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Full text of "Geschichte Liv-, Est- und Kurlands von der "Aufsegelung" des Landes bis zur Einverleibung in das russische Reich : eine populäre Darstellung"

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Muller von Pleftenberg. 


Sltamdbild am Ritterhaufe zu Riga. 


Gelchichte 
Liv-, EIt- und Rurlands 


von der „Aluffegelung“ des Landes 
bis zur Einverleibung in das rufjtiche Reich. 


Eine populäre Darltellima 
von 
Ernlt Seraphim, 
Mit Feıhs Bildern, einer Karte und einem Prerfonen- wid Sachregilter. 


1. Baum: 


Die Zeit bis zum Untergang livlaudifcher Selblländigkeit. 


8 RR \ j 


Meval 1895, 
Serlag von Franz Kluge. 


Ao3B0.1en0 menzypol. 
Pese.is, 18. Auryera 1894 r. 


Meiner Frau. 


Sur Einleitung. 


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$ ge behaupten, daß VBorreden nicht gelefen werden jollen, andere 

S ypiederum wollen in ihnen die Quunteifenz der Wersbeit feben. 
Beides mag bier und da feine Nichtigkeit haben, bier trifft Jedoch 
feines von dem zu. Wohl aber halte ich Ddiefe Borrede für not 
wendig, wm mit wenigen Süßen zu erklären, weshalb das nad 
folgende Buch aejchrieben worden ft. 

An Werfen, welche die lwländifche GSefchichte zum Borwurf 
haben, fehlt es freiluhb nicht, aber ein Sausbuc ut feins von 
ihnen geworden. Das Nichterfche vielbändige Buch Fann rot ferner 
grogen Materialanhäufung und unbezweifelbaren Wichtigkeit fir den 
eorjcher, in diefer Dinficht, Jowohl wegen Umfang wie Davitellungs 
weise, nicht in Betracht fommen; Theodor Schtemanns Serchichte 
Yivlands in der Onefenfchen Sammlung weit zwar alle Borzüae 
diefes aeiftvollen Sütorifers auf, aber enmmal tritt das Tpeztell Yıw 
ländiiche naturgemäß binter den allgemein Suvopätichen zuriick, zum 
andern verhindert die Koftipieligfeit des Werkes feine Verbreitung 


in qrößpern und weitern Kreifen. Dev Eleine Orumdrip von rbulow 


VI 


it un jener rt vortreffliih, das Büchlein ft zuverläiftg und fapt 
das Notwendige pritanant zufammen, aber es {ft — und will ja 
nichts anders fein — doch nur ein Yern- und Nachichlagebuch. 
Das Buch, Das zu Schreiben ich verfucht habe, Tteckt fich ein weiteres 
ziel, es will em Hausbuch werden, das ung zurücführen foll 
in die Lage, da die erften Slaubensboten in das Dunkel der Urwälder 
drangen und ım Bunde mit dem Drdensritter Yicht und Yeben er- 
werten; in die Lage, da deutjches, hrußiges Bürgertum in unfern 
Yanden entjtand md fich in hartem Nıngen gegen andere Ge- 
walten das Recht auf eine Zukunft evftritt, in die Tage, da Walter 
von Plettenberg als Meifter im Yande berichte, wie endlich in die 
hraurige geit des yufammenbruchs, da innere Nichtsnugigfeit, pol- 
nifche Tüte und die Ohnmacht des bl. Rom. Neiches das Unglüc 
vollendeten. Aber auch die Ichweren polntichen Vergewaltigungen, 
die fcehwediiche Derifchaft mit ihrem Segen und ihrem Yeid, und 
das Slend des Nordischen Krieges — fie alle follen in diefem Buch 
Seftalt und Norm aeivinnen. 

Hält der Leer fih dies vor Nugen, vergipt er nicht, weshalb 
diefe Folandische Sefchichte geichrieben üt, To wind ev auch die Ge- 
jichtepunfte haben, von denen aus er über Gelingen oder Miplingen 
des VBerfuchs fein Urteil abzugeben haben wird: Der populär dar- 
jtellende Sefichtspunft verlangt den Vorrang vor dem reinwiljen- 
ichaftlichen.  Diveft aus ungedrucften Quellen zu arbeiten fonnte 
ebenjowenig die Aufgabe fein, als alle Monographien oder Ur- 
Fundenwerfe heranzuziehen und ein Wat zu Schaffen, das auf jede 
Detailfrage ergiebige Antwort giebt. Im grogen Zügen und fcharfen 
Sharakteriftiten die Geftalten und Greigniffe der Borzeit zu fchildern, 


einzelne wichtigere Gpochen —, fo vor allem die Gründung der 


VI 
Kolonie, die qeiftige Bewegung der Meformatton und den Untergang 
(wländiicher Selbftändigfeit, — in größerer Breite zu erzählen, 
jchwebte mir vor, daher zog ich diejenigen Werke und Ginzeldar- 
jtellungen heran, aus denen ich Farben für meine Bilder enmehmen 
zu können glaubte. 

Vor allem war es mir möglich die in Abichrift vorhandenen 
Vorträge Profeifor Carl Schirrens, einzufehen und mand) 
weiten Gefichtspunft aus diefem feurigen, (ebenfprühenden Werk mir 
meignen zu fönnen. Neben den übrigen, dem Hitortfer nicht un- 
befannten Werfen, die fich mit der baltiichen Gefchichte oder mit 
Teilen derfelben befchäftigen, find die vielen Auffäge der „Mitteilungen 
aus dem Gebiete der Gefchichte Yiv-, Sft- und Kurlands“, der Sigungs- 
berichte derjelben Gefellfchaft, der „Beiträge zur Kunde St, Yiv- und 
Kurlands“ und der „Baltischen Mlonatsichrift“ benußt worden. 

Die populäre Form der Darftellung recbtfertigt 8, daß ich 
vecht häufig längere Zitate unverändert wiedergegeben habe: ch 
alaubte Necht daran zu thun, wenn ich anfchauliche, lebendige Yb- 
fchnitte anderer Werke, die den rein wirjenfchaftlichen Charakter nicht 
in den Vordergrund ftellten, hier dem Leler darbot. 

Die vielen literarifchen Noten endlich verfolgen den ywech, dem 
Sreunde unferer heimischen Gefchichte einige Aingerzeige zu geben, 
wie er fich über die Dinge, die in vorliegenden Buch fünzer gefaßt 
jind, weiter orientieren Fanıl. — 

Ich kann nicht fchließen, ohne meinem verehrten Kollegen, Ober- 
lehrer Bernhard Hollander in Riga, für die mannigfache Unter 
ftüßung und die Natfchläge, die er dem Buch hat zu Teil werden 
laffen, meinen warmen, aufrichtigen Dank zu jagen. Dem 


Dr. Arthur Boelhau, der mich durch Übermittlung vieler mir 


VIl 


nötiger Bücher aus der Stadtbibliothek freundlich unterjtüßt, ei 
auch an viefev Stelle gedankt. 

It 08 dem Verfaffer gelungen eine fwländische Gefchichte zu 
jchreiben, die vergangene Zeiten dem Berftändnis der Gegenwart naher 
brinat, To findet ev hierin den fchönften Yohn für die Jahre der 
Yrbeit, welche er feinem Beginnen gewidmet hat. — 

Dev vorliegende Band umfaßt die jogenannte „angejtammte 
Periode“ bis 1562, der Ochlugband, der auch ein genaues Drte- 
und Berfonalverzeichnis enthalten wird, wid Tpäteftens um ein Jahr 


ausgegeben werden. 


Miga, im Hebft 1894, 


Ernlt Sevaphin. 


Erites Buch. 
Grinmuna uns Wanplunaen. 


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Seraphim, Geidichte I. l 


l. Kapitel, 


Daer Dolfland willen wy ıyden 
Daer Dollland willen my mes 
Al vver de groene heiden 
Al over de beiden, 
Daer ilfer en beffere Ifee. 

(Altes Plaminger Tied.) 


Der Drama nadı Dlten. 


Hicht einer abenteuerlichen Fahrt zur Entvedung unbefannter Welten 
gleicht die Aufieglung unjerer Heimat durch deutjche Kaufleute; nicht, 
wie drei Jahrhunderte jpäter die Cortez und Bizarıo und die voma- 
nischen Konquiftadoren durch Goldgier getrieben über das unbekannte 
gewaltige Meer fuhren, dem Zufall es überlaffend, wohin Wind umd 
Vellen fie führten, jondern ein feites Ziel vor Augen, Werkzeuge und 
zugleich Seele einer gewaltigen per, bejtiegen die fühnen Seefahrer 
in Lübeds Hafen die Schiffe. Keine Robinjonade, jondern das lebte 
feite Glied in einer großartig gefügten Kette, der lebte Afı der Grop- 
that des deutichen Mittelalters, der Befiedlung des Dftens, it die Jahrt 
gewejen, die den Kaufmann, den Nitter und mit ihnen den Mönch dort: 
hin brachte, wo die Diina ihr mächtiges Bett allmälih in die Ditlee 
aufgehen läßt. 

Pur zu oft vergißt man diefen Zufammenhang, und hält für etwas 
Plögliches, Unvermitteltes, was fast Notwendigkeit gewejen 1jt!). 

Die Anfänge deutjcher Kulturarbeit in Livland hängen aufs engite 
mit jenem Prozeß deutjcher Entwiclung und Ausbreitung nach Often zu 
lammen, der, nachdem er unter art dem Großen begommen und Durch) 
die Ottonenfaifer von neuem aufgenommen worden war, tm der glor 
reichen Stauferzeit in einigen hochbegabten und vückjichtslos thatkräftigen 
Landesherin, vor allem in Albrecht den Bären, den Askanter, und Hein 

1) Vergl. die trefflichen Ausführungen Karl Lamprects in jener Deut 
ihen Gejchichte Ill. Band pag. 330—420. 

1* 


rich dem Löwen, dem Sachjenherzog, ausgezeichnete Förderer fand. Aud) 
der Nothbart wußte den dentjchen Namen in jlawijchen Landen wieder 
zu Ehren zu bringen, indem ev in Starker Aufrüftung vuhmreich bis 
nach Bofen, tief in polnisches Gebiet, vordrang. Mit Necht rühmte denn 
auch das niederdeutiche Volkslied von ihnen: 

„Hinrif der Leuw und Albrecht der Bar, 

Dartho Frederif mit dem roden Yar, 

Dat waren dree Heeren, 

De kunden de Welt verfehren.” 


Vielleicht der größte Vertreter der zielbewußten Germantjatoren 
auf HMawiicher Erde war Markgraf Albrecht, der Begründer des bran- 
denburgisch-prengiichen Staats (1134— 1170), der zuerjt charfen Blicks 
die günftige Gelegenheit zur Eroberung der Lande über die Elbe hinaus 
erfannte, die fürftlichen Gewalten in Havelberg und Brandenburg unter- 
drückte md im Bunde mit dem Erzbischof Wichmann von Magdeburg 
„den geiftlichen Heros der deutichen Ktolontjattion im Dften“ dem Kreuz 
und dem Pflug bis zur Havel Boden gewann. Der heidntjche Triglav- 
dienst flüchtete vor dem Glocengeläut chriftlicher Kirchen ins Dunkel 
der Wälper. 

eben und anfangs mit ihm, \päter ihn überflüigelnd wirkte Herzog 
Heinrich. Von ihm eingejeßt erwarb Heinrich von Baderwive das heu- 
tige Holftein, fein Nachfolger, Graf Heinrich II. von Holitein, vief 
niederdeutiche Kolonisten ins Land ımd griimdete 1143 an Stelle des 
alten Bufıı das erjte deutjche jtädtiiche Gemeimwejen an der Ditjee, 
Lirbe. Exft das Aufblüihen diefev Stadt und der dadıc) bedingte 
Nücfgang jener Stadt Bardowif jcheinen Herzog Heinrich jelbjt dem 
Sedanfen der zweebervußgten Koloniation zugeführt zu haben: ev entriß 
dem Grafen Fübee, begabte es mit großen Freiheiten und eroberte zum 
Schuß der Lande das Gebiet der Abopdriten, das heutige Mecklenburg, 
in das deutsches Wejen mn jeinen Einzug hielt. Nücjchläge, die nicht 
ausblieben, gaben feinem feurigen Geift nur neue Spannfraft: mochte 
auch ein Anjchlag auf Rügen miglingen, da die Dünen ji als jchneller 
eriiejen, 1177 glückte es ihm im Bunde mit Albrechts Sohn, Dtto von 
Brandenburg, die pommerjchen Siuejen zur Unterwerfung zu zwingen: 
e8 war die lebte That des gewaltigen Herzogs, jein Sturz durch den 
Nothbart md feine Nivalen brach jeine Macht, aber jein Wert war 
geborgen, denn Ion waren die Kräfte mindig geworden, die er zu 


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jeinen Dienften genüßt: der nationale Strom nad) Dften, der fich in 
den neuerworbenen Landen ein feites Bett gegraben und num weiter 
einer Mündung zu drängte. 

Was hätten auch jene großen Männer vermocht, wenn nicht. die 
Gedanken, auf denen die Zukunft bevuhte, bereit lange vor ihnen im 
erden begriffen gewejen wären? 

Wo famen fie denn her, jene Tanjende und Abertaujende, deren 
Schwert die Heiden zu Paaren trieb, deren Arme die Acker beftellten 
und die Wildnis rodeten, die in umverltegbarer Friiche nach Holitein 
und an die Dftjeegeftade bis Ejtlands jteilem Glint, nach Schlefien 
und Böhmerland, in die Ebenen Ungarns und das gebirgumtwallte 
Siebenbürgen zogen, ohne daß daheim, wejtwärts der Elbe, ein Mangel 
zu jpüren gewejen wäre? 

Tiefe Wandlungen der fozialen Bedingungen haben die Bewegung 
hervorgerufen, Wandlungen, die fich noch Sahrhunderte vor den ojtwärts 
gerichteten Schtebungen verfolgen Lafjen. 

Die alte Flurverfaflung machte eine rationelle Bebauung des 
Bodens nicht gut möglich. Jedes Hufengut hatte -an dem uriprünglich 
gemeinjan gevodeten Flur einen bejtinmmten gleichgroßen Anteil, mit- 
hin feßte fich ein Hufengut aus den verjchtedenften, zevjtreut auf dem 
Flur umherliegenden Landjtücen zujammen Da e8 nun zwiichen 
ihnen feine Wege gab, man vielmehr mur durch Überjchreiten anderer 
Anteile auf den jeinigen gelangen konnte, jo war die notivendige Folge 
die gleiche und gleichzeitige Beltellung und Ernte aller Flurgenojien. 
Dede indiviouelle Landwirtichaft war ausgejchloffen, jeder Fortichritt 
aljo gegemmt. 

Ceit dem 8. und 9. Fahrhundert begann der Bauer die Nachteile 
diefes Syitems zu erfennen: er vergrößerte bei Nodungen und Neu- 
gründungen von Dörfern die Landjtüce, die dem Hufmer zuftelen, und 
fegte, was nunmehr möglich wurde, ohne den Ertrag zu jehr zu 
Ihädigen, jchmale Wege an, damit jeder Hufner bequem zu feinen Bar- 
zellen gelangen fünne. Doch ein wirklicher Fortichritt war damit noch 
nicht gegeben, diejer trat erjt ein, als man mit der Zevftückelung der 
bisherigen Hufe brach und einem jeden Bauer eine zujanmenhängende 
Acerfläche gab, welche, von der KYandftraße, die wieder dem Bad) oder 
Bruch zu folgen pflegte, ausgehend, jich in Busch und Didicht ver 
lief: jo entjtanden die jogenannten Fadendörfer, einjtraßige YUnfied- 


Be 


(ungen, in denen in gleichabgemefjenem Zwilchenraum Gehöft auf Ge- 
höft, nicht jelten ftundenlang, folgt. Dieje der Berbefjerung der Boden- 
fltux jo zuträgliche Neforin jchlug Durch, bald jehnte fic) jeder tich- 
tige Wirt nach ihr: „es ward, bemerft unjer Führer, eins der jtärkiten 
Erziehungsmittel zu wirtichaftlicher Selbjtändigfeit und Snitiative, zum 
MWagemut der Kolonijation, zur Beherrihung ungebrochner Wildnis.“ 

E3 lag in der Natur der Sace, daß diefer agrarische Fortichritt 
auch eine rechtliche Reform der Stellung der Bauern zum Landes= oder 
Srumdheren, des Frondienftes nac) Jih 309g. Die Grundherrn, welche 
von dem Neuland doch aud) Früchte haben wollten, mußten daranf 
bedacht fein, tüchtige Arbeitskräfte zu gewinnen umd Ddieje waren \vieder 
nur zur haben, wenn man fie beionders günjtig jtellte, ihnen das zu 
rodende Land al3 unveräußerlich forterbend und unteilbar überlief. 
Sp entwidelt ji) jeıt dem legten Biertel des 11. Jahrhunderts die jo- 
genannte Landfiedelleige, aus der der Übergang zur freien Erbpacht 
wohlhabender Bauern nicht unichwer erfolgen konnte. 

Die beiden oben charafterifierten Momente hoben die Bebauung 
des mutterländischen Bodens gewaltig, vermehrten damit die Bevölfe- 
vung und drängten den Mbershuß ab nach Often, wo er in der Hand 
thatkräftiger Fürften neue Erfolge errang. Hierher in die Marfen (oekte 
Vehr bald noch ein Weiteres: die größere Ausdehnung der Hufe. alt 
Doch Grund und Boden jo gut wie micht®, es war daher nur recht, 
wenn der Ansiedler, der von Ferne fan, um in der Wildnis zu voden, 
ein größeres Gut fein eigen nannte, als daheim: jo entjtand Die 
Ktönigshufe, die der gewöhnlichen VBoltshufe um das 3—4fache über- 
legen war. 

Sp war e3 wahrlich nicht die Hefe des Volkes, die nach Olten fich 
vorjichob, jondern ein erprobtes, arbeitfames Geschlecht: „der herbe Mut 
des Austwandrers, ohne die Berzweiflung des unverjchuldet ins Elend 
Setriebenen, befeelte fie: gern zogen fie von dannen; Locend, wenn auc) 
nicht ohne Bilder faurer Mühe, erjchten ihnen die Zukunft; fie zweifelten 
nicht ein befjeres 2008 zu erringen. Es ıft die geiftige Dispofition, die 
ven echten, den erfolgreichen Auswandrer eines Bolfes ziert.“ 

Dies waren die Scharen, die in die alten Thüringer Marken, ins 
Sprbenland von neuem einzogen, welche dem Zande an der nördlichen 
und mittleren Elbe oftwärts zu nener Kultur verhalfen, im Holjtein 
und dem heutigen Brandenburg, in Bommern und Mecklenburg in das 


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Dumnfel der Urwälber drangen und im Laufe des 12. Jahrhunderts den 
Dderftrom erreichten. 

Dem Bauer folgte der jtädtebauende Bürger: im heutigen König- 
reich) Sacdjjen gab die Entdedung der Silberadern Freiberg den Aı- 
jtoß zum Bau einer Stadt, die 1225 jchon fünf Pfarrfirchen bejaß; im 
Brandenburgjchen Floß bald die Elbe an deutichen Gemeinwejen vorbei, 
die ihre Nechte auf das 1188 aufgezeichnete Recht des reichen Magdeburg 
jtügten: jeit 1225 wuchs Stadt um Stadt auf und im Lauf zweier 
Gejchlechter mochte man ihrer gegen 100 zählen; in Holitein waren 
Schleswig und Lübee die Mittelpunkte jtädttiicher Kultur, ein Baum, 
der Immer neue Zweige trieb. 

Unbarmderzig väumten diefe Bioniere der Art und des Pfluges 
unter den jlawischen Bevölferungsgruppen auf: man folgte den ihres 
Bodens Beraubten in die Wälder hinein und wehe dem, der dem 
Deutjchen in die Hände fiel, wurde doch in der Grafichaft Schwerin 
1170 befohlen, man folle jeden Wenden am nächiten Baume auf- 
fuüpfen, jobald man ihn im Walde antreffe und er fich nicht aus- 
zuweijen imstande fer. Kann e8 Wunder nehmen, daß alfo im Laufe 
der Zeit ein ingrimmiger nationaler Gegenfaß ftch ausbildete, der an: 
fangs faum bejtanden hatte. 

Mildernd und verjühnend wirkten inmitten diefer rasch zufahren- 
den Gewalten die Kirche und ihre Fultivierenden Mönchzorden, deren 
Berbreitung die zahlreichen deutjchen Adelstüchter, die fi) mit jla= 
wifchen Fürsten verheirateten, allen denkbaren Borjchub geleijtet haben. 
An der Seite oft roher Öatten wurden jte asfetiichen Neigungen natur- 
gemäß zugänglich und juchten Trojt in firchlichen Grimdungen. Es 
waren zuerjt die Braemonftratenjer, die der Hl. Norbert von Mlagpde- 
burg geftiftet, welche fic) die Milton im den Elbeländern zum Ziel 
legten und weit nach Ojften 1150 Grobe auf der Snfel Ujedom, 1170 
Broda an der Tollenje gründeten. Seit diejer Zeit etwa beginnt aber aud) 
der Aufichiwung eines anderen Ordens, der Biitercienjer. Das Ora et 
labora des hl. Benedikt fand in ihnen mene Vertreter, die Nultivie 
vung und Beftedlung des Bodens ihre Hauptförderer. 

Bon Bernhard von Klaivvanz begründet, fand der Orden in 
Deutichland feine Mutterflöfter zu Altencamp, zu Walfenried am Sid 
harz und zu Pforte bei Köjen im thiringer Lande. Bon Pforte aus it 
1170 das erfte jchlefiiche Eiftercienferklofter Leubus ausgegangen, „der 


Hort deutjcher Kolonifation im Oderlande*. Ein Sahr jpäter gehen 
Mönche diefes Ordens in die Mark Brandenburg und legen den Grund 
zum Kloster Zinna bei Jüterbogf, 1183 gründen fie in jeenreicher 
Waldlandichaft Lehnin, vejjen Äbte in Brandenburgs Gefchichte nicht 
jelten ericheinen. Auch Doberan in Mecklenburg war eine deutjche 
Giftereienferabtei. Dänische Mönche desjelben Ordens verbreiteten, wenn 
auch nicht deutjche, jo doch hrüftliche Kultur. 1172 faßten jie auf See 
(and Fuß, grimdeten gleichzeitig Kolbaß bei Stettin, 1186 das Ktlofter 
Dliva bei Danzig und eilten jo den Anftevlern als fühne Glaubens- 
boten pfadjuchend voraus. 

Doch unfer Bild ift noch nicht vollendet. Nicht nur in herrenlofe 
Urmwülder ımd Stromgebiete Hat der Deutfche im 12. und 13. Sahr- 
hundert erobernd und rodend feinen Fuß gejegt, auch in fremde Neiche 
drang er als Bannerträger höherer Gefittung. Im Süpdoften erwuchs 
an der mittleren Donan und in der öftlichen Alpenwelt in Ofterreich, 
Steiermark, Kärnthen und Sram ein ftarfes deutjches Geichlecht, deflen 
innere Überlegenheit fich dem Tichechen und Magyaren gegenüber aufs 
ichlagendfte beivies. Bon König Geila II. (e. 1150) und König Andreas 
(e. 1200) und Bela (ec. 1250) gerufen, zogen deutsche Siedler aus den 
Dftmarfen und dem Niederrhein, vom Eifel umd Hunsrück in das 
Waldland um die Sibinburg — das jpätere Hermannjtadt — md 
begannen hier, wie im Yipfer Komitat in Nordweitungarn als fleißige 
Acerbaner Nodung und Bflanzung. Schlug auch der Berfuchh König 
Andreas’, der 1211 den deutjchen Orden zum Schuß gegen die räube- 
rischen Kumanen im Siebenbürgener Burzenland angefiedelt hatte, fehl, 
da der Orden nad) eigener Herrichaft ftrebte und nad) 14 Jahren 
glänzender tolonijattonsarbeit dem migtrantschen Könige weichen mußte, 
jo wußte Bela IV. um jo mehr, was jeinem Neiche Not that, ev 
griimdete nach dem furchtbaren Mongoleneinfall befejtigte Städte nad) 
deutjchem Mufter und begabte fie — jo Preiburg und Ofen — mit 
Magpdeburgichem Stadtrecht. 

Joch tiefergehend war die Germanijation Böhmens, das jeit 1182 
ein ummittelbares Neichsfürjtentum war. Die hohe Geiftlichkeit jtand 
hier unter dem Erzbistum Mainz, Fiürjten und Hoher Adel erjchlofjen 
fich deutjcher Kultur, nahmen deutjche Frauen, fiedelten deutjiche Kauf- 
leute in Prag an und riefen eine ganze Neihe reindeutjcher Städte- 
gründungen ins Leben. So deutichh war das Yand, daß am Hofe 


SE 


MWenzels I. gegen Ende des 13. Jahrhunderts Neimar der Zweter, der 
Minnejänger, lebte; DOttofar II. Ulrich von Türlin und QTanhäufer 
zu feinen Gäften zählte und fein Sohn Wenzel II. jelbit als Meinne- 
jänger fich verjuchte. Bon den zahlreichen deutjchen Städten, Olmüß 
und Brünn, KNöniggräß und Leitmeriß, Sglau umd Nuttenberg u. a. 
wirkte die höhere Kultur germanifierend oder wenigjtens die foziale 
Stellung der Tichechen hebend md verbefjernd, die im Zentrum das 
flache Land behaupteten. Die Grenzgebiete Böhmens und Mährens 
aber wurden um diejelbe Zeit von dem mächtig puliierenden Strom 
deutjcher Auswanderung getroffen und jür immer von ihm in Belit 
genommen. Schon begannen die Ddeutjchen Kolonisten den deutichen 
Bürgern der Städte fich räumlich zu nähern, als in der zweiten Hälfte 
des 14. Sahrhumderts eine tjchechiiche Neaftion eintrat, die in den 
Huflittenfriegen ihren Höhepunkt erreichte und die deutiche Befiedlung 
zum Stehen brachte. „Seitdem haben Tichechen und Deutiche in 
Böhmen bald in latentem Haß, bald in auflodernder Fehde, immer 
aber Ellbogen an Ellbogen nebeneinander geitanden.“ 

Auch nach Schleften und Bolen ergoß fich bereits im 12. Jahr- 
Hundert ein Strom deutjcher Einwanderung, der im 13. Kahrhundert 
immer mächtiger anjchwoll. 

Eng mit der oben Ddargeftellten und an Großartigfeit mur jelten 
übertroffenen Wanderung, diefer Eroberung durch Kreuz, Schwert und 
Vilugjchar, hängt auch die „Aufjegelung“ Livlands zujfammen. Ste bildet 
eben mur ein Glied in der Kette jener Kolonijationen des europät- 
chen Nordoftens, zugleich die weiteft vorgejchobene Kolonie. Sie üt 
außerdem die einzige, die über die See hin gegründet it. Hierin lag 
gleich bei ihrem Entftehen umjomehr ihre Schwäche, als auch eine 
gefahrloje Straße aus Preußen nach Livland durchs Yittauerland fich 
nicht bahnen ließ: das kriegeriiche Volk der Schamaiten jchob fich bier 
wie ein Keil zwijchen die getrennten Kolonialgebiete Preußens ımd Liv 
lands. Während der Nitter und der Bürger Sich dem Mearichiif an 
vertrauten, hatte der eigentliche Kolonift, dev Bauer, eine Scheu davor, 
andere Wege zu ziehen, als durch Wald und Haide, er blieb Yiv- 
land fern, auch als ein tüchtiges Bürgerthum und ein Eriegerischer 
Adel drüben ihre Heimat gefunden hatten. So mangelte der Kolonie 
die nationale Grundlage eines deutjchen Banernjtandes, ein jchrweres 
Unheil, das gut zu machen nie gelungen tt. 


— Alf), >— 


Die Bedeutung der Städte Schleswig und Liber Hing auf das 
Engjte mit der Dftjfee zufanmen, Ddiefem „mittelländischen Meer des 
Kordens*. Met feinen Buchten und ins Meer greifenden Kisten, den 
mächtigen Wafjeradern, die fich in Ddasjelbe ergießen, feinen Infeln 
und Cilanden bot das baltische Meer die natürliche Berbindung mit 
dent fernen Ojftgeftade, von dem nur dunkle Stunde weitwärts drang, 
Ein Kranz von Handelsemporen umjänmte daher jeit alter Zeit das 
mächtige Wafferbeden: Nowgorod am Slmenjee, Smolensf und Bolozf 
landeinwärts an der Dina, Bjdrfd am Mälarjee und Wisby auf 
Sotland, Danzig und Wollin, endlich Schleswig und Lirbeef an der 
Trave Bis zur Grimdung der legtgenannten Stadt war Schleswig an 
der Wyf, der Bucht, im welche die Schley mündet, der einzige Hafen, 
von dem aus deutjche auflente den Berfehr mit Schweden und Nuf- 
(and ins Werk jeßten'), joweit von einem direkten Handel die Nede 
jein fonnte. Denn bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts waren es 
die Slawen und Dünen, deren Händler die See beherrichten, mit ihren 
fotten Schleswig aufjuchten, vereinzelt jelbft in Bardowif an der 
Elbe erichtenen. Auch als mit der gefteigerten Unternehmungsluft der 
deutiche Kaufmann jelbjt oftwärts fegelte, gelangte ev über Gotland 
nicht Hinaus, dejjen vührige Bevölkerung den direften Handel mit Ruß- 
land zu jeinem alleinigen Monopol gemacht hatte. Das türmereiche 
Wisby war der im 8. Sahrhundert gegründete Mittelpunkt alles Lebens 
an der baltischen See, der bald 10—12000 Kaufleute zählte. Durch 
Dlaf den Heiligen von Norwegen dem Chriftentum gewonnen, nahm 
es geivaltigen Aufichwung und dehnte feine Handelsbeziehungen weit: 
wärts bis nah Köln und England, oftwärts bis nad) Groß-Now- 
gorod aus; indem es eiferjüchtig jich das Stapelvecht wahrte, z0g es 
aber fremde Kaufleute in großer Zahl zu fich, unter denen Die Deut- 
ichen, meist Westfalen, Schon friih eine angejehene Stellung einnahmen. 
Die Zahl derjelben nahm noch zu, als Lübek der Ausgangshafen der 
deutichen Gotlandfahrer wurde.  Bejorgt über die Stonfurrenz, Die 
Schleswig machte, eroberte Herzog Heinrich der Löwe 1157 Diele 
Stadt und begabte Lübeck mit einer Fitlle neuer Freiheiten, die den 
Handel Heben jollten. Cm glücklicher Umstand fam ihm zu Hilfe: im 


!) Bergl. U. dv. Bulmerineg. Der Urjprung der Stadtverfajjung Nigas. 
1894 pag. 2ff. 


Me 


Hafen von Schleswig anfernde ruffische Handelsjchiffe wırrden von den 
Dünen gefapert und die ruffiichen Kaufleute dadurch gezwungen, den 
gaftlichen Hafen Lübels aufzujuchen. Sp mächtig waren 1163 bereits 
die Deutjchen, daß fte -den gotländischen Kaufleuten ein Stein des 
Anftoßes wurden und heftige Zwviltigfeiten entjtanden, die erjt durch 
Herzog Heinrichs Eingreifen beigelegt werden fonnten. Bon diejem 
Sahr an bildeten die Deutjchen eine eigene Stadtgemeinde, an deren 
Spiße ein vom Herzog von Sachjen gejegter Vogt jtand, und die nad) 
eigenen Sabungen geleitet wurde. 

Einmal zur Macht und Einheit gelangt, frebte die deutjche auf- 
mannschaft, das Stapelreht Wisbys für den Handel mit Norwgorod 
und Smolense zu brechen und teil zu nehmen an dem Gewinn der 
dorthin gerichteten Fahrten. 

Schon jeit Nurifs Tagen bejuchten die ruffiichen Kaufleute mit 
ihren Produkten, Leder und Wachs, Fellen und Getreide, den Marft der 
Snfel und tauschten fie gegen Häringe und Salz, Tücher und Eijen- 
waren oder billigen Wein. Zogen fie im Herbit heim, jo folgten ihnen 
allmählich die Gotländer insbejondere nad) dem Hauptplab vuijtichen 
Handels, dem mächtigen Groß -Nowgorod. Eine Meile vor dem der 
breite Wolchow fich in den Slmenjee ergießt, dehnte jich in der Ebene 
eine weitläufig angelegte hölzerne Stadt aus, die mit ihrem wohl- 
befejtigten Streml, ihrer Wjetiche — dem VBerfammlungsort der Bürger 
— ihren Kaufhöfen und Kirchen, vor allem der altberühmten Sophien- 
firche eines impojanten Anblies nicht entbehrte. ine trußige Be- 
völferung, die im republifanischen Speen lebt und webt, bezwingt die 
unliegenden Landjchaften und schon 1130 beugt ich alles Wolk bis 
zum Onegafee, denn „wer fann wider Gott und Groß-Noiwgorod“? 

Auch die fremden Kaufleute, die von Byzanz und Wisby hier zu 
Jammenftrömten, nahm die jtolze Stadt gaftfreundlich auf, wuhte ie 
doch, daß Ddieje „Säfte“ ihr Gewinn und Borteil brachten. Den Got 
Ländern it jehr bald der Deutjche aus Wisby gefolgt: neben den got 
ländischen Kaufgof entjtand jchon jriih ein deutjches Kontor. Die Kirche 
zu St. Beter war der Mittelpunkt, um den die reichen Kiontore, Wohn 
räume ımd Berfammlungsjäle gegliedert waren. Auch eigene Gejebe 
gaben jich die Nowgorodfahrer, die „Schra dere Dhutjchen to Nogarden“, 

Doc die Nückjchläge blieben nicht aus. War die Neije über die 
durch Seeräuber unficher gemachte See, Die Fahrt durd) die Nava und 


12 
pen Wolchoiw, deren Ufer von wilden Völfern bewohnt waren, höchit 
gefährlich, jo Tehlte es auch in Nowgorod jelbjt nicht an manchem 
Ungemach, manchem Drucd durch die eiferfüchtig werdenden rufltichen 
Staufleute, die schließlich durchjeßten, daß 1189 den Fremden der Ver- 
fehr gejperrt wurde. 

Koch bevor dies Ereignis eingetreten war, hatten die rührigen 
deutichen Kaufleute Wisbys „mit jelbftändigem Wagemut” einen für- 
zeren, bequemeren und gefahrlojeren Weg aufgeiucht, den Weg, der fie 
zu den großen Handelsjtädten der Dina, nach Volozt und Smolensf, 
führte; site waren über Gotland hinaus jüdostwärts fteuernd an die 
Mindung der Düna gelangt. Kunde von jenen unwirtbaren Landen 
hatte man ja lange Schon in Wisby: famen doc auf der Diimastraße 
in jedem Sommer ruffiiche Händler in diefe Stadt, Hatten doch in alten 
Heiten jchon die normantschen Waräger dur) die Dina und den Dinjepr 
die Züge auf Ktonftantinopel unternommen. 

Wann jich die Jogenannte „Aufjeglung“ Livlands vollzogen, wird 
wohl für immer in Dunfel gehitlt bleiben, da das frühere Sahr 1158 
(oder 1159) auf einer unhaltbaren Aufzeichnung beruht. Wohl aber 
werden wir im der Annahme nicht Tehlgehen, daß bald nach dem 
rieden von 1163 die Deutjchen auf Wisby den Handelsiweg an der 
Düna aufgenommen haben und daß die Schließung des Nowgoroder 
Marktes den Handelsverfehr zwiichen Liibe, Wisby und Livland jchnell 
aufbfühen Ließ. Als 1199 die Nowgoroder den Gäften wieder die Thore 
öffneten, war der neue Seeweg gefichert: chen hatte Die Ddeutiche 
Wilfton von dem damals Europa noch immer Durchglühenden Streuzugs 
gedanfen -getragen, ihre eriten Schritte zur Germanifierung des Yandes 
gethan umd durch die dichten Wälder, welche den Diünaftrom um- 
Jäumten, drang das ernfte Slocengeläut chriftlicher Kirchen, Dröhnte die 
Art des Jleigigen Anftedlers, während dort, wo der Nighebach in die Düna 
fiel, Hochbordige Schiffe lagen umd der bärtige Kaufmann mit dem Liven 
oder dem ruifiichen Händler aus Smolenst Ware um Ware taujchte. 

Sp wurde unfjere Heimat „aufgeiegelt“! 


2, Kapitel, 


„it dem Wurflpieß, mit dem Bogen 
Sıhritt der Jäger durch das Wand; 
Meh dem Fremdling, den die Wogen 
Warten an den Unglücksitramd.‘* 


Aus araner Dorzeit. 

Stein Heldenlied, fein Gejchichtsjchreiber erzählt uns Nachlebenden 
von jenen uralten Zeiten, da die Djftfüften der Djftjee zuerjt bejiedelt 
wurden. Nur mühjame Unterfuchungen der vergleichenden -Sprad)- 
forschung, die Ergebnifje von Gräberfunden umd hier md dort zerjtreute 
frnappe Bemerkungen jpäter lebender Chronijten lajjen uns durch den 
dichten Nebel, der die Urzeit deckt, einen nicht gerade weiteindringenden 
Blick thum. | 

Saum in Betracht fommt, was dev erite große Neijende, dei jeine 
Fahrten über die Säulen des Herkules hinaus führten, der Grieche 
Pytheas von Marfeille, von der großen Snjel Baltia erzählt, die Fic) 
drei Tagereijen von der jcythischen Bernfteinfüfte ausdehne; auch das, 
was Tacitus und Blinius, die beiden vömtschen Hiftorifer, uns über- 
(iefevn, befchränft fic) auf die Nachricht, daß die Äftier jene entlegenen 
Gebiete innehaben. Auch die jfandinavischen Sagas enthalten fein 
einheitliches Bild von den After, den Dftleuten. 

Die Urbevölferung unferer baltischen Heimat ijt feine national 
gleichartige gewejen. Während im Süden, alfo im heutigen Kurland 
und Semgallen und dem jüdlichen Teil des eigentlichen Livland Stämme 
lettifchelittanischer Nace ftedelten, drangen von Nordosten her, von ihren 
Sigen am Ural, finnisch-ugrische VBölferichaften ein, die Ingermannland 
und Starelien, Ejitland und Nordlivland bejegten, fich an der Stifte Kiv 
lands jidmwärts bis iiber die untere Dina ausbreiteten und zur Ser 
auch an die Weltfüfte Kırlands gelangten, wo fie die jchrwächern md 
weichern Letten landeimmwärts drängten und, von der Ktüjte Belts neh 
mend, dem Windau- und Abaufluß folgend, Jich ins Anere vorichoben. 


Er en 


Über diefe verfchiedenen Wölfer, deren politisches Leben jich in 
ewigen, bfutigen Fehden der einzelnen Häuptlinge untereinander und in 
haßerfüllten Siriegszügen der Liven gegen die Letten und der lebtern 
gegen die erftern erjchöpfte, deren Beichäftigungen Jagd und Fijchfang, 
Seefahrt und Seeraub ausmachten, furz die faum jeßhaft geworden 
waren, herrichten bis gegen Ende des 4. Jahrhundert die Gothen, 
deren Neich unter dem jagenhaften König Hermannerich von den Ufern 
de3 PBontus bi3 hinauf zum baltischen Geftade jich erjtredte. Noc) 
erinnert an jene graue Vorzeit jo manches Hügelgrab und Steinjchiff 
und dem Kumdigen, der ft) in Sage und Gebräuche ver Ejten verjenkt, 
ftößt nicht jelten germantscher Familienbrauc in fremden Gewande 
auf"). 

Die. Gotenherrjchaft war von feiner langen Dauer: Durch die 
Bölferpforte, die zwischen Ural und Kaspi nad) Europa führt, brach 
ein mongolisches Gejchlecht, die Hunnen, in die Heute rufftschen Tiefebenen 
umd warf nieder, was Sich entgegenstellte. Das Gothenreih. ging in 
Trümmer, und die Oftgothen leisteten den Siegern Heeresfolge. Wohl 
auch die Ajtuer werden ihnen zing- umd tributpflichtig geworden fein, 
bis auch ihre Befreiungsftunde fern von ihnen auf den fatalauntschen 
Sefilden jchlug. (451.) 

Tiefes Dumfel deckt mun auf zwei Jahrhunderte unfer Land. Als 
der Schleier fich langfanı hebt, jehen wir normantjche Herrichaft, wentg- 
jtens auf den nördlichen Teilen, laften. Wie Hätte auch ein Land, 
defjen geographiiche Lage eS zum wichtigen Durchgangspunft alles 
Handels machte, der von Berfien und halb Ajten durch Rußland nad) 
Sfandinavien ging, in Bergefjenheit geratden fünnen? Sp wurde e8 
das Ziel vielfacher Wikingerzüge und mr zu oft mögen die Hochjchnäb- 
Ligen Meeerrappen an umjern stiften gelegen oder die Normannen mit 
den gewaltthätigen und feegewandten Kuren und Dejelanern die Waffen 
gefreuzt haben. ALS gar die Waräger fich in Nowgorod und Kiew 
feitießten und das goldene Byzanz ihnen verlockend winfte, wurde der 
Weg über Ejtland oder durch die Düna immer wieder von beuteljtigen 
Kordinännern betreten. „sn (Diejen) längst verjchwundenen Sahrhun- 
derten durchfurchten die Böte fühner Wilinger die feuchte Straße der 
Dftfee. Bon Sfandinaviens Küfte jeßen die unternehmenden Nord- 


ıı Vergl. 2. Schroeder in den Berichten der Gelehrten ejtn. Gejellichaft 1887. 


le 


mannen aus und fahren zu Eyfißla’S (Defel) und Dagaithr’s (Dagden) 
Ufern hinüber. Häufig erblicen fie Finnlands Scheeren und lenken 
in die Mündung der Kr Newa). Die Diina trägt oft den Verwegenen 
auf dem Nücden. Kampf und Beute it fein Ziel, doch auch foitbare 
Waren führt er aus dem fernen Griechenland in die nordiiche Heimat. 
E3 war die Zeit, da nach der alten Sage Gotland des Tages unter- 
janf, des Nachts aber auf dem Wafjer Shwanm; noch fehlte der Manı, 
der das Feuer auf das Land brachte, damit es fortan niemals mehr 
finfe. Auch an der Küfte der heimischen Halbinjel entlang eilte das 
Boot pfeiljchnell dahin und trug den Nordnann zu Kampf und Raub. 
Allerorten betrat er das Land und verbreitete Schreden vor jich her 
an der ganzen Dftjeefüjte. Durd) das SKattegat drang er vor umd 
richtete feine Fahrt weithin an der Nordjee Ufern ').“ 

Sn einzelnen freilich läßt Jich für unjere Vergangenheit nur Weniges 
fefthalten: jo hören wir, daß 870 jkandinaviiche Scharen ausziehen, 
um die mächtige Kurenftadt Apıle (wohl bei Gröjen in Sidfurland) 
zu erobern. Doc mit gleichem vergelten die Befiegten. Von manchen 
Zug berichten die Sagas, der fich Hronologifch nicht einveihen läßt, 
wie etiwa von der Blünderungsfahrt der Eiten gegen die Schwedenftadt 
Sigtuna am Mälarjee, die dem wilden Angriff nicht Stand halten 
fann und in Flammen vergeht. 

Aber auch zu friedlichen Handelsaustaufch, famen die Nor- 
mannen ins Land und noch Heute meldet ein im Södermanland ge- 
fundener Numenftein, den Gigris ihrem Manne Swen errichtet, daß 
derjelbe oft mit veichbeladenem Schiff um Domesnäs herum zu den 
Semgallern gejegelt jet. 

Um die Wende des Sahrtaufends wurde Sfandinavien dem 
EHrijtentum gewonnen und nun begannen die Normannen auch 
ihrerjeitS die Mifjion. Kanud der Große (F 1036), dem Norwegen, 
Dänemark und England, unterthänig waren, unteriwarf fich Eitland 
und eine zeitlang jcheint der Embach die Grenze zwischen dem däniichen 
Gebiet und dem den Nuffen zinfenden Landftrich gewejen zu jein. 
Aber jelbit bis nach Kurland griff die Milton Hinunter: König Swen 
Eitridfon griindete hier, wahrscheinlich bei Domesnäs, mm 1048 eine 
chriftliche Kicche. | 
Iwan 1) Konftantin Höhlbaum: „Die Gründung dev deutichen Kolonie an der 
Dina’ in den Hanfischen Gejchichtsblättern Jahrg. 1871/72. 


u 


Doch von wirflichen Erfolgen der jfandinaviichen Briefter weiß die 
Sejchichte jo wenig zu berichten, wie von glücklichen und dauernden Be- 
ftrebungen der jlawijchen Fürften im Lande jeften Zuß zu fallen). 

Daß diejelben jehr frühzeitig begannen, fteht feit, daß die eit- 
nischen, Loischen umd Lettiichen Stämme die Gefahr rajch erkannten und 
fi) zur Wehr jegten, nicht minder. Wohl als Nogwolod in Polozf 
herrichte, jeßten die Nufjen zuerjt ihren Fuß in das mittlere Diinagebiet 
und heijchten Zins und Tribut; doch muß diefer VBerjuc) ein jchnelles 
Ende genommen haben, denn erjt viel jpäter (1030) hören wir von 
neuem VBordringen. Diesmal galt e3 den Ejten, oder wie die alte 
ruffische Chronif fagt, den Tjehuden: gegen dieje zieht Großfürft 
Saroslaw I. von Nowgorod, befiegt fie und erbaut, vielleicht an der 
Stelle des heutigen Dorpat, eine Jwingburg Surjew. Borübergehend 
icheint ein großer Erfolg nicht ausgeblieben zu jein, gegen Ende der 
Negierung Saroslaws jollen, wre die Chronik sübertreibend erzählt, 
Eiten, Liven, Letten, Littauer, Semgaller, Kuren und Schamaiten ihn 
gezinft Haben. Doc jchon nach des thatfräftigen Herrichers Tode 
brachen Wirren aus, die LO61L mit der Abwerfung der Kuechtichaft 
und der Zerftörung Surjews endeten. Ein Menjchenalter ging vor- 
iiber, ohne daß die Gefahr von Djften fich erneute, erjt mit Beginn 
des 12. Jahrhunderts begann durch den energiichen Großfürften Wla- 
dimiv Monomac) der Bordrang nad) Welten mit doppelter Stärke. 
Seitdem jein Sohn Witisfaw 1116 die wichtige Grenzburg Odenpäh 
erobert, Schien der Sriegszuftand an der Grenze fich zu verewigen. 
Mag auch 1130 den Eiten ein Tribut aufgelegt worden fein, ziel 
Sahre daranf hören wir von einer großen NViederlage: „es geichah 
groß Unheil, viel gute Männer aus Nowgorod wurden erichlagen”, 
und mochte auch wieder zwei Sahre jpäter eine neue Feitjfegung in 
Surjew verjucht werden, ein Menjchenalter darnach jehen wir alle 
Eitenftämme in erbitterten MNachezug gegen leskau jelbit (1177). 
Als die Deutjchen nach Zivland famen, war nur die Landichaft Tolowa 
um die obere umd mittlere Livländiiche Aa, die-Gonva, noch in Lofer 
Tributabhängigfeit von den Plesfauern umd im Dinagebiet forderte 
die ruffiihen Fürjten von Bolozf, deren Statthalter in Gercife und 

!) Siehe hierüber auch TH. Schiemanns „Rufland, Polen und Livland‘‘ 
11. 5ff. 


Tıfenois (Zargrad und Kofenhufen) rejidierten, von den Dinaliven 
und Letten, jährlichen Zins an Honig, Wachs md anderen Natu- 
ralien — von einer Milton zur Gewinnung der Seelen it faum 
die Rede. 

Wie jah es denn aber Hier zu Lande aus, al 
Meerichiff die erjten Liübecjahrer zu uns kamen)? 

E3 ijt nicht mehr das wilde Chaos, das einige Sahrhunderte 
früher das Einzige war, was bejtand, eine gewille Sliederung läßt fich 
nicht abweilen. 

sm Norden bi3 zum Glint, der jäh ins finnische Meer fällt, 
jagen auch damals bereits in den heutigen Siten die den Finnen eng 
verwandten Eften, deren Gebiet in eine Neihe noch heute erfennbarer 
Landichaften zerfiel: Harrien, Wierland und Allentafen lagerten am 
Kordrand Bis zur Narowa, die Wiek und Serwen Ddiejen parallel 
ins Land hinein. Der Wiek gegenüber jaßen auf ihrem Eiland die 
als verwegene Seeräuber gefürchteten Dejelaner. Der nördliche Teil 
des heutigen Livland, damals wie heute von Eiten beftedelt, umfaßte 
die Landichaften Sontagana nördlich der Salis, Sakala um Fellin 
und Ungaumten oder Ügaunien um Dorpat. 

Ein Brudervolf der Ejten waren die Xiven, gleich jenen finmtjch- 
tatarischen Bluts. Um die Wende zum 13. Jahrhundert gliederten fie 
fi) in vier Öruppen, die Diimaliven, die Thoreider, Meetjepoler md 
Mdumier. Die Landichaft der Dimnaliven umjchloß das Gebiet der 
ipäteren Stadt Niga, Dünamiündes, Uerfülls bis nad) Ajcheraden und 
Lennewarden; Thoreida lag um das heutige Treiden,. während Mletje- 
pole jich an dev Hüfte des Meeres bis über die Salis hinaus erjtreckte 
und jo viel al3 Waldgegend bezeichnet. Im Djten jtießen die Yiven 
Metjepoles am Burtneeffee bereits auf Letten. Die Landjchaft Ydınmräa, 
— wohl livifch fir Nordojtland, jedoch mit biblifierter Endung, — 
umfaßte ursprünglich nur das Heutige Kicchjpiel Noop md zeigte bereits 
eine mit Letten gemischte Bevölkerung. 

Bon diefer Landfchaft gelangen wir zu den Stedlungen der 
nördlich dev Dina lebenden Letten, der Lettgallen, d.h. den Be 
wohnern der Letten-Mark. Arch bei ihnen tnterjchervet der Ehroniit 


150 


auf jchnellem 


!) Vergleiche das grogartige Werf von Dr. Nugujt Bielenftein „Die 
Grenzen des Lettischen Volfsjtanımes und der Tettijchen Spracde in der Gegenwart 
und im 13. Jahrhundert.‘ Wetersburg 1892. 

Seraphim, Gejhichte I. 2 


BE 


vier Sondergebiete, das an der Amera, Tolowa, Antine und jchließ- 
(ih die terra incogenita oftwärts bis nad) Nußland hinein. Die 
größte Landichaft war Tolowa, das Gebiet beim Wafler, d. h. der liv- 
(ändiichen Aa, ein Gebiet, das aljo die heutigen Kirchipiele Trifaten, 
Wolmar, Burtned, Bapendorf, Wohlfahrt, Luhde-Walf, Adjel, Balzmar 
und Smilten umfaßte. Antine war das Gebiet um Wolmar und 
wohl nur ein Teil von Tolowa. 

Dffenbar gleichen Stammes wie die Lettgallen waren die Sem- 
galler an der Furtjichen oder jemgaller Aa, nur dialeftiich von den 
Hochletten als Niederletten ımterjchteden. Auc) die Selen, die den 
größten Teil des heutigen jogenannten Dberlandes in Befit hatten 
und etwa von Neugut bis Diinaburg jaßen, find als Letten anzujehen, 
die jedoch den Lettgallen näher jtanden als den Sengallen. 

Das eigentliche Kurland war urjpringlich, wie oben bereits furz 
erwähnt, von lettifchen Stämmen bi ans Meer bewohnt, Ddiefem 
indogermanischen VBolf gebührt alfo die Priorität in diejem Lande. 
Doc) von der See her famen ihnen Feinde, die jtärker waren, jic) 
an den Flußmündungen und unten Flußläufen fejtjeßten und den 
weniger energijchen Letten fnechteten. Das waren die finnischen Eoren 
oder Kuren, jeeräuberiiche Gejellen, deren Heimat wohl nicht fern 
von den Sareliern am Onegafee lag, mit denen ihre Sprache Die 
auffallendefte Ühnlichfeit zeigt. ine feite Grenze zwifchen ihnen und 
den Letten gab es nicht, je mehr landeinwärts, deito ftärfer wurde Die 
Hahl der leßteren, je näher dem Meer, deito kompakter die Mafje der 
Kuren. Alle diefe Völferichaften Hatten es auch im 12. Sahrhundert 
zu feiner fejten Form Staatlichen Lebens gebracht, mac) wie vor er: 
füllten ewige Kriege das Land, in denen die auf Hügeln errichteten 
Holzburgen eine große Nolle jpielten und mit raffinierter Graufamteit 
Teind wider Feind wütete. Die Gehöfte und offenen Dörfer, die Saat- 
felder wurden verbrannt, an den Gefangenen Schändliche Martern verübt, 
um fie zum Geftändnis iiber die veriteckte oder vergrabene Habe zu bewegen. 

Während die Letten nac Sidweiten bis in.die Gegend von Memel 
und auf der Sturischen Nahrung gejejlen zu haben jcheinen, wurden fie 
im Süden durch die indogermaniichen Littauer abgelöft, die jedoch) 
Ihon außerhalb des eigentlichen Kurlands hauften. In der Gejchichte 
umferer Lande haben die Littauijchen Stämme, vor allem der jchamai- 
tijche, eine Nolle gejpielt, deren Spuren mit Blut bezeichnet waren. 


Ze 1Q,. 
Kampf und Schlacht jchien ihnen fait Leben. Ein Nomadenvolf aus 
Neigung und Sitte, zogen fie beutegierig wie verhungerte Wölfe durc) 
die Grenzen der Letten, Liven und Ejten md jelbjt Nowgorod und 
Plesfau erzitterten vor ihrem Anprall. Dann kehrten fie, auf großen, 
dazıı mitgeführten Wagen die reiche Beute fortichleppend, in ihre 
Wälder zurück, gleich bereit, von neuem jengend umd würgend über 
die Schwächeren herzufallen. Wurden jte unvermutet angegriffen, jo 
ichoben jie die Wagen zu einer Wagenburg zujfammen und troßten 
aufs tapferite. Selbjt die Weiber fänpften mit und die Witwen er- 
drofjelten jich wohl jelbjt, um dem heldenhaften Mann tn die ewigen 
Sagdgründe folgen zu fünnen. Wie ein Henfchredenichwarm find fie 
auf ihren jchnellen Noffen da; ehe man fich zur Wehr jest, it alles 
vernichtet und nur die Flammen der Dörfer und das Wehklagen der 
Fortgeführten bezeichnet ihre Spur. 

Schon aber war im Lande der Dina eine Macht im Empor- 
wachen begriffen, an der die Unholde ihren Meiiter finden jollten. 


- r 
3. Kapitel. 
„Pont benffihen Nande Ramen alsdar, 
Starker Belden manıhe Schar, 
Pie auıh ihren Kauf trieben 
nd mit den andern dablieben.* 
(Rivl, Reimhronik.) 


Die Anfäinae deutlichen Lebens in Livland. 


Nicht viele Linder können fich rühmen, für ihr Heldenzeitalter einen 
jo vortrefflichen Chroniften zu befigen, wie Livland ihn in Heinrich 
dem Lettenpriejter hat. Ein günftiges Gejchie hat ung das Werf diefes 
Mannes erhalten, der als ein aufmerffam und gerecht beobachtender 
HZeitgenofje und begeiiterter VBerehrer des großen Bischof Albert jorgiam 
aufzeichnete, „wie das Chriftentum und die deutsche Herrichaft fich 
im Lande der Liven, Letten umd Eften Bahn gebrochen Hat“. Man 
hat Heinrich lange für einen Letten gehalten, doch Ächeint diefe An- 
nahme heute aufgegeben; feit jteht nur, daß er von Bilchof Albert zum 
Predigtamt herangezogen wurde, feine Erziehung in Niga genoß und 
Ipäter als Verfiimdiger des göttlichen Wortes unter den Letten exit am 
Burtneeffee, dann im PBapendorfihen und in Wohlfahrt jegensreich 
wirkte. Seinem hohen Gönner ift er Zeit feines Lebens ein treuer Aı- 
hänger geblieben, dejlen Leben und Thaten bilden den eigentlichjten 
Ssuhalt feiner Ehromif. Er ift 8 auch, dem wir bei der Darftellung 
der Hervenzeit lioländiicher Gejchichte willig folgen). — 

Spricht etwas für die Nichtigkeit der Anficht, daß von einer „Auf- 
jeglung“ Livlands im herfünnnlichen Sinne nicht die Nede fein fanı, 
jo 1jt eS der Umftand, daß die Kunde von den Handelsfahrten nad) 
dem Lande der „gößendienerischen“ und „gottvergefienen“ Liven überaus 
rasch in Norddeutichland Berbreitung fand. Eimer der Lübeds Hafen 


!) Bergl. die lebendige Schilderung in Kurd von Schloezer: Livland und 
die Anfänge deutichen Lebens im baltischen Norden pag. 1ff., jowie Konjtantin 
Höhlbaum: „Die Gründung der deutjchen Stolonie an der Düna” 1. c. 


verlaffenden Kauffahrteiflotten jchloß ftch, wie das bei größern See 
reifen üblich zu fein pflegte, ein Geiftlicher an, um unterwegs und 
in der umvirtlichen Gerne den Neijenden die Predigt zu halten. Diejer 
Mann war Meinhard, ein Kanonifus des Auguftiner-Chorherrnitifts 
zu Segeberg in Holftein. Mehrere Sahre zog er im Frühjahr mit den 
Kaufleuten über die See md fehrte mit ihnen, wenn die Herbititürme 
zur Heimfehr mahnten, in jein Stift zurück. Hierbei faßte er „ledig- 
(ih um Chriti Willen“ den Entjchluß, den Nejt jeines Lebens der 
Milfion der Liven zu weihen und in ihrer Mitte zu bleiben. Für- 
wahr ein großer Entichluß, decte doch jchon, wie der Chronist jagt, 
jülbernes Haar jeinen Scheitel, als ihn der Geiit des Herrn erfahte 
und hr ausziehen hieß, um unter den Heiden in Livland die Saat 
de3 Wortes auszuitreuen. 

Wohl 1184 jchritt Meinhard, der über reiche Mittel verfügt haben 
muß und offenbar edler Herkunft gewejen ift, zur Ausführung feiner 
Aufgabe. Er wandte fich zuerjt an den Fürjten Wladimir von Bolozf, 
der die Oberhoheit iiber das Diinaland in Anjpruch nahm, und bat ihn 
um die Erlaubnis dauernden Aufenthalts und der Predigt unter den 
Heiden. Wladimir gewährte das Gefuch, wenn nur der Tribut nicht 
gejchmälert würde. War doch feine Kirche, um mit Heinrich zu veden, 
„eine unfruchtbare Mutter, welche nicht in Hoffnung auf die Wieder- 
geburt durch den Glauben an Sejus Chriftus, jondern in Hoffnung 
auf Schagung und Beute die Heiden zu unterwerfen trachtet“. Sechs 
Meilen landeimwärts, bei dem Livendorf Uerfüll (Mfeskola), hat Mein: 
hard noch im jelben Jahr auf hohem jchroffem Felien an der Dina 
das erjte Kirchlein auf Livländiichem Boden, dem bald auch die erjten 
Befenner nicht fehlten, erbaut. Als jpäter Meinhard andere Geijtliche 
folgten, vereinigte ex fie nach) der Negel feines Ordens zu einem Kon- 
vent, von dem die Sendboten zu den Eingeborenen gingen. US aber 
der Herbft famı und die Kaufleute heimmwärts zogen, als die Dina ic) 
mit EiS bedecte und wilde Stirme das Meer aufwühlten, da entlud 
fi) das Ungewitter auch über die Kleine chriftliche Gemeinde. Über 
die gefrorenen Sümpfe brachen lettiiche Scharen vaubend Ing Liven 
gebiet ımd vor ihnen entflohen die Liven in die Wälder, mit ihnen 
entwich Meinhard. Al man zurückehrte und die Hütten in Aiche 
fagen, „rügte Meinhard der Liven Thorheit, darum, dal ie feine 
Befeftigungen hätten“. Er erzählte ihnen von den mächtigen Burgen 


EN) 1 


Deutjchlands und erklärte fich bereit auch ihnen eine fteinerne Seite 
zu errichten, wenn fte fich entjchlöffen „Gottes Stinder zu werden md 
zu fein“. Die Liven verjprachen alles mit feierlichem Eidjchwur ud 
erfüllten zum Teil wenigstens ihr Berjprechen, als im Sommer 1185 
aus Gotland herübergefommene Steinmeßen den Burgbau von Uer- 
fill begannen. Meinhard hatte aus jeinem Vermögen nicht nur den 
Grund erfauft, auf dem die Mauern emporwuchjen, auch den fünften 
Teil der Burg ließ er auf feine Koften errichten, wodurd) er aud) 
im jelben Verhältnis Meiteigentüimer derjelben wurde. Aber eine nee 
Enttäufchung ließ nicht lange auf fi) warten: faum war der Bau 
fertig, jo wurden die Getauften rücfällig und die andern Die Das 
Chrijtentum anzunehmen gelobt, weigerten die Annahme des neuen 
SGlaubens. Arch Eriegeriiche Vorgänge blieben nicht aus: die Sem- 
galler erjchienen vor der Burg von Uerfüll, von der fie gehört, md 
verfuchten mit großen Schiffstauen, unfundig der Stärfe des Miürtels, 
die Mauern in die Dina zu reißen. Erft al die Arnbruftichügen 
von den Zinmen ihre wohlgeztelten Bfeile herabjandten, flüchteten die 
Heiden. 

War auch die Mifftonsarbeit Meinhards bisher jo gut wie ohne 
Erfolg, jo verdient doch, wie mit Necht betont worden it, Das Sahr 
1185, in dem jenes erjte Steinerne Gebäude auf Kivländischen Boden 
errichtet wurde, in umferm Gedächtnis zu haften: „So unjicheinbar 
der Anfang auch war, die deutjche Herrjchaft im Lande tft Durch Die- 
jelbe gleichlam fundamentiert worden.“ Freilich wiederholte fich der 
Vorgang, der die Erbauung von WVerfüll begleitet, bei dent zweiten 
Bırgban, den Meinhard auf die Bitten eines anderen Livenftanmmıes 
auf einem Dünaholm ins Werk jeßen ließ): „Wieder vergaßen, jchreibt 
Heinrich, Die Argen des Eides, ımd Logen fich jelber und war aucd) 
nicht einer, der den Slauben annahm.“ Sa nod) Schlimmeres geichah: 
die Holmifchen plünderten Meinhards Habe md mißhandelten das 
Hefinde, dan aber zogen die, welche die Taufe früher genommen, 
zum Sluß und „meinten fie durch Abwalchung in der Dina wieder 
wegzuschaffen und heimzujchielen gen Deutjchland“. 

Schon aber hatte die umerjchrocene Thätigfeit des greifen Meij- 


1) Der Holm Tag zwifchen Merfüll und Riga und hieß jpäter der Martins- 
holm. Kirchholm Tiegt am nördlichen Dimaufer gegenüber dem Martinsholm, 
vergl. Eduard Bapjts Ausgabe von Heinrichs Chronif pag. 6. Anmerkung. 


fionars dort lebhafte Aufmerkiamfeit hervorgerufen, wo man jeit den 
Tagen Heinrich) IV. fi) mit phantastischen Plänen eines Batriarchats 
des Nordens trug, im Erzitift Bremen. Hier fonıte man jene glän- 
zenden Zeiten nicht vergeffen, da Erzbiichof Adalbert, gejtügt auf 
die Freundjchaft des Fatferlichen Sünglings, den Gedanken eifrig er- 
wogen hatte, die norddeutiche Kirche jelbitändig von Nom zu machen 
umd eine eigene firhlihe Machtitellung zu begründen. Was jenem 
hochjtrebenden und Eugen Ktirchenfürjten nicht gelungen war, verjuchten 
jeine Schwachen Nachfolger immer wieder von neuem. rzbiichof 
Hartwic) IL., der damals auf dem erzitiftiichen Stuhl jaß, war jchwer- 
lih der Mann diejen hochfliegenden Plänen Gejtalt zu geben, wenn 
er aud) glaubte, gerade in Livland einen günftigen Boden für jeinen 
Ehrgeiz zu finden. Troßdem der Bapjt heftig abriet, that Hartwic) 
do den, wie er glauben mochte, entjcheidenden Schritt und weihte 
Meinhard 1186 zum Bilchof von Verfüll. 

sm Livenlande machte dieje Erhebung den entgegengejeßten Ein- 
druc, Statt Meinhards Stellung zu jtärfen, erhöhte fie das Miktrauen der 
Eingeborenen, die eben damals in Holm die Taufe in buchjtäblichem 
Sinne abwujchen, ja darauf jannen, wie jie den DBtichof aus dem 
Lande treiben fönnten. 

Nicht bequemer hatte es ein zweiter Glaubensbote, der Gifter- 
eienjermönch Theoderich, der im Gebiet der Thoreider für Ehrifti Xehre 
wirkte. Wie jchwer es war, die ftörrige Herde zu weiden, jollte gerade 
er erfahren, gedachten doc die Thoreider ihn den Göttern zu opfern, 
weil auf jeinen Feldern die Saat jchon aufgegangen war, während 
ihre Ücker durch Überfchwenmung vernichtet worden waren: „Das 
Bol£,“ schildert der Ehronift, „wird verjammelt, der Wille der Götter 
itber die Opferung erforjcht, Die Lanze wird gelegt, Das Pferd schreitet 
zu, jeßt den fürs Leben beftimmten Fuß nach Gottes Fügung voran. 
Der Bruder betet mit dem Mumde, mit der Hand erteilt er dan 
Segen. Der Wahriager behauptet, dev Gott der Ehriften fie auf 
des Pferdes Niken und bewege den Fuß des Pferdes, daß es den 
voranjege und deshalb miüfje des Pferdes Nüden abgewischt werden, 
damit der Gott herunterfalle. Wie man dies mm gethan und das 
Pferd den Fuß des Lebens voranjeßte wie zuvor, ward der Bruder 
Theoderih am Leben erhalten.“ Ühnliche harte Gefahren mußte 
Thevderich im Lande der Ejten ausftehen, zu denen ihn jein heiliger 


Be ig 


Eifer getrieben. Nur durch eine Sonnenftnfternis, Die unvermutet ein- 
trat, rettete er hier jein Leben. 

Die Mißerfolge, die fich jtets Häuften, die Berftoctheit der gott- 
vergefjenen Heiven Teen jchlieglich) Meinhards Kräfte erlahmen: Er 
vief die Brüder des Konvents md Die im Lande mijfionterenden 
Mönche zujfammen und bejchlog mit ihnen auf einem nach Gotland 
gehenden SKauffahrer heimzufegeln. Wollte ev mit meuen Kräften, 
einem Sreuzheer wiederfommen? Die Liven fiirchteten dies offenbar 
und beratichlagten, wie fie den alten Bischof von den Übrigen ifolieren 
fnnten. Mit verftellten Geberden und heuchleriichen Thränen  be- 
ftürmten fie ihn, die Taufe Aller verjprechend, bei ihnen zu bleiben 
und Meinhard gab um jo cher nach, als die heimmvärts jegelnden 
Kaufleute, unter denen fich Deutjche, Dänen und Vlorweger befanden, 
ihm versprachen, mit gerüfteten Wannen wieder zu fommen. Doc) 
faum waren die Segel der Schiffe am Horizont verjchwunden, jo 
warfen die Eingeborenen die Masfe ab, mit jpöttischen Nevden jtichelten 
fie auf die Leichtgläubigfeit des Greifes und als diejer eine Berjamm- 
fung nach Uerfüll anberaumte, um fie an das Taufverjprechen zu 
mahnen, ftellte jich feiner ein. Meimhard begann ernftlich für jein 
Leben zu fürchten und um dem Auberften zu entgehen, faßte ex den 
Entihluß, nach Ejtland zu entweichen, um mit deutichen Kaufleuten, 
die dort überwintert hatten, nach Gotland abzureifen. Doc der Plan 
war fein Geheimnis geblieben und den Liven eine vwillfonmmene Ge- 
legenheit, im Dumfel der Wälder den Unbequemen verjchtwinden zu 
fafjen. Schon hatte Meinhard die Neile angetreten, als ihm durch) 
einen Thoreider, Aıno, offenbar einen Ehrijten, der Anjchlag ver- 
raten wurde: „Alfo wandte er Sich in vielfacher Beltürzung nad) 
Vfesfola heim, da ev das Land zu verlaffen nicht im jtande war.“ 

Sn Diefer Höchiten Gefahr hat jich der liviiche Bijchof an das 
geistliche Oberhaupt damaliger Ehriftenheit, an Bapjt Coelejtin ILL, 
nach Nom gewandt. Es it charafteriftiich, daß nicht nad) dem weit 
leichter zu erreichenden Erzitift Bremen, jondern an den Statthalter 
Ehrifti jelbjt das flehende Bittgefuch erging. — Ein Zufall kann das 
ichwerlich fein, wir werden vielmehr nicht fehlgehen, wenn wir an- 
nehmen, daß ichon Meinhard an eine direkte Unterftellung der jungen 
Pflanzung unter Nom und an möglichjte Freiheit von Bremen gedacht 
hat. Doch wie aus dem umwirtlichen Lande entfommen? Iheoderich 


org, 


von Thoreida erbot ji, das gefährliche Wagıis durchzuführen und 
mit gejchiekter Lit 'glücte e3 zu entweichen: auf feinem Pferde ritt 
er, angethan mit Stola, Gebetbuh und Weihwafler, als wollte er 
einen Stranfen bejuchen, durch die dunklen Wälder und fragte jemand 
nach dem Biel feiner Neife, jo gab er vor, er müfje einem Sterben 
den die Teßte Dfung ipenden. So fam er wirklich nach Deutjchland 
und eilte weiter nach Rom. Bapjt Eoeleftin nahm ihn freundlich auf 
und ließ fich von dem fernen Lande erzählen. Zugleich bewilligte ex 
einen Ablaß für alle diejenigen, welche das Kreuz nähmen und gegen 
die Heiden im Livland zügen. 

Braftiiche Erfolge zeitigte diefe Kreuzzugsbulle nicht, nur wenige 
Iheinen das Streuz genommen zu haben, der Sturm verjchlug die 
Flotte nad) Wierland hinauf und ohne Waffenthat jegelten die Ritter, 
unter ihnen auch Sarl Birger IL, Herzog von Dftgotland, wieder 
von dannen. Smmerhin wirkte die Furcht vor dem Erjcheinen neuer 
hriftlicher Heere joweit auf die Liven, daß fie von dem Hußeriten 
Adftand nahmen. Blieben fie auch fait alle Heiden, jo wurde das 
Leben der Mifftonare doch nicht mehr bedroht. 

su Not und Trübjal verbrachte Meinhard alfo jeine Tage in dem 
ungaftlichen Lande, bis er hochbetagt und febensmüpde, wohl am 
14. Auguft 1196, jeine Augen in Werfüll ichloß. Im dem von ihm 
begründeten SKtirchlein haben des „Befenners“ Gebeine die lette Nube 
gefunden, biS man Später den Leichnam nach Niga überführte und im 
Dom beifeßte, wo fie) ein fümmerlicher Neft des Grabmals umd 
deffen Snjchrift durch die Flucht der Zeiten gerettet hat. 

Vicht groß, Hat man wohl gejagt, jind des eriten Livenbischors 
Erfolge gewejen, nur jein warmes, für die Lehre Ehrifti erglühtes 
Herz, nicht jene Errungenschaften hätten ihm den Ehrennamen eines 
Apoftels von Livland eingebracht. 

Vicht richtig Diimft uns diejes Urteil, das an der Oberfläche 
haftet, ftatt in die Tiefe zu dringen. In gerechterer Weile hat der 
legte Darjteller livländiicher Vergangenheit!) die Summe der Thätig 
feit Meinhards in folgenden Worten zujanmmengefaßt: „sn jeiner 
mübevollen Thätigfeit hat Meinhard den Grund zu dem gelegt, was 
Ipäter geworden 1ft. Er war der Pfadfinder, welcher den Mut hatte, 


1) TH. Schiemann 1. ce. pag. 10, 11. 


— 26 — 


in ganz neue md jvemde Berhältniffe Hineinzutveten. Darauf aber 
gerade fam e8 an. NMachtreter finden jich ftetS und überall, aber wie 
jelten find die Männer, die fich ihr Ziel jelbft jegen und ihre Wege 
jetbft bahnen? Und nicht in der frischen Begeifterung der Sugend ift 
er an fein Werk gegangen. Die Sahre rüstiger Mannfraft lagen 
hinter ihm, als er nach Yivland 309, ohne eine andere Waffe als Die 
feiner Überzeugungsfraft und ohne einen anderen Freund als feinen 
Gott. Und wie jchwer mögen gerade einen Mann jeines Charakters 
die zahlreichen Enttäufchungen getroffen haben, die er erlebte. Gleich 
zu Anfang Scheinbar die glänzendften Erfolge und dann Miperfolg 
auf Mißerfolg. Aber allmählich gelang es ihm doc) Boden zu ge- 
ywinmen, wenn auch die meilten abfielen, einige blieben getreu und jein 
Beiipiel hatte Männer wie Theoderich von Treiven zur Nachfolge 
begeiftert. Bei Uerfüll und Holm hatten ich die Wälder gelichtet, 
der Ackerbau begann nach deutscher Werje getrieben zu werden, Stirchen- 
glocden riefen die Kleine Gemeinde der Gläubigen zum Gebet und 
Steinmanern gewährten Schuß, wo immer das Kreuz ji jegnend 
als das Wahrzeichen abendländischer Kultur erhob." — 

Alles hing davon ab, vb die Nachfolger Meinhards das Gejchid 
haben winden, die faum über die erjten Anfänge gediehene Kolonte 
zu lebensfräftigem Dafein zu entwideln. Der nächjte Biichof ver- 
juchte andere Wege als Meinhard zu gehen. 

Berthold, Früher Abt des Eiftercienferflofters Loceum, ijt jo recht 
das Spiegelbild jener hohenftaufischen Bijchöfe, die fampf- umd ftreit- 
(uftig mit dem Schwert zum mindeften denjelben Bejcheid wußten 
wie in der Bibel, ein Typus jener feurigen Naturen, die der Lehre 
des Evangeliums mit der Schärfe ihres Schwerts Nachdruck zu geben 
für notwendig hielten. Ein abichliegendes Urteil über ihn zu füllen, it 
im Übrigen nicht möglich, fein furzbemefienes Leben Käht nicht erfennen, 
vb jeine Methode die faljche war. Für fie fpricht, daß der eigentliche 
Begründer Livfands, der große Bilchof Albert, te, wenn auch viel 
leicht ein wenig gemildert, anzuwenden nicht verihmäht hat. IThöricht 
aber wäre 8, vergangene Zeiten mit dem Maßjtab heutiger, feiner 
empfindender Moral zu mellen. 

Nicht von fenriger Begeifterung bejeelt, wie jein Borgänger, 
fondern niehr dem Drangen Erzbischof Hartiwichs nachgebend, entichloß 
jic) Berthold, die jchwere Biürde auf fi) zu nehmen. Nachdem er 


Era 


vom Erzbifchof die Weihe als Bifchof der Liven erhalten, brach er 
ohne Heer nad) Livland auf, in der Hoffnung, fein Erjcheinen werde 
die Eingeborenen zur Taufe bewegen. Scheinbar famen ihm diejelben 
auch treuherzig entgegen, aber die 7zriedfertigfeit war nur em Ded- 
mantel teuflichen Anschlages: nur darüber haderten fie noch, ob jie 
ihn verbrennen, evtränfen oder erichlagen jollten. Berthold erkannte 
bald, daß die Million, wenn fie nicht durch Aufwand von Macht: 
mitteln unterjtügt würde, erfolglos bleibe. Viichternern Blids als 
Meinhard, zügerte er daher nicht nach) Gotland zurüczufehren und 
mit Sriegsgewalt die Liven zur Unterwerfung zu zwingen. Er er- 
Ihien bei Hartwich und forderte Nat und Hilfe. Aber ein jeltjamer 
Zufall wies auch) diesmal wieder nach Nom. Trug jich Doch der 
Erzbijchof mit dem Gedanken, fich dem Streuzheer anzuschließen, das 
der herrjchgewaltige Staifer Heinrich VI. in Unteritalten zujanmenzog; 
jo mußte fich Berthold an Coeleftin III. wenden, der abermals reichen 
Ablap verhieg md eine Krenzbulle gegen die Heiden in Livland aus- 
gehen Fieß. Meit diefer dDurchzog der Bijchof predigend md zum Zuge 
aufrufend Friesland, Westfalen und Niederjachen und ihm glückte es 
befjer als Bischof Meinhard. I Lübels Hafen bejtiegen zahlreiche 
veifige Mannen, die das Kreuz genommen, die Schiffe und jegelten 
im Sult 1198 in die Diina hinein. Nachdem Berthold die Kreuz 
fahrer ans Land gejeßt, zug er, die Schiffe an der Mündung zurück 
laffend, Tandeinwärts bis zur Burg Holm. Sm Diejfe entjandte er 
einen Botjchafter und heischte von den Heiden jtrifte Antwort, vd fie 
die Taufe nehmen wollten oder nicht. Durch die Flucht des Biichots 
im vergangenen Sahr ermutigt und ohne Kunde von der Flotte, Die 
ihn diesmal begleitet, gaben fie troßig zur Erwiderung, ste wollten 
von jeinem Glauben nichts willen, noch auch daran halten. Berthold 
blieb nichts übrig, als zu den Schiffen zurickzufehren, ihm nach folgten 
in tollem Siegesraufch die bewaffneten Scharen der Liven umd dort, 
wo jpäter die Stadt Niga fi) erhob, fan es, nachden eine Kurze 
Waffenruhe von dem Feinde gebrochen worden war, zu Eriegerischen 
Zufammenftoß: wohl erhoben die Heiden furchtbaren Yärnı md 
Ihlugen mit den Schwertern drohend an die Schilde, aber dem 
drang der gepanzerten Eifenritter waren fie nicht geivachjen md 
wandten fi) in jähem Schreden zur Flucht. Der erjte, der von 
Schlachteifev fortgeriffen, ihnen nachjtürmt, it Büchof Berthold 


jelbft: die Schnelligkeit feines Nofjes, über das er die Herrichaft ver- 
foren zu haben scheint, trägt ihn in die Mitte der zur Flucht Ge- 
wandten und während zwei ihn umfallen, durchitößt ihn ein dritter 
vom Niücken her mit der Lanze, noch andere zerreigen ihn Glied mm 
Glied. Es war am 24. Sult 1198, als der Bischof mit feinem Blute 
den Boden Livlands weihte. Gute Saat follte daraus eriprießen! 
Den Liven freilich folgte das Verhängnis: Sshmen nach jeßte, von 
Mut und Trauer ergriffen, das chriftliche Heer und ruhte nicht cher, 
als bis getötet dalag, was in feine Gewalt fiel und die Saaten zer- 
treten md vernichtet waren. Bon Schreden gepacdt, boten die Liven 
den Frieden: an einem QTage nahmen zu Holm 50 die Taufe, am 
folgenden thaten in Uerfüll 100 das gleiche. Sm die Burgen aber 
mußten fie Briejter aufnehmen, diefen einen Scheffel Korn von jedem 
Bilug und Gehorjam verjprechen, dann erjt verließ das Streuzheer 
Livland, in welchem nur ein Kanffahrer, dejien Handelsleute bereits 
im Lande überwinterten, und die Briefter blieben. 

Und wieder das alte Spiel: faum glauben die Eingeborenen 
jich Sicher, jo Tteigen te in die Dina, wachen die Taufe ab, und 
zeigen Sich auffällig. Als Ste an einem Baum einen vob gejchnittenen 
Menschenfopf aufipüren, den ein SKreuzfahrer in die Ninde geichnißt, 
„halten fie Ddiefen Kopf für der Sachjen Gott md glauben, daß fie 
dadurch Überfchwenmung und Peftilenz iiber fich brächten. So fochten 
jie denn dem Brand) gemäß einen Met) und zechten und erholten 
fi) Nats, worauf fie den Kopf vom Baume abnahmen, Holz zu- 
Jammenbanden, den Kopf darauflegten und, al$ wäre e3 der Gott der 
Sachjen, mit dem Chrijtenglauben Hinter denen, die wieder abzogen, 
nach Gotland übers Meer Hinüberichiekten.“ 

Ein Monat etwa verging ohne offene Gewaltthat, als aber Die 
Witterung das Erjcheinen neuer Schiffe auszuschließen begann, brachen 
die Liven los, jtahlen dem Wriefterfonvent in Uerküll jeine Pferde, 
jo daß die Herbitiaat nicht bejtellt werden konnte, mißhandelten hier- 
anf die Brüder, worauf Ddieje, für ihr Leben bejorgt, nach) Holm 
flohen. 

Zur Faftenzeit traten alle Waffenfähigen zujammen, um zu be 
Ihliegen, wie die Fremden aus dem Yande zu vertreiben jeien: man 
fam überein, wenn zu Ojftern noch ein Briefter im Lande wäre, jolle 
er den Göttern geopfert werden; wollten die Briefter nicht ein nub- 


2,90, 2 


(ojes Martyrium auf fich nehmen, jo mußten fie der rohen Gewalt 
weichen: am 18. April 1199 traten die Elericer die traurige Abreije an. 
Wohl blieben noch einige Kaufleute, gegen große Gejchenfe an Die 
Livenälteften vor dem Ärgften gefchügt — aber die Kulturarbeit, die 
bisher gejchehen, jchien vergeblich, „die Kolonte hatte aufgehört zu 
exiftieren“. Sie neu zu beleben, bedurfte e8 eines Mannes, dev mit 
ungewöhnlichen Geitesgaben ausgejtattet, iiber größere Mittel jeglicher 
Art zu verfügen Hatte, al3 Meinhard und Berthold. 

Die Fügung hat unjerer Heimat diefen Mann nicht fehlen laljen. 


4. Kapitel. 


Mil des Krewes Wunderfegen 
Daht der Glaube, der bekehrt, 
Dpfermufge Pilger pflegen 

Auch die Tiebe [Hull und wert, 

Mid des Bandels weich Gefpinnite 
Zieht die Bildung mit herauf, 

Bis auch Wilfenfihaft und Rünfte 
Sıhließen ihren Zauber auf. 


Mard Jo Durıh desx Sıhwerts Perbindung 
Mit dem Kreuze Licht gelchafft, 
Mar 25 doch der Städte Gründung, 
Die dem Siege gab die Kraft: 
Huf die Burg nach blufgem Rifte 
Sprengf des Adels brav Gefchlecht, 
Poıh der Bürger ehrt die Sitte 
md Die Stadt das aufe Recht. 

(Alexis Adolphi.) 


Das Fundament ves Baues. 


Wer wühte nicht von dem Eugen und glaubensitarfen Bijchof 
Albert, der Niga erbaut, den Ritterorden errichtet und der in den 
(etten Hügen Tiegenden Kolonie neuem Ddem eingeblajfen hat, von 
ihm, defien Walten und Wirken fein Schüler, der Lettenpriejter 
Heinrich, in schmucklofer, aber inniger Spradie ung Späterlebenden 
überliefert hat? 

Albert von Burhowden oder Appeldern nannte ihn die frühere 
Geichichtserzählung, wahricheintih kommt feiner der Namen ihm zu. 
Er jtammte aus vornehmsten Bremijchem Adel, jeine Mutter war 
eine Schweiter des Erzbiichofs Hartwich IL, aus dem Gejchlecht der 
Utlede. Wen fie jedoch in erjter Ehe geheiratet, wer alfo Alberts Bater 
geiwejen, willen wir nicht, nur daß Albert zwei Brüder Notmar und 
Hermann hatte, jteht feit. Später vermählte ich die Mutter noch 
einmal und zwar mit einem Appeldern und wieder entjprofjen drei 
Söhne der Berbindung Engelbert, Dietrih (Theoderih) und Sohann. 

Die enge Befanntichaft Alberts mit dem Erzbifchof brachte ihm 
die Wirde eines Bremer Domherrn und damit eine Schule der hohen 
Bolitif, die ihm fein Leben hindurch zu ftatten gefommen ift. Den 
je weniger die Nachfolger des ehrbegierigen Adalbert diejen an Gaben 


re N RE 


und Thatkraft gleich kamen, umjomehr wurde das Stapitel der Mittel- 
punft der Tradition vergangener Tage. DVollends unter Hartwichs 
unglüclicher Negierung stieg Macht und Anjehen de8 Domfapitels, 
das zweimal Gelegenheit hatte, für den PBrälaten die Zügel in feine 
Hand zu nehmen. sn diefer Schule 1jt auch Albert zu dem geworden, 
als der er ung in dreißigjährigem Wirfen in Livland entgegentritt, zu 
einem Staatsmann eriten Ranges: Das Gleichmaß, das einem jolchen 
eignet, zeichnet auch ihn aus. Nicht weiß die Tradition von ihm 
Züge jentimentaler Harmlofigfeit wie von Meinhard, oder feurigen 
Übereifer3 wie von Berthold zu berichten: nirgends ericheint ev üiber- 
Ihwänglich, nirgends tyrannısch, überall jchwebt ihm das erreichbare 
Ziel vor den Augen, im Siege ijt er feit, aber den Bogen überjpannt 
er nicht, in der Gefahr bleibt er ruhig und wo die Gewalt nicht aus- 
reicht fie zu bejchwören, greift er zur diplomatischen Kunit der Lit; 
nur einmal hat er den Gegner zu hoc gejchäßt, Tonit bleibt ev Meijter 
der Umgebung, auch wo jie ihn zu beherrjchen jcheint. So war der 
Mann bejchaffen, der erit die dauernde und jtarfe Verbindung unferer 
Heimat mit dem Welten umjeres Erdteils geknüpft und ihr eine fejte 
Kulturbafis gegeben hat. 

Keinen Augenblic zweifelte Albert, dev wohl im März 1199 die 
Weihe eines Bilchofs von Livenland erhielt, daß nur dann die Million 
von Erfolg fein fünne, wenn der Ddentjche Name mit impojanter 
Macht im Diimalande erjcheine. Dieje zu jchaffen, jah er daher als 
jeine erite Aufgabe an. 

Politiih erfahrener als feine Vorgänger, erkannte Albert, das 
e8 vor allem gelte, jeiner Sache mächtige Gönner zu werben umd 
jene Faktoren zu Freunden zu haben, die der Feitjeßung der deutichen 
Macht in Livland mißgünftig zujehen könnten. 

Unter Ddiejen jtand Kanud VI. von Dänemark in erjter Neibe. 
Seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts war das dänische Neich von 
der Höhe, auf die e3 Kanıd der Große erhoben, jchnell herabgejunfen 
und in eine Periode des Verfall geraten, dem jelbjt die 1103 ein 
tretende Erhebung Lunds zum Erzbistum nur vorübergehend zu jtenern 
vermocht hatte.') Die ewigen Thromwirren und dynaftiichen Zoiitig 

) Zamprecdt 1. e. III. pag. 396 ff. nd 2. v. Nankfe Weltgejchichte VIIT. 
pag. 375 ff. 


feiten, die das altgermanische Erbrecht nach fich 309, zerriffen das Land, 
brachten e8 in Lehensabhängigfeit vom Reich und machten e3 zum 
Bielpunft Slawischer Biratenjfahrten. Der Neformator und Netter jeines 
Bolfes wurde Waldemar der Große, dem der nicht minder große 
Kanzler, Erzbiichof Abfalon von Lund, zur Seite ging: Eine neue 
Erbfolge, energiiche Züge gegen die jlawtichen Seeräuber jchufen nach 
innen wie außen Nuhe und eröffneten eine zweite großartige Epoche 
dänischer Erpanfivpofitif, die freilich) bald in Hemrich dem Löwen 
einen gefährlichen Widerjacher erhielt. Der Sturz des Welfen gab 
König Waldemar den Sporn, die Ojtjeeländer insgejamt jenem Szepter 
unterthan zu machen, ein Streben, das in jeinem Sohn Sanıd VI. 
einen thatkräftigen Vertreter fand. Mecklenburg, Nügen, Bommern 
fielen ihm zu, jelbjt am päpftlichen Hofe jah man mit Wohlgefallen 
auf diefe dänische Konkurrenz gegen die verhaßten Deutjchen. Zu 
dem politischen Auffchwung der Dänen gejellte fich ein materieller 
und geistiger. Der Heringsfang brachte Reihtümer ins Land, deutjche 
Sitten hielten ihren Einzug, ja jelbjt in Paris jtudierten junge Nor- 
mannen, denen bejondere Feinbeit in der Dialeftif und Senntnifje 
des römischen Nechts nachgerühmt wurden. 

Wenn Albert fih nun anjchiete, zuerjt an das dänische Hoflager 
zu reifen, jo hatte er damit umjomehr Necht, al$ der König und jein 
Kanzler Abfalon ihr Augenmerk auch dem fernen Dften zugewandt 
hatten, Ddejjen Seeräuber eine arge Gefahr für den dänischen Hanpel 
bildeten. Über Alberts Aufenthalt in Dänemark und ob er etwa 
wanııd gegenüber fich irgendwie verpflichtet, wiljen wir nichts, nur 
“ das wird als ficher berichtet, daß es ihm gelang, die Hilfe und Zu- 
timmung des Königs zu erlangen. 

Ebenjo glücte e3 ihm, deijen mächtigjten Bajallen, Waldemar von 
Schleswig, dejien Hand den Lübeder Hafen beherrjchte, zu gewinnen 
und dadurc Livland den Hafen zu bewahren, aus welchem dem Lande 
jeine Bilger und Streiter zuzogen. 

Sn anderer Werje Höchit jchiwierig war- die Zuftimmung des Erz- 
biichofs Abjalon von Lund zu erwirfen, der al3 geiftlicher Brimas 
des Neiches die von Bremen ausgehende Livländische Meilfton mur 
mit nmißtranischen Blicken betrachten fonnte, ja Livland wohl ats 
jein geitliches Erbteil anjehen mochte. Nichts Spricht mehr für Alberts 
Geihie, als daß er jelbjt in Lund die Belorgniffe zu zerjtreuen 


wußte, ohne, joweit wir wiljen, Zugejtändnifje bejonderer Art machen 
zu müllen. 

Die Hauptfrage aber blieb für Albert immer, welche Haltung er 
inmitten des ganz Deutjchland in tiefe Erregung verjegenden Bürger- 
frieges zwifchen den beiden deutjchen Königen einnehmen jollte. Sah 
doch das Ende des 12. Jahrhunderts Deutjchland zerriifen: zwijchen 
dem ritterlichen Staufen Philipp von Schwaben und dem Sohne des 
Löwen, Dtto von Braunjchweig, tobte grauenvoller Thronstreit umd 
wieder hallte der Auf durch die Lande: „Hie Welf! Hie Waibling!“ 

Wiüre Albert feinem Herzen gefolgt, jo wäre er an des Staufers 
Hoflager geeilt, aber jeine Klugheit gebot ihm Borficht, war doc) der 
große Bapit Innocenz III. des Hohenjtaufen Todfeind, lag doch auf 
(eßterem der Bann. Wie hätte es da Albert wagen dürfen offen Partei 
zu nehmen — e3 wäre das der Todesitoß für feine ltoländiichen Pläne 
gewejen! Erjt nachdem der Bapjt den Gläubigen Weitfaleng und 
Sacjens Ablaß verjprochen, wenn fie das Streuz zur Livlandfahrt 
nähmen, that er den entjcheivenden Schritt, der num nicht mehr jchaden 
founte, und erjchten in Magdeburg, wo König Philipp und feine Lieb- 
reizende Gemahlin, das Weihnachtsfeit feiern wollten. Im vollem 
föniglihem Schmud trat der Staufer hier auf und begeifterter Jubel 
umtönte ihn, dem Herr Walter von der Vogelweide poetischen Ausdruc 
verlieh, wenn er fang: 

„gu Magdeburg ging an den Tag, da Gott geboren 
Ward von einer Magd, die er zur Mutter erforen, 
Der König Philipp, Schön und tadelsohne; 

Da gingen König, Katjersbruder, Kaijerfind 

In einem Kleid, ob auch der Namen dreie find. 
Er trug des Neiches Szepter und die Krone, 
Gemejj'nen SchrittS ging er dahin, 

Ihn folgte fromm die hochgeborne Königin, 

Nos’ ohne Dorn, ein Täublein jonder Gallen. 
Solh' Feit noch jah man nirgendwo, 

&3 dienten ihm die Thüringer und Sachien jo, 
Daß er dem Weifen mußte wohlgefallen! 


Doc) troß alles aufgebotenen Brunfes war Philipps Stellung noch 
feine völlig gefeftete und thatfräftige Hilfe zu leiften war er nicht im 
Itande: nur die Güter der nac) Livland Anfbrechenden tm jeinen Königs 
Ihug zu nehmen, konnte ev verjprechen. Und unter den Herren am 

Seraphim, Gejchichte I. .) 


Hoflager nahın jo mancher das Streuz, darunter Graf Konrad von 
Dortmund und Hermann von burg aus dem Dsnabrücichen. 

Es war eime ftattlihe Mannjchaft, mit der Albert im Frühjahr 
1200 den entjcheidenden Schritt unternahm. 

Jicht weniger als 23 Schiffe jtarf jegelte die Flotte von Lübeck 
aus, forcierte nach langer Seefahrt dem Eingang zum Fluß und warf 
dann Anker.  Nachvem die Nitter und MNeifige ans Land geitiegen 
waren, zug Albert die Dina aufwärts, um die in Holm lebenden Ktauf- 
leute zu entjeßen; Doch Die Liven, der Größe der ihnen drohenden Ge- 
fahr bewußt, vaffen alle Straft zujammen und es gelingt ihnen einen 
fiegreichen Angriff auf ein Schiff zu machen und dejjen Bejaßung nieder- 
zuschlagen. Dann vücen fte vor Holm und belagern den in der Burg 
befindlichen Bijchof. ber das Streuzheer erlahmt nicht. Sieht es fich 
auch von Not und Hunger bedrängt, bilden jelbit Sinollen und Wurzeln 
einige Tage jeine Nahrung, in neuem Anfturm wird e3 der Heiden Herr. 
Hleichzeitig brennen friefische Bilger die Saaten der Liven nieder umd 
jagen den Feinden eimen derartigen Schreefen ein, daß te bejtürzt um 
Srieden bitten. Um fich ihrer beifer zu vergewiljern, jcheut man vor 
jchlauer Gewaltthat nicht zurücd: „Weil der Biichof jedoch,“ erzählt 
Heinrich, „ob der Treulofigfeit der Liven dem Frieden nicht traute, 
den, jte jchon vielmals gebrochen hatten, jo forderte er Geileln von 
den beiden Häuptlingen Aımo und SKaupo und den Nlteiten des 
Landes, welche, von den Deutjchen zu einem Trinfgelage berufen, all- 
zumal zufammenfamen und in ein Haus eingeiperrt wurden. Da jie 
nun fürchteten, man werde jte übers Meer nach Deutichland abführen, 
jo haben die Vornehmften der Diimaliven und der Thoreider ihre 
Stnaben, gegen dreißig, dem Heren Bilchof geftellt. Der nahm fie 
möhlich in Empfang, befahl das Land dem Herum und begab jich nach 
Deutjchland.“ 

Bierzehnmal, gewöhnlich zwijchen Oftern und Bfingften, ijt Albert 
während jener Wirffamfeit ins Mutterland gezogen, voll heiliger 
Begeifterung zum Auge nach Livland aufrufend und die Überzeugung 
wedend, daß es nicht ein Abentener, jondern ein hoffnungsvolles, 
zufunftsreiches Unternehmen jei, zu dem er werbe. Und er wußte fein 
Bolf, in.dejjen Blut der Stolonijtendrang nach Often mit unvermin- 
derter Unruhe lebte und dejjen Simm von dem jchwärmeriichen Trieb, 
zu Gottes und der Jungfrau Ehre das Schwert gegen die Heiden zu 


= 1,35, == 


ziehen, erfüllt war, gewaltig mit fich fortzureißen: wenn er durchs 
Land 309, „auf allen Straßen und in allen Stiftungen das Kreuz zu 
predigen und für jeine Kirche zu begeiftern und zu werben, dan ver- 
(ieß willig der Ritter die Stammburg feiner Bäter, es trieb den Mönch 
hinaus aus der Einjamfeit dev flöfterlichen Zelle, den Handelsmann 
und Handwerfer vom zrieden des heimatlichen Herdes. Alles Icharte 
Jich begeifterungsvoll um das Banner der heiligen Sungfrau, der Ba- 
tronin der Tivländischen Kirche”). HZahlreihe Edle Niederjachiens 
nahmen auf jeine eindringliche Mahnung das Streuz, andere verließen 
mit Weib und Kind, mit Gefinde und aller Habe der alten Heimat 
Boden, um im fernen Livland fich eine neue zu begründen. Neben 
heiliger Begeifterung jtand berechtigter Eigennuß: wußten jie doch, daß 
Albert fie gern empfing und ihmen reiches Land zu Lehen geben würde. 
Unter denen, die damals den Fuß auf livländiiche Erde jeßten, nennt 
der Chronift vor allem Konrad von Meyendorf, den Albert mit Uer- 
füll belehnte und der durd) jeine wilde Tapferkeit der Schreden der 
Feinde wurde, und den Nitter Daniel, dem Albert Zennewarden über- 
gab. ES find das die Anfänge der Erzitiftiichen Yehnsritterichaft, deren 
Glieder, ohne an Coelibat oder jonjtige Negeln gebunden zu jein, mit 
Weib und Kind auf den verlehnten Hänfern jagen und, richtig be- 
handelt, eine wuchtige Waffe in des Bischofs Hand bilden konnten. — 

Dod, jo nugbar die ins Land fonmenden Pilger und Nitter 
auch waren, in erfter Neihe galt es dem neugewonnenen Gebiet eine 
fefte Organijation zu geben, namentlich einen Mittelpunkt für die Ver 
waltung, die Miffion und den Handel zu jchaffen. Eine firchliche 
Verordnung, die den Biichöfen verbot auf die Dauer in Klemmen Orten 
oder Burgen zu vefidieren, mag binzugefommen fein, um in Albert 
den Gedanken zur feitigen, es gelte schnell an die Gründung einer 
Hauptjtadt des Livenlandes zu gehen. Yfescola und Holm waren zwar 
zur Beherrichung des Stromes bedeutungsvoll, aber ihre Entfernung 
von der Mimdung der Dina machte fie zur Anlage eines jtädtiichen 
Gemeimwejens jchon deshalb unmöglich, weil der Handel ich hier nie 
feftjegen fonnte. Diefer Heischte fategorisch die Nähe dev völferverbin 
denden See. Mit ficherm Bliet wählte Albert den Boden aus md 
faufte ihn von den Liven: dort etwa, wo Bilchof Berthold von den 


1) Kurd von Schlözer 1. c. pag. 69jf. 


—, al 


Heiden ermordet worden war, dort, wo der Nighebach ji in den 
Strom ergoß, follte die neue Stadt emporwachjen: die Stadt an der 
Nighe, das jpätere Niga. Schon 1201 ließ Albert eine Kirche — 
die nachherige Domfirche — und einige Gebäude für das Stapitel, das 
er aus Verfüll Hierher verlegte, errichten). Die Hauptjache aber war 
die Anlegung eines Marktes, auf dem die Kaufleute Handel treiben 
fonnten, ferner die Anfiedlung von Kaufleuten an diejenm Markt um 
aum dritten die Verleihung eines bejonderen Nechts an Ddieje angefie- 
delten Kaufleute. In dem Sinne fann Albert gewiß als der wirkliche 
Griimder Nigas gelten, dag er die Grumdbedingungen für die Eriftenz 
und Fortentwiclung einer Stadt erfannte, deren Fundament der Handel 
war md jein mußte. Nicht zutreffend dagegen tft es, Ihn jich als den 
Srbauer Nigas vorzuftellen, der etwa eine Mauer um die Stadt habe 
errichten laffen. Die leßtere haben die Bürger, die im Krühjahr 1202 
al3 die Erjten unter Alberts Bruder Engelbert von Appeldern aus Deutjch- 
(and anlangten, jelbjt und nur deshalb erbaut, um gegen Angriffe der 
Eingeborenen bejjer geiehüßt zu jet. Die Namen der erjten Bürger fennen 
wir nicht, doch jcheint das Wappen Nigas, das die Schlüffel Bremens 
und die Time Hamburgs aufweilt, auf jene beiden Städte als die Heimat 
derfelben zu deuten. Auf Bremen und das Wejerland deuten auch zahl- 
reiche Namen in Heinrichs Chronik, während e3 allerdings auffallend bleibt, 
daß weder im diefer, noch in der jpäter zu erwähnenden Neimchronif 
bis 1211 Männer aus Hamburg genannt werden”). 

Wenden wir nm den Maßnahmen unjer Augenmerk zu, Die 
Albert zum Wohl der neuen, jchnell emporwachjenden Stadt mit rühn- 
(ichem Eifer unternahm: 

Bor allem mußte er daran Denken, den neuen Markt gegen 
Itörende Einflüffe zu Schügen, jo gegen den Hafen an der Semgaller Ya. 
Deshalb Hatte ev Theoderich von Treiden, der zu Snnocenz III. geeilt 
war, um die Genehmigung für die Grimdung zu eriwirten, aufgetragen, 
den hl. Vater um eine Bulle zu bitten, die jeden Handel auf der 
Semgaller Aa unterjagte. Der Bapft willigte ein und erließ eme 
Bulle, die zu veipeftieren die deutjchen Kaufleute für höchit vorteilhaft 
hielten; jo wiırde Niga der Stapelplag auch für das Semgallerland. 

1) cf. A.v. Bulmerincq 1. c. pag. 12ff. 

2) cf. 3. ©. Kohl. Die Bremer beim Aufbau der Stadt Riga. 
Mitteilungen zur Geichichte Liv-Ejt-Surlands. XII. pag. 3—53, 


SE 


Den Kaufleuten, die fih in Riga am Marfte dauernd niederzu- 
faljen gedachten, übergab Albert je einen Wohnplab zum Aufbau eines 
Wohnhanfes zum Eigentum und verlieh ihnen einen bejonderes Necht 
nach dem Mufter des Nechts der deutjchen Stadtgemeinde in Wisby, 
aljo ein fir den Marktverfehr bejonders geeignetes Necht. Cine Stadt 
im eigentlichen Sinne, d. h. eine Gemeinwejen mit eigner Berfaifung 
wurde Niga freilich erjt im zwanzig Jahren, anfänglich war es eine 
jolche Sicherlich nicht.  Gehörte doch dem Bilchof aller Grund und 
Boden derjelben, joweit er ihm nicht an Bürger vergeben hatte; gab 
es doch noch gar feine feiten Gelege darüber, wer Bürger jei — noc) 
war es vielmehr ein jeder, er mochte frei oder unfrei, Dentjcher oder 
Undeutjcher jein, der am Markt Handel trieb! Der Bilchof allein war 
Herr der Stadt und der Mark, in der er Nodung und Nubung einem 
jeden, ohne jein Eigentumsrecht aufzugeben, gejtattete, in jeinem Namen 
übte ein von ihm ernannter Bogt oder Advofat die Polizei über 
die Straßen und den Markt aus, diefer Ipricht Necht über die Bürger 
im Auftrage Alberts, ohne daß wir eime Einjchränfung nachweilen 
fönnten, „er richtete an Haut und Haar, an Hals und Hand“, wenn 
auch schon Früh ihm zwer Birrger zur Seite jaßen, um darauf zu 
achten, daß das der Stadt verliehene Necht nicht verlegt wide. Aıch 
die Beitreibung der Gerichtsgefälle und des Bürgerzehnten lag dem 
Vogt ob. Nur darin läßt fich eine gewilie Emanzipation der Bürger 
nachweisen, daß der Advofat nicht, wie jonjt wohl, der Anführer 
war, wenns in den tampf ging: hierbei wählten ich die Bürger, d. h. 
die Kaufleute und Handiverfer, deren die werdende Stadt doch nicht 
entbehren Fonnte, ihre lteften, die ihmen voranftritten. Sie bil- 
deten aljo eine bejondere Genojjenichaft oder Schuggilde, die Brüder 
Ichaft des heiligen Kreuzes und der heiligen Dreifaltigkeit, die wahr 
Icheinlich auf dänische Vorbilder zurückgeht. Ob die Gründung der 
Gilde von den Kaufleuten und Handwerkern aus eigenen Antrieb ev 
folgt ıit, ob die Sagungen den Birgern aus den Händen der Geiit 
lichkeit überfommen, lafjen wir dahingeitellt. Dal aber die Eimficht, 
gemeinjame Gefahr geeint beifer beitehen zu künmen ebenjo zum Zu 
lammenjchluß der Kaufleute und Handiwerfer geführt haben wird, wie 
die Möglichkeit in Ddiefer Form der Not des Einzelnen guimdlicher 
begegnen, die Firchlichen Bedürfnifje vollfommmener befriedigen zu fünnen, 
dürfte zweifellos jein, wontit natürlich nicht ausgeichlojjen it, das 


Br en 


die Förderung des Handels und Die Hebung des Marktes an Der 
Nighe gleichfalls von der Gilde verfolgt worden ift'). Geriftet und 
gewappnet ind ihre Glieder ausgezogen, um jich die Handelsiwege 
nach Bologf und PBlesfau zu öffnen umd dadurc Macht und Anjehen 
der Bürgerjchaft zu heben. 

Ach die auswärtigen Kaufleute, die mm vorübergehend fich in 
Jiga aufbhielten, traten zu Gilden zulammen, die gewiß den in Wisby 
und Nowgorod, Bergen oder London gebildeten ähnlich) waren, fich 
freilich nicht, wie in diefen Städten, zu einer Gejamtgilde (gilda com- 
munis) vereinigen durften. 

Das waren die Anfänge der Stadt, deren Gejchiefe in der Zukunft jo 
eng und unauflöslich mit denen des übrigen Landes verichmelzen jollten, 
die damals bereits, um mit den Worten eines nenern Hiftorifers zu reden 
„ein Mittelpunkt Fir Die gewerbetreibenden Stlafjen, ein Zufluchtsort in den 
Tagen der Not, ein Hort für das Ehriftentum Livlands“ geworden war. 

Sp wichtig das Emporblühen Rigas für die junge Pflanzung un- 
zweifelhaft auch war, die werdende Stadt allein fonnte Albert ebenjo- 
wenig genügende Machtmittel zur Gewinnung des Landes darbieten, wie 
die Pilgrimme und Streuzfahrer, die im Frühjahr famen und im Herbit 
in ihre Heimat zurückehrten. 

Allein die Grimdung eines Nitterordens, der, tm Lande Sic) 
niederlaffend, der Milton fein gutes Schwert lieb, war im jtande 
Bilchof Albert die Waffe zu geben, deren er unumgänglich bedurfte. 
Aus diefem Motiv heraus findet denn auch die Errichtung des Ordens 
der „Brüder des Nitterdienites Chrifti“ (fratres militiae Christi), ge- 
meinbhin auch „Schwertbrüder” genannt?), jeine hinreichende Erklärung. 

Neochte derjelbe auch im Sabre 1202 gerade zu der Zeit ins 
Leben treten, im der Albert in Deutichland weilte, jo fanı es doc) 
gar feinen Zweifel unterliegen, daß Albert den Auftrag gegeben und 
die Grimdung in feinem Geijte jtattgefunden hat. Nur jo finden wir 
die Gründe für die VBerfaflung des Ordens, deren Hauptpunft im Gegen- 
lab zu Templern, Kohannitern und Marienrittern darin gipfelte, daß 
der geistliche DOberherr desjelben nicht der Bapft, jondern der Bilchof 
von Riga jein jolle. Mag auch Ddieje Unterordnung nicht gerade der 


Zack 6. Mettig’s Kritif des Bulmerincgihen Buchs. Balt. Monats- 
jchrift 1894. Meaiheft. 
2) Der Ausdrufd „Smwertbrudere“ taucht zuerit in der Neimchronif auf. 


— 939 — 


Lehnspflichtigkeit gleichgefommen fein, jondern nur in der ner 
fenmung Alberts als geiftliches Oberhaupt (dominus spiritualis) be- 
Itanden haben, Thatjache ift es jedenfalls, daß fie beitand und dat der 
Orden als jtehende Truppe die Eroberung des Landes im Stampfe 
gegen die Heiden als jeine Aufgabe zugewiejen erhielt"). Ar feiner 
Superiorität mußte Albert aber umfjomehr fejthalten, als er gewiß; 
vorausjah, daß der Orden, durch Ddejfen Schwert die Schlachten ge 
Ichlagen wurden, tm Gefühl feiner Unentbehrlichfeit nur zu bald empor- 
jtreben wiirde. Wurde der Bapft das Oberhaupt des Ordens, jo wäre 
die notwendige Folge die gewejen, daß letterer über den Biichof hin 
weg der alleinige Herr Livlands geworden wäre. 

Bapit Sinocenz, dejfen Herrichernatur mit Yivland weitreichende 
Vläne vor hatte, wußte fich vorläufig zu bejcheiden und bejtätigte durch 
eine Bulle vom 12. Oftober 1204 die Verfaffung des Ordens in dem 
von Albert gewünschten Sinn. Wußte der Bapit doch, daß fich ihm auch 
jo Gelegenheit zu direktem Eingreifen bot, jo bald er jte nötig hatte, 
ja daß jelbft der Katfer, von dem Albert einige Jahre jpäter Yivland 
zu Lehen empfing, ihn nicht ernftlich zu hindern vermochte — jtand 
doch der Statthalter Chriftt nach mittelalterlicher Anjchauung weit 
itbev jeder weltlicher Gewalt, auch über dem Kater, und einem jeden 
Chriftenmenjchen, alfo auch dem Orden, war es geitattet, jich direkt 
nach Nom um Nat und Hilfe zur wenden, wo man jelbjtveritänd- 
(ich eine jo willfonmmene Gelegenheit jeine Macht zu beweilen, gen 
erarifi. 

Daß auch der Orden von Diejem Diveften Stlagerecht Gebraud) 
machen wirde, lag auf der Hand, da ihm hierdurch die Handhabe zur 
Erweiterung der eigenen Gewalt auf Koften der biichöflichen geboten 
purde. 

ir werden daher nicht umbin können, zu betonen, daß die 
Stauteln Fir die Zukunft, die Albert bei Gründung des Ordens ge 
ichaffen, Sich gleich zu Beginn als hinfällig und zu jchiwach eviwiejen, 
ja daß; gerade in dem von ihm gejchaffenen Abhängigkeitsverhältis 
des Ordens, weil es nicht feft genug und nicht präziie gefmiüpft war, 

!) Auf die Kontroverje über die Stellung des Ordens zum Biicyof, in der 
Bulmerincq neuerdings fich, freilich ohne jede Beweisführung, für Mettig gegen 
Bunge entjchieden hat, welch’ Tekterer das Lehnsverhältnis annimmt, fanı hier 
nicht eingegangen werden. 


ee 


der Keim unfeliger Vervvieflungen und Kämpfe in fommenden Tagen 
gelegt war. 

Die Negel, nach der Aibert den Schwertbrüderorden organilierte, 
war die der Templer'). Doch werden wir uns davor zu hüten haben, 
anzunehmen, daß der liwländische Orden bet der jehr geringen Zahl 
jeiner Glieder md der furzen Zeit jeines Beitehens die überfommtenen 
Sormen in allen Sticken lebendig hat machen fünnen. So manche 
Borichrift, jo manche Einrichtung des Templerordens it bet uns ent- 
jeder garnicht beobachtet oder aber erheblich abgeändert worden. Zur 
vollen Entfaltung hat es dem Schwertbrüpderorden ja an allen Be- 
dingungen gefehlt. Doch die Grundzüge des Templerordens finden wir 
auch in Livland wieder. Much Hier mußten Die in den Orden Treten- 
den die Gelüibde des Gehorfams, der Kenschheit, der Armut und des 
Stampfes gegen die Ungläubigen ablegen und jich auf Lebenszeit auf 
fie verpflichten. Das Gelübde des Gehorjams nahm dem Eintretenden 
die eigene Berfügung über jeine Berjon; ohne Erlaubnis des Meiters 
oder Ddefjen Bertreter durfte er weder die Wohnung verlaffen, noc) 
Briefe jchreiben oder lejen. 

Das zweite Gelübde verbot den Brüdern jogar, das Antlit eines 
MWeibes genau zu betrachten, geichweige denm zu füllen und nahın hier- 
von nicht einmal Mutter und Schweitern aus. 

Ebenjo jtreng waren die Vorschriften über die Armut. Steiner 
durfte ohne beiondere Erlaubnis Münzen bei jich haben, feiner durfte 
Eigentum befißen, jJondern mußte alles Erworbene dem Orden über- 
antworten. Nicht einmal einen Schlüffel an feinem Kaften zu haben, 
war gejtattet. — 

Db eine Wrüfungszeit, wie fie der Tempelorden nach jeiner Negel 
verlangen mußte, der Aufnahme in den Orden bei uns voranging, 
icheint zweifelhaft, ja im Hinblick auf den nicht großen Andrang tüch- 
tiger Sträfte und die Doch großen Aufgaben, welche die Schwertbrüder 
jich geitellt, unglaubwinrdig. Wohl aber mußte der Aufnahme in die 
Zahl der Ritter des Ordens, die durch Umtlegung des Mantels durch) 
den Meter geichab, die Erlangung der Nitterwürde dorangegangen 
jein, da ein Ordensbruder nicht zum Nitter gejchlagen werden konnte. 

Das Tagewerf eines Drdensbruder var durch vielfache Gebete 


!\ cf. Dr. 5. ©. von Bunge. Der Orden der Schwertbrüder. Leipzig 1875. 


Er 


und Faten ausgefüllt, von denen nur Krankheit oder Berufspflichten 
befreien fonnten. Sobald die Kompflete (dev legte Abendgottesdienit) 
vorüber war, jollten alle bis zur Prime (dev Morgenandacht) tiefes 
Schweigen beobachten, aber auc) jonjt war unnüges Neden verboten 
und während der gemeinjam eingenommenen Mahlzeiten las ein Bruder 
eine heilige Lektion, um dem Sprechen vorzubeugen. 

Sn allen Stücen jollte ferner die größte Einfachheit gelten, jo in 
Speife md Tranf, im der Kleidung und Nüftung, in den VBergmü 
gungen, aus denen jogar die sagd, es jet denn die auf Naubttere, aus 
geichloffen war. 

Unter den Brüdern nahmen die erjte umd herrjchende Stellung 
die Nitterbrüder ein. Eidlich mußten fie bei der Aufnahme verfichern, 
daß fie aus ritterbürtigem Gejchlecht und ehelich geboren jeien, danı evit 
erhielt der Eintretende nach abgelegtem Gelübde den Mantel aus weißer 
Sarbe, auf defjen linker Bruftieite ein votes ireuz angeheftet war. Wahr- 
jcheinlich evft 1210 wurde noch, zur Unterscheidung vom Tempflerorden, 
unter dem Kreuz ein mit der Spite nad) unten gerichtetes Schwert 


von gleicher Farbe angebracht. Die Kleiwung bejtand jonjt aus einem 
langen, oben ausgejchnittenen weißen Noc; im Felde dagegen führte 
der Ritter Schild, Schwert, Lanze und Steule und vitt Schwer gepanzert 
gegen den Feind. Die Nüftung, die Waffen, drei Streitrofje und einen 
Knappen jtellte einem jeden der Orden. Galt nun auch, wie wir 
hervorhoben, ritterbürtige Abftammung für notwendig, jo jcheinen Doc), 
wenigjtens anfänglich, die Glieder der befanntern Rittergeichlechter vom 
Eintritt fich ferngehalten zu haben, jelbft die beiden Meifter gehören 
unbefannten Familien aı. 

Die zweite Hlafje des Ordens bildeten die Briefterbrüder. Sie waren 
die Geiftlichen und Beichtiger des Ordens, auf dejjen Schlöfiern fie jaßen, 
wenn fie nicht in Striegszeiten mit dem Heer ins Feld zogen. Das Schwert 
fehlte ihnen natürlich an der Seite, wie auf dem Mantel — ritterbürtige 
Abftammung war bei ihnen eben nicht nötig, wenn natürlich auch zuläifig. 

Eine dritte Gruppe waren die „dienenden Brüder“, bei denen 
die Nitterbürtigfeit nicht erlaubt war. Wohl aber mußte der Ad 
zunehmende erklären, daß er Niemandes Knecht oder Sklave jei. Wahr 
Icheinlich zerfielen die dienenden Brüder in Livland wie int QTempler 
orden in zwei Abteilungen, die Brüder Wappner oder Nnappen, Die 
auf dunklem Gewand dag Kreuz und Schwert trugen, an der Tafel 


BE re 


zujammen mit den andern Brüdern jagen und im Felde in Leichter 
Anfrüftung den Nittern zur Seite ftanden — und die Brüder Yand- 
werfer, die weniger angejehen waren und fi) aus Köchen, Schmieden, 
Bäcern u. A. zufammtenjeßten. 

Einen ganz eigenartigen Teil des Drdens machten die „Meit- 
briider* aus, die, ohne die Gelübde zu leiften, der Wohlthaten der 
Drdensglieder teilhaftig wurden, infonderbeit an den geistlichen, Hoc) 
gehaltenen Vorteilen des Ordens partizipierten. 

Hu diefer Gruppe konnten auch VBerhetratete gehören, überhaupt 
wurde bei Aufnahme in diejelbe feine ängftliche Nücjicht auf Stand 
und Herkunft genommen. — 

Das Haupt des Ordens war der Meifter, der in Riga feinen 
Sib hatte und dem alle Brüder zu widerjpruchslojenm Gehorjan ver- 
pjlichtet waren. Statt der drei Pferde der andern Nitter hatte er 
vier, die er fi) jelbft wählen konnte, ein ritterbürtiger Sinappe be- 
gleitete ihn, ein Ordenspriefter jtand als Ktapellan und Kanzler ihm 
zur Seite. Sm striege, wo er das Heer führte und auch den nicht 
zum Orden gehörigen Teil befehligte, wie im Frieden gab jein Wort 
allein den Ausjchlag. Selbit wenn ev in wichtigen Fällen die Ver- 
Jammmlung der Nitter, das Generalfapitel, zujammenberief, war er an 
das Votum derjelben nicht direkt gebunden. 

Die übrigen Beamten haben fi) offenbar bei der funzen Blüte 
des Ordens nur wenig ausbilden fünnen. Smmerhin lajjen fich einige 
Momente für die Organtjation doch fixieren. Dem Großfomthur der 
Templer, der bei Erledigung des Meiftertums in Wirkfamfeit trat, 
entiprach offenbar der Bräzeptor, neben dem es einen Schagmeifter 
oder Treßler und einen Drapier, dem die Anschaffung, Bewahrung 
und Austerlung der Kleider und Rüftungen oblag, gab. Den Provinzial 
meiltern der Templer: gleichzufeßen find die Meifter in Wenden ud 
Segewold, die wohl auch Komthure hießen. Später gab e3 neben 
den Meifter noch folgende Befehlshaber von Hauptbürgen oder Kton- 
thure: von Neval, Fellin, Wenden, Segerwold, Aicheraden. Auf Eleinern 
DOrdensjchlöffern befehligten Pfleger, während die Vögte oder Advofati, 
von denen jolche in Harrien, Serwen, Saccala und Dejel nachweisbar 
find, offenbar Steuerbeamte des Drdens waren. Die in demfelben 
Schloß oder „Haufe“ wohnenden Brüder bildeten den Stonvent, ihre 
Berfammlung zu gemeinfamer Beratung hieß dag Kapitel, 


Eigentümlich war das Berhältnis zu Riga: die Ordensbrüder 
galten — wenigitens jeit 1226 — als Bürger, unterjtanden aber 
natürlich nur der biichöflichen Surisdiktion. Sm Nat der Stadt 
figen zwei Brüder, wie denn auch zu den Steuern, die die Stadt auf 
die Grumdftüce legte, der Meifter in Verhältnis jeinen Anteil zahlt. 
Auch bei einer VBermögensitener zahlt der Orden gleich einem auf 700 
Marf geichägten Bürger. Endlich ift der Eintritt in den Orden einem 
jeden Bürger mit all feinem Vermögen geftattet. 

Eine weitere eminent wichtige Maßregel geht auf die eviten 
Sahre Biichof Alberts zurück: die Gründung des Eiftercienjerflofters 
zu Dünamünde, das neben dem aus Vexrfüll bereits 1201 nach Riga 
übergeführten Auguftinerfonvent dem Bischof die geiftigen Waffen geben 
jollte, deren er nicht entbehren fonnte. 

Das Klofter Dinamimde ist entweder eine direkte Gründung Des 
Mutterflofters Marienfeld oder aber des thüringischen Klojters Pforte '). 
Mit dem Plan es ins Leben zu rufen hat jich Albert jedenfalls jchon 
1204 getragen, bereits 1205 ließ er den Bau beginnen und 1208 
hatte er die Freude, ihn von den Mönchen bewohnt zu jehen, zu deren 
ersten Abt er den treuen Theoderich von Thoreida bejtimmte, der 
ihon unter Meinhard den Liven das Evangelium gepredigt hatte. 
Nächit dem Nigaer Dom wurde Dinamünde der Ausgangspunkt neuer 
Klöfter, fo Padis in Eftland, neuer Pfarren umd Kirchen, die von 
Giftereienjern oder Brämonftratenjern bevvohnt, der Milton und Kultur- 
arbeit gewaltige Dienfte geleiftet haben. 

sm Jahre 1209, als Dünamünde bereits unter Dach und Fad) 
ftand, that Albert endlich noc einen Schritt von nicht geringer Wicd)- 
tigfeit: er verwandelte das aus Uerfüll an jeine Domkirche verlegte 
Auguftinerftift in einen Prämonftratenjerfonvent?). 

Man hat e3 auffallend gefunden, daß er feinem Domkapitel die 
Hegel eines Ordens gegeben, dejjen Blütezeit eigentlich jchon vorüber 
war und den die Giftercienfer, deren Bedeutung Albert ja hoch genug 
ichäßte, weit überflügelt hatten. Sedoch erjcheint es dem aufmerfiamen 
Beobachter jo unerflärlich nicht, warum Albert jo gehandelt. Einmal 
ipielten unzweifelhaft perjönliche Momente mit: lebte in ihm doc) die 

I cf. Fr. dv. Kennler. Die Gründung des Eiftercienjerflofters zu Dünaminde 
in Livland. Programmabhandlung des livl. Yandesgymnafiums zu Sellin. 1884, 

?) ef. &. Mettig. Zur Verfaffungsgejchichte des Nigajchen Domfapitels, 


a er 


Erinnerung an das Wirken des hl. Norbert, des Gründers der Prä- 
monjtratenfer, das ihm auch in jeinem Leben als leuchtendes VBorbild 
dienen mochte; hatte er doch in den beiden Bijchöfen des Ordens 3 
fried und Philipp von Nageburg, mit denen ev befreundet war, Männer 
vor Augen, denen er jchon als Bremer Domberr fich genähert und Die 
ihm dann im feiner Thätigfeit in Livland vatend md helfend bei 
Seite Standen. Er hätte daher wohl jchon gleich die Neform des 
Stapitels vorgenommen, wenn e3 nicht die Nückficht auf jeinen Bruder 
Engelbert, den PBropit des Stapitels, gewejen wäre, die ihn zuriücd- 
gehalten. Als aber Diefev 1209 ftarb, wurde der Brämonftratenfer 
Sohannes jein Nachfolger und das Kapitel nahm noch im felben Sahr 
das Gerwand diejes Ordens au, wenn auch die Erteilung der Negel 
erit drei Jahre ipäter (1212) erfolgen mochte. Gerade in diejen Sahren 
tritt Bilchof PHilipp von Nabeburg als einer der hervorragenpften 
Mitarbeiter Alberts in den Vordergrund: fam er doc) 1211 nach Yiv- 
(and, wo jeine Frömmigkeit und Gerechtigkeit bald in aller Weumpe 
waren. Dürfte es zu weitgegangen fein, wenn \pir Ddiejer Liebens- 
windigen Berjönlichfeit einen nicht geringen Einfluß auf die Ummwand- 
(ung des Domfapitels zujchreiben? 

Doch nicht diefen perjönlichen Momenten allein fanı die Neform 
zugejchrieben werden. Auch Sachliches wirkte beftimmend mit. 

Die Eiftercienfer waren ihrer Negel nach nur auf die Entwicklung 
des innern religiöjen Lebens bejchränft, fie jollten eigentlich nicht Seel- 
jorge und Meifiton treiben, noch Predigt halten, jondern das ascetijch 
abgeichlofjene Mönchtum in größter Neinheit darstellen. Nur ein 
Totbehelf war es, wenn auch diefer Orden, der Macht realer Dinge 
weichend, die jich ftärfer erwies, als alle Theorie, fie) der Milton 
hingab. E& liegt num auf der Hand, daß zur Bildung eines auc 
mit weltlichen Dingen vielfach in Berührung kommenden Domfapitels 
die Gijtercienferregel abjolut ungeeignet war. 

Aber, fan man einwenden, warum ließ Albert das Augustiner- 
habit nicht dem Kapitel? Nun, politische Pläne Haben hier den Aus- 
ichlag gegeben. Es war das Beitreben Alberts ich den Gelüften des 
Bremer Erzftifts nach einer geiftlichen Suprematie über Livland zu 
entziehen; war doc) Cegeberg, wo Meinhard zuerft gelebt, eine Kirche 
der Bremer Diözöfe und war e8 da nicht möglich wenigitens einen Schein 
von Abhängigkeit des Nigaschen Domkfapitel3 zu behaupten, wenn e8 


ig 45 Br 


diejelbe Negel hatte, wie das Segebergjche Augustineritift? Selbit das 
jcheinbare Zeichen der Abhängigkeit mußte verschwinden; wo fonnte jich 
da ein bejjeres Mittel finden als die Verleihung des Brämonftratenjer- 
fleides, dejjen Trägern ein fürmliches Dogma die völlige Unterwürfig- 
feit unter die bijchöfliche Gewalt gebot. So ericheint auc hierbei Albert 
als der weije, alles jorgjam abwägende Baumetiter Livlands. — 

Die Waffen, weltliche und geiftliche, waren gejchmiedet — jebt 
galt eS die deutjche Herrjchaft mit Schwert und Streuz in den Yanden 
der Liven, Letten md Eiten feit zu begründen. — 


balvapıtel,. 


Bilthof Albert im Kampfe mit ven Einaebwrenen 
und ven ımmern Widerlachern. 


Das Bolf, im Ddeifen Gebiet der Kaufmann und dev Mönch zu= 
erit gekommen waren, die Liven, war aucd) dasjenige, welches Früher 
als die andern dem Chriftentum gewonnen wurde TQTroß mancherlei 
Ungemach, troß der Einfälle der ruljüchen Fürjten von Gercife und 
Bologf, der KLetten und Yittauer und troß des Widerjtrebens der 
Liven jelbjt, wurde durch die aus Deutichland kommenden Bilger die 
Herrichaft gefeftet und die neue Zehre ihnen aufgegvungen. Sm Winter 
1205 auf 1206 beugten jich die Dünaliven und im folgenden Sabre 
1206 auch die Thoreider, deren erjter Häuptling Kaupo auf Kubejele 
bereits jeit längerer Zeit jeinen aufrichtigen Frieden mit Albert ge- 
macht, fie erhielten ihre Heer und Dörfer wieder, mußten aber ihren 
Anteil an den noch von Meinhard errichteten Burgen aufgeben. Ein 
Anfitand, den fie im Bunde mit dem russischen Fürsten von Bologf 
noch im jelben Jahr unternahmen, wurde bald gedämpft und wenn 
auch 1212, durch Übergriffe des Ordens hervorgerufen, eine erbitterte 
Erhebung des Livenvolfes zu verzeichnen tft, der jtch jelbit Naupo an- 
ichloß, jo war die Unteriverfung, mochte jte auch große Mühe bereiten, 
eben nur eime Frage der Zeit, eine Abjchüttelung der deutichen Herr- 
\chaft undenkbar. Das erfannte Feiner bejjer, als Kaupo, der zum 
entjchtedenjten Barteigänger der Deutichen geworden war, nachdem er 
mit Theoderich von Treiden die heilige Apojtelitadt am Tiber bejucht 
hatte. Wie hätte es auch anders jein fünnen? Wie hätte das Natur- 
find nicht jchon bei jeiner Neife durch Deutjchland erfennen mülfen, 
wie ohmmächtig jeim Bolf gegenüber den durch Burgen und Städte, 
Durch veilige Meannen gewaltigen Deutjchen war. Und vollends die 
ewige Noma! Nicht nur jchauen durfte er hier den heiligen Bater, 


RAT 1 


auch mit ihm zu veden war ihm vergünnt. Der große Snmocenz 
nahm ihn gnädig auf, „er fühte ihn und nachoem ev über den Zuftand 
der um Livland her befindlichen Völker viel nachgefragt, Itattete er für 
die Defehrung des livischen Bolfes Gott veiche Dankfjagung ab. ad) 
Verlauf einiger Tage hat Dderjelbe hochwürdige Bapit Snmocenz Dem 
Kaupo jeine Gejchente, nämlich 300 Goldgulden dargereicht und ih, 
als er nach Deutichland zurücfehren wollte, mit vechter Zärtlichkeit 
Lebewohl gejagt und ihn gejeguet und eine Bibel, von des jeligen 
Bapjt Gregorius Hand gejchrieben, dem Livländiichen Bischof durd) 
den Bruder Theoderich zugeichiet.“ 

Das muhten Eindrücke für das ganze Leben jein! nnlichen er- 
lagen gewiß auch die Liven- und Lettenfnaben, die Albert zur Er- 
ziehung in deutjche SLöfter gebracht hatte und die nun heimfehrten, 
um Mitarbeiter des Bilchofs in der Unterwetiung ihrer Stammes- 
genofjen zu jein. Sind auch ihre Namen in Dunkelheit gehüllt, ihr 
Thun ift ficherlich nicht ohne Segen geblieben. — 

Auch gegen die andern Stönme begann bereits erfolgreiche Niflton. 
Ein Teil der Letten und der veriprengte Wölferjplitter der Wenden 
nahmen die Taufe und jelbjt mit den Nuffen, die befanntlich eine Art 
DOberhoheit beanjpruchten, gelang eine ftegreiche Auseinanderjegung: Die 
russischen Teilfürjten von Sufenois und Gercife, Balallen des Grop- 
fürjten von Bologf, wollten Alberts Herrichaft über die Liven und 
Letten des Dinagebietes nicht anerfennen, doch ev zwang fie mit der 
Schärfe des Schwertes. Kufenois janf in Trümmer umd die ftattliche 
neue Burg Stofenhujen, die Dortjelbit errichtet wurde, wurde dem 
Nitter Nudolf von Sericho zu Lehen vergeben. Wiewolod von Gercife 
mußte auf dem Schloßhof zu Niga fein Gebiet als biichöfliches Lehen 
in Empfang nehmen und Wladimir von Bologf verzichtete jchlieglich 
1212 auf jeine Liwländischen Anjprüche. So verichtwinden Die ruiitichen 
Beitrebungen bier in Südoften des Landes völlig. 

Und jchon beginnt im Lande jüdlich der Dina deutjcher Einfluß 
mächtig zu werden. uch die Semgaller um die Burg Terweten, Die 
dem Häuptling Welthard gehorchten, wenden fich den Deutjchen zu: 
fie warnen Niga dor den Littauern, die 1205 einen Zug tief ins 
Land unternehmen; bei Nodenpois jegen jich Die Nigenjer und Sentgaller 
den mit Schwerer Beute heimmvärts Zichenden entgegen und mod in 
der Hiße des Kampfes schließen Deutjche und Sengaller auf Jahre 


hinaus Bundesgenofjenichaft: befiegt flüchten die Yittauer Yidwärts. 
Die Deutichen aber errichteten an der Dina im Lande dev Selen die 
Itattliche Felte Selburg. 

Yu eine Wolfe jtieg am Horizont auf: die erjten Anzeichen der 
Selbjtänpdigfeitsbeitrebungen des Ordens. Diejer, dem die Unterwer- 
fung des Landes vor allem zu verdanken war, heiichte dringend jeinen 
Lohn und zwar in Gejtalt von Land. Nur ungern it Albert den 
Winnjchen der Nitter entgegengefommen, aber ihrem Drängen vermochte 
er nicht zu widerftehen. Ziweterlei verlangten fie: ein Drittel alles er- 
oberten und alles noch zu erobernden Gebietes. Den erjten Tetl der 
‚sorderung gewährte er, dem zweiten verjagte er mit dem Benterfen 
die Gewährung, er fünne nicht verjchenten, was er nicht befiße. 

Der Meifter Wenmo gab fich zufrieden und wählte das Yand 
jenjeits der Livländer Aa. Najch wuchs hier die Burg Wenden empor, 
Ihr folgten Segewold an der Na und Aicheraden an der Dina, wäh- 
vend Ylbert Segewold gegenüber etwas jpäter (1213) das Schloß 
‚sredeland (Treiden) erbauen ließ. 

Die Einbuße an Macht, die Albert durch die Abtretung Des 
einen Drittteil$ zweifelsohne erlitt, wußte der Biichof in anderer Were 
wettzumachen. Us ev 1207 im April am Hoflager König Philipps 
von Schwaben zu Sinzig am Niederrhein evichten, gab ihm Ddiejer 
Livland zu Lehen und erhob ihm damit zum Fürjten des Neiche. 
Auch perjönlich erwies jich ihm der König geneigt, indem er ihm eine 
jährliche Geldhilfe von 100 Mark Silber zuficherte. 

Alfo ward auch das polittiche Band mit dem Meutterlande ge- 
fniipft und die erite glänzende Bertode der Thätigfeit Alberts dur) 
hohe Anerfennung gekrönt. 

Ein entjeßliches Ereignis machte derjelben im jüher Weile ein 
plößliches Ende: die Ermordung des Meifters Wenno im Schloß zu 
Niga durch einen wahnfinnigen oder bis zum Berbrechen leidenjchaft- 
lichen Ordensbruder. Weil der Meifter ihn od jeiner Unfähigkeit von 
der Burg von Wenden abgejegt hatte, beichleß er Nache zu nehmen. 

„Eines Tages — erzählt die Neimchronif — nun es gejchah, 
Daß er den Meijter vor fich jah 

Heimlich einen Nat treten an 

Mit einem frommen Stappelan. 

Da jhlich er argliftig dar, 

Das fie jein nicht wurden gewahr — 


en Ad) = 


Und er zu Tode beide jihlug! 

Der Mord war jammervoll genug, 
Ohne das e3 ihm gut darum ging: 
Gar jchnell man ihn deswegen fing 
Und jegt ihn peinlich auf ein Nap. 
Gar wenig jemand für ihn bat; 
Das deuchte guten Leuten Recht, 
&3 war NRitter oder Stuecht, 

Sie gönnten den Tod ihm wohl 
Wie man Ungetreuen joll.‘ 

Sp war der Mörder wohl vom Arm der Gerechtigkeit ereilt, aber 
der Wechjel im Meifteramt brachte Albert Schwere Zeiten. Naturgemäß 
hatte Wenno Albert gegenüber in pietätvoller Unterordnung gejtanden, 
der zweite Meifter — Bolquin — wußte hiervon nichts. Sein auf- 
jtrebender Ehrgeiz repräfentiert die Selbitjtändigfeitsgelüfte des Ordens, 
der nicht mehr unter, jondern als em Gleicher neben dem Btichof 
itehen wollte. 

Huperlich in Eintracht, innerlich völlig divergierend, mußten die 
beiden Männer die Entjcheidung über die fiir Livland jo Hochbedeutjame 
Frage in einer Höhern Stanz vorlegen. Und wieder war der Bapit 
der Schiedsrichter. Der Katjer fam nicht in Betracht, denn Philipp von 
Schwaben war 1208 zu Bamberg jchändlich ermordet, Otto von Brauı- 
ichweig nicht überall anerfannt. So find denn 1210 die ftreitenden 
Barteien in Livland, Albert und VBolquin, in Rom erjchtenen und haben 
Bapjt Snnocenz III. die Entjcheidung unterbreitet. Ste erfolgte jchnell, 
ihon am 20. Oftober ließ der Bapjt eine Bulle ausgehen, die einer 
weltgejchichtlichen Bedeutung nicht entbehrt und einen in feiner Art 
gewaltigen Plan entrollt!), der freilich Allen unerwartet gekommen 
fein mag: „Auch ihn lockte der jungfräuliche Boden Livlands der noch) 
feine Bergangenheit von überfommenen Nechten, Vorurteilen und Ge 
wohnheiten Hinter fich Hatte, um bier ein neues Gebilde ms Leben 
zu rufen.” Ein Staatliches Gemeimvejen, das einzig im Bapjt jein 
Oberhaupt ah, einen Stirchenftaat im äußerten Nordojten germantjcher 
Ehriftenheit, das jchwebte Innocenz vor, als er die Bulle vom 20. Of 
tober auszufertigen befahl. Meit vaffiniertem Gejchie tt ev ans Wert 
gegangen. HZuerft galt es die von Bremen in Anjpruch genommene 

1) cf. TH. Schiemann ]. ce. pag. 25, wo nad) Dehio „Sejchichte des Erzbis 


tums Hamburg-Bremen“ Höchjt anjchaulich referiert wird. 
Seraphim, Gejchichte I. 4 


— 50 — 


Oberhoheit zu zerftören. Deshalb erteilte er Albert die Befugnis, „in 
üiberjeetichen Lanpen, welche Gott durch die Liwländische Stiche dem 
chriftlichen Glauben unterwerfen wide, gleich) wie ein Erzbiichof, 
Bilchöfe zu wählen und zu weihen“. Doch weit entfernt Albert auch 
die Herrichgewalt über das ganze Livland zu fichern, geht die Bulle 
ausprüclich auf die Zerjtücelung des Landes und die Verewigung der 
tmern Uneinigfeit aus. 

Es dürfte geboten Jen, aus der für unferer Heimat Schickjale 
lo verhängnisvollen Bulle die wejentlichiten Bunte hierher zu jeßen. 
Kachdem der PBapjt dem Drven das eine Drittel vom Liven- und 
Lettenland ausprücklich bejtätigt, verfügt er, daß der Orden dem Bijchof 
„feinnerlei weltliche Dienfte dafür zu leisten habe, außer day 
die Brüder die BertHeidigung der Kirche und der Provinz gegen Die 
Heiden fir ewige Zeiten zu übernehmen Haben und ihr jedesmaliger 
Meifter dem Bischof von Niga die Obödienz, den geiftlichen Gehorjan, 
geloben wird. Die Brüder aber umd die Clericer, welche fie geiftlich 
bedienen, jollen dem Bilchof weder den Zehnten, noc) die Eritlinge, 
noch auch Spenden und Stuhlgeld entrichten. — — — 68 jollen 
aber die Brüder und ihre Nachkommen das Necht haben, im Fall der 
Bafanz jener Kirchen (1. e. im Ordensgebiet) dem Bilchof von Niga 
geeignete Berfonen zu präfentieren, die er in feiner Pflicht als Seel 
jorger zu bejtätigen feinen Anjtand nehmen wird. — — — Bon den 
Ländern aber, welche mit Gottes Hilfe die genannten Brüder außer- 
halb Livlands oder Lettlands mod) erwerben werden, jollen jie dem 
Bilchof von Niga feinerlei Nechenschaft jchuldig jein und er 
fie auf feinerlei Weife wegen derjelben bejcehweren. Ste haben jich mit 
den dort einzujegenden Bihchöfen im billiger MWetje zu vergleichen, oder 
aber einzuhalten, was der Apoftolifche Stuhl darüber anzuordnen 
für geboten erachten wird.“ 

Der Orden, der fich vorsichtshalber auch durch Kater Dtto IV., 
einen Schüßling des Bapjtes, im Januar 1211 jeme Belißungen be- 
jtätigen ließ, war als Steger aus dem Konflikt Gervorgegangen — 
ein weites Gebiet neuer Erwerbungen winkt ihm im Eiftland. 

Man hat den Plan Sunocenz III. für einen großartigen erflärt; 
weitreichend war er auch in der That, denn wenn jene einzelnen Teile 
Jich eiferfüchtig das Gleichgewicht hielten, fonnte allgewaltig tiber ihnen 
Itehend der Bapjt als alleniger Herr gebieten. Aber man jollte doc) 


ee 


jtets im Auge behalten, daß Ddieje Burlle, indem ste jelbjtiichen Bapft- 
intereffen diente, zu gleicher Zeit Zuftände herbeiführte, die den all- 
mäbhlichen jtaatlichen Zerfall des Landes im Jich jchlofjen. Nur wenn 
Livland uneins und verworren blieb, fonnte das Bapjttum hoffen 
Sieger und Beherricher zu bleiben. 

Vicht freudigen Herzens it Albert im Frühjahr 1211 nach Liv- 
land heimgefehrt, die Macht, der die Stolomie Direkt zu unterjtellen 
jein jtetes Beitreben gewejen, Hatte Partei ergriffen gegen ihn. Die 
Welt freilich war weit entfernt, den jchlimmen Umschlag gleich zu er- 
fennen, ja jie fonnte es um jo weniger, als neue vuhmveiche tämpfe 
gegen die Ejten die allgemeine Aufmerfiamfert auf ich zogen. 

Und Doch jchloffen sjelbit dieje Kriegsfahrten für Albert manche 
Sorge in jich: der Orden, der te, wer auch nicht allein, dDurchfocht, 
verfolgte bei ihnen unzweifelhaft eigenlüchtige Interejlen, die Stärkung 
jeiner Macht auf Kojten der bichöflichen, „denn im politischen Leben 
der Kolonie wollte das Schwert nicht jo unter dem Streuz jteben, 
wie die Iymbolische Stellung auf den Mantel es forderte). Wer 
wollte den Nittern auch einen Boriwurf deshalb machen? 

Mit Stolz und Freude ruht unjer Auge auf jenen Tagen, da das 
Schwert und Kreuz — vand, wie die Zeit es mit jich brachte — 
abendländiicher Kultur im jtenlande ee Stätte bereitete.  „Yllles 
icharte Jich begeifterungsvoll, jchildert mit poetiichem Schwung ein 
Stenner jener heroischen Kämpfe”), wm das Banner der hl. Sungivan, 
der WBatromin der lioländischen Kirche. Dam ward es lebendig in 
den Häfen zu Libek, zu Gotland, zu Riga umd auf den Wogen 
der Ditjee. Und fie zogen alle hinaus, jene Fürjten, Grafen ımd Edle 
aus Sachjen, Weltfalen und Friesland, die Metendorf, Bıurhöwpden, 
Ssienburg, die PBlejfe, die Lippe, die Tiejenhaufen, die Hoenbach mit 
ihren Mannen und Neifigen umd Gefolgichaften. Bon den Hufen der 
Nojje und dem jchweren Tritte der gepanzerten Nitter erdröhnten Die 
baltiichen Schneegefilde.“ 

Eifrige Freunde erjtanden den Deutjchen in Ddiejen Feldzügen in 
den Letten, die bisher unter den Einfällen der Ejften furchtbar zu 
leiden gehabt hatten und mın froh waren au der Seite der Einen 


) Bol. Fr. Bienemann. Aus baltifcher Vorzeit. 1870. pag. 16 ji 
?) Wurd von Schloezer ]. c. pag. 69. 
{ + 


ritter ihren Grimm zu fühlen und graufame Nache zu nehmen. Wehe 
den Eften, die lebend in ver Letten Hände fielen, feine Marter war 
groß md ausgejucht genug, Die nicht dem Befiegten gegenüber im Alıı 
wendung gekommen wäre! 

Sp eroberten die Deutjchen in viergährigem Kampf Saccala und 
Ungaumien, ja fte drangen im legten Jahre, SO00 Mann jtarf — Dda- 
runter die Hälfte Undeutjche — von dem Dorpatichen Gebiet aus in 
das eigentliche Eitland, nach Serwen ein, plimderten furchtbar und 
fehrten mit gewaltiger Beute Heim, Nachdem die Eftenburgen Fellin, 
Dorpat und DOdenpäh eritinmt und Hunger und Seuchen die Eiten 
dezimiert hatten, bequemten ste jich 1212 zu einem dreährigen 
Waffenftillitand, der alles Land bis zur Bala den Eroberern tn die 
Hände gab. 

Diefe Waffenruhe fam den Deutschen jehr gelegen, denn noc 
einmal — zum leßtenmal — erhoben fich Letten und Liven zu ver 
zweifelten Befreiungsfriege. Nicht leicht wurde dem Orden, gegen den 
der Aufftand fich in erjter Neihe richtete, die Bewältigung desselben, 
manche Stunde jchwerer Gefahr hatten die Deutjchen zu bejtehen, endlic) 
fiegte aber die überlegene Striegsfunft und die Erneuerung der Taufe 
befiegelte Die nunmehr dauernde Unterwerfung. 

Es war die höchite Zeit: Ichon erhoben die Eiten, mit denen Die 
Waffenruhe abgelaufen, ihr Haupt und wollte man nicht die Gefahr 
allaujehr amwachjen lafjen, jo mußte man eilen ihr energich zu be- 
gegnen. Denn jchon war das Naubgefindel der Dejeler jo frech ge- 
worden, daß es bei Diünaminde am’s Land jtieg und Riga bedrohte; 
Ion waren Efjtenhaufen bis nad) Antine und Trifaten vorgebrochen 
und hatten hier gräuliche Marter über die in die Wälder geflüchteten Yetten 
verhängt: eimer der Erjten unter ihnen, der alte Thalibald, wurde 
aufgejpirt und elendiglich am Scheiterhaufen zu Tode gequält. „Und 
weil er eim Ehrift geivejen md aus der getveuen Yetten Zahl, fügt 
Heinrich Hinzu, jo hoffen wir, daß jeine Seele, fich lebend für jo großes 
Märtyprertum in eviger Freude, tm der heiligen Märtyrer-Gejellichaft 
aufgenommen erden oird.“ 

Aber furchtbar wurde den Ejten heimgezahlt, nicht weniger als 
nem Heereszüge in einem Sommer unternahmen die Letten, von dei 
Deutjchen angefpornt und unterjtügt, und vuhten nicht, bis jchrecliche 
Vergeltung verübt worden. Mit lebendiger Anjchaulichkeit jchildert 


unjer Chronift den erbitterten Haß, der in diejen Vernichtungsfämpfen 
zu Tage trat. Lafjfen wir ihm das Wort: 

„Da wurden die Söhne Thalibalds, Namefo und Drivinalde, als 
fie jahen, daß ihr Vater tot jet, gar zornig wider die Ejten umd 
verfammelten ein Heer der Letten mit ihren Freunden und Verwandten, 
und e8S zogen mit ihnen die Brüder der Nitterjchaft von Wenden mit 
andern Deutjchen. Und fie drangen in Ugaumten em, plünderten 
die Dörfer alle aus und übergaben fie den Flammen und die Männer 
alle, die fie aufgreifen fonnten, haben ste lebendig zur Nache für 
Thalibald verbrannt und all ihre Burgen angezündet, daß fie darin 
feine Zuflucht hätten, und juchten fie auf in den düftersten Verjtecken 
der Gehölze, und nirgends fonnten fie fich vor ihnen verbergen. Und 
fie zogen fie aus den Wäldern heraus und töteten fie und ihre Weiber 
und sinder führten fie gefangen mit fich Fort und jagten Pferde und 
Vieh davon, machten viel Beute und fehrten zurück im ihr Yand. Als 
fie aber heimzogen des Weges, begegneten ihnen wiederum andere 
Letten und rücten vor nach Ugaumien und was die andern unter- 
(affen, haben diefe nachgeholt. Denn zu Dörfern umd Lanpdichaften, 
dahin Die anderen nicht gefommen waren, famen dieje hin und alle, 
jo früher vor den andern entflohen waren, fonnten vor diefen nicht 
entrinnen. Und als te heimfehrten ihres Weges, begegneten fie wiederum 
andern Letten, fertig zur Heerfahrt nach Ugaunten, die ebenfalls zu 
vauben trachteten und zur Nache für ihre Eltern und Verwandten, To 
von den Ejten vormals erichlagen, Männer zu töten juchten. Und 
vireften dor nach Ugaumten, wo jte nicht minder plimderten als früher 
umd nicht minder Gefangene machten. Denn die da famen von den 
Wäldern zu den Acker und zu den Dörfern, um Nahrung zu holen, 
griffen fie auf und haben die Einen mit Feuer verbrannt, Andere mit 
den Schwertern eriwürgt md ihnen unterjchtedliche Qualen angethan, 
bis fie alle ihre Schäge ihnen entdeckten, und fie zu den Verftecken tn 
den Wäldern fie hinführten und die Weiber und Kinder ihnen über 
lieferten. Aber auch nicht einmal jo war das Gemüt der Yetten be 
ichwichtigt, nein, jte haben nach Wegnahme der Schäße und aller Habe, 
der Werber und Sinder ihnen schließlich auch den Kopf, der allen 
noch itbrig war, genommen.“ Sp wiederholte es ich wieder md 
tpieder im graufiger Monotonie: „Und hörten die Yetten nicht auf, noc) 
ließen fie Nuhe den Ejten in Ugaumien, aber auch te jelber hatten 


nicht Nuhe, bis jte desjelbigen Sommers mit neun SHeereszügen das 
Yand durch VBerftörung und Beriwiltung verödet hatten, daß fie num 
weder Deenjchen noch Nahrung weiter fanden. Hatten doch die Söhne 
Thalibald’s bereits an die Hundert zur Nache für ihren Bater entiveder 
lebendig verbrannt oder mit unterjchtedlichen anderen Qualen getötet, 
ohne die unzähligen andern, jo ein jeglicher der Yetten mit Hilfe der 
Deutjcehen und Liven getötet hatte. 

Als Diejenigen mun, welche noch lebendig geblieben waren in 
Ugaunien, jaben, daß fte vor der Wut der Deutjchen und der Letten 
nirgends entreinnen könnten, jo jchteften Ste Boten nach Niga und 
baten um Frieden und die Taufe, daß fie der Deutjchen und Letten 
brüderliche Yiebe gewönmen. Und es freuten fic) die Deutichen und 
ichloffen mit ihnen den Frieden ab und verhiegen, Briejter zur Taufe 
nach Ugaunten herzujchiefen. Und die Saccalaner hörten von allem 
Übel und Ächietten, da fie Gleiches Fürrchteten, zu den Deutjchen und 
baten, daß man ihnen Brieiter zujchtefen möge, daß nach VBollziehung 
der Taufe auch jte der Ehriften Freunde würden.“ 

Hoch im jelben Sahr ging ein andrer Zug in Die Wied, wo die 
Burg Sontagana erobert wurde, und tm Winter auf 1216 über den 
jeitgefrorenen Sund nach dem Seeräuberneit Defel. Fuß zu faffen 
war bier freilich nicht möglich, man genügte fich auf der Snfel zum erjten- 
mal die deutjche Macht entfaltet zu haben. Sm SHerbit 1216 wurde 
mit gefamter Macht unter Meister Bolqums Führung ein Zug nad) 
Harrien gemacht, jelbjt die Felliner mußten im Gefolge der Ritter 
gegen ihre Landsleute mitziehen. 

So war die Eroberung des ganzen Landes im vollen Gange, als ein 
neuer, nicht zu unterichäßender Feind Jich dem VBordringen der Deutjchen 
entgegenftellte: die Nurljen in Nowgorod und Plesfau, die alte Tributan- 
Ipricche, welche aber halb und halb in Vergeffenheit geraten waren, auf Die 
östlichen Grenzgebiete hatten. Schon 1210 war Großfürit Witislaiw vor 
Dpdenpäh erichtenen, hatte jpäter einen zweiten Zug vor die Bauernburg 
Warbola in der Wiek unternommen, um nach eingeheimftem Tribut wieder 
nach Often abzurücten. Auch PBriefter zu jenden, verjprach er beim Fortzug, 
doch fie erichtenen nicht. Als aber in Plesfau befannt wurde, daß Die 
Ugaunier, von den Yateinern das Kreuz genommen, jtatt auf die Priefter 
aus Plesfau zu warten, brach Großfürit Wladimir verheerend und 
plündernd ein, verjchangte jich bei Odenpäh und forderte Unterwerfung. 


sn ihrer Bedrängnis jchieften die Eiten eilends Boten nac) Riga und 
hier veriprach man ihnen jchleunige Hilfe. Da die Nuffen Odenpäh 
freiwillig geräumt, wurde e8 von den Deutichen auf's feitejte verwahrt, 
hierauf brachen jte mit den Ugauntern gemeinfam ins Wleskau’iche 
ein: „Und da jo das Yand Durch feine Gerüchte vorher gewarnt 
fanden, jo verteilten fie am Feit Epiphanten, wo die Aufjen mit ihren 
Saftmählern md an jich metjtens pflegen zu beichäftigen, 
ihr Heer über alle Weiler und Wege und tödeten viel Bolfs und 
führten gar viele ni eiber gefangen, trieben Pferde und Vieh in Menge 
Davon umd machten viele Beute. Und nachdem jte mit Feuer umd 
Schwert ihre Unbillen gerächt, ind fie mit allem Naub zuvickgefehrt 
nach DOpenpäh tır Freuden.“ 

ür diefen Zug mußte Vergeltung geübt werden. Die Now- 
goroder, deren Hoheit Plesfau unteritand, ließen durch Sendlinge die 
Deieler und Harrier, die Felliner und alle die Eijten, die jcheinbar 
unterivorfen, zur Nache und Abwerfung des deutjchen Sochs aufrufen, 
dann erjchtenen jte jelbjt vor Opdenpäh und belagerten die Seite, in 
der die Not jo Hoch Itieg, daß die Pferde ich gegenfeitig die Schwänze 
abfragen und es der Belabung an Allem gebrad. Dean beichloß da- 
her, Die Burg gegen freien Abzug den Norwgorodern einzuräumen und 
diefe willigten in Alles. Kaum aber war das Thor geöffnet, jo er- 
griffen die Feinde Alberts Bruder Dietrich und führten ihn gegen 
den Bertrag gefangen ab. Bergeblich waren alle VBorftellungen des 
Bılchois um Fretlaffung jeines Bruders und Aufrechterhaltung des 
eriedens: „da die Nogardier”, erläutert dev Chronist, „eenjchen voller 
Hoftahrt und Aufgeblajenheit ind, vote auch in ihrem Stolze ungemein 
anmaßend, jo fiinmerten fie jtch weder um die Bitten des Bichofs, 
noch m dem Frieden mit den Deutjchen, Jondern verjchiwuren Tich mit 
den Ejten und jannen auf Anjchläge, welcher Geltalt fie die Deutichen 
unterdrücen und die Livländische Kirche zevitören mochten.“ 

Doc die Lage jchien gefahrvoller als fie war. Wohl feuerte 
Lembito, der Häuptling von Leole, der mächtigjte Verfechter der Frei 
heit jeines Volfes, die Seinen zu wilden Nachefrieg an, aber die eu 
lehnte Hilfe aus Norwgorod blieb aus. Der Fürft war eben damals 
auf einer Sriegsfahrt gegen Galitich begriffen und jede Verzögerung 
war für die Eften VBerderben. Im Herbjt 1217 erlagen fie den 
Deutjchen, deren Heerhaufen durch Zuzug aus Deutjchland, vor allen den 


Grafen Albert von Yanenburg, gefräftet waren. Neben Meister Bolquin 
zogen zwei jtreitbare geiftliche Herren mit dem Heere: Herr Bernhard 
von Der Lippe, Abt von Diimamünde, von dem wir noch ipäter reden 
werden, umd Johannes, der oben bereits genannte Stiftspropit von 
Riga. 3000 Mann Stark vücte man in Saccala ein und gelangte 
am 20. September bei der Burg Fellin an. Am Matthäustage — 
21. September — fan es hier zu einer Schlacht, deren Schilderung 
bei Heinrich man es anmerft, wie bedeutungsvoll fie gewejen. Nach 
hartem Ningen jtegten die Deutichen über den tapferen Feind, deren 
‚sührer, vor allem Lembito, die Wahlitatt deekten. Aber auch Kaupo 
war umter den Toten — man betrauerte ihn aufrichtig, verbrannte 
jeinen Leichnam und brachte jeine Gebeine ins Livenland, wo man fie 
im Stubbejele begrub. Ein Zug nac Dejel, wohin e8 den Grafen 
Albert beionders binzog, mußte der Witterungsverhältnifie wegen 
unterbleiben, dafür aber wurde die Kite Eijtlands unteriworfen und 
jelbit Serwen zur Unterwerfung gezwungen Sp ruhmvoll endete das 
Sahr 1207. 

Doch drohende Wolfen jtiegen von neuem für Albert auf! Keiner 
hat mehr als Albert die jcheinbare Nuhe richtig gewitrdigt. Er wußte 
genau, daß die Unterwerfung der Eften nur jo lange dauerte, als die 
Sucht vor der deutjchen Macht lebendig war; mit Sorge vernahm 
er von großen Rüftungen der Rufen, die zu einem Hauptichlage gegen 
Livland auszuholen alle ihre Kräfte anipannten — e8 galt die Augen 
offen halten, um nicht unvermutet von übermächtigen Gegnern ver- 
nichtet zu werden. 

Dazu fam ihm aus Deutjchland jchlimme Botjchaft, Die ih er- 
fernen ließ, daß man in Bremen noc) feineswegs die alten Gelüfte 
auf Livland aufgegeben hatte. Sm Jahre 1215 war Albert zum großen 
Laterankonzil nach Rom gegangen und hatte hier noch einmal Die 
völlige Unabhängigkeit der Iwländtichen Kirche von Bremen fonftatieren 
(alien. ITroßdem glaubte Erzbischof Gerhard, dem die Schwierigkeiten 
der fernen Kolonie nicht Fremd waren, jeßt die Stunde gefommen, wo 
er fich als der Stärfere erweiien fonnte: um jeinen Anjprüchen den 
nötigen Nachdruc zu geben, jperrte ev den Hafen der Livlandfahrer, 
Lirbee, und unterband gerade in dem a wo Albert auf Hilfe 
aus dem Mutterlande angewiefen war, jedes Juftrömen neuer Sträfte. 

Sollte Albert bei dem jungen ec sriedrich II. lage führen, 


dellen Negiment Sich damals in Deutichland befeitigte? Bergeblich 
jpäre Ddiefer Schritt gewejen, hatte Doch der Staufer, Dellen Seele 
an stalten Hing und der für Deutichland geringes VBerftändnis zeigte, 
ichon drei Jahre früher, 1215, auf einem Hoftage zu Mies, alles Yand 
jenjeits der Elbe und Elde, alfo auc) Hamburg und Lübed, dem 
Dänenfönig Waldemar IT. abgetreten, um von diefer Seite feine Für 
derung welfiicher Pläne zu erfahren. Welchen neuen Ylntrteb Die 
däntsche Eroberumngspolitif, der wir früher gedachten, durch diejen Schritt 
sriedrichs erhielt, braucht nicht exit ausgeführt zu werden: von neuem 
wurde Deutichland von der Ditiee abgedrängt. 

König Waldemar IL, der Bruder Kanıd VI, war unleugbar 
eine bedeutende Berfünlichfeit, die weitreichende Wläne thatkräftig zu 
vevipirflichen wußte. Das ferne Ditleegeltade zu eriverben, gehörte 
mit zu denjelben. Schon 1206 war er in Berlon mit jtattlichem Heer 
nach Dejel gejegelt, um die der Schiffahrt gefährlichen Snjelbewohner 
zu Baaren zu treiben. Wohl errichtete ev hier eine Burg, da fich aber 
feiner fand, der dort zu bleiben willens war, jo ließ er jte in Brand 
jtecfen und fehrte heim. Seinem Kanzler, dem Erzbischof Andreas von 
Lund, der auf Dejel wohlfetle, jedoch Fruchtloje Miffton getrieben, „inpen 
er eine unendliche Menge mit dem Yeichen des Kreuzes bezeichnet hatte“, 
aber gab er Befehl, gemeinfam mit dem Biichof Nikolaus von Schleswig 
mit zwei Schiffen nach Niga zu fahren. Chrerbietig wurden die beiden 
hohen Prälaten hier aufgenommen und den ganzen Winter iiber treff 
(ich verpflegt. Was fie für eine Sendung hatten, erzählt Heinrich nicht, 
doch dürften wir nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß der König 
ihnen aufgetragen, Durch Augenjchein die Verhältniffe der ivländiichen 
Kticche zu erfunden. Vielleicht hatte die Heerfahrt des Grafen Albert 
von Lauenburg, eines der vornehmiten VBalallen Waldemars, ähnliche 
Ziele? 

Wie dem auch jei, —— glaubte Albert, daß die Kräfte der Seinen 
nicht ausreichend jeien, um der von Nuffen und Ejften drohenden 
Überflutung einen Damm entgegenzufeßen, To konnte er nirgends 
anders als am dänischen Hofe Hilfe und Beiftand finden — ein Wor 
wıunrf fann ihn billig deshalb nicht treffen. Nichts fonnte andverjeits 
dem Herricher gelegener fommen, al3 eine Aufforderung Alberts, Jelbit 
jeinen Fuß an Livlands Küfte zu jegen — winfte ihm doch in der Zur 
funft dadurd) die Möglichkeit, von Eftland aus den Weg nach Sidweiten 


ara 
zu nehmen md jo ven Kranz aller Dftjeeländer in feiner Hand zu 
vereinigen. 

Alfo war die Lage, als Albert zu Sohannis 1218 am dänischen 
Hoflager zu Schleswig erichien und vom mächtigen Dänenfünig freundlich 
aufgenommen wurde. Albert fam nicht allein, in jeinem Gefolge be- 
fanden ftch ein Freund Theoverich von Dinamiünde, den er bereits 
1211 zum Bifchof des Ejtenlandes, mit dem Stk in Leal, geweiht, und 
Bernhard von der Kippe, Biichof von Selonien, der einjt als gewaltiger 
Stampfgefährte Heinrichs des Löwen wider die Erzbiichöfe von Köln und 
Magdeburg Jich hervorgethan hatte und tief in die weltlichen Händel der 
Zeit verjtrickt gewelen war, dann aber, dem Zuge der Zeit folgend, Har- 
nich und GStreitart mit dem geiftlichen Gewand vertaufcht hatte. 
Schon vor 1200 war er auf einem SKreuzzuge in Livland gewejen, 
hatte nach jeiner Nückehr zu Gunften jenes Sohnes Hermann ve= 
figniert, um dann in das Giftercienferklofter Martenfeld einzutreten, 
zu dejjen Gründern er jelbjt gehörte. ES war im Jahre 1208, als 
Bilchof Albert auf einer Deutichlandfahrt auch in dem mit Dünamiünde 
in engiter Beziehungen stehenden Stofter einfehrte Der alte Mönch 
von vornehmer Herkunft jchien ihm gewiß geeignet fir die ferne Kolonie, 
die Männer von Mut und Bermögen nur zu jehr gebrauchte. Er 
bot ihm daher die Wiirde eines Abtes von Dinamimde an, dejjen 
Träger — Theoderich — freilich nod) am Leben war, und Bernhard 
Ihlug ein: als Theoderih 1211 zum Biichof von Eftland (oder Zeal) 
geweiht wurde, fam jener aus Deutjchland und hielt jeinen Einzug in 
Dinamünde Der VBielgewanderte ift einige Sahre jpäter auch nad) 
Nom gereit und 1218 zum Bilchof von Selonien geweiht worden, 
ohne freilich in dem ummirtlichen Yande je biichöfliche Rechte ausgeübt, 
gejchweige denn dort veitdiert zu haben. Und mun finden wir ihn 
Seite an Seite mit Albert am dänischen Hoflager)). 


1) &8 jei hier furz erwähnt, daß auc in den folgenden Jahren Bernhard 
von der Lippe uns mehrfach als Vertreter Alberts entgegentritt und auch friege- 
rische Operationen leitete. Ende April 1224 ijt er in Deutichland, vielleicht in 
Bremen gejtorben. Der neue Abt von Dinamünde, jo erzählt die Ülberliefernng, 
wollte die Xeiche des Heimgegangenen zur See nad) Livland bringen — dod) ein 
gewaltiger Sturm erhebt fich, das Schiff verfinft in den Wellen und der bt er- 
trinkt. Seine und Bernhards Leichen werden bei Diinamünde an den Strand ge- 
trieben und dortielbjt beigejett. 


=’ 


Was Albert und feine beiden Gefährten hier in Schleswig mit 
König Woldemar verabredet, läßt fich heute mit abjoluter Sicherheit 
nicht mehr feitjtellen, da Heinrih in der Erzählung der däntjchen 
Berhandlungen jowohl diejes Sahres, wie der folgenden Jahre offenbar 
mancherlei verjchweigt. Er berichtet, der König habe, nachdem er von 
der Gefahr durch) Ejten und Rufjen vernommen, verjprochen, im folgen- 
den Jahre „mit jeinem Heere nach Eitland zu fommen, jowohl zu der 
jeligen Zungfran Ehre, al8 zu jeiner Sünden Vergebung. Und freueten 
fih die Biichöfe.“ Sollte Woldenar nur joldhe unjelbitiiche Grinpe 
zur Eitlandfahrt gehabt Haben? Gewig nicht. Wir wiljen vielmehr 
aus einer uns erhaltenen Urkunde, daß Albert die Verpflichtung ein 
gehen mußte, die Gebiete, die der Künig erobern würde, ihm zu über- 
faffen. Der Teil des Eitenlandes, der noch nicht unterworfen war — 
und welcher konnte denn eigentlich im Ernft als unterworfen gelten? 
— Sollte dänisch werden. Wahrlich nicht leicht fann Albert dieje Be- 
dingung geworden fein, die jeine Hoffnung, das ganze Gebiet bis zum 
finnischen Meerbujen deutscher Herrichaft zu unterjtellen, ilujoriic) 
machen mußte. Aber die jcheinbar eijerne Notwendigkeit war jtärker 
als alle Erwägungen. 

Doch noch Ärgeres blieb Albert nicht evjpart — die bittere Er- 
fenntnis, den Schritt unnötig gemacht und die Wideritandsfraft der 
Seinen in Livfand fleinmütig zu gering geichäßt zu haben: Während 
er nämlich das SKreuz predigend durch Deutjchland z0g, hatte die 
fleine Schar der Nitter, Pilger und Kaufleute in heldenhafter Wider- 
wehr den übermächtigen Gegner zurücgeworfen. Auf einen Zuge 
gegen die Neveler und Harrier erfuhren die Deutjchen, die nach Mariä 
Himmelfahrt ausgerückt waren, von einem großen Aufjeneinfall von 
Nowgorod und PBlesfau aus. Einen ganzen Tag waren die Rufen 
— 16000 Mann jtart — über dem obern Embach gejegt, als Die 
Nitter auf ihn stießen. Gleich das erite Zujammentreffen war den 
Deutjchen günstig, die Nowgoroder und Plesfauer wandten ihre Nofie 
und flohen zwei Meilen zurüc, bis es endlich den beiden Großfüriten 
gelang, fie zum Stehen zu bringen. Hinter einem Bad) nahmen Tte 
von neuem Stellung und jo gewaltig schien die Überzahl, daß die 
Letten und Liven fich erjchreekt zur Flucht wandten, ja ein Teil der 
Deutichen folgte dem jchimpflichen Beriptel. Nur etwa 100 wacdere 


Männer hielten Stand und, schlugen alle Angriffe der Nullen, Die 


ae 


über den Bach jegen wollten, mit Ausdauer zurücd. Erft nachdem die 
Nuffen, nach jtarfem Berluft, des Kampfes müde, ihr Nachtlager be- 
zogen hatten, rückte das Häuflein, mit Waffen und Pferden, eroberter 
Beute, beladen, nach Siüpden ab. Nach drei Tagen folgten ihm die 
Nuffen, plünderten erjt a der NYmera, danı ganz Soumäa, töteten 
die Männer, führten Weiber und Stinder fort umd verbrannten Die 
Frucht auf den dern. 

Die Nachricht von Diejen Vorgängen trieb in Riga Alle zur In- 
jpannmung der Kräfte am: die Nigenjer und der Meiiter Bolquin mit 
jeinen Nittern, die Pilger und Unventjchen, brachen eilend nach dem 
Treienschen auf und die bloße Nachricht von ihrem SKtommen trieb 
die Ruffen zuric: fte wichen über die Livländische Ya auf Wenden zu 
und belagerten die Burg, aber auch bier vermochten fte nichts aus- 
zurichten, weshalb fte nach Ungaunien gingen und auf die Kunde von 
einem Einfall der Letten gegen Plesfau, jchleunigft in ihre Heimat 
abrückten. Unter jolchen Umftänden war eine vejeliche Striegsfahrt gegen 


Niga natürlich ausfichtstog — nachdem die Dejelaner bis Dünamünde 
gekommen, fehrten fie ohne größern Schaden angerichtet zu haben, 
auf ihr Eiland zurück. — Die Deutjchen aber benußten die Ent- 


mutigung der Eften über den Fortzug der Nuffen zu einem verheeren- 
den Nachezug ins Gebiet der Neveler. QTrog der furchtbaren Kälte 
gingen jie im Februar über das Eis des Meeres nac) Sontagana und 
mit hier erlangten Wegweilern ins Nevaliche, wo von Grund aus 
verwüftet umd vernichtet wurde. Dann fehrten fie im März „mit 
Freunden heim nach Livland, wie Steger fröhlich find, wenn fie Beute 
augterlen.“ AS vollends im Juni eine ftattlihe Zahl edler Sreuz- 
fahrer, unter ihnen Albert, Herzog von Sachjen, in Livland eintraf, 
war jede Gefahr vorüber. Was jollte noch König Woldemar in Ejtland? 

Auch in anderer Hinficht mußte jein Kommen doppelt verwirrend 
wirken. Schon als Albert fi) 1210 nach Nom begeben, hatte er 
den Abt Theoderich von Dünamiünde zum Bilchof von Ejtland mit 
dem Sit in Leal erhoben und ihn 1211 feierlich geweiht. Nachdem 
mm aber in den folgenden Jahren Saccala und Ungaunten vom Orden, 
wenn auch unter Mithilfe des Biichofs, erobert worden, machte Volquin 
nicht nur Herrichaftsaniprüche, Jondern erhob jogar den Anspruch auf 
einen eigenen Bilchof diefev Gebiete. Bapjt Snnocenz, offenbar im 
Unflaren über die geographiichen Verhältniffe des fernen Landes, 


en 


willigte zwar ein, gab aber die Einjegung des neuen Prälaten nicht 
Albert, jondern dem dänischen Primas, dem Erzbiichof von Lumd, in 
die Hand. Zu gleicher Zeit bejtätigte er aber auch Theoderich von 
Leal und ftellte ihn nicht nur Albert gleich, jondern jeste jogar feit, 
dag er feinem Metropoliten unteritellt fein jollte. Mit andern Worten, 
er jebte zwei Biichöfe über ein und Ddasjelbe Gebiet und machte ihn 
mit der einen Hand zum geitlichen Untergebenen des däntjchen Erz- 
biichofs mit der andern Hand dagegen völlig jelbjtändig! Das Lateran- 
fonzil von 1215 hatte diefer Konfuftion nur unvollfommen gefteuert. 
Wie, wenn Woldemar jeßt in Berfon und mit Striegsvolf ins Eiten- 
land fam, mit ihm Andreas von Lund, war da nicht jicher anzu= 
nehmen, daß die däntichen getitlichen Suprematsgedanfen eine gün 
jtige Löjung für Lund finden würden? 

Welche Sorgen mögen Alberts Bruft bejtürmt haben, — denn 
an ein Zurück dachte Woldenar natürlich) nicht — als im Suni der 
König in die Bucht des heutigen Neval mit ftattlicher Flotte einlief 
und die Anfer auf den Grund rvafjelten. Auch Theoderich von Xeal, 
dem es um Behauptung feiner Anjprüche durch däniiche Hilfe zu thun 
gewejen jein wird, war im Gefolge des Monarchen. Die Dänen jeten 
ans Land, zerjtürten die auf hohem Fels gelegene Ejtenburg Yinda- 
nijja und legten dajelbjt den Grund zu eimer dänischen Feite Neval. 
An ernitlihen Widerjtand der Neveler und Harrier jcheinen jte umo- 
weniger gedacht zu haben, als diefe, um Aufihub zur Bollendung 
ihrer fieberhaften Nüftungen zu erlangen, heuchleriich durch Abgejandte 
die Taufe verjprachen. Da, am dritten Tage, als die Dänen ihre 
Abendmahlzeit beendet haben, erfolgt plößlich von fünf Seiten ber 
ein erbitterter Überfall. Eine Schar jtürmt diveft auf des Königs 
Zelt (08, um diejen zu töten, te trifft ihm nicht, doch der Biichof 
Theoderich, der dort weilt, erliegt ihren Streichen. Schon droht all- 
gemeine Berwirrung Bla zu greifen, al3 der junge Firit Witlam 
von Nügen, der zwilchen Meer und Burgberg gelagert war, ftch den 
Eiten entgegenwarf und die Schlacht zum Stehen brachte: nun er 
mannen ftch auch die Geworfenen, jegen fich zur Wehr und bringen 
den Ejten eine furchtbare Niederlage bei, über taujend derjelben deden 
das Schlachtfeld. Die Erinnerung an den Sieg lebt noch heute im 
dänischen Bolfe fort, fiel doch, wie die uralte Tradition berichtet, in 
den Augenbliden, da Alles verloren jchien, eine vote Fahne, von dem 


— 62 — 


ein weißes Streuz ftegverheigend hewniederwinfte, vom Himmel, ein 
Beichen, unter den die Dänen des Feindes Herr wurden. „Das weiße 
Streuz im roten Felde trägt aber heute das Neichspanier' Dänemarks, 
und das Wappen der Stadt — Neval.“ 

Die weitere Berfolgung des errungenen Borteils überlieg Wal- 
demar jeinem Kanzler Andreas von Yınd. Nachdem er an Des ge- 
fallenen Theovderichs Stelle feinen Kaplan Wiscelin zum Biichof von 
Ejtland erhoben, jegelte er Hetimwärts, jeine Mannen, die er im Yande 
ließ, kämpften das Bahr über mit den Nevelern umd zwangen ihnen 
die Taufe auf. ber das Gebiet: der Neveler aber wagten fich die 
Dänen nicht hinaus und jahen ruhig zu, wie die deutschen Nitter mit 
ihren Hilfsvölfern im Herbjt 1219 die Landjchait Serwen zur Unter- 
werfung und Taufe zwangen und im Winter auc) Wierland mit euer 
und Schwert verheerten, DIS die Bewohner Geißeln gaben md Die 
Annahme des Ehrijtentums verjprachen. Sm Februar 1220 unternahmen 
die Deutjchen noch einen Feldzug wider die Harricr md brachten 
unteriwegs den in serwen hanjenden Dejelanern eine vernichtende 
Niederlage bei. 1 

Bischof Albert jcheint feinen direkten Anteil an diefen erfolgreichen 
Zügen der Schwertbrüder, bei denen Leider auch Die entjeglichiten 
Sranjamfeiten gegen die Ejten zu Tage traten, genommen zu haben. 
War das Abficht, oder waren e8 die Kriegszüge, die er mit dem Her- 
309 von Sacjen in das Semgaller Zand gegen Mejothen oder Ter- 
weten unternahm, die ihn vom Norden abzogen? Wir wifjen es nicht, 
nr das dürfte feftjtehen, daß er den alten Ansprüchen auf die Bejeß- 
ung des Bistum Eitland feineswegs entjagt hatte, vielmehr noch 1219 
an Stelle des erjchlagenen Theoderich jeinen Bruder Hermann, den Abt 
von St. Bauli bei Bremen, durch den Erzbiihof von Magdeburg, 
zu diefem Amte weihen ließ. König Woldemar jedoch) verbot diejem 
die Neife nach Livland — noc) Sahre jollten vergehen, bis er (1224), 
nach wiederholten Bitten beim König, die Kahrt antreten durfte. 

Denn das war flar, an ein gutwilliges Aufgeben des ejtländi- 
ihen Befiges dachte König Woldemar nicht einen Augenblid, im 
Gegenteil, er trug fich mit weit größeren Plänen, die nur zu bald 
zu Tage treten jollten: Als der Meijter Bolquin, froh ver Unter- 
werfung des Eftenlandes, dem Erzbijchof Andreas nach Neval Kumde 
von den Erfolgen des Ordens gab, hielt Diejer mt feiner Freude zwar 


=3 
nicht zurüc, fügte aber bedeutungsvoll Hinzu, Bilchof Albert habe 
ganz Ejtland dem Könige von Däncmarf übergeben, all das eroberte 
Land gehöre aljo den Dänen. Sollte der Orden Jich durch dieje Hinter- 
haltige Auslegung des Vertrages von Schleswig um die ‚Früchte jahre 
langer Mühen bringen laffen? Mit nichten. Bor dem Herzog von 
Sadjjen und jedermann erflärte vielmehr der Meifter, „ganz Ejtland 
jet durch) das Banner der jeligen Jungfrau von den Nigiichen unter 
des chriftlichen Glauben Koch gebracht worden, ohne allein die veveliche 
Landichaft und das Eiland der Dfilter.“ Auch Albert zügerte nicht, 
die Durch des Ordens Schwert eroberten Landjchaften Durch auzgejandte 
PBriejter für ChHrifti Lehre und den von ihm erhobenen Ejtenbijchof 
zu gewinnen: in Ugaunien um Dorpat wirkten jeine Wiiftonare, unter 
ihnen auch Heinrich, auch- in Wierland begannen fie jejten Zub zu 
fallen, jtießen hier aber auf dänijche Priefter, die von den Wierländern 
aus Furcht vor der Nache der Dänen herbeigerufen worden waren. 
Sp begann hier im halberoberten Lande ein unjerm Empfinden vecht 
jonderbar erjcheinendes Wettjagen um die Seelen der Eingeborenen. 
Summarifch genug gingen hierbei namentlic) die Dänen zu Werfe: 
Sie haben ihre Briefter, erzählt Heinrich draftilch, „als in eine fremde 
Ernte gejchiekt, die, indem fie etliche Dörfer tauften und zu andern 
die Shrigen schieften, dahin. jte jelber jo jchleunig nicht fonımen konnten, 
und große Streuze von Holz in allen Dörfern zu machen verordnet, 
auch Weihwafjer durch Bauern jchieten und Weiber umd Kinder be- 
iprengen hießen, den rigijchen PBriejtern dergeftalt zuvorzufonmen trac)- 
teten und in diefer Weile das ganze Yand zu Händen des Königs der 
Dänen vorwegzunehmen jtrebten.“ Auf Die Nachricht von Diejen 
Treiben zogen Heinrich und jein Gefährte ins Jerwenjche, wo jte gleich- 
falls jchon dänische VBriejter antrafen. Doch vergeblich war ihr Be- 
miühen, dieje Davon zu überzeugen, daß fe auf fremden Boden arbeiteten, 
vergeblich ihr Berjuch, beim Erzbischof Andreas Abjtellung zu erlangen. 
Diejelbe Antwort wurde ihnen abermals zuteil: ganz Eitland, „ob 
von den Nigischen erobert oder bis jeßt noch nicht unterjocht,“ gehöre 
dem Könige. Noch mehr: der Erzbischof ließ ein hochmütiges Schreiben 
nac Riga ergehen, „fie follten nicht die niederhangenden (aljo Leicht 
zu jchluckenden) Trauben ablejen und ihre Briefter nicht in die Winkel 
Eitlands zu predigen jchiefen.” Doch Albert erwiderte: „selbiger 
Weinberg der ejtnifchen Kirche jei manches Nahr vor den Zeiten der 


en 


Dänen von den Seinigen jchon längjt gepflanzt, mit dem Blut vieler 
Deutfcher und vielem Sriegsungemac, angebaut worden, und jeine 
Briejter jeten nicht in den Winkeln Ejtlands, jondern mitten in 
„serwen, ja auch in Wierland und bis vor das Angeficht des Erzbiichofs 
jelbit erjchtenen.“ 

Doch was wollten Ddiefe Worte praktisch verjchlagen? Andreas 
antwortete damit, daß er noch emen zweiten däntschen Biichof und 
zwar fir Wierland einjegte und mit vicjichtslojer Energie die Aufer- 
liche Miffton im Nordeitland Fortzuführen befahl. Sm Sommer 1220 
landete Woldemar abermals in Neval und zitierte, aufgebracht über 
die Zujpigung des Konflikts, Albert vor jih. Folgte Albert der Auf- 
forderung, jo mußte jeine Demütigung ficher jein, lieber troßte ex 
Daher dem Mächtigen und machte ich eilig auf, um beim Bapjt und 
dem jungen Kater Friedrich Hilfe tm jeimer ot zu erflehen. Unter 
Gefahren jegelte ev nach Lüüberk, eilend mußte ev vor den Nachitellungen 
des Königs Die Stadt wieder verlafen, endlich fam er nah Rom. 
Aber energtiiche Unterftüßung fand der Tiefgebeugte auch hier nicht: 
waren doch auch beim bl. Bater bereits däntiche Gejandte mit Erfolg 
thätig gewejen, jo daß derjelbe über mitletvige und väterliche Worte 
nicht hinausging. Nun eilte ev zum Statfer, aber noch ungünjtiger 
war hier der Bejcheid: er, der Statler, plane einen Streuzzug, um Se 
rujalen zu befreien, alle jene Sorge jet darauf gerichtet, Hilfe fünne 
er Albert nicht veriprechen; nur Ermahnungen zum Frieden mit den 
Dänen und Nufjen nahm diefer vom fatferlichen Hoflager mit jich fort. 

sn diefen Bedrängnijen fam Albert aus Livland eine Nachricht, 
die ihm um die legte Hoffuung brachte: der Orden hatte aus jchnöder 
SGewinnfucht Berrat geübt und Jich mit König Woldemar iiber Allberts 
Stopf hinweg verjtändigt: die Nitter empfingen von ihm Saccala und 
Ungaunien nebjt einigen benachbarten Gebieten und erkannten dafiir 
Woldemar als den Herin des ganzen übrigen Eitland an, an dem 
weder Albert noch Hermann weiter Teil haben jollten. 

Was blieb Albert übrig? Ergreifend heißt es in unjerer Ehromif: 
„And da der Biichof feinen Troft empfing, weder vom bl. Vater oc) 
vom Staifer, jo fehrte er zuriick nach Deutichland und es deuchte ihm 
auf guter, Männer Nat vorteilhafter, den König von Dänemark an- 
zugehen, als daß die Livländische Kirche arge Gefahr lief. Denm den 
Lirbeefern verbot der König von Dänemark den Bilgrimmen nach Xiv- 


[4 


ER I 


(and Schiffe zur jtellen, bis ev den Bischof zu jeiner Zustimmung ver- 
mocht hätte. Daher ging zulegt Dderjelbe bochwiürdige Biichof mit 
jeinem Bruder, dem Biichof Herman, den genannten König von 
Dänemark an und hat jowohl Livland als Ejtland in jeine Botmäßigfeit 
überlaffen, jedoch nur, wenn die Prälaten jeiner Stonvente, wie auch) 
jeine Mannen und die Nigiichen alle mit Liven umd Yetten zu Diejer 
Beitimmung ihre Emwilligung geben würden.“ 

Wir fünnen nicht glauben, daß es fich genau jo verhalten, wie 
Heinrich hier erzählt. Es tft unmöglich, daß König Waldemar die 
Oberherrichaft über Livland und Eitland, das Ziel jeiner Sehnfucht, 
von eimer jpätern Zuftimmung der andern Gewalten im Lande, jogar 
von Der der Liven und Letten abhängig gemacht haben joll? Umpd 
wenn diejelbe ausblieb? Bor allem aber, wir hören nichts von eimer 
Befragung der genannten Barteten, wohl aber von der fejten Abficht 
des Königs, vom Lande faktisch Befiß zu ergreifen. Cs bleibt daher 
wohl faum etwas anderes übrig, als die bedingungsloie Unter 
werfung Alberts unter dänische Hoheit anzunehmen. 

Schon aber hatte die dänische Miacht ihren Zenith überjchritten, die 
weitfliegenden Bläne auf Yivland jollten ich nicht verwirklichen. Wohl 
Ichienen die Dänen die Herren der Oftjee. „Aber das jchafft Erhebung 
und Troft bei der Betrachtung des Weltlaufs: die Fleinlichen Neotive 
wirfen wohl hemmend oder fürdernd bei der Entwiclung mit, Doc) 
nur die großen Stimmungen des Volfsgeiftes geben die Entichetdung ').“ 
Als Biichof Albert nach Niga heimfehrte und hiev bekannt wurde, 
welche jchwere Bedingungen er dem Dänenkönig gegenüber eingegangen 
war, erhob fich ein Sturm der Entrüftung „und wurden alle jehr be 
jtüirzt und Sprachen allzumal aus einem Wunde, jowohl die Prälaten 
der Stonvente, al3 die Männer der Kirche und die Bürger md Die 
Kaufleute und die Liven und Letten und jagten, daß ste zu Ehren 
unjeres Herin Se Ehrifti und feiner geliebten Mutter bishero Die 
Kriege des Herrn führten wider die Heiden und nicht zur Ehre des 
Königs von Dänemark umd ste lieber jelbiges Land verlafien wollten, 
alg vorbejagtem Könige dienen.“ Es war das ein wahrhaft nationaler 
Widerjtand, der bis auf den Orden alle dDurchzitterte. 

Ein glücklicher Umstand kam hinzu, um ihm neue Stvaft zu der 


1) Bienemann. 1. c. pag. 27. 
Seraphim, Bejchichte I. d 


— 66 — 


(eihen. Schon im April 1221 war in Harrien eine allgemeine GEr- 
hebung gegen die Dünen zum Ausbruch gekommen, die alten Feinde 
derjelben, die Defeler, eilten herbet und belagerten Andreas auf der 
Nevaler Burg. Wenn er auch durch das zufällige Eintreffen einiger 
dänischer Striegsichiffe aus der jchlimmsten Lage errettet wurde, jo 
mußte ihm Doch der Aufitand beweilen, auf wie jchiwachen Füßen Die 
vom Miutterlande weit entfernte Däntjche Stolonie eigentlich jtand. Dem 
Itaatsmännischen Geifte des hohen Kirchenfüriten fonnte es nicht ver- 
borgen bleiben, daß mr Hand in Hand mit den Deutjchen, nicht in 
Hiptejpalt und Feindichaft mit ihnen der nordeftniiche Befis Tich be- 
haupten lafje. Er fmiüpfte daher, offenbar als ıhm von der erregten 
Yevegung in Riga Nachricht überbracht wurde, mit Albert Verhand- 
ungen an und erbot fich, auf Livland zu verzichten und in Saccala 
und Ugaumten Die geiftlichen Nechte des Bilchofs anzuerkennen. Nırr 
das eigentliche Eftland jolle den Dänen bleiben. Hocherfreut willigte 
Albert ein und brach mit dem Ordensmeifter eilig nach Neval auf, 
um hier den Bertrag abzuichliegen. 

Es Liegt auf der Hand, daß nur die Not den Erzbischof beivogen 
hatte, das aufzugeben, was Glück und Zufall jenem königlichen Heren 
in Die Hände gejpielt — die Herricyaft über ganz Livland. Hat 
Woldemar diefem Schritt jeines Erzbiichofs die Anerkennung verjagt? 
Hat er feine Kunde von demfelben erhalten? Wer weiß es. Nur der 
Ihatjache jtehen wir gegenüber, daß noch im Sommer desjelben Jahres 
in Niga ein Nitter Gotjchalt aus Dänemark eintraf, mm Namens 
Woldemars die fünigliche Bogter über die Stadt, den Hauptpunft des 
ganzen Gebietes, auszuüben. Sollte gar in jenem Bertrage mit Andreas 
die Stadt Niga allein fir Dänemark vorbehalten worden jein? Soviel 
ragen, joviel unlösbare Nätjel! 

ehr hören nichts bei Heinrich davon, daß Albert jelbjt gegen 
Sotjchalf aufgetreten, wir erfahren vielmehr, dat der Orden, der auch 
in der Stadt jaß, gut Dänisch gefinnt war. Allzwvörtlich wird daher 
des Chroniften Ausruf, das gejamte Livland, alle Deutjchen zumal, 
hätten jich gegen den Bogt erhoben, nicht zu nehmen jein. Wohl 
aber flammte in der Birgerjchaft ein mannbhafter, trußiger Sinn empor: 
„Und sprachen alle wider ihn — — — daß jogar die taufleute ihm 
einen Lootjen für jein Schiff, jowohl da er von Gotland nad) Liv- 
land Fam, als auch, da er von Livland nach Gotland heimtehrte, ver- 


N er} 
— Di — 


weigerten. Und 309 Dderjelbe mit Schanden wieder ab von Livfand 
und fan auf das große, weite Meer und fuhr ohne Schiffslenfer und 
ward verjchlagen von widrigenm Winde. Und weil er vielleicht wider 
den Willen Ddejien, der den Winden gebeut, nad) Yivland gekommen 
war, haben fich diejerhalben nicht unverdient die Winde wider ihn 
erhoben und hat die Sonne der Gerechtigkeit ihm nicht geleuchtet, 
darum, daß er Maria, des Herrn Mutter, beleidigt hatte, die da heifet 
des Meeres Stern. Solchergejtalt von YLivland ausgetrieben, fehrte 
jelbiger Nitter Heim nac) Dänemark und entiagte fortan der Bogtei 
im Lande dev jeligen Jungfrau. So behütet des Meeres Stern 
immer fein Livland. Sp verteidigt die Herrin der Welt md aller 
Lande Gebieterin immer ihr geiftlich Yand! So gebeut die Himmels 
fünigin den woischen Königen!” 

Da3 Gefühl, einen Schritt von den jchiweriwiegenditen Folgen 
mit der Vertreibung des Vogts gethan zu haben, laftete in Riga auf 
allen Gemütern. Ein Zurück gab es nicht mehr, deshalb jchlofien zu 
Treiden die Nigenjer mit den Letten und Liven eine Eidgenofienichaft 
gegen weitere Angriffe des Königs und jeine Helfer. Wie ernjt diejer 
Bund genommen wurde, erjehen wir aus den jchnellen Zufahren des 
Dänisch gefinnten Ordens, der einige Ältefte der Liven aufgreifen und 
nach Segewold in Gewahrjam bringen lieh. 

Tür die junge Stadt aber jollte gerade das oben Erzählte von 
höchiter Bedeutung fein: offenbar 1221 — nicht, wie früher ange- 
nommen wurde erjt 1226 — hat Niga feine eigene Berfaffung er- 
halten, welche die Stadt vom Bilchof wejentlich emanzipierte'), Die- 
jelbe fuüpft aufs engite an die oben ausführlich erzählte Abtretung 
des Landes an Waldemar. Wurde diefer der Herr Livlands, jo er- 
(ojch naturgemäß die bifchöfliche Bogtet in Niga zu guniten einer 
durch den König zu bejegenden. Zu diejen Zweck erjchien denn aucd) 
der Ritter Gotjchalf in Riga und es ift nicht anzunehmen, daß Albert 
ihm Widerjtand geleitet hat. Diejer ging vielmehr von den Kauf 
leuten Nigas aus, die nichts von einer dänischen Herrichaft wiljen 
wollten und den ungebetenen Saft jchneller, als ihm lieb war, beim 
wärts jandten. Sie waren dadurd) aber auch die Herren der Stadt 

1) Vgl. U. dv. Bulmerincag. 1. c. pag. 57ff. Die von ihm vertretene Anficht 


über die Entfteyung der Nigafıhen Stadtverfaffung it im wejentlichen u. WM. 1. die richtige. 


geworden, auf die Jamt dem übrigen Lande Albert ja Verzicht geleistet 
hatte, fie treten als folche auch gleich darauf in dem Treidener Bunde auf. 
Und fragen wir nach dem Umfang der neuen Freiheit, jo fann wohl 
fein Zweifel darüber jein, daß fie in der Aneignung all der Nechte 
beitand, die früher Albert ausgeübt hatte: Die Stadt wählte von 
num an ihren Stadtrichter Jelbit, Jah jelbit nach Necht auf Markt 
und Straßen, ließ die Gerichtsgefälle in ihre eigne Stafje fließen. 
Den Nahen aber für die aljo jelbjtändig gewordene Stadtgemeinde 
bot die bereits bejtehende Gilde der Kaufleute und Handwerker, Die 
bisherige Gildeverfammlung erweiterte fich zur Bürgerverfammlung, 
die Voriteher der erjteren (die seniores) bildeten von nun an den 
at der Stadt. Nat, Bürgevverfammlung ımd der von ihnen ge= 
wählte Stadtrichter find aljo die Drei Organe der Nigafchen Bürger- 
Ihaft, Die auch "das alte Siegel der Kaufmannsgilde zu dem ihrigen 
machte. 

Mag man auch den Ausdrud „Auftand der Nigenjer”, den der 
neuejte Darfteller Diefer Vorgänge gebraucht hat, als zu weitgehend 
beanstanden, jchwerlich zu bezweifeln dürfte die IThatjache denn doc) 
jein, daß die eigene Berfaflung Rigas im Gegenjaß zu Albert dänischer 
Bolitit entjtanden, mithin ein Ausdruck des regen Ddeutjchen Bürger- 
finmes ift, welcher der alten Stadt jchon in die Wiege gelegt worden war. 

Dijchof Alberts Lage wurde im Frühjahr 1222 noc) einmal eine 
jehr ernfte. Swifchen März und Dat ftieg der mächtige Dänenfönig 
mit jtarfem Heer, in diefem auch Albert Graf von Lauenburg, der 
Ichon einmal in Livland gewefen, auf Dejel ans Land. Daß er mit 
Gewalt das Land, vor allem Niga, zu bezwingen trachten wiürde, 
Ihren nur allauivahricheinlich. Um jolchen Entjchlüffen zuvorzufommen, 
machten ich Albert, der Meijter und Abgejfandten der Liven nad) Defel 
auf. Hier tft e8 zu eingehenden Unterhandlungen gefommen, die, da 
Waldemar, den Erzbifchof Andreas mit der Lage völlig vertraut ge- 
macht haben wird, von jeinen bisherigen Forderungen Abjtand nahın, 
zu glücklichen Ende geführt wurden. Auf die dringenden Bitten der 
Livländer und nach längerer Beratung mit feinen WVertrauten gab der 
König Albert Livland und alles, was zu Livland gehört, zurück. Seine 
Dberhoheit über Saccala und Ugaunien überließ ev dem Orden, der 
jeinerjeits Bifchof Albert feterlich die geistliche Suprematie auch in 
dDiefen Landjchaften einräumen, mithin von feinen verwegenen Selbit- 


ER. 


Itändigfeitsgefüften einen Schritt zurücthint mußte. Dem Dänenfönig 
aber veriprachen die Nitter, „daß te ihm bejtändig Treue erweilen md 
den Seinen jowohl wider die NAufjen, als wider die Heiden ihre Hilfe 
nicht verjagen follten.“ Um Waldemar jeine Bereitwilligfeit zu be- 
weifen, ließ der Orden einige Brüder, zur denen fich Alberts Bruder 
Theoderich gefellte, in Der neuen dänischen Burg auf Dejel zurück, 
dann Jchied man in Freumojchaft von dem Mann, dejien Hand Jahre 
lang jo Hart auf dem Lande gelegen. König Waldemar aber jegelte 
heimwärts — jurchtbarem Zulanımenbruch entgegen. 

Kaum waren Die Segel jeiner Schiffe im Wejten verjunfen und 
auch die Livländer heimgefehrt, jo brach in Dejel, dann auf das Feit- 
(and jich verbreitend, ein wilder Aufftand der Ejten (03; eine nationale 
Erhebung, bet welcher der lang angefammelte Haß gegen die Unterdrücter 
fich oft in barbarischen Orgien der Graufamfeit Luft machte. Bis in 
jeine Grundfeften erzitterte der nenerrichtete Bau vor dem gewaltigen 
Ansturm der ihre Freiheit verteidigenden Eingeborenen. 

Zuerft fam es in Dejel zum Ausbruch. Die Snjelbewwohner 
votteten fie zufammen, belagerten die Dänenburg und zwangen durc) 
ihre Überzahl und ihre nach) dänifchem Borbilde errichtenden Wurf- 
maschinen die Belagımg zur Übergabe. Durch die Kıumde von diejem 
Erfolg ermutigt, griffen im Winter 1222/23 auch die Harrier und 
die in der Wiek zu den Waffen, ihnen folgten die Seriwier und die 
als Unterworfene geltende Saccalaner ımd Ugaunier. So wohl vor- 
bereitet war die Erhebung, daß ihr in Fellin, dem Meittelpunft Sac- 
calag, alle Brüder md Stuechte, Briefter und Kaufleute zum Opfer 
fielen. Sm der Kirche überfallen, wurden fie niedergejchlagen, ihre 
Leiber den Hunden als Fraß auf die Felder geworfen. An andern 
Drten wurden die Gefangenen den graunfigiten Martern unterzogen, 
man zerriß ihnen die Eingeweihte, 309 ihnen das Herz noch lebendig 
aus dem Leib, briet e8 am Feuer und „lie fraßen es, damit fie ftarf 
wider die Ehriften würden.” Eilends jandten die Felliner nach voll- 
brachter That nach Ddenpäh und Dorpat Boten, welche die blutigen 
Schwerter, mit denen die Deutjchen getötet worden waren, und deren 
Kleider umd Pferde vorwiejen und zur Nache entflammten. Zu gleicher 
Zeit ging man auch die Nowgoroder und Plesfauer um Bilfe an, die 
denn auch nicht zögerten und bereitwillig in Dorpat, Fellin md andern 
Burgen Aufnahme fanden, Die Defeler ımd Nordejten aber brachen 


gegen Neval vor, um Ddiefen feiten Punkt den Dänen zu entreißen, 
doch hiev fanden fie energiichen Widerftand und mußten vor einem 
Ausfall der Dänen und Deutjchen die Belagerung aufgeben. 

Nicht fan es umfere Aufgabe jein, dem wechjelvollen KRampfe, 
deffen Ausgang ja nicht zweifelhaft jein konnte, in feinen Einzelheiten 
zu folgen. Troß des Schwurs der Saccalaner, nie mehr die Taufe 
zu nehmen, jo lange mod) ein inabe ein Jahr alt und eine Elle Hoch 
im Zande jei, mußte ji) — mochten auch Wechjelfälle nicht ausbleiben, 
— der überlegenen Striegserfahrung gegenüber jchlieglich jeder Wider- 
ftand als Unmöglichkeit erweilen. 

Machdem die Ejten zuerft an der Sedde aufs Haupt gejchlagen 
worden waren, mußten fie am 15. August auch Fellin, Hinter defjen 
Mauern eine Seuche fürchterliche Berheerungen angerichtet, den Deiut- 
jchen, die unter Bernhard von der Lippe ausgezogen waren, übergeben 
und von neien die Taufe verjprechen. „Und es jchonten ihrer, er- 
zählt Heinrich, Die Brüder der Nitterjchaft und die Dentichen alle, 
obwohl fie ebenjowohl das Leben, alg Sämtliche Habe verwirft hatten. 
Die Nuffen aber, fo in der Burg gewejen, die zur Hilfe gekommen 
waren den Abtriinnigen, Hat nach Eroberung der Burg das Heer alle 
aufgehängt vor dev Burg zur einem Schreden für die andern Aufjen.“ 
Anfänglich Freilich verschlug dies Mittel wenig, denn gleich darauf 
erichten Saroslaww, dev Bruder des Großfüriten Georg von Susdal, 
mit veifigen Mannen zur Unterftügung der Eiten, die einen neuen - 
Handftreich gegen Neval beabfichtigten, und ihm jchloffen fich andere 
Scharen aus Nowgorod und PBlesfau an. Doch abermals blieb der 
Erfolg aus: nachdem der Feind A Moden vor Neval gelegen, mußte 
er mit Schanden wieder von dannen ziehen. 

sn Folgenden Sahr fiel nach mehrfachen vergeblichen Anfällen 
auch Dorpat, die ftärfite Burg des Landes, im Herbjt den Livländern 
wieder ti die Hände — ein Ereignis von weitreichendfter Bedeutung. 
Hatten Doch Die Norwgoroder Ddiefen fir Ugaumten jo wichtigen Blab 
1223 dem Firften Wjätjchfo, dem ehemaligen Heren von SKufenvis, 
zur Verteidigung übergeben.  Diejer, der Durch Niedermeßelung der 
dentjchen Befabung in Stofenhufen (1208) zu einem Todfeind der Liv- 
länder geworden war, jchten der Mann, alle Gegner derjelben mit 
gleicher Erbitterung zu erfüllen. „Öelang es den Nuffen, jich bier 
zu behaupten, jo mußte über furz oder lang das ganze Gebiet bis zur 


Dina in ihre Hände fallen“). Kein Wunder, daß Albert immer 
wieder alle Kräfte anjipannte, um Dorpats Herr zu werden. Im Hoch) 
jommer 1224 bot er die gefamte Macht zu entjcheidendem Heereszuge 
auf: Die Ordensbrüder, die Mannen Der Sticche, die Pilgrimme und 
Staufleute md die Bürger der Stadt Niga jammelten fi” am Burt 
nechjee, dann ging eS gegen die wohl verteidigte ‚Seite, die man regel 
recht belagerte. Mlächtige Kriegsmaschinen, Balliiten und Batherellen 
genannt, wurden aufgerichtet, ein gewaltiger beweglicher Belagerungs 
tum fertiggeitellt, mit fieberhaftem Eifer der Erdwall untermintert 
und an einer Stelle auch zum Einfturz gebracht. Nicht Tag, nicht 
Nacht ließ man den Belagerten Nube, die ihrerjeits durch Wätichko 
mit Meut und Zuversicht auf wullischen Entjaß erfüllt werden, — war 
er den Saccalanern doch, mit Heinrich zu Iprechen, ein Fallitrie und 
ein großer Teufel. Endlich beichloffen die Kreuzfahrer und Deutichen 
eimen entjcheidenden Sturm zu wagen. Doch die Dorpater waren 
wachjam: plößlich öffnet jtch in der Befeftiqgung eine Breiche und aus 
ihr vollen mit Brennftoffen gefüllte große Näpder gegen den hölzernen 
Belagerungstuim. Yun mit Mühe gelingt es, die Gefahr abzumvenden, 
während andere Nitter Holz zujfammen schleppen lallen und die Fall- 
brüce der Burg in Brand een. Gegen Ddieje ftürmen die Rufen 
heran, um fte zuriickzumwerfen: „Sohannes von Appeldern aber, ein 
Bruder des Bischofs, ein herrlicher Ritter, nimmt Feuer in jeine Hand 
und beginnt den Wall zuerit anzufteigen und jein Knecht Peter war 
jofort als zweiter ber ihm und ohne Verzug und Hindernis gelangen 
fie bis an die Befeftigung jtrads hinein. Wie das die andern vom 
Heere jehen, laufen fte alle und folgen ihnen nach, furz, 8 beeilt jich 
ein jeglicher, daß er zuerit Hinauffteigen, Sefu Ehriit md der bl. Kuna 
frau Maria Ruhm und Lob erhöhen und jelber Kob und Lohn Für 
jeine Arbeit befonmten möge und stieg hinauf; — wer zuerit angelangt 
war, weiß ich nicht, Gott aber weiß es und folgte ihm Der belle 
Haufe. Und es bob eim jeglicher jeinen Mitgenofjen hinüber in die 
Burg und andere drangen durch die Vreiche, durch welche die in der 
Burg die Fenerräder herausgelaflen hatten, hinein und die Eriten be 
veiteten den Folgenden den Weg md jagten mit Schwert md Yanze 
die Ejten von dannen. Den Deutichen folgten die Letten und etliche 


1) cf. Schiemann I. c. pag. 33ff. 


Ta 
der Live. Und jofort begannen fie das Wolf zu töten, jowohl Die 
Männer, als auc) die Weiber und Jchonten ihrer nicht, daß fie es be- 
veits auf 1000 an Zahl brachten. Die Rufen aber, nachdem fie lange 
HYeit tapfern Widerstand geleiftet Hatten, wurden endlich bejiegt und 
flohen nach oben ins Simere der Befeitigung und wurden von da 
jiederum heransgezogen und erichlagen alle Jamt dem Könige, gegen 
zweihundert. Andere von Heere aber umijtellten die Burg jelbit und 
ltegen niemanden binausfliehen. Bon all den Männern mun, jo in 
der Burg waren, blieb mur ein Lebendiger übrig, der war des Grof- 
fünigs von Susdal Vafall, hergeichieft von feinem Herrn mit den 
andern Nuffen Den Eleiveten hernach die Brüder der Nitterjchaft 
und jchieften ihn heim nach Nogardien und Susdal auf eimem guten 
Noß, daß er Die Nachricht von dem Gejchehenen jeinem Herrn ver- 
fündige. Nachdem aber alle Männer getödet worden, begann ein groß 
stohloden und em Spiel der Chriften mit Baufen und Pfeifen md 
andern Snftrumenten, darum, daß Tie Vergeltung geübt an den Mifie- 
thätern und alle die Treulojen, jo von Livland und Eitland allda ver- 
Jammelt waren, getödet hatten. Darnach nahmen fie die Waffen der 
Nullen und die Beuteftitcke allzumal, die ftch in der Burg befanden und 
die noch übrig gebliebenen Weiber und Kinder, zündeten die Burg an und 
fehrten jogleich am folgenden Tage mit großen Freuden zuric nad) 
Yıoland, Fiir den Sieg, Jo ihnen von Gott verliehen worden, ihn lobend 
gen Himmel, dem er it freundlich und jeine Güte währet ewiglich.“ 
Der Fall Dorpats beendete den Aufitand. Ein Heer der Now- 
goroder fehrte auf die traurige Nachricht um, die Ejten aber jandten 
in dumpfer Berzweiflung nach Niga und boten abermals Taufe und 
Unterwerfung: der Friede 309 wieder ing verwiltete Yand. Alle Fehnten 
Jich nach Nuhe. und beugten jich vor den Nigischen „und ward das 
Land Stille vor ihrem Angeficht”. Die Ejten famen aus ihren Burgen 
und bauten die abgebrannten Kirchen und Dörfer wieder auf, Letten 
und Liven verließen die Wälder und beitellten ihre Hecker, furz, eine 
Zeit Friedvoller Thätigfeit trat ein, wie man fie vierzig Jahre nicht 
gefannt Hatte. „Und es rırhete alles Wolf unter dem Schirme des 
Herrn amd benedeite ihn, der da gebenedeiet ift in Ewigfeit“. — 
Nur ibr Einen brachen bejjere Tage noch nicht an — fir König 
Waldemar. Obhmmächtigen Zorn im Herzen hatte er, hinabgeltürzt von 
der Höhe jeiner Macht, der Not in Eitland itehen miüflen. War er 


Be 
doch jeit Anfang Mat 1223 Gefangener jeines Bajallen, des Grafen 
Heinrich des Schwarzen von Schwerin, dem er die halbe Grafichaft 
und das Schloß für einen Kleinen Enfel entriffen hatte. Als der Graf 
aus dem gelobten Lande heimfehrte, fand er den Gewaltaft geicheben. 
Da faßte er ein Herz, ütberfiel am 7. Meat den König, der auf der fleinen 
Snjel Lyoe bei Fünen jagte, zu nachtichlafender Zeit in jeinem Zelt 
und brachte ihn nebjt dem Sronprinzen in das feite Schloß Dannen- 
berg in jichern Gewahrjam. Diejes Ereignis, das mit Bligesichnelle 
befanmt wurde, gab das Signal zu einer allgemeinen Erhebung der 
Gebiete, die Durch Waldemar dem dänischen Weich einverleibt oder 
wenigjtens beeinträchtigt worden waren: der Erzbiichof von Bremen, 
die Grafen von Holftein, die mecklenburgiichen Fürjten atmeten auf, 
Ihre Mannen jchlugen auch im offenen Felde die Dänen aufs Haupt, 
der beite Feldherr Waldemars mußte gefangen jenes Herrn SKterker 
teilen. Wer wollte verfennen, welche Bedeutung der Sturz Waldemars 
fir die Entfaltung Deutichlands an der DOftiee haben mufte — jeßt 
erit war die Dftjee wieder Ddeuticher Kraft zugänglich, jet evit Die 
Entfaltung der Ddeutjchen Städte am baltischen Meer gefichert. Aber 
auch auf unfere Heimat wirkte der Tag von Lyoe enticheidend zuriick — 
er begrub fir immer die Großgmachtitellung Dänemarks in Ddiejen nörd- 
(ichen Gebieten. Wie jollte denn im Ernjt die fleine Schar von Dänen 
daran denfen, ftch auf d en Dauer in Ejtland zu behaupten, da ihr mächtiger 
König als Gefangener im Königsloch zu Dannenberg jaß? Weochte der 
däntiche Statthalter Nevals, Bilchof Tuvo von Ripen, noch jo tapfer den 
Aufjtändischen entgegentreten, nur mit Hilfe der Deutichen gelang es das 
Hußerfte abzuwenden. Das mußte auch Waldemar jelbit einjehen: im 
Frühjahr 1224 empfing er in feinem Sterfer den Btichor Albert und dejlen 
Bruder Hermann, den defignierten Bischof von Ejtland, dem ev bisher 
hartnäcig die Fahrt nach Livland verboten hatte, und willigte in die 
Anerkennung Hermanns. Stillichweigend war damit ausgeiprochen, daß 
die Siideitnischen Diftrifte nicht Dänemark, jondern deuticher Herrichaft 
unteritehen jollten. Auch dev Orden entiagte damals jenen Eviwerbumgen, 
die Ihm jeine verräteriiche Verbindung mit Dänemark eint eingebracht, 
und erkannte fiir jeine eftnischen Beltgungen die geiitliche Oberbobeit 
Bılchof Hermanns an. Seit 1224 dürfte fich dem auch das Be 
Itehen des Bistums Dorpat behaupten lafjen, in welche Stadt Hermann 
den Schwerpunkt jeines Stifts verlegte, indem er einen Bruder Notmar 


| 


zum Bropjt des Domfapitels in Dorpat einjebte. Den Namen eines 
Bılchofs von Dorpat trägt Hermann freilich exit jeit 1235. — An 
Differenzen mancher Art hatte eS troßdem während des Ejtenauf- 
tandes nicht gefehlt und wenn auch äußerlich leivliche Eintracht ge- 
herrjeht, Jo war dies wejentlich der Drohenden Gefahr zuzwichreiben. 
Sseßt, wo die Gefahr verjchwunden, drohte auch die Zwietracht wieder 
einzuziehen. Nur eine dauernde Klärung der Berhältniife, eine von 
hoher Antorität ausgehende Feititellung der Meachtgebiete von Biichof, 
Drvden md Niga konnte die Gewähr dauernder Nuhe bieten —- des- 
halb wandte fich Albert an PBapft Honorius III. und bat diefen um 
Herjendung eines Legaten: 
„Das Jahr jieben und zwanzig des Biichofs fam md mun 
Bermocht in ftillem Frieden der Liven Land zu ru.“ 

aljo leitet Heinrich die Erzählung des 25. Jahres ein. Um das Wort im 
vollen Umfang wahr zu machen, evichten im Srübhjahr 1225 Wilhelm, 
Bilchof von Weodena, als päpftlicher Legat im Lande, den man mit echt 
eine der bedentendften Seftalten auf liwländtichem Boden genannt bat. 

Stauın hat ev jeinen Su hergejeßt, Jo beginnt ev eine umfafjende 
TIhätigfeit, bei der er gewiß mm eviter Neibe den Sntentionen \eines 
geistlichen Auftraggebers folgte, jedoch auch Die \intereflen der Kolonie, 
die ihm bald Lieb geworden zu jein jcheint, zu Fordern juchte. DBe- 
jondere Fürjorge wandte er dem Landvolf zu: ev eilt zu den Liven, 
die über Bedrückung und Beraubung ihrer Heer durch den Orden 
flagen, zu ven Letten, die über den Verlust ihrer Birnbäume verzweifelt 
find. Damm geht 8 zu den Eiten, die wohl am meisten durch die 
Eroberer zu leiden hatten, überall vät ev zum Frieden, ermahıtt ev die 
Deutjchen, abzulallen von Koch und Unterdrückung der Eingeborenen, 
predigt er den Liven, Letten und Ejten, fie möchten nicht von Chriftt 
Lehre laflen. Und gewaltig it der nn jeiner milden und Doc) 
feiten Worte, wohn Wilhelm kommt, da jammelt ji) das Volk zu 
Hanf md die Deutjchen nehmen ihn nicht weniger ehrfücchtig auf. 
Selbit mit einer Defehrung der Rufen jcheint Ftch fern Geift getragen 
zu haben. Als er Ipäter nach Nom beinkehrte, gingen Gelandte Noms 
nach Rußland, m bei den Fürjten Umfrage zu halten, ob es wahr 
jei, daß überall nach der vömischen Lehre verlangt wide‘). Daß 


ı ch KR. Schirren. Borträge über livl, Gefchichte, 


ua. 


jeine Pläne weit über dem engen Nahmen der Iivländtichen Kolonie 
ftanden, daß fie weitreichender geivejen, das erhellt aber vor allem 
durch die Art, wie er die verworrenen Berhältiiije der ejtniichen Ge- 
biete zu löjen trachtete — jind es Doch Die „sdeen eines Sunocenz ILL, 
die Errichtung eines theofratischen Gemeimwejens tm fernen Vordojten, 
an deren Berwirklichung Wilhelm von Wiodena Hand legte. Er be- 
jtimmte nämlich, daß die Wiek, Harrien, Wierland und Jeriven feinem 
der jtreitenden Parteien unterthan jein jollten, und nahm Ddiefe Yand- 
Ichaften, die unter dem direften Schuß des hl. Vaters jtehen jollten, 
in eigene Berwaltung. Den Dänen blieb mur Burg und Gebiet 
von Neval. 

Doc) dieje merfwindige Schöpfung hatte faum jo lange Bejtand, 
als Wilhelm im Lande war. Die VBajallen Bischof Hermanns, unter 
ihnen imsbejondere Kohann von Dolen, brachen nach Wierland ein, 
ohne jih um den Bannftrahl und Broteite zu finmmern, welche der 
Stellvertreter Wilhelms, der Kapları Kohannes, ihnen entgegemeßte. 
Da Wilhelm bereits im Suli 1226 nach Gotland abgereift war und 
ein von Ihm bier zujammengebrachtes Kreuzbeer in Yivland andere 
Verwendung fand, als er gewollt, jo brach der ejtniche Stivchenjtaat 
wie eim Kartenhaus zufammen Wohl ichon 1227 trat der Kaplan 
Johannes jene Nechte, vorbehältlich der päpitlichen Oberberrichaft, den 
Deutjchen ab, die Wierland, Serwen und die Wiek in Bejis nahmen, 
Harrien dagegen den Dünen zuiprachen. Doch jelbit dieje legte Yand 
Ichaft ging ihnen jchnell verloren. im neuer Zoift mit dem immer 
thatkräftigev werdenden Orden führte diefen mit jeinen Wannen vor 
die Mauern von Neval. Nach ftegreichem Treffen der Deutichen jehen 
Jich die Dänen genötigt, jenen ihren ganzen ejtnischen Befiß abzutreten. 
Mit ihren beiden Bichöfen jegeln die Dänen heinmvärts, das Yand aber 
nimmt der Orden in Befis, ur die Wiek und die Snjel Defel, von 
deren Eroberung gleich geredet werden joll, erhält Albert, der aus 
ihnen ein neues Bistum bildet, dem er den Abt von Dimamide, 
Sottfried, vorjeßte. 

Es Diürfte feinem Zweifel unterliegen, daß dieje Erfolge der 
Deutichen durch die abermalige Nataftrophe, die über König Waldemar 
hereingebrochen) war, beeinflußt worden it. 

Wohl war der König im Dezember 1225 aus feiner Haft ent 
(allen worden, nachden ev alles Land zwiichen Eider und Elbe, Welt 


— ib — 


jee und DOftjee, mit alleiniger Ausnahme Nügens, dem Neich zurüc- 
erstattet, aber faum war er im Freiheit, jo ließ er fi) vom Bapft 
jeinev Eide los md ledig Sprechen und fmüpfte abermals mit den 
Welfen an. Die drohende Gefahr jchreefte jeine Gegner noc einmal 
zujammen: Gerhard von Bremen, Albert, Herzog von Sachjen, Adolf, 
Sraf von Holftein, Heinrich, Graf von Schwerin und Die Bürger 
Lübees und Hamburgs jchlugen auf der Heide von Bornböved am 
22. Juli 1227, das däntiche Heer vernichtend. Der König jelbjt ver 
(or eim Auge und entging mit Mühe einer neuen Gefangenschaft. „Der 
(tige Streich von Lyoe,“ jagt Nanfe treffend, „war nun durch offenen 
Kampf wieder gut gemacht und zugleich in jeiner Wirfung beitätigt 
worden). Seitdem richteten die Dänen nichts weiter aus. In Nabe- 
burg und Kauenburg fonnte ich das neue Herzogtum Sachjen befeitigen. 
Die ganze Ditlee geriet in die Hände Deuticher Seefahrer. Der Btichof 
von Niga md fein Orden nahmen auch (einen Teil von) Eitland ein. 
Das deutjche Prinzip, von dem die Kultur im den Negtonen des 
Kordoftens ausging, erlangte auch politisch Dort jeine ganze Bedeutung 
jpieder. 

Ein Jahr darauf (1228) hat Nönig Heinrich VII. „aus fünig- 
licher Machtvollfommenheit und Gnade, zu jeiner md einer Wor- 
fahren Seelenheil” Eftland dem Orden feterlich bejtätigt, nachdem chen 
im Dezember 1224 der nach Deutjchland gefandte Bischof Hermann 
die Erhebung der geistlichen Territorien mit Einjchluß des Ordenslandes, 
alfo ganz Livland, zuc Mearfgrafichaft bewirkt hatte, eine neue Be- 
jtätigung der Neichsfüritemvürde, die Albert Ichon vor Jahren don 
König Philipp zu teil geworden war. Noch einmal war der polittiche 
Zujfammenhang zwißchen Mutterland und Kolonie fererlich ausgeiprochen 
Iporden. 

sn jene Dahre fällt noch ein Ereignis von weitreichendfter Be- 
dentung, das die Unterwerfung Ddiefes Landes erjt abjchloß und Die 
Sicherheit des Handels gewährletitete: die Eroberung Dejels im Samıar 
1227. Zwanzigtaufend Manı stark zogen Deutiche, Yiven, Letten, ja 
eitniiche Hilfsvölfer itber das Iptegelblanfe Eis des Sundes — an 
ihrer Spiße der greife Albert jelbjt. Met äußerjter Tapferfeit vertet- 
tigen die Deleler ihr Etland, ihre Burgen, Doch der Übermacht unter- 


ef. 2. v0. Ranfe. 1. c. pag. 383, 


17 
liegen ste, die Bauernburg Moon wird erjtürmt, obgleich der Bura- 
berg hoc und befroren war und die Mauer durch Begiegen mit 
Wafjer in Eis ftarrte. „Dennoch gelangen die Deutichen, etliche auf 
der Leiter, etliche am Stricke ich hHaltend, ja durch einen Engel des 
Herrn emporgetragen, hinauf und find dem allerjeits fliehenden Feinden 
auf den Ferien. Eme Stimme des Frohlocdens und des Heils bei 
den Ehrijten! Ein Klagen und Heulen des Berzweifelns und des Ver 
derbens bei den Heiden! Hineim im die Burg dringen die Deutjchen 
und töten alles Bol: 


„Ditliens Heidenvolf fann Schonung nicht erlangen, 
Ein Teil wird hingejtreckt, der andre Teil gefangen.“ — 


Dann gehts weiter gegen die vejeliche Burg Wolde, auch dieje ergiebt 
ich und die Taufe der Defeler frönt das Werk. 

Mit der begeijterten Schilderung der Eroberung jchließt umer 
treuer Führer durch Livlands Hervenzeitalter, der Ehronijt Heinrich, 
dem, wie er jelbjt betont, bei der Niederichrift des Selbiterlebten oder 
von Augenzeugen Erfahrenen, der Gedanfe vorgejchwebt, die Nachleben 
den möchten durch ihn erfennen, was Gott und Die hl. Sungfrau fiir 
Livland gethan, „damit fie Gott Lob zollen und auf ıhn ihre Hoff 
nung jegen“ Fürwahr Wunpderbares war in dem Lande der Heiden 
geichehen: „Was jelbjt die Könige bishero nicht gefommt, das hat Die 
jelige Sungfrau durch ihre Stuechte, die Nigtichen, in furzer Yeit mit 
Leichtigkeit zu ihres Namens Ehre ausgerichtet: 

„Euch folgt der Sieg zu jeder Zeit 
Mit Triumphes Herrlichkeit. 

Des joll Ruhm und Preis erichallen 
Gott dem Herren in Himmelshallen!“ 


och zwei Jahre waren Albert bejchieden, doch brachten jie wenig 
Erfrenliches. Wefthard von Tevieten, der Semgallerhäuptling, erhob 
fich, für die Freiheit jeines Boltes Fürchtend, gegen die Deutichen. 
so August 1228 überfluteten Semgaller und Kuren das Yand, über 
vumpelten und zerjtürten das Stlofjter Dinamimde und tödeten Die 
Mönche. Ein wilder Sirieg loderte empor. Bolquin vier zur Nache 
auf, die Kuren md Semgaller verbiimdeten fich mit den Yittaueri, 
jener Macht, „an dejjen Bekämpfung der Orden verbluten \ollte“. 

Sumitten Diefes Waffenlärns it Albert zu jeinen Vätern ver 


N EN 


fammelt worden: am 17. Sannar 1229 jchloß er nach einem Leben, 
das er ganz und voll jeinem Livland gelebt, nach Kämpfen md 
schweren Enttäuschungen, aber auch nach herrlichen Erfolgen, die miden 
Augen. In der Domficche zu Niga fand er die lebte Ruhe, er, auf 
defien Wirfen das Dichterwort jeine Anwendung finden könnte: 

’s ijt auch wohl fein, 
Ein wacrer Mann zu feiner Zeit zu jein.“ 


Durch die Flucht der Jahrhunderte leuchtet noch heute des gropen 
Alberts Name hinein im unfere Herzen, von Gejchlecht zu Gejchlecht! 


6. Kapitel. 


Der Interaana Der Sıhweribrüder, 


Dat Alberts Tod fiir die junge Planzung von der größten Be- 
deutung jein mußte, lag auf der Hand. Die Frage, wer jet Nach- 
folger werden, wen die Wahlbefugnis obliegen wirde, trat jofort in 
den VBordergrumd md vegte vor allem in Bremen alte Herrichafts- 
gelüfte von neuem am. Najch entichloffen erklärte man bier den Dom- 
herren Albert Suerbeer zum Bilchof von Niga. Schon aber war in Diejer 
Stadt das Gefühl eigener Straft jo jtarf, daß man dem bremifchen 
Kandidaten einen eigenen entgegenzujegen unternahm: einitinmig wählte 
das Nigiiche Domkapitel den Prämonftratenjer Domheren zu St. Marien 
m Magdeburg Vikolaus. 

Den Borteil aus der jchiwierigen Situation z0g abermals der 
Bapft, auf ihn richteten beide Kandidaten ihre Augen, ihm alio war 
wiederum Gelegenheit gegeben, jeinen mächtigen Schtedsipruch im Die 
Wagichale zu werfen. Gregor IX. zögerte nicht jeine Autorität geltend 
zu machen und jandte den Kardinal Otto nad) Yivland. Diejer aber 
itbergab, nachdem ev vorläufig beiden Bilchöfen verboten irgend welche 
Amtsbefugnijje auszuüben, die weitere Negelung der verwicelten Frage 
jeinem Beichtvater Balduin, eimem Mönch des Flandriichen Stlojters 
Alna, mit dem em Mann in die Entwiclung unjerer Heimat tritt, 
der al3 fanatijcher Vertreter jener von uns bereits charakteriftierten 
päpstlichen Bolitif zu den gefährlichhten Feinden Livlands gerechnet 
erden nmıB. 

Nie groß das Mißtrauen war, das man Baldırin von Alna ent 
gegenbrachte, zeigte fich jchon dariı, daß ihm, als ev 1230 in Wisby 
anlangte, Boten aus Livland entgegentraten und ihm einen Eid ab 
verlangten, er werde ihre Nechte in feiner Werle vergeivaltigen. Nam 
war Baldırin in Niga ans Land gejtiegen, jo begann ev jeine Thätig 


— 80 — 


feit mit eigenmächtigen Verfügungen, die um jo unerträglicher wurden, 
als jie arge materielle Schädigungen der Nigiichen im Gefolge hatten. 

Hatten Doch die Bürger Nigas, während unter des Ordens fieg- 
veicher Fahne die Heldenfünpfe gegen die Ejten ihren Fortgang nahmen, 
ihren Fuß bereits in das jüddüniiche Yand, nach Sturland, gejebt. 
Ebendamals war demm auc) ein Vertrag zwischen Bischof Nikolaus und 
den sturen zu Stande gefommen, laut welchem jte die Taufe verjprachen 
und einen Bichof aus Nikolaus Händen zu empfangen jich bereit er- 
flärten. Hier glaubte dev Mönch von Alna den auf eignen Ausbau 
der VBerhältniffe gerichteten Bejtrebungen der Livländer erfolgreich ent- 
gegentreten zu fünnen. Durch gejchiefte, fein Weittel jcheuende Ver- 
handlungen gelang es ihm in der That die turen jo weit zu bringen, 
daß fie Fich Ddiveft der päpftl u Hoheit ımterivarfen und Geißeln 
Itellten, Die Baldırin jchl enmigjt | inter den Mauern Dünamündes barg. 
Hierher zug er jich dann jelbit zuriick und troßte allen PBrotelten der 
Nigenjer und Nikolaus. Auch auf Ejtland warf der Unruhige jein 
Ange: hatte Doch jchon Wilhelm von Modena Ddiejes Gebiet dem bl. 
Stuhl umterjtellen wollen; damals waren aber die dänische ataftrophe 
und der Ungejtüm des Ordens hindern im Den Weg getreten — 
vielleicht, daß die Zeit jet günftiger war? 

Während Baldum jich noch mit all diefen Ideen trug, füllte der 
Stavdinal Otto jenen Schtedsipruch. Wie vorauszujehen gewejen, fiel 
derjelbe gegen die unbequemen Bremer Brätenfionen, aljo gegen Albert 
Suerbeer md fir Vikolaus aus: jenem Winde ewiges Schweigen 
auferlegt. Wohl im April 1231 erfolgte die päpftliche Ernennungs- 
bulle, Durch Die, da Die „junge und zarte tirche, um nicht langwierige 
Hachterle ihrer Berwatlung zu verjpüren, eines Beichügers und Lenfers“ 
beditrfe, der wegen jeiner „ehrbaren Sitten und Löblichen Zebenswanpels 
und jeiner vertrefflichen Stenntnifje“ bejonvders bewährte Nikolaus ein- 
gejeßt wurde). 

Kaum fühlte jich Nikolaus auf dem Stuhl von Riga ficher, jo 
zeigte er den deutlichen Willen, den Umtrieben- Balduins entgegenzu- 
wirken. Ss Gegenjaß zu dejjen furiichen Plänen belehnte er Nigiiche 
Dürger mit großen Lanpdftreden in Kıurland und Semgallen, während 
der Orden tm jelben Stimme handelnd in Serwen an 200 gotländijche 


1) Päpitlihe Bulle, abgedrudt in Beiträge zur Kunde Liv-EjtKund. I. 1. 
66 pag. Neval 1568. 


ee ee 


Kaufleute Güter vergabte. Natürlich erbitterte Dieje Tyjtentatijche Oppo- 
fition den Mönch aufs Höchite, voller Wut verließ er Livland, um 
dem Hl. Vater jein Leid zu Hagen. Der Bapit nahm jeine Bartei 
und überjchüttete ihn förmlich mit Zeichen jeiner Gunft. Nicht nur, 
daß er ihn zum Bilchof von Sturland erhob, obgleich ein von Albert 
ernannter Bilchof Yambert noch) lebte, ev machte ihn auch zum Legaten 
für Gotland, Finnland, Ejtland, Kurland und Semgallen und gab 
ihm jo weit reichende Vollmachten, daß er wie ein Selbitherricher im 
Lande jchalten und walten fonnte. 

Man braucht nur einen Blick auf Die päpftlichen Bullen zu werfen, 
die BYaldutı Sich en nach Livland zu bringen, um jofort zu er- 
fennen, welche Befugnifje der neue Legat erhalten hatte, Fatjerliche 
Snadenbriefe, Entichetvungen Wilhelm von MNiovdenas, ja jelbit päpit- 
fiche frühere Entjcheidungen zu ändern, umznverfen und zu vernichten 
war feinem Ermehjen anheimgejtellt. Wehe dem, der ihm Widerftand 
leiften wirde, Bann und Crfommumntfation jollte ev gegen fie ge 
brauchen dürfen. „Was blieb da, tft zutreffend bemerft worden!), von 
der Selbjtändigfeitt Livlands übrig? Der Norden und der Süden 
jollten dem Bapjt ganz im die Hand fallen, das Land in der Mitte 
unter Bormundjchaft geitellt werden und über dem Ganzen der Wednc) 
von Alna gebieten wie ein König. — — — 63 war, darüber kann 
fein Zweifel walten, ein nochmaliger Berjuch des Bapfttums, fich auf 
wländiichem Boden einen Bajallenftaat zu griimpden.“ 

Doch allzu Scharf macht jchartig! Das follte auch der fieges 
trumfene Legat erfahren. Wie oft hatte man fi) aus Livland mac) 
Nom gewandt an das geiftliche Oberhaupt, wie nun, wenn man auf 
den Gedanken kam gegen die immer umerträglicheren Übergriffe der 
Kurte fi an den Ddeutjchen Statjfer zu wenden, der noch 1231 den 
Drden feinen Belisitand feierlich garantiert hatte? Balduin scheint 
das nicht gefürchtet zu haben, 2 = Anfang 1232 aus der ewigen 
Stadt im den Norden zuricfehrte. Die Livländer gaben Kurland und 
Serien > wirklich tm jeine als er aber auch die Aus 


y ef. zH. Schiemann. Nupl. Polen und Livland. II. IH. 47 ff. Diejes 
auf den nenejten Forjchungen bafierende Werk, das jchlechtweg als „Gejch. Yivlands“ 
zitiert werden wird, bietet die Grundlage der folgenden Kapitel bis auf Pletten 
berg. Daneben find die Chroniken jelbjt, ferner Schirrens Vorträge umd 
manche Spezialjchrift herangezogen worden. 

Seraphim, Gejhichte L, 6 


lteferung Nevals begehrte, brach der lang zurückgehaltene Unwille in 
elementarer Wetje hervor. Als vollends der Meifter des Nitterordens, 
Bolquin, Meiene machte, ich den Wiünfjchen Balduins zu fügen, der 
ihm offenbar verjprochen hatte, Ihm die Burg auf dem Domberge als 
Tehen zurüczugeben, wandte ich die Erbitterung der Brüder auch 
gegen ihr Oberhaupt, das, wie der Mönch jelbit es bezeugt hat, „ver 
vönschen Sttrche gümftiger gefinnt war“. Ste bemächtigten fich feiner 
Berjon und ferferten ihm ein, um während der dreimomatlichen Ge- 
fangenschaft, wilde Afte der Selbitverteidigung zu vollziehen. „Die 
Brüder brachten den ganzen Dom in ihre Hände; die Bajallen, welche 
ihnen Wiperjtand zu leiften juchten, wurden evichlagen und die Unt- 
gegend Nevals vermwühtet. Gegen hundert VBalallen jollen bei Ddiejer 
Gelegenheit umgefommen jein, jelbjt im geweihten Innern des Gottes- 
haufjes flo das Blut; die Brüder türmten die Leichen zu einer Pyramide 
auf, deren Spite die aufrecht jtehende Leiche des Führers der Bajallen 
bildete. HZweihundert andere VBajallen wurden gefangen genommen 
und erjt Jpäter gegen hohes Löjegeld Freigegeben, zweihundert Streit- 
vojje, zweihundertfünfzig Pferde, vierhundert Niftungen, dazu Kauf- 
mannsgut und die Habe der Nevaler Bürger fielen den Siegern zur 
Beute. — Man jchäßte den Gejamtjchaden auf die ungeheuere Summe 
von 15000 Mark!).“ 

Sp wurden Die Gegner des Ordens im Harrien zu Boden ge- 
\cehlagen, im den andern Yandichaften Ejtlands ging es jeinen Wider 
jachern nicht beijer, überall blieb er Sieger, troßdem fich die Ejten 
erhoben, troßdem die Nufjen auf dem Sampfplab erjchienen, troßdem 
Baldırim jeine geistlichen Waffen gegen ihn gebrauchte. Als der Legat 
alle Gebietiger des Ordens im den Bann that und den Briefterbrüdern 
die Ausübung der Seelforge verbot, antworteten die Nitter mit neuen 
Sewaltthaten. Einen Bruder des großen Albert, Sohann von Bur 
hömwden, dejjen Söhne jich dem Legaten angejchlofien, jtraften jte mit 
200 Mark, einem andern VBajallen ftießen fie die Mugen aus, Cin- 
geborene, die Baldımm nach Nom jenden wollte, holten fie, obgleich fie 
Ihon nach Holland gefommen waren, rücjichtstos zurüc. 

Das waren die Früchte der Bolitif des Legaten: eine unglaub 
liche Zerrüttung drohte alle jungen Steime, die Alberts jorgende Hand 


') Nach den Forichungen 9. Hildebrands über Livonifa im Batifan. 


dem Boden anvertraut, zu vernichten, zumal auch die Nuffen die günitige 
Gelegenheit wahrnahmen und ins Stift Dorpat einbrachen. Das 
Stlojter Falfenau wırde zeritört, Die Stadt Dorpat in arge Bedrängnis 
gebracht. Selbit in Rom fam man jchließlich zur Einficht, daß es jo nicht 
weiter gehen fünne und dürfe. Gregor IX. rief Balduin ab und übertrug 
die Löjung der Wirrniffe dem warmberzigen Wilhelm von Modena. 

sreilich wurde die Gefahr damit noch feineswegs völlig bejeitigt. 
Sebte der gefränfte Wiönch Doch vor jeinem Scheiden die Jitatton des 
Biichofs, des Ordens und der Stadt Niga nad) Nom durch und er- 
hoben fich doch zu gleicher Zeit die däntichen Anjprüche wieder. Künig 
Waldemar, weder durch langen Sterfer, noch durch die Niederlage auf 
den Felde von Bornhöved aus jenen Bahnen gebracht, trug jein un- 
ruhiges Haupt höher Demm je und Lie durch jeine rührigen Gejanbdten, 
da er die Abneigung des Bapftes gegen die Livländer fanıte, jeine 
alten Anjprüche auf Ejtland von meuem mit Nachdruck vorbringen. 

Dieje Beitrebungen konnten in Yivland nicht verborgen bleiben 
und Hier nichts anders als jchwere Sorge hervorrufen. Die Furcht 
vor neuen dänischen Anforderungen it es offenbar gewelen, die dem 
Schwertbrüderorden den längst gehegten Gedanken wieder nahe gelegt 
hat, fremde Hilfe zu gewinnen. Dieje jchten Sich aber ihm naturgemäß 
am ehejten darzubieten, wenn die Brüder eine Beremmigung mit dem 
mächtigen Deutjchen Orden zu Stande brachten, der jeit Ende 1229 
oder Anfang 1230 ins PBreußenland gekommen war. 

enm man angenommen hat, daß tn eviter Neihe dem Livlänpdiichen 
Orden die Verschmelzung mit dem von dem großen Meifter Hermann 
von Salza geleiteten Deutjchen- oder Marienorden, „ven Brüdern vom 
deutschen Haufe“ deshalb jo verlockend erjchtenen jet, weil der letere 
nicht im Abhängigkeit vom Bilchof gejtanden, eine WBeremigung Für 
die Livländer aljo eine Abjchüttelung der Läftigen Fellel nach fich ge 
zogen hätte, jo it dDieje Meinung desivegen unbaltbar, weil der Deutiche 
Dvden anfangs in ganz ähnlicher Abhängigkeit vom Biichof Ehriltian 
von WBreußen, dem verdienftvollen Miiftonar aus den Bifteretenjer 
flojter Oliva, fich) befand, wie die Nitter in Livland von Albert md 
defien Nachfolger. Exit im Lauf mehrere Jahre trat, gewiß durch Die 
Hefangennahme Chriftians, der tn die Hand der Samländer fiel, 
unterftügt, eine fir den Deutichorden ginftigere, von demjelben jchon 
(ängit erjtrebte Neugeftaltung ein. Der friegeriiche Ruhm, nit den 


6*F 


Zr BE 


der ampf gegen die Heiden die Nitter umgab, die Abwejenheit Chriitians, 
die Unfenntmiß der einschlägigen preußischen VBerhältnifie jeitens der 
sturie wirften zufammen — furz in einer Bulle vom 3. Auguft 123 
ergriff der Bapjt feierlich Belig vom Lande Breußen und gab es dem 
Drden als feinem VBajallen zu Lehen, mit dem Borbehalt freilich, die 
firchliche Einteilung und die Yandesteile der Bijchöfe jpäter neu zu ordnen. 
Exit von diefem Augenblicke an fonnte dDieje Seite den Livländern 
als verheifungsvolle Zukunft vorjchweben, ihre VBerfuche, mit den 
Brüdern in Wreußen eine Bereinigung herbeizuführen, fallen zum 
Mindeiten aber jchon drei Sahre früher, ms Sahr 1231, wenn nicht 
gar Schon 1229, in Alberts Todesjahr, gleichzeitig mit dem Erjcheinen 
der Brüder vom Deutjchen Haufe im Breupen. Wir wiljen leider 
iiber Ddieje erjten Berjuche nur, daß te feinen Erfolg hatten: dem 
Hochmeifter, der bereits damals auf eine Abjchüttelung der jchwachen 
bijchöflichen Obergewalt hinarbeitete, mußte das Eingehen eines Ber- 
hältnijjes, wie das, welches die Yivländer an Albert band, höchjt un- 
gelegen jein. Und war der preußiiche Orden denn voirelich jchon Fräftig 
genug, um zur Behauptung Eftlands es auf einen Strieg mit Dänemarf 
anfommen zu lallen? Man wird es vollauf verjtehen, wenn Hermann 
von Salza den Livländischen Abgejandten feinen feften Bejcheid gab, jondern 
fie mit dem Ivoit entließ, er wolle ich mit dem Kapitel beraten. 
Anders gejtaltete ich die Lage nach jener Bulle vom August 
1234. Se größer die Schwierigkeiten der Lioländischen Nitter wurden, 
um jo mehr mußten jte von Dem mächtig aufblühenden Orden im 
Preußen erwarten. Schon Djtern 1235 traf eine Abordnung Des 
Deutichen Ordens, von Hermann gejchieft, in Yivland ein, um jich ein 
Bild der hiefigen Jujtände zu machen: es waren Ehrenfried von Neuen- 
burg, Komthur der Altenburg, und Arnold von Neuendorf, Komthur 
von Nageljtädt; fie blieben ein ganzes Sahr im Lande, das fie gewiß 
grimpdlich befichtigt haben werden, und traten erjt im Frühjahr 1236, 
geleitet von den drei einflußreichjten Schiwertbrüdern, Naimumd, Komthur 
von Wenden, Johann von Magdeburg und Johann Salinger, der jpäter 
im heiligen Lande als Ordensmarjchall gejtorben tft, die Heimreije an. 
Fir Eingeweihte fonnte eS nicht Wunder nehmen, daß der Be- 
richt über die Lage des Livländischen Ordens wenig günftig lautete 
und ihm zügellofes Leben, Auflehnung gegen den Meifter, harte Be- 
handlung der Eingeborenen, Beichäftigung mit Saufgejchäften, Auf- 


nahme von Elementen jchlimmuiter Art, „die Schon in Sachjen wegen 
Berbrechen gebannt worden waren“, mit Necht zum Borwurf machte. 
Auch an Spaltungen fehlte es nicht: jchon 1228 hatte ein Bruder 
Bruno mit 15 Ordensbrüdern fich abgelondert und von Herzog Konrad 
von Mafjovien das Dobryner Land zu Lehen erhalten. Bon Dauer 
war Ddiefe Neugründung freilich nicht: obgleich die Nitter fi 1235 
mit dem Deutjchorden fürmlich vereinigten, fanden jte bald darauf, wahr- 
Icheinlich beim Meongoleneinfall, ein frühes Ende. 

Wen von den preußischen Rittern Fonnte es locen, mit jolchen 
Männern Genojienichaft zu pflegen? Aus zwei Gründen vornehmlich 
forderte der Bericht Ehrenfried von Neuenburgs die Ablehnung des 
(iwländischen Gejuchs: zum eriten, wetl fte ein Leben führten, das gegen 
die Ordensrtegel veritieß; zum andern, weil die Livländer Die Be 
dingung stellten, dag man fte nicht aus ihrer Heimat in andere Ordens 
(ande fortichiefe, vielmehr ihnen Briefe hierüber und noch anderes 
ausjtelle, worunter offenbar die Garantie für den Befis von Ejtland 
gegen Dänemark gemeint tt. 

Sp gewichtig jchtenen dem Kapitel diefe Meitterlungen, daß es 
Hermann von Salza war zu SKatjer Friedrich nach Stalten gevetit md 
Ludwig von Dettingen waltete feines Amtes — Sih dahin einigte, 
den Livländern abermals eine abjchlägige Antwort zu teil werden zu 
laffen. Da in leßter Stunde erhob fich ein jüngerer Bruder, Hermann 
von Heldrungen, Dderjelbe, dejlen Bericht wir hier folgen, und jchlug, 
unterftüßt von dem zweiten Berichterjtatter, Arnold von Neuendorf, 
vor, man jolle nichts thun, ohne den fernen Hochmeister zu befragen. 
Alle ftimmmten zu und fo vajch wie möglich veiften Ludwig von Det- 
tingen, Wlrich von Diürne, Wichmann, Komthur von Würzburg md 
Hermann von Heldrungen, von den Livländern aber Kohanı von Magde 
burg, zu Hermann von Salza, der in Wien weilte 

Der Hochmeister war williger als das SKtapitel. Die Stellung 
im Breußenlande schien ihm eine Befejtigung durch die Ausbreitung 
der Ordensherrichaft nach Sidoiten, Samogitien und Nurland bejon 
ders, zu verlangen, nur die Behauptung der eitländiichen, von den 
Dünen umkämpften Gejtade wies er von fich, da er durch den Befit 
der Miet umd Dejels, jowie durch die fait vein deutichen Kolonisten 
jenes Gebiets troß einer dänischen Lehnsherrichaft vor einem Angrif 
der Dänen auf Livland ficher zu jein glaubte, 


Sr 

Noch zögerte der Abgefandte des Schwertbrüderordens diejes v 
erhebliche Zugeftändnis zu machen, da brachte ein zweiter Nitter aus 
Civland, Gerlach Nothe, die Nachricht von einem Furchtbaren Unglüd: 
im Kampfe gegen die Heiden war der Schwertbrüderorden jo gut wie 
vernichtet worden. 

Im Jahre 1236 waren ehr zahlreiche Kreuzfahrer nach Livland 
gekommen umd drängten Volquin, jehr gegen feinen Willen, zu einem 
Herbitfeldzug, einer „Neife* gegen die Yittauer. 


„Deren (der Kreuzfahrer) waren viele von Riga fommen, 
Und hatten bejtens e8 vernommen, 
Wie mit dem Land e3 fjtinde zu; 
Die Tiefen ihm deshalb feine Ruh’, 
Er geböte eine Sommer-Heeresfahrt‘), 
Um die er jehr gebeten ward. 

Bon Hajeldorf ein Edelmanır, 

Der jebte feinen Fleiß daran, 

Bon Dannenberg auch der Graf gut: 
Wohl mancher Helden Mut 

Stand nach den Littanern“. 


Wohl juchte der Meifter die Ungeftiimen durch nee Schilderungen 
der Gefahren in der regnerifchen Herbitzeit abzuhalten, doch umfonft: 


„Darum find wir hergefommen,“ 
Spraden fie allzırgleich, 

Beide, jo arm wie reich. 

Den Krieg ihnen gab der Meijter frei 
Und jpradh: „Mit Gott find wir auch dabei, 
Der mag zum beiten ung bewahren, 

Wir wollen gerne mit Euch fahren, 

Da auch jo Not zum Streiten tt: 

Gebt mir nur eine Weile Frilt, 

Sp bring’ ich euch fürzlic) an eine Statt, 
Da wir dei’ alle werden jatt.” 

Nach Hilfe nun wider der Littauer Land 
Er jandte Boten, da famen zu Hand 

Die Efjten mit gar mancher Schar, 

Die famen williglic) ihm dar; 

Die Letten und die Liven aud) 

Zu Hauf’ nicht blieben nach altem Brauch. 


t) Gemeint ift der Spätjommer vejp. Frühherbjt, 


Mit einem jchönen und breiten Heer 
Gegen Littauen man reitet daher 

Über Feld und über manchen Bad); 

Sie litten mandes Ungemad), 

Bis daß fie famen in das Land. 

Da ftifteten fie Naub und Brand 

Mit mancher Schar gar wonniglid: 

Sie verwüfteten fedlich her um ich 

Das Land wohl auf und nieder, 

Ben Saufle!) dann zogen fie wieder 
Durch Bruch und über Haide. 

D meh! dem großen Xeide, 

Daf die Neife je ward bedacht! 

An einen Bach fie waren gebracht, 

Wo der Feind ic) verweilte — 

Gar wenig da mancher eilte, 

Der zu Niga tapfer gejtritten. (D. h. mit PBrahlereten.) 
Der Meifter zu den Ejten fommıt geritten 
Und jprach: „Nun gilt’3 dem Streit im Feld, 
AM unj’re Ehre ift darauf gejtellt. 
Schlagen wir die erjten darnieder, 

So mögen wir fedlich wieder 

Heim zu Lande reiten!’ 

„Hier wollen wir nicht jtreiten, 

Sprachen da die Helden wert, 

Wenn wir verlieren unj're Pferd, 

So follen wohl zu Fuße echten wir?“ 
Der Meifter jprah: „So wollet ihr 
Samt den Pferden auch noc laljen das Leben!‘ 
Er jagte voraus, wie fihg jollte begeben: 
Die Heiden zogen eiligjt heran; 

Des andern Tages früh die Ehriften dann 
Verhofften von dannen zu veiten — 

Und da mußten fie reiten 

Mit den Heiden wider ihren Dantf. 


— Mich jammert mancher Helden Leib, 
Der ohne Wehr dort ward erjchlagen: 
Shrer genug jah man jo verzagen, 
Daf te zu Lande flohen wieder, 
Die Semgaller darnieder 
2) Nicht weit von Bausfe in Kurland, einige Meilen von der Littantichen 
Grenze heißt noch heute bei dem Gute Alt-Nahden ein Nebenflüfchen dev kurijchen 
Ya die Saule, 


RR 


Schlugen jammtersreic 

Beide, arm und reid), 

Am Meister und der Brüder Heer 
Mocht’ man erfennen Heldenwehr, 
Bis ihnen ihre Nojje erichlagen tot. 
Zu Fuß fie nın traten in die Kampfesnot 
Und fällten doch erft manden Mann, 
Eh’ man den Sieg ihnen abgewann. 
Bolquin, der gute Meijter, wohl 
Tröftete die Seinen, wie man joll. 
Acht und vierzig, die da blieben, 

Die wurden Hin- und hergetrieben, 
Die Littauer jie mit Not 

Zuleßt mit Bäumen fällten tot. 

Shre Seelen möge Gott bewahren, 
Sie find mit Ehren Hingefahren, 

Mit ihnen mancher Pilger fein — 
Gott mög’ ihnen Allen gnädig jein 
Um jeinen jammerreichen Tod 

Und Helf’ ihren Seelen aus aller Not. 
Sp brachte Volquin jein Leben dar, 
Der Meifter und jeiner Brüder Schar.” 


Sp erzählt mit ausführlichen, ergreifenden Worten wohl ein 
jpäterer Ordensbruder ütber die jchredliche Katastrophe, die am 22. Sep- 
tember 1236 über den Orden hereinbrach und in der diejer in nicht 
unvihmlicher Weife jein Ende fand?). 

Einen Augenblick jtand die Exiftenz der Kolonie auf dem Spiel: 
der Orden war auf der Wahlftatt verblutet, die Bilger getüdet, Die 
Semgaller und Kuren jtanden in voller Empörung und Livland lag 
littantschen, ruffiichen und däntichen Eingriffen offen. 

sn Diefer Not eilte Gerlach Nothe zum Bapjt, um diejem Die 
Aufnahme des Neftes der Schwertritter in den Deutjchen Orden ans 
Herz zu legen. Er traf Gregor IX. zu Biterbo, bei ihm aber aud) 


!) Die Reimhronif, die früher Fäljchlich dem Dietliep von Alnpefe 
zugejchrieben mwurrde, ift unjer Hauptführer durch die Zeit der Eroberung des Landes, 
jeitvem Heinrichs Chronik jchweigt. Wer ihr Berfaffer tft, jteht nicht feit: während 
Schirren einen Gtftercienjermönd Wicbold Dofel als jolchen angenommen hat, ift 
von Fr. Wachtsmuth ein Ordensbruder wahrscheinlich gemacht worden, der einer 
Schlacht des Jahres 1287 als Einziger entranı. Namentlich in den jpätern, auf 
Autopfie beruhenden Bartien ift jie eine Quelle eriten Ranges nicht nur, jondern 
bis auf einige Urkunden die einzige, 


on 


Sefandte König Waldemars, die natürlich eifrig gegen eine Vereinigung 
beider Drden arbeiteten. Schließlich, nach langen Berhandlungen, ge- 
fang «8 dem Hochmeifter, eine Einigung zu erzielen. Wir befigen 
hierüber einen Bericht, den man Hermann von Heldrungen, der jpäter 
jelbft Hochmeister geworden ift, zuzuschreiben pflegt. „Da jich der 
Meifter — Heißt e8 dort — mit dem Wapfte beriet, ging er eines 
Tages zu Hofe und fand den Papjt allein, aljo daß niemand bet ihm 
war als der Kardinal von Antiochta und der Erzbilchof von Bart 
und unferer Britder einer, der hieß Konrad von Straßburg, der war 
des Wapites Marjchalf und ein Bruder des Sohanmiterordens, Der 
Kämmerer des Bapftes war. Und der Hofmetfter rief ung vor den 
Bapft ımd Äprach: „Bruder Hermann, find die Mäntel zur Hand? 
Da fagte ich, ja. Er aber hie die Brüder rajch fommen und jpradh: 
der Bapft will unfere Bitte thun. Da kamen die Brüder von Yiv- 
fand und fnieten vor ihnen. Da hielt der Papjt ihnen all ihre 
Sünden, die fie begangen hatten, vor und nach ihren Emtritt in den 
Schwertorden und befahl ihnen fleißig, daß fie die neue Negel wohl 
hielten und gab ihnen den weißen Mantel mit dem jchwarzen Streu... 
Da wir in umfere Herberge kamen, jprach der Meifter: Nun jagt mir, 
Brüder, was haben wir an Burgen und Yanden? Das wollte ich auch 
jagen, die andern aber erzählten, wie veich wir wären. Der Meifter 
iprach, der Papft Habe nicht nachgegeben und fie mühten dem Könige 
(von Dänemark) fein Haus (Neval) wieder ausliefern. Da rief mv 
Bruder Gerlach zu: Bruder Hermann, wäre es nicht geichehen, es ge 
ichähe jebt ninnmermehr!“ 

Das geichah Anfang Mat 1237: vom 12. desjelben Monats tt 
die päpftliche Bulle datiert, durch welche die Vereinigung beider Orden 
anberohlen wird. 

Nunmehr begaben fich Hermann von Sala md Sohann von 
Magdeburg an den atjerhof Friedrichs II. und von hier nach Deutjch 
fand auf ein Generalfapitel in Marburg. „Surze Zeit darauf“, er 
zählt derjelbe Augenzeuge, „jandte mich dev Meifter zu einem Ver 
treter in Preußen) Bruder Ludiwig von Dettingen und hieß ihn jechzta 
Briider nehmen umd fie nach Livland führen, an die Stelle derer, Die 
erichlagen waren, md gebot, fie mit Kleidern md Noft zu verjchen 
und mit No und Harniich veriorgte der Meijter te jelbjt und der 
Kaijer gab ihnen 500 Mark zu Hilfe.“ 


—, 60, — 


Sp famen die Marienritter im unjere Heimat. Stein Geringerer 
als Hermann Balfe, den preußiichen Yandmeister, einen flugen, ener- 
gischen Mann, betraute der Hochmeifter mit der Einführung der neuen 
Ordnung im Livland. Doch nicht eben freudig war der Empfang — 
„der Preis der Nettung jchten zu hoch“. Schon die Herausgabe Nevals, 
d.h. Nordeitlands an Waldemar hatte die Yivlänver auf das beftigite 
veritimmt md Gerlach Nothe den Ausruf entloct, wäre dieje Be- 
dingung ihnen frühzeitig befannt gewejen, ie hätten nimmer in fie 
gewilligt. Noch tiefgreitender war vielleicht der zweite Punkt, laut dem 
der Deutichorden in Livland dem Bilchof von Niga gegenüber in das- 
jelbe Verhältnis trat, welches die Schwertbrüder früher eingenommen 
hatten, mw in Surlarıd, das nach jener endgiltigen Eroberung dem 
Orden zu zivei Drittteilen zuftel, während ein Drittel dem Bijchof ver- 
geben wurde, galt der Drden als Landesherr, der Bilchof als jein 
Untergebener. Sp jchiwer diinften die vom Bapit vorgejchriebenen Be- 
dingungen, day jelbft Wilhelm von Miovdena, der damals das Yand 
wieder betrat, diejelben unbillig fand. ES bedurfte einer neuen päpft- 
lichen Bulle, jowie einer Flottendemonftration König Waldemars vor 
Neval, che fich die Livländer mit Überwindung dem Drängen der 
Kturie und Dänemarks fügten. Hermann Balfe und Wilhelm von 
Modena brachen nach Seeland auf und ımterzeichneten zu Stenby am 
7. Sun einen Vertrag, der auf über ein Jahrhundert die territorialen 
Berbältuisfe Livlands feftitellte. Neval, Harrien und Wterland famen 
an Dänemark, die Wiek wırde dem Bistum Dejel erwerleibt, Serien 
erhielt der Orden, der jedoch veriprechen mußte, feine neuen Burgen 
zu errichten. Als geiftlicher Oberherre wurde dem däntchen Eitland 
der Erzbiichof von Lund bejtinmmnt. 

sn Livland aber wandte fich der Groll der Nitter gegen Her- 
manı Balfe „dem, wie Heldrungen evzäblt, „die Brüder alfo jehr zu- 
wider wurden, daß er aus dem Lande mußte fahren und ließ er 
Yruder Dieterich von Gröningen allda an jeiner Statt.“ 

Sreumdlich dagegen geftaltete fich das Verhältnis zwilchen den 
Deutjchen und Dänen, die wir in fommenden Zeiten Schulter an 
Schulter jehen. Dffenbar wurde dies zum Teil dadurch) erreicht, daß 
das däntche Gebiet dem Wejen nach völlig deutich war und blieb: 
die schnell Fich entwictelnde Stadtgemeinde Nevals trug von Beginn 
an einen veim deutjchen Charakter, die VBafallen des Königs waren ge- 


= 


wi gleichfalls mit wenigen Ausnahmen feine Dänen: „Sp war in 
Harrien und Wierland!) ein Borwerf errichtet, das, wenn auc) eine 
lange Zeit unter fremden Banner, Doch im engen Berbande mit dem 
Hochichloß Stand, bis es, als Diefes bis unter die Zinnen ausgebaut 
var, mit ihm unter einem Dach vereinigt ward.“ 

Si jenen Tagen gewann die territoriale Geltaltung unjerer Yande 
das Bild, welches es im Wejentlichen bis zum Untergange jeiner Selb 
tündigfeit behalten hat: Außer den Städten Niga, Neval, Dorpat 
behaupteten der Bilchof von Niga, dem zur Gewalt auch der Titel des 
Erzbiichofs auf die Dauer nicht Fehlen jollte, und der Orden die Haupt- 
macht. Der Orden hatte die Meittelpunfte feiner Macht in Kurland 
und ven ejtniichen Gebieten des heutigen Livlands und Sidejtlands. 
Die Schlöffer des Bilchofs von Niga lagen teils an der Dina, jo 
Stofenhujen, oder hinauf zur lwländischen Ma, jo Ronneburg, feine beiden 
Tefivenzen. Das Bistum Neval bejaß feinen landesherrlichen Cha= 
vafter, da ihm weder großes ZTerritortum noch Balallen eigen waren. 
Der Brälat war hier auf jene reichen DTafelgüter bejchränft, unter 
denen im 15. Jahrhundert namentlich die Schlöfler Fegefener und 
Borchholm zu nennen find. Anders jtand es mit den andern Drei 
hohen Prälaten, jie waren alle Drei Yandesheren und ftanden an der 
Spiße reicher Bafallengejchlechter: Der Bıichof von Dorpat, dejjen 
eigentliches Herrichaftsgebiet zwiichen Würzjeviw und Beipur lag, hatte 
den Bilchof von Dejel zum Nachbar, dem die Wiek jowohl, wie die 
Snjeln Dejel, Dagve u. ). w. unteritanden. Das Bistum Kurland 
endlich, das Durch den Orpen bejebt md beeinflußt wurde, weshalb 
es als das „geruhlambite” galt, umfahte den Norden Kurlands: der 
Biichof vejidierte in Bilten, das Domkapitel in Halenpotb. 

Es mag an diefer Stelle noch ein Blick auf die Ausgeftaltung des 
iwländischen Zweiges des deutichen Ordens geworfen werden, die, eigen- 
artig genug, dem Lioland des 13. Jahrhunderts ihr bejonderes Kolorit 
gegeben bat ?). 

As Hermann von Salza die Aufnahme des Nejtes des Schwert- 
britderordens im den Deutichorden bewirkte, mußte ex jofort daran 


ı) ef. Bienemann. 1. c. pag. 41. 

?) cf. Die fleigige Doktordiffertation (Berlin) von Dr. Ernft Dragendorif 
„Über die Beanten des Deutschen Ordens in Livland während de3 13. Jahr: 
hunderts“ (1894), 


02 


venfen, das Verhältnis des neugewonnenen Landes zum Hochmeister und 
dent Damals noch im bl. Yande weilenden Orden zu regeln. DOffen- 
bar hat bereits Hermann, wenn er auch zur Ausgleichung der zer- 
fahrenen Zuftände des halb verlorenen Gebiets dasjelbe durch Hermann 
Dalfe verwalten ließ, die Abficht gehabt, Yivland als bejondere Ordens 
provinz zu organisieren, gleich den Kommendureien Armenien, Nomänien, 
Steilien, Apulien, „von Deutjchen landen,“ von Difterreich, Preußen 
umd Hispanien. Bon diefem Gefichtspunfte aus vroneten er umd feine 
Nachfolger die Negterung und Verwaltung und jegten Yivland einen 
befonderen Ordensmeifter vor, der natürlich dem Hochmeister unterstellt 
turde, tie Ddiejem denn überhaupt ein nicht unbedeutender Einfluß 
auf Yioland gewahrt blieb. Vicht nur, daß ıhm mit Zuftimmung des 
Seneralfapitels das Necht zuftand Livland mit Preußen zeitweilig zu 
Jammen zu verivalten, was denn auc) einige mal geichehen tt, nicht 
mr, daß er ferner bei der Wahl des Livländischen Meifters ein er- 
hebliches Wort in die Wagichale zu werfen hatte, ftand hm auch das 
Bılitattonsrecht in vollem Maße zu. In Berjon zwar jcheinen die 
Hochmeister nur jelten die Bilitattonsveifen unternommen zu haben, 
— jpir willen im 13. Sahrhundert wenigstens nur von einem ein- 
zigen derartigen Fall — wohl aber bediente er jih in all den Fällen, 
wo außergewöhnliche Umstände jein Eingreifen nöthig machten, vor 
allem wohl, wenn das Amt des Brovinzialmeisters erledigt war, der 
Bizchochmeister. Diefe wirden im der Negel zur Unterjuchung einer 
ganz jpeziellen Sache, alfo gewiliermaßen in Spezialmiifion, abgejandt, 
während die namentlich im 14. Jahrhundert mehrfach erwähnten Bili- 
tattionsgejandjchaften, welche Durch einen Nitterbruder und einen Briefter- 
bruder gebildet wurden, vielleicht einen allgemeimern Charakter tragen. 
Schließlich jet noch hervorgehoben, daß allein dem Hochmeister das 
Necht der Aufnahme neuer Brüder zuitand. 

Ssumerhin muß als das eigentliche Haupt des Ordens in Yiv- 
land der Provinztalmetister oder Yandmeifter gelten. Nicht gleich bürgerte 
jich Für denjelben eine fejte, gleichmäßig gebrauchte Bezeichnung ein 
umd wenn er in der Anrede wohl auch meit als „Herr Meilter“ be- 
zeichnet wurde, jo stoßen wir im Urkunden und jonjtigen jchriftlichen 
geugniffen auf die verjchtedenartigften Titel. Das lateinische „praeceptor“ 
wechjelt mit „magister,“ oder gar „commendator“, das Deutjche 
„Metiter“ mit „landescommendür“ oder „&ebieter von Livland,“ 


Salt eS einen neuen Landmerter zu wählen, jo verjammelte der 
Hochmeister das große Kapitel. Su Nemter treten die Brüder zu- 
jammen, der Hochmeister eröffnet die Sigung mit einer Aniprache und 
ichlägt einen Kandidaten vor, ihn zugleich auffordernd den Saal zu 
verlafjen. 

Hierauf jchreiten die Brüder zur Wahl, durch Zuruf oder Stimm- 
abgabe erfiiren jte den Meifter. Bon neuem öffnet ji) die Thür 
und der Erwählte erjcheint im Mitten der Brüder, um aus des Hoch 
meifters Hand, troß des jcheinbaren Sträubens, wie e8 jener Zeit num 
einmal eigen war, das Siegel als Symbol jeiner neuen Gewalt zu 
empfangen. Der Erforene läßt alsbald Botjchaft nach Yivland ab- 
gehen und rüstet jein Gefolge zum Aufbruch. Wenige Wochen geben 
ins Land, da zieht ein Fähnlein gepanzerter Nitter — gar tüchtige 
Herrn hatte der Hochmeister dazu erlefen, — durch Schamaitens Wälder 
über Surland nad) Riga, an ihrer Spiße der neue Herr des Landes: 
icharf jpähen ihre Augen im das Waldesdicficht, Teit Liegt Die Hand 
am Schwert. Der tomthur von Goldingen, der erjte unter den Ge 
bietigern Kurlands, holt den friegerischen Zug feitlich ein, als derjelbe 
jih feiner Fejte nähert, doch immer weiter geht es auf Niga zu, 
dejjen Ordenshaus im 8. Jahrhundert, che Wenden des Meeijters 
Neftdenz wurde, als der „Hauptituhl“ Desjelben angejehen wurde. 
Auch im der Stadt wurde das Herannahen des neuen Meijters mit 
Ungeduld erivartet: auf dem Blachfelde vor den Mauern, dem „Sand“, 
harrten Die entgegengezogenen Nitter, die Sreuzfahrer und die ange 
jehenften Bürger der Kommenden. — Da — ein langschmetternder 
Trompetenruf! jie nahen! Met warmberzigen, chrerbietigen Worten, 
nit enden Willfommentrunf, dem SLirren der Schwerter und Wehen 
der Banner begrüßt man ji) und auf der Burg winft nach der Najt 
ein erquickendes Feitmahl. 

Doch nicht zu langer Naft fan der Meister im Riga weılen. 
Bald gilt es die Burgen, die auf waldiger Höhe im Lande zerjtreut 
ltegen, aufzujuchen, auf ihmen nach dem Besten zu jehen. Nicht ge 
ving it die Meihe und manch jcharfer Nitt, manch nächtliche Netie 
ijt zu beitehen, che die Häufer des Ordens von den Marken Preugens 
bis an Eitlands Glint und bis an die flache Ditgrenze inpiztert 
worden find. uch die Bilchöfe des Landes, in denen der Orden 
jeine geiftlichen Hevem jah — freilich ein höchjt unbejtimmter Begriff 


94 — 


— müfjen bejucht und freundjchaftliche Beziehungen angefniüpft werden, 
over aber eine Gejandtichaft an den Littauerfönig harıt der Erledigung 
und der Meifter beruft das Stapitel der Nitter zu außerordentlicher 
Situng, um zur bevatjchlagen, was zu tun fei. Fürwahr fein Nuhe- 
bett war das Amt eines Livlänpdijchen Meijters. Biel Ehre, aber auc) 
viel Mühe, viel Kampf und Thun. Cwig im Sattel, bald auf blutiger 
„Reife“ gegen die Bölfer Kurlands, bald an der Spige der Streuz- 
pilger auf gefahrvollem Zuge gegen die Ejten. Heute in jorgiamer 
Beobachtung der trugigen Brüder Nigag, morgen im Zwift mit den 
geistlichen Herin, Die garzugern jich als weltliche Gebieter fühlten. 
Dabei war er nicht einmal abjoluter Herr jeines Handelns, dem Hoch- 
meister mußte er alljährlich Nechenjchaft ablegen und die Komthure 
und Ordensbrüder jegten wohl mehr denn einmal ihren Willen gegen 
den jeinigen durch. Sem Wunder, wenn die Meifter in Livland der 
Birde des jorgenvollen Amts oft müde wurden und mehr denn einer 
ji) vom Hochmeister verjelben „ledig“ bat und abdizierte. So mancher 
aber fanı nicht dazu das Siegel mit dem in der Strippe liegenden 
Ehriftusfinde einem Andern zu übergeben, vom Heidenjchwert erichlagen, 
deckte er das Feld. Mean erjtaunt, wenn man fieht, wie vajch die 
Kräfte im 13. Sahrhundert aufgerieben wurden: in 63 Jahren bis 
1300 jah Livland nicht weniger als 19 Meifter, von denen wiederum 
fünf im Schlachtgetiimmel gefallen waren. Denn das war neben vielen 
andern Ordensgejchäften jein wichtigster Beruf hoch zu Noß en der 
Spiße der Semen, wohl aud) voran dem ganzen Landesaufgebot, 
hinanszuziehen zum Schuß des Landes in die blutige Schlacht. Nicht 
oft jcheinen Die Mieijter das Land verlaffen zu haben. Einmal war 
hierzu die Einwilligung der Komthure nötig, zum andern verbot Die 
weite Entferning, jo lange wenigitens der Hochmeister jenen Sib 
um bl. Zande hatte, häufigere Neifen. WoHl nur, um alle jechs Dahre 
in Berfon Nechenjchaft abzulegen oder wenn eine nene Hochmeifterwahl 
ihn hinausrief, brach der Livländische Meifter auf. Ein von ihm ein- 
gejeßter Vizemeifter trat dann an feine Stelle. 

Am nächjten im Nang jtand dem Meifter (fpäter auch Herrmeifter 
geheigen) der Landmarjchall, der freilich im 13. Sahrhundert noc 
wenig bervortrat. Was im Orden jelbjt der Großmarjchall war, waren 
im Livländilchen Zweige wie anfänglich auch in Preußen die Land- 
marjchälle. Ihnen lag die Bewaffnung und Verpflegung des Drdens- 


Be o 


heeres ob, fie hatten, was als wichtig galt, die Aufficht über das 
PVferdematerial. Im Felde eröffnet der Marjchall, wem die Ordens- 
fahne nicht einem Andern anvertraut war, den Angriff, ja, wenn der 
Meifter die Scharen anzuführen verhindert war, jcheint ihn der Ober- 
befehl über diejelben von Rechts wegen gebührt zu haben. 

Nach dem Meijter und dem Marjchall ind die Ktomthure und 
Bögte zu nennen. Die Komthure, die zweifelsohne angejehener wareı, 
als die Vögte, waren vorzugsweile Borgejeßte der Ordenshäufer md 
ihrer Bejagung, die Vögte Dagegen hatten es in erjter Neihe mit den 
Eingeborenen zu thun und waren Nichter, Steuer- und Berwaltungs- 
beamte der einzelnen Landjchaften, weshalb mehr denn einmal Kom- 
thur und Vogt ihren gemeinfamen Siß auf einer Burg haben. Sn 
Sellin 3. DB. jaßen der Komthur und zugleich der Vogt von Saccala. 
Das Merkzeichen einer Komthureti war jtets das, daß auf der Burg 
ein, ursprünglich aus 13 Brüdern beftehender, Ordensfonvent jenen Sib 
hatte, der jpäter freilich von jehr. verjchtedener Größe war, wie Terweten 
3.8. 1279 einen Konvent von 15, Niga einen von 60 Brüdern hatte. 
Sm 13. Jahrhundert zählen wir 14 Komthureien, deren Brüder nach 
den „ejegen“ des Ordens allfonntäglich Ftch zum Sapitel verjanmeln 
mußten, daneben eine Anzahl anderer Burgen, deren Brüder offenbar zum 
Konvent einer benachbarten größern Burg gehörten, und 10 VBogteien. 

Ließ der Meister eine „Reife“ anjagen, oder galt e8 einen jon- 
ftigen Krieg, jo führten Komthure und Vögte die Mannjchaft des 
Stomthureigebiet und der Landichaft dem DOrdensheere zu, oder aber 
der Komthur unternahm auf Geheiß des Meifters mit den Seinen 
einen Sonderfeldzug. Ob unter den Komthuren eine gewilje Nang- 
ordniumg bejtanden hat, it nicht ficher nachweisbar, nur daß der Stomt- 
ihur von Goldingen eine bevorzugte Bofition hatte und „allewege in 
des Meisters Stätte in dem Lande zu Kurland“ fein jollte, ift aus- 
drücklich überliefert. 

Auf die niedern Beamten des Ordens in Livland einzugehen, 
dürfte zu weit führen, einen irgendwie beftimmenden Einfluß auf jeine 
Gejchicte auszuüben ift ihnen naturgemäß niemals möglich gewesen. - 

Ein buntes, der Einheitlichfeit leider mur zu Sehr entbehrendes 
Bild, das wir Jchauen. ES bietet uns zugleich den Schlüffel zu all 
den Wirren, die als böjer Gejelle die Sejchiefe unferer Heimat begleitet 
haben. 


7. Kapitel, 


Die Berneigeit des Deutfihen Drvdens in Livlanın, 

Pas Glück allein bildet keine großen 
Männer, Sıhlachten Rönnen audy durd) 
Zufall oder ein einfeitiges Talent gr- 
wonnen werden. In der Behauptung 
einer großen Sache unter Widerwärlig- 
Reiten und Gefahren bildet fuh der Beld. 

T. ». Ranke. 


Es it ein Zeichen jugendlichen Straftgefühls, daß fein Ziel zu 
weit gejteckt, feine Aufgabe unmöglich ericheint, daß man, ohne viel 
zu vefleftieren, die Grenzen, die Natur, Anlage oder YZeitverhältnifie 
mit ich bringen, zu überjchreiten fi im jtande fühlt. 

Auch der deutiche Orden in Livland hat eine jolche Beriode über- 
ichäumender Thatenluft, öhlihen Wagens, fühnen Anjturms gehabt, 
eine Periode, die freilich nicht die Ziele verroirklicht Jah, Die fie erreichen 
zu können geglaubt, auf der aber doch unjer vüchwärts gewandtes Auge 
mit frendigem Stolge ruhen darf. Nicht mit der Feitjeßung in Liv- 
(land und der Unterwerfung der freiheitsiuftigen Eingeborenen gaben 
fich die Brüder vom Dentjchen Haufe zufrieden, fie wandten ihre 
Waffen auch gegen die von Often herandringende vujfiiche Macht und 
nach Süden gegen das erjtarfende Littauen. 

Die ruffiiche Macht, wenn auch nicht geeint, Jondern zeriplittert, 
befand Sich feit dem zwölften Jahrhundert in aggrejjiver Bewegung 
auf die Dftjeegeftade'). Dorpat war hier ihr Stüßpunft gewejen, an 
der Diina und im obern Stromgebiet der Liwländischen Aa zinften 
ihnen die Eingeborenen, ehe die Deutjchen das Land ihrer Herrichaft 
unterstellten. Die Kämpfe beider Völfer, deren wir bereits eingehend 
gedacht haben, hatten eine weit iiber den Augenblick veichende Be- 
deutung. ‚Gelang es den Nufjen das ihnen freilich weit überlegene 

1) ef. die intereffante Studie Dr. Paul Rohrbahs „Die Schlacht auf dem 
Eife“ Preuß. Jahrb. Auguft 1592. Band 70. Heft 2. 


deutjche Element von der Dftjee auszuschließen, jo mußte die Ge- 
jtaltung der gefamten Berhältuiffe des Nordens auf das lebhafteite 
beeinflußt werden. Denn da die Mongolen, die den größten Teil 
des weiten Neiches damals ihrem och unterwarfen, auch die Ber 
bindung des von ihnen verjchont gebliebenen nordweitlichen Nußlands, 
in erjter Neihe Nowgorods und Blesfau (Pskows) mit dem übrigen 
Gebiet Iocerten, ja zeitweilig ganz unterbrachen, jo wäre jener nord- 
weitliche Teil „in jtetem lebhaften Kontaft mit dem Abendlande, aller 
Wahrjcheinlichfeit nach ein Glied des mittelalterlich-europätichen Syitems 
geivorden, jo gut wie VBolen und Schweden, denn auch die Union mit 
der lateinischen Kirche konnte dann nicht qut ausbleiben.“ Die Bhantafie 
hat weiten Spielraum ich auszumalen, wie dadurd) ein Teil des 
russischen Bolfes zum Anjchluß an die weitenropätiche Kultur gelangt, 
Moskau von der Dftiee für immer abgedrängt worden wäre. 

Auch auf anderm Wege hätte ein ähnliches Nejultat erzielt werden 
fünnen. Wie, wenn es den Deutjchen gelang, die nordwetlichen jlaviichen 
Stämme, unter ihnen die ftolzen Städterepublifen Nowgorod md 
PBlesfau, dauernd ihrer Machtiphäre zu unterwerfen und den Überge- 
wicht des deutjchen Elements nicht nur an der Ktüfte, jondern auc) im 
Hinterlande zum Stege zu verhelfen, durch Errichtung eines Bistums 
die katholischen Tendenzen auszubreiten? Weit diefen Plänen haben 
fich die deutjchen Nitter getragen, wenn ihnen auch weitere Zufunfts- 
bilder jchwerlich vorgejchwebt haben. Der Berpus wurde int Norden 
und Süden umgangen, Koporje am finntichen Meeerbußen befeitigt, im 
Süden Ssborsk mit jtürmender Hand genommen, und nach furzer Naft 
in Berbindung mit Unzufrievenen in PBlesfau dieje reiche Handelsjtadt 
erobert. Schon glaubte man jo weit zu jein, daß man im Ernit die 
Errichtung eines Bistums im Gebiet der Woten in Betracht zog, Ichon 
bot die Kurte, die von der Katholifierung der Nordweitjlaven träunte, 
diefen ihre Hilfe gegen die Tartaren an, wen fie die geiftliche Hoheit 
Noms anerfannten. Wer wollte leugnen, day ich, die Ausfichten Für 
das deutjch-fatholiiche Element überaus günjtig geitalteten ? 

Um diejelbe Zeit griff auch das Fatholüch-germantiche Schweden 
in finmich=ruffiiche Gebiete über, Jarl Birger fahte an der Nerwa= 
mindung Bosto und der Augenblick jchten nahe, wo die Kordmanen 
und die erzumschtenten Nittev zur gemeinfamen Erwerbumng diejer Yande 
Jich vereinigten — da erfolgte unvermutet ein jäher Nüchchlag. 

Seraphinm, Gejchichte I. x l 


A 


Bon Groß-Nowgorod ging die Nettung der Slavenwelt aus. 
Flürjt Alexander von Susdal, den die Bürger zu Ihrem Here  be- 
rufen, warf 1240 den schwedischen Anprall in bedeutungsvoller Schlacht 
an der Newa zuriick, um ich dan, geichmüct mit dem Bertrauen 
feines Volfes, das ihm den Ehrennamen „Newsfi“ beilegte, gegen Die 
Deutichen zu wenden. Ohne Mühe vertrieb er diejelben aus Stoporje 
und stürzte 1242 die lockere Herrichaft des Ordens in Wlesfau. 
Einmal im Zuge, beichloß Firft Alexander, feine Waffen nac) Yiv- 
land jelbft zu tragen und die Deutjchen durch den Schreden vor 
weitern Übergriffen abzuhalten. Am Ufer des Peipus traf er auf 
den Feind, der die Seinen zuevit zurüctrieb, worauf die Nomwgoroder 
auf dem Eije Stellung nahmen und durch ein gejchieftes Mandver 
jich jo zu formieren wußten, daß te zum Ufer, die Nitter zum See 
mit ihrer Niückentinie jtanden. „Die Deutjchen formierten eime tiefe 
geichloffene Stolonne, den jogenannten „Schweinsfopf“ oder wie Die 
Nufjen jagten „das große eiferne Schwein“, um die feindliche Macht 
zu durchbrechen und das Ufer zu gewinnen. Wit Macht traf die ge- 
panzerte Malle auf das ruffische Heer, aber der Anfturm mißlang — 
die Mehrzahl der Nitter fiel im Handgemenge und die Jich über eine 
Meile hin auf dem Eije erjtrectende Verfolgung vernichtete das Liv- 
(ändiiche Aufgebot völlig. Damit war die Befreiung des vuljtichen 
Gebiets entjchieden — am 5. April 1242.“ 

Seit Ddiefer Schlacht bildete fich, da Rußland unter dem Weon- 
golenjoch Ichmachtete und jelbit Nowgorod der goldnen Horde zinjen 
mußte, den Slaven aljo die Straft zu geeinigtem Vorgehen gegen Die 
Ditjeeländer mangelt, eine gewilje feite Abgrenzung des Livländijch- 
rulftichen Meachtgebiets aus und wenn es auch an ewigen Fleinen 
Srenzfehden, Überfällen und Streifereien nie gefehlt hat, ja die Deut- 
ichen nochmals bis vor Plesfau vorgedrungen find, jo entbehrten dieje 
Züge auf über zweieinhalb Nahrhunderte, bis Moskau des weiten 
Landes Kräfte ımter jeine Fahnen jammelte, jeder größeren Bedeutung, 
da eine Feitießung der Nuffen auf livländiichem Boden nicht erfolgte. 
Erit zu Meijter Blettenbergs Zeiten flang Europa abermals wieder 
von Ruhm neuer Nufienjchlachten. — 

Im Augenblict freilich jchten das baltische Land in jchwerer Ge- 
fahr, jo daß Immocenz IV. im empdringlichen Streuzzugsbullen zur 
Heerfahrt nach Livland aufrief und Kater Friedrich 1245 von Berona 


arr0g > 


aus dem Orden die Herrichaft über Sturland, Semgallen und Littauen 
feierlich zu garantieren jich beeilte. Auch die immer wieder auf- 
tauchenden territorialen Differenzen zwiichen Nikolaus und ne Drden, 
die fic) vor allem um Sturland drehten, fanden durch Wilhelm von 
Modenas weile Bermittelung, dem Zwijt bet jo gefährlichen St 
bejonders jchlimm däuchte, ein vorläufiges Ende. Da Sturland neues 
Land war, das der Orden mit jenem Schwert erobert hatte, jollten ihm 
zwei Teile, der Stirche ein Teil zugehören. snnocenz fand diefe Ent 
ichetdung billig und betätigte fie, desgleichen that, wie gejagt, der Kater. 

Doc wirrden wir fehlgehen, wollten wir annehmen, daß Snocenz 
jeine Gunst einjeitig dem Orden zugewandt hätte‘). Sp jehr er den- 
jelben nicht zu verlegen trachtete, da auf jeinem blanfen Schwert das 
chriftliche Yeben im fernen Nordosten beruhte, jo wenig war er willens, 
durch ihn allein jern päpftliches Anfehen dort zu behaupten. Sein 
Plan war vielmehr, alles dem Chrijtentum gewonnene Yand vom fin 
nijchen Meeerbufen bis zur Weichjel einem Metropoliten unterzuordnen, 
dadurch Firchlich zu feitigen und zu einigen und von biev aus der 
griechiichen Kirche in reger Propaganda entgegenzutreten. Den ge 
geeigneten Mann zur Ausführung diefes Gedanfens glaubte er in dem 
Erzbischof Albert von Armagh, dem Primas der wiichen Kirche, ge- 
funden zu haben. Es war derjelbe Getitliche, den nac) des großen 
Albert Tode der Erzbiichof Gerhard von Bremen zum Btchof des 
Livenlandes beftinmmt, deifen Wahl aber Bapit Honortus, um die Bremer 
Ansprüche für immer zu vernichten, verworfen hatte — Albert Suerbeer. 
Albert Suerbeer war ein Nheimländer aus Köln, unanjehnlich war 
jeine Familie, als Bettelmönch tft er wohl auch mit dem Nuckjack auf der 
Schulter Durchs Land gezogen. Aber je bremmender Ehrgeiz ebnete 
ihm die Wege zu höherem Amt: er wurde Domberr dev Bremer Kirche 
und führte gar den in jenen Tagen doppelt ehrenvollen Titel eines 
Magifters. Zwar folgte 1229 jene fränfende Berwerfung durch Die 
Sturte, Doch bereits 1240 erhob jein Glück ihn auf den Stuhl eines 
Brimas der triichen Kicche: am 30. September 1240 wırde er au 
Wejtminfter im Gegenwart des schwachen König Hetmmvich II. md Des 
päpftlichen Legaten feierlich geweiht. Das große Nirchenfonzil zu Lyon, 

) cf. Kurd von Schlözer: Die Hanja und der deutsche Nitterorden im den 
DOftjeeländern. 1851, Berlin, pag. 58 if. 


— 100 — 


das Innocenz IV. einberief, um mit Staifer Friedrich dem Staufen ab- 
zurechnen, führte auch Albert von der grümen Snjel nach dem Süden 
‚sranfreichs und Ddantit dem gewaltigen PBapjte zu. Der fait unbe 
jonnene Eifer, den Albert in Srland gezeigt, wenn e3 galt Stirchenjachen 
zu fürdern, erwarben ihm die Hunt des Statthalters Ehrijti, der im 
ihm das Werkzeug jeiner oben berührten Pläne gefunden zu haben 
glaubte. Ende 1245 erhob er ihn zum Legaten und Erzbiichof von 
Breugen, Livland, Ejtland und SKurland, am 9. Januar 1246 teilte 
er den baltischen Bijchöfen mit, welch „überaus erfahrener, witrdevoller, 
großherziger und kräftiger Wann“ von mun an ihre DOberhirt jein 
würde Am 3. Meat fügte der Bapjt die Ernennung zum Yegaten 
fir Nupland den frühern Winden hinzu und bezeichnete damit offen 
die Wege, die Albert vorwiegend gehen jollte: Kittauen, Itowgorod und 
das Firftentum Galizien waren die Hauptpiumfte des fatholischen Yır- 
griffs. Doch mur jpärliche Frucht hat der hl. Stuhl bei Ddiejem 
Beginnen geerntet, wozu gewiß, wenn auch nur zu geringeren Teil 
beigetragen hat, day Albert Suerbeer nicht der Mann war, den Sinocenz 
in ihm Jah. „Er war, wie ein Kenner!) unjerer Bergangenbeit ihn 
gezeichnet hat, fein Burhövden. Während jener den Staatsmann und 
den Geiftlichen im fich vereint, mit flaver Einficht jtets die jchwierigiten 
Berwicelungen geebnet hatte, verlor der durch des Bapjtes Gunft ud 
durch das vajche Steigen jeines Glückes geblendete Emporfönmmling, als 
er den Gipfel jener ehrgeizigen Wünfche erreicht, plöglich alle Haltung, 
griff mit verwegener Hand die zarteiten Berhältmije an, forderte vor- 
eilig überall die Stunde der Entjcheidung heraus und mußte mur zu 
bald, als der Erfolg ihm fehlte, jelbjt anerkennen, daß ihm zur Lei- 
tung von Gejchäften erjten Nanges Gejchte und Fähigkeiten mangelten.“ 
Seine Aufgabe in den DOrdenslanden erforderte den nach Selbitändig- 
feit jtrebenden Nittern gegenüber den höchjten Takt, die Berbimdung 
weiser Mäßigung und bejonnener Feitigfeit. „Wer aber bier zu 
hajtigen Gewaltjchritten jeine Zuflucht nahm und die wohlbegründeten 
Nechte der Nitter irgendivie verlebte, der zündete ein Feuer an, dejien 
Sluten wieder zu stillen außerhalb jener Macht lag.“ 

Koch bevor er Niga, wo er nach dem Tode Biihof Nikolaus 
jeinen fejten Sit nehmen jollte, erreichte, 1249, lag der Legat und 


1) Schlözer. 1]. c. pag. 63ff. 


— 101 — 


Erzbischof in ärgerlichem Hader mit den Livländern, bei dem er ich 
jo arge Blößen gab, daß jelbjt Inmocenz zeitweilig feine Hand von 
ihm abzog und ihm im September 1250 feines Legatenamtes voriiber- 
gehend enthob. Schließlich machte ein auf päpftlichen Befehl zu Lyon 
zufammengetretenes Schiedsgericht dem Hader vorläufig ein Ende, er- 
fannte Kurland als einen Teil Preußens an, d. h. iprach dem Orden 
zwei Drittel des Landes zu und bejegte den vafanten Stuhl von Kur- 
land mit dem Bettelmöncdh Hemmrich von Yuyemburg. Zu gleicher 
Zeit bejtimmte man Riga zum Sit eines Erzitifts und gab Albert die 
Anwartichaft auf dem vigtichen Stuhl, wenn Nikolaus jeine Augen 
geichloffen habe. Troßdem wurde es faum befjer, als nach dem Tode 
des rigüichen Bilchofts, Suerbeer nun wirklich nach Riga fam und Sich 
von mın an Erzbiichof von Livland, Ejtland, Preußen und der rigiichen 
Kiche nannte, alfo äußerlich das Ziel erreicht hatte, welches dem 
eriten Albert jtets vorgeichtwebt, das zu erreichen ihm aber nie geglückt 
war. Die Erhebung Nigas zum Erzbistum — im Sanuar 1254 
nennt Snnocenz Albert zuerit Erzbiichof von Niga — ging jcheinbar 
freilich ohne viel Auffehen vor fich, fie änderte ja auch am dem that- 
lächlihen BVBerhältniffen garnichts. Die Uneinigkeit im mern, Die 
jich bis zur Banmıng des Ordens und zu Verhandlungen des Stirchen- 
fürjten mit den Heiden jteigerte, füllte alle die langen Sahre der Ne- 
grerung Albert Suerbeers aus, dejjen allzujpäte Nachgtebigfeit den 
Frieden ebenjowenig hertellen fonnte, wie jein früheres halsjtarriges 
Rejen. 

Auch jeine Bemühungen, die fatholiiche Propaganda nach NRuf- 
(and zu tragen, führten mur zu Fehlichlägen. Alexander Newsty wies 
jedes Anerbieten zum Glaubenswechiel weit von jich und Daniel von 
Galizien, der um einen Niückhalt gegen die Mongolen zu haben, Königs: 
frone und Taufe von Nom entgegengenommen, jagte fich jchon 1256 
von der lateinischen Stieche wieder los. 

Ebenjo vorübergehend war auch die anfänglich glänzende Erfolge 
veriprechende Taufe des Großfüriten Mindaugas (oder Mindowe) von 
Littauen, die zudem nicht dem Erzbischof, Jondern dem Orden Gewinn 
und Ehre eintrug. Der thatkräftige, verichlagene md ungewöhnlic) 
begabte Fürft, dem in jenem Streben nach einer politischen Einigung 
des Landes feine Berwandten und andere Teilfürjten in den Weg 
traten, Juchte in gejchiefter Weife Rückhalt beim Livländiichen Dxden 


— IL 


und erflärte fich \päteftens 1251 bereit die Taufe von den Lateinern 
zu nehmen"). Wer war zufriedener, als Innocenz IV.? Er nahm 
Yittauen in jenen bejonderen Schuß und beauftragte den Biichof von 
stulm, Mindaugas zum Könige zu frönen und einen Biichof für das 
littauer Land zu weihen. Sm Sommer 1253 fand der feierliche Akt 
jtatt: Der Bischof Heidenreich von Stıulm jegte die vom Lwländtjchen 
Yandmetstev Andreas gejandten, wohl in Niga hergeitellten Stronen 
Windaugas ımd jeiner Gemahlin auf. Die Herrichaft der römischen 
stirche und Der Deutjchen Kultur jchtenen feit begründet. Wit ge 
waltigen Schenfungen, Freibriefen md Auszeichnungen überjchüttete 
der neue Nönig den Orden im den folgenden Sahren, ja er joll dem 
livländischen Yandmetiter, im Falle ev ohne vechtmäßige Erben ftürbe, 
jogar jein ganzes Neich vermacht haben. 

Derartige Nonzeiftonen viefen aber bei einem großen Teil des 
Itttautschen Bolfes, vor allen bei den friegerischen heidntichen Schamaiten 
(im heutigen Komwnojchen), Exbitterung und Widerjpruch hervor, dem 
zwar Meindaugas anfänglich noch feine weitere Folge gab, der aber 
nicht ohne ttefgretfenden Einfluß auf die Ausgejtaltung der liwländiichen 
Berhältniffe blieb. Auf eigne Hand erhoben die Schamaiten die Waffen, 
nt dem Sturen umd Semgallern, bei denen der Tag von Saule noch 
nicht vergellen war, traten fie in geheimes Einverjtändnis. Gegen die 
gewaltige Memelburg, die militärisch die Berbindung von Preußen 
nach Sturland beberrichte, richtete fich ihr bejonderer Haß. Wohl zieht 
der Livländiiche Yandmeister, Burchard von Hornbhufen, gegen die Auf 
Jäfftgen, aber er wird geichlagen und muß einen zwerährigen Waffen- 
Itillitand eingehen. MS er dann von Neuem das Schwert zieht, er- 
(eivet er, da ihn die furtschen Hilfswölfer im Stich lafjen, bei Schoden 
an der heutigen Furtsch- littauiichen Grenze eine zweite Niederlage. 
Dreiunddreißig Brüder büßen ihr Leben em — und der Stolz der 
Sieger wuchs immer mehr. Der Metiter glaubte zur Feitigung des 
deutjchen Namens einen Feldzug ins Werk jeßen zu miürjen, bei dem 
alle dispontblen SKträfte zufammemwirkten. Sowohl zu den däntjchen 
Bajallen Ejtlands, wie zu den Brüdern in Preußen jchiefte er Bot- 
haft um Hilfe und allenthalben leistete man fie willig. Kein Ge- 
vingerer als der alte Ordensmarschall Heinrich Botel zug an der Spibe 


I, cf. Th. Schiemann. Rußland, Volen und Livland. I. Teil, pag. 


[86) 


16 ff. 


— 105 — 


wackrer Nitter aus Preußen heran, bet der Memelmimdung vereinigten 
jich die Heerhaufen und brachen dann zum Entjaß der von den Scha- 
maiten belagerten Georgenburg auf. Als Ddieje dem Heranzug Der 
Deutjchen hörten, wandten jte ich nordwärts und fielen plündernd in 
sturland ein, ihnen nach folgten die Ritter und ereilten jte am 13. Sult 
am See von Durben (bei Libau). Doch welch unjeliger Tag! Die 
unzuverläfligen Hilfstruppen der Eingeborenen, die vie bei allen Ordens 
heeren auch diesmal an Zahl den ftärfiten Teil bildeten, Ttanden in 
verräteriichem Einvernehmen mit dem Feind: gleich zu Begtm wichen 
die Kuren, ihrem Beihpiel folgten die Eiten. Was müßte es, daß die 
Preußen jich mehr bewährten, die furchtbare Niederlage vermochten Tte 
nicht aufzuhalten: 

„Da wurde eingejchlojien 

Mancher Held unverdrojjen, 

Daß er den bittern Tod erleid’'t 

Zu Durben auf dem zelde breit, 

Eh’ denn e3 fam zur Wehr. 

Die Heiden mit ihrem Heer 

Hieben die Chrijten allda nieder. 

Gering nur war die Wehr damider, 

Die da leijtet die ChHriftenheit: 

Der Meifter da den Martertod leid’t 

Mit anderthalb Hundert Brüdern jein. 

Da war auch mancher Pilger fein, 

Der da litt diejelbe Not 

Um Gottes Willen und den herben Tod. 

Meifter Burkhard, das ijt wahr, 

War vier und einhalb Jahr 

In Livland Meijter gemwejen, 

Wie ich für wahr gelejen, 

Und wenig mehr: 

Man Elagte ihn gar jehr — 

Er war ein Degen auserforen, 

Bon Hornhaufen war er geboren.“ 

Sp endete die Furchtbare Schlacht bei Durben. Hemric) Botel, 
Hornhufen und die Blüte des Livländischen Ordens dedten die Wahl- 
jtatt. Noch jchlimmer al3 die Niederlage waren die Folgen derjelben: 
E3 ging auch diesmal, wie die Neimchronif fingt: 

Ein alt Sprichwort ha’n ich vernommen, 
Das Manchem vor die Thür ijt fommen: 


ee 


„Wenn einem Mann es miffegeht, 
Daß jelten ein Schaden allein dajfteht, 
Er bringe denn mit fic) zwei oder drei.“ 

Bon allen Seiten tiirmten jich die Gefahren. Zu verzweifelten 
Stanıpfe erhoben fich die Eingeborenen in Preußen, auf geheime Bot- 
ichaft ftand das ganze Volk gegen die Unterdrüder auf und von Sam- 
lands Küfte biS nach Bomejanien flammte die Bewegung, von der nur 
das KHulmer Land nicht ergriffen wurde. Schwere Arbeit harrte der 
Kreuzfahrer und Brüder. Am leichteften gelang e8 noch Samland zu 
unterwerfen, deito erbitterter tobte der Kampf in den andern Yand- 
ichaften. Die Lage geftaltete jich von Jahr zu Jahr Fritiicher, das 
Interregnum im Neich unterband wirffame Hilfe aus dem Mutter- 
fande, eine ftrittige Bapftwahl hinderte das Eingreifen der Kurie. Erjt 
der Ordensmarjchall Konrad von Thierberg und der Yandmeiter von 
Gatersleben wuhten eine Wandlung herbeizuführen und von Audolf 
von Habsburgs Gunst getragen die deutjche Herrichaft im Lande von 
nenem zu fundieren. Konrad von Thierbergs gleichnamiger Bruder 
gründete 1274 an der Nogat die mächtige Marienburg, in der bald 
der Drden jeinen Mittelpunkt finden follte, und führte mit feinem 
Bruder umd den andern Nittern einen wilden Vernichtungsfampf gegen 
die Preußen. Das Jahr 1233 bezeichnet mit der Beftegung und Aus- 
vottung der Sudaner im äufßerften Südoften Preußens, deren Nefte 
nach Littauen auswanderten, das Ende des ungleichen Kampfes, in 
dem troß heldenmütiger Widerwehr die Preußen den Eijenrittern unter- 
lagen. Ein deutscher Bauernitand wuchs auf dem blutgedüngten Boden 
empor, in den aufblühenden Städten fand deutiche Bürgertüchtigfeit 
(ohnende Bethätigung. Was in unferer Heimat, bei der Scheu des 
niederfächliichen Bauern über See zu ziehen, nicht eintrat, fand in 
Preußen ftatt: nicht nur die gebietenden Herrn, die Ritter, die Briefter 
und die Bürger, jondern auch die Bauern bildeten eine einjprachige 
Maffe, in der fich wohl ftändiiche, aber feine nationalen Gegenjäße 
auszubilden vermochten. 

Jicht minder gefahrvoll jahen die Dinge in Livland aus, wo Die 
Eingeborenen im Siden und Often inmmer wieder auswärtige Bındes- 
genofjen fanden. Die wilden Kuren, die trogigen Semgaller griffen 
zu den Waffen und zwangen die Nitter die Burgen zu räumen, allein 
Memel wurde im Süden mit Erfolg verteidigt. Plündernd und mit 


— 105 — 


furchtbarer Graufamfeit ihre Nache an jedem Deutjchen Fühlend, der 
in ihre Hände fiel, durchzogen die Aufitändischen das Land big zur 
Dina und brachten dem Drdensheer, das fich ihnen entgegemwarf, im 
folgenden Jahr eine abermalige Niederlage bei Lennewarden bei. Da 
begann auch im Norden eine unheimliche Bewegung, auch in Defel 
flacferte der alte Hab gegen die Fremden auf und an deS Landes 
Grenze zeigten fich die NAufien. 

Der härtefte Schlag aber, der die Livländer treffen fonnte, war 
der Umschwung in der PVolitif Littauens, war der Abfall Mindaugas 
von der deutjchen Sache. Wohl auf Drängen jeines Neffen Troinat 
von Schamaiten warf er im Sommer die Taufe und die Freundschaft 
mit dem Orden von fich und trat in enge Beziehungen zu Alexander 
Kewsfi von Norwgorod. Ein gemeinfamer Einfall von Süden umd 
Dften jollte die Deutichen vernichten, Wenden der Bereinigungspunft 
fein. Doch die Gefahr ging verhältnismäßig jchnell vorüber. Die 
Littauer finden die Nowgoroder nicht zur Stelle und müfjen zurüc, 
die Auffen dringen wohl jpäter ins Land, verbrennen Dorpat, können 
aber die Burg nicht erobern. Während die Littauer Bernau verwüiten 
und fich durch die ihnen bei Dinamünde auflauernden Rigtichen durch- 
ichlagen, verlafjen auch die Norwgoroder unter entjeglichen Gräueln Livland. 

Mit überraichender Entjchlofienheit ging der Orden in Livland 
gegen den Feind im Lande jelbjt vor, ımterwarf bereits 1261 Dejel, 
wenn auch nicht auf die Dauer, wieder und gewann von der Mienel- 
burg aus, die fich troß bitteriter Bedrängnis mit Auszeichnung ge 
halten hatte, allmählich die Herrichaft itber die Stuven iwieder. Neindowes 
Ermordung durch jeine Verwandten und die ausbrechenden Wirrntfe in 
Littauen entzogen den Aufftändigen den Boden und als Konrad von Wanz- 
dern, der Livländische Yandmeifter, die Burg Gröjen erjtiirmt hatte, mußten 
fie um Frieden bitten. Und der Orden bewies, daß er micht mur 
Burgen zu nehmen md Schlachten zu schlagen, jondern einen tapfern 
Feind auch mit Meilde zu verjühnen veritand. Es ift fanm zu viel ge 
jagt, wenn man behauptet, daß die Bedingungen, die Meifter Otto 
von Lutterberge 1267 den Kuren in feinen „avigen Frieden“ gewährte, 
fiir jenes Sahrhundert fait einzigartig Find: „Bon einem jeglichen 
Hafen im Sturland, heit es da"), joll man den Brüdern zu Zins 


!) Eitiert nah Schiemann ]. c, II. pag. 61. 


= 106 


geben zwei Yoof Noggen oder wer feinen Noggen hat, ein Yoof Weizen 
und ei Loof Gerite. Und zwar joll jedes Pierd, mit dem man 
egget, den vorgenannten Jins geben, Bier Tage Jährlich joll ein jeder 
in dem Yande, im dem er jenen Sıb hat, den Brüdern Frohnarbeit 
fetiten umd zwar zwei Tage im Sommer und zwei Tage im Winter. 
Wenn die Brüder ein Schloß gegen die Heiden bauen, jo jollen Die 
jenigen, die den Ehritenglauben aufgegeben haben, einen Monat bei 
eiqner oft dienen, von anderer Burgarbeit, orwie vom Yehnten in Striegs- 
zeiten find ste fir immer befreit. Sedes Erbe jollen fte erheben Ditrfen 
bis ing vierte Glied, jedoch jo, daß ihr Herr daber feinen Schaden in 
jenem Necht nimmt. Die Städte, auf welcher em Sture fich zum 
wohnen niederläßt, joll ihm zu ewigem Erbe gehören, wenn es 
nicht Schon eines Andern Erbe tt.“ 

Mührend die Sturen alfo beruhigt wurden, tobte der Kampf an 
der Dftgrenze und im Semgallerland mit mverminderter Heftigfeit 
weiter. Der Tod Merander Newstis (1263) hatte nur für wenige 
Sahre Nuhe gebracht; bereits 1267 im Herbit und mit großer Heeres- 
macht im Janıar des Folgenden Jahres iüberjchritten Die Nowgoroder 
Die Grenze. 

Doch nur im flüchtigen Strichen zeichnen wir Diefe Kämpfe. Bis 
nach Dorpat jtreifen die Feinde, der Bischof, der jich ihnen entgegen- 
jtellt, wird gejchlagen und fällt. Schon ijt die Stadt jelbit in Be- 


drängnis, da wirst fich ein Hänfleın Nitter und Mannen — nur 
achtzig jollen es gewejen jein — beim Bache Stehola, unweit Ween- 


buras, den 5000 Nullen in den Weg und das Wunder gejchteht: vor 
jeiner verzweifelten QTapferfeit weicht der übermächtige Gegner. Yun 
vafit der brave Dtto von Lutterberge, gleich bewährt im Feld wie im 
‚srieden, alle Kräfte zujammen und brauit wie ein Wetterjturm tr das 
Nuffenland: noch einmal lodern die Jlammen aus Jsborsf und Plesfau 
zum Himmel empor, allenthalben it das Ddeutiche Schwert Tiegreic 
und erichreeft Schließt Nowgorod Frieden. 

Sp waren die Semgaller auf ihre eignen Kräfte angewiejen, aber 
fie verzagten nicht und vertrauten darauf, daß ein Ausbruch am andrer 
Stelle ihnen Luft jchaffe. Und in der That griffen die Dejeler 1271 aber- 
mals zur Wehr md erichlugen Otto von Lutterberge mit ziwetund- 
fünfzig Nittern. Acht Jahre Ipäter fiel Ernft von Naßberg, der [iv- 
(ändiiche KYandmeifter und der Erbauer der Diinaburg, nach fiegreichem 


eg 


Kampfe auf dem Nüctvege bei Ajcheraden, mit ihm deeften einumditebzig 
Brüder das Feld. Wieder einige Sahre darauf (1287) bezahlte Willefin 
von Schauenburg einen Zug ins Sengallerland mit jeinem Xeben. 
Bon härterem Holz, als die Kuren und Xetten, verterdigten jich Die 
Semgaller mit glühender VBaterlandsliebe und wilder Tapferkeit und 
König Nameife von DQTarweten wußte fie immer wieder zu meiem 
Kampfe zu begeiftern. Dreiig Jahre rang der Orden mit ihnen: oft 
genug flirrten die Waffen um ihre Holzburgen Terweten, Doblen, 
Mejothen und Naceten und von jo mancher „Neife* wußten Die 
finftern Wälder Semgallens zu erzählen. 

Ein lebendiges Bild Ddiejer abenteuerlichen, gerahrvollen Kriegs- 
fahrten bietet uns die Schilderung der furz erwähnten Statajtrophe, 
die iiber Meifter Willefin von Schauenburg hereinbrach, in der Reim: 
chrontf. Ste möge hier ihre Stätte finden: 

Etwa 500 Pilger und Bürger, darunter 40 Nitter, und das 
gewöhnliche Aufgebot der Undeutjchen befinden ich tief im Sem- 
gallerlande, wo jie bei der Verfolgung der Semgaller im Urwald durd) 
die Nacht überrajcht werden. Man macht Halt, jtellt Wachen aus und 
beichließt den Morgen abzuwarten. Da tönt der Auf: 

„Die Feinde fommen, 

Wir haben nahe fie vernommen. 
Wohl geihart mit ihrer Wehr; 
Unmweit wohl find jie unjerm Heer.“ 

Der Meifter ruft alle zu den Waffen, Bruder Berthold ergreift 
die Fahne, um die fich die Nitter jcharen. Sie haben ihre Nojie 
zurückgeführt und rüften jich zum FZußfampf, nur einer, Bolmar von 
Derndufen, bleibt zu Pferde. Much die Bürger und Pilger jammeln 
ih um ihr Banner, doch das Landvolf ergreift ein panticher Schred 
und ohne den Berjuch einer Widerwehr flüchtet es in das Dunkel des 
Waldes. Was half da alle Tapferkeit des fleinen Häufleins der Deut- 
ichen gegenüber der riefigen Übermacht der in immer neuen Scharen 
anrücenden Semgaller. Wohl jprengte Bernhujen in ihre Reihen und 
ließ fein ritterliches Schwert mit Wucht auf die Heidenföpfe hernieder> 
jaufen, wohl lagen mehr al$ zwanzig der Feinde um ihn im ihren 
Blut, Doch Schließlich ermattete jein Arm, von den Sentgallern ums 
vingt, janf er vom Schlachtroß md ward erjchlagen. Smmer grimmer 
wırrde der Andrang, immer fchiwerer der Widerftand auf dem jchmalen 


a Te 


Waldpfade, ımd als es vollends den Feinden gelang, fich zwiichen die 
Brüder und die Noffe zu werfen, jich der leßtern zu bemächtigen, da 
war das Gejchiet der Deutjchen entjchtevden: Willefin und Die Seinen 
jtritten mit Heldenmut, bis fie ermattet und auf den Tod verwundet 
den MWaldesgrund decten: 

„Shnen ward von beiden Seiten heiß: 

Man jah manchen roten Schweih; 

Durch die Panzer dringen, 

Man hörte Schwerter da Flingen, 

Man jah Helme zerjchroten 

Und auf beiden Seiten die Toten 

Niederjinfen auf den Plan. 

Mancher neigte jich zu Thal, 

Daf er der Sinne ganz vergaf; 

Und nieder auf der Erde jaß. 

Vor den Schlägen und Streichen 

Die Heiden oft entweichen 

In den Wald vor der Brüder Zorn. 

Gar manchen fühnen Held fie verlor'n 

Auf beiden Seiten in Streites Not.“ 

Doch immer von neuem brachen die Semgaller aus dem Dicicht 
vor und schließlich Löften Fich die Neihen der Deutjchen,; wer fonnte, 
verfuchte Ducch Flucht fich zu retten, Doch nur wenige erreichten Riga, 
die andern fielen im der evbitterten Feinde Gewalt und wurden in 
furchtbarer Weije zu QTode gemartert: 

„Einem e3 jo erging: 

Er ward zur jelben Stunden 

Yuf ein Ro gebunden 

Und jolde Marter man ihm bot, 
Daf fie ihn warfen mit Kteulen tot. 
Als er gejtorben war zuhand, 

Ein andrer Bruder war verbrannt, 
Auf ein NRoft ihn jegeten jte. 

Sp ward er erlöft von des Lebens Nüh'. 
Fünf und dreißig ihrer waren tot. 
Vier genajen noch mit Not, 

Allein fie waren gefangen — 

Sp ward der Streit ergangen. — 

Grimm md Haß im Herzen rettete der einzige überlebende 
Drdensbruder ih) nach Niga, er jchwur Nache zu nehmen an den 
heionischen Feinden und er hat's vedlich gethan; 


— 109 — 


„Er fügt ihnen zu gar viel Bejchwer’, 
Nitt Häufig wider fie mit dem Heer 

Und half verwüjten wohl ihr Land, 

Wie nachdem euch wird gemacht befannt.“ 

Doch drei Fahr jpäter (1290) jtand der Orden am Ziel. Die Sem- 
galler waren unterjocht und jeder Widerjtand unmöglich. Biele von 
ihnen aber wanderten gleich den Sudanern nach Littauen aus, um 
ihre Freiheit zu bewahren: 

„Sen’ Littauen fie fehrten Hin. 
Das war vielen gar ihr Ungewinn, 
Das jie ein fremdes Land erforen, 
Shr Erbe jie damit verloren.“ 

So ging das Semgalliihe VBolfstum unter, die ihm verwandten 
Letten nahmen, von den Deutjchen begünftigt, die jemgalliichen Siße 
ein, mit ihnen verjchmoßen die Nejte. Wieviel Opfer aber Diejer 
Kampf gefojtet, läßt fich ermefen: In Kurland allein zeigte man Die 
Todesjtätten von 200 NRittern. Stem Wunder, daß man jchlieglich 
wieder nach Preußen jandte und von dort Hilfe erbat. Man war bis 
zum Tode erjchöpft und atmete endlich auf, alS der Slampf zu Ende 
ging. Um neuem Unheil vorzubeugen, errichtete der Orden an mili- 
tärisch wichtigen Bunften jtarfe Burgen. Schon 1266 Hatte Konrad 
von Mandern das feite Haus Mitowe (Meitan) an der jengaller Aa 
erbaut, 1273 wurde Diünaburg, 1286 Heiligenberg errichtet. — 

Ziehen wir das Ergebnis aus diejen Kämpfen, jo liegt es dariır, 
daß der Orden, der mit geradezu großartiger Ausdauer und Ylır- 
jpannung aller Kräfte das Land gerettet hatte, in den Stürmen diejer 
Ichweren Zeiten die Macht geworden war, auf der die Zukunft des 
Landes berubte. 

Jicht die Prälaten, die Brüder vom Deutjchen Haufe jollten die 
Herrn Livlands werden, fie hatten eS gewonnen, gejchüßt, fie wollten 
mm auch im Lande gebieten. Wer wollte behaupten, dal dies’ Streben 
an Jich ein Schlimmes in fich jchlöfle? 


8. Kapitel, 


Der Genenfaß pwilchen Erzbifchof und Brden. 
Der Drden begiwinat Rina. 


Sr demfelben Sabr, it dem Niga zum Erzbistum erhoben wurde 
und dadurch nach dem Willen der egoiitiichen, auf der Yerfahrenheit 
der Kivländischen Verhältnifie bafierenvden Bolitif der Sturte die Steige- 
vung der Gegenjäße in unjerer Heimath einen weitern Schritt vor- 
wärts that, janf im Ddeutichen Meutterlande nach vuhmvollem, aber 
durch die Ungunjt der Zeit gehemmten und schließlich unglücklichen 
Kampf das Heldengejchlecht der Staufer zu Boden. Es begann damit 
jene „fatjerlofe, die schreckliche” Zeit, Die wir gewohnt ind, das nter- 
vegnum zu nennen, weil thatjächlich ZJivietracht und Treulofigfeit allein 
geboten und die Unordnung verewigt jchten, obgleich gar ziwver Stünige 
im Neich dem Namen nach vegierten. Sn diefer Periode fanden Die 
friiheren Stügen der Ordnung ihr Ende Die Katfer und Slönige, 
bei deren Wahl alle niedrigen und gemeinen Snltinkte der hohen Wahl- 
fünften wie eine jehmugige Welle zu Tage traten, janfen allmählich zu 
ohnmächtigen Schatten herab, Fehdewejen und Naubrittertum wucherten 
iippig empor und die einzelnen emeimwejen juchten jchlieglich in 
Yindnifien auf eigene Hand aus dem jonjt unvermeidlichen Schiff- 
bruch wenigjtens die materiellen Güter des Lebens zu retten. Die 
Bindiiiie der Städte vor allem wurden die Kriftalltfationspunfte 
neuen Aufichiwungs. Sm den ftädtiichen Sommumen entwickelte jtch 
die jtolze, wehrhafte Bürgerichaft, die reichen Batriztergejchlechter, in- 
jonderheit jeit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, im unge- 
ahnter Weile. Damals wuchjen die alten Nömerjtädte am NAhein und 
im Süden zu neuer Blüte auf, in jene Tage bereits fallen die eriten 
Anfänge der jeegeivaltigen Hanja, jenes Bundes, im dem Deutjcher 
Unternehmungsgeiit und thatkräftiger Birgeriinn fic) Durch Sahr- 
hunderte hindurch am febendigjten entfaltet haben. 


— 11l — 


Von dem Glanz jener Zeit hat ein Nahrhundert jpäter ein Fluger 
Staliener eine lobpreiiende Schilderung gegeben, an deren Schluß ev 
den Deutjchen zuruft: „Wahrlich, ihr fünntet noch Herrn der Welt 
jein, wie ehedem, ohne Eure Vielherrichaft, über die von jeher alle 
weijen Leute ihr Weißfallen bezeugt haben.“ 

Zu feiner Zeit läßt jich jo deutlich erfennen, daß Die deutiche 
Stolonie ein getreues Abbild des Mutterlandes war, als in der Epoche 
twländiichen Meittelalters, durch die in vajchen Zügen die Folgenden 
Stapitel führen jollen. Hüben wie driiben diejelben Streitobjefte der 
partifularen Gewalten, hie wie dort der Widerjtreit weltlicher') und 
geistlicher Meächte, jemjeits und Ddiesjeits diejelben tmmern Weßhellig- 
feiten. Wie in Norddeutichland jo vergaß man auch im Yivland 
fatjerlicher Obergewalt und juchte fich im den vajch zu Anjehen ge- 
fommenen Städten, Niga, Neval, Dorpat, Bernau u. A. in engem Ylır- 
Ihluß am die jtädttichen Nommmmen der Hanja materielle Blüte und 
Hand in Hand mit Ddiefer bedeutjame politischen Macht zu erringen. 

Kur in Einem liegt wohl die Differenz. Während im Neich die 
geistlichen Heren ihren weltlichen Genofjen entichteden überlegen waren 
und das Wenige, was zur Bewahrung der Neichseinheit geichab, von 
ihnen ausging, waren die PBrälaten Livlands, jowohl Nigas Erz 
biichöfe wie die übrigen geiftlichen Heren von Dorpat, Dejel oder 
Sturland jelbjtlüchtige Fleine Negenten, denen das Gefühl Fir ein einiges 
Livland fajt nie gefommen tft, vielleicht nicht einmal kommen konnte. 
Den politischen Genius dagegen, der gegen die hemmende zähe Un 
fähigkeit Eleinftaatlichev Gebilde vang, war der Orden. Diejer war 
es, der gefejtet Durch die Heldenfämpfe gegen Eingeborene, Nuffen und 
Littauer, die geijtige Erbjchaft des großen Albert antrat, Die defien 
Nachfolger auf dem Stuhl von Kiga nicht zu behaupten die Männer 
waren. „Wir jehen, charafterifiert Bienemanı, im Orden, jo jehr 
jein Urjprung dem echt mittelalterlichen Sdeenkreife angehört, den Vor 
fünpfer der Neuzeit. Ein wunderbarer Takt hat in feitgeichlofiener 
Tradition im ihm gelebt, feine Schritte gelenkt, die einzigen unter 
denen von Livlands Häuptern, Die — und zwar immer ein Feites, 
planvolles Auftreten kennzeichnet.“ 


!) Zu Diejfen werden wir jeinen Tendenzen nach den Orden doch zu rechnen 
haben, wenn fich) ja auc) nicht überjehen läßt, daß ein geiftliches Element ihn 
innewohnte und in den Beziehungen zum PBapjt nur zu oft zu Tage trat, 


— 112 


Daß der Orden im Gefühle jeiner Straft die Unterordnung und 
Zurückjegung, welche ihm bei jener Vereinigung mit dem Schwert- 
vitterorden zu Teil geworden war, auf die Dauer zu ertragen nicht 
willens jein würde, war nach Den Stämpfen, tm denen des Yandes 
Eriftenz gevettet wurde, auch den geiltlichen Herrn immer flarer ge- 
worden. Ste wähnten ich jelbjt verloren, wenn fie nicht Fräftige 
Yındesgenofjen erwarben, und richteten deshalb ihre Augen im eriter 
NMeihe auf die Stadt Niga, die durch großen Handel ein mächtiger 
Faktor im Lande geworden war; die Macht der Stadt durch reiche 
Schenfungen, die das Gebiet Nigas bis zum Babitjee, dem Duell- 
gebiet der Miffe und bis zur Furischen Ma ausdehnten, zu heben, ijt 
in der Folgezeit das ftete Bemühen der Erzbifchöfe gewejen. uch 
im Itereffe Nigas mußte es liegen, die Prälaten nicht zuriickzuweiien. 
Der alte Sab, daß unter dem Krummjtab gut wohnen jei, war aud) 
den rigtichen Natmannen einleuchtend, während der Steg der Ordens- 
briider auch ihrer jtädtischen Freiheit ein Ende machen mußte, da 
jene jelbjtändige Gebilde unter und neben fich zu dulden gewiß nicht 
geneigt waren. sm mißmutiger Bejorgnis jchauten die Bürger daher 
auf die ftolzen, hochfahrenden Nitter, aus deren Neihen zwei Brüder 
in Meitten des Nates jaßen, ja deren Burg, die St. Sürgensburg, in 
unheimlicher Nähe innerhalb der jtädtiichen Ningnauern lag. 

Doch nicht aller mit dem verheigenen Beiltande Nigas jchten e8 
Albert Suerbeer gethan. Das jtcherite Gegengewicht gegen den Orden 
mußte er finden — zum erjter, leider nicht zum legtenmal taucht 
diefev Gedanfe damals auf — wenn es ihm glückte eine bedeutende 
militärische Saft des Auslandes zu dauerndem Schuß und Schiwm 
des Erzjtifts zu gewinnen. Wenn mir die Ausführung des Planes 
nicht gar zu große Kopflofigfeit und allzugewaltigen Schreden vor 
dem Drden verraten hätte. Der Mann, auf den der Erzbilchof jeine 
Ylicke gerichtet, war der geeignete ficher nicht, denn es fehlte ihm Die 
Macht, um andere mit Erfolg jchügen zu fünnen. Graf Gungel von 
Schwerin, der Sohn des Grafen Henrich, der König Waldemar ge- 
fangen genommen, war zwar eim tapferer Nitter, der der Dichtkunjt 
hold war und fein jcharfes Schwert zu jcehwingen wußte, aber dem 
Drden war er nicht gewachen. 

Wohl unfundig der Verhältniffe fam er 1267 nach) Niga, wo der 
Erzbijchof fich beeilte, ihn mit Zuftimmung des Kapitels „zum VBer- 


— 13 — 


wejer, Verteidiger, Berater des Erzitifts mit allen Zanden, Schlöfjern, 
Leuten, Bajallen und zum Schiemherrn wider die Barbaren und jeden 
andern feindfichen Andrang“ zu ernennen, wogegen Graf Gunzel nur 
die Verpflichtung einer jährlichen Geldzahlung auf fich nah. 

Gegen wen diejer mit Necht unerhört genannte Vertrag gerichtet 
war, darüber war der Iipländische Meifter Otto von Lutterberge nicht 
einen Augenblik im Unflaren und schnell entjchlofien that er alle 
Schritte, um dem Erzbiichof die Waffe aus der Hand zu winden, ehe 
fie gefährlich werden fonnte. Er wagte ein hohes Spiel, aber er ge 
wann e3: Hinein in die St. Michaelsfapelle des erzbiichöflichen Balaftes 
in Niga, in der Albert die Mefje zelebriert, dringen vom Metjter ge- 
jandte DOrdensbrüder, ergreifen ihn und feinen PBropjt Sohann von 
Fechten und entführen fie zuerit in die Jürgensburg, dann nad) 
Segewold und weiter nach Wenden. 

Wie der Borfall beigelegt worden, wiljen wir nicht; bald darauf 
vejidiert Albert jedenfalls wieder in Niga, aber Gunzel Hatte das 
Land verlafjen. Albert Suerbeer hat jenen böjen Nitt, da er von 
zwei Geharnifchten geleitet, voll finftrer Gedanken zum Mleifter nach 
Menden mußte, gewiß nicht vergefjen, aber er hütete fich wohlweislich 
neuen Hader mit Dtto von Lutterberge und, alS diejer im Kampf ge- 
fallen war, mit dejjen Nachfolger Walter zu beginnen, welch’ legterer 
ihm zudem voll Ehrfurcht entgegenfam und ihn feinen „ehrwürdigen 
Bater und Herrn“ nannte. Es jollte wohl das leßtemal jein! 

Ende 1272 oder Anfang 1273 it Albert von Suerbeer gejtorben 
— unter dem Hochaltar der Domfirche fand auch er feine lebte 
Nuheftätte. 

Ein günftiges Gejchiek eriparte dem gebeugten Mann e8 zu er- 
(eben, daß des Ordens Ansprüche von feinem Geringern al3 König 
Nudolf von Habsburg feierlich janktioniert wurden. 

Seitdem Nudolf 1273 zu Frankfurt des Neiches Krone erhalten, 
nahm das entjeßliche Ywilchenreich ein Ende. Ihm war, obgleic) 
jeine Wiege tief im Süden Dentjchlands gejtanden hatte, auch der Norden 
aus eigner Anfchauung befannt. Schon als Jüngling war er 1254 
mit dem Böhmenfönig Dttofar gegen die heidnifchen Preußen gezogen 
und al3 Mann erfannte ev mit jcharfem Blick, welche Bedentung das 
deutjche Element im Nordosten hatte. Schon in den erjten Monaten 
jeines Regiments erichien Graf Heinrich von Fürftenberg daher in 


Seraphim, Gejchichte I. S 


— 114 — 


Libef und forderte die Huldigung der Bürger, diejer „bejonders be- 
vorzugten PBfleglinge des Neiches').” Ein warmes nterefje brachte 
er auch dem Orden entgegen, in dem jein jtaatsmänntsches Auge den 
Träger der Ddeutjchen Herrichaft in Preußen und Livland jah. Das 
fajt zerriffene Band zwijchen Ddemjelben und dem Neich wieder zu 
fnüpfen, darin jah er jeine nächlte Aufgabe. Deshalb unterzeichnete 
er am 14. November 1273 zu Köln eine Urkunde, Durch die er den 
deutjchen Orden feierlich mit allen feinen Befigungen unter jeinen be- 
jonderen Schub nahm. Und genau ein Sahr jpäter erließ er eine 
neue Urkunde, laut der er, freilich mit Nichtachtung der formellen 
Nechtszuftände des Landes, die Gerichtsbarkeit und Oberhoheit über 
Niga dem Drden zufpracdh. Hier zum erjtenmale tritt Ddiejer Au- 
Ipruch der Ritter offen in die Welt, um von mun an nicht mehr zu 
verschwinden. Häufige Kriegsreijen gegen die Semgaller hinderten 
zwar den Orden den fatjerlichen Berheißungen die That folgen zu 
laffen, troßdem evregten diejelben in Niga heillofen Schreden md 
führten zu einem für die fulturelle uud politische Gejchichte Der 
Stadt Hochbedeutfamen Beichluß, dem Eintritt in den Bund der Hanja. 
Am 8. September 1282 erjcheint die Stadt urkundlich bereits als 
Mitglied des Seebundes. 

Sm Bunde mit den Handelsjtädten Nordveutjchlands glaubte 
Niga Übergriffen des Ordens mit mehr Erfolg entgegentreten zu 
fünnen. 

Und in der That! Die Stadt handelte nicht unflug, da das 
Emporjteigen des Ordens von Jahr zu Jahr zu verfolgen war. Blieb 
doch die Gunft, die König Rudolf den Brüdern vom deutjchen Haufe 
jeine ganze Negterungszeit hindurch getreu erhielt, auch unter Adolf 
von Wafjau und Sailer Albrecht I ihnen ungejchmälert, fovdaß der 
Niedergang der Nitterorden jeit der Eroberung Accons durch Die 
Mufelmannen und der damit im Zulammenhang ftehende Umfjchwung 
in der den Orden jonjt jo günftigen Bolitif der Kurie dem deutjchen 
Orden verhältnismäßig wenig Schaden zufügte Im Gefühle jeiner 
Straft ließ Fich denn auch der Livländische Meijter troß Erzbischof und 
troß Stadt von jeinem vorgefteckten Ziele nicht abbringen und nur zu 
bald jollte jich die Gelegenheit bieten, demjelben näher zu fommen. 


1) Schlözer. Die Hanfa ıc. 1. c. pag. 89. 


Hin, 


Mit Johann I und Sohann Il, den beiden Nachfolgern Albert 
Suerbeers, hatte der Orden in leidlichem Frieden gelebt, erit unter 
Sohann III, ehemaligem Schagmeilter des Schweriner Domfapitels, 
erfolgte der Zufammenftoß der Divergterenden Elemente, die Explofion 
des lang angehäuften Zündftoffs. 

ALS Erzbiichof Sodann, um eine jchiwere Berleßung jeines Schien- 
being durch flandriiche Heilfünftler behandeln zu Lafjen, im Sunt 1297 
jein Erzjtift verließ, übergab er die weltliche Bertretung dem Bize- 
meilter Bruno. Nur Niga jollte, wie er auspdrüclich jeitiegte, aus- 
genommen jein: hier möchten der erzbiichöfliche Vogt umd der Nat 
der Stadt nach dem Bejten jehen. Doch wurde das wenig vejpeftiert, 
denn dem Orden jchten die Stunde gefommen, wo er jenes Brivileg 
Nudolf von Habsburgs aus eimem Blatt Bapier zur Wirklichkeit 
machen fünne Die Errichtung eines Eisbollwerfs über den Fluß — 
der Orden meinte freilich, eS fjei ein Feitungswerf, das die Nigiichen 
im Auge hatten — gab den Anlap zum evwünjchten Konflikt. Der 
Hausfomthur der Sürgensburg forderte — jo will wenigjtens der Riga 
günstige Beriht — den Abbruch einer angeblich zur Anfuhr von 
Baumaterialien über die Nighe auf DOrdensboden gejchlagenen Brüce 
und der Vizemeister Brumo unterjtügte dieje Forderung auf das Nac)- 
drüclichihte: „Er jelbit wolle die Brücde abbrechen und möge der 
Drden dabei zu Grunde gehen. Sollte die Stadt täglich eine Brücke 
Ichlagen, ev würde fte täglich abzubrechen wiljen; es jei ihm größerer 
Ruhm im Kampfe gegen die Bürger zu fallen, als gegen Heiden und 
Nufjen!“ 

Dieje Hochmütigen Worte und das Gericht, in der Burg würden 
500 Neifige zufammengezogen, brachten in Riga eine hochgradige 
Spannung hervor. Den Nüftungen der Nitter jegte man eigne ent- 
gegen. Die Bürger bejegten die Wälle und den WBetrituem mit 
Schleuderern und Schüßen. Während Bruno von Wenden herbei- 
eilte und der Kampf auf beiden Seiten jich verschärfte, überrumpelten 
am 20. Juli die Nigifchen die St. Jürgensburg. Doch während defjen 
fommt in den engen Straßen der Stadt Feuer aus, der Abendhimmel 
färbt ji) rot und troßdem man dem entfejjelten Element mit Macht 
zu Stenern jucht, vernichtet e8 in entjeglicher Nacht den größten Teil 
der Stadt. 

Als der Erzbiichof bald darauf Heimfehrte, lag die aufblühende 


g*+ 


— 116 — 


Stadt in Aiche. Doch der Mut der Bürger war ungebrochen und 
wenn fie auch dem Willen Kohann’s, der einen vermittelnden Schieds- 
ipruch füllte, nicht widerftrebten, jo vermochte Dderjelbe den erneuten 
Ausbruch doc nicht auf die Dauer hHintanzuhalten. Noch im September 
brach der Kampf abermals (08. Vergebens ermahnten die Abgejandten 
von Wismar, Noftocd, Lübek und Bremen zu Friede und Eintracht: 
in der Nacht auf St. Michael ftecten die Nigiichen den Maritall des 
Ordens in Brand, verheerten das bei der Stadt belegene Drdens- 
gebiet und scheuten Schließlich nicht davor zurück, am folgenden Tage 
den Fürgenshof und die Ordensfapelle dem Erdboden gleichzumachen. 
Und mın erfolgte das Entjegliche! War es im Naufch des Erfolges, 
war e8 der Entjchluß, die VBerhaßten auf den Tod zu treffen und eine 
Berjöhnung unmöglich zu machen — wir wifjen es nicht, nur das 
Eine fteht feit, daß die Nigijchen mit frevfer Hand den Stomthur umd 
jechzig Brüder, die im ihre Hand gefallen waren, fümtlich enthaupten 
liegen. Das Blut der Gemordeten jchrie um Nache, der Orden rüjtete 
zu bitterer Vergeltung. Das ganze Land parteite fich, der Erzbiichof, 
die Stadt gewannen die Biichöfe von Dorpat und Defel, jelbit Däne- 
marf verpflichtete fich gegen Abtretung von Semgallen zum Kampf 
gegen den Drven. Aber wieder einmal zeigte jich Die Friegerijche 
Überlegenheit der Nitter, jchon in furzer Zeit waren fie der Gegner 
Herr. So rafch Fällt der Orden über fte her, daß die Dänen gar 
nicht Zeit finden zu erjcheinen, die Biichöfe von Dejel und Dorpat 
e3 für gerathener halten fich eilig loszufagen und der Erzbiichof nach 
furzer Fehde feine Hauptjchlöffer Treiven md Kofenhujfen im des 
Drdens Hand fieht und von ihm als Gefangener nach Fellin ge- 
bracht wird. 

Nur Niga war noch unbezwungen, jchon aber zog ich das Ber- 
derben auch um die Stadt, Schon errichtete der Orden jtarfe Befeiti- 
gungen, um fie vom Meer abzujchneiden und ihr vom Lande die Zu- 
fuhr zu wehren. Der Hunger, meinten die Nitter, werde das Bürger- 
volf jchon mürbe machen. Im diejer höchiten Not griff die Stadt zu 
einem verzweifelten Mittel und rief die erbittertjten Feinde des Ordens, 
die Littauer, inS Land. Bis die gefürchteten Barbaren da waren, galt 
es mit Yhrfbietung aller Kräfte fich) allein zu wehren und e3 gelang. 
Kachdem man die vom Orden gegen Niga errichtete Zwingburg Neuer- 
mühlen gebrochen, famı die Kunde vom Heranzug der Bundesgenofjen. 


— 117 — 


Um Bfingften 1298 langten fie an, fluteten verheerend hinauf bis 
nach Karkus und fehrten mit gewaltiger Beute wieder zurüd. BBer- 
gebens warf fich der Bizemeifter Bruno ihnen entgegen, mit jeinen , 
Leben hatte er den Berfuch zu bezahlen. Yun heifchte der Orden 
Hilfe von Brenfen und als dieje eintraf, lieferten die Brüder am 
29. Juni den Nigtichen und Littauern ein neues Treffen, das diesmal 
mit einem vollen Stege endete, die Städtifchen wurden gejchlagen, die 
Littaner über die Grenze zurücgewvorfen. Riga jchten verloren. Da 
in der Stunde höchiter Gefahr fand die Stadt Hilfe bei den Hanz- 
leaten, der Erzbiichof bei Bapjt Bonifactus VIIL, der tn gemefjenem 
Ton die Beilegung der Streitigfeiten anbefahl. Auf einem Städtetage 
zu Lübeck vermittelten die Hanfeftädte einen Waffenftillitand bis De- 
zember 1299, während infolge der päpstlichen Fiürjprache Erzbiichof 
Sohann jeiner ftrengen Haft entledigt wurde und das Land verlieh. 
Sn Folgenden Sahr (1300 F) it er zu Anagnı bei Nom gejtorben, 
jein Nachfolger Sharır wußte den Frieden aufrecht zu halten. 

Es liegt auf der Hand, daß die tiefliegenden Gegenfäbe nur ver- 
tagt, nicht entjchieden waren, denn der Orden mußte die Bahır weiter 
gehen, die er einmal betreten hatte, und Riga hielt noch immer am 
Hunde mit Littauen. 

Der Orden zweifelte denn auch feinen Augenblick, daß das Schwert 
in furzem wieder aus der Scheide fahren werde, und handelte darnac). 
Der alte Römerjaß „Divide et impera!“ (Trenme und gebietel) fand 
bei ihm gelehrige Anhänger. Niga follte ijoliert werden — das war 
die Lofung und im gejchiefter Weije gelang es wirklich die dänischen 
Bajallen in Eftland, die Bilchöfe von Neval und Dorpat, die teils 
Durch xuffiiche Streifereten, teils durch die Plümderungen der heid- 
nilchen Littauer geängftigt und über VBerfuche der dänischen Negterung 
Eitland vorteilhaft zu veräußern erbittert waren, zu einer Bereinigung 
zu bewegen, in der man wohl die Begründung der Livländischen Kon- 
füderation, d. d. jener Machtgruppierung, auf der das jelbitändige Xiv- 
(and bis zur feinem Untergange bafterte, hat jehen wollen. An 25. Fe 
bruar 1304 traten der Iivländische Meister Gottfried von Nogga, 
Dietrich von Filchhufen, der Bilchof von Dorpat, Heinrich, Bilchof 
von Neval, ferner der Landmarjchall des deutjichen Ordens in Livland, 
die Komthure von Sellin, Weißenitein, Wenden, Segewold, Bernau, 
Leal und Afcheraden, die VBögte von Jerwen, Qranspalen, Wenden, 


a 


Saccala und Karfus in den Mauern von Dorpat zujammen und 
ichlofien mit einander, den Bilchöfen, Kapiteln und gejamten VBajallen 
‚der Kirchen von Dorpat und Defel, jorwie Jämtlihen VBajallen des 
Königs von Dänemark in Ejtland auf ewige Zeiten einen unverleglic) 
zur haltenden Friedens- und Freundichaftsvertrag, dem zwölf Sahre 
ipäter (1316) jogar die erzitiftiiche Nitterjchaft beitrat. 

Die Beitinzung, die über den Vertrag in Niga entjtand, wwırde 
noch geiteigert, als die Bürger eines Tages erfuhren, der Orden habe 
für 4000 Mark vom Abt von Dinaminde das Klojter gekauft md 
beginne eS jtark zu befeftigen. Sebte der Orden fich hier an der Aus- 
mimdung der Düna wirklich feit, jo lag es in feiner Hand jeden YAugen- 
bliet allen Handel und Wandel zu vernichten, den Lebensfaden der 
Stadt durchzufchneiden. Umt derartiges zu verhindern, hatten die Nigt- 
ichen bereits 1263 mit dem Klofter einen Vertrag zum Abjchluß ge- 
bracht, dem zufolge der Abt dasjelbe ohne Erlaubnis dev Stadt weder 
verfaufen noch veräußern dürfte, „Doch die Mönche von Dinaminde 
iaßen lieber auf fetten Adern, als dah fie das Verfprechen hielten ').“ 

Über die Diinamünder Frage entbrannte der alte Streit mit neuer 
Erbitterung, wiederum vief Niga die Littauer inS Land, Wiederum 
brachte der Erzbiichof Friedrich — Sarnus war Erzbischof von Lund 
geworden — feine Klagen vor das Tribunal des Papites. 

Über ermüdende Einzelheiten wenden wir umnfern Bliet auf die 
allgemeinen Gefichtspunfte, auf den Zufammenhang der unjeligen Händel 
in unferer Heimat mit den Ereigniffen ver großen Welt. 

Sn unheilvoller Weife wirkte jene Nataftrophe auf Livland ein, 
die gerade damals über den püpftlichen Stuhl hereinbracdh. Eben erit 
hatte das Bapfttum in Bonifacius VIIL jeinen jtolzeiten, grandtojejten 
Vertreter gefunden, als über ihn die Vergeltung fam. Der vor feiner 
Konjequenz zurückicheuenden Bolitif Bhilipp IV. von Frankreich war 
auch der heilige Vater fein unantaftbares Heiligtum. Die berüchtigte 
Bulle „Unam sanctam“ vom 18. November 1302, durch die Boni- 
facts fich für den alleinigen Oberheren der Welt erklärte, beantwortete 
der König durch die Sendung feines Kanzlers Nogaret, der mit Hilfe 
des dem Bapft feindlichen Haufes Colonna denjelben in Anagni am 
7. September 1303 gefangen nahm. Wohl befreiten die Bewohner 


1) Schirren. Vorträge. 


— 119 — 


der Stadt das Oberhaupt der Kirche, doch die Scham über die er- 
littene Demütigung brad) ihn das Herz Schon am 11. Dftober 
Ihloß Bonifacius feine Augen für immer. 

Für das Bapfttum aber folgte jest jene jchändliche Zeit, da der 
Statthalter Ehrifti auf Erden jenen Sik in Avignon auf franzöfiicher 
Erde nahm md zu einem Werkzeug der franzöftichen Strone herab- 
gewürdigt wurde. Was Wunder, daß fih am Hof von Avignon 
Lafter und Bejtechlichfeit die Hand reichten und ich eine Schand- 
wirtjchaft breitmachte, die ohne Beihpiel war. Wer am meisten zahlen 
fonnte, dem wurde der Preis zuerkannt. 

Natürlich wurde vom Erzbischof von Niga, der im September 
1305 eine heftige Stlageichrift gegen den Orden wegen des Anfaufs 
von Dünamiünde gerichtet Hatte, auch diejer Streitfall vor das Forum 
Slemens V. gebracht. Er hätte faum eimen günftigern Augenblid 
finden fünnen, da die dem Orden abgeneigte Bolitif der Kurie eben 
damals mit dem habgierigen ntentionen König Philipps gegen die 
Templerorden auffallend zujammenflang. 

An Morgen des 13. Oftober 1307 wurden jämtliche in Frank 
reich befindliche Tempelheren verhaftet, des Gögendienfts und geheimer 
Later angejchuldigt und — denn das war des Königs Berweggrund 
— die Güter und Liegenschaften des reichen Ordens fonfisziert. Zei 
Sahre Ipäter trat ein Unterfuchungsausshuß zujammen, und wieder 
über zwei Sahre jpäter defretierte der gefügige Clemens V. die Auf- 
hebung des Ordens. Ein Jahr darauf „am 11. Weärz 1313 brannten auf 
der Seinessinjel die Holzitöße, in deren Flammen der Großmeister Jacques 
Wiolay und der Großpräzeptor des Ordens ihren Märtyrertod fanden !).“ 

Sollten diefe Ereignifje den Erzbiichof von Niga umd feine An- 
hänger nicht in der Hoffnung beftärft haben, daß an diejem päpft- 
lichen Hof ihre Klagen gegen die deutschen Nitter auf erfolgreiche Er- 
ledigung rechnen fonnten? Doch auch der Orden jäumte nicht durc) 
gejchiefte Bertreter umd veichliche Handjalben die Kurie für ich günftig 
zu Stimmen, jo daß die Stimmung in Avignon unendlich oft wechjelte 
und eine Entjcheidung doch nicht gefällt wurde. Schließlich ermannte 
man fich wenigjtens joweit, päpftliche Legaten nach Yivland jelbjt ab- 
zufchiclen, an deren Spiße der päpftliche Auditor Franzisftus de Moliano 


ı) Kurd von Schlözer. ].c. pag. 96. 


— 120 — 


tand. Sm ungehenerlichen Yeugenverhören — Eremplare von 50 Ellen 
Länge und 1'/, Ellen Breite jind in Königsberg und Stocdholm er- 
halten — juchten die Abgejandten den Ihatbejtand feitzuftellen. Dap 
hierbei Die ärgjte Parteilichfeit Negel war, versteht fich für den, der 
die Suftruftion gelejen, die Klemens V. in der Bulle vom Auguit 
1309 gegeben, von jelbft. „Wir müfjen, jtand bier mit deutlicher 
Beziehung auf den Orden gejchrieben, aus dem Weinberge des Herrn 
die Dornen des Lalter3 md das ftacheliche Unkraut ausrotten, welches 
jeinen Boden zuweilen zu bejchatten wagt.“ Die Entjcheidung, Die 
im Sabre 1312 endlich das Licht erblickte, war ganz in diefem Sinn 
gehalten, und gebot dem Orden vor allem die Nückgabe von Dina- 
miünde. US die Deutjchen Brüder, wie natürlich, diefem Schiedsiprud) 
die Anerkennung verweigerten, jchleuderte Clemens im folgenden Jahr 
den Bann gegen die Ungehorjamen. 

Aber der deutjche Orden ftand fefter ımd ımerreichbarer als die 
Templer. Eben in jenen Jahren Hatte er einen folgereichen Schritt 
gethan, der jeine Bofition fonzentrierte md fräftigte. Seit dem Fall 
von econ war Venedig der Sih des Hochmeifters geworden, offenbar 
wm an den Kämpfen zur See gegen den Meufelmann Anterl zu nehmen. 
Doc) die Zukunft des Ordens lag wo anders, fie winfte verheigungs- 
voll am Geftade der Dftfee., Nachdem innere Wirrnifie die llber- 
fiedelung des ganzen Ordens nac) Breufen einige Jahre lang ver- 
hindert hatten, brachte das Sahr 1309 den einzig richtigen Entichluß. 
Die Marienritter verließen die Marfusftadt, um in der prächtigen 
Marienburg an der Nogat ihren Müttelpunkt zu finden. Noch im 
September 1309 ritt der Hochmeifter Siegfried von Feuchtwangen 
über die Zugbrüde der Burg. „Mit unabweisbarer Bejtimmtheit lag 
— jo Schlözer- — in diefem Gang der Dinge die Nihtung vorge- 
zeichnet, Die fortan der Orden einzujichlagen hatte, um jeine Macht 
md GSelbftändigfeit fich zu erhalten: ein völliges Aufgeben aller 
Snterefien, die außerhalb der deutichen Lebenskreiie ftanden, eine WVer- 
enmigung jeiner gejamten Sträfte in den Oftjeelanden, um deutjches 
Veen, Recht und Sitte hier mehr und mehr zu fichern, eim unbe- 
dingter Anichluß an das deutiche Neich, in welchen ev wurzelte und 
wo die Welle jeiner Stärfe lag. Das waren die Bedingungen, Die 
allein den Orden in den Stand jeßen konnten, den Kampf mit der 
römischen Kurte ftegreich durchzuführen.“ 


zo 


Auf Livland Freilich wirkte die Überfiedelung von Venedig nad) 
Marienburg nicht jo zurück, wie man wohl glauben müßte Cinmal 
hinderten die nimmer vuhenden päpftlichen Meachenjchaften die Nitter 
in Breufen an thatkräftiger Hilfe gegen den Erzbiichof und Niga, 
zum andern wurden fie jehr bald in erbitterte Kämpfe gegen die Polen 
und Littauer Hineingezogen, die ihre Kräfte völlig in Anjpruch nahmen 
und nur darin unferer Heimat nüßten, daß fie die Einfälle der Yittauer 
nach Livland hinein jeltner machten. 

E3 waren traurige Tage, die damals über unjer Yand gingen: 
Zivietracht und Strieg, wohin das Auge blickt. Nigas Erzbiichof weilt 
meilt am päpftlichen Hof in Avignon und jcehürt den Zorn der Kturie, 
Niga jelbit hält am Bunde mit den Littauern feit und bringt Dadıucd) 
unfagbares Unheil über das Yand, der Orden fchließt gegen die Littauer 
ein unmatürliches Bündnis mit Groß-Nowgorod, wird dabei aber 
durch häßliche Krifen im mern an jeder größern Aktion gehindert. 
Als der liwländiiche Kandmeifter Gerhard von York jein Amt 1322 
niederlegte, brach gegen den von Hochmeister vorgeichlagenen Standt- 
daten bei den auf ihre Somderftellung jtolzen Livländiichen Brüdern 
heftige Oppofition [os, te bezichtigten den Defignterten jogar der Ber- 
untrenung von Ordensgut und brachten einen eigenen Kandidaten in 
Borichlag, dem danı freilich wiederum die Bejtätigung des Hoc)- 
meisters nicht zu Teil wurde. Solche Differenzen machten troß der 
Hilfe, welche die Konfüderierten von 1304 dem Orden zu Teil werden 
liegen, demjelben es unmöglich, den Widerjachern mit Schärfe ent- 
gegenzutreten. 

Die Konföderierten thaten ihrerjeits das Mögliche, um dem Lande 
den Frieden wiederzugeben. 1313 tagten fie zu Bernau und brachten 
auch wirklich einen Schtedsipruch zu Wege, doch von Dauer war Die 
Einigkeit nicht. Als dann Niga feinen Bund mit dem Srohfüriten 
Gedimin von Littauen erneuerte, traten troß Bann und Verbot die 
meisten erzitiftiichen VBalallen, jo die Bahlen, Nojen, Ungern und 
Uerfitll, der tonfüderation bei, jo dab, wenn auch vorübergehend, fait 
das ganze Livland geeint jchten. Zwar jchleuderte Bapit Sohann XXI. 
jeinen Machtipruch gegen den Dorpater Bund, befahl abermals dem 
Drvden Dimaminde herauszugeben und den Bilchöfen und Balalleı 
von der Einigung zuritczutveten. Er erreichte damit aber nur, daß 
der Srieg mit erneuter Wut aufloderte und die Yittaner aufs ent 


jeglichite zu haufen begannen. Das brachte 1325 die Verbündeten zu 
einem neuen Landtag zujammen und jchloß fie abermals feit an den 
Orden.  Diejem aber eritand endlich in Eberhard von Munheim ein 
ganzer Mann, der den unmöglich gewordenen Berhältnifien mit dem 
Schwerte Stlärımg jchaffte. 

Als der thatkräftige Manı ins Amt trat, jtand die Sache des 
Ordens nicht zum Beften. Die Yittauer unter Gedimin waren auf 
Nigas Auf ins Yand gedrungen und weit in den Norden, bis über 
Karfus hinaus, geflutet. Das ganze Helmetjche Kirchipiel litt namıenlos. 
sr Baiftel im der Kirche „lag der König der Ungetrenen mit ziween 
jeiner Brüder über zwei Nächte und fFütterte jeine Pferde. Und das 
it das Allerläfterlichite, daß fie vor dem Saframente der Euchartitie 
unzählige Bosheiten verübten, Stelche, Bücher und alle Yierrat der 
Kirche, fojtbare Glasfenfter und herrliche Orgeln zerichlugen und ver- 
darben“.') Nachdem Gedimtm mit jeinen Schaaren ähnlich im Tarwait- 
chen gehauft, z0g er mit großem Naube heimmvärts, doc an ein 
Wiederfommten dachte er nicht mehr. 

Mannheim aber bejchloß mit der Stadt abzurechnen. Bon allen 
Seiten Schloß er Tte ein, volle jechs Mionate lag er vor ihren Thoren, 
bis der grimme Hunger den Troß der Bürger brad. So groß war 
das Elend hinter den Mauern, daß jelbjt der Meetfter durch ihn er- 
Ichüttert wurde umd in Riga anjagen ließ, die Armen möchten jehen, 
ob Ste nicht außerhalb der Stadt Nahrung fünden, er wide jte nicht 
beläftigen. „Endlich am 18. März 1330 war die Not jo unerträglich 
geworden, daß der Nat md die angejehensten Bürger fich der Über- 
zeugung nicht verichliegen konnten, daß nur die Unterwerfung unter 
den Orden übrig bleibe Der wortführende Bürgermeijter Heinrich) 
Dieye eröffnete die Stuung: „Edle Herren und fürfichtige Männer 
— jprac) er — verjfammelt jeid Shr, Geiftliche und Weltliche, um 
einander in dem Elend, tm das wir geraten find, zu tröften.“ Doc) 
er fonnte nicht weiter veden. Ihränen erftickten jeine Stimme md 
fir ihn ergriff der zweite Bürgermeifter, Heinrich von Fellin, das 
Wort: „Wir Stehen hier, wie jchon Heinrich Meeye jagte, im tiefer 
Befiüimmerns. Alle umjere Freunde haben uns verlaflen. Glaubt 
aber darum nicht, wir jeten nachläffig gewejen in Betreibung Ddiejes 


N Bitiert nah Schiemann 1. ec. II, 73. 74, 


Krieges. Dem Bapit und den Kardinälen haben wir in unjerer Trübjal 
geichrieben und fie demütig um Nat und Hilfe gebeten, den See- 
jtädten, joiwie den Herrn und Städten im Yande haben wir mehr als ein- 
mal ımjer Leid geflagt. Weder mit Wort noch mit der That hat 
auch mur einer von ihnen uns Troft geboten. Auch jehet ihr, daß 
(eider gar feine Lebensmittel in der Stadt find, die Borratshäufer 
stehen leer, jelbft in den Brivathäufern it nichts mehr zu finden, wie 
wir nad) genauejter Durchluchung eines jeden Haufes uns überzeugt 
haben. Die ganze Stadt zu erhalten ift, Gott jei deifen Zeuge, nicht 
mehr denn 3'/, Laft Mehl. Biele find vor Hunger aus der Stadt 
entflohen, viele andre, wie ihr wißt, geftorben. Was endlich das Schlimmite 
ist, es jteht zu befürchten, daß es in der Stadt jelbjt zu offnem Kampfe 
fommen und wir einander gegenfeitig umbringen. Und um euch nichts 
zu verbergen, wir haben mehrfach verjucht, mit dem Mleifter in Ber- 
handlung zu treten, aber nur das Eine erjehen, daß uns jchlieglic) 
nichts übrig bleibt, als einen ganz unleivlichen Vertrag zu jchliegen.“ 
Darauf bejchwor er die Anwejenden nochmals, falls einer im Geheimen 
Lebensmittel verteckt halte, jolle ex fie zum Belten der Stadt heraus- 
geben. ALS ich aber herausstellte, daß durchaus garnichts mehr vor 
handen jei, richtete Kohann von Fellin unter Thränen die Frage an 
jie, was man denn im der Not thun jolle? Sie aber antworteten, 
wie es Schon früher die ganze Gemeinde gethan hatte: die Bürger- 
meister möchten möglichit bald ein Ende machen, man werde erfüllen 
und halten, worauf fie fich mit dem Meetfter einigten.“ 

Kach zwei Tagen zogen Abgejandte der Stadt hinaus ins Lager 
des Meifters. Am Mühlgraben trafen fie mit Munberm zujammen 
und unterwarfen jich auf Gnade und Ungnade Die Stadt räumte 
dem Drden Alles ein, was er wollte, und diejev bejeßte den Sand- 
thurm und den des hl. Getites. Am 23. März ftellte die Bürger- 
Ichaft dem Orden in dem „nacenden Brief“ ihre Unterwerfung ge 
wiffermaßen tm formeller Urkunde aus, eine Woche darauf, am 30. März, 
erließ der Meifter den „Sühnebrief”, durch den die neuen Zuftände 
gejeglich fixiert wurden: Niga huldigt und baut dem Dxden em 
nenes Schloß zwijchen dem „neuen Graben“ und dem Uuergraben. 
Wenn der Meifter in den Krieg zieht oder Feinde einbvechen, \oll 
die Stadt nach ihrem Vermögen und Willen Heeresfolge leisten, dem 
Landmarjchall aber, wenn ev mit denen, die diesjeits von der Dina 


— a 
und im den Diftriften von Wenden umd Segewold find, zu Felde 
zieht, nur 30 Neifige stellen. Die Hälfte aller Gerichtsgefälle endlich 
jollen dem Orden zustehen. 

Sewaltig muß der Eindruck der Kataftrophe im ganzen Lande 
gewwejen jein. Hoch zu Noß hielt Eberhard von Munheim feinen Ein- 
zug im die gedemittigte Stadt. Nicht Durch ein Thor, jondern Durch 
die Mauer, die in der Breite von dreißig Ellen eingerifjen worden 
war, ritt er triummphierend ein. Noch zittert die Erinnerung an jenen 
herben Tag in der Erzählung durch, ein altes Meütterlein Habe auf 
die Kumde, ein Stück der Stadtmauer müfje niedergelegt werden, aus- 
gerufen: „St denm der Meifter gar jo ftark an Körperumfang, daf 
er eines jo großen Naumes bedarf, und nicht wie andere Chriften- 
menjchen durchs Thor jeinen Eimritt bewerfitelligen fan!) ?“ 

Am 13. Sumni legte der Meifter den Grund zum neuen Drdens- 
Ichloß. Doc Ächon zwei Weonate jpäter läßt fich ein auffallender 
Umschwung zue Weide fonftatieren. Ser es mun, daß Wiunheim jelbit 
die Überzeugung gewonnen, daß man der gebeugten Stadt entgegen- 
fommen müfje, jet es, daß die Fijprache dev Stonfüderierten oder 
die Einiprache Bapit Sohanı NN. das Weite dazır gethan — 
Thatjache bleibt immer, daß Mitte Auguft den Städtern Schiffahrt 
und Fiichfang freigegeben und der harte Gerichtszwang erlaflen wird. 
Yur bei Gericht über Leben und Tod jollte auch in Zukunft ein 
Bruder mit urteilen. 

Die Huld des deutichen Statjers billigte auch diefen neuen Erfolg 
des Ordens: am 8. Mai 1332 jeßte Kater Ludivig der Baier Name 
und Siegel unter eine Urkunde, durch welche er dem Orden die volle 
Landeshoheit über die Stadt Riga beftätigte. 

sn Ddiefer aber hob fich allmählich der niedergedrücte Sinn — 
bald finden wir jie wieder in vollem Aufblühen. Die erjte Aus- 
gleichung war erzielt, der Orden hatte nicht nur einen Send befiegt, 
Vondern auch einen Freund gewonnen, die einfichtigen Streife der Stadt er= 
fannten Schon jeßt, daß ihre Zukunft fte an die Seite des Meifters wies. 


1) Hitiert nah Arbujow. Grmdriß der Gejchichte Liv-Ejt-Kurland. 2. Aufl. 
159%. ypag. 46. 


9, Kapitel, 


Der Prven aeiwinnt Ellland. 


Nachdem Eberhard von Munheim zwölf Jahre die nicht Leichte 
Dirde eines Livländiichen Landmeifters getragen, war er, der am 
Schluß derjelben auf glänzende Erfolge zurücdblicen konnte, der ewigen 
Anjpannung müde „Als er mn feine Tage viel Arbeit und Ungemac 
gelitten“, Schreibt der Chronist, „auch Alters halben jchwach geworden, 
jo jandte nicht lange hernach der Hochmeilter in Preußen, Dietrich von 
Altenburg, Vifitierer, damit der Meifter Sollte nach Preußen zum 
Kapitel fommen. Da nahm diejer etliche Brüder zu jich, 309 nad) 
Preußen und bat fich dem Amtes (os. Wiewodl ihn mun der Hoch- 
meister des Amtes nicht gerne entließ, jo wandte jener doch jeine Un- 
vermögenheit ein und wırde des Amtes frei. Dann z0g er nach Köln 
am Nheime und wurde Komtdur zu St. Katharinen (des deutjchen 
Drdens). Er war zwölf Nahre lang Meeifter zu Livland gewefen mit 
großem Nuhm und Lob.“ 

Zu feinem Nachfolger hatte er jelbjt den DOrdensbruder Burchard 
von Dreyenlewen vorgeichlagen. „Diejer war,“ erzählt diejelbe Quelle, 
„ein feiner Mann umd ftieg in kurzer Zeit alfo zu Ehren, daß jeder- 
mann das Wunder nahm. Als Kind war er jchon nach Livland ge- 
fommen, doch jchon von Sugend auf richtete ev all jein Leben von 
Laftern ab und trachtete dermaßen nach Tugend, daß er jchon als 
junger Wann jehr gerühmt und gelobet ward. Deshalb jandte ihn 
der Meifter nach Sellin, da war er vierzehn Tage lang, darnac wurde 
er zu einem Kıumpan des Komthurs erhoben; furz darauf ward das 
Schloß Windau ledig, zu dejien Komthur er gejeßet wurde. Hier 
richtete er fich allenthalben aljo, daß er bon dort fort genommen md 
itbev das Haus Mitau gelegt wurde.” Hier hatte er oft Gelegenheit, 
den nach Semgallen einfallenden Littauern entgegenzutreten md Jich 


= ja = 


den Auf eines waceren Kämpen zu erwerben. Auf dem Stapitel zu 
Marienburg wurde der verdienftvolle Mann zum Meeifter von Livland 
erhoben, als welcher ev dem Lande mit Ehren gedient hat: gehören 
doch die jechs Dahre jeines Negiments zu den wichtigiten des [iwlän- 
dischen Wettelalters. 

och bevor er ins Land gefommen war, erjchien der Feind an 
der Grenze, mit dem er die Zeit jeines Mleifteramtes Hindurch zu 
fümpfen haben follte, die Plesfauer. Der Meister zögerte nicht, unter- 
jtüßt von einer Neihe tüchtiger Nomthure, namentlich Goswin von 
Herife, der zu Fellin jaß, dem Gegner die Stirn zu bieten und in 
zwei seldzügen ihm den Nejpeft vor dem Ddeutjchen Namen  einzu- 
flößen. Um gegen neue Einfälle aber bejier gejchüst zu jein, errichtete 
man auf vorgejchobenem Bojten zwei mächtige Schlöjler, die Marien- 
burg, der vom Orden ein Komthur gejeßt wurde, und die grauenburg, 
jpäter Neuhaujen genannt, die dem Bilchof von Dorpat unterjtand. 

Kaum war hier an des Landes Marken Ordnung und Ruhe 
wieder eingefehrt, als eine furchtbare Gefahr zum Ausbruch kam, Die 
den ganzen nördlichen Teil unjerer Heimat aufs Ichlimmfte bedrohte 
und den Beweis lieferte, daß die Grundlagen der deutichen Herrichaft 
doch nicht auf jo ficheren Boden ruhten, wie man nach Verlauf von 
iiber andertgalb Sahrhunderten wohl hätte annehmen dürfen. Es tt 
jchwer zu entjcheiden, was mehr Wunder nimmt: die Lift und Ver- 
ichlagenheit der Eiten, denen e3 gelang, über alle Gaue von Sactala 
und Ugaunien bis zum Geftade der finnischen See eine wohl vrgani- 
fierte Verichwörung auszubreiten — oder die völlige Sorglofigfeit der 
Deutjchen und der dänischen Vajallen, welche von den verzweifelten 
Vorhaben der Lanpbevölferung feine Ahnung hatten. 

Der große Ejtenaufjftand von 1343 bildet das äußerte Glied 
jener Kämpfe und Bolfsbewegungen, die feit dem Beginn des 
14. Jahrhundert den ganzen Westen Europas erjchütterten‘). So 
fange fie fi) auf germanifcher Erde bejchränften, entbehrten fie bevech- 
tigter Ziele nicht, zu zügellofer Anarchie aber arteten fie aus, wo fie 
vomanijches Volfstum ergriffen. 

Bon jenen Schlachten in den Schweizer Gebirgen, von Morgarten 
an, wo unter den Morgenjternen der Schweizer Bauern die Edlen 


I). v. Schlözer. Hanja. 1. c. pag. 106/f. 


Te lon, = 


Ofterreich® ihr Leben aushauchen, zieht Tich die Erhebung an den 
Strand der Nordfee, zu den Ditmarjchen, welche in grimmem Kampf 
den Grafen und Herrin Holiteins gegenüber ihre alte Freiheit zu be- 
haupten wifjen. „Schon gährt es auch im den blühenditen Handelg- 
und Gewerbsgegenden des weitlichen und jüdlichen Deutjichlands. Der 
Handwerfsmann will mit zu Nate figen, will, daß das Negiment in 
jeiner Stadt nicht allen vom Großhändler und ritterbürtigem Bürger 
gehandhabt werde. Und wohl weiß er jich die gewünjchte Anerkennung 
zu verjchaffen, bald durch offenen Kampf, bald auf dem Weg gütlichen 
Vergleiche. Falt in allen Städten des Nheingebiets, Oberichwabens 
und der Schweiz wird den HZünften Sit und Stimme im Nate zu- 
erfannt. Dann jchreitet Die Bewegung nach Flandern und Frankreich 
hinüber. In Gent und Brügge jcharen fich die Gewerfe der Wollen- 
weber um ihren fühnen Führer Safob von Alrteveldt und liefern in 
beiden Städten ihren Gegnern wiederholte Straßenfümpfe In Beau- 
voilis, Balois, Brie, Soiffons, Vermandois und andern Teilen des 
nördlichen Frankreichs ziehen die Bauern mit Mejjern und Kuütteln 
verjehen, auf die adligen Schlöfjer, um die Nitter und Herren zu ex 
morden; an der Seine pflanzt Stephan Nlarcel, der Boritand der Bartjer 
Kaufmannschaft, die rotblaue Fahne dev Nevolution auf und im den 
Drgien der Jacquerie finden feine wilden Freiheitsträume ihren blu= 
tigen Ausdruck.“ 

Wir irren nicht, wenn wir in dem furchtbaren Ausbruch der gegen 
den deutjchen Herrn erbitterten Ejten die legten, wenn auch die jchtwächiten 
Wellenfchläge der demokratischen Unruhen erbliden. Noch einmal 
ichten die ganze Herrjchaft der Deutjchen in Srage gejtellt, noch ein 
mal brachen, durch Bedrücdung und rohe Übergriffe der Deutichen 
provoziert, alle lang zurücgedänmmten Leidenschaften nationalen Fana- 
tismus über die Schranfen und bedrohten die abendländijche Fort- 
entwicelung unjerer Heimat. Die Bedeutjamfeit der Erhebung, wie 
die wichtigen Folgen, die fie mit jich brachte, rechtfertigen es, wenn 
wir die einzelnen Ereignijje an der Hand der Chronik!) uns in einer 
gewifjen Ausführlichfeit vergegenwärtigen. Der Augenzeuge erzählt 
aljo: „Anno 1343 in der St. Jürgensnacht geichah ein großer Mord 
in Harrien, denn die Ejten wollten eigene Könige haben und fingen 

1) Bartholomaeas Hoenefes Lidl. jüngere Neimchronif, erhalten 
in profaifcher Wiedergabe in Nenners „Livländijche Hiltorien.“ 


— 123 — 


die Sache alfo an: Auf einer Höhe jtand ein Haus, das wollten jie 
in der St. Sürgensnacht in Brand stecken, alsdann wollten fie jogleic) 
auf alle Deutjchen fallen und fie umbringen mit Weib und Kindern. 
Allo denn auch gejchah; fie fingen an todt zu Schlagen Sungfrauen 
und Frauen, Sinechte und Mägde, Edel und Unedel, Jung und Alt, 
alles, was von Deutjichen da war, das mußte jterben. Zu Bapdis im 
Stofter Schlugen jte 23 Mönche todt md verbrannten das Stloiter. 
Dann brannten jte die Höfe aller Edelleute ab, zogen das Yand auf 
und nieder und ermordeten alle Deutjchen, die fie in ihre Gewalt be- 
famen. Darnach foren fie vier ejtnische Bauern zu Königen, jchmückten 
fie mit vergoldeten Sporen und bunten Mäntelm umd jesten ihnen 
Sungfernfronen, (jo zu der Zeit im Gebrauch und vergoldet waren), 
welche fie geraubt hatten, aufs Haupt und banden ihnen vergüldete 
Gürtel um den Leib: das war ihre fünigliche Wradht. Was den 
Händen der Männer an Weibern und Stindern entfam, das jchlugen 
die umdeutjchen Weiber todt, brannten auch Kirchen und Stlaufen 
nieder. Da dies gejchehen war, zogen die Könige mit den Ejten fort 
und belagerten Neval mit 10000 Mann; da jchlugen jte Ritter. Sie 
beforgten aber, wenn fie nicht fremde Hilfe hätten, jo möchte ihr Ne= 
giment auf die Dauer nicht beitehen. Derhalben jandten fie an den 
Bogt Abo in Schweden (Schweden und Dänemark lagen damals im 
Striege miteinander) und baten um Hilfe, indem fie zugleich meldeten, 
daß fie alle Deutjchen in Harrien umgebracht hätten, darum, daß fie 
von ihnen waren gepeinigt, gegeigelt, geplaget und von ihrer großen 
ichweren Arbeit das trodene Brot nicht hätten. Das hätten die 
Deutjchen wiederum entgelten müfjen; jo er ihnen nun guten Nat 
und Beiftand mitteilen wollte, jo wollten fte ihm auch unterthänig jein. 
Darum hätten fie fich auch an die Belagerung von Neval gemacht, 
fie wollten es ihm überantworten ohne Schwertichlag. Der Vogt 
gelobete ihnen, er wolle in Kurzem mit großem Bolfe bei ihnen jet. 
Alfo famen die Boten wiederum mit Freuden vor Neval an, md 
brachten die Zeitung, daß der Vogt in Bälde fommen werde. 

Kurz darauf Schlungen auch die in der Wiek alle Deutjchen todt, 
die fie da fanden, gleich in Harrien gefchehen war, zogen aus und be- 
(agerten Hapjal und brachten in der Wiek 13800 Menjchen, jung und 
alt, um. ° Sm diefer Not entflod, wer fliehen konnte. Alfo famen 
Männer, Weib und Kinder bloß md barfuß nach Weißenftein gelaufen 


und vermeldeten dem Vogt diejen jämmerlihen Mord, der in Harrien 
gejchehen war. So famen auch weiter Briefe aus der Wief des 
gleichen Inhalts. Das jchrieb der Vogt eilends an den Herrmeilter.“ 

Burchard von Dreyenlewen, der eben erjt einen Feldzug gegen 
Plesfau mit fraftvoller Hand geleitet und hierbei das widerjtrebende 
Stift Dorpat gezwungen hatte Heeresfolge zu leisten, wurde durch Die 
Kunde von dem Harriich-Wiefichen Aufruhr, der beveitS dag Ordens- 
gebiet und jedenfalls die Kivländiichen Staatswejen in Meitlerdenjchaft 
zog, zu emergischem Handeln bewogen"). HZögerte er, jo mochte die 
Bauernbewegung auch Livland jelbit Höchit gefährlich werden, griff er 
rasch zu, jo bejchwor er nicht nur dieje Gefahr, jondern bahnte jich 
auch als Netter den Weg nad) dem dänischen Herzogtum Eitland, 
wo die dänische Negierungsgewalt, jeit Langen bereits arg geihwächt 
und den Bajallen gegenüber ohnmächtig, bei der Katajtrophe Diejes 
Jahres ihr Unvermögen mit eigenen Kräften Ordnung zu jchaffen, 
eflatant erwiejen hatte. 

In Dänemark jelbjt war man fich über die Schwäche der Bojt- 
tion längit nicht mehr im Unflaren und Hatte, zumal vom mächtigen 
Neih Waldemar II infolge inneren Haders wenig übrig geblieben, 
bereit3 mehrmals den Berfuch gemacht, durch Abtretung des entfernt- 
liegenden, jchwerer zu behauptenden Befibes eine SKonfolidierung Der 
Berhältniffe daheim zu erreichen. Doch waren alle diefe Bemühungen 
bisher an der Oppofition der eftländischen Bajallen, deren Stärke und 
reiheit ja gerade auf der lofalen Entfernung von Dänemark berubte 
und denen eine ftarfe, nähere Obergewalt ein Schreden war, geicheitert. 
Erjt al8 Waldemar IV Atterdag, ein fraftvoller und thatenfroher 
Herrjcher, Dünemarfs Thron bejtieg, nahmen die Pläne auf Ent- 
anßerung Ejtlands wieder fejtere Gejtalt an. Bereits 1353 hatte 
dejjen ältefter Bruder Otto mit Waldemars Einwilligung jeinem 
Schwager Ludwig von Brandenburg al® Mitgift feiner Schweiter 
Margarethe das Herzogtum Ejtland als Eigen übertragen. Darüber 
war es in Ejtland zu heller Empörung der Bajallen gekommen, der 
dänische Statthalter hatte ich) nicht behaupten fFünnen und jene 
Schlöffer dem Orden zur Verwahrung eingeräumt, während die Ba 
lallen ihre Augen nad) Schweden gewandt hatten. 

1) ef. Urel von Gernet: Forichungen zur Gejchichte des baltischen Adels 1. 
Neval 1893. Berlag von Fr. Kluge. pag. 14—51. 

Serapbhim, Gejchichte L. J 


— 1309 — 


Der deutjche Orden, dem der Befis Ejtlands zur Abrundung 
jeineg Befizes von hohem Wert jein mußte, glaubte die Gelegenheit 
günstig, mit Kaufpropofitionen hHervorzutreten, die in Stopenhagen 
williges Gehör fanden. Bereits 1341 im Mai war man joweit 
handelseinig, daß ein Entwurf ausgearbeitet wurde, laut dem fir 
13000 Markt reinen Silbers Harrien, Wierland, Allentafen, Neval, 
Wefenberg und Nariva in die Hand des Ordens übergehen jollten. 
Der „Harriiche Mord“ hatte diefen Plänen vorläufig ein Ende ge- 
macht. Sollte die Not der dänischen Negierung dem entfejjelten Ejten- 
volf gegenüber ihnen nicht einen glücklichen Abjchluß verheißen? Der 
Herrmeifter hat darauf gerechnet und darnach gehandelt. Am 4. Mai 
stand er mit jenen Mannen jchon in Weißenftein. 

„Der Meifter, jo erzählt unjer Gewährsmann weiter, jandte aljo- 
bald einen. Drdensbruder, der die Sprache verftand, zu den Eijten 
und lie ihnen entbieten, daß ihm der große Mord, den jte begangen 
hätten, zu Willen gethan wäre. Nun wollte er des Sonntags nad) 
dem bl. Kreuztage nach Weißenftein fommen, dahin follten fie ihre 
Botichaft Schicken. Er wolle vernehmen, was jte für Urjache zu diejem 
Abfall Hätten und, wo die Schuld bei den Deutjchen gewejen wäre, 
jo wollte ev Fleiß anwenden, daß alle Sachen wiederum gut werden 
jollten. Das gefiel den Ejten wohl, denn fie konnten wohl gedenken, 
daß fie dem Srieg in die Länge gegen den Meifter nicht Stand halten 
fünnten. Der Meifter kam nach Weißenftein md gebot den Seimen, 
daß fie alle Heeresfolge Leisten jollten, auch die aus dem Stifte Niga. 
— — Dahin famen auch Bruder Goswin von Herife, Komthur von 
Sellin, die Komthure von Riga, Serwen md andere Gebietiger und 
große Heren im Orden. Dahin fam auch der Bilchof von Neval und 
der Eiten vier Könige mit drein Suechten. 

Alfo fragte der Meijter die pier Könige, warım te Doch Die 
Deutjchen, jung und alt, jo jänmerlich gemordet und totgejchlagen 
hätten. Darvanf antwortete ihrer einer, man hätte fie jo lange ge- 
martert md geichlagen, daß jte das nicht länger dulden konnten. 
Fragte davanf der Meifter wiederum, warum fie die armen Mönche 
in WBadis totgejchlagen hätten? Die Könige antiworteten, fie hätten 
Schuld genug gehabt, und wäre noch ein Deutjcher vorhanden, aud) 
mm eime Elle lang, ex jollte auch jterben. Aber jo er, der Meijter, 
fie als Untertanen annehmen wolle, jo wollten fie ihm gehorjam 


— Hal —— 
jein, jonft wollten fie aber feine Junker über ich zu Herrn haben. 
Der Meifter eviwiderte, dies wolle ihm nicht gebühren, daß ev jolche 
Mörder ungeftraft lafje, die eine jolche That begangen, dergleichen 
von Anbegimm der Welt an nicht erhöret wäre. Ste jollten aber jo 
lange fret und willig hier bleiben, Dis er mit Liebe wieder füme und 
fih an den Ejten gerächt habe. 

Als die Könige diefe Worte hörten, wurden fie zornig und be- 
gehrten, man jolle jte zu ihrem Heer ziehen und thr Heil verfuchen 
laffen. Auch Fprachen fte heimlich, fie wollten auch alle dieje Heren 
totjchlagen, das wirde ihnen großen Ruhm einbringen. Als der Neetiter 
fie gehört hatte, ging er fort und befahl dem Vogt von Serien, er 
jolle dieje Säfte wohl pflegen. Dies geihah in der Laube zu Weißen- 
jtein. Einer der Ejten aber wollte den Vogt ermorden. Das wurde 
jedoch des Vogtes Junge gevahr md jprang vor jeinen Herrn, wurde 
aber tief in der Bruft und zweimal im Arm verwundet. Da jegten 
fic) die Herin zur MWehre und hieben alle die Eften, Sönige und 
Stnechte, in Stüce.” Keine Frage — nicht eben ritterlich war dem 
Feinde mitgejpielt worden! Ein arger Treubruch verdimfelt hier das 
Andenfen des jonft wacern Mannes. 

Der Meister z0g, nachdem dem Aufitande durch Die Nieder- 
meelung der Führer ein schwerer Schlag zugefügt worden war, auf 
Neval zu, jammelte jeine Streitfräfte in einem Dorfe Kimmole und 
vernichtete eine im eimen Sumpf geflüchtete Ejtenjchaar von 1600 
Dann, um hierauf den Entiaß Nevals jelbjt zu wagen: 

„US er auf einen Mittwoch der Stadt bis auf eine Meile nahe 
gefommen war, berief er die Seinen zu einem Nat und jprach, der 
große Moor, der jich eine Meile lang evjtrecke, wäre nicht ohne Se- 
fahr. Wenn der Feind dies große Heer jühe, jo wirde er gavif 
versuchen, fich in. denjelben zurüczuziehen. Sein Nat wäre daher, dal; 
zwei Banner voraus gejandt wirden, um fie aufzuhalten, damit fie 
nicht in den Moor entfämen. Dies gefiel allen wohl und jte er 
wählten dazır den Vogt von Wenden und den von Treiden, Die dem 
auch dahin zogen. Allda jprach der Vogt von Wenden die Ejten au, 
der Meifter hätte fie abgelandt zu fragen, ob fie fich bedacht hätten, 
ihre Wehre von jich zu legen und fich zu ergeben. Wem jolches ge 
ichebe, jo jollten jte zu Gnaden angenommen werden, jedoc aljo, dal 
die Anftifter des Mordes ausgeliefert werden mühten. Darauf gingen 


9* 


— 12 — 


die Ejten ein. Als mun mittlerweile das große Heer nachfolgte, ritt 
der Bogt zum Meeifter und jagte ihm an, was er ausgerichtet hätte 
und daß Jich die Ejten ohne Schwertichlag ergeben wollten. Darauf 
ließ der Meister das ganze Heer zujanmen fommen, teilte ihnen alles 
mit und fragte nach ihrem Willen. Da waren alle Dagegen und 
jagten, die Eften hätten ihre Freunde und Verwandten tot gejchlagen, 
das wollten jie rächen und Diefe Mörder nicht zu Gnaden aufge- 
nommen haben. Alfo ward der Bogt wieder zu den Ejten gejandt 
und ihnen die Gnade abgejagt und fie mußten jich wehren. Sofort 
nahmen die Eften die Flucht nach dem vorgedachten Moor, aber e3 
half ihnen nicht viel, denn ihrer wurden 3000 in furzer Zeit erjchlagen, 
Dagegen blieb nur eim junger Drdensherr tot. Da der Kampf zu 
Ende war, fam viel Bolf aus der Stadt Neval, die Toten zu bejehen; 
unter demfelben war ein Bürger, der fan auc) unter die Toten, da 
fuhr ein Ejte auf, der nacdend und bloß dalag, und hätte den Bürger 
Ichtev umgebracht, das wurde ein Nitter gewahr, fam gevannt und er- 
Ichlug den Eiten vollends. Danach Ichlug der Meifter fein Zelt auf dem 
Selde bei dem Schloß." So endete am 14. Mai die Schlacht vor Neval. 

su jeinem Zelt empfing Burchard von Dreyenlewen den däntjchen 
Bizefapitanens (ftellvertretenden Hauptmann) Bertram Barembef und 
die Bajallen, die ihm warmen Dank für die Beihilfe ausjprachen. 
Doch die Gefahr war feineswegs vorüber, vielmehr erfuhr man, daß 
der Bogt von Abo in Fünf Tagen auf der NAhede eintreffen werde, 
um die schwedischen Anfprüche durchzufegen. Dieje Nachricht be= 
Ichleunigte das Notwendiggeivordene Bereits am 16. Mat erklärten 
die Vajallen, daß, da fe zu jchwach jeien, das Land mit eignen 
SKträften zu retten umd zu jchüßen, fie den Ordensmeifter zu ihrem umDd 
ihres Landes Schußheren und Hauptmann erforen hätten und ihm Die 
Schlöffer Neval und Wejenberg, nebjt Gebiet und Zubehör, zur Be- 
wachung für die Strone Dänemark unter der Bedingung übergeben 
wollten, daß Diejelben ihnen, jobald fie einmütiglich zuricverlangt 
winrden, gegen Erjtattung der aufgewandten Ktoften wieder ausgeliefert 
werden jollten. Die durch den Aufitand weggefegte jchwache däntjche 
Negterung wird in der Urkunde als jelbjthandelnde Macht ebenfo wenig 
erwähnt, wie die Stadt Neval, die vielleicht einen bejonderen Vergleich 
abgeichloffen hat, vielleicht iiberhaupt nicht mit der Nitterfchaft eines 
Simmes gewelen tft. 


— 13 — 


Der Herrmeister willigte in das Verlangen der Ejtländer. Nach- 
dem er das Schloß Neval in Befis genommen und den von ihnen 
ausdrüclich erbetenen Komtur von Fellin, Goswin von Herife, zum 
Stadthalter oder Kapitaneus eingejeßt hatte, brach er zum Entjab von 
Hapjal auf. 

Zwet Tage jpäter, am 19. Mat, jegelten die Schweden heran. 
Goswin von Herifes Stellung verlangte äußerften Taft, Doc) er war der 
rechte Mann auf feinem Bosten. Scheinbar ohne jein Zuthun, in 
Wirklichkeit ficherlich gerade durch jeine VBermittelung kommt jehr bald 
ein Waffenftillitand zu Stande, aus dem jpäter ein Deftnitiver Friede 
wurde Die Bögte von Abo und Wiborg fuhren heimwärts, das 
Land war gerettet. Wie glücklich diefe jchnelle Erledigung! Demm um 
diejelbe Zeit waren 5000 NAufjen tief ins Stift Dorpat eingedrungen, um 
den Eiten Beiftand zu leiften. Der Nomthur von Niga 309 Ichleunigft 
alle in der Nähe feines Standorts Kirrempäh befindlichen Truppen an 
fih und eilte ihnen entgegen. Exrbittert war der Zujammenftoß und 
umentjchieven der Ausgang — doch das Eine wurde erreicht, die Aufjen 
verließen Livland. 

Aber neue Nücichläge traten ein. Schon war in der Wiek der 
Aufruhr bezwungen, Hapfal entjegt, da Loderte auf der Snjel Dejel 
die Flamme der Empörung mit furchtbarer Gewalt empor und drohte 
alle Früchte der bisherigen Thätigfeit zu vernichten. „m Abend 
St. Jafobi desselben Jahres 1343 erichlugen die Dejeler alle Deut- 
ichen, jung und alt, gleich im SHarrien gejchehen war, drängten die 
Briefter in die See und zogen vor die (Ordens-) Burg Boide oc 
am jelben Tage. Hier lagen jte acht Tage, da fie wohl wußten, daß 
ein Entjab derjelben nicht möglich war. Dexweilen mm der Vogt das 
Haus nicht halten konnte, ging er mit den Semen zu Nate, um einen 
rieden zu werben und das Haus aufzugeben. Das geftel ihnen allen, 
fie fandten derhalben an die Bauern und ließen denen amjagen, daß 
fie fich mit Frieden ergeben wollten. Das waren die Bauern froh 
und jagten ein frei Geleite zum Abzuge zu, jedoch jollten fte nichts 
mitnehmen, mm ziwer Pferde und was in eimem Sad Plab hätte, 
wurden Den Herren, je ein Pferd umd das Schwert den Edelleuten 
zugejtanden. Ms mn das Thor geöffnet wurde, zogen te traurig 
ab, die Bauern aber hielten ihr Gelöbnis nicht, Jondern jteinigten fie 
alle zu Tode. Da blieb der Vogt amt fünf Ordensbrüdern und 


andern vielen Gefinde tot auf dem Blab." Bırchard von Dreyenlewen 
hielt e8 für geraten, ehe er zur Beftrafung der wilden Smjelbeiwohner 
auszog, Hilfe aus Preußen zu erbitten. Sie wurde willig geboten 
und minmehr exjt em Nitrfall im Harvien niedergeworfen, damnır der 
Weg zur stüfte genommen. „Aber als der Meifter an den Sund faı, 
war derjelbe nicht zugefroren, deshalb z0g er traurig zurück. Aber - 
frz darnach fam einer und brachte Zeitung, daß dev Sumd wohl ges 
froren wäre md man heriiberziegen fünne. Da jammelte dev Meiiter 
jein Volf, z0g nach Defel, brannte, vaubte md z0g darnad) vor den 
Haag. Der war groß umd breit, dariıı fich die Bauern verfammelt 
hatten. Vor Sonnenaufgang fam er vor ihm und griff Die Fetnde 
an. Nım war der Haag mit Bäumen wohl verfiieft md mit einer 
Bruftwehr befeitigt, Doch ward Ddiefer an einer Stelle mit Hafen aus- 
einandergerifjen. Da Drang Bruder Arnt von Herde, Sumpan von 
Segewold, mit der Fahne auf den Wall md, obwohl ev durch Die 
Hand geftochen wurde, jo verließ er doch die Fahne nicht, jondern 
drang mit den andern hinein. Da blieben tot drei Oxrdenbritder md 
9000 Dejeler an Mannsperjonen. 

Yon dort zog der Meifter im das Dorf zu Nectis. Da famen Boten 
von den andern Ejten, fielen dem Meeifter zu Füren und begehrten Gnade, 
gelobten auch nimmermehr gegen die Chriftenheit zu handeln, jondern 
hinfort gehorjam zu fein. Alfo wurden fie in Gnaden aufgenommen. 

Es hatten jich auch viele Bauern in Harrien zufanmengethan, 
auf daß fie Fellin einnähmen. Dieweil fie aber dasjelbe mit Macht 
nicht konnten zu Wege bringen, jo bedachten jte eine Lift und liegen 
fich in Säce zwijchen den Noggen stecken, den fie jährlich als Tribut 
liefern mußten, und jich auf das Schloß Führen. Aber der Anschlag 
war verraten worden von einen Weibe, die ihren Sohn daber hatte, 
den bat jie (08. AWfo winden die andern alle feitgenommen und tı 
den Schivmfeller gejtürzet, darin fie verdarben.“ 

Danf der Energie und vor allem der verblüffenden Schnelligkeit, 
die der Meifter an den Tag gelegt, war mit dem Ende des Sahres 
1343 die Hauptgefahr bejeitigt, dem, wenn auch 1345 noch einmal 
die Defeler zu den Waffen griffen und Meiiter Burchard nochmals 
auf das Eiland ziehen mußte, jo war die Überwältigung der Troßigen 
doch weit Leichter. Die Anlage der Sonnenburg zwang die Siel 
wieder zur Botmäßigfeit und zum Gehorjant, 


— 195 — 


Um jo betrübender waren die Nachrichten, die aus Preußen zu 
uns gelangten und deren Folgen auc) Livland voll durchkojten mußte?). 

Seit Eberhard von Mumheims Fauft Riga bezwungen Hatte, 
waren die Littauer nicht mehr im Lande erjchienen, ja 1358 war ein 
förmlicher Friede zwifchen Niga und dem Orden eimerjeit3 und dem 
Sroßfürjten Gedimin, Witebsck und Bolozf anderjeits abgejchlofien 
worden, der Handel und Wandel ungemein belebte. Doch mur kurze 
Zeit dauerte die Waffenruhe, da Großfürjt Gedimin im Winter 1241/42 
itarb. Sem Bolf verdanfte ihn viel und wenn er auch für feine 
Berjon Heide geblieben war, jo hatte er doch Littauen auf Bahnen 
geführt, die e3 Europa näher brachten — umd dem Orden noch furcht- 
barer machten. „Der PBionter einer neuen Zeit für Littauen“, wie 
er wohl genannt worden tft, war nur in dem Einen ein ganzes Kind 
jeiner Heit, daß er über eine feite Exrb- und Thronfolge feine Be- 
Ntimmmungen getroffen hatte und dadurch jenem Bolfe schwere Wirrniffe 
nicht eriparte: jein Neich zerftel nach jenem ITode in acht Teile und 
es bedurfte exit heftiger Angriffe von Außen und blutige Fehde im 
Sımern, ehe eine Yweiteilung des Littauiichen Gebiets unter den beiden 
ausgezeichneten Fürsten Dlgerd und Stenftuit, von denen Der erjtere Die 
Dberhoheit über das ganze Land behauptete, den Unordnungen ein 
Ende machte. Berjchteden von Natur, waren jich beide Brüder auf 
das simigfte zugethan. Dlgerd war durch hohe Gaben des Geiltes 
ausgezeichnet, gebildet umd bevedt, ein feiner Bolitifer und tn allen 
Stücen ein mäßiger Mann, Kenftuit dagegen ein offener, vitterlicher 
Charakter, ein tapferer Degen, der Abgott feines Bolfes, defjen edeliten 
Typus er verkörperte. Während Olgerd einen der bedeutendften Staats- 
männer des Mittelalters darstellt, Fällt auf Kenituit ein Strahl jener 
chevaleresfen ourtoifie, die dem wahren Nitter innewohnte. Auch der 
Orden, dejjen größter und erbitteriter Feind er fein ganzes Leben 
lang gewejen und geblieben it md dem er jtetS von jenen Haupt- 
landen, dem eigentlichen Littauen md Schamatten, aus befümpft bat, 
fargte mit feinem Lobe nicht. „Derjelbe Synftutte“, jagt die ältere 
Hochmeilterchronif, „war gar em ftreithaftiger und wahrhaftiger 
Mann Wenn er eine „Neife“ ınternehmen wollte, zu Preußen 
ins Land, jo entbot er das zuvor dem Marjchall und Fam auc) 


I) ch, Th. Schiemann ]. c. I pag 231ff. und II pag. 94, 


— 136 — 


gewiß. uch jo er mit dem Meeifter einen Friede machte, hielt ev ihn 
gar feit. Welchen Bruder des Ordens er auch für fühn und manı- 
haftig erkannte, den liebte ev und erzeigte ihm viel Ehre.“ 

Sm Sahre 1345 war eine große Neife ins Yittauerland von 
Preußen aus geplant. Hahlveiche Kreuzfahrer, unter ihnen gar vor- 
nehme Herrn, wie die Könige von Ungarn und Böhmen, Herzöge 
und Grafen von Flandern und Burgund waren 1600 Nofje jtarf 
nach Preußen gefommen. Doch wenig entjprach der Fortgang dem 
Auszug und schließlich fehrten alle migmutig und ohne Erfolg aus 
den Tittauischen Wäldern heim. Dfgerd, ergrimmt über die Eröffnung 
der Feindfeligfeiten, bejchloß jofort dem Orden heimzuzahlen und bradı, 
während Burchard von Dreyenlewen in Dejel war, plöglich in das 
Semgallerland. Terweten, das Hafelverf und Schloß Meitan gehen 
in Flammen auf, dann ericheinen die Unerwarteten vor Niga, nehmen 
Meuermühlen und verbreiten fich in gewohnter Wetje verheerend bis 
nach Segewold und Walk. DTaujende treiben fie gefangen vor fich 
her, unermeßlich ift die Beute, die fie Heimmärts bringen. 

Der Eindruck diefer Ereignifje jcheint ein jehr großer gewejen zu 
jein: verfiel doch der Hochmeister Xudolf König in Schwermut und 
dankte auf großem Kapitel ab, das im Dezember 1345 auf Der 
Mariendburg tagte. Sein Nachfolger wurde Heinrich Dirfemer. Auch 
der Lioländische Meister Burchard jehnte fih nah Nuhe und z09 nad) 
Preußen zurüd, während der thatfräftige Goswin von Herife an jeine 
Stelle trat. Das, was die Vorgänger angebahnt, der Anheimfall Ejtlands, 
vollzog ich unter den neuen Meiftern verhältnismäßig rvalch. 

Um die Mitte des Jahres 1344 wandte König Waldemar, 
dejien Kräfte der jchiwedische Krieg bis dahin in Anipruch genommen 
hatte, jich den ejtländischen Dingen wiederum zu. Sm einem 
Schreiben an den Livländischen Meifter jprac) er ihm jeinen Danf 
für die Hilfe aus und bat ihn nunmehr, da die Gefahr vorüber jet, 
die Lande jeinem, des Königs, Statthalter Nitter Stigot Anderjon zu 
iibergeben. Habe doch der Orden felbit erflärt, er würde, jobald der 
König e3 verlange, die Schlöffer ihn wieder zu Händen itberantiworten, 
er bitte jegt um jo mehr darum, als auc) die Vajallen des Herzog- 
tums dringend wünschten unter jein Negiment zu gelangen. Der 
Drden, derin dem Belig des Landes gar nicht durch einen Vertrag 
mit dem Könige oder dejjen Statthalter, jondern allein durch eine 


— 157 — 


Bereinbarung mit dem jehwerbedrängten Bajallentyum gefommen war, 
befand fich dem Füniglichen Wunfc gegenüber in eigenartiger Lage. 
Er erflärte daher, eine Herausgabe der Schlöffer fünne doch nur in 
dem Fall eintreten, wenn ihm die Unkosten voll und ganz vergütet 
würden, behandelte aber den nad) Ejtland kommenden Nitter Stigot 
Anderjon ganz als den rechtmäßigen Statthalter, deilen Stellvertreter 
und Befehlshaber über das Schloß Reval Goswin von Herife jet. 
Der Statthalter, dem die unhaltbare Lage diefer erponierten dänischen 
Befisung jehr bald flar geworden zu fein jcheint, ging auf dieje Alıı- 
Ihauung völlig ein und trat zum Orden in das engite, Freundjchaftlichite 
Berhältnis, ja er nahm Teil an dem Feldzug gegen die rücdfälligen 
Dejeler und that nicht3 dawider, daß der Orden die Wierländiichen 
Bafallen 1345 veranlafßte, ihm in Form einer Berpfändung das lebte 
Bollwerk, das Dänemark noch Hatte, Narwa zu übergeben. Qäujcht 
nicht alles, jo it im September desjelben Jahres König Waldemar 
in Berjon nach Neval gefommen und bis zum Mai des folgenden 
Sahres hier geblieben. Was fein Statthalter erfannt — die Unmöglich- 
feit das Zand zu behaupten —, wird der Monarch wohl auch jehr bald 
von Neuem wahrzunehmen Gelegenheit gehabt haben. Seine lange 
Anmwejenheit in Ejtland, währent der er nicht verabjäumte durch 
Snadenafte aller Art die Bajallen fich günstig zu jtimmen und die 
Veräußerung des Herzogtums ihnen genehm zu machen, ließ ihn die 
frühern Pläne auf den Verkauf des Beligtums mit ganzer Energie 
wieder aufnehmen. WVBielleicht war es die Nüchicht auf die Bajallen 
in Ejtland, welche ihn hierbei veranlaßte fich nicht an den Livländischen 
Orden direkt, jondern an den Hochmeister zu wenden. Wenn jene 
Ihon die bequeme däntche Herrjchaft aufgeben mußten, jo war ihnen 
der auf der Marienburg vefivierende Hochmeister doch immer noch lieber, 
al3 der in Wenden figende Ordensmeilter. Wie dem auch jei, ev wandte 
ih) an den Hochmeister Heinrich Dujemer und bald wurde man eines 
Simmes. Im August 1346 bereits fonnte der König von Kopenhagen 
aus jeinen getreuen Eftländern, die er freilich garnicht gefragt hatte, 
eröffnen, jein Bruder Otto gedenfe in den deutjchen Orden einzutreten 
und da das Herzogtum nach Erbrecht ihm gehöre, jo habe ev es mit 
Schlöffern, Städten und Dörfern dem Orden zu Eigen gegeben, er ent- 
lafje te deshalb des Eides und Gehoriams und weile fie an, dem 
nenen Herrn in Treue zu gehorchen. 


VBierzehn Tage jpäter fand dann in der Marienburg der fürm- 
(iche Verkauf ftatt: fir 19000 Marf reinen Silbers, Kölner Gewichts, 
ging das Land in den Befiß des Hochmeifters über — am 1. Wo- 
vember übergab Stigot Anderfon Landichaft und Schloß Neval dent 
zu diefem Zweck in ehrenvoller Million nach Eitland entjandten ehe- 
maligen Livländischen Meister Burchard von Dreyenfewen, der bis 
zum Februar 1347 als Hauptmann von Neval nachweisbar it. Was 
er erjtrebt und angebahnt: „wo he Nevel mochte under den orden 
bringen“, jegt war eS erreicht und er jelbit fomnte die legte Hand 
ans Werf legen. Nachdem bereits am 4. November Goswin von Herife 
den VBajallen namens des Hochmeifters eine provioriiche Bejtätigung 
ihrer unter Dänemark erlangten Privilegien ausgeftellt hatte, unter 
denen allein die Verpflichtung, das Land nicht weiter zu veräußern 
— und mit gutem Grunde — fehlte, erfolgte im Sun 1347 auf der 
Marienburg die feierliche Beitätigung aller Nechte und Freiheiten 
durch Heinrich Dufemer für die Bajallen, die Stadt Neval md Die 
slöfter, vor Allem Badis. 

Wenige Tage darnach unterzeichnete der Hochmeister eine zweite 
Urkunde, die für Ejtland jowohl, wie für den ganzen Orden in Yiv- 
(and von der höchjten Bedentung war: feterlich trat Dufemer Ejtland 
an den lioländiichen Ordensmeifter ab, der fich dafür verpflichtete die 
die vom Hochmeihter für den Anfauf des Landes von Dänemark aus- 
gelegte Summe auf feine Schulter zu nehmen. Wenn der Hoc)- 
meilter das Geld zuvickzable, jollte der Kiwländiihe Orden gehalten 
jein Ejtland jofort wieder abzutreten. Mit anderen Worten, unter 
Wahrung der Oberhoheit des Hochmeifters geht Ejtland an den Liv- 
(ändischen Orden über, der durch ein Darlehen „ein dingliches Recht“ 
am Lande erwirbt. Faktiich war der Livländiiche Meifter von mu 
an Herr des Landes, wenn auch in des Hochmeiiters Namen das Ge- 
richt gehegt und ihm, dejjen Stellvertreter der Livländiiche Metfter 
nv war, die Huldigung geletjtet wurde. 

Vicht leichten Herzens hat man fich in Ejtland in die neue Lage 
anfangs gefunden, ja der Gedanfe ift aufgetaucht, ob nicht mit Jchwediicher 
Hilfe die Entwicelung der eftländischen Frage wieder rückgängig ge= 
macht werden fünnte, doch Erfolg konnten solche Pläne umjoweniger 
haben, als die ejtländische Nitterichaft durch den Harrichen Mord 
auch mumerifch entjeßlich gelitten Hatte, der Orden aber um die 


Mitte des 14. Sahrhunderts in Preußen wie in Livland zu höchiter 
Blüte emporwuchs. Die Jahre 1330 und 1347 bilden, insbejondere 
in unferer Heimat, wichtige Marffteine in der Gejchichte des Ordens. 
Neue Siege, weiteres Emporflimmen jtand ihm noch bevor, wenn- 
gleich) ex auch territorial über die Grenzen von 1347 nie heraus- 
gewachjen ift. 


10, Kapitel, 


Weiteres Auflteinen des Proens, 
„Immer höher muß ich fleigen, 
Immer weiter muß ich Frhawın, 
Faulf II. 
Unentwegt ijt der Orden in Yivland auch in den folgenden Jahr- 
zehnten jeinem großen Ziel, der Hegemonie über das ganze LXand, 
nachgegangen. Wit bewundernswirdiger Elastizität und mit fkühner 
Benußung aller ich mur darbietenden Mittel und Wege jchreiten die 
Meifter von Erfolg zu Erfolg und in all den Eleinlichen zFehden, den 
ermidenden md langwetligen Wirren, die ins Detail zu verfolgen 
joir uns hier eriparen fünnen, verlieren fie das Ganze nicht aus dem Auge. 
Sp werden wir nicht mur die goldenen Tage, da der große 

Meifter Winrich von Auiprode in Preußen als Hochmeister gebot, 
eine ruhmmweiche Beriode des Deutjchen Ordens nennen dürfen, jondern 
auch das weniger in die Augen fallende, aber doch bedeutjame Walten 
der Koländiichen Yandmeister Goswin von Herife, Arnold von Bietinghoff, 
Wilhelm von VBrimersheim, Nobin von Elben md Wennemar von 
Bruggenoye, deren Thätigfeit die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts 
ausfüllt.  Diesjetts wie jemjeits der Mlemelburg schaute man den 
Dingen chart und fühl ins Auge und nahm den Kampf überall auf, 
weil mu duch ihn der Sieg zu gewwinnen war. Ctwas von dem 
unermüdlich anftirmenden Süngling, aber auch von dem vor feiner 
Schwierigkeit im Gefühl feiner Macht zurüchweichenden Mann Liegt 
in den Nittern, die der Zeit den Stempel aufdrüden, und gleich Goethes 
Euphorton flingt es auch von ihren Lippen: 

„räumt ihr den Friedenstag ? 

Träume, wer träumen nıag! 

Krieg! Sit das Lojungswort, 

Sieg! Und fo Flingt es fort,” — 


— 141 — 


Seit dem Niedergange der PBiajten in Polen hatte der Deutiche 
Drden nach diefer Seite hin nicht unbedeutende Erfolge zu verzeichnen. 
Exit mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts, als Wladislarw Yoftetet in 
Strafau zum König von Polen ausgerufen wurde, nahmen die durch) 
Ihronwirren zerrütteten VBerhältniife Ddiejes jarmatiichen Neichs all- 
mählich größere Stabilität au. Der Orden freilich veritand es auch 
jegt noch eine Neihe von Erwerbungen zu machen, die dem deutjchen 
Namen neue fruchtbare Gebiete gewannen. 1317 erhielt er, nachdem 
er die brandenburgischen Anjpriche abgefunden, mit Danzig die Weichjel- 
mindung und das Land bis zur Leba. Als Voftetef, um den Nittern 
den Belt zu entreißen, fich dem Papft näherte, ergriff der Böhmen- 
fünig Sohann, der jelbjt Anfprüche auf den polmmchen Ihron hatte, 
die Bartei des Ordens umd übertrug ihm die Hälfte der Dobrzyner 
Lande am Linfen Ufer der Dravenz und ganz Womerellen, „um Gottes 
und der ewigen Geligfeit willen“.  Grbitterte Kämpfe füllten die 
wertern Jahre Lofietefs aus, bis nach jeinem Tode in jeinem Sohn 
Stajimier IIL, dem Lande ein polnischer König eritand, „tr welchem 
fich) die friedlichen Tugenden der Btajten zu guterleßt abermals ver- 
einigten und der bei vielen jich den Beinamen des Großen verdiente, 
ohne doch ein Sirtegsmann zu Jen“). Er juchte vor allen dem er- 
Ihöpften Lande Nuhe zu jchaffen und jcheute jelbjt vor großen Opfern 
nicht zuviic: 1335 opferte er Bomerellen „zu jeinem umd jener Bor 
fahren Heil und zu ewigem Almojen um des Friedens willen“, ev- 
hielt dafür aber das Dobrzynern Land zurück. Zwar zeigte jich bei 
einigen Magnaten im Ojtpommern wenig Neigung im den ‚Frieden zu 
willigen, jo daß noc Jahre erbitterten Ningens und manche „Neije“ 
vorüberging, ehe tm Stalischer Frieden auch die legten Widerjtrebenden 
fich) willig fügten. Als vollends den Dänen duch Kauf Ejtland 
abgenommen wurde, war der Deutjche Orden zweifellos die bedeutenpdite 
Macht des Nordens geiorden. jr Winvich von Sıiprodes langem 
und glänzenden Negiment (1351—82) jpiegelt ich der nach den 
Bolenfriegen zu großartigem innern Aufichiwung gelangende Zultand 
wieder. HZählte man doch nicht weniger als 53 Städte, darımter über 
30 meugegrindete umd 18000 Dörfer in den preußischen Ordens 
landen, häufte fic) Doch der Neichtum an Getreide, Bernten, Wachs 


ı) 8 v. Nante Weltgeichichte. VII. pag. 477ff. 


an 


1. %. jo jehr in den Speichern des Ordens, daß diejer zum Arger 
des Kaufmanns, vor allen der Hanjeaten, jelbit taufgejchäfte in groß- 
artigem Maßitabe zu betreiben. begamım, Da auch die friegeriichen 
Heerfahrten ins Yittauerland, nach Schamaiten, fortdauerten, jo fonnte 
man wohl jene dreißig Sahre die Plütezeit des Ordens „an Nat, 
Zucht, Mannbeit und Neichtum“ nennen. 

esreilih war in dem Charakter der „Neifen” und Heerestahrten 
eine wejentliche Beränderung im Lauf der Zeit vor fich gegangen, Tie 
hatten aufgehört Eroberungszüge zu ein und waren zu Striegs- und 
Bentezüigen geworden. Man hat wohl gemeint, dev Orden habe Scha- 
matten, dejfen Eroberung ex früher zweifelsohne hat durchjeßen wollen 
und am Dejien Befiß ja Furchtbare Kämpfe getobt haben, nur noch als 
Tunmelplaß für jeine Nerjen angejehen, die er jchon der zahlreichen 
vornehmen Streuzfahrer wegen, welche aus aller Heven Länder Nahr 
um Sahr nach Preugen kamen, nicht aufgeben fonnte, ev habe das 
Land gar nicht evobern wollen, da ihm dann ein Ziel fiir jene Züge 
gefehlt hätte. Das dürfte Jchwerlich richtig jein: der Strieg gegen Die 
Yittaner war auch früher faum anders denn als Gnerillafrieg geführt 
worden md behielt diefen Charakter nicht nur bet, jondern bildete 
ihn noch mehr aus; von eimer faktischen Eroberung — nominell war 
das Land jchließlich ja unterivorfen, wenngleich die militärische Siche- 
rung in Sträflichem Lerchtfinn verabjäumt wurde — war deshalb nicht 
mehr Die Nede, weil man zur Einficht gekommen war, dal dem Durch 
Dlgerd und SKenftuit gefräfteten und geeinten Littanen Schamaiten 
nicht abgenommen werden fönne Wäre jene andere Anficht vichtig, 
wie erklärte fich danı die Errichtung feiter Burgen im Littanerland 
noch zu Suiprodes Zeit, zu der Doch gerade die Burg Gottesiverder 
gegenüber Storno entitand? Wir glauben, dal Erfolge dauernder 
Art deshalb ausblieben, weil „die Kräfte beider Staaten einander Die 
Wage hielten“: der Orden wollte nicht, jondern mußte jchließlich auf 
die Eroberung Schamaitens verzichten). 

Arch die Livländischen Nitter haben ar -diefen Zügen lebhaften 
Anterl genommen. Während jedoch die preußiichen Herrn Durch feine 
nennenswerten Innern Schwierigkeiten beeinträchtigt Winden, wurden 
die Livländer durch zwei Momente auf das Lebhaftefte in Anfpruch) 

) Co au) Schiemann ]. c. I. pag. 237. Mlerander Bergengrün in 
Cigungsber. d. U. ©. 1590 pag. 115. 


genommen. Einmal durch die nie völlig aufhörenden Kämpfe an der 
Ditgrenze gegen die Nuffen, die dejto ernfter winden, je mehr Die 
Stonzentration der Teilfürjtentümer unter Mosfaus Banner jich voll 
309; zum andern durch die an Schärfe und Erbitterung von Sahr- 
zehnt zu Dahrzehnt zunehmenden Differenzen tm Lande jelbjt, wo Die 
geiftlichen Elemente einen verzweifelten Kampf gegen den zielbewußt 
vorwärts jchreitenden Drden führten. 

Berfuchen wir die wichtigsten Phajen vesjelben zur zeichnen !). 

Dhne VBerwiclungen und Meihen wußte der Orden in Eijtland 
die Dinge nach jenem Wunfjche einzurichten. Als 1350 der däntjche 
Bılhof von Neval, Dlav, ftarb, gelang es, hiev einen Bruder vom 
Deutichen Haufe, Ludwig, auf den erledigten Bichofituhl zu erheben 
und das Bistum auch Fir die Zukunft in enge Abhängigkeit vom 
Meifter zu bringen. War der Prälat, da er nur Tafelgüter, aber 
feine Bafallen befaß, auch nicht gerade mächtig, fo lag die Meöglichkeit 
doch nahe, Durch ihn auf Die Bafallen von Harrien und Wierland 
Einfluß zur gewinnen. ne mit Ddiefen fan der Orden jchnell zur 
Einigung, da er ihnen ihre Nechte nicht antaftete, Jonvern nur Die 
Heeresfolge vegelte. Veoch friiher a 348), war das Verhältmis zu Der 
Stadt Neval geordnet worden. Der Ovden befleigigte Jich der veichen 
Stadt gegenüber des größten ee hittete fic) vor einer 
Verlegung der Nechte und Freiheiten der Bürgerjchaft, ja befreite fie 
jogar von der Striegsfolge gegen Littauer und Nuffen, es jet dem, 
daß diefe in das Gebiet zwijchen Narowa und Kugheda einfielen. rer 
einer jährlichen Abgabe von 200 Mark ıumd der Stellung eines Orlog- 
IH im Fall eines Seefriegs, verpflichteten fich die Bürger mm zur 

Yerteidigung der eigenen Mauern. 

Die jchnelle Drdmumg der ejtländischen Berhältniffe war im jo 
notwendiger gewelen, als der alte Streit mit dem Erzbiichof von Riga 
wieder tn hellen Flammen aufgelodert war. Zwar hielt Jich Engelbert 
von Dolen, der 1341 Erzbischof geworden war, wohhwveislich nicht im 
Lande jelbit auf, jondern jchürte in Avignon am päpstlichen Hof gegen 
den verhaßten Orden, von dem ev jchon 1325, als er noch Bichof von 
Dorpat gewejen war, in unglaublicher Anmaßung die Ableitung des 

2) . hierüber Schiemann 1. ec. II pag. 94—106 umd in degjelben 


Ber eiaffers „Hiitorische Darftellungen und Archiwal-Studien“: „Die Vitalien 
briüder und ihre Bedeutung für Livland. — MW. vd. Gernet l. c. pag. A0. 


— 14 — 


Lehngeides gefordert hatte. Wraftiichen Wert hatte freilich die Feind- 
ichaft des hohen Prälaten nicht, der Orden ließ ihn jein Gift im 
Auslande veriprigen und machte ich jelbjt zum Herrn des Erzitiftes. 

Nicht anders wurde es, als der Küberfer Srombold von Birfhujen 
nt dem Erzjtift begabt wide umd die alte Feindjchaft gegen den 
Meijter im Lande jelbjt zu bethätigen verjuchte. Nachdem LYivland 
fünfundzwanzig Jahre feinen Erzbischof gejehen, fieß Tich Frombold 
1350 auf kurze Zeit in Niga blicken. Aber geheuer jcheint es auch 
ihın nicht geiwejen zu jein, da er bald machte, daß er von danmen 
jegelte. Im Lübe und Avignon treffen wir ihn im der Folgezeit, 
immer bereit, dem DOxden zu jchaden, den Streit zu neuen Slammen 
anzufachen. Die Oberhoheit über Niga und den Meifter ließ er jic) 
zufprechen und ruhte nicht eher, als bis Bann und Interdift gegen den 
Orden gejchleudert worden waren. Zwar fonnte er nicht behaupten, dal 
er dadırcd Erfolge erzielte, vielmehr nahm man in Livland die Ausbrüche 
päpftlichen und erzbijchöflichen Unwillens vecht fühl auf und ein hoher 
Drdensbeamter meinte gar, wenn auch der Erzbiichof vierzig Wagen 
voll Bullen nach Livland jchiefe, wolle man jich doch wenig darım 
fimmern. Dem Drden wäre e3 jchon recht, wenn jeine Gegner die 
Briefe Hätten, ev wolle dagegen behaupten, was er bejiße. 

Wenn man im Orden jo jtolze Worte jprach und auch Iprechen 
durfte, jo that man das wohl auch im Hinblick auf die Unterjtügung, 
die ihm von Seiten der übrigen Geiftlichfeit jelbft zu Teil wurde, unter 
der es jchon lange gährte, da die Bäpfte ich völlig widerrechtlich die Er- 
nenmung des Erzbiichofs angemaßt hatten, dem zu wählen doc zu den 
Kompetenzen de3 Domkapitels gehörte. Dieje Erregung wuchs, da die 
Erzbiichöfe jelbjt Faft immer außer Xande waren und dadırc allen 
Einfluß auf das Kapitel einbüßten. Schlieglich legte ji) der Hod)- 
meister Winrich von Sriprode ins Mittel und brachte im Mat 1366 
zır Danzig einen Vertrag zu Stande, der, wenn er wirklich in Kraft 
getreten wäre, der Zwietracht mit Erfolg hätte jtenern fünnen. Zwar 
machte der Livländische Meeifter ein bedeutendes Zugeftändnis, indem 
er fich bereit erklärte, von der Oberhoheit über Riga zurüdzutreten, 
fallg der Erzbifchof ein Gleiches thue, doch gewann er amdrerjeits 
durcch die Beftimmung, daß der Erzbiichof nie mehr vom Dvden irgend 
welchen Gehorjam- vder Huldigungseid, wie ihn Alberts Nach- 
folger mehr denn einmal prätendiert hatten, zu Fordern berechtigt jein 


er, 


jollte. Zudem blieb nach dem Danziger Vertrag die Bürgerichaft 
Nigas nach wie vor verpflichtet, in der durch den Sühnebrief be- 
jtimmmten Form dem Orden Kriegspienite zu leiften, wie dem auch die 
DOrdensburg in Niga im Belit des Meeiiters gelaffen wurde. 

Der Danziger Bertrag jcheint jedoch niemals in Wirklichkeit ge 
treten zu fein, denn Schon im April des folgenden Sahres verbot die 
Sturte ihn, weil er der Stieche Jchäpdlich jet, zu vollziehen. So wurde 
denn der Berjuch, die ftreitenden Barteten zu verjühnen, im Steim be 
reits vereitelt umd die Prozeptreibereien in Avignon nahmen ihren 
jpiderwärtigen Fortgang. 

Bier Jahre nah dem Einigungsverjuch jtarb Biffdujen. Erz- 
biichof Siegfried (1370— 74) wandelte die Bahnen feiner ftreitluftigen 
Vorgänger und bejchloß mit Einwilligung des Bapjts Gregor IX, 
zum höhern Ärger des Meifters die weiße Praemonftratenjertracht der 
Nigiichen Domherrn, die gar zu jehr dem Ordensmantel ähnlich ah, 
in eim jchwarzes Habit zu verwandeln. Doc teuer jollte ihm dieje 
Jenerung zu stehen fommen: als eine Nücnahme derjelben, die 
Wilhelm von Brimersheim fategorisch heiichte, nicht erfolgte, jchritt 
der Meifter zur Gewalt und Tieß unverzüglich die erzbijchöflichen 
Schlöfjer in Gewahriam nehmen. Siegfried floh zum Bapit, doch 
nur, um jehr bald darauf in Avignon das Zeitliche zu jegnen. Sein 
Sium aber jtarb nicht mit ihm, denn Johann IV von Sinten (1374—93) 
jeßte den Kampf mit gleicher Exrbitterung, wenn auch ohne größeren 
Erfolg weiter fort. Nach Livland zu kommen hütete er fich nach den 
trüben Erfahrungen jeines Vorgängers, ev betrieb jeine Sache vielmehr 
am Hofe zu Avignon, wo fein perjönliches Wort und mehr noch die 
rollenden Goldjtüce ein Zeitlang den päpftlichen Grimm gegen den 
venitenten, wieder mit dem Bann belafteten Orden zu immer neuen 
Ausbrüchen veranlaßten. Doc) der Orden war reicher, jeine Kafjen 
verftegten jchwerer und da das Wort, das der Ordensprofurator den 
Hochmeister jchrieb: „wer da hat und giebt, der behält und gewinnt“, 
bei der Kurie in hohen Ehren jtand, jo fiegte, unverwartet für Ylle, 
die den ewigen Zünfereien gefolgt waren, der Orden jchliehlich ob. 
Papjt Bonifacius IX. erließ 1394 eine jolenne Bulle, in der er dem 
Drden alle jeine Sünden vergab, diejer aber 5000 Goldgulden für 
den päpftlichen Südel beijteuerte. Damit nicht genug, beitinnmte er 
in einer zweiten Bulle, daß in Zukunft in der Nigiichen Kirche 


Serapbim, Gejchichte L. 10 


— 146 — 


niemand zum Domheren, Bropjt, Dekan oder jonit irgend welchem 
Amte aufgenommen werden jolle, der nicht vorher das Ordensgelübde 
abgelegt habe. ALS Gegengabe dafür ließ jich der in Geldjachen gut 
orientierte Bapft die Einfünfte des Erzitifts von dem Zeitraum an, da 
Sodann IV. e8 verlafjen, ausfehren, was dann das stattliche Sümmchen 
von 11500 Goldgulden ausmachte. Nun wurde der hl. Vater immer 
zärtlicher gegen den Meifter und ließ Bulle auf Bulle zu jeinen 
Sunften ausgehen. Sobald die Mehrzahl der Domherrn aus Ordens- 
brüdern bejtände, follte die Umwandlung des Stapitels in ein Ordens- 
jtift ftattfinden und dann alle das Ordensfleid tragen. Die Krönung 
des Ganzen erfolgte endlich 1397, wo der PBapjt direft bejtimmte, 
daß von nun an nur ein Ordensbruder Erzbijchof von Kiga 
jein dürfte; damit war der einftige Oberherr und langjährige Gegner 
zu eimem liede des Ordens geworden und diejer alleiniger Herr 
im Lande. 

Das Glück fügte &8, daß bereits 1393 faktifch das durch Die 
Bulle von 1397 vechtsfräftig gewordene Verhältnis eingetreten war. 
Bapjt Bonifacius hatte nämlich gleich Damals den unverjöhnlichen 
Feind des Ordens Johann von Sinten zum Patriarchen von Alerandria 
ernannt und den Nigtichen Stuhl, obgleich ein Teil des Domfapitels 
den Prinzen Dtto von Stettin, einen Stnaben, auf denjelben erhoben 
hatte, mit Johann von Wallenrode, einem Neffen des Hochmeiiters 
und ergebenen Anhänger der Ritter, bejegt, der denn auch nicht 
zögerte noch im Sahre 1393 zu Marienburg in den Orden zu treten. 

Zog man in Betracht, daß im Stift Dorpat der Orden durch 
jein Eingreifen feinen Kandidaten Theoderih) Damerow, den ehemaligen 
Seheimjchreiber Kaijer Karl IV. durchgejegt hatte, und daß im Bis- 
tum Dejel, wo der achtzigjährige Biihof Heinrich von einem feiner 
eignen Dombherrn erdrofjelt worden war (1381), die Stiftsfehde durch 
Intervention des Meisters zu gütlihem Abihlug gebradht und ein 
gleichnamiger Neffe des Hochmeifters Winrid) von Aniprode auf den 
verwaiften Stuhl erhoben wurde, jo muß man geftehen, daß durch) 
Energie, Klugheit und Glück der Kivländiiche Orden Gewaltiges erreicht 
hatte: alle Bistümer unterjtanden diveft oder indireft feinem Einfluß, 
die Harrifch-Wierifche Nitterihaft war ihm Friegspflichtig und Die 
beiden mächtigen jtädtichen Gemeinwejen, Niga und Neval, jahen in 
ihm ihren Oberherrn. 


arg 


Sollten wirklich jolhe Erfolge ohne einen erniten Waffengang 
mit den zahlreichen Gegnern dem Meifter zu Teil werden? Mit 
nichten, in verzweifelten Anfturm verjuchten vielmehr die Feinde Des 
Ordens ihm in zwölfter Stunde das Errumgene zu entreißen. Es 
war Theoderich Damerow, der an die Spite all diejer Machenschaften 
trat, der die dörptiichen VBajallen jowohl, wie eine Anzahl erzittftiicher 
Gejchlechter, den Herzog von Mecklenburg, ja jelbit die wilden See- 
räuberjchaaren, die unter dem Namen der Bitalienbrüder!) jeit Jahren 
die Oftfee unsicher machten, gegen den Orden mobil zu machen wußte. 
Selbit an König Nichard II von England hat der jeindjelige Brälat 
gedacht, mit den NAufjen und Littanern hochverräterische Berbindung 
gejchlofjen. 

Eine ungeheure Gefahr zog fich aljo zujammen, aber mit jtarfem 
Arm warf auch diesmal der Orden die Gegner zu Boden. sm 
Sebruar 1396 jagte er Damerow und feinen Helfershelfern Fehde an, 
trennte durch gejchiefte Verhandlungen den Großfüriten von Littauen 
vom Dorpater Bündnis ab und drang — der Meilter und der Erz- 
bifchof befanden fich beide beim Heer —, in der Flanfe durch die 
harrijch-wierische Nitterjchaft und Neval gejchügt, mit Ungejtüm in 
das Dörptiiche ein. Theoderich Damerow, der einjehen mußte, daß 
weiterer Widerjtand unmöglih war, fnüpfte jchweren Herzens Ber- 
handlungen mit dem ftegreichen Gegner an und diejer baute dem Be- 
fiegten goldne Brücden: gegen die Anerkennung Wallenrodes und der 
päpstlichen Bullen wurde Bergeben und Bergejien ausgejprochen, ja 
der Orden machte das jehr bedeutungsvolle Zugeltändnis, daß von 
nun an die Untertganen geiftlicher Stifter von ihm nicht mehr eigen- 
mächtig zum Kriegsdienft zu verwenden feien. Auf einer Yujammen- 
funft zu Danzig (Suli 1397) wurde die Einigung feierlich bekräftigt 
und der Dorpater Strieg beendet. 

Aber Damerow vermochte fie) in die neuen Zuftände nicht zu 
finden und mußte nach mancherlet Zviichenfällen im „Sahre 1400 
refignieren. In Niga ift er wahricheinfih bald darauf gejtorben, 
troß feiner weißen Haare bis zuleßt ein ıumruhiger Feuerfopf, der 
fanatische Verfechter einer Soee, die feine Zukunft mehr hatte. 

I) Vitalienbrüder hießen fie, weil jie bei den Prätendentenkriege um die 
jhwedifche Krone im Auftrage der einen Partei Stodholm mit „Biktwalten“ 
verprodiantierten. — 

10 * 


By 


Schon aber bereiteten fich außerhalb Livfands Ereignifje vor, Die 
ritchwirfend die Stellung des Ordens in unferer Heimat jchwächen und 
wefentlich andere VBerhältnifje zeitigen jollten. Im Littauen und Polen 
erivuchjen dem preußischen, in Nußland dem Livländiichen Drden 
furchtbare Feinde, im Ningen mit denen fie beide allmählıd), dort 
rascher als bier, verbluten jollten. 

Bevor wir diefe Dinge ins Auge fafjen, jcheint es an der Yeit, 
die Staatlichen Berhältnifje, wie fie fich jeit dem Eintritt der Brüder 
vom Deutjchen Haufe im Livland entwicelt, uns in den Grundzügen 
darzulegen. 


1. Kapitel, 


Innere Hlaatliche und Ioztale Ausaeltaltunn. 


Es war, wohin immer man blickte, 
ein Emporfireben der materiellen und 
geiltigen Kräfte des Nandes, dem ex je- 
dorh, vielleicht zu feinen Beil, nie ver- 
gönnt war, [ih in Ruhe der Früchte 
feiner Arbeit zu freu’n.‘* 

Ih. Sıhyiemann, TWivl. Geld. 

Die Formen, die der Schwertbrüderorden ti der furzen Heit 
jeines Bejtehens ausgebildet hatte, wurden von Deutjchen Orden, als 
er nach Livland fam, im wejentlichen beibehalten und im Yauf der 
Zeit ausgeftaltet. Wenn wir auch über viele Einzelheiten, namentlic) 
der Landesverwaltung äußert dürftig unterrichtet Tind, jo lafjen ich 
die Grumdzüge des Negiments doch wohl erfennen'). 

Ar der Spige des livländiichen Yiweiges jtanden von 1237 au 
bejondere Ordensmeister, auch Yandmeiiter oder Herrmeiter genannt. 
shre Wahl wurde bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts fajt aus- 
nahınslos auf dem Ovdensfapitel auf der Marienburg, allo tr Preußen, 
unter Borfib des Hochmeilters vollzogen, bis, bet dem Niedergang des 
Drvens in Preußen, jeit 1413 die Wahl im Livland vorgenommen 
wurde, hierbei (wenigjtens jeit 1424) zwei Kandidaten erforen md 
dem Hochmeister zur Beftätigung vorgeltellt wurden. ( 1470°). 
Die Landmeifter wurden zwar auf Lebenszeit gewählt, aber oft haben 
fie, müde der großen Verantwortung und Anftrengung, nach einiger 
Zeit bereits vreligniert und ind nach Preußen gegangen oder haben 
lich, wie Eberhard von Munbeim, auf einen der durch ganz Deutjch- 
land zerjtreuten Orvdenshäufer auf den Altenteil zuricgezogen. Bis 
werlen treten fie, wie das bei Burchard von Dreyenleiven der Fall it, 

I) cf. den Schluß des 6. Kapitels. 


®) PH. Schwarg: Über die Wahlen der livl. Ordensmeifter. Mitteilungen 
XII. pag. 453—468, 


— 150 — 


auch wieder in Ordensgejchäften in Livland auf. Die Machtvollfommen- 
heit des Livländischen Meifters war im wejentlichen viejelbe, Die dem 
Hochmeifter in Preußen zuftand'). Wie diefer war auch er an das 
Stapitel, d. hd. die Verfammlung der vornehmften Ordensgebietiger ge- 
bunden, mit denen er Fragen der auswärtigen Bolitif, des Gerichts 
und Der Verwaltung beriet und entjchted. Gleich dem Hochmeilter war 
auch er der Stontrolle der Brüder unterworfen und unterlag jelbjt der 
Abjegung.  Sapen die Brüder über den Hochmeilter zu Gericht, jo 
mußte ev nebjt jeinen vornehmften Gebietigern nach der Marienburg 
aufbrechen und gemeinjam mit dem Deutjchmetster, dem die im Reich) 
liegenden Stomthureien und Schlöffer unterjtanden, die Unterfuchung 
führen. Seine Nefidenz wurde jchon Früh das mächtige Ordensjchloß 
zu Menden. 

Anßerlich umterjchied Tich der lwländische Meifter kaum von den 
andern Brüdern, er trug fein anderes Gewand, als die andern Ritter: 
der tonventsmantel (pallium), der die allgemeine Stleivdung bildete, war 
ohne Kragen und Armel und reichte bis an die Knöchel herab. Er 
war gewöhnlich aus einfachen Stoff, evjt Später wırde ev mit Pelz- 
werk verbrämt und aus fojtbarem Zeug hergeitellt. Das jchiwarze 
Kreuz wide zur Schulter zu auf der linfen Ceite der DBruft ge- 
tragen. Dben wırde der Mantel durch eine jeivene Schnur zujammen- 
gehalten, die bei den Meiftern wohl von roter ‚zarbe war. Das 
Haupt bedecte eine Art Barett, meift von braumer Jarbe. in anderes 
$tleid war der Negenmantel, der fiirzer getragen wurde und mit einer 
Kapuze (Gogel) verbunden war. Nur der Hochmeifter bediente jich 
bei feierlichen Anläffen auf Waffenroe und Schild ftatt des einfachen 
Kreuzes, des jogenannten Hochmeifterfrenzes, das aus dem goldnen 
Steitefenfreuz (Strenz von Serifalem) und dem jchwarzen DOrdensfreuz 
mit aufgelegtem Adlerichtlde bejtand. 

Als Zeichen ihrer Winde trugen der Hochmetiter und die beiden 
Landmeifter von Livland und Deutjchland emmen goldnen mit einem 
Stein geichmitcten Fingerring. 

War mn der Meter in Livlarıd Beffinne jo mußte feine Sn- 
vejtitur durch den Hochmeister erfolgen. Es jeheint üblich gewejen zu 
jein, dab Die nach der Marienburg deshalb entjandten Gebietiger nicht 


It) cf. auch Nichter. Gejich. der Ditjeeprov. 2c. I 230 ff. 


nur der hochmeilterlichen Kanzlei VBerehrungen machten, jondern dem 
Hochmeister jelbjt Gejchenfe darbrachten, jo namentlich einige jchöne 
Hengfte, Foitbare Gewänder ir. d. Ähnliches. Später, im 15. Sahr 
hundert häufen jJich die Stlagen über Bejtechlichfeitt der Hochmeifter, 
die für die Beftätigung des Kandidaten fich enorme Summen zahlen 
ließen. War der Hochmeiiter willens, die Snveititur zu vollziehen, jo 
überjandte er dem Erwählten als Smvejtituriniignien den Mantel, das 
Barett und den Fingerring „alles ungefähr um 30—40 Gulden wert“, 
wie eine gelegentliche Quelle uns verrät. Sm frühern Zeiten gehörte 
auch das Meifterfiegel zu den Inftgnien, im 16. Sahrhundert ift das 
„suegel von Livland“ dagegen völlig verichwunden!). 

Unter den Gebietigern Itand der Ordensmarjchall in Preußen wie 
in Livland als nächiter neben dem Meifter. Er war jein Stellver 
treter im Sriege, jorgte für die Ausrüftung des Heeres, der Burgen 
und hatte einige fefte Häufer nebjt ihren Einfünften unter fich. 

Den größern Ordensburgen, die mit der fortichreitenden Eroberung 
des Landes allmählich, jet es als Zentrum eines Bezirks zur Ver- 
waltung, jei es als Grenzfefte gegen die Nufjen oder Littauer, empor- 
wuchjen und denen regelmäßig ein Landesdiftrift zugeteilt wurde, waren 
Stomthure vorgejeßt, den Eleinern Bögte. Auch jte wurden wiederum 
von ihren Hausfaptteln umgeben, deren Größe bis zu fiebzig Nitter 
angegeben wird, aber bisweilen nur jechs, acht oder zehn Nitter betrug. 
Bon Komthuren werden in Livland folgende genannt: von Wenden, 
Segewold, Alcheraden, Niga, Dimaburg, Dünaminde, Goldingen, 
Windau, Doblen, Ditau, Marienburg, Fellin, Bernau, Leal und Neval. 
Bögte jagen zu Sonneburg (auf Deel), zu Serwen, (wohl auch Kom- 
thure zu Weifjenitein genannt), zu Wejenberg, Karkus, Narıva, Neu- 
Ichloß, Oberpablen, NRofitten, Selburg, Kandau, Grobin, Durben und 
Bausfe. Zeitweilig fommten ferner Bögte zu Boide, Saffala, Tols 
burg, Tucum und Zabeln, ein tomthur zu Talthof und ein anderer zu 
Adfel vor?). 

Sroßes hat der Orden im Preußenlande wie im unferer Heimat 
geleiftet und mit Freude wird umjer Auge immer auf jenen Tagen 

ı) 9. Baron Bruining. Die Inveftiturinjignien 2. Gibungsber. 
vd. WU. G. pag. 23ff. 

2) cf. 2. Urbujow. Zur Komthurei Adjel. Sikungsberichter d. Altertums- 
forjchenden Gejellichaft 1893. 


weilen, da in feuriger Begeisterung und chriftlichem Entgufiasmus die 
Nitter ihr Schwert gegen die Heiden zogen und in entjaqungsreichem 
Veben mur Gott umd Der hl. Sungfran zu Ehren jtritten, Steanfe 
pflegten und ich jelbit Fafteiten. Mönche und Krieger in einer Berjon 
jtrebten fie nach einem hohen Ziel und wurden ihm eine Zeitlang ge= 
vecht. Doch nur eime Zeitlang, denn es liegt in der menschlichen 
atır begründet, daß Speale, wie fie den mönchtichen Nitterorden vor- 
\chwebten, nur eine furze Spanne Zeit, jolange die braujende Sugend- 
begeifterung nicht gedämpft und verflüchtigt ijt, in voller Neinheit 
beitehen künnen. Sm Laufe der Jeit müffen neue, zeitgemäßere speen 
an ihre Stelle treten, oder aber jene vom Sem zum Schein werden. 
Und lebteres trat leider ein. Mancherlet wirkte zujammen, um jchon 
gegen Ende des 13. Jahrhunderts arge Schäden zu zeitigen. Der 
Orden wide frih aus einem nur zu Gottes Ehre Ttreitenvden zu einem 
politischen, Staatlichen Faktor, Ehriucht, Intriguen, Sucht nad) Reichtum 
zogen damit in ihn em umd untergruben die frühere Integrität. Dazı 
fan ein Zweites: die Erneuerung des Ordens vollzog fich bei dem 
Goelibat feiner Glieder nur durch Zuzug vom Auslande her und bald 
war es ausschließlich der Adel Norddeutjchlands, der feine Söhne 
nach Preußen md Livland jandte. Doch verichwunden war bet diejen 
das religiöje Feuer früherer Tage, jehr weltliche Momente traten 
früh hervor, ja man jah Livland jchlechtweg als VBerforgungsanitalt 
der jüngeren Söhne der edlen Gejchlechtev an und ließ den Selbjtzwed 
des Ordens immer mehr zurücktreten. Land, Reichtum hieß die Barole 
und gleichgiltig blickte man auf die Deittel, wenn man dem Ziel nur näher 
fan. Daher die Unterdricung der Yandbevölferung, daher die erflufive 
Abjchliegung gegenüber dem Bürger, daher das jo unpolitiiche Borgehen 
gegen Die Bajallen, Die man oft wenig chonte, jo jehr man ihrer auch be- 
durfte. Als vollends von Nom aus, um den eine Zeitlang Itocenden Zu= 
zug zum Dvden zu heben, die unfelige Bejtimmung exlajfen wurde, daß 
Berjonen, die dem Banne verfallen waren oder jonjt arger Vergehen an- 
geichuldigt waren, durch den Eintritt in die Schar der Brüder als ge- 
veinigt anzujehen jeien, famen zu den „Abonnenten der Berpflegungsanitalt 
des deutjchen Adels“ ") höchit unlautere Elemente, die den fittlichen Verfall 
noch mehr bejchleunigten. Zu diefen gejellte fich der friegeriiche. Seitdem 


!) Schirren. Vorträge. 


die Eroberung des Landes vollendet und wm die Mitte des 14. Jahr- 
hunderts die lebte große Empörung nievergeichlagen worden war, blieben 
nur Die Reifen ins Littauerland und die Grenzfehden gegen die Nuffen 
zur Dethätigung milttärticher Tapferkeit, Doch auch Tie wurden immer 
imhaltslojer und beginftigten alfo den an andrer Stelle noc) zu beiprechen- 
den Prozeß, daß an Stelle der Nitterheere Söldnertruppen auffamen. 

Ein ausgebreiteter Handel, an dem der Orden wohl auch in 
Livland bedeutenden Anteil nahm, that das Seinige, um Üppigfeit 
und unfriegerisches Wejen zu fteigern und Zuftände von jo greller 
Dilfonanz hevvorzubringen, daß wir Fajt Staunen, wie der rückfichtslofe, 
taatsmänniiche Geift, der trogdem im Oxden fortlebte und ihn zum 
Herrn des Landes machte und machen mußte, fich mit ihnen vertragen 
forte. Doch das Geheimmis feiter Organtjatton und einzelner tüchtiger 
Männer bewährte jtch auch hier. Ja jelbjt die großartige IThätigfeit, 
die der Orden als Kaufmann entfaltete, nötigt uns, jo wenig Fromm 
und mit den uriprünglichen Stelen übeveinjtinmend fte auch war, doc) 
tebhafte Anerkennung ab). Außer der Hanfa hat feine Genofjenjchaft 
\o thatfräftig merfantile Sutereffen verfolgt, wie der Orden, der jchon 
zu Begtmm des 14. Jahrhunderts darauf emfig bedacht war, wie er 
Bernftein und die anderen als Abgaben ihm zufließenden Naturalien 
finanztell verwerten konnte. Selbjt vor einer Urkundenfälichung jcheuten 
die Brüder nicht zuriick, imden fie eine päpftliche Bulle Alerander IV. 
erfanden, durch Die ihnen im Gegenfag zu direften Verboten Bapft 
Urban IV. der Handel gejtattet wurde. Die Müttelpunfte des Handels 
waren Die Handelsämter zu Martenburg und Königsberg, denen be- 
jondere Beantte, die Großichäffer, voritanden, Die ihrerjeits der Auf- 
ficht des Großfomthurs, des DOxvenstrefilers (Schaßmetfters) und des 
Dbermarichalls unteritanden. shre vechte Hand waren die jogenannten 
Lieger, d. d. entiweder von den Schäffern in fremde Handelspläge ent 
andte Bevollmächtigte oder aber Seichäftsfreunde, die an ihrem Wohn 
ort dem Orden als faufmänntche Vertreter dienten. Solche Lieger 
unterhielt die Großichäfferet Marienberg in Danzig, Ihorn, Elbing, 
slandern, Schottland und England. Bis hinunter nach Liljaboı, 
von Do aus der Orden auf eigenen SNauffahrern Weine und Salz 

ı) Handelsrehnungen des deutjchen Ordens ed. Sattler. Referat von 
&. Mettig. cf. Siyungsberichte d, W. &, 1890, pag. 7, 


Be 


verfrachtete, und Weltfranfreich gingen die Handelsbeziehungen Marien- 
burgs, defien Verkehr mit Dänemark, Schweden, Norwegen und Liv 
land dagegen jehr gering gewejen zu Jen jcheint. Nur Belzwerk, etwa 
Hermelin, Fiche, jo furische Hechte, evicheinen unter den Livländijchen 
Ssnportartifeln Diefer Schäfferer. Außerordentlich entivicelt war dafür 
der Binnenhandel nach) Majovien und Bolen. Bedeutender noc) als 
die fommerziellen Faden, die von Marienburg ausgingen, waren die in 
der Hönigsberger Großichäfferer zufammenlaufenden, da dieje über einen 
Srportartifel verfügte, der einzigartig und böchit gejucht war, — den 
Bernftein, dejien Hauptmärkte Yirbeef und Brügge waren. Die Königs 
berger Lieger hatten denn auch hier ihren Standort, ferner in Danzig, 
Ihorn, Elbing und Livland; hierher exportierte man flamtiches Salz, 
Weine u. A., jedoch jcheint der Handel auch von Königsberg aus zu uns 
niemals jehr große Dimensionen angenommen zu haben, da einmal Liv 
(and überhaupt weientlich als Zwischenland zwischen Preußen und Ruf; 
land in Betracht fan, zum andern der Haupthandel vuffiicher und 
iwländischer Produkte im den Händen der Hanjajtädte lag, die Dem 
fonfurrirenden Orden äufßerit jcheel zujchauten und ihm jerne Wege zu 
freuzen juchten, wo es nur anging. Es wäre daher jehr falich, aus 
der Ihatjache, daß in den Nechmungen des Ordens vom Ende des 
14. biS im die dreißiger Sabre des 15. Sahrhunderts Livland mur 
etwa fünfundreißig Mal erwähnt wird, zu jchliegen, daß der Liv- 
ländische Handel gering gewejen wäre — durch den Handel allein it 
doc) das Städtewejen bei uns emporgefommen und reich geworden! 

Der großartige Handel, der von den beiden Großichäffereten aus- 
ging und dem Orden gewaltiges Geld einbrachte, nahm mit dem noc) 
zu berührenden politifchen Niedergang des Ordens, der Durch Die 
polnisch-Littauische Macht überflügelt wurde umd fich auch militärtch 
nicht zu behaupten vermochte, gleichfalls eine abwärtsgehende Tendenz 
an; bald janf der friihere Neichtum vapid, jo daß in Den Tagen der 
ot dem politischen der finanzielle Nuim zur Seite jtand. 

Aber jelbjt in der Zeit hoher Blüte vermochte der Handel ven 
Drden wohl veich zu machen, nicht aber fittlich zu heben. Gewiß hat 
8 zu allen Tagen feinesiweges an fittlich integren Charakteren im 
Drven gefehlt, ja wir fünnen «3 verfolgen, wie von mehreren Meeiftern 
energische "Berfuche dem Übel zu steuern unternommen worden find. 
Leider ohne Erfolg. Der Hochmeister Gottfried von Hohenlohe fand 


— 15 — 


hierbei jo heftige Oppofition, daß er 1302 vom Amte abtrat, und der 
Hochmeilter Werner von Orjeln, dem wir eine Julammenfafjung der 
Statuten verdanfen, wurde 1330 von einem Bruder, dejen Lebens- 
wandel er mit Necht gerügt, ermordet. Auch aus Yivland find böje 
Dinge auf uns gefommen: Wurde doch, wie bereits früher erwähnt, 
1322 dem vom Hochmeister ernannten Metfter Sodann von Hohen- 
horjt die Anerkennung deshalb verweigert, weil er fich gemeinen Dieb- 
jtahls jchuldig gemacht und 360 Mark Ordensgeld unterichlagen hatte. 
Wir werden jehen, daß im 15. Jahrhundert Ddiefe Entwicklung Tich 
immer weiter auf abjcehüffiger Bahn vollzog — bis endlich im 16. 
Sahrgundert dev Bankrott aller Welt in erichitternder Were Elar werden 
jollte. — 

Selbit die Gerichtshoheit des Ordens war feineswegs eme un 
angefochtene, da die Prälaten, die Nitterichaften, jelbit die Städte 
immer toieder fich gegen fie auflehnten. Stlagen an den Statferhof werden 
gewiß häufig vorgefommen fern, häufiger als uns überliefert it, und 
die Nechtsunficherheit, die je länger je mehr im Neich, wie in Preußen 
und Livland eimviß, gab auch dem Gericht der heiligem Fehme, jenem 
„ehrivürdigen, altgermanischen Nechtsinftitut mit öffentlichem Nechts- 
verfahren, aber mit geheimer Urteilsfällung und Bollitrecung“ Ge- 
(egenheit feine Macht bei uns zu beweisen, jo heftig auch der Hoch)- 
meilter dagegen demonstrieren und die Hilfe des WBapjtes anrufen 
mochte. Die Unpanrteilichfeit der Fehngerichte hob ich Doch gar zu 
ehr von der Langivierigfeit und Anfechtbarfeit meiterlicher Urteile 
ab, als daß nicht jelbjt der Nat der Stadt Riga fich willig den 
Ladungen gefügt hätte. Aus der zweiten Hälfte des 15. Sahrhunderts 
find ung einige Brozefje erhalten, derentwegen der Nigtiche Nat feinen 
Diener wiederholentlich nach Weitfalen jandte, und 1471 erteilte Der 
reigraf Hugo von Defterwic dem Nat der Stadt, indem er divekt 
in einen heimischen Nechtsitreit eingriff, eine ftrenge Berwarmung !). 
Sp wenig abgerundet md gefeitet zeigte fich, Selbjt in guten Heiten, 
Die Herrichaft des Drpdens. 

Die Macht aber, mit der die Brüder das ganze Kwländiiche Mittel 
alter hindurch im exbittertem Stampfe lagen, waren die Prälaten, m 

1) E. Mettig: Die Fehme in Beziehung auf Livland, Situngsber, 
d. W. ©. pag. 32 ff. und 56 ff. 


Fir 


eriter Neihe der Erzbischof von Niga, deren Bedeutung zum Teil auf 
ihren reichen, durch fromme Stiftungen und Schenkungen fich erheblich 
erweiternden Pfriinden und Gütern berubte, im Wejentlichen aber von 
der Bereitivilligfeit ihrer Balallen abbing. Denn da der Erzbifchof mit 
jeinem Domkapitel, namentlich \päter, in ewigen Zevivirfnifien lebte, To 
fan alles darauf an, vote willfährig diejenigen, Die ihre Güter vom Prä- 
laten zu Zehen trugen, Sich eviwiejen. Natürlich muBte jeder Dienst durch 
neue Vorrechte und Gnaden belohnt werden, jodaß die Stellung der VBa- 
lallen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt Fich mehr Feitigte und je Schließlich 
zu der allein bejtimmenden Gewalt in den Stiftern wurden. Namentlic) 
auf Dejel waren die Stiftsvalallen wilde, gewaltthätige Gejellen, die 
vertenfelt wenig Nejpeft vor ihrem geistlichen Herrn, der zugleich ihr 
weltliches Haupt war, hatten. Anders Stand es im Stift Kurland, 
das von Beginn an dem Einfluß des Ordens unterlag umd den 
Vehensleuten wenig Selbitändigfeit gewährte, wie denmm in den eigent- 
lichen Dvdenslanden die Balallen, da der Oxden jelbjt das Schwert 
führte und jenen feine Konzefftonen zu machen brauchte, garnichts zu 
bedeuten hatten. Im den bischöflichen Stiftern dagegen bewährte fich 
auch in Yivfand das alte Wort, daß unter dem SKrummiftab gut 
wohnen ei, große Yänderftreden kamen hier ganz in die Hände weniger, 
einflußreicher gamtlien, der Tiefenhaufen, Uerfüll, Ungern, Nojen u. A. 
n., deren gewwichtiges Wort bei den Fehden ziwilchen Orden, Prälaten 
und Niga oft genug schwer in die Wagichale fiel. 

Die Form, unter der die Belehrung geichab, war der tm Neich 
itbfichen Sehr ähnlich, ja gewiß gleich. in überliefertes Betipiel aus 
dem Ende des 14. Jahrhunderts beweilt das: der Betreffende legte 
Mantel, Gürtel und Meefler ab, fniete vor dem Erzbiichof nieder, 
unterwart ich mit Leib und Leben feiner Gnade und bat, indem er 
die gefalteten Hände demiütig emporhob, ihn in Gmaden aufzunehmen. 
Der Erzbiichof hob hierauf den vor ihm Siuieenden auf md reichte 
ihm den Mıumd zum Suife als Zeichen der Belehnung. Yun hob der 
Belehnte die Schwurhand empor und leistete Den Lehnseid „einem 
Herrn jo treu md Hold zur fein, als eim Mean gegen jeinen Serra 
jein joll.“ 

Durch die Belehmung trat der Bafall num nicht nur jeinem Here, 
Vondern auch feinem Hinterjaffen gegenüber, der auf dem im vom 
Biichof verlichenen Lande wohnte, in ein bejtimmtes Verhältnis: Der 


— 157 — 


jonjt der Stieche zu leiftende Zehnte, die Abgabe des Zinjes und Die 
Gerichtsbarfeit ruhten von mm an in jeiner Hand, waren ihm mit 
verlehnt, während er jelbit jich vornehmlich zur Hoffahrt und Heeres- 
folge verpflichtete. 

Unter den Bajallen vagte durch feite forporative Gliederung, aus= 
geiprochenes Standesbewußtjein und damit zujammenhängende polittiche 
Machtjtellung, die harrisch-wierische Nitterichaft hervor. Wie fie dazu 
gelangt ift, muß bier in großen Umrifien wenigjtens erzählt werden). 

Eitland wurde früh Ddäntjcher Befis, aber es war mie eine 
däntjche Stolonte im eigentlichen Sinn, denn die Bajallen auf dem 
Lande und die Burgen in Neval waren von Beginn an wejentlich, ja 
faft ausjchlieglich Deutjche. War dadurch bereits ein gewiljer Gegen- 
ja zwijchen Herrjcher und Beherrichten gejchaffen, jo trug andrerjeits 
die Entfernung Dänemarks viel dazu bei die Selbjtändigfeit der ejtlän 
diichen Bajallen zu fräftigen und ihnen dem föniglichen Statthalter 
gegenüber, der von Nevaler Schloß aus über das Herzogtum gebieten 
jollte, eine faft unabhängige Pofition zu verleihen. Eben deshalb be 
hagte den VBajallen die Zugehörigkeit zu Dänemark überaus, Ddejjen 
Viedergang nach Waldemar II. Tode für fie den Ausbau ihrer Kor 
poration bedeutete. Schon 1259, zwei Sahrzehnte nach dem Stenbyer 
Bertrag, bilden die ejtländischen Bajallen eine geichlofjene Körperichaft, 
die zujammentritt, um Bejchlüffe zu fafien, und durch die Anteilnahme 
des füniglichen Hauptmanns förmlich janftiontert erjcheint. Auch der 
König erfannte fie in eimer Urkunde als SKtorporation an?) und Für 
derte dadurch die neue Bereinigung, die im der zweiten Nälfte des 
13. Sahrhunderts jogar ein eignes Siegel führte. 

Um diejelbe Zeit kommt auch ein Yandesrat auf, dejfen Meitglieder 
vom Könige aus der Zahl der Bajallen ernannt wurden umd den 
uriprünglich wejentlich eine richterliche IThätigfeit zuftand. Er war 
die zweite inappellabele Snjtanz und bedeutete ficherlich „Für die Nitter- 
Ichaft einen hohen Gewinn, fir den König eine jtarke Meinderung 
jeiner landesherrlichen Nechte*.  ITrogdem der Hauptmann  Diejen 
Stollegtum präfidierte, jo entivicelte Tich aus demjelben jehr bald eine, 
wenn auch nicht formelle, jo doch thatjächliche Vertretung der Ritter 


2 
I 


1) Y. von Gernet. 1. ce. pag. : 
?) „communitas.“ 


\chaft gegenüber der dänischen Negierung. Denn es lag nahe, dal; 
die Glieder des Kollegiums, gejtügt auf die Hinter ihnen stehende eit 
ländische Nitterichaft, Die ihrerjeits durch Geblüt und Interefiengemein 
chaft einen Starken Niückhalt an Livland hatte, den Hauptmann auch) 
in andern als vichterlichen Angelegenheiten berieten und beeinflußten, 
ohne dal Tich beiondere verfaflungsmäßige Formen dafiir auszubilden 
gebraucht hätten. 

Wie mächtig die forporative Gliederung der Eitländer zu Beginn 
des 14. Jahrhunderts bereits war, beweilt das oben jchon berührte Dor- 
pater Schugbiimdnis von 1304 mit dem Orden und den Brälaten, Kapiteln 
und Bajallen von Dejel md Dorpat, durch das die harriich-wierische 
Nitterichaft ich offen und mit Erfolg gegen die VBerfuche Stüönig 
Erich VII, das Herzogtum Eftland feinem Bruder Chriftof zu ver- 
geben, auflehnte. 

Ein Sahrzehnt jpäter — etwa 1315 — fonnten die eftländtichen 
Bajallen einen neuen Erfolg verzeichnen: König Erich VII. verlieh ihnen 
feterlich das jogenannte Waldemar-Erichiche Lehnvecht, die Haupturkunde 
der Ioländischen Nechtsgeichichte. „Es tjt Diejes eine Aufzeichnung 
derjenigen Grundlagen des Lehnvechts, welche zu jener Zeit in Nord- 
deutichland giltig und in Übung waren, daher den von Waldemar II. 
und jenen Nachfolgern in Ejtland vorgenommenen Belehnungen deut- 
cher Balallen zur Nichtiehnur und Grundlage dienten.“ 

Auch in den folgenden Jahren läßt jich Ddiejelbe Entwicelung 
deutlich nachwetien: veriprach doch der König Ehriftof II. fürmlich, day 
weder er, noch jeine Nachfolger Eitland jemals veräußern wide und 
erweiterte doch derjelbe jchwache Wionarch das Erbrecht auf Lehns- 
güter, das bisher auf die männlichen Familienglieder beichränft war, 
zu Gunsten des weiblichen Gejchlechts. Doch alle dieje Konzeifionen 
verjchlimmerten die Ohnmacht des Statthalters, ohne die Begehrlichkeit 
der Bajallen zu befriedigen und furz vor dem großen Eijtenaufftand 
finden wir die LYehnsleute in offer Nebellton gegen den Hauptmann. 

Der „Harriiche Mord“ vernichtete auch den Schein dänischen 
Negiments, der Hauptmann wird völlig bei Seite geichoben, die Ritter- 
Ihaft, allein vertreten durch den Landesrat, leitet die Verhandlungen 
mit Burchard von Dreyenlewen, Goswin von Herife und dem Vogt 
von Abo. Als die Gefahr durch das kraftvolle Eingreifen des Meijters 
bejchtvoren üt, schlägt die Stimmung in Ejtland freilich schnell um 


Fr 


und gar zu gern hätte die NRitterjchaft die bequeme däntiche Herrichaft 
itatt der des Ordens wieder aufgerichtet gejehen — wir haben an 
anderer Stelle gejehen, daß das Träume waren, die nie verwirklicht 
werden konnten: Die harriich-wierische Nitterjchaft mußte fich, willig 
oder nicht, in die veränderte Lage finden und auf geraume Yeit Die 
früher eingenommene Stellung mit einer weit bejcheidenern vertaujchen 
und fich zur Heeresfolge nicht nur theoretiich, Jondern auch praktisch 
bequemen: Alles Land zwischen arowa und Dina jollen die Ritter 
gehalten jein, mit zu verteidigen; auch über die Dina nach Süden ins 
Littanerland oder gegen die Nuffen fann der Meifter jte aufbieten, 
wenn ev ihnen die Unkosten eviegt; auch jollen die Bajallen gehalten 
jein, auf eigene Kojten dem Meifter alljährlich eme fleine jtehende 
Truppe auszurüsten — jo beitimmt ein Statut des Hochmeifters im 
Wat 1350. 

Bon größtem Interefle it auch der Gang, den die Entiviclung 
des Erbrechts damals nahm, erweiterte Dderjelbe doch die Macht der 
Nitterichaft auf diejen Gebiet nicht nur, jondern vüchwirfend überhaupt 
um em Bedeutendes umd Jchuf Damit Zuftände, die für die übrigen 
Balallenjchaften vorbildlich wurden. Yur die Hauptmomente können 
hier hervorgehoben werden: Früh läßt fie) das Beftreben nad) Er- 
weiterung des Erbrechts nachweien. Schon das Waldemar-Erichiche 
Lehnvecht fam diefem entgegen und führte auch bei uns das in Deutjch- 
land längjt befannte Suftitut der „amenden hannd“, der „Sefamthand“ 
ei. Diejelbe bejtand „im gemeinjamen Bejig ererbten, doch un 
geteilt verbleibenden Gutes: ging ein Balall mit Tode ab, jo unter- 
liegen jeine Erben die reale Teilung feiner Immobilien; es 
brauchte nur ein Erbe, der danıı die Gejfamtheit jeiner Mliterben 
repräfentierte, vom Könige belehnt zu werden und beim Tode eines 
jeden Gejamthändlers vererbte ich, falls er feine Söhne hinterlieh, fein 
ideeler Anteil an dem gemeimjam bejejfenen Gut auf die iibrigen mit 
ihm in der Gejamthand Sitenden, nicht aber auf die bereits früher 
Abgeteilten“. 

Es 1jt Klar, daß durch diejes Inititut auch die Seitenverwandt 
Ihaft zur Erbjchaft herangezogen und der Heimfall eines Lehngutes 
erheblich erichwert, das interefje des Gejchlechts an demfelben aber 
nicht unbedeutend erhöht wurde. Durch Erweiterung und Hevan 
ziehung auch entfernter Verwandte, vor allem aber durch die Erb- 


—ı 160 — 


berechtigung der Töchter, wie fie das jchon erwähnte Privileg Ehri- 
ftof II. von 1329 fejtjegt, gelangte man allmählich zum jogenannten 
„Snadenrecht“. Wer wollte zweifeln, daß Ddurd) Ddiejes Necht der 
Heimfall von Lehngütern jo gut wie unmöglich) gemacht, andrerjeits 
das Gefühl der Zufammengehörigfeit der Gejchlechter intenfiv gehoben 
wide! 

Jicht aus freien Stücen hat der Orden fich der harrisch-wiertichen 
Nitterjchaft gegenüber zu jolchen Zugejtänpnifjen bereit finden Lajien, 
nur unter dem Druck des von Damerorw angezettelten Dorpater Strieges 
hat er in die Erteilung des Önadenrechts gewilligt: am 13. Sultl 1397 
gab der Hochmeifter Konrad von Jungingen den Rittern und nechten in 
Harrien und Wierland eine Urkunde, durch welche die frühern Privi- 
fegien fonfirmiert und das neue Necht gewährleiftet wurde — Die 
„Sungingenjche Gnade“: Bon mun an vererbte ji (alles gut, beide 
fegende grunnt md varende habe) mac) gemeinjamen Normen in 
männlicher und weiblicher Linie. 

Das, was die Ejtländer erreicht hatten, mußte die andern Va- 
jallen zur Nacheiferung anjpornen und jte haben denn auch nicht ge- 
ruht, bis fie ihren Herim diejelben Nechte abgerungen haben. Um die 
Mitte des folgenden Sahrhunderts mußte Biichof Bartholomäus dem 
Dörptiichen Stiftsadel, der Bilchof von Dejel feinen VBajallen und 
1457 der Erzbifchof Sylvefter Stodewöjcher jeiner Nitterichaft zu Willen 
jein: „Sylvefters Gnade“ Ichnt fih eng an die Sungingenjche Vorlage. 

Sm jelben Sahre, in dem Jungingen den Harrijch- Wiertichen 
jein berühmtes Privileg erteilte, fand der im vorigen Kapitel be- 
iprochene Dorpater Krieg durch den Vertrag zu Danzig jein Enpe. 
Auch Hier hatte dev Orden einen Schritt zurück thun müfjen, der jeine 
Macht jchtwächte, mit der Entwicklung des Erbrechts aber Hand in 
Hand ging. Es lag nahe, daß mit dem Augenblid, wo ein Lehngut 
auch in weiblichen Befiß übergehen konnte, die Hauptpflicht des Ba- 
jallen, die perjönliche Heeresfolge, aufhörte und damit der ganzen 
Zandverteidigung die bisherige Grundlage entzogen wurde. Smmmer 
mehr und mehr mußte das perjönliche Aufgebot der Vajallen in den 
Hintergrund treten und das Söldnerwejen, dejjen Anjäge bereits Die 
Urkunde Heinrich Dujemers von 1350 erfennen läßt, die Entjchetvung 
geben. „ES brach), wie zutreffend gejagt worden ift, eine neue Zeit 
an, deren Schlachten Söflonerheere jchlugen.“ 


— 161 — 


Die Entwicklung der forporativen Einigung, wie wir fie in 
Harrien-Wierland eingehend dargelegt haben, Hat, wenn auch im Ein- 
zelnen anders und zeitlich jpäter, auch in den übrigen Territorien 
itattgefunden). Im Erzitift Riga, im Stift Dorpat und Dejel wırrde 
durch die Zeitumftände der fejtere Aneinanderichluß der ritterbürtigen 
Bafallen zu einer Nitterfchaft begünftigt, ja jeit der Wette des 15. 
Sahrhunderts trat im Erzitift die ritterbürtige Bajallenjchaft als fürm- 
(icher Landftand auf, der im Verein mit dem Domkapitel bei Neu- 
wahlen des Erzbijchofs diefen nicht anders, als gegen Zugeftändnifje 
(Wahlfapitulationen) weitgehendfter Art anerkannte. Selbjt wählte 
fich die Nitterfchaft jedes Territoriums, wenigitens jeit dem 16. Jahr- 
hundert, einen Nitterjchaftshauptmann, während aus Strafgeldern eine 
Lade oder Kafje gebildet wurde, deren Erträge jede Nitterichaft zu 
ihren Zweden verwandte. Natürlich fehlte es auch an Zujammen- 
fünften der ritterlichen VBajallen der einzelmen Gebiete nicht. Wom 
Hauptmann je nach Bedürfnis „verichrieben“, jammelten ji die VBa- 
fallen in Berfon an dem angegebenen Ort, um, meift jchon in früher 
Morgenftunde, zu vatjchlagen, was das Wohl deg Standes zu thun 
erfordere. Ohne triftige Gründe auszubleiben, war jtreng unterjagt: 
nicht weniger als S0OO Mark Nigifch hatte der zu zahlen, der nicht 
erichien. 

Neben diefen Berfammlungen, die einen rein forporativen Cha- 
vafter trugen, hatten fich die Nitter auch zu den von ihrem Landes- 
herrn ausgejchriebenen „Manntagen“ einzufinden, wo jte in Gemein- 
ihaft mit den andern Ständen, alfo den Domfapiteln und den Ver- 
treten der Städte, vor allem der Nechtspflege vobzuliegen hatten. 
Feierlich wurde bei diefen Manntagen, die meift einmal im Jahr, in 
Harrien-Wierland alle drei Iahre tagten, der Friede „gebannt“ — 
alle legten die Schwerter ab, ehe fie zu Necht und Gericht jaken. 

Se fefter nun im Lauf der Zeit die Macht der Nitterjchaften Ttch 
geftaltete, um fo jelbitbewußter wurde ihr Auftreten gegen ihre Yandes- 
herein und der Wunsch diejen gegenüber eine Art jtändiger Vertretung 
zur haben wurde um jo dringender, als der Landesrat, tie er Jich früh 
bei der Harrisch-Wierischen herausgebildet hatte, alle Zeit al3 ein ver 

1) ef. Dr. Zr. v.Bunge. „Gejchichtliche Entwicklung der Standesverhältnijie 
in Liv», Ejt- und Kırland bi3 1561.” Neval 1898. 

Seraphim, Gefchichte L. Il 


ER 


(ocfendes Beispiel und Mufter den andern Balallen vor Augen jtand: 
im 15. Sahrhundert find fie dann auch jämtli) an’s Ziel gelangt. 
Wie die Landräte in Eftland, jo entjtanden in den Stiftern Stifts- 
räte, die freilich nicht allein aus den ritterbürtigen VBafallen, jondern 
aus Gfliedern der Kapitel und Städte jich zujammenfeßten. Doch haben 
die ritterfchaftlichen Näte (Dlvefte im Made) offenbar den Vorrang 
vor den andern behauptet. 

Die Stellung diejes Stiftsrats zum Bilchof war nun aber eine 
höchjt eigenartige. Iudem dem leßtern das Zugejtändnis gemacht 
wurde, daß, jtatt einer Wahl durch ihre Genojjen, Die Näte Durch ihn 
ernannt wurden, hörten jene auf, direkte Vertreter ihrer Brüder gegen- 
iiber dem Landesheren zu jein. Aber man wiürde doc) wieder fehl- 
gehen, wenn man bezweifeln wollte, daß thatjächlich das Kollegium 
der Stiftsräte jich als Nepräfentant der Stände fühlte. Als oberite 
Negierungsbehörde jowohl, wie als Gerichtshof engte e8 die Macht 
und Aetionsfreiheit des Landesheren von Sahdrzehnt zu Sahrzehnt 
immer mehr ein und früh jchon 309 eS die gejamten Landjtände oder 
Deputierte derjelben zur Mitberatung der Landesangelegenheiten hinzu. 

Die Organtjation, die in den einzelnen Gebieten Blab griff, blieb 
nicht ohne Nitcwirfung auf die Ausgejtaltung des gejamten Yandes. 
Zu jehr waren die Mitter und übrigen Stände der verichtedenen 
Territorien eines Blutes, zu lebhaft die Wechjelbeziehungen, zu aus- 
geiprochen das Gefühl engiter Zulammengehörigfeit trog aller Diffe- 
venzen, als daß nicht die Eimbeit in gewifjen Berfaflungsformen zum 
Ausdruck Hätte kommen müffen. Schon zu Anfang des 14. Sahr- 
hunderts bereits laflen jich daher Zulammenfünfte der Yandesheren zu 
gemeinfamem politischen Handeln oder zun Erhaltung des Yandfriedens 
nachweilen, und wem die böjen Fehden, die Livland im 14. Sahr- 
hundert bereits zerritteten, auch einer gedeihlichen Weiterentiwicfelung 
diefer Tage entgegenwirfen mochten, jo befruchtete anderevjeits Die 
Ausgejtaltung der territorialen Landjtände die allgememen Zuammen- 
fünfte derart, daß im 15. Dahrhundert fich Feite Formen fiir diejelben 
ausbildeten und die allgemeinen Landtage die Meittelpunfte des poli- 
tiichen Lebens des ganzen Livlandes wurden. Bom Sabre 1424 
datiert der ältefte uns erhaltene Yandtagsrezeß. Falt hat es den Alıı- 
ichein, als ob uriprimglich das jährliche Zulammentreten des allge- 
memen Tages im Aussicht genommen war. Wie dem auch jei, die 


= 


Berhältnifje erwiejen fich jtärfer als die Abficht: nicht zu bejtimmten 
Termin, jondern jobald die Zuftände eS erforderten, wurde der Yand- 
tag förmlich ausgejchrieben, die Beteiligten „geejchet“ d. b. eingeladen. 
Dffenbar tft anfänglich der Erzbiichof derjenige gewejen, von dem das 
Ausschreiben auszugehen hatte, jedoch tritt friih chen der DOrdens- 
meister mit gleichem Anjpruch auf und jpäter jcheinen die beiden 
Landesherren fich vorerit geeinigt zu haben, ehe das Ausschreiben an 
die Stände erging. Danı flogen die Briefe an die Bilchöfe von 
Dorpat, Dejel, Kurland und Neval, an die Stiftsfapitel, den Meilter 
und den Landmarjchall wie die übrigen Ordensgebietiger, Die Nitter- 
Ichaft von Harrien-Wierland, an die ftiftiichen Bajallen, endlich auch 
an die Natmannen von Niga, Dorpat und Neval. Und etlends traf 
man itberall die Vorbereitungen, um zum anberaumten Tage in Walt 
oder Wolmar, wo meist die Berlammlungen jtattfanden, eintreffen zu 
fünnen. Die Landesherrn beviefen ihre Näte und pflogen mit ihnen 
Unterredung, ehe fie fich in Berfon mit jtattlichem Gefolge aufmachten, 
auf dem Drdensfapitel wählte man die „VBollmächtige“, tim den Yu- 
lammenfünften der Edelleute und auf den Natsituben der Bürger 
wurden die „Sendeboten” bezeichnet. Meancherlet wichtige Dinge 
waren e8, die jtets dem Landtage zur Enticheidung vorlagen: allgemeine 
Landesangelegenheiten, irieg und Friede, Kandfriede, allgemeine Schabung, 
nicht in legter Neihe die Enticheivung im wichtigen Brozellen. Waren 
die Stände insgefamt in das Städtchen eingeritten, jo verlammelten 
fie jich in der Kirche; der Kanzler des Ordensmeisters dankte nunmehr 
allen fir die Mühe der MNeife, legte die Punkte der Beratıng vor 
und ließ Schließlich jedem Stand ein bejonderes Eremplar überreichen, 
worauf die einzelnen Stände an die Sonderberatung derjelben gingen. 
Denn das war das Eigentiimliche der Beratungsart, daß die territoriale 
Scheidung hier aufhörte, um der jtändischen Gliederung Plab zu 
machen. Si vier Stollegien, die je eine Stimme abzugeben hatten, 
onderte fich der Landtag: Der Erzbiichof von Niga, Die übrigen 
Biichöfe und die Äbte von Falfenan und Padis bildeten den eriten 
Stand, während der Ordensmeilter mit jeinen Gebietigern md Nittern 
den zweiten, der Adel des ganzen Landes den dritten, die Städte 
endlich, unter denen auch die Eleinen Gemeimvejen bisweilen vertreten 
ericheinen, den vierten Stand darjtellten. War tm den Sonderunter 
handlungen jeder Stand zu einem feiten Botum gekommen, jo traten 
11* 


— 164 — 


alle zu erneuter Beratung abermals zujammen. Nach eingehenden 
Debatten ımd Sstonzejltionen von Diefer und jener Seite formulierten 
die Stände die Yandtagsbejchlüffe, Nezelle oder Abjchied genannt, die 
feierlich befiegelt und auf Verlangen wohl auch den einzelnen Ständen 
in beglaubigter Stopie ausgeveicht wurden. Bisweilen hat man diejen 
Mezejfen dadurch noch größere Straft zu geben gejucht, daß man fie 
durch des NKatfers Miajeftät fonfiimteren ließ, Doc) war Dies fiir Die 
Nechtsfräftigfeit dev Beichlüffe feineswegs notwendig. — 

Sp etiva jtellt fich dent Bejchauer der mächtige Aufichiwung dar, 
den die VBalallen md Stände des Landes im bewußten oder unbe- 
wußten Gegenjag zu den Territorialheren allmählich nahmen — eine 
Entwicelung, die für die Sejtaltung der VBerhältniife Livlands nicht 
ohne einjchneidende Wirkung jein fonnte. — 

sm Gegenjaß zum Aufkommen der Bafallen jteht der Niedergang 
der bäuerlichen Bevölferung. As die Deutschen ins Land famen, 
wurden die Eingeborenen in ein abhängiges Berhältnis von ihnen 
gedrängt. Der Kirche mußten fie den YZehnten zahlen, der weltlichen 
Hewalt den Zins, zugleich wurden fie der Gerichtsbarkeit der Er- 
oberer umterjtellt, zuc Heeresfolge gezwungen, zu Burgbauten umd 
Arbeitstagen herangezogen. Daß te die politische Freiheit verloren, 
d. h. an der Verwaltung der allgemeinen Landesangelegenheiten feinen 
Anteil mehr nahmen, lag im der Natur der Eroberung begründet, daß 
ihre perjönliche Freiheit eingejchränft wurde, nicht minder. Aber 
diefe Einschränkung ging Feinesiweges joweit, daß man von trgend 
einer zorm der Lerbeigenjchaft reden fünnte. Blieb den Bauern let- 
tiicher, Liviicher oder ejtnijcher Nationalität doch jowohl das Necht, ihr 
Yeligtum zu veräußern oder fich auf andern freien Boden niederzu- 
lafjen. Auch das Bererbungsrecht war ihnen anfänglich nicht beichränft). 

Leider wurde die Entwicelung eines gefunden und billigen Ber- 
hältnifjes zwijchen den deutichen Heren und den Sndigenen jchon früh- 
zeitig unterbunden. Die vielen Empödrungen der lebten, vor allem 
der große Eitenaufitand von 1343 brachten jedesmal gewiß eine Ver- 
Ihärfung der joztalen und Öfonomischen Lage der Bauern zu Wege, 

1) Siehe über die bäuerlichen Verhältnifje zur Ordenzzeit die wertvolle Arbeit 
D. Stavenhagens „Freibauern und Landfreie in Livland während der DOrdens- 
herrichaft“, von der 3. 3. der Abjafjung diefer Schrift nur die erite Hälfte in den 


> 


„Beiträgen“ Band IV, Heft 3 vorliegt. 


— 165 — 


die innern Streitigfeiten der Yandesherrn thaten Das shrige und das 
Eindringen des deutichen Lehnrechtes vollends geitaltete die Verhältnifie 
von Grund aus um. Wo die Valallen im dichten Maflen zujfammen- 
jagen umd damit auch zu politischer Macht famen, wurde das Gejchid 
der Ländlichen Bevölferung in ihre Hand gegeben und damit Über- 
griffe bei dem Mangel durchgreifender Gerichte, an die jtch Diejelbe 
hätte wenden fünnen, Thür und Thor geöffnet. Namentlich in Harrien- 
Nierland erlangten die Vafallen über die auf ihren Gütern ihnen 
verlehnten Bauern jogar die peinliche Gerichtsbarkeit. Die grobe 
Gewalt der Herin wurde mit dem Augenblick aber feit Fundantenttert, 
wo aus dem Grumdherrn auch dev Gutsherr wurde. Exit von der 
Zeit an, da der deutjche Herr regelmäßig jeinen Sit auf jeinem Lehn- 
gut nahm, jelbft Landwirtichaft zu betreiben begann und perjönlich 
die bäuerlichen Kräfte zu Arbeitslaften md Frohnden heranzog, ohne 
daß eine Begrenzung und gejeßliche Negelung devjelben ihn vor Will 
für und Granfamfeit, in der Negel wenigitens, abgehalten hätte, begann 
die VBerfchlimmerung der Lage der Eingeborenen in unaufgaltiamer 
eie ich zu vollziehen. 

Noch freilich galten im 14. Jahrhundert die Anschauungen von 
dem Erbrecht des Bauern und von der Freizügigkeit desjelben als 
ungebrochen. Der Bauer als folcher ift al3 Zinjner fein völlig Un- 
freier, fein Leibeigener, deren Stelle damals die wohl meiit aus Kriegs- 
gefangenen bejtehenden Drellen oder Sklaven einnahmen. Erjt im 15. 
und 16. Jahrhundert nimmt die Gebumdenheit der Bauern ganz all- 
mählich mehr und mehr zu und nur verhältnismäßig wenige wiljen 
fich) eine gewilje Freiheit im Gegenfaß zu der allgemein gewordenen 
Bodenpflichtigfeit zu bewahren. 

Einen fürmlichen Stand wirflih und völlig freier undeutjcher 
Bauern hat e8 dagegen von Beginn der deutjchen Herrichaft an bei 
ung nicht gegeben, nur mehr oder weniger zahlreiche Ausnahmefälle, 
feine allgemeine Negel bildeten die bis ins 15. Nahrhundert namentlich 
in Kurland jich findenden, an Eingeborenen verliehenen Oxdenslehen, 
die der Meifter vergabte, um einen Teil des Landvolfs Feiter an ich 
zu fefjeln. Das Beifpiel Preußens, wo die Littauijsche Bevölkerung 
nit feiner ftändifchen Gliederung derartige VBerfuche begünftigte, hat 
den Orden bewogen auch in Kurland fich unter den ndigenen Die 
zuverläffigern Elemente dadurch zu verbinden, daß er fie auszeichnete 


166 — 


und statt dem Hofrecht eines Gutsbefigers dem Yehensrecht jelbjt 
unterstellte. Die alio Belehnten waren von Zins und Frohnden be- 
freit, hatten aber auch jelbjt nicht das Recht, Zins und Yehnten von 
andern zu erheben, noch die Gerichtsbarkeit auszuüben. Zum Sriegs- 
dient zu Noß als Ritter, wie er den Lehensmannen jonjt oblag, waren 
fie nicht verpflichtet, fondern nur zu leichterer Heeresfolge als Fußfnechte 
oder Neiter, in erfter Linte aber lag ihnen Boten- md Wachdienit ob. 

Auch die vielgenannten „Eurtichen Könige”, deren Nachfommen 
noch heute mit mancherlei VBorrechten ausgejtattet find, gehören zu 
diefen als „Freie“ bezeichneten fleinen DOrdenglehngleuten. 

Sn Eftland und im eigentlichen Zivland ift eine derartige Ent- 
wicklung jedoch nicht nachweisbar, da Schon die zu großem Anjehen 
gelangte Vajallenjchaft dafiir jorgte, daß die Mafje fi) über das 
Niveau zinspflichtiger Stleingrundbefiger nicht erhob. Die pärlichen 
Anfäbe einer gewifjen Bauernfreiheit, die darauf zurücdzuführen if, 
daß eine Anzahl von Hofbefisern, die jchon vor der Eroberung dur) 
größern Grundbefig ich) auszeichneten und deshalb auch jpäter, troß 
der Belaftung mit Zins, Jehnten und Gericht, von den Tpeziell bäuer- 
lichen Arbeitsleiftungen befreit blieben, gingen Hier weit jchneller als 
in Kurland verloren, während Ovdenstehnsleute oder Erbzinsbauern 
in Ejt- und Livland zu allen Zeiten vereinzelte Ausnahmen gebildet 
haben. Aber auch im jüddüntschen Lande haben die „freien“ Letten, 
Liven und Kuren faktifch nie die gleiche Stellung eingenommen, die 
den im DOvdenslande nicht jelten anzutreffenden fleinen Lehensleuten 
deutscher Abjftammung eingeräumt wurde: die Differenz der Nationalität 
hat nie die VBerichmelzung beider Elemente, des deutjchen und un- 
deutjchen, zu einem Stande möglich ericheinen laffen, der Undeutjche 
blieb allemal der Unterworfene. — So bezeichnet diejelbe Zeit, die 
eine mächtig aufiteigende Tendenz in dem politischen und jozialen 
Leben der Nitterichaften aufweilt, den entichtedenen Niedergang der 
Lage der bäuerlichen Bevölkerung. Noc waren fie zwar nicht Leib- 
eigene, aber die Entwiclung der Sndigenen wies abwärts zur Haftung 
an die Scholle und dem völligen VBerluft der perjönlichen Freiheit. — 

Nie anders das Bild, das die Städte damals gewähren! Neben 
dem Adel streben gerade die Kommunen mächtig empor, jo daß man 
mit Zug das 14. Sahrhundert auch als die glanzvolle Entwicklung des 
(iwländischen Städtewejens bezeichnen fan. 


= pe 


Der Handel hat auch unjere Städte groß gemacht, namentlich die 
Berbindung mit dem xrufftiischen Hinterland Niga, Neval und Bernau, 
Dorpat und Narwa zu Meittelpunften des Wohlitands und bürgerlicher 
Wacht erhoben. 

Eine Gejchichte des Handels unjerer Livländischen Handels- und 
Hanfejtädte ift noch jo wenig gejchrieben wie die der Hanje im Allge 
meinen, immerhin it es uns Doc) möglich im die „Bhyliognomte des 
mittelalterlichen Handels“ unjerer liwländiichen Städte einen gewiljen 
Einblik zu gewinnen, der uns mancherlet Grundzüge erfennen läßt!). 

Schon damals war der Handel nicht jelten mit Abgaben belajtet, 
die freilich zum Belten der Hanfejtädte erhoben, jomit denjelben wieder 
indirekt zu teil wurde. Es war der 1361 zum eritenmal zu Rüftungs- 
zwecen gegen Dänemark erhobene „Wrundzoll“, d. h. eine Abgabe, die 
von je einem Pfund vlän. berechnet wurde, der, obgleich ehr gering, 
Doch vielfachen Wideripruch hervorrief und oft nur läjlig oder auch gar- 
nicht gezahlt wurde. Auch umnfere Kaufleute find daber engherzig und 
echte Kinder der Zeit geweien. 

Die Schiffahrt begann etwa um Dftern und nahm um Martini 
im November ihr offizielles Ende, jodaß der Seeverfehr zwischen hüben 
und drüben etwa 150 Tage jährlich unterbrochen war, bis zu Beginn 
des 15. Sahrhunderts die Eröffnung der Navigation auf den 2. Februar 
feltgefegt und damit die Aufhebung der Verbindung mit dem Mlutter- 
lande auf mr 80 Tage herabgedrict wurde. Allgemein galt der 
Sab, daß nicht einzelne Schiffe die gefährliche Fahrt über die Dftiee 
oder Durch den Sund nach England, Flandern md noch weiter unter 
nahmen, vielmehr forderte die Unficherheit durch Seeräuber, die Gefahr 
des Strandrechts das Zulammenthun vieler Kauffahrer zu einer Flotte, 
der e8 an Bewaffneten auch mie zu fehlen pflegte. 

Bon livländischen Häfen ging die Fahrt meift mach Stettin, 
Danzig, Lübe, Wisby und an die Küfte von Schonen, doch auch 
englische, flandrische, franzöitiche Borte und das ferne Lisbon find von 
Lioländern aufgejucht worden. Keim Wımpder, daß Sich veges Leben 
am Ufer der majeftätiichen Dina entfaltete. Belz- md Lederiwverf, 
Butter, Talg und Thran, Flachs, Hanf und Yeinfaat, Getreide, Holz 
und Theer, Yachs, Butten, Hechte und andere geräucherte Füche u. m. 
De 6. Mettig. Zur Kulturgefhichte der Hanje, Situngsber, d, U, 
&. 1888. pag. 46 ff, 


— 103 — 


A. winrden verladen und dem Welten zugeführt, namentlich die folt 
baren Belzwerfe, deren em Forjcher nicht weniger als achtundzwanzig 
Sorten aufzählt, unter ihnen der aud) in Eitland gefangene teuere 
Hermelin, mit der Ausficht auf gewinnbringenden Abjab verfrachtet. 
Yiebte Doch der wohlhabende Mann im Weittelalter jein Stleid zu ver- 
brämen, jodaß er nicht „vor den hohen PBreifen fir Bilam, Eichhorn, 
Zobel und Hermelin“ zurüchcheute; ja jelbit das Gefieder der Vögel, 
von Taucher und Langhals wurde getragen. 

Alle anderen Dinge überragte aber fir die Livländiichen Städte 
der Handel nah Nufland, in erjter Neihe nach Nowgorod. Man 
wird das begreifen, wenn man bedenkt, dag — um eimen andern 
‚soricher zur zitieren — „von allen Handelsfaktoreten, welche die Hanje 
im Norden, Often md Welten begriimdet, feine jchon von den Heit- 
genofjen jo hoch gehalten worden ift, feine sich infolgedefien jo un- 
unterbrochener, eifriger Firjorge des Bundes erfreut hat, als das 
Kontor im vuljtichen Nowgorod. Hier galt es das weitausgedehnte 
Sebiet der Nepublif und den größten Teil des mittleren Rußland mit 
den Erzeugnifen wejtenropäifcher Natur und Snduftrie zu verjehen. 
Der Bojar und der rıjüiche Kaufmann Fleideten fich in das flandriiche 
und engliiche Tuch, das hier feilgeboten ward, der Fuüch vom jchonijchen 
Strande (1. e. der Häring) bildete ein Hauptnahrungsmittel des ganzen 
Bolfes, das Allen gleich umentbehrliche Salz gelangte beinahe aus- 
Ichlieglich über die Dftjee dorthin. Dem Lande fehlte es nicht an Er- 
zeugniffen, welche den von ihm begehrten an Wert gleichfamen. Die 
Negionen 13 zum Eismeer zeigten ich unerichöpflich an den fojtbarjten 
Belztieren, das Wachs, dejfen Bedeutung als Handelsartifel mit dem 
fatholischen Sultus gejchtwunden, ward hier im einer Menge geboten, 
genügend den ganzen Welten zu verjehen.“ Al diefem Handel waren 
die Livländischen Städte, wie jchon oben berithrt, in erjter Neihe be- 
teiligt, jodaß Ste jchon 1363 ein eigenes Quartier auf dem Hof zu 
Yowgorod hatten md durch Ausichliegung der Konkurrenten, jelbit 
Wisby’s und Yübees, „die Stellung einer leitenden Behörde für den 
ganzen Hanfisch-rufftichen Berfehr” fich ertrogten. 

sn Einzelnen fand unter den liwländiichen Städten eine gewilfe 
Teilung der ruffiichen Handelsgebiete Statt. Während Riga mehr die 
Diimaftraße Hinauf nach Volozt handelte oder nach Littauen Jdwung- 
haften Berfehr ımterhielt, beherrichte Neval durch feine günstige Lage 


— 169 — 


am Eingang zum finnländichen Mleerbujen den Nordoften und wußte 
Dorpat fich als Hauptitapelplag für die nach Yivland fommenden Waren 
des Dftens eine hervorragende Bofttion im Iramfithandel zu fichern. 

Die großen materiellen Mittel, über welche die Livländtichen 
Städte geboten, mußten natürlich auch auf Die politische Lage von 
größtem Einfluß fein, mußten ferner der Ausgejtaltung der jtänttichen 
Verfaffung, dev Bildung zu gut fonmten, kurz aus den Städten Gentren 
(toländiichen Lebens machen. Der berechnende, rücjichtsloje Sim, 
das von jeder Überschwenglichfeit ferne Trachten der stolzen Batrizier, deren 
Herrichaft in den Natjtuben in Livland noch ungebrochen aufrecht jtand, 
als fie in Deutjchland der demokratischen Bewegung der Zünfte längit 
zum Opfer gefallen war, fonnte fich weder mit der Oberhoheit des 
Erzbischofs, noch mit der des Meifters recht befreunden umd wenn die 
Stadt Niga auch jeit 1330 in Frieden mit Eberhard von Munheim 


und Ddejien Nachfolgern lebte, jo war — das jollte das kommende 
Sahrhundert Lehren — das Leßte Wort noch feineswegs geiprochen. 


Früh chen!) hatten die Livländischen Städte zur größern DBe- 
feftigung ihrer Freiheit ih an dem jeegewaltigen Bund der Hana 
angejchloffen, von deren Haupt, Lübed, einjt ihre Altvordern aus- 
gezogen waren. Met jenem fühlten fie fich eins an Gefinnung und 
Necht, Iuterefien und gamtiltenbeziedungen, waren doch die Eltern und 
Großeltern jowohl nach Lirbee, wie nach Niga und Neval aus dem 
Lande der roten Erde zugezogen, jodaß ein „eviges Hinüber und 
Herüber, vermittelt und hervorgerufen durch) die Gemeinjamtert Der 
Ssntereffen“, überall zu Tage trat. Wenn auch Niga Ichon gegen Ende 
des 13. Sahrhunderts zum Hanjebunde, der freilich jelbit erjt im An- 
fang jeiner Entwicelung ftand, zu rechnen it, jo it doch die engere 
Anglieverung der Mwländiichen Städte an jenen Bund umd aneinander 
erjt im folgenden Sahrhundert nachweisbar. Unter den Städten, Die 
um die Mitte des 14. Jahrhunderts zum Schub des Handels jich tn 


Brügge zu einer Hanje zulammenthin — demm der uriprüngliche Sim 
des Wortes it eben der einer Bereinigung deutjcher Kaufleute tm 
Auslande — finden wir die wländischen Kommunen mit den Got 


(ändern md den in Schweden eines der drei Drittel des Bundes bilden. 


2) ef. hierüber TH. Schiemann 1.c II. p. 52 ff. NRichterl.c.I.p. 244 ff. 
K. don Schlözer. Die Hanja und der deutjche Nitterorden. pag. 116 ff. und 
Bernd. Hollander, Die Iiwländifchen Städtetage — 1500. Niga 1858, 


— 170 — 


Es war mr em Schritt weiter, wenn die Städte, deren Kaufleute 
ih im der Fremde zum Bunde zujammengethan hatten, ich mn 
Velbjt zu einer Verengung anschiekten und Fürmliche VBerfammlungen, 
Städtetage ausjchrieben, im durch gemeinsam gefaßte Beichlüfie und 
enge Verbindung untereinander das Anjehen der Ihrigen in der ‚Ferne 
zu Stärfen umd den Handel zu heben. Erfjt hierdurch entitand Die 
große „Hanja“ im jpätern Sinne des Wortes. 

Die Mwländischen Städte ftiegen jet ihrem Anschluß an den Bund 
noch rascher aufwärts und begannen jeit der Mitte des 14. Sahr- 
hunmderts im Gefühl ihrer Macht Tich von Wisby zu löfen und eine 
eigene Gruppe zu bilden. Das Unheil, daß über Gotland hereinbrad), 
al® 1361 Waldemar Atterdag Wisby iberrumpelte und jeiner Herr- 
ichaft unterivars, fam diejer Abjonderung entgegen, jo daß 3.9. 1376 
bereits in Brügge von einem liwländischen Sechsteil die Nede 1it. Das 
Veßt aber die DOrgantjation der Livländischen Städte unter jich, alio 
Ipezielle Liwländische Städtetage, voraus, auf denen Beichlüfle gefaßt, 
Suftruftionen ausgearbeitet und Gejandte fiir die allgemeinen Hanjetage 
abgeordnet wurden. Die erften rein Livländiichen Städtetage fallen in 
die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, vielleicht die erjte Verfammlung 
auf das Sahr 1365 und auf Bernau. Dann haben die Städte bis 
zum Musgange Livländiicher Selbitändigfeit getagt, nicht in bejtimmten 
Heltabitänden, jondern je nach Bedürfnis, bald in diejer, bald in jener 
der Fleinern Städte. 

Weit wählte man die im Herzen des Landes liegenden Orte, jo 
Walk, in dejfen Mauern von den 130—140 Tagfahrten, die bis zum 
Ende des 15. Jahrhunderts nachweisbar ind, über Jechsunddreigig 
Ttattgefunden haben, oder in Wolmar. Niga hat wohl nur viermal, Neval 
gar mr eimmal die Natjendeboten bei fich tagen jehen. Natürlich) 
hatten auf den Stäpdtetagen die drei großen Städte, deren Handel den 
der übrigen überwog, das enticheivende Wort, doc) auch die Fleinen 
oländischen Städte, wie Bernau, Wenden, Wolmar, Fellin, Windau, 
Soldingen, Lemjal, Kofenhufen jchieten ihre Vertreter und berieten mit. 
Vielleicht gehörte auch Noop zu den Hanjajtädten, während Walf da- 
mals nur Flecken war und ficher ebenio wenig zu ihnen zu vechnen 
ist, wie Navıva, das fich wohl allen Bejchlüffen der Livländiichen Städte 
und der Hanfe zu fügen, aber nicht mit zu vaten hatte. Ivo aller 
Bemühungen, Aufnahme zu finden, blieb es in Ddiefer eigentiimlichen 


Be 


— 171 — 


und drickenden Yage. Die Nolle, welche die fleinen Städte auf den 
Tagfahren geipielt, it gewiß zu allen Zerten jehr beicheiden gemweien; 
jeit der Mitte des 15. Jahrhunderts treten fie mehr und mehr zuvüc 
und bejenden die Tage vielfach gar nicht mehr. 

An der Spite der Livländischen Gruppe ftand zweifellos Niga, 
Die mächtigfte und vreichjte Stadt des Yandes. Ste vermittelte dei 
Verkehr mit dem Muslande, vor allem Lübeck, fie erlieh fait aus: 
nahmslos die Einladungen zu den liwländiichen Tagen, wenngleich) 
natürlich Die Anregung oft auch von Neval oder Dorpat ausgegangen 
jein wird. Lange Programme waren damals nicht üblich, furz war 
Drt md Zeit angegeben, fuapp die Beratungspunfte jfizztert. Nicht 
jelten finden wir die Bemerfung „unde um ander gebrefe des Ktop- 
mans und dejier binnenlandeicher jtedte“ oder „und umme mennegerlete 
lafe willen den jtedten und SKtopmanne dejjes Landes anmrorennde*. 
Erging eine jolche Einladung, jo bejtimmten die Städte aus der Mitte 
des Nats Die Natiendeboten, Niga gewöhnlich 2—3, die andern Städte 
meift 1—2 und gaben ihnen Inftruftionen mit, die einzuhalten Die 
Delegierten ftreng verpflichtet waren, obwohl fie oft nur mindlich ab- 
gegeben wurden. 

War man zujammen, jo übernahm Niga, „unje oldejten“, den 
Borfiß, leitete die Verhandlung und gebot, wenn zur Abjtimmung zu 
Ichreiten war. Da, die Macht Nigas war jo groß, dat die Stadt nicht 
jelten, bis zum Zufammentritt des Städtetages, von fich aus Beichlüfie 
faßte, für die fie Freilich ipäter um Indemnität nachluchen mußte. Die 
ganze Position Nigas erforderte unendlich viel Geduld, Taft und Vor: 
jicht, denn da bei dem Mangel ivgend welcher Statuten fir die Tag- 
fahrten man über die Frage, ob die Beichlüffe auch Fir die Minorität 
bindend waren, nicht einig war, jo mußte 8 das Beltreben fein, wo- 
möglich im jedem Fall durch lange Beratung und Kompromifie eine 
Einigung Aller zu erzielen, damit die Beschlüfie, „Nezeffe“ genannt, 
auch wirklich ihre Abficht erfüllten. Hatte man das Programm der 
Tagfahrt erichöpft, jo wurden die Nezeife im Protokoll verzeichnet 
und umteritegelt. 

Negelmäßig ftattgefunden haben Städtetage wohl, wenn es galt, 
Deputierte zu den allgemeinen Hanfetagen nach Deutichland zu Ichieen 
und mit feiten Werfungen zu verjehen; oft werden fich die Lwländischen 
Natjendeboten wohl auch verfammelt haben, wenn die Boten aus dent 


Neich zurickfehrten oder Die Nezefie der Hanletage bekannt geworden 
waren. Doch diirfte es cher fallen, die verichiedenen Angelegenheiten, 
iiber Die auf den Lwländischen Tagen beraten wurde, in Einzelnen nam- 
haft zumachen. Wenn em ‚Forjcher von dem Progranın der Hanfetage 
gejagt hat, es wäre „alles, was mur gend auf die hanftichen Zwecke 
Bezug hatte, Gegenltand gemermjchaftlicher Berhandlungen“, jo gilt 
dies auch von den Liwländiichen Städtetagen: „Die Berfallung des 
Bundes, Die Zulage der Hilfe, die Betlegung der Streitigkeiten winter 
den Mitgliedern, die Zuerfenmimng der Strafen gegen die Übertreter 
der Gejebe, Die Deltebung meer Statute, um das Necht, den Handel 
und die Seefahrt aufrecht zu erhalten, die Betlegung der ausgebrochenen 
Tummlte in den Städten, die glückliche Beendigung der ‚Fehden, welche 
von einzelnen Gliedern mit Srempden oder von mehreren gemeinjchaft- 
lich zur Anfrechterhaltung der Kontore geführt wurden, die torreipon- 
denz, die Verlefung der Briefe von fremden Mächten, von einzelnen 
Yımdesjtädten und der banftichen Faktoreten, ihre Beantivortuma, die 
Bewilligung neuer Abgaben und Strafen, ja alle hanfiichen Brivat- 
jachen, welche in leßter Inftanz bier entichteden wurden: alles dies 
waren Gegenftände der Berhandlungen.“ 

sm Gegenjab zu den grimplichen Verhandlungen über Sachen 
des Kaufmanns Sind Angelegenheiten des ganzen Landes nicht allzu 
oft zur Beiprechung gefommen. Wenn fich auch nachweisen läßt, daß 
Städtetage und Landtage nicht ganz jelten in derjelben Stadt un- 
mittelbar nacheinander getagt haben, jo haben, wenigitens bis gegen 
Ende des 15. Jahrhunderts beide Tage ganz verjchtedene Beratungs- 
gegenftände gehabt. Erjt im Zeitalter der Reformation wird das 
anders. — 

Doch nicht nur die Vorteile, die aus der Zugehörigkeit zur Hana 
vejultierten, haben unfere Städte gezogen, auch die Sorgen und Ge- 
fahren, denen e8 dem Bunde wahrlich nicht gefehlt, find ihnen nicht 
fremd geblieben. Vor allem in jenem gewaltigen Ningen mit Wal- 
demar IV. Atterdag, dem Wiederherteller der dänischen Macht, haben 
die Livländer ihren vollen Mann gejtanden. 

Diejer thatkräftige, verichlagene Monarch hatte im Sommer 1361 
das Unglaubliche gewagt und es war ihm gelungen — die Eroberung 
des vieltiivmigen, jchäßereichen Wisby: „Sm dem Jahre Chriitt 1361 
(1360 erzählt der Chronist Fälichlich) Tammelte König Waldemar von 


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— 173 — 


Dänemark ein großes Heer und jpradh, er wolle fie dahin bringen, 
wo Goldes und Silber3 genug wäre, wo die Schweine aus jilbernen 
Trögen äßen. Und er führte jie nach Gotland und machte da auf 
dem Lande viele zu Nittern und Ichlug viel Volkes nieder, weil die 
Bauern unbewvaffnet und des Streites ungewohnt waren. Er 309g 
Itrafs vor die Stadt Wisby. Sie zogen ihm aus der Stadt entgegen 
und iibergaben fich der Huld des Königs, weil fie wohl einjahen, daß 
da fein Widerftand möglich war. Auf die Art befam er das Land 
und nahın von den Bürgern der Stadt große Schasung an Silber und 
Gold und zog jeines Weges.“ 

Die Wirkung diejes tücfifchen Wberfalls war eine gewaltige, aber 
doch andrer Art, als Waldemar wohl geglaubt haben mochte. Sofort 
belegten die Ditjeejtädte alles dänische Gut mit Bejchlag, traten zu 
Sreifswalde zujammen und bejchlojien — vier Tage nach der Er- 
oberung der Snjel — allen Berfehr mit Dänemark bei Strafe des 
Lebens und Gutes aufzuheben. Mit Schweden und Norwegen jchloß 
man Bündnis. Siebenundziwanzig hochbordige Ktoggen und ebenjoviele 
kleinere Schiffe, Sniffen, jegelten mit 3000 Mann an Bord aus 
Lübed3 Hafen — im Mat 1362 erichienen jie im Sund und alle 
Welt erwartete von der Führung des Lübischen Bürgermeifters Johann 
Wittenborg eine jchnelle Beitrafung des übermütigen Königs. Doch) 
e3 fan anders! 

Nach anfänglich glänzenden Erfolgen — der Eroberung Kopen- 
hagens — jchlug das Striegsglüd um und die von den nordilchen 
Königen treulos im Stich gelaffenen Hanjeaten jahen fich an der 
Ihonenjchen Stüfte, wo fie die Belagerung Helfingborgs betrieben und 
ihre Schiffe von Mannjchaft entblößt hatten, von Waldemar plößlich 
überfallen und total aufs Haupt geichlagen. Die Trümmer der Flotte 
rettete Wittenborg nac) Haufe — nach Jahresfriit fiel jein Haupt 
als Sühne der Niederlage auf Lübeds Mearktplag unter dem Streich 
des Scharfrichters. 

Doch die Folgen der Niederlage bei Helfingborg liegen fich nicht 
jo leicht überwinden, Mißmut und Meutlofigkeit verhinderten geraume 
Zeit jede energijche Politik gegen den Dünenkönig, deijen Sicherheit 
natürlich in dem Grade ftieg, als die Hanjeaten Schwäche zeigten. 
Als er vollends im April durch die Vermählung feiner Tochter Mar 
garethe mit Hafon, dem Erben der beiden andern jkandinaviichen 


— 174 — 


Reiche, eine Union aller drei Küönigreiche angebahnt und die Hanje- 
ftädte ijoliert hatte, trieb er es jo arg, daß den Städten nichts anderes 
iibrig blieb, als mit allen Kräften zu rüjten. Nach mancherlei Zwtichen- 
fällen fam e8 endlich) 1367 zu einer Einigung der Städte, auc Riga’s, 
Neval’3 und Dorpats, gegen den Unerträglichen: die Kölner Ston- 
föderation, die fich auch gegen das bumdbrüchige Norwegen richtete: 
„Um mancherlei Unrecht und Schaden, dem die tönige dem gemeinen 
Kaufmann thın md gethan haben, wollen die Städte ihre Feinde 
werden umd eine der anderen freudig helfen. Welche Stadt von Der 
wendischen Seite, von Prenfen, von Livland und von der deutjchen 
Hanfe im Allgemeinen, von der Siüderjee, von Holland und von See- 
(and nicht dazu thun will,...... deren Bürger und Kaufleute jollen 
feine Gemeinjchaft mehr haben mit allen Städten in diefem Bunde; 
man joll ihnen nicht abfaufen noch verfaufen, und in feinen Hafen 
jollen fie aus= oder einfahren, laden oder Löjchen zehn Sahre lang.“ 
Die große Gefahr, die all den Dftfeeftädten drohte, wenn die jchiweren 
Kontributionen, die Waldemar den jchonenfchen Häringsfiichern auf- 
erlegt hatte, zu Straft blieben, einte die bis dahin unmutigen, diSparaten 
Elemente. Denn es ift in der That nicht zu viel gejagt, daß. der 
Häringsfang Jahrhunderte Hindurcd) den ganzen Gang des nordiichen 
Handels bejtimmt hat. „Denn Ddiefer Filch, welchen die Natur mit 
jegensvoller Hand zunächht dem dürftigen Bewohner des Nordens zum 
Unterhalt bejtinmt, hatte — jo tft amjchaulich gejagt worden — 
früh schon jenjeitS der Grenzen feiner arftiichen Heimat in allen 
europäischen Yanden bei Arm md Neich al3 vielbegehrte Faftenipeile 
Eingang gefunden und dadurd) bald für die gejamte Handelswelt 
de3 Nordens eine Wichtigkeit erlangt, der erit das jechzehnte Sahr- 
hundert einigen Abbruch that, al3 die Neform der Kirche dent ftrengen 
Saftenbraucd im Abendlande engere Schranfen 309. Während des 
ganzen Mittelalters bildete der Fang und der Berfauf der Häringe 
für die dabei beteiligten Nationen eine Quelle des reichiten Gewinns. 
Bon dem Erjcheinen des Härings, der bald die eine, bald die andere 
Küfte zum Sammelplag wählte, hingen Wohlftand und Blüte weiter 
Länderftreden ob. Die Häringsfiicherei ward ein Gewerbszweig, der 
über das Schiefal anderer Staaten entichieden hat. Shm verdanfte 
die Hanja einen großen Teil ihres Neichtums und ihrer Macht; in 
dem Häringsfange erkannte jpäter, als fich der Filch jeit dem Nahre 


— 175 — 


1425 mehr in die Nordfee verzog, der holländische Freiftaat die Grund- 
lage jeines Wohlitandes und feines Anjehens.“ 

Der ganze Wohlitand der Dftjeeftädte war gefährdet, eimmiütig 
beichloß man daher alle Nückichten bei Seite zu jeßen umd diesmal 
hatte man bejiern Erfolg. Vor dem Anfturm der Kaufleute, denen 
fich einige Firjten beigejellt, hielt 8 Waldemar für qut, ohne dem 
Schwert die. Entjcheidung zu überlaffen, zu fliehen. Nun etlten Die 
Hanjeanten von Sieg zu Steg. Helfingborg fapitulierte und schließlich 
blieb den Sfandinavtern nichts übrig, als im Wat 1370 einen Frieden 
zu Stralfund abzuichliegen, an dem auch die Durch Niga, Neval und 
Dorpat vertretenen Livländer Anterl hatten. Glänzende Bedingungen 
wurden den Deutjchen bier zugeiprochen: freier Handel in allen 
fandinavischen Neichen, auf fünfzehn Sahre zwei Drittel von Schonen 
und die Eimräummmg emer Anzahl feiter Schlöffer. Sa ausdrücklich) 
wurde fejtgefeßt, daß, wenn der geflüchtete König dieje Abmachungen 
verwirfe, ev die längite Zeit König gewejen jet, wie denn in Zukunft 
ohne Zuftimmung der Städte Steiner König von Dänemark werden dürfe. 

ach langem verzweifeltem Zögern mußte Waldenar, wollte anders 
er nicht alles verlieren, im Oftober 1371 den Stralfunder Frieden 
beftätigen. Doch er wurde feiner Tage nicht mehr froh — jchon vier 
Ssahre jpäter ift er trüber Ahnımgen voll aus diefem Leben gejchieden. 
Kaum hatte er die Augen gejchloflen, jo brachen wilde Prätendenten- 
fümpfe um Die Sirone aus, die in emdlojer Folge fich durch Jahre 
und Sabre zogen. — 

Das Leben in einen jo mächtigen Bunde wie die Hanja, bat 
den Itoländischen Kommunen gewiß in jeder Beziehung Nuben umd 
Segen gebracht, indem es fie, ganz abgejehen von dem materiellen 
Borteil, mit einem weiten Blick erfüllte, jtaatsmännische Talente zur 
Entfaltung brachte umd auch die fleinern Städte mit friichem Hauche 
belebte und durchtränfte. Nur in Kırland nahmen die Städte einen 
itberaus langjamen Aufjchiwung, ja durchs ganze Mittelalter hat feine 
von ihnen irgend welche Nolle gejpielt, wenngleich Goldingen bereits 
in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts durch Arnold Bietingbofi 
und Hajenpoth, der Sit des Domkapitels, etiva um Ddiejelbe Zeit 
Stadtrechte erhielten. Windau behauptete eine gewilie Stellung als 
einziger Hafen SKurlands, Libaı dagegen brachte e8 zu feiner Be- 
deutung. Allen ein Vorbild und ein zur Nacheiferung anfpornendes 


— 1716 — 


Mufter aber wurde von Jahrzehnt mehr und mehr die jtolze Gründung 
Bifchof Alberts, das türmereiche Niga. 

Mit einem Blick auf dasjelbe um die Wende vom 14. zum 15. 
Sahrhundert jei diejes Kapitel bejchlofien. 

Welch reges Leben hHerrjcht auf dem breiten, ftolzen Strom! 
Dicht unter den Mauern Liegen Segel bei Segel. Hier wird mit 
Eifer geladen, um Morgen in See ftechen zu fünnen. Mächtige Ballen 
von Pelzwerk, jorgfältig verpackt und verjchnürt, werden von den Ma- 
trofen in den Laderaum der breiten, vundlichen Kogge Hinabgelafjen, 
fie fennen ihre Arbeit und wiljen, je rühriger fie am Werk find, um 
fo größer ift ihr „Winnegeld“. In jenes Schiff — es ift eine Snife 
von fleinern, zierlichern Formen — wird Getreide gejchüttet, ein 
Drittes nimmt Talg und Wachs auf. 

Einige der Schiffe, die morgen zufammen nach) Lübee unter Segel 
gehen wollen, find mit der Ladearbeit jchon fertig. Nur nod) die 
fette Hand wird angelegt, die Anferwinde zum Gebrauch parat ge- 
macht, die jchwarze Flagge mit dem weißen Sreuz gehißt, die große 
Leuchtlaterne in Stand gejeßt. Kam morgen noch der Kaufmann, 
deifen Gut man an Bord hatte, mit den Papieren hinauf und war 
alles beredet, fo fonnten die Anker aufgewunden werden. Früher, in 
jungen Jahren, war der Kaufherr, der dort in jeinem pelzverbrämten 
Rock mit prüfenden Blicken die Yadearbeit überwacht, wohl jelbjt über 
die See nach Kühe gegangen, wo jeine Wiege gejtanden, doch mit 
den grauen Haaren und dem wachjenden Neichthum it er bequemer 
geworden und nun überläßt er die Neife dem wetterharten und 
treuerprobten Schiffer (scephere, und den Verfauf dev Ware feinem 
dortigen Kauffreunde. 

Es ift auch ein anftrengendes, angreifendes Leben, zumal wenn 
im Dftober die See hoch geht, an Bord, in Mitten der rauhen, un- 
gehobelten Seeleute. Und wenn dichter Nebel über dem Wafjer lag, 
was halfen da alle Leuchtfener, alle Warnungsrufe! 

Weiter aufwärts den Strom jchaufeln jich einige Koggen und 
Sniffen, die weit aus Flandern her und Weltfranfreich gefommen 
find. Das fojtbare flandriihe Tuch, feine Leinwand, feurige Weine 
und auch Wein vom Nhein haben fie zu uns gebracht, um den reichen 
Kaufmann, den Prälaten und fern im Lande des Musforwiters den 
Bojar umd feine Frau zu schmücen und zur laben. Während aus 


dem diumfeln Innern die Meatrojen ein Faß nach dem andern auf- 
winden, jtehen die Glieder der Trägerzunft (portatores) jcehon bereit, 
das fojtbare Naß in die Weinkeller zu jchaffen: Zwei Leiterbäume 
„Ihroden.“. Sp manches Fühlen hatten fie in diefem Fahre jchon 
gejchrodet, jet es in den jtädtiichen Weinkeller, in dejfen Berichlag der 
ehriame Natmann jeine Kanne zu leeren pflegte, jei es in die Seller 
der Kanfheren. Gabs doch zu Faltnacht und zu Pfingiten, in der 
Michaeliswoche, zur Weihnacht und bei mancherlei anderer Gelegenheit 
auf dem Nathaufe tüchtige Trünfe und galts den Erzbiichorf, den 
Herrn Meifter oder jonjt einen Gaft zu ehren, jo ließ die Stadt gem 
ordentlich draufgehen. Nicht jelten auch jandte der Nat ein Fäßlenm 
oder ein paar tüchtige Humpen als Gejchenf an eimen Freund der 
Stadt „ad presente“. Da hatten denn die Weinträger nicht wenig 
zu thun, wenn ihnen freilich ihre Kollegen in der Stompagnie, Die 
Yıierträger, was Arbeit anbetraf, auc) den Rang abliefen. Dafitr 
ftanden dieje aber nicht gerade im beiten Ruf, galten für woiüjte 
und umredliche Gejellen, ja jte mußten bei Hinrichtungen dem Scharf- 
richterv Dienstleistung thun, jo daß die Weinträger jene wohl den 
Sreifnechten gleich jtellten. Exit fürzlich noch hatte der Nat dem Un- 
wejen zu jtenern verjucht und fte von der leßtern Verpflichtung be- 
freit. Dafür jahen fie mit gewaltigem Stolz auf die Salzträger, mit 
denen ihre ompagnie jede Gemeinschaft abwies. 

Die Salzträger waren wohl auch bereit, andere Arbeit anı Hafen 
zu tum und noch weiter jtromaufiwärts gabs deren genug. Dort 
fagen auf dem Fluß umd am Ufer Prahıme und einmaftige Lodigen, 
auf denen die wuilischen Kaufleute ihre Waren, Felle, Wachs, Getreide, 
Talg u. m. A. bi8 nach Niga gebracht hatten. Auch einige tiefer- 
gehende Schuten, die mit Stangen vorwärts gejchoben wurden, harrten 
der Ausladıng. Hier wurde überall eifrig gehandelt, Lärmen md 
Sprachengemijch tünte dem Bürger, der jeine Schritte hierher lenkte, 
entgegen, deutjche Laute, ruffiische Ausrufe und der Ton des Lettiichen 
gaben ein jeltfames Gewirr. 

Entlang der Dina 309g fih zum Teil au) die Stadtmauer, 
die von Starfen Türmen flankiert und gejchügt wırde. Von ihnen 
hinausgebaut waren überall Kleine Erfer, Bruftwehren, aus denen, 
wenn der Feind den Mauern nahte, Stedendes Pech md Fochendes 


Seraphim, Gefchichte L. 12 


— 178 — 


Wafjer geichüttet werden fonnte, weshalb fie der Volksmund wohl 
auc) Bechnaferi nannte. Die Mauer war damals wohl aus Seld- 
fteinen und eingeftreuten Ziegeln, die untereinander durch einen Mörtel 
verbunden waren, dejlen Fejtigkeit den heutigen weit übertrifft. Die 
Ziirme — 40—50 Fuß hoch — wurden im Mittelalter meift — und 
in Riga wird es nicht anders gewejen jein — emmen PBfeilichuß weit 
von einander angelegt, unter ihnen befand Jich regelmäßig ein Thor, 
„Pforte“ genannt, auf die natürlich aus dem Innern der Stadt die 
Straßen ausmündeten. So gab es eine Schweinepforte, die Ktiiter-, 
Heilige Geift-, Safob3-, Sand-, Schaal- und Stiftspforte u. m. andere"). 

Durch eines der rund gewölbten Thore treten wir in die Stadt 
jelbit. Schmal find die Straßen, hochgieblih und Fleinfenftrig Die 
sront der Häujer. Bom Giebel vagt nicht jelten ein ftarfer Balken 
nad) vorn hinaus und die niederrafjelnde jchwere Kette verrät, daß 
hoch oben unterm Dach der Kaufherr einen Teil der Ware zu be- 
wahren pflegte. Wie in den alten Städten des Mutterlandes jpringt 
der obere Stocd auf beiden Straßenfeiten um eim Stüd vor und 
bildet aljo unten einen Yaubgang, in dem nach Feierabend Groß umd 
Klein zujammenfigen und der Nachbar mit dem Nachbar plaudert. 
Mit Schreden horcht jeder auf, wenn die Turmgloden einmal das 
Signal geben, daß Feuer ausgebrochen jei, gar furchtbar ift noch in 
in aller Erinnerung der Schaden, der in der Martinsnacht 1293 alle 
betroffen hatte. Ein Gutes hatte das Unglüc aber doch gehabt, der 
Nat hatte ein Baugejeb gegeben?) umd Durch dasjelbe den Holzbau 
verboten. Die jchmuden Neubauten waren alle aus HZiegeln, Stein 
oder wenigitens Fachwerk, jtatt des Strobs oder der Schindeln dedten 
fie Ziegeln. Auch den rummen, winkligen Gaffen war geiteuert, genaue 
Beltimmungen über Höhe, Stärke und Länge der Haupt- und Giebel- 
manern, über Edhäufern ı. v. A. waren gegeben worden. Sm Wejent- 
lichen war das Straßenneß dem heutigen gleich, jelbjt die Straßen- 
benennungen von damals finden fich heute meist wieder. Manches 
Sewerbe hat fic) mit Vorliebe ganz einer Straße bemächtigt, hier 
jeine Werfitätte und Berfaufshaus eingerichtet, jo die Wurjtmacher 
over Hüter in der noch heute nach ihnen benannten Straße, jo die 


ı) Sojef Girgenjohn. Sfizze der Stadt Riga um 1300. Balt. M. XXXII, 
>) ch W. Neumann. Das mittelalterliche Niga. 1892. 


1 


mancherlei Schmiede in der Schmiedegafie, die Fleiicher oder Stnochen- 
hauer mit ihren Fleiichbänfen (de vleys scharne) in die Scheunen- 
Itraße. Die Bäder dagegen verfauften ihr Gebäf, Semmel und 
Werden, Schönroggen- und Speifebrot, in den Brotjcharren am Marft. 
Kurz, e8 war das Handwerk, das auch im alten Riga einen goldnen 
Boden hatte, daS dem Wandrer durch die Gafjen der Stadt überall 
entgegentrat und das jhon im 13. Sahrhundert fich auch bei uns 
„zur Negelung feines gewerblichen Betriebes und der Berhältnifje 
zwiichen Meiltern, Gejellen und Lehrlingen, wie überhaupt zur Förde- 
rung ihrer Snterefien umd des gejelligen Berfehrs in YZünfte und 
Sunungen zujfammengefunden hatte‘). 

Natürlich hatte man fi) in Niga an das Miufter der alteı 
Heimat angelehnt, wie die übrigen Livländiichen Städte jich wiederum 
nach Riga zu richten pflegten. Wie draußen, jo war auch hier zu 
Lande die Aufnahme im die Zunft nicht ohne weiteres möglich, der 
Ünehelichgeborene, der Unfreie und der Undeutjche waren Itets aus- 
gejchlofjen, nur der im Vollbefiß feiner Freiheit befindliche deutiche 
Yirger bildete den zünftigen Meeifter. Schon im 13. Jahrhundert 
gab es, nachdem die alte Gilde des Hl. Streuzes und der bl. Drei- 
faltigfeit, der befanntlich alle Bürger umfaßt hatte, durch den 1954 
erfolgten Austritt der Kaufleute aufgehört hatte, in Niga ee ganze 
Neihe jolcher Zünfte oder ompagnien, deren Statuten oder Schragen 
uns ein lebendiges Bild des Lebens und Treibens der Geiwerfer er 
ichliegen. Yweifellos hatten sich ehr Friih chen Goldjchmiede, Böttcher, 
Schmiede, Lafenjcheerer, Bäcker, Kirjchner, Schneider, Fücher, Schub- 
macher und die Gejellen in bejondern Bünden zujammengethan, denen 
fic) im 14. Jahrhundert viele andere anjchloffen, da es damals nicht 
weniger al3 gegen 60 Gewerbe in Niga gegeben hat. sede Zunft 
hatte ihren ltermann und defjen Beifiger, ihnen muhte ein jeder, 
der Meifter werden wollte, jein „Mleifterjtiik” zur Beprüfung vor 
legen. Die Goldjchmiede z.B. waren zu dreifacher Arbeit verpflichtet, 
zu einem goldenen Ning mit durchbrochener Arbeit, zu einer Brazze 
(Armband oder Brojche?) und einem Armband Fir eine Braut, d. D. 
defien Ende durch zwei fich drückende Hände zujanmengejchlojjen wide. 

ef, E Mettig. Zur Gejhichte der Nigajhen Gewerbe im 


13. und 14. Jahrhundert. Niga. N. Niynmel. 
12 * 


— 1a 


Ein Stupferichmied hatte drei Stefjel, ein Schwertfeger drei Schwerter, 
ein Blattenjchläger ein Baar Beinharniche, ein Baar Waffenhandjchuhe 
und emen mit Stahl und Eifenblech bejchlagenen Yevderharniich zu 
fertigen und jo fort. 

War das Meifterftüick Für gut befunden worden, jo mußte der 
junge Meifter, wenn ev nicht chen Bürger war, das Necht darauf er 
werben und einen Harntjch anjchaffen. Ach einen Stattlichen Meiftertrunf 
oder eime Köfte zu geben war er gehalten, bei dem die Stanıen Fröh- 
(ih freilten und es hoch herging. Der den Schuhmachern durften 
Frauen und Jungfrauen — vielleicht, weil fie der Zunft bejte tunden 
waren — teilnehmen, ja die galanten Meeifter diefer Kummpanei er- 
liegen wohl dem, der eine Tochter aus ihrer Zunft heimführte, das 
Meiftertück. Überhaupt galten fie fin galant und belegten den mit 
einer Bon von einem Markpfund Wachs, jo er „mit bavvuten 
benen over den vonfteen“ ging. Die Handierferverjammlungen, in 
denen die Wahlen vorgenommen, Gericht gehalten, Meifter aufgenommen 
wurden, nannte man „Neorgenprachen“. — 

se größer die Bürgerjchaft wurde, Dejto mannigfaltiger wurde 
auch die Organijation und dejto eigenartiger die Ausbildung der ver- 
ichiedenen Elemente. Während die 1354 gegrimdete Stummpanei Der 
Staufleute, aus der im Lauf der Zeit Die große Gilde wurde, feine 
Handwerker aufnahm, jonderten Die Zünfte, die jich allmählich zur 
Gilde von Spelt (der fleinen Gilde) vereinigten, ihrerjeitts die Gejellen 
wieder ab. Dieje jchloffen wohl 1390 emen Gejellenverband aller 
Sejellen der verjchtedenen Gewerke und emanzipierten jich dadurch von 
den Meeiitern, denen jte dienten. Geeinigt nahmen fie den Kampf um 
die Berbeflerung ihrer wirtjchaftlichen Yage auf md traten gegen Xohn- 
verfinzungen und für Herabjegung der täglichen Arbeitszeit ein: Die 
Streygejche Kompagniet) jptelt feine geringe Nolle in den Lohnfämpfen 
der Stadt und nicht erfolglos tft ihr Ringen geween. 

Doch wir müfjen innehalten. Zu weit wirde uns die Betrachtung 
des Einzelnen führen, nur noch einen Gang durch die Galle, wo Die 
mit geuer an der Efje Arbeitenden, die Schmiede, ihre Stätte hatte, 


1) Die Streygejche Kompagnie ijt freilic viel umfochten worden, uns jcheint 
die von Mettig aufgejtellte Theje doch die richtige. Wer fich für die Materie 
interejjiert cf. Situngsber. der U. &. 1885 an verjchiedenen Stellen. — cf. aud) 
Lamprecht, Deutiche Gefhichte V, 1. Hälfte. 


— 1831 — 


und über den Markt wollen wir unternehmen: „VBerjegen wir ung im 
Geilte in die Schmtedeitraße des mittelalterlichen Niga und wandern 
vor der Beiperglode an einem dunfeln Herbjtabend durch Diejelbe. 
Bon Ferne vernehmen oir jchon ein merfwitrdiges Klingen und ein 
durmpfes Getön, dejjen Wrheber wir auch bald erblicen. Deutlich 
treten aus dem Dunfel der Werfitatt in vötlichem Lichte die fräftigen 
Seltalten der Schmiedefnechte hervor, welche munter in nerviger Fauft 
den Hammer auf rotglühendes Eijen jchlagen, jo dak die Funfen 
Iprühen. Senes Geläute dev Hammerjchläge, das bei grellem TFeiter- 
\chein in das Ohr des müßigen Zujchauers dringt, hat auch feinen 
Neiz. Diefes Bild wiederholt jich, dem die Yabl der Grobjchmiede 
it in diefer Straße feine geringe. Sn der Werfitatt des Kleinichmiedes 
geht es jchon ruhiger her, aber auch bier leuchtet die Eife auf, wenn 
die Bälge blajen und der Meifter manches Stic Eifen glühend machen 
will, welches zu Sporen oder Steigbügeln oder zu Schlüfjeln verarbeitet 
werden jol. Länger fejlelt uns jchon der Blattenjchläger und der 
Waffenjchnied, deren Erzeugniffe, als da find Harntiche, Beinjchienen, 
Waffenhandichuhe und Schwerter, wir mit Ehrfurcht betrachten. Aus 
dem Stalfofen teigt bejtändig Nauch empor und beim Töpfer brennt 
wohl Tag und Nacht der große Ofen, in dem er den Gebilden jeiner 
Hand Feitigfeit für die Dauer geben will. Nicht fern von ihm it 
das Haus der Blidenmeilter, die ebenfalls am Feuer die verjchiedenen 
Teile der Sriegsgerätichaften bereiten. Beim Kupferichmied heimelt 
ums das Stlopfen der Stejfel wenig an und vom Grapengießer treibt 
uns der Gedanke, die im Steffel fich wälzende glühende Mafle, die zum 
Hu Flüffig gemacht wird, fünnte ihre Schranken ütberjteigen, fort. 
Bevor wir aber die Straße verlafjen, bietet jich uns noch ein Gegen- 
Itand umnferer Neugier dar: es it die Werkitatt des Goldjchmiedes 
sohannes Nibbeniffe, welcher das Necht beiigt, das Fojtbare Silber zu 
\chmelzen, jedoch bei offener Thür, damit ev nicht in Berfuchung komme, 
geringhaltiges Silber zu miichen“ y. 

smer mehr ift die Nacht heveingebrochen, wir juchen noc) einen 
Speifewirt oder „Sarbrater” auf, um ein Nachtmahl zu uns zu nehmen. 
Er fragt uns, ob wir im Garten effen wollen, oder im Wohnraum, der 
vaube Herbitwind gebietet uns, für das leßtere uns zu enticheiden. — 


1) cf. C. Mettig ]. c. pag. 57, 58. 


BR 


An andern Morgen gilt e8 noc) einen raschen Gang über den 
Markt zu machen. Wir durchjchreiten Die Neihen der Höfer, die den 
stleinhandel mit Gemiüfe, Geflügel, Eiern, Milch und anderen Dingen 
des täglichen Lebens in ihren Fleinen Bupden betreiben, wir bleiben 
vor den Bückerjcharren Stehen, in denen es bejonders ruhig hergeht, 
Stehen ste doch unter bejonderem Schuß als „befriedete Orte“, in 
denen VYerwwundung und Streit Doppelt jtreng beitraft wirrden. Wir 
treffen bei unferm Rundgang einen der Ülterleute, wie er in einem 
Yaden das Gebädf auf jein Gewicht prüft, in einem andern eine 
Semmel bricht und foftet. Er scheint zufrieden und jchreitet weiter. 
Unfer Führer lad’ ums ein, in das „Neue Haus“ zu treten, das einft 
den beiden Gilden als Berfammlungsort gedient, nunmehr jeit furzem 
von der ehrjamen Schwarzhäupterfumpanet eingenommen war, den jungen 
fedigen Kaufleuten, die fich zujammengethan, da die verheirateten Ge- 
nofjen, welche die Gilde von Münster bilden, Fich von ihnen abge- 
\ondert hatten. im jtattliches Gebäude finwahr! Der mohrenföpfige 
St. Mauritius ninmmt fich als Schußpatron gar vornehm aus und die 
Ichiweren jilbernen Humpen, die foftbaren Schüffeln beweilen ums, daß 
Die Schwarzhäupter veich find und das Leben fennen. Doch uns treibt 
es weiter ins Nathaus, das auf der andern Seite des Marfts Tich 
erhebt. Nicht eben großartig präfentiert fich der Bau: er ift weder 
groß, noch mit befonders ftattlicher Zacade gejchmückt. Narr zwei Gejchof 
hoch wird er von einem Starken Turm mit durchbrochener Galerie 
gekrönt. sm oberen Gejchoß, zu dem eine geichloffene Treppe hinauf: 
führt, befindet jich ein bedeckter Gang, ein Balkon, die Lauben ge- 
heißen. Wohl jchon damals mochte alle Morgen der Stadttrompeter 
von ihnen herab ein Lied blajen'). Hier gilt e8 ein Nechtsgeichäft, 
das abgejchloffen werden muf, che wir Niga verlaffen. An „Roland“, 
„dem Wahrzeichen jtädtiicher Gerichtsbarkeit und des Beamtenrechts“, 
einem grobgeichnigten, hölzernen Burjchen, defien rechte Hand das ent- 
blößte Schwert trug, vorbei?), dann vorüber an der Stadtwaage und 
dem Ktaf Pranger) führt uns der Weg hinüber zu den chrbaren, wohl- 
werfen Vätern der Stadt. Jr der Gerichtstube hatte man in alten Zeiten 
die Sagumgen, wie fie den Deutjchen in Gotland eigen waren, zur 


2) Anton Buhholg: Zur Gejchichte des Nigaychen Nathaujes. Mit 
teilungen XV. pag. 160 ff. 


> 


>) Sofef Girgenfohn. Niga ums Jahr 1300. 1. ce, 


Grundlage genommen, während der Nat in Neval ich nach Yübiichem 
echt richtete. Später war man in Niga zu den Aufzeichnungen von 
Hamburg übergegangen, doch wahrte man fich an der Dina wie am 
Slint das Necht der Ergänzung und des Ausbaus nach den Snterefien 
der engeren Heimat: Burjprafen nannte man diefe ergänzenden Nats 
verordnnungen, die aljährlih Sonntags vor Michaelis von den Lauben 
aus verlejen zu werden pflegten. 

Ach das Gejchäft wird erledigt, ein Fühler ITxunf im Stadt 
weinfeller gethan und dann nach feftem Händedrud von den Ehrjamen 
geichteden. Bon der Betersfirche jchlägt die Turmuhr zwer, gleich 
darauf tünt es von der St. Safobifirche und der Ordensfirche zu 
St. Georg und Den anderen Ktircehtürmern durch die Luft und mm 
hören wir auch einige Augenblicte ipäter die ehernen Klänge vom 
Dom. Die Gotteshäufer jelbjt jind uns fein auffallender Anblid, 
die HZiegelbauten unferer Baterjtadt Lübee find es, die wir bier 
iwiedertreffen, wenn auch die innere Konftrufttion mancherlet wejtfäliiche 
Eimwirfung verraten mag. Der Dom weilt ein jchönes Langjchiff 
mit fonjequenter Benugung des Spigbogens auf, alles tft einfach, in 
ernften Formen gedacht und durchgeführt, jelbit die buntfarbigen 
Ziegeln, gebrannten Thongefimje, Friefe und WBußflächen verichmäbt 
diefe nordische Arcchiteftur‘). „Sp find fait alle unfere Kirchen“, ex- 
erklärt der Gaftfreund, „auch der mächtige zwettiienige Dom zu Dorpat, 
nur die Schloßfiche zu Hapfal und die Kicchen in NReval find aus 
gehauenen Steinen und eritere gar prächtig mit funstvollen Ktapitälen 
und Schlußjteinen geztert.“ 

Man jah es, auf den Straßen jtrebte Alles nach Haufe. Hier 
begegneten einige Brüder des Domintfanerkflofters einem Mlinoriten- 
mönch und frommer Gruß wide gewechjelt, dort eilte ein ITrupp 
Schiller mit der Schreibtafel heimmvärts. Die angehenden Natsherrn 
fühlten fich im Gefühl der gelernten lateinischen Brocen äußert jtolz 
und plauderten von der Ausficht im Klofter Dinamünde bei den ge 
lehrten Mönchen in nächjtem Jahr neue Weisheit einzubennjen.  Sebt 
Icehritt auch eine „Singfrau“ durch die Menge; jo nannte Diele Die 
Beguinen, die Mitglieder des älteiten weltlichen Frauenvereins zu welt 

) MW. Neumann. Zur Charakterijtit der baltiihen Kunit. 
Sigungsb, der U. ©. für 1887, 


Zi or 


lichen Zweden'). Die frommen Frauen „Ttanden mitten inne zwiichen 
Stlofter und Welt“, zur Handarbeit und Stranfenpflege verpflichtete fie 
ihr Gelitbde, doch war es ihnen jeden Augenblic geitattet, in Die 
Welt zuriczutveten. Nicht allzu günftig Iprac) das Volk von ihnen, 
zieh fie der Bettelet md des Bagierens, was freilich nicht Hinderte, 
daß Ste zum Unterricht der Töchter der Birrger Berwendung fanden. 

Joch mancherlei erzählte umfer Führer, jo von den Gelagen der 
Stalandsbrüpder, einer Genofjenjchaft geielliger Art, die fich am eriten 
jeden Monats (Balendae) zu verlammeln pflegten und deren Wohl- 
habenheit zu ihrem Dirt tm richtigen Berhältnis jtand; von dem 
glänzenden lebten Seit der Schüßengilden, bei dem die Spielleute 
aufgejpielt und Jung und Alt Iuitig gewejen und der junge Ratsherr 
und Schwarzhäupterbruder Godefe Dürkop sth jowohl als Schüße 
wie als heitrer Gejelle beim Bankett gezeigt habe; von der bevorstehenden 
Seefahrt und dem Kaufhof in Nowgorod und manchem Andern. lo 
gelangten wir an Bord der Cogge „Fahr wohl“, die Anferfette hob 
jich freischend empor, der Wind jchiwellte das Segel und langjam ent- 
\hiwand die Stadt unjern Blicten. — 

Doch noch nicht vollftändig ijt unjer Bild. Wenden wir unjer 
Auge dem „Niefing“ zu, jenem FSlußarm der Düna, auf dem die aus 
Bolozf den Strom abwärts kommenden Strufen und Lodjen liegen. 
Jicht minder belebt als an dem Ufer itromab geht eS hier zu und für- 
wahr, nicht geringere Haufmannsintereffen jtehen hier auf dem Spiel?) 
und gerade zu Beginn des 15. Kahrhunderts blüht der Handel herrlich 
empor, jeitdem der Friede zu Kopufja den mannigfachen Differenzen 
mit Littanen ein Ende gemacht hatte. (1406). 

Der Handel Rigas mit Littauen, insbefondere Witebsf, Smolenst 
und Bolozf war jo alt wie die Diimaftadt jelbft und der Friede, 
den der große Albert 1229 mit dem Fürjten jener Handelspläge ab- 
geichlofien hatte, wurde mit Necht als die Grundlage der gedeihlichen 
Entwiclung desjelben angejehen. War doch hier ausdrücklich beftimmt 
worden, daß alle Nechte, die den „Lateinern“ it Aufland zuftanden, 
den rutschen Sanfleuten in Kiga und „am gotischen Ufer“ gewährt 


ı) $. Girgenfohn. Der Konventder Beguinen in Riga. Sibungsber. 
der U. ©. für 1889. 

2) ef. den mufterhaften Aufiag 9. Hildebrands: „Das deutjche Kontor 
in Bolozf“. Balt. Monatsichrift XXI. 342—381, 


— 15 — 


werden jollten: „Der rigische Bilchof aber, der Meifter der Gottes- 
ritter und alle Landesherrn geben den Lateinern md den Nufjen Die 
Dina frei von ihrem Ursprung hinab ins Meer.”  Gegenjeitigfeit 
und größmöglichite Freiheit waren aljo die ausgejprochenen Prinzipien 
des Vertrages, deijen gedeihliche Folgen fich bald bemerkbar machten. 
Altzährlich erjchienen nicht nur ruffiiche Händler auf ihren rohge- 
zimmerten Stufen und Lodjen vor der Stadt, jehr früh begannen 
fich ruffische Kaufleute auch dauernd in Riga niederzulaflen, wo ihnen 
ichon im 13. Jahrhundert auch das Bürgerrecht verliehen wurde. Weit 
bedeutjamer aber waren wohl die Beziehungen, die der deutjche Kauf- 
mann in der Fremde anfnüpfte Schon 1229 bejaß er in Smolensf 
eine eigene Kirche, jpäter bevorzugte er aber mehr Bolozf, wo ein 
Ihiwunghafter Handel fich Schnell entwicelte. Unter den verfrachteten 
Gegenitänden nahın Salz wohl die erjte Stelle ein, da diejer umnent- 
behrliche Artifel im Lande jelbit nur wenig gewonnen wurde Nächit 
diefem führte der Kaufmann „die Produkte der flandriichen und eng- 
lichen Wollinduftrie — die „LZafen“ von Npern, VBalenciennes, London —, 
das Leinen der Niederlande und Wejtfalens, die Erzeugniiie des Berg- 
baus — Eijen, Kupfer, Zimm md Blei —, verarbeitet und vob, der 
wichtige Hering, Wein, Bier, Gewürze u. W. ins Land. AS Gegen- 
gabe boten die Aufjen zahlreiche Nohprodufte des Ditens, jo das Wachs, 
das beim fatholiichen Kultus jo ausgedehnte Verwendung fand, Die 
verichtedensten Belzwaren, vom bejcheidenen Graumwerf, mit dem der 
Bürger jein Gewand jchmückte, 618 zum fürstlichen Zobel und Hermelin, 
die Ergebnifje der Viehzucht — Felle, Leder und Talg — und die Bro- 
dufte dev Waldivirtichaft — Aiche und Teer. Bei dem unentividelten 
Buftande des Ackerbaus jpielen jeine Erzeugnifje lange Zeit eine nur unter- 
geordnete Nolle. Exit zu Ende des 15. Jahrhunderts werden Flache 
und Hanf in großer Menge auf den Markt gebracht, während das 
Getreide noch gar feinen Ausfuhrartifel bildet, vielmehr zur Zeit von 
Migwachs jogar von Livland eingeführt vwird.“ 

E83 gab zwei Wege, die den deutjchen Kaufmann — fait aus- 
Ihlieglich Nigenfer — nach Polozt führten, den Winterweg und der 
Sommerweg. Zu Beginn der Schlittenbahn jah man lange Schlitten 
farawanen jowohl aus den Thoren Nigas wie Bolozk ziehen, bier 
wie dort jegten fie ihre Waren während des Winters ab, um vor An 
brusch des Märgtamvetters, abermals befrachtet in umgekehrter Richtung 


— 186 — 


zurüchzufehren. Billiger und daher weit öfter benußt war der Wafier- 
weg auf der Düna, auf der Die Frachten nicht nur jtromab, fondern 
auch jtromauf in fleinen Strujen und Lodjen transportiert wurden. 
Diefe Art des Berfehrs lag ausschließlich in den Händen von polozfer 
Bootsleuten, da weder die Deutjchen noch die ruffiichen Staufleute 
eigene Schiffe bejaßen. Galt e8 eine Strufe zu beladen, jo fam 
Leben in die am Ufer der Arbeit harrenden Salzträger, Sad um 
Sad, Ballen um Ballen verschwand im Laderaum, bis die Fracht 
vollftändig war. Dann erichien der Kaufmann, wohl von einem Ge- 
jellen begleitet, an Bord, und die Fahrt fonnte beginnen. Nichts war 
(angweiliger als fie. Langjam bewegte fich das flache, fiellofe Fahr- 
zeug gegen den Strom, bei Winditille von Bauern oder Pferden, die 
auf dem Saumpfade des Mjers ihren Weg nahmen, an langen Stricen 
vorwärts gezogen. Sprang Wind auf, jo wurden die großen Segel 
aufgejeßt und ein vajcheres Fortfommen ermöglicht. Aber jtetS galt 
8 jorgfam aufzupaffen, da die zahlreichen Untiefen des tückijchen 
Stroms ernfte Gefahren bildeten. So z0g das Ufer langjam an 
den Dlicen der Neijenden vorüber und manche Woche verging, bis 
die Kirchen von Bolozf emportauchten. War man dann endlich am 
tel, jo betraten die eigens beftellten ruifischen Träger das Fahrzeug, 
und brachten die Waren nac) den Höfen oder in die deutjche Kirche, 
die zugleich als Speicher diente. Zufrieden, der Mühen der Reife 
(edig zu jein, eilte der Kaufmann in einen der Höfe, wo jeine Kauf- 
freunde jeiner harrten und beim Methfruge die Chancen des Handels, 
die PBreife der Waren, der Zuzug fremder ruffiicher Händler beiprocgen 
wurden. Da gab es denn zu erzählen, daß die NAufjen dem alten 
Srundjaß, daß der Gajt mit dem Gajt Handeln dire, zu eignen 
Gunsten zu ändern trachteten. Sie allein wollten den Zwischenhandel 
behalten, den Deutjchen jei der Großhandel genug, der Stleimhandel 
müfje den Bolozferı bleiben. Dder aber man erivog, was man gegen 
die Fähichung der Belzwaren thun fünne, über die vielfach geflagt 
werde, oder man ergrimmmte darüber, daß die Nuffen e3 nicht weiter 
(eiden jollten, daß der deutiche Kaufmann beim Beprüfen der Wachs- 
£lumpen große Stüce abjchlage, die ev von Alter her zu behalten 
gewohnt war, auch wenn man nicht hHandelseinig wırde. Freilich), 
daß man von deutjcher Seite allerlei that, was mit Ehrlichkeit in 
Treue in bedenflichem Gegenjag ftand, davon redeten die Kaufherrn 


— 1897 — 


in ihrem Egoismus wenig, höchjtens, daß ein jchlaues Yächeln über 
ihre Züge ging, wenn fte daran dachten, daß in den mitgebrachten 
Heringstonnen die untern Lagen Fijche von weit jchlechterer Beichaffenheit 
war, als die oberen, oder aber daß in die Tuchballen in der Mitte 
minderwerthige Stoffe hineingelegt waren. Was fünmerte eS den deutjchen 
Kaufmann, wenn der Händler in Polozt oder der vertrauensielige 
Bojar auf Treu und Glauben entgegennahm, was ihm angeboten 
wurde. Der Nigenfer mochte fi wohl auch mit dem jophiftiichen 
Sab tröften, daß die langterminierten Frilten, die er den Rufen zur 
Begleihung der Schuld gewähren mußte, furz all die Nachteile der 
Borgwirtichaft, die bervorteilung derjelben vechtfertige, oder daß die 
mancherlei Zwiltigfeiten, die Gefahren, denen er ausgejegt war, Die 
nicht jeltenen SKonfisfationen jeiner Waren, ja die Öefangenjegung 
jeiner Berjon auf irgend eine Weije wettgemacht werden müßten. 
Hwar war er nicht völlig jchußlos, denn die feite Organtjation, welche 
die deutschen Kaufleute wie in andern Städten jo auch hier verband, 
und die jtarfe Hand des rigischen Nats, dem die Gerichtsbarkeit und 
die Vertretung oblag, wahrten in wichtigen Fällen das Necht, aber 
das Ungemackh im Keim zu erjtien vermochten fie nur jelten. Dazu 
fam, daß nicht wie in Nowgorod, ein durch Wall und Graben ge- 
Ihüster Hof alle Deutichen vereinigte, fondern daß die Kaufleute durch 
die ganze Stadt zerjtreut in verjchiedenen Häufern wohnten, jo daß 
wohl einer jchreiben fonnte: „Wir jigen hier getrennt von Haus zu 
Haus; jtirbt einer von uns, jo weiß der Andere davon nichts.“ 

An der Spite der Gemeinschaft der gerade ammvejenden deutjchen 
Staufleute, des „gemeinen Steven“ jtand der Dldermann, am deijen 
Stelle jeit Anfang des 15. Jahrhunderts ein Ausihuß „Olderlente 
und Weijefte des gemeinen deutjchen Kaufmanns zu Boloze“ traten. 
Im Einzelnen vegelte ein Schragen, der dem Nowgoroder jehr ähnlich 
lab, die Beziehungen der Deutichen zu einander, zu den Gäften umd 
den Bolozfern jelbit, jowie zu der Vormacht, dem Nate von Niga. 

E38 war ein reges, lebendiges Treiben, das hier in Bolozk herrichte, 
wahrlich nicht frei von hartem Egoismus, aber auch veich an Fühnen 
Wagenmt und Locdenden Erfolgen, ein echtes Bild mittelalterlichen 
Handelsgeijtes. — 


12. Kapitel, 


Allmählicher Dievdernang, 
Pas Alte Jürg, 28 ändert [uh die Beit, 

Wer hätte geglaubt, das wenige Sahre nad) den überrajchenden 
Erfolgen des Ordens in Livland, wie fte durch die Bullen Bapit 
Bonifazius IN. aller Welt Klar wurden, Ereigniffe eintreten winrden, 
die eine jchwere Schädigung des Ordens nach ftch zogen und der Ge- 
ltaltung der Zukunft völlig neue Bahnen wiejen. 

Wir reden hier nicht davon, das Kohann von Wallenrode fic) 
jehr bald, nachdem er auf dem erzbifchöflichem Stuhl von Niga Blab 
genommen, dem Orden, dem er doch jelbjt angehörte, zurüchaltend zu 
zeigen begann, ja Berbindungen mit Littauen und der Kurie anfnüpfte, 
die von Landesverrat herzlich wenig unterjchteden waren. Auch daß 
er 1403 im Herbit nach Deutichland entwich, brachte noch feine Um- 
gejtaltung der Dinge in Livland zu Wege. 

Der Anftoß zu eimer vollftändigen Verfchtebung der Machtver- 
hältniffe in dem Südojten der baltijchen Küfte und deren Littautich- 
polnischen Hinterländern datiert dagegen von jener Hochzeit zu Krafau 
1386, durch die eine Zufammenfaflung der littautich-polniichen Kräfte 
bewirkt und der Angriff gegen den das Meer beherrjchenden Orden 
in Breugen erjt möglich gemacht wurde. 

VBergegenwärtigen wir uns die Entwiclung der Verhältniffe u 
Littanen und Polen jeit der zweiten Hälfte des vierzehnten Juhr- 
hunderts?). 

sn November 1370 ftarb Kafimiv von Bolen, ein Monarch, der 
troß all der Schladen, die an feinem Charakter leben mögen, im Ges 
Dächtnis der VBolen nicht ohne Grumd als der „Sroße“ fortlebt. InS= 
bejondere die Neorganijation des polnischen Kriegsweiens, die er auf 


D} BKEQ 


2), Th. Schiemann |, e. I. pag. 503—558. 


— 189 — 


die Beteiligung des Grumdbejiges bafierte und in bewuhten Gegen 
lab zum Orden reformierte, war ein Werf, das für die Zukunft Polens 
von höchiter Bedeutung war. 

Da er jelbjt ohne männliche Veachfommenjchaft war, hatte ev den 
Sohn jeiner Schweiter Elijabeth), König Ludwig von Ungarn, zu 
jeinem Nachfolger beitimmt, der mit Drangabe der wichtigiten Kron- 
rechte den zahlreichen Widerjachern gegenüber ji zu behaupten juchte 
umd zufrieden war, wenn er wenigjtens die Thronerbfrage nach jeinen 
MWünjchen zu ordnen vermochte. Seine Negierung war für Polen 
hödhit verhängnisvoll, jo daß ein Chronift wohl von ihm jagen fonnte: 
„gu Zeiten diejes Königs gab cs in Wolen keinerlei Gerechtigkeit“. 
sein Wunder, daß, als der König, der offen eingeltanden hatte, ihm 
jet e8 jchier unerträglich polnische Luft zu atmen, 1382 ftarb, feine 
Trauer durch das Yand ging. 

Zu jenen Lebzeiten hatte König Ludwig feinen Schwiegerjohn 
den Luxemburger Sigismund, Markgraf von Brandenburg, zu jeinem 
Jeachfolger bejtimmt, aber die Antipathie gegen einen dentjchen König 
von WBolen war fo ftarf, dag Sigismund jelbjt das Erfolgloje feines 
Beginmens einjehen mußte und die Königin Elijabeth, die Jüngere, 
Ludwigs Witwe, um die Krone wenigjtens ihrem Haufe zu retten, 
erklärte, jte jei es zufrieden, wenn die polnischen Magnaten ihre jüngere 
Tochter Hedwig als Königin anerfennen würden. Im Herbit 1384 
wurde die junge jean die erjt dreizehn Sabre zählte, auch wirf 
(ih in Krakau gekrönt. Es galt nun für fie einen Gemahl finden, 
der den polntichen een nac) dem Sinn war. Zwar war fie mit 
dem Herzog Wilhelm von Ofterveich nicht nur verlobt, jondern jogar 
firchlich getraut, doch der Herzog war ja auch ein Deutjcher und daher 
den Großen wenig nach dem Sin. Kein anderer als der Groffürft 
von Littauen, Sagiello, jollte die Hand der Bedauernswerten erhalten. 
Was fümmerte eS die Mutter, was die Magnaten, daß der Aus- 
erforene ein Mann war, an dejjen Händen das Blut jeiner nächiten 
Verwandten flebte. 

Schon die Art, wie er zur Herrichaft in Littauen gelangt war, 
mußte die jugendliche Braut mit Abihen erfüllen. 

„sagiello war der Sohn des großen Digerd. Gegen jeinen greifen 
heim Seftuit zeigte er von Beginn an wenig Ehrfurcht und lohnte 
ihm die übelangebrachte Milde und Vergebung, als ev eines Einver 


— 19 — 


Itändnifjes mit dem Orden überführt wurde, durch jchändlichen, heim- 
tückiichen Verrat. Unter den Mauern von Troft gewann er das Heer 
des alten SKeftuit und dejjen Sohnes Witold, ließ Hierauf jeinen 
Oheim und Better gefangen nehmen und erjtern in Wilma erdrofjeln. 
Mit Mühe entging Witold durch die Flucht der Bermichtung, Die 
jeinem ganzen Haufe gejchworen war. Doch jchnell gab er den Orden, 
bei dem er Hilfe gefunden, wieder auf, als fich ihm Gelegenheit bot, 
mit Sagiello, der jeines Beiftandes bedurfte, jeinen Frieden zu machen: 
der Hochmeifter, Konrad Zölner von Notenftein, der durch einen ver- 
heerenden Einfall der Littauer und die Einnahme von Marienwerder 
auf das Höchjte erbittert war, hatte Nache gejchtworen, jo daß Sagiello 
eines Bundesgenofjen nicht entbehren konnte. Er machte Witold git- 
ftige Anerbietungen und viejer jchlug ein. Als Witold danı 1390 
eine neue Schwenfung zum Orden machte, wußte Sagtello ihn zwei 
sahre jpäter dauernd an jein Haus zu fejfeln: Er bot ihn die groß- 
fürjtliche Würde von Littauen unter jeiner Oberhoheit an und diejen 
Lockmittel widerjtand Witold nicht. Er brach für immer mit dem 
Orden umd verband fi in treuem Bündnis mit feinem Better umd 
einjtigem Gegner. Diejer aber hatte bereits neue große Pläne ent- 
torfen, um eine weitere Berjtärfung jeiner Macht durchzuführen. Wo 
hätte er fie eher finden fünnen, als in Polen, in dem die nationalen 
Antipathien gegen den Orden jchroffer denn je zum Ausdrucd famen? 

Sp vereinigten jich die Interefjen beider jlavischen Neiche zur ge- 
meinfamem VBorgehen gegen den Orden. Unter dem Druck der Um- 
tände wird es Jagiello ficherlich nicht jchwer geworden jein, Die Be- 
dingungen einzugehen, an welche die Hand der polnischen Hediwig ge- 
fniipft. war. Denn, wenn als erite derjelben die Aımahme der Taufe 
gefordert wurde, jo war diejelbe, zumal nach Stejtutts Tode, Doch ein 
unvdermeidlicher Schritt geworden; wenn ferner der polnische Adel Die 
Betätigung jeiner Freiheiten heilchte, jo war auch diefe Bedingung 
eine jolche, die Jagiello Ichwerlic) in Staunen jegen fonnte.  Aljo 
verjprach denn der Sropfürit jchon Anfang 1385 „Itch mit allen jeinen 
noch ungetauften Brüdern und Berwandten, mit dem gejamten Adel, 
mit allen vornehmen und niederen Einwohnern des Landes in den 
Schooß der. fatholischen Kirche zu begeben; ev werde alle jeine Schäße 
zum Nuten der beiden Neiche verwenden, er zahle die 200000 Gulden 
Nengeld fiir den Niteftritt von den Ehepaften mit Wilhelm von Ofter- 


— 1911 — 


veich; er werde alle dem polnischen Neich angethanen Beeinträchtigungen 
und Berkürzungen, von welcher Seite ie auch erfolgt jein mögen, auf 
eigene Koften vejtituieren; er wolle alle Gefangenen  beiderlei Ge- 
ichlechts, die während der Striege in die Hand der Littauer fielen, fvei- 
geben, und endlich feine littautschen und vıusfiichen Lande fiir ewige 
Zeiten mit der Stone Polen vereinigen.“ 

Am 12. Februar 1386 hielt Sagiello jeinen Einzug in Strafaı, 
an 15. trat er zur katholischen Sticche über, am 18. fand jeine prunf- 
volle VBermählung jtatt und am 4. März beitieg er als Wladislaw IV. 
den Thron der PBialten. 

Steine Macht wurde durch die Hochzeit von Strafau, die Dadurd) 
herbeigeführte PBerfonalunion der beiden jlavischen Neiche und Die 
Shriftianifierung Littauens jchärfer betroffen, alg der deutjche Orden, 
dem die Zufammenfaffung der polnisch-Littauiichen Streitkräfte milt- 
tärisch Höchit gefährlich werden mußte, dem aber vor allem die von 
Jagiello und der Ffatholischen Geiftlichkeit zielbewußt durchgeführte 
Shriftianifierung Littauens das Fundament jeines Dajeins, den Kampf 
gegen die Heiden, unter den 7Fiißen Fortzog. 

ES ijt hier nicht der Bla den bereits um Jahre 1356 ausbrechenden 
Strieg zwischen Sagiello und dem Orden in jeinen einzelnen Phajen zu ver- 
folgen, nur das jei hervorgehoben, da unter dem Nachfolger des Hoc)- 
meisters Wallenvode, dem ritterlichen Konrad von Sungingen, der Orden 
ducch den Ankauf der Neumark, die ev von Brandenburg erwarb, Die 
Feindjchaft Bolen-Littauens jteigerte, ohne bet der mipvergnügten Haltung 
des Adels des neuerivorbenen Landes irgendwelchen Gewinn aus ihn 
ziehen zu fönnen. So viicfte der Tag der Entjcheidung immer näher, den 
der Orden troß aller Suche nach Bunwesgenofien allein zu bejtehen haben 
jollte. Denm was jollte ihm ein Schiedsipruch König Wenzels müben, 
der jo parteiijch fiir die Brüder war, daß er die Polen und Littauer 
zu heller Wut entflammte, was die Intervention und jchließliche riegs 
erklärung König Sigismunds von Ungarn an Sagiello? Am 15. Juli 
1410 erfolgte die Entjcheidung auf dem Felde von Tannenberg 
die Schlacht mußte das Los werfen über das Gejchiet der Oftjeelande. 

Das DOrdensheer war an Zahl nur halb jo Itark, wie die polnisch 
littauifchen Heerhaufen unter Dagiello und Witold und die einzige 
Waffe, in der der Feind überlegen war, die jchwergepanzerte Nitter 
char vermochte den Mangel an leichten Neitern nicht auszugleichen. 


— 


Ach das Gejchiiß des Orvensheeres, das entjchteden jtärfer war, als das 
der Littautsch-polnischen Armee, fonnte nicht vecht zur Beriwendung kommen. 

Eine entjeßliche Nacht ging dem Schlachttag voraus, unaufhörlic 
rollte der Dommer, zucten am dunfeln Himmel Flamnmende Bliße, 
tröinte der Negen auf die Erde hernieder. Drfanartig fegte der 
ind iiber die Heide, viß die Zelte um und ließ feinen die Augen schließen. 

Um die Mittagszeit des 15. Juli begann die „Bolenjchlacht“ "). 
Ss vitterlicher Weile hatte Konrad von Nungingen den beiden ‚Firiten 
zwei Schwerter itberfandt und ihnen Fehde angejagt: „Willet, Nünig 
md Witold, jprach der Herold, daß wir im Ddiefer Stunde mit Cuc) 
fämpfen werden, umd Ddiefe Schwerter jchiefen wir Euch als Hilfe zum 
Sejchent. Yakt uns aber das Schlachtfeld wählen oder wählt e8 
jelbjt.“ Sagiello gab zur Antwort: „Die Schwerter, die ihr ms 
gefandt Habt, Haben Wir empfangen, und im Namen Chrijti, der den 
Nacken der Übermütigen zertritt, werden wir mit Euch fümpfen. Ein 
Schlacht- und Ktampfesfeld aber wiljen wir Euch nicht zu bejtinmmen 
und wollen es auch nicht: die Stätte, die der Herr ums guädig aı- 
weilen joird, an der wollen wir mit Euch fänpfen.“ 

Auf beiden Seiten fümpfte man, als die Schlacht entbrannte, mit 
großer Bravour, jchon glaubten Die Deutjchen den Steg in Händen 
zu haben, jchon tönte der alte Siegesjang: „Ehrijt ijt erjtanden!“ 
durch ihre Neihen. Doch der Jubel war zu frih, denm zu weit ließ 
fich der linke Flügel im der Hite der Verfolgung fortreißen, und ala 
er endlich zurückkehrte, war im Yentrum durch jcehnövden Berrat die Ent- 
iheidung zu Ungunften der Deutichen gefallen. Bergebens verjuchte hier 
dev Hochmeifter in Perjon das Glück zu zwingen, vergebens durch einen 
heldenmütigen Vorstoß ins Herz des Feindes SJagiello jelbjt zum Ge- 
fangenen zu machen. Immer größer wınde die Mafje der Gegner, immer 
undurchdringlicher ihre Schwärme. Als die Sonne janf, war Alles ent- 
ichteden: da deeften das Dlachfeld der Meifter, der Marjchall und viele 
Drdensgebietiger, „der Bolenfönig aber war MNeeifter im Gebiete der 
MWeichjel, mu noch von jeinem Willen und den Umftänden, die diejen 
beitimmten, hing es ab, wiefern der Orden bejtehen jollte oder nicht“ °). 


1) cf. auch K. von Schlözer’3 Verfall und Untergang der Hanja und des 
deutschen Ordens. pag. 17 ff. und Alerander Bergengrün: Die Schlacht bei 
Tannenberg. Balt. Monatjchrift XXAIL. 

2) Nanfe Preuß. Seid. I, 72. 


— 195 — 


Noch jchlimmer als die verlorene Schlacht, bei der die ritterliche 
Ehre doch gewahrt worden war, wurde dem Orden der moralische Zur 
jammenbruch, der nach der Schlacht zu Tage trat und im grellftem Licht 
zeigte, auf wie jchwachen Füßen die Herrichaft der Brüder baftert war, 
welcher Groll hinter den Mauern der Städte, welche Abneigung bei 
dem preußischen Adel gegen fie lebte. 

Ein allgemeiner Abfall zu Sagtello war die nächite Folge: „mit 
Briefen, Gelübden und Gaben bezwang der König alle, klagt der Ge- 
ichichtsfchreiber, dergleichen große Untreue und jchnelle Wandlumg jet 
nie im Lande erhört gewejen, innerhalb eines Monats jer alles Yand 
dem Könige unterthan geworden“. Elbing gab das Berlpiel zu dem 
Ichmählichen Handel, Danzig, Thorn, Braunsberg und jo manche andere 
Seite folgten. 

Schon wähnte Sich Sagtello Meifter des ganzen Landes, da er- 
Itand demjelben in Heinrich von Plauen, dem Komthur von Schwez, 
der rettende Held. Bor den Mauern der Marienburg brach) jich Sagtellos 
Siegeslauf, eine Seuche dezimierte das Heer und das Heranricen der 
Ungarn, Bommern und Brandenburger, vor allem die triegsbereitichaft 
der Livländischen Heerhaufen ließen es dem Könige vätlich ericheinen, das 
Land jo jchnell wie möglich zu väumen. 

Die Brüder aus Livland unter dem Landmarjchall Bernd Hevel- 
mann mit ihren Soldtruppen waren zu jpät eingetroffen, um an der 
Schlacht von Tanmenberg teilnehmen zu können, je hätten die Entjcher- 
dung wohl auch nicht geändert. Sebt vermochten fie das Wort des 
(toländiichen Mleifters, „er wolle den Hochmeister bis im den Tod 
gehorjam jein, jollte ev auch alle Livlande darum zu Schanden lajjen“, 
wahr zu machen: Ste wurden der Stern, um dem jich die treugebliebenen 
Elemente des Landes charten. Mit ihnen Hand in Hand fegte Hevelmann 
die polnischen Truppen aus Oftpreußen hinaus und erreichte dadurd 
eine jo mächtige Erjtarfung des polenfeindlichen Simmes, daß, als 
Witold mit großem Heer gegen den Orden aufbrach, ev das ganze 
Land in hellem Aufftand Fand und unverrichtetev Sache heimfehrte. 
Zugleich tellte fich der Vogt der Neumark, Michael Nüchmeister, au 
die Spige von gemieteten Knechten, Sremvillige ftrömten hm zu, eilends 
brach er nach DOften zu auf. Auf die Kunde hievvon, jorwie entmutigt 
duch die erfolgloje Belagerung dev Marienburg und den eigemvilligen 
Abzug der Scharen Witolds väumte um die Wende vom September 


Seraphim, Sejcichte I. 13 


— 194 — 


zum Dftober Sagtiello das DOrdensgebit — am 9. November erforen 
darauf einjtimmig die Brüder Heinrich von Plauen zum Hochmeiter. 
Diefer Umfchwung beivog Sagiello zur Nachgiebigfeit: am 1. Febr. 
I411 wurde der I. Thorner Friede zum Abjchluß gebracht. Heinrich 
von lauern, der bereits zu Martini 1410 von dem Livländijchen 
Meijter, dem Deutjchmeilter und den Gebietigern zum Hochmeiter 
erhoben worden, jeßte hier Bedingungen durch, Die verhältnismäßig 
itberaus günftig zu nennen find. Im Allgemeinen jollte der status 
quo gelten, mır Schamaiten, das thatjächlich Doch nie vom Orden völlig 
beherricht worden war, follte zu Lebzeiten Sagiellos und Witolds an 
dieje Fallen, zur Auslöjung der Gefangenen des Ordens jollten 100000 
Schoed Grojchen entrichtet werden, alle Streitigkeiten durch ein Schieds- 
gericht zum Austrag kommen. 

Wäre mir die Geldjumme nicht aufzubringen gewwejen! Das Land 
war durch Die ewigen Nüftungen arg belaftet, Die Städte, denen Die 
Summe aufzubringen wicht eben jchwer gewwejen wäre, engherzig und 
dem Orden jeindlich gefinnt. AS der Hochmeifter Das reiche Danzig 
zu den Striegsfoften hinzuziehen will, entfaltete es offen die Fahne der 
Empörung, tim Gilmerland bildete jich der Geheimbund der Eidechjen 
unter dem unzufrievenen Bajallenadel, defjen erjter Anjchlag auf Hein- 
rich von WBlauens Leben zwar entdeckt wurde, dem aber zwei Jahre 
jpäter der Sturz des hochitrebenden Mannes gelang. 

Michael Kiichmeifter, genannt Sternberg, wırde Hochmeister, „ei 
nicht eigentlich untüchtiger Mann“, aber eine PBerjönlichkeit, die ohne 
wahre Charafterfeitigfeit und Neinheit der Gefinnung, von einer Bolitif 
des Diplomatifierens und der Kompromifje fich alles verjpradh. Zu 
diefer Unficherheit der Bolitit des Ordens kam die troftloje Uneinigkeit 
im simern, die Wißgunft, der Neid und die Eiferfucht aller Stände 
gegen einander. Bergebens hatte Schon Heinrich von Blauen, nament- 
(ich auf Konrad von Bietinghoffs Nat, den Adel und Städtevertreter 
zur Zeilmahme an der Landesverwaltung herangezogen, die Eintracht 
und das Vertrauen ließen ich nicht hevjtellen. Auch der Handel des 
Ordens ging bergab, die Stlagen über Miünzverjchlechterung nahmen Fein 
Ende und alle Borjchriften und Ermahnumngen vermochten feinen Wandel 
zu Schaffen. 

Auch umjere Heimat hat an den Folgen der Schlacht bei Tannen- 
berg ıhr vollgemejjen Maß mitgetragen: auch bier jeufzte dev Orden 


= 


unter der LXaft der Striegsiteuer, auch hier dachten weder Städte noc) 
Nitterichaften auf ihre Schultern wenigjtens einen Teil derjelben zu 
nehmen. Sn Sorge um die Zukunft it Meifter Conrad von Bieting- 
hoff zu jeinen Bätern verfammelt worden, jeine Nachfolger wurden evit 
Dietrich Torf, danı Siegfried Lander von Spanheim und hierauf Eyjie 
von Nutenberg, Männer, die faum mehr als Namen fir uns bedeuten, 
da Züge ihres perjünlichen Wejens uns nur jpärlich überliefert find. 

Getreu haben fie alle drei den Brüdern in Preußen in den leid 
vollen Tagen nach dem Ihorner Frieden zur Seite geftanden, ihre 
Hauptjorge aber war der Streit mit dem Erzbischof Johann von 
Wallenrode, der jeit 1403 bereits außerhalb Landes gegen den Orden 
agitterte. Noch war der Zwilt weit entfernt von einer Berlegung, als 
im Sahre 1414 das jehnlichit erwartete tonzil der allgemeinen Ehrijten- 
heit zur Reform der Kirche an Haupt und Gliedern, zujammentrat. 
Aber es war weit mehr als eine glänzende Ktirchenverfammlung, die der 
Kicchenjpaltung eim Ende mächen, die rrlehre des Hub verdammen 
und den Glauben reinigen jollte, es war ebenio eine allgemeine euro 
pätiche Neichsverfammlung, auf der im Betlein des Statjers alle welt- 
lichen Streitfragen, und nicht in leßter Neihe die Differenzen zwoilchen 
dem Orden und Littauen- Polen, wie die zwißchen dem Liwvländichen 
Meifter und dem Erzbischof zum Austrag fommen jollten. Diele Dinge, 
vor allem die Perfon Johann Wallenvodes haben auf dem Konzil jo 
gar eine höchit bedeutungsvolle Rolle geipielt.') 

Es fanı hier nicht unfere Aufgabe jein, im Einzelnen zu erzählen, 
welch verworrenes und veriviceltes Sutriguenptel in Konjtanz vor jich 
ging, wie der Orden von Allen als die milchende Kuh angejehen wurde, 
von der man Vorteil ziehen fünne, wie jich von allen Seiten immer 
neue Släger, neue Anfpriüche einftellten, jelbjt die alten Domberen des 
frühern Erzbischofs Johann von Sinten jich meldeten. Mehr den all 
gememen Dingen gilt es bier nachzugehen. Nachdem Kobanı NXIT. 
abgejeßt und auch Huß im Juli 1415 verbrannt worden war, tagte Die 
hohe Berfammlung nunmehr zwei und einhalb Nahre ohne Papit, da 
die Stimmen derjenigen im der Mehrheit waren, die evit die Neforma 
tion der Kirche an Haupt und Glieder vorgenommen wilien wollten, 


I) ef. auh TH. Schiemann. „Ein Jahrhundert vor der Neformation“ in 
ven Hiftor. Darftellungen 20. Meitan 1886. 


— oe 


ehe man zu eimer neuen Bapjtwahl jchritt. Natürlich jtieg in Diejer 
Bwifchenzeit der Einfluß der hohen PBrälaten, der Erzbijchöfe vor allem, 
in ganz ungeahnter Weife und auch Sohann Wallenrode heimjte jeinen 
Tribut ein. Dffentlich legte er, denn den Orden firchtete ex jeit der 
Tannenberger Stataftrophe nicht mehr, die Ordenstracht nieder, öffent- 
lich jprach er eS aus, daß der Orden „die Kirche zu Riga, welche früher 
die Hausfrau geivejen, widerrechtlich zur Magd erniedrigt habe“. 

Gern hätte Yander von Spanheim, troß diejer übermütigen Worte, 
eine Einigung mit dem Erzbischof zu Wege gebracht, denn böje Zei 
tungen gingen von allen Enden Yivlands in Wenden ein; der Bilchof 
von Dorpat, iiber den Mord eines jener Bajallen, Sohann von Dohlen, 
der in Preugen begangen worden war, aufgebracht, jan wieder einmal 
auf Verrat, auch die harrisch = wieriiche Nitterjchaft war in Erregung, 
dazıı begamı eine peitartige Krankheit im Lande ihre Opfer zu fordern. 
stein Wunder, daß der Yandmeister in Livland entichloffen war, aus 
der Habitfrage weiter feinen Streitpunft zu machen. Da gelangte plöß- 
(ih Anfang Februar das Gerücht nach) Niga, Sohanı von Wallenrode 
jet drauf und dran jeinen Sib aufzugeben und einen andern einzu- 
nehmen. „Damit trat“, wie wohl gejagt worden tt, „die ganze YAn- 
gelegenheit in ein neues Stadium, dem man eine welthijtoriiche Be- 
deutung nicht abjprechen fan“. 

Die Berhandlungen der Neformkonmiffion, die auf Betreiben des 
gropen Kanzlers der Barifer Sorbonne, Gerjon, jett Johannes XXI. 
Abjegung fich verfammelt hatte, nahmen bei den nationalen Neibereien 
ihrer Glieder mur einen überaus langjamen Verlauf, fein Wunder da- 
her, daß das Kardinalsfollegium, aus deren Mitte doch ein Bapjt ge- 
wählt werden mußte, das der Reform daher aus vecht jelbjtijchen Suterejjen 
abhold war, wieder mit der alten Korderung bervortrat, zuerjt der num 
Ichon jo lange verwaiften Stirche em neues Oberhaupt zu geben, dam 
jet es immer noch Zeit, die Neformen durchzuführen. Man jtinmmte in 
Stonjtanz befanntlich nicht nach Köpfen, jondern nad Nationen, das 
Hauptaugenmerk der Kardinäle war e8 daher, die Majorität der vier 
Kationen zu gewinnen. Und in der That, es gelang ihnen, die Ipantjche, 
italienische und franzöfiiche Nation ihren Plänen willig zu machen, jo 
daß Ddieje mit dem Stirchenfürften gemeimjam als der „größere und ver- 
nünftigere (!) Teil des Konzils“ den Deutjchen eine Art Ultimatum zus 
jtellten und alle Schädigungen der Kirche „der frommen, geduldigen, 


— 197 — 


demittigen deutjchen Nation“ zur Verantwortung zujchoben. Bergebens 
antivortete Dieje „es fer beifer, zuerjt zu reformieren und die herrichen- 
den Mifbräuche zu bejeitigen, als einen neuen Bapjt und wäre e8 auch) 
der heiligfte, der Gefahr auszufegen, in diejelbe zurückzufallen“. Vergebens 
baten die Deutjchen, wenigjtens die Grundzüge der Reform feitzuitellen 
und dem dann zu wählenden hl. Vater die Spezialveform zu itberlaffen. 
Selbft diefen Widerftand wußten die Gegner zu bejeitigen, indem fie Die 
Einigkeit der Deutjchen jprengten und dadurch ihren PBroteft ilujoriich 
machten. Freilich die Mittel, die fie anmwandten, waren nicht eben jehr 
fichlich und chriftlih. Man wußte nur zu gut, daß Sohann Wallenrode 
fich in ewigen Geldverlegenheiten befand, da jein Erzitift in den Händen 
deg Drdens war, und hier eben fehte man den Hebel an. Das reiche Stift 
Lüttich jollte ihm zu teil werden, wenn er von der deutjchen Nation fich 
(o8jage — zu verlodend war der Preis, Wallenrode verkaufte jein Ge- 
wiffen für chnövden Mammon. Auf diejelbe Werfe gewann man einen 
andern Prälaten: Ambundi, den ehrgeizigen Bijchof des Heinen Chur, 
gelütete e8 Wallenrodes Nachfolger in Niga zu werden, man zügerte 
nicht, ihm diefen Köder vorzumwerfen und gewann auch ihn. 

um erfolgte Die ER des neuen Bapftes: der Kardinaldiafon 
Dito Colonna bejtieg al3 Martin V. den heiligen Stuhl. Wohl hatte 
man bejchlofien, die ae lofort nach der Wahl zur Beratung zu 
bringen, wohl hatte Colonna vor der Erhebung verjprochen, Ftch ihnen 
nicht zu entziehen — faum war er Bapft, jo vergaß er leichten Simmes, 
was er gelobt. Schleunigit Ächloß er mit den einzelnen Nationen 
Sonderverträge (Konfordate) ab und ritt am 18. Mat 1418 von dannen: 
„Hinter ihm her z0g aber der Fluch aller derer, die er um ihre hei- 
ligjten Hoffnungen betrogen hatte.“ 

Hatte Martin V. Alle Hintergangen, warum jollte ev mit Livland 
eine Ausnahme machen? Er hat denn auch den Dvden mit echt 
italienischer Titeke betwogen und belogen. WS der Meifter, dem die 
Wahl einer geeigneten Perfünlichkeit als Nachfolger Wallenvodes aufs 
(ebhaftefte am Herzen lag, durch den Ordensprofurator dahin wirken 
ließ, auch Fein Geld parte, dal; wieder ein DOrdensbruder Erzbiichof 
wide, erhielt er die beiten Zuficherungen. Noch am Tage jeiner Ab 
reife erklärte Martin V. zum PBrofurator gewandt: „Da verlaflet euch 
darauf, Laffet mich damit umgehen, die Kirche Joll Feiner haben, ev trete 
denn in den deutjchen Orden. Das nehme ich auf mich!“ „Da dankte 


— 1% — 


ich jchreibt der Ordensprofurator — Sr. Heiligfeit und jchied ge- 
trost von ihm.“ 

Und acht Tage Ipäter erfolgte Anbundis Ernennung zum Erz 
biichof von Niga, von jenem Eintritt im den Orden war aber feine 
Mede! Bergefien waren alle Bullen Bontfae’ IX., auf denen die Hoheit 
des Ordens begriindet war, troßig weigerte fich) der neue Erzbiichof, 
als er noch 1418 ins Land fan, das weiße Gewand anzulegen, ja, 
während der Orden noch zauderte, wußte er eine Bulle Martirs V. 
zu erlangen, welche jene Verfügungen Bontfactus’ für mull und nichtig 
erklärte. 

Yu dem drohenden Bürgerfriege gejellten fich andere Gefahren. 
surchtbar wittete die Belt in Livland, das Volk Floh aus den Städten 
hinaus aufs Land und trug die Seuche auch dorthin: „Das Sterben 
ift leider an allen Enden diefer Yande, heißt es im einem Brief des 
Meifters, jo groß und unmäßig in allen Winfeln, daß wir es faum 
genügend beklagen fünnen.“ 

Irobdem hat Livland das jchwere Geichtek getragen und an den 
polnisch-littauischen Schwierigfeiten und Kämpfen des Ordens in Preußen 
vedlich jenen Anteil gehabt. In der Marienburg jaß jeit 1422 wieder 
ein neuer Hochmeister, Paul von Nußdorf, der die Zügel, die den 
Ichiwachen Händen Weüichael Küchmeifters entglitten waren, aufgenommen 
hatte. Wohl war er, dem freilich von Vielen arge Beitechlichkeit nach- 
gejagt wurde, em vitterlicher Mann, der dem unerträglich gewordenen 
jarmatischen Hochmut eines Nagtello und Witold gegenüber entichloffen 
war, zum Schwert zu greifen, aber der emergische, viiekfichtsloje und 
ichlachtenfundige Führer, wie ev dem Orden Not that, war er leider 
nicht. Den furchtbaren Berheerungen Breugens vermochte er nicht zu 
Itenern, jtatt dem Feinde die Stirn zu bieten, verjchanzte er Jich im 
Kulmer Lande. Zwar ließ er auch den Livländiichen Meifter zum 
Kampf entbieten, aber jo Spät, daß derjelbe nicht rechtzeitig auf dem 
Blab fein konnte. Meifter Siegfried that, was er fonnte, aber nicht 
mir die Belt, „die, wie er an Nußdort jchrieb, unfer Land zu Livland 
alfo jehr verwüftet und verelendet, daß Gott weiß und ji) Darüber 
erbarmen muß“, hinderte an thatkräftigem Eingreifen, auch Die „Uit- 
treue der PBrälaten“ zwang ihn jelbft, im Lande zu bleiben. War es 
nicht unjagbar Schändlich, dag Martin V., durch polnisch-Littauiiches Geld 
gefügig gemacht, den Liwvländiichen Bischöfen verbot, dem Orden irgend- 


— 199 — 


welche Hilfe gegen Sagiello zu leisten! Es waren daher mur zwei 
Heerhaufen, die aus dem fernen Harrien nach Königsberg zogen, um 
an dem Kriege teilzunehmen. Doch elend genug war der Ausgang 
desfelben. Überall wırde, dank der ungeschieften Dispofition des 
Hochmeifters, der Orden zurücgedrängt und geichlagen, manc) tapfern 
Mann verlor er durch Gefangenjchaft. uch Livländer waren da- 
runter, jo die VBögte der Sonnenburg und von Seriwen, ferner Wilhelm 
Hahn, Dietrich von der Rede und manch andere Edle. Was half dem 
gegeniiber das hohe Lob, das Rukdorf den Livländern zollte, wenn ex 
an Spanheim meldete, die ihm zugefandten Mannen, der Yandmarjchall 
an ihrer Spiße, jeten jo gehorfam und gutwillig geiwejen und hätten 
lolchen Fleiß, Ernft und Treue im diejfem Striege eviviejen, daß er 
alle jeine Gebietiger eS dem Meifter und ihnen nicht genug danken 
fünnten. 

Doch nicht allein den Berluft manches Tapferen hatte unjere Hei- 
mat zu beflagen, noch jchwerer wog, daß der Livländiiche Meetiter und 
alle Stände und Städte Livlands den chimpflichen Frieden mit unter 
zeichnen mußten, den Baul von Nußdorf im September 1422 am 
Melno-See abjchloß und der dem Orden Schamaiten und Sudauen nun 
mehr definitiv entriß. Bon nun an trennten die jchamaitischen Lande 
Livland von Preußen und „damit war der Großfürjt (Witold) am Ziel 
jeiner gegen den Orden gerichteten Bolitif” gelangt, gegen den ex jebt 
freilich freumdlichere Seiten aufzog, zumal jich das Berhältnis zwilchen 
ihm und Sagiello von Jahr zu Sahr geipannter geitaltete und ein 
Krieg beider Fürften immer drohender emporitieg. 

Der wadre Meifter in Livland hat an dem ‚Frieden vom Melno 
See jchwer getragen. Noch ift ein Brief von ihm an Baul von Rukdorf 
erhalten, in welchem ev ihm mit mannhafter Nede anjpornt den Kampf 
aufzunehmen, Livland werde ihm treu zur Seite jtehen. Ein Appell an 
die deutschen Kurfürsten, Fürjten und die Edlen Deutichlands werde 
nicht ohne Erfolg jein, im jchlunmften Fall jolle ev „das Ovdensland, 
das von Grafen, Firften und von eimer werten Nitterichaft zur Be 
Ihirmumng des heiligen Chriftenglaubens erobert worden, ihnen zu teil 
geben. seder möge dann mit jeinev Macht verteidigen, was ihm zu teil 
geworden; Der Drden werde mit Blut, Leib und Leben den Kampf 
unterftügen. mimer noch beifer, das Oxdensland gebe jo im Deutliche 
Hände über, als daß e8 den Polen, Littanern und Heiden zufalle,“ 


— 200 — 
Doch dieje guten Worte fanden in Preußen fein Echo: im Meat 
1423 unterfiegelte dev Hochmeifter zu Wjelun den Deftnitivfrieden. 

Kaum ein Sahr Ipäter März 1424) ift Meifter Siegfried aus dem 
Leben abberufen worden, jein Tod aber enthüllte tiefgreifende Gegen 
jäße, die, zu all den übrigen Gefahren und Wirrniffen, inmitten des 
twoländischen Ordens jelbit fich eingentitet hatten: den nationalen Ziote- 
palt zwiichen den Nheinländern und MWeitfälingern )), der dann 
iiederum im verhängnisvoller Werle auf das Verhältnis zwiichen dem 
Hochmeister und den Moländiichen Brüdern zurüchwirfte und namentlich 
während des Negiments Paul von Nupdorffs zerrüttende und lähmende 
Folgen zeitigte. Denn das war eben das Unglüc, daß die nationalen 
Sruppen der Nheinländer und Weltfalen fich nicht etwa in Preußen 
und Livland die Wage hielten, jondern das in Preußen die NAhein- 
länder, bei uns die Weftfalen überwogen, mithin aus dem nationalen 
Segenjag im Orden zugleich eine feindfelige Stellung des preußtichen 
Ziveiges des Ordens gegen den Liwländtichen wurde. 

Seitdem der Orden jenen urprünglichen Beruf vergeffen und zu 
einer Berlorgungsanftalt des deutichen Adels geworden, jtrömten ihm 
vielfach Leute zu, die ihm früher ferngelteben waren, namentlich \iid- 
deutsche Epdelleute aus Schwaben, Franken und Bayern, Herren vom 
hen und auch aus Mitteldeutichland — man faßte jte unter dem 
amen der rheimichen Zunge zufanmen. In Livland dagegen über- 
wogen weitaus Die Norddeutichen — die weitfäliiche Zunge. Iuvden 
num Nußdoff, der fich zu den Nheinländern hielt, verjuchte, jeine 
Sreunde auch in Xıvland zu beginftigen, erregte er hier arge Oppo- 
fitton. Wurde der Hofmeilter doc jowohl von den Livländiichen 
Gebietigern, die in der Mehrzahl Weftfälinger waren, wie von dem 
Deutschmeister bejchuldiat, daß er Fich bei der Livländischen Mleiter- 
wahl Habe beftechen laffen und aus Barteiinterefie jtets dem Nhein- 
länder von den beiden ihm präfentierten Kandidaten den Vorzug ge- 
geben, obgleich der andere Kandidat der bei weitem tüchtigere gewejen 
jet. Schon bei Eyfje von Nutenbergs Wahl hätten ein Schrein mit Gold und 
zer der Schönsten Hengfte und das Barteiinterefje den Ausjchlag gegeben. 

1) cf. hierüber auh Ph. Shwark. „Über die Wahlen der ivländijchen 
Drdensmeifter”. Mitteilungen XII, pag. 459 und Ph. Schwarg: Über eine An- 
Hagejchrift gegen den Hochmeifter Paul von Rufdorff ze. Meitteil. XIV, pag. 145 ff. 
Mir jcheint im Gegenjab zu Schwars, Kerstorf doc Nheinländer! 


— 201 — 


och Ichärfer trat der Gegenjaß hervor, als es 1433 abermals eine Doppel 
wahl gab und Die eine Gruppe, die es mit dem Hochmeister hielt, 
Franfe Kersforf, die andere, die Weftfälinger, Heimrih Schungel als 
Standitaten präjentterte. ES wurde hier namentlich dem Bruder Sters- 
forfs, dem Großfomthur und oberiten Trappier in Preußen, Schuld 
gegeben, daß Franke den Vorzug erhielt. ES gab denn auch nichts 
Schlimmes, was dem neuen Livländiichen Herrmeiiter nicht alles nach- 
geredet wurde: bald behauptete man — mit wieviel Necht jer dahiı- 
geftellt — er jet gar nicht adligen Geblitts, bald bejchuldigte man ıhn 
gröblichjter Unterjchleife. US der Komthur von Fellin gejtorben, jeien 
3000 Mark in Gold, 600 löthige Mark gegofienen Silbers, nebjt vielem 
Tafelgeichtrr und Gejchmeide im die Kammer des Metiters nach Niga 
gewwandert; andere Koftbarfeiten und Schäße, jo 100000 Mark gegofjenen 
Silbers, die dev Bogt von Seriven hinterlafien hätte, jeten auch nad) Niga 
und vom dort durch Walter Stersfort nach Preußen abgeführt worden. 

Wenn auch in diefen Anfchuldigungen Vieles übertrieben fein 
wird, fie bewerten in jedem Fall, welchen Grad der Erbitterung die 
Streitigfeiten im Orden jelbjt angenommen hatten. 

Tiefen Yiwiejpalt zwilchen dem Hochmeister umd den Yivländern, 
deren Meifter, nachdem ex evt die Beitätigung erhalten, eine jehr 
jelbftändige Bolitif führte, erregte auch die PBolitif gegen Littauen. 
Hier war 1430 der alte Großfürit Witold, der jeit Nagiello in Polen 
vefidierte, in Littauen falt jouverän geboten hatte, geitorben, fein Tod 
gab, wie üblich, das Signal zu wilden Bürgerkrieg. Während Sigis- 
mund von Starodub, des verjtorbenen Bruder, die Abhängigkeit des 
Sropfüritentums von Polen aufrechterhalten wollte, verfuchte Switrigailo, 
der Bruder Tagiellos, das Lehnsband zu zerreißen! Zu diejer jelt- 
jamen Kombination mußte der Orden natürlich Stellung nehmen. Nach 
längerem Zögern hatte der Hochmeifter für Switrigatl Bartet ergriffen, 
dann aber am 15. Dezember 1433 zu Lencziz (füdweftlich von BlozE) 
einen zwöltjährigen Frieden abgeschloffen, durch den er die Sache 
Siitrigatlos aufgab. In Livland aber weigerte man fich dieien Schritt 
gut zu heißen, da man mit Necht eine Schwächung der polnich 
(ittanifchen Macht vorausjab, wenn die durch Dagiello herbeigeführte 
Union beider Neiche wieder auseinanderfiel. Franke von Nerstorf be 
trieb eifrige Niftungen und NRußdorff, der im Grunde ja zufrieden jein 
mußte, wenn er durch eine lwländische Diverfion Nube vor Polen 


MN — 


hatte, jagte Kersforf im Geheimen jeine Billigung zu: Doch das Striegs- 
gli war gegen die Livländer: am 1. September 1435 jtieß das 
(ioländisch - littauische Heer bei Wilfomiv an der Swienta auf den 
Feind, der nach hartem Ningen Sieger blieb. Frante Ktersforf, fieben 
Gebietiger und viele Nitter und Sstuechte deckten das Schlachtfeld, von 
dem, wie eine aus rheinländischem Lager jtammende Uuelle erzählt, 
nur die Weitfälinger unverjehrt heimgefehrt wären. Wie tief mute das 
Gift der Avietracht gefrejlen haben, wenn jolche Gerüchte überhaupt 
entitehen konnten! Glaubwirdig freilich it dasjelbe umjoweniger, als 
wir die Gebietiger bei der notivendig gewordenen Neuwahl zum eritenmal 
wieder völlig einig jehen: eimmütig beichließt man nur einen Kandidaten 
in Breußen vorzuftellen und zwar den Weitfalen Heinrich Schungel, 
der 1433 hatte zuwitctitehen miüflen. Nufßdorit fügte jtch wivderwillig, 
nachdem er den urjprünglichen Blan, den Großfomthur Walter tersforf 
zum Meifter zu erheben, bei dem Widerftreben der Livländer rajcı 
hatte fallen laffen. Den Strieg für Switrigatlo Freilich vermochte man 
auch in Livland nicht weiterzuführen, auch der Livländische Metiter 
mußte am 31. Dezember 1435 den Frieden von Breit unterfiegeln, in 
dem Switrigailo fallen gelaffen wurde und der Orden jich verpflichtete, 
in Zukunft denjenigen als Großfüriten von Littauen anzuerkennen, den 
der König von Bolen betätigt habe. 

Die Gelegenheit, einen Keil zwifchen die beiden jarmatischen Neiche 
zu treiben, war fiir immer verpaßt, obwohl nach dem Tode Sagiellos, 
der 86 Jahre alt im Mat 1434 auf Schlog Medifi aus dem Leben 
gejchteden war, auch Fir Bolen ernste Tage anbrachen. 

Das trübe, unergquieliche Bild, das wir zu zeichnen unternommen, 
wird aber noch dunkler, wenn wir dem Zwift des Ordens unter fich 
den im wilder Wut geführten Kampf der Brüder mit dem Erzbischof 
von Niga zur Seite Stellen. 

Sm jelben Jahre, in dem Meifter Siegfried geltorben, war aucd) 
Erzbiichof Ambundi heimgegangen und damit die für das Yand jo 
ungemein wichtige Frage, wer den exzftiftiichen Stuhl einnehmen würde, 
von neuem brennend geworden. Natürlich mußte dem Drden alles 
daran liegen, dab einer jeiner Brüder oder wenigjtens ein jolcher 
GHeiftlicher, der unbedingt als Anhänger des Meifters gelten konnte, 
den erledigten Sit einnehme. Wenig zufrieden war man daher zu ver- 
nehmen, dag Bapit Martin V, den gegen den Willen des Didens vom 


Nigaschen Domkapitel gewählten Henning Scharifenberg und nicht den 
Kandidaten des Ordens, den Bilchof von Kurland, bejtätigt habe. 
Diefe Wahl mußte um jo gefährlicher erjcheinen, da Scharffenberg ein 
Bervandter des ordensfeindlichen Biichofs von Dejel und frühern 
Beichtigers des hl. Vaters, Chriftian Kuband, war, mithin ein Biindnis 
diejer beiden mit dem alS erbittertem Feinde des Ordens befannten 
PBrälaten von Dorpat gegen den Meifter höchit wahrjcheinlich wurde. 

Sn der That war der neue Erzbischof, geitüßt auf vorläufig noch ge- 
heim gehaltene Bullen, durch die ihm Die Oberhoheit über Riga zugeiprochen, 
die Stadt vom Eid an den Metjter gelöft und die Habitfrage zu Un- 
gunften des Ordens gelöft wurde, entichloflen, bet th darbietender gün- 
jtiger Gelegenheit die alten Anfprüche früherer Zeit wieder aufleben zu lafjen. 

Ein Provinzialfonzil, das Anfang 1428 in Niga zufanmentrat, 
um verjchtedene arge Sittliche und firchliche Mißbräuche abzuftellen, 
gab die Gelegenheit zu einer eingehenden Beiprechung der Brälaten. 
Während man unzweifelhaft jehr lobenswerte Beichlüffe faßte, wie 
man der Berweltlihung der Getitlichfeit in Kletwung und Sitte Steuern, 
wie man die Prediger anhalten fünne fich der Sprache der Einge: 
borenen zu bedienen, und wie man der Kegerei, dem Wucher, dem 
Gottesurteil des glühenden Eifens, des heißen und falten Waljers 
die Spite abbrechen fünne, fand man auch die Zeit, um jich dahin 
zu einigen, eine Gejandtichaft an den hl. Vater nach Nom zu jenden, 
um von ihm eine direkte Barteinahme gegen den verhaßten Orden zu 
erwirfen. Der Nevaler Defan Faulbafer, jollte die Legation führen. 
Doc) der Meifter war von dem Vorhaben unterrichtet und hatte den 
Komthuren und VBögten genaue Weifung gegeben, fich der Hinaus- 
reifenden Geistlichen zu bemächtigen und ihnen die fompromittierenden 
Papiere abzunehmen. Blinder Eifer und vajch zugreifende, vor nichts 
zurückicheuende Feindjchaft gegen die Waffen führten diejen Befehl in 
entfeglicher Weile aus: Im Februar hatten fich die Gejandten auf 
den Weg gemacht, über Kıurland ging die Neife ins Ausland. Als 
fte nahe von Lıbau gekommen waren, jahen fte fich plöglich umzingelt, 
eine Schar Ordensfnechte unter Führung des Vogts von Grobin, Goswin 
von Wicheberg, verjperrte ihnen den Weg. Und mim geichah das 
Ichiev Unfagbare: man ergriff die Geistlichen, jchleppte Ste, nachdem 
man ihnen die Briefe abgenommen, zum nahen See und ertränkte 
fie in den Wırhnen, die man in das Eis gejchlagen, 


Zn 204 ee 


Ein Schrei des Entjeßens ging durchs Yand. Henning Scharffen- 
berg legte jofort das Drdensgewand ab und nahm die Auguftiner- 
tracht an, offen erklärte er fich gegen den Orden und jchlug die bisher 
geheim gehaltenen Bullen an die tiechenthüren. Chriftian Kuband, der 
jich feines Lebens nicht mehr fiher fühlte, entwich nah Nom, um 
hier mit Dietrih Nagel, dem DVertreter Scharffenbergs, zufammen 
Martin V. zu enticheidenden Mafregeln zu drängen. 

Vergebens verjuchte der Orden fich dadurch zu rechtfertigen, daß 
Afchenberg austrat — alle Welt glaubte, daß der Meifter hinter dem 
blutigen Verbrechen jtände. Und in der That, man erjchriekt über 
die moralische Verworfenheit, die fich überall breit macht, wenn man 
den frivolen Brief liejt'), den der Brofurator des Ordens damals an 
Rupdorf jhrieb: „Ehrwürdiger, gnädiger, lieber Herr Hochmeifter,“ 
heißt es dort, „da, wie ihr berichtet, der Bilchof von Dejel fich aus 
dem Lande Yıvland erhoben hat, fommen, fo viel ich weiß, höchitens 
drei Wege in Betracht, die aus Livland gehen, andere giebt e&8 weder 
zu Wafjer noch zu Lande. Wollte man Fleiß dabei haben, jo fünnte 
niemand hinaus kommen, man möchte fie hindern, nämlich Kuband 
und die andern Pfaffen, die dem Orden feind jind. Hätte man Ku- 
band unterwegs auf der See... . aus dem Schiffe fallen laffen, e8 
wäre hier in Ordnung gebracht worden. Wer da tot ft, der thut 
jeinem Widerjacher feinen VBerdruß an, das ift allhier ein Sprüd)- 
wort. Wer im Striege die Oberhand behält, der wird gerecht, ob er 
gleih ungerecht wäre... . Hätte Aicheberg jeine Ihat geleugnet 
und wäre er auf fein Schloß zurüdgeritten, da hätten viele Jahre 
dazıı gehört, ihm etwas zu beweiien ... . Aber haben wir denn 
feine andern Mittel, al3 nur Schwert oder Wafjer? Wer einen böjen 
Menjchen mit den Seinen töten will, dem joll es gleich fein, welchen 
Tod er ihm anlegt. Man follte jolchen Leuten zu ejien und zu 
trinfen geben, daß fie nimmermehr danac) Hungerte oder Diritete 
und auf andere Weile die Böjen ausjäten.“ Nicht auf das Necht 
füme es an, jondern auf das Geld, das man aufwenden wolle. Man 
miüfje die Zeit nehmen, wie fie eben jei! 

Und die onjequenz? um, möge der Meifter veriprechen, was 
er wolle, möge er in der Habitfrage nachgeben, wie weit ihm nüßlich 


1) Hitiert nad) TH. Schiemann]. c. II. pag. 188 ff. 


dünfe — „wenn die Zeit gefommen it, jo haltet davon, was Euch) 
vecht it!“ 

Zu jehr würden wir uns in Einzelheiten verlieren, wollten wir 
die wechjelvollen Berhandlungen, Landtage und Einigungen in den 
folgenden Fahren ung genauer vergegenwärtigen. Wohl trat der dem 
Orden günftig gejinnte Nachfolger Martin V., Eugen IV. für Die 
Brüder ein, doch das Stonzil zu Balel, an das die Brälaten appellierten, 
nahın ihre Partei, ja auf demjelben übernahm der Polenfünig den 
Schuß des Erzbischofs als Broteftor. Eine Saat war gejät, Die 
ihlimme Folgen tragen mußte! 

Wührend man noch haderte, erfolgte die Niederlage an der Siwienta 
und jo tief war der Empruc diejes Schlages, daß nicht nur im Orden 
jelbjt aller Zwift jchiwieg, jondern fich alle Elemente des Landes ein- 
trächtig aneinander jchloffen: darin beruht die Bedeutung des Land- 
tages zu Walk, der amı 4. Dezember 1455 zufammentrat. 

Dei gutem Willen aller Parteien — waren doch der Erzbiichof 
und die vier Bilchöfe von Dorpat, Neval, Kurland und Defel, die 
Kapitel derjelben und die Vertreter der jtiftiichen Bajallen, der harrtich- 
wiertschen Nitterjchaften, der Meifter, der Landmarjchall, die erjten 
unter den Gebietigern und die Natjendboten von Niga, Neval umd 
Dorpat in den Fleinen Städtchen beifammen —, war eine Einigung nicht 
unmöglich. Und in der That, jte gelang: der Orden gab in der 
Stleiderfrage völlig und rüchaltslos nach, zu ewigen Zeiten jollte Erz 
biichof und Kapitel das Auguftinergewand tragen dürfen; was Niga 
dagegen betraf, jo verjprach der Erzbiichof jeine oberherrlichen Pläne 
zwölf Sahre Hindurch ruhen zu lajjen. Auch alle Ansprüche auf 
Semgallen umd die von Kapitel Nigas in dem Jüddinischen Lande 
beanspruchten Güter wurden gegen eine entiprechende Geldentjchädigung 
aufgegeben, Dinaminde gegen 20000 Mark gleichfalls dem Orden 
gelaffen. Aber weit wichtiger, als dieje Entjcheidung, die, wie die 
Folgezeit lehren jollte, den Zumder doc nicht völlig gelöjcht hatte, 
war die Landeseinigung, die, zumächjt auf jechs Jahre, von allen 
„Gott zum Lobe, und diefem armen Lande zu Livland zu Bequembeit 
und zu Gute” abgejchloffen und unterjiegelt wurde, sinere Zoijtig 
feiten jollten in diejer Frift durd Schiedsjpruch beigelegt, auch Fehden 
außer Lande nur mit Nat md Wille aller Bundesgenofjen geführt 
werden, „würde jemand... . es dennoch thun, jo jollen die Andern 


1 


nichts damit zu jchaffen haben. Ferner, wiirde irgend ein Herr mit 
Gewalt Ddiejes Land zu Livland anfertigen, um e3 zu bejchädigen 
oder Schlöffer und Städte darin zu belegen, wenn das uns zu wiljen 
wird, jo jollen wir dazu ziehen oder die Unjern dazu jchiefen ins- 
gefamt das Yand zu verteidigen nach unjerm vedlichen Vermögen, wo 
es dem Lande Not und Beruf jein wird.“ 

Zum erjtenmal tritt ung das ganze Land geeinigt entgegen, 
— weit umfafjender als durd) das Dorpater Bündnis wurde hier 
wirklich eine Konföderation des Landes gejchlofjen, deren Glieder, 
wenn auch oft in Hader auseinandergehend, Doch immer wieder in 
ernjten Tagen ji zu einander fanden. 

Schon die nächte Folgezeit jollte zeigen, wie jchiwer e8 war, Die 
Sträfte, Die auseinander jtrebten, jtatt zufammen zu bleiben, zum ‚Frieden 
anzuhalten. Us 1437 im Dezember Meifter Heinrich Schungel nad) 
furzem Negiment jtavb, brach, Dur) des Hochmeisters Barteilichkeit ge- 
ichürt, der umfelige nationale Zwiejpalt von neuem aus: die Wejt- 
fälinger wählten Heidenreich Binde, Vogt von Wenden, die Nhein- 
(länder Hemmrich von Kothleben, Bogt von erwen, = Standidaten 
wurden hierauf Nudorff präjentiert. Doch jchon war die Stellung des 
Hochmeilters unhaltbar geworden, jchon hatte der Deutjchmeijter, Eber- 
hard von Saunsheim, gejtügt auf eimen Bunkt der Ordensitatuten 
erners von Orfeln, der in gevifjen Fällen dem Deutjchmetiter die 
Gerichtsbarkeit über den Hochmeifter zujprach, Paul von Nußdorff 
vor fich zittert; wohl weigerte Diefer jich der Zitattion Folge zu leiten, 
Doch die Ladung allein genügte, um die Livländer auflälltg zu machen. 
Ein Ausgleich, der dahin ztelte, daß jobald der Metjter von der einen 
Zunge jei, der Yandmarjchall der andern angehören müffe, wurde wohl 
von Nupdorff und den zu ihm entjandten Livländern angenommen, 
aber als jener Durch ins Land entjandte preuhtjche Gebietiger Heinrich 
othleben bejtätigte, jagten ihm die Weftfalen den Gehorfam auf und 
legten es, troß jcharfer Protejte des Hochmeilters, durch, daß bis zur 
Enticheidung Durch ein Generalfapitel Binde als „Statthalter des 
Meifters" das Negiment in Livland führen jollte. 

Einige Zeit hatte es den Anschein, als ob bei dem allgemeimen 
Wirrwarr der Orden auseinander fallen wiirde: der Deutjchmeijter ent- 
jeßte den Hochmeifter, der Hochmeifter den Deutjchmeifter, der Livlän- 
dDiiche Meeifter verbündete ich mit Eberhard von Saunshein, die Fur- 


zen 


(ändischen Gebietiger dagegen machten gemeinfame Sache mit Nußdorft, 
der rüiftete, um mit Gewalt die Livländischen Brüder zur Unterwerfung 
zu bringen. Binde wiederum vickte mit jeinen Siuechten nach Sturland 
ein und bejeßte eg mit Gewalt. Niga war nicht abgeneigt dem Hoc)- 
meilter zuzufallen, wenn diejer jeine Privilegien bejtätige, die preußi- 
chen Städte dagegen, die mit andern Unzufriedenen 1440 einen fürm- 
lichen Bund geichloffen hatten, ja jelbjt Orvensbrüder, die jich Durch 
die Aheinländer zurickgejegt glaubten, injonderheit die drei Stonvente 
von Balga, Königsberg und Brandenburg, traten in erbitterte Oppo- 
fition zu Paul von Nußdorff, der endlich 1441, mitde des Stampfes, 
abdanıfte. 

Der neue Hochmeister, Konrad von Erlichhaufen, war ein bejon- 
nener, tüchtiger und taftvoller Man, der es verjtand, die Eintracht 
wieder herzuftellen. Er erfannte Binde als lwländischen Mleifter an 
und erließ für Livland neue Statuten, die dahin zielten, die Zucht 
unter den Brüdern zu heben und dem Barteigeift zu jtenern. Ein 
Nat jollte von nun an dem Meifter zur Seite tehen, der zu Gliedern 
desjelben ohne Anfehung von „Freundschaft, Nagejchaft ud Gift“ die tiich- 
tigiten, vernünftigften und vedlichjten von allen Yandarten ernennen jollte. 
Durch Reifen des Meifters und Bifitattonsfahrten von ihm abgejandter Ge= 
bietiger hoffte man endlich die Burgen jtets in gutem Stand zu erhalten. 

Diejen Bilttattonsreifen verdanken wir, da bei denjelben Protokolle 
aufgenommen zu werden pflegten, interefjante Nachrichten über die Be 
wafrnmumng, Auseiijtung und Verproviantierung der Ordensburgen. Wir 
greifen als Betjpiel das Protokoll über Schloß Karfus heraus, wo 
1442 Nohann von Weengede, genannt Djthof, als Bogt jap.) Die 
Bilitierer Jahen zwei jchwere Steinbüchjen, die Itarfe Steine zu jchleu- 
dern im Stande waren, ferner acht Lothbüchjen auf dem Schloßhor 
jtehen, zu deren Gebrauch die Bulverfanmmer ziwer Tonnen Pulver barg. 
An den Wänden der Niüftlammer hingen 70 Harntiche, als da jind 
Blechharntiche, Ningharnifche und außerdem 26 jchwere Panzer. uch 
25 Armbrüfte und 3 Tonnen Pfeile harrten der Verwendung. Km 
Marjtall aber jcharrten die edlen Hengjte der Gebietiger den Boden 
und 60 Schlachtrofje jtanden in den Stüllen fir die Brüder md 
Stiappen. Neiche Vorräte \wiefen auch die VBorratsfammern auf; 


1) cf. Th. Schiemann 1. c. II, 128 ff. 


— 208 


Mehl und Malz war aufgejpeichert von Dftern bis zur Weihnacht, 
500 Stück Schinken, 400 gedörrte Hammel und Schafe, 70 Rinder 
in Salz, 40 gedürrte Ninder, 8 Tonnen Häringe und im Hinblick 
auf die Fastenzett — nicht weniger als 70000 getrocdnete Strömlinge, 
Yarjche md andere Seefiiche. Hier ftanden zwei mächtige Tonnen 
Salz, dort zwei Tonnen Butter und daneben 2 Tonnen Schweinejülze. 
‚sn Getreidehaus endlich lagerten 100 Lat Noggen und Gerite. 

Während, bis auf mancherler Striegslärın an der wulftichen Grenze, 
die DSahre Meeifter Bincdes in Frieden vergingen, hatten die Livlän- 
dischen Städte jeit geraumer Zeit Schon unter den Verhältniffen mit 
zu leiden, die den Niedergang des Hanjabundes einleiteten und ihre 
dirnelen Schatten auch nad) Yivland warfen. 

Ein eigenes Berhängnis wollte es, daß um diejelbe Zeit, da die 
Zeichen des VBerfalls in Livland hervorzutreten begannen, die einzige 
deutsche Großmacht, bei der das Land in Tagen jchwerer Not hätte 
Niekhalt und Stüge finden können, gleichfalls deutliche Symptome dafür 
aufwies, daß ihre Blütezeit voriiber war. 

Wir müfjen mit großen Strichen diejen Prozeß zu zeichnen juchen.") 
Segen Ende des 14. Sahrhunderts brachten die Ihromvirren in den 
kandinavischen Neichen, wo die thatkräftige Königin Margarethe von 
Dünemarf, die Gemahlin und jpätere Witwe Hafon VII. von Nor- 
wegen, den Küng Albert von Schweden vom Ihron gejtoßen hatte 
und um die jchiwedische Strone fich ein exbitterter Kampf erhoben, nicht 
nur die Skandinavdier, jondern auch den Hanjebund, dejfen Handel —, 
namentlich der Häringsfang an der Hüfte Schonens — durch jene Wirr- 
nijje aufs äufßerite gejchädigt wurde, in lebhafte Bewegung. Die beiden 
mecflenburgtichen Seejtädte Nojtod und Wismar, nahmen offen Partei 
fir Kömg Albert, der zugleich Herzog von Mecklenburg war, md 
fürderten auf alle Weile das Treiben der Bitaltenbrüder, die Stor- 
holm, das den gefangenen Albert treu geblieben war, entjeßen jollten. 
Die übrigen Hanfaftädte, die ich zeitweilig abwartend gehalten hatten, 
wurden schließlich Durch die Frechen Seeräubereten der Bitaltenbrüder 
aus ihrer Nejerve gebracht. Zu Frohnleichnam 1395 wınde durch ihre 
Bermittelung, deren Flotte eine imponterende Stellung im Sumde ei- 

ef. 8. v. Schlözer: Verfall und Untergang der Hanja und des dentjchen 
Ordens in den DOftjeeländern. pag. 26— 82. 


— 209 — 


genommen, ein Waffenjtillftand zu Stande gebracht, dev König Albert 
vorläufig wenigitens die Freiheit, ven Hanjeaten den Bejit Stocholms 
eintrug. Bis Michaelis 1398 jollte Albert 60000 Mark Löjegeld auf 
bringen oder Stocholm wieder räumen. 

Unterdejjen Hatte Königin Margarethe ihren Großneffen Erich von 
Pommern an ihr Hoflager fommen und durch die Räte ihrer beiden 
Neiche zum Nachfolger proflamteren lafjjen, auch Schweden war diejem 
Beiipiel gefolgt und hatte 1396 auf der alten Wahlitätte des Mora 
teins den Prinzen Erich als Ihronerben anerfannt. Das bildete die 
Grundlage jenes denfwürdigen Afts, der Nalmarischen Union, durch 
den im Junt 1397 Erich zum Erben der drei fandinaviichen Stronen 
erhoben und das Verhältnis der Neiche zu einander feitgelegt wurde. 
Margarethe erlebte bereits im folgenden Jahr den Triumph, daß die 
Hanja ji) von Albert, der die Bedingungen von 1395 nicht zu er- 
füllen vermochte, losjagte und zu ihr in freundichaftliche, Freilich auf 
der realen Grundlage der Beltätigung der Handelsprivilegien bafierende 
Beziehungen trat. Sa König Erich hatte zu Beginn des neuen Jabhr- 
hunderts vollauf Gelegenheit, den Zoll der Dankbarkeit dem Haupt der 
Hanja, Zübe, gegenüber abzutragen, mdem bier mit durch jeine Inter 
vention die dentofratiiche Ummwälzung innerhalb des Nats riickgängig 
gemacht und die arijtofratiiche Herrichaft wieder aufgerichtet wurde. 

Doc, unerwartet löjte fic) das Verhältnis. König Erich, der mit 
Holftein im heftige Fehde geraten war, nahm einen Bermittlungsverjuc) 
der Hanja äußerit übel auf und begann offen eine Politik, die auf 
eine Schwächung des Bundes abzielte. „Nicht lange nachher”, erzählt 
höchjt draftiich der Ehronift, „Eriegten die Städte andere Augen md 
jie wurden gewahr, daß der König anderes im Sinn führte, als jeine 
guten Worte gelautet hatten.“ Mit Gejchiet und leider mit Erfolg 
wußte er dem steil zwischen die Städte zu treiben umd die holländischen 
Städte, die freilich nicht ohne Grund darüber flagten, daß jie aus 
Handelseiferjucht von der Dftjee fern gehalten winrden, zum Abfall von 
der Hanja zu beivegen. Dev König, der jehr wohl wuhte, day bei den 
Hanfeaten im lebten Grunde kommerzielle Vorteile den Ausichlag gaben, 
füderte Die Holländer durch reiche Handelsprivilegien, die in Sonderbeit 
den Häringsfang in Schonen den Niederländern zuivenden jollten. Die 
Hanjeaten zügerten wicht mit der ihnen eignen NMiürckfichtslofigkeit, den 
ehemaligen Genofien die Spiße zu bieten. Auf einer Tagfabrt 1425 


Scraphim, Sejchichte I. 14 


— A 


faßten fie den Beichluß, daß man feinen holländischen Schiffer auf 
Livland befrachten jolle. Im folgenden Jahr erfolgte ein Gebot, daf 
feinem außerhanfischem Kaufmann, vornehmlich feinem Holländer, ge- 
Itattet jein jolle, in Livland Die rufjtiche Sprache zu lernen. a vier- 
zehn Sabre jpäter (1440) wurde fategoriich die Einfuhr von hollän- 
dischen Waren, namentlich holländischer Tircher unterjagt. 

Wohl war die Hanja entichloffen, diefen Icharfen Worten die That 
folgen zu laflen und in den bolfteinischen Wirren dem Dänenfküntg 
gegenüber die militärische Überlegenheit zu dofumentieren. ine große 
slotte, zu der Lübef, Hamburg, Noftod, Wismar, Yinneburg und 
Straliund das Hauptfontingent geftellt, Ttach bereits im Herbit 1426 
in See und nahm im Frühjahr 1427 im Hafen von Flensburg eine 
drohende Haltung ein, väuımte jedoch diefe Vofition infolge eines miß- 
glürckten Sturmes auf die Mauern der Stadt und begab jich im Juli 
in den Sund. Hier galt e8 um Maria-Magdalenen die beiden großen 
Handelsflotten zu erwarten: die vierzig Schiffe Itarfe bayiiche (d. h. 
bisfayische) Flotte, die mit den Produkten der jülichen Yänder nad) 
den baltijchen Häfen jegeln jollte, und die preußtiche oder Weichjelflotte, 
Die aus Wreugen und Livland mit Getreide, Wachs, Flachs, Holz und 
anderer Fracht nach Welten jegelte. Beide Flotten jollten um diejelbe 
zeit die jchmale Wafferftraße palfieren und durch die hanfeatische Flotte 
geichüigt werden. 

Aber es jollte anders fommen: mit fühnen Wagemut nahm die 
\chwediich-dänijche Flotte die a wahr, um fich mit den ver- 
haften Hanjeaten zu mejjen. Der Mangel an Einmüttgfeit, die Un- 
fenntmis des Fahrwallers auf la der Hanfeaten jpielte den Sfan- 
Dinadiern den Steg im die Hände. Was vielleicht noch zu retten war, 
verdarb der vorjchnelle Nitetzug, den Lirbecfs Natsherr Tielemann Sten 
befahl. Sp beleuchtete die Finfende Sonne des 21. Sult nicht nur eine 
Jiederlage der jonft jo jeegewaltigen Hanja, jondern jah auc) 
die Berjtrenung der bayische Flotte, Die drei Stunden nac der Schlacht 
anlangte, Statt der erwarteten Geleitjchiffe mur Die Feinde vorfand umd 
nach mannhafter Wideriwehr unterlag. Auch die preußich-Livländischen 
Schiffe werden ein gleiches Schiefjal gehabt haben. 

Sp endete das Jahr 1427 mit einem argen Verluftfontoe. Kein 
Wunder, daß die Hanjeaten allmählich den Strieg jatt befamen und 
die Gelegenheit, da auch Künig Erich fich nach Frieden jehnte, wahr- 


oe 


nahmen, um der Unsicherheit ein Ende zu machen. Bereits im Juli 
1430 jchlofjen beide Teile den Frieden von Wordingborg. Die See- 
jtädte fonnten mit den Bedingungen wohl zufrieden jein: König Erich, 
durch das Striegsglück der Holjten ebenjojehr wie durch den Aufitand 
der Dalefarlier im Nordjchweden aufs heftigjte bedrängt, gejtand den 
Hanfeaten die alten Hanpdelsgerechtiame wieder zu, ohne freilich da- 
Dur) in Schweden jeine Lage retten zu fünnen. Die Ddeutjchen 
Städte hüteten jich in die Wirrnifje einzugreifen und da König Erich 
mit eignen Mitteln der Gegner nicht Herr werden konnte, jo jchiffte 
er fic) 1438 nach Gotland em, um nie mehr nach Dänemark zurüc- 
zufehren. Grit 1459 ift er in Pommern, 74 Sabre alt, gejtorben, 
nachdem Chriftof von Bayerı, jein Neffe, in den drei jfandinadijchen 
Neichen jein Nachfolger geworden war. 

Wenn das suterejfe der Hanfeaten an den jchwedischen Kämpfen 
Jichtlich ein weit geringeres geworden war, jo wirkte hierzu in exjter Neihe 
der Umftand mit, daß der einträgliche Handel und Häringsfang an der 
stüfte Schonens jeit dem zweiten Jahrzehnt des 15. Sahrhunderts mehr 
und mehr zujammengejchrumpft war: 1411 hatte die Filcherflottille zum 
erjtenmal die Wahrnehmung gemacht, daß der jo begehrte Fiich in weit 
geringern Mafjen auftrete, Bahr für Sahr Iteigerte fich die Kalamität, 
bis 1425 die plotte falt leer in die Oftfeehäfen zurückkehrte: es unter- 
lag feinem Zweifel mehr, der Häring begann das alte Ziel Teiner 
Wanderung zu meiden, aus der Dftlee wandte er jich nach der Welt- 
jee — an die Ktüften Hollands und Flanderns! 

Welch merfwirdiges Zulanımenfallen! Sm derjelben Zeit, da die 
holländischen Städte das Band mit der Hanja Lüften, wurde diejer 
Durch den veränderten Zug des vätjelhaften Fiiches eine bedeutende 
Einmahmequelle unterbunden, jenen neuer Neichtum zugeführt. 

sa, noch mehr: indem Holland mit dem mächtigen burgumdijchen 
Neich 1433 jich vereinigte, erhielt es in dem thatkräftigen burgundischen 
sürftengejchlecht einen neuen Nüchalt gegen die ehemaligen Genojjen 
der Hanfe. Sm Gefühl ihrer neuen Stärfe waren die niederländtichen 
Städte entjchlojien den Dftjeeftädten, die ihnen den Zutritt zum Dit- 
jeehandel verweigert und verlegt hatten, mit gleicher Münze heimzu- 
zahlen und ihmen num ihrerjeits den Handel in umd durch ihre Ge 
wähler zu verbieten. Schon 1423 war der Gegenjaß der Mächte in 
Brügge jo groß geworden, daß die Hanjeaten ernftlich an die Ber 

14! 


(egung des sontors gedacht Hatten, bald wurde aus dem Zwift ein 
erbitterter Seefrieg, in dem Herzog Philipp von Burgund freigiebig 
genug Kaperbriefe gegen die deutjchen Seejtädte austeilte: 1434 gelang 
es den Niederländern denn auch 23 preußiiche und Livländiiche Schiffe, 
die von Spanien mit Salz und Wein unter Segel waren, aufzu- 
greifen, ein Schlag, der in Lübeck gewiß ebenjo jchwer wie in Niga 
umd Neval empfunden fein wird. 

Nur auf kurze Zeit fteuerte ein Waffenftillitand, den Chriftof 
von Dänemark zu Stopenhagen 1441 zu Wege brachte, den unleid- 
fichen Zuständen; al3 fich infolge des in der Friedengzeit fi) mächtig 
hebenden fommerziellen Wohlitandes auch die politische Stellung der 
Hanfa erholte, fürchtete der argwöhnische Dänenfönig für jeine Macht 
und Schloß Fich mit plöglichem Frontwechjel an die Holländer, ja er 
plante nichts Geringeres al3 einen Überfall auf Lübet — da ftarb 
er 1448. 

Jene Thronftreitigfeiten brachen aus, in Schweden und Norwegen 
erhoben die Großen eigene Herrfcher, die dem von den Dänen er- 
wählten Grafen Ehriftian von Oldenburg, dem Stammvater des heu- 
tigen Königsgefchlechts, feinen Gehorjam Leiften wollten — erjt 1457 
erfolgte nach wechjelvollen Kriegen die Anerkennung des Dldenburgers 
durch alle Drei Reiche. 

Der ewige riegslärm und die Unsicherheit des Meeres fonnten 
natürlich nicht ohne die schlimmsten Folgen bleiben. Zwar bewahrte 
Liübee nach außen Hin noch immer die glänzende Stellung als Haupt 
des Hanjebundes, doch derjelbe war nur noch ein Schatten einjtiger 
Größe: Mit den Livländiichen Städten ftand man, einzelne fleine 
Srrungen abgejehen, nach wie vor in trefflichem Verhältnis zu 
eng banden damals noch die Vorteile des rufjiichen Handels Lübedf und 
Jiga, Neval und Bernau an einander, — jonft aber jtand es jowohl 
im Westen wie im DOjften jehlimm genug. Dort waren nicht nur die 
reichen Holländer, Dortrecht, Anjterdam, Delft, Leyden, Haarlem und 
wie jie alle hiegen, ausgetreten, auc) die rheinischen Städte, namentlic) 
Kö, zeigten wenig Gemeingeift, um jo mehr aber eiferjüchtige Negungen 
auf Zübeds Borherrichaft. 

Hier im Dften verhielten fic) die preußischen Städte jeit langem 
ihon lau zum Bunde und nur Sparjam trafen die Natjendeboten zu 
den Tagfahrten ein: 8 waren das die Folgen der unfeligen Tannen- 


berger Schlacht, die das ganze Land allmählich in Meitleidenichait 
309. Vollends die binnenländiichen Städte! Sie waren der Mehr- 
zahl nach durch die jteigende Macht der Landesherrn ihrer Selbit- 
ftändigfeit beraubt umd fpielten daher faum eine politifche Rolle mehr. 

Und jelbjt die wendischen Städte, Nojtod, Wismar, Stralfund 
und Greifswald, die neben Hamburg und Lübeck den Kern der Hanja 
bildeten, hielten nicht mehr einträchtig zujammen, mehr denn einmal 
hatten vielmehr die jfandinavischen Kriege die einzelnen Städte auf 
verschiedenen Lagern gejehen, Sonderbündnilje md Sonderfrieden waren 
geichlofjen worden. „Nirgends mehr war ein rechter Halt, nirgends ein 
durchgehender Gemeinfinn zu finden; überall Zeriplitterung der alten 
Kraft; bei der deutjchen Reichsgewalt aber nach wie vor nicht das ge- 
ringste Intereffe für den nordischen Städtebund.“ 

So war die Lage des einjt meergewaltigen Bundes um die Mitte 
des 15. Jahrhunderts: die Kalmarijche Union und das Emporfommen 
Burgunds in politischer Beziehung und die veränderten Bedingungen 
des Häringsfangs, infolge deren die jchomenjchen Kiüftenpläße ver- 
ödeten, Hatten den Lebensnerv der Hanja unterbunden, allenthalben 
regte fic) das Beftreben der Emanzipation von dem Handelsmonopol, 
das der Bund, in der Dftjee wenigitens noch, jorgfältig aufrecht er- 
hielt — die Zeit war nicht mehr fern, wo durch die Zerjtörung des 
Handels in Nowgorod ımd Wlesfau der enticheidende Schlag gegen 
die Hanje geführt, zugleich die Eintracht zwijchen Yübeef und unjerer 
Heimat untergraben werden jollte. 


15. Kapitel, 


Die Tane Bilvelter Stodewelrhers md des 
ernenten Kampfes um Rina.') 


Concordia res parvae crescunt, discordia maximae dilabuntur. 


Am 5. April 1448 Iloß Henning Scharffenberg jeine Augen. 
Der Tod diejes Kirchenfürsten, dejlen Sorge fir das Yandvolf md 
die fittliche Hebung der Getftlichkeit ebenjo wie jeine ununterbrochene 
Anwesenheit in jeinem Stift ihn überaus vorteilhaft von Vorgängern 
und Nachfolgern unterichted, gab, anders war man's in Livland ja 
faum gewohnt, das Signal zu einem erneuten Neffen der gegenfeitigen 
Sträfte. Hie Orden, hie Brälaten! jchallte es abermals durchs Land. 
Das Nigiiche Kapitel erfor einstimmig den Bilchof von Yitbeef und 
vief den vömtschen und polntichen König zum Schub der Wahlfreiheit 
an, der Orden aber jeßte m Nom alle Hebel in Berwequng, um jeinen 
Kandidaten, den Kaplan und Kanzler des Hochmetiters, den Ordens- 
bruder Mag. Silvejter Stodeweicher Durchzubringen. Dank der jcyam- 
(ojen Häuflichfeit der Kurie fiegte dev Orden ob, die 4000 rheintichen 
Sulden, die in die ewige Stadt wanderten, thaten ihre Pflicht: chen 
im Dftober desselben Jahres ernannte Nikolaus V. Sitlveiter zum 
Erzbiichof von Niga. 

Sirwahr, man hatte guten Grund in Ordenskreijen zu frohlocen, 
denn der Erfolg war em überrajchender: nicht mr, daß Silvelter 
jelbit dem Orden als Priefterbruder angehörte, mußte dem Mletiter 

1) Nicht gerade reichlich fliegen die Quellen fürs 15. und den Beginn des 
16. Sahrhunderts, jehr jpärlich vollends ift die Bearbeitung derjelben. Mono- 
graphieen fehlen vollitändig, jo daf die Kapitel bis zur Reformation fajt aus- 
ichließlich neben den Schirren’shen Vorträgen auf Schiemanns „Rußland, 
Bolen und Livland“ 1. II. aufgebaut find, das gerade hier auf den neuejten 
Sorihungen baftert, aber leider in einzelnen Bartieen gar zu jehr ins Detail geht. 
Selegentlih it Richters Gejch. d. Dftjeeprov. I. 2. Band herangezogen worden, 


— 215 — 


jehr genehm jein, ausdrücklich veriprac) Silvefter dem Hochmeiiter 
auch, daß er das Ordenshabit nie ablegen, vielmehr jein höchites Ber- 
mögen darauf wenden wolle „daß Die Dombheren zu Niga, die jeßt 
find und andere, die in fünftigen Zeiten allda Domberen werden“, 
gleichfalls Die Ordenstracht wieder annehmen. Auch betonte er in un- 
zweideutigen Worten jeine Treue gegen den Hochmeister, den Mleifter 
umd den ganzen Dvden und gelobte all jenen Fleiß anzımvenden, 
„daß zwischen dem Orden und dem Stift zu Niga die Gebrechen und 
Hioiftigfeiten hingelegt, beigelegt und entichteden werden.“ 

ie hoffnungsvoll für das Yand, wenn Ddieje Gelöbniiie mehr als 
Worte blieben, doch leider jpielte Stlvejter von Beginn an ein perfides 
Spiel. Berjprach er doch um diejelbe Zeit, da er jtch dem Orden zu 
Treuen verpflichtete, dem Kapitel die Habitsordnung Martin V. aufrecht 
zu erhalten und in feinem Stüce die Nechte des Kapitels preiszugeben. 

ES unterliegt feinem Zweifel, der jchlaue Prälat wollte beide 
Barteien mit Veriprechungen, Die damals wohlfeil wie Brombeeren 
waren, hinhalten, bis er fich jelbjt ein Urtetl über die Stärke derjelben 
gebildet und perjönlich Land und Leute kennen gelernt hatte. 

Wit dem Empfang, der ihm von allen Seiten wurde, fonnte er 
wohl zufrieden jen. In Goldingen empfing ihn, als er Anfang 
Sum die Grenze palfierte, der Komthur feterlich namens des Drdens, 
in Hajenpoth begrüßten ihn Abgejandte des Kapitels umd Der erz- 
jtistifchen Nitterichaft, zehn Meilen vor Niga des Meifters Schreiber, 
der PBropit von Niga und ein Domberr. Am 22. Sumt endlich hielt 
er, von 2000 Herrn des Erzitifts hoch zu Noß, den Herr des 
Drdens und den Bürgern der Stadt Feitlich eingeholt, am Eingang 
Nigas von den in Neihen aufgeitellten Schülern begrüßt, jenen Ein 
tritt. In der Domkicche leistete er hierauf einen „unjchädlichen“ Eid, 
wie er jelbjt eynisch meinte, der den Domberrn in allgememen Worten 
ihre Privilegien zuftcherte. Dann folgte das Te Deum. „Wir aber 
hatten fie, jo berichtet Silvejter jelbjt, einen hohen Stuhl gemacht, 
wohlumfleidet; darauf Jaß Ich und Danach aumg ich zum hoben lltare 
und las die Meffe. Kteines aber mißhagte mir mehr, denm Jobald Die 
Nitterichaft zu mir fan, da brachte jte mir ein Schwert in vergoldeter 
Scheide. Das Schwert, zogen fie hevaus und ließen es mir vor ihrem 
lteften halten, auch in der Kirche und in allen Enden.“ Dem boben 
Herrn fam das Grufeln an und er meinte: „sch bin nicht gewohnt 


216 — 


bloße Schwerter viel zu jehben, darım War miv graulam Dazır und 
mein Genmmitt wurde nicht cher ruhig, als bis fie das Schwert in die 
Scheide gejteckt hatten!“ 

An Folgenden Tage, am Montag, leiiteten die Domberrn md 
Die Nitterichaft des Erzitifts den Treu- und Lehnseid, dann begab Tich 
Silvefter gegen Ende des Monats, nachdem es an mancherler Seit 
(ichfeiten nicht gefehlt hatte, Niga zu Ehren des neuen Herrn alle 
Sefangenen begnadigt und demjelben eim stattliches Gejchenf an votem 
Scharlach, Grauwert md föftlichem Nheimvein verehrt hatte, zum 
franfen Weiter nach Kirchholm. 

Sn Novenber des Nahres Itarb der Hochntetiiter Konrad von 
Erlichshaufen, im Sommer 1450 Meeilter VBinfe. Der Tod beider 
Weanmer jollte nicht ohne bevdeutjame, wer auch vecht verjchtedenartige 
Folgen jein. Fiir Brengen war tonvad von Erlichshaufens Hinjcheiden 
ein schweres Unglück, da Jen Nachfolger und Vetter ein Jchwacher, 
baltlofer, jtetsS fremden Nates bedirftiger Mann war, der dem Ernit 
der Jich wieder mit Wucht ernenernden polntjichen Gefahr abjolut nicht 
gewachien war. Sm Livland dagegen bedeutete die Wahl Sohann 
Meengede's, genannt Ofthof, des Komthiurs von Neval, das Empor- 
fommen eines jchneidigen und daber doch auch diplomatisch erprobten 
ührers, der dom eviten Tage an entichloflen war allen Anfprüchen 
jeines Ordens nicht um eime Linie zu vergeben und als echtes Kind 
einer jerupellojen Zeit jedes Mittel anmwandte, das ihn zum Ziel zu 
führen jchien. 

Gleich der erjte Schritt, den der Orden that, um dem noch immer 
ungefügigen Domkapitel den Boden unter den Füßen fortzuztehen, war 
eine — Urfundenfälichung. Unter Beihilfe des päpstlichen Kommifjartus 
wide eine gefälichte Bulle in Umlauf gelegt, durch die den Domherrn 
mit Bann und Interdift gedroht wurde, wenn fie das Oxdensfleid nicht 
anmähmen. Die Bulle, „welche im Grunde unmächtig und tot“ war, 
that ihre Wirkung: ichon im Sult 1451 einigte man fich zu Wolmar, 
die Prälaten natürlich im feften Glauben an die Echtheit des päpft- 
lichen Willens dahin, daß Erzbiichof und Kapitel in Zukunft und fir 
ewige Zeiten das Drdenshabit tragen jollten. Im folgenden Sahr hat 
der Bapjt. denn auch jenen Konjens hierzu erteilt. 

Der Drden konnte von Glück jagen, daf die Gefahr von diejer Seite 
fiir den Augenblick bejeitigt war, denn von allen andern Seiten erhoben 


ich Gegner, die zu beitehen nicht eben leicht war. in Dänemark 
tauchten eben damals die alten Aniprüche auf Nordeitland wieder auf, 
im Stift Dorpat arbeitete eine dem Meifter feindliche Bartet auf die 
Srwählung des Grafen Morig von Oldenburg, König Ehrifttan von 
Danemarfs Bruder, zum Bilchof hin, was im Hinbliet auf die dänti 
jchen Pläne doppelt gefährlich jchten. Auch im eftländischen Bistum 
Neval blickte man nach Kopenhagen hin und in Defel ja em er 
grimmmter Feind des Ordens. Ein bedenfliches Symptom mußte es 
vollends fein, daß im „ruhlamen“ Bistum Kurland, das ganz unter 
dem Einfluß des Meifters Stand, Fich gegen denjelben gerichtete Ten 
denzen zeigten. So ftanden alle Brälaten bis auf den Erzbiichof be 
reit, dem verhaßten Orden die Spibe zu bieten. 

Noch erniter aber mußte es den Meeilter Stimmen, daß Jelbit unter 
den Städten, die doch über ein Sahrhundert ren zu den Brüdern ge 
halten hatten, fich eine Bewegung Bahır brach, die, wenn fie nicht vecht 
zeitig gedämpft wurde, den vorhandenen Zinditof zu hellen Flammen 
bringen fonnte: Das Berjpiel Breufens, wo die Städte, an ihrer Spibe 
Danzig, in offener Oppofitton zum DOvven ich befanden, ja jet 1440 
einen fürmlichen Bund abgejchloffen hatten, wirkte verlodend auf Yiv 
land zuriick md wieder eriwachte in dem jeemächtigen Niga die Er 
inmerung arm die Tage, che Eberhard von Muunheim ste bezwungen, 
wieder jchten jo manchem Natsheren die Zeit gekommen, wo man dem 
itbermütigen Ritter die Stirn bieten fünne. Mich tr den andern Kom 
mmen des Landes zeigte fich Ddiefer neue, ordensfendliche Geilt: wäh 
vend Niga einen Boten nach Wrengen entiandte, um wegen Eintritts 
im den preußiichen Bund zu verhandeln, zeigte Neval nicht übel Luft 
ih Schweden zu unterwerfen, liebäugelte Dorpat mit Dänemark. 

Sohann Mengede itberichaute Scharen Bliekes die Lage. Um jeden 
Preis mußte eine Berftändigung Silvefters mit diefen unzufriedenen 
Elementen verhindert werden; um das zu erreichen, war der Meiter 
entichloflen, scheinbar jogar große Nonzeiftonen zu machen. Sm No 
vember 1452 [ud er den Erzbiichof deshalb zu Fich nach Kirchbohn 
und schlug ihm Hier vor, Sich, damit Niga nicht dent Beihpiel des auf 
Jäffigen Danzig folge, in der Herrichaft über die Stadt zu teilen, Sil 
veiter woilligte ein, worauf die herbeibeichiedenen Bertreter Nigas unter 
dem Druck der Umstände am 30. November den Kirchbbolmer Ver 
trag toiderwilligen Herzens unterzeichneten, 


za 


Die Stipulationen diejes wichtigen Vertrages waren eva folgende: 
Die Stadt huldigt dem Erzbifchof und dem Meifter, gemeimam ud 
zu gleichen Teilen haben beide Herrn Anrecht auf die Minze umd den 
Ftichzehnten. Die Stadt ift dem Orden Heeresfolge jchuldig, es jet 
denn, daß er gegen den Erzbischof fämpfe, fie muß ferner dem Haus- 
fomthur von Niga Sit und Stimme im Nat und Gericht einräumen 
und Fiir den erwählten Vogt die Beltätigung beider DOberherrn er- 
bitten. 

Dem Anschein nach hatte Meengede einen vortrefflichen Schachzug 
gethan. Stolz hielt er an Silvefters Seite, unter Gefang umd dem 
Seläute der Glocken, feinen Einzug in die Stadt, in deren Nathaus 
er zwei Schwerter al3 Symbol des Doppelvegiments niederlegen ließ, 
und Schon im Januar 1453 vermochte er Frohlocfend die Betätigung 
des PBapftes zu verkünden. 

Doch der Erfolg war ebenjo trügerisch, wie die Ruhe, die Aufer- 
lich herrichte. Alle Hatten die Empfindung, daß jich ehr ernjte Dinge 
vorbereiteten. Mengede fonnte über die Erbitterung in der Stadt na- 
tüelich nicht im Zweifel ein, aber ebenjowenig fonnten die Umtriebe 
derselben und der Zorn der Prälaten über des Erzbischofs Friedfertig- 
feit ihn davon abhalten, die Schritte zu thun, von denen er fich Heil 
veriprach: Wollte Riga vom Kicchholmer Vertrag nichts wiljen — mın 
wohlan, dann Sollte eS die harte und Feite Fauft des Meijters allein 
ipiiren. Met virekfichtstofer Entichlofjenheit zerris Mengede den Vertrag. 
Was half es dem Erzbischof, da er der Stadt veriprach, ihre Sache 
zu der feinigen zu machen, daß er dem Kapitel verlicherte, er denke gar 
nicht daran, ihnen das Drdenshabit aufzudrängen, die Macht war 
zweifellos noch auf Seiten Mengedes, der denn auch im eimer Zu- 
iammenfunft rund heraus erklärte, ev halte den Kicchholmer Vertrag 
fie mul amd nichtig und werde daher mit Riga, das feinen Pfaffen 
zum Herrn haben wolle, einen neuen Brief machen. Der Erzbiichof 
iah fich in jehr Ichtwieriger Lage: gab er dem Drängen des Meifters nad) 
und fügte fich der Mlleinherrichaft desjelben iiber Niga, jo verlor er 
für lange Zeit, vielleicht für immer, allen Kredit bei den Stäptern 
Schweren Herzens entjchloß er Tich zu einem Waffengang mit dem 
Orden. Die Erbitterung der erzbiichöflichen Warte im Riga gegen 
Mengede Half ihm über die legten Bedenken und zögernden VBerhand- 
(ungen hinweg, da jene durch die verwegene Forderung, daß das Drdens- 


— 219 — 


ichloß miedergerifien werde, das Signal zum Bürgerfrieg gab: wild- 
bewegte Bürgerhaufen jchieften fich unter Gert Harmjens, des Alter- 
manns großer Gilde, Führung an, die Burg zu belagern, von den 
Ihirmen derjelben antwortete man mit heftigen Gewehrfeuer. aut 
frachten die Feldgejchüge und jchweren Kanonen, jechs Tage hindurch 
dröhnten die Geichüge. Man jah wohl Stodewejcher, der jelbjt einen 
Banzer angelegt hatte, in Begleitung von zehn ebenfalls gerüsteten 
Dombherrn und ımter VBortragung des Banners, ermutigend und an- 
feuernd durch die Neihen der Belagerer, unter denen jtch viel ange- 
worbenes Schiffsvolf befand, reiten, doch die Erfolge blieben aus; im 
Gegenteil, die in die Stadt Flüchtenden berichteten von argen Ber 
wiültungen der Stadtgüter und der erzitiftiichen Domänen (Mitte Sult). 
Der Erzbifchof erkannte Schnell, daß feine Sache bei weiterer Oppofition 
hoffnungslos werden mußte und ihm mur ein völliger Frontwechjel 
retten fünne, 

Ohne viel Sfrupel verließ er die Städtischen und eilte nach Wen- 
den, um hier Verhandlungen einzuleiten, die, von Mengede angenommen, 
im September auf einem Landtag zu Wolmar ein fir den Orden über 
aus günftiges Nejultat lieferten. Mit vollen Segeln ging der Erz 
biichof in das Lager des Meifters über und erneuerte zum Schreden 
der Jich verraten jehenden NRigiichen am 23. des Monats den Kirch 
holmer BVBertrag: von neuem geboten beide Herrn über Niga. Die 
Wolmarer Erneuerung des Kirchholmer Traftats war unzweifelhaft ein 
voller Steg des Metfters, ein weit vollitändigerer als der Vertrag 
jelbit, denn Silveiter verlor, dank jeiner dDoppelzüngigen, hinterliftigen 
Handlungsiwetie allen Boden in der Stadt, in der jich alle von ihm 
abiwandten, während Mengede mit feinem Geichtet durch einen Gnaden 
brief die erregten Städter auf jeine Seite heritberzuziehen wußte. 

Danf diefer werfen Verföhnungspolitif ruhte der Streit bis zum 
Ende Kohann Mengedes, alfo fünfzehn Dahre (bis 1469). Zwar gab 
Stodewejcher die Hoffnung auf eine günstigere Geltaltung der Zukunft 
nicht auf, er erteilte vielmehr (6. Febr. 1457) der erzitiftischen Nitter- 
Ichaft den von ums an anderer Stelle bereits envähnten Gnadenbrief, der 
Ihr die gleichen Erbgerechtiame eimräumte, wie fie die harrisch-wiertichen 
Balallen durch die Kungingenjche Gnade befahen. Wenn mn bierbei 
der Wunfch, die Nitterichaft bei künftigen WBerwicllungen mit dem 
Meifter feiter an feine Berfom zu fnipfen, Silvefter Ticherlich in eriter 


= PR) m 


Neihe geleitet hat, jo war die Erfüllung diefer Hoffnung erjt jpätern 
Zeiten vorbehalten. Sechs Tage nach dem GCrlaß von „Silveiters 
made” zeigte Fich Meengede als Herr der Situation: gelang es ihm 
doch, Die joeben noch in bittrer Fehde gegeneinander Stehenden zu 
einer Erneuerung der Walker Emigung zu bewegen, laut der „Gott 
zum Yobe und zu Ehren und Dielen gemeinen Yande zu Livland zu 
Sedeihen” auf zehn Sahre Friede und Eintracht herrichen folle. 

Sp war der Meiiter der Innern Sorgen Herr geivorden jetzt 
eilte er jeinen Pflichten gegen den Hochmeilter in Treuen nachzufommen, 
der dreierlet gebrauchte, „Geld, Mannschaft und Allianzen. Soweit es 
unter den gegebenen VBerbältniffen möglich war, ft ihm Yivland nach 
allen drei Nichtungen hin Fürderlich gewelen.” 

Seit Begimm des Sahres 1454 hatten Jich die Dinge in Preußen 
nämlich Durchaus zum Schlimmen gewandt, denn der Hochmeifter Jah 
lich hier dem Aufruhr des mächtigen Städtebiimdnifjes gegemüber, das 
nicht nur im Lande jelbjt Sämtliche Städte bis auf Mearienburg um- 
faßte und nicht weniger als 56 Drdensjchlöffer in jeine Gewalt ge- 
bracht hatte, Sondern auch in vwerräterticher Werle den Bolenkönig zu 
Hilfe rief. Im Februar 1454 evichtenen Abgejandte des Bundes 
in Srafaı, 10 die Hochzeit Nönig Kafıımivs begangen wnrde, md 
boten unter Vorbehalt ihrer Nechte und Freiheiten dem Könige ihre 
Unterwerfung an. 7Frendig willigte Ddiefer ein, ernannte den ‚Führer 
der ganzen perfiden Bewegung, Hans von Baifen, zum Gubernator 
der preußischen Lande und ließ durch einen Kanzler zu Thorn umd 
Elbing die Huldigung der Etidbrüchigen entgegennehmen. An 22 April 
erfolgte die Kriegserflärung König Kafimirs an den Hochmetiter. Es 
it hier nicht der Pat, den dreizehn Nahre dauernden, durch VBer- 
bandlungen umd Stillftände nur auf furze Zeit unterbrochenen Krieg, 
welcher der Souveränität des Ordens in Preußen an die Wurzel griff, 
im einzelnen zu verfolgen, nur darauf jei hingewiejen, daß Sohanı 
von Mengede Hilfstruppen dem Hochmeister zujandte, die durch Be- 
jeßung des wichtigen Memel nicht unerhebliche Dienste Leijteten, und daß 
andere vom Meifter gejchiete Ritter und inechte auch an andern Orten 
nicht ohne Glück den „Bundtherren“ die Stirn boten. Freilich wandte 
fich, je mehr das Glück dem Orden den Niteken fehrte, dasjelbe auch 
von den Livländern ab, namentlich das Nahr 1466 Jah den Schiffbruch 
einer Schönen Flotte von 40 Schiffen, die an der Furischen Kite jchei- 


Da 


terten, und die Vernichtung von 700 Neitern, Die Mengede den be- 
drängten Ulrich von Erichshaufen zur Hilfe Ichiete. 

Auch an Geld hat der Livländische Meifter vedlic) beigejtenert: im 
Dftober 1455 jendet er 14000 Mark hinaus und zu Anfang des Tol- 
genden Jahres jchreibt er eine Striegsjteuer von 1 Mark pro Hafen aus. 
Auch in den folgenden Jahren ift er nicht jaumfelig gewejen. 

Doch weder die Beihilfe an Geld, noch an Kinechten, noch endlich Die 
von Mengede zum Abjchluß gebrachte Allianz mit dem König Chrijtian 
von Dänemark, Schweden und Norwegen fonnte das troitloje Ende des 
Strieges verhindern: der zweite, jogenannte ewige ‚Friede zu Thorn, der 
amt 19. Dftober 1466 abgejchloilen wurde, brachte Polen den Befig von 
Weitpreußen umd dejjen Städten und Burgen, jo Thorn, Kulm, Elbing 
und Danzig, wie der herrlichen Marienburg. Vjtpreugen blieb dem 
Hochmeifter, doch nur gegen Anerkennung der polntchen Xehnshoheit: 
als polnischer Bajall nahm Erichshaufen jeinen Sik tn Königsberg. 

Ahnten die verräterischen Städte, daß fie Jelbjt die Art an das Deutjch- 
tum jener Zande gelegt? Dämmerte in ihnen das Bewußtiein auf, wohin 
ihr brutaler Eigennuß Städte und Adel, Bürger und Bauer führen mußte? 
Die Nemefis it furchtbar genug über die VBerblendeten gefonmen! 

Livland war natürlich in den Thorner Frieden nicht mit ein- 
begriffen worden und, wenn es auch nad) etwa Sahresfriit Jich in Die 
Ihatjachen finden mußte, jo lag es in der Natur der Sache, daß von 
dem verhängnisvollen Jahre an die Beziehungen zwilchen dem Livlänt- 
Dischen Meifter, der freier Herr geblieben war, und dem Hochmeijter, der 
polnicher Bajall geworden, immer lockerer wurden und die Gejchtefe unjerer 
Heimat weit mehr noch als früher allein in Livland bejtimmt wurden. 

Dieje beginnende Solterung wurde indirekt durch die Beihilfe amı 
Bolenfriege noch befördert. BVBerzichtete doch am 23. April 1459 der 
Hocmeilter, „um mancherlei großen Fleißes, die Johann von Mengede, 
oberiter Gebietiger in Livland, und jeine Gebietiger dajelbjt in diejen 
Ihweren und allerhöchiten, unjern und unjeres Ordens Nöten, uns 
und unjern Orden im Preußen, mit mannigfaltigen, jchweren Kojten 
ud Hilfe an Leuten und auch an großen, merklichen Summen Geldes, 
Goldes und Silbers, eriviejen,“ auf die ejtländischen Lande, Harrien, 
Wierland und Allentafen, Stadt und Schloß Neval, Narwa, Wejen- 
berg, Gebiete, deren Verwaltung der Hochmeister zwar jhon 1347 dem Liv: 
ländischen Meifter übertragen, deren Nückkauf aber er fich veferviert hatte. 


0 — 

sn der Stunde, da die Entwicklung der livländischen Yande fich 
von der Preußens jchied, wurde aljo der ejtländische Befig mit Liv- 
(and wieder zu einem feiten Ganzen verbunden. 

Drei Sahre nad) den zweiten Thorner Frieden, 1469 im Meat, 
wurde der ausgezeichnete Meifter vom Gejchie der Sterblichen ereilt, 
im Dom zu Niga ruht er aus von der Laft der wildbewegten Sahre 
jeines Negiments, über das Grab hinaus aber folgte ihm der Haß des 
Mannes, der jeine Eijenfauft mehr denn ein anderer empfunden hatte, — 
Silvefter Stodeweichers. An dem Toten nahm er fleinliche Nache, 
indem er verbot, daß über der Stelle, da Mtengede beigejeßt worden 
war, ich ein Srabftein erhob. Was der Meijter dem Lande gethan, 
hat der giftige Brälat damit freilich nicht auszutilgen vermocht. Smmer- 
hin zeigte fein Thun, daß dunfles Gewolf am Himmel ih zujammen- 
ballte: Die Ereignifje, die nach) Meifter Sohanns Tode im Orden 
zu Tage traten, mußten ihn in dem Glauben bejtärfen, die Stunde 
habe gejchlagen, wo er dem Orden beimzahlen fünne  Mlengedes 
Vachfolger, Sohann WoltHuß von Herje, war ein wilter, unfteter Ge- 
jell, der schließlich bejchuldigt wurde, Ordensgelder verjchleudert zu 
haben und in Wenden im Herbit 1471 eingefertert wurde. Sein 
Nachfolger wurde ein fraftvoller Mann, Berend von der Bord), der 
zwölf Sahre lang im Amte war und die Bahnen ging, die Mengede 
vorgezeichnet hatte. 

Drei Zahre bejchäftigten ihn die Berjuche, die Exrnft Wolthuß, 
des eingeferferten Meifters Bruder, immer wieder aufnahm, um diejen 
zu befreien. Selbft Schweden z0g er in die unerquidlichen Händel, 
die zwar Durch den 1474 erfolgten Tod Johanns ihr uriprüngliches 
Biel verloren, immerhin aber durch die vielfache Anteilnahme weiterer 
Streife wieder einmal bewiejen, wie untergraben der Boden auch in 
Livlfand war. Bor war denn auch auf jeiner Hut, falls Silvefter 
und die Stadt Niga auf Abfall und neue Fehde finnen jollten. Uno 
der Erzbiichof Hatte Schlimme Gedanken. Bord) jedoch wußte durch 
jehr geichiekte Verhandlungen den Ausbruch des leidigen Kampfes noch 
jahrelang bintanzuhalten, obgleich Silveiter mit allen unzufriedenen 
Elementen des Inlands und Bolen wie Schweden, in Höchit verdächtigen 
Konjpirationen jtand. Exit im Mar 1477 als der Brälat, nachdem 
im Herbjt des vorhergehenden Sahres noc eine zehiyährige Einigung 
zu Stande gekommen war, den Bann über den Meister und die Stadt 


— 1223 — 


Riga ausiprach, fam e3 zum Bruch. Unter Trauergefang wurden 
in den Kirchen die Lichter ausgelöjcht, die Altarfreuze umgekehrt und 
rotgefärbt, die Kirchenthüren gejperrt und Steine gegen jte gejchleudert. 
Die Leiche eines vornehmen Mannes, die troßdem im der Betrifirche 
beigejeßt worden war, jollte wieder ausgegraben, die Stirche mit 10000 
Mark gebüßt werden. Zu gleicher HYeit jchloß Silvefter mit dem 
Erzbijchof von Upfala und andern jchwediichen Biichöfen ein Bündnis 
und lieg durch feinen gejchiekten Agenten, Heinrich) von Hohenberg, 
der vornehmer Geburt zu jein vorgab, aber wohl ein aus einem 
Dlmüber Slofter entiprungener Mönch war, bei Sten Stufe, dem 
ichwedijchen Neichsverweier, in Polen, Littauen, jelbjt in Schamaiten 
um Hilfstruppen werben. Doch wirklichen Erfolg hatte er nirgends 
aufzumweien, er jagte fic) wohl auch jelbit, daß jo lange die Stände 
zum Meister hielten, er feinen Schritt vorwärts fommen werde. Und 
noch jtanden alle zum Orden. Auf dem Zandtage zu Walk im Herbit 
1477 erflärten jte einmütig, den Anftand aufrecht zu erhalten und 
jih um Löjung vom Banne zu bemühen. Ein Berjuch, den die Stände 
Dagegen machten den Streit Dadurch beizulegen, daß Niga, welches doc) 
„die Braut wäre und jein müßte, um welche der Tanz angejtellt 
wurde”, in Zukunft feinem Herrn, denn allein dem Bapft, unterjtellt 
fein jollte, jcheiterte am Widerjprnch des Meifters. Zu gleicher Zeit 
wirkte jein Neffe, Simon von der Borch, der in Nom ji) joeben Die 
Bilchofswiürde von Neval erivorben, im der ewigen Stadt erfolgreich 
gegen Silvefter. Der Bapit ernannte den Stardinal Stephan zum 
Schiedsrichter, der jeinerjeits den Erzbiichof zitierte, binnen hundert 
Tagen vor ihm zu ericheinen. Im Februar 1478 erfolgte die feier 
lihe Löjung der Stadt vom Bann, womit freilich Silveiter und jeine 
Dombherrn Höchft unzufrieden waren. Bermefjene Briefe liefen im 
Nathaufe ein umd nicht eher fehrte die Nuhe wieder, als bis die Don- 
herein umd andere Barteigänger des Erzbiichofs aus der Stadt ent 
fernt worden waren. 

Unterdefjen drängten die Dinge im Lande zur Entjcheiding. Die 
Aufnahme einiger Hundert Schweden in Salis, die fortdauernden 
Kriegswerbungen Hohenbergs bewogen den Meister auf dem Landtage 
zu Wolmar im Nanuar 1479 zu einem geharnischten Wltimatum: 
der Erzbiichof solle feinen Agenten und die Schweden entlafjen. Als 
eine ablehnende Antwort einlief, jchritt Borch zur Gewalt; in Enger 


DD 


Zeit bemächtigte ev fich der wichtigjten Schlöfjer, eroberte schließlich) 
auch Treiden und Kofenhujen und nahm hier den greijen Erzbijchof 
gefangen. 

Seinem Triumph gab der Meifter in einem Brief an den Hoc)- 
meister Ausdrud, im welchem 3 u. U. hieß:') „Propit, Dekan und die 
andern Domberin haben uns geihworen, Treu und Gehorjam zu jein. 
Dir find mit dem Heren Erzbiichof im Beifein des Stomthurs von 
Soldingen auf tofenhujen zujammengewefen, in trefflichen Handlungen 
und mannigfaltiger Nede und Widerrede. Er jchwürt hoch und feugnet 
nach alter Weije Dinge, die doch offenbar vor Augen find und mit 
Schriften und Siegeln, jowie durd) lebender Leute Zeugnis bewiejen 
find. AZulebt ift es dabei geblieben, daß der Erzbiichof bis an jein 
Lebensende in Ktofenhujen bleiben joll. Man joll ihm halten einen 
Kaplan, einen Kanmerjchreiber, drei oder vier „sungen und einen Öe- 
jellen. Er ift ganz jehwac und wir werden dieje Leute unterhalten. 
Wir Haben einen Landvogt darauf gejegt, der für alle Dinge vaten 
und dem Gebiet vorftellen joll und der ihm alle gute Notdurft jchieken 
wird. Der Herr Erzbischof Hat uns wohl angelangt und gebeten, ihm 
dag Gebiet Pebalg zu geben, aber obgleich wir jonjt nicht abgeneigt 
wären, möchten wir es ihm doch nicht vertrauen. Wir fürchten, daß, 
jobald er mır Naum gewinnt, er die alte Schnöpdigfeit und verderb- 
liche Anschläge nicht werde lajjen fünnen. Die Ritterichaft des Stiftes 
Kiga hat uns gehuldigt und ihre Zehen empfangen. Sie entjchuldigen 
fi) fämtlih, daß fie von dem Bündnifje nichts gewußt hätten, jie 
jeien jämmerlich verraten und verfauft worden. Diejenigen, die das 
Bimdnis (mit Schweden) mit unterzeichnet haben, jagen, fie jeren dazu 
genötigt worden und hätten bei Verluft ihrer Güter jchwören müjjen, 
es niemanden mitzuteilen. Das hl. Blut und etliche andere Stlein- 
odien find von Kofenhufen abgeholt und nebjt einer jchönen Monjtranz 
und einem Marienbilde in Prozeifion wieder in die Domfirche gebracht 
worden. Man beftellt wieder den Gottesdienjt nach unjeres Ordens 
Vorichrift und Gewohnheiten.“ Im der Nachichrift jtand ferner zu 
(efen: Gnädiger Herr Meijter. Heinvicd den Böhmen, der auf dem 
Wege nad) Littauen war, um auf Befehl des Erzbijchos gegen uns 
und unfern Orden mehr Volkes einzuladen, haben wir gefangen und 


1) Sitiert nah) Th. Schiemann ]. ce. II. pag. 485—149. 


zur 


vierteilen und auf vier Näpder jegen lafjjen.... Das ift nicht ohne 
jonderliche Schikung Gottes jo zugegangen. Wären die Pläne des 
Erzbiichofs vollzogen worden, jo wäre in Diejen Yanden alles ver- 
raten und zu Sammer gefommen. Wir hätten jegt die Feinde im 
Lande gehabt und die andern wären ihnen mit aller Macht gefolgt. 
Sie waren bereit in der Nähe der Küfte, als das Gerücht zu ihnen 
drang, daß der Böhme hingerichtet und das Stift genommen jei. Da 
jind fie wieder umgefehrt. Auch aus Littauen erfahren wir nur Gutes.“ 

Mit der Huldigung, die Niga abermals dem Meiiter Leiften 
mußte, endete der furze Krieg, der den Untergang Silveiter Stode- 
wejchers bejtegelt hatte: jchon im Sult desjelben Jahres Itarb er, alt 
und gebrochen, als Gefangener auf jeinem ehemaligen Nefidenzichloß. 
sm Dom zu Riga it er links vom Altar im September beigejegt worden. 

Sein Hinjcheiven glaubte der Meifter zu einem Schritt benugen 
zu fünnen, der, wenn er gelang, in der That dem Orden das unbe- 
ftrittene Übergewicht im Lande auch fir die Zukunft fichern mußte. 
Wie, wenn der Bilchor Simon von der Bord, jein Neffe und engiter 
Barteigänger, den Stuhl des Erzitifts bejtieg? War dann nicht jichere 
Ausficht auf Eintracht und Ruhe? 

Wer wollte leugnen, daß Ddiefe Nechnung richtig war. Aber die 
Folgezeit jollte auch Lehren, daß zu diefem Wagnis dem Drden die 
Macht gebrach, der Plan vielmehr das Signal zu neuen Kämpfen 
geben jollte, die mit furchtbarer Heftigfeit geführt, der Zerrüttung des 
Landes den bedenflichjten VBorichub leiiten mußten. 

Bapjt Sixtus IV. war nicht gewillt, diejen hochjtrebenden Plänen 
des Meifters VBorjchub zu leiiten, eine jolche Meachterweiterung des 
Ordens dünfte ihm gefährlich. Troß aller Bemühungen Berend von 
der Borchs jeinen Neffen auf den erzjtiftiichen Stuhl erhoben zu jehen, 
defignierte der Bapft den Bilchof von Troja (Unteritalien), Stephan 
Grube, einen Mann, dem freilich dev denkbar jchlechteite Name voraus 
ging und dem man nachjagte, ev habe das Ordenshaus in Nom und 
die Balley ein Apulien widerrechtlich verpfändet, jowie durch Simonie 
jein Amt erjchlichen, zum Erzbischof von Niga. Damit nicht zufrieden, 
erklärte Bapft Sixtus Grube auch zum alleinigen Herın von Niga 
und jchleuderte im Juli 1480 gegen den Meetiter den Banıı. 

Sollte diefer PBarteinahme des hl. Vaters gegenüber der Orden 
feine Vergangenheit verleugnen und das Feld räumen? Meit nichten! 


Seraphim, GSejchichte I. 15 


= ’ 
— 226 


Bord, obgleich durch NAufjeneinfälle an der Oftgrenze arg gehindert, 
zögerte feinen Augenblik den Handjchuh aufzunehmen. Gegen das 
geiftliche Oberhaupt der fatholiichen Chriftenheit rief er den Staijer 


des hl. römischen Neichs deutjcher Nation — wen derjelbe auch mur 
ein Friedrich III. fein mochte — in die Schranken. Eilends entjandte 


er den Komthur von Goldingen ans fatjerliche Hoflager und Ddiejer 
fand hier auch williges Gehör. „Bei Verlust aller ihrer von Staijer- 
licher Majeität verliehenen Privilegien“ wies der Sailer, natürlich) 
vergeblich, die Stadt an, dem Meister und jeinen Nachjolgern auf 
immer unterthan zu jein. Zugleich rief er, charafteriftiich für feine 
eigene Ohnmacht, Polen und Dänemark zum Schuß des Ordens auf. 

Darob gewaltiger Zorn in Rom! Mit gummigen Worten ant- 
wortete Sixtus, verschärfte den Banıı und Lüfte alle von dem Ge- 
horiam, von dem Stinde der Bosheit, Bernhard von der Bord, Ge- 
bietigev und angemaßter Meifter zu Livland, der wegen jener Unthaten 
und abjcheulichen Verbrechen schon längft aus dem Scoße der 
hl. Mutter, der Stieche, geworfen“ worden jei. Auf diefe im Dezember 
1471 erlafiene Bulle blieb der Statfer die Antwort nicht chuldig. 
Eine energiiche Zitation erging an den Nat der Stadt Niga, Die 
Stadt jolle fich vor jenem fatjerlichen Gericht jtellen, weil fie jein 
faijerliches Gebot verachtet und gegen dasjelbe an den Bapjt appelliert 
habe, „fir den die Sachen nit gehört“. „Es war“, bemerkt ein neuer 
Hejchichtsichreiber, „eine Wiederholung des alten Streites zwijchen 
Bapjttum und Kaijertum, der noch einmal am äußeriten Borpojten 
der lateintichen Chriftenheit zum YAustrag kommen wollte.“ 

Aber Bapft- und Ktaijeriwort verhallten ungehört, die Entjcheidung 
jollte durch eigene Sträfte ausgefochten werden. 

och ehe der lebte Schriftwechjel zwiichen Friedrich III. und 
Bapjt Sixtus ausgetaufcht worden, war das Schwert aus der Scheide 
gefahren. Meifter und Stadt rüfteten und jchon am Kohanni-Abend 
1481 fam e8 zu Feindfeligfeiten. Der Meister war in Berfon auf 
dem Schloß erjchtenen und hatte den Nat vor ich zittert. Als Ab- 
gejandte jich meldeten, gab es eine heftige Szene: ftatt gegen ihn 
Schlimmes zu finnen, jollte die Stadt ihn Hilfe gegen die Mustowiter 
(eiften. Die Natsheren weigerten jich dem zu willfahren — da brad) 
er die weitern Verhandlungen ab. Da Riga allen Vermittelungs- 
versuchen gegemüber feit zu Stephan Grube hielt, Bord) dagegen jeinen 


m — 


Better aufs Feierlichite als Exzbijchof behandelte und ihm, als Klaier- 
lichen Stellvertreter, den Lehnseid leiftete, jo zeigte fich auch im den 
folgenden Monaten feine Ausficht auf VBerftändigung. Am 20. November 
1481 läuteten die Sturmgloden, die Bürger ftürzten eilends auf die 
Gafjen, dan auf die Wälle und verrammelten die Thore. Auf dem 
Rathaus verfammelt jth der Nat uud eimmütiglich Ichwören ev und 
die Gilden die Stadt bis zum legten Blutstropfen zu verteidigen und 
dem räuberijchen Orden die Spibe zu bieten. DBorch, der auf den 
MWittenftein, die Nigiiche Ordensburg, grobes Gejchüg hatte bringen 
lafjen, gab Befehl es im Bereitjchaft zu jeßen umd ließ die Verbindung 
bei Diinamünde jperren. Auf die Anfrage der Nigischen beim Haus 
fomthur, was das alles zu bedeuten habe, gab jener recht Fräftig zur Ant 
wort, das Gejchüß jet dazır bejtimmt, „manchem Schalt das Maul zu 
ftopfen“. Die Bürger, die nicht im Zweifel jein fonnten, gegen wen 
die Vorbereitungen gerichtet waren, verjuchten die Straße nach Düna- 
miünde gewaltjan zu gewinnen — am 19. Dezember jandte ihnen der 
Komthur hierauf den Abjagebrief des Ordens. Wohl um den Meijter 
zu veizen, liegen die Rigiichen nunmehr durch einen lübiichen Kaufmann 
bei dem Meifter jelbjt anfragen, ob der Abjagebrief denn wirklich von 
ihm gewollt wäre. Bord braufte auf und wollte im eviten Zorn den 
vorlauten Boten erfäufen lafjen; mur weil er ein Fremder jet, Ichone er 
ihn — damit entlieg er ihn ohne Antwort nach Riga. 

Über den Ausbruch des Kampfes jelbjt lautete der Bericht dahin, 
die vom Schloß hätten den Hauptmanı der Städtischen, Hennig Wolke, 
zu Iprechen gewünjcht. Als diefer mm mit einem Neiter umd einen 
Sungen in gutem Glauben auf dem Wall evjchienen wäre, jer vom 
Schloß gefeuert worden — Wolfe janf jchwer getroffen zu Boden. 
Nun begann eim beftiges Gejchüßfener: Mächtig Dröhnten die jtädtiichen 
Kanonen, vor allem der „Naabe“, der die bezeichnende Inschrift trug: 

„sh Heige Raab’ und leg’ ein Er, 
Was ich falle, das geht entzwei!” 

Doch die Wittenjteiner ließen nicht auf fich warten umd laut 
brüllte ihr „Löwe“ aus ehernem Mind. 

Auch im freien Felde maßen die erbitterten Gegner ihre Nräte, 
in den Sandbergen tobte der Nampf und in einem Qveffen am 
„Nabenstein“ fiegten die Städter über den Yandmarichall, der 35-600 
Neiter um jich hatte, erichlugen viele und erbeuteten die Ordensfahne. 


15 * 


a 


Befonders mutig. hatten ftch hierbei die Schaar der Schwarzhäupter 
erwiejen und helle Freude hätte in der Stadt über den Sieg geherricht, 
wäre nicht bei dem Bombardement der jchöne Turm der Safobifirche, 
defjen vier mit goldenen Siuäufen verjehene Gtebel weithin Leuchteten, 
in Brand gejchoffen und vernichtet worden. 

Endlich fam im März durch Dazwischenfunft der Stände eine 
zweyjährige Waffenruhe zu Stande. Im Sommer 1483 fam Stephan 
Srube, troß aller Borfichtsmaßregeln des Ordens, über Wilna und 
durch Surland nach Niga der Führer, welcher der DOppofition 
bisher gefehlt, war damit gefunden. Saum war der Erzbiichof hinter 
den Mauern, jo wurde der Friede aufgefündigt und mit Aufbietung 
aller Sträfte Diinaminde belagert, Nach vierwöchentlicher Belagerung 
mußte Diejes den ganzen Handel der Stadt unterbindende Bollwerf 
fapitulieren. Srohlocend vifjen die Steger die Befeftigungen nieder, 
nur eine Fenerbade fir die Schiffer blieb übrig. Der Fall von 
Dinaminde hob den Mut der Bürger mächtig: während die einen 
den Wittenften immer fefter einjchloffen, unternahmen andere unter 
Klaus Berens und andern Führern weite Streifzüge ins Yand 
hinein bis nach YBurtneef und eroberten hierbei Ktofenhujen, Dahlen 
und Bebalg, ja fie jchlofien den Meeifter, wenn auch nur zeitweilig, in 
jeiner Burg zu Wenden ein. War der Metfter, deijen Thatfrajt wir 
bisher zu vühmen Gelegenheit gehabt haben, wirklich nicht im Stande 
den Nigiichen mit Erfolg die Spiße zu bieten, da doch die Nitter- 
ichaften auf jeiner Seite jtanden? Berjchtedene Umftände wirkten zu- 
jammen, um ihm die Hände zu binden. Met ftarfer Hand hatten die 
Norvgoroder und Plesfauer die Dftgrenze bedroht und nicht immer er- 
folgreich war der Meifter gegen jte gewejen. Dazu famen Notjahre, 
Steanfheit und Hunger. Die Haupturjachen feiner Schwäche lagen 
aber tiefer: Die Stände, infonderheit die Nitterichaften waren zwar 
feine Feinde des Ordens, aber doc auch weit entfernt davon mit 
warmer Barteinahme und Einjeßung aller Kräfte fir Bord) gegen den 
Erzbifchof mobil zu machen. Wo jollte die Liebe für den Orden aucd) 
herfommen? Die Tendenz desjelben war alle Zeit darauf gerichtet gevejen, 
die Vajallen nicht allzu mächtig werden zu laffen und jeitdem der 
Meifter die Huldigung der Nitterichaften erhalten, ging Berend von 
der Borch in unfluger Weije gegen diejelben in brutaler Herrjchhucht 
vor ımd entfremdete fich mächtige Familien, jo die Tiefenhaufen. Biel- 


feicht gegen jeinen eigenen Willen, mehr getrieben Durc „die unerjättliche 
Habgier der Ordensglieder“ ') jteigerte er die Bedrücung der Bajallen. 
Die Folgen hatte Borch allein zu tragen: ihm jchob man alle Schuld 
zu, daß der Krieg gegen die Nullen und gegen Niga nicht glücklicher 
war, umd zwang ihn jchließlich im November 1483 zu Wenden von 
jeinem Amt zurückzutreten. 

An feine Stelle — dem Namen nach) trat er freiwillig zurück — 
erhoben die Gebietiger den Komthur von Neval, Freitag von Lorinf- 
hove. Ein merfwürdiger Zufall wollte es, daß im Monat darauf 
Stephan Grube ftarb, die Gelegenheit zu einem Ausgleich Tich alfo 
wie von jelbit bot. Und Doch jollte e3 anders fommen, denn feine 
der ftreitenden Barteien dachte daran von ihren Nechten das Geringjte 
nur aufzugeben, namentlich jegte der neue Meiiter alle Mittel in Be- 
wegung, um die jtörrige Stadt zu bezwingen, bevor eine Kemvahl 
dem Streit um den erzbiichöflichen Stuhl Friiche Nahrung gab. Sm 
sebruar 1484 lagert er mit jtarfer Macht vor den Thoren der Stadt, 
doc vermag er nicht einmal den Entjaß der im Wittenjtein Cinge- 
ichloffenen zu bewerfjtelligen, da die Bürger das Eis des Schloß- 
grabens Losbrechen und nicht wieder zufrieren lafjen. Um diejelbe 
Zeit erlitt das Drdensheer zwilchen dem Stintjee und der Nifolai- 
fapelle, danf der Umzuverläfftgfeit der inechte, eine vernichtende Nieder- 
lage: 23 Oxdengbrüder, darunter 3 Komthure und 2 Bögte wurden 
gefangen, drei andere fielen, ein vierter ertranf. Dieje Kataftrophe 
entichted auch über den Wittenftein: die waceren Verteidiger waren 
aufs Furchtbarjte geichwächt, jeit Wochen lebten fie nur vom Pferde- 
fleisch, auch diejes ging auf die Neige, jo daß faum zehn noch im 
Stande waren die Waffen zu tragen. Zwei Monate nach der Nieder- 
lage am Stintjee öffneten die Ordensbrüder die Thore der Burg md 
zogen nach Neuermühlen ab. An der verhaßten Zwingburg aber 
fühlten die Bürger ihre Nache. Laut ließ der Nat verkünden, ein 
jeder möge vom Schloß abbrechen, jo viel er wolle — wenige Wochen 
gingen ins Land und von dem Wittenftein war nur noch ein Trümmer 
haufe übrig. Die Bürger aber meinten, mit der Burg auch den 
Orden zu Tode getroffen zu haben: fie ahnten nicht, daß dem Höhe 
punkt ein jäher Fall folgen jollte. 


') ef. Schirren, Vorträge. 


Ein Moment, das gegen die Stadt wirkte, war die Haltung der 
Bajallen, im denen das adlige Standesgefühl gegen die trugige Bürger- 
Ichaft Ichließlich Doch zum Durchbruch fam. Schon 1482 hatte eine 
Berfammlung „aller VBajallen von Libau biS Narwa* bei Karfus 
Ttattgefunden md bier hatte man bejchloffen, dem beizuftehen, auf 
deflen Seite das Necht wäre. In Scharen waren fie hierauf zu den 
Fahnen des neuen Meijters geeilt, der im Herbit 1485 den Augen- 
blick gefommen glaubte, abermals [oszujchlagen. 

Willtonmene Botichaft fam zudem aus Nom: Bapft Sixtus, 
der eine weitere Schwächung des Ordens für unthunfich hielt, hatte 
joeben gegen den Willen und gegen die Bitten Nigas den Kandidaten 
des Ordens, Michael Hildebrand, zum Erzbifchof von Riga bejtimmt. 
Die Stadt aber verjcherzte die letten Sympathien, die ihr im Lande 
entgegengebracht wurden, durch den Starrfinn, den fie dem ins Land 
fommenden hohen Prälaten entgegenjegte. Ste jchloß ihm die Thore 
und trieb ihn Dadurch fait gewaltjam in die Arme des Meifters, 
der ihn im Wenden mit Höchiter Auszeichnung aufnahm Auf das 
Einerlet der folgenden Nahre, die Verhandlungen und gleich wieder 
gebrochenen „ewigen Frieden“ verlohnt e3 Sich nicht einzugehen: der 
im März 1486 abgejchlofjene Blumenthaler Friede war ebenjowenig 
von längerer Dauer wie andere Anftände. Unterjtügt durch den Bapit, 
der Niga mit dem Bann drohte, Fall® die Stadt das DOrdensschlo 
nicht aufbaue, Diünaminde zurücgebe und Schavdenerjab leilte, jagte 
Lorinfhove am 30. September 1489 der Bürgerichaft von Neuem 
ab. Riga aber verzagte nicht und da es wohl wußte, welches Ge- 
ichiet ihm bei der Übergabe drohte, wehrte es fich mit dem Mut der 
Verzweiflung. So erklärt e8 ich, daß troß der einmütigen Bartei- 
nahme Des Landes, troß der trefflichen Führung des Yandesmarjchalls 
Wolter von Plettenberg und troß der Hilfefendungen des Hochmeijters 
Hans von Tiefen der Orden Berluft über VBerluft erlitt. Erft der 
glänzende Sieg bei Nenermühlen (Anfang 1491) brach NRigas Troß 
und machte den Meifter zum Heren der Lage: Am Mittwoch vor 
Dftern, am 30. März fommt es unter Schiedsipruch des Erzbiichofs 
und der Bischöfe von Dorpat und Kurland zur „Afipröfe” von Wolmar. 

Bitter genug famen die Bedingungen den Nigiichen an: barfüßig 
und barhänptig jollten die Bürger Abbitte leijten und fic) auf Gnade 
und Ungnade dent Sieger überantworten, der den Wiederaufbau des 


— 231 — 


Schlojjes und Dünamündes innerhalb jehs Jahren fordert, in jchonender 
Merle die demütigende Form der Abbitte aber den Abgejandten der 
Stadt erließ. Der Kirchholmer Bertrag jollte von nun an wieder die 
Grundlage aller Berhältnifje bilden: der zum Erzvogt erwählte Bürger- 
meijter Schöning mußte 1492 fowohl dem Meifter wie dem Erzbijchof 
huldigen. 

Sp war der unjelige Bürgerkrieg, den Silvejter Stodewejchers 
hinterhaltiger Ehrgeiz entzündet hatte, endlich beigelegt, aber die Ge- 
jundung der Dinge war nicht erreicht worden. 5m erjchrecdender 
Weile war gerade in den lebten Kämpfen die tiefe Yerrüttung, Die 
zuchtloje Zwietracht zu Tage getreten. Der Boden war unterwühlt, 
das Gejchlecht, deren Altvordern einit jo Herrliches erreicht, frühzeitig 
welt und alt geworden, die Inititutionen, die einst jich bewährt, fie 
waren überlebt und ein Hemmmis. Ein Windftog mußte genügen fie 
umzumwerjen — die Neformation, die vor der Thür jtand, fie ver- 
jüngte bei ung die Herzen, jte brach aber auch dem Nitter- und Prä- 
fatenftaat an der Düna den längst morjhen Stamm. Schon aber 
war unter Mosfaus fraftvollen Herrjchern eine Zujammenfajiung der 
Sträfte des weiten Djtens begonnen worden, jchon bereitete jich der 
Großfürft vor, den Kampf um den Bejig der Ditjeefüite aufzunehmen. 


14. Kapitel. 


Das Emporkommen Moskaus nd Die 
Kullenkänpfe Plettenberas. 


Seit der Mitte des 13. Sahrhunderts hatten die Kämpfe an der 
Dftgrenze Yivlands viel von ihrem beprohlichen Charakter eingebüßt. 
Der Furchtbare Drucd des Mongolenjochs, das jich auf all die Teil- 
fürjtentüimer gelegt hatte, unterband jede Nequng eignen Lebens und 
machte es Rußland unmöglich, die aggrejjive Bolitif gegen den Orden 
fortzufeßen. 

Über zwei Sahrhunderte Laftete das dumpfe, ditftre Einerlei der 
Tatarenherrichaft auf dem weiten Steppenlande. Überall zeigte fich 
Deutlofigfeit, Berzicht auf eine bejjere Jufunft — nur einer der Teil- 
Itanten machte eine rühmtiche Ausnahme: Mosfau. hm allein ge- 
lang e8 während der Zwingherrichaft der Horde (Orda), Schritt um 
Schritt emporzufommen. Durch Demütigungen aller Art vor den 
Chanen, vor denen die Großfürjten Haupt und Siniee „auf die Erde 
Ihlugen“, durch eine ebenio gewandte, wie jfrupellofe Finanzpolitik, in 
der bejonders Swan Kalitä (der Geldjad!) Meifter war, jtieg langjam 
Mosfaus Stern immer heller jtrahlend aufwärts. „So wurde es 
mächtig im Innern und geitählt den Kampf mit dem Deeident auf- 
zunehmen !).“ 

Der Ruhm, Die gefammelten Kräfte fruchtbar gemacht und zur 
Einigung Nublands unter Mosfaus Fahnen, wie zu einer großartigen 
auswärtigen Politik benußt zu haben, acbührt Swan II. Wajftljewitich 
(1462— 1505), der als der hervorragendjte Nepräfentant jener ziel- 
bewußten, vitcffichtslojen Bolitit Mosfaus bezeichnet werden muß. 
Dreifach war das Ziel, das Ddiefem außergewöhnlichen Herricher vor- 


'!) ef. auch Bienemann ]. c. pag. 78ff. 


ihwebte: die Bernichtung der fleinen, noch halbjelbitändigen Teil- 
fürjtentümer, vor allem der jtolzen Städterepublifen Norwgorod und 
lesfau, die alle unter dem Szepter des abjoluten Yaren vereinigt 
werden jollten. Zum andern die Bejeitigung der freilich allmählich 
zum Schatten herabgefunfenen DOberherrichaft der „goldenen Horde“. 
Zum dritten, „daß alles einft ruffiiche Yand wieder zu Moskau ge- 
bracht werden müfje“, das der natürliche Bejchüger der griech.-ortho- 
doren Kirche jei. Diejev Teil der mosfowitiichen Bolitif war freilich 
jehr Dehnbar — er Schloß den Kampf gegen den Orden in Livland ebenjo 
in jich, wie gegen die littautich-polnische Macht. Dort wollte er die 
Dftjeefüfte gewinnen, hier den Dirjepr zum Grenzfluß machen! 

Die Größe Mosfaus und Nuplands fielen jeit einen Tagen zu- 
jammen, ihr hat er jein ganzes Können geweiht. hretwegen fnüpfte 
er die eviten Beziehungen mit dem Abendland und z0g ausländiiche 
Künftler, Handwerker und Irzte ins Land, ihretwegen hat er, der 
weder Feldherr noch Kriegsmann war, oft, wenn auch nicht immer 
mit Glück, das Schwert aus der Scheide gezogen. Den größten Ge- 
winm aber z0g er aus jeiner Hetrat mit dem legten Sproß des Katjer- 
geichlechts der PBalävlogen, Sophia. 

Seit 1453 war Ktonftantinopel eine Beute der Mufelmannen ge- 
worden, Katjer Konftantin Paläologos tapfer fämpfend gefallen, die 
Erbtochter nach Nom geflüchtet. Große Pläne gedachte der hl. Water 
mit ihrer Hand zu verwirklichen, als Swan um die Brinzeifin warb: 
ein neues lateinisches Neich im Dften follte errichtet werden, die Union 
der Kirchen durch fie zu Stande fommen. Doch welch arge Ent- 
täufchung! Schon vor den Thoren Mosfaus mußte das lateinische 
Kreuz, gegen Ddejlen Einzug im das heilige Mütterchen Moskau der 
Metropolit heftig proteitiert hatte, entfernt werden und ohne Erfolg 
zog die fatholische Geiftlichkeit, die der Kaijertochter das Geleit gegeben, 
um in Nupland die römische Propaganda aufzunehmen, wieder heim. 
Derjenige, der allein Ehre und Gewinn eimbeimfte, war der Zar, der 
von mm an als der wahre Nachfolger der oftrömtichen Katfer galt und 
in feinem Namen wie in jenem Wappen, im dem der byzantintiche 
Doppeladler prangte, jich als jolcher jelbit aller Welt gegenüber be 
zeichnete. 


') ef. die interejjante Charakteriftif bei Schiemann 1. e. 1. 255ff. 


sm snnern fam der Jar langjam, aber mit zäher Ausdauer ans 
tel: der Fall von Groß-Nowgorod, Plesfau und Wjatfa bezeichnet 
die Staffeln der völligen Erfolge der mosfowitischen Zentralifation. 

Der Untergang Nowgorods und Plesfaus ift aber auch fiir die 
(wländische Gejchichte von weitreichendfter Bedeutung geweien, jo daf 
wir unfer Auge auf die Tragödie werfen müffen, deren Mittelpunkt 
die Stadt am Wolchow war, deren Bürger in ftolzer Überhebung noch) 
immer an das Wort glaubten: „Wer fann wider Gott und Groß 
Vowgorod!“ Umd doch! Wie vuhmlos ift die handelsreiche Nepublif 
gefallen)! Sn elenden Barteihader verfommen, ohne Staatsmänner 
voll Feuer und Überlegung, haltlos jchwanfend zwilchen ohnmächtigen 
Troß md Ffleinmütiger Verzagtbeit, alfo ging die Nepublif, die fich 
überlebt Hatte, jämmerlich zu Grunde „Es FElingt faft wie ein 
Paradoron umd it doch hiftoriich unbeftreitbar, — jo charakterisiert 
ein baltischer Gejchichtsjchreiber die Wolchowftadt — daß jelbit an 
diefem vegften Mittelpunfte wusfischen Handelslebens es ftets an Kauf- 
leuten in großem Stil und an wirklichen Handelsgeiit gefehlt hat. 
Der Handel Nowgorods war im Grunde doch nur ZJwischenhandel und 
nur jpärlich und ohne Energie durchgeführt find die Verjuche, eine 
jelbjtändige Handelspolitif zu inaugurieren. In Abhängigkeit von den 
rurfüichen Fürsten des Hinterlandes einerjeitsS und von den Hanjeaten 
andrerjeitsS haben die Norwgoroder es nie verjtanden, eine wirklich fern- 
blictende Politif zu befolgen. Die nächiten vor Augen liegenden und 
mit Händen greifbaren Ziele gaben den Ausjchlag und auch fie wurden 
mir zit häufig durch die unberechenbare Erregung der zur Wetjche ver- 
Jammelten Menge arg geichädigt. Ein tiefgehender Gegenjaß zwiichen 
Arm und Neich steigerte die Mißverjtändnifje zwiichen den WBarteien 
und machte jede einheitliche Aktion unmöglich, während eine eigentüm- 
liche Verbindung von Übermut md Sleinmiütigkeit die fernerscheinende 
Gefahr unterichäßen und nabheliegende überjchäßen ließ. uch weijen 
die chronifaliichen Überlieferungen darauf hin, daß bei zunehmender 
Übpigfeit und Sittenlofigfeit, welche in den Peitjahren 1465—67 
fih noch geiteigert hatten, die Wehrfraft der Stadt in tiefem Verfall 
lag, ohne daß man in Nowgorod jelbit fich defjen bewußt gewelen wäre. 


1) cf. Th. Schiemann I. 318ff. und H. Hildebrand. „Die hanjijch-liv- 
ländifche Gelandtichaft 1494 nad) Moskau und die Schließung des deutichen Hofs 
zu Nowgorod.“ Balt. Monatsichr. 1871. pag. 114jf. 


235 
Während man ich hier in arger Selbittäufchung wiegte, überjchaute 
aber der fluge Rechner in Moskau die Berhältnifie vollfommen und 
jeiner genauen Kenntnis derjelben, der, fajt möchte man jagen, piycho- 
(ogijch feinen Behandlung, die er ihr zu teil werden ließ, den rückjichts- 
und mitleidslojen Schlägen, die er ihr beibrachte, dankte er jeinen Erfolg.“ 

Der äußere Hergang diefer Dinge gehört in die rufftiche Ge- 
ihichte, nur die wichtigjten Meerkiteine jeren fejtgeitellt. 

Die fittautiche Bartei, deren Seele Marfa Pojadnisa, eine fluge 
rau aus dem Gejchlecht der Boreßfi, war, hatte zu wenig Fühlung 
mit dem VBolf, das mehr zu Moskau neigte, und der hohen Geijtlich- 
feit, deren Interefje auch mehr nach der Zarenjtadt gravitierten, um Die 
Bolttif Groß-Nowgorods in zielbewuhter Weije lenken zu fünnen. Da 
König Kafimir in Ichwächlicher Weije die Ktttautjchen Streitkräfte nicht ins 
eld führte, da der Orden, durch Blesfau, das ganz im zarischen Fahr- 
wafjer jchwamm, im Schah gehalten, Nowgorod gleichfalls nicht zu 
Hilfe fommen fonnte, wohl auch jein Gejchiet mit dem der verlorenen 
Stadt nicht identifizieren wollte, jo vermochte fie nicht zu wideritehen. 
Der Entiheidungsfampf an der Schelona jchlug, zumal die erzbiichöf- 
lichen Truppen nicht gegen die Wiosfowiter mitfämpften, zu Unguniten 
der Noigoroder aus: am 11. Auguft 1471 veriprad) Swan end- 
lich jeinen Horn von der Stadt zu nehmen, wenn jte jede Verbindung 
mit Lıittauen löje und eime gewaltige Kontribution zahle. Noch war 
der Schein der Unabhängigkeit gerettet, doch jelbjt diejer jollte nad) 
wenigen Jahren verichwinden. Unter nichtigen VBorwänden überzog 
Swan Ende 1477 die zwieträchtige Stadt von neuem und demütigte 
fie ohne Schwertichlag im Sanuar 1478 vollends. Die Häupter der 
littautschen Bartei, vor allem Marfa Boljadniza, führte er nach Mos- 
fau, die republifantsche Berfaffung wurde aufgehoben, die Wetichegloce 
im Triumph nach der Zarenjtadt gebracht, „wo ihre Stimme fortan 
unbemerkt unter den anderen Glocden der Neftdenz des Grohfüriten 
verhallte”. 

Aber jelbjt die fümmmerlichen Nejte einjtiger Herrlichkeit waren 
dem Großfürjten ein Dorn im Auge. Im Dftober 1479 erichten ex 
unerwartet vor der Stadt, die, als er fie bejchtefen ließ, Tofort die 
Thore öffnete und fich bedingungslos ergab. Ein furchtbares Gericht 
erging über die Norwgoroder. Glücklich diejenigen, die das Leben vet 
teten und im’3 imere verjchieft wurden. Im Sabre 1488 wurde der 


— 236 


Nejt der früheren Emmwohner fortgeführt und willfähiger Anftedler 
buntejter Auswahl, „schnöde Bölfer“, in der alten Stadt einquartiert. 

„Damit die neuen Einwohner nicht durch den Verfehr mit den 
fremden Kaufleuten oder durch allzugroßen Wohlitand auch einmal ge- 
fährlich würden, nahm Jwan III, nachdem er ihr Vergangenheit und 
Gegenwart geraubt hatte, der Stadt auc) ıhre Yufunft, indem er im 
Sabre 1494 gänzlich) unerwartet, das tontor des deutichen Kaufmanns 
Ichließen ließ“. 

Nicht zum evftenmal jpürten die Livländer den feindlichen An 
prall. Die Kämpfe Berend von der Borchs waren noch in friicher Er- 
innerung. Seit ihnen hatten die Grenzfehden faum geruht und mit 
ernjter Sorge vernahm man 1492 die Meldung des VBogts von Narıva, 
gegenüber dem Schloß hätten die Neufjen ein „Irugnarwa* wan- 
gorod errichtet. Wie ein Blib aus heiterm Simmel aber jchlug Die 
Schreeensfunde von der Schließung des Kontors zu St. Peter und die 
nit ihr verbundenen Gewaltthaten in Livland ein. Keim Menjch hatte 
jich deflen verjehen umd doch hätten Einfichtige ich dem Nahen der 
Stataftrophe faum verjchliegen dürfen. — 

Das 15. Sahrhundert hatte die Kivländer zu fajt ausschließlichen 
Herrn des Handels auf dem Hof zu St. Peter gemacht. Kaufleute 
unjerer Heimat hatten immer mehr den Handel mit Rußland im ihre 
Hand genommen und da Nübed zu fern war, als daß man von 
Kowgorod aus dort hätte anfragen fünnen, wenn Eile Not that, jo 
hatte Lübeck jelbit 1442 dem Hof zu Nowgorod ausdrüclich Weijung 
zufommen laljen, unbedingt den drei livländischen Städten zu folgen, 
in unaufschtebbaren Fällen aber fich Bejcheid beim Nat von Dorpat 
zu erholen. Nichts ijt bezeichnender fir die dominierende Stellung der 
(twländiichen Städte, als die IThatjache, daß man in Lirbeef allmählich 
die Titulaturen vergefien hatte, die in Briefen an die Nepublif zu ge- 
brauchen waren, und einmal, als man im die Yage fan diveft dorthin 
jchreiben zu miüljen, den Nat von Niga erjuchen mußte, das Schreiben 
in gehöriger Form von neuem aufzujegen. in den Augen der Noiw- 
goroder fielen Yivländer und Hanjeaten allmählich völlig zujammen, was 
(eßteren nicht gerade zum Vorteil gereichte: „Ein leifer Winditoß, der 
die Nufjen in Livland unjanft berührte, fuhr nie wirfungslos über ihre 
Häupter hir, der fich gegen jene erhebende Sturm erjchütterte vegel- 
mäßig ihre ganze Exiftenz. Glaubt fich ein Ruffe in Dorpat benach- 


a7 


teiligt, jo hält er fich am deutichen Kaufmann in Nowgorod jchadlos; 
fürchten jene die Arreitierung der shrigen in Livland, jo durften Die 
Deutjchen den Hof nicht mehr verlafjen; tt eimer ihrer Brüder dort 
ums Leben gefommen, jo werden Dieje mit dem QIode bedroht“.") 
Dieje in nie abreigender Stette Jich Hinziehenden Werwiclungen be 
gannen — denn jteter Tropfen höhlt den Stein — jeit der Mitte des 
15. Jahrhunderts dem Handel allmählich Abbruch zu thun, wentgitens 
mehren jich jeit jener Zeit die Stlagen, es gehe bergab. Und „doc) 
hat der mutige Hanje immer wieder Die gefahrvolle Netje gewagt, Die 
Wolchoiwrepublif dem unliebjamen Gajte jtets aufs Neue ihre Thore 
geöffnet. Sener Wandel war für beide Teile eben Lebensbedingung“. 
Auch die oben furz erzählten Ereigniffe, die der Selbitändigfeit Grof 
owgorods ein Ende machten, unterbanden den regen Handel nicht, 
wenngleich ev unter den veränderten Berhältnifien natürlich auch jchwer 
zu leiden hatte. Doch der egoiftische Wagemut des Kaufmanns wußte 
alle Beichränfungen zu bejeitigen und die an derartige Leiden gewöhn 
ten Kaufleute glaubten um jo mehr, dal auch jest wieder bejiere Zeiten 
fonmen wiürden, als Swan jveben evit die Nechte des Hofs zu St. 
Beter auf viele Sabre hinaus beftätigt hatte. Ste ahnten natürlich 
nicht, daß er jchon 1493 dem König von Dänemark ausdrücklich die 
Schließung des Kontors veriprochen hatte. Sm ihrer Harmlofigfeit be- 
Ihloß die Hanja gerade damals zur Abjtellung der verjchtedenen Be 
chiwerden, die Neuerungen und Bejchränfungen im Handel mit Salz, 
Honig, Wachs und Belzwerf, widerrechtliche Schagung von deutjchen 
Staufleuten, Beraubung gejtrandeter Schiffe bei Narıva durch vulitiche 
Bauern u. a. m. betrafen, eine Gejandtichaft nach) Mosfau an Zar 
Swan zu entjenden, zu der jowohl Dorpat wie Neval je einen Abge 
jandten abfertigen jollten. Mit Eifer ging man im Hochjommer 1494 
ans Werk, mit jtattlicher Begleitung, ausgerüftet mit fojtbaren Ge 
ichenfen, veichen Geldmitteln und gutem Proviant, unter dem 14 Tonnen 
Bier nicht fehlten, überjchritten die Gejandten die Grenze und trafen 
am 11. Auguft in Nowgorod ein. Aber gleich hier gab es Ungelegen 
heiten, da troß der veichlichen Spenden an Wein, Stonfeft und Feigen 
und troß der Schabungen, fie drei Wochen auf den Geleitbrief warten 
mußten. Erjt am 3. September tauchten die Türme Mostaus vor 


") Hildebrand |]. c. pag. 122. 


= 988 

ihnen auf. Doch dauerte es auc) jegt noch einen ganzen Monat, bis 
ichließlich nach vielen Handjalben und manchen Trünfen Rotwein am 
20. Oktober die Livländer vor den Zaren geführt und jogar zur Tafel 
geladen wurden. Natürlich leiteten auch in Der Yarenjtadt fojtbare 
Sejchente und Gegengejchenfe die Berhandlungen ein: Die Städte über 
reichten Drei Ballen englischen Tuches, die Gejandten von ich aus 
jilberne Becher, Zuceriverf, zehn Körbe Feigen, fünf Liespfund Datteln, 
Scharlachtuch und Wein; der Zar vevanchterte jich mit Weeth, Geflügel, 
getroefnetem Lachs und Stör, einem Rind, zwei Schafen, Hühnern und 
Heu und Hafer, jedem der Gejandten aber ließ er fojtbares Belzwerf, 
im Wert von 3'/,hundert Thalern überreichen. 

Doch praktischen Erfolg hatten die Yivländer nicht, der Zar ant- 
wortete mit heftigen Gegenbejchwerden: jeine Leute jeten geichaßt, 
andere gar ermordet worden. Mirtwort fünne und wolle er den Ge- 
Jandten nicht geben, Ddiefe wirrden ste Durch jeinen Namjejtnif (Statt- 
halter) in Nowgorod erhalten. 

Der alte Anfpruch Miosfaus, daß es nicht diveft mit dev Hanje 
und Livland verhandle, trat hier mit großer Schroffheit wieder zu 
Tage. Der erteilte Bejcheid war eine offenbare VBerhöhnung, denn 
der Nanyeftmif in orwgorod, an den der Zar fie wies, war gerade 
der Mann, gegen den ftch die Klagen der Gejandtichaft in erjter Neihe 
richteten. Nach jechswöchentlichen Aufenthalt in Mostau erhielten die 
Sejandten jchließlich Geleitsbriefe nach Nowgorod und jchieden eilends 
aus der Stadt. 

Daß das Argfte ihnen noch bevorftand, ließen fie fich nicht 
träumen: Schon in einem Dorfe Fünf Meilen vor Norwgorod wurden 
der Nevaler Gejandte md zwei andere Bürger der Stadt, die im 
Hefolge waren, verhaftet, ins Gefängnis geworfen umd ihr Gut fon- 
fisztert. Der Dorpater Abgefandte durfte in Begleitung eines Briftavs 
nach Nowgorod weiterreiien. Welche Beitürzung ergriff ihn, als er 
hier von dem furchtbaren Schlag hörte, den Swan wenige Tage vor 
der Ankunft der Yivländer gegen den Handel Norwgorods geführt hatte; 
am 5. November war der Überfall ausgeführt worden: die Kaufleute 
— 49 an der Zahl — waren aufgegriffen und mit jchweren Fuß- 
fejfehnt eingeferfert, die foftbaren Waren und das Kicchengut von St. 
Beter Fortgeichleppt, das Thor des Kontors geichlofen: „Toten- 
jtille Hexrichte an den Orten jonjt jo geichäftigen und geräufchvollen 


nase 


Treibens. Statt der Kaufheren und ihrer Gehilfen hatten dajelbjt nur 
einige Nuffen, denen der Zutritt jonjt jtreng unterjagt war, ihr Wejen.“ 

Am 17. November wırde den Gejandten, von denen auch Der 
Dorpater jich über viel Unbill zu beflagen hatte, endlich durch den 
Statthalter des Zaren Meinung fund: „Die deutjchen Kaufleute jeren 
deshalb gefangen, weil Die des Fürften Unterthanen zu Neval und in 
ganz Livland beichabt, geichlagen, beraubt und ertränft würden; von 
dem im der Kirche lagernden Gut denfe man ihnen den Schaden zu 
erjeßen. Herr Gotjchalf (dev Nevalenjer) aber teile das Schiejal der 
andern, weil die Nevaljchen einen Nufjen wieder alles Recht (ev war 
ein arger Verbrecher gewejen!) verbrannt hätten.“ 

Bergebens waren alle Berjuche des Dorpater Boten jeinen Ge- 
nofjen wentgjtens zu Löjen, traurigen Herzens mußte er allein am 
25. November „von den Schelfen“ jcheiden. Glüclich fam ev nad) 
neun QTagen nach Dorpat, wo man von der Schredensnachricht der 
Schließung des Kontors bereits Kunde hatte. Es darf nicht ver- 
ichwiegen werden, daß man. in Livland jich mit viel Eifer der Ge 
fangenen angenommen, Tage und Zufammenfünfte gehalten und jechs 
Gejandtichaften nah Nufland abgelandt hat. Auch der Erfolg fehlte 
Ichlieglich nicht: im Sabre 1497 erfolgte die Freilaffung der meisten 
Gefangenen, nur vier winden DIS zur endgiltigen Austragung des 
Zwilts vom Zaren nac) Moskau gebracht. 

Kur kurze Zeit darauf nahm auch das Kontor zu Bolozf, das schon 
jeit geraumer Zeit unter der Ungunft der Zeiten jchiwer gelitten hatte 
und mehr denn einmal gejchloffen worden war, jein Ende. Zwar erlebte 
es noc den Anfang des 16. Jahrhunderts, aber „immer größere Verein- 
lamung trat an Stelle des frübern geichäftigen Treibens, mehr und mehr 
wandte fich der Verkehr von hier ab." Die wufftsch- littautichen Strieae 
ließen den Kaufmann Bolozf meiden, die Erbitterung der Einheimtichen 
gegen den mit reichen Privilegien ausgejtatteten Fremden nahm von „Jahr 
zu Sahr zu und die littauische Negterung wurde der Anwalt diejer antı 
deutichen Strömung. Ein Privileg König Sigismunds an die Stadt Polozf 
von 1511 untergrub vollends die Freiheiten des gemeinen deutschen Kauf: 
manns, indem es ihm den Verkehr mit Smolenst und Witebst verbot und 
ihn in Bolozt allein auf den Großhandel mit den Bürgern bejchränkte!) 


ı) ch. 9. Hildebrand: Das deutjche Kontor zu Polozk 1. ce. 


— 240 


Sımitten Diefer Ereigniffe, deren tiefer Eindruck in Livland dem 
‚sorjcher auch heute nicht entgeht, und von denen man fürrchtete, daf; 
„Kahrung, Handel und Wandel, ja ganz Yivland darüber zu Grunde 
gehen fönnten“, it Freitag von Lorinfhove geitorben und eimmütig 
wählten die Gebietiger den Landmarjchall Wolter von Plettenberg zum 
Meifter in Livland,. 

Eine Furze Nachblüte heimischer Gejchichte fnüpft Sich an den 
Hamen Ddiejes treuen tüchtigen Mannes, der, was er geworden, durch 
jich jelbjt geworden ift. 

Wolter von Plettenberg, dejjen Bild im Schloßhof der Drdens- 
burg zu Niga, vom Nitterhaufe und in der Kirche zu Wenden auf 
uns Enfel hermiederjchaut, ftamımt, gleich jo vielen der Oxrdensbrüder 
oder der Livländiichen Bafallengejchlechter, aus dem Lande der roten 
Erde, aus Weitfalen. Wo jeine Wiege gejtanden, läßt fich heute nicht 
mehr nachweien, da ein direkter Julammenhang mit jenen wejtfäliichen 
Sejchlechtsgenofjen nicht zu bejtimmen it. Höchit wahrjcheinlich er- 
Icheint es aber, daß der größte Meifter Livlands auch in Livland ge- 
boren ift. War doc jein Bruder, der Stammvater der Ipäter in 
Livland und Kurland weitverbreiteten Samilte, in Yivland amjäflig, 
gehörten doch die Wlettenbergs zum mindejten jeit dem Ende des 
15. Jahrhunderts zum wiertschen Yandadel, bezeichnet endlich doch der 
Meijter jelbjt Narıva als die Stadt, in der er „in umjern jungen 
Saren“ aufgezogen und geivelen jeit). 

Früh it er auch in den Orden getreten, im dem er, wie der 
Chronift jagt?) „bedenede die empter van jun up, alje dar fin bad- 
meister, jchende, Koefenmeiiter, ander cumpan, cumpan, huscumpter, 
eumpter u. ). w., beth he tho dem meijterdome quam.“ Als Komthur 
zu Rofitten hatte er jein tapferes Schwert gegen die NRufjen geichwungen, 
in den Kämpfen gegen Niga Jich auf dem Schlachtfelde und im Nat 
gleich vortrefflich bewährt. Was aber den Gebtetigern neben den mili- 
tärischen und jtaatsmänntschen Gaben Ddiefen Mann bejonders wert 
machte und ihn hoch über alle Andern erhob, war jein ernjter, ein- 
facher und edler Sim, der auch) in jeinem jchlichten Wandel zu Tage 

?) 9. Baron Bruiningf: Die Bildnifje des Ordensmeijters Wolther von 
lettenberg und die Frage über jeine Herkunft. Sigungsberichte d. U. ©. 1591. 
pag. 71—77. 

?) Nenner L2ivl. Hijtorien z. 


ro 


trat. Grzählt doch der Gejchichtsichreiber, jeine Speije jei mur „grave 
foft, jchinfen, droge flejch, Hering, jtocfiih“ und jonftige einfache Iab- 
rung gewejen und gern jtinmmen wir ihm bei, wenn er vom Mleifter 
jagt, er wäre ein frommer, weifer und anjchlägiger Menjch, eine lange 
herrliche Gejtalt und freundlich von Angeficht gewejen. 

In zweifacher Weife feterte ihn die Miitwelt, bewunderte ihn Die Nach- 
welt. ALS gewaltigen Held pries ihn ganz Europa, ehrte ihn Kaijer und 
Neich, zu defjen Fürft er erhoben ward, als Striegsheld jteht heute jein 
Marmorbild als das des einzigen Livländers, von Schwanthalers Hand 
geichaffen, in der Walhalla zu Negensburg; — als Mann, der den 
innern Frieden, im wejentlichen wenigjtens, zu erhalten wußte, der die 
unfeligen jtändischen Machtfragen auszugleichen juchte, als Friedenstürit 
im wahren Sinn des Wortes erjcheint er in der Gejchichte unjeres Yandes. 
Hier vermochte er alle die Eigenschaften, die jeine Größe und auch jeine 
Schwäche ausmachten, in weiteftem Maß zu zeigen: jeine abwägende De- 
jonnenheit, die jedem Bruch abhold war, jeine fonjervative Natur, die in 
Stiche und Staat an den alten Formen Fejthielt und bemüht war, ihnen 
neues Leben einzuflögen und jeine immer zum Frieden vatende, auf Stom- 
promifje finnende Art, der das Schwert das jchlechteite und legte Nittel 
zur Schlichtung Livländijcher Händel alle Zeit gedünft hat. — 

Plettenbergs Negierungsantritt fiel mit der Katajtrophe in Now- 
gorod zeitlich zujammen. Wenn er auch alle Meittel amwandte, um 
den Schaden durch Gejandtichaft und Berhandlungen auszugleichen, 
jo erfannte er jcharfen Blices doch jehr bald, daß dem Schlagen erit 
eine jorgfältige Nüftung vorangehen und man gute Alltivte gewinnen 
müfe, ehe man das Außerite wage. 

Und doch hat Livland den jchweren Kampf gegen Swan III. 
allein zu beftehen gehabt, fein einziger, an den jich lettenberg 
wandte, ıjt über Worte Hinausgelangt oder hat die Treue gehalten. 
Der Orden in Preußen, der fett dem zweiten Thorner Frieden völlig 
ohnmächtig war, vermochte nichts; Katfer Marimilian „der legte Ritter“, 
jteefte tief in italienischen Händeln und ftritt fich mit den Neichs 
jtänden. Über fchüchterne diplomatische Einfprachen und vejultatloje 
Berhandlungen auf den Neichstagen zu Lindau, Augsburg und Worms 
ift e8 denn auch nicht gekommen. War von Alerander VI. Borgia, 
dem Bapft in Nom, mehr zu erwarten? Diejer höchjt unheilige „bl. 
Bater“ war nicht nur ein ausgezeichneter Giftmmjcher, \ondern auc) 

Seraphim, Gejchichte L. 16 


ein guter Wirt, der, al8 fich der bedrängte Orden an ihn mit der 
Bitte um eine Cruciate d.h. um einen allgemeinen Ablaßverfauf für 
Livland wandte, das Gejuch deshalb abichläglich bejchied, weil er Die 
Tajchen der Gläubigen für das bevorstehende, in Nom zu feiernde 
Subejahr ungejchtwächt laffen wollte. Was ging ihn auch Livland 
an? Selbjt die Hanja, Durc) den von Swan gegen Nowgorod ge- 
führten Schlag aufs empfindlichite getroffen und eiferjüchtig auf Die 
(wländischen Städte, die e8 überraschend jchnell veritanden Hatten den 
ruffischen Handel hinter ihren Mauern zu fonzentrieren, erwiejen ich 
nicht willig, kraftvolle Hilfe zu leiften. — 

Wie ftand es nun aber im Lande jelbit? Ach, die alte liv- 
(ändische Uneinigfeit, der jtändische Hader, die ftädtiiche Engherzigfeit 
ruhten auch jegt nicht, traten vielmehr in düfterm Licht auf dem am 
9. September 1498 zujammentretenden Landtag zu Walf zu Tage. 
Nur der Meifter und der Erzbiichof erjcheinen als treue Freunde, die 
den Ständen gegenüber immer wieder betonen, daß man Geld zu 
Nüftungen nötig habe und zu Geld wieder nur auf dem Wege einer 
allgemeinen Schagung gelangen werde. Doch bei den eigemjüchtigen 
Ständen jchlagen die treffendjten Argumente an wenigjten dur. Die 
Städte proteftieren gegen jede Schabung und meinten naiv, wenn fie 
mehr thäten, als ihre Wälle zu verteidigen, jo hätten fie ein Übriges 
getban. Die Nitterichaften jträubten fich zwar nicht gegen eine Steuer, 
fie nahmen aber an den geforderten 4—6 Mark pro Gefinde Anjtoß 
umd verjicherten eine Mark pro Gefinde thäte e3 gewiß audh. Da 
fruchtete e8 derm auch wenig, wenn der Erzbiichof der Berfammlung 
mitteilte, die Plesfauer wären in Noffitten und Ludjen ohne Anjage 
eingefallen und hätten Schließlich allo geantwortet, al$ man fie nad) 
dem Grund des Krieges gefragt habe: „Wißt ihr denn nicht, daß 
unjer Herr, der Großfürft, dev mächtigfte Herr unter der Sonne ift 
und Städte über See gewonnen hat, ihr alle aber in Livland fit, 
wie Schweine in eurem Schweinefoben. Das Land gehört ihm und 
er will alle Hofleute mit Nuten aus dem Lande jagen.“ Schließlich 
einigte man fich in Walt, daß man „zu Erhaltung des Landes und 
auf daß fie zu Gelde fommen, dejjen man Haftig bedürfe, um fremdes 
Volk ins Land zu ziehen,“ eine Steuer von 1 Mark pro Gefinde er- 
heben iolfte. Die jtädtischen Boten veriprachen zu Haufe anzuhalten, 
daß fie „nach Vermögen“ dem Lande dienten. 


' Wider Erwarten fam es nicht jofort zum Kriege, da eine Wendung 
in der Politif Dänemarks diefe bisher dem Drden feindliche Macht 
gegen Mosfau in Harniich brachte. Freilich von wirflichem Nugen 
für Livland wurde die Haltung Dänemarks nicht, fie nahm nur zu 
ichnell wieder die bisherige Färbung an. 

Nur Zeit zu andern Verhandlungen gewann der Meifter, zu 
Berhandlungen mit dem Staat, für den gleich Livland jedes Eritarfen 
Moskaus eine ernite Gefahr bedeutete: Littauen. 

Littauen und Livland verband feine zärtliche Liebe, jondern die ge- 
meinfame Bejorgnis vor dem Ehrgeiz des Zaren und Plettenberg zügerte 
daher nicht auf einen neuen Tag zu Wolmar, Januar 1501, die Be- 
ratung des Bindnifjes vorzunehmen. Des waren die Stände wohl zu- 
frieden, aber von ihren Somderinterejjen auch nur ein Geringes auf- 
zugeben, fiel ihnen auch jegt nicht ein. ALS der Meifter mit jeinen, wahr- 
(ih) nicht hoch bemefjenen Forderungen für Knechte, Geihüg und Bro- 
viant an fie herantrat und 3000 Mann beijchte, jtieß er auf erbitterten 
Widerjtand. Höchjtens 2000 Wann wollte man bewilligen. So jchloß 
der Landtag wenig harmonijc ab. Am 3.März kam jchlieglich mit dem 
Sroßfürjten Alerander der Bertrag zum Abjchluß. Derjelbe verpflichtete 
ih in zehn Jahren feinen Frieden mit Mosfau abzuichließen und mit 
dem Meifter gleichzeitig in Feindesland mit jtattlicher Macht einzufallen. 

Wie wenig aber die Livländer auf die littauifche Hilfe zu trauen 
Grund Hatten, jollte aller Welt Schon nach wenigen Monaten Elar 
werden. Am 15. Sunt jchied der König Johann Albrecht von Bolen 
aus dem Leben und Alerander ließ jofort, um jich die lodende Krone 
Volens zu fichern, Bundesbrief und Bundesgenojjen im Stich. Wohl 
veripracd) er feierlich, Ende Auguft 5000 Spldfnechte und den Adel 
von PBlozf dem Meifter zuzufenden, aber die Zujage zu halten hat 
ihm ebenjowenig im Sinn gelegen, wie jeine frühern — und jpätern! 

Mit lebhaften Eifer hatte der Meifter die Niftungen betrieben. 
2000 Landsfnechte, 4000 Bafallen und Ordensleute zu Pferde, dazu 
ein gewaltiger Haufe von umdentjchen Bauern und Treo, alles etiva 
80000 Mann überjchritten am 26. Auguit bei Neuhaufen die Grenze. 
Der alte Erzbiichof Hatte fi) in Berjfon eingefunden, der Biichof von 
Dorpat jpendete Allen das hochwürdige Saframent. Am folgenden 
Tage ftieß das Heer auf die Vorhut der Nufien, gewaltige Neiter 
haufen, die dem Anfturm der Yivländer nicht gewachjen waren. Während 

16* 


— 244 — 


die Gejchüge donnerten und die gepanzerten Nitter gegen die Nufjen 
vorbrachen, wandten jich dieje zur Flucht, ihnen nach jeßte der Meifter 
und verfolgte in heißem Nitt die Weichenden drei Meilen weit. Große 
Beute fiel in jeine Hand, die Livländer aber erlitten außer den vierzig 
Hengjten des Meifters feine Berlujte. 

srohen, friichen Weiutes ging es weiter, nach SSborsf warf man 
einige Gejchoffe, dann beeilte man fic) das mächtige Doppelichloß 
Dftrow an der Weltfaja zu erreichen, wo die Littauer zu ihnen jtoßen 
jollten. Die Stadt wurde in Brand gejchofjen, das Schloß einge- 
Ichlofjen — aber vergeblich harıte man der Littauer. Allmählich 
wurde e3 Kar, daß fie bundbrüchiger Weije ausblieben. Wlettenberg 
war tief entrüftet. Allein weiter vorzudringen war er zu jchwach); 
dazu kam, daß im Heer durch vergiftete Speijen Stranfheit ausge- 
brochen war und daß Ichlimme Kunde aus Lıivland jelbit zu ihnen Drang. 
Waren doch die Rufen an anderer Stelle über die Grenze gegangen und 
plündernd bis gegen Niga vorgedrungen. Schweren Herzens gab der 
Meifter am 15. September den Befehl zum Nücdzug. Kaum war er auf 
(ioländiichem Boden, jo jtrecte ihn eine Higige Krankheit aufs Xager. 
In ernjter Stunde droht dem Lande der Führer verloren zu gehen! 
Doch Plettenberg überwand die Stranfheit jchneller als man e8 gedacht 
und Schon Anfang Oktober war er bereit zu neuem Striegszug. 

Wie anders hat die Shmückende Sage jenen Kampf vom 27. Auguft 
geichildert, wie anders vor allem jeine Folgen. Die Schlacht bei 
Maholm (fo nennt jte Der jpäte Ehromft) gleicht einem Wunder‘): 
„Man Steht den Meifter mit feiner Kleinen Schar unerjchroden aug- 
ziehen; während draußen Die An jich jammeln, betet er in der 
Stapelle bei Maholm. Dann bricht ev auf und wirft fich unter die 
Feinde. Bom Morgen bis jpät in den Abend währt die Schlacht. 
Tagelang fließen auf der Wahlftatt Bäche von Blut gerötet.” 

Kaum war Plettenberg bergeftellt, jo überjah er das Trojtloje 
der Situation: Am 1. November waren weitere 90000 Aufjen und 
Tatern jengend und verheerend den jchon in Livland Haujenden ge- 
folgt und verwirteten das Yand von Grumd aus. Das Stift Dorpat 
wurde zur Wirte gemacht, das Gebiet von Mlarienburg verbrannt, 
40000 Gefangene trieb man über die Grenze. Nachdem der Feind 


') ch. Schirren. Walter von Plettenberg 1. ce. 


beim Eintreten des Froftes bis gegen Wenden vorgedrungen war, wich) 
er dor den Truppen, die Plettenberg eilends zufammenzog, langjam 
zurück, nirgends eine Schlacht annehmend. Ende des Sahres jtand 
er jenfeit3 der Grenze, wohin zu folgen dem Meister unmöglich war. 

Unter jchwerer Seuche, furchtbarer Winterfälte und erniten Sorgen 
brach das Neujahr 1502 an. 

Die abermals verheißenen Littauischen Hlfsvölfer waren natürlich 
wieder ausgeblieben, jo daß Der zum 1. Januar in Aussicht genommene 
Nachezug unterbleiben mußte. Doch that man, was möglich war: 
der Komthur von Neval brach gegen Swangorod auf, der Yandmarjchall 
Sohann von Plater rüftete gegen die Plesfauer: bei Krognogorod und 
Schwaneburg am lubahnschen See und bei Dorpat bieten die Yiv- 
(änder dem Feinde die Spibe, doch was halfen alle dieje Gefechte — 
„ein Tropfen wird aufgelogen, während die Flut heranjtrömt.“ 

Diejelbe Mifere wie in den früheren Jahren hindert Blettenberg 
an einer großen Aktion. Im Lande war die Stimmung höchit bevdenf- 
(ich, alle wollen vom Meifter Hilfe, Doch verweigern alle die nötigen Meittel. 
Die Landbevölferung wird aufläjfig, vor allem die Prälaten „Find untreu 
und wenn fie gleich neunmal schwören, halten fie es doch nicht.“ Dffen 
erflärte der Bilchof von Dorpat, „wenn nicht bald Erjaß fomme, werde 
er thun, was dem Orden nicht Tieb jet.“ Selbit die harriich-wiertiche 
Nitterichaft war unluftig und drohte mit Berbindungen mit Dänemark. 

Und der einzige Alliirte? Es ift heute wohl faun mehr zweifel- 
haft, welch treulojes Spiel der Groffürit Alexander, der mittlerweile 
auch die Krone PVolens erlangt hatte, mit Livland fpielte: jein Sm 
Itand dahin den Orden in Preußen, der mr mihlan jein Dajein 
friftete, noch mehr als bisher unter Bolen zu bringen und den 
Orden in Livland jo mit Nufland zu verfeinden, daß er im ent 
Icheidenden Augenblict den Brüdern in Preußen feinen Betstand Leiften 
fünne. Livland blieb dann schließlich allein dem Anprall Mosfaus 
gegenüber; wenn dann der König im legten Moment dem Lande bei 
Iprang, jo konnte der Lohn für die Nettung nicht ausbleiben — er 
fonnte nur die polnilche Hoheit über Livland jet. 

Die ganze Nuchlofigfeit Ddiefes Planes Fonnte damals Feiner 
ahnen, wohl aber fam dem Meiiter Kunde, daß Alexander troß aller 
Anlagen im Geheimen einen Frieden mit dem Moskowiter betreibe. 
Diefe Nachricht beiwog Plettenberg zur Anfpannung aller Kräfte Ende 


— 246 — 


Auguft zog er, was an Truppen wgend verfügbar war, bei tirrempäh 
beiiammen: 2000 Meiter, 2000 Landsfnechte, Bauern und Troß. 

Yafjen wir dem Khroniften') jelbit das Wort, der recht anjchaulic) 
zu erzählen weiß: 

„aus mn Die guten Herren im ‚Feindes Land nach anderen 
Striegsläuften jich vor die große Stadt Plesfau gelegt hatten und aber 
zum drittenmale nichts vernahmen von Ankunft der Littauer troß der 
mimpdlichen Geliibde, wurden zwei alte Nufjen mit greifen Bärten aus 
Schiefung des allmächtigen Gottes gefangen und nach ihrem Begehr 
vor den Herın Meeiiter zu Livland gebradjt. Dem offenbarten fie mit 
Berbiirgung ihres Lebens, wie große Berfammlungen rufftschen und 
tatarischen Volkes verordnet wären von ihrem Großfüriten aus allen 
jeinen Landen. Das Bolf erichten, wie jtch nachher erwies, zu be- 
timmter Zeit in aller Aufeiftung jo jtarf, daß die Nuffen meinten, 
e8 wäre nicht nötig zu fämpfen, man werde die Livländer ohne 
Schwertichlag Fangen, binden umd ihrem Großfürften zujenden, danac) 
aber ausziehen, um das entvölferte und machtloje Livland einzunehmen. 
Da erwog der Herr Meifter alle Umstände mit veifem Nate und be- 
gab Ftch mit jeinem ganzen Heere fort auf ein offenes Feld, um Die 
Julien zu beobachten und ihnen Stand zu halten. Gar wenig dachte 
er an die Menge der Feinde, denn er ftellte mit Sudas Meaccabaeus 
und anderen fieghaften Kriegsfüriten jeine Zuverficht auf den all- 
mächtigen Gott. Als num 8 Tage vor Kreuzeserhöhung die Feinde 
famen, 309 der Meilter mit jeinen Neifigen den Feinden unter Die 
Angen. Ste aber verwunpderten jich jener Kühnbeit jehr und un 
ichloffen in furzer Friit die Livländer von allen Seiten. Während 
deS Kampfes aber, der von allen Seiten entbrannte, entfernte man 
Jih joweit aus dem Geftchtsfreife des Fußvolfes und der lwländtichen 
Banern, daß Ddiefe nicht anders meinten, denn die gedachten Heren 
und Netfige jeten überwunden ımd von ihnen fortgeführt und Die 
Nurffen wiirden im Kirze fommen und ihrer auch mächtig werden. 

Da hat Tich begeben, daß, als gedachte Herren und Netjige aufs 
bejte durch die Feinde gebrochen und ich mit Macht dreimal Hin und 
wieder durchgejchlagen und fie jo in die Flucht gebracht hatten und 
nun wieder zu den Shrigen zurictehrten, fie alfo mit Blut und Staub, 


') ef. „Schonne Hiftorie“, hier zitiert nach TH. Schiemann II. 1. ce. pag. 169 ff. 


beide, Noß und Neiter, bedeckt waren, daß man feine Farbe an ihnen 
zu erfennen vermochte. Deß waren die Neiter und Pferde jo erntüdet, 
daß fie den Feinden nicht weiter zu folgen vermochten, jonjt hätten 
fie der Nachjagd nicht vergejfen. Sie warteten aber noch drei Tage 
auf dem Schlachtfelde, ob die Feinde wohl wiederfommen würden, 
um nochmals und befjer zu Itreiten. Im Diefer Schlacht wurden viele 
Rufen erichlagen, ihre Zahl aber fann man micht eigentlich warfen, 
denn e8 1jt ihre Sitte, daß fie die Toten meift weit mit jich zu Führen 
pflegen oder fte in haftiger Flucht an die Schweife der Bierde binden 
und jo mit jich jchleppen. Die Livländer verloren nicht allzu viele; 
doch wäre der Erzbijchof von Riga vielleicht in der Feinde Gewalt ge- 
fommen, wenn ihn der ehrwürdige Landmarichall, Herr Sohann Blater, 
der jeine Gefahr bemerkte, nicht mit feinem Banner gerettet hätte.“ 
Sp erzählt die „Schöne Hiltorie“ von der Schlacht an der Smolina. 
Subelnd priejen alle den Meister und feine tapfern Getreuen, der Erzbilchof 
aber befahl den Tag der Strenzeserhöhung fortan gleich Dftern zu feiern. 
Der Sage freilich war auch hier die Wirklichkeit zu gering, fie 
wußte bald noch anderes von der Smolinajchlacht den Enfeln zur be- 
richten. „Noch Eleiner, jo jchildert fie, it das Häuflein des Mkeijters. 
Totmüde fämpfen fie zuleßt auf den Sinieen und fiegen. Da tft der Troß 
des Großfürften von Moskau gebrochen, er jelber jendet um Frieden: 
Alles, was der Sieger vorschreibt, beihrwürt er: jo erkämpft der Metiter 
jeinem Lande ehrenvolle Nuhe auf 50 Jahre und Löft jein Gelübde“. 
ie anders stellt fic) das wahre Bild unferm vücjchauenden Auge 
dar. Wohl war der Sieg für den Augenblid ein gewaltiger, wohl 
hallten die Länder von ihm wieder, jo daß König Alexander mit vielen 
Worten gratulierte, er wünjche Glück „zu unjerer beiden Feindes Yer- 
törung, Totichlagung und ritterlichev Gejchichtung“ und der Hoc)- 
meilter aus Preußen jchrieb, er jei der „ritterlichen That und glücd- 
jeligen Viktorien“ Hoch erfreut, aber in Mosfau war man weit ent- 
fernt nach diefem einen Berkuft alles verloren zu geben. Nicht Iwan 
hat vom Sieger an der Smoltima demütig Frieden erbeten, Jondern 
der Sieger jelbjt war es, der den Zaren befandte — bejenden mußte! 
Während Alerander von Bolen-Littauen, der feinen Teil hatte an dem 
herrlichen Schlahtenruhm Wlettenbergs mit Moskau einen verhältnis 
mäßig noch vorteilhaften Frieden jchließen fonnte, fügte es ein tief- 
tragifches Gejchiet, daß die widrigen Berhältnifie Fich mächtiger er 


— MM — 


wieien, al der Man, der fie meistern wollte Von Litauen und 
Bolen jchnöde preisgegeben, von Deutjchland verlaffen, von dem partei- 
zerriffenen, erichöpften Livland nicht unterjtüßt, blieb Plettenberg nichts 
itbrig, al3 fich zu beugen. Auf einem Landtag, der zu hl. drei Könige 
zu Wolmar zujfammentrat, bejchloffen die Stände nach erbitterten De= 
batten den Frieden zu betreiben und Boten an den Zaren zu jenden. 
Bis zu deren Nückehr jollte man in Striegsrüftung bleiben. 

Unter „viel Widerwärtigfeiten, Frevel und Schmach“, wie der Meiiter 
nach Preußen jchrieb, vollendeten die Yivländer ihre Neile nach Mosfaı. 
Aber fie begegneten auch hier ausgejuchter Geringichäßung, ja man weigerte 
fich ernftlich mit ihnen überhaupt zu verhandeln, bis Schließlich die polntich- 
(ittaniichen Gefandten erklärten, wenn die Auffen nicht mit Plettenberg 
abjchlöffen, würden auch jte nicht Frieden machen. Unter diefem Drucd 
jagte Iwan endlich einen Gjährigen Beifrieden oder Waffenjtillftand zu. 
Doh um die Schale der Demütigung überfließen zu machen, weigerte 
fich der Zar diejen Beifrieden jelbjt zu ratifizteren. E& jei gegen alles 
Herkonmen, daß er, der Großfürit und Zar, mit den Livländern direkt 
Frieden fchließe. Ste möchten fich an den Statthalter feines „väterlichen 
Erbes“ Norwgorod wenden, der wiirde den Frieden bejtätigen und befüffen. 

Als die Livländer protejtierten, mijchten ich die polnischelittauiichen 
und ungarischen Gejandten ein, jahen die alten Urfunden durch umd 
gaben dann die Erflärung ab, die Deutjchen jtellten unbillige Forde- 
rungen, Sie jollten fich zufrieden geben und den Beifrieden eingehen. 

Was blieb den Abgelandten des Meifters übrig, al8 auch Diele 
Kränfung hinzunehmen und nach Nowgorod zu reifen. 

Die Jahre von 1503—1509 (bi8 zum Ablauf des Beifriedens) 
vergingen in jteter Sorge. WBlettenberg vollzog einen völligen Front- 
wechjel in feiner auswärtigen Bolitif und brac) ganz und gar mit 
dem treulojen Littauen. Mit Moskau zu einem erträglichen Einver- 
ftändnis zu fommen, war fein Hauptbejtreben: am 25. März wurde 
denn auch in der That ein neuer Beifrieden abgejchloifen und im 
Anguft zu Wenden auf vierzehn Jahre „befüßt“. Wohl waren Die 
Städte mit demfelben wenig einverftanden und eiferten heftig gegen das 
Verbot der Salzausfuhr nac) Rußland, doch mit bittrem Hohn Fonnte 
ihnen der Meifter zur Antwort geben: „Ihm jei eg von Herzen leid, daß 
fie, die Städter, jo ungejchiet zum Kriege jeien; wollten jie jedoch mit 
den Nufjen eine Fehde anfchlagen, jo jolle 3 an ihm nicht fehlen,“ 


— 249 — 


Die heroische Kangmut und nie abreigende Geduld, die den Meiiter 
auszeichneten, hat er auch in den Jahren, da Luthers Lehre bei uns 
die Herzen bewegte, in reichen Maße zu bejtätigen Gelegenheit gehabt. 
Zu weit ift er, will uns bisweilen jcheinen, in feiner Nachgtebigfeit 
und Friedensliebe gegangen, doch der Erfolg blieb jchließlich ftets auf 
feiner Seite. Er fannte eben die damaligen Livländer, von denen ein 
Zeitgenofje treffend jagt: „Sp viel ich E. ©. (des Hochmeisters) Sachen 
in diefem Lande verjtehen und abmerfen fan, bedünfet mic), daß E. ©. 
mit Güte wohl das Meifte erlangen werden, denn die Leute hier find 
eines starfen Gemiütes und wenn einst eine Berbitterung in fie fommt, it 
fie jchwerlich wiederum zu mildern“. Das wußte der Meifter und verjuchte 
mit Güte und Zähigfeit zu erreichen, was er mit Schärfe nie erlangt hätte. 

Und verworren genug waren die zwei Dahrzehnte bis zur Nefor 
mation. Weder im Innern noch nach Außen herrichte Nuhe. Stän 
dische Konflikte, Soziale Fragen durchzogen Sahr für Jahr und der 
Meilter hatte immer wieder beruhigend und ausgleichend einzugreifen. 
Wenn einem, jo fügten jich die troßigen, engherzigen Gejellen ihn, 
delien „gemefjene Weisheit“ neidlos anerfannt wide. 

Ereigniffe von weittragender Bedeutung fommen gerade tm den 
Sahren nach den Nuffenfämpfen zur vollen Entwiclung. 

Die Zerftörung des deutschen HoTs zu Nowgorod war natıır- 
gemäß von einschneidender Bedeutung Fir unjere Handelsjtädte. Ylır- 
fangs war der Verluft ein ganz enormer umd bejonders in Neval und 
Dorpat jehr fühlbarer. Der Wohlitand diejer beiden Städte, die haupt 
Jächlich nach Nowgorod und Plesfau handelten, jank um die Wende 
des Nahrhunderts rapid md zahlreiche Banfrotte zeugten von Der 
Mihgunft der Dinge. Doch überrajchend schnell überwanden die Liv 
ländischen Hanfeftädte und Narwa die drohende Ktalamıtät. Ste jelbjt 
wurden an Stelle des verödeten Hofs zu St. Peter die Stapelpläbe 
für die aus Nufland kommenden und nach Nußland gehenden Waren 
und wwoußten sich zuerft durch in großen Dimenfionen getriebenen 
Schmuggel, Später durch Fürmliche Verträge zu Mittelpunkten des rınli 
chen Handels zu machen. Sp rasch fanden fich alle in die veränderten 
Stonjunktuven, dab, als Jwans Nachfolger Waltılji das Kontor tn Nom 
gorod wieder eröffnete und die Privilegien der Hamleaten mei beitä 
tigte, der Haufmanı ich doch nicht mehr zum Wolchow wandte. Wehr 
und mehr fam Sankt Beter in Bergefienbeit und als 1570 Franz 


an 


yenjtädt, Nigas nachmaliger Bürgermeister, auf den deutjchen Hof nad) 
Nowgorod fam, „Fand er dort mr noch einige Überrefte von der ftei- 
nernen Betersfirche, ein einziges fleines Gewölbe und eine hölzerne Stube, 
welche ihm md jeinem Diener als Obdac) diente, Von der früheren Herr- 
lichkeit war nichts mehr zu jehen“"). Im Meutterlande, bejonders in Yibeek, 
par man über die von den livländischen Städten offupierte Stellung, die 
den freien Tranfithandel Hinderte, wenig erbaut und blickte mit wachjender 
Eiferfucht auf den erneuten Aufichwung von Neval, Dorpat und Narıva. 

Auch Plettenberg hatte indiveft Dadurch zu leiden, denn der blühende 
Handel und der wachjende Wohlitand Iteigerte den alten partifulariftiichen 
Sim der Städter. Manche jchwere Stunde haben fie dem Meister bereitet 
und mehr denn einmal hat ev Riga und Neval, vor allem aber das 
ihn jtets verdächtig dünfende Dorpat zur Ordnung und Eintracht ge 
mahnen midlen. 

Hatitrlich wuchs das Selbitgefühl der Bürger auch dem Adel gegen- 
über und die Forderungen desjelben, die Städte jollten die ihren Herrn 
entlaufenen Bauern nicht aufnehmen und als Pfahlbürger Ichügen, bil- 
Deten eine Kette nie verftummender, faum je geichlichteter Klagen. Für 
die Edelleute aber war die Bauernfrage in gewifiem Sinn Erijtenzfrage. 
Die Nufjeneinfälle vor allem hatten die Zahl der Landbevölferung 
furchtbar Dezimiert, waren doch einmal nicht weniger als 40000 Bauern 
fortgeführt worden. Der Wert der Arbeitskräfte Itieg natürlich im gleichen 
Berhältnis, wie ihre Zahl abnahm und wollte man der VBerödung des 
Landes, die bedenklich um fich griff, energiich jteuern, jo blieb dem Guts- 
herren kaum etwas anderes übrig, als den Bauern an die Scholle zu Fejeln. 

Der Bauer aber, dem die Fejlelung an den Boden und die damit zut- 
Jammenbängende größere Gewalt des Edelmanns über ihn natürlich wenig 
behagen mußte, wollte jich dem nicht gutivillig fügen und verjuchte überaus 
häufig fich durech, Überfiedhung auf andern Grumd oder aber durch Flucht 
in die Städte — denn Stadtluft machte frei — dem drohenden Soc 
der Leibeigenjchaft, die fich damals zu bilden begann, zu entziehen und 
einen mildern Heren, womöglich aber perjönliche Freiheit zu erlangen. 

Wie in Deutjichland zur jpätern Staufenzeit die Kater, Jo bemühten 
fich hier die Meifter durch Anslieferungsverträge dem Übel zu fteuern, 
aber ohne viel auszurichten. Die harten und „Itarfen Gemüter“ von 


NR. Shlözer Hanja ze. 1, c. 96, 


Edelmann und Bürgersmann ftiegen jcharf auf eimander umd führte 
namentlich in Eftland zu den jchlimmften Erzejfen. Als Plettenberg 
1513 im September jeinen Einritt in Neval hielt, fürchteten die Bürger 
alles Ernites eine Überrumpelung durch die im Gefolge veitenden Va- 
jallen: fie verriegelten die Thore, jperrten die Gafjen und jeßten ihre 
Sejchüge in Bereitfchaft. Sie meinten wohl, der Tag jet gekommen, 
da die Spottivorte eines Nitters wahr werden jollten, der geäußert: 

„Wu wollen de borger up de foppe jlaı, 

dat blot jhall up der jtraten jtan“. 

Mit vieler Mihe beugte Plettenberg hier Argerem vor. 

Zu all diefem Zwilt und Hader erivuchs dem Meetfter neue Sorge, 
als der treue Freund, der greife Erzbiichof Michael im Februar 1509 
Itarb und jein Nachfolger, Jaspar Linde, trog allem Entgegenfommen 
Blettenbergs ich in offenfundigen Großmachtsträumen geftel und die 
DOberhoheit über den Meiiter, die Biichöfe und Städte für fch forderte. 
Es bedurfte der ganzen Gejchieflichkeit, des liebenswürdigen Wejens, Die 
Plettenberg eigen waren, um der oppofitionellen Bewegung die Spibe 
abzubrechen, ehe fie zu eimer ernjten Gefahr geworden war. Nechnet 
man endlich noch die jchwere Seuche, die 1515 Livland und Ditpreußen 
granfig verheerte, jo erfennt man, wie unendlich die Schwierigkeiten 
waren, denen der Meifter gegenüberitand. 

Halten wir diefe VBerhältnifie im Auge, jo erflärt fich auc), wie 
wenig Plettenberg in die preußischen Dinge eingreifen fonnte, die da 
mals zur Kataftrophe drängten. Aufmerfjam verfolgt hat er fie na- 
türlich), mit weifem Nat dem am 6. Sult 1511 erwählten neuen umd 
legten Hochmeister, Albrecht von Brandenburg, zur Seite gejtanden, 
aber jeine ganze Berfon fir ihn in die Wagjchale zu werfen, gejtatteten 
ihm die Zuftände in Livland nicht. 

Albrecht von Brandenburg war fein hervorragender Mann, doc 
war ihm in jenen Tagen ein gewiljes warmes, vitterliches Gefühl eigen, 
das Ihn die demütige Stellung des Ordens zu Polen tief empfinden 
ließ. Wer wollte nicht mit Teilnahme und Sympathie den Plänen 
folgen, die ex jchmiedete: wie Preußen zuvicterobert, der Orden feine 
frühere glanzvolle Bofition wiedererlangen und ihm, dem Hochmeifter, 
die Brüder in Livland und die Fürften des Neiches thatkräfttg zur 
Seite jtehen jollten. In tiefem Geheimnis teilte ev im Februar 1516 
zu Memel dem weten Meister aus Livland feine Pläne mit. Pletten 


a Fe 


berg, der an dem feurigen Stumm des Hochmeisters perjönlich Gefallen 
fand, that alles, um feine hochfliegenden Pläne zu dämpfen und wies 
ihn darauf hin, daß nur, wenn man im Snnern einig jei und wenn 
man Geld und Bımdesgenofjen habe, der Strieg gegen Bolen irgend- 
welche Ausficht auf Erfolg haben fünne. Nichts bezeichnet Plettenberg 
edle Gefinnung beiler, als die Thatjache, daß er, als der Hochmeifter, 
jeine Bedenken gering achtend, Ende 1519 den Kampf gegen Polen 
doch aufnahm, obgleich er erkannte, daß der Orden in Preußen dem 
Untergange entgegeneilte, doch alles that, was in jeinen Sträften ftand 
und Netter md amjehnliche Geldfummen hinausjandte Freilich aus 
Sentimentalität that er es nicht, Die war jener nüchternen, fühlen Zeit 
völlig fremd, den vealen Borteil für Livland hatte auch er bei jeiner 
Hilfe im Auge: er verlangte und erhielt nach weitläuftigen Verband 
ungen den fürmlichen und fererlichen Berzicht des Hochmeilters auf 
Harrien und Wierland, den jchon Ludwig von Erlichshaufen, wenn 
auch nicht im vollfommenem Dofument, ausgeiprochen hatte: am 
14. Sammar 1525 verzichtete der Hochmeister, gegen Empfang von 
24000 Horngulden, darauf, im Zukunft die Negalten für Livland zu 
empfangen und trat die harriich-wiertschen Lande fürmlich dem Liv- 
ländtichen Meeifter ab. 

alt um Diejelbe ZYeit vollendete fich im Preußenlande der Prozeh, 
den wohl auch Plettenberg hatte fommen jehen. Albrecht von Branden- 
burg, deffen Ningen gegen die polnifche Übermacht umfonft gewejen war, 
legte den weißen Mantel mit dem jchwarzen Streuz nieder und leitete als 
Herzog von Preußen dem Bolenfönig den Treuerd. An Stelle des Hoch- 
meilters trat damit der erjte evangelische Yandesherr. Mit dem alt- 
gewordenen Ordensgewand fiel auch der innerlich längit überwundene 
Natholizismus. 

Wit Livland aber war durch die Säfulartfation Preußens das 
(eßte Band zerriffen, — denn der Jufammenhang Livlands mit dem 
Deutjchmeifter, der von Mergentheim aus den in Deutichland zerjtreut 
liegenden Balleyen, Komthureien nnd Häufern vorstand, war nur ein 
nommmeller — allein ftand die Kolonie auf der Wacht nach Often! 

Schon aber ftand auch unjere Heimat vor der geistigen Erneuerung 
Durch Die feurige Predigt des Miönchs von Wittenberg. — 


_—h), —— 


weites Bud. 


Acrfeßung mm Lnteraana. 


15. Kapitel, 


Maıht auf, ex nahent gen dem tag! 

Jıh hör’ fingen im grünen hag 

Ein wunniklühe nachtigal; 

Ir Himm durchklingf berg und tal. 

Pie nacht neigt fi gen vrrident, 

Der fag get auf won orienf: 

Pie roibrünltige morgenret 

Ber durch die früben wolken get, 
Parauz die lierhte Junn tut blicken, 
Des mondeg fıihein tut fiıh verdrücken.. 


Dun dig iv Rlärer mägt verltan 

Wer die lieblich narhkigal fei, 

Die uns den hellen tag ausfichrei: 

Ur dDortor Martinus Tuther, 

au Miltenberg augultiner, 

Der uns aufwerket von der nacht, 

Darein der monfihein uns hat bradt .... 
(Aus Banz Sadjfens „Wiltenbergilihe Dachtigall.‘*) 


Die Reformation und die Zeit der Wolmarer 
Einimumm. 


Unjere Heimat hat den hohen Ruhm, zu den Landen zu gehören, 
die jich Luthers Lehre mit am erjten angejchloffen haben. Wenn einer 
der Männer, die von des großen Augustiners Getit bezivungen worden, 
gemeint bat, die Thejen, die der Neformator an die Schloßfirche zu 
Wittenberg geichlagen, jeten durch die Ehriitenheit gelaufen, „als wären 
die Engel jelbit Botenläufer”, jo hat ev wohl nicht daran gedacht, 
wie jchnell hier im fernen Nordojten die Reformation Fuß gefaßt bat, 
aber das Wort behält gleichwohl auch für uns jene Bedeutung. 

Livlands Gejchichte verdankt zum Teil veligiöjen Speen jeine Ent 
Itehung, der heiligen Jungfrau zu Ehren zogen Nitter und Pilger 
hierher, weltliche Gegenäge geiftlicher Faktore erfüllen das ganze Liv 
ländische Mittelalter, dejien Ausgang auf unjerm Boden fein andres 
Yıld aufweilt als im Weften. Auch hier tönt uns das Dichterwort 
aus dem Fat entgegen: 


— 236 — 


„Die Heil’gen find es und die Nitter, 
Sie jtehen jedem Ungemwitter — 
Und nehmen Kirch’ und Staat zum Lohn!“ 

Auf jolchem Untergrunde mußte der Widerjpruch leicht ich ent- 
wiceln, mußten veformatorische Gedanfen Beachtung — Billigung 
oder Bekämpfung — erfahren. Nicht über Nacht hat das Wort von 
der Nechtfertigung durch den Glauben feinen Einzug bei uns gehalten, 
ohne Zweifel wird, wie in Deutjchland, auch in Livland der Boden 
durch den Humanismus zur Aufnahme der neuen Lehre vorbereitet 
torden jein, wenn fich auch diefe Wirkungen im Einzelnen vorläufig 
nicht nachweisen lafjen. zeit aber steht, daß die lebhaften Beziehungen 
zwißchen Livland und den Schulen und Univerjitäten des Meutter- 
landes von größter Bedeutung geivejen jind. Denn früh jchon jandten 
Edellente nnd wohlhabende Bürger ihre Angehörigen nach Deutjchland 
„und e3 1jt begreiflich, daß die Heimfehrenden zu Apojteln der jtreit- 
Iuftigen Humantjten wurden, die gerade damals die ganze Fülle ihres 
aristophantschen Wißes zur Befämpfung der in sich zerfallenden mittel- 
alterlichen Kirche verwandten ').“ 

Als danıı die Schläge gegen die Wittenberger Schloßfirche durch 
die Welt ipiedertünten, als der zum Heros des nach Freiheit von Rom 
verlangenvden Volkes Geivordene die Bannbulle in die Flammen des 
Scheiterhaufens jchleuderte, den die Scholaren vor dem Elfterthor ge- 
Ihichtet hatten, als das Lied von dev Wittenbergichen Nachtigall von 
vielen Lippen erflang, da zuekten auch bei uns die Feuer Heiliger Be- 
geifterung empor. 

Doch wenden wir uns zum Einzelnen. 

Unter den Schulen, auf denen Livländer damals ihre Kinder vor- 
bereiten liegen, nahm die von Sohannes Bugenhagen und Andreas 
stopfen im Stlofter Delbucd bei Treptow im Bonmmerland geleitete, 
eine bejonders geachtete Stellung ein. Su Bugenhagens und Siuopfens 
Seele aber hatte Luthers Schrift „Bon der babyloniichen Gefangen- 
Ichaft der Kirche“ mächtig gezimdet und jte mit Leib und Seele für 
die Neformation gewonnen. Was war natürlicher, als daß fie bemüht 
waren, auch ihren Schülern die neuen Wahrheiten zu erklären und fie 
ihnen teuer zu machen. Die Scholaven waren bald gleichen Siumes 


!, ef. Die Neformation Alt-Livlands von Th. Schiemann. Neval 1854. 


a] 
N 


mit ihren Meiftern und ließen in jugendlichen Ülbereifer feine Gelegen- 
heit vorübergehen, um dies zu beweifen. Es gejchah wohl, da, wenn 
die Stlerifer mit ihren Glöcklein tm PBrozejfton durch die Straßen zogen, 
jte mit Unvat beworfen wurden, oder gar, daß die Schüler nächtlicher 
Weile aus der Stirche zum hl. Geift Bilder und Bildfäulen fortbrachten, 
die man am Morgen im nächjten Brunnen wiederfand). 

Diefen Ausschreitungen glaubte der Bilchof von Kamin, Erasmus 
Meanteufel, nicht anders jteuern zu können, als indem er die Burgen- 
hagenjche Schule Ichloß. Bugenhagen mußte die Stadt verlafjen, die 
Schüler juchten andere Lehrftätten auf. Die Livländer unter ihnen 
aber jollen den Andreas Snopfen aufgefordert haben, mit ihnen im Die 
Heimat zuritczufehren. Da auch Meelanchthon ihm zuvedete, jo lieh 
er jich bereit finden umd jiedelte noch 1521 nach Niga über, dejien 
Neformator zu werden das Geichte ihm vorbehalten hatte. 

Vicht eben viel ijt es, was wir über die früheren Tage diejes 
ausgezeichneten Mannes willen, bei dem ein heller Getit und em gläu- 
biges Gemüt, mildes und freundliches Welen und feiter Sinn in glück- 
licher Harmonie vereinigt waren ?). 

Stuopfen it in Küftein geboren, aber offenbar jehr früh, als 
Knabe jchon, mit feinem Bruder Jakob nach Niga gekommen, wo der 
Lebtere bald als Geiftlicher eine angejehene Nolle jpielte und e3 zum 
Dom=- und tirehhern zu St. Peter brachte. Auch Andreas hat zwei 
Jahre als junger Sanonifer unter feinem Bruder an derielben Kirche 
geivirft, bis er zu weiterer Ausbildung von jenem und den Kirchen- 
vorjtehern nach Deutjchland gejandt wurde. Genaueres über den Gang 
jeiner Studien wifjen wir nicht, nur daß er während diejer Zeit nach 
Treptow gelangte und hiev als Lehrer wirkte, jteht feit. In Deutich- 
land hat er damals gewiß auch mit den Humaniften enge Beziehungen 
angefnüpft, wie ev denn auch mit dem tlluftern Haupt derjelben, 
Srasmus von MNotterdam, lebhaften Briefiwechlel pflog. uch mit 
Melanchthon war ex befreundet und Luther bezeichnet ihn als einen 
jeiner alten Genojjen. Daß er ein trefflicher Lehrer gewejen, beweiit 


!) cf. Dr. ®. Brahmann. Die Reformation in Livland. Mitteilungen 
V. I. pag. 1— 266. Das Buch behält doch wohl auch heute noch feine Bedeutung, 
troß mancherlei Errata. 
2), cf. Mitteilungen XII. pag. 513 und Beiträge zur Kunde Eit- 
Liv» und Kurlands IV. 1. pag. 69. 
Seraphim, Gejdichte I. 17 


jein Anjehen in Treptow, fiir jeine bedeutende Gelehrjamfeit Tprechen 
jeine 1524 in Wittenberg in den Drud gegebenen, von Melanchthon 
nit Noten verjehenen Erläuterungen zu Pauli Nömerbrief. Seine 
dialeftiiche Gewandtheit aber hat er in mehrfachen Disputationen be- 
findet, während als Zeichen jeines glaubensinnigen Herzens eine An- 
zahl Stiechenlieder') gelten fünnen, von Denen uns 11 erhalten find, 
jo das Lied über den erjten Palm „Wol dem, de recht jyn wan- 
derenth Leth Ym vade der godtlojen“ und das jchöne „Help Godt, 
wie geidt dat yımmer t0*, mit dem Schlußvers: 
„Nemet up de jtraffe woillichlif, 
Dat jih nicht vertörn de Here 
Holdet en vor ogen jtedichlif 
Und levet na joner lere! 
Wenn jun torn alje ein vur opgheit: 
Wol y5 denn, de vor em bejteit? 
Dat fint de up en trıımen.“ — 

As Andreas 1521 nach Niga zurückkehrte, jcheint über jeine 
Stellung zur Reformation fich anfänglich nichts Genaueres verbreitet 
zu haben und auch er jelbjt trat feineswegs jofort in den VBorder- 
grund. Sein eigner Bruder bezeugt ung vielmehr ausdrüdlich, daß 
etwa ein halbes Jahr verging, während dejjen Andreas, der wieder 
Prediger zu St. Beter geworden war, bei den eifrig fatholijchen Dom- 
heren, auch bei dem Stirchherrn Lütfens, feinerlet Argwohn oder An- 
ftoß erregte. 

Doch auf die Dauer mußte ein derartiges Berhältnis dem offnen 
Sinn des jungen Bredigers unleidlich) erjcheinen, offen trat er mit 
der VBerfündigung Der Lehre Luthers, dag der Menjch gerecht werde 
allein durch den Glauben und nicht durch des Gejeßes Werfe, auf 
den Wlan und gewann im Sturm die Herzen der Bejten der Stadt, 
namentlich die Natgejchlechter, jo den Dürgermeifter Durcop, den wohl 
aus Danzig jtammenden Sefretarius Mag. 3. Lohmüller, den man 
übrigens Fälfchlich lange Zeit für den erjten Superintendenten Nigas 
gehalten hat. Dffenbar war der Boden auch bei uns jchon vorbe- 
reitet, Die Saat gereift. 

War doch der Ablaffram, dem Dr. Martinus jo grimme Fehde 


ı) 5. E Freiherr von Grotthuß. Baltifches Dichterbuch 1. Aufl. 
pag. 43, 44. 


0 


angejagt hatte, bei den Livländern jener Tage nichts “Fremdes. So- 
wohl im Lande jelbjt hatten die Zettel mit den Anweilungen auf 
Sündenvergebung guten Kurs, wie andrerjeits Livländiiche Geiftliche 
im Neid) Ablaß feilboten, um einen angeblichen Streuzzug „gegen die 
wilden, fegerifchen und abgejchnittenen Aufjen, welche auf die Hilfe 
der ungläubigen Tataren vertrauen“ zu Stande zu bringen. Hatte 
doch Alerander VI. Borgia 1502 und Julius II. Medict 1504 einen 
Ablaphandel für Livland gejtattet, den Eberhard Selle, Bfarrherr zu 
Burtneef und Dr. Ehrijtian Bomhower, Bfarrherr zu Nujen, als 
Kommifjarien vertreiben jollten. Sahrelang hat namentlich lebterer 
jein jauberes Gejchäft betrieben, ohne day natürlich aus einem Streuz- 
zug je etwas geworden wäre. 

AS eifriger Genofje und Helfer trat ihnen eben derjelbe Mann 
zur Seite, dejfen Gebahren über ein Sahrzehnt jpäter unjern Ne 
formator jo in Harnijch brachte — Sohann Tezel jelbit, der als 
Unterfommiljartus des livländischen Meifters jein Wejen tm der reichen 
Mepitadt Leipzig trieb und binnen drei Wochen bis zum großen Kejahrs 
markt des Sahres 1505 die recht artige Summe von 120 Gulden zu- 
jammenbrachte. Überhaupt ift er mit Luft und Liebe feinem jonderbaren 
Geichäft nachgegangen und Hat liwvländischen Ablaß jahrelang vertrieben. — 

Wohl ein Bruder jenes Chriftian Bombhower, der auc) als Doktor 
des Sirchenrechts und Kanonifus der Kirchen zu Neval und Dorpat 
bezeichnet wird, war der Minoritenmöncd Antonius Bonthower'). 
An ihn Fnüpft fich eine Erzählung ?), welche beweijt, welche Mittel die 
alte Kirche anwandte, um Geelen wie wdische Güter zu erwerben, 
die ung aber auch Zeugnis ablegt, wie jo manches bedrücte Herz jich 
nach Freiheit jehnte: die Erbjchleicherei, um deren Willen dev Mlönc) 
Anno 1521 fein Mündel und Schwefterfind, den jungen Huldermanı 
aus Neval, zum Eintritt im das Stlofter zu Hajenpoth zu überreden 
und den Süngling durc) fürperliche und geistige Martern dazır zu 
zwingen juchte, damit das anjehnliche Vermögen der Kirche zufalle. 
Die Schweiter, Frau Brigitte, hatte bereits in religiöjem Wahn der 
Velt Balet gejagt und zu St. Brigitten bei Neval den Schleier ge 
nommen, nachdem jie Hab und Gut der alleinjeligmachenden Kirche 


1) Livländiihe Ablafbriefe. cf. Sikungsber. d. U. ©. 1586 ji. 21 If. 
>), Miszellen. E. ©. in der Balt. Monatsjchrift. Band XXAIX. 
17* 


— 2060 — 


gefchentt hatte. Wie Antonius Bomhower jeinem Miündel 7 Wochen 
lang „früh und jpät mit Lift nachging, ob er einen Mönch aus ihm 
machen fünnte“, wie der Mönch die Schlinge immer feiter 309g, hat 
Huldermann jelbjt jpäter, als die Neformation ihm Licht und 7Frei- 
heit brachte, bevedt gejchildert: „Ehrjame, wohlweije Herrn, aljo jprad) 
er vor dem Nevaler Nat, es hat fich ereignet, als ich jo im Elend 
und des Teufels Gefängnis war, wo ich feinen treuen, befannten 
Freund hatte, der mir irgend etwas zum Belten raten könnte, fonnte aucd) 
meinen eigenen Nuten oder Bejtes nicht ermeijen, vernahm auch, daß 
die Mönche nicht zufrieden wären; ich war da ftets bei ihnen, wußte 
nicht, wie ich eS anfangen jollte, ift zu mir gefommen Antonius und 
hat mich mit vielen Lijtigen Worten gefragt, ob ich auch irgendwie im 
Sinn hätte, ein Elöfterlich Leben anzunehmen? — — — — ging 
mir mit jolchen und andren Worten immer nach, wußte zuleßt nicht, 
was ich anfangen follte; nachdem ich jo überlaufen ward, habe ic) 
zuleßt aus Betrübnis meines Herzens und Berzweiflung die Einwilligung 
gegeben, als einer, der mit mancherler Lift dazu durch Täufchung ge- 
bracht und gedrängt wurde, fonnte auch mein eigenes Beftes nicht 
merfen oder mein VBerderben meiden.“ 

Seelenfämpfe diefer Art und ähnliche Ichändliche Meachenichaften 
des Herus find gewiß nicht vereinzelt gewejen — jte erklären den 
jreudigen Subel, der Luther Lehre bei uns entgegenjchallte, ven 
ichnellen Erfolg, den Siuopfen im Riga hatte. Nachdem er nämlich) 
nach dem Gebrauch jener Zeit am 12. Sun 1522 in öffentlicher 
Disputation wider die Mönche gejtritten und eine Anzahl Thejen 
fiegreich verfochten hatte, wurde er vom Nat und dev Gemeinde zum 
Arhidiafonus zu St. VBeter erwählt: Es war eine bedeutjame Stunde, 
al3 er am 23. Dftober 1522 jeine erjte Predigt dajelbit hielt! Bon 
diefem Tage an faın die Bürgerjchaft Nigas im Wejentlichen als 
proteftantiich gelten. 

Joch im jelben Sabre, wohl furz vor Michaelis (29. September) 
trat Andreas Stnopfen ein Gebilfe zur Seite, ihm ungleich an Charakter 
und Wilde des Gemüts, aber von demjelben heiligen Eifer durchglüht: 
Sylveiter Tegetmeyer aus Hamburg. Sm Mat 1511 hatte er die 
Univerfität Nojtoc bezogen, wo ev im Februar 1519 zum Magifter 
promoviert und zum Disputator am „Noten Löwen“, einem Studenten- 
fonvift, ernannt wurde. Doch jchon um Dftern 1520 wınde er Kaplan an 


ee 


der Domfirche der Stadt, an der Barthold Mioller, ein ganz hervor- 
ragender Gelehrter, damals Kirchherr war. Hier hat ihm Luthers 
fenrige Glaubensinnigfeit allmählich das Herz gewonnen; jedenfalls 
war er der neuen Lehre bereits zugethan, als er um Meichaelt 1522 
in Erbjchaftsangelegenheiten nach Riga fam, wo jeine lebendige, ja 
fertige Beredjamkfeit die Menge gewann und mit fortriß. An 30. No 
vember 1522 bereits wiırde er Bajtor an der Safobificche. Seine 
Predigten entflammten die Maffen, in der jich eine unruhige Bewegung 
bemerfbar machte, der der Nat zu ftenern, jer’s nicht die Macht, jer’s 
nicht den Willen hatte. Zu wiederholten Malen jandte er vielmehr 
zu Sasper Linde, dem Exzbiichof, und ließ ihn bitten um der Ehre 
Gottes willen und um der gegenwärtigen Not halber, doch Prediger 
de3 reinen Worts anzuftellen — doch umfonft. An eriten Advent 
wurde nunmehr Tegetmeyer, der Feuerfopf, vom Nat als Prediger zu 
St. Jakob Andreas Sopfen als Gehilfe beigefellt. 

Auch mit dem großen Neformator, mit Dr. Martinus, trat man 
von Niga aus in direkte Verbindung. ES war Johannes Lohmüller, 
der am 20. Dftober an Luther jchrieb und fich als „der geringjte 
und unmmügefte aller Kuechte Ehrifti, die jegt find, gewejen find umd 
jein werden, und alS ehrerbietiger Jünger Deiner Gelehrjamteit“ an 
ihn, „den größten Herold des Evangeliums“ wandte, um ihn zu 
melden, daß auch „unjer Livland, als das lekte Land im Norden von 
Europa, welches vorher der chriftlichen Welt beinahe unbefannt war, 
das Wort vom Glauben und die reine Lehre angenommen habe.“ 
Lohmüller erwähnt dann die beiden „unbezwinglichen SHerolde des 
göttlichen Wortes und Deiner Gelehrjamfeit”, die in Riga voirkten 
und bittet ihn zum Schluß um eime Dedifation an die Livländer oder 
wenigstens um Gruß und Trojt. Eine Antwort jollte nicht ausbleiben. 

Diefer jugendlichen Begeifterung gegenüber, die weite Kreife erarift, 
waren die tatholischen wehrlos. Ihr ganzer Grimm richtete ich gegen 
Andreas Knopten und vor allem dejjen Bruder Safob, dem die Dont- 
De ganz bejondere Schuld zu geben geneigt waren. Eine fürmliche 

Verfolgung wurde gegen ihn ins Werf gejfeßt md der der Neformatton 
günstig gefinnte, aber nicht ehr energische Mann jo weit gebracht, daß 
er jchließlich eine jchriftliche Erklärung abgab, er werde der lutherischen 

Lehre und dem Umgang mit allen denen, „die ihr anbängtg wären und 
Dr. Martins Buch hätten und läjen“, entjagen, widrigenfalls ev jich 


262 


Ichuldig befenne und mit Necht in Strafe verfalle. Um Herrn Safob 
die Yage ganz befonders zu erjchweren, jeßte das Kapitel ihn wieder 
in jeine Stelle als$ Dom- und Kirchherr zu St. Beter ein, „welche 
Sirche das Herz von der Stadt ift“, wodurch er denn „mitten manf 
Diejenigen, die zu meiden er bejchworen“, zu leben fam. Die alten 
Stonflifte brachen natürlich ehr bald von menem los und führten 
ichlieglich dahin, daß Jakob Sinopfen, dem der Aufenthalt in Riga 
sur Qual geworden war, aus dem Lande fort nach Preußen zum 
Hochmeifter Albrecht von Brandenburg z0g und von Ddiefem Schuß 
und Hilfe erflehte. Diejer nahm ihn Huldvoll auf und gab ihm em 
pfehlende Briefe an Plettenberg. Was aus Jakob uopfen geworden, 
läßt fich nicht mehr feftjtellen. Ein Brief, den er aus der Yutherjtadt 
Wittenberg im Dezember 1523 an den Liwländiichen Meeifter schreibt, 
iit das legte Lebenszeichen. Charafteriftiich genug für die verzweifelte 
Stimmung der alten Kirche bleibt immerhin die Epijode, Die oben er- 
zählt worden tft. — 

Wie stellte fh nun aber der Meijter und der Erzbiichof, Die 
Brälaten und die Nitterichaften zu dem Eindrang der reinen Lehre, 
über die auf dem Wormjer Neichstag Katjer Karl und die fatholtichen 
Fürjten das Berdammungsurteil ausgeiprochen? 

sn eigentümlicher Weije verquickten jich weltliche und getitige 
Dinge bei der Lölung Ddiefer Frage. Sasper Linde war müde und 
fampfunluftig, wenn auch weit entfernt, dem Yuthertum irgend welchen 
Vorschub zu leisten, Wlettenbergs „gemeflene Weisheit“ einer radikalen 
Löfung auch abgeneigt und damals wenigstens noch ohne tieferes 
Verständnis Fir Die geistige Macht, die in der Neformation lag. 
Anders tanden die übrigen hohen Stlerifer, deren Beltrebungen wiederum 
auf die Nitterjchaften zurüchwirkten )). 

Die verweltlichten PBrälaten trieben auch damals jehr weltliche 
Bolitif: als ob ste ahnten, welcher Sturm gegen jte im Anzuge war, 
huchten jte ihre landesherrliche Gewalt Ichärfer geltend zu machen als 
friiher und ihren Ätiftischen WBajallen die Beräußerbarfeit der Lehen 
zu bejchränfen, indem fie für jich ein Näherrecht in Anfpruch nahmen, 
demzufolge bei Bererbung oder Verfauf die Güter den Bischöfen zuerst 

1) cf» Fr. Bienemann sen. Aus Livlands Luthertagen. Neval 1883, ein 
vortreffliches Buch, dejfen Nejultate im Nachjtehenden teilweije benußt worden ind, 


angeboten werden jollten. Sohann Stiewel, Biichof von Dejel, ein jäh- 
zorniger, wenn auch nicht unzugänglicher Herr, vor allem aber der 
ftreitbare Sohann Blanfenfeld, Biichof von Dorpat und Neval, waren 
die beiden Männer, deren ehrgeizige Pläne die Nitterichaften in Un- 
ruhe verjeßten. Johann Blanfenfeld, diefer Hort des Katholizismus, 
war als Sohn des Berliner Bürgermeifters, Thomas Blanfenfeld, 
1471 geboren, hatte danı im Bologna nach ausgezeichneten Studium 
ven Doftorhut erlangt und war als „sonvderlich geichiefter und beim 
Hof zu Rom und am Katferl. Kammergericht geitbter Herr“ in Ordens 
dienjten vajch emporgefommen, ja Kaplan beim Hochmeilter und jchliep- 
lic) Ordensprofurator in Nom geworden. Doch jchlug jeine Gefinnung 
jähb um, als er zum Bilchof von Dorpat und dann von Neval er- 
hoben wurde: als zielbewußter, fanatischer Borfämpfer der biichöflichen 
Bartei, aljo der ertremen Statholifen, jteht er von mın an dem Meiiter 
ablehnend und jchroff gegenüber, während ihm als Berfechter landes- 
herrlicher Gewalt die Sonderftellung der Nitterjchaft und Städte 
ein Dorn im Auge tft. 

Das rief eine Gegenwirfung hervor, die dem Orden wohl zu 
ftatten fam: HZuerft einigten fich Nitterichaft und Stadt Dorpat: 
E3 war am Mittwoch nach Judica, am 9. April 1512, als auf der 
großen Gildjtube zu Dorpat die jtiftiiche Nitterichaft, „alle edle Mannen, 
die da reiten, fahren und wanfen konnten“, jowie der Nat, die Alter- 
männer der Großen Gilde und Unferer Lieben Frauen Gilde „mit 
ihren Weijejten, Beifigern und allen Brüdern beider Gilden der Stadt 
Dorpat, jung und alt, ausgenommen zwei oder drei, die Krankheit 
halber daheim bettlägerig waren“, zufammenfamen und eimen alten 
YBundbrief von 1478 feierlich erneuerten. Bertveter der Stiftiichen 
Nitterichaft und der Stadt gingen „von PBerjon zu Perjon, mit der 
Nitterichaft anfangend“ und „haben ji von jedermann Die Hand 
dDarjtreden laffen, daß alle an der Einigung fejthalten wollten in allen 
ihren Artifeln und Punkten und dabei als Fromme Mannen, wo nötig, 
Leib und Gut daran wagen. Sp ward die Einigung erneut, verftrickt 
und befejtigt.“ 

Sehr bald erweiterte fich dev Dorpater Bund zu einem Bind 
nis aller Nitterichaften und Städte: Ms im Juni 1522 ein Yand 
tag zu Wolmar angefagt war, tagten währenddeijen nach alter Weile 
auch die Städte in gejonderter Beratung. Bor fie trat am 14. Numi 


a 


Hans Noien und bat die Städtiichen namens der Erzitiftiichen md 
der andern Nitterichaften des gejamten Landes mit ihnen gemeinjame 
Beratung zu pflegen, wie man unter einander einen feiten Bund 
ichließen fünne. Die Städte willigten ein und jchon am folgenden 
Tage verjammelten jich alle insgefamt in der Stapelle vor Wolmar. 
Hier wies Jürgen Ungern auf die gemeinjamen Beichwerden, Die ihnen 
allen, jer’3 von ihresgleichen, jer’3 von den geiftlichen Herrn, zu teil wirden, 
vor allem aber auf die Übergriffe der Biichöfe von Dejel und Dorpat 
hin. So eimdringlich waren jeine Worte, jo drohend die Lage, dah 
bereit8 wenige Tage darauf, am 20. Suni, das Bündnis zwiichen 
Städten und Nitterjchaften feierlich und Fürmlich zum Abichluß ge- 
bracht wurde, eine Einigung, deifen Wirkung fich aber jchon vorher 
den PBrälaten fühlbar machte. 

Der Metiter, dem jede Ziwietracht ein Gräuel war, drang In 
Sohann Blanfenfeld, und diefer fand die Situation jo ernjt, dab er 
ichleunig nachgab. Unter dem Vorwand, es würde ihm übel anftehen, 
auf gemeinfamen Landtag über feine lieben Getreuen Klage zu Führen, 
zumal der Bart jo gering, gab er die Erklärung ab, er wolle „die acht- 
bare Nitterjchaft, den ehrjamen Nat und jedermann unjeres Stifts ud 
unferer Stadt Dorpat bleiben lafjen bei allen Nechten, Gewohnheiten, 
Beliß und habender Were jo, wie wir fie gefunden haben“. 

Das war am Mittwoch, den 18. Sunt, geichehen, am Donners- 
tag wide die Frohnleichnamsprozejlton „nach Löblicher, chriftlicher Ge- 
wohnbeit“, auch von den Städtiichen, feierlich begangen. Abends waren 
Dorpat und Neval bei denen von Riga zu Gafte und eifrig Freiiten 
die Becher zu Ehren des Bundes, der, wie oben erwähnt, am folgen- 
den Tage in aller Form bekräftigt und hierauf dem gejamten Landtag 
mitgeteilt wurde. Eine jolche fürmliche Einigung, die dev Selbithilfe 
entjprungen war, war mun freilich wenig nach des Meifters und vor 
allem der Biichöfe Herzen — te forderten daher eine Erklärung, was 
Ritterichaften und Städte denn eigentlich beabfichtigten. Adel und 
Städte zeigten fich nicht ohne Entgegenfommen, fie gaben die Erklärung, 
ja fie verzichteten auf nicht ummwejentliche Forderungen; um jo mehr. be- 
standen fie aber auf die Betätigung ihrer Einigung durch den Land- 
tag. Sie famen nicht zum Ziel, denn in höchjtem Unmut verließen 
Fohann Kiewel und Johann Dlanfenfeld Wolmar und ritten, ohne daß 
die Landtagspunfte Erledigung gefunden, von damen, Der Meifter 


a 


und die Zuritdbleibenden aber meinten, allein nicht berechtigt zu jein, 
eine jo jchwerwiegende Einigung anzuerfennen. 
Wir verjtehen vollauf, weshalb die Nitterichaften fich gegen Die 


Brälaten zufammenthaten — e8 war eben die Furcht vor materteller 
Schädigung — weshalb aber traten die Städte jo eimmiütiq dem 


Adel zur Seite? Wir werden ficher nicht fehlgehen, wenn wir an- 
nehmen, daß ihr Beweggrund tieferer Art, daß es die Sorge um die 
reine Lehre vom Evangelium war, welcher in Männern, wie Blanfen- 
feld gefährliche Gegner eritehen mußten. Denn nicht nur in Niga 
hatte das Luthertum bereits jeine zahlreichen Befenner, auch in den 
andern Städten fehlte es an ihnen nicht, ja Dlanfenfeld meinte, von 
1520 an in Dorpat Spuren der Steßerei aufgefunden zu haben und 
heiichte vom Nat die Verbrennung der jchlechten Lutheriichen Bücher. 

Daß die Städtiichen aber Jich nicht mit unnüßen Sorgen quälten, 
jollten fie in Wolmar mur zu deutlich erfahren, wo die Prälaten be- 
antragten, Dr. Martin Luthers Schriften als läfterlich, verführertich 
und feßeriich zu verdammen. 

Diejes von den Bischöfen vorgejchlagene extreme Borgehen Fonnte 
auf dem Landtage feine Billigung finden, weder beim Meetiter, defjen 
efen derartige rigorofe Maßnahmen von Grund aus wivderiprachen, 
noch bei den Nitterichaften, die gewilfen Firchlichen Neformen, mit Denen 
Jih auch Jasper Linde und Kiewel trugen, nicht abgeneigt waren, zu- 
dem Nücficht auf die verbiimdeten Städte zu nehmen hatten, noch end 
(ich bei den Städten jelbjt, in deren Mauern der Frühling bereits 
jeine Knospen trieb, wenngleich wir uns hüten müfjen, fie insgelamt 
Mitte 1522 jchon Ffir gut evangelisch zu halten. Das erhellt Schon 
daraus, daß auch die jtädtischen Sendboten nirgends mit iwgend wie 
auffälligen Eifer oder gar Begeisterung für Luther auftreten. Leicht 
einigte man jtch daher, zumal da die Bilchöfe das Feld geräumt 
hatten, dahin, die ganze Angelegenheit als vor den Landtag nicht 
fompetierend Fallen zu laffen. Weder verbrennen wollte man des Ne 
formators Schriften, noch auch fich offen zu ihnen befennen. 

Sn diefem Sinn lautete das „Sentiment“, vote wir heute zu Jagen 
pflegen: „Dr. Martinus Luthers halben it eine achtbare Nitter 
\chaft und der ehriamen Städte Meinung, daß man die Sache bier im 
Lande von allen Barten jo lange in Nube bangen und bleiben Laie, 
bis fie außer Landes durch päpftliche Heiligkeit, Naterl. Majeftät, 


— Oo 


stönige, Nurfüriten, Fürsten, Prälaten und Herren, geiftliche und welt 
liche hohe Schulen, gelehrte und erfahrene Leute, durch ein Konzil 
vder andere bequeme Wege und Mittel, wie fie nach Gott und Necht 
Itehen umd bleiben Joll, entichteden und ausgejprochen werde. YAußer- 
dem gedächten fie weder hierin, noch in irgend anderen Sachen Man- 
date und Banı bier zu dulden. Da diefe Yande nicht mit dem 
Banı, jondern mit dem weltlichen Schwert erobert und geivonnen 
Jind, wollen wir derhalben auch nicht mit dem Bann regiert und be- 
\ehwert werden, welcher Artifel auch jchon vor Jechs Sahren zum Land 
tage aufgegeben und angenonmen worden.“ 

Bald jollte fich zeigen, daß im Ddiejer Geist und Herz ergreifenden 
Sache Neutralität ein Umding war. Über den lauen Beichluß von 
Wolmar ging die Gejchichte Schnell zur Tagesordnung über. 

Wir erinnern uns, daß bald nach dem Landtag von Wolmar 
Andreas Knopfen md im jelben Jahre auch Sylvelter Tegetmeyer als 
Prediger in Niga vom Nat förmlich angejtellt wurden, ein Zeichen, 
daR Niga der neuen Lehre gewonnen war. Wie ein Feuer, das aller 
Berfuche e8 zu Löjchen jpottet, brach fie fh immer weitere Bahı. Den 
Mönchen im den Klöftern Nigas wurde übel zu Mute, am Charfreitag 
1523 zogen fie, weil ihnen in der fegeriichen Stadt, wie jte flagten, 
das Leben unmöglich gemacht würde, tm feterlicher Brozelfion aus den 
Thoren derjelben — freilich nur, um allmählich) unauffällig wieder 
zuriickzufehren und die Klöfter aufzujuchen, jo daß man fait gezwungen 
it, anzunehmen, jener Auszug jei mehr eine jymbolische Losjagung als 
ein ernftgemeinter Abjchied geween. 

Helle Freude wird in Riga aber geherricht haben, als im Auguft 
1523 das langerjehnte Schreiben Luthers an „Die auserwählten Tieben 
Freunde Gottes, allen Ehriften zu Nighe, Nevell und Tarbthe im Lief- 
land, meine lieben Herrn und Brüder in Chrifto“ anlangte, das in 
herzlichitem Ton gehalten war. Längjt wußte man im unjerer Heimat, 
daß der Neformator mit warmer Teilnahme der Ausbreitung des Evan- 
geliums in Livland folgte. Schon im Sanuar 1523 jchrieb er in 
diefem Sinn: „Sie pflegen dort den Prediger des Worts und freuen 
ih das Evangelium zu haben. Sp geht Ehrijtus von den Suden zu 
den Heiden und aus Steinen entitehen Abrahams Söhne“ und ein 
Jahr darauf jchreibt er in lautem Subel: „Evangelion oritur et pro- 
eedit in Livonia, das Evangelium geht auf und jchreitet fort in Xiv- 


— 267 


(and » . . sic mirabilis est Christus*.') Und nun jchrieb er jelbit, 
wie er mündlich und jchriftlich erfahren habe, daß Gott auch in Liv 
(and Wunder gewirkt und die Herzen mit dem guadenreichen Licht der 
Wahrheit heimgefucht habe, „darzu euch jo hoch gejegnet hat, daß ihrs 
von Herzen fröhlich aufnehmet als ein wahrhaftigs Gottes Wort, wie 
es denn auch wahrlich ijt: welches doch bey uns das mehrer weder 
hören noch leiden will; jonder je reicher und größer Genad uns Gott 
hie anbeut, je unfinniger die Fürften, Bischof — — — id) dawider 
Iträuben, läftern, verdammen und verfolgen, — — — (jo) daß ich 
euch mit Freuden mag jelig Iprechen, die ihr am End’ der Welt, gleich- 
jam die Heiden, (Apoftelgeich. 13, 48) das heilfame Wort mit aller 
Luft empfahet. — — — Der Zorn Gottes it über fie fommen, jpricht 
St. Baulus bis zum Ende; aber über euch vegiert die Genade*“. Dann 
legt er allen aws Herz, jte möchten Acht haben, daß fie nicht Galater 
würden, die jo herrlich anhuben, aber von den VBerführern auf die 
iwdiiche Straße abgelenft worden jeten. Auch unter ihnen würden 
Wölfe ericheinen, doch fie möchten Chrifto vertrauen. „Denn alfo habt 
ihr gehört und gelernt, daß, wer da glaubt, daß Sefus Ehriftus durch 
jein Blut, ohn unjer Verdienft, — — — umjer Heiland und Bijchof 
unjer Seelen worden tft, daß Dderjelbig Glaube ohn alle Werk gawif 
(ich uns Ehriftum aljo eignet und giebt, wie er glaubt“. Diejer Glaube 
mache uns ein fröhlich, friedlich Herz zu Gott und heiße durch Ehriftum 
zum Bater fonmen. Hierauf bittet er fie alle Frieden unter einander 
zu halten, er erinnert jte an das Wort des Nömerbriefs 13, S und 
an sohannes 13, 34 „Das it mein Gebot, daß ihr euch unter ein 
ander Liebe. Daran wird man erfennen, daß ihr meine Sünger jeid, 
wo Ihr euch unter einander Liebet“. „Do tft, fügt ev bedeutjam hinzu, 
das ander Häuptjtüc chritlichs Lebens“. 

„io lehret und thut, meine Liebjten, heist es zum Schluß, und 
laßt euch feinen andern Wind der Lehre bewegen, es wehe von Rom 
odder von Yerujalem. Es liegt die Summa am Glauben in Ehrifto und 
an der Lieb zum Näheften. Ablaß, Heiligendienit und was fir Werk auf 
ung und unjer Seelen Nuß gezogen werden, daß meidet wie todtlich Gift. 
1) Über die perjönlichen Beziehungen Luthers zu uns cf. das unipruchsloje 
Büchlein von Zuftus Nie. Nipfe, Oberpaftor in Neval: „Einführung der Ne- 
formation in den Baltischen Provinzen“. Niga 1855. AJm Anhang find Schriften 
und Briefe Luthers abgedrudt, 


Aber wo ihr an diejer reinen Lehre bangen und bleiben werdet, 
wird das Kreuz und Verfolgung nicht außen bleiben. Denn 
der böfe Geist fan nicht leiden, daß jeine Heiligkeit alfo zu Schanden 
und Zumnicht joll werden, die ev mit Werfen durch die Geiftlichen in 
aller Welt hat aufgericht. Aber jeyd ihr beitändig umd gedenft, daß 
ihrs nicht befjer haben jollt, denn ener Herr und Bischof Ehriftus, der 
auch umb solcher Lehre willen, da er die Werfheiligfeit der Phartjäer 
itraft, gemartert ift. Es wird euch jold Streuz muß und Noth jeyn, 
das euch bringe in eine fefte, fichere Hoffnung, damit ihr dies Leben 
hafjet und des fünftigen tröftlich wartet, daß ihr denn alfo in den 
dreyen Stiürden, Glaub’, Yiebe und Hoffnung bereit und vollfommen jeyd“. 

Nie mögen unjere Altvordern den lieben Worten gelaujcht haben, 
die in der Natsftube zuerit verlefen wurden, jtch mit Windeseile damı 
hinaus in die Straßen und Häufer verbreiteten, die Brust höher jchlagen 
umd die Bulfe wärmer flopfen Liegen. 

Die Fatholiich Gefinnten aber ergrimmten; Blanfenfeld vor allen, 
der die Seele aller dem Luthertum feindlichen Anschläge war, forderte 
troß des Wolmarer Abjchiedes energiiche Schritte zur Ausrottung der 
Keßerei und Jasper Linde, der alt und mürbe geworden war, ftinmmte 
dem Dränger nicht nur zu, ondern erhob ihn im November 1523 jo- 
gar zur einem Koadjutor — eine offene Striegerflärung an die Evan- 
gelischen! 

Auf fein Betreiben ging eine Gejandtichaft heimlich ins Ausland, 
an Kater und Neich und an den Bapft. ES waren drei Mönche, denen 
diefe Million zugefallen war, Antonius Bombower, deifen Praftifen wir 
ichon fennen, ferner Burhard Waldis und ein Unbefannter. 

Waldis war ein geborener Hefe aus Allendorf an der Werra, 
aus defien Jugendzeit wir nichts wifjen, als$ daß er 1524 bereits 
Stloftergeiftlicher, wohl Franzisfaner, war und als jolcher um jeines 
Seelenheils willen, gleich Martin Luther, eine Reife in die Apojtelitadt 
am Tiber unternommen hat. Auch er fand in Nom nicht, was jein 
Herz verlangte, vielmehr meinte er „Schlangen zu vergiften“ jei das 
Treiben der Bapiften nur allzu geeignet, und jchloß jeinen Bericht mit 
den Worten: 

„Drumb auch das jprichwort warhaft tt: 
Se neher Nom, je böfer chrift!“ 


Trogdem blieb Burchard Waldis nicht mur Mönch, jonvern trat 


— 269 — 


auch, nachdem ev — wir wiljen nicht warn — nad) Livland gefonmen 
war, im Dienfte des Erzbiichofs, der ihn offenbar Fir einen eifrigen 
Katholiken gehalten haben muß, da er ihn jonjt nicht mit der gerähr 
lichen Sendung betraut hätte. 

Die drei Stlerifer famen glücklich) aus Yivland fort md begaben 
fic) nach Nom, von wo Antomus Bombower dem Stujtos jeines Ordens 
in Livland und Breußen jchrieb, er Habe Sr. Heiligkeit den Nat ge 
geben, „die Stadt Niga und alle Livländer, die tr Steßerei gefallen 
jeten, ihrer Gerechtigfeiten und Privilegien zu berauben, und weil fie 
als Ehrloje und Untreue zu betrachten jeten, jolle niemand verbunden 
jein ihnen zu bezahlen, was er ihnen jchulde, noch ihnen Eintracht und 
Eide zu halten“. Diejer infame Brief fiel am 14. November tn die 
Hände der Nigenfer und fteigerte die Erregung, welche durch Blanken 
feld hervorgerufen worden, aufs heftigite. 

Die Million der Mönche an Kater Karl V. ließ ich freilich nicht 
Diveft ausrichten, da er in Spanten weilte, die Abgejandten wandten 
fich) daher an den Neichsverwejer, den Markgrafen Philipp von Badeır, 
der unter Androhung der Netchsacht Herjtellung der alten Yujtände 
forderte, ohne natürlich einen praftiichen Erfolg zu erzielen. Kante 
man doch auch in Niga die Schwerfälligfeit von Netchsprozeduren und 
meinte jfeptijch: „ehe der Staijer nach Livland fünmt, werden jene 
Neiter müde und matt genug werden, und wenn er mit einem großen 
Heer fünmt, muß er Hungers halber große Not leiden; fönmt er aber 
mit wenigen Striegsvolf, wollen wir ihn leichtlich jchlagen!“ ') 

icht bejier al3 Antonius Bomhowers Brief, ging es ihm jelbit 
und Burchard Waldis. Als jte nämlich Anfang 1524 mit Acht und 
Bann heimfehrten, wollte e8 das Unglück, daß ihr Schiff durch die 
Strömung jtatt an das Schloß an eine der Stadtpforten getrieben 
wurde und in die Hände der Nigenfer fiel, die jtch jener beiden be- 
mächtigten und fie als Hochverräter in hartes Gewahrjam  jegten. 
Während PBater Antonius allen Befehrungsverjuchen, die auf Bitte 
feineg Bruders Bartel, des vevaler Altermanns der großen Gilde, mit 
ihm vorgenommen wurden, Standhaftigfeit entgegenjeßte, löjte Burchard 
Waldiz jich von der alten Stirche, der er innerlich nicht allzunabe geitanden 
haben kann, nunmehr öffentlich los, entjagte dem geiftlichen Stand 


'!) ef. Bradhmannl. c. 


— 270 — 


und ließ fich als Zinngieger — Kannegeter nennt er fich jelbit — in 
Jiga nieder, in jeinen Mufeftunden, ein zweiter Hans Sachs, dichtend 
und fabulierend. Sein Hauptwerk, der „Ejopus“, durch den er jeinen 
Nur als Fabeldichter begründete, ift denn auch dem Nigajchen Bürger- 
meister Johann Butte gewidmet, jein vielberühmtes Faftnachtipiel, das 
Drama vom „VBerlorenen Sohn“, in dem die Nechtfertigung durch) den 
Slauben glorifiziert wird, in Niga 1527 über die Bühne gegangen. — 

Die Umtriebe des Erzbischofs und des Koadjutors jchlugen dem 
Faß vollends den Boden aus: Den ertremen Elementen auf fatho- 
liicher Seite traten extreme Betrebungen der Lutherijchen mit Hejtig- 
feit entgegen. Sm März 1524 fam e3 in Riga zu einem regelrechten 
Bilderfturm, bei dem ich) die jungen Schwarzhäupter, Die durch den 
Saltnachtichmaus in Erregung geraten waren, eifrig Hervorthaten. Sie 
drangen in die Betrifirche, jchlugen den Altar in Trümmer, und rich: 
teten argen Unfug an. Auch das einjt von ihnen gejtiftete Altarbild 
wurde don ihnen fortgebracht und verfauft, während fie aus ihren 
heiligen Silbergefüßen prächtige Kamen und HYumpen fertigen ließen. 
Allentyalben tobte der Aufruhr durch die Straßen, die Klöfter wurden 
hart bedrängt: die Nonnen im Dominifanerklofter, die grauen Sung- 
frauen, verjegßte man bei Tag und Nacht in Unruhe, ja man warf 
ihnen die SFenfter ein, „itüce van dem fope und blage ogen“. Zeigte 
fi) unvorfichtiger Werfe ein Mönch oder eine Nonne auf der Straße, 
jo tünte ihnen „über alle Maßen und Billigfeit“ jchändliche und un- 
ehrliche Liedlein entgegen. Die Nede geht, daß Sylveiter Tegetmeyer 
in jeinem Eifer der Bewegung mehr nachgegeben habe, al3 richtig war, 
was denn die Folge hatte, daß diejelbe immer weitere Streije zog und 
jelbft im Nat fich Geltung verjchaffte: im November 1524 wurde das 
Kapitel gezwungen die Domficche zu jchliegen, Mefjen und Bigilien 
abzuftellen. VBergeblich jtellte Plettenberg den Eiferern vor, daß jelbit 
in der Wittenberger Schloßkirche die alte Gottesdienjtordnung noch in 
vielen Stücken nicht angetajtet jei, weiter als dort fünne man doc) 
auch in Riga feines Falls gehen — umjonft; vergeblich ermahnte er 
fie wenigftens das Meefjelefen bei verjchlofjenen Thüren zu gejtatten 
— er predigte tauben Ohren. 

Wenige Monate jpäter, da die Nigenjer den Erzbiichof durch die 
Sefangenjeßung feiner Boten und den Bilderjturm in hellen nicht un- 
berechtigten Zorn verfeßt hatten, ging ihnen von Luther die Auslegung 


des 127. Blalms zu, den er „den Ehrijten zu Nigen in Livland“ ge- 
widmet hatte, der mit den Worten beginnt: „Wo der Herr das Haus 
nicht bauet, jo arbeiten umjonft, die daran bauen. Wo der Herr die 
Stadt nicht behütet, jo wachet der Wächter umjonjt“. Weit herz= 
getrvinnender Bejcheivenheit') beginnt der große Mann: „sch bin längft 
vermahnet, lieben Freunde, an euch etwas Chriftiichs zu jchreiben; 
hätte e8 auch wohl gerne gethan, wie ich denn schuldig bin; hat mich 
aber allerley gehindert, zudem daß ich nichts bejonders wußte zu 
ichreiben, weil Gott, unjer Vater, euch jo reichlich Hat begnadet mit 
jeinem heiligen Wort, daß ıhr euch jelbit unter einander fünt beyde 
(ehren und ermahnen, jtärfen und tröften, vielleicht bejer, dem wir.“ — 

Der Trost und der Sporn, der in Luthers Schrift lag, fam zu 
rechter Zeit: fünfzehn Tage, nachdem der Neformator fie abgefaßt, 
Itarb Saspar Linde und Zohann Blanfenfeld, der erbittertjte und ge- 
fährlichjte Gegner feiner Lehre in Livland, wurde Erzbilchof. Bon 
Neutralität konnte nunmehr nicht mehr die Nede jein: Blanfenfeld war 
entjchlofjen den Kampf bis aufs Meejjer zu führen, objchon Plettenberg 
Dringend zur Verjtändigung riet, da die Stadt doc nicht mehr vom 
neuen Wejen abzubringen jet und der Kaufmann hier zu Yande jtetS jeinen 
eignen Sopf gehabt habe. 

Mochte Johann Blanfenjeld Niga jelbjt gegenüber anfänglich nod) 
etwas zurückhalten, was die Stadt von ihm zu erwarten hatte, ließ 
des Erzbijchofs Wüten in Stofendujen und Lemjal erkennen: in diejen 
beiden fleinen Städten hatte die evangelijche Lehre treue Befenner ge- 
funden. Sollte ev das dulden? Sollte er Zeuge dejjen jein, daß in 
Kofenhujen, auf dejjien Schloß jeine Nefivenz war, die Belt der Steberei 
um fich griff? Mit nichten. Was fümmerte es ihn, daß er vor jeinem 
Einzug freie Übung des Evangeliums zugejagt hatte — die beiden 
Brediger Brüggemann und Bloshagen, jowie der Schulreftor Giejebert 
Schößler wurden ausgetrieben, die Mefje reftitwiert. Ähnliches geichah 
in Lemjal. Klug war ein jolches Verfahren jicherlich nicht, denn es 
mußte dem Erzbiichof auch alle die Halben und Lauen entfvemden, 
die gern einem Stonflift aus dem Wege gegangen wären; zu Dielen 
gehörte eigentümlicher Weile auch Lohmüller, dejjen Charakter Leider 
ebenjoviel Selbjtjucht und Luft zur Intrigue wie Unbeftändigfeit ver- 


1) cf. Sr. Bienemann l.c. pag. >. 


ar 
re 


rät. Derjelbe Mann, der mit Luther im Briefwechjel jtand, jcheute 
auch vor gewijjen Beziehungen zu Blanfenfeld micht zurüc, ja nahm 
von diefem alljährlich einige Yajt Getreide entgegen, wofür er ihm in 
jeinen Gejchäften behilflih war! Schon als Blanfenjeld zum Stoad- 
jutor erhoben worden war, hatte er dur) LZohmüller die Einwilligung 
der Stadt und der Nitterjchaft des Erzitifts zu erwerben gewußt, frei- 
lich nur unter der Bedingung, daß Niga jeine alten Freiheiten und 
die freie Ausübung der evangelijchen Lehre zugejtanden wirden. Dies 
verweigerte aber Dlanfenfeld und noch war der Streit nicht gejchlichtet, 
als Fasper Linde jtard. 

Eilend jandte Dlanfenfeld, indem er verjuchte die Stadt mit einer 
„leichten“ Beftätigung ihrer Privilegien abzufinden, Boten mit einer 
Generalfonfirmation nach Niga und forderte die Huldigung. Aber 
vergebens! Da er nicht nur eine Einräumung zweier Stadtfirchen 
fir feinen Slerus verlangte, fondern auch jede Zujage in Neligions- 
jachen fichtlich vermied, weigerten ji) Nat und Bürgerjchaft, ihm zu 
Willen zu fein. Nachgiebiger zeigte fich dagegen die erzitiftiiche Nitter- 
ichaft, die ihm Huldigte und ihn damit anerkannte. — 

Doc halten wir inne, um einen Blick auf die Entwiclung der 
Neformation in Neval und Dorpat zu werfen. 

In der Stadt am Glint hat 1523 das Evangelium gewiß jchon 
Anhänger gehabt, da jonjt der Neformator nicht fein herrliches Send» 
ichreiben auch an die Chriften in Neval hätte richten fünnen. AL- 
mählich gewann jeine Lehre treue DBefenner, unter denen Johannes 
Lange, ein Mönch, der die entjeßlichen Schäden der alten Kirche jelbit 
fennen gelernt, Zacharias Hafje und Hermann Marjow, als die feiten- 
den Geijter hevvortraten. Lebterer war ein Sohn Nigas, der bereits 
1505 in Greifswaldet) dann als Geiltlicher der Breslauer Diözüfe 
1523 in Wittenberg ftudiert, hierauf furze Zeit offen in Dorpat ge- 
predigt hatte, aber nach Neval hatte flüchten mühjen. Gegen Ende 
deg Sahres 1523 erjcheint die Stadt, in ihren einflußreichen Streifen 
wenigfteng, vollftändig evangeliich. Am 10. Januar 1524 jchidt der 
Nat aus diefer Gefinnung heraus der Stadt Dorpat Knechte zu, um 
fie gegen Blanfenfelds Übergriffe zu jhügen, am 2. Februar richtet er 


1), Y. Seraphim. Die Liv», Ejt- und Kurländer auf der Univerfität Greifs- 
wald. (Sigung d. Mltertums f. Gef. 13./1V. 94.) 


— 273 — 


das Schon erwähnte Schreiben an den rigajchen Nat wegen Antonius 
Bomhowers und in einem Brief an Dorpat tünt umS der echt evan- 
geliiche Gruß entgegen: „Önade und Friede in Ehrifto unjerm Herrn!“ 
Am flariten wird aber die Situation durch ein Schreiben des Meijters 
gejtellt, der um diejelbe Zeit dem Nat und den drei Gilden wegen der 
„unförmlichen Brädifation“ Borjtellung machte. Er habe erfahren, 
ichrieb er am 8. März), daß in ihrer Stadt etliche Prediger viel- 
fältige läfterliche Worte auf den geijtlichen Stand und jonderlich auf 
Mönche und Nonnen geführt hätten, was in den Streifen der Nitter- 
ichaft, deren Angehörige in den Stlöjtern lebten, viel Unmut erweckt 
habe. Es fünne nicht Gutes daraus entjtehen, daß in den deutjchen 
Landen außer in Wittenberg die Lutheriiche Lehre hier im Lande am 
ehejten Anhänger gewonnen habe und nirgends jo viel Neues ange- 
bauen und vorgenommten werde, wie hier. Der Bapjt und Fatjerliche 
Majejtät würden wenig Ddamıt zufrieden jein, er ermahne den Nat 
eruftlih, er möge fi) mäßigen und jeinen WBredigern befehlen, jich 
fäjterlicher und Schandworte auf die Geistlichen Berjonen zu enthalten, 
jondern das Wort Gottes und das Evangelium jo zu predigen, daß 
daraus Liebe, Eintracht, Friede und fein Aufruhr erwachje. Diejes 
Schreiben des Meiiters gab der Stadt Beranlaffung zu einem jchönen 
Bekenntnis: Sie hätten alle aus vielen mannigfachen Sermonen jener 
Prediger nichts Ungebührliches vernommen, jondern allein dasjenige, 
was der göttlichen Schrift ganz gleichfürmig und gemäß je. Nicht 
nur des geiftlichen Standes Fehler, jondern die Fehler und Mip- 
bräuche aller andern, ohne Anjehung der Berjon, würden von ihnen 
gejtraft und zur Liebe und gebührlichem Gehorjam gegen die von Gott 
gejeßte Obrigfeit alle angehalten. Wenn man dem Nat nachweile, 
daß fie wider die evangelische Wahrheit handelten, jo wollten jte um 
ihrer Seelen Seligfeit willen eS gern abjtellen. Was aber die Klagen 
des Biihofs von Dorpat und Neval beträfe, die Seinigen werden 
hier verfolgt, jo jet ihnen davon nichts befannt, er möge Doch Die 
einzelnen Schuldigen nennen. Desgleihen müßten fie den Borwurf 
des Biichofs zurückweilen, die Obrigkeit nicht zu achten, weder Pletten 
berg noch dem Oxden hätten fie je den Gehorjam verweigert. 
Wenige Wochen jpäter, im April, ergriff die Bewegung auch 


1) ©. von Hanjen. is baltijcher Vergangenheit. Neval 1594. pag. 123 ff. 
Seraphim, Gejchidhte I. 15 


Re 


das Nonnenflofter des Hl. Michael, mit dem der Nat übrigens früher 
ichon manchen Handel gehabt hatte!). Wenn wir den Worten des 
Nates der Stadt trauen fünnen, jo war auc) diejes Stlofter durch und 
durch verweltlicht, „wie da auc), Jedermann entgegengenommen, Strug 
gehalten und bei nachtichlafender Zeit innen gefungen wird.” Mehrere 
Jonnen verließen, jei e8 aus weltlichen Grimpden, jei es, weil das 
Evangelium fie bezwingen, ihre Hellen und traten ins bürgerliche 
Leben, eine von ihnen veicht einem Edelmanne Michael Lode die Hand 
zur Ehe. 

Blanfenfeld, dem die Abtiffin ihre Not in beweglichen Worten 
geklagt, jchrieb unverzüglich an den Nat, doch ohne jelbit an den Er- 
folg zu glauben. Deshalb, weil er fürchte „nicht groß Gehör zu 
haben”, viet er am 8. Mat der Abtijfin beim Meister, al dem Landes- 
heren, und der harrijch-wierischen Nitterfchaft Bejchwerde zu führen, 
daß „Jothane Schwere Mifjethat nicht unbeftraft bleibe — — — denn 
weil die Jungfrau eime Braut Sefu Ehrifti ift, die er durch Ber- 
gießung feines heiligen Blutes und alfo mit einem viel größeren Braut- 
ihage als Michel Lode verehelicht hat, jo fann oder mag ie feines 
Menschen eheliche Braut fein oder werden.“ 

Bereit3 am 13. Mat fam Elert Sirufe mit etlichen guten Mannen 
aus Harrien und Wierland vor den Nat und forderte Auslieferung 
der Entwichenen. Der Nat gab zur Antwort, er jer an der Flucht 
unschuldig, ihm wäre e8 lieb gewejen, wenn jte im Slofter geblieben 
wären, aber wenn dem Adel das Klofter lieb jei, jo jolle ev’s auch zu- 
ichließen. Der Nat wolle jedod) ein Übriges thun, und von allen 
Kanzeln herab den Bejuch des Stlojters verbieten, mehr vermöge er nicht. 

Zu dem Stonflift wegen des St. Michaelflofters gejellte fich ein 
neuer Streit mit den Dominifanern oder Jchwarzen Mönchen, gegen 
Die der Nat einzufchreiten Gelegenheit zu haben glaubte. 

Das Slofter der Mönche, die früher größeres Anjehen genojjen 
hatten, damals aber verweltlicht waren und viel Ärgernis erregten, 
unterjtand jeit altersher (1234) der Aufficht des Rats, der fich nunmehr 
für verpflichtet hielt, den Mönchen energische Vorstellungen zu machen. 
Einige „gütliche“ Ermahnungen hatten natürlich feine erwünjchten Folgen, 
fie wurden vielmehr, wie die Stadt jpäter dem Meifter jchrieb, „gar 


1) cf. Beiträge zur Kunde Ejt-, Liv- und Kurlande. I. 2. pag 192f. 


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nicht geachtet, jondern in den Wind gejchlagen.“ Nach wie vor je 
das „rechtichaffene gepredigte güttliche Wort geläftert als SteGerijche 
Verführung und Zeufelslehre.“ So entichloß ji der Nat Ende 
Mai zu energijchen Schritten. „Um weiteren Ärgernis und Aufruhr 
vorzubeugen“, jandte er am 28. Mat eine Deputation von Nats- 
und Ständemitgliedern nebjt den Predigern ins Stlofter, ließ hier die 
Mönche zufammenrufen, ihnen ihr gottlojes Treiben vorhalten, daß 
fie oft aufgefordert worden das Wort Gottes ohne Menjchenzujag zu 
predigen, jie aber jtatt defjen nur ihre Träume, Jabeln und exempla 
erzählt Hätten.“ Die Prediger aber legten e8 ihnen nahe, mit ihnen 
auf Grundlage der hl. Schrift zu disputieren, „wer von ihnen Recht 
oder Unrecht hätte.“ Doch davon wollten die Stlerifer nichts willen: 
„haben fich, Heißt es in dem Bericht des Rates, mit Ihrem Haupt, 
dem Bapft, und jeinen geiftlichen Rechten entjchuldigt, wie es ihnen 
dadurch verboten jei, mit Jemand über den Glauben aus göttlicher 
Schrift zu disputieren; fie müßten die Sache bis zum nächjtfünftigen 
gemeinen Konzil beruhen lajien.“ Wegen diejes „Itörrigen Geijtes 
und verfehrten Sinnes” entichloß fich der Rat den Predigtmönchen 
„das Predigtamt und ihre andern Heuchelwerfe, jo fie mit feiner 
Schrift verteidigen fünnten“ zu verbieten. a noch mehr — von 
nun an follten die Pfarrprediger an drei Sonntagen nacheinander 
bei offenen Thüren, damit Jedermann frei zuhören fünne, in der 
Klosterkirche predigen „damit die Stofterbrüder doc auch zum rechten 
Glauben gelangten, denn der Nat wolle, daß alle Mönche 
jelig würden“! Wer wollte leugnen, daß diejer, an jich ja Löbliche 
Feuereifer beträchtlich über die Kompetenz des Rats ging umd Die 
Katholifen mit Entrüftung und Erbitterung erfüllen mußte? 
Jnmitten Ddieferv Die Gemüter erregenden Ereigniffe trat am 
17. Juli in Neval eine Verfammlung zujammen, die für den weitern 
Gang derjelben von bedeutiamem Einfluß jein jollte. War doch die 
zweijährige Frift, bis zu welcher die Wolmarer Emigung zwichen 
Nitterichaften und Städten dauern follte, abgelaufen, und um jo mehr 
mußten neue Beichliife gefaßt werden, als die Defeljche Nitterichaft 
mit Johann SKiewel noch immer zu feiner Berftändigung gekommen 
war. Aus Harrien und Wierland, aus dem Erzitift, dem Stift Dovpat 
und Defel fanden fich Vertreter der Nitterichaften ein, Niga entjandte 
drei Delegierte, unter ihnen Johan Lohmüller, Dorpat jeinen Bürger 


18* 


— 276 — 


meister Lorenz Lang md einen Natmann, während der Nevaljche 
Nat in jeiner Gejfamtheit an der Tagfahrt und deren Beratung An- 
teil nahm, Die auf jenem Nathauje vor jich gehen jollte. 

Am Sonntag nad) Margarethe fanden fich die Herren zujammen, 
Niga übernahm das Präfivium der VBerfammlung. Wie zwei Jahr 
früher in Wolmar pflogen die jtädtischen Deputierten daneben gejondert 
Nat, um jich zuerjt im Sachen der evangelischen Lehre zu einigen, die 
injonderheit in Dorpat hart bedroht erjchten. War doc) der Nat diejer 
Stadt weit weniger mächtig als der von Niga und Neval, bot zudem 
doch auch die dominierende Lage des biichöflichen Schlofjes auf dem 
Domberge dem Bilchof die Gelegenheit die Stadt zu vergewaltigen! 
Wir willen, daß Sohann Blanfenfelds Spürfinn jchon 1520 in jeiner 
Stadt die Ktegerer entdect zu haben glaubte, ferner daß 1523 der aus 
Wittenberg heimfehrende Hermann Marjow hier gepredigt hatte, ja 
vom Nat fürmlich als Seeljorger berufen worden war. Blanfenfeld 
braufte auf: „Da fie fich erdreiftet, den Prediger ohne Sr. Gnaden 
Konjens und Vütwifjen im die Stadt zu holen, begehrte er, die ihn 
hineingebracht und mit Nat und That dazu geholfen hatten, aufzu- 
zeichnen und tm billige Strafe zu nehmen.“ Im Nat der Stadt 
herrichte große Beltünzung. Man wandte jich im Glauben, dies gemäß 
der Wolmarer VBereimigung thun zu fünnen, mit der Bitte um Beiltand 
an die jtiftiiche Nitterichaft. Doch Ddiefe verjagte ihn: nur „Kleinen 
Trojt“ hätte er bei ihr gefunden, Kagte der Nat. Der Bilchof aber 
(te ihm mitteilen, ev heifche die jofortige Entfernung Marjows, jollte 
es ih auch fünf, ja im Notfalle zehn Finger often. 

Schweren Herzens mußte der Nat den Diener des Evangeliums 
ziehen lafjen, der fich, wie wir wiljen, muın nach Neval wandte Doc) 
völlig aufgeben wollte der Rat und die Birgerjchaft ihn keineswegs. 
Als die beiden Abgejandten der Stadt fi) im Juli zur DQTagfahrt 
nach Neval aufmachten, erjchten die Gemeinde vor dem Nat und legte 
jenem ans Herz den „Herrn Hermann wieder zurüdzubringen, denn 
lie wären nicht gewillt, das Wort Gottes länger zu entbehren.“ 

‚sn langer Rede legte Lorenz Lang bier in Neval die Bejchiwerden 
Dorpats gegen ihren „gnädigen“ Gern vor, wies nach, wie jie in 
ihren Rechten und Freiheiten gefränft worden und bat Die andern 
Städte um; Rat und zuverläflige Hilfe: Ber Nigas Sendboten fanden 
dDieje Stlagen lebhaften Anklang: „Sei es doch“, führte Jürgen König, 


der Nigischen Bürgermeifter, aus, „am Tage, daß ©. Fürftl. Gnaden 
das göttliche Wort und all deilen Anhänger aufs äAuferite verfolge, 
anfechte und verjage, bet welchem Wort die ganze Stadt Riga zu bleiben 
und es mimmer zu verlaffen gedenfel” Much Neval, das jeine gute 
Geftinnung Dorpat jchon bewiejen, jtimmte bet: einmütig gaben daher 
beide Städte zur Antivort, man müfje den Weeifter bitten, daß er dem 
Bilchof vorjchreibe den „verbrieften Zujagen Genüge zu leiten“. 
Dorpat jolle ruhig auf fie rechnen, fie wirden ihm, vor allem in 
Sachen des hl. Evangeliums, beiftehen. Alle drei Städte einigten fich 
fomit und befräftigten den Bund, das Cvangelium „mit Leib umd 
Hut nicht zu verlaffen”. Zwer Tage darauf, am 19., fand dann die 
gemeinjfame Sigung mit den Nitterichaften ftatt, als deren Xeiter 
jpiederum Sürgen Ungern evjcheint. Doch che die Städte fich zur Be 
ratung über die Streitigkeiten zwtichen der Dejelichen Nitterichaft und 
sohann Kievel bereitfinden ließen, legten fie den Nitterichaften ihre 
Neligionseinigung vor und fragten, was fie zu thun gedächten. 

Das gab auch dem Adel Gelegenheit zu einem offenen Bekenntnis 
für Luthers Lehre. Nach eingehender Verhandlung gab Kürgen Ungern 
namens der Nitterichaften zur Antwort: „Samt und jfonders wollten jte 
dem hl. Evangeliv göttlichen Worts nach Inhalt des neuen und alten 
Teftaments beipflichten und dazu ein jeder Stand diejer gegenwärtigen 
Bereinigung bei dem anderm im Bekenntnis jolchen göttlichen Wortes 
Leib und Gut einjegen.“ Mit warmen Worten der Anerfennung an 
Niga, das zuerjt in den Landen die Offenbarung des wahren Gottes- 
worts angenommen, jchloß der Nedner. 

seßt erjt wandte man fich der Dejelfchen Streitfrage zu. Bitrger- 
meilter König fand, wie Dorpat gegenüber, fo auch hier das Wort 
maßvoller VBerftändigung: exit jolle man dem Meister um jeine Wer- 
mittlung bejchiefen, habe dieje feinen Erfolg, jo jei es an der Zeit, 
„Ihärfere Mittel” anzıumenden. 

Diejelbe Bejonnenheit zeigte die VBerfammlung, al® Dorpat am 
Schlufje nochmals feine Lage zur Sprache brachte und 200—250 Kinechte 
gegen Blanfenfeld erbat. Wiederum lautete der Bejcheid, die Stadt 
möge erjt jich bemühen eine friedliche Einigung zu erzielen, gelänge 
dieje nicht, dann wife fie, wo fie Hilfe finden wide. 

Auch in der noch immer unerledigten Bombower'schen Angelegen 
heit zeigte jich eine erfrenliche Einigkeit. Alle Stände billigten Nigas 


> 


Vorgehen, da fie fich geweigert den Mönch dem Erzbischof auszuliefern, 
der ihn vor fein geistliches Gericht zu Ttellen verjprochen hatte. Yaut 
Iprach Claus Bolle, der Sprecher der harrtich-wiertichen Nitterichaft, 
„daß diefe Lande dem geitlichen Banır nicht leiden wollten; wer Banı- 
briefe ins Land bringe, habe verdient, daß man ihn in einen Sad 
Iteefe und über die Seite bringe.” Mean beichloß, Niga jolle Bom 
hower, der jein Leben verwirft habe, verwahren, bis der nächite all 
gemeime Landtag den Hochverräter aburteile. 

Alto Ichted man scheinbar in beiter Eintracht, man ahnte nicht, 
daß das Bildnis der Nitterichaften und Städte vor jeiner Auf 
löjung jtand. 

Kaum hatten die verichiedenen Abgejandten Neval verlafien, jo 
trat hier die Frage wegen der Domintfaner wieder hervor. Der Nat, 
der in Erfahrung gebracht haben wollte, daß die Mönche Kleinodien, 
Geld, Schuldbriefe und Korn verborgen hielten, Ließ ihnen Weifung 
zufommen, innerhalb Wochenfrist ein Verzeichnis anzufertigen. Diejer 
Befehl ließ fie Schlimmes ahnen: heimlich begannen fie einen Teil 
der Wertjachen bei Seite zu schaffen, aber die Späher des Rats hatten 
gute Augen; plöglich erjchten eime jtädtische Abgelandtichaft im Stlofter, 
nahm jelbjt ein Smventar auf und ließ die aufgefundenen Gegenstände 
aufs Nathaus bringen. 

Es ijt charakteristisch und beweilt, daß troß der Nevaler Tag- 
fahrt ein gut Teil der Harriich-wierischen Nitterjchaft noch Fatholüch 
war, ja daß jelbit die Evangelischen in ihr die Angriffe auf die Kiöfter, 
monderheit das Nungfranenflofter von St. Michael, das namentlic) 
mit jüngern Töchtern des Adels bejeßt zu ein pflegte, nicht billigte, 
daß die in größte Bedrängnis verjeßten Nevaler Dominikaner jih an 
die Harriich-Wierijchen wandten. Im der That führten auch diefe 
ihrerjeits bei Plettenberg lebhafte Bejchiwerde. 

Und faum einen Monat nach dem Tag von Neval, am 25. Auguft 
1524, jchrieb der Meifter infolgedeffen an ven Nat der Stadt, 
tadelte jein Borgehen und ftellte das Berlangen daß den Mönchen 
ihr Eigentum zuricgegeben werde, die „verlaufenen Stlofterjungfrauen 
jeien an die Abtiffin zuritckzuftellen, diejenigen, welche fie zu fich ge- 
nommen, gebührfich zu jtrafen, auch den Predigern jet zu gebieten, daß 
fie die Jungfrauen und Mönche in ihren stlöftern unverloct ließen, 
damit Zwietracht und Uneinigfeit verhitet und nicht erregt werde,“ 


. Das Schreiben des Meifters, in erufter Freundlichkeit gehalten, 
zudem ohne irgend welche Angriffe auf Luthers Lehre, hatte gewiß 
in manchen Stücen durchaus Necht: e8 waren wirklich Übergriffe des 
Nats, wenn er fich ohne Zuftimmung des Adels Klojtergut aneignete, 
das diejer in früheren Zeiten gejtiftet, oder wenn er den Stlojter- 
gottesdienft, an dem der Adel teilzunehmen pflegte, einfach unterjagte. 
Noch ein Moment tft im Ange zu behalten, wenn wir das Verhalten 
des Adels ganz verjtehen wollen:!) Troß der Sympathie, die vielfach 
bei ihm für das Luthertum bejtand, erhoffte er die Löjung des 
firchlichen Streit (al8 ob eS nur ein jolcher gewejen wäre!) von 
einem Konzil der allgemeinen Chriftenheit — bis dahin jollten Die 
alten Formen wohl mit neuen Geift erfüllt, äußerlich aber aufrecht 
erhalten bleiben. Gewiß waren das Utopten, aber fie wırden nicht 
nur in Livland gehegt 

Sn Ddiefer fritilchen Lage find es die Prediger der Stadt ge- 
wejen, die den Ernjt Dderjelben jchneil erfannten und, während der 
Pat noch zügerte, zur That jchritten. Offenbar direkt unter dem Ein- 
drucd des Wlettenbergichen Schreibens, das ihnen bei der Erregung 
der Tage als ein unglaublicher Eingriff vorfommen mochte, bejchlofien 
fie, Sohannes Lange an der Spige, durch Ausarbeitung einer fejten 
Gemeindeorgantfation umd Stirchenverfaffung den Evangelischen Halt 
und Kraft zu geben: „Dem alten verbrieften Necht“, it wohl mit einer 
gewwifjen Einfeitigkeit, wenngleich mit richtiger Hervorhebung der hijto- 
rischen Notwendigkeit gejagt worden, wurde von den Predigern das 
neue Necht der aus dem Glauben geborenen Gemeinschaft in jeiner 
ganzen Ausichlieglichfeit gegemübergejtellt.“ 

Am 3. September trat der Nat zujammen, um die Borjchläge 
der Geiltlihen in Erwägung zu ziehen, doc vermochten die Nat- 
mannen nicht gleich zu einer Entjchetdung zu fommen, namentlich ber 
Borjchlag, die Gejchmeide und Sleinodien der „abgüttischen Bilder“ 
zur Stiftung einer Gemeindefafje, des „gemeinen Sajtens“, zu ver 
wenpen, jcheint ihnen doch zu weitgehend erichienen zu jein. Schon 
aber gab e8 fein Zurüc mehr: der VBorjchlag der Prediger war der 
Menge fein Geheimnis geblieben, als feine jofortige Enticheidung ex 
folgte, brach Sich der angefammelte Ingrimm gegen das „papiftiche" 


1), ef. TH. Schiemann, Rußland, Bolen und Livland. II. pag 208 ff. 


— 280 — 


Teen gewaltfam Bahn!). Die erbitterten und erhißten Gemüter 
fühlten fich gegen den Meifter und den Adel in völligem Necht und 
wiefen die vermeintliche Einmischung in einer Weife zurück, die den 
Nat rasch darüber die Augen öffnete, daß man in Gefahr ftand in dentago- 
aqliches Fahrwafjer einzubiegen: am 14. September, einem Mittwoch, brach 
in der Stadt ein Bilderfturm aus, der schwere Berwüftungen anrichtete: 
der fanatische Pöpel, wohl durch Matrojen und dunfles Gelichter ver- 
ftärft, — Herr Ommes heißt er bezeichnend in einer Aufzeichnung — 
ftirzte fich auf die „abgöttifchen“ Bilder und Altäre der Kofterficche, 
dann auf die der hl. Geift- und der Dlai-ftirche, plünderte und zer- 
triimmerte, was nicht niet- und nagelfeft war umd jchleppte Mteige- 
wänder ımd heilige Gerätichaften, Leuchter md SKoftbarfeiten fort. 
Nur die Nikolaificche entging der tummltuöjfen Bewegung, gegen Die 
der Nat bereitS am folgenden Tage, in der richtigen Einficht, wen er 
nicht jofort fich an die Spibe ftelle, könne er die Führung verlieren, 
mit ganzer Energie eimschritt. Ein fategoriicher Befehl erging am 
15. September an jedermann, „geiftlich oder weltlich, Ddeutich oder 
undeutich, jung oder alt“, alle aus den Kirchen verjchleppten Gegen- 
ftände unverzüglich beim Nat einguliefern: „Sonft will man diejelben 
fir Diebe Halten und ernftlich richten überall und bet wem auch) 
jolcherlei angetroffen wird.“ 

Freilich die Herftellung der alten Formen wies der Nat weit 
von fich, vielmehr erklärte ev am jelben Tage, daß alle diejenigen, die 
Botivtafeln, Bilder oder Ähnliches in der Nifolaitirche hätten, die- 
jelben bis zum nächiten Sonntage abbrechen Lafjen müßten, gegen eigen- 
mächtige, bilderftiürmische Übergriffe aber würde er mit Nachorud 
vorzugehen wifjen. Keine Frage, der Nat bejak volle Autorität, jeden 
weitern Aufruhr niederzufchlagen, war aber im Herzen froh, durch die 
Selbfthilfe des Volkes einen großen Schritt vorwärts gefommen zu 
fein. E38 war nur fonfequent, wenn er num zu einem entjcheivenden 
Schlag gegen die Mönche ausholte: indem ev fih auf den Stand- 
punft Stellte, das fein Auffichtsrecht über das Kloster eigentlich ein 
Eigenthumsrecht der Stadt in fich Schließe, nahm er die Neviftionen 
bei den Dominifaneın wieder auf. Dieje waren durch die Vorfälle 

') Sriedr. Bienemanı (sen.) Kritiiche Bemerkungen. Gitungsb. d. U, ©. 
1857 pag. 108 ff. 


de8 14. September naturgemäß gleich ergrimmt wie bejorgt: „Sie 
jagten freilich, heit e8 in eimem draftiichen Brief aus fatholiichem 
Lager, die Spolterung der Kirchen durch Herrn Ommes gejchähe aus 
SHöttlichem Eifer, aber meine Großmutter jagte, Gott würde jolche 
Näuber und Eiferer fchredlich trafen, da fie vom alten Glauben ab- 
gefallen wären.“ Wer will es den Ichwarzen Mönchen verdenfen, daß 
fie troß des früheren Verbots von Dokumenten und Wertgegenständen, 
joweit jte nicht eben auf dem Nathaufe lagen, zu bergen verjuchten, 
was irgend möglich war. 

In Janıar 1525 beichloß hierauf der Nat auf Antrag der Alter- 
leute diefem Treiben em Ende zu machen und die Domtntfaner aus 
der Stadt zu werfen. Es jebte beivegte und heftige Szenen: der Brior, 
der Subprior und PBrofurator wırden, da fie fich weigerten, über den 
Verbleib des vermißten Klofterinventars Ausjage zu machen, gefänglich 
eingezogen, em Mandat des Nats erklärte jeden, der aus dem Klofter 
irgend etwas „aus treuer Hand oder Jonft wie” empfangen, für einen 
Dieb md Hehler, wenn er es dem Nat nicht ausliefere, und es dauerte 
geraume Heit, bis die Drei ins Gewahrjam gebrachten Mönche be 
fannten, was man zu voijjen begehrte: ausdrücklich aber gaben jte die 
Erklärung ab, daß mr die Furcht vor einem Überfall des Softers fie 
beivogen habe, ihre Habe zu retten. Dann folgten jte ihren Genofjen, 
die der ungaftlicden Stadt den Niücken gefehrt hatten und nad) Bork 
holm, dem Schloß des Biihofs von Neval, gegangen waren. 

Wit dem Jamtar 1525 war der lebte Net katholischen Wejens 
bis auf die Nonnenklöfter — verjchwunden, mit ihm aber auch die jchon 
jeit dem August Stark erjichütterte Eintracht zwilchen Neval und der 
harrifch-wierischen Ritterjchaft, die den legten VBorfällen unmöglich gleich 
giltig zujehen konnte, zu Ende. Neue Klagen beim Meifter gegen den Nat 
waren die Folge. VBergeblich bemühte ich die Stadt, durch weitgehende 
Miäpigkett das Auferfte zu verhiten; er gebot am 19. Mäyz in einem 
Mandat „einen höfichen Mund zu haben auf Fürften, Herrn, Gute 
mannen, Näte und Städte, auf Frauen md Nungfrauen“, unterlagte 
am 2. April, gewiß um Neibungen zu verhüten, den Städtiichen den 
Beluch des fatholischen Gottesdienites im Dom und erklärte endlich: 
„E. E. Nat läßt auch insgleichen gebieten, daß ein jeder fich des Jung 
franenklofters enthalte und fich um die Sungfrauen dajelbit ohne Willen 
und Zırlaß ihrer Eltern oder nächjten Freunde nicht Fiimmere, auf daf 


989 


ein jeder unbejchuldigt und der hieraus zu bejorgenden Mühe und Ver- 
orufies entlaltet und überhoben bleibe“. 

‚a, die Bejonmenheit ging vielleicht weiter, als es unjerem Gefühl 
entjpricht, wenn auf ein Schreiben Wlettenbergs der Nat noch mehrere 
Sahre Später (20. April 1527) behauptete, die Nevaler wollten feine 
neue Religion, auch nicht lutheriich fein, jondern nur eine Neinigung 
ver alten Lehre! Den Bruch mit dem Adel aber machte — das sollte 
bald Allen Kar werden — fein Schritt der Stadt mehr riifgängig, es 
jet denn die Verleugnung der legten beiden Jahre. 

snmitten der freberhaften Erregung des Bilderfturms und der 
Ausiwerlung dev Mönche gelangte die Stadt zu einem Gut, das ihr 
mehr wert jein mußte, als das Bindnis mit den Nitterichaften, zu 
einer Firhlichen Organisation, die fait einzigartig dasteht und an 
den Genfer Sirchenftaat gemahnt, den der gewaltige Calvin er- 
richtet hat.) 

Der Antrieb zu Dderjelben ging von Sohannes Lange, Hermann 
arjoiw und Zacharias Hafje aus, die mit der Wucht ihrer einfluß- 
reichen Berfönlichkeiten in den fturmbewegten Tagen, da fich die Spreu 
vom Weizen jonderte, für Luther einzutreten ich verpflichtet fahen: als 
„die Drei evangelischen Prediger“ der Stadt übergaben fie, wohl am 
17. September 1524 dem Nat einen „Entwurf chriftlicher Ordnung 
im Eircchlichen Regiment“, der, in jeinen Grundzügen der uns nicht 
mehr überlieferten SKtirchenverfaflung Nigas gleichend, darauf hinaus- 
lief, daß an die Spite der Kirchengewalt ein Superintendent oder 
Bajtor trete umd zum andern, daß aus dem ehemaligen fatholichen 
Stirchengut und frommen Stiftungen ein „gemeiner Klaften der Armen“ 
errichtet werde. Der „oberite Baftor“ jollte von Nat und Gemeinde 
gewählt und emmgejegt, innerhalb jeines Amtes aber vollfommen jelb- 
tändig jein „Soweit er jein Thun vor Gott und jedermann zu verant- 
worten weiß“. Auspritcklich hebt der Entwurf hervor: „er allein je 
der Oberite in allem firchlichem Regiment, auch über den andern Baltor 
in der andern Nfarre; der thue oder hebe nichts an ohme Willen md 
Wiffen des erwähnten oberjten Bajtors. Denm- zwei Häupter im einer 
Hemermde fünnen nicht wohl einträchtig vegieren“. 

Der Nat und die Gemeinde ftimmten freudig zu und jchon am 


!) ef. für das Folgende Fr. Bienemann. 1. c. pag. 33ff. 


— 293 — 


19. September erfolgte Die Wahl Kohanmes Yanges, „des erfahrenen, 
wohlgelehrten Herrn, vormals Predigers zu St. Klaus" (St. Nikolai) 
zum Superintendenten, damit ev zu Gottes Ehre und der Gemeinde 
Beilerung alfo wirfe, „wie er vor Gott und jedermann davon Nede 
und Antivort zu geben gedenfe*. 

Kicht leichten Herzens hat Kohann Lange dem Wunfche jeiner Mit- 
bürger woillfahrt, denn ernfte, jchwere Arbeit jtand ihm in jeinem 
neuen Ynte bevor. War doch noch vieles Flüjftg und bedurfte 
praftiichen Bliss und warmberzigen Eifers, um zu gutem Fortgang 
und feiten Formen gebracht zu werden. Nedlich hat er an jeinem 
Teil am Werf mitgethan, fir Schule und Armenpflege, Kirchen- 
ordnung und Gemeindeleben jeine ganze Kraft eingejegt, bis ein früher 
Tod ihn Schon 1531 abberief. 

Böllig getrennt von Diejer jeelforgeriichen Obergewalt — den 
Spiritualien — waren die Temporalten, die Berwaltung des Kicchen- 
guts umd des gemeinen Staltens, für den bald der andere Name 
„Sottesfaften” auffam; Ddiefe unterjtanden einzig und allein dem Nat 
und den Gilden, aljo überhaupt der Gemeinde, höchitens, daß der 
Superintendent Borjchläge im Firchlih ökonomischer Hinsicht machen 
konnte. 

Wollen wir die grundlegende Bedeutung der lwländichen Kirchen- 
ordnumgen — denn auch Riga hatte eine der Nevals ähnliche — 
ganz fallen, jo müllen wir uns vor Augen halten, dal die abjolute 
Trennung von Spiritualten und QTemporalien, wie ferner das Ant 
eines oberjten Baltors zu Dderjelben Zeit im Meutterlande noch völlig 
unbefannt war, alfo auch hierbei die ferne Kolonie jenem den Nang 
abgelaufen hat. — 

su jelben Jahre gelangte auch auf der Anfel Dejel der lang 
währende Streit zwiichen Bischof Sohann Ktiewel und der Nitterichaft 
zu einem Ausgleich, der Fir die Zukunft der neuen Lehre das Bejte 
zu verjprechen jchien: im Dezember 1524 erließ der Bilchof zu Hapial 
das befannte Stieweliche Privilegtum, in dem er dem Adel zuficherte: 
„Wir find wohl damit zufrieden, daß das gnadenreiche Wort Gottes, 
das heilige Evangelium nach Yaut und Inhalt des Alten und Neuen 
Teftaments jonder Menschenfaßung, jo wie Chriftus jelbit und feine 
Apoftel es gelehret, unverfälicht geprediget und gelehret werde. Wir 
wollen auch nach all unjerm Vermögen danach streben qute PBajtore 


=” 


für die Stirchjpielsfirchen anzuordnen, welche den Bauern den chrift 
lichen Glauben lehren und das heilige Evangelium predigen.“ Und 
doch, troß diefes Entgegenfommens des toleranten Prälaten war der 
Fortgang der Reformation auf dem Etland fein erfreulicher: vielleicht gerade 
weil er joweit entgegengefommen, nahm man in vielen Streifen an den 
alten Kirchenformen feinen übergroßen Anftoß. Das Unglücf wollte 
es, daR von den Nachtolgern Ktiewels Bırhöwden ein jtreng fatholischer 
Mann var, und dejlen Suzzeflor oh. Minchhaufen ich wenigstens 
jo Stellte, al® vb er der alten Stirche mit Leib und Seele anhinge; 
dazu fam, daß die Prediger nicht Jelten ihrem hoben Beruf fich wenig 
gewachjen zeigten und das Anjehen ihres Amtes jchädigten, furz es 
trat ein Zuftand ein, „wo die alte Kirche nicht mehr und die neue 
Kirche noch nicht herrichte.* Exit eine spätere Zeit Sollte hierin 
Wanpdel schaffen. 

Am umerquiclichhten waren die Erjcheinungen, die das Eindringen 
dev Neformation in Dorpat begleiteten, ja die Tumulte, die in Niga 
und Neval nicht ganz gefehlt hatten, nahmen in der Embachitadt einen 
höchjt bevrohlichen Charakter an. Es it Melchior Hoffmann, der 
stürichnergejell aus Schwäbiich-Hall, an dejjen itblen Namen die 
Dorpater Borgänge anknüpfen). Bereits 1523 war diejer unruhige 
Heift nach Livland gefommen und hatte in Wolmar feine Predigten 
gegen die papitiichen Greuel begonnen; doch die Katholiichen waren 
in der Übermacht, bedrängten ihn hart und jegten ihm ins Gefängnis. 
Er konnte noch von Glück jagen, daß man ihn schließlich aus der 
Stadt wies, aus der er num Mitte 1524 feinen Fuß nad Dorpat 
weiterjeßte. Miochte er doch in Ddiefer Stadt, in der Hermann Wartor 
nicht ohne Erfolg gepredigt, Doch vor Dlanfenfelds Nachjtellungen nach 
eval hatte flüchten miühjen, auf fruchtbaren Boden rechnen und — 
er täufchte fich nicht. I kurzer Zeit — im Herbit war er eingetroffen — 
erwarb er Jich gewaltigen Anhang, jene phantaftiichen Wredigten, tn 
die Sich wohl jchon wiedertäuferiiche Klänge mischten, erregten Die 
Birgerichaft und steigerten die Bewegung bis zum Aufruhr und 
Bilderfturm. Der Bogt des Bilchofs, Veter Stadelberg, glaubte — 
es war in den erjten Tagen Anno 1525 — mm nicht länger zugern 

') 9.18. Böthführ: „Einige Bemerkungen zu Sylveiter Tegetmeyer’s 
Tagebuch” in Mitteilungen XIII. pag. 61 ff. 


— 25 — 


zu Ddiirfen, ev ließ nach dem Urheber fahnden, aber ohne Crfolg. 
Durch die Stadt aber flog die Kımde, Hoffmann fer in Gefahr und 
fanatifierte die Menge zu immer neuen Ausschreitungen, bei denen die 
jungen SKaufgefellen ihren Mann jtanden. Cs fam am 10. Januar 
zu eimem blutigen Zujammenftoß zwiichen Birgerjchaft und Wache 
und Todte deeften den Plat. Das vaubte dem Bolf den Nejt der 
Befinnung, es erbrach die Kirchen, jchlug die heiligen Gerätjchaften in 
Trümmer umd zerichmetterte die Heiligenftatuen.  YXaut gellte Die 
Sturmglode durch die Straßen, man fuhr jchweres Geichüs gegen 
das Schloß auf, nahm Nevaler LYandsfnechte in Sold — das äußerjte 
ftand vor der Thür. Da, im legten Augenblie übergab Stadelberg 
das Schloß der Verwaltung des Stapitels, der Nitterichaft und des 
Nats, fie jollten es wohl verwahren, bis der nächjte Yandtag ent- 
Ichteden, was gejchehen jolle. 

Wen traf die Schuld, daß es joweit gefommen, day Dürgerblut 
gefloffen war? Waren e8 die allgemeinen Berhältniife? War es 
Dlanfenfeld oder Hoffman, die beide eraltierte Geilter waren? 

Die Stände, die dem Bijchof wenig gewogen waren, gaben diejem 
faft insgefamt Unrecht und ließen fich nicht beruhigen, als der Meifter 
ihn als unbeteiligt zu entjchuldigen juchte. So jteigerte Jich die gegen 
jeitige Erbitterung und während die Stände die Herausgabe des 
Schlojjes verweigerten, erklärte Johann Blanfenfeld die Dorpater für 
offene Feinde, denen er freies Geleit verjagen mülle. 

Freilich dachte fein vernünftiger Menjch daran, die Bilderjtiinerei 
in der Stadt zu veraivigen und der Nat beichloß daher den als feu 
rigen Sanzelvedner wohl befannten Sylvelter Tegetmeyer eimzuladen, 
aus Niga herüberzufommen und in Dorpat zu predigen. Man jandte 
deshalb den Stadtjefretäv Jochtm Safje ab und diejer fehrte mit Teget 
meyer am 1. Februar 1525 wohlbehalten heim. Tegetmeyer aber pre 
dDigte vor vielem Bol vier Wochen hindurch in der Kohanniskirche und 
bejtinmmte die Gemüter zur Einkehr und Ruhe Hoffmanns jchonte ev 
nicht und jeßte ihm jo jcharf zu, daß jener Dorpat auf Wunjch des 
Nates ingrimmig verließ und nach Niga abreifte. 

Eigentünlich berührt e8 auf den evjten Blick, daß er bier von 
stopfen und auch bei dem Anfang März wieder nad) Niga kommen 
den Tegetmeyer nicht unfreundliche Aufnahme fand, was id) wohl mr 
jo erklären läßt, daß er jelbjt noch zwischen der Iuthertichen Lehre und 


= Beh, 


wiedertänferischen Tendenzen jchwanfte und leßtere in Riga in den 
Hintergrund treten ließ. Es wird uns die Haltung der Nigtichen Ne 
formatoren umjoweniger Wunder nehmen fünnen, als wir jehen, daß 
jelbjt Luther und Bugenhagen, zu denen Hoffmanı im Sun 1525 
nach Wittenberg fam, ihm wohlwollend gegemübertraten. Er jtattete 
ihnen genauen, aber gewiß jehr einjeitigen Bericht ab und beive Männer 
jchrieben nach Livland Briefe, aus denen der Vorwurf, daß die Yiv 
länder nicht Frieden unter einander gehalten, nicht undeutlich durch- 
flingt: „Es ift aber, heißt es in Luthers Brief vom 17. Sun 1525, 
fur mich (ge)fommen durch vedliche Zeugen, wie daß Notten und Zwey- 
ung fich jollen auch unter euch anfahen daraus, daß etliche eur Pre- 
diger nicht einbellig Lehren und handeln, jondern einem teglichen jein 
Sinn und Furnehmen das bejte dunft. Und will des nicht ubel gläu- 
ben, weil wir zu denfen haben, es werde mit uns nicht bejier jet, 
denn e3 mit den Gorinthern und andern Ehriften zun Zeiten St. Bauli 
war, da auch Motten und Spaltung im Bolf Ehriftt jich vegten. Wie 
denn St. Paulus jelbjt befennet und jpricht: (1. Cor. I, 19) Es müfjen 
Notten oder Secten jeyn, auf daß Die, jo berührt find, offenbar werden. 
Denn der Satan hat nicht genug dran, daß er der Welt Zurjt und 
Gott ift, er will auch unter den Kindern Gottes jeyn, Siob 1, 9: 
ee a umbbher wie ein brullender Lewe, jucht, wen er veriplinge. 

1. Betr. 5 (8)*. Da Luther gejtattete jogar, daß Hoffmann jeinem und 
Ener Schreiben eine eigene Eptitel „der Chrijtlichen gemeyn 
zu Derpten ymm Lieffland“ anfügte, welche freilich von den jpätern 
Sodeen Hoffmanns nichts verrät. 

Täufchet nicht Alles, jo it e8 der Saframentsitreit Yuthers mit 
dem zu Ertremen neigenden Garlitadt gewejen, der Hoffmann endgiltig 
von. dem großen Neformator jchied ud ihm zu den phantastischen 
Münzerjchen polen führte, im Herbjt 1525 auf 1526 muß jich der 
dauernde Umschlag vollzogen haben. Wo er fich während Ddejjen auf- 
gehalten, it nicht befannt, das jteht jedoch Feit, daß er zu Prrngiten 
1526 abermals in Livland und zwar tn Dorpat auftaucht, Jich chein- 
bar mit jeinem Stiürjchnergewerbe abgtebt, im Stillen aber eifrige und 
ruhige le treibt, und jeine verivorrenen Anfichten über Prä- 
dejtination, Beichte und Abendmahl, Bilderdienjt und den legten Tag 
in geheimen Stonventifeln verfocht. Er fand die Malen noch immer 
in Gährung und die Erinnerung an den Tummlt am 10. Januar 1525, 


— 2897 0 — 


bei dem den Domherrn übel mitgejpielt worden, noch lebendig.') Der 
Boden war alfo vorbereitet und Hoffmann, das läßt ich nicht leugnen, 
ganz der Mann, um die Menge zu gewinnen und fortzureigen: 

„Belaß er Doch, wie fein neuejter Biograph hervorhebt, jene rüc- 
jichtsloje Entichiedenheit des Auftretens, jene jtürmiiche Leidenschaft, 
welche, gepaart mit einer hinveißenden Macht der Rede und gehoben 
durch körperliche Borzüge, ihn zum volfstümlichen Agitator in hohen 
Maß befühigten. Wo er auftrat, da jprach eben der Handwerker zum 
Handwerker und jeine populäre, jchlagfertige Beredjamteit zündete mehr 
als die regelrecht zugejchnittenen Predigten vieler Zunfttheologen, und 
die begeifterte Hingabe, mit der er für jeine deen eintrat und zum 
Märtyrer wurde, machte größern Eindrud, als die jtudterten Theologen 
es vermochten, welche für Geld predigten und immerhin durch etie 
Suft vom Bolt geichieden waren. Dazu imponierte er Durch jeine 
große Bibelfenntnis dev Miafje, welche mit tiefer Aufmerkamteit jeinen 
im Geivande tiefjinniger Spekulation auftretenden Lehren, jeiner der 
ganzen Schrift jcheinbar gerecht werdenden GEregeje und jeines erniten, 
auf die Kürze der noch vorhandenen Gmadenzeit hinmwerjenden Buf- 
predigt laufchte. Ber allem Schwärmertjchen, was ihm anbaftete, muß 
anerfennend jeiner unbedingten Hochachtung vor der hl. Schrift hervor- 
gehoben werden. Der zuverfichtliche Glaube, mit allen feinen Ansichten 
auf dem Boden der Schrift und zwar der ganzen Schrift zu Stehen, 
war die Wurzel jeiner Straft. Zudem jteht Hoffmann durch Die In- 
tegrität jeines Lebenswandels in allen Bhajen jeiner Entwicklung groß 
und achtungsiwert da“. 

Als er am Frohnleichnamstage (31. Mai) predigte, vedete er mit 
jolchem Fanatismus, daß jeine Anhänger bereits zum Irgiten beveit 
waren — nur ihre geringe Zahl Kieß ste noch warten. Doc am 
nächiten Sonntag brachen die mühjam errichteten Schranken nieder: 
eine wittende Weenge wälzte fich in die Mearienkirche und stellte Hoff 
manı auf die Kanzel, dann demolierte man die Kohannisfirche, das 
Dommmifaner- und Niinmoriten-stlofter, trieb die Mönche heraus md 
„befreite“ die Nonnen des hl. Franzisfus. Die Klöfter wurden bier 
auf, um fie ihrem frühern Beruf von Grund aus zu entfremden, zu 

!) gur Linden: Melchior Hoffmann. Referat von 9. I. Böthjühr. 
Sißungsber. d. WA. ©. 1557 pag. 111 ff, 


a 


jehr weltlichen Zwecen in Anjpruch genommen, man machte fie zu Ktalf- 
Öfen umd zu einem Zeughaus. Einmal im ZJuge plimderte Herr Ommes 
auch die russische Kirche und Die Behaujungen der rujjischen Kaufleute, 
dann die Domfirche und die Wohnungen der Domberrn. Entjeßliche 
Berwültung herrichte, wohn das Auge jchaute! Es dauerte denn aud) 
geraume Zeit, ehe Die Wogen Jic) glätteten, die Hoffmanns unbejon 
nenes Treiben jo hoch hatte gehen Lafjen. 

Seltjamer Weile verjchiwindet der Agitator bald völlig aus Yıiv- 
land. sn Dorpat jchien ihm auf die Dauer der Aufenthalt unvätlic) 
und unficher; nachdem er jene Anhänger ermahnt, ihm treu zu bleiben, 
wandte er der Stadt den Nücen. 

Sturze Zeit hat ev in Neval gewetlt, dann jeßte er den Wanpder- 
Itecfen weiter nach) Stocdholm, wo er nach jeinen eignen Angaben eine 
Zeitlang Prediger der Deutjchen war. Doc auch hier war jeines 
Hleibens nicht, verfolgt md angefeindet veifte er nach Holitein. Dann 
taucht ev wie ein serlicht im Dem witjten wiedertäuferischen Treiben 
in Meinster auf, verjchtwindet abermals, um endlich 1540 in Straßburg 
im Gefängnis jein verfehltes Leben zu bejchließen, von dent ein Ge- 
Ichichtsichreiber nicht unzutreffend gejagt hat, ev habe es wie ein Eifrer 
begonnen, wie em Träumer fortgejegt und wie eim betrogner Thor 
geenpdet. 

Doch che das abermalige Erjcheinen diejes Schtwarmgeiftes Dorpat 
in Unruhe verjeßte, waren andere, wichtige Dinge in unjerm Yand vor 
fich gegangen, die den innerlich vollzogenen Bruch der Nitterichaften 
mit den Städten allev Welt offenbarten. 

Vor allem zwifchen Neval und der harriich-wierischen Nitterichaft 
Itanden die Dinge jeit Beginn 1525 zum Schlimmjten"), ja die legtere 
und. Jämtliche Ordensglieder in Ejtland hatten einer Anzahl Nevaler 
Birger Fehde angejagt, da diejelben „etliche Klojtergungfrauen allhier 
auf deren injtändiges Bitten und Belangen (sie!) zur Che gnommen“ 
hatten. Inmitten diefer Spannung erichien der Meifter im April tı 
Neval. Der Hochmeister hatte endlich in die völlige Abtretung Eit- 
lands gewilligt und Plettenberg verlangte vom Nat und der Birrger- 
ichaft einen neuen Huldigungseid, den jene unter der alten fatholischen 
Formel „als mic Gott helfe und feine Heiligen“ widerwillig Leijten 


!) ef. TH. Schtemann. Die Neformation Alt-Livlande. pag. 21jf. 


—_ 0289 — 


mußten. Nur die Namen der Prediger fehlten. Es jcheint nun, dab 
der Meifter feine Anwejenheit benust hat, um mit dem Adel direkt in 
Verbindung zu treten und diefen zum fürmlichen Rücktritt von der 
Wolmarer Einigung des Jahres 1522 vermochte; jedenfalls war Die; 
ielbe ein totes Blatt, als Anfang Juli 1525 der vom Metiter aus- 
geichriebene Landtag ich abermals im fleinen Wolmar aujanmen- 
fand. — 


Servaphim, Gejchichte I, 19 


16. Kapitel, 


Plettenbera im Wiverfreit der Parteien, 
„Per Prden mußte füh umgellalten oder 
untergeben.*  Sihirren. „Plettenberg. 

Wie hatten ich die Zeiten jet jenem QTage vor drei Jahren ver- 
ändert! Damals wollten die Brülaten Luthers Lehre verbieten, heute 
309g Sylveiter Tegetmeyer, der ftreitbare Prediger, mit den NRigtichen 
nac) Wolmar, um mit ausdrüclicher Erlaubnis des Meifters während 
des Landtages die hl. Schrift auszulegen. Damals jollten des Nefor- 
mators Schriften verbrannt werden, heute wagte es LYohmüller, der 
den Wind gut zu beobachten wuhte, eine heftige Schrift, „das Babit, 
Biichove und geiftlih Stand fein land und leuthe bejigen, vorjtahn 
umd vegiren miügen“, ausgeben zu lajjfen und fie direft dem Land- 
marjchall des Ordens, Johann Wlater gen. von dem Bröle, vor dem 
Zujammentritt des Landtages mit eimdringlichem Briefe zuzufenden. 
Der gewaltig um Sich greifenden Strömung vermochte eben feiner 
mehr zu wehren! 

Mit ernjter Sorge jah der Meifter in die Zukunft. Zu Harrien 
und Wierland, wo die 12 Artikel der deutjchen aufjtändiichen Bauern 
umliefen, gährte es, überall im Lande Uneinigfeit und Berbitterung 
und Erzbiichof Blantenfeld hochfahrender denn je! Wlettenberg hätte 
Tegetmeyer die Erlaubnis zur Predigt am Liebjten wieder entzogen, 
Doch eS ging nicht mehr an; jo ließ er ihm wenigitens jagen, er möge 
nur ja feinen Aufruhr machen, da jchon die Bauern wider ihre Herren 
aufjtänden, und als er erfuhr, daß Sonntags Tegetmeyer die deutjche 
Mefje jingen wolle, gab er dem Ordensschaffer Auftrag ihn anzugehen, 
er möge davon Abjtand nehmen, wolle ev aber frei predigen, „io 
fünnte S,; Gnaden das wohl leiden“. Und er predigte frei und frei- 
mütig, ohne Nücficht auf Sohann Blanfenfeld und den Nevaler 


— 291 — 


Bifchof Georg von Tiefenhaujen, die mit großem Gefolge ihren Ein- 
ritt in die Stadt gehalten hatten, ohne Menjchenfurcht, aber erfüllt 
vom Feuer der Begeiiterung. Seine Tertworte redeten eine bevedte 
Sprache. Wie mochte es die Menge Durchzuden, wenn fie von der 
Stanzel herab vernahm: „Es jtehet gejchrieben: mein Haus foll ein Bet- 
haus heißen, ihr aber habt eine Mördergrube daraus gemacht“, oder 
wenn der Prediger das erite Stapitel des Propheten Jejata ihr verdoll- 
metjchte und warnend und mahnend die Worte durch die Stirche 
langen: „Deine Fürjten find Abtriinnige und Diebesgejellen, jte nehmen 
alle gern Gejchenfe und trachten nach Gaben; den Watlen jchaffen jte 
nicht Necht und der Witiven Sache fommt nicht vor fie. Darum jpricht 
der Herr: ich werde mich teöften durch meine ‚Feinde und mich rächen 


duch meine Feinde... . . umd Dir wieder Nichter geben, wie zuvor 
IE), Ma.ET daß die UÜbertreter und Sünder miteinander zerbrochen 


werden umd Die den Herrn verlaffen, umfonmen.“ 

Solche Neden erbitterten aber auch die Katholtichen, vor allem 
die Harrifch-Wierifchen, welche die Schwenfung zurück amı energiichjten 
gemacht, aufs äußerfte. AUS Tegetmeyer am dritten Tage wieder die 
Stanzel beteigen wollte, fand er einen eifernden Dommtfaner auf der- 
jelben, dem die Edelleute geheien zu predigen. Doch Tegetmeyer lieh 
fich nicht verdrängen. „Steige ab, Bruder“, rief er ıhm zu, „ich wol 
zuerft predigen, predige Du hernach!" Dev Mönch willfahrte und 
Tegetmeyer begann die Auslegung des Propheten. Doch ein entieb- 
licher Tumult brach los, die Harriich-Wieriichen viifen den Prediger 
von der Kanzel, drohten mit geballter Faust und zieten die Meejjer 
und Dolche. „Du Berräter, Du Betrüger,“ hallte es durch die Kirche, 
„du willft uns bald um Land und Leute bringen. Deine Schalkheit 
Voll mn aufhören. By, pfo dy an!“ Wohl wäre es um den mutigen 
Mann geschehen gewejen, Hätte nicht ein gut evangelischer Ordens 
beamter die Wiltenden zurückgehalten und im Namen des Meetiters 
Nuhe geboten. Schon aber pflanzte jich dev Tumult auf die Straßen 
fort, Schon hatten die Katholischen eine große Trommel aus dem Schloß 
gebracht, um Alarm zu jchlagen — jollte nicht das Schlimmite ein 
treten, jo mußte Tegetmeyer die Kirche väumen. Umgeben von vielen 
Volt, z0g er hinaus auf den St. Antonienfriedgof md über die Gräber 
hin vief er den Feinden zu: „Was joll mir die Menge Eurer Opfer, 
Ipricht der Herr, . . . . das Nauchwert tft nv ein Gräuel . . . . md 

19* 


292 


wenn Ihr jchon Eure Hände ausbreitet, verberge ich Doch meine Augen 
vor Euch; und ob Ihr jchon viel betet, höre ich Euch doch nicht; denn 
Eure Hände find voll Blutes!" So redete er im heiligem Zorn umd 
gewann auch unter dem Ordensgefinde und den Bischöflichen viele An- 
hänger, den hohen Heren aber wurde bange und fie fürchteten, daß 
diefer Geift, der ihnen fremd war, fie alle verderbe. Als Tegetmeyer 
am folgenden Tage wieder predigen wollte, ließ ihm der Meijter daher 
jagen, um des lieben Friedens willen möge er einige Tage verziehen. 

Vie jtand es denn aber auf dem Yandtage jelbit, war hier „ver 
liebe Friede“ eingezogen? Mit nichten. Die Gegenjäße, jchon vor 
dem Landtage Scharf ausgeprägt, nahmen in Wolmar von Tag zu 
Tage zu: Hie jtanden die Städte dort Prälaten und die Durd) Die 
Ausschreitungen der Evangelischen zurücgeichredten  Nitterjchaften, 
zwifchen ihnen, aber mit deutlicher Hinmeigung zur zweiten Gruppe, 
Plettenberg. Hatte er doch im Auguft 1524 dem Wunjch Nigas, die 
Stadt unter jenen Schuß zu nehmen, evjt zügernd zugejtimmt, dan 
aber fich wieder dem Erzbiichof genähert und eine feite Stellung ein- 
zunehmen im Hinblie auf den Landtag Hinausgejchoben. Doch jcheint 
die Meinung bei den Städten itberwogen zu haben, Plettenberg werde 
nicht zögern, auf dem Landtag den Städtern zu Willen zu jein md 
fi zum alleinigen Herun Nigas machen; that er das, jo fonnte 
es als ficher gelten, dag Neval md Dorpat dasjelbe fordern — um 
wohl auch erlangen wirden. Man hatte um jo mehr Grund zu Diejer 
Annahme, als joeben im Ordenslande PBreufen die längjt erwartete 
Säfularifation eingetreten war und der legte Hochmeiter Albrecht von 
Brandenburg am 8. April 1525 den Ordensmantel niedergelegt und Die 
Herzogsfrone jich aufs Haupt gedrückt hatte. Warum jollte Plettenberg 
in Livland nichts Ähnliches wagen? 

Unter diefen Aufpizien verfammelten fich die Sendboten der drei 
Städte zu gewohnter Sonderverfammlung in Wolmar; Niga legte hier 
jeinen Wlan Plettenberg allein zu huldigen dar, Dorpat und Neval 
verjprachen Hilfe und Nat und Erneuerung der alten Freundichaft. 
Alfo geeint traten die Städter in den Landtag ein und zügerten wicht 
den Antrag zu jtellen, man möge den Erzbiichof von allem Negiment 
ausschließen. 

Und nun geihah das Unerwartete, der Meifter wies diejen Plan 
weit von jich umd befannte offen, ev habe mit den Biichöfen und 


Nittern ein Bündnis auf jechg Jahre geichloffen, in dem fie fich gegen- 
jeitig ihren Befiß gewährletiteten, alle gewaltiamen Neuerungen bis 
zu einem allgemeinen Konzil vertagten, und bejtimmten, daß GStreitig- 
feiten durch ein Schtedsgericht, in dem die Städte feine Stimme hatten, 
ausgeglichen werden jollten. Klöfter und Domfirchen jollten bei ihren 
Freiheiten und Gottesdienjt bleiben und aus dem Klofter entflohene 
Nonnen ihrer PBriorin ausgeliefert werden. Wegen des Dorpater 
Schloffes jollte binnen Jahr und Tag eine Einiguug zu Stande ge 
bracht werden, bis dahin fich aber alle Barteien in Auhe und Friede 
verhalten. 

Der Eindruck diejer Eröffnung, die jich Tichtlich gegen die Städte 
richtete, war ein niederjchmetternder und verblüffender. Eher hätten 
fie gemeint, daß Sonne und Himmel vergehen würden, denn daß der 
Meifter die Städte von fich weifen werde, rief Kohmüller aus. Dann 
aber protejtierten die Drei Städte, eher wollten fie Leib und Leben, 
Gut und Glück dahin geben, als in dieje Einigung willigen. Mit 
diefen Worten jchieden fie vom Meifter in der feiten Überzeugung, 
ihr Einfpruch werde den Bund jprengen. Doc es fam anders. Als 
die Städtischen in der Herberge derer von Niga beifammenjaßen „die 
Balethe zu trinken”, wurde ihnen eine Kopie des Nezefies in Die 
Hände gejpielt, der fie eines befjeren belehren mußte. Wie 1522 ohne 
die Brälaten, jo jollte jegt der Bund troß der Städte ins Leben 
treten: im Gefühl ihrer Macht hatten ihn die Genofjen unterliegelt. 

Bon neuem eilten die Stäpdtiichen zu Blettenberg, noch einmal 
(egten fie emergiichen PBroteit gegen den Nezeß ein, doch gemefjen 
lautete die Antwort PBlettenbergs: „Die Lande müfjen einig jein, warum 
jeid Hr es nicht mit eingegangen?“ 

E3 war ein schwacher Troft, wenn die Ordensgebietiger behaupteten, 
der Nezeß ei nicht wörtlich zu nehmen, er jei nur eine „verblumung“, 
um die Brülaten vuhiger zu jtimmen. 

Man hat den Wolmarer Gegenbund jegensreich fiir die Entwicd 
(ung der Neformation bei uns genannt, durch ihn jei überall in den 
Städten die Überzeugung durchgedrungen, weitere Erceffe wirden zu 
völliger Solierung führen. Es joll nicht geleugnet werden, daß Wahres 
in diefer Ansicht Liegt, Doch man hüte fich, die Wirkung der Einigung 
zu übertreiben und behalte im Auge, daß fie nur jehr kurze Zeit zu 
Kraft bejtand! Mean überjehe ferner nicht, daß die nächiten Monate 


Bl — 


ichon eine Berurteilung der bisherigen Politif und ein Abjchwenfen 
von Dderjelben zeitigten. 

och waren nämlich die Yandtagsboten nicht fortgeritten, als 
eine Gejandtichaft aus PBreußen anlangte, um dem Landtag aus- 
einander zu jeben, warum Marfgraf Albrecht den Herzogtitel ange- 
nommen habe. hr Führer war Friedrich von Heide, dem insgeheim 
der Auftrag geworden war mit Riga in preußichem Interefie zu 
unterhandeln. Die Preußen famen zum Landtag zu jpät, aber nad) 
einer Audienz bei Plettenberg trafen fie in Wenden mit den vier 
Nigischen Bürrgermeiftern zufammen und die legtern erinnerten jic) 
mit Zebhaftigfeit dejjen, daß bereits im vorigen Kahre der Herzog, da 
er noch Hochmeister gewejen, Sich der Stadt zu Schirm und Schuß 
erboten habe. Eifrig eriwiderte Heide, fein Herr wäre auch heute 
zu Gleichem bereit — dann jchied man von einander. 

War das, was Niga that, Verrat? Nac) den Anfchauungen 
jener Tage wohl jchwerlich. War doch die wländische Konföderation 
ein gar Locderes Band, Preußen zudem ein Teil des alten Ordens- 
(andes. Warum jollte Riga, das bei Plettenberg feine Hilfe gegen 
jeinen Todfeind Blanfenfeld fand, nicht bei dem evangelischen Herzog 
Nüchalt juchen? Auch Plettenberg wird eine jolche Nechnung mur 
für folgerichtig gehalten haben; jedenfalls zweifelte er nicht, daß er 
den preußischen Bejtrebungen nur dadurch die Spite abbrechen fünne, 
daß er feine bisherige Haltung aufgebe und Niga gegenüber einlenfe. 
Sofort fnüpfte er die zerriffenen Fäden mit der Stadt wieder an und 
ichnell wurde er mit ihr einig; freudig erkannte jte mit Ausichliegung 
des Erzbiichofs den Meifter als alleinigen Herrn an. 

Doch die Hoffnungen des Herzogs und jeiner Anverwandten in 
Livland Seide zu jpinnen waren einmal rege geworden und blieben 
es als ein Keim neuer Wirren — zum Unfegen des Landes! Für 
ven Augenblic Freilich traten fie völlig zurüd. 

Welch ein Wandel! diejelbe Stadt, die Freitag von Loringhoven 
erbittert befämpft, gegen die Plettenberg bei Neuermühlen gefochten 
— nun fam fte freiwillig zum Meifter. Und Plettenberg, verjelbe 
Meifter, der bisher die Stäpdte fühl zur Nuhe gemahnt, der die Wol- 
marer Einigung von 1522 gejprengt und Riga zurücdgejtoßen, Dder- 
jelbe, an defjen unbeweglicher Seele die geiftige Bewegung ohne Spur 
vorübergegangen zu jein jchten, — mun bot er Riga die Hand und 


ficherte ihm vücdhaltslos die neue Lehre zu. ES ging ein hörbares 
Krachen durch den alten Bau der Livländiichen Konföderation, als am 
21. September 1525 nach gethanem Eintritt in die Mauern der alten, 
jtoßgen Stadt der Meijter die alleinige Oberhoheit antrat und in denf- 
würdiger Urkunde der Stadt verjprad, fie zu erhalten „bei dem 
heiligen Wort Gottes und jeinem heiligen Evangeltio, das rein und 
flar verfündigt und angehört werden joll in der Stadt und im der 
Stadtmarf, nach Inhalt und vermöge der hf. biblischen Schriften 
Alten und Neuen Teftaments, dazu auch bei demjenigen, was in Kraft 
desjelben göttlicgen Wortes verändert, geneuert und aufgerichtet werden 
jollte, zur Ehren Gottes und der Seelen Seligfeit, wenn man es mit 
fräftiger, Heiliger, Elarer Schrift beweifen, wahr machen und verteidigen 
fünne und möge.“ 

Wer wollte leugnen, daß dies eine andere Sprache war, als jie 
Plettenberg bis jet geredet? Das Nad aber war ins Nollen ge- 
fommen und verfolgte weiter jeine abichüflige Bahı, die Gegenjäge 
trieben zur Stataftrophe. 

Keiner wird über die Vernichtung des Kirchholmer Bertrages 
mehr eritaunt, verlegt und erbittert gewejen jein, als DBlanfenfeld, 
den Plettenberg Schwenfung um feine Zukunft zu betrügen drohte. 
Er Schäumte, als er das Gejchehene erfuhr. Und jeder Tag bradjte 
ihm neue Hiopspoft: hatten die Nigenjer doc) das erzbijchöfliche 
Schloß in Belig genommen, die Stleinodien der Domfirche an fich ge- 
bracht und die Dombheren aus ihren Behaufungen getrieben. 

sit Diefer Bedrängnis wandte jich der Erzbiichof außer Landes 
um Hilfe: feine Briefe gingen nach WBolen, jeine Boten hinaus ins 
Mei) und nah Nom. Wohl fielen Acht und Bann auf das fegerifche 
Land, aber ohnmächtig janfen diefe Waffen zu Boden. So man eimen 
„Briefträger und Bfaffen Diener in jothanen Sachen“ aufgreife, — 
hieß die Lofung — olle man fie „aus dem Wege Ichaffen und unter 
den Thoren der Städte aufhängen.“ Natlos und zum legten entichlofien 
fniüpfte der Erzbifchof mit den Nuffen an. Weit Norwgorod und Pleskau, 
ja mit Moskau trat er in Berbindung, auf Neubanen empfing er im 
Geheimen eine vuffische Abgelandtichaft. Doch Plettenberg war wachjam 
und guiff mit ungewöhnlicher Energie ein. Die Kunde von Blanken- 
felds Verrat tünte durch das Land, im Yu Stand ev allein und von 
allen verlaffen, am 22. Dezember mußte ev auf feiner Nefivenz, Schloß 


— 20 


Nonneburg, fapitulieren. „Es ijt“, jo jchildert ein Zeitgenofje') die 
Nemefis, die Blanfenfeld ereilte, „eine gemeine Sage und Gejchrei im 
Yande erichollen, wie fich Diejer Erzbifchof mit dem Meusfowiter wider 
den teutjchen Meifter verbunden haben jollte. Da geihah groß Kammer! 
Da trat die Stadt Niga und Derbt von ihm abe, da trat die Nitter- 
Ichaft des Stifts Dürpt auch von ihm abe und nahme Schlöffer und 
Burgen em umd nahmen ihn die Nitterichaft zu Niga in Bewahrung 
auf Nonneburg, des Freitags vor Weihnachten, dariiber merfliche 
Zandtage gejchehen und viel Urruhr im Lande entitunden.“ 

Um zu beraten, was nun zu geichehen habe, berief der Meifter 
auf Anfang 1526 einen vorbereiteten Yandtag nach Nujen. In erregter 
Stimmung famen hier alle zufammen, harte Worte über den Friedens- 
jtörer und Yandesfeind lagen auf aller Lippen und nicht jelten ging 
die Nede, es jer die höchjte Zeit mit den Prätenfionen der Prälaten 
em Ende zur machen und die Lande unter ein feftes Negiment zu 
bringen, wie das in Preußen im vergangenen Jahr geichehen. jei. Wor 
allem die Städte zeigten jich erbittert und Dorpat beflagte fich in 
heftigen Worten, daß Kapitel und Nitterichaft des Schloffes wegen 
nicht die Einigung gehalten hätten. 

sn Wolmar jollte die Entjcheidung fallen, hier die Kandtagsboten 
Donnerstag vor Sudica (15. März) zujammentreten, um über nichts 
Heringeres zu bevatjchlagen, als die Zukunft Yivlands, denn das war, 
um mit Schirren zu veden, evident: „der Orden mußte fich umgeftalten 
oder untergehen ?).“ 

Srühlingswinde wehten durchs Yand, eriwecten fie e8 zu neuem 
Leben? Als die Stände fih in Wolmar einfanden, war Sohann 
Blanfenfeld wieder ein freir Mann. Er hatte das dem Meifter zu 
danfen, der ihn gelöft, nachdem der Erzbiichof verjprochen, jich in 
Perjon in Wolmar einzuftellen. Doc er fam nicht troß Berfprechen 
und Wort! 

E85 joll nicht geleugnet werden, daß die Einigfeit auf dem Land- 


') Bartholomaeus Grefenthal. Zitiert aus TH. Schiemann: Die 
Neformation Alt-Livlands. pag. 23. 

>) ef. E. Schirren. Livländiiche Charaktere (W. v. Plettenberg). Balt. 
Wonatsihr. 1861. IIL., ferner Bienemannl.c. und Th. Schtemann. ‚NRefor- 
mation Alt-Livlands“ und in: Rußland, Polen und Livland. II, Teil und E. Sera- 
phim. B. M. XXXVI pag. 719 ff. 


tage feine jo völlige, vüchaltslofe war, wie man bei Blanfenfelds Ge 
bahren wohl annehmen jollte. Eigentlich nur Riga Itand ganz zu dem 
Plan, zu dem foeben ein Brief Lirbecfs herzlich Glück gewünjcht hatte, 
den Meifter zum alleinigen Herrn der Livlande zu machen; Neval, 
das jeine Stellung im Innern gefeitet und von Dften her weniger 
Gefahr als das übrige Land zu erivarten hatte, fühlte naturgemäß 
auch das Bedürfnis politischer Einheit weniger; Dorpat war zwar 
aufs Lebhaftejte interejfiert, aber es zügerte mit der offenen YLb- 
jage gegen Blanfenfeld, der vom Dom herab der Stadt argen Abbruch 
thun fonnte. Erft wenn der Meifter ihr Schuß zujage und Den 
Domberg bejege, "wollte ite die Seinige werden. Immerhin jtanden 
die drei engverbündeten Kommunen auch hier zujammen, weshalb 
denn auch ihre Abgejandten jich unverzüglich zum Meifter begaben, 
um jeine Anfichten zu hören. Doch Plettenberg hielt fi vorfichtig 
zurüc, Sodaß fie „S. Gmaden eigentliche Meinung nicht vermerken 
fonnten“ und fich damit bejchieden, wicht mehr im ihn zu dringen, ehe 
der Konflift mit Blanfenfeld beendet jet. 

Unter den Nitterichaften iprach ich eigentlich nur die Harriich 
wierische entjchieden gegen den Yandesverräter und für den Metiter aus. 
Einer aus ihrer Mitte, Robert Stael, warf wohl den Fluch in die Ver 
lammlung: „Wenn der Erzbiichof nach Wolmar füme, jolle er, möge er 
num Necht oder Unrecht Haben, lebendig die Stadt nicht verlaflen!“ 

Neutraler ftanden die Nitterjchaften von Dorpat und Defel, die 
Herrn aus der Wief und aus Kurland. Doch gab es auch unter ihnen 
wohl faum welche, die der Übertragung des alleinigen Negiments an 
lettenberg ernftlich woideritanden hätten — furz, nie waren, wie 
hervorgehoben worden tft, die Stände einiger, mie der Orden näher 
jeinem erjehnten Ziele gewejen als jeßt. 

Die Stimmung gegen DBlanfenfeld war derartig erbittert, day 
hätte ev nicht fein Wort verpfändet zu ericheinen, feiner ibm aus 
leinem Ausbleiben einen Vorwurf hätte machen fünnen. Statt jener 
erichtenen 18 ,Abgejandte, die Plettenberg vor den Ständen feterlich 
empfing und denen er nach mancherlet Hin- und Herreden eröffitete, 
das Mlindefte, was man fordern müfje, fer völliger Schadenerjaß md 
Belegung der erzbiichöflichen Grenzburgen durch Die Truppen des 
Ordens. Freies Geleit, das der Erzbiichof heilchte, chlug man hm 
ab — als Neichsfürit und Wrälat brauche er Fein Gelett in diejen 


— 398 


Landen. Doch dinfte ihm Dies wenig plaufibel und Nobert Staels 
sluch mochte auc) ihm zugetragen worden jein. Man erfuhr in 
Wolmar, daß er mit Starfem Gefolge in der Nähe an der Aa lagerte, 
ichon fam die Nachricht, ex ziehe heran, jein Gefinde habe den Fluß 
palfiert. Aber plößlich fehrte er um und eilte nad) Nonneburg, denn 
jein Leben jei in Gefahr gewwejen, ließ er verbreiten. Offen stellte ex 
jich, da er den Eintritt in den Bund Für unmöglich erklärte, gegen 
denjelben umd jelbjt den vermittelnden Domberrn von Dejel und Neval 
wurde e8 Klar, da mit diefem Meanne ein ehrlicher Friede unmöglich 
war. Einftimmig gaben ihnen die Stände zur Antwort, dem Crz- 
bijchof jet man feinen Gehorfam jchuldig. 

ie fich die Zukunft gejtalten würde, das lag jest in Blettenbergs 
Hand; verjtand er es, das Glück, das fich ihm darbot, zu fallen, des 
Schiefjals Gebot zu vollziehen, jo war er auch der Meifter der Zukunft. 
Ein Winf von ihm und die unter dem Eindruck des eigenjüchtigen 
Vorgehens DBlantenfelds ftehenden Stände machten ihn zum alleinigen 
Herrn, zum Fürften des Landes. Doch es war anders bejchlofjen. 
Die Weisheit des Meifters jcheute vor gewaltigem, Friichzuergreifenden 
Entichluß zurück und das erlöjfende Wort fiel nicht. 

Selbjt nicht einmal die Subjeftion Dorpats nahm er an. Auf 
das dringende Bitten des Nats der Stadt wußte er feine andere Ant- 
wort: Er habe Bündnis mit der Nitterichaft des Stifts und verjprochen 
fie zu jchiemen, mit ihr aber liege die Stadt in Zwift. Handle er 
nach ihrem Wunfche, jo jchtrme er Stand gegen Stand, was zu Ui- 
uft und Aufruhr führen würde Erft jollten die Stände fich einigen, 
dann werde er ihnen zu Willen fett. 

Das war gewiß jehr forreft — aber nicht die Korreften, Jondern 
nur die genialen Menjchen leiten die Welt in neue Bahnen. 

Entmutigt und Ddeprimtert gingen die Stände auseinander, ohne 
daß es zu irgend einer Entjcheidung gefommen wäre. Der Meilter ver- 
Iprach jte zujammenzurufen, wenn die Umstände es erforderten. Noch gabs 
einige Fleinliche Debatten, ob man Blanfenfeld den Titel „Ehrwürdiger 
in Gott Vater“ aberfennen jollte, dann aßen die von Neval und Dorpat 
in der Nigischen Herberge gemeinfam die Frühfoft und — der Moment 
war für immer verpaßt. „Met diefer Farce endete das große Drama“.!) 


1) ef, Schirren 1, c. 438. 


— 299 — 


Dft ift die Frage aufgewworfen worden, wie Plettenberg Verhalten 
zu beurteilen jei.!) Gewiß fonnte er nach feinen Anlagen, nach jeinen 
Anjchauungen von dem, was dem Lande frommte, nicht anders han- 
deln, al8 er gethan. Verftehen läßt fich jein Vorgehen gewig, ent- 
ichuldigen gleichfalls — aber billigen? Wir glauben nicht. Selbjt die, 
welche ihm Necht geben, fünnen nicht leugnen, daß die jtaatlichen Ver 
hältnifje Livlands unhaltbare geworden waren. Das Evangelium hatte 
die Städte erobert, ein Teil des Adels war ihm zugefallen, der Orden 
jelbit war von proteftantischen Negungen Durchlebt, lettenberg der 
neuen Lehre wenigitens nicht übelwollend. Alles rief nach einer Ne- 
form, umd wie diejelbe ins Leben zu rufen, hatte Albrecht von Preußen, 
ein Mann, der Plettenberg nicht entfernt erreichte, joeben gezeigt. Man 
wende nicht ein, daß der Erzbiichof und die Bilchöfe jich dem wider 
jeßt hätten, die leßtern famen wenig in Nede, der erjtere war überhaupt 
nicht zu verjöhnen und fein faliches Nänfejpiel in der Folgezeit lehrt, 
daß mit ihm Frieden zu halten unmöglich war. Wer wollte überhaupt 
(eugnen, daß Jich der Aufgabe „der politische Negenerator“ zu werden, 
Schwierigkeiten aller Art entgegenftellen mußten, wer aber behaupten, 
daß jie fich nicht überwinden ließen, wenn ein Mann gewöhnlichiten 
Schlages, wie Albrecht, in ähnlichen Berhältnifjen fie zu überwinden 
vermocht hat. Allein im Abbruch des alten Gerüfts, im Abfall von 
Nom, im Aufgeben inhaltsleer geiwwordener Formen fonnte Heil und 
Nettung liegen: ein fleines Land wie Livland konnte nicht zu all feinen 
Barteien auf die Dauer noch den Gegenjaß von Nom und Luther 
fügen, ein proteftantischer Orden war ebenjo ein Unding, wie ein Erz 
bischof in fast rein evangelischem Lande. Freilich ein hohes Wagnis 
war es, aber mr dem Wagenden gehört die Welt. lettenberg wagte 
den Wurf nicht: ihm widerftrebte es als alter Mann das in Trümmer 
zu Schlagen, woran er jein Yeben gejegt, jeine fonjervative Natur träubte 
Jich den Orden, dem er jeine Kräfte geweiht, zu vernichten, der Kirche, 
in der er getauft, abtrimnig zu werden. Wohl auch der Preis, den 
er hätte zahlen müflen, um das Werk zu errichten, die Lehnshoheit 
Bolens, mag ihm zu hoch gedünft haben. Keiner abnte, daß Yivland 
ihn einige dreißig Dahre päter doch wirde entrichten miüdjen! 

Und wenn wir an diejer Stelle einen Blief auf die enteßlichen 


!) &. Seraphim l. ce. pag. 719ff. 


Be 7) 


Tage des Zujammenbruchs werfen, jo drängt jich uns wiederum der 
SHedanfe auf, wie verhängnisvoll der Tag von Wolmar geweien: Fat 
zehn Sahre noch wurde lettenberg dem Yande erhalten, eine Spanne 
Zeit, in der jtch auch die widerftrebenden Faktionen an jeine Herrichaft 
nicht nur gewöhnt hätten, jondern faktisch gewöhnt haben; eine einiger- 
maßen fonjolidierte fürftliche Gewalt, deren Macht durch die jäfufari 
fierten Stirehengüter an Bedeutung nicht unerheblich zugenommen hätte, 
die durch eine alsdann unzweifelhaft rein protejtantijsche Bevölferung, 
vor allem die evangelischen Städte, gejtüßt worden wäre, hätte dem 
Yande eine gefeftetere Organijation gegeben, als fie dem Bejchauer in 
den Unglücsjahren von 1558 ab entgegentritt. Auch Polen hätte als 
Oberlehnsherr in jeinem eigenften ntereffe Alles zur Verteidigung 
gegen fremde Einfälle aufbieten müljen, während es ihm bei dem Yu- 
Jammenbruch des Ovdensjtaats, da 8 damals Livland erit eriverben 
wollte, gut diünfte, lauernd dem NAuim des Gemeinwejens zuzujehen, um 
dejto größere Beute einheimjen zu fünnen. Trügt nicht alles, jo war 
in jener Stunde, da Wlettenberg die Winnfche der Stände unberüc- 
fichtigt ließ, der Keim zum endgiltigen Berluft der Selbjtändigfeit Yiv- 
lands gelegt: die polnische Herrichaft wäre ihm evipart geblieben. 

Fir den Augenblick freilich dünfte die Mäßigung Bielen ein 
großer Gewinn und jie brachte in der That dem Meifter einen, wenn 
auch vorübergehenden, Erfolg. Denn Sohann Blanfenfeld wurde der 
furchtbare Ernft jeiner Lage plöglich völlig Klar: wenn er nicht nach- 
gab, war er in Gefahr Alles zu verlieren. Selbit das Land, dejjen 
Grenzen gut bewacht wurden, zu verlafjen, jchien unmöglid. Das 
Einzige, was ihn retten fonnte, war jcheinbare Unterwerfung unter 
den jo langmütigen Meister, indem er jich in PBerfon dem Landtag 
jtellte, den jener auf den Juni 1526 wieder nad) Wolmar berufen 
hatte. Schon zu Djftern fnüpfte er mit dem Meifter Verhandlungen 
and). Eimenm Abgefandten, der ji mit Einwilligung des Meijters 
zu ihm begeben hatte, verficherte er hoch und teuer, er jei unschuldig 
am Landesverrat, nichts liege ihm mehr am Herzen als Frieden und 

1) {ber dieje Angelegenheit und den Junilandtag verdanfe ich das völlig 
neue Material meinem Freunde Oberlehrer Osfar Stavenhagen, der mir das- 
jelbe aus einer demmächit zu veröffentlichenden Quellenedition über Livl. Städte- 
tagen bereitwillig überlaffen hat. Es ijt infonderheit der Bericht der Nevaler 
Natjendeboten, der al3 Duelle eriten Ranges zu betrachten tit. 


— 301 — 


Eintracht im Lande aufzurichten, er wolle deshalb gern, damit der 
Herr Meifter allen Gefahren um jo bejjer begegnen fünne, jich und 
jein Stift Niga demjelben mit Eid und Nat unterwerfen. Dieje münd- 
liche Verficherung übergab Blanfenfeld hierauf dem Boten in fürm- 
licher, bejtegelter Urkunde, auf daß er fie auf dem Zandtage den 
Ständen vorweile. 

Der Wunich des Erzbischofs, jih dadurch zu jalvieren, daß er 
den Meifter als Heren anerfannte, wurde von den Ständen in Wolmar 
jehr fühl aufgenommen, namentlich die Dorpater Stände zeigten feine 
Luft, den intriguanten Brälaten als ihr Haupt wieder aufzunehmen. 
snsbejondere die Stadt erklärte, jte wolle „eher lieber an einem Tage 
türzen umd sterben“, fie hätten alle die Abjicht, einen andern Herrn 
und Bilchof zu wählen. Auch die andern Stände zeigten jich feines- 
wegs voll Bertrauen zu der plöglichen Sinnesänderung des Erz- 
bijchofs, gaben die Sache aber mehr in PBlettenbergs Hände, worauf 
dDiefer zur Antwort gab, er werde ihr Bertrauen vechtfertigen und 
jedenfalls nur jo in der Sache vorgehen „daß jeder Stand in jeinem 
MWejen unverfürzt bleibe und die Lande zu Friede und Eintracht fämen, 
bejonders aber würde der Herr Meifter alles das, was fürzlich zwijchen 
ihm umd der Stadt Niga verbrieft und verfiegelt jei, aufrecht erhalten.“ 

Steine Frage, der nach einem Ausgleich verlangende Metjter war 
den Anerbietungen des Erzbiichofs im Herzen nicht abgeneigt, wenn 
er auch, jei es aus Nückficht auf die Stände, jei es um Blantenfeld 
den „Frieden nicht zu leicht zu gewähren, vorläufig ihm gegenüber 
jehr zurückhaltend war. Deshalb wies er Ddeljen Bitte, gleich, vor 
dem Abjchluß der Verhandlungen, ihm zu gejtatten feine Entjchuldigung 
vorzubringen, ebenjo von jich, wie die andere Forderung, der Meifter 
jolle ihm eimen jchriftlichen Entwurf zuitellen, in welcher Weije Die 
jelbe vor ich gehen jollte. Wlettenberg ließ dem Erzbijchof zu wiljen 
thun, es jei an ihm eine Form dafür vorzujchlagen, die man dann 
prüfen werde. 

Am 12. Sum um 3 Uhr nachmittags bequemte Sich Blanfenfeld 
hierauf zur Überjendung eines darauf bezüglichen Memorials, von 
dem er nur bat eS nicht in Gegenwart der verhaßten Städte vorzu 
legen, was Wlettenberg rücklichtsvoll zugejtand. 

Über das Schriftftüc begannen am 13. Juni weitläufige umd 
heftige Debatten unter den Ständen, ohne daß man einer Löfung um 


— 3032 — 


einen Schritt näher fam. Blanfenfeld ließ durch die Brälaten von 
Sturland und Neval jeinen Standpunft vertreten und durch fie er- 
fläven, die Meinungsverschiedenheiten würden jich vaich geben, wenn 
der Meifter mit ihm perjönlich zu verhandeln fich bereit finden mwirde. 
Doc) der Meister, der richtig fühlte, day eine perjönliche Yulammen- 
funft bereits eine Anerfennung in jich jchließe, wies dies Begehren 
von jich, „es würde ihm wenig ziemen mit dem Erzbijchof perjönlic) 
zujammenzufommen, jo lange fich derjelbe des jchweren Gerüchtes nicht 
entledigt habe.“ 

Den ganzen 14. Jun gingen die Beratungen, an denen fich 
übrigens Dorpat jeit dem 12. Juni nicht mehr beteiligte, weil die 
Sendboten der Stadt feine Bollmachten hatten, ihren weitern jchleppenden 
Verlauf, da die Prälaten immer neue Einwendungen zu machen für 
nötig fanden. Schließlih wurde jelbjt Plettenberg äußerit miß- 
mutig, was die Dorpater am 15. Juni veranlaßte, noch einmal in 
dringendfter Werje vor den Braftifen des Erzbiichofs und vor gar zu 
großer Bertrauensjeligfeit zu warnen. Weit allem Fleiß bat der Rats- 
jefretarius Zoahim Safje den Meifter, er möge dafür jorgen, daß die 
Stadt Dorpat des Bischofs quitt bleibe, jonjt würden großer Mord 
und Totjchlag, Sammer und Wehmut ji in der Stadt erheben und 
Dorpat dabei ganz untergehen. Der Bilchof halte nie Siegel und 
Briefe, auch feine Eide umd jei er erjt wieder im Stift, jo werde er 
fein dort mit den Nuffen begonnenes Werk vollenden. Der Land- 
marjchall antwortete hierauf nicht abweilend: es liege allein in der 
Hand der Stände des Stifts, feien die einig, jo würde Blanfenfeld 
auch nie ins Stift. 

Auch am Folgenden Tage xuhten die Städte, — denn Neval 
und Riga ftanden treu zu Dorpat — nicht und legten in erneuter 
Audienz ihre Bedenken vor. Der Bürgermeifter von Niga aber er- 
flärte freimütig, die drei Städte würden einander nicht verlafjen, 
londern in aller Not bei einander jtehen. Schon aber hatte beim 
Meifter die friedfertige Stimmung wieder die Oberhand gewonnen, er 
fie daher den Städten antworten, e$ gelte hier in erjter Neihe die 
Einigung des Landes, in zweiter Weihe jtehe der Dörptiiche Handel. 
Die Natjendeboten möchten zwijchen 10 und 11 Uhr auf die Gild- 
tube fommen, dort wolle man mit dem Exrzbiichof einig werden. 

Was war zu thun? Nav einmiütiger Broteft der Dorpater Stände 


fonnte dem drohenden Unheil noch jteuern, doch die Einmütigfeit war 
nicht herzuftellen. ALS die Dorpater Ratjendeboten zu dem Stapitel 
und der Nitterichaft von Dorpot eilten und ihnen vorjtellten, man 
fünne unmöglic) der Entichuldigung Blanfenfelds beimwohnen, ohne 
indireft fie auch anzunehmen, wurde ihnen die fühle Antivort: „man 
wolle die Entichuldigung anhören, denn es fünne nichts jchaden!“ 

Mittlerweile war e8 Mittag geworden. Da ließ der Meijter die 
von Niga und Neval aufs Schloß Fordern und durch den Heren Ktom- 
thur zu Doblen und den Bogt von Kandau amjagen: Da der All 
mächtige Gott die Sache mit dem Erzbiichof und den Prälaten zu 
einem weijen Ende gebracht habe, jet es des Meifters Wille, daß der 
erjame Nat in Riga und Neval allen Eimvohnern, und bejonders den 
Predigern (!) vorjchreibe, von mun an alle jchändliche Nachrede und 
Schmähung, die man nicht mit Wahrheit und Billigfeit begründen 
fünne, abzujtellen, damit fich ein jeder vor Schaden hüten fünne. 

Die Natjendeboten nahmen diejen, ihnen jchwerlich mehr unver- 
hofft gekommenen, Bejcheid entgegen, baten aber ihrerjeits, daß von 
Seiten der Brälaten alle Schmähung von Gottes Wort und der Ver- 
findiger des Evangeliums ein Ende nehme. 

Und nun fam die Komödie der Berfühnung und Unterwer- 
fung an die Neihe. Wir folgen auch bier dem Bericht, den Die 
Boten Nevals ihrer VBaterjtadt abjtatteten und der in drajtiicher Weile 
alfo gejchildert tft: 

„Darauf famen der Erzbischof, die Bilchöfe von Sturland und 
Neval mit allen ihren Ständen und ebenjo die Gejchieften des Stifts 
Dejel aufs Schloß. Sie wurden von unjerm gmädigen Herrn, dem 
Meiiter im der Borfammer empfangen, wonach man in den großen 
Nemter ging. Dafelbjt ließ der Erzbifchof unjern gnädigen Herrn 
Meijter obenan figen und nahm jelbit auf der linfen Seite nicht weit 
von Sr. Fürjtl. Gnaden Plab, nächjt ihm die andern Bilchöfe und 
Brälaten. Danach jagte der Herr Schaffer ab, alle Ungejchworenen 
traten ab und der Memter wide zugejchloffen. Fortan wurde Die 
Urkunde des Stontvaftes verlejen, der Erzbiichof verkündigte darauf jelbit 
die Urjachen und Beweggründe, aus welchen der gegenwärtige Kon- 
traft hervorgegangen jei und darnächit befchworen den Kontrakt der Erz 
biichof, die Bilchöfe, Pröpfte und Defane, indem fie ihre Bruft be 
rührten, die Vertreter der Nitterichaft des Stifts Niga mit empor- 


— 504 — 


gehobenen Fingern zu Gott und feinem heiligen Evangelium genau 
nach Borjchrift des Stontrafts. YZurleßt begehrte der Erzbiichof am 
andern Tage auf der Gildjtuben öffentlich vor jedermann und zu 
niemandes Nachteil jeine Entjchuldigung machen zu dürfen. Es wurde 
ihm bewilligt. 

Sonntag, den 17. Sum, ging um 9 Uhr morgens der Meijter 
vom Schloß zur Gilpjtube. Unterwegs fam der Erzbiichof mit den 
beiden Bijchöfen zu ihm und es hielt fich dabei der Erzbiichof auf der 
linfen Seite umjeres Heren. Auf der Gildstube nahmen der Erzbiichof, 
die Brälaten, deren Nechtspflichtige, \owie die Vertreter der Nitterichaft 
des Stifts Riga die Seite ein, wo früher der Herr Meijter und die Ge- 
bietiger zu fißen pflegten; den Herin Meter, den Herin Landmarjchall 
und die Herrn Gebietiger lieg man auf der vormaligen Brälatenjeite als 
der oberjten Stätte fißen. Darnach jchiefte der Hochmeilter Boten zu 
den Gejchieften der Städte, die vorher der Entjchuldigung des Erz 
biichofs fern zu bleiben beabfichtigten. Und nun hat der Erzbijchof jeine 
Entjchuldigung in einer Finnftlichen, gezierten und verblümten Dvation 
und Nede vorgebracht. Win diejelbe zu wiederholen bedarf es eines 
ehr fräftigen Gedächtniffes und einer „wohlberotten“ meijterlichen 
Sinnlichkeit. Es wurde hierauf noch der Wegnahme des Schlofjes 
Dorpat gedacht. Der Bürgermeister von Dorpat protejtierte dagegen 
als nicht dahin gehörig, troßdem wurde noch viel darüber geiprochen, 
wober der Erzbijchof erklärte, daß er mit der erfahmen Stadt Dorpat 
nichts als Liebe und Freundichaft vorhabe, von der Ehre und Treue 
der Nitterichaft aber und insbejondere von der Treue derjenigen, Die 
als Negenten des Dorpater Stifts das Schloß bejeßt hielten, erwarte 
er die Miütckgabe desjelben. Nach vielen weitern Neden jebte zuleßt 
unjer guädiger Herr, der Meifter, feit, daß die Entjcheidung Ddiejer 
Sache durch rechtliche oder freundliche Erkenntnis iS zum nächte 
Michaelistage aufgejchoben jein jollte.“ 

Jachdem man fich hiernac am Meahl gejtärft, fuhr und vitt man 
auseinander. 

Der Nezep, den man unterzeichnete, war, wenn er in Straft md 
Seltung blieb, ein Iriumph des Ordens. Berjprachen doch der Erz- 
bijchof und jeine Suffragane von Dejel, Neval und Kturland jamt ihren 
Kapiteln und den Nitterichaften durch den Lehnseid dem Dxden treu 
und gehorjam zu fein, SHeeresfolge zu leiften und mit Nat umd Hilfe 


— 305 — 


ihm beizuftehen, während Blettenberg jeinerjeits den Ständen Schirm 
und Schuß zuficherte. Gegen jeine Stadt Riga verpflichtete er Blanfen- 
feld nichts Feindjeliges vorzunehmen, alle innere Fehde jollte durch 
Schiedsjprucdh ausgeglichen werden. Mit feierlichem Eidjchwur ver- 
iprach der Erzbiichof endlich ich bei Katfer und Bapjt für die Be- 
jtätigung der Unterwerfung zu verwenden. 

Jıcht Geringes war erreicht: der Orden war der Herr des Landes, 
der ehrgeizige Blanfenfeld gedemütigt, das mächtige Niga in enger Ber- 
bindung mit dem Meister. Aber der Erfolg war fein dauernder umd 
fonnte es auch nicht fein, demm er beruhte einzig auf dem perjünlichen 
Anjehen des alten Meifters und fnüpfte an Inftitutionen an, die über 
lebt waren. Man konnte von Glück jagen, wenn die Herrichaft unan- 
gefochten dauerte, jolange Plettenberg lebte, nur eine Dynaftie, ein welt- 
liches Fürftentum fonnte Gewähr auch für die Zukunft geben! 

ur zu bald jchwand das Wunder und die nacte Wirklichkeit 
blieb: Schnell vergaß Blankenfeld Eidjhwur und LYehnstreue und eilte 
aus dem Lande, im dem die Nteßerei ihm den Atem benahm. Wohl 
reite er zu Statfer und Bapit, doch nur die Yöjung des Wolmarer 
Eides lag ihm am Herzen. In Nom, Venedig und Salzburg itoßen 
wir auf jeine Spuren, ruhelos treibt e3 ihn immer weiter und weiter, 
bis er endlich am 9. September 1527 fern von Livland in Spanien 
auf der Reife zu Statfer Start V., bevor er ihn ewreicht, nicht weit von 
Balenzta geftorben ift. Sein Gedenken freilich galt noch in leßter 
Stunde Niga und der Befeftigung der erzbiichöflichen Gewalt im Der 
aufjälligen Stadt. Allein ein deutjcher Firft jchien ihm dazu im Stande 
und jterbend noch bezeichnete er den Herzog Georg von Braunjchweig- 
Limeburg, Dompropjt zu Köln und Straßburg, als den evivünjchten 
Kachfolger. — 

Drei Monate nach des gefürchteten Erzbischofs Tode, der jedoch 
in Livland noch nicht befannt geworden war, hielten Sendboten der 
drei Städte Niga, Neval und Dorpat in Bernau einen Städtetag ab"), 
defjen Nezeß Licht auf jo Manches wirt, was damals die Gemüter 
bewegte, vor allem die Einigkeit unjerer Kommunen in Sachen der Ne- 
formation in erfreuliche Weije fejtjtellt. Site war aber auch) notwendig, 

1) cf. Beiträge zur Kunde Ejt-, Liv- und Kurlands. 1. 4. pag. 369. 
Die altlivländischen Städtetage. — 

Seraphim, Sejchichte I, Zu) 


— 306 — 


wollte anders nicht die Ausbreitung des Luthertums ins Stoclen ge- 
raten. Namentlich in Dorpat jtanden die Dinge jehr ernit, da die 
beiden andern Stände, das Kapitel und die Nitterichaft, jeit dem leßten 
Wolmarer Tage ji) als Heren der Situation fühlten, der Nat da- 
gegen ich nicht mur durch ihr Sebahren, jondern auc) durch die Bartet- 
nahme des Meifters bedriickt und gefränft wähnte. Offen hoben die 
Ktatholifchen wiver ihr Haupt, offen wurde in der Domfirche durch 
„gottlojes Predigen umd Gebrauch der papiftiichen Zeremonien“ Dem 
Eifer der Lutherifchen schweres Ärgernis bereitet umd jchtwache Ge- 
nüter zum Abfall verleitet. Die Dorpater Elagten laut, e8 wirde „die 
Srucht des göttlichen Wortes, das jo viele Dahre bisher durch die 
gottjeligen und evangelifchen Prediger dajelbjt verfündigt jei, merklich 
gehindert und unterdrückt, aljo daß es die evangeliichen Prediger ver- 
drofjen, das allerheiligite Wort Gottes aljo vergeblich Hinfürder in den 
Wind zu predigen umd deshalb jich vorgenommen hätten, da aufzu- 
brechen und fich des Amtes allda ganz zu begeben.“ Der Nat wußte 
dDiefer Propaganda gegenüber fein anderes Mittel als die Ausweihung 
der Dombheren, die lebhaft diskutiert wurde, ohne daß e8 zu einem 
feften Entjchluß gekommen wäre Die Entjcheidung war um jo jchtwie- 
viger zu jaffen, als das Stapitel und die Nitterjchaft bejchlojjen hatten, 
eine Gefandtichaft dem Erzbijchof ins Ausland nachzufchiefen, um eine 
endgiltige Beilegung der Differenzen zu erzielen, und auch die Stadt 
befragt hatten, ob fie fich der Legation anschließen wolle. 

Ohne Mitwiffen Nevals und Nigas traute fich der Nat nicht 
diefe Fragen zu löjen und beauftragte daher jeine Vertreter, denen er 
zwei jtädtiiche Prediger beigejellt hatte, auf dem Bernauer Städtetage 
Beicheid und Beiftand zu bitten. Die Antwort der beiden befreundeten 
Städte lautete bejonnen umd feit, riet aber von jedem unnügen Kon- 
fit ab: gelänge es der Stadt die Gejandtjchaft zu verhindern, jo 
wäre dies zweifellos das Belte, bejtänden die andern Stände auf fie, 
jo möchten die Dorpater fich ihr anjchliegen, falls man fich über ge- 
meinfames Borgehen und fejte Punkte einigen könnte. 

‚sn Sachen des Fatholiichen Wejens in Dorpat erklärten die 
andern Natsherrn und Abgejandte, unter denen fich auch Lohmüller 
befand, jie müßten, da die Wichtigkeit derfelben „einen höhern Verftand 
der Schrift und weitern Nat erforderten, als fie jegunter aufbringen 
fünnten“, die Angelegenheit daheim mit den andern Natsheren, infonder- 


— 307 — 


heit auch mit den Predigern beraten und dann schriftlichen Bejcheid 
erteilen, „mittlerweile möchten die beiden Prediger mit den erwähnten 
Artikeln jtilldalten und feine Anderung noch Aufruhr in der Stadt 
anrichten.“ 

Die Dorpater willigten in Dieje Forderung, baten aber zugleich 
die Nigischen, in diejen notdringlichen Beitläuften ihnen den Baitor 
Johann Briesmann, der jeit furzem nach Riga gefommen war, auf 
einen Monat in ihre Stadt zu jchieken, „daß der allmächtige, ewige 
gütige Gott durch die Gejchieflichfett und Nambaftigfeit jeiner PBerjon 
und jeine Hohe Erfahrenheitt der hl. Schrift etwas Vigeres binnen 
ihrer Stadt wirken und üben wiirde.“ 

Der Bürgermeister von Neval nahm die Gelegenheit wahr, darauf 
hinzumveren, daß Sohann Lange dringend geraten habe, daß die Pre- 
diger aus den drei Städten jo bald wie möglich zujammenfämen, um 
„Anterredung von ihrer Lehre zu halten md eine gemeine Ordnung 
einfürmiglich in dem ganzen Lande umter dem chriitlichen Gemeinden 
mit dem Stiechendienjte und Gebrauch der Saframente aufzurichten.“ 
sn der darüber jich entjpinnenden Disfujfion einigten jich die Ver- 
ammelten dahin, Dr. Briesmann und die andern vigtichen Seeljorger 
zu erjuchen, jie möchten einen Entwurf ausarbeiten, der zur Grundlage 
einer gemeinjfamen Sticchenverfaffung dienen könnte. 

Auch der Förderung der Schulen wurde gedacht und von Seiten 
des Bürgermeiters von Riga lebhaft betont, „daß man in einer jeden 
Stadt, al3 Nighe, Darpt und Nevel, eine wejentliche, vedliche Schule, 
jo viel wie möglich Hebrätjich, Sriechtiich und Lateinisch zu lernen, auf- 
richte, diefelbige mit gelehrten Schulmetstern, die man dazu jonderlich 
heiichen und verjchreiben müßte, verjorgen thäte und die Kinder und 
sugend in ehrlichen, tüchtigen Künften, für das gemeine Bejte und der 
Seelen Seligfeit dienend, darin umterweilen und lehren müßte.“ Met 
Wärme wurde von den übrigen Abgejandten diejen Ausführungen bei- 
gepflichtet, hierauf noch manch’ andere gemeinjane Angelegenheit erledigt 
umd Dann der Städtetag geichloflen. — 


20* 


[e. Kantiel 


Plettenberas Ausnana und Markavaf Wilhehns 
Anfanne Der Fortaana der Reformation. 


„Doh ach, was hilft dem Menfıchengeift Perfand, 
Dem Bergen Güte, Willigkeit der Band, 
Wenns fieberhaft durihaus im Staate wiitet 
And Abel füh in Mbeln überbrütet.‘ 
Fauft I. 

Der Wunjch, mit dem Johann Blanfenfeld jeine Augen gejchlofjen 
hatte, ift nicht in Erfüllung gegangen. Es war des Meijters DVer- 
dienst, daß er die gefährliche Einmiichung deutjcher Fürftenhäufer Ddieg- 
mal noch abzuwenden wußte und das Domkapitel vermochte im Jebruar 
1528 einen Sohn des Landes, Thomas Schöning, Dompropft in 
Niga, auf den erzbijchöflichen Stuhl zu erheben. Bon ihm verjah 
er Jich feines Gegenjaßes. Doch das Wort des Staufen Sriedricd) LL., 
daß fein Bapjt Ghibelline jein fönne, das fi) jchon bei Silveiter 
Stodeweicher auch in Livland als wahr erwiejen, jollte fich von neuem 
unheilvoll bewähren. 

Kaum war. die Wahl gewesen, jo zog Schöning desjelben Weges, 
wie jein Borgänger. Auch ihn trieb es ins Neich und nichts ©e- 
ringeres jchwebte ihm vor, als den Wolmarer Unterwerfungsvertrag 
für null und nichtig erklären zu lafjjen. Sollte fich dies Ziel vor- 
läufig nicht erreichen lafjen, jo hatte ihm das Kapitel wenigjtens die 
Wahl eines Koadjutors aus fürftlichem Stande ans Herz gelegt, damit 
diefer durch VBerwandtichaft und Verbindung den Orden aus der Ge- 
walt dränge. 

Mit diefen Hoffnungen, die fi) von denen Blanfenfelds faum 
unterjchieden, jegelte ev nach Lübel. Hier begann er mit den Marf- 
grafen Wilhelm von Brandenburg, dem jüngjten Bruder Herzog Albrechts, 
Ichleunige Verhandlungen wegen feiner Wahl als Ktoadjutor. 


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Ver wollte behaupten, daß diefer Hohenzoller wirklich der Manı 
war, um mit Feuereifer und Janatismus für die katholische Kirche in 
Livland einzutreten, daß in ihm eine Ader Blanfenfelds ichlug. Wenig 
genug hatte er vielmehr für jih anzuführen, weder geiftige noc) 
materielle Güter von Belang nannte er jein eigen, nur der Ehrgeiz 
bewegte fein Herz, aber feine Fähigkeiten entjprachen demjelben wenig. 
Was galten den meisten der deutjchen Fürjten der Neformationzzeit 
überhaupt Sdeale und das göttliche Wort — nur Ffleinlicher Yänder- 
Ihacher, unbändige Hügellofigfett und Habgter leiteten ihr Thun. 
Einer der Fleinlichiten der Kleinen, der habgierigiten der Habgierigen, 
einer der Frafieiten Egoiften in der ganzen Sippe war Marfgraf 
Wilhelm). 

E3 nimmt eigentlich) Wunder, daß der junge Fürft nicht wenigitens 
dem Broteftantismus innerlich näher jtand, als es jchten, da in jeinem 
Gejchleht jo mancher fich dem Evangelium angeichloffen. War er 
doch der Bruder jenes Markgrafen Georg von Ansbach, der zu den 
warmen Freunden Luthers gehörte, 1524 in jeinen Erblanden die Ne- 
formation durchjegte, der Säfularifation Preußens nicht fremd ftand 
und 1529 die Proteftation von Speter mit unterzeichnete. Bekannt 
ift auch, wie er auf dem großen Neichstag zu Augsburg 1530 dem 
Kaifer in Leidenjchaftlicher Aufwallung zurief, ev wolle, ehe er von 
Gottes Wort abftehe, lieber niederfnien umd fich den Kopf abbauen 
(affen. Auch die andern ansbachiichen Fürften jtanden der evangeli- 
jchen Lehre innerlich meift nicht fremd, aber fie waren fühle Charaktere, 
(ändergierig und bei den ewigen Sinanzfalamitäten daheim darauf an- 
gewiejen auswärts neuen territorialen Befiß zu erwerben und Ddiejer 
bot jih in den Bistümern und PBfründen der fatholischen Kirche. 
Da mußte denn das evangelijche Empfinden natürlich zurüctreten! 
Sp wird Sohann Albrecht Erzbiichof von Magdeburg und Mainz, 
Friedrich Dompropit zu Wirzburg, Gumbert Domherr in Nom, 
Albrecht 1512 Hochmeister des deutjchen Ordens. 

Der jüngfte Hohenzoller, Wilhelm, war am 19. Juli 1498 zu 
Ansbach) geboren, hatte eine jorgfältige Erziehung und Bildung ge 
nofjen und hierauf die Univerfität Ingolftadt bezogen, die damals auf 
der Höhe ihres Nuhmes ftand. Wirkten bier doch der Begründer 


') ef. über Markgraf Wilhelms Jugend. 3. Girgenjohn Mitt. XIV. 3. Heft. 


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der bayrischen Gejchichtsichreibung Aventinus, der fich ehr jeeptiich 
zu Wallfahrten, Ohrenbeichte und andern fatholischen Fundamental- 
lägen verhielt, und Johann Mayr genannt Eck, der damals noch mit 
Eifer rein Humanifierende Studien trieb, ehe ihn jein berühmter Streit 
mit Luther ins andere Lager jtie. 

Auf diefer Hochichule, deren Neftor er, der Sitte jener Zeit 
folgend, 1516 war, blieb Wilhelm bi3 1519, gewiß nicht, ohne von 
den antifferifalen Strömungen berührt zu werden, die dort im Schwange 
waren. Noch im selben Jahre reilte er dann nach Königsberg zum 
Hochmeilter, dem Bruder, mit dem er am vertrauteiten gejtanden zu 
haben fcheint. Hier war e8 wohl auch, wo er zuerit den livländi- 
ichen Dingen näher zu treten Gelegenheit hatte, hier mögen jchon 
die erjten ehrgeizigen Gedanken, fich an der Dina ein Fürftentum zu 
erwerben, in ihm anfgeitiegen fein. Dann ging e8 wieder im Die 
engen Berhältnifje des fränfischen Stammlandes zurücd: in der zweiten 
Hälfte des Sahrzehnts finden wir ihn am Hofe feines Bruders Georg 
zu Ansbach, der, obgleich Ätreng protejtantiich, Doch feinen Anftoß 
daran nahm, daß Wilhelm fich um den Erzituhl von Riga bemühte, 
vielmehr ihm eifrig Ddazıı die Wege zu ebnen bemüht war. Sa, die 
evangeliiche Gejtnnung, die, joweit Wilhelms fühle Natur es über- 
haupt zuließ jich für etwas anderes als das liebe Sch zu erwärmen, 
ihm Doch in gewiljem Grade eigen war, dinfte Georg ein Grund 
mehr für die Bewerbung, der gleich Albrecht den zuerjt ins Arge ges 
faßten Bruder Friedrich deshalb ungeeignet fand, weil er „dem evangelio 
gang umd gar zu entfegen“ jei. ES berührt ung Nachlebende peinlich, 
daß die aljo dachten, nicht gerade die Schlechteften ihres Volfes waren. 
Wie jollte Wilhelm idealere Gefichtspunfte gelten lafjen. Er fannte fie 
wohl garnicht! 

Was war e3 denn, was in Thomas Schöning den Plan wach- 
vief, Diefen Mann zur Säule der rigajchen Kirche zu machen? Nun, 
Markgraf Wilhelm hatte mächtige Freunde und Gönner: der König 
von Bolen war fein Oheim, Albrecht von Breußen fein Bruder, der 
evangelijche Bund gab Fich die Miene an feine aufrichtige Hinmeigung 
zum Zuthertum zu glauben und den Nitterichaften jchten es verlocend 
einen Zürjten, dev glänzende, pruntvolle Hofhaltung zu enttwiceln ver- 
Iprach, im Lande zu haben. 

Plettenberg blieben diefe Berhandlungen Schönings natürlich wicht 


verborgen, aber er hielt jich vorfichtig zurüd. Wohl aber gejtattete er, 
daß der vielgewandte Lohmüller fich im Auftrage Nigas nach Lübeck 
begab, um namens der Stadt mit dem Erzbifchof zu verhandeln. Daf 
Lohmiüller längft alle jene Hoffnungen auf Preußen gejeßt und feine 
alten Verbindungen, die ihn einst mit Dlanfenfeld vereint hatten, auch 
mit Schöning angefnüpft hatte, wußte weder er, noch die Stadt Riga, 
die jonft wahrlich einen andern Agenten erwählt hätte. Welches Er- 
jtaunen, als man hier plößlich erfuhr, Lohmüller habe weit über jeine 
Vollmachten hinaus, mit Thomas Schöning einen Vertrag auf jechs 
Ssahre abgejchlofjen, laut dem Niga, bis darüber an höherer Stelle 
entjchteden jet, zwar bei der neuen Lehre erhalten werden, dem Erz 
biichof aber fein im ftädtiichen Befig übergegangenes Eigentum wieder 
zufallen jollte Ihore und Mauern follten in Hut und Schuß der 
Stadt bleiben und jeder Streit zwifchen ihr und dem Erzbijchof durch 
fie jelbjt, ohne Mittelperjon, gejchlichtet werden, Das klang auf 
den erjten Blick vecht harmlos, aber im Grunde war e3 eine eigen- 
mächtige, verräteriiche Losjagung vom Wolmarer Nezeh, ein perfider 
Berjuch die Macht des alten Meifters — denn er war ja die Mittel- 
perfon — zu brechen, um dem preußischen Einfluß die Wege zu ebnen. 

Lohmüller, der mit Herzog Albrecht längit in geheimen Beziehungen 
Itand und in die Pläne betreffs der Soadjutorichaft Wilhelns ein- 
geweiht war, gab durch fein Verhalten den beten Beweis, daß er fich 
jeiner Haut ob jeines Handelns nicht ficher fühlte und ein jchlechtes 
Hewifjen hatte. Statt nämlich nach Riga zurückzukehren, reiste ev nac) 
Witrtenberg, wo fich Luther und Melanchthon befanden, um von ihnen 
decende Briefe zu erlangen. Seinen Zwec evreichte er bier, was 
freilich weniger für jeine Unschuld, als fir die Naivität jpricht, mit 
der jene Bäter der Kirche die livländischen Berhältniffe anjahen. 

Was jollte es denn heißen, wenn Hieronymus Schurf, einer von 
Luthers Freunden, meinte, die Stadt dürfe nicht gegen den vom 
Katjer und Reich belehnten Erzbischof Ungehorfam zeigen? War denn 
der Orden nicht auch belehnt? Aber Schurf deduzierte: Dem Erzbiichof 
müßten fie jein Gut zurückgeben, „dern mimmermehr jers Gottes 
Wille einem zu nehmen, was jein ift“. Und Luther schrieb: Lohmüller 
habe ihn um ein Zeugnis gebeten, was er von dem dom jenen mit 
„allerlei gehabter Mühe und Fleiß” zuitande gebrachten Alnftand 
halte. „Alfo Halten wir, daß jolcher Anftand jechs Nahre lang fait 


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(sehr) gut fer und ms gleich wundert, daß ers jo weit hat mugen 
brengen, jollt wol, wenn er uns zuvor hätt! um Nath erjucht, viel 
enger und fchwächer wurden fein. Derhalben ift mein freundlich Bitt, 
wollet Euch fampt dev Gemeinen jolche Handlung gefallen und drob 
jein, daß folicher Anftand gehalten werde zu eurem Glimpf, und Gott, 
ders jo fein hat angefangen, wirds vollends fein hinausführen, jo wir 
mit Fleiß bitten. Es wird viel Waffers dieje jechs Jahr vorlaufen, 
fumpt Tag, jo fumpt auch Nath, und it nicht leichtlich dem Btichof, 
eßeres finzunehmen, weil bede, Kater und Neich, zu Ichaffen genug 
haben.“ 

I Niga beurteilte man den Vorfall anders und gewiß richtiger 
und ließ Lohmitler über die wahre Stimmung feinen Augenblid im 
Zweifel. Keine folche Teufel hätte er hier vermutet, wären Doc) Vater 
und Mutter von ihm gewichen, Schrieb er ingrimmig an Herzog Albrecht. 
Noch einmal Schlüpfte er durch: wohl flagte die Stadt beim Meifter 
iiber Landesverrat, aber er wide, jer’S daß er vornehme Fürfprecher, 
wie Johann Friedrich von Sachjen und Bhilipp von Heilen hatte, jei 
e8, dat das Material doch nicht gravierend genug schien, Freigejprochen. 

Arch Erzbischof Ihomas war nicht müfjig gewejen: mit Herzog 
Albrecht hatte er fonfpiriert, mit defien Bruder Wilhelm erfolgreich unter- 
handelt: bereits am 7. September 1529 bezeichnete er Ronneburg, 
Smilten, Lemfal, Salıis und Serben als die Schlöffer, die er jeinem 
neuen Koadjutor einräumen wolle; zu gleicher Zeit jtand er in leb- 
haster Korreipondenz mit dem Wolenfönig und — dem evangeliichen 
Bund und forderte Albrecht von Preußen auf mit bewaffneter Hand 
jeinen Bruder ins Land zu bringen und Nigas Troß zu beugen. 

Allein im Wirrwar der jich befehdenden Gewalten jtand Pletten- 
berg. Beneidenswert war feine Lage wahrlich nicht, Fonnte er Doc) 
mit Sicherheit im ganzen Lande mr auf Niga zählen, während Die 
zu Wolmar noch zuverläffige harriich-wieriiche Nitterichaft bereits 
ichwanfte. Zu lebendig war im Herzen derjelben die angeborene Ab- 
neigung gegen das verhaßte jtädtiiche Gemeinvelen, um eine dauernde 
Annäherung möglich ericheinen zu lafjen, zu groß der Eigennuß, als 
daß fie Plettenberg nicht gegrollt hätten, weil er ihr nicht weitere 
Erhöhungen ihrer Lehnsprivilegien zugejtanden hatte. Sie meinte 
wohl, wieseinft von Silvefter, fünne fie jeßt wohl von einem firftlichen 
Koadjutor neue Gerechtiame erlangen, 


— 5313 — 


Auf einem neuen Landtag, Faltnacht 1530, appellierte Wletten- 
berg mit eindringlichen Worten an die Edelleute, aber trogig gaben 
fie zur Antwort, fie jeten Edelleute des hl. römischen Reichs und 
wollten fich daher lieber an einen deutjchen Fürsten als an Bürger schließen. 

Bon Gemeingeift war feine Spur und wirkungslos verhallte vor 
ihren Ohren, als der Meifter ihnen in feine Hände gefallene Briefe 
voriwies, die über Thomas Schönings Beziehungen zu Bolen und 
Preußen nicht den geringsten Zweifel mehr übrig ließen. Der Erz 
biichof hielt es freilich für ratjam, nach Stofenhufen zu entweichen, aber 
auch die andern PBrälaten jagten dem Meeifter die Wolmarer Unter- 
werfung auf: 

Nelultatlos geht der Landtag auseinander und al am 30. Junt 
ein meer Tag zujammentritt, Haben die Nitterichaften das Heft in 
Händen: verlaffen md toliert muß Plettenberg den Schiedsipruch der 
Bılchöfe von Dejel und Dorpat acceptieren: 

„Herr Sohanjen, Biichof zu Dörpt, und Herr Georgen von Tyjen- 
hufen, Bischof zu Djel und Nevel, Haben das Verbiimdnis, jo Arno 1526 
aufgerichtet, getödet und entziwey gejchnitten und die Siegel abge- 
Ichnitten“. 

Thomas Schöning erhielt die geteilte Oberhoheit über Niga wieder, 
die alte Stadt, die Yohmüller mit feinen Braftifen zum Dahlener An- 
Itand zu drängen gewußt hatte, der zwar nicht, wie das verfehlte Ab- 
fommen zu Lübe 6 Sahre, aber immerhin 2 Sahre Giltigfeit haben 
jollte, gab, wir jehen nicht Elar weshalb, den bisher jo trogig geführten 
Wideritand vorläufig auf. That fie es nicht etiva, weil fie das Ver 
trauen zur Energie und dem Willen des Meisters allmählich verloren 
hatte? Wäre ein weiterer Beleg von Nöten, daß im Rahmen der be 
ftehenden Formen eine Erneuerung des politischen Lebens unjerer 
Heimat unmöglich war, der Yandtag von 1530 hätte auch Blinden die 
Augen Öffnen mühjen. Er war das Todesurteil über morjich gewordene, 
zum Untergang veife Zuftände. 

Zwer Monate jpäter jtand auch der Noadjutor im Lande. Neifige 
Wannen und Sinechte umgeben ihn, als er am 11. Oftober vor Nonne 
burg anlangt und von dem nunmehr ob der großen Eile etwas be 
troffenen Erzbiichof die Auslieferung der ihm zugelicherten Schlöfler 
verlangt. 

Am 13. Dftober Huldigen jte ihm, er aber schreibt mit jener cyni 


BE 


chen Offenheit, die jich nicht einmal bemüht den Schein zu wahren, 
an Albrecht, es jet Schade, daß er nicht früher gefommen jet, jonft hätte 
er noch ein Schloß mehr umd auch in andern Stiften Macht erwerben 
fünnen. Charakfteriftiich Fir diefen Mann! Nicht das Wohl des Landes, 
bei Leibe nicht, liegt ihm am Herzen, nur Land und Schlöffer, und 
abermals Land und Beltz! lautet jeine Yojung. 

Bald jollte Yivland erfahren, was es an diefem Brandenburger 
habe. Das Stift Oefel, wo Weinhold von Burhöwpden, der jeit 1531 
Bildhof war, mit dem unbotmäßigen Adel feines Bistums in Ärger- 
lichen Händeln, ja fürmlicher Fehde lag, jchten ihm eine prächtige 
Selegenheit weitern trdischen Befit einzuheimjen. Das Glück, das Wil- 
helm nach Livland geführt, jchten ihm auch bei der neuejten Machen- 
haft treu zu bleiben: einige der einflußreichjten stiftiichen Herrn 
sürgen Ungern und Otto Uerfüll zu Fieel boten ihm die Hand und 
bald Loderte ein verheerender Kleinfrieg in der Wiek und auf der Suiel 
empor, jedermanns Hand war tvieder jedermann und in den allgemeinen 
Wirrwar behaupteten heute dieje, morgen jene die Oberhand. Aber jo 
frivol war Wilhelms Gebahren, jo jchamlos offen lag jeine Habjucht 
zu Tage, daß jelbit in dem damals für derartiges vecht abgejtumpften 
Livland fich allmählich die Überzeugung Bahn brach, er treibe e3 doch 
gar zu arg. 

Mit Geichtef wußte der Livländische Steuermann, der Metjter, der 
dem allgemeinen Andringen folgend 1532 Wilhelm als Koadjutor an- 
erfannt hatte, den allgemeinen Unwillen zu benugen — im Dftober 
1534 jagen jich die meisten Vajallen von Wilhelm [os und Huldigen 
von neuem Neinhold von Bıurhöiwden. Bon Allen gemteden und ver- 
(affen flieht Wilhelm aus Hapfal und entläßt die Stiftiichen des 
Eides. 

Seine Niederlage war eflatant. Nur Otto UVerfüll und feine 
Sippe führten den Kampf gegen Burhöwden trogig fort und fiinmerte 
fich gar wenig um die Zitatton vor das Neichsfanmergericht, die tatjer 
Karl V. ihm und jechs Meitverichworenen im November 1534 hatte zu- 
jtellen falfen. Da entichloß fich der ftreitbare Bischof jelbjt gegen das 
fefte Haus Fiekel zu ziehen: e8$ wurde umftellt und Otto Uerfitll mürbe 
gemacht. Im Juli 1539 fam es durch Vermittlung zu einem BBer- 
gleich, der den Aufrührern hohe Geldjummen auferlegte, nach deren Be- 
zahlung, nach zwei Jahren etwa, fie auf freien Fuß gelegt wurden, 


en 


Seitdem jcheint Otto Uerfüll mit feinem Landesherrn in bejter Ein- 
tracht gelebt zu haben. ') 

Unerquiclich und trübe ift das Bild, das die legten zehn Sahre 
von Plettenbergs Negierung darbieten: Stagnation und Verfall aller 
Drten, Mangel jeglichen idealen Schwunges und Hervortreten frafjer 
Selbftfucht der Stände charafterifieren dieje Periode livländiichen Lebens. 

Wie hätte da die Neformation jelbjt andere Wege gehen jollen? 
Auch Hier überwuchert nüchterne Erwägung und die Vermengung mit 
höchit weltlichen Dingen jede tiefere und ernitere Empfindung. Nicht 
einmal in den Städten, vom Adel zu gejchweigen, erhielt jtch die Rein- 
heit der erjten Jahre?). 

Am Liebjten weilt unjer Blict noch auf Niga, das 1530 aud) die 
Confessio Augustana unterzeichnet hatte und in dem Ausbau des 
geistlichen Negiments geiunde Entwicklung zeigte. Auch wurde im De- 
zember 1532 in Umgeftaltung der Kirchenverfaffung ein Superintendent 
aus den Gliedern des Nats „über das gemeine geiftliche Amt“ zur 
Schlihtung der Streitigkeiten unter den PBrädifanten u. j. w. eingejebt. 
ES hatte fich eben bald heransgeftellt, daß der Rat in jeiner Gejamt- 
heit das auf ihn bei der Reformation übergegangene Kirchenregiment 
nicht handhaben fünne, die Wichtigkeit der Sache vielmehr die Kon- 
zentration der Gejchäfte in einer Hand erforderten. — 

Neben Knopfen und Tegetmeyer, die, nach einem Streit über den 
Vorrang, paritätisch nebeneinander wirkten, war in ausgezeichneter Weife 
der 1527 aus Königsberg berufene Dr. Briesmann thätig, der, mit 
Luther innig befreundet, durch die 1530 unter Kuopfens und Teget- 
meyers Mithilfe verfaßte Agende, die „Eurze Ordnung des Kirchen- 
dienftes“, der Einführung der deutjchen Sprache im Gottesdienjt den 
Weg bahnte. Auch für das Kivchenlied hat er nicht Geringes gethan: 
ein Öejangbuch, zu dem Kuopfen und Burchard Waldis Lieder jpen- 
deten, erjchien zufammen mit der Agende. Aber troß der Liebe und 
Achtung, die Briesmann genoß, hat er in Livland nicht Wurzel fallen 
fünnen, die politischen Wireniffe machten ihm eine gedeihliche Arbeit 
unmöglich und offen befannte er Herzog Albrecht: „Wifjet, mein freumd- 
licher, Lieber Gevatter, daß bei ums die Sachen jeltjam und wunderlic) 

1) ch. Zohann Lojjins. Bilder aus dem Livländiichen Wdelsleben I, 


pag. 127f. 
>) cf. Die fingen Angaben bei Nipke l. c, 


— 316 — 


verlaufen und fchier alle Monde ein neues Anfehen gewinnen.” Bereits 
1531 ging er in feine Heimat zurück. Elf Sahr jpäter, 1542, treffen 
wir zuerft einen geiftlichen Superintendenten und zwar den jchon Früher 
zum Domfchulveftor berufenen Mag. Bafobus Battıs, einen tüchtigen, 
wacren Mann, der auch der Schule ernjte Aufmerffamfeit zuzumenden 
nicht verabjäumt hat. Er war es wohl auch, der, von Wittenberg 
fonmend, den Magister Wenzeslaus Lemchen nach Riga brachte, der 
hier exit als Lehrer thätig war, jpäter aber ein von feiner Gemeinde 
ichr geliebter Prediger am Dom wurde. Seine Predigten, jo über 
den Bropheten Daniel, rührten einen jo trefflihen Mann, wie den 
ipätern Bürgermeifter Jürgen Badel aufs tieffte und brachten ihm vom 
Rate — 10 Stof rheinischen Wein ein! Erjt 1571 ift er gejtorben. — 
Auch Joachim Müller, Diakon zu St. Beter wird mit Ehren genannt '). 

Mit dem großen Neformator pflog man in Riga auch in jpätern 
Jahren Beziehungen und noch ift ein Brief erhalten, den Luther im 
Dftober 1537 in einem ftrittigen Ehefall auf Bitte des Rats an die 
„Ehrbaren Fürfichtigen, Heren Bürgermeifter und Nat) des Stadt 
Niga yn Lyffland, meinen günftigen Herren md guten Freunden“ ge- 
ichrieben hat. Auch 1540 fand er Gelegenheit, nach Riga zu jchreiben, 
wo jein Wort jo viele treue Befenner gefunden hatte. 

Ein Jahr vorher ift Sinopfen heimgegangen. Die Liebe und 
Verehrung des Landes folgte ihm in die Gruft. Nicht nur Die 
Nigenjer, auch die Bürgermeifter und Vertreter von Neval, Dorpat md 
Menden geleiteten feine fterbliche Hülle, als fie am 20. Februar vor 
dem Altar der Petrifivche beigejeßt wurde). DVerblaßt tjt leider das 
Bild, daß ım3 von dem Neformator Nigas überfommen it, namentlich 
aus den spätern Jahren feines Wirfens find mir jpärliche Züge 
individuellen Lebens auf ums gefommen; um jo danfbarer find wir 
daher für jede Einzelheit, welche die Geftalt des guten und treuen Mannes 
ichärfer vor uns erjcheinen läßt. Deshalb mag der Befchrungsverjuch, 
den er an dem ums jattfam befannten Antonius Bombhower zu machen 
hatte, hier feine Stelle finden, umfjomehr, als daber manches Schlag- 
(icht auf die VBerhältniffe der Stadt füllt”). 

ı, E. Mettig. Luther als PBädagog. Riga. 1883. 

2) Th. Schiemann. Antonius Bomhower und Andreas Kinopfen. 
Sn den „Hiltor. Darjtelungen und Anh. Studien“. pag. 42 ff. 

3) ck NR. Hausmann: Artikel „Rnopfen“ in der Allg. Deutjchen Biographie. 


lg 


Das Schiejal Antonius Bomhowers, der jeit jeiner Nückfehr aus 
Nom in Gefangenschaft der Stadt Niga geraten war, verfehlte nicht 
in Neval, feiner VBaterjtadt, großes Aufjehen hevvorzurufen. Schon 
im Februar 1525 hatten ich feine Brüder, von denen Bartel als 
Ültermann großer Gilde in der Stadt großen Anjehens erfreute, im 
Nat dafür verwendet, daß man zu des Gefangenen Gunften interveniere. 
Man möge den Nat der Stadt Niga, indem man jede Bürgjchaft letite, 
die verlangt werde, bitten, den Antonius in Freiheit zu jegen und ihm 
die Möglichkeit zu geben, „das verfündigte Wort fleißig zu hören, 
vielleicht jet er noch zu erretten und von jeinen Srrtümern abzuwenden.“ 
ach einigem Zögern ging man im Herbit 1525 auf die Bitten Nevals 
ein und verfuchte im Februar 1527, nachdem ihm geraume Zeit ge 
gönnt worden war fich eines Befjeren zu befinnen, in öffentlicher 
Disputation zum Eingeftändnis feines paptitiichen Srrglaubens zu 
bringen. Bombower willigte ein vor der Gemeinde gegen Stopfen 
und Nikolaus Nham, den erjten Lettiichen Baltor Nigas, fich zu ver- 
teidigen, worauf in der Domficche vor einer gewaltigen Menge die 
Disputation jtattfand. Die Lehre von der Nechtfertigung durch den 
Glauben bildete natürlich den Weittelpunft der Debatten, in denen 
Bomhower „durch Die ummwiderjprechliche Wahrheit des  güttlichen 
Wortes zuriickgelegt und niedergeworfen wurde“. Sp groß war Die 
Erregung der Menge geworden, daß nad) Schluß der Disputation Die 
beiden Baftore und jein Bürge und Wirt ihn zwijchen fich nehmen 
und Hinausführen mußten, „wo nicht, hätten ihn die Jungen mit 
faulen Eiern und Schlunmern beworfen“. 

Unterdejjen trat die große und kleine Gilde und die Schwarzbäupter 
in der großen Gildeftube zujammen und verdanmten Antonius’ Lehre 
als eine „gottlofe, trige und teuflische*, erkannten das, was Suopten 
gefagt, dagegen „auf Grund der Schrift Fir eine göttliche, heilfame 
und wahrhaftige" au. „Darauf forderte man von hm“, jchrerbt 
Stuopfen jelbit, „er möge von dev jeinen lafjfen und umnjerem, jorie 
Gottes Wort beifallen; das aber war er auf feinerler Werje zu thun 
gejonnen, jondern bejtand noch härter als zuvor auf der jeinigen. 
Damit wir ihn aber nicht ütbereilten, umd weil wir gern im Site mit 
ihn veden wollten, nahmen wir ihn darauf nochmals zu uns auf Die 
SGildeftube, mit jeinen vorgenannten Wirten, mit Hinrich Warmbecke 
und etlichen mehr, ob ev nicht dem Worte Gottes md der Schrift 


feinen Dinfel unterwerfen wolle und Gott für flüger anerfennen wolle 
als feinen Verftand. Aber wir erlangten jo viel Apfel als Nüffe, 
und e8 ging uns, wie man jagt: ein alter Hund ift jchwer zahm zu 
machen.“ Nam glaubte die Gemeinde dem PBapiften gegenüber genug 
SHeduld bewiejen zu haben, Knopfen wurde beauftragt ihn im Den 
Bann zu thun und Bombower bedeutet, ev möge die Stadt jchleunigit 
verlafjen. Nach Neval, wohin er wohl gegangen ift, folgte ihm ein 
warnender Brief Andreas Sinopfens, daß jedermann jich des Gebannten 
entichlage, mit ihm weder ejfe, noch trinke, wenn ev nicht gleicher Bein 
und Strafe vor Gott umterivorfen jein wolle. — Stein Zweifel, jo fejt 
war die Lehre Luthers in das Bewuptjein der Gemeinde übergegangen, 
daß jchon die bloße Anwejenheit des Mönches ihr ein umerträgliches 
Ärgernis schien! - 

Anders und weit weniger erfreulich war der Gang der Entwic- 
(ung in Neval.’) Wohl finden wir auch hier treffliche Prädifanten, 
jo Sohann Dfenbrüggen und Simon Wenrat, jo vor allem den 1540 
berufenen Mag. Heinrich Bocd, der 10 Jahre Neftor der Schule in 
Wittenberg gewejen war, ehe er zu ung fam und in Neval fich große, 
bleibende Verdienste um das Stirchenwejen erwarb. Wohl blieb man 
auch hier in Beziehung zum Wittenberger Doktor, an den jich der Nat 
um Beihilfe wegen Anjtellung geeigneter Prediger wandte und dem er 
einmal auch ein Gejchenf an Marderfellen zustellen ließ, aber die Ver- 
tiefung in das Wejen der Neformation, die Yäuterung fehlte unter der 
Bürgerjchaft und als 1530 und 31 eine Seuche „als vorher nie ge- 
dacht und gehört worden ijt“ in der Stadt wütete, jtredte fie nicht 
nur die bejten Männer, oh. Lange und Zacharias Hafje — Marjomw 
war nach ärgerlichen Zwiftigfeiten nach Dorpat zurickgefehrt, wo er 
1555 gejtorben ift — auf die Bahre, jondern jte löfte auch Die Ord- 
nung und „es jeheint, daß die mit einem großen Sterben jo häufig 
verbundene jittliche Depravation auch in Neval Fuß Taßte“. Aus 
Magiiter Bocs Leben wiljen wir, wie Streit und Zwijt zioiichen Pre- 
dDigern und Kaftenheren überhand nahm, wie läjfig mancher Pastor jein 
Amt verwaltete, wie groß endlich YKurus und VBöllerei war. Schon nahten 
die Tage, die uns Nachlebenden der Chronist Balthajar Ruffor in dinklen 


N) cf. Fr. Bienemann ]. ec und Th. Schiemann. Die Neformation Alt- 
Livlands. pag. 27ff. 


— 319 — 


Farben überliefert hat, die Tage, in denen fich unjer Land jelbjt ver- 
foren hatte. „Nach 1551 finden wir in den Schreiben des Nates den 
evangelifchen Gruß nicht wieder, mit dem er vor wenigen Jahren jeine 
evangelijch-Iutherische Gefinnung bezeugt hatte: „Gnade und Friede von 
Seju Ehrifto unferm Herrn“! der Friede war verloren, der Gnade 
ichien man, als die Not vorüber war, nicht mehr zu bedürfen“. 

E3 jei an Diefer Stelle auc) auf die Anfänge der Reformation 
in Kurland Hingewiejen‘). Sir Diefem Yande war das jtädtiiche Bitrger- 
tum, auf dem die große geijtige Berwegung bei uns vor allem bafierte, 
jo gut wie nicht vorhanden, vielmehr waren der Orden umd im Big 
tum Surland der geistliche Oberherr die ausjchlaggebenden Faktoren. 
Belonders hHinderlich war zudem in Sturland dev Mangel an Kirchen 
auf dem flachen Lande. Befanden ji) Doch mit nur wenigen Ylus- 
nahmen jolche nur bei den fejten Schlöjfern, meilt im Gejtalt von 
Stapellen, in denen Orvdensfapläne oder fatholiiche Weltgeiftliche die 
Mefje lajen. Ein eigentlicher Mettelpunft, wie ihn im Livland Riga 
und Dorpat, in Ejtland Neval boten, exijtierte im jüddinischen 
Lande nicht. 

Ohne Zweifel 1ft Niga es gewejen, von wo aus Luthers Predigt 
fih nac) Kurland ausbreitete. Seit 1526 jcheint der Protejtantis- 
mus bereit3 hier und dort Anhang zu finden, vier Sahre jpäter (1530) 
lafjen fich die erjten feftangeftellten evangelischen Prediger nachweiien. 
Aber von einer das ganze Yand mit elementarer Gewalt durchflutenden 
Bewegung ft in Kurland noch weit weniger die Nede als in Yivland, 
jehr allmählich nur, oft aus jehr weltlichen Motiven fällt einer nad) 
dem andern dem LYuthertum zu. 

sm Einzelnen läßt fich der Vorgang nicht mehr verfolgen, mur 
einige Momente fünnen wir hervorheben: jo jchließt am 30. Januar 
1532 der Komthur von Windau, Wilhelm von Balm, genannt Fleck, 
wohl der erjte der höhern DOrdensbeamten, der offen Stellung nahm, 
eine Glaubenseinigung mit der Stadt Niga. Ausdrüdlich giebt er 
die Erklärung ab, er folge dem Beifpiel der evangelischen Fürjten 
und Stände Deutjchlands, die fic gegen den Abjchied des Augsburger 
Neichstages, in welchem der Fürjt der Finjternis diefer Welt, der das 


ı) ch. Th. Kallmeyer. Die Begründung der evangel.-futh. Kirche in Kur 
land ze. Mittel. VI. 1—224. 


320 — 


Licht nicht dulden fünne „jyner olden diweljchen art nach“ jein 
Banner aufgeftect, vereinigt hätten zum Schuß des hf. Evangeliums. 

Sieben Tage später folgten dem DOrdensbruder zahlreiche fur- 
ländische Epelleute, die am Dienstag nad) Marii Reinigung gleich- 
fall$ mit Niga ein Neligionsbündnis zum Abjchluß brachten. ES find 
wohlbefannte Gejchlechter, die Sacden, Buttler und Franke, die Grott- 
huß, Freitag und Hahn, Schöpingf, Brinfen und Korff u. WU, Die 
wir bier beieinander finden, aber daß fie feineswegs den ganzen Adel 
repräfentierten, geht aus der beigefügten Slaujel hervor, die den YZu- 
tritt zum Bunde allen denen freihielt, „Die noch dem hl. göttlichen 
Wort zufallen möchten.“ 

Auch im Stift Kurland wird bereits 1526 über das Umfich- 
greifen der neuen Lehre geklagt. Bilchof Sohann Münchhanjen jammert, 
jein Sib Hafenpoth jei von der Ktegerei umgeben, Adel und Bürger 
wären von ihm abgefallen, jeine weltliche und geiftliche Gerichtsbar- 
feit jei vernichtet, in Goldingen, Windau und Frauendurg hätten alle 
feinen eifrigern Wunfch, als die fatholische Neligion auszuvotten und 
die Ktegerei einzuführen. 

Zieht man in Betracht, daß faum ein Menjchenalter nach Pletten- 
berg unter den Ordensbridern ich nur noc) wenige Statholifen jtrenger 
Nichtung befanden, ja das Land jo völlig dem Luthertum angehörte, 
daß die wenigen alten Nonnen, die es noch in Riga gab, genötigt 
waren ihre Ohrenbeichte dem einzigen noc) vorhandenen fatholiichen 
PBriefter, einem reife in Hajenpoth, jchriftlich zu jenden und von ihm 
Abjolution und geweihte Hoitien zu erbitten, jo wird man in der Aı- 
nahme nicht fehl gehen, daß um die Mitte des 16. Jahrhunderts aud) 
Kurland äußerlich proteftantiich war. Doch leider nur äußerlich. 
Wir vermiffen gerade in Kurland jene Glaubenswärme echter Ülber- 
zeugung, die in Deutjchland, aber auch in Niga die Herzen lebendig 
erhielt, vielmehr zeigen fich allenthalben Zauheit und weltlicher Sinn 
und nur zu viele waren zu finden, „die von Gottes Wort und vom 
Kirchgange wenig wußten.“ Die zeriplitterten Kräfte geeint, die ver- 
weltlichte Bewegung verinnerlicht und vertieft zu haben, dem Lande 
durch Kirchenbauten in großem Stil und durch eine Kirchenordnung 
eine Grundlage gedeihlicher Zukunft gegeben zu Haben, war Gotthard 
Kettler, dem letten Meifter und erften Herzog vorbehalten. 

St Dejel hatte zwar der Biichof Kiewel, wie oben erzählt 


— 321 — 


worden ijt, eine gewifje Kicchenreformation ins Werk gejebt, aber 
von einem Eindrang der reinen Lehre ift anfangs wenig zu jpiren 
gewejen. Die Reformation auf dem Eiland hängt vielmehr mit 
der dänischen Herrichaft aufs engjte zujammen, die hier einzog, als 
das jelbjtändige Livland in Trümmer ging. Ws 1560 Herzog 
Magnus hierher fan, waren fatholische Sirchenformen noch über- 
all im Schwange‘). Ausdrücdlich bezeugt der Magiiter Heinrich 
von Brochofen, der Seeljorger des Prinzen und nunmehriger Titular- 
biichof von Dejel, es jei „Hochnötig“ mit der Neformation Exrnft zu 
machen. Mit eifernden Worten jchilt er auf die abjcheulichen, papijtiichen 
Greuel, mit Feuer beginnt ev die Bande, welche die Snjel noch an 
die alte Kirche fnüpften, zu zerreißen. Es war König Friedrich II. 
von Dänemark jelbt, der diefe evangeliichen Bejtrebungen mit ganzer 
Kraft unterjtügte und die Wipbräuche ausvottete, welche, „wenn dem 
ferner gefolgt wird, unzweifelhaft den Zorn des Allmächtigen ferner 
gegen uns erregen müßten.“ Sm Mat 1561 jchrieb er an das 
Dejel’iche Kapitel, er habe mit Herzog Magnus und dem Statthalter 
Dietrich von Behr verabredet, daß mit Abjtellung aller Bapifterei von 
nun an das hl. Evangelium gemäß der Augsburgiichen Konfejjton 
und der däntichen SKirchenordnnung überall gepredigt werde. Das 
Stapitel antwortete ausweichend: es gejchähe bereits, was der König 
wolle; e3 jet zudem bereit, alles, was der hl. Schrift und den Be- 
Ichlüffen des Nömitschen Neiches nicht wideripreche, zu erfüllen, midje 
lonjt aber auf das allgemeine Konzil verweilen. Auch die ihm zu 
gefandte Stircehenordnung fompetiere vor dasjelbe. Friedrichs im März 
1562 erfolgte Antivort war die fategoriiche Forderung der jofortigen 
Durchführung der Reformation. Sa er joll die Abficht gehabt haben, 
jeinem Bruder einen eigenen Superintendenten an die Seite zu jegen 
— ob er e8 gethan, wifjen wir nicht. 

Seit jener Zeit erjt fan man füglic) von einer Neformation 
Dejels reden. 

Es jei noch hervorgehoben, daß auc auf dem Fejtlande, in Liv 
land jelbit, einzelne Gebiete noch Dahrzehnte Fatholische Befenner auf 
wielen, daß es hier und dort, jo in Felli, bis im die Nufjenzeit 
hinein, Fatholijche Klöfter gab. — 

ı) cf. DB. Hollander: Ein Beitrag zur Neformationsgejchichte Dejels. 
Sigungsbericht d. U. &. 1891. pag. 60ff. 

Seraphim, Gejchichte I. al 


— 32 — 


Wenn wir rücdblidend die Tage der Neformation noch einmal 
an uns voriberziehen lafjjen, jo erfennen wir gerade aus der Gejchichte 
derjelben die Eigentümlichkeiten baltifchen Wejens. Sn unübertrefflicher 
Weife hat einer unjerer Hitorifer!) das Fazit aus demjelben gezogen, 
wenn ex jchreibt: 

„Echt baltiich und Livländisch tft die Gejchichte unserer 
Neformation. Sn ihr wiederholen fich die Erjcheinungen, die uns bis 
auf den heutigen Tag überall in unjerer Gejchichte entgegentreten: 
Wir fallen und erjtürmen leicht, wir werden lällig, wo wir feit zu 
jigen meinen, und evt, wenn e3 gilt das durch unjere Schuld fait 
Verlorene zu behaupten und wieder zu erringen, zeigt fich jene Zähig- 
feit, die als ein Erbjtück altjächjiichen Blutes uns überfommen it. 
Wir find jchwer zur Einigkeit und leicht zum Hader zu bringen; «8 
muß jchon arg ergehen, wenn wir uns einmütig nur die Hände reichen, 
aber jederzeit find wir bereit diefe Hand wieder zurüczuziehen. Wir 
find reich an tüchtiger Begabung, an vitftiger Arbeitskraft und arm 
an großen Männern, wir haben viel jtaatsmännische Tradition und 
nur wenige Staatsmänner gehabt. Was den Einzelnen abging, hat 
von jeher bei uns die Genofjenjchaft, die Storporation evjegen müfjen. 
Sn ihr Liegt uufere Straft und fie vor allem finden wir auch in der Ge- 
Ichichte unferer Neformation fürdernd und abwehrend im Bordergrunde 
jtehen.” — 

Einer der wenigen Staatsmänner unjerer Heimat aber war 
Plettenberg, der greife Mleifter, der allein im tobenden Streit der 
Barteien des Landes Wohl unbeirrt jo vertrat, wie er e8 veritand. 

Joch 1551 hatte er eimen hochbedeutjamen Waffenftillftand auf 
zwanzig Dahre mit den Nuffen erneuert, 1535 am 28. Yebruar it 
er dann „in hohem Alter“ umd nicht, wie eine alte Tradition berichtet 
„vor dem Altar“ im der Kirche zu Wenden zu feinen Vätern verjammelt 
worden. Er ftarb gern, denn die Zeit ging aus den Fugen und te 
einzuvenfen fehlten ihm die Sträfte. 

Wie man auch von der jpätern politischen Laufbahn  Diejes 
Weannes denfen mag, verurteilend oder billigend, das Große im Diejer, 
um mit Schivven zu veden, echt holländischen Geftalt, in der fein 
Sunfe einer eleftrifch-Jidländischen Natur war, und die jo echt vom 


1) TH. Schiemann ]. c. pag. 7. 


999 
u 328 em 


Scheitel bis zur Behe den Typus ihr weitfäliichen Heimat daritellt, 
joll ewig unvergefjen bleiben: wie er mit jcharfem Schwert, ein zweiter 
St. Georg, den Gegner aufs Haupt jchlug, jugendlich und ritterlich; 
ivie er mit weiem Nat vermittelnd umd jchlichtend, milde und ehrfurcht- 
gebietend der Zwietracht jteuerte, daß ste, ihr Haupt auch oft erhebend, 
doch nicht zu üppiger Frucht aufichtegen fan. So jteht er vor uns 
— nicht ohne Fehler und Verfchuldung, demm jonjt wäre er ja fein 
Menjch gewwejen — als des Landes Netter in den Tagen der Not, 
als der größte der Meeifter des deutjchen Ordens in Yivlanı. 

Mit Necht Steht jein Marmorbild im Streife der Erjten jeines 
Bolfes in der Walhalla. Tiefer aber lebt er im Bewußtjein unferer 
Heimat, als einer jener Drei, auf die wir vor andern ftolz jein dürfen: 
Bischof Albert, Wolter von Plettenberg und Koh. Neinh. Batkul! — 


18. Kapitel. 


Die Dorboten der Ratalleophe. 


„&zs if zumeilen, als ob ganze Gene- 
rationen mit Blindheit gaelıhlagen wären: 
indem fie unfereinander [Ireiften, bahnen fie 
dem gemeinfihaftlüchen Feinde den Weg.“ 

Keopold von Ranke. Frary. Geld. 

Kur mit Widerwillen und dem Gefühl der Trauer entjchließt 
fi) der Hiftorifer die dreißig Jahre in flüchtigen Linien zu jEizzieren, 
die jenen Frühlingstagen von Wolmar folgten, jenen Tagen, wo e$ 
wie „ein warmer Luftitrom auch um das Livländiiche Yand jpielte 
und den alten, mehr als dreihundertjährigen Baum zur Entfaltung 
trieb.“ Doch die Kuojpe, die der Sonnenjchein hervorgerufen, ver- 
dorrte und fiel ab, „milde ging der Gärtner zur Ruhe"). Was jollte 
er auch noch im dem Garten, da in Baum und Frucht der Wurm 
laß und fie den Todesfeim unvettbar im Sunern trugen! 

Wer fennt nicht jene neuerdings durch einen großen baltijchen 
Nomanfchriftiteller in weite Kreife getragenen Schilderungen einer 
verruchten Zeit, die der Nevaler Ehromift Baltajar Rufjow in düftrem 
Bußpredigerton uns Nachlebenden aufgezeichnet hat. Selbit, wenn 
wenn wir die Tendenz diejer Chronif im Auge behalten und manche 
Übertreibung abftreichen, jo bleibt doc noch Furchtbares zurücd, das 
dadurch nicht weniger furchtbar bleibt, daß die Zujtände in Deutjc)- 
land damals faum bejjer waren. Sollen wir deshalb ung über den 
Charakter jener Tage zu täuschen juchen? Mit nichten, in dem rüc- 
haltslojen Eingejtehen der Ihatjache, daß das damalige Livland wert 
war, unterzugehen, liegt eine Gewähr für uns jelbft. Denn wer mit 
feitem Bliet die Schmach der Vergangenheit zu betrachten vermag, 


!) Bienemann. Mus balt. Vorzeit. pag. 95T. 


der hat — wie Der zu früh dahingegangene Loifins jchön hervorge- 
hoben Hat — ein Necht auf die Zukunft. Unveifen Geiftern bleibt 
e3 unverwehrt, ji vor den Gräueln der Vergangenheit in feufcher 
Ohnmacht zu verhüllen '). — 

Als Walter von Plettenberg ftarb, herrichte im Lande migmutige 
Bewegung, deren Urheber befanntlich) Markgraf Wilhelm, der neue 
Koadjutor, war. Grit unter dem neuen Meilter Hermann von 
Bruggenoye genannt Hajenfamp, einem jähzornigen und harten, von 
lettenbergs verjühnender Melde unberührten Mann, der bis 1549 
dem Orden gebot, fanden die ärgerlichen Wirrnifje, wenigiteng vorüber- 
gehend, ein Ende. Wohl hatte ji ein Teil von Wilhelms Anhängern 
Ihußjuchend nach Preußen und nach Dänemark gewandt, doch glaubte 
Bruggenoye Grund zur Annahme zu haben, daß der ehrgeizige Mark- 
graf nad) einer neuen Gelegenheit, jeine unruhigen Bläne wieder auf- 


1) Außer den recht magern Chronifen von Thomas Horner (1551 gedrudt) 
und Bartholomäus Grefenthal (am Ende des 16. Jahrhunderts) it als 
Hauptquelle für das 16. Jahrhundert die Chronif des Nevaler Predigers Balt- 
hajar Rujjomw zu nennen, der die troftlofen Zeiten als ein Strafgericht Gottes 
auffaßte und meijt al3 Augenzeuge mit jcharfem Griffel ein dunkles Gemälde von 
Land und Leuten zeichnete. Etwa 1600 ift er gejtorben. Hier wären auch noch 
die Aufzeichnungen des Predigers Timan Brafel zu erwähnen. Sehr wertvoll 
it ferner die 1870 aufgefundene Chronit. FZohann Nenners „Lifländiicher 
Hiftorien negen bofer.” Der Autor der 1556—1560 erjt beim Vogt von Jerwen, 
dann beim Komthur von Bernau Sefretarius war, bejchrieb die Gejchichte feiner 
Tage bis 15852. Während bei Nufjow der jchwedische Standpunkt prävaliert, tritt 
bei ihm Die Verteidigung des Ordens deutlich hervor. Ein katholischer Chronist ijt 
Dionyjius FZabricius, Propft des Jejuitenkollegiums in Fellin, doch ijt jeine 
Chronik jehr mit Vorficht zu benugen. Die Chronit Salomon Hennings, des 
Geheimjefretärs Gotthard Kettlers, verjchweigt leider im Interejje feines unlautern 
Herrn mehr als jie mitteilt. 

Ebenbürtig jtellen ich für die Zeit des Untergangs neben die Chroniken die 
Urfundenjammlungen, die der Munificenz der baltischen Stände ihr Entjtehen 
verdanfen. Am interejjantejten jind wohl die Briefe, gegen 2000 an der Zahl, von 
allen möglichen PBerjonen in den Augenblicen der Sorge, Gefahr oder Hoffnung 
gejchrieben. Die vergilbten Papiere jagen oft mehr als Chronifen und Htitorien. 
Die beiden großen Sammlungen derjelben find: 1) für die inländifchen Urkun- 
den und Briefe: %. Bienemann: (Briefe und Urkunden zur Geichichte Liv- 
lands in den Jahren 1558—1562, 2 Bände) und 2) die große Edition Profejjor 
Schirrens: (Quellen zur Gejchichte des Untergangs livl. Selbjtändigkeit), welche 
das Material aus dem Stodholmer und anderen Archiven enthält. 


zunehmen, juche. Und er hatte Recht mit diefem Verdacht. Konfpirierte 
Wilhelm doch insgeheim nach wie vor mit feinem Bruder, Herzog 
Albrecht von Preußen, damit diefer im Bunde mit den Flüchtlingen 
in Kurland und Dejel einfalle. Wiederum war e3 der Allerwelts- 
freund und glaubenseifrige Yutheraner Mag. Lohmüller, diefer Mann 
„zweideutigen Charakters und verächtlicher PBolitif“ '), der die heifle 
Vermittlung übernommen, doch der Meifter hatte ein jcharfes Auge 
auf ihn, jchon wollte er die Schlinge zuziehen — aber nochmals 
wußte fich der VBerichlagene ihr zu entziehen: wenn auch mit fnapper 
ot, jo gelang es ihm doch, jein teures Leben nach Königsberg in 
Sicherheit zu bringen (1536), wo er die Seele aller Konjpirationen 
und Anjchläge auf Livland wurde. 

Um fo Schärfer ging der ergrimmte Meifter gegen diejenigen vor, 
deren er habhaft werden fonnte. Ein Edelmann in Bausfejchen, 
Dietrich Butlar, der als Führer der Mifvergnügten galt, wurde auf- 
gegriffen, auf das Schloß zu Wenden gejchleppt und jo arg gefoltert, 
daß er im folgenden Jahr den Berlegungen erlag. Diele Bartei- 
gänger Wilhelms wurden ihrer Güter beraubt. Auch Burchard Waldis, 
defjen jchieffalsreiches Leben wir jchon fennen, wurde in den Banfrott 
der Bartei Wilhelms hineingezogen. Hatte doch der Dichter des „Spiels 
vom verlorenen Sohn“ der leidigen Bolitif um jo weniger entjagen 
fünnen, al3 er in engen Beziehungen zu Lohmüller jtand, der ihn 
bei feinen vielen Gejchäftsreifen als Agent fir feine Pläne bemußte. 
Wie eng ihre Beziehungen waren, erhellt u. A. daraus, daß Waldis 
einmal drei Tage in deffen Haus geblieben war und Dort „roten 
Dein getrunfen” hat. Lohmüller wurde fein böjer Dämon; während 
er in Königsberg wohl geborgen jaß, trug der fahrende Kannengießer 
Botichaft und geheime Briefe ins Land und andere Briefichaften wieder 
ing Ausland. Als ev im Winter 1536 durch Kurland Heimfehrt, 
wird er im Bausfejchen, wo er Verwandte hatte, plöglich aufgegriffen 
und peinlich befragt. War er jelbjt Berichwörer, war er nur un- 
wiliender Botengänger? Wer weiß es. Zwei Jahre hat er, immer 
wieder befragt und torquiert, in dunklem Berlieg — das noch heute 
vorhanden — gejeflen, allein in der Ahrgjt feines Herzens, vergefjen 
von all den Freunden, von Lohmüller, der ihn ins VBerderben ge- 


!) ef. 2. Schirren. Burhard Waldis. Balt. Monatsjchrift II. 


bracht hatte. Später führte man ihn nach Wenden, „dem höchiten, 
geheimjten Nichtplab des Drdens“, wo es ihm wahrlich nicht befier 
ging. sn Diefen Seelenqualen fand er Troft und Aufrichtung in 
der Umpdichtung der Pjalmen, an die er ging, um „die langweilige 
und bejchwerliche Gedanken, und Teuffeliche anfechtung damit zu ver- 
treiben odderje zum theyl zu vermindern.“ Dann vang es fich wohl 
von jeinen Lippen: 

„gu dir mein jeel wil geben, 

Herr Gott auff dich hab ich$ gewagt, 

Erhalt mich bei dem leben; 

AM meine Zuflucht tell ic) an dich, 

Laß nit zu jchanden werden mic) 

Daß jich mein Feind nit freuen! 

Mein Augen find allzeit zu dir 

D Herr, mein Gott gerichtet, 

Daß du Helfit aus dem Nebe mir, 

Dern die mich. Han vernichtet, 

Erbarm’ dich mein und fieh’ mich an, 

Denn arm bin ich, von Jedermann 

Auch gar und ganz verlafjen. 


Meins herken weh richt mich jegt Hin, 
Komm Herr und tröft mich wieder, 
Schau, wie ich gar vernichtet bin, 

Im Elend lieg darnieder, 

Darumb vergieb die Sünde mein, 
Sieh an wie viel der Feinde fein, 
Die mich an jach verfolgen.” — 

Endlich gelangte von Burchard Waldis trojtlofem Gejchiet Kunde 
in jeine Heimat, aus der fie) zwei Brüder aufmachten, um ihn zu 
(öjen. Die Bittbriefe Bhilipps von Hellen, die fie mitbrachten, die 
Mahnungen Nigas fruchteten jchlieglich: im Sommer 1540 öffnete 
der Meifter dem Gebrochenen die Kerkerthür. Der Hannengießer aber 
eilte den heißen Boden Livlands zu verlafjen, in der alten Heimat 
fand er die Stätte bereitet: jechszehn Sahre noch wirkte er als Prediger 
der reichen Abtei Abterode, bis er endlich müde und gebrochen die 
Augen Schloß. Nicht leicht war ihm das Leben gewejen. — 

Markgraf Wilhelm hatte nicht die Macht noch den Mut der 
Seinen ftch anzunehmen, er konnte froh jein, wenn man ihn in NRube 
ließ. Wir hören wenig von ihm, jo lange Erzbilchof Thomas Schvening 


— 32383 — 


(ebt. Als Ddiefer aber 1539 das YZeitliche jegnete und Wilhelm nun 
endlich die Ausficht winfte, jelbjt den Stuhl von Niga zu befteigen, 
Itieß er auf unbeugjamen Widerftand jeitens der Stadt, die Sowohl 
die Huldigung wie die Auslieferung der Stiftsgüter verweigerte. Sie 
lich wohl verlauten, daß die Einfünfte derjelben weit beijer fir Schulen, 
Kirchen und Stranfenhäufer als für die Bäuche fauler PBfaffen ver- 
wendbar jeten. DBergeblich tritt man auf Landtag um Yandtag, die 
Stadt blieb beharrlich und als der Orden Miene machte, dem Erz- 
biichof beizufpringen und in Preußen wieder einmal geriiftet wurde, 
antwortete Niga mit feinem Eintritt in den Schmalfaldischen Bund 
(1541). Noch fünf runde Sabre gingen die Verhandlungen herüber 
und hinüber, bis schließlich (1546) in eimem zu Neuermühlen abge- 
Ichlofjenen Vertrag die Stadt in der Huldigungsfrage nachgab, worauf 
im Sanmar 1547 Meifter und Erzbiichof ihren Einzug hielten. Um jo 
hartnäciger blieb die Stadt inbetreff der Stiftsgüter, jcheerte fich nicht 
um Klagen beim Neichsfammergericht und trogte Wilhelm, Bruggenoye 
und defien Nachfolgern, 618 Schließlich der Meifter Heinrich von Galen 
im Dezember 1551 emen neuen Vergleich vermittelte, der dem Erz- 
biichof die Domherrnhäufer zufprach, während die Stadt die Domfirche 
als zu Necht behielt. 

Doch nicht das fanır unfere Aufgabe fein, den jänmerlichen Hader 
und Zanf in feinen Einzelheiten hier zu verfolgen und aufzuzeichnen. 
Wichtiger jcheint eS ung, ein Bild der damaligen HJerfahrenheit und 
Berfommenheit zu zeichnen, die den Ausruf wohl rechtfertigen, den 
man auch auf jene Tage angewandt: „Gewogen, gewogen — und zu 
feicht befunden!“ 

Wie zerjeßend hatte die Neformation im unferer Heimat gewirkt! 
Leicht errungen, gegen feine jchiweren Anfechtungen verteidigt, hatte fie 
nur den Prozeß der Auflöfung bejchleunigt, die Kluft der Stände er- 
weitert, die Kraft des Landes zerrieben. 

Bom Erzbifchof tt gemugfanı bereits die Nede gewejen; die Ver- 
weltlihung der Prälaten, von der wir in den Tagen der Reformation 
Berjpiele gejehen, hatte wahrlich nicht abgenommen. Nur noch trdijche 
Händel, Fragen des Befibes und Genuffes, VBolitif und Intrigue füllen 
den Kopf diefer Bifchöfe und Domheren oder Nbte, 

Vicht: bejjer fteht es um den Orden. Mlochte Bruggenoye oder 
Johann von der Nede der Meifter heißen, oder aber der biedere, aber 


em 


ichwerfällige und bejchränfte Heinrich von Galen von den Gebietigern 
erhoben worden jein, das Bild bleibt dasjelbe. VBerichiwunden it aller 
ideale Sinn, jedes höhere Streben; zügelloje Genußjucht, Habgier und 
unfriegeriiche Weichlichfeit, ja zeigheit haben aus den Nittern ein 
Zerrbild einftiger Größe gemacht. Wer offenen Auges in die Welt 
Ichaute, erkannte mit Schreden, wie herabgefommen die Ritter waren, 
deren Kriegsruhm einft die Welt erfüllt hatte. Wohl Manche. werden 
gleichen Stunes mit jenem Yandsfnecht gewwejen jein, der beim Herein- 
bruch der Kataftrophe in einem „Liedlein“ geiungen, wie es im 
Orden jtand: 

„Die Demut tjt verlojchen gar. 

Groß Hoffarth it gemein, 

Man fieht ihr feine im Orden gan, 

Sie wollen regieren allein 

Und thun doc) Niemand Gleich und Recht, 

Des beflagt fich leider Ritter, Bürger und Knecht. 

Man jpürts aus allen ihren Sacıen; 

Bald Feierabend wollen fie machen! 


Im Feld zu liegen, wider den Neußen zu friegen, 
Das haben fie gar vergejjen, 

Thun ji und die ganzen Lande betrügen 

Mit ihrem großen Vermejjen. 

Das Schwert hangen fie an die Wand, 

Die Klapfannen nehmen fie in die Hand, 

Thun ritterlich umherfechten, ja fechten! 

Und wer wohl jaufen und buchen (venommieren) kann, 
Ihres Ordens Oberjter muß er jein, 

Sie halten ihn für ein’ Meijter; 

Sie fißen und vor Andern gern ob an — 

Bloß blog, Bruder, der ijt der Manın, 

Der die Feinde wird verjagen, verjchlagen!” 


Sirwahr ein trauriges Liedlein!!) 

Die BVetterwirtichaft und der Nepotismus, der den Orden rırimiert 
hatte, drückte auch den Ritterichaften Livlands den Stempel auf, auc) 
hier diejelbe Wirtichaft, derjelbe jelbitfüchtige Dünfel, diejelbe rohe Ver- 
fommenbeit. „Vaterland“ war ein Wort, das man in Harrien-Wier- 
land jowenig wie im Erzjtift, oder in Surland oder jonft wo juchen 


') gitiert nad) 3. dv. Grotthuß’ „Dichterbuch”. pag. 58ff. 


durjte, Standesintereffe lautete die brutale Yojung, joweit nicht der 
maßloje Egoismus jelbjt diejes Band zerriffen hatte. 

Selbjt in den Städten jah es nur wenig bejjer aus. Wohl hatte 
hier der Bartifularismus nicht ganz jene nackten Formen wie bei den 
andern Ständen, wohl lebte hier wenigjtens ein Nejt alten deutjchen 
Birgerfinns, aber Luxus und Üppigfeit untergruben auch hinter den 
Mauern der Städte die bejte Kraft und hemmten jeden weiten (e- 
danfenflug. Engherzig haben fic) auch Niga und Nevals Bürger in 
der Stunde größter Gefahr gezeigt: während das Land in Triimmer 
janf, weigerte man hartherzig jeden Pfennig zu gemeinsamer Nüftung. 

Bom Bauern it faum zu reden: Die befannten Berje: „See bin 
ein Liffländisch Bur, min Levend werdt my jur“ galten jchon damals. 
Schon war er gefnechtet und an die Scholle gebunden und Die pein- 
volle Lage, die den deutjchen Bauern zu den wilden Bauernfriegen ge- 
trieben, war für den lioländiichen wahrlich nichts Fremdes. Boll In- 
gruimm jah der Lette und Ejte auf den vohen Herrn, der ihn als 
Ware behandelte, und wartete mit Sehnjucht auf die Stunde der 
Vergeltung. 

sn trefflicher Werfe hat Karl Schirren') den Zultand vor der 
Stataftrophe gezeichnet. „Hoch und niedrig,“ jagt er, „Obrigfeit und 
Unterthan, Herr und Bajall, Sunfer und Bürger, alle haben bald 
jeden Begriff politischen Wertes verloren: ihr Necht tft das Necht, 
alles Necht anderer tft Unrecht; fe ahnen nicht, wie jte ji) über und 
gegen alle Gejellfchaft jeben, jeder it Jich jelbjt die einzige lebens- 
wirdige Gejellichaft, in feiner Enge umschreibt jich für jeden der Hori- 
zont des Landes.“ 

Daß Ddiejes vernichtende Urteil nicht zu viel jagt, das beweijen 
eine Neihe von VBorkfommmiijen, aus denen einige hier hervorgehoben 
werden millen?). 

„Anno 1535, den 7. Tag im Mat, jo berichtet ein Schreiben des 
Nevaler Nats, da ward der ehrbare Johann Uerfüll vom Riejenberge 
mit dem Schwerte gerichtet; er hatte jeinen Bauern erjt aufgezogen 
und jchtwer gegeißelt und dann im den Block gejchlagen und zmet 
Nächte in der jchweren Kälte in Stod gehalten, daß ihm die Füße 


1) ck. Balt. Monatsjchrift. XXVIL. Bischof Johann von Mündhaujen. 
?) cf. Schirren 1. c. und Sohannes Lojjius. „Drei Bilder aus dem 
Livländischen Adelsfeben des 16. Jahrhunderts”. I. Band. 


— 3 — 


erfroren; dann nahm er eine Hallige Holzes und Ichlug ihm unter 
die erfrorenen Füße, darnach auch auf den Kopf, jo daß der Menich 
vom Leben zum Tode fam. Das hat er jo befannt vor den Bögten 
und vor den bejiglichen Bürgern (folgen die Namen). Des erichlagenen 
Bauern Freunde hatten ihm das Geleit gejperrt und er fam darüber 
in die Stadt umd ward jo beflagt von des Bauern Freunden; er be- 
fannte ungepeinigt, daß er es jo begangen wie gemeldet, und bot 
großes Geld, daß er davon füme, den Stechen ein Dorf und alle Zeit 
jeines Lebens eine Lajt Noggen und der Stadt taujend Marf. — 
Das fonnte das Necht nicht leiden, man mußte dem Reichen, als 
dem Armen thun. Gott Gnade der Seele!" Das Unerhörte gejchah: 
der Edelmann mußte jenen Frevel mit dem Tode büßen. HZwijchen 
zwei Thoren joll der Nat das Schaffot haben aufrichten Lafjen, um 
vor einem Befreiungsverfuch Jicher zu jein, den Verfills Genofjen 
planten. So fiel Johann Werfülls Haupt und feine Drohungen, feine 
PBrotefte und Stlagen beim Drdensmeister machten den Toten mehr 
lebendig. 

Es läßt fich nicht leugnen, der Nat hatte jehr eigenmächtig ge- 
handelt und die Nitter von Harrien und Wierland, die gerüftet vor 
Nevals Thoren erjchtenen, um Gemugthuung fir den „Mord“ zu er- 
halten, hatten von ihrem Standpunft Necht, wenn jte betonten, Uerfüll 
habe vor ihr eignes unbejcholtenes Gericht Fompetiert. Aber der Nat 
wußte wohl, daß das Gericht der Standesgenofien jolchen „Vorfall“ 
recht leicht nahın und mit 4—600 Mark zu büßen pflegte. Deshalb war 
das innere Necht auf Seiten des Nats und feines fühnen Bejchluffes. 

Wie tief derjelbe aber in den Herzen der Edelleute fraß, wie jehr 
andrerjeitS den Bürgern der Kamm gewachjen, zeigte ftch, als der neue 
Meifter Herman von Bruggenoye in Neval feinen Emzug bielt, m 
fich huldigen zu lafjen. Bei dem Turnier vitt auch ein Saufgejelle 
gegen die Edlen von Harrien-Wierland in die Schranken und Fänpfte 
lo glücklich, da er manchen von ihnen in den Sand ftredte. Schlie 
(ich wınrde er erfannt und im Nur flogen die Schwerter aus der Scheide: 
ein Furchtbarer Tummlt entjtand, dem der Meifter vergebens zu jteiern 
verfuchte, indem er feinen Hut unter die Streitenden warf. Erjt einen 
Birgermeifter gelang 8, die Nuhe herzuftellen, doch im Herzen blieb 
der Stachel zuriict und wieder mochte das Wort den Edelleuten auf 
die Lippen treten; 


— 9932 — 


„wy wollen den borger up de foppe jlaı, 
dat bot Schall up den ftraten jtan!” 

Einer aber ging von den Worten zur That gegen die verhaßten 
Städter über, ein Vetter des Getöteten, Konrad Werfüll aus dem Haufe 
‚siekel, ein Glied jener Sippe, die in Delel und Eftland weit verziveigt 
haufte. Namentlich Otto Uerfüll auf Fiekel und feine Tieben Söhne 
waren Stolze Gejellen: „schwere golpne Stetten hingen ihnen vom Halfe 
herab über eine Brust, die von biebfeitem Harnisch gedeckt wurde; an 
der Seite trugen fte ein breites Schwert, das nicht immer gerade für 
Necht md Tugend aus der Scheide flog, immer aber, wo es die Be- 
friedigung perjünlicher und politischer Leidenjchaft galt“. Auf eigne 
Fauft, mit einer Schar verwegener Stechte, nahm Konrad Werfüll die 
sehde gegen die Stadt auf, verheerte das Gebiet und wurde ein 
Schreden der Bürger, gegen die er auch fremde Mächte, jo König 
Suftav Wafa, aufzuhegen wußte. Freilich durfte er nicht lange jein 
Nüuberhandiwerf treiben, Schon 1537 wurde er nebjt fünf andern Edel- 
leuten Durch die Landesmächte überwältigt und gefangen gejeßt. Er 
fonnte froh jein, daß ihm, nachdem ihm der Oxdensmeilter gar harte 
Worte ins Geficht geworfen, gejtattet wurde, außer Landes zu gehen, 
was wohl die Lübecker wenig erfrent haben mag, in deren Gebiet er 
wegelagernd mit jeinen Gefellen einfiel. Im der Heimat aber ging die 
sehde, an der allmählich alle Uerfülls teilnahmen, weiter; Berhand- 
(ungen wechjelten mit erbitterten Kämpfen, bis endlich 1551 das Ge- 
Ichlecht Urfehde Ihwor und mit Neval Friede Ichloß. Konrad Uerfüll 
war umterdeflen aus dem Lübifchen zu den Noftocern gezogen — war 
es ihm doch einerlet, welcher Hanjeftadt ev einen Tort aufthuen konnte, 
wenn es nicht Neval jelbjt jein fonnte! Doch die Noftocder wußten 
den Unbändigen zu überliften und festen ihn in feites Gewahrlam, in 
dem er lange geblieben ift. Erft nach vielen Berhandlungen mit Neval, 
Lübee, dem Orden und fremden PBotentaten Shwur er endlich Urfehde 
und jein Gejchlecht leistete Bürgschaft. Aber faum war er frei, jo 
jeßte er fein frivoles Spiel weiter fort. Er. plünderte in Holftein, 
wegelagerte abermals vor Libeds Thoren und zog evit ab, als man 
ihm eine anfehnliche Summe ausfehrte. Nun trug er jein scharfes 
Schwert nach Holland ıumd von dort nach Frankreich. Hier hat er 
fih, als 1558 die Rufen ich bereits auf Livland geworfen hatten, 
— angeblich) im Eimverjtändnis mit dev Ritterichaft — mit dem Plan 


— 333 — 


bejchäftigt, das in Auflöjung begriffene Xand an Frankreich zu bringen, 
welches durch den Befis Livlands, das „mit unerjchöpflicher veichlicher 
guter Früchte allerlei Korns von Gott jährlich begabt“ wäre, den 
Jiederlanden, die ihren Bedarf bisher wejentlich von hier bezögen, Die 
Lebensader unterbinden fünne.!) Zur Ausführung it der Plan na- 
türlich nicht gefommen, und Stonrad Uerfüll hat jich bald wieder nad) 
iederjachjen zurückgewandt. Sem Name verbreitete Schreden und 
und Entjegen in Holjtein und Schleswig; König Friedrich von Däne- 
mare, ein heigblütiger Herr, wußte jich Schließlich nicht anders zu 
helfen, als daß er Meuchelmörder gegen ihn ausjandte. Zwei Edel- 
leute, Mühlen und PBlaten, lauerten dem wilden Konrad bei Segeberg, 
aus dejjen Zelle einft Meinhard hervorgegangen, auf und Ducchbohrten 
mit ihren ficher treffenden Kugeln das unruhige Herz Ddiejes verlorenen 
Sohns liwländischer Erde. 

Schlimmer noch als Konrad Uerfüll hat Wolmar Uerfüll im 
Lande, vor allem in der Wiek und in Dejel, gehauft, fein Haus war 
vor ihm ficher, als toller Friedensbrecher und frivoler Händeljucher 
fannten ihn Alle. Schließlich wurde das empörende Treiben Wolmars 
jelbjt dem jonst vecht nachjichtigen Bilchof Sohann von Minchhaufen 
auf Defel zu arg und mit jcheinbarem Ernft zitterte er ihn am 
25. Februar 1554 vor jein Gericht. Und was tft die Strafe: noch am 
jelben Tage zahlen die Freunde Wolmar Uerfülls dem Prälaten hun- 
dert Thaler, dev Friedensbrecher gelobt Bejerung und der Bilchof 
„verwandelt jeine Ungnade in Gnade!“ 

Ein feiner Herr, diefer Johann von Minchhaufen, dem  jeine 
Gnade für Hundert Thaler feil ift, der es nicht vertragen fan, wenn 
bei jeinem Einzug in Hapjal die Bajallen ihre Gewehre abjchiegen, ein 
Schwäcdhling, dejien Bild Schirren in meilterhafter Jronie gezeichnet 
hat als „einen gemütlichen Bauernjchinder und milden Kormwvucherer“ 
— — als einen von denen, „welche das Ende der livländischen Dinge 
gejehen haben umd ihrer jelbjt ein Teil waren“. 

Ein anderer Mufterprälat, der gleichfalls jein Bistum nur als ex 
giebige Einnahmequelle betrachtete und durch Bedriitung der Bauern 
und ausgedehnte Handelsgejchäfte die Mittel zu foftjpieligen Schmauje 


ı) Mitteilungen XI. W. Mollerup. Konrad Uertülls und Friedrich) 
von Spedts Plan einer Eroberung Livlands durch Frankreich. 


era 


veien zu erwerben beftrebt war, jaß auf dem Stuhl von Dorvat: Hier 
gab 8 1543 eimen tragifomifchen Streit um das PBistum zioiichen 
Hermann Bei, einem Dorpater Bürgerfohn, und Jodofus von der Nede. 
Hermann trat um em Geringes jeine Anjprüche ab, aber auch Necke 
verließ 1551 das Stift und verpfündete munter die Kapitelgüter. Danı 
ging er nac) Deutjchland, ins Liebe Weltfalen, wurde Kanonifus in 
Minjter, 618 ihm auch diejes Amt zu bejchwerlich wurde und er zu 
heiraten bejchloß. Das wurde den Dorpatern denn jchlieglich doch zu 
arg und fie forderten ihren flüchtigen Oberhirten endlich auf zuriüczu- 
fehren. Er aber gab Antwort, er habe dem Peter von Tiejenhaufen 
jen Bistum abgetreten; daß der nicht gewählt und vom Wolf 
„BSernbifchof“ genannt wurde, war Nede wohl ebenjo gleichgiltig, wie 
der Gejang, den Ätber die ärgerlichen Händel der derbe Humor jener 
Tage erklingen ließ: 

„Herr Biichof Hermann Bei 

Gab fein Bistum um ein Ei! 

Herr Sodofus von der Nede, 

Warf das Seine gar im Drede!“t) 

Wie jehr aber in Standesdiünfel und brutalem Egoismus das 
Land verjtrict war, das illuftriert jene durch Pantenius’ „Die von 
Stelles* Vielen befannt gewordene Gejchichte von Barbara Tiejen- 
haufen und Franz Bonnius, ein düftres Trauerjpiel, das wie fein 
andres bligartig das dem Untergang verfallene Livland beleuchtet. 

Auf einer der Adelseinigungen, die für die niedergehende Zeit 
typisch find, der vom März 1543, wurden äußerjt jtrenge Bejtim- 
mungen über Stleiverlurus der bürgerlichen Frauen getroffen, ihnen 
genau vorgeschrieben, welches Gejchmeide, welche Kopfbedeckung, welche 
Stleidung diejelben im Gegenfag zu den Edelfrauen zu tragen hätten. 
Barbarijch aber waren vor allem die Feitjegungen zum Schuß der 
adligen Zamilien gegen Mesallianzen, das Todverbrechen jener Zeit. 
Venn eine adlige Wittibe einen „jchlichten Gejellen“ die Hand zur 
Ehe reiche, jolle dies Ehebruch gleich geachtet werden, ihr Bermögen 
jolle fonfisziert, fie jelbft aus der Sippe ausgejchlofjen werden. So 
aber ein jchlichter Suecht eine Jungfrau vom Adel mit Gelübte zur 
Ehe überredet, „va jollen fie beiderjeits gejhmächtigt werden.“ Num 


') Richter, Gejchichte der Djtjeeprovinzen I. pag. 310jf. 


— 339 — 


war im Sahre 1553 in Ringen ein junger Kaufmann ranz Bonntius 
in Dienst, der ein Fräulein aus der reichbegüterten Jamilie der Tiejen- 
haufen, Barbara, Liebgewann, fich heimlich mit ihr verlobte und mit 
ihr entflohb. Das ganze Zand geriet in Aufregung, die Tiejenhaufens 
ihwuren die Schmac furchtbar rächen zu wollen. Man jagte den 
Flüchtlingen nach, der Drdensmetjter lieg nach ihnen fahnden, der 
Nat von Riga erhielt Auftrag ie zu ergreifen, wo er fie fände. Wohl 
gelang e8 Bonnins fich zu retten, aber Barbara Tiejenhaufen fiel 
den wütenden VBerfolgern in die Hände, man jtellte fie vor ein Fa- 
miliengericht und Lie fie — der eigene Bruder joll mit die Hand an ie 
gelegt haben — ertränfen. In des Berlobten Bruft wuchs der Haß 
riejengroß, den Tiefenhaufens ließ er .zehde bi8 aufs Mejjer anjagen: 
„mit Feuer und Schwert wollte er fie verfolgen, mit eigner Hand 
und durch Helfershelfer.“ Aus Riga, wo er fich insgeheim aufge- 
halten, entwich er nach Surland, wo die Nähe Littauens ihm bald 
verzweifelte Eriftenzen in Fülle zuführte, mit denen er im großen 
Stil zu freibeutern begann. Wie Konrad Uerfüll gegen Neval und 
die Hanjaftädte, jo fehvete er gegen die Tiefenhaufen, den Orden, den 
ganzen Adel: im Januar 1556 macht er mit einem Neitertrupp von 
90 Stnechten die Umgegend von Memel unficher und vergeblich be- 
müht jih Herzog Albrecht der Brandichagung zu jteuern. Als dann 
der ruffische Krieg den Zulammenbruch herbeiführte, überall Banden- 
führer entjtanden, die die jcharfen Schwerter der Heimatlojen, der Hof- 
leute, um jich janmelten, wurde aus dem Nächer und Näuber ein 
mächtiger Barteiführer. Doch von diefem gilt e$ an andrer Stelle 
reden. — 

Wenn unjer Blid, noch einmal fich rüchwärts wendend, die Ele- 
mente vorüberziehen läßt, die das Livland nach der Reformation 
bildeten, jo verjtehen wir, warum das Gejpenjt des Verderbens vor 
der Thür ftand. Damit auch die Zeitgenofjen — wären fie micht 
wie mit Blindheit gejchlagen gewejen — das Gefühl ihrer ohnmäch- 
tigen Nichtigkeit erfannten, ehe die Sterbejtunde der Livländijchen Kon 
jüderation jchlug, wurde dem Lande ein nochmaliger Bürgerkrieg — 
er jollte der leßte jein — nicht erjpart. 

Die Furcht, daß Erzbischof Wilhelm neue Zettelungen unternehme, 
war im Lande noch immer lebendig und brach immer wieder hervor. 
As 1546 die Stände in Wolmar tagten und bier Stimmen laut 


336 — 


wurden, die auc) jebt noch, wohl im Hinblik auf Wilhelm, in der 
Aufhebung von Orden und Bistiimern Livlands Heil erblickten, einigten 
fi) die Verjammelten zu einem jcharfen Beihluß gegen dieje Be- 
Itrebungen, einem Bejchluß, dem die innere Berechtigung nicht abge- 
jprochen werden fann, wenn man im Auge behält, dag Livland da- 
mals feinen Mann hatte, um die Aufgabe zu übernehmen, zu der fich 
jelbft Plettenberg zu jchrwac, gefühlt hatte. So lautete der Yand- 
tagsvezeß dahin, daß jeder Stand bei jeinen bisherigen Nechten und 
Freiheiten erhalten werden jollte, daß ferner weder der Meifter noc) 
der Erzbijchof in den weltlichen Stand treten, noch endlich einen aus- 
ländischen Fürjten oder Herrn zum Koadjutor erwählen jollten, „es 
gejchehe denn mit einhelliger, vollfommener und freiwilliger Berwilligung, 
Erlaubnis und Nat aller Stände diejer Lande.“ 

MWiderwillig fügte fich der Exzbilchof dem Landtagsbeichluß, den 
ernftlich zu halten er nicht einen Augenblick gedaht hat. Es wäre 
das auc) einem Verzicht auf die Zukunft gleichgefommen. Um Stleinig- 
feiten wie die eidliche Befräftigung des Nezejjes pflegte fich zuden 
Markgraf Wilhelm wenig Sorge zu machen, fajt jchten es, er glaube, 
Eide jeien mur dazu da, um gebrochen zu werden. 

Freilich täppijch jofort zuzugreifen, verbot ihm feine Berjchlagen- 
heit, hinderte ihn vor allem jein noch umnausgetragener Zwilt mit 
Niga. Erjt nachdem er 1551 an Heinrich von Galens Seite jeinen 
Eintritt in die Stadt gehalten und 1554 ein neuer Landtag von 
MWolmar dem Lande bis zur Entjcheivung dur) ein Stonzil allge- 
meiner Chriftenheit die freie ungehinderte Ausübung der reinen Lehre 
verbürgt hatte, trat er mit feinen längst vorbereiteten Blänen hervor '). 

Erzbiichof Wilhelm fnüpfte bei denjelben an jene dynajftiiche Koa- 
fition an, die Dänemark und Brandenburg, Bolen und Mecklenburg, 
jowie Preußen umfaßte und in der Hans Albrecht von Mecklenburg 
ein energischer, wilder Kriegsmann von unruhigem Abentenrergeift, 
feine geringe Rolle fpielte. Auch auf Livland hatte er jein Auge 
geworfen, wo er dem Meifter jeinen Bruder Johann als Koadjutor 
augerlejen hatte. Zwar hatte er hierbei die Rechnung ohne den Wirt 
gemacht und war zurücgewiejen worden, doch Lie er fich nicht ab- 
ichreden und verfuchte bei Erzbischof Wilhelm jeine „Praftifen“ mit 


') Das Folgende z. Th. nad) Schirrens Vorträgen über livl. Gejchichte. 


— 337 — 


befjerem Glüd. Troß des Wolmarer Eides griff Wilhelm mit beiden 
Händen zu, als Hans Albrecht ihm 1554 jenen jüngften Bruder, den 
bisherigen Bijchof md Administrator von Nageburg, Chriftof, als 
Koadjutor prüjentiertee Wohl war derjelbe erit 19 Jahre alt, und 
durch nichts Für den jchweren Boften vorgebildet; im Gegenteil, das 
Leben hatte er in Frankreich DIS zur Neige genofjen, von veligiöfer 
Begeifterung wußte feine Seele nichts md den Nejt von Energie 
raubte ihm die Affenliebe feiner Mutter, Die den verzogenen und ver- 
dorbenen Prinzen in all jeinen Tollheiten bejtärfte. Doch was fiimmerte 
alles das Wilhelm — ihm war Ehritof recht, weil er mit ihm den 
Beiltand der nordöftlichen Staaten zu erfaufen glaubte, ohne die er 
jeine langgenährte Nachjucht gegen den Orden nicht im Wirklichkeit 
umzujegen in der Yage war. 

Da er aber wußte, daß der Orden die Aufhebung des Wolmarer 
Nezeifes nie gutwillig zugeitehen würde, jo zügerte er nicht, dem Cid- 
bruch den Verrat zur Seite zu ftellen. Das Gold that jeine Dienfte 
und gewann dem Erzbiichof den zweiten Wann des Ordens, den 
Landmarjchall Sasper von Minfter, mit dem gleichjam der halbe 
Drden jtand umd tel. Nichts Geringeres war im Plan, als nach 
Galens Tode Münster die Meifterwürde zuzinvenden, während Chriitof 
von Mecklenburg die Würde eines Noadjutors erhalten follte Die 
VBerichworenen wollten danı das Land teilen und in erblichen Be- 
ib nehmen!). Der Meifter war jo wenig von dem ruchlojen Handel 
unterrichtet, daß er gerade Jasper von Minfter anempfahl, Albrecht 
von Preußen und die Prälaten im Auge zu behalten. Zu gleicher 
get kam Galen den legtern des Lieben Friedens willen einen Schritt 
entgegen und befürwortete auf dem 1556 zujammentretenden Yandtage 
zu Wolmar mit Niückficht auf die benachbarten Fürften mit dem Erz 
bijchof wegen des Koadjutors zu verhandeln und diefen unter gewilien 
Bedingungen anzunehmen. Wie wenig ein folches verföhnliches Wer 
halten am Plabe war, zeigte fich jorort. Wilhelm, jich mun feiner 
Sache ficher Fühlend, verweigerte jede Antwort! Da brauften die 
Stände auf und die Gebietiger einigten jich dahin, da man ernten 
Tagen entgegengehe, dem alten Meifter einen Koadjutor beizugeben: 
ein wacerer Mann, wohl fein Staatsmann eviten Nanges, aber ein 


ı) cf. Ph. Schwarg. Wilhelm von Fürftenberg. (Nigaer Ulmanad) 1379.) 
Seraphim, Gejdhichte I. 22 


tapferer Soldat und warmherziger Deuticher, dem freilich der jäh ber- 
vorbrechende Zorn nicht jelten die ruhige Eimficht vaubte, jedenfalls 
einer der beiten und erquidenpdjten Gejtalten des untergehenden Liv- 
lands — Wilhelm von Firftenberg, der Stomthur von Fellin, defjen 
Wiege, wie die jo mancher DOrdensheren, in Wejtfalen gejtanden hat, 
war der Erwählte, dem eimjtimmig die Gebietiger die wirkliche Leitung 
des Ordens überließen. Hemrich von Galen fügte fic gern, Jasper 
von Münster aber, der jelbjt auf die Wirrde gerechnet hatte, warf Die 
Maske ergrimmt von fich und eilte zum Erzbiichor. 

Troß Ddiejes Miperfolges gab Wilhelm feine Sache keineswegs 
verloren, hoffte vielmehr alles von feinem Bruder aus Preußen. Da 
jeßt die Sachlage dränge und die Gegner aufmerffam zu werden an- 
fingen, jchrieb er, jo jolle der Herzog von Preußen ungeläumt nac) 
Empfang des Schreibens mit 10000 Mann nach Sturland vücen, auf 
Niga losziehen und auf Bernau Schiffe jenden. Ber Wenden und 
Dorpat wirde Gott auch jchon walten. Ein Unjtern ließ Diejes 
Schreiben und andere, darımter Jolche des Tandmarjchalls, in die Hände 
des Meifters fallen — der Zandesverrat des Erzbiichofs lag vor aller 
Welt Klar! 

Sofort ließ der Metiter die Stände nach Wenden auf den Mai 
1556 zufammenberufen und eine Stlagejchrift im Lande umgehen, welche 
die bezeichnende Überjchrift aus dem zweiten Buch der Könige trug: 
„Retribuat Dominus facienti mala juxta malitias suas.“ Su 
Wenden jollte vor allem gegen den verräteriichen Saspar von Münster 
vorgegangen werden. Aber diejer hielt es für geraten, garnicht auf 
dem Landtage zu ericheinen. Bon feinem Schloffe Segewold eilte er 
nach Dinamiünde, das gleichfalls dem Landmarjchall unterstand, um 
fih Hinter den Mauern diefer von ihm wohlverproviantierten Burg 
zu jichern. Doch Fürjtenbergs Energie verhütete Schlimmeres: eilige 
Botichaft jchiekte er auf die Schlöffer, fi) vor Münsters Anfchlägen in 
Acht zu nehmen und überall fand jein Befehl Gehorjam. Bon 
Dinaminde wurde auf Münster gejchofien, in Ajcheraden fand er ge- 
ichloffene Thore, jodaß ihm nichts übrig blieb, als das nacdte Leben 
zu Erzbiichof Wilhelm nach Kofenhufen zu retten: am 8. Mai war er 
geborgen. Am 28. Mat jchritten die Stände zur Anklage gegen den 
Erzbiichof und jchon am 16. Sum 1556 erfolgte die fürmliche “Fehde- 
anfündigung: „Wir von Gottes Gnaden Meifter des deutjchen Ordens 


— 339 — 


und oberiter Yandesfeldherr, Heinrich von Galen, und wir Sohann von 
Dorpat, Sohann von Dejel, Hermann von Sturland, Friedrich von 
Neval, Bischöfe, entbieten Euch, Wilhehn zu Riga, da Ihr mit böfen 
Nänfen diefe von Alters hergebrachte Provinz des heiligen Nömijchen 
Neichs deutjcher Nation um ihr Necht und Anjehen habt bringen 
wollen und göttlicher Gerechtigkeit zuwider mit Naspar von Münfter 
und andern Beipflichtern fonjpirieret und diefe Anschläge durch göttliche 
Schikung uns zu Händen gefommen, ob wir auch daraus erjehen 
hätten, um uch ohne weitere Abjage als Verräter und Feind zu 
verfolgen, jo wollen wir doch um Zuthat Chrifti Euch die Fehde hiermit 
erflärt haben. Und wir Adels- und Städtevertreter von Neval, Eit- 
land, Dejel, Dorpat, Riga und allen übrigen Landjchaften melden, daß 
wir umjerm gnädigjten (Meifter) mit aller unjerer Macht und Kraft 
wollen gegen Euch und alle Beipflichter helfen zum allgemeinen Yandes- 
wohl. Danach Shr Euch zu richten!“ 

Sp drängte alles zur Entichetdung. Heinrich von Galen lieh 
durch Gotthard Kettler, den Komthur von Diünaburg, in Deutjchland 
Truppen werben, während König Sigismund Auguft von Polen, der 
Broteftor des Erzbischofs, um jo eher auf dejien flehenden Brief um 
Hilfe geneigt war ihn zu unterjtügen, als er die Wahl Wilhelm 
von Fürjtenbergs, der als Todfeind der Bolen galt, fin eine jchtwere 
Beleidigung anjah. AS Fürjtenberg Komthur von Dinaburg gewesen 
war, hatte es hier an ewigen Fleinen Grenzfehden zwiichen dem Orden 
und Littauen nicht gefehlt. Met Energie hatte Fürjtenberg mehr denn 
einmal den plimdernden Littauern einen tüchtigen Dentzettel erteilt, 
mehr denn einmal blutige Vergeltung geübt. Su Polen aber begann 
man den friegstüchtigen Komthur zu fürchten und bitter zu halfen, 
jeine Wahl zum Koadjutor glaubte der König nicht dulden zu dürfen, 
ohne die Zukunft zu gefährden. Deshalb hatte ev auf dem Wendenschen 
Landtag einen PBrotejt durch jeinen Sekretär Kaspar Yanzki anmelden 
lafjen; ein jolh „zorniger, frevelmütiger Mann“ könne nicht Meifter 
jein. Doch jeine Worte waren auf fruchtlofen Boden gefallen. Die 
Hebietiger antworteten, von einer Nücnahme der Wahl fünne feine 
Nede jein. Was blieb dem König übrig, als fich zu rüsten. Der 
Warjchauer Meichstag veriprach auf fein Anfuchen ein Heer von 
100000 Mann, der Herzog Albrecht gleichfalls Ttattliche Niüftung. 

Die jo oft gefürchtete Einmifchung des Auslandes ftand vor der 


9) 


— 340 — 


Thür und das Land war ihr zu widerftehen nicht mehr fähig. Man 
(efe nur die tragifomische Schilderung, die Nuffow von der Aufregung 
giebt, welche das Land durchlief, als eine irrige Kunde vom Heranzuge 
der Preußen von Maumd zu Mlımde ging und man begreift ven 
Sammer der fommenden Tage! „Da ging ein gewaltig Gejchrei“, er 
zählt der Ehronift!), „wie daß dar ein Haufen Schiffe voll mit Reitern 
und Kuechten, von dem Erzbiichof und dem Herzog zu Preußen be- 
jtellt, vorhanden wäre, welche Livland unverjeheng anfallen und über- 
raschen jollten. Deshalb gingen Briefe über Briefe, beides Tag und 
Macht, an die LZandjafjen, daß fie jtrads nad) Ansicht des Briefes nad) 
Anzahl ihrer Güter fich vüften und an den Strand und die Häfen 
fich verfügen jollten, dem Einfall der Feinde zu wehren. Da war 
zu der Heit bei vielen ficheren und Des Strieges umerfahrenen Yiv- 
(ändern weder Sinecht, noch Nüftung nach Anzahl ihrer Güter vor- 
handen; deswegen die undeutjchen Stalljungen und die alten Sechs- 
ferdingsfnechte, die Jich bereits Halb todt getrunfen und jich auch be- 
weibt hatten, deren viele ihr Leben lang faum eim Nohr Losgejchofjen 
hatten, in der Eile hervor mußten. Und als fie den alten vervofteten 
Harntich über die Haut Friegten und fortziehen follten, haben te 
erjtlich einen guten Naufch zu fich genommen und der eine bet dem 
andern zur leben und zu jterben angelobt. Danach) find ihrer etliche 
bereits halb tot zu Pferde gejeflen und ins Feld gerüdt. Da haben 
dann die Frauen, Jungfern, Mägde und sinder geheult und geweint, 
als wenn diejelbigen Striegsleute nimmer hätten wiederfommen jollen. 
Und da fie num an den Strand md die Häfen gefommen jmd, tt 
da weder ein Schiff, noch wgend ein Meenjch, der jte drängte, vor- 
handen gewejen, jondern ihr eignes Grauen allein. Und als fie dar 
etliche Wochen ftill gelegen und die Nüftwagen und Biertonnen ledig 
gemacht hatten, find fie, ihres Bedinfens nicht ohne Ruhm und Preis, 
wieder zu Haus gefommen. So war in den lioländiichen Städten zu 
derjelbigen Zeit auch feine geringe Sicherheit und des Krieges Un- 
erfahrenbeit. Denn als fie in der Eile auch Landsfnechte annehmen 
mußten, da war großer Mangel an Trommelichlägern. Und als einer 
mit genauer Not gefunden wurde, der die Trommel führte, da waren 
dann alle unerfahrenen Handwerfsburjchen die beiten Striegsleute. Und 


1) gitiert nach Bienemann ]. c. pag. 109 ff. 


— 341 — 


wenn man die Wache des Abends aufzuführen pflegte, find die Bürger 
und Einwohner jung und alt bei Hauf an den Markt gelaufen und 
haben das Wejen der Landsfnechte mit großer VBerwunderung und 
jolhem Fleiß angeichaut, daß Mancher jeine Mahlzeit darüber ver- 
läumt hat. Auch find viele unter dem Lermen, da jte die Trommel 
hörten, aus der Kirche gelaufen. Alfo jeltfam it ihnen damals zu 
dem Kriege zu Mute gewejen.“ In dem eimjt jo friegsfrohen Liv- 
(and Hatte die lange Zeit des MWohllebens und der Völleret die alten 
Neigungen jo völlig erjtickt, daß der Zug der Landsfnechte mit ihren 
langen Strümpfen zerhacdten Kleidern und ihren langen Spießen und 
Schlachtichwertern, jamt dem Troß der Werber und Kinder, als „ein 
groß Meerwunder“ angegafft wurde. Und da wollte man im Ernft 
mit den Bolen und Rufjen bejtehen! 

Nur zum Hader und Kampf mit gleich- oder minderwertigen 
‚Feinden im Lande jelbft war der Orden noch im Stande, nur mit 
dem Erzbiichof und dem ins Land gekommenen Koadjutor fonnte er 
erfolgreich die Schwerter kreuzen. Fürjtenberg zügerte nicht gegen die 
beiden Herrn vorzugehen: 

„Ronneburg — heißt es in einem gleichzeitigen Liedlein!) — 
hat er zum Erjten bevannt 

Und einen an das Schloß gejandt: 

Ob fie jich wollten ergeben? 

Sp wollte man ihnen nach Krieges Gebraud) 

Sriften ihr Leib md Leben. 


Des haben fie fich) nicht recht bedadıt, 
Dem Boten eine jpöttijche Antwort gejagt: 
&3 wäre ihnen nicht gelegen, 

Das fie jollten eines Fürjten Haus 

Wie Äpfel und Beeren vergeben. 


Das Hafelwerf Hat man gejtecdet an 

Und darauf etliche Schüjfe gethan — 

Da wird das Spiel gereuen, 

Und ergeben fich jchnell die fühnen Helden, 
Des Bilchofs liebe Getreuen. 


Nach Kofenhufen it man vorgerüct 
Dahin viel guten Gejchüges gejchickt, 


') gitiert nach) Grotthuß 1. ec. 54ff. 


Das hörte man tapfer frachen. 
Der Erzbifchof dachte mit freiem Mut: 
Das Spiel wird Sic) luftig machen! 


Da er nun hatte gänzlich vermerfet, 

Wie fich Livland jo tapfer ftärfet 

Und, daß fie hätten erfahren 

Alle feine Vorhaben und Anjchläge geihmwind, 
&edacht er, es wäre verloren! 


Die Zujagen, die ihm waren gethan, 
Die wollten fich nicht erwarten lajlen, 
Eine Unterredung thät es begehren: 
Den Ständen er fic) ergeben hat 
Mit jamt dem jungen Herren.‘ 


Sr der That, e8 war jo gegangen, wie das Spottlied fingt: 
Gremon und Ronneburg wurden durch ein Baar Schiffe zur Übergabe 
gebracht, Ende Juni ftand zFürftenberg vor Stofenhufen. Schon am 
4. Sult war Chriftof von Mecklenburg im jeiner Hand — man brachte 
ihn nach Treiden — am 30. Juli traf Erzbifchof Wilhelm dasselbe 
2008, Jaspar von Minfter entflod nach Littauen. Fürftenberg befahl 
den Erzbischof nach Smilten, dann nach Adjel zu bringen, doch jcheint 
er nicht gerade glimpflich behandelt worden zu jein, da die fir ihn 
angerviefenen Gelder unterjchlagen wurden, jo daß er jo Unvecht nicht 
gehabt haben mag, al3 er dariiber flagte, man habe ihm jogar jein 
jilbernes Tafelgejchtirr genommen. 

Mit leichter Mühe hatte der Orden eimen billigen Sieg davon- 
getragen, denjelben zu behaupten und die Krüchte einzubeimjen tt ihm 
aber nicht gelungen. Bon allen Seiten vegte es fich gegen ihn, der 
deutiche Katfer und König Sigismund Auguft forderten fategoriich die 
Fretlafjung der beiden Gefangenen, ein Waffenftillftand, der im Augquft 
1556 zu Stande fam, wurde vom Wolenfönig verworfen, andere 
Mächte milchten jich in den Konflikt, da jtarb im Meat 1557 Heinrich 
von Galen, dem bei all den Wirren wenig wohl zu Mute gewejen 
war, und Wilhelm von Fürjtenberg wurde Meijter. Er fand die Situa- 
tion durch einen unjeligen Zwichenfall noch mehr gejchärft vor: war 
Doch der Legat Lanzki, der auf der Neife zum Erzbiichof ich befand, 
von dem Vogt von Nofitten angehalten, und als er fich troß Verbots 
durch die Neihen der die Straße bewachenden Bauern hatte dirch- 


— 343 — 


ichleichen wollen, von einem der leßteren getötet worden. Traf den 
Vogt auch feine Schuld, jo war der Vorfall dem König doch hoch- 
willfommen, um jein Eingreifen auch den polniich-littauischen Ständen 
plaufibel zu machen. Doch der Meifter ließ jich nicht einjchüchtern. 
Boll jelbjtbewußter Energie entjchloß er jih PBolen gegenüber das 
Schlachtenglüc anzınufen. Er hoffte zu viel von dem morjchen Liv- 
land; faum ein Viertel der Bajallen folgte dem Auf zu den Waffen, 
überall zeigte ih Abfall und Fleinmütige Schwäche, im Orden jelbit 
regte fich eine mächtige polnische Partei, deren Seele der Komthur 
Kettler war. So war es mır ein fleines Heer, das Firftenberg troß 
alles Eifers zulammenbringen fonnte: 7000 Deutsche, 6 Fähnlein 
Landsfnechte und etliche Taufend undeutiche Bauern Itarf nahm er 
jeine Stellung bei Bausfe an der littautjchen Grenze. Doc auch dem 
Mutigen mußte das Herz mit banger Ahnung ich erfüllen, wenn er 
vernahm, dat Sigismund Auguft mit SOO0OO Mann bevanzog. Schon 
itand die Vorhut 7 Meilen jiidlich, bet Boswol; von bier aus jandte 
der König einen entblöhten Säbel mit dem Bemerfen an den Metjter, 
daß er mit diefem Schlüfjel das Gefängnis des Erzbiichofs und des 
Koadjutors öffnen werde. Zu gleicher Zeit fan im das Drdenslager 
Nachricht, gewaltige Haufen von Moskowitern und Tatern jtänden an 
der DOftgrenze, bereit zum Einfall. Lange jchwanfte Fürjtenberg, bis 
er endlich, von allen Seiten bejtürmt und den ungleichen Kampf als 
Unmöglichkett evfennend, den jchwerften und verhängnisvolliten Schritt 
seines Lebens that: aufs tiefjte gebeugt veiste ev nad) Boswol und that 
hier eimen Fußfall vor Sigismund August, deiien frummer Bolenfäbel 
den ‚Frieden Diftierte. Der Friede von Boswol (5. September) ficherte 
Allen Ammeftie zu, gab dem Erzbiichof die Freiheit und die Gerichts- 
barkeit über Niga zurück, und erkannte den Noadjutor ar. Wenige 
Tage Ipäter, am 14. September, mußte Firjtenberg in einem zweiten 
Bertrage, obgleich) 1554 ein vuljüch-Liwvländischer Frieden bejchworen 
orden war, der jede Einigung mit Bolen und Littauen verbot, ein 
Schuß- und Trugbiündnis mit Polen gegen Moskau abjchliegen. Nicht 
genug, daß dadurch der Zulammenftoß mit Mostau in freventlicher 
Weile provoziert wurde, Bolen wuhte es auch dahin zu bringen, das 
völlig tm Unfklaven blieb, welche Hilfe Bolen zu leisten haben md welchen 
Lohn e3 zu empfangen berechtigt jein wide. Nur das wurde jtipu 
liert, daß feiner der beiden Bundesgenojjen den Krieg gegen Moskau 


— 344 — 


beginnen follte, ehe Die beiderfeitigen Waffenftillitände abgelaufen wären. 
Als ob Iwan der Schreekliche jo nad gewejen wäre, Zu warten! 

Sp endete die jogenannte „oadjutorfehde“, der lebte Pirgerfrieg. 
„Si jeinem matten Verlauf, in jeinem diftatoriich befohlenen Ende ut 
in geipenftigen HZiügen das Antlit vorgebildet, Das der liwländtiche 
Staatsförper in Der Sterbeftunde zeigt, Die ihm bereits geichlagen“.") 


1) cf. Bienemann 1) ce. pag. 100. 


19. Kapitel, 


Bilfaefuhe und Unterhandlunaen. 


„Ein Hoher Muf ihuf nimmer auf, 
GoH kann Rein Boffart leiden, 
Er Tıhweigf ein Weil und Jteht wohl zu, 
Borgf auch wohl auf die Rreiden, 
Bis dak die Boffart hof Her reif’ 
Und GoHf erlieht die Stund’ und Zeit, 
Sp muß fie herunferfallen mit Schale.“ 
(Spottlied aufden deuffihen Brden in Rivlanın 1558). 
Mit peinticher Empfindung jehen wir Nachlebenden die Tage vor 
der Kataftrophe ausgefüllt durch ärgerliches Wohlleben, Schwelgerei 
aller Art, partifulariftiichen oder perjünlichen Egoismus und traurige 
Untüchtigfeit. Wie ein Alp legt es fich uns noch heute auf die Bruft, 
wenn wir jene fünfzig Friedenzjahre betrachten, da wohl der Fellinjche 
Sprung und wochenlange Schmaufereien oder Köjten im Schwange 
waren, da aber das Auge vergebens in der troftlojen Leere nach einem 
Punkte jurcht, wo es jich erquicen, auf dem es ruhen fann. Nämmer- 
liche Unbedeutendheit, die gern in Ruh” was Gutes jchmaufen möchte, 
ichlaffe, blutleere Alltäglichfert und bei den wenigen Gejtalten, die uns 
Iympathiich anmuten, nur gute Abjicht, nur ein Wollen, dem das Voll 
bringen fehlt. Und dies Gefühl wird noch deprimierender, wenn der 
Borhang aufgeht und das große Drama feinen Zauf nimmt. Szene 
auf Szene jteigerte das Elend, mit Akt zu Akt häuft fich der Jammer, 
die Zwietracht und immer dunkler ballen fich die finjtern Wetterwolfen 
zufammen, aus denen von frachendem Donner begleitet, zindende Bliße 
herniederzüngeln. Es wird finjtrer und finjtrer, fein Lichtitrahl erbellt 
die Nacht: in all der Miifere fein echter Mann, fein Held, der fein 
Alles an des gequälten Landes Nettung jeßt, Der die Zögernden 
fortreißt, die Müiden ftüßt, den Miutigen führend voran jchreitet. Nm 
snmern zerjvefen md ohne Leben, vom deutichen Neich, das unter den 
Habsburgern den nationalen Sinn verloren hatte, aufgegeben, lag Yiv 


(and den Heeren Swans des Schredlichen wehrlos zu Füßen. Das 
Berderben nahm jeinen Lauf, das der frumme Bolenjäbel zu Woswol 
eingeleitet hatte. 

Der Gegenjab zwischen Mostau und dem Orden in Livland war 
befanntlich jo alt, wie die Geichichte beider Staaten. Seitdem letten 
berg die Nuffen geichlagen hatten Waffenftillftände und Verhandlungen 
eine trügeriiche Nuhe gejchaffen, aber es war doch nur die unheimliche 
Nuhe vor dem Orkan. 

Der jchmachvolle Friede von Woswol offenbarte aller Welt Die 
Ohnmacht des Landes, wie hätte da der Zar von Moskau nicht die 
Zeit für gefommen halten jollen, da er den Zugang zum baltischen 
Deeere eriverben forte. 

Schon 1550 hatte Meifter Sohann von der Needfe verfucht, den 
von Plettenberg erneuten Warfenftillftand zu verlängern, doch jowohl 
in Noiwgorod wie in Plesfau jtiegen die Gejandten bet den zariichen 
Stadthaltern auf eine Außerft Friegertiche und feindjelige Stimmung. 
Bon einem Anftand auf 20 Sahre wollten jie nichts wiljen, die Yiv- 
länder fonnten froh jein, daß man ihnen einen furzen weitern Frieden 
zugeltand. 

Man jpirte es, der Jar hegte tiefen Groll gegen Livland. Die 
Yivländer wurden mit Sagen überjchüttet, fie hätten die vulliichen 
Stauflente beläftigt, ihre Kirchen ihnen gejchloffen, ungerechte, parteitsche 
Urteile gefällt, ja jelbit das Leben ruffischer Kaufleute anzutaften ge 
wagt. Zwet Streitfragen aber waren e3 vor allem, deren Erledigung mehr 
als jonjt etwas den Kern eines jeden Vertrages mit Nufland bildete: 
die Frage nach Handel und nach freiem Baß; beide waren in der 
Ihat heifel genug. Hatte man in Livland Doc den Handel Der 
Nufjen aus Handelseiferjucht jtets auf das härtefte unterdrückt, jelbjt 
Verfuche Sleinhandel zu treiben engherzig mit hohen Strafen belegt. 
Eine nationale Seite freilich hatte diejes Borgehen Jicherlich nicht, da 
die Livländischen Städte ihr alleiniges Handelsrecht Fir den Djten 
ebenjo eiferfüchtig den deutschen Kaufleuten, namentlich den Liübeckern 
gegenüber, wahrten und mit peinlichem Wüptranen Häfen, Märkte und 
Srenzen im Auge hielten. 

Einen andern Grund hatte die Berweigerung des freien Baljes 
nach Nupland. ES war die Furcht, daß der mächtige Mosforiter 
durch den Zuzug fremder, abendländischer Handwerker und SKtinftler 


— 347 — 


Livland noch gefährlicher werden fünne, welche die Livländer zum Verbot 
des Durchzugs nach Mosfau bejtimmte. Ein Borfommnis des Jahres 
1547 illuftriert das Berfahren am lebendigiten. Im Muftrage des 
Zaren und mit Genehmigung des Katjers hatte Hans Schlitte mehrere 
hundert Handwerker, Büchjenmeifter, Gelehrte geworben und jchickte 
fich) eben an, fie in Lübeck einzujchiffen, als auf Betreiben Hermann 
von Bruggenoyes Allen die Bälje zur Durchretie durch Livland ab- 
genommen und die Abfahrt verboten wurde Nichts blieb Schlitte 
übrig, als jte auseinandergehen zu lafjen. Einer, der den Berjuch 
machte fich) nach Moskau durchzujchleichen, wurde in Yivland auf- 
gegriffen und ohne langes Belinnen enthauptet. Die Hinrichtung eines 
Nuffen, der bei einem jcheußlichen Verbrechen ertappt worden war, durch 
den Nat von Neval, jteigerte den Zorn des Zaren, den zu bejänftigen 
Anfang 1554 eine neue Ioländische Gejandtichaft direkt nach Moskau 
aufbrah. In völliger Verfennung der Sachlage erhielt diejelbe die 
Snftruftion, den Beifrieden um 30 Sahre zu verlängern, aber weder 
freien Handel noch freien Bat zuzugeitehen. 

Es verlohnt, fich den charafteriitiichen Gang der Berhandlungen 
zu dergegenwärtigen. Am 2. Mai begannen die Beiprechungen, bei 
denen der Kanzler Adajcher zuerjt jeinen Befremden dariiber Aırs- 
druck verlieh, daß in Niga, Neval und Dorpat die rusfiichen Kirchen 
ihren Befennern vorenthalten winrden. Die Livländer gaben zur Ant- 
wort, man möchte nur Brieiter Hinichiefen, was bisher nicht geichehen 
jet, die Kirchen ftänden zu ihrer Berfügung. Schwerer jchon einigte 
man fich beim zweiten Punkt, dev VBorenthaltung des freien Handels, 
imlonderheit mit Bulver und Blei. AS die Gejandten vorgaben, fie 
jelbjt Hätten nicht das unbejchränfte Handelsrecht, lieg MAdaicheiw die 
srage plöglich fallen und jagte: „der Großfürjt wolle den Frieden, 
doch von zwei Wunkten gedenfe er nicht zu laffen: vom freien Handel 
und dom Dorpater Zins“. „Seit 210 Jahren,“ fuhr er fort, „sei 
derjelbe nicht gezahlt worden, noch vor 82 Jahren aber in einem 
Traftat als zu Necht bejtehend ausdrüclich aufgenommen worden, md 
zwar jet nach ihm jeder Mann aus dem Stifte zu einer jährlichen 
Zahlung von einer Mark verpflichtet. So lange der Groffinit mit 
den Tataren zu tdun gehabt, habe er die Sache ruhen lafjen, jett aber, 
wo endlich Kajan beywungen, wolle ex jeinen Zins.“ 

Den Eimvand der Livländer, der Zins, von dem ihnen zu Haufe 


— 348 — 


nichts befannt, jei im günstigen Fall doch höchitens ein bloßer Titel, 
eine „Herrlichfeit“, feine wirkliche „Gerechtigkeit“, ließ der Bojar nicht 
gelten, geitand ihnen aber schließlich einen Aufichub zu, damit fie beim 
Bilchof von Dorpat Erfundigungen einziehen fünnten. Dann jchlof 
Adajchew mit der erniten Mahnung zum Frieden: man möge nicht 
iiber freien Handel und den Zins weiter ftreiten, in Miosfau woilie 
man jehr gut, daß alle die Heren und Landichaften gut jein, alles Un- 
heil aber von den „sterl3“, den Städtern füme. 

Aus Livland konnten die Gejandten über den Zins nichts Ge- 
naneres erfahren. Blos die Bauern im Neuhaufenjchen meinten, es 
wäre verjelbe wohl ientijch mit dem in uvalter Zeit für ihre auf 
Nlesfaufchem Gebiet gelegenen Honigbäume gezahlten Tribut. Dem 
timmten die biichöflichen Näte bei, während anders und weit be- 
jtimmter die Angaben waren, die Adajcherv nach Livland gelangen 
ließ. Sm Sahre 1473 jet durch den Bevollmächtigten des Stifs Dor- 
pat, den Birrgermeifter Johann Bever, und einen Bojaren ausdrücklich 
die Entrichtung eines Zinjes von je acht zu acht Dahren feitgejeßt 
worden. Eine andere Urkunde im biichöflichen Archiv Ddatierte vom 
Jahre 1493. Doch wie dem auch jei, gehalten ijt diefer Traftat nie- 
mals. Auch das jcheint zweifellos, daß er mır eine private Abmachung 
zwißchen dem Bilchof und dem Stadthalter gewejen ift. 

sn Dorpat war man höchjt unichlüffig, was man thun jolle. 
Kach langem Schwanfen entichloß man fich endlich mit Zuftimmung 
des Meijters zu einem in der Folge verhängnispollen Mittelweg: 
eine Unterfuchung über die Frage einzuleiten und das Nejultat vor- 
läufig abzuwarten. Als dies den in Moskau wartenden Oejandten 
gemeldet wurde, ließ ihnen Adajchew jagen, fie möchten ruhig in 
Nosfau bleiben, der Zar jelbjit werde nad) Livland gehen und den 
Slaubenszins jich holen. Die unverhüllte Drohung erjchrecdte die 
Livländer aufs tiefite und ließ te, zumal flägliche Briefe aus der 
Heimat zu erfennen gaben, daß man dort den Frieden um jeden Preis 
wolle, den von „Swan vorgelegten Traftat, das Verhängnis des 
Landes unterzeichnen! Sebt hat der Zar, was er will: Dorpat ift ihm 
tributpflichtig und Hinter dem Bilchof Steht als Bürge der Meijter 
jamt den Ständen. Falls innerhalb dreier Jahre der Tribut für 
fünfzig Sabre entrichtet und von nun ab ein jührlicher Zins von einer 
Mark von jedem männlichen Einwohner des Stifts gezahlt würde, 


— 349 — 


jollten die Livfänder für fünfzehn weitere Jahre Frieden haben. Na- 
türlih mußten die verwüfteten rufftschen Kirchen wieder hergeitellt, 
den ruffiichen Kaufleuten, jelbjt in Livland, freier Handel zugejtanden 
werden. Nur Wachs, Talg und Banzer waren ausgenommen. Ein 
bejonderer Artikel jeßte endlich feit, daß der Meiiter und die Stände 
fein Biindnis mit Bolen abjchliegen dürften. Mit jolchem Bejcheid 
zogen im Sunt 1554 die Livländer heim, ihnen folgten im folgenden 
Frühjahr ruffiihe Gejandten, um den DVBertrag durch den Merjter 
vatifizieren und „befüfjen“ zu laffen. Heinrich von Galen und Wil- 
helm von Brandenburg zögerten denn auch nicht, den Vertrag zu be- 
Ihwören und das Kreuz zu fülen, während man in Dorpat, troß 
aller Werfungen des Meijters abzuichließen, damit dem Lande feine 
Mühe daraus entjtände, wieder auf frummen Pfaden zu wandeln 
unternahm. ES war der bifchöfliche Kanzler Georg Holzjchuher, ein 
Glied der berühmten Niirnberger Familie, der dem Bilchof den Nat 
gab den Bertrag zwar zu bejchwören, aber unter dem Vorbehalt eines 
Broteftes beim fatferlichen Neichsfammergericht, Ddejjen freiiprechende 
Entjchetdung er zu bewirken verjprad). 

Bergeblich Iprach Dorpats Bürgermeifter, Johann Henf, mit Eifer 
dagegen: „Was man verfiegle, müfje man auch halten und würde 
dem Musfowiter dadurc gewaltig zu ftehen fommtn!“ „Sein schlicht 
bürgerliche Gemüt konnte den Gedanken dauernder Abhängigkeit nicht 
fajien und fträubte fich gegen den des Eidbruches“ '). 

Doch feine Stimme verhallte ungehört. Mißtrauifch reiite der 
Gejandte de3 Zaren wieder heimwärts, jein Herr aber rüftete von 
nun an eifriger noc), denn früher, um nach Ablauf der fünfzehn 
Sahre feinen Willen zur Geltung zu bringen. 

War e8 nicht Frevel jondergleichen, wenn man in den Jahren 
1555—58 in Livland that, als Lebe fein mächtiger Zar in Moskau, 
wenn man fich in der Koadjutorjehde mit dem Schwert zu zerfleischen 
begann, Bolens Einmischung provozierte und jchließlich in Poswol 
durch das Biindnis mit Bolen den ruffiichen Vertrag in offenfundigiter 
Weije brach? Aber wie mit Blindheit geichlagen gingen jelbjt die 
Beiten ihren Weg, jelbjt ein Fürjtenberg zügerte nicht, die gegen Polen 
geworbenen Landsfnechte abzulöhnen, während doc) die Gefahr von 


!) ef. Bienemann 1. ce. pag. 105. 


Dften her riefengroß geworden, Bolens Hilfe aber erit nad) Sahren 
zu erwarten war. 

Sn einer Lage, wo nur die Anjpannung aller Kräfte Nettung 
bringen fonnte, vertraute man furzfichtig immer wieder, daß eine jeit 
Beginn 1557 an den YZarenhof gezogene Legation Friede und Nuhe 
bringen werde. Die Thoren! Als der Zar in höchjter Ungnade die 
Livländer nicht einmal vor jein Angesicht läßt, neue Drohungen nicht 
zurückhält und gegenüber Narwa eine Trußburg „Swangorod“ anzu- 
(egen befiehlt, weiß man in Livland abermals feinen andern Nat, als 
gegen Ende des Jahres, furz vor Ablauf der drei Jahre — nochmals 
Hejandte an Swan abzufertigen! 

Schon auf der Hinreije werden ihnen in Qwer und Torjchof 
Machrichten überbracht, fie möchten eilen, es jei Gefahr im Berzuge, 
aber erjt am 6. Dezember, drei Tage vor Ablauf des Geleits, jehen 
fie Mosfau vor jich auftauchen. Am 8. Dezember empfängt fie Swan 
der Schredliche in prunfvoller Audienz, jedoch Höchjt ungnädig: ohne 
Handichlag, ohne Einladung zur Tafel werden die Gejandten ent- 
laffen. Nunmehr tritt Adajcherv wieder auf den Plan und weiß mit 
vollendeten Gejchie den Eingejchüchterten ein Yugeftändnis nach dem 
andern zu entlocden. DVBergeblich verfuchen fie jich dahinter zu ver- 
Ichanzen, 1554 fer ihnen nur aufgetragen, den Tribut zu „unterjuchen;“ 
fie hätten aber nichts finden fönnen, aljo träfe fie feine Schuld. Schliehlic) 
geben fie im Prinzip nach, nur noch auf eine Reduzierung des PBreijes 
wenden fie ihr Augenmerk. Eine Marf für die männliche Seele 
finden fie zu hoch, zudem wilje man gar nicht, wie viel Männer tm 
Stift Dorpat leben. Doc), der Kanzler läßt nichts gelten: Wie jollte 
man in Dörptjchen nicht wiljen, wie viel Männer lebten, da jogar in 
Nußland Geburts- und Totenregifter geführt wurden! Nun beginnt 
ein Schachern und Feiljchen eigner Art. Die Livländer bieten taujend 
Mark für die frühere Zeit und jährlich Hinfort diejelbe Summe, die 
rusfischen Unterhändler, ihre günftige Situation und die im Prinzip 
bereits erfolgte Nachgiebigkeit der Gejandten erfennend, fteigern Die 
ersten taujend Mark bis auf vierzigtaufend Thaler. Zugleich) eilt 
Adascherw zum Zaren und während die Livländer in banger Sorge 
harren, kommt schließlich die Nachricht, Swan habe die Livländer 
„begnadigt” zu taufend Dufaten (6000 Ward) jährlichen Zinjes md 
zu einmaliger Zahlung von 45000 Thalern. Eine andere Meldung 


will jogar wifjen, der Zar habe gegen die 45000 Thaler den Zins 
ganz gejtrichen, doch das ftimmt wenig zu feiner jonjtigen Bolitif. 

Auf den 11. Dezember wird der lebte Berhandlungstag anberaumt. 
Schon nehmen die Gejandten Abjchied, da fragt Adajchew, ob jie heute 
oder morgen zahlen wollten. Daran jchtenen die Livländer garnicht 
gedacht zu haben. Habt hr denn das Geld gar nicht bei Euch? Fragt 
der Kanzler eindringlich. So war es in der That, nad) guter Dor- 
pater Sitte hatte man Alles verjprechen und Nichts halten wollen. 
Da braujen die Mosfowiter in gerechtem Zorn auf, hinaus aus ihren 
Behaufungen werden die Gejandten gewiejen, in fluchtartiger Weije ver- 
lafjen fie die Zarenftadt. Doch kaum haben fie diejelbe Hinter jich, jo 
jagt ihnen ein Beamter nach und überhäuft fie mit Vorwürfen, wes- 
halb jie die Stadt jo eilig verlaffen hätten. Was jollen wir denn 
thun, was jollen wir lafjen? rufen die Livländer aus. Umtehren! 
(autet die Antwort. Aber dazu find fie nicht zu bewegen, das Außerfte, 
was fie thun wollen, it den Briltarw zu bitten, ev möge nach Moskau 
zurückveiten und hier Siriprache für fie einlegen, in Tier würden fie 
auf Antwort warten. Das thun jte auch, aber vergebens bleiben fie 
hier vierzehn, in Nowgorod acht Tage. Exit am 26. Januar brechen 
fie heimmwärts auf, jie ahnten nicht, daß bereits die Heerhaufen Swans 
die Grenzen Livlands überjchritten hatten, wo man der Gefahr ge- 
vadezu freventlich gejpottet Hatte: „Das Land, jagt ein vufjischer Augen- 
zeuge, der Fürt Nurbsfi, damals noch ein Günftling Swans des 
Schredlichen, war jehr reich und feine Bewohner waren jo ungemein 
jtoßg, daß fie den chrijtlichen Glauben und die Sitte und Weije ihrer 
guten Altvordern verlafjen hatten und fich von jelbigen entfernend zu 
den breiten umd geräumigen Pfaden Hinftürzten, nämlich zu großer 
Böllerei und Unenthaltjamfeit, zur Langjchläferet und Faulheit, zur 
Lüge und zu bürgerkriegerischem Blutvergießen“. Der Fremde hatte 
nicht Faljch gejehen! 

Zu dem Gedanfen, daß man vor ernitem Zujlammenjtoß mit einem 
mächtigen Gegner jtehe, den man in erjter Neihe mit eigener Kraft 
zu bejtehen haben wide, jcheinen nur wenige Durchgedrungen zu ein. 
Anderer Hilfe zu erlangen war neben den Berhandlungen in Moskau 
das erjte Beftreben der Entarteten, jelbit zu handeln, den Schwerpunkt 
auf das eigene energische Thun zu legen, war ihnen ein unfaßbares 
Verlangen. 


— 952 — 


Früh Schon hatten die Livländer ihr Auge auf das Heilige römische 
Neich geworfen: wenn eine Macht, jo mußte diefe Beijtand Teiften. 

Ein trübes Kapitel — Ddiejes Hin- und Herjchreiben und -Neden, 
dDiejes Beenden von Neichstagen, dieje flägliche Unbeholfenheit im Reich, 
dem jede wärmere patriotische Empfindung etwas Fremdes geworden 
war. Daß man in Livland nur that, wozu man alles Necht hatte, 
wenn man die Hilfe des Mutterlandes anrief, dafiir jcheint der Statjer 
jo wenig wie der Neichstag ein Berjtändnis gehabt zu haben.') Hatte 
doch Ichon Plettenberg die Neichsunmittelbarfeit erlangt nicht frei- 
(ich die als Glied des Hl. römischen Neichs ihm zufommende Hilfe 
gegen den Mosfowiter. AS dann Karl V. 1520 in Deutjchland er- 
ichten, bewies er die Hoheitsanfprüche über Livland dadurd, daß er 
dem Exzbijchof von Niga und den andern Bilchöfen die Belehnung er 
teilte, und in einem andern Aftenftiik erklärte ev ausdrücdlich, es fünne 
fein Zweifel dariiber obwalten, daß Livland zum Weich gehöre, da e8 
„von Deutjchen den Heiden abgewonnen, jeine Negenten, Herin, Edlen, 
die Obrigfeiten in Städten, Fledfen und Schlöffern, die Kaufleute an 
den Handelspläßen fich deuticher Sprache, Sitte und des Ddeutjchen 
Nechts bedienten, auch jtets den Satjer als ihren Oberherrn anerkannt, 
ferner jene fünf Stifter ftets zur deutjchen Nation und ihre Prälaten 
zu den Fürjten des hl. Neichs gezählt worden jeten.“ 

Auch äußerlich fand diefe Situation vielfachen Ausdrud. letten- 
berg und die Bischöfe jteuerten zum Unterhalt des Neichsfammergerichts 
bei, dejjen Gerichtsbarkeit fie aljo anerfannten, und auch der allgemeine 
Landfriede Katjer Max I. wurde in unjerer Heimat geboten. Als dann 
Albrecht, der lebte Hochmeister, 1525 die Herzogswiirde von Preugen 
fich beilegte, bejchleunigte diefer Akt die lang verheigene Erhebung 
Plettenberg zum Neichsfürften: feierlich erteilte ihm Staifer Karl auf dem 
großen Neformationsreichstage von 1530 zu Augsburg die Negalten. 
Und doch! wie fern lagen die Gejchiefe Livlands innerlich den erz- 
fatholiichen Imperator, vollends jeitdem die lutherische Stegerei das 
Land der heiligen Jungfrau mehr und mehr ergriffen hatte! Dann 
erfolgte in Deutjchland die Neaktion gegen die brutale Katholifterung 
und Mori von Sachjen jtirzte den Katjer von feiner Höhe herab, 


ı) ck. Dtto Harnad. Livland al3 Glied des deutjchen Reiche. Preuß. 
Sahrb. Aprilheft 1891. 


— 353 — 


dem von nun an neben dem guten Willen auch die Macht zum Helfen 
gefehlt hätte. 

Nicht wohlwollender war die Haltung der Reichsjtände umd unter 
diefen der Hanjaftädte, die, Durch den Hanvdelsegoismus Nigas, Nevals 
und Dorpats materiell gejchädigt, von fFräftigem Beiftand nicht mur 
nichts wifjen wollten, jondern auf dem Neichstag zu Ulm darauf hin- 
wiejen, daß Livland nie die Tirrkenjtener bezahlt habe und fich daher 
jelber helfen möge. 

Kann 8 da Wunder nehmen, daß in der Stunde der Entjcher- 
dung von ernfthafter Beihilfe jeitens des Neichs michts zu jpüren tt? 
Wo vom Neich in den Folgenden Abjchnitten die Nede jein wird, jind 
es doch nur tragtfomische, fragenhafte Bermittlungsverjuche des Statjerz, 
ichimpflich färgliche Geldbewilligungen, die nicht einmal eingetrieben 
werden fünnen. Man ijt erjchüttert über das, was damals alles 
möglich war! — 

In Livland jchien faum einer zu glauben, daß das Land vor 
einem furchtbar ernjten Kampf jtehe. In eitlev Luftbarfeit Dachte das 
gejunfene Gejchleht mur an den kommenden Tag und wiegte jich in 
träger Vertrauensjeligfeit. „Zu Dderjelben Zeit, berichtet Balthajar 
Nufjow, hat einer vom Adel und ein jehr vornehmer Natsverivandter 
in Neval zu Harrien Köfte (Hochzeit) gehalten, zu welcher Nöjte der 
ganze Adel aus allen ejtnijchen Landen und auch viele aus Riga (dem 
Stift), Jamt vielen Dxdensheren verjchrieben gewejen; es jollte old 
eine prächtige, jtattliche und fröhliche Köfte jein, daß Kindeskind der 
jelben Köjte gedenfen jolltee Als fie mn gemeint haben, die Nöjte 
Itattlich und im allen Freuden zu vollendigen, fommt aljobald böje 
Zeitung vom Nufjen, wie ev mit gewaltiger Heeresmacht ins Yard ge 
fallen jei. — - - Mie wohl Betrübnis vorhanden war, jo wide 
diejelbige Hochzeit dennoch nach dem Alten gehalten und vollbracht“. 
Ein typischer Zug der Zeit! Nur der Meifter, dev damals im zellin 
jchen ftand, hatte Ziveifel an dem glücklichen Ausgang der in Moskau 
angefnüpften Verhandlungen und an der vom Neich erbetenen Dilfe, 
dringend forderte ev Niga und Neval zu Niftungen auf, eifrig anpfahl 
er Sirchengebet und innere Einkehr. 

Schon aber war e8 zu jpät: am 22. Januar 1558 überjchritten 
die wusfischen Heerhaufen die Grenze. 


Seraphim, Sejcichte I 2% 


20, Kapitel. 


Das erfte Rriensjahr. (1558.) 


Ex hat mir fall das Berz gerührt, 
Daß ich aus eurer Red’ verlpürt, 
Daß Tivland num zu diefer Frift 
In folıh Elend gerafen if, 
Dermwülel und fat ausgebrannt. 
Ach! Ad! Dax edle [chöne Tand, 
Das manıhem Nand und Baftion 
Piel Buß’ und Porkeil hat geihan, 
Aus Timan Brarkele „Chriftlih Gelpräcdh von 
der graufamen Zerflörung in Kivland.“ 

Während der Biichof Hermann von Dorpat Landsfnechte zu 
werben mit der Bemerkung ablehnte, ev fürchte die Zuchtlofigfeit der- 
jelben und es jei innmer bejjer von Feinden, denn von Freunden zu 
Grunde gerichtet zu werden, während man in Neval im jorglojer Un- 
botmäßigfeit das Undenfbare möglich machte und das Landesaufgebot 
des Meifters, um die Feitfreude nicht zu ftören, unterjchlug, waren tı 
Wierland, bei Neuhaufen und im Erzitift die graufen Säfte an’s Werf 
gegangen. Etwa 30000 Mann stark, nach andern Angaben gar 70000, 
breiteten fich die ruffischen und tatarifchen Neiter plündernd und alles 
zu Grumde richtend in drei Kinien aus. Fürit Michael Glinsfi, Dantel 
Nomanowitjch und Tjehig- lei, der chemalige Zar von Kajan, befehligten 
fie. Die feften VBläße anzugreifen vermied man ängftlich, an ihmen 
vorbei drang man vefognoszievend und das Land zur Witte machend 
bis vier Meilen vor Neval, bis vor Dorpat, bis jieben Meilen 
vor Niga. 

Und Firwahr, jolches Volk hatte man in Yivland noch ie ge- 
jehen! Schr anschaulich jchildert der vigiiche Sekretär Johann Schmiedt 
in jeiner zeitgenöjfiichen Chronit den Eindruck, den die Taterın im 
Lande machten.) Er rühmt vor allem ihre Bediiwfnislofigfeit: „Hinter 


'\ ef. Ehronif Johann Schmiedts ed. Alex. Bergengrim. 


ee 

fich auf dem Pferde führen jie ein Säclein mit Mehl, wann jte jic 
und ihre Pferde füttern wollen, jo brauchen fie nur Wafjer dazıı — 
es ift ihnen genug, wenn je jich) und ihren Nofjen „SNüchlein und 
wafjerbrei“ machen fünnen. Als weiteren PBroviant führen fie wohl 
auch Kleine hartgebacfene Brötchen, vierefig wie Würfel mit jich. AUuc) 
die fchweren Eifenrüftungen fennen fie nicht, jondern nur zum Kampf 
rüsten fie fi mit Banzern und durchnähten dicken Sleivern. Shre 
Bewaffnung bejteht aus „Fligbogen“, in deren Gebrauch fie große 
Fähigfeiten befigen, fewner aus Beilen mit langen Stielen, die ihnen 
gleich einem Streitfolben an langen Niemen um den Arm hängen, 
„damit konnen fie gank gejchtwinde von jich hawen“. sm Notfall 
greifen die Moskowiter auch zum jchtweren Süäbel, aber dejjen Größe 
macht den Gebrauch jelten. Unter großem Gejchret und indem jie jich 
auf ihren Roffen aufrichten, brechen jte gegen den Feind vor, aber eine 
Schlacht jelbft vermeiden fie: leichtfertig und gejchwind denken je mım 
auf Hinterliftige Praktiken: „So fuhren fie auch, schließt Ddieje Be- 
ichreibung, auch eine jelgame vüftunge bei jich: tft wie junjt ein Fic) 
angel oder hafe. Damit holen fie die leuthe zu jich, die fie gefangen 
mit wecfuhren, jchlagen es ihnen in den Leib, fuhren fie damit immer 
furt, des fie ihnen nit jollen enttohmen“. 

Gar tyranmijch, berichtet ein anderer Heitgenofje, Salomon Heming, 
Vettlerg Sefretarius, habe injonderlich der Tatarenfatfev (Tichig-Aler) 
gewitet: „Denn er jchwangere Frauen don emander gehauen und 
junge Kindlein an die Yaunfteden gejpießt, alte und junge Yeute 
niedergeworfen, je in den Seiten aufgejchnitten, Büchjenpulver darein 
geftreut und die armen Leute ohne einiges Erbarmen auseinander- 
geiprengt. Item Unzähligen die Halsfnochen an dev Gurgel entzwei 
gehauen und fie jo mit halbabgehauenen Haljen Liegen lafjen, bis fie 
mit großer Angft und Schmerzen in ihrem Blute eritidet.. .. Si 
haben ihrer auch viele mit fettem Kienholz gejpicdet, gebunden und zu 
Tode verbrennen lafjen. . . . . Summa, wer fan vor Herzeleid alle 
Grausamkeit desjelben tatarischen Witerichs erzählen!“ Ya das Un 
gehenerliche steht feit, daß die Tataren Menjchenfleisch apen und von 
ihnen ein fürmlicher Handel mit eingejalzenem Menjchenfleiich getrieben 
jırvde. 

Man jollte nun meinen, Ddiefen an die Hınmen gemahnenden 
Schwärmen gegenüber wäre ein Widerftand nicht wmmöglich gavelen. 


ir 


— 3506 — 


Ach, die VBerzagten ahnten nicht, wie leicht fie durch geeinte Gegenwehr 
das Land vor der Überflutung hätten vetten fünnen, wie „latd dem 
Tatterifchen Obriften vor den Teutjchen, da er viel von gehöret“, war. 
Hatte doch Swan befohlen, „jo jein Striegsoberjter vernehmen würde, 
daß der Meifter in Gegenwehr und Aufrüstung zu Felde wäre, jo 
jollten fie anhalten und nicht fortriicen: jo wollte ev den verhandelten 
Beifrieden vollziehen und befejtigen. So aber Livland in Sicherheit 
und feiner Ausrüftung wäre, jo jollten jeine Striegsleute weiterziehen 
und ihr Glück verfuchen.“ 

Eine fopfloje Angit umd wilde Verzweiflung pacdte das Yand. 
Steiner will jelbjt Hand anlegen, alle vufen Eleinmütig den Weifter um 
Hilfe an oder wenden wohl jchon ihre verräteriichen Blicke aufs Ylus- 
(and. Der Biichof von Dorpat fordert in Todesangjt die Bajallen 
auf in die Stadt zu fommen, der Erzbilchof will vor allem jein Gebiet 
geichügt willen — auf Marienhaujfen fomme es zuerit an. Die 
furiichen Gebietiger wollen das Heer in Segewold, die ejtländischen 
in Wejenberg fonzentrieren. Sn den Natsjtuben von Niga und Neval 
zeigt Stich jchnöder Eigennuß und den Mahnungen des Metiters 
gegenüber, „doch nur ihrer Pflicht zu genügen und ihre Fähnlein 
endlich vollzählig zu jtellen“, tritt früh Schon die peffimtftische Stimmung 
hervor, daß das Yand aus eigner Straft fich nicht vor dem Anfturm 
wehren fünne Namentlich in Neval, wo der Synpdifus Sojt Clodt 
jich jehr bald als jchwepdischer Barteigänger ausweift, bricht ich Die 
Ansicht Bahır „es jet bejfer mit fremder Hilfe errettet zu werden, als 
unter eigenem Vermögen zu unterliegen.“ Und jelbit der Orden! Wie 
wenig war er zum Kampf auf Leben und Tod gerüftet, wie wenig 
gewvillt ihn zu wagen! Mean leje das jchon zitierte „Spottlied auf 
den deutjchen Orden in Livland“, das ein frecher Landsfnecht- erdacht, 
um mit Entjeßen wahrzunehmen, wie weit e8 gefommen war: da 
gabs kaum einen omthur, der nicht in Böllerei und Unzucht verkommen, 
in Gleichgiltigfeit oder gar Feigheit verjunfen war. Weit Jchmerzlicher 
Wehmut erinnert fich) der Boet der Friegeriichen Tüchtigfeit der Alt- 
vordern: 

„Sie ftritten mit ritterlicher Hand, 
Beichirmten der armen Ehrijten Land. 
Dies Xob ift ganz vergangen 
Durch übermütig Brangen.“ 


Wohl war Fürjtenberg beim erjten Lärm zu Noß geftiegen und 
von Fellin nach Tarwaft geeilt. Nach allen Seiten jtürmten feine 
Eilboten durchs Land und trieben die Lälfigen zur Nüftung an und 
an Antivort fehlte es nicht. Der eine Gebietiger entjchuldigt fich mit 
Stranfheit, dem andern fehlt die Ausrüstung; der Erzbiichof, der dem 
Meister die frühere Kränktung nicht vergeifen fonnte, „welches ihm noch 
im SKoppe ftact”, verweigert jeine Mannen aufligen zu lafjen, der 
Bilchof von Dejel entjchuldigt fich) mit erlogener Widerwehr gegen 
erlogenen jchwedischen Anfall. Unverftändlich bleibt vor allem aber 
das Gebahren der Nitterichaften, des Adels, die doch Schon aus Selbjt- 
erhaltungstrieb dem Meister willige Heeresfolge hätten leijten müflen. 
Aber jie alle, die vermögenden, jtolgen Herrn, unter ihnen die hHarrijch- 
wierische Nitterichaft, bleiben taub für alle Mahnung und meinen, fie 
müßten das eigene Gebiet jchüben. 

Sirwahr, jener ruffische Bojar, den man 1559 im Februar ge- 
fangen einbrachte, hatte vecht, wenn er trogig jagte: „Man wilje nicht, 
wie man eS den Deutjchen vecht machen jollte. Im Sommer fei e3 
ihnen zum Striege zu warm, dann wollten fie in ihrer Niftung ver- 
Ichmelzen; im Winter wäre e8 ihnen wieder zu falt, dann müßten fie 
ederbetten, Wein, Bier und große Nachfuhr haben.“ „Spolches, fügt 
der wadre oh. Schmiedt traurig hinzu, hat der Nuffe nicht ohne 
Urfache geredet!“ Diejes entnerote Gejchlecht war veif zum Unter- 
gang. Bor der Flut der Tatern flüchtete fich der Adel des flachen 
Landes auf die feiten Schlöffer: Ermis, Trifaten, Helmet, Ningen 
fonnten bald die Mafje der Flichtlinge nicht mehr bergen, die Bauern 
aber wies man nach den Städten. Glücklich, wenn fie hiev Schuß 
fanden, wenn te nicht, wie vor Dorpat, zuricgerwielen wurden und 
dann Durch die furchtbare Sanuarfälte oder die treifenden Feinde 
elendiglich ums Leben famen. 

Was konnte Firftenberg dem unjagbaren Elend, der Niedertracht 
und Berzagtbeit gegenüber thun? Wie konnte ev den Oxrdensheren 
Iteuern, die feige von ihren Schlöffern wichen, wie den Wünfchen und 
Klagen aller entgegenfommen, da feiner zu Opfern bereit, da jelbit in 
den Städten der alte Geift gejchwunden war. Schon am fiebenten 
Tage des Einfalls jchrieb der Nat von Narwa nach Neval, man möge 
doch die Stadt in jo großer Not nicht im Stiche laffen. Gott habe 
zu Jonderlicher Strafe den Bauern auf der Grenze ein Hafenberz ge 


— 358 — 


geben, daß fie ein vaufchend Blatt im Angft jege und gar wenige 
Feinde, die man früher verachtet, fie aus dem Sshren jagen und sie 
totichlagen. Das Brennen und Morden und Fortführen der armen 
Leuten nehme fein Ende, die Katen ftänden in Slammen und der 
Feind ftreife mit lojen Buben durchs Land. Als man jo jchrieb, 
Itanden ganze vierumdzwanzig troftloje Jahre bevor! 

Mit dem Eifer der Verzweiflung betrieb der Meifter einen neuen 
Landtag, am 12. März follte er in Wolmar zufammentreten. Als 
ob Landtagsichliife das Land noch retten fonnten, dem Die Männer ver- 
(oren gegangen waren! Man einigte jich Schließlich dahin durch eine 
Zahlung von 60000 Thalern den Frieden von Swan zu erfaufen 
und jofort an ihn eme neue Gejandtichaft abzujenden. Aber wie mit 
Ylindheit gejchlagen fügte man dem die Werlung an die Gejandten 
hinzu, nicht allein, wenns möglich wäre, einen Teil der Summe 
wieder abzuhandeln, jondern dem Zaren auch zu Gemiüte zu Führen, 
wie „unverjchuldeter Sachen er das arme Stift Dorpat und emen 
großen Teil des Landes verwihtet md verheert habe.“ Bon gleicher 
Sentimentalität zeugt ein weiterer Beihluß — lobenswert an ich, 
thöricht im Hinbli auf den Augenblid, da er gefaßt wurde: eine 
Reformation vorzunehmen, Mehbräuche, Faliche Lehren und Heremonien 
in den Kirchen abzujchaffen, gelehrte Bräpdifanten ins Land zu ziehen, 
die veine Lehre zu verfiimden und eine Stiechenordnung, die von den 
„hriitlichen, evangelischen Iheologen gejtellt und approbiret“, ein- 
zuführen. Aber diejes erjte offene Bekenntnis des ganzen Landes var 
doch mr ein Wortichwall, an eine Änderung des innern Menjchen 
dachte man im Ernft jo wenig, wie an eine Einziehung der Kirchen- 
güter, durch die man Mittel zur Striegsführung erhalten hätte. Statt 
defjen hoffte man vertrauensjelig Hilfe vom Neich, und war jo naiv 
von der Mosfauer Legation Erjprießliches zu erwarten. 

Aber der Musfowiter that ihnen nicht den Gefallen fich ruhig 
zu verhalten. Nachdem die Tatern jechs Wochen im Land gelegen 
hatten und dann — denn ihre Nefognoszierung war beendet — auf 
ihren flinfen Rofjen jchnell verjchwunden waren, begann am 1. April 
der Haupteinbruch, der auf die Eroberung Livlands abzielte. 

Der erite Borftoß galt der nördlichen Borburg des Landes, dem 
feften Iarwa. Mit peinlichem Gefühl lieft man nod) heute den 
Ihlichten Bericht, den Wolff Singehoff, der zu jener Zeit ein Fähnlein 


— 39 — 


Nigischer Knechte befehligte, über die Ereigniffe, die zum Fall Ddiejer 
Stadt geführt haben, abgefaßt hat. Man ftußt jchon, wenn man 
fieht, daß genau in der Stunde, wo der Feind an den Grenzen er- 
jcheint, die Stadt Niga eine Fahne YLandsfnechte, die jeit dem Februar 
in Sellin in Quartier liegt, abzulöhnen bejchließt, weil der Unterhalt 
zu foftjpielig jei. Kein Wunder, daß die auf drei Monate in Sold 
genommenen Knechte — 430 Mann — meutern und erklären, fie 
würden fich nicht eher zufrieden geben, als biS te eine Entjchädigung 
erhalten, dann erjt wollten jte „ipazieren gehen“. Mit Mühe rettete 
der Fähnrich, vor deijen Haufe die tumultuierenden Landsfnechte Tich 
aufammengerottet hatten, jein Zeben. Als Kettler, der Komthur des 
Sclofjes, von dem Zwilchenfall hörte, entbot er die Führer zu Tich 
und erflärte ihnen jeine Bereitwilligfeit die Sinechte in den Sold des 
Meifters zu nehmen: mit ihnen wolle er dann gen Narwa rücden, 
um die Stadt zu entjeßen. Die aufs Schloß Bechiedenen jchwantten 
fange, fchlieglich bewirften die Drohungen Stettlers, Niga jolle es 
büßen, wenn durch feine Schuld Narwa verloren gehe, jowie feine 
Bereitwilligfeit 300 Mark den Kiuechten vorzuftreden, die Annahme 
jeines Angebot3 und auch die legten Unjchlüfligen wurden durch 
einen zur vechten Stunde eintreffenden Brief aus Niga willig gemacht. 
Schrieb doc der Nat, Hundert Hacdenjchügen wolle er noch weiter in 
Sold behalten und nach Wejenberg abrücden laffen, wenn nur für 
die Übrigen fich der Meifter zu Sorge ımd Sold verpflichte. Ge- 
meinjam brach die ganze Fahne nach Wejenberg auf, hier jollte weiterer 
Beihluß gefaßt werden, d. h. hier wollten die Yandsfnechte jehen, ob 
ihnen gute Löhnung ausgezahlt würde. Doc jchlimm genug war es 
damit beitellt. Weder der Komthur von Neval, der mit etlichen vom 
Adel da war, noch Kettler, noch der Bogt von Wejenberg waren im 
Stande das Geld für einen Monatsjold aufzubringen: als Kettler 
den lebtern bejandte, ev möchte Geld vorjtreden, „da lag er im Bett 
und flagte noch viel mehr, ev hätte fein Geld." In der böchiten 
Kot appellierte Kettler an das Ehrgefühl der Offiziere. „hr müßt 
nicht glauben, jagte er zu ihnen, daß wir Euch nach Narwa bringen 
und dann von Euch reiten werden. Wir wollen, wills Gott, zu 
Jammenbleiben und mit Euch Leben, Ehre und Gut einjegen!" Was 
blieb den Knechten übrig als mitzuziehen? Schon am zweiten Morgen 
jeßte ji) das fleine Heer, das DOrdensaufgebot und das Fähnlein, in 


— 360 — 


Bewegung md zog in Eilmärjchen drei Tage Hindurd) bis auf drei 
Meilen von Maria, wo die erjten Nuffenhaufen fichtbar wurden. 
Schon Ddumfelte es, al3 die ausgeftellten Wachen Alarm jchlugen und 
Meiter und Fußvolf fich, jo gut eS gehen wollte, in Schlachtbereit- 
haft jeßten. In voller Schladhtordnung zog man in die einbrechende 
Nacht Hinein und machte evit etwa eine Meile vor Narwa abermals 
Halt, um Kriegsrat zu pflegen. SKettlers Plan ging hierbei dahin, 
acht Notten Sinechte, begünftigt durch die Nacht und unter dem Schuß 
der Hälfte der Neiter in die Stadt zu bringen. Sterauf jollten die 
feßteren zurictfehren, um auch die Übrigen nebit dem Gefchüß hinter 
die Mauern zu geleiten. Aber die Anftrengungen des Ichweren Marjches 
umd die ftockfinftere Nacht Liegen den Kuechten den Berjuch unmöglid) 
ericheinen: fie wollten bleiben, wo das Geihüg wäre, in der Nacht 
wollten fie fich wicht trennen, gaben fie Singehoff zur Antwort, als 
diefer ihnen Stettlers Befehl überbrachte. Der tomthur geriet in Höchiten 
Zorn, ja er Sprach gar davon mit jeinen Neitern „in die mutwilligen 
Buben einzubauen und ihren Eigemwillen zu brechen“. Aber er mußte 
doch endlich nachgeben und Befehl erteilen, daß das ganze Heer fi) 
abermals in Bewegung jeßte. Es war ein trauriger Zug: die Pferde 
lahımten vielfach, ein Teil der Knechte hatte dDurchgegangene, wunde 
Füße Um ein Haar wäre man bei der Finfternis dem ‘Feinde, Der 
auf der Stadtwieje lagerte, in die Arme geranıt, da man fie, Schlecht 
orientiert wie man war, für Freunde hielt. Eine Stunde nad) Mitter- 
nacht, am erjten April, palfterten die Deutjchen todesmatt endlich) das 
Thor. Aber nicht gerade lang war ihnen die Zeit zum Ausruhen 
bemefjen, jchon in der folgenden Nacht um zwei Uhr biiejen die 
vevalichen Kuechte, die in Nariwa lagen, Alarm, denn die Rufen 
waren eifrig bejchäftigt, den Troß zu plündern. Alles eilte hinaus, 
aber die Feinde waren im dev Mehrzahl und trieben die Knechte um 
MNeiter mit Verluft Hinter die Mauern zurüc. 

Statt num aber mit bejonderem Eifer dem Feinde zu begegnen, 
beichlofjen die Befehlshaber des Nevaler Fähnleins jamt Pfeifern und 
Trommelichlägern ungefäunt nad) Neval heimzufehren, ein Bejchluß, 
dem die Stuechte jelbjt nicht folgten, welche fich vielmehr unter das 
Negiment der Nigiichen ftellten. Auch Kettler mit feinem Neiterhaufen 
und den Heren vom Adel verließ bald darauf den gefährdeten Pla 
und 309 fich, ohne Singehoff Mitteilung davon zu machen, in ein 


Lager zurüd, daß er etliche Meilen von Narwa zu jchlagen befohlen 
hatte. Nur einige junge Edelleute und den Briefmarjchall ließ er in 
Karwa. Man fan ih der Sinechte gerechte Entrüjtung denken: 
troß aller Veriprehungen jahen fte jich in der Stadt allein gelafjen. 
Singehoff begab jich daher, da von nun an auf jenen Schultern 
die Fürjorge in erjter Linte ruhte, hinauf aufs Schloß zum Bogt 
Ernft von Schnellenberg, und bat ihn um Hafer und Heu für jene 
Vferde. Der Bogt erwiderte, er babe feinen, der Nufje habe jeinen 
verbrannt, doch al3 Singehoff in ihn drang, er wille, in der Stadt 
gebe es noch Hafer, er würde jchon jehen, wie er zu demjelben füme, 
ließ ihm der Vogt durch einen Boten jagen, für 70 Mark baar wolle 
er ihm wohl eine Lajt Hafer geben. Aber Singehoff hatte Jich jelbit 
geholfen und gab dem habgierigen Ordensherrn zu wiljen, ein Bürger 
habe ihm für 60 Mark und zwar auf Borg den Hafer abgegeben. 
Sürwahr ein wacerer Kommandant! Doch nicht genug, daß er Storn- 
wucher trieb, wo der Gegner im Lande jtand; am 9. Mai entfloh er 
feige aus Narwa, um fein fojtbares Leben in Sicherheit zu bringen. 

Singehoff und der Hauptmann machten fich mm eilends auf, um 
mit den Ordensheren im Lager ein ernites Wort zu reden. Sie trafen 
den Komthur und jein Gefolge bezeichnender Weije beim Wettrennen 
umd jo wichtig jchien jenen diejeg Vergnügen, daß geraume Zeit ver- 
Itrich, ehe die Abgejandten der Knechte Gehör erhielten. Beide wiejen 
mit eindringlichen Worten darauf hin, daß das Lager viel zu weit 
von der gefährdeten Stadt entfernt jei, daß der Feind fich nur zu 
leicht zwiichen beide Stellungen jchieben und NKarıva einnehmen fünne, 
ohne daß man im Lager eine Ahnung davon hätte ES jei notwendig 
zwißchen Stadt und dem Heer auf halbem Wege eine Befejtigung zu 
errichten, die den Übergang iiber die Narowa unmöglich mache. Fünfzig 
Neiter, welche die Strede täglich abpatrouillieren müßten, würden jede 
Überraschung vereiteln. Doch folche ernite Mahnungen schlugen an 
taube Ohren: es jolle feine Not haben, meinten die Ordensherrn, es 
jolle vielmehr jtarfe Wacht gehalten werden, man möge nicht unnötig 
bange fein. 

Aber das Verhängnis war nahe! An 11. Mat in der Morgen 
frühe brach in der Stadt ein furchtbares Feuer aus, das mit jolcher 
Heftigfeit um fich griff, daß die Glut die Nnechte von den Stadt 
manern und Wällen aufs Schloß trieb. Yıuch das Bolf, das kaum 


— 362 
die notdirftige Habe gerettet, flüchtete dorthin, fand aber feine Auf: 
nahme. In dem allgemeinen Tumult war es den Nufjen ein Leichtes, 
die brennende Stadt zu erobern, Jie jebten auf Flößen und Boten 
iiber die Narowa und drangen unvermutet in die Stadt, während von 
Swangorod aus zu gleicher Zeit ein Fraftvolles Bombardement gegen 
das Schloß ins Werk gejeßt wurde und mächtige Steinfugeln von 
13—14 Liespfund gegen die Mauern und Türme prafjelten. Wohl 
verteidigten fich die Deutschen jo gut es gehen wollte, aber Die all- 
gemeine Verlotterung zeigte fc) auch hier: ein Teil der Kanonen 
Ken beim erften Schuß und der Briefmarjchall jowie der Bewahrer 
Schlüfjels zur Pulverfammer hatten fich beide, als die Kugeln im 
nn Sefte flogen, fo verfteckt, dag man fie eine „große halbe Stunde“ 
nicht finden konnte. ALS die Knechte fie Schließlich aufgejpürt, war die 
Lage noch jchlimmer geworden, Die en jelbjt, wo ein Teil des Fuß- 
volfes fich noch zu halten verfucht hatte, aber zuleßt die Position hatte 
räumen miflen, verloren. Im Schloß jelbft herrichte arger Proviant- 
mangel, nur wenige Tonnen Bier, ein Geringes an Speck und Brot, 
dazıı fein Überfluß an Pırlver fand fich vor. Was follte gejchehen? 
Der Briefmarichall hatte mittlerweile feine Faflung jcheinbar 
tiedergefunden und war eifrig bei jeiner Meinung, man müfje Tich 
rüsten, jo gut es gehe, dann Gott um Gelingen bitten und durch die 
Feinde in der Stadt ich durchzujchlagen juchen. Sem Nat findet 
Anklang, gerüftet treten alle im Schloßhof zum Ning zujammen und 
während der Prediger fie tröftet und ermahnt, fallen die rauhen Kriegs- 
fnrechte zum Gebet auf die Siniee. Schon find fte im Begriff hervor- 
zubvechen, da fommt ein Mann umd meldet, daß ein Bürger von 
Narıva, Berthold Wejterman, vor dem Thore ftehe und Namens des 
venßiichen Oberjten um Unterredung bitte. Man führt ihn vor den 
Ring und hier erklärt ev im Auftrage des feindlichen Führers, jo das 
Schloß freiwillig übergeben werde, jollten Alle mit Troß und Habe 
freien Abzug haben, den Bürgern aber, die in der Stadt blieben, 
winden ihre Häufer noch weit bejjfer aufgebaut werden. Wider Er- 
warten wollten die Eingejchloffenen von diefem Anerbieten nichts willen. 
Wohl mochten fie noch auf Erfah vom Lager her hoffen, wohl auch 
dem Feinde nicht vecht trauen, daß er den freien Abzug veipektieren 
wide. „Apfel und Birnen,“ gaben fie zur Antivort, „pflege man 
wohl zu verichenfen, nicht aber Schlöffer,“ 


Te 


Während die Belagerten vom „langen Hermann“ herab mit jorgen- 
dem Auge jpähten, ob nicht Nettung fich nahe, erichten Welterman 
zum ziweitenmal und diesmal mit drohenden Bescheid: der reußtiche 
Feldherr wolle finze Antwort; nähmen fie die gebotene Gnade zur 
rechten Zeit nicht an, jo würden fie alle das Leben verwirken. Noc) 
einmal fanden die Bedrängten den Mut zur Abjage, es wäre Abend 
und man miüfje die Sache die Nacht über bedenfen. Aber in Surzem 
war Welterman zum drittenmal vor dem Thor: nicht eine Stunde, ge- 
Ichweige denn die ganze Nacht wolle der Feind Aufichub gewähren. 
Da entjchließt man fich, nachzugeben: der Proviant und das Pulver 
geht zu Ende, die Mauer zur Stadt ift völlig zerfallen, fein Entjab im 
Anzuge. Nach kunzer Unterhandlung wird bejchlojjen, daß die zFeite 
noch am jelben Abend geräumt werden mühe. „ES war,“ jchreibt 
der wackere Singehoff in anichaulicher Art, „düftere Nacht, wir aber 
rüfteten ung und zogen aus, während der Oberjt der Neufen uns das 
Geleit gab, bi3 wir bei allen feinen Neufen vorbei waren. Da jah 
man einen erbärmlichen Zug von Männern, Frauen und Kindern; die 
Männer und Frauen hatten fich bei der Hand und trugen die Kinder, 
die nicht gehen fonnten, und hatten nicht mehr behalten, als fie um 
und an hatten, das andere war alles verbrannt, denn die Stadt ver- 
brannte jo jehr, daß nicht ein Stoc jtehen blieb außer der Wiertjchen 
Pforte. Alfo zogen wir durch die dirftere Nacht aus der Narve md 
famen unbejchädigt durch die Neußen, da wurde es Tag." Als Die 
slüchtlinge am 12. Mat morgens im Lager müde und elend eintrafen, 
fanden fie dasjelbe in Brand geftekt und die Neiter zum Aufbruch 
gerüftet. Erft in Wejenburg, wohin der Nitcmarich ging, erfuhr man, 
wie e8 gefommen, daß der Entjab ausgeblieben war. Schändlicher 
Verrat hatte feine Hand im Spiel gehabt, denn jchon waren die Neiter 
im Begriff gewejen, gegen Narıva anzuveiten, als eine Botjchaft des 
Birgermeilters Hermann zu der Mühlen meldete, das Feuer jet gelöjcht 
und der Feind vrithre fich nicht. Darauf bin verzögerte Kettler den 
Marich — md Narwa ging verloren. 

Mit Abficht Haben wir jo eingehend das Gejchief Diejer Stadt 
behandelt; war te doch nicht mur „eine freie Stadt md eines der 
Ichönsten Schlöffer deutjcher Ehriftenheit“, deren Fall im Yande jtarres 
Entjeßen hervorrief, jondern wiederholten jich die Vorgänge bei Navıvas 
Eroberung doch in ähnlicher Weile auch bei den andern Schlöfjern md 


— 364 — 


Städten, die dem Mioskowiter zum Naube fielen. Narwas Fall ift 
\ymtomatisch und jchon Deshalb eingehenderer Schilderung wert. 

Auch die lebte Hoffnung der friedejeligen Livländer, jo trügeriic 
fie gewejen, zerplaßte um diejelbe Zeit wie eine Seifenblaje: Als die 
(wländischen Gejandten im Mosfau anlangten, fanden fe eine mehr 
denn fühle Aufnahme und am 5. Juni ließ ihnen Swan jagen, von 
den 60000 Thalern wolle er nichts wiffen. Der Bilchof von Dorpat 
— defjen Abgejandter Luftfer in der That damals in auffallender Miffton 
in Mosfau weilte — habe ihm Stadt und Stift zu übergeben jich 
erboten, wenn der Jar ihm Amt und Privilegien laffe. Der Zar 
wife wohl, daß der Meetiter ext Firrzlich vor dem König von Polen 
jein Haupt geichlagen habe, dasjelbe verlange er jeßt. Wenn der 
Meister und der Erzbiichof, der Noadjutor und die Bilchöfe jelbit zu 
ihm fümen, wolle er fie begnadigen, wie ihm gut dünfe Kämen fie 
aber nicht, \o jei er unschuldig an dem Blut, das um Livland fließen 
werde. 

Die Antwort Jwans des Schreelichen fonnte Steinen überrajchen, 
jte überraschte, jcheinbar wenigitens, alle bis auf Fürstenberg. Diejer 
hatte auch diesmal feinen Augenblic eine friedliche Löjung erwartet 
und daher gethan, was in jeinen Kräften jtand, um einen zweiten Ylır- 
griff beijer bejtehen zu fünnen. Doch was vermochte ein Einziger! 

Einen Tag, nachdem Narwa gefallen, war der Meifter von Helmet 
aus im das Feldlager von Sirrempäb, einem fleinen, feiten Haufe des 
Stifts Dorpat, eingeritten, mit ihm 200 gewworbene Reiter — jonit 
folgte ihm niemand'). Man hätte doch glauben jollen, der Btichof 
von Dorpat, von dejien Stiftsvajallen gegen 600 zu Pferde in der 
Stadt verfammelt geiwejen, wiirde mit ganzer Macht in Kirrempäh zur 
Stelle fein, aber faum die Hälfte fand Fich mit ihrem Bilchof bier 
ein, zu denen Firftenbergs Neiterobrift, Heinrich von Meelichede, der 
Sproß einer alten weitfäliichen Samilte, noch weitere 300 führte. Die 
sähnlein von Niga und Neval aber blieben ebenjo aus, wie die 
Mannen der Nitterichaften, ja die Kinechte dev DOrdensgebietiger. Nur 
einer von ihnen, der tapfere Komthur der Marienburg, Bhilipp Schall 
von Bell, der eben erjt die Nuffen aus feinem Gebiet vertrieben hatte, 

') ef. über die Vorgänge im Lager von Slirrempäh den fejjelnden Bericht 
von 3. Lojfius: Jürgen und Kohann Merfüll im Getriebe der Tivländijchen Hof- 
leute. Leipzig. Verlag von Dunder u. Humblot. 1878. 


— 865 — 


traf mit jeiner Mannjchaft ein. Seinem Betjpiel folgten allein noch 
die Drdensherrn des weit entlegenen Kurland, unter ihnen der finftre 
Komthur von Doblen, Thies von der Nedfe und Wlrich Behr, der 
Dompropft der Kirche von Kurland. Sie brachten etwa 700 Neiter, 
1500 Bauernfchügen umd einige Kanonen mit, jo daß jich die Truppen 
zahl, die Fürjtenberg zur Verfügung Stand, auf 1500 Pferde, 1500 
Banernjchügen und einiges Feldgeichüig belief, Sinechte und Hacen- 
Ihügen ihm aber gänzlich fehlten. War diefe Macht nunmmeriich den 
60—-70000 Auffen gegenüber auch unendlich flein, jo jprad) für die 
Deutfchen das noch immer nicht ganz erjchütterte moralische Über- 
gewicht der Eijenreiter. Da man auch noch nicht unter dem depri 
mierenden Eindruck des Falles von Narwa ftand, jo hatte ein ener- 
gischer Borjtoß alle Ausjicht auf Erfolg. Fürftenberg beichloß daher, 
das mächtige Grenzjchloß Neuhaujen, vor dejien Mauern der Niosto 
witer jieben große Lager errichtet, ohne freilich dem wacern Sürgen 
Verfüll gegenüber etwas ausrichten zu können, zu entjegen. Der tanonen 
Donner, der gedämpft in das fünf Meilen entfernte Yage von Stirvem: 
päh hinübertünte, war Mahnung genug und der Netjter war wahrlic) 
nicht Jaumig, doch im Angeficht der Schlaffheit der Ordensheren, des 
Ausbleibens der ftädtifchen Knechte und der Übermacht der Feinde 
war all jein Wollen von feinem Erfolg gekrönt. Sa Schlimmeres 
zeigte fich bereits der Verrat. Der vertraute Diener des Bilchofs von 
Dorpat, Zuftfer, dev eben erit aus Diosfau heimgefehrt war, und den jein 
Herr, kurz bevor der Feind fich vor Neubhaujen gelegt hatte, hierher 
gejchieft hatte, verfuchte das Haus den Nuffen in die Hände zu jpielen. 
Ein Scheinangriff jollte ihnen die evwünjchte Gelegenheit geben, das 
von DBertetdigern entblößte Schloß zu überrumpelt. Zum Gflüc 
fam man vechtzeitig Hinter den verruchten Anschlag, Yuftfer wurde ev 
griffen und in Wenven auf die Folter geipannt, auf der er böje Dinge 
ausjagte. Wer will mit Sicherheit jagen, daß Luftfer mit Einwilligung 
oder wenigftens im Sinn jeines erbärmlichen Here gehandelt, der 
freilich nur zu bald jein Leben zu jalvieren jich alle Miihe gab. Da 
aber der Verdacht au des PBrälaten Witrene in des Meifters Brust 
vege wırrde, er fonfjpiviere mit dem Feinde — ven wollte das Wunder 
nehmen? 

Aber mr Furze Zeit ließ Fich Fürftenberg miederbeugen, auch die 
trübe Meldung von Narwas Fall und die feige Engberzigkeit der 


— 500 — 


ejtländischen Gebietiger konnten feinen Optimismus nicht vernichten. 
Schon am 3. Sum legt er den Ejtländern brieflich einen ftrategich 
vortrefflichen Plan vor, der, ausgeführt, das ganze Yand hätte erretten 
fönnen: fie jollten über die Narwa jegen, am vuffischen Ufer des 
Peipus nach Süden zu ziehen und dem vor Neuhaufen lagernden 
Feind in den Nitefen Fallen, während er, der Meifter, ihn an der 
sront angreifen wolle. Sollte aber, fährt das Schreiben fort, Ddiejes 
Planes Ausführung aus triftigen Gründen unmöglich fein, dann 
möchten fie wenigftens jofort zu ihm nach Stirrempäh ftoßen umd mit 
Ihm gemeinjam dem Neußen die Stirn bieten. 

Und was erfolgte auf diefe männliche Aufforderung fir eine 
Antwort? Im Feldlager zu Kirvempäh fünnten fie nicht exjcheinen, 
denn jie hätten gute Kumpjchaft, daß der Neufe gegen Neval wie 
gegen Dorpat Schlechtes im Schilde führe. Da könnten fie doch die 
armen Lande Harrien umd Neval, Seriven, Wierland und die Wief 
nicht preisgeben! Der andere Plan aber jei deshalb unausführbar, 
weil fie nicht nur zu jchtwach wären den Übergang über die Navıva 
zu erzipingen, jondern weil auch die Nede gebe, dal in Rußland viele 
Ströme in den Peipus mündeten, „da man nicht durcchfommen fann.“ 
Vichtige Borwände! 

Noch |hlimmer traf dem Meifter eine zweite Abjage. Tagten doch in 
dem bereits bedrohten Dorpat die zum legtenmal verfammelten Lvländifchen 
Stände, an die der Meifter eindringliche Bitten um mutvolle, energifche 
Hilfe gerichtet Hatte. Und wiederum verhallten die Worte Firstenbergs, 
ohne Gehör blieb die flanımende Nede des Dorpater Bürgermeisters 
Tönmis Tyle, eines „Frommen, ehrlichen und chriftlichen Mannes“, wie 
ihn dev Chromift nennt. ALS diefer merkte, der Landtag drohe ohne 
Refirltat zu verlaufen, trat ev vor die Herin und Stände umd ftellte 
ihnen vor Augen, „daß fein Wotentat ihrenthalben fich mit dem 
Nuskowiter vergebens einlafjen würde: hielt alfjo vor ratfamer, weil 
noch viel ehrlicher und tapferer Leute im Lande waren, welche mit 
Ihrem Weib und Kindern an Baarjchaft, Gejchmeide und Sleimodien 
wohl etwas Borrats hätten, daß solches alles zujammengebracht, 
Leute davon bejtellt und dem Lande zum Beten angelegt wiirde. 
Solches jollte wohl, jeinenm Bedenken nach, nächit Gottes Hilfe, der befte 
Schuß fein, wofern man mır fich wirklich vereinigen umd dem Feinde die 


| 278) 


tin biete und nicht, wie bisher gejcheben, ein jeder feines Ortes warte.“ 


— 3567 — 


Doch die Livländer dachten mm noch an fremde Votentaten, um deren 
Schuß fich zu bewerben ihnen jelbit Statjer Ferdinand jeltijamerweije geraten 
hatte, und e3 fragte fich nur, ob der Dänenfönig oder Guftav Waja von 
Schweden oder König Sigismund Auguft, der Pole, der richtige Potentat 
wäre. Der Meijter hielt Dänemark für die geeignetite Macht und jollte 
einmal mit Fremden paftiert werden, jo mochte er jo unrecht nicht haben. 
Zu Schweden jtand man gejpannt, da Guftav Waja, jo wie jo größern 
Unternehmungen in jeinen legten Jahren abhold, dem Orden zirnte, 
weil er ihm nicht in jeinem legten wufjtichen Kriege Hilfe geleiitet hatte. 
Mit Bolen wollte Keiner weniger zu thun haben als Fürjtenberg, 
dem die Schmach von Poswol das Blut in Wallung brachte, umd 
vom bl. Römischen Neich erhoffte wohl auch er nur wenig. Ylnders 
Itand e8 mit Dänemark’). Die Zeit, da man Ejtland bejejfen, war 
im Königsjchloß zu Stopenhagen nicht vergefjen, man gedachte ihrer oft 
und war bereit Opfer zu bringen, um das Verlorene wieder zu ge- 
innen. Zudem jchien Livland- König Ehriftian III. ein guter Boden, 
um feinem jungen Sohn Magnus von Holjtein ein Bisthum zu er- 
werben, zu welchem Zwec jowohl 1556 ie 1557 däntiche Gejandte 
im Lande gewejen waren. Andererjeits war Dänemark zu weit ent- 
legen und zu wenig bevölfert, um zu einer ernjten Gefahr für Yiv 
(and werden zu fünnen. Gelang es aljo gegen die Anerfenmung einer 
Art Proteftorat Dänemarfs die Hilfe diefes Staats ohne Abtretung 
irgend welcher Gebietsteile zu erwerben, jo fonnte das Land damit 
nicht übel zufrieden jein. Alle Stände einigten jich daher Ende Sum 
den Schuß König Chriftian III. anzurufen und Gejandte zu ihm ab 
zujenden. Chavakteriftiich für die fortgejchrittene Xocerung aller Dinge 
war es, daß von gemeinjamer Aktion weiter micht Die Nede war 
und neben den Gefandten Fürjtenbergs, die tm Namen des ganzen 
Landes bei Dänemark Beiftand bitten jollten, uns eimzelne Stände 
und Stifte mit Sonderforderungen entgegentreten: An 5. Juli offerierte 
Hermann von Dorpat jein Stift dem Herzog Magnus, amı Ende des 
Monats injtruierten der Adel Eftlands und dev Nat Nevals ihre Ge 
jandten dahin, fie jollten, Falls 8 nicht glücle gegen eine jährliche 
Seldfumme Schuß und Kriegshilfe zu eviwirfen, im die Unterwerfung 

!) ch. Die livländisch-dänischen VBerhältniffe nach Dr. W. Mollerupp. 
Dänemarks Beziehungen zu Livland vom Verkauf Ejtlands bis zur Auflöjung des 
DOrdensjtaates (1346— 1561). Siehe Fr. von Keunler. Fellivus Jahresbericht 1883/84, 


BE 


unter den König willigen, wofern er ihnen die Erhaltung ihrer 
Brivilegien und Neval jene Stellung im der Hanja garantiere. 

Doch bevor fich der dänischen Bolitif, deren eifrigiter Barteigänger 
der Bruder des Bischofs von Dejel und Sturland, Chriftof von Münch- 
haufen, war, derartig günjtige Ausfichten eröffnet hatten, war Yivland 
um andere Jchwere Unglücsfälle veicher geworden. 

Welch peinigendes Bild, daß das Lager von Stirrempäh zur Zeit 
des Dorpater Landtages zeigte! Wir jehen den Meeifter im jteten 
Verdacht gegen die Dürptiichen, mit deren Kriegsvolf die Yeute des 
Drdens wohl gar handgemein werden, ja deren Stnechte und Neiter 
der Meifter mit Waffengewalt zwingen muß bei ihm auszuharren, 
während Bischof Hermann plöglich bei Nacht und Nebel auffigt und 


x 


hinter die Mauern feiner Nefivenz flüchtet. Vergebens harıt Firriten- 
2 ( « € 


berg auf die Fähnlein von Riga und Neval — fie fommen nicht. 
VBergebens erwartet er Hilfstruppen der Hanja, vergebens in Deutjch- 
land gewworbene Neiter — niemand fonmmt. VBergebens wendet ev jich 


an König Guftav Wafa, an dejfen Sohn Johann von Finnland und 
bittet um Geld, damit ev Truppen werben fünne — fein Hoffnungsjtrahl 
leuchtet ihm. Doch noch immer hofft ev. Met fieberhaftem Eifer wird 
alles zum Entjag Neuhaufens vorbereitet, werden Wege und Stege, die am 
Ichnellften dorthin führen, erkundet, Brücen über Simpfe und Wege 
durch Das Dieficht geichlagen, ein Hinterhalt gelegt und die Haupt 
macht gegen Neuhaufen dirigiert — da verftummt am 30. Juni der 
Sejchiikdonmer, der jechs Wochen hindurch zu hören gewejen war, und 
ein Bote bringt die Schredensfunde, das Schloß fer über. Sp war 
alles vergebens gewejen md der Überflutung durch die Feinde ftand 
das Gebiet von Dorpat offen. 

‚te war das m möglich gewejen? Galt nicht Neubhaujen für 
eine der fejteften und wichtigjten Burgen, hatte nicht Firftenberg, um 
gegen verräterische Anjchläge der Dorpater ficher zu fein, Munition 
und Striegsvolf auf das Schloß gejandt und ihm in der Berjon des 
jugendlichen Jürgen Uerfüll auf Badenorm einen energiichen Führer 
gegeben? Freilich waren es m achtzig Stuechte, ein Haufe Undentjcher 
umd eimige Dorpater Bürger, die aus dem Hafelwerf am Fuß der 
Burg vor den Nuffen hinter die mächtigen Mauern flüchteten, Die inS- 
gefamt dem vitterlichen anne zu Gebot jtanden, während der Feinde 
Zahl eine große war und mächtige Gejchüse, deren einzelne angeblich) 


— 369 — 


von 3000 Menjchen herbeigeichleppt worden waren, ihre Gejchoiie 
gegen Neuhaufen warfen. Aber Uerfüll blieb feit und wußte den anı 
15. Sunt jtattfindenden großen Sturm der Nufjen jo Fräftig zurücdzu- 
weilen, daß fie ihm einen vorteilhaften DVBergleich anboten und mit 
Staunen gejtanden, hier hätten jtch Die Deutjchen mit Heldenmut ge- 
ichlagen und dem Tode fühn ins Auge gejchaut. Mit um jo größerer 
Erbitterung jesten die Mioskowiter die Angriffe fort und bald janf, 
durch ihre gewaltigen Steinfugeln in Trümmer gejegt, ein Teil der 
Mauer zujammen, ftürzte der Borturm zerjchojlen et. Aber nicht der 
Übermacht, jondern dem Verrat fiel auch diefe herrliche Feite zum 
Dpfer. Eben jene Dorpater Kaufleute, denen „der Neufje viel zu- 
gejaget“, hatten den Suechten insgeheim in den Ohren gelegen und 
ichlieglich jte zur offenen Meuteret beivogen: Am 30. Juni jteht fich 
Sürgen Uerfüll plöglic) von den Meuterern umgeben; weigere ev fich 
das Haus den Nuffen zu übergeben, rufen jte ihm zu, jo wollten fie 
ihn im Angejicht derjelben über die Mauer hinaus aufhängen und 
dann die Thore mit Gewalt jprengen. Was bleibt ihm übrig, als 
roher Gewalt zu weichen. Nachdem ihm der Feind freien Abzug be 
willigt, öffnet er das Thor und veitet nach Kirvempäh. Seine Kinechte 
aber laufen über und nehmen Dienit beim Feinde. So fiel Neuhaufen. 

Diefer Unglücsfall brach auch dem bis dahin ungebeugten Meeifter 
den Mut. Er gab Befehl, das Lager abzubrechen und in Brand zu 
itecfen, hierauf aber den Nüdzug auf Walk zuzunehmen. Doch ihm 
nach drängte mit Ungeftüm der ftegestrunfene Feind, um womdglic) 
gegen den demoralisterten Haufen einen entjcheivenden Schlag zu Führen. 
Hier war es auch, daß Kettler, der zFelliner SKomthur, dem die Nach- 
hut anvertraut war, von den Nullen überrumpelt wurde und verloren 
gewejen wäre, wenn micht der Metiter in PBerjon umgekehrt wäre und 
ihn aus dem Getimmel gehauen hätte. Er ahnte wohl kaum, wie ihm 
jener in wenigen Tagen jchon die ritterliche That lohnen würde! 

sn halber Auflöjfung langten die Truppen, nachdem fie bei Lelzen 
biwaftert hatten, in Walt an und bezogen hier ein neues Feldlager. 

Kaum eine Woche vergeht, da wird das Land durch eine neue 


umerivartete Nachricht überrajcht: einhellig — jo erzählt Ktettlev's Se 
heimjchreiber, Salomon Henning — haben die DOrdensgebietiger bier 


in Walt Gotthard Stettler, den Komthur von Fellin, den Meifter als 
Koadjutor an die Seite gejeßt, da jener „ziemlich jchweren Alters“ ud 
Seraphim, Gejchichte I. 24 


— 370 — 


die Binde des Amtes nicht mehr zu tragen vermochte. Bergeblich hat 
jich Kettler gegen die Wahl gefträubt, exit nachdem alle Mittel der 
Weigerung erjchöpft, hat er fich „des Ordens Statuten wider allen 
jeinen Willen, ja mit Bergteßung jeiner Ihränen“ gefügt. So lautet 
der Henningjche Bericht, mur jchade, daß er erlogen ift. Nicht ein- 
timmig von allen Gebietigern, nicht auf oxdentlichem Wahlfapitel, nicht 
aus freiem Willen und weil Firrftenberg altersichivac, geworden, hat 
man stettler ihm zur Seite gejeßt, jondern als Opfer einer nieder- 
trächtigen, fein angelegten und fein Durcchgeführten Sntrigue, in der fich 
Stettlers Ehrgeiz umd elender Verrat die Hand reichten, ijt der beite 
Manı des Ordens dom Ant verdrängt worden. Nicht alle Komthure 
waren im Walf amvejend und von den Almvejenden der Tiüchtigjte, 
Philipp Schall von Bell von dev Marienburg, entjchieden gegen Stettler. 
‚Fürjtenberg war auch nicht alt und hinfällig, font hätte er jeinen Ni- 
valen nicht aus dem Schlachtgewühl gevettet, Jonft wäre er nicht fait 
der Einzige, der noch zwei Jahre hindurch, bis er nach dem Fall 
sellins fortgeführt wurde, mannhaften Widerjtand geleijtet hat. Doch 
wir befisen Fürftenbergs Zeugnis jelbft.!) Nachdrücklich betont diejer, 
daß er durch Stettlev zu Fall gebracht worden, der früh darnach ge- 
trachtet, „wie er uns aus dem Negiment dringen und an fich die Ne- 
gierung bringen möchte“. Deshalb habe er mit Lift die Anhänger des 
eifters getrennt und hierdurch bewirkt, dal Neuhaufen „mit Schande, 
Schimpf md Spott“ verloren gegangen ei. Und schließlich bezeugt 
sürjtenberg, er habe Stettler „zum Walfe auf ungejtümes Anhalten 
jeiner Anhänger zu unjerm Koadjutor wider unjern Willen annehmen 
und aljo folgendes mit weinenden Auges aus dem Feld reiten“ mühjen. 

Wer war denn Gotthard Kettler, daß die Gebietiger ihn zu jo 
hoher Würde erhoben? War er das Werkzeug Anderer oder trieb 
er jelbjt Politif auf eigene Hand? Nun, er war der Bannerträger 
ver polnijchen PBartei im Lande, deren Ziele freilich nicht völlig die 
jeinen jein mochten. An die Fortdauer der Ordensherrichaft glaubte 
auch er nicht, aber nicht für Polen, jondern für jich jelbjt ein welt- 
(iches, Fürjtliches Negiment aufzurichten und hierzu fich der Polen als 
Helfer zu bedienen, fchwebte ihm vor. Sollte ev das hohe Spiel ge- 
winnen, jo mußte vor allem Wilhelm von Fürftenberg jeines Ein- 


x 


ı) ef. Ph. Schwarg 1. c. pag. 14. 


— 3871 — 


fuffes beraubt werden, da diefer fein Gewicht fr die Aufrechterhaftung 
des alten Zuftandes in die Wage warf und den Polen mit der Wärme 
jeines patriotiichen Empfindens tn den Weg trat, wo er nur fonnte. 

Kettlers Geichleht!) jtammt gleich dem vieler anderer Drdens- 
herren aus Weitfalen, wo es bereits im 13. Jahrhundert nachweisbar 
ift. Hier ist auch er als neuntes Kind feiner Eltern wohl 1517 oder 18 
geboren. Dem jüngern Sohn blieb fan etwas anderes übrig, als, nac)- 
dem er herangewachjen war, dort VBerforgung und Dienft zu juchen, wo 
der Adel jenes Zeitalters fie vielfach fand, in Livland beim Orden. Etiva 
zwanzig Jahr alt ift er über Meer gezogen, einer ehrgeizigen Zukunft 
entgegen. Sein Scharfer Beritand, feine IThatkraft und die fittliche 
Reinheit feines Lebenswandels, zu den freilich tm grelliten Wiper- 
Ipruch ein ums erhaltenes Spottlied mancherlet recht Bedenfliches zu 
erzählen weiß ?), unterjchieden ihn bald von den meisten Ordensbrüdern 
und ebneten ihm die Bahn nad) oben. Wahrjcheinlicd) 1553 reiite 
er nach Deutjchland und fam auch nach Wittenberg, wo auch jein 
fühler Geift von dem Cvangelium mächtig ergriffen wurde md er 
fih aufrichtig dem Luthertum zumwandte, dem er jein ganzes jpäteres 
Leben hindurch ein treuer Anhänger geblieben 1jt, wenngleich an einen 
formellen Übertritt Schwerlich zu denfen ift. Drei Jahre fpäter jehen 
wir ihn als Komthur von Dünaburg gegen den Erzbiichof und dejien 
Koadjutor auf Geheig Heinrichs von Galen in Deutichland Truppen 
werben, aber bald darauf muß der Umjchtwung erfolgt fein, der ihn 
sBolen zuführte. Offenbar in Dimaburg hatte ev — freilich) anders als 
sürftenberg, da diejer den Boten bekleidete — die polnischen Verbältnifie 
fennen und — üiberjchägen gelernt und fich in ihm die Überzeugung ge- 
feftet, daß der Orden, der zu jchiwach jei, um Moskau allein zu widerjteben, 
Jich Lieber Polen und Littanen, al dem Großfürjten in die Arme werfen 
müfle. Als 0b es nicht noch andere Wege gegeben hätte! Anfangs 
freilich fand die polnische Volitif nur wenige Vertreter, am meijten 
wohl noch unter den Gebietigern in Kurland, aus deren Mitte Thies 
von der Nede denn auch in Walk die Hauptrolle gejpielt zu haben 
Iheint. Zäufcht nicht alles, jo war der unjelige Boswoler Traftat 
Ichon ein Zeichen des mächtig gewachjenen Kettlerichen Einflufles, 

!\ ef. Th. Schiemann. Hiflorische Darftellungen und archivalijche Studien. 
Behres Verlag. Hamburg-Mitau 1886. 

2) cf. Mitteilungen XIII. pag. 505. 


— 372 — 


wenigstens war Salomon Henning, jein Sefretär, beim Abjchluß eifrig 
thätig. Der 9. Jult 1558 brachte den Ehrgeizigen jeinen Hielen um 
ein großes Stüct näher, ichob den gefährlichiten Gegner des polnischen 
Biindniffes bei Seite und ließ die endgiltige Verdrängung Fürften- 
berg nur noch als Frage der Zeit erjcheinen. — 

Die Ungunft der Lage machten des alten Meifters Stellung 
immer jehwieriger: zehn Tage nach der Wahl in Walk beugt ein neuer 
Schlag fein Haupt: auch Dorpat Fällt in des Gegners Hand. Nur zu 
jehr hatte e3 Fürftenberg gefürchtet, denn die Gefahr war groß umd 
die Widerwehr jchwach: der Bijchof denft nur daran, wie er ji) 
jalvieren fann, das Kriegsvolf it gering, die Bürgerjchaft mutlos umd 
ohne Tönnis Tyles Geift, der Feind unter Peter Schuistyg Führung 
fiegesgewiß und an Zahl gewaltig. Auch der jonft nicht jo Leicht 
verzweifelnde Komthur von Marienburg hielt die Yage für jehr be- 
denflich und meinte, e8 gelte vor allem dag Drdensgebiet zu jchüßen, 
das Hemd fer ihm näher als das Wanms. So treffen wir jelbjt 
bei den Beiten diefen öden Mangel an Gemeinfinn! Auch hiev bildet 
Fürftenbergg Verhalten eine rühmliche Ausnahme, er allein denkt 
anders, jeine Boten jchleichen durch des Feindes Reihen, jeine Briefe 
fliegen an Kaifer und Neich, nur wenige Wochen, fleht er, möge die 
Stadt fi) Halten, er verpfünde jein Wort, er werde fie entjeßen. 
Er rafft zufammen, was er an Kriegsvolf zujammentreiben fanın, er 
entflammt den Mut der Gebietiger, des Adels — umd wieder das 
dunfle Verhängnis: zu jpät! 

Hatte Bischof Hermann Verrat geübt oder war e3 an Verrat 
grenzende Schwachherzigfeit, die jede Verteidigung verichmäht hatte? 
Die Zeitgenoffen haben den Prälaten des Landesverrats bezüchtigt 
und feine Haltung war in der That jchon vor der Kataftrophe mehr 
al3 verdächtig, auch feine gleich zu erzählende Behandlung durch den 
Feind fpricht gegen ihn. Hätte er aber, fragt man fich unwillfürlich, 
wenige Tage vor der Einnahme Dorpats dem Herzog Magnus von 
Hofftein fein Stift übergeben, wenn ev einen vorgefaßten Verrat an 
Moskau im Auge hatte. Nätjel, ungelöfte Nätjel! Er jelbjt hat 
jede Verbindung mit dem Zaren in Abrede geftellt, dagegen feinen 
Stiftsvogt Eilert rufe, der innerhalb der Mauer weilte, angejchuldigt, 
den Verrath geitbt zu haben. Und daß diefer Mann, dejjen Name 
ung noch oft begegnen wird, jeine Hände im Spiel gehabt hat, dürfte 


— 973 — 


feftstehen. Wohl leugnet auch er in einem ung erhaltenen Schreiben 
jede Beteiligung ab, aber es fällt unmöglich ihm zu glauben. Zu 
jehr zeugen gegen ihn jeine enge Beziehung mit Mogfau, in die er 
bald trat, zu jehr das Gerede der damaligen Livländer, zu jehr die 
nicht mißzuverftehenden Vorwürfe, die Bilchof Hermann aus der 
Gefangenschaft ihm macht. Ausdrüclich hebt diejer hervor, daß Ktrufe 
ohne jein Geheiß mit dem Gegner, der vor der Stadt gelegen, Zwwie- 
iprache gehalten, ausdrücklich nennt ev unter den auf Grund der ihm 
(angeblich) abgedrungenen Vollmacht Berhandelnden jeinen Stiftsvogt, 
ausdrücklich betont er, lebterer habe, jpät abends in die Stadt zurüd- 
fehrend, in fajt befehlendem Ton ihm den Abjchluß des Vertrages mit 
den Worten angekündigt: „Herr, machet Euch fertig, morgen, wenn 
die Sonne aufgeht, Jollt Ihr wandern!“ 

Doch wie dem auch jet, fie hatten fich alle nichts vorzuiverfen. 
sn dem reichen Klofter Falfenau bei Dorpat, das der rufitiche Feld- 
herr laut Traftat dem PBrälaten zu lebenslänglicher Nubniegung ein- 
geräumt, Kteß fich ganz gemächlich leben und die Bürger mochten woHt 
auch froh fein, daß Schuisty verjprochen hatte der Stadt Freiheiten 
zu rejpeftieren. 

Sp überreichten am 19. Juli die Abgejandten die Schlüfjel der 
Stadt: nicht weniger al 552 Kanonen, die zu fragen freilich die 
Stadttirme zu baufällig waren, fielen in des Siegers Hand, der zwar 
eine Blünderung nicht über die Stadt verhängte, jonjt aber die Afkord- 
punkte zu Halten nicht die geringjte Miene machte. Alles Edelmetall 
Ihiete er dem Zaren und groß muß die Ausbeute gewejen fein, da 
Fabian Tiefenhaujen allein 60—80000 Thaler hierbei verloren haben 
joll, ein Beweis fir den großen Neichtum der Gejchlechter, wie für 
ihre Engherzigfeit in den Tagen bitteriter Not. Deshalb ging Livland 
ja verloren, weil jeder nur an fich jelbit und nochmals an fich Telbit 
zu denfen gewöhnt war. Much das Kaufmannsgut wurde fonfisziert 
umd zu guter Lebt auch dem alten Biichof übel mitgejpielt. 

Wie hatte der bereits hochbetagte Mann fich doch in der er 
worbenen Abtei ficher gefühlt — und nun der jähe Umschlag! Eines 
Hachts — 3 war die des 16. Auguft — hält ein Bote Schuisfy’s 
vor dem Thor. . Man führt ihn wor den erjchrocdenen rälaten, der 
aus dem Mıimde des Abgefandten erfährt, ev müfje jofort nach Dorpat. 
Mit Mühe wird ein Aufjchub bis zum nächjten Morgen evwirkt, in 


dejjen Frühlicht der alte Herr fich auf dem Weg madt. So fommt 
er nach Dorpat vor Schuisfy. Aber neue Bejtürzung! der rufftiche 
Feldherr evöffnet ihm, der Zar wolle ihn perfönlih in — Mosfau 
iprechen. Bergebens find alle Borftellungen, alle Bitten, alles Flehen, - 
mit einem fleinen Gefolge von zwanzig PBerjonen, nur dürftig aus- 
gerüstet, da der Feldherr baldige Heimfehr verheißt, muB er Die weite 
und bejchwerliche Neije antreten, eine Reife, von der er niemals wieder- 
fommten jollte. 

Anfangs ließ der gnädige Empfang am zartichen Hof die Yiv- 
länder das Belte hoffen. Am 31. September wurden fe durch einen 
großrürjtlichen Gelandten begrüßt, da Swan jelbft im Iroiziy-Klofter 
weilte; eim Schöner tatarischer Zelter mit Sattel und Yaum zum Ein- 
zug, Speile und Getränft iiberbrachte der Bojar namens jeines Herrn, 
der dann am 19. Oftober in Berfon den Bilchof im feterlicher Audienz, 
in großem Ornat, mit Szepter und Strone empfing und Die „Der- 
ehrungen” des PBrälaten, einen ftlbernen Stredenzbecher und für jeinen 
Sohn einen „hübjchen friichen Hengjt“ entgegennahm. Er gedachte 
dabei auch der Übergabe Dorpats und meinte: „ES haben uns unsere 
Yojewoden und striegsbefehlshaber berichtet, we mafjen Shr die Stadt 
jamt der Dörptiichen „behabtung“ in unjere Hand gegeben. Darım 
jagen Wir Euch davor billig Dank umd find auch nicht undanf- 
bar, daß hr dieje lange Neife jo unbejchwerlich auf Euch genommen 
und bei Uns allhier erichtenen“. Dann lud er die Livländer zur Groß- 
fürjtlichen Tafel, an der Hermann rechts von ihm jaß. Die Huld- 
beweife häuften Fich auch hier: während der Mahlzeit wurde dem 
Bilchof ein Foftbarer jchwarzer Damaftenpelz mit Goldfticterei und 
Bobelfutter über die Schulter geworfen und ihm ein filberner Becher 
nebjt 3000 Mark Gold verehrt. Swan der Schreeliche fredenzte ihm 
jelbjt den Trumf md ließ es auch jonft an Heichen der Gnade nicht 
fehlen. Yrch in den folgenden Tagen Jüumte ev nicht, den Livländern 
Wein umd Koft in die Herberge zu Schiefen — nur eins erjchten nicht, 
die Erlaubnis zur Heimveife. Und doch waren jchon Ffirnf Wochen ins 
Land gegangen, jchon neigte fich der Dftober feinem Ende zu. Da be- 
gannen Bejorgnis und Furcht den Bilchof zu erfüllen und er jandte 
jeinen Sekretär Hildebrand zum Kanzler Swan Meichatlowitich Wis- 
fowaty mit der dringenden Bitte, die Nitekfehr anzuordnen. Der Kanzler 
entjchuldigte fich mit wichtigen Gejchäften und vertröftete auf die näch- 


— 35 — 


jten Tage. Doch drei weitere Wochen gingen ins Land und von Auf- 
bruch war noch immer feine Rede. Abermals begab fich Hildebrand 
in den Kreml, aber jehr fühl lautete die Antwort: der Zar jet jegiger 
Zeit „mit ganz hohen und wichtigen Handeln umgeben“, der Biichof 
werde fich in Geduld fafjen müljen. Es follte noch Ichlimmer fommen. 
AS Hildebrand wenige Tage jpäter zum drittenmal vor Wisfowaty 
tritt, traf ihn wie ein Dlib die Nachricht, der Zar habe jeine „Flaren 
Augen“ vom Bilchof abgewandt, denn die Bürger von Dorpat hätten 
Berrat geitbt, jih mit dem Meifter im feindliches Einvernehmen gejebt, 
ja der im Falfenau zurickgebliebene biichöfliche Verwalter habe Tich 
ihnen angejchloffen: „Darum wollen 8. M. ©. F. Gnaden aus der 
Musfarw nicht gejtatten, jondern alS des Dorptiichen und des Briors 
Bingen allhier behalten“. Wie der Einfall des Himmels, jagt Hilde- 
brands Bericht, habe diejer Bejchetd auf die Livländer gewirkt. Umt- 
jonjt aber war e8, daß der Biichof jeine völlige Unjchuld darzuthun 
verfucchte, ihm wurde einfach zur Antwort, die zarischen Wojervoden, 
die darüber berichtet, jeien feine Lügner. 

Mit Mühe erlangte Biichof Hermann die Erlaubnis, Hildebrand 
und einige Getreue nach Haufe zu jenden, um jeine in ‚Salfenau ge 
bliebene Habe nach Mosfau zu bringen. Am 15. Januar 1559 brechen 
die Abgefandten auf, fünf Monate jpäter jind fie wieder zuric, doc) 
mur gering it, was jte mitbringen, denn die Abter it mittlerweile ver- 
brannt und zerjtört, des Bischofs Gut verjchleppt, gevanbt, vernichtet. 
Auf den vom Zaren ihm verliehenen Landgüter, über deren geringe 
Ertragsfähigfeit ev übrigens wiederholt jpäter Klage Führt, it Bischof 
Hermann, ohne Livland, an dejien Untergang ev jchwere Meitjchuld 
trägt, wiedergejehen zu haben, 1563 im Exil geitorben. 

Graufig war das Verhängnis derer, die an der unjeligen Bolitif 
Dorpats im diefen Jahren Anteil genommen. Luftfer fand man eines 
Morgens erhängt in jener Kammer, Holzichuher, der in Hapjal ge 
fangen gehalten wide, jtarb faum ein Nahr Später in an Allem ver 
zweifelnden Summer. „Böen Namen binterlafe ich meinem armen 
MWeibe und Kind, Flagt jein leßter Brief, Gott erbarme fich! Sc 
wollte, ich wäre nie geboren!“ 

Das war das Los der Männer, die den VBerluft Dorvats, der alten 
Hanfjeftadt, herbeigeführt — von diefem Ereignis begummen die Schritte, 
die zur völligen Auflöfung der liwländiichen Konföderation führen. 


— 376 — 


SHäbe e3 noch eine Steigerung der zaghaften Verwirrung, fie wäre 
jebt nach Dorpats Fall zu fonftatieren. Die Ordensburgen Oberpahlen 
und Yais, Welenberg und Ningen, Stawelecht u. A. werden vom Nufjen 
gewonnen, ohne daß eine Verteidigung verjucht worden wäre. Feige 
flieht Alles und ebnet Schuisfy den Weg auf Neval. So gejellt jich, 
gleich wie in jenen Tagen nach der Schlacht bei Tannenberg, zum Un- 
glück Die Schmacd). 

Schon glaubt der Zar Livland erobert, in Mafje verleiht er Güter 
im Lande an die Edelleute feines Gefolges. Neval zu gewinnen jcheint 
ihm nicht mehr jchwer. Aber an den Mauern diefer Stadt, im der 
troß aller Engherzigfeit tapferer mutiger Sinn lebendig war, brach jich 
der rulitsche Anprall zuerft. 

Ach Fürstenberg hatte bald die alte Elaftizität wiedergewonnen 
und betrieb, unbeirrt durch alle perfönliche Kränfung, mit patriotiichem 
Schwung neue NRüftung. Vichts Geringeres hat er im Auge, als Dorpat 
dem Feind zu entreißen und zu diefem Zweck bringt er ein Heer zu= 
Jammen, wie es Livland jeit langem nicht gejehen, 7000 Anechte, 
10000 Bauern und 2000 Reiter. Dieje Macht ftellt ev freiwillig — 
oder muß er es thun? — unter Kettlers Befehl. Endlich jcheint das 
Hlück den Livländern zu lächeln. Nach blutigen Kampf gelingt es 
ihnen Ningen zuviczuerobern, Danf vor allem der Tapferkeit des 
Dompropftes der erzitiftiichen Fahne, Friedrich von Fölferfahm, der, 
nachdem man vier Wochen vor dem Schloß gelegen, den Sturm mit 
Bravoumr ins Werk jeßt. Als aber die Abendfonne aufs Blachfeld 
jcheint, beleuchtet fie unter den Toten auch Fölferfahm, der im Ge- 
tinmmel den Soldatentod gefunden hatte. 

Keun Tage Später gelingt Kettler ein neuer Anfall: bei Terrafer 
itberrascht ev ein russisches Lager von 12000 Manı, jprengt dasselbe 
auseinander und verfolgt die Fliehenden bis eine Meile vor Dorpat. 
Selbjt will er im Kampfe einen Bojaren niedergejtredt haben, aber in 
der Hige der Verfolgung jtirrzt er gepanzert vom Schlachtroß und er- 
leidet derartige VBerlegungen, daß er Sich zur Behandlung — nad) 
Neval zur begeben beichließt. 

Jar, mochte die Berlebung auch eine Entfernung des Koadjutors 
verlangen, undenfbar bleibt, warum das ganze Ordensheer, oeben noch) 
durch deutsche Soldfnechte verftärft, dieje Neife mitmachen follte. Sedoch 
das Unglaubliche geichah: fat im Angeficht der Türme Dorpats, in 


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dem die in Panik geratenen Nuffen bereits jich zur Flucht be- 
veiteten, gab SKettler Befehl, ich wejtwärts gegen Sellin und dann 
weiter nach Neval zu wenden: bereits am 22. November langte das 
Heer in Neval aı. 

Den Schlüffel zu diefem hochverräteriichen Schritt des Koadjutors, 
der einen herrlihen Sieg zu erringen aufgegeben, um die Ziele jeiner 
jerfbftischen Wolitit nicht durchkvenzen zu laffen, geben ung die Vor- 
gänge, die jeit dem Hochlommer auf dem Schloß Neval fich abgeipielt 
hatten. 

Bon den Verhandlungen, die mit Dänemark eingeleitet werden 
jollten, ift oben die Nede gewejen. Wir willen auch, wie entgegen- 
fommend in Neval die Stimmung gegenüber recht weitgehenden Wiün- 
ihen Dänemarf3 war. Dieje beuußte der Däniiche Barteigänger 
Chriftof von Münchhanfen zu einem veriwegenen Anschlag. Am 
25. Juli erichien ev auf dem Nevaler Schloß und nahm es, angeblich) 
auf Bitte des jugendlichen Komthurs Franz von Segenhagen genannt 
Amfel, für den König Chriftian III. in Belig. Als des Königs von 
Dänemarf Statthalter über das „Herzogtum Ejtland, Harrien und 
Wierland, Dejel und Wiek nebit zugehörigen Schlöffern und Häufjern 
Bernau, Fellin, Hapjal und Weißenftein und alle anderen Schlöfjer 
und Häufer“ (ein vecht anjehnlicher Titel!) itbergab er die Obhut des 
Schlofjes Heinrich Merfüll auf Fiekel, einem friegsfundigen Edelmann 
der Wief, und fegelte dann mit dem Gejandten von Neval, Dorpat 
und Dejel nach Dänemark ab. 

Die Kunde von Amjels Verrat traf Fürjtenberg aufs Beinlichite. 
Nichts fonnte, ganz abgejehen vom materiellen VBerluft, die mit Däne- 
mark eingeleiteten Verhandlungen mehr fompromittieren, al Meind)- 
hanjens Gebahren, nichts der polnischen Bartet mehr willfonmten jein. 
Sofort reiste daher der Komthur von Dünaburg an den däntjchen 
Hof, wohin Segenhagen geflüchtet war, und enwirfte jeine Verhaftung. 
Er wurde nach Lübeck in Sicheres Gewahrjam und zu peinlichem Ge 
richt abgeführt. Auch mit der Gewinnung des Schlofies zeigte Tich) 
König Ehriftian wenig zufrieden, ja er bot den Livländischen Gelandten 
die Nückgabe desjelben an und trat hiervon erjt zurüc, als legtere ihn 
dringend baten, der Nufjen wegen vorläufig jeine Auechte dazulaljen. 
Bon einer energischen Unterftügung des Ordens wollte dev König aber 
jet, nachdem er eine folche anfänglich gegen Abtretung Ejtlands in Aus 


— 3718 — 


ficht geftellt Hatte, nichts wiljen. Nur 20000 Thaler bot er den 
Sefandten und verpflichtete fich eine Legation nad) Moskau zu jenden, 
um den Frieden zu vermitteln. Damit jchteden fie von einander. Eine 
Gefahr für Neval gab es, da Ehriftians III. Kinechte mit Erlaubnis 
de3 Ordens im Schloß ftanden, nicht mehr, und wenn auch einige 
Drdensheren nach Neval geeilt waren, um die Lage fennen zu lernen, 
ja wenn diejelben insgeheim die Uexrfillichen nechte, die jeit geraumer 
Beit feine Löhnung aus Dänemark erhalten, zur Übergabe des Schlofjes 
zu bewegen juchten, fo lag für Stettler, der über alles wohl unter- 
richtet fein mußte, fein Grund vor, Dorpat preiszugeben. Nur um 
die dänische PVolitif empfindlich zu freuzen umd fich jelbit als Netter 
zu zeigen, eilte er, fein franfes Bein beim Dr. Sriesner in NReval zu 
heilen. Und fast jcheint e8 gefund geworden zu jein, jobald er Neval 
betrat, denn bereits am folgenden Tage erließ er eine Aufforderung 
an Suechte und Neiter, edel md umedel, joweit e$ geborene Livfänder 
waren, fich von dem vermeintlichen Oberjten des Schlofjes [oszujagen; 
fie blieb nicht ohne Erfolg: in wenigen Tagen folgten ihr 500 Mann 
und der Nejt fapitulierte am 8. Dezember. Das Einzelne jhwebt im 
Dunkeln, wir wifjen nur, daß Dietrich) Behr, der zu Uerfüll aufs 
Schloß geftogen und die Seele der Verteidigung gewejen war, jpäter 
mit Thränen der Wut erklärt hat, er jei mit Uerfüll verstrickt und in 
Eifen gelegt worden und man habe ihnen nichts von dem gehalten, 
was bei der Kapitulation zugejagt worden jei. — 

Ganz glückten Kettlers dunkle Anjchläge diesmal noch nicht, denn 
es gelang Fürftenberg mit dem Anfang Dezember nach Riga gefont- 
menen dänischen Gejandten zu einem gewilien Abjchluß zu gelangen: 
Wenn der König dem Orden kräftige Kriegshilfe zuteil werden lafje, 
wolle er auf Harrien, Wierland und Jerwen „jeine vornehmsten und 
beiten Landichaften“, das „Sleinod feiner Krone“, verzichten. Im 
Moskau aber jollten die Dänen verjuchen, einen zehnjährigen Waffen- 
Itillftand zu erreichen. 

Mit diefen von Fürftenberg im Geheimen geführten VBerhand- 
(ungen schloß das Sahr 1558 ab. Neues Unheil barg das kommende 
Sahr in feinem Schoß. 


21. Kapitel, 


Das weite Krieasjahr. (1559.) 


„Weil aber die auıh in den Städten 
Die Rufe gar wohl verdienet hätten 
Und die auf feffen Bäufern Taken 
Der Steafe würdig gleichermaßen, 
Perhängt es Gott in feinem Zorn 
Dem Feind, den er dazu erkor’n, 
Daß er bald wiederkommen müßt 
Mit Kriegs-Munilion gerüft 
Mnd rächen, breihen, firmen ein 
And zahlen ab, beid’ groß und Rlein, 
Die große Sünd und lange Schuld, 
Meil niemand fich bekehren wollt.‘ 
Aus „Timan Brakel]. e. 
Kaum hatten die Silveitergloden das neue Sahr eingeläutet, fo 
waren die Mosfowiter, die gegen Ende 1558 das Land verlafien, 
wieder da. Am 17. Janıar schlugen fie einen Haufen erzitiftiicher 
Kuechte bei Seßwegen, am 22. Januar waren fie bei Schwaalburg: 
„ber Gott der Allmächtige Half dem Fleinen Häuflern drinnen. Und 
wiewohl die Neufjen wiederum jehr jchofjen, gleichwohl mußten fie fich 
von den Pforten weg paden, da te im Schlofje mit Vechkränzen zu 
ihnen Hinauswarfen * Ein andrer Haufe erjchten vor Smilten, wohin 
Jich der Adel und viel Gelinde geflüchtet hatte: man jagte ihnen Leben 
und Abzug zu, Doch faum waren die Nuffen in der Burg, jo trieben jie 
die Defabung in ein Gemach, verwahrten die Flur und verbrannten Alle. 
Langjam nahmen die ruffiichen Haufen — angeblich 130000 
Mann mit Weibern, Kindern und Troß — ihren Weg auf Riga. Es 
handelte fich daber jchwerlich um einen Eroberungszug, jondern mur 
um eine Plünderung in gewohnten Stil. Immerhin mußte die Stadt 
fich vorjehen. War doc) die wehrhafte Mannjchaft derjelben nicht gar 
groß, etwa 3000 Bürger, 300 Landsfnechte und Biüchjenjchügen, 2000 
Undeutjche, zu denen fich 40 preußische Neiter des Erzbiichofs md 
50 Mann ımter Kettler gejellten. Am 25. Januar ließ der Nat daher 
den Befehl ergehen, die Vorftadt und alle Gebäude und Gärten vor 
der Stadt niederzubrennen, ein Befehl, den die Yandsfnechte, denen 


der verurjachte Schaden von 300000 Thalern wenig Sorge gemacht 
haben wird, mit Eifer ausführten. Dann wurde eine Mufterung 
abgehalten, einige Stadtthore zugemauert und für die Maffen Volkes, 
das fich in die Stadt gerettet, Obdach geichaffen, jo gut e8 gehen wollte. 

Ein jorgjames Auge hatte man auch auf verdächtige Elemente 
und wies einige Edelleute aus dem Dörptifchen, die fich weigerten 
einen Treueid zu leiften, mit Strenge aus. Gegenftand befondern 
Argwohns war der DBürgerjchaft der ehemalige Dorpater Stiftspogt 
Eilert Krufe, den man mit Necht als ruffischen Parteigänger bezeichnete: 
e8 jchten nicht unbedenklich diejen innerhalb der Mauern zu dulden. Kurz 
entjchloffen forderte der Nat ihn vor fich und gab ihm zu verftehen, daß 
er „ji in der Kämmerei bi auf weitern Bejcheid zu enthalten“ 
habe, ja auf den Straßen vottete fich die Menge unter Drohungen 
gegen Sruje zujammen. ES bedurfte eindringlicher Fürjprache des 
Erzbiichofs, um den Verftrickten zu löjen. Erft nachdem er eidlich ge- 
(obt, jih dem Erzbischof Sofort zu ftellen, wenn diefer ihn heiiche und 
Jich nivgend wohin md zu Keinem zu begeben, der Böjes gegen Die 
Stadt im Schilde führe, durfte er nac) Neval abreifen. 

Kurze Zeit darauf war der Neufje vor der Stadt, von deren 
Nanern und Wällen man das Treiben des Feindes beobachten fonnte, 
der fein Lager von Mühlgraben längs der roten Dina nad den 
Sandbergen hin bis zum fteinernen Galgen auf Dunders Hof ge- 
Ihlagen hatte. Es waren angitvolle Tage, welche die Bürger verlebten, 
Tag und Nacht mußten fie bei Schneidender Kälte Scharfe Wacht halten, 
mehr denn eimmal jahen fie den Feind über den Fluß jegen und 
fürchteten eimen nächtlichen Sturm. Dann gellten die Alarnıgloden, 
dröhnten die Trommeln durch die engen Straßen, horchten Die Frauen 
auf. das Klirren der Waffen. Die Gejchüge dommerten, die DBüchjen 
fatterten und im den Stirchen lag die Gemeinde und betete, der iwahr- 
haftige, ewige und allmächtige Gott möge den Untergang der wahren 
Religion verhüten und die Stadt, die Kirche, Kinder und alle Häufer 
gnädiglich jchüken und bewahren, „wie Du Dein Bolt Israel im 
voten Meere und die Stadt Jerufalem vor Sanherib erhalten und ge- 
ichübeft Hast!).“ Dabei wuchs die Furcht vor heimlichen Wartei- 

2) Düs Ktirchengebet ijt aufgezeichnet in der Koh. Schmiedtjchen Chronif, 
nach der dieje Schilderung entworfen tft. 


— 38831 — 


gängern der Nuffen bejtändig, da die Kunde immer wieder verbreitet 
wurde, der Feind habe Freunde in der Stadt, man jolle jich vorjehen. 
Danı ließ der Nat wohl plöglid Alarm blajen, um zu jehen, ob alle 
auf dem Bojten feiern. Abends jah man den Himmel rot gefärbt und 
Durch die Stille der Nacht tünte aus dem Lager hinter den Sand- 
bergen Lärm und wites Getöfe Auch im der Nacht nah Mariä 
Lichtmeß hörte man auf den Wachttirmen „fait viel Geflippers“ bei 
dem Mosfowiter: einige meinten, ev fertige Steigleitern zum Sturm, 
andere, er jchlage das Eijen von den tags zuvor geraubten Sachen 
(08, noch andere mutmaßten, er mache Schlitten, um die Beute fort- 
führen zu können! Beunruhigt Schlug man in Diejer Nacht wiederum 
Sturm — man ahnte nicht, welche Wirkung man damit erzielen jollte! 
Doch lafjen wir dem braven Sefretarius Schmiedt das Wort: „Und 
famen,“ heißt e8 im feinem Bericht, „zwei PBenerchens des Morgens 
ganz früh herangefahren, die man inne ließ. Und jagten, wie man 
bei Nacht zum Sturm gejchlagen, jet der Feind jo jehr erjchrocden und 
habe nicht anders gemeint, Die ganze Stadt fiele it eben zu fie hin- 
aus, Daß fie auch in großer Eile und Schreden „Pupdi, pudi“ ge- 
Ichrieen und aufgebrochen feten, hierbei aber vieler Dinge in jolcher 
Eile nicht achten konnten, dadurch auch fie, die Penerchen, welche der 
Feind gefangen und jonjt weggeführt hätte, aber in jolchem Lärm auf 
fie feine Acht gegeben, davongefommen.“ 

Sp war die Gefahr von Riga abgewandt und die Nufjen zogen, 
überall ihren Weg durch Brand und Trümmmerhaufen zeichnend, Die 
Dina aufwärts nach Kicchholm, Werfüll und Acheraden. Ein anderer 
Haufe dagegen jebte über den Strom und nahm die Richtung nad) 
Kurland hinein. Hier jtand bei Goldingen der junge Koadjutor 
Ehriftof von Mecklenburg nebjt dem Komthur des Schlojfes und den 
von Sandaı mit etwa 200 Neitern. Sedoch drang der Feind nicht 
gegen Goldingen, jondern gegen Mitau vor umd verbreitete einen Dder- 
artigen Schredlen vor fich her, daß der Komthur von Doblen, Thieß von 
der Necde, am liebjten mit Hab und Gut nach Deutjchland entwichen 
wäre, wenn micht der Adel in Gemeinschaft mit dem in Mitau haufen 
den ehemaligen Landmarjchall Jaspar von Mlinfter jich gegen Diejes 
Vorhaben fräftiglich zuv Wehr gejegt hätte. So blieben die feiten Schlöfjer 
Weitau md Bausfe im deutjchen Händen, gegen die unmenjchlichen Ver 


x 


wiftungen des ftreifenden Feindes aber erhoben ich die zur Werzweif 


— 3832 — 


lung gebrachten Bauern und leuchteten ihm blutig aus dem Lande. 
Er 309 Sich daher mehr ins Selburgjche, in die Gebiete von Dinaburg 
und Nofitten und haufte hier nach alter Weile — erjt Ende Februar 
verschwindet ev und läßt das Yand als Wüjte zuriick. 

Der erneute Einfall der Nuffen hatte unterdejjen den Orden jo 
wohl, wie den Erzbifchof veranlaft nach allen Seiten erneute Hilf 
gefuche ergehen zu laffen. Abermals wandte man die Augen nad) 
Deutjchland, wo zu Anfang Januar ein Neichstag nad) Augsburg aus- 
geichrieben worden war!) Bielleicht dab diesmal mehr Entgegen- 
fommen herrichte „Diefen dem hl. Neich einverleibten Ort und Eejtem 
aufzuhalten und zu ervetten“. Freilich große Hoffnungen machte ic) 
feiner und das charafteriftiiche Wort eines Briefes: „Sch beiorge, daß 
in Augsburg nicht viel zu holen jein wird“, fand in jo manchem 
Herzen MWiderflang. Immerhin entjandte Erzbischof Wilhelm jeinen 
Nat, Asverus Brandt, und der Ordensmeilter den Komthur von Dina- 
burg, Georg Sieberg von Wilchlingen, mit Suftruftonen, um vom 
Neichstage Beihilfe gegen den „Erbfeind“ zu erbitten. Cs wirft ein jelt- 
james Licht auf das Jutrauen, das man in Livland zum Neich hatte, 
dat Fürftenberg zu gleicher Zeit mit Guftav Waja unterhandelte und 
um 20000 Thaler bat, gegen welche Summe ev ihm einige Schlöfler 
und Gebiete zu verpfänden Jich bereit erklärte. 

Der befte Beleg, wie troftlos man die Yage bei uns anjah, it 
aber der rapid fteigende Einfluß Gotthard Stettlers, das gewaltige 
Anwachien jeiner Partei. Der Koadjutor war im Janıtar bereits auf 
die Nachricht von Fürftenbergs geheimen Unterhandlungen mit Däne- 
marf nach Niga gefommen und hatte hier einen neuen Sieg über den 
Meifter davongetragen. Jr feine Hand wurde förmlich die Negierungs- _ 
gewalt gelegt, ein Memorial vom 21. Februar bezeichnet ihn bereits 
als Meifter, Fürftenberg als „Vorfahr und alten Meifter“. Stettler, der 
fich übrigens felbjt noch Koadjutor nannte, war Herr der Situation und 
trat nunmehr offen mit dem langgehegten Blan hervor, ihn mit um- 
faffenden Vollmachten nach PVolen zu entjenden, um bei König Sigis- 
mund August Hilfe zu werben. Ein bedeutjamer und verhängnisvoller 
Beichluß, da man in Riga fich einigte, der Koadjutor jolle in Wilna dem 

1) cf, D. Harnad ]. e. Neimann: Das Verhalten des Neichs gegen 
Sivland 1559 — 1561. (Sybeljche Hiftor. Zeitichrift XXXV. 1876). PH. Sywark 
l.e. Mollerup 1. ce. und Joh. Schmiedts Chronif. 


— 393 — 


Könige gegen thatkräftige Hilfe wider Moskau äußerjten Falles Die 
Unterwerfung Livlands in Dderjelben Weile, wie Preußen es gethan, 
anbieten! Im März veifte Kettler hierauf nach Polen ab, bis zu 
jeiner Heimfehr jollte der Meifter, deijen Stelle Stettler natürlich 
wieder nur „gezwungen“ (!) übernommen, das Regiment noch weiter- 
führen. 

Wenige Wochen, nachdem der polnische Einfluß gelichert, famen 
von den dänischen Gejandten aus Moskau bedenklich lautende Nac)- 
richten, von einem zehmjährigen Stillitand wolle der Zar nichts willen, 
man jolle auf jchlimmen Ausgang gefaßt fein. Was blieb Fürstenberg, 
dem die Hände gebunden waren, übrig, als jchleunige Botjchaft an den 
Erzbifchof zu jenden. Die Not dränge, auch er möge eine Gejandtichaft an 
das polnische Hoflager abdelegieren. Erzbiichof Wilhelm, obgleich den 
polnischen Plänen weit weniger geneigt als Stettler, wußte feinen 
andern Ausweg, al3 zu willfahren. Er entjchloß jtch einige Bertraute 
nach Strafau abzujenden und blieb daber auch, als aus Mosfau von 
den dänischen Gejandten Briefe einliefen, es wäre ihnen geglüct am 
11. April einen vom 1. Mai bis zum 1. November giltigen Waffen 
Itillftand zu vermitteln. War diefe Waffenruhe auch für den Augen 
bliet nicht ohne Wert, jo hütete fich der Erzbischof ihre Bedeutung zu 
hoch zu jchäßen. Hatte Swan doch mr, weil jchwere friegerische Ber 
twieflungen mit den wieder unruhig gewordenen Tataren der rim Drohtei, 
jich zur Einftellung des Sirieges bewegen lafjen, den aufzunehmen er zu 
günftigerer Zeit Feit entichloffen war. Wollten die Livländer jich bis 
zum Ablauf des Termms dem Zaren nicht unterwerfen — woran im 
Ernft feiner dachte — jo mußte in dem halben Jahre dev Ruhe wirt 
licher Beiltand von einer der andern Meächte geleiftet werden. Daf; 
diefe Macht aber nur Bolen jein fonnte, jtand zu Beginn 1559 beveits 
den Meiften im Lande feit. Auch Erzbiichof Wilhelm juchte den Schuß 
bei jeinem alten PBroteftor und inftruierte feine Gejandten dahin, Die 
Unterwerfung, denn um Ddiefe handelte e3 jich doc, der Jlosfeln ent 
fleidet, im jchlimmiften Fall zuzugeitehen, falls das Neich jeine Hilfe ver 
weigere umd der König fie wirklich leilte. So reijten die erzbiichöflichen 
Boten ab, trafen aber in Krakau Gotthard Kettler, mit dem fie hatten 
Niückjprache nehmen jollen, nicht mehr vor, da er nach Wien auf 
gebrochen war, um von Dort weiter jich nach Augsburg zu begeben. 
Bald Fam ihnen jedoch die Kumde zu, der SNtoadjutor habe Dieje 


N0] 


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Neife wieder aufgegeben und fer eilig nach Wilna zu Sigismund 
August gefahren, wohin nunmehr auch die Erzbiüchöflichen ich auf- 
zumachen für vätlich hielten. 

Wie günftig die Volen die Lage anjahen, wie jehr fie bereits 
glaubten, das Land werde ihnen doch zufallen, beweijt ein Berjuch, 
den Firjt Nadzivill, Wojewode von Wilna, anfang Mat in Riga 
unternahm. Ein Sekretär des Fürften, Boyarelli, und ein Wilnajcher 
Staufmanı waren bejtimmt, Berhandlungen, die auf nichts Geringeres 
als auf die Unterwerfung Nigas abzielten, insgeheim in Gang zu 
bringen. Ste übergaben dem Nat einen Stredenzbrief ihres Heren und 
fügten mimdliche Werbung Hinzu: jolle der König wirklich Hilfe Leijten, 
jo müjje er große often aufwenden und um Ddiejer willen läge ihm 
die Subjeftion der Stadt am Herzen. Es jolle ihr nicht leid thun, 
denn er wolle fie bejchügen und in all ihren Sreiheiten Lafjen. 
Niga möge nicht glauben, die Gefahr vom Musfowiter jei vorüber, 
böje Zeitung jet vielmehr gefommen, der Stadt dDrohe Dorpats Schicjal, 
von wo troß aller Zufagen der Großfürt Sung und Alt habe fort- 
\chleppen lafjen. Bald nach Meichaelt werde der Neufje wieder im 
Lande jtehen und dann ehe der Stadt, wenn jte nicht dem Könige 
gehuldigt habe! 

Doch alle diefe halb drohenden, halb jchmeichelnden Worte waren 
umfonst, dev Nat wies in einem Brief an Nadzuvill dejjen Angebot 
weit von fich, da der Meifter ja jelbit am Werk jei vom Könige und 
vom hl. Nömischen Neich Hilfe zu erlangen. Immerhin machte die 
unvermutete Forderung des Littauischen Magnaten die Stadt Itußig, 
und die Bejorgnis wuchs, als die weitern Berhandlungen, die Zürjten- 
berg noch immer mit den däntichen Gejandten geflogen hatte, endgiltig 
Icheiterten. Stönig Friedrich IL, der jeit dem 1. Januar regierte, war 
energiichem Eingreifen im die liwländiichen Dinge umjomehr abhold, 
als er begründete Abfichten hatte mit dem Bilchof von Dejel und 
Sturland, Sohann Münchhaufen, wegen Abtretung diefev Gebiete 
handelseinig zu werden. An 8. Juni verabjchiedete der alte Metfter 
in Wenden die heimziehenden Gejandten, ev allein glaubte vielleicht 
noch an eine günftigere Wendung. 

Von Tag zu Tag mehrten jich unterdejfen die Gerüchte, Der 
Freiheit der Stadt drohe ernfte Gefahr: der König von Wolen ver- 
lange ihre Unterwerfung und der Erzbifchof und stettler jtänden diejen 


— 889 — 


Wumjche nicht entgegen. Die Städter beichloffen daher, da jchriftliche 
Anfragen bei den Metjtern umd dem Erzbiichof ohne genügende Alnt- 
wort geblieben waren, Anfang Suli den alten Meifter in Wenden ud 
den Erzbiichof in Nonneburg zu bejenden. Auch eine andere Ylır- 
gelegenheit, die fir die Jerfahrenheit zu charakteriftiich it, um über- 
gangen zu werden, hoffte man dabei in Ordnung zu bringen. 

Zu Noop an der Tafel des zum Koadjutor Ehriitof nach Treiden 
ziehenden Dompropjts von Hajenpoth, Ulrich Behr, wo unter den 
Gäften auch ein Bürger NRigas aß, war es, daß einer der Sunfer 
ein Spottgedicht auf die Stadt zum Beiten gab und lautes Gelächter 
den WBoeten lohnte, als er jang: 

„Die bürger in den jteten 

Thuen viel von den edelleuten reden; 

Dat je dem adel thomwegen, 

Doen je in erem bujen dregen. 

Hette der edle furjt Stetler nicht getan, 

Sie hetten den Neufjen in die Stadt gelan. 
Solch’ Schelmjtücd achten jte vor nichte 
Die Nigischen böfjewichte.“ 


Der Dompropft aber forderte — die Bierfannen mochten wohl 
Ichon vecht eifrig die Runde gemacht haben —, den Nigenjer auf, das 
Liedlem dem Nat und der Dirgerichaft als einen Menjahrsaruß zu 
überbringen. Das „ganz unbejcheivne Schmähgedicht, das weder ge 
hauen noch gejtochen war, weder Saft noch Straft hatte“ an dem „un- 
bedachten, verzweifelten ehrvergefjenen Buben“ zu rächen, jchten dem 
Nat erjte Bedingung. Ein geharniichtes Schreiben ging daher au 
Ulrich Behr ab, vb er der Liederdichter jet, wo nicht, jo möge ev den 
Dichterling nennen, der wie ein ehrlofer Schelm der Stadt ihren 
guten Namen zu vauben verjucht habe. Spib antwortete der Furländische 
Dompropit, ev jet der Stadt Yiederdichter noch lange nicht, wilje auc) 
iticht, wer das Liedlein erfonnen habe. Zwar jei es nicht wahr, dal er 
es dem Migischen mit Frohlocen übergeben, aber er jehe auch nicht 
ein, warum ev Darüber weinen jollte. Intereffiere den Nat der Name, 
mm wohlan, jo jtehe es ihm ja frei, nach ihm zu forjchen. 

Ein mächtiger Schriftwechjel Hub an, der Erzbiichof wurde von 
Niga in den Streit hineingezogen, vigische Kaufleute, die auf den 
Wearkt zur Hajenpoth gezogen, um Nohammi dortjelbit Fetgebalten md 


Serapbim, Gejdichte L, 25 


Ra: 1 


nu mit Mühe gelöft, kurz die Stadt fam zu feiner Genugthuung, 
obgleich schließlich auch der Meifter in den tragifomiichen Streit, dem 
erit Durch den Auseinanderfall der Yande ein Ende gemacht wurde, 
verivicelt worden war. 

Eine Gejandtjchaft, an deren Spibe Nigas trefflicher Bürgermeifter 
Sürgen Badel, die Seele aller jtädtiichen Unternehmungen, ftand, zu 
der aber auch der gleichfall3 ausgezeichnete Sefretarius Joh. Schmiedt, 
der Ehronift diefer Tage, gehörte, traf am 5. Juli abends in Wenden 
ein. Am folgenden Morgen erjchtenen die Städtiichen vor Fürjtenberg. 
Shre Bitten, der Stadt doc Meittetlungen über die Verhandlungen mit 
Bolen zu machen und ihr Necht gegen den Dompropit zu verjchaffen, 
freuzten jich mit inftändigen Bitten des alten Meifters um Geld zu 
Nüftungen. Was jollte der alte Meifter antworten? er verjprach, da er 
jelbjt nichts Gewifjes wilje, mit jeinen Näten ji in Einvernehmen zu 
jegen, er jagte in dem Streitfall Genugthuung zu, Doch die engherzigen 
Batrizier zum Öffnen des Beutels zu bewegen gelang ihm nicht. Sie 
meinten, jie wüßten jelbjt faum, woher jte die Gelder zum Schuß der Stadt 
nehmen jollten und vertröfteten gar auf die Hilfe von Köln und Müniter! 

Auch im Nonneburg wınrden fie freundlich aufgenommen, zur 
Tafel gezogen und mit dem Bejcheid entlafjen, der Exzbtiichof werde 
ihnen folgenden Tags Botjchaft zum Meifter nach Wenden jchieen. 
Das geihah. Wilhelm schrieb, er habe erjt vor Furzem von den 
Winjchen des Königs in Betreff Nigas erfahren, die Stadt möge aber 
ruhig jein, ohne ihre Eimwilliguug werde nichts bejchlofjen werden, im 
Übrigen jolle in nächjter Zeit in ihren Mauern ein Ständetag zu- 
lammentreten. 

Nachdem auch Fürftenberg ihnen gleichen Bejcheid gejagt, nahmen 
fie Abjchied und fehrten nach Riga heim. 

Sn der zweiten Hälfte des Juli traten unter Erzbiichof Wilhelms 
Borfik die Stände in Niga wirklich zujfammen: in der Kapelle am 
Domesgang wurde am 17. Suli die VBerfammlung eröffnet, welcher 
der erzbiichöfliche Sekretär jehr bald mitteilte, in der That habe der 
König von PVolen „gank Schwere VBorjchläge mit Abtretung der Stadt 
Niga” gethan, zu denen jedoch der Erzbijchof Jich Feineswegs verpflichtet 
habe. In den folgenden Tagen wurde lebhaft Hin und her geredet. 
Die erzitiftifchen Stände zeigten fich den polnischen Wünfchen gegenüber 
jehr zurückhaltend, nachgiebiger dagegen die Bertreter des Ordens, die 


€ nf 
—: 9387. -—— 


offen eimräumten, Kettler habe Vollmacht in Wilna, wenn jich anders 
nichts erreichen lafje, den Schuß Polens durch Abtretung „eblicher 
Lande“ zu erfaufen. Natürlich fönne es fi) nur um den Orden hierbei 
handeln, ob eine Abtretung Niga’s in Frage jtehe, jet ihnen unbe- 
fannt. Sehr entjchlojjen erklärten fich die jtädtiichen Abgejandten 
Sürgen PBadel und Sohann Spenfhufen: Bisher jet die Hilfe von 
Bolen ausgeblieben und man jolle ji) hüten, anders al$ mit großer 
Borjicht die Verhandlungen fortzujegen. Die Zeiftion ihrer alten Stadt 
falle ihnen jchwer aufs Herz und fie bäten inftändig, ihnen solches 
anzuzeigen, „auf daß fie nicht unverjehens des göttlichen Worts ver- 
luftig, in einige Dienftbarfeit geraten und aus freien Leuten eigne 
werden möchten.“ Die Stadt fünne nicht glauben, daß der Stönig 
von Polen jich nicht mit einem jährlichen Schußgeld zufrieden geben 
würde sn gewandter Weile faßte der erzbiichöfliche Sekretär das 
Nejume dahin, daß alle Stände einig jeien Borfiht zu gebrauchen, 
in diejem Sinne werde der Erzbiichof die nach Wilna gehenden Ge- 
jandten injtruieren und hoffe, daß fie bald mit „träglicher” Antwort 
zurück wären. 

Heftig jtießen die Parteien bei der zrage einer Kontribution zu- 
jammen, bei der die unzeitmäße Sinauferigfeit der Stadt wieder grell 
zu Tage trat — und fiegte. Der Erzbiichof mußte jich bequemen, 
„uff dies mahl“ den von der Stadt vorgejchlagenen Weg zu gehen 
und jeinen viel weitergehenden Plan zurüczuftellen: von jedem über 
zwölf Sahre alten Mann jollte die Stadt nach dem Landtagsrezeh 
eine Mark zahlen, außerdem für ihre Liegenjchaften zwei Mark pro 
Taufend entrichten. 

Nach diejen Bejchlüffen ging man auseinander. Daß man mit 
Hintanjegung der Fleinlihen Handelsvorurteile beraten und votiert 
hätte, daß eine wirkliche Einmütigfeit vorhanden gewejen, — wer 
wollte das im Ernjt behaupten? Nur das Eine jtand fejt: an Däne- 
marf dachte feiner mehr, nur noch um Abmachungen mit Bolen drehten 
jich die Verhandlungen. Bollftändig hatte Kettlers Partei gefiegt —, 
sürjtenberg war in Niga nicht einmal anwejend gewejen! — 

Ein weiterer Monat ging ins Land und dann war aller Welt 
flar, wohin Livland fteuerte. Am 31. August fam in Wilna ein 
Bertrag zwijchen Stettler und König Sigismund Auguft zu jtande, 
laut dem jich der Orden den Könige zu Schuß und Schirm gab, 


— 3858 — 


wenn er eS gegen Mosfau verteidigte. Dafür verpfändete der Orden, 
vorbehältlich des Nechts der Einlöjung Für 600 000 Gulden, die Schlöfjer 
Bausfe, Nofitten, Yugen, Dinaburg und Selburg. 

Bierzehbn Tage jpäter (15. September), jchloß auch Erzbijchof 
Wilhelm einen ähnlichen Traftat, nur daß das abzutretende Gebiet 
weit kleiner war. E& umfaßte die Schlöffer Marienhaufen und Lenne- 
warden und die Höfe Lubahn und Beriohn; Für 100000 Gulden 
jollten fie nach dem Striege einlösbar jein. 

Und wiederum 14 Tage darauf, am 26. September, jchloß Ehriftof 
von Münchhaufen im Namen jeines Bruders von Dejel ein Ab- 
fommen mit Friedrich Il. von Dänemark. Diejer veriprad) Schuß 
und Hilfe, bedang Jich aber das Necht aus, die Bilchöfe von Dejel 
von num an jelbjt einzujegen. sn einem geheimen Bertrage verfaufte 
der Bijchof jeine Nechte für 30000 Thaler an den König, der jeinen 
jüngeren Bruder Herzog Magnus von Holftein mit dem erworbenen 
Land auszuftatten bejchloffen hatte. Miünchhanfen aber begab fich 
nach Deutichland und trat in den weltlichen Stand, froh, daß er das 
lee Schiff jo zeitig verlafjen hatte. — 

Mittlerweile war Kettler aus Bolen heimgefehrt. Er hatte er- 
reicht, was Fürftenberg mit Dänemark nicht gelungen war, eine Grop- 
macht war bereit, für das halb verlorene Land in die Breihe zu 
Ipringen. Sa, wenn dem wirklich jo gewejen wäre! Aber ernite, be- 
gründete Zweifel an dem Ernjt des Vertrages erheben ich und falt 
unabweisbar drängt fich uns der Verdacht auf, daß jener Bertrag 
vom 31. Auguft nur ein Aushängeschild gewefen ift, welches das Ichänd- 
liche Spiel Kettler zu verdeden dienen jollte &s it jo gut wie 
fiher, daß der Stoadjutor und der Slönig inSgeheim übereinfamen, 
das ganze Land Bolen zu unterwerfen, wobei natürlich Kettler nicht 
(eev ausgeben jollte und wollte, vielmehr an ein Herzogtum Livland 
und eine Nefivdenz in Niga dachte Da aber diefe Subjeftionspläne 
im Lande noch auf Widerftand jtoßen mußten, jo war es notwendig, 
e8 exit mürbe zu machen, d.h. mit andern Worten die verabredete polnische 
Hilfe nicht zu leiften, die Mustowiternot dadurd) zu jteigern und das 
Land fo weit zu bringen, daß e8 Nettung bei Bolen um jeden Preis 
fuchte. Sollte diefer teuflische Anjchlag gelingen, jo mußte aber vor 
allem der Mann endgiltig fallen, den man in Bolen noch immer 
fürchtete: Sürjtenberg. 


— 389 — 


Auf einem Tage zu Wenden gab Kettler daher am 17. September 
die Erklärung ab, der König von Polen werde nicht eher Livland 
Hilfe jenden, als bis Fürftenberg jein Regiment ihm übergeben habe. 
Gebeugt willfahrte der alte Metiter, nachdem ihn zum ferneren Unter- 
halt Tarwait, Helmet, Bernau und nach dem Tode des alten Bogts 
von Serwen dejjen Wohnort Sara verjprochen worden waren‘). 

Den Schluß des Jahres 1559 Füllten einige friegeriiche Diverfionen 
gegen die Auffen, mit denen der Waffenitillitand abgelaufen war, aus. 
Bon Wenden eilte Kettler nach Fellin, warf fih nach jtarfer Nüftung 
auf den ftreifenden Feind und jchlug ihn bei Nitggen recht empfindlich 
aufs Haupt. Noch einmal brach er hierauf gegen Dorpat vor, doc) 
abermals jcheiterte der Angriff, bevor er gemacht worden: der elende 
Shriftof von Mecklenburg verläßt mit feinen Truppen das Drdensheer, 
da er mit Kettler darüber in Streit gerät, wen nach Wiedereroberung 
die Stadt gehören jolle. So muß der Meifter um Weihnacht die Be- 
(agerung aufheben und mit jtarfen VBerluften auf Wenden zurückgehen. — 

Was aber war denn aus den Unterhandlungen geworden, die zu Beginn 
des Jahres zu Augsburg angefnüpft worden waren. Nührte wirklich das 
Mutterland feinen Finger fr die Kolonie? Nein, nicht einen Finger! Eine 
furze Darlegung wird beweisen, daß dies feine Übertreibung bedeutet. 

Der Augsburger Neichstag war erit Anfang März zur Auf- 
nahme feiner Arbeiten gelangt, Anfang April traf in der alten Handels- 
Itadt der einzige deutjche Fürst ein, der es wirklich ernjt mit der Hilfe 
für das bedrohte Livland meinte, und die Gefahr erfannt hatte, welche 
in der Feitjeßung Mosfaus an der Dftjee lag — Sohann Albrecht 
von Mecklenburg. Unermüpklich forrefpondiert ev mit den Kurfürften, 
energiich unterjtügt er die Kivländiichen Gejandten, eifrig liegt er den 
Staifer an fich der Verlafjenen anzunehmen. Er erfannte, wie Necht 
der Komthur von Dünaburg hatte, wenn er im April einer erneuten 
Bitte an den Katfer Hinzufügte, die lioländischen Stände müßten jonft 
„entweder in des Feindes Hände fallen over bei den nächjtgejellenen 
chriftlichen Herrichern durch Unterwerfung oder jede andere bejchwer 


1) Der umerquicliche Zwilt erreichte damit noch nicht jein Ende, da man 
Sürjtenberg das Gebiet von Bernau vorenthielt, Tarwajt und Helmet aber jo 
devaftiert waren, daß fie nichts abwarfen. Exit am 4. April 1560 wird ihm nebit 
einer Ehrenerflärung der Gebietiger das Gebiet Fellin nebjt Helmet angewiejen. 
ek. Ph. Shwarg. Fürftenberg 1. c. 


309 


liche Bedingung Heil und Erlöfung juchen, jo ungern fie auch, wie 
fie vor Gott bezeugten, das thun würden. 

Als Sieberg jo jchrieb, war der durch Dänemarf vermittelte 
Waffenftillftand bereits zu Stande gefommen und Staifer wie Neichs- 
tag machten fichs deshalb bequem — hatte die Sache in ihren Augen 
doch gar feine Eile mehr. Nur noch in tragifomischen Briefen und 
weijen Lehren, die Friedrich der Fromme von der Pfalz oder der Kur- 
fürft von Sachjen zum Beften gaben, äußerte fich eine Zeitlang das 
suterefje der hohen Ddentjchen Herrn, bis endlich Siebergs erneute 
drohende Mahnungen fie aus ihrem platonischen Vhlegma aufrüttelten. 
Das Kurfürftenfollegtum begann fich der Frage wieder zuzunmenden. 
Ende Sult jchlug Trier vor, das Reich möchte zum Schuß von Niga 
und Neval Truppen als „Winterpräfidium“ Hinfenden, Köln, das 
billigern Mitteln den Vorzug gab, proponierte 300000 Gulden den 
Livländern auszufehren, was denn auch, troßden Pfalz und Mainz 
dafiir waren, gawnichtS zu geben, von der Majorität angenommen 
wurde. Im Fürftenrat war man weitherziger, man dachte an 400 000 
Gulden, jah ftch durch die Kurfürsten aber auf 300000 bejchränft. „Man 
mußte fich eben vereinigen, wenn überhaupt etwas gejchehen follte“. 

Am 9. Auguft wurde dem Saifer das gemeinfchaftliche Gutachten 
übermittelt. Dasjelbe jchlug vor, der Monarch folle den Moskowiter 
um Einftellung der Feindfeligfeiten gegen Livland und Zurückgabe des 
Gewonnenen erjuchen, ferner die Botentaten von Spanien, England, 
Dünemarf, Schweden, Polen und die An= und Seeftädte zur Für- 
Iprache bewegen. XLivland jolle 300000 Gulden erhalten, welche 
Lübed, Hamburg und Lüneburg zu leihen gebeten werden sollten. 

Katjer Ferdinand zeigte fich mit diefem jchwachherzigen Beichluf 
einverftanden, nicht jo Steberg, der mit Necht höchft unzufrieden war. 

Kur jchleunige thätliche Entjegung fünne dem bejchwerten Lande 
nügen, den Musfowiter durch Schrift zu erjuchen dagegen wenig Frucht 
Ichaffen. „Wenn doch die Sachen in Livland dermaßen ftünden, daß 
weiteres Nachforichen und Erfundigung nötig wäre, daß das erbärm- 
fiche und jämmerliche Schreien und Weinen der armen dajelbjt aufs 
höchjte beängftigten Chrijten, jowie das unmenjchliche Wüten des un- 
milden Feindes nicht weiter, al3 es jeßo leider durch ganz Deutjchland 
erichollen, gehört und vermerkt würde oder daß die zu Grunde ge- 
richtete Provinz jolche weitläuftige Friedengbeförderung aushalten 


— 391 — 


fönnte — denn algdanıı würden der Meifter und die Landjchaft die 
Stände des Neiches nicht mit jo ernftlichem, emfigem Anjuchen und 
Flehen bemühen. Weil fie aber in höchjter Not und Gefahr ftedten 
und einem jolchen großmächtigen Feinde nicht gewachjen wären, jo 
hätten fie jich nach Beistand umjehen müfjen“. 

Doch da war natürlich in den Wind gejprochen. Satjer Fer: 
dinand glaubte Schon unendlich viel gethan zu haben und die Kur- 
fürjten waren natürlich gleicher Meinung. Das Frappierendite aber 
war, daß fie, obgleich nicht einmal die geringfügige Summe von 100000 
Gulden aufgebracht werden fonnte und die Aufforderungen an die 
fremden Mächte, biS auf Dänemarf, nicht einmal beantwortet wurden, 
tief gefränft waren, al3 Kettler und der Erzbiichof im Auguft und 
September die Schußverträge mit Polen jchloffen. Am 19. Dftober 
um Ddiejelbe Zeit, da der faiferliche Nat Jeremias Hofmann in natür- 
lich fruchtlofer Miifton nach Moskau ging — drücte Ferdinand allen 
Ernjtes Sigismund August fein Mißfallen aus und ermahnte ihn, „die 
Stände des Neiches nicht zu beleidigen, noch) den Verdacht zu weden, 
al3 ob er aus Eigennuß die Nechte des Neiches mindern wollte“. 
Nun, der König von Polen kümmerte fich um dieje papierenen Pro- 
tefte jo wenig al Iwan, der auf das äufßerjt milde und friedfertige 
Staiferliche Schreiben mit unverfennbarem Hohn fajt ein halbes Fahr 
jpäter dem Abgejandten zur Antwort gab, „nicht eher wollte er jein 
Haupt ruhjam niederlegen, er hätte denn die Lande zu Livland, die 
ihm und jeinen Borfahren zugehörig... . . unter jeine Macht und 
Gewalt gebracht“, es jei denn, fügte er boshaft hinzu, daß ihm der 
Kaijer etwas freundlicher jchriebe. Als ob das möglich gewejen wäre. 
Sm Sunt 1560 endlich traf Jeremiag Hofmann mit Swans Antwort- 
Ichreiben wieder in Wien ein, es war wujltich abgefaßt und jo unklar 
gehalten, daß man den wahren Sinn faum verjtehen fonnte,; nur die 
Sünden der Livländer waren aufgezählt und al3 das Kapitalverbrechen, 
nicht ungeschiekter Weife, deren Übertritt zum Luthertum hingeftellt. — 

Doch als diefes Schrifftük in Ferdinands Hände gelangte, war 
der Srieg längjt wieder mit elementarer Gewalt über Livland herein 
gebrochen. Die „WVormauer des heiligen römtjchen Neichs deutjcher 
Nation“ lag am Boden, denn das „herzliche Mitleid" des Katjers 
allein war gar zu geringer Schuß für diejelbe gewejen. — 


22. Kapitel, 
Das Ende der Konfürerafion. (1560-1562.) 


Braucht es hervorgehoben zu werden, daß mit dem neuen Sahr 
(1560) auch der Feind wieder ins Land flutete? Bon Dorpat aus 
verbreitete ich eine Abteilung gegen Tarwaft und Tellin, dejien ge- 
waltige Befeftigungen fie in Schreden hielt und doch wieder zur Er- 
oberung reiste. Die Hauptmacht unter Schusfy nahm ihren Weg 
gegen die Marienburg und bezwang das jchöne Schloß durch heftige 
Beichiegung. Doch, zu weit würde es führen, jich in Einzelheiten zu 
verlieren, wo nur das Gelamtbild von Wert tft: das jich ins Maßlofe 
jteigernde Elend. Wir jehen, wie die Bewohner gleich dem Vieh zu 
Tanfenden aus den Wäldern nach Blesfau fortgeführt werden, wie die 
Schlöffer in Trümmer finfen, die Bauern jich meiterifch zujammen- 
votten. Aber aus Polen kommt feine Hilfe Um nur das aller- 
notwendigite Geld zu erlangen, um die Truppen zu Löhnen, miüfjen 
Güter über Güter verpfändet werden, brödelt ein Stein nad) dem 
andern los. Grobin, Goldingen, Windau, all die furländiichen Häufer, 
auf die der Aufje jeine Hand noch nicht gelegt, wandern in polniichen 
Beiis, polnische Soldaten bejegen fie, nehmen mehr und immer mehr, 
aber Hilfe zu leisten Fällt ihnen nicht ein. Sn Vorwürfen freilich war 
Sigismund Auguft ein Meifter, jede weitere Einbuße der Livländer 
wußte er aus ihrer Uneinigfeit zu erklären und war jchnell mit dem 
Heilmittel bei der Hand, man jolle ihm weitere Burgen einräumen. Auf 
die Gegenvorjtellungen, daß das polnisch-littauifche Siriegsvolf wie ein 
Feind die bejegten Gebiete beichwere, wurde natürlich) nicht geant- 
wortet. 

Sn Meat begaben Sich die Livländiichen Gejandten zum Könige nad) 
Bolen, unt, die Streitpunfte beizulegen, und gelangten in der That zu 
einer Einigung. Die Livländer verpflichteten fich, von nun an nicht 


— 393 — 


anders al3 gemeinfam mit den Polen ins Feld zu ziehen, wogegen 
der König nochmals zuficherte, daß alle Schlöffer nach dem Trieden 
gegen die Pfandfumme dem Erzbifchof und Orden zurücfallen jollten. 
Hierauf rückten wirklich polnische Truppen an die Düna, aber zu 
thätigem Eingreifen fam e8 auch jebt nicht, zumal böfe innere Wirren 
die Aufmerkfamfeit der Livländiichen Gebietiger vom Kriegsihauplah 
ablenften. 

Vıicht unvermutet, aber doch faft unerwartet trat Kettler ein Rival 
in den Weg. Wie fiher hatte er fich doch gefühlt! Am 4. April 
hatte er fich mit dem alten Meifter definitiv augeinandergejebt, am 
5. April eine Vereinbarung mit den Ordensgebietigern gejchlofjen, die 
auch den lebten Zweifel, was er eigentlich wollte, zeritreute. Stlar 
war hier von der Säfularifierung des Landes md der Verteilung der 
Beute unter die Gebietiger die Nede; natürlich mr, damit er Alltanz 
gegen Mosfau werben fünne (!), jollte Kettler fich verheiraten und das 
Land Polen übergeben dürfen. Die Gebietiger und Ordensverwandten 
jolften gleichfalls, jei eg mit Schlöffern und Leuten, jei e$ auf andere 
MWeife entjchädigt werden. Was aber Kettler für fich jelbit wollte, 
enthülfen diefe Abmachungen evident: „ein Herr der ganzen Lande 
zu Lioland“ will er werden und ausdrüclich heift e3 in der Ber- 
ihreibung von Doblen an Thies Nede, er jolle das Haus erhalten, 
fall3 er, der Meifter „Tich auf alle Ordenslande, jo der Orden von 
Anfang und noch befeffen, inne gehabt und gebraucht, alS ein natür- 
licher Erbfürft erblich und eigen bei den zuträglichiten Potentaten 

... berändere md verheirate”.") Damit war der Orden von jeinen 
eignen Gliedern aufgegeben und verworfen. 

In diefem Augenblick aber landete (16. April) bei Arensburg 
Herzog Magnus von Holftein, König Friedrich IT. Bruder, bereit, die 
dänischen Pläne auf Livland zu verwirklichen. Wenn ev mur der 
Mann dazıı gewejen wäre, wenn nicht auch auf ihm der Fluch der 
Nichtigkeit und Leichtfertigfeit gelegen hätte! 

Nicht gut ist das Andenken, das er in Livland hinterlajien bat, 
als eine Mißgeburt, einäugig, halb Mann Halb Weib, gänfefürtg 
zeichnen ihn die Chronisten. Ganz jo arg ift es natürlich nicht ge- 


1) ef, Th. Schtiemann: Charakterföpfe uud Sittenbilder pag. 3575. Mitau. 
Behres Verlag 1877. 


— 594 — 


wejen, aber jchlimm genug blieb eS immer, nur daß nicht die Schäden 
des Körpers, jondern die der Seele ihn untauglich machten, dem Lande 
etwas anderes als Unheil zu bringen. Nicht feine Einäugigfeit, jon- 
dern jein Leichtfinn, jeine VBerjchwendung und feine Sinnlichkeit mac)- 
ten den faum Ywanzigjährigen nicht fähig, einer Aufgabe fich zu unter- 
ziehen, welche die Kräfte eines ganzen Mannes erforderte. Doch auch 
diesmal paarte fich Unfähigkeit mit einfichtslojem Ehrgeiz. 

König Friedrich war dem Plan feines Bruders nicht entgegen. 
Sing der Bruder, dem Schleswig zugefallen, außer Yandes, jo war die 
Einheit des dänischen Staates gewahrt. Seit langem verhandelte der 
König daher, wie uns befannt, mit Moländifchen Fürften, exit mit Her- 
mann von Dorpat, dann mit Miünchhaufen von Dejel und Sturland 
umd wurde mit leßterm handelseinig, da die Königin-Meutter Dorothea 
die nötigen Geldfummen bergab, um dem AZweitgeborenen ein eignes 
Reich zu erwerben. Am 10. Dezember 1559 leiftete Herzog Magnus 
einen „unbedingten Berzicht“ auf Dänemark und ging im April, aus- 
gejtattet mit fürftlichem Haushalt, 400 Stuechten und 7000 Thalern 
zur Yöhnung der Arensburger Landsfnechte, begleitet von jeinem Hof- 
prediger, ziwei Neichsräten, einer Schar junger Edelleute und Chriftof 
Miünchhaufen unter Segel. Den Nachitellungen Kettler entfam ex 
glücklich und wurde am 13. Mat von den Dejeljchen Ständen als 
Bilchof anerfannt. Nur die Sonnenburg, die dem wacren Heinrich) 
Wulff, genannt Lüdinghaufen, unterjtand, vermochte ev nicht zu nehmen, 
wohl aber wurde der treue Vogt bei Bernau aufgegriffen und in herzog- 
(ihes Gewahrjam gebracht. Der wohlfeile Erfolg brachte den Füng- 
ing vollends aus dem Gleichgewicht. Nicht allein, daß er jeine dänische 
Begleitung durch brüsfe Weife jo verlegte und zurücitieß, daß fie er- 
bittert bald in die Heimat zurücjegelte; nicht allein, daß er fich ganz 
Ulrich Behr's und Ehriftof von Münchhaufen’s Einfluß hingab, „welche, 
wie König Friedrich jelbjt meinte, wohl im Stande waren, ein ganzes 
Statjertum zur verzehren“, er tellte jich jofort auch in jchroffjten Gegen- 
lab zum Erzbiichof Wilhelm, da er feine Augen auf das freilich in 
rufftichen Händen befindliche Bistum Dorpat warf, das Wilhelm even- 
tuell als jeine Domäne betrachtete, und vor allem zum Meifter. Schon 
jein Schreiben, im dem er Kettler jeine Landung anzeigte, floß von 
Drohungen über, falls jener ihm in den Weg treten würde Dann 
verweigerte er die Frellafjung Heinrich Wulffs und forderte in. bra- 


marbasierendem Schreiben an Neval und die LZandjchaften Harrien und 
Mierland die Unterwerfung. Wohl wiejen Stettlers Gejandten, Die 
gerade in Neval waren, die Forderung Namens der Stadt zuric, doc) 
der Biichof Mori Wrangel von Neval zügerte trogdem nicht, obgleich 
dem Drden das Ernennungsrecht in Neval zuftand, Anfang Juli in 
der Domficche zu Hapfal Herzog Magnus die Adminiftration des 
Stifts Neval zu übertragen. Nun trat Magnus mit weiteren An- 
iprüchen hervor: das Stlofter Papdis, die Schlöffer Leal und Bernau 
heifchte er für fich, belegte Schiffe des Ordens mit Bejchlag und lieh 
Drdensgebiet durch jeine Söldner ausplündern. Was ging diejen ges 
wiffenlojen, leichtfertigen Streber auch der Sammer des Yandes a, 
defien legten Kräfte eben damals verbluteten, während die beiden Ri- 
valen gegeneinander intriguierten und fämpften. 

ES war Kettlers Verdienft, dal es, während die Nufjen in mäch- 
tigem VBordringen waren, nicht zum Außerften fam, vielmehr ein 
Waffenftillftand vom 8.22. Juli abgejchloffen und eine perjönliche 
Zufammenkfunft auf den erften Auguft zu Wernau verabredet wurde. 
Er mußte um jo mehr eilen zu einer Einigung zu fommen, als jelt- 
famer Weife der jchwächliche Prinz allenthalben im Lande als Netter 
angejehen wurde und von allen Seiten ihm Edelleute, joldloje Stmechte 
und andere Leute zuftrömten. Kettlers eigene Bofition verlangte, dal 
er mit Magnus zur Klarheit fäme Am 1. Auguft vitt ev daher 
mit ftarfem Gefolge in Bernau ein. Saum aber hatten die Verband 
(ungen begonnen, al® eine Schredensbotichaft die Fürjten ausein 
anderjprengte. 

Nur mit Mühe hatte Kettler den Weg nach Pernau nehmen 
fönnen, weil jehr Schlimme Nachrichten von den Nufjen vorlagen. So 
wohl gegen Neval, wie gegen Wolmar und Wenden waren fie aus 
gezogen „ihre Tyrannei ferner zu üben, aljo daß die armen, elenpen 
Chriften an allen Orten des Landes flehen, rufen, weinen und bitten 
aufs allerfläglichfte: Nette, vette, vette!“ Kettler, dev wußte, dab Die 
eigenen Kräfte nicht ausreichten, jandte an den polnischen Feldherrn 
Hieronymus Chodkiewicz, der noch immer an der Dina jtand, drin 
gende Bitte mit feinen Truppen nordwärts auf Adjel zu ziehen md 
fich hiev mit dem Landmarschall Philipp Schall von Bell zu ver 
einigen. Gemeinjam wiirde der Kampf erfolgreicher fein. Leider folgte 
der Landmarschall diefer Werfung nicht. 


— 396 — 


Wohl in ritterlichem Eifer jelbft einen Erfolg zu erringen, che der 
Bole da je, beichloß er am 2. Augujt bei Ermes den Feind zu paden. 
Er veremigte 500 Deutjche Netter und die gleiche Anzahl Fußvolf und 
jtiirzte fich auf das vuffische Heer, das First Kurbsfy befehligte. Aber 
was half Kühnbeit und heldenmiütige Tapferkeit, wenn die Borficht 
fehlte: Statt genau zu erforjchen, wie jtarf der Gegner ist, brechen 
die Deutfchen gegen den Feind vor. Diefer, auf einen Überfall der 
Fleinen Schar nicht vorbereitet, weicht erjchreckt zurück, evit als Die 
Lioländer bis zu den hinter dem Lager befindlichen Pferden vor- 
gedrungen jind, jeßt er fich zur Wehr. Schon tft die Gefahr für ihn 
aufs höchite geitiegen, da fällt ein Teil der Mosfowiter, von ortsfun- 
digen Führern auf Waldiwegen geleitet, dem mutigen Häuflein Der 
Deutschen im den Nücken. Nam wendet fich das Blatt. Won allen 
Seiten umwingt, fämpfen die Livländer mit großer Tapferkeit, aber die 
Kräfte erlahmen; da weicht zuerit das erzjtiftiiche Fähnlein, dann Die 
Kurilchen und ihnen nach drängt der gewaltig überlegene ‚Feind. Blutig 
färbt fich der Boden, Hin finfen die Mannen, den Marjchall veißen 
jie vom Pferde und führen ihn fort, mit ihm fallen fein Bruder md 
elf andere Somthure und 120 Gewappnete in des Feindes Hand. 
Saum Fünf jollen vom Schlachtfeld entkommen je. So janf Die 
Drdensfahne auf dem Felde von Ermes — jte tft nie mehr im Schlacht- 
getitmmel entfaltet worden! 

Wie groß der Empdruc diefer Schlacht auf die Nufjen war, das 
erjehen wir Nachlebenden aus den Worten, mit denen Finrft Kurbsty 
den Tag von Ermes erzählt. Viicht genug fann ev den „heldemmütigen 
Mann“ viühmen, „ver berühmt im ganzen Lande und in Wahrheit 
der legte Schuß und die lebte Hoffnung des Ivländischen Volkes“, und 
als braver Soldat weiß er dem unglüclichen Gegner gerecht zu werden. 
Als fie — der Marjch geht gegen Fellin — zujammen an der Tafel 
figen, demm auch den Gefangenen zu Ehren ift ?Feindes Pflicht, be- 
guımt Schall von Bell, „ohne Furcht und allen Schreden“ dem Mtos- 
foiviter von feines Landes vergangenen Zeiten zu veden: er riihmt Die 
Nitter, die einjt an die Dina gefommen, zur Ehre der Mutter Gottes 
gekämpft, mit den Littauern geichlagen und den Aufjen von des Yandes 
Srenze abgewehrt haben. Gott habe den Vorfahren beigeitanden, daß 
fie bei ihrem Erbe verblieben jeien. Nım fei das Verderben ins Land 
gekommen, den alten Glauben habe man verleugnet, die Schtelgeret 


— 397° — 


aber habe fie alle auf den breiten Weg gebracht, der zum Untergang 
führe. Gott allein jei es, der um ihrer Wirljethat willen die Liv- 
länder ftrafe, mit jenem Willen jeren die hohen Schlöffer und fejten 
Städte die prächtigen PBaläfte und Höfe, die ihre Altvordern erbaut, 
in zeindes Hand gefallen! Und Thränen vollten über die Wangen 
des gefangenen Erzählers, aber auch des Feindes Auge wurde naf. 
Doch schnell überwand der Marjchall die weiche Stimmung: Mit 
heiterm Gefichte fuhr er fort: „Allen um jo mehr danfe ich Gott 
und freue mich, daß ich gefangen bin und*letde für mein geliebtes 
Vaterland, und jollte ich für dasjelbe jterben müfjen, wahrhaftig ein 
jolcher Tod wäre mir teuer und lieb!” Und als er jolches gejprochen, 
erzählt Kurbsty jelbit, jchtwieg er; wir aber bewunderten des Mannes 
Weisheit und Beredjamkfeit und hielten ihn in ehrenvoller Haft. So- 
dann aber jandten wir ihn mit den übrigen Livländijchen Gebietigern 
zu unferm Zaren gen Moskau und flehten den Yaren in einem 
Schreiben gar jehr, er möge ihn nicht verderben. Und wäre er unjerm 
Pate gefolgt, jo hätte er das ganze Livländiiche Gebiet erhalten fünnen, 
denn es hielten ihm alle Livländer gleich einem Bater. Doch als er 
vor den Zaren gebracht und jtrenge bejtraft wurde, antworte ev: „Du 
eignet Dir unjer Land zu mit Ungerechtigkeit und Blutdurjt, nicht 
aber, wie eS ziemt eimem chrijtlichen Fürften.“ Er aber von Horn 
entbrannt, befahl ihn alsbald Hinzurichten, denn ev begann damals 
jchon graufam und unmenjchlich zu werden.“ 

Sp endete ein treuer Sohn unjerer Heimat im fernen Moskau 
auf dem Blutgerüft. — 

Die Kunde von dem Verluft der Schlacht bei Ermes vie im 
ganzen Lande furchtbare Panik hervor. Kaum hatten die Nivalen in 
Bernau Zeit, einen Waffenjtillitand bis Pfingiten 1561 abzuichliegen, 
dann toben jie und ihr Gefolge nach allen Seiten auseinander. alt 
wären fie den Aufjen in die Hände gefallen, die ohne Widerjtand bis 
an die Küfte jtreiften, war doch das Schlimmfte eingetreten, was itber 
haupt gejchehen konnte, die leßte Hoffuung vernichtet, denmm am 20. Auguift 
hatte „das jchöne fünigliche Haus und die herrliche Feite“ Fell, der 
militärische Waffenpla Nordlivlands, Fapituliert. 

Hier, in der auf drei Bergen errichteten Burg, die dem Feinde 
gewaltig und „unglaublich jtarf” diünkte, jaß der alte Meiiter. Er 
glaubte das Schloß; gegen jeden Anfturm halten zu können, waren 


— 398 


doc Die Gräben troß ihrer Tiefe mit glattbehauenen Steinen verfleidet, 
drohten doc, von den Mauern jchweres Gejchüß und über 400 Leichte 
eldftüicke, lagerte doch in den Kellern Vorrat in Überfluß. Mit 
Staunen jahen die Rufjen, als fie jpäter einzogen, daß nicht nur Sticche, 
Palajt und das Schloß jelbit, jondern auch Stiche und Ställe mit 
jtarfen Bleitafeln gedeckt waren, die denn auch Swan jofort abzunehmen 
und Dircch hölzerne Dächer zu erjeben befahl. Wurden die Striegs- 
fechte durch gute Yöhnung treu erhalten, jo war die Einnahme der 
gewaltigen Feitung undenkbar. Schon lange hatte Fürjtenberg daher 
an Kettler gejchrieben und ihn dringend ermahnt, Geld für die Stnechte 
zu jchiefen und der Meifter hatte in gewohnter Weije alles verjprochen, 
um nichts zu halten. Freilich in Worten ift er groß, er gelobt dem 
alten Meifter, ihn nicht zu verlafen, er werde zum Entjag fommen, 
Sürjtenberg jolle nur ausharren‘). So lautet es noch in einem am 
15. Auguft aus Salıs gejchriebenen Brief, der jcheinbar auf dem Iln- 
marjch gegen Sellin verfaßt ıft. Aber was jollen wir dazu jagen, 
daß dieje Ortsangabe offenbar einen Betrug in fich jchließt, da Kettler 
nachweisbar jowohl am 13. wie am 17. Auguft in Dinamünde ge- 
wejen it, eine jo jchnelle Hin- und Niückreife nach Salis aber fajt 
undenkbar erjcheint. Es ift Ear, die faljche Datierung hat den Zweck, den 
alten Meifter an einen Entjabverjuch glauben zu machen, den Stettler 
im Exrnjt nie beabfichtigt hat. Dreieinhalbd Wochen verteidigt der ver- 
(afiene Fürftenberg den Boten gegen den mächtigen Feind, obgleich 
die Stuechte von Beginn an jchwierig und meuteriich waren. Wohl 
jtieg „der gute alte Meeifter“ „etliche vielmal auf den langen Turm, 
fieht weit überhin, vernimmt feine reunde, daher Trojt und Errettung, 
jieht jih mit eitler feindlicher Gewalt vings umgeben, tröjtet Die 
Seinen und hält fie auf mit täglicher Hoffnung.” Vielleicht war e3 
damals, daß das Fromme Gemüt des alten Meijters, geängjtet von 
den Wirrniffen diefer Welt, jenes jchöne Lied dichtete: 

„auch Gott, woll’ mich erhören, Jh rufe vor Herzeleid! 

Die Sind’ in mir fid) veget, Wirfet Zorn und groß Verdruß. 

Zu Dir darum ich rufe, Du bijt mein Trojt allein, 

Auf Dir jteht all mein Hoffen: Mach’ mich Deiner Gnad’ gemein.“ 
Doch wie er auch im Gebet ringen mochte — das VBerderben aufzuhalten, 


re _———— in 


I cf 8. Schirren. Vorträge 1. c. (Manujfript). 


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ging auch über feine Kraft. Wie es Alles gekommen, das berichtet 
Balthafar Aufjow in lebendiger Weife aljo: 

„AB nun der Mosfowiter an vier Wochen vor Fellin gelegen, 
und mit Gewalt dem Haufe und Städtchen nichts anhaben fonnte, 
ift ihm dasjelbige unüberwindliche feite Haus von den deutjchen Knechten, 
die darauf waren, ohne einige dringende Not aufgegeben worden, diejer 
Gejtalt. Nachdem fie etliche Monate ihre Bejoldung gemigt, haben 
fie num diejelbe vollfommene Bejoldung, dieweil die Not vorhanden 
gewejen, von dem alten Herrmeifter, Wilhelm von ‚sürjtenberg, der 
jein Gemach auf Fellin geforen hatte, mit großem Ungejtim gefordert. 
Als aber der gute alte Herr der Kuechte Bosheit vermerfet, hat er 
jeine eigne Barschaft umd Gejchmeide den Stuechten angeboten und jie 
zufrieden gejprochen und zu der Standhaftigfeit ermahnt und um Gottes 
willen gebeten, daß man jolch ein gewaltig Haus ohne Not dem ‚Feinde 
nicht jollte aufgeben; denn des würden jie Spott und Schande vor 
Gott und der ganzen Chriftenheit haben und fünnten auch jolches 
nimmer in Cwigfeit verantiworten. Solches haben die Stuechte nicht 
geachtet, Jondern find in ihrem verräterischen Borjaß fortgefahren und 
haben dem Mustowiter das Haus zellin zugejagt, mit dem Bejcheide, 
jo fie mit Allem, was jie wegtragen fünnten, frei, ficher und ungehindert 
weg pafjieren möchten. Wo fie mm Solches vergewifjert wurden, 
wollten fie dem Großfürjten von der Muscaw dag Haus überant 
worten, welches ihnen der NAufje ungezweifelt, gerne und gqutwillig 
zujagen wollte. Darauf find die Stnechte zugefahren und haben dem 
alten Herrmeifter jeinen ganzen Schab von Silber und Golde, jein 
Gejchmeide und Sleinodia mit Gewalt geraubt und alle Kijten md 
SKtajten, welche die vom Adel und die Bauerjchaft vor dem Feinde auf 
das Haus in Verwahrung geführt hatten, aufgeschlagen, das Handlichjte 
und Bejte, was ihnen gedient, daraus genommen und ich jelbjt aljo 
wohlbezahlt. Darnach als jte fich mit großem Gute aljo verjorgt und 
beladen hatten, gaben fie dem Mosfowiter das Haus auf.“ 

Bergeblich fiel ihnen weinenden Auges der in Ehren grau ge 
wordene alte Meifter zu Füßen, fie viffen ihm die Schlüfjel von der 
Seite und meinten, es jei bejler, daß der „alte Yuhrer“ verloren gebe, 
denn daß jo viele guter Gejellen umfämen. Docd die Bergeltung 
Ichlief nicht. Als die Rufen erfuhren, daß die Landsfnechte mut 
großer Beute abgezogen waren, gereute fie der Vertrag, fie jagten 


— 400 — 


ihnen nach und griffen einen Teil auf, die andern fielen meist Stettler 
in die Hände, der ein ftrenges Eyempel zu jtatuieren bejchloß und Die 
Nädelsführer zu Niga auffnüpfen ließ. 

Der Feind aber konnte ich nicht genug thun über den Gewinn des 
Schlofjes, in dem 450 Kanonen und reicher PBroviant ihm zugefallen 
waren. Die Feigheit der Stuechte dimfte den Nufjen eine bejondere 
Gnade Gottes gegen den rechtgläubigen Zaren, dejjen Gnade fie den 
alten Meifter anempfahlen. Wie es Fürjtenberg dort ergangen, mag 
wiederum Nufjow erzählen: „ALS mu der gefangene alte romme Herr 
Wilhelm von Fürjtenberg und andere vom Adel und Fromme Gejellen 
mehr zur Muscow zum Iriumphe und Speftatel eingeführt wurden, 
haben zwei gefangene Könige der Tatern, nämlich der von Kajan umd 
Atrachan, diefen herrlichen Triumph und Biktoria des Musfowiters 
anjehen mühjen; von welchen der eine die Deutjchen aus Livland, da 
fie vorbeigeführt wurden, angejpteen und gejagt hat: „Euch Ddeutjchen 
Hunden gejchieht eben vecht; denn ihr habt erjtlich dem Musfowiter 
die Nute in die Hand gethan, damit ev uns gejtäupt hat; nun jtäupt 
er euch jelber auch damit.“ Hiermit hat der Taterjche König anzeigen 
wollen, daß Straut und Lot und allerlei Sriegsrüftung aus Deutjch- 
land hergebracht, durch deutjche und Liwvländiiche Kaufleute dem Mlus- 
fowiter überflüjfig verfauft wäre, womit er fie mum jelber und andere 
Völker mehr bezwingen und fie unterthänig machen konnte.“ 

Firftenberg wurde im übrigen glimpflic) behandelt. Er erhielt 
den Fleden Ljubim im Savoslawjchen zum Unterhalt „wo fich jet 
altes Herze in Trübjal und Elend verzehrt hat“. An Berjuchen, jene 
reilafiung zu bewirken, hat es nicht gefehlt. Der Deutjchmeijter in 
Mergentheim, atjer gerdinand haben Briefe und Gejandte nach Mostau 
geichieft umd Bitten auf Bitten gehäuft, aber umjonjt. Vielleicht glaubte 
Swan ihn gegen Livland benugen zu fünnen, jedenfalls blieb er bei 
jeinem Nein. Die legte Urkunde, die von dem alten Meifter Nach- 
richt giebt, ift vom Mat 1566 datiert „in unjerm trübjeligen Kreuz 
im Neufjenlande“, ex erklärt hier, jene Behandlung gebe zu Feiner 
lage Aırlaß, doch wie ihm ums Herz, fünne fich jeder ehrliebende Ehrijt 
vorjtellen. Bald darauf ift er wohl gejtorben, jeine Auhejtätte ijt ver- 
ichollen, verfchwunden. Die Heimat aber hat Grund, fein Andenken in 
Ehren zu halten, war er doch in finjtern Tagen eine erguicende, fernige 
und wahre Natur, die dev Heimat Not empfunden hat, wie wenige. 


Te 


Die Botichaft vom Fall Fellins ließ Herzog Magnus ein längeres 
Verweilen auf dem Feitlande höchit unrätlich erjcheinen, von Hapjal, 
wo er einer Hochzeit beigewohnt, rettete er jich in einem Fiicherboot 
hinüber nach Defel. Hier fühlte er jich ficher und blieb daher allen 
Bitten und Aufforderungen, den Seinen gegen die in die Wiek ver- 
heerend eingefallenen NRuffen zu helfen, taub. Nur im neuen Yänder- 
ichacher ich zu mifchen fehlte ihm nie die Zeit und die LXuft. Cr- 
warb er fich doch gegen 9200 Th, die er freilich garnicht bejaß, 
das Necht, den Dompropft Ulrich Behr, der das Anrecht auf das Stift 
Kurland für den Fall des Todes ohann Münchhaujens erfauft, ab- 
zufinden, wobei es ihn gleichgiltig ließ, daß er dadurch in neuen 
Streit mit Kettler geriet, der al3 Meifter das Erneuerungsrecht im 
Stift beanjpruchte, und mit jeinem Bruder Friedrich, der das unbe 
jonnene Verhalten des jungen Herzogs in jcharfen Worten getadelt 
hatte, fich noch mehr verfeindete. Herzog Magnus begann die Situation 
jehr bedenklich zu werden und ebenjo jchnell, wie er gekommen, entjchlo? 
er Jich zuriiczufehren. Gegen den Willen jeines königlichen Bruders 
reifte er nach Dänemark ab. Hier gab es arge Auftritte und erjt als 
die Königin-Mutter für ihn Fürjprache einlegte, entichloß ich Friedrid), 
ih von Neuem des Bruders Angelegenheiten zuzumenden. Ein Ber 
juch ihm die Koadjutorjchaft des reichen Stifts Hildesheim zu erwerben 
Ihlug aber fehl, — es blieb alfo nichts übrig als die Nücdkehr nad) 
Livland. Nachdem vorher Schon der Bernauer Anjtand bis Pfingiten 
1564 erneuert worden, unterzeichnete Herzog Magnus am 4. Mat 1561 
einen Vertrag, der bejtimmt war ihm die Hände völlig zu binden: 
König Friedrich entjandte einen Statthalter nach Arensburg — Dietrich 
Behr —, dem faktiich alle Gewalt übertragen wurde. Er jollte die 
Kinechte für den König in Eid nehmen, welch’ leßteren allein die Ent 
icheivung über Krieg und Bindnis, Netjen md eventuelle Eheichliegung 
des Herzogs zuftehen jolltee Damit hatte auch Ehriftor von Meitnc) 
haufen jeine verhängnisvolle Nolle beendet, während Herzog Magnus 
in unjeliger Weije und nur zu oft noch genannt werden muß. 

In Niga war die Nachricht von dem Unglück von Fellin zuerit 
mit Unglauben aufgenommen worden, erjt die Kuechte, die dort in 
Befabung gelegen und fich dann nad Niga gewandt hatten, brachten 
Gewißheit. Die oben erwähnte Hinrichtung von 11 Hauptanftiftern 
des Verrats konnte die Birger aber wenig beruhigen md nicht eher 

Seraphim, Gejcichte I. 26 


le 


fühlte man fich ficher, al3 bis die in Wenden liegenden ftädtiichen Snechte 
am 2. September heimgefehrt waren. Man kann die lebhafte Bejorgnis 
verstehen, denn jeder Tag brachte neue Hiobspoften über VBerheerungen 
des flachen Landes, Einnahme feiter Schlöffer und Häufer, jo Alt 
Bernaus; Stettler aber jaß hinter den Mauern von Dinaminde und 
(ie das Berderben feinen Weg gehen. Nur dazu diente ihm das Un- 
glitck, um fir feine polnischen Pläne weitere Bropaganda zu machen. 
Als Fürgen Badel und andere Rigiiche Natsverwandte am 11. September 
vor ihm erjchtenen und ihn baten fein Meittel unverjucht zu lafjen, um 
die Stadt beim hl. Nömtjchen Neich, beim allen jeligmachenden Wort 
Gottes und den wohlerworbenen Freiheiten zu lafjen, gab er ihnen 
minplich zur Antwort, ev fünne nichts machen, er jtände allein und 
fünde feinen Gehorjam, denn wie wohl er viele Befehle habe aus- 
gehen lafjen, jo thäte Doc) ein jeder, was er wolle. Den Kommentar 
zu diefen beweglichen Worten aber bildete ein eingehender Brief, in 
dem er nochmals betonte, das Seinige zur Nettung des Landes ge- 


than zu haben. Bom Neich jet nichts zu erwarten — und Darin 
hatte er Net —, WBolen fordere freilich viel, aber es gemwähre 
auch wirkliche Hilfe — und darin hatte er Unrecht! Stadt und 


Land wirden im jedem Fall beim Evangelium und den alten Nechten 
bleiben und, wenn auch die Stadt ftärfere (d. h. natürlich polntjche) 
Belabung aufnehmen müfje, jo werde er jchon dafür Sorge tragen, 
daß feine Gefahr für Niga entitehe. Worin dieje Sorge bejtehen würde, 
lagte ex freilich nicht! Auch Chodfiewicz meldete fich in denjelben Tagen 
mit einem Brief von Selburg aus und begehrte auf einen angeblichen 
Vertrag zwilchen dem König und Meifter gejtüßt, Einlaß für jene 
Truppen, um die Stadt vor dem tyranniichen Meutwillen des muS- 
fowitiichen Erbfeindes zu Schüßen. Sm großer Erregung antwortete der 
Nat, er hätte, Gottlob, Kriegsvolf genug, um fich zu verteidigen, man 
begehre fremder Hilfe nicht. Selbjt Kettler, an den Chodfiewicz ein 
gleiches Schreiben gerichtet, hielt es für gut, es nicht zum Außerften 
fommen zu laffen, er lehnte die Forderung ab, gegen die Exrzbiichof 
Wilhelm gleichfalls heftig proteitiert hatte. So blieben die polnischen 
Pläne auf Riga diesmal noch unerfüllt. — 

Ein Lichtblick in dunkler Nacht war die Verteidigung von Weißen- 
stein. Der tapfere Vogt Caspar von DOldenbodkum wufte das Schloß 
fünf Wochen lang gegen den Ansturm der Nuffen zu halten, obgleich 


= HAN. 


auch ihn Settler ohne Hilfe und Entjab ließ. Boten auf Boten 
flogen zu ihm. Auf dem lebten Brief fteht: „Eilig, eilig, eilig! 
MWachet auf, wachet auf! Der Tag wird jonft gen Abend gehen.“ 
AS Antwort findet fich ein Schreiben SKettlers aus Wenden vom 
15. September, obgleich wir vom jelben Datum drei andere Briefe 
des Meifters aus Diinamünde befigen. Daß er den Ort aber abjichtlich 
gefäljcht, geht aus dem noch erhaltenen Konzept hervor, Wo zuerit 
Dinamünde jtand, dann aber Durchitrichen und durch Wenden erjebt 
worden ijt!). Troß Diejes perfiden Spiels hielt Oldenbokum aus 
und eines Tags ift der Musfowiter, nachdem er über fünf Wochen 
davor gelegen und gejchofjen und nichts bejchafft hatte, mit Spott 
wieder abgezogen. Weißenftein war gerettet. 

Auch ein Anjchlag auf Neval, wohn fich nach gräulichen Ver- 
wüftungen der Wiek der Feind gewandt hatte, blieb ohne Erfolg. Wohl 
ichlugen die Rufjen eimen unbejonnenen Ausfall der Nevalichen „beide 
edel und ımedel“ zuriick, wober bejonders die Schwarzhäupter fich 
tapfer zu behaupten juchten, aber jte hatten Doch gewaltigen Nejpeft 
vor der verwegenen QTapferkeit, mit der fich die Deutjchen geichlagen. 
„Die Nevalichen, meinten fie wohl, müfjen toll oder auc) von Brannt 
wein gar voll fein, daß fie mit jo geringem Bolfe jolch einer großen 
Macht zu widerjtreben und den Naub zu nehmen wagen.“ Damm 
brachen fie das Lager ab umd verjchwanden. Noch heute bezeichnet 
ein fteinernes Sireuz vor der Stadt auf dem Sandfelde an der 
Pernauer Straße die Stätte, da der Nitterichaftshauptmann Lorenz 
Ermes, der Hauptmann der Adelsfahne Fürgen Ungern, der Nats 
herr Ludwig von Dyten und Blafıus Hochgreff, „die erquiclichite, ge- 
Jundefte Gejtalt des damaligen Neval“, mit ihnen manch” andrer quter 
Sejelle Fir den heimifchen Heerd das Leben gelafjen haben"). 

Zu all diejen niederdrücdenden VBerhältniifen kam fir Livland 
noch das peinigende Gefühl, daß das Mutterland endgiltig jeden 
wirflichen Beistand aufgegeben habe. Vicht einmal die Lumpigen 
100000 Thaler, die der Neichstag aufzubringen beichlojien hatte, 
konnten zujammenfommen und da Hamburg, Liübee ıumd Linebura 
fich jtandhaft weigerten das Geld ohne eine bejondere Fatlerliche Ver 
jiherung vorzuftrecdten, der SNtatfer aber ebenjo jtandhaft eine jolche 
| 1) cf. Schirren ].c. 

!) ef. Bienemann].c. pag. 122. 


26* 


Be 


zu erteilen fich außer Stande erklärte, jo blieben die 100000 Gulden 
auf dem Papier. Sm Dftober 1560 verfammelte fich ein Deputations- 
tag zu Speier, vielleicht daß hier das Neich fich freigiebiger zeigte! 
Doch eitle Hoffnung: über den Ffühnen Gedanken, nochmals eine 
Legation, und zwar „anjehnliche Berjonen in ftattlicher Anzahl“, nad) 
Moskau zu jenden und über häßliches, widerwärtiges Feilichen kam 
man auch diesmal nicht heraus. Wohl wurden 200000 Gulden be- 
willigt und jogar der Beichluß gefaßt, wenn die Gejandtichaft wiederum 
erfolglos verlaufe — einen Reichstag auszufchreiben! Fürwahr „nicht 
allein die Welt betrogen die Stände mit jolchen elenden Bejchlüffen, 
jondern auch fich jelber.“ Selbjt diefe VBota ind nie in Wirkffamfeit 
getreten. Der Neichserzfanzler, der Kurfürjt von Mainz, bewies jeinen 
Batriotismus durch fürmlichen Proteft gegen jede Hilfe und noch im 
April und Mai 1561 mußte der Saijer Stettler bekennen, „es pflegen 
leider die Hilfen des Neiches jederzeit langjam von Statten zu gehen 
— — — die Stände jeien in Erlegung der Steuer jehr jüumig und 
er gehe deshalb damit um, auf andere zuträgliche Wege zu denken.“ 
Verftand er darunter die eines jtark fomifchen Anjtrichs nicht ent- 
behrende Bejendung des Königs von Wolen, dem er am 13. April 
verficherte, das Neich gedenfe keineswegs dieje Provinz mit Nat und 
Ihat zu verlafjen, betreibe vielmehr eben jet das, was ihr am aller- 
fürderlichiten jei, ganz fleißig. „Da aber Schnelligkeit und Eile von 
Jöten jei, Fünnte der König von Polen, bis der Satjer auch jeine 
Hilfe dahin verordnet, das feindliche Bornehmen und Einfallen jchleunigit 
aus der Nähe mit Macht verhindern und abtveiben, auch den Dank, 
daß Livland bei dem heiligen Neich erhalten worden, bei den Ständen 
des Llebtern und gemeiner Ehriftenheit leichtlich verdienen.“ 

Hat es nicht den Anjchen, als ob man im Neich wie hinter der 
chinefiichen Mauer lebte? 

Empörender noch als diejes tragifomiiche Gebahren des armjeligen 
Neichskörpers und das „herzliche Meitleid“ Ferdinands war die jchänd- 
liche, nur von Handelsegoismus geleitete Haltung der Hanja, vor 
allem Lübecs, das fich nicht entblödete nach wie vor Mamition und 
Waffen nah Rußland zu liefern. Da riß jchlieglih in Neval dem 
Nat der Geduldsfaden und jchnell entjchloffen belegte er die im Hafen 
befindlichen Lirbedfer Kauffahrer mit Beichlag. So fällt unjer Auge 
in der legten Stunde liwländischer Selbitändigfeit auf einen Konflikt 


— 405 — 


zwijchen der Stadt, aus der einft die erjten Pilgrime und Staufleute 
ausgezogen, und der Kolonie. Gegen Neval erhoben die Lübecker 
Klage wegen Landfriedensbruch vor Katjer und Sammergericht und 
ein faijerliches Mandat befahl in gravitätiicher Weife „Unferen und 
des Meichs getreuen Bürgermeister und Nat der Stadt Neval“ bei 
ichwerer Ungnade die FFreigebung der Schiffe. Freilich erhielt auch 
Lübee die ftrenge Mahnung — fie mußte jedoch mehrmals wiederholt 
werden, ehe fte fruchtete — feine Zufuhr weiter nach) Nufland zu 
fiefern, „dadurch der Musfowiter gejtärft werden möchte.“ Es ijt das 
aber auch der einzige Dienft, für den Stettler am 17. Dezember 1560 
dem Kaijer jeinen Dank abitatten fonnte, jonit ift abjolut nichts ge- 
ichehen. — 

Diefes Gebahren des Mutterlandes trug feine traurige Frucht. 
Schon im Spätjommer 1560 war in Neval, wo man fich über die 
Ohnmacht des Neichs, wie über die polnischen Pläne Stettlers feine 
Sluftonen mehr machte, der Gedanke aufgetaucht durch Anjchluß au 
das durch Guftad Waja gefejtete Schweden zu Ruhe und Sicherheit 
zu gelangen. Bon Dänemark wollte man nichts mehr wiljen, jeitdem 
Magnus die Sache Ddiefes Landes durch unbejonnenes Dreingreifen 
aufs ÜÄrgfte fompromittiert hatte, allein aber fircchtete man gegen die 
Nuffen um jo weniger bejtehen zu fünnen, als die Landbevölferung in 
aufrühreriche Bewegung geraten war. König Guftav Waja ließ Tich 
nur schwer aus jeiner Nejerve herausdrängen und willigte nur aus 
surcht, den Dänen möchte es schließlich doch gelingen Neval zu be- 
jeßen, in UnterhandInngen mit den Ejtländern. „Man jolle lieber bei- 
zeiten dem Hunde ein Stück nehmen, als fic) vom Hunde beigen 
(affen“ meinte er wohl. Doch im September 1560 jtarb der große 
König, ohne zu irgend welchen Abjchluß gekommen zu jein. Sein 
heißblütiger ältefter Sohn Erich XIV., den zudem der thatkräftige 
Sohann von Finnland, der zweite Bruder, zu vajchem Zugreifen an 
Itachelte, brachte die Berhandlungen bald in jchnellere Gangart. Glas 
Horn, der unter den jchwedischen Staatsmännern jener Zeit vielleicht 
die erite Stelle beanfprucht, traf am 25. März 1561 plößlich in Neval 
ein. 3 erregt umjere Bewunderung, mit welchem Gejchtet ev, Der 
ohne Truppen und ohne große Geldjummen nad Neval gekommen 
war, der tberaus jchwierigen Situation Herr wurde. Nagerten doc) 
auf dem Domberge deutjche Söldner, auf dem unter Oldenbodums 


— 406 — 


Befehl tehenden Schloß polnische Truppen und fürchtete Doch Der 
Nat, daß König Friedrich II. einen Anschluß der Stadt an Schweden 
mit der Schließung der Sundpafjage beantworten würde Troß 
diefer Bedenken Huldigten am 4. Jun die Nitterichaften von Harrien, 
NWierland und Serien, am 6. Juni die Stadt Neval König Erich, 
der am 2. Auguft in zwer Urkunden dem Adel und der Stadt ihre 
Privilegien md Freiheiten feierlich beftätigte und gewährletitete. Schon 
am 16. Mat waren die Söldner auf dem Domberge zu Horn itber- 
gegangen, am 23. Sunt fapitulierte auch Oldenbockum, nachdem jede 
Hoffnung auf Eriag durch Kettler gejchwunden war, gegen Yuficherung 
freien Abzugs und einer Geldfumme. 

Sp war der zweite Stein aus dem Bau der Livländijchen Ston- 
füderation ausgebrochen. Zu den Stiftern Dejel und Kurland, die 
däntscher Herrichaft unterstanden, gejellte jich Ejtland, das der jchwedi- 
ihen Krone gehuldigt hatte. Der erjte Schritt auf der großartigen 
Bahn, die Schweden das dominium maris baltiei fichern jollte, war 
geichehen, Schwedens Bolitif wies von nım an jüdwärts auf Livfand. — 

Die Unterwerfung Eftlands zeigte dem Bolenfönig, daß er, wollte 
er nicht noch weitere Einbußen erleiden, jchleunigjt handeln müfje. 
Lange genug, diünfte ihm, habe das YZujchauen gedauert, jegt gelte es 
zuzugreifen. Ein polnifch-littauisches Heer unter Nikolaus Radzuvill, 
dem MWojewoden von Trofti, vücte nach QTarwaft und nahm, denn 
darauf fam es ja vor allem dem Orden an, eine fejte Stellung gegen 
die Schwedischen Truppen ein, die Weißenftein erobert und gegen Bernau 
zu ziehen die Abficht hatten. 

Zu gleicher Zeit begann die diplomatische Arbeit den Lioländischen 
Ständen gegenüber. Mit Hochdruc wirkte jeit dem Herbft 1561 die 
Maichine und der Dirigent fonnte mit ihr zufrieden jein?). 

Er war der Sohn des Führers des bei Tarwalt jtehenden pol- 
nischen Heerhaufeng, Nikolaus Nadziwill, Großmarichall und Kanzler 
von Littauen, Wojewode von Wilna, dejjen Händen am 6. Juli 
König Sigismund August durch eine Vollmacht die Verhandlungen 
mit den Livländern anvertraut hatte — er hätte jchwerlich einen 
Geeignetern finden können! Galt Nikolaus Nadziwill doch für einen 


') ef. für das Folgende die vortrefjliche Arbeit Sr. Bienemann sen. 
„NRiga’s Stellung bei der Auflöfung des livländischen Ordensjtaats“ in der Rujji- 
jhen Revue Jahrgang VI. Heft Il. 1877. St. Petersburg. 


— 407 — 


durch weite Reifen aufgeklärten, feingebildeten und vedebegabten Mann, 
dem man in fatholischen Kreifen nur jeine offensichtliche Hinneigung 
zur evangelischen Lehre nicht verzeihen fonnte, für einen ebenio frei- 
gebigen und milden, wie reichen Magnaten, dem jeine nahe Stellung 
zum Könige, dejjen Schwager er war, den verdienten Ehrenplag im 
Neiche ficherte, und für einen hervorragenden Krieggmann, der Lift 
mit Kühnheit zu paaren wußte Daß er mit dreiftem Selbftgefühl 
den Livländern gegenüberzutreten wußte, machte ihn in den Augen feiner 
Landsleute für die ihm übertragene Aufgabe natürlich noch tauglicher. 
sm Gefühl, e8 werde nicht jchwer jein, die Stände zur Unterwerfung 
zu veranlafjen, begab er jih nach Niga, traf am 24. Auguft 1561 
vor der Stadt ein und übermittelte den fich hier aufhaltenden Ständen, 
in erjter Reihe Kettler und Erzbiichof Wilhelm, feine Forderungen, 
die troß aller vieldeutigen Flosfeln zwei Bunfte deutlich erkennen 
ließen: Unterwerfung des Landes mit Einjchluß Rigas und Säfulari- 
jation des Erzjtifts: „Riga jollte unter die Gewalt des Königs fommen, 
das ganze Yand auf dem rechten Dimaufer, als dem feindlichen An- 
drang am meijten ausgejeßt, durch die erjte Hand dem Könige ge- 
horchen, auf dem linken Dünaufer alle Befejtigungen in feine freie 
Berwaltung gelangen; den Bajallen jei der Eid im der Weije zu er- 
lafjen, wie e3 den Fürjten privatim mitgetheilt werden wiirde.“ 

War das auch Kettlers Programm? Nein, ficherlich nicht! Nicht 
deshalb hatte er jo lange den „Yutreiber” gejpielt, damit dem Könige 
das Yand zu teil werde, nicht fir Bolen, jondern für jich hatte er 
in ehrlojer Weije feinen Orden und ganz Livland an den Nand des 
Berderbeng gebracht. Nun mochte es ihm wie Schuppen von den 
Augen fallen, daß Polen an ihm wenig gelegen war, wenn nur das 
Land fich unterwürfe, mn mochte es ihm Elar werden, daß bei weiterer 
Willfährigfeit gegen des Königs Pläne er um jeden Lohn kommen 
fünne. Dieje Bejorgnis, durch weiteres Entgegenfommen dem König 
entbehrlich zu werden und andererjeits durch Zögern, da es doc) zu 
jpät war, um andere Wege zu gehen, den Monarchen zu erziinen, 
bildet die Signatur Kettlers in den Monaten bis zur Unterwerfung 
des Landes. Nur möglichit reichlich” den Lohn für feinen Verrat 
auszumirfen, ijt jeine erjte und einzige Sorge, das Land ging ihn 
wenig an. 

Welche Sprache redete aber auch plöglich der Fit Nadziwill! Über 


= 5A085 


häufte er die Fürsten in Niga doc mit heftigen Vorwürfen, fie hätten 
den füniglichen Natjchlägen nicht Gehör gegeben, fie jeien an allem 
Unglück Schuld. Wo jeten die Livländer, die laut Bertrag Settler 
gegen den Feind ins Feld hätten folgen jollen? Auf jchwediicher oder 
dänischer Seite wären fie zu finden! Und endlich) nur gegen Mosfau 
habe der König Hilfe zugefichert und jet ftänden zwei andere feind- 
liche Mächte auf dem Plan. Da fünne fein Menjch verlangen, daß 
das alte Bündnis mit Bolen in Kraft bleibe, neue Berhältnifje ver- 
(angten neue Traftate. „Unterwerft Euch aljo insgejamt!“ lautete 
der Nefrain der Nadziwillichen Deklamationen, „SHr Fürjten werdet 
mit ftattlichem Lehensgut abgefunden werden,” hieß es in verjchlofiener 
Kammer, „wenn Ihr Euch gutwillig fügt — Widerjtand ift doch un- 
möglich!“ 

Zugleich jeßte Nadziwill, während die Fürsten zwischen Entrüftung 
und Furcht Schwanfend zu feinem Entichluß fommen fonnten, den 
Hebel da an, wo er Stettlers Macht am ehejten den Boden ent- 
ziehen zu fünnen glaubte, bei den Nittern und dem Adel des Ordens. 
Mit oratoriihem Schwung trat er in ihre Mitte, mit Lift wußte er 
den Gegenjaß zwilchen Lehnsadel und Rittern zu jchüren, mit locenden 
arben die Vorteile zu jchildern, die den ehemaligen Drdensbrüpdern 
durch die Säfularifation in Preußen zu teil geiworden waren. In 
furzer Heit waren dieje Kreife gewonnen — die Hauptaufgabe aber 
war noch nicht unerledigt: Riga zur Unterwerfung zu bewegen. Fürft 
Nadzivill traute fi auch das zu und in der That, der Anfang ver- 
hieß wirklich) Erfolg. 

Am 4. September erichten der Großmarjchall auf dem Nat- 
haus und bot alle jeine Beredfamfeit auf, um dem Nat die polnijche 
Dienjtbarfeit in glänzendem Licht zu jchildern. Allein auf jich ge- 
jtellt wäre die Stadt verloren, unter polnischem Szepter würde fie 
neue Freiheiten, gleich Danzig, Thorn und Elbing, gewinnen. „Der 
König, rief er aus, wünscht Euch zu erhalten, er will Euer König 
fein; einen Körper will er bilden aus Polen, Littauen, Preußen und 
Livland; die Stände im Neiche werden in Liebe entbrannt zu Euc), 
als ihren Brüdern, herbeteilen, für Euch wie für ihr eigen Haus und 
ihren eignen Herd zu fümpfen. Das haben fie bisher geweigert, weil 
shr Fremde waret; dann aber find wir alle ein VBolf und ein Haud) 
hebt unfer aller Bruft!” 


— 409 — 


Die phrafenhaften Worte wirkten, die Stadt erflärte jich bereit 
unter gewiffen Bedingungen fi zu unterwerfen und Nadziwill jchlug 
ein. E3 dünfte ihm ein großer Tag, als er am 8. September jeinen 
Namen unter eine Urkunde (Cautio Radziwiliana prior) jegte, in 
der er ich für jenen König verbürgte, daß die Subjeftion ohne Schaden 
beim Rom. Neich eingegangen werden fünne, daß die Lutheriiche Lehre 
und alle Freiheiten der Stadt vor der Eidesleijtung urkundlich) 
verbrieft werden jollten. Als das Dokument unterzeichnet war, da 
rief er aufjubelnd aus: „Das tft der Tag, den Gott gemacht! —“ 

Auf den 12. Dftober jollte in Wilna eine Konferenz des Königs 
mit den Livländiichen Delegierten ftattfinden, auch Nigas Abgejandte 
jollten hier ericheinen. Dem Nat und den Gilden dünfte die Eile zwar 
Vonderlich, jedoch fie konnten fich nicht ausjchliegen. Wohl aber war 
man entjchloffen, bei dem Schritt, jollte er denn einmal unabweisbar 
jein, die Außerjte Vorficht walten zu laffeı, eingedenf der alten Er- 
fahrung „Wenn man einen neuen Heren jchivöret, was man alsdann 
bedinget, das hat man; nachmals fann man jchwerlich dazu fommen“. 

Die Seele des Nats war damals Sürgen PBapdel, der jeit 1547 
als Bürgermeister und bald darauf als Wortführender auf LYand- umd 
Hanfetagen das Gewicht Nigas zur Geltung gebracht hatte, vor dent 
zürnenden Kater Karl einft zu Augsburg jeine Gemeine vertreten jollte 
umd nun an den König gefandt ward zum jchiweriten Werk, das je ihn 
anvertraut worden“. ürgen Badel, neben dem der Stadtjefretär Jo- 
hann Schmiedt eine bedeutjame Nolle jpielte, verband ausgejprochenen 
Birgerfinn und ein jtolges Gefühl für feine Vaterjtadt mit einem weit- 
herzigen Bli und warmem deutichen Bewußtjein; ihm wollte es das 
Herz abdrüden, daß Livland, injonderheit Niga vom Meutterlande 
(osgelöft werden jollten, ihm graute vor der Verbindung mit den „bar- 
barijchen Undeutjchen, die den Deutjchen niemals gut gewejen, ihnen 
alles Herzeletd, wie die willen, jo unter ihnen wohnen, zugetrieben md 
nichts anders von Art und Natur angeboren haben, denn aus ihrer 
Suhumanität dem deutichen Blute zugegen und schädlich zu jein“. 

Klingen diefe Worte nicht prophetiich für die heranziehende Bolen- 
zeit? Weil Sürgen Badel die Polen aber fannte, jo wies ev in einer 
Snftruktion darauf Hin, daß zum eviten die AZufage des Neiches zur 
Subjeftion vorliegen müfje, ehe fie ms Werk treten fünne; daß zum 
andern die Unterwerfung Nigas nicht unter Littanen oder ein Neben 


— 410 


reich, Sondern mur unter den König und die Nepublif Polen erfolge und 
zum dritten, daß ‚die Stadt wohlmöglich bei ihrer alten Obrigfeit, dem 
Meifter md dem Erzbifchof, erhalten bleibe. Hierauf wären die ‚Fragen 
der Religion und der Privilegien zu ordnen und ins Stlare zu bringen. 
Alfo vorbereitet veifte eine ftattliche Gejandtichaft nach Wilna ab, wo- 
hin die Fürften und Delegierte der Nitterichaft bereits aufgebrochen 
waren. Am 15. Oftober abends langten die Nigenjer in der Littaut- 
ichen Hauptftadt, in Wilna, an, in deren Mauern die Beratungen umd 
Verhandlungen fich abfpielen jollten, die den Untergang der (ivländi- 
ichen Selbjtändigfeit endgiltig beftegelten. 

Nach der üblichen Audienz bei Sigismund Auguft entichloffen 
fich auf Vorjchlag desjelben die Stände einen Ausichuß zu bilden, der 
alle Anträge prüfen und von fich aus Mittel zur Einigung vorlegen 
jollte. Doch jchon bei der erjten Sibung, der noch die Fürjten md 
die Delegierten in corpore beiwohnten, traten die Differenzen, die im 
Verlauf der folgenden Wochen immer wieder den Streitpunft bildeten, 
grell zu Tage. Es mußte den Livländern auffallen, daß außer den 
(ittauischen Magnaten mr ein Pole, Philipp Paoniewstt, Biichof von 
Krakau und Unterfanzler von Polen, hier in Wilna erjchtenen war. 
Man wußte in Livländifchen Kreifen jehr wohl, daß die polniichen 
Großen Schon aus Eiferfucht gegen Littauen umd wegen der Unpopu- 
(avität des Königs einer Subjeftion Livlands, vor allem aber einem 
thatfräftigen Kriege gegen Moskau widerjtrebten und zu gerechtfertigt 
war daher die Frage der Livländer an Padniewsfi, ob er Vollmacht 
von den polnischen Ständen habe, zu unterhandeln und abzujchließen? 
Nie wohl man mit diefer Anfrage gethan, zeigte fich jofort: der 
Biichof gab zu, daß ev nicht bevollmächtigt jet, doch darauf fomme es 
garnicht an, der König jei Herr aller jeiner Länder, die Livländer 
jollten nicht zögern und hier ihre Unterwerfung anzeigen. Natürlich 
fand diefe naive Auffaflung auf der andern Seite feine Gegenliebe. 
An der Unterwerfung unter Littauen allein fonnte feinem der Livlän- 
diichen Stände etwas gelegen fein, da es allein gar nicht die Macht 
beja gegen Rußland Hilfe zu leiten. Und was jollte geichehen, wenn 
Livland fich Littauen unterwarf und Polen die Subjektion ablehnte? 
Den Littauern dinften diefe Bedenken der Livländer jehr fatal und fie 
proponierten, von mun an, zur Vermeidung derartiger Zrotichenfälle, 
einen schriftlichen Geichäftsgang von Kanzlei zu Kanzler, 


— 41 — 


Nach langen Berhandlungen, Audienzen und Unterredungen, bei 
Denen Kettler jein den Nigenjern gegebenes Berjprechen, jte über alles 
auf dem Laufenden zu erhalten, nicht einen Augenblick zu erfüllen für 
nötig fand, machten die füniglichen Räte am 25. Dftober VBorichläge über 
die Faflung des Unterwerfungtraftats. Gleich der Eingang mußte Er- 
Itaunen hervorrufen. War doch mit offenbarer Fälihung der That- 
jachen der Lauf der Dinge jo dargeitellt, daß die durch den Strieg ins 
Elend geratenen Livländer Flehentlic) an den König mit dem Ber- 
langen der Unterwerfung gefommen wären, worauf er von Mit- 
(eid bewegt, ihrem leben willfahrt habe. Hierauf folgten die ein- 
zelnen Punkte: Aufrechterhaltung der lutheriichen Religion und aller 
Nechte und Freiheiten, ferner das Veriprechen, jich beim Reich zu be- 
mühen, daß Livland nicht (wie Preußen) in Acht und Bann verfalle; 
geichehe aber jolches Doch, jo Tolle es Niemanden jchaden. Der Erz 
biichof und der Koadjutor jollten ihren Belig auf Lebenszeit behalten, 
der Meifter den Herzogstitel annehmen und ein Gebiet als Lehen be- 
fommen, über das er mit Nadziwill bereits in Niga einig geworden 
wäre(!) Niga jollte Rechte und Freiheiten, wie fie ihm durch) Nadztwill 
am 8. September verjichert worden, behalten. 

Das hieß denn doch gar zu „Favaltermäßig” mit den Livländern 
umspringen! Wozu der umvahre, beletdigende Eingang? Wie reimte 
ih das Beriprechen, vorher die Erlaubnis des Nömtjchen Neichs zu 
erwirfen, mit dem VBorjchlag zufammen Ddiejelbe nachträglich bewirken 
zu wollen? Warum jagte man nicht offen, welches Gebiet, ob nament 
(ih Niga, direkt unter Bolen kommen, welches Kettler zufallen würde? 
ie endlich jollte Niga fich auf Grund der Cautio Radziwiliana unter- 
werfen, wenn Ddiefe noch garnicht verwirklicht worden war? Soviel 
Bunfte, joviel Widerfprüche und Übervorteilungen der Livländer! Kein 
Wunder, daß diefes Projekt einmiütige Ablehnung fand. Leider waren 
die Stände iiber das Mab des Widerftandes vecht verjchtedener Meei- 
nung, wie 3. B. Erzbiichof Wilhelm, dejfen Haltung jonjt entichieden 
vorteilhaft von der Stettlers abiticht, die Beanftandung der beleidigen 
den Einleitung fir eine Pedanterie der Städter erklärte. Noch heftiger 
ftieß er mit den Nigiichen zufammen, als er ihnen vorjchlug, die Unter 
werfung des Landes nur als eine VBerpfändung gelten zu lafjen, bis 
das Neich formell eingewilligt. Als die Städtischen mit deutichem Stolz 
antivorteten, darin fünnten fie nicht willigen, denn es eviwede den Emdrud, 


re 


als ob fie vom Neiche gern losfommen wollten, „das aber wäre Ihnen 
nicht glimpflich noch evjprießlich, fondern ganz verächtlich”, fuhr der 
Erzbiichof auf, e3 jet feine Zeit mehr, über diefe Sache weitläufig zu 
disputieren, da die Not dränge. „Ihr Rigischen jeht allezeit auf das 
Cure, dal; mur der Kaufmann feinen Mangel leide. Wie e8 aber mit 
denen zu Yande ftehet, in welcher Gefahr fie gefteckt und noch jchweben, 
was jie ansgejtanden md noch gewärtigen miüffen, lat ihr Euch nicht 
bejonders angelegen fein. Seht aber zu, daß Ihr mit Eurem Dispu- 
tieren und Verweilen nicht wieder ein Blutbad anrichtet: denn ihr jelbit 
müßt mit durchwaten. Bedenft Euch wohl und fpannt die Pferde 
nicht hinter den Wagen. Denn Eile ift von Nöten, der Feind vor- 
handen umd feine Exvettung mehr, als nur noch bei der fünigl. Ma- 
jeftät zu hoffen.“ 

So umgerecht und egoiftifch dachte der Erzbifchof — ihm, der des 
hl. Römifchen Reiches Fürft war, lag weit weniger an der Zugehörig- 
feit zu demfelben, als dem Nat und den Gilden von Niga. Hatte 
jeine fühle und ängjtliche Seele ihr Lebtag doch von feinem höhern 
Gefühl etwas geahnt! Doch, troß der fcheltenden Worte blieben die 
Rigenjer jet und — der Erzbifchof gab nad). 

Während die Verhandlungen zwifchen den Ständen ihren Gang 
nahmen, bejtätigte am 28. Dftober der König förmlich die Radziwill- 
jen Zuficderungen und erklärte fie als Grundlage der Unterwerfungs- 
paften (pacta Subjeetionis) des Drdensmeifters, der Kırland und 
Semgallen als Herzogtum zu Lehen empfangen und zum föniglichen 
Adminiftrator von Livland md Statthalter des rigiichen Schlofies 
ernannt werden jollte. 

Ungelöft blieben noch immer die Fragen der Einleitung und der 
Stellung zum deutjchen Neid. Am 5. November lief eine Fönigliche 
Entichließung ein, die offen eingeftand, der Monarch wiffe 3. 3. fein 
Mittel die Entlaffung zu bewirken, hoffe aber, daß fich eines finden 
werde. Wegen der Subjeftion unter Polen wolle er einen polnischen 
Reichstag berufen, inzwijchen möchten die Livländer fich Littauen in- 
forporieren, was fie nur ftärfen fünne Sp war man wieder auf dem 
alten Fled. Entjchlofjen erklärte aber Niga, auf diefen Grundlagen 
würde e3 fich nie und nimmer ergeben: da der König, fagten die 
jtädtischen Abgefandten im Ausjchuß, erklärt, daß die Subjektion unter 
Bolen, welche er doch gefordert, jeßt nicht möglich fei, möge man 


diejelbe bis auf bejagten polnifchen Reichstag ausjegen, it welcher 
Frift die Sache mit dem Katjer ins Neine gebracht werden fünne und 
müffe. Bon einer Inforporation in Littauen dürfe für fie feine Nede 
jein, zum Schuß jeien die Littauer aber ohnehin verpflichtet. Damit 
indeß die Lande feinen Schaden litten, fünnten die Fürften jich mit 
dem Könige über feinen Beistand vergleichen und ihm dagegen ver 
fihern, daß fie an feinen andern Heren fich ergeben wirden. 

Die fühnen, bejonnenen Worte fanden lebhaften Beifall, ein- 
Itimmig, ja von dem Bijchof zu Krakau unterjtüßt, beihlog man nad) 
ihnen zu handeln. Ein Schriftjtii wurde durch den Bijchof aus- 
gearbeitet uud Nadziwill überfandt. Doch Erfolg hatte man troßden 
nicht, denn als das Dofument aus jeinen Händen zum Ausihuß zurid- 
fehrte, war wieder die Formulierung der alten Littauischen Winjche 
daraus geworden. Die Livländer verjuchten num einen andern Weg: 
fie liegen durch den preußiichen Nat Dr. Jonas einen Entwurf aus- 
arbeiten und, nachdem er alljeitig gebilligt, durch Padıriewsft den 
Könige vorlegen. Bald Fam die Nachricht, derjelbe jet mt dem Ent- 
wourf jehr zufrieden, jchon gab man fich optimiftiichen Hoffnungen Hin 
— bis die fünigliche Antwort wiederum alle Erwartungen itber den 
Haufen warf: indem jte fich jcheinbar die Form des Livländiichen Ent- 
wurss aneignete, wußte jte Durch gejchickt eingefügte Säbe die Littautjchen 
Wiünfche auch hier wieder zu prägifteren, offen ven Belis von Niga 
zu verlangen. 

Koch jtanden die Livländer Ddiefem wenig füniglichen Manöver 
unentjchloffen gegenüber, al® Fürjt Nadziwill die Masfe äußerer 
Nücficht fallen ließ. Nachdem die von ihm gewonnenen Delegierten 
der MNitterjchaft, die Herren von Sturland und die Stadt Wenden 
Stettler mit Auffagung des Gehorjams gedroht, wenn ev oc) länger 
mit dem Abjchluß der Unterwerfung zügere, eröffnete Nadzmwill am 
Morgen des 27. November den Unschlüffigen, daß der König am 
29. November Wilna verlaffen werde und daher morgen eine Ent 
ichetdung fordere. Set das Wort „Einverleibung“ den Livländern jo 
verdrießlich, jo Fünne es ja fortbleiben, alle jollten des Königs Perjon 
als dem Herrn aller feiner Lande jchwören. König Sigismund eile 
zu den polnischen Ständen nad) Yomjcha und hoffe zuverfichtlich, Dieje 
wirrden die Subjektion acceptieren. Sollte dies wider Erwarten nicht 
eintreten, jo gelte die Unterwerfung mur fir Littauen.  Gtlend ver 


223 We ge 


sammelten fich am jelben Tage die Ständevertreter, um den Borjchlag 
zu beraten. Der Erzbischof jträubte fich energiich ihn anzunehmen, 
harte Worte fieß er gegen stettler fallen; Ddiefer war Ddeprimiert und 
fleinmütig, den einzigen Ausweg, der ihm, da feine Mannen ihn ver 
(afien, blieb, fich auf Niga zu ftügen, dünfte ihm allzu waghaljig — 
io erklärten feine Näte, ihr Herr werde dem König zu Willen fein. 
Schon wollte man auseinander gehen, als die Deputierten von Riga 
das Wort nahmen und feierlich dagegen proteftierten, daß der „Meijter 
als ein belehnter Fürft des Römischen Neichs ohne dejien Yuftimmung 
und ohne ihre eigene Bewilligung die, die Unterthanen des Neiches 
jeien, anderer Herrichaft abgeben wolle.“ Bei diejer feiten Haltung 
blieben die waren Männer, troßdem am Nachmittag auc der Erz 
bifchof nach einer langen Unterredung mit dem stönige fich demjelben 
füigte. Auch er veriprach für eine Perjon dem Könige fich zu unter- 
werfen, umd die nachträgliche Zultimmung und Huldigung der erz- 
jtiftiichen Stände zu erwirfen. WBadel, Xohman umd die übrigen Ab- 
gefandten der Stadt waren ich des Ernftes der Lage wohl bewußt, 
aber obgleich jie „vorlatten van Yderman“ waren, tröftete fie das 
Gefühl, Für Ehre und Necht gefämpft zu haben: „allen Gat jtont 
noch by ums.“ 

Um 1 Uhr mittag des 28. Novembers verjammelten jich die 
Füriten, die Abgefandten der Nitterjchaften, Bajallen und Städten in 
der Hönigsburg. Nach langwierigen Reden, heftigem Streit zwiichen 
den KLittauern md PBadniersfi jchritt man endlich zur Huldigung. 
Sobannes Domaniewsfi, Bischof von Samaiten, trat in vollem Drnat 
vor Wilhelm und las ihm den Eid vor — er leiftete ihn: ihm Folgte 
der Meifter, die Komthure und all die andern. Dann jchwur auch der 
König, die Nechte und Freiheiten halten zu wollen. Nur die Nigtichen 
jtanden abjeits. Da trat Nadziwill zu ihnen und meinte, ob nicht 
auch fie den Eid leisten winden, da man doch einmal dabei wäre; 
als die Deputierten das ungebührliche Anerbieten von der Hand wiejen, 
gab er fich jceheinbar schnell zufrieden, meinte aber, die Hand könnten 
fie doch wenigjtens zum Abjchted dem Könige geben. 

Sener 28. November 1561 bleibt fir immerdar ein ewig dent- 
wirdiger Tag unferer Gejchichte, er machte der Selbjtändigfeit unjerer 
Heimat faktifch ein Ende. Das Privilegium Sigismundi Augusti, jo 
nennen vir die Königliche Beftätigungsurfunde für den Kioländischen 


— 45 — 


Adel, ift die erjte Zujammenfafjung dejjen, was bei uns damals zu 
echt bejtand, eine Zujammenfafjung, die in den drei unvergänglichen 
Säben gipfelt: Gewifjensfreiheit, deutjche Verwaltung und Obrigteit, 
deutjches Necht. Sn 27 Punkten waren dann „für alle Zukunft und 
zur ewigen Feitigfert in all ihren Stlaufeln, Punkten und Bedingungen“ 
die Privilegien des Adels, d. h. der damaligen Landesrepräjentation 
firiert. 

Stettlers neue VBerhältniife wurden in der jogenannten Provisio 
ducalis feitgelegt. Er wurde Herzog von Kurland und Semgallen, 
ohne das Stift Kurland (Bilten), jollte zu Lebzeiten Diinaminde be- 
figen und Königlicher Adminijtrator von Yivland jein. Er erhielt 
ferner die Anwartjchaft auf das Stift PBilten und eimen Teil von Eit 
land — aljo auf Gebiet, das in fremden Händen war. In Kurland 
und Semgallen, wo ihm das Necht Münze zu schlagen zugejtanden 
wurde, jollte ev auch das oberjte Gericht hegen und den Landtag zu 
janmenberufen, den es jedoch in bejonderen Fällen gejtattet jein jollte, 
an den gemeinen liwländischen Landtag zu appellieren. 

Gegen Niga Ihlug Nadziwill, nun da er der andern ficher war, 
eine drohende Sprache an, noch in Wilma ließ er Gewaltmaßregeln 
als wahrjcheinlich ducchjchimmern; doch die Stadt blieb unbeugjam. 

Die Ereigniffe nähern Sich vasch ihren Ende: Sm Februar 1562 
trat Erzbischof Wilhelm den Subjektionspaften bei, am 17 März folgte 
Niga, nachdem am 3. März der Ordensmeiiter die Stadt vom ide 
(vsgejprochen und Radziwill durch die Cautio Radziwiliana secunda 
noch einmal jeine frühern Berficherungen wiederholt hatte, mit einem 
Eventualeide, der freilich mur von jehr kurzer Dauer war. Dem als 
die von Nadziwill verheigene Vereinigung mit Bolen nicht erfolgte, 
erklärte ih Niga für nicht mehr gebunden und den Tveneid für nichtig. 
Koch zwanzig Dahre hat die alte Hanjejtadt die Selbitändigfeit zu be 
haupten gewußt, der legte Belig des hl. Nöm. Neichs in Yivland. 

Schon am 5. März war in Riga das Ende des Ordensitaates in 
aller Form proflamiert worden. Im alten Ordensichloß ipielte Fich 
die lebte Szene des Dramas ab. „Allda,* berichtet ein Zeitgenofie"), 
„beklagte jich der Herrmeister vor der ganzen Berfammlung: nachdem 
der Feind Ddiefe Lande mit Naub, Mord md Brand überzogen und 


') Hitiert nah) TH. Schiemann. Gejch. Livlands IT. 307 ff. 


— 416 — 


verwiiftet, alfo daß ihm unmöglich, demjelben Widerjtand zu thun, und 
ob er wohl mit großem 7zleige bei dem Römischen Neiche, dem Deut- 
ihen Meifter und fonjt, wo er Troß vermutete, um Hilfe und Ent- 
jeßung gebeten und angehalten, jo hätte er doch bis auf den gegen- 
wärtigen Tag von niemanden einigen Troft gefunden. — — — Aus 
uniberwindlicher Not müfje er den Sachen aljo helfen, damit dDieje Yande 
bei Königl. Maj. zu Bolen bleiben möchten, der fie als ein chriftlicher 
Totentat ohne Zweifel bejcehirmen und bejchügen werde. Darnach ent- 
(afje er die Oxrdensheren ihrer Pflicht und Gehorjams mit Ablegung 
des Kreuzes und den Adel ihres Eides. Darnac) jchworen jie dem 
Könige von Polen wiederum.“ — 

Das war das Nejultat blutiger Kämpfe und endlojer VBerhand- 
(ungen: „longum consilium, intestinum odium, privatum commo- 
dum desolarunt imperium!* Alfo FElagt Stettlers Geheimjchreiber 
Salomon Henning — war er fich bewußt, wie jchwere Schuld jein 
Herr am Berderben trug? 

Eine allgemeine Gejchichte Livlands hört von mun an auf, im 
Bett der Provinzialgeichichte bewegt fi) in den fommenden „Jahr- 
hunderten das Leben des zerfallenen Landes. 


Sıubalt 


Erites Buch. 
Gründung md Wandlunnen. 


Erjtes Stapitel: Der Drang nad Often 
Die Aufjegelung Livlands feine ul, jondern ein Glied 
in der deutjchen Stolonilation des Dftens von Europa. Heinric) 
der Löwe, Albrecht der Bär und Friedrich Barbarojja die großen 
Germanijatoren. Jhr Werk getragen durch eingreifende agrarijche 
Neumandlungen: Alte Flurverfaffung — Fadendörfer — Landitedel- 
leide — Ktönigshufe. Der durch die wirtichaftliche Reform hervor- 
gerufene Uberichug an Arbeitsfraft wendet fich nach Dften: ALL 
mähliche Kolonifation des heutigen Königreichs Sachien, der Eib- 
länder, Brandenburgs, Thüringens, Mecklenburgs, PRonmerns und 
Preußens. Ihätigfeit der Kirche. Brämonftratenfer- und Eijter- 
cienjermiljton. Zur jelben Zeit deutjche Einwanderung nach Ungarn, 
Siebenbürgen, Böhmen und Mähren, Schlefien und Polen. Die 
Eigenart der SKtolonijation Livlands: Fehlen des bäuerlichen 
deutjchen Elements. Nur Adel und Bürger ziehen übers Meer. 
— Die Bedeutung Cchleswigs und Lübeds im Dftjfeehandel. 
Emporfommen von Wisby, das das Handelsmonopol für den 
ojtwärts gehenden Handel an ich reißt. Die Emanzipation des 
Deutichen Kaufmanns au Wisby von Ddiefer Vorherrichaft Führt 
zur Aufiegelung der Dina, ein Ereignis, das durch die Eifer- 
jucht der Nowgoroder gegen den fremden Kaufmann wohl mit 
hervorgerufen worden ift. Zeitpunkt der Aufjegelung unsicher. 


weites Stapitel: Aus grauer Vorzeit 
Altejte Nachrichten über die Urbevölferung unjerer Heimat. Goten 
herrjchaft. VBöllige Ungewißheit, nur durch die merfantile Lage 
der Lande hier und da erhellt. Ziel der Wilingerfahrten. Ber 
geltungszüge der Nuren und Gjten. Erjte Ehriftianifierungs 
verjuche: Sfandinavier, Nufjen. Ethnographiiche Skizze: Ejten 


- Liven — Huren — Lettgallen — Semgallen — Selen 
Kittauer. — 
Drittes Kapitel: Die Anfänge ee Lebens in 
Livland 


Der Ehronijt Heinrich Se Bettenpriefter. Meinhard von Sege 
berg. Grimdung der Kliecehe und der Bırrq zu Uerfiill md zu 


Seraphim, Sejdichte I. 


Seite 
3—12 
13—19 
20—29 


.7 
| 


— AB 


Geite 
Holm. Erjten Miffionserfolge und erjten Müßerfolge. An Bre- 
men bejchließt Erzbifchof Hartiwich IL. in Erneuerung der Pläne 
Adalberts die Liviiche Kirche Bremen zu unterjtellen. Er mweiht 
Meinhard zum Bilchof. Schlinme Lage Meinhards in Livland, 
Schicjale Theoderichs von Treiden. Hilfgefuche an den Bapit, 
defien Streuzzugsbulle jedoch ohne praktische Folgen. Der Tod 
Meinhards. Seine Beurteilung. Sein Nachfolger Berthold, Abt 
von Loeeum.  Erjter erfolglojer Zug. Zweiter Jug und Mär- 
tyrertod des Bilchofs. Auseinanderfall der jungen Pflanzung. 


Biertes Kapitel: Das Fundament des Yanes. . . 30-45 
hr Negenerator Bilchof Albert. Seine Name, Geichlecht und 
Charakter. Seine Neifen zu Kanud VI. von Dänemark, Wol- 
demar von Schleswig, Erzbischof Abjalon von Lund. Ungünjtige 
Einwirfung des Bürgerfrieges in Deutjchland. Wlbert am Hof- 
lager Philipps von Schwaben in Magdeburg. Aufbruch der Flotte 
von Liibee aus und exjte Waffenerfolge im Livenland. Geißeln 
nach Deutjchland. Ulberts Ktreuzzugsfahrten in Deutjchland und 
deren Wirkungen. — Die erjten Lehnsleute in Livland. Grün- 
dung von Niga. Seine eriten Bürger und Alberts Maßnahmen 
zur Stonzentration des Handels. Die Grundzüge der eriten Ber- 
fafjung. Entjtehung des Schwertbruderordens nach dem Meufter 
der Templer. steime der Stonflifte zwischen Bilchof und Orden 
bereits von Beginn an vorhanden. Grimdung des Lijtercienjer- 
flojters zu Diinamünde und Umwandlung des aus Uerfüll nad) 
Niga verlegten Domfapitels in einen Yrämonjtratenjerfonvent. 
Sriünde hierfür. 

Sünftes Kapitel: Bifhof Albert im Kampfe mit den 
Eingeborenen und den innern Widerfadern . . 46—78 
Unterwerfung und Chriftianijierung der Liven. Saupo von Ktu- 
bejele und Ddejjen Neile nach Nom. Meifton unter den Xetten. 
HZurücddrängung der Beitrebungen von Bolozf im Dimnathal. Be- 
ginn der Wiffion in Semgallen. — Territoriale Auseinander- 
jebung zwijchen Albert und dem Orden. Albert wird deutjcher 
Neichsfürit. Einen jähen Bruch mit der Vergangenheit führt die 
Ermordung des Meifters Wenno herbei. Bolquin wendet ich 
nac) Nom an Snnocenz IM. Die weltgejchichtliche Bedeutung 
der Bulle vom 20. Oftober 1210. Shre Beurteilung für Liv- 
land. — Beginn der Striegsfahrten gegen die Ejten. Glänzender 
Charakter jener Zeit, Graufamkeit der Jndigenen gegen einander. 
Der Eroberung des Ejtenlandes treten hemmend die Norwgoroder 
und Plesfauer in den Weg. Das Jahr 1207. Dänijche Groß- 
machtspläne Waldemars Il. auf Livland. Mlbert 1218 am dä- 
nijchen Hoflager zu Schleswig. Unterdejjen Zurüchveiiung der 
eingefallenen Nufjen in der Heimat. Die Bedingungen, die Al- 
bert eingegangen war, unnötig! ITrobdenm Waldemars Landung 
in der Bucht von Neval. Danebrog. Wirfjamfeit des Kanzlers 
Andreas von Yund. Erneute dänische Anforderungen, däntjch- 
deutjche Wiijton in Ejtland. Verrat des Ordens und Alberts 
Unterwerfung. Nationale DOppojition in Niga. Andreas von 
Lund giebt nach und begnügt jih mitt dem eigentlichen Eitland. 
Der Ritter Gotjchalf in Niga. Eidgenofjenjichaft zu Treiven. Ju 
der Dppofition gegen die däntichen Ubergriffe entiteht die erite 
Berfajjung Nigas 1221. Waldemar landet auf Dejel.  Fried- 


ie 


b seite 
liche Auseinanderjegung mit Albert. Ejtland Dänisch. Furcht 
barer Ejtenaufjtand auf Dejel und dem ejtland. Croberung 
Fellins und Dorpats durch die Deutichen. Nache an den Rufjen. 
Stataftrophe König Waldemars und der Sturz der dänischen Grof- 
machtjtelung. Defien Nücdwirfung auf Livland. Die Million 
Wilhelms von Modena. Unterwerfung Dejels. Alberts Ausgang. 
Sehites Kapitel: Der Antergang der Schwertbrüder . 79-95 
Streitige Biichofswahl. Intervention des Bapjtes. Million des 
Stardinals Dtto und Balduin von Alnas Schiedsipruch. Aurfleben 
der päpftlichen Speen Srunocenz III. Empörung des Ordens 
gegen Bolquin und Balduin. Allgemeine Zerrüttung, der eine 
abermalige Milfion Wilhelms von Modena jteuern joll. Gegen 
die fortgejegten Wühlereien Balduins und gegen die dänischen 
Ansprüche jucht der Schwertritterorden Aufnahme in den Deut- 
chen Orden. Erjt die Schlacht an der Saule bringt die Ver- 
einigung zu Stande. Bulle von Viterbo und Bertrag zu Stenby: 
Ejtland bleibt dänisch, der Deutjchorden tritt dem Bilchof von 
Niga gegenüber in die Stelle der Schwertritter. — Territoriales 
Bild Liolands. Drganijation des Deutjchen Ordens in Livland. 


Siebentes Kapitel: Die Heroenzeit des Deutfden 
Ordens in Livlad . . . . . 96-109 


Großartige Pläne zur Eroberung und Romanifterung, Nordiveft- 
rußlands durch die Schlacht auf dem Eife 1242 fiir immer ver- 
nichtet. Seit dem ewige Grenzfehden im Dften, aber ohne größere 
Bedeutung. — Abermaliges Auftauchen der päpitlichen Speen, 
deren Träger diesmal Albert Suerbeer, der Primas von Jrland, 
jein jollte. Sein Charafter und jeine Erhebung zum Erzbiichof 
von Niga. Erfolglofe Propaganda der Katholischen Kirche in 
Littauen, Galizien. Meindaugas und die Erhebung der Scha- 
maiten. Sriegsreifen des Drdens ins Littauerland. Entjegliche 
Niederlage bei Durben, 13. Juli 1260. Furchtbarer Aufitand in 
Preußen, Kurland und Abfall von Mindaugas.  Erbittertes 
Ningen der Nitter. Cwiger Friede Otto von Yutterberges mit 
den Kuren. Bernichtung der Semgaller. Die Bazififation Der 
Lande das alleinige VBerdient des Ordens. 


Achtes Kapitel: Der Gegenfaß zwifden Erzbifdof und 
Orden. Der Orden bezwingt Riga . . . . . 110-124 


Das Mutterland und die Kolonie. Eiferfucht des Grabifchofg 
auf den Orden. Graf Gunzel von Schwerin und Albert Suer- 
beers Demütigung. Sein Tod. Nudolf von Habsburg bejtätigt 
des Drdens Oberhoheit über Niga, wodurch diejes in Oppojition 
getrieben, Anschluß beim Hanjabunde jucht. Ausbruch des Bürger 
frieges. Erjtiiemumg der SJürgensburg. Nigas Bindnis mit 
Littauen. Beginn der lioländiichen NKonföderation: Dorpater 
Bund von 1504. Der Orden fauft Dinamünde  GEritarhung 
des Deutjchen Ordens durch die UÜberjiedlung nach Wreugen und 
Erniedrigung des Papittums in Moignon. Nach wechjelvollen 
Striegszügen bezwingt Eberhard von Munbeim Niga und ge 
winnt die Hoheit iiber die Stadt. 
Neuntes Kapitel: Der Orden gewinnt Eflland.. . . 125-139 

Die Tage Burkhard von Dreyenlewen. Zurichweiiung dev Rufen 


or x 


—— aa) 


Seite 
einfälle. Der große Ejtenaufjtand von 1343. Cein Zujammen 
hang mit der demofratifchen Bewegung Europas. Niüdwirkung 
auf die dänische Herrichaft in Ejtland. Der Orden jchlägt den 
Aufftand nieder: Treubruch in der Laube zu. Weißenftein. 
Schlacht vor Neval. Abwendung der jchwedilchen Jnvalton und 
Unterwerfung der harrifch-wierischen Bajallen unter den Orden. 


Die Erhebung in Defjel bezwungen. Eritarfung Littauens 
unter Dlgerd umd Kejtuit. Weiherfolg einer großen Netfe von 
Preußen aus. Nitctritt des Hochmeifters Yudolf König — Hein 


rich Dufemer fein Nachfolger. Goswin von Herife Meijter in 
givfand. Unter diefen verzichtet König Waldemar auf Eijtkand 
zu Sunften des Hochmeifters, der es jeinerjeitS wieder dem Iiv- 
ländischen Meifter verpfändet. 


Zehntes Kapitel: Weiteres Auffteigen des Ordens . 140—148 
Siegreiche Kämpfe des Ordens in Preußen gegen Polen. Gol- 
dene Zeit Winrichs von Kiniprode. Veränderung der Reifen md 
Heerfahrten im Littauerland. Livland während dejjen durch die 
jteigende Gefahr vor Rußland umd die Differenzen im mern 
gelähmt, wo die geiftlichen Elemente dem Orden jeden Schritt 
jtreitig machen. Der Orden richtet fic) trogdem in Ejtland ein 
und bietet den Erzbijchöfen mit Erfolg die Spiße. Bertrag von 
Danzig. Habitjtreitigfeiten von den Erzbiichöfen meijt amı päpjt- 
fichen Hof in Avignon betrieben, doch auch hier jiegt der Orden. 
Bonifazius IX. Gönner des Ordens: feine Bullen von 1394 bis 
1397. Der Orden feßt in Dorpat und Dejel feine Kandidaten 
durch und jchlägt im Dorpater Strieg Damerow und Genofjen 
nieder. 


Elftes Kapitel: Innere faatlide und foziale Ans- 
geftaltung . BR er Te ar ERS WARE 
DOrganijation des Ordens in Livland. deal und Wirklichkeit. 
Handel. Fehme. — Erzbiichof, Biichöfe und DVajallen, unter 
(egtern die harrisch-twierischen Nitter. Storporative Ausgeftaltung 
derselben vorbildlich. Necht der jamenden Hand. Die Jum- 
gingensche Gnade und Silveiters Gnade. Ständiiche Ausgejtal- 
tung: Meanntage. Stiftsräte. Landtage. — Blick auf den Nieder- 
gang der bäuerlichen Bevölferung. Gruppe der indigenen Freien. 
— Die Städte. Handel und Schiffahrt. Handel nach Not- 
gorod und PVolozf. Anjchluß und Stellung zum Hanjabunde, im 
Gefolge Kivländijche Städtetage. Teilnahme an den Kämpfen der 
Hanje gegen Waldemar IV. Die fleinen Iivländijchen Städte. 
Ein Bild Rigas vom 14. zum 15. Jahrhundert. 


Zwölftes Kapitel: Allmählider Niedergang. . . . 155215 
Niedergang des Orden infolge der „Hochzeit von Ktrafau*. a- 
giello und jein Werk: die Chriftianifierung Littauens und die 
Union mit Volen unterbinden die Erijtenz des Ordens. Schlacht 
bei Tannenberg. Heinrich von Plauen und Küchmeifter. Anteil 
der Livländer an der Nettung Preußens. I. Ihorner Friede. 
Konrad von VBietinghoff Livländischen Meifter. — Allgemeine Hoff- 
nung auf das Konzil zu Konftanz. Sohann Wallenrodes heim- 
tücfische Politif und Martin’s V. ordensfeindliche Stellung, die 
den Kidländischen Bijchöfen die Teilnahme am neuausgebrochenen 
Kriege gegen Polen-Littauen unterjagt. Schimpflicher Friede am 


149—187 


a 


seite 
Melhto-See, durch den Schamaiten verloren geht. QIroß der 
tapferen Haltung Meijter Sigfrid Lander von Spanheims Definitiv- 
friede von Wjelun. — Innerer Zwijt im livländiichen Orden: 
Nheinländer und Wejtfälinger und die Nücwirfung auf den Hoch- 
meilter Paul von Nußdorf. Differenz zwischen Preußen und Liv- 
fand in der littauifchen Bolitif: Schlacht an der Swienta. Zu- 
dem erneute Zwiftigfeiten zwijchen Orden und Erzbiichof Henning 
Scharfenberg. Blutthat Goswin von Aichebergs. Endloje Klagen 
am päpftlichen Hof. Stonzil zu Bafel: der Bolenfönig Proteftor 
des Erzbischofs. Schließlich Landeseinigung von Walf, 4. Dezember 
1435. Der Hochmeifter Konrad von Erlichhauien regelt das Ver- 
hältnis zwijchen Hochmeister und Meifter. Bilitationsreiien. — 
Zu gleicher Zeit Niedergang der Hanja: der Kalmariiche Bund 
und das Emporfommen Burgunds jowie die veränderten Härings- 
züge die fich von Schonen nach Holland wenden, untergraben den 
Städtebund. Emanzipation von der hanfischen Monopolherrichaft. 


Dreizehntes Kapitel: Die Lage Hilvefter HStodemweldiers 
und des ernenten Kampfes um Wiga. . . . . 214—231 


Der Orden jeßt die Wahl Silvejter Stodeweichers durch. Defien 
Charakter und Schaufelpofitif. Sein Gegenjag zu Meifter Yo- 
hann von Mengede gen. Dfthof. Niga, durch den preußifchen 
Städtebund verlodt, jchließt fich dem Erzbiichof. Der Bertrag 
zu Sirchholm bald gebrochen. Aufitand der Stadt von Mtengede 
niedergeworfen, Wolmarer Erneuerung. Fünfzehnjähriger innerer 
Friede. Meengede’s Beihilfe für den Hochmeijter mit „Geld, 
Mannjchaft, Allianzen” gegen die aufrührerischen preußiichen 
Städte und Kafimir von Polen. II. Ihorner Friede. Zum Dank 
für die Hilfe Mengedes Abtretung Ejtlands an den livländischen 
Orden. Mengedes Tod 1469. Neue Wirrniffe im Orden benußt 
Stodemweicher zu neuer Fehde. Meeifter Berend von der Bord) 
nimmt den Erzbifchof gefangen. Stodewejcher jtirbt in der Ge- 
fangenschaft. Gegen die drohende Alleinherrichaft des Ordens — 
Simon don der Borch Erzbischof! — Oppofition des PBapjttums, 
dejien Kandidat Stefan Grube objiegt. Sixtus IV. jchleudert 
den Bann gegen den Orden, diejfer findet Hilfe bei Kaifer Frie- 
drich III. Der erbitterte Bürgerkrieg um Niga lähmt Borchs 
TIhätigfeit an der Oftgrenze: die unglüclichen Rufjfenfümpfe führen 
jeinen Nücktritt herbei. Freitag don Lorinfhoven Meifter, er 
vermag die Ordensburg von Niga nicht zu entjeßen, fie fapituliert. 
Neuer Umfchwung der päpftlichen Bolitif. Meichael Hildebrand, 
Erzbifchof, dem Niga den Einzug wehrt, verbündet fich mit dem 
Meifter. Schlacht bei Nenermühlen und Ergebung der Stadt: 
Wolmarer „Afspröfe”. 


Vierzehntes Kapitel: Das Emporkommen Moskaus 
und die Wiuffenkänpfe Vlettenbergs 


Bit auf das Emporfommen Meosfaus und deilen imerrusstiche 
Politik. Abjchüttelung des Mongolenjochs. Bernichtung der Teil 
fürjtentiimer.  Gejchie Groß >» Nomwgorods und Schliefung des 
Ktontors zu St. Peter. Grfolgloje Gejandtichaft von 1494. 

Wolter von Plettenberg, lwländischer Meifter. Sein Charakfterbild 
als Kriegsheld und AFriedensfürit. Livland im Kampf gegen 
Swan III. ohne Mlliirte. Treulofe Bolitit Mlerander’s von 


18) 
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[37 
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Yittauen- Polens. Zerfahrenheit in Livland jelbft. Engherzigfeit 
der Städte. Feldzüge von 1501 und 1502 in Wahrheit und 
Dichtung.  Friedensverhandlungen und Demiütigungen. Die 
‚solgen der Kuffenfämpfe werden von den Städten fchnelf itber- 
mwiunden, die Zentren des rufliichen Handels werden — Segenjab 
zu Xübed. Differenzen zwijchen Städten und Adel wegen der 
Banerfrage. Schwierige Lage des Meifters, der zudem durch des 
Hochmeifters Albrecht von Brandenburg großpreußiiche Pläne ab- 
gezogen wind. Endgiltige Abtretung Ejtlands. Säfulariiation 
des Ordens in Preußen. Das leßte Band mit Livfand gelöft, 
diejes jtand allein auf der Wacht nach Dften. 


Hweites Buch. 


Serferung und Internann. 


zünfzehntes Kapitel: Die Veformation und die Zeit 


or Bolmarereintgung 2 
Aufnahmefähigfeit des Landes für Humanismus und Reformation, 
Die Schule in Treptow. Andreas Kinopfens VBorleben und feine 
Auftreten in Riga.  Lioländiiches Ablafwejen und fatholifche 
Praftifen. Splveiter Tegetmeyer zu St. Jakob. Verbindung 
Nigas mit Luther. Stellungnahme der Stände zur neuen Lehre: 
Johann Ktewel von Dejel und Kohann Blanfenfeld von Dorpat 
und Neval im Streit mit ihren Vafallen, daher Dorpater Bımd 
und Wolmarer Einigung. Maßvolle Haltung der Stände im 
Betreff der Schriften Luthers. Doch die Ereigniffe drängen vor- 
twärts: Auszug der Mönche aus Kiga, Luthers Schreiben an den 
Nat. Milton Waldis’ und Bombomwers an den Bapft und Staifer, 
fällt bei der Nückfehr in die Hände des Nats. Waldis’ Übertritt. 
Blanfenfeld wird Erzbiichof, leitet feine Ihätigfeit mit Verfolg- 
ungen in Stofenhufen und Lemfal ein. — Reformation in Neval: 
Yange, Halje und Marjotw. Tag zu Neval befiegeft die Wolmarer 
Einigung. Die Frage der Klöfter, namentlich des Jungfrauen- 
flofters führt zum Bruch zwifchen der harriich-twierifchen Nitter- 
ihaft und der Stadt Neval. Plettenberg ftellt fich auf Seite des 
Adels. Dies Führt unter Leitung der Prediger zur Feitjtellung 
einer Gemeinde- und Klirchenorganifation, der freilich ein arger 
Bilderfturm vorangeht. Stellungnahme des Nats. Ausweihung 
der Dominikaner. — Ausgleich zwifchen Biichof und Adel in Oefel. 
— Unerguidliche Erxjcheinungen in Dorpat. Marjows Auswei- 
jung. Melchior Hoffmann veranlagt Bilderftiirmerei. Teget- 
meyers Wirkfamfeit. Hoffmann nach Wittenberg. Sein zweiter 
AufentHalt in Dorpat. Nener Bilderfturm. Hoffmanns Aus- 
gang. Die Ausjchreitungen in den Städten führen zum Bruch 
der Wolmarer Einigung: Wlettenberg bewegt die Nitterichaften 
zum Anschluß an die Prälaten. 


Ceite 


— 4253 — 
. Seite 
Scehzehntes Kapitel: WVlettenberse im WBiderftreit 
Deren ee. vr, 7290-807 


Landtag zu Wolmar 1525. Veränderung der Lage! Tegetmeyers 
Predigten und deren Folgen. Verjchärfung der Gegenjäße: Pletten- 
berg weilt daS Anerbieten der Städte ihm allein zu huldigen ab 
und jchließt mit Prälaten und Adel einen jechsjährigen Bund. 
Vergeblicher Protejt der Städte gegen Ddiejen Gegenbund. Erjt 
die Verhandlungen Niga’s mit Albrecht, Herzog von Preußen, 
zwingen ‘Plettenberg zum Einlenfen: am 21. September 1525 
nimmt er die Stadt zur alleinigen Herrichaft an und veripricht 
Schuß der neuen Lehre. Blanfenfeld jucht gegen den Meijter 
Hilfe außer Landes, tritt in Beziehungen zu den NRufjen: Er- 
hebung des ganzen Landes gegen ihn, jeine Gefangennahme. 
Landtag zu Nujen und Wolmar. Löjung Blanfenfelds gegen das 
Beriprechen in Wolmar zu erjcheinen. Stellung der Stände auf 
dem Märzlandtage zu Wolmar. Plettenberg weijt die Herrichaft, 
die ihm die Städte bieten, abermals zurück. Beurteilung von 
Plettenbergg Thun. SJunilandtag zu Wolmar und jcheinbare 
Ausjöhnung zwilchen Meijter, Ständen und Erzbijchof. Alle exr- 
fennen Wlettenberg als Oberherrn an, eine Säfularijation des 
Drdens tft für immer verjpielt. — Blanfenfeld entweicht ins Aus- 
land. Sein Tod. Wernauer Städtetag. 
Zune Stapitel: Vfettenbergs Ausgang und 
Markgraf Wilhelms Eulen: Der Serge der 
Heformation. 403 2. 2,808—82: 
Ihomas Schöning, Grzbifchof, Verhandlungen mit Bilhehm 
Markgraf von Brandenburg. Defien Jugend und Charafter. 
Zweideutige Bolitif Lohmüllers. Blettenbergs Berjuche der Stoad- 
jutorjchaft Wilhelms entgegenzuwirfen, umjonft, Landtag von 1530 
zerichneidet das Bündnis von 1526: die geteilte Herrichaft über 
Riga wieder aufgerichtet. Wilhelms Erjcheinen im Lande und 


die Dejeliche Bilchofsfehde. — ale Bild der legten zehn Jahre 
Pleitenbergichen Regiments. Peramelung der Reformation. — 


Das Luthertum in Kurland und Dejel. lettenbergs Tod. 
Achtzehntes Napitel: Die Vorboten der Kataltrophe 324-344 

Meijter Hermann von Bruggenoye verfolgt Wilhems Anhänger. 
Schidjale Burchard u Verhandlungen um Riga. nnere 
Berjeßung des Landes: Orden-Prälaten. Adel. Städte. Bauern. 
Die Uerfülls. — Bonnius und Barbara Tiejenhaufen. Yand 
tag zu Wolmar 1546 jpricht jich gegen jede Noadjutorichaft aus 
ländiicher Fürjten aus, trogdem verhandelt Wilhelm mit Chriitof 
von Mecklenburg. VBerräteriiche Umtriebe mit dem Landmarjchall 
Jaspar Münster. Der Anfchlag mißglücdt Heinrich von Galen, 
dejjen Koadjutor Wilhelm von Fürftenberg. Die „Noadjutorfehde”. 
Bolnische Einmifchung und Demütigung von Boswol. Der ver 
hängnisvolle Vertrag mit Polen gegen Moskau. — 


MNeunzehntes Kapitel: SulaeuQE und DWUnterhand- 


TUNGEN. ... oe 345—35: 
Trojtloje Herfahrenheit heR Beit. Sanptbifferengen mit Ruf land: 
Verweigerung des freien Handels und des freien Bailes. Se 


Jandfchaft von 1554: Aufiwerfung der Tributjvage. Abjchluß des 


— 424 


Seite 
Vertrages und Beküfjung zu Wolmar. Strumme Wege Dorpats. 
Georg Holzichuher und Bürgermeifter Johann Henft. Neue Ge 
andtichaft 1557 und ihr elendes Ende. — Hilfgejuche an das 
Hl. römische Neich und die Haltung des Mutterlandes. Cinbrucd) 
der Nuffen am 22. Januar 1558. 


Zwanzigites Kapitel: Das erfte Striegsjaßr. (1558.) . 354375 
Schilderung der ruffischen Kriegsführung und der fopflojen Angit 
in Livland. Frftenberg’s Energie und die Stände zu Wolmar. 
Zweiter Einfall am 1. April: die Kataftrophe von Narwa. Heim- 
fehr der Legation aus Moskau.  Fürjtenberg im Lager zu 
Küirrempäh. Feigheit und Engherzigfeit der GEjtländer und Der 
Stände zur Dorpat, wo bejchloffen wird den Schug Chrijtian III. 
von Dänemard anzurufen. Übergabe von Neuhaujen durch Ver- 
rat der Spldtruppen. Niücdzug Fürjtenbergs auf Walf. Stettlers 
Konipirationen gegen Fürftenberg, dem er als Kloadjutor auf- 
aufgedrängt wird. Werjon und Pläne Gotthard Stettlers. — 
Fall von Dorpat. Eilert Kruje und Bilchof Hermann. Ab- 
führung des leßtern nach Moskau und jein Gejchic. — Allgemeine 
Zerrüttung des Landes: Verrat und Feigheit jpielen den Rufen 
die Burgen in die Hand. Stettler erobert Burgen wieder, Sieg 
bei Terrafer — verräteriicher Marjch auf Neval, wo der Verrat 
des Komthurs, der die Burg an Dänemark übergeben, jene pol- 
nilchen Pläne zu durchfreuzen drohte. Neval wiedergewonnen — 
aber Dorpat bleibt verloren. 


Einundzwanzigftes Kapitel: Das zweite Striegsjahr. 
(199) ak ee ee = 


Neuer Einfall der Nuffen. Zug gegen Riga. Einfall nach Kur- 
(and. Neue Hilfgefuche des Ordens und Erzbiichofs nach Deutjch- 
land auf den Neichstag zu Augsburg. AUrwachjen der polntichen 
Bartei und Zurückdrängen Fürjtenbergs. Die Boyarelliiche Mij- 
jion. Der Zwifchenfall Nigas mit dem Dompropjt Ulrich Behr. 
Gerüchte über Kettlers polnische Pläne veranlajjen jtädtiiche Ge- 
landtichaften an Firrftenberg und Erzbijchof Wilhelm. Ständetag 
in Niga. Vertrag vom 31. August zu Wilna zwijchen Sigis- 
mmmd August und Kettler, vom 15. September zwijchen König 
und Erzbiichof. — Vertrag des Bischofs von Dejel mit Friedrich II. 
von Dänemarf. Kettlers Nückehr aus Polen und gänzliche Ver- 
drängung Fürjtenbergs. Elende Snterventionsverfuche Des 
Ktatfers und des Augsburger NeichstagS. 


9391 


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Zweiundzwanzigites Kapitel: Das Ende der SKon- 
föderation. (1560—1562.) . . . 2.2.2.2... 892 —416 


1560: Neue Einfälle, weitere Zerrüttung. Wallivität der Polen. 
Auftreten des Herzogs Magnus von Holjtein und jeine Nivalität 
mit Kettler. Zufammenfunft in Bernau durch die Nachricht von 
der Niederlage von Ermes auseinandergejprengt. Philipp Schall 
von Bellumd Firit Kurbsfy. Kettler und Herzog Magnus schließen 
BWaffenftillftand bis Pfingiten 1561, der aber von legterm übel 
gehalten wird. Nataftrophe von Fellin durch Ktettlers Verrat 
und Fortführung Fürftenbergs. Magnus flieht nach Dejel, fauft 
aber das Stift Kırrland. Nückfehr nach Dänemark und zweites 
Ericheinen in Livland. Dietrich Behr dänischer Statthalter in 


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Dejel. — Eindrud des Falls von Fellin in Kiga.  Städtiiche 
Gejandtichaft nach Dünamiünde zu Stettler. Heldenmütige Wer- 
teidigung Weißeniteins durch Oldenbodum. Stettlers Verrat. Ge- 
fecht vor Neval. Mijere auf dem Deputationstag zu Speier. 
Konflift zwiichen Lübek und Neval. Das Einjchreiten des Kai- 
jers gegen die Zufuhr von Kriegsmunition an die Aufjen jeitens 
der Hanjeaten, das einzige Verdienjt des Kaijers um Livland. 
Das vom Meutterlande verlafjene Livland zerfällt 1561. Schmwe- 
dische Konjpirationen in Eitland. Guftad Wala und Erich XIV. 
Elas Horn in Neval. Huldigung der Ritterichaften von Harrien, 
Wierland und Jerwen am 4. Juni, der Stadt Neval am 6. Juni 
1561, an Erich XIV., der am 2. August die Privilegien bejtätigt. 
Der erite Schritt Schwedens zum dominium maris baltiei! — 
Die Unterwerfung Ejtlands bewegt Polen zu einer Aktion: pol- 
nilche Truppen bejegen Tarwajt. Diplomatiiche Einwirkung auf 
auf die Livländer durch Nikolaus Radziwill, Wojewode von Wilna. 
24. August: Nadziwill übermittelt in Niga den Ständen die 
Wiünjche Sigismund Augufts, die freilich eine Täuichung des „Zu- 
treibers” Kettlers enthielten. Nadziwill bewegt Niga zum Wer- 
iprechen der Unterwerfung nach Zuficherung der Cautio Rad- 
ziwiliana prior, 8. September 1561. PVeriammlung in Wilna. 
Kettler, Erzbiichof Wilhelm, Gejandte des Rigiichen Rats (Jürgen 
Padel, Lohmann, Schmiedt). Langdauernde Verhandlungen, die 
am 23. November 1561 zur Huldigung der Stände und Herrn 
bi$ auf Niga führen. Privilegium Sigismundi Augusti und 
Provisio ducalis. — GSubjeftionspaften vom Februar 1562. 
Eventualeid NRigas am 17. März nach Zuficherung der Cautio 
Radziwilliana secunda. Niga bewahrt, da dieje nicht gehalten 
wird, jeine Selbjtändigfeit. 

Die Ktolonialgeichichte lenkt in das Bett der Provinzialgeichichte. 


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Sürjtlich priv. Hofbuchdruderei (F. Mitlaff), 


Rudolitadt. 


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