Lords (eine Stunde nach Mitternacht, als ich im 
Bette lag) in gewiſſer Weiſe befehlen laſſen, ich folle bis 
nächften Mittag weinen eigenen Palaſt räumen. Wie konnte 
Sch hoffen in der Gewalt eined Banned fiher zu feyn, der 
mir dies Alles anthat, ber ohne irgend eine Beranlaffung 
mein Königreich feindlich uͤberzog und der fchon in feiner ers 
ften öffentlichen Erklaͤrung mir binfichtlih der Geburt bes 
Prinzen von Wales die aͤrgſte Schmach aufbürbete, welde 
Bosheit nur zu erfinden im Stande iſt? Ich berufe mich 
auf Alle die mich kennen, ja auf ihn felbft, daß weber jene 
neh er mich in ihrem Gewiſſen einer ſolchen Niedertraͤch⸗ 
tigkelt fähig Halten, noch fo wenig gefunden Menſchenver⸗ 
fand beſitzen, daß fie fich in folch einer Sache follten taͤu⸗ 
Shen laſſen. Ich bin frei geboren und entfchloffen frei zu 
bleiben, unb ob ich gleich mein Leben bei verfchiebenen Ge⸗ 
legenheiten für dad Gluͤck und bie Ehre meines Landes aufs 
Spiel geſetzt habe (auch hoffe dies nochmals zu thun um es 
von der didhenden Sklaverei zu befreien) fo halte ich es doch 
nicht fin angemeſſen mich meiner Freiheit flr eine ſolche 
Wirkfamkeit berauben zu laffen. Deshalb entferne ich mic 
in dieſem Angenblide, bin aber zur Huͤlfe nahe fobalb bie 
Augen des Volkes geöffnet werben und es einfieht wie man 
es unter den glänzenden Vorwaͤnden von Eigenthum unb 
Religion mißbraucht und täufcht. 

As diefe Schrift in bie Hände der herrſchenden Lords 
Tam, legte man biefelbe ohne fie auch nur zu leſen auf Go⸗ 
dolphins Verſicherung zur Seite: fie enthalte nichts Neues 
und Genuͤgendes. Es ergab fich daß Jakobs Flucht nicht 
ſowohl Leidenfchaften erwedite, als von Sorgen befreite; es 


1) Macpherson Hist. I, 550. Parliam. Hist, V, 22. 


I Sechstes Buch. Siebentes Dauptftüd. 


1688, zeigte fi Ten Mitleid für, Bein Zorn gegen ihn. Gen 
ſchwaches 


Benehmen konnte nicht durch beredte Worte, ſeine 
bisherige Handlungoweiſe nicht durch abgezwungene Verfpre⸗ 


chungen in Vergeſſenheit gebracht werden. So ging in Eu 


fuͤllung was Karl II einft dem Primen von Oranien pro-⸗ 
phetiſch geſagt hatte‘): wenn mein Bruber zur Regierung 


kommt, wird er füh fo verkehrt und heftig zeigen, daß es 
mit ihm nicht vier Jahre bauen Ban. 


1689. 


— zweite Flucht wer ohne Zweifel cin, für ale 
Parteien ungemein wichtige Ereigniß; allein ber Knoten 

hiedurch nicht einmal völlig zerhauen, und noch wid 
weniger gelöfet. Denn feltvene die Ehrfurcht vor dan Be 


ſtehenden, ober vielmehr das flantörehtlich Wefbehenbe ſelbſt 


ein Ende genommen batte, traten eine folche Menge won 
Möglichkeiten, ein ſolches Heer verfchiebener, ja entgegenge⸗ 
fester Anfiäiten und Grunbfäge hervor, daß fi) das letzte 
Ergebniß felbft in dieſem Augenblide noch nicht vorheufehen 
leß. Nur fo viel fand fefl daß der Staat, in ben fort 
dauernden Stimmen, eined neuen unb gewiegten Steuer⸗ 
mannes ‚bebinfe. Deshalb entwarfen etwa neunzig Lerds 
eine VBorftellung an ben Prinzen von Oranien: er möge, bis 
eine neue anerdnende Behörde gebildet fey, zur Abhaltung 
drohender Gefahren unb zur Begruͤndung eineB"gefehfichen 
Buftandes, bie nöthigen Maaßregeln ergreifen”). Dieſer 
Aufforberung gemäß berief Wilhelm alle diejenigen welche 
Mitglieder des letzten Parlaments Kari II geweſen waren, 


glieichwie den Mayer, bie Abermen und 50 Glisber des Ge 


meinerathe8 von Bonbon. Billig traten bie Berufenen am 
22ften Zanuar 1689 unter bem Ramen eine Convention 
sufammen. Man erwartete Wilhelm, welcher zeither weber 


durch Drohungen ober Schmeicheleien eingewirkt, noch ir⸗ 


genb eine Erklärung über feine weiteren Mane und Wimſche 
außgefprochen batte, werde hei Eroͤffnung des Convention 


1) Burnet II, 992. 
2) Parliam. Hist. V, 28. 





Die Convention. 399 


deſto beflimmmter hervorteeten '). Ex hielt es dagegen fr bes 1689. 
fheidener, angemeffener und Müger, anſtatt feibft die Be⸗ 
feytuffe und Entfcheidungen gleichſam zu erzwingen, die Ans 
beren Tebiglich in eine Lage zu verfeßen, wo fie. ſich deutlich 
erflären und ihm überwiegende Weranlaffung geben mußten, 





nach Maaßgabe der genauer und vollfländiger entwickelten 


Wänfche und Verhälmiffe, einen fülheren Beſchluß zu faffen. 
Mit jedem Tage, ja mit feber Stunde änderte ſich die 
Scene, und «3 war ſchwer zu erkennen was mögkh, und 
was nothwenbig ſey. Wilhelm begnligtesfich deshalb der 
Gonvention in einer kurzen Eröffnungsrede zu fagen: fie fey 
berufen Rechte, Freiheiten und Religion herzuſtellen und neu 
zu begrhnden, wie dies in feiner erflen öffentlichen Erklaͤ⸗ 
rung auögefprochen und bezwedt ſey. Die Lage Englands, 
Hollands, fa Europas erfordere Daß in Bezug auf bie ins 
nexen und aͤußeren Angelegenheiten, raſche und Eräftige Be⸗ 
fehtlfte gefaßt und burchgefegt wirben. 

Die zu alleserfi aufgeworſene Brage: welch Recht und 
Vollimacht bie Gegenwärtigen zu einer ſolchen Werfonnulung 
hatten? ward Turzweg mit der Antwort befeitigt: die Aufs 
forderung des Prinzen genlige. Als hierauf Robert South⸗ 
well bemerkte: wie kann Seine Hoheit bie Leitung biefer Ges 
fehäfte aͤbernehmen, ohne einen hiezu bevolmächtigenden Ras 
men oder Titel77 entgeguete der Serjeant Naynard: bie 
BVerſammlung wörde viel Zeit verlieren, wenn fie warten 
follte, bis Herr Robert Southwell begreife, wie dies möge 
lich ſey. — Ein ſpoͤttiſches Abweiſen ſolcher Art wuͤrbe un⸗ 
ger anderen Verhaͤltnifſſen gewiß nicht hingereicht haben Zwei⸗ 


4) In einer 1697 unter Wilhelms Leitung für ben Friebenscon⸗ 
greß in Ryswil entworfenen Schrift, heißt es in biefer Beziehung: It 
was thought a remissness and a hazarding the publick to much, to 
Interpose or move. so little in those matters as he then did, Bo- 
mers tracts XI, 107. ; 


2) Parliam. Hist. V, 25. Dalrymplo VI, 270. Macpherson 


Hist. I, 657. a 


00 Sechstes Bad. Siebentes Hauptfiüd. 


1689. fel der wichtigften Art zu befeitigen über die Berufung und 
Befebung der Convention, fiber ihre Rechte und ihre Be: 
haͤltniß zu einem Neichöparlamente. Zugegeben aber ba 
alle Regierung aufgehört Hatte, drängte ſich die Frage he: 
vor: wie benn fo Wenige, ohne Vollmacht und Rückfrage, 
über die allerwichtigften Fragen entfcheiden koͤnnten ? Ale 
diefe Zweifel und Bedenken wurden jedoch zunaͤchſt durch 
bie Gewalt ber Umflänbe und bie unabweislihe Nothwen⸗ 
digkeit neuer Beſchluͤſſe, zur Seite gefchoben. Auch bemerkt: 
man: baß je mehr fich gegen das eingefchlagene Verfahren 
theoretifch fagen laſſe; deſto thoͤricht er erfcheine jene Ma⸗ 
xis welche es dahin gebracht habe, daß baffelbe für moͤglich, 
ausfuͤhrbar und heilſam gelten koͤnne, und moͤglich, aus⸗ 
führbar und heilſam ſey! 

Dieſer Überzeugung gemäß entwarf bie Convention ein 
Dankfchreiben an ben Prinzen mit der Bitte: er möge bie 
Leitung der bürgerlichen und Zriegerifchen Angelegenheiten, 

‚ fo wie ber Finanzen übernehmen. Dies gefchab, und ohne 
Rüdficht auf ein neues, uneröffnet zur Seite gelegted Schrei: 
ben König Jakobs, begann am 28ſten Januar eine merk: 
würbige Berathung über den Zufland des Wolle und beö 
Landes. Diejenigen, welche der Überzeugung lebten: man 
müffe Jakob zurädrufen ), in ‚gefeglichem Wege ein gemöhn: 
liches Parlament verfanmeln, und dann (mach biäheriger 
Weife) für Recht, Freiheit und Religion forgen, fanden kei⸗ 
nen Anklang und waren innerhalb und außerhalb ber Bes 
ſammlung fo fehr in der Minderzahl, daß eine Zuruͤckfuͤh⸗ 
sung auf die früheren Verhältniffe ganz unmöglich erfchien. 
Eben fo wenig Beifall fand die ‚ganz entgegengefeßte Anficht: 
der Prinz von Oranien fey Her geworben durch bie Waf⸗ 
fen und alle Macht lediglich in feiner Hand. Denn obgleich 
biedurch alle Schwierigkeiten mit einem Male befeitigt fchie 
nen, wollte doch Wilhelm keineswegs wie ein Eroberer auf: 
treten, und die Engländer fi nicht wie Eroberte behandeln 


1) Clarke II, 279. Mackintosh 575. 


Staatsrechtliche Anſichten. 401 


laſſen. Auch blieb zu erwägen: daß wenn man die neue 1689. 
Herrſchaft lediglich auf eine Thatſache, auf die Macht gründe; 
eine zweite Thatſache, oder eine größere Macht fie in jebem 
| Augenblide umftinzen koͤnne. Mithin ließen fich die ſchwie⸗ 
rigeren Unterſuchungen uͤber das Recht, gar nicht vermei⸗ 
den, und wiederum ſtanden dieſe mit den Fragen uͤber die 
Wichtigkeit der bisherigen Thatſachen und Beſorgniſſe, im 
untrennbaren Zuſammenhange. Einige behaupteten: im Ver⸗ 
gleiche mit jenen furchtbaren Tyrannen, von deren Sturz 
die Weltgeſchichte berichtet, erſcheine Jakob gemaͤßigt und nur 
in Irrthuͤmern befangen; worauf Andere erwiederten: es 
reiche zu einer ungeſtoͤrten Entwickelung des menſchlichen Ge⸗ 
ſchlechtes nicht hin, wenn man nur Ungeheuer jener Art durch 
geſetzliche, oder gewaltſame Mittel beſeitigen koͤnne; wenn man 
es als Pflicht darſtelle fo lange bie Hände in den Schooß zu 
legen, bis ein ſolches Ungethuͤm emporgewachfen fey und 
unbefiegbar daſtehe. Die Fortſchritte des Stantörechted und - 
der Inhalt anerlannter Gefehe müßten vielmehr Mittel und 
Wege nachweifen, wie man, ohne Unrecht zu thun, Rechts⸗ 
verlegungen nur fcheinbar geringerer, aber in Wahrheit nicht 
minder gefährlicher Art entgegentreten Tonne. Wenn Jakob, 
mit Rüdficht auf lebloſe bloß abſtrakte Grundſaͤtze, in ber 
Eile feiner Macht geblieben wäre, ober darin (durch eigene 
oder franzöfifhe Macht) wieder bergeftellt werde; fo koͤnne 
das größte aller Übel, ein Bürgerkrieg, nicht auöbleiben '). 
Denn wie man auch über ihn und feinen Water bene, ge: 
wiß hätten fie. ihre Unfähigkeit bewiefen über ein. gebildetes 
und freied Wolf zu herrſchen, und es fey enblich Zeit daß 
England durch Erneuung ſeiner inneren Zuſtaͤnde, auch in 
Europa wieder die wuͤrdige und großartige Stellung einneh⸗ 
me, welche ihm gebuͤhre. Überhaupt duͤrfe man fo wichtige 
ſtaatsrechtliche Fragen nicht nach dem bloßen Privatrecht 
entfcheiden. Es handele fich hier nicht von. Sachen und 
dinglichem. Eigenthume , fonbern von Perfonen und von ei⸗ 
1) Hallam III, 117. | 
v1. 26 


D - 


402 Sechstes Bud. Siebentes Hauptſtück 


4680. ner gefetzmaͤßigen und gottgefälligen Herrſchaft über biefel 


ben. Nun ſey aber keineswegs jede Herrſchaft gottgefaͤllig 
und etwa deshalb unabaͤnderlich; ſondern nur diejenige flineme 
mit ber Lehre vom göttlichen Rechte, welche das hoͤchſte 
Ziel im Auge behalte: nämlich bed Volkes wahres Heil 
Ohne Voll fey niemand König, niemand fey es durch fich 
allein‘). Alles erfcheine in diefen Regionen zwoeifeitig, bi: 
Interal; und kein Theil habe die Verpflichtung unthätig zu⸗ 


zuſchauen, bis Berfaffung und Kirche zu Grunde gerichtet 


u \ 


worden. Irrig meine man: buch bad Erbrecht ſey jeder 
Mißbrauch deſſelben gerechtfertigt; von David und Salomon, 
von Merovingern und Karolingern an, bezeuge bie Gefchichte 
das Gegentheil bi auf ben heutigen Tags und bed Prinzen 


‚ von Dranien Unternehmung gründe ſich zugleich auf Erb⸗ 


secht ber Familien, und Staatörecht der Voͤlker. Überhaupt 


. verdiene eine Verfaſſung nech gar nicht diefen Namen, weiche, 


im aͤußerſten Falle, fich nicht felbft zu helfen im Stande 
*) & 


Anfichten und Grumbfäge diefer unb ähnlicher Art wa⸗ 
sen, wo nicht herrſchend, boch weit verbreitet, ald die ſchon 
erwähnte Berathung Über ben Zufland des Landes begann. 

Nachdem Herr Dolben mit Bezug auf fruͤhere gefchicht- 
liche Beifpiele, fowie auf Grotius, Hofmann unb andere 
Staatsrechtslehrer zu beweilen gefucht hattes- der Thron fey 
erlebigt; bemühte fi) Herr Mudgrave der Berathung da⸗ 
burch eine anbere Richtung zu geben, daß ex forderte: man 
folle die Rechtölundigen befragen: ob die gegenwärtige Vers 
fanmlung einen König abfeben bürfe, ober nicht? — Man 
antwortete: von einer Abfehung Durch Andere ſey gar nicht 


die Rebe; Jakob habe fich felbft abgefeht und man finde dem 


Thron erledigt. Nachdem Form und Zweck ber Regierung 
aufgelöfet und jedes Geſetz Abertreten worden; ſey es ein 


Recht und eine Pflicht des Volkes, durch feine Stellyertre: 


1) State tracts of William III, I, 164, 187, 889. 
‚2) Hardwicke State papers II, 408, 


@ 
\ 





di. gen _ 


N 


Jakebs Abdankung. 408 


ter die Regierung wieder herzuſtellen. — Herr Williams be:1689, 


hauptetes wenn man bei fo praftifchen Fragen auf den Ur: 
Tprumg aller Staaten und Regierungen zurüdgehe, gerathe 
man in Nacht und Dunkel; jebermann wifle und ſehe dage⸗ 
gen, wie heute die Dinge lägen. König Jakob I (be: 
merkte Lord Somerd) bat, daß wenn feine Nachkommen 
feine Proteflanten wären, Sott ihnen den Thron nehmen 


möge. Diefe Bitte geht jetzt in Erfüllung. pnlicher Weiſe 


verlor Siegmund ben ſchwediſchen Thron, und bo begab 
fich diefer nur in fein eigenes, nicht wie Jakob HI in ein 
feindliches Reich. 

Auf die Bemerkung daß Jakob ſich keineswegs frei: 
willig entfernt habe, ſondern durch einen Staͤrkeren mit Ge⸗ 
walt verjagt worden ſey, warb entgegnet: bie perſoͤnliche 


. Entfernung werde keineswegs als der entfcheidende Haupt⸗ 


punkt hervorgehoben; vielmehr liege die Abdankung in der 
freiwilligen und beſonnenen Übertretung feines 
Eides und aller Geſetze und Berträge, fowie in 


dem Aufſuchen fremder Hülfe um dab eigene Volt 


zu verknechten. 
Noch diefen nud ähnlichen Berathungen faßte die Con⸗ 
vention ben Beſchluß: Indem König Inlob fi bemuͤhte 


die Verfaffung dieſes Reiche gu vernichten, inbemer den ur . 


fpriinglichen Vertrag zwiſchen König und Wolf aufldfete, nach 


n 1 


dem Rathe der Jeſuiten und anderer gottiofen Perfonen bie 


Grundgefege übertrat, und ſich aus biefem Köntgreiche hin⸗ 


wegbegab, hat er abgedankt (abdicated) und der. em . 


ift hiedurch erledigt (vacant) worden. — Diefem wichti⸗ 
gen Beſchluſſe folgte, ein zweiter: daß bie Herrſchaft eines 


Katholiken unverträglich fen mit der Sicherheit und. Wohe 


fahrt eines proteflantifchert Reiches. 
Viele die bis hieber feheinbar einftimmig gehandelt hats 
ten, wınden nad bem Obſiegen hinfichtlich eines ſo widhti- 


gen Punktes, zum Theil erft felbft gewahr, wie fehr ihre. 


legten Abfichten und Zwede auseinanderlogen. Einige Ta 
men, nach: Jakobs Beſeitigung, auf ihre alten republikani⸗ 
26 * 


m 





404 Sechsſstes Buch. Siebentes Hauptftäd. 


1689. ſchen Gedanken zuruͤck, Andere wuͤnſchten bie Begruͤndung einn 
egentichaft, noch Andere die Erhebung Mariens, oder Bil: 
beimd, ober Beiber auf den Thron’). Endlich bemerkten bie 
Befonneneren: es ſey noch nicht Zeit zu, prüfen, welche Perfon 

- König werben folle, ſondern welche Gewalt man ihm Libertragen 
wolle. Die Einrede: dies werde viel Zeit koſten und Streit 
herbeiführen ; ward durch die Erinnerung zurüdgemwiefen: baf 
man eine folche zweckmaͤßige Begründung bed Staatörechtes 
leider bei ber Herftelung Karls II verfäumt habe, weshalb 
dann auch binnen 28 Jahren Fein wahrhaft heilfames Ge 
feg zu Stande gebracht, worden. Nach folder Erfahrung 
dinfe man ben jegigen, fo günfligen Zeitpunkt um fo weni- 
ser unbenutzt vorübergehn laſſen, als man hinfichtlich der 
wichtigften Punkte gewiß einer Meinung fey. Überhaupt 

gewaͤhre ein bloßer Wechfel der regierenden Perfonen, ohne 
gefehlichen Gewinn für dad Volk, Feine genuͤgende Buͤrg⸗ 
(haft für eine beffere Zukunft. . 

Während das Unterhaus in diefen Richtungen vorſchrit⸗ 
kam das Oberhaus auf eine Unterſuchung zuruͤck, welche 
man ſchon fuͤr voͤllig beſeitigt gehalten hatte: ob naͤmlich in 
den Erklaͤrungen über Jakobs Abreiſe geſagt werben ſolle: 
er habe abgedankt, ober den Thron verlaffen; ober ber 
Thron fey erledigt. Mehre behaupteten im LUnterhaufe: 
es fey gleichgültig, ob man fage:. abdicated,, deserted, 
oder demised; Alles komme darauf an ben Thron nen zu 
befeten. Im Oberhauſe hingegen. traten zwei Parteien ein: 
anber gegenfiber, von denen eine, die oben mitgetheilte Faſ⸗ 
fung der Erklärung. bed Unterhaufes bilfigtes die zweite aber 
ſtatt des Wortes abgebantt (abdicated) das Wort ver 
taffen (deserted) fielen, ba8 Wort erledigt (vacant) 
aber ganz außlaflen wollte. Hieran reihten fich mehrtägige 
Berathungen, fiber welche nicht felten bitteren Tadel auöge: 
fprochen worden iſt. Es ſchien naͤmlich, als ob man die 


1) Mecpherson Hist, I, 554. Parliam. Hist. V, — So- 
mers traets XI, 104. 





Jakobs Abdankung. ‚405 


großen Lebendfragen des Stagtörechtes faft gar nicht beruͤck⸗ 1689. 
fichtige, und nur von grammatifchen Kleinigkeiten mit une 
nuͤtzer Weitlaͤufigkeit und pedantiſcher Spitzfindigkeit hin und 
ber rede. Manche benuͤtzten aber dieſe Streitigkeiten nur als 
Vorwand, oder Dedimantel, um andere Fragen dahinter zu 
Derbergen, oder in einer weniger auffallenden Weiſe zu er⸗ 
oͤrtern. So ſtanden z. B. hiemit die Fragen in Verbin⸗ 
dung '): ob ein König abdanken koͤnne, und welche That⸗ 
ſachen eine ſolche Abdankung in fich ſchloͤſſen? Ob des Ko: 
nigs auddruͤckliche Beiſtimmung dazu noͤthig und der Thron 
hiedurch ganz erledigt, oder ob das Recht nur einſtweilen 
unterbrochen und wem daſſelbe zu uͤbertragen ſey? 

In Bezug auf dieſe und verwandte Fragen behaupte⸗ 
te die eine Partei: Jakob hat gar nicht abgedankt, fondem 
fih nur binmwegbegeben. Cine folche gezwungene Entfernung 
fchließt (wie 3. B. Eduard IV und Karl: IL beweifen) Fein 
Aufgeben oder Erloͤſchen feines Rechtes in ſich, fondern for: 
dert nur zu doppelter Treue auf. Eben fo wenig kann man 
aus der Verlegung einzelner Gefeße, eine fo unendlich wich: 
tige Folgerung ableiten; denn wo bliebe fonft die Lehre von 
der Unverleglichkeit ded Königs und der Verantwortlichkeit 
feiner Minifter? Wollte man aber auch annehmen der Kö: 
nig habe abgedankt, oder einen nirgends nachzuweifenden 
Vertrag gebrochen; fo kann er doch nicht mehren Rechten 
entfogen, als er befist. Sie gehen vielmehr auf feine nächft- 
berechtigten Erben über, und es ift Fein Grund vorhanden 
durch den Umflurz des geheiligten Erbrechtes, das Reich in 
ein Wahlreich zu verwandeln, oder den Xhorheiten republi⸗ 
kaniſcher Anfichten nochmals die Thür zu öffnen. 

Hierauf warb nochmal erwiedert: dad Koͤnigthum ifl 
fein prituatrechtliches Erbſtuͤckk, fondern ein flaatörechtlicher 
Beruf; der König bat nicht bloß Rechte, fondern auch 
Pflichten, und jene gelten nur ſofern er auch dieſe uͤber⸗ 
nimmt und ihnen nachkoͤmmt. Nun aber hat nicht allein 


1) Moore 297. 





\ 


406 Sechstes Buch. Siebentes Hauptfiäd. 


1689. Jakobs zweimalige Flucht, fonbern feine ganze Regierung 
erwieſen, daß er keineswegs nach ben beſtehenden Gefegen 
regieren will. Ja, er iſt als Katholik, und nach feinen reli- 
giöfen Überzeugungen bazu ganz unfaͤhig. Neu gegebene 
Berfprechungen, welche man hervorhebt, bemeifen um fo we⸗ 

miger, ba fie ihm nur in ber Noth abgebrungen wurben und 
er des Papſtes Entbindung von benfelben im Auge behält. 
In Schweden und Dänemark hat man Siegmunds ımb 
Chriftions TI Flucht: auch als Abdankung betrachtet, und bie 
Lehre ): ber König koͤnne Fein Unrecht thun, heißt (laut ber 
Magna Charta) nur: dad Umrecht was er thut, ift an ſich 
und durch fich felbft nichtig). Schon vor Jakobs Thronbe⸗ 
fleigung hatte dad Unterhaus (aud genügenden Gründen 
und im richtigen Worgefühle der unvermeidlichen Zu= 
tunft) ſich zweimal für Teine Ausſchließung erklärt; wie 
viel mehr Urfachen find jest vorhanden auf einen ſolchen 
Beſchluß zuruͤckzukommen. Jedes Verhältniß zwifchen Herr⸗ 
ſchern und Unterthanen iſt gegenſeitig, bilateral, (ſonſt waͤre 
Unterthan und Sklave daſſelbe); und wenn auch ein ur⸗ 
kundlicher Vertrag nicht in aller Form vorgelegt werben Bann, 
fo, ift er überall voraudzufegen und weifet jedem Theile 
Rechte und Pflichten zu. Schon ber Krönungseid fpricht fich 
hierhber aufs Beſtimmteſte aus, und die gefammte Gefchichte 
erweifet: daß nicht jeber König die Entwidelung' des 
Staatsrechtes nah Willkür von Neuem beginnen 
Fann, darf und foll. Ein Bruch der anerfannten Verhält- 
niffe und ber Verträge zerflört alfo dad Recht des fchuldigen 
Theiles, er loͤſet die Verträge dergeftalt auf, daß etwas Neue ges 
funden und gegründet werben muß. Wollte man um ber 
gemachten Erfahrungen willen, die beſtehenden Gefege we⸗ 
ſentlich verändern und die Macht der Könige befchränken; 


1) Giche Band II, &. 116, und Band II, 255. 

2) State tracts of William III, I, 130. Dairymple: II, 1, 
2-3. History of the Commons II, 2138. Clarke II, 299. Parliam. 
Hist. V, 58. Somerville 220—230. Burnet 1899, 1408. Bel- 
sham I, 118. z 


ee > —— 


Ober⸗ und Unterhaus. Unruhen. 407. 


fo wäre dies ein viel größerer und gefaͤhrlicherer Eingriff in 1689. 
das beftehende Staatsrecht und das wünfchenswerthe Gleich: 
gewicht der Gewalten, ald wenn man fich mit einem Mech: 
fel der Perfonen begnuͤgt. Die Hinweifung auf den naͤch⸗ 
ſten Erben genuͤgt nicht; denn ſelbſt abgeſehen davon, daß 
man über ihn in Zweifel iſt, wuͤrde eine Bormundfchaft Eng: 
land ſchwaͤchen, Jakobs Einfluß heimlich fortdauern, und 
mit der Großjährigkeit von Neuem eine verwerfliche, un: 
mögliche, Tatholifche „Regierung eintreten. Will Jakob für 
England. nicht thun, was Heinrich IV für Frankreich that, 
fo mag er feine Stelle unter den eifrigen Bekennern des 
Katholicismus einnehmen und behalten; aber. nicht wähnen 
er koͤnne zugleih König von England feyn ımd, nach den 
irrigen Grundfägen feines Hauſes, dem Willen und der Ent: 
widelung eined gänzen Volkes Feſſeln anlegen. 

Betrachtungen. und Erörterungen biefer und ähnlicher 
Art erweifen, daß ungeachtet der ſehr bewegten Zeit, die . 
Leidenichaften nicht zu raſcher Entſcheidung führten. Waͤh⸗ 
rend aber zwiſchen den Lords (deren Mehrheit ſich fuͤr das 
Wort deserted erklaͤrte) und dem auf ſeiner Faſſung be⸗ 
harrenden Unterhaufe verſchiedene Zuſamenkuͤnfte ſtatt fan⸗ 
den; langweilte ſich der londoner Poͤbel, und ſuchte durch 
Aufläufe und andere gewaltfame Handlungen feine Wünfche 


fuͤr Wilhelm und Marie geltend zu machen"). Der Prinz 


wollte aber auf Feine Weife durch fo uneble Mittel zum 
Ziele kommen; er verbot und hemmte bie Unruhen mit fefter 
Hand. Weil fi indeflen bie Parteien im Parlamente fo 
das Gleichgewicht bielten, daß Wilhelm beflmchten mußte, 
die Mehrzahl werde fih für eine Regentſchaft ober. für Über: 
tragung der Krone auf bad Haupt Mariend auöfprechen; fo 
erklaͤrte er (zum erften Male aus feiner bisherigen Zuruͤck⸗ 
gezogenheit hervortretend): er werbe feine Gewalt annehmen, 
die von dem Leben eines Anderen, oder dem Willen -einer 


Frau abhange; fondern mit bem Bewußtfegn nah Holland 


1) Dalrymple Book VI; 281 — 283, 





d 


408 Sechstes Bud. Siebentes Hauptſtüͤck. 


1689 zuruͤckkehren daß er, obgleich vergebens, ihnen babe Dienſte 
leiften wollen. Marie, feine Gemahlinn, mochte ihre Un: 
fähigkeit felbft zu regieren einfehen; gewiß glaubte fie: das 
Gebot, wonach Frauen ihren Männern gehorchen - folten, 
ftehe höher als das englifche Staatsrecht). 

Wilhelms Erklärung, Mariend Zuflimmung unb die 
befonderd von Lord Halifar entwidelten Gründe‘), minderten 
die Zahl der Vertheidiger einer vormundfchaftlichen Regie: 

rung. Bei diefen Berhältniffen bielt es Jakob für gerathen 
in einem Schreiben (St. Sermain ben dritten Februar 1689) 
nochmals feine Anforüche zu erweifen und zu erklaͤren: er 
ſey bereit nach England zuruͤckzukehren). Dies Schreiben 
machte aber um fo weniger Einbrud, als man damals eif- 
rigſt befchäftigt war, das .englifche Staatsrecht in einer Weife 
zu vervollſtaͤndigen, die feinen. Beifall unmöglich erhalten 
konnte. 

Um dieſelbe Zeit (den ſechſten Februar) wandte ſich 
Jakob an den Kaiſer, erzählte von feinem Unglüde, ſowie 
von feiner Gegner Unrecht und bat um Beiſtand. Nachdem 
Leopold die entfcheivende Wenbung ber englifhen Angele⸗ 

genheiten vorfichtig abgemwartet hatte, antwortete er bem 
Könige am Iten April: Diefer Beweis der Unbeftändigfeit 
* aller menfchlichen Dinge, fehmerze ihn tief. Indeſſen wuͤrde 
eö niemald fo weit. gelommen feyn, wenn der König ben 
Vorſtellungen des Laiferlichen Gefandten Grafen Kaunitz 
mehr Gehoͤr gegeben, mit feinen Unterthanen feinen Streit . 
herbeigeführt, den nimmeger Frieben gefchüst, und nicht 
überall fi den Franzoſen angefchloffen hätte. Die Franzo⸗ 
fen (heißt ed weiter) finb die aͤrgſten ige ber Tatholifchen 
Religion, Werbündete der Ungläubigen, fie haben überall 


2) Somerville 263. 


8) Clarke II, 290-298. Kür die Regentſchaft fprachen vor: 
zuͤglich Rottingham. ———— Rocheſter und A. Clarendon cor- 
resp. II, 256. 








— 


Wilbh elms Erklaͤrung. Bill — Rede. 409 


Treue und Glauben gebrochen, unſchuldige Bänder nieberges 1689. 
brannt, und die Einwohner ald Sklaven fortgefchleppt. Recht 

und Sicherheit erfordern, daß der Kaifer wider Türken und - 
Sranzofen Krieg führe; mithin kann er dem Könige Jakob 
feinen Beiftand leiften, fondern nur Gott bitten, daß er ihn 

in feinen Leiden tröfte '). 

Unterdeffen hatten ſich die tüchtigften Glieder des Par⸗ 
lamentes von abſtrakten, allgemeinen Unterſuchungen, zu dem 
praktiſch Nothwendigen hingewandt. Vor Allem war Lord 
Somers (dem ſelbſt ſeine Feinde das Zeugniß der groͤßten 
Klugheit und Rechtlichkeit geben)“) bei Entwerfung ber 
Bill oder Erklärung der Rechte thätig gewefen ?), wel: 

‚He am 18tem Zebruar 1689 vom Parlamente angenommen 

ward *). Nachdem in berfelben alle Itrthümer und Ver⸗ 
ſchuldungen Jakobs aufgezählt find, und die Erledigung des 

Thrones ausgeſprochen ift, folgt eine Reihe flantsrechtlicher 
Beilimmungen und Entfcheidungen: der König darf nicht 

von Gefegen entbinden oder biefelben ſuspendiren, Feine aus- 
Berorbentliche geiftliche oder weltliche Gerichte gründen, ohne 
Beiſtimmung des Parlamentes Fein fiehendes Heer halten und 

keine Steuern erheben. Graufame und ungewöhnliche Stra⸗ 

fen, ober uͤbertriebene Bürgfchaften hören auf. Parlamente a 
follen häufig gehalten, und die Wahl: und Rebefreibeit nicht ' 
beſchraͤnkt werben. 


1) Clarke II, 325. Lamberty II, 300. Somers tracts X, 18. 
D A most extraordinary combination of abllities, integrity 
and judgment, he was ever met in the course of his life. There 
was never a wiser or a better man, than Lord Somers. Zeugniß 
Lorb Bolingbrokes. Marchmont papers II, 214. Moore 317. Han- 
sard parl. Debates III series, III 678. : 
8) Diefe Erklärung der Rechte ft unter all den großen Urkunden 
bes englifchen Staatsrechts vielleicht die einzige, welche der König gern 
vollgog. Alle bie übrigen wurben von bee Magna Charta bis zurHa- 
beas — corpus⸗Akte, ben Königen abgebrungen, unb fie wuͤrden biefel: 
ben (nad ber heutigen Sprechweiſe) nicht oktroyirt haben. | 
4) History of Commons IL, 257. Dalrymple VII, 287. Parl. a 
Hist. V, 108. i 





410 Sechstes Bud; Siebentes Hauptſtück. 


1689. Der üble Erfolg (ſagte ein Englaͤnder in jenen Tagen) ') 
: ben umfere lebten Könige, bei ihren Beeintraͤchtigungen ‚un: 
ferer Rechte gehabt haben, ſchuͤtzt uns fir bie Zukunft. Das 
rin befteht unfer Gluͤck: daß unſere Könige gleich wie wir 
ven Sefeben unterworfen find, baß fis durch Zerflören ber 
Geſetze, zugleih die Grundlage ihrer Macht und Größe 
vernichten würden. So ift umfere Verfaſſung nicht will: 
kürlich, fonden gefeglich, nicht unumfchräntt, fon 
bern ſtaatsrechtlich, und wir rühmen und mit Recht freier 
zu feyn ald andere Voͤlker und beſſer geſchuͤtzt gegen Ty⸗ 
rannei. 

Darin daß Wilhelm und Marie jene hoͤchſt wichtigen 
ſtaatsrechtlichen Beſtimmungen unweigerlich annahmen und 
dieſen Anſichten beitraten, lag der weſentliche Grund ihres 
lange, mit faſt gleicher Stimmenzahl, beſtrittenen Sieges. 
Am 2iften Februar 1689 wurden Beide als König und 
Königinn audgerufen ”), und zu gleicher Zeit erklaͤrt: daß 
nach ihnen ihre Kinder, dann die Prinzeffinn Anna und thre 
Nachkommen, und hierauf Wilhelms Kinder (von einer an: 
teen Gemahlinn) den Thron befleigen folten. Anna hatte 
eingewilligt aus innerer Überzeugung, ober weil ihr Anfprud 
auf den Thron verflärft ), oder ihr die Ausfiht auf ein 
großes Jahrgeld eröffnet und ihrem Rathgeber Churchill ein 
anſehnliches Geſchenk gemacht ward. 

Noch weniger Schwierigkeit als in England, fand die 
Umwaͤlzung in Schotland: denn hier war noch mehr re⸗ 


1) Gin Auffag wahrſcheinlich von Lord Bomers, Tracts IX, 261,268. 


2), Evdiyu II, 6. In einer fpäter unter Wilhelms Aufſicht ent 
worfenen Darftellung heißt es: bex König zeigte keine ehrgeizige Begier ben 
Then zu befteigen. Der Antrag beider Käufer, und ber Zuſtand Eu: 
ropas (welcher ihm ohne ein maͤchtiges Einſchreiten Englands verzwei⸗ 
felt zu ſeyn ſchien) brachten ihn zur Entſcheidung. Somers tracts XI, 
108. — Nur durch Aumahme und Anerkenutniß obiger Srunäfäge warb 
dem Haufe Hannover der Weg zum englifchen Throne gehabt, und jede 

Verwerfung derſelben wuͤrde ſeinen Sturz herbeifuͤhren. 


9) Somerville 234. Buckingham II, 87. 





‚Wilhelm und Marie. Scotland. 411 


iigiöfe Unduldſamkeit geübt worden, und bie Presbyterianer 168%. 
hofften wieberum die ausfchliegenbe Herrſchaft zu erlangen. 
Jakobs Schreiben: die ſchwaͤrzeſte, ungerechtefte und gott: 
fofefte aller Ufurpationen, werde nur kurze Zeit obflegen; 
that um fo weniger Wirkung, weil fie nur bis zum legten . 
März Verzeihung anbot, und mit harten Strafen drohte. 
Etwa 50 Perfonen zogen ſich zwar aus dem Parlamente zu⸗ 
ruͤck, erleichterten es ‚aber hiedurch den Übrigen ihre Abfich- 
ten durchzuſetzen ). Die Erklärung der Schotten wiber 
Jakob lautete: Jakob VII, ein offenbarer Papift, hat fich bie 
koͤnigliche Gewalt angemaaßt und als König gehanbelt, ohne 
den gefeglichen Eid zu leiften; er bat, nach dem Rathe boͤ⸗ 
fer und gottlofer Männer, die Grundlageri ber Verfaffung 
angegriffen, die gefeßliche, befchränkte Monarchie in eine will: 
Eürliche Dedpotie verwandelt, und biefe neue Macht ver- 
wandt zum Umflurze der proteflantifchen Religion und zur 
Berlegung ber Freiheiten und Gefebe des Koͤnigreichs. Hie⸗ 
durch hat er fein Recht auf die Krone verwirkt (forfaul- 
ted, forfeited) und der Thron ift erledigt ®). 

Am 1iten April, an demfelben Tage wo man Wil: 
helm und Marie in Schotland ald Könige anerkannte, wur: 
den fie in London von dem Bifchofe dieſer Hauptſtadt 'ges 
kroͤnt). As Wilhelm im Kroͤnungseide die Worte fand: 
er folle die Ketzer ausrotten; hielt erinne und fagte: „ed iſt 
micht meine Abfiht jemanden der Religion halber zu ver: 
folgen.” Auf die Antwort: fo fey es nicht gemeint; fuhr 
er fort: „und nur in dieſem Sime leifte ih den Eid.” 
Abends war die Stadt erleuchtet, und die Scherze bed Bol: 
Les richteten fich zum Xheil wider den Papft, ‚den ——— 
von Wales und den Jeſuiten Peters *). 


1) Maopherson Hist. 1,'591. Vie de Guillaume II, 5 Bal- 
carras account in Somers tracts XI, 487. 

3) Hallam II, 441. Somerville 258, 459. Htery of the 
Commons II, 259. 

$) Reresby 195. Dalrymple VII, 811. 

4) Lamberty II, 110. Ä 2 


42 Schstes Bud. Siebentes Hauptflüd. - 
1689. Während Alles folchergeftalt in England und Schot⸗ 


land nach den Wuͤnſchen Wilhelms zu Stande Fam’), nah⸗ 
men die Angelegenheiten Irlands eine für ihn ungünflige 
Wendung. Er hatte den zweibeutigen Berfprehungen Tyr⸗ 
conneld fcheindar vertrauen muͤſſen), weil die Lage Eng⸗ 
lands und Hollands ihm nicht erlaubte mit einem Heere 
nach dem entlegenen Irland binüberzufegen. Hiedurch ge= 
wann Jakob MH Zeit feine Verbindungen zu erneuen und 
Vorbereitungen zu treffen. Am zwölften Mär; 1689 Ian: 
bete er bei Kinfale mit etwa 1200 Srländern und etwa 100 
franzöfifchen Officieren und warb überall, fo auch in Dub: 
lin mit.großem Beifalle empfangen. Won jeder Seite ver- 
fammelten fich feine Anhänger, waren ‚aber großentheild fo 
von alien Mitteln entblößt und aller Zucht fo ungewohnt, 
daß er viele nach Haufe fehiden mußte. Zum fiebenten Mai 
berief Jakob ein Parlament nah Dublin, in welchem (zu 
Folge der getroffenen Maaßregeln) bie Katholiken bei weiten 
bie Oberhand hatten. Deshalb gingen auch die Anfangs 


. den. Proteflanten gegebenen Verficherungen nirgends in Er: 


fülung, und bie Fehden begannen nochmals mit der Wild: 
heit und Graufamfeit, welche alle irifchen Kriege leider feit 


Jahrhunderten außzeichneten. Das Geſetz der Anfiedelung 


(act of settlement) welches bei feiner Erlaffung zweifels⸗ 
ohne eine große Menge fchreiender Ungerechtigkeiten in fich 
ſchloß, warb jest mit. ähnlicher leichtfinniger Leidenfchaftlich- 
keit kurzweg aufgehoben, ohne Rüdficht auf Entſchaͤdigung, 
Ausgleihung, Kauf, Verkauf, Bellerungen, Exbtheilungen 
u. fe w. Die proteflantifchen Beamten erhielten ihren Ab⸗ 
ſchied, die proteflantifden Kirchen wurden gefchloffen, ihr 
Vermögen eingezogen und Nichtlatholiken willkuͤrlich durch 


1) Der Aufſtand einiger ſchottiſchen Regimenter, die ſich nicht 
wollten nach Irland überfegen Laffen, warb unterbrüdt. ‚Dairymple 
VIE 294 — 297. 

.2) Tyrconnel hatte die Abſicht Irland für Jakob zu erhalten, 
fonft aber es von England gu trennen und unter Lubwige XIV Schupe 
zu beherrſchen. Mazure II, 113 III, 812. 


\ 


Krönung Wilhelms. Irland. 413 


Soldaten belaͤſtigt und mißhandelt. 55 proteſtantiſche Lords, 1689. 
83 Geiſtliche und unzaͤhlige Andere wurden zu Unterſuchun⸗ 
gen gezogen’), welche meiſt mit Gütereinziehungen endeten. 
Gewiß fand fih Jakob zwifchen dem anmaanßlichen franzoͤſi⸗ 
fhen Gefandten d'Avaux und ben Ieibenfchaflliden Irläns 
dern in einer fo uͤbelen Stellung, daß er zu Manchem was 
er vielleicht felbft mißbilligte, die Hand bieten mußte; doch 
offenbart fich auch bier ſeine Vorliebe für unbefchränkte Herr: 
ſchaft und feine Unfähigkeit als König von’ Großbritannien 
und Irland aufzutreten und einzuwirken. Daher flimmte 
er einem Belchluffe bei, wodurch Irland von England ganz 
getrennt wurde, Daher. ſchrieb er am 26ſten November 1689 
dem Papſte: die einzige Urſache des Aufruhrs gegen uns, 
iſt die Annahme des katholiſchen Glaubens; auch leugnen 
wir nicht, daß wir entſchloſſen waren ihn nicht bloß uͤber 
unſere europaͤiſche Koͤnigreiche, ſondern auch uͤber alle Kos - 
lonien in Amerika zu verbreiten. — Ähnlichen Sinnes ſchrieb 
der erſte Minifter Jakobs, ber Graf Melfort im. Auguft 
1690: der König muß durch eine Partei regierenz wollte 
er Allen genuͤgen, würde er Alle verlieren. Die Gefebe 
über Heer, Kirche, Parlament, Geſchworene, Hochverrath, 
Habenscorpus= Akte u. |. w. müfjen zum Vortheile des Koͤ⸗ 
nigs geändert werden. Er muß fo fireng firafen, und ſo 
Wenigen verzeihen als möglich *). 

-Diefe zur Anwendung gebrachten Grundfäge, einigten ' 
von Neuem bie Parteim in England, und gaben ben Pro: 
teftanten in Londonderry doppelte Weranlaffung unter An⸗ 
führung ihres Geiftlichen Walker, ungeachtet fchlechter Befe⸗ 
fligungen, geringer Kriegsmittel und einer fchrediichen Hun⸗ 
gerönoth, heldenmüthig fo lange zu wiberfiehn, bis Hülfe 
aus England nahte und Jakobs Heer zum Abzuge gezwun⸗ 


1) Somerville 828, Dalrymple VII, 18 - 68. Burnet IV, 
123. Macpherson Hist. I, 602, 628, Clarke II, 827 — 888. 
Moore 441. 

2) Ellis letters, II Series, IV, 191—19%. Moore 41-461. 
Vie de Guillaume II, 15. Belsham I, 168. 





414 Sechstes Buch. Siebentes Hauptftüd. 


16%. gen warb. Erſt im Jahre 1690 war Wilden im Stande 
mit Heeresmacht nach Irland hintberzufegeln. Us er den 
3often Junius d. 3; durch eine Kanonenkugel an der 
Schuiter verwundet ward, verbreitete ſich in Jakobs Lager 
die Kunde: er fey getöbtetz und noch größer als daſelbſt was 
ven in Paris die übereilten und fehr ungeziemenben Freu: 
denöbezeigungen '). Aber ſchon bed folgenden Tages war 
e im Stande in dr Schlacht am Boynefluß ben 
Oberbefehl zu übernehmen und nebft Schomberg, Alles mit 
Geiſtesgegenwart und Einficht fo zu leiten, daß er einen 
vollen Sieg davontrug?), und Jakob (welcher von Weiten 

der Schlacht zugefehen hatte) zum dritten Male eutfloh und 
ſich nach Frankreich einſchiffte. Als er den Irlaͤndern Vor⸗ 
würfe machte, antworteten dieſe: tauſchen wir ben König, 
und wir find bereit die Schlacht noch einmal zu wagen’). 
Mit der Einnahme von Limerit (den 13ten Oktober 
1691) war ganz Irland untenwerfen unb ruhig, aber Bei: 
neswegs glüdlih. Denn fo abgeneigt ber König auch ale 
len politifchen und religioͤſen WBerfolgungen blieb, konnte er 
doch (wie wir ſpaͤter fehn werben) dieſe Geſinnung nicht 
einmal dem Parlamente einfloͤßen, wie viel weniger leiden⸗ 
ſchaftliche und habſuͤchtige Beamte uͤberall beauffichten und 
in Baum halten‘). 

So war denn gelungen und vollendet, was bie Eng⸗ 
laͤnder vorzugöweife ihre Revolution nennen. Die theo- 
retiſchen Grundſaͤtze und Schlußfelgen welche bie beiben ent: 
gegengefebten Darteien ausfpradjen. und geltend. zu machen 
ſuchten, führen, wenn man fie bis zum Außerflen verfolgt, 

. gleichmäßig in Imthum und Verkehrtheit: denn bie eine Reihe 


1) Larrey Hist. de France V, 879%. Belsham I, 194. Somers 
tracts X, 332. 
2%) Burnet 95, 156. Dalrymple Part — book 5, p 45, 166. 
Somerville 842, 488. Clarke I, 405, 465 
8) Moore 482. 
. 4) Won ber hieher gehörigen, ſehr harten Oefeggebung, wird an 
anderer Stelle im Bufammenhange Bericht exflattet werben. 





Jakob in Paris. 416 


endet alsdann mit Blinden Gehorſam und Tyrannei, die 1690. 
andere mit Willfur und Anarchie. Andererſeits entbehrt Feine 
diefer Betrachtungsweiſen ganz ber Wahrheit, und jedesmal 
wird diejenige die Oberhand behalten, welche in einem be: 
flimmten Zeitpunfte wirklich vorhandenen Sefahren am 
kraͤftigſten entgegentritt. Fi 

Der König Jakob war weber fähig bie öffentlichen An⸗ 
gelegenheiten im Ganzen und Großen zu begreifen, noch des 
Einzelnen mit kluger Gewandtheit Herr zu werben, noch 
feine Diener zweckmaͤßig zu leiten. Deshalb fchrieb ein Je⸗ 
fuit, der Pater Con, nach Rom’): alle unfere Hoffaungen 
find vereitelt, König ufib Koͤniginn entflohen, ein neuer 
Zürft ohne den geringfien Widerfland auf dem Throne, — 
Alles unerhoͤrt in ber Weltgeſchichte. Es ſcheint daß Him⸗ 
mel und Erde wider uns verſchworen waren: — in Wahr⸗ 
heit aber entſtand all das Übel durch uns ſelbſt, durch Un⸗ 
verſtand, Habſucht und Ehrgeiz. Der gute König bat ſchwa⸗ 
che, einfältige, nichtswuͤrdige Leute in Thaͤtigkeit geſetzt, und 
der große Minifter (der Nuntius) den ihr hieher ſchicktet, 
bat das Seine auch dazu beigetragen. Auftatt eines gemaͤ⸗ 
Figten, Eugen und fcharffichtigen Staatsmannes, erfcheint 
ein junger Menſch, rin Stutzer tauglich den Weibern den 
Hof zu machen. Hier iſt Alles aus, und es tut mir leib 
Daß ich unter fo viel Narren gerathen bin, - bie von ‚Her: 
ſchen und Regieren gar Nichts verfichen. - 

Mit dem ungluͤcklichen Feldzuge nach Ixland endet Rs 
nig Jakobs politifche Laufbahn. Lubwig XIV empfing ihn 
dad zweite Mal fo zuvorfommenb und höflich wie das erfte 
Mal, und gab aufehnliche Summen zur Unterhaltung feines 
Hofſtaates). Dafür. fpendeten framzöfiiche Proſaiker und 
Dichter ihrem Könige Lob, NEN 


1) Clarendon eorresp. II, 505. 

2) Eubwolg gab ihn 50,000 Thaler gur Einrichtung unh monat; 
. Sich 50,000 Franken; aber in ©. Germain begannen an dem Kleinen 
Hofe, fogleich alle bie geringfügigen Streitigkeiten über Etikette, Cere⸗ 
möonien und Vorrang. Dangeau Men. I, 111, 266, 267. 


416 Sechstes Bud. Siebentes Hauptſtuͤck. 


16%. Mais d’un Roi detrôné qu'on poursuit en tout lien, 


Te declarer P’appui, lui donner un asyle: 
C'est d’Etre- quelque chose entre les Rois et les Dienx'). 

Andererſeits beklagte man Jakob immer weniger, je 
mehr man ihn kennen lernte. Seine Vorliebe für Moͤnche, 
Sefuiten und SKafleiungen, nannte man ein Zeichen ſchlech⸗ 
ten Geſchmackes; und den Glauben: er koͤnne die Revolu⸗ 
tion daburch hemmen, daß er dad Neichäfiegel in die Theme 
warf ?), ein Zeichen fchwachen Urtheild. Der Erzbifchof von 
Rheims, Louvoid Bruder, fagte ſpoͤttiſch: was iſt das für 
ein lieber guter Dann, er bat drei Königreihe um einer 
Meſſe willen verlaffen! — Die Röniginn Chriftine ſchrieb 
in ihrer. fcharfen Weiſe über Jakobs Sturz’): „bie Heuchelei 
und bie Rathſchlaͤge der Iefulten und des geſammten ˖ moͤn⸗ 
chiſchen Gewuͤrms, werben alle diejenigen zu Grunde rich⸗ 
ten, welche fo ſchwach find fie um fich zu dulden und ſich 
von biefen intriganten Eanaillen beherrſchen zu laſſen.“ — In 
einem Liede hieß es)) 
| Quand je. veux rimer & Guillaume 

Je trouve aussitöt un royaume . 
Quil a su mettre sons ses lois. 

Mais guand je veux rimer & Jaques, 

J’ai bean rever, mordre mes doigts; 

Je trouve qu'il a fait, — ses Paques. 

So vereinten fich allindlig faft alle Stimmen über bie 
Perſonlichkeit Jakobs IE, während die Urtheile über Bil: 
beim III weit auseinander ‚gingen. Sie waren unb find 
ohne Zweifel einfeitig, fobald man bie gefammten Berhält- 
niffe Europab, welche feine Entwidelung und Tpätigkeit we: 
fentlich beftimmten, unberuͤckſichtigt läßt. Fruͤh verwaiſet, 
fhon in ber Jugend aller Rechte beraubt, lange nur von 


1) Sautreau II, 809. 

2) ia Fayette Mom. 110-117. Voltaire siecle de Louis XIV, 
XX, 424. Mackintosh 537. Mazure III, 219. 

3) Christine lettres IL, 225. 

4) Sevigne VII, lettre 86%. 


Sn 


Wilhelm II. 417 


Feinden und Neibern umgeben, mußte ihm Ernft zur Natur 1690. 


und Selbſtbeherrſchung zur Pflicht werben; obgleich die Kraft 
feiner Gedanken und Gefühle, bisweilen die aufgezwungenen 
Schranken buchbrach '). Ludwig XIV glaubte ihn einft hoch 
zu ehren, ald er ihm feine natürliche Zochter zur Gemahlinn 
anbot, und bie Antwort: daß die Naffau = Dranier gewohnt 
wären nur ebenbürtige SPrinzeffinnen zu beirathen, verlehte 
den König dergeftalt daß bie aufrichtigften und angeſtrengte⸗ 
ften Bemühungen dies Mißverhältniß zu befeitigen, an ſei⸗ 
nem 3orne und feinem Stolze fcheiterten ). Endlich er: 
Aärte Wilhelm: da ed ihm unmöglich werde des Königs Zus 
neigung zu erwerben, hoffe ee wenigſtens feine Achtung zu 
verbienen. So fehr hielt er Wort: daß Ludwig feinen ei⸗ 
genen Wortheil darin fehen mußte, einem früher mißhandel: 
ten verachteten Gegner, dad Königreich der Niederlande ans 
zubieten. Den Thron, welchen er auf Koſten der Freiheit 
feines Vaterlandes befleigen follte, wie Wilhelm zuruͤck; er 


nahm ihn Dagegen an um bie Freiheit Englands zu begrün- 


den, und ohne England wäre auch Europas Unabhängig: 
keit verloren gewefen. 

Die Aufgabe feined ganzen Lebens war, Ludwig dem XIV 
entgegen zu treten. Konnte er ihn da num wohl überbieten 
wollen in äußerem Glanze, in vornehm thuenber Etikette, 
in gewandten Witzworten, in Beſchuͤtzung williger Gelehr: 
ten und Künftler, im Verſchwenden zu Bauen und eften, 
in Schmeicheleien gegen Weiber, in bigottem Gehorfame ge- 


1) I n’etait pas si tranquille et taciturne qu’on. le repr6sente 
ordinairement, il s’emportait pas rarement et disait alors peut-etre 
plas qu’il ne voulait. d’Avaux négoc. I, 249 und Ähnliches 285, 
3803 II, 13. : 

2) Rien ne fut omis par Guillaume d’effacer l’indignation de 
Louis XIV: respects, soumissions, oflices, patience dans les. in- 
jures et traverses personelles, redoublement d’efforts, tout fut. 
rejet6 avec mépris. Louis lui fit faire tout le mal, et toutes les malhon- 
netetes dont on pouvait s’aviser. Guillaume ne ceasa et publiqueiment 
et par les voies les plus sourdes d’apaiser cette coldre, jamais le Roi ne 
s’en relacha etc. S. Simon, nouv. edit. II, 43. Choisy Men. 1,29. 

v1. 27 





418 Sechsſstes Bu Siebentes Hauptftüd. 


1690. gen Prieſter? Solch bequemes, glänzendes, gepriefene® Kö⸗ 
nigthum warb ihm nirgend geboten: er konnte ſich nicht auf 
uralten Throne mühelos nieberfegen, ober, auf fammetsen 
Kiffen ruhend, ſich mit Lorberfränzen und Lobgedichten uͤber⸗ 
ſchuͤtten Laffen. Weber die leichte Freude fcheinbaren Re⸗ 
gierend warb ihm zu Theil, noch bemüthiger Gehorſam ge- 
gen eigenmächtige Befehle, noch Bewunderung auch ber 
willkuͤrlichſten Einfälle. Seine ſtarke Seele war beſtimmt 
ben Schmerz und die Wehen eines ganzen Welttheiles, für 
bie Leichtfinnigen und Läffigen, die Gutmüthigen und bie 
Zutraulichen mitzutragen, durch Adlerblick fchon alle Gefah⸗ 
ven zu erfeunen wenn niemand baran glaubte, und ihnen 
kraftvoll und, fionbhaft entgegenzuwicken, wenn fie über bie 
Erſchrockenen und Muthlofen hereindrachen. 

Die Erinnerung an große Ahnherren (welche feinen Geg⸗ 
nern Anfangs nur Grund ober Vorwand zu Argwohn und 
Zurüdfegung dargeboten hatten) warb ihm fpäter ein maͤch⸗ 
tiger Antrieb, und verbreitete von Innen heraus Licht Uber 
feine mit Dunkel umhülte Bahn. Denn er follte Zeugniß 
geben, zu welcher Höhe die Begeifterung für einen großen 
Gegenftand, fowie die Fefligfeit eines unmanbelbaren Ge⸗ 
dankens und eined unbeugfamen Willend, den Menfchen er⸗ 
beben kann. Die Zerftreuten, Haltungslofen, Furchtſamen, 
‚Beflochenen, - Abgeneigtn mußten ſich ihm unterwerfen, 
ihm folgen, unb fo war er zulegt (wie durch eim geifliges 
Wunder) der König von Königen unb (nur mit Ausnahme 
Frankreichs) die Seele Europas’). Indem er aber Alles 
daran febte ed zu retten, gefchah ed daß man Ihn (nicht 
unnatuͤrlich) von "anderem Standpunkte aus einen treulofen 
Berwandten, einen tyrannifchen Ehemann, einen unbanfbas 


1) Seine Kraft bes Charakters überwog: all sallie® of enthu- 

. siasm and disappointed the subtle contrivances of a refined po- 

‚ liey. Mackintosh 245. Par sa capacitö, adresse, superiorit& il 

acquit, pour en dire la verit6, la dictature parfaite de l’Europe, 

exoept& la France. 8. Simon III, 298. Basnage Histoire des 
Provinces unies I, 867. : 








— 


Wilhelm II. 419 


cn Freund nannte, baß feine weifeften Worſchlige den ei⸗ 1690. 


genſinnigſten Widerſtand fanden und ihm das Regieren nicht 
bloß durch große, furchtbare Hinderniſſe, ſondern faſt noch 
mehr durch tauſend kleine Raͤnke und Stoͤrungen zur un⸗ 
endlich ſchwierigen Aufgabe ward 9. 

Grazien und Amoretten (deren Werth am Hofe Lud⸗ 
wigs XIV fo groß, deren Huͤlfe fo bedeutend, ja entſchei⸗ 
dend war) ſtanden dem vom Ernſte des Lebens uͤberall 
Durchdrungenen nicht in jedem Augenblicke zu Gebote; und 
ſowie er Lob und Schmeichelei uͤberall zuruͤckwies und ver⸗ 
ſchmaͤhte ) (waͤhrend Ludwig XIV fie ſuchte) konnte er es 
auch nur ſelten uͤber ſich gewinnen durch aͤhnliche Mittel zu 
wirken. Hätte er indeſſen (wie Heinrich IV und Cüifabeth) 
die Gabe der’ leichten Mittheilung und freundlichen Herab⸗ 
laffung noch mehr befeffen ?), das Werk ſeines Lebens hätte 
ihm weniger Muͤhe gemacht, oder wenigfiend größere Freude 
gebracht. Vielleicht wuͤrden aber jene Eigenſchaften der ei⸗ 
ſernen Feſtigkeit Abbruch gethan haben, deren die Welt zu 
beduͤrfen ſchien. Doch bezeugt die Geſchichte daß tiefes Ge⸗ 


1) Somerville 592. Burnet III, 1175, 1467. 


2) He scarce bore even with things that were desent and 
proper. Und nach dem Siege am Boynefluſſe wies er alles Lob u. dal. 
zurücd: with such an unaffected neglect, that it appeared how 
much soever he might deserve the acknowledgments that were made 


: him, yet he did not like them. And this was so visible to all 


about him, that they soon saw that the way to make their court, 
was neither to talk of his wound or of his .behaviour on that day. 
Burnet 113, 893. 


3) Doch-fagt Patrik Hume (LXXX) von Wilhelm: ke was of 
a mild and courteous temper, of a plain ingenous and homest na- . 
ture, of a human, gay and aflable carriage, without any token 
of pride or disdain. ferner erzäplt Reresby 11 zum Sabre 1671: 
König Karl IE zwang den Prinzen bei einem Abenbmahle fehr ſtark zu 
trinten, was ihm von Natur fehr zuwider war. As er aber einmal 
im Zuge war, zeigte er fich Iuftiger als alle Übrigen und es fiel ihm 
ein bie Fenfter in ben Zimmern bee Ehrenbamen einzufchlagen, unb ex 
würde zu ihnen eingebrungen feyn, wenn man fie nicht bei Zeiten bas 
gegen gefichert hätte. — Wilhelm war damals 21 Jahr alt. 

27 * 








420 Sechstes Buch. Siebentes Hauptflüd. 


1690. fuͤhl, herzliche Wehmuth und großartiger Schmerz bei Wil⸗ 
helm allerdings hervorbrachen, wenn es eben galt und wahr⸗ 
hafte aͤchte Gründe zur Hand waren‘). Und fo kann man 
zulegt allerdings fragen: ob fich etwa mehr Herz und Ge: 
fühl zeigte in den Frivolitäten Ludwigs XIV, mehr Helben- 
finn in deſſen Eroberungsluft, mehr Religion in den Dragos 
naden, und mehr Regierungskunſt gehorfamen Beamten, oder 
dem britifchen Parlamente gegenüber? 

Bon den einfeitigen Stanbpuntten der Zories und 
Whigs mag man ſtreiten über Wilhelms Recht und Ber: 
dienft, und über feine Wirkſamkeit fir England ; von hoͤ⸗ 
berem Standpunkte muß ihm jeder Unbefangene danken, daß 
ihm Englands und Europas Unabhängigkeit mehr galt, als 
dad Verhältniß zu einem verbiendeten Schwiegervater. Ahn⸗ 
liche Urtbeile ſprach einft dad herbere Altertbum aus, 
über Zimoleon und Brutus”), und die mildere Gegenwart 


1) 3. 8. beim Zobe feiner Gemahlinn. Auch zeugt für ihn Dohnas 
(Memoires 221) Bericht: er habe nicht leiden Finnen: qu’on rendit 
de mauvais oflices à personne par des railleries. ‘Wenn er weniger 
nad) London kam, als man wuͤnſchte, fo binderte ihn ber ſchlechte Zu⸗ 
ftand feiner Gefundheit. Reresby 198. Macpherson History I, 163. 

2) In 8. H. Iacobis Werken III, 37 findet fi eine Stelle 
welche hleher gehört und ſich erläuternd vervollftänbigen läßt. Erfagt: 
„3a, ich bin der AtHeift und Gottlofe, der, dem Willen ber Nichts 
will, zuwider — lügen will, wie Desdemona fterbendb log; lügen und 
betrügen will, wie ber für Dreft ſich darftellende Pylabes; morben 
will, wie Timole on; Gefeg und Eid breden, wie Epaminondas, 
wie Joh ann de Witt; Selbſtmord befchließen, wie Othos Tempelraub 
unternehmen, wie David (alfo auch Krieg erheben gegen 
Schwiegervater und Schwiegerfohn, wie Wilhelm IN und 
Franz ID) —, ja, Ähren ausraufen am Sabbath, auch nur darum, 
weil mid) hungert und bad Gefe& um des Menfchen willen gemacht ift, nicht 
der Menfch um des Gefepes willen. Ich bin biefer Gottlofe, und fpotte 
ber Philofophie, die mich deswegen gottlos nennt; fpotte ihrer und ih⸗ 
res höchften Wefens: denn mit ber heiligften Gewißheit, die ich in mir 
babe, weiß ich — daß das privilegium aggratiandi wegen foldher Ber: 
brechen wiber den reinen Buchſtaben bes abfolut allgemeinen Vernunft: 
geſetzes, das eigentliche Drafeftätsrecht des Menſchen, bas Siegel feiner 
Würde, feiner göttlichen Natur ifl. 














Wilhelm HL 421 


über Kaifer Franz. I, als er fich wider — Schwieger⸗ 1690. 
ſohn Napoleon erflärte ij. 


1) über das ganze Geſchlecht der Stuarts, mag folgende Stelle, 
aus'meiner Elifabethb und Marla (S. 582 ff.) Plag finden. 

So wie es unglüdfelige Perfonen giebt, fo unglückfelige Geſchlech⸗ 
ter. Die Schickſale Marias bilden nur eine Scene in dem enblofen, 
fucchtbaren Trauerfpiele der Stuarts, Ihe Ahnherr, im fechöten Ge: 
ſchlechte aufwärts, König Robert III, hatte einen Neffen Alexander 
Stuart, welder im Anfange bes 15ten Jahrhunderts, Malcolm Drum: 
mond den Bruder der Königinn von Schotland ermorbete, und beffen‘ 
Wittwe Sfabella mit ihrer Zuffimmung heirathete: — ein Gegenſtuͤck ober 
Vorbild der Sefchichte Darnleys, Bothwells und Marias! Der Derzog 
von Albanien, König Roberts Bruder, warf defien Sohn, feinen Nef⸗ 
fen Rothfay ins Gefängnig und ließ ihn bungern, bis er ſich das 
Fleiſch von ben Gliedern nagte und endlich ſtarb. Sobald Rothſays 
Bruder Jakoh I (Marias Ururältervater) den Thron beftiegen hatte, 
fuchte und fand er Gelegenheit alle Söhne Albaniens enthaupten zu 
. Yaffen, wofür er im Zahre 1436 Wiederum zum Shell von eigenen 
Verwandten) überfallen und mit 16 Wunden getöbtet wurde. Jakobs 
Wittwe opferte die Thaͤter den Manen ihres Gemahls in einer Welle, 
welche an bie Blutrache der Königinn Agnes für König Albrecht von 
Deutſchland erinnert, — Jakob TI (Marias Urältervater) ließ zwei feis 
nee Vettern (die Douglas) enthaupten, ermordete den britten wit eige- 
ner Hand und kam bei ber Belagerung von Rorburg gewaltfam ums 
Beben. Sein Sohn Jakob II (Marias Ältervater) gerieth zuerft in > 
blutige Fehde mit feinem Bruder dem Herzoge von Albanien und bann 
-mit feinem eigenen Sohne. Er verlor gegen biefen die Schlacht bei 
Sauchieburn und warb auf der Flucht meuchlings ermordet. Jakob IV 
(Mariad Großvater) fand in ber rechtöwibrig gewonnenen Herrſchaft 
nicht das gehoffte Gluͤck, und warb in ber Schlacht bei Flodden er: 
ſchlagen. Jakob V (Marias Vater) verfiel aus Schmerz über Unge- 
gehorfam des Adels und getäufchte Plane in Wahnfinn, und farb acht 
Tage nad) ber Geburt feiner Tochter! 

So bie Ahnherren Marias! drauf die Rachlommen: Jakob I (VI), 
Karl, Kart II und Jakob II, vier Könige von denen ſchwer zu fagen iſt 
ob fie unglüdlicher waren, ober umwürbiger? Bevor bie "Stuarts zum 
zweiten Male und für immer die Herrfchaft verloren, ließ Jakob II 
feinen Neffen den Hergog von Montmouth hinrichten, und ſchloß hie- 
mit bie breihunbertjährige Reihe biutiger vn und ee bes 
unfeligen Gefchlechts ! 


” 





Achted Hauptſtuͤck. 
Von dem Ausbruche des dritten Krieges von 1688, 
bis zu den Friedensſchluͤſſen von Ryswick und Car⸗ 
lowitz. 
(1688— 1699.) 


1698. (Ein geifreicer ſcamzcſiſcher Beiäichtfänie ) fgt in Bes 
ziehung auf Ludwig XIV: „Die großen Ergebniffe feiner Re: 
gierung gingen eben fo fehr hervor aus der Schwaͤche uub 
Unentſchloſſenheit der Anderen, ald aus feiner eigenen Tuͤch⸗ 
tigfeit. Er war nicht bloß der Staͤrkſte, fonbern auch ber 
Kühnfte, der Entſchiedenſte, und der von feinen Beamten 
am beiten bebiente Fuͤrſt Europas.“ — Diefe Behauptung 
muß man nicht allein zugefichen, fondern man fühlt ſich 
auch gebrungen über viele Gegner Ludwigs noch beſtimmter 
und fchärfer zu urtheilen. Oder war es nicht (wie wir im⸗ 
mer wiederholen müffen) eine Schmach daß das uͤbermaͤch⸗ 
tige Spanien, zu ſolch elender, nichtöwürbiger Ohnmacht 
hinabſank? daß dad große Deutfchland in unzählige Länder 
und Laͤndchen zerfallen und gefbalten war; von benen ſich 
(faul und eitel zugleich) faſt jedes fuͤr eine abgefchloffene, 
allgenugſame Welt hielt? — Albernes Nachäffen Lub⸗ 
wigs XIV und des Franzoſenthumes galt für das hoͤchſte Ziel 
jedes kleinen deutſchen Zürften, und was das große, bevoͤl⸗ 
kerte, reiche Frankreich nicht ertragen konnte, ſollten (in noch 


1) Mignet corresp. d’Espagne II, 322. 


Dritter Krieg Ludwig XIV. 24423 


uͤbertriebenerem Maaße) ein paar Quadratmeilen Land und 1688. 
wenige tauſend Menſchen, fuͤr Hofſtaat und Bauten, Mai⸗ 
treſſen und Soldaten aufbringen. So ward das Großar⸗ 
tige des franzoͤſiſchen Koͤnigthumes in eine Parodie verwan⸗ 
delt; — und dennoch brachten es die deutſchen Fuͤrſten nicht 
einmal ſo weit erluſtigende Bajazzos Ludwigs XIV zu ſeyn. 
Und die deutſchen Voͤlker! Weit entfernt den Franzoſen 
in Begeiſterung fir Ruhm und Vaterland gleich zu kom⸗ 
men, ober ihnen auch nur nachzuftreben; flinmten fie (in 
ihrer durchaus abhängigen, untergeorbneten Stellung) ') nur 
zu oft mit ihren Fuͤrſten überein, und ſetzten bie kaͤlteſte 
hohlſte Berechnung bed nächften Gewinns und bloß fchein: 
baren Bortheils, über alled dchte Staatsrecht und alle errets 
tenbe Staatöweisheit hinauf. 

Seit Richelieun waren religiöfe Beftimmungdgründe, nicht 
mehr die allein bindenden und entfdyeivenden in Europa; 
das politifche Element wuchs mit erneuter Kraft wieder her: - 
vor, warb aber bald auf allen Seiten fo umftellt und be 
ſchnitten, daß leider nur unbefchränfter Monarchismus 
zur Blüthe kom. Die Rechte der Länder, ber Stände, der 
Genoſſenſchaften, der Völker, verſchwanden täglich mehr ver 
ben einzelnen Königen, Herzogen, Fuͤrſten, Grafen, Edel⸗ 
‚Venten. Daß die Allgewalt diefer, von keiner Seite geſtüͤtz⸗ 
ten und getragenen, oft aͤußerſt tadelnswerthen Perſoͤnlich⸗ 
keiten, nicht in ganz Europa feſt gegründet warb, daß eine 
Stelle übrig blieb für andere Rechte, Einwirkungen und 
Entwidelungsweifen, bat man großentheild ber englifchen 
Revolution von 1688 zu banken”). 

Der dritte große Krieg Ludwigs XIV, welcher von 1688 
bis 1697 dauerte, iſt von ihm keineswegs erhoben worden: 
um ber englifchen Revolution zuvorzulommen, ober ihre 
wichtigen Folgen (beides fah er nicht voraus) zu hintertris ' 


1) Einzelne Eräftige Stimmen verhalten wirkungslos, wie im 
Sojährigen Kriege. 

2) Ehen fo rettete 1588 der Sieg über Philipps TI nnüberwinb: 
liche Flotte, Europa von gleich großen Gefahren. - 





424 Sechsſtes Buch. Achtes Hauptfäd. 


: 1688, benz; vielmehr ward dieſe gutentheild unternommen und zu 
Stande gebracht, weil Ludwig davon unabhängig den Krieg 
bereitö befchloffen und begonnen‘), die Stuarts aber ihre 
Pflichten gegen England und gegen Europa immerbar. ver: 
fäumt hatten. Der Krieg iſt andererſeits aber eben fo we 
nig allein deshalb unternommen worden”), weil Lubwig XIV 
feinen Minifter Louvois über dad Maaß und Verhaͤltniß ei: 
ned Fenſters zurechtwies, und diefer feinem Herrn dafür ans 
dere Beichäftigungen ‚aufladen und feine Unentbehrlichkeit ers 
weiſen wollte. Vielmehr ſtimmten ber König und feine Mi⸗ 
niſter ganz uͤberein in Hinſicht auf verdammliche Eroberungs⸗ 
ſucht und hochmuͤthige Behandlung aller Nachbaren). Died 
ergiebt fich hinreichend bei Erwaͤgung aller auögefprochenen 
Kriegsgründe und Vorwaͤnde. 

Was zuvoͤrderſt Holland anbetrifft, fo nahmen die Fran: 
zofen gar keine Rüdficht auf die beftehenden Verträge, fons 
dern erhöhten viele Abgaben re , daß manche Zweige 
des niederländifchen Handels (3. B. mit Tuch und Härin- 
gen) zu Stunde geben mußten. Auf die gerechten Be 
fhwerden der Verlegten antwortete der Minifter Seignelay 
fo oberflächlih als unwahr*): es fey bier von inneren 
Maaßregeln die Rebe, welche Feine fremde Macht etwas ans 

gingen. — Vergebens bezeugte und erwies ſelbſt d'Avaur, ber ' 


1) Ludwig begann den Krieg am Sberrheine bereits den 1Oten 
September, und Wilhelm landete in England erft ben 15ten Novem⸗ 
. ber 1688. 


9) 8. Simon VII, 50, nouv. &dition. Nur Colbert⸗ m 
wünfchte ben Krieg zu vermeiden. Spanheim V, 71, 90. 


$) La hauteur avec laquelle Louvois traita le Duc de Savoye 
fut 1690 cause de la guerre. Il ne montrait pas au Roi toutes 
les lettres da Duc, et ordonna à Catinat de bruler le pays. Ca- 
tinat Mm. I, 152— 154. edit. de Bernard de Bouger de 8, Ger- 
vais, 

4) @Avanx VI, 99—166, 201 — 209, 262, 265, 813, 82% 
826, 875. 








Krieg gegen Holland. 425 


franzöfifche Geſandte im Haag: „jme Maaßregeln flänben mit 1688. 
dem nimweger Stieben in fchroffem Widerſpruche. Wenn man 
gewifienhaft an diefem feſthalte, wuͤrden Obrigkeit und Volt 
die beften Freunde des Königs bleiben.” — Anſtatt Diefe 
Warnungen zu beruͤckſichtigen, beharıte man in Paris auf dem 
hochmuͤthigen. politifchen, und dem thörichten Handelsſyſteme, 
legte Beſchlag auf viele hollaͤndiſche Waaren, verhaftete hols 
laͤndiſche Matrofen in Frankreich und fchidte fie auf die Ga⸗ 
Yeren, wenn fie nicht Eatholifch werden wollten. „In Folge 
dieſer Maaßregeln, (fchrieb d'Avaux) iſt das Volk eingenoms ' 
men für den Prinzen von Oranien bis zur Wuth und Alle 
von den Obrigfeiten bis zum niebrigften Poͤbel (la canaille) 
fprechen nur davon '), lieber mit den Waffen in der Hand 
umzukommen, ald länger fol eine Behandlung zu erdul⸗ 
den.” Als Lubwig endlich am 26flen November 1688 den 
Krieg wieder. Holland erklärte, hatte diefer nach dem Zeug- 
niffe feines eigenen Gefandten?), burch feine Schuld. in 
Wahrheit ſchon begonnen. 

Die Deufhland feit dem nimweger Frieden von 
Ludwig XIV war mißhandelt worden und wie gerechte Ans 
fprüche e8 auf Genugthuung und felbfländige unabhängige 
Leitung feiner Angelegenheiten hatte, tft bereitd oben er⸗ 
zaͤhlt ). Im Vertrauen aber auf Deutfchlands Uneinigkeit 
und Schwäche, auf feine eigene Übermacht, und den durch 
franzöfifhe Einwirkung fortvauernden Tuͤrkenkrieg ), begann 
Ludwig XIV am 10ten September die Feindfeligkeiten, und 
erklärte — Tage ſpaͤter den Krieg an den  Kaifer). 


1) VI, 242, 29. 


2) Isambert XX, 65, 70. Berrick Mem. I, 48. Bon En 
land ift in biefer Kriegserffärung gegen Holland nicht bie Rebe. Neut- 
„Ville I, 141. 


3) Seite 222. , 
4) Villars Mö&m. I, 156. Flassan IV, 123. 


5) Pachner II, 6382. Bumet III, 1819. Larrey V, 275. 
Awigny II, 197. 5 


—8 


426 Sechſtes Bud. Achtes Haupeſtück. 


1688. Der König (heißt es daſelbſt) hat ſich zeither überall gemaͤ⸗ 
Bigt gezeigt und während des Tinkenkriegs keine Fehde er- 
heben wollen; enblich ift aber feine Gebuld erſchoͤpft. Dem 
ber Bund von Augbburg ward gegen ihn abgefchloffen, ber 
Herzoginn von Orleans ihr gutes Recht verweigert und durch 

- die Pölnifche Wahl das Kirchenrecht umgeſtuͤrzt. ſterreich 
fucht Alles feiner Despotie zu unterwerfen, unb bie Deut: 
ſchen Fuͤrſten und Stände von einem Bunde mit Frauf: 
reich und ber’ Freundſchaft des Königs abzulenken; obgleich 
fie auf diefem Wege die Fräftigflen Vertheidiger ihrer Mechte 
und ber Freiheit ihres Vaterlandes feyn koͤnnten. Der RE 
nig will ja fehe gern den Frieden halten, er ergreift‘ ja bie 
Waffen lediglich zur Befeſtigung der Öffentlichen Rube: nur 
möge man ihm das feit dem nimweger Frieden in Beſitz 
Genommene für alle Zeiten beftdtigen, ben Waffenſtillſtand 
von 1684 in einen dauernden’ Frieden verwandeln, bie Hess 
zoginn von Orleand entfchädigen, ben Prinzen von Fuͤrſten⸗ 
berg als Erzbiſchof von Köln anerfennen, Hüningen unb 
Bortlouis als Feſtungen an Frankreich uͤberlaſſen, Philipps: 

birg ſchleifen u. ſ. w. u. ſ. w. 

Drei Tage nach dieſer Kriegserklaͤrung (ben 27ften 
September) Tieß Ludwig XIV duch feinen Oberprokurator, 

. wegen der ſchon erwähnten Stveitigkeiten mit dem Papfte 
und der koͤlniſchen Wahl, eine Berufung an eine Pünftige 
Kirchenverfanmnlung einlegen, und bie pariſer Geiſtlichkeit 
verftand ſich dazu dieſe Maaßregeln des Königs wider ihr 
geiſtliches Oberhaupt in fehr bemäthigen Audbrüden zu bil⸗ 
ligen. 

Dem Kaifer und dem beutfchen Reiche warb es nicht 
ſchwer die Anklagen Ludwigs zu wiberlegen und ibn als ben 
in Wahrheit Angreifenden bdarzuftellen *); aber freilich kam 
dad Meifte darauf an, die befferen Gründe auch durch die 
beſte Kriegführung zu unterflügen ). 

1) Vie de Charles V de Lorraine 412. Vie d’Bugene I, 23. 


Larrey V, 826. 
2 Den 1m Mai 1689 kam ein Buͤndniß zwiſchen Holland unb 


Spanien. Reichart. Don Juan. : 477 


Üprticdes gilt von Spanten. Zum Beweifgbaf hier feit 1688. 
dem Tode Philipps IV (feit 1665), derſelbe ofterwähnte und 
beklagte Zuftand der Erbärmlichkeit kind Unthaͤtigkeit fort: 
dauerte, muͤſſen wir an biefee Stelle wenigftens einige Nach⸗ 
richten mittheifen. 

. Kari D, der Sohn und Nachfolger Philipps IV, war 
geboren den fecheten November 1661 und fo (hwacher Nas 
tur, dag man ihn nicht in gemöhnlicher Weiſe wideln konnte, 
fondern in eine mit Baumwolle angefülte Schachtel legte. 
Bor dem zehnten Jahre betrat er Fein einziges Mal ben Bo⸗ 
den '), fondern warb bi dahin von den Damen bed Palas 
fled umbergetvagen. Daß bei biefen Verhaͤltniſſen von Ler⸗ 
nen und eigentlicher Erziehung kaum die Rebe war, verfteht 
Tech von ſelbſt. Nach den Vorfchriften Philipps IV follte feine 
Gemahlinn Maria Anna von Öfterreich nebft ſechs Mäns 
ern bie Boruumbichaft und Regierung führen”. Bald 
aber befam ein deutfcher Jeſuit ber Pater Neithart ben 
größten Einfluß und machte fich fo verhaßt, dad Don Ivan 
von Öfterreih (ein Sohn Philipps IV und der Schau: 
ſpielerinn Calderona) ?’) fi) an die Spige ber Unzufrievenen 
ſtellte und die Koͤniginn zwang am 25flen Februar 1669 
den zum Kardinal erhobenen Pater zu entlafien. Weil in: 
defien biefe Weränderung ben Ränten und Streitigkeiten 
fein Ende machte, und noch weniger größere Mängel befel- 
tigte, fo entfernte Don Juan im Jahre 1677 die Königim 
‚ganz von den Geſchaͤften, erfüllte aber feinerfeitö die Er- 
‚wartungen ebenfalld' in Feiner Weiſe. Nach feinem balbigen 
Tode (1’7ten September 1679) kehrte die Königin Wittwe 


Sfterreich zu Stande auf Herftellung des pyrenaͤiſchen und weſtphaͤll⸗ 
fchen Xriebens. Bernard actes de la paix de Ryswick I, 1. 


1) d’Aulnoy voyage d’Espagne I, 108; III, 17, 
2) Siche oben Seite 28. 


3) Relation des differents entre D, Joan d’Autriche et le Car- 
dinal Nithard. Me&moires de la cour d’Espagne 1679-1681. Ge- 
zotti Storia I, 64. 


428 Sechs tes Bud. au Hauptſtuͤck. 


1688. wieder nach Madrit zuruͤck, und der Koͤnig heirathete am 
19ten November 1679 Marie Louiſe die Tochter des Her⸗ 
zogs Philipp von Orleans. Seitdem begann ein Hofleben 
worüber zwei kluge Frauen, die dD’Aulnoy und die Villars, 
unter Anderem Folgendes berichten. Die neue Königinn 
wunderte fich fehr über das Audfehn und die Kleidung ihres 
Gemahls. Sie, und jedermann, wird durch bie firengfte 
Etikette überaus belaͤſtigt; und wieberum find diefe Foͤrmlich⸗ 
keiten mit Unziemlichkeiten mancher Art vermifht. Als z. B. 
die Oberhofmeiſterinn bemerkte, daß die Haare auf der Stirn 
der Koͤniginn nicht gehörig geordnet waren, ſpukte fie im 
die Hände und flrich diefelben zurecht '). König und Königinn 
werben bei Tiſche Inteend bedient. Beide legen fi unmit- 
telbar nach der Abenbmahlzeit, das heißt um halb neun zu 
Bett. Die Königinn ißt täglich viermal, fpielt täglich Drei, 
vier Stunden dad Stäbchenfpiel (jonchets), bringt an Sonn: 
und Fefltagen 7—8 Stunden in der Kirche zu, und fehläft 
10—12 Stunden. Zwei Zwerge leiten hauptſaͤchlich die 
Converfation des Hofes. Bisweilen führt der König feine 
Gemahlinn in Klöftern umber, (ein fehlechter Zeitvertreib) 
ober fährt mit ihr in einer großen, ganz verhangenen Kut⸗ 
fhe aus. Gleich wenig anziehend find bie Spaziergänge 
im flaubigen (poudreux) Zlußbette des Manzanares, ober 
im Pardo, wo Buſch, Garten und Springbrunnen fehlen, 
und im bafigen Palafte weder Stühle, noch Tiſche, noch 
Bänke, noch Betten zu finden find. Geht es einmal, fie 

ben Lieued weit, bis nach Aranjuez,- fo Toftet dies unge⸗ 
beuere Summen. Werden doch allein 150 zum Palafte ges 
börige Frauen mitgenommen. Überall ift die Langeweile 
fürchterlich: es ift als koͤnne man fie ſehen, fühlen, beruͤh⸗ 
ren, fo dicht und druͤckend hat fie fich überall ‚verbreitet. 
Zu den pifanteften Reizmitteln, womit man bies jäm- 
merliche und geiftlofe Hofleben aufzufrifchen meinte, wurden 


R D’Aulnoy III, 213. Villars lettres 27, 41, s 69, 96- 166 
aus — Stellen a 








Hofund Staat in Spanien. 429 


die Autodafeß gerechnet. Eines derſelben, welchem der Kö⸗ 1689. 
nig und fein Hof im Julius 1680 beimohnte, Dauerte von 
fieben Uhr Morgens bis neun Uhr Abende. Spanifche 
Standen hielten ed für eine Ehre und ein wlürbiges Ge: 
ſchaͤft, jeden Werurtheilten zum Holzſtoße zu führen‘), wo 
dad Volk, oder vielmehr der Pöbel aller Stände, fie mit 
Schmähungen und Steinwürfen überhäufte. - Ich kann Ih⸗ 
nen (jagt Frau von Billard) die Grauſamkeiten nicht bes 
fchreiben, welche man beim Tode diefer Unglüdlichen beging. 
Man nahm es mir fehr übel, daß ich an dem Allem Fein 
großes Vergnügen zu finden ſchien. | | 

“ Überall ftörten und binderten die Streitigkeiten der Mi⸗ 
rifter, Geiftlihen und Inquiſitoren, der beiden Königinnen, 
bed Beichtvaters, der Oberhofmeifterinn u. f. w. Das 
Elend (berichten die fhon genannten Quellen ?)) überfleigt allen 
Glauben und nimmt täglich noch zu. Es dringt bis in 
den EZöniglichen Palaft, fo daß Hofbeamte, Kammerjungfern 
und Pferde, weder Lohn noch Nahrung zur rechten Zeit er⸗ 
halten, und viele davongehen. Won ber jährlichen Staats⸗ 
einnahme, welche etwa 70 Millionen beträgt, find zwei 
Drittel verpfändet, und das lebte Drittel reicht durchaus 
nicht bin zur Beſtreitung der laufenden Audgaben. Die 
Landfchaften werben von ben Vicefönigen audgefogen und 
geblindert, und den Münzverwirrungen glaubte man baburch 
ein Ende zu machen, daß man für alle Dinge einen gefeß- - 
lichen Preis feftftelte. Anleihen erhielt man nur zu unge: 
mein hohen Zinfen, und bei der Zinszahlung felbft verfuhr 
man lediglich nach Gunſt. Die Feftungen und Gränzpläge 
verfielen, und bie nicht bezahlten Soldaten, liefen haufen: 
weife davon u. f.w.u. fe w. 

Ludwig XIV, wohl unterrichtet von diefem huͤlfloſen Zus 


1) Memoir. de la cour d’Espagne 196. Villars 109. 


2) Villars 102, 119, 175. Memoir. 198, 252, 293, 302, 343. 
Gourville in Petitot LII, 412. 


430 Sechsſtes Bud. Achtes Hauptſtuͤck. 


1689. ſſande Spaniens und dem Baffe Karls TE gegen bie Fran 
zofen '), hielt es feinem Vortheile gemäß biefem ans 15ten 
April 1689 den Krieg zu erflären, weil er zu ganz vol 
kommener Neutralität und unbebingter Anerfenntniß be Bafı 
fenſtillſtandes von 1684 nicht neuerlichft die Hand geboten. 
Eine Folge diefer Kriegserklaͤrung war, daß man die Site 
fyanifcher Beamten in Frankreich einzog und auch die B% 
ter, Weiber, Bruͤder und Kinder aller derer aus bem Lane 

wies, bie in fremden Dienften flanben. 

| Daß nach all dem Erzählten der Krieg zwiſchen Eng 
land und Frankreich nicht zu vermeiben war, verſteht 
fih von ſelbſt); nur wurden zu den großen eigentlich ent 
ſcheidenden Gründen, noch Tleinere über Berlekungen be 
Handelörechte, Eingriffe in bie Colonialverhaͤltniſſe u. berg. 
hinzugefügt ). 

Ohne Rüdfiht auf d'Avaur Gegenvorflellungen erklaͤrte 
Ludwig am 1ten Oktober 1688 (6 Tage nor Wilhelms 
Abfahrt nach England): es habe ihm gerechter und nüß 
licher gefchienen, den Krieg am Oberrheine zu begin: 
nen *); boch werbe er die hollänbifchen Handels forderungen 
nicht bewilligen, weil dies eine Schwäche in fich fchließe, bie 
feiner Würde unangemeffen fey. — Gewiß fürchtete Ludwig 
daß der Krieg am Niederrhein, Wilhelm von Oranien und 
die ‚ganze hollaͤndiſche Macht auf bem Gontinente feflhalten 
bürfte Deren Überfegen nach England war ihm willkom⸗ 
men, weil er glaubte fie würde lange Zeit in der Kerne be 
ſchaͤftigt feyn, unb ihm gegen feine übrigen Feinde freie 


1) Villars 92. Isambert XX, 76, 85. 

2) Kriegserklaͤrung gegen Frankreich von Holland, Aſten Oktober 
1688, von Brandenburg ben 13ten April, von Spanien Sten Mai 1689. 
Somerville 290. | 

8) Die englifhe Kriegserlärung vom 17ten Mai 1689 (Vie 
de Guillaume II, 17.) fand einftimmigen Beifall im Parlamente. Hi- 
story of the Commöns 300, Macpherson Hist. I, 609. 

4) d’Avaux VI, 179, 268, 299. Oeuvres de Louis XIV, 
IV, 285 


% 


Krieg Verwüſtung der Pfalz. 41 


Hand laſſen. Der ganz unerwartete Sturz Jakobs erwies 1689, 
ihn zu ſpaͤt das Irrige feiner Berechnungen 9). 

Die großen Anſtrengungen Frankreichs ſeinen zahlrei⸗ 
chen Feinden zu widerſtehen, wurden mehr Lob verdienen, wenn 
man vergeſſen koͤnnte, daß es lediglich der angreifende Theil 
war, und daß die errungenen Vortheile durch die aͤrgſten Barba⸗ 
reien der Kriegsvoͤlker befleckt wurden?). Und wiederum über 
alle dieſe Barbareien hinausreichend und als ein Schandfleck ſon⸗ 
dergleichen, ſteht die Verwuͤſtung der Pfalz in der Geſchichte da. 

Im September 1688 fielen, wie geſagt, die Franzoſen 
in Deutſchland ein, ohne daß irgend eine Kriegserklaͤrung 
vorherging. Den erſten Oktober ergab ſich Worms unter 
den Bedingungen, daß in Staats⸗ und Kirchenſachen Alles 
ungekraͤnkt bliebe, und nur 300 Mann einrüuͤcken duͤrften, 
fuͤr welche der Koͤnig von Frankreich Wohnung und Koſt 
verguͤte. — Statt 300. Soldaten zogen ſogleich 1400 em, 
aber biefe Entichäbigung blieb aus, und alle Bahlungen welde 
die Dinger nach Deutſchland, ober den Librigen in Krieg 
verwidelten Ländern zu machen hatten, nahmen die Franzo⸗ 
ſen für ihre Kriegskaſſe hinweg. Drauf wurden (in gleich 
ſchroffem Widerfpruche mit dem eingegangenen Vertrage) bie 


1) Deshalb ſchreibt Leibnig ben 2Often Januar 1689 an Lubolf. 
(Commercium epistol. p. 28): Si Gallus magnas vires quibus su- 
periorem Germaniam inundavit, reliquis junctas, Batavis de pro- 
pinquo ostendis set — metu praesentissimo injecto Auriaci transfre- ⸗ 
tationem impedisset, 

2) La Fayette Mem. 83, 172. — Villars porta le feu, la de- 
solation dans tous les endroits qu’on parcourut, et emmena beau- 
coup d’otages. Anquetil vie de Villars I, 48, 245. Am Rheine: 
excds du desordre et du libertinage, meraudes, incendiese. Un 
nombre considerable de soldats restait enseveli sous les ruines des 
incendies; et dans les caves pleines de vin. Desormeaux Hist, de 
la Maison de Montmorency V, 277. Ließ body Lubwig alle Beſitzun⸗ 
gen, weldye ſpaniſche Unterthanen im franzöfifchen Flandern hatten, eins 
ziehen, was ihm eine jährliche Einnahme von zwei Millionen Livres ges 
währte. Skeltons Bericht vom 26ften Julius 1688. Statepaperoffice 
France Vol, 77. 





. 4689. Feſtungswerke gefprengt, und bie Kriegbvorräthe nach Landau 
abgeführt, oder in den Rhein verfenkt. — Sowie hier, dul: 
dete man auch in Speier und an anderen Orten dies und Ahr: 

z liches mit woillenlofer Unterwürfigkeit, hoffend auf biefem 

- Wege alle weiteren Klagen und Unbilden abzuſchneiden, ‚ober ” 
unmöglich zu machen. Nie ward eine billige Hoffnung bit: 
terer getäufcht! 

Den 23ften Mai 1689 verfammelte der. Kriegsintendant 

la Fond in Speier den Magiſtrat nebft mehren der ange: 
ſehenſten Bürger, und machte ihnen befannt'): bad Ins 
tereffe Ihrer Majeftät des Königs von Frankreich erfordert 
bei den jetzigen Zeitläuften, — daß die Stadt binnen ſechs 
Tagen von allen Einwohnern ‚geräumt werde! Es geſchehe 
died zwar nicht weil Ihre Majefldt fich vor ihren Feinden 
fürdteten, auch hätten Allerhoͤchſtdieſelben gar Feine Bes 
ſchwerden wider die Bürger, fondern wären mit deren Auf: 
führung zufrieden. Ferner duͤrfe man hieraus nicht ſchlie⸗ 
en: die Stadt folle verbrannt werden! Wohl äber fey die 
Räumung Speierd, fowie vieler‘ anderen Orte, nothwendig 
um ben Zeinden Ihrer Majeftät alle etwanige Unterſtůtzung 
zu entziehen. 

Nach Anhoͤrung dieſer Schreckensbotſchaft eilten Be⸗ 
volmächtigte ber Stadt (Geiftliche und Laien, Mönche und 
Iefuiten) zu dem General Montelar und dem Marſchall 
Duͤras, um die völlige Unmahrheit und Nichtigkeit jener 
Vorwaͤnde barzuthun?), und das Unglüd abzumehren. — 
Vergebens! Es fey (fo fprach man) beftimmter Befehl vom 


1) a eines Augenzeugen, Relation in Schlögers Staat: 

2) Die Städte a Orte in ber Pfalg nicht gerftören, Cheift 
in la Fayette Mödm. 172) ‘hätte bie Beinde bes Königs gleichfam in’ 
fein Land aufgenommen. Später hat niemand mehr verfucht, ober 
gewagt, aus Gründen der Kriegskunſt die Frevel zu rechtfertigen. 
Louvois Mem. 141. Der Marſchall Düras vollzog die Frevel haupt: 
ſaͤchlich mit Hülfe eines gewiffen Melac, eines frechen Atheiſten und 
Boſewichts. Villars Mom. I, 187, 224. 


Verwuͤſtung ber — * 


Hofe da, den Niemand aͤndern koͤme. — So wurden num 1689. 


bie unſchuldigen Einwohner aus ihrer Heimath hinausgeſto⸗ 
Ben in die weite Welt. Es blieb ven Perſonen weder Ob⸗ 
bad, noch Zuflucht; und bie Mitnahme ihres Eigenthumeß 
war in folher Eile und Bedraͤngniß noch weniger möglich. 
Man mußte faft Alles -zurüdlaffen, oder an habſuͤchtige 
Sieger für Spottpreife verkaufen. — Faſt eben fo war der 
Hergang in Worms. 


Das Härtefte, glaubten die Vertriebenen, und auch wohl 


manche ber Siegenden, fich nun anbefohlen und erduldet. 
Mit Nichten! 

Dein Aſten Mai erklärte der General Montelar: er 
babe Befehl erhalten die Stadt Speier, nebft allen Kirchen 
und Klöftern (die einzige Domlicche ausgenommen) — in 
Brand zu fieden! — Eine ähnlihe Eröffnung machte 
ber franzöfifche Bevollmaͤchtigte Ia Fond in Worms. Nur 
über ihn allein ‘wird berichtet: er fey vom Gefühle der Theil⸗ 
nahme für die Unfchuldigen, und von der Verruchtheit feis 
nes Auftraged felbft fo durchdrungen und ergriffen gewefen, 
daß er lange Zeit habe Fein Wort vorbringen Finnen. Den⸗ 


noch beharrte aud) er auf der Bollziehung bed erhaltenen Bes. 
fehles, und wies die Wehklagenden und lebenden an den 


Oberbefehlöhaber, den Herzog von Crequi. Diefer gab. ih: 
nen mit knechtiſchem Stolge die Antwort: der König will 
ed! Zugleich zeigte er ihnen ein Verzeichniß von 1200 
Stäbten und Dörfern, die alle noch verbrannt werben müßs 
ten, weil fich die Deutfchen mit dem Prinzen von Oranien 
wider ben katholiſchen Koͤnig Jakob verbunden haͤtten. Fran⸗ 
zoͤſiſcherſeits ſey ein ſolches Verfahren gegen Irrglaͤubige zur 
Erhaltung und Fortpflanzung des alleinſeligmachenden Glau⸗ 
bens nicht weniger nothwendig und gerecht, als das Bemuͤ⸗ 
hen des deutſchen Kaiſers den muhamedaniſchen Glauben 
durch das Schwert zu vertilgen! — Mit dieſer abgeſchmack⸗ 
ten, grundloſen Bemerkung, glaubte Crequi, ſey die ſcheuß⸗ 


lichſte Ungerechtigkeit ſelbſt gegen Katholiken und katholiſche 


Kirchen und Kloͤſter gerechtfertigt. Alle diejenigen welche 
VI. 28 


ihre, ber Verwuͤſtung geweihten Wohnerte ver- 


„noch nicht 
laſſen hatten, wurden jett binandgetvieben, und mit lachen 
den Munde die 


die Baden in aufanmengefahrene Strohhaufen 


Binnen vier Stunden waren in Worms 960 Häu: 
fer und alle Kirchen, Kiöfter, Schulen, Krankenhaͤuſer und 
Öffentliche Gebäude, mit allen Beſitzthuͤmern, Schägen ber 
Kunft und Wiffenfchaft, mit jedem Andenken ber früheren 
Zeiten niedergebrannt und in einen Afchenhaufen verwan⸗ 

— Eben fo in Speier, wo bie Flammen auch den 
Dom mit ben Kaifergräbeen ergriffen und theihweife zerſtoͤr⸗ 
ten; eben fo in viel amberen bem Untergange geweihten 


Orten, in Heidelberg, Mannheim, Kreuznach, Oppenheim, 
* Sapenbun z 


a gehen 
Das thaten der allerchriftlichkte König von Frankreich 
mit feinen Helfern und Helfershelfeen; das litten bie Deut: 
fen. Hat Ludwig XIV felbft bie Befehle gegeben, ober 
ihrer Erlaſſung gewußt; fo trifft vor Allen ihn Bor 


gegenüber 
er von ber Beiftimmung, ober Nichtigkeit feines -Herm 
überzeugt '). Erſchrocken mögen Herr und Knecht wohl fein, 


® 
& 


als fie von wirklicher Bollziehung ber furchtharen Befehle 


hörten; doch folgte weder eine ſtrenge Beſtrafung ber Urhe⸗ 


hand 
ergiebt fich aus biefem entfetlichen Beiſpiele, wohin bie Lehre 
von blindem, vernunft: und gefühllofem Gehorſame führt! 
Wahrhaſt große Könige freuen ſich daß ihre Unterthanen, 


1) Daclos M&n. J. 120. Ludwig warf Eonvols das Geſchehent 
vor, laut La Ware 800. 


ne, VURE AVOFTTAUNWV 230) 
“4 


gleich ihnen, nicht am geiſtiger und leiblicher Bundheit lei⸗ 1690, 
den; engherzige Tyrannen vergeſſen, daß ſie, mit jener For⸗ 
derung ber Blindheit, ihre eigene Schande ausſprechen und 
das Ungluͤck ihrer Voͤlker bereiten. 

Leider hoͤrten bie Zuchtloſigkeiten, Grauſamkeiten und‘ 
Erpreffungen bei dem franzoͤſiſchen Heere auch in den naͤch⸗ 
fien Jahren nicht auf”). Die Pfalz, Savoyen, Belgien, 
Katalonien hatten gleicherweife Grund fich daruͤber zu bes 
fehweren. In Katalonien griffen alle Eimvohner aus Ver⸗ 
yweiflung zu den Waffen und Lämpften mit ſolcher Erbitte⸗ 
rung wider bie Franzofen, daB ber Marcheſe von Caſtana⸗ 
gua fagte: bie allergeößten Summen hätten ihm nicht fo 
viel für nachbrädtiche Kriegsführung genuͤtzt, als bie Unbils 
ben bee franzöfifchen Dfficiere und Soldaten). - Auch wies 
derholte fi, bier die häufige Grfaheung*), daß bisfenigen 
weiche am willlärlichfien und üibermöthigften gegen bie Ein 
wohner verführen, im Felde die wenigſte Tapferkeit bewiefen. 

In Teiner Weife Tann man billigen baß ber Herzog von 
Savoyen bei einem Einfalle in Dauphin? an 80 Staͤdte 
und Dörfer, als Rache für die Verwuͤſtung der Pfalz mehr 
ober weniger plündern und abbreunen IKB"). Bei foldem . 
Berfahren mußten Erklaͤrungen und MWerfprechungen fiber 
Herftellung der Gewiſſensfreiheit und ber ſtaͤndiſchen Rechte, 

ohne Wirkung bleiben. j 


1) Villars I, 245. ee ae —— 
mes. Desormeaux Montmor. V, 155. 


2) Noailles Moém. I, 804, 


8) Schon Im 1Bten Iahrhunberte fagt die Histoire de la croisade 
contre les Albigeois p. 478: Le Francois est fait par nature pour 
geguer d’abord ; il di6ve pour conquerir plas hant qu'épervier. 
Mais quand il est au plus haut de la roue, il est tellement su- 
perbe, que l’orgueil brise, renverse ou rabaisse l’&chelle sous lul. 
Ji tombe alors, il tr&buche, il revient à ce qu'il $taitz co qufil 
avalt gagne, il lo perd par mauvaise seigneurie, 

4) Vie d’Eagene I, 42. Histeire d’Eingene I, 185, 176, 196. 
Vie de Guillaume III. III, 105. Amollet I, 200, 287 —241, 

28* 


“‘ 


436 Sechſstes Bud. Achtes Hauptftüd. 


‚16%. Im Ganzen warb der Krieg glädtich für die Franzoſen 
geführt. Am erſten Julius 1690 befiegte der Marſchall Lu⸗ 
remburg bei Fleurus den König Wilhelm "), und ben 18ten 
Auguft der Marſchall Catinat bei Saluzzo den Herzog 

1691. Viktor Amadeus von Savoyen?). Den neunten April 1691 

- 1692. ward Mons und den fünften Junius 1692 Ramur von 

ben Franzoſen genommen 9; fie fchlugen die Verbuͤndeten ben 
dritten Auguft bei Steinfichen. Am erfien unb zweiten 
September fiegte der Marfchall Lorges bei Speierbach und 
drang ind Herzogthum Wirtenberg vor, verfuhr aber (bes 
fonderd in der Pfalz) mit wilder Graufamfeit. Im Jahre 
1693 gewann Luremburg ben 29ften Julius die Schlacht 
bei Neerwinden, nachdem König Wilhelm ben tapferften Wi⸗ 
derftand geleiftet hatte. Ein anderer Sieg Catinats am vier 
ten Oktober bei Marfaille, veichte nicht hin Gafale zu reiten 
" und jenen Einfel in Dauphind zu verhindern. Den neun: 
ten Junius nahmen bie Franzoſen Roſas und ben 'eüften 
Oktober Charleroi; fie fiegten den 2aften Mai 1694 unter 
Noailles am Ter, und eroberten ben fiebenten Auguft 1697 
Barcelona. 
Diefem Stüde traten anbererfeit8 manche Henmumngen 
und Umfälle gegenüber. Go oft auh Wilhelm IH völlig 
bezwungen zu ſeyn ſchien, erflanb er doch wie em Antäus 
von allen Niederlagen, und wirkte mit raſtloſer Zaͤtigkeit 
und unerfchütterlicher Standhaftigfeit gegen die franzöfifche 
Übegnacht. Jakob II ward, wie wir fahen, in Irland am 
Boynefluß völlig gefchlagen, und ber Plan eine große Lan 
dung in England vorzunehmen mißglüdte, nachdem bie Fran⸗ 
‚zofen den 29ften Mai 1692 unter Tourville, von ber eng= 


1) Larrey V, 888. Avrigny zu biefen Jahren. 
2) Der Herzog ſchloß ſich den Verbuͤndeten an, weil eubwig KIV 
FJurin und Verrue, und bie Dispofition über fein Heer verlangte. Vie 
de Guill,. DI. IL, 64. 
8) Etwa 40 Damen wollten Ramur gegen Kriegsgebrauch ver⸗ 
laſſen; Ludwig erlaubte es böflichft und ließ _ und ihren Kindern 
Hülfe elften. Hist. de Gulli, DIL, 68, - 


Krieg. Zinanzen- ı 437 


liſch⸗ holländifchen Flotte unter Ruffel und Almonde, bei 14 1693. 
Hogue dergeftalt befiegt wurden '), daß auf viele Jahre hin; 
aus die Herftellung des Seehandels und ber Seemacht voͤl⸗ 
lig unmoͤglich erſchien. Nach dem Tode Louvois und Lu⸗ 
remburgs wurden ihre Stellen nicht mit Männern von glei⸗ 
her Tätigkeit und gleichen Anlagen befekt. Im Augufl 
1695 eroberte Wilhelm II Namur, und in vemfelben Jahre 
ging Pondicheri verloren. Ludwigs von Baben Sieg be 
Salanktemen, (den 19ten Auguft 1691) .über. die Türken fis 
cherte den Kaiſer und Deutfchland bergeflalt gegen Oſten, 
daß ed nur von Träftigem Willen abhing am Rheine thaͤti⸗ 
ger zu werden. 

So ftellte fi ber gegenfeitige Erfolg mehr ins Gleich⸗ 
gewicht, als bei manchem. früheren Krieges fonft aber was 
zen die Leiden und übelen Folgen beffelben eher größer als 
geringer benn zusor, und mußten auf allen Seiten Fries 
denögebanden hervortreiben. Insbeſondere Tonnten in Frank⸗ 
reich die Klagen und Wuͤnſche nicht länger uͤberhoͤrt werben, 
und verdienen an biefer Stelle eher eine Erwähnung, als 
vieled Andere. Wir beginnen mit einer Überficht der Fi: _ 
nanzen. 

Beim Tode Colberts?) im Jahre 1683 betrugen in 
‘rımber Summe die Außgabn . . . . . 125 Millionen, 
die Einnahme © - «2 2 00 0. . 12 >= 


mithin war ein jährlicher Mangel von . 13 Millionen. 
Obgleich Pelletier, Colberts Nachfolger, deſſen Vers 
waltung ftreng beurtheilte; fand er doch. um bie Forderun⸗ 
gen bed Königs für den Hof und ben Stall, für Jagden 
und Baue, für Weiber und ungenannte Vergnügen zu be 


1) Dairymple III, 289. Burnet IV, 178. Ludwig hatte bes 
fohlen zu ſchlagen und nahm Tourville Höffich auf. Berwick Mem. I, 
101, 112%. 8. Simon m, dd. I, 15. Dangeau I, 408. Desor- 
meaux V, 263. 

2) Spanheim V, 155—156. Marmontel I, 1831— 13. Vol- 
taire idcle XXI, cap. 30. Ferbonnais II. Geallois Histoire des 
Finances. 


238 Schstes Bud. Achtes Haupıfiüd. 


friebigen, keineswegs andere und beſſere Mittel und Wege 
als fein Vorgänger. Er erlaubte fi Worgriffe, verbet Die 
Ausfuhr des Goldes und Silbers, verkaufte Amter und Do 
mainen, erhöhte manche Abgabe u. f.w.; — und doch war 
41689, als er fein Amt nieberlegte, während fünf Friedens⸗ 
jahren, bie Staatsſchulb um 82 Millionen gewachen. 
Ponthartrain, Pelletiers Nachfolger, zeigte ſich zwar 

zugaͤnglicher und freundlicher ald Eolbert, war aber ungrünbs 
lich und auch nur- darauf bebacht ben immer fleigenben Be⸗ 
bärfniffen der Gegenwart abzuhelfen. Schon Im erſten Sabre 
feiner Verwaltung machte er ebenfalls Anleihen, erhöhte bie 
Salzſteuer ), verkaufte mehre hundert Adelöpatente, ſowie 
unzählige Inter aller Art?) (bis zu Barbieren und Friſeu⸗ 
ren hinab) und glaubte das letzte Berfahren mit dem Scherze 
gerechtfertigt zu haben: jedesmal wenn Ihre Majeſtaͤt ein 
Ant erfihaffen, erfchafft Sott einen Narren es zu Taufen”). 
Er fühlte nicht daß die Narrheit von ihm und bem Könige 
ausging, und jebes neue Amt die Laſten des Wolkes, ſowie 
die Weitlaͤufigkeit ber Verwaltung erhöhte und unzählige 
Scherereien und Plackereien erzeugte. Ferner bezogen ſich alle 
dieſe kleinlichen, verkehrten Mittel immer nur auf Einzelne 
und brachten ſchon deshalb fo wenig ein, daß man km naͤch⸗ 


ſten Jahre die Steuern vermehrte von Schlachtvieh, Kaffe, 


Holz, Seife, Hüten, Gewerben, Stempeln, Wappen u. f. w. 
Berner erhöhte man den Gelbwerth durch Umpraͤgungen, 
verbot eble Metalle zu verarbeiten‘), und befahl alles ver- 


1) Isambert XX, 172, 174, 410, 648 

2) 3. 8. 60 neue Sekretaire bes Königs, 100 nette Souslieute- 
nants im Gerichtäwefen, 120 Kriegscommiſſarien, alle Ämter bei Bünf: 
ten nen verlauft u. ſ. w. Lamey V, 468. — Dan fagte: Geburt, 
Geſchlecht und dgl. fey nur Geſchenk eines blinden Blüdies; jept wolle 
man 500 würbige Männer ausfuchen und jebem für 6000 Livres ben 
Abel verleihen. Larrey VI, 870, 887. 

8) Bresson I, 874, 

4) Isambert XX, 23, 129. Beaumont essai sur les Finances 
83. Dangeau I, 298, 299. La Feyette Mom. 130. 





Finanzen. Klagen in Frankreich. 439 . 
arbeitete Silber bad über eine Unze wiege in bie Münze zu 
bringen; wobei nur Habfüchtige aller Art burch Einſchmel⸗ 
zen, Außführen u. dergl, gewannen. 110 Millionen Livres 
von? Sabre 1697, waren am Schluffe ber Veränderungen 
nicht mehr werth ald 88 Millionen von 1689, und Kunſt⸗ 
werke bie zehn Millionen gefoftet hatten, brachten durch bie 
Einſchmelzung mr etwa brei Millionen ein. 

Als troß aller Steuererhöhungen bie regelmäßige Ein: 
nahme ſich minberte (weil Elend und Armuth zunahmen 
und der Handel großenthals ſtockte), machte man Anleis 
hen über Anleihen und führte 1695 eine Steuer (capita- 
tion) nad) 22 Klaſſen ein, welhe von MW Sous bis 2000 
Livres zahlten"), wovon fich inbeffen Geiſtliche und Mönche 
durch eine freie Gabe (den gratuit) loskauften. Auch dieſe 
Steuer war nach Inhalt und Hebungsart. mangelhaft; ins⸗ 
befonbere entfianden große Schwierigkeiten und Ungerechtigs 
keiten daraus, daß bie Klaſſen fich nicht auf Vermögen und 
Einnahmen, fonbern wefentlich auf Stand und Rang grün 
beten. 

Während ber zehnjährigen Verwaltung Pontchartrains 
betrug die gewöhnliche Einnahme nur 863 Millionen, bie 
Ausgabe dagegen 2030 Millionen: 41167 Milionen waren 
alfo durch Anleihen und neue Steuern erpreßt und großen: 
theil$ zum Kriege verwandt worden. — Sehr natürlich fleis 
gerte fih von Tage zu Tage dad Bebinfniß einer Erleichte⸗ 
sung und bee Wunſch nach: Frieden. Schrieb doch ſelbſt 
Fenelon?) um biefe Zeit: „der Aderban Yiegt danieber, bie 
Bevölkerung finft, die Gewerbe ernähren nicht mehr ihre 
Arbeiter, ber Handel iſt vernichtet. Anflatt Steuern zu er: 
heben, müßte man dem armen Wolle Almofen geben und 
ed ernähren. Ganz Frankreich ift Nichts als ein großes, 
elendes, unverforgted Hospital.” 


1) Larrey VI, 210. Dangeau IE, 5. Encyclopedie methodi- 
que, article capitation. 
2, Fendien oorrespond. II, 388. Burnet IV, 217. 





440 Sechſstes Bud. Achtes Hauptflüd. 


Umfafiendee und zomiger als ber dhrifimilbe Fenelon 
ſprachen ſich Andere aus; fo der Verfaſſer einer Schrift: 
„nie Seufzer bed verknechteten, nach Freiheit ſtrebenden 
Frankreichs Y.“ — Wenn man (heißt ed bafelbfl) die glieck⸗ 
liche Lage der benachbarten Staaten betrachtet, und wie fie 
unter rechtmäßigen Herrfchern ihrer alten Rechte unb Frei⸗ 
beiten genießen, wenn man fieht wie England bie Feſſeln 
brach welche man ihm anlegen wollte, fo muß es doppelt 
ſchmerzen daß allein die Franzofen, einft das freieite Wolf 
unter allen Völkern, jebt am meiften (ſelbſt die Tuͤrken nicht 
außgenommen) unter einer gränzenlofen unbeſchraͤnkten Ty⸗ 
rannei feufzen. Die Kirche, fonft frei, unabhängig und ges 
beiligt, iſt ganz unterdruͤckt ſeitdem die Könige ſich in Püpfte, 
Muftis und SOberpriefter verwandelt haben. Daher der un⸗ 
nüge Streit über Janſenius, ber eigennüsige über bie Re⸗ 
gale , die willlürlichen Beſetzungen aller geifllichen Würden, 
die Anmaaßung fogar chriftliche Glaubenslehren feflzuftellen, 
bie zahliofen Bücherverbote, "die Verfolgung der Galvinifien. 
Gleichwie die legten, bat der König aber auch den Papſt 
und die Fatholifche Kirche mißhandelt: ober ift es nicht eben 
fo arg, ja noch drger, daß man bie angeblich befchüßte, 
rechtgläubige Kirche zwingt, Unbekehrte und Unreine in ih⸗ 
zen Schooß aufzunehmen und Leib und Blut bed Henn zu 
entweihen ? 


Die Parlamente, einfl Die Tempel ber Gerechtigkeit und 
Beſchuͤtzer der Unſchuld und Freiheit, find jetzt ohne Anfer 
ben, ja ohne Ehre. Nach Belieben vernichtet ber König 
ihre Befchlüffe, und flatt der Pandekten und Inflitutionen, 
des Herkommens und der Gewohnheiten, gelten nunmehr 
Verhaftäbefehle (lettres de cachet) für die Grundlage und 
ben Inbegriff des franzöfiichen Rechtes. 

Wie Spinneweben find die Rechte ded Adels zur Seite 
gefegt, und der neue reiche Gelbabel, verlacht den armen 


1) Les soupirs de la France esclave qui aspire apräs la B- 
bertö. Amsterdam 1689. Sc draͤnge ben Inhalt zufammen. 


- ._ . — — 


Klagen in Frankreich. 441 


Kriegsadel. Eben ſo verſchwanden Rechte der Landſchaften, 


Staͤnde, Staͤdte, Koͤrperſchaften; es verſchwand alle Man⸗ 
nigfaltigkeit, Eigenthuͤmlichkeit und Abſtufung vor der koͤ⸗ 
niglichen Willkuͤr, und das thoͤrichte Syſtem der Abſperrung 
Frankreichs von den Übrigen Ländern, hat ben Handel mit 
bem Audlande, ſowie dad Verjagen der Huguenotten, bie 
Thöätigkeit im Innern leider zerftört. 

Ein Heer von Steuerbeamten uͤberſchwemmt bad Land 
und wo fonft Nichts geachtet, Nichts fr heilig gehalten wird, 
find nur fie mächtig und unverleglich. Abgaben werben aufs 
gelegt lediglich nach Belieben, denn Alles gehöre in Wahr: 
heit dem: Könige und er entſcheide allein: ob und welches 
Beduͤrfniß vorhanden, unb wie es ber hoͤhern Gerechtigkeit 
gemäß zu beiten fen. Diefe höchfte Gerechtigkeit befteht aber 


' bloß darin daß Alle eihmägig gebrüdt werben, und ber 


König an die Stelle des gefammten Staates und Staats⸗ 
rechted tritt. Und all dad Gelb wird einzig verwandt bie 
größte Eigenliebe zu nähren und den unbegränzteften Stolz 
zw befriedigen, bie fich jemals auf Erben fanden. Diefer 


ungeheuere Abgrund verſchlang nicht bloß alles Gut Frank⸗ 


reichs, ſondern hätte auch gern das aller anderen Staaten 
verfchlungen, wie ed benn viele Jahre hindurch nicht ohne 
Erfolg verfucht ward. 

Niemals trieb man die Schmeichelei auf folche Höhe. 
An Ludwigs Hofe werben ganze Schaaren von Schmeich- 
lern ernährt, die fich untereinander maaßlos überbieten. Uns 
begnuͤgt daß der König Anderen erlaubt ihm Bildſaͤulen zu 
errichten, an deren Fuße man, zu feiner Ehre, Läfterungen ' 
eingräbt und alle Voͤlker der Welt gefeſſelt und angeſchmie⸗ 
det darſtellt; er felbft ber. Eitele, Selbftgefällige läßt ſich uns 
zählige Male darftellen in Gold und Biber, Bronze und 
Kupfer, Marmor und Aabafter, Holz und Leinwand, Ges 
maͤlden, Bilbfäulen und Zriumphbogen. Geine Paldfke, 


ganz Parid, ganz Frankreich erfült er mit feinem Namen 


und feinen Thaten; ald babe er taufend Meilen hinter fi 
gelafien Alerander und Gäfar, nebft allen Helden des Als 


42 Sechstes Bud. Achtes Hauptfiüd: 


terthums. Und weshalb bied Alles? Weil er einem min⸗ 
derjaͤhrigen, ſchwachen Fuͤrſten, drei, vier Lanbfchaften ab- 
nahm, den Mangel an Ginheit im beutfchen Reiche zu bes 
nugen wußte, eigen armen Herzog feines Landes beraubte, 
einige Städte durch Beſtechung erwarb, bie Hälfte feines 
Koͤnigreichs durch Werjagung ber Calviniſten zu Grunde 
richtete, und Frankreich mit Recht ber ganzen Welt verhaßt 
machte! 

Ein ſolcher Bürft darf, allerdings verſchwenden für Ef: 
fen, Höfbeamte, Beiſchlaͤferinnen, Zefle, Schaufpiele, Opern, 

Geiſtliche, Soldaten und Beſtechungen! 

| Die Übeligen werben für feine Zwecke gekoͤdert durch 
Kirchliche Stellen, und die Biichöfe dadurch bag man ihnen 
verftattet bie niebere Geiſtlichkeit zu tyranniſiren. Beamte, 
Finanzleute, Staatsgläubiger, Soldaten, find und leben nur 
durch bie gerligten Mißbräuche; insbeſondere durch ben größten Ä 
unter allen, bad ſtehende Heer, bad der König im 
Krieg und Brieben zum Werderben ber Nachbaren, wie feis 
ner eigenen Unterthanen bält. 

Bei aller Inneren Nichtigkeit und Immer von Anderen 
geleitet, EEE ee 
Ger Fähigkeit, i und Froͤnmigkeit. Das 
macht Einbrud, und hilft Sklaverei begründen. Einſt aber 
wird ihm die Madke abgezogen und bee Welt offenbar wer: 
ben, daß alle angeblich großen Eigenfchaften Ludwigs zuſam⸗ 
menfchrumpfen auf Stolz und Egoismus, und auf bie Furcht 
vor ber Strafe feiner Suͤnden und Chebruͤche, Gewaltthaͤ⸗ 
tigfeiten und Ungerechtigkeiten. 

Sind wir aber nicht felbft die aͤrgſten Thoren? Wirb 
unfere Sklaverei nicht durch unſere eigene Thorheit begrün- 
det und erhalten? Gobalb ber König eine Schlacht gewinnt, 
eine Stadt erobert, zuͤnden wir Breudenfeuer an, und jeber 
glaubt kindiſch um eine Eile gewachfen zu feyn. Diefe Eis 
telkeit troͤſtet dann Über jeden Verluſt, nicht bloß von Habe 
und But, fonbern auch von Recht und Freiheit. 

Wenn der König (wie man laut behauptet) nur Gotte 





wa- ann wu — — 


u mn ws . Li En: vw. .._ 


— ur - . — wur ru 


— in Frankreich. 443 


N und über alle Gefeke erhaben tft; — wo giebt 


es etwas GEntfetliches, das fich nicht aus biefem einen 
Satze ableiten und vechtfertigen ließe? Und bie3 Alles wis 
derfährt dem unruhigſten, ungeduldigſten, veränderlichfien 
Volke, das die Freiheit bis zur leichtſinnigen Willkuͤr liebt). — 
Eine thoͤrichte Jurisprudenz umb eine thoͤrichte Theologie 
muͤhen ſich gleichmäßig für jene unſelige Lehre ab. Wenn 
gute Fürften (fo heißt e8) als ein Gnadengeſchenk vom Him⸗ 
mel kommen, dann bie fchlechten als eine Zuchtruthe, — 
unb beiden muß man gleichmäßig, unbebingt, blind gehor⸗ 
hen. — Leute bie folche Lehren verkünbigen, find bie Arge 
fin Feinde aller Könige und bed menſchlichen Geſchlechts; 
denn auf ihrem Wege muß nothwenbig, über kurz ober 
lang, Alles in Unordnung und Auftöfung hinabſtuͤrzen. Son 
dieſes furchtbare Ergebniß vermieben werben, fo muß man 
die Tönigliche Macht auf das richtige Maaß zuruͤckbringen, 
bie echte ber Kirche Stände, Koͤrperſchaften herſtellen und 
mit einem Worte eine ioefentliche Umgeflaltung ber jegigen 
Einrichtungen und Verhältniffe herbeiführen! 

So im Wefentlihen der Inhalt einer weitläufigen 
Schrift welche 1689, alfo hundert Jahre vor dem Aus: 
bruche der franzöfiichen Revolution exfchien, und ſchon ba= 
mals wohl nur das audfprach, was Viele dachten und fühl: 
ten. Ob und wie viel Ludwig hievon wußte ober ahnbete, 
mag zweifelhaft bleiben; Manche glauben er fey weniger durch 


dieſe Anfichten, Klagen und Vorwuͤrfe für den Frieden ges 


ſtinunt worden, als weil ber bevorfichende Tod König 
Karls II von Spanien, einen neuen, größeren Krieg voraus⸗ 
ſehen EB. 

Da mm die anderen Maͤchte nicht weniger Gruͤnde 
hatten bie Herſtellung des Friedens zu wuͤnſchen), fo ward 


1) — liberts, jusqu’an libertinage, 
2) Flassan IV, 165 8. Simon I, 20. 


8) Venbome Hatte im Auguft 1697 Barcelona erobert (5. Bi- 
mon III, 25)5 bie Engländer klagten über Abgaben, Handelsſtoͤrung 


444 Sechstes Bud. Achte: Hauptſtück. 


1697. ex. am 2Often September 1607. zu Rydwik abgefehloffen 
zwiſchen Frankreich, England, Spanien und Holland, und 
am Joſten Dftober zwifchen Frankreich, dem Kaiſer und 
Deutſchland!). Die Gauptzwedie bed verderblichen, neun⸗ 
jährigen Krieges, waren meiſt verfehlt”). So mißlang bie 

Herſtellung Jakobs in England und Der Huguenotten im 
Frankreich; fo die Zuruͤckfuͤhrung aller Verhaͤltnifſe auf bie 
Beßiwmmungen des weflpbälifchen Friedens. Sm Vergleiche 
mit fruͤheren Forderungen zeigte ſich Ludwig gemäßigt, theild 
weil das Übergewicht feiner Macht geringer war, theils weil 
er, die Zukunft im Auge behaltend, feine Gegner beruhigen 
und durch ben Frieden ihre engen Verbindungen auflöfen 
wollte’). Doch blieb er ber gewinnende Theil. Die Spa: 
nier verloren 82 Städte und Ortichaften (welche Ludwig feit 
bem nimmeger. Frieden in Belgien weggenommen hatte) und 
einen Zheil von Domingo; bie Deutſchen verloren Straß: 
burg*) und alled aͤhnlicher Weiſe im Elſaß Reumirte; bie 
Holländer gaben Ponbicheri zurick. Des pfaͤlziſchen Erb⸗ 
ſchaftsſtreites Entſcheidung ward Schiebsrichtern zugewiefen °). 


und bel. (Bolingbroke letters 209.) Der Kaifer fuchte den Frieden 
aufzuhalten; man Tonnte fich aber auf feine und bes Reiches Wer: 
ſprechungen nicht verlaffen. (Wagenaer VII, 178). Schweden vermit- 
telte in KRyswik (Norbberg I, 50). 

1) Mit Savoyen war der Friede fehon den 29ften Auguſt 1696 
abaefchloffen. Catinat hatte gebrobt: er wolle Alles verwuͤſten, nie 
derbrennen u. f. w. (Flassan IV, 132) und nach einer Nachricht täufchte 
man ben Herzog indem man ihn glauben machte König Wilhelm fey 
tobt. Lamberty I, 2. Bernard actes de la paix de Ryswick. 

2) Dalrymple IN, 8, 109—116. Burnet IV, 388. 

8) Doch fagte Eubwig XIV: qu’il avait prefers le repos de ses 
sujets & scs propres interets, Isambert XX, 883. 
4) Den 19ten September 1697 ſchrieb Leibniz an Lubolf (Com- 
“ mercium epist. 147): Dici non potest quam me nuntius amittendi 
in perpetuum Argentorati affecerit. Sed ista meremur Germani, 
quibus in gravissimis periculis vacat contentiunoulis, nescio quibus 
distineriz neque unquam aliquid in tempere facere placet! 
5) Erſt 1702 entfchieb der Papft als Schhebärichter, daß der Chur: 


. er. | - 
Friede von Gyswit und Carlonig. 446 


In ben von Frankreich zurückgegebenen Orten follte bie Fas 1697. 
tholifche Religion fo erhalten werden, wie fie beim Abfchluffe 
bed Friedens: befland. Diefer Beflimmung gab Frankreich . 
nachmals eine fo umfaflende Deutung, baß ba wo. nur ber 
Priefter eines durchziehenden Regimentes Meſſe gelefen Hatte, 
ber katholiſche Gottesdienſt begründet fey ‘). Diefem Ver: 
fahren lag nicht allein Religionseifer, fonbern auch der Wunſch 
zum Grunde, biedurch zwifchen den Fatholifhen und protes 
ſtantiſchen Staaten Deutfchlands Zwieſpalt zu erregen ?). 


Um die Zeit wo ber ryswyker Friede abgefchloffen 
: wurde, ben 11ten September 1697, erfocht Prinz Eugen 
von Savoyen bei Szentha einen entfcheidenden Sieg über 
bie Tuͤrken. Hieran reihten fich zunächft mancherlei Unter: 
bandlungen und am 26ften Januar 1699 der Abfchluß des 1699. 
Friedend von Carlowitz. Der SKaifer behielt die in Uns 
gern gemachten Eroberungen, und gewann außerdem Sie⸗ 
benbürgen ae La einigen anderen Landfchaften. Den Vene: 
tianern, welche heidenmüthig am Tuͤrkenkriege Theil genom: 
men, warb der Beſitz Moreas beftätigt. Der Sultan vers 
ſprach die ungerifchen Meißvergnügten nicht mehr zu- unter: 
flügen; ja feine Macht war um biefe Zeit bereit fo gefun- 
fen daß er mehr bed Beiſtandes bedurfte, als im Stande 
war ihn zu gewaͤhren. 


So erfreute ſich Europa am Ende bed 17ten Jahr⸗ 


fürft von ber Pfalz eine Summe Geld zahlen, hiefür aber jeber weitere 
Anfprud ein Ende — ſolle. Schöll I, 489. Flassan IV, 162. 
Bernard Vol, 5. 


1) Wagenaer VII, 182. | 


2) Pour l’6xecution de l’article IV du trait& de Ryswick on 
mettait souvent des Soldats en logement chez les Bourgeois. Torre 
L, 50. — Erſt wollte das Volk in Frankreich den Friebenz nach dem 
Abſchluſſe Hagte man dagegen über ben Inhalt, war unzufrieden, daß 
das Getraide theuer blieb, bie Abgaben fortdauerten u. ſ. w. Annales 
de la cour 531. 





.@ 
#46 zn Bud. Achtes Hauptſtück. 


1699. hunderts, nach fo vielen langwierigen, unnoͤthigen und un⸗ 
heilbringenden Kriegen, endlich eines allgemeinen Friedens. 
Allein dieſe Freude, dieſer Genuß ward gar ſehr geſtoͤrt, theils 
durch die Nachwehen des Vergangenen, theils durch trübe 
Ausfichten in bie Zukunft. 








Neunted Hauptfiüd, 


England von der Bertreibung Jakobs U, bis zum 
ryswiker Frieden. 
(1688— 1697.) 


Bu ber englifchen Revolution von 1688, welche ber König 
begann, hatten feine Gegner ſich aufs Außerſte bemücht, fo 
wenig als möglich von ber regelrechten Bahn abzuweichen 
und (unter Ausfchliegung bloß willkuͤrlicher, entbehrlicher 
Beränderungen) fo ſchnell ald möglich in einen durchaus ges 
festichen Gang zuruͤckzukehren ). Ungeachtet biefer feltenen 
Mäßigung und ber unerwartet rafchen Befeitigung aller Hin: 
beniffe, fanb aber doch ein Kampf flatt, und Siegern ſtan⸗ 
den Befiegte gegenliber, welche, nachdem fie fich von ber erſten 
Betäubung erholt hatten, daran dachten bei günftiger Ge: 
legenheit bie Fehde zn ernenen mb ihren Anfichten ein ent 
ſcheidendes fibergewicht zu verfchaffen. eben Falls waren 
auf ein Jahrhundert hinaus umwertilgbare Gegenfäße hervor⸗ 
gerufen, welche bad gefellige Leben allerbingd bisweilen för 
ten und erſchwerten, anbererfeitB aber auch Eräftigten und 
eine wahrhaft fortfchreitende Entwidelung berbeiführten. : Dem 
was in diefer Beziehung bereitd oben mitgefheilt worben iſt, 
muͤſſen wir noch Einiges hinzufuͤgen. 

Man iſt (ſagten die Unzufriedenen) zu weit gegangen, 


1) Burke von Gent I, 87. 











% 


43 Sechstes Bud. NReuntes Hauptſtuͤck 


1688. und bat doch für bie Freiheit nicht genug getan. Jakobs 
Bertheivigung warb nicht gehört, die Unächtheit feines Soh⸗ 
ned fowie der Bund mit Franfreih zur Unterjochung Eng⸗ 
lands nicht genügend erwiefen, Die Ausfchließung der Katho⸗ 
liken aus dem Heere und der Niederländer von Ämtern nicht 
burcchgefegt "). Unter dem Vorwande die Verfaſſung zu er⸗ 
Balten, hat man fie in Wahrheit umgefloßen, göttliche und 
menfchliche Rechte mit Füßen getreten und Fein Mitleid mit 
einem berechtigten, unglüdlihen Könige gefühlt, um einen 
unberechtigten, undankbaren auf den Thron zu feben. Das 
durch find wie zu einem unnöthigen, koſtſpieligen Kriege, 
und zu Verbindungen mit Fatholifchen Mächten für Fatholi- 
ſche Zwecke bingetrieben worben. Wahrlich, bie Heilmittel 
erfcheinen ärger als die Übel. Viel Steuern und wenig Ehre, 
viel Verrat) und wenig Treue, viel Habfucht und wenig Un- 
eigennüsigfeit, bad find die Früchte der Revolution! — 
Und was hat Wilhelm zulegt gewonnen?) Man betrügt 
ihn im Rathe, vernachläffigt feine Befehle, haßt feine Per 
foR und verachtet fein Anfehn! 

Trotz bdiefer zum Theil übertriebenen, zum Xheil aber 
auch wohlbegründeten Klagen, feste die Revolution (Euro: 
pas nicht zu gebenken) in England der Einführung des Kas 
tholirismus und Abſolutismus ein Ziel. Die Lehren : daß 
koͤnigliche Willkuͤr dem göttlichen Willen gleich, daß fie im- 
merdar unbefchränft und über. alle Gefebe erhaben, baß blinbe 
Unterwerfung von Gott unbebingt geboten fey ) und auf 
einer Seite allein Rechte, auf ber anderen aber nichtd als 
Pflidten finden‘); dieſe Lehren waren zum zweiten 


1) Coxe Marlborough I, 41. Dalrymple Vol. II, lib. VII, 
p- 819. Part II, lib. 1, ©. 3. Somerville 341, 885. Evelyn 
IL 11. 

2) Macpherson History II, 8. 

8) Vaugham 524. überhaupt iſt im neuen Teſtamente keine 
Normalform von Verfaſſung vorgefchrieben, fondern alle Formen folls 
ten ſich in chriſtlicher Weiſe laͤutern unb reinigen. 

4) Augenſcheinlich ſchließt ein jedes Mecht, eine weſentlich mit 


England nach. der Revolution von 1688 449 


Male und für immer in Englanb befiegt worben. Seitdem 1688. . 
darf dafelbft Feine Regierung mehr wähnen, durch beliebige 
abſtrakte Theorien unverwunbbar und allgenugfam zu feyn; 
fie muß fich den vorhandenen, wohl begründeten Wünfchen, 
Bebürfniffen, Zwecken und Überzeugungen anfchließen; fie 
muß fih den Gefegen unterwerfen, und anerkennen daß nicht 
bloß das Recht der Könige, ſondern jedes Recht zu⸗ 
gleih unantafibar, und doc) wiederum entwidelungs: 
‚fähig fey. 
‚Die Grundſaͤtze der beiden großen, noch immer als 
Zoried und Whigs bezeichneten Parteien, würben, wenn 
man, fie rüdfichtstos bis ins Außerſte verfolgt hätte, zerſtoͤ⸗ 
rund gewirkt haben. Erhalten und Verbeſſern, Rechte der 
Krone und bed Volks, Religiofität und Duldung, Aderbau 
unb Gewerbe u. f. w., find nicht Gegenſaͤtze allerhöchfter, 
fondern untergeorbneter Art, die eine weife, Träftige, vors 
wärtötreibende Vermittelung und Verſoͤhnung erfordern und 
erlauben. Während nun Wilhelm III deshalb nicht bloß 
über eine oder die andere Partei herrſchen), fonbern fich 


ihm verknüpfte Verbindlichkeit in fich, welche das Recht erwirht 
und feine Möglichkeit ausmacht; und eben fo eine jebe Nerbinblichkeit, 
ein wefentlich mit ihr verknuͤpftes Recht. Beide unzertrennlich, muͤſ⸗ 
fen miteinander ſtehen, ober miteinander fallen. F. H. Jacobis Werke 
VL, 485. 


-4) Lelbnig, der vermöge feiner überlegenen geiftigen Kraft höher 
ſtand als fo viele Parteien feiner Zeit, fchreibt über dieſe Gegenftände 
an Burnet (Werke von Dutens VI, 273, 284): I n’y a queles extr6- 
mités qui sont blamables dans les Tories, et dans les Whigs. 
Les moder&s de part. et d’autre s’accorderont aisement. Dites 
moi un peu, Monsieur, si les Tories modeies ne reconnoissent 
point qu’il y a des cas extraordinaires, otı P’obeissance passive 
cesse et oh il est permis deresister au Souverain; et si les Whigs 
moderes ne demeurent pas d’accord qu'il ne faut point venir le- 
gdrement ni autrement que par des grandes raisons à cette re&si- 
stance? Il en estıde m&me du droit hereditaire de la succession, 
dont il ne fant point se departir, à moins que le salut de la pa- 
trie n’y force les peuples; car de croire qu'il y ait dans ces cho- 
ses un droit divin indispensable, c’est aller jusqu’k la supersti- 

VL 29 


tere ER N 


1688. ber beide lenkend binftellen wollte; ſuchte jebe zu ermeifen 
baß er ihr, von Rechts⸗ und Klugheitswegen, den aus— 
ſchließenden Vorzug geben muͤſſe. 

So behaupteten bie Tories'): Unſere Gegner haben 
fi Jakob dem erflen widerſetzt, Karl ben erften gemorbet, 
alle Regierungdformen burchverfucht ohne mit irgend einer 
zufrieden zu feyn, hierauf mit erneueter Gewalt Jakob II erfl 
ausgefchlofien, dann verjagt. Died Alles keineswegs aus 
Liebe zur Freiheit; fondern lediglih aus Ehrgeiz und Haß 
wider bie koͤnigliche Macht überhaupt. Jetzt zwar gaben fie 
Wilhelm dem II eine Krome, behielten aber in Wahrheit den 
Scepter für fi und fuchen jenen duch Vorenthaltung eis 
nes fiheren Einnahme ganz von fi abhängig zu machen. 
Die Tories hingegen blieben Jakob dem II fo Iange treu als 
irgend möglich, werben aber (feitbem fie ber allgemeinen 
Stimme nachgegeben) nun ihre Treue und Anhänglichkeit 
auf Wilhelm übertragen und, (mie fonft, fo auch Künftig) 
die koͤniglichen echte vertheidigen. Auf ihrer Seite ſtehen 
alle "großen Familien und die Kirche. An ihrer Spige kann 
Wilhelm mächtig und ficher wie ein König regieren; woge: 
gen er an ber Spige ber Whigs nur dad Haupt einer Par: 
tei bleibt, die fich .nie einem Könige unterwerfen, und ber 

ſelbſt ein Gott nicht gefallen wird. 

Die Whigs erwieberten: Nicht Haß und Ehrgeiz hat 
uns mißleitet, fondern aus wahrer Liebe zu einer edelen 

. Freiheit traten wir dem Übermaaße jeder Gewalt entgegen, 
und find deshalb gleichmäßig von Königen, Protektoren und 
leidenſchaftlichen Parteihäuptern angeklagt, und um fo lau: 
ter angeklagt worden, als unfere Beftrebungen allgemeineren 


tion. — Vous savez mon sentiment sur ce qui est do aux Souve- 
rains; mais les nations ne sont pas obligees de se laisser ruiner 
par la caprice et la m&chancets d’un seul; cependaut il ne faut 
point venir à la r&sistance que lorsque les choses sont venues & 
des grandes extr&mites. 

1) Dalrymple part. II, book II, p. 159-161. Belsham ], 
178. 











Kr ® A Ze Qu en, ri, 4—— 


Beifall fanden. Nicht REN ber Hochadeligen, nicht 1688, 
Gebete der: Prälaten entfcheiden. das Schickſal der Woͤlker; 
fonbern beren eigene, freie Stimme. Englands Regierung 
und Größe beruht nicht auf Wenigen, fie berubt auf Wie⸗ 
len unb ber größere Befis und Relchthum ſteht auf Geiten 
ber Whigs. Ihre Grundſaͤtze, und Wilhelms Zitel und Aus 
ſpruch auf Königthum, gehen Hanb in Hand. Trennt er 
fich von ifmen, fo iſt er Nichts als, — wollte die Korisß 
ihn halten —, ein Ufurpator! Diele Anficht möchten jene 
gern fobalb als möglich geltend machen, und verweigern dem 
Känige den Hulbigungseib, während fie ſich doch heuchlerifeh 
feine Freunde nennen und bie ihm wehrbaft Zugetbanen 
verlenmden. Wenn die Wbigd mit Bewilligung einer ſteti⸗ 
gen Einnahme zögerten, fo wollten fie nur die Bande zwi⸗ 
ſchen Konig und Volk lebendiger erhalten und enger Tal 
pfen. Anempfehlen altes Unrecht, ober ehemaliger Geillen 
und Vorurtheile, heißt ben engliſchen Thron nicht nen bes 
gründen, fonbern untergraben. Liebe des Volks und Ginig: 
Leit mit dem Wolle, ift und bleibt bie ficherfle Grundlage 
unſeres Thrones und nie foll ein König von England vers 
geflen: daß «8 etwas viel Größeres, Wuͤrdigeres und Ge: 
gensreicheres iſt, ein freies ſelbſtaͤndiges Volk zu lenken, als 

ein ſtummes, willenloſes, nach Willkuͤr zu beherrſchen! 

So die Betrachtungsweiſe und die Grundſaͤtze im AL > 
gemeinen, welche indeſſen durch die Macht der Umfiäuke 
und Verhaͤltniſſe, oft im Leben und Handeln näher beftimmt 
und «abgeändert wurben. Immer ſtand jedoch zu befürchten 
daß der Tommy, aus Liebe zum Grhalten unbeweglich, auß 
Liebe zur Ordnung tyrannifch, aus Anhaͤnglichkeit an bie 
Kirche unduldfom werde; und umgekehrt der Whig aus bem 
Verbeſſern in bloßed Meuern übergehe, aus Liebe zur, Kreis 
beit die Ordnung auflöfe, und aus Duldfamkeit in Gleich: 
guͤltigkeit hineingerathe. — Zuletzt waren beide Sarteien 
Stellvertreter natürlicher Grundrichtungen des menfchlichen 

Gemuͤthes; weshalb aud der Alleinherrfchaft der einen, ober 
der anderen leicht größere Gefahr entfliehen Tonnte, als aus 
: 29 * 


452 Sechstes Buch. Reuntes Hauptfiüd. 


einer zum Berichtigen und Entwiddn bintreibenben Gegen 

wirkung. 

1689. Zunaͤchſt behaupteten die Tories: Die Eonventios 
Eönne .(da fie nicht von Jakob berufen worden) für Fein Pars 
lament gelten, und müffe-aufgelöfet werben. Ohne Zweifel 
lag bie Abficht im Hintergrunde, vor bem neu berufenen 
Parlamente nochmald alles zeither Beſchloſſene in Frage zu 
fielen. Deshalb wiberfprachen die Whigs mit großer Leb- 
baftigkeit und behaupteten '): es fey unverfländig neue Zwei- 
fell und neue Unruhen zu erregen. Es gebe Zeiten wo 
fi nicht alle und jede Formen genau beobachten ließen: bie 
Hauptſache (Oberhaus, Unterhaus und König) fey da, und 
der König durch die That, erfreue fich eben fo allgemei⸗ 
ner Zuflimmung, ald die Convention burd die hat. — 
So verwandelte fich biefe in ein Parlament und ihre Be⸗ 
fchlüffe blieben in voller Kraft; indeffen trat fpäter auch die 
Beilätigung bed neu berufenen Parlamented hinzu. 

Eine allgemeine Zuſtimmung wolte und mußte man 
aber faft um fo mehr vorausfesen, ald fie eben nicht 
vorhanden war; wie ſchon daraus hervorgeht, Daß das Par- 
lament im April 1689 bie einflweilige Aufhebung der Ha⸗ 
beas⸗Corpusakte befchloß?) und dem Könige Verhaftungen _ 
erlaubte: „fofern er gerechte Urfache haben follte, Verſchwoͤ⸗ 
rungen gegen bie Regierung zu argwöhnen.” — Beweiſe, 

daß folche Verſchwoͤrungen allerbings angezettelt wurden, 

machten Wilhelm jeboch nur beliebter, da er keineswegs in 
graufamer Weiſe einfchritt und beſtrafte. Daß Jakob um 
. Unternehmungen folder Art wußte, ift behauptet und ge 
leugnet, von Peiner Seite aber ein voller Beweis geführt 
worden). Etliche Außerten: nie habe der vertriebene König 
fo in die Sreiheit der Einzelnen eingegriffen, ald ber neu ein- 


1) Beisham I, 121. Burnet 79. Parliam. Hist. V, 118. 
‘2) Macpherson T, 580. Parl. Hist. V, 158. Somerville 286. 


8) Dalrymple Vol. III, Part II, Bdok V, p. 15, 149, 151. 
Beisham I, 427. Somerville 428. Somers tracts XI, 105. 


Eide. Civilliſte. ' 453 


geſetzte durch die Aufhebung der Habeas⸗Corpusakte. Man 1689. 
erwieberte: bie bloß einſtweilige Nichtanwendung des Ge: 
ſetzes ſey keineswegs vom Könige allein, fondern von ihm 
und dem ganzen Parlamente genehmigt worden, um benen 
entgegen zu treten, welche ihre einzelnen Meinungen über 
die allgemeinen Geſetze hinaufftellten. Auch babe ja König 
Jakob, indem er die Freiheit Aller zu untergraben ver: 
fuchte, in Wahrheit auch die jedes Einzelnen verlekt‘). 
as ein Fortſchritt der Gefeggebung muß ed indeſſen 
bezeichnet werben, daß fpätes (befonder& auf Betrieb der 
Zoried) ein Geſetz burchging ?), wodurch manche Willfür bei 
Prozeſſen über Hochverrath abgeflellt, unparteiliche Zeu⸗ 
gen gefordert und den Beklagten rechtliche Beiftände bewil- 
ligt wurden. 
Zu vielem Streite gab die Faſſung des Huldigungs⸗ 
eides Gelegenheit. Obgleich die Worte: ich hulbige dem 
rehtmäßigen und geſetzmaͤßigen Könige’), auf bed 
Strafen Nottingham Antrag geflrihen und dafür gefebt 
wurde: ‚ich verfpreche dem Könige treu zu ſeyn und bie 
Pflichten eined Unterthans zu erfüllen; fo weigerten ſich 
doch Viele (indbefondere Lords, Bifchöfe und Geiftliche) bie: 
fen Eid zu leiften, weil er bad unbefchränkte, unantaftbare 
-Erbrecht der Könige verletze. Diefe Anficht widerſprach je⸗ 
doch der vormaltenden Überzeugung fo fehr, daß z. B. bie 
Biſchoͤfe, deren Widerſtand gegen Jakob vor Kurzem noch | 
fo gepriefen worden, jebt alle Beliebtheit verloren. 
Im nächften Jahre kamen biefe Fragen, obwohl im ets 1690. 
was veränderter Geftalt zur Sprache. Es warb nämlich 
im Parlamente eine_Bil eingebracht, wonach Keiner ein 
Amt erhalten dürfe, der nicht dem Könige Jakob abſchwoͤ⸗ 


1) Die bill of indemnity, welche Wilhelm II, am 23flen Mai 
1690 vollzog, machte nur 35 Ausnahmen, von benen Wenige ober 
Keiner vor Gericht gezogen wurde. ' Parl. Hist. V, 647. 

2) Belsham I, 402. 

$) Moore 860. Smollet I, 158. Belsham I, 227. Clarendon 
eorresp. II, 267. Macpherson I, 588. 





454 Sechstes Bud, Meuntes Haupifiäd. 


1690. re (bill of abjuration). Weigernde follten verhaftet, unb 
ihnen wicht erlaubt werben Buͤrgſchaft zu ſtellen ). — Dies 
Geſetz, behaupteten defien Wertheibiger, fen nothwendig um 
Beinde von Freunden zu unterfheiben yab eine tüdhtige und 
einflimmige Sefchäftsführung zu gründen. — Die Tories 
(diesmal an Zahl und Gründen die Stärkeren) entgegneten: 
ber Vorſchlag zeigt von Furcht und Schwäche, und hilft 
bo zu Nichts, wie fon daraus hervorgeht baß biefenigen 
welche Karl IE abſchwuren, ihn zuruͤckriefen. Viele werben 
duch folch eine Zumuthung erft in Unzufriedenheit und Wi⸗ 
berfeglichkeit hineingetrieben, und es iſt verkehrt eine völlige 
Gleichheit abftrakter Meinungen und Wuͤnſche erzwingen zu 
wollen, wo Gehorfam gegen die beftchenden Geſetze hin⸗ 
reicht. — König Wilhelm gab eine Weifung: man möge bie 
BIN ruhen laſſen. Ste ward mit 192 Stimmen gegen 165 
verworfen. 

Daß die Staatsceinnahmen und Ausgaben, von ben 

Einnahmen und Ausgaben des Königs und feines Haufes 
ſchaͤrfer getrennt wurden, erleichterte die Überficht und befoͤr⸗ 
derte einen ordentlien Haushalt, Die Whigs hielten es 
jeboch, im Angedenken an Jakob I, für gefährlich bie Ei⸗ 
villiſte fogleich fir die ganze Lebenszeit des Königs zu be⸗ 
willigen, und ihn baburch hinfichtlich des Geldes ganz ums 
abhängig zu machen ?). 

Ein anderer Widerſpruch erhob ſich gegen die, beſon⸗ 
ders in einer Schrift Burnets ausgeſprochene Behauptung: 
Wilhelm und Maria ſeyen Könige durch Eroberung9. 
Den 24ften Januar 1692 beſchloſſen die Lords: dies ſey 
hoͤchſt beleidigend fuͤr fie und alle Engländer, unverträgfich 
mit den Grundſaͤtzen auf welchen die Regierung gegründet 
worben, und den Untergang ber Volksfreiheiten bezwedend. 


1) Parl. Hist, V, 595, 608. Somerville 314. 


2) Siehe ©. 323. Burnet 26. Parl. Hist, V, 148, 193. So- 
merville 287. 


| 8) Collection of parliam. Debates Il, 860. 





Eroberung, Bürgerseht, Parlamente. 455 
Die Beforgniß vor dem Einfluffe der Bremben, indbe- 1690. 


ſondere der Holländer, wirkte ebenfalls ein, auf Beurthei- 
Jung und Verwerfung des Vorſchlages allen ausheimifchen . 
Droteftanten bad Bürgerrecht zu ertheiln‘). Die 
Bertheibiger defielben fprachen: viel unbebautes Land kann 
in Großbritannien vertheilt und bie Bevölkerung erhöht wer: 
Den, wodurch zugleich bie burch Kriege und Auswaͤnderun⸗ 
gen in ben letzten 50 Jahren verminderte Macht des Rei: 
ches waͤchſt. Nicht bloß die Menfchlichleit gebietet vertrie⸗ 
bene Blaubendgenoffen aufzunehmen; ſondern es iſt vortheil- 
haft weil fie Güter und Kenninifje mancherlei Art mitbrin- 
gen. — Hierauf warb entgeguet: man barf bad Geburtsrecht 
eines ‚Britten durch leichtfinnige Verleihung nicht mindern; 
die Bevölkerung fteigt im Frieden fo leicht und fchnell daß 
die Aufnahme Fremder zu dieſem Iwede umoͤthig erfcheint; 
deren Eingebrachted wird, nach eiliger Vermehrung, oͤffent⸗ 
lich oder insgeheim wieder auögeflihrt; das Arbeitölohn fällt 
duch Annahme des Vorfchlagd zum Schaben der Eingebore- 
nen; nur Diffenter und Auslaͤnder beziehen Vortheil, und 
die Macht der Krone erhöht ſich durch die neum Schük- - 
linge auf bedenkliche Weiſe, 


Wichtiger als diefer Gegenflanb waren einige andere 


Fragen und Befchlüffe, deten hier Erwähnung gefchehen muß: 
Aber die Berufung und Dauer bee Parlamente, über bie 
Aufnahme von Beamten in daſſelbe und uͤber die Einfich⸗ 
zung, oder Beibehaltung einer Cenſur. 


Im März 1693 ging eine Bill durch ): vermoͤge wel⸗ 


her das Parlament in jedem Sabre follte zufammenberufen, 
und Das Unterhaus alle drei Jahre aufgelöfet und buch 
. Wahl neu erfeßt werben. Died Geſetz (fo fprachen deſſen 
Vertheidiger) macht ed den Königen unmöglich ohne Parka 
ment willkuͤrlich zu zegieren, und räumt dem Wolle das na- 
tiliche und beilfame Recht ein, binnen drei Jahren mit 


1) Smollet I, 260—270 yı 1698. 
2) Belsham I, 283. 


46 Sechstes Bud. Neuntes Hauptfiid. 


1692. feinen Stellvertretern zu wechfeln, fofern dieſelben nicht mehr 
tauglich erfcheinen und die öffentlichen Anfichten fich geaͤn⸗ 
dert haben. — Die Gegner des Vorſchlages behaupteten: 
er nehme Feine Rüdficht darauf, daß ein Auffchub der Par: 
Iamentöberufung durch eintretende Umftände nothwendig unb 
nuͤtzlich werden koͤnnte, und befchränke in biefer Beziehung 
die koͤnigliche Macht auf übertriebene Weiſe. Kerner würs 
ben durch eine fo häufige Auflöfung des Unterhaufes bie 
Wähler zu mächtig und unabhängig, die Erwählten binges 
gen zu abhängig. Erſt almdlig koͤnnten diefe fich fuͤr ihre 
wichtige Stellung einüben und zu wahren Staatömännern 
ausbilden). Anflatt die vorübergehenden Meinungen in fols 
cher Weife zu wahrer Überzeugung zu erheben, würden jene 
in buntem Wechfel ſelbſt innerhalb des Parlamented vorherr⸗ 
fen, und deſſen Mitglieder fich ihnen unterwerfen um eine 
fchlecätbegrünbete Beliebtheit nicht zu verlieren. 

Um biefelbe Zeit warb ber Vorſchlag gemacht: alle oͤf⸗ 
fentlihe Beamten vom Parlamente audzufchließen, weil 
fie'mehr von der Krone, ald von ben Wählern abhängig, 
mithin zur ParteilichPeit gezwungen, ober Doch geneigt waͤ⸗ 
ren. Das erite Mal verwarf das Oberhaus dieſen Antrag: 
benn die tüchtigflen Männer würben dadurch entweber aus 
dem Parlamente ober aus ber Verwaltung hinausgeſchoben, 
zwifchen welchen Doch gar Fein unverföhnlicher Gegenfaß ber 
Rechte, Pflichten und Zwede ftatt finde. Wechfelfeitiged Zus 
trauen führe überdies beffer zum Ziele, ald gegenfeitiger Args 
wohn‘). — Später ging biefe BIN beßungenchtet durch 
und warb dem Könige, gleichwie bie uͤber dreijährige Parla> 
mente, zur Befldtigung vorgelegt. Er verweigerte dieſelbe, 

was feinem unbeftreitbaren Rechte ohne Zweifel gemäß war, 
aber zu fehr heftigen Nußerungen und Anträgen im Parla⸗ 
mente Beranlaffung gab. Wenn man, fo ſprachen Einige, 

die Freiheit nicht auf fichererer Grundlage denn zuvor bes 


1) Parliam. Hist. V, 767, 807, 836, 861. 
2) Burnet IV, 202. - 








Beamte, Parlämente. - 457 


gründet, fo hat man nur den König gewechfelt, fonft aber 1692. 
nichts gebeffert, vielmehr durch Jakobs KWertreibung eine 
große Ungebühr begangen. Diejenigen, welche zur Verwer⸗ 
fung jener Anträge gerathen haben, follten deshalb flr Feinde 
bed Königreich8 und. bed Königs erfidrt werben. — Auf eine 
an biefen gerichtete Vorſtellung gab er eine höfliche aber 
nichts entfcheidende Antwort; worauf fi) die Berathungen 
erneuten: ob man fich hiebei beruhigen folle! Einige fagten 
Nein: denn der Streit richtet fich nicht gegen den König, 
fondern gegen bie Minifter. Andere ſprachen Ia: denn ber 
König hat den Kreis feiner Rechte keineswegs uͤberſchritten, 
giebt beflimmte Hoffnungen für die Zukunft, und Tann in 
diefem Augenblide ſich unmöglich preisgeben und gleichfam 
Abbitte leiften. — Mit 229 Stimmen gegen 83 ward bes 
f&lofien die Sache vor der Hand ruhen zu laffen, im No- 
vember 1694 ging Indefien die Bill über dreijährige Par⸗ 
Iamente nochmald burch beide Häuferr und Wilhelm beſtaͤ⸗ 
tigte diefelbe, zum Theil um deſto leichter größere Bewilli⸗ 
gungen für feine Friegerifchen Zwecke ‚zu erlangen. 

Died war dad lebte Mal daß ein König von England 
von feinem Verwerfungsrechte, feinem Veto Gebrauch 
machte ). Später warb diefe fehroffere Form dadurch um⸗ 
gangen, daß man entweder mit den Miniftern wechfelte, oder 
das Unterhaus auflöfete um neue Übereinfiimmung zu erzeu⸗ 
gen. — Über den Vorzug einer längeren oder Türzeren Le: 
bensdauer des Unterhaufes find damals, und fpdter, bis auf 
ben heutigen Tag, alle nur erfinnlichen Gründe vorgetragen 
worben. Neben den allgemeinen, die fr jede Zeit gelten 
ſollten, haben fehr oft bie befonderen augenblidlichen ent⸗ 
ſchieden, und bie Auflöfung noch vor Ablauf der gefeglihen 
Lebensdauer herbeigefuͤhrt. Wirb biefe zu lang hinausge⸗ 
dehnt, (wie unter Karl IT) fo' verfteinert dad Unterhaus und 
loͤſet fi vom Volke; wird fie zu kurz geftellt, fo geraͤth⸗ 
dies in gefährliche Aufregung, und die heilfame Bewegli ch 


1) Calamy life and times II, 287. 





458 Sechstes Bud. Neuntes Hanptflüd. | 
1094 Bit ge übe in leichtſinnige Verfluͤchtigung und fieberhafte 
be '). 


ir Die Gefmmientwidsung des Cafes unb ber Ad 
ten Freiheit war bie Frage liber ein⸗, drei⸗ ober ſiebenjaͤh⸗ 
rige Parlamente (trotz ihrer. fonfligen Bedeutſamkeit) boch 
nicht fo’ wichtig als bie Frage über Cenfur und rn. 
zwang. Im Jahre 1694 hatte ein Zeitungsfchreiber Dyer 
der Parlamentöverhandlungen Erwähnung geihan”). Er 
warb deshalb vorgelaben, kniend zurechtgewieſen und naͤchſt⸗ 
ben beſchloſſen: kein Zeitungsſchreiber durfe in feinen Blaͤt⸗ 
teen, oder anderswo fſich anmaaßlich mit den Berathungen 
und ſonſtigen Geſchaͤften des Hauſes zu thun machen (in- 
termeddle). — Ja ein Lord Mohun pruͤgelte, weil er von 
ihm erwaͤhnt worden, jenen Zeitungsſchreiber, und ließ ihn 
ſchwoͤren dies nie wieder zu thun. — Nach ſolcherlei Vor⸗ 
gaͤngen kann man ſich nicht wundern daß Manche die Ein⸗ 
führung der Cenſur als heilſam anenıpfahlen. Ein darauf 
bezuͤglicher Geſetzentwurf ward jeboch im Jahre 1697 ſchon 
vor der zweiten Leſung verworfen’) „weil mans zwar bie 
Übelftände ber unbebingten Preßfreiheit einſehe, aber nicht 
wiſſe wie man bie Macht bed Beſchraͤnkens orbnen und 2 
fielen ſolle“ — Um biefelbe Zeit erfchien eine Schrift: Be 
weis baß ber Preßzwang unvertrdglih ift mit 
der proteflantifchen Religion und der Freiheit des 
Bolkes *) — Seitdem if Fein Verfuch mehr gemacht worden 
die Preßfreiheit in England durch Cenſur zu befchränken ), umb 
eine faſt 150jährige Erfahrung hat bewiefen daß biefe Sreiheit 
1) Mit Recht mwurben firenge Geſetze gegen Beſtechlichkeit befon- 
ders bei den Wahlen gegeben. Dalrymple 1II, 3, 255, 309. Selbſt 


ber Spreiher Trevor warb beshalb 1695 aus bem Unterhauſe vertrie⸗ 
ben. Parliam. Hist, V, 906, 939. Smollet I, 288. 


2) Noticed the proceedings. Parliam. Hist. V, 862. 
3) History: af tbe Commons IU, 73. 

4) Parliam. History V, 1168. 

5) Belsham I, 441. | 


Genfus. Steuern. Anleiden. 459 


allerdings zu einzelnen Mißbraͤuchen führte, im Ganzen und 
Großen aber die Engländer fol einer Erziehung, foldh 
eines Vertrauens würbig ‚waren, und Staat, Kirche, Recht 
und gute Sitten dort beffer durch die freie Entwilelung und 
wechfelfeitige Bezähmung aller Geifter gefördert und befchüßt 
mwurben, als anderwaͤrts durch die wohlmeinenden ober tys 
rannifchen, immerbar jeboch einfeitigen und befchränkten Ans 
fihten und Mittel der Gegforen und Genfurbehörben '). 
Nicht minder als die vorbenannten Gegenftände, nahe 
men Steuern, Handel, Geldweſen u. dergl. die Aufmerkfam: 
Feit und Xhätigleit in Anſpruch. Noch immer gingen alle 
Geldbewilligungen lediglich vom Unterhaufe aus, und 
Durch deffen hefligen Widerſpruch mißlang auch ber Berfiich 
des Oberhauſes fich felbft zu befleuern. Auf Wilhelms An- 
trag ward beim’ Anfange feiner Regierung, zu großer Freude, 
das Herd» ober Rauchfangsgeld abgeſchafft). Bald aber 
zwang ber ſehr koſtſpielige Krieg zu neuen Abgaben (z. B 
von bemeglichem und unbeweglichen Befige, Sehalten, Pen⸗ 
fionen, Geſindelohn u. ſ. w.) fo daß der jährliche Bedarf 
{m Jahre 1695 auf das Zehnfache deffen angefchlagen wurde, 
was man zur Zeit der Eliſabeth verausgabte ). Obwohl 
mm ſeit diefer früheren Zeit der Werth bed Geldes fich ans 
ders geftellt hatte, umb die Hülfsquellen fehr gewachfen wa: 
ren; fah man fi) doch genöthigt über jene größeren Steuern 
hinaus, Anleihen zu genehmigen und Schulden zu machen, 
fd daß die letzten um die Zeit des ryswiker Friedens bereits 
mehr als zehn Millionen Pfund betrugen‘). Seit diefer 
Zeit iſt über dad engliſche Schuldenweſen und das Fundi⸗ 


1) Darans folgt jedoch nicht, daß man ploͤdlich von einem, zu 
dem anberen AÄußerften überfpringen Tann unb fol. 

2) Perliam. Hist, V, 153 Smollet IL, 857. 

8) Parliam. History V, 573, m. Somerville 418, 510, Smol- 
let L, 219, 251. 

4) An vielen Orten finden ſich Klagen über Steuern, Schulden 
und Störung des Handels duch den Krieg. Hamilton transactions 
dering the reign of the Queen Anna 2%. 


460 Sechstes Bud, Neuntes Hauptſtuͤck. 


rungsſyſtem fo unendlich viel geforſcht, geſprochen und ge- 
ſchrieben worden, daß wir nicht im Stande find Davon auch 
mir einen Auszug mitzutheilen. Nur im Algemeinen läßt 
ſich behaupten» daß ed Augenblide giebt, wo man flır die 
Rettung der Ehre und bed Dafeynd, Schulden machen darf 
und machen muß. Diefe find dann zugleich Beweiſe des 
Bebinfniffes und bed Reichthums. Großer Reichthum und 
die Bereitwilligfeit ber Darleiher, forwie Leichtfinn und Un⸗ 
verftand der Regierung, koͤnnen aber auch verführen bie 
Staatöfchulden zur unrechten Zeit, über alles wahre Be 
dinfniß hinaus und für ſchlechte Zwecke zu vermehren. Ses 
den Falls bleibt ed unerläßliche, nie aufhörende Pflicht, moͤg⸗ 
lichſt auf Verminderung der Schulden und Abgaben aller 
Art hinzuwirken. 

Ein großes Über welches eifiger Abhuͤlfe beburfte, war 
damals ber Zufland der Münze. Sie war theils gerade⸗ 
bin verfälfeht, theils fo ausgelippt unb gewippt, daß fünf 
Pfund in Wahrheit nur zwei Pfund werth waren '). Der 
Kanzler der Schatzkammer Montagus, Newton und Lode 
vereinten ihre praftifchen ünb wiffenfchaftlichen Einfichten, fo 
daß die Einſchmelzung und Umprägung nach dem alten Fuße, 
troß aller Widerfprüche, im Jahre 1695 binnen Turzer Zeit 
und fehr zweckmaͤßig zu Stande kam. 

Ein andered wichtiges Ereigniß was in dieſe Zeit, auf 

das Sahr-1693 fallt, ift die Gründung ber englifchen Bank, 
nach dem Plane William Patterfonsd. Zur Empfehlung 
derfelben warb damals behauptet: fie werbe aus ben Haͤn⸗ 
den der Wucherer erlöfen, bie Zinfen erniebrigen, den Werth 
des Bodens erhöhen, den Grebit befefligen, Handel und 
Verkehr ausdehnen, dad Wolf enger mit der Regierung ver⸗ 
einigen u. f. w. — Die Widerfacher des Planes behaupte: 
ten dagegen: ed entſteht Hieburch ein Monopol, welches al= 
les Geld an ſich ziehet, in die Hände der Regierung bringt 
und willtürliche Plane befördert. An die Stelle aͤchten Han⸗ 


1) Parliam. Hist. V, 965. Somerville 431. 





Dftindifche Handelsgefelifhaft. 461 


dels wird das. Spiel mit Staatsfonds treten und Wucher, 
Betrug und Unfittlichleit überhand nehmen: — Trotz dieſer 
Widerfprüche ward die Bank zunaͤchſt bis 1705 beftätigt, 
und im Ablaufe der Zeit find weit mehr bie Hoffnungen, 
als die Beforgniffe in Erfüllung gegangen '). 

Noch heftiger warb das Monopol der oftinbifhen 
Handelögefellfhaft angegriffen, bergeftalt Daß man uns 
geachtet aller Gegenvorftelungen über Eingriffe in die Rechte 
des Eigentbums und bevorftehenbe große Verlufte, im Jahre 
1698 eine zweite oftindifche Handelsgeſellſchaft fliftete‘). Die 
Whigs begünfligten diefe, die Tories hingegen jene ältere 
Geſellſchaft; bis ſich die Anfichten theild aͤnderten, theils 
berichtigten, und im Jahre 1702 beide Gefellfchaften vereis 
nigt wurben. 

Sehr wichtig und folgenreich , aber keineswegs rein er⸗ 
freulich, find die Grundſaͤtze welche man in Hinfiht auf 
Kirche und Religion während der Regierung Wilhelms DIE - 
ausſprach und anwandte. Ohne Zweifel war der König der 
Gemaͤßigtſte, Nuhigfte, Vorurtheilfreiſte, Duldfamfle und 
machte mit Mecht darauf aufmerkſam, daß ee unmöglich mit 
Erfolge für die Protefianten in Tatholifchen Ländern (in 
Frankreich, Deutſchland, Ungern) fprechen und wirken koͤnne, 
fo lange man in England gegen Katholifen unbulbfam vers 
fahre, und felbft die proteflantifhen Sekten ſich untereinans 
ber verfegerten und alle Ausſoͤhnung zurüdwiefen ’). 

Die Geiftlihen leugneten, daß ber König allein über 
hieher gehörige Dinge etwas feftfegen koͤnne; legte man aber 
(wie jene verlangten) die Enticheidung allein in ihre Hand, 
r führte dies ebenfalls vom Biele ab und in mancherlei 


1) Smollet I, 258. Somers tracts XI, 8 — 34. über bie ' 
Grundfäge, ihre Anwendung und ki wird ſich ſpaͤter das 
Noͤthige beibringen laſſen. 

2) Somerville 511. 


$) Butnet 88. Smollet I, 29. Parl, Hist, V, 184. Bomer- 
ville 288, 803, 





462 Secste⸗ Bud. Neuntes Hauptſtück. 


böfe Einſeltigkeiten hinein”). Wilhelms Worfihlag: man 
möge wenigfiend alle Wroteflanten zu Amtern zulafien, ging 
nicht durch; und fein Plan, die Aufnahme der Diffenter 
in die hohe Kirche dadurch zu erleichtern, daß man die Be⸗ 
dingungen allgemeiner und billiger fafle, fand nicht geringere 
Schwierigkeiten”). Die hohe Kirche fürchtete durch minder 
ſcharfe und beflimmte Borberungen, ber unbedingten Wahr⸗ 
beit etwas zu vergeben; und bie Diſſenter fuͤrchteten es 
möchte bieburch ihre (uͤberdies keineswegs durchgaͤngig übers 
einftiimmenbe) Partei noch mehr aufgeläfet und geſchwaͤcht 
werben’). Dreißig Gotteögelehrte welche ber König, nad 
Zillotfons berief um Alles für eine Ausführung bors 
zubereiten , konnten bei folchen Werbältniffen bied Ziel nicht 
erreihen ‘)5 und es galt zuleßt den Eiferern fchon für eine 
fehr große Bewilligung, daß einige kirchliche Strafgeſetze auf: 
gehoben und bie zeitherige Wilke und Unbeflimmthelt des 
Berfahrend In etwas geregelt wurde). Doch blieb ber TZy⸗ 
tannei nur zu viel übrige. Wer 3. B. an ber Dredeinigkeit 
zweifelte, erbielt kein Amts ja, im Sal er bei feiner Mes 
nung verbarrte, durfte er weber Land Taufen, noch erben, 
noch eine Klage anſtellen“); es warb, bamit er fich beffexe, 
drei Jahre lang eingefperrt. Aus angeblich religiöfen Grün: 
ben ſolcher Art, oder wegen verweigerter Eibedleiflung, jagte 
man unzählige Geiflliche fort, und Vorwinfe fiber Eleinliche 
Pebanterie, fträflichen Leichtſinn, Eidbruch und Abfall ertöns 
ten von verfchiebenen Seiten auf gleich wiberwärtige Weiſe. 


1) Belsbam I, 136. 


2) Comprehension bill. — Enlarge the pale of the church. 
Somerville 273 — 275. 3 


8) The. heats among the Dissenters grew perfectly scanda- 
lous. Calamy zu 1695 Vol. I, p. 356. 


4) Calamy I, 204, 210. 
5) Somerville 278. 


6) Belsham I, 492. Calamy I, 329. Ken life TI, 176. Rose 
obaervations on Fox Hist. 96. 


| Diſſenter. Schotland. 463 


Wer von Mäßkgung ſprach (ſagt ein Gefchichtfchreiber ) galt 
für ‚einen Werräther und Feind ber Kirche 

Jemehr in Schotland bie Biſchoͤfe und die Anhäns 
ger der hohen Kirche ihr Syſtem ausſchließlich aufrecht zu 
halten frebten”), deſto vafcher flürzte ed nah Wilhelms 
Thronbeſteigung zufammen. Bald aber verfielen die flegens 
den Presbyterianer, im Angedenken bed früher erlittenen 
Druckes, in ähnliche libertreibungen. Unbegnuͤgt daß ber Kö⸗ 
nig alten Anfprüchen auf Supremat und. Patronat entfagte, 
unbillige Geſetze aufhob, und bee allgemeinen Einführung 
des Presbyterianismus nichtd in den Weg legte; verlangte 
fie unbefchränkte Firchliche Gerichtöbarkeit, Verfolgung ber 
Katholiten, eigenmädtige Berufung von Sirchenverfamms 
ungen und Aufftellung eines allein gültigen Glaubensbe⸗ 
kenntniſſes. Ste machten dem Könige bittere Vorwuͤrfe daß 
es, unchriſtlich, in einem Lande diefe, In bem anderen eine 
zweite Religion dulde. — Bon bem Gebote: was ihr welt 
daß Euch die Leute thun follen, das thut ihnen auch; wiſ⸗ 
fen fich theologifche und politifche Eiferer jebedmal zu ent: 
binden und daſſelbe ald unpaſſend darzuftellen, fobald es ih⸗ 
u Willkuͤr und ihren Vorurtheilen entgegen tritt. | 

Mit diefen Eicchlichen und religiöfen Streitigkeiten flan- 
den in Schotland andere, weltlicher Art, in Verbindung. 
Doß der König feinen Rechten auf die Wahl der Lords ber 
Artikel entfagte und bie Zahl der Parlamentöglieber für 
die Grafſchaften erhöhen ließ’), verdiente und fand Beifall: 
wit Recht aber vwoiderfprach er dee Ammahme: durch feine 
Thronbeſteigung feyen alle Richterfiellen erledigt worden und 
ihre Belebung dem Parlamente anheimgefallen. 


1) Birch life of Tillotson 870, 566. 


2) Moore 382. Belsham I, 565. Somerville 462 — 467, 
491 —496. Belsham I, 820. Acts of the Parl. of Beotland IX, 
111, 117. 


8) Belsham I, B07 — 310. Acts of the Parl. of — IX, 
152. Hallam III, 445. — Eiche Band II, S. 405. 





46 Sechstes Bud. Weuntes Hauptftüd. 


Über den Verkehr mit England und bie Zollſaͤtze, 
noch mehr aber über den Handel der Schotten nad) 
Amerifa und den Kolonien, entflanden bie beftigften Streis 
tigkeiten); befonderd als ber König durch bie Engländer, 
Holländer und Spanier gezwungen warb Begünfligungen 
zuruͤckzunehmen, welche er in biefer Beziehung ben Schotten 
und ber fogenannten Handelsgeſellſchaft von Darien bewil- 
ligt hatte. Für das von Wilhelm empfohlene allein wahrs 
baft gründliche und genligende Heilmittel: die engere Verei⸗ 
nigung Englands und Schotlands, waren bie Gemüther noch 
keineswegs hinreichend vorbereitet unb willig ?). 

Ale diefe Mißſtimmungen und Spaltungen wurben 
wefentlich baburch erhöht bag fich, insbeſondere in ben ſchot⸗ 
tiſchen Hochlanden, viele Anhänger Jakobs befanden, von 
denen manche nad) Frankreich übergingen und ſich in allen 
Verhältniffen fo treu als tapfer zeigten’). Beim Abichtuffe 
des ryswiker Friedens wurben fie jeboch huͤlflos verlaffen, 
und von allen follen nur vier ihre Heimath wieder gefehen 
haben. — Nach feiner Thronbefleigung hatte Wilhelm An⸗ 
‚fange bie Häupter der Bergſchotten durch Gelb zu gewin- 
nen gefuchtz er hoffte, ald dies mißlang, durch Drohungen 
und. Schreden zu wirken‘). MDedhalb ward allen Bine 
foenfligen im Auguſt 1691 angekündigt: fie müßten bei 
‚Strafe Eriegerifcher Einlagerung, bis zum erften Januar 
1692 die gefeglihen Eide ſchwoͤren. Alle gehorchten und 
am 31ſten December 1691 entfchloß ſich auch ber Letzte ber 
Weigernden Macdonald von Glenco nebſt ben Seinen 
dem Befehle zu genügen. Obwohl bie Eidesleiſtung blog 


1) Smollet II, 40. Burnet II, 310. Dairymple III, 8, 189. 
Somerville 477. 


2) Parl. Bist, V, 549. 
8) Dalrymple II, 2, 93. 


4) Somerville 473, 497, 500. Acts of the Parliam. of Scot- 
land IX, 424. Marcimont papers III, 415419. Smollet L, 296. 
Somers tracts XL, 529. 


Scotland. Glenco. 465 


durch einige zufällige. Umftände vor bem erflen Januar 1692 1692. _ 
nit zu Stande kam; nahm man bie zum Vorwande 
Soldaten einruͤcken zu laſſen. Officiere und Gemeine lebten, 
aßen und tranden jeboch freundfchaftlih mit Machonald und 
den Einwohnern bed Dorfes. Erſt am 13ten Februar 1692, - 
wo jener alle zu Tifche geladen hatte, drang ber Lieutenant 
Lindſey vor Tagesanbruch in ſein Haus, und erſchoß ihn 
als er eben aus dem Bette ſteigen wollte. Der Plan das 
ganze Thal zu umzingeln war mißlungen, doch wurden an 
dreißig niedergemetzelt, Alles ausgepluͤndert und die Haͤuſer 
in Brand geſteckt. 

Auf Antrag des Koͤnigs leitete das ſchottiſche Parla⸗ 
ment eine genaue Unterſuchung der Graͤuel ein, und beſchloß 
naͤchſtdem einſtimmig: in den koͤniglichen Anweiſungen liege 
durchaus kein Grund oder Vorwand zu ſolch einem Beneh⸗ 
men, mithin ſey die Metzelei als Mord zu betrachten und 
zu verfolgen. Trotz biefer Erklärung zeigte fich jedoch Feine 
Reigung die Schulbigen zu beftrafen und die Geplünderten 
zu entichäbigen; und wenn der König auch unfchuldig war . 
an bem Frevel felbft, fo Hagte man ihn doch laut an daß 
ungenuͤgende NRüdfichten ihn abgehalten hätten baflır nach⸗ 
brüdlich zu wirken, daß firenge Gerechtigkeit wirklich geübt 

werde. 


Noch ſchwieriger als in Schotland waren die Verhaͤlt⸗ 
niſſe in Irland. Man behandelte es keineswegs nach den 
billigeren, bei der Revolution ausgeſprochenen Grundſaͤtzen, 
ſondern im’ Weſentlichen wie eine eroberte Landſchaft). Ges 
wiß hatte fie ungemein gelitten: viele Einwohner waren ums 
gekommen, viele Drte zu Grunde gerichtet, ber Viehſtand 
großentheild verzehrt, und Auswanderung eine fehr bittere 
Hülfe gegen die obwaltenden Übel. Befonders un 
Mißdeutungen blieb die, zum Xheil unbeflimmt gefaßte, Ka⸗ 
pituletion von Limerik ausgeſetzt. Sagte doch der Bi: 
fchof Dopping von Meath in einer vor bem Oberrichter ges 


1) Burke works VI, 834. Vie de Guillaume III, 97. 
30 


66 Sechsſstes Bud. Neuntes Hauptfiäd. 


1692. haltenen Predigt): man brauche Papiften fein Wort nicht 


‚zu belten, und jene bewilligten Punkte hätten keine Gültig- 
keit. — Zwar ſtrich Wilhelm II den Biſchof von ber Lifie 
ber geheimen Räthes aber bie eifernden Proteflanten in Ir⸗ 
land ſtimmten mit jener Lehre ‚überein, und das irlänbifche 
Parlament behauptete: ed koͤnne im feiner gefekgebenden All⸗ 
macht jeben Vertrag aufheben und vernichten. Auch hätten 
ja alle Klagen der Katholiten leicht ein Ende, — fobald fie 
fih nur dem Willen der Proteftanten fügten! Sur Errei⸗ 
chung diefed Zweckes waren bie meiften von jenen, nur mit 
Ausnahme größerer Grundbefiger, entwafinet, und früher 
unermeßfich viel Land eingezogen worden?). An Rüdgabe 
deffelben dachte Keiner; man fritt ſich nur über das Be⸗ 
nugen und Verſchenken beffelben ’),. und das englifhe Par⸗ 
Iament ging In feinem Neide auf den Flor Irlands fo weit, 
daß ed bie Unterbrüdung aller bafigen Wollmanufakturen 
verlangte. — Der König milberte fo viel als moͤglich, theils 
aus eigener Überzeugung, theild um fein Verhaͤltniß zu ka⸗ 
tholiſchen Mächten nicht ganz zu. ſtoͤren); dennoch erinnert 
die englifhe Geſetzgebung unter Wilhelm und Anna, gegen 
die Katholiken, leiber an bie Gefehgebung Ludwigs XIV und 
‚Leopold I gegen bie Profeflanten. Nachdem bie Gefahr 
von Jakob II her laͤngſt vorlbergegangen war, blieben ſelbſt 
bie Whigs noch unbulbfam, und handelten bloß wie eine re- 
ligidfe, — und oft auch nur wie eins politifche Partei. 
Deshalb fah ſich der König, den fie gern in jeder Be⸗ 
Hebung von ſich abhängig gemacht hätten, gendthigt als Ge⸗ 
gengewicht und zur Erhaltung feiner Selbſtaͤndigkeit ebenfalls 
Tories in Thaͤtigkeit zu fegen *), und feinen perfönlichen Freun⸗ 


1) Moore 504, 507. Bumet IV, 438. 
2) Vie de Guillaume III, 46, 
8) Belsham I, 489; If, 44. 
4) Hallam I, 241. Burnet IV, %3, 433: Meimolrs of the 
englich Catholicks III, 131, 188, 461. | 
5) Der Raum verbietet, auf den Mechfel ber Perfonen und Mi⸗ 
nifterien näher einzugehen. — Somerville 260, 307,835. Bumet 731. 


— — — — — — — — — ⸗ — — vs 


Marias Tod. 467 


ben Einfluß zu geflatten. So klug und gewandt er fich hie: 1695, 


bei auch benahm, fo Tonnte er doch weder eine allgemeine 
Ausföhnung, noch allgemeine Zufriedenheit erzeugen, und 
fprach deshalb (von Schwierigkeiten, Hinberniffen und Vor⸗ 
winfen bebrängt) den Gedanken aus: er wolle nach Hol⸗ 
land zurückgehen und ber Königinn überlaffen ein Wolf zu 
tegiexen, welchem zu gefallen, ober welches zu lenken er fich 
unfähig fühle! ’) Diefer, wohl nur im Augenblide ber 
Mißſtimmung hervorgetriebene, vorübergehende Gedanke, er: 
hielt weit größere Wichtigkeit, ald bie Königinn Maria den 
fiebenten Ianuar 1695, im 34ften Lebensjahre an ben Poden 
ſtarb. Welch ein Weib”), wiederholten ihre Gegner, das 
triumphirend in eine Stadt einzieht, aus welcher ihr Water - 
entflieht, und fi mit Männern befreundet, deren Anhaͤn⸗ 
ger oder Väter ihren Großvater aufs Blutgerhft brach⸗ 
ten“)! — Maris, antworteten ihre Vertheidiger *), war eine 
Frau von reinen Sitten unb ernflem Geiſte. Zwiſchen einem 
Water der die Gefehe Kbertrat, unb einem Gemahle ber fie 
aufrecht Kalten wollte, blieb ihr nur eine, obwohl bittere 
Wahl. Noch auf bem Todtenbette erlärte Maria: fie fey in 
ihrem Gewiſſen keineswegs beunruhigt; benn fie habe Alles 
gethan nach Rath und mit Zuflimmung der weifeften Mäns - 
ner in Staat und Kirche). — Nicht umnatärlich erſtaunte 
{he Water hieruͤber; wenn «ber (behaupteten. deſſen Gegner) 
dereinft alle die jest Verletzten Iängft tobt, warn alle Klas 
gen vergeffen und bie heilfamen Fruͤchte ber jegigen Be⸗ 
fchlüffe geveifet find, wird man dankbar begreifen, daß ein 


{) Leaving to the queen, to govern a people, whom he found 
himself unable to please or, to manage. Dalrymple II, 2, 168. 

2) Vie de Guillaume III, 251. Belsham I, 367. Smollet I, 
277. Evelyn O, 45. l’art de verifier les Dates VII, 221. 

9) Dalrymple I, 7, 39. Somerville. 877. 

4) Befonbers bekam ber londoner Hof durch fie eine ganz andere 
und fittlichere Geſtalt. Bumet IV, 255. 


5) Clarke II, 526. 
30* 





N 


468 Sechstes Bud. - Reuntes Hauptſtück. 


1695. Mann mußte zu Boden geworfen werben, bamit ein gan- 


zes Volk auferſtehe. 

Koͤnig Wilhelm, der ſonſt nie Ruhe und Haltung vers 
lor, war fo ergriffen baß er unter Thraͤnen gegen Burnet 
ausrief '): ich bin aus dem glüdfichften, der elendefte aller 
Sterblichen geworden! In der langen Zeit meiner Ehe habe 
ich nie den geringften Fehler an Maria entdeckt; fie befaß 
einen Werth den niemand fo wie ich zu ermefien im Stande 


iſt! — Mehre Wochen lang war der König unfähig Geſell⸗ 


ſchaft zu fehen und Gefchäfte zu verrichten; man fürchtete 
für feine eigene Gefunbheit. Aus dem innerfien Herzen 
brach durch alle Schranken der fonft unerſchuͤtterlichen Selbſt⸗ 
beherrſchung fein Schmerz hindurch, und ber fonft kalt er⸗ 
ſcheinende Held zeigte fich bier in einem verklaͤrten, verföh: 
wenden Lichte. | 

Abgeneigte Fönnten behaupten: Schmerz und Sorge waͤ⸗ 
ven nur politifcher Art geweſen; dann aber hätte Wilhelm 
fie vielmehr verbergen, als unverholen zeigen mäffen. Auch 
brachte Marias Tod viel weniger politiihe Gefahr als man 
beforgte, und Wilhelm blieb troß aller Umtriebe ungeſtoͤrt 
König”), weil er eben für England und Europa umentbehrs 
lich und der Einzige war, ber zu herrfchen verfland. 

Doch hatten fich in der Stille allerdings viele zu Ja⸗ 
kob hingewendet und waren, um fich nach allen Selten zu 
fidern, mit ihm in Verbindung getreten. Es wird behaup⸗ 
tet, daß er fhon im Jahre 1693 „feierliche Verfprechungen 
über feine Herftellung befeffen babe von 4 Herzogen, 4 Bar: 
quis, 20 Grafen, 4 Viscomtes, 11 Baronen und ben meis 
fien Katholiken). Heu 6 Biſchoͤfe und 600 Geiſtliche 
bie den Huldigungseid nicht geleiftet hatten, und wie Ziele, 


1) Burnet II, 262, 264. 

2) Nah Cunningham I, 116 fand eine Berathung flott, ob Wil⸗ 
helm bie Krone mieberlegen follte. Alle, Marlborough, Gobolphin, 
Sunderland, Albemarle waren dagegen, und nur Portland bafür. - 
8) Macpherson History I, 287; II, 51, 67. Macpherson papers 
I, 459, 487. 


— — — — — 


Jakob. Erbfolge. 469 


weiche ihn zwar gefchworen, und Jakob IL fräher am Klıhns 1695. 


ſten getäufcht hatten, jetzt aber geneigt fehienen bei ber ers 
ſten günftigen Gelegenheit auf feine Seite zu treten. Gab 
ihn doch ſelbſt Mariborough (tseulos gegen Wilhelm II) 
Nachricht von verſchiedenen Kriegsplanen, insbeſondere 1694 
von einer Unternehmung gegen Breſt, welche auch deshalb 
mißgluͤckte. Auch Anna, welche von ber Herzoginn von 
Marlborough aufgereizt ward, und ihren Schwager das Un⸗ 


geheuer?), den Kaliban, das hollaͤndiſche Scheuſal nannte, 


ſchien bereit ihre Anſpruͤche denen ihres Vaters und Bruders 
nachzuſtellen. Bei dieſen Verhaͤltniſſen mochte Wilhelm ſelbſt 
überlegen, ob er zu. deren Thronfolge unter gewiſſen Be⸗ 
dingungen nicht Die Hand bieten folle; allein Jakob hielt 
jede Unterhanblung mit Wilhelm für ein Unrecht, unb ver 
ließ fich weniger auf das ruͤckkehrende Gefühl und die An⸗ 
haͤnglichkeit feiner Unterthanen ?), ald auf fein angeblich uns 
beſchraͤnktes göttlihes Recht und -bie Heere Lubwigd XIV. 
Weit enifernt irgenb eine beruhigende Suficherung Über poli- 
tifche und religidfe Breiheit zu geben, blieb Jakob dem U 
alles formelle Staatöreht ein Graͤuel und er erklärte: 
lieber wolle er feinen Sohn geröftet und gebraten fehen, als 
angeſteckt von Peßerifcher Lehre. Sein Wunder, daß Wilhelm , 
über. feine befchränkte und mißgeleitete Schwägerinn, feinen 
bigotten Schwiegervater, feinen willenlofen Neffen und bie 
Schaar charakterloſer Achfelträger obfiegte, welche- fih für Pa- 
trioten im höheren Sinne ausgaben. Kein Wunder baß bie 
Könige Jakobs Sache nicht als die ihrige betrachten woll⸗ 


4) Mit Recht Tagte einft die Königinn Maria zu ihrer Schwe⸗ 
ftees welche Freunde haft du, außer mich und meinen Gemahl? Dal- 
rymple II, 2, 111. — Coxe Marlb. I, 48, 68, giebt nähere Aus⸗ 
Eunft über Marlboroughs zweideutiges und verrätherifches, ſowie über 
Wilhelms kluges unb ebles Benehmen. 


2) Macpherson papers I, 533, Cunningham I, 148. Hallam 
II, 168-175. Dalrymple III, 119. Somerville 394, 442. Lam- 
berty Mem. I, 676. Reresby 188. Belsham I, 463, 





70 Sechstes Bud. Reuntes Hauptſtück. 


1897. ten‘), und man felbft in Rom ihn mißachtete und mehr von 
feinem Gegner erwartete. 

Zur Seit ber ryswiler Friebenbunterhandlungen kamen 
alle dieſe Dinge mit erneuter Lebhaftigkeit zur Sprache. 
Wilhelm, ver keine beſondere Vorliebe fir Anna und das 
Haus Hannover hatte, waͤre nebſt ben meiſten Englänbern 
wohl geneigt geweien (gegen hinreichende Buͤrgſchaf⸗ 
ten binfichtlich der Staats: und Kirhenverfak 
fung) *) nach feinem Tode bie Erbfolge dem vertriebenen 
Zweige ber Stuarts wieber zuzumenden. Segt aber traf 
ihm nicht allein Anna in den Weg, fondern auch Jakob ver- 
weigerte nach wie vor alle und jede Zugeflänbnifie, wollte 
fih nicht geben Laffen was er von Rechtswegen befike, nicht 
feinen Zeinden und bem Prinzen von Dranien Vertrauen 
fihenten, ober durch Annahme des Thrones mittelbar ein- 
räumen, bad Parlament babe ihn auch abfehen können u. f. w. 

Dieſe Standhaftigleit Jakobs feinem Rechte nichts zu 
vergeben und es über alle anderen Rädfichten hinaufzuſetzen, 

iſt bewunbert worben, und wuͤrde Bewunderung verbienen, 
wenn nicht leben hiezu bie zweite eben fo wichtige Hälfte ges 
fehlt Hätte: nämlich die Rechte Anderer gleich willig anzu- 
erfennen unb mit berfeiben Beharrlichkeit zu vertreten. 

Bel der Unmöglichkeit Jakob zur Annahme trgenb aus: 
führberer Bedingungen zu vermögen, anerkannte feibft 
Ludwig XIV Wilhelms Königthum. Jakobs fortbauernder 
Widerſpruch blieb ohne Erfolg’), und geiflliche llamgen, 
often, Geißeln u. dal. fülten fein Leben. Beide hatten 
nun die Stelle gefunden, wozu Natur und Anlage fie beru- 
fen zu haben ſchien: Jakob ber Moͤnch), und Wilhelm 
der König. 


1) Somerville 402 — 408. 
2) Macphers. Hist. IL, 130-188. Clarke II, 674. 
8) Clarke II, 572, 586. Somers tracts XL, 10%. 


4) Jakob machte (Iegitimet) Anſpruͤche darauf, als König von 
Frankreich -Kröpfe gu beiten. Lemontey I, 84. 


Stehendes Heer in England. 471 


‚Der Friede von Ryswik, welcher fein Koͤnigthum, ſo⸗1697. 
wie Englands Freiheit anerkannte, war einerſeits ein erheb⸗ 
licher Gewinn. Andererſeits traten aber, ſeitdem kein gro⸗ 
fer gemeinſamer Zweck mehr vorlag, mit verdoppelter Kraft 
bie perfönlichen Wünfche und Zwecke in ben Vordergrund. 
Deshalb hatte Wilhelm , ungeachtet aller Anerkenntniß feiner 
neueften Verdienſte, in den lehten Jahren weber mehr Ruhe, 
noch mehr Einfluß denn zuvor. Die Whigs verloren durch 
Wankelmuth und Eigenliebe an Wichtigkeit; die Republikaner 
vertheidigten gewifle Anſichten mit erneuetem Eifer, und bie 
Zoried wollten ihre Wiberforliche nur für den Kal ermaͤßi⸗ 
gen, daß bie Leitung ber Geſchaͤfte in ihre Hände gelegt: 
werbe. Es iſt bier nicht der Drt über jeden damit in Ver⸗ 
bindung flebenden Wechfel der Minifler und Parlamente Be 
richt zu erflatten; fondern nur an einem Beifpiele zu geigen, 
wie bie Anfichten des Königs und feines Freunde, ober Geg⸗ 
ner, fich geflalteten und auseinandergingen. 

Noch bem Abſchluſſe des ryswiker Friedens drang Wil⸗ 
beim auf Beibehaltung eined anfehnlichen ſtehenden Hee 
res '): denn fo erforbere e8 die Lage Europas, das Bei: 
fiel anderer Mächte, inäbefondere Frankreichs , und die Un⸗ 
möglichkeit, bei nahe liegenben Veranlaſſungen, dieſer Macht 
unvorbereitet entgegen zu treten. Er, der König werbe, fo- 
bald es ihm an Macht fehle, den. anderen Staaten gegen- 
. über verächtlih, und das buch neunjährigen Kampf Ges 
wonnene dürfte nicht allein wieber verloren, fondern noch 
weit größeres Unglüd damit Hand in Hand gehen. 

Ungeachtet diefer und ähnlicher Gruͤnde befchloß das 
Parlament: es follte das ‚Heer bid auf 7000 eingeborene 
Soldaten verringert, mithin fogar die holländifche Leibwache 
und die franzöfifchen Flüchtlinge (refugies) entlaffen wer: 
den. Denn e8 erfchöpfe felbft die Kräfte des maͤchtigſten 
Volkes, ben Krieg während des Friedens durch ein ſtehen⸗ 


1) Dalrymple III, 7, 174. Somerville 501-516. Hist. of 
Comm. Ill, 76, 93. Belsham J, 476; II, 8. SmollegIl, 4. 


472 | Schötes Bud. Reuntes Hauptflüd. 


_ 1097.deb ‚Heer gleichſam unenbid zu machen. Tyrannei und ſte⸗ 
bende Heere gingen immerdar Hand in Hand, und Sklave⸗ 
rei folge dieſen nach wie ein Schatte, was (um nur das 
Naͤchſte zu erwaͤhnen) Cromwells und Monks Beiſpiele hin⸗ 
reichend erwieſen. Gegen Überfälle ſey England durch feine 
Lage geſchuͤtzt, im Falle des Bebinfniffes werde es nicht an 
Soldaten fehlen, und die beſte Leibwache eines Koͤnigs von 
England, beſtehe aus Englaͤndern. 

Mehr als je fühlte ſich Wilhelm verletzt: Daß er ſich 
von feinen Waffenbrübern (die ihn von Kindheit am beglei- 
tet, und in allen Kriegen aufs treufle ünterflüst hatten) 
nicht bloß trennen), fonbern fie unbelohnt entlaffen, ia bülf- 
108 fortſchicken ſollte); — daß die Engländer eher einem 
mächtigen Feinde gegenüber ungerüflet bleiben, ald ihm (dem 
Könige) vertrauen wollten, ber lebenslang für ihre Freiheit 
gekämpft und gewirkt habe. Lieber möchte er die Läflige Re 
gierung nieberlegen, als fi und feine Kriegögefährten fo 
behandeln laſſen, und Ehre, Ruhm und — 
preis geben ?). 

Dringende Vorſtellungen dieſer und aͤhnlicher Art fuͤhr⸗ 
ten zwar zu neuen Berathungen, aber zu Feiner weientli: 
chen Anderung bes Beſchluſſes. Achte Freunde bes Kater: 
landes, Unzufriebene unb Republilaner trafen nämlich aus ver: 
ſchiedenen Gründen im legten Ergebniffe zufammen, und nur 


1) Wilhelm fagte: If I had a Son, by God those guards 
should not quit me. Dalrymple II, 7, 175. — Die holländilde 
Leibwache (fagte Wilhelm) had faithfully attended his person from 
cradle, followed his fortune every where etc. Parliam. Debates 
II, 125. 

2) Burnet IV, 896. Dalrymple III, 7, 180. 

8) Den Entlaſſenen wurben noch einige Vergütungen (bonaties) 
bewilligt. Parl. Hist. V, 1167, 1193. Im December 1698 entwarf 
Wilhelm eigenhändig eine Rebe, wonach er ſich aus bem Reiche enl- 
fernen wollte. Das Parlament möge Männer vorfchlagen, benen er 
einftiweilen bie Begieming übertragen koͤnne. Diefe Rebe warb nid 
gehalten. Willis letters, 2 Ser. IV, 216. 


— on en eo om 


- 


Stehendes Heer in England. 473 


Wenige Tamen (mie Fletſcher von Salton) auf ben Gedan⸗ 169. 


Een: eine allgemeine Kriegseinuͤbung ſchuͤtze am beften Land, 
König und Freiheit. 

Sobald Wilhelm fah daß er feinen Zweck in Teiner 
Weiſe erreichen konnte9), beflätigte er mit großartiger Hei⸗ 
terfeit das Gefeß; denn obwohl er nicht glaube daß «8 hin⸗ 
reichend fir die Sicherheit des Meiches forge, halte er doch 


. Mißverfländniffe zwifchen König und Parlament für das al- 


lergroͤßte Übel. — Bon diefem Augenblicke an zeigte ſich das 
Parlament zur Erfüllung anderer Wünfche des Königs bes 
zeit), und es ward mit Recht bemerkt: biefer fcheine zwar 
in Eriegerifher Beziehung geſchwaͤcht zu ſeyn, habe fich aber 
befto mehr in ben Herzen feiner Unterthanen verfiärkt, da 
er durch ein außerorbentliches Beiſpiel erwielen: er koͤnne 
ſich ſelbſt Alles Deelasen, um nur fein Volk zu 
verpflichten. 

An Wahrheit wollte ber König Feinebwegs tyrannifiren 
durch das beibehaltene Heer, und das Parlament ihn nicht 
herabfeben und ſchwaͤchen duch Entlaffung des Heeres; fon- 
bern Beide bezweckten das, was fie von verfchiebenen Stand⸗ 
punkten für das Rechte hielten. Wilhelm hatte mehr dad 
Beduͤrfniß und die Gefahr der Gegenwart, bad Parlament 
hingegen. vorzugsweiſe die Erfahrungen der Vergangenheit 
und die geſammte Zukunft im Auge. Gewiß war es ein 
großer Gewinn daß England bie größte Laft, welche die neue⸗ 
ven Staaten druͤckt, von fich entfernte und entfernen konnte; 


_ weshalb es um fo betrübender und unbegreiflicher erſcheint, daß 


: J 
1) Deshalb Tchreibt Graf Dohna (Mem. 236.) Il fut une mor- 
tification sensible pour ce prince; mais quoiqu’il la ressentit vive- 
ment, il se comporta de maniere à faire cr&ver de rage ses en- 
nemig, ne l’ayant jamais vu le visage plus gai, l’air plus ouvert, 
et l’ame plus — en apparence, que lorsqu’il Iui fallut 5: 
prouver ce bill, 


3) Bist. of the Commons IT, 101. — Man — dem Kb: 
nige jährlich 700,000 Pfund auf Lebenszeit. Somerville 509. 


47% Schstes Bud. Meuntes Hauptflüd. 


1697. man für Irland (ober vielmehr gegen Irland) bis auf ben 
heutigen Tag ein ſtehendes Heer) unterhält, das (ande: 
rer Geſichtspunkte nicht zu gedenken) unendlich mehr gekoſtet 
bat, als wen man alle Forderungen jenes gedruͤckten Lan⸗ 
des reichlich und eiligft bewilligt hätte. 


1) Damals angeblich 12,000 Mann für Irland. 


Zehntes Hauptſtüͤck. 


Der Streit uͤber die ſpaniſche Thronfolge, vom pyre⸗ 
naͤiſchen Frieden, bis zum Tode Karl IL. 
(1650 - 1700.) 


Seit dem pyrenaͤiſchen Frieden, und noch mehr ſeit dem 1659. 
Tode Philipps IV, war unter allen politiſchen Fragen, die 
uͤber das kuͤnftige Schickſal der ſpaniſchen Monarchie, eine 
ber bedeutendſten, wo nicht die wichtigſte. Obgleich biswei⸗ 
len ſcheinbar beſeitigt oder vergeſſen, ſtand ſie doch mit den 
Kriegen, wie mit den Friedensſchluͤſſen dieſer Zeiten in en⸗ 
ger Verbindung, und tritt nunmehr ſo augenſcheinlich in den 
Vordergrund, daß fie an dieſer Stelle in uͤberſichtlichem 
Zuſammenhange erörtert werden muß’). 

Die Könige Spaniend aus dem Haufe Habsburg wa⸗ 
ten, feit dem großen Karl V (I), an Leib und Geift immer 
tiefer gefunten, bergeflalt daß Karl DI in fieter Abhängig: 
keit von Mutter, Frauen und Miniflern lebte, daß er nicht *) 


1) Gern Hätte ich die Werndigung von Mignets hoͤchſt lehrrei⸗ 
chem und erſchoͤpfenden Werke über Spanien abgewartet; da jener Zeit⸗ 
punkt aber noch gar nicht feftfteht, durfte ich mit dem Drucke biefes 
Bandes nicht Länger zögern, und behalte mir vor etwa nöthige Bes 
richtigungen nachzuliefern. Gleich lehrreich ſind die Memoires militai- 
res relatifs à la succession d’Espagne bearbeitet von den Generalen 
de Vault und Pelet, obwohl ich davon für meine Zwecke ae: Ge: 
branch machen konnte. 


23, Torcy I, 1—20. Als die Frangofen ihm Mons weggenom⸗ 
men hatten, beklagte Karl den Koͤnig von England. 


476 Sechſtes Bud. Behntes Hauptftäd. 


einmal wußte, welde Länder er beherrſche, ober beherrſchen 
folle, unb man mit Siqherheit vorausſah, er werde niemals 
Knder zeugen. 

Was nun zunaͤchſt die auf Verwanbtfchaft fi grünben- 
den Erbanſpruͤche betrifft, fo theilten ſich biefelben zwi⸗ 
ſchen Öfterreih und Frankreich. Das Haus Öfterreich 
flammte ab von Philipp I, (dem Sohne Maximilians D und 
Sohanna der Erbinn ber fpanifchen Monarchie. Diefer alte 
Anſpruch kam jedoch fchon um. beöwillen in feine Betrach⸗ 
tung, als die Vererbung des fpanifchen Zhroneb, nicht bloß 
in dee männlichen Linie, fondern auch in ber weibli- 
hen Linie gefehlich war. Demgemäß mwurben durch Hei⸗ 
rathen folgende Anfprliche begründet. Kaifer Ferdinands HI 
Semahlinn, war die juͤngſte Tochter König Philipps II; 
und Kaifer Leopold Gemahlinn Margaretha Therefia, war 
bie juͤngſte Tochter Philipps IV. Sie hatte 1669 eine 
Tochter Maria Antonie geboren , welche an ben Churfärften 
Mörimilian Emanuel von Baiern vermählt ward. Deren 
Sohn war Joſeph Ferdinand, geboren ben 28ften Ofto- 
ber 1692. Die Söhne Kaifer Leopolds I, Joſeph und Karl, 
flommten nicht von jener fpanifchen Prinzeflian, fondern von 
einer anderen Gemahlinn. 

Das Haus Bourbon war ebenfalls zweifach. mit der ſpa⸗ 
niſch Öfterreichifchen Linie verwandt. Anna Maria Mauri⸗ 
tia, die Gemahlinn Ludwigs XUI, war bie ältere Toch⸗ 
ter Philipps UI; und Maria Therefia, die Semahlim Lud⸗ 
wigs XIV war die ältere Tochter Philipps IV. Hieraus er- 
giebt fih: daß das Haus Öfterreich zweimal vom ber 
jüngeren, bad Haus Bourbom aber zweimal von ber 
älteren weiblichen Linie abflammte. Da nun bie ältere 
Werwandtfchaft, die jimgere ausfehloß ‚ fo wuͤrde in beiven 
Fällen Bourbon ohne Zweifel ein näheres Erbrecht gehabt 
haben, wenn nicht die Gemahlinnen Ludwigs XUI und XIV 
bei Abfchließung ber Heirath, feierlich auf die fpanifche Erb⸗ 
fhaft Verzicht geleiftet hätten. Weil hingegen diefe Rechte 
den Gemahlinnen beider Kaifer vorbehalten waren, fo ſchien 


Entfagung Maria Therefias. . 477 


zunaͤchſt der Tochter und dem Enkel Leopolds J, dem Prin⸗ 
zen Joſeph Ferdinand von Baiern, nach Verwandtſchaft ein 
unzweifelhafter Anſpruch auf die ganze ſpaniſche Monarchie 
zuzuſtehen.) 

Seit dem Tode Alexanders des Macedoniers war nie⸗ 
mals von Erledigung der Herrſchaft uͤber ſo viele Laͤnder 


und Voͤlker die Rebe geweſen, und es ließ ſich vorausſehen, 


Daß man vonıverfchiedenen Seiten her die Standpunkte der‘ 
Verwandtſchaſt, des Privat: und Staatörechts, der Macht 
und ber Staatöweißheit geltend machen werbe. Keiner bie 
fer Standpunkte entfcheibet in feiner Vereinzelung allein Pie 
Schidfele der Welt, und das find die größten Staatsmaͤn⸗ 
ner welche dies zur rechten Zeit im voraus erkennen, das 
Mögliche vom Unmöglichen zu unterſcheiden ‚ und ſchon da⸗ 
durch zu herrſchen verſtehen. 

Sehr natuͤrlich ſah Ludwig XIV in der Entſagung 
ſeiner Gemahlinn ein ungemein großes Hinderniß ſeiner po⸗ 
litiſchen Plane, und ſuchte Die Spanier durch lange Unter⸗ 


handlungen und guͤnſtige Anerbietungen, zur Aufhebung je⸗ 


nes Verſprechens zu bewegen. Ich ſtreite (ſagte er) fuͤr das 
natuͤrliche Recht, für ein Grundgeſetz Spaniens, für die unver⸗ 
letzbare Erborbnung”); die Spanier hingegen fire eine willkuͤr⸗ 
liche Annahme, für eine Erfindung der Rechtölehrer. und eine 
neue Förmlichkeit. Ihre Schkiffe beruhen weit mehr auf ei⸗ 
ner bloßen Thatſache, ald auf dem Rechte. 

Erſt fpäter wurden (mie wir fehen werben) bie Gründe 
fir und gegen bie Entfagung Maris Therefias umflänblis 
cher ausgefprochen und erörtert. Jetzt lehnten bie Spanier 
alle Anträge Ludwigs ab, und behaupteten: bie" neue, auf 


1) Dumont V, 2, urk. 805. Penna annal. III, 232. Davila, 
Felipe III, 168, Villars I, 29&. Becueil de pidces concernaut 
Histoire de Louis XII, I, 80. Le Grain Vie de Louis XIII, 
p. 245. Möm. de Harrach II, 166. Coxe I, 70. Flassan III, 349. 
Mignet I, 27 ' 

2) Mignet II, 112, 115. 





478 Sechsſstes Bud. Zehntes Hauptſtück. 


uͤberwiegenden Gruͤnden beruhende Thatſache, erſchaffe 
eben auch ein neues Recht und ſchließe es in ſich. 
Sobald Ludwig XIV ſich Aberzeugt hatte, ex Tomme in 
Madrit nicht zum Ziele, beſchloß er zu verfuchen, was er 
feinem Mitbewerber auf die ſpaniſche Erbfchaft, dem Kaifer 
abgewinnen inne. Nachdem ‚jeder feine Großmuth und 
Mäßigung gerühmt, weil er von dem unzweifelhaft ihm ge⸗ 
bührenden Ganzen etwas abgeben wolle, begannen bie 
1668. Beihandlungen in Wien und führten ben 18ten Januar 1668 
zu einem Theilungsvertrage'), wonach erhalten follte, 
ber Kaifer: Spanien, Indien, Matland, bie Pläge am toska⸗ 
nifchen Meere, Sardinien, die Balearen und die canmifchen 
Inſeln. Ludwig XIV hingegen: bie Niederlande, Franche⸗ 
comte, Navarra nebit Roſas, Neapel und Sicilien, die afri- 
kaniſchen Plaͤtze und die Philippinen. 

Sofern wir nicht unreine Gruͤnde und Xriebfebern mit 
in Anfchlag bringen wollen, konnte Kaifer Leopold nebft fei= 
nen Minifleen zum Abfchließen dieſes Vertrages nur burdh 
die Überzeugung vermochte werben, daß er, im Ball ber KWo⸗ 
nig von Spanien (wie man beflicchtete) bald fterben folite, 

außer Stande fey feine Anfprüche auf bie ganze fpanifche 
Monarchie irgend ſelbſt, ober mit Hülfe Anderer geitenb zu 
machen. Deshalb fen es beſſer bie größere Hälfte der Erb⸗ 
ſchaft im frieblichen Wege zu erhalten, als fi} in Lange 
und gefährliche Kriege einzulaſſen. — Noch mehr und ficherere 
Vortheile erlangte Ludwig XIV. Dem 
Erſtens, war ber Ihm zugefprochene Antheil zwar Der kleinere, 
aber ſehr günftig gelegen und feine Macht weſentlich vermehrenb. 

Zweitens, warb der Kaifer durch den Vertrag zur Uns 
tbätigfeit verurtheilt und fo gebunden, daß Ludwig dem XIV 
zu anderen Planen, befonderd in Belgien, freie Hand blieb. 

Drittens, räumte ber Kaifer mittelbar ein, baß bie 
Entfagung Maria Therefias keineswegs alle ihre Anfprüche 

vernichte, fondern ihr ein fortdauerndes (na) Maaßgabe der 
Umftände zu erweiternded) Recht zuftche. 
1) Mignet II, 445. Bolingbrocke letters 173. 


-. wa wu. vn — .— = 


Theilungsvertrag von 1668. 479 


Beide Theile, Kaiſer und König, hielten indeß jenen 1668. 
Vertrag dußerft geheim, theils um Spanien nicht den groͤß⸗ 
ten Anſtoß zu geben; theils in der Abſicht, eben nach Maaß⸗ 
gabe der Umſtaͤnde, mit erweiterten Anſpruͤchen hervorzu⸗ 
treten. 

Als König Karl II im Jahre 1679, Marie Louife bie 1679. 
Tochter bes Herzogs Philipp von Orleans heirathete, glaubte 
man ber Einfluß der franzöfifchen Partei werde in Mabrit 
ſehr wachen. Die neue Königinn war aber fo wenig ehr⸗ 
geizig und fo abgeneigt fich in politiſche Händel zu mifchen; 
daß Plane zum Vortheile ſterreichs nicht durch fie, fons 
dern gutentheild durch beftimmte Erklaͤrungen des Königs 
von Frankreich bintertrieben wurden. Nach bem Tode feiner 
erſten Semahlinn, heitathete der Eraftlofe Karl, Maria Anna 
die Tochter des Churfürfien von ber Pfalz, eine Schwes 
fier der Kaiſerinn). Hiedurch warb alledings bie öfters 
reichiſche Partei ſehr verſtaͤrkt; allein ſie war weder beliebt, 
noch in füch einig. Man warf der Königin vor: fie fey 
anmanglich, habfüchtig, laſſe ſich duch, ein Fräulein von 
Berlepfch ) und einen deutſchen Kapuciner Gabriel in 
und verachte ohne Hehl das fpanifche Volk. 

Die Berichte des engliſchen Geſandten, des Lords 
Stanhope, beftätigen bad, was wir bereit8 aus franzoͤſi 
ſchen Quellen über bie fpanifchen Verhaͤltniſſe mittheilten ). 

Ex fchreibt den 14ten Novanber 1696 aus Madrit): „Die 1696. 
Granden und fremben Botfchafter, wurden am Geburtötage 
bed Koͤnigß vor ihn gelaffen. Er lag im Bette unb die 
Feierlichleit ging vorüber, ohne daß von bes einen ober ber 


1) Sie war elür geohe, Harfe Fran. Harrach Men, II, 46. 


2) Die WBeriepflg Hatte viel Berſtand und Scharfſinn, aber eben 
ſo vl Stolz, Eitelkeit und Chtgetz. Die Königin ward fpiter ger 
nöthigt, fie, jedoch mit großen Geſchenken, fortzufchidlen. Torre I, 
171, 268, 287; II, 81. — Foͤrſter Höfe und Kabinette I, 2. 
8) Oben ©. 427. 
4) Statepaperoflice, Spain N. 1, B, C. 


480 Sechstes Buch. Zehntes Hauptſtück. 


1696. anderen Seite ein Wort geſprochen ward. Dem Bolke ftellte 
man jeboch die Sache fo vor, als fen ber König geſund genug, 
die gewöhnlichen Stüdwünfche zu empfangen. Zu bemfel- 
ben Zwecke läßt man ihn biöweilen aus dem Bette aufftes 
ben (fehr gegen feinen Willen und über feine Kräfte) um 
nur bie Krankheit deſto beſſer zu verheimlichen. Er ift nicht 
allein koͤrperlich Außer ſchwach, fondern auch geiſtig ſehr 
niedergedruͤkt und melancholiſch; was großentheils eine Folge 
des fie Andringens ber Koͤniginn feyn ſoll, daß er feinen 
legten Willen ändere.” 

„Waͤhrend feiner erſten Krankheit, befidtigte er durch 
fein Teſtament bie Beſtimmungen Philiups IV über bie 
Thronfolge. Laut derfelben folte erben erſtens fen Sohn 
(der jegige König), dann feine Tochter bie Kaiſerinn (bevem 
Ente der jebige Prinz von Baiern ifl), dann bie rechten Ex 
ben des Kaiſers, und zulebt ber Herzog von Savayen '). 
Dies ward bald nach Philipps Tode von ben Reichsſtaͤnden 
aufs Feierlichfte befidtigt, fo daß eine Anderung nicht Teicht 
ſeyn dürfte auch ſcheint der König hiezu gar nicht gemeigt, 
obgleich Fein Mittel umverfucht bleiben wird ihn bahin zu 
bringen. Weil die Königin Feine Kinder bat, fo wänfcht fie 
Daß das Erbe auf einen ihrer Neffen in Wien 
Die Königinu von Portugal (Schwefter ber Königinn von 
Spanien) begt dafielbe Intereffe, und ihr Gemahl (welcher 
Anfangs für fich hoffte) hat feinem Botfchafter Befehle übers 
fit, Leinen Stein unbewegt zu Yaffen um des Kaiſers 
Partei zu verftärten. Zu gleichem Zwece erwartet man ben 
alten Grafen Harrach (defien Sohn bereitö bier iſt) weicher 
mit ſehr beträchtlichen Gelbfummen nach Madrit eilt, nicht 
allein um fie nach Gelegenheit unter die Granden zu ver⸗ 
theilen; ſondern auch die portugiefiihe Mannfchaft zu bezah⸗ 
len, welcde zur Vertheidigung bee kaiſerlichen Anfprüche in 
Kaſtilien einruͤcken fol. Die franzöftfche Partei wirkt mehr 


1) Der Herzog von Savoyen flammıte im brfkten liche von Ka⸗ 
tharina, ber Tochter Philipps IT ab. 


Spankſche Erbfolge. 481 


tm Finſteren, obgleich wir vorausſetzen dirfen daß fie nicht 1690. 
mäßig iſt; ja ich fürchte fie wird die Oberhand? gewinnen.“ 

„Dex Zuftand der Öffentlichen Angelegenheiten ift hier fo 
verzweifelt, das niemand den Muth bat ihre Leitung zu 
-übernehmen. Die neue Iunta, von ber man: Anfangs viel 
erwartete, ift ein Gegenfland des Spotted geworben; befons 
ders, feitdemn fie den armen Wittwen und Waifen ihre Jahr: 
gelder nahm '), während ber Herzog vou Offuna, einer der 
zeichfien Männer in Spanien, ſich auf Lebenszeit ein Jahres 
geld von 6000 Kronen verfchaffte.” £ 

‚Des Königs Geſundheit (Bericht vom fünften December 
1696) wird täglich fhlechter. Gegen feine Schwäche giebt 
.& keine Mittel, und babei ift fein Geift fo melancholiſch 
und abgeflumpft, daß er faft fühllos gegen Alles iſt was 
man ihm thut, oder fagt, oder was um ihn vorgeht.” — 
So weit die Schilderungen bes engliſchen Botſchafters. 

Nachdem die Königinn Mutter”), (welche ihren Sohn 
vermocht hatte ein Teſtament zu Gunften des Prinzen von 
Baiern zu vollziehen) im Mai des Jahres 1696 geflorden " 
war, gelang es der regierenden Königinn ihren Gemahl zur 
Rücknahme dieſes Teftamentes zu "bewegen; fie und ber öfters 
zeichifche Botſchafter Graf Harrach konnten ihn indeß 
nicht dahin bringen einen anderen Nachfolger zu ernennen. 
Endlich gab es ihrem Anbringen in fo weit nach, daß 
ex erlaubte: der Erzherzog Karl von ſterreich möge nach 
Spanien kommen, fofern er zehn bis zwölf taufend Dann 
zur Wegheibigung Kataloniend mitbringe. . Anftatt diefe Er: 
laubniß im Laufe ded gegen Frankreich noch fortbauernden . 
Krieged eiligft zu bemugen und mit allen Kräften zu unter . 
flügen, erhoben die kaiſerlichen Miniſter Schwierigkeiten und 
verlangten wegen Mangeld binreichender Geldquellen, daß 
. der König von Spanien jenes Heer ſelbſt befolde. Diefer 
wies jeboch ihr Geſuch aus gleichem Grunde zurüd, und 


1). Bericht vom 22ften Oktober, 


2, Eine Tochter Kaifer Ferdinands ITI. 


VI 3 


482 Sechstes Buch. Zehntes Hauptſtück. 


4690. fand es unbillig, daß er bie Laſten einer Maaßregel. tragen 
ſolle, welche lediglich den Vortheil bed kaiſerlichen Haufes 
bezwecke. — Nach dem Abſchluſſe des ryswiker Friedens hätte 
Sſtexreich wohl jene Forderung bewilligt; allein es beſaß 
keine Flotte um eine Heeresmacht nach Spanien uͤberzuſetzen, 
Gingland und Holland durften laut der Friedensbedingungen 
bie ihrigen \pazu nicht hergeben, und fo erbat der Kaifer nur 
die Statthalterfchaft von Mailand für den Erzherzog um 
zunaͤchſt wenigftens alien zu ſichern; ba dad Intereffe der 
Seemächte fie dereinft ſchon zwingen werde, feine Anſpruͤche 
auf die ganze ſpaniſche Monarchie zu unterflägen ). : 

In der That flanden bie Verhaͤltniſſe um biefe Zeit 
weit günfliger für den Kaifer, ald im Jahre 1668, wo et 
fich bewegen lieg den obenerwähnten Theilungsvertrag abzu⸗ 
ſchließen. England mar aus feiner politifchen Nichtigkert zu 
neuem Leben erftanken, Hollands ehemalige Werbinbung mit 
Srankreich, ſowie ber Rheinbund aufgelöfet, Deutfchland durch 
Ludwigs Härte und Ereberungsluft zum Kaiſer hingetricben, 
Schweben unbedeutend und im Norben befchäftigt, der tür: 
fische Sultan uͤberall im Nachtheile; — mithin Ludwig XIV 
vereinzelt in. Europa, en 

1697. Diefem mußte «8 alfo zundchfl darauf anfommen in 
frieblichem Wege. und durch Unterbandlungen, neuen Boden 
und eine ficherere Stellung zu gewinnen. Deshalb fantte 
er im September 1697 den Strafen von Harcourt ald Bot: 
fchafter nach Mabrit mit dem Auftrage’): Die Stimmung 
ber Großen und des Volkes in Bezug auf die Erbfolge zu er: 
forſchen, die geheimen Plane und Maafregein der Taiferli- 
hen Botſchafter zu entdeden und zu verhindern, und nicht 
mindere Aufmerkſamkeit auf. die Verbindungen Baierns zu 
richten. — Erſt nach mehreren Monaten ward Harcourt 
zur Aubienz gelaffen, vwoobei ‚aber bad Zimmer vorfäßlich fo 


1) Bolingbroke letters 201. 


2) Harrach Memoir. Flassan IV, 190. Coxe Gefdichte Spa⸗ 
niens I, 54. 


BHareourt. Harrach Erbfolgze. 48 


ſchwach erleuchtet war, daß er bie Geſichtszuͤge des Koͤnigs 1697. 
nicht erfennen und auf ben Zufland feiner Geſundheit ſchlie⸗ 
Sen konnte '), Zuruͤckſetzungen und Vorſichtsmaaßregeln biefer 
Art konnten aber Harcourts Thätigkeit um fo weniger bemr 
men, do er ein Mann war von’ großem Verſtande, fehr ein- 
nehmendem Weſen und untabelhaftem Rufe. Anfangs rebete 
er gar nicht von franzöfifchen Anſpruͤchen auf bie fpanifche 
Erbfolge; fondern nur von der Billigfeit des rwöwiker Frie⸗ 
dens und ber Seneigtheit Ludwigs XIV, Spanien in ben 
Streitigkeiten mit den Ungldubigen zu unterfiken. Bon 
bier aus war ed leicht bie fehr große Macht Frankreichs her 
borzubeben, und ben Wünschen der Spanier für bie Unge: 
theiltheit ihres Reiches beigutreten. Drauf folgten Eroͤrte⸗ 
rungen über die Unzulaͤnglichkeit der Entſagung Maria The⸗ 
reſias, endlich Verſprechungen und Schmeicheleien, leiſe Dro⸗ 

hungen, Geſchenke und Feſte“). Gemeinſchaftlich mit ihrem 
Gemahle, wirkte die gewandte Marquiſinn von Harcourt 

auf die Koͤniginn und bie Gerlepſch; indem fie jener bie 
Ausſicht auf eine dereinſtige Vermaͤhlung mit dem Dauphin, 

und dieſer auf ein Fuͤrſtenthum in den Niederlanden eroͤff⸗ 

nete). Um dieſelbe Zeit zog ſich der aͤltere Graf Harrach, 

(ein kinger, aber aͤngſtlicher und foͤrmlicher Mann) ganz zus 

ruͤck, und fein Sohn verſtand das Anwachſen einer franzoͤ⸗ 

ſiſchen Partei, zu welcher der einflußreiche Kardinal Por- 
tocarrero uͤbertrat, noch weniger zu / verhindern. 

Als nun König Karl im Maͤrz 1698 nochmals ſehr 1698. 
ernſt erkrankte, glaubte die Koͤniginn; nebſt dem in Katalonien 
befehlenden Prinzen von Darmſtadt, nachdruͤcklich hervortre⸗ 
ten zu emäffen, Indem ‚fie aber die Spanier zurlidiehten 


) Torey I, 386. 
4) Dies Alles Loftete u KıIv voklatg an 10 Mil. Bioief 
Wlassan :IV, 19. 


8) Torre Mem. I, 9. 8 Hilaire Möm. TI, 226. Frau von 
Berlepfh warb mit 25,000 Piſtolen von Harcourt beſtochen. Schloſ⸗ 
fer Gefchichte des 18ten Se I, 30, nad handſchriftlichen Quellen. 

31L®*-° 








484 Sechsſstes Bud. Zehntes Hauptſtick. 


1698. und die Deutſchen übermäßig beguͤnſtigten, vermehrte ſich 
der Haß gegen dieſe, und mittelbar auch bie Beſorgniß vor 
einer Öfterreichifchen Herrſchaft. Stimmungen folder Art 
fonnten jedoch bei der völligen Ohnmacht Spaniens nichts 
entſcheiden, und fehr richtig fah Lubwig XIV: daß bad 
Schickſal des Landes mindeſtens eben fo viel von fremden 
Mächten, ald von einheimifchen Wuͤnſchen und Berhläffen 
abhangen werbe. 

De wahre Mittelpunkt aller Aufichten und Betrachtun⸗ 
gen war ohne Zweifel die gerechte Beſorgniß: eine Vereini⸗ 
gung der ganzen fparifchen Monarchie mit Öfterreich ober 
Frankreich, möchte ber Unabhängigkeit und Freiheit aller eu⸗ 
topdifchen Staaten großen Nachtheil bringen, unb best. fo- 

"genannten Gleichgewichte ein Ende machen. Diefer Bes 
griff ift falfch, oder dach ungenügend, wenn er nur auf ein 
mechaniſches Abwägen der Macht Hinausläuft und einen 
Stillſtand der Entwidelung bezwedit; er iſt heilſam fofern 
er fih auf. das Recht gründet, Schwaͤchere gegen Unter: 
brüdung der. Stärkeren fihern, und ihr Daſeyn erhalten 

ſoll. Auf der hoͤchſten Stufe des Betrachten und Dans 

delns, flrebt man aber nach einer Vereinigung bed befteben: 
den Rechted, mit bem durch Staatöweiöheit neu aufzufin⸗ 
denden und. zu begrinbenben Rechte. Leicht mag men. fich 
hierüber im Allgemeinen, in Abſtrakto verfländigen; die vech⸗ 
ten Schwierigkeiten und Wiberfprüche beginnen erſt wenn 
für einzelne Faͤlle zu entſcheiden tft: was das Privatrecht, 
dad Staatsrecht und die Staatöweisheit verlangen, unb in 
weichen Verhaͤltniſſe fie zu einanber ſtehen. 

Bald nach dem Abſchluſſe des ryswiker Friedens ſandte 
Wilhelm III den Herzog von Portland als Botſchafter nach 
Paris. Um in den, damals fo viel geltenden Außerlichkeis 
ten nicht zuchdzubleiben, hielt er feinen Einzug in jene Haupt⸗ 
ſtadt mit drei fechöfpännigen und brei achtfpännigen Wagen, 
und 100 Bebienten '). In zwei Deonaten hatte er 100,000 


1) Annalen de la cour 628. Deairympie IU, 8, 119. 


⸗ 





Erſter Vheilungodertrag . 485 


Zhaler · ausgegeben. Als man, feinem WBegielter.dem Dich: 1698. 
ter Prion, die Thaten Ludwigs XIV in Merfeißes abgemalt 
zeigte und ihn fragte: wie die. Thaten Withehis HIT in Whi⸗ 


tehall gemalt wären? antwortete er: man ſicht bie Thaten 


mieines Herren Überall, mir nicht in feinem eigenen Hauſe. 


Luodwig XIV welcher in Hinſicht der ſpauiſchen Erb⸗ 
folge vom Kaiſer gar Nichts und, von Karl Ik; ſehr wenig 
zu erwarten hatte, wandte ſich im März 1698 durch Dem 
Herzog von Portland, an. England ‚und. Hallend ')... Er lebte 
her UÜberzeugung: daß Wilhelm II von. Teinem. politifchen 
Stantpuntte. aus, ben .-Übergang der ganzem. ſpaniſchen 
Monarchie. in bie Haͤnde des Kaiferd unmoͤglich gern ſehen 
wad daher wohl auf einen Aheilungsvertrag eingehen werde. 
Nur fo laſſe ſich ein allgemeiner Krieg vermeiden und eine 
wenigftend theilweiſe Anerfennung der fraugöfiichen: Rechte , 
herbeifuͤhren. Obgleich Wilhelm IL den. lebten Umſtand kei⸗ 
neswmegs uͤberſah, fand er doch daß Sarwig :KIV bei. ten 
Ohnmacht feiner Gegner: wahl fo viel. ferbvillig. bet, al 
diefe jemals erſtreiten wirden); auch Tanuke. er hie Hohe 
Abneigung der Englänber und Holländer fi in einen neuen 
Krieg. einzulaſſen. Nach mancherlei Unterhandlumgen Tam 
bir am ;eilften Oltober 1698 der erſte Vertrag zwifchen 
Frankreich, Engiend: und Holland. über: die Theilung bei 
ſpaniſchen Monarchie zu Stande, des Inhelts) ⁊ Frankreich 

halt Neapel, Sicilien, die Befitzungen und, Infeln an bei 
fie von Toskana, Finale und Guinußfva; ‚Karl pen 
O ſterreich bekommt Mailand; alle Uhrige aber der Chur: 
prinz von Baiern, oder, wenn er ohne Kinder ſterben ſollte, 
ſein Vater. Wer nicht einwilligt — ag foll in Bes 
ſchlag genommen werben. 


4) Mardwicke stäte —* 11, 355— 246. Dilrymple IN, 


81%. 


2) Somerville 531. Burnet IV, 428, 448. 


8) Torcy I; 44. Lamberty I, 15. Belsham I, 501. Tore 
1, 3. — — 





4200 Sechstes Bud. :Bihures: Haupıfläd. 


1698. 2 der Bafer un fine Wer von Difen Mei 
lungsvertrage hoͤrten, zümten-.fie fehr und ed war bie Bebe 
bavon, fi) Heber unmittelbar mit Ludwig XIV zu verfläns 
Ham); allein dieſer hoffte, er werbe immer 2 eher ei⸗ 
nen guten Thel des Erbes durch England und Holland als 
durch den Kalfer, — wo nicht das Ganze durch Karl II 
erhalten. Gegen biefen entfchulbigte ſich Ludwig XIV: 
die Zuruͤckweiſung aller Anſpruͤche feiner Gemahlinn ig Spa- 
nalen, ihn gezwungen bitten beren Antrkennung. 
thellweiſe von England und Holanb zu erlangen. Auch 
widerforeche er dem Xheilungdvertrage fofen er Ye Reste 
feiner Familie verkuͤtze, und halte allerdings eine. unzerſtuͤckte 
Bererbimg bee ſpaniſchen · Monarchie fir beſſer, als eine 


Durch feine Botſchafter ließ König Karl II in Paris, 
London unb Dem Hang vorſtellen: 6 fey ein ſtraͤflicher Ehr⸗ 
geiz, über die Länder eines noch lebenden Nachbaten in ſol⸗ 
cher Weiſe zu fihalten und dabei nur bie Gewalt, nicht Das 
Recht zir hoͤren. Der König werbe ſchon ſelbſt für das 
Boh feiner Staaten forgen, das Volk aber nie zugeben daß 
eine fo ſchmaͤhliche Theilung und Werkaͤuferei zur Ausfuͤh⸗ 
zung komme. Mittel ſolcher Art erhielten nicht: den Frieben, 
fondern führten zur. ungerechten  Kciegen womit inwere Aufs 
wiegelungen immer.Band in Hand gehen müßten. Mann 
Fremde fo etwas wagen dürften, wo blieben da Eigenthann, 
Befitz, Sicherheit, Ordnung, Gefetze und Berfaffimg! 

Naͤheren Aufſchluß fiber die Stimmung und: die Maaß⸗ 
regeln in Madrit, geben folgende a... aus dein. Sefandt: 
fehaftöberichten des Grafen Stanhope. Er fehreibt den 20ften 
November 1698): „am 14ten dirſes Monats fanb eine 
große Berathung über Staatsangelegenheiten flatt, welche 
man möglichft geheim hielt. Wor zwei Tagen babe ich je 
do ben Inhalt erfahren. Der Kardinal von Toledo und 


DE 


1) Villers I, 821. Coxe I, 57. Macphers. Hist. IL, 167. 
" 2) Statepaperoflice, Spain I, C. 


Erſtes Teanıens.: Aut Prinz von Daieen. 481 


ber Btaf.Dropefa, waren feit etwa acht Tagen mehre Male 1608. 
ein, zwei Stunden lang mit dem Koͤnige eingefchloffen, und 
bewogen ihn, vole es fihelnt, ſich in jener. Rathoverſamm⸗ 
kung ber zwei Dinge zu erklaͤren: nämlich die Thronfolge 
und die Verſorgung der Königin nach feinene Aode. Was 
den. erfien Bninkt anbetseffe, fo wolle er ed: bei hem .beiafa - 
fen: was die Geſetze des Königreichs feſtſtelltenz kenn fie mis, 
ren ihm ‚fo heilig, daß er fit nach ſeinem Gewiſſen nicht aͤm 
dern, Bonus. .. Die mir. zugelammene Nachricht lauiete ungen 
wiß ob er den Prinzen om :Baiern namte; aber aus 
den. was folgte geht hervor, daß er Keinen Anheren meinem . 
Tonnte, Er fügte nämlich hinzue in paflendım 8eit werda 
er bie. Stände bed Reiches berufen, um den Fhronfolger in 
der feierlichften Weiſe zu erklären (to deelare),:und für 
den Fall daß derſelbe bei. feinem (des Königs) ‚Ableben min= 
derjaͤhrig ſeyn follte, werde er .paflenden Perfonen die Re⸗ 
gierung bis zur Großjaͤhrigkeit des jungen, Königs übertrgs 
gen. — Was die Königina anbetrifft, fo beſtimme er ihr, 
ein jährliches Wittwengeld von 800,000, Dufaten..und die 
Wahl einer kaſtiliſchen Stadt um dafelbft zu leben. Jenes 
Wittppengeld halt man für ein Übermaaß ber Zärtlichkeit des 
Königs, , da feine eigene. Mutter (die Schwefter eined Kai« 
ſers) niemals mehr als jährlich 300,000 Dufaten bezog. — 
Der kaiſerliche Botfchafter lief in der letzten Woche wie ein. 
Unſinniger von einem Geheimenrathe zum andern, um,zu 
erfahren was in jener Rathsſitzung vorgefallen fen; fie entz 
ſchuldigten fich, aber alle mit ihrer Dienſtpflicht daffelbe ge: 
heim zu halten. Nur: Dropefa.fagte ihms er habe mehre 
Male gehört, daß fich der König in Privatgefprächen über 
die Erbfolge im Allgemeinen: geäußert habe, wie, ich fo eben 
erzählte, ohne jedoch eine Perfon zu nennen.” 

Den’ zehnten December 1698 fährt der Gefandte fort: 
„Nach den genaueften und beflen Berichten zeigte ber Kö: 
nig ‚am 14ten November den verfammelten Näthen eine 

schrift und fagte: dies fey fein Zeflament, worin er ben 
Prinzen von Baiern für feinen einzigen. Erben und: 


2698. FAWTOLZET errlare. MWer Aonig unerzeicnete DIE Own 


in Gegenwart aller Näthe und fie thaten baffelbe. — Ci: 
ige Granden verfuchten alles Didglihe um ben König zur 
Berufung der Cortes zu bewegen. Fir benfelben Zweck ent: 
warf und überreichte der Marquis von Billena eine Denls 
fehrift, welche nach dem Befehle des Königs im Mathe vor 
geleſen und woruͤber mehre Male gerathfchlagt warb, ohne 
etwas zu befchliegen. Der Graf: Dropefa wiberfeßte fi 
nachdruͤcklichſt einer Berufung ber Cortes; denn fie taugten 
zu Nichts als zum Bewilligen bed. Geldes, welches obenein 
theuer erkauft fey durch die Unruhen welche ihre Zufammen: 
kunft gewoͤhnlich herbeifuͤhre.“ 

Durch die Ernennung des Prinzen von Baiern zu ſei⸗ 
nem alleinigen Erben, ſchien Koͤnig Karl II gleichmaͤßig die 
Verwandtſchaft und die Entſagungen beruͤckſichtigt, ſowie alle 
politiſchen Beſorgniſſe beſeitigt zu haben. Deßungeachtet 
waren ber Kaiſer und Ludwig XIV gleich unzufrieden: je 
ner weil feine Zochter bei ihrer Verheirathung an ben Churs 
fürften von Baiern, zum Beſten ihres Vaters und feiner 
männlichen Nachlommen auf die fpanifche Erbfchaft Verzicht 
geleiftet hatte, welche Werzichtleiftung Leopold I für fo gültig, 
als Ludwig XIV die feiner Gemahlinn für ungültig hielt. 
Deshalb erklaͤrte fich der franzoͤſiſche Botfchafter in Mabrit 
wider die Ernennung des Prinzen von Baiern, und ſprach 
von einem großen Sturme der feiner baldigen Abberufung 
folgen werde. Man antwortete ihm: der König von Spa⸗ 
nien fey entfchloffen den Bedingungen des ryswiker Fries 
dend genau nachzukommen; traf aber nicht die geringften 
Vorbereitungen das Heer zu verflärken und bie verfallenen 
Feſtungen wieber berzuftellen ’). 


Ale Plane, Einreden, Hoffnungen fielen jedoch ploͤtz⸗ 


1) Barcelona is just as the French left it, nor a brick or 
stone laid any where to repair the breaches, Bericht Stanhopes 
vom 1iten Februar 1699. 





— 








ch zu Boden, als ber Churprinz won Ba ER sa- unenmertet 1609: 
am fechöten Februar 1699 in Brüffel flarh '), Sobald Lud⸗ 
wig XIV bievon Rachricht erhielt, ſchickte er einen Eilbaten 
nach Mabrit ind liek burch feinen Geſandten dem Könige 
Karl eine Schrift übergeben, worin er auf eine milde Weiſq 
Hogt-vaß Ihre Eatholifche Majeftät, in der Antwort auf bie 
letzte franzoͤſiſche Denkſchrift die Erbfolge betreffend, fo wes 
nig Zutrauen gezeigt hätten”), Weil indefien der Grunb 
feiner Beſchwerde durch den Tod des Prinzen von Baiern 
hinweggeraͤumt ſey, fo wolle Ludwig XIV, ſofern ber Ks 
nig von Spanien Seine neuen Beſtimmungen zu ſeinem 
Machtheile treffe, ihm uͤberall Freunbſchaft zeigen und den 
beſtehenden Frieden unverletzt erhalten. Auch wuͤnſche ex, 
um alle Streitigkeiten abzuſchneiden, daB Karl II ſelbſt Kin⸗ 
ber zeuge, welche ihm buch viele Gefhlechter in der Herr⸗ 
Schaft folgen. möchten. 

König Karl freute ſich übermäßig ob dieſer unerwartes 
ten guten Neuigkeiten, verfprach Alles wad man von ihm 
verlangte unb.lief, ehe fich der Gefandte entfernt ‚hatte, zur 
Koͤniginn um ihr vom Gefchehenen Nachricht zu geben. Als 
le, rief er auß, ift nun wieder gut, und ed wird, fein Krieg 
ausbrechen!! 

Die Königinn ſah, nebft ihrer Partei, gewiß ein, wie 
kindiſch und übereilt diefe Freude war; ber franzöfifhe Ges 
fandte vorlor indeß feinen Augenblid, um von ber guͤnſti⸗ 
gen Stimmung Karld II Gebrauch zu machen. „Ex übers 
gab ihm (Schreibt der englifche Botfchafter) eine andere Schrift, 

- worin er audeinanderfegt, Spanien fey in großer Gefahr 
Indien durch die zahlreihen Floiten zu verlieren, welche 
Engländer und Schotten dorthin fendeten. Diefe Keber 
ſchienen außerbem den Plan zu haben die Tatholifche Reli⸗ 
gion, mit Hülfe fehr vieler Geiſtlichen auszurotten, welche 


1) Villars I, 840. Torre I, 99, 


— bes enoliichen Botſchafters aus Madrit vom 18ten 
Mai 1699 





1699. fie anf irn: Schiffen mit ſich nahmen. Der König vo 
Fraukreich halte ed. für feine Pflicht died Alles ihrer katholi⸗ 
fihen Majeſtaͤt unzzuftellen, damit man eiligft Mittel engreife, 
fo: drohenden: Unheile zuvorzukonmmen. — Der. Nuntiud ſchloß 
Sch ſehr gem einem fo ‚heiligen Werke an, und. übergab eine 
gieich dringende, Denkſchrift. Ihre Bemühungen hatten all 
Yen Erfolg welchen fie nur wimſchen konnten, denn in drei, 
‚wer Tagen wurden Befehle entworfen und an alle ſpaniſchen 
Statthalter in den Kolouien abgefchidt, kein engliſches Shi 
unter irgend einem Worisaribe in ihre Hazen. aufzunehmen, 

“ber ihnen Waſſer. und Lebenämittel zu verabzeichen,..oder in 
vie getingſte Werbindung mit ihnen zu treten. Der. Run 
tius meldete dieſe freubenvoße Kunde nach Rom und ver: 
fiderte bier in Madrit: Seine. Heiligkeit werde aͤhnliche Be 
fehle an alle Geiſtlichen ergeben laſſen, und fie anweiſen bed. 
Volk aufzureizen und in jenen Landern alles mu mögliche 
Böfe anzuthun.“ 


„Ohne "Zweifel wollen bie — — Sheet in 
Indien zwifchen Englaͤnderr und Spaniern "herbeiführen, 
umd dann die legten gegen uns unterſtuͤtzen. Hiedurch würde 
ſich Ludwig XfV bei dieſem Volke ſehr beliebt machen, und 
ſeine Ernennung zum Erben ver ſpaniſchen Monarchie, mit 
Ausſchluß unſerer Einwirkung, außerordentlich erleichtern ).“ 


Gewiß erfreute ſich Koͤnig Karl, nebſt ſeinen Beichtvaͤ⸗ 
tern und Geiſtlichen uͤber den ſcheinbar katholiſchen Glau⸗ 
benseifer Ludwigs XIV; wenigſtens hatte dieſer ein zwed: 
mäßige Mittel gerwäßlt bie Gemüther aufzuregen. Als je 
doch der Marquis von Canaled in London über Englands 
Einmifhung in die fpanifchen "Angelegenheiten ſehr peftige 
und anzüglihe VBorftellungen machte, fich beklagend an bie 
Oberrichter wandte, und ſelbſt Miniſter und Parlament un⸗ 
mittelbar gegen den Koͤnig in Bewegung zu ſetzen trachtete, 
ward ihm Ende September 1699 anbefohlen binnen vierzehn 








1) Bericht vom 18ten Mai 1699. 





Sweiter Dhetlungsvertrag· ar 


Tagen das Reich zu veraſen ). ‚Daffelbe war en dem 1609. 
englifchen Geſandten in Madrit wibafahren. - 

Der neue ſpaniſche Botſchafter in Paris Caſta dos 
Rios, hatte von feinem Herren nur zwei Aufträge ganz ans 
derer Art erhalten”): erflend, die Verdammung eines Bus 
ches der Marin Dagrebo durch die Sorbonne wieder aufhe⸗ 
ben zu laſſen; zweitens, die Anerkenntniß der unbeſlrckten 
Empfaͤngniß Marias durchzuſetzen. 

Ungeachtet Ludwig XIV jetzt beſſer denn zuvor:in Madrit 
angeſchrirben: war, und Spanien faſt mit England‘ entzweit 
hattes relchte dies doch nicht Hin den König Katl.zu einem 
beftimmten. Entfehtuß, und‘ ben Kaifer zu irgend einer Nach 
giebigkett zu bringen. : Deshalb erneuten fich bie Unter: 1700. 
handlungen in London ud nach mancherlei Schwierigkriten 
und Bedenken Fam im März 1700 zwiſchen Frankreich,/ 
England and Holand ein. zweiter Theilungsvertrag 
uͤber die ſpaniſche —** zu Stande, des Inhalts ): 
Frankreich erhaͤlt, außer den ihm laut des erſten Theilungs⸗ 
vertrages zugeſprochenen Landſchaften, noch Lothringen und 
Bat; der Herzog von Lothringen aber zur Entſchaͤdigung 
Mailand, und ber Erzherzog Karl von Oſterreich alle Mbria 
gen Laͤnder ber fpanifchen Monarchie. Jeder entfagt allen 
Anfſpruchen auf die Theile der Übrigen, und wenn: Karl von 
ſterreich binnen drei Monaten dein Wertrage nicht beitres 
ten will, fo werden fich Die drei Maͤchte Über einen anderen 
Beſitzer Änigen. Bei Lebzeiten des Königs von ‚Spanien 
darf der Erzherzog weder nach Spanien, noch nach Mais 
land gehen; ed darf weder oͤſterreichiſche noch franzoͤſiſche 
Kriegsmacht in ſpaniſche Länder einrliden. Derjenige, wel⸗ 
der Kaiſet wird und bie oͤſterreichiſchen Erbſtaaten bekoͤmmt, 


4) Hardwioks state papers H, 879. Ooles Mem. of. State 
58, 71. Prior‘ History of his own times 62. Macpherson Hi- 
story II, 167. | 
2) &o. erzählt 8. Simon -II, 871. | 
$) Lamberty I, 100. Torcy I, 82. Plascan IV, 206. Hi- 
stoird da Traité d’Ütrecht 89. 


' 





LVV. DALT TUE DIE ſpaniyen Aanthetit VEHELLIWER. Den IORL- 


trag abfehließenben Mächte, werden fi zur Aufrechtpaltung 
diefer Beſtimmungen wechfelfeitig unterflügen. | 
Der Kaifer ſchwieg auf die Mittbeilung diefed Vertra⸗ 
ges drei: Monate lang und Leß dam bie mündliche Antwort 
geben ): ex halte es nicht für geziemend über bie Länder fei- 
ned noch lebenden Schwagers zu ſchalten, behalte fich aber 
‚feine Anfprüche auf die ganze Erbſchaft vor. — Viel harter 
forachen die Öfterreichifchen Minifter Über den Theilungẽver⸗ 
trag*), und am beutlichflen und vollſtaͤndigſten wurden die 
Segengründe in einer Schrift. entwidelt, melde in Wien 
unteredem Titel: die Theilung der Loͤwenhaut u. f m. er 
ſchien. Es heißt dafelbft im Wefentlihen ): Nach dem tys⸗ 
wiker Frieden. haben ſich alle europäifchen Mächte freiwillig, oder 
nothgebrungen entwaffnet; nur Frankreich blieb gerüftet, um 
bei erſter Gelegenheit ungerechte Anfprüche geltenh zu ma 
hen. : Diefe Anfprliche werben jetzt durch ehemalige Gegner 
fo beftätigt, daß Frankreich der allein gewinnende Theil bleibt. 
Den König von Spanien behandelt man wie einen Todten, 
einen Rechtlofen, der unfähig. iſt fich felbft zu rathen und 
zu entfcheiden. Ohne Rüdfiht auf Staatsrecht unb Voͤl⸗ 
kerrecht, auf Verträge, Verwanbtichaft und Entfagung , legt 
man jenen Theilungsvertrag den Spaniern und ‚Öfterreichern 
nicht ald einen Vorſchlag, fondern ald einen unabänderlichen 
Beſchluß vor, und fügt anmaaßlich hinzu: ſobald Öfterreih 
bie Bedingungen nicht annehme, wolle man bed‘ Erzherzogb 
Antheil irgend einem Dritten übergeben. So wird unter ber 
-Korm bed Friebend und Wohlwollens, bitterer Hohn, Unrecht 
und verbammlicher Krieg auögefprochen und herbeigeführt. 
Immerdar handelte Frankreich eigennüsig und verraͤtheriſch 
gegen Spanien, und wird ben neuen Vertrag fo wenig hab 
ten ald die früheren. Zweideutige Worte, ſchwere Stellen, 





1) Lamberty I, 189. Vie d’Eugenel, 77. 8t. Simon III, 101. 
2) Sie nannten ihn abſcheulich. Coxe Marlborough I, 508. 
8) Prior History of his own times, 68. Anquetil Villars I, 69. 


— 





eingeſchmuggeit, datan Nante UND eigemutzige Auslegungen 
‚aller Art angeknuͤpft, und zuletzt mit ben Waffen geltend 
gemadt. Dad Sichere, Bequeme, ihm wohl Gelegene will 
Ludwig mit feinem Reiche vereinen, und bie zerfireuten 
Theile aneine vereinzelte Linie ÖfterreichE überlaffen. Wenn 
diefe auch bad Ganze erhielte, ift und bleibt die Macht bes 
Haufes Habsburg, dem jebt flärkeren Frankreich gegenüber, 
viel geringer als zur Zeit Karl V und Philipp I. Hat aber 
Frankreich erft die Hälfte der fpanifchen Monarchie vorweg 
genommen, wird niemand im Stande feyn die zweite Hälfte 
gegen feine &ft und Gewalt zu ſchuͤtzen. Kein der 
daß Ludwig XIV fo denkt und handelt: wie aber beffen les 
benslänglicher Gegner, wie ber Vertheidiger europäifcher 
Freiheit, König Wilhelm nebſt England und Holland fo ets 
was gerecht, verfländig, zwedimäßig finden koͤnnen, ift durch⸗ 
aus unbegreiflich. 

Wo möglich noch härter waren die Anklagen des Theis 
lungsvertrages in England. Man verglich ihn gerabehin eis 
nem Straßenraube '), lediglich zum Nutzen Frankreichs, und 
Dad Unterhaus drang mit großer Leidenfchaft und felbft uns 
ter. Verlegung des Königs darauf, bie Urheber befielben zu 
peinlicher Unterfuchung zu ziehen. Erſt fpäter änderte fich, 
aus bald mitzutheilenden Gründen, die Stimmung bed Lanz 
des und bed Oberhauſes. Doch hat felbft in unferen Tas 
gen ein fo kluger, ald milder Gefchichtfchreiber *) noch behaup⸗ 
tet: ber Theilungsvertrag fey unpolitifch, unrechtlich und 
unausführbar gewefen. 

Wilhelm III war ein fo gefcheuter Mann, daß wir mit 
Gewißheit annehmen Finnen: er babe alle biefe Bedenken 
und Einreden fchon vor dem Abfchluffe des Wertrages ferbft 
aufgefunden und in Überlegung gezogen. So fchreibt er 


1) Parliam, Debates III, 152. Somerville 547. Parliam. Hist. 
V, 1234. Smollet II, 70. Belsham II, 65. 


2) Russel on government 148. 





AM Sechstes Buch. Zehntes Hauptfiäl. 


4700.3. B. den 2iften Auguſt 1699 '): klbumt die Frage übe 
bie Erbfolge zwiſchen Ludwig XIV und dem Kaifer nicht zu 
Ende; fo werben wir gezwungen mit Frankreich ein befon- 
bereö Übereinfommen zu treffen, was ich germ vermieden 
hätte, da ich weiß welche übele Folge es für uns haha 
wird. — Den 15ten September feht der König hinzu: al 
Vorwinfe ber einen befonderen Vertrag werben uns treffen, 
alle Vortheile aber Frankreich zu Theil werden. Es mil 
uns von ber anderen Partei trennen, was fehr uͤhel if; 
allein wir koͤnnen und in biefem Augenblide leider nidt 
felbft helfen u. f. w. 

"Vieleicht ſchloß der König folgendergeſtalt: die Eutie 
gung feiner Gemahlinn wird Ludwig ben XIV nie von fü 
nen Planen auf die fpanifche Monarchie zurbdhalten, nd 
feine Macht ift fo groß (während feine Gegner fo ſchwach, je: 
freut oder dem Kriege abgeneigt finb”)) daß ihm auch das 
Schwierigfte gelinger dürfte. Wenn man ihr dahin bring 
einen Zheilungövertrag einzugehen, (worin auch ber Kae 
1668 einen Vortheil fab) fo entfagt er wenigftend den Ar 
forüchen auf bad Ganze und erfennt dad Recht Englande 
und Hollands an, in biefer wichtigen Angelegenheit nad: 
druͤcklich mitzufprechen. Das Intereſſe diefer beiden Mächte, 
(welches zu vertreten bed Könige und Statthalter erfe 
Pflicht ift) wird durch eine Xheilung ber ſpaniſchen Don: 
archie weit befler gewahrt und gefichert, als durch eine un: 
getheilte Vererbung an Bourboniden ober Habsburger’) 


4) Hardwicke II, 377. 


2) Meinten doch Manche in England: es fey gleichviel ob en 
Öfterreicher ober Bourbonide in Spanien herrſche. Somarville 531656. 


8) Vielleicht wirkte auch die Erinnerung, ie wie gufäfliger Belt 
manche Landfchaften mit der fpanifchen Monarchie vereint worden, un 
daß wenn Heirathen und Kinderzeugen biefür als genuͤgende Gründe 
galten, Gründe des Staatsrechts und ber Staatsweisheit um des Pb 
vatrechts willen, nicht ganz zu überfchen wären. Wiederum ftehe dir 
ganze Lehre von dem Erbrechte des Erſtgeborenen und ber uUntheilbar⸗ 
keit, mit bem gewöhnlichen Privatrechte im Wiberfpruch. 


Englands und Öfterre I&8 Beuchmen. 4% 


Auf Werlekung des Rechtes kann aber hiebei um. fo meniger 1700. 
ein Gewicht gelegt werden, ba’ dies gar nicht feſt ſteht; ſon⸗ 
dern die Einen gerade das behaupten, was die Anderen 
leugnen. Waͤre aber auch der Buchſtabe uͤber allen Zweifel 
erhaben, ſo iſt nicht minder offenbar daß jede Partei ent⸗ 
ſchloſſen iſt, ſich nach ihrem Vortheile ruͤckſichtslos daruͤber 
hinwegzuſetzen. Der Staatsmann muß alſo vorausſehen 
was unter ben gegebenen Verhaͤltniſſen das letzte un- 
ausbleibliche. Ergebniß all dieſer Verſchiedenheiten und 
Gegenſaͤtze ſeyn werde; er muß daſſelbe, mit Beſeitigung 
des Unmoͤglichen, durch Staatsweisheit in friedlichem, ver⸗ 
ſtaͤndigem Wege herbeizufuͤhren ſuchen. Und dies letzte Ziel, 
die endliche Ausgleichung der verſchiedenen Machtverhaͤltniſſe, 
Rechtsanſpruͤche und politiſchen Beſorgniſſe, — iſt noth⸗ 
wendig eine Theilung der ſpaniſchen Monarchie! 

Der Friede von Utrecht beſtaͤtigte dieſe Schlußfolge; 
nur war die Hoffnung zu kuͤhn, kaltbluͤtiger Verſtand werde 
fuͤr einen wahrhaften Propheten gelten und Leidenſchaften al⸗ 
Ver Art wie durch ein Zauberwort baͤndigen. 

As die Nachricht vom Abfchluffe des zweiten Thei⸗ 
lungsvertrages nach Madrit kam, ſtieg der Zorn noch hoͤ⸗ 
her denn zuvor ); richtete ſich jedoch hauptſaͤchlich gegen 
England und Holland, dieſe ketzeriſchen Staaten, welche 
das Eatholifche Spanier vernichten,, und Handel und Schiff: 
fahrt allein an ſich bringen woliten. Man ſchickte einen 
Eiboten an den fpanifchen Gefandten, ben Herzog von Mes 
108. nach Wien’), um darauf zu dringen daß öflerreichifche 
Mannſchaft eiligft nach Italien ziehe und der Erzherzog Kay 
nah Madrit komme. Defien Geſundheit, (antworteten bie 
Öfterreichifchen Minifter, oder Beichtvaͤter?)) ſey zu ſchwach 


1) Die Franzoſen hielten den Theilungsvertrag wohl ſelbſt nicht 
geheim, um Karl II dahin zu bringen daß er ſich Ludwig dem XIV in 
die Arme werfe. Dohna Mem. 246. Coles Mem. of State 157. 

2) Torre Men. I, 303, 332, 342; I, 19 — 22. 

8) Zwei Iefuiten, Donegati und Müller hatten in Wien ben ‚größs 
ten Einfluß. Torre U, 24. 


406 Gehstes Bud. Behntes Haupefäd. 


1700. für eine ſolche Reife, auch ſchicke es ſich nicht daß er bie 
ſelbe ungekannt und ohne die gehörigen Foͤrmlichkeiten mn 
ternehme. — Ein raſcher Entſchluß haͤtte wahrſcheinlich den 
Dingen eine weſentlich verſchiedene Richtung gegeben; es Io 
aber nicht in der Natur des wiener Hofes Fühn vorzuſchre⸗ 
ten, auch wollte man fih um fo weniger mit Frankreich 
England und Holland in Haͤndel verwickeln, als eine ſir 
Öfterreich zuletzt unbedingt guͤnſtige Entſcheidung des König 
von Spanien gar nicht ausbleiben koͤnne. Um dieſelbe dat 

‚ verkündete Graf Harrach laut und flolz:’ fein Herr werk 
lieber die Krone verlieren, als den Schimpf dulden, welche 
man ihm anthun wolle. i 


Nicht fo Graf Harcourt. Gr beharrte in feinem feinm 
zuvorfommenden Benehmen, entſchuldigte Ludwigs Beihlife 
mit den fhon oben erwähnten Gründen, umb flimmte denm 
bei welche bie Ernennung eines Nachfolgerd und bie Unze 
thaltheit der ſpaniſchen Monarchie für fchlechterbings not: 
wendig und heilfam erflärten. Bon bier aus entwidelte fid 

“ aber in Wielen die Überzeugung ): daß Öfterreich nicht maͤch 
tig genug fey, jene Untheilbarkeit durchzuſetzen und Güt 
und Perfonen zu ſchuͤtzen; bie ketzeriſchen Seemädte aa 
die Theilung, ohne Rüdficht auf Recht und Wohl Spanien⸗ 
geradehin wuͤnſchten und befoͤrderten. 


Bon fo verſchiedenen Seiten und fo verſchiedenen Grin 
den beſtuͤrmt, gerieth der ſchwache König im immer geößm 
Zweifel; weshalb Einige vorgaben er fey bebert, und mit ihm 
allerhand Thorheiten begannen *) um nur einen Koran 
zu befommen, ihnen unbequeme und gefährliche Rathgebe 
zu entfernen. Wenn aber irgendwo, fo mar Karl II in dm 
ernften Bemühen untabelhaft, bie große Trage über bie Wahl 


“4) Voltaire siöole de Louis XIV, Vol. XX, p. 470. Ms 
de Nosilles I, 326. 


28. Felipe I, 1 —2%0. 


Teſtaͤment Karls IL 497 


ſeines Erben, nach Recht und Gewiſſen zum Wohle ſeiner 1700. 
Staaten zu entfcheiden ).“ Er befragte Rechtsgelehrte und 
Theologen in Spanien und Neapel, er befragte den Rath 
von Kaftilien, und überall erklaͤrten fih weit die Meiften 
für das Erbrecht des Haufes Bourbon. Hiemit unbegnügt 
ſchickte er indgeheim den Herzog von Uzeba nah Ram?) 
um bie Entfcheidung oder Meinung des Papſtes einzuholen. 
Innocenz XU wollte ſich, taufend Schwierigkeiten und Ver⸗ 
widelungen voraudfehend, Anfangs gar: nit in biefe 
Sache einlaffenz enblich aber fiel, nach ernfter Berathung 
mit dreien ber. untabelhafteften Karbindle, feine Entſcheidung 
für die Bourboniden aus. — Ludwig XIV erhielt von biefem 
Allem Nachricht, und es erging an ihn die Frage: ob e - 
wohl für einen feiner Enkel die ganze ſpaniſche Monarchie 
ungetheilt annehmen wolle? Che hierlber etwas entfchieben 
war, ſtarb König Karl II am erften November 1700, im - 
Z39ſten Fahre feines Alter, und hinterließ ein Xeflament 
vom zweiten Dftober, deſſen Inhalt keine Macht Europas 
und, wie behauptet wird"), felbft Lubwig XIV nicht kannte. 
Er feste feſt): alle künftigen Könige Spaniens, follen fi 
bemühen daß in Rom die unbefledte Empfängnis Marias, 
als ein Lehrſatz feflgeftellt werde. 100,000 Meflen wer: 
den für Karl II und, wenn er ihrer nicht bebarf, für feine 


1) Der Karbinal Portocarrero wirkte Iebhaft für die Ernennung 
des Herzogs von Anjou, in ber Hoffnung bie Monarchie ungetheilt zu 
erhalten. Torre II, 97. Villars hatte ausgewirkt, daß Öfterseich 
nicht die italienifchen Landfchaften befegte, was Spanien erlauben wollte. 
Hieraus ſchloß man in’ Spanien auf Öfterreichd Schwäche. Anquetil 
vie de Villars I, 96. 

2) Tesse Mem. I, 180, 


8) Amtlich war e8 Ludwig dem XIV nicht mitgetheilt, doch hatte er 
- wohl Kunde vom Inhalte. Torre II, 149. Auch wußte Ludwig daß ſich 
die Räthe in Mabrit, mit Ausnahme eines Ginzigen, für die Bourbo⸗ 
niben erflärt hatten. Villars I, 405. ° 

4) Torte II, 105. Dumont XIV, No. 2%, ©. 485. Torcy 
I, 94, . : e 
Vi. " 32 





498 Sechstes Bud. Zehntes Hauptſtück. 


1700. Bergänger gelefen. Die Inquiſition iſt zu ehren und z 
anterflüben, und für bie katholiſche Religion alles Anden 
aufznopfern. Wer von Keberei angeſteckt ift, kann nie de 
Thron beſteigen. Philipp von Anjou, der zweite Sohn de 
Daupbin wird zum Univerfallrben bes in Fein 
Beiſe zu theilenden Reiches eingefebt, und der Wunſa 
ausgedruͤckt daß er ſich mit einer Erzherzoginn vermaͤhle). 
Die Koniginn ſteht einflweilen an der Spike einer Regen 
ſchaft. 

Ein Eilbote uͤberbrachte dies Teſtament dem ſpauiſche 

Geſandten in Paris, Caſtel dos Rios, um ed Ludwig dem Ali 

zur Annahme vorzulegen *). Im Weigerungöfalle hatte abe 

jener Eilbote den Befehl feine Reife nach Wien fortzuſeten 
um bem Erzherzoge Karl die ungetheilte und untheil 
bare Monarchie anzubieten. Ludwig XIV verfammet 
am eilften November 1700 einen Math um zu entfcheibe: 
ob ber zweite Theilungsvertrag, oder das Teſtament aufıd: 
zu halten fey. Es waren gegenwärtig der Kanzler Pu 
chartrain, der Finanzminifter Herzog von Beauvilliers, be 

Minifler der auswärtigen Angelegmheiten Marquis wm 

Zorcy und ber Dauppin. Torcy entwidelte bie Grüsk 

für das Teſtament, Beauvilierd für den Ihelumgdvertug 

ber Kanzler ſtellte beide Anfichten mit Geſchicklichkeit gegen 
einander und fchloß: nur der König koͤnne entfcheiben, ws 
feinem Haufe und dem Reiche am heilfamften fen! — De 

Dauphin, fonft fo unbedeutend und gleihgältig ), erfit 

bierauf lebhaft: nur zum Beften feines Sohnes entfage f 


1) Raͤchſt Philipp war ber Derzog von Berry, bann ber Etzhe⸗ 
208 Karl von Öfterreich zum Erben eingefept, wogegen Monfieur pro 
teftiete. Lamberty I, 285. 8. Hilaire II, 231. Gin zum Beim 
bes Erzherzogs entworfenes Teſtament warb vernichtet. Schloffer J, 81. 

2) Torcy I, 95. St. Simon IV, 235— 2345; XII, 186. 
8) Orleans wollte nach Spanien gehen und feine Kechte geltend 


madıen, wenn Ludwig bas Teſtament nicht annehme Lemontey 
I, 91. 


Lu 7 
.. 


11 


11 yon u \ 40 


va vn 
. 


Anfprüde Sſterreichs. 499 


der Erbſchaft; ſonſt aber um keines Menſchen willen, auch 700 


nur bem geringiten Zheile feiner Anſpruͤche). Die Maine 
tenon war nicht zugegen und Lubwig XIV dußerte: die Sache 
verdiene wohl daß man, vor einer legten Entſcheidung, erſt 
darüber ausſchlafe. 

Bon drei verſchiebenen Standpunkten ward dieſe große 


Angelegenheit damals in Europa betrachtet. Erſtens, 


Dfterreich behauptete: dad Teſtament Karl II if nicht 


frei, öffentlich und vor vielen Zeugen gemacht; fondern ee 


ſchlichen und an fich fchon deshalb ungültig, weil nach Ent⸗ 
fagung der Königinn von Frankreich auf die fpanifche Mo⸗ 
norchie, dad gefammte Erbrecht dem Haufe Öflerreich vers 
blieben ift. Überdies hat der König von Spanien Feine Bes 
fugniß jene Entfagung umzufloßen, Reichsgrundgeſetze abzu⸗ 


ändern, oder mehr und andere Rechte zu übertragen als - 


er jemals felbft befaß. Jene Ausfchließung ber Bourbonis 
den beruht weſentlich darauf dag, erſtens, beibe Kronen im⸗ 
merbar getrennt bleiben, und zweitens fpanifche Prinzeſſin⸗ 
nen nicht echte nach Frankreich bringen follen, welche fran⸗ 
zöfifche Prinzeſſinnen (zu Solge bes falifchen Geſetzes) nie: 
mals auf Spanien übertzagen koͤnnen). Diefer Grund be 
ſteht noch in feiner vollen Stärke, und jener wäre (bei dem 
unmittelbaren, überall vorherrfchenden Einfluffe Ludwigs XIV 
auf feinen unbebeutenden Enkel) bloß zum Scheine gehoben. 

Nur wenn ein ‚Haböburger bie ſpaniſche Monarchie 
erbt, ändert fih Nichts in ben biöherigen Machtverhältnifien; 


wogegen Frankreich (welches ſchon jetzt den beiden Zweigen | 


jenes Haufed überlegen ifl) durch das ſpaniſche Erbe eine 
allgemeine Herrfchaft zur Unterbrüdung aller Übrigen begrüns 
den würde. — Der Einwand: die freiwillige, feierliche Ent: 
fagung der Maria Xherefis binde nicht, weil fie von ihr 


1) Die Maintenon wor laut ©, Simon (III, 88) für bas Teſta⸗ 
‚ments nad) Eouville (I, 27) für den Zheilungsvertrag. Wahrſchein⸗ 
ich hing fie, nad) ihrer Weiſe, den Mantel nach bem Winde, 

2) Lamberty I, 580; II, 248, i 

s 32 % 


— 








\ 


500 Sechstes Bud, Zehntes Hauptſtaͤe 


1700. waͤhrend ihrer Rinderjaͤhrigkeit eingegangen ſey, faͤllt dahin 


indem fie ſpaͤter nie widerſprach, Lubwig XIV beiſtinunte 
und Philipp IV jene aͤltere Tochter und ihre Nachkommen 
nochmals in feinem XZeflamente ausfhloß. Chen fo nichtig 
ift der Einwand: mit der Geburt folcher Nachkommen werte 
das vernichtete Erbrecht wieber lebendig, oder es ſey dem 
Könige von Frankreich dad verfprocdhene Heirathsgut nick 
puͤnktlich ausgezahlt worden. Diefe Zahlung unterblieb, weil 
Frankreich den pyrenäifchen Frieden nicht auf die zugefagte 
Weiſe durch die Parlamente eintragen Tieß '); auch fleht Diele 
ganze Sache mit dem Erbrechte auf die ſpaniſche Krone in 
gar Feiner weientlichen Verbindung. Beſonders verkehrt er: 
ſcheint es endlich, einerfeitd die Nichtigkeit aller fpanifchen 
Entfagungen zu behaupten, und andererſeits die Welt über 
reden zu wollen: franzöfifhe Entfagungen (4. B. des Dar 
phins auf Spanien, oder Anjous auf Frankreich) ſeyen hin: 
reichend alle Beforgniffe vor einer Überlegenheit franzöfifcher 
Macht zu befeitigen. 

Die unbebingten Anfprüche bes Haufes Öfterreich auf 
die ganze fpanifhe Monarchie ftehen alfo unleugbar feft, 


und was etwa fremde Mächte über die Anrechte eines Drit⸗ 


ten, unter dem Vorwande feftftellten den Frieden zu erhal: 
ten, bat durchaus Feine Gültigkeit, fondern führt vielmehr 
zu ungeredhten Kriegen. 

Zweitend. Die Sründe für den Theilungsper 


trag find ſchon oben entwidelt, weshalb wir fogleih da 


mittheilen, was 

brittend, ald letztes Ergebniß ber verfchiebenen fran: 
zöfifchen Berathungen hervortritt. Die Einwendungen wel: 
che gegen Ludwigs XIV Anfprüche gemacht wurden, bezogen 
ſich N) auf die Entfagung Maria Therefias; 2) auf den 
Zheilungdvertrag; 3) auf das Teflament. Was den erften 
Punkt anbetrifft, fo ifk jene Entfagung aus fehr vielen 
Gründen nichtig. Laut den Reichsgeſttzen erben die Prin- 


\ N 
Anfprüde Frankreichs. 501 


zeffinnen in Spanien nach Abgang ber männlichen Linie, 1700. _ 
und feit Pelayo haben bereits fieben Infantinnen biefe 
Rechte geltend gemacht. Ja alle Anfprüche Öfterreichs ſelbſt, 
ſtammen von Weibern her. Obgleich num in Frankreich 
laͤngſt das falifhe Geſetz anerkannt war, hat man von als. 
len vor dem Sabre 1615 dorthin verbeiratheten Prinzeffins 
nen niemals eine Entfagung gefordert‘), und Kaifer Karl V 
begte die Überzeugung, diefe nahmen ihr Erbrecht unver 
kuͤrzt nah Frankreich hinüber, Erſt von der Gemahlinn 
Ludwigs XII verlangte man, aus Neid uber Frankreichs 
wachſende Groͤße, ſolch eine Entſagung und reihte daran 
eine allgemeinere Vorſchriftz obgleich weder die Könige noch 
die Cortes ein Recht hatten, das alte Erbgeſetz des Reiches 
aufzuheben. Überdies waren bie 1618, gleichwie die ſpaͤter 
befragten- Corte, keineswegs jene alte, ehrwuͤrdige geſetzge⸗ 
bende Berfammlung, ed waren nur "Abgeorbnete weniger 
Städte, mit Ausfchließung der Geiftlichkeit und des Adels, 
gewählt nach Willkür der Minifter, gewonnen durch Furcht 
oder Hoffnung, willenlofe Werkzeuge um den Schein zu er: 
wecken ald habe bei den Befchlüffen, welche die Gewalt vor: 
ſchrieb, eine Freiheit ded Berathens und Beſchließens ftatt 
gefunden. Alle jene Neuerungen find mithin unverbindlich, 
ſowohl weil ihr Inhalt dem allgemeinen Beften wiberfpricht, ' 
als weil die Formen ber Gefeßgebung und Bekanntmachung 
nicht gebührend beobachtet wurden. 

Will man aber einem früheren Könige das Recht zus 
gefteben, alte Reichögefege umzuftoßen, fo muß man noch 
weit mehr Karl dem Il das Recht einrdumen, fie wie derher⸗ 
zuftellen: und darf jene Maagßregel keineswegs preifen 
weil fie den Öfterreichern vortheilhaft war, dieſe aber 
verdammen weil fie ihnen nachtheilig erfcheint. 

Sol ferner die Entfagung bloß zu dem Zwecke ſtatt 
finden, daß die fpanifche Krone nicht mit einer anderen ver: 
einigt werde, fo findet eine folche Gefahr in diefem Augen: 


1) Torre I, 25. Penna annal. III, 347. 


502 Sechstes Bud. Zehntes Hauptſtück. 


1700. blicke nicht ſtatt; oder ſie wird wenigſtens keineswegs gerin⸗ 
ger, wenn fie durch das Erbrecht einer jüngeren nach 
Öfterreich verbeiratheten Infantinn einträte, ald wenn fie 
durch das Erbrecht einer älteren nah Frankreich ver 
heiratheten herbeigeführt wuͤrde. 

Zu Folge des Naturrechtes, des Familien⸗ und Staate⸗ 
rechtes konnte Maris Thereſia nicht einmal ihren eigenen 
Anfprüchen, viel weniger benen ihrer Nachkommen entiz 
gen; fie durfte ſich durch Ehrfurcht vor ihrem Bater nicht 
einfhüchtern laſſen, und biefer bie erfigeborene Tochter nie 
mald ohne Grund enterben. Auch folgt daraus, Daß man 
mehrere Bedingungen bed Ehevertrages (z. B. die Zahlunz 
der Mitgabe) nicht erfüllte, daß auch Lubwig XIV Beine: 
wegs fchlechthin an deſſen Bedingungen gebunden bleibt '). 

Entſcheidend iſt endlich noch ein anderer Umſtand. 
Wenn nämlich Öfterreich früher einen Theilungsvertrag, und 
England und Holland deren zwei genehmigten; fo Tiegt biern 
ganz offenbar das Zugefländniß: die Entfagung ber Köni 
ginn von Zrankreich habe weder bamald, und noch wenign 
jest, ſtaatsrechtliche und politifche Wirkfamkeit. 

Wenn alfo Ludwig XIV mit vollem Rechte auf bie Ent 
fagung gar Feine Rüdficht nimmt, fo fragt fi zweitens, ot 
er verpflichtet ift den. Theilungsvertrag gegen das Ze 
flament aufredht zu halten. Derfelbe hatte verſchieden 
Zwecke: erſtens vie gefährlihe Wereinigung zweier Krone 
auf ein Haupt zu behindern; zweitens, wenigſtens einm 
Theil der gerechten Anſpruͤhe Lubwigd XIV anzuerkennen: 
drittens, den Frieden zu erhalten. 

Der erfle Zweck wird durch die Beflimmungen bed Te 
flamentes fo gut erreicht als durch ben Theilungsvertrag 
kommt alfo bier nicht weiter in Betracht. 

Dem zweiten entfagt Lubwig XIV aus Uneigemtüsig: 
keit und Großmuth. Mag man nämlich auch behaupten: 
Lothringen fey unbebeutend unb im Kriege leicht erobert”), 

1) Aubusson defense du droit de Marie Therese, Mignet I, 70. 

€@) 8. Simon III, 29 98, 


Anfprüde Brantreigs. 603 


Guipuskoa unfruchtbar und ohne Wichtigkeit ‚die italleniſchen 1700. 
Beſitzungen zerſtreut und ſchwer zu behaupten; ſo fichert 
doch ohne Zweifel der Theilungsvertrag dem Koͤnige in fried⸗ 
licher Weiſe, einen le größeren um, als das 
Teſtament. 

Was ferner den Vorwurf ber Wortbrächigkät anbetrifft, 
fo Tann ihn Kaifer Leopold nicht machen, da er den Theis 
lungsvertrag ſchlechthin verwirft; England und Holland has 
ben aber weder Recht, noch Macht dem Kaiſer oder bie Spa- 
nier zur Anertennung beffelben zu zwingen. 

Der dritte Zweck: den Frieden zu erhalten, kann alfo 
durch den Theilungsvertrag gar nicht mehr erreicht werden. 
Er führt unmittelbar zu einem Kriege mit dem Kaifer und 
den Spaniern, welden jebe Theilung ihres Reiches ein 
Graͤuel if. Diefen Krieg wuͤrde aber Ludwig XIV, bei bem 
hoͤchft wahrfcheinlich fehr geringen Beiſtande ber Holländer 
und Engländer, gegen alles Recht und alle Klugheit fat als 
lein führen müflen). 

Der frühere Theilungdvertrag wird ohne Zweifel durch. 
das fpätere Xeflament vernichtet. Nur durch Anerkennts 
niß des Iegteren Bann Recht, Ruhe und Ordnung aufrecht ers 
halten werden; auch find alle dawider erhobenen Einwen⸗ 
dungen ganz unerheblich und unbegründet. Die vornehm- 
ſten Rechtögelehrten und Geifllichen, die Räthe des Könige, 
der Papft und die Karbindie erflärten fi für bie darin 
auögefprochenen Srunbfäge, und König Karl gab nad ber 
ernſteſten, gewiflenhafteften Prüfung, feine befonnene Zus ) 
ſtimmung. 

An dem Theilungsvertrage (unbeküͤmmert um ben Koͤ⸗ 
nig von Spanien und das fpanifche Volk geichloften), lag : 
die erfle Ungerechtigkeit; ed waͤre die zweite noch größere : 
Ungerechtigkeit, ein tabellofed Teſtament um jener erflen 
Rechtswidrigkeit willen umftoßen zu wollen. Nur der Dau⸗ 
phin würde (als der naͤchſte Erbe) gegen Karl UI Teſta⸗ 


1) Torre II, 216. 





fi alle Theile beruhigen, und ed ift thäricht zu fürchten: 
die Spanier (welche zur Zeit oͤſterreichiſcher Herrfcher ohne 
Ruͤckſicht auf die beutfche Linie die widhtigften Beichluffe, 

3. Uber Krieg und Frieden faßten ) und jegt unter kei⸗ 
nee Bedingung eine Theilung ihres Reiche dulden wol: 
len) — würden fich gebuldig und willenlos wie Unterthanen 
einer franzöfifhen Landfchaft behandeln Iaffen. _ 

Wer kann verlangen: Ludwig XIV folle die Annahme 
bed Zeflamented verweigern und ben Eilboten nah Win 
reifen laſſen, um dem Erzherzoge die größte Erbſchaft der 
Welt zu Füßen zu legen? Wer kann leugnen daß bem 
Könige von Spanien und dem fpanifchen Wolke allein das 
Recht zufteht über dies Erbe zu entfeheiden”)? Wer kann 
fordern Ludwig XIV folle den gerechten freiwilligen Antrag 
befielben zurüdweifen, und dann gewaltfam auf Eroberun- 
gen ausgehen? — Weder Spanien noch Frankreich wollen 
ben Krieg. Diefe unleugbar gerechte Sache dürfen fie jedoch 
nicht aufgeben: denn Gefeß, Pflicht und Ehre gebieten gleich 
unabweisbar, daß Ludwig XIV die alten und beftätigten An- 
fprüche feines Haufes vertrete und verfechte ! 

Sp die Anfihten und Berathungen. Mit großem 
Rechte bemerkte Ludwig XIV: daß welche Partei er auch er: 
greife, visle Menfchen ihn verdbammen würden’). Doc 
ftand fein Entfchluß das Zeflament anzunehmen, ohne Zwei: 
fel fhon zu der Zeit feſt, ald er den König von Spanien 
zu bewegen fuchte es in der gefchehenen Weife zu vollzie: 
ben. Am zwölften November zählte der Marquis Torcy, 
dem englifhen Botfchafter Grafen Mandfield bereits alle die 
- fo eben mitgetheilten Gründe für die Anerfenntniß des Te⸗ 
ſtamentes auf, und der Graf ſchrieb nach London: mit un: 
ferem Xheilungövertrage iſt es zu Ende‘)! 


1) Lamberty I, 220, 250, 594, 608. 8. Felipe I, 35. 

2) Bolingbrokeletters 215. Torre II, 147. Somers tracts XI, 345. 
3). Dangeau I, 205. 

4) Coles Mem. of State 241. _ “ 








Ludwig nimme das Teftament an. 505 


Unterbeffen waren aus Spanien fo günftige Nachrichten 1700. 
über die Zufriedenheit des Volkes und die Beiſtimmung der 
Großen eingegangen, daß Ludwig XIV nicht laͤnger zoͤgerte, 
ſondern oͤffentlich das Teſtament Karls II annahm, und ſei⸗ 
nen Enkel Philipp am 16ten November 1700 vor dem ver⸗ 
fammelten Hofe als König von Spanien begrüßte. Die 
Geburt, fprach er, berief ihn zur Krone und das ganze ſpa⸗ 
nifche Volk wuͤnſcht ihn zum König. Ich babe mit Wers 
gnügen diefen Wunſch bewilligt und fehe in Allem eine Fuͤ⸗ 
gung bed Himmeld. Dann, zu Philipp ſich wendend fügte 
ex, (größer ald Napoleon in ähnlichem Werhältnifje) hinzu '): 
Deine erfte Pflicht ift nunmehr ein guter Spanier zu ſeyn; 
vergiß jedoch nicht daß. Du ald Franzofe geboren bift, und 
von der Einigkeit beider Kronen das Gluͤck der Völker und 
bie Erhaltung des Friedens abhängt. 

Beim Feflmahle fagte Ludwig dem fpanifchen Gefanb: 
ten: noch glaube ich Alles ift nur ein Traum! — Ad fih - 
der ſiebzehnjaͤhrige König in eine Schaufel ſetzte, verbot dies . 
Ludwig XIV aus Furcht die Stride möchten verfault feyn. 
Dann zum fpanifchen Gefandten fich wendend, fpradh er: 
dies ift die einzige Gelegenheit wo ich mich meines Anfehens 
bedienen will, in allen anderen Källen werde ih nur Rath 
geben. — Der König von Spanien (fagte deſſen Großoheim) 
muß fpanifch lernen. Die Spanier, erwieberte ber Ges 
fandte, muͤſſen franzoͤſiſch lernen. — Alle Behörden, Par: 
lamente, Akademien, Univerfitäten u. ſ. w. wuͤnſchten Gluͤck, 
dad Wolf rief: ed Iebe der König, und die Hofleute ftritten 
(alle Andere nach ihrer Weife bei Seite ſetzend) gar eifrig 
und gruͤndlich: ob die Bedienten ded neuen Königs blaue 
ober gelbe Röde bekommen follten, wie man dad Wappens 
ſchild theilen, EN man bie Krone flellen müffe u. dergl. 
mehr. 

In der That ſchien auch alles Groͤßere abgethan und 1701. 
erreicht ſeitdem, nur mit Ausnahme des Kaiſers, alle euro⸗ 


1) Dangeau II, 206— 221: 





506 Sechstes Buch. Zehntes Hauptfiüd. 


1701. paͤiſchen Staaten (ſelbſt England und Holland) Philipp als 
König von Spanien anerkannten‘): Im December 1700 
verließ der junge König Parid. Bei feinem Einzuge in 
Madrit ſtand (fo berichtet der englifche Gefchäftsträger Scho: 
nenberg?)) ein mit Gemälden, Bilbfäulen und Infchriften 
verzierter Zriumphbogen am Eingange einer ähnlicherweife ge: 
ſchmuͤckten Gallerie. Alles war jeboch nur von: Holz und 
Pappe. Die Häufer der Straßen durch welche der König 
308 prangten mit ausgehangenen Zeppichen, und die Läden 
der Goldfchmiede mit goldenen und filbernen Gefäßen. Das 
koͤnigliche Gefolge nahm fi) gut genug aus. Etwa 150 Rei: 
ter, zuleßt ber König unter einem Baldachin, getragen von 
ben in Goldſtoff gefleideten Magiftratöperionen Mabrits. 

König Philipp war in fpanifcher Tracht und gut beritten; 
allein im Bergleiche mit früheren ähnlichen Zeftlichleiten er: 
ſchien Alles nur fehr mittelmäßig. 

In einem anderen Berichte ſchreibt Aglionby, ein an- 
derer englifcher Beauftragter ?): „ed vegnete ſtark unb ber 
König fehien fehr uͤbeler Laune zu ſeyn. Die Träger des 
Baldachins fielen zugleich mit diefem in den Koh. Ehen 
fo das fpanifche Wappen und bie Krone des Raths von 

Indien.“ 

Neben jener erkiunſtelten Pracht war die Armuth fo 
groß, daß man die zur Dienerfchaft bes Königs beflimmten 
Spanier nicht befolden Tonnte*); und ‚Heer, Klotte und Fe⸗ 
flungen bfieben in dem ſchon oft erwähnten, hoͤchſt erbaͤrm⸗ 
Yihen Zuſtande. 


1) 8. Simon III, 140, 148. Bilhelms Anerkennung Philipps 
den 17ten April 1701. Prior 201. 

Z) Diefer Bericht vom 20ften April 1701 (Spain Vol. 2) fegt 
diieſen feierlichen Einzug auf den 17ten April; nad) anderen Quellen 
ee nn 

8) Bericht von bemfelben Tage. 

4) Bericht Schonenberge vom SOften December 1700. Coles Mean. 

of State ©. 274. 








König Philipp Vin Mabeit. 507° 


- Die Hofleute in Madrit hatten (gleichwie die in Paris) 1701. 
wichtigere Sorgen. Der Kammerherr Benavente benach: 
richtigte, mit Thränen in den Augen, den bei Philipps Hofe 
angeftellten Marquid von Louville: man möge ſich vor ei- 
ner Berline in Acht nehmen, welche die verwittwete Koͤ 
niginn dem neuen. Könige geſchenkt habe’). Jener Wa: 
gen fen behert und werbe fich in den Kaften eines Oran⸗ 
genbaumd, den König aber felbft in einen Orangenbaum 
verwandeln! — Ganz anderer Art war die Beforgniß bes 
Präfidenten Arias. Er fagte dem Könige: vergeffen Sie 
‚nie daß Sott Sie an die Spite eines nicht bloß monarchi⸗ 
fhen, fondern despotiſchen Staates, ja eined Staates ge: 
flelt hat, der deöpotifcher ift ald irgend ein anderer in ber 
Chriftenheitz dergeſtalt daB felbft der Weg ber Vorftellung, 
nur auf Ihren Befehl erlaubt tft. — So verhängnißvol und 
zugleich fo kleinlich und verächtlich, war in dieſen Ländern 
ber Schluß des fiebzehnten Jahrhunderts! 


1) Louville I, 117, 120. Nonilles II, 64. — Als ein anderes 
Beiſpiel vielfachen Aberglaubens, ftehe bier folgender Bericht: Der Sohn 
ber Herzoginn von Alba war krank in Folge feiner Lebensweiſe. Jene 
forbert Reliquien als Heilmittel, und man fenbet ihr den Finger eines 
Helligen. Sie zerftößt biefen in einem Moͤrſer, und giebt ihrem Sohne 
‚bie eine Hälfte in einem Traͤnkchen, und bie zweite Bälfte in einem 
Kinftiere. Louville II, 108. | 


! 
J 





4 
Eilfted Hauptflud. 


Der fpanifche Erbfolgefrieg, bi8 zu den Schlachten 
von Ramillies und Zurin, 
( 1701 — 1706.) 


1700. Nach dem Tode Karls IN) begab ſich der oͤſterreichiſche 
Botfchafter Ind Schloß zur feierlichen Eröffnung des koͤnig⸗ 
lichen Teſtamentes; in ber gewiffen Überzeugung daß ein 
Sohn bed Kaiferd zum Erben ber fpanifchen Monarchie ein⸗ 
geſetzt ſey. Sowie jener Geſandte, war faft ganz Europa 
durch die unerwartete Wendung ber Dinge überrafcht; aber 
bloß fcheinbar, nicht wahrhaft beruhigt. Der Sroßinquifitor 
Mendoza und ber Beichtvater Torres erzählten laut: König 
Karl habe zwei Zage vor feinem Tode gefagt, er fey zur 

. Unterzeichnung des Teſtamentes gezwungen worden ); woran 
ſich die Behauptung anreihte: er würbe (fobalb er ſich ven 
feine Schwäche erholt) die Urheber jenes Schritte geftraft 
und ein neued Teſtament gemacht haben. Nicht bloß Men: 
doza und Torres, fondern auch bie verwittwete Koͤniginn 
(welche, laut Zeflamentes, bis zur Großjährigfeit Philipps 
an der Regierung Theil haben folte) wurden hierauf durch 
die uͤbermaͤchtige franzöfifche Partei aus Madrit verwiefen; 
von Öfterreich aber mit Bezug auf Yußerungen und Maaf- 
regeln folcher Art, nochmals dad Recht und die Pflicht gel: 


1) Torre II, 135. 
2%) Torre IH, 31 —35. Cole Mem. of State 228, 235. 











Öfterreih und Frankrelch. 509 


tenb gemacht, ſich dem erfhlichenen, ungültigen Zeflamente 1700. 
zu wiberfeßen. 

Obgleich Heer und Finanzen des Kaiferd in fchlechtem 
Zuflande waren, und ber Theilungdvertrag noch manche Vers 
theidiger fand '), 308 (nad) dem Rathe bed Prinzen Eugen 
von Savoyen) fhon im December 1700 öfterreichifche Manns 
ſchaft gen Italien; auch war man überzeugt, Englands, Hol 
lands und Deutfchlands Beiſtand koͤnne auf Die Dauer nicht 
audbleiben ?). — Umgelehrt verließ ſich Ludwig zunächft auf feine 
eigene uͤberlegene Macht; fowie dann auf die fortdauernde 
Unzufriedenheit der Ungern, bie Zriebendliebe der deutfchen 
Fürften, und die Abneigung des englifchen Parlamente: Gelb 
zu bewilligen). Im April 1701 näherten fich bie Franzo⸗ 
fen über Mantua ber venetianifhen Sränze, und Anfangs 
Junius kam es bereits zu offenen Reindfeligkeiten zwifchen hi 
ihnen und ben Öfterreihern ). 

Nahdem Spanien, der Kaifer und Frankreich ben Theis 
Iungsvertrag in gleicher Weife verworfen hatten, Tonnte Wil 
beim III nicht mehr daran denken ihn aufrecht zu halten. 
Es blieb nur die Frage: welcher neue Weg, bei den uner⸗ 
wartet eingetretenen Verhältniffen, zur Erreichung ber früs 
heren politifchen Zwecke einzufchlagen ſey. Wie fehr dieſe 
Dinge bem Könige am Herzen Tagen, wie fehr fie feinen 
Geift befchäftigten, ergeben feine Worte und Thaten. 

Den 16ten November 1700 fehrieb er dem Rathspen⸗ 
fionar Heinfius: „ich verließ mich nie fehr auf Frankreichs 
Verſprechungen, doch glaubte ich nicht (wie ich befennen 
muß) man werde vor den Augen ber ganzen Welt, einen 
feierlichen Vertrag fhon vor der Vollziehung brechen. Die 


1) Cole 232, 261, 859, 864. Vie d’Eugäne I, 80. 
2) Von Preußens Königthum unb erheblicher Theilnahme, wird 
fpäter die Rebe feyn. _ 


8) Ludwig hatte Emiffare in Ungern. Torre I, 184 8. si 
mon IV, 235— 245, | 


4) Cole 890. Torre I, 819; III, 274. 


* 





510 Sechstes Bud. Eilftes Hauptfiüd. 


1700. in der beifegenden Schrift angeführten Gründe, finb fo 


elend, baß ich nicht begreife wie man fo unverfhämt feyn 
und ſolch ein Papier ‚überreichen kann. Es ift nicht zu 
leugnen baß wir getäufcht wurden (dupes); wenn man ins 
deß nicht Glauben und Wort hält, iſt es leicht jemand zu 
betrügen 2), 

„Man hegt bier ziemlich allgemein die Anficht: Das Tes 
flament ſey für England und Europa vortheilhafter, ald der 
Theilungsvertrag); — und zwar lediglich unter der Vor⸗ 
audfegung, daß der Herzog von Anjou, (ald ein bloßes in 
Spanien zu erziehbenbed Kind) fpanifche Grundfäge aunch⸗ 
men und, ohne Beziehung auf Frankreich, ſpaniſchen Räs 
hen folgen wird. Meiner Meinung nad) werben biefe Vor⸗ 
außfegungen nicht eintreffen, und das Gegentheil berfelben 
nur ‚zu bald fühlbar fen. — Bevor wir einen feflen Ent: 
ſchluß fafien Finnen, müffen wir wiſſen was ber Kaifer 
thut. — Meine Hauptforge iſt: zu verhuͤten daß die ſpani⸗ 
Shen Nieberlande nicht in frangöfifche Hände fallen. Sie 
Tonnen leicht denken, wie fehr mir biefe Sache zu Herzen 


geht; denn man wirb mir vorwerfen daß ich den Verſpre⸗ 


ungen ber Franzofen getraut habe, trotz fo vieler Erfah⸗ 
sungen daß fie fi) niemald durch einen Vertrag flr gebun- 
den halten. — Es erfcheint mir wie eine Strafe bed Him⸗ 
meld, daß daB englifche Volk fo gleichgültig gegen Alles if, 
was auf dem Feſtlande vorgeht, obwohl wir diefelben In⸗ 
terefien und Beforgniffe hegen ſollten.“ 

In dem Maaße ald ber, vom: fpanifchen Erbe ganz 


außgefchloffene Kaiſer ben Krieg wollte, wuͤnſchte der Kb . 


nig von Frankreich ben Frieden, bad heißt: die Anerken⸗ 


nung aller ber, feinem Haufe durch das Teſtament Karld zus 


gefprochenen Rechte. Selang ed Lubwig dem XIV jene Stims 
mung des englifchen Parlamente und ber Generalflaaten 
für die Nichteinmifchung fernerhin zu erhalten; fo hatte ex 


1) Hardwicke II, 898. . 
2) Briefe vom 19ten und 23ften November. ©. 39%, 897. 


— — —— —— ai ee 


Ludwigs Maaßregeln. Spanien. Hl 


von bes Kaiſers Kriegsmacht wentg zu befotgen, und Mil 1700. _ 
beim 11 war gezwungen alle früheren Anfichten und Plan . 
aufzugeben. Statt bdeffen fihien Ludwig XIV feinem alten 
Gegner in bie Hände zu arbeiten, es ſey aus angewöhntem 
Übermuthe, oder im Vertrauen auf das neugewonnene Exbe, 

oder in dem Glauben durch Fühne Schritte den ‚größten Eins 

druck zu machen und Abgünflige zu fchreden. . 

Am erfien December 1700 erklaͤrte Ludwig Ivy: Kb 
ig Philip behalte alle Rechte feiner Geburt, in berfelben 
Weiſe ald wenn er noch. in Frankreich lebe). — Es war 
gewiß überellt und ehrgeizig, dieſer Erklärung, welde dem 
Zeftamente Karls II geradehin zu widerfprechen fehien, feine 
beruhigende Erläuterung über bie Trennung beider Kronen 
fir den Fall hinzuzufügen, daß Philipp bie kranzoſiſche er⸗ 
ben ſollte. 

Um dieſelbe Zeit bat die ſpaniſche Regentſchaft (aus 
gemeiner Schmeichelei, oder im Gefuͤhle ihrer voͤlligen Ohn⸗ 
macht): der König von Frankreich möge in Spanien ber 
. Med, (Regierung, Finanzen, Kriegsweſen u. f. w.) nad 
Belieben fchalten und überzeugt feyn, daß men feine Be⸗ 
fehle fo pünktlich ausführen und befolgen werde, wie in 
Frankreich?). — Die Spanier (fagte Ludwig XIV mit felbft- 
gefälligem Scherze) erklaͤren mich für ihren erften Minifter ! 

Hiemit flunmten die Berichte bes englifchen Botfchafs . 
ters Schonenberg au& Mabrit. Er melbet im Wefentlichen 1701. 
am fechöten April 701°): „die Sranzofen behaupten der Krieg 
fey unvermeiblich , weil fie glauben ven ſpaniſchen ‚Hof hie 
durch zu einer größeren Anſtrengung zu vermögen; allein 
deſſen Ohnmacht hindert ihn das Geringfie zu vollbringen, 
was diejenigen ſehr beunruhigt welche wähnten, Spanien 
werde eine Goldgrube fir Frankreich ſeyn. Taͤglich gehen 

1) Isambert collect. XX, 375. Torre U, 301. Lemberty 
I, 888, 

2) Torre II, 197. Cole 279, 231, — 

5) Spain Vol. . 


512 Sechstes Buch. Eiiftes Hauptfiäd. 


4701. Eilboten bin und zurüd, und bie Abhängigkeit und — 
thaͤnigkeit Spaniens waͤchſt, wie ich vorherſagte, 
mehr. Koͤnig Philipp benutzt die Gelegenheit, Pepe man 
ihn barbietet, fih um Nichts ald -um fein Jagdvergnuͤgen 
zu befümmern.” 
„Der Karbinal Portocarrero und Don Manuel Arias 
(der Präfident des Rathes von Kaftilien) find bie Haͤupter 
der franzöfiichen Partei, und dem Belieben Ludwigs XIV 
fo ganz bingegeben, fo durchaus von ihm abhängig, daß fie 
ſich nicht wieber befreien Finnen. Graf Harcourt täufcht 
fie duch Vorſtellungen über bie furdtbare Macht Frank⸗ 
reichs, und insbefondere durch ben Gedanken, Ludwig XIV 
Tonne mit Hülfe der englifchen und holandiſchen Katholiken 
ſehr viel ausrichten So verkehrt dieſe Anſicht auch iſt, 
macht ſie an einem aberglaͤubigen und unwiſſenden Hofe 
doch Eindruck.“ 
An demſelben Tage ſchreibt Aglionby: „die beiden Haupt⸗ 
"führer find bigotte Katholiken und ganz den Franzoſen er⸗ 
geben. Den Granden fehlt aller Muth‘ unb Entſchluß, und 
dem Volke eine Verfaſſung, wo es feine Ehre und feine 
Intereſſen koͤnnte zur Sprache bringen. Überall giebt ſich 
eine Verzagtheit und eine Armlichkeit des Geiſtes kund, wel⸗ 
che für größere Gedanken, als die des naͤchſten Bortheils, 
weder Raum noch Kraft Übrig läßt. Ungeachtet alles ents 
gegenftehenben Anfcheines, ift Spanienujego in Wahrheit eine 
franzöfifche. Lanbfchaft, und König Lubwigs Staaten rei- 
den bis zur DMeerenge von Gibraltar. Es ift nit Man 
gel an guten Augen, fonbern vorfäglihe Blindheit, wenn 
man die Zwecke der Franzoſen nicht zu erkennen wagt.” 
„Der König von Frankreich verlangt aufs bringenbfte zwei 
Millionen Thaler zum Schutze Italiens und ber Nieder: 
lande). Hierüber find die Miniſter mehr als beſtuͤrzt, da 
fie wohl wiffen daß wenn man auch alle elenden Geldreſte 
en ‚ doch nicht der fünfte Theil jener Summe 


1) ne Be vom eoſten April 1701. 











Spaniens — 513 


herauskaͤme. Alle Mittel, welche man vorſchlaͤgt um Sch 1701. 


zu bekommen, find ganz unausführbar, oder entfprechen doch 
nicht den Erwartungen. Koͤnnte man hier jene zwei Mil⸗ 
lionen aufbringen, man wuͤrde ſich daruͤber gewiß ſo freuen 
als haͤtte man eine neue Welt erobert.“ 

„Eben ſo drang der König von Frankreich auf Ausruͤ⸗ 
flung der ‘ganzen Flotte. Der hiefige Hof antwortete: durch 
eine aͤußerſte Anflvengung werde man wohl binrien drei Mo: 
naten zwei Kriegöfchiffe in Stand feben Finnen; der übrige 
Zpeil der Zlotte fey flr den Dienft in zu elendem Zuflande 
und «8 fehle an allen Mitteln fie herzuftellen. — Überhaupt: 
kann ich nicht Worte finden die jammervollen Verhaͤltniſſe 


‚ biefer Monarchie lebhaft genug zu fehildern, und glaube daß 


wenn Frankreich hievon gründlich unterrichtet wäre, e8 vers 
nimftige Auswege ergreifen würde um ſich mit gutem Ans 
ſchein aus einer Lage heraut zuzie hen in welche Ehrgeiz es 
gebracht hat.“ 
„SGraf Harcourt iſt aus Schmerz; über dieſe Dinge 
ſchwer erkrankt; bie verwittwete Koͤniginn, welcher man ihr 
Jahrgeld nicht bezahlt ‚, bat aus Noth bereits Edelſteine vers 
fegen muͤſſen. — Viele Spanier thun fi) etwas darauf zu 
Gute daß fie alle Welt, felbft den König. von Frankreich 
überliftet und ihm bie vLaſt fie- zu beſchuten, aufgewaͤlzt 
haͤtten i. [7 i 

Diefe Nachrichten und Betrachtungen flimmen ganz mit 
denen überein, welche der Marquis Louville aus Mabrit 
über Finanzen, Rechtspflege, Kriegsweſen, Hofleben, Günft- 
linge u. ſ. w. giebt”), und nicht minder Möglich lauten bie 
Berichte aus ben Niederlanden. „Das ſpaniſche Elend (Heißt 
es in denfelben) uͤberſteigt alle Einbilpungsktaft). Die 
Soldaten find ganz nadt und betteln unaufhörlich; bei der 
Reiterei findet man Fein Pferd. Der Statthalter, Churfürft 


1) Aglionbys Bericht vom vierten Mat 1701. 
'2) Louville Mém. I überall. 


3) Fönelon corresp. I, lettre 51, p. 156. 
VI. 33 





BE Sechstes Bug. Eilftes Hauptfiät. 


1701.von Baiern fieht bie® Alles, troͤſtet “fich aber mit feinen 
Maitreſſen, geht auf die Jagd, fpielt die Flöte, macht Schul: 
ben, richtet fein eigenes Sand zu Grunde, und nuͤtzt auch 
Belgien nicht wohin er ſich verpflanzt hat. 

Ludwig XIV, dem dieſe Zuſtaͤnde nicht verborgen biies 
‘ben, gab feinem Entel verftändige Lehren, wie er bie Vor: 
urtheile bed fpanifchen Adels ſchonen, fich mit der Geiſtlich⸗ 
keit vertragen, unb bad Wolf gewinnen folle‘). Was aber 
in dieſer Beziehung die Einzelnen zufrieben ftellte, war oft 
dem Ganzen cher ſchaͤdlich als vortheilhaft, und Ludwig 
überzeugte ſich: das fcheinbar bereitd muͤhelos erreichte große 
Biel müffe entweber aufgegeben, ober mit boppelter Anſtren⸗ 
dung verfolgt werben. Nach heimlich getroffenen Vorberä⸗ 
tungen ruͤckten In der Nacht bed ſechſsten Febeuars 208 
franzoͤſiſche Soldaten in die meiſten nieberländifihen Feſtun⸗ 
gen ein?), fo bag die, vermöge diterer Werträge daſelbſt ſte⸗ 
hende hollaͤndiſche Mannfchaft gleichfam gefangen war. Um 
diefelbe zu retten mußten die Seneralftsaten am 22ften Fe⸗ 
bruar König Philipp V anerfennen und Wilhelm UI Folgte 
für England ihrem Beiſpiele. Die oben erwähnten Wers 
haͤltniſſe Spaniens und Died Umfichgreifen Frankreichs führs 
ten jedoch, nach glücklicher Heimkehr jener hollaͤndiſchen Mann⸗ 

ſchaft, zu erneuten Verhandlungen. Am 72ften Mix, 1701 
übergaben die englifhen ‘und hollaͤndiſchen Botfchäfter dem 
Strafen d'Avaur nachftehende Forberungen: ber Kalfer er⸗ 
hält wegen feiner Anſpruͤche eine billige Genugthuung; Die 
Niederlande dürfen nur mit Spanien ober Deutſchen (aber 
nicht mit Franzoſen) befegt werden. Einſtweilen werden 
Nieupost und Dftende den Englaͤndern; Luranburg, Rannır, 
Mond und einige andere Städte den Hollänbern eingeräumt. 


1) Louville I, 85. 


2) Wagenaer VII, 220. Cole 90—832. Torre IL, 89--353; 
DL, 2, 499—95. Larrey VII, 555. S. Simon X, 78. Macpher- 
son Hist. II, 198. Dubois Mem, I, 40. 8, Hilaire II, 241. Me- 
moires militaires I, 21. 





Beſetzung der Niederlande. 515 


Kein Theil der ſpaniſchen Monarchie wird mit Frankreich 1701. 


vereinigt. Die Handelsrechte ber Holländer und Engländer 
bleiben in Spanien unverändert, und andere Völker erhal⸗ 
ten Feine größeren Vorzuͤge). > 

Graf d'Avaux entgegnete: man koͤnnte nach vier ges 
wonnenen Schlachten nicht mehr. fordern, und muͤſſe fi) da⸗ 
mit begnügen daß Ludwig XIV geneigt fey am ryswiker 
Brieben feſtzuhalten. Dies Ablehnen ber gemachten Vor⸗ 
ſchlaͤge beruhte theild auf dem Gefühle eigener Macht und 
der Überzeugung daß jede Nachgiebigkeit die Forderungen flei- 
gern bürftes theils aber auch darauf dag Wilhelm II noch 
immer durch das Parlament und die engliſchen Parteien in 
allen feinen Planen weſentlich gehemmt warb. Ob franzoͤ⸗ 


ſiſche Raͤnke und Beſtechungen hiezu mitwirkten iſt bezwei⸗ 


felt wie behauptet worden; gewiß gab ſich auf vielfache 
Weiſe kund, daß die oͤffentliche Meinung und Stimmung des 
Volks ſich von der des Parlamentes immer mehr trennte ?). 
In der berühmt gewordenen, Fentifchen P.etition heißt es 


beöhalb: „bie Erfahrung aller Zeiten beweifet, daß Fein Volt . ' 
groß und gluͤcklich ſeyn kann ohne Einigkeit. Deshalb hof: 


fen wir, ed werbe Fein Grund irgend einer Art im Stande 
feun ein Mißverſtaͤndniß unter und felbft, oder das ge 
ringſte Mißtrauen gegen die geheiligte Mojeftät ded Königs 
zu. erzeugen, beflen große Thaten für biefes Wolf in bie 
Herzen, feiner Unterthanen eingeſchrieben find, und ohne ben 
ſchwaͤrzeſten Undank niemals Fönnen vergeffen. werden. Wir 
bitten demuͤthigſt das Haus möge des Volkes Stimme be= 


achten, für Religion und Sicherheit forgen, und feine Vor⸗ 


flelungen in Geldbills verwandeln damit der König (deſſen 
glüctiche und tadellofe Regierung lange fortdauern möge) in 
den. Stand .gefegt werde feine Verbiindeten mächtig zu un⸗ 


terftligen, bevor es zu ſpaͤt iſt.“ — Diefe Vorflellung war 


von mehr ald 20. Friebendrichtern, ber ganzen großen Jury 


1) Lamberty T, 410. Me&moires militaires I, 55. — 
2) Parliam, History V, 1234— 1250. 
33% 








4701. 


516 Sechstes Bud. Eilftes Hauptſtück. 


und vielen Freiſaſſen unterſchrieben, und hielt ſich in den 
Graͤnzen der Schicklichkeit und des Anſtandes. Deßungeach⸗ 
tet erklaͤre das Haus: fie ſey anſtoͤßig, unverſchaͤmt, auf⸗ 
ruͤhriſch, und bezwecke die Verfaſſung aufzuloͤſen und umzu⸗ 
ſtürzen. — Sowohl dieſe leidenſchaftliche Erklärung als die 
Verhaftung der Perſonen welche jene Vorſtellung uͤberreich⸗ 
ten, verdoppelte die ſchon vorhandene Aufregung, und das 
Parlament erhielt eine neue Eingabe mit der Unterfchrift: 
unfer Name ift Legion. unb wir find ihrer Viele. Alle Se 
walt Cheißt e8 in dieſer Fühnen Eingabe) über bad Geſetz 
hinaus ift druͤckend und tyrannifch, und mag durch außer 


. gerichtliche Mittel gebändigt werden. Ihr ſeyd nicht über bes 


Volkes Zorn erhaben. Diejenigen welche. Euch zu Parla⸗ 
mentsgliedern machten, koͤnnen Euch auf die Stelle zuruͤck⸗ 
bringen, von welcher fie Euch erhoben, u. f. w. — Daß 
Ihr die kentiſche Bittfchrift für anſtoͤßig, unverfchämt u. f. w. 
erflärtet, ift anmaaßend und lächerlich; denn bie Freiſaſſen 
Englands find Eure Oberen. — Es folgt hierauf eine ſcharfe 
Beurtheilung der meiften Maaßregeln bed Haufes, 3. B. 
binfichtlich des Xheilungdvertrages, der Preisgebung Hol⸗ 


lands, der Verfolgung Töniglicher Beamten u. f. w. — Ihr 
habt (heißt & dann weiter) gedulbet daß in Eurer Mitte 


gemeine, unanftändige Vorwuͤrfe gegen den König ausge⸗ 
fprochen wurden, Ihr habt Eure Pflichten vernachläffigt, 
führt ein fündliched Leben, und mißbraudt das Bertrauen 
was Gott, König und Bol in Euch ſetzten. Wenn ein 
Unterhaus feine Pflichten nicht erfüllt, Gefege uͤbertritt, 
Vertrauen mißbraucht; fo ift e8 ein unbezweifeltes Recht 
des englifchen Volkes daſſelbe zur Rechenfchaft zu ziehen, 
und durch eine Werfammlung (Convention) ober durch Ge: 
walt, gegen Berräther und Betrüger ihres Vaterlandes vor⸗ 
zufchreiten ')! 

1) History of Commons III, 143. Parliam. Hist. V, 1351, 


1323. Näheres zur Geſchichte diefer Petitionen, in Somers tracts 
XI, 22. | | 





Großes Buͤndniß. 517 


Das Parlament welches über unnuͤtze und kleinliche 1701. 


Parteiungen, die größeren Angelegenheiten aus. ben Augen 
verloren, oder einfeitig behandelt hatte, warb burch bie ken⸗ 
fische Bittſchrift auf erlaubte und gemäßigte Weife an bie 


allgemeinen Wünfche des Volkes erinnert. Sein leidenſchaft⸗ 


Viched Benehmen trieb die zweite Eingabe hervor, welche aus 
Vertheidigung bed Petitiondrechtes in den Angriff uͤbergeht 
und die Frage: Über die Mechte der Wähler und ihr Ver⸗ 
hältniß zu dem Unterhaufe, auf eine fehr gefährliche Spiße 
treibt. Gluͤcklicherweiſe bewirkten diefe Zeichen der Zeit, bie 
Lage Europas und Wilhelms Thätigkeit, daß eine raſche und 
erfreuliche Einigung des Königs und Parlamented eintrat. 
Die Exbfolge für die proteſtantiſche Linie des Hauſes Han⸗ 
nover, ward dur) ‚ein neues Geſetz fefigeftellt und dem 
Könige (am 13ten Junius) verſprochen : man werde ihn 
in Allem gern unterſtuͤtzen, was er, in Verbindung mit dem 
Kaiſer und Holland, fir. die Erhaltung, eusopäifiher drei⸗ 
heit, das Gluͤck und den Frieden Englands und die Be⸗ 
ſchraͤnkung der übennäßigen Macht Frankreichs. zu thun 
gedenke. 

Dieſe weientlich. veränderte Stellung, Wilhelms IN, führte 
om ‚fiebenten September 1701 zu dem großen Bunde 


zwiſchen bem Kaifer, England und Holland, des Inhalts: 


, H Man wird,;wwe möglich in frieblichem Weg, dem Kaifer 


‚für feine Anfpeüche an die fpanifche Monarchie, eine billige 
und genuͤgen de Entfhädigung * Den Könige von Eng: 


Jand und den Generalſtaaten aber eine angemeffene ‚Sichers 
heit für ihre Länder, ſewi⸗ für Schiffahrt und Handel vers 
ſchaffen. 

2) Sollte dies nicht gelingen, ſo wird man fich * 


ben die ſpaniſchen Niederlande, Mailand, Neapel und Si⸗ 


cilien, und die Beſitzungen an der Kuͤſte von Toslana zu 


1) Parliam. Hist, V, 1295. 
2) Satisfactionem aequam et rationi convenientem. Dumont VII, 


| 1, urk. 13. Lamberty I, 625. 


518 Sechstes Buch Eitftes Hauptfäd. 


1701. erobern, und bie flete Zrennung Spaniens von Sranfreich 
durchzuſetzen. 

3) Die Seemaͤchte behalten was ſie in Indien erobern, 
werden in ihren Freiheiten und Handelsrechten nirgends bes 
ſchraͤnkt, die der Franzoſen aber in Peiner Weife ausgebehnt. 

4) Sollte e8 zum Kriege kommen, fo bleibt jeber befons 
bere Friedensſchluß unterfagt. 

Durch Vollʒiehung dieſes Bünbniffes willigte ber Rat; 
fee offenbar in eine Xheilung ber Tpanifchen Monarchie, und 
Wilhelm II hoffte um fo mehr, der König von Frankreich 
werbe auf biefen Plan zuruͤckkommen, ald die Zahl feiner 
Gegner ſich mehrte, die Ohnmacht Spaniens immer deutk⸗ 
her - beraustrat und allen Xheilen in Wahrheit ein Krieg 

fehr unwillkommen war. Noch blieben bie Gefandten Eng: 
lands und Hollands behufs weiterer Unterhandlungen in Pa⸗ 
ris, als ein Schritt kudwigs XIV mit einem Male allen 
Briebenshoffnungen ein Ende machte. 

Im vierten Urtilel des Friedens von Ryswik heißt 

e89: (nachdem Wilhelm II ald König von England aner⸗ 
‚ Tannt worden) der König von Frankreich verfpricht auf feine 
Ehre und mit dem Worte eines Königs, er werbe weber 
unmittelbar noch mittelbat irgend einem Feinde Wilhelms IH 
Hülfe leiſten, ober leiſten laſſen; auch etwanige Unterneh 
mungen ımb Verſchwoͤrungen wider benfelben in Feiner Weiſe 
begünfligen u. ſ. w. — Als nun Jakob U den Löten Sep⸗ 
tember 1701 ftärb*), erfannte Ludwig deſſen Sohn als 
König an, und behauptete zu feiner Rechtfertigung: ber rys⸗ 
wiker Friede verbiete nicht ihm biefen Zitel zu geben unb 
ihn perfönlich zu fügen. Won anderweiter Unterflügung 
Jakobs TU und Beunruhigung Wilhelms fey nicht die Rebe; 
auch habe diefer bereits mehr gegen Frankreich, ald Frank 
reich gegen England betrieben und unternonmen. — Lud⸗ 


1) Dumont VII, 2, p. 400. 


2) Bald war auch von Wunden bie Rede, tum eine Heiligſpre⸗ 
hung Jakobs vorzubereiten. Marchmont papers I, 598, 





Wilhelms Miette Mode, _.- 819 


wig XIV betrachtete feine Nachgiebigfät: gegen bie Wanſche 1701. 


Jakobs I, außerdem ald eine Handlung ber Milde und 
Sroßmutb, ‚und auch wohl als ein Mittel Wilhelm A ein⸗ 
zufhüchtern und in Verlegenheit zu bringen‘). Hierin inte 
er aber gar fehr: denn jene Anerkennung unb bie gleichzeitig 
verbotene Einfuhr faft aller englifhen Waaren in Frankreich 
und. Spanien), verlehten bad Ehrgefühl und bie Intereffen 
ber. ‚Engländer in gleicher fehr empfindlichen Weife, und, er: 
wedten für die Zukunft. fo große Beſorgniſſe, daß an Dig 
Stefle ängftlichen Zoͤgerns, ; verbrießlichen Weigerns, oder 
hoͤblicher Friedensliebe, auf einmal eine allgemeine Kriegesluſt 
hervorbrach und Wilhelm U beliebter und mächtiger ward, 
denn. je zuvor. Bei Gröffnung bed neu berufenen- Parla- 
mentes hielt er in Weſentlichem folgende Rebe: 
AMylords und Gentlemen! Ich Bin überzeugt Sie 
haben fi verfammelt voll des gerechten Gefuͤhles über bie 
gemeinſame Gefahr Europas, und des Zornes uͤber die (ch 
tm Maaßregeln des franzoͤſifchen Königs; wie dies Alles. fo 


fraͤftig und allgemein in ben loyalen und zeitgemäßen Eins 


gaben meines Volkes ausgedruͤckt if. Daß der angebliche 
Prinz von Waled ald König von England aufgeftelt und 
anerkannt wird, ift nicht allein die höchfle Beleidigung ges 


1) Dee Dauphin, bie Prinzen, die Sefuiten und bie Daintenon 
waren für die Anertenntnig Jakobs III, und Lubwigs XIV kuͤndigte 
ſeinen Beſchluß ſeibſt Jakob dem zweiten an. So vorfichtig bie franz 
Hſiſchen Miniſter ſonſt auch waren, erklaͤrten fie doch dem nunmebe 
ubgerufenen ‚engtifchen Botſchafter: fie Hätten Telnen Theil an ber Maaß⸗ 
2egel. Clarondon Corresp, II, 385, 389, 406. ‚Berwick Mem. I, 

‚ 8. Simon III, 226, 228. Flassan IV, 216. Belsham II, 212. 
'Smollet U, 117. Cole Mem. of State 419— 420. Moniteur uni- 
vers, 244. Pubois Mem, I, 47. Lemontey I, 85. Mlacpherson 
Hist, II, 208. Clarke II, 691 — 597. Nach einem Berichte in So- 
mers tracts XI, 841 fagte Ludwig zu Jakob: ungeachtet ber Schwie⸗ 
rigkeiten, die er in ſeinem großen Rathe angetroffen habe, wolle er des 
Konigs Sohn, als Koͤnig von England anerkennen. 


2) Somervillg 562. Cole Mem. of Stale 417— 421. Bels- 
ham uU, 593. 





50 Sechstes Bud. Eilftes Hauptſtück. 


1704. gen mich und daß Volk; fondern es gebt auch Jeden nahe 
an, dem bie roteftantifche Lehre, fowie die gegenwärtige 
und kuͤnftige Ruhe und Gluͤckſeligkeit feines Vaterlandes am 
Herzen liegt. - Deshalb habe ich nicht nöthig Sie aufzufors 
dern ernſtlich zu überlegen, durch weiche wirkfamen Mittel 
man fernerhin die proteflantifche Erbfolge ſichern und alle 
Hoffnung de Prätenbenten und feiner offenen ober heimli⸗ 
ben Anhänger vernichten koͤnne — Dadurch daß ber Kö⸗ 
nig von Frankreich feinen Enkel auf den fpanifden Thron 
fest, wird e8 ihm möglich das Übrige Europa zu unter⸗ 
druͤcken, ſofern man nicht raſche und hinreichende Gegenmaaß⸗ 
regeln ergreift. Unter jenem Vorwande ift ex wahrer Here 
ber ſpaniſchen Monarchie geworben, bat fie ganz von fich 
abhängig gemacht, Tehaltet daruͤber wie über feine eigenen 
Befisungen, und hat feine Nachbaren bergeflalt umringt, 
daß (obgläcd der Friede dem Namen nach fortdauern mag) 
fie den Ausgaben und Laften des Krieged unterworfen find. 
Dies berührt England auf Vie naͤchſte und empfinblichfke 
Weife, in Beziehung auf den Handel, welcher nach allen 
feinen verſchiedenen Zweigen bald unfiher werben wird; in 
Bezug auf einheimifche Sicherheit und Frieden, auf beren 
lange Fortdauer wir nicht rechnen dürfen; endlich in Bezie⸗ 
bung auf die Rolle welche England für die Erhaltung 
der europäifhen Freiheit übernehmen muß”). 
Um dem allgemeinen Unglüde womit die Chriftenheit durch 
Frankreichs übermäßige Macht bedroht wird, entgegenzutre- 
ten, babe ich (nad; erhaltener Aufmumterung von Seiten 
beider Häufer des Parlamentes) mehrere Bimdniſſe geſchloſ⸗ 
fen, welchen zu genuͤgen Sie mich gewiß in Stand ſetzen 

- werben.” 
„Es gebührt fi daß ich Ihnen fages wie bie Augen 


) Wilhelm (fagte Burke VM, 158) beſchloß England trotz aller 
Widerfprücde auf ber rechten entfcheibenben Böhe gu erhalten und vor 
dem Irrthume zu bewahren: es koͤnne fich ausfonbern aus bem 
europäifhen Verbande. 








Wilhelms Rede 621 


von · ganz Europa auf died Parlament gerichtet find und alle 1701. 


Sachen ſtill ſtehen bis Ihre Befchlüffe bekannt werben. Das 
her darf man Feine Zelt verlieren. Wenn Sie fich nicht 
ſelbſt verlaſſen, wenn Sie die alte Kraft des engliſchen Vol⸗ 


kes in Thaͤtigkeit fegen; ſo bietet. fi. durch Gottes Segen 


die Golegenheit bar dem lebenden Gefchlechte und allen Nach⸗ 
Tommen Religion und - Freiheit zu ſichern; aber wahrlich, 
verfäumen Sie biefe Gelegenheit,’ fo haben Sie Feinen Sum 
auf eine andere zu hoffen.”- 

Sur mich verlange ich Nichts, Halten Sie aber er 
an dem Gumbſatze: wer dem Parlamente. vertraut, kann 
nie verlieren. - Bewilligen Sie was, in fo —* Zeit, 
Ihre eigene Sicherheit und Ehre erfordert.“ 

„Mylords und Gentiemen!- Ich hoffe Sie And ent: 
ſchloſſen alle ‚Streitigkeiten zu vermeiden, unb mit heszlicher 
Einigkeit das allgemeine Beſte zu befinden. Es wäre ber 
größte Segen für England, wenn biefe unfelis 
gen, verberblihen Parteiungen und Leidenfhafs 
ten bei Seite gelegt würben, weldhe und. nur trens 
nen und ſchwaͤchen; fo wie ich gen meinerſeits alle Bes 
leidigungen, felbft die fchwerften, vergeften und zur Seite ſtel⸗ 
Yen wi Ich beſchwoͤre Sie-die Hoffnungen zu täufchen, 
welche umfere Feinde auf unfere Uneinigleit gründen. Sch 
habe gezeigt und werbe ‚immer zeigen, wie fehr ‚ich: wünfche 
der gemeinfame Water meines ganzen Volkes zu ſeyn. Hans 
dein &ie- in: ähnlicher. Weife, machen Sie allen :Parteiungen 


; and Spaltungen em Ende. Hoͤre man forthin von keinem - 


anderen. Unterfihiebe, ald vdn denen welche den Proteſtantis⸗ 


mus und bie jetzigen Einrichtungen, und von ſolchen bie eis 


nen papiftifchen Fürften und eine franzöflfche Regierung wuͤn⸗ 
ſchen. An dem rechten Benutzen des gegenwärtigen Augen⸗ 
blickes wird man erkennen: ob Sie ernfllih wollen, daß 
England die Wage Europas in Händen behalte und an ber 
Spite der proteftantifchen Chriftenheit ftehe ! ” 

So die Rede, welche Wilhelm III, am lebten Tage des 
ſiebzehnten Jahrhunderts, ruͤckwaͤrts und vorwaͤrts blickend, 





522 Sechstes Buh Filltes Hauptſtück. 


1701. im verſammelten Parlamente hielt). Sie erinnert mehr an 
die Welfe König Heinrichs IV von Frankreich, ald an 
- bie oft ſehr gemeſſenen und kalten Reden ſpaͤterer Könige 
son England. . Nicht bloß vom Parlamente, fonbern vom 
ganzen Wolke warb fie mit größter Theilnahme und Begeis 
ſterung aufgenommen, in mehreren Sprachen gedruckt, mit 
finnbilblichen Zierrathen geſchmuͤckt, eingerahmt, in jedem 
Haufe. oufgebangen, und von Engländern und Hollaͤndern 
als ein politifches Glaubensbekenntniß, ald ein zu befolgen 
bed Zefiament ihres Königs und. Statthalters Ketrachtet! 

. Und im der. That, fo war e8! Arbeiten und Anſtren⸗ 
gungen bed Leibes und Geifted, welche Wilhelms III Leben 
ausfuͤllten, hatten fchon vor ben Kintritte des haben Alters 
feine Geſundheit geſchwaͤcht. Gr konnte fih die Rube nicht 
gönnen, welche zus ihrer Herſtellung nöthig war. Im Herbſte 
bes Jahres 1701 hatte Wilhelm insgeheim (als fey es für 
einen Geiſtlichen) den erſten Arzt. Ludwigs XIV über feinen 
eigenen Zuſtand befragen: laſſen. Fagon antwortete: dem 
Kranken bleibt nichts uͤbrig, als ſich auf ſeinen Tod vorzu⸗ 
bereiten )! — Dad Geheimniß kam aus und gleich darauf 
beſchloß Lubwig XIV, Jakob den IM als König anzuerten- 
nen, Wilhelm. hingegen ben großen Bund zu Stande zu 

gm 

Am 2iften Februar (Aten März) 1702 flürzte er mit 
dem Pferde und zerbrach dad Schlüffelbein, Mit vollem 
Bemuftieyn.. und unerſchuͤtterlicher Seftigkeit ging-.er dem 
Tode entgegen. und flarb den "len März 1702 im 52%len 
Sabre feines. Alterd. Gin. treuer Freund, ein guter Ehe⸗ 
mann, ein. Beſchuͤtzer der Volksrechte und doch ein großer 
König, allen damaligen Staatsmaͤnnern Englands) ohne 
Zweifel weit überlegen. Hoͤchſt thätig ohne Alles ſelbſt thun 

1) Lord Somers hatte angeblich Theil am Entwerfen biefer Rebe. 
Coxe Marlborough I, 104, — Mistory of Comm. II, 183. 

2) Dongrau II, 282. 

3) Ja Suropas! 


— — — — — ——— 


Wilhelms Top. 628 


zu wollen, niemals Beleidigungen raͤchend, dıkbfam im jeder — 
Richtung, folgerecht und doch ohne Eigenfinn,: und in des 
« Einfachheit femes Redens und Handelns edel, ja erhaben ). 
Nach dem ‚Frieden von Ryswlk vergaß man, was auf 
dem Spide geflanden und welche große Zwecke man haupt⸗ 


. fachlich durch des Königs Thaͤtigkeit ‚erreicht hatte. Eigens 


nutz, Partelungen, Chilanen, Nergeleien traten in den Bor 
dergrund und die Kraft feines Geiſtes und Charakters ward 
auf taufend Arten gehemmt und verlest”). Er lavirte, that 
‚mit großer Klugheit fo viel als ex vermochte und beſchraͤnkte 
feine Zwecke nach feinen Mitteln. Als nun aber der Sturm 
wieder losbrach und die Gefahren drängten, trat er am 
Abende feines Lebens noch einmal aufleuchtenb hervor, und 
reinigte, begeifterte und beflligelte Alle auf lange Zeit bins . 
aus?). — Abgerufen von feiner ‚Laufbahn. im Augenblide 
höchften Glanzes, ift er keineswegs ein nieberfchlagenber Bes 
weis der Nichtigkeit alles Irdiſchen: fondern dag das Wir 
Ten eines großen Mannes unvergängliche Fruͤchte trägt durch 
alle Zeiten hindurch. Auch hat der Gefchichtfähteiber · kein 
wuͤrdigeres und erfreulfichered Gefchäft, als bie Nebel zu zer: . 
‚freuen, welche Kurzfichtige ober Boshafte uͤber das Wild 
ſolch eines Eveln verbreiten. Daher fagt Johann von Müls 
ler): „ich finde die heutige Undankbarkeit gegen Wilhelm ab: 
ſcheulich Wir find ihm Alles ſchuldis, alle ale 
Freiheit, wir Europaͤerl“ 


1) Dalrymple X, 2% Bu 256. 8. Simon X, 50. | Smollet 
II, 233. Vie de Guillaume Ill, 1. Belsham I, 138. Hallam 
III, 21. ge 

2), Wilhelm fagte: fie mißhandeln mich jest, aber ich werde nicht 
lange unter ber Erbe feyn, fo würden fie mich gern mit — Naͤgeln 
wieder ausgraben. Marchmont papers II, 895. 

8) Größer als jemals zeigte ſich Wühelm, fo krank er war, in 
diefem feinem legten Jahre. Schloſſer a des 18ten Jahrhun⸗ 
derts I, 40. 

4) Werke XII, 228. 


5% Schötes Bud. Eilftes Hauptflüd. 


4701... Ganz Europa erſchrak bei der ‚Nachricht von Wilhelms 
Zobez nur in Frankreich faßte man von neuem Hoffnung 
Jakob IH werbe in England hergeftellt, oder Hoch feine jetzt 
Z8jaͤhrige Schwefter Anna dem Syfleme ihres Schwager 
untreu werben. Diefe Hoffnungen täufchten. Anna wollte 
trotz aller Liebe flr ihren Bruder, keineswegs der, ihr Durch 
Parlamentsfchluß zugeflcherten Herrſchaft entfagen, und eben 
fo wenig durch eine Umflellung bed politifchen Syſtemes, ih⸗ 
zen Gegnern. in bie Hände arbeiten. Abgeneigte tröfleten 
fi damit, daß fie wenigftend Beine Fremde, und ihr An= 
Spruch. beffer begründet fey,..al8 ber Wilhelms. — Soll die 
Geburt (ohne Ruͤckſicht auf Reigion, Grundſaͤtze, Parla⸗ 
mentsſchluͤſſe, Staatörecht, Schuld oder Unfchuld, Weisheit 
oder Thorheit) allein und immerbar uͤber die Schidfale ber 
Boͤlker entſcheiden; To genuͤgte ihre Legitimität fo wenig, als 
die Marias und Wilhelms. Reicht aber ein bloßer Begriff 
ſehr oft nicht. hin über allerjene Verhältniffe obzufiegen und 
fie zu vernichten; fo gab Wilhelms perſoͤnliche Größe ein 
weit beflered Anrecht, ‚oder einen weit befferen Erfag, als 
Annas unbebeutende Natır. Ihr Gemahl Prinz Georg 
von Daͤnemark war fo wenig geneigt ald fähig an ber Res 
glerung Theil zu nehmen‘), und fo mußten Andere bie Koͤ⸗ 
niginn leiten: zunaͤchſt dee Herzog und bie Herzoginn vom 
Marlborough. Deren Rathe gemäß erklaͤrte man den 15ten 
Mai 1702, den Krieg wider Frantrih”). : 

In den naͤchſten dreizehn Jahren treten. ganz andere 
Männer auf den Schauplak , ald die wir früher haben ken⸗ 
nen lernen, weshalb einige Worte zu ihrer Charafterifirung ' 
bier Matz finden mögen. 


1) Georges est fort gras, aime les nouvelles, la bouteille et 
In Reine. Macky Mem. 40. Er war milde und wohithäti. Ha- 
milton 106. — Belsham II, 174, 


2) Vie de Ia Reine Aune I, 24. Lamberty Il, 65. Parliam. . 
Bist, VI, 16. Ähnlicherweiſe erklärten Holland und Öfterreich den 
Krieg. — Klinkhamer de bello successionisets. 





Anna, Chamillart, Zorey. J 525 


Die Trennung der Behörden für den Krieg und bie 1708. 


Sinanzen, hatte zu fo manchem Streite Weranlaffung ges 
geben, daß Ludwig XIV, als Barbeſieur (Louvois Sohn) 
flarb, beide Departements im- Iahre 1701 dem Parlamentds 


rathe Chamillart übergab '). Er war dem Könige zuerſt 


als ein trefflicher Billarbfpieler und ald Intendant von St. 
Cyr befannt geworben. Ein einfacher, techtlicher, fleißiger, 
verfländiger Mann; aber Fein Mann von Überlegenem Geifle 
und Charakter. Diefen Mangel ‚glaubte der König buch 
feine eigene Kraft und Erziehungskunſt erfegen zu. können; 
bald aber ergab fi) daß Chamillart jener doppelten Laft und 
den immer fchwieriger werbenben Verhaͤltniſſen nicht gewach⸗ 
ſen war. Die Maintenon brachte Voiſin an ſeine Stelle, 
welcher fo wenig als fein Vorgaͤnger der Schwierigkeiten" und 
Unfälle Herr werden Fonnte. *) 

- Der Minifter der auswärtigen Angelegenheiten ‚ Mars 
quid von Torcy (ein Sohn Colbert Croiſſis, ein Neffe Col⸗ 
berts) war ein ſo rechtlicher, als geſchickter Mann, der feis 
nem Amte bid zum Tode Ludwigs XIV, trotz der unguͤn⸗ 
fligften Verhaͤltniſſe, in einer Weiſe vorfland, welche ihm 
felbft die Achtung der Feinde Frankreich gewann ’). — Seigs 
nelai, (Colbertd Sohn) der Minifter des Seeweſens und 
Handels *), kam feinem Better an Einficht und Abel des 


‚ Charakters nicht gleih. Denn obgleih man feine Thätig- 


keit rühmt, nennt man ihn doch anbererfeitd eitel, ſtolz, 
heftig, undulbfam und den Vergnügungen ergeben. 


‘ 1) S. Simon V, 83; IX, 80. Fenelon corresp. I, 289. Mau- 
xepas M&m. I, 72. -Villars II, 9. Maurepas I, 72. Maintenon 


‚ et Ursinus lettr. I, 66. Auvigni vies d’hommes illustres VI, 298. 


Er ftarb 1721, 70 Jahre alt. Argenson essais 362. — en 


‚ flarb den 5ten 3anuar 1701. Dangeau II, 284. 


- 2) 8. Simon XII, 129. Maintenon et Ursinus lett. IH, 97. 
Bresson Hist. des Finances I, 376. 


8) Argenson essais 195. Maurepas IV, 151. Spanheim V, 
95. Flassan IV, 412. Petitot Mem. de Richelieu I, 8. 


4) Spanheim V, 101. La Fare 241. 


EU Sechstes Bud. Eilftes Haupikäd 


KTOL Bon Bllars, Gatinet und Benbome iſt bereits bie Rebe 
geweſen). So ausgezeichneten Feldherren warb, durch Lud⸗ 
wigs KIV Eigenſinn, Villeroi on bie Seite geſtellt. Er 
verſtand zu tanzen, zu fechten, zu ſchwatzen, Gelb auszuge⸗ 
ben, den Damen den Hof zu machen, unb durch bie Ma⸗ 
nieren eined großen Heren, kleinen Leuten zu imponiren. 
Das Prachtſtuͤck eines am Hofe erzogenen Pebanten, aber 
ohne Kenntaiffe, Geiſt und Ziefe, ohne Muth bed Charal⸗ 
ters, und trotz „aller perfönlichen Tapferkeit kein Feldherr ?). 
Der Herzog von Noailles’), ein Mann von Anlas 
gen und vielerlei Kenntniſſen. Ihm fehlte jedoch Feſtigkeit 
ded Entfchluffes und Beharrlichkeit der Audführungs wes⸗ 
halb er (obwohl er Ale wußte und oft Alles leitete) doch 
zuletzt nur wenig zu Stande brachte. Fromm mit ber Main⸗ 
tenon’, unleufch zur Zeit des Regenten; bem Beſſeren uͤber⸗ 
all geneigt, ſofern es nicht mit der herrſchenden Mode des 
Tages in Widerſtreit gerieth und keine Aufopferung ko⸗ 
ſtete. — Bauban, unter einem dauhen Außeren, doch der 
mildefte Mann‘), durchaus rechtlich, beſcheiden und tugend⸗ 
baft; deshalb biäweilen zurüdgefegt, jedoch der erſte Inge 
nieur feine Zeit. — Berwick, ein Sohn Jakobs II und 
ber Arabella Churchill). Ein ernfter, nachdenkender Manz 
ber feine Erfolge meifl feinen Charakter zu banken hatte. 
Es laͤßt ſich nicht Teugnen daß, Alles zu Allem gerech⸗ 
net, bie thätigen Stantömänner und Feldherren mährend der 
zweiten Hälfte von Ludwigs Regierung, benen ber erſten 


1) Seite‘ 128. 
2) Mömoires de Louis XV, 6. Maurepas I, 286. Veiltaire 
siöcle de Louis XIV, XX, 500. 8. Simon VIH, 25,85. DuciosI, 
. 162. Caracteres de la famille royale 21. 
3) Duclos I, 168, 236. St. Simon AI, 45. Noallles VI, 278. 
_ Flassan V, 346, 
4) St. Simon xl, 7. 
5) Berwick Mem. I, 4. Maurepas IV, 25. Xxabella war bie 
Schweſter Marlboroughe. 8. Simon IH, 820. 


— — — — En er ee — —— 


— — u — — .— — — — 


Heinſius. Matlborough. Eugen. 521 


Hälfte nachſtehen; doch blieb der König für Alle ein derei⸗· ink, 


nender Mittelpunkt, welcher, insbeſondere nach Wilhelms IX 
Tode, den Verbuͤndeten fehlte. Deſto merkwuͤrdiger iſt die 
Erſcheinung, daß durch die freiwillige Verſtaͤndigung dreier 
Maͤnner, auf mehre Jahre hinaus die Einigkeit dreier Staa⸗ 
ten erhalten ward. Dieſe Maͤnner find ber Rathspenſio⸗ 

nar Heinfius, ber Herzog von Moatlborough und der Prinz 
Eugen von Savoyen. 

Heinſius, ein Zogling Wilhelms IH, und fein Nach 
folger im Haffe wider Frankreich‘). Als aber biefer. Haß, 
oder Einflüffe anderer Art, den Rathspenſionar uͤber Wil⸗ 
helms urfprüngliche Abficht hinaus am Kriege feſthalten lie⸗ 
Sen, reichte Gewaudtheit, Beredſamkeit, Neblichkeit, Erfah 
zung und Kraft des Geiftes nicht mehr hin, feiner Beliebt 


. heit Dauer zu geben und feine Wirkſamkeit far die Ridbers 
lande beilfam zu machen. 
Der Herzog von Marlborougb (geboren ben 24flen - 


Aumlırd 1650)?) war mit fo werig Sorgfalt erzogen nd ' 


gebildet worben, baf er weber engliſch richtig fchrieb, noch 


fremde Sprachen geläufig veben Ierute. Diefe Mängel wurs 
ben jedoch Durch andexe, felten vereinigte Eigenfchaften, mehr 
als erfeht: Marlborough war nämlich zu gleicher Zeit ber 
ſchoͤnſte, feinfte, wigigfte, gemandtefte Hofmann, und der kuͤhnſte 
fiegreichfle Zelbherr feiner Zeit. Das Bedenken: ob jeme - 
Birtusfität in Kleinigkeiten. ich init einan wahrhaft großen 

Charakter vertrage, wuͤrbe man gem zur Seite fdhiebenz 


. wenn nur nicht glanbhafte Beugniffe erwieſen, daß ber’ Hers 


309 zwar nie ben Feinden feines Vaterlandes gegenüber: zum 
Verräther warb’), wohl aber (mie Villars) ſeine großen 


4) Faucher vie de Polignac II, 86. 8. Simon X, 60. Gr 
ftarb den dritten Xuguft 1720. ib. XVIII, 258. 

2) Lediard Iife of Marlborough. Coxe Mem. of Marlb, Bur- 
net III, 1309. Macpberson History 1I, 514. Clarendon corresp. 


.L1ı. 


3) Doch verrieth er 1694 m Jakob II, Vilyelms Plane ‚gegen 
Breſt. Clarke II, 522. 


BU Gchstes Bud. Eilftes Hauptſtuͤck. 


4704. Xhaten tıberall durch Geiz und Habſucht verunreinigte und 
in den Schatten ftellte. Sein Benehmen gegen Jakob II 
und Wilhelm II, ja felbft gegen Anna, unterliegt fon in 
fofern gerechtem Zabel, ald ed großentheild aus Egoismus 
hervorging. Deshalb fagt ein, fonft fehr billig urtheilender 
Gefchichtichreiber ): „Marlboroughs Leben bietet ein ſolches 
Gemälde von Niebrigkeit und Betrligerei (treachery), daß 
man Verdienſte im Kriege ſehr hoch anfchlagen muß, um 
vor feinem Andenken irgend Achtung zu behalten.” 
| Ein reinerer Charakter und ein nicht minder großer 
Feldherr war Prinz Eugen von Savoyen (geboren ben 
18ten Dftober 1663), ein Sohn Moritzens von Savoyen 
und der Olympia Mandni”). Als ibm Lubwig ZIV (feiner 
Mutter Olympia halber ”), ober auf Louvois Betrieb, ober 
weil man den Prinzen für unbebeutend hielt) eine Auftellung 
verweigerte, trat Eugen in Faiferlihe Dienfle, nahm 1683 
(unter Karl von Lothringen und Lubwig von Baden) am 

Tüuͤrkenkriege und fpäter an den Felbzügen wider Frankreich 
mit folcher Auszeichnung Theil, daß ihn Kaifer Leopolb im 
Jahre 1693 zum Feldmarſchall ernannte. Der große Sieg 

bei Zentha (1697) über die Türken beftätigte feine Feldherrn⸗ 
größe bergeftalt, baß er (trog ber Anklagen feiner Feinde) 
nicht bloß an der Spige ber Eaiferlichen Heere blieb, fondern 
1703 auch Präfident des zeither nur zu oft hemmenden Hof⸗ 
kriegsrathes warb. Eugen befaß außerorbentlichen Scharffinn, 
sichtigeß Urtheil, = Verſchwiegenheit und eine feltene Ges 
ſchicklichkeit die Gefinnungen derer zu entbedien, mit welchen 
er zu thun hatte. Er ſprach wenig, aber was er ſagte, war 


1) Hallam III, 169, 298. 

2) Vie du Prince Eugene par L. C. D. C. Londres 1789. 
Mauvillon Histoire du Prince Eugene. La Fare 268. Flassan 
IV, 271. 

8) Eugen befümmerte ſich wenig um feine Mutter, bie im Pro: 
zeß der Brimwilliers vorgeforbert warb, aber nach ben Rieberlanden 
entwich. 8. Simon XII, 34. 





— Rn. neu uw = vw - m vw. — — = 


Deutfhland. Krieg In Italien. 629 


genau und durchdacht. Nicht gleichgültig gegen die Weiber, 4701. 
. aber noch weniger ihnen unterthan ’). Sehr beliefen, Freund 
ber Künfte und Wiſſenſchaften, religioͤs ohne Bigotterke, 
ſorgſam im Überlegen, vorfichtig im Beſchließen, Eräftig im 
Handeln”). 

Die Hoffnung Ludwigs XIV: König Wilhelms Sb 
werbe bad große wider Frankreich gerichtete Buͤndniß aufld- 
fen”), ober wenigftens Holland zu frieblicheren Sefinnungen 
zuruckkehren; fchlug fehl, und alle Theile betrieben die Kriegs⸗ 
vorbereitungen mit Nachdruck. Am Iangfamften, uneinigften 
und Häffigften zeigte fich wieber das beutfche Rei. Franzoͤ⸗ 
fiſche Geſandte zogen an ben Höfen umher, klagten ben 
Kaifer des, Untechts und ber Tyrannei an, und empfahs 
len bie fo billige, natirliche und heilfame Forberung Lud⸗ 
wigd XIV: daß feine guten deutſchen Nachbaren in einer 
unthätigen, ober müßigen Neutralität verharren 
möchten‘. Manche fanden an dieſem Vorſchlage großen Ges 
fallen, und obgleich fpdter ein Reichskrieg beſchloſſen warb 2), 
batte Frankreich doch Braunfchweig Wolfenbüttel, Sachfens 
gotha, Münfter, und vor Allen Köln und Baiern für ſich 
gewonnen‘), woburd) ber Krieg fogleich in das Herz von 


y 

1) Bonneval M&m I, 98, 117. — Gine gute Miene bat Prinz 
Eugen nicht gehabt, noch air moble. Die Augen hat er nicht haͤßlich, 
aber die Raſe verſchaͤndet fein Geſicht und daß er allezeit ben Mund 
über zwei große Bähne aufhält, allezeit ſchmutzig = fette Haare hat, 
die er nie frffirt. Orleans Anekdoten 30, vergl. 84. 

2) Coxe Marlb. I, 282. In einer eroberten Stabt ließ Eugen 
ein Stüd aus lauter Prologen von Quinault auffuͤhren. Lemontey 
monarchie de Louis XIV, 408. 

5) Torre DI, 1115 IV, 51. 

4) Oisive neutralit6, Larrey VIII, 12. 

5) Franzoͤſtſche Kriegserklaͤrung ben dritten Julius 17025 Kriegs⸗ 
erflärung bes beutfchen Reiches ben 28ften September 1702. Lam- 
berty I, 504; II, 208. Isambert eollection XX, 412, as 
VIH, 161. 

6) Torcy I, 101. i 

VI. ı 34 


530 Secetes Bud. Eilften Hauptfäd. 


A708: Deutſchland werfegt ward. Am thätigften für ben Kaifer 
zeigte fich der neue — Friedrich von Preußen, fomohl 
aus Dankbarkeit, ald im Gefühle des Rechts und ber 
Pflicht '). 

Eben fo wie viele beutfche, firebten viele italieniſche 
Fürften nach des Ummoͤglichen, mach einer ruhigen, unge: 
fiörten Neutralität”). Nur die Schweiz war fo glädlich bie 
Stürme von ſich fern zu halten. 

As Catinat im Jahre 1704 den Oberbefehl in Italien 
übernadm ?), fand er ſaſt Nichts vorbereitet, fondern das 
frangöftiche ‚Heer ohne Kleider, Zelte, ja Viele ohne Waffen. 
Beil er ſich deshalb nor den Öfterreichern unter dem Prin⸗ 
yon Eugen von Savoyen bis hinter den Oglio zurüdzieben 
mußte, klagte man ihn nicht bloß an: ex fey ein ungefchickter 
Felbherr), fondern auch (auf ben Grund von allerbaub 
Hofklaͤtſchertien) ex ſey irveligidt und ein fchlechter Chriſt. 
Deshalb und weil ex hieramf erwies: daß bie Maintenon 
mehre von ihm an. ben König erflattete Berichte dieſem 
verenthalten habe, warb er abgerufen und, zum Verdruſſe 
bes Heered) (im Auguft 1701) Billeroi zu feinem Nach⸗ 
folger ernanıt. Als Catinat biefen warte: er möge ben 
Prinzen Eugen nicht in feiner vortheilhaften Stelung bei 
Chiari angreifen; antwortete Willerot in feiner prahlerifch, 
foottenden Weife: wir ſind nicht mehr in der Jahreszeit 


1) Me, de Brandebourg 199. Wegen Annahme der Kinigs« 
würbe, warb ber franzoͤſtſche Geſandte von Berlin abberufen. Dan- 
grau II, 285 

9) Torre II, 320. Larrey VIII, 206-971. 
. 8) Cetinat Mem. 242—265. St. Simon IIE, 295. Leuis XIV 
oeavr. III, 16. 

Ä 4) Die Me&moires militaires I, 298 zeigen daß Catinat, mit. Teſſe 
und Vaubemont uneinig war, und man ihm auch über bie eigentliche 
Kriegfüprung ernſte Vorwuͤrfe machte. Co trafın verſchiebene Grünte 
wiber ihn zufammen. 

5) Teass Mem. I, 249. Langallery 306. 








ww u. u wu. wm - WER. wm — wm — — = 


VBilleroi. Neapel. . Benbome. 531 
bioßer Klugheit. Auch fehlt mir bie fo hochgerlihmte Eigen: 1701. 


ſchaft der Vorficht, beſonders wenn: ich ſtaͤrker bin als der 


Feind. — Die Folge dieſer unklugen Zuverſicht war, daß 
Villeroi am erſten September 1701 (ſieben Tage vor dem 


Abſchluſſe des großen Buͤndniſſes)) in dem Gefechte bei 


Chiari zwiſchen vier und fuͤnftauſend Mann, und der 
Prinz Eugen faſt gar Nichts verlor. 

Neapel und Sicilien erflärte fi) durch Einwir⸗ 
kung des Vicekoͤnigs, Herzogs von Medina Celi, fuͤr Phi⸗ 
lipp V). Am 23ften September 1701 brach jedoch in 
Neapel ein Auffland aus, an welchem mehrere Große (fo 
ber Fuͤrſt Macchia, der Graf Sangro und X.) Theil hats 
ten Man rief: es lebe der Kaifer, erbrach die Gefängniffe, 
zerfiörte den Palaſt der Juſtiz, verbrannte Urkunden, Bücher. 
und Schriften. Dennoch wurden die Freunde Öfterreihs « 
zuletzt befiegt, mehrere hingerichtet, ihre Güter eingezogen ' 
und ihre Häufer niebergeifien. — Im April 1702 Tam 1702. 
Philipp V ſelbſt nach Neapel, fand indefien wenig Xheils 
nahme ?), konnte ben Papft nit dahin bringen ihm eine 
unbedingte Belehnung mit Neapel zu ertheilen unb begab 
fih im Junius über Finale zum Heere nach der Lombardei. 

Hier hatte Prinz Eugen den Marſchall Billeroi am 
erſten Februar 1702 in Eremona gefangen genommen, ohne 
jedoch die Stabt behaupten zufönnen‘). Unter Vendome, 
Villerois Nachfolger, warb das franzöfifche Heer verſtaͤrkt, 
wogegen bie Kaiferlichen oft an Gelbe, Lebensmitteln und 


4) Genaue Berichte und Tritifche en über biefe Ereig⸗ 
nifie in den M&meires militahres I, 822. 

2):Torte Mes. IH, 807— 819, 882. Clarendon corresp. II, 
895. Villars Vie I, 79. 

8) Torre IV, 63-69. Le pape n’ösa accepter hommage 
pour Naples, mais enjoignait aux sujets et ecclesiastiques de lai 
&tre fideles. 8. Simon III, 201. Avrigny II, 298, 

4) Mömoires — relatifs & la succession Ü’Espagne 
— 154. 

24 * 








532 Sechsſtes Bud. Eilftes Hauptfiäd. 


1702. Kriegsbedarf Mangel litten. Dennoch blieb die am 15ten 
Auguſt 1702 zwiſchen Eugen und Vendome gefochtene Schlacht 
bei Luzara ſo unentſchieden, daß beide Theile ein Tedeum 
fingen ließen). Anfangs Oktober kehrte Philipp V, aus meh⸗ 
teren Gründen, durch Frankreich nad) Italien zuruͤck, nach⸗ 
bem er fo wenig in Mailand, wie in Neapel, durch feine 
Perfönlichkeit die Gemüther gewonnen hatte. 

Für Deutfhland war ber Feldzug von 1702 im 
Weſentlichen unglüdiih, fofern die Franzofen den größten 
Theil ded linken Rheinufers befesten?), und ber Churfürft 
von Baiern durch Wegnahme Ulms auch einen inneren Krieg 
begann ?). 

Weniger. Erfolg hatten die Franzofen in ben Nieder: 
landen. Den 19ten März 1702 ſchrieb der Herzog von 
Bourgogne an Philipp V*): „ich werbe mich bemühen, bie 
Holländer fühlen zu laflen, daß fie nichts find als aufräh- 
rifche Unterthanen, und wie groß bie Verwegenheit iſt ihren 
rechtmäßigen König anzugreifen.” — Allein ber Herzog 
kehrte, ohne etwas auögerichtet zu haben, nach Paris zu= 
ru; Marlborough hingegen ), der das englifch -holländifche 
Heer befehligte, zeigte ſich ſchon im biefem Felbzuge ald Mei⸗ 
fier, und nahm Venlo, Rüremonde und Lüttich, ohne daß, 
Marſchall Boufflers e8 hindern konnte. 


1) Lamberty II, 201. Tesss I, 844. Torre IV, 71. 


2) Satinat warb mit geringen Mitteln im Elſaß aufgeftellt und 
verfehangte fich bei Straßburg. Villars fiegse den 14ten Dftober 1702 
bei Friedlingen. Catinat Me&m. 275. Anquetil vie de Villars I, 
112. Torre IV, 70. Me&moires militaires IL, 248, 408. 


8) Den zweiten September 1702. Larrey VII, 188. 
4) Louvillo I, 224. 


5) Anna hätte gem dem Prinzen Georg ben Oberbefehl anver- 
traut, allein er war zu unfähig unb bie Holländer fürdhteten, ihre Be⸗ 
vollmächtigten beim Heere, würben dann zu wenig gehört werben. 
Lamberty II, 147. Anbererfelts hatte Marlborough mit biefen einen 
ſchwereren · Stand, ald Wilhelm III. Coxe L, 185, 197. ' 





.u- vu u zu .— -.- 


— —— -. u. 
« 


Ungern. Balern. Savoyen. * .533 


Im Jahre 1703 trafen mancherlei Gründe zufammen, 17703. 


den Erfolg der Verbündeten zu hemmen: fo ein neuer Auf⸗ 
fland unter Ragotski ober’ Rakotzi '), zu deſſen Unterbrüdung 
Prinz Eugen nah Ungern eilen mußte; ferner Mangel an 


Thaͤtigkeit, Zucht und Gelde u. f. w.?). Daher flegte Vils 


lars am 20ften September bei Höchftädt über Styrum, und, 
am vierzehnten November Zallarb bei Speier über den Prinz 
zen von Heſſen. Vereint mit den Baiern drang Villars 
bis Regensburg und Inforuge vor’); erlaubte ſich aber bie 
größten Unziemlichkeiten gegen den Churfürften und bie größ- 
ter! Plünderungen gegen das Volk; fo daß ſich Lubwig XIV 
genöthigt ſah, ihn auf Die dringenden Borftelungen Mari: 
miliand abzurufen, und Marfin an feine Stelle zu feßen. 
. Im Stalin warb der Herzog von Savoyen mit 
Frankreich unzufrieden, weil man ihm nicht ben Oberbefehl 
anvertraute, und die Hülfsgelder nicht pünktlich auszahlte; 
während die Fortfchritte der Kaiferlichen ihn in Sorgen febs 
ten und deren Anerbietungen mehr Wortheile zeigten, al3 die 
franzöfifhen. Um in dieſem günftig frheinenden Augenblide 
fein Haus zu vergrößern, ſchloß der Herzog indgeheim mit 
Öfterreih ab, worauf Ludwig XIV am '2Yften September 
die beim franzsfi ſchen Heere ſtehende favoyifche Mannſchaft 
gefangen nehmen ließ, uͤnd dem Herzoge fchrieb *): „Weil 
Religion, Ehre, Nutzen, Bündniffe und felbft Ihre eigene 
Unterfchrift Nichts zwifchen uns feflzufegen fcheinen, fo wird 


der Herzog von.Wenbeme an der Spige meiner Heere Ih: 


nen meine Abfichten mittheilen.” 
1) Lamberty II, 629. Vie d’Eugene I, 146, 
2) Lamberty II, 492, 


8) 8.'Simon XII, 109. Anquetil Vie I, 256, 284. Torey I, 
107. 


4) Lamberty II, 550, 564; III, 143. Ylassan IV, 228, fiber 
ben früheren Vertrag Savoyens mit Frankreich, Torre II, 283 
Tesse II, 4. j 





534 ° Schstes Bud. Eilftes Hauptſtück. 


» 

1704. Ungeachtet biefer Veränderung machten bie Verbuͤndeten 
im Sahre 1704 wenige: Kortfchritte in Stalin, deſto ent⸗ 
fideidender warb die Wendung der: Dinge in Deutfchland. 
‚Bei der feindlichen‘ Stellung bed Churfuͤrſten von Baiern 
war ed dringend nothwendig ihn zu gewinnen, oder voll 
ſtaͤndig zu befiegen. As für jenen Zweck Unterhandlun⸗ 

gen angefnüpft wurben, erfiärte der Churfürft: Deutſchland 
bebfirfe des Briebens und habe keinen Grund zur Klage wis 

ber Frankreich. Die Neutralität wolle man ihm nicht zuge 
fiehen;. mehr als unbillig aber fey es zu verlangen, daß er 
voider feined Neffen Philipp *) gutes Recht Krieg führe und 
Öfterreih in Deutſchland übermäctig made. — Nun⸗ 
mehr faßten Eugen und Marlborough den kuͤhnen und mei 
fterhaft durchgeführten Plan, alle ihre Streitkräfte wider bie 
bairifchsfranzöfifche Macht zu vereinigen. Nachdem Marl: 
borough, welcher aus den Nieberlanden herbeigeeilt war, am 
zweiten Julius 1704 bie bairiſchen Linien beim Schellen= 
berge erftürmt hatte”), bot man bem Churfürften noch 
mals die Oberpfalz, das Herzogthum Neuburg, die Statt: 
halterſchaft der Niederlande, Hülfögelber, ungehinberten Ab: 

zug fuͤr die Franzoſen und andere Vortheile. Schon wollte 

er den Vertrag unterzeichnen, als ein’ Schreiben des Mars 

— ſchalls Tallard einlief, welches ihm baldige Hülfe zuſicherte. 
Da warf er die Feder weg und rief aus: ſeine Ehre erlaube 
ibm nicht von Frankreich abzufallen! — Hiemit war fein 
Schickſal entfchieben. Am 13ten Auguft 1704 erfochten Eu⸗ 
gen und Marlborough bei Hoͤchſtaͤdt einen fo vollſtaͤndi⸗ 
gen Sieg Über Zallard und Marfin, daß von 60,000 Fran⸗ 
zofen fi nur etwa 20,000 wieder fammelten. Die Ver: 
bündeten machten 12 — 15,000 Gefangene , erbeuteten 


1) Des Shurfärften Schweſter, war Philipps V Mutter. 

2) Vie d’Anne J, 105. 8. Hilaire III, 56. Lamberty III, 30. 
90. tiber des Churfürften- Maitreſſen unb Spielſchulden, Villars I, 
10%, 188. Anquetil Vie de Villars I, 187, 198, 248. — la Colonie 
Men. I, 186, 169, 196, 25% über baixifche Verhaͤltniſſe. 


vs. ew vu -- ⸗ Pe ‚wma ww vw v2 wu. u. —. ww» — 


vn .- eo ww un a won u a 


Hönfäide. Baiern. Joſephe L Zurin. 535 


6300 Wagen, 3000 Zelte, 117 Kanonen, 129 Bahnen, 1704. 


171 Standarten u.f.w.'). Der Churfürfl ging nad) Flan⸗ 
dern, die Churfuͤrſtinn nad) Rom, ihre Kinder wurden nad 
Graͤtz gebracht”), Batern Fam faſt ganz in bie Botmaͤßig⸗ 
keit der Öfterreicher, und Deutfihland ‚fühlte feit vielen Jah⸗ 


en zum erften Male, daß es nicht bloß das Recht, fondern 
auch die Macht babe, frei und felbfländig zu feyn. Auf 
dem Schlachtfelde ließ ber Kaifer eine Ehrenfäule errichten, ° 
deren paffende Infchrift mit folgenden Worten ſchloß ”): „Moͤ⸗ 
gen die Fürften lernen daß Verſchwoͤrungen mit den Seins 


ben bed Vaterlandes felten ungeftraft bleiben; Ludwig XIV 
aber erfennen,daß man, vor dem Tode, Niemand ben Gluͤck⸗ 


. lichen, ober ben Großen nennen fol!” 


Deßungeachtet fhwächten bie oft gerügten Mängel‘) im 


bei Eaffano am 16ten Augufl zwifhen Eugen und Ven⸗ 
bome gefochten nichts entſchied), und Marlborough durch 
Billard gehindert ward in bie drei Bisthuͤmer vorzubringen. 
Gluͤcklicher waren feine Unterhandlungen während des Witt: 
terd in Wien, Berlin‘) und Hannover. Auch wirkte ber Tod 
Kaifer Leopolds (er. flarb den ſechsten Mai 1705) In fofern 
vortheilhaft, daß fein Sohn und Nachfolger Joſeph 1 ſich 


thätiger zeigte, mehr zur Beruhigung Ungerns that, und 


dem Prinzen Eugen noch freiere Hand ließ, benn zuvor. 


| 1) Lamberty III, 98. la Colonie I, 800323, 859, 891. Vie 
. d’Eugene I, 170. Lediard life ofMarlb. I, 379, 396. Coxe I, 290, 


813. Mauvillon vie du Prince Eugene UI, 192 — 213. 
2) Villars II, 221. Bonneval IL, 60. 7 
8) Histoire du Trait6 d’Utrecht 68. 


4) Zwift in ungern, ben Nieberlanden, — u. ſ. w. 
Lamberty III, 66. 

5) Maurillen vie d’Eogädne II, 851. 8. Simon IV, 46. Vie 
d’Eugene I, 200. 

6) Markborough hielt Friedrich ! en en bies wirkte. 
Mém. de Brandebourg 1%. - 


Sahre 1705 die Verbündeten bergeflalt, daß eine Schlacht 1705: 


us 


“ 


536 Sechstes Bud. Eilftes Hauptſtuͤck. 


1706. Daher der große Erfolg des Feldzugs von 1706. So wie 
der Sieg bei Hoͤchſtaͤdt, Deutfchland von den Franzoſen be⸗ 
freite, fo befreite der Sieg Marlboroughs über Villeroi bei 
Ramillied (23ften Mai) die Nieberlande'), der Sieg 
Eugens über Marfin und Orleans bei Zurin (dem fieben- 
ten September) ganz Stalin”). Die Öfterreiher befesten 

1707. im Zulius 1707 Neapel ohne Widerſtand, und biefel- 
ben Perfonen welche Philipp dem V Bildſaͤulen errichtet hat⸗ 
ten, warfen fie jebt zu Boden’). Kaifer Joſeph belehnte 
feinen Bruder Karl mit Mailand, und durch einen am 
13ten März 1707 zwifchen Öfterreih und Frankreich ge 
ſchloſſenen Vertrag, nahm der Krieg in Italien ganz ein 
Ende‘). Überhaupt war ed Zeit nach fechöjährigem Blut⸗ 

vergießen eines allgemeinen Friedens zu gedenken. 

DODurch Ludwigs XIV frühere Ungerechtigkeit und Er⸗ 
oberungsluſt waren unſtreitig im fiebzehnten Jahrhunderte 
drei große Kriege entzuͤndet worden. Dieſe bitteren Erfah⸗ 
rungen ſteigerten die Beſorgniſſe, und draͤngten zu dem 
neuen Kriege über die ſpaniſche Erbſchaft, wo Ludwig XIV 
nur um hbeöwillen weniger ber angreifende Theil zu ſeyn 
ſchien, weil er das größte Weich der Erbe, feinem Haufe 
dur ein friebliches Teſtament mühelos zuzumenben hoffte. 
Ob und welde Gruͤnde ihn jest zur Nachgiebigkeit und 
feine Gegner zu höheren Forderungen trieben, ergiebt ſich 


1) Coxe II, 80. 8. Simon IV, 68; XII, 120. Smollet I, 821. 

2) Maurvillon vie d’Eugene III, 27, 91. Lamberty IV, 170. 
Bonneval I, 65— 73. la Colonie I, 97. 8. Simon IV, 140. la 
Mothe Vie d’Orleans I, 87. Langallery Mem. 856. Die Maintes 
non ſchrieb ber Urfini: Gottes Abfichten find unbegreiflich, drei große 
ſehr chriſtliche Könige fcheinen verlaſſen; die Ketzerei unb Ungerechtig⸗ 
keit triumphiren. Lettres I, 5. — Dan erbeutete in Turin 250 Ka: 
nonen, 108 Mörfer, 7800 Bomben, 10,700 Granaten, 48,000 Ra: 
nonenligeln u. f. w. Vie d’Eugäne I, 214. Bon ber glorreichen 
Sheilnahme ber Preußen am Feldzuge unter Leopold von Anhalt 
Tann hier nicht umſtaͤndlich gehandelt werden. 

5) Lamberty IV, 566. Felipe II, 122. 

4) Lamberty IV, 895. 





“ .. — — — we — 


Friedensgedanken. 337 


ſchon aus dem ſoeben Erzaͤhlten. Bu vollſtaͤndiger Ein⸗1707. 
ſicht in alle einwirkenden Verhaͤltniſſe, iſt es aber noth⸗ 
wendig, uͤber die innere Geſchichte Ungerns, Englands, 
Frankreichs und Spaniens in aller Kürze Einiges eins 
zuſchalten, und dann erſt die Geſchichte des Krieges und 

der Unterhandlungen bis zum utrechter Frieden hinabzu⸗ 
fuͤhren. 





Zwölftes Hanptftüd. 


Innere Berhältniffe Ungerns, Großbritanniens und 
Frankreichs während der erften Jahre des achtzehnten 
| Jahrhunderts. 


(1701 — 1706.) 


Um dielelbe Seit wo der Krieg Aber die fpanifehe Erbfihaf 
begann, geriethben auch die nordifhen Reiche Europas 
in lange Fehden, und wurben hiedurch verhindert an ben 
füblicheren Angelegenheiten größeren Antheil zu nehmen. 
Deshalb iſt es nicht nöthig bereitd an dieſer Stelle Um: 
Iſtaͤndlicheres daruͤber mitzuteilen; wohl aber verdient Er⸗ 
.wähnung, daß die Macht ded Kaiferd durch fein Mißver⸗ 
bältnig zu Ungern noch immer bebeutend verringert wurbe '). 
Die Fragen über dad Werhältniß der Proteflanten zu ben 
Katholifen, und der Stände (indbefondere des Adels) zum 
Könige, führten nach geringen Zwoifchenrdumen immer wie: 
der Beichlüffe und Thaten herbei, welche gerechten Zabel 
verdienen. Doch darf man zur: Entfchulbigung darauf auf: 
merffam machen, daß Frankreichs Verhaͤltniß zu den Hu: 
guenotten und Englands zu ben Katholiken, weder. mit groͤ⸗ 
ßerer Weisheit betrachtet, noch mit groͤßerer Maͤßigung be⸗ 
handelt wurde. 
Keiner verſtand die —— Mißverhaͤltniſſe beſſer 


1) Engel Geſchichte vom Ungern V, 177— 252. 


— — —— — - 


Ungern. Rakotzi. 6539 


zu benugen als. Lubpig XIV. Schon im Jahre 1700 fors 
berte er Franz Rakotzi auf ſich an bie Spige ber Mißs 
vergnügten zu ftellen, welcher. (ba der Plan auskam) vers 


baftet ward, aber den fiebenten November 1701 auß dem - 


Sefängniffe nach Polen entfloh. Erſt als (anderer Klages 
punkte nicht zu gedenken ')) die Proteftgnten mit erneuter Will⸗ 
Tür behandelt und Ungern mit neuen Abgaben belegt wurde, 
entfchloß fih Rakotzi ald Haupt der Unzufriebenen herbors 
zutreten und in einer Schrift vom achten Junius 1703 die 
Gründe des Aufflandeß darzulegen. Während der nächften 


Jahre wechfeln Krieg und Unterhandlung, bis ſich Joſeph - 


nach feiner Thronbeſteigung (1705) viel billiger erklärte, als 
fein (vom leidenfchaftlihen Erzbifchofe Kollonits geleiteter) 
Vater. Öflerreichifche Vorurtheile, ungerifche Anmaaßungen, 
und franzöfifche Aufhetereien verlängerten aber, troß aller 
Bermittelung Englands und Holland”), die Unruhen noch 
mehrere Jahre. Erſt im April 1711, kurz nah dem 
Tode Joſephs I, kam ber Friede von Szathmar zu Stande, 
des Inhaltd: Es tritt eine allgemeine Amneftie ein. Die 


P) 


verfchiedenen Religionen werben nach den beftehenden Ges - 


fegen gebulbet und befchligt, die Freiheiten und Rechte des 


Landes erhalten und billige Klagen auf bem nächften Reichſ⸗, 


tage beſeitigt. Der Hof‘ wird feine Liebe zu ben Ungern, 
und diefe ihre Treue gegen ben König immer mehr bewaͤh⸗ 
zen. — Rabotzi, welcher die Herſtellung in feine Güter, ges 
gen Übergabe feiner Seftungen nicht annehmen wollte, begab 


Pr] 


1) Die Ungern verlangten: Behandlung nach ben Gefegen, Ges 


swiffensfreiheit, Vertreibung ber Jeſuiten, auf mehre Jahre (wegen er⸗ 


Littener Grauſamkeiten und Bedruͤckungen) Freiheit von Abgaben und 


Handelsfreiheit, Amneſtie und Herſtellung in Güter und Würden. — 


Sie verſprachen, im Ball ihre Wünfche erhört würben, bem Kaiſer 
große Unterflügung. Lamberty. III, 17 zu 1704 und IV, 120. 


2) Die Öfterreicher fuchten die Einmiſchung frember Mächte zu 
vermeiden und meinten: die Ungern Eönnten zulest bie Wermittelung bes 
Sultans verlangen. Coxe Marlb. I, 474, 507. 





- 0 . Sechstes Buch. Bwölftes Hauptſtück. 


ſich erſt nach Frankreich, hlerauf nach Spanien, endlich nad) 
der Tuͤrkei und ſtarb in Rodoſto. 

Die Hoffnungen, in England werde eine Herſtellung 
des Praͤtendenten ſtatt ſinden, dauerten noch immer fort und 
die, vielen feiner vertriebenen Anhänger erlaubte Ruͤckehr 
in ihr Vaterland, fehlen Jakobs IH Partei zu verſtaͤrken). 

* Allein die Furcht vor feinem Katholicidmus und Abſolutis⸗ 
mus, und ber Umftand bag Anna bi8 zu feiner Großjaͤhrig⸗ 
keit doch an ber Spitze der Regierung geblieben wäre, tua⸗ 
ten ben etwaigen Wünfchen und Planen entgegen. Auch 
behartte man bei dem politifchen Syſteme Wilhelmd II, ob: 
gleich die Königinn und bad Parlament fi) tadelnder An 
fpielungen auf ihm nicht enthielten und manche feiner treu⸗ 
‚Ren Anhänger aus Amtern entfernten?).. Marlborough, feine 

fo geiſtreiche als leidenfchaftlihe Gemahlinn und ihr Schwie⸗ 
gerfohn, der Kanzler der Schatzkammer Gobolphin, hatten 
noch immer entfcheidenden Einfluß; weshalb fie fich leicht 
- von ihrem feierlichen, früher zu Gunften des Prätendenten 
abgelegten Verſprechen entbanden ). Doch Fam es zu 
Sprache: ob eine Zochter Marlboroughs den Prätendenten, 
ober ben Churprinzen von Braunfchweig: Lüneburg heira- 
then ſolle; was benn freilich bes Herzogs Entſchließungen 
fo, ober anders, gerichtet haben dürfte"). 

Godolphin war ein rechtlicher, thätiger, gefchäfte: 
kundiger Mann‘), ein Zeind aller Heuchelei und Schmei: 
helei, und fo uneigennüßig daß er (an 30 Jahre beim 
Schatze angeflelt, und neun Sabre lang deſſen Vorſteher) 


1) Dairymple part. IV, book 1, p. 249. Somerville 8. Smol- 
Set II, 139. Belsbam II, 229, 

2) Macpherson History II, 228. Parl. Hist. VI, 49, 885. 

8) Dalrymple IV, 1, 239. 

4) Dalrymple IV, 1, 256. Marlboroughs Bruber Churchill, ſtand 
an ber Spige der Abmiralitäts Prinz Georg nur benn Namen nad. 
‚Hamilton Mem, 75. Somerville Anna 5. 

5) Macpherson II, 223-238, 462, Macky Mem, 58: Perl, 
Hist, VI, 556. Burnet 11, 832. 


\ 


Gobolphin. Parlament. Sonvocation. 541 


nur 4000 Pfund hinterließ. Bei Wilhelms Tode fielen die 

Papiere um 15 aufd Hundert), fliegen aber ſelbſt fiber den 

früheren Werth, fobald man fah dag Königinn und Parlas 

ment einig blieben und zwedmäßige Anordnungen für Er⸗ 

haltung des öffentlichen Credits getroffen wurden. N 
Zwiſchen den beiden Häufern des Parlamentes ent 

flanden zwar allerhand Streitigkeiten, fo 3. B. über bie 

Verwendung der ‚öffentlichen Gelder; doch hielt man ſich in⸗ 

nerhalb gewiffer Schranken, und den Beichluß: das. Unters 

haus dürfe nicht mehr an die Geldbills andere Dinge ans ' 

hängen und fo ohne Widerſpruch durchtreiben ); muß man 

als billig und zweckmaͤßig bezeichnen. Das Parlament zählte 

damald 180 Glieder bes Oberhauſes und 2 des Unters 

haufed, - 

Englands Verhaͤltniß zu ſeinen Berhhnbeten und zu 

Frankreich, war in weltlicher Beziehung fo -vorherrfchend 

und entfcheidend, baß bie Parteien der Whigs und Tories ‚ 

fih bdemfelben fir jetzt gleichmäßig unterorbnen mußten. 

‚ Mehr Wilke und Leidenfchaft konnte in den geifllichen Krei⸗ 

fen beroortreten, befonderd in Beziehung auf. die Rechte der 

Convocation und die unbebingte Übereinffimmung in Staus 

benöfachen. Um nämlich. allerhand Zwecke zu erreichen, 

welche man im Parlamente nicht durchfechten komte, fuchte 

man die Bedeutung und Wirkfamkeit der Convocation 

wieder herzuftellen ). Die hohe Kirche behauptete in dieſer 

Hinfiht: jedesmal wenn ein Parlament zufammentrete, müffe 

auch die Convocation eröffnet, fie duͤrfe fo lange jenes fie 

nicht aufgelöfet werben. Das Unterhaus ber Gonvocation, 

fey ferner unabhängig von deſſen Oberhaufe. — Diefen For: 

derungen gemäß berief die Königinn Anna im November 

1702 die Convocation, deren Oberhaus (meifl aus Biſchoͤ⸗ 


1) Parl. Hist, VI, 4. 
2) Belsham II, 248. Parliam, Debates ID, 482. 


8) Somerville 84, 126. Smollet TI, 188. Baumers Geſchichte 
- von Europa IL, 26. 


2 





MI Sechstes Bud. Bwölftes Paupifül. 


fen beſtehend) ſich auffallend genng den Anfichten ver Wyhigs 
anfchloß; während das Unterhaus (meift aus nieberen Seift: 
lichen beſtehend) den Tories anhing und in presbyteriani⸗ 
ſcher Richtung bergeflalt um ſich griff, daß feine Erflärung 
für die bifchöfliche Kirche, faft eine leere Formalität zu ſeyn 
ſchien. Als der Streit zwifdgen beiden Haͤuſern immer hoͤ⸗ 
ber flieg, und arge Ausbruͤche religioſer Unduldſamkeit und 
Anmaaßung zu befürchten waren, loͤſete die Königinn im April 
1705 Parlament und Convocation auf, ‚und lehrte zu Wil⸗ 
helms Werfahren zurüd, der alle geiftlihen Berfammlungen 
vermieb, ober fie fogleich außer Thätigkeit febte. 
Der zweite Kampf, über bie Lirchliche ÜÜbereinftims 
mung (oocasional conformity) warb im Parlamente er 
hoben. Dur ein neues uͤberaus firenges Geſetz wollten 
die Zories und hochktrchlichen (Eifezer, biefe unbebingte Über: 
einfiimmung erzwingen, alle Diffeuter, Whigs amd Revolu: 
tionaire von 1688 treffen, und fie von aller Wirkfamkeit 
ausfchließen. Ieber Beamte inöbefondere, welcher auch nur 
einmal eine Verſammlung ber Diffenter befuche, folle 100 Pfund 
Strafe bezahlen und fünf Pfund für jeden: Zag, ben er 
nach ſolch einem Vergeben noch im Dienfle bleibe‘). Diefe 
Strafgelder befamen (laut bed erſten Gefegentwurfes) die 
Angeber. — Mit Recht wurden gegen biefe neue religiäfe 
Tyrannei bie ſtaͤrkſten Gruͤnde (ſelbſt vom Erzbiſchoſe Ten⸗ 
niſon von Gauterbury) geltend gemacht”). Sie foͤrdere nicht 
die Religion, ſondern ſcheuche gerade die Gewiſſenhafteſten 
ric, ober ergeuge Heuchelei. Unpereihtermeife werfe man 
ale Arten von Diffenter zufmmen und bezeichne fie kurz⸗ 
weg als Aufruͤhrer, während fie ſich in ben neueflen Zeiten 
doch genäßigt unb treu gezeigt hätten. Spaitungen werbe 


1) Coxe Marlborough I, 157. 

2) Calamy life and times II, 26. Parl. Hist. VI, 65, 88, 
„19 862, 3868. Vie d’Anne I, 91. Somerville 28—35. Narl⸗ 
"Borough und Gobolphin ſtimmten für das Gefeg! Conduite de la 
Duchesse de Marliborough 167. 





. Kirchliche Übereinſtimmung. Katholiken. 343 


„ wan: begründen, fintt fle zu befeitigen, zur Beit eines aub⸗ 
waͤrtigen Krieges innere Jehden hervorrufen, durch grauſame 
Strafen viele Unſchuldige mißhandeln, und die uͤbrigen pro⸗ 
teſtantiſchen Staaten beleidigen. — Allmaͤlig ſteigerte ſich die 
Aufregung uͤber dieſe Bill dergeſtalt und warb fo allgemein, - 
daß Swift im Scherze berichtet"): die Hunde in ben Stras 
fen wurden beöhalb groͤber und hänbelfüchtiger, und ein 
Ausfhug von Whig⸗ und Tory⸗Katzen, hatten deöhalb eis 
nen lauten und heftigen. Streit auf dem Deche unferes 
Hauſes! | 

Zweimal verwarf das Oberhaus das unberſtaͤndige Ge⸗ 
feß, wodurch. Zeit genug gewonnen wurde auch bad Volk 
daruͤber aufzuklaͤren, und die Eiferer abzukuͤhlen ober zu 
vereinzeln. Die beiden entgegengeſetzten Plone: entweder 
die engliſche Kirche aufzuloͤſen, ober alle irgend abweichen⸗ 
den Anſichten auszurotten, ſcheiterten in gleiches Weiſe; nur 
gegen die Katholiken (welche irrig gehofft Halten, aus je⸗ 
nen Streitigkeiten Vortheil zu ziehen) beharıten alle Prote⸗ 
ſtantiſchen Parteien bei den fruͤheren unduldſamen Grund⸗ 
faͤtzen. Wer z. B. nicht den Suprematseid ſchwoͤren woll⸗ 
te?), verlor fein Recht zu erben, größere Pachtungen zu 
übersehmen, Grundſtuͤcke zu ‚erwerben, Schulen zu halten, 
Vormund zu werben, uͤbers Meer zu fegeln, ſich mit Pros 
teſtanten zu verbeirathen; — und was ber Beflinuuungen 
mehr waren, wedurch Burke‘) mit Recht veraulaßt wurde, 
dieſe Geſetzgebung aus ber Beit ber Königin Auma, eine 
wild guaufame zu nennen. — Daß thevlogifihe Werke, 

welche den herrſchenden Aufichten wiberfhrachen, auf. Befehl 
des Unterhaufes durch den Henker verbrannt wurben ”), Bann 
nad dem bereit Erzählten nicht auffallen. "Mehr Lob 
verdiente ed: daß bie Koͤniginn und das Parlament, mande 


1) Swift letters IL, 1. 

2) Hallam III, 532. 
$) Memoirs of the english Eatholicks IH, 469. ° 
4) History of the Commons II, 390 gu 170%. 





Einnahmen aus den Sehnten und erfien Fruͤchten, ber dr 
meren Geiftlichfeit überwiefen, .und auch bie Erlaubniß er: 
theilten ihr Wermächtniffe zu binterlaffen '). 

Aus religisfen und politifchen Gründen warb um biefe 
Zeit dad Verhaͤltniß Englands zu Schotland immer [dwie 
tiger. Die flrengen Predbyterianer dieſes Landes erflärten 
ihre Einrichtungen flr ewig und unabänberlich”), und baten 
Gott: er möge In feiner. Barmherzigkeit verhuͤten, daß irs 
gend. ein Anhänger der biſchoͤſlichen Kirche in Schotland ge 
duldet werde. Über Handel, Steuern, Thronfolge u. f. w. 
mehrten fich die gegenfeitigen Klagen und Anfchulbigungen, 
bis (befonderd auf den Antrieb bed berebten und tmusthigen 
Fletſchers) im fchottifchen Parlamente mehre Vorfchläge ein: 
gebracht und zum Theil angenommen wurden, welde bie 
koͤnigliche Macht wefentlich verringert und eine.Republil he 
 beigeführt hätten. Manches hintertrieb man mit großer 
Mühe, zu Anderem verfägte die Königinn ihre Zuftimmung; 
dennoch. verboppelten ſich bie Gefahren als das ſchottiſche 
Parlament den fünften Auguft 1704 befhloß *): im Zall die 
echte und Freiheiten Schotlands nicht bis zu bem Tode 
der Königinn Anna, unabhängig von englifcher Berathung 
feftgeftellt wären, fo habe man bad Recht einen Thronfol⸗ 
ger zu. nennen, ber von dem englifchen verfchieben fey. 

Diefer ohne Zweifel auf eine Trennung beiber Reihe 
beftimmt binweifende Vorſchlag, warb in England fehr übel 
genommen. Anftatt aber durch perſoͤnliche Schritte bie Ges 
müther zu beruhigen, gab man neue befchränkende Geſetze: 
+ B. kein Schotte folle bie Vorrechte eines Englänbers haben, 
Feine Wolle nad Scotland gefuͤhrt, ver Handel genauer 
beauffichtigt werden u. f. w. — bis wegen Vereinigung ber 
Reiche und der Thronfolge etwas feſtgeſetzt ſey. — Diee 
Beſchlliſſe fleigerten den Eifer in Schotland zu ſolcher Hoͤhe, 


4) Smollet II, c. 7. Somerville 19-109. 
'2) Belsham II, 284 zu 1708. 
8) Somers tracts XII, 510. 











1706. auch werben fie gleichgeftellt im Hinficht auf Rechte, Han: 
velöfreiheiten, Unterſtuͤtzungen, Zölle, Muͤnze, Maaß, Ge 
wicht, Miliz u. f. w. Die Abgaben tragen Engländer und 
2 Schotten in gleichem Berhältnig ); jedoch erhalten biefe eine 
. Verguͤtung für die Mituͤbernahme ber englifhen Schul. 
Die Gefege Über öffentliches Recht, Polizei u. dergl. gelten 
für beide Reiche gleich, für beide befteht nur ein Geheime: 
rath von Großbritannien; aber Im Hinficht des Privatrecht, 
der Gerichtsbarkeit des Adels und ber Kirchenverfaffung wird 
Nichts geändert *). 
Manche hätten gern Durch eine zwieſpaltige Beantwor⸗ 
tung ber Frage uͤber das Erbrecht, die Union unmoͤglich ge 
macht; Andere dachten nur an eine Vereinigung nad Weiſe 
der Schweiz, oder der Niederlande; noch Andere widerſpra⸗ 
chen fchlechthin jeber Neuerung und unterſtuͤtzten ihre Anfiht 
mit verfchiedenen Gründen. So fagte ein Here Packington 
im englifchen Unterhaufe ’): Die Union gleicht einer unna⸗ 
- tinliden, erzwungenen Heirath; Eigennug, Gewalt und 
Beftehung find die Haupttriebfedern. Der König fol de 

“ englifche Kirche (welche göttlichen Rechtes ifl) aufrecht halten, 
und nicht thörichterweife daffelbe nun auch dem Presbyteria⸗ 
nismus verfprechen. Mindeſtens wäre vorher die Convoca⸗ 
tion zu befragen und nicht Alles wie mit der Eilpoft (poste 
haste) durchzutreiben. Die Befchränktheit der Zahl ſchotti⸗ 
ſcher Abgeordneten iſt einerfeitd ungerecht, und andererſeits 
gewaͤhrt ihnen ihre Aufnahme ins engliſche Parlament, doch 
ein gefaͤhrliches und zu großes Gewicht u. ſ. w. 


papers III, 817, 445. Parl. Debates IV, 70. Das erſte Mal war: 
ben Lorbs und Abgeordnete durch das ſchottiſche Parlament gewählt, da⸗ 
mit weniger Widerſpruch eintrete, 

1) Wenn England 2 Millionen Lanbtare zahlte, gab Scotland 
45,000 Pfund; Zölle und Acciſe waren im Ganzen glei. Belsham 
II, 289, 





2) Belsham UI, 857. 
: 8) Parliam. Hist, VI, 560—574, — of the Commons 
- IV, 58, 








1/00. au werden pie gleichgeftellt in Hinſicht auf Rechte, Dan: 
velöfreiheiten, Unterſtuͤtzungen, Zoͤlle, Muͤnze, Maag, Ge 
wicht, Miliz u. f. w. Die Abgaben tragen Engländer und 

Schotten in gleichem Verhaͤltniß); jedoch erhalten dieſe eine 

. Verguͤtung fir die Mitübernahme der englifhen Schuld. 
Die Gefege über öffentliches Recht, Polizei u. dergl. gelten 
für beide Reiche gleich, für beide befteht nur ein Geheime 
rath von Großbritannienz aber im Hinficht des Privatrecht, 
der Gerichtöbarkeit des Adels und ber Kirchenverfaſfung wird 
Nichts geändert ). 

Manche hätten gern burch eine zwieſpaltige Beantwor⸗ 
tung der Frage uͤber das Erbrecht, die Union unmoͤglich ge⸗ 
macht; Andere dachten nur an eine Vereinigung nach Weiſe 
der Schweiz, ober der Niederlande; noch Andere widerſpra⸗ 
hen fchlechthin jeder Neuerung und unterflüßten ihre Anficht 
mit verfchiedenen Gründen. So fagte ein Herr Packington 
im englifchen Unterhaufe ’): Die Union gleicht einer unna⸗ 
türlihen, erzwungenen Heirath; Eigennuß, Gewalt und 
Beſtechung find die Haupttriebfedern. Der König foll die 

“ englifche Kirche (welche göttlichen Rechtes iſt) aufrecht halten, 

und nicht thörichterweife baffelbe nun auch dem Presbyteria⸗ 
nismus verfprechen. Mindeſtens wäre vorher die Convoca⸗ 
tion zu befragen und nicht Alles wie mit der Eilpoft (poste 
haste) durchzutreiben. Die Befchränktheit ver Zahl ſchotti⸗ 
ſcher Abgeordneten iſt einerfeitd ungerecht, und andererſeit 
gewährt ihnen ihre Aufnahme ins englifche Parlament, bo 

ein gefährliches und zu großes Gewicht u. f. w. 


papers III, 817, 445. Parl. Debates IV, 70. Das erfle Mal wur 
ben Lords und Abgeorbnete durch das ſchottiſche Parlament gewählt, da⸗ 
mit weniger Widerſpruch eintrete. 

1) Wenn England 2 Millionen Landtare zahlte, gab Schlland 
45,000 Pfund; Zölle und Acciſe waren im Ganzen gleich. Belsham 
IL 289. 

2) Belsham II, 857. 

: 8) Parliam. Hist, vn 560—574, History of the Commons 

: IV, 58. 











1706. iſt. Ich jehe eine voltöthumligge, auf eimen Felſen gegrüns 
bete, durch Recht und Gefeß befchliäte, durch koͤnigliches 
Wort verbürgte Kirche freiwillig binabfteigen, um fi in der 
Fläche gleichzuftellen den Arminianern, Socinianern, Wider: 
täufern, Papiften und Juden. Ich fehe die edlen Pair 
von Schotland, welche fonft auf eigene Koften Heere wider 
ihre Feinde ind Feld ftellten und anflhrten, ihrer Vaſallen 
beraubt und fo erniedrigt, daß der Meinfte englifche Steuer: 
beamte mehr Gewicht und Anfehn erhält. Ich fehe die Buͤr⸗ 
ger wandeln in veröbeten Straßen, ihrer Nahrung berauft, 
und gendthigt bei neidifchen Nachbaren als Anfänger in die 
Lehre zu gehen. Ich fehe die Richter das alte Recht bei 
Seite legen, um fremde Kunſtſtuͤcke zu erlernen. Ich fehe 
die tapferen Soldaten nach Kolonien hinweggefandt ober bei 
begünftigteren Engländern um Sold bettelnd. Sch fehe Kauf: 
leute mit Steuern beladen, Waſſer ftatt Bier trinken und 
ungefalzene Suppe effen. Ich fehe die Landleute, wie fie 
nirgends die Früchte ihrer Arbeit mehr verkaufen können, 
und deshalb den Tag ihrer Geburt verfluchen und bie Aus⸗ 
gabe ihred Begraͤbniſſes fürchten. Bor Allem ſehe ich unſere 
alte Mutter, Caledonia, gleichwie Caͤſar in der Mitte 

unſeres Senats ſitzend, traurig umherblickend, den Todes⸗ 
ſtreich erwartend, ſich verhuͤllend und ihren letzten Athemzug 
mit den Worten aushauchend: auch Du mein Sohn! — 
Sind denn unſere Augen fo blind, unſere Ohren fo taub, 
unfere Herzen fo verhärtet, Zungen gelaͤhmt, Hände gefef: 
felt, daß wir das wahre Wohl unfered Vaterlandes nicht 
erkennen und durchſetzen Finnten? Niemand wird Schotland 
zu Grunde richten, außer es fich ſelbſt. Wir muͤſſen und 
einigen, denn Hannibal if vor den Thoren, ja er ift eins 
gebrungen in die Städte, er fißt an unferem Tiſche, reißt 

. unferen Thron danieder und wird und ald herrliche Beute 
(spolia opima) ergreifen und aus biefem Haufe hinauswer⸗ 
fen, um nie wieder zuruͤckzukehren. — Altes Engliſche bleibt 
feft beſtehen (WBerfaffung, Werwaltung, Handel, Gerichte 
u. ſ. w.); alles Schottifche wird vernichtet, ober doch ver⸗ 











ändert unb uns nur die Ehre gelafien, bie alten Schulben 1706. 
unferer verfchwenberifchen Nachbarn zu bezahlen unb einige 
Zeugen behufs größerer Haltbarkeit neuer Schuldverträge hin⸗ 

zufenden. Guter Sott! was iſt denn dies Alles, ald eine 
völige Hingebung, eine feige Übergabe! ') 

Die ernſte Stimmung, aͤngſtliche Beſorgniß, innige 
Zheilnahme und zornige Wehmuth, welche fich in dieſer Rebe 
auöfprechen, waren gewiß nicht erfünftelt, fonbern mußten 
Kopf und Herz vieler Schotten in Bewegung fegen. Das 
Daſeyn (fo ſchien es), mindeftens ein edles unabhängiges 
Dafeyn fland auf dem Spiele und follte (wie Lord Bel⸗ 
baven es audfprach) feige preißgegeben, ober fchändlich ver: 
rathen werben. Durch bebarrlichen Widerftand, durch fefte 
Bereinigung und nöthigen Falls durch Gewalt, müfle man 
foihen libeln und Freveln entgegentreten”). Botfchafter 
gingen im Lande umher; Streitſchriften wurden gedrudt und 

verſandt um bie verfchiebenen Staͤnde, insbefonbere bie eif- 
rigen Preöbyterianer, aus den oben mitgetheilten Grlnben 
gegen die Union aufzubringen. 

Wenn befungeachtet dad neue Geſetz (nach anfänglis 
chem Verwerfen ”) und trog ber in Ebinburg auögebrochenen 
Unruhen) im fchottifhen Parlamente mit 190 gegen fies 
ben, und im englifchen mit 274 gegen 116 Stimmen ange: 
nommen und am fechsten Mir; 1707 von der Königinn 1707. 
beftätigt wırbe *), fo mögen die tabelnswerthen Gründe und 


1) History of the Commons IV, 1—15. Lord Belhaven war 
übrigens mit dem Hofe zerfallen. Somerville 217. ' 

2) Parliam. Debates IV, 18, 53. 

9) Daß das ſchottiſche Parlament im Winter ſaß, hielt ben An: 
drang des VWolkes ab und warb ber Union vortheilhaft. Calamy "u 
48. Früher den 2Bften April 1705 beſchloß das fchottifche Parlament, bie 
imi englifchen angenommene Union fey made in such imperious terms 
to the honor and interest of the nation, daß man fie nicht annehmen 
Zönnte. Acts of the Parl. of Scotland XI, 224, 808 — 321. 

4) Parl. Debates IV, 69. Im ſchottiſchen Parlamente Annah⸗ 
me der Union bem fechsten Jamar 1707. Acts of the Parliam. of 
Scotland zu 1707. 





L/V/e EIITUTSVERE DEE WU Ei) LUUU 7 VUD TRUE g 
halten haben '): den letzten Ausfchlag gab indeſſen die Macht 
der vorhandenen Werhältniffe und die Kraft ver Wahrheit. 
Allerdings blieb (befonders von Seiten der Schotten) mans 
cherlei mit Recht gegen einzelne Bedingungen zu erinnern ”)3 
gewiß aber hatte man diefe fo günftig geftellt, als fie da 
mals irgend zu erhalten waren. Das abgefchloffene, indi⸗ 
viduelle Daſeyn Schotlands ging allerdings verloren (wie 
einſt das ber fieben englifchen Reiche bei ihrer Vereinigum 
zu einem Ganzen): allein die neue Stellung war Feine las 
vifche, fondern eine freie; Reine auf Eroberung, fondern auf 
Vertrag beruhendes, feine welche (mie fo oft in Ahnkichen 
Fallen!) das Staatsrecht ertödtete, fondern aus einer mans 
gelhaften Werfaffung in eine beffer gegliederte und ausgebib 
dete hineinfuͤhrte. 

Nicht ideelle Wuͤnſche und Erimerungen konnten und 
ſollten die Entfchläffe der Staatsmaͤnner beſtimmen: ſit 
mußten vielmehr dad anordnen und zu Tage foͤrdern, was an 
der Zeit und unter den gegebenen Umftänden das Beſte wer. 
Das Verwerfen ber engeren Verbindung Hätte zu enblofen 

Mißhelligkeiten, zur größeren Trennung, zu Bürgerkrieg, 
und hoͤchſt wahrſcheinlich zu einer viel unguͤnſtigeren Untes 
werfung der Schotten geführt, wie fie dies Alles bereits zu 
Cromwells Zeit erfahren hatten. So zweifelhaft aber auch 
damald Manches noch erfheinen mochte, nach einer meh 
als Hundertjährigen Erfahrung ift erwiefen: daß beide Reiche 

» in jeder Beziehung die wefentlichften und. größten Fortſchritte 

gemacht haben, welche gewiß durch die Union weit mehr ge’ 





1) Monde hätten lieber die ganze Union fallen laſſen, um nur 
nicht eine Eleine Anderung an ihren — zu treffen. 
Marchmont papers Ill, 434. 


2) Die Schotten 4. 3. Bagten über druͤckende — und 
geringen Antheil an der Gefeggebung; die Engländer Hingegen ruͤgten, 
daß die Schotten nur etwa Y., der Laften trägen und %., an ber = 
ſetgebung erhielten. Parliam. Hist. VI, 542. 





förbert, ald gehemmt wurden. Am 23ftn Oktober 1707 1707. 
trat das Parlament. von Großbritannien zum erflen Male 
zufammen; alle Hoffnu der Sakobiten und Franzofen auf 
größere Spaltungen und innere Mißhelligkeiten wären mit⸗ 

bin nochmals gefcheitert ). 

Ein Geſetz wonach man zur Begründung einer befferen 
Kriegäverfaffung, jeber Abtheilung des Reichs die Stel: 
Jung einer gewiflen Zahl von Soldaten auflegen wollte, warb 
als unverträglich mit der Freiheit verworfen. Dagegen beißt 
es in dem angenommenen Gefege über die Rekrutirungen ?): 
die Friedensrichter follen mäßige Leute und folche die nichts 
zu leben baben, auffuchen unb anwerben laffen; denn auf 
dieſe Weife wird man eine Menge von Müßiggängern und 

laſterhaften Perfonen los, welche dem Lande zur Laft fallen. — 
Daß man ben Sriebendrichtern hiedurch zu große Gewalt ein: 
zäumte und fehr fchlecht für das Heer forgte, kam bei ber 
undiberwinblichen Abneigung gegen eine allgemeine Kriege: 
verpflichtung, wenig in Betrachtung. 

Während Großbritannien durch Bereinigung Englands 
und Schotlands an Einigkeit und Macht außerordentlich ge: 
wann, zog die fpanifhe Monardie keineswegs den - 
Bortheil, welchen man durch ihre ungetheilte Vererbung be: 
zwedte und auch erwartete. Bei allen Berathungen unb 
Berchlüffen hatte man im Auge behalten: Verwanbtfchaften, 
Entfagimgen, alte oder neue Gefege, Verfuͤgungen im Leben 
und von Zobeöwegen! — niemald aber dad, was wohl am 
erften hätte in das Abfterbenbe, fich Auflöfende, neues Leben 
und neue Kraft bringen koͤnnen. Wie die Perfönlichkeit 
desjenigen fey, der die größte Monarchie der Erbe beherr⸗ 
ſchen follte, und daß dies Perfönliche, dem Sachlichen ge 
genüber, doch auch Werth und Gewicht Habe; daran hatte 
Keiner gebacht, oder verfucht ed geltend zu marhen. - Diefer 


1) Auf den Gedanken vieler Irlaͤnder, eine ähnliche Unlon mit 
Großbritannien zu Stande zu bringen, ging damals, ſchon aus Reit: 
gionshaß niemand ein. Belsham Il, 19. . 


3) Parliam. Hist, VI, 335 zu 1704. Belsham IT, 208. 





A/UL FIIIDM, DOEL dieſt BUIZSZWURBEIE 2000h W—grn ERTEE 
fi en ‚Spanien und Frankreich zugleich. 

“itipp V hatte, fo ſagt man‘), ein gutes Senhth; 
ie wis fo oft, bezeichnete Died Lob nur bie Abwefenheit 
gewiffer tadelnswerther Eigenſchaften. Dagegen fehlten ihm 
(er war groß und bucklich) alle aͤußeren Eigenſchaften einen 
König darzuſtellen und Eindruck zu mahen”). Er konnte 
nicht übel fprechen, aber er fprach nicht; weil bie geringſte 
Anſtrengung ihn erfchöpfte und er (bei ohnehin nur fehr 
mittelmäßigem Verſtande) eine Schlaffheit und Faulheit des 
Geiſtes befaß, welche durch keine Aufregung und Fein Pflicht 
gefühl konnte bezwungen werben’). Aus biefer Schlaffheit ges 
rieth er gar leicht in Melancholie, und wo er Muth zu zeigen 
glaubte, war ed zuletzt Doch nur Stolz, Eigenfinn und Hart: 
nädigkeit. Dber wo er ſich einmal zu erheitern fchiem, 
geſchah es nur um Lächerlichkeiten an Anderen zu bemerken, 
während ihm feine eigenen. verborgen blieben. In bem 
Staatsrath Fam er nur, weil er mußte, vergaß was er hörte, 
öffnete die wichtigften Briefe, lad bie dringendſten Auffäge 
nicht; und ließ (obwohl er als Herr einer halben Welt bie 

. „größte Langweile hatte) doch Minifter, wie Hofleute, Stuns 
den lang auf fi warten‘, Wollte man es loben, Daß er 
ängftliche Hofgebräuche nicht liebte, an Stiergefechten wenig 
Geſchmack fand, Autobafks verfehmähte und einige Hofaus⸗ 
gaben verringerte; fo mußte er doch ben Sipaniern gegenüber 
manches geachtete Herkommen fchonen, ben Schein meiden 





i 1) Duclos II, 189. 8. Simon VII, 57, 151; XVI, 879; XIX, 
z 4%, 57. 
2) Orleans Anekd. 212— 214. 
$) Le moindre acte de volonte, Iui causait un &puisement to- 
tal. — Il a regu du ciel un esprit subalterne et m&me subjugue. 
Louville I, 99, 131. Faitexpr&s pour se laisser enfermer et gou- 
verner. 8. Simon IV, 62— 63 


4) Noailles Mem. II, 80— 40, 50, 62, 182. 





Biktor A 
1688 geb 
lipp V ve 
bet hatte 
beamter fı 
niginn ba 
wäünfche : 
anlaffung 
Berhältnij 
die nunm 
ihn naͤml 
Frauen z1 
fo unmwibe 
 mander | 


18 

2) Ieb 
eingetreten ; 
aun tel | 
homme de 

8) Er 
Königinn n 
Louville II 
Sten’ Februc 
gegnete ihre: 
n. edit. X] 


— 





. jagte ihn aub ihrem Delle, ‚14 Deive wurden UST Fordern 
und Berfagen handgemein; fo daß zulekt der Beichtvater 
Über dad rechte Maaß befragt wurde, welcher ſich dann wies 
Derum anberwärtd Raths erholte. Die Eluge, lebhafte Koͤ⸗ 
niginn ließ fich jebo von feinem Dritten in diefer Bezie⸗ 
bung über ihre Pflichten belehren; fondern benutzte ihres Se: 
mahls Keidenfchaft um ihm zu beberrfchen und für jebe Nach; 
giebigkeit ihrerſeits, auch die ſeine uͤber weit wichtigere Dinge 
zu erzwingen. ‚Das Alles fteilich nicht ohne Aufopferungen 
anderer Art, weöhalb fie einft der Maintenon- fchrieb '): „der 
König ift mit Arbeiten befchäftigt, oder auf der Jagd. So 
- bringe ich den ganzen Tag allein in meiner Stube zu. Die 
Prinzeffinn Drfint wird ihnen fagen wie unterhaltend bie 
Spanierinnen find, und Sie werden felbft urtheilen daß ich 
nicht Unrecht habe lieber allen, als mit * zuſammen 
zu ſeyn.“ 

Ludwig XIV gab feinem Enkel die verſtaͤndigſten und 
wohlgemeinteſten Lehten, wie er ſich gegen Spanier und 
Franzoſen, Adel, Geiſtliche und Volk benehmen ſolle; er 
ſuchte Philipp durch Lob und Tadel anzufeuern und ſchrieb 
ihm: „wenn Sie geglaubt haben, es ſey ſehr leicht und ans 
genehm König zu feyn, To haben Sie fich fehr betrogen *). 
Nicht bloß im Kriege, fondern alıch bei Führung der Ge 
fchäfte muß man Kraft und Muth zeigen. Ihr größter Feind 
ift die Faulheit; wenn Sie dieſe nicht uͤberwinden, werben 
Ihre Angelegenheiten und Ihr Ruf zu Grunde gehen.” 

Unglücticherweife erkrankte der franzöfifche Botſchafter 
Graf Harcourt, und fein Stellvertreter und etwaniger Nach⸗ 
folger Marfin war (ungeachtet ihm der Marquis Torcy 
eine gründliche Anweifung mitgab) djefer ſchwierigen Stelle 


1) Maintenon lettres VII, 216. &onft war die Königin nie 


von ihrem Gemahle getrennt. Selbft zwei Rachtflühle ftanden neben: 
einander. 8. Simon XIX, 436. 


2) Beaumelle Mem. VI,-275, 287. Noailles Me&m. II, 275. 





eine Hrau die. Koͤniginn, und durch biefe den König überall 
zu beherrſchen und: das Intereffe Frankreichs wahrnehmen zu 
laſſen. Da ber Kardinal Portocarrero behauptete: eine Spas 
nierinn dürfe nie Oberhofmeifterinn werden (weil fie unfehls 
bar im Lande nachtheilige Verbindungen anknuͤpfe), fo wählte 
man bie Prinzefin Orſini“). Ste flammte aus dem Haufe 
Tremouille, lebte mit ihrem aus Krankreich verwiefenen Ge: 
mahle, Talleyrand Prinzen von Chalais, mehrere Jahre in 
Spanien, lernte Sprache, Land und Sitten kennen, warb 
fodter von ihrem zweiten Gemahle Orſini, Herzoge yon 
Bracctiand getvennt, fland in Rom mit dem Kardinale Pors 
tocarrero infehr genauen Berhältniffen, und wußte die Gunft 
der Maintenon zu gewinnen. Ohne Zweifel war die Prin: 
zeſſinn Orſini eine Zrau von Geiſt und Charakter. Durch 
die größte Annehmlichkeit in Umgang und Gefpräch, ward 
fie leicht Herrinn ihrer Umgebungen, und ihr Einfluß wuchs 
in. dem Maaße als fie fi huͤtete ihn zu Tage zulegen. 
Bon Natur dem Guten geneigt; aber wo es galt Tühne 
Plane durchzufuͤhren, wenig befümmert um die Mittel. Eine 
treue Freundinn, eine unverföhnliche Feindinn. Neben mans 
chen weiblichen Leldenſchaften und Eitelkeiten, doch verſchwie⸗ 
gen, ſtets Herrinn ihrer ſelbſt, und von einer Hoheit der 
Geſinnung welche; Philipp V zwar nicht begriff, aber feine 
geiftzeichere, feſtere Semahlinn lebenälang au ihre neue Freun⸗ 
binn kettete. Doch warb biefe auch dem Könige unentbehr: 
ich, indem fie nicht verfchmähte ihm Nachtlampe und Nacht- 
topf nachzutragen“), Morgens die Pantoffeln zu Liberreichen 
und ber Königinn die Füße zu wafchen: — lauter unange- 
nehme Künfte um ‚größere, obgleich nicht immer durchaus 
edle Zwecke zu erreichen. 


1) Marsin, d’une vivacits sterile, et loquacit6 intarissable, 
Louville I, 221. St. Simon XI, 1. Nosilles II, 78. . 

2) Nosilles IV, 249. Felipe I, 106. S. Simon III, 106 — 
140, 216. 

8) Noailles II, 162. 


. 





Die Freude über dad Teſtament Karls II und die große 
Erbſchaft, Tonnte den ſchon oft beichriebenen, elenden Zu: 
fland Spaniens nicht lange verbedien. In den Nieberlanden 
waren nur etwa 8000 Mann, in Mailand 6000, in Res 
pel, Sicilien und Sarbinien wenige Hundert, in Jndien 
gar Feine‘). Die ganze Macht Spaniens betrug etwa 
20,000 Mann unb 13 Galeren. In gleich klaͤglicher Lage 
befanden fich die Finanzen, fo daß Louville fehreibt ): „ve 


Koͤnig hat keinen Son. Ich gelte für einen geſchickten Nam, 


weil ed mir gelungen ift eine. neue Kellerthüre machen zu 
Infien und. Servietten anzufchaffen. Man war drauf und 
dran flatt ihrer die Hemden der Küchenjungen zu gebrau⸗ 
chen.” — Dahin hatte e8 die unumſchraͤnkte Herricaft 
ber Öfterreichifchen Könige gebracht ! 

Sehr bald und mit großem Rechte klagte Ludwig M 
daß ihm die Laſt des Krieges allein zufalle, und Torcy 
ſchrieb an Louville): „man hat euer baufaͤlliges Haus durch 
unfer guted geflüßt; wenn aber Fein geſchickter Meifter je 
ned herfiellt, fo wirb biefed mit zu Boden gerifien wer 
den.” — Bei diefen Verhältniffen hielt e8 Ludwig XIV für 
dringenb nothwendig, fi) unmittelbar und durch franzöfifäe 
Beamte mehr in bie inmere Verwaltung Spanien einzumb 
ſchen, um fie wo möglich auf einen beſſeren Fuß zu brin⸗ 
gen. Sein Geſandter erhielt Sitz im Staatsrathe (dispache 
general) und ber Franzoſe Orry bie wichtige, aber muͤh⸗ 
felige Stelle eines Finanzminiſters. Orry war ein Mann 
von Verſtand und Gewandtheit, aber geringen Herkommens, 
ſehr zweideutigen Rufes, reizbar, uͤbereilt, unkundig ſpani⸗ 
ſcher Sitten, und Veraͤchter ſpaniſcher Gefinnungen 9. 

Philipps V Anerkennung hatte (wie wir ſahen) zwar 
in allen Theilen der ſpaniſchen Monarchie keine Schwierig⸗ 


1) Coxe Spain I, c. 2. 

2) Louville 1, 162. 

8) 8. Velipe I, 96. Louville I, 167. Nosilles II, 60, 13%. 
Gore Spanten I, 174. 

4) 8. Simon III, 408; V, 113 nouv. &d. Felipe I, 162 


\ 





Dery. Katalonten- 657. 


keilten gefunden; allein balb zeigten ſich Feindſchaften unter 


ben einzelnen Perfonen, und (wie ſonſt) Gegenfäbe zwiſchen 
ben verfehiedenen Landſchaften. So waren bie Katalonier 
unzufrieden, daß ihnen durch Kaſtilier und Franzofen, (ohne 
Anfrage und Beiflimiumg) ein König gleichfam folle aufe 
gedrungn werben‘). Erſt als Philipp, Anfangs Oktober 
1701, nah Barcelona kam und alle Landesrechte beſchwur, 
hulbigte man ihm und frühere Mißverftändniffe fchienen be 
feitigt. Sie wurden jedoch) durch Gelbforberungen des Koͤ⸗ 
nigd von neuem hervorgerufen; weshalb bie Cortes nım ih⸗ 
verfeitd auch Anträge zu mancherlei Änderungen und Beſſe⸗ 
rungen überreichten, aber eine harte Antwort erhielten ). 
Die Kaſtilier (klagten jebt Die Katalanen) nehmen alle Rechte, 
Amter und Begünftigungen für ſich allein in Anſpruch ). — 
Die Katalanen (antworteten jene) erheben einfeltige und 
übertriebene Forderungen, um (nach deren nothwenbigem Zus 
rüdweifen) Vorwaͤnde zu Unzufriebenheit und Ungehorfam 
geltend zu machen. Mit größter Mühe erlangte ver König 
den Schluß des Tatalonifhen. Landtags und eine Bewilli⸗ 
gung von drei Millionen Liored zahlbar binnen ſechs Jah⸗ 
ven. Zum Aufbringen dieſer Summe, traf man aber um 
fo weniger Anftalt, als vorher alle Einlagerung von Reite⸗ 
rei in Katalonien aufhören folite, und der Bruder des Karo 
dinals Portocarrero, ber. Graf von Palma, fi als Statt 
balter durch Härte und zomige Willkur fehr verhaßt machte *). 
Diefe Verhaͤltniſſe Iegten den erften Grund du einer Verbin⸗ 
dung mit ſterreich. 

Portocarrero welcher, ſeiner früheren Wirkſamkeit 


- für die Bourbonen halber, zeither den größten Einfluß uͤbte, 


1) Penna Ann. Ill, 462—691. Nonilles II, 158. Felipe I, 
114. 


2) Maintenon et des Ursins lettres III, 197. 


$) Les Castiliens ne menagent point les Catalans. Mainte- 
non et Ursins lettr. II, 197. 


4) Felipe 1, 63, 71. 


beſaß hiezu weder hinreichende Anlagen, noch genlgende Thaͤ⸗ 
tigkeit und Mäßigung‘)., So nahm er mehreren ber vor 
nehmften Spanier (z. B. dem Präfidenten von Kaſtilien 
Ariad, und dem Admiral Herzoge von Medina Sibonia) 
Stellen und Jahrgelder; weshalb jene nach Portugal flohen, 
oder mit Öfterreich in Verbindung traten. Überhaupt woll⸗ 
ten viele fpanifche Große, felbft ohne beſtinunte Veranlaſſung 
zue Unzufriedenheit, fich doch in einer Zeit nicht entſchei⸗ 
dend ouöfprechen, wo vielleicht bald ein Habsburger den 
Thron beſteige. Andere, die in verſchiedenen Theilen be 
Monarchie Befigungen hatten, wollten es für. den Fall von 
Abtretungen mit einer Partei verderben. Noch Mehre zum 
ten über die den Franzofen bewilligten Vorzuͤge, die Nich⸗ 
tigkeit Philipps, die unzähligen Anfragen in Paris, und das 
allgemeine Mißtrauen welches (wie fo oft in Zeiten ber Par 
teiung) fo weit gebe einen jeben für des Kalferd Anhänge 
zu halten, ber ein uͤbeles Ereigniß fürchte und ihm zuvor⸗ 
zulommen wuͤnſche. 

uUngeachtet dieſer, vielleicht minder gekannten Berhälts 
niſſe, hatte Philipp die größte Neigung feine italieniſchen 
Staaten zu fehen”), und Lubwig XIV flimmte diefem Plane 
in ber Hoffnung bei: feined Enkels größere Dhaͤtigkeit und 
perſoͤnliche Anweſenheit, werde ihm bie Gemuͤther feiner Uns 
terthanen gewinnen. Miele Spanier waren. hingegen dieſem 
Plane aus mancherlei Gründen abgeneigt: die Nebenlaͤnder 
verdienten keineswegs eine ſolche Auszeichnung, Philipps Ge⸗ 
genwart ſey in Spanien unentbehrlich und vor Allem fehle 
es an Gelbe die Meifekoften zu bezahlen. Um biefe herbei: 
zufchaffen wollte man einen Xheil aller Jahrgelder (felbft der 
verwittweten Königinn) inne behalten; wogegen fih Lud⸗ 
wig XIV erflärte, weil biefe Mittel nur wenig einbringen, 
‚ Klagen und Vorwürfe aber gewiß ohne Ende feyn wuͤrden. 


1) Nosilles II, 20, 302. Felipe I, 75, 94. Louville I, 117. 
Coxe I, 226. 


2) Noailles II, 165— 223. Lamberty II, 8. 











— nr — wu. wm m na z.-. 


— 


Drittel der Einnahmen der Genueſer und anderer — 


mit Beſchlag zu belegen. 


Bei ſeiner Ankunft in Neapel (im April 1702) erließ 
‚Philipp einige Abgaben '), befreite einige Gefangene, erregte 
aber dennoch Eeine allgemeine Begeiſterung. Ia faft hätte 
der Umfland Alles verborben, daß das Blut des heiligen 
Januarius nicht zu Ehren des Königs flüffig werben wollte. 
Defto geehrter fanden fich die Neapolitäner, ald Philipp den 
Sanuariud zum zweiten Beſchuͤtzer Spaniens erhub; woges 
sen bie Spanier zürnten daß man ihrem Schubheiligen Ja⸗ 
ob, einem anderen zur Seite ſtelle. 

In der Lombarbei fielen ver Stoß umb die Anfpruͤche 
der fpanifcher Soldaten, dem Könige, wie den Franzoſen 
zur Lafl. Ein anderer Streit entſtand über die Frage: ob 
men dem Herzoge von Savoyen, in Gegenwart feines 
Schwiegerfohnes, einen Lehuftuhl bewilligen koͤnne?), was 
jenen fehr verlegte. Nicht einmal folcher Erbärmlichkeiten 
konnte Philipp Herr werben: er verfank vielmehr ‚in fo furcht⸗ 
fame, finftere Melancholie, daß er fih nit Kammerdienern 
und Xrzten einfperrte, und dann (weil er gar nicht laͤnger ohne 
Frau leben Tonnte?)) im Sanuar 1703 nach Spanien zuruͤck⸗ 
eilte; wo bie Koͤniginn unterdeß dem Namen nad an 
ver Spitze ber Regierung geflanden, unb den aragonifchen 
Cortes mit großer Mühe eine Gabe von 100,000 Thalern 
abgewonnen hatte. 

Eine Unternehmung ber Engländer gegen Cadir 9, wel: 
che in diefe Zeiten (Auguſt bi Oktober 1702) faͤllt, hatte 


1) Siche oben &. 531. 
2) Louville I, 284, 802. 
- 8) Naturalium inflatio ete:. Louville I, 266—276. 8t. Si- 
mon III, 142 — 146. 
4) Sie fanden im Volle gegen bie erregte Erwartung keine An» 
Hänger und machten ſich durch Raub, Verhoͤhnung bes Ktcchlichen u. ſ. w. 


verhaft. Felipe I, 170. Coxe I, 222. Smollet TI, 164. 8. Si- 


mon III, 339. Zörfter Höfe und Kabinette I, 19. 


. 
. 


Richt minder verwerflich war ber Ausweg: in Neapel ein 1702, 


\ 


4702. keinen dauernden Erfolg; deſto gluͤcklicher waren fie gegm 
die ſpaniſche, aus Amerika zuruͤckkehrende Flotte. Die Han⸗ 
delsbehoͤrde in Cadix behauptete): kraft des Rechtes dieſer 
Stadt, dürften amerikaniſche Güter nicht in Galicien ausge 

laden werben. Hierliber entflanb fo viel Streit und doͤge⸗ 
rung daß die Verbündeten Zeit gewannen, die fpanifche Flotte 
bei Vigo (22ften Oktober 17702). anzugreifen, den größten 
Theil zu zerflören und eine ungemein große Beute zu ma 
hen. — Faſt noch ärger ald der Feind bezeigte fich die ſpa⸗ 
nifche Regierung. Um ber dußerften Geldverlegenheit abs 
zubelfen, geichab ber (felbft von Ludwig XIV unterſtuͤtte) 

Vorſchlag?): man folle alles auf jener Flotte noch gerettete 
Eigenthum ber Neutralen und der eigenen Unterthanen, mit 
Befchlag belegen und als eine gezwungene Anleihe, gegen 
willkürlich gefegte Zinfen und Zahlungsfriften, an fi behal: 
ten. Auf wiederholte bringenbe Vorftellungen, gab man die 
fen verzweifelten Plan eine Zeit lang auf; dann forderte 
man uͤber denfelben nicht dad Gutachten der Kaufleute und 
Gewerbtreibenden, fonbern der Theologen, welche auch den 
Wuͤnſchen des Hofes gemäß flimmten. Vier Milionen 
wurben bierauf confischrt, und zwei Millionen ald gezwun⸗ 
gene Anleihe weggenommen. 

Mittlerweile warb ber franzöfifche Botfehafter Marſin 
abgerufen’), ber Kardinal Eſtrees zu feinem Nachfolge 
ernannt, und deſſen Neffe der Abt Eſtrees ihm zur Seite 
geftelt. Bald gerieth ber Kardinal, nicht ohne eigene Schuß, 

. in großen Streit mit Portocarrero und ber Orſini, und ſo 
auch mit dem Könige und der Königinn. Als Portocarrere, 
zum Theil deshalb, fi von ben Geſchaͤften zuruͤckzog, er⸗ 
Märte Philipp: er wolle, ohne jemand ind Kabinet aufzu⸗ 
nehmen, allein regieren. — Der Kardinal Eftrees fah hierin 
den Plan jeden franzöfifchen Einfluß ganz zu untergraben, 





1) 8. Simon IV, 80. Smollet II, 165. Noailles II, 285. 
2) Nosilles II, 2865 III, 68. 
8) Noailles 1], 502; III, 1— 50. 





verklagte den König, die Königign und die Orſini bei Lub- 1702. 
wig XIV unb veranlaßte diefen, feinem Enkel und der Koͤ⸗ 
niginn einen fehr firengen Brief zu fchreiben. Wie Tönne 
Philipp, bei fo großer Bloͤdigkeit, hoffen plöglich das Reich 
allein zu regieren. Während er (Ludwig XIV). fi für ihn 
und die gleichgültigen Spanier aufopfere, und bie früheren 
fir Frankreich fo vortheilhaften Theilungsplane verworfen 
babe; entferne Philipp feinen Gefandten von den Geſchaͤften, 
ſehe nicht die Falle welche man ihm lege, und gerathe in 
die Gefahr ſich einer veraͤchtlichen DEN des Palafles 
hinzugeben. 

- Philipp V und bie Königinn gerietben in den hoͤchſten 
Zorn über den Kardinal Efirees und behaupteten: man 
babe ihn zwar nicht allein im Kabinet aufnehmen, aber 
auch nicht von Berathungen audfchließen, fondern nad) Por: 
toenrrerod. Entfernung, über bie. Befebungen ben Rath Lud⸗ 
wigd XIV einholen wollen. Diefer ermahnte von neuem: 
man folle nit um perfönliher Kleinigkeiten wilen, den 
großen Angelegenheiten ſchaden und ben Schein eined Bruches 
zwifchen Frankreich und Spanien erweden. Ex koͤnne, ohne 
fi lächerlich zu machen, nicht täglich einen anderen Ge: 
ſandten nach Spanien ſchicken; auch ſey der Kardinal mehr 
als ein gewoͤhnlicher Botſchafter und des Koͤnigs Wohl liege 
ihm ohne Zweifel am Herzen. — Dieſe verſtaͤndigen Vor⸗ 
ſtellungen ſtellten jedoch die Einigkeit am ſpaniſchen Hofe ſo 
wenig ber, daß Ludwig XIV ſich dennoch zuletzt genoͤthigt 
ſah den Kardinal abzurufen, und dem Abte Eſtrees einſt⸗ 
weilen die Fuͤhrung der Geſchaͤfte anzuvertrauen. 

Nach kurzer Freundſchaft zerfiel auch dieſer mit der 
Orſini und klagte (waͤhrend er in amtlichen Berichten ih⸗ 
rer mit größtem Lobe erwähnte) ') in geheimeren Schreiben 
nicht bloß über ihre Verwaltung, ſondern ſprach auch fpöts 
tiſch und gehäffig über ihren Wandel und ihre perfönlichen . 
Eigenfhaften. Died ahndend ließ fie, mit Philipps Erlaub⸗ 


1) Dex Abt war mehr raͤnkevoll, als gefchäftsfundig und von ges 
ſundem Urtheil. Flassan IV, 230. 
VI. 36 


4 


1704. niß, ein ſolches Schreiben auf der Poſt wegnehmen und 
fand in bemfelben ihren Argwohn mehr als beflätigt. Gie 
verfab das: Schreiben mit Randgloſſen, und ber doppelten 
Anklage: „fie babe mit ihrem Geheimfihreiber Aubigni ver: 
botenen Umgang, und fey wohl mit ihm verheirathet; fügte 
fie (die erſte Hälfte übergehend) nur hinzu: verheirathet? 
Rein ')I— Mit dieſen Randgloffen verfehen, fehiete fie dad 
Schreiben na Paris. — Died Verfahren fehlen Ludwig XIV 
(fo viel ex ſich auch damals ſchon mußte gefallen laſſen) 
doch zu ungebuͤhrlich: er rief den Abt Eſtrees zurüd und 
forderte von feinem Enkel die Entlaffung der Orfini. Si 
gehorchte (April 1704) ohne Widerrede; auch Philipp und 
feine Gemahlinn unterwarfen fi); doch war bie legte insͤge⸗ 
beim entfchloffen nicht zu ruhen, bis fie Genugthuung es 
halten und ihren Willen durchgeſetzt hätte. 

Während all dieſer Hofraͤnke hatte fich der Stand de 
öffentlichen Angelegenheiten weſentlich verfchlimmert. © 
voyen und Portugal traten (Ianuar und Mai 1703) zu 

n Philipps Feinden über’), und Berwik, welcher ven Krieg ge 
j gen bad letzte Reich führen follte, Plagte mit Recht dei 
Nichts vorbereitet fen, was zum Sturze ber Orfini und 
Orrys ebenfalls beitrug. Died machte den Marſchall in Na⸗ 
beit verhaßt; und ald er nun (ohne feine Schuld) im Zee 
- eine Fortfchritte machte, ward er abgerufen und ber Mar 
[hal Teffe an fene Stelle gefekt. 
Am vierten Auguft 170% eroberten die Engländer 
Gibraltar (neun Tage fpdter fiegten Sup und u 


N Pour maride, non! — Aubigny avait sur la Ursini le por 
vair, qui ont ceux qui suppleent & l’insuflisance des maris, 8.8 
. mon IV, 71, 163. Duclos I, 47. 


2) Noailles III, 96, 161. Louvilte II, 184, 146. Portugel 905 
vor: Philipp habe es erobern wollen, den Thellungsvertrag nit ge⸗ 
halten u. f. w. (Lamberty III, 290, Fiassan IV, 228.) Mehr ent 
ſchied die Übermacht der Engländer ımb Holländer zur ee, die Dro⸗ 
bung Liffabon zu bombarbiren und Braſilien anzugreifen. 8, Bimon 
IV, 30; XU, 206. Torre IV, 88, 179%, 227. 








bez ab a „20. BE Ze EEE een en ‘‘, " Tr —— A a 4 DS a 


| bei Hoͤchſtaͤdt); eine Seeſchlacht bei Malaga (24ften Auguft 1704. 
| 4704) war unentfcheidend '), vertrieb jedoch die Zranzofen 
' aus diefen Gewaͤſſern. Karl III (fo nannte fich der Erzhetzog 
' von Öfterreich, nachdem er zum Könige von Spanien erklärt 
| Worben) ?) Fam im März 1704 über England nach Portu: 
' gal und. erdberte (Hauptfächlich durch den Muth und die Ge 
| ſchicklichkeit Lord Peterboroughs) den neunten Oktober 1705 
| Barcelona, woran fi allmälig der Gewinn von faſt ganz 
Katalonien und Valentia anreibte, | 
| So uͤbel wie im Felde fiand ed auch am fpanifchen 
Hofe. Der neue. franzöfifche Gefandte, Herzog von Gram⸗ 
mont, war ein Mann von fhönem, wuͤrdigem Außeren, 
auch von Verfland und Gewandtheit; aber deßungenchtet ans 
maaßend und übereilt in Urtheilen und Handlungen’). So 
Tann man ed ohne Zweifel einen Mißgriff nennen, daß er 
den König von der Königinn trennen und jenen unmittel: 
bar und ausſchließlich beherrſchen wollte. Hof⸗ und Fami⸗ 
lienraͤnke nahmen ſo. uͤberhand, daß Ludwig XIV dem Koͤ⸗ 
nige ſchrieb: „das Intereſſe dieſer Privatperſonen, beſchaͤf⸗ 
tigt fie ganz allein *); und während nur große Anſichten und 
Zmede Sie erfüllen follten, laffen Sie ſich hinab zu den 
Kabalen der Prinzeffinn Orfini, wonit man nicht aufhört 
mich zu beunrubigen.” — Als Philipp in jenen verwidelten 
Berhältniffen zuweilen öffentlih fo, and insgeheim anders 
fchrieb, wies ihn Ludwig XIV zurecht und fügte hinzu: „bie 
Furcht vor einer häuslichen Werlegenheit, tft für Sie Fein 


1) Noailles III, 201. 8. Felipe I, 250.83. Simon IV, 41. 

2) Den 12ten Sept. 1703 trat Kaiſer Leopold Spanien dem Erz⸗ 
herzoge Karl ab. (Lamberty II, 518, 545). Diefer lich in Amfterbam 
60,000 Zhaler von einem Juben, gegen Verpfänbung von Jumelen. 
Sm December 1703 kam er nach England (Beisham II, 192), und 
Lanbete den 6ten März 4704 bei Liffabon. Felipe I, 134. Torre , 

V, 116). 
3) Noailles II, 180. Simon IV, 171. Tesse II, 187. Fla⸗- 
san IV, 231. \ 

4) Nosilles IIL, 205, 239. _ 

36 * 





1704. ni, ein folched Schreiben auf der Poſt wegnehmen und 
fand in bemfelben ihren Argwohn mehr als beftdtigt. Sie 
verſah das Schreiben mit Randgloſſen, und ber doppelten 
Anklage: „fie habe mit ihrem Geheimſchreiber Aubigni ver: 
botenen Umgang, und fey wohl mit ihm verheirathet; fügte 
fie (die erſte Hälfte uͤbergehend) nur hinzu: verheirathet? 
Rein ')! — Mit diefen Randgloffen verfehen, ſchickte fie dab 
Schreiben nad) Paris. — Dies Verfahren fehien Lubwig XIV 
(fo viel er ſich auch damals fchon mußte gefallen laſſen) 
doch zu ungebührlih: er rief den Abt Eſtrees zurüd und 
forderte von feinem Enkel die Entlaffung der Orfint. Sie 
gehorchte (April 1704) ohne Widerrede; auch Philipp und 
feine Gemahlinn unterwarfen ſich; doch war die legte indges 
heim entfchloffen nieht zu ruhen, bis fie Genugthaung a 
halten und ihren Willen Durchgefebt hätte. 

Während aH dieſer Hofränte hatte fich der Stand der 
Öffentlichen Angelegenheiten wefentlih verfchlimmert. © 
voyen und Portugal traten (Ianuar und Mai 1703) zu 
Philipps Feinden über’), und Berwik, welcher den Krieg ge 
gen bad letzte Reich führen folte, klagte mit Recht daß 
Nichts vorbereitet fey, was zum Sturze der Orfini und 
Orrys ebenfalls beitrug. Died machte den Marſchall in Dies 
deit verhaßt; und als er nun (ohne feine Schuld) im Zedde 
Feine Kortfchritte machte, ward er abgerufen und der Mar 
[hal Tefſe an feine Stelle gefest. 

Am vierten Auguſt 1704 eroberten die Englaͤnder 
Gibraltar (neun Tage fpäter fiegten Eugen und —— 








N Pour maride, non! — Aubigny avait sur la Ursini le po 
voir, qui ont ceux qui suppleent & l’insuffisance des maris. Ar 
. mon IV, 71, 1638. Duclos I, 47. 


2) Noailles II, 96, 161. Lowrille II, 184, 146. Portugal gob 
vor: Philipp habe es erobern wollen, den Theilungsvertrag nicht ge 
halten u. f. w. (Lamberty III, 290, Fiassan IV, 222.) Mehr ent 
fehied bie übermacht der Engländer und Holländer zur See, die Dr 
hung Liffaben zu bombarbiren und SBrafilien anzugreifen. 8. Bimn | 
IV, 30; XI, 206. Torre IV, 88, 179, 227. i 











n 





bei Hoͤchſtaͤdt); eine Seefchlacht bei Malaga (24ften | 
: 4704) war unentfcheibend ’), vertrieb jedoch die Fra 
aus diefen Gewaͤſſern. Karl III (fo nannte fich der Er | 
von Öfterreich, nachdem er zum Könige von Spanien ' 
Worben) ”) Fam im März 1704 Über England nach 
gal und eröberte (hauptſaͤchlich Durch ben Muth und d 
ſchicklichkeit Lord Peterborough8) den neunten Oktober 

Barcelona, woran fi allmdlig der Gewinn von fa 
Katalonien und Valentia anreihte, 

So uͤbel wie im Felde fland ed auch am fpa 
Hofe. Der neue. franzöftfche Gefandte, Herzog von | 
mont, war ein Mann von fchönem, würbigem Xı 
auch von Verfland und Gewandtheitz aber deBungendh: : 
maaßend und übereilt in Urtheilen und Handlungen *) 

Tann man ed ohne Zweifel einen Mißgriff nennen, Iı 
den Rönig von der. Königinn trennen und. jenen un 
bar und ausſchließlich ‚beberrfchen wollte. Hof⸗ und | 
Henränfe nahmen fo.tberhand, daß Lubwig XIV bei: 
nige fchrieb: „das Jutereſſe diefer Privatperfonen, Ei 
tigt fie ganz allein‘); und während nur.große Anfichte 
Zwecke Sie erfüllen follten, ‚lafien Sie fih Yinab ; 
Kabalen der Prinzeffinn Orfini, womit man nicht cı 
mich zu beunruhigen.” — Als Philipp in jenen verwi 
Verhältniffen zuweilen öffentlich fo, und insgeheim 
fehrieb, wied ihn Ludwig XIV zurecht und fügte hinzu: 
Furcht vor einer häuslichen Verlegenheit, iſt für Si, 


1) Noailles III, 201. 8. Felipe I, 250.83. Simon IV, 
2) Den 12ten Sept. 1703 trat Kaifer Leopold Spanien bei 
herzoge Karl ab. (Lamberty II, 518, 545). Diefer lieh in Am 
60,000 Thaler von einem Juben, gegen Berpfänbung von ı 
Im December 1703 kam er nach England (Belsham II, 192) 
Lanbete den 6ten März 704 bei Liffabon. Felipe I, 134, 
V, 116). 
8) Noailles II,-180. Simon IV, am. Tesse II, 187. 
san IV, 231. 
4) Nosilles IIL, 205, 239. _ 
36 * 





1705. genügender Grund die Wahrheit zu entſtellen. Es iſt beſſer 
einigen Widerfpruch aushalten und ald Herr ſprechen; denn 
fi zwingen laſſen, in zwei ganz entgegengefegten Weiſen 
zu fchreiben.” — Und der Königinn fehrieb Ludwig XIV: 
„Leute wie wir, muͤſſen ſich über die Zänkereien der Einzel 
nen erheben, und mit Ruͤckſicht auf-ihre eigenen Intereſſen 
und die ihrer Unterthanen handeln, — ſtets dieſel⸗ 
ben ſindy! 

Dennoch willigte Ludwig XIV zuletzt (im Julius 1705) 
aus vielen Gründen ein, die Orſini nach Madrit (mo man 
‚fie glänzend aufnahm) zuruͤckzuſchicken ), und an Gram⸗ 
monts Stelle, Amelot Marquis von Gournai zu bevoll⸗ 
mächtigen. Amelot und Teffe lebten einiger mit ber Drfini, 
als ihre Borgänger; konnten aber der, mit verboppelter. Ge 
walt bereinbrechenden Gefahren nicht Herr werden. Em: 
thigend fchrieb: Ludwig XIV feinem Enkel: „handelt es fih 
barum eine Krone zu vertheidigen; fo muß man lieber bad 
Leben verlieren, ald fie aufgeben )“. — Demgemäß 109 
Philipp mit aus zur Belagerung von Barcelona, mußte 

1706. fie aber am 12ten Mai 1706 (eilf Tage vor der Niederlage 
bei Ramillies) mit dem größten Verluſte aufheben‘); am 
Aſten Junius zogen die Verbündeten unter Galway und 
das Minas in Madrit ein und ließen Karl II als König 
von Spanien auörufen ’). 





1) Noailles III, 214. 

2) Sie fand fo viel Beifall bei Sudınig XIV, daß bie Maintenon 
.ſchon deshalb für ihre Ruͤckſendung mitwirkte. 8. Simon IH, 160. 
Noailtes III, 265. Coöxe I, 358. Flassan IV, 231. 

3) Noailles III, 280. Penna annal. 

4) Man verlor das ganze Belagerungsgeſchuͤtz und große Krieg: 
vorräthe vor Barcelona, und mußte Kranke und Verwundete zuruͤcklaſ⸗ 
fen. Felipe II, 25. Lamberty IV, 147. Noailles III, 312, 

5) Als Karl III zögerte ſich nach Madeit zu begeben, weil feine 
Equipagen nicht bereit wären, antwortete iym Stanhope: Herr, unfer 
Wilhelm III kam zu London an in einer Miethskutſche mit einem an 
telfadte hinten auf, und warb wenige Wochen — zum Koͤnige er 
hoben. Mahon war of succession 199. 








Den fechäten Julius ſchrieb die Koͤniginn an die Main: 1706. 
tenon: „nach einer Reife von 18 Zagen kam ich geflern in 
Burgos an, hoͤchſt ermuͤdet durch Aufftehen nor Zagesan⸗ 
bruch, niedergedruͤkt von ber Hitze, faſt erſtickt vom 
Staube, und nachdem wir in den erbaͤrmlichſten Huͤtten ge⸗ 
wohnt hatten. ')" — Nach der erſten Tagereiſe (ſchreibt bie 
Orfini) fand die Koͤniginn kein Bett und nur zwei Eier 
zum Abendbrot. Sie hat ihre Juwelen zum Verpfaͤnden 
nach Frankreich geſchickt. — Die Neigung der Spanier fuͤr 
Frankreich (ſchrieb ſie ein andermal an Torcy) hat abgenom⸗ 
men, ſeitdem ſich ſo viele Maͤchte wider daſſelbe erklaͤrten, 
Savoyen und Portugal abfielen und Schlachten verloren 
gingen?). Die Großen fürchten von neuem eine Theilung 
der Monarchie (welche fie durch Anfchliegen an das damals 
mächtige Frankreich verhüten wollten) bie Geringeren fchreien 
sach freiem Handel mit England und Holland. 

Aus jenen Zeiten ſtammen endlich folgende Äußerungen 
des Marſchalls Teſſe: „der König zeigt die größte Faulheit, 
Ungewißheit, Unentfchloffenheit ). Er wird ganz von ber 
Königinn beherrſcht, welche zwar viel Geift, aber gar feine 
eg befigt und fie auch nicht erwerben wird; 

es ſey denn Durch bie Annehmlichkeit einer Perſon die in 
ihrer Nähe iſt. Sie warb erzogen im Haſſe gegen Frank 
reich und würde, gern fehn, wenn man biefer Macht gar 
nicht beduͤrfte. Jeder Mühe und fortgefegten Anſtrengung 
iſt ſie von Natur abgeneigt, will aber von Allem unterrich⸗ 
tet ſeyn, und wuͤrde es ſehr uͤbel nehmen wenn etwas ohne 
ihre Theilnahme abgemacht wuͤrde. Der Koͤnig denkt allein 
an feine Frau, und iſt entzuͤckkt wenn ihm eine, oft vorent: - 
haltene, Sunft bewilligt wird. — Der Präfident von Ka⸗ 


1) Noailles M&m. 1 c. Lettres de la Princesse des Ursins III, 
305 — 307. 

2) 8. Simon III, 178. Lettres de la Maintenon et d. Ur- 
sins III, 244. 

8) Noailles III, 306. Tesss Möı. 2 154—188. Gore Ey: 
nien J, 827. 





1706. ſtilien befichlt oft das Gegentheil des Geheimenrathes, ober 


vereitelt deſſen Beſchluͤſſe. Nirgends herrfcht Thaͤtigkeit, Orb 
nung, Einigkeit und Zuſammenhang. Der König freut ſich 
werm die Glocke fchlägt und die Sitzungen zu Ende find, — 
und dennoch zeigt er fich auch eigenfinnig. Gemwihnen bie 
Angelegenheiten keine andere Geftalt, fo wird Zranfreich 
durch Spanien zu Grunde gerichtet. In Madrit gilt es Als 
len gleich ob Philipp oder Karl König iſt; ſofern er nur 
thut was fie wollen. Binnen drei Monaten warb im Kriegs⸗ 
miniſterium gar nichts verfügt. Man beduͤrfte eigentlich im 
- jeber ſpaniſchen Landſchaft eines befonderen Heeres; lieber 
will ich jedoch auf den Galeren rudern, als in Spanien den 
Oberbefehl führen.“ 

Ahnliche Klagen führt der Marquis Zorcy von Paris 
aus und fchreibt na Mabrit '): „ihr verabſcheut uns, ihr 
befolgt . Beinen unferer Rathfchläge, ihr verfteht Feine Um⸗ 
flände zu benugen, ihr betreibt und verfchleubert Alles auf 
eine fo Findifche und unvernünffige Weiſe, dag man es fo 
wenig begreifen als verzeihen kann.” 

So die Verhaͤltniffe im einer Zeit wo alle Mächte (der 
Papft und Schweden auögenommen) Karl IH bereitö als 
König von Spanien anerfannt hatten). Sehen wie jeht, 


wie fih die Dinge im Inneren Frankreichs während der 


ſechs erften Jahre bed achtzehnten Jahrhunderts geflaltet hats 
ten. Was zuvoͤrderſt die Vorbereitungen zum Kriege ans 
betrifft, fo veranlaßten- die Werbungen immer größere Aus⸗ 
gaben; fo daß bereits im November 1702 ein Befehl erging, 
wie viel Rekruten aͤede Abtheilung des Reiches flellen ſolle. 
Ste wurden auf Kofler der Regierung gefleibet und befols 
det’), erhielten für fich und ihre Weiber einige Begünflis 
gungen bei Zahlung ber Zaille, und follten (wenigftens dem 


1) Louville U, 77. 
2) Felipe I, 214. 


3) Dangeau II, 852. Lettres de la Maintenon et des Ursins I, 
47. Cole Mem. of State 289. 


Deßungeachtet war die Krigedliebe fo gering, daß die Aus⸗ 
gewählten weinten, fchrieen und fi) verflümmelten um ber 
Einſtellung zu entgehen). Nicht minder ward über ben 
Verkauf der Dfficierftellen an Unwürbige geklagt, welche kei⸗ 
neswegs verflünden die Kriegszucht aufrecht zu halten; auch 
. forge man für Verpflegung ded Heeres nicht mehr fo gut, 
wie zur Zeit Lonvoid, woraus Krankheiten, Entweichungen 
und allgemeine Unzufriedenheit hervorgingen. 

Die zuletzt gerügten Mängel ruͤhrten theils her von ber 
Derfönlichkeit der Miniſter und Zelbherren, theild von der 
Lage der Finanzen. Chamillart nahm ſeine Zuflucht. zu 
ben beresit aufgezählten und gerügten Maaßregeln: Verkauf 
von Imtern, Adelöbriefen und Domainen, leichtere Umpraͤ⸗ 
gung der Münzen, Erhöhung der Salzpreife, Errichtung ei: 
ner Lotterie u. dergl.”). Die im Jahre 1698 abgefchaffte 
Kopf» und Klaffenfleuer, warb den 12ten März; 1701 noch 
firenger bergeftelt, und dauerte ſeitdem (mit allerhand Ver: 
änderungen) bid zur Revolution fort). Weil jedoch dieſe 
und andere Mittel nicht auäreichten, fah man fi) genoͤthigt 
Zahlungen einzuftellen und Anleihen zu ungeheuer hohen Bin: 
fen *) zu machen; was (anderer Gründe nicht zu gedenken) 
den Werth der alten Staatöpapiere fehr verringerte. 

Im Sahre 1706 teieb die Noth den Gedanken hervor, 
nach verfchiedenen Verhältniffen, in-Münzzeichen flatt in 
baarem Gelbe zu bezahlen. Ungeachtet man jene durch ge⸗ 


1) Us pleuraient, criaient, se mutilaient Bone s’en exempter. 
S. Simon IV, 432. 

2) Bresson Hist. des Finances I, 380— 388. Larrey VII, 
234; VIII, 89, 191, 284, 286, 420. Isambert XX, 410. 

8) Encyclop. method, article capitation. Die Hauptſumme für 
die Landfchaft warb diesmal in Paris beftimmt, und die weitere Ver: 
theilung ben Behörden überlaffen. Isambert XX, 384 

4) Es ift von 8, 12, ja 3O Prozent die Rebe. Dalrymple IV, 
B, 1, 249. Cole Mem. of State 421. Forbonnais und Ganihl 
über dieſe Zeit. 





| waltfame Vorſchriften und harte Strafen zu heben und auf 


zuzwingen ſuchte), verloren fie allmälig 60 bis 80 aufs Hun⸗ 
dert. Dad Ende war, daß man ihren Betrag mit gros 
er Einbuße zu den Staatöfchulden fchlug. ” 
Während Chamillartd etwa achtjaͤhrigem Miniſterium 
betrugen die Ausgaben in runder Summe 1462 Millionen. 
Die gewöhnlihen Einnahmen . -. „ 337° — 
Es mußten dl - = 5... 1075 Milionen 
durch außerorbentlihe Mittel, z. B. durch Steuern, Ein: 
fhmelzung der Münze 40 Diilionen, Gaben ber Geiftlid: 
keit 39 Millionen, Vorgriffe 69 Mifionen , Anleihen 
385 Millionen u. ſ. w. gededt werben. — Im Jahre 1708 
erhielt Desmaretd das Finanzminiſterium an Chamillarts 
Stelle’). Nach Colberts Tode war er, Veruntreuungen hal: 
ber entlaffen worden; je&t glaubte man vielleicht durch 
feine Kühnbeit Hülfe in der Noth zu finden. Auch ließ e 
es nicht an harten und willkuͤrlichen Maaßregeln fehlen, 
welche bed wieberholten Aufzählens nicht werth find. Die 
einzige größere umfaflendere Maaßregel, war im Oktober 
1710 die Einführung des Zehnten von Einnahmen und Guͤ⸗ 
teen. Dennoch mwuchfen mit jedem Jahre die Schulden und 
ber. Überfchuß der Ausgaben über die Einnahmen. 
So tadelnswerth num auch die oben erwähnten Naaß⸗ 
regeln und Zuflände find, ſtehen fie doch mit fo vielen an: 
beren Dingen und Hinderniffen in untrennlichem Zuſam⸗ 


‚ menhange, daß Nachficht billig erfcheint und Entſchuldigun⸗ 


gen fich auffinden laſſen. Hingegen erzeugte fid während 
biefer Jahre in Frankreich fo gränzenlofes, und doch ver 


- 1) Isambert XX, 6519. Marmontel regence I, 199. Dangest 


| IE, 12. ‚Smollet II, 857. 


2) Ci-git le fameux Chamillard 
De son Roi le Protonotaire, . 
Qui fut un heros au Billard, 
Un Zero dans le ministöre. 


Bresson I, 391. 








meioi wes, TAEIW durch YEIUDIE Drundiatze der UNYULOTRITS 
keit, daß. man dieſelben nicht hart genug verdammen kann. 
Wenn Graͤuel aller Art, angeblich zur Verherrlichung des 
Chriſtenthums, begangen und geprieſen wurden; kann man 
ſich wundern wenn ſelbſt edle Gemuͤther die ſo mißgedeutete 
und mißhandelte Gottesgabe verkannten und gegen dieſe Art 
Religion ankaͤmpften, im Vergleich mit welcher das Heiden⸗ 
thum heiter, milde und duldſam erſchien? — Die Geſchichte 
des Aufflandes in den Sevennen, bildet ben zweiten Theil 
zur Geſchichte der Werfolgungen, welche bie Aufpebung bed 
Geſetzes von Nantes herbeiführten. 

Das Tieffinnigſte was von den verſchiedenen Standpunk⸗ 
ten aller Parteien hieruͤber gedacht, das Zarteſte und Gewal⸗ 
tigſte was gefuͤhlt, das Edelſte und Graͤuelvollſte was gethan 
werden kann, und gedacht, gefuͤhlt und gethan worden iſt, 
hat ein Dichter mit ſeltener Schoͤpferkraft in einem bewun⸗ 
dernswerthen Werke entwickelt und dargeſtellt. Darauf duͤr⸗ 
fen. wir verweifen, während wir unferer Aufgabe gemäß nur 
einige der. Thatfachen mittheilen, welche den Dichter begeis 
fterten und felbft in ihrer ungeſchminkten — und Ein⸗ 
fachheit zur Theilnahme bewogen 9. 

Durch den ryswiker Frieden ward fur die franzoͤfiſchen 
Huguenotten nicht der geringſte Vortheil bewirkt; ja man 
ging in Frankreich von der Vorausſetzung aus: es gebe 
uͤberhaupt Feine Huguenotten mehr im Lande. Als fich das 
Gegentheil diefer Vorausſetzung nur zu augenfcheinlih ergab, 
entfland die Brage: ob man fernerhin gelinbere, oder ftren- 
gere Mittel der Belehrung anwenden fole”)t Die Ver: 


1) Es war Anfangs meine Abficht, ber Novelle meines Freundes 
2. Tieck gegenüber, bie Gefchichte bes Aufftandes In ben Sevennen um⸗ 
ſtaͤndtich barzuftellen. Geitbem aber Hr. Dr. Hofmann biefe Aufgabe 
geloͤſet bat, konnte ich es bei ben folgenden Andeutungen um fo mehr 
bewenden laffen, da eine größere Ausführlichkeit in diefem Ben 
ganz unpaſſend waͤre. 

2) De mille convertis V’apris le jugement de geris senses, peut- 
&tre pas -deux le furent vöritablement. Anguetil vie de Villers 





theibiger. der . exfteren- Anficht behaupteten: Strenge habe nicht 
zum Ziele geführt, und da son fremden Bächten nichts 
"mehr zu hoffen fey, würben bie. zeither im Verlaß darauf 
Hartnädigen, . ſich jest machgiebiger finden laffen. — Die 
anbere Partei bezweifelte biefe Hoffnung und fügte himu: 
den Huguenotten if nun einmal durch Gewalt ihre Religion 
genommen; jetzt, wo fie Feine haben, iſt ed notwendig 
ihnen burch Zwang eine zu geben. Biſchoͤfe und Geiſt⸗ 
Eiche (welche in manchen Gegenden ihre Kirchen leer ſahen) 
traten meift auf diefe Seite; oder wo fie ſcheinbar milder 
waren, machten Intendanten und weltlie Beamte bie fri- 
deren Geſetze in voller Steenge geltend; ja biefe Geſetzge⸗ 
bung, fowie beren Anwendung warb noch geſchaͤrft. Mit 
‚169. fcheinbarer Sroßmuth erlaubte man im Jahre 1699 den aus⸗ 
gewanderten Protefiunten nach Frankreich zurückzulehren, 
unter der Bedingung — im erſten Graͤnzorte ihren 
Glauben abzuſchwoͤren)! Den Neubekehrten verbot man 
dagegen ihre Guͤter binnen drei Jahren zu verkaufen ;..ober 
wer dennoch auswanderte, verlor dieſelben und kann, wenn 
1700. man ihn ergriff, auf die Galeren. Den 30ſten Januar 1700 
erging ber erneute Befehl: Kranke, welche genefen nachdem 
fie den Eathofifchen Gebrauch der Sakramente zuruͤckwie⸗ 
fen, verlieven ihre Befitzthͤmer und kommen, die Mänser 
"auf die Galeren, die Weiber lebenslang ind Zuchthaus. Die 
Leidyen der Geftoxbenen, ſchleppt man auf ben Schinbanger! 
Seitvem fuͤllten ſich die Galeren und die Gefaͤngniffe. 
Kinder wurben den Alten weggenommen, und biefe durch 
willkürlich feſtgeſetzte Beryflegungsgelder und Strafen zu 
Grunde gerichtet. Wer auf den Galeren nicht alle katholi⸗ 
fen Gebräuche z. B. dab Faſten, aufs genaueſte beobach⸗ 
tete, ward grauſam geſchlagen und Ranchem auch bie Hoſtie 


II, 805. Gebelin Histoire des treubles des Cevennes I, 1— 24. 
Rulhieres II, 2283 — 258. 


1) Recueik des ddits des Rois IL, 979. ER 
SR. Larrey VII, 74, 146,‘ 278. 


- - u vv De Tr 37 U 3 


Verfolgung der Hugninotten. 571 


eingezwungen. Am ärgften volithete man gegen entdedie 
Verſammlungen ber. Huguenotten. Weder Männer, noch 
Weiber, noch Kinder wurden verſchont, und ſelbſt ſchwangere 
Frauen fanden ſich unter den Verwundeten und Todten. 


Ergriffene Geiſtliche und Predigende, entgingen faſt nie der 


Hinrichtung. 


Um biefe "Zeit hielt die frangoͤfiſche Geiſtlichken eine 


große Berſammlung, wo unter Boſſuets weſentlicher Einwir⸗ 


kung 160 Säge gegen Janſeniſten, Pelagianer u. ſ. w. vers 
dammt wurden 9. So viel ftemde Splitter wußten bie 
Eiferer aufzufinden; den Balken aber vor ihren Augen ſa⸗ 
ben fie. nicht, ober wollten ihn in hodkmüthiger Selbſtzufrie⸗ 
benheit nicht anerfemmen. 
Sahre lang bulbeten bie Huguenotten jene unchriftliche, 
nichtswuͤrdige Verfolgung faft ohne Wiberfland ’), und als 
endlich die Verzweiflung zu größerer Kühnheit führte, ober 


unnbezwinglicher Glaube neue Hoffnungen hervortriebz ride 


tete ſich zunaͤchſt die Widerſetzlichkeit nicht fowohl gegen ben 
König und die weltlichen Beamten, als. gegen bie Geiftlis 
hen; obgleih die Tyrannei von jenen. nicht minder aus⸗ 
ging, als von diefen. — Kann man fi wundern baß, als 
dad Maaß uͤbervoll war, Grauſamkeit und Verfolgungsſucht 
nun auch aus den Huguenotten auf verdammliche Weiſe 
hervorbruch, und beide Theile ſich in offenem Aufftande bie 
aͤrgſten Frevel zu Schulden kommen ließen? Den Grund, 
bie WBeranlaffung zu dem Allen, . gaben aber die "Tatholifchen 


Geiſftlichen, die weltlichen Obtigkeiten und ber König! Sie 


find die erflen Urheber, fie trifft bie doppelte Schuld; denn 
bei wahrhaft chriſtlichem Benehmen, "hätten fie al dem Wahn: 
finne und den Gräueln vorbeugen Tönen und — 
ſollen. 

Welchen Maͤnnern war nun aber auch die Leitung bie. 


1) Bausset' Vie de Bossuet w, 2— St. 
2) Jusqw’a 1702 les Huguenots se läissaient &gorger et mener 


a la boucherie comme des agneaur. Grebelln I, 88, 211, 269. 


672 Sechſtes Buch. Zwoͤlftes Hauptfüd. 


1700. fer Dinge anvertraut! Bas ville, ber Intendant), weicher 
ſelbſt eingeſtehen mußte daß die Bekehrung, ungeachtet der 
haͤrteſten Mittel mißlungen ſey, und doch behauptete: 
Verfolgung der Ketzer habe chriſtlichen Fuͤrſten ſtets Ehre 

gebracht. Seine Thaͤtigkeit und Gewandtheit, ſein Ehrgeiz 
und ſeine Luſt am Herrſchen wuͤrden Lob verdienen, haͤtten 
fie ſich nur nicht einer anderen Eigenſchaft unbedingt unters 
georbnet. Beharrlichkeit und Gonfequenz, wenn fie vom 
hoͤch ſten Standpunkte auögehen, und ohne rechts oder links 
zu bliden vorwärts fehreiten, erinnern mit echt an das 
Wirken und Walten der Gottheit; wenn aber die lei⸗ 
tenden Grunbfäge mangelhaft, ober gerabehin vom Übel 
“find, fo herrſcht alsdann der Teufel mit böllifcher Gewalt 
im Namen Gottes. As Basville Richter nah Willkür er⸗ 
wählte und viele Angeklagte ‚binnen wenig Stunden zu ben 
Saleren, dem Pranger, dem Stäupbeien, bem Zuchthaufe, 
ja zum Tode verurtheilte, fo glaubte er im großen Style zu 
bandeln?). Als er bie. Vollmacht forderte und befam, bies 
jenigen welche er Vagabunden, Rebellen, nichtönugige Leute 
u. bergl. zu nennen beliebte, ohne alle Formen eines Rechtös 
ganged aufhängen zu laſſen; fo hielt er fih für erhaben 
über die Hemmniffe, welche nur für ben Pöbel Bedeutung 
hatten. 

Da Marſchall Montrevel, der zweite Hauptführer, 
wo möglich noch verbammlicher als Basville, weil er nicht 
einmal den Ernft der Sefinnung befaß, welcher der Tyran⸗ 
nei eine Art von Haltung und Charakter giebt; fondern fit 

tenloſen Leichtfinn mit baarer Niederträchtigkeit verband. 
Endlich Flechier der Bifhof, von Natur ein edles, wohl: 
wollended Gemüth, und. doch fo befangen und einfeitig, daß 
er nur die legten Erfcheinungen, nicht aber die ˖Gruͤnde ders 


1) Rulhidres II, 22—82, 233. Le plus haineux des hommes, 
rusô, esprit superieur, actif,, esprit de domination 8. Simon III, 
, 460; IV, 309. 
"2) Gebelin I, 128, Brueys Histoire du Fanatisme II, 57. 








N se m 


De BEE /_ Ze SE ı Ze 7 BG . Be 7° 24 


* - — 


ER, —— |" — a a 


Basville. Montredel. Flechier. Ehaila. 973 


ſelben im Kuge bebielt und fu Anwenbung aller %t- von Ge: 
walt, das einzige Mittel fah ein thörichtes und unmoͤgli⸗ 
che Ziel zu erreichen. 

Ein Eiferer weit argerer Art war freilich Franz von 
Chaila, Abt und Exzpriefler der. Sevennen. Er ließ alle 
entdeckten Huguenotten, (befonberö bie welche gottesbienfts 
liche Berfammlungen befucht hatten) in fchredlichen Ges 


- fangniffen einfperren und (um ſie zu belehren, ober zum Ver⸗ 


rothe der Ihrigen zu zwingen) Auf bie mannigfathfte und 
furhtbarfte Weife bis zum Tode martern, umd bie angeb» 
lich Schuldigſten fogar hinrichten). Zur Befteiung mehrer 


neuergriffenen Huguenotten. verbanden ſich im Julius 1702 1702. 
ihre Slaubendgenofien, flürmten. (als man auf. fie heß) hat 


Gebäude und wurden noch zorniger als fie entdeckten welche 


Mißhandlungen die nunmehr Befteiten bereits erlitten hat⸗ 


ten. Ste verbrannten das Haus und erfſchlugen dert. Abt 


mit unzähligen Streichen. — Bon dieſem Augenblicke griff 


der Aufſtand in den Sevennen immer mehr um fi, weil 
man die Strafe nicht auf Schuldige und Üherführte be⸗ 
ſchraͤnkte; fondern vorawöfeßte daß alle Huguenotten und 
Neubekehrten gleich ſchuldig waͤren. 

Dieſe wachſenden Leiden und Berfolgungen fleigerten 
Muth und Kraft zum Widerſtande, erzeugten furchtbare 
Grauſamkeiten gegen Kirchen und Geiftliche und führten end⸗ 
lich (noch uͤberraſchender) eine Reihe von nie gefehenen und 
gehörten Erfcheinungen ganz anderer Axt herbei. Erſt Maͤn⸗ 
ner, dann Weiber und felbft Kinder; erfi Einzelne, dann 


WViele, ja faft alle Mitglieder einzelner Gemeinen fingen naͤm⸗ 


lich an zu predigen und zu weiſſagen ). Mit den geifligen 


1) Hist, des Camisards I, 107. Gebelin I, 48. Brueys I, 
296. 

2) Villars II, 824. Gebelin I, 26, 167. 'Misson Schauplat 
dee Sevennen 3, 97, 107. Brueys I, 102—111. Flechier relation, 
des Fanatiques in Vol. I des lettres. — Le premier petit garcon, 
ou petite fille, qui se met & trembler et assure que le 8. Esprit " 
lui parle, ‘tout le peuple le croit; -et si Dieu avec toutes ses an- 





874 Sechstes Bub. Zwoͤlftes Hauptfike. 


1702. Zuſtaͤnben traten Kraͤmpfe und koͤrperliche Zeichen in Ver⸗ 
bindung, welche ſich oft unwiderſtehlich fortpflanzten und ſo⸗ 
gar die Abgeneigteſten ergriffen. :Ie Härter man die Pros 
pheten Coft wit dem Tode) beſtrafte, deſto mehr ſtanden 
aufs und Alten brachten den Obrigkeiten ihre Kinder, um 

diefen (was fie felber nicht vermöcten) das Weiſſagen aus⸗ 
zutreiben. Mandragons der Maire von Alais, welcher im 
Auftrage des Intendanten eine Prophetinn verböite unb eins 
ſperren ſieß, ſchwaͤngerte fie nachmals und lebte mit ihr der 
Überzeugung’): es fey Gottes Wille daß der rechte Erloͤſer 
ber Welt auf diefe Weiſe folle geboren werden. — Andere 
hielten Ach flir unvermimbbar, und gingen in biefem Wahne 
wit verberblicher Werwegenheit den Feinden entgegen ”). 
Manches, ja Wieled mag ſich erklaͤren lafien als vors 
füyicher Betrug ober Teichtfinnige Taͤuſchung, als Eitelkeit 
und Nachahmungsſucht, als Erinnerung und Wiebererwedung 
des früher Gehoͤrten; auch hielten fich die meiften Weiſſa⸗ 
gungen In’ den engeren Kreifen bed Segnens und Berflus 
chens, des Drohens und Ermunternd. Deßungeachtet bleibt 
nach Beſeitigung ber meiften Einzelnheiten, im Allgemeinen 
bie unleugbare und hoͤchſt merkwuͤrdige Wahrheit übrig: daß 
die menfchliche Seele durch Börperliche und geiflige Aufre- 
gung und Ülberreizung, in Zuſtaͤnde verſetzt und zu Gedan⸗ 
Sen und Empfindungen fortgeriffen werben Tann, von denen 
ber Ergriffene fo wenig als die Zufchauer vorher eine Vor⸗ 
flelung oder auch nur eine Ahndung hatten. Sie unter: 
ſcheiden fich wefentlich von ber ruhigen regelmäßigen Ent: 
widelung bed Menſchlichen; fie werben im gewöhnlichen 
Laufe der Dinge fuͤr unmöglich gehalten, und find auch un⸗ 
möglich. — Der kuͤrzeſte Ausweg war benn freilich, alle 
diefe Erfcheinungen gerabehin der Einwirkung des Teufels 


ges venait leur parler, il ne les croirait pas mieux. Angquetil Vil- 
lars I, 809. 


1) Villars I, 326. Brueys I, 147, 153, 176. 
2) Sie riefen laut: Tartara, Tartara! Broeys I, 182. 











.r .. [ 3 vu ‘ww — —— 
. 


ze . m | wu ww 2 


- .u —- — — — — .- 


Montrevel. Gamifarden. 59 


zuzufchreiben; wenigſtens ſcheute man den Werfuch nicht fie 1702. 


audzutseiben durch Belzebub ben oberften der Zeufel. 


Der Here Marſchall von Montrevel (ſchreibt Flechier) 


iſt ſehr geeignet‘) dieſer Sache ein Ende zu machen. 
Auch ſah ja ber Biſchof in ven Samifarben?) nur Narren 
und Verbrecher, gegen welche lediglich Krieg und. Gewalt aus 
zuwenden wären. — Bald nach feiner Ankunft in Riss 


med (im Februar 4703) ließ Montrevel folgenben Befehl 1708. 
ded Königs, bekannt machen ?): alle weiche in Haufen (par-. 


mi leg attroupez) ober‘ mit den Waffen, in der Hand ges 
troffen werden, erleiden ohne irgend eine Form des Mechtds 
ganged,.ben. Jod; -ihre Häufer werden niedergeriſſen und 
ihre Giter eingezogen. Eben fo verfaͤhrt man mit den Ges 
bäuden wo fie fich verfammelten. 

Die Überlegenheit der Kriegsmacht des Marſchalls, machte 
in gewiſſer Weiſe einem eigentlichen Kriege ein Ende: Deſto 


‚ mehr zuͤrnte er, daß fi Hugumotten Sonntags in einer 


Mühle nahe bei Nismes verfammelten um Gottesdienſt zu 
halten. Er fielte fih an die Spige feier Mannfchaft, 
überfiel ‚die. Unbewaffneten, erfthlug etwa fünfzig, zerſtreute 
die Übrigen und verbrannte das Gebäude. — Eine Fran 


hatte mit zwei, eilf⸗ bis zwoͤlfjaͤhrigen Toͤchtern, auf dem 


Felde Bohnen gepflüdt. Unter ber Vorausſetzung daß fie 
biefe Bohnen den Camifarden bringen gewollt, verurtheilte 
er fie zum Tode — Doch nur. die Mutter? wandte ber 
beauftragte Dfficier ein. — Nein, entgegnete der Mars 
(hal, Mutter und Kinder; denn man muß biefe unverbefs 
ferliche Rage audrotten *).. — Die alten Katholiken flelite er 
unter den Schuß der Neufatholiten, dergeftalt daß wenn jes 


1) Tres propre ; Flechier lettres I, 126 — 186, 


2) &o genannt von ihrer Kleidung (camisa, chemise), ober von 
Camisgde was einen nächtlichen Überfall bedeutet: ——— Ge- 
belin I, 191. Hist. des Camisards I, 127. 

'8) Brueys II, 79, 107. 

4) Brueys II, 128 —129. Gebelin I, 252, 307. Hist. des 
Camisards II, 10% . 


R 





: 576 Sechsſstes Bud. Zwoͤlftes Hauptſtück. 


1703. um ein: Unfall zuſtieß, ohne weitere Unterfuchung bie Hdus 


fer der letten niebergebrannt wurden. Daſſelbe gefchab allen 
denen, welche Camiſarden begünfligt, beſchuͤtzt, aufgenom⸗ 
men, ober verborgen hatten. — Gefangene deren Bewa⸗ 
Yung Mühe zu machen ſchien, wurden kurzweg umgebracht, 
und Diontrevel ſchlug vor: fuͤr jeden getöbteten alten Katho⸗ 
lifen, zwei Camiſarden aufjuhängen ); was felbit dem In⸗ 
tendanten Basville etwas zu ſtark ſchien. 

Maaſßregeln und Gefinnungen ſolcher Art, ſowie der 
graͤnzenloſe Eigennutz der Katholiken, trieben die Camiſarden 
zu neuen Anſtrengungen und doppelter Verzmaflung”). Fa⸗ 
natiker, wie Roland und Ravanel, welche an ihrer Spitze 
ſtanden, hielten ſich zu ähnlichem gottipfen Verfahren berech⸗ 
tigt, und Cavalier (welcher groͤßere Kriegsgeſchicklichkeit 
mit Milde vereinigte) war um fo weniger im Stande über: 
all Zucht und. Ordnung aufrecht zuͤ halten, ba fich unter 
ben Namen ber fihwarzen Gamifarben, Räuber und Frev⸗ 
ler verbanben, um in ber allgemeinen Verwirrung und Auf: 
loͤfung. ungeſtoͤrt Werbrechen jeder Art zu begehen ?). 

Ludwig KIV, biefen angebliche Selbſtherrſcher, erfuhe 
von dem Elende und ben Graͤneln nur fo viel als - 
Keböfrau, die Maintenon ihm mitzutheilen erlaubte. Sie 
ſchrieb deöhalb ben 18ten Julius 1703: „bie Unruhen in 
ben Sevennen haben wenig zu bedeuten‘). Es ift unnuͤtz 
daß fith ber König ums bie Ereigniſſe dieſes Aufftandes be 

1) Brueys II, 71— 73, 150. , Villars UI, 331. 

2) Le plus grand nombre des Catholigues entrainds par la 

cupidite, regardaient les biens des her&tiques et möäme des nou- 
veaux convertis, comme une proie qui leur &tait due. II n’y avait 
pas en eux la moindre ombre de charit6 ohretienne. A les en- 
tendre il n’y avait d’autre part A prendre que de tuer tous ces 
gens lA, du moins de les chasser du pays sans distinction. An- 
quetil Villars I, 304. 

8) Gavalier befämpfte und beftrafte fi. Hist. des Camisards II, 
111, 151. 


4) Lettres de la Maintenon II, 156. 











Berwäfung bed Landed. 57 


kuͤmmere; dies wuͤrde dad Übel nicht heilen, aber ihm viel 1703, 
bereiten.” — Faſt um biefelbe Zeit (den erften Mai 1703). 


erging eine Verordnung bed Waters der Chriftenheit, des 
Papfied Clemens XI, worin er allen benen eine allgemeine 
Vergebung ihrer Sünden zufichert, welche bie Waffen er 
greifen wirden um biefes abſcheuliche und verfluchte Geſin⸗ 
bel audzurotten ). 

Ganz übereinftimmend mit biefen Grunbfägen ſchlug 
Basville (weil alle biäherige Strenge ungenügend befunden 
worden) bem Könige vor: die ganze Bevoͤlkerung von etwa 
400 Dörfern und Weilern aufzuheben, zu verpflanzen, und 
biefelben ganz zu zerflören. — Diefer Plan (fchreibt Flechier 
den erften Oktober 1703) ift ſtreng; aber ohne Zweifel nüg> 
lich, ‘denn er vernichtet die Bufluchtöörter ber Aufrührer ). — 
„Der König (erzaͤhlt der fireng Patholifche WBrueys ’)) trug 
Anfangs einige Bedenken in jenen Vorſchlag zu willigen, 
gab aber enblih ben bringenden Gründen feiner. Räthe 
nah. Dod wollte er (eine Wirkung feine Güte, un 
effet de sa bonte) daß man bei Verpflanzung fo vielen 
Bolkes, für — defien Unterhalt (subsistanoe) forge! Waͤh⸗ 
end ber letzten brei Monate arbeitete man baran bie Häus 
fer niederzureißen. Weil es aber zu lange gebauert haben 
würde, died mit Händen zu Stande zu bringen, erlaubte 
Ludwig XIV die Hülfe des Feuers anzuwenden um bad Werk 
zu befchleunigen, welches dann auch gmelgrrneire in 
jener Friſt vollbracht warb!” 

Laut eined anderen Berichtes *) wurden auf dieſem Weg⸗ 
460 Doͤrfer, Weiler und Burgen vernichtet. In einer dar⸗ 
auf bezuͤglichen Verfuͤgung hieß es jedoch: man wolle den 
Leuten Nichts zu Leide thun, da der Koͤnig von Blut⸗ 


. 1) Massacrer et exterminer cette race maudite et exserable. 
Gebelin I, 848. Hist. des Camisards II, 119. Ich habe Teinen 
Abbrud dieſer Werorbnung auffinden koͤnnen. 

2) Letires I, 148. 

8) Brueys II, 221 228. 

4) Gebelin I, 49, 52. 
A 37 


y' 


378 Sechstes Bud. Bwötften Hauptfiül. 


1703. vergießen nichts babe hören wellen. — Aus biefen Außer 
gen darf man fihließen: es ſey davon bie Rebe geweſen, die 
Bewohner nicht anderswohin zu verpflanzen, ſondern nieder⸗ 
zufäbeln. — Eine. foldde Verpflanzung war aber aus vielem 
Gründen auch unansführbar, fie kam nicht zu Stanbe; wohl 

‘aber wurden bie Camiſarben zu Hunderten aufgehoben und 
in Gefängniffen eingefpertt'. >» - 

Obgleich Brueys alles ſoeben Erzaͤhlte billigt, iſt er doch 
genoͤthigt einzugeſtehen: daß ſich ſeitdem (ſehr natürlich) die 
Zahl der habe⸗ und heimathloſen Camiſarden ſichtlich ver: 
größerte; baß fie in Wäldern und Bergen wie wilbe Zhiere 
umberirrten, und mehr noch durch ‚Hunger umb Elend, ald 
durch dad Schwert umkamen). In Folge folder Berhätt 
niffe bezeichneten fi Katholtten mit. einem weißen Krug, 
nannten ſich weiße Camifarben und übten fo viel Grauſam⸗ 
keiten und Verbrechen baß Flechier laut daruͤber klagt, und 
felbſt Montrevel genoͤthigt war ihrer Wuth Einhalt zu thun, 
und Mannſchaft wider fie audzufenden ®). 

1704. Mit der Ankunft des Marſchalls Vil lars (im Min 
4704) änderte fih das erfahren in vielen Punkten. Nicht 
ald wenn Gerechtigkeit und Billigkeit, an die Stelle religioͤ⸗ 
fer Verfolgungdfucht getreten wäre; aber eB zeigte ſich doch 
einiger weltliche Verſtand in ver Wahl der Mittel, um ſich 

dem einmal vorgeftedten Ziele zu nähern. Mit etlichen 
Häuptern (fo mit Cavalier) ſchloß der Marſchall Verträge '); 
andere zwang er mit Gewalt zur Nachgiebigkeit, andere 
wurben gefangen und hingerichtet), andere im Heere un 


1) Brueys II, 142 — 145, 

2) Brueys Il, 349. .Gebelin II, 174. 

8) Lettres I, 165. Brueys II, 240. Gebelin II, 117. 

4) Rhuliöres IT, 285. Berwick Mem. I, 4—18. Anqueti 
Vie de Villars I, 297803; II, 808, Hist. des Camisards EI, 254. 
8. Simon IV, 186. Brueys II, 290, 540. 

5). Tous ceux qu’on rencontrait encore, furent tuts ou en- 
voyes dans les prisons. A Nismes les gibets et les dehaflaur 

* &taient toujours dresses. Brueys II, 808. 


en Tamen ). In religioͤſer Beziehung trat nicht bie ges 
ringſte Bewilligung ein. | 
England und Holland hatten ben Camiſarden mehr Hoff: 
‚nungen gemacht, als fie wirklich unterftügt *); fich jeboch im⸗ 
merbar gegen Raub und Plimberungszüge erklärt. — Zu der 
Zeit ald man den Aufftand beendet nannte, weil das Land 
zur menfchenleeren Wuͤſte geworben”), gab ber- König Geld 
umb bewilligte Stenerbefreiungen bamit die, auf feinen Befehl 
niebergebrannten Dörfer, wieder aufgebaut würden! 100,000 . 
Menſchen (fagt Boulainvillierd) opferte man den fanatifchen 
Grundfägen; und 10,000 von ihnen wurden gehängt, geräs 
dert und verbrannt *)! 

Wenn auch biefe gräufiche Prarid nicht im ganzen Um: 
fange fortdauerte, hielt man doch bis anf die Zeit Lubwigd XVI 
an jenen unbuldfamen Grundfägen fefl und nannte fie das 
Palladium des Chriftenthums. Kür daſſelbe befteht aber m 
Wahrheit nur eine große Gefahr: nämlich bie, welche Eife⸗ 
rer aller Parteien ihm bereiten, fobalb fie mit wilder 
Grauſamkeit und in abermwigiger Thorheit einen Glauben aufs 
zwingen wollen, der fi nım aus dem Innern entwideln, 
und nur burch Milde und Liebe pflegen und Idutern laͤßt. 
Nachdem die.Gefchichte diefe umleugbare Wahrheit mit bus 
tiger Schrift, fo viele Male zur Warnung, Lehre und Beſ⸗ 
ferung niebergefchrieben hat, werben hoffentlich fanatifche Aufs 
forderungen und Beſtrebungen ohne Wirkung bleiben, welche 
die Unduldſamkeit wieder feßen möchten an bie Stelle der Dul⸗ 
dung, ben Haß an die Stelle der Liebe, und das Verfiuchen 
und Verketzern, an bie Stelle bes Segnene und er 


4 

1) Brueys II, 367. : 

2) S. Simon IV, 132, 197. Anquetil Villars II, 820. Brueys 
IH, 526. 

3) In Wahrheit dauerten Unruhen und Graufamkeiten, obwohl 
in geringerem Umfange fort. Gatinat und Ravanel wurben verbrannt. 
Brueys III, 429, 486. Gebelin III, 200. 8. Simon IV, 877. 

4) Gebelin I, 89. Boulainvilliers &tat de la France VIII, 819. 


37* 





Li 


Dreizehntes Hauptfiüd. 


Der fpanifche Erbfolgefrieg von den erften Friedens⸗ 
anfrägen, bis zum Frieden von Utrecht und dem Tode 
Ludwigs XIV. 

(1706—1715.) 


Noten wir in dem vorigen Hauptftücke über bie inneren 
Verhältniffe Großbritanniens, Spaniens und Frankreichs 
Auskunft gegeben haben, wird fich Jeichter begreifen laſſen 
was bie verſchiedenen Mächte tiber bie Fortfekung, oder Been⸗ 
digung des ſpaniſchen Erbfolgekrieges dachten, oder bezweck⸗ 
ten. Ludwig XIV, bedraͤngt durch Kriegsungluͤck am Kheine 
und in Italien, durch Geldmangel, inneren Aufruhr und die 
Fortfchritte der Öfterreicher in Spanien, machte im Okto⸗ 
4706.ber 1706 Sriedensanträge durch den Ghurfürften von 
Baiern ). Er bot den Öfterreichern Spanien und Indien, 
den Hollänbern die Niederlande mit dem Rechte fie weiter 
an Karl von Öfterreich abzutreten, und verlangte zuleht für 
Philipp nur Neapel und Sicilien, was bamald noch in 
deffen Händen war. Gr wollte Anna als Königinn von 
England anertennen, günflige Handelsvertraͤge abfchließen, 
und Landau nebft Kehl, für Breiſach zurlidigeben. 
Diefe Anträge waren nicht allein vortheilhafter alß bie 
Beitimmungen des zweiten Theilungsvertrages, fondern raͤum⸗ 
1) Torre IV, 277— 823. Somerrille Anna 23%. Torey I, 
114. . Smollet II, 830. Wagenaer VII, 825. — Die erften Hinwei⸗ 
fungen Ludwigs auf ben Frieden, durch ben Dr. Helvetius im Jahre 
1705 fanden gar keinen Gingang. 








endwige XIV Sriedensanträge. 581 


ten auch mehr ein als das große Buͤndniß vom fiebenten 1706. 


September 1701 forderte. Ia vor dem Abfchluffe des letzten, ſtell⸗ 
ten die Holländer ald einzigen Iwed auf, Mailand und Nea⸗ 


pel für den Kaifer zu erwerben). Auch jeßt wünfchten jene 
ben Frieden auf fo günftige Bebingumgen, und gedachten ber  . 


damald drohenden Stellung Karld XI, des möglichen Gluͤcks⸗ 
wechſels und all der Leiben, welche ber Krieg bereits gebracht 
hatte. Marlborougb aber trat (fchon um feine Bebeutung 
als Feldherr nicht einzubüßen) auf bie Seite ber Kaifer: 
lichen, welche nach wie vor barauf drangen: daß bie ganze 
fpanifhe Monarchie für fie erobert und alles Beſitzthum ber 
Churfürften von Köln und Baiern eingezogen werde. So 
verlange es dad Recht umb nicht minder bie Klugheit, ba 
Ludwig AIV durch jene Anerbietungen die Verbuͤndeten nur 
täufchen und trennen wolle. Noch einige Jahre Ausdauer, 
dann werbe Frankreichs Macht ganz gebrochen und ein wah⸗ 
rer Friede erft möglich feyn. — Selbft Heinſius ließ ſich durch 
biefe und ähnliche Gründe umflimmen. Auch fagte ihm ber 
Zaiferliche Sefanbte Graf Sinzenborf?): wenn felbft die ſpani⸗ 
fhe und oͤſterreichiſche Monarchie in eine Hand kaͤmen, 
wäre dies nicht gefährlich; da die Srunbfäge bed. hohen 
Erzhaufes nicht darauf ausgehen feine Nachbaren zu beuns 
subigen, felbft wenn ed die Macht hat biefelben zu unter» 
jochen. 

Um biefelbe Zeit ſchrieb Marlborough ) an Heinfius: 
„als ein guter Engländer muß ich behaupten, daß wir 
burch Vertrag und unfer eigened Intereſſe verpflichtet find, 
die fpanifche Monarchie ungetheilt zu erhalten. Die franzoͤ⸗ 
ſiſchen Vorſchlaͤge gehen nur auf eine Theilung, welche fuͤr 


die Verbuͤndeten unehrenvoll waͤre, und zuletzt ihren Unter⸗ 


gang herbeiführen wiirde.” — Genug, man wollte die Forts 
ſetzung des Krieges und ben 22ften December 1707 beſchloſ⸗ 


1) Coxe Marlborough I, 9. . 
2) Torre IV, 830. 

— 
3) Coxe Marlborough II, 113, 129, 188, 191. 





— 


t 


582 Sechstes Bud. Dreizehntes Haupifüe. 


1706 fen Parlament und Königin von England ): nur ımter_ber 
Bedingung folle Frieden gefchloffen werben, daß bie ganze 
fpanifche Monarchie an Öfterreih, und Nichts an Frank: 
reich komme. — Ohne Zweifel war hiemit Plan, Zweck und 
Staatskunſt Wilhelms TIL voͤllig verändert und aufgegeben. 
Dos zeitherige Kriegsgluͤck (behauptete man) habe den Stanb 
bee Dinge wefentlidh verändert, unb koͤnne und werbe ihn 
fernerbin noch vortheilhafter verändern. 

Die nächften Ereigniſſe beftätigten diefe Hoffnung. Denn 

1707. wenn auch im Jahre 1707 der Zug der Verbündeten gegen 
Zoulon mißlang, fo kamen bie Öfterreicher doch in ven Be 
fig von Neapel und Sicilien*). Im folgenden Jahre 

1708. eroberten die Engländer Sarbinien, und Eugen und Marl⸗ 
borongh fiegten am Atten Julius in der großen Schacht 
bei Dubenarbe, Über Bourgogne, Vendome und Mas 
tignon ’). Lille, Gent, Brlgge und andere Städte wurden in 
Folge dieſes Sieges eingenommen, unb ber Eingang in das 
Herz Frankreichs fehlen offen zu fliehen. — Zu biefem Kriegs⸗ 

1709. ungluͤcke kamen Mißernten und im Sabre 1709 ein fo ent: 
feglicher Winter daß faſt alle Ölbdume und Weinſtoͤcke er 
froren, eine furchtbare Hungerönoth eintrat und alle Mittel 
unzureichend blieben, bie Armen und Verarmten vor der du: 
herſten Noth zu fügen“). 

Billard fonft fo muthig, ja übermäthig, fanb das Heer 
in einem bejammernöwerthen Zuſtande, ohne Kleider, Sol, 
Ballen und Lebensmittel, Die Soldaten verkauften Waffen 
und Kleider um Brot zu belommen *). Dft reichte dies nur für 


4) History of the Commons IV, 77. Parliam. Hist. VI, 608. 
2) Coxe Marib. II, 279, 818. 


$) S. Simon IV, 190. Torey I, 212. la Ceolonie u, 143. 
Mauvillon Hist. du Prinoe Eugene III, 172. 


4) Maintenon et Ursins lettres I, 376. $, Simon nouv. «d. 
VII, 9. — 


5) Anguetil Villars II, 30 - 88. 





Torcy im Haag. Sriedensunterhandlungen. 583 


die Marſchirenden, und die Anderen mußten bis Abends 1700. 


hunger. Deßungeachtet entwarf Billard glänzende Be⸗ 
ſchreibungen fuͤr frembe Zeitungen; dem Könige aber konnte 


ee bie unglüdlichen Zuſtaͤnde nicht verhehlen, und Marſchall 


Boufflers, der voller Zuverſicht nach Flandern ging, berich⸗ 
tete (nachdem er ſich von Allem genau unterrichtet hatte): 
man müfle um jeben Preis Frieden fihließen!') — Alle 
Stimmen des Töniglichen Rathes traten, unter aufrichtigen 

und bitten Thraͤnen, feiner Anficht bei und ber Praͤſident 
MRouilld eilte im Mär; 1709 zu jenem Zwecke nach den 
Niederlanden. Als zweimenatlihe Verhandlungen mit hol⸗ 


laͤndiſchen Abgeordneten in Mardyk und Wöerben nicht um 


Biele führten und jeder Bewilligung neue Forderungen folg- - 
ten d), entſchloß fi) der Marquis Torcy, war mit gerin⸗ 
gen Hoffnungen und ohne alle Ausfiht auf perſoͤnlichen 

Ruhm; aber im Gefühle feiner Pflicht gegen König und Wa: - 
terland, felbft das traurige Geſchaͤft zu übernehmen. Den 
erſten Mai- 1709 verließ er heimlich Parts, und fuhr ben 
fechöten Abends unerwartet im Haag beim Rathspenſionar 
Heinſius vor. Welch ein Werhfel! Bei dem Maune, wel⸗ 
chen einfl ber ſtolze Louvois bedrohte, er wolle ihn 'in bie 
Baſtille ſetzen laſſen, erfchlen ber Minifler der. auswärtigen 
ngelegenheiten bed größten Königs, — um ben Frieden zu 
erbitten! Doch nicht auf unwuͤrdige Weile. Offen gefland 


. Xorg das -bringende Bedirfniß Frankreichs ein, machte aber 


mit Recht barauf aufmerkfam: man mäfle nicht bioß ben 
gegenwärtigen Augenblid, fonbers auch die Zukunft herüͤck⸗ 
ſichtigen. Denn nur ein auf billige Bedingungen gefchloffe: 
ner Friede fey dauerhaft, und trotz aller Noth wärbe man 
Anträge zuruͤckweiſen, fofern fie ‚nicht bloß die Macht vers 
zingertert, ſondern auch die wahre Ehre verlegten. 

Den 28ſten Mai 4709 überreichte man dem Marquis 


1) Maintenon et Ursins lettres I, 897, 405, 422, 486; II, 14. 
9) Torre V, 195. Torcy I, 180, 200, 220. | 


8 


558 Gchstes Buch. Dreizehntes Hauptfiäd. 


1709. Zorcy folgende Praͤliminarartikel ): Der König von 
Frankreich erkennt Karl IN als Herrn der ganzen ſpaniſchen 
- Monarchie an (mr mit Ausnahme deſſen, was Savoyen 
und bie Niederlande erhalten) und entfagt derſelben für im⸗ 
mer. Er unterftüht feinen Enkel Philipp auf Feine Weiſe 
und wirb, im all diefer binnen zwei Monaten nicht ein⸗ 
wilfigt, mit ben Verbuͤndeten Maaßregeln ergreifen um ihn 
zu zwingen. Die Königinn von England und bie Erbfolge bes 
Hauſes Hannover wird anerfannt, der Prätendent entfernt, Ter⸗ 
reneuve abgetreten, Duͤnkirchen, Hüningen, Neubreifach umb 
Sort Louis geſchleift. Straßburg, Kehl, Breifach und Lan 
bau giebt der König zuruͤck, und behält nur das ihm im 
weftphälifchen Frieden buchſtaͤblich Zugefiherte. Die Hol⸗ 
länder erhalten mehre Städte (fo Fuͤrnes, Menin, Ypern, 
Conmines, Lille, Zournay, Conde und Maubeuge) als 
fihernbe Barriere; der Herzog von Savoyen aber Eriled, Fe⸗ 
neſtrelles, Chaumont und einige andere Bezirke. Alte feit 
1664 erlaffene, den Niederlaͤndern nachtheilige Geſetze hören 
auf, und Frankreich handelt nie - unmittelbar nah dem ſpa⸗ 
niſchen Indien. Das Schickſal der — von Baiern 
und Koͤln, haͤngt vom Kaiſer und dem Reiche ab 

Ludıokg wiberfpradh bloß der Schleifung von Hningen und 
dem Verlaſſen ber genannten Ghurfürften, gab aber zulegt 
such hierin nach, und beharrte nur barauf: baß er zwar ſei⸗ 
nen Enkel nicht umterflügen wolle, ihn aber unmöglich felbft 
befriegen und vom Throne flürzen koͤnne. 

Hiezu kam: daß wenn Lubwig XIV auch Alles einge 
ben, berauögeben, Feſtungen fehleifen wollte u. f. w., man 
ihm doch nur einen Waffenſtillſtand auf zwei Monate be⸗ 
willigte und ſich vorbehielt den Krieg zu erneuen, ſofern in 
dieſer Friſt nicht jede Bedingung erfüllt. ſey; — was zu⸗ 
naͤchſt in Beziehung auf die Schleifung der Feſtungen und 

die Vertreibung Philipps aus Spanien und Indien, ganz 
unmoͤglich war. 

1) Toroy I, 2. Lamberty V, 294, Schöll II, 66. Hist. du 
traits d’Utrecht 112— 130. 





Eriedbensunterhandlungen. Spanien. 585 


| Obgleich nämlich der Einzug der Verbuͤndeten in Mas 
drrit entſcheidend zu ſeyn ſchien, fanden fie doch fo wenig 
Anhaͤnger, begingen fo viele Fehler und Ausſchweifungen 
Bund verloren fo viel Zeit, daß Philipp bereits im Oktober 
1706 wieber nach ſeiner erfreuten Hauptſtadt zuruͤckkehrte. 1706. 
Auch gab ihm ein großer Sieg den 2öflen April 1707 bei 1707. 
Almanza durch Berwid über Galway erfochten'), in bem 
größten Theile von Spanien bei weitem dad Übergewicht. 
As nun Ludwig XIV, durch Unglüd bebrängt, feinen 
Enkel ernſt zur Nachgiebigkeit aufforberte, ber Herzog von 
Bourgogne den Abſchluß ded Friedens auf Koften feines 
Bruders wünfchte und die Maintenon nad) Spanien fehrieb: 
man muͤſſe fih den Fügungen ded Himmels ımterwerfenz 
erklärte Philipp mit unerwarteter Feſtigkeit: er werde nie 
in feinem Leben der Krone Spaniens entfagend; Die Könis 
ginn, von ber Drfini angefeuert, behmuptete man muͤſſe bis aufs 
Außerfte wiberftehen, und, die Spanier wurden (in ben 
| Maaße, als fie fih von den Franzoſen für verlaffen hielten 
und von halb Eegerifchen Heeren der Verbuͤndeten bebrängt  . 
fahen) eifriger und begeifterter für Philipp-V. Es war mits 
hin ein großer Irrthum ber Verbimdeten, ‚wenn fie glaub⸗ 
ten: es hänge bloß von einem Worte Ludwigs XIV ab, 
feinen Enkel in den Rubefland und Karl IH auf ben ſpa⸗ 
nifchen Thron zu fegen”). 
Bei diefen Verhältniffen verwarf Ludwig XIV bie ihm 
vorgelegten Priebensbedingungen *), erließ (Anfangs Julius 


1) In Mabrit begingen bie Werbünbeten viele Unbilden, mas ben 
Born erhöhte, fo daß bie Huren ſelbſt vorſaͤtzlich jene anſteckten. Fe- 
lipe I, 273; II, 42. Smollet II, 297, 823. Es folgten viele Ein» 
ziehungen der Güter und Beftrafung der Anhänger Öfterreiche. "Torre 
IV, 879, 381. Dangeau II, 435. Maintenon et Urains lettres MI, 
810—313, 481. Berwick Il, 58, 86. Torre v, 48. Noailles 
II, 343. 

2) Lamberty IV, 158. Flassan IV, 288. 8, Simon % 61. 

8) Hist. du Traits d’Ütrecht 106. 


4) Dangeau III, 99. Torre Y, 197. 





te ee ee a > Dada A SE nn A ee Ste 
aufgezwungene Fortfegung des Krieges, und ſagte mit Recht: | 
„ih will lieber meine Zeinbe, ald meine Kinder befriegen!” — 
Ihm fanden jedoch neue und harte Prüfungen bevor. Den® 
Alten September 1709 verlor Billard nach der tapferſten 
Gegenwehr, die höchfl blutige Schlacht bei Malplaguet 
‘gegen die Verbündeten unter Eugen und Marlborough, wäh- 
rend die Mittel der Franzoſen erliitenen Verluſt zu erſetzen, 
in ieber Richtung abnahmen ')., — Ludwig XIV fand in die⸗ 
fen Zeiten keineswegs eine fo Trdftige Stäbe an der Main⸗ 
tenon, wie Philipp an der Orſini. Jene fühlte fi verlaf- 
fen, rathlos, betrübt über die Gegenwart ?), geängftet wegen 
der Zukunft, niedergedruͤckt durch Langeweile und Üherdruß 
an Seglihem. Deshalb fchreibt fie’): „Eitelkeit, Eigennus, 
Anmaaßung, Neid, Geifteöverkehrtheit, Alles widerſetzt ſich 
dem allgemeinen Beſten, um elender Abſichten und Leiden⸗ 
ſchaften der Einzelnen willen.” — Und ein andermal*): „Über 
all iſt Niedergefchlagenheit und Betruͤbniß des Geiftes, 
in weltlichen und Eicchlichen Angelegenheiten, bei Großen und 
Kleinen, Männern und Frauen, Wohlhabenden und Armen, 
in der Ruhe, den Freundfchaften, Gefelfchaften und. Fami⸗ 
lien. Überall Betrübniß, überall Widerfprüche, und um das 
Ungluͤck vol zu machen iſt man nicht einmal in Frieden mit 
fi ſelbſt!“ — Stimmte doch felbft der edle Fenelon (deffen 
Semüthörube ‚auf einer ganz anderen Grundlage berubte) 
biefen Klogen in feiner Weife bei, wenn er fagte*): „kaͤme 
der König überall umher, fo würde er fehen die Niederge⸗ 
fhlagenheit des Heeres, ben Überbruß ber Didier, bie Er⸗ 


1) Colonie IL, 161. Bonneral I, 89. Maurillon Hist. du 
Prinos Kugöne III, 368. Anquetil Villars II, 9%. Torre V, 215. 


2) Bausset Fénélon III, 813. 
. 3) Maintenon et Ursins lettres L, 807. 
4) Noailles IV, 23. | 
. &) Könelon corresp. I, letir. 98. 








Upergewicht der geinde, Die geheime Empoͤrung ber Woͤlker 
und bie Unentfchloffenheit der Anführer!” on 

Im März 1710 fandte Ludwig XIV den Marſchall 1710. 
Hürelles und den Abt Polignac nad Holland, um bie 
Sriedensunterhandlungen wieder anzufnüpfen. Sie traten in 
Gertruydenberg ummittelbar bloß mit den bollänbifchen 
Abgeordneten Buys und van ber Dyffen zufamnıen '); obs 

‚gleich die Engländer und Öfterreicher den wefentlichften Ein- 
fluß behielten. Buys begann mit dem Sage: da die ganze 
ſpaniſche Monarchie den Öfterreichern gehört; fo Tann Lud⸗ 
wig XIV nad) Recht und Gewiſſen nicht das Geringfte das 
von erhalten, ober. behalten. — UÜber dad im vergangenen | 
Yahre Nachgegebene, räumte Lubwig XIV allmälig noch ein: 
er wolle ben buchftäblihen Inhalt des weſtphaͤliſchen Frie⸗ 
dens anerkennen; fi für feinen Enkel mit Sicilien und 
Sardinien begnügen; wenn biefer bie Bebingungen ablehne, 
ihn nicht allein in Feiner Weiſe unterflüben, fondern auch 
monatlich eine Million Liored zur Kriegführung wiber ihn 

- zahlen, und hiefuͤr franzoͤfiſche und hollaͤndiſche Banker als 
Bingen ftellen, ja einige Städte und Feſtungen, ſelbſt! Ba 
Iencienned, ald Pfand einräumen. — Ie mehr aber Lubs 
wig bot, deſto mehr forderten feine Gegner, und deſto lau⸗ 
ter und hochmüthiger widerſprachen fie feinen Vorſchlaͤgen. 
So nannte der oͤſterreichiſche Botſchafter Graf Sinzendorf 
in einer Staatsſchrift, den Antrag Philipp mit Sicilien ab⸗ 
zufinden : ungerecht, verfaͤnglich und verwerflich?). Ja 
Karl III, unbegnügt mit ber ganzen fpanifhen Monarchie, 
verlangte außerdem noch Rouffillon und alles im pyrenäifchen 
Frieden an Frankreich Abgetretene ”)! 

1) Faucher Histoire de Polingnac II, 44 - 60. "Histoire du 
trait6 d’Utrecht 141 — 165. Torcy II, 184 — 256. Lamberty 
VI, 57. | 

2) Torre V, 241. 


3) Coxe Marlborough III, 29, 





688 Sechſtes Bud. Dreizehntes Hauptſtuͤck. 


1710. Die letzten Erklaͤrungen ber Holländer und Verbuͤnde⸗ 
ten lauten: Alles von Frankreich Bewilligte wird angenom⸗ 
men; außerdem muß ſich aber Ludwig XIV verbindlich 
machen, allein, mit feiner Macht, und binnen zwei 
Monaten feinen Enkel aus allen Landen der fpanifchen 
Monarchie zu vertreiben unb alle Präliminarartifel zu ers 
füllen.. Kömmt ex dieſen Bedingungen nicht nad, fo bes 
ginnt der Krieg von neuem. Ja follte er alle Praͤliminar⸗ 
artikel (wohin bie Ubergabe und Schleifung der Feſtungen 
und Duͤnkirchens gehörte) binnen zwei Monaten erfüllen, 
nicht aber die Räumung und Übergabe Spaniens und In⸗ 
diens (ohne daß die Verbündeten nöthig haben, einen Tha⸗ 
ler auszugeben und einen Schuß zu, thun) — fo beginnt ben: 
no) ber Krieg! Der König, ( fagten berfiuge Gegner) 
bietet nur fo viel, weil er nichts halten will; Alled (rie- 
fen von Daß Werblendete) iſt vedioren, wenn wir nicht Als 
le8 erlangen! ’) 

Sogleich nach dem Empfange jener Erklärungen bra⸗ 
hen die franzöfifchen Bevollmächtigten bie Unterhanblungen | 
‚ab, und ſchrieben an Heinſius einen langen Brief. Nachdem 
fie über die ſtets gefleigerten, unausführbaren, ehrverletzenden 
Borberungen geklagt haben, fahren fie fort”): ber König 
bat, um eines endlichen und ficheren Friedens willen, alle 
Bedingungen angenommen beren Ausführung von ikm ab» 
hängt; nie aber wird er etwas verfprechen, befien Ausfuh⸗ 
sung (mie er weiß) unmoͤglich iſt. Da ihm durch die Uns 
gerechtigkeit und Hartnädigfeit feiner Feinde, alle Hoffnung 
geraubt iſt den Frieden zu erlangen; fo vertraut ex fich dem 
Schutze Sotted an, ber nach Gefallen bie zu erniebrigen 
weiß, welche ein unerwarteted Glüd erhebt und bie allge- 
meines Elend und Vergießen chriftlihen Blutes für Nichts 
rechnen. Er überläßt ed bem Urtheile des ganzen Europa, 





1) Anquetil Villars II, 130 — 182. | & 
2) Hist. du trait6 d’Utzecht 169 — 176, 183 - 212. 











Unterhandiungen In Bertrupbenberg. 589. 


ja feibft der Engländer und Holländer, die wahren Urhes 1710. 
ber der Fortſetzung biefed fo fchredlichen Krieged zu erken⸗ 
nen. — Ein längerer Aufenthalt in Gertruybenberg 
wäre unnuͤtz, weil diejenigen welche an ber Spitze der Res 
gierung bed Freiſtaates flehen, überzeugt find daß es ihrem 
Vortheil gemäß ift, den Frieden von einer unmoͤglichen 
Bedingung. ahhangen zu laſſen. Wir antworten binnen ſechs, 
ftatt binnen der 14 Zage, weldhe man und wie eine Gnabe 
bewilligte; eine Befchleunigung die wenigftens zeigen wird, 
daß wir nicht Darauf ausgehen und bier die Zeit zu vertrei⸗ 
ben (ñH nous amuser). Schmaͤhſchriften, Berleumdungen, 
Falſchheiten, eroͤffnete Briefe u. dergl. wollen wir mit 
ſchweigen uͤbergehen u. ſ. w. 

Die Generalftaaten ließen dieſes Schreiben, nebſt eines 
Widerlegung bruden, worin ed Im Wefentlichen heißt: So 
aufrichtig die Franzofen mach ihren Worten ben Frieden 
wuͤnſchen, fo weit find fie in Wahrheit von biefer Abficht 
entfernt. Auch wollten die Werbündeten niemals einen be 
fonderen Frieden mit ihnen abfchließen, damit fie der Ruhe 
genoͤſſen, jene aber einen miühfeligen Krieg mit Spanien 
weiter führen müßten. Der König von Frankreich, welcher » 

(im Widerforuch mit den feierlichfien Entfagungen und. Ber: 
trägen) die fpanifhe Monarchie in Beſitz genommen hat, 
ift verpflichtet fie herauszugeben. Ohne ihn ‚hätte fih Phi⸗ 
lipp nicht erhalten Finnen; ex muß pflichtgemäß feinen Ens 
kel zur Entfogung anhalten. Durch Ludwigs Schuld hat 
Europa einen fo fehweren Krieg beginnen müffen, und es tft 
nicht zu hart daß die unangenehmen Folgen jegt ihn treffen. 
Die ſchnelle Antwort ber franzöflfchen Abgeordneten zeigt, daß 
ihr Entſchluß längft gefaßt war, und man die Verbuͤndeten nur 
binhalten wollte. Die Anklagen über Schmähfchriften, eröffnete — 
Briefe, Mangel an Höflichkeit ') u. dergl. find unwahr, und kei⸗ 
ner Widerlegung werth u. ſ. w. — Die feindlichen Botfchafs 
= 1) Doch fagt felbft der Engländer Somerville (Anna 892): Styl 
und Behandlung von Selten ber Verbündeten fey geweſen: rode, cap- 
tous‘ De overbearing. 


— 





5 Sechstes Dug Dreizehntes Hauptſtück. 


1710. ter, ſagte Heinfius, find Argefich; das iſt ein gutes Zes⸗ 
hen. — Auch war der öfterreichifhe Hof fo guädig, die . 
Hollaͤnder für ihre Aufopferungen celsi et potentes zu bes 
titeln, jedoch nur unter der Bedingung daß fie auch Frank: 
reich zu einer gleichen Bewilligung zwaͤngen ')- 

Das Abbrechen ber Unterhandlungen in Sertruybens 
berg iſt ein Wendepunkt in der Gefchichte jener Zeit. Was auch 
zur Wertheibigung des Wenehmens ber Berbimbeten, Damals 
ımb ſpaͤter gefagt worden if, es beruhte auf Leidenſchaft und 
Befangenheit, richtete ben bereits geblendeten Blick inumer 
nur auf einen Punkt, ſah in hochmuͤthigem Selbſtvertrauen 
Nichts von dem was ſich vingsherum vorbereitete und ent⸗ 

wickelte, und zeigte einen großen Mangel an Werandficht 
ud Stastöweißhell. — Bon einer buchfläblichen Beurthei⸗ 
lung unb Entſcheidung bed großen Streites, nach einem vors 
hanbenen oder nicht vorhandenen, behaupteten und geleng⸗ 
weten Familienrechte, Tonnte nicht mehr bie: Rebe ſeyn; der 
Krieg ſollte, weil gütliche Verſtaͤndigung ausblieb, durch fein 
Gewicht entſcheiden. — Er habe entſchieden für das gute 
Recht Vſterreichs, war bie in Gertruydenberg auögefprochene 

* Behauptung; eine unbefangene Tberlegung wärbe dagegen 
erwiefen haben, daß jene Behauptung gar mancherlei Be 
dingungen unb Beſchraͤnkungen unterlag. 

Erſtens, wünfhte Ludwig XIV aufrichtig und ſelbſt 
gegen große Opfer ben Brieden, konnte aber feinen Ente 
weber im Wege ber Büte, noch binnen zwei Monaten im 
Wege ber Gewalt zur Ba a a 
nien unb Indien vertreiben 

Sweitens, batten die Holländer fet 1706 Fein 

wahres Intereffe, (für Gut und Blut und zur Schwächung 

ihres Vaterlandes), Bedingungen zu erfiteiten, weiche wes 

ſentlich von ben früher, inöbefonbere duch das große Buͤnd⸗ 
niß, geforberten und bezweckten abwichen. 

Drittens, hatte England bie politifhe Bahn Wil . 


1) Lamberty VI, 79. 


— 


8 


Abbrechen ber Iriebensunterhandiungen. -598 


heims II verlaffen, und warb auf der neuen nur durch ein 1740: 
kuͤnſtliches Bufammenteeffen von Umſtaͤnden erhalten. N 

Viertens, Hoffe der Kaifer fehr irrig, To vide 
Mächte würken immerdar geneigt fen und. bleiben, ihre 
Intereſſen ben. feinigen aufzuopfern. 

Fünftens, verfannte Marlborough, daB er feine, 
bereits. fehr ſchwankende Gtellmg, nur als Zriedensſtiſter 
von neuem ſichern und befeſtigen kͤmme. 

Alles dieſes war keineswegs geheim und verborgen, eb. 
lag vielmehr auf der Hand und bereits damals ſo zu Tage, 
daß es jeder wahre Staatsmann hätte erfennen und die Fol⸗ 
gen vorausſchen ſollen. 

Den 28ſten Jußnus 1710 wiſeien die framzoͤſiſchen Bot⸗ 
ſchafter von Gertruydenberg ab, und nur drei Wochen ſpaͤ⸗ 
ter, ben 19ten Auguft ſtuͤrzte das laͤngſt erſchuͤtterte Whig⸗ 
miniſterium ‚in London zuſammen. Den zehnten December 
entſchied Vendomes Sieg bei Villavicioſa über Stan⸗ 
hope dad Schickſal Spaniens, und den eilften April 1711 
fiel mit dem Tode Kaifer Joſephs 1 die lehte gegrhnbete 
Hoffnung dahin, jemald den in Gertruybenberg mit uͤbertrie⸗ 
benes Hartnädigkeit aufgefiellten Zweck zu erreichen. — Nach 
dieſer uͤberſichtlichen. Andeutung, mäüffen wir ben Gang ber 
Dinge näher entwideln. 

Die Königin Anna war, (wie es Perfonen von mit 
telmäßigen Geiſtesgaben zu gehen pflegt,) bis zu einem ges 
wiſſen Punkte nachgiebig und leicht zu führen; und wieberum, 
wenn man feinen Ginfluß über dieſen Punkt hinaus aus⸗ 
dehnen wollte, hartnädig und ungebuldig Die Herzoginn 
von Marlborough hatte einen viel zu leibenfchaftlichen 
Charakter um died Maaß gehörig zu erfennen '); fie beleis 
bigte hiedurch (troß der Warnungen ihred Gemahls) die Koͤ⸗ 
niginn auf ungebührliche Weiſe und vergaß: baß zum “Bes 

1) Burnet III, 1810. Coxe Marlborough I, 116, 446; II, 518. . 
Conduite de la duchesse de Marlhorough 820. Somerville 259. 
-Bwift works XII, 5, 6. 





. 5802 Schötes Bud. Dreizehntes Hauptftüd. 


4710. herrſchen eines gekroͤnten Hauptes nicht. bloß Zefligkeit dei 
eigenen Willens, fondern auch Klugheit bes Benehmens, Se 
müthlichkeit und Milde der angewandten Mittel gehörten, 
Die Verſuche, daher entſtandene Streitigkeiten audzugleichen, 
führten faft immer zu neuen Beleidigungen, und nur be 
glückliche Gang bes Krieges fowie Marlboroughd Ruhm, ver: 
zögerten eine Zeit lang. den. völligen Bruch. — Ein von der 

Herzoginn für unbedeutend gehaltene, bei ber Königinn ein 
geführtes. Fräulein Hill, gewann auf entgegengefehtem Wege 
allmdlig ihr Zutrauen '), und befefligte fi um fo mehr in 
three Gunſt, weil die Koͤniginn gewahrte baf man jene fall 
mit Gewalt von ihr trennen wollte. Als Anna darauf be 
fland: daß Marlborough dem Bruder ihrer neuen Freundinn, 
der fich in der Schladt von Almanza auögezeichnet hatte, 
ein Regiment anvertraue; ergriff jener nicht dieſe Gelegen⸗ 
heit die Königinn und bie mit Herm Masham verhi 
thete, einflußreihe HiN zu begütigen, fondern widerſprach 
bebarrlih und behauptete (ohne irgend einen anderen Au: 
weg nachzuweiſen) es wuͤrden dadurch Altere und verdient 
Dfficiere zuruͤckgeſetzt. Hieran knuͤpften fich eine Rebe von 
Hofränken und kleinen Ereigniffen, welche umſtaͤndlich zum 
zählen hier um fo weniger der Drt ift, ald fie zu ben ge: 

ben Öffentlichen Veränderungen zwar mitwirkten, abe ki: 
neswegs allein entfchieden. 

So lange ber Krieg nothwendig und gebilligt war, 
konnten Marlborough und Godolphin die Königinn faf nt: 
behren; fie verfannten aber ben Augenblick wo fich dies aͤn⸗ 
derte, während Anna zu bim Bewußtſeyn Fam: es fey ein 
Unglüd für fie und das Land, wenn fie ganz in bie Hände 
einer Partei falle; es ſey ein Unrecht wenn bie Whigs nur 
fin bad -Nüsliche ſtimmen wollten, fofern fie alle Stellen 

und alle Gewalt erhielten und behielten ?). Und in ber Dat 


1) Coxe Marlborough III, 222: 
2) Coxe Mariborough I, 377, 481; II, 187, 157. 


Fall ber Whigs. GSaheverelt. 593 


legten fie dieſe Forderungen nur zu oft, und auf eine die 1710. 
Königinn verlegende Weiſe zu Tage. Ä 

Mit Recht bemerfte Harlay (ber nachherige Lord Ox⸗ 
ford):. er kenne keinen Unterſchied zwifchen einem unfinnigen 
Tory, und einem unfinnigen Whig). — Darauf aber kam 
es an, nicht allein bie Unvernünftigen beider Parteien zu 
zähmen, fondern wo möglich die Wernünftigen zu nähern 
und auszuföhnen. Hievon gefchah aber das Gegentheil, ind: 
befonbere bei dem Streite über die Predigten des Doktors 
Sacheverell. In einer Zeit wo manche Tories glaubten, oder 
doch behaupteten: die Whigs wollten eine Republik gründen 
und die Kirche zerfiözen; und umgekehrt die Whigs behaup: 
teten: ihre Gegner dachten daran den Prätendenten berzu: 
ftellen, und kirchliche Tyrannei zu begründen, hoffte jener 
Doktor Saheverell auch Bedeutung zu gewinnen. Er 
war ein Mann von gutem Anfehn und angenehmer Sprache; 
aber fehr mittelmäßigen Geiſtes und Fein ehrenwerther Chas 
rakter ). In feinen Predigten ſprach er flr unbebingten 
Gehorſam, und gegen bie Revolution, König Wilhelm und ° 
die jegige Regierung... Er verband hiemit (wie fo oft in 
England) die Wehllage daß bie Kirche in großer Gefahr 
ſchwebe und eine verbammlihe Dulbung bewilligt werbe. 

Gewiß wäre es am kluͤgſten geweſen biefe Reben uns 
beachtet zu laffen und das Zeitgemäße binfichtlich der öffent: 
lichen Angelegenheiten zu thun; bie Whigs hofften aber wohl 
ihre bereits unfichere Stellung durch einen auffallenden Sieg 
zu befeftigen und brachten die Sache (da bie Kronrichter be- 
baupteten: nach gemeinem Rechte fey nichts Sträfliched ges 
fchehen) vor dad Parlament. Sacheverells wahre, oder vor⸗ 
gebliche Anhänger verboppelten ihre Klage: daß. die Regie⸗ 


1) Coxe Marlborough II, 161 — 164. 

u) History of the Commons IV, 138. Parl. History VI, 805 — 
884. Lamberty VI; 3%. Vie d'Anno II, 81. Belsham II, 406. 
Macpherson State papers II, 175. Macpherson Hist. II, 482. So- 
merville Anna 372, Calamy U, 224— 225. Cunningham II, 271. 

VI. 38 


594 Sechsſstes Bud. Dreizehntes Hauptſtück 


1710. rung das ganze Gewicht ihrer Macht gegen einen eifrigen 
Vertheidiger der Kirche in bie Wagfchale lege; wodurch ber 
Doktor fo beliebt und berühmt warb, baf man 40,000 Erem: 
plare feiner Prebigt verkaufte. 

Bei der Unterfuhung bob Sacheverel Zum Theil fruͤ⸗ 
here Behauptungen auf, zum Theil deutete er ſie in milde⸗ 
rer Weiſe. Die Koͤniginn, welche allen Vernehmungen und 
Berathungen beiwohnte, nahm Anſtoß an manchen Lehren 
und Behauptungen der Whigs; waͤhrend die der Tories ih⸗ 
rer Macht und ihrem Einfluſſe guͤnſtiger erſchienen. Sonſt 
kamen bei dieſer Gelegenheit gar verſchiedene Anſichten und 
Abſtimmungen zu Tage: z. B. Sacheverell ſey ein Narr und 
habe lauter Unſinn geſprochen; — unbedingter Gehorſam ſey 
nirgends geboten und die Geſchichte zeige rechtmaͤßige Auf⸗ 
ſtaͤnde von ben Makkabaͤern bis zu ben Niederländem; — 
bei aller Nothwenbigkeit und Geſetzlichkeit bes Wiberflandes 
in einzelnen Faͤllen, laſſe ſich doch Beine dem Molke ver: 
ſtaͤndliche und beilfame Lehre Daran anreihen; — bie Revo: 
lution von 1688 mäffe nicht als Neuerung, fonbern ald eine 
Herftellung betrachtet werden, u. ſ. w. 

Daß Sacheverelld Predigt zule&t als boshaft und auf: 
ruͤhriſch verbrannt, und ihm dad Predigen auf brei Jahre 
unterfagt wurbe, galt ihm und feinen Anhängern für einem 
Sieg. Er warb unglaublich geehrt, und dadurch aufgeblafen 
über Maaß; fo daß ein Schriftfteller ") ausruft: wie wenig 
ann Beliebtheit, gewonnen im Felde politifcher Strei⸗ 
tigfeiten, für einen Beweis wahren Werthes gelten, ober 

- als ein Achter Gegenſtand des Beſtrebens erſcheinen; nad: 
dem wir gefehen haben, mit welcher Verſchwendung jene ge: 
haͤuft warb auf. ben fanatifchen, hochmuͤthigen und veraͤcht⸗ 
lichen Doktor Sacheverell. — Und in ber That ward er old 
ein Mittel in Bewegung geſetzt von höher Geſtellten, und 
getragen von dem aufgeregten Poͤbel. 

Gewiß hatte es ſehr große und eigenthuͤmliche Schwie⸗ 


1) Somervilie Anna 882. 


fa’ 


SER CHN 


| 1 
mr 


Saqheverell. Orford. Bolingbrote.. 695 


rigkeiten, den einzelnen Fall der Revolution, als ein Allge⸗ 1710. 


meined und Unbedingtes zu begründen; body warb umges 
kehrt auch der Verſuch bie entgegengefehte Lehre von blin- 
dem Gehorfam und religiöfer Unduldfamkeit als unbedingt 
hinzufteßlen, noch einmal in Großbritannien aus dem Selbe 
gefchlagen. Auch würde der ganze Streit, fofern er nur 
abſtrakte Grundſaͤtze oder den Doktor Sacheverell betraf, ohne 
Folgen geblieben feyn, wenn bie Machthaber verftanden hät- 
ten nach glüdlich geführtem Kriege, zur rechten Zeit Frieden 
zu ſchließen. Waͤhrend aber Marlborough, in Augenblicken 
uͤbler Laune, von Abdanken und Zurüuͤckziehen ſprach, fuchte 
er wohl ernfllicher eine Beftätigung feines Priegerifchen Ober: 
befehls auf Lebendzeit zu erlangen '). 

Harlay und S. Sohn (nachmals die Lords Orford und 
Bolingbroke), deren Einfluß bei der Koͤniginn im Stillen 
immer mehr wuchs, haͤtten gern wenigſtens Einige der Whigs 
mit ſich ausgeſoͤhnt. Dieſe widerſtanden aber weder ein⸗ 
ſtimmig, noch lenkten fie zum Mittleren ein Go ward 


denn: Sobelphin ben 19ten Auguft 1710 entlaffen*®), und 


den 2iften September ein need Parlament berufen, in wel⸗ 


chem bie Tories das Übergewicht hatten. 


u. und Bolingbroße traten an bie Spitze ber 
Geſchaͤfte. Es ſchien unmoͤglich zwei Maͤnner zu finden, die 
verſchiedener geweſen waͤren, in Hinficht auf Studien, Cha⸗ 
rakter, Grundſaͤtze, Geſchaͤftsfuͤhrung, Wahl ber Geſellſchaf⸗ 
ten, Zerftreuungen u. f. w.. Einig waren fie nur darin, 


daß fie unverföhnliche Gegner ſtuͤrzen und das politifche Sy: 


flem ändern wollten. Sie. boten zunaͤchſt dem noch immer 
mächtigen und hochberlihmten Marlborough eine Aus: 
föhnung,, wenn er feine neuen — (die Bhigs) vers 


1) Coxe Marlborough II, 868, 517. 


2) Somerville 418. Macpherson History I, 455 — 46h. Par- 
liam. Hist, VI, 906. Coxe Marlberough Il], 239 290. 


8) Swift works XII, 88 —42. Coxe Marlborough III, 310, 


38 * 


! 





596 Sechstes Bug. Dreizehntes Hauptſtück. 


1710. laſſen, zu feinen alten Freunden (den Tories) zuruͤckkehren 
und die Wuth ſeines Weibes ) zaͤhmen wolle; — ſonſt duͤrf⸗ 
ten Unterſuchungen eintreten und Scenen ſich eroͤffnen, welche 
ſich durch keine gewonnenen Schlachten verbedien ließen. — 
Marlborough hoffte noch immer Durch eigenes Gewicht, Fürs 
ſprache feiner Freunde und inöbefondere durch ben Schuß 
Öfterreichd und Holland obzufiegen; auch wandte er fich 
zu gleicher Zeit mit Anerbietungen an den Prätenbenten und 
nach Dannover ”): — welche Zweideutigkeit fchwerlich feinen 
Gegnern verborgen blieb und fie vermochte auf ihrer Bahn 
um fo kuͤhner vorzufchreiten. Indem aber beide Parteien, 
eben nur ald Parteien unverföhnlich einander gegenüber tra: 
ten, konnten Leibenfchaften nicht audbleiben, und Weisheit 
mußte fich mit Thorheit, Recht mit Unrecht vermifchen. 

Einen wefentlihen Einfluß auf die erzählten und bie 
naͤchſtfolgenden Greigniffe, hatte ber Gang des Krieged in 
Spanien. Zu der Zeit wo Ludwig XIV am beftigften in 
feinen Enkel drang der Krone zu entfagen, warb biefer ben 
20ften Auguft 1710 von Stahrenberg bei Saragoffa ges 
ſchlagen, und bie Verbündeten zogen zum zweiten Wale in 
Madrit en’). Allein gerade in biefem Augenblide ihres 
hoͤchſten Gluͤckes, entwidelte fich in den Spaniern mit ſtei⸗ 
gender Gefahr, eine Kraft und Beharrlichkeit des Willens 
welche fo lange gefehlt und deren Ruͤckkehr man nicht ers 
wartet hatte. An 30,000 Menfchen begleiteten den König 
nah Wallabolid *); die Gaflilier verließen bei Annäherung 


1) Three furies reigned in her breast, sordid avarice, disdain- 
fal pride, and ungovernable rage. Swift History of the lest four 
years of Queen Anne, 

2) Hamilton Mem, 97. Macpherson Hist. II, 457. 

8) Man fchlug eine Muͤnze mit ber fpöttifchen Inſchrift: Kart III 
bucch bee Ketzer Gnade, katholiſcher König. Mahon war 105. Die 
Sutriguen ber Orfini, bie des Herzogs von Orleans Spanien für ſich 
zu erwerben, fo wie bie am Hofe Karls III, Eönnen bier nicht ums 
ftänblich erzählt werben. Felipe IL, 100, 173, 200, 250. S. Simon 
V, 1, 80, 189. Dauclos I, 22. 

4) Felipe II, 290— 817. Noailles IV, 138. 








Saragoſſa. Brihnega. Villavicioſa. 597 


der Feinde ihre Dörfer, nachdem fiecaſſer und Lebensmit⸗1710. 
tel verderbt, oder mitgenommen hatten. Kein bedeutender 
Dann trat zu Karl über; vielmehr foh fich diefer von Spaͤ⸗ 
bern ummingt, unb ohne Geld unb Lebensmittel‘). Als er 
Madrit verlaffen mußte, hörte er hinter ſich das Geldute ber 
Soden und dad Jauchzen der Einwohner. Unermeßlich war 
die Freude ald Philipp den dritten December 1710 wieber 
einzog, Stanhope ſich mit feiner Heeresabtheilung den neun: 
ten December bei Brihuega ergeben mußte, und Stabrens 
berg den zehnten December durch die Schlacht bei Billa: 
viciofa von Vendome zum Rüdzuge gezwungen wurbe?). 


1) Karl (bemertt Lorb Mahon &. 219 mit Necht) warb gelei⸗ 
tet von wenigen Deutfchen bie viel Anmaaßung, aber wenig Kriegskennt⸗ 
niß befaßen, bald von Zollkühnheit bald von Furcht beberrfcht wurben 
und gegen Gelb nichtg weniger als gleichgültig waren. 

2) Torcy II, 4. Barriere (la cour et la ville sous Louis XIV) 
. erzählt ohne weitere Angabe einer Quelle: Stanhopes Maitreffe, Mas 

bame de Mucin, eine Franzöfinn, habe Vendome Nachricht gegeben 
daß jener ein Feſt feiere, er möge ihn überfallen. — Die befte, gründ: 
lichſte und wohlgefchriebene Gefchichte des eigentlich ſpaniſchen Krieges, 
{ft Lord Mahons History of the war of the succession in Spain. — 
Es fey erlaubt bier noch den Bericht eines Augenzeugen, bes Haupt⸗ 
manns Cosby, über die Schlacht von Brihuega und Villavicioſa mits 
zutheilen, welcher ſich im britifchen Reichsarchive (Spain Vol. 4) befin 
det. Ex lautet: „Am achten December, um eilf Uhr Morgens, er: 
ſchienen auf dem Gipfel bes Hügel, ber in die Stadt Brihuega 
hinabfchaut, etwa 2000 Heiter und einiges Fußvolk. Da uns aber 
feit zwei Tagen einige Peine Xbtheilungen der Feinde folgten, um zu 
fehen ob fie Rachzuͤgler aufgreifen koͤnnten; da ferner bie ganze Ges 
gend ringsum uns feindlich geſinnt war, was uns außer Stand feßte 
bie geringfte Nachricht zu erhalten; fo wußten wir gar nicht baß ein 
feindliche Heer in der Nähe fey umb glaubten bie auf dem Hügel Er⸗ 
ſcheinenden, waͤren biefelben Kleinen Abtheilungen, welche uns zeither beglels 
tet hatten. Doc befahl General Stanhope ſogleich die Waffen zu ergreis 
fen. — Unterbeffen hatten aber bie, Feinde, gebedit von Hügeln und An⸗ 
hoͤhen, ihre Bataillone und Schwadronen georbnet, bie Zugänge zu 
allen Thoren beſetzt, und befchoffen mit fünf Kanonen - unfere in ber 
Stadt verfammelte Mannſchaft. Als General Stanhope ſich fo ein- 
geſchloſſen fahr befahl er mir zum Marſchall Stahrenberg zu eilen, 


598 Sechetes Bud. Dreizehntes Hauptſtuͤc. 


1710. Hiemit wer fuͤr jeden Unbefangenen entſchieden: daß man 
Spanien nie erobern und niemals Philipp zur Entſagung 


welcher etwa vier kleine Meilen (leagnes) von Brihnega In Ciſuentes 
fand, ihm die Umſtaͤnde zu berichten. Zugleich ſollte ich erzählen: 
daß wir nur ſehr wenig Pulver und Blei hätten, welches General 
Stanhope fo viel als möglich auffparen, und ohne bie hoͤchſte Roth 
feinen Schuß thun wolle, jeboch fich bemühen werde die Stabt fo Tange 
zu vertheibigen, bis Seine Excellen; ihm zu Hülfe komme, ober Bei⸗ 
ftand fende, 

Ich verließ ben General Stanhope um ſechs Uhr Abends, begeg- 
nete abes mehren feindlichen Xbtheilungen, welche mid; zwangen ben 

naͤchſten und gerabeften Meg gu verlaffen, fo daß ich mit großer Mühe 
erſt Abends um elf Uhr beim Marſchall anlangte und meinen Bericht 
exftattete. Er befahl fogleich, daß fich alle Mannſchaft welche ſich in 
Gifuentes und ben umliegenden Dörfern befinde, verſammeln follte, 
und veriprady dem General Stanhope zu Hülfe zu kommen. 
Aldn er brach af am naͤchſten Morgen, ben neunten Des 
cember Zur; wor 10 Uber aufs kam um Mittag in Prueſa am 
verweilte bafelbft drei Stunben, zog dann bis Hontanares, weiches auf 
bem halben Wiege zwiſchen Gifuentes und Brihuega liegt. Gier langte 
er um fuͤnf Uhr an und ließ neun Kanonenfchüffe thun, zum Zeichen ba 
ee bem Generale Stanhope zu Hülfe ziehe. Die Nacht hindurch blieb 
bee Marfchall bier unter Waffen, und ftellte ben zehnten December mit 
Tagesanbruch fein ‚Heer in Schlachtorbnung. Es beftand aus 29 Schwas 
beonen und 26 Bataillonen. Nachdem er fo in guter Ordnung bis 
ein Uhr fortmarfhirt war, fand er die Feinde im Begriff fich zur 
Schlacht zu ortnen. Sie waren uns befonbers an Reiterei überlegen, 
Ichnten ihren rechten Flügel an das Dorf Villavicioſa und ihren 
linken an einen Wald los Campos, in ben Ebenen ber Campos be los 
Mancebos. Der Marfchall zitt umher ihre Anordnungen zu befehen 
und fand daß fie ihm nur wenig Zeit gelaſſen hatten, bie feinigen zu 
treffen. 

Da ber Feind alle Vortheile bes Bodens auf feiner Seite hatte, 
ſah ſich der Warſchall genöthigt, feinen linken Fluͤgel gegen einige 
Wälle (square walls ?) auszubehnen, die Beiterei feines rechten Klügels 
hinter feiner erſten und zweiten Linie aufzuftellen, und feine Seiten mit vier 
Grenabiercompagnien, zwei Bataillonen unb zwei Schwadronen zu decken. 
Diefe ganze Beit hindurch fpielten bie Kanonen beiber Theile, doch bie 
unfrigen mit weit mehr Erfolg, bis drei Uhr. Um biefe Zeit griff ber 
Beind unferen verhten Fluͤgel mit großer Orbnung und guter Haltung 





Brihuega. Billaviciofe. 599 


bewegen werde, mithin biefen Kriegszweck . aufgeben 1710. 
müffe. 


an, fo baß er etwas wid. Sogleich aber ftellte er ſich wieber in gutes 
Ordnung auf, während unfer Linder Fluͤgel befonders von ben an Reis. 
terei überlegenen Feinden heftig angegriffen und ganz zerftreut wurde. 
Als fie in der Werfolgung bis zu unferem Gepäde gekommen waren, 
welches einen Kanonenfchuß weit hinter der zweiten Linie ſtand, began- 
nen fie zu plünbern. Gleichzeitig griff bie zweite Linie ihrer Reiterei 
bes rechten Flügel, ben linken Fluͤgel unferes Fußvolkes an, fchnitt 
an acht Bataillone faft ganz ab und legte ſich dann ebenfalls aufs Plüns 
dern. Diefen Umftand benugte ber Marfchall, fammelte all fein Zub: 
volk in hohlen Vierecken, ftellte feine Reiterei auf die Selten, und griff 
das Fußvolk der Feinde, in dem Augenblicke wo fie fich für fiegreidh 
hielten, fo nachdruͤcklich an daß fie flohen und er fie mit Schwertern 
und Bajonetten über eine halbe Meile weit verfolgte. 

Die Soldaten und Öfficiere waren über ben anfänglichen Erfolg 
der Feinde fo aufgebracht, daß fie nur wenige zu, Gefangenen machten, 
ausgenommen einige ausgezeichnete Yagfonen, welche uns erzählten fie 
hätten drei Breſchen in Brihuega gemacht, wären aber fünfmal zu: 
rücdgetrieben worden. Erſt beim fechsten Angriffe, ben neunten Decem⸗ 
ber bei Sonnenuntergang, hätte ſich Stanhope mit den Seinen (ent Man: 
gel an Pulver ımb Blei) ergeben muͤſſen. 

Der Marfchall Stahrenberg verfolgte feinen Steg, bie cine Stunde 
nad) Einbrlich der Nacht, und blieb bis um acht Uhr des nächften Morgens 
auf dem Schlachtfelde, während ber Feind fi von ber Dunkelheit bes 
günftigt, in großer Verwirrung zurüdgezogen hatte. Als nun aber ber 
Warſchall nad) dem Gepäde und ber Befpannung bed Gefchäges fehen 
.- Heß; fand ſich daß Alles was der Feind nicht zerflören, ober wegbrin- 
gen Eonnte, von ben Bauern ber Unigegenb geranbt war. So fand er 

fi) ohne Befpannung und Waffen, mußte die Wagen verbrennen und 
die eigenen, wie bie eroberten Kanonen vernageln. Dies, verbunden mit 
ber ungünftigen Jahreszeit und dem Mangel an Lebensmitteln, zwang 
ben Marfchall, feinen Marſch nad Aragonim fortzufegen. Wir fchägen 
unferen Verluſt auf 3000, ben ber Zeinde auf 6000 Mann.’ 

Mit diefem Berichte Cosbys, flimmt ein anderer bes General Les 
pell im Wefentlichen überein; nur bemerkt er daß Stahrenberg, ber 
Engpaͤſſe in den Bergen halber, am erften Tage nicht über ee 
(leagues) vorrüden konnte. 


Einem britten franzoͤſiſchen Berichte iſt Folgendes entnommen: 
Le Duc de Vendome crut avoir perdu la Bataille, et on donnait 


1711. Diefe Lage der öffentlichen Angelegenheiten und bie 
Stellung der Parteien in England, brängte von neuem zum 
Abfchluffe ded Friedens. Anftatt aber wiederum ben, bisher 
erfolglofen Weg gemeinfamen Verhandelns einzufchlagen, lie: 
Gen die neuen englifhen Dinifter fchon im Sanuar 1711 
durch den Abt Gaultier, Ludwig bem XIV gewiffe Vorſchlaͤge 
überreichen '). Hierauf folgte Priord Sendung nad Paris, 
und Menagerd Sendung nach London. Der Tod Kaifer 
Joſephs (17ten April 1711) welcher alle Länder und Ans 


au Roi cette mauvalise nouvelle. Les ennetsis se soutinrent, jus- 
qu’au matin du lendemain , qu'ils battirent la generale et mar- 
«herent sur deux colonnes passant par le champ de Bataille en se 
retirant, sans que notre Cavalerie les put jamais insulter, quoi- 
que elle les suivit pendant deux heures. Us continuerent leur 
marche d’un air fier et lent, Il y eut morts de part et d'adtre 
4000. — — Revenons à la gdpire du comte Stareinberg, qui quoi- 
que ennemi, merite la plus grande partie’ de celle qu'il s’est ai- 
quise cette journde; surtout son Infanterie dont le pareil ne æ 
wouve dans le reste du monde, Tous oeux qui se sont Lrourds 
à cette occasion lui rendent cette justice, et on ne scaprait assez 
admirer l’air et la grace de sa retraite, qui est la plus belle qui 
se soit jamais vue. Le bon succes que nous avons euudans cette 
action, ne nous doit pas Etre attribue; mais plustot à Dieu et à 
la bonne cause: du Roi, et & la prise des troupes avec Mr. Stan- 
hope, sans laquelle Dieu scait ce que nous serions devenn. 


In feinem eigenen Berichte vom „weiten: Sanuar 1711 fogt Stans 
hope (Vol. V.): Unfer Unglüd entfprang aus der unglaublichen This 
tigleit (diligence) des feindlichen «Heeres. — Als bie Sachen in Ber 
huega aufs Außerfte gelommen waren, fo baß der Keind bereits cine 
beträchtliche Anzahl in der Stadt hatte, von ben Unfrigen aber nicht 
500 Mann Munition befaßen, hielt ich es für meine Schuldigkeit fo 
viele tapfere Leute zu retten u. f. w. 

Diefe Berichte flimmen mit einer Äußerung &. Eimons (IX, #) 
wonach Vendome große Zehler machte und die Schlacht eigentlich nicht 
gewann; bennoch wurbe fie durch ihre Kolgen entfcheidend. 





- 


1) Fauchet Vie de Polignac II, 106. Torcy III, 192.’ Flas- 
‚san IV, 835. Somerville Anna 449 — 480. Histoire da trait 
d’Utrecht 236 — 286. 





ſpruͤche Oſterreichs ın Die Haͤnde Karls III gebracht hätte 9, 1711. 
und Ludwigs XIV Erklärung über die ſtete Trennung Frank; 
reichs von Spanien, erleichterte die Unterhandlungen berge: 
flalt, daß am achten: Oktober 1711 die Friedenspraͤli— 
minarien zwifhen England und Franfreich unterzeichnet 
wurden; woran fi ber Plan anreihteeim Januar 1712 
eine allgemeine Sriebensverfammlung in Utrecht zu eröffnen. 
Wegen diefer geheimen Verhandlungen und ihren, ben 
zeitherigen Borderungen fo widerſprechenden Ergebniffen, er: 
hoben die Verbuͤndeten fehr laute und bittere Klagen; ja 
° Mariborough und feine Freunde waren wohl geneigt ſelbſt. 
gewaltfame Mittel für Zwecke anzuwenden, denen fie ihr 
ganzes Leben geweiht hatten”). In diefer Lage, wo Alle 
auf dem Spiele fland, befhhloffen Marlboroughs Geg— 

- ner ihn durch eine Anklage wegen Erpreffungen und Verun⸗ 
freuungen ganz zu Grunde zu richten. Er fuchte einzelne 
Beſchuldigungen zu widerlegen und nachzuweifen, daB Ans 
dere fich ähnliche Abzüge vom Solde, Hülfögeldern, Kieferungs> 
verträgen u. dgl. erlaubt hätten ); indeffen warb Doch fo viel, 
eined großen, uneigennügigen und reinen Charakters Unwuͤr⸗ 
diges gegen den Herzog dargethan, daß das Unterhaus mit 
einer Mehrheit von 100 Stimmen den Schluß faßte*): 
fein Benehmen fey unverantwortlich und geſetzwidrig; auch 
folle er, damit die Unterfuchung fich beſſer führen laſſe, 
(Anfangs SIanuar 1712) von allen Ämtern entlaffen wers 

| den. — Der vor Kurzem noch Über alle Helden der Gegen⸗ 
wart und Vergangenheit Erhobene, warb jett betrachtet und 
behandelt, wie der unbebeutendfte und veraͤchtlichſte Menfch, 


1) Einer folchen Vereinigung widerſprach ſchon ber gweite Their  ‘ 
lungsvertrag. 

2) Coxe III, 401 — 476. 

8) Macpherson Hist. II, 398. 

f PFarl. History VI, 1058, 1078. Lediard life III, 227. 
Swift History of the four last years of queen Anna Vol. V, 200. 
Swift letters V, 129. History of the Commons IV, er — 250. 
Bar: Debates VI, 16. Hamiltons Mem. 22. 





1711. 


1712. 


602 Sechstes Bud. Dreizehntes Haupeſtück. 


und ein Catilina, Craſſus, Antonius gefibolten. Früher 
hatte er einft in Bezug auf eine Schmaͤhſchrift ge 
fogt '): „der befle Weg folcherlei Schänblichkeiten ein Ente 
zu machen, ift, niemald dadurch verlegt zu erfcheinen. Zu 
alten Zeiten hat man die befim Männer unb Frauen übel 
behandelt. Benehmen wir uns fo daß wir uns nichts ver; 
zuwerfen haben, dann können wir verachten was Wuth und 
Parteigeift thun.” — Died Gefühl voller Unſchuld Fonnte 
ibn jebo ſchwerlich ſtuͤzen und erheben”). Wenigſtens ver: 
eb ihn die Zaffung, und indem ex Überall Ungeduld, Ber 
druß, Zorn und Rachfucht zu Tage legte, gab ex feinen ba - 
mals Übermächtigen Gegnern nur Gelegenheit ihn zu vers 
fpotten. 

Prinz Eugen von Savoyen, ber im Januar 1712 
nad London Fam’), fanb zwar eine ehrenvolle Aufnahme, 


richtete aber weber für ben Herzog etwas aus, noch bewirkte 


er eine Abänderung der neuen politifchen Grundſaͤtze. Ban 


bdob englifcherfeit hervor: baß ber vieljährige Krieg, leiber 


Handel und Gewerbe ſehr lähme*), und bad Volk durch 
Schulden und Abgaben zu Boden drüde Die urfpräng 
lichen Zwecke des Krieged feyen aus ben Augen verloren, die 
neu aufgeftellten unerreichbar, und bie Werhältniffe in vieler 


Beziehung (3. B. durch den Tod Joſephs D) wefentlid ver⸗ 


ändert. Übrigens habe England bereits mehr gethan, ald 
ibm die Verträge auflegten und die Staatsklugheit billige. 
Dies und Ähnliches möchten bie Verbuͤndeten erwägen und 
ihr Betragen danach einrichten. 

1) Coxe Marlborough I, 516. Macpherson Hist, II, 518. 

2) Blenheim Eoftete dem Staate 250,000 Pfund. Marlborough 
binterließ ungeheure Reichthuͤmer aller Art. Seine Wittwe allein er 
bielt jährlid 15000 Pfund. Coxe III, 641, 652. 

3) Eugen erhielt ein Schwert zum Geſchenk 4000 Pfund an 
Werth. Swift letters V, 119, 155. Histoire d’Eugene IV, 112. 

4) Dandje waren auch für ben Frieben, aus Begier nach frangs 
ſiſchem Weine. Hallam III, 287. Cunningham II, 212. — Lan- 
berty VII, 3896. Somerville Anna 486. 


- 





’ 


Eugen in London. Friede von Utrecht. | 603 


Mit Unrecht "hat man damals und fpdter, diefen rüns 17. 12 
den alles Gewicht abfprechen wellen und z. B. zormig ges 

fagt: der Frieden warb entworfen durch ben fchmärzeften 
Verrath‘"), angefangen mit ber verwirrteſten Unregelmäßigs 

keit, fortgefebt durch die furchtbarfte Treuloſigkeit, gefchloffen 2 
durch die hoͤchſte Thorheit und die fchamlofefte Gefaͤlligkeit 
u. ſ. w. — Eben fo wenig iſt anbererfeitd dad Werfahren Der To⸗ 
ryminiſter in aller und jeber Beziehung zu rechtfertigen. Sie - 
überhäuften die Verbuͤndeten mit unzähligen Vorwürfen, vers 

legten fie. durch Übertretung vieler Formen, ermuthigten die 
Bände duch Marlboroughs Entlaſſung, konnten (nach bem, 

was fie bereitö gethan hatten) Ludwig bem XIV gegenüber, 

keine mächtige und unabhängige Stellung mehr behaupten, 
gaben ihm Gelegenheit immer mehr zu fordern ober zu vers 
weigern, und arbeiteten ihm enblich offenbar in bie Hände”), 

ats fie den 18ten Julius 1712 das englifhe Geer unter 
Drmond, ganz von den Verbündeten trennten. — Ihrerſeits 
fehlten aber auch biefe: indem fie den zum Abſchluſſe guͤn⸗ 

fligen Zeitpunkt nochmals verfannten, ohne Rüdficht auf bie 
veränderten Umflände bei den ſchon früher merreichbaren 
Bedingungen verharrten ), und Zögerungen ohne Ende vers 
anlaßten, zum Theil weil: fie auf einen baldigen Tod Lud⸗ 

wigd XIV und ber Königinn Anne hofften. — Enblich ers 
Härten die Engländer im März 1713; die Unterhandlung 

ziehe fich ohne Grund ſchon 14 Monate hin‘); wen alfo 

die Verbündeten nicht bald gemeinfam mit’ ihnen abfchlöffen, 
wären fie genöthigt dies allein zu thun. Und fo gefchah . 

&. Den 11ten April 1713 kam zwifchen Frankreich und 17113. 
England der Friede von Utrecht, zu Stande, und alle 


1) Bonneval Mem. I, 99. 

2) la Colonie II, 198. Somerville 481.- 

8) Berwick Mem. II, 254. &o verlangten bie Öfterreicher noch 
bie ganze Tpantfche Monarchie und daß Ludwig Alles herausgehe was 
er in und feit dem weftphälifchen Wrleden gewonnen habe. Lamberty 
VII, 40, 

4) Lamberty VIIL, 61. 





604 Sechſstes Bud. Dreizehntes DaupERaR: 


an 3. Maͤchte (mit Ausnahme bes Kalfers) ſchloſſen fich zu berff 
ben Zeit ihrem Beifpiele an. Folgendes ift ber Hauptinhalt 
all dieſer Werträge: 

1) Die proteſtantiſche Erbfolge in England wird anerkannt 
und von Seiten Frankreich dem Prätenbenten Feine Unters 
flügung gewaͤhrt. 

2) Frankreich und Spanien bleiben für alle Zeiten ge 
trennt. 

3) Duͤmkirchen wird geſchleift; Gay Breton bleibt fran⸗ 
zoͤſiſch; Die Hudſonsbai, Akadien in den alten Graͤnzen, Port: 
royal nebft Zubehör und Zerreneuve kommen an England, 

4) Engländer und Franzofen ſtehen fih in Bezug auf 
den Handel alle Rechte der beguͤnſtigtſten Voͤlker zu, und bes 
willigen fich gleiche Abgaben. 

5) Die Untertbauen beider Staaten koͤnnen (ohne Rüd: 
fit auf die Eigenthiimer der geladenen Waaren) nad) den 
Höfen einer Macht ſchiffen, welche mit England ober Frank⸗ 
veih in Krieg gerieth, ober ſchon im Kriege iſt). Die 
Schiffahrt von feindlichen zu neutralen, und ſelbſt von 
feindlichen zu feindlihen Häfen ift erlaubt. Freie Flagge 
macht frei Gut; von welcher Regel nur die als Gontrebande 
bezeichneten Gegenflände auögenommen find. 

6) Der König von Preußen wirb als folcher anerkannt, 
und Obergeldern ihm abgetreten. Er entfagt ben Anſpruͤ⸗ 

. den auf Drange, und behauptet die auf Neuburg und Ve 
lengin. 

7), De Bas von Savoyen behält feine Befigungen 
nebft Eriled, Feneſtrelles ımb einigen anderen Thaͤlern; ihm 
wird die Infel Sicilien abgetreten. 

8) Die vereinigten Niederlande, erhalten Menin, 
Tournay, Fuͤrnes, Loo und mehrere andere Orte ald eine 
Barriere. In Hinfiht auf Handel und Schiffahrt, wird 
ſich Frankreich für Spanien und Amerika Feine größeren 
Vorrechte als die früheren bewilligen laſſen. 


Sriedensfhlüffe. Katalonien. 605 


9) Gibraltar und Minorka werden von Spanien ben 174% 
Engländern abgetreten, und ihnen auf 30 Jahre das Recht 
eingerdumt bie fpanifchen Kolonien mit Negern zu vers 
forgen. 

Nachdem der Kaifer in diefer Weife vereinzelt, und fein 
Heer den 24ften Julius 1712 bei Denain von Billard ges 
lagen. worben '), mußte er und das uͤberall läßige und 
fchlecht vertretene deutſche Neih, im März und Geptens 
ber 1714 zu Raftadt und Baden ebenfalld mit Frankreich 
Srieben fchliegen. Das Reich gewann Nichts, fondern mußte 
fih mit Befldtigung der Friedensſchluͤſſe yon Münfter, Nims 
wegen und Ryswik begnügen. Die Chinfürften von Baiern 
und Köln wurben, gegen Anerkennung der Chur von Hans 
növer, bergeftellt ). Der Kaifer erhielt die fpanifchen Nies 
derlande, Neapel, Sardinien, Mailand und die Befigungen an 
ber Küfle von Toskana. Durch einen befanberen Vertrag 
zwifhen bem Kaiſer und den vereinigten Nieberländern, 
ward biefen die oben erwähnte Barriere betätigt, ein Stüd 
Flanderns und bed Oberquartiereds von Geldern abgetreten 
und eine gemeinfchaftlihe Beſetzung Belgiens verabrebet. 

Daß zwifchen Philipp V und dem Kaifer Feine There 
einkunft zu Stande Fam, hinderte allerdings die Herſtellung 
eines vollen Friedſtandes, nicht aber die Vollziehung aller 
Hauptpunkie der utrechter Beſchluͤſſe. — Die Katalanen 
und andere Landfchaften, welche Anhänglichkeit an Öfters 
reich gezeigt hatten, verloren den geringen Überreft ihrer Frei⸗ 
beiten und wurden hart geflraft.. Als der englifche Bots 
ſchafter Lerington bei Philipp V umd feiner Gemahlin auf 
eine allgemeine Amneftie und Beſtaͤtigung jener Rechte ans 
trug, fprachen (wie jener erzählt) beide zu gleicher Zeit und 
mit ber größten Wärme. Sie riefen aus: „Herr Zerington! 


1) Histoire d'Eugène IV, 209. 


2) Im Februar 1715 warb Baiern geräumt, unb bie Stier ber 
churfuͤrſtlichen Familie, bie fih in eilf Jahren nicht gefchen hatten, 
— zurüd, Colonie II, 252. ‚ 


506 Sechstes Bud. Dreizehntes Hauptſtück. 


171 3. In Bezug auf Alles was das Intereſſe der Koͤniginn 
Ihrer Herrimn und das engliſche Work betrifft, werben 
Sie gerechte und vernuͤnftige Bereitwilligkeit finden; aber 
dieſen Kanaillen, dieſen Schurken wird man niemals Rechte 
bewilligen. Denn ber König wäre nicht König, wenn er 
dies thäte, und wir hoffen bie Königinn von England wird 
es nicht verlangen; denn wir glauben ſchon viel gefhan zu 
baben, daß wir um ihretwillen jenen ihre Güter ließen und 
ihnen das Leben ſchenkten.“ — „Der König (fährt Leringten 

fort) iſt elgenfinnig über Alles was er ſich einmal in den 

Kopf gefebt Hat, und bie Königinn tft ihre Water im Bei; 
berrode. — Sie müffen die Einbilbung ganz fahren laffen, 
als wenn Frankreich ixgenb einen Einfluß auf ben ſpaniſchen 
Hof hätte ).“ 

Die letzte Kußerung (weiche allen früheren Beſorgniſſen 
widerfprach) warb fpäter noch weit mehr beftätigt. Geben 
wir aber die Ereigniffe der Zukunft bei Seite, welde da: 
mals niemand Fannte: fo brachte der fpanifche Erbfolgekrieg 
allen daran Theil nehmenden Staaten, bie größten Leiden, 
Verluft an Menfchen und Gütern, große Laften und druͤckende 
Schulden. Als Sewinn konnte England hingegen betrad: 
ten: daß fein Handel und Einfluß fehr ermeitert, die Re 
volution von 1688 und bie proteftantifche Erbfolge aner⸗ 
kannt, und Wilhelms III Plane im Wefentlichen erreicht wur: 
den. — Holland, deſſen politifches Gewicht durch ein glüd: 
liches Zufammentreffen von Thatſachen und Umfländen, mehre 
Jahre hindurch weit größer war, als man feiner äußeren 
Macht nach erwarten follte, verfannte den rechten Augenblid 
baffelbe geltend zu machen; und fo war bie fogenannte Barriere 
ein geringer Erſatz fuͤr bie mit uͤbermaͤßiger Anftrengung und 
fihereilter Aufopferung vergeudeten Kräfte und Schäge. De 
Freiſtaat erſchien (Alles zu Allem gerechnet) nach dem 
ſiegreichen Kriege ſchwaͤcher, wie in fruͤheren Zeiten ber groͤß⸗ 


1) Britiſches Reichsarchiv, Spanien Band 7, Berichte vom Softn 
Januar und Iten Februar 1713. 











Folgen des utrechter Friedens. 607 


ten Gefahr h. — Die dem Kaifer zugefallenen Länder lagen 1713. 


zerfireut, durften aber doch wohl für einen größeren Gewinn 


gelten, als wenn ein Nebenzweig bie fpanifhe Monarchie 


geerbt hätte. — Die Verkleinerung ihres Reiches brachte ben 
Spaniernweber fo großen und wefentlichen Verluft als Viele 
fürchteten; noch diejenigen Wortheile auf welche Etliche hoff: 
ten. Dad Land blieb unter den erften Bourboniden unges 
fahr auf bemfelben Wege, wie unter ben leisten Haböburgern. 

Frankreich endlich würde durch den zweiten Theis 
Iungdvertrag fuͤr feine eigene Macht beſſer geforgt haben, als 
durch die Gründung einer zweiten bourbonifchen Herrſcher⸗ 
familie. Auch wirkten die Folgen des ſchwerxen Krieges dort 
am laͤngſten und empfindlichften. Dennoch blieb unter ben 
Kriegen Ludwigs XIV, ber fpanifche Erbfolgekrieg gewiß ber 
natürlichfte und gerehtefle; und wenn von dem unermeßlis 
chen Lobe welches Schmeichler früher über den König aus⸗ 
forachen, fehr viel von unbefangenen Beurtheileen geflrichen 
werben muß, fo koͤnnen ſelbſt Feinde nicht leugnen: daß er 
in den Zeiten bitteren und mannigfaltigen Unglüds, durch 
Stanvhaftigkeit, Klugheit, Ausdauer und Mäßigung mehr 
den Namen des Großen verdiente denn je zuvor, ünd bie 
Strafe für frühere Schuld ihm zur Reinigung und Beſſe⸗ 
rung gereichte; während ein Theil feines ehemaligen libermu: 
thes auf die Verbündeten uͤberging umb ebenfalld Die gerechte 


Nemefis fand. 


Nach dreizehnjährigen Kriegsleiden war der Friede von 
Utrecht für jedermann: ein großer Gewinn und eine tröftliche 


. Beruhigung. Den hochbejahrten König traf nun aber auch 


haͤusliches Unglüd in einem Maaße, welches dad tieffe 
Mitgefühl in Anfpruch nimmt. Am 14ten April 1711 flarb 


1) Schon in Gertruydenberg fagte ihnen Polignacı Messieurs, 
vous parlez bien comme des gens, qui ne sont pas accoutumez h 
vaincre; und in Utrecht: Messieurs, nous ne sortirons pas d’ici: 
nous traiterons ches Vous, nous traiterons de Vous, et nous trai- 
terons sans Vous. Fauchet Vie de Polignae 148. Klessan IV, 
318. 


608 Sechstes Bud. Dreisehntes Hauptfläd. 


4713. der Dauphin, den 12tem Februar 1711’ die Herzoginn von 


Bourgogne, den 18tem Februar der Herzog von Bourgogne, 
den achten März deſſen ſechsjaͤhriger Sohn, ben vierten Mai 
1714 der Herzog von Berry (Philipps V jüngerer Bruder) 
und den Löten April 1713 deſſen einziger Sohn. Außer 
dem Könige von Spanien’), blieb von ber ganzen männ: 
lichen Nachlommenfchaft Ludwigs XIV, nur ein 1710 ge: 
bornee Sohn feined Enkeld, der nachmalige König Lud⸗ 
wig XV am Leben. — Die oͤffentliche Stimme befchulbigte 
den ‚Herzog Philipp von Orleans, er fen der Urheber all 
Diefer Todesfälle”); aber_troß bed eigenem Schmerzes und 
bed fremden Gefchreied, war. Lubwig XIV zu edel einem uns 
gerechten Verdachte Raum zu geben und. all dem eingetre⸗ 


‚tenen, unausweichbaren Elende, noch den öffentlichen Skan⸗ 


dal eines nutzloſen Prozeffes hinzuzufügen, welcher dad koͤ⸗ 


nigliche Haus. ohne Zweifel beſchimpft hätte. 

‚Glanz, Hoheit, Gluͤck, Heiterkeit, Selbſtvertrauen, Al⸗ 
led war (bis auf wenige Ruinen aud einer vergangenen Fit) 
voͤllig verſchwunden, und (wer hätte ed geahndet!) Mitleid 
mit dem gebeugten Könige, die einzige Duelle ber Theil⸗ 
nahme. Natürlich ward ber Werwaifete jetzt mehr ald je 
auf feine unehelihen Kinder hingerwiefen. Doch ahndete er 
felbft, daß Beſtimmungen, welche er in feinem Zefle 
mente zu ihrem Beſten machte (und die zufegt feinen eigen: 
fien monardifchen Srunbfägen wiberfprachen) nicht zur Voll⸗ 
ziehung kommen dürften ?). 

As ihm fein Arzt Marechal (ein fo geſchickter, als edler 
Mann) aufrichtig fagte: er habe nur noch wenige Lage zu 
leben; behielt der König volle Faſſung und Ruhe, dankte 


1) Dangean III, 164, 204, 207, 210, 296. Maintenon et des 
Ursins lettres I, 862; II, 167, 263. Marmontel rögence I, 38. 
8. Simon X, 238, 42, 267. 

2) Anderer auch unbewiefener Verdacht, richtete fich wider den 
Herzog von Maine. Never Diemoiren I, 47. 


8) 8. Simon XI, 261, nouv. edit, 


“ww. 4 3% 22 


Orleans. Rob Ludwigs XIV. ' 609 


feinen Dienern und empfahl ihnen Treue gegen feinen Nach: 1715. | 


folger. Diefen ermahnte ex zur Gotteöfuccht, zum Frieden, 
zur Sparſamkeit und zu all dem Suten, dad er felbft nit 
babe thun Finnen. — Warum weint ihr, fagte er zu eini⸗ 
gen Umſtehenden; bieltet ihre mich für unſterblich? — Sei: 
ned Enkels Sohn nannte er den jungen König, und fügte 
hinzu: als ich König war. Ich finde nicht (äußerte er ge- 
gen die Maintenon) daß ed fo ſchwer tft fi zum Tode 
zu entfchließen, wie man gewöhnlich behauptet. — Ste antz 
wortete: dieſer Entfehluß iſt nur ſchwer, wenn man eine 
ungeordnete Anhänglichkeit an die Gefchöpfe, Haß im ‚Her: 
zen, und Genugthuung zu leiften bat’). — Diefe, bemerkte 
ber König, bin ich als Einzelner Keinem ſchuldig; aber für 
dad was ih in Beziehung auf den Staat wieber gut zu 
machen habe, muß ich auf Gottes Barmherzigkeit hoffen! ?) - 
Die Meilen erwarteten (wie gewöhnlich) viel von ber 
bevorftehenden Regierung: die alte war dem Volke brüdend, 
dem Abel verhaßt, den Hofleuten langweilig. Als nun bad 
Ende des mächtigen: Königd unbezweifelt: bevorftand, zogen 
fi viele von ihm zurüd, und wandten fih zu dem noch 
vor Kurzem von ihnen fo laut gefchmähten Herzog von Ors 
leans. Selbſt die Maintenon entwih nah St.⸗Cyr 
und. war nicht gegenwärtig, ald ihr König, Gemahl und 
Wohlthaͤter, 77 Zahre alt, am erften September 1715 früh 
um acht Uhr ruhig und gefaßt entfchlief ). Bei feinem Bes 
gräbniffe zeigten Etliche Theilnahme; dad Wolf, oder viel 
mehr ein Theil des Poͤbels, ließ fich hingegen gern zu uns 
anftändiger Freude und allerhand Ergöglichkeiten verloden. 
Grnfter betrachteten edle Gemüther die Gegenwart, und 


| gedachten forgfamer der Zukunft. Die Plane bed, von Fe⸗ 


1) Des restitutions & faire. Dangean III, 862— 367. 8. Si- | 
mon XII, 485. Siöcle de Louis XIV, XXI, 165. 

2) 8. Simon XII, 487-492. O mon Dieu venez & mon aide, 
hätez Vous de me secourir, waren feine legten Worte, 

8) Duclos I, 157. Memoiren der Hergoginn von Nevers I, 65. 





610° Sechsſtes Bud. Dreizehntes Hauptſtück. 


1715. nelon fo trefflich gebildeten Herzogs von Bourgogne, winden 
durch ſeinen fruͤhzeitigen Tod leider vereitelt, denn ſie leg⸗ 
ten, (trotz einzelner Irrthuͤmer) doch bie edelſten Abfichten 
dar und hielten an größeren Gefichtöpunkten feft, als Lud⸗ 

- wig XIV unb XV je aufgeftelt haben. Es war davon bie 
Rede: daB fiehende Heer zu verringern, Erſparungen einzu: 
führen, unnuͤtze Umter abzufchaffen. Man wollte fich we 
niger regierenb in Alle einmifchen benn bisher, landſchaft⸗ 
liche Stände in Thaͤtigkeit ſetzen, das Zollweſen vereinfachen 
und ermäßigen, ben Handel von vielen Feſſeln befreien, bie 
brüdenbfien Abgaben vermindern, bie Toflfpielige Verwal⸗ 
tung beffern und allen Zwang in Glaubensſachen abftellen 
n. f. w. Da man foheute ben Gedanken nicht in gewiflen 
Zwiſchenraͤumen die Reich s ſtaͤnde zu berufen und über alle 
wichtigen Dinge zu hören. 

Nachdem Zenelon in einem Briefe die Nothwendigkeit 
gezeigt hat jene großen Mittel zu ergreifen '), und Volk, Re: 
gierung und König zu einigen und auszuföhnen, fährt er 
fort: „Ich geftehe: eine ſolche Veraͤnderung koͤnnte bie Ge 
muͤther zu fehr aufregen und fie plöglich von unbedingter 
Abhaͤngigkeit in ein gefährliches libermaaß von Freipeit fiir 
zen: Aus Furcht vor biefem Übel, fchlage ich nicht vor bie 
Reichsſtaͤnde zu berufen (weiche ſonſt ſehr nöthig und he: 
zuftellen wären); ich befchränte mich zunachft auf den Ge: 
danfen daß der König die Notabeln befragen möge; bad 
heißt die erfien Prälaten und Großen, bie ausgezeichnetfien 
Magiftratöperfonen, die wohlhabenbfien und erfahrenften 
Kaufleute, die veichften Finanzpaͤchter; nicht bloß um von 
ihnen Licht zu erhalten, fondern fie flir die Regierung mit 

verantwortlich zus machen. Es iſt Gewinn, wenn das Land 


1) Bausset Föneion IIL, 213 — 226, 274, 488, 500. Corre- 
spondence I, 890-896» Lemontey Lonis XIV, 445. Es iſt mel: 
wuͤrdig daß Kenelon ber für einen unpraktifchen Myſtiker galt, über 
alle Bebürfniffe der Gegenwart und Zukunft fo viel dachte und forſchte; 
während Boffuet meift ruͤckwaͤrts blickend, nur bie fürihn fertige und 
ebgefchloffene Hierarchie im Auge behielt. | 





/ 


Ausfihten in die Zukunft. 611 


ı ® sicht, daß die beften Köpfe welche man finden Tann, an 1715. 
dem Theil haben was man für dad Öffentliche Wohl thutz 
ed bleibt eine Hauptfache, den Ruf einer gehaßten und ver: 
achteten Regierung, auf diefe Weife zu heben. Eine Froͤm⸗ 
migfeit welde nur Kapellen vergoldet, Roſenkraͤnze betet, 
Kirchenmuſik anhört, an Allen Anſtoß nimmt, oder einige 
Zanfeniften fortjagt, ift fehlechterdings ungenügend; und eben 
fo wenig führt es allein zum Biele, Frieden zu fohließen. 
Man fol auch Aderbau und Handel neu begründen, ben 
Lurus welcher die Sitten des Volkes zerfrißt regeln, ſich 
ber wahren Regierungäform des Königreich8 erinnern und 
ben Despotismus (die Urfache aller unferer Leiden) er: 
mäßigen.” 

„Allerdings wirkt der Despotismus, fo lange er fich im 
Überfluffe befindet, mit mehr Schnelligkeit und Nachdrud, 
als irgend eine gemäßigte Verfaſſung. Wenn er aber er: 
| ſchoͤpft, kraftlos, verſchuldet, ohne Grebit und bankerott iſt; 
werden da wohl die verkaͤuflichen Seelen, welche er mit dem 
| Blute ded Volkes mäftete, fih zu Grunde richten wollen, 
Ä um ihn aufrecht zu erhalten?” 
| So lagen die Verhältniffe, fo waren die Anfichten, 
| Vorwürfe und Hoffnungen, ehe Frankreich die Regentfchaft 

Philipps von Drleand und die Regierung Ludwigs XV erlebt. 
hatte, vier und fiebenzig Jahre vor dem Ausbruche der fran- 
söfifchen Revolution ! 


w —⸗ vun | "7 u wu. - oO vu. ⏑ XX — “ED 9 m .—- 





Druc von J. X. Brodhaus in Leipzig. 


Seite 


111114111111 


Druckfehler. 


8 Zeile 6 von unten lies démélos 


11111111111 


9 von unten — werden 
11 von oben — Buͤndniß 

6 von oben — thoͤricht 

9 von unten — men 

18 von unten — Mecredi 

4 von unten — paper 

14 von unten — Leibesübungen 
5 von unten — eben 

5 von unten — unb 
13 von oben — Spanien 


5 von unten — privatrechtlichee. 


- 





ININMNUALUNNLIN 





3 2044 098 616 16;