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GESCHICHTE ßUSSLANDS
UNTER KAISER NIKOLAUS I.
VON
THEODOR SCfflEMANN.
BAND II.
VOM TODE ALEXANDER I. BIS ZUR
JULI-REVOLUTION.
BERLIN
DRUCK UNI» VERLACi VON GEORG REIMKP
1 Hoa.
VOM TODE ALEXANDER I.
BIS ZUR JULI-REVOLÜTION
VON
THEODOR SCHIEMANN.
BERLIN.
DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER.
1908.
Inhalt.
Vorwort
Kapitel I. Das Interregnum 1 — 35
YerfuguDgen Alexanders vor seiner Reise nach Taganrog 1. Der Reichsrat
und die Mitglieder des Kaiserhauses 2. Miloradowitsch 4. Die Nachricht von
Erkrankung und Tod des Kaisers 7. Die erste Entscheidung über die Nachfolge
14. Verhalten des Reichsrats 15. des Großfürsten Nikolaus 18. Moskaus 20.
Großfürst Constantin 22. Der sogenannte Großmutsstreit 24. Die zweite Ent-
scheidung 30. Kaiser Nikolaus I. 34.
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung
der Revolution 35— 85
Verhalten der Verschworenen 36. Der Plan des Aufstandes 39. Rostow-
zew 41. Der Morgen des 14. Dezember 43. Miloradowitschs Ausgang 46.
Nikolai Tor dem Senatsplatz 48. Jacubowitsch und Bulatow 49. Kritische
Stunden 51. Beginn des Kampfes und Niederlage der Meuterer 54. Erste
Verhaftungen und die Verhöre 57. Die moskauer Verschworenen 60. Pestel
und der Südbund 62. Ssergej Murawjew 64. Die Verdächtigen 71* Verfahren
der Untersuchungskommission 72. Das Oberkriminalgericht 75. und das
Urteil 81. Geistesrichtunsr der Dekabristen 84.
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe . . . 85 — 109
Reformgedanken der Dekabristen 81. Borowkows Denkschrift 86. Uni-
formierung der Beamten und der Zuglinge in Schule und Universität 91.
Kontrolle nnd Einschränkung der ßildungsanstalten 92. Zensur 93. Benken-
dorfTs Polizeiprojekt 96. Die dritte Abteilung der höchsteigenen Kanzlei 97.
Die Kommission vom 6. Dezember 1826 100. Die vollständige Sammlung
russischer Gesetze 105. Neuuniformierung der Truppen 106.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. Die
orientalische Frage 109 — 154
Das Ausland und der Großmutsstreit 109. Graf ßombelles in War-
schau 112. Der Kaiser und die fremden Diplomaten 114. Graf La Ferron-
nays 115. Verstimmung der Petersburger Gesellschaft 120. Der Leichenzug
Alexanders I. 123. Tod der Kaiserin Elisabeth 125. Wellington in Petersburg
126. Das Protokoll vom 4. April 137. Die Verhandlungen von Akkerman 140*
181050
VI Inhalt.
Polnische Angelegenheiten 143. Menschikows Sendung nach Persien Hf).
Hinrichtung der Dekabristen und Reise des Kaisers nach Moskau 147. Die
Krönung 149.
Kapitel V. Der Perserkrieg 154 — 17s
Der Friede von Gulistan 154. General Jermolow 155. Scheitern der
MissioD Menscbikow, Beginn des Krieges 157. Paskiewitscb 158. Die Schlacht
bei Jelissawetpol 159. Paskiewitschs Abschiedsgesuch 160. Diebitsch in
Tiflis 163. Verabschiedung Jermolows 165. Der Feldzug Paskiewitschs 160.
Einnahme von Eriwan 172. Weite Pläne 174. Der Friede von Turkmau-
tschai 176.
Kapitel VI. Vorstadien des Turkenkrieges. Navarino . 178 — 20H
Tätigkeitsdrang des Kaisers 179. Neuorganisation des Marineministeriums
\/ 183. Die neue Flotte 186. Die Tripelalli&ns vom 6. Juli 1827 187. Capo
d'Istria in Petersburg 192. Tod Cannings 195. Auslaufen des russischen Ge-
schwaders 196. Godrington und Ibrahim 198. Vereinigung der russischen
Flotte mit der englischen 200. Navarino 202.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbrach des Krieges 206 — 240
Cannings Politik 207. Der Kaiser 209. Beziehungen zu Österreich 211.
zum Großfürsten Constantin 212. In Erwartung des Krieges 213. Sultan
Mahmud und die Protokollmächte 215. Abreise der Botschafter 218. Die
Kundgebung an die Ayans 219. Haltung Englands 222. Die Kriegsmacht
der Türkei 223. Der russische Feldzugsplan 224. General Diebitsch und
Prinz Eugen von Württemberg 224. Wittgenstein 226. Der Kaiser 227. Die
«russische*' und die „deutsche*' Partei 228. Die diplomatische Kampagne 230.
Kriegserklärung an die Pforte 231. Illusionen des Kaisers 233. Die Vorbe-
reitungen zum Kriege 235. Tod der Fürstin Charlotte Lieven und des Grafen
Lambsdorff 239. Aufbruch zum Kriege 240.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828 . 240— 28S
Die Donaufürsteutümer 241. Der Kaiser auf dem Kriegsschauplatz 243.
Brailow 245. Das Urteil des Warschauer Hochverratsgerichts 246. Der Cber-
gang über die Donau bei Satunovo 247. Kapitulation von Isaktschi und
Brailow 248. Anapa 250. Der Marsch auf Vama 250. Constantin verweigert
Hilfe 252. Änderung der Dispositionen, Marsch auf Scbumla 253. Erste Er-
folge 254. Der Ritt des Kaisers nach Varna 255. Odessa 256. Haltung
der Mächte 257. Silistria 259. Der Cberfall am 26. September 262. Be-
drängnis Varnas 264. Eintreffen des Kaisers 265. Die Niederlage der Garde-
jagcr 266. Prinz Eugens Niederlage 268. Omer Vriones Versäumnisse 261».
Der Verrat Jussuf Paschas 270. Fall von Vama 271. Aufhebung der Be-
lagerung von Silistria 272. Abmarsch der Russen 273. Winterquartiere 275.
Der Feldzug Paskiewitschs in Asien.
Kriegsschauplatz 277. Einnahme von Kars 279. Kios Pascha in Hassau
Kaleh 280. Die Schlacht vor Achalzych 281. Einnahme der Festung, Fall
von Bajazet, Diadin nnd Topra-Kale 282.
Inhalt. VII
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 283 — 337
Rückkehr Nikolais nach Petersburg 283. Der Tod Maria Feodorownas 284.
Feldiugspläne 288. Beratung im Komitee 289. Wassiltschikows Denkschrift 290.
Der neue Feldzugsplan Diebitscbs 292. Seine Ernennung zum Oberkomman-
dierenden 293. Der dritte Feldzugsplan Diebitschs 293. Toll, Wittgenstein,
Diebitscb 294. Der diplomatische Feldzug seit Herbst 1828 295. Die ent-
scheidenden Konferenzbeschlusse 299. Polnische Schwierigkeiten 300. Der
Spruch des Warschauer „hohen Gerichts* 302. Der Kaiser bestätigt das Urteil
nicht 303, Die Entscheidung vom 7. März 1829 304. Die Kronungsfrage 305.
Kaiser und Großfürst 307. Die Nachrichten vom Kriegsschauplatz 308. Gri-
bojedows Ermordung 310. Politische Wünsche und Sorgen 311. Der Kaiser
in Warschau 312. Eindruck der Kronungsfeierlichkeiten 313. Weitere Nach-
richten vom Kriegsschauplatz 314. Aufbruch Nikolais nach Berlin 316. Die
Mission Müfflings 318. Rückkehr nach Warschau 319. Nachricht von der
Schlacht bei Kulewtscha 320. Der Fall von Silistria 327. Die Dispositionen
zum Obergang über den Balkan 328. Der Feldzug in Asien 329. Entsatz von
Achalzych 331. Niederlage des Seraskiers 332. Vernichtung der türkischen
Feldarmee bei Kain-Li und Millehdasu 336. Kapitulation von Erzerum 337.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan und der
Friede von Adrianopel 338 — 379
Staff von Reitzensteiu und Diebitschs großer Plan 338. Der Kaiser in
Südnißland 339. Die Operationen am Kamtschyk 341. Der Überganjr über
den Balkan 343. Kapitulation von Misivri, Achiolo, ßurgas 343. Ibraiiim
Pascha vor Aidos 344. Weitere Erfolge von Diebilsch 345. Waffenstillstands-
verhandlungen, Marsch auf Sliwno 346. Die Russen vor Adrianopel 348. Ge-
fährliche Lage Diebitschs 349. Die Botschafter Guilleminot und Gordon.
Müffling 350. Obergabe Adrianopels 350. MuflTlings Tätigkeit 351. Chosrew
Pascha 351. Gährung in Konstantinopel 352. Müffling, Royer und der Reis-
Efendi 354. Anerkennung des Londoner Traktats 355. Die Konferenz am
24. August 355. Eintreffen der Bevollmächtigten des Sultans in Adrianopel 356.
Geschickte Haltung Diebitschs 358. Die Frage der Kriegsentschädigungen 359.
Der Pascha von Skodra 360. Panik der fremden Botschafter 361. Abschieds-
audienz von Müffling 362. Der Friede von Adrianopel 363. Haltung des
Kaisers, die Konferenz am 16. September 1829 367. Würdigung des Friedens-
schlusses 368. Nachträgliche Schwierigkeiten 369. Ualils Sendung 370. Die
Note der Pforte vom 25. September 371. Der Pascha von Skodra 372. Pas-
kiewitscbs Sieg bei Beiburt 375. Diebitsch verläßt Adrianopel 376. Orlow
und die Pforte 377. Sturz des Keis-Efendi 378.
Kapitel XI. Nach dem Kriege 379 — 399
Die öffentliche Meinung Rußlands und der Friede 380. Reformgedanken
382. Chosrew Pascha in Petersburg 383. Poliguaes Teilungsplan 383. Algier 384.
Die griechische Frage 385. Erkrankung des Kaisers. Halil Pascha 386. Halils Ab-
scbiedsaudienz 390. Der Reis-Efendi und die Botschafter der Aliierten 391. Fest-
VIII Inhalt.
Setzung des russischen Einflusses auf der Balkanbalbinsel 393. Die Donau-
förstentumer 394. Asiatische Beziehungen 396. Die Mission nach China 398.
Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter 399 — 411
Steigende Willkür des Kaisers 399. Wiederum die polnische Frage 401.
Berufung des polnischen Reichstags 404. Gonstantin 406. Der Verlauf des
Reichstages 407. Meuterei in Sewastopol 409. Die Cholera. Revolution in
Frankreich 411.
Anlagen.
Rapport sur les Colonies militaires en Russie 415
König Friedrich Wilhelm III. an Kaiser Nikolaus. 18. I. 1826 .... 423
Möffling an Diebitsch. 6. II. 1826 424
Erzherzog Ferdinand an Kaiser Franz. 5. II. 1826 425
Kaiser Franz an Großfürst Gonstantin. 19. I. 1826 427
Aus einem Briefe G. von Benkendorffs. 17. XI. 1827 427
Lieven an Nesselrode. 13. VII. 1827 429
Laferronnays an Mortemart. 7. VII. 1828 430
Fontenay an Laferronnays. 29. II. 1828 431
Nikolaus I. an Kari X. 22. III. 1828 435
Kari X. an Nikolaus I. 30. IV. 1828 437
Aufzeichnung Diebitschs über eine Teilung der Türkei 439
Schreiben Mettemichs an den Prinzen Philipp von Hessen-Homburg . . 439
Prinz Eugen an Diebitsch nach der Schlacht bei Kurtepe 440
Diebitsch an Wittgenstein. 12. IX. 1828 441
Wittgenstein an Diebitsch. 13. IX. 1828 441
Diebitsch an Wittgenstein. 13. IX. 1828 442
Nicolai an Gonstantin. 13. X. 1828 442
Diebitsch an Wittgenstein. 13.1.1829 444
Aufzeichnung Tolls. 28. XI. 1828 st. v 445
Supplement zur Haupt- Instruktion für Fiquelmont. 17. 1. 1829 .... 452
Heytesbury an Lord Cowley 453
Gonstantin an Nicolai 5. X. 1827 455
Instruktion Sultan Mahmuds an den Seraskier. 27. III. 1828 457
Nicolai an Gonstantin. 23. IX. 1828 460
Nicolaus I. an Kari X. LV. 1829st.v. 461
4 Briefe Nicolaus L an Friedrich Wilhelm IIL 4. IV. — 19. VIL 1829 . . 4G2
Roth an Diebitsch. 6. V. 1829 st. v -404
Konzept der undatierten Instruktion Bernstorffs für Müffling 4C5
Fürst Trubetzkoi an Diebitsch. 9. VI. 1829 st. v 467
Diebitsch an Nesselrode. 8. VI. 1829 st. v 468
Der Marsch gen Schumla-Kulewtscha 469
Die Mission des Major von Staff gen. v. Reitzenstein. IV.— VII. 1829 . 480
Die Truppen der aktiven Armee am 14. VIL 1829 494
Diebitsch an Nesselrode. Memorandum. 15. VIIF. 1829 st. v 503
Inhalt. IX
Antwort Diebitschs. 23. VIII. 1829 504
Nikolaus I. an Friedrich Wilhelm III. 23. IX. 1829 505
Auszug aus der 2. Instruktion Halil Paschas 507
Nesselrode: Mission du Comte OrlofT 508
Affaire de la Blonde 510
Der Seraskier an Halil Pascha. 5.11.1830 511
Das Polignacsche Teilungsprojekt. 4. VII. 1829.
Brief und Note an Mortemart 51 1
Antwort Mortemarts. 22. XII. 1829 519
Aus der Relation Bourgoings. 30. VII. 1830 520
Anmerkung. Die p. 177 angekündigte Anlage ist nicht gedruckt
worden, da das russische Ministerium des Auswärtigen inzwischen den offi-
ziellen französischen Text des Friedens von Turkmentschai Teröffentlicbt hat
Sammlung noch geltender Vertr&ge usw. Band I. Petersburg 1902.
Vorwort.
Der erste Band der „Geschichte Rußlands unter Nikolaus i.^
hat die Verhältnisse geschildert unter denen der Großfürst Nikolaus
zum Mann heranwuchs und gezeigt, wie furchtbar schwer das Erbe
an Mißbräuchen und politischen Fehlern war, das er von Kaiser
Alexander I. übernehmen mußte.
Der zweite Band, den wir dem Urteil der Leser und der Kritik
der Fachgenossen vorlegen, umfaßt nur einen Zeitraum von fünf
Jahren, aber es sind die Jahre, in denen sich der Charakter des
Kaisers gebildet und in den Panzer der Prinzipien gehüllt hat, die
fortan sein Tun und sein Lassen so völlig bestimmt haben, daß
sich in allen Fragen der inneren wie der äußeren Politik mit
fast völliger Sicherheit vorhersehen ließ, welche Wege er ein-
schlagen werde.
Gerade über diese bedeutsame Zeit ist aber von Freund und
Feind, von Bewunderern und Verächtern ein Kreis von Legenden
gewoben worden, der die historische Wirklichkeit verhüllt und ent-
stellt hat. Es wurde notwendig, ein fast völlig neues Bild zu ge-
stalten. Sowohl der sogenannte Großmutsstreit der kaiserlichen
Brüder Constantin und Nikolaus, als der Verlauf und die Würdi-
gung der Tragödie, die sich an den Namen der Dekabristen knüpft,
wue die AnPänge der polnischen und der orientalischen Frage mußten
Schritt für Schritt nachgeprüft und vielfach zurechtgestellt werden.
Dasselbe gilt auch von den wichtigen politischen und militärischen
Ereignissen jener Jahre der Begründung des nikolaitischen Regiments.
Trotz der ausgezeichneten Darstellung, w^elche der Türkenkrieg von
1828 und 1829 aus der Feder eines Moltke gefunden hat, war das
politische Bild von Grund aus umzuformen. Die Zeitgenossen
konnten den verschlungenen Gang einer hinter den Kulissen spie-
lenden Diplomatie nicht verfolgen, auch standen sie, wie dio
XII Vorwort.
späteren, unter dem Eindruck der blendenden Erscheinung des
Kaisers, der zudem durch das geflissentliche Hervorkehren seiner
„Grundsätze^ und seiner „Konsequenz^ Bewunderung heischte und
gewann. Endlich waren die inneren Verhältnisse Rußlands im
„Auslände^ so gut wie gar nicht bekannt. Nur sehr wenige haben,
einen Einblick in die Realität der russischen Zustände gewonnen.
Eine politische russische Literatur aber, die dem Abendlande diese
fremde Welt hätte erschließen können, gab es um diese Zeit noch
nicht. Die literarischen Talente die sich emporzuringen versuchten,
erstickten unter dem Druck einer ebenso rücksichtslos wie geistlos
gehandhabten Zensur.
Was man sah, waren äußere Erfolge, was man hörte, Prinzipien
und die Verherrlichung einer Politik von unerschütterlicher Konse-
quenz.
Nun hat freilich der Fürst Bismarck gesagt (1887 22. April):
„Konsequenz für einen Politiker, für einen Staatsmann, ist um so
leichter, je weniger er politische Gedanken hat. Wenn er nur einen
bat, dann ist es ein Kinderspiel, und wenn er den immer wieder
vorbringt, so ist er der Konsequenteste.*' Man konnte diesen Aus-
spruch unseres großen Staatsmannes als Motto der. Geschichte des
Kaisers Nikolaus voransetzen.
Er ist allerdings der Konsequenteste geblieben, aber an der
Konsequenz seines Systems spitzten sich die Schäden zu, an denen
das heutige Rußland so schwer krankt, und erstickten die Keime
gesunder Entwicklung, deren Ausreifen ein Glück für die Nation
gewesen wäre.
Was der Kaiser im Innern erreichen wollte, war „Ordnung"^
— was er erreichte, war ein Schein äußerer Korrektheit. Nach
außen erstrebte er „Wahrung der Verträge", in Wirklichkeit verfolgte
er eine Politik der Stagnation, die eine Neubildung der politischen
Lebensformen, wie die Zeit sie verlangte und verlangen mußte, ver-
geblich aufzuhalten bemüht war. Er ist sich aber nach beiden
Richtungen bis ans Ende treu geblieben: Der „konsequenteste" aller
Autokraten.
Als Kaiser Nikolaus seine Regierung antrat, lebten noch die
Ideen fort, mit denen sein geistvoller und hochstrebender Bruder sich
bis etwa 1820 getragen hatte. Auch der Ehrgeiz» den die Kaiserin
Katharina II. ihren politischen und militärischen Paladinen in die
Seele zu gießen verstand, war keineswegs erstorben. Aber je länger
Vorwort. XIII
je mehr verschwanden die glänzenden Fähigkeiten, um bequemen
Mittelmäßigkeiten und schließlich der verknöcherten Routine Platz
zu machen. Nach Verlauf der fünf ersten Regierungsjahre Nikolaus
hat dieser Prozeß geistiger Erstarrung bereits den größten Teil der
Nation erfaßt. Ein allgemeiner Niedergang des geistigen Lebens
und ein Verstummen aller idealistischen Regungen kennzeichnet diese
Periode. Die Hochflut mystisch religiöser Erhebung, welche die
letzten Lebensjahre Alexanders charakterisiert, verrinnt fast spurlos
und ein geräuschvoller, praktischer Materialismus beherrscht die
„Gesellschaft^. Diese Gesellschaft, das ist der Hof, die Garde und
die Bureaukratie, deren Verzweigungen die Nation wie mit ehernen
Klammern umschlossen, hat wohl nach wie vor kritisiert und me-
disiert, aber niemals dem Zaren zu widersprechen gewagt. Er
war der Mittelpunkt, und die Suggestion, die von ihm ausging, so
unwidei-stehlich, daß selbst eine so wenig disziplinierte Natur, wie
die Puschkins, ihr schließlich willenlos erlag. Es hat bis zum
Ausbruch des polnischen Aufstandes nur eine Selbständigkeit neben
dem Kaiser in Rußland gegeben, und das war, zum Unheil des
Reiches, sein Bruder Constantin. Die anderen alle waren stumme
Werkzeuge und wahrten sich ihren Willen nur nach unten hin,
wo ihnen der Spielraum für eine fast schrankenlose Willkür offen
blieb.
Auch für die Geschichte Nikolais liegt ein ungeheures Material
vornehmlich in den russischen Zeitschriften verstreut vor. Von den
zusammenfassenden Dai*stellungen verdient nur die leider nicht
vollendete Biographie Nikolais von Schilder hervorgehoben zu werden.
Von ihr gilt, was wir von seiner Geschichte Alexanders L sagen
mußten. Schilders Arbeiten ruhen auf dem Untergrunde sehr
fleißiger Studien in den russischen Archiven und in der russischen
Literatur. Sie sind chronologisch zuverlässig aufgebaut, aber ihr
Fehler liegt in der ungenügenden historischen Schulung des Ver-
fassers. Er schreibt als Amateur, nicht als Historiker, ohne Be-
rücksichtigung der großen politischen Zusammenhänge. Trotzdem
wird ihm jeder dankbar sein, der auf dem Felde arbeitet, das er
durchackert hat.
Mir sind für den vorliegenden Band das Staatsarchiv in Berlin
und das königliche Hausarchiv in Charlottenburg zugänglich ge-
wesen, ebenso das Archiv des Großen Generalstabes und die Archive
in Wien, Paris und Petersburg. Ich spreche hiermit ihren Leitern
XIV Vorwort.
und Beamten meinen ergebensten Dank aus. Der gleiche Dank
gilt dem Freiherrn W. v. ^lüiTling auf Ringhofen und S. Exz.
General Fr. von Bernhardi, die mir gütigst gestattet haben ihre
Familienarchive zu benutzen. In den Anlagen ist ein durchweg
neues urkundliches Quellenmaterial mitgeteilt worden. Für die
beiden ersten Kapitel sind die Belege in meinem Buch über ^die
Thronbesteigung Nikolaus I." (Berlin 1902 Verlag von Georg Reimer)
zu linden.
Berlin, im März 1908.
Theodor Schiemaniu
z
Kapitel I. Das Interregnum.
Kaiser Alexander hatte, als er seine verhängnisvolle Reise nach
Taganrog autrat, die Verwaltung des Reiches in die Hände des
Ministerkomitees gelegt, wie er seit 1805 zu tun pflegte'). Aber
es war nur ein Schein von Macht, der damit dieser hohen Körper-
schaft zufiel. Alle wichtigen Angelegenheiten mußten dem Grafen
Araktschejew nach Grusino zugeschickt werden, und er traf dann
die Entscheidung, nach der das Ministerkomitee sich zu richten
hatte. Nur die auswärtige Politik, die Alexander nach wie vor
persönlich leitete, war von dieser Regel ausgeschlossen. Als nun,
noch nicht 14 Tage nach Alexanders Abreise, Araktschejew infolge
der Ermordung seiner Maitresse in fassungslosem Schmerz und
Grimm plötzlich seine gesamte Tätigkeit einstellte und die Führung
der ihm zugewiesenen Geschäfte Männern überwies, die weder die
Autorität genossen noch den Mut hatten, die ungeheuere Verant-
wortung zu tragen, die ihnen zufiel, arbeitete die Staatsmaschine zwar
mechanisch weiter, aber alle wichtigeren Angelegenheiten gerieten
ins Stocken. Der mit der Leitung der Zivilkanzlei Araktschejews
und mit den vom Ministerkomitee einlaufenden Geschäften betraute
>) conf. Bd. I S. 368. Volle Sammlung russischer Gesetze Nr. 29553,
30314, 30315, 30469. Der letzte dieser Ukase datiert vom 31. August 1825,
dem Tage der Abreise Alexanders. Die Geschäftsordnung war durch Ukas
vom 10. August 1823 festgesetzt: „über die Ordnung bei Fübning der Ge-
schäfte, zur Zeit Allerhöchster Abwesenheit*', conf. daselbst das Memoir
Araktiicbejews vom gleichen Datum.
Ein Ukas vom 10. September 1823 bestimmte, daß über Angelegenheiten,
welche der Entscheidung des Kaisers vorbehalten waren, diesem Denkschriften
vom Ministerkomitee einzureichen seien. Handele es sich um Angelegenheiten,
die keinen Aufschub duldeten, so solle man ihn nachträglich davon in Kenntnis
setzen. (Die Kenntnis dieses, nicht in der V. S. R. G. aufgenommenen Ukases,
danke ich dem Kammerherrn v. Schtscheglow, Direktor des kaiserlichen Uaus-
archivs.)
Schiemano, Geschichte Rußlands. II. 1
2 Kapitel I. Das Interregnum.
Staatssekretär, Nik. Nasarjewitsch Murawjew, durfte dem Grafen
weder schriftlichen Bericht erstatten, noch ihm Vortrag halten.
Die Sachen blieben einfach liegen. Es machte sich in verhängnis-
vollster Weise geltend, daß das persönliche Regiment Alexanders
neben Araktschejew keine andere Selbständigkeit hatte aufkommen
lassen.
Die Leitung des Ministerkomitees gehörte dem Präsidenten
des Reichsrats, Fürsten Paul Wassiljewitsch Lopuchin, einem
72jährigen fast ganz tauben alten Herrn, dem die Last seiner
Jahre und die Erfahrungen seines Lebens jede Kraft der Initiative
geraubt hatten. Von den Ministern war nur Cancrin eine wirk-
liche Kapazität, trotz seiner 51 Jahre nächst Nesselrode der jüngste
in der erlauchten Versammlung, die übrigen waren alt und müde^).
Sie alle fühlten sich durch das Wegfallen des Druckes, der von
Araktschejew ausgegangen war, entlastet, fast wie Schüler, die ein
verhaßter Lehrer ohne weitere Kontrolle sich selbst überläßt.
Von den Mitgliedern des Kaiserhauses hatte keines Anteil an
der Reichsverwaltung und Regierung.
Konstantin, der eben erst von einem längeren Aufenthalt im
Auslande heimkehrte, dachte nur an seine polnischen und littaui-
schen Angelegenheiten. Die Kaiserin-Mutter') hatte vollauf mit der
Verwaltung der ihr unterstellten Institute für Mädchenerziehung zu
tun und lebte im übrigen nur den Äußerlichkeiten ihrer Stellung
und einer Korrespondenz von erstaunlicher Ausdehnung. Sie war
wenig beliebt, dem Volke fast unbekannt, ohne jede Kühlung mit
den geistigen und politischen Strömungen Rußlands. Trotz ihrer
0 Der durch eine Intrigue Araktäcbejews 1823 emporgekommene Kriegs-
minister A. J. Tatischtschew war 1763 geboren, der unfähige Marinemiuister
Marquis de Traverse war schon 1791 aus der französischen Flotte als Konter-
admiral übernommen worden, der Chef des Marinestabes Moller 61 jährig, der
Justizministcr Fürst D. J. Lobanow Rostowski 73, der Minister der Volksauf-
klärung Schischkow 71 Jahre alt Der Minister des Innern Lanskoi war eine
völlige Nichtigkeit, die Vorsitzenden der Departements des Reichsrats Fürst
Jacob J. Lobanow Rostowski und Fürst A. B. Kurakin, von denen der letzte
Lopuchin zu vertreten pflegte, wenn dieser krank war, 65 bzw. 6G Jahre alt
und beide herzlich unbedeutend.
^ conf. die Tagebücher ihres Privatsekretärs G. W. Willamow, Russkaja
Starina 1899 Januar bis März. Sie sind für die Zeit vom November 1825 bis
März 1826 eine unserer zuverlässigsten und reichsten Quellen. Zitiert als
«Willamow**.
Kapitel I. Das Interregnum. 3
hohen Apanage war sie stets geldbedürftig und gewohnt, daß
diese Bedürfnisse von Alexander widerspruchslos befriedigt
wurden. Einen EinHuß im weiteren Sinne des Wortes übte sie
nicht aus. Trotz der ostentativen Verehrung, die man ihr im Kreise
der Familie entgegentrug und die sie verlangte, war ihre naive
Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit gefürchtet. In kritischen Zeiten
verlor sie regelmäßig Fassung und Selbstbeherrschung, so daß sie
ganz unPähig war, eine leitende Rolle zu spielen. Sie lähmte durch
die Maßlosigkeit, mit der sie ihren Empfindungen freien Lauf gab,
auch die anderen und konnte selbst, wo eine echte Empfindung
zum Ausdruck kam, die angeborene und durch ihr Leben geförderte
Neigung zu schauspielerischer Ostentation nicht unterdrücken*).
Noch weit geringer war der Einfluß der Großfürsten Nikolai
und Michail. Sie lebten beide ausschließlich ihren militärischen
Pflichten und Neigungen. Nikolai war vom Kaiser am 3. Mai 1825
zum Chef der 2. Garde-Infanteriedivision ernannt worden, die aus
der 2. und 3. Garde-Infanteriebrigade bestand. Es waren lauter
Eliteregimenter: die Ismailower, Pawlowsker, die Leib-Garde- Jäger
und Finnländer und das Leib-Garde-Sapeurbataillon. Er war
ein unbeliebter, faßt könnte man sagen verhaßter Chef, und über
seine kleinliche und peinlich-formalistische Unduldsamkeit liefen
die schlimmsten Erzählungen um'), aber Kaiser Alexander war
damit nicht unzufrieden. Er sah es nur ungern, wenn ein Chef
bei seinen Untergebenen populär war, und machte in dieser Hin-
sicht mit seinen Brüdern keine Ausnahme. Die aber hatten nie
einen anderen Gedanken gehabt, als den, dem Kaiser zu Willen
zu sein. In dieser Hinsicht herrschte in der kaiserlichen Familie
eine unübertreffliche Disziplin. Es ist kein Fall bekannt, daß
Alexander je auf einen Widerstand bei seinen Brüdern gestoßen
^) Willamow passim. die Briefe der Kaiserin Elisabeth, aber auch die
Tagebücher der Kaiserin Alexandra und des Prinzen Eugen von Württemberg
geben dafür charakteristische Belege, conf. Geschichte Rußlands unter Kaiser
Nikolaus L Bd. I S. 69 flF.
^ Brief der Gräfin Nesselrode an ihren Bruder Nicolas Guriew vom 2. De-
zember 1825: „II est triste pour le Grand Duc Nicolas d'avoir si peu raisonne
sa conduite, de s^etre fait detester, execrer par la troupe; on le dit empörte,
severe, vindicatif, avare . . ."
Nikolai war erst am 20. September/2. Oktober von einer Inspektion in
ßobruisk zurückgekehrt und siedelte am 2./14. Oktober von Gatschina nach
Petersburg in das Anitschkow-Palais über.
4 Kapitel I. Das Interregnum.
wäre. Selbst der eigenwillige, geistreiche und selbstbewußte Kon-
stantin hatte sich ihm stets unbedingt untergeordnet. Der Großfürst
Nikolaus aber hätte, selbst wenn es sein Wunsch gewesen wäre,
in die Reichsregierung nicht eingreifen können. Er kannte weder
Rußland noch die Zusammenhänge der großen Politik. Sogar von
den Funktionen und Kompetenzen der obersten Reichsbehörden
hatte er nur ungenaue und lückenhafte Kenntnisse, und obgleich
sein Streben stets dahin ging, gerecht zu sein, war ihm der Begriff
des Rechts fremd geblieben. Der ging ihm völlig in der Vorstellung
auf, die er von der unumschränkten zarischen Selbstherrlichkeit
hatte, und da ihm Kaiser Alexander, als er nach Taganrog reiste,
keine anderen Aufgaben gestellt hatte, als nach wie vor seinem
„Dienst^ nachzugehen, ist ihm der Gedanke, daß er während der
Abwesenheit des Bruders eine politische Rolle spielen könnte, über-
haupt nicht in den Sinn gekommen. Dasselbe gilt in noch höherem
Grade von dem Großfürsten Michail Pawlowitsch, nur daß seine
militärische Pedanterie durch Humor und einen Zug liebenswürdiger
Gutmütigkeit gemildert wurde. Michails Ideal war der Bruder
Konstantin, an dem er mit schwärmerischer Verehrung hing. Auch
hatte er sich die Erlaubnis erbeten, während Alexanders Abwesen-
heit zu diesem Lieblingsbruder nach Warschau zu ziehen, so daß
er in der kritischen Woche, die dem Tode des Kaisers vorherging,
gar nicht in Petersburg war.
v/ Es blieben daher, seit Araktschejew von der politischen Bühne
zurückgetreten war, nächst dem durch den Fürsten Lopuchin ver-
treteneu Ministerkomitoe, nur drei Personen in Petersburg übrig,
in deren Händen sich tatsächlich die Macht konzentrierte. Der
General-Kriegsgouverneur Michail Alexandrowitsch Graf Milorado-
witsch, der Kommandeur der Garde General Alexander Lwowitsch
Woinow und der General du jour Aloxej Nikolajewitsch Po-
tapow. Woinow') und Potapow') waren jedoch zu unbedeutend
um eine über ihre amtliche Stellung hinausgreifende Rolle zu spielen,
auch faktisch dem Grafen Miloradowitsch untergeordnet, so daß
die entscheidende Stimme ihm, und man darf wohl sagen, nur ihm
') Nikolai nennt ihn in einem Brief an den Großfürsten Konstantin vom
23. Februar 1826 ^le triste, mais bon diable Woinow**.
'-') Potapow hatte als General du jour die Leitung des Inspektionsweseus
im Kriei^sministerium und das gesamte Dujourwesen der Armee unter sich.
Alle Befehle gingen von seiner Kanzlei aus.
Kapitel I. Das Interregnum. 5
zufiel. Er ist es gewesen, der in verhängnisvollster Weise die Ent-
scheidung über die Nachfolge im Reiche beeinflußt hat, und ihm
fällt die Verantwortung dafür zu, daß der Aufstand des 14./26. De-
zember überhaupt möglich wurde.
Michail Alexandrowitsch Miloradowitsch gehörte der Generation
an, die ihre entscheidenden Eindrücke unter der glänzenden Re-
gierung Katharinas II. erhalten hatte. Er war 25 Jahre alt, als die
Kaiserin starb. Seine weltmännische Bildung hatte er sich in den
Petersburger Salons, die nicht oberflächlichen wissenschaftlichen
Interessen auf den Universitäten Königsberg und Göttingen er-
worben, in Straßburg und Metz war er militärischen Studien nach-
gegangen. Dann nahm er den Dienst in der Armee auf, der er
von früher Jugend an zugeschrieben war. Ein junger Offizier von
lebhafter Begabung^ngewöhnlicher Schönheit und von unverwüst-
licher Lebenslust, Kraft und Gesundheit. Den Feldzug Ssuworows
in Italien und in der Schweiz hat er als Chef des Apscheronschen
Musketierregiments mitgemacht. Unter Alexander kämpfte er, stets
vom Glück gefördert, in der Türkei, bereits als SSjähriger wird er
zum General der Infanterie avanciert. Seine Tapferkeit scheute ^
vor keiner Gefahr, sein leichter Sinn vor keinem Abenteuer zurück.
Einen großen Namen und echten Ruhm gewann er jedoch erst in
den napoleonischen Kriegen. Er war Goneralgouverneur von Kiew,
als die französische Armee in Rußland einrückte, und machte sich
zunächst durch Formierung der Reserven im Kalugaschen verdient.
Nach der Schlacht bei Borodino führte er zeitweilig die Avantgarde
der russischen Armee, dann wieder die Nachhut. Seine glänzend-
sten Tage aber hat er auf deutschem Boden 1813 und 1814 in
Frankreich erlebt^). Die Schlacht bei Leipzig trug ihm das An-
dreaskreuz ein, der Friede den Grafentitel, die Rückkehr nach
Rußland erst das Kommando des Gardekorps, danach die Ernennung
zum General-Kriegsgouverneur von Petersburg. Nur die komman-
dierenden Generale der Nord- und Südarmee, Sacken und Wittgen-
stein, sowie Araktschejew standen im Rang über ihm. Aber
ohne Zweifel war seine Stellung die angenehmste, vor allem die
seinen Neigungen meist entsprechende. Er war der eigentliche Gebieter
der Stadt und aller in ihr stehenden Truppen, und es gab keinen
0 ^^r gehen auf seinen Anteil an den Freiheitskriegen nicht ein. In
den Memoiren des Dekabristen Wolkonski finden sich köstliche Züge zu seiner
Charakteristik.
6 Kapitel I. Das Interregnum.
Zweig städtischer Verwaltung, der nicht direkt oder indirekt in Ab-
hängigkeit von ihm gestanden hätte. Von der ungeheueren Macht,
die sich so in seinen Händen konzentrierte, einen vollen Gebrauch/
zu machen, lag jedoch nicht in seiner Art. Dazu war er auch in
späteren Lebensjahren zu genußsüchtig.^ Was ihm fehlte, war der
Ehrgeiz, der in rastloser Arbeit — wie Araktschejew tat — Be-
friedigung sucht. Der Schein und der theoretische Anspruch ge-
nügten ihm. Seine Gutmütigkeit und seine persönliche Liebens-
würdigkeit schlössen ein energisches undS'ücksichtsloses Eingreifen
aus. Auch war er kein Menschenkenner. Abenteurer und geist-
reiche Nichtigkeiten fanden leichten Zugang bei ihm, und dieser
russische Bayard, wie ihn seine Freunde wohl nannten, war zugleich
ein „Fanfaren" '). Er liebte mit großen Worten um sich zu werfen
und war stets in Geldverlegenheiten und in Schulden, die ihm der
Kaiser bezahlen mußte. Er verstehe nicht — sagte er einmal —
wie man ohne Schulden leben könne; aber Alexander konnte ihm
nie gram werden. Er kannte seine unbedingte Treue und sah ihm
nach, was er bei anderen nicht geduldet hätte. Miloradowitsch
hat sich weder der mystischen noch der reaktionären Richtung^n-
gepaßt, die in den letzten liObensjahren Alexanders in den leitenden
Kreisen vorherrschte. Er blieb ein Liberaler') und ein Freigeist.
So war dieser ruhmgekrönte und populäre Soldat, der keine ernsten
Sorgen und keine Pflichten kannte, die ihm den Genuß des Lebens,
wie er ihn verstand'; verkümmern durften, gewiß nicht die Persön-
lichkeit, um ein Werkzeug zu ersetzen, wie Kaiser Alexander es
in Araktschejew besessen hatte. Als der politische Wille des
Tyrannen von Grusino plötzlich ausschied, \»üd die Notwendigkeiten
des Augenblicks tatsächlich in die Hände von Miloradowitsch den ent-
scheidenden Einfluß legten, ließ sich vorhersehen, daß er wohl einen
großen Einfluß ausüben, aber überall da versagen würde, wo gewissen-
hafte Arbeit und sichere Menschenkenntnis di^A^orbedingung des Er-
folges waren. Wenn er auch stets bereit war, seine Person einzusetzen.
^) Schreiben des Prinzen Eugen von Württemberg an den General von
Hofmann. Petersburg, 18./30. März 1826.
') 1819 reichte Miloradowitsch dem Kaiser eine Denkschrift gegen die
Mißbräuche ein, die mit dem Verkauf von Leibeigenen getrieben wurden. Er
vertrat die Meinung, daß Leibeigene nie ohne das Land, zu dem sie gehurten,
verkauft werden sollten. Der Polenpolitik des Kaisers war er entschieden
abhold.
Kapitel I. Das Interregnum. 7
konnte er doch nicht mehr bieten, als was den Inhalt seiner Per-
sönlichkeit ausmachte, und dieser Inhalt war ohne allen Zweifel
unzulänglich.
So waren zur Zeit, da ein nicht vorherzusehendes Verhängnis
dem russischen Reich sein Haupt nahm, die politischen Rollen
möglichst ungünstig verteilt. Es wäre, im Hinblick auf die gären-
den Elemente im Innern, ein Wunder gewesen, wenn der Übergang
zu einem neuen Regiment und einem neuen System ohne tief-
greifende Erschütterung vor sich gegangen wäre.
Die erste Nachricht von der Erkrankung des Kaisers ging auf ihn
selbst zurück. Alexander schrieb der Mutter von einem leichtea-Un-
wohlsein, das ihn betroffen habe. Sein Brief war gleich nach seiner
Rückkehr aus der Krim in Taganrog am 5./17. November geschrieben
und am 17./29. in Petersburg eingetroffen*). Am 18. bestätigte
ein Schreiben der Kaiserin Elisabeth an ihre Schwägerin, die Groß-
fürstin Helene'), diese Nachricht. Besorgt wurde man in Peters-
burg erst, als am 22. ein zweiter Brief Elisabeths eintraf, der weit
weniger zuversichtlich klang. Gleichzeitig hatte der Leibarzt der
Kaiserin-Mutter, Dr. Rühl, von Wylie, dem Leibarzt Alexanders,
eine ausführliche Darlegung der Krankheitsgeschichte vom 4. bis
12. November erhalten. Das Leiden des Kaisers sei ein gastrisch-
galliges Fieber und die Begleiterscheinungen beunruhigend. In
der kaiserlichen Familie begann man sich ernste Sorgen zu machen.
Der am 21. November nachts in Petersburg eingetroffene Prinz
Eugen von Württemberg fand seine Tante, die Kaiserin-Mutter, in
großer Erregung, den Großfürsten Nikolaus weniger besorgt, die
Hofkreise mit anderen Dingen beschäftigt. Graf Miloradowitsch
empfing ihn mit den Worten: Aliens, Monseigneur, Constantinople
vous attend! So lebendig war die Hoffnung auf einen Türkenkrieg
wieder erstanden !
Der 24. ging ohne Nachrichten hin, aber am 25. um 4 Uhr
nachmittags traf eine Reihe offizieller Schreiben Diebitschs ein, der
als Chef des Generalstabes den Kaiser begleitete. Sie datierten
vom 15. November und waren an den Privatsekretär der Kaiserin-
Mutter, Geheimrat Willamow, an Miloradowitsch, den Fürsten Lo-
0 Die Daten sind weiterhin nach nissischem Stil angeführt worden.
Briefe von Taganrog nach Petersburg gingen mindestens neun, höchstens zwölf
Tage. Die Wege waren im November besonders schlecht.
') Abgesandt am 9. November.
8 Kapitel I. Das Interregnum.
puchin und an den General Woinow gerichtet. Merkwürdigerweise
scheint Araktschejew, der damals immer noch in Nishny-Nowgorod
seiner Verzweiflung über den Tod der Minkina lebte, keinerlei
Nachricht erhalten zu haben '). Auch die Fürstin Wolkonski hatte
von ihrem Gemahl, dem Hausminister Peter Michailowitsch, einem
intimen Freunde Alexanders, Nachricht erhalten. Diese Briefe
ließen kaum einen Schimmer von Hoffnung übrig. Der Kaiser
hatte das Abendmahl genommen, und seine Kräfte versagten.
Der Oberpostmeister Constantin Jakowlewitsch Bulgakow, an
den der Kurier wie üblich gewiesen war, übergab zunächst die an
Miloradowitsch, Woinow und Lopuchin gerichteten Briefe und traf
erst um 8 Uhr abends im Winterpalais ein, um auch das Schreiben
an Willamow persönlich abzuliefern. Inzwischen hatte Milorado-
witsch, der wie es scheint in seinem Bureau war, mit Woinow,
Potapow und dem ebenfalls anwesenden General Neidhardt beraten,
was geschehen solle. Sie beschlossen noch Lopuchin heranzuziehen
und bis auf weiteres die Nachricht geheimzuhalten'). Milorado-
witsch ging darauf gegen 6 Uhr ins Anitschkowpalais, teilte dem
Großfürsten mit, was er wußte, und legte ihm die Briefe von
Diebitsch und Wolkonski vor. Für Nikolaus war damit die FVage
gestellt, wie er sich für den wahrscheinlichen Fall, daß der nächste
Kurier den Tod Alexanders melden sollte, zu verhalten habe. Es
scheint aber, daß damals von der Nachfolge im Reich nicht ge-
sprochen, sondern ein späteres Zusammentreffen im Winterpalais
verabredet wurde. Es kam vor allem darauf an, Maria Feodorowna
schonend auf den ihr drohenden Verlust vorzubereiten, und der
Großfürst sowohl wie Miloradowitsch hielten es für das beste.
*) Die Erklärung ist vielleicht darin zu finden, daß Alexander nicht
schreiben konnte, den übrigen aber der Günstling verhaßt war.
2) Neidhardt an den Baron Diebitsch den 28. November. Der Text dieses
deutsch geschriebenen Briefes ist in der Russkaja Starina 1882 S. 201 mit
dem falschen Datum 28. Dezember in russischer Obersetzung gedruckt. Er
lautet in der Rückübersetzung: „Am 25. abends (wobei in Betracht zu ziehen
ist, daß es Ende November in Petersburg um 4 Uhr bereits dunkel wird) haben
wir von Ihnen die erste Nachricht von dem schrecklichen Unglück erhalten.
Woinow und Miloradowitsch haben, nachdem sie sich von dem ersten Schlage
erholt hatten, in meiner und Potapows Gegenwart beschlossen die Nachricht
geheimzuhalten, nachdem sie darüber noch mit Lopuchin beraten hatten*".
Wann die Beratung mit Lopuchin stattfand wird uns nirgends überliefert.
Wahrscheinlich vor dem Besuch Miloradowitschs bei Nikolaus.
Kapitel I. Das Interregnum. 9
Willamow unter Assistenz von Dr. Rühl den ersten Schritt zu über-
lassen. So fuhr der Großfürst, nachdem er noch seiner Gemahlin die
Schreckensbotschaft mitgeteilt hatte, zur Mutter ins Winterpalais ^).
Als er eintraf, wußte Maria Feodorowna bereits von allem.
Willamow war mit seinem Brief in der Tasche zur Kaiserin ge-
gangen und wollte, wie er zu tun pflegte, beginnen, ihr die Abend-
andacht') vorzulesen, als Rühl gemeldet wurde. Nun verließ
Willamow, obgleich die Kaiserin ihm sagte, er könne bleiben, das
Zimmer, und im Vorzimmer erklärte er Rühl, um was es sich
handele, er bat ihn, die Kaiserin vorzubereiten, während er selbst
die Freundin der Kaiserin, die Gräfin Charlotte Lieven, holen
wollte.yl Aber Maria Feodorowna war unruhig geworden und hatte
ihre Gemächer verlassen; sie T)egegnete beiden, als sie im Begriff
waren, das Vorzimmer zu verlassen, erfuhr, daß schlechte Nachrichten
eingetroffen seien, und ging darauf mit ihnen zur Gräfin. Hier erst
hörte sie die volle Wahrheit. Sie kehrte nach den ersten lebhaften
Äußerungen des Schmerzes in ihre Gemächer zurück, ließ sich
noch einmal den Brief vorlesen und behielt ihn bei sich. Sie wollte
allein bleiben. Dann aber wurde Willamow nochmals gerufen.
Die Kaiserin fragte, ob nicht noch andere Briefe gekommen seien,
und als sie von dem Briefe an Miloradowitsch hörte, verlangte sie
auch ihn zu seh^n. Als Willamow das Zimmer verließ, traf er
den eben angelangten Großfürsten Nikolaus, dem seine Gemahlin
bald folgte. Nachdem sie der Kaiserin, die jetzt alle Fassung
verloren hatte '), die Hilfe geleistet hatten, nach der sie verlangte, ließ
0 Sie hatte ihn durch einen Boten rufen lassen, als er im Begriff war
ins Palais zu fahren.
Die Chronologie (d. h. in diesem Fall die Stunden), macht hier Schwierig-
keiten. Daß Miloradowitsch gegen 6 Uhr im Anitschkowpalais eintraf, steht
fest Willamow hatte erst nach 8 Uhr seinen fkief erhalten; bis er Maria
Feodorowna Mitteilung machte, muß es mindestens 9 Uhr, wahrscheinlich
später geworden sein, weil Maria Feodorowna, nachdem sie ihn entlassen hatte»
noch einen Besuch beim Prinzen Eugen machte. Da Nikolai erst danach im
Winterpalais eintraf, mußten drei Stunden zwischen seinem Gespräch mit
Miloradowitsch und seiner Ankunft im Palais liegen. Die Fahrt konnte nur
wenige Minuten beanspruchen. Das legt den Schluß nahe, daß die Unter-
redung mit Miloradowitsch von läugerer Dauer war, als unsere Quellen zeigen.
2) Maria Feodorowna las Zschokkes Stunden der Andacht, conf. Willa-
mow passim.
^) Prinz Eugen 1. 1. S. 117 „Der Zustand der Kaiserin war auffallend
und ihr Bestreben, nun, wo sie den ganzen Umfang der Gefahr kannte, mit
10 Kapitel I. Das Interregnum.
Nikolaus sie alleinN--Miloradowitsch und Woinow, vielleicht auch
Lopuchin waren eingetroffen, und mit ihnen fand eine Beratung
darüber statt, welche Maßregein zu ergreifen seien, wenn die Nach-
richt vom Tode Alexanders eintreffen sollte. Es kann nun nach
den uns erhaltenen Zeugnissen nicht zweifelhaft sein, daß der
Großfürst Nikolaus unter Berufung auf die Abdankung Konstantins
und auf das Testament Alexanders, das auch die Zustimmung seiner
Mutter gefunden habe, seine Ansprüche auf die Nachfolge im Reich
geltend machte. Aber Miloradowitsch widersprach mit großem
Nachdruck. Er verwies den Großfürsten auf die Reichsgesetze,
d. h. auf die vom Kaiser Paul promulgierte Thronfolgeordnung, die
keine andere Nachfolge als die Konstantins zulasse. Auch sei das
Testament Alexanders nie bekannt gemacht worden, und nur wenige
Personen wüßten von ihm. Endlich könne durch testamentarische
Anordnungen ein Reichsgesetz nicht aufgehoben w erden. Es scheint,
daß Miloradowitsch zugleich auf die dem Großfürsten abgeneigte
Stimmung der Garden aufmerksam gemacht hat. Weder das Volk
noch die Armee werde die Abdankung Konstantins verstehen *)•
Man werde an einen Verrat glauben, und zwar um so mehr, als
weder der Zar noch der durch das Erstgeburtrecht bestimmte
Thronfolger in der Stadt seien; endlich werde die Garde sich be-
stimmt weigern\|inter solchen Umständen Nikolai zu huldigen, und
die Folge werde ganz sicher ein Aufstand sein. Komme die
Nachricht vom Tode Alexanders, so sei Konstantin der rechte
Herrscher und ihm müsse dann sofort gehuldigt werden. Wenn
aber der Kaiser Konstantin freiwillig und öffentlich der Krone4«nt-
sage, könne die Thronbesteigung Nikolais sich in aller Ordnung
und Gesetzmäßigkeit vollziehen.
der ihr eigenen Würde die vom Anstände geforderte Fassung zu zeigen, über-
stieg ihre Kräfte**.
^) Eiu merkwürdiges Zeugnis dafür, daß Konstantin in weiten Kreisen
der Petersburger Gesellschaft nicht unbeliebt war, Anden wir in einem Schreiben
Puschkins au Kantemir vom 4. Dezember 1825. (Westnik Jewropy 1895, lieft V.
S. 754 zitiert von Pypin) „Ais getreuer Untertan muß ich natürlich über den
Tod des Kaisers trauern, aber als Dichter freue ich mich auf die Thron-
besteigung Konstantins 1.: in ihm steckt viel Romantik, seine stürmische
Jugend, die Feldzüge mit Ssuworow, die Feindschaft gegen den Deutschen
Barklay de Tolly erinnern au Heinrich IV. — mit einem Wort, ich erwarte
von ihm viel Gutes."
Kapitel I. Das Interregnum. 11
Auf den Großfürsteri Nikolaus machten diese Einwendungen
einen tiefen Eindruck. Sie entsprachen im Grunde seinen eigenen
Wünschen. Er wußte sehr wohl, daß die Truppen, und die kamen
doch vor allem in Betracht, ihn nicht liebten..^Vurde Konstantin
proklamiert und kam er dann, wie Nikolai voraussetzte, persönlich
nach Petersburg, um feierlich die Krone auf ihn zu übertragen, so
schien jede Schwierigkeit beseitigt. Ohne weiter auf seinen An-
spruch zu bestehen, erklärte er, daß er als erster dem Kaiser
Konstantin huldigen wolle und daß die Garnison auf Konstantins
Namen zu vereidigen sei, sobald die Nachricht vom Tode Alexanders
eintreffe./^ Dabei blieb es, und von dem gefaßten Beschluß wurde
auch Willamow Mitteilung gemacht.
Die Nacht vom 25. auf den 26. ging ganz in der Sorge um
Maria Feodorowna hin. Sie ließ nicht nur ihren Hofmeister Baron
Albedyll, Willamow und Rühl die Nacht über in ihren Gemächern yL^
bleiben, auch der Großfürst Nikolaus mit seinem Jugendfreunde
und Adjutanten Adlerberg verbrachten die ganze Nacht in der
Nähe ihres Schlafgemaches, im Zimmer des Kammerdieners.^i^ie
war wie stets nur mit sich beschäftigt, ihr Zustand „schreck-
lich^, was wohl so auszulegen ist, daß sie in hysterischen %iße-
rungen ihres Schmerzes sich würdelos gehen ließ. So war nun
einmal ihre Art. Das dauerte bis 6 Uhr morgens. In der Nacht
aber hatte sie mehrmals den Großfürsten an ihr Bett gerufen, um
sich von ihm tröstet^ zu lassen. Es ist schwer glaubhaft, aber
immerhin möglich, daß dabei die Frage des Thronwechsels mit
keinem Worte zwischen ihnen zur Sprache gekommen sein sollte.
Die schlimmen Nachrichten waren trotz der von Miloradowitsch,
Woinow, Potapow und Neidhardt getroffenen Vereinbarung schon
am 25. in Petersburg allgemein bekannt geworden. „Wie ein Lauf-
feuer verbreitete sich die Kunde in der Stadt — schreibt Prinz
Eugen — und es herrschte bald ein Treiben^im Palaste, wie ich
es mir noch nie zu erinnern wußte. Es wurden alsbald daselbst
Messen gelesen und für die Erhaltung des Kaisers gebetet. Von
allen Seiten strömte die Menge nach den Kirchen zu gleichem Zwecke;
alle Gedanken schienen nur auf den einen Gegenstand gerichtet,
und es verschwand jedes Gefühl der Persönlichkeit in der allge-
meinen Spannung." Das war auch das Bild am 26. November, der
bessere Nachrichten brachte, nur daß an die Stelle der Fürbitten
Dankgebete traten. Nun hätte der Großfürst Nikolaus alle Ge-
12 Kapitel I. Das Interregnum.
legenheit gehabt mit der Mutter zu reden, und ebenso Maria
Feodorowna die Initiative ergreifen können, um in die Frage der
Nachfolge Klarheit zu bringen. Aber gerade über den Verlauf
dieses Tages gehen die Quellen rasch hinweg, und die späteren
Darstellungen, die den Zusammenhang geflissentlich!^ verwischen
bemüht sind, schweigen ebenfalls.
Am Abend des 26. erhielt Rühl ein Schreiben Wylies welches
zeigte, daß der Kaiser am 16. im Sterben lag, aber da man bereits
wußte, daß am 17. eine Besserung eingetreten war, legte man kein
Gewicht darauf, und namentlich Maria Feodorowna ging wie gewöhn-
lich ihren Beschäftigungen nach. Da traf am 27. früh um 7 Uhr die
Nachricht vom Tode des Kaisers ein*); sie ist von Miloradowitsch,
0 So nach dem einmütigen Zeugnis der ausländischen Diplomaten, die stets
über das Eintreffen der Kuriere ^t unterrichtet waren. Der sächsische Gesandte
Rosenzweig gibtß Uhr alsStunde der Ankunft des Kuriers an. Auch ausWiilamows
Aufzeichnungen ergibt sich, daß der Kurier geraume Zeit vor der Mitteilung an
den Großfürsten Nikolaus angelangt sein muß. Er erzählt, wie er morgens,
nach einem Besuch bei Nesselrode, im großen Empfangssaal des Winterpalais
eine Menge Leute getroffen: ,,man sagte, ein Kurier sei eingetroffen. Fürst
Chilkow (zweiter Sekretär der Kaiserin Maria Feodorowna) kam aus der Kirche
und bestätigte mir dasselbe, wobei er sich auf den Fürsten Dmitri Lobanow
(den Justizminister) berief. Endlich traf Miloradowitsch ein, er ergriff meine
Hand, umarmte mich und sagte: „nun, jetzt gilt es Festigkeit zu zeigen*'.
Seine Augen standen in Thränen. Ich verstand endlich, daß das Unglück ge-
schehen war. Er sagte mir, ich würde Potapow in den Gemächern des Groß-
fürsten finden; man müsse sich bemühen ihn (den Großfürsten) von dem, was
geschehen sei, zu benachrichtigen. Ich fand Potapow im Gespräch mit dem
Kriegsminister, danach schloß Rühl sich uns an. Wir wußten nicht, wie diese
schreckliche Nachricht der Kaiserin beizubringen sei. Rühl schlug vor, es zu
tun, solange die Kaiserin noch in der Kirche sei, weil sie dort, wo sie ihre
Seele zu Gott erhebe, eher die Kraft finden werde, den Schlag zu ertragen.
Den Weg zur Kirche nahmen wir in zwei Gruppen: Graf Miloradowitsch Tu-
tischtschew und Potapow gingen durch den Vorsaal, Rühl und ich durch die
Gemächer der Kaiserin. In ihrem Kabinett fanden wir den Großfürsten in Er-
wartung der schrecklichen Nachricht. Wir bestätigten sie ihm. Der Großfürst
verlangte, daß ihm die Originalnachricht vorgelegt werde. Ich antwortete, sie
sei bei Potapow. Da sagte der Großfürst zu Rühl, er solle gehen die Kaiserin
zu benachrichtigen, er sei selbst nicht imstande es zu tun. Darauf ging Rühl
uns voraus in das an den Altar stoßende Zimmer der Kirche, wo die Kaiserin
sich während der Messe befand; dann hörten wir einen Schrei der Kaiserin
und erkannten daraus, daß sie die Trauerkunde erfahren hatte. Sie verlor
die Besinnung. Als sie zu sich gekommen war, näherte sie sich, während ihr
Beichtiger voranging, dem Altar. Die Großfürstin Alexandra stützte sie. Der
K&pitel I. Das Interregnum. 13
offenbar um die Vorbereitungen für die Vereidigung zu treffen,
mehrere Stunden lang geheimgehalten worden. Die Vereidigungs-
formulare mußten fertiggestellt werden, auch war dafür zu sorgen,
daß die Spitzen der Reichsregierung und Verwaltung, Senat, Reichs-
rat, Generalität leicht erreichbar waren. Ihnen allen ging früh am
27. der Befehl zu, in den Kirchen an Messe und Fürbitte für die
Gesundheit des Kaisers teilzunehmen. Die Kaiserliche Familie, das
ist Maria Feodorowna, der Großfürst Nikolaus und Gemahlin sowie
der Prinz Eugen waren gegen 11 Uhr in der Hofkapelle des Winter-
palais in einer kleinen Parterreloge in der Nähe des Altars bei-
sammen. Eine Glastür führte auf den Korridor, der die Gemächer
des Palastes mit der Loge verband. An dieser Glastür, mit dem
Gesicht zum Innern der Loge gewandt, stand der Großfürst, ihm
gegenüber, so daß er den Korridor überschauen konnte, Prinz
Eugen. Der Großfürst hatte mit dem Kammerdiener Grimm ver-
GroUförst verließ die Kirche, um dem Kaiser Konstantin den Eid zu leisten:
ihm folgten die Generale; Potapow aber bändigte mir drei Briefe ein: von
der Kaiserin Elisabeth, von Wolkonski, von Diebitscb. Die Kaiserin kehrte
von uns allen begleitet in ihre Gemächer zurück, wobei sie von Zeit zu Zeit
sich in einem der Sessel erholte. Wir ließen sie im Kabinett zurück, und
als wir in den großen Empfangssaal zurückkehrten, fanden wir dort die Garde,
die den Eid leistete. Da wir erfuhren, daß dasselbe in der großen Kirche ge-
schehe, gingen wir auch bin und unterschrieben das Vereidigungsformular.*
Willamow erzählt hier als durchaus unverdächtiger und einzig gleich-
zeitiger Zeuge. Nur für die Szene in der Kirche und die Eidesleistung des
Großfürsten ist er nicht Zeuge gewesen.
Sein Bericht ist zu ergänzen durch die Aufzeichnung Nikolais für Kon-
stantin vom 3./15. Dezember, die eine bestimmte Tendenz zeigt, die auf Korft
übergegangen ist, und durch den Bericht des Prinzen Eugen (beides gedruckt in
meinem Buche: die Thronbesteigung Nikolais) den Schilder nicht berücksichtigt
und nur in der Helldorfschen Fassung kannte. Der bekannte Brief Shukowskis
ist 1848 geschrieben, also 23 Jahre nach dem Ereignis, und gibt eine Version,
die sich ihm im Laufe der Zeit als ein verschobenes Bild der Wirklichkeit
festgesetzt hat. Sie ist unvereinbar mit zweifellosen Tatsachen. Auch eine
spätere Aufzeichnung Nikolais ist erhalten, die Korff benutzt hat und Schilder
im Wortlaut zitiert. Sie eliminiert durchweg alles, was auf den Prinzen Eugen
Bezug hat, und fälscht dadurch den Zusammenhang, während sie andererseits
die Richtigkeit der Darstellung Eugens bestätigt. Endlich ist der schon er-
wähnte Brief Neidhardts heranzuziehen, der gleichfalls als Augenzeuge schreibt.
Aus dem Tagebuch Diwows R. St. 1897, I, S. 459 ergibt sich, daß die
Nachricht vom Tode Alexanders um 11 Uhr 50 Minuten dem Großfürsten mit-
geteilt wurde und daß die Vereidigung des Militärs um 3V2 Uhr beendet war.
14 K&pitel I. Das Interregnum.
einbart, daß dieser ihm Nachricht geben würde, wenii ein Kurier
aus Taganrog eintreffen sollte. Ob nun Grimm, Prinz Eugen oder
Miloradowitsch den 6roßfursten>U>ewogen, die Loge zu verlassen,
steht nicht unbedingt fest. Der Großfürst selbst widerspricht sich.
Aber Prinz Eugen erzählt mit großer Bestimmtheit, daß er auf
einen Wink Miloradowitschs Nikolai leise berührte, dieser dann
sich umblickte und, als er Miloradowitsch sah, sofort die Loge
verließ und mit ihm in das Kabinett der Kaiserin ging. Der Prinz
folgte langsam. Im Kabinett fand er den Großfürsten, Milorado-
witsch und den Feldjäger, auch Rühl und Willamow traten gleich
danach ein. Nikolai verlor anfangs alle Fassung, entschloß sich
aber endlich Rühl zu folgen, der der Kaiserin die Nachricht vom
Tode Alexanders bringen solltev. Auf ein Zeichen des Großfürsten
brach die gottesdienstliche Handlung plötzlich ab; die Kaiserin-
Mutter verstand, was geschehen war, als der Großfürst mit ver-
störtem Gesicht in die Loge trat. Sie verlor die\|Besinnung und
wurde, als sie wieder zu sich gekommen war, in ihre Gemächer
zurückgeführt. Auch der Großfürst verließ die Kirche und ging
mit dem Prinzen Eugen und den Herren, die gefolgt waren, an das
andere Ende des Palastes „wo er in der zweiten Hofkapelle, nach
dem kurzen Vortrag eines Geistlichen, seinen Namen in ein großes
Buch unter die in der Eile darin aufgezeichnete Eidesformel für
den Kaiser Konstantin niederschrieb". Der Prinz Eugen unter-
zeichnete als zweiter, darauf alle^wesenden höheren Beamten. Eine
Kompagnie des Preobrashenski- Leibgarderegiments, das die innere
Wache hatte, sprach der Großfürst persönlich an und ließ sie da-
nach, ohne daß ein Widerspruch'4aut geworden wäre, schwören.
General Potapow wurde beauftragt, die Hauptwache und die übrigen
Wachen schwören zu lassen, General Neidhardt in das Alexander-
Newsky-Kloster geschickt, wo sämtliche Generale der Garde zum
Gottesdienst versammelt waren. Er sollte dem General Woinow
den Befehl überbringen, alle Garderegimenter zu vereidigen. Den
übrigen Kommandos und Regimentern in und um Petersburg gingen
gleiche Befehle zu. Um 37:« Uhr hatte das gesamte Militär dem
Kaiser Konstantin den Treueid geleistet.
So war eine tatsächliche Entscheidung über die Nachfolge im
Reich getroffen, die sich kaum rückgängig machen ließ, die aber
unter allen Umständen schwerevVerwicklungen nach sich ziehen
mußte. Weder Miloradowitsch noch der Großfürst Nikolaus waren
Kapitel I. Das Interregnum. 15
berechtigt gewesen, die Befehle zu erlasäen, die die Vereidigung
der Truppen auf den Namen des Kaisers Konstantin zur Folge ge-
habt hatten. Die Iniative gehörte den drei obersten Körperschaften
des Reiches, dem Reichsrat, dem Senat und dem heiligen Synod.
In ihren Archiven waren die>^versiegelten Pakete niedergelegt,
welche die Abschriften des Testaments Alexanders I. enthielten, und
die eigenhändige Aufschrift des verstorbenen Kaisers sagte aus-
drücklich, daß auf die Nachricht von seinem Tode, „ehe zu irgend
einer anderen Handlung geschritten werde" — also auch vor der
Eidesleistung an den Thronerben — jene Pakete zu öffnen seien.
Aber weder der Justizminister Fürst Lobanow Rostowskijdem im
Senat diese Pflicht zufiel, noch der Oberprokurator des heiligen
Synods Fürst Meschtscherski, fanden Entschluß und Mut zu tun,
was ihre Amtsstellung verlangte. Trotzdem hätte noch alles zum
Besten gekehrt und die Thronbesteigung Nikolais vor vollzogener
Vereidigung der Truppen proklamiert werden können, wenn dem
Reichsrat, den der alte Präsident Fürst Lopuchin rechtzeitig be-
rufen hatte, ge^ttet worden wäre, seine richtig erkannte Pflicht
zu tun und mif^bergehung Konstantins den Großfürsten Nikolaus
als den rechtmäßigen Thronerben der Nation vorzustellen. Aber
auch hier setzte man sich schließlich gegen besseres Wissen über
das klare Recht hinweg, um den Impulsen zu folgen, die Milorado-
witsch gegeben hatte. Der Reichsrat war eine Stunde nach der
offiziellen Kundgebung der Todesnachricht im Winterpalais zu-
sammengetreten, um 12 Uhr Ö5 Minuten, und es ist doch höchst
charakteristisch, daß, nachdem die versiegelten Papiere von dem
Reichssekretär Olenin in die Versammlung gebracht worden waren,
der Justizminister(:vorschlagen konnte, sich um das versiegelte
Paket nicht weiter zu kümmern. Es sei doch alles dummes Zeug
(wsdor), nachdem einmal der Großfürst Nikolai Pawlowitsch dem
Kaiser Konstantin gehuldigt habe. Daß er damit nicht durchdrang,
war das Verdienst des alten Freundes Alexanders, des Fürsten
A. Nik. Golitzyn und Olenins, denen sich nach einigem Schwanken
auch Lopuchin anschloß. Aber es verging noch geraume Zeit im
Hin- und Herreden, weil man den feierlichen Akt der Öffnung
des letzten Willens Alexanders in Gegenwart Miloradowitschs vor-
nehmen wollte, dieser aber auf sich warten ließ. Als er endlich
erschien, suchte er noch im letzten Augenblick das Öffnen des
Testaments zu verhindern. „Ich habe die Ehre," sagte er.
16 Kapitel I. Das Interregnum.
„dem Reichsrat zu melden, daß Se. Kaiserliche Hoheit, der Groß-
fürst Nikolai Pawlowitsch geruht ^at, seinem älteren Bruder, dem
Kaiser Konstantin Pawlowitsch, deV-Untertaneneid zu leisten." Er,
der Generalgouverneur und die Truppen hätten seiner Majestät be-
reits geschworen. Er rate den Herren diesem Beispiel zu folgen;
nach geleistetem Eide stehe ihnen frei zu tun, was ihnen beliebe.
Aber der Graf drang nicht durch. Das versiegelte i^aket wurde
geöffnet und unter tiefem Schweigen, das zeitweilig vom Schluchzen
der Zuhörer unterbrochen wurde, verlas Olenin den letzten Willen
Alexanders. Es konnte nun nicht mehr zweifelhaft sein, daß
Konstantin auf den Thron^erzichtet hatte und Nikolai Pawlowitsch
der rechtmäßige Kaiser war .J Als trotzdem Miloradowitsch die Ver-
sammlung nochmals aufforoerte, dem „Kaiser" Konstantin zu
schwören, verständigte man sich schließlich dahin, den Großfürsten
durch den Grafen Miloradowitsch zu bitten, den Reichsrat mit seinem
Besuch zu beehren, damit man aus seinem Munde höre, daß er wirklich
fest entschlossen sei, die Krone nicht anzunehmen. Aber Nikolai, der
sich eben erst so eigenmächtig über alles geltende Recht hinweg-
gesetzt hatte, wurde jetzt seMlfeinfühlend. Er ließ durch Milorado-
witsch erklären, daß er sich nicht füf^berechtigt halte, an einer
Sitzung des Reichsrats teilzunehmen, und daher auch den Sitzungs-
saal nicht betreten könne, dagegen war er auf eine neue Anfrage
hin bereit, die Herren in corpore zu empfangen.^Nun gingen alle,
von dem alten Fürsten Lopuchin geführt, zum Großfürsten, der
schnellen Schrittes an sie herantrat und gleich zu reden begann.
„Er blieb" — so schildert Olenin die Szene — „in unserer Mitte
stehen, die rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigeflngcr über seinen
Kopf emporhebend, als wollte er Gott zum Zeugen seiner Auf-
richtigkeit anrufen, er war bleich und die Spuren der Tränen, die er ver-
gossen hatte, noch sichtbar. „Meine Herren," sagte er, „ich bitte Sie
und flehe Sie an, um der Ruhe des Reiches willen, sofort meinem
Beispiele und dem des Heeres folgend, dem Herrn und Kaiser
Konstantin Pawlowitsch den Treueid zu leisten. Ich werde keinen
anderen Vorschlag annehmen und will nichts anderes hören." Hier
unterbrach ihn das Schluchzen der Anwesenden und man hörte
einige Stimmen sagen: welche großmütige Tat. „Hier ist nichts
großmütig," rief der Großfürst. „Meine Handlung entspringt keinem
anderen Antrieb, als dem, die heilige Pflicht zu erfüllen, die ich
meinem älteren Bruder schulde. KeineClirdische Macht kann meine
Kapitel I. Das Interregnum. 17
Gedanken in dieser Frage und über diese Angelegenheit wandeln.
Ich werde mit niemandem beraten und sehe nichts, was Lob ver-
dient. Ich erfülle meine Pflicht, weiter nichts, und es wäre mir
sehr schmerzlich, wenn einer von Ihnen, meine Herren, denken
könnte, daß ich auch nur einen Augenblick bei einem anderen
Gedanken stehen bleiben könnte, als bei dem, Konstantin Pawlo-
witsch Treue zu schwören, der nach dem Tode meines Bruders
und Wohltäters Alexander mein angestammter Kaiser ist wie der
Ihrige.^L^ Hier drängten alle auf den Großfürsten zu, um ihm
nach russischer Sitte Rock und Ärmel zu küssen. VAber er kam
ihnen zuvor, umarmte und küßte die einen, drückte anderen die
Hand und wiederholte dabei immer aufs neue, was er vorhin ge-
sagt hatte. Nur mit vieler Mühe konnte er bewogen werden, den
letzten Willen Alexanders und die Thronentsagung Konstantins zu
lesen. „Er wisse bereits alles, diese Sache sei ihm nicht ver-
borgen geblieben, aber er habe sich schon damals geschworen,
wenn das Unglück eintreten sollte, zu handeln wie er jetzt getan.
\^iemand könne seinen Willen brechen, und seine erhabene Mutter,
der diese Sache ebenso vollständig bekannt gewesen sei wie ihm,
billige seine Handlungsweise durchaus.^ Schließlich nahm er dann
die Dokumente aus Olenins Händen und las sie leise für sich, wo-
bei er durch den Ausdruck seines Gesichts und durch seine Be-
wegungen erkennen ließ, wo er mit dem Manifest nicht über-
einstimmte, und ebenso sein Bedauern über die Abdankung
Konstantins zeigte. Dann bat er die Anwesenden nochmals, den
Eid zu leisten, und erbot sich, sie zur Kirche zu führen.
Nun erklärten die Herren sich einstimmig bereit, den Eid zu
leisten, und so haben sie in Gegenwart des Großfürsten in der
großen Palastkirche geschworen.^
>^Der Empfang der Reichsratsmitglieder durch die Kaiserin-
Mutter, der gleich danach erfolgte, trug einen ähnlich dramatischen,
fast möchte man sagen, theatralischen Charakter. Maria Feodorowna
saß „in völliger, aber majestätischer Verzweiflung^ auf ihrem Sessel.
Auch sie hielt eine Ansprache, dieVon demASchluchzen der An-
wesenden begleitet wurde, und auch hier bildeten Küsse, Tränen
und lautes StöhneifYden Abschluß. Dann kehrten die Herren in
ihren Sitzungssaal zurück und vertagten sich, um das inzwischen vom
Reichssekretär fertigzustellende Protokoll zu unterzeichnen. Olenins
Protokoll ist um 7 Uhr abends verlesen und gutgeheißen worden wor-
Schiemann, Geschichte Rußlands. II. 2
18 Kapitel I. Das luterregnum.
auf die Reinschrift von sämtlichen Reichsräten, mit Ausnahme des
Grafen Miloradowitsch, der nicht erschienen war, unterzeichnet wurde.
Nachträglich ließ auch der Großfürst sich das Protokoll vor-
legen. Es ist für seine Geistesart charakteristisch, daß er sich be-
rechtigt glaubte, den Satz zu streichen, der von seinem „groß-
mütigen Entschluß" sprach. Es mußte daher eine neue Rein-
schrift angefertigt werden, die an Stelle der anstößigen Worte
„seinen unerschütterlichen Willen" setzte. In dieser Fassung wurde
am anderen Morgen das Protokoll nochmals unterzeichnet und nun-
mehr vom Großfürsten ausdrücklich gutgeheißen.
Diese endgültige Formulierung aber enthielt den Satz: „dort
geruhte Se. Kaiserliche HoheiÄ^vor dem versammelten Reichsrat
selbst mündlich zu bekräftigen, daß er von keinem anderen Vor-
schlage hören wolle, als von dem, Sr. Kaiserlichen Majestät dem
Herrn und Kaiser Konstantin Pawlowitsch den Eid zu leisten, wie
er solchen schon selbst^bgelegt habe; daß die im Reichs rate
vorgelesenen Papiere ihm längst bekannt seien, seinen Ent-
schluß aber nicht hätten ei^schüttern können."
Die Eidesleistung aller Zivilbeamten machte nun weiter keinerlei
Schwierigkeiten; für Petersburg war die endgültige Entscheidung
gefallen, so mußte man wenigstens glauben. Senat und heiliger Synod
erfuhren zunächst überhaupt nichts von der Existenz des Testaments,
aber es konnte doch zweifelhaft sein, wie Konstantin sich verhalten
werde, und ob in Moskau, wo das Original des kaiserlichen
Testamentes lag, die mit Öffnung desselben betrauten Personen,
das ist der Metropolit und der Generalgouverneur, nicht, wie es
ihre Pflicht war, auf die erste Nachricht vom Tode des Kaisers
ihrerseits digH^ldigung für Nikolai würden vornehmen lassen?
Dem Großfürsten und dem Grafen Miloradowitsch wäre es wohl
das Liebste gewesen, wenn die versiegelten Pakete mit dem letzten
Willen Alexanders bis auf weiteres uneröffnet liegen geblieben
wären. Beide rechneten darauf, daß Constantin nach Petersburg
kommen und dort die Regierung in aller Feierlichkeit von sich aus
und aus kaiserlicher Machtvollkommenheit auf den Bruder über-
tragen werde. Geschah das, so war an eine Opposition der Garden,
wie man sie fürchtete, nicht weiter zu denken, und der Regierungs-
wechsel konnte sich in aller Ruhe vollziehen.
Prinz Eugen von Württemberg, der von den eigentlichen
Motiven Nikolais ebensowenig wußte wie die übrige Welt, sie
Kapitel I. Das Interregnum. 19
aber mit richtigem Instinkt an iliren Symptomen erkannte, wies
die Hauptschuld an den Wirren dem Kaiser Alexander zu. Eine
Neuregelung der Thronfolge hätte sogleich zu öftentlicher Kenntnis
gebracht werden müssen. ^Man^^chaltet mit der Sukzession der
Regenten nicht wie mitPrivattestaraenten.\^r konnte nicht wissen,
daß der Kaiser ursprünglich die Veröffentlichung schon 1823 hatte
vornehmen wollen, und nur auf Bitten Nikolaus davon vorläufig
Abstand genommen hatte.*) Da nun aber Alexanders Mißgrift* ein-
mal Tatsache war, hätte man nach Meinung des Prinzen folgender-
maßen verfahren müssen: „Der Reichsrat legt die Abdikations-
urkunde Konstantins dem Großfürsten Nikolaus vor und dieser
übernimmt die Regierung mit dem Vorbehalt erneuter Anfrage an
den rechtmäßigen Thronerben und mit der Bitte, dieser letztere
möge seinen früheren Entschluß widerrufen und seinen ihm ge-
bührenden Platz einnehmen. Bis zur Entscheidung führt Großfürst
Nikolaus den Vorsitz«im Reichsrat und sorgt für Erhaltung der
Ruhe und für die vülTlge Publizität der sich auf die Thronfolge
beziehenden Aktenstücke." Das war gewiß richtig gedacht und
hätte aller Wahrscheinlichkeit nach dem Großfürsten eine ruhige
Thronbesteigung gesichert und dem Reich eine Erschütterung
erspart, die von lange nachwirkenden Folgen sein sollte. Der Groß-
fürst Nikolaus hatte sich in eiuQ^iderspruchsvolle und, wie ihm
selbst wohl bewußt war, unhaltbare Lage versetzt. Während er
sein positives, legitir^erworbenes Recht auf den Thron verleugnete, i —
usurpierte er zugleich Machtvollkommenheiten, die ihm ohne Zweifel
nicht zukamen. Er war weder berechtigt, selbst den Bruder zu
proklamieren und ihm zu schwören, noch von Reichsrat und Senat
den Eid zu verlangen, zu dem er sie schließlich fortriß und den
sie aus Charakterlosigkeit leisteten, noch auch die Truppen ver-
eidigen zu lassen. Da Alexander so plötzlich gestorben war,
Konstantin als präsumtiver Erbe des Thrones in Warschau weilte,
Nikolai als designierter Erbe sich weigerte, die Krone anzunehmen,
hatten nur Reichsrat und Senat das Recht, die Maßregeln zu er-
greifen und die Befehle zu erteilen, durch welche Rußland
wiederum in geordnete und allgemein anerkannte staatsrechtliche
Verhältnisse zurückgeführt werden konnte. So urteilt der fran-
0 conf. unten den Bericht des Generals Baron Toll.
2^
20 Kapitel I. Das Interregnum.
zösische Botschafter Graf La Ferronnays ') durchaus zutreffend, und
das wird auch das geschichtliche Urteil bleiben.
Vsl Nun war aber die Entwicklung bereits in falsche Bahnen ge-
idnkt und die Kurzsichtigkeit und Eigenwilligkeit Konstantins mußten
die Verwirrung und Unsicherheit der Lage noch steigern.
Schon am 27. gingen Feldjäger und Kuriere an alle Spitzen
der Verwaltungen und an die militärischen Autoritäten des Reichs
ab, um sie von der in Petersburg gefallenen Entscheidung zu unter-
richten. Die Vereidigung auf den Namen Konstantins sollte im
j- größten Teil des Reiches als vollendete Tatsache dem Cäsarewitsch
^^ntgegengetragen werden und ihm dadurch, wenn er bei seinem
Entschluß beharrte und die Krone ablehnte — wie sowohl Milorado-
witsch als Nikolai annahmen — die Notwendigkeit^Vauferlegen,
feierlich und öffentlich seinen Ansprüchen oder vielmehr der ihm
oktroyierten Stellung zu entsagen. Auch schien anfanglich alles
') Depesche vom 5./17. Dezember 1825 Nr. 6 durch französischen Kurier
conf. auch die Depesche vom 2./10. Dezember, welche die wichtige Nachricht
enthält, daB der Kurier mit der Nachricht vom Tode Alexanders am 27. No-
vember um 6 Uhr morgens in Petersburg eingetroffen sei. Ebenso der öster-
reichische Botschafter Lubzeltern d. d. Petersb. 18./1. Dezember durch preußischen
Kurier «le 27 Novembre, jour oü le funeste evenement fut appris ici ä 7 heures
du matin par le Feldjäger Vimer, expedie de Taganrog le 19 Novembre le
matin." Beide Berichte bestätigen, daß Nikolai im Reichsrat erklärt habe, daß
ihm der Inhalt der Akten bekannt sei. Daß Nikolai auch von Alexander selbst über
das Manifest unterrichtet worden war, hat der Großfürst Michail am 9. Dezember
dem General Toll folgendermaßen erzählt: „Als der Kaiser davon (von der
Abfassung des Manifests und der Ernennung Nikolais zum Thronerben) dem
Großfürsten Nikolai Pawlowitsch Mitteilung machte, bat seine Hoheit ihn
dringend, dieses Testament zu vernichten, da nach dem Naturrecht die Nach-
folge seinem Bruder Konstantin gehöre, aber der Kaiser achtete nicht auf seine
Worte und wollte das Manifest sofort veröffentlichen und ihn als
Nachfolger proklamieren. Nikolais und der Großfürstin Alexandra Feodorowna
wiederholte Bitten bewogen den Kaiser endlich, das Testament dahin zu
modifizieren, daß es erst nach dem Tode Alexanders zur Ausfuhrung gebracht
werden sollte.^ Aufzeichnung Tolls vom 22. Dezember 1825 in 60 Exemplaren
als Manuskript gedruckt in der Typographie des Kriegsministeriums 1898.
Dieser Zusammenhang läßt Nikolais Verfahren noch bedenklicher erscheinen.
Auch kann nicht zweifelhaft sein, daß Konstantin, vor dem Michail keine Ge-
heimnisse hatte, diese Tatsachen kannte. Korff (Die Thronbesteigung des Kaisers
Nikolaus I. Frankfurt a. M. 1857), dem das ToIIsche Manuskript vorgelegen
hat, unterschlug die Wahrheit, um die Fabel von der Unkenntnis Nikolais auf-
recht zu erhalten.
Kapitel I. Das Interregnum. 21
nach Wunsch zu gehen. Petersburg blieb ruhig. Die Militär-
kolonien, um deren Verhalten man nicht ohne Sorge war, huldigten
ohne Zögern, dann folgte die Nachricht, daß die finnländischen
Stande geschworen hätten, ohne auf^-^rherige Bestätigung ihrer
Privilegien zu dringen, am 3. Dezember endlich ^fuhr man, daß
auch in Moskau sich alles nach Wunsch vollzogen hatte. Die
Nachricht vom Tode Alexanders war in der alten Residenz am
28. November zunächst als Gerücht verbreitet, beunruhigte den
Metropoliten Philaret jedoch so sehr, daß er am 29. zum General-
gouverneur Fürsten Dmitri Wladimirowitsch Golitzyn ging und
ihm von den in der Himmelfahrtskathedrale liegenden Dokumenten
Mitteilung machte. Dabei stellte sich heraus, daß Golitzyn, der
dem Prälaten bestätigte, daß der Kaiser allerdings gestorben sei,
von der Xgüfägung Alexanders über die Thronfolge und von der
Existenz des Testamentes nichts wußte. Das Ergebnis ihrer Ver-
handlungen war, auf jede eigene Initiative zu verzichten. Die
vom verstorbenen Kaiser deponierten Papiere ließ mau ruhig im
Kirchenschrein weiter ruhen. Sollte ein 'Manifest aus Warschau
eintreffen, so wollte man es zunächst geheim halten und sich unter
allen Umständen der Entscheidung anschließen, die in Petersburg
getroffen wurde. Auch hier bestätigte sich derErfahrungssatz, daß
man in Rußland gewohnt ist, weit eh^ die Verantwortung für
eine Unterlassung, als für eine selbständige Handlung auf sich zu
nehmen. Offenbar abdizjerte Moskau damit politisch, und das trat
noch deutlicher zutage^y^ls am 29. abends — so rasch war
Miloradowitschs Kurier gefahren — die sehr bestimmte Anordnung
des Petersburger Kriegsgouverneurs eintraf, der zufolge Moskau
dem Kaiser Konstantin huldigen, das Testament Alexanders aber
nicht erbrochen werden sollte. So wolle es der Großfürst Nikolai,
der dem Kaiser Konstantin bereits gehuldigt habe. Philaret hat
nur noch einige schwächliche Versuche gemacht, den General-
gouverneur von einer übereilten Entscheidung zurückzuhalten, in-
dem er darauf hinwies, daß das Schreiben Miloradowitschs
nicht den Charakter einer Staatsurkunde trage. Golitzyn
bestand jedoch auf seinem Willen. Das Äußerste, wozu er sich
bereit fand, war, den Moskauer Senat für den nächsten Morgen
zu berufen, ihm den Brief Miloradowitschs vorzulegen und einen
Beschluß der Senatoren herbeizuführen. Philaret versprach da-
gegen, sich dieser Entscheidung zu fügen. Und so ist dann auch
22 Kapitel I. Das Interregoum.
der schließliche Verlauf gewesen. Die Senatoren — denen von
den in der Ilimmelfahrtskathedrale liegenden Papieren keinerlei
Mitteilung gemacht wurde, — einigten sich dahin, dem Beispiele
Petersburgs Folge zu leisten. Am 30. vormittags hat ganz Moskau
dem neuen Kaiser geschworen, aber erst am Abend dieses Tages
traf der Senatsukas aus Petersburg ein, der die Vereidigung in
offizieller Weise anordnete. So haben auch hier politische Feigheit
un(l4^ewissenlosigkeit den Ausschlag gegeben. Aber Golitzyn ist
dafür später mit dem Andreasorden und Philaret mit einem
Diamant-Brustkreuz belohnt worden. Sie hatten beide den Zwecken
gedient, die man in Petersburg verfolgte. Daß damit der unzwei-
deutige Befehl des verstorbenen Kaisers umgangen, und durch die
Huldigung vor Eintreffen des Senatsukases eine durchaus ungesetz-
liche Handlung begangen wurde, die unter anderen Verhältnissen
als ein Staatsverbrechen geahndet worden wäre, kam dem gegen-
über nicht in Betracht. Wie in Petersburg, ließ man die Mittel
durch den Zweck heiligen.
Weit korrekter und jedenfalls ehrlich, wenn auch nicht ohne
Anllug von Donquichotterie, die all seinem Tun anhaftet, ist der
Großfürst Konstantin Pawlowitsch verfahren.
Er war seit dem 19. November durch fast täglich eintreffende
Briefe des Generals Diebitsch erst von der Erkrankung des Kaisers,
dann von der gefährlichen Wendung unterrichtet worden, die das
.^tückische Fiebergenommen hatte, dasam Leben Alexanderszehrte. Seine
steigende Sorge hatte der Großfürst zunächst für sich behalten. Als er
am 25. um 7 Uhr abends die Nachricht vom Tode des Bruders erhielt
und seinen ersten Schmerz mit der Fürstin Lowicz und Michail
Pawlowitsch geteilt hatte, berief er zum Morgen des 26. seine
nächsten Vertrauten: General Kuruta, den Adjutanten Kolsakow
und Nowossilzew, weniger um Rats zu pflegen als um ihnen seine
Entschlüsse mitzuteilen. Den Titel Majestät, mit dem sie ihn auf
die Kunde vom Tode Alexanders anredeten;^wies er mit leiden-
schaftlicher Heftigkeit zurück^). Er befahl, den Tod Alexanders
bis auf weiteres geheim zu halten. Was er selbst zu tun
hatte, wußte er. Seiner Meinung nach gebührte Maria Feodo-
rowna in Petersburg die formelle Leitung des Übergangs der Re-
^) Er hat Kolsakow deshalb sogar arretieren lassen, ihm aber bald danach
seineu Degen wieder zurückgegeben.
Kapitel I. Das Interregnum. 23
gierung auf Nikolai. An sie richtete er ein offizielles Schreiben,
in dem er, unter Berufung auf das Reskript Alexanders vom
2. Februar 1822, welches ihn von seinem Recht auf die Thronfolge
entband, ausdrücklich dieses sein Anrecht dem Großfürsten Nikolai
Pawlowitsch und dessen Erben abtrat. jJJugleich bat er die Kaiserin,
sein Schreiben gehörigen Orts (das kann nur heißen im Reichsrat)
bekannt zu machen und in Ausführung bringen zu lassen. Ein
zweites, an Nikolai gerichtetes Schreiben, das ebenfalls für die
Öffentlichkeit bestimmt war, wiederholte den Verzicht und brachte
dem Bruder zugleich den Untertaneneid des Großfürsten. Endlich
schrieb der Großfürst noch einen herzlich gehaltenen Privatbrief an
den Bruder, und forderte ihn nochmals auf, den Willen Alexanders
zu ehren und genau zu erfüllen.
Die Oberbringung dieser Briefe nahm der Großfürst Michail
Pawlowitsch auf sich. Am 26., bald nach Mittag, verließ er
Warschau. Gleichzeitig benachrichtigte Konstantin Diebitsch und
W'olkonski von dem, was geschehen war. Er selbst bleibe als
ihr Dienstkamerad auf seinem „bisherigen Platze". Befehle
habe er ihnen nicht zu erteilen, die seien aus Petersburg zu er-
warten.
A Damit meinte Konstantin getan zu haben, was von ihm abhing,
das weitere mußte von Petersburg her geschehen. Wie groß war
aber das Erstaunen und die Entrüstung des Großfürsten, als am
2. Dezember ihm Lasarew den uns bekannten Brief Nikolais, das
Protokoll des Reichsrats und Begleitschreiben von Olenin und Lo-
puchin überbrachte, die an ihn als an den Kaiser gerichtet waren.
Er war außer sich und expedierte sofort einen Feldjäger an Lo-
pucbin. Der Reichsrat sei dem Eide untreu geworden, den er dem
verstorbenen Kaiser geleistet, auch habe er keinerlei Recht gehabt,
ihn, den Großfürsten, ohne sein Wissen und ohne seine Zustimmung
zu proklamieren. Der Eid, den man ihm geschworen und zu dem
der Reicbsrat andere verführt habe, sei unrechtmäßig und ungesetz-
lich, er müsse daher annulliert und statt dessen ein neuer Eid dem
Kaiser Nikolaus geleistet werden. Dem Bruder aber schrieb Kon-
stantin durch Lasarew, der erst am 3. Dezember Warschau verließ,
daß er von seinem Entschluß nicht abstehen, auch nicht nach
Petersburg kommen werde, vielmehr, wenn nicht alles geordnet
werde, wie Alexander bestimmt habe, sich ohne Zögerung „noch
weiter" entfernen werde.
24 Kapitel I. Das Intorregnum.
An eben diesem 3. Dezember, um ö Uhr') morgens, traf Mi-
chail, der schon unterwegs erfahren hatte was inzwischen geschehen
war^ in Petersburg ein. ^Mit ihm jener General Opotschinin, den
man am 27. nach Warschau geschickt hatte, um Konstantin zur
Annahme der Krone zu bewegen, und den Michail, weil er von
der Fruchtlosigkeit dieser Bemühungen überzeugt war, veranlaßt
hatte, umzukehren. Er stieg in seinem Palais ab, wo ihn Nikolai
und Miloradowitsch, „der in diesen Tagen überall und fast ununter-
brochen sich beim Großfürsten befand^, sofort aufsuchten-^^ber
Miloradowitsch wurde bald abgerufen, weil Feuer in den Gebäuden
des Alexander-Newskiklosters ausgebrochen war, und beide Groß-
fürsten fuhren nun zusammen ins Winterpalai§. Michail mußte
einige Zeit warten, ehe er von Maria Feodorowna^Iempfangen wurde,
da sie schlief. Dann fand eine lange Unterredung zwischen ihnen
unter vier Augen statt'). Zu einem bestimmten Rat wußte die
Kaiserin sich nicht zu erheben und auch Michail schwankte.^Beide
neigten der Meinung zu, daß mit der entschiedenen Erklärung
Konstantins, daß er den Thron an Nikolai abtrete und diesem
seinen Treueid übersende, die Frage entschieden sei, und gewiß
hatten sie Recht. Fand man den Mut, diese Schreiben und dazu
das Testament Alexanders zu veröffentlichen, so ließ der Fehler,
der mit den^bereilten Huldigung begangen war, sich wieder gut
machen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte es wohl scharfe
Kritik, aber keinerlei Widersetzlichkeit gegeben. Als aber der
Großfürst Nikolaus, der in einem Nebenzimmer wartete, heran-
gezogen wurde, zeigte sich dieser durch die Botschaft Konstantins
wie durch die mündliche Botschaft Michails aufs tiefste enttäuscht. *^'
Er hatte mit Sicherheit erwartet, daß Konstantin persönlich nach
Petersburg kommen und die Regierung förmlich auf ihn übertragen
werde. Die beiden offiziellen Schreiben, die Michail -ittb^rbracht
hatte, schienen ihm nicht ausreichend, um eine neue Vereidigung
vorzunehmen. Er fürchtete, daß Unruhen zum Ausbruch kommen
könnten, und hoffte noch immer, daß es möglich sein werde, den
*) So Potapow in seinem Brief an Diebitscb vom 3. Dezember. Willamow
gibt 6 Uhr morgens als Stunde des Eintreffens an.
^) So nach der eigenhändigen Aufzeichnung des Großfürsten Michail
Pawlowitsch. Original im Petersb. Reichsarchiv. Der Großfürst setzt die
Unterredung irrtümlich auf den 1. statt auf den 3. Dezember. Er war damals
noch unterwegs.
Kapitel I. Das Interregnum. 25
Bruder zu bewegen, durch sein persönliches Erscheinen in Peters-
bürg den schweren Übergang zu erleichtern./ Dazu scheint gerade
damals Miloradowitsch ihn mit der unsicheren und unzufriedenen
Stimmung der 6arder\geängstigt zu haben. Auch konnte Michail
sich der Tatsache nicht verschließen, daß seit der Vereidigung der
Truppen auf den Namen Konstantins, die Lage eine andere
geworden war^ als an jenem 26. November, da er mit den Briefen
des Großfürsten Warachau verlassen hatte. Aber er hielt mit seiner
^lißbilligung der Handlungsweise Nikolaus nicht zurück. Als er
mit dem Bruder allein war, fragte er ihn, weshalb hast du das
alles getan, da dir doch der Verzicht des Zesarewitsch und die
Akten (akty) des verstorbenen Kaisers bekannt waren ?4-Die Antwort
Nikolais war ein Hinweis auf die Schwierigkeiten seiner Lage und
auf seine Hoffnung, daß Konstantin nach Petersburg kommen werde.
Und damit mußte Michail sich zufrieden geben. Vielleicht spielte
bei Michail auch der still -gehegte Wunsch mit, daß Konstantin
trotz allem bereit sein könnte, die Last der Krone auf sich zu
nehmen*). Jedenfalls stimmte auch er zu, als Nikolai und Maria
Feodorowna sich dahin verständigten, im Hinblick auf die inzwischen
erfolgten Eidesleistungen dem Zesarewitsch noch einmal zu schreiben,
und ihm, nach Darstellung der Verhältnisse, nahe zu legen, durch
sein Erscheinen in Petersburg oder durch Erlaß eines Manifestes
die Krisis zu günstigem Ausgang zu führen. Der Großfürst Niko-
laus verfaßte nun ohne allen Zeitverlust eine umfassende Denk-
schrift in russischer Sprache, welche die Ereignisse vom 25. No-
vember bis zum 3. Dezember in historischer Folge erzählt und
mit der Nachricht schließt, daß die Militärkolonien, Finnland und
MoskaudemKaiser Konstantin gehuldigt hätten. Diese Denkschrift, die
eine Reihe kleinerUnwahrheiten enthält und Wesentliches verschweigt, "^
war sehr geschickt abgefaßt und gibt eine nicht geringe Vorstellung
von den Fähigkeiteir^des Großfürsten '). Der französisch geschriebene
Privatbrief ist überaus leidenschaftlich im Ton und darauf berechnet,
das Verhalten Nikolais zu entschuldigen. Er habe zwar vorher-
gewußt, daß Konstantin an seiner Entsagung festhalten
1) Das glaubte z. B. die Gräfin Nesselrode. Das oben angeführte Gespräch
ist in einer Yon Nikolai ausdrücklich bestätigten Aufzeichnung Michails ent-
halten.
3) Zum erstenmal gedruckt in meinem Buch: Die Thronbesteigung Niko-
laus I. Berlin 1902.
\
26 Kapitel I. Das Interregnum.
werde, aber, um den Staat nicht zu geHihrden, nicht anders
handeln können. Sein Pflichtgefühl sei das entscheidende Motiv
gewesen, aber er werde sich dem Willen Konstantins unterwerfen
und gehorchen, das schwöre er vor Gott, so schwer es ihm auch
falle 0. 1
Dagegen sagtNikolai in keineinder beiden Schreiben, daß er Kon-
stantin in Petersburg erwarte, und ebensowenig ist von dem Manifest
die Rede, das in zweiter Reihe als Mittel ins Auge gefaßt war, um
den Regierungswechsel zu erleichtern. Opotschinin, den man nun
zum zweitenmal nach Warschau schickte, sollte mündlich mit diesen
Vorschlägen hervortreten. Die Kaiserin-Mutter soll ihm bei seiner
Verabschiedung gesagt haben: Führen Sie uns Konstantin her').
Noch am 3. abends gingen die Briefe Nikolais nach Warschau
ab. Michail blieb vorläufig in Petersburg, aber seine Lage wurde
peinlich. Man wußte bereits in Petersburg von dem Verlauf der
Reichsratssitzung und zog aus der Tatsache, daß Michail dem
Kaiser Konstantin nicht gehuldigt hatte, naheliegende Schlüsse.
Jedenfalls schien die endgültige Entscheidung über das künftige
Schicksal Rußlands noch nicht getroflen zu sein.\/iline Partei, die
für Nikolai war, und eine andere, die zu Konstantin hielt, begann
sich zu bilden. Überhaupt wurde die Stimmung unsicher. iNachdem
die ersten Tage der Trauer über den Tod Alexanders dahingegangen
wareu^regte sich die Kritik. Als der Minister des Innern, Lanskoi,
in der Plenarversammlung des Senats am 4. Dezember den Antrag
stellte, eine Subskription zu einem Denkmal zu veranstalten, das
die Unterschrift tragen solle: „Alexander I. dem Gesegneten das
Volk", verharrte die Versammlung in so eisigem Schweigen, daß
er die Sitzung verließ. Der Antrag wurde danach, wie es anders
nicht möglich war, zwar einstimmig angenommen, aber der Senat
strich die Worte „der Gesegnete" und setzte dagegen^ Alexander dem
Ersten. Rußland". Es bedurfte des Eingreifens der offenbar tief ver-
letzten Kaiserin-Mutter, um den ursprünglichen Wortlaut herzustellen.
Unzweifelhaft gärte es auch in den Kreisen, die der Regierung
am nächsten standen. Es kam daher darauf an, die Entscheidung
nach Möglichkeit zu beschleuniget^^ So entschloß man sich denn
') Das Wort „ich habe meine Pflicht erfüllt* kehrt regelmäßig wieder,
wo Nikolai von den Ereignissen des 27. November spricht.
^) „amenez moi Constantin" Gräfin Nesselrode d. 6. Dez. 1. I.
Kapitel I. Das Interregnum. 27
am 5. Dezember nachmittags, den Großfürsten Michail wieder nach
Warschau abzufertigen, und zwar mit einem ganzen Stabe von
Beamten, damit er für den Fall, daß Konstantin nach Petersburg
kommen sollte, ihn inzwischen vertreten könne'). Auch drei Feld-
jäger wurden ihm mitgegeben und die Vollmacht, alle von Kon-
stantin einlaufenden an die Adresse Maria Feodorownas gerichteten
Schreiben den Kurieren, die ihm etwa unterwegs begegnen könnten,
abzunehmen und zu öffnen.
In einem Brief vom 6. Dezember*) wird uns die Stimmung, die
damals in den Kreisen herrschte, die Konstantins drohende Re-
gierung fürchteten, sehr anschaulich folgendermaßen geschildert:
„Unbegreiflich ist es, daß diese ganze so überaus wichtige Angelegen-
heit im Schoß der Kaiserlichen Familie verhandelt wird, und daß
man niemanden um Rat fragt, obgleich es der Mühe wohl wert
wäre. Der einzige, dem ein gewisses Vertrauen zuteil wird, ist
— ich schäme mich, es zu sagen — Miloradowitsch! Sein Einfluß
geht offenbar darauf zurück, daß man ihm die Ruhe zu danken
glaubt, die jetzt herrscht. Man hat aber dafür jedem einzelnen
dankbar zu sein und nicht diesem herzlosen Polichinel. Wahr-
scheinlich hält er ihnen stets vor, daß alles die Herrschaft Kon-
stantins wünsche, und vielleicht schreckt er sie mit den Gefahren
einer neuen Vereidigung, welche drohen, wenn Konstantin dabei
bleibt, daß er nicht regieren wolle. Das ergibt sich aus einigen
Äußerungen des Großfürsten Nikolaus, die man mit Sicherheit aus
dem Palais erfahren hat. Und so wird dieser Prinz, den der
Kaiser Alexander in seiner Weisheit von dem Regiment ausschloß,
von der Familie und der öffentlichen Meinung gerufen. Man
fragt, woraufhin? Auf nichts hin, behaupte ich. Er ist seit zwölf
Jahren fern, man wünscht ihn, weil es heißt, daß er sich ver-
ändert habe; ich aber bin fest überzeugt, daß er der alte geblieben
ist, und ich zittere vor dem Gedanken, daß er dem süßen Reiz,
sich gekrönt zu sehen, nachgeben könnte. Ganz abgesehen davon,
daß schon seine Persönlichkeit eine ungeheuere Ungelegenheit be-
deutet, braucht man nur an die Fürstin Lowicz und deren Um-
') Relation des preußischen Geschäftsträgers Küster vom 12./24. De-
zember 1825.
-) Von der Gräfin Nesselrode an ihren Bruder Nikolai Graf Guriew.
ReicbsarcbiY III Nr. 43. Sie gehörte zu den Gegnern der Partei Konstantins.
28 Kapitel I. Das Interregnum.
gebung zu denkeD, die aus Lumpen besteht (crapuleux). Eben die
Leute, die ihn wünschen, werden blutige Tränen vergießen. Man
wird ihn nicht im ersten Monat kennen lernen, aber vor Ablauf
eines Jahres wird man es bitter bereuen, und um den verstorbenen
Kaiser noch heißere Tränen vergießen als jetzt, denn es wird die
Regierung des Mißtrauens, der Spionage und tausend kleiner, er-
bitternder Quälereien sein. ^Es ist traurig, daß der Großfürst Niko-
laus sich so töricht verhalten" hat. Die Truppen verabscheuen ihn,
es heißt, daß er heftig, streng, nachtragend und geizig sei. Man
fürchtet, für den Fall, daß er regieren sollte, seinen Mangel an
Erfahrung, eine starke Neigung zum Kriegführen, und gewiß möchte
er sich einen großen Namen verdienen. Er sagt oft, daß es eine
i Schande sei, eine ruhmgekrönte Armee zu befehligen, wenn man
selbst kein Pulver gerochen habe. Aber er ist 29 Jahre alt; viel-
leicht hätte er als Kaiser die militärischen Kleinlichkeiten aufgegeben,
vielleicht sich als Regent ausgezeichnet, den Rat erfahrener Männer
gehört, und ich behaupte, daß man unter seinem Regiment freier geatmet
und mehr sein eigener Herr gewesen wäre, als unter dem Prinzen,
den wir bald den Thron besteigen sehen werden, und den man nur
einem despotischen Orkan vergleichen kann. Er liebt den Groß-
fürsten Nikolaus nicht, und ich bezweifle sehr, daß sich das Ver-
hältnis dadurch bessert, daß er ihm den Thron zu danken hat . . .^
Es kommen hier nicht alle Sorgen zum Ausdruck, die sich an
den Namen Konstantins knüpften. ^\^uch seine Vorliebe für die Polen
wurde gefürchtet^), während andererseits die Besorgnis bestand,
daß, wenn Nikolaus Kaiser werden sollte, ein selbständiges Polen
unter Konstantin als König die Folge sein könnte. So schwankten
die Stimmungen hin und her. Der Justizminister und der
General du jour Potapow waren entschieden für Konstantin, ebenso
Willamow, der, wie er sagte, Konstantins Thronbesteigung wünschte,
damit Nikolai Zeit finde auszureifen, in der Armee alles, was in
Beziehung zu Nikolaus getreten war, und so ist es begreiflich,
daß die gut bezeugte Tatsache, daß Miloradowitsch die Stimmung
der Garden benutzte, um auf Nikolaus zu drücken, ihre einschüch-
ternde Wirkung nicht verfehlte*). So ging der 6. Dezember, der
*) Dewows Tagebuch 1. 1.
^) Gespräch des Prinzen Eugen mit Miloradowitsch. Noch am 10. De-
zember, als es bereits wahrscheinlich war, daß die Krone Nikolai zufallen mußte,
flüsterte Miloradowitsch dem Prinzen zu: Ich fürchte für den Erfolg, denn die
Kapitel I. Das Interregnum. 29
Namenstag Nikolais,v traurig hin, am 7. brachte ein Feldjäger aus
Warschau die Nachricht, daß Konstantin die Vereidigung der littaui-
schen Armee, trotz des ihm zugesandten Senatsukases, nicht gestattet
habe. Ohne Rücksicht darauf wurden von Petersburg aus noch immer
alle auf den Namen des Kaisers adressierten Papiere nach Warschau
geschickt, doch hatte der Großfürst Befehl gegeben, daß alle aus
Warschau eintreffenden Feldjäger direkt zu ihm ins Winterpalais
dirigiert werden sollten. Privatbriefe aus Warschau ließ er von
den Adressaten in seineivGegenwart öffnen. So unruhig wartete
man auf jedes Symptom der bevorstehenden Entscheidung. Auch
Araktschejew hatte es nicht ertragen, länger dem Schauplatz der
Ereignisse fernzubleiben. In der Nacht vom 6. auf den 7. war er
in Petersburg eingetroffen und in seiner Wohnung abgestiegen.
Aber er ließ niemanden bei sich vor, und es schien sich auch
niemand weiter um ihn zu kümmern, worüber er sich bei Milo-
radowitsch schriftlich bitter beklagte. Offenbar waren die Tage
seiner Allmacht dahin, weder zu Nikolai noch zu Konstantin stand
er in erträglichen Beziehungen.
Am 8. langte auch der Stabschef der ersten Armee, Baron
Toll, in Petersburg an. Der Graf Osten-Sacken, der sein Haupt-
quartier in Mohilew hatte, wo die Vereidigung auf den Namen
Konstantins am 2. Dezember geschehen war, hatte ihn beauftragt,
dem Kaiser Konstantin davon Meldung zu erstattem^Da man Kon-
stantin in Petersburg vermutete, sollte er dahin reisen, sich aber
so einrichten, daß er erst zwei Tage nach Eintreffen des Kaisers
anlange. Toll verfuhr danach, erhielt aber am 7. Dezember, als
er in Woronitschi, 240 Werst von Petersburg, war, von Sacken den
Befehl, nicht länger zu zögern, vsondern möglichst rasch nach
Petersburg zu reisen und, wenn Konstantin nicht dort sein sollte
den Kaiser in Warschau, oder wo sonst immer er sei, aufzusuchen.
Toll traf am 8. um 4 Uhr nachmittags in Petersburg ein, und
stattete dort dem Großfürsten Nikolaus über den Inhalt seines
Auftrages Bericht ab. Der Großfürst sowohl wie Maria Feodorowna
fertigten ihn mit einigen nichtssagenden Worten ab, so daß er
Garden lieben Nikolaus nicht! Und auf des Prinzen Entgegnung, daß die
Garden doch nicht mitzusprechen hätten: „Ganz recht, sie sollten nicht mit-
sprechen; haben sie es aber bei Katharina iL und bei Alexander I. nicht
getan? Die Lust dazu fehlt diesen Prätorianern nie." Schiemann: Thron-
besteigung Nikolaus L S. 123 u. 124.
30 Kapitel I. Das Interregnum.
schon nach drei Stunden aufbrach, um seine Reise nach Warschau
wieder aufzunehmen. So gelangte er am 9. Dezember nach Jewe
und erfuhr dort, daß der Großfürst Michail schon seit einigen
Tagen auf der benachbarten, auf seinem Wege liegenden Station
Nennal (in Estland) sei. Dort traf Toll um 9 ühr abends ein,
und der Großfürst überreichte ihm sofort ein Schreiben Nikolais,
daß durch einen unmittelbar nach Tolls Abreise aus Petersburg
expedierten Feldjäger vof ihm in Nennal abgeliefert worden war.
Der Inhalt sagte, daß die^Veiterfahrt nach Warschau gegenstandslos
sei. Der Großfürst Michail werde ihm alles nötige mitteilen. Das
geschah denn auch, und wir danken diesem Umstände einen ganz
unverdächtigen Bericht über die Petersburger und Warschauer Er-
eignisse, der eine unserer wichtigsten Quellen geworden ist.
Michail hatte am 8. Dezember glücklich den Feldjäger getroffen,
der die fulminante Antwort Konstantins auf das Schreiben des
Präsidenten des Reichsrats Lopuchin brachte, und schon aus dem
Vermerk auf dem Kuvert „von Sr. Kaiserlichen Hoheit dem Ze-
sarewitsch'^ erkannt, daß Konstantin in seinen Entschlüssen nicht
wankend geworden wart^In Nennal war er dann mit dem zurück-
kehrenden Lasarew zusammengetroffen und hatte, wie es ihm seine
Vollmacht gestattet^ das Antwortschreiben Konstantins an Niko-
laus geöffnet. Es war der Brief vom 2. Dezember, dessen Inhalt
wir bereits kennen, eine Ablehnung, aber keine Entscheidung.
So entschloß sich denn Michail, in Nennal zu bleiben und
entweder die Antwort auf die Schreiben Nikolais vom 3. Dezember
abzuwarten, oder aber, wenn Nikolai es befehlen sollte, nach Peters-
burg zurückzukehren. In diesem Sinne schrieb er dem Bruder.
Er mußte noch vier volle Tage warten. Erst am 12., um 4 Uhr
nachmittags, traf ein Feldjäger mit dem Befehl ein, daß Michail
und Toll sofort nach Petersburg j^isen sollten. „Endlich ist alles
entschieden, und ich muß dieM^ürde des Kaisertums auf mich
nehmen", das waren die Worte Nikolais.
Im Grunde war man schon am 10. in Petersburg völlig darüber
im klaren, wie die Entscheidung fallen werde, und des'^Vartens
herzlich müde geworden^). Auch hatte Nikolai durch Miloradowitsch
in aller Stille die Vorbereitungen für eine neue Vereidigung treffen
0 „II est temps que ces honnetet^s finissent^ schreibt die Gräfin
Nesselrode am 10. Dezember.
Kapitel I. Das Interregoum. 31
lassen. Die Manifeste, durch welche Nikolai seinen Regierungs-
antritt ankündigen wollte, waren bereits fertiggestellt. Man wartete
nur noch auf die ofüzielle Beantwortung der Briefe vom 3. Dezember
und hoffte zugleich, ein von Konstantin unterzeichnetes Manifest
zu erbalten, das seine Abdankung feierlich bestätigte. Nikolai
sprach bereits davon, wie er als Kaiser handeln wolle. Er wisse,
daß er ein unangenehmer Brigadegeneral und ein unerträglicher
Divisionär gewesen sei. Damals habe er so handeln müssen. Jetzt
aber sei seine Stellung eine andere, und er werde sich anders ver-
halten *). Dem Grafen Nesselrode aber hatte er gesagt, in der aus-
wärtigen Politik sei er entschlossen, sich aller Einmischung in die
inneren Angelegenheiten anderer Staaten zu enthalten.^ Er werde
weniger Ratschläge erteilen als Alexander, und so viel wie irgend
möglich für die Erhaltung des Friedens eintreten. So gingen in
Sorgen und Spannung die Tage hin.
Da, am 12. Dezember um 7 Uhr morgens, wurde der Groß-
fürst mit der Meldung geweckt, daß der Kommandant von Taganrog,
Oberst Frederiks vom Ismailowschen Regiment, mit einem Paket
„höchst bringender" Depeschen eingetroll'en sei. Sie waren zwar
zu eigenen Händen Sr. Majestät des Kaisers adressiert, aber Fre-
deriks war ausdrücklich beauftragt, wenn Konstantin nicht in Peters-
burg sein sollte, sie dem Großfürsten zu übergeben. Es war, von
General Diebitsch übersandt, der Bericht, den der Unteroffizier des
3. Bugschen Ulanenregiments, Sherwood, über den Zusammenhang
der von ihm entdeckten Verschwörung eingesandt hatte'), eine
zweite gegen die Verschwörer gerichtete Denunziation, die vom
Kapitän des Wjatkaschen Infanterieregiments, Maiboroda, verfaßt
war, drittens endlich Angaben über die Verschwörung, welche auf
den General Grafen Witt zurückgingen, der das Oberkommando
über die Kolonien im Süden hatte. Alexander hatte, wie wir ge-
sehen haben, auf die Angaben hin, die ihm Sherwood und Graf
Witt gemacht hatten, weitere Untersuchungen anstellen lassen, und
das Resultat lag nunmehr vor. Maiborodas Enthüllungen waren ganz
neuen Datums und betrafen vornehmlich Pestel und Nikita Mu-
rawjew, auch meinte er angeben zu können, wo der Pestelsche
Verfassungsentwurf, die sogenannte „Russkaja Prawda", liege. Die
0 Die Gräfin Nesselrode 1. 1.
^) conf. Bd. I S. 503 ff.
32 Kapitel I. Das Interregnum.
Summe dieser Nachrichten gab ein allerdings sehr beunruhigendes
Bild von den Gefahren, die dem Staat und der kaiserlichen Familie
drohten, und es ist begreiflich, daß der Großfürst erschrak.^ Es
lag auf der Hand, daß er handeln mußte. Auch hat er nunmehr,
was an ihm lag, getan. Er berief Miloradowitsch, „der als General-
Kriegsgouverneur hier alles macht" — wie Nikolai noch am 12.
dem General Diebitsch schrieb — , den Fürsten Golitzyn und den
Grafen Benkendorif, um mit ihnen Rats zu pflegen. Da Arak-
tschejew, den der Großfürst am 10. zum erstenmal gesprochen hatte,
im Verlauf des Gesprächs^uch auf das Bestehen einer Verschwörung
hingewiesen hatte, wurde Miloradowitsch zu ihm geschickt, um Näheres
zu erfahren. Aber Araktschejew Weigerte sich, ihn zu empfangen,
obgleich Miloradowitsch ausdrücklich sagen ließ, daß er im Auftrage
des Großfürsten komme, „weil er sich zur Regel gesetzt hatte, nie-
manden, weder bei sich noch sonstwo, zu sehen, selbst nicht in
dienstlichen Angelegenheiten". Unzweifelhaft hä^tte Miloradowitsch,
sobald er seine volle Autorität einsetzte, sich den2utritt erzwingen
können, wie es unter den vorliegenden Verhältnissen seine Pflicht
war, aber gerade in diesen Tagen äußerster Spannung hat er es
an Energie und Umsicht fehlen lassen.
Aus den von Diebitsch eingesandten Berichten ergibt sich,
daß die Namen der Hauptführer fast sämtlich bekannt waren:
Pestel, Rylejew, Ssergej Murawjew, Bestushew-Rjumin, Michail
Orlow.\J}riff man rasch und entschlossen zu, so war es durch-
aus möglich, das ganze Nest der Petersburger Verschwörer auf-
zuheben und damit jeden Versuch einer Erhebung und jede
wirkliche oder<j^ermeintliche Gefahr im Keime zu ersticken.
Aber Miloradowitsch begnügte sich damit, auf die in Peters-
burg nicht anwesenden Personen Jagd zu machen, auf die An-
wesenden wollte er „seine besondere Aufmerksamkeit richten" ').
In Wirklichkeit geschah nichts, obgleich Rylejew ihm persönlich
wohlbekannt war und er in dessen Wohnung fast den ganzen
Petersburger Kreis der Verschworenen beisammen gefunden hätte.
Während er bisher Nikolai mit der Stimmung der Garden für Kon-
stantin geängstigt hatte, wiegte er ihn jetzt in trügerische Sicher-
heit. „Ich halte es für meine Pflicht" — schrieb Nikolai in dem
oben erwähnten Briefe an Diebitsch — „zur Ehre unserer Garde zu
^) Schreiben Nikolais an Diebitsch vom 12. Dezember, das unsere zu-
verlässigste Quelle für diese Frage ist.
Kapitel I. Das Interregnum. 33
sagen, daß ich fest überzeugt bin, daß hier sehr wenig Teilnehmer
an dem Verbrechen,';!. vielleicht gar keine, vorhanden sind. Das be-
weist anwiderleglich> die musterhafte und einzigartige Ordnung, die
hier überall seit dem schrecklichen 27. November eingehalten wurde.
Man kann vielleicht sagen, daß bei Lebzeiten des Kaisers hier nie
gleiche Ordnung herrschte; ich würde vor Gott und mir selber
^sündigen, wenn ich anders reden wollte. Aber Gott vertrauen und
selbst nichts unterlassen, das war und wird bis ans Ende unser
Wahlspruch sein — und, wir legen die Hände nicht in den Schoß."
Diese erstaunliche Selbsttäuschung wird noch unfaßbarer, wenn
man sich erinnert, daß Nikolais intimster Freund Benkendorif, den
der Großfürst mit Tierangezogen hatte, der Verfasser jener Denk-
schrift von 1821. war, die dem Kaiser Alexander den Zusammen-
bang der Verschwörung bis in das Detail hinein enthüllt hatte, und
die zum Teil dieselben Personen als verdächtig bezeichnete, die
Diebitsch genannt hatte.
Auch mußte Nikolai die Illusion, daß er von Petei*sburg nichts
zu fürchten habe, bald fahren lassen. Am Abend jenes ereignis-
reichen 12. Dezember teilte ihm der Adjutant des Generals Bistramb
von der Gardeinfanterie, Sekondeleutnant Jakob Rostowzew, erst
brieflich, dann mündlich mit, daß bei der neuen Eidesleistung eine
Empörung ausbrechen werde, und daß Grusien, ßessarabien, Finn-
land und Polen, vielleicht auch Littauen, sie nutzen würden, um
sich von Rußland loszureißen. Er nannte, weil er kein Denunziant
sein könne, keine Namen, aber seine Angaben waren, so weit es
sich um den in Petersburg drohenden Aufstand handelter^o bestimmt,
daß ein Zweifel nicht möglich war. Es hat dann zwischen Nikolai
und Rostowzew eine pathetische Szene mit Küssen und Freund-
schaftsbeteuerungen gegeben, einen realen Nutzen brachten jene
halben Enthüllungen nur indirekt: weder hat Rostowzew seine
Freunde und Bekannten dadurch gerettet, noch den Ausbruch des
Aufstandes verhindert. Das Verhängnis nahm seinen Lauf, weil
Nikolai und Miloradowitsch nicht zu den Maßregeln zu greifen ver-
standen, die allein helfen konnten. Und doch hätte Nikolai jetzt
mit ganz anderer Autorität einschreiten können als ihm bisher,
wegen der Schranken, die er sich selbst gesetzt hatte, möglich ge-
wesen war. Wenige Stunden vor Rostowzews Enthüllungen war
endlich die Antwort auf die Briefe vom 3. Dezember eingetroffen. Der
Kurier, der sie überbrachte, hatte seinen Weg von Warschau aus nicht
Schicmann, Geschieht« Rußlands. IL 3
34 Kapitel I. Das Interregnum.
über Riga und Estland genommen, wo er notwendig mit dem Groß-
fürsten Michail zusammengetroffen wäre, sondern über Brest — Litowsk.
Was er brachte, war die nochmalige feierliche Entsagung Konstantins
and das heiß ersehnte Manifest, in dem er „seinen geliebten Lands-
leuten** die Geschichte seiner Verzichtleistung auf den Thron zu-
gunsten Nikolais als ein persönlich von ihm in Rücksicht auf die
Ruhe und Wohlfahrt Rußlands gebrachtes Opfer ausführlich dar-
legte. Auch die Aktenstücke, die den Zusammenhang seiner Dar-
stellung belegten, waren dem Manifest angeschlossen. Das Ganze
würdig gehalten, im Vollgefühl, daß er während der ganzen Krisis
als einziger von Anfang bis zu Ende korrekt gehandelt habe.
So war endlich aller Zweifel beseitigt; Nikolai war Kaiser von
Rußland, und es handelte sich jetzt nur noch um die Frage, wie
der Übergang zum neuen Regiment zu vollziehen sei. Auch Nikolai
mußte mit einem Manifest an die Öffentlichkeit treten. Es ist,
nachdem er selbst den historischen Teil an Benkendorif diktiert
hatte und ein erster Entwurf Karamsins verworfen worden war,
von Speranski redigiert worden.'J Zu Mitwissern der nun unmittelbar
bevorstehenden Proklamierung waren außer den schon genannten
Personen und Milorado witsch noch der Metropolit Seraphim, Fürst
Lopuchin und General Woinow herangezogen worden*^ Man fand
es nicht möglich, schon am 13. den feierlichen Akt vorzunehmen.
Nikolai wollte, da Konstantin nochmals auf das bestimmteste er-
klärt hatte, daß er nicht kommen werde, wenigstens Michail an
seiner Seite sehen. Auch wurde sofort ein Kurier nach Nennal
expediert, um ihn und Toll nach Petersburg zurückzurufen. Man
berechnete, daß er am 13. etwa um 8 Uhr eintreffen könne, und
berief auf diese Stande den Reichsrat. Infolge der von Rostowzew
angekündigten Revolte setzte Nikolai nachträglich fest, daß die
Vereidigung von Senat und Synod am 14. schon um 7 Uhr morgens
stattfinden solle. Gleichzeitig sollten auch alle Zivilbehörden den
Huldigungseid schwören, das Militär um 6 Uhr morgens zum
Schwur bereit sein, die Offiziere sich um 7 Uhr bei ihren Regiments-
kommandeuren versammeln, und um 12 Uhr vor dem Winterpalais
eine Parade abgehalten werden. Für 2 Uhr mittags war dann der
Empfang der Glückwünsche durch das Kaiserpaar angesetzt.
Das war das Programm, das zum Teil erst am 13. festgestellt
wurde. Dieser Tag war ein Sonntag, und Nikolai hätte auch jetzt
noch alle Zeit gehabt, durch rechtzeitiges Eingreifen den erwarteten
Kapitel I. Das Interregnum. 35
Aufstand im Keim zu ersticken. Aber unbegreiflicherweise konnte
er den Entschluß dazu nicht finden, obgleich der Kriegsminister
Tatischtschew, dem er nun auch von der entdeckten Verschwörung
Mitteilung machte, ihn um die Erlaubnis bat, die Verdächtigen zu
verhaften. „Nein,** antwortete er ihm, „ich will nicht, daß der Ver-
eidigung Arretierungen vorausgehen, das würde auf alle einen
schlechten Eindruck machen.^ Komme es zu Unordnungen, dann
sei der rechte Augenblick, und man werde ihm dann nicht Unge-
rechtigkeit oder Willkür vorwerfen können.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch hier die falsche Weis-
heit und Leichtfertigkeit Miloradowitschs aus Nikolai spricht. Aber
selbst dann trifft die Verantwortung ihn. Daß die Lage ernst war,
und daß er einer Entscheidung auf Leben und Tod entgegenging,
wußte er wohl. Der Gedanke kommt in den Briefen zum Aus-
druck, die er am 12. und IB. schrieb. Auch hat er gleich damals
sein Testament gemacht. Im übrigen aber blieb es bei Worten.
Als, wie verabredet war, um 8 Uhr der Reichsrat sich zu einer
außerordentlichen Sitzung versammelte, war Michail noch nicht
eingetroffen. Man wartete bis 12 Uhr nachts, da endlich entschloß
sich Nikolai, die Sitzung eröffnen zu lassen. Sie nahm einen
würdigen und feierlichen Verlauf. Nikolai begann mit Verlesung
des Manifestes, das Speranski verfaßt hatte; danach ließ er nur
noch das Schreiben Konstantins an Lopuchin vortragen, in welchem
das Verhalten des Reichsrats am 27. November so rücksichtslos und
scharf verurteilt wurde. Dann schloß er die Sitzung. Das Inter-
regnum hatte seinen Abschluß gefunden, Nikolai Pawlowitschs
Regierung begonnen.
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung der
Revolntion.
Es war keineswegs eine notwendige Folge der Tätigkeit der
geheimen Gesellschaften, daß die Regierung des neuen Herrschers
durch eine Militärrevolte^-eingeleitet wurde. Vielmehr spricht alle
Wahrscheinlichkeit dafür^ daß, selbst wenn die Regierung keinerlei
Kunde von den Plänen der Verschworenen gehabt und sie sich
selber überlassen hätte, ihre ganze Organisation über kurz oder
lang tatenlos zusammengebrochen wäre. Denken wir uns, daß der
3*
3ß Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
27. November nach vorausgegangener Veröffentlichung der letzwilligen
Bestimmungen Alexanders über die Thronfolge statt mit der Pro-
klamierung Konstantins mit dem Treueid für den Kaiser Nikolaus
seinen Abschluß gefunden hätte, so war nicht zu erwarten, daß die
schlecht organisierten Verschwörer die Neigung gezeigt hätten, sich
wider ihn zu erhebeniJ Auch lag es im Interesse der Regierung, das
durch die Enthüllungen, welche Diebitsch ihr zutrug, gesammelte
Material geheim zu halten und sich mit Beobachtung der Verdäch-
tigen zu begnügen. Es genügte, die Führer unschädlich zu machen,
etwa Pestel, Obolenski und Rylejew, und das ließ sich sehr wohl
ohne jedes Aufsehen erreichen. \^\Venn dann Nikolai, der Stimme
der öffentlichen Meinung folgend, sein Regiment mit der Entlassung
Araktschejews und der Aufhebung der Militärkolonien begann, so
daß sich die Hoffnung auf bessere Tage als unter Alexander richten
konnte, läßt sich voraussehen, daß ihm die Herzen ebenso enthu-
siastisch zugefallen «wären, wie vor einem Vierteljahrhundert dem
jungen Alexander, ^^exander hatte den Schleier der Vergebung
über einen vollzogenen Kaisermord decken und mit den Mord-
genossen und zahlreichen Mitwissern des Anschlages leben und
regieren müssen bis ans Ende. Sie saßen, zum Teil noch mit Ehren
und Würden geschmückt,j^m Reichsrat — Nikolai brauchte nur
über Pläne und freche Reden vornehm hinwegzusehen, deren Wurzel
irregeleitete und verbitterte Vaterlandsliebe war. Daß Pläne und
Worte in den Versuch ausmündeten, mit schlechten Mitteln eine
Staatsrevolution herbeizuführen, ist vornehmlich seine Schuld und
die der Männer gewesen, die ihn beraten haben.
Am 27. November traf die Nachricht vom Tode Alexanders
die Petersburger Verschworenen völlig fassungslos und ohnmächtig.
Die Truppen ließen sich, wie wir gesehen haben, ohne jeden Wider-
spruch vereidigenA^lle Mitglieder der Gesellschaft haben den Treu-
eid geleistet, und genau so hätten sie auch Nikolai ohne Schwanken
geschworen. Das hat uns einer ihrer besten Männer ausdrücklich
bezeugt'). Daß sie aber nach geleistetem Eide sich zu einer Er-
hebung gegen ihn entschlossen hätten, darf schwerlich angenommen
werden. Unter allen Umständen hätte man gewartet, wahrschein-
lich sogar gesucht, sich dem neuen Herrscher zu nähern und ihn
für den idealen Kern, der den Bestrebungen der Verschworeneu
') Der ßaron Rosen. Russische Ausgabe seiner Denkwürdigkeiten S. 82.
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 37
zugrunde lag, zu gewinnen 0- Die Verzweiflung darüber, daß es
unmöglich war, einen Einfluß auf Alexander zu gewinnen, hatte
die geheimen Gesellschaften ins Leben gerufen und bestimmte bis
zuletzt ihr Tun. Gegen seine Person und gegen sein System waren
alle Anschläge gerichtet gewesen. Mit dem Augenblick seines Todes
verloren die Verschworenen ihr nächstes Ziel, und die Illusion mußte
schwinden, daß mit der Beseitigung Alexanders jene Tage des
Glücks angebrochen seien, die man für Rußland erträumt hatte.
Rylejew, der erst zu Anfang 1825, kurz bevor der Fürst Tru-
betzkoi nach Kiew fuhr, um mit der südlichen Gesellschaft Fühlung
zu finden, in die oberste Leitung des Petei*sburger Verschworenen-
kreises gewählt worden war, erhielt die erste Nachricht vom Tode
des Kaisers durch Nikolai Bestushew. Er mußte diesem gestehen,
daß nichts vorbereitet sei, um jetzt mit einer politischen Aktion
hervorzutreten, von der man eine Verfassungsänderung erwarten
könne. Die tätigsten Mitglieder waren nicht in Petersburg und
die geheime Gesellschaft überhaupt wenig zahlreich. -<Er habe sich
selbst getäuscht, auch keinen Plan, aber vielleicht finde sich am
Abend, wenn man wieder zusammentreffe, ein Ausweg. Von den
Verschworenen waren inzwischen noch der Kapitänleutnant Torson,
Batenkow und Alexander Bestushew hinzugekommen. Aber man
gelangte zu keinem Entschluß. Erst als Rylejew und die beiden
Brüder Bestushew aliein waren, einigten sie sich dahin, die Sol-
daten aufzuwiegeln. VSie sind in der Nacht auf den 28. und in
der nachfolgenden Nacht durch die Straßen Petersburgs gezogen,
haben jeden Soldaten, dem sie begegneten, angehalten und jede
Wache angesprochen.4^ Man habe sie betrogen und ihnen das Testa-
ment des verstorbenen Zaren vorenthalteövdas den Bauern die
Freiheit und den Soldaten die*Verkürzung oer Dienstzeit um zehn
Jahre zugesichert hatte. Die Soldaten hätten diese Versicherungen
mit unbeschreiblicher Gier aufgenommen. Es scheint nicht, daß
das geringste moralische Bedenken wegen dieses schändlichen Be-
truges sich unter den drei Genossen geregt hätte. Die Vorstellung,
^) Einer tod ihnen, Sawalyschin, bat es später versucht und hätte wahr-
scheinlich eine große Karriere gemacht, wenn nicht schließlich erdrückende
Beweise seiner Mitschuld ihn mit den übrigen dem Verderben geweiht hätten.
Alexander Bestushew hat später vor der Untersuchungskommission aus-
gesagt, man habe beschlossen, jedes aktive Vorgehen auf mindestens zwei
Jahre zu verschieben.
38 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
daß nicht das Mittel, sondern das Ziel den sittlichen Wert einer
Handlung bestimme, ließ keine Zweifel aufkommen, und erst später,
als die Richter, denen sie gegenübergestellt wurden, auf denselben
Boden traten und wegen des Zieles, dem sie nachgestrebt hatten,
ihr hartesvJürteil sprachen, mag ihnen ein Zweifel an ihrer
Theorie aufgekommen sein. Auch erreichten sie insoweit ihren
Zweck, als es nunmehr unter den Soldaten zu gären begann.
^^Doch ging noch einige Zeit hin, ehe sich die Wirkungen fühlbar
machten. Erst als allmählich bekannt wurde, daß die Thronfolge
noch keineswegs gesichert sei, kam neues Leben in den Kreis der
Petersburger Verschworenen. A^rch die Mitglieder, die den Hof-
kreisen angehörten, wie den Fürsten Trubetzkoi, erfuhr man
alles, was im Palais vorging; was im Reichsrat geschehen war,
ist nur wenige Tage geheim gehalten worden. Die Rückkehr
Michails und danach seine Abreise, ohne daß er vorher dem
Kaiser Konstantin geschworen hatte, ließ es beinaheVals Ge-
wißheit erscheinen, daß eine neue Vereidigung auf den Namen
Nikolais bevorstehe; die Unsicherheit in der Haltung der Regierung
und die Untätigkeit Miloradowitschs steigerten die Hoffnung auf
den möglichen Erfolg einer militärischen Erhebung.V^eit dem
6. Dezember etwa läßt sich eine regere Tätigkeit der Ver-
schworenen verfolgen, die durch den Obersten Glinka, der der ge-
heimen Kanzlei Miloradowitschs vorstand, von allem unterrichtet
wurden, was in den Regierungskreisen geschah. Weit deutlicher
als bisher trat zutage, daß Rylejew der eigentliche Mittelpunkt
derjenigen war, die einen Umsturz der Staatsordnung erstrebten.
4t^Es fanden täglich Versammlungen in seiner Wohnung statt. Die
Kreise der Agitation wurden weiter; zahlreiche junge Offiziere, aus
der Marine wie aus fast allen Garderegimentern, wurden heran-
gezogen, und die Stimmung erhitzte sich nun von Tag zu Tage. Unter
den zu einer entschlossenen Aktion Drängenden traten drei Offiziere
des finnländischen Leibgarderegiments in den Vordergrund, der Fürst
E. P. Obolenski, Leutnant und Adjutant des Generals Bistramb, dazu
Stabskapitän Repin und Leutnant Baron Rosen. Von ihnen, dem
Stabskapitän im Moskauer Leibgarderegiment Fürsten Schtschepin-
Rostowski und den drei Brüdern Bestushew, Alexander, Michail
und Nikolai, von denen die beiden ersten Stabskapitäne im Leib-
gardedragoner-, bzw. Moskauer Leibgarderegiment waren, Nikolai
als Kapitänleutnant in der Marine-Equipage diente, ist am 10. De-
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 39
zember in der WohnuDg Rylejews der Plan des Aufstandes in seinen
Umrissen festgestellt worden.
Die eigentliche Entscheidung erfolgte aber erst am 12. De-
zember in zwei Versammlungen, von denen eine im Quartier des
Fürsten Obolenski stattfand, die zweite, an welcher fast alle Führer
teilnahmen, bei Ryiejew. \ Man war nicht mehr im Zweifel darüber,
daß Konstantin die Krone^ablehnen werde, und verständigte sich
dahin, daß die neue Vereidigung auf den Kaiser Nikolaus den Vor-
wand für eine Militärrevolution geben solle/\^uch dabei scheute
man vor einer gröblichen Täuschung der Soldaten nicht zurück.
^^ie sollten im Glauben, die Rechte Konstantins zu vertreten, be-
wogen werden, den Eid zu verweigern; was danach zu tun sei,
war der Gegenstand heißer Erwägungerfl^ Der Fürst Trubetzkoi
stellte den Antrag, daß das erste Regiment, das sich weigere zu
schwören, unter Trommelschlag seine Kaserne verlassen, zur nächst-
gelegenen Kaserne ziehen und das dort liegende Regiment zum
Anschluß bewegen solle.^So hoffte er, durch die anwachsenden
Scharen fast die gesamte Garde zu gewinnen.\Auch die außerhalb
der Stadt quartierenden Bataillone würden sich anschließen. \J Das
Leibgrenadierregiment solle das Arsenal, das finnländische Leib-
garderegiment die Peter-Pauls-Festung besetzen. Der Reichsrat
werde, wie einige seiner Mitglieder versprochen hätten, dann im
Sinne der Verschworenen wirken, wenn das Heer, nachdem es sich
vereinigt habe, zur Verhütung von Unordnungen die Stadt verlasse.
Jßf) hat Trubetzkoi selbst in seinen Denkwürdigkeiten seine Ab-
sichten erläutert. J Es steht aber fest, daß er einen Druck auf den
Senat auszuüben oachte und durch dessen Vermittelung ein Mani-
fest erlassen wollte, das aus allen Gouvernements des Reiches
ständische Vertreter nach Petersburg berief, um über die künftige
Verfassung Rußlands zu entscheiden. Bis dahin aber solle eine
provisorische Regierung walten. Als Anführer der militärischen
Emeute\^atte er den General Michail Feodorowitsch Orlow ins
Auge gefaßt, ihm auch nach Moskau, wo er sich aulhielt^^e-
schrieben. Die Versammlung hat sich jedoch nur zum Teil seinem
Programm angeschlossen>\ Man vereinigte sich dahin, die Truppen
auf den Senatsplatz zu führen; dort solle, wenn General Orlow nicht
komme, Trubetzkoi den Oberbefehl übernehmen. War die Über-
macht auf ihrer Seite, so wollten sie den Thron für\rledigt erklären
und sofort eine provisorische Regierung von fünf Personen einsetzen,
40 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
deren Wahl dem Reichsrat und dem Senat überlassen sein sollte.
> Daß diese höchsten Körperschaften des Reiches ein solches Ansinnen
mit Entrüstung zurückweisen könnten, scheint niemandem in den
Sinn gekommen zu sein. So gering war die Achtung, die man
ihnen entgegentrug.^^uch glaubte man drei Namen der proviso-
rischen Regenten bereits nennen zu können: den Admiral Grafen
Mordwinow, Speranski und Pestel, auch den General Jermolow scheint
man genannt zu haben. Das definitive Bestimmungsrecht über
die künftige Verfassung Rußlands wurde dagegen jener allgemeinen
Volksvertretung des Trubetzkoischen Antrages vorbehalten.>jJ)anach
einigte man sich über einige Detailbestimmungen: das Palais, die
Banken und die Post sollten besetzt werden, um*^'nordnungen zu
verhüten. Auf wieviel Truppen mit Sicherheit gerechnet werden
könne, wußte niemand; im Notfalle gedachte man in die Nowgo-
roder Militärkolonien abzumarschieren, deren gegen die Regierung
erbitterte Stimmung allbekannt war.
Es ist sehr merkwürdig, daß eine genaue Durcbberatung des
doch sehr komplizierten, von tausend Zufälligkeiten abhängigen
Planes nicht durchzusetzen war. Der Fürst Obolenski und der
Oberst Bulatow bemerkten höhnisch, man könne doch nicht eine
Generalprobe abhalten.
Im Grunde war wenig Zuversicht bei den beiden Persönlich-
keiten, die zumeist in Betracht kamen: Rylejew machte seinen
Vertrauten gegenüber kein Hehl daraus, daß er an einen Erfolg
nicht glaube; Trubetzkoi war innerlich bereits schwankend gewor-
den, hatte aber nicht den Mut, es sich selbst zu gestehen, und
noch weniger seinen Kameraden rechtzeitig zu erklären, daß er^die
ihm zugedachte Führerstellung nicht auf sich nehmen könne^_Sie
waren alle, abgesehen von einigen Feuerköpfen unter den jüngsten
Leutnants, nicht Männer selbständiger Tatkraft, sondern Schön-
redner, die sich an den eigenen Wörter^ berauschten und in der
Großartigkeit der Ziele bespiegelten, die sie gern verwirklicht hätten.
Passive, nicht aktive Naturen, ohne Ausnahme tapfere Soldaten,
fast alle Schwärmer für das Schöne und Gute, einige von ihnen
Dichter von hohenr^chwung, keiner ein kühler, das Mögliche
richtig erkennender Staatsmann.
An eben jenem 12. Dezember hatte Rostowzew dem künftigen
Kaiser die uns bekanntc^Anzeige gemacht, aus der Nikolai erfuhr,
daß seine Proklaraierung zum Zaren die Meuterei eines Teiles
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 41
seiuer Garden zur Folge haben werde. Man hat Rostowzew
diesen Schritl als einen Verrat bitter vorgeworfen. Gewiß mit Un-
recht. Er tat seine Pflicht und folgte seinem Gewissen.!;^ Daß seine
Weigerung, die Namen der ihm bekannten Verschworenen zu nennen,
nicht ohne Gefahr war, liegt zudem auf der Hand. Es ist höchst
unbillig, bei ihm nach niedrigen Motiven zu suchen, er hoffte viel-
mehr durch sein Vorgehen auch seine verblendeten Kameraden zu
retten. Daß Nikolai gewarnt sei, teilte er am anderen Morgen,
Sonntag d6n 13., duroii einen Brief, den er noch am Abend vorher
geschrieben hatte, und der die ausführliche Wiedergabe seines Ge-
sprächs mit Nikolai enthielt, in aller Frühe Rylejew mit, und zwar
indem er persönlich diesen Brief zu Rylejew trug: ^jtat jetzt mit
mir, was ihr wollt!, sagte er ihm dabei. Auch das war nicht ohne
Gefahr, und Rylejew hat allen Ernstes daran gedacht, ihn zu töten,
aber auf den^uspruch Steinheils, eines der merkwürdigsten Männer
in den Reihen der Verschworenen, ist er bewogen worden davon
abzustehen. Ob das Unternehmen nicht aufzugeben sei, hat man
bei alledem keinen Augenblick erwogen, obgleich Männern, wie der
Fürst Obolenski einer war, vorübergehend Zweifel an der moralischen
Berechtigung des geplanten Umsturzes auftauchten^ebensowenig
aber daran gedacht, die Ausführung zu beschleunigen, wie es die
Umstände gebieterisch verlangten. Es scheint, daß die Führer sich
durch ein Versprechen gebunden fühlten, das sie Pestel gegeben
hatten: einen Regierungswechsel oder jedes andere wichtige politi-
sche Ereignis nicht ungenützt vorüberziehen zu lassen. Dieses
Versprechen wollte man einlösenJ Aber es fehlte an Einsicht und
Klarheit des Urteils. Rylejew begnügte sich damit, Steinheil mit
der Abfassung eines Manifestes zu betrauen, das im Namen der zu
gemeinsamer Sitzung versammelten Körperschaften des Senats und
des heiligen Synods darauf hinwies, daß, da sowohl Konstantin wie
Nikolai dem Thron entsagt hätten, das Volk sich einen Herrscher
wählen müsse. Bis zum Eintreffen von Deputierten, die man zu
diesem Zweck berufen werde, ernenne der Senat eine provisorische
Regierung, der alle Treue zu schwören hätten. Innerhalb dreier
Monate seien aus jedem Gouvernement zwei Vertreter jeden Standes
zu wählen, bis dahin aber solle jedermann der Obrigkeit gehorchen
und seinem Berufe nachgehen. Die so gefaßte Proklamation wurde
jedoch erst am Morgen des 14. fertig, als es bereits zu spät war,
und sie ist dann als nutzlos von Steinheil vernichtet worden.
42 Kapitel II. Der 14./26. Dezember uud die Niederwerfung usw.
Am Abend des 13. aber fand noch eine letzte stürmische
Versammlung der Verschworenen bei Rylejew statt, ' in der viel
und leidenschaftlich „wie in der iErregung eines hitzigen Fie-
bers" geredet, aber nichts beschlosseoLwurde, was über die Ab-
machungen des 12. hinausgegangen wäre. Man wollte die Truppen
davon abhalten, Nikolai zu schwören, und sie auf den Senats-
platz führen. Die Kompagnie, die zuerst dort anlangte, war nach
einer vereinzelt stehenden Nachricht bestimmt, sofort gegen das
Winterpalais vorzugehen. Ergriff dann Nikolai und mit ihm die
kaiserliche Familie die Flucht, so stieg die Wahrscheinlichkeit,
daß die gesamte Garde zu den Meuterern übergehen werde. Es
ist auch der Vorschlag gemacht worden, sich durch einen nächt-
lichen Anschlag des Winterpalais zu bemächtigen, endlich steht
fest, daß Rylejew bemüht gewesen ist, K'achowski zu bewegen,
Nikolai zu ermorden. Er sah in dem Leidenschaftlichen einen
russischen Sand und erkannte nicht den Untergrund dieser nie-
drigen Seele.
Michail Alexandrowitsch Bestushew hat uns in seinen Denk-
würdigkeiten den faszinierenden Eindruck geschildert, den Rylejew
an jenem Abend auf ihn und wohl ebenso auf die anderen Ver-
schworenen machte: „Wie herrlich war Rylejew an jenem Abend.
Er war nicht schön, er sprach einfach und nicht fließend; wenn
er aber auf sein Lieblingsthema kam, auf die Liebe zum Vater-
lande — dann belebte sich sein Gesicht.sySeine pechschwarzen
Augen leuchteten in überirdischem Glanz und seine Rede floß wie
feurige Lava, dann konnte man nicht anders, als sich an ihm be-
geistern. So war es auch an jenem Schicksalsabend, der über das
„to be or not to be" entschied. Sein Gesicht war bleich wie der
Mond, aber von mehr als natürlichem Licht verklärt; so sah man
ihn in den stürmischen Wellen dieses Meeres, das von den ver-
schiedensten Leidenschaften und Antrieben kochte, bald auftauchen,
bald verschwinden!" Gewiß, an Begeisterung fehlte es nicht und
auch nicht an dem Willen, die eigene Person für den Anschlag
einzusetzen, den man nun einmal in törichter Verblendung für not-
wendig, für groß gedacht und für patriotisch hielt. \ Aber es hat
allen Teilnehmern an organisatorischer Kraft gefehlt, und wenn nicht
völlige Unfähigkeit von seiten der Regierung gezeigt wurde, mußten
sie kläglich zugrunde gehen. Mit ihnen die betrogenen Soldaten
und auch jene patriotischen Pläne, durch deren gewaltsame Durch-
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die NiederwerfUDg usw. 43
führuDg sie Rußland einer neuen, besseren Entwicklung zuführen
wollten.
Nicht auf solchen Wegen und nicht durch solche Männer voll-
zieht sich der Fortschritt der Menschheit.
Es hat aber wenig daran gefehlt, daß trotz aller Halbheiten
und Unklarheiten in der Anlage ihrer Pläne die Verschworenen
ihr nächstes Ziel erreicht und eine allgemeine militärische Erhe-
bung herbeigeführt hätten. Was dann weiter geschehen konnte,
und ob die Verschworenen nach^Entfesselung der wilden Instinkte
der Massen der Bewegung noch Herr geblieben und sie in die von
ihnen vorgedachten Bahnen zu lenken stark genug gewesen wären,
entzieht sich aller Kombination, "f Die Wahrscheinlichkeit spricht
für das Eintreten eines Chaos, sobald Nikolai fiel. Polen hätte
sich ohne Zweifel erhoben, die Militärkolonie, die nur Furcht vor Strafe
zusammenhielt, das verhaßte Joch abgeworfen, das sie drückte, die
Militärrevolte im Süden ihr Haupt erjioben, der alte Groll der
Bauern eine Agrarrevolution gezeitigt, und Konstantin, wenn er
auch der ihm drohenden Gefahr entrann, war die Persönlichkeit
gewiß nicht, um ein zerfallenes Reich mit kraftvoller Hand wieder
zu staatlichem Rechts- und Einheitsleben zurückzuführen J Auch
er schöpfte seine Macht nur aus der Autorität des Selbstherrschers
an der Spitze des Staates. Der 14. Dezember mußte eine Ent-
scheidung von ungeheuerer Tragweite bringen; daß es nicht ein
Tag unermeßlichen Unheils wurde, lag im wesentlichen daran,
daß den Verschworenen die Anordnungen nicht bekannt wurden,
die nach der Anzeige Rostowzews Nikolai am Abend des 12. und
am Morgen des 13. getroffen hatte: die Eidesleistung von Senat
und Synod um 7 Uhr morgens und die Konsignierung der Truppen
in ihren Kasernen von 6 Uhr ab, um sie für die Vereidigung bereit
zu halten, sobald der Kaiser Generale und Regimentskommandeure
damit beauftragte.
Der 14. Dezember war ein Montag, nach allgemeinem Aber-
glauben in Rußland ein Unglückstag, ^ber zunächst ließ sich^
alles glücklich an. General Woinow meldete dem Kaiser, gleich
nachdem dieser aufgestanden war, daß Generale und Regiments-
kommandeure seiner Befehle harrten. Nikolai trat in den Saal,
in dem sie versammelt waren. Es folgte eine sehr bestimmt
gehaltene Ansprache: erst die Darlegung der Tatsachen, die
ihn nunmehr bewogen hätten, die Krone anzunehmen, dann
44 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
die Erklärung, daß sie ihm mit ihrem Kopi für die Ruhe der
Residenz einzustehen hätten'). Dann kam die Nachricht, daß
Senat und Synod, wie befohlen, um 7 Uhr zusammengetreten wären
und ihren Treueid geleistet hätten und danach auseinandergegangen
wären. Uamit war der Plan der Verschworenen, sich durch die
Autorität dieser Körperschaft zu decken, gescheitert, ^^'icht mehr,
wie sie gern gewollt hätten, im Namen Rußlands, sondern im
eigenen Namen und auf eigene Gefahr mußten sie handeln. Es
ist aber nicht unwahrscheinlich, daß gerade dieser Umstand den
Fürsten Trubetzkoi bewog, sich den Genossen zu entziehen, so daß
von Anfang an jede Leitung und jeder Zusammenhang fehlte.
Im Palais aber ordnete der Kaiser an, daß alles, was hoffähig
war, um II Uhr zum Gottesdienst in der Hauptkirche des Winter-
palais zu erscheinen habe. Gleich danach traf Miloradowitsch ein. Er
war bester Zuversicht, die Stadt sei ruhig,* auch habe er für alle
Fälle die erforderlichen Anordnungen getroffen.J^Er fühlte sich
seiner Sache so sicher, daß er direkt vom Kaiser zum Theater-
direktor Markow fuhr, der seinen Namenstag feierte und eine
lustige Gesellschaft um sich gesammelt hatte*). Die Tatsache ist
um so erstaunlicher, als Miloradowitsch wußte, daß die Vereidigung
der reitenden Artillerie auf Schwierigkeiten gestoßen/^ war! Aber
dergleichen entsprach seinem leichtfertigen Wesen. Das sei, meinte
er, nur eine Bagatelle. Er hatte sich aber noch andere verhängnis-
voll^Versäumnisse zuschulden kommen lassen. Das Manifest, wel-
ches die Thronbesteigung Nikolais verkündete und erklärte, war
in einer ganz ungenügenden Zahl von Exemplaren gedruckt und
der Geistlichkeit nicht einmal^mitgeteilt worden. In den Kirchen
wurde daher bei der Fürbitte für die kaiserliche Familie, ohne
jede Tlrläuterung, nur der Name Nikolai an die Stelle von Kon-
stantin gesetzt, für den man in den letzten 17 Tagen gebetet hatte.
Kein Wunder, daß im Volk die Stimmung unruhig und unsicher
') Hauptquelle für das folgende ist eine eigenhändige Aufzeichnung des
Kaisers. Nur zum Teil veröffentlicht von Schilder: Nikolai Bd. I; vollständig
in der Zeitschrift Byloje, Oktober li>07.
^) Die Tatsache ist von verschiedenen Seiten bezeugt, die in keiner Ab-
hängigkeit voneinander stehen: von SJartechensko, Sotow und Michailowski-
Danilewski, bei letzterem mit der Variante, dali es sich um den Namenstag
der Tänzerin Teleschewa gehandelt habe. Michailowskis Quelle ist der Adjutant
von Miloradowitsch, Baschutzki.
Kapitel JI. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 45
wurde, zumal man auf den Straßen nur die neue Eidesformel, nicht
das Manifest verteilte.
Inzwischen ging dem Kaiser Botschaft auf Botschaft über die
Fortschritte in der Vereidigung der Truppen zu. Als erster konnte
General Alexander Orlow dem Kaiser melden, daß die Garde-Ka-
vallerie geschworen habe. Schon die zweite Meldung war beun-
ruhigend. General Suchosanet konnte zwar berichten, daß die
Garde-Artillerie ihren Ei<if geleistet habe, doch in der Garde zu
Pferde hatte er alle Offiziere arretieren müssen, weil sie die Authen-
tizität des Manifestes bezweifelten.S-Zum Glück sei der Groß-
fürst Michail eben eingetroffen und habe durch sein persönliches
Eingreifen alles wieder in Ordnung gebracht. Eine Hiobspost brachte
darauf der General Neidthard: das Regiment Moskau sei in ofi'ener
Revolte, die Generale Frederiks und Schenschin waren verwundet,
Oberst Chwoschtschinsky mißhandelt worden. Von den Leutnants
Michail und Alexander ßestushew und dem Fürsten Schtschepin
Rostowski geführt, waren die Moskauer als erste auf dem Senatsplatz
erschienen und hatten sich dort zum Karree formiert in Erwartung
des Anmarsches der übrigen Regimenter. Rylejew, der hinzukam,
blieb nur wenige Augenblicke auf dem Platze; er eilte hinweg, um
den fehlenden Oberbefehlshaber, den Fürsten Trubetzkoi, aufzu-
suchen. Es muß gegen 11 Uhr gewesen sein, als diese Dinge ge-
schahen, denn die zu Hof eilenden Equipagen begannen bereits
sich auf dem Schloßplatz zu drängen.\^Sie sind zum Teil über
den Senatsplatz an den Moskauern vorbeigefahren und fast bis
zuletzt ließen die Aufrührer für den Verkehr der Wagen einen
Raum frei. Der Kaiser befahl, das erste Bataillon der Preobra-
shensker gegen sie zu führen und die Garde zu Pferde satteln zu
lassen, dann führte er selbst die erste Schützenkompagnie des
Finnländischen Garderegiments, das bei der Schloßhauptwache stand,
an die Haupteinfahrt des Palais. Erst in diesem Augenblick traf
Miloradowitsch ein. Der Polizeiagent Vogel hatte ihn vom Früh-
stück stisch seiner Theaterfreunde weggerufen. ^Cela va mal, ils
marchent au Senat" sagte er dem Kaiser, „mais je veux leur parier";
das ist die Erinnerung Nikolais, so wie sie ihm nach 10 Jahren
noch lebendig war. Wahrscheinlicher ist eine andere Version ')
') Micbailowski Danilewski, nach der Erzählung von Miloradowitschs
Adjutanten Bascbutzki, in dem Tagebuch v. 1826. Rußkaja Starina 18U0
Novemberheft S. 505 ff.
46 Kapitel II. Der 14./2(). Dezember und die Niederwerfvmg usw.
Danach sei Miloradowitsch von Markow aus gleich zum Senatsplatz
geeilt, um die Empörer zum Gehorsam zurückzuführen, sie hätten
ihn aber zurückgedrängt und einer ihn sogar am Kragen gepackt.
£rst danach sei er zum Kaiser gekommen und habe ihn auf dem
Schloßplatz getroffen, vom Volke umringt. „Miloradowitsch meldete,
daß man zu strengen Maßregeln greifen müsse, und fügte hinzu:
voyez dans quel etat ils m'ont mis. Darauf antwortete ihm der
Kaiser, daß der Generalgouverneur für die Ruhe der Stadt}^erant-
wortlich sei, und befahl ihm, mit der Garde zu Pferde gegen die
Moskauer Grenadiere vorzugehen. Graf Miloradowitsch fuhr in
einem Mietschlitten zu den Kasernen der Garde zu Pferde und
befahl die Pferde zu satteln, aber es verging mehr als eine halbe
Stunde, und die Kürassiere erschienen immer noch nicht.J Wie man
später erfuhr, hatte einer der Offiziere, Fürst Odojewski, der zur
Verschwörung gehörte, den Soldaten in den Ställen gesagt, es sei
falscher Lärm, sie sollten nicht satteln. Schließlich verlor Graf
Miloradowitsch die Geduld! Er ließ sich ein Pferd geben, um zu
den Empörern zu reiten. Unterwegs sagte er seinem Adjutanten,
er sei im Grunde froh, daß die Gardereiter sich nicht mit ihrem
Ausritt beeilten: ich werde ohne sie die Moskauer bereden, das
können nur polissons sein, auch soll kein Blut am Tage der Thron-
besteigung des Kaisers fließen. Da die Meuterer salutierten und
Hurra riefen, zog der Graf seinen Degen, zeigte ihn und sagte,
diesen Degen habe der Zesarewitsch Konstantin Pawlowitsch ihm
zum Zeichen seiner Freundschaft geschenkt. Er gebe ihnen die
Versicherung, daß der Zesarewitsch entsagt habe und durchaus
nicht regieren wolle. „Glaubt ihr," so schloß er, „daß ich meinen
Freund verraten kannP^A^ber alles war vergeblich. „Gibt es denn
unter euch keine alten Soldaten, die mit mir gedient haben und
mich kennen?" Und als alles still blieb: „Ich sehe, das sind nur
Jungen!" Und nun befahl er und bat sie zugleich, die Waffen nieder-
zulegen und um Vergebung zu bitten, er versicherte, daß man
ihnen verzeihen werde. Die Soldaten schienen doch schwankend
zu werden, da rief einer aus ihrer Mitte: „Das ist dummes
Zeug", und „man soll ihm nicht glauben"; gleichzeitig hörte
man einen Pistolenschuß, und von einer Kugel getroffen fiel
der Graf vom Pferde in die Arme Baschutzkis; in der Verwirrung,
die nun folgte, hat er noch einen Stich mit dem Bajonett er-
halten.
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 47
Man wollte ihn in seine Wohnung tragen, aber er sagte, daß
er sich zum Tode verwundet fühle, und ließ sich auf einer Sol-
datenpritsche in die nahe gelegene Kaserne der Garde-Kürassiere
tragen, .^icht ohne Entrüstung notiert Michailowski, daß, während
man ihn an dem schon aufgestellten Regiment vorübertrug, keiner
der Generale und Offiziere an den verwundeten Helden herantrat,
obgleich Leute darunter waren, „die sich seine Freunde nannten.^
Er erwähnt noch die empörende Tatsache, daß, während Miloradowitsch
entkleidet wurde, man ihm seine Uhr stahl, dazu einen Ring, den
die Kaiserin-Mutter ihm vor wenigen Tagen geschenkt hatte.*)
Etwa eine Stunde mag so hingegangen sein. Für den Kaiser
eine überaus peinvolle langsam ^bleichende Zeit, die ihm mit
Verlesung und Erläuterung des Manifestes vor den sich um ihn
drängenden Volkshaufen hinging. „Ich gestehe,^ schreibt er, „daß
mir das Herz erstarrte, Gott allein hat mich aufrechterhalten^,
li^ugenzengen berichten übereinstimmend, er sei totenbleich gewesen,
aber äußerlich vollkommen ruhig. Gewiß ein Zeichen großer
Selbstbeherrschung, wenn man sich erinnert, wie nervös er von
Natur war. Unter der Menge war viel betrunkenes Volk, obgleich
der Finanzminister Cankrin schon am 13. dafür gesorgt hatte, daß
die Branntweinläden geschlossen waren. Die Lage war ohne Zweifel
höchst kritisch. Der Kaiser, ursprünglich zu Fuß, wurde erst vom
Prinzen Eugen bewogen, zu Pferde zu steigenJ^Er beauftragte den
Prinzen, für die Sicherheit von Frau und Mutter zu sorgen; den
Thronfolger und die kleinen Großfürstinnen ließ er aus dem Anitschkow-
Palais in den Winterpalast überführen. Als endlich das erste
Bataillon der Preobrashensker marschfähig war, stellte der Kaiser
sich an die Spitze und führte sie langsam durch die trotz aller
Befehle drängende Masse bis zum Admiralitatsboulevard. Erst
dort erfuhr er, daß die Gewehre'Wicht geladen seien. Das brachte
neuen Aufenthalt, und der Kaiser gab nun auch den Gardekürassieren
den Befehl, sich auf dem Senatsplatz mit ihm zu vereinigen. In
diesem Augenblicke hörte man Schüsse, und gleich danach wurde
dem Kaiser der tragische Ausgang Miloradowitschs gemeldet. vDas
Volk drängte in immer größeren Massen, so daß Schützen vorgeschickt
') Nikolai bat ihn nicht mehr gesehen. Er schickte den Prinzen Eugen
zum Sterbenden, und dieser hat uns ein ergreifendes Bild von den letzten Augen-
blicken Miloradowitschs hinterlassen. Auch Michailowski-Danilewski berichtet
über sein Ende.
48 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
werden mußten, um rechts und links den Preobrashenskern Platz
zu machen. So erreichte man die Ecke der Himmelfahrtsstraße^)
von der aus der Senatsplatz sich übersehen ließ. Die Garde zu
Pferde war noch immer nicht da, die Lage entschieden ^^efährlich.
Man hörte deutlich vom Platze her „Hurra Konstantin'' rufen
und sah, daß eine Schützenkette weiterab den Zugang sperrte. Die
Aufrührer waren um diese Zeit nur etwa 500 Mann stark und
standen zwischen der berühmten Statue Peters des Großen und dem
Senat, mit der Front zum Admiralitätsgebäude. In ihrer Mitte
waren einige Zivilisten bemerkbar ,\^er ganze Jsaaksplatz von
einer wogenden Volksmasse besetzt, die auch die in den Platz aus-
mündenden Straßen füllte. Wahrscheinlich hätte ein entschlossener
Angriff der Preobrashensker genügt, das alles auseinanderzu-
sprengen. Aber eben dazu fehlte der Entschluß. Man wollte sicher
gehen und mit erdrückender Übermacht die Meuterenzum Nieder-
legen der Waffen zwingen. Ebensowenig aber dachten die Moskauer
daran anzugreifen, auch sie warteten auf Verstärkung.
Das war die Lage, als sich an den Kaiser ein Mann in
Tscherkessenuniform drängte, ein schwarzes Tuch um die Stirn; er
sah mit seinen großen schwarzen Augen und dem schwarzen
Schnauzbart wild und, wie Nikolai in seiner Aufzeichnung sagt,
abschreckend aus. Es war Jacubowitsch. Am 13. abends hatte er
sich erboten, mit dem Bataillonschef der Garde-Marine, Arbusow,
das Palais zu besetzen, seine eigentliche Aufgabe, auf deren Aus-
führung mit Bestimmtheit gerechnet wurde, ging dahin, das Ismai-
lowsche Regiment den Aufständischen zuzuführen. Am Morgen
des 14., früh um 6 Uhr, aber war er bei Rylejew erschienen und
hatte ihm erklärt, er habe sich anders besonnen^(und werde sich
nicht beteiligen. Trotzdem schloß er sich den Moskauern an, als
sie an seiner Wohnung in der Erbsenstraße *)/yorüberzogen und
ihn anriefen. Er blieb aber nur kurze Zeit auf dem Platz, und
als die Preobrashensker angerückt waren, meldete er sich dem
General du jour Potapow. Offenbar suchte er sich nach beiden
Seiten zu sichern, sein Verhalten und seine Erscheinung waren jedoch
so auffallend, daß der Kaiser ihn heranwinkte und fragte, was er
wolle. Er antwortete frech: ich war mit jenen, als ich aberhörte,
^) Wosnessenskaja.
-) Ciorochowaja.
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 49
daß sie für Konstantin seien, verließ ich sie und kam zu Ihnen').
Nikolai reichte ihm darauf die Hand und dankte: „wSie wissen was
Ihre Pflicht ist." Erst von Jacubowitsch erfuhr er, daß jetzt fast
das ganze moskausche Regiment auf dem Platze sei. Das Gespräch
mündete in den Auftrag aus, die Meuterer durch Überredung zur
Ordnung zurückzuführen. jDer Prinz Eugen, der in diesem Augen-
blick an den Kaiser heranritt, hörte noch, wie Jacubowitsch sagte:
^Ich will es versuchen, aber sie werden mich umbringen." Damit
ritt er auf den Senatsplatz zu, ein weißes Tuch an seinem Säbel
sollte ihn gleichsam als Parlamentär bezeichnen. ^Is er das Karree
der Moskauer erreicht hatte, rief er ihnen nur zu: „Haltet aus!
man fürchtet sich gründlich vor euch!" Damit verschwand er.
Der Mann hat weiter keinerlei Anteil an den Ereignissen gehabt.
Er ritt nach Hause, und ist am anderen Morgen verhaftet worden.
Er war eine gemeine Seele, worüber seine späteren Bekenntnisse
keinen Zweifel lassen. Er rühmte sich, daß gerade sein Verhalten
am meisten dazu beigetragen habe, die Pläne seiner Genossen zum
Scheitern zu bringen! Und das sei sein eigentliches Ziel gewesen').
Gewiß war aber an Nikolai ein Augenblick großer persönlicher
Gefahr glücklich vorübergegangen. In Jacubowitsch steckte ein
Mörder, und die Impulse, die ihn trieben, hätten leicht die Richtung
zum Kaisermorde nehmen können. Und noch eine andere Hand
ist damals gegen den Kaiser gerichtet gewesen. Der Oberst Bulatow,
vom Armee-Jägerregiment, derselbe, dem man neben Trubetzkoi das
Kommando auf dem Senatsplatz angetragen hatte, ein ausgezeichnet
kühner und unerschrockener Soldat, der früher bei den Leib-
Grenadieren gestanden hatte, und dessen wohlbegründeter militärischer
Ruf aus den Freiheitskriegen stammte, stand zwei Stunden lang in
der Nähe des Kaisers, fest entschlossen, ihn niederzuschießen, f Er
hat es später selbst dem Kaiser ins Gesicht bekannt, „aber," fügte
er hinzu, „jedesmal wenn ich nach der Pistole griff, versagte mein
Herz." Der Prinz Eugen') merkte die Gefahr wohl, es war jedoch
') Aufzeichnung Nikolais.
') Aussagen Jacubowitschs vor der Untersuchungskommission.
') Die ganze sehr bedeutsame Tätigkeit des Prinzen ist nicht nur aus allen
offiziellen Darstellungen eliminiert worden, sondern sogar in den Aufzeichnungen
Nikolais unerwähnt geblieben, als ob er gar nicht dagewesen sei. Das Miß-
tranen, das Alexander in Krinnerung an die Ereignisse von 1801 gegen ihn
hegte, lebte in Nikolai fort, der kurze Zeit nach den von uns geschilderten
Schiemann, Geschichte Rußlands. II. 4
50 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
unmöglich, Nikolai zu bewegen, sich auf einen sicheren Posten
zurückzuziehen. Sein kaiserliches und militärisches Ehrgefühl sträubte
sich dagegen, klüger wäre es sicher gewesen, wenn er vom Schloß-
platze aus die Meldungen entgegengenommen und den Angriff geleitet
hätte. Da es nun an Infanterie in ausreichender Stärke fehlte und
die Artillerie noch gar nicht herangezogen war, riet der Prinz, die
Reiterei angreifen zu lassen. Sein Gedanke war, daß die Pöbel-
massen, von der Brücke und von den rückliegenden Ausgängen ab-
geschnitten, infolge eines Angriffs auf die Meuterer drängen und sie
in Unordnung bringen würden. Aber man hörte ihn nicht. Inzwischen
hatte die Zahl der Meuterer sich erheblich durch den^Anschluß der
Garde-Equipage vermehrt, die ein zweites Karree bildete. Das
Kommando über diese Masse war in Ermangelung höherer Offiziere
fast gewaltsam dem Leutnant Fürsten Obolenski aufgenötigt worden,
eine einheitliche Leitung hat während der ganzen Dauer des Auf-
standes nicht bestanden, und vor allem kam es nicht zu einem
Angriff von Seiten der Meuterer. Sie blieben bis zuletzt des
Glaubens, daß die gegen sie ^fgebotenen Truppen Gesinnungs-
genossen seien, die nur eines günstigen Anlasses harrten, um zu
ihnen überzugehen. Das zeigte sich, als endlich die Garde zu
Pferde unter Führung des Generals Orlow eintraf; sie konnte sich
fast unbehelligt in nächster Nähe beider Karrees, ihnen direkt
gegenüber, aufstellen, wobei sie im Anmarsch einen Augenblick
nur 10 — 12 Schritte von ihnen entfernt war, fast wehrlos, denn
als einzige Wafl'e trugen sie die alten, durch häufiges Putzen kurz
gewordenen, stumpfen Pallasche. Aber nur einige Reiter und der
Oberst Velho wurden verwundet. Die Meuterer schössen meist
über die Köpfe der Reiter hinweg, ohne anzulegen. Es klingt kaum
glaublich, daß die Kürassiere nun etwa eine Stunde den Meuterern
Ereii^nissen durch Diebitsch erfuhr, daß der Württemberger ein Konkurrent
der (lOttorpcr hätte werden können. Die folgende Darstellung schließt sich
an die Aufi^eichnunf^en des Prinzen an und ergänzt sich aus den Aufzeichnungen
Nikolais und dem gegen die Korffsche Darstellunfr gerichteten Aufsatz des
Harons Kaulbars, (Schiemann, Thronbesteigung Nikolais S. 148 ff.) die auf ein
gleichzeitig geführtes Tajrcbuch zurückgeht. Puschtschin und die anderen
Memoirenschreiber unter den Dekabristen, haben ihre Aufzeichnungen erst Jahr-
zehnte nach diesem Ereignis niedergeschrieben, so daß sie, auch wo sie von
eigenen Erlebnissen erzählen, unter dem Eindruck einer legendariscben Um-
bildung stehen, wie die Jahre sie zu bringen pflegen.
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 51
gegeauberstanden, ohne daß von beiden Seiten das geringste ge-
schehen wäre. Nur der Pöbel amüsierte sich vom Dach des Senates
aus mit Holzscheiten die „Kaiserlichen^^ zu bombardieren und hatte
seine Freude daran, wenn hie und da einer der Kürassiere plötzlich
mit seinem Pferde stürzte. Denn es war eine Kälte von 7 — 8
Grad und infolge des Glatteises glitten die Pferde, die keine Stollen
am Hufeisen hatten, bei der geringsten Bewegung aus. Als dann
endlich der Befehl zur Attacke kam — sie ist auf eine Entfernung
von 20 bis 30 Schritt dreimal versucht worden — fiel sie kläglich
genug ans; die Reiter mußten, ohne ihr Ziel erreichen zu können,
in Unordnung kehrt machen. Ähnlich giug es den inzwischen ein-
getroffenen Pionieren zu Pferde, nur daß gegen sie wirksamer ge-
schossen wurde, während die Meuterer nicht einen Verwundeten
hatten. Der Umzingelungsplan^es Kaisers hätte bei der Lang-
samkeit und Ungeschicklichkeit der Ausführung in ein Desaster
ausmünden können, wenn ein entschlossener Kopf mit militärischer
Einsicht die Aufständischen zum Angriff geführt hätte. Es kann
gar nicht zweifelhaft sein, daß der Pöbel mit seinen Sympathien
auf ihrer Seite stand, und eben jetzt kam neue Hilfe. Die
8 Kompagnien der Leibgrenadiere waren unter Führung der Leut-
nants Suthof und Panow, mitten durch die Festung, deren sie sich
ohne jede Mühe hatten bemächtigen können, in zwei Abteilungen
auf das Winterpalais zu marschiert, das ihnen gleichfalls keinen
irgend erheblichen Widerstand hatte entgegensetzen können, und
dessen Besetzung alle Dispositionen des Kaisers zuschandeu machen
mußte. Aber sie ließen sich ablenken. „Eure Kameraden," rief
man ihnen zu, „sind auf dem Senatsplatz,'' und so zogen sie weiter
die Newa entlang dem Sammelpunkt zu'). Ihr tapferer Hegiments-
1) Das ist die Tradition der Dekabristeu. Der Kaiser erzählt den Hergang
anders: ,die Barmherzigkeit Gottes zeigte sich noch deutlicher, als ein lluufe
Leibgrenadiere, von dem Offizier Panow geführt, herankam, um sich des Palais
zu bemächtigen und, wenn Widerstand geleistet werden sollte, unsere ganze
Familie umzubringen. Sie gelangten zur Ilauptpforte des Palais in einiger
Ordnung, so daß der Kommandeur glaubte, ich hätte sie geschickt das Palais
zu besetzen. Da bemerkte Panow das eben eingetroffene Bataillon der Leib-
garde-Sappeure, das sich im Schloßhof in Kolonnen richtete, und rief: das sind
ja nicht unsere Leute! Damit ließ er die bereits Einrückenden kehrt machen,
und führte sie auf den Schloßplatz zurück. Hätten die Sappeure sich um
wenige Minuten verspätet, so wäre der Palast und unsere ganze Familie in
4*
52 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
kommandeur Stürler lief ihnen zur Seite, vergeblich bemüht, sie
zur Umkehr zu bewegen. Diese ganze wild erregte Schar sah der
Kaiser, und im Glauben, daß sie auf seinen Befehl zur Bekämpfung
der Meuterer erschienen seien, ritt er an sie heran, um sie halten
zu lassen und zu ordnen. Auf sein: Halt! antwortete man ihm
aber: wir sind für Konstantin! „Darauf,^ so erzählt Nikolai in seinen
Aufzeichnungen, „wies ich sie zum Senatsplatz hin und sagte: wenn
es so steht, so führt euer Weg dahin, und nun zog dieser ganze
Haufe an mir vorüber, mitten durch alle Truppen konnte er sich
unbehelligt seinen betörten Kameraden anschließen!^ Stürler wurde,
als er auch auf dem Senatsplatz seine Bemühungen fortsetzte, von
Kachowski durch einen Pistolenschuß niedergestreckt. Um diese
Zeit erschienen völlig unerwartet einige Seekadetten und Kadetten
des ersten Kadettenkorps bei den Aufrührern, für sich und ihre
Kameraden um die Erlaubnis zu bitten, gegen die Truppen des neuen
Kaisers z^u kämpfen'); man war menschlich genug, es ihnen abzu-
schlagen.^J)enn nun mußte endlich eine Entscheidung fallen. Wenn
auch nicht überall ohne Schwierigkeiten, waren die treu gebliebenen
Regimenter in Bewegung gesetzt worden. Die Bataillone der
Ismailower, mit denen der Großfürst Michail Pawlowitsch war,
und der Garde-Jäger hatten den Platz von der Himmelfahrtsstraße
bis zur blauen Brücke eingenommen. Die Gorochowaja (Erbsen-
straße) hielten die Semenower, hinter den Preobrashenskern, bei
denen noch immer hoch zu Roß der Kaiser stand, war die Chevalier-
Garde in Reserve aufgestellt, die Sappeure deckten das Winterpalais,
endlich standen im Rücken der beiden Karrees die Pawlowsker.')
Dazu hatte der Kaiser Befehl gegeben, die Garde-Artillerie heran-
zuziehen. Er hielt den Augenblick für geeignet,yum nochmals die
Meuterer zu bewegen die Waffen zu strecken, und schickte den
die Hände der Meuterer gefallen, während ich, mit dem beschäftigt, was auf
dem Senatsplatze geschah und ohne jede Kenntnis Yon der im Röcken dro-
henden weit größeren Gefahr, gar nicht in der Lage war, etwas dagegen
zu tun/ £ine andere Überlieferung, nach der Oberst Moller durch seine Geistes-
gegenwart das Palais gerettet haben soll, Russ. Starina 1890. II S. 332.
^) Diese Nachricht findet sich nur in den Aufzeichnungen von Michail
Bestushew, ist aber gewiß nicht erfunden.
^) Das finnländische Leibgarderegiment war auf der Newabrucke stehen
geblieben, auf Kommando eines der Verschworenen, des Barons Rosen, der
die Kompagnie führte, die die Spitze bildete, und dadurch das ganze Regiment
zurückhielt.
Kapital IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfaog usw. 53
Metropoliten von Petersburg und Nowgorod, Sseraphira, zu ihnen.
Der Prälat, dem der Metropolit von Kiew und einige Priester
beigegeben waren, hat keinerlei Erfolg gehabt. „Sein Auftreten
zeugte von Mangel an Entschiedenheit und Mut, was mit dem
Kreuz des Erlösers in der Hand wohl überaus traurig war." So
schildert ein Augenzeuge den Eindruck, den er gewann'). Weit
mutiger, aber gleich wirkungslos, war das Eingreifen des Großfürsten
Michail Pawlo witsch; auch wäre er fast ein Opfer seiner Kühnheit
geworden.'^Der Leutnant Küchelbecker fürchtete, daß Michail die
Soldaten zu sich hinüberziehen könnte, und zielte mit der Pistole
nach ihm, aber sie wurde ihm zur Seite geschlagen'), der Großfürst
mußte unverrichteter Sache umkehren. Nun war inzwischen auch
eine Batterie Garde-Artillerie unter Führung des Obersten Nestorowski
eingetroffen, jedoch — man sollte es nicht für möglich halten —
ohne Kartätschen! Zum Glück war ihm unterwegs der General
Baron Toll begegnet, der den Befehl gab, sie sofort holen zu lassen.
Aber es ging noch geraume Zeit hin, ehe die Kartätschen eintrafen ;
denn die Kasernen der Artillerie waren fünf Werst entfernt. Auch
war der Kaiser schwankend geworden. Es gab in seiner Umgebung
Leute, welche rieten, nichts zu tun. Die Aufrührer würden bis
zum nächsten Morgen von selbst auseinanderlaufen und in ihre
Kasernen zurückkehren. Wirklich schickte er auch den General
der Artillerie Ssuchosanet vor, um die Empörer zum letzten Male
aufzufordern, sich zu ergeben. Man empGng ihn mit: Hurra,
Konstantin! Nun schrie ihnen Ssuchosanet entgegen: „So sollt ihr
den Nikolai kennen lernen 1^ Auch Toll riet dringend, nicht länger
zu zögern'). Der Pöbel an dem Gerüst, das die Isaakskirche umgab,
die gerade repariert wurde, gebärdete sich immer frecher, und unter
') Rskadronschef von Grünewaldt. Der Metropolit war nach der ersten
Salve umgekehrt, aber der Kaiser zwang ihn, seinen Auftrag auszuführen.
Darauf setzte er sich in seinen Wagen und fuhr auf den Senatsplatz. Aussage
des Platzadjutanten Tunzelmann. Russki Archiv 1905 S. 310 ff.
^ Rosen berichtet: durch Peter Bestushew, die Aufzeichnung des Kaisers
sagt, es seien drei Matrosen gewesen.
*) Aufzeichnungen eines der Dekabristen, SuthofT, behaupten, Ssuchosanet
sei mit dem Ruf „Podletz*, d. i. Schuft, empfangen worden. (Byloje. April 1907.)
Nach Nikolais Erinnerungen hat General Wassiltschikow ihm zuerst geraten,
das Geschütz wirken zu lassen. „Yous voulez que je verse le sang de mes
Sujets }e Premier jour de mon regne,'' antwortete ich Wassiltschikow. „Pour
sauver votre empire/ sagte er mir.
54 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
den Soldaten auf dem Senatsplatz herrschte Trunkenheit Es war
unerläßlich, endlich zu handeln^). Von den vier vorhandenen Kanonen
schickte der Kaiser eine seinem Bruder, die drei anderen wurden vor
den Preobraschenskern aufgestellt und mit den inzwischen herbei-
geschafTten Kartätschen geladen, so daß die Meuterer deutlich die
Vorbereitungen sehen konnten. Aber auch das machte keinen
Eindruck, sie wurden nur noch lärmender, aber sie taten nichts,
der Gefahr vorzubeugen, die ihnen drohte, üa gab der Kaiser das
Kommando Feuer. Der erste Schuß ging über die Köpfe hinweg
und wurde mit einer Salve beantwortet, aber drei darauf folgende
Schüsse trafen mitten in die Haufen hinein, und nun stob, ohne
jeden weiteren Versuch des Widerstandes, alles, das Volk wie die
Meuterer, in blindem Schrecken auseinander. Die meisten flohen,
die Reihen der Garde-Pioniere durchbrechend, der Newa zu; während
Ismailower und Preobrashensker den Senatsplatz besetzten, nahmen
die Garde zu Pferde, die Garde-Pioniere und Chevaliergardisten die
Verfolgung auf. Es steht fest, daß auch die Artillerie den Fliehenden
General Toll, dessen Aufzeichnung vom 22. Dezember 1825 datiert, schreibt
dagegen, daß, als er an den Kaiser herantrat, dieser ihm sagte: „Voyez ce
qui se passe ici. Voilä un joli commencement de regne. Un trone teint de
sang. Je crois mettre fin a ce desordre en faisant mitrailler.'' »Sire,'' antwortete
ich, „dans la supposition que cela devra avoir Heu, j'ai demande au colonel
Nestorowski, sUl avait des cartouches a mitraille, il m*a dit que non, je lui
ai conseille d'en faire chercher." Darauf wurde der Befehl von Sr. Majestät
wiederholt. Der Kaiser ritt selbst zur Batterie Nestorowskis, die am Boulevard
in Kolonne stand. Der neben mir reitende General Wassiltschikow sagte mir:
„Mon eher general, vous venez de conseiller la mitraille, pensons un moment,
si cela vaut la peine d'employer le canon." — „General," antwortete ich, „vous
verrez que dans l'espace d'un quart d'heure tout sera acheve."
Baron Rosen in den „Memoiren eines Dekabristen" wiederum erzählt: „Der
Kaiser konnte sich lange nicht zu der ultima ratio regum entschließen. Da
sagte ihm . . . Toll . . .: „Sire, faites balayer la place par la mitraille, ou
renoncez au trone.* Der Kaiser habe ihm das nie verzeihen können."
OiTenbar gibt die ganz unverdächtige gleichzeitige Aufzeichnung Tolls
den wirklichen Hergang.
0 Daß die Meuterer trunken waren, ergibt sich aus den Berichten der
Platzmajore, die im Russki Archiv 1905 S. 310 ff. veröffentlicht sind. Auch ist
es kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die Leute seit dem frühen Morgen in
der Kälte ohne Nahrung gestanden hatten. Offenbar wurde ihnen vom Volk
Branntwein zugetragen. Der Platzadjutant Leonti Meyer bezeugt zudem, daß
Toll gegen den Plan aufgetreten sei, die Meuterer mit Feuerspritzen auseinander
zu sprengen. L. c. S. 321.
Kapitel II. Der 14./2G. Dezember und die Niederwerfung usw. 5Ö
uoch einige EartätschenladuDgen nachsandte, und daß das Eis der
Newa infolgedessen zusammenbrach *). Michail Bestushew, der
überhaupt in den Reihen der Verschworenen der Entschlossenste
und Kaltblütigste war, ist dadurch verhindert worden, seine Leute
zur Peterpaulsfestung zu führen. „Gefeng es," — so schreibt er
in seinen Erinnerungen — „so hatten wir einen vortrefflichen ,point
d'appui^, von dem aus wir durch die Kanonen, die auf sein Palais
gerichtet waren, mit Nikolai unterhandeln konnten." In der Tat
drohte hier noch eine ungeheure Gefahr, und unverständlich ist nur
das eine, daß die Meuterer nicht von vornherein die Festung zum
Ausgangspunkt ihrer Aktion machten, statt auf dem Senatsplatz
nutzlos zu demonstrieren. Aber man war auf beiden Seiten gleich
kopflos, und der Zufall entschied. Durch eine ungeheure Eisspalte
von der Festung abgeschnitten, retteten die Flüchtigen sich auf das
linke Ufer der Newa, gerade gegenüber der Akademie der Künste.
Der Versuch, hinter ihren festen Mauern Schutz zu finden, mißglückte.
Als dann eine Eskadron Chevalier-Garde erschien, hat ein Teil sich
ergeben, anderen gelang es, zu entkommen, unter ihnen auch
Bestushew. Auf dem Senatsplatz lagen 56 Tote'), darunter keiner
der Offiziere. Sie sind, infolge eines merkwürdigen Zufalls, sogar
alle unverwundet geblieben. Die Entscheidung ist so noch kurz
vor Einbrechen der Dunkelheit gefallen. Um 6 Uhr') konnte der
*) Baron Kaulbars bestreitet es zwar, aber die Aufzeichnungen Tolls und
Michail ßestushews stimmen darin öberein. Der sehr gut unterrichtete französische
Botschafter Graf Laferronnays schildert in seiner „Relation des troubles qui ont
eclate a St. Petersbourg" den Schlußakt folgendermaßen: L'Rmpereur ordonna
a la cavalerie de demasquer les pieces et commanda 1e feu. Mais les artilleurs
se montrerent irresolus, ils approcherent ä 3 ou 4 reprises la meche avant de
mettre feu ä la premiere picce qui, comme on s'en apercut a Tinstant, etait
dirigee sur le toit du palais du st'nat, et non contre les revoltes qui, enbardis
par cela, se disposerent a l'attaque. Les officiers de la suite de l'empereur
se pr^cipiterent sur les canons et en changereut la direction et alors commen^a
un feu meurtrier a 80 pas de distance. Les revoltes tinrent ferme jusqu'au
sixicme coup, mais ils se precipiterent ensuite vers le lieu occupe par le
grand-duc qui les re^ut ä mitraille et les repoussa vers la place oü Tartillerie
ne cessait de tonner. Les grenadiers de Paul, arrives sur les derrieres des
insurges, firent sur eux avec le plus grand efl'et un feu ä 40 pas, et la cavalerie
les chargea de nouveau, et cette fois avec un plein succes.
*) Die Zahl der Opfer war jedenfalls großer. Viele der Leichen wurden
in die Eislöcher der Newa geworfen.
*) Die Stunde gibt Willamow in seinem Tagebuche an.
56 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
Kaiser, nach allen Aufregungen des Tages, ins Winterpalais zurück-
kehren. Die Generale Benckendorff und Wassiltschikow erhielten
den Auftrag, für die Ruhe der Stadt Sorge zu tragen; der erste
in VVassili-Ostrow, der andere diesseit der Newa. Der Senatsplatz
wurde gereinigt, man entfernte die Blutspuren, schüttete neuen
Schnee auf und walzte ihn.
Auf dem Schloßplatz und auf dem Senatsplatz biwakierten
Truppen und war Artillerie aufgefahren, überall brannten große
Scheiterhaufen, an denen die Soldaten sich in der kalten Winter-
nacht wärmen konnten. „Wir waren", schreibt ein Augenzeuge, „wie
im Belagerungszustände; ein Anblick, der Entsetzen erregte. Aus
diesen Feuern erhob sich majestätisch die Statue des großen Urhebers
der russischen Macht. Konnte sein Geist herabschauen auf die
Ereignisse dieses Tages, so war er zugleich Zeuge eines Verbrechens,
das seiner Schöpfung mit dem Umsturz drohte, und Beobachter
der Seelengröße eines Urenkels, dessen heroischem Benehmen das
Reich seine Rettung aus einem unübersehbaren Meere von Trübsalen
dankte." So urteilte damals der Prinz Eugen, und gewiß hat er
darin recht, daß Nikolai an jenem Tage bewies, daß er sich furchtlos
auszusetzen und in gefährlichen Augenblicken feste Haltung zu
zeigen vermochte. Aber auch die Schwächen seiner Natur waren
zutage getreten: Mangel an Übersicht und Langsamkeit im Finden
des rechten Entschlusses. Schon au seinem Verhalten vor dem
Senatsplatz hätte man erkennen müssen, daß er kein Feldherr sein
werde. An der Art, wie er nun, da der Erfolg für ihn entschieden
hatte, von seiner Strafgewalt Gebrauch machte, trat ein anderer,
noch weit bedenklicherer Mangel zutage: er hatte, wie wir schon
bemerkten, zwar Gerechtigkeitsgefühl, aber keine Vorstellung vom
Begriff des Rechts. Mit dem 24. Dezember 1825 beginnt ein neues
Regiment der Willkür.
Die nächste Aufgabe war natürlich, der Meuterer habhaft zu
werden. Sie ist schnell und energisch gelöst w^orden. Von allen
Seiten her wurden eingefangene Soldaten eingebracht und in Arrest
geführt. Die Stimmung war unsicher; im Grunde wußten Sieger
und Besiegte nur, auf wessen Seite der Erfolg war, nicht, wem das
Recht gehörte. Den Ismailowern w^urde nicht ohne Bitterkeit
vorgeworfen, daß sie trotz ihres Versprechens sich auf dem Senats-
platz den Moskauern nicht angeschlossen hatten. Aber bei alledem
war die Gefahr überwunden, und es entsprach der tatsächlichen
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 57
Lage, daß Nikolai um 7 Uhr einen Dankgottesdienst begehen ließ.
Der Ausgang hätte ein anderer sein können.
Bald wurden auch die ersten gefangenen Offiziere dem Kaiser
vorgeführt. Die Generale Baron Toll und Lewaschew waren be-
auftragt, das erste Verhör vorzunehmen. Der Kommandant von
Petersburg, General-Adjutant Baschutzki, führte sie unter starker
Bedeckung ihnen zu. Allen waren die Hände auf den Rücken
gebunden. Als Erster wurde der Fürst Schtschepin-Rostowski vor-
geführt, danach SuthoflF'), als dritter Rylejew. Am Abend, nachdem
der Aufstand als endgültig gescheitert gelten mußte, war Rylejew voll
trüber Ahnungen in seine Wohnung zurückgekehrt. Puschtschin, Stein-
heil und noch einige der Verschworenen hatten, in kaum verständlicher
Sorglosigkeit sich bei ihm eingefunden, um über die Ereignisse des
Tages zu reden. Er verbrannte seine Papiere und legte sich schlafen.
Gegen 11 Thr wurde er vom Oberpol izeimeister verhaftet und
sofort in das Winterpalais geführt. Eine halbe Stunde später stand
er vor dem Zaren. Es ist nichts von dem Verhör bekannt geworden,
dem der Kaiser ihn unterzog. Wir wissen nur, daß er über den
Fang hoch erfreut w^ar, und daß die Offenheit Rylejews ihm nicht
mißfiel. Aber gewiß ist ihm keinen Augenblick der Gedanke ge-
kommen, diesen Führer der Aufständischen zu schonen. Daß
Rylejew, der nun bis zu seiner Todesstunde in der Kasematte
Kr. 17 des sogen. Alexander-Ravelins der Peterpaulsfestung blieb,
sich dennoch fast bis zuletzt mit der Hoffnung tragen konnte, begna-
digt zu werden, zeigt wohl, daß Nikolai, ebenso wie Alexander, es
verstand, seine Gedanken zu verbergen. Dann folgte ein Unschuldiger,
der Sohn des berühmten Professors Storch, dem wir die Materialien
zur Geschichte des russischen Reiches und die Zeitschrift Rußland
unter Alexander I. zu danken haben. Als Fünfter wurde Sherebzow
') Ich folge den Angaben des Generals Toll in seinem als Manuskript ge-
druckten Tagebucbe, dessen Aufzeichnungen Yom 22. Dezember datieren. Der
Prinz Eugen gibt eine andere Reihenfolge an. Er nennt als zweiten Gorski. Das
ist aber, wie sich aus dem Schreiben Nikolais an Konstantin (Ermordung
Pauls usw. S. 104) ergibt, bestimmt ein Irrtum. Toll war besser unterrichtet,
er hat alle Gefangenen, bevor sie dem Zaren vorgeführt wurden, verhört.
Wahrscheinlich hat Toll seine Aufzeichnungen auf Grund des Berichts oder
zum Zweck des Berichts gemacht, den er seinem Chef, dem späteren Feld-
marschall Sacken, abstatten mußte. Toll verließ Petersburg am 15./27. Dezember
und traf am 19./31. Dezember in Mobile w bei Sacken ein.
58 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
vorgeführt, dann Bodisko, Küchelbecker, Jacubowitsch, Kornilowitsch,
Swetschin und so weiter, zuletzt der Fürst Trubetzkoi. Das Verhör
geschah in der Weise, daß die Generale Toll und Lewaschew in
Gegenwart des Kommandanten Baschutzki die Aussagen der ein-
gebrachten Gefangenen zu Protokoll nahmen und unterzeichnen
ließen. Dann ging Toll zum Kaiser und las ihm die Aussagen vor.
Dieser bestimmte, wo die Gefangenen interniert werden sollten, und
ließ sie sich zu einem zweiten, von ihm persönlich geführten Verhör
vorführen. Diese Verhöre begannen am 14./26. Dezember um 7 Uhr
abends, sie gingen durch die ganze Nacht und dauerten bis 12 Uhr
mittags am 15. Es ist daher kein Wunder, daß der Kaiser nach
den furchtbaren Aufregungen, die ihm der Tag gebracht hatte, in
hohem Grade nervös war. Das \Vesentlichsto aber war doch, daß
ihm jede Vorstellung von einem regelmäßigen gerichtlichen Ver-
fahren und alle juristische Bildung abging. Er trat an die ihm
vorgeführten Gefangenen mit dem Ansinnen heran, daß sie ihm
in voller Aufrichtigkeit und in vollem Umfang ihre Schuld bekennen
sollten, und ebenso verlangte er rückhaltlose Angabe der Mit-
schuldigen. Jedes Leugnen und jedes Verschweigen erschien ihm
als höchst verächtliche Unwahrhaftigkeit und zugleich als eine ihm
persönlich angetane Beleidigung*). Er pflegte mit freundlichen
Fragen, meist unter Betonung seiner persönlichen Teilnahme, zu
beginnen, und wo er dann auf vorsichtiges Verschweigen, auf Halb-
wahrheiten oder auf direkte Unwahrheiten stieß oder zu stoßen
meinte, mit Drohungen zu schließen. Noch bedenklicher war, daß
von vornherein nicht nur nach strafbaren Handlungen, sondern nach
der politischen Gesinnung jedes einzelnen inquiriert wurde und daß
diese vom Kaiser eingeschlagene Inquisitionsmethode von der Unter-
suchungskommission, mit deren Organisation er den Kriegsminister
^) Eine Charakteristik Nikolais während der Dauer der Verhöre gibt
Scbtschegolew in seiner lehrreichen Studie über Peter Grigorjewitsch Eachowski
in der Zeitschrift ßyloje, Januar und Februar 1906. Gewiß bat er darin recht,
dali das große Schauspielertalent des Kaisers auch bei diesen Verhören zur
Geltung kam. Aber während Scbtschegolew ohne jede Billigkeit an Nikolai
alles verurteilt und jede menschliche Regung in ihm als Heuchelei brandmarkt,
urteilt er über Kachowski entschieden zu milde. Es sind von diesem Mann
Denunziationen ausgegangen, für die es keine Entschuldigung gibt, und die
in ihrer Gewissenlosigkeit sich nur durch die Todesangst und die üoffnung
Kachowskis erklären, daß er vielleicht doch sein Leben retten könnte.
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 59
Tatischtschew am 15./27. Dezember beauftragte, aufgenommen
wurde').
Durch einen als geheim bezeichneten Ukas vom 17./29-
Dezember ernannte der Kaiser zu Mitgliedern dieser Kommission
den General -Feldzeugmeister Golitzyn, die General -Adjutanten
Golenitschew-Kutusow, Benckendorft' und Lewaschow, zum Ge-
schäftsführer den Kriegsrat Borowkow, zu denen dann später noch
die Generale Potapow, Diebitsch, Tatischtschew, Tschernyschew
und der Großfürst Michail Pawiowitsch als Vorsitzender traten. Es
waren also lauter höhere Ofliziere, kein einziger Jurist in dieser
Cntersuchungskommission, so daß es wohl begreiflich ist, daß bei
dem Bildungsstande dieser Herren alle rechtlichen Schranken, die
den Angeklagten zum Schutze hätten dienen müssen, rücksichtslos
beiseite geschoben wurden. Es soll damit keineswegs der Vorwurf
erhöben werden, als hätten die Mitglieder der Kommission wider
bessere Überzeugung gehandelt, sie wußten es nicht besser; aber
unzweifelhaft war es eine geistige Tortur, durch welche die Aussagen
der Dekabristen erpreßt wurden.
Gleich die ersten Verhöre hatten bestätigt, w^as durch Diebitschs
Bericht und Rostowzews Bekenntnisse dem Zaren bereits bekannt
war: sowohl in Moskau, wie namentlfch in der zweiten Armee, gab es
Teilnehmer an der Verschwörung, und da man durchaus nicht
wußte, wie dort die Führer den Thronwechsel für ihre Zw^ecke
nutzbar gemacht hatten, ist es begreiflich, daß Nikolai das Schlimmste
fürchtete. Auch hier lag ein Versäumnis seinerseits vor. Schon
am 12. hätte er die Autoritäten in Moskau auf den unmittelbar
bevorstehenden Thronwechsel und auf die Gefahr einer Erhebung
der Verschworenen aufmerksam machen können. Aber erst am 15.
wurde der General-Adjutant Graf Komarowski nach Moskau ab-
^) conf. Alexander Dmitrijewitsch Borowkow und seine autobiographischen
Aufzeichnungen. Petersburg 1899. Russisch. Wir verzichten auch hier um des
Raumes willen auf näheres Eingehen in das Detail. Eine ausführliche Dar-
legung, die aber trotzdem keineswegs als vollständig bezeichnet werden kann,
bringt Schilder, Nikolai Bd. I. Eine sehr wertvolle Publikation haben die
Herren W. J. Ssemewski, W. Bogutscharski und P. J. Schtschegolew unter
dem Titel: Die gesellschaftliche Bewegung Rußlands in der ersten Hälfte des
XIX. Jahrhunderts, begonnen. Bd. I, Petersburg 1905, 4. Kap. behandelt die
Dekabristen von Wisin, Obolenski und Steinheil.
Die Bezeichnung war ursprünglich „Comite,** erst 5./17. Januar 1826
wird die Bezeichnung „Untersuchungskommission" gebraucht.
60 Kapitel II. Der 14./2G. Dezember und die Niederwerfung usw.
gefertigt, wo er am Abend des 17. eintraf. Überholt hatte ihn
ein Kurier, der dem Erzbischof Philaret den Befehl brachte, da«
auf dem Sucharewturm befindliche Marinekommaudo zu vereidigen,
dessen Kommandant ein gedrucktes Manifest über den Thronwechsel
erhalten habe. Dann war am Morgen des 17. ein eigenhändiges
Reskript des Kaisers an den General-Gouverneur, Fürsten Dmitri
Wladimirowitsch Golitzyn eingetroffen, das aber einen ganz per-
sönlichen, nicht offiziellen Charakter trug, so daß Golitzyn sich nicht
berechtigt glaubte, daraufhin eine Vereidigung vorzunehmen. Erst
die Ankunft Komarowskis löste die Zweifel, und am 18. früh wurde,
nachdem in der Nacht das Manifest Nikolais mit seinen Anlagen
gedruckt worden war, der Senat versammelt und von dem unterrich-
tet, was geschehen war, danach ward die Vereidigung von Zivil- und
Militärautoritäten in der Himmel fahrtskathedrale vorgenommen.
Die Vereidigung des Volkes erfolgte auf dem Kremlplatz. Der
Erzbischof öffnete unter großer Feierlichkeit das versiegelte Paket
mit dem Testament Alexanders, verlas den letzten Willen des
Zaren und die Abdankungsurkunde Konstantins, danach das Manifest
Nikolais. Dann sprach er den neuen üntertaneneid vor, der mit
den Worten begann: „Nachdem Kraft und Wirkung des früheren
Eides durch Verzicht desjenigen nichtig geworden, dem er geleistet
worden, schwöre ich, der sündige usw." Es schloß sich daran ein
Gebet und der Gesang der Hymne, die dem neuen Herrscher ein
langes Leben und eine glückliche Regierung wünscht (die
mnogoletije). Als Komarowski am 22. Dezember wieder in Peters-
burg eintraf, konnte er berichten, daß in Moskau alles in bester
Ordnung sich der neuen Regierung angeschlossen habe. Die Nachricht
von den Ereignissen, die sich am 14. auf dem Senat^platz abgespielt
hatten, war von der Moskauer Bevölkerung mit Erbitterung auf-
genommen worden. Man gab dem Adel die Schuld, und ähnliche
Nachrichten liefen aus den Provinzen ein. Und doch hatte auch
Moskau vor der Gefahr eines Aufstandes gestanden.
Die Nachricht vom Tode Alexanders war den Moskauer Ver-
schworenen durch den Kapitän Jakuschkin am 8. Dezember gebracht
worden. Es fanden Versammlungen bei dem Generalmajor von
Wisin und dem Obersten Mitkdw statt, und der eben damals aus
dem Süden eintreffende Oberst Naryschkin vom Tarutinschen
Infanterieregiment brachte übertriebene Nachrichten von dem Um-
fang und der militärischen Macht des Südbundes. Dann liefen
£apitel II. Der 14./^6. Dezember und die Niederwerfung usw. 61
weitere Nachrichten aus Petersburg ein. Man staud in Erwartung
großer Ereignisse, wollte aber die eigenen Entschlüsse in Ab-
hängigkeit von den Entscheidungen der Petersburger Verschworenen
stellen, die, wie man glaubte, über die Mehrzahl der Garderegimenter
verfügen konnten. In der Nacht auf den 17. Dezember*) wurde
durch einen Brief aus Petersburg bekannt, daß Konstantin abdanken
und Nikolai die Regierung übernehmen werde, daß die Verschworenen
die Eidesleistung der Garderegimenter verhindern und auch selbst
nicht schwören würden, man rechne auf die Hilfe Moskaus.
Jakuschkin hat darauf versucht, seine Gesinnungsgenossen zu einem
kräftigen Entschluß fortzureißen. Von Wisin, der bereits außer
Dienst stand, sollte seine Generalsuniform anlegen und die Garnison-
truppen unter irgendeinem Verwände zum Aufstande bewegen,
den Oberst Ilurko, Stabschef des 5. Korps, früheres Mitglied des
„Tugendbundes", hoffte man ebenfalls zu gewinnen; dann wollte
man den Korpsgeneral Grafen Tolstoi und den General-Gouverneur
Fürsten Golitzyn sowie andere Offiziere verhaften, die nicht zu
gewinnen waren. Durch den Grafen Scheremetjew, den Oberst
Naryschkin und andere ehemalige Ssemenower hofl'te man die
außerhalb Moskaus stehenden Truppen zu sich herüberzuziehen.
Traf dann, wie erwartet werden konnte, günstige Nachricht aus
Petersburg ein, so mußte die Erhebung Moskaus die dort gewonnene
Stellung der Verschworenen stärken, andernfalls war man bereit,
die Folgen auf sich zu nehmen. Über diesen Plan haben Jakuschkin,
Scheremetjew, von Wisin und Mitkow bis 4 Uhr morgens zu Rat
gesessen — schließlich aber die Entscheidung auf eine neue Be-
ratung am folgenden Abend verschoben.
Das Eintreffen Komarowskis — den die Verschworenen im
ersten Schrecken für Nikolai hielten — , die Nachricht von der
Niederlage der Petersburger und die danach folgende Eidesleistung
machten all diese Pläne unausführbar, zumal der General Michail
Feodorowitsch Orlow, auf den die Verschworenen gleichfalls ge-
rechnet hatten, keinerlei Neigung zeigte, sich für das aussichtslose
Unternehmen zu opfern. Ein Antrag des aus Petersburg ein-
getroft'enen Stabskapitäns Muchanow, nach Petersburg zu ziehen
und Nikolai zu ermorden, wurde unter diesen Umständen nicht
^) Jakuschkin, dessen Memoiren hier unsere Quelle sind, verschiebt die
Daten um einen Tag.
62 Kapitel II. Der 14./*26. Dezember uQd die Niederwerfung usw.
ernst genommen. Es war ein verlorenes Spiel, man ging ratlos
auseinander, gefaßt, hinzunehmen, was das Verhängnis bringen
werde. Bald danach begannen auch in Moskau die Verhaftungen.
Als Ersten trafen sie den General Michail Orlow, Von Wisin hatte
am 20. dem Kaiser Nikolaus gehuldigt. Er und Jakuschkin wurden
aber mit anderen Vej-dächtigon in den folgenden Tagen ebenfalls
verhaftet, ohne daß auch nur einer versucht hätte, sich zu retten.
Ebenso ruhmlos war damals bereits das eigentliche Haupt der
gesamten Verschwörung, Oberst Paul Pestel, in die Hände der
Regierung gefallen.
Wir erinnern uns, daß der Fürst Trubetzkoi, der Anfang
November nach Petersburg zurückkehrte'), nachdem er vorher mit
den Führern des Südbundes in Beziehung getreten war, dem Norden
einen Aktionsplan mitbrachte, der verwirklicht werden sollte, wenn
die Petersburger Verschworenen sich bereit fanden, ihn anzunehmen.
Der Gedanke war, den Kaiser Alexander auf der angesagten In-
spektion des 3. Armeekorps in Bjelozerkow^ im Mai 1826 zu ermorden,
was durch Vertrauensmänner, welche die südliche Gesellschaft zu
stellen übernahm, geschehen sollte. An diesem Tage, dessen Datum
auch in Petersburg rechtzeitig bekannt sein mußte, sollte die
Revolution des Nordbundes dort zum Ausbruch kommen, und zwar
dachte man die Garde und die Flotte zu gewinnen, die kaiserliche
Familie ins Ausland zu verschicken, und durch den Senat, an dessen
Willfährigkeit nicht gezweifelt wurde, zwei Proklamationen: an das
Heer und an das Volk, zu erlassen und so die Notwendigkeit einer
Änderung der Regierungsform zu rechtfertigen. Gleichzeitig sollte
dann das 3. Armeekorps gegen Moskau marschieren und dort den
Senat zu gleichen Kundgebungen nötigen, während der Rest der
Verschworenen im Süden ein Lager bei Kiew aufzuschlagen, die
Militärkolonien im Charkowschen zu gewinnen und das Hauptquartier
in Tultschin aufzuheben bestimmt war. Aber das waren eben nur
Pläne, und ehe eine Antwort aus Petersburg erfolgte, erhielt alles
durch die Nachricht vom Tode Alexanders ein anderes Ansehen.
Auch war Pestel schon seit geraumer Zeit mißtrauisch geworden.
Er hatte in Umany eine Zusammenkunft mit dem Fürsten Wolkonski
und dem Gutsbesitzer Dawidow, einem der tätigsten Mitglieder des
Südbundes, gehabt. Durch einen der Agenten des Generals Witt,
») conf. Bd. I S. 485 und 505.
Kapitel H. Der 14./26. Dezember und die NiederwerfuDg usw. 63
den Kollegienassessor Boschnjak, der sich in ihr Vertrauen ein-
geschlichen hatte, aber Spionendienste leistete, war ihnen zugetragen
worden, daß der geplante Anschlag gegen das Leben Alexanders
von der Regierung entdeckt sei^).
Die zwischen Tagaurog und Peteraburg hin und her gehenden
Feldjäger steigerten den Verdacht, und daraufhin wurde beschlossen,
daß im Fall der Not, auch ohne vorausgegangene Zustimmung
Petersburgs, Pestel handeln und sich des Hauptquartiers in Tultschin
bemächtigen solle. Damit kehrte Pestel nach Linzy, dem Standort
seines Regiments, südlich von Kiew, zurück. Kier erhielt er am
28. oder 29. November die Nachricht vom Tode Alexanders, Sie
hat auf ihn geradezu lähmend gewirkt. Der Vereidigung seiner
Trappen für den Kaiser Konstantin, die am 2. Dezember erfolgte,
setzte er keinerlei Widerstand entgegen, auch machte er keinen
Versuch, sein Regiment für später eintretende Möglichkeiten vor-
zubereiten. Inzwischen aber nahte das Verhängnis. Am 11. Dezember
traf aus Taganrog der General-Adjutant Tschernyschew in Tultschin
ein. Er brachte im Auftrage Diebitschs dem Grafen Wittgenstein
die Nachrichten, die ihm über die in der 2. Armee bestehende
Verschwörung zugegangen waren. Im wesentlichen war es das
von Maiboroda gelieferte Material. Der Stabschef der 2. Armee
General Kisselew und der Uberkommandierende Feldmarschall
Graf Wittgenstein haben dann sofort eine erste Untersuchung
vorgenommen, am 13. Dezember fuhren Tschernyschew und
Kisselew') nach Linzy. Pesteis Papiere wurden durchsucht, aber
man fand nichts Wesentliches, da er schon im November alles
belastende Material fortgeschafft oder verbrannt hatte. Aber das
Verhör, das mit ihm angestellt wurde, führte zu seiner Verhaftung,
an die sich bald die Verhaftung mehrerer anderer Mitglieder
des Südbundes anschloß. Am 25. Dezember leistete die ge-
samte 2. Armee dem Kaiser Nikolaus den Treueid, am 27. wurde
Pestel unter großen Vorsichtsmaßregeln nach Petersburg geschaift.
Dort verfiel er der Untereuchungskommission und einem Inquisitions-
system, das ihn, wie so viele andere, zur Verleugnung der ße-
>) Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Witt ihnen diese Nachricht zugehen
ließ, um sie zur beschleunigten Ausführung ihrer Pläne zu veranlassen.
^) Daß Kisselew ein heimlicher Gönner des Südbundes gewesen sei, ist
ohne Zweifel falsch. Aber er urteilte menschlich frei und war mit mehreren
der Dekabristen in den besten gesellschaftlichen und dienstlichen Beziehungen.
64 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
strebungen seines Lebens und zu einer Offenheit in seinen
Bekenntnissen führte, die hart an Denunziation streift. Sein
theoretischer Republik anismus ging in volle Anerkennung der höheren
Mission des Absolutismus auf, und wenn er schließlich als Märtyrer
der Freiheit sein Ende am Galgen fand, so war er doch nur der
Märtyrer einer verleugneten Freiheit.
Mannhafter als Pestel hat Ssergej Murawjew Apostel versucht,
die im Norden gescheiterte Erhebung durch eine Erhebung des
Südens zu retten. Auch hätte der von ihm geplante und nur
teilweise verwirklichte Aufstand in der Tat zu einer Gefahr für
die Dynastie werden können. Denn im Süden hatten die der
Verschwörung zugefallenen Offiziere auch Fühlung mit den Soldaten
gefunden und die eigene revolutionäre Gesinnung unter ihnen ver-
breitet. Namentlich unter den vereinigten Slaven war die Stimmung
der Regierung feindselig, und die Führer Andrejewitsch, Borissow,
Gorbatschewski, alle drei Leutnants in der 8. Artilleriebrigade,
waren entschlossene Männer. Es ist nur einer Reihe glücklicher
Zufälligkeiten zu danken, daß die überall bestehende Unzufriedenheit
hier nicht einen tatkräftigen Mittelpunkt fand. Die für eine Er-
hebung in Aussicht genommenen Regimenter des 3. Armeekorps
hatten zudem ihre Standquartiere ziemlich nahe beieinander auf
dem rechten Ufer des Dnjepr. Es waren die 8. und 9. Artillerie-
brigade und die Infanterie-Regimenter Pensa, Tschernigow und
Ssaratow. Aber man rechnete auch auf die Regimenter Wjätka,
Tambow und Pultawa, auf die Achtyrschen und die Alexander-
Husaren und die Jäger zu Pferde. Setzte sich diese ganze Masse
in Bewegung, so lag jedenfalls die Gefahr eines Bürgerkriegs vor,
in welchem ein großer Erfolg der Aufständischen von unberechen-
barer Tragweite sein konnte.
In Wirklichkeit hat es auch hier nicht mehr als eine Emeute
gegeben, die schnell niedergeworfen wurde, und die nur einen
geringen Bruchteil derjenigen Truppen umfaßte, auf welche ursprüng-
lich gerechnet worden war. Denn hier, wie überall, fehlte im entschei-
denden Augenblick jede einheitliche Leitung. Der Mann, auf den in
diesen Kreisen alles blickte, der Oberstleutnant des Tschernigower In-
fanterie-Regiment«, Ssergej Murawjew Apostel war, als am 23. De-
zember die Nachricht von dem Verlauf des Petersburger Aufstandes in
Wassilkow eintraf — wo sein Regiment stand — , ohne jeden Zeit-
verlust nach Shitomir gereist. Er wollte für seinen Freund und
Kapitel II. Der 14./26. Dezember uud die Niederwerfung usw. 65
Gesinnangsgenossen Bestushew Rjumin vom Eorpskommandeur
General Roth einen Urlaub nach Petersburg erwirken, um in
Fühlung mit dem Norden zu bleiben. Als daher am 24. Dezember
die Vereidigung aller Truppen auf den Namen des Kaisers Nikolaus
angeordnet wurde, war er nicht am Platz, und alle Regimenter
leisteten am 25. den Treueid; auch das Tschernigower Regiment,
obgleich der Regimentskommandeur Oberstleutnant Goebel verhaßt
war und die Offiziere fast ausnahmslos der Verschwörung an-
gehörten.
Der Gedanke zu handeln, ohne Murawjews Rückkehr abzu-
warten und durch eine Erhebung des Südens die in Petersburg
gescheiterte Revolution zu retten, ist von ihnen allerdings erwogen,
aber schließlich aufgegeben worden. Ohne Murawjew meinten sie
es nicht wagen zu dürfen. Als am Abend des 25. Goebel zu Ehren
der Thronbesteigung Nikolais einen Ball gab, sind sie alle seine
Gäste gewesen, und der äußere Schein konnte an der Loyalität
dieser Offiziere keinen Zweifel aufkommen lassen. Da trafen,
während noch die Gesellschaft beisammen war, zwei Gendarmerie-
offiziere ein. Sie brachten Goebel den Befehl, Murawjew zu ver-
haften. Es wurden nun, ohne Zeitverlust, Murawjews Papiere mit
Beschlag belegt; dann machte sich Goebel in Begleitung der
Gendarmen auf, um ihn auf seinem Rückwege nach Wassilkow zu
verhaften. Bestushew Rjumin, der davon erfahren hatte, jagte
ihm nach, um den Freund zu warnen.
Inzwischen hatte Murawjew durch den General Roth, bei dem
er in Shitomir zu Gast gewesen war, ausführlich von den Peters-
burger Ereignissen erfahren. Er zog daraus den richtigen Schluß,
daß die ganze Verschwörung entdeckt sei, aber sein erster Gedanke
war nun keineswegs, einen Aufstand zu organisieren, auch er wollte vor
allem die Mitverschworenen im Süden warnen. Offenbar glaubte er
noch Zeit zu haben. Die Shitomir zunächst stehenden Alexander-
Husaren erreichte er noch an demselben Nachmittag, dann fuhr
er nach Ljubar, wo sein Bruder, der Oberstleutnant Matwej Mu-
rawjew Apostel, ein Bataillon der Achtyrschen Husaren kommandierte
und der Regimentskommandeur Oberst Artamon Murawjew Mitglied
des Südbundes war. Hier erreichte ihn Bestushew mit der Nachricht,
daß Goebel ihm unmittelbar folge, und gewiß charakterisiertes diese
Männer und die Zeit, daß Matwej den Vorschlag machte, Champagner
kommen zu lassen und sich dann „fröhlich^ zu erschießen. Ssergej,
Schiemann, Geschichte Kußlands. IL 5
66 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
der weder sich noch sein Ziel so leicht verloren geben wollte,
dachte durch schnelles Handeln noch alles zu retten. Ihm stand
das Bild des weiten Zusammenhanges der Verschwörung lebendig
vor Augen. Wohin er blickte fand er Gesinnungsgenossen unter
den Offizieren. So hat er denn eilig eine Reihe von Briefen ge-
schrieben und dann alle Überredung daran gesetzt, um Artaraon
Mnrawjew mit seinen Husaren zu sofortigem Aufstand zu bewegen.
Aber Artamon lehnte jede Beteiligung ab, so daß Ssergej sich ent-
schloß, nach Wassilkow zurückzukehren, wo er seiner Tschernigower
sicher zu sein glaubte. Er kam aber nur bis Trilesi und nächtigte
dort, um die Ankunft einiger Tschernigower Offiziere, die er ge-
rufen hatte, abzuwarten. In kaum begreiflicher Sorglosigkeit ließ
er sich hier von Goebel überraschen und verhaften, der seinerseits
wiederum versäumte, die beiden Brüder Murawjew sofort nach
Wassilkow zu führen. Er streckte sich auf eine Bank, um nun
ebenfalls der Nachtruhe zu pflegen. So haben ihn die jetzt ein-
treffenden, von Ssergej gerufenen vier Tschernigower Offiziere ge-
funden. Nach kurzem und heftigem Wortwechsel wurde Goebel
überwältigt, grausam mißhandelt und schließlich für tot auf der
Straße liegen gelassen. Wie durch ein Wunder ist der tapfere
Mann schließlich doch gerettet worden und genesen').
Nach der blutigen Szene in Trilesi gab es für Murawjew und
die anderen Beteiligten keine Wahl. Sollte nicht alles für sie
verloren sein, so mußte jetzt ohne jede Zögerung entschlossen ge-
handelt werden. Murawjew schickte Boten an die Regimenter, auf
deren Teilnahme er rechnete, und gewann durch sein persönliches
Eingreifen eine Kompagnie Grenadiere, die in der Nähe von Tri-
lesi kantoniert waren. Aber seine Boten kamen nicht an ihr
Ziel. Sie versäumten die rechte Zeit, sie konnten sich nicht ent-
schließen, ein begonnenes Kartenspiel abzubrechen'). Das wurde
verhängnisvoll, weil dadurch der Anschluß der 17. Jäger
^) Goebel wurde durch einen Soldaten gerettet, der ihn aufnahm. Nach
▼iermonatiger Pflege war die Gefahr für sein Leben überwunden. Ihm
fehlten an jeder Iland mehrere Finger, die Ssergej Murawjew ihm mit dem
Kolben abgeschlagen hatte, dazu hatte er 30 schwere Stichwunden. Nach
anderer Quelle gar 160. Memoiren eines Unbekannten. R. Arch. 1882 I.
Thronbesteigung Nikolais S. 210.
'^ Es waren der Hauptmann Fuhrmann und der Leutnant Baschmakow
vom Tschernigower Regiment. Beide wurden 25 Werst von Wassilkow arretiert
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 67
versäumt wurde. Von Trilesi marschierte Murawjew mit den zu
ihm stehenden Truppen nach Kowalewka, das er erst am
30. morgens verließ, um das noch 35 Werst entfernte VVassilkow,
sein nächstes Ziel, zu erreichen. Als seine Avantgarde hier um
3 Uhr nachmittags eintraf, versuchte der Major Truchin mit der
4. Musketierkompagnie sich ihr entgegenzuwerfen. Aber er wurde
arretiert, und Murawjew konnte sich zum Herrn der Stadt machen.
Er ließ sofort aus Goebels Hause die Fahnen und die Regiments-
kasse holen und traf in der Nacht zum Hl. die Vorbereitungen
zum Feldzug, der nun folgen sollte. Im ganzen war es ihm ge-
lungen hier sechs Kompagnien zu gewinnen, mit Musketieren und
Musikanten zusammen 970 Mann, darunter jedoch weder Kavallerie
noch Artillerie. Er versammelte diese doch recht schwache Truppe
am 31. früh auf dem Marktplatze der Stadt und ließ dort von
einem Geistlichen den von ihm verfaßten Revolutionskatechismus
vorlesen, der an der Hand der Heiligen Schrift (l.Sam. 8) zu be-
weisen suchte, daß die monarchische Regierung wider Gott sei, und
mit der Aufforderung schloß, sich gegen die Tyrannei zu erheben
und Glauben und Freiheit wiederherzustellen^). Danach hielt
Murawjew noch selbst eine Ansprache an die Soldaten: wer ihm
nicht folgen wolle, könne noch jetzt zurücktreten, er wolle nie-
mand hindern! Aber die Suggestion des Augenblicks war zu
stark fiir diese einfältigen Gemüter. Sie sind alle geblieben und
haben danach andächtig an dem Gottesdienst teilgenommen, den
der Pope abhielt. In diesem Augenblick traf Hippolit Murawjew
Apostel, der jüngste der drei Brüder, ein. Er hatte Petersburg
am 13. verlassen und brachte die Nachricht von der bevorstehenden
Erhebung der Petersburger, und daß die Moskauer versprochen
hätten zu helfen. Erst unterwegs hatte er von der Tragödie auf dem
Senatsplatze erfahren, aber er wollte sein Schicksal von dem der
Brüder nicht trennen. Als die Brüder sich umarmten, sahen die
Soldaten wohl, daß ihre Offiziere auf Leben und Tod zu ihnen
stehen würden. Unter lauten Hurrarufen erfolgte der Ausmarsch
aus Wassilkow. Murawjew hatte gleichzeitig den Leutnant Mosa-
lewski, der Zivilkleider anlegte, an die Gesinnungsgenossen in Kiew
abgefertigt; als dieser dort eintraf, war jedoch die gesamte Garnison
1) Thronbesteigung Nikolais S. 256 ff. Der Geistliche hatte 200 Rubel
^fnr seine Frau" erhalten.
68 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
bereits alarmiert worden, um gegen Wassilkow geführt zu werden.
Mosalewski, dem es noch glückte, aus der Stadt wieder zu ent-
kommen, wurde verfolgt und eingeholt.
Inzwischen erlebte Murawjew Enttäuschung auf Enttäuschung.
In Motilowka, das er am 31. erreichte, marschierten die dort
stehenden Kompagnien Musketiere und Grenadiere ab, ohne sich
ihm anzuschließen. Der 1. Januar war ein Rasttag. Er wartete
auf die 17. Jäger; am 2., als er den Marsch fortsetzte, und seine
Avantgarde Bjelaja Zerkow, das Gut der reichen Gräfin Branicka und
Kantonnement der Jäger erreichte, während er selbst in dem nahen
Pologi lag, erfuhr er, daß sie seit zwei Tagen, man wisse nicht
wohin, ausmarschiert seien. Nun änderte Murawjew seinen Plan.
Er verließ am 3. Januar Pologi, um über Kowalewka und Trilesi
nach Powolotsch zu marschieren und die dort stehende fünfte
Kavallcrieschwadron an sich zu ziehen; so verstärkt wollte er Shi-
tomir erreichen, wo, wie er bestimmt erwartete, die „vereinigten
Slaven" ihm zufallen mußten.
Aber es gab bereits keine Rettung mehr für ihn. Schon am
2. Januar hatte der kommandierende General des vierten Armee-
korps, Fürst Schtscherbatow, den Befehl erhalten, die Meuterer zu
verfolgen, auch hatte der Kaiser dem Großfürsten Konstantin Paw-
lowitsch den Oberbefehl über das dritte Armeekorps übertragen.
Nikolai hielt die Lage für so ernst, daß er den Bruder ausdrück-
lich bevollmächtigte^ wenn nötig, auch alle Truppen seiner beiden
polnischen Armeekorps marschieren zu lassen. Er fürchtete nicht
mit Unrecht den Anschluß des Regiments Poltawa, der Achtyr-
schen Husaren und einer reitenden Batterie. Es sei möglich, daß
die Zahl der Aufrührer auf 6000 bis 7000 Mann steige 0- Daß
es nicht dahin kam, ist vornehmlich das Verdienst des Generals
Roth gewesen, der schneller als Schtscherbatow*) ohne jede Zöge-
0 Nikolai an Konstantin. Petersburg, 5. Januar 1825. Archiv des
Reichsrats. Die offizielle Korrespondenz über den Aufstand Murawjews. Russ-
kaja Starina Mai 1905, S. 375 bis 391.
') Nikolai war über die Haltung des Fürsten Schtscherbatow sehr auf-
gebracht, wie es scheint nicht mit Unrecht. Als der Bote Murawjews, Mosa-
lewski, dem Fürsten gefangen vorgeführt wurde, nahm er ihn in sein Kabinett
und sagte ihm mit trauriger Stimme: „Ihr habt zu früh angefangen zu ban-
deln; ich kenne Ssergej Murawjew, achte ihn und bedaure von Herzen, daß
ein solcher Mann untergehen muß mit allen, die an seinem nutzlosen Unter-
Kapitel II. Der 14./26. Dezember uod die Niederwerfung usw. 69
rung die zweckmäßigen Maßregeln getrofien hatte. Schon am 3.
um 3 Uhr morgens hatte er den General-Major Geismar mit zwei
Geschützen und drei Schwadronen nach Ustimowka geschickt, wäh-
rend er selbst mit fünf Schwadronen und sechs Geschützen durch
Fastow marschierte, um Murawjew den Rückzug abzuschneiden,
und zwölf Kompagnien mit vier Geschützen gegen ßjelaga Zerkow
dirigierte. Die Aufständischen waren dadurch von allen Seiten
umschlossen und konnten bei der ungeheueren Übermacht, die gegen
sie aufgeboten war, ihrem Verderben nicht entrinnen. Um 1 Uhr mittags
erreichte sie General Geismar bei Ustimowka und hier fiel die Ent-
scheidung. Murawjew hatte seine Mannschaft im Karree aufgestellt
und erwartete, ganz wie die Moskauer auf dem Senatsplatz, den
Angriff der anderen^). Auf dieses Karree richtete sich nun das
Feuer der Kartätschen Geismars. Gleich der zweite Schuß verwun-
dete Ssergej Murawjew am Kopfe und da nun einmal alles an
seiner Person hing, warf die erste Reihe des Karrees die Flinten
fort und versuchte zu fliehen, ebenso die zweite Reihe; als die an-
deren Miene machten sich trotzdem zu behaupten, folgten neue
wohlgezielte Kartätschenlagen und gleichzeitig fielen die Husaren
ein — es waren die Husaren, auf deren Hilfe Murawjew so sicher
gerechnet hatte — und nun war bald alles verloren. Hippolit Mu-
rawjew erschoß sich, Matwej wurde gefangen, ebenso die anderen Offi-
ziere, soweit sie nicht gefallen waren. Der schwer verwundete Ssergej
Murawjew war wie verstört. Einer seiner Soldaten trat auf ihn zu
nehmen teilnahmen. Ich bedaure Sic sehr, Sie sind jung und müssen
untergehen." Erst danach verhörte er ihn in Gegenwart von Zeugen. So die
ausgezeichnet unterrichteten „Memoiren eines Unbekannten''. Russki Ar-
chiv 1882.
*) Anders stellt Michailowski-Danilewski den Hergang dar: „Als das
Tschernigower Regiment die Notwendigkeit erkannte, sich durch die Husaren
durchzuschlagen, bildete es ein Karree und griff sie mit vorbildlichem Mut
an. Die Offiziere hatten vorne Stellung genommen. Ich habe das von dem
Oberstleutnant gehört, der die gegen Murawjew vorgeschickte Schwadron kom-
mandierte; er fügte hinzu, er habe die Tapferkeit der Tschernigower bewun-
dert und sogar befürchtet, daß sie die gegen sie wirkenden Geschütze nehmen
könnten, denn sie hatten sich ihnen auf eine ganz geringe Entfernung ge-
n&hert* Die Entscheidung sei nicht durch die Artillerie, sondern durch den
völlig unerwarteten Angriff der Husaren gegeben worden, auf deren Anschluß
sie gerechnet hatten. Als die Husaren zum Angriff schritten, warfen sie so-
fort die Flinten weg und ergaben sich.
70 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die NiederwerfuDg usw.
und nannte ihn Betrüger! Murawjew hätte ihn beinah erstochen, so
fest glaubte er auch jetzt noch an die Gerechtigkeit der Sache, der
sein Leben gehörte. Aber schwerlich wird er verkannt haben, daß
sie nunmehr endgültig verloren war. 60 Mann und 12 Bauern
vom Train Murawjews waren gefallen, alle übrigen hatten die
Waffen gestreckt. Die Truppen Goismars hatten nicht einen Toten.
Man brachte die Gefangenen erst nach Trilesi, am 4. nach Bjelaja
Zerkow, und dort fand am 5. das erste Verhör statt, worauf die
Gefangenen in Ketten nach Mohilew geschafft wurden. Hier stellte
man alle Offiziere vor ein Kriegsgericht, auch die Gefallenen
sollten kein christliches Begräbnis erhalten und ihre Namen an
den Galgen geschlagen werden; drei wurden zum Tode durch
Erschießen, einer zur Zwangsarbeit in Sibirien, die übrigen zu ge-
ringeren Strafen verurteilt. Nikolai setzte an Stelle des Todes-
urteils ewige Zwangsarbeit, im übrigen ließ er den Spruch des
Kriegsgerichts bestehen. Nur die Brüder Murawjew Apostol, Be-
stushew Rjumin und Fuhrmann wurden nach Petersburg geschickt,
um dort gleich den Petersburger Dekabristen der Untersuchungs-
kommission überwiesen zu werden. Sie trafen bereits am 14. Ja-
nuar in Petersburg ein, in den nächstfolgenden Tagen auch die
nicht mit den Waffen in der Hand verhafteten Angehörigen der
südlichen Verschwörung. Es hat sich ein vom Kommandanten
der Peter-Paulsfestung, Generaladjutanten Ssukin, geführtes Register
erhalten, in welches er die eigenhändigen Verfügungen Nikolais
über die Behandlung, die den Gefangenen zuteil werden sollte, ein-
trugt). Diese Aufzeichnungen sind überaus charakteristisch. Sie
lassen das System erkennen, nach dem der Kaiser verfuhr, um
möglichst vollständige Aussagen von den Gefangenen zu erhalten.
Diejenigen, die willig bekannten, wurden in besseren Räumen unter-
gebracht und milder behandelt, auch durch kleine Vergünstigungen
zu weiteren Geständnissen ermutigt. Nur dieses Motiv entschied,
die Größe der Schuld spielte dabei keine Rolle. Kachowski z. B.
erhielt den Vermerk: Man soll ihn besser halten als sonst üblich
ist, und ihm Thee und was er sonst wünscht geben, aber mit nötiger
Vorsicht; die Kosten seines Unterhalts werde ich selbst tragen.
Auch Pestel und Rylejew genossen Vergünstigungen, ebenso Ssergej
Murawjew. Solche dagegen, die schwiegen und sich weigerten ihre
0 Veröffentlicht von Schtschegolew in der Zeitschrift Byloje. Mai 1906,
S. 195 ff.
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 71
Mitschuldigen zu nennen, erhielten Hand- und Fußschellen, schlech-
tere Nahrung und dunklere Kasematten. So ging es lakuschkin,
Artamon Murawjew und anderen, die sich scheuten, ihre Kame-
raden zu kompromittieren. Nach Niederwerfung des Aufstandes
der Tschernigower aber steigerte sich die Zahl der Verhaftungen;
was irgend in Beziehungen zu den kompromittierten Persönlich-
keiten gestanden hatte, wurde eingezogen und nach I^etersburg ge-
schafft; da die Aussagen von Pestel und Bestushew bald dahin
führten, daß der Zusammenhang des Südbundes mit der polnischen
Geheimorganisation sich erkennen ließ, dehnte die Untersuchung sich
auch auf die Machtsphäre des Großfürsten Konstantin aus. Nikolai
war unermüdlich in Verfolgung der Verdächtigen. Nach Berlin,
Dresden, Wien gingen seine Gesuche um Auslieferung der Affi-
liierten, und er war fest überzeugt, daß auch das Ausland, speziell
die Revolutionspartei in Italien, Posen und Ungarn, eine Mitschuld
an der Verschwörung trage. Verdächtig war ihm der in Paris
lebende Graf Bobrinski, der angeblich die Verschworenen durch
große Geldmittel unterstützt haben sollte, verdächtig der im Kau-
kasus kommandierende General Jermolow, er fürchtete, daß die
kaukasische Armee ein Werkzeug der Revolution werden könnte,
und beruhigte sich erst, als die Nachricht eintraf, daß der Kau-
kasus ohne alle Zwischenfälle den Treueid geleistet habe. In
diesen abgelegenen Gebieten erfuhr man von der Quasiregierung
des Kaisers Konstantin erst nachträglich.
Höchst verdächtig erschienen dem Kaiser auch Speranski und
der Graf Mordwinow, w^eil nach den Aussagen der Gefangenen in
der Peter- Panlsfestung nach den phantastischen Plänen der „Gesell-
schaft'^ beide bestimmt waren, als Mitglieder der provisorischen
Regierung zu fungieren, die man nach dem Sturz der Romanows
einzusetzen dachte. Da jedoch nichts darauf hinwies, daß sie von
diesen Plänen etwas gewußt hatten^), begnügte sich der Kaiser, sie
zu Mitgliedern des Obersten Gerichtshofes zu machen, der das
Urteil über die von der Untersuchungskommission nicht freigegebe-
*) In Betreff Speranskis ist es nicht unbedingt sieber. Sawalischin erzählt in
Memoiren I 374, Komilowitsch sei zu Speranski geführt worden, um ihn vom
bevorstehenden Umsturz zu unterrichten und von ihm die Annahme einer
Stellung in der geplanten Regentschaft zu erlangen. „Ihr seid wohl von
Sinnen", antwortete Speranski. „Macht man vorzeitig solche Vorschläge?
Siegt erst, dann wird alles zu Euch stehen.*'
72 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
nea Verhafteten zu sprechen hatte. Jermolow aber, von dem
Nikolai glaubte, daß er bestimmt war, Begründer einer neuen
Dynastie zu werden, wurde unter dem Verwände militärischer
Unzulänglichkeit, wie wir in anderem Zusammenhange noch aus-
führlicher erzählen werden, aus Amt und Stellung gedrängt und
bis an sein Lebensende von aller Teilnahme am öffentlichen Leben
ferngehalten. Erfolglos blieben die Bemühungen, sich der Person
Nikolai Turgenjews zu bemächtigen'), der im Auslande weilte.
Eine Auslieferung war nicht zu erlangen, und den Geleitbrief, den
Turgenjew forderte, wenn er sich freiwillig der Untersuchungs-
kommission stellen solle, wollte der Kaiser ihm nicht gewähren.
So ist er denn jenseit der russischen Grenzen geblieben in Eng-
land, Frankreich, Deutschland, jedoch ohne sich der Heimat zu ent-
fremden: der erste Russe, der als Emigrant durch seine politisch-
literarische Tätigkeit auf die inneren Verhältnisse Rußlands einzu-
wirken versucht hat. Aber er ist allezeit auf dem Boden der
Wirklichkeit und des Möglichen geblieben, kein Utopist und kein
Revolutionär, wie die große Mehrzahl der späteren russischen
Emigranten, sondern ein Staatsmann, der unter anderen Verhältnissen
der Reformator Rußlands hätte werden können.
Die Untersuchungskommission hat fünf Monate lang ihres Amtes
gewaltet, und diese ganze Zeit über haben die Gefangenen in den
Kasematten der Peter-Paulsfestung, die meist kompromittierten im so-
genannten Alexejewschen Ravelin, einer Festung in der Festung, ver-
bracht. Das Verfahren war, wie bei den ersten Verhören im Winter-
palais, teils ein schriftliches, teils ein mündliches. Beide Verfahren
widersprachen allen Grundsätzen einer geordneten Rechtspflege. Die
schriftlich zu beantwortenden Fragen waren darauf angelegt, die Ange-
klagten zur Selbstbeschuldigung und zur Denunziation ihrer Mitschul-
digen zu veranlassen, das mündliche Verhör legte ihnen Fallstricke
durch die Art der Fragestellung und durch die Vorspiegelung oft will-
kürlich erfundener angeblicher Geständnisse ihrer Genossen. Um Mitter-
nacht, ohne vorherige Ansage, öffneten sich den Gefangenen die Tore
ihres Kerkers. Man verdeckte ihnen das Gesicht und führte sie über
die Fallbrücke des Alexejewschen Ravelin und dann schweigend
durch die Treppen, Korridore und Höfe der Festung, bis sie
endlich im Sitzungssaal der Untersuchungskommission sich befanden.
*) Auch Jacob Tolstoi, der in Paris weilte, entging dem Gericht.
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 73
Nahm man ihnen nun die Binde von den Augen, so standen sie
geblendet vor der Versammlung jener Würdenträger, die ihren
Eifer durch listige Überrumpelung der Angeklagten zu betätigen
suchten. Die Fragen, die ihnen vorgelegt wurden, gingen um Leben
und Tod. Man mußte sofort und mit größter Umständlichkeit
antworten. Die Richter stellten die Gnade des Kaisers bei voller
Aufrichtigkeit in Aussicht, ganz wie Nikolai selbst es getan hatte,
dasselbe versicherte der Priester, den man ihnen in den Kerker
schickte und dessen Aussagen dann in den Protokollen der Kom-
mission als schweres Belastungsmaterial dienten. Man schrie sie
an, kurz, es wurde nichts unterlassen, um Belastung anderer und
Preisgebung des eigenen Geheimnisses zu erreichen. Wer schwieg,
weil er nichts zu gestehen hatte oder nicht Angeber sein wollte,
wurde in seiner Kasematte mit Entziehung des Lichts oder Minderung
der Nahrung bestraft. Man ängstigte sie durch ärztliche Unter-
suchungen, die scheinbar bestimmt waren festzustellen, ob sie eine
schwere körperliche Züchtigung ertragen könnten. Namentlich
scheint die Aussicht auf die verheißene kaiserliche Gnade für die
rückhaltlos Aufrichtigen verwirrend gewirkt zu haben. Lange
Unterredungen, die vor vielen Jahren stattgefunden hatten, wurden
ausführlich wiedererzählt, und aus der naturgemäß unzuverlässigen
Wiedergabe dieser Gespräche das Material zu neuen Verhören und
neuen Quälereien genommen. Viele konnten diese psychische
Marter nicht ertragen und verloren darüber den Verstand, wie
Andrejewitsch, Fuhrmann, Fahlenberg, Branitzky, Vogt; andere
starben, wie Bulatow, der freiwillig verhungerte, und Poliwanow.
Dagegen mußte die Kommission aus dem Munde der Gefangenen
oft bittere Wahrheiten hören. Nicht nur wurden von ihnen
mit rücksichtsloser Schärfe die Schäden des alexandrinischen Re-
giments bloßgelegt, sie scheuten sich nicht darauf hinzuweisen,
daß unter jenen Untersuchungsrichtern Personen waren, die am
Untergange Peters IIL und Pauls mitgewirkt hatten^). Aber das
trug natürlich nur dazu bei, das Schicksal der Angeklagten zu
*) So Sawalischin Memoiren II 37. Von welchem seiner Richter er glaubte,
daß er an dem Untergang Peters III. teil hatte, habe ich nicht feststellen
können. Die Tatsache scheint zweifelhaft. Alexandre Murawjew: Mon Jour-
nal S. 175. An der Ermordung Pauls waren Tatischtschew und Kutusow
beteiligt.
74 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
verschlimmeru. Wo widersprechende Aussagen einander gegenüber-
standen, erfolgten Konfrontationen, doch kam es auch vor, daß sie
verweigert wurden. Überhaupt ist der Gesamteindruck der regel-
loser Willkür, juristischer Unbildung und, wie namentlich im Ver-
halten des Generals Tschernyschew, offener Niedertracht'). Unter
den Dekabristen hat es freilich auch nicht an kläglicher moralischer
Schwäche gefehlt. Die Angst um das liebe Leben ließ alle an-
deren Regungen zurücktreten. Das gilt zumal von den drei haupt-
sächlichsten Leitern der Verschwörung: Trubetzkoi, Rylejew,
Pestel, dazu von Obolenski und von Kachowski. Man kann
es erklären und entschuldigen, aber diese Männer verherrlichen
kann nur blinde Voreingenommenheit'). Im Grunde war das
') Alex. Murawjew 1. 1. S. 175. In der Verdammung des Verhaltens
You Tschernyschew stimmen alle näheren Berichte überein. Kr betrieb die
Verurteilung seines Vetters Sachar Tschernyschew, um dessen Majorat an
sich zu reißen. Bilbassow: Mordwiuow Archiv Bd. VIL S. VI — VII.
') Wir besitzen einen Brief Pesteis, geschrieben in den Kasematten am
31. Januar 1826 an den Generaladjutanten Tschernyschew. Der Unglückliche
glaubte noch damals nicht nur sein Leben, sondern seine Freiheit zu erhalten.
Man fühlt beim Lesen die Todesangst nach, die ihn erfüllte. „Voila dix-huit
jours de passes, depuis que j'ai eu Thonneur de vous voir pour la derniere
füis et en voila ciuquante que je suis arrete. Ce temps a ete pour moi une
t'ternite. J'ai compte les heures, j*ai compte les minutes. Vous n^avez pas
dMdoe comme elles sont terribles les angoisses de la prison, et comme eile est
horrible Tincertitude de son sort. Sa Majeste TEmpereur a voulu que je dise
tout avec la plus grande franchise: je Tai fait avec une plenitude entiere et
complete. Je n'ai rien cache, mais absolument rien. J^ai non seulement
repondu avec la plus stricte et la plus exacte verite u toutes les questions,
mais encore j*ai de moi-meme annonce tout ce que j*ai seulement pu rappeler
a ma memoire. J'ose me flatter que Sa Majeste TEmpereur aura ete contento
de moi sous ce rapport. J'ai voulu roontrer par la a Sa Majeste toute la
sinci'rite de mes sentiments actuels. C'est le seul moyen que j^avais de lui
prouver le chagrin cuisant et profond que jVprouve d^avoir appartenu ä la
societti secrete. Croyez, mon general, que ce chagrin me navre de douleurs
et de soufTrances continuelles: heureux du moins de n'avoir pris part ä
aucune action. . . . Je ne puis pas me justifier devant Sa Majeste, aussi je
ne cherche pas a le faire : je ne demande que griice. . . . Chaque moment de
mon existence sera consacre a Une reconnaissance et un attachement sans
bornes pour sa personne sacree et son auguste famille. Je sens bien que je
ne puis pas rester au Service, mais du moins si Ton me rendait la liberte." . . .
Mir liegt auch die erste schriftliche Aussage Pesteis vor. Er hat
schonungslos alle seine Kameraden preisgegeben.
Kapitel II. Der IA./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 75
Schicksal aller bereits mit Abschluß der Arbeiten der Unter-
suchungskommission entschieden. Das oberste Kriminalgericht, dem
der Kaiser durch einen Ukas vom 1. Juni 1826 die Aufgabe
zuwies, auf Grund dieses Materials Schuld und Strafe der einzelnen
zu fixieren, war, recht betrachtet, eine große Schaustellung, die
dem unregelmäßigen Vorverfahren nachträglich den Charakter einer
unparteiischen Gerechtigkeit verleihen sollte.
Zum Vorsitzenden dieses Gerichts hatte der Kaiser den Wirkl.
Geheimen Rat Fürsten Lopuchin, zu seinem Stellvertreter den
Fürsten Kurakin ernannt. Der Justizminister sollte die Obliegen-
heiten eines Generalstaatsanwaltes übernehmen.
Als Richter fungierten sämtliche Mitglieder des Reichsrats, des
Senats, des heiligen Synod und eine Reihe von Würdenträgern,
die der Kaiser ad hoc ernannt hatte: der Wirkl. Geheime Rat
Graf Golowkin, General Graf Langeron, Baron Stroganow, General-
adjutant Woinow, Ingenieur General Opperraan, die Generaladju-
tanten Graf de Lambert, Senjawin, Borosdin, Paskiewitsch, General-
leutnant Emanuel, Generaladjutanten Graf Komarowski, Baschutski,
Zakrewski, Bistramb und der Senator des Moskauer Departements
Geheimer Rat Kuschnikow, im ganzen 72 Personen, unter denen
wir als Mitglied des Reichsrats auch Sperauski finden, der vor
15 Jahren die Verfassung ausgearbeitet hatte, mit der damals
Alexander ganz Rußland zu beglücken dachte! Den Mitgliedern des
hohen Gerichts war eine von dem Generalstabschef Baron Diebitsch
verfaßte Geschäftsordnung vorgeschrieben worden, die höchst
charakteristisch ist und deren Kenntnis zu richtigem Verständnis
des Ausganges unerläßlich ist. Die im Senat stattfindenden Sitzun-
gen sollten mit Verlesung des Allerhöchsten Manifests über Ein-
setzung des „obersten Kriminalgerichts'^ und der anschließenden
Ukase an Senat und Justizminister eröffnet werden. Danach hatte
der Justizminister die Akten der Untersuchungskommission in ihrem
vollen Umfange verlesen zu lassen, ohne daß dabei irgendwelche
Unterbrechung erlaubt war. War das geschehen, so hatte das
Gericht auf die Frage zu antworten, in welcher W^eise die vom
Gesetz verlangte Beglaubigung der erfolgten Untersuchung vor sich
gehen solle. Werde nach früherem Gebrauch eine Revisionskom-
mission für notwendig erachtet, so sei sie aus der Zahl der Mit-
glieder zu wählen. Endlich sollten Fragen, welche der Vorsitzende
an das Gericht stellte, entweder einstimmig oder mit einfacher
76 Kapitel II. Der 14./*26. Dezember und die Niederwerfung usw.
Majorität beantwortet werden, wobei abweichende Vota auf Verlangen
protokolliert werden durften. Die Sitzungen dieses hohen Gerichts
wurden mit Verlesung der für Maj es täts verbrechen und Meuterei
geltenden Gesetze eröffnet. Sie beginnen mit der Uloshenije des
Zaren Alexei Michailowitsch vom Jahre 1649, die eine andere als
die Todesstrafe für derartige Verbrechen nicht kennt und deren
Paragraphen eintönig in den Refrain ausmünden: und einen
solchen Verräter soll man hinrichten ohne jede Barmherzigkeit.
Dann folgt der Artikel 19 eines Ustaws Peter I. vom Jahre
1716, der, den besonderen Liebhabereien des großen Tyrannen
Rechnung tragend, Vierteilung der Verbrecher und Einziehung
ihres Vermögens befiehlt und dazu ausdrücklich bestimmt, daß
die gleiche Strafe auch alle diejenigen treffen soll, „die zwar
ein solches Verbrechen nicht ausgeführt, aber den Willen
oder die Absicht dazu gehabt oder davon gewußt und es nicht
angezeigt haben^. Auch solle die gleiche Strafe alle diejenigen
treffen, welche die kaiserliche Familie (Kaiserin und Thronerben)
mit ihren Anschlägen bedrohen. Beleidigende und tadelnde Worte
oder Schriften sind mit dem Tode zu bestrafen, jede Art Meuterei
mit dem Galgen. Der Marine-Ustaw vom Jahre 1720 wiederholt
dieselben Strafandrohungen; das geistliche „Reglement* vom
25. Januar 1721 verpflichtet die Beichtväter zur Anzeige und be-
droht sie im Falle der Unterlassung mit Todesstrafe und Güter-
einziehung.
Der Ukas vom 10. April 1730 setzt wieder, ohne des Vier-
teilens zu erwähnen, als Strafe: den Tod ohne jedes Erbarmen;
die Kaiserin Elisabeth beseitigte dann in praxi die Todesstrafe und
setzte statt dessen „starke Bestrafung mit der Knute, Ausschneiden
der Nasenflügel, Brandmarkung und Verschickung in die Berg-
werke".
Das sich in der Reihenfolge nunmehr anschließende Manifest
Peters III. vom 21. Februar 1762 bedeutet insofern eine AVendung
in der Praxis des russischen Kriminalrechts und der Ilochverrats-
prozesse im besonderen, als es die berüchtigte „Geheime Kanzlei
in Kriminalsachen" aufhob und damit tatsächlich die Folter be-
seitigte^), auch die Denunziationen auf Hochverrat, wie sie bisher
0 Formell ist sie von Katharina IT. durch die ükase vom 15. Januar 1763
und vom 11. November 1767 erst in den Gerichten der Kreisstädte aufgehoben»
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 77
durch die furchtbaren Worte: slowo i djelo (Wort und Tat) von
jedermann erhoben werden konnten, ausdrücklich beseitigte. Die
guten Absichten Peters und die scheinbare Weichherzigkeit der
Kaiserin Elisabeth wurden jedoch von Katharina II. wieder un-
wirksam gemacht.
Den Mitgliedern des „hohen Gerichts^ lagen Manifeste und
Sentenzen der Kaiserin vor, aus denen sich ergibt, daß sie die
Gesetze Peters des Großen als noch in voller Kraft bestehend ansah.
Am 24. Oktober 1762 begnadigte sie den Leutnant Peter Chruscht-
schow, „obgleich nach allen Staatsgesetzen man ihn . . . vierteilen und
ihm danach das Haupt abschlagen müßte^, zur Verbannung nach
Kamtschatka, am 19. September 1764 den Unterleutnant Wassili
Mironitsch (der den unglücklichen Zaren Iwan Antonowitsch be-
freien wollte), „obgleich man ihn wegen der Wichtigkeit seines
Verbrechens hätte vierteilen müssen", zur Enthauptung.
Die volle Barbarei des russischen Strafrechts aber kam in der
Sentenz vom 10. Januar 1775 gegen Pugatschew und seine Ge-
nossen zur Anwendung, ohne daß die Kaiserin Gnade hätte walten
lassen. Auch diese Sentenz war dem „hohen Gericht" zur Richt-
schnur und als geltendes Recht vorgelegt worden: Pugatschew ge-
vierteilt, sein Haupt auf den Pfahl gesteckt, die zerrissenen Glieder
in vier Stadtteilen aufs Rad geflochten und danach dort verbrannt,
sein Hauptvertrauter Perfiljew in Moskau gevierteilt, sein Liebling,
der falsche Graf Tschernyschew, enthauptet, danach der Kopf ge-
pfählt, der Körper mit dem Schafott verbrannt, drei andere gehängt,
fünf geknutet, die Nasenflügel aufgerissen, Stirn und Backen ge-
brandmarkt und endlich in die Bergwerke verschickt, wieder drei
gestraft wie die vorigen ohne Brandmarkung, und so fort, wobei
noch in Betracht zu ziehen ist, daß alle diese Leute während der
Untersuchung gefoltert worden sind. Der nun folgende Entwurf
der Kaiserin für eine neue Krimiualordnung (20. Juli 1767) ist
nie verwirklicht worden und verlor schon dadurch an Bedeu-
tung, daß er älter war als die Sentenz über Pugatschew und
Genossen. Die humanen Grundsätze, die Katharina hier ausspricht,
konnten demnach nur geringen Eindruck machen. Auch hier hielt
dann in den Qouvernementsgerichten erschwert worden. Die „unglückliche
Notwendigkeit^, sie in besonderen Fällen anzuwenden, hat sie ausdrücklich
anerkannt
78 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
jedoch die Kaiserin an der Notwendigkeit der Todesstrafe ent-
schieden fest.
Von Katharina wird dann nur noch der dem russischen Adel
verliehene Gnadenbrief vom 21. April 1785 aufgeführt, der die Ver-
brechen herzählt, welche den Verlust des Adels nach sich ziehen,
und ausdrücklich betont, daß der Adel keiner Körperstrafe verfällt
und daß Erbgüter auf den rechtmäßigeo Erben des Verurteilten
übergehen. Es berührt alledem gegenüber überraschend, wenn
sich an die Reihe dieser Ukase ein Ukas Kaiser Pauls I. vom
20. April 1799 anschließt, der die auf Grund der allgemeinen
Reichsgesetze bestehende Aufhebung der Todesstrafe auch auf die-
jenigen Gouvernements ausdehnt, in denen Kraft alter Privilegien
anderes R«cht galt.
Diese gewiß merkwürdige Sammlung der in Anwendung zu
bringeoden Gesetze schließt mit einem Auszuge aus dem Journal
des Reichsrates vom 16. November 1814, durch welches bestimmt
wird, daß das vom Kaiser aus Anlaß des Friedensschlusses er-
lassene Gnadenmanifest Verbrechern, die zum Tode verurteilt seien,
nur insofern zugute kommen dürfe, als ihnen die der Hinrichtung
vorausgehende Körperstrafe zu erlassen sei!^)
Man kann wohl die Frage aufwerfen, welchen Schluß die Mit-
gieder der Kommission aus den schreienden Widersprüchen dieser
Gesetzesstellen ziehen sollten. Galt die Todesstrafe zu recht? Und
wenn das der Fall war, welche Form der Todesstrafe durfte in An-
wendung kommen? Vierteilen, Hängen, Köpfen oder, wo es sich
um Militärs handelte, das Standrecht? Alles war möglich, und die
Entscheidung hing ab von der Umsicht oder, sagen wir besser, von
der Willkür jener Richter, deren ungeheuere Mehrzahl ohne jede
juristische Bildung war, und deren Phantasie durch die Aufzählung
der entsetzlichen Sentenzen früherer Jahre vergiftet sein mußte!
Nach Beendigung dieser Rechtsbelehrung wurde dem hohen
Gericht der Bericht der Revisionskommission vorgelegt. Man hatte
sich aber nicht bemüht, eine besondere Ausarbeitung fertigzustellen,
sondern, da der Kaiser drängte, die zur Publikation in den Zei-
tungen von einem Beamten des Auswärtigen Amtes, dem Wirkl.
*) Das Gericht erhielt noch auf besonderem Blatt eine Ergänzung lu
jenen Gesetzen, die wesentlich Deserteure und Meuterer betrifft und die Kriegs-
artikel von) 12. Januar 1812 für die aktive Armee enthält, die selbshrerständ-
lich überall mit der Todesstrafe operieren.
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 79
Staatsrat Bludow, ausgearbeitete Darstellung vorgelegt. Sie war
darauf berechnet, im Publikum und im Auslande die Vorstellung
von der Ruchlosigkeit der Vei*schworenen und zugleich von dem
Unsinnigen ihres Unternehmens recht lebendig hervoi-zurufen, und
überging natürlich alles, was sie zu ihrer Verteidigung vorgebracht
hatten, vor allem die Motive ihres Handelns und die Zeichnung der
Zustände, die sie hatten beseitigen w^ollen. Wo unlösbare AVider-
sprüche der Aussagen einander gegenübergestanden hatten, war die
Hand des Redaktors ausgleichend und verwischend über sie hinweg-
gegangen, so daß das eigentliche Bild des historischen Zusammen-
hanges sich kurzweg als gefälscht bezeichnen läßt. Auch über den
Umfang der Verschwörung gewann man eine falsche V^orstellung;
denn das Interesse der Regierung verlangte, die Zahl der Ver-
schworenen möglichst geringfügig erscheinen zu lassen. Wir kenneu
weder genau die Zahl der wirklichen Mitglieder der beiden großen
Geheimbünde, noch auch die Zahl derjenigen, die im Laufe jener
fünf Monate zur Untersuchung ihres Verhaltens herangezogen worden
sind. Jedenfalls war sie weit größer als die der Verurteilten, noch
größer aber die Zahl der überhaupt nicht offiziell verdächtigton,
aber heimlich unter Aufsicht der Polizei stehenden Offiziere*).
Vor den „hohen Gerichtshof" wurden nur 121 Personen ge-
stellt und in erstaunlich summarischer Weise in der Zeit vom 3. Juni
bis zum 12. Juli 1826 ist das Verfahren zum endgültigen Abschluß
gebracht worden. Nach Verlesung des Bludowschen Berichts und
der Aussagen der Angeklagten erklärte der Gerichtshof, daß es un-
möglich sei, die Arbeit der Untersuchungskommi^^sion vor dem Plenum
zu verifizieren. So begnügte man sich, eine Revisionskommission
von neun Personen zu wählen (drei Mitglieder des Reichsrats, drei
Senatoren und drei von den übrigen Mitgliedern des Gerichts). Diesen
wurden die Akten der Untersuchungskommission zur Nachprüfung
überwiesen. Sie wiederum gaben sich damit zufrieden, festzustellen,
daß die Unterschriften unter den Protokollen der Untersuchungs-
^) Der Dekabrist Sawalischin, dessen Angaben weit mehr Beachtung ver-
dienen, als ihnen bisher zuteil geworden ist, sagt, es seien 2500 Mann wegen Be-
teiligung am Aufstande des 14. Dezember oder an der Erhebung der Tscber-
nigower in Untersuchung gezogen worden. Tatsache ist, daD eine lange Reihe
administrativer Maßregelungen stattgefunden und noch während des Türken-
kriegs 1828/29 ein sehr beträchtlicher Prozentsatz der aktiven Offiziere unter
Aufsicht der geheimen Feldpolizei stand.
80 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
kommission authentisch und freiwillig abgegeben waren, und rich-
teten dann noch die Frage an die Angeklagten, ob Konfrontationen
stattgefunden hätten. Es fand weder ein Verhör noch eine Ver-
handlung statt. Verteidiger gab es nicht, und selbst der Hinweis
der Angeklagten darauf, daß ihre Aussagen nicht vollständig auf-
genommen seien und daß in den Akten wichtige Dokumente
fehlten, blieb ohne jede Berücksichtigung^).
Die üngenauigkeiten und Fehler der Untersuchungskommission
wurden unverändert übernommen. Es war eine leere Formalität,
der Schein einer Revision, und zwei Tage reichten aus, das ganze
Geschäft zu erledigen. Dann wurde eine neue Kommission von
neun Mitgliedern gewählt, um die Angeklagten nach dem Grad
ihrer Verschuldung zu verschiedenen Kategorien zusammenzufassen.
Es waren die Mitglieder des Reichsrats General der Infanterie Graf
P. A. Tolstoi, der Generaladjutant I. W. AVassiltschikow und Spe-
ranski, die Senatoren General Kutaissow, Baranow und Engel,
endlich der Moskauer Senator Kuschnikow, Baron G. A. Stroganow
und der Generaladjutant Graf Komorowski. Von ihnen standen
Speranski und Baranow unter geheimer polizeilicher Aufsicht. Ni-
kolai wollte sie offenbar nötigen, sich recht nachdrücklich von den
ihnen zugeschriebenen liberalen Anschauungen loszusagen. In
dieser Kommission, die bis zum 28. getagt hat, ist nun in der
Tat um das Schicksal jedes einzelnen, wie um da^ Strafmaß über-
haupt, lebhaft gestritten worden. Da die Angeklagten sämtlich
dem russischen Adel angehörten, viele den ersten Familien des
Landes, machten sich Einflüsse geltend, um einzelneu ihr Los
möglichst erträglich zu gestalten. Wie immer in Rußland, haben
Geld und Protektion auch hier einen großen Einfluß ausgeübt, sie
haben zu Verschiebungen geführt, die nur möglich waren, wenn
mit zweierlei Maß gemessen wurde.
Die Verteilung der Angeklagten in die verschiedenen Katego-
rien war in zahlreichen Fällen eine durchaus willkürliche, wobei
unzweifelhaft die den Kommissaren bekannten Ansichten und Ab-
sichten des Kaisers sehr wesentlich mitgespielt haben; nur so läßt
es sich erklären, daß die Fürsten Trubetzkoi und Obolenski nicht
der Kategorie der Meistschuldigen zugezählt wurden. Die Klassi-
fizierung und die Festsetzung des Strafmaßes der Angeklagten ergab,
») Sawalischin 1. 1. II S. 53.
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 81
daß von den 121 PersoDon, die dem hohen Gerichtshof überwiesen
waren, nach den geltenden Gesetzen alle mit dem Tode zu be-
strafen seien '), da jedoch Abstufungen der Schuld unverkennbar
beständen, erlaubte sich das Gericht, dem Kaiser für den Fall, daß
er einigen, trotz der Klarheit der gesetzlichen Bestimmungen, das
Leben schenken wolle, auch für die Minderschuldigen andere
Strafen in Vorschlag zu bringen. Als Meistschuldige aber wurden
fünf, Pestel, Rylejew, Ssergej Murawjew, Bestushew Rjumin und
Kachowsky, außerhalb aller Kategorien gestellt und lür sie Vierteilung
beantragt. Das hohe Gericht empfahl ferner 31 Personen, an ihrer
Spitze Trubetzkoi und Obolenski, zum Tode durch Enthauptung, 17
zum politischen Tode und ewiger Zwangsarbeit, 2 zu ewiger Zwangs-
arbeit, 38 Personen zum Verlust aller Standesrechte, zu zeitlich
begrenzter Zwangsarbeit und danach zur Ansiedlung in Sibirien, 15
Personen zum Verlust der Standesrechte und zu ewiger Ansiedlung
3 zur ewigen Verbannung nach Sibirien, 1 zum Verlust der Standes-
rechte und zur Degradierung zum Gemeinen, mit dem Recht des
Avancements, endlich 11 zu derselben Strafe, ohne Verlust ihres
Adels.
\ Der Admiral Mordwinow hatte weit mildere Strafen in Vor-
schlag gebracht. Auch er war dafür, die fünf erstgenannten und
außerdem als Gleichschuldige die Fürsten Trubetzkoi') und Obo-
lenski, also die eigentlichen Führer, außerhalb aller Kategorien zu
stellen, was wohl so zu verstehen ist, daß er ein Todesurteil
als die ihnerijfLgebnhrende Strafe für gerecht empfand. Die dann
folgende erste Kategorie wollte er mit Verlust von Rang und Adel
und ewigem Gefängnis in Sibirien bestraft wissen, die zur zweiten
Kategorie Gezählten mit Verlust von Rang und Adel nach Sibirien
verschicken, die Schuldigen dritter Kategorie nach Sibirien ver-
bannen, die übrigen teils zu Soldaten degradieren, teils auf ihre
Güter verschicken, die Mindestschuldigen mit drei bis einem Jahr
Festung bestrafen.
^) Bei der Abstimmung hatten die Geistlichen (es waren die hinzugezo-
genen Mitglieder des heiligen Synod) kein Votum abgegeben.
') In den Papieren des späteren Feldmarschalls Paskiewitsch, der gleich-
falls als Richter fungierte, findet sich die Notiz, daß nur ^ß Stimmen für
die Todesstrafe Trubetzkois abgegeben wurden, es müssen also sechs Mitglieder
dagegen gestimmt haben, conf. Schtscherbatow: Generalfeldmarschall Paskie-
witsch, Bd. I, S. 391.
Schiemann, Geschichte RaßUnds. ü. 6
S2 Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
Damit wäre gewiß genug geschehen, und ein solches Urteil
hätte auch die Billigung der öffentlichen Meinung des Landes um
so mehr gefunden, als jedermann wußte, daß die Regierung ab-
sichtlich zahlreichen Gleichschuldigen gegenüber beide Augen ge-
schlossen und sich mit ihrer heimlichen Beaufsichtigung begnügt
hatte. Aber Mordwinow drang nicht durch, und es blieb beim
Spruch der Majorität des hohen Gerichts. Die Formulierung und
Rechtfertigung dieses Urteils war Speransky übertragen worden,
von dem wir nicht wissen, wie er gestimmt hat, der aber seiner
ganzen politischen Vergangenheit nach das Urteil nicht billigen
konnte. Aber wir kennen die Charakterschwäche des Mannes:
wie er sich bereit gefunden die Araktschej ewschen Militärkolonien
zu preisen, so nahm er jetzt auch keinen Anstand, die harte
Verurteilung von Männern zu vertreten, deren Schuld zum Teil
nur in Worten und Gedanken bestand, wie er sie selbst oft genug
ausgesprochen und gehegt hatte.
Als der Spruch des hohen Gerichts dem Kaiser vorgelegt
wurde, hat niemand daran gedacht, daß er in vollem Umfange
ausgeführt werden könnte. Die Strafe des Vierteilens konnte un-
möglich im 10. Jahrhundert in Anwendung kommen. Es war eine
Schmach, daß sie überhaupt in Vorschlag gebracht wurde. Man
rechnete darauf, daß Nikolai milde sein werde, und in der Tat
hat er Gnade geübt. An die Stelle des Vierteilens wurde der Tod
am Galgen gesetzt*), den 31 zum Tode Verurteilten schenkte er
das Leben, sie wurden zu ewiger Zwangsarbeit in den sibirischen
Bergwerken verurteilt, und entsprechend wurden auch die Strafen
in den meisten der anderen Kategorien gemildert. Am 12. Juli
begaben alle Mitglieder des hohen Gerichts sich in die Peter-Pauls-
festung, und dort, in der Wohnung des Kommandanten, wurde
das Urteil erst den fünf, dann den übrigen mitgeteilt. Sie haben
es bis auf einen, der, wie sich herausstellte, wahnsinnig geworden
1) Es ist neuerdings ein Schreiben Diebitschs vom 10. Juli 1826 an den
Fürsten Lopuchin veröffentlicht worden (Byloje, Februar 1906, S. 212), das
keinen Zweifel darüber läßt, daß der Kaiser diese Todesstrafe von sich aus
bestimmt hat, aber die Verbäugung derselben, dem Gericht zuwies, dem er
ausdrücklich die Vollmacht erteilte, über die fünf endgültig zu entscheiden,
ohne daß eine Bestätigung durch ihn selbst weiter erforderlich sein sollte.
Zugleich erklärte er aber, daß er weder das Vierteilen, noch Erschießen oder
Köpfen gestatte. So blieb nur das Erhängen übrig.
Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 83
war, ruhig hingeDoramen. Arzt und Geistliche, die man vorsorg-
lich bereit gehalten hatte, wurden nicht in Anspruch genommen.
Und doch hatte keiner der Verurteilten eine Ahnung davon gehabt,
daß bereits der Spruch über sie gefällt sei*). Sie wußten nicht
einmal von der Einsetzung des hohen Gerichtshofes und hatten ge-
meint, daß die letzten Verhöre, denen man sie unterzogen hatte,
nur weitere Ausläufer jener Untersuchungskommission waren, vor
der sie schon so oft gestanden hatten.
Die Degradierung der Verurteilten fand in der Peter-Pauls-
festung auf dem Wall des Kronwerks statt, im Angesicht der be-
reits aufgerichteten Galgen unter großen Vorsichtsmaßregeln. Ein
aus Finnland verschriebener Henker riß ihnen die Epauletten und
Uniformen ab und zerbrach darauf den Degen über ihrem Kopfe.
Dann wurden sie zur Peter-Paulsfestung zurückgeführt, und erst
danach fand die Hinrichtung der fünf statt. Pestel und Kachowsky
waren sofort tot. Dagegen rissen die Stricke, welche Rylejew, Mu-
rawjew und Bestushew trugen, und die durch den Sturz schwer
Verletzten mußten den Todeskampf zum zweitenmal erdulden. Erst
in der darauffolgenden Nacht wurden die Leichen vom Galgen ab-
genommen und auf einer der anliegenden Newainseln (wahrschein-
lich auf Golodai) verscharrt.
*d^Dio Degradation der verurteilten Marineoffiziere wurde in
Kronstadt vollzogen, und als alles vollendet war, wurden die nun-
mehrigen Sträflinge durch Feldjäger, in Abteilungen von je vier
Mann, an ihren Bestimmungsort geschafft. Auch hier fanden Will-
kürlichkeiten statt. Norow, Batenkow, W. Küchelbecker und Diwow
wurden nicht, wie ihr Spruch lautete, verschickt, sondern in die
Festung, in Einzelhaft, gesperrt. Dort hat Batenkow 15 Jahre
lang gesessen, und Norow ist im Gefängnis gestorben. Ihr
Los war zweifellos härter, als das der zu Arbeit in den Berg-
werken und zur Ansiedlung in Sibirien Verurteilten. Wir wissen
*) Das ist vielfach bezeugt, unter anderem in der vortrefflichen Publi-
kation: Soziale Bewegungen in Rußland in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts, Bd. I, die Dekabristen von Wisin, Obolenski, Steinheil. ed. Sseraew-
«ki, Bogutscharski. Schtschegolew 1. 1. 4®, Petersburg 1905, S. 416 (Steinheil
^Ich versichere eidlich, daß ich bis zur Verkündigung der Sentenz weder wußte
noch ahnte, daß über uns zu Gericht gesessen wurde"). Auch er glaubte, daß
es sich um Fortsetzung der Untersuchung handele. Das gleiche bezeugen
auch Rosens Memoiren, russische Ausgabe S. 140.
84 Kapitel II. Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw.
jetzt ^), daß das Schicksal der letzteren verhältnismäßig güustig sich
gestaltete. Einzelne von ihnen verfügten über große Geldmittel, und
das half ihnen über die Strenge der gesetzlichen Bestimmungen und die
Ungunst der Verhältnisse hinweg. Vielen folgten ihre Frauen, ob-
gleich der Kaiser auf jede Weise bemüht war, sie davon abzu-
bringen, und die in Sibirien geborenen Kinder für illegitim erklären
ließ. Sie sind erst nach Jahrzehnten legalisiert worden. Im all-
gemeinen galt nach russischem Gesetz die Ehe durch die Verurtei-
lung des Mannes für gelöst. Aber nur drei der Dekabristenfrauen
haben davon Gebrauch gemacht und sich wieder verheiratet').
Für die Geistesrichtung der Dekabristen ist ungemein bezeich-
nend, daß sie fast ausnahmslos tief religiös gestimmt waren. Aber
diese Religiosität trug einen ^eigentümlichen, man könnte sagen
sektiererischen Charakter spezifisch russischer Art, der in anderer
Färbung in der revolutionären Bewegung Rußlands bis in die Ge-
genwart hinein wiederkehrt. Es ist die Rechtfertigung der ver-
brecherischen Tat durch das ideale Ziel, um dessentwillen die Tat
begangen wurde, also im letzten Ende das Bekenntnis zum Satz,
daß der Zweck die Mittel heilige. Ssergej Murawjew Apostel kann
I) Das beweisen die doch sehr merkwürdigen Angaben in den Memoiren von
Sawalischin Bd. II, S. 83ff., 101 IT. Truhetzkoi und Wolkonski hatten je 25
leibeigene Bediente; an Geld fehlte es nie. In eine einzige Kasematte in
Tschita flössen gegen 400000 Rubel jährlich. Die Arbeit wurde durch be-
zahlte Arbeiter besorgt. Viele verschrieben sich aus Rußland ihre Bibliotheken,
80 daß in Petrosawodsk schließlich gegen 500000 Bände beisammen waren!!
Darunter waren fast alle in Rußland verbotenen Bucher zu finden, auch an
Zeitungen fehlte es nicht. Die Sträflingskolonie hatte sich nicht weniger als
acht Fortepianos aus Rußland kommen lassen usw. Wirklich schwer waren
die vier ersten Jahre und das Schicksal einzelner Unbemittelter.
*-; Wir verfolgen die Geschichte der Dekabristen nicht weiter. Es hängt
viel verherrlichende Legende an ihr. So hohe Anerkennung das Verhalten
einzelner von ihnen in den Jahren der Gefangenschaft und der sibirischen
Nöte verdient, der menschlichen Schwäche haben die meisten ihren vollen
Tribut gezollt. Was sie aufrecht erhielt, war das sich steigernde Bewußtsein,
als Märtyrer eines politisch-idealen Gedankens eine unzweifelhaft in ihrer
beabsichtigten Härte ungerechte Strafe zu tragen. Aus dieser Oberzeugung
heraus sind die Memoiren der Dekabri^iteu geschrieben. Sie sind nur mit
Vorsicht zu benutzen. Erst durch Sawalischin haben wir die außerordentlich
günstigen äußeren Bedingungen kennen gelernt, unter denen sie lebten. Alle
übrigen Memoirenschreiber haben diese doch sehr wichtige Tatsache ver-
schwiegen.
Kapitel IL Der 14./26. Dezember und die Niederwerfung usw. 85
in dieser Hinsicht als Typus gelten. Es hat sich eine Eintragung
erhalten, die er, nachdeih ihm das Todesurteil verkündigt war, in
seiner Bibel machte. Sie lautet: „Die Absicht allein bedingt
die Schuld. Taten, soweit sie bloß Taten sind, beweisen nichts,
denn man kann mit den reinsten Absichten viel Böses tun, und
andererseits mit den perversesten Absichten das Beste schaffen.
Daraus folgt unzweifelhaft, daß alle Urteile der Menschen dem
Irrtum unterworfen, schwankend und nur bedingt richtig sind, und
daß, je entschiedener sie auftreten, sie um so mehr als Frucht der
Flüchtigkeit und Faulheit und dem Irrtum verwandt erscheinen,
Das Evangelium kündigt ein großes Gericht an, das alle anderen
Gerichte zurechtstellen wird. Es kündigt uns an, daJ3 unser gött-
licher Erlöser (der einzige unfehlbare Richter, weil er die Herzen
prüft und die Tat nach der Absicht beurteilt), umstrahlt von aller
Glorie, kommen wird, um jedem nach seinen Werken zu vergelten
aber es kündigt ihn uns an als nachsichtig in seiner Allmacht,
voller Liebe und Barmherzigkeit, und nur unerbittlich gegen ün-
wahrhaftigkeit (mauvaise foi) und Egoismus. Diesen Tag wollen
wir erhoffen und fürchten, er wird die Absichten jedes einzeloen
offenbaren***).
V Kapitel III. Reforrn^edanken nnd Reformanlänfe.
In den zahlreichen Aufzeichnungen, welche die Dekabristen
während der Zeit ihrer Untersuchungshaft in der Peter-Paulsfeslung
machten und in ihren protokollierten Aussagen vor der
Kommission, war ein ungeheures Anklagematerial gegen die russische
Verwaltung der Tage Alexanders I. zusammengetragen und
ebenso eine Reihe notwendiger Reformen in Vorschlag gebracht
worden ')* Der Kaiser hat sich darüber regelmäßig referieren lassen
^) Russki Archiv 1887, I, französisch geschrieben, wie denn einem großen
Teil der Dekabristen das Französische geläufiger war als das Russische. Da-
selbst auch der Brief von Ssergej Murawjew an seinen Vater. Nikolai hatte
ihm und seinem Bruder Matwej gesagt, der Vater habe sie verflucht! Wenn
das ^ahr sein, und Nikolai nicht von den Brüdern Murawjew mißverstanden
sein sollte, läge hier eine wirkliche Niedertracht vor.
*) conf. Schtschegolew, Byloje S. 205 ff., der drastische Beispiele anführt.
Der Dekabrist Komilowitsch hat jahrelang aus der Peter-Paulsfestung seine
Gutachten über Fragen der inneren Verwaltung Rußlands abgegeben, ebenso
Batenkow.
86 Kapitel III. Heformgedanken und Reformanläufe.
und es steht fest, daß dieses Material und die Kritik der Regierung
des Bruders, der er bisher völlig kritiklos und nur bewundernd
gegenübergestanden hatte, auf ihn einen tiefen Eindruck machten.
Die Dekabristen sind so die Ersten gewesen, die ihm einen Einblick
in die russische Wirklichkeit gewährten ^). Der Kaiser hat sich
von dem Geheimrat Borowkow aus diesen Äußerungen und Denk-
schriften seiner „Freunde vom 14. Dezember", wie er sie nannte,
ein zusammenfassendes Memoir fertigstellen lassen, das stets in
seinem Kabinett liegen mußte und von dem er Abschriften dem
Zesarewitsch Konstantin Pawlowitsch und dem Präsidenten des
Reichsrats Grafen Kotschubej zuschickte. Es ist das nicht ausge-
führte Programm seiner Reformpolitik und das verwirklichte Pro-
gramm seiner Irrtümer. Als solches verdient es besondere Be-
achtung.
Der nachfolgende Satz dieser Denkschrift, der seine Schatten
auf den ganzen Verlauf der Regierung des Kaisers warf, ist aber
gewiß nicht Eigentum der Dekabristen gewesen, sondern gehört
Borowkow an, der ihn an die Spitze seiner Ausführungen stellte:
Die liberale Erziehung der Jugend habe, von der Regierung und
der Gesellschaft gefördert, zu allgemeiner republikanischer Frei-
geisterei geführt und diese an den tatsächlichev^chäden der herr-
schenden Zustände Nahrung und neue Vorwände gefunden. V^ar
dann an Mißständen hergezählt wird, entspricht dem Bilde russischer
Mißwirtschaft, das wir kennen gelernt haben. Das Fehlen einer
klaren Gesetzgebung, die Mängel des Gerichtswesens, die veraltete,
seit den Tagen Katharinas nicht reformierte Gouvernementsver-
fassung, die Herabdrückung der Bedeutung des Senats, die schlechte
Organisation der Ministerien, die ohne rechten Zusammenhang mit
den Gouvernementsregierungen von diesen behindert werden und
sie wiederum lähmen, endlich die Einrichtung des Ministerkomitees,
das gleichsam erdacht sei, um alle Unordnungen zu vertuschen
und dem Volke als den allein für alles Übel verantwortlichen, den
Kaiser, preiszugeben. Die ganze Geschäftsführung sei geheim ge-
wesen, und durch Formalitäten habe man alle Unterlassungen und
Willkürlichkeiten verdeckt. In Wirklichkeit habe die Kanzlei des
') Das belegen u. a. die beiden merkwürdigen Briefe Steinbeils an den
Kaiser Nikolaus vom 1. und 29. Januar 1826. ..Soziale Bewegungen in
Rußland^ 1. 1. S. 475 ff.
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe. 87
Komitees getan, was ihr gat schien, und an die Stelle der verheißenen
Verantwortlichkeit jedes einzelnen sei eine Gesamtverantwortlichkeit
getreten, die sich mit dem^chirm einer allerhöchsten Willens-
äußerung deckte, so daß wiederum der Person des Kaisers die
Last und die Vorwürfe aller Mißgriffe zufielen. Das hatte, so
fährt die Denkschrift fort, drei wichtige Folgen: eine Masse Baga-
tellsachen gingen durch das Komitee an den Kaiser, jeder Ministerial-
direktor konnte seine Fehler leicht verbergen und, ohne sich einer
Gefahr auszusetzen, seinem persönlichen Vorteil nachgehen, endlich,
die allerhöchsten Befehle verloren ihre Kraft und Bedeutung. Dazu
kam, daß für besondere Fälle innerhalb des Ministerkomitees Komitees
mit gleicher Machtvollkommenheit eingesetzt wurden, daß ein
Komitee das andere behinderte, und häufig in ein und derselben
Angelegenheit einander widersprechende allerhöchste Befehle erlassen
wurden. In den letzten Regierungsjahren Alexanders hatte die
höchste Regierungsinstanz sich daher sozusagen lyerzettelt und
alle Einheit verloren. Es war ein völliges Chaos. Überhaupt
war die Zivilverwaltung, die doch den Eckstein eines wohlgeord-
neten Staatswesens bilden sollte, gleichsam geächtet. Der Kaiser
sah das Übel, aber er hielt es für unheilbar und beschränkte
sich darauf, seine Mißachtung nicht zu verbergen. Es fehlte ihm
an Männern in seiner Umgebung, mit denen er an eine Reform
hätte schreiten können.
Als weiteres Übel wurden dann die gänzlich ungleichen Ge-
hälter der Beamten bezeichnet. Ein Zivilgouverneur, der doch der
eigentliche Herr im Gouvernement sein solle, beziehe weniger als
der Vizegouverneur, der nur der Gouvernementsrentei vorstehe^und
alle Beamten eines ganzen Kreises zusammengenommen weniger
als ein einziger Akzisedirektor. In einzelnen Händen häuften sich
die Ämter, die ungeheure Mehrzahl der Beamten aber sei mit
Arbeit überbürdet und leide dabei die äußerste Not. Bemit-
leidenswert sei namentlich die Stellung der Kanzleibeamten, die
30—40 Rubel Banko jährlich beziehen, vom Morgen bis zum
Abend arbeiten müssen und in den Gouvernements in Elend ver-
gehen.
Es folgt ein Hinweis auf die Ungleichheit und Willkür bei
Verteilung der Abgaben^ zumal der landschaftlichen, die ohne
jede Kontrolle von den Lokalobrigkeiten auferlegt würden und
steten Anlaß zu Mißbräuchen gäben, auf die drückende Last der
88 Kapitel III. Reform gedanken und Reformanläufe.
WegeausbesseruDg, die ganz auf die Rauern falle und so geordnet
oder vielmehr absichtlich so systemlos verteilt werde, daß sie
Gelegenheit biete, von den Bauern Geld zu erpressen. Die Wege
aber seien nach wie vor unfahrbar. So erklärten sich die Steuer-
räckstände, deren rücksichtslose Beitreibung die Bauern vollends zu-
grunde richte. Der Ausdruck Röckstände l „herausschlagen" sei
ganz buchstäblich zu nehmen. In den inneren Gouvernements sei
zudem kein bares Geld zu haben, da alles Kapital in der Residenz
zusammenfließe. Die Reichsfmanzen aber seien auf ein Svstem von
Monopolen gegründet: das Branntweinmonopol habe den Adel
r ruiniert, die Akzisebearaten bereichert und das Volk systematisch
^korrumpiert und zum Trünke erzogen; das Salzmonopol zumeist
die ärmsten Volksklassen getroffen und den Preis des Salzes so
erhöht, daß der Bauer kaum Salz für seine dürftige Nahrung, ge-
schweige denn für sein Vieh erschwingen könne. Die vom Finanz-
ministerium beliebten erbarmungslosen Beitreibungen von den
Monopolpächtern und Lieferanten aber ruinierten nicht nur die an-
gesehensten Kaufleute, sondern auch deren Kreditoren und Bärgen,
und von einer geregelten Volks- und Finanzwirtschaft könne über-
haupt nicht die Rede sein. Der Handel Rußlands liege darnieder,
seit der Tarif von 1819 zur Überschwemmung des Landes mit
ausländischen Waren gefuhrt habe, er sei auch durch den Schutz-
tarif von 1823 nicht gehoben worden; eine russische Flotte gebe
es nicht, der Marquis de Traverse habe zwar alljährlich Schiffe
gebaut, aber sie faulten im Hafen von Kronstadt, ohne auch nur
eine Kampagne gemacht zu haben. Die Einrichtung der^ Militär-
kolonien habe das Volk mit Erstaunen und Murren aufgenommen.
Erst nachträglich habe man erfahren, daß das Ziel sei, die Bauern
von der Militärlast zu befreien. Aber weit zweckmäßiger wäre es
gewesen, die Dienstpflicht auf zwölf Jahre herabzusetzen, auch hätte
man dann in ganz Rußland einen kräftigen militärischen Geist
entwickeln können. Denn der Bauer werde bei verkürzter Dienst-
zeit sich ebenso leicht von seinen Kindern trennen wie der Edel-
mann; der zu seiner Familie heimkehrende Soldat könnte heiraten,
Ackerbauer werden, seine Kinder früh zu Soldaten erziehen und
selbst als Landwehrmann dienen. Wenn ein solches System in
Widerspruch mit der geltenden Leibeigenschaft stehe, so werde ein
Ausweg sich doch finden lassen. Auch sei es nicht wahr, daß die
Anlage der Militärkolonien einen finanziellen Vorteil für die Krone
Kapitel IIL Kcformgedanken und Reformanläufe. 89
bedeute^). Weder die Barauslagen, noch der Wert von Land, Wald
und Arbeit seien dabei in Anschlag gebracht worden. Stelle man
eine richtige Schätzung an, so ergebe sich vielmehr, daß das bisher
aufgewandte Kapital bei fünfprozentiger Anlage genügen würde, um
ein beliebiges Regiment der 1. Grenadierdivision durch die Zinsen
für ewige Zeiten zu unterhalten.
Hieran schließt sich eine kurze Charakteristik der einzelnen
Stände. Der besitzliche Adel gehe in unverantwortlicher Weise mit
seinen Bauern um. Es gelte für kein Vergehen, einzelne Glieder
einer Bauernfamilie zu verkaufen, die Unschuld zu verführen und
Frauen zu mißbrauchen; das geschehe vielmehr offenkundig und ebenso
die übermäßige Belastung mit Frondienst und Geldleistungen'T^Die
schlimmsten seien die kleinen Gutsbesitzer, die über ihre Mittel
leben, die Bauern erbarmungslos aussaugen und dazu stets unzu-
frieden seien. Die persönlichen Edelleute ohne Grundbesitz ent-
sprächen der polnischen Schlachta und nehmen an Zahl stetig zu,
da sie jede Arbeit und jedes Gewerbe für schimpflich hielten, lebten
sie von allerlei Schlichen. - Sie bildeten eine Klasse von Menschen,
die nichts zu verlieren haben und bei jedem Umsturz zu gewinnen
hoffen. Elend sei der Zustand der Landgeistlichen. Da sie kein
festes Gehalt bezögen, hingen sie von der Gnade der Bauern ab
und seien genötigt, ihnen den Willen zu tun. Sie verfielen daher
in Laster, besonders ergäben sie sich dem Trunk in dem Maße,
daß die Regierung durch die Zivilgouverneure einen Ukas ver-
öffentlichen mußte, der den Bauern untei^sagte, die Geistlichen
trunken zu machen. Während aber die Dorfgeistlichkeit bettelarm
sei, habe der Ukas über die Kleidung der Frauen von Geistlichen
unter der reichen städtischen Geistlichkeit Murren und Aufregung
hervorgerufen.
Die von den Gilden geschädigte und in ihrem Erwerb be-
drängte Kaufmannschaft habe durch das Jahr 1812 eine schwere
Einbuße erlitten. Viele Kapitalisten seien umgekommen, andere
ruiniert worden. Die schweren Geldverhältnisse hätten das Übrige
getan. So sei der reiche ehrliche Kaufmann ohne eigene Schuld
herabgekommen, und die Regierung habe, statt ihm aufzuhelfen,
ihn in eine niedrigere Kategorie versetzt. Der unredliche und
0 Ober die Zustände in den Militärkolonien ist der Bericht Laferronays
vom 22. April 1827 in der Anlage zu vergleichen.
90 Kapitel III. Reformgedanken und Reforroanläufe.
reiche erhalte dagegen Rechte, die ihn dem angesehensten Adel
gleichstellten. Einen eigentlichen Bärgerstand, wie in anderen
Staaten, gebe es nicht. Die Kronsbauern wurden durch die
Gouvernementsverwaltungen und Kronsrenteien zugrunde gerichtet.
Um ihr Gedeihen kümmere sich niemand. Es gäbe zwar eine
ökonomische Abteilung im Kameralhof, aber Landschaftspolizei,
Kreisgericht und Gouvernementsverwaltung hätten gleiche Rechte
und größeren Einfluß. Von den Beamten der Behörden gehe die
Plünderung dieser Bauern aus. Besser stehe es mit den Apanage-
bauern, da sie Schutz vor der Gewalttätigkeit der Landpolizei und
der übrigen Beamten fänden.
Fasse man das alles zusammen, so seien die folgenden Maß-
nahmen nicht zu umgehen: „Erlaß klarer und bestimmter Gesetze,
Einführung einer gerechten und schnellen Justiz, Hebung der sittlichen
Bildung der Geistlichkeit, Kräftigung des Adels, der durch Anleihen
bei den Kreditinstitutionen völlig ruiniert ist, Wiederbelebung von
Handel und Gewerbe durch feste Tarife, Anpassung des ünterrichts-
wesens an die Bedürfnisse der einzelnen Stände, V^erbesserung der
Lage der Landwirte, Abschaffung des unwürdigen Verkaufs von
Menschen, Erneuerung der Flotte, endlich Beseitigung der zahllosen
Unordnungen und Mißbräuche."
Nun gibt diese Borowkowsche Denkschrift gewiß nur einen
Teil der von den Dekabristen gerügten Mißstände und vorgeschla-
genen Reformen wieder, und einige Sätze stehen ohne Zweifel in
offenem Widerspruch zu ihren Anschauungen. Daß aber gerade
diese im Grunde doch recht oberflächlichen Grundstriche dem
Kaiser gleichsam als Leitfaden dienten, ist ebenso charakteristisch
wie wichtig. W^as ihm einleuchtete, war die Notwendigkeit einer
Kodifikation der geltenden Gesetze, die völlige Neugestaltung der
russischen Flotte, die Besserung der Straßen innerhalb des Reiches
und eine Prüfung der Reformpläne, die in den Jahren der Re-
gierung des „Engels" zurückgestellt waren.
Es ist nun ungemein interessant, die Gesetzgebung Nikolais
in den beiden ersten Jahren seiner Regierung zu verfolgen, da die
Eindrücke noch frisch waren, die ihm der Aufstand des 18. Dezem-
ber und die sich daran schließenden Ereignisse gebracht hatten.
Unzweifelhaft war es ihm ernst, mit denjenigen Mißbräuchen der
Regierungszeit Alexanders aufzuräumen, die er als solche erkannte,
und die ihm angeborene und anerzogene Ordnungsliebe bedeutete
Kapitel IIL Reformgedanken und Reformanläafe. 91
für den Staat, an dessen Regierung er nun herantreten mußte,
ebenso sicher eine Wohltat; auch läßt sich ihm der Vorwurf nicht
machen, daß er es an Fleiß habe fehlen lassen. / Er war vielmehr
redlich bemüht, zu tun, was er als Pflicht betriichtete, und in
dieser Hinsicht stand er hoch über der großen Mehrzahl seiner
Mitarbeiter, mit denen er nun einmal zu rechnen hatte. Aber die
ungeheuren Lücken seiner Bildung machten sich überall geltend.
Er war, um ein Beispiel anzuführen, in seinem Kursus des russischen
Staatsrechts nicht über die Tage Peters des Großen hinausgekom-
men und verfiel darüber in die wunderlichsten Irrtümer ^).^[\Va8
ihn an den inneren Angelegenheiten interessierte, waren nächst
dem Prozeß der Dekabristen, der bis in das Frühjahr 1826 den
größten Teil seiner Zeit in Anspruch nahm, Äußerlichkeiten, denen
er jedoch eine große Bedeutung beilegtey^ Vor allem die Frage der
üniformierung der Zivilbeamten, der Studenten, Schüler, Lehrer
und Professoren, wobei, wie beim Militär, die Uniform anzeigen
sollte, wen man vor sich habe, v^r meinte, und das Ministerkomitee,
dem schon im September 1825, also zu Lebzeiten Alexanders,
der alte reaktionäre Minister der Volksaufklärung, Schischkow,
einen entsprechenden Antrag vorgelegt hatte, bekräftigte ihn
darin, daß die Einführung einiger militärischer Formen und mili-
tärischer Disziplin in den Zivillehranstalten, die Erziehung der
Zöglinge erleichtern und überhaupt diesen Anstalten einen Charakter
der Ordnung und des Anstandes verleihen werde, der schwer zu
erreichen sei, wenn Zöglinge und Beamte sich nach eigenem Er-
messen kleideten. ^Das beständige Tragen der Uniform und eine
strenge Beobachtung vorgeschriebener Ordnungen sei ein wesent-
liches Mittel, eine gute staatliche Gesinnung zu erzielen '). Im
Mai des folgenden Jahres schloß sich hieran ein Reskript des Kaisers
an Schischkow, das darauf hinwies, daß in der Einrichtung von
Lehranstalten nicht die unerläßliche Gleichförmigkeit herrsche.
Unter dem Vorsitz des Ministers wurde daher ein Komitee von sieben
Personen eingesetzt, dessen Aufgabe es sein sollte, alle Statuten
und Lehrpläne von den Kirchenschulen bis zu den Universitäten,
J) Tagebuch des Staatssekretärs Diwow. R. Starina 1897, 1, S. 459 ff. Ein-
tragung vom 14. März 1826.
^) Volle Sammlung russischer Gesetze, Ukas vom 29. Dezember 1825.
dazu die Sammlung der Verordnungen des Ministeriums der Volksaufklärung.
Petersburg 1866.
92 Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe.
sowie die in den Lehranstalten benutzten Schulbücher zu revidieren
und dafür Sorge zu tragen, daß überall die gleichen Ordnungen,
die gleichen Lehrmethoden und die gleichen Lehrmittel in Anwen-
dung kämen./ Nur für den Dorpater und Wilnaer Lehrbezirk
wurden Abweichungen gestattet. Beide Verfügungen sind ungemein
charakteristisch und für die Entwicklung der russischen Schulen
und Universitäten um so verhängnisvoller geworden, als die äußer-
liche „Ordnung^ nach den Anschauungen militärischer Disziplin
und Uniformität je länger je mehr jeden anderen Gesichtspunkt
zurückdrängte.\pie am 8. Dezember 1828 allerhöchst bestätigten
Arbeiten der Scnischkowschen Kommission haben, wie nicht anders
möglich war, diesen Ausführungen Rechnung getragen. Es kam
hinzu, daß der Kaiser die höhere Bildung im wesentlichen dem
Adel vorbehalten und die anderen Stände nicht aus dem Berufs-
kreise ihrer Eltern hinausheben wollte. Namentlich war er gegen das
Eindringen bäuerlicher Elemente in die Gymnasien und in die anderen
höheren Lehranstalten, obgleich Persönlichkeiten wie Speranski,
oder, wenn er weiter zurückblickte, wie Menschikow, der Günst-
ling Peter des Großen, oder wie das Universalgenie Lomonossow
ihn eines besseren hätten belehren müssen. Die Gleichförmigkeit,
die er schließlich erzielte, wurde zur Eintönigkeit und führte zu
einer oberflächlichen und mangelhaften Bildung, zugleich aber
dahin, daß höher strebende Jünglinge zu Autotidakten wurden und
in die Fehler verfielen, die nur zu leicht einem ungeregelten, nach
dem Verbotenen mit Begierde strebenden Bildungsgang eigen
sind.v^ine der Wurzeln späterer politischer Krankheiten läßt sich
hier erkennen, wobei dann freilich die wesentlichste Schuld die
Männer trifft, die an dem Werk dieser einseitigen und verfinsternden 4«
Maßregelung des Bildungswesens gearbeitet haben. Auch hier finden
wir den Namen Speranskis, der, wie bei dem Dekabristengericht,
keinen Anstand nahm, seine ganze Vergangenheit zu verleugnen. W
Dagegen bat der Kaiser in einer Hinsicht die Sünden Alexanders L
an dem russischen Schul- und Bildungswesen gut zu machen gesucht.
Ihm lagen die religiösen Anschauungen des Bruders durchaus fern,
und die pietistischen und mystischen Kegungen, welche in der
Mitte der zwanziger Jahre nach dem Beispiel Alexanders die
Gemüter zu beherrschen schienen, waren ihm nicht mit Unrecht ver-
dächtig. Den großen Intriganten und Heuchler Magnitzki, den
Kurator des Kasaner Lehrbezirks, hatte er schon während des
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe. 93
InterregDums eioraal aus Petersburg fortgeschickt. Jetzt ließ er
durch den Generalmajor Sheltuchin den Lehrbezirk revidieren,
und auf dessen Bericht hin wurde Magnitzki durch einen höchst
ungnädigen Ukas vom 6. Mai 1826 seiner Stellung enthoben^ Als
er trotzdem in Kasan blieb und durch den Einfluß, den er sich
auf einzelne Professoren erworben hatte, weiter intrigierte, hat
der Kaiser ihn durch einen Feldjäger nach Reval schaffen lassen.
In der protestantisch-deutschen Welt der Grenzmarken schien er
unschädlich.i^Auch der stellvertretende Kurator des Petersburger
Lehrbezirks, Runitsch, ein Obskurant aus Überzeugung, wurde ab-
gesetzt, und damit hörte das offizielle Frömmeln endgültig auf. Es
brachte keinen Vorteil mehr und war bald nicht mehr Mode der
vornehmsten Kreise. Von einem Einfluß des Archimandriten Photi
konnte weiter keine Rede sein*), und im April 1826 sistierte der
Kaiser auf einen Bericht des Metropoliten Eugenius hin die weitere
Tätigkeit der Bibelgesellschaft, „in AnbetracW ihrer schädlichen
Wirkungen", wie es in dem Reskript an den Metropoliten in Now-
gorod und Petersburg heißt. Nur die bereits gedruckten Bibeln
durften weiter verkauft werden. Auch ward das bewegliche und
unbewegliche Vermögen der Gesellschaft aufgenommen; offenbar
war der Kaiser entschlossen, ein Ende zu machen; wenige Monate
danach übertrug er die Verwaltung dem heiligen Synod (15. Juli).
Daß religiöse Stimmungen nicht gegen politische Ketzereien
und Versuchungen schützen, hatten die Bekenntnisse der Deka-
bristen deutlich gezeigt, es schien zweckmäßiger, die Wurzeln dieser
Übel an anderer Stelle abzugraben. Am 10. Juni 1826 bestätigte
der Kaiser ein neues Zensurstatut, das ihm der Minister der Volks-
aufklärung Schischkow vorlegte, dessen eigentlicher Verfasser aber
der Fürst Schirinsky-Schichmatow war. Es ist im Geiste äußerster
Unduldsamkeit abgefaßt und darauf berechnet, jede freie Meinungs-
äußerung zu unterdrücken, die dem neuen, dem Minister verhaßten
Zeitgeist Rechnung trug, und führte allerdings zu ganz unerträg-
lichen Zuständen. Alles Gedruckte, Typographierte, Gezeichnete,
Gemalte und in Noten Gesetzte, was innerhalb des russischen
Reiches erschien, unterlag der Zensur, deren Pflicht es war, die
*) Russkaja Starina 1895, II 431 — 38, Brief Photis an den Kaiser
Nikolaus vom 4. Februar 1826. Es ist ein Versuch, die Revolution durch
den schädlichen Einfluß der protestantischen Mystiker zu e|;klären. Nikolaus
hat das Schreiben, soviel wir wissen, ganz unberücksichtigt gelassen.
94 Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe.
Heiligtümer, den Thron, die von ihm gesetzte Obrigkeit, die vater-
ländischen Gesetze, die Sitten und die Ehre des Volkes und jedes
einzelnen zu schützen, nicht nur vor böswilliger und verbreche-
rischer, sondern auch vor unbeabsichtigter Schädigung, wobei natür-
lich alles auf die Interpretation ankam, die diese Begriffe fanden.
Schischkow hatte aber Sorge getragen, daß seine Auffassung auch
die aller Organe der Zensur wurde. Die Hauptverwaltung der
Zensur ruhte in Händen des Ministers der Volksaufklärung. Ein
Oberzensurkomitee, zu dem nur noch die Minister des Innern und
des Auswärtigen gehörten, stand ihm helfend zur Seite, und unter
diesem die vier Abteilungen, welche die eigentliche Arbeit besorgten.
Es waren das Ilauptzensurkomitee in Petei*sburg und die Zensur-
komitees in Moskau, Dorpat und Wilna^). Diese Komitees standen
unter den Kuratoren der Lehrbezirke, während der Vorsitzende des
Hauptzensurkomitees auf Vorschlag des Ministers der Volksauf-
klärung vom Kaiser direkt ernannt und entlassen wurde.^VSo hoch
wurde die Bedeutung dieses Postens eingeschätzt. Hat doch der
Kaiser gelegentlich selbst die Funktionen eines Zensors auf sich
genommen. Auch die Instruktionen, die alljährlich vom Ober-
zensurkomitee den Komitees zugingen, bedurften seiner Bestätigung.
Diese Komitees hatten jeden Monat durch den Kurator ihre Be-
richte dem Minister einzusenden, der wiederum monatlich dem
Oberzensurkomitee einen zusammenfassenden Bericht vorlegte.
Ein Verzeichnis verbotener Bücher wurde alljährlich der Polizei
und allen Buchhändlern und Bibliotheken mitgeteilt, endlich be-
stimmt, daß Schriftsteller ihre Manuskripte vor dem Druck dem
Zensor vorzulegen hätten. Nur die von der Akademie der Wissen-
schaften und dem Ministerium des Auswärtigen veröffentlichten
Schriften unterlagen keiner Zensur. So wurde für eine sorgfaltige
Filtrierung aller für die Öffentlichkeit bestimmten Gedanken gesorgt,
es war kaum möglich, daß dem lesenden Publikum Anschau-
ungen zugetragen wurden, die im Widerspruch zu der Weltan-
schauung standen, die den Hütern der Ordnung notwendig und
allein heilsam erschien. Da selbstverständlich alle Zeitungen einer
') Das Ilauptzensurkomitee bestand aus sechs Personen und hatte seine
eigene Kanzlei, die Zensurkomitees in Moskau, Dorpat, Wilna aus je drei Zen-
soren. Einer der Wilnaer Zensoren mußte vollkommen die hebräische und
rabbinische sowie die jüdisch-deutsche Sprache beherrschen, denn Nikolai
war voll Mißtrauen und Verachtunff gegen seine jüdischen Untertanen.
Kapitel III. Reformgedauken und Reformanläufe. 95
Zensur im Manuskript unterlagen und außerdem über den Geist
der erlaubten Zeitungsnummern allwöchentlich referiert werden
mußte, konnte von einer politischen Bedeutung der Presse natur-
gemäß keine Rede sein '). Das Tollste aber war, daß der Zensur
nicht nur das Recht erteilt wurde, Worte der Verfasser durch
andere zu ersetzen und einzelne Ausdrücke zu streichen, sondern
daß die Fürsorge sich auch auf den Stil und die Reinheit der
Sprache erstreckte, Dinge, über welche der Admiral Schischkow
seine besonderen Ansichten hattey Er war Archaist und Purist.
Zum Glück behauptete er sich nur bis zum April 1828. An seine
Stelle trat der frühere Kurator des Dorpater Lehrbezirks, General
der Infanterie Fürst Lieven, ein zwar nicht gelehrter, aber gerechter
und einsichtiger Mann von tief religiöser Gesinnung, aber freier
nnd duldsamer Weltanschauung. Das Schischkowsche Zensurstatut
wurde von ihm beseitigt, das Oberzensurkomitee aufgehoben und
durch eine aus Fachmännern bestehende Hauptverwaltung ersetzt,
der die Lokalzensoren unterstellt waren. Aufgabe der Zensoren
aber sollte nur sein, darüber zu entscheiden, ob ein Buch oder ein
Artikel schädlich sei oder nicht. Nur im ersten Falle griff die
Zensur ein, und Lieven dachte groß genug, um dem geistigen Leben
ausreichenden Spielraum zu freier Entfaltung zu lassen. Von
1828 bis 1830 konnte die russische Zensur als liberal gelten, jeden-
falls war sie es weit mehr als die österreichische. Aber die Juli-
revolution änderte danach alles zum Schlimmeren, und zwar für die
ganze fernere Dauer der Regierung Nikolais L
Kann es zweifelhaft erscheinen, wie weit der Zar eine Mitschuld
an dem Zensurstatut Schischkows trägt'), und wie weit ihm ein Ver-
^) Nach diesem Statut — schreibt der Zensor Glinka — hätte man auch
das Vaterunser als jakobinisch verbieten können. Alle Artikel oder Bücher,
welche Fragen der Staatsverwaltung berührten, durften nur nach eingeholter
Genehmigung des Ressortministers gedruckt werden. Direkt verboten waren
alle Vorschläge auf Änderung bestehender Ordnungen, alles, was den von
der heiligen Allianz proklamierten Grundsätzen widersprach, usw. Ganz uner-
träglich waren die Beschränkungen wissenschaftlicher Freiheit, sie erinnern
lebhaft an die von Magnitzki in Kasan eingeführte Praxis. Jetzt aber wurde
Prinzip und geltendes Recht, was früher Willkür gewesen war. Im Lehrfach
wie in der Presse herrschte fortan die gleiche „Ordnung".
^ Russkaja Starina 1901 3 und 1905 Iff. Die anonymen Aufsätze
über die Zensur unter Nikolaus I. Die betreffenden Gesetze in der V. S. R. G.
2. Serie Bd. I und folgende zu den betreffenden Jahren.
96 Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe.
dienst an der Haltung Lievens beizumessen ist, so kann die Einführung
des Instituts der geheimen Polizei als sein eigenstes Werk bezeichnet
werden. Unter Alexander I. hatte acht Jahre lang ') ein Polizei-
ministerium bestanden, dem ungeheure Befugnisse zugewiesen
waren, unter anderem auch die Beaufsichtigung und die Exekutive
in allen Ministerien, die Vornahme aller Untersuchungen und eine
Polizeigerichtsbarkeit, die so unsicher begrenzt war, daß nach allen
Richtungen hin Konflikte und Kompetenzstreitigkeiten entstanden.
Das war der Grund, der 1819 zur Aufhebung des Polizeiministeri-
ums führte und den Kaiser veranlaßte, das Ministerium des Innern
zur Zentralinstanz aller Polizeiorgane zu machen. Es bestand zn
diesem Zweck im Ministerium eine besondere Kanzlei für Polizei-
angelegenheiten. Trotzdem aber wurde eine einheitliche Leitung
nicht erreicht, weil Alexander es allezeit liebte, durch ein System
der Spionage und Gegenspionage sogar seine nächststehenden Ver-
trauensmänner zu kontrollieren, die eigentliche Geheimpolizei aber
von ihm selbst durch ad hoc benutzte Persönlichkeiten geführt
wurde. Nur Araktschejew, und auch er nicht immer, konnte auf
unbedingtes Vertrauen rechnen.
Nun hatte die Untersuchungskommission das unleugbare Er-
gebnis gebracht, daß trotz aller Feinheit Alexanders und aller Bru-
talität und Rücksichtslosigkeit Araktschejews die weitverzweigten
Verschwörungen des Nord- und Südbundes, der Vereinigten Slaven
und der Polen dem Spürsinn der Polizei völlig entgangen waren.
Die Tatsache, daß nach Verurteilung der 121 in Petersburg vor
Gericht Gezogenen und der Tschernigower ungezählte Mitwisser und
Verdächtige ungestraft geblieben waren, machte es für den Kaiser
zur Notwendigkeit, das Treiben eben dieser Leute zu überwachen.
Er wandte sich an Benckendorff, denselben, der, wie er Jetzt wußte,
bereits 1821 dem Kaiser Alexander die Mitglieder der Verschwörung
genannt und ihre Ziele dargelegt hatte, und beauftragte ihn, die
Grundzüge für eine Organisation der Geheimpolizei zu entwerfen.
Im Januar 1826 legte Benckendorff eine Denkschrift vor, die seine
Gedanken dahin zusammenfaßte, daß eine eigentliche Geheimpolizei
(wie Alexander sie gehabt hatte) nicht zum Ziele führe. Man
habe bereits eine wirksame Gegenspionage an der Post, welche die
Briefe perlustriere, es komme nur darauf an, geeignete Personen
') Begründet am 26. Juni 1811, aufgehoben 1819.
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe. 97
an die Spitze der hauptsächlichsten Postämter, also in Petersburg,
Moskau, Kiew, Wilna, Riga, Charkow, Odessa und Tobolsk, zu stellen ^).
Die hohe Polizei selbst müsse sich über das ganze Reich erstrecken
und kein geheimes, sondern ein bekanntes Zentrum haben, das
sowohl Furcht als Ächtung einflöße. An die Spitze sei ein
Polizeiminister zu stellen, der zugleich die Oberaufsicht über Militär-
und Provinzialgendarmen haben müsse'). Die politische Polizei
solle besonders uniformiert, gut bezahlt und für ihre Dienst-
leistungen reichlich durch Orden und Titel ausgezeichnet werden,
damit die Karriere anziehe. Vor allem komme es darauf an, daß
diese Polizei ein hohes moralisches Ansehen genieße; man werde
daher in der Wahl der Persönlichkeit des Ministers besonders vor-
sichtig sein müssen, »^on seiner Person und von der Organi-
sation dieses Ministeriums wird der Anstoß abhängen, den diese
Polizei erhält, und darauf, sowie auf das Ansehen, das sie im Publi-
kum genießt, kommt es vornehmlich an.^ Der Kaiser hat dieses
Memoire dem Grafen P. A. Tolstoi*) mit dem Befehl übergeben,
ihm persönlich ein Gutachten darüber einzureichen. Offenbar lehnte
Tolstois Gutachten den Polizeimiuister ab, denn am 3. Juli erschien
ein Ukas, der die dritte Abteilung der Kanzlei des Ministers
des Innern aufhob und ihre Funktionen einer neubegründeten
dritten Abteilung der höchsteigenen Kanzlei des Kaisers zuwies.
>) Warschau wird nicht genannt, weil in Kongreßpolen der Großfürst
Konstantin die Korrespondenzen sorgsam kontrollieren ließ, was freilich den
Polen wohlbekannt war und zu gleich sorgsamen Vorsichtsmaßregeln führte.
^) Das Korps der Gendarmen bestand aus dem Regiment Gendarmen,
das den Polizeidienst bei den Truppen besorgte, und aus den Gendarmen der
inneren Wache. In der Armee war die Gendarmerie 1815 von Harclay de
Tolly eingeführt worden, und zwar hatte er je einen Offizier und fünf Gemeine
aus jedem Kavallerieregiment dazu bestimmt. Aber schon nach zwei Monaten
wurde das Borissoglebsche Dragonerregiment zum Regiment Gendarmen um-
benannt und mit dem Polizeidienst in der Armee betraut. Das Korps der
inneren Wache war 1810 gebildet worden. Es hatte die Reserverekruten ein-
zuüben und der Polizei behilflich zu sein, speziell beim Eintreiben von Ab-
gaben und Rückständen. Jeder Gouverneur hatte ein Polizeidragoner-Kom-
mando, das zur inneren Wache zählte. Geschichte des Ministerium des Innern
Petersburg 1902.
') General der Infanterie und Mitglied des Reichsrats, damals 65 Jahre
alt. Das Memoire BenkendorfTs und die noch zu erwähnende Instruktion für
Bibikowist in der postbumen Geschichte Nikolais, von Schilder, gedruckt, jedoch
ohne die dazugehörigen Kanzleivermerke und die Randglossen Nikolais.
Schiemann, Geschichte Rußlands. II. 7
98 Kapitel IIL Reformgedanken und Reformanläufe.
Sie bestand anfangs aus vier Expeditionen, deren erste die eigent-
liche hohe Polizei besorgte und bei der sich die aus den Provinzen
einlaufenden Nachrichten konzentrierten. Die zweite umfaßte das
Sekteuwesen, den Raskol *), Falschmünzer, Fälscher von Dokumenten
und hatte die Orte zu kontrollieren, in denen politische Gefangene
interniert waren. Die dritte Sektion beaufsichtigte die in Rußland
lebenden Ausländer; der vierten endlich gingen Korrespondenzen
aus allen Teilen des Reiches zu, die bestimmt waren, den Kaiser
über alles zu orientieren, was im Reiche geschah. Sämtliche Be-
richte mußten den Vermerk tragen „zu eigenen Händen des
Kaisers".
Die Leitung dieser dritten Abteilung wurde Benkendorff über-
tragen, den der Kaiser schon vorher, am 25. Juni, zum Chef der
gesamten Gendarmerie gemacht hatte. Sein nächster Untergebener,
auf dem die eigentliche Last der Arbeit ruhte, war der General
von Fock*), neben ihm zählte die Kanzlei nur noch zehn Beamte,
lauter Persönlichkeiten, auf deren unbedingte Diskretion gerechnet
werden konnte').
Unzweifelhaft hat Benkendorff gemeint, durch die Organisation
der hohen Polizei eine Maßregel staatsmännischer Weisheit zu voll-
ziehen. Er war auf sein Werk stolz und hat dafür Sorge getragen,
daß die Instruktion, die er dem Chef der Gendarmerie in Moskau,
dem Obersten Bibikow, erteilte*), bekannt wurde. Es kam
ihm darauf an, die „dritte Abteilung" womöglich populär zu machen
und ihr freiwillige Mitarbeiter zu werben. „Die edlen Gefühle und
Prinzipien, die Ihnen eigen sind" — so heißt es in dieser Instruk-
tion — „müssen Ihnen ohne allen Zweifel die Achtung aller Stände
erwerben, so daß dann Ihr Amt, durch das allgemeine Vertrauen
gehoben, sein wahres Ziel erreichen und dem Staat wirklichen
*) Der Raskol wurde nicht als Sekte oder besondere Religion anerkannt.
Seine Anbänger galten als Abtrünnige von der rechtgläubigen Kirche und
unterlagen den Krirainalgesetzen.
^) Maxim Maximowitsch.
3) 1829 stieg die Zahl auf 20, 1841 auf 28, 1842 kam eine fünfte Ex-
pedition hinzu, beim Tode Nikolais zählte die dritte Abteilung bereits 40 Be-
amte. Ober die ungeheure Zahl ihrer Agenten gibt es keine Statistik.
*) Eine Abschrift dieser handschriftlich in Moskau zirkulierenden In-
struktion wurde dem Kaiser am 6. Dezember aus Moskau zugeschickt Er
notierte dazu eigenhändig: „Je ne me souviens pas si c'est la note qu*il a
ete permis de faire circuler?**
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe. 9<)
Nutzen bringen wird. In Ihnen wird jedermann einen Beamten er-
kennen, der durch meine Vermittlung die Stimme der duldenden
Menschheit dem Throne vernehmlich macht und den wehrlosen und
stummen Bürger unmittelbar unter den allerhöchsten Schutz des
Herrn und Kaisers stellt. ^^Wie viele ungesetzliche und endlose
Beschwerden können durch Ihr Eingreifen erledigt, wieviel böse
Menschen verhindert werden, ihre schändlichen Anschläge gegen das
Eigentum anderer auszuführen, wenn sie wissen, daß den unschul-
digen Opfern ihrer Habsucht ein direkter, kürzester Weg offen steht,
um den Schutz des Kaisers zu ßnden. Auf dieser Grundlage
werden Sie in kürzester Zeit zahlreiche Mitarbeiter und Helfer
finden, denn jeder Staatsbürger, der sein Vaterland und die Ge-
rechtigkeit liebt und der wünscht, daß überall Stille und Ruhe
herrsche, wird es sich zur Ehre machen, Sie bei jedem Schritte zu
schützen, Ihnen mit seinen nützlichen Ratschlägen beizustehen und
so zum Mitarbeiter bei Ausführung der edlen Ansichten seines
Kaisers werden. Sie werden ohne Zweifel, schon aus dem
eigenen Antrieb Ihres Herzens, sich bemühen, zu erkennen, wo arme
oder schutzlose Beamte sind, die in Uneigennützigkeit schlicht und
recht dienen und doch von ihrem Gehalt allein nicht leben
können; von solchen vornehmlich sollen Sie mir ausführlich be-
richten, damit ihnen geholfen und so der heilige Wille Sr. Maje-
stät erfüllt werden kann, der die treuuntertänigen, bescheidenen
Diener aufsuchen und auszeichnen will.^
Natürlich machte das pathetisch Gekünstelte dieses Aufrufes
überall den schlechtesten Eindruck. Jedermann wußte, daß die un-
eigennützigen Helfer, auf die Benkendorff hoffte, nicht zu finden
waren. Was man erkannte und täglich spürte, war eine lästige Be-
aufsichtigung, und da die Vorteile, welche die neue Karriere bot,
gerade zweideutige Elemente lockten, die in der Zugehörigkeit zu der
patriotischen Gemeinschaft der Gendarmerie und in ihren Beziehungen
zu der bald fast allmächtigen dritten Abteilung einen starken Schutz
und ein offizielles Ansehen fanden, wurde schließlich das Gegenteil
von dem erreicht, was die Benkendorffsche Instruktion bezweckte.
Die dritte Abteilung wurde weder geliebt noch geachtet, wohl aber
fürchtete man sie, und so hat sie mehr als alles übrige dazu bei-
getragen, der Regierung des Kaisers Nikolaus den Charakter des
harten Despotismus zu geben, der sie kennzeichnet. Sie wurde
SU einer politischen Inquisitionsbehörde, die sich über alle Formen
100 Kapitel III. Refonngedanken und Reformanläufe.
des geltendeu Rechts hinwegsetzte, willkürlich und gewalttätig ein-
griff und, je länger je mehr, sich zum schrecklichsten Werkzeug
einer mit Edelmut drapierten Tyrannei umbildete, die von der
Nation getragen ward wie ein Fatum, das man hinnimmt, weil es
keine Möglichkeit gibt, ihm zu entrinnen.
Es gehört zu den merkwürdigen Widersprüchen im russischen
Staatsleben jener Tage, daß, während die Organisation der neuen
Geheimpolizei mit Ostentation der Öffentlichkeit preisgegeben wurde,
gleichzeitig im tiefsten Geheimnis eine Kommission tagte^der der
Kaiser die Aufgabe gestellt hatte, alle Keformprojekte früherer Zeit
durchzusehen. Die Entstehung der berühmten Kommission vom
6. Dezember 1826 ist darauf zurückzuführen, daß im Kabinett
Alexanders I. eine lange Reihe von Entwürfen gefunden wurde, die
wohl als die Summe seiner gescheiterten Lebenspläne, soweit die
Umbilduüg der Verfassung und Verwaltung Rußlands zu ihnen ge-
hörte, betrachtet werden muß. Es ist eine der ersten Beschäfti-
gungen des Kaisers Nikolaus gewesen, an die Durchsicht dieser Papiere
zu gehen, und man darf wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß
er einen Teil sekretierte. Von den historischen Aufzeichnungen,
wie den Memoiren Poniatowskis und der Kaiserin Katharina^
sowie von den Tagebüchern Kaiser Alexanders, die in einer Reihe
von Bänden vorlagen, wissen wir es, da er sie dem Zesarewitsch
Konstantin Pawlowitsch auf dessen Bitte zur Durchsicht schickte.
Ebenso bestimmt wissen wir aber, daß der bedeutsamste der Re-
formpläne Alexanders, die sogenannte Nowossilzewsche Verfassung,
der Kommission nicht vorgelegt worden ist, obgleich der Kaiser^
wie nicht zweifelhaft sein kann, auch über diese Pläne des Bruders
aus den Papieren des Kabinetts unterrichtet war. Nur war unter
den gegenwärtigen Verhältnissen, da jeder Gedanke an eine Ver-
fassung als Hochverrat verfolgt wurde, nicht daran zu denken, sie
zur Diskussion zu stellen. Aber indirekt hat die Kommission,
wahrscheinlich ohne es zu ahnen, auch darüber ihr Gutachten ab-
gegeben. Was ihre Aufgabe sein sollte, darüber hatte der Kaiser
Nikolaus eine eigenhändige Aufzeichnung gemacht, auf welche hin
Graf Kotschubej, der Präsident des Komitees, ihm am 30. No-
vember 1826 eine Denkschrift einreichte, die den Geschäftsgang der
Kommission genauer zu formulieren bestimmt war. Die Auf-
zeichnung des Kaisers verlangte: Durchsicht und Prüfung der im
Kabinett Alexanders gefundenen Papiere, Prüfung der bestehenden
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanlaufe. 101
Reichs Verfassung, Gutachten über das, was an Reformen „beabsichtigt
wurde, über das, was ist, und was zu vollenden wäre". Es soll, wieder-
holt er etwavS ausfuhrlicher, \dargelegt werden, was heute gut ist, was
nicht fortbestehen darf und wodurch es ersetzt werden soll. Außer
den im Kabinett vorgefundenen Papieren sollte dazu als Material
dienen, „was Herrn Balaschow aufgetragen ist", und Vorschläge, die
aus dem Schoß der Kommission selbst hervorgingen. J Anträge auf
Veränderung des Bestehenden waren jedoch nur nach voraiTsgegangener
Befragung der Fachminister gestattet, namentlich wo es sich um
Finanzfragen handelte. Endlich will der Kaiser wöchentlich „bei
unseren Zusammenkünften" von dem Gang der Arbeiten unterrichtet
werden. „Ich werde das" — schließt er — „für eine meiner wichtigsten
Pflichten und Beschäftigungen halten. Der Erfolg wird der beste Lohn
für die Arbeitenden und mir eine Beruhigung meiner Seele sein."
Es folgt wohl daraus, daß es dem Kaiser mit dieser Arbeit voller
Ernst war, und daß er nicht geringe Hoffnungen auf sie setzte. Sie
ist trotzdem fast ganz unfruchtbar gewesen, obgleich die Kommission
fleißig und einsichtig und, wie sich nicht verkennen läßt, soweit
möglich, auch in liberalem Geist gearbeitet hat. Sie bestand außer
dem Vorsitzenden Grafen Viktor Pawlowitsch Kotschubej, aus dem
General der Infanterie P. A Tolstoi, dem Generaladjutanten I. \V.
Wassiltschikow, dem Fürsten G. A. Golitzyn, dem Chef des General-
stabes Baron Diebitsch und Speranski; Geschäftsführer wurden
nacheinander die Staatssekretäre A. Bludow und D. W. Daschkow,
seit 1831 der Baron Modeste Korif.
Die Arbeit begann, wie der Graf Kotschubej vorgeschlagen
hatte, mit einer Durchsicht und Prüfung der sich auf Reform der
drei Zentralbehörden, Ministerkomitee, Reichsrat und Senat, be-
ziehenden Projekte, und ging dann auf die Organisation der Gou-
vemementsverwaltungen über. Das alles wurde sehr gründlich
bearbeitet, so daß zunächst von der Geschichte dieser Reichsinsti-
tutionen ausgegangen und dann in eingehenden Memoires die vor-»
zunehmenden Änderungen dargelegt wurden. Das Komitee konsta-
tierte vor allem, daß Verwaltung und Justiz nicht scharf genug
geschieden seien, Justizsachen kämen an Ministerkomitee und
Reichsrat, Verwaltungsangelegenheiten an den Senat. Namentlich
werde die Tätigkeit des Senats durch das Ministerkomitee beein-
trächtigt, das doch ursprünglich nur eine Beratung der Minister
über gemeinsame Angelegenheiten darstellen sollte. Man müsse,
102 Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe.
um Klarheit uod Ordnang zu schaffen, den Senat zur obersten
Justizinstanz machen, die in das erste Departement des Senats
fallenden Verwaltungsangelegenheiten abtrennen und sie einem
besonderen „dirigierenden Senat** übertragen, der aus den Direk-
toren der verschiedenen Verwaltungszweige und aus Personen be-
stehen solle, die der Kaiser dazu ernenne. Über alle diese vor-
läufigen Beschlüsse der Kommission wurden dem Kaiser Protokolle
vorgelegt, die er bestätigte. Sie sind aber nie dem Reichsrat vor-
gelegt worden, dem der Kaiser die Durchsicht zur endgültigen For-
mulierung zuweisen wollte. Sie blieben daher „schätzbares Material",
das nur die eine, freilich sehr wesentliche, Bedeutung hatte, den
Kaiser mit der Verfassung seines Reiches gründlich bekannt zu
machen. Eine Lücke seiner Erziehung ist so ausgefüllt worden,
und es muß ausdrücklich anerkannt werden, daß er es seinerseits
an Fleiß nicht fehlen ließ.
^^_ Danach schritt das Komitee an die Prüfung der Gouvernements-
verwaltung, wobei die vom Kaiser erwähnten Balaschowschen Pa-
piere durchgesehen und von Balaschow selbst erläutert wurden.
^Lßalaschow ist der frühere Polizeirainister Alexanders I., der an dem
\ Sturz Speranskis so regen Anteil genommen hatte; seit dem 4. No-
vember 1819 bekleidete er den Posten eines Generalgouverneurs
in den fünf Gouvernements Rjäsan, Tula, Orol, Tambow und Woro-
nesch. Der Kaiser hatte ihm diese Gouvernements übertragen, um
an ihnen zu prüfen, wie die in der Nowossilzewschen Verfassung
geplanten Statthalterschaften (Lieutenances) in der praktischen An-
wendung funktionierten. Aber offenbar war Balaschow in die weiteren
Pläne des Kaisers nicht eingeweiht. VEr konnte niemals eine schrift-
liche Instruktion erhalten, sondern nur gelegentliche Befehle, die
zudem meist mündlich erteilt wurden. Dennoch läßt sich erkennen^
daß es sich in der Tat um die Nowossilzewsche Verfassung in ihren
vorbereitenden Stadien handelte. iJJalaschow mußte die dort vor-
gesehenen conseils d'administration für die Gouvernements und
Kreise einführen, dazu Vorsitzende der Gouvernementsverwaltungen
und Gouvernementspolizeimeister. Die Vereinigung der fünf Gou-
vernements zu einer Verwaltungseinheit war von Alexander ursprüng-
lich nur auf drei Monate als Versuch angeordnet worden; er ließ
aber diesen Versuch volle fünf Jahre fortdauern, ohne je das ent-
scheidende Wort zu sprechen und die gleichfalls geplanten Kreis-,
Gouvernements- und Statthalterschaftsversammlungen ins Leben zu
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe. 103
rufen. Vor dem Komitee fand der Gedanke, das System der Statt-
hai tei^schaften auf ganz Rußland auszudehnen,^wenig Gnade und
keinen einzigen Vertreter. Balaschow selbst verleugnete seine
Schöpfung.
Er habe die von Alexander verlangten Änderungen, erklärte
er, nur ganz äußerlich eingeführt, sie ließen sich mit einem Feder-
strich beseitigen j^Es genüge, die conseils aufzuheben und den Prä-
sidenten der Gouvernementsverwaltung, sowie die Gouvernements-
polizeimeister zu versetzen, so sei alles wieder beim alten. Das
aber wünschte sowohl das Komitee wie der Kaiser. Nur für Sibirien,
Orenburg, den Kaukasus, Neurußland und die Ostseeprovinzen
sollten Generalgouvernements'^eibehalten, die fünf Balaschowschen
Gouvernements aber nach den Verwaltungsprinzipien, die vor 1819
bestanden, verwaltet werden^ Dabei ist es denn auch geblieben,
da der Kaiser zustimmte, so daß von den weitangelegten Plänen
Alexanders bis auf weiteres nur das Institut der Militärkolonien
übrig blieb.
Die Aufgabe jedoch, auf welche das Komitee das eingehendste
Studium und die meiste Arbeit verwendete, war die Ausarbeitung
eines neuen Ständerechts. Das Ziel ging dahin, vor allem dem
Adel, als erblichem>lStand, seine besondere Stellung im Reiche zu
sichern und das Eindringen heterogener Elemente in den Kreis der
Adelsgeschlechter nach Möglichkeit zu verhindern.VDie mechanische
Wirkung der Rangordnung Peters des Großen sollte durchbrochen
und in Zukunft ein Dienstrang (Tschin) stets nur mit der faktischen
Ausübung einer bestimmten Amtstätigkeit verbunden sein, der
Adel, der persönliche wie der erbliche, nicht wie bisher durch
lange Dienstzeit ersessen, sondern, wo er nicht bereits als Erb-
adel bestand, nur durch ausdrückliche\^erleihung im Zivil- wie
im Militärdienst auf Grund besonderer Verdienste erworben werden.
Auf diesem Wege hoffte man, daß der russische Adel wieder den
tatsächlich edelsten, ehrenhaftesten und auserwählten Teil der
Nation darstellen und seine frühere „Reinheit" wiedergewinnen
werde.
Die Geistlichkeit, die an dem Emporsteigen der übrigen Stände
nicht gleichen Anteil genommen habe, sollte materiell und geistig
gehoben werden, der Bürgerstand nach oben wie nach unten fester
abgegrenzt, der Bauernstand durch bessere Verwaltung auf den
Kronsgütern und schärfere Kontrolle der Gutsherrn geschützt
104 Kapitel III. Reformgedanken und Reform anlaufe.
werden. Man dachte an Regelang\(der Frone, genaue Bestimmung
der Pflichten und Rechte der Hofbauern, Verbot des Verkaufs
einzelner Bauern und überhaupt von Bauern ohne Land.
Das waren die hier nur in den allerwesentlichsten Zügen
skizzierten Hauptgesichtspunkte, deren zum Teil retrograde Ten-
denz nicht zu verkennen ist, und in den Einzelbestimmungen der
verschiedenen Entwürfe noch deutlicher zum Ausdruck kommt,
wenn auch nicht zweifelhaft sein kann, daU die Gesetzgeber sich
dabei von humanen Gedanken leiten ließen.
Die Absicht des Kaisers, die Lage der Bauern, speziell der
sogenannten Hofbauern, zu erleichtern/^ hat in einer eigenhändigen
Aufzeichnung Nikolais, die am 31. August 1827 im Journal des
Komitees erwähnt wird, Ausdruck gefunden. Man solle, schreibt
er, 1. verbieten, Güter mit Angabe der Seelenzahl zu ver-
kaufen, sondern die Zahl der Deßjätinen und Appertinentien an-
geben. 2. Die Banken sollen Güter nicht auf Grund ihrer Seelen-
zahl in Pfand nehmen, sondern ebenfalls nach Maßgabe der Zahl
der Deßjätinen und anderen Zugehörigkeiten, ohne daß die Seelen
erwähnt werden. 3. Über die Hofleute sind besondere Revisionslisten
zu führen. 4. Nach Aufstellung dieser Listen soll ein Ukas erlassen
werden, durch den verboten wird, Bauern zu Hofleuten zu machen.
5. Von Hofleuten ist die dreifache Kopfsteuer zu entrichten.
Dieser auf Minderung des Hofgesindes berechnete Befehl ist
auch tatsächlich ausgeführt worden, aber das ist auch der einzige
praktische Erfolg der Arbeiten der Kommission vom 26. Dezember
1826. Als zu Anfang des Jahres 1830 die Entwürfe des neuen
Ständerechts dem Reichsrat zur Durchsicht vorgelegt wurden und
von diesem bis Ende Juni 1830 einer gründlichen Prüfung unter-
zogen worden waren, so daß nur noch die Unterschrift des Kaisers
fehlte, um den Entwurf zum Gesetz zu machen, hielt der Kaiser es
für notwendig, vor entgültiger Bestätigung die Meinung des Groß-
fürsten Konstantin Pawlowitsch einzuholen, und daran ist schließlich
alles gescheitertoDer Großfürst erschrak vor allem vor dem Ge-
danken, daß das neue Ständerecht als ein zusammenhängendes
Ganzes auf einmal eingeführt werden sollte. Zwischen ihm und
dem Grafen Kotschubej kam es darüber zum Austausch zahlreicher
Denkschriften. Der Graf suchte das Werk der Kommission zu
verteidigen, aber der Großfürst versteifte sich je länger je mehr
auf seinen Widerspruch. Und nun wurde auch der Kaiser bedenk-
Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe. 105
lieh. Schon der Ausbruch der Julirevolution ließ ihm die Ein-
führung von Neuerangen als unzeitgemäß erscheinen, die polnische
Revolution aber hat entgültig alle Reformarbeit zum Stillstand ge-
bracht. Die Kommission vegetierte noch eine Zeitlang, dann geriet
sie gleichsam in Vergessenheit. Sie ist formell niemals aufgelöst
worden. Die langjährigen Arbeiten blieben völlig ergebnislos, sogar
der Einzelverkauf der Bauern dauerte fort^).
^ Ähnlich ist es mit der Wirksamkeit anderer Kommissionen
gewesen, die der erste Eifer ins Leben rief. i/Von wirklicher Be-
deutung wurde nur die Kommission, der die Aufgabe zufiel, die
unter Alexander ganz in Verfall geratene Flotte neuzubilden*), und
die Arbeiten der neubegründeten Abteilung der eigenen Kanzlei
des Kaisers zur Kodifikation der Reichsgesetze ').\/ Da diese Arbeit
dem Geheimrat Speranski übertragen wurde und der Kaiser, bei
dem der Ordnungssinn außerordentlich lebendig war, sich für die
möglichst schleunig^ Beendigung der Kodifikation lebhaft inter-
essierte, ist hier in der Tat eine ungeheure Arbeit zur Zufrieden-
heit aller Teile beendigt worden (1830), wenn auch nicht ohne
Willkür bei der Auswahl verfahren wurde. Der Titel „Vollständige
Sammlung russischer Gesetze" sagt mehr als der Wirklichkeit ent-
spricht*). Aber was nicht aufgenommen war, galt als nicht exi-
stierend, und es bedeutete einen ungeheueren Fortflehritt, daß fortan
0 Sbornik Bd. 74 und 90, wo das gesamte Arbeitsmaterial und die Jour-
nale der Kommission mit den zugehörigen Denkschriften wiedergeben wird.
-) Ukas yom 31. Dezember 1825, 23. Januar und vom 11. März 1826.
Mitglieder waren die Vizeadmirale Ssenjawiu, Pustoschkin, Greigh, der Kontre-
admiral Roshnow und die Kapitänkommandeure Krusenstern, Hatmanow,
Dellingsbausen. Ihre Instruktion ging dahin, die Flotte so groß und so stark
wie die der übrigen Großmächte zu gestalten, Zahl und Größe der Schiffe
zu bestimmen, die Etats festzusetzen und die Reglements etc. zu entwerfen,
wobei die Gesetzgebung Peters des Großen znm Vorbild dienen sollte. Auch
die Marine-ßildungsanstalten waren der Prüfung der Kommission zugewiesen.
') Ukas yom 31. Januar 1826. Die bisher unter dem Fürsten Lopuchin
stehende ,,Kommission zur Sammlung der Gesetze** wurde gleichzeitig auf-
gehoben.
*) Auch die jedem Bande beigegebenen Inhaltsverzeichnisse sind zwar
mit großem Fleiß gearbeitet, aber nicht immer zuverlässig. Für die Zeit bis
zum Regierungsantritt Nikolais existiert ein zusammenfassendes Generalregister.
Das nächste umfaßt die Jahre 1825 bis 1879 in vier Bänden.
Das Reskript, das dem Justizminister die Beendigung der Arbeit ankün-
digte, datiert vom 5. April 1830.
106 Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe.
die geltenden Gesetze für jedermann zugänglich waren. Auch das
war eine Wohltat, daß der Kaiser darauf drang, daß die vom Senat
ausgegangenen Ukase nunmehr tatsächlich Gehorsam fanden. Es hatte
sich nämlich auf eine Anfrage des Justizministers an den Senat
herausgestellt, daß bis 1824 inklusive nicht weniger als 2749 Senats-
akase unausgeführt geblieben waren. Gewiß ein Beweis für die
entsetzliche Unordnung, die in den letzten Lebensjahren Alexanders
in allen Zweigen der Verwaltung eingerissen war. Der Kaiser
stellte zur Ausführung der Ukase einen dreimonatigen Termin und
drohte bei Wiederholung ähnlicher Unordnungen die Gouverneure
unter Gericht zu stellen*). \ Ebenso energisch räumte der Kaiser
mit den nichterledigten Sacl^n auf, so daß in dieser Hinsicht in
der Tat eine neue Zeit anzubrechen schien. Wenn nur der Eifer
nicht so bald erkaltet wäre und die Hand des Kaisers weiter ge-
reicht hätte! Die Routine und die Trägheit der Beamten wußten
sich nur zu bald wieder der Kontrolle zu entziehen.
Können diese Bestrebungen, denen noch die nicht nachlassenden
Bemühungen des Zaren, den trostlosen Stand der W^ege und des Post-
wesens zu verbessern,\ngereiht werden müssen, in Zusammenhang
mit den Eindrücken gebracht werden, welche die Aussagen der Deka-
bristen über die Schäden der Regierung Alexanders in ihm hervorriefen,
so machten seine besonderen Neigungen und Anlagen sich auf einem
anderen Gebiete, das mit den Reformfragen nichts zu tun hatte,
von vornherein in charakteristischer Weise geltend. Schon wenige
Tage nach seinem Regierungantritt begann er an die Uniformierung
seiner Beamten und an die Umänderung der Uniformen der Truppen
zu schreiten. Welche Folgen damit für die Schulen und Universi-
täten verknüpft waren, haben uns dieSchischkowschen Erlasse gezeigt.
Gleichzeitig wurde die Neuuniformierung der Truppen und Be-
hörden fast zum Abschluß geführt^). Der Kaiser hat sich mit
1) Ukas vom 31 März 1826. Nicht ausgeführt waren 660 Ukase im Goa-
vernement Kursk, 239 in Moskau, 192 in Woronescb usw. In zahlreichen Fällen
hatten die Gouverneure überhaupt nicht angeben können, weshalb sie die Be-
fehle nicht erfüllt hatten. In der Bittschriftenkommission lagen 4000 uner-
ledigte Bittschriften. Der Kaiser ordnete am 21. Dezember 1826 an, daB die
Mitglieder der Kommission sich während der beyorstebenden Feiertage täglich
zu versammeln hätten, um diese Restanzen zu erledigen, was nicht wenig
Arger verursacht haben mag, aber zum Ziel fährte.
''^) Schon am 30. Dezember 1825 bestimmte der Kaiser, daß die Generale
der Marinelinie und Marineartillerie die Uniform der Armeegenerale anzulegen
Kapitel III. Reform gedanken und Reformanläufe. 107
außerordentlichem Eifer dieser Aufgabe hingegeben und im wesent-
lichen für das Militär zwei durchschlagende Veränderungen vorge-
nommen: mit Ausnahme der Kavallerie erhielten alle Waffengattungen
lange Beinkleider^rdie über die Stiefel gezogen wurden, und statt
der zwei Reihen von je sechs Knöpfen an der Uniform wurden
eine Reihe von je neun Knöpfen eingeführt. Der Kaiser meinte
dadurch große Ersparnisse zu machen, und verwahrte sich seinem
Schwiegervater, König Friedrich Wilhelm III., gegenüber ausdrück-
lich dagegen, durch eine Manie für Neuerungen dazu getrieben
worden zu sein. Einen großen Teil der von ihm vorgenommenen
Veränderungen habe bereits Kaiser Alexander einzuführen beab-
bätten, und zwar, was eine der wesentlichsten Neuerungen war, mit nur einer
Reihe von neun Knöpfen. Am 14. Januar 1826 erhielten die Beamten der
eigenen Kanzlei des Kaisers Uniformen, dunkelgrün mit bellblauem Kragen
und Umschlägen. Von diesen Uniformen gab es vier Variauten, je nach dem
Rang des Trägers. Am 15. Januar folgten neue Bestimmungen über die Uni-
form der Adjutanten in der Marine, am 27. der strenge Befehl, daB Flotten-
offiziere nie in Zivil gehen sollten, am 18. Februar ein Erlaß, der in gleichem
Sinne den verabschiedeten Offizieren Vorschriften erteilt, am 10. Februar er-
hielten die Beamten der Kanzlei des Ministerkomitees Uniformen, die Stabs-
offiziere zu besonderen Aufträgen bei den Kommandierenden die Uniformen
der du jour-Offiziere, aber ohne Achselbänder. Der llaupterlaß erschien
am 11. Februar. Durch ihn wurde mit der Uniformierung Alexanders I. end-
gültig gebrochen. Er beseitigte die kurzen Hosen und Lederkragen bei der
Garde, der Infanterie, den Jägern, bei allen Garnisonregimentern, der Fuß-
artillerie, den Pionieren, den Militär Arbeiter-Kompagnien, den mobilen In-
validenkompaguien und den Etappenkommandos. An die Stelle traten lange
Beinkleider von der Farbe der Uniform mit roter Seitennabt (bei der Marine
weiß, bei den littauischen Regimentern gelb, bei den mobilen invaliden fiel die
Naht weg), die innere Wache, und was sonst graue Uniform trug, erhielt graue
Hosen mit gelber Naht usw. Der 13. Februar brachte der Gardemarine, den
Marinekadetten, allen Kadettenkorps und den Flottenoffizieren neue Uniformen,
der 26. Februar den Generalen, Stabs- und Oberoffizieren eine neue Form von
Litzen, dazu den Generalstabsoffizieren drei Knöpfe mehr als früher.
Am 11. April erließ der Kaiser eine Verordnung über die Farbe des
Tuches unter den Epauletten der Oberoffiziere des Kadettenkorps, am 12. wurde
die Uniform der Gendarmerie modifiziert, am 14. erhielten die Beamten des
Marineministeriums ebenfalls lange Beinkleider und eine Reihe von neun
Knöpfen, am 15. die Uralische Leib-Ssotnja weiße Pompons und weiße Riemen,
am 28. wurden die sogenannten Tschechly, eine Art Wetterkappe, eingeführt.
Dann folgte am 17. Mai eine Uniformierung der Zivilmitglieder des Reichsrats,
am 24. eine neue Vizeuniform für die Beamten des Ministeriums der Volks-
aufklärung. Am 25. Juni wurden für die Stabs- und Oberoffiziere der Flotten-
108 Kapitel III. Reformgedanken und Reformanläufe.
sichtigt*). Das letztere wird wohl auf eine gelegentliche Äußerung
Alexanders zurückzuführen sein, nicht auf bereits formulierte An-
ordnungen, von denen, so viel sich erkennen läßt, keine Spur er-
halten isti Auch spricht die Erbitterung dagegen, mit der der
Groiifttrst Konstantin den Absichten des Bruders entgegentrat. In
der polnischen Armee durfte, abgesehen von den langen Bein-
kleidern, von irgendwelchen Neuerungen keine Rede sein, und daß
trotz seines Widerspruches die Reform in den littauischen Korps
durchgeführt wurde, hat der Großfürst außerordentlich übel ge-
nommen'). Die Uniformierung aller Zivilbeamten der verschiedenen
Ressorts aber entsprach dem Ordnungssinn des Kaisere. Er wollte
auf den ersten Blick erkennen, wen er vor sich habe, und verband
mit der Uniform auch den Begriff einer militärischen Disziplin,
von der er sich die heilsamsten Folgen versprach. Daß er Zivil-
beamte für kleine Vergehen auf die Hauptwache zu schicken pflegte
und sie dort oft mehrere Tage in Arrest hielt, ist eines der Sym-
ptome jenes besonderen „nikolaitischen" Geistes, der fortan die
Äußerlichkeiten des russischen Staatslebens bestimmte und gleichsam
durchtränkte. Eine Wandlung in der Gesinnung der Beamtenschaft
konnte natürlich durch solche Mittel nicht erreicht werden. Man
fürchtete den neuen Herrn und begnügte sich damit, ihm den
Schein von Ordnung und Eifer zu zeigen, den er verlangte. Auch
unter den neuen Uniformen behauptete sich die hergebrachte Rou-
und Marineartillerie Kiever eingeführt und die Leibkürassiere neu uniformiert,
am 1. Juli das Wattieren der Marineuniformen und am 14. das Tragen von
Achselbändern den verabschiedeten Offizieren yerboten. Ebenfalls am 14.
wurde den Beamten der ßittschriftenkommission eine Uniform verliehen, am
26. begrenzte der Kaiser das Recht, im Sommer weiße Leinwandbeinkleider
zu tragen, am 30. wurde angeordnet, den Mantel gerollt über dem Ranzen zu
tragen, am 10. August erhielten in der ganzen Armee die Kiever Überzüge
(Tschechly). Damit war im wesentlichen erreicht, was der Kaiser bezweckte.
Eine neue Periode der Uniform -Variierungen begann nach Beendiguog des
polnischen Aufstandes.
^) Nikolai an Friedrich Wilhelm IlL, 10. April 1826. Original im Haus-
archiv zu Charlottenburg.
^) Brief Konstantins an Nikolai vom 15. Februar 1826 „j'oserai simplement
Yous supplier de nous laisser tels que nous sommes dans le corps de
Lithuanie*. Dazu die Berichte des Generalkonsuls Schmidt ans Warschau im
Berliner Geh. Staatsarchiv, passim. Nikolai berechnete seine Ersparnisse an
der Uniformierung auf 640000 Rubel. Brief an Konstantin vom 10./22. Fe-
bruar 1826.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 109
tine. Man paßte sich in erstaunlich kurzer Zeit dem System der
neuen Ära an, befriedigte den Ordnungssinn des Zaren durch eine
papierene Geschäftigkeit und ging im übrigen in den alten Bahnen
weiter. Es waren im Grunde die alten Potemkinschen Kulissen,
die wieder hervorgeholt und sorgsam so aufgestellt wurden, daß
sie die Wirklichkeit mit all ihren Schäden verdeckten. Der Anlauf
des Zaren, zu einer wirklichen Reform zu gelangen, konnte schon
nach wenigen Monaten als abgeschlagen gelten. Der Kern des
alexandrinischen Rußland blieb unverändert der alte.
Wäl
)erall 1
Kapitel lY. Innere nnd auswärtige Schwierigkeiten.
Die orientalisctie Frage.
ährend im Innern Rußlands die Hand des neuen Herrn sich
überall fühlbar machte, aber im wesentlichen doch nur äußerliche
Modifikationen althergebrachter und schwer getragener Verhältnisse
herbeizuführen vermochte, war die Stellung Rußlands in seinen
Beziehungen zu den Mächten der großen Allianz und zu den bisher
in der Schwebe erhaltenen Problemen der europäischen Politik seit
dem Tode Alexanders eine durchaus andere geworden. Gerade
weil die Politik des so unerwartet gestorbenen Herrschers eine aus-
schließlich persönliche war, mußte sein Ausscheiden aus der Reihe
der rivalisierenden Mächte von entscheidender Bedeutung werden.
Alles kam darauf an, wie sein Nachfolger den Zusammenhang der
russischen und der europäischen Interessen verstand, und deshalb
bedeutete die Zeit des Interregnums eine Periode größter Verlegen-
heit für alle europäischen Höfe.
s^^^A)ie Nachricht vom Tode Alexanders war zunächst in Frank-
furt a. M. bekannt geworden. Fünf Kuriere hatten sie Rothschild
zugetragen — so vortrefflich'^ar für alle denkbaren Eventualitäten
der Nachrichtendienst der emporstrebenden^finanziellen Großmacht
organisiert. Sie hat sich dann auch ihren Vorsprung^iiutzbar zu
machen verstanden. Auch in Berlin war die Finanz der Diplo-
matie voraus; der Schwiegersohn des Warschauer Bankiers Fränkel
erhielt die erste Meldung, obgleich der Generalkonsul Schmidt
keinen Augenblick versäumt hatte, um König Friedrich Wilhelm III.
aus Warschau die folgenschwere Nachricht zu übersenden. Aus un-
aufgeklärten Gründen blieb Schmidts Stafette in Posen liegen und
traf erst am 12. Dezember abends in Berlin ein. Am 13. früh
110 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
brachte Bernstorflf dem Könige die Trauerbotschaft. Der Nachricht
vom Tode Alexanders folgte dann die andere von der Vereidigung
der Truppen in Petersburg auf den Namen des Kaisers Konstantin.
Dann wurde der sogenannte „Großmutsstreit" der beiden Brüder
bekannt, und das gab eine zunächst völlig undurchsichtige Lage,
die noch dadurch kompliziert wurde, daß der Großfürst Konstantin
den Tod Alexanders immer noch verheimlichte und in seinen
Schreiben an Alopäus, den russischen Gesandten in Berlin, die
Fiktion aufrecht erhielt, daß die Regierung Alexanders fortdauere,
auch seine Briefe nicht schwarz, sondern rot siegelte, ^an wußte,
daß er am 29. Dezember einer polnischen Dame befahl, die
Trauergewänder abzulegen, die sie angetan hatte. Noch am
1. Januar 1826 war man in Berlin ohne entscheidende Nach-
richt; es konnte weder ein Kreditiv für den Gesandten Schöler
ausgefertigt werden, noch auch, wie beabsichtigt war, Prinz
Wilhelm seine Reise zur Begrüßung des neuen Kaisers antreten.
\ Erst am 2. Januar brachte ein aus Petersburg eintreffender Kurier
durch einen eigenhändigen Brief des Kaisers die endgültig ge-
fallene Entscheidung^). Die Freude war um so größer, als der
König, der schon seit zwei Jahren wußte, daß Konstantin auf
sein Erbrecht verzichtet hatte, mit anderen die Befürchtung
teilte, daß der Großfürst schließlich sich der vollzogenen Tatsache
der ihm geleisteten Huldigung fügen und die Krone annehmen
könnte. Bei seiner entschiedenen Abneigung gegen Preußen hätte
') Er datierte Petersburg vom 14. Dezember und war offenbar früh
morgens geschrieben und expediert worden. Er lautet: „Sire. La nouvelle
Position ou il a plu ä la Provideuce et a mes freres de me placer, ne peut
cbanger les seutiments que vos bontes pour moi mWt toujours inspires pour
vous. C'est a vos bons conseils, ä votre tendre amitie que j'ose me recom-
mander, daignez uc jamais me les refuser et croire que je serai toujours pour
vous le meme fils tendre et respectueux, que je me suis efforce d'etre jus-
quMci. C^est avec ce sentiment la que j^ai Thonneur de me nommer pour le
reste de mes jours, Sire, de Votre Majeste le tres respectueux et tendrement
attacbe beau-fils Nicolas.* Der Brief trug einen Trauerrand. Gedruckt bei
Bailleu. Briefwechsel Kaiser Alexanders p. 144 Nr. 443. Die Antwort
des Königs (nach eigenhändigem Konzept) ist sehr herzlich empfunden und weist
auf das große Vorbild hin, das Alexanders Regierung biete. Es ist schwer zu
sagen, ob der Konig wirklich geglaubt hat, daß Alexanders Regierung ein Segen
fär dasrussische Volk gewesen sei. Wahrscheinlich dachte er an die großen
Jahre des Freiheitskampfes, und in jenen Jahren war Alexander allerdings „b^ni
par (ses) peuples et par Thumanite entiere".
Kapitel IV'. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. Hl
das mindestens eine große Verlegenheit bedeutet, die unter
anderem auch eine gesteigerte Abhängigkeit von der öster-
reichischen Politik zur Folge haben mußte. Das alles schwand
nun, und der Ton des ersten Briefes des Zaren ließ das Beste er-
warten. Am 3. früh kam dann die Nachricht von den blutigen
Ereignissen auf dem Seuatsplatz, die trotz des glücklichen Aus-
gangs erschreckten. Es war doch eine furchtbare Gefahr an geliebten
Häuptern vorübergezogen. Prinz Wilhelm wurde beauftragt, die
Glückwünsche Preußens dem Kaiser zu überbringen. Am 6. Januar
hat er Berlin verlassen, um über Warschau nachPeteraburgzu reisen.
Sein Adjutant Leopold von Gerlach und General Thile begleiteten ihn.
In Wien waren die russischen Ereignisse weit später
bekannt geworden. Vom Tode Alexanders erfuhr Metternich
um Mitternacht vom 13. auf den 14. Aber er wollte die nicht
genügend beglaubigte Nachricht nicht wahr haben.v l^i^st am 18.
schwand ihm jeder Zweifel, dann aber folgte bis zum 6. Januar
auch für ihn eine Zeit peinlichster Ungewißheit. In Österreich
waren alle Sympathien für Konstantin. Metternich rühmte die
Korrektheit der politischen Prinzipien des Großfürsten, dessen Ver-
achtung der Griechen und unbedingteLFriedensliebe ihm wohlbekannt
war. \Er rechnete außerdem darauf, in ihm einen Bundesgenossen
gegen alle die umstürzenden liberalen und revolutionären Elemente
zu linden. Von dem Geheimnis seiner Thronentsagung war ihm
nichts bekannt; um so schmerzlicher wurde die spätere Wendung
empfunden, und nur die Tatsache, daß der junge Zar gleich am
ersten Tage seiner Regierung mit der Revolution hatte kämpfen
müssen, gab dem Fürsten Metternich neue Hoffnung. Er hatte
ursprünglich den Erzherzog Ferdinand Este, den Vetter des Kaisers,
denselben, der in den ünglücksjahren 1805 und 1809 eine nicht
unrühmliche Rolle spielte, bestimmt, Österreichs Glückwünsche
dem Kaiser Konstantin zu überbringen. Als die Haltung Konstan-
tins den Ausgang zweifelhaft erscheinen ließ, wurde die Reise des
Erzherzogs natürlich verschoben. Metternich fand Nikolais Hal-
tung höchst korrekt, so lange sie auf dem Boden der Thronfolge-
ordnung Kaiser Pauls blieb ^), später, als die Entscheidung zugunsten
Nikolais gefallen war, hatte er nur Hohn für den Großmutsstreit
1) „Weisung^ Metternichs an Lebzeltem vom 2. Januar 1826 und die
reservierte Depesche vom 10. Januar.
112 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
^dieser beiden Brüder, die sich nicht selbst zu helfen und zu raten
wüßten". Aber er hielt es doch für geboten, dem neuen Kaiser
das geflissentlichste Entgegenkommen zu zeigen und den Erzherzog
direkt nach Petersburg reisen zu lassen, a Er sollte Warschau gar
nicht berühren und dadurch gleichsam die" auf die Wahl Konstan-
tins gesetzten Hoffnungen ofßziell verleugnen. ^.Das schien um
so notwendiger, als in Petersburg die Verstimmung über den durch
seinen Schwager, den Fürsten Trubetzkoi, auf das schwerste kom-
promittierten österreichischen Botschafter Grafen Lebzeltern, sehr
groß war. Schon am 1./13. Januar mußte der Botschafter berichten,
daß der Graf Nesselrode ihm nicht als Staatssekretär, sondern als
Freund geraten habe, Petersburg zu verlassen; auch der schwedische
Gesandte Graf Blome gab ihm im Auftrage Nikolais denselben Rat.
Metternich, der den Wink nicht übersehen durfte, auch selbst über
,^ebzeltern wegen seiner irreführenden Relationen ärgerlich war,
ließ ihn nur anstandshalber noch einige Monate auf seinem Posten.
Erst am ^-^^^ 1826 hat er Petersburg für immer verlassen.
Der Erzherzog Ferdinand wurde am 11. Januar aus Wien
mit einer Instruktion abgefertigt, die ihn beauftragte, eine mög-
lichst klare Vorstellung von dem Charakter und den Prinzipien des
Zaren zu gewinnen; acht Tage danach wurde eine andere Gesand-
schaft nach Warschau geschickt. Sie war dem Grafen Bombelles
übertragen worden und erregte viel böses Blut, weil man allgemein
annahm, daß Bombelies beauftragt sei, dem Großfürsten die Unter-
stützung Österreichs für den Fall zu versprechen, daß er sich, trotz
allem geneigt zeigen sollte, die Regierung zu übernehmen.'4H3as
war natürlich falsch, weil es außerhalb des Bereichs des Möglichen
lag. Aber noch 1829 wurde es mit großer Bestimmtheit in Peters-
burg kolportiert*). In W'irklichkeit ging Bombellos' Auftrag dahin.
>) Relation Schüler vom 27./15. Febniar 1829 durch Baron Vitzthum
uberbracht: „Und vor kurzem habe ich in Erfahrung gebracht, daß Graf Bom-
belles im Jahre 1825 bei der Durchreise durch Warschau den Auftrag gehabt
hat, den Cäsarewitsch zur Beibehaltung des Thrones dringend aufzufordern
und sogar Österreichs Unterstützung erforderlichenfalls ihm hierzu anzubieten.
Graf Bombelles hat sich dahin bringen lassen, am Endo diesen Antrag schrift-
lich zu machen, und der Großfürst hat nicht verfehlt, dies Dokument seinem
Bruder mitzuteilen, der hochherzig genug gewesen ist, sich damit zu begnügen,
den Erzherzog Ferdinand, bei dessen Hiersein, von dem ganzen Hergang in
Kenntnis zu setzen.'' Die Quelle Schülers ist wahrscheinlich Diwow, der
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 113
dem Großfürsten die österreichische Auffassung der orientalischen
Frage darzulegen und ihn zu ersuchen, im Sinne der Prinzipien,
die Österreich mit dem Kaiser Alexander gemein gehabt habe,
auf den jungen Kaiser, seinen Bruder, einzuwirken. Zugleich wurde
ihm ein neuer Vertreter des Generalkonsulats in Aussicht gestellt,
der dem diplomatischen Dienst angehören sollte und daher besser in
der Lage sein werde, den Großfürsten auf dem Laufenden der
wichtigen politischen Fragen zu erhalten. Konstantin, der dieses
Vertrauen der österreichischen Regierung sehr gut aufzunehmen
schien und sich Bombelies gegenüber äußerst gnädig zeigte, schickte
jedoch einen ausführlichenVneun Seiten langen Bericht über seine
Unterredungen mit dem Grafen nach Petersburg, und die Wirkung
führte germu zu dem den Wünschen Metternichs entgegengesetzten
Resultat, was Mißtrauen gegen die Haltung Österreichs, das schon
bei Lebzeiten Alexanders durch eine aufgefangene Depesche des
Internuntius Guilleminot lebhaft erregt war *), setzte sich noch tiefer
fest. Als nun der Bericht Konstantins einlief, gab ihn der Kaiser
dem Erzherzog Ferdinand, den er vorher und auch danach mit größter
Auszeichnung behandelte, zu lesen, und ließ dabei deutlich merken,
daß er sich durch das Mißtrauen verletzt fühle, das in der Sendung
Bombelles' seinen Ausdruck gefunden habe. Noch weit schärfer
aber sprach, offenbar im Auftrage des Kaisers, sich Nesselrode dem
Grafen Lebzeltern gegenüber aus*).
^Als die Gäste des Kaisers, seine beiden Schwäger, Prinz Wilhelm
von Preußen, Prinz Wilhelm von Oranien, sein Neffe Paul Friedrich
von Mecklenburg-Schwerin, sein Oheim Markgraf Leopold von Baden
und als einziger Nichtverwandter Erzherzog Ferdinand von Modena-
Este in Petersburg eintrafen, fanden sie eine Lage vor, die bereits
erkennen ließ, daß der neue Herrscher selbst zu regieren ent-
schlossen war. Nahm die Untersuchung der Militärverschwörung
auch die Zeit des Kaisers noch immer sehr stark in Anspruch, so
Stelhertreter Nesselrodes. Wir geben den wahren Sachverhalt an der Hand
der Instruktion und der Berichte Bombelles', sowie der Korrespondenz Kon-
stantins mit dem Zaren. Bombelles blieb vom 23. bis 27. Januar in Warschau.
*) Depesche Lebzelterns vom 19. Oktober 1825. Guilleminot habe ge-
schrieben „pourvu que Ton enchainät TOurs du Nord, il r^pondait du reste''.
Man hatte keinen Anstand genommen, dem österreichischen Botschafter davon
Hitteilung zu machen, und Nesselrode hatte lebhafte Vorwurfe daran geknüpft
') Bericht des Erzherzogs vom 5. Februar 1826 in der Anlage.
Schiemann, Geschichte Rußlands U. 8
114 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
hatte er doch auch begonnen, sich mit großem Fleiß in die Zu-
sammenhänge der äußeren und inneren Politik einzuarbeiten. Er
hatte ein sehr lebhaftes Gefühl für die Lücken seiner Bildung,
aber zugleich ein hohes Selbstgefühl, das ihn keinen Augenblick an
den eigenoA^ähigkeiten zweifeln ließ. Dazu .kam die Freude an
seiner oratorischen und dialektischen Begabung und sein fester
Glaube an die Lauterkeit und Unanfechtbarkeit der von ihm ver-
tretenen Prinzipien. In religiöser Beziehung lagen ihm zwar, wie
wir wissen, alle pietistischen Regungen fern, aber er fühlte sich in
seinem Glauben sicher und wurde nicht durch Zweifel beunruhigt.
Gerlach berichtet, daß der Zar sowohl wie der Großfürst Michael
abends regelmäßig in der Bibel zu lesen pflegten, wasf^beiläufig
bemerkt, an die Vorliebe Nikolais für protestantische Auffassungen
erinnert. Die Erfüllung aller rituellen Bräuche der griechischen
Kirche fiel für ihn in den Kreis der Pflichten, denen er gerecht
wurde, und seine -.äußere Stellung vertrat er mit Würde und
Liebenswürdigkeit. ^^ war, wie Alexander, ein „Charmeur", be-
müht, durch den persönlichen Eindruck, den er machte, zu
gewinnen, oder wo er es für nützlich hielt, zii\imponieren und zu
schrecken. Aber unter vier Augen liebte er sich gehen zu lassen,
ohne jedoch das Ziel, das er verfolgte, darüber aus den Augen zu
verlieren. ^^Er weinte leicht und pflegte, wenn er etwas nachdrück-
lich-betonen und jeden Widerspruch zum Schweigen bringen wollte,
sein Ehrenwort zu geben, womit dann jede fernere Diskussion zur
oft nicht geringen Verlegenheit der mit ihm verhandelnden Diplomaten
abgeschnitten wurde.
Gleich die erste Ansprache, die er dem versammelten diplo-
matischen Corps am Neujahrstage neuen Stils hielt, imponierte durch
die Geläufigkeit und Sicherheit, mit der er den ganzen Verlauf und
die bisher bekannt gewordenen Ziele der großen Verschwörung dar-
legte'). Der Kaiser Alexander, so sagte er, habe mit ihm oft von den
drohenden Gefahren gesprochen, aber er gestehe, nicht recht daran
geglaubt zu haben. Hieran knüpfte er die Darlegung der Ereig-
0 Relatiou Lebzeltern vom ;,t-t. — ^^ — *-^..i überbracht durch Ribeau-
22. Dezember 1825^
pierre. „11 nous tint uu discours, dont j'espere que ma memoire me retracera
fidelement les paroles, mais auquel il m'est impossible d'imprimer la noblesse,
la candeur, et le ton touchant, qu^y a mis TEmpereur. Ses expressions et Tordre
meme dans lequel il les a dolivrees nous prouverent bien que c'etait 8on coeur
qui les dictait avec abandon.^
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 115
nisse, deren Zeugen die Herrn Gesandten gewesen seien, und die
Erklärung, daß er milde gegen die Verirrten, aber streng gegen
die Urheber des Aufstandes — er nannte Trubetzkoi und Obolenski
— sein werde. VJIan habe in Petersburg die Ereignisse von Turin
und Spanien wieolerholen wollen, aber er habe an sich die große
Wahrheit erfahren, daß man bei entschlossener Erfüllung der von
Gott gesetzten Pflichten der Bösewichter Herr werden könne. j^j)ie
Richtschnur seiner Regierung werde das Vorbild sein, das Alexander
ihm hinterlassen habe, und er bitte sie, das ihren Regierungen mit-
zuteilen, ^ann nahm er den französischen Botschafer Grafen La
Ferronnays unter den Arm und führte ihn in sein Kabinett, wo er
eine Stunde lang sich mit ihm in einem intimen Gespräch erging,
das dem Grafen wichtig genug schien, um es durch einen Kurier
nach Paris mitzuteilen ^). Und in der Tat, es ist von außerordent-
licher Wichtigkeit und gibt besser als was wir sonst von diesen Tagen
wissen, ein treues Bild vom Wesen des Kaisers. C/Ich hatte, erzählt
La Ferronnays, kaum die Tür des Kabinetts geschlossen, als seine
Majestät mich kräftigl^ umarmte und unter Tränen sagte: „Wie
glücklich bin ich, mit Ihnen allein zu sein und einem Freunde, der
mich versteht, mein Herz auszuschütten, i^ Haben Sie eine Vorstellung
von den Aufregungen und Empfindungen, die mich seit einem
Monat drücken: jung und ohne Erfahrung, ohne je die höchste Stellung
gewünscht oder nur von ihr geträumt zu haben'), mußte ich unter
solchenXyorzeichen den Thron besteigen — , urteilen Sie über den
Zustand meiner Seele! Ich spreche in voller Aufrichtigkeit und
Offenheit. Unsere Stellung zueinander hat sich verändert, aber meine
Achtung und meine Freundschaft für Sie werden sich immer gleich-
bleiben. Ich weiß ja nicht und kann auch nicht vorhersehen,
welche Beziehungen die Politik zwischen dem Kaiser von Rußland
und dem Botschafter des Königs von Frankreich schaffen wird,
aber ich kann Ihnen mein Ehrenwort geben, daß Nikolai für den
Grafen La Ferronnays immer derselbe bleiben wird. Sie haben ja
gesehen, was eben geschehen ist, und nun stellen Sie sich vor, was
ich empfand, als ich verurteilt Vwar, bevor der erste Tag meiner
Regierung zu Ende ging, das Blut meiner Untertanen zu vergießen.
Niemand, außer vielleicht meine Frau, kann das verstehen. Vor-
*) Relation La Ferronnays. Petersburg, 5. Januar 1826 No. 14. Paris
Depot des affaires etrangeres Russie 1826.
^ Wohl eine Gefühlstäuschung Nikolais!
8*
116 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
über sind meine glücklichsten Tage, lieber La Ferronuays. Ich
wußte vorher, wie drückend die Last einer Krone sein kann, und
Gott ist mein Zeuge, daß alle meine Wünsche dahin gingen, die
Krone abzulehnen, die mir durch unerhörte LTmstände aufgezwungen
worden ist. ^Aber die Elenden, die dies abscheuliche Komplott
geschmiedet haben, nötigen mich, so zu handeln, als hätte ich sie
dem entreißen wollen, dem sie gehörte, ^ch weiß, daß viele die
Überstürzung tadeln werden, die ich in dem Augenblick zeigte,
da ich die Nachricht vom Tode des Kaisers erhielt. Und in der
Tat schienen die Ereignisse die Eile zu verdammen, mit der ich
meinen Bruder Konstantin anerkannte und ihm huldigte, d^ünd
doch würde ich in gleicher Lage auch jetzt nicht anders handeln,
und ich mache Sie zum Richter meiner Lage. Ich war allein in
Petersburg, als der Kaiser starb; konnte und durfte ich die Rechte
geltend machen, die mir ein Schreiben verlieEh^ das, abgesehen von
wenigen Personen, Isiemand im Reich kannte? Nein, ich durfte es
nicht, namentlich nicht in Abwesenheit meines Bruders .... Ich
rufe den Himmel zum Zeugen und schwöre es Ihnen bei meiner
Ehre, daß ich nur die Stimme meines Gewissens gehört und nur
die Empfindungen zu Rat gezogen habe, die stets in meiner Seele
leben werden *). 4lch glaubte und glaube noch jetzt, daß, wenn
mein Bruder Konstantin meinen dringenden Bitten Gehör geschenkt
hätte und nach Petersburg gekommen wäre, wir die furchtbaren
Szenen vermieden hätten, deren Zeuge Sie gewesen sind.VEr hat
nicht geglaubt, meinen Bitten nachgeben zu können. Die Unmög-
lichkeit, sofort bekannt zu machen, was sich zwischen uns beiden
abspielte, die Notwendigkeit, die lange und gefährliche Ungewißheit
des Publikums zu beseitigen, haben mich gezwuugeiv^den Thron
anzunehmen. Aber die Verschwörer glaubten, daß sie die. Gelegen-
heit und die Mittel zum Handeln gefunden hätten. Sie 'sprengten
geschickt aus, daß zwischen mir und meinem Bruder Feindschaft
herrsche, sie haben meine Handlungsweise mit den abscheulichsten
Farben gezeichnet. Nur durch Verleumdungen, und indem sie den
Soldaten einredeten, daß der Herrscher, an den ihr erster Eid sie
band, gefangen sei und von ihnen gerächt sein wolle, vermochte
man es, einige von ihnen zu verführen. Und das war es, was am
0 Auch hier liegt eine Geföhlstäuschung vor, zugleich aber das Bekennt-
nis Nikolais, daß er das Testament des Bruders kannte.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 117
vorigen Montag meine Lage tausendmal schwerer machte, als ich
sagen kann. Die Notwendigkeit trieb mich, und um die Haupt-
stadt, vielleicht das Reich, vor einer schweren Katastrophe zu retten,
mußte das Blut von Unglücklichen fließen, die meist gerade durch
ihre Rebellion bewiesen, daß sie ihrem Eide und ihrem Herrn treu
waren."
Als der Kaiser dies sagte, flössen seine Tränen reichlich, und
Schluchzen erstickte fast seine Stimme. Nach einer kleinen Pause
fuhr er fort. „Verzeihen Sie, lieber Graf, ich weiß, daß meinem
Freunde gegenüber meine Seele sich ergehen und alle ihre Leiden
zeigen darf, ohne mißverstanden zu werden" .... Übrigens sei er
nur traurig, nicht gebeugt. C Auch werde er nicht mißtrauisch
werden. „Ich weiß, daß nichts mich vor einem Mörder schützen
kann und daß ein Herrscher dieser Gefahr Trotz bieten muß. Auch
fürchte ich nicht Verschwörungen .... Aber ich habe ein Vor-
gefühl von meinen Pflichten, ich werde sie rasch kennen lernen
und sie zu erfüllen wissen. "^ Mit 29 Jahren darf man, zumal in
Verhältnissen wie den jetzigen, vor der Aufgabe erschrecken, von
der ich niemals glaubte, daß sie mir zufallen werde und für die
ich mich infolgedessen auch nicht vorbereitet halte ^). Ich habe
den Himmel nie inbrünstiger um etwas gebeten, als mir diese
Prüfung zu ersparen. Da er andere bestimmt hat, werde ich mich
bemühen, nicht unter den Pflichten zu stehen, die mir auferlegt
sind. Ich werde sie zu erfüllen wissen.^ Ich werde milde, sehr
milde, man wird vielleicht sagen zu milde sein. Aber die Führer
und Anstifter des Komplotts werden ohne Mitleid und ohne Er-
barmen behandelt werden .... Ich werde unerbittlich sein, das
bin ich Rußland und Europa schuldig. Mein Herz aber ist zerrissen,
und ich habe das schreckliche Schauspiel des ersten Tages meiner
Regierung stets vor Augen." La Ferronnays sagt, die Erregung des
Kaisers sei außerordentlich gewesen '). Er versuchte ihn zu beruhigen,
und das Gespräch wandte sich nun dem Detail der Verschwörung
zu. Der General Graf Michail Woronzow habe nach seiner Rück-
kehr aus Frankreich, wo er die Okkupationstruppen kommandierte,
auf den gefährlichen Geist, der unter den Offizieren herrschte, durch
eine Denkschrift aufmerksam gemacht, die mit großer Offenheit
1) Das letztere nur ist wahr.
^) 1. 1. yL'emotion de l'Empereur etait extreme''.
u
113 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
und Energie geschrieben war. Aber der damals noch in liberalen
Ideen befangene Kaiser habe diese Denkschrift sehr übel aufge-
nommen und ihn lange seine Ungnade fühlen lassen. Und nun
kam der Zar auf den eigentlich praktischen Zweck dieser merk-
würdigen Unterredung. Er glaube nicht, daß Ausländer an der
V^erschwörung beteiligt seien; sollten unglücklicherweise Franzosen
sich als Mitschuldige erweisen, so werde er La Ferronnays sofort
benachrichtigen, er hoffe, daU Frankreich ihm den Gegendienst
leisten werde, ihn über die Russen, die auf französischem Boden
lebten und am Komplott, wahrscheinlich als Leiter, beteiligt seien,
die für die Ruhe Europas und Rußlands unerläßlichen Auskünfte
zu erteilen*). Beim Abschied küßte der Kaiser den Grafen und
bat ihn, er möge sich jederzeit an ihn wenden, wenn er etwas
mitzuteilen habe, wie er denn hoft'e, sich häufig mit ihm zu unter-
halten. Nesselrode wisse bereits davon.
>^^ Es ist begreiflich, daß La Ferronays durch den ganz unge-
wöhnlichen Charakter dieser Unterredung lebhaft angeregt wurde.
Er glaubte bereits mit der Möglichkeit einer französisch-russischen
Allianz rechnen zu müssen und schrieb dem französischen Minister
des Auswärtigen, Baron Damas, daß er unter diesen Umständen
nicht weiter auf seine Bitte um Abberufung aus Petersburg bestehe').
Er hielt die innere Lage Rußlands keineswegs für unbedenklich^
denn auch jetzt noch könne man sich keine Vorstellung von der
Kühnheit der Äußerungen und der Extravaganz der Ansichten der
Gardeoffiziere machen. Sie alle rühmten sich „Söhne der Minerva"
zu sein und lebten in Bewunderung der französischen Revolution
') I« 1* »j'espere en retour, que si la poIice de France decouvrait que
parmi les Russes etablis chez vous, il s^en trouvait qui fussent lies au complot,
comme probablemeut ils en seraient les directeurs, j'espere que Votre Gou-
vernement nous les ferait connaitre et nous foumira des renseignements qui
importent autant a la tranquillite de TEurope qu'a celle de la Russie." Nikolai
dachte dabei vornehmlich an den Grafen Bobrinski, wie spätere Relationen La
Ferronnays' beweisen I
^) I. I. „Si Ton pense que mes relations avec lui, en supposant qu'elles
pussent se maintenir sur le memo pied, doivent me donner les moyens d'etre
utile, ce qui ne pourrait jamais etre que dans le cas oü Ton voudrait se
rapprocher de la Russie et pm^voir eventuellement la possibüite d^une
alliance avec eile, alors, Monsieur le Baron, toutes les demandes que j^avais
cru pouvoir prendre la liberte de faire ä votre Excellence, restent non avenues.
Je resterai ici, j'y resterai seul . . . .*
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 119
und Bonapartes. ^Törichterweise werde jetzt die Verschwörung auf
Rechnung der Österreicher gesetzt*). Er riet, zur Begrüßung des
Kaisers eine Persönlichkeit „de haute distinction^ zu senden, etwa
den Herzog von Mortemart. Da dieser Botschafter wahrscheinlich
eine Einladung zur Krönung erhalten werde, empfehle es sich, es
ihm möglich zu macheu, mit großem Prunk aufzutreten.
Nikolaus nahm es sehr hoch auf, daß La Ferronuays ihm als erster
seine neuen Krcditiveüberreichen konnte. Die französische Regierung
war so klug gewesen, für alle Eventualitäten ihren Botschafter mit
Kreditiven für Kikolai wie für Koustantin zu verseheu. Am 9./21.
ließ der „Großfürst Nikolas" den „Grafen La Ferrounays", also
nicht der „Kaiser" den „Botschafter", zu einer zweiten Unter-
redung „en frac", nicht in Uniform, bitten. Er kam nochmals auf
die weitenJ^Verzweigungen der Verschwörung zurück, die nach
Dresden, vielleicht auch nach Paris') und Italien hineinreichten,
aber er gab sein Ehrenwort, daß er weiter keinerlei Befürchtungen
hege. Die ausländischen Gäste freilich haften andere Eindrücke.
Dem Adjutanten des Prinzen Wilhelm, Leopold von Gerlach, fiel
der wilde Fremden- und speziell der Deutschenhaß der Gesellschaft
auf, der sich sogar gegen das Kaiserhaus richte. „In welcher
schwankenden Lage befindet sich der arme Kaiser mit seiner
^ glühenden Kaiserkrone auf dem Kopfe, von Verrätern umgeben; nicht
alle Übeltäter seien in der Festung, hat jemand neulich dem General
Thile gesagt, einige von ihnen sind alle Tage mit uns im Vor-
zimmer des Kaisers, und er hat die Beweise dafür in Händen".
Ein andermal vergleicht ^r die Stellung Nikolais mit der eines
Mannes, der auf einer dünnen hohen Säule stehe, an der jeder
Unzufriedene rüttele, „um entweder den Herrn von oben herabzu-
stürzen und einen anderen hinaufzusetzen, oder, wie das jetzt hat
geschehen sollen, die Säule selbst und für immer über den Haufen
zu werfen". Die kaiserliche Familie, schreibt der hannoversche
Gesandte von Reden, ist gleichsam von aller Gesellschaft sequestriert,
sie sieht, von den Garden beschützt, nur was zum inneren Kreis
*) Auch Gerlach, Denkwürdigkeiten J, 17 weiß davon zu berichten: »Die
Russen hier glauben zum Teil, daß die Verschworung von Metternich hier
angezettelt worden, um die russische Macht zu sprengen und Rußland dann
durch die Jesuiten der romischen Kirche zu unterwerfen".
■-') Nikolai glaubte irrtümlicherweise, daß Benjamin Constant den Ver-
schwörern ihre „Verfassung" entworfen habe.
]20 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
der Familie gehört. Das Palais ist wie eine belagerte Fcstuog von
Truppen umringt, stets erwartet man neue Unruhen. Die Festung
und die Gefängnisse sind voll Gefangener, deren Zahl täglich zu-
nimmt." In der Stadt kursierte das Gerücht, daß in dem Keller-
raume der Isaakskirche ein Faß voll Pulver gefunden^) sei, offenbar
um die kaiserliche Familie in die Luft zu sprengen, und die Vor-
sichtsmaßregeln, die von dem Mißtranen des Kaisers gegen die
eigenen Truppen zeugten, delen allgemein auf. ^uch machte die
Medisance der Petersburger Gesellschaft sich allen Maßregeln des
neuen Kaisers gegenüber geltend, was ja bei der Sorge und Er-
bitterung begreiflich ist, die die zahlreichen Verhaftungen in den
Kreisen, die zur „Gesellschaft" gehörten, hervorgerufen hatten. So
lange das Los der Inhaftierten ungewiß war und sich auf Gnade
hoffen ließ, hatte man geschwiegen; nach gesprochenem Urteil ließ
die Erbitterung sich nur durch die Furcht zügeln, welche die neue
Geheimpolizei erregte, vor der sich niemand sicher fühlte. Schon
im August berichtete der zuverlässigste der Agenten Benkendorffs,
daß die Stimmung von Tag zu Tag schlechter werde'). An eine
Reformära glaubte bereits nach wenigen Monaten niemand mehr;
die Neuuniformierungen wurden scharf kritisiert und ebenso die zahl-
reichen Ernennungen von Generaladjutanten. Am 15./27. Dezember
waren nicht weniger als 13 neue (ieneraladjutanten kreiert worden,
meist Offiziere, die sich am 14. Dezember in irgendwelcher Weise
hervorgetan hatten und deren sonstige Verdienste zweifelhaft er-
schienen. Man war von den Zeiten Alexanders her daran gewöhnt,
daß diese Stellungen nur ganz besonders hervorragenden Persönlich-
keiten verliehen wurden. Die einzige Ernennung Nikolais, die
ungeteilten Beifall fand, war die des Admirals Ssenjawin, den
Alexander aus nicht klargelegten Gründen von jeder praktischen
Tätigkeit ferngehalten hatte. Auch die Gunst, die der Kaiser in
der ersten Zeit dem Grafen Araktschejew zuteil werden ließ, wurde
sehr mißgünstig aufgenommen. Ein Reskript vom 20. Dezember
1825 hatte der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß der Graf auch
0 Tagebuch Divows zum 11. Februar.
^ Berichte von M. M. Fock an den Grafen Benkendorff. Russ. Starina
XXXII. 183—94, 305—336, 519—560. Diese Berichte reichen leider nur vom
17. Juli bis 25. September 1826. Fock war Direktor der Kanzlei Benken-
dorffs. Es ist nicht ohne Humor, daß Fock seinerseits von der stadtischen
Polizei beaufsichtigt wurde, weil sie in ihm einen Konkurrenten sah.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 121
ferner seine dem Kaiser und dem Vaterlande so notwendigen
Dienste nicht versagen werde, den Grafen aber auf seine Bitte
von der Stellung als Leiter der eigenen Kanzlei des Kaisers') und
von der Direktion der Kanzlei des Ministerkomitees entbanden;
seine Stellung in den Militärkolonien war ihm gelassen worden.
Man schloß daraus, daß das verhaßte System der Militärkolonien
fortbestehen werde, und iu der Tat war das die Absicht Nikolais.
Er konservierte den Grafen nur vorläufig, weil er wußte, wie
gefürchtet der Mann war, und weil er sich scheute, nach den un-
ruhigen Anfängen seiner Regierung Anzeichen von Schwäche und
Nachgiebigkeit zu geben. Aber er zog sich in der Person des
Vertrauten und Stabschefs von Araktschejew, in General Klein-
michel einen Nachfolger heran, der in häufigen Audienzen dem
Kaiser die Sünden Araktschejews rücksichtslos bloßlegte. Auch
verbreitete sich schon Ende Januar in Petersburg das Gerücht, daß
„der Drache" nach Karlsbad, vielleicht nach Italien reisen werde.
Man hoffte auf Nimmerwiederkehr. ^Erfüllt hat sich nur der erste
Wunsch, und auch dieser später als man hoffte; denn erst am 30. April
hat der Kaiser ihm den erbetenen Urlaub gewährt und Klein-
michel mit der Stellvertretung Araktschejews betraut'). Kurz
vorher hatte Araktschejew dem Kaiser noch den Dienst geleistet,
ihm einen Landstreicher auszuliefern, der in den Kolonien die
Bauern-Soldaten durch seine Reden aufgewiegelt haberf— In Wirklich-
keit war der Mann nicht von den Leuten Araktschejews, sondern
vom Gouverneur von Nowgorod gefangen und verhört worden. Aber
Araktschejew schickte einen Feldjäger an den Kaiser und gab den
Fang als sein Werk aus. Später wußte er, aus Furcht, von ihm
verraten zu werden, den Gouverneur so zu verleumden, daß
er seinen Abschied erhielt. Jener Mann war offenbar ein
Altgläubiger, der die Kolonisten bewegen wollte, von der Obrigkeit
die Erlaubnis zu erwirken, Barte zu tragen und zu leben wie iu
früheren Zeiten. Er demonstrierte ihnen das an der Apokalypse
und las ihnen die Stellen über die Nikolaiten vor. Der Kaiser
legte der Sache große Wichtigkeit bei, und in der Tat konnte bei
der Erregung, die sich damals der Bauernschaft bemächtigt
hatte, jede Agitation, die an den religiösen Sinn und die Leicht-
*) „Sie wird von mir selbst geleitet werden," schrieb der Kaiser.
^ Wojenno Utschennij Archiv 1048.
122 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
gläubigkeit der Massen appellierte, gefährlich werden. Der
„Prophet" aber war gekleidet wie die griechischen Heiligenbilder
Christus darstellen. In seidenem Überwurf, grauen Safianschuhcn,
und da es im März, als er auftrat, kalt war, mit einem Fuchspelz
von feinem blauen Tuch. Er hatte zudem ein Heiligenbild in
Brillanten und ein Exemplar der Apokalypse. Der „Prophet" ist
danach in den russischen Gefangnissen verschollen. Woher er ge-
kommen war, ist bis heute nicht klargelegt worden *). Vor seiner
Abreise konnte Araktschejew dem Kaiser als Fond der Militär-
kolonien ein Kapital von über 32 Millionen Rubel bar überweisen ').
Wer konnte die Tränen und das Blut schätzen, die an diesem
Gelde hingen? Aber unzweifelhaft kam die Thesaurierungspolitik
des Grafen Araktschejew dem Kaiser sehr erwünscht.
Es gab noch vielerlei Stoff für die Petersburger Gesellschaft
zum räsonnieren: Die unerträgliche Pedanterie und Härte, mit der
sich der Großfürst Michail zur Qual der Garde seinen militärischen
Liebhabereien hingab, die Krankheit und bald danach der Tod des
Historikers Karamsin, von dem man gehofft hatte, daß sein Einfluß
den Kaiser zur Ausführung der von Alexander geplanten Reformen
führen werde*), die Catalani, die trotz ihrer 46 Jahre noch immer
sang wie eine Nachtigall, der Tod des 81jährigen Grafen Peter
Pahlen, einst der mächtigste Mann im Reiche, seit einem Viertel-
jahrhundert wie vergessen — der Mann, an den sich die schwerste
Erinnerung Alexanders knüpfte^), endlich, und das hätte doch die
größte aller Sensationen sein sollen, am 25. Februar traf die Leiche
Alexanders in Zarskoje Sselo ein!^) Die Kaiserin Elisabeth war
») Schreiben Nikolais an Araktschejew vom 6./20. April 1826. W. T. A. 1048.
2) Rus8. Starina XXXVI S. 187 ff.
') Er starb am 24. Mai 1826. K. Bulgakow meint, die Strafen, welche
die Dekabristen trafen, wären weniger schrecklich ausgefallen, wenn Karamsin
am Leben geblieben wäre (Brief vom 28. Juni). Die letzte Korrespondenz
Nikolais mit Karamsin ist im Russki Archiv 1906 I S. 126 ff. gedruckt.
^) Er starb am 13./25. Februar in Mitau. Konstantin Bulgakow schreibt
darüber seinem Bruder: „also wieder ein Andreasritter weniger!* Als ob
darin die historische Bedeutung des Mannes gelegen hätte.
^) Die letzte Marschroute Alexanders war folgendermaßen angeordnet:
Dezember 26. Ausfahrt aus Taganrog.
„ 31. Ankunft in Bachmut.
Januar 2. „ „ Isjum.
„ 6. „ , Charkow.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 123
zunächst in Taganrog zurückgeblieben. Aber mit Unwillen hatte
sie verfolgt, wie wenig liebende Fürsorge sich in den Anordnungen
zeigte, die für die Überführung der Leiche des verstorbenen Kaisers
— dessen Namen man doch stets im Munde führte — getroffen
waren, ^'e hat sich darüber recht rückhaltlos ihrer Mutter, der
Markgräfin von Baden, gegenüber ausgesprochen. „Die Verwirrung
und die geringe Sorge für die Erfüllung der Pflichten gegen den
verstorbenen Kaiser war so groß, daß man niemand mit Führung
des Leichenkondukts betraut hatte, denn der dazu bestimmte Fürst
Trubetzkoi wurde augenblicklich krank, was ihn nicht verhinderte,
alsbald die Notifikation (des Regierungsantritts Nikolais) nach
Berlin zu bringen. So kamen zwar eine Anzahl Flügeladjutanten
in Taganrog an, aber keine mit der Führung betraute Persönlich-
keit.^ Auf Veranlassung der Kaiserin ersuchte deshalb der Fürst
Wolkonski, der der Kaiserin als Chef de Maison beigegeben war,
den in der Nähe von Taganrog stationierten General-Adjutanten
Grafen Orlow-Denissow, dem feierlichen Kondukt der Leiche des
Kaisers von Taganrog nach Petersburg vorzustehen. Und Orlow
hat dann das ehrenvolle Amt „mit heiliger Freude'', wie die
Kaiserin schreibt, auf sich genommen *).
Dieser Leichenzug, zu dem das Volk von allen Seiten drängte,
wurde von wunderbaren Gerüchten geleitet, die unter den Bauern,
Januar 13. Ankunft in Kursk.
»
20.
»
„ Mzensk.
»
26.
»
n Tula.
»
31.
bruai
1.
n
„ Moskau.
»
2.
n
8.
n
„ Twer.
»
20.
n
„ Nowgorod.
»
25.
»
„ Zarskoje Sselo.
') Schreiben aus Taganrog begonnen den 10./22. Februar, beendigt den
20. Februar
1826.
4. März
„Je Yous dis tout cela sans amertume, ma bonne Maman, mais pour
vous faire Toir Tetat des choses. II y a plus d^une cbose de ce genre, et il y en
aura encore journellement, non par mauvaise intention, mais par absence de
ce tact de cceur qui guido toujours bien, et dont I'absence fait faire les
maladresses et les indelicatesses." Dazu gehört wohl auch, daß, als in Preußen
bereits die Armee um Alexander Trauer angelegt hatte, in Rußland darüber
noch keinerlei Verfugungen erlassen waren!
124 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
aber auch in Moskau und Petersburg Entsetzen erregtenr Es hieß,
Alexander sei gar nicht gestorben, der Sarg sei leer. Dann wieder
hieß es, daß, sobald die Leiche eine bestimmte Stadt erreiche
(und man nannte verschiedene Namen) ein Aufstand ausbrechen
werde. Als die Leiche in Moskau eintraf, hielt man es für
nötig, die Truppen scharf laden, die Wirtschaften schließen
und von der Polizei alle Vorkehrungen treffen zu lassen, um den
befürchteten Aufstand zu erstickenA Dem General Kwinetzki, der
mit seiner Brigade dem Leichenzuge von Orel bis Sserpuchow das
Geleite gab, vertraute der in Tula kommandierende General Chrapo-
wicki, als man sich der Stadt näherte, im tiefsten Geheimnis an,
daß man in Tula und in Moskau Verbrechern auf die Spur ge-
kommen sei, die entschlossen seien in einem der Nachtquartiere
den Leichnam des Kaisers zu verbrennen! Graf Orlow Denissow
traf daher die größten Vorsichtsmaßregeln. \-Man marschierte wie
in Feindesland, mit Vorhut und Nachhut, Rekognoszierungen und
Patrouillen an den Flanken. Auch in Petersburg war die Sorge
groß.JDie Ankunft des Leichenzuges in Zarskoje verzögerte sich
bis zum 1. März. Der Kaiser, Maria Feodorowna und die übrigen
Glieder der kaiserlichen Familie, sowie der Hof waren hingefahren,
um dem Leichnam die ersten Ehren zu erweisen. Es war ein
kleiner Zug. Alexanders alter Leibkutscher fuhr den sechsspännigen
Leichenwagen. Kosaken vom Don, die von Taganrog mitgekommen
waren, „ausgezeichnet schöne Leute", setzten den Sarg, an dem
alle Generaladjutanten mit anfaßten, unter den Chorgesängen der
Hofsänger auf den in der Kirche aufgerichteten bunten Katafalk.
Während des Heraufhebens legte der alte Ostermann seinen einen
Arm auf die Krone, den anderen hatte er bei Kulm verloren. Es
fiel unangenehm auf, daß Konstantin und die Kaiserin Elisabeth
fehlten*). Als der Sarg geöffnet wurde, küßte Maria Feodorowna
dem Sohne mehrmals die Hand: „Ja, das ist mein lieber Sohn.
^) Gerlach, Denkwürdigkeiten I, 19 ff. Diwows Tagebuch 1. 1. 476 ff.
Korrespondenz der Brüder Bulgakow 1826. Russ. Archiv 1903, II, S. 424ff.
Über die Oberführung der Leiche zur Kasanschen Kathedrale schreibt Diwow:
,Es ließ sich kein Ausdruck der Trauer auf den Gesichtern erkennen, die
Prozession glich eher einem Triumphzuge . . ." Die Angaben Diwows über
die Ordensträger sind falsch. Die richtigen Angaben linden sich Russkaja
Starina XXXVI, S. 186. Es waren unerquickliche Eifersüchteleien voraus-
gegangen.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 125
mein lieber Alexander, ach, wie mager er geworden ist." Sie
sagte es auf französisch, und dreimal kehrte sie um, noch einen
letzten Blick auf ihn zu werfen. Auch Prinz Wilhelm von Preußen
war tief ergriflfon von diesem letzten Wiedersehen.
\üie Beisetzung in der Kasanschen Kirche fand am 18. März
statt, unter ungeheurem Gedränge des Volkes. Auf ausdrücklichen
Befehl Nikolais wurde der Sarg wider den Landesbrauch nicht
geöffnet, weil das Gesicht zu sehr entstellt und ganz schwarz
geworden war*). Aber es ging alles ohne Störung hin; am 26.
folgte dann die meistgefiirchtete Überführung in die Peterpauls-
kirche; man hatte die Truppen so verteilt und gemischt, daß sie
sich gegenseitig im Zaum hielten. \§o hat denn auch hier kein
störender Zwischenfall stattgefunden, und der Sarg konnte zur
letzten Ruhe in die schwarz ausgeschlageneVenge Gruft eingesenkt
werden. Kanonenschüsse verkündeten der Residenz, daß nunmehr
alles vorüber war. Die Uhr schlug 2, und wie bei jeder neuen
Stunde spielte das Glockenspiel der Festungskirche sein: „God save
the king!" Den ganzen Vormittag über war heftiges Schneewehen
gewesen. Erst am 7./19. April, fand auch in Warschau eine
Trauerfeierlichkeit statt. Sie galt dem Mann, der den Polen die
Verfassung des Jahres 1815 geschenkt hatte.
W^enig über ein Vierteljahr danach wurde auch die Kaiserin
Elisabeth in der Peterpaulsfestung an der Seite ihres Gatten bei-
gesetzt. Sie war auf der Heimkehr von Taganrog am 4./10. Mai
in Bjelew') sanft entschlafen. Die Kaiserin Mutter, die ihr nach
Kaluga entgegengefahren war, traf sie nicht mehr unter den
Lebenden und begab sich nunmehr direkt nach Moskau, um dort die
Ol 1 *
Krönung zu erwarten. Die Beisetzung erfolgte am ' , .. 1826.
D. Juli
Ein Hofbauer Fedor Fedorow hat die Gerfichte aufgezeichnet,
die in jenen Tagen im Volke umliefen/). Diese Auswüchse der
') Der Brief des Fürsten Wolkonski an Willamow aus Taganrog vom
7./ 19. Dezember 1825 bezeugt diese Veränderung. Er schreibt sie dem Einfluß
des Klimas in Taganrog zu. Zitiert von Schilder. Russkaja Starina 1897,
II, S. 17.
^ Gouvernement Tula.
') Es wird genügen, von seinen Aufzeichnungen eine herzusetzen: „Als
Alexander Pawlowitsch in Taganrog war und dort für Jelissaweta Alexejewna
der Palast gebaut wurde, fuhr der Kaiser an der Hintertreppe vor. Da sagte
126 Kapitel lY. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Volksphantasie aber wucherten weiter und leben noch heute in der
Legende von dem Knecht Gottes Feodor Kusniitsch fort, der am
20. Januar 1864 in Tomsk starb, ohne daß seine Herkunft und
sein wirklicher Name bekannt geworden wäre. Das Volk aber
glaubte, er sei der büßende Alexander gewesen.
Während so Alexander und seine Kaiserin zur ewigen Ruhe
versenkt wurden und die Erinnerung an sie im Volke als Legende,
im Kaiserhause im Licht einer künstlichen, aber anempfundenen
Verklärung fortlebte, hatte der Kaiser Nikolaus seine erste große
politische Aktion mit Gluck und Geschick durchgeführt.
Am ^^j^^^T^ war Lord Wellington in Petersburg eingetroffen.
Wie die übrigen außerordentlichen Gesandten mit dem ostensibelen
Auftrage, den neuen Kaiser zu seiner Thronbesteigung zu beglück-
ihm der dort auf Wache stehende Soldat: Geruhen Sie diese Treppe nicht
hinaufzugehen, man wird Sie dort mit einer Pistole erschießen. Und der
Kaiser sagte: Willst Du, Soldat, für mich sterben? Du wirst beerdigt werden,
wie man mich beerdigen muß, und Dein ganzes Geschlecht wird belohnt
werden. Der Soldat ging darauf ein und kleidete sich um; der Kaiser zog
die Soldatcnuniform an und stand auf der Wache; der Soldat aber legte des
Zaren Uniform, Mantel und Hut an und ging in den abliegenden Palast und
bedeckte sein Gesicht mit dem Mantel. Wie er aber in das erste Zimmer
trat, schoß plötzlich ein Herr aus der Pistole auf ihn, traf aber nicht und fiel
selbst iD Ohnmacht; da kehrte der Soldat um, weil er zurückgehen wollte,
aber ein zweiter schoß auf ihn und traf, und plötzlich ergriff man ihn und
trug ihn in den Palast, wo seine Gemahlin lebte, und meldete ihr, daß der
Kaiser sehr krank sei, und danach ist er später gestorben als Kaiser. Der
wirkliche Kaiser aber warf die Flinte weg und lief von der Wache fort, man
weiß aber nicht wohin. Und er schrieb an Jelissaweta Alexejewna, sie solle den
Soldaten beerdigen „wie mich**.
Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich aus dieser Yolksphantasie die
Legende von Feodor Kusmitsch aufgebaut hat.
Schilder hat die Legende ausführlich wiedererzählt. Sie ist 1891 in Peters-
burg im Ton eines Heiligenlebens gedruckt worden. Es gibt über Kusmitsch
nach Aufzeichnungen des Bischofs Peter. Russ. Starina ßd. LXXII, LXXIII,
LXXXIV. Ein Bild von ihm 1. 1. Bd. LXXIV. Eine ungemein interessante
und die ganze Frage erschöpfende Abhandlung: »Die Legende vom Tode
Kaiser Alexanders in Sibirien in der Gestalt des Einsiedlers Feodor Kusmitsch*
hat der Großfürst Nikolai Michailowitsch von Rußland neuerdings in den
mir gewidmeten „Beiträgen zur russischen Geschichte^ veröffentlicht. Berlin,
Verlag von A. Dunker, 1907. Noch weiter ergänzt und mit einem Bildnis
Kusmitschs, sowie mit einem facsimile seiner Handschrift vom Großfürsten
auch in russischer Sonderausgabe, Petersburg 1907 veröffentlicht
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 127
wünschen, in Wirklichkeit als Träger einer hochpolitischen Mission,
deren Ziel kein geringeres war, als Rußland von der Allianz zu
lösen und es unter Benutzung der griechischen Frage in die Gefolg- Ah
schalt der englischen Politik zu führen. Der Gegenstand meiner
Verhandlung, so schrieb Wellington in einem Memorandum vom
26. Januar 1826 an George Canning, ist, den Kaiser von Kußland zu
veranlassen, sich in unsere Hände zu begeben *). Wie das ge-
schehen solle, ist zwischen ihm und Canning sehr eingehend er-
wogen worden. ^Irrtümlicherweise meinten beide Staatsmänner,
daß die griechische Frage die eigentliche Hauptsache sei, und an
ihr dachten sie Rußland zu fassen. Wenn, wie wahrscheinlich
sei, Wellington beim Kaiser auf kriegerische Absichten stoße, solle er
entweder die englische Intervention anbieten, oder, wenn diese abge-
lehnt werde, eine gemeinsame englisch-russische Intervention, voraus-
gesetzt, daß die Türkei willig sei, sie anzunehmen. Auf das letztere
müsse bestanden werden, damit der Kaiser nicht die türkische Ableh-
nung zu einem Kriegsgrund aufbausche^n beidenFällen, der einzelnen
wie der gemeinsamen Intervention, solle Wellington nicht zugeben,
daß das Scheitern zu einem Kriegsgrund werde. %inen Krieg
aber, der nicht die griechische Frage betreffe, werde England als
einen Krieg, der aus Ehrgeiz und Eroberungslust unternommen
sei, ansehen'). Den KonTereuzgedanken wieder aufzunehmen sei
aussichtslos, um so vorteilhafter dagegen eine geheime Verständi-
gung zwischen Rußland und England, durch welche, als einziges
Mittel die kriegerischen Absichten Rußlands zu zügeln,M)eide
Mächte sich zu aktivem Vorgehen gegen die Pforte verpflichten,
um sie zu zwingen, die Ausschreitungen des gegenwärtigen Krieges
mit Griechenland zu beschränken. Durch eine vertrauliche Mit-
teilung Lievens vom letzten Oktober wisse er, Canning, daß Ruß-
land mit der Haltung der Alliierten unzufrieden sei und daß die
Pforte sich mit der Absicht trage, die Griechen ganz aus Morea
^) „The object of my negociation will be to induce the Emperor of Russia
to put himself in our hands*^. Wellington, Despatches etc. Bd. 3
unter dem angeführten Datum. Der Satz wird dann nochmals wiederholt in
dem Memorandum Wellingtons vom 29. Januar über die zweite eingehende
Unterredung, die er in dieser Frage mit Canning gehabt hat. Punkt 8
des Memorandums. Ober die Verhandlungen zwischen Canning und Wellington
ist namentlich die Denkschrift Cannings vom 10. Februar 1826 zu vergleichen,
die den Charakter einer Instruktion trägt.
^ LI. «a war of ambition and conquest^.
\
128 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
ZU vertreiben, um sie als Sklaven nach Afrika zu verpflanzen
und Mohammedaner an ihre Stelle zu setzen. Sei das wahr, so
könnten christliche Völker eine solche Kriegführung nicht dulden,
und England müsse einschreiten, um russisches Einschreiten zu
verhinderiMfc Auch werde man in solchem Falle die öffentliche
Meinung und das Parlament hinter sich haben. Die der Pforte
aufzunötigende Verständigung mit Griechenland könne außer von
Rußland auch von Österreich, Preußen und Frankreich garantiert
werden. Wellington solle erklären, daß England weder darauf
ausgehe, das Territorium der jonischen Inseln zu vergrößern, noch
auch seinen politischen Einfluß zu steigern. Man wolle nur mit
dem russischen Einfluß auf die Griechen den englischen verbinden
und durch ihr Zusammenwirken erreichen, daß die Griechen an-
nehmen, was der Sultan ihnen biete*). Gleichzeitig wurde Stratford
Canning^enachrichtigt, daß für die Zeit von Wellingtons Aufent-
halt in Rußland die gesamte Verhandlung über die orientalische
Frage in Händen des Herzogs ruhen solle. Diesem war zudem
eine französische Denkschrift mit auf den Weg gegeben, die Lord
Granville übersandt hatte und die nun benutzt werden sollte, um
das Mißtrauen Rußlands gegen Frankreich wachzurufen. ^Es war
das französische Projekt einer englisch- französischen Allianz, als
Gegengewicht gegen die erschreckende Macht Rußlands^). Die
Denkschrift wies auf die Gefahr einer Invasion Europas durch die
russische Übermacht und darauf hin, daß der Dauphin im Hinblick
auf diese Gefahr jenem englisch-französischen Bündnis geneigt sei.
Die griechische Frage sei so zu regeln, daß der zweite
Sohn des Herzogs von Orleans König von Griechenland werde,
England aber für die Dauer seiner Minderjährigkeit die Regent-
schaft führen solle.
Es liegt keinerlei Anzeichen dafür vor, daß Cauning und
Wellington auch nur einen Augenblick diese Phantasien der fran-
zösischen Politiker ernst genommen hatten. Wohl aber boten sie
') Dies ist der wesentliche Inhalt der sehr ausführlichen Instruktion,
von der alles nicht absolut Notwendige hier übergangen ist.
') Es ist erstaunlich, wie sehr die Franzosen die Kriegsmacht Rußlands
überschätzten. Der Verfasser der Denkschrift gibt sie auf 850000 Mann
aktiver Truppen und 1 200000 Soldaten in den Militärkolonien an, die dem
Staat nichts kosteten. Wir werden sehen, daß Nikolaus mit denselben fiktiven
Zahlen agierte.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 129
ein kostbares Material, um den russischen Hof von Frankreich
fernzuhalten. Nach wie vor hielt die englische Politik daran fest,
daß Griechenland Vasall der Türkei bleiben müsse. In einem
Königreich Griechenland erblickte man einen lästigen Konkurrenten,
und Wellington machte kein Hehl daraus, daß die Lage im Mittel-
meer, so wie sie augenblicklich sei, für England die bestdenkbare
Kombination darstelle. Halte die Pforte die Meerengen geschlossen,
so bleibe England Herr des Mittelmeeres'). Unter allen Um-
ständen wollte man eben deshalb ein Festsetzen der Ägypter in
Morea verhindern, um nicht eine zweite mohammedanische Seemacht,
deren Unternehmungslust man nicht mit Unrecht fürchtete, in
diesen Gewässern aufkommen zu lassen. Das waren ^ die eigent-
lichen Gründe der geplanten Annäherung an Rußland.^n Rußland
war man über die Ziele der Mission Wellingtons durch den Grafen
Lieven aufgeklärt worden, der diese Dinge, soweit es ihm möglich
war, verfolgte, das Wesentliche an Tatsachen von Canning selbst
erfahren und die Motive der englischen Politik richtig kombiniert
hatte. Man wußte außerdem durch ihn, daß 'Canning gerade
Wellington gewählt hatte, um in kritischer Zeit nicht durch ihn
in seiner inneren Politik behindert zu werden*); auch daß der
Vorschlag einer gemeinsamen Aktion Rußlands und Englands in
der griechischen Frage bevorstand, war wohlbekannt, ebenso, daß
der Botschafter Lord Strangford mit seinem Antrage auf eine
Kollektivaktion der Mächte die ihm erteilten Instruktionen über-
schritten habe. Nebenher war Lieven bemüht gewesen, möglichst
nachdrücklich auf die Identität der russischen und englischen
Interessen in den griechischen Angelegenheiten hinzuweisen und
das gegen Canning bestehende Vorurteil zu beseitigen*). y
Von einer Überraschung konnte also keine Rede sein. Viel-
mehr fand Kaiser Nikolaus alle Muße, sich auf die politische
0 «we are in fact the masters of itä (des Mittelmeeres) navigation**.
^) Canning hatte ursprünglich Wellington für die Zeit von 5 Monaten
in Rußland festhalten wollen, wozu die bevorstehende Krönung einen guten
Vorwand geboten hätte, aber der Feldmarschall hatte die Absicht durchschaut
und bedang sich aus, den Tag seiner Rückreise selbst zu bestimmen.
*} In Betracht kommt namentlich der als sekret bezeichnete Privatbrief
Lievens an Nesselrode aus London, i)./21. Januar 1826, und ein zweiter
Privatbrief Lievens vom ii v brua * Petersburg. Archiv der auswärtigen Ange-
legenheiten.
SchiemanD, Geschichte RuBlands. II. 9
130 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Gegenaktion, die er plante, vorzubereiten. Durch eine ausführliche
Denkschrift Nesselrodes über den historisch-politischen Zusammen-
hang der orientalischen Frage genau unterrichtet, kannte er auch
die Absicht Alexanders, im Frühjahr 1826 in die Donaufürstentümer
einzurücken, um die Pforte zu nötigen, den Ansprüchen endlich
gerecht zu werden, die Rußland auf Grund des Bukarester Friedens
geltend machte. Diese Absicht Alexanders machte der Kaiser sich
zu eigen, und noch bevor Wellington eintraf, war der Text eines
Ultimatums festgestellt worden, dessen Ablehnung durch die Türkei
als casus belli gelten sollte.
Der Kaiser war fest entschlossen, diese russisch-türkischen
Diifereuzen allein zu regeln. Als wahrscheinlich nahm er ein
Nachgeben der Türkei an, aber er fürchtete den Krieg nicht und
traf auch dazu seine Vorbereitungen. Der damals noch in Peters-
burg weilende Prinz Eugen von Württemberg erhielt den Auftrag,
einen Operationsplan auszuarbeiten, ebenso der Generalstabschef
Baron Diebitsch. Beide waren darin einig, daß es sich im wesent-
lichen um die Okkupation der Fürstentümer handeln werde, und
der Prinz Eugen sollte, um den dadurch in Konstantinopel erregten
Schreck zu steigern, bei Ismail mit vier Divisionen die Donau
überschreiten und einen Vorstoß nach Süden unternehmen. Wenn,
wie erwartet wurde, der alte General von Sacken seinen Abschied
nahm, sollte Graf Wittgenstein das Kommando der 1., Prinz Eugen
das der 2. Armee erhalten *). Alle diese Dinge wurden, wie selbst-
verständlich ist, im tiefsten Geheimnis betrieben. Wenn Wellington
darauf rechnete, den jungen Herrscher zu veranlassen, sich mit
gebundenen Händen den englischen Interessen hinzugeben, stand
ihm eine ungeheuere Enttäuschung bevor, '«^an führte in Peters-
burg eine wohleinstudierte Komödie auf, in welcher er, ohne es
zu ahnen, die komische Figur spielen mußte. Der Generalfeld-
marschall war mit allen ihm gebührenden Ehrenbezeugungen
empfangen worden '). Als er am 2. März mittags in Petersburg
eintraf, wurde ihm Quartier in einem Palais angewiesen, das der
frühere Finanzminister Graf Guriew als Dienstwohnung benutzt
^) Nachgelassene Korrespondenz zwischen dem Herzog Eugen von
Württemberg und dem General von Hofmann. Cannstadt 1883. Die Briefe
des Prinzen vom 4. Juli 1826 und vom 11. April 1829.
*) •ITo yCTany* ganz nach Vorschrift, schreibt der Kaiser dem Groß-
fürsten Konstantin.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 131
hatte und in dem eben damals der Markgraf Leopold von Baden
untergebracht war. Noch an demselben Abend machte Nesselrode
seinen Besuch, am 3. früh wurde Wellington sehr gnädig vom
Kaiser empfangen; aber gleich diese erste, zweiständige Unter-
redung*) verdarb dem Herzoge völlig sein Konzept. Der Kaiser
wollte von den griechischen Angelegenheiten überhaupt nichts
wissen. Die Griechen seien Rebellen gegen ihren rechtmäßigen
Herrn, den Sultan, und er, der eben eine Meuterei niedergeworfen
habe, könne unmöglich für sie eintreten').
Zwischen Rußland und der Türkei sei die Verletzung des
Friedens von Bukarest der einzige Streitpunkt, und den sei er ent-
schlossen allein zu erledigen, j^ Das einzige Tröstliche, was
Wellington zu hören bekam, war, daß Nikolai erklärte, es sei
ihm eine Ehrensache, in den orientalischen Angelegenheiten mit
seinen Alliierten auf dem Kontinent in keinerlei Verhandlung zu
treten'). Das schien die Möglichkeit einer besonderen Verständi-
gung mit England offenzulassen.
Wie der Zar selbst diese einleitende Verhandlung ansah und
welches Vergnügen es ihm gemacht hat, den Herzog außer Fassung
zu bringen, erzählt er selbst in einem Briefe an den Großfürsten
Konstantin*): „Seit Donnerstag ist Wellington hier, sehr alt und
zusammengefallen (cassc). Gleich bei der ersten Zusammenkunft
sagte er mir unter anderem, er sei ausdrücklich von seiner
Regierung beauftragt, mir Vorschläge zu machen, damit wir —
England und Rußland — zu zweien die griechische Sache (histoire)
ordnen. Ich spielte den Überraschten, ließ ihn reden und
sagte darauf, ich könne, was er vorbringe, nur als etwas völlig
0 Nikolai liebte es überhaupt, den Diplomaten stundenlange Audienzen
zu gewähren. Er freute sich seiner eigenen überlegenen Konversationskunst
und Scblagfertigkeit und des Eindrucks, den er machte. Auch Wellington
nahm einen großen Eindruck „of his Majestys talents" mit.
') „I confess I should have doubtet that I had perfectly understood him*^
schreibt Wellington, aber der Kaiser habe dem Erzherzog Ferdinand und dem
französischen Botschafter dasselbe gesagt.
*) „that he considered it a point of honour to have nothing more to da
with his Continental allies upon this subject, on the way of consultation.**
Despatches III, 108 ff.
*) Petersburg, 20. Februar 1826. Neuerdings auch gedruckt bei Schilder.
Nikolaus I., Band 2. Franzosisch, wie denn die Brüder niemals russisch
korrespondiert haben.
132 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Neues auffassen. Deun was die Interessen Rußlands in der Türkei
angehe, d. h. unsere Beschwerden, so habe S. M. der Kaiser
(Alexander) alle Mitteilungen oder Verhandlungen mit den anderen
Höfen in dieser Angelegenheit abgebrochen, und ich würde der
letzte sein, daran etwas zu ändern und dem Gedächtnis unseres
Engels ein Unrecht zu tun oder mein Wort zu brechen und von
der Politik abzuweichen, die er mir gleichsam vermacht habe.
Das werde also meine besondere Angelegenheit sein, die ich mit
Gottes Hilfe allein zu Ende zu führen hoifte. Bei alledem handele
es sich nicht um die Griechen; solange das türkische R^ich be-
stehe, seien sie für mich rebellische Untertauen.
w'" Er antwortete, er verstehe mich vollkommen und gestehe mir
das Recht zu, mit jenen Herren ein Ende zu machen^), er sei
aber nur in der griechischen Angelegenheit beauftragt und werde
mich nach einigen Tagen eingehend über seine Instruktionen und
Vorschläge unterrichten; er gehe aber davon aus, daß wir der
Türkei befreundete Mächte seien, von denen keine Beschwerden
gegen sie zu erheben habe. Darauf antwortete ich ihm, er müßte
schlecht unterrichtet sein, unsere Beschwerden seien keineswegs
erledigt, sondern genau in dem Stande, wie vor vier Jahren. Er
schien darüber erstaunt und brach kurz ab."
Der weitere sehr merkwürdige Gang der Verhandlungen*) ist
nun der gewesen, daß Wellington Schritt für Schritt über seine
Instruktion hinaus zu Konzessionen gedrängt wurde. Sein Versuch,
Nesselrode gegen den Kaiser auszuspielen, mißglückte völlig, im
Zaren selbst aber fand er einen ihm in den Künsten der Diplomatie
weit überlegenen Gegner. Das angeborene Talent Nikolais machte
sich gerade auf diesem Boden geltend, und von der Erhabenheit
seiner Prinzipien prallten alle Angriffe und Überredungskünste des
alten Herzogs ab. Vergebens bat er, die Absendung des Ultimatums
an die Pforte aufzugeben oder doch wenigstens den Wortlaut')
abzuschwächen. Der Kaiser bestand auf seinem guten Recht der
*) ^d'en linir avec ces Messieurs.*
2) Despatches usw. III, 3; Nr. 527, 531, 533, 535, 536, 537, 538, 539,
542, 545, 547.
') Wellington lernte ihn am 10. März kennen. Der Kaiser selbst hat
ihm die Note vorgelesen, die Minciaky der Pforte überreichen sollte, und sie
noch an demselben Tage nach Konstantinopel expediert, wo sie am 5. April
von Minciaky überreicht wurde.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 133
Pforte gegenüber und versicherte, daß er nichts anderes wolle, als
dieses Recht zur Geltung bringen. Um das zu erreichen aber
müßte er drohen; wirke das nicht, so werde er die Donaufursten-
tömer besetzen, aber nichts liege ihm ferner, als auch nur ein
türkisches Dorf sich zu eigen zu machen ^). Schon am 10. März
hatte Wellington so viel Boden verloren, daß er die Berechtigung
der russischen Forderungen in betreff der Donaufürstentümor, aus
denen die türkischen Truppen zurückzuziehen seien, und in betreff
der Befreiung gefangener serbischer Deputierter, zugeben mußte.
Dabei ängstigte ihn der Kaiser durch das phantastische Bild, das
er von seiner ungeheueren militärischen Überlegenheit entwarf.
Sein Heer sei 1004000 Mann stark. 75000 Mann ständen im
Kaukasus, 15000 in Finland, 50000 Mann Garden und andere
Truppen in Petersburg, je 40000 in Polen und in russischen Gar-
nisonen und so fort, er wolle nicht alles herzählen; zum Felddienst
seien 600 — 700000 Mann disponibel. Erst am 23. März erhielt
Wellington ein Schreiben Nesselrodes, das für den Kriegsfall eine
Uneigennützigkeitserklärung bot '), allerdings nur in betreff der
europäischen Besitzungen der Türkei. Von den Griechen aber
wollte der Kaiser nach wie vor nichts hören^ so daß die Mission
W^ellingtons definitiv in einen Mißerfolg auszumünden schien. Am
2. April war er entschlossen, unverrichteter Sache nach England
zurückzureisen. -Damals war aber in Petersburg eine politische
Schwenkung vollzogen worden, die es dem Herzog schließlich doch
möglich machte, mit dem Schein eines Erfolges heimzukehren, in
Wirklichkeit aber die englische Politik auf geraume Zeit in völlige
1) ^to add even a Zulage to bis dominions or to augment bis influence
by any political arrangement.** Aber erst am 23. März konnte Wellington
erreichen, daB ihm darüber eine schriftliche Versicherung versprochen wurde,
dieses Versprechen aber wurde nicht erfüllt.
^ Der Kaiser habe nichts dagegen zu erklären, „que si la Porte Ottomane
se refusait k faire droit aux reclamations qui vout lui etre presentees par
Tordre de TEmpereur, Sa Majeste Imperiale, qui dans ce cas se yerrait forcee, ä son
plus yif regret, d'adopter contre eile des mesures coercitives, n'hesite point
ä assurer qu'en declarant alors la guerre ä la Porte, eile ne nourrirait ni des
Yues de conquete, ni Tintention de mettre au retablissement de la paix avec
TEmpire Ottoman des conditions dont le resultat düt etre d'accroitre les
possessions de la Russie en Europe."
Zunächst hatte diese Erklärung natürlich noch keinerlei bindende Kraft.
Sie war ein Angebot, mehr nicht.
134 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Abhängigkeit von den Orientplänen Rußlands setzte. Das ist
folgendermaßen geschehen.
Am 21. März war der russische Botschafter am englischen Hof,
Graf Lieven, auf Geheiß des Kaisers*) in Petersburg eingetroffen.
Er verstand es nun, Nikolai davon zu überzeugen, daß es für
Rußland vorteilhaft sei, der selbständigen Aktion auf Grundlage des
Bukarester Friedens eine andere zu kombinieren, durch welche
Rußland in Gemeinschaft mit England auch die griechische Frage
zu einer gedeihlichen Lösung fähren und sie damit der ausschließ-
lichen Einwirkung Englands entziehen könne. So wurde Wellington
durch die unerwartete Mitteilung überrascht, daß er augenschein-
lich den Kaiser mißverstanden haben müsse. Wenn dieser auch
prinzipiell eine Revolte nicht unterstützen wolle, so habe er doch
ein menschliches Interesse für die Griechen. Und als danach
Wellington vertraulich mitteilte, daß England durch Stratford Canning
mit den griechischen Deputierten, dem Staatssekretär Maurokordatos
und dem Abgeordneten Zographos, Verhandlungen angeknüpft habe,
legte ihm Nesselrode am 25. März den Entwurf zu einer eventuellen
Vereinbarung vor'). Der Kaiser werde, wenn er der Pforte gegen-
über zu Zwangsmaßregeln greifen müßte, nicht darauf ausgehen,
die russischen Grenzen in Europa zu erweitern, wohl aber werde
er dann seinen anderen Forderungen die einer Kriegsentschädigung
hinzufügen. England solle auf die Pforte drücken, ^m sie zum Nach-
geben zu bewegen, und so den Ausbruch eines Krieges verhindern.
Komme es trotzdem zum Kriege, so sei Rußland bereit, unter Mit-
wirkung Englands seine Stellung zu benutzen, um die Pforte zur
Annahme von Bedingungen zu nötigen, die den Griechen des Fest-
landes wie der Inseln einen glücklichen Frieden sicherten.
Gebe dagegen die Pforte nach und komme es nicht zum Kriege,
so sollten beide Mächte sich zusammentun, um durch gemeinsame
Mediation die griechischen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen,
und der Pforte erklären, daß sie unter keinen Umständen die
Festsetzung einer neuen mohammedanischen Macht im Mittelmeere
dulden würden'). Einer solchen Mediation sei Rußland unter
^) Das ergibt sich aus dem Tagebuch Diwows, der es wissen mußte.
Russ. Starina 1897. Zum 14. März 1826.
^) „Points sommaires d'un arrangement eventuel.*'
^) Wellington hatte, wie wir wissen im Auftrage Cannings, in den vor-
ausgegangenen Verhandlungen darauf hingewiesen, daß die Pforte sich mit
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 135
allen Umständen bereit, sich zu Dienst zu stellen. Als Basis
könnten die Vorschläge dienen, welche die griechischen Depu-
tierten Stratford Canning gemacht hatten. Rußland und Eng-
land würden also darin übereinstimmen, daß die Griechen der
Pforte einen jährlichen Tribut zahlen, die Besitzungen der Musel-
männer in Griechenland käuflich erwerben und endlich volle Ge-
wissens-, Verwaltungs- und Handelsfreiheit erlangen. Ihre Stellung
werde dann derjenigen gleich sein, deren sich die ehemalige Repu-
blik Ragusa erfreue. Die Grenzrichtung und alles weitere könne
späterer Vereinbarung überlassen bleiben. Dieser Eventual -Vertrag
sei den übrigen Alliierten mitzuteilen und von den ihm beitretenden
Mächten zu garantieren.
Wellington legte seine Einwendungen in einem Memorandum
vom 26. März vor. Er protestierte gegen die Kriegsentschädigung
und erklärte sich nur in dem Fall bereit, über die griechische
Frage zu verhandeln, wenn die Suzeränität des Sultans nicht an-
getastet werde. Vornehmlich aber sträubte er sich gegen ein Ein-
greifen Rußlands in die Angelegenheiten des Pascha von Ägypten.
Er nahm dabei den eigentümlichen Standpunkt ein, daß der Pascha
zwar von England als eine selbständige Macht behandelt werden
könne wie der Dey von Algier, der Pascha von Tripolis und der
Bey von Tunis, weil das von alters her geschehen sei, für Ruß-
land aber seien diese Machthaber Ofßziere des Sultans. Er
wünschte, daß ein eventueller Vertrag Ibrahims gar nicht Erwäh-
nung tue.
Es folgte nun eine Pause in den Verhandlungen, die von den
russischen Diplomaten zu erneuter Erwägung des Problems ge-
nutzt wurde.
Endlich, am 31. März abends, legten Lieven und Nesselrode
zwei Protokollentwürfe vor, den ersten in acht, den anderen in
zwei Punkten ').
Aber beide schienen Wellington in Widerspruch zu den
Instruktionen zu stehen, die er zu vertreten hatte. Die Haupt-
schwierigkeit lag darin, daß Rußland nicht die Verpflichtung über-
nehmen wollte, einen Gesandten nach Ronstantinopel zu schicken,
wenn die Pforte sich dem Ultimatum füge. Lieven und Nessel-
der Absicht trage, die Griechen nach Asien zu verschicken und Ägypter an
ihre Stelle zu setzen.
') Der Text in den Despatches 1. 1. Nr. 547.
136 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
rode erklärten, der Kaiser werde es zwar tun, übernehme aber
keine formellen Verpflichtungen*). Wellington dagegen erwiderte,
er könne die „guten Dienste" Englands weder für die Verhinderung
des Krieges, noch für die Begrenzung und Kürzung der Dauer der
Feindseligkeiten versprechen, wenn Rußland diese Verpflichtung
nicht auf sich nehme'). Es war unmöglich, in dieser Frage zu
einer Verständigung zu gelangen. Nun schlug Wellington vor,
alles fallen zu lassen, was die guten Dienste des einen Teiles und
die Herstellung der diplomatischen Beziehungen durch den anderen
beträfe. Er wolle sich zufrieden geben, wenn man ihm schriftlich
verbürge, was ihm der Kaiser mündlich versprochen habe, daß er
nämlich im Kriegsfall nicht ein türkisches Dorf beanspruchen werde *).
Aber die russischen Vertreter verlangten eine entsprechende Er-
klärung von Georg IV., und an Wellingtons Widerspruch scheiterte
darauf jede weitere Verhandlung*). Man ging ohne Resultat aus-
einander, und Wellington wollte, wie wir gesehen haben, am
2. April bereits abreisen, als der Kaiser ihn zu Mittag befahl und
in ihn drang, doch gegen seine, Nikolais, schriftliche Erklärung,
daß er im Kriegsfall nichts fordern werde, wenigstens den Schein
einer entsprechenden Verpflichtung zu übernehmen. Wellington
verstand sich darauf zu einem Brief an Nesselrode, in welchem
er erklärte, daß der König die Pforte und Ägypten von ihren völker-
rechtswidrigen Absichten zurückhalten wolle, aber, nicht weiter
gehen werde, als die Umstände geböten. Sollte er aber zu weitereu
Maßregeln genötigt werden, so werde er vorher seine Absichten
den Bundesgenossen kundtun. „In solchem Fall" — so schloß der
Brief — „kann ich es auf mich nehmen, Ew. Exzellenz die Ver-
sicherung zu geben, daß der König nicht darauf ausgehen wird,
einen Zuwachs an Einfluß oder Land im Mittelmeer zu erlangen."^
^) Der Grund liegt auf der Hand; Rußland hätte den Engländern damit
tatsächlich einen Einfluß auf die mit dem Bukarester Frieden in Zusammen-
hang stehenden Fragen gestattet. Das aber sollte unter allen Umständen nicht
geduldet werden.
^ Unless I should receive a positive assurance that tbe compliance with
specific terms would be followed by tbe restauration of peace and its usual
relations.
•) „In case of war would not ask for a village". Wellington übergeht
dabei, daß der Kaiser seine Zusage auf die europäische Türkei beschränkt hatte*
^) Er sagte ,»that such a declaration on our part, would render the whole
proceeding ridiculous*".
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 137
Aber diese Zusage wurde nicht als ausreichend anerkannt.
Nesselrode und Lieven wollten die schriftliche Verpflichtung des
Kaisers nur geben, wenn England, wie sie schon am 31. März
verlangt hatten, seine „good offices** verspreche, worauf dann
Wellington seinerseits die alte Forderung: Herstellung der
diplomatischen Beziehungen, wieder aufnahm. Beide Teile
wurden heftig'). Eine Rücksprache mit dem Kaiser löste die
Schwierigkeit nicht, er erklärte, an seinem früheren Entschluß
nichts ändern zu können. So schien wiederum jede Aussicht auf
eine Verständigung geschwunden. Aber Wellington war müde
geworden; auch wissen wir, daß der Prinz von Oranien eifrig auf
den Herzog einredete. Er verzichtete jetzt darauf, in der türkischen
Frage weiter zu verhandeln, und schlug vor, an die Diskussion der
griechischen Frage, ohne jeden Bezug auf das andere Problem,
zu treten.
Und nun verständigte man sich bald. Am 4. April, nach
russischem Stil am 23. März, wurde das Protokoll unterzeichnet,
durch welches beide Mächte sich verpflichteten, auf der Basis der
von Stratford Canning und den griechischen Delegierten formu-
lierten Forderungen') für eine Regelung der griechisch-türkischen
Beziehungen einzutreten. Sollte die Pforte ihre Vermittelung ab-
lehnen, so würden sie doch die einmal festgesetzten Grundlagen
als Basis einer künftigen Versöhnung betrachten und gemeinsam
oder einzeln jede Gelegenheit benutzen, um ihren Einfluß auf die
Pforte in diesem Sinne geltend zu machen. Den alliierten Mächten
sollte das Protokoll vertraulich mitgeteilt und ihnen vorgeschlagen
werden, die schließliche Übereinkunft, wenn sie zwischen OrFechen
und Türken perfekt geworden sei, in Gemeinschaft mit Rußland zu
garantieren, da Se. Großbritannische Majestät an der Garantie nicht
teilnehmen könne.
Auf Bitten der Kaiserin-Mutter hat Wellington seinen Aufent-
halt in Petersburg noch bis zum 6. April morgens ausgedehnt.
Am 5. abends machte ihm der Kaiser seinen Abschiedsbesuch und
•) ,Count Nesselrode was very violent, as indeed was Count Lieven.*
2) Suzerinität der Pforte, fester Jabrestribut der Griecben. Regierung
durch frei von ihnen gewählte Autoritäten griechischer Nationalität, Gewissens-
freiheit, Freiheit des Handels und eigene Selbstverwaltung. Ankauf der tür-
kischen Ländereien auf dem griechischen Festlande und den Inseln. Es ist
im wesentlichen der 2. Teil des englischen Vorschlages vom 25. März.
138 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
versicherte nochmals, daß er alles halten werde, was er versprochen
habe. Überhaupt war der Herzog in jeder nur möglichen Weise
gefeiert^) und ausgezeichnet worden, aber er kehrte doch in etwas
gedrückter Stimmung zurück. Der Versuch, die auf Nichterfüllung
des Friedens von Bukarest gegründeten Beschwerden Rußlands als
nichtexistent beiseite zu schieben, war völlig mißglückt. Die von
ihm verweigerten „guten Dienste", um die Pforte zum Nachgeben
zu bewegen, mußte England im eigensten Interesse freiwillig leisten,
wenn anders es einen Krieg verhindern wollte; und ganz in der-
selben Lage befanden sich nach Absendung des Ultimatums die
übrigen Mächte.
Eine schriftliche Verpflichtung des Kaisers, keine Eroberungen
zu machen, hatte er nicht erhalten, das Abkommen über die Zu-
kunft der Griechen aber gab Rußland eine Handhabe, die englische
Politik auf einem Felde zu kontrollieren, auf welchem sie bisher
unfaßbar gewesen war.
Auch fühlte Nikolai sich durchaus als der Sieger in dem diplo-
matischen Zweikampfe mit Wellington. Er hat dem Schwieger-
vater in Berlin, dem französischen Botschafter und dem öster-
reichischen Hofe die bündige Erklärung gegeben, daß er nur im
Interesse der Allianz England an sich gefesselt habe'). In gleichem
Sinne sprach er sich La Ferronnays gegenüber aus, nur noch
drastischer und unter Entwicklung eines Planes, der aller Wahr-
scheinlichkeit nach die Eventualität einer Teilung der Türkei und
0 Es fiel allerdings auf, daß der Herzog gelegentlich recht taktlos sein
konnte. So fragte er den Kaiser: „Quels etaient les sentiments de Yotre
Majeste pendant la journee du 14 decembre?" Er erhielt Tom Kaiser die
schlagfertige Antwort: „Ceux que je vous suppose avoir eus ä Waterloo, a^ant
Parrivee du marechal Blücher.^ Yarsovie: Correspondance avec Mr. Schmidt.
Berlin. Geh. Staatsarchiv A. A. I. R. I, Polen Nr. 16. Relation v. 20. Mai
1826. Offenbar nach einer Erzählung des Prinzen von Oranien an den Groß-
fürsten Kons tan tiU'
2) Brief Nikolais an Friedrich Wilhelm IIL d. d. Petersburg, ' ■
1826. Charlottenburg, Hausarchiv. ,Votre Majesto verra par le protocole
arrete entre nous, combien est importante notre Convention actuelle, combien
Tengagement formant le dernier point entre la Russie et PAngleterre est fait
pour rassurer le reste de l'Europe sur les vues que l'on suppose ä cette der-
niere dans tout arrangement pour la Grece, en un mot, quel enorme pas de
fait pour achever ensemble Paffaire, que l'Angleterre jusquMci n'a jamais
voulu traiter avec les Ailles** (sie!).
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 139
damit verbanden eine radikale Umgestaltung der Karte Europas ins
Auge faßte ^). Der Gedanke des Kaisei*s war dabei^ sich für die
Zukunft die Allianz Frankreichs zu sichern, und an diesem Plan
hat er bis zum Juli 1830 festgehalten.
Es war vereinbart worden, den Text der Konvention bis zum
Eintreffen der türkischen Antwort auf das russische Ultimatum
geheim zu halten. Aber der Kaiser machte gleich nach Wellingtons
Abreise den Vertretern der alliierten Mächte vertrauliche Mit-
teilung. Man war in England sehr aufgebracht, als dann in Paris
der Inhalt der Konvention sehr bald bekannt wurde. In Rußland
glaubte man, daß diese Indiskretion von England selbst, und zwar
vom Könige ausgehe. Canning wiederum war überzeugt, daß Ruß-
land das Geheimnis enthüllt habe. In Wirklichkeit war Christoph
Wilhelm Hufeland der Schuldige. Er hat, wir wissen nicht wie,
davon erfahren und darüber nach Paris geschrieben '), wo die Presse
sich der Sache bemächtigte.
Metternich, der sich den Anschein gab, als habe er alles vor-
hergesehen, sprach sich dahin aus, daß das Protokoll nicht nur ein
Verbrechen, sondern ein Fehler sei. Aber die Nachricht vom Fall
Missolunghis (23. April), von der Vernichtung des Fabierschen
Korps und von der, wie er annahm, endgültigen Auflösung der
griechischen Marine richtete seinen Mut wieder auf. Er zweifelte
nicht daran, daß nunmehr der griechische Aufstand von der
Pforte endgültig in der Tat werden würde. Ibrahim werde nicht
auf seinen Lorbeeren ruhen'). Aber noch ehe dieser Jubelruf
Metternichs in Petersburg dem österreichischen Botschafter zuging,
traf ein Kurier Minciakys ein^), der dem Zaren die frohe Nach-
•) Vertraulicher Bericht La Ferronnays' ▼om 19. Mai 1826 itK der An-
lage. Die hier entwickelten Gedanken scheinen in dem berühmten Polignac-
sehen Projekt vom September 1829 ihre franzosische Fassung gefunden zu
haben. Yergl. meinen Aufsatz „Einige Gedanken über die Benutzung und
Publikation diplomatischer Depeschen''. Historische Zeitschrift. Neue Folge
Bd. 47, S. 243—54.
^ Erlaß Bemstorffs an Schöler vom 9. Juni 1826. Durch den Prinzen
Karl fiberbracht. Berlin 1. 1. Bericht Scholers vom ?^^ 1828, durch
11. April
eigenen Kurier. Er erzählt die Geschichte der Entstehung des Protokolls, nicht
ohne Irrtümer.
*) Metternich an Lebzeltem. Wien, den 19. Mai 1826, geheime Depesche.
*) Am 21. Mai. Ober die Rolle Minciakys vergleiche Band 1, Kap. Vlll.
140 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
rieht brachte, daß die Pforte in allen Punkien nachgegeben habe.
Der Sultan hatte seinen Polizei trappen den Befehl erteilt, die
Fürstentümer zu räumen und in Moldau und Walachei die Ord-
nungen herzustellen, die bis 1821 bestanden hatten. Die serbischen
Deputierten hatten ihre Freiheit wiedererhalten und Minciaky die
Versicherung bekommen, daß mit einer neuen Deputation die ser-
bischen Privilegien geregelt werden sollten. Drittens endlich hatte
die Pforte erklärt, daß sie Bevollmächtigte nach Akkerman gesandt
habe. Es waren von türkischer Seite Seid Mehmed Hadi Efendi,
Defterdar von Anatolien (controleur general d'Anatolie), als erster,
und Seid Ibrahim Yffet Efendi, Kadi von Sofia ^), als zweiter Be-
vollmächtigter, während Rußland durch den Generaladjutanten
General der Infanterie Grafen Michel Woronzow und den außer-
ordentlichen Gesandten bei der Pforte, Alexander von Ribeaupierre,
vertreten war. Am 6. August wurden die Verhandlungen eröffnet,
in denen die türkischen Delegierten nicht w^enig von dem hoch-
fahrenden Wesen Woronzows zu leiden gehabt haben. In neun
Sitzungen gelangte man zum Abschluß, nachdem die Bevollmäch-
tigten bis zum 25. September (7. Oktober) getagt hatten, und das
Ergebnis war, daß die Pforte alle russischen Forderungen ohne
jede Einschränkung bewilligte. Die russischen Bevollmächtigten
hatten einen fertigen Konventionsentwurf mitgebracht, und es war
ihnen ausdrücklich verboten worden, das geringste sachliche Zu-
geständnis zu machen. Es sind auch in der Tat nur einige unbe-
deutende Worte an der russischen Vorlage geändert worden. Noch
nie hatte die Pforte so völlig nachgeben und fremdem Willen sich
beugen müssen. Mit Akkerman beginnen für sie die Tage des
Niederganges '). Der einmütige Eifer aller Großmächte, auf den
Sultan im Interesse des Friedens einzuwirken, die drohende Hal-
tung, welche die Wittgensteinsehe Armee an der türkischen Grenze
einnahm, und die Fama, daß der neue Zar nicht nur kriegslustig
sei, sondern auch alle Eigenschaften eines großen Feldherrn zeige,
hatten ihren Eindruck auf den Sultan nicht verfehlt. Das ent-
scheidende Motiv für ihn aber war doch ein anderes. Er hatte.
^) Mit dem Rang eines Moliah von Skutari.
^) Naradounghian : Recueil d'actes internationaux de l'Empire Otto-
inan. Vol. IL Paris 1900. Nr. 38, 39, 40. Die beiden letzten Nummern geben
den Text der Spezialkonveution über die Donaufürstentümer und die Serbien
betreffenden Separatartikel.
Kapitel IV. Inoere und auswärtige Schwierigkeiten. 141
wenige Tage nachdem er seine Zustimmung zu den Verhandlungen
von Akkerman erteilt hatte, eine schon lange geplante Reorgani-
sation seiner Armee durch Ilattischerif vom 26. Mai 1826 ange-
ordnet*). Sein Ziel war, sich der unbotmäßigen Janitscharen durch
allmähliche Umbildung dieses Korps oder, wenn es nicht anders
sein sollte, durch Gewalt zu entledigen. Im Kampf mit europäischen
Gegnern war diese Truppe nicht zu brauchen, und die Möglichkeit
eines europäischen Krieges trat, trotz aller Friedensbeteuerungen
und Friedensbemühungen, immer deutlicher am politischen Horizont
hervor. Zunächst also brauchte der Sultan Frieden. Man wird
bei Würdigung dieser Tatsachen und bei richtiger Schätzung des
gewaltsam despotischen Herrscherwillens Sultan Mahmuds den
Entschluß nicht ohne weiteres verurteilen können. Mit den
Janitscharen einen russischen Krieg aufzunehmen, war in der Tat
gefährlich — und deshalb schickte er seine Delegierten nach
Akkerman. Als nun jener Hattischerif bestimmte, daß jede der
51 Ortas oder Bataillone der Janitscharen 150 Mann für die neu-
zuorganisierenden Truppen abzugeben habe, konnte zwar die Maß-
regel zunächst wirklich ausgeführt werden, aber in der Nacht vom
14. auf den 15. Juni kam ein furchtbarer Aufstand zum Ausbruch.
Er ist mit unbarmherziger Härte niedergeschlagen worden, bei nur
geringen Verlusten der kaiserlichen Truppen, und mündete erst in
die rechtliche und danach in die tatsächliche Ausrottung des ganzen
Janitscharenkorps durch den Seraskier Hussein aus. Sogar ihr
Name sollte für ewige Zeiten vertilgt bleiben. Was nicht am 15.
den Kartätschen zum Opfer gefallen war, ist nachträglich umge-
bracht worden. Neben den Janitscharen auch andere, die dem
Sultan verdächtig erschienen. Gegen 4000 Mann wurden in den
ersten Tagen nach jenem Blutgericht erdrosselt und ins Meer ge-
worfen, denn Mahmud wollte die Gelegenheit nützen, um auch
seiner übrigen Gegner ledig zu werden. Er lebte dem Bewußt-
sein, eine notwendige und heilsame Tat zu glücklichem Ende
geführt zu haben. Erst jetzt konnte er die Reorganisation der
Wehrkraft des Reiches zum Abschluß führen. Ging es nach ihm,
so sollte ein europäisch geschultes Heer dem künftigen Gegner der
0 Rosen, Geschichte der Türkei, Bd. I, Leipzig 1866, S. Uff. Die
offizielle türkische DarstelluDg bringt der „Precis historique de la dostruction
du Corps des Janissaires par Assad Effendi**. Französisch von Coussin de
Perceval. Paris 1833.
142 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Türkei gegenüberstehen. Und wenn er in Akkerman zurückweichen
mußte, so geschah es in dem Entschluß, sobald seine Stunde komme,
und er glaubte fest, daß sie kommen werde, die Scharte mit ge-
schärftem Schwert wieder auszuwetzen.
Auch in Rußland war der erste Gedanke auf Krieg gerichtet,
als die gänzlich unerwartete Kunde einlief, daß der Sultan, um
seine Armee zu reorganisieren, die Janitscharen vernichtet habe.
„Man kann^, sagte einer der Generaladjutanten des Kaisers dem
französischen Botschafter, „einen schwachen und entwaffneten Feind
leben lassen; wenn er aber erstarkt und schaden kann, wäre es
Schwachheit und Torheit, ihn nicht zu zermalmen. Da nun
die Türken das Exerzieren lernen wollen, haben wir ihnen den
ersten Unterricht zu erteilen *)." Der Kaiser war zurück-
haltender. Er wollte eine Zeitlang Ruhe haben, um die inneren
Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Eine Reihe von Bauern-
unruhen') war ausgebrochen, weil das Gerücht allgemein verbreitet
war, daß Alexanders Testament allen Leibeigenen die Freiheit
geschenkt habe. Dieses Testament aber sei unterschlagen worden.
Ein anderes Gerücht wollte wissen, daß den Bauern alle Abgaben
«riassen seien. Sie wandten sich zunächst gutgläubig an den
Zafen, aber er befahl, die Bittsteller vor Gericht zu stellen, und
hat die Aufstände unbarmherzig niederschlagen lassen. Nebenher
begannen die polnischen Angelegenheiten ihm immer ernstere
Sorgen zu machen. Daß Polen Mitwisser der Dezemberverschwörung
waren, hatte die Untersuchung in Petersburg so klärlich erwiesen,
*) La Ferronnays. 23. Juli 1826. Die Nachricht war am 22. in Petersburg
eingelaufen. Auch Lebzeltern berichtet, daß Petersburg kriegerisch ge-
stimmt sei. Wenn er im Gegensatz dazu betont, daß „il n'y a aucun motif
pour croire que l'Empereur partage cette maniere de voir^, so ist das nur
halb wahr. Nikolai fürchtete im ersten Augenblick, daß die Verhandlungen in
Akkerman dadurch ins Stocken kommen konnten, wie wir aus seiner Korre-
spondenz mit Konstantin wissen, und wollte für den Augenblick keinen Krieg.
Seine Lust zu einem Türkenkriege hat er aber keinen Augenblick fallen lassen,
wenn er sie auch nach Abschluß des Friedens Ton Akkerman so ostentativ
wie irgend möglich verleugnete.
^0 V. S. R. G. 1826, Nr. 300, 30. April. Nr. 330, 20. Mai. Nr. 399,
8. Juni. Nr. 515, 9. August. Alle fremden Gesandten berichten von diesen
Aufständen, deren Gefahr sie jedoch meist überschätzten. Diese Gerüchte
lebten noch lange fort und konnten während der ganzen Regierung Nikolais
nicht zum Verstummen gebracht werden.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 143
daß schließlich auch dem Großfürsten Koustantin nichts übrig blieb,
als es zuzugeben. Ausschlaggebend wurde die Verhaftung des
Fürsten Anton Jablonowski, der von Pestel, Bestushew und
Ssergej Murawjew rücksichtslos preisgegeben worden war, und der
nun seinerseits dem Zaren alle erwünschte Auskunft über die Pläne
der polnischen .Verschworenen gab, auch eine Reihe seiner Mit-
verschworenen nannte. Unter diesen war der Obristleutnant des
polnischen 6eneralstabes, Pradzinski, den der Großfürst Konstantin
nach Warschau kommen ließ, um ihn persönlich zu verhören. Er
wurde geständig, als Konstantin ihm sein Ehrenwort gab, daß er
bereits durch Jablonowski von allem unterrichtet sei, doch behielt
Pradzinski die eigentlich gravierenden Tatsachen für sich, so daß
der Großfürst bei der Fiktion bleiben konnte, daß es sich im
wesentlichen um eine aus edler Regung entsprossene, von Alexander
selbst gepflegte patriotische Verirrung handele.
Nach einigen Tagen wurde dann Pr{\dzinski verhaftet und
noch in derselben Nacht der Major Severin Krzyzanowski, der
Kastellan Stanislaus Soltyk, Roman Zaluski, ein früherer Adjutant
des Großfürsten, der Referendar Woicech Grzymala, der Sekretär
A. Plychta, Cichowski, Ludwig Sobanski und viele andere. Noch
zahlreicher waren die Verhaftungen in Wolhynien und Podolien. Nach
einer Aufstellung, die 1826 gemacht worden ist, berechnete man
die Zahl der bekannt gewordenen Mitglieder der geheimen Gesell-
schaften auf 228^). Die angesehensten Familien des Landes, die
Sobanski, Tarnowski, Moszczinski, Worcel, Ossolinski, Chotkiewicz,
wurden durch die Verhaftung eines oder mehrerer ihrer Angehörigen
getroffen. Die französische Regierung lieferte den General Uminski,
Matheus Melszinski und Joseph Krzyzanowski aus'). Ein blinder
Schrecken ging durch das Land, zumal diejenigen der Verhafteten,
die nicht im Königreich Polen ansässig oder angestellt waren, nach
*) CnncoK'b MJieHOB-b TaftHWX'b iio.ibCKiiX'b oömecTBT) (Verzeichnis
der Mitglieder der geheimen polnischen Gesellschaften), darunter 149 An-
gehörige der „Gesellschaft des Patriotenbundes^. Petersburg, Archiv des
Reichsrats, nach einer Abschrift, die ich der Liebenswürdigkeit des kurzlich
verstorbenen Professors ßilbassow danke. Sehr interessantes Material für die
Geschichte der polnischen Bewegung im Jahre 1826 geben die Memoiren von
Kolaczkowski: Wspomnenija generala Klementa Kolaczkowskiego. Krakow 1900.
^) Sie wurden als preußische Untertanen in Thorn interniert und dort
verhört, später aber zur Konfrontation nach Warschau geschickt.
144 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Petersburg geschickt wurden und russischer, nicht polnischer Justiz
entgegensehen mußten. Das 1. Departement des Petersburger
Senats war dazu bestimmt worden.
Die öffentliche Meinung in Polen war aufs äußerste erregt, sie
stand mit all ihren Sympathien auf Seiten der Verhafteten, sie
nahm zugleich leidenschaftlich Partei gegen diejenigen, deren Aus-
sagen andere kompromittiert hatten. Namentlich hart war das
Urteil über Jablonowski, aber auch Pr^dzinskis Geständnis wurde
sehr übel aufgenommen, was diesen gewiß nicht lauen polnischen
Patrioten auf das tiefste verletzte. Zunächst wollte er sich aus
Verzweiflung darüber das Leben nehmen, und nur auf die Zu-
spräche des Großfürsten stand er davon ab. Um ihn zu trösten
und ihm seine persönliche Achtung zu bezeugen, beauftragte ihn
Konstantin, einen Feldzugsplan gegen Österreich in seinem Arrest-
Ml
lokal auszuarbeiten. Übrigens verstanden die Polen es bald, der
ganzen Angelegenheit eine möglichst harmlose Wendung zu geben
und ihre Aussagen vor der Untersuchuugskommission auf Grund
vorausgegangener Vereinbarung in Einklang zu bringen*). Immer-
hin fand man es nützlich, eine Deputation, an deren Spitze der
Finanzminister Graf Lubecki stand, nach Petersburg zu schicken,
um dem neuen Herrscher die Versicherung der unverbrüchlichen
Treue seiner polnischen Untertanen zu überbringen. Der „konsti-
tutionelle König^ hat sie denn auch gnädig empfangen und seine
tiefe Abneigung gegen das polnische Wesen wohl zu verbergen ver-
standen. Er war entschlossen, sich in aller Form in Warschau zum
Könige von Polen krönen zu lassen, und hatte auch die Verfassung
Alexanders bereits beschworen. Die Verhandlungen über die
Krönung haben schon im Sommer 1826 ihren Anfang genommen*),
^) Dafür sorgten die polnischen Damen, speziell die Gräfin Ljubenska
geb. Ossolinska und die Fürstin Zajonczek, die Gattin des Yizekönigs. Sie
bestachen die Wärter, so daß die Arretierten nichts entbehrten, Bücher, Zei-
tungen, Briefe erhielten, ihre Frauen, Schwestern und Freunde empfingen und
miteinander verkehren konnten. Die russischen Wachtsoldaten waren ihre
eifrigen Diener. Verdächtiger Besuch wurde durch eine Glocke gemeldet, so
daß alles rechtzeitig in Ordnung gebracht werden konnte. Das blieb so während
der ganzen Dauer der Untersuchung, so daß in der Tat ein himmelweiter
Unterschied zwischen der Petersburger und der Warschauer Untersuchungs-
methode bestand, conf. Kolaczkowski. 1. 1.
^) Es ist fast unbegreiflich, daß Nowossilzew, der die Vorlagen zu ent-
werfen hatte, den Antrag stellen konnte, daß Nikolai sich auf dem Felde von
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 145
und Nikolai war bereit, alles zu leisten, was die Verfassung ihm
vorschrieb, mehr aber nicht, und dabei ist es geblieben. Auf die
polnische Delegation aber machte es außerordentlichen Eindruck,
als die junge Kaiserin sie dem Thronfolger vorstellte und dabei sagte:
„Er lernt schon Polnisch!"^) Die Polen sind in der Oberzeugung
heimgekehrt, daß von Nikolai keine Gefahr drohe; was aber den
Zusammenhang zwischen der russischen und der. polnischen Ver-
schwörung betraf, so rechnete man einerseits auf den Einfluß des
Großfürsten Konstantin, der mit voller Naivität an der Überzeugung
festhielt, daß es sich nur um entschuldbare Verirrungen einzelner
Persönlichkeiten handeln könne, und die Nation als Ganzes treu
und zuverlässig sei, anderseits auf die beruhigende Wirkung
der Zeit. Es war nicht zweifelhaft, daß die Untersuchung sich
lange hinziehen werde, war sie aber beendigt, so fiel der Spruch
einem obersten polnischen Gerichtshof zu, der, soweit es über-
haupt möglich war, alles zum besten kehren werde.
Dem Kaiser aber lagen jetzt andere Dinge am Herzen. Er
hatte den Generaladjutanten Fürsten Alexander Ssergejewitsch
Menschikow nach Persien geschickt, um die noch von Alexanders
Zeiten her schwebenden Grenzstreitigkeiten endgültig beizulegen.
Die Instruktionen lauteten außerordentlich versöhnlich. Der Zar
war bereit, einen Teil des strittigen Khanats Taliche auszuliefern,
und schickte reiche Geschenke. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß
er damit die Nebenabsicht verband, den Oberkommandierenden
General Jermolow abzurufen, wenn Friede und Eintracht her-
Wola zum Könige wälilen lassen solle. Natürlich wollten weder Nikolai noch
Konstantin davon wissen. Siehe den Brief Nikolais an Konstantin vom
3. August 1826 d. d. Moskau und den vorausgegangenen Brief Konstantins
vom 21. Juli. Nikolai schreibt: „Le memoire de Nowossilzeff m^a bien etonn^;
j'ai trouve vos remarques parfaitement justes et ne puis m'expliquer, comment
il est possible qu\in homme d'csprit puisse me faire la proposition de faire
le Quirogo ou le Pepe sur la plaine de Wola! C'est par trop fort."
^) «II apprend d<^ja le Polonais.'' Bericht Schmidts. Die Tatsache ist
aller Beachtung wert, da sie als Beweis dafür dienen kann, daß Nikolai in
der Tat die Sonderstellung Polens als etwas dauerndes ansah. Erst das Jahr
1830 brachte die verhängnisvolle Wandlung. In den polnischen Angelegen-
heiten wurden die Punkte, über welche die Meinungen der Brüder auseinander-
gingen, meist nicht direkt, sondern durch die Vermittlung Opotschinins ver-
handelt, dem Konstantin in voller Offenheit schrieb und der dann die mündlichen
Entgegnungen Nikolais dem Grol^fürsten brieflich mitteilte.
Schiemann, Geschichte Rußlands. U. 10
146 Kapitel IV. Innere und auswärtige Sebwierigkeiten.
gestellt wären. Denn der Mann war ihm verdächtig, seit die
Dekabristen ihn als einen der künftigen Regenten Rußlands in
Aussicht genommen hatten, und zugleich verhaßt vom Jahre 181Ö
her*). Er verzieh aber nie eine Beleidigung. Dann kam die Kot-
wendigkeit, die Militärkolonien in andere Hände übergehen zu
lassen, da Araktschejew den Dienst endgültig quittierte und ins
Ausland reiste, um sich der ihm neuen und ungünstigen politischen
Atmosphäre zu entziehen, die ihn umgab und deren Wirkung er
wohl spürte, obgleich der Kaiser ihm äußerlich keine Ehren-
bezeugung versagte'). Aber der einst Allmächtige war machtlos
geworden und mochte den Triumph seiner Feinde nicht mit an-
sehen. Er hatte vor seiner Abreise noch gesucht, durch eine
reiche Stiftung für die Institute der Kaiserin Maria Feodorowna
die Gunst der Kaiserin-Mutter zu erwerben. Aber sie hatte so
gut wie keinen Einfluß und mußte, wie in den Tagen Alexanders,
sich damit zufrieden geben, daß ihr mit höchster Ehrerbietung be-
gegnet wurde, ohne daß sie ihren Willen in Regierungs- oder —
was ihr meist näher lag — in Personalfragen hatte geltend machen
können ').
Auch die Notwendigkeit, in den Fragen auswärtiger Politik
Stellung zu nehmen, ließ sich nicht abweisen. Doch schien hier der
0 Der Kaiser Alexander hatte damals bei einer Parade in Paris einige
Regimentskommandeure wegen schlecht ausgeführten Parademarsches arretieren
lassen und als Arrestlokal die englische Hauptwache bestimmt. Jermolow, der
darüber auf das äußerste entrüstet war» traf am Abend dieses Tages mit den
Großfürsten Nikolai und Michail zusammen und sagte ihnen: „Glauben Euere
Kaiserlichen Hoheiteui daß die russischen Soldaten dem Kaiser und nicht dem
Vaterlando dienen? Sie sind nach Paris gezogen, um Rußland zu verteidigen,
nicht um zu paradieren. Mit derartigen Torheiten kann man die Anhänglichkeit
der Armee nicht gewinnen."
Aus den Tagebüchern Michailowski Danilewskis, mitgeteilt von Schilder:
Alexander. 111.« S. 330.
^) Nikolai gab ihm einen Brief an König Friedrich Wilhelm III. mit, in
dem es u. a. heißt : «Je demande les bontes de Votre Majeste pour le porteur
de la präsente. Le cri de la haine publique sera probablement parvenu a ses
oreillcs — co u'est pas k moi a elre le juge du passe — je ne puis voir dans
Pindividu qu'uu otre ({ui fut aimc et estimo par notre ange.**
*> «11 ne regne point encore un accord amical entre flmperatrice mere
et son auguste tils; je crois qu'elle aurait touIu etre plus consultee, etre plus
intluente, et que ce quelle excusait dans PEmpereur defunt est regarde ou
pris eu mauvaise part de celui-ci. Sur tous les points il regne entre eux une
Kapitel iV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 147
Kaiser ernstlich bemüht, in AngelegenheiteD, welche die rassischen
Interessen nicht direkt berührten, keinerlei Verpflichtungen auf
sich zu nehmen. Als in Portugal die große Wandlung eintrat,
die sich an die Abdankung Dom Pedros knüpfte, wurden die
russischen Vertreter beauftragt, zu erklären, daß nach der Ansicht
des Kaisers Dom Pedro als legitimer Souverän von Portugal durch-
aus berechtigt gewesen sei, der Krone zu entsagen. Wenn er sie
auf seine Tochter Donna Maria da Gloria übertrug und deren Ver-
mählung mit dem Infanten Don Miguel ins Auge faßte, habe er
nur getan, was allgemein als ersprießlich angesehen werde; durch
Verleihung der Verfassung aber habe er von einem Recht Ge-
brauch gemacht, das ihm nicht abgesprochen werden könne. Die
russischen Gesandten in Portugal und Spanien erhielten die
Weisung, über diesen letzteren Punkt möglichst zurückhaltend zu
sein. Man wollte abwarten und sich nicht engagieren *).
Am meisten aber lag ihm doch an der bevorstehenden Krönung
in Moskau. Um den Augenblick zu beschleunigen, war von ihm so
sehr auf den Abschluß des Dekabristen prozesses gedrungen worden.
Am 18./25. Juli hatte die Hinrichtung der fünf stattgefunden, am 16.
verließ der Kaiser Petersburg, am 21. traf er vor Moskau ein');
aber es gingen noch vier Tage hin, ehe er seinen Einzug in die alte
Residenz hielt. Das geschah am 25., unter Aufwendung unge-
heuerer Pracht und militärischen Prunkes. Auch die fremden
Höfe hatten durch Wahl und Ausstattung ihrer Vertreter das
möglichste getan, um dem neuen Beherrscher Rußlands zu
zeigen , welchen W^ert sie auf gute Beziehungen zu ihm legten.
Frankreich hatte den Marschall Marmont, Herzog von Ragusa,
(Österreich den Prinzen Philipp von Hessen-Homburg, Preußen den
Bruder der Kaiserin, Prinz Karl von Preußen, England den Herzog
^rande contradiction, ce qui fatigue le monarque qui a Tesprit constammeDt
occupe de choses serieuses. 11 fallait prevoir ce genre de discussion, ce peu
d^accord par le manque de tact de la mere. Avec des qualites angeliques,
«lle manque totalement d'esprit de conduite, c'est le 4^« regne oü ce defaut
perce. . . .^ Das gilt für die voiie Dauer ihrer letzten I^bensjahre. Brief
der Gräfin Nesselrode an ihren Bruder, den Grafen Nikolas Guriew.
19. März 1826.
0 Relation La Ferronnays vom 16. August 1826.
^) Er logierte inzwischen im sogenannten Petrowski- Palais. Dies sind
die richtigen Daten. Journal der Allerhöchsten Reisen in den Jahren 1826
und 1827. Wojenno-Ütschenny-Archiv, Abt. I, Nr. 619; russisch.
10*
148 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
von Devonshire geschickt. Von den Vertretern der kleinen Höfe
fiel der Schwede Baron Stedingk auf, den Nikolai durch besondere
Gunst auszeichnete; Papst Leo XII. hatte den Kardinal Monsignore
Bernoulli gesandt, der keinen Anstand nahm, sich den geistlichen
Feierlichkeiten anzuschließen, die einen Teil des Festprogrammes
bildeten.
Dazu kamen die Vertretungen der einzelnen Gouvernements,
Adel, Bauerschaft, Kaufleute und Prachtexemplare der verschie-
denen halb oder ganz barbarischen Völkerschaften, die in den Kreis
der russischen Herrschaft bei ihrem Vorrücken nach Süd und Ost
hineingezogen worden waren.
Die Bevölkerung Moskaus war in der ersten Zeit etwas zurück-
haltend. Eine Unpäßlichkeit der Kaiserin bot den vielleicht er-
wünschten Anlaß, den Kreml zu verlassen und nach Xeskutschnoje,
dem prachtvoll gelegenen Sommersitz der frommen Fürstin Anna
Orlow Tschesmenskaja'), überzusiedeln. Hier wahrscheinlich fand
die merkwürdige Begegnung zwischen Nikolai und dem Grafen
Wladimir Grigorjewitsch Orlow statt, dem Schwiegervater jenes
Grafen Panin, der in der Vorgeschichte der gegen Paul I. gerich-
teten Verschwörung einen so verhängnisvollen Einfluß geübt hat.
Orlow, ein 83jähriger Greis, imponierend durch Gestalt und Größe,
warf sich dem Kaiser zu Füßen und bat um Aufhebung der Strafe,
die Alexander I. vor mehr als 20 Jahren über Panin verhängt
hatte'). Das geschah so leidenschaftlich, das Nikolai erst erschreckt,
dann gerührt wurde. Aber er konnte die Bitte nicht bewilligen.
Das einzige Versprechen, das seine Mutter ihm vor der Thron-
besteigung abgenommen hattie, war, Panin nicht zu begnadigen.
Ebensowenig Gehör fanden die Bitten derjenigen, die für die Deka-
^) Es ist die bekannte Freundin des Archimandriten Photi, der in den
letzten Jahren durch seinen unduldsamen Fanatismus einen so verhängnis-
vollen Einfluß auf Alexander I. ausgeübt hatte. Neskutschnoje bedeutet „nicht
langweilig*', und in der Tat waren sowohl das Palais wie die Landschaft von
außerordentlicher Schönheit. Kaiser Nikolaus schreibt dem Schwiegervater in
enthusiastischen Ausdrücken davon.
'') Die endgültige Ungnade Panins datiert vom 19. Februar 1805. Er
wurde seiner Ämter enthoben und durfte Petersburg nicht betreten. Auch
duldete Alexander ihn in keiner üfTentlichen Stellung. Am meisten aber haßte
ihn Maria Feodorowna, die durch Alexander vom Anteil Panins an den ersten
Anschlägen zum Sturze Pauls wußte. Brückner: Nikita Petro witsch Panin, Bd. VI
und YII; passim, sowie mein Buch: Die Thronbesteigung Nikolaus' I, S. 7»
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 149
bristen eiuzutreteu versuchten. Da handelte es sich um Prinzipien,
und des Kaisers ganzer Stolz richtete sich darauf, unerschütterlich
in seinen Prinzipien zu sein.
Auch in Moskau war der Kaiser arbeitsam und beschäftigt
wie immer. In den ersten Wochen gab es keinerlei Festlichkeiten;
die Fastenzeit, das Befinden der Kaiserin Alexandra diente als
Vorwand. Dann begannen die endlosen Revuen und militärischen
Exerzitien, welche die Mannschaften ermüdeten, aber den Zweck
verfolgten, sie in Atem zu halten. Denn noch traute der
Kaiser der Stimmung seiner Truppen keineswegs^). Die nach
Moskau zur Krönung herangezogenen Garden wurden sorg-
fältigst beobachtet, und auch über das Gerede der Mann-
schaften ließ sich der Kaiser Bericht erstatten. Es ist be-
greiflich, wenn er mit Spannung und Bitterkeit seine Gedanken
nach Warschau richtete; das Fernbleiben des Großfürsten Konstantin
konnte den glücklichen Ausgang der Krönung gefährden. Wegen
der Bauernaufstände erschien die Teilnahme des Zesarewitsch fast
wie eine Notwendigkeit. Aber Nikolai, der die Hartnäckigkeit
kannte, mit der auch der Bruder an einmal gefaßten Entschlüssen
festhielt, hatte die Hoffnung fast aufgegeben. Völlig unerwartet
traf der Ersehnte dann am 14./26. August spät abends in Moskau
ein. Es war der Fürstin Lowicz gelungen, die Abneigung des
Zesarewitsch gegen die Fahrt zu überwinden, und wie notwendig
das war, zeigte der Umschlag in den Massen des Volkes, als sie
beide Brüder nebeneinander sahen. Erst jetzt glaubten sie daran,
daß Konstantin freiwillig zurückgetreten sei. Die eigentliche Gunst
gehörte aber dem Großfürsten.
Es haben dann alltäglich militärische Schaustücke stattgefunden.
Die verschiedenen Truppenteile wurden revidiert und exerziert,
am 17. und 18. auch manövriert, am 22. August (3. September
n. St.) aber fand der feierliche Krönungsakt statt. Der Kaiser und
die Kaiserin hatten wenige Tage vorher wieder den Kreml bezogen.
Alle Teilnehmer sind darin einig, daß es eine überaus eindrucks-
volle und imponierende Handlung war. „Die Zeremonie," — schreibt
der Prinz Philipp von Hessen — „von einer, ich möchte sagen
afrikanischen Sonne beleuchtet^ bot einen unbeschreiblich herrlichen
^) Über einen Versuch, die Truppen während der Krönung zu einem
Aufstand zu verleiten, Russkaja Starina 1897, Bd. II, S. 37.
150 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Anblick dar. Das Lokal zu diesem Zwecke ist wohl einzig in der
Welt. Vier nahe aneinander stehende, zum Schloß gehörige, außen
mit vergoldeten Dächern, inwendig verschwenderisch mit Gold,
Silber und Edelsteinen versehene Kirchen waren durch rot drapierte
Gerüste en amphitheätre verbunden. Rund herum, über den Boden
erhaben, eine für den Zug bestimmte Galerie ... 5 bis 6000
gatgekleidete Personen, die Frauen häufig mit Edelsteinen geziert,
füllten das Amphitheater. Die Kaiserin-Mutter begab sich zuerst
en cortege zur Kirche und nahm ihren Thron ein." Später folgten
Kaiser und Kaiserin mit den Reichsinsignien und großem Zuge.
Sie nahmen in der Mitte der Kirche auf erhöhtem Throne Platz,
und nun waltete die Geistlichkeit ihres Amtes. Der Metropolit
von Nowgorod, Seraphim, unter Assistenz des Metropoliten von
Kiew, Jewgeni, und des Erzbischofs von Moskau, vollzogen die
kirchlichen Kaiser Riten, währepd dem seine beiden Brüder die
Adjutantendienste leisteten.
Nach der eindrucksvollen Rede Seraphims wurde unter Gebeten
und wunderbar schönem liturgischem Gesang dem Kaiser der
Krönungsmantel umgehängt, dann reichte der Metropolit ihm die
Krone, die der Kaiser sich selbst aufs Haupt setzte. Zepter und
Reichsapfel ergriff er einen Augenblick, um sie darauf wieder
niederzulegen und mit der Reichskrone der vor ihm niederknienden
Kaiserin leise das Haupt zu berühren und ihr eine andere kleinere
Krone aufzusetzen. So kehrte sie zu ihrem Thron zurück. Zu
allgemeiner Überraschung schloß sich hieran eine im Krönungs-
programm nicht vorhergesehene pathetische Szene. Die alte Kaiserin
hatte den kleinen Thronfolger Alexander Nikolajewitsch zu sich
gerufen und führte ihn nun an der Hand in den Raum zwischen
Kaiser und Kaiserin, hier beugte sie sich vor ihnen. Der über-
raschte Kaiser kniete nieder und bat um den Segen der Mutter,
ebenso die Kaiserin mit dem Thronfolger, und nun erteilte Maria
Feodorowna „mit großer Rührung und Würde" auch den beiden
Großfürsten Konstantin und Michail ihren mütterlichen Segen.
„Dieser Vorgang," erzählt der Prinz Philipp von Hessen^), „war
von unbeschreiblicher Wirkung auf Einheimische und Fremde, ohne
Unterschied". Es folgte noch ein zweites Tedeum, und damit schloß
die offizielle Feier. Der Kaiser und die Kaiserin kehrten in ihre
^) Relation vom 7. September 1826. Wien, K. K. Staatsarchiv.
Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten. 151
Gemächer zurück und zeigten sich noch einmal der jubelnden, viel-
tansendköpfigen Menge von der roten Treppe aus. Die Krisis des
Thronwechsels war jetzt tatsächlich überwunden.
Eine Reihe kaiserlicher Manifeste') folgte. Das erste and
wichtigste regelte die Thronfolge „mit dem Segen unserer geliebten
Mutter nach vorausgegangener Billigung unseres geliebten Bruders,
des Zesarewitsch Großfürsten Konstantin Pawlowitsch" und setzte
für den Fall, daß der Kaiser vor erfolgter Mündigkeit des Großfürsten
Thronfolgers sterben sollte, den Großfürsten Michail zum Regenten
und die Kaiserin Alexandra zur Vormünderin ein.
Das Krönungsmanifest gewährte eine Reihe von Straferlassen
und Strafmilderungen, die den Hoflnungen, die an diesen Tag ge-
knüpft waren, nicht entsprachen. Es waren in der Tat verhältnis-
mäßig magere Gnaden. Speziell die Strafmilderung für die Deka-
bristen enttäuschte. Der Kaiser hatte den zu lebenslänglicher
Strafarbeit Verurteilten die Zeit auf 20 Jahre herabgesetzt, auf welche
dann dauernde Ansiedlung in Sibirien ohne Herstellung ihrer
Standesrechte folgen sollte. Ähnlich war mit den anderen Kate-
gorien der Dekabristen verfahren worden. Aus 20 Jahren Zwangs-
arbeit wurden 15, aus 15 wurden 10 und so fort^ Es war keine
einzige volle Begnadigung darunter. Auch war das Manifest so
nachlässig formuliert, daß an einigen der Dekabristen, wie z. B.
an dem unglücklichen Batenkow, dieser Gnadenerlaß ganz wirkungs-
los vorüberging. Am meisten befriedigten noch die Vergünstigungen,
welche Geldangelegenheiten betrafen: Klagesachen, welche Schädi-
gungen des fiskalischen Interesses in sich schlössen, oder Kriminal-
klagen, die seit zehn Jahren anhängig waren, wurden annulliert,
außerdem alle pekuniären Benachteiligungen der Krone, die einen
Wert von 2000 Rubel nicht überstiegen, sowie gewisse Kategorien
von Steuerrückständen.
Außer zahlreichen Ordensverleihungen und Beförderungen, unter
welchen die Ernennung Sackens und Wittgensteins zu General-
Feldmarschällen, und Diebitschs zum General der Infanterie, das
meiste Aufsehen erregten, fand auch eine Reihe von Standes-
erhöhungen statt. Die alte Gräfin Charlotte Lieven mit ihrer Des-
zendenz wurde in den Fürstenstand erhoben, Tatischtschew,
>) V. S. Ruß. Gesetze. 2. Folge, Nr. 537 bis 549. Sie datieren sämtlich
▼om 22. August russischen Stils.
152 Kapitel IV. Innere und auswärtige Schwierigkeiten.
Tscheroyschew, Konstantins Freund und Günstling Kuruta^ Stro-
ganow and Pozzo di Borgo zu Grafen gemacht. Graf Nesselrode
erhielt einen schönen Besitz im Tambowschen, Fürst Peter Michai-
lowitsch Wolkonski 50000 Rubel geschenkt. Endlich wurde der
General Klein michel, bisher die rechte Hand Araktschejews, zum
Generaladjutanten ernannt. Es war der Lohn dafür, daß er die
Geheimnisse seines Protektors dem Kaiser bloßgelegt hatte. Niko-
lai konnte ihn nicht achten, aber er hatte sich davon überzeugt,
daß der41ann brauchbar war: ein unbedingt gefügiges Instrument,
wie Araktschejew es heranzubilden verstand.
Schon am Tage vor der Krönung war in Ausführung eines
Lieblingsplanes des Kaisers das Ministerium des kaiserlichen
Hofes unter dem Fürsten P. M. Wolkonski als Minister begründet
worden. Es umfaßte außer den speziellen Hofangelegenheiten das
Departement der Apanagen und das Kabinett des Kaisers, war nur
ihm verantwortlich und hatte ausschließlich von ihm Befehle ent-
gegenzunehmen. Den Direktor der Kanzlei dieses Ministeriums er-
nannte der Kaiser selbst, alle übrigen Beamten der Minister^).
Die Bedeutung dieses Ministeriums aber ist stetig gewachsen. Die
kaiserlichen Theater, Schloß und Schloßgebiet von Gatschina, die
Akademie der Künste, das Palais in Bialystok, der Petersburger
botanische Garten, gewisse Zensurbefugnisse usw., schließlich auch
noch sehr ausgedehnte Polizeifunktionen fielen ihm zu. Dadurch,
daß dieses Ministerium jeder Kontrolle durch den Senat entbehrte
und auch nicht unter dem Einflüsse des Ministerkomitees stand,
dessen Aufgabe es war, das Verhältnis der Reichsinteressen aus-
zugleichen, mußte es allerdings ein singuläres Instrument des Abso-
lutismus werden, ähnlich wie die BenkendoriTsche Geheimpolizei, zwar
unschädlicher als diese^ aber ganz außerordentlich kostspielig. Von
den mit dem Krönungstage in Zusammenhang stehenden Ereignissen
der inneren Politik ist die Errichtung dieses Ministeriums un-
zweifelhaft das bedeutendste. Nicht etwa, weil an sich die Er-
richtung eines Hofministeriums bedenklich gewesen wäre, sondern
als Symptom jenes besonderen nikolaitischen Absolutismus, der sich
im Laufe der Jahre so charakteristisch ausbilden sollte.
Die Festlichkeiten, die sich an die „heilige^ Krönung schlössen,
dauerten noch bis zum 4. Oktober; trotz der Aussicht auf weitere
1) S. R. G. 541. Der Etat der Kanzlei Nr. 542, er betrug 19350 Rubel.
Kapitel IV. lonere und auswärtige Schwierigkeiten. 153
Revuen und andere Schaustellungen militärischen Charakters ver-
ließ Großfürst Konstantin schon am 22. August, also am Tage
nach der Krönung, Moskau. Er war, während ihn der Kaiser in
jeder denkbaren Weise ausgezeichnet und das Volk ihn überall
stürmisch begrüßt hatte, die ganze Zeit hindurch außerordentlich sar-
kastisch gestimmt gewesen. Sein liebster Wunsch sei, so sagte er, mög-
lichst bald seinen Abschied zu nehmen und etwa als Platzmajor in
Mainz oder als russischer Vertrete*' in Frankfurt a. M. sein Leben zu be-
schließen. Die den Großfürsten genauer kannten, urteilten anders.
Der Bruder Nikolaus war ihm keineswegs sympathisch, seine Re-
gierungsanfänge und seine politischen Anschauungen schienen ihm
wenig Keife zu beweisen. Daß das Volk von Moskau mehr an
ihm, dem Großfürsten, hing, als an dem Kaiser, hatte der Augen-
schein erwiesen. Wäre es da nicht vielleicht doch klüger ge-
wesen, zuzugreifen, als die Krone ihm immer wieder geboten wurde?
Als der Zesarewitsch wieder in Warschau war, sagte er seinem
Freunde Opotschinin: „Nun hat man meine Seelenmesse gefeiert!**
In Moskau aber gingen die eigentlichen Vergnügungen, die
Bälle, Feuerwerke und militärischen Schaustellungen erst nach der
Abreise des Zesarewitsch an. Die Festlichkeiten, welche der Fürst
Jussupow und danach die Gräfin Anna Orlow ') dem Kaiserpaar
gaben, waren ganz im Stil der unter Alexander I. verklungenen
Tage Katharinas; „Feenmärchen ähnlich", schreibt der Prinz von
Hessen dem Fürsten Mctternich. Es war nicht daran zu denken^
daß die fremden Botschafter mit dieser Pracht rivalisierten; nur
auf dem Boden der Leibeigenschaft konnte sie erstehen, und nur
dort konnte man Millionen vergeuden, ohne für die Zukunft zu
sorgen. Es waren doch immer nur Zinsen des stetig anwachsen-
den Kapitals der Leibeigenen, die man verausgabte.
Während die meisten der Gäste bereits am 5. Oktober Moskau
verlassen hatten, blieb der Kaiser noch bis zum 12. Oktober. Erst
hatte er, der frommen Sitte alter Zeiten folgend, dem Troitzky
1) «La fete du prince Jussupow a ete charmante et a üclipse Celles des am-
hassadeurs de France et d'Angleterre, celle de la princesse Orlow a ecrase toutes
les fetes par sa magnificence et son bon gont. G'est la plus belle qu'on ait
Jamals donnee; les proportions depassaient meme celles d^un particulier; le
local et les omements appartenaient au luxe d'un souverain.* Benkendorf an
Woronzow. Moskau, 19. September 1826. Archiv Woronzow XXXV. Moskau
1889.
154 Kapitel V. Der Perserkrieg.
Sergijew-KIoster seinen Resüch gemacht, danach einen Besuch in
der Gewehrfabrik zu Tnia, der drei Tage in Anspruch nahm, dann
aber drängten die Regierungssorgen.
Während der Tage des Krönungsjubels war Rußland wider
Willen und Erwarten durch einen treulosen Anfall der Perser auf
russisches Grenzgebiet in einen Krieg verwickelt worden, der um
so mehr Sorge machte, als die Verhandlungen von Akkerman da-
mals noch nicht ihren Abschluß gefunden hatten und der Kaiser,
wie wir wissen, dem General Jermolow kein Vertrauen entgegen-
brachte. Aber die glückliche Lösung der türkischen Schwierigkeiten
bedeutete nur den Abschluß eines Vorstadiums des sich immer
mehr in den Vordergrund drängenden orientalischen Problems.
Kapitel V. Der Perserkrieg.*)
Die persische Frage hatte den Kaiser Alexander während der
ganzen Dauer seiner Regierung beschäftigt, wenn sie auch weniger
au die Oberfläche seiner politischen Bestrebungen getreten war, als
die gegen die Türken gerichtete Aktion. Aber der Friede von
Gulistan vom 12./24. Oktober 1813*) enthielt ebenso strittige
Punkte wie der Friede von Bukarest, und die Lage wurde noch
dadurch kompliziert, daß Persien im Bündnis mit England stand.
Unmittelbar nach Abschluß des Friedens war es zwischen Rußland
und dem Statthalter von Aderbeidschan, Abbas Mirza, dem Sohn
und Thronfolger des alten Schah Fet Ali Khan, zu Grenzstreitig-
keiten gekommen, in welchen England bemüht war, für die
persischen Ansprüche einzutreten. Das wurde nun freilich von
Alexander mit Entschiedenheit zurückgewiesen, aber er beauftragte
den Oberkommandierenden im Kaukasus, General Jermolow, über
die Grenzrichtung in Verhandlung zu treten, und hoffte dabei durch
Eintausch der von ihm okkupierten Gebiete jenseit des Araxes
gegen die Khanate Eriwan und Nachitschewan Vorteile zu er-
reichen, die dem Handel von Astrachan zugute kommen sollten.
') Fürst Schtscherbatow: Generalfeldmarschall Fürst Paskiewitsch. Sein
Leben und seine Tätigkeit.. Nach ungedruckten Quellen des Generalstabes.
Band I u. II. Petersburg 1888—1890. Russisch.
2) Jusefowitsch: |,Die Verträge Rußlands mit dem Orient*. Petersburg
1869. S. 208—214. Russisch.
Kapitel V. Der Perserkrieg. 155
Es spielte auch die Frage der Thronfolge in Persien mit. Der von
einer freien Kadscharin geborene Abbas Mirza hatte zwei ältere
Brüder, deren Mütter Sklavinnen des Harems gewesen waren. Er
wünschte, zur Sicherung seines Erbrechts, Anerkennung und Gewähr-
leistung desselben durch Rußland. Zur Anerkennung war Rußland
bereit, aber es lehnte jede Bürgschaft ab, und das hatte die Folge,
daß Abbas Mirza ganz dem englischen Einfluß verfiel und Jermolow
sich fortan bemühte, dem älteren Bruder, M^hmed Ali, die Nach-
folge zu sichern. Schon im Jahre 1817 schien ein russisch-persischer
Krieg bevorzustehen. Aber der Kaiser wollte nicht. Darüber ist
Mehmed Ali im Jahre 1822 gestorben, und Jermolow warf sich
nun zum Beschützer des zweiten, noch lebenden Bruders Abbas
Mirzas auf, des gänzlich unfähigen Mehmed Yali Mirza, der eben-
falls zahlreiche Anhänger fand. So dauerten die Gegensätze fort,
ohne daß Jermolow sein Ziel, den Krieg, erreicht hätte. Nach
wie vor traten dem Zaren die persischen Angelegenheiten hinter
den türkischen zurück. Jermolow war so erbittert, daß er am
12./24. Juli 1825 seine Entlassung anbot, um, wie er sein Ge-
such begründete, als Privatmann während des unmittelbar bevor-
stehenden Krieges die Züchtigung der Perser mit anzusehen.
Aber der Kaiser lehnte sein Gesuch ab. Er glaubte nicht an die
Notwendigkeit eines Krieges und beauftragte Jermolow, alles, was
an ihm liege, zu tun, um den Frieden aufrecht zu erhalten.
Nun hatte Jermolow gewiß recht, wenn er kriegerische Ver-
wicklungen für bevorstehend hielt* aber es läßt sich nicht übersehen,
daß er selbst wesentlich dazu beigetragen hatte, die Spannung zu
steigern. Er hatte in den Grenzprovinzen eine rücksichtslose Russi-
iizierungspolitik verfolgt, die Khane, die sich Rußland unterworfen
hatten, abgesetzt und unfähigen und begehrlichen Beamten die Ver-
waltung übertragen. Namentlich die Mißwirtschaft des Generals
Madatow hatte die Erbitterang so geschärft, daß die Bevölkerung nichts
sehnlicher wünschte, als die Rückkehr der persischen Oberherrlich-
keit. Dazu kam, daß Abbas Mirza das russische Militär, das von
den Generalen mehr für den eigenen Vorteil genützt, als für den
Krieg ausgebildet wurde, nur gering schätzte und voll Vertrauen
auf seine eigenen Truppen blickte, die von englischen Instruktoren
sorgfältig geschult waren. Die übertriebenen Nachrichten, die nach
Persien über den Dezemberaufstand drangen, hoben die Zu-
versicht. Abbas Mirza setzte seinen ganzen Einfluß daran, um den
156 Kapitel V. Der Perserkrieg.
alten Schah zu bewegen, Rußland den Krieg zu erklären. Auch
eine Hofintrige spielte mit. Der erste Minister, Alla Jar Khan
Assefudoule, war Schwiegersohn des Schah, und seine Schwester
Gemahlin des Thronfolgers. Trotzdem war damals seine Stellung
schwer bedroht, und er hoffte durch einen glücklichen Krieg sie
wieder zu befestigen. Endlich war in Teheran ein Scheik aus
Kerbala erschienen, der den heiligen Krieg predigte und dem
Schah eine Bittschrift überbrachte, die von der Mehrheit der
mohammedanischen Geistlichen der Grenzprovinzen unterzeichnet
war, und ebenfalls den Krieg verlangte. Der Summe dieser Ein-
flüsse konnte Fet Ali nicht widerstehen. Der Krieg war bereits
beschlossen, bevor Menschikow aufbrach, und nur die Hab-
sucht und Neugier des Schah hielt den Bruch noch einige Zeit
auf, weil er sich die Geschenke des Zaren, darunter ein kostbares
Bett aus Kristall, nicht wollte entgehen lassen '). So konnte
Menschikow in scheinbarem Frieden am 1./13. Juli nach langen,
vorausgegangenen Verhandlungen über das Zeremoniell, seine Audienz
in Sultanie, der Soramerresidenz des Schah, erlangen. Aber schon
während des Empfanges kam es zu Mißhelligkeiten, und bald
konnte Menschikow sich nicht mehr darüber täuschen, daß die
Perser sich zu einem Einfall in das russische Gebiet vorbereiteten.
Die diplomatischen Verhandlungen wurden von den Persern trotz-
dem fortgesetzt; sie wollten den Schein einer gütlichen Verständi-
gung erreichen, um die Geschenke des Zaren zu erhalten. Als
schließlich kein Zweifel mehr über die feindseligen Absichten
Persiens bestehen konnte und der Schah nach Ardebil zog, um
dem Schauplatz der bevorstehenden Kämpfe näher zu sein, hatte
er noch die Schamlosigkeit, zu versichern, daß er seinen Frieden
mit dem großen Kaiser nicht breche, es handele sich nur um einen
Streit zwischen Abbas Mirza und General Jermolow, den könnten
diese beiden miteinander ausfechten, ohne daß darum Schah oder
*) Es sind neuerdings zwei interessante Tagebucher zur Geschichte des
Perserkrieges veröffentlicht worden. Das eine von dem englischen Arzt
Willich war schon 1828 in der »London Literary Gazette" (Nr. vom 5. bis
12. April) publiziert worden, und ist danach in russischer Übersetzung nebst
Einleitung von J. A. Ssinowjew, Russkaja Starina 1897, Oktober, wiederholt
worden. Es reicht vom 24. Oktober bis 5. November 1827. Das andere ist
das Tagebuch des Generalleutnants F. F. Bartholomei, eines der Begleiter
Menschikows, und reicht vom 16. Februar 1826 bis zum 20. Oktober des
Jahres. Russkaja Starina 1904, April-Mai.
Kapitel V. Der Perserkrieg. 157
Kaiser einzugreifen brauchten. Die Russen ihrerseits setzten die
Verhandlangen fort, ohne sich Illusionen über den Ausgang hinzu-
geben. Die persischen Unterhändler erhoben Ansprüche auf das
Khanat Schugarei, obgleich es nach dem nicht mißverständlichen
Wortlaut des Traktats von Gulistan Rußland abgetreten worden war^).
Am 12./24. Juli brach endlich Menschikow mit seinem Ge-
folge auf, ohne daß irgend bindende Vereinbarungen getroffen waren.
Den Austausch der Geschenke aber hatte der Schah dadurch er-
zwungen, daß er seine verhältnismäßig geringen Gaben Menschikow
zustellen ließ. Nur unter steter Lebensgefahr erfolgte dann der
Rückzug der Gesandtschaft nach Tiflis, das erst am 5./17. September
erreicht w^urde. Kurz vor der Stadt aber traf Menschikow den
Generaladjutanten Paskiewitsch, der im Begriff war, nach Jelissa-
wetpol zu reiten.
Inzwischen war nämlich das Folgende geschehen: Abbas Mirza
hatte, ohne auf Widerstand zu stoßen, sich Jelissawetpols und des
ganzen Khanats Karabag bemächtigt. Am 20. Juli, das ist am
Tage, nachdem Menschikow in Tabris eingetroffen war, hatten die
Perser Schuscha umschlossen, und nun fielen ihnen alle die ehemals
persischen Khanate zu, die seit 1813 unter russischer Herrschaft
standen. Der erste Bericht des Generals Jermolow, datiert vom
22., traf in Moskau während der Krönung ein. Er erzählte von
diesen Erfolgen der Perser und schrieb, es sei nur geschehen, was
er längst vorhergesagt habe. Was aus Menschikow geworden sei
wisse er nicht, auch sei er (Jermolow) für einen Krieg nicht vorbereitet,
da unmöglich eine solche Verräterei erwartet werden konnte während
eine russische Gesandtschaft in Persien weilte. Ein zweiter Brief
vom 30. meldete neue Erfolge der Pei-ser, der Oberst Reut werde
in Schuscha belagert, das nur schlecht verproviantiert sei ; es bleibe
nichts übrig, als auch die Khanate Talyschin und Schirwan zu
») Jusefowitsch 1. 1. S. 210 Artikel III des Vertrages. „S. Majestät der
Schah .... erkennt hiermit feierlich für sich und seine Nachfolger an ... .
daß dem russischen Reiche zu eigen gehören die Khanate .... dazu ganz
Daghistan, Gnisien mit der Provinz Schugarei...."
Es haben hier bestimmt englische Intrigen mitgespielt. Persien bezog
Yon der Ostindischen Kompagnie eine jährliche Zahlung von 800000 Rubel,
die Kompagnie aber hatte gedroht, diese Pension einzustellen, wenn Persien
die Russen nicht sofort angreife. Das bezeugen die Aussagen Ogurlu Khans
von Jelissawetpol vom 15./27. September 1826. Bei Schtscherbatow 1. 1. 1. Anlage.
158 Kapitel V. Der Perserkrieg.
räumeu und Verstärkungen abzuwarten. Ein Aufstand aller Musel-
männer sei wahrscheinlich, selbst Grusien nicht mehr sicher. Diese
Berichte, die dem Kaiser durch den Chef des Generaistabs Diebitsch,
der kein Freund Jermolows war, vorgelegt wurden, erregten den
höchsten Zorn Nikolais. Er schickte dem General zwar eine Divi-
sion Infanterie und eine Ulanen-Division, befahl aber zugleich noch
vor ihrem Eintreffen offensiv vorzugehen und teilte Jermolow mit,
daß der General Paskiewitsch beauftragt sei, die militärischen Opera-
tionen unter der Oberleitung Jermolows zu führen, während Jermo-
low selbst dafür sorgen solle, Unruhen im Innern der russisch-kau-
kasischen Gebiete zu verhindern.
Es war damit für Jermolow eine unhaltbare Lage ge-
schaffen, und das tritt noch deutlicher zutage, wenn man die
geheimen Aufträge kennt, die Paskiewitsch mündlich und
schriftlich vom Kaiser erhielt. Das Tagebuch Paskiewitschs gibt
uns über die ersteren zuverlässige Auskunft. „Ich meldete mich
beim Kaiser" — notiert Paskiewitsch — , „er empfing mich unter vier
Augen in seinem Kabinett. Ich weiU, sagte mir Seine Majestät, daß
du nicht in den Kaukasus ziehen willst, Diebitsch hat mir alles
erzählt. Aber ich bitte dich, tue es für mich. Als ich dann wieder-
holte, was ich schon Diebitsch gesagt hatte, und hinzufügte, ich
würde Jermolow untergeordnet sein und deshalb keinerlei Anordnun-
gen treffen und auch keine Verantwortung für die Ausführung über-
nehmen können, da sagte der Kaiser: ,Bin ich wirklich so unglücklich,
daß, da ich eben erst gekrönt wurde, die Perser mir schon einige
unserer Provinzen entrissen haben sollen; gibt es denn in Rußland
keine Männer, die die Würde des Reiches aufrechterhalten können?
Ich bitte dich, ziehe hin, für mich und für Rußland. Sieh — ich
habe hier vierzig Generale — , zeige mir nur einen, dem ich diesen
Auftrag anvertrauen und auf den ich mich ganz verlassen könnte.
Ich weiß, du hast meinen Bruder geliebt, sein Schatten steht
zwischen uns, er bittet dich aufzubrechen. Du sprichst von
Schwierigkeiten, die Jermolow machen werde! Das alles ist richtig,
aber ich schicke ihm Ukase, daß er nichts ohne Beratung mit dir
unternehmen solle, weder in militärischen, noch in Zivil-Angelegen-
heiten. Dir aber werde ich einen besonderen Ukas geben, ihn
abzusetzen, wenn Unordnungen entstehen, oder wenn er absichtlich
Schwierigkeiten machen und meine Ukase nicht erfüllen sollte, die
ihn verpflichten in Gemeinschaft mit dir zu handeln.' Diesen
Kapitel V. Der Perserkrieg. 159
Ukas schrieb der Kaiser eigenhändig nieder und übergab ihn mir
persönlich*). „Von einer Ablehnung des Kommandos konnte natür-
lich weiter die Rede nicht sein."
So ausgerüstet traf Paskiewitsch am 29. August (st. v.) in
Tiflis ein, und trotz der Schwierigkeiten, die der auf das tiefste
gekränkte Jermolow ihm zunächst machte, gelang es ihm durchzu-
setzen, daß die ihm übertragene Führung der Truppen durch einen
Armeebefehl bekannt gegeben wurde. Aber er mußte sich darin
finden, daß Jermolow ihm für seine Operationen Instruktionen
erteilte, und die gingen dahin, daß er den Aras nicht überschreiten
solle. Da die Perser wider Erwarten die Belagerung von Schuscha
aufgegeben hatten, das der Oberst Reut hartnäckig und heldenmütig
anderthalb Monate behauptete, richteten sich die Operationen der
Russen auf Jelissawetpol, das der große Dieb General Madatow
besetzt hielt, das aber nur für 15 Tage Proviant hatte, und von
Abbas Mirza, der mit 40000 Mann im Anmarsch war, sehr ernst-
lich bedroht wurde. Gleich hier rechtfertigte Paskiewitsch die Wahl
des Kaisers. £r kam durch Eilmärsche den Persern zuvor und
erreichte am 10./22. September die Stadt, fast unmittelbar vor dem
Eintreffen des Feindes. Die Truppen von Madatow waren in
so schlechtem Stande, daß Paskiewitsch sie fast im Angesicht des
Feindes exerzieren lassen mußte, um wenigstens zu erreichen, daß
sie Kolonnen und Karree formieren lernten. In der Nacht auf den
13. erfuhr er, daß Abbas Mirza ihn angreifen wolle und zugleich,
daß der Khan von Eriwan aufgebrochen sei, um ihm während der
Schlacht in den Rücken zu fallen. Allein Paskiewitsch war ent-
schlossen, seinerseits die Offensive zu ergreifen. Am 15. um 7 Uhr
morgens verließ er mit den 7000 Mann, über die er verfügen konnte,
seine Wagenburg, um 9 Uhr begann die Schlacht. Die Perser
hatten achtzehn Bataillone Sarbasen — das ist reguläre Infanterie
— in der Frontlinie aufgestellt, in den Intervallen Batterien von
drei und vier Geschützen, während hinter ihnen die von Kamelen
getragene Bergartillerie geordnet war. Die Kavallerie, gegen 25000
0 Generalfeldmarscball Fürst Paskiewitsch. Sein Leben und seine
Tätigkeit. Nach imedierten Quellen vom Generalmajor des Generalstabes
Fürsten Schtscherbatow. Petersburg 1888. Russisch. Bd. I S. 394 und 395.
Das Tagebuch Paskiewitscbs vom 1. August bis 1. September (russ. Stils) 182G
Bd. II Anlagen S. 46 ff. Zu vergleichen sind die Memoiren von Murawjew-
Karski, Russki Archiv 1889 August.
160 Kapitel V. Der Perserkrieg.
Pferde, hielt beide Flanken, in der Reserve hinter der ersten Linie
standen zwei Bataillone der Garde des Schahs und 40UO Mann
regulärer Infanterie. So standen sie länger als eine Stunde der
kleinen russischen Heeresmacht gegenüber, bis Paskiewitsch den
Augenblick für den Angriff geeignet fand. Er ließ seine Infanterie
in drei Linien vorgehen, verstärkt durch Artillerie, Schützen und
Jäger, und hatte zwischen die zweite und dritte Linie sechs Schwa-
dronen Dragoner geschoben. Jede Linie war etwa 200 Schritt von
der anderen entfernt. Die rechte Flanke bildeten vier Sotnien
Kosaken, die linke die grusinische Miliz. Das Kommando über
die Infanterie hatte General Madatow, während General Weljaminow
die Infanterie kommandierte. Die Entscheidung ist dann in wenigen
Stunden gefallen. Die Perser hielten dem russischen Artilleriefeuer,
das den Kampf einleitete, nicht übel stand und brachten sogar die
erste Linie der russischen Infanterie durch ihre Inianteriesalven
ins Schwanken, während gleichzeitig ihre Kavallerie, durch
eine Schlucht gedeckt, sich auf die grusinische Miliz stürzte und
sie in wilder Flucht auf die vor Jelissawetpol liegende russische
Wagenburg zurückwarf. Als aber Paskiewitsch jetzt seine gesamte
Artillerie gegen das persische Zentrum richtete und dann durch
Madatow einen Bajonettangrilf gegen die schon stark erschütterte
persische Aufstellung ausführen ließ, gerieten die Feinde in Verwirrung
die Infanterie wich fechtend zurück, und die gesamte Kavallerie
ergriff die Flucht. Die von dem feindlichen linken Flügel ange-
griffene rechte Flanke der Russen (drei Kompagnien des Chersonschen
Infanterieregiments und zwei Schwadronen Nischegoroder Dragoner
mit zwei Geschützen) verstärkte Paskiewitsch rechtzeitig durch sechs
Kompagnien des 7. Karabinerregiments, so daß auch hier die per-
sische Kavallerie vor dem russischen Feuer die Flucht ergriff. Die
ganze große Masse dieser ersten nach den Regeln europäischer
Kriegskunst ausgebildeten orientalischen Armee stob schließlich in
wilder Flucht auseinander, erst von den Russen, dann von den
eigenen Glaubensgenossen, den Tataren von Dscharsk verfolgt; wie
einst die Beduinen, die wie Raubvögel die Kämpfe Napoleons in
Ägypten begleitet hatten, witterten auch sie die ihnen unter allen
Umständen sichere Beute. Sobald sie erkannten, daß die Schlacht
für die Perser verloren war, warfen ihre Haufen sich auf die
Fliehenden. Sie plünderten sie aus und brachten ihre Gefangenen
in das russische Lager. Die Räuberinstinkte dieser halbwilden
Kapitel V. Der Perserkrieg. 161
Stämme kamen zum Durchbrach, und gewiß hätten sie sich gegen
die Truppen Paskiewitschs gewandt, wenn diese unterlagen. Vier
Fahnen, 80 Pulverkasten, aber nur ein Geschütz fielen den Russen
zur Beute, dazu 1000 Gefangene; sie selbst hatten gegen 300
Tote und Verwundete, darunter 11 Offiziere. Das Wesentliche aber
war doch der moralische Erfolg, und als solchen hat ihn auch der
Kaiser empfunden. Obgleich Paskiewitsch in seinem Bericht nur
der Verdienste Madatows und Weljaminows gedacht hatte, schrieb
er den Sieg doch ausschließlich ihm zu. In einem überaus gnädigen
Briefe verlieh er ihm einen Ehrensäbel mit Diamanten und zugleich
forderte er ihn auf, nunmehr den Persern ihren Einfall in russisches
Gebiet durch eine „Gegenvisite^ zu erwidern. Er dachte an einen
Angriff auf Eriwan, es erwies sich aber als unmöglich diesen an sich
richtigen Gedanken zu verwirklichen. Hatte Madatow in der Schlacht
seine Pflicht getan, so versagte er infolge einer Kombination von
Eigennutz und Neid vollständig, als es sich darum handelte, die
Verproviantierung der Armee zu besorgen. Paskiewitsch blieb nichts
übrig, als die Aufgabe einem geriebenen Armenier, Kargauow, zu
überlassen, der, von Madatow geflissentlich behindert, das Notwen-
digste zusammenbrachte, aber die Schwierigkeiten blieben auch
dann noch groß. Trotzdem entschloß er sich auf die Nachricht,
daß die Perser über den Aras zurückgewichen seien, nun auch
seinerseits den Fluß zu überschreiten und einen Vorstoß nach
Persien hinein zu unternehmen. Aber es war mehr eine starke
Rekognoszierung als ein Feldzug. Paskiewitsch konnte feststellen,
daß Abbas seine Infanterie entlassen hatte; in Persien Fuß zu
fassen war ihm nicht möglich. Eine* reiche Beute an Vieh und ein
heilsamer Schrecken in den persischen Grenzlandschaften war die
Folge, mehr nicht; unbehindert von den Russen konnte Abbas daran
gehen, seine Truppen für die nächste Kampagne zu reorganisieren.
Daß keine größeren Erfolge erzielt wurden und auch nicht erlangt
werden konnten, lag ohne Zweifel an der Haltung Jermolows. Der
General war der Meinung, daß Paskiewitsch die Tragweite seines
Sieges überschätze. Er hielt sich daran, daß die Perser nur ein
Geschütz verloren hatten, und war der Überzeugung, daß jeder
Versuch, sich einer der persischen Festungen zu bemächtigen, nur
zu einem Mißerfolge führen könne. Die kühnen Pläne Paskiewitschs,
der sofort mit ganzer Macht in Persien eindringen und den Frieden
erzwingen wollte, scheiterten an seinem Widerspruch und an der
Schiemann, Geschichte KuBIands. II. H
1(52 Kapitel V. Der Perserkrieg.
überaus kläglichen und überall lähmenden Leitung des Verprovian-
tieruugswesens durch den General Madatow. Sogar der Angriff auf
Tabris mußte aus solchen Gründen aufgegeben werden. So blieb
Paskiewitsch nichts übrig, als Anfang November über den Aras
zurückzugehen. Jermolow . hatte sieb damit begnügt, die aufstän-
digen Chanate wieder zum Gehorsam zurückzuführen, und schickte,
als Paskiewitsch mit seinen Truppen zurückkehrte, den General
Madatow gegen die persischen Nomaden in die Mugansche Steppe.
Das war ein Raubzug ohne jede Bedeutung für die weitere Krieg-
führung, den Paskiewitsch um so mehr mißbilligte, als Madatow
jene Nomaden erst den Untertaneneid leisten ließ und sie danach
unbarmherzig ausplünderte. Von der Muganschen Expedition aber
war Paskiewitsch nicht einmal Mitteilung gemacht worden. Er war
aufs tiefste erbittert. „Die Kampagne dieses Jahres^, schrieb er
dem Kaiser, „ist beendigt und ist verdorben^. Er knüpfte daran die
Bitte, ihn seiner Stellung zu entheben und aus dem Kaukausus
abzuberufen. Es sei ihm unmöglich, mit Jermolow zu dienen. Am
5. Januar 1827 wiederholte er diese Bitte.
Es ist noch nicht klargestellt, weshalb Paskiewitsch nicht von
den Vollmachten Gebrauch machte, die der Kaiser ihm erteilt hatte.
Es lag ja in seiner Hand, Jermolow abzusetzen, und gewiß hätte
der Kaiser ihn nicht desavouiert. Soweit sich aus dem bisher
zugänglichen Material erkennen läßt, hat Paskiewitsch wahrscheinlich
seine Stellung im Kaukasus nicht für ausreichend gefestigt gehalten,
um es zu wagen. Er war von Anhängern Jermolows umringt und,
obgleich der Sieg bei Jelisawetpol auch eine Partei Paskiewitsch
geschaffen hatte, fühlte er sich doch nicht sicher genug, um den
entscheidenden Schritt wagen zu können. Seine Abschiedsgesuche
verfolgten wahrscheinlich den Zweck, den Kaiser zu einer neuen
Initiative zu veranlassen, und darin sollte er sich nicht täuschen.
Nikolais Absicht, Jermolow zu beseitigen, hatte von vornherein
festgestanden. In den schweren Tagen des Dezembers hatte der
Kaiser ihn und seine Armee meist gefürchtet. Sein Stolz bäumte
sich dagegen auf, daß ein Untertan ihm überhaupt gefährlich
werden könne. Wie einem persönlichen Feinde stand er ihm gegen-
über. Als daher das zweite Abschiedsgesuch Paskiewitschs eintraf,
war sein Entschluß bereits fertig. Am ^^^'/^^ar ^^^^ kündigte er
in einem eigenhändigen Briefe Paskiewitsch an, daß Diebitsch in
Grusien eintreffen werde. Jermolow solle davon nichts erfahren,
Kapitel V. Der Perserkrieg. 163
sondern überrascht werden. Diebitsch aber hatte den Auftrag, die
zwischen den beiden Rivalen bestehenden Gegensätze zu prüfen und,
wenn er sich von der „Unfähigkeit oder von dem bösen Willen*'
Jermolows überzeugen sollte, ihn abzusetzen. Daß der Kaiser
diesen Ausgang wünschte, konnte Diebitsch keinen Augenblick
zweifelhaft sein. Er hat aber diese Mission nur sehr ungern
übernommen. Wenn er sich auf längere Zeit aus Petersburg ent-
fernte, mußte inzwischen ein anderer seine Stellung als Chef des
Stabes des Kaisers übernehmen. Der Kaiser hatte dazu inter-
imistisch den Grafen P. A. Tolstoi bestimmt und ihm als Gehilfen
den Grafen A. J. Tschernyschew beigegeben. Diebitsch traute keinem
von beiden *) und war der Überzeugung, daß es sich um eine feine
Intrigue handele, die einerseits darauf angelegt sei, den Kaiser
davon zu überzeugen, daß Diebitsch entbehrlich sei, andererseits
wenn er Jermolow absetze, ihm diesen und dessen Anhänger zu
Feinden zu machen, wenn er ihn aber verteidige, ihm die Un-
gnade des Kaisers zuzuziehen*).
Die Dinge nahmen nun einen sehr merkwürdigen Verlauf.
^^s ®^ ^^ ^4 Mft'r' in Tiflis eintraf, hat Diebitsch ohne Zögern
erst mit Jermolow, dann mit Paskiewitsch über die Beschwerden
verhandelt, die beide gegeneinander geltend machten, auch zwischen
ihnen zu vermitteln gesucht. Aber er stieß bei Paskiewitsch, der
sich der Unterstützung des Kaisers sicher wußte, auf den ent-
schiedenen Willen, unter keinen Umständen weiter mit Jermolow
zu dienen. Es scheint nun, daß Paskiewitschs bestimmte und rück-
sichtslose Ali;, die Verhandlungen zu führen und auf seinem Recht
zu bestehen, Diebitsch verletzte. Jermolow hatte ihn dagegen mit
außerordentlichem Geschick anzufassen verstanden. Er gab von
vornherein zu, daß er sein Verhalten nach der Schlacht bei Jeli-
sawetpol nur dadurch entschuldigen könne, daß er sich in der
Beurteilung der Lage getäuscht habe, nunmehr aber sei er durch-
aus für energisches Vorgehen. Auf die Gedanken Diebitschs ging
er eifrig ein, er sprach ihm von seinem Einfluß auf die benach-
barten türkischen Paschas und stellte ihre Mitwirkung bei Fort-
0 Die überaus herzliche Korrespondenz, die zwischen ihnen (Diebitsch,
Tolstoi, Tschernyschew) hin und hergegangen ist (Wojenno Utschenny
ArchiT 1048) darf darüber nicht täuschen.
*) Mündliche Erzählung Diebitschs an Tiesenhausen. Russkaja Starina 1891*
164 Kapitel V. Der Perserkrieg.
setzang des Krieges gegen Persien io Aussicht; die Härten, die
man ihm zum Vorwurf machte (er hatte einen Räuber mit dem
Kopf nach unten hängen lassen), entschuldigte er mit der Not-
wendigkeit, die wilden Bergvölker in Schrecken zu halten, vor
allem aber verstand er durch seine persönliche Liebenswürdigkeit
Diebitsch ganz für sich zu gewinnen. Die Berichte, die Diebitsch
dem Kaiser schickte, wurden immer günstiger für Jermolow, und
im gleichen Verhältnis ungünstiger für Paskiewitsch. Schon am
28. Februar erklärte er, daß Paskiewitsch für ein Oberkommando
jedenfalls noch nicht reif genug sei. Müsse Jermolow ersetzt
werden, so sei ein älterer öeneral, etwa der Feldmarschall Wittgen-
stein, besser dazu geeignet. Sein Gedanke scheint gewesen zu sein,
Paskiewitsch zu opfern und selbst, durch einige rasche Schläge als
Stabschef Jermolows, den Perserkrieg zu beendigen.
Aber der Kaiser war mit der Auffassung Diebitschs keines-
wegs einverstanden. An eben jenem 28. Februar, an dem Diebitsch
sich so entschieden gegen Paskiewitsch ausgesprochen, hatte Nikolai
dem Grafen Tschernyschew gesagt, daß, wenn Diebitsch seine Auf-
gabe nicht zu lösen verstehe, ihm nichts übrig bleiben werde, als
selbst nach Grusien zu reisen ^). Dazu ist es nun freilich nicht
gekommen, aber der Kaiser schickte ihm seinen Jugendfreund, den
Generaladjutanten Konstantin von Benkendorif, „zu Hilfe^, den
Bruder seines intimsten Vertrauten, des Chefs der 3. Abteilung der
höchsteigenen Kanzlei, und das bedeutete ohne Zweifel, daß
Diebitsch über den eigentlichen Zweck seiner Sendung nach-
drücklich aufgeklärt werden sollte.
Auch von anderer Seite gingen ihm Winke und Warnungen
zu. Der Graf Suchtelen'), gleichfalls Generaladjutant und Ver-
trauter Diebitschs, schrieb ihm am 14./26. Februar, daß die Ab-
^) Tschernyschew an Diebitsch. 28. Februar 1827. „que si yous ne par-
venez pas k y inettre fin, et si la mesure de votre envoi ne suffisait poiot, i\
paraitrait quMl o'y aurait plus d'autre moyen a prendre, que d*y aller soi-
raeme.« W. U. A. 1048.
0 »\\ m'est revenu par voies que je crois sures, que S. M. TEmpereur
aurait temoigne de plus en plus son mecontentement a T^gard du Genera)
Jermolow .... Ton espere de Vous, mon General, un parti decisif. . . . oq
parait redouter de Vous Yoir mettre un exces de chevalerie dans vos rapports
avec rhomme qui Vous regarde comme son ennemi personel ... la desti-
tution est la cbose indispensable autant que desiree, tout terme moyen ezigerait
un vrai plaidoy^r pour etre agre4 ici.** W. ü. A. 1. 1.
Kapitel V. Der Perserkrieg. 165
setzQDg ebenso unerläßlich wie erwünscht sei, schließlich aber hat
der Kaiser selbst in einer Reihe von Briefen mit steigender
Deutlichkeit seine Absichten kundgetan. Diebitsch hatte seinen
Auftrag oflfenbar mißverstanden und nicht begriffen, daß es sich
weniger um eine Untersuchung und um eine unparteiische Ent-
scheidung, als um die möglichst geschickte, in der Form schonende
Ausführung eines feststehenden Entschlusses des Kaisers handele.
Das Urteil war schon lange vor der Sendung Paskiewitschs ge-
sprochen, der Perserkrieg aber hatte einen erwünschten, auch nach
außen hin präsentabelen Vorwand gegeben: eine zehnjährige schlechte
Verwaltung, Unentschlossenheit, der Haß der Indigenen gegen den
Prokonsul — so nannte ihn der Zesarewitsch — , seine schlechten
Beziehungen zur persischen Dynastie, das alles mache ihn zu einem
schädlichen Diener, so formuliert Tschernyschew in einem Brief
vom 26. März, oflfenbar nach einer Unterredung mit dem Kaiser^
die Gründe, welche die Absetzung Jermolows zur Notwendigkeit
machten. Er fügt hinzu: auch raubt er dem Kaiser die Gemüts-
ruhe ^). Die Entscheidung ist am 27. März erfolgt und am 28.
unterzeichnete der Kaiser den Ukas, der Paskiewitsch zum Ober-
kommandierenden und den General Ssipjagin zum Militärgouverneur
von Tiflis ernannte. An demselben Tage aber hatte bereits Die-
bitsch, nach einem nicht mißverständlichen Briefe des Kaisers, den
entscheidenden Schritt getan, Jermolow') die Genehmigung seines
Abschiedsgesuches und Paskiewitsch seine Ernennung mitgeteilt.
Auch die Generale Madatow und Weljaminow wurden verabschiedet,
der letztere wegen Krankheit. So hatte Paskiewitsch gesiegt und
der glänzende Feldzug, der nunmehr folgte, rechtfertigte vor der
Welt die Entscheidung des Kaisers. Am 30. April verließ auch
Diebitsch Tiflis, trotz des gnädigen Schreibens, durch das der
Kaiser ihn zurückrief, etwas beunruhigt. Aber es waren unnötige
Sorgen, seine Stellung als Chef des Stabes blieb ihm gewahrt und
^) „nuisible pour le bien du service et meme pour la tranquillite de
r£mpereur.''
^) Jermolow wurde mit einer Pension von 14000 Rubel verabschiedet
und zog auf das kleine Gut seines Vaters, aber weder Nikolaus noch Alexander II.
haben ihm je ihre Gunst wieder zugewandt. Nikolai hat ihn zwar 1837 in den
Reichsrat berufen, aber diese Tätigkeit widerte ihn so an, daD er den Kaiser
im März 1839 bat, ihn „wegen Unfähigkeit'' seiner Stellung zu entheben. Das
wurde ihm in höchstem Zorn bewilligt. Jermolow ist erst 1861 gestorben.
166 Kapitel Y. Der Perserkrieg.
ebenso das weitere Vertrauen des Kaisers, der ihn zum Dank för
die Erledigung der kaukasischen Mission in den Grafenstand erhob.
Nachdem einmal Jermolow ohne den vom Kaiser bis zuletzt be*
fürchteten Eklat beseitigt war, mochten ihm die Zögerungen Die-
bitschs schon deshalb im günstigen Licht erscheinen, weil sie den
Eindruck eines unparteiischen, sorgPältig abgewogenen Vorgehens
erweckten.
Der nunmehr von Paskiewitsch in voller Selbständigkeit ge-
führte Feldzug, entsprach in seinen Anfangen einem noch von
Diebitsch und Jermolow aufgestellten Plan, wurde aber wesentlich
modifiziert, da sich bald herausstellte, daß die Wirklichkeit den
Voraussetzungen dieses Planes nicht entsprach. Auch mußte
Madatow durch den Generalmajor Pankratjew ersetzt*) und eine
Reihe anderer Personalveränderungen vorgenommen werden. An
Weljaminows Stelle trat General Krassowski, zum Generalquartier-
meister wurde Generalleutnant Graf Suchtelen ernannt').
Der Plan der Perser ging dahin, den Russen das Vordringen
durch Verwüstung der Gebiete von Nachitschewan und Eriwan
unmöglich zu machen. Sie zwangen die Bevölkerung, den Aras
zu überschreiten und ließen den Russen ein gänzlich verödetes
und menschenleeres Land. Bei den ungeheueren Schwierigkeiten,
welche die Verpflegung eines Heeres in diesen Bergländern bietet,
bedeutete das allerdings ein Hindernis, das nur durch gewissenhafte
Umsicht und durch einen eisernen Willen überwunden werden
konnte. Nach beiden Richtungen hin erwies Paskiewitsch sich seiner
Aufgabe gewachsen.
Sein Ziel war die Einnahme von Eriwan. Die Absicht des
Zaren ging nicht auf größere Eroberungen. Was er wünschte, war,
den Aras als Grenze und einen sicheren Frieden mit Persien zu
gewinnen. Schon der Ausblick auf den aller Wahrscheinlichkeit
nach bald bevorstehenden Türkenkrieg, schloß weitere Kombinatio-
nen aus. Aber gewiß haben auch hier Alexanders ursprüngliche
Pläne dem Willen des Kaisers die Richtung gegeben.
Der diplomatische Agent, der Paskiewitsch zugeordnet wurde,
( Jbreskow, als dessen Gehilfe der Dichter Gribojedow fungierte, war
beauftragt, keine günstige Gelegenheit zu versäumen, die sich für
\) Das geschab erst am 19. April, als Madatow bereits über 14 Tage im
Vormarscb war.
2) Am 14. Juli.
Kapitel V. Der Perserkrieg. 167
einen Frieden bot. Nebenher sollte er aber jede Einmischung der
Engländer in etwaige Friedensverhandlungen zurückweisen. Man
hatte guten Grund^ diesen halben Verbündeten zu naißtrauen, da
der Engländer Macdonald als vertrauter Ratgeber Fet-Ali Shahs in
diesem Kriege fungierte und fortdauernd bemüht war, den Mut
der Perser aufrechtzuerhalten *).
Der wesentliche Verlauf des Krieges ist nun der gewesen, daß
zunächst General Constantin v. Benkendorif beauftragt wurde, das
Kloster Etschmiadzin zu besetzen. In der Zeit vom 2. bis zum 13. April
wurde diese Aufgabe gelöst. Kampflos zwar, aber doch insofern
nicht mit dem erhofften Erfolge, als es sich ihm bei dem völligen
Mangel an Proviant unmöglich erwies, das Kloster zum Stützpunkt
weiterer Operationen zu machen. Er mußte sich daher damit be-
gnügen, eine kleine Besatzung und seine Kranken im Kloster zurück-
zulassen und versuchte selbst die Festung Sardar Abad zu nehmen,
was ihm wegen fehlenden Belagerungsgeschützes nicht glückte. Da-
gegen gelang es ihm, der persischen Reiterei, die Hassan Chan,
ein Verwandter Fet-Alis, kommandierte, eine empfindliche Schlappe
beizubringen und sich dann, trotz allem, bei Etschmiadzin zu
behaupten.
Inzwischen war Paskie witsch mit seiner Vorbereitung soweit
gediehen, daß er Anfang Mai sich in Bewegung setzen konnte.
Sein Heer bestand aus der vom Generalleutnant Krassowski kom-
mandierten Eriwanschen Armee (8 Bataillone Infanterie, 4 Kom-
pagnien Pioniere, 26 Geschützen und 12 Sotnien Kosaken) und den
zwei Divisionen der Hauptarmee (1. Division Generalmajor Fürst
Wadboljski, 2. Division Generalleutnant Fürst Eristow), die zu-
sammen 4800 Mann Infanterie, 800 Mann reguläre und 3000 Mann
irreguläre Kavallerie mit 26 Geschützen zählten. Die Perser waren
an Zahl weit überlegen, die Angaben über die gleichzeitig zusammen-
gezogenen Truppen schwanken zwischen 40 und 50000 Mann, sind
aber wahrscheinlich noch höher zu setzen. Ihre Kavallerie war
weit besser beritten als die russische, die Infanterie zum Teil von
^) Auf die Kriegsoperationen genauer einzugehen, wird hier nicht beab-
sichtigt. Sie sind mit großer Ausführlichkeit von dem Fürsten Schtscherbatow
im 2. Bande seiner Biographie Paskiewitschs nach den Akten des russischen
Generalstabes erzählt worden. Interessantes, wenn auch oft parteiisch dar-
gestelltes Detail, bieten die Memoiren von Murawjew-Karski in dem Russki
Archiv, Jahrgang 1889. Pläne und Karten bei Schtscherbatow.
168 Kapitel V. Der Perserkrieg.
eDglischeo Instrukteuren geschult, die Festungen nach orientalischen
Vorstellungen, mit ihren drei- und vierfachen Mauern, uneinnehmbar
und reichlich versorgt. Da das russische Belagerungsgeschütz erst
in den letzten Stadien des Kampfes eintraf, waren sie anfänglich
auch hier den Russen überlegen, aber ihre Artillerie ist nirgends
wirksam verwendet worden, während die russische Artillerie
ihren sehr wesentlichen Anteil an der schließlichen Entschei-
dung hat.
Als nun Paskiewitsch am 13. Mai vor Etschmiadzin eintraf,
hatte Benkendorif das Kloster wieder verlassen, um Eriwan zu
blockieren. Er hatte die Stadt am 25. erreicht und ein erfolg-
reiches Gefecht mit Hassan Chan gehabt, der sich ihm hier zum
zweiten Male mit seinen Reitern entgegenwarf. Aber die furchtbare
Sommerhitze dezimierte Benkendorffs Truppen und auf Befehl Pas-
kiewitschs hob er am 9. Juni die Blockade auf. Seine Truppen
beobachteten fortan von den nächsten Bergen aus die Stadt und
wurden später durch die Armee Krassowskis ersetzt, der von
Etschmiadzin aus verproviantiert wurde. Das Hauptheer führte
Piiskiewitsch nach Nachitschewan, wo er reichliche Verpflegung
durch die Nomadenstämme fand, die alle die russische Ober-
hoheit anerkannten.
Paskiewitsch griff aber nicht die Festung Nachitschewan an,
sondern das 10 Werst von ihr entfernte Abbas Abad, am linken
Ufer des Aras. Diese von europäischen Ingenieuren erbaute Festung
wurde von Mahmed Emin Khan verteidigt und konnte zudem auf
Entsatz durch Abbas Mirza rechnen, der, wie man bereits wußte,
mit 40000 Mann im Anmarsch war. Das aber gerade hatte den
Entschluß von Paskiewitsch bestimmt, fir hoffte, den Feind zu
einer Schlacht zu bewegen und so mit einem Streich die Ent-
scheidung herbeizuführen. Am 1. Juli hatte er die Belagerungs-
arbeiten begonnen und die Höhen besetzt, welche die Stadt
beherrschten. Am 3. zeigten sich die ersten Reiter des persischen
Entsatzheeres. Seine Späher meldeten, daß Abbas Mirza mit
26000 Mann und 40 Geschützen bei Tschors stand, und daß etwas
über 6 Meilen hinter ihm, in Choi, Fet-Ali mit einem gleich starken
Heere Aufstellung genommen habe. Gleichzeitig gehe Hassan Chan
gegen Nachitschewan vor. Bald danach folgte die Nachricht, daß
Fet-Ali dem Sohne erhebliche Verstärkungen geschickt habe, und
daß ein Angriff der Perser unmittelbar bevorstehe.
Kapitel V. Der Perserkrieg. 169
Paskiewitsch überschritt nun mit seinen Truppen durch eine
Furt den Araxes. Er selbst führte die Infanterie und die Artillerie^
Benkendorff die Kavallerie, Eristow den linken Flügel.
Der Feind hatte 15 Werst vom Fluß seine Stellung auf den
Höhen in gekrümmtem Bogen genommen, der ein steiniges Tal
umschloß. Während nun Paskiewitsch den Persern entgegen-
marschierte, wurde die Benkendorflfsche Kavallerie zeitweilig von
dem stärkeren Feinde arg bedrängt. Dann aber folgte die Ent-
scheidung überraschend schnell: dem vereinigten Angriff der
Infanterie Paskiewitschs und Eristows, die sich durch das Feuer
des Feindes nicht aufhalten ließ, hielten die Perser nicht stand.
Sie stoben in wilder Flucht auseinander und wurden von der
russischen Kavallerie und von der ihr nachrückenden Infanterie
8 Werst weit, bis zum Dorfe Chumler am Flusse Dshewan-Bulat
verfolgt. Nach diesem Fluß erhielt die Schlacht ihren Namen.
Von Seiten der Perser hat nur die Kavallerie, 16000 Mann stark,
an der Schlacht teilgenommen. Die Infanterie stand 4 Meilen
hinter Dshewan-Bulat; die Verluste auf beiden Seiten waren gering.
Die Perser verloren 400 Tote, 100 Gefangene und 2 Fahnen, die
Russen 9 Tote, 29 Verwundete und 3 Vermißte.
Eine beiläufige Bemerkung der aus dem Bericht Paskiewitschs
geschöpften russischen Darstellung der Schlacht ^) läßt es aber
zweifelhaft erscheinen, ob die Schlacht bei Dschewan-Bulat über-
haupt als eine ernste Niederlage der Perser betrachtet werden darf.
Abbas Mirza hoffte, so heißt es, die ganze Armee Paskiewitschs bis
nach Karasiadin, wo seine Infanterie in bergiger, befestigter Stellung
stand, zu locken. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß die
Flucht der Perser, die allerdings, wie die russischen Berichte be-
haupten, den Charakter einer Panik trug, in der Absicht Abbas
Mirzas eine Kriegslist nach Parther Art sein sollte. Daß die
Russen ihre Verfolgung so zeitig aufgaben, verdarb ihm seinen Plan.
Trotz alledem hat der moralische Erfolg des an sich wenig
bedeutenden Sieges die Kampagne für die Russen entschieden.
Nach kurzer Beschießung kapitulierte am 8. Juli die Festung Abbas
Abad mit der ganzen Garnison, soweit sie nicht schon vorher die
Flucht ergriffen hatte; 18 Geschütze, Pulver und, was besonders
wichtig war, 500 Tschetwert Getreide fielen in die Hände der
0 Bei Schtscbcrbatow 1. 1. II, 284.
170 Kapitel V. Der Perserkrieg.
Russen, und das ganze Bataillon Nachitschewan sowie ein Teil des
Bataillons Tabris trat in russische Kriegsdienste. Dennoch blieb die
Lage kritisch. Paskiewitsch hatte nur 6000 Mann im Lager vor Abbas
Abad, und etwa 18 Meilen weiter stand Fet Ali mit angeblich 50000
Mann bei Choi, während bei Tschors, in einer Entfernung von nur
acht Meilen, Abbas Mirza mit seiner immer noch 10000 Kopie
zählenden Infanterie seine Stellung behauptete. Vereinigten sich beide
zu einem Angriff auf die Russen, so schien ein Ruckzug un-
vermeidlich.
Aber gerade jetzt zeigte sich die Wirkung des Erfolges von
Dschewan-Bulat. Die von den Persern vertriebene Bevölkerung
kehrte wieder über den Araxes in das Eriwansche zurück, Paskie-
witsch setzte Abbas Abad in Verteidigungsstand und ernannte den
tapferen Generalmajor Baron Sacken zum Kommandanten der
Festung. Auch entschlossen sich die Perser nicht zum AngrilT; sie
hofften, daß die Rusyn vor den Mauern der Festungen Sardar
Abad und Eriwan sich erschöpfen würden, zumal ein erster
Versuch des Generals Krassowski, Eriwan zur Kapitulation zu
nötigen, bereits mißglückt war. Dabei hielt Paskiewitsch den Schah
durch die Friedensverhandlungen hin, zu denen ihn seine Instruktion
verpflichtete. Daß sie scheitern würden, ließ sich vorhersehen,
aber die Russen gewannen Zeit, um von Tiflis her ihre Belagerungs-
artillerie heranzuziehen. Auch die Perser waren nicht ganz untätig.
Abbas Mirza hatte Verstärkungen erhalten; er rückte mit 25000
Mann und 28 Geschützen gegen den General Krassowski, der sein
Lager vor Etschmiadzin hatte und nur über 6000 Mann verfugte.
Aber Krassowski war so kühn, mit nur 2000 Mann dem Feinde
entgegenzurücken, und auf den bergigen Höhen von Uschagan kam
es am 17. August zu einer blutigen Schlacht, die von 7 ühr
morgens bis 4 ühr nachmittags währte, in der die Russen 700 Tote
und 300 Verwundete, also jeden zweiten Mann, die Perser gegen
3000 Mann verloren. Beide Teile behaupteten schließlich ihre
Stellung, aber die Russen hatten ihr wesentliches Ziel erreicht
Der Feind wagte nicht weiter vorzugehen, sondern befestigte sein
Lager in Uschagan. Inzwischen wurde jedoch Etschmiadzin glucklich
verproviantiert und das Belagerungsgeschütz wirklich herangezogen.
Immerhin blieb bei der ungeheuren Übermacht des Feindes die
Lage Krassowskis gefährdet, und Paskiewitsch hatte sich bereits ent-
schlossen, ihm zu Hilfe zu ziehen, als Abbas Mirza plötzlich sein
Kapitel V. Der Perserkrieg. 171
befestigtes Lager aufgab und auf Eriwan zu marschierte. Unter-
wegs aber machte er in der Nähe der Festung Sardar Abad Halt,
und nun entschloß sich Paskiewitsch, dessen Ziel immer die Ein-
nähme von Eriwan blieb, vorher Sardar Abad zur Übergabe zu
zwingen. Er rechnete zudem darauf, daß die sehr reichlich ver-
proviantierte Festung ihn von der lähmenden Sorge für den Unter-
halt seines Heeres befreien werde'). Die mit außerordentlicher
Energie angegriffene und durchgeführte Belagerung hat dann wirklich
am Abend des 19. September, nachdem die Russen eine Bresche
geschossen hatten'), die Übergabe der Festung zur Folge gehabt.
Die Perser hatten der Wirkung des schweren russischen Geschützes
nicht standhalten können; die letzte Entscheidung h^itte ein
Sturm der Infanterie gegeben, der in dem Augenblick erfolgte, als
die Garnison aus der Festung zu fliehen begann. Sie wurde
von der russischen Kavallerie verfolgt und zum Teil nieder-
gemacht. Das Wesentlichste aber war, daß in der Festung 14000
Tschetwert Getreide gefunden wurden. „Das ist" — notiert Pas-
kiewitsch in seinem Kriegstagebuch — „ein wahrhaft kostbarer
Gewinn"; es ist sehr fraglich, ob ohne ihn eine Belagerung von
Eriwan hätte unternommen werden können. Abbas Mirza hat
nichts getan, um die Festung zu retten. Sobald feststand, daß
Paskiewitsch nahe, war er aufgebrochen, um in die Provinz Nachi-
tschewan einzufallen. Er hoiTte offenbar, die Russen dadurch von
Sardar Abad abzulenken und nach sich zu ziehen. Aber auch das
mißglückte. Paskiewitsch hatte sich nicht beirren lassen, und aus
Nachitschewan schlug der General Eristow die Perser hinaus.
Ebenso fruchtlos waren Abbas Mirzas Bemühungen, durch Gefähr-
dung der russischen Kommunikationslinien die jetzt drohende Be-
lagerung von Eriwan zu verhindern. Schon am 23. September lag
das Heer Paskiewitschs zwei Weist vor Eriwan, und am 3. Oktober
konnte er dem Kaiser melden: „Die Fahne Ew. Majestät weht von
') Beriebt Paskiewitschs an den Kaiser aus dem Lager yon Sardar
Abad, den 14. September 1827. Anlage I zu Band II, Kapitel VII, bei
Schtscherbatow.
*) „Die Festung Sardar Abad" — berichtet Paskiewitsch dem Kaiser —
«ist nach asiatischem Geschmack ausgezeichnet gebaut. Sie hat an drei Seiten
doppelte Verteidigungsmauern, nur an der Südseite, welche wir angriffen, ist
eine einzige Mauer. Der Umfang des länglichen Karrees ist sehr bedeutend.'*
Bericht vom 21. September. Festung Sardar Abad. 1. 1. Nr. 3.
172 Kapitel V. Der Perserkrieg.
den Mauern Eriwans. Die Schlüssel dieser berühmten Festung, die
ganze Garnison, alle Hauptanführer mit eingeschlossen, sind in un-
seren Händen, auch Hassan Khan, der diesmal weder fliehen, noch
sich durchschlagen konnte; dazu als Trophäen: 4 P'ahnen, 37 Kanonen,
2 Haubitzen, 9 Mörser, gegen 50 Falkonette, endlich die üntertan-
schaft und die Dankbarkeit aller Einwohner, die wir von ihren an-
geblichen Beschützern, in Wirklichkeit von ihren grausamen Be-
drängern, befreit haben. Das alles lege ich Ew. Majestät zu
gnädiger Berücksichtigung vor. Das Heer Ew. Majestät ist wiederum
durch den Glanz eines Sieges gekrönt worden. Die schnelle Erobe-
rung von Sardar Abad entsetzte den Feind und das mußte genutzt
werden."
Auch diesmal entschied die Überlegenheit der russischen Artillerie.
Dazu war eine Revolte der städtischen Bevölkerung und die Meuterei
eines Teils der Sarbasen gekommen. Fast ohne Opfer sind die Russen
Herren dieser stärksten persischen Festung geworden, „unser Verlust"
-^ schreibt Paskiewitsch in dem bereits angezogenen Berichte — „ist
infolge eines Zusammenwirkens vieler glücklicher Zufalle äußerst
gering. Das berühmte Eriwan, dessen Erwerbung, wie man glaubte ^),
Ströme Blutes kosten sollte, ist vor den siegreichen russischen
Waffen ohne große Opfer unserseits gefallen. Jetzt werden die
Lesghier, Dagestaner und alle Aufrührer in den kaukasischen
Bergen durch die Unterwerfung der Stadt, die ihnen stets als
Zufluchtsort diente, in Schrecken gesetzt sein. Von dorther er-
hielten sie Unterstützung an Geld, Waffen und durch alle Tücken
persischer Politik. Der Ruhm Eriwans in der Türkei und in
Persien ist unglaublich groß, noch unglaublicher aber erscheint ihnen
der Fall der Stadt nach sechstägiger Belagerung. 1^000 Mann
kriegsgefangener Garnison habe ich bereits nach Grusien ab-
gefertigt" ').
Die Antwort des Kaisers datiert aus Reval, den 29. Oktober
1827. Er hatte die Nachricht in Riga erhalten und in seiner
Freude sogleich seinen zweitgeborenen Sohn Konstantin Nikola-
jewitsch') zum Chef des grusischen Grenadier-Regiments ernannt.
^) Eine nicht mißzuverstehende Hindeutung auf Jermolow.
''^) Scbtscherbatow ]. 1. Auch Schilder zitiert diesen Brief.
3) Geboren den 9./21. September. Da der Großfürst Konstantin Pawlo-
witscb sich nicht hatte entschließen können, seine Patenpflicht persönlich zu
erfüllen, vertrat ihn der damals neunjährige Großfürst Thronfolger Alexander
Kapitel V. Der Perserkrieg. 173
Den Dolch und die Lanze Hassan Khans aber schenkte er dem
Generalgouverneur von Livland, Marquis Paulucci. Sein Schreiben
an Paskiewitsch war überaus herzlich und traf gleichzeitig mit den
Insignien des Großkreuzes des Georgordens 2. Klasse ein.
Die Anerkennung war wohlverdient. Es konnte einen Augen-
blick sogar scheinen, als werde der Fall von Eriwan das Ende des
Feldzuges zur Folge haben. Fet Ali hatte schon nach der Einnahme
von Sardar Abad den Thronfolger beauftragt, sofort Frieden zu
schließen, aber keinen Gehorsam gefunden, da Abbas Mii-za auf
den Widerstand Eriwans und auf eine Erhebung der Kaukasier im
Kucken Paskiewitschs rechnete. Weil sich das alles als trügerisch
erwiesen hatte, erneuerte der Schah seine Anträge; sie scheiterten
aber von vornherein, als Paskiewitsch eine Kriegsentschädigung von
10 Kurur, das ist 20 Millionen Rubel Silber, verlangte.
Fet Ali hätte sich ohne viele Einwendungen zu großen Land-
abtretungen bereit gefunden, denn das schädigte weniger ihn als
die Khane, denen die Verwaltung der einzelnen Provinzen über-
geben war und die zum Teil nur in scheinbarer Abhängigkeit von
ihm standen. Der Schatz dagegen war sein eigen, und da es in
Persien keinen Unterschied zwischen Staatskasse und Schatz des
Schah gab, entsetzte ihn die Forderung der Russen. Sie war ihm
unannehmbar. So mußte der Krieg wieder aufgenommen werden,
und das geschah von Seiten Paskiewitschs mit ebenso großer Um-
sicht wie Energie, während die Perser nach wie vor überall ver-
sagten. Das Zusammenwirken von Eristow, der die Vorhut führte,
mit Benkendorff und Paskiewitsch, während General Krassowski ')
mit der vorläufigen Verwaltung der Provinz Eriwan betraut war
und Generaladjutant Ssipjagin die türkische Grenze beobachtete,
um im Fall von Feindseligkeiten, die schon damals gefürchtet
wurden, entsprechende Gegenmaßregeln zu treffen, brachte Erfolge,
die dem General Paskiewitsch bald nicht geringe Verlegenheiten
bereiteten. Die ganze Provinz Aderbeidjan, das ist der Nordwesten
des Reiches südlich vom Aras, machte Anstalten, sich von der
Oberherrschaft der Kadscharen zu befreien und die russische Ober-
herrlichkeit anzuerkennen. Die Khanate Marag, Ahar, Ardebil,
Chol boten ihre Unterwerfung an, und fast alle Nomadenstämme
Nikolajewitsch. Konstanstin Nikolajewitsch wurde sofort der polnischen Armee
eingereiht.
>) Er wurde bald danach durch Osten-Sacken ersetzt
174 Kapitel V. Der Perserkrieg.
der Provinz standen in offenem Aufruhr. Es wäre für Paskiewitsch
ein leichtes gewesen, unter diesen Umständen das ganze Ader-
beidjan zu gewinnen. Auch wäre das seiner Meinung nach das
Richtige gewesen. Ging Aderbeidjan in russische Hände über, so
schien der Zerfall des persischen Reiches nur eine Frage naher
Zukunft zu sein, und der russische Einfluß hatte alle Aussicht,
unter überaus günstigen Voraussetzungen nach Osten hin vorzu-
dringen. Paskiewitsch hat damals bereits eine Zukunft ins Auge
gefaßt, die den Weg nach Indien erschloß. Wie die Verhältnisse
lagen, war er leichter über Persien und Afghanistan zu gewinnen,
als durch die Turkmenensteppen, die Sandwüsten Turkestans und
die Pässe des Pamir. Rußland sollte noch dreiviertel Jahrhundert
brauchen, um sich die Straße dahin zu bahnen.
Aber solche Pläne waren unausführbar, weil sich ihnen der
dynastisch-legitimistische Standpunkt des Kaisers entgegenstemmte.
Die Dynastie der Kadscharen war ihm die Vertreterin des Legiti-
mitätsprinzips auf persischem Boden '), und den Gedanken, empörte
Untertanen gegen den rechtmäßigen Landesherrn zu unterstützen,
lehnte er mit aller Entschiedenheit ab. Auch er stand ganz auf
dem Boden der Prinzipien politik Kaiser Pauls. Die Integrität
Persiens sollte gewahrt bleiben, doch hielt er sich für berechtigt,
infolge des Angriffs der Perser die persischen Provinzen Eriwan
und Nachitschewan, die jetzt tatsächlich in russischen Händen
waren, für sich zu behalten, so daß in Zukunft der Aras die Grenze
beider Reiche bilden sollte. Endlich verlangte er unter Berufung
auf den Frieden von Gulistan die Rückgabe des Khanats Talischin,
das ihm die Meeresküste und den Hafen von Lenkoran südlich von
der Mündung des Aras am K aspischen Meere sicherte, dazu eine
Kriegsentschädigung. Danach also hatte Paskiewitsch sich zu richten,
und darum ist der Krieg weitergeführt worden. Er hatte zudem
noch mit zwei wichtigen Faktoren zu rechnen: mit der W^ahr-
scheinlichkeit eines Türkenkrieges und mit der Sorge der Engländer
um die Wahrung ihres überwiegenden Einflusses in Persien. Schon
als am 13./25. Oktober 1827 Eristow, ohne auf Widerstand zu
stoßen, seinen Einzug in Tabris halten konnte, versuchten sie zu
vermitteln, aber Paskiewitsch bestand auf direkter Verhandlung mit
Abbas Mirza. Als dieser dann am ^^:J^}^L einen Unterhändler
2. November
0 Das war vom persischen Standpunkte nicht einmal richtig, da die
allen Schuten als Usurpatoren galten.
Kapitel V. Der Perserkrieg. 175
schickte, zeigte sich aber, daß dieser Standpunkt sich nicht be-
haupten lasse. Die von dem Geheimrat Obreskow, dem Diplomaten,
der dem Hauptquartier zugewiesen war, geführten Verhandlungen
zeigen uns bereits den englischen Gesandten Macdonald an der
Seite der Perser, und wohl dessen Einfluß ist es zu danken, daß
sich nunmehr Abbas Mirza dazu bequemte, in direkte und persön-
liche Beziehungen zu Paskiewitsch zu treten. Er traf am 6./18.
November mit kleinem Gefolge in Dei Kargan ein und zeigte sich,
obgleich Paskiewitsch inzwischen die von ihm geforderte Kriegs-
entschädigung auf 15 Kurur (30 Millionen Rubel Silber) erhöht
hatte, bereit, alle russischen Forderungen zu bewilligen. Nur solle
man dem englischen Gesandten gestatten, nach Teheran zu reisen,
damit auch Fet Ali zum Nachgeben bewogen werde. Da Paskie-
witsch zustimmte, schienen sich für den Abschluß des Friedens die
besten Aussichten zu eröffnen, denn England fürchtete nicht mit
Unrecht den Zerfall Persiens, wenn die Russen in Teheran ein-
rücken sollten. Daran aber hätte nichts sie verhindern können,
sobald sie entschlossen vordrangen. Trotzdem sind noch über zwei
Monate hingegangen, ehe 'der Krieg zu endgültigem Abschluß kam*).
Fet Ali konnte den Entschluß nicht finden, seine Millionen her-
zugeben. Lieber werde er, sagte einer der persischen Unterhändler,
drei Aderbeidjans abtreten.
Erst als Paskiewitsch trotz des harten Winters die Kriegs-
operationen wieder aufnahm, konnte am 10./22. Dezember ein
Waffenstillstand abgeschlosseu werden; da er am 2./14. Januar
1828 ablief, ohne daß die von Abbas Mirza im Namen des Vaters
versprochenen Gelder aus Teheran eintrafen, gingen am 10./22.
*) Ober den Gang der Verbandlungen, die Intrigen am Hof des Schah
und den Einfluß, den die drohenden Kriegsgerüchte aus der Türkei auf beide
Teile ausübten, berichtet Schtscherbatow ausführlich an der Hand der Akten
des russischen Kriegsministeriums. 1. 1. III, Kap. II und Anlagen.
Die Relation Schölers vom 16./28. Februar 1828, durch französischen
Kurier, sagt: soeben habe der Kaiser die Nachricht vom Wiederausbruch
der Feindseligkeiten in Persien erhalten. Vorstellungen aus Konstantinopel
und die Intrigen eines jüngeren Sohnes des Schah, des Statthalters von Cho-
rassan, hätten sie veranlaßt (gemeint ist Hassan Ali Mirza, der dritte Sohn
Fet Alis). Hassan habe Abbas Mirza des Verrats beschuldigt und versprochen,
die verlorenen Provinzen wiederzuerobem. Darauf seien die bereits im Beisein
eines russischen Beamten verladenen Millionen zurückgehalten und die Friedens-
verhandlungen abgebrochen worden. Berlin G.St.A. A. A. I Rep. I Turquie 1828.
176 Kapitel V. Der Perserkrieg.
Januar die Mitglieder der Friedenskonferenz von Dei Kargan un-
verrichteter Dinge auseinander. In wenigen Tagen fielen darauf
Urmia, das Khanat Marag, Ardebil in die Hände der Russen, und
im ganzen südwestlichen Aderbeidjan gab es bald keinen einzigen
persischen Soldaten mehr. Da endlich, am 1./13. Februar, wurden
den russischen Vorposten die ersten drei Kurur abgeliefert, und
Abbas Mirza meldete, daß er vom Schah beauftragt sei, den
Definitivfrieden auf die Bedingungen hin abzuschließen, die in Dei
Kargan vereinbart waren. Da Paskiewitsch sichere Nachricht hatte,
daß der Schah in der Tat nicht mehr als zehn bis elf Kurur auf-
bringen könne, setzte er seine Forderungen auf zehn Kurur herab,
und das gab den Ausschlag für den Frieden. Auch dazu verstand
er sich, die englische Vermittlung nunmehr anzunehmen. Fast
alle Räte und Minister Fet Alis standen im Sold der Engländer, und
ebenso beherrschte ihr Einfluß den Thronfolger Abbas Mirza. Es
war unmöglich, sie zu umgehen. So kam um Mitternacht^) vom
9. auf den 10./22. Februar in Turkmantschai der Friede zustande.
Außer Abbas Mirza waren als Vertreter Fet Alis der Minister des
Auswärtigen, Abul Hassan Khan, und der Ober-Eunuch und Schatz-
meister Manutscher Khan zugegen, von russischer Seite führten
Obreskow und Paskiewitsch die Verhandlungen. Das wesentliche
Ergebnis war, daß die Khanate Eriwan und Nachitschewan in
genau bestimmten Grenzen, wie sie gegen Persien noch heute be-
stehen, für ewige Zeiten mit Rußland vereinigt wurden, daß Ruß-
land das ausschließliche Recht erhielt, Kriegsschiffe auf dem
Kaspischen Meere zu halten und daß russische Konsulate in Persien
eingeführt wurden. Die Kriegsentschädigung wurde auf zehn Kurur')
festgestellt und vereinbart, daß nach erfolgter Zahlung von sieben
Kurur die russischen Truppen Aderbaidjar bis auf zwei feste Plätze')
räumen sollten, die nach Zahlung der letzten drei Kurur ebenfalls den
Persern auszuliefern waren. Kaiser Nikolaus erkannte Abbas Mirza
als den allein berechtigten Nachfolger des Schahs an, und beide
Herrscher versprachen einander, für sich und ihre Nachfolger gute
Nachbarschaft und Freundschaft zu halten.
^) Diese Stunde war vom persischen Astrologen als die günstigste be-
zeichnet worden.
') 20 Millionen Rubel Silber, nach dem damaligen Stand des Rubel-
kurses 70 Millionen Rubel Papier.
') Choi und Urmia.
Kapitel V. Der Perserkrieg. 177
]Nächst den Gebietsabtretungen fällt der Schwerpunkt des
Friedensschlusses auf die Einführung der Konsulargerichtsbarkeit,
sowie auf die den Handel betreffenden Bestimmungen. Sie haben
allen späteren Verträgen Rußlands mit dem Orient zum Vorbild
gedient *). Es charakterisiert den Schah und die Politik des Orients,
daß Fet Ali sich schließlich noch ein Geschenk von 5000 russischen
Dukaten in Gold, womöglich neuer Prägung erbat Die russischen
Abgeordneten, die nach Teheran geschickt wurden, um ihn zum
Abschluß des Friedens zu beglückwünschen, haben ihm am moham-
medanischen Neujahrstage, dem 10. März, dieses erbettelte Geschenk
zu seiner lebhaften Freude überreicht.
Vierzehn Tage danach traf Paskiewitsch in Tiflis ein. Der
Dank des Kaisera, der Titel Graf Paskiewitsch-Eriwanski und eine
Dotation von einer Million Rubel zeigten ihm, daß er trotz aller
Anfeindungen, die während des ganzen Verlaufs der Kampagne
gegen ihn am Werke gewesen waren, sich der Gunst seines Herrn
sicher fühlen durfte. Daß er Anlaß zu Beschwerden gegeben habe,
wußte Paskiewitsch selbst sehr wohl. In einem Brief an den Groß-
fürsten Michail Pawlowitsch hat er sich darüber — was ihm
nur zur Ehre gereichen kann — ganz rückhaltlos ausgesprochen'):
„Wenn ich jemals gewürdigt werde, wieder vor Ew. Hoheit zu er-
scheinen, wird es Ihr schwer fallen, mich wiederzuerkennen. Schlaf-
lose Nächte durch lange Zeiträume hindurch, die fehlende Ruhe,
der stete Wechsel der Ereignisse, Unannehmlichkeiten aller Art,
die durch keine menschliche Voraussicht abzuwenden waren, ein
Klima, in welchem auf unerträgliche Hitze Schneestürme folgten
wie in Rußland, das alles hat mich völlig gewandelt, und ich bin
vorzeitig alt geworden. Auch mein Charakter hat sich völlig ver-
ändert. Wenn man von Menschen und Verhältnissen oft das Un-
mögliche fordert, läßt sich das Gleichgewicht der Seele nicht
bewahren. Der Wunsch mehr zu tun, als die Pflicht gebietet,
treibt zur Maßlosigkeit. Die Hindernisse erbittern, man straft oft
und viel, und das gefällt niemandem. . .^ In Petersburg war man
durch die in Moskau perlustrierten Briefe der kaukasischen Oiiiziere
über die Härten Paskiewitschs wohl orientiert. Auch der Kaiser
wußte von ihnen. Aber das machte ihn an dem Manne, dem er
^) Siehe die Anlage, die den Wortlaut des Vertrages in deutscher Ober-
setzung bringt.
») Bei Schtscherbatow 1.1.111,8.96—97. Schreiben vom 11./23. Februar 1828.
Schiemann, Geschichte Rußlands. U. 12
178 Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino.
einmal sein Vertrauen geschenkt hatte, nicht irre. Das ist, im
Gegensatz zu Alexander, ein großer Zug im Charakter Nikolais,
der freilich, wie die Folge zeigen sollte, durch Mißbrauch zur
Schwäche werden konnte. Gerade die schlimmsten Schäden in der
Verwaltung des Reiches sind auf den Mißbrauch des kaiserlichen
Vertrauens zurückzuführen. Damals aber war es sicher wohl-
berechtigt, wenn Nikolai den siegreichen Feldherru stützte und
hielt. Er hatte in entscheidender Stunde ihm den Rücken gesichert.
Der Türkenkrieg stand unmittelbar bevor. Was unter diesen Um-
ständen der günstige Frieden mit Persien zu bedeuten hatte, zeigt
uns ein Brief Alexander Benkendorffs an M. S. Woronzow vom
16./28. März 1828. „Endlich ist sichere Nachricht vom Abschluß
des Friedens eingetroffen. . . Man muß gestehen, daß die Musel-
männer den rechten Augenblick zu wählen verstehen. Anno 1812
beeilten sich die Türken, den Frieden gerade in dem Augenblick
zu unterzeichnen, da Napoleon und ganz Europa in das Reich ein-
drangen: jetzt folgen die Perser ihrem Beispiel, um uns zu helfen,
ihre Glaubensgenossen zu zermalmen. . . .^ ^)
Das war ganz richtig, denn in den Tagen zwischen dem 9.
und 14. Februar 1828 (r. St.) hatte Kaiser Nikolaus sich endgültig
entschlossen, ohne weitere Zögerung seine Heeresmacht gegen die
Türkei zu führen').
Kapitel Tl. Torstadien des Tfirkenkrieges. Navarino.
Der Gedanke, daß ein Krieg gegen die Türkei für ihn zur
Notwendigkeit werden könne, hat den Kaiser Nikolaus von den
ersten Tagen seiner Regierung her lebhaft beschäftigt. Er liegt
nur wenig verhüllt sowohl den Vereinbarungen vom 4. April 1826
mit England, wie den Verhandlungen zu Akkerman zugrunde,
wenn auch hier wie dort das sichtbare Ziel die Gewinnung eines
dauerhaften Friedens sein sollte. Das war der notwendige Schein.
Schon im Frühling des Jahres haben, wie wir sahen, sowohl der
Prinz Eugen, wie General Diebitsch dem Kaiser Feldzugspläne
ausarbeiten müssen. Der Prinz war bestimmt, die vier Divisionen
zu führen, welche bei Ismail die Donau überschreiten sollten,
^) Woronzow Archiv, Bd. 35, Nr. 114. Schtscberbatow III, Anlage zu
Kapitel II, Nr. 12.
2) Relation Schöler, 10./22. März 1828 (durch die Post).
Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino. 179
«ventuell sogar das Kommando der 2. Armee zu übernehmen.
Das Zurückweichen der Türken hatte diese Pläne vertagt, aber
nicht beseitigt, und der Kaiser zweifelte nicht daran, daß trotz
allem die Verhältnisse den im Grunde aus Erwägungen der inneren
wie der äußeren Politik hocherwünscbten KonQikt herbeiführen
würden. So hat er dann mit großem Geschick in zäher Verfolgung
seines Zieles eine diplomatische Aktion eingeleitet, deren Grund-
gedanke zunächst dahin ging, in Erfüllung lange gehegter Pläne
Alexanders I., als Mandatar Europas die Exekution an der Türkei
zu vollziehen und die übrigen Großmächte zum Anschluß an die
Konvention vom 4. April 1826 zu bewegen. Aber diese Be-
mühungen fanden unter dem Schutz des Geheimnisses der Kanz-
leien statt; die Petersburger „Gescdlschaft^, d. b. die OfiGziere des
Gardekorps und der kleine Kreis derjenigen, die in direkter oder
indirekter Beziehung zum Hofe standen und von ihm den Stoff
für ihre Gedankenwelt zu empfangen gewohnt waren, erfuhren da-
von nichts. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf den unruhigen
Tätigkeitsdrang des Kaisers, der in überraschenden Revisionen der
öffentlichen Institute, in Paraden und Inspektionen, in seiner
hastigen gesetzgeberischen Tätigkeit und in dem Bestreben seinen
Ausdruck fand, durch sein persönliches Eingreifen den Augiasstall
bureaukratischer Gewissenlosigkeit und Trägheit gleichsam über
Nacht zu reinigen. Da er dabei naturgemäß nur oberflächliche
Einsicht gewinnen konnte, waren seine stets impulsiven Entschei-
dungen oft hart und ungerecht, weil sie auch Unmögliches verlangten
und noch häufiger nicht die eigentlich Schuldigen trafen *). Aber
unverkennbar war der Kaiser bemüht, seine Leidenschaften nieder-
zuhalten, namentlich wahrte er sich bei Paraden und anderen
militärischen Schaustellungen seine kaiserliche Würde. Um so
rücksichtsloser ließ der Großfürst Michail Pawlowitsch seinem
hitzigen Temperament freien Lauf, und die übertriebene Wert-
schätzung, die er den formellen Seiten militärischer Ausbildung
und militärischer Disziplin beilegte, wurden nachgerade zu einer
^) Am 10. Januar 1827 setzte der Kaiser den Zivilgouverneur von Peters-
burg Schtscherbinin ab, weil ihn eine Kevision der beiden groBen städtischen
Hospitäler (Obuchow und Kalinkin) nicht befriedigt hatte. Am 23. September
1827 wurde der kuHändiscbe Landbotenmarscball ßaron Rönne abgesetzt, weil
«r eine Beschwerde des kurländischen Landtags über den Generalgouverneur
Marquis Paulucci durch Staffette direkt an den Kaiser hatte gelangen lassen etc.
12*
180 Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Kavarinö.
Kalamität. Er war im November 1826 an Stelle des alten Generals
Woinow zum Kommandeur des Gardekorps ernannt worden und
widmete sich seinen neuen Aufgaben mit einem Eifer, der Soldaten
wie Offiziere zur Verzweiflung brachte. Michail wollte das Vorbild,
das ihm Konstantin in Warschau stellte, nicht nur erreichen,
sondern womöglich übertreffen. Das führte zu so unerträglichen
Quälereien, daß schließlich der Kaiser sich genötigt sah, e nzu-
greifen und durch Benkendorff dem Bruder ernste Vorstellungen
zu machen, die dann für einige Zeit halfen. Aber während der
Großfürst von den unter ihm stehenden Truppen eine fast über-
menschliche Selbstbeherrschung verlaugte, war er selbst ganz un-
fähig, den Impulsen des Augenblicks zu widerstehen. Die auf drei
Tage angelegten großen Manöver in Krasnoje Sselo im Sommer
1827, in denen der bald danach zum Kriegsminister ernannte
General Tschernyschew gegen Michail Pawlowitsch operierte,
wurden von diesem in einer Stunde zum Abschluß gebracht*
Er errang einen glänzenden Sieg, und das mochte genial erscheinen,
aber es verdarb die Manöver und spottete aller Voraussetzungen,
die den Operationen zugrunde lagen*). Über solche Dinge wurde
gelacht; anderes, w^ie namentlich die Art, wie der Kaiser seine
Vorstellung von Ordnung zur Geltung brachte, erbitterte. Den
fremden Beobachtern fiel die Schärfe auf, mit der in den Kreisea
der Gardeoffiziere über den Kaiser geurteilt wurde.
Von dem ersten Schrecken, den das über die Dekabristen er-
gangene Strafgericht hervorrief, hatte sich die „Gesellschaft^ bereits
erholt, und man begann in den Verurteilten Helden zu bewundern,
die für die „Freiheit'' aller gekämpft hatten. Nikolai wurde um
jene Zeit vom russischen Adel nicht geliebt, und seine Geheim-
polizei, die ihm regelmäßig ihre Berichte über das Gerede der
Salons in beiden Residenzen zugehen ließ, machte alle Selbst-
täuschung darüber unmöglich. Er suchte deshalb auf jede
*) Relation La Ferronnays, Petersburg, 31. Juli.
,Les grandes manoeuvres de Crasooje Selo, sont termines depuis le 27;
elles devaient durer plus longtemps, mais un mouvement bien combioe execute
sous les ordres du G. D. Michel, qui commendait les troupes opposees au
general Czernichew a fini dans uue heure la bataille qui devait durer trois
jours. On a eu a dt'plorer plusieurs gräves accidents ..." Dieser Bericht
wurde durch die Post expediert, war also darauf berechnet, in Rußland gelesen
zu werden.
Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino. 181
Weise die Soldaten an sich zu fesseln und verstand es in der
Tat ihre enthusiastische Bewunderung zu gewinnen*). Das Ge-
schwätz der „Gesellschaft^ verachtete er, er wußte wohl, daß es
in diesen Kreisen beim Heden bleiben werde, und daß eine Initia-
tive, die zur Tat fuhren könnte, von ihnen nicht zu fürchten war.
Aber er sorgte für genaue Überwachung der Unzufriedenen. Auch
gab ihm das Bewußtsein, daß er das Beste wollte: Ordnung, Be-
seitigung der Mißbräuche, Gerechtigkeit, Erhöhung der Macht Ruß-
lands, ein Gefühl von Sicherheit und Überlegenheit diesen Kritikern
gegenüber. Sie machten ihn an seinem „System'' nicht irre, und
er war entschlossen, es nach innen wie nach außen hin zu be-
haupten. Nur überschätzte er nach beiden Seiten hin seine tat-
sächliche Macht Im Innern dauerten die alten Mißstände fort*^),
weil er die Menschen nicht umwandeln konnte und ihnen keine
Ideale zu bieten hatte; nach außen hin aber wurde, wie es allezeit
der Fall gewesen ist, das Gewicht der russischen Macht höher ver-
anschlagt, als nachträglich die Wirklichkeit rechtfertigte.
Die russische Diplomatie arbeitete mit diesem Schein wie
mit einer Realität und wurde darin durch den Kaiser unter-
stützt, der in seinen Vorstellungen stets mit den Machtmitteln
^) „Le jeune empereur n'a rien neglige pour s^attacher cette importante
portion de ses sujets; il est impossible de s^etre montre ä son armee sous
des debors plus seduisants, et je pense qu'il pourrait compter sur Tenthou-
siasme quUI a su inspirer a ses sold&ts.'' Relation La Ferronnays. Peters-
burg, 18. Oktober 1826. Paris, depot des off. etrangeres. Russie, vol. 171, no. 80
'"^ Die Gräfin Nesselrode charakterisiert in einem Brief vom 8. November
1827 die Strömung folgendermaßen: ,11 serait k dt^sirer que Tinterieur du
pays marchät comme Texterieur, mais cette administration ne bat que d'une
aile; ce sont tonjours les memes mächoires qui sont ministres, on ne peut
point manier la jeunesse, le complot qui a eclate le 14 a deroute sur la con-
duite quMl fallait avoir. On les exaspere et depuis les pages jusqu'ä TUni-
versite il est constamment question d'insubordination et au Heu d^etoufTer ces
germes, ce sont des jeunes gens des premiers noms que Ton fait soldats, ce
qui mecontente les parents, les aigrit. . . C'est dommage de voir des gen^-
rations entieres se detruire et puis Ton s*^tonne que les hommes comme il
faut disparaissent. C'est la parade, Texercice oü tend tout le but des combi-
naisons qui detruit chez nous les Vi de la jeunesse. Jugez que toute cette
jeunesse est pervertie tellement que la bouche se refuse de citer ce quMls
fönt, et c'est k toutes les institutions publiques que cela s'apprend, y compris
le lycee. Malheureusement il n*y a aucune exageration dans tout ce que
je vous dis.*
182 Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino.
rechnete, über die Rußland hätte verfügen können, wenn die
Maschinerie der Staatsverwaltung in Ordnung gewesen und jeder-
mann seinen Pflichten gegen den Staat nachgekommen wäre. Das
ist aber während des ganzen Verlaufs seiner Regierung niemals
auch nur annähernd der Fall gewesen. Vielmehr haben die Miß-
bräuche, die wir als charakteristisch für das Rußland Alexanders I.
kennen lernten, sich entweder behauptet oder eine neue, nicht
minder verderbliche Gestalt angenommen. Der Typus der Beamten
Alexanders I. erhielt sich auch unter Nikolaus I., nur die Uniformen
wurden andere, nicht die Menschen. Die Jugend aber wurde
gedankenärmer und verdorbener. Auch erschwerte ihr der Kaiser
die Bildung, indem er Gesuche um Bildungsreisen abschlägig zu
bescheiden pflegte. Die jungen Leute, sagte er, kommen voll
kritischen Geistes zurück und finden — vielleicht mit Recht —
die Institutionen ihres Vaterlandes mangelhaft. Nun hatte der
Kaiser allerdings einige der meistverhaßten Werkzeuge Alexanders
beseitigt. Die Kuratoren von Kasan und Petersburg, der falsche
Finsterling Magnitzky und der ehrliche Mystiker Runitsch waren,
wie wir sahen, abgesetzt worden, Araktschejew lebte seit seiner
Rückkehr aus dem Auslande von den Geschäften fem in Grusino,
geriet aber in völlige Ungnade, als er im Januar 1827, ohne vor-
her die Genehmigung des Kaisers eingeholt zu haben, die Briefe
veröff'entlichte, die im Lauf der Jahre der verstorbene Kaiser an
ihn gerichtet hatte. Er hatte, als er offiziell über die Entstehung
dieser Publikation befragt wurde, die Stirn zu behaupten, daß sie
ohne sein Wissen erfolgt sei, und mußte durch eine danach ange-
stellte Untersuchung erst überführt werden, ehe er sich dazu be-
quemte, die Wahrheit zu gestehen und die vorhandenen Exemplare
auszuliefern^). Der Kaiser hat ihn nicht weiter bestraft, aber ihn
auch nicht mehr wiedergesehen.
An der Organisation der Militärkolonien wurde zunächst nur
die Änderung vorgenommen, daß sie dem Generalstabe des Kaisers
unterstellt wurden. Die Leitung aber lag tatsächlich in Händen
des Generals Kleinmichel. Er war es, der das ihm von Arak-
tschejew geschenkte Exemplar der Briefe Alexanders dem Kaiser
^) Es waren achtzehn, die bis auf zwei vernichtet wurden. Araktschejew
hatte aber zwölf weitere Exemplare unter dem Glockenturm Yon Qrusino ver-
mauern lassen. Nikolai war über die „infame Lüge" Araktschejews entrüstet»
aber er schonte in ihm den Freund Alexanders.
Kapitel VI. Vorstadien des Torkenkrieges. Navarino. 183
auslieferte, worauf dann der Zesarewitsch Konstantin mit der ihm
eigenen Derbheit in einem Schreiben an den Kaiser seiner Ver-
achtung unzweideutigen Ausdruck gab. Nikolai suchte Klein-
michel zu entschuldigen, schloß jedoch mit der Bemerkung, als
Kaiser sei er nun einmal in der Lage, auch Leute von un-
lauterer Gesinnung zu brauchen. Kleinmichel hat Nikolais be-
sonderes Vertrauen genossen, war aber nicht minder hart und
nicht minder verhaßt als Araktschejew. In das Präsidium des
Reichsrats trat nach dem Tode Lopuchins der bisherige Vorsitzende
des Ministerrats, Graf Viktor Kotschubej ^), gleichfalls ein alter
Herr. Im Oktober 1827 wurde Fürst Alexej Dolgorukow an
Lobanow-Rostowskis Stelle Justizminister und kurz vorher zu
Tatisch tsche WS Nachfolger der Generaladjutant Graf Alexander
Tschernyschew ernannt. Minister des Innern wurde der kluge
aber harte Generalgouverneur von Finland, Sakrewski*). In ihren
Stellungen behaupteten sich der wegen seiner Sachkenntnis und
Redlichkeit unentbehrliche Finanzminister Graf) Cancrin und der
zum Vizekanzler erhobene Minister des Auswärtigen, der Graf
Nesselrode, der durch Fleiß, Geschmeidigkeit und Formgewandtheit
sich die Gunst seines Herrn zu erhalten verstand. Gerade,
daß er nicht mit eigenen Ideen auftrat, machte ihn dem
Kaiser genehm, der seinen Stolz darin setzte, die auswärtige
Politik selbst zu leiten. Die Vertretungen Rußlands im Auslande
blieben bestehen, wie Alexander sie dem Bruder hinterlassen hatte.
Die wichtigste und wie es schien erfolgreichste Veränderung
war jedoch die Neuorganisation des Marineministeriums, mit der
der Kaiser den nach seiner Rückkehr aus Persien zum General-
adjutanten ernannten Fürsten Alexander Menschikow betraute, ob-
gleich dieser niemals Seemann gewesen war. Aber er hatte einen
scharfen Verstand, eine ungewöhnliche Arbeitskraft, den Ehrgeiz
seiner Stellung und war Bestechungen unzugänglich. Mit dem See-
wesen hatte er sich aus Liebhaberei beschäftigt und von den in
der russischen Marine herrschenden Schäden eine sehr deutliche
Vorstellung gewonnen. Seit den Tagen Peters des Großen war alles,
1) Den ^^^ 1827. Kotschubej war schon 1802 Minister des Innern
gewesen. Er ist 1768 geboren.
V) I^lAptII 1828.
^ L Mai
3) Er wurde 1829 nach Beendigung des Torkenkrieges Graf.
184 Kapitel VI. Vorstadien des Tärkenkrieges. Navarino.
was mit der Marine in Zusammenhang stand, dem sogen. Admira-
litätskollegium unterstellt Alexander I. hatte daraus ein Marine-
ministerium gemacht und in den ersten Jahren seines Regiments
auch der Flotte ein gewisses Interesse zugewandt. Nach Tilsit,
als Rußland dem System der Kontinentalsperre beitrat und seine
Flotte der Übermacht Englands nicht entgegenzutreten wagte,
schwand das Interesse für die fast nutzlos gewordene Waffe, und
auch nach den Freiheitskriegen wurde es nicht wieder lebendig.
Obgleich noch aus den Tagen Katharinas II. und Pauls einige
tüchtige Seeleute übrig waren, begann die Flotte zu verfallen. Sie
stand seit 1811 unter der Leitung eines ehemaligen französischen
Emigranten, des Marineministers de Traverse '), der seinerseits nichts
getan hat, um dem Niedergang der russischen Seemacht entgegen-
zuwirken, so daß sie bald zum Spott der seekundigen Ausländer
wurde, die in Kronstadt die nutzlos verkommenden und buch-
stäblich verfaulenden Kriegsschiffe sahen. Sie dienten nur zur
Bereicherung der Marinemannschaften^ vom Minister bis hinab zum
Matrosen, und wurden im vollen Sinne des Wortes kapp und kahl
gestohlen*). Der Zustand dieser Flotte war ein so kläglicher, daß
in der medisierenden russischen Gesellschaft die Rede ging, England
habe die russische Regierung gezwungen, ihre Kriegsmarine zu ver-
nichten, und nur mit Mühe sei das Zugeständnis erlangt worden,
daß diese Vernichtung der Flotte allmählich und in einer Weise
stattfinden dürfe, die der Nation den darüber geschlossenen
*) Prevost de Santac, Marquis de Traverse. Siehe die historische Über-
sicht über Entwicklung und Tätigkeit des Kriegs ministeri ums 1802 — 1902
von Agorodnikow. Petersburg 1902. Russisch.
2) „Wenn die schlauen und treulosen Vorgesetzten sich das Ziel gesteckt
hätten, unter Ausnützung der Schwäche der Regierung und der geringen Auf-
merksamkeit, die sie dem Ileil des Vaterlandes zuwendet, auf Antrieb und unter
Unterstützung unserer Feinde und zum eigenen Vorteil unsere Flotte bis zur
äußersten Nichtigkeit herabzudrücken, so hätten sie ihr auch dann eine ver-
ächtlichere und schwächere Lage nicht schaffen können als die ist, in der sie
sich befindet. Die verfaulten Schiffe sind schlecht und ärmlich bewaffnet und
noch schlechter und ärmlicher ausgerüstet, die Anführer der Flotte Greise,
kränklich, unwissend, Kapitäne und Offiziere ohne Erfahrung, die Matrosen
Bauern, die' man Seeleute nennt! Wenn das eine Flotte macht, ja, dann
haben wir eine Flotte I"
Denkschrift eines alten Seeoffiziers vom 31. Dezember 1824. Manuskript.
Russisch.
Kapitel VI. Vorstadien des Turkenkrieges. Navarino. 185
Vertrag verbarg! Glaubte doch selbst der GeneralleutDant
GoIovüLu, daß die Regierung einen geheimen politischen Zweck
verfolgen müsse, wenn sie einen Teil ihrer Wehrkraft so systema-
tisch zugrunde richte^). Das war natürlich leeres Geschwätz,
aber die Tatsache bleibt bestehen, daß allerdings von Jahr zu Jahr
der Bestand der gesamten Kriegsmarine für Kriegszwecke unver-
wendbarer wurde.
Nun war der alte Marineminister Marquis de Traverse im
Jahre 1821 schwer erkrankt und Alexander hatte infolgedessen die
Geschäfte auf den Chef des Admiralstabes von Moller übertragen,
so daß nunmehr alle Marineangelegenheiten in einer Hand konzen-
triert wurden. Es wurde aber dadurch uicht besser, sondern noch
schlimmer, und vollends ward infolge der großen Überschwemmung
vom 7./19. November 1824 der Bestand der Flotte auf das empfind-
lichste geschwächt. Vier Linienschiffe, eine Fregatte und drei
kleinere Schiffe wurden auf eine Sandbank geworfen, von den 50
Kanonenbooten der größte Teil schwer beschädigt, so daß zu An-
fang der Regierung Nikolais die baltische Flotte aus nur fünf
Linienschiffen, zehn Fregatten und 10 bis 12 kleinen Schiffen
bestand.
Hier nun griff der Kaiser mit Energie ein. Er ließ zwar
Moller im Amt, aber schon am 31. Dezember 1825 setzte er ein
Komitee zur Begründung einer Flotte ein, zu dem die Vizeadmirale
Ssenjawin, Pustoshkin und Greigh, der Kontreadmiral Koshnow
und die Kapitänkommandeure Krusenstiern, Ratmanow und Dellings-
hausen befohlen wurden. Ihre Aufgabe war, die verschiedenen
Zweige der Marineverwaltung genau abzugrenzen, alles Überflüssige
auszuscheiden, das Nützliche beizubehalten, Unzureichendes zu ver-
vollständigen, den Geschäftsgang zu beschleunigen und die Be-
ziehungen der Expeditionen zum Admiralitätskollegium und zum
Admiralitätsdepartement klar zu legen. Da der Kaiser selbst an
den Sitzungen regen Anteil nahm, wurde auch wirklich mit
Erfolg gearbeitet. Aber erst nachdem Fürst Menschikow hinzuge-
zogen wurde, schritt die Arbeit energisch und mit außerordentlicher
Schnelligkeit fort. Am 27. August 1827 bestätigte der Kaiser die
vorläufige Organisation des Marineministeriums. Es ist geradezu
erstaunlich, was Menschikow in dieser kurzen Zeit geleistet hat.
>) Aus der oben erwähnten „Denkschrift".
186 Kapitel VI. Yorstadien des Türkenkrieges. Nayarino.
Als der Kaiser am 10. JuDi eine Musterung der zur Ausfahrt
bestimmten Flotte hielt, bestand die Avantgarde unter dem Vize-
admiral Lotuchin aus drei Linienschiffen und drei Fregatten, das
Corps de bataille unter Admiral Ssenjawin aus drei Linienschiffen
drei Fregatten, einer Brigg und einer Korvette, die Arrieregarde
unter Kontreadmiral Graf Heyden aus zwei Linienschiffen und vier
Fregatten. Wie es schien, war alles in bestem Stand. V^on den
Linienschiffen hatte der Gangut 84 Kanonen, die übrigen 74, die
Fregatten 64, 48, 36 resp. 20 Geschütze. Der Kaiser gab seiner
Zufriedenheit lebhaften Ausdruck, lobte die Offiziere und beschenkte
die Mannschaften. Er glaubte an die ruhmvolle Zukunft seiner
Flotte. Auch der preußische Gesandte berichtet, daß alles vor-
trefflich verlaufen sei und von diesem Tage wohl eine neue Ära
der russischen Marine datieren werde. Wer die Geschichte der
russischen Flotte kannte, mochte weniger optimistisch urteilen. Es
war doch alles Hastarbeit gewesen, was man geschaffen hatte, und
vor allem mußte es von vornherein als ausgeschlossen gelten, daß
die zum Teil ganz unerfahrenen Offiziere und die des Meeres unge-
wohnten Mannschaften ihren Aufgaben gewachsen sein könnten')«
Auch mußte der Kaiser sehr bald eine böse Erfahrung über die
Leistungsfähigkeit seiner neuen Schiffe machen. Er stellte kurz
danach dem alten Präsidenten des Reichsrats, Kotschubej, der im
Sommer mit seiner Familie in Reval baden wollte, die für den
Revaler Hafen bestimmte Fregatte Westowoj zur Verfügung. Der
Kapitän war aber seines Schiffes so wenig Herr, daß er 11 Tage
vor Reval kreuzte, ohne in den Hafen einfahren zu können, so daß
Kotschubej bat und schließlich befahl, ihn wieder nach Kronstadt
zurückzufahren. Er kam auch glücklich dort an und fuhr nun zu
Lande nach Reval, während der Westowoj noch einmal sein Glück
versuchte. Aber die Fregatte scheiterte an der estländischen Küste,
und nur mit großer Mühe gelang es die fast ganz aus Neulingen
bestehende Mannschaft zu retten. Da mochte der Kaiser wohl mit
') Durch Ukas vom 18. September 1827 (V. S. R. G. No. 1874) wurde die
baltische Flotte in Divisionen und Geschwader geteilt und am U. März 1828
bestimmt, daß die Kommandeure der Geflchwader auch Brigadekommandeure
der drei Equipagen sein sollten, aus denen jedes Geschwader bestand. Das
ergab die folgende Ordnung: drei Divisionen (der blauen, weißen und roten
Flagge) mit je drei Geschwadern zu je neun Equipagen. Man zählte also
Equipage 1—27.
Kapitel VI. Vorstadieo des Türkenkrieges. Nayarino. 187
Sorge au das große Geschwader denken, das unter Ssenjawins
Kommando auf dem Wege nach England war. Es war bestimmt,
eine politische Aufgabe zu lösen, an deren Ausführung der Kaiser
seinen Ehrgeiz und sein diplomatisches Geschick gesetzt hatte.
Seit dem 6. Juli 1827 bestand eine englisch-russisch-französische
Tripelallianz, die aus dem Protokoll vom 4. April 1826 erwachsen, der
orientalischen Frage eine Wendung geben sollte, an welche der Kaiser
die Hoffnung knüpfte, daß sie vor allem den russischen Interessen
forderlich sein werde. Der Kaiser hatte gleich nach dem Austausch
der Ratifikationen von Akkerman alles, was an ihm lag, getan,
um den Beziehungen zur Türkei eine günstige Wendung zu geben.
Erst Minciaky und danach Kibeaupierre, der mit dem neuen Jahr
1827 nach Konstantinopel aufbrach, wurden beauftragt, in diesem
Sinne zu handeln, zugleich aber aufs genaueste darauf zu achten,
daß die Stipulationen von Akkerman auch wirklich ausgeführt
würden. Auch zeigte die Pforte zunächst guten Willen. Sie
stand noch unter den Nachwirkungen der Krisis, die durch Ver-
nichtung des Janitscharenkorps bedingt war, und hatte vollauf zu
tun,, wenn sie die Reorganisation ihrer Armee zur Wirklichkeit
machen wollte. In der Moldau und Wallachei begannen nach der
Zurückziehung der türkischen Polizeitruppen die Mißbräuche zu
schwinden und die Hospodare richteten, durch den Erfolg der
russischen Politik belehrt, ihre Blicke weit mehr nach Petersburg,
als nach Konstantinopel '). Auch in Serbien wurden die Zustände
erträglich und, was besondere Befriedigung erregte, der Handel
von Odessa begann wieder aufzublühen, auch war während des
persischen Krieges die Haltung der Pforte durchaus korrekt gewesen.
Aber der Kaiser glaubte nicht an die Lebensfähigkeit der Türkei
und hatte sogar von seinem Stabschef, dem General Diebitsch, einen
Teilungsplan für den Fall des Zusammenbruches der Türkei aus-
arbeiten lassen. Doch das lag noch in weiter Ferne, und das
nächste Ziel war, aus dem Protokoll vom 4. April den möglichsten
>) Jorga, Rapoarto consulare. Margotti an Kreuchel 9. Januar 1827.
„Le consul de Russie est le despote de son Altesse, 11 n'a qu'ä ouvrir la
bouche pour etre aveuglement obei/ Man behauptete, daß der Uospodar
Gbika, um sich auf dem Thron zn behaupten, vier Millionen Piaster nach
Rußland geschickt habe! Ribeaupierre traf am 7. Januar 1827 in Jassy, am 18.
in Bukarest ein. Unter den Bajoren gab es neben der russischen eine
türkische und eine österreichische Partei.
188 Kapitel VI. Vorstadien des Tärkenkrieges. Navarino.
Nutzen zu ziehen. Obgleich mit Wellington vereinbart war, daß
das Protokoll erst nach Lievens Rückkehr den übrigen Mächten
mitgeteilt werden sollte, hatte mau es in Rußland für nützlich be*
funden, sich darüber hinwegzusetzen. Die Kabinette von Berlin,
Wien und Paris wurden vertraulich ins Geheimnis der englisch-
russischen Vereinbarungen gezogen. Sehr erbaut war man über
dieses selbständige Vorgehen des jungen Zaren an keinem der drei
Höfe. Während Friedrich Wilhelm trotz mancher Bedenken
keinen Widerspruch erhob, hielten Frankreich und Österreich mit
ihren prinzipiellen Einwendungen nicht zurück. Mettemich klagte
über den Bruch Rußlands mit den Maximen der großen Allianz,
Frankreich fühlte sich verletzt, weil es in einer Angelegenheit von
allgemeinem europäischen Interesse nicht befragt worden war. Die
besondere Stellung, welche Nikolai dem Grafen La Ferronnays ein-
geräumt hatte, machte die schließliche Überraschung durch ein
fait accompli um so empfindlicher. Es scheint nun, daß der
Kaiser es verstand, durch Aussichten, die er dem französischen
Kabinett für den Fall eines Zusammenbruchs der Türkei eröffnete,
jene Empfindlichkeit zu überwinden. Die österreichischen Ein-
wendungen aber konnte er durch den Hinweis auf die Verträge
von 1814, 15 und 18 abwehren. Sie enthalten in der Tat nichts,
was den Schluß berechtigt hätte, daß die türkischen oder griechi-
schen Angelegenheiten als gemeinsame Interessen der Allianz auch
gemeinschaftlich zu behandeln wären.
Der Schwerpunkt der Aktion aber mußte naturgemäß nach
London fallen. Sollte das Protokoll vom 4. April die Vorteile
bringen, die Nikolai erwartete, so mußte England bestimmt werden,
sich mit Rußland womöglich zu gemeinsamen Zwangsmaßregeln zu-
sammenzutun, wenn die Pforte die vereinbarte Mediation beider
Mächte nicht annahm. Es kam dem Fürsten Lieven, dem die Ver-
handlungen zufielen, zu gut, daß Canning entschlossen war, unter
keinen Umständen die griechische Frage den Russen allein zu über-
lassen. Da nun um jene Zeit der Ausgang der Verhandlungen von
Akkerman noch unsicher war, ein russisch-türkischer Krieg demnach
in den Kreis der politischen Wahrscheinlichkeitsrechnung gezogen
wurde, verlangte Englands Interesse eine weitere Festigung und Aus-
dehnung des Protokolls. Canning unterrichtete daher Lieven über den
augenblicklichen Stand der englisch-griechischen Beziehungen. Strat-
fort Canning, der englische Botschafter in Konstantinopel, habe der
Kapitel VI. Vorstadieo des Türkeokrieges. Nayarino. 189
Pforte bereits kundgegeben, daß England „und die übrigen Mächte^ die
Fortdauer des Unwesens der Piraten im Archipel nicht länger dulden
könnten, und daß England durch seine Flotte jeden Versuch ver-
hindern werde, die christliche Bevölkerung Griechenlands auszu-
rotten. Das solle Kußland nicht nur den übrigen Mächten mit-
teilen, sondern sie auch in Gemeinsamkeit mit England auffordern,
dem Protokoll in aller Form beizutreten. Für den Fall aber, daß
die Verhandlungen in Akkerman zum Ziel führten, werde es nütz-
lich sein, sofort die griechische Frage anzugreifen und der Pforte
mit einer Annäherung der Mächte an Griechenland zu drohen.
Gebe sie auch dann nicht nach, so solle man die Botschafter aus
Konstantinopel abrufen. Canning legte dieser Frage so große
Wichtigkeit bei, daß er am 18. September 1826 nach Paris ging, um
mit dem Minister des Auswärtigen, Damas, zu verhandeln. Dort
war inzwischen der Bericht La Ferronnays über seine Unterredung
mit Nikolai eingelaufen und von dem Fürsten Polignac, dem franzö-
sischen Botschafter in London, bereits der Gedanke angeregt worden,
das Protokoll in einen Vertrag zu verwandeln, dem dann mit den
übrigen Mächten auch Frankreich beitreten werde*). Man hoffte,
Paris zum Sitz der Verhandlungen machen zu können. In diesem
Sinn ist, dank dem Druck, den nunmehr auch Canning ausübte,
La Ferronnays am 22. Dezember 1826 instruiert worden. In
Petersburg war man im Prinzip mit den englischen Vorschlägen
wohl zufrieden, aber sie schienen dem Kaiser keine ausreichende
Bürgschaft für einen durchgreifenden Erfolg zu bieten. Schon im
Juni, als Österreich eine Neutralitätserklärung erließ, die bestimmt
war, den österreichischen Handel vor Griechen und Türken zu
schützen, und sich erbot, den Schutz seiner Flotte auch den russi-
schen Kauffahrern zu gewähren, hatte Nikolai erklärt, daß er ein
eigenes Geschwader in den Archipel schicken werde, und der Eifer,
mit dem er an der Erneuerung seiner Flotte arbeitete, bewies, daß
es ihm ernst damit war, möglichst bald die russische Flagge in
*) Instruktion für La Ferronnays 22. Dezember 1826: ,Sa Majeste a
donne son adhesion aux propositions faites par les cabinets de Londres et
de St. P^tersbourg, en y ajoutant deux restrictions relatives, Tune au rappel
des ambassadeurs, et Tautre k l'exercice de la garantie; mais que dans la
conviction oü eile est de l'impossibilite d'atteindre le but sans Paccord
unanime et la siroultaneite des demarcbes de toutes les puissances. Elle
propose de convertir en un traitu entre les cinq Cours les bases du protocole*\
190 Kapitel VI. Vorstadien des Törkenkrieges. Nayarino.
den türkischen Gewässern zu zeigen. Jetzt schlug er Canning vor,
von Türken und Griechen einen Waffenstillstand zu verlangen
wenn aber die Piorte sich dazu nicht bereit finden und ihren Aus-
rottuugskrieg gegen die Griechen fortsetzen sollte, zu Zwangsmaß-
regeln zu schreiten, deren Ausführung er den im Archipel zu
konzentrierenden Flotten der alliierten Mächte übertragen wissen
wollte.
Dieser russische Antrag traf in London fast gleichzeitig mit
der Nachricht ein, daß die Türken in Akkerman in allen Stücken
sich den russischen Forderungen gefügt hätten. Schon das wirkte
insofern ernüchternd, als die Wahrscheinlichkeit eines russisch-
türkischen Krieges bis auf weiteres beseitigt schien, und damit
auch das Interesse Englands an einem Mitwirken Rußsands an der
Faziftkation Griechenlands schwand. Dazu kam, daß in den spanisch-
portugiesischen Differenzen England und Frankreich divergierende
Interessen vertraten, so daß nach einer drohenden Rede, die
Canning am 11. Dezember im Unterhause gehalten hatte, zeitweilig
die Befürchtung bestand, daß der Ausgang zu einem französisch-
englischen Kriege führen könnte*). Endlich wurde im Februar
1827 Lord Liverpool vom Schlage getroffen, und vor der Frage der
Rekonstruktion des Kabinetts traten nunmehr alle anderen Inter-
essen in den Hintergrund. Sowohl England wie Frankreich wurden
zurückhaltend. Preußen, das der Kaiser am 6. Februar aufgefordert
hatte, dem Protokoll beizutreten und die Umwandlung der Verein-
barungen vom 4. April in einen Vertrag auf einer Londoner Konferenz
den Vertretern der fünf Mächte zu übertragen, stellte seine Zu-
stimmung in Abhängigkeit von der Beteiligung aller Mächte an der
Konferenz, oder mit anderen Worten, es stellte seine Politik in
Abhängigkeit von der Haltung Österreichs. Metternich aber wollte
dem Vertrage nur beitreten wenn vorher vereinbart wurde, daß
') Compte rendu pour 1826. Petersburg, Minist, des Ausw. „L'Angleterre
exprimait rintention de soatenir la Charte de D. Pedro. L^EspagDe cessa de
l*attaquer. Quel devait etre dans cette conjoncture le role de la France dont
les troupes occupaient encore une partie de la Peninsule? ne pouvait-elle pas
se trouver tout d*un coup en collision avec la puissance Britannique, et oü
s^arreteraient les suites de ce cboc fatal ? Le danger d'une guerre europeenne
planait evidemment sur le monde.*^ Siehe auch die Memoires du chancelier
Pasquier. Bd. VI. Rußland nahm für sich das Verdienst in Anspruch, die
Gefahr beseitigt zu haben.
Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino. 191
vor der Anwendung von Zwangsmitteln gegen die Pforte neue Be-
ratungen der Mächte stattfänden. Es war klar, daß er die türkisch-
griechische Frage in die Bahnen zurückführen wollte, in die er sie
seit 1821 gebannt hatte. Für den Kaiser war es endlich eine große
Enttäuschung, als La Ferronnays ihm jetzt erklären mußte, daß
er über seine Instruktionen hinausgegangen sei, wenn er den An-
schluß Frankreichs an einen Vertrag auf Grund des Protokolls
versprochen habe. Seine Regierung müßte auf einheitliches Ver-
halten aller Mächte bestehen; damit schien auch Frankreich in das
österreichische Fahrwasser einzulenken. Aber Nikolai hielt an
seinen Plänen fest. Er gab sich den Anschein, als ob ein Aus-
scheiden des französischen Einflusses der russischen Politik größere
Aussichten für die Zukunft eröffne, unterließ auch nicht mitzuteilen,
daß Metternich ihm für den Fall eines Zusammenbruchs der Türkei
Andeutungen über eine Teilung der Beute gemacht habe, unter
allen Umständen aber werde er die einmal übernommenen Ver-
pflichtungen auch erfüllen, mit England oder auf eigene Hand.
Dazu ist es zum Glück für ihn nun nicht gekommen. Ein
selbständiges Eingreifen der russischen Flotte hätte aller Wahr-
scheinlichkeit nach zu einer Katastrophe geführt. Der weit über-
legeneren und seetüchtigeren Flotte Ibrahims war sie ohne Zweifel
nicht gewachsen.
Der Sieg Cannings über seine Gegner und seine Übernahme
der leitenden Stellung im Ministerium (10. April 1827) änderte
die Lage und führte auch in Frankreich zu einem Umschwung.
Zwischen Lord Dudley, dem Freunde Cannings, jetzt Staatssekretär
der auswärtigen Angelegenheiten, Lieven und Polignac fanden Ver-
handlungen statt, die immer mehr einer Verständigung entgegen-
führten. Die Erfolge der Wafi'en Ibrahims, der in der Tat die
Griechen mit Vernichtung bedrohte, und die hochmütige Sprache
der Pforte beschleunigten diese Wendung. Der Reis-Effendi hatte
das Protokoll vom 4. April „un papier blanc" genannt und war
offenbar entschlossen, sein Verhalten dementsprechend zu regeln. Auch
waren weitere Verstärkungen für Ibrahim Pascha angekündigt, so
daß, wenn nicht bald eingegriffen wurde, ein ägyptisch-türkisches
Griechenland zur Wirklichkeit werden konnte. Daß England und
Frankreich dem geplanten Vertrage beitreten würden, schien nun
immer wahrscheinlicher, während andererseits kein Zweifel mehr
darüber bestand, daß Preußen und Österreich sich nicht beteiligen
192 Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino.
würden. MetterDich, der in Petersburg erklären ließ, daß er an
den Verhandlungen in London teilnehmen werde und sogar den
geplanten Vertrag mitunterzeichnen wolle, instruierte im März den
Fürsten Esterhazy, die russischen Vorschläge unter der Hand zu
bekämpfen und den Gegenantrag zu stellen, sofort mit der Pforte
zu brechen, wenn sie den gemeinsamen Vorstellungen der Mächte
nicht nachgeben sollte, was, wie er wußte, sowohl den englischen
wie den französischen Absichten widersprach und keine Aussicht
hatte durchzudringen. Da diese Instruktion bekannt wurde, war
in Petersburg die Erbitterung groß. Man wußte zu genau, daß die
österreichische Politik durch ihre Vorschläge nur Zwietracht zwischen
den Mächten säen wollte und daß sie weit davon entfernt war,
direkt oder indirekt an einer Aktion teilzunehmen, welche die
Türkei demütigen und schwächen und wahrscheinlich einen Krieg
zur Folge haben mußte. Auch hatte dieser österreichische Schach-
zug nur die Folge, daß Rußland zw^ar den immer noch höchst
vorsichtig gehaltenen englischen Vorschlägen im Prinzip zustimmte,
sie aber durch eine Reihe sehr wesentlicher Anträge in ein Fahr-
wasser zu leiten bemüht war, das, wie sich vorhersehen ließ, zu
einer entschlossenen Lösung des griechischen Problems führen mußte.
Wenn dann die Konsequenzen zu einem Kriege mit der Türkei
führten, war der diplomatische Sieg Rußlands vollkommen, und es
standen nur noch die militärischen Maßnahmen aus, au deren
Erfolg der Kaiser keinen Augenblick gezweifelt hat. Diese Anträge
verlangten 1. Annäherung an Griechenland, sobald es die von der
Pforte abgelehnte Mediation der Mächte annehme; 2. Unterstützung
Griechenlands durch Geld und durch Entsendung von Agenten,
deren Aufgabe es sein solle, die Neuorganisation des Landes in die
rechten Wege zu leiten; 3. kombinierte Operationen der ver-
einigten Flotten, um Sendungen von Truppen und Kriegsmaterial
zu verhindern und so tatsächlich den türkisch-griechischen Feind-
seligkeiten zu Wasser ein Ziel zu setzen; 4. endlich, Vereinbarung
von Maßregeln für den Fall, daß trotzdem die Bestimmungen des
bevorstehenden Vertrages nicht die erwünschte Wirkung haben
sollten.
Gleichzeitig aber hatte Rußland einen anderen Schritt von
großer Tragweite getan. Am 24. Mai 1827 traf nach fünfjähriger Ab-
wesenheit Graf Capo d'Istria in Petersburg ein. Die Nationalver-
sammlung der Griechen in Trözen hatte ihn am 11. April zum
Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino. 193
xußepvTjTTjc auf sieben Jahre gewählt, offenbar nach dem sie vorher
Fühlung mit ihm genommen hatte. Aber erst in Petersburg erfuhr er
von der Tatsache der erfolgten Wahl. Von der Entscheidung Nikolais
sollte es nunmehr abhängen, ob er sie annehme oder nicht; denn
noch stand Capo d' Istria in russischen Diensten, wenn auch in
zeitlich unbegrenztem Urlaub. Nichts konnte, wie die Verhältnisse
lagen, dem Kaiser genehmer sein, als Capo d' Istrias Anerbieten,
als Organ des Willens der Mächte, etwas Ordnung und Zusammen-
hang in die Politik der unsicher tastenden griechischen National-
regierung zu bringen. Es ließ sich darauf rechnen, daß er den
russischen Interessen unter keinen Umständen entgegenwirken werde.
Aber der Kaiser erkannte ganz richtig, daß eben darin eine
Schwierigkeit liege, und daß Capo d' Istrias politische Vergangenheit
in Paris und London Mißtrauen erregen werde. Wenn er ihm daher
den erbetenen Abschied in Gnaden bewilligte, hütete er sich sorgfaltig,
ihm vor der politischen Öffentlichkeit bestimmte Direktiven auf den
Weg zu geben; das geschah zwar, aber — im tiefsten Geheimnis. Es
war nützlicher, wenn er sich seine Instruktionen in Frankreich und Eng-
land holte. Soeben war ein vom 20. Mai datierter Bericht des Fürsten
Lieven eingetroffen, der nach schwierigen Verhandlungen, auf deren
Verlauf einzugehen wir verzichten, den schließlich vereinbarten Text
eines französisch-russisch-englischen Vertrages zur Ausführung des
Protokolls vom 4. April 1826 enthielt. Es stand also nur noch die Ge-
nehmigung des Textes durch die drei llegierungen aus und danach die
endgültige Redaktion in London. Preußen und Österreich, an deren
Anschluß niemand mehr glaubte, sollten nachträglich Mitteilung
erhalten und ihnen freigestellt werden, wenn es ihnen so gefalle,
auch dann noch beizutreten. Kaiser Nikolaus stimmte ohne Verzug
den getroffenen Vereinbarungen zu, aber er erklärte zugleich, daß,
da der Erfolg der gegen die Pforte vereinbarten Zwangsmaßregeln
nicht sicher sei, er nur unterzeichnen werde, wenn eine geheime
Klausel oder eine besondere Deklaration die Maßregeln festsetze,
zu denen in solchem Fall geschritten werden solle. In Anlaß der
Vorschläge, die er daran knüpfte, haben sich dann doch noch neue
Schwierigkeiten gezeigt'). Sie gingen namentlich auf den franzö-
sischen Botschafter in London, Fürsten Polignac, zurück, der Frank-
0 Nesselrode an Lieven. Petersburg, 9./21. Juni 1827. Bei Wellington,
Despatches IV.
SchiemanD, Geschichte Uoßlands. IL 13
194 Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino.
reich für den Kriegsfall möglichst wenig zu verpflichteu bemüht war.
So mußten noch einige Textänderungen im Hauptvertrage vorge-
nommen werden. Er ist am 6. Juni unterzeichnet worden. Über
den angeschlossenen Geheimartikel aber dauerten die Verhandlungen
noch bis zum 13. Juli, erst um zwei Uhr morgens setzten Dudley
und die beiden Botschafter Siegel und Unterschrift unter das denk-
würdige Dokument. Uaß das Datum auf den 6. Juli zurückgesetzt
wurde, geschah wohl, um der Welt keinen Einblick in die über-
wundenen Schwierigkeiten zu geben').
Der V^ertrag'), oder genauer bezeichnet die Konvention, ging von
der auf den Inseln des Archipels herrschenden Anarchie und der da-
durch bedingten Schädigung des europäischen Handels aus, gedachte
der dringenden Bitte der Griechen um Mediation und sprach den festen
Entschluß der drei Mächte aus, weiterem Blutvergießen Einhalt zu tun.
Sie werden daher der Pforte ihre Mediation durch eine Kollektiv-
note anbieten, die ihre Vertreter in Konstantinopel überreichen
sollen, und gleichzeitig von den Griechen wie von der Türkei den
Abschluß eines Waffenstillstandes fordern. Es schließen sich hieran
die Grundzüge der künftigen Organisation Griechenlands. Der
Sultan wird als Suzerän einen bestimmten jährlichen Tribut er-
halten, Griechenland durch Wahl, aber unter Mitwirkung der
Pforte, sich eine Obrigkeit setzen, der türkische Grundbesitz gegen
Entschädigung der Eigentümer oder gegen Zuschlag zum Jahres-
tribut den Griechen zufallen. Die endgültige Grenzrichtung wird
späterer Vereinbarung vorbehalten. Den Vertretern der Mächte
sollen ohne Verzug Instruktionen zugehen, wie sie zur Durchführung
der getroffenen Vereinbarungen notwendig sind. Endlich verpflichten
sich die Mächte, keinerlei Sondervorteile zu suchen und stellen die
Garantie des zwischen Griechenland und der Pforte herzustellenden
Friedens denjenigen Mächten frei, die diese Verpflichtung auf sich
nehmen wollen.
Der angeschlossene Geheimartikel bestimmte in drei Punkten,
im wesentlichen nach den russischen Anträgen, was geschehen solle,
0 Privatbrief des Fürsten Lieven an Nesselrode d. d. Londrea 1./13.
juillet 1827 in der Anlage. Dieser Brief ist offenbar erst am Abend des 13.
geschrieben.
^) Martens, Recueil des traites et Conventions etc. XI, No. 433
Convention und traite wird merkwürdigerweise im Vertragsinstrument promiscue
gebraucht.
Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino. 195
wenn Türken oder Griechen die Mediation nicht annehmen sollten.
Weigere sich die Pforte, so werde man ihr erklären, daß, da sie
in sechs Jahren die bestehenden Übeistände nicht beseitigt habe,
die drei Mächte sich genötigt sähen, sofort Maßregeln zu ergreifen,
um sich den Griechen zu nähern. Gedacht wurde dabei an die
Anknüpfung von Handelsbeziehungen und an die Einrichtung von
Konsulaten. Nehme die Pforte binnen eines Monats den Waffenstill-
stand nicht an, oder weigerten sich die Griechen, ihn auszuführen, so
würden die Mächte zu Zwangsmaßregeln greifen, um fernere
Zusammenstöße zwischen den Gegnern zu verhindern, ohne jedoch
an den Feindseligkeiten beider gegeneinander teilzunehmen. Sollten
auch diese Maßregeln nicht genügen, um dem Willen der Mächte
Anerkennung zu verschaffen, oder sollten die Griechen auf die zu
ihren Gunsten gestellten Bedingungen verzichten, so werden die
Mächte trotzdem ihr Pazifikationswerk fortsetzen. Sie bevollmäch-
tigen schon jetzt ihre Londoner Vertreter, über alles weitere zu
beraten und zu bestimmen.
Canning hat nun gleich nach der Unterzeichnung des
Geheimartikels, aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung Eng-
lands, die er beruhigen wollte, den vollen Text in der Times
veröffentlichen lassen, zur ungeheuren Entrüstung aller Diplo-
maten, die ihm mit Recht nicht Glauben schenkten, als er jeden
Anteil an dieser Indiskretion ablehnte. Das wesentliche war,
daß in der Tat die Stimmung in England umschlug; so lange
Canning am Ruder blieb, konnte er sicher sein, daß die Nation
sich ihm nicht versagen werde. Sich selbst aber traute er Kraft
und Klugheit zu, die Dinge so zu leiten, daß sie schließlich den
Interessen Englands dienen wurden. Denn das, keinerlei senti-
mentale Erwägung, ist seine Triebfeder gewesen. Ein böses Schicksal
griff dazwischen. Nach kurzer Krankheit^ am 8. August 1827, ist
Canning gestorben, und damit ging die Leitung des orientalischen
Problems in Rußlands Hände über. Kaiser Nikolaus hatte sich
seines Erfolges so sicher gefühlt, daß er schon am 13. Juli dem
Kontreadmiral Heyden die Instruktion gab, an die er sich bei der
Kooperation mit dem englisch-französischen Geschwader zu halten
habe. Er legte dabei den Hauptnachdruck auf den Geheimartikel
und verschärfte seinen Inhalt sehr wesentlich durch den Hinweis
auf den Geist, in dem der Vertrag geschlossen sei, d. h. auf die
russische Seite der Frage. Der Kaiser hielt es für wahrscheinlich,
13*
196 Kapitel VI. Yorstadien des Tarkenkrieges. Navarino.
daß Bosporus und Dardanellen von den Mächten, wie er vor-
geschlagen habe, blockiert werden würden. Seine Nachrichten aus
Konsiantinopel ließen einen hartnäckigen Widei*stand der Pforte
vorhersehen, so daß die Anwendung von Gewalt nicht zu ver-
meiden sein werde. Ausdrücklich wurde Heyden angewiesen, Capo
d' Istria eine Brigg zu freier Verfügung zu stellen, und ihm jede
Hilfeleistung zu gewähren, die er erbitte. Im übrigen habe der
Admiral in steter Übereinstimmung mit den Alliierten zu handeln,
das Oberkommando aber solle dem rangältesten Admiral der ver-
einigten Flotten gehören ^).
Die Ausfahrt der vereinigten Geschwader von Ssenjawin und
Heyden aus Kronstadt erfolgte am 10./22. Juni, 5 Uhr morgens, in
Gegenwart des Kaisers, der seit Mitternacht an Bord war. Seit
den Tagen des Kaisei*s Paul wehte zum erstenmal wieder die
Kaiserstandarte von einem russischen Admiralsschiff. Nachdem
dann die beiden Geschwader in wenig geschicktem Manöver sich
voneinander gesondert hatten, kehrte Nikolai auf seiner Jacht
„Freundschaft" (drushba) nach Zarskoje zurück. Die Würfel waren
gefallen und voller Hoffnung blickte er in die Zukunft.
Die Flotte, die in Reval und Kopenhagen Station gemacht
hatte, gelangte erst am 8. August, am Todestage Cannings, in
Portsmouth an, und zwar in kläglichem Zustande. Segel und Rahen,
fast die gesamte Takelage mußten erneuert werden. Die englischen
Schiffszimmerleute haben acht Tage gebraucht, um alles wieder
instand zu setzen. Am 20. August endlich war man so weit,
wieder in See zu stechen. Am 4. Oktober wurde Messina erreicht,
wo Admiral Heyden die erwarteten weiteren Instruktionen vorfand.
Von einer Blockierung der Meerengen war in ihnen keine Rede,
weder England noch Frankreich hatten ihre Zustimmung dazu geben
^) Zwei Erlasse Nikolais aus Zarskoje Sselo, 1. Juli (r. St.) 1827. Ge-
druckt in den Anlagen zu Kytschakow: Das Jahr der Kampagne von Navarino.
Russisch. Kronstadt 1877. Daß Heyden, nicht der erfahrenere Ssenjawin das
Kommando des russischen Mittelmeergeschwaders erhielt, geschah wahrschein-
lich, um dem jüngeren englischen Admiral Codrington das Oberkommando za
lassen. Die gleiche Rücksicht wird auch die Wahl des franzosischen Admirals
bestimmt haben. Die Instruktion für Heyden maß vordatiert sein. Am
1. 13. Juli schwamm sein Geschwader zwischen Reval und Bomholm. Das
Geheimnis der Bestimmung der Flotte wurde so gut gewahrt, daß die Offiziere
erst in Portsmouth erfuhren, daß es nicht den spanisch-amerikanischen Kolo-
nien, sondern den Türken gelte.
Kapitel VI. Voretadien des Türkenkrieges. Navarino. 197
wollen. Die Versuchuug, die an ein vor Konstantinopel liegendes
Geschwader herantrat, schien ihnen allzu groß zu sein. Aber der
Kaiser war entschlossen, bei günstiger Gelegenheit darauf zurück-
zukommen. Am 14. Oktober endlich vereinigten sich die Russen
mit den schon lange im Mittelmeer kreuzenden Engländern und
Franzosen ') vor dem Hafen von Navarino.
Capo d^ Istria war um diese Zeit noch in England. Er hatte auf
russischen Rat die Annahme der ihm gebotenen Präsidentschaft von
der Zustimmung Englands und Frankreichs abhängig gemacht, und
Canning hatte diesen Gedanken mit großer Genugtuung aufgenommen.
Er erleichterte ihm die Verteidigung seiner Politik vor dem Parlament.
Zwischen ihm und Lieven hat darüber eine Verständigung statt-
gefunden. Als aber Capo d' Istria in London eintraf, war Canning
nicht mehr unter den Lebenden. Sein Nachfolger, Lord Goderich,
hielt sich zwar an die getroffenen Vereinbarungen, war aber ohne
jede Initiative. Dagegen machte der Herzog von Wellington aus seiner
Erbitterung kein Hehl. Er hat sich geweigert, Capo d^ Istria zu
empfangen, und als dieser sich schriftlich von ihm verabschiedete
und dabei einflocht, daß der Vertrag vom 6. Juli eine wahre
Wohltat für Griechenland und für Europa sei, antwortete ihm der
alte Herzog mit großer Schärfe, daß der Zweck des Protokolls
vom 4. April der Friede gewesen sei, der Vertrag vom 6. Juli aber
werde in einen Krieg ausmünden. Er protestiere dagegen, daß
„dieser Krieg oder seine Folgen^ die natürliche Konsequenz des
von ihm unterzeichneten Protokolls sei'). In Paris ist Capo
d' Istria eine bessere Aufnahme zuteil geworden. Man war dort
von Petersburg aus in günstigem Sinne für ihn beeinflußt worden.
Aber eine Anleihe ist ihm auch in Frankreich nicht bewilligt
worden, und so ging er nach Italien, um aus der Nähe die offenbar
bevorstehende Krisis zu beobachten und im günstigen Moment
einzugreifen.
Als am 14. Oktober die Russen sich endlich dem englisch-
französischen Geschwader anschlössen, war es fast als ein Zufall
zu bezeichnen, daß die Entscheidung jener Krisis nicht bereits er-
folgt war. Codrington hatte, in richtiger Schätzung des damit
begangenen Fehlers, der kombiniert türkisch -ägyptischen Flotte
gestattet, in den Hafen von Navarino einzulaufen. Dann war er
^) Rigay hatte sich mit Codrington am 21. September vereinigt.
^ Wellington, Despatches IV. 12. Oktober 1827.
198 Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino.
am 24. September selbst im Hafen von Navarino eingetroffen*),
um mit Ibrahim zu verbandeln, und das bedeutete, daß er ihm
den Willen der Mächte kund tun wollte. Am 25. um 10 Uhr
früh hat Ibrahim ihn und den Kommandeur des französischen
Geschwaders, 'Admiral Kigny, empfangen. Kapitän Carzon von der
„Asia" nebst einigen Offizieren^ dazu das Gefolge Rignys, begleiteten
die Admirale. Die türkischen und ägyptischen Offiziere, mit Aus-
nahme des kranken Tahir Pascha, hatten auf einer Seite des Ge-
maches Platz genommen, in dem Ibrahim die unlieben Gäste
erwartete, auf der anderen die Engländer und Franzosen*). Sie
fanden in dem Pascha eine eindrucksvolle Erscheinung. Zwar kurz
und wohlbeleibt, aber mit großen blauen Augen, hoher Stirn und
braunrotem Bart. Die scharfgeschnittenen Züge des pockennarbigen
Gesichts ließen einen klugen, unternehmenden, wißbegierigen Mann
erkennen, der guten und bösen Entschlüssen gleich,"zugänglich war').
Nach Austausch der üblichen Komplimente teilte Codrington dem
Ägypter mit, daß infolge eines von England, Frankreich und Ruß-
land unterzeichneten Vertrages sie verpflichtet seien, zu verhindern,
daß über See der gegen die Griechen gerichtete Angriff durch
Mannschaft, Waffen oder dergleichen unterstützt werde. Er verlas
die entsprechenden Abschnitte seiner Instruktion. Danach würden
sie handeln. Ibrahim antwortete, er sei Soldat wie sie und müsse
seinen Ordres gehorchen. Er habe Befehl, Hydra anzugreifen und
müsse das ausführen. Es sei seine Aufgabe zu handeln, nicht zu
unterhandeln. Sie möchten sich an den Großherrn wenden. Die
Admirale entgegneten, sie seien so stark, daß jeder Widerstand
unmöglich sei. Steche er trotz ihrer freundschaftlichen Warnung
in See, so müßten sie ihre Instruktionen ausführen und die völlige
Zerstörung der Flotte werde die Folge sein. Sie wollten keinen
Bruch, sondern seien gekommen, ihm die Augen zu öffnen. Ibrahim
erkannte das Gewicht dieser Mitteilungen voll an. Er gab auch
zu, daß ihm seine Instruktion unter Verhältnissen erteilt sei,
die andere gewesen. Er wolle es daher auf sich nehmen, alle
0 Wellington, Despatchei V, S. 1—37.
^ Ibrahim hatte sich geweigert, die Admirale anders als in Gegenwart
seines Harinestabes zu empfangen. Miltitz* Bericht Tom 5. November 1827.
Berlin, Geheimes Staatsarchiv, Ä. A. I Rep. I. Turquie.
') Nach einem Brief Stratford Cannings vom 5. September bei Staple-
ton I, 469.
Kapitel VI. Vorstadien des Tarkenkrieges. NaTarino. 199
Operationen der aus Alexandria gekommenen Land- und Seemacht
einzustellen, bis er aus Konstantinopel und Alexandria, wohin er
sogleich Kuriere absenden wolle, Antwort erhalten habe. Bis zu
ihrer Rückkehr wolle er mit seiner Flotte vor Navarino bleiben.
Er bat sodann um die Genehmigung, sofort je ein Schiff nach
Alexandria und Prevesa abzufertigen, und das wurde ihm ohne
alle Schwierigkeit gewährt. Das Anerbieten der Admirale, diese
Schiffe geleiten zu lassen, aber wies er stolz zurück: er wolle die
türkische Flagge nicht kompromittieren. Man vereinbarte einen
Stillstand von 20 Tagen. Bis dahin müsse eine endgültige Antwort
den Admiralen erteilt werden. Die so getroffenen Abmachungen
getreulich einzuhalten, verpflichteten sich beide Teile mit Ehren-
wort. Ibrahim hatte schließlich noch den Wunsch geäußert, daß
nunmehr auch den Griechen alle Feindseligkeiten untersagt würden;
das aber wurde abgelehnt, weil die Griechen die Mediation der
Mächte angenommen, die »Türken sie abgelehnt hätten, und dabei
blieb es, so erstaunlich auch diese Logik war. Der Ägypter konnte
nur das Versprechen erhalten, daß Lord Cochrane veranlaßt werden
würde, die von ihm organisierte Insurrektion der Griechen
nicht über den augenblicklichen Kriegsschauplatz hinaus auszu-
dehnen.
Damit trennte man sich. Ibrahim hat später behauptet, es
sei versprochen worden, daß er nicht an der Proviantierung von
Patras gehindert werden solle*), und das scheint richtig zu sein.
Denn schon am 26. kam ein Dolmetscher Ibrahims, Abro, an Bord
der „Asia^, um Codrington mitzuteilen, daß, wie Ibrahim erfahren
habe, Cochrane mittlerweile vor Patras gelandet sei. Sein erster Impuls
sei gewesen, den Stillstand zu brechen und ohne weitere Rücksprache
hinzusegeln; jetzt bitte er um die Erlaubnis, einen Teil seiner Flotte
nach Patras schicken zu dürfen. Das wurde ihm mit größter Bestimmt-
heit verboten, und Ibrahim mußte sich überzeugen, daß er wie in
einer Falle gefangen sei. Eine Rettung aus der demütigenden Lage,
in der er sich befand, gab es für ihn nur, wenn er den Entschluß
fand, die feindlichen Flotten anzugreifen und zu vernichten, bevor
sich das russische Geschwader mit ihnen vereinigt hatte. Et fühlte
^) Bericht des Kapitäns Pujol, Kommandanten der Goelette «La Fleche^,
über seine Unterredung mit Ibrahim, d. d. Navarino, den 29. Oktober 1827
bei Wellington, Despatches IV. Dazu die Relationen von Miltitz (Pera, den
5. November).
200 Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino.
sich jedoch durch sein Wort gebunden, vielleicht auch zu schwach
dazu, und wollte die Entscheidung der Pforte abwarten. Das
englisch-französische Geschwader hatte sich mittlerweile vor Zante
gelegt, um die türkische Flotte zu überwachen. Nun schickte am
1. Oktober Ibrahim seinen Konvoi unter dem Schutz einiger Kriegs-
schiffe nach Patras, um, wie vereinbart war, die Stadt zu ver-
proviantieren, und als er kurz danach die Bestätigung erhielt, daß
Cochrane, der inzwischen die zerstreuten griechischen Schiffe zu
einer Flotte gesammelt hatte, Patras ernstlich bedrohe, brach er,
trotz des drohenden Bescheides, den er am 26. September erhalten
hatte, von 15 Fregatten begleitet selbst auf, um die Ankunft
seines Konvoi zu sichern; so stellte er den Tatbestand dar. In
Wirklichkeit ging seine Absicht dahin, Cochrane anzugreifen, der
vor Missolunghi lag. Aber schon beim Eingang in den Kanal von
Zante stieß er auf seinen heimkehrenden Konvoi. Die Engländer
hatten ihn durch Kanonenschüsse zur Umkehr genötigt. Es fand
nun ein Kriegsrat der ägyptisch-türkischen Offiziere statt, der zu
dem Ergebnis führte, es trotz allem mit der Fahrt nach Patras zu
versuchen. Als aber die englische Flotte sich ihm drohend ent-
gegenstellte und ihn aufforderte, Kehrt zu machen, wagte er nicht
zu widerstehen und segelte nach Navarino zurück^).
Die Folge war ein tatsächlicher Stillstand zur See. Die englisch-
französische Flotte kreuzte in den Gewässern von Zante, Ibrahim
operierte gegen die Griechen in Morea und verwüstete das Land
überall, wo ihm Widerstand entgegentrat.
So lagen die Dinge, als am 14. Oktober die Vereinigung der
russischen Flotte mit der englischen erfolgte*). Am folgenden
Tage begann die Blockade der Bucht von Navarino, weil die Zeit
abgelaufen war, die Codrington als Termin für die Antwort der
Türken auf das Angebot der Mächte gesetzt hatte. Zwei öster-
reichische Kriegsschiffe, die nach Navarino wollten, mußten nnver-
richteter Sache wieder umkehren, ebenso einige Kauffahrer. Der
Admiral Heyden erklärte schon damals seinen Kapitänen, daß
Codrington entschlossen sei, die Türken in der Bai von Navarino
1) Erzählung Ibrahims nach Pujol I. I.
^ Das Folgende nach den Tagebüchern des russischen Leutnants
A. P. Rytschakow, geführt auf dem aOanguf^, einem Linienschiff Yon 84 Kanonen
im Geschwader des Admirals Login Petrowitsch Heyden. Gedruckt unter dem
Titel: Das Jahr der Kampagne von Navarino. Kronstadt 1877. Russisch.
Kapitel VI. Vorstadien des Tärkenkrieges. Navarino. .201
aDzagreifen, weno sie hartnäckig blieben. Die Aufgabe sei zwar
schwierig, aber deshalb um so rahmvoller.
Die Entscheidung möglichst bald herbeizuführen, wurde nun
der kanalartige Eingang in den Hafen stark besetzt und von den
Admiralen am 17. ein Schreiben an Ibrahim Pascha gerichtet, das
einem Ultimatum gleichkam. Sie hätten sichere Kunde, daß Morea
barbarisch verwüstet, und eine Expedition in die Maina vorbereitet
werde. Das geschehe vor ihren Augen unter Mißachtung des Still-
standes, dem allein Ibrahim es zu danken habe, daß er am 26.
seine Flotte nach Navarino habe zurückfahren können. Sein Ver-
halten setze ihn außerhalb des Völkerrechtes und entziehe ihm
den Schutz der Verträge, auch den Interessen seines Herrn, des
Sultans, entspreche es nicht; er laufe Gefahr, die Vorteile einzu-
büßen, die ihm der Londoner Vertrag sichere.
Die unterzeichneten Admirale verlangten auf diese Notifikation
„eine schleunige und kategorische Antwort^, bleibe sie aus, oder
erfolgten Ausfluchte, so würden die Konsequenzen daraus sofort
gezogen werden *).
Die englische Fregatte, die dieses Schreiben überbrachte, kehrte
spät abends ohne Antwort zurück. Sie hatte Ibrahim in Navarino
nicht vorgefunden; er hatte am 9. den Befehl erhalten, sich mit
dem Seraskier Reschid Pascha in Einvernehmen zu setzen, und
alles aufzubieten, um Morea zu unterwerfen. Ibrahim war nun
sogleich nach Modon geeilt, hatte Kolonnen nach Kalamata und
Azkadhia geschickt, und sich selbst an die Spitze einer dritten
Kolonne gestellt. Seine Generale hatten Befehl, jeden Widerstand
mit völliger Verwüstung des Landes zu strafen. Immerhin bleibt
es schwer verständlich, wie er in so kritischer Zeit die Flotte im
Stich lassen konnte; sein Stellvertreter, Mukarem Bey, fand den
Entschluß nicht, die. Verantwortung auf sich zu nehmen und dieses
Ultimatum zu beantworten. Die Alliirten trafen nun alle Vor-
bereitungen zum Kampf. Der 18. ging in Manövern am Eingang
der Bucht und in Beratungen der Admirale hin. Am 19. früh war
man so nahe herangerückt, daß die Schiffe der Feinde gezählt
werden konnten. Sie waren in 3 Reihen halbkreisförmig so auf-
^) „Les soussignes demaDdent a Votre Excellence une reponse prompte
et cat^gorique a la presente notification et lui laissent ä prevoir les conse-
quences immediates d'nn refus ou d*une tergiTersation."
202. Kapitel VI. Vorstadien des Türkenkrieges. Navarino.
gestellt, daß der eine Flügel sich auf die Befestigungen von Nava*
rioo, der andere auf die Batterien von Sphakteria stutzte. Die
Linienschiffe und großen Fregatten bildeten den vorderen Halbkreis,
die kleineren Fahrzeuge den zweiten und dritten. Man wußte, daß zahl-
reiche Brander unter ihnen waren. Eine türkische Brigg, die aus
Alexandria kam, wurde von Codrington durchgelassen. Er be-
auftragte sie, in Navarino wissen zu lassen, daß die Flotten der
Alliierten in den Hafen von^ Navarino eindringen würden, um
Ibrahim nunmehr zu zwingen, die verlangte Antwort zu geben.
Dann versammelten die Admirale ihre Kapitäne und bestimmten
genau, welche Stellung jedes einzelne Schiif einzunehmen habe.
Die Ordre de bataille lautete: „Asia". Vor Navarino, den 19. Ok-
tober 1827. „Es ist bekannt, daß die ägyptischen Schiffe, aufweichen
sich französische Offiziere befinden, mehr gegen SO. liegen, ich wünsche
deshalb, daß seine Exzellenz der Konteradmiral und Ritter de Rigny
sein Geschwader ihnen gegenüber stellt. Da das folgende ein
Linienschiff mit der Flagge an der Großbramstange ist, so will
ich mich mit den Linienschiffen „Genua^ und „Albion^ ihm gegen-
überlegen.
In betreff des russischen Geschwaders ist mir erwünscht, daß
Konteradmiral Graf Heyden es unmittelbar neben die englischen
Linienschiffe legt. Die russischen Fregatten können in solchem
Fall die übrig bleibenden türkischen Schiffe beschäftigen. Die
englischen Fregatten werden die türkischen Fahrzeuge beschäftigen,
die sich auf der westlichen, den englischen Linienschiffen gegen-
überliegenden Seite der Bucht befinden, die französischen Fregatten
aber werden die ihren Linienschiffen gegenüberliegenden türkischen
Fregatten und anderen Fahrzeuge zum Ziel nehmen.
Wenn die Zeit es gestattet, soll, bevor die türkische Flotte
etwas Feindseliges unternimmt, das vereinigte. Geschwader sich vor
Anker legen, mit Springtauen an den Riemen jedes Ankers. Kein Ge-
schütz darf vor gegebenem Signal von der vereinigten Flotte gelöst
werden, es sei denn, daß die Türken das Feuer eröffnen. Die
türkischen Schiffe, die das Feuer eröffnen, sollen sofort vernichtet
werden.
Die Korvetten und Briggs werden unter Befehl des Kapitäns
Feilos, Kommandeur der Fregatte „Dartmouth^, stehen. Seine Auf-
gabe ist, die Brander soweit fortzuschaffen, daß sie keinem Schiff
der vereinigten Flotte schaden können.
Kapitel VI. Vorstadien des Tärkenkrieges. Navarino. 203
Für den Fall einer wirklichea Schlacht und möglicher Unregel-
mäßigkeiten, rate ich die Worte Nelsons im Gedächtnis zu be-
halten: Je näher dem Feinde, um so besser.^
Am 20. Oktober um 12 Uhr gab die ,,Asia^ das Signal zum Auf-
bruch. Die drei Geschwader ordneten sich und setzten sich in Be-
wegung. Voran die ,,Dartmouth" mit den kleinen Fahrzeugen, dann die
„Asia^ mit den übrigen Engländern, die Russen und die Franzosen
folgten. Als um 1 7, Uhr die Engländer in den Kanal einliefen und
die Festungswerke von Navarino passierten, wurde von der Festung
ein blinder Schuß abgegeben, der aber weiter nicht beachtet wurde.
Dagegen trafen I^ute auf der „ Asia^ ein, die Mukarem Bey abgesandt
hatte, um Codrington zu sagen, daß Ibrahim nicht in Navarino
sei, sondern in Modon, und keinerlei Befehle hinterlassen habe.
Ein Teil des Geschwaders könne, wenn man es wünsche oder
wenn die Alliierten etwas brauchten, einfahren, aber er könne
nicht dulden, daß in Ibrahims Abwesenheit eine so große Flotte
in die Bucht einlaufe. Codrington antwortete, er sei nicht gekommen,
um Ratschläge entgegenzunehmen, sondern um Befehle zu erteilen,
und setzte seine Fahrt auf Navarino zu fort. Dort fuhr er um
2 Uhr ein und näherte sich sofort auf Pistolenschußweite der tür-
kischen Flotte. Inzwischen hatte die „Dartmouth^ sich von der
Flotte abgetrennt und schräg vor zwei Brandern Anker geworfen,
die am Eingang des Hafens lagen, während Franzosen und Russen
dem englischen Admiral folgten und die vereinbarten Manöver
ausführten. Mukarem Bey schickte nun neue Boten aus, um zu
fragen, was diese feindseligen Maßnahmen zu bedeuten hätten, und
in diesem Augenblick sandte die vor den Brandern liegende
Fregatte eine Schaluppe aus, um sich der Brander zu bemächtigen.
Dann begannen Flintenschüsse, die wahrscheinlich von einem der
Brander ausgingen und lebhaft beantwortet wurden. Der Leutnant,
der die Schaluppe kommandierte, wurde erschossen, und dies war
das Signal zum allgemeinen Kampfe, an dem dann auch die
Kanonen der Festung und die Batterien von Sphakteria, die jedoch
bald zum Schweigen gebracht wurden, teilnahmen. Aber in weniger
als vier Stunden war die Entscheidung gefallen. Die Türken sind —
was nach allem, was vorausgegangen war, kaum glaublich scheint —
durch den wohldurchdachten Angriff Codringtons völlig überrascht
worden. Trotzdem haben sie tapfer gefochten, aber Geschütz,
Führung und Kaltblütigkeit der Alliierten zeigten sich ihnen über-
204 Kapitel VI. Vorstadien des Tiirkenkrieges. Navarino.
legen. Eines der türkisch-ägyptischen Schiffe nach dem andern
wurde in Brand geschossen und flog in die Luft. Ein Augenzeuge
und Mitkämpfer, der Leutnant Rytschakow vom ^^Gangut", schildert
den Höhepunkt der Schlacht in seinem Tagebuch folgendermaßen:
„Wir lagen vor Anker und kämpften mit den Batterien unseres
Steuerbords gegen drei türkische Fregatten, von denen eine ein Zwei-
decker war. Wir litten schwer durch das Feuer der sich hinziehenden
feindlichen Linie, bis der neben uns liegende „Jesekiil^ die quer vor
uns liegenden Schiffe angriff. Darauf hatten wir nur noch mit zwei
Fregatten und den Korvetten der zweiten Linie zu schaffen. Dichter
Rauch machte es unmöglich, die Operationen der alliierten Flotten
genau zu verfolgen. Die französische Admirals-Fregatte „Sirene"
hatte stark gelitten, aber das mit ihr kämpfende ägyptische Linien-
schiff stand bereits in Flammen. Die englischen Linienschiffe
„Albion" und „Genua" feuerten mit entsetzlicher Wirkung auf
zwei sinkende türkische Linienschiffe und eine Fregatte (Zweidecker).
Das Admiralsschiff „Asia" unterstützte sie mit den Geschützen
seines Steuerbords und beschoß aus der linken einen ägyptischen
Zweidecker. Unser „Asow" beschoß mit einem Teil der Batterien
des Backbords die schon erwähnten Schiffe, während zugleich seine
Fernschüsse in ein türkisches Linienschiff von 80 Kanonen schlugen,
das mit der „Albion" kämpfte und nach Verlust seines Ankers aus
der Linie gefallen war. Gleichzeitig setzte die „Asow" ihr Feuer
gegen die Fregatte Tahir Paschas fort, wobei sie bis zu unserer
Ankunft stark von den Schüssen des ganzen türkischen Halbkreises
zu leiden hatte. Die übrigen Schiffe der französischen Linie hatten
ihre Gegner bezwungen. Ein Linienschiff, „Breslau", da.8 während
des Pulverdampfes mitten im Kanal Anker geworfen hatte, kappte
die Taue, fuhr am Steuer unseres Admiralsschiffes vorüber und
brachte den Korvetten der zweiten und dritten Linie schwere Ver-
luste bei, während es mit den Geschützen, die vorn lagen, ein
türkisches Linienschiff beschoß. Gegen 4 Uhr sahen wir einen
Brander, der direkt auf uns los kam. Wir wehrten ihn durch
Kappen des Hintertaues ab und bohrten ihn mit einigen wohl-
gezielten Schüssen in den Grund. Eine halbe Stunde danach ver-
sank die mit uns kämpfende Fregatte ohne die Flagge zu senken.
Bald danach flog auch die andere mit ihren 64 Kanonen in die
Luft. Ein lautes Hurra auf unserer ganzen Linie zeigte, daß der
Sieg offenbar uns zufallen werde. Ich gestehe, daß schwerlich
Kapitel VI. Vorstadien des Turkenkrieges. Navarino. 205
einer von uns dieses Auffliegen der türkischen Fregatte sein Leben
lang vergessen wird. Von der Lufterscbütterung erzitterte unser
Schiff in allen Fugen. Wir wurden mit Geschossen und Feuer-
bränden überschüttet, an zwei Stellen geriet unser Schiff in Brand,
es gelang aber bald, das Feuer zu löschen. Nachdem so unser
nächster Gegner in die Luft geflogen war, setzten wir den Kampf
gegen die Korvetten, die hinter den Fregatten der zweiten Linie
lagen, mit Pelotonfeuer fort. Diese Fahrzeuge zerhieben die Anker-
taue und strebten dem Ufer zu, sie versanken aber, bevor sie es
erreichten. Die Mannschaften retteten sich durch Schwimmen.
Um diese Zeit flog auch ein türkisches Linienschiff von 80 Kanonen
auf, das mit der „Asia^ kämpfte.
Damit war die Schlacht ganz gewonnen. Alles ringsum brannte.
Die fortwährenden Explosionen auf den türkischen Schiffen illumi-
nierten die triumphierende alliierte Flotte, und um 6 Uhr wurde
es auf der ganzen Linie still. Es ergaben sich uns zwei Linien-
schiffe von 90 Geschützen und drei große Fregatten, tlin Linien-
schiff und elf Fregatten flogen auf. Die übrigen Fahrzeuge der
herrlichen Flotte des Ptischas von Ägypten waren teils versunken,
teils aufs Ufer geworfen; mit einem Wort: Ibrahims Flotte war
vernichtet"
Was übrig geblieben war, haben die Türken in Wut und
Verzweiflung selbst in die Luft gesprengt. Rytschakow, der
von 7 Uhr abends bis Mitternacht auf Wacht stand, zählte in
dieser Zeit sieben aufeinander folgende Explosionen. Eine türkische
Fregatte machte noch den Versuch, unter dem Schutze der dun-
kelen Nacht die „Asow" zu überrumpeln; die Absicht war, sich
mit ihr in die Luft zu sprengen, was mit Mühe vereitelt wurde.
Auch die in der Bucht treibenden ßrander drohten stete Gefahr.
Erst um 6 Uhr morgens, als die Sonne aufging, ließ sich genau
erkennen, was noch übrig war. Heil waren nur zwei türkische
Fregatten und zwanzig Korvetten und Briggs, die am Ufer lagen,
dazu siebzig Kauffahrer und Transportschiffe, die dem Kampf fern
geblieben waren.
Die englischen Linienschiffe „Asia" und „Genua^ hatten
den Besanmast und alle Rahen eingebüßt, ebenso die „Sirene".
Die russischen Linienschiffe waren so zerschossen, daß sie
Mastwangen setzen mußten, etwas weniger gelitten hatten die
Fregatten.
^
206 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
Ibrahim gab seinen Verlust auf drei Linienschiffe und fünfzehn
Fregatten an, der kleineren Fahrzeuge nicht zu gedenken'). Die
Alliierten hätten zehn Linienschiffe und auch an Fregatten die
Übermacht gehabt. Wie könne man ihm die Schuld an der Schlacht
zuweisen? Er, Ibrahim, werde, wenn es nötig sei, nach Paris und
London gehen, um für die Wahrheit zu zeugen.
Das war die weltberühmte Schlacht bei Navarino, die in ihren
Folgen wichtiger war, als die Schlachten bei Lepanto und bei Tschesme.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Kriegs.
Es hieße dem politischen Genius von Canning unrecht tun,
wollte man annehmen, daß ihm die am Tage von Navarino
gefallene Entscheidung eine Überraschung gewesen wäre, wenn er
sie noch erlebt hätte. Daß das Londoner Protokoll in einen Krieg
mit der Türkei ausmünden werde, erkannte er ebenso richtig wie
der Zar, der sich darüber um so weniger täuschte, als ja all sein
Streben dahin ging, gerade diesen Ausgang herbeizuführen. Canning
wollte aber Rußland weder, wie Nikolai es wünschte, als den Be-
vollmächtigten Europas allein handeln lassen, noch überhaupt einen
russisch-türkischen Krieg dulden, an dem die beiden anderen
Unterzeichner des Londoner Vertrages nicht teilnahmen. Aller
W^ahrscheinlichkeit nach hätte er nach Navarino die Unabhängigkeit
Griechenlands anerkannt, Morea okkupiert und in die von Nikolai
^) In dem Memorial Codringtons d. d. Malta, den 9. Dezember 1827, das
an den Großadmiral William Herzog von Clarence gerichtet ist, wird gegen
alle Wahrheit angegeben, daß die in die Bucht von Navarino einfahrende
Flotte keinerlei feindselige Absiebten gehabt habe. Nur der Angriff der
Türken auf die ^Dartmouth" habe die Schlacht erzwungen. Die Verluste der
Türken gibt er folgendermaßen an: 3 Linienschiffe, 5 ägyptische und 15 tür-
1(ische Fregatten, 26 Korvetten, 11 Briggs, 5 Brander, 51 bewaffnete Transport-
schiffe mit 2082 Kanonen. Außer einer ägyptischen Fregatte sei alles Ter-
nichtet worden. Von den 18575 Köpfen der Mannschaft seien mindestens
6000 umgekommen. Die Verluste der Verbündeten betrugen nach Miltitz
170 Tote, 478 Verwundete. Die beschädigten Schiffe der Engländer und
Russen gingen nach Malta, die französischen nach Toulon, nur einige Fre-
gatten blieben zurück, um vor Morea zu kreuzen. Codringtons erster Bericht
vom 21. Oktober 1827, bei Prokesch-Osten, S. 128 ff., entstellt gleichfalls den
Ursprung des Kampfes.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 207
beantragte Blockade von Bosporus und Dardanellen gewilligt, die
den Sultan zum Nachgeben führen mußte, und eben dadurch Rußland
auf den Boden der Abmachungen von Akkerman zurückwarft). Die
Befreiung Griechenlands aber wäre dann sein Werk gewesen, und
mit einer anerkannten griechischen Regierung hätte sich auch das
überaus lästige Piratenwesen der Griechen endgültig beseitigen lassen.
Diese Piraten aber hatten als wesentliches Argument dienen müssen,
um diejenigen zur Politik Cannings hinüberzuziehen, denen das
sentimentale philhellenische Argument nicht genügte.
Was Canning tun wollte, wenn es ihm nicht gelingen sollte,
einen Krieg Rußlands gegen die Türkei zu verhindern, wußte man
in Frankreich aus einem Brief, den er 1824 einem der englischen
Botschafter schrieb und den man in Frankreich geöffnet hatte.
„Können wir**, schrieb er damals, „diesen Krieg nicht mehr ver-
hindern, über dessen Ausgang keine Illusionen möglich sind, so ist
unser Glaubensbekenntnis das folgende: Vorausgesetzt, daß Rußland
keinen Fuß am Mittelmeer faßt, daß den Franzosen keinerlei Ent-
schädigung gewährt wird und Österreich beträchtlich an Land und
Bevölkerung gewinnt, so können wir unter diesen Bedingungen die
Zerstörung des Osmanischen Reiches zulassen; wir sind dann in
der Lage zu nehmen, was uns beliebt').^
Mit dem Tode Cannings änderte sich die ganze Tendenz der
englischen Politik. Sie wurde in der Tat „schüchtern, springend
und schleppend^. Als die Schlacht von Navarino geschlagen wurde,
1) Etwas anders, aber im Grundgedanken mit mir übereinstimmend,
urteilt Finley (A bistory of Oreece etc.) „Englisb interests and credit, as
well as tbe cause of Oreece, had sufferd a disastrous loss in the deatb of
George Canning. The firm band and clear eye had deserted the Foreign
Office, and the measures adopted to coerce the Sultan were timid, desultory
and dilatory. A bold and prompt declaration of the concessions which the
Allies were determined to exact in favour oi the Greeks would have been
tbe most effectual mediation. Wben Russia d clared war with Turkey, Eng.
land ought instantly have recognized the independence of Greece and
proceeded to carry tbe Treaty of tbe 6 July into execution by force. As France
would in all probability have acted in the same manner, the consent of the
Sultan would have been gained, and a check might have been placed on the
ambition of Russia by occupying the Black Sea with an English and French
fleet" Stanley Lane-Poole. The life of Stratford Canning I, 467.
') Privatbrief La Ferronnays* an Hortemart den 9. Juni 1828. Paris
Russie Vol 174 f. 235, durch La Ferronnays' Sohn Charles überbracht.
208 Kapitel Vil. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
ruhten die Zügel in den unsicheren Händen Lord Goderichs, aber
die Blicke richteten sich bereits auf Wellington, der die ganze
Orientpolitik der letzten Zeit rückhaltlos verurteilte und keinen
Anstand genommen hatte, den König zu bitten, Codrington die
Auszeichnung zu versagen, zu der ihn der Lord Großadmiral vor-
geschlagen hatte. Wenn Codrington nicht ausdrückliche Instruktionen
für sein Verhalten nachweisen könne, werde man ihn vielmehr
zur Rechenschaft ziehen müssen^).
In Rußland war die Stimmung der leitenden Kreise wie der
Gesellschaft begreiflicherweise ganz anders gerichtet. Der Kaiser
ist in den Tagen, da die große Entscheidung fiel, zwar in Petersburg
gewesen, aber noch war keine Kunde zu ihm gelangt, als er die Stadt
am 31. Oktober verließ'). Am 3. November war er in Dünaburg
eingetroffen, um Festung und Truppen zu inspizieren und dann
nach Livland und Estland gereist, wo er von den baltischen Ritter-
schaften und Städten enthusiastisch begrüßt wurde. Auf diesem
Boden trug die Loyalität der deutschen Bevölkerung einen ausge-
sprochen persönlichen Charakter; was man dem Kaiser entgegentrug
war Vasallentreue, und gerade dafür hatte er ein starkes Ver-
ständnis. Man fühlte sich als ein Besonderes in dem großen Zu-
sammenhange des russischen Reiches, und der Kaiser nahm keinen
Anstand die Tatsache anzuerkennen. Er blieb vom 6. bis zum 8. in
Riga. Von dort fuhr er über Pernau nach Reval, wo er Hafeubauten,
Festungswerke, die Garnison und die städtischen Anstalten inspizierte
und im ganzen zwei Tage blieb, was bei seiner hastigen Art zu reisen
auffallend lange war. Seine besondere Vorliebe für alles, was die
Marine betraf, hielt ihn hier fest. Erst am 13. November traf er
wieder in Petersburg ein. Die Stimmung die er in der Residenz
vorfand, war kritisch und wenig freundlich. Man murrte über
die rücksichtslos despotische Art des Kaisers. Er hatte vor
seiner Abreise den piemontesischen Gesandten de Salles seine
Ungnade fühlen lassen, weil dieser bei einem feierlichen Tedeum
in der Kirche nicht niedergekniet war. Es war sogar die Rede
davon gewesen, die Abberufung de Salles^ zu verlangen, und
0 Wellington Despatches IV 763 13. November 1827. „The Admiral
will be held responsible unless instructed by your Majestys ministers.*' Der
König bat Codrington trotzdem den ßatborden verlieben.
^) Journal der allerbocbsten Reisen. Woj. Utscbenny Archiv I Nr. 619.
Russiscb.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 209
Nesselrode hatte alle Mühe gehabt, die Sache glücklich beizulegen ').
Unmittelbar danach aber war ein zweiter schlimmer Ausjbruch der
Willkür des Kaisers gefolgt. Die Zöglinge eines vornehmen Pensionats
waren mit ihrem Lehrer in die Kirche geschickt worden, und gegen den
Brauch des griechischen Ritus hatte der Lehrer sich während des
Gottesdienstes gesetzt. Der Militärgouverneur hielt es für nötig,
dem Kaiser darüber Bericht zu erstatten, und dieser ließ den Un-
glücklichen in das sogenannte gelbe Haus, die Petersburger Irren-
anstalt, sperren. Erst nach 24 Stunden, die er, wie behauptet
wurde, in der Zwangsjacke verbrachte, ließ man ihn frei. Aber
er mußte Petersburg und Rußland verlassen'). Dergleichen hatte
man selbst nicht unter Alexander in seinen mystischen Jahren er-
lebt! Auch wurde die Strenge viel getadelt, mit der der Kaiser
verhältnismäßig unbedeutende Ruhestörungen unter den Moskauer
Studenten strafte — es ist das erste Symptom der später so be-
deutsam gewordenen russischen Studentenbewegung — kompromit-
tiert waren ganz junge Leute von 17 bis 21 Jahren. Mit wahrer
Barbarei, aber wurde die Strafe des Spießrutenlaufens gehandhabt.
Ein Soldat, der einen Zettel eines der verhafteten Moskauer Stu-
denten weiterbefördert hatte, mußte viermal durch 1000 Spießruten
laufen, und zwei unglückliche Juden, die den Pestcordon am Pruth
überschritten hatten, und die der stellvertretende Generalgouverneur
am Leben strafen wollte, begnadigte der Kaiser zu 12mal tausend
Ruten. Er fügte dieser Resolution eigenhändig hinzu: Es gibt, Gott
sei Dank, bei uns keine Todesstrafe, und ich werde sie nicht ein-
führen'). Daß seine Gnade die schrecklichste Form der Todes-
strafe bedeutete, ist ihm olTenbar nicht in den Sinn gekommen;
fast schlimmer noch ist es wohl, daß sich niemand fand, ihn darauf
aufmerksam zu machen. Aber seit seiner Krönung hatte der Kaiser
sich gleichsam isoliert. Von dieser Zeit ab wurden, mit geringen
Ausnahmen, die Immediatvorträge der Minister und Ministerial-
direktoren, die der Kaiser bis dahin regelmäßig entgegenzunehmen
pflegte, immer seltener, so daß in der Zeit, von der wir reden,
') La Ferronnays, 14. September 1827.
'^) Die Gräfin Nesselrode an ihren Bruder Nikolas Gurjew. Petersburg,
9./21. September 1827. „Ne trouvez-vous pas que c'etait du despotisme
tout pur?"
') Russkaja Starina 1883 IV. 660. Cber die Moskauer , sötte et infame
farce'' vergl. den Brief Nikolais an Konstantin vom 27. September 1827.
Schiern an n, Gescbichte Kußlands. IL 14
210 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
seia Verkehr in Regierungsangelegenheiten sich bereits auf nur
wenige Personen beschränkte*). Weiteren Stoff zur Unzufrieden-
heit gab dann die immer aufdringlicher werdende Geheim-
polizei Benkendorfs, die auch in der Armee ihre Vertreter
hatte, denn noch wirkten die Eindrücke des 26. Dezember
1825 nach. Es steht fest, daß unter den Motiven, die den Kaiser
einen Krieg mit der Türkei wünschen ließen, die politischen Ge-
sinnungen seines Offizierkorps eine wesentliche Rolle spielten. Er
wußte besser als alle andern, daß der Geist der Dekabristen keines-
wegs ausgestorben war'). Nebenher mußten ihm auch Zweifel
über die Leistungsfähigkeit seiner Marine kommen, wenn er, auch
abgesehen von dem Abenteuer des Westowoj, der Nachrichten
gedachte, die ihm aus Portsmouth zugegangen waren. Er hatte,
als sich herausstellte, daß das Segelwerk und die Takelage der
Flotte in England völlig erneuert werden mußte, in Kronstadt
eine Untersuchung angestellt, die die ungeheuerlichsten Unter-
schleife nachwies. „In der Flotte**, schrieb er unter dem ersten
Eindruck dem Bruder Konstantin, „ist nichts als Diebstahl und
Infamie zu finden. Täglich mache ich neue Entdeckungen. Es
wird eine Herkulesarbeit, hier Ordnung zu schaffen"'). Das Ein-
laufen der türkischen Flotte in den Hafen von Navarino wurde in
Petersburg zudem als grober Mißgriff der Admiräle bezeichnet, ein
Urteil, das wahrscheinlich auf den Kaiser selbst zurückging. End-
lich machte die Haltung ()sterreichs dem Kaiser die größten Sorgen.
Der Hospodar der Walachei hatte Ribeaupierre, dem russischen
Botschafter in Konstantinopel, Abschriften seiner gesamten Korre-
spondenz mit dem Wiener Kabinett gegeben, der Sohn des Hospodars
der ebenfalls um die Gunst Rußlands buhlte, hatte danach im
Oktober dem Vater einen Teil der Originale entwendet und sie
nach Petersburg geschickt. Sie waren alle von der Hand Friedrichs
von Gentz, ein Schreiben sogar von Metternich, und ließen keinen
Zweifel an der Rußland feindseligen Haltung der österreichischen
Politik. Nikolai aber war um so tiefer verletzt und entrüstet, als
er die emphatischsten Versicherungen von der Loyalität der öster-
0 Korflf Denkwürdigkeiten ad 1830.
*) Noch am 27. August 1827 wurde eine Anzahl Offiziere verhaftet wegen
Verbreitung von Gedichten „revolutionären" Inhalts und des Briefes, den
Rylejew vor seiner Hinrichtung an seine Frau geschrieben hatte.
») Schreiben vom 18. Juli 1827.
Kapitel Vif. Von Navarino bis zum Ausbrach des Krieges. 211
reichischen Politik ebea erst aus dem Munde des neuen öster-
reichischen Botschafters, Grafen Zichy, entgegengenommen hatte
und dringend um eine Zusammenkunft mit Kaiser Franz gebeten
worden war. Er sah in diesem Verhalten eine unehrenhafte Hand-
lung Metternichs und einen Verrat. In diesem Sinne schrieb er
seinem Schwiegervater Friedrich Wilhelm*), er werde zwar äußerlich
sein Verhalten Österreich gegenüber nicht ändern, seine Antwort sei
Verachtung; aber Vertrauen könne er diesem „gouvernement fourbe**
nicht mehr schenken. Dabei ist es bis in den Sommer 1830
geblieben, als die Julirevolution die Interessen Rußlands und
Österreichs wieder verband. Man muß diese Tatsache kennen,
um das Mißtrauen zu verstehen, mit dem der Kaiser jeden Schritt
der österreichischen Politik begleitete.
Auch in den Nachrichten, die ihm aus Polen zugingen,
glaubte er die Spur österreichischer Intrigen zu erkennen,
und darin wurde er noch durch den Großfürsten Konstantin
bestärkt. Die alten napoleonischen Sympathien der Polen
würden von Galizien aus gepflegt, und der Prinz Napoleon sei
bereits 16 Jahre alt. Der Großfürst schickte dem Kaiser eine
Lithographie zu, welche den Statthalter von Galizien, Fürsten
F^obkowitz, in polnischer Nationaltracht darstellte, und bald danach
meldete er, daß vier neue Jesuit^nkollegien von Metternich in
Galizien zugelassen worden seien. Die Beziehungen der polnischen
Patrioten zum Jesuitismus aber wurden in Rußland von jeher miß-
trauischen Auges verfolgt. Der Kaiser war auf das Äußerste gereizt')
und eben deshalb keineswegs geneigt, den polnischen Wünschen
Rechnung zu tragen, die durch die Vermittelung des Großfürsten an
ihn gelangten. Denn in ihrer Beurteilung der polnischen Ange-
legenheiten gingen beide nach wie vor weit auseinander. Kon-
stantin, dessen stärkste Abneigung immer gegen Preußen gerichtet
0 Charlottenburg. Hausarchiv. Schreiben Nikolais an den König vom
30. Oktober: Die Antwort Friedrich Wilhelms datiert^vom 29. November und
war darauf angelegt, Metternich zu entschuldigen; um sein Ziel, den Frieden
zu erreichen, scheue er vor keinem Mittel zurück. Das Ziel aber lag dem
Könige, der einen europäischen Krieg um jeden Preis verhindern wollte,
ebensosehr am Herzen, wie dem österreichischen Staatskanzler.
^) »im übrigen . . ich auf sie^ schreibt er am 27. September dem Groß-
fürsten Konstantin.
212 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
war, hielt an der Fiktion fest, daß der Kern der polnischen Be-
wegung in Posen und in Krakau Hege, und daß die Verschwörung,
über welche man zu Gericht saß, dort ihren Ursprung gehabt habe,
daß sie auch nicht über den kleinen Kreis der Verhafteten hinaus-
gehe; die übrigen Polen des Königreichs seien loyale Untertanen
ihres konstitutionellen Königs, und wenn sie eine Vereinigung
von Polen und Littauen erstrebten, so dürfe man ihnen das nicht
verdenken, da Alexander selbst ihnen dieses Ziel gesetzt habe. Be-
sonders war er bemüht, den Geist der polnischen Armee als muster-
haft darzustellen, obgleich er eben damals die größten Unannehm-
lichkeiten mit den Generälen Krasinski und Osharowski hatte und
den letzteren sogar seiner Stellung entheben mußte ') Das tat aber
seinem günstigen Urteil über die Gesamtheit der polnischen Offiziere
keinen Eintrag, und da das littauische Korps unter seinem Ober-
kommando stand, erschien ihm die Verbindung Littauens mit Polen
zu einer Verwaltungseinheit nicht nur natürlich, sondern durchaus
wünschenswert. Der Kaiser dagegen ist, so sehr er sich bemühte
in polnischen Angelegenheiten den Ansichten des Bruders Rechnung
zu tragen, allezeit mißtrauisch gegen die polnische Nation geblieben
und war fest entschlossen, unter keinen Umständen die Vereinigung
Polens und Littauens zu dulden. Er hat es Konstantin auf das
nachdrücklichste erklärt'), Littauen sei eine russische Provinz, die
Verbindung dieses Gebietes mit Polen würde eine Verletzung der
Integrität Kußlands sein. Der Gegensatz der Meinungen wurde
noch schärfer, als der Kaiser vorschlug, bei der nächsten Rekruten-
aushebung die littauischen Rekruten in russische Gouvernements
und Russen nach Littauen zu versetzen. Es hat darüber schließlich
eine sehr gereizte Korrespondenz zwischen den Brüdern gegeben,
die zur großen Erbitterung Konstantins damit abschloß, daß der
Kaiser seine Absichten doch durchführte'). Einen weiteren Anlaß
zu gegenseitigen Unzufriedenheiten gab der Verlauf des langsam
sich dem Abschluß nähernden polnischen Hoch Verratsprozesses.
Fast zwei Jahre waren mit der Untersuchung hingegangen, ehe
endlich die Anklageakte fertig wurde, die dem hohen Gerichtshof
in Warschau zur Unterlage für sein Urteil dienen sollte. Der
^) Er wurde durch den General Baron Rosen ersetzt.
'■^) Schreiben Nikolais an Konstantin vom 9. November 1827.
*) Siehe die Briefe vom 8, 12, 14, 17, 24. November 1827.
Kapitel Vif. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 213
Kaiser war mit dieser Anklageakte^) sehr anzafriedeD, weil sie nur
von einer ^tentative eloignee^ der Verschwörer sprach, während doch
feststehe, daß sie um die Mordpläne der Dekabristen gewußt hätten.
Konstantin war dagegen mit dieser Formulierung durchaus einver-
standen und wies darauf hin, daß die Kaiserin Katharina Polen nicht er-
obert, sondern geraubt habe'). Die Wünsche und Hoffnungen der
Polen seien daher wohl verständlich und zu entschuldigen. An
den Anschlägen gegen Alexander und das kaiserliche Haus aber
hätten sie niemals einen Anteil gehabt. Und dabei blieb er, trotz
aller Entgegnungen des Kaisers. Es ließ sich vorhersehen, daß
diese Gegensätze sich noch steigern, nicht mildern wurden.
Daß dies in der Tat geschah, dazu hat die Katastrophe von
Navarino und der sich daran schließende Türkenkrieg sehr wesent-
lich beigetragen.
Die Nachricht von der Zerstörung der türkischen Flotte war
über Paris am 18. November in Petersburg bekannt geworden. Die
offizielle Bestätigung traf am 20. ein, gleichzeitig mit der Sieges-
kunde von der Einnahme Eriwans. Sie wurde mit ungeheurem
Jubel aufgenommen und lenkte sowohl die Gedanken des Kaisers
wie der „Gesellschaft^ in Petersburg in eine neue Richtung. Man
hielt den sofortigen Ausbruch eines Krieges für möglich und erwog
die politischen und militärischen Aussichten. Wurde auch von
Nesselrode zunächst an der Vorstellung festgehalten, daß England
und Frankreich mit Rußland gemeinsame Sache machen würden, so
wurde doch auch nicht ohne Behagen die W^ahrscheinlichkeit einer
ausschließlich russischen Aktion gegen die Türkei erwogen, denn
wenn die beiden Westmächte Rußland allein die Last eines türki-
schen Krieges tragen ließen, so glaubte man die lästigen Ver-
pflichtungen abschütteln zu können, die Eroberungen auf Kosten
der Türkei ausschlössen. In diesem Sinne schrieb Nesselrode schon
am 18. November dem Feldmarschall Wittgenstein, der als Kom-
mandierender der zweiten Armee zunächst berufen war, die mili-
tärischen Operationen zu leiten, und dem der Kaiser auch das
^) Sie war vom Senator ßielinski abgefaßt, unter dem Druck der ge-
heimen Gesellschaften, deren Proklamation die schlechten Patrioten mit der
Rache des Volkes bedrohten.
') „leur pays a ete spolie et non conquis par Plmporatrice Catherine*
er fügt ^inzu, die Mittel, die sie angewandt habe, seien „les plus honteux
et dont chaque äme honnete aurait repugn^^ 1. 1. 12. Dezember 1827.
214 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
Oberkommando in dem bevorstehenden Feldzuge zugedacht hatte').
Für den Fall eines Bruchs mit der Türkei sollte ohne jeden Zeit-
verlust der Pruth überschritten werden, damit Rußland die Donau-
Fürstentümer besetzen könne, bevor die Österreicher ihrerseits die
Okkupation der Walachei vorgenommen hätten. Ihre Truppen^
30000 Mann stark, ständen schon an der Grenze. Sollte Wittgen-
stein wider Erwarten bei seinem Einrücken die Österreicher be-
reits in der Walachei vorfinden, so solle er ihre Generäle auf-
fordern abzuziehen und ihnen im Weigerungsfalle sagen, daß er
den Auftrag habe zu protestieren, und dem Kaiser dann sofort
Mitteilung machen. Inzwischen aber sollte er okkupieren was
noch frei sei, die Österreicher jedoch so behandeln, daß sie den
Eindruck gewinnen, Rußland wolle trotz allem gute nachbarliche
Beziehungen aufrechterhalten.
Der Feldmarschall war von dieser Instruktion keineswegs er-
baut; er wies darauf hin, daß es eine Partei moldauischer und
walachischer Bojaren gebe, denen eine österreichische Schutzherrschaft
hocherwünscht wäre. Wenn auf seinen Protest hin die Österreicher
nicht wichen, werde seine Lage so schwierig werden, daß ihm
nichts übrig bleibe, als entweder sie zu bekämpfen oder selbst
zurückzugehen. Seiner Meinung nach wäre das Richtige, den
Österreichern zu erklären, daß ein Einrücken ihrer Truppen in die
Fürstentümer als Kriegserklärung gelten werde. In Petersburg
wurde diesen Einwürfen und Vorschlägen des Feldmarschalls wenig
Aufmerksamkeit geschenkt. Trotz alles Mißtrauens gegen die
Politik des Fürsten Metternich glaubte man nicht, daß er kühner
Entschlüsse fähig wäre. Er sei kein Bonaparte; auch rechnete
Nesselrode auf den Erfolg der Verhandlungen, die im Gange waren
und deren Ziel es war, nach allen Richtungen hin Rußland mög-
lichst freie Hand zu sichern. Die sich drängenden Nachrichten
aus Konstantinopel ließen keinen Zweifel mehr, daß der Krieg,
und zwar der Krieg mit Rußland, dem Sultan Mahmud als eine
politische und religiöse Ehrenpflicht erschien.
Seit dem 30. Oktober wußten auch die türkischen Staatsmänner
von den Ereignissen von Navarino, aber erst am 2. November wagten
sie, dem Sultan davon Mitteilung zu machen. Der brauste auf in
^) Werki, Wittgensteinsches, jetzt fürstlich Hohenlohesche% Archiv.
Korrespondenz Wittgensteins mit Diebitsch und Nesselrode. 1827 — 29.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 215
wildem Zorn*). Durch den Reis-Efendi ließ er den Internunzias
Ottenfels wissen, unter welchen Bedingungen er geneigt sei, zu ver-
zeihen. Er verlange binnen 24 Stunden Entschuldigung von den
drei Mächten, die Zusage einer entsprechenden Entschädigung für
die bei Navarino erlittenen Verluste, einen Verzicht auf jedes Ein-
greifen in die griechischen Angelegenheiten, und das ausdrückliche
Aussprechen ihres Wunsches, fortan in Frieden mit der Pforte zu
leben. Ottenfels hat es nicht möglich gefunden, die zweite und
dritte dieser Forderungen den Gesandten mitzuteilen. Als dann die
Vertreter der Mächte durch ihre Dragomans die direkte Frage an
den Keis-Efendi richteten, ob die hohe Pforte, in Übereinstimmung
mit den Mächten geneigt sei, die Wiederkehr von Ereignissen zu
verhindern, welche sie hätte vermeiden können, die aber von den
Vertretern der Mächte tief beklagt (deplorer) würden, und zugleich
eine direkte Antwort verlangten, ob der Sultan, wie sie es täten,
den Frieden erhalten wolle*), entschied Mahmud folgendermaßen:
Es gäbe zwischen der Türkei und den Mächten keine .Beziehungen
mehr, seit sie mitten im Frieden, unter der Maske der Freund-
schaft, ihm einen tödlichen Schlag beigebracht hätten. Weder
Freundschafts- noch Handelsvertrag, noch die Konvention von Akker-
man bestehe mehr zu Recht. Er erkläre nicht den Krieg, aber er
werde ihn mit aller Kraft führen, wenn man ihn angreife. Er sei
auf alles vorbereitet, und keine Gefahr werde ihn zurückweichen
lassen. Die Botschafter wolle er nicht wiedersehen, sie könnten fort-
ziehen, wann ea ihnen beliebe. Auch werde er niemand belei-
digen, aber er wolle auch nicht dulden, daß man ihn ferner be-
schimpfe, und werde zeigen, daß er nicht gesonnen sei, sich zum
Narren halten zu lassen.
Der Reis-Efendi gab dann den Dragomaus eine etwas abge-
schwächte offizielle Antwort; am 5. November aber trat an der Pforte
ein großer Rat zusammen, zu dem die Ulemas, Ridgeals und alle Mi-
nister berufen wurden. Es blieb dabei, daß die Pforte auf Er-
füllung der vier Forderungen bestehen müsse, die sie dem Inter-
nunzius formuliert hatte. Den Mächten wurde eine Frist von vier
*) Für das Folgende vergl. Prokesch Osten: Geschichte des Abfalls der
Griechen etc. Bd. V, S. 130 ff. Die dort mitgeteilten Aktenstücke sind aber
keineswegs vollständig. Sie werden hier ergänzt durch die Relationen Ton
Miltitz. Berlin G. StA. A. A. I Rep. I Turquie 1827, 28.
^) Instruktion an die Dragomans vom 4. November, Prokesch S. 130.
216 Kapitel YII. Von Navarino bis zum Aasbruch des Krieges.
Wochen zur Beantwortung gesetzt; bis dahin sollten alle Beziehungen
zu ihnen ruhen, der Handelsverkehr ins Schwarze Meer hinein so-
fort abgebrochen werden.
Es ist nun sicher, daß die Pforte einerseits auf Unterstützung
von Seiten Österreichs, andererseits auf eine Abwendung Englands
von der Allianz rechnete; sie hat daher eine Kollektivnote der Mächte
vom 10. November, welche die Forderungen der Pforte kategorisch ab-
lehnte und umgehende Rücknahme ihrer den Verträgen widersprechen-
den Maßregeln verlangte, zunächst, in Erwartung günstiger Nach-
richten aus Wien, unbeantwortet gelassen und am 14. den mageren
Bescheid gegeben, sie wolle das, über die Schiffe der Mächte verhängte
Embargo teilweise aufheben. Die Verhandlungen zogen sich danach
noch acht Tage hin; schließlich blieb kein Zweifel mehr möglich, daß
an ein Nachgeben der Pforte nicht zu denken sei. Schon wurden
die Anstalten zur Abreise der Botschafter getroffen, und eine ge-
meinschaftliche Konferenz, die sie vom Reis-Efendi erwirkten, führte
gleichfalls nicht zu greifbaren Ergebnissen. Immerhin gaben die
Friedensfreunde nicht alle Hoffnung auf, da die Botschafter sich be-
reit gefunden hatten, noch einige Tage auf eine endgültige Antwort
Mahmuds zu warten. Der Sultan, der eben jetzt Tahir Pascha em-
pfangen und von diesem eine aufregende Schilderung der schmerz-
lichen Ereignisse von Navarino gehört hatte, ließ am 27. November
den Dragomans der drei Mächte erklären, daß seine Beschlüsse un-
wandelbar seien, und daß, bevor die Griechen sich ihm unterworfen
hätten, von einer Aufnahme der Beziehungen zu den Mächten
keine Rede sein könne. Wie dann am 28. die Gesandten ihre
Pässe verlangten, machte der Großvezier noch einen letzten Versuch,
Mahmud umzustimmen. Als der Sultan vom Serail in das Winter-
palais übersiedelte, warf er sich ihm zu Füßen und bat ihn aus
Rücksicht auf die Bitten der drei Botschafter zu sagen, was er den
Griechen gewähren könne. Die Autwort konnte unmöglich be-
friedigen. Er wolle, sagte der Sultan, den Griechen den Karatsch
erlassen, den sie ihm für die letzten sechs Jahre schuldig geblieben
seien, dazu noch die Abgaben für das nächste Jahr, auch keine
Entschädigung für seine Kriegskosten verlangen. Mehr aber werde
er nicht gewähren. Diese Antwort wurde den Botschaftern mitge-
teilt, die noch immer vergeblich auf ihre Pässe warteten. Ihre
Lage war um so peinlicher, als sie von ihren Regierungen seit
Navarino keine Instruktionen erhalten hatten und auf eigene Ver-
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 217
antwortung handeln mußten. Die nächstfolgenden Tage gingen in
Konferenzen hin, und die Wiederherstellung des Embargo für die
Schiffe, die in das Schwarze Meer wollten, bestätigte die Meinung,
daß der Sultan es allerdings auf einen Bruch werde ankommen
lassen. Die letzte Entscheidung ist dann von der Pforte, am 2.
Dezember 1827, auf einer außerordentlichen Ratsversammlung ge-
troffen worden. Alle Minister, Veziere, Paschas, die Spitzen der
Behörden und 160 Individuen, die aus den Ulemas, Ridgeals und
Kodgeakians') gewählt waren, sollten ihr Urteil über die Lage
abgeben. 3000 Zuschauer hatten sich im Hof versammelt. Der
Sultan selbst aber hörte die Verhandlungen aus einem Kabinett
an, das an das Beratungszimmer stieß. Man trennte sich erst
gegen Abend, nachdem der folgende einstimmig gefaßte Beschluß
vom Sultan bestätigt worden war: da die Bitten der drei Bot-
schafter, sofern die künftige Stellung der Griechen in Frage komme,
unannehmbar seien, da ferner die drei Höfe den Freundschafts-
bund gebrochen und das Blut der Osmanen vergossen hätten, solle
das muselmännische Volk sich zur Verteidigung des Thrones, der
Religion und der nationalen Ehre zusammenscharen!
Dieser Beschluß ist beschleunigt und wesentlich mitbestimmt
worden durch eine Botschaft, die von den drei Dragomans in
währender Sitzung überbracht wurde. Das Verhalten der Pforte,
ließen die Botschafter sagen, berechtige sie schon jetzt, Konstantinopel
zu verlassen. Sie hofften aber immer noch, daß der Divan sein poli-
tisches System ändere, und um ihnen möglich zu machen, auf ihrem
Posten zu bleiben, die folgenden Beschlüsse fassen werde: Herstellung
aller Privilegien, Immunitäten und Freiheiten, auf denen die Stellung
der Diplomaten an der Pforte ruhe, sofortigen Erlaß eines Hatti Sheriff,
der einen Waffenstillstand zu Wasser und zu Lande verkündigte,
endlich Gewährung der durch den Julivertrag für die Griechen
geforderten Stellung. Im Fall einer abschlägigen Antwort müßten
sie nochmals ihre Pässe fördern, um abzureisen. Der niederländische
Gesandte werde den Schutz der französischen, englischen und russi-
schen Untertanen übernehmen '). Die Antwort, die den Dragomans
^) Das ist: die Vertreter der Armee und der Korporationen, die der
Sultan nach einer ihm Torg^elef^ten Liste bezeichnet hatte.
^ Relationen von Miltitz Tom 10. November bis 10. Dezember 1327,
Berlin, Geb. Staatsarchiv. 1. 1. Stanley Lane-Poole: The life of Stratford
218 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
erteilt wurde, war höhoisch genug: Da die Konzessionen des Sultans
zurückgewiesen worden seien, nehme er sie nunmehr auch selbst
zurück; für den Schutz der fremden Untertanen aber werde er
selbst Sorge tragen und ebenso für den Schutz der katholischen
Kirchen und Klöster, die der Botschafter Frankreichs dem Inter-
nunzius überweisen wollte.
Den Reisefirman erhielten die Botschafter nicht; erst wenn
sie einen ausdrücklichen Befehl ihrer Regierungen vorweisen könnten,
werde ihnen der Firman zugestellt werden. Der englische Bot-
schafter Stratford Canning hat in seinen Briefen die peinliche
Lage geschildert, in der er und seine beiden Kollegen sich befanden:
„Wir handelten unter schwerer Verantwortlichkeit vor unseren Re-
gierungen. Wir mußten für den Schutz der Kaufleute, für Be-
förderung der Korrespondenz und für die Sicherheit des zurück-
bleibenden Eigentums der Krone Sorge tragen. Wir konnten nicht
vorhersehen, wohin die fanatische Erregung des muselmännischen
Pöbels bei unserer Abreise treiben werde. Zwar hatten wir guten
Grund zur Annahme, daß im letzten Augenblick die Pforte nach-
geben werde, aber wir mußten uns doch auch auf den Fall vorbereiten,
daß es nicht geschehe. Am 8. Dezember schiffte ich mich an Bord
eines kleinen, vorher gemieteten Kauffahrers ein. Meine Frau be-
gleitete mich. Wir hatten zahlreiche Gefährten: Sekretäre, Attaches,
Konsuln, die Dolmetscher und die Dienerschaft. Ein weiter Vfeg
mußte durch die Straßen der Stadt zurückgelegt werden. Es war
schon dunkel, als wir aufbrachen, ein starker Nordwind und heftiger
Regen hielt uns die Straßen frei und so konnten wir unbehindert
abfahren. Der WMnd war stark aber günstig. Der französische
Botschafter, der ein oder zwei Stunden vor uns die Anker gelichtet
hatte, wurde von uns überholt und wir passierten als erste die
Dardanellen."
Ribeaupierre hat mit Gefolge und zahlreichen Russen erst am
16. Dezember Konstantinopel verlassen; er nahm seinen Kurs nach
Triest, weil widrige Winde ihm den Weg nach Odessa ver-
sperrten. Er vereinigte sich später auf Befehl von Petersburg her
mit seinen französischen und englischen Kollegen in Korfu. Die
Pfortesetzte nach Abreise der Botschafter eine Kommission unter Vorsitz
Canning Cap. XII, wo die letzten Tage der Knsis sehr anschaulich geschilderl
werden.
Kapitel Yil. Von Navarino bis zum Ausbrach des Krieges. 219
des Reis-Efendi zum Schutz der Fremden eia, nahm aber zugleich
zahlreiche Ausweisungen vor. Namentlich die ihr verdächtigen
„Jonier" mußten die Stadt verlassen und wurden auf vier dazu
gemieteten Schiffen nach dem Archipel geschafft. Daß der Ver-
dacht der Pforte gegen die Griechen nicht unbegründet war, zeigten
zwei glücklich vereitelte Versuche, die türkischen Kriegsschiffe durch
Brander im Hafen von Eonstantinopel in Flammen zu setzen.
Am 15. Dezember führte die Pforte bei den drei Höfen Be-
schwerde über die Botschafter, weil diese unzulässige Forderungen
gestellt und, anstatt die Gegenvorstellungen des Divans zur Kennt-
nis ihrer Höfe zu bringen, Konstantinopel verlassen hätten. Einen
ausdrücklichen Befehl, diesen Schritt zu tun, hätten sie nicht vor-
bringen können. Daher ließe es sich bezweifeln, ob sie wirklich
im Auftrag ihrer Höfe handelten. Dieser Brief habe den Zweck,
die wahre Sachlage den Höfen bekannt zu geben.
Schon vorher aber war eine Kundgebung der Pforte an die
Ajans von Rumili und Natoli ergangen, die der russischen Regie-
rung den äußeren Anlaß bot, mit der Pforte zu brechen.
Es war ein Reskript (Bayan-Nehme) des Sultans, das in der
Tat einer Herausforderung gleichkam. Es begann mit der folgen-
den allgemeinen Betrachtung: „Wenn es wahr ist, daß, wie jeder-
mann zugestehen muß der mit Vernunft begabt ist, die Musel-
männer von Natur die Ungläubigen hassen, so ist es nicht weniger
gewiß, daß jene die geborenen Feinde der Muselmänner sind.
Namentlich aber gilt das von den Russen, deren Reich der Haupt-
feind der hohen Pforte ist')." Das Charakteristische dieser Kund-
gebung liegt wohl vornehmlich darin, daß sie alle Zugeständnisse,
die seit 1821 den christlichen Mächten von der Pforte gemacht
worden seien, namentlich aber die Vereinbarungen von Akkerman,
als eine politische List bezeichnete, deren Zweck dahin ging, Zeit
zu gewinnen, um sich zum Kampf gegen die Ungläubigen vorzu-
bereiten. Auch nach dem verräterischen Überfall von Navarino
habe der Sultan an sich gehalten und sich damit begnügt, von den
Vertretern der drei Mächte zu verlangen, daß sie endlich aufhören
sollten, für die Griechen einzutreten. Er habe sogar, um Zeit bis zum
') Nach der DberseUung von Miltitz, ein etwas abweichender Text,
der die Schärfen zu mildern sucht, bei Prokesch-Osten 1. 1. Vlll. 44, Bd. V
S. 140 fiF.
220 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
Sommer zu gewinnen, mit ihnen noch verhandelt, und versprochen,
den Griechen, wenn sie um Gnade bäten, erhebliche Vorteile zu
gewähren. Aber alles sei vergeblich gewesen, und schließlich
hätten alle drei Gesandten angezeigt, daß sie fortziehen würden.
Hätte er, der Sultan, ihnen nachgegeben und den Griechen
wirklich die Freiheit geschenkt, so wäre ein Aufstand der Griechen
in Rumili und Natoli die sichere Folge gewesen, und nach einem
Jahre oder zwei würden sie dann das großmütige muselmännische
Volk unterjocht haben. Das solle nimmermehr geschehen. Alle
Ungläubigen seien, wie der Koran sage, nur ein Volk, aber wenn
sie sich gleich alle zusammentun sollten, um ihre Forderungen
durchzusetzen, so würden die Moslems, ohne die Zahl der Feinde
zu achten, sich alle erheben, um geschart um die Fahne des
Propheten für ihren Glauben zu kämpfen. Denn es sei kein Krieg
um die Grenzen des Reiches. Die Ungläubigen hätten (wovor Gott
in Gnaden bewahre) den Plan gefaßt, die Nation der Muselmänner
von dem Antlitz der Erde zu vertilgen, und die Religion Moham-
meds mit F'üßen zu treten^). Dieser Krieg werde ein National-
und Religionskrieg sein und daraus folge die Pflicht für jeden
Muselmann, ohne Anspruch auf Sold und Gewinn, für Recht und
Glauben zu kämpfen bis zum jüngsten Tage! „So liegen die Dinge.
Wer von Euch noch einen Funken von Eifer für seinen Glauben,
für sein Heil in dieser und jener Welt hat, der schließe sich uns
an mit Herz und Seele und entziehe sich keiner Pflicht des Krieges.
Gebt ihr Euch ganz dem Besten des Reichs und der Religion hin,
so kommt die Hilfe von Gott*").
^) Im österreichischen Translat weit schwächer: „tendraient a renyerser
notre religioa et notre empire."^
3) Text von Miltitz: Äctuellement qu'on yous a expose la Situation des
choses, que tous ceux qui ont quelque ^tincelle de zele pour la foi et pour
leur. salut dans ce monde-ci et dans Tautre, s^unissent ensemble de coeur et
d*äme, ne se refuseut a aucun Service, et se devouent entierement pour lo bien
de Tempire et de la religion. Et Paide vient de Dieu.
Text von Prokesch-Osten: Tel ctant Tetat v^ritable des choses, il est
certain que tout homme qui a conserve dans son äme la moindre trace de
sentiment religieux confirmera de cocur et d'äme le pacte qui le lie a la de-
fense de tout ce qui doit lui etre eher, et consacrera a cette defense les forces
et les moyens dont il dispose. Dieu est notre soutien. Neben dem Stilgefühl
der Dragomans spielt auch die politische Tendenz in den Obersetzungen
türkischer Aktenstücke eine sehr merkliche Rolle.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 221
AU später der preußische DragomanBosgiowitsch deinReis-Efendi
wegen dieser Kundgebung Vorstellungen machte, soll seine Antwort
gewesen sein: „Dieses Dokument gehe die fremden Mächte nichts
an, so müsse man zu dem türkischen Volke sprechen.'^ Das
war vom türkischen Standpunkte aus gewiß richtig und der Auf-
ruf eine. Notwendigkeit, wenn Sultan Mahmud, wie es in der Tat
der Fall war, an dem Entschluß festhielt, das Londoner Protokoll
nicht zur Richtschnur seiner Politik den Griechen gegenüber zu
nehmen.
Daß aber Rußland als der eigentliche Gegner bezeichnet wurde,
war fast selbstverständlich. Nach allem was vorhergegangen war,
hatte die Vorstellung, daß die Gefahr von dieser Seite drohe, in
der europäischen wie in der asiatischen Türkei auch im Volke
Fuß gefaßt und selbst Navarino erschien vornehmlich als der Aus-
druck russischer Feindseligkeit. Den Russen schrieb man die Er-
regung des griechischen Freiheitskampfes und überhaupt alles Un-
heil zu, das die Türkei seit bald einem Dezennium zu tragen
hatte. Das war nicht nur die Meinung des Sultans und seiner
Staatsmänner, sondern auch das instinktive Gefühl der Massen.
Sultan Mahmud aber trug den Haß gegen den russischen Gegner
in rachsüchtigem Herzen. Wenn er 1826 in Akkerman hatte nach-
geben müssen, so war es geschehen, weil er nicht anders konnte,
und weil die große Frage der Umbildung des osmanischen Kriegs-
wesens ihm für die Zukunft des Islam wichtiger schien, als alles
übrige. Er hatte gehofft, Zeit zu gewinnen. Zehn Jahre Ruhe
sollten die schmerzlichen Zugeständnisse, die er widerwillig ge-
macht hatte, ihm eintragen. Bis dahin wollte er die Griechen
unterworfen oder vernichtet, sein Heer nach dem Muster, das die
Gegner ihm boten, umgebildet haben und dann die Verträge, die
sie ihm aufgenötigt hatten, ihnen zerrissen vor die Füße werfen.
Die Ereignisse von Navarino hatten ihm diesen Plan zerstört,
und er stand nunmehr vor der Notwendigkeit, den Krieg, den
er ganz richtig als unvermeidlich erkannte und dem er ohne Preis-
gebung seiner Autorität im Reich und seiner Selbständigkeit dem
Auslande gegenüber nicht entrinnen konnte, auf sich zu nehmen.
Aus dieser Einsicht erklären sich alle Schritte des Sultans nach
Übrigens bemerkt Miltitz ansdrücklich, daß das im diplomatischen Korps
zirkulierende Exemplar des Aufrufes nicht einmal vollständig gewesen sei.
222 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbrach des Krieges.
Navarino. Er hoflfte dabei von Österreich, das ja seit 1821 stets
die Rolle des besten Freundes und Ratgebers der Türkei gespielt
hatte, Unterstützung zu finden, und rechnete anderseits darauf,
England von Rußland und Frankreich zu trennen. Auch sind
diese Hoffnungen nicht als chimärisch zu bezeichnen. Am 8. Januar
1828 hatte Wellington, der seit dem Vertrage vom 6. Juli 1827 als
ein entschiedener Widersacher der russischen Politik gegenüberstand
und mit dem Botschafter Fürsten Lieven und seiner Gemahlin ver-
feindet war, ein Ministerium mit Lord Aberdeen als Minister des
Auswärtigen gebildet, aus dem die alten Freunde Cannings aus-
scheiden mußten, and die Rede, mit der er sein erstes Parlament
eröffnete, hatte die Politik, die zur Schlacht bei Navarino führte,
ausdrücklich verleugnet.
Aber die Nachwehen der großen wirtschaftlichen Krisis der
Jahre 1825 und 1826') machten sich immer noch drückend fühl-
bar und zudem wurde das Interesse Wellingtons durch innere
Probleme, speziell von der wiederauftauchenden Frage der Katho-
likenemanzipation') so stark in Anspruch genommen, daß ihm
große auswärtige Verwicklungen im höchsten Grade unerwünscht
sein mußten. Dazu kamen dann die portugiesischen Schwierig-
keiten. Die Haltung Englands während der ganzen orienta-
lischen Krisis ist dadurch beeinflußt worden. Wellington hat
mit der Feder, nicht mit den Machtmitteln Englands die Pforte
zu stützen versucht, so daß alle Hoffnungen, welche die Pforte auf
ihn setzte, zuschanden wurden*). Ungünstig für die Türkei war
es ferner, daß in Frankreich am 4. Januar 1828 das Ministerium
Villele zusammenbrach und durch das liberale Kabinett Mar-
tignac ersetzt wurde, in dem La Ferronnays, der Freund Nikolais,
') Tugan ßaranowski: Studien zur Theorie und Geschichte der Handels-
krisen in England. Jena 1901 S. 84. Schöler in seinen Relationen weist
mehrfach auf diese inneren Schwierigkeiten Englands hin.
') Die Katholikenemanzipations-Bill war zwar im Unterhause durchge-
gangen, stieß aber bei den Lords auf heftigen Widerstand.
') Brief der Fürstin Lieven an ihren Bruder Alexander Benkendorf von
16./28. März 1828. „England is a coward, and nothing less. She is afraid to
go with US, afraid to go against us, and she thinks herseif safe by holding
mid-way between her two fears. The attitude is not very dignified for her,
but it is not harmfull to us, and that is the essential matter.* Letters of Do-
rothea Princess Lieven. London 1902, S. 125.
Kapitel VII. V^on Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 223
das Ministeriutn des Auswärtigen übernahm. Österreich endlich
stand zwar nach wie vor mit all seinen Sympathien auf
türkischer Seite, aber direkte Hilfe konnte und wollte es nicht
bieten. Metternich hat durch eine Depesche, die er am 6. Januar
1828 an den Großvezier richtete, noch einmal versucht, die Pforte
zu Zugeständnissen zu bewegen, um weiteren Maßregeln der Ver-
bündeten vorzubeugen und wenn irgend möglich einen Krieg zu
verhüten; aber schon Ende des Monats stand fest, daß diese Be-
mühungen keinen Erfolg haben würden. Alle Wahrscheinlichkeit
sprach dafür, daß die Pforte nur auf die eigenen Machtmittel im
Kampf gegen ihre Feinde werde rechnen können. Auch zögerte
sie nicht mit ihren Vorbereitungen.
Schon vor der Abreise der Gesandten hatten die Rüstungen
begonnen und die Versammlung der Ajans hatte nur bestätigt, was
schon lange dem Sultan feststand: daß nunmehr der Krieg den
Streit zwischen den Europäern und der Pforte entscheiden solle.
Selbst wenn alle Mächte gegen ihn zusammenständen, werde
er nicht nachgeben'). Es kann aber nicht zweifelhaft sein,
daß trotz des Hasses, mit dem man auf Rußland blickte, weder
religiöser Fanatismus noch Kriegsbegeisterung bei der Bevölkerung
vorhanden waren. Sie fügte sich dem harten Despotismus des
Großherrn und zog ins Feld, weil es kein Entrinnen gab.
Es war, abgesehen von den regulären Truppen, elendes bettel-
haftes Volk, das jetzt zusammenströmte; die Provinzialjanitscharen
zeigten sich unbotmäßig und unzuverlässig, zumal zum Seraskier
eben jener Hussein Pascha ernannt wurde, der ihre Brüder 1826
so erbarmungslos niedergemetzelt hatte. Der Sultan selbst aber
war ihnen verhaßt als ein gottloser Neuerer. Trotzdem mußten
sie seinen Fahnen folgen. Als Mitte Mai die Pforte ihre Ausrüstung
beendet hatte, rückten aus dem Lager von Daud Pascha mit dem
Seraskier 10000 Reiter und 40 Geschütze, während Halil Pascha
6000 Mann regulärer Infanterie führte. An europäischen Milizen
und von der waffenfähigen Bevölkerung Bulgariens wurden gegen
20000 Mann aufgebracht, an asiatischen Milizen zu Fuß und zu
Pferde gegen 15000 Mann. Die Albaner hatten jede Leistung ver-
weigert. Das gab für den europäischen Kriegsschauplatz in Summa
^) Bericht des franzosischen Botschaftssekretärs Degranges vom 22. Januar
1828. Paris, Depot des Äff. etr. Uussie.
224 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
etwa ÖOOOO Mann, die alle die Direktion auf Schumla erhielten.
Außerdem standen 15000 Mann in Widdin und ebenso viele in den
Donaufestungen '). Mit diesen Truppen, die nach den Erfahrungen
früherer Kriege ausreichend erschienen, wollte man die 90 deutsche
Meilen lange Linie Varna, Schumla, Tirnowo, Widdin, Oreowa
verteidigen. Die Stellung der Türken war eine rein defensive.
Moldau und Walachei überließ man dem Feinde, wobei einerseits
auf die Eifersucht Österreichs gegen Kußland gerechnet wurde, an-
dererseits die Erwägung mitgespielt zu haben scheint, daß die
Aufstellung des linken türkischen Flügels bei Widdin die Russen
nötigen werde, die ganze Walachei zu besetzen und dadurch ihre
Kräfte »u zersplittern. Die Pforte hatte außerdem eine Flotille
fast unbrauchbarer Kanonenboote auf der Donau und die Reste der
türkisch-ägyptischen Flotte, 61 Fahrzeuge, darunter nur zwei Li-
nienschiffe und vier Fregatten, sowie 28 ägyptische Transportschiffe.
Admiral Rigny konnte mit Leichtigkeit diese geringe Macht ver-
hindern, irgend welche Operationen vorzunehmen; in das Schwarze
Meer aber durfte sie sich nicht hinauswagen, so daß sie so gut
wie nicht existent war. Sie lag in der Bucht von Bujukdere, ein
kümmerlicher Schutz der Hauptstadt. Auch vom Pascha von
Ägypten war Hilfe nicht zu erwarten. Zwar Ibrahim Pascha mit
seinem Heere war nach wie vor in Morea, aber es war nur eine
Frage der Zeit, wann er die Halbinsel würde räumen müssen.
Schon am 9. Februar 1828 warMehemed Ali aufgefordert worden,
ihn abzurufen, und am 3. März hatte der Lord-Kommissar der
Jonischen Inseln, Sir Frederik Adam, eine englische Fregatte nach
Navarino geschickt, um Ibrahim mitzuteilen, daß er Morea zu ver-
lassen habe. Der aber erwiderte, daß er nur nach den Befehlen
Mehemed Alis handeln könne. Er ist erst später, als die Fran-
zosen unter Admiral Maison in Morea landeten, abgezogen.
Über die Erwägungen, die in Rußland zur Feststellung eines
Feldzugsplanes führten, sind wir nur schlecht unterrichtet. Der
') Moltke, Der russisch-türkische Feldzug in der europäischen Türkei.
II. Aufl. Berlin, G. Reimer 1877, gibt die gesamte disponible Kriegsmacht der
Türkei auf zirka 180000 Mann an. Unsere Zahlen berechnen die zu Anfang
der Kampagne disponiblen Truppen. Das Werk Moltkes wurde 1876 Tom
Obersten Schilder ins Kussische übersetzt und mit wertvollen Anmerkungen
versehen, die auf das Archiv des russischen Generalstabes fundiert sind und
stets Berücksichtigung verdienen.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 225
General Diebitsch hatte 1821 dem Kaiser Alexander einen Entwurf
vorgelegt, der Konstautinopel zum Ziel nahm und außerordentlich
kühn gedacht war. Er wollte in einem Feldzuge vom März bis
zum 1. August KoDstantinopel unter Mitwirkung der Flotte nehmeo,
während gleichzeitig Jermolow Erzerum und Trapezunt bewältigen
sollte. Als 1826 infolge des russischen Ultimatums die Gefahr
eines Krieges wieder drohte, hatte der Prinz Eugen von Württem-
berg*) einen Operationsplau auf Wunsch des Kaisers ausgearbeitet,
bei dessen Überreichung er ausdrucklich bemerkte, „daß Zeit und
Umstände manche Bestimmungen verändern könnten und demnach,
was heute gut sei, morgen nichts mehr tauge, überhaupt aber in
einem Kriege, in dem man nicht erobern, sondern nur einen
wesentlichen Zweck erreichen wollte, alles auf schnelle Entschei-
dung, Imponieren und Zuvorkommen fremder Einsprache durch
rasche Erfüllung des vorgesetzten Zweckes ankomme. Diese An-
sichten" — so fährt der Prinz fort — „und zumal die von mir
vorgeschlagenen Mittel fanden sich in vollkommener Überein-
stimmung mit denen, welche der Chef des kaiserlichen General-
stabes, General Diebitsch, ohne mein Vorwissen auch von seiner
Seite vorgelegt hatte; da mir aber die Truppenzahl von selten des
Kaisers bereits deünitiv bestimmt war, so hatte ich hierauf meine
Berechnungen gefußt, Diebitsch dagegen, wie ich das ganz ver-
nünftig fand, beinah ein Drittel mehr gefordert. . . . Mir war bei
dem bevorstehenden Feldzuge das Kommando der vier Divisionen
bestimmt, welche bei Ismail über die Donau gehen und von dort
aus den ersten Schlag zu einer Zeit ausführen sollten, wo die
Türken durchaus noch keine Verteidigungsmaßregeln getroffen
haben konnten. Im Fall Graf Wittgenstein durch den damals
vermuteten Abgang des Generals Sacken zum Kommando der
ersten Armee berufen worden wäre, sollte mir überdies das der
zweiten zufallen." Auch 1828 wurde Prinz Eugen nach Petersburg
berufen, aber von einem Kommando für ihn war weiter nicht die
Rede, seine Anstellung war in eine Begleitung des Kaisers umge-
wandelt und um die Feststellung des Kriegsplanes wurde er nicht
weiter befragt. Dagegen erfuhr er, daß statt der früher bezeich-
neten Truppenzahl „unendlich weniger" aufgeboten werden sollte.
^) Nachgelassene Korrespouilenz zwischen Herzog Eugen von Württem-
berg und General von HoiTmann. Kannstadt 1883. Brief vom 11. April 1829.
ScbiemanD, Geschichte KuBIands. II. 15
226 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
und daß von seinen Vorschlägen nur „das Tadelhafteste", auf die
veränderten Verhältnisse nicht mehr Anwendbare, übernommen
worden war. Der neue Feldzugsplan aber ging auf Diebitsch zu-
rück, der, um sich den Anschauungen des Kaisers anzupassen, die
kühnen Pläne, mit denen er sich 1821 trug, völlig aufgegeben
hatte. „Euere Majestät wissen," — schrieb er am 23. März 1828
dem Kaiser — „daß ich eine weitere Vergrößerung Kußlands nie-
mals für nützlich gehalten habe.^
Schließlich ist der endgültige Feldzugsplan durch einen Kom-
promiß zwischen den Anschauungen Wittgensteins,, dessen Er-
nennung zum Oberkommandierenden definitiv beschlossen wurde,
und denen Diebitschs festgesetzt worden. Im Grunde ist es
der Kaiser gewesen, der in allen entscheidenden Fragen den
Ausschlag gab. Wittgensteins Generalstabschef, General Kisselew,
der in Petersburg mit Diebitsch verhandelte, hat ohne Zweifel
gleichfalls auf die Feststellung des Feldzugsplanes eingewirkt,
aber nicht den Einfluß besessen, die Gedanken des Feldmarschalls
durchzusetzen. Wittgenstein war der Meinung, daß es eine halbe
Maßregel sei, wenn man sich zunächst nur auf die Besetzung der
Donaufürstentümer beschränke. Man müsse energisch, nicht tastend
vorgehen und daher erstens die Truppen so aufstellen,, daß Pruth
und Donau gleichzeitig überschritten werden könnten, zweitens
Tultscha und Isaktschi nehmen, Braila belagern und das Land bis
zum Trajanswall besetzen; drittens rasch gegen Bukarest marschieren
und es okkupieren, weil sonst die Türken die Donau überschreiten
und das Land verwüsten würden; viertens starke Reserven bereit
halten, um die aktive Armee zu unterstützen. Solle endlich fünftens
das alles gleichzeitig geschehen, so könne er mit seinen Operationen
nicht vor dem 13./25. Mai beginnen, er werde aber trotzdem in
den ersten Junitagen am Fuße des Balkans stehen, was ganz un-
erläßlich sei *). Kisselew war außerdem beauftragt, die Aufstellung
^) Kisselew war Tom 23. März bis zum 13. April in Petersburg und
arbeitete yorDehmlich mit Diebitsch, aber auch einigemal mit dem Kaiser
und mit Nesselrode. Sablotzki-Dessjätkowski: Graf Kisselew und seine
Zeit. Bd. 1. Petersburg 1882. Die Korrespondenz Wittgensteins benutze
ich nach den Originalen, die Fürst Chlodwig Hohenlohe aus Werki in sein
Privatarchiv überführte. Diebitschs Feldzugsplan hat außerdem dem General-
major Berg vorgelegen, der darauf hinwies, daß der späteste Termin für die
Überschreitung der Donau der 10. Mai sei. Beginne man den Krieg am
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 227
einer Armee von 160000 Mann zu verlangen, da 30 bis 40000
Mann zur Besetzung von Moldau und Walachei unerläßlich seien;
aber der Kaiser und Diebitsch bestanden darauf, daß 106000 Mann
ausreichen müßten und dabei ist es geblieben*). Das Schlimmste
aber war, daß der Kaiser beschlossen hatte, den Feldzug mitzu-
machen, ohne zugleich das Oberkommando zu übernehmen, und
Während Wittgenstein mit seinem Generalstabschef Kisselew die
nominelle Leitung und die tatsächliche Verantwortung für die bevor-
stehenden Operationen tragen sollte, sich in dem Grafen Diebitsch
als Chef des kaiserlichen Generalstabes einen Berater an die Seite
zu setzen, der ihm als Autorität galt, der aber in Wirklichkeit
sich geschmeidig den Absichten und Anschauungen des Kaisers an-
zupassen verstand, und dessen Ehrgeiz, durch den Namen des
Kaisers gedeckt, von dem bedenklichsten Einfluß auf den Gang
der militärischen Operationen werden konnte und auch tatsächlich
wurde'). Eine Einheitlichkeit des Kommandos war damit im
Prinzip ausgeschlossen. Überhaupt gewinnen wir den Eindruck,
daß den wichtigen Entscheidungen, die bis zur russischen Kriegs-
erklärung am 26. April getroffen wurden, ein Intrigenspiel neben-
hergeht, das namentlich in allen Personalfragen seine schädlichen Wir-
kungen zeigte. Am kaiserlichen Hof bekämpften sicheine „russische^ ')
und eine „deutsche'' Partei, wobei die letztere, die keineswegs aus-
schließlich aus Deutschen bestand, die stärkere war, weil ihre Ver-
treter dem Kaiser zunächst standen. Man bekommt eine Vorstellung
von den herrschenden Stimmungen und Verstimmungen, wenn man
1./13. April und überschreite man die Donau am 10./22. Mai, so lasse sich
der Krieg 1828 beendigen.
>) Schilder gibt nach den Akten des Generalstabes einen nominellen Be-
stand von 113920 Mann mit 884 Geschützen an. Kisselew 106000 Mann mit
468 Geschützen, darunter 48 Belagerungsgeschütze, Moltke rund 100000 Mann.
Die Flotte im Schwarzen Meer bestand aus 16 Linienschiffen mit 1254 Ge-
schützen, 6 Fregatten mit 286 und 7 Korvetten mit 139 Geschützen. Sie er-
hielt unter Admiral Menschikow den Befehl, Anapa zu nehmen.
^ Prinz Eugen erteilt Auskunft darüber in dem bereits iangezogenen Briefe
an General von Hoffmann : n Von da ab (d. h. vom Beginn des Feldzuges) bis Ende
des Monats Juli bei Schumla geschah nun nichts, als das widersinnigste Zeug,
und niemand war darüber anzuklagen, als immer Diebitsch, der jeden bei der
Armee Geltenden zu verdrängen suchte.*'
') Über die Stimmung dieser .russischen Partei* vergl. in der Anlage
den Brief La Ferronays' an Mortemart vom 7. Juli 1828.
15*
228 Kapitel Yll. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
im Tagebuch des Geheimrats Divow, der im MiDisterium des Aus-
wärtigen der Stellvertreter Nesselrodes während dessen Abwesenheit
zu sein pflegte, unter dem 12. April die folgende Aufzeichnung liest:
„Wer umgibt -den Kaiser? Der anständige, aber charakterlose
Nesselrode, den Alexander zur Passivität erzogen hat. Einfluß auf
Nesselrode haben: seine Frau als Diktator, der Direktor des asiati-
schen Departements Rodofinikin, der Nesselrodes persönliche An-
gelegenheiten leitet, Senator Poletika, der ihm das Geklatsch in
Stadt und Hof sammelt. Der Kaiser ist ihm nicht wegen seiner
Fähigkeiten geneigt, sondern wegen der Freundschaft Alexander
Golitzyns, der dem Kaiser der Liebste ist, seit der berühmten Szene
im Reichsrat nach dem Tode Kaiser Alexanders. Seit Graf
Kotschubej zum Vorsitzenden des Reichsrats ernannt ist, hat sich
Graf Nesselrode ganz seinem Einfluß ergeben. . . . Kotschubej ist
keineswegs von Natur besonders begabt, aber er hat im Lauf der
Zeit die verschiedensten Stellungen bekleidet und dadurch große
Geschäftskunde erworben. Er ist höchst ehrgeizig, und die Er-
nennung zum Präsidenten des Reichsrats hat ihm vollends den
Kopf verdreht. Aber er ist von großem Einfluß auf den Kaiser.
Die Funken von Geist und Einsicht, die er gelegentlich zeigt, sind
auf Rechnung seines Verwandten, des Generals Jlarion Wassiljewitsch
Wassiltschikow, zu setzen, der auch den Petersburger General-
gouverneur Kutusow beherrscht.
Der Chef der Gendarmerie und der Geheimpolizei, Benkendorf,
ist auch in den Augen des Kaisers von großem Gewicht. Man
hält ihn für einen anständigen Menschen: ich wünsche von
ganzem Herzen, um des allgemeinen Bestens willen, daß es wahr
sein möge.
Der Chef des Generalstabes, Diebitsch, genießt mit vollem
Recht das Vertrauen des Monarchen. Man wollte ihn beseitigen
und an seine Stelle den Grafen Peter Alexandrowitsch Tolstoi
setzen, der, als die Truppen Petersburg verließen und während
Diebitschs Abwesenheit in Persien, ihn vertreten hat.
Der Kriegsminister, Graf Tschernyschew, ist höchst einfluß-
reich, seit er am Prozeß in der Sache der Verschworenen vom
14. Dezember so tätigen Anteil genommen hat. Er ist sehr be-
fähigt, aber man liebt ihn nur wenig und man hat alle denkbaren
Anstrengungen daran gesetzt, um seinen Einfluß zu paralysieren.
Da Diebitsch sich als Chef des Generalstabes in seiner Stellung
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 229
behauptet hat, so hat Tschernyschew sein Ministerium mit den-
selben Beschränkungen übernommen, wie sein Vorgänger.
Das sind die einflußreichsten Personen. Der Kaiser sieht
täglich den Fürsten Wolkonski '), den Füraten Golitzyn, den Grafen
Diebitsch, den Petersburger Gouverneur und den Ober- Polizeimeister.*'
Von diesen Persönlichkeiten gehörten Alexander Iwanowitsch
Tschernyschew und Graf Peter Alexandrowitsch Tolstoi, der Chef
des Stabes der Militärkolonien und während der Abwesenheit des
Kaisers 1828 Kommandant von Petersburg und Kronstadt, dessen
Trägheit sprichwörtlich wurde'), zur russischen Partei, die zudem
eine wesentliche Stütze im Minister des Innern, Sakrewski, fand,
der mit seiner Stellung zugleich die eines Generalgouverneurs von
Finland einnahm. Er war ein ehrgeiziger Nationalist, der erste,
der den Versuch machte, Finland zu russifizieren. Auch kannte
er nur eine Sprache und seine Bildung war wenig ausreichend.
Aber er war ein großer Arbeiter und ein tüchtiger Beamter. Auch
Kisselew ist dieser Gruppe anzuschließen, die in Jermolow ihren
bedeutendsten Kopf verloren hatte. Außerhalb beider Gruppen stand
der allgemein gehaßte Nachfolger Araktschejews in der Leitung der
Militärkolonien, General Kleinmichel, den die Überzeugung des
Kaisera hielt, daß er ein zuverlässiges und gefürchtetes Werkzeug
seines auf Erhaltung der Militärkolonien gerichteten Willens sei.
Aber dem Mann fehlte jeder große Zug und seine nächsten Unter-
gebenen, wie General W' itt, der Chef der Militärkolonien des Südens,
hatten unter seiner Herrschsucht, die sich mit nicht ausreichender
Sachkenntnis kombinierte, viel zu leiden'). Dagegen hielt der
Kaiser einen so bedeutenden Mann, wie der Admiral Mordwinow
es war, von sich fern. An ihm haftete die Erinnerung, daß die
Dekabristen ihn auf den Schild hatten heben wollen, und das wurde
ihm ebensowenig verziehen wie dem General Jermolow. Nur eine
so geschmeidige und im Grunde charakterlose Natur wie Speranski,
') Peter Michailowitsch, Minister des kaiserlichen Hofes. Auch der General
Adlerberg ist hier anzuschließen.
^) Er pflegte alles Geschäftliche mit der Motivierung liegen zu lassen:
3to, öaTTOiiiKa, n-icBoe Ji'hjio n uoprb an uto oho nponesKHTb JiHiiiuift
M'bCHUb, d. b. „Auf diese Sache, mein Freund, kann man spucken, es kommt
den Teufel darauf an, daß sie noch einen Monat liegen bleibt (Korff, Memoiren
ad. 1844.
') Vgl. dafür die Korrespondenz zwischen Diebitsch und Witt.
230 Kapitel YII. Von XaTarino bis zum Ausbrach des Krieges.
verstand das Mißtrauen des Kaisers zu überwinden. Die Charaktere
mußten weichen und die biegsamen aber formgewandten Mittel-
mäßigkeiten ruckten in den Vordergrund.
Zu alledem kam noch der Einfluß iu Personenfragen, der vom
Großfürsten Michail und von der Kaiserin-Mutter ausging, endlich
die gelegentliche Einwirkung der zahlreichen jungen Fingeladjutanten,
die den Kaiser umgaben. Das waren Elemente, mit denen immer
gerechnet werden mußte, wenn es auch dabei blieb, daß die Haupt-
ratgeber Nesselrode, Diebitsch, Menschikow, Kotschubej und Benken-
dorff, und in allen finanziellen Fragen Cancrin, waren. Auch auf
die schließliche Feststellung des Feldzugsplanes hat Nesselrode
wesentlichen Einfluß gehabt, gewiß nicht zum Vorteil der Sache.
Um so größer war sein Verdienst bei Durchführung der diplomati-
schen Kampagne des Kaisers.
Die Bemühungen des russischen Kabinetts gingen dahin, von
den Höfen von London, Paris, Wien und Berlin eine formelle Er-
klärung zu erlangen, daß Rußland berechtigt sei, der Pforte den
Krieg zu erklären. Das ist denn auch von allen Mächten geschehen.
Am zufriedensten war man mit der Antwort Frankreichs. Der
Kaiser hatte sich direkt an Karl X. gewandt und die Zusage er-
halten, daß Frankreich nicht nur nach wie vor auf dem Boden
des Londoner Vertrages stehe, sondern auch guten Grund habe zu
glauben, daß es ihm gelingen werde, das von Nikolai gefürchtete
Zusammengehen Englands mit der Pforte zu verhindern. Sollte
aber ein Zusammenbruch der Türkei die Folge des russisch-
türkischen Krieges sein, so sei der König entschlossen, seine
Politik in Einklang mit der russischen zu halten^). Preußen er-
kannte das Recht Rußlands rückhaltlos an und versprach, für den
Fall von Verwickelungen eine Haltung einzunehmen, die den russi-
schen Interessen in steigendem Maße forderlich sein werde. Aber
das Angebot einer Allianz hatte der König „verdrießlich'' abgelehnt,
auch dem Prinzen Wilhelm nicht gestattet, am Kriege teilzunehmen.
Er glaubte die Verantwortung nicht auf sich nehmen zu dürfen,
wenn dem Prinzen in einem nichtpreußischen Kriege etwas zu-
stoßen sollte. Österreich machte noch einen letzten Versuch, durch
den Hinweis auf die von den revolutionären Elementen im Kriegs-
fall drohenden Gefahren, den Kaiser zu schrecken, erhielt aber die
0 Siehe in der Anlage das Schreiben Nikolais Tom 28. März und die
Antwort Karls X. Tom 30. April.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 231
Antwort, daß Rußland trotz des Krieges immer Truppen bereit
haben werde, um seine Alliierten, namentlich aber Österreich, gegen
die Revolution zu schützen'). Daraufhin erklärte dann Zichy,
daß seiner Regierung nichts ferner liege, als das Recht Rußlands,
zu den Waffen zu greifen, bestreiten zu wollen. Aber erst einige
Zeit danach folgte die offizielle Erklärung, daß Österreich strikteste
Neutralität einhalten würde. So blieb nach dieser Seite das Miß-
trauen lebendig. Die Antwort Englands, das bisher die meisten
Schwierigkeiten gemacht hatte und noch Ende März erklärte, daß
die Überschreitung der Donau durch russische Truppen einer Kriegs-
erklärung an England gleichkäme, auch die Besetzung Moreas durch
die Franzosen nicht hatte dulden wollen, lautete schließlich über-
raschend günstig: Die guten Gründe und das gute Recht Rußlands,
zum Schwert zu greifen, ließen sich nicht verkennen, aber es werde
schwierig sein, für den Fall des Krieges zusammenzugehen, obgleich
England seinerseits entschlossen sei, nicht vom Londoner Traktat
abzuweichen.
Trotz der merklichen Verschiedenheit in der Haltung der
Mächte, konnte der Kaiser mit dem Ergebnis zufrieden sein. Er
hatte freie Hand und brauchte nicht zu fürchten, daß die Tatsache
des Krieges zum Verwand genommen werde, um einen Koalitions-
krieg gegen Rußland zu organisieren. Erst jetzt erfolgte am
26. April die Kriegserklärung, die der Pforte durch ein offizielles
Schreiben an den Großvezier zugestellt wurde'). Dieses Dokument,
das gleichzeitig allen Höfen zuging, zählte die Gründe auf,
die Rußland nötigten, sich sein Recht gewaltsam zu holen und
war von einer Deklaration begleitet, welche die Vorschriften mit-
teilte, die das russische Mittelmeergeschwader erhalten hatte. Ruß-
land werde die Prinzipien der Neutralität zur See aufrecht erhalten
und bemüht sein, dem europäischen Handel in der Levante allen
Schutz zu gew^ähren. Die befreundeten Mächte und die Neutralen
wurden aufgefordert, diese maßvolle und wohlwollende Politik Ruß-
lands nach Möglichkeit zu fördern.
0 Relation Schoelers vom 6. Mai 1828 über die Audienz von Zichy
am 21. April. Kaiser Nikolaus lieB aber den Verlauf der Audienz sofort
eine Aufzeichnung machen, die auch durch Alopäus offiziell dem preußi-
schen Kabinett mitgeteilt wurde. Zichys Bericht findet sich in Metternichs
nachgelassenen Papieren Bd. II, Nr. 896.
2) V.S.R.Ges. 1947, 1948, 1949.
232 Kapitel VH. Von Navarino bis zum Ausbrach des Krieges.
Der englischen und französischen Regierung gegenüber aber
erbot sich Rußland, im Mittelmeer seine Rechte als kriegführende
Macht unter der Bedingung ruhen zu lassen, daß die zwischen den
drei alliierten Mächten zur Ausführung des Vertrages vom 6. Juli
1827 vereinbarten Maßregeln dadurch nicht beeinträchtigt werden
sollten. Es wurde damit ein Plan zunichte gemacht, der von Eng-
land und Österreich ausging und der dahin zielte, Rußland von jeder
Teilnahme an der Ausführung des Londoner Vertrages auszuschließen.
Vielmehr wurden die seit Abreise der Gesandten aus Konstantinopel
ruhenden Konferenzverhandlungen wieder aufgenommen, die Instruk-
tionen für die Operationen zur See gemeinsam festgestellt und nicht
nur den Admiralen, sondern auch den in Korfu residierenden Ge-
sandten mitgeteilt. Endlich scheiterte auch ein letzter Versuch
Metternichs ^), den drohenden Krieg dadurch zum Stehen zu bringen,
daß die Pforte durch die Vertragsmächte zur öffentlichen Zurück-
nahme des Hattischerifs vom 20. Dezember und der darauf folgenden
Gewaltsamkeiten aufgefordert, und im Fall der Ablehnung dieser
kategorisch zu stellenden Forderung, die volle Unabhängigkeit
Griechenlands anerkannt werden sollte. Aber davon wollte England
nichts wissen, so daß ein russischer Widerspruch nicht einmal not-
wendig wurde. So blieb in allen wesentlichen Fragen die diplomatische
Aktion Rußlands siegreich. Mißlungen war es ihr, den Feldzug im
Namen und als Mandatar der Allianz aufzunehmen'), dagegen blieb
der russische Einfluß auf die Entwicklung der griechischen An-
gelegenheiten gewahrt, während der Einmischung der Mächte in
den jetzt um Aufrechterhaltung der von der Pforte in Akkerman
übernommenen Verpflichtungen zu führenden Krieg glücklich vor-
gebeugt war. Nach wie vor hatte der Kaiser die Uneigennützigkeit
seiner Absichten beteuert und die Versicherungen wiederholt, die
dem Vertrag vom 4. April vorhergegangen waren. In Europa
werde er keine Eroberungen machen und es liege ihm fern, den
') Wellington, Despatches IV. Eszterhazy an Wellington, 9. April 1828.
') Bericht Bülows aus London, 11. Januar 1828, über seine Unterredung
mit Lord Dudley. „Le prince de Lieven avait mis a la disposition de Palliance
toutes les armees Russes reunies sur les bords du Pruth afin de s^en servir
pour briser la resistance de la Porte Ottomane. Mais comme cette offre avait
^te declinee, les armees n^avanceraient pas — et dans tous les cas TAngleterre
n^y consentirait jamais comme mesure d'alliance.*' Berlin, Geh. Staatsarchiv,
Kep. 81, England. I, 114. Es kann übrigens zweifelhaft sein, ob dieser rus-
sische Vorschlag ernst gemeint war.
Kapitel VII. Von NaTarino bis zum Ausbruch des Krieges. 233
Sturz des türkischen Reiches herbeiführen zu wollen. Aber es
konnte kaum zweifelhaft sein, daß große Erfolge ihn über dieses
Programm hinausfuhren würden*). Offiziell sollte der Krieg um
die Verwirklichung und Aufrechterhaltung der Stipulationen von
Akkerman geführt werden, ganz wie Alexander den Türkenkrieg,
den zu führen er sich entschlossen hatte, durch die Notwendigkeit
rechtfertigte, den Friedensschluß von Bukarest, den die Türkei ge-
brochen habe, zu verteidigen. Im Grunde war der Kaiser überzeugt,
daß das bloße Erscheinen eines russischen Heeres auf türkischem
Boden genügen werde, um ein Nachgeben der Pforte zu bewirken.
Hatte mau doch in Akkerman mit Aufwendung eines weit ge-
ringeren Apparates das Ziel erreicht. Und nun, da er selbst
an der Spitze eines Heeres in die Türkei einzudringen im Begriff war,
sollte der Sultan es wagen, sich seinem Willen zu widersetzen? Es
schien ihm undenkbar; sollte es aber dennoch geschehen, so zweifelte
er nicht an einem schnellen und glänzenden Erfolge, und die Vor-
stellung blieb ihm lebendig, daß dann der völlige Zusammenbruch
der Türkenherrschaft unvermeidlich sein werde. Er hatte seinen
Botschafter in London beauftragt, wenn der Anlaß von englischer
Seite dazu geboten werden sollte, einer Verhandlung nicht aus dem
Wege zu gehen'), Frankreich gegenüber aber, dem der Kaiser
größeres Vertrauen entgegentrug, war in immer deutlicheren An-
spielungen und zuletzt ganz unverblümt in einem Schreiben an König
Karl X. das Problem so nahe gelegt worden, daß es die politische
Phantasie der französischen Staatsmänner ganz gefangen nahm.
Auch vom österreichischen Botschafter suchte der Kaiser zu er-
fahren, welches die Gedanken seiner Regierung seien, falls jene
Katastrophe eintreten sollte'). Zu Leopold von Gerlach, der 1828 bis
^) In diesem Sinne hat sich auch Diebitscb Gerlach gegenüber aus-
gesprochen.
2) Martens, Recueil Bd. XI, S. 372. Instruktion Nesselrodes Yom
ö^ezern^ er^^27 Lj^y^^ ^^j^ nicht in die Lage, diesen Auftrag auszufahren.
6. JtQoar li<28
') Im Verlauf der schon erwähnten Audienz Zichya am 21. April. Der
betreffende Passus lautet nach der russischen Aufzeichnung: »L'Empereur
aborda Thypothese de la chute de TEmpire Ottoman, reprcsentee par le cabinet
Autrichien comme une consequence immanquable de la guerre actuelle. Sa
Majeste declara que jamais eile n'^tait entree dans ses vues, et qu'elle regar-
dait m(*me une si grande catastrophe comme nuisible aux vrais iuterets de
son Empire. Comme cependant il serait impossible de l'exclure entierement
234 Kapitel VIT. Von NaTarino bis zum Ausbruch des Krieges.
zum Mai als Adjutant des Prinzen Wilhelm von Preußen in Peters-
burg weilte, sagte der Kaiser, wenn man den Türken Zeit ließe,
wärde Konstantinopel sehr fest werden, die Belagerung müsse ein
Bombardement sein. Am 11. November 1827 aber hatte Nikolai
dem Fürsten Menschikow gesagt, daß er sich für den Fall eines
Türkenkrieges bereit halten solle, um nach Nikolajew zum Admiral
Greigh zu reisen, den er, der Kaiser, beauftragen werde, in den
Bosporus einzufahren und Konstantinopei zu verbrennen^).
Mit diesem Schweifen in reizvolle Möglichkeiten kombinierte
sich aber in seltsamem Widerspruch eine durch die Prinzipien des
Kaisers gebotene Selbstbeschränkung, die die Erreichung des Zieles
so gut wie unmöglich machte. Er hatte versprochen, in Europa
keine Eroberungen zu machen, und war entschlossen, sein Wort
zu halten. Was er zu fordern für berechtigt hielt, war die volle
Herstellung seiner Vertragsrechte, Ersatz seiner Rustungs- und
Kriegskosten und in Asien die Erwerbung von Anapa und Poti.
Dagegen galt es ihm als völlig ausgeschlossen, daß er die christ-
lichen Untertanen der Türkei gegen den Sultan gebrauchen könnte,
was um so auffallender ist, als er diese prinzipiellen Bedenken,
soweit die Griechen in Betracht kamen, bereits preisgegeben hatte.
Der Gedanke, einen Befreiungskrieg zu führen, hat ihm durchaus
ferngelegen, obgleich dadurch der Krieg in Rußland populär ge-
worden und die gesamte Rajah in der Türkei ihm zugefallen wäre.
Die Serben wünschten nichts sehnlicher^ als sich ihm anzuschließen,
und ebenso Montenegriner und Bulgaren, während in Moldau und
Walachei der österreichische Einfluß dem russischen entgegenwirkte.
Statt die Hoffnungen dieser geknechteten christlichen Völkerschaften
zu ermutigen, hat der Kaiser sie vielmehr niedergehalten. Er
wäre sich wie ein Bundesgenosse der Revolution erschienen, wenn
er anders gehandelt hätte. Es sollte ein Krieg um das gute Recht
Rußlands sein, nicht mehr und nicht weniger. W'enn dabei die
Vorsehung ihm unerwartete Vorteile in die Hand spielte, dann
freilich wollte er zugreifen und sich den „decrets de la Provi-
dence'' beugen.
des chances que les decrets de la ProTidence pourraient faire naitre, TEmpe-,
reur t^moigna au Comte Zichy le desir de savoir: si sa cour avait arrete ses
pensees sur cette hypotbese et de connaitre ses intentions dans le cas ou
contre toute attente, eile de?rait se r^aliser.*
I) Schilder, Nikolai Bd. 11, S. 122. Ohne Angabe der Quelle.
Kapitel VII. Vod Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 235
Der Kriegserklärung waren die Vorbereitungen für den Krieg
naturgemäß geraume Zeit vorausgegangen. Die Anstalten, die
bereits 1826 in Hinblick auf die Möglichkeit eines Ttirkenkrieges
getroffen worden waren, sind nur insoweit ruckgängig gemacht
worden, als die nach Bessarabien vorgeschobenen Truppenteile der
zweiten Armee wieder in ihre bequemeren Standquartiere zurück-
geführt wurden. Die Korrespondenz, die nach Diebitschs Ruckkehr
aus Persien zwischen ihm und Kisselew geführt worden ist, betrifft
ausschließlich die Vorbereitung zum Kriege. Admiral Greigh wurde
beauftragt, eine Pontonbrücke zum Übergang über die Donau an-
zufertigen ^), Kisselew überzeugte sich durch eine Reise nach Reni,
daß der Übergang nur drei Werst unterhalb Isaktschi möglich sei,
und vertrat die Ansicht, daß man sich dieser wenig bedeutenden
Festung durch einen Handstreich werde bemächtigen können. Auch
die Frage des Transports von Truppen und Lebensmitteln zur See
wurde erwogen, und der Oberst S. P. Liprandi mit der Aufgabe betraut,
in Moldau und Walachai Nachrichten über die Vorbereitungen der
Türkei und Österreichs zu sammeln. Man war gleichsam stets auf
dem Sprung, wurde aber allmählich müde, da Monat auf Monat
hinging und der Friede erhalten blieb. Eine neue Periode der
militärischen Vorbereitung begann gleich nach der Schlacht bei
Navarino. Mitte Dezember 1827 erhielt Kisselew die offizielle
Mitteilung, daß die Donaufürstentümer besetzt werden würden und
daß der Senator Awakumow ') das gesamte Proviantwesen in seine
Hände nehmen werde. General Witt sollte aus den Siedelungen
der kolonisierten Kavallerie für Furage sorgen und wurde zum
Chef des Reservekorps der zweiten Armee ernannt. Kisselew trug
darauf an, eine große Zahl alter und unfähiger Offiziere abzurufen ').
Ende Januar 1828 bereits wußte man, daß die Türken sich an
der Donau verstärkten und die Ungeduld über das stete Hinaus-
schieben des geplanten Feldzuges stieg.
Wir haben gesehen, wie die Entscheidung während der An-
wesenheit Kisselews in Petersburg fiel. Vom 7. Mai ab sollte
Wittgenstein mit seinen Operationen beginnen. Die aktive Armee
0 Sie sollte spätestens im November 1827 vor Ismail bereit liegen, ein
Befehl, der aus nicht kontrollierbaren Gründen nie ausgeführt worden ist.
^ Die offizielle Ernennung erfolgte erst am 24. April.
*) Sablotzki-Dessjätkowski, Graf Kisselew und seine Zeit. Bd. I, Kap.
XI und XII.
236 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
bestand aus dem dritten, sechsten und siebenten Infanterie-Armee-
korps und dem vierten Kavallerie-Reservekorps unter den Generalen
Rudzewitsch, Roth, Woinow und Borosdin. Erstaunlicherweise war
diesen Truppen nur ein Belagerungspark angeschlossen worden,
obgleich nach dem Feldzugsplan die Belagerung und Einnahme der
Donaufestungen die Voraussetzung des Erfolges sein sollte'). Man
bewegte sich immer noch in den erstaunlichsten Illusionen. Nessel-
rode sagte dem französischen Geschäftsträger Fontenay, es werde
ein Feldzug werden, wie der der Franzosen in Spanien oder der
Österreicher in Neapel, und der Kaiser erklärte dem Prinzen
von Oranien noch am 18. April: „Im Augenblick, da die türkischen
Bevollmächtigten kommen, mache ich Halt! und wenn ich mitten
auf der Donau sein sollte, werde ich den Ruderern sagen:
ich will die türkischen Bevollmächtigten anhören!^ Also ein
militärischer Spaziergang wurde vorgesehen. Der Abmarsch der
Garden begann am 13. April und war darauf berechnet, sie
in 97 Tagen, d. h. bis zum 6. August, in Feindes Land
zu führen. Früher glaubte man ihrer nicht zu bedürfen. Mit
Karten des mutmaßlichen Kriegsschauplatzes war man leidlich ver-
sorgt, da die diplomatische Korrespondenz Rußlands mit der Pforte
seit dem Regierungsantritt des Kaisers durch Kuriere besorgt wurde,
in deren Begleitung sich OiTiziere befanden, die beauftragt waren,
Terrainaufuahmen zu machen und die vorhandenen Karten und
Pläne zu verifizieren. So waren namentlich die Balkanpässe genau
studiert worden*). Das Pferdematerial der Leibgarde- Pioniere
wurde erneuert und verbessert, d. h. sie erhielten schwerere Pferde,
was sich später bei ihnen wie bei der gesamten russischen Kavallerie
den leichten türkischen Reitern gegenüber um so mehr als ein Mangel
erwies, als die der Heu- und Grünfütterung ungew^ohnten Tiere sehr
bald von Kräften kamen. Nur mit vieler Mühe setzte Kisselew
durch, daß bei den Armeeparks Gewehre und Gewehrteile in Reserve
bereit gehalten wurden. Die Kommission, der die Beurteilung
dieser Frage zufiel, war der Ansicht, daß Beschädigungen der Ge-
wehre nicht vorkommen dürften, wenn man sie sorgfältig halte,
aber der Kaiser hatte für Kisselew entschieden. Im letzten Augenblick
1) ükas vom 24. Februar 1828. V. S. R. G. 1826.
2) Für das Folgende die ükase in der V. S. R. G. No. 1845, 66, 74,
89, 1931, 38, 45, 49, 50, 51, 59, 89, 2039 und 2117.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 237
(6. Mai) befahl Nikolai, in allen Infanterie-Regimentern Kiwer (Helme)
einzuführen, wie bei der Kavallerie, eine Maßregel, die grx)ße Un-
zufriedenheit bei den Soldaten erregte, die während des Feldzuges
mit Neid auf die leichte Kopfbekleidung der Türken blickten, die
zudem durch ihren bequemen Feldsack den schweren russischen
Ranzen gegenüber im Vorteil waren. Für die Einrichtung von
25« Mftrz
Kriegshospitalern war zwar durch ein Statut vom ^ . ^.^ in nicht
weniger als 536 Paragraphen, die alles denkbare Detail zu er-
schöpfen suchten, scheinbar die beste Fürsorge getroffen, in Wirklich-
keit erwiesen sich alle Vorbereitungen als ganz unzureichend, und
namentlich die ungenügende Zahl der Ärzte sollte während des
Feldzuges zu einer der schlimmsten Kalamitäten werden. Es war
die Bestätigung der alten Wahrheit, daß, was in den Verordnungen
der Regierung wie ein Muster landesväterlicher Fürsorge erschien,
in der praktischen Ausführung ein Bild wahrhaft unerhörter Ver-
nachlässigung der Pflichten zeigte, die auf dem Papier so nach-
drücklich und so pathetisch gepredigt wurden. Die Musterlazarette,
die von der Verordnung des 6. April geboten waren, sind stets nur
vorhanden gewesen, wo der Kaiser persönlich inspizierte und so
lange er zugegen war. Man darf wohl sagen, daß das gleiche von
allen übrigen Zweigen der Verwaltung gilt, die für die Versorgung
der Armee in Tätigkeit gesetzt wurden. Für die Zeit der Okku-
pation der Fürstentümer war eine Extrapost mit dreimal wöchent-
licher Expedition von Shitomir nach Dubassar am Dnjestr und
nach Odessa eingerichtet worden, und sie funktionierte nicht übel,
dazu eine Feldpost, welche die Briefe der Soldaten kostenlos beior-
derte. Aber es war allbekannt, daß sämtliche Briefe von der
Polizei geöffnet wurden, und selbst dabei war die Nachlässigkeit so
groß, daß die Soldaten Klage erhoben, weil die Spuren der Öffnung
allzu kenntlich waren. Die fremden Diplomaten und militärischen
Begleiter des Hauptquartiers richteten ihre Korrespondenz stets
darauf ein, daß sie dem Kaiser vorgelegt werden konnte'). Die
„Perlustration" der Privatkorrespondenz der Soldaten und Ofliziere
aber erschien unerläßlich, weil der Kaiser voller Mißtrauen wegen
der politischen Gesinnung der Armee war. Er hat einen unge-
heueren Apparat politischer Polizei mit ins Feld genommen, ob-
1) Daher der ungeheuere Unterschied zwischen den durch die Post und
den durch Kurier oder sichere Gelegenheit beforderten Briefen. Alle Archive
Europas bieten dafür die drastischsten Beispiele.
23d Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
gleich, wie jede nüchterne Betrachtung ergibt, auch von den unzu-
friedensten Elementen nichts zu fürchten war. Es handelte sich
schlimmstenfalls um unehrerbietige Reden über die Vorgesetzten
bis zum Kaiser hinauf. Aber derartiges hätte er auch in der
Privatkorrespondenz seiner Minister und seines Bruders, des Groß-
fürsten Konstantin, finden können. Das Medisieren gehörte
zu den althergebrachten Gewohnheiten der Armee wie der Gesell-
schaft, und sowohl die Kaiserin Katharina wie Alexander hatten
getan, als ob sie nichts davon wüßten.
Am 26. April war dann durch kaiserliches Manifest eine
Rekrutenaushebung angeordnet worden, die sich auf das ganze Reich
erstreckte, mit Ausnahme von Grusien, Bessarabien und den sechs
Gouvernements, die dem Kriegsschauplatz zunächst lagen:
Cherson, Jekaterinoslaw, Poltawa, Slobodo-Ukrainsk, Kiew und
Podolien. Hier sollte auch ein Teil der Abgaben durch Natural-
leistungen ersetzt werden. Es wurden von je 500 Seelen zwei
Rekruten ausgehoben, wobei, was charakteristisch ist, der Kaiser
bestimmte, daß die jüdischen Rekruten in die Marine überzuführen
seien, offenbar weil er so Desertionen zu erschweren hoffte. Die
vier angesiedelten Kavalleriedivisionen wurden mit herangezogen,
weil sie nach den für die Militärkolonien geltenden Bestimmungen
in üblicher Weise ihre Reihen zu komplettieren hatten.
Diese Anordnungen und dazu die zahllosen Befehle, und In-
struktionen, die erforderlich waren, um die Kriegsmaschine in Be-
wegung zu setzen, sind meist unter direkter Mitwirkung des Kaisers
zustande gekommen. Er war täglich sieben bis neun Stunden in
seinem Kabinett an der Arbeit^) und dabei von peinlicher Gewissen-
haftigkeit und Ordnungsliebe. Was ihm von Geschäften zuging,
wurde auch erledigt. Dazu kamen dann die täglichen Wacht-
paraden und Besichtigungen und die Festlichkeiten, denen er sich
nicht entziehen konnte, zumal die Kaiserin ihre Freude daran
^) Gerlach 1. I. ßd. I.: „Der Kaiser steht vor 8 Uhr auf, arbeitet bis 12,
dann abends von 9—12, 1 — 2 Uhr, so daß er täglich 7 — 9 Stunden arbeitet.**
Micbailowski-Danilewski detailliert die Tagesarbeit Nikolais noch genauer;
8 — 9^3 Uhr Empfang der Minister. Bis 12 Lesen amtlicher Berichte, um 12
Empfang yon Militärgouverneur und Kommandanten, Parade, ungemeldeter
Besuch irgend einer Anstalt, um 3 Uhr Mittag. Zweimal wöchentlich Diner
von 12 Personen, nachmittags einige Zeit in der Familie, darauf bis zur Nacht
Arbeit im Kabinett.
Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges. 239
hatte. Es fiel auf, daß beide Majestäten viel in Privatkreisen ver-
kehrten und in dieser Hinsicht dem Beispiel folgten, das Alexander
gegeben hatte. Die strenge Etikette lebte nach wie vor nur am
Hofe von Maria Feodorowna. Zwei Todesfälle haben in dieser
Zeit politischer Spannung die Kaiserfamilie getroffen. Am 24.
Februar st. v. starb die Fürstin Charlotte Lieven, die Freundin
der alten Kaiserin und wohl diejenige Person, die seit einem halben
Jahrhundert alle Geheimnisse des Kaiserhauses, auch die intimsten,
kannte. Gewiß eine bedeutende und vortreffliche Frau, die ihren
großen Einfluß nie zum Schaden anderer mißbraucht hatte. Aber die
„russische Partei" sah in ihr die Deutsche und warf ihr vor, daß
sie Livländer und Deutsche begünstige. Die kaiserliche Familie
verehrte in ihr eine unbedingt zuverlässige, erfahrene Freundin
und behandelte sie wie eine Verwandte^). Es war ein echter
Kummer, als sie starb. Weniger echt war Nikolais Trauer, als einen
Monat danach auch der Graf Lambsdorff, sein Lehrer und Erzieher,
verschied. Er hatte ihm seine Strenge nie vergessen können. Aber
er nahm an der Beerdigung teil. Beide, die Füratin Lieven und
Graf Lambsdorff, starben als Lutheraner. Der Tod des letzteren
^) Diwow entwirft folgende recht gehässige Charakteristik von ihr: Am
24. Februar 7 Uhr abends ist die Fürstin Lieven gestorben. Am Abend vor-
her hatte sich die ganze kaiserliche Familie an ihrem Bette versammelt, um
Abschied zu nehmen von dieser ältesten Dienerin des Hofes. Da sie gegen
50 Jahre am Hofe gelebt hatte, war sie dem Zarenhause wie verwandt. Unter
Katharina war sie Erzieherin der Großfürstinnen. Der Kaiser Paul schenkte
ihr große Güter und ebenso Alexander, er verlieh außerdem ihr und ihren
Kindern den Grafentitel, Kaiser Nikolaus machte sie zur Fürstin. Unter
Katharina hatte die Lieven keine besondere Geltung, unter Paul wurde sie
die Vertraute Maria Feodorownas, die jeden Kummer mit ihr teilte. Unter
Alezander war sie der Mittelpunkt aller Intrigen, und das Schicksal der
Staatsdiener hing von ihr ab. Unter dem Schein der Güte und Aufrichtigkeit
verbarg sich ihr klarer Verstand, der Wunder tun konnte, wenn ihre persön-
lichen Interessen oder der Vorteil ihrer Freunde es verlangte. Ihr hohes
Alter und daß sie für alle Glieder des kaiserlichen Hauses von ihrer frühesten
Jugend an gesorgt hatte, gaben ihr einen Einfluß, den nichts erschüttern
konnte, und sie nahm schließlich im Zarenhause eine Stellung ein, als wäre
sie die Großmutter. Die Hofintrigen hatten ein Nest in ihren Gemächern,
in denen sich täglich die Hofleute begegneten, was von den fremden Gesandten
bei ihren Besuchen ausgenutzt wurde, besonders vom Grafen Blome, dem
dänischen Gesandten. Sie protegierte fast ausschließlich Livländer und
Deutsche, die in den russischen Untertanenverband getreten waren. Russ.
Starina 1898 I, S. 500.
240 Kapitel VII. Von Navarino bis zum Ausbruch des Krieges.
fiel in die Osterzeit, die einen ungewöhnlich reichen Ordenssegen
und dem Grafen Nesselrode seine Ernennung zum Vizekanzler
brachte. Dann begann der Ausmarsch der Garden, ein prächtiges
Schauspiel, bei welchem den fremden Beobachtern der ungeheure
Luxus auffiel, den die Gardeofdziere entfalteten. Eine große
Parade auf dem Schloßplatz zeigte sie dem Kaiser noch einmal
in all ihrer Pracht. Auch das Kaiserhaus rüstete zum Aufbruch.
Die Großfürstin Helene, die Gemahlin Michails, fuhr nach Ems,
während der Großfürst auf den Kriegsschauplatz nach Ismail eilte,
die Kaiserin Alexandra sollte nach Odessa, während die alte
Kaiserin mit den kaiserlichen Kindern, dem zehnjährigen Thron-
folger und den Großfürstinnen Maria, Olga und Alexandra, in
Petersburg blieb. Der Kaiser übertrug ihr keinerlei Regierungs-
befugnisse. Für die Reichsregierung während seiner Abwesen-
heit hatte er einen besonderen Rat gebildet, zu dessen Mit-
gliedern der Graf Kotschubej, Fürst Alexander Golitzyn und Graf
Peter Alexandrowitsch Tolstoi ernannt wurde. Auch sein Testament
hatte der Kaiser gemacht*). Für den Fall seines Todes sollte der
Großfürst Michail Pawlowitsch die Regentschaft für Alexander
Nikolajewitsch führen. Endlich in der Nacht vom 7. auf den
8. Mai erfolgte die Abreise des Kaisers, den bis nach Witebsk der
Prinz von Oranien begleitete. Am Tage vorher hatte die ganze
kaiserliche Familie in der Kasanschen Kathedrale an einem feier-
lichen Gottesdienste teilgenommen. An ebendiesem Tage über-
schritt Wittgenstein mit seiner gesamten Armee an drei Punkten
gleichzeitig den Pruth. Die Kampagne hatte begonnen.
Kapitel VIII. Der Tflrkenkrieg'), Kampagne von 1838.
I. Der Feldzug in Europa.
Der Feldmarschall Wittgenstein hatte die nächsten der ihm
gestellten Aufgaben mit Geschick und ohne Zeitverlust ausgeführt.
^) Es wurde am Tage Dach seiner Versammlung in feierlicher Plenar-
versammlung des Senats verlesen, olTenbar um Irrungen vorzubeugen, wie sie
nach Alexanders Tode entstanden waren, da ja sehr wohl denkbar war, daß
Konstantin als der zur Regentschaft näher berechtigte angesehen werden
konnte.
2) Eine ausführliche Darstellung der Operationen wird nicht beabsichtigt
Läßt sich auch die klassische Moltkesche Geschichte des Krieges durch das
Kapitel VIIl. Der Turkenkrieg, Kampagne von 1828. 241
Das 6. and 7. Korps unter den Generalen Roth und Woinow
konnten sich unbehindert der Moldau und Walachai bemächtigen,
Jassy, Galacz, Bukarest und als westlichster Punkt Krajowa wurden
besetzt und die gesamte Verwaltung beider Fürstentümer sofort
dem Geheimrat Fahlen übertragen, der den Titel „bevollmächtigter
Präsident der Divans von Moldau und Walachai^ annahm. Er
war instruiert, die beiden Hospodare Fürsten Sturdza und Ghika^
die Rußland verdächtig waren, von der Regierung zu entfernen,
ihnen aber zu gestatten, zu leben, wo immer es ihnen gefallen
sollte. An der Verfassung der Fürstentümer sollte nichts geändert
und die Einkünfte der Regierung, wie bisher üblich gewesen war^
beigetrieben, auch alle Beamten in ihren Stellungen belassen werden.
Pahlens Auftrag ging außerdem dahin, für die Ruhe des Landes
Sorge zu tragen, und seine Hilfsmittel, vor allem Mehl, Korn,
Futter und V^orspann, der Armee zu Dienst zu stellen, soweit
möglich aber aller Willkür entgegenzuwirken. Die Anlage von
Magazinen und Uospitälern, Korrespondenz mit dem Feldmarschall
und mit dem Geheimrat Fonton, so weit es sich um politische An-
gelegenheiten handelte, Beseitigung der Mißbräuche im Polizei- und
Abgabendienst, das waren die wesentlichsten Pflichten, die ihm auf-
erlegt wurden'). Die Schwierigkeit, ihnen gerecht zu werden,
weitschichtige Material, das teils gedruckt Yorliegt, teils yon mir aus den
Archiyen von Paris, Wien, Petersburg und Berlin zusammengetragen
wurde, nicht unwesentlich ergänzen, so wird in allen entscheidenden Fragen
sein Urteil doch bestehen bleiben. Es kommt für unsere Zwecke vornehmlich
darauf an, die für die Charakteristik russischer Zustände und für die Psycho-
logie des Kaisers wichtigen Tatsachen in das rechte Licht zu setzen Von
den Quellen Moltkes liegen mir die Berichte von Küster, die handschriftliche
Geschichte der Kriegsereignisse bis zur Schlacht bei Kulewtschi vom Obersten
Staff und die wichtigen Tagebücher des Majors Panzer vom großen General-
slabe vor. Eine interessante Quelle ist außerdem in den seit 1896 veröffent-
lichten Memoiren Alexander Benkendorffs erhalten. Sie waren 1832 fran-
zösisch geschrieben, sind aber in russischer Übersetzung publiziert. Der Kaiser,
dem sie vorlaugen, hat Anmerkungen (die in der russischen Ausgabe nur zum
Teil wiedergegeben sind) daran geknüpft. BenkendorfT ist während des
Feldzuges von 1828 dem Kaiser nicht von der Seite gewichen und bekannt-
lich auch später in seinem engsten Vertrauen gehlieben. Ich habe den unge-
druckten Teil der Memoiren bis 1834 inkl. kopieren können. Sie tragen
Tagebuchcbarakter und begleiten die Ereignisse.
*) Ukas an Wittgenstein vom 28. Februar st. v. und die darangeschlossene
Instruktion für Pahlen. Russkaja Starina 1897, Bd. 4, S. 628—630.
Schiemann, Geschichte Rußlands. II. 16
242 Kapitel VIII. Der Turkenkrieg, Kampagne von 1828.
lag vornehmlich in der Korruption der französisch gebildeten höhereu
Stände und in dem elenden Zustande des Landes, das, an Knecht-
schaft und Vergewaltigung gewöhnt, kein Mittel scheute, sich seinen
Bedrängern zu entziehen, mochten es nun die eigenen Landsleute,
Türken oder Russen sein. Es war nicht daran zu denken, Moldauer
und VValachen gegen die Türken zu verwenden, das Volk war ganz
unkriegerisch, auch hatte der Sultan niemals Soldaten aus den
Fürstentümern gezogen. Dagegen hatten die Türken im Laufe des
Jahres 1827 bereits große Lieferungen erpreßt, um die Donau-
festungen zu verproviantieren, und schon vor dem Einrücken der
russischen Truppen war das Land von einem kontagiösen Fieber
infiziert, das erfahrungsmäßig in Pest auszuarten pflegte. Diese
Krankheiten haben sich dann sehr bald einerseits bis in die kau-
kasischen Steppen, andererseits durch Podolien bis in die Pripet-
sümpfe verbreitet, all der primitiven Vorsichtsmaßregeln spottend,
durch die man ihren Fortschritt aufzuhalten bemüht war').
Den Übergang über die Donau sollte das 3. Korps Rudsewitsch
vollziehen, und es lag in der Absicht des Kaisers, durch seine Gegen-
wart dem Einrücken seiner Armee auf direkt türkischen Boden noch
eine besondere Bedeutung zu geben. Noch niemals war ein russischer
Herrscher so weit vorgedrungen, uud in der Tat haben die Türken
aus seiner persönlichen Teilnahme am Kriege den Schluß gezogen,
daß es sich dieses Mal um einen Kampf auf Leben und Tod
handele. Der Kaiser war am 11. Mai*) in Mohilew eingetrofl'en, wo
der Feldmarschall Graf Sacken sein Hauptquartier hatte, am 15.
in Jelissawetgrad, am 19. in Belgrad, wo ihn das Hauptquartier
des 3. Korps empfing, zu Mittag desselben Tages überschritt er
die russische Grenze bei Wodolui Isaktschi, auf einer Brücke,
die über den Pruth geschlagen war. Es fiel auf, daß er sich von
^) Anhang zu Moltkes „russisch-türkischem Feldzug*' mit dem Motto':
„Gluckselig, dem der Tod im Siegesglanze den blut'gen Lorbeer um die Stime
windet." Nach den Aufsätzen der Doktoren Seydiitz und Petersen, sowie des
Kollegienassessors Rinck in den medizinisch- praktischen Abhandlungen.
Hamburg 1835. Alle drei haben die Pest 1828 und 1829 auf dem Kriegsschau-
platz bekämpft. Die von ihnen mitgeteilten Tatsachen sind erschütternd und
empörend.
^) Nach dem Journal der «Allerhöchsten Reisen des Kaisers Nikolai in
den Jahren 1826—1828«. Wojenno Utschenny Archiv Abt. 1 Nr. 619. Dieses
Journal gibt den zuverlässigsten Anhalt für alle Daten des Feldzuges, soweit
der Kaiser Anteil an den Ereignissen hat.
Kapitel VIII. Der Tärkenkrieg, Kampagne von 1828. 243
Moldauern eskortieren ließ, von Feinden im Feindeslande. Sie
führten ihn nach Brailow, und dort nahm er um Mitternacht
Quartier in dem weitläufigen Schloß des Pascha, das fast mitten
im Lager vor der seit dem 19. Mai bereits blockierten Festung
lag. Der Großfürst Michail, dem die Einnahme der Festung über-
tragen war, der Chef seines Stabes General Ssuchosanet, Feld-
marschall Graf Wittgenstein, General Woinow und der ganze Stab
der 2. Armee erwarteten den Kaiser bei seinem Einzüge. Es war
bereits vorher ein Teil des kaiserlichen Hauptquartiers hier einge-
troffen; der Rest und das Gefolge an Diplomaten und fremden
Offizieren folgte bald. Schließlich war es ein ungeheurer Hofstaat
vornehmlich militärischen Charakters, 300 Personen mit gegen 500
Pferden, ein vornehmer Troß der eine nicht geringe Last bedeutete und
dessen Verpflegung und Beschäftigung, zumal die Ansprüche hoch
waren, während des ganzen Verlaufs des Feldzuges eine stete Sorge
des Hauptquartiers war. Die Aufgabe des Ober-Zeremonienmeisters
Grafen Potocki, der für Marstall, Zelte, Küche und Bagage zu
sorgen hatte, war gewiß keine Sinekure, und der Troß an Bedien-
ten, der sich diesem kaiserlichen Hauptquartier anschloß, eine
Quelle vou Mißbräuchen, die keinem der fremden Beobachter ent-
gangen sind. Von den russischen Diplomaten, die den Vizekanzler
Nesselrode begleiteten, war Graf Matuszewic der vornehmste, dazu
Sacken, Panin, Stroganow, Godenius, Müller, Struve, Kudrjawski ^).
Man hat dann später einige dieser Herren nach Bukarest abge-
schoben. Dem Grafen Wittgenstein waren ebenfalls zwei diplo-
matische Handlanger zugeordnet, Sturdza und Handjeri; Jomini
und Prinz Eugen von Württemberg standen im Gefolge des Kaisers
ohne besondere Funktionen. Der Prinz wurde erst später und stets
in kritischen und unglücklichen Momenten verwandt. Dazu kamen
dann die Vertieter der fremden Mächte, Diplomaten wie Offiziere,
denen gestattet worden war, an der Kampagne teilzunehmen.
Graf Mortemart und Baron Bourgoing für Frankreich, mit ihnen
einige glänzende junge Offiziere aus den ersten französischen Fa-
milien, für England Lord Heytesbury, „der Herkules der britischen
Diplomatie, schlau und falsch wie Ulysses", so charakterisiert ihn
der damalige französische Minister des Auswärtigen La Ferronnays;
der Hannovraner General Dörnberg war vom Kaiser ausdrücklich
1) Bulgakow 1. I. 21. AprU 1828 st. ▼.
16^
244 Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828.
mitgenommea worden, um ein Gegengewicht gegen Heytesbury zur
Hand zu haben, wenn die englische Politik eine feindselige Richtung
einschlagen sollte. Österreich war durch den Prinzen Philipp von
Hessen vertreten, der für den Fall eines russisch-österreichischen
Krieges als der wahrscheinliche Oberkommandierende galt*). Er
traf erst Ende Juni im Hauptquartier ein und war den Russen
gewissermaßen eine Geisel für das Wohlverhalten des mißtrauisch
beobachteten österreichischen Nachbars. Preußen hatte den Stell-
vertreter des Gesandten General von Schöler, Baron Küster, ge-
schickt, dazu waren dem Hauptquartier des Kaisers Oberstleutnant
von Thun, Generalmajor von Nostitz und Rittmeister Moliere vom
Generalstabe der Garde angeschlossen. Dänemark endlich hatte
seinen Gesandten Grafen Blome geschickt.
Nächst dem Kaiser aber war unzweifelhaft die Hauptperson
sein Generalstabschef Graf Diebitsch, und ihn, dessen Ratschlägen
der Kaiser unbedingt folgte, trifft die Verantwortung für den Ver-
lauf des Feldzuges, nicht den Feldmarschall Wittgenstein und
Kisselew, denen nur in der ersten Zeit der Schein der Leitung
überlassen wurde. In seiner Summe gab das ein merkwürdiges
Netz sich durchkreuzender Intrigen, deren Gegenstand der Wille
des Kaisers war und unter deren Wirkung und Gegenwirkung
die Klarheit und Einheit der militärischen wie der parallel laufenden
diplomatischen Kampagne auf das schwerste geschädigt worden ist.
„Der Kaiser Nikolai Pawlowitsch^, erzählt einer der Offiziere,
die ihn vor Brailow sahen'), „war damals 32 Jahre alt, von hohem
Wuchs, hager, mit breiter Brust. Die Hände waren etwas lang,
das Gesicht oval und rein, die Stirne offen, der Mund proportioniert
Sein Blick war rasch, die Stimme tönend, in der Klangfarbe fast
ein Tenor, aber er sprach etwas zu rasch. Im ganzen war er
ebenmäßig gebaut und gewandt. In seinen Bewegungen sah man
weder anmaßliche Gewichtigkeit, noch leichtfertige Eile, wohl aber
eine ungemachte Strenge. Die Frische des Gesichtes und sein
ganzes Wesen zeugten von eiserner Gesundheit und bewiesen, daß er
1) J'oubliais de Vous dire que l'Empereur Fran^ois vient de me faire
demander si je ne desirais pas avoir pres de moi pour le temps de la
guerre an göneral autrichien? J'ai demande le Prince Philippe de Hombourg.
Nikolai an Konstanstin. Odessa, 16./28. Mai 1828.
^) Memoiren von Josif Dubecki. 2. Teil. Russkaja Starina 1895,
Maiheft. 1855 geschrieben.
Kapitel VIII. Der Tarkenkrieg, Kampagne Ton 1828. 245
in der Jugend nicht verzärtelt worden war und daß er nüchtern
und mäßig gelebt hatte. In physischer Hinsicht übertraf er alle
Generale und Offiziere, die ich je in der Armee gesehen habe, und
ich kann in Wahrheit sagen, daß man in unserer aufgeklärten
Zeit äußerst selten in den Kreisen der Aristokratie einen solchen
Mann sieht."
Aber gleich der erste Befehl, den der Kaiser gab, befremdete. Er
schickte alle Türken, die bei derBIockierungBrailows gefangen worden
waren, reich beschenkt in die Festung zurück. Er wollte dadurch einen
Eindruck auf die türkische Besatzung machen; die heimkehrenden
sollten erzählen, daß sie wirklich den Kaiser gesehen hätten und wie
unermeßlich seine Macht und sein Reichtum sei. Er war nach wie vor
der Überzeugung, daß es nur eine Frage nächster Zukunft sei, wann
die Türkei um Frieden bitten werde. Aber gerade Brailow hat die
erste Enttäuschung gebracht. Zunächst gingen noch zwei Wochen
hin, ehe überhaupt die wirkliche Belagerung in Angriff genommen
wurde. Während dieser Zeit lag der Kaiser drei Tage lang am
Fieber zu Bett, aber seine kräftige Natur überwand den Anfall,
und seither ist er während der ganzen Dauer des Feldzuges gesund
geblieben. Erst am 21. trafen Belagerungstrain und Geschütze ein,
und als am 24. ein türkischer Parlamentär im Hauptquartier er-
schien, um für die Rücksendung der Gefangenen im Namen Soliman
Paschas, des Festungskommandanten, zu danken, blieb die drohende
Aufforderung des Kaisers, spätestens bis um 3 Uhr nachmittags
am nächsten Tage zu kapitulieren, widrigenfalls er keinerlei Gnade
üben werde, ohne jeden Erfolg. Die Türken, welche bisher die
russischen Arbeiten am Bau der Redouten und Parallelen nur
wenig gestört hatten, begannen in der Nacht auf den 25. ihr
Artilleriefeuer gegen die russischen Befestigungen zu richten, und
die Antwort der russischen Geschütze vermochte weder ihren Mut
noch die Werke der Festung zu erschüttern. Der Kaiser, der sich
zur Verzweiflung seiner Umgebung mehrmals rücksichtslos exponiert
hatte und von den feindlichen Geschützen, wo er sich mit seiner
stets zahlreichen Suite zeigte, zum Ziel genommen wurde, mußte
erkennen, daß eine längere Belagerung bevorstehe. So entschloß
er sich, Brailow zu verlassen und die Kaiserin, die zwei Tage nach
ihm aus Petersburg aufgebrochen war, in Bender zu begrüßen und
persönlich nach Odessa zu geleiten. Hier erhielt er die Nachricht,
daß es dem Admiral Greigh glücklich gelungen war, einen türkischen
246 Kapitel Vni. Der Türkenkrieg, Kampagne von 182a
Transport abzufangen, der, aus Trapezunt abgegangen, Anapa ver-
stärken sollte. Es waren 940 Mann, 2 Paschas und 6 Fahnen, ein
Erfolg, der große Freude hervorrief. Dagegen verstimmte es den Kaiser
aufs tiefste, als ihm eben damals der Großfürst Konstantin den Spruch
des Warschauer Hochverratsgerichts schickte. Fast alle Angeklagten
waren freigesprochen worden, nur wenigezu Gefängnisstrafen verurteilt.
„Ich habe^, schrieb Nikolai dem Bruder, „wahrhaften Kummer
empfunden, als ich den unerhörten Ausgang unseres infamen
Prozesses kennen lernte.^ ') Er hielt damit die Sache noch
nicht für entschiedisn und dachte sie weiter zu verfolgen. Aber
zurzeit gingen ihm die türkischen Angelegenheiten vor. So
kehrte er über Ismail zur Armee zurück, um in Belgrad, wo die
3. Armee ihr Lager hatte, die Truppen zu inspizieren. Die 7.,
8., 9. und 10. Infanteriedivision und die 5. Grenadierdivision mit ihrer
Artillerie zogen im Parademarsch an ihm vorüber. Er war mit
dem Zustande der Truppen im höchsten Grade zufrieden, aber
diese Paraden, die der Kaiser im Felde überall wiederholte, wurden
zu einer wahren Plage der Armee und haben, wie wir noch sehen
werden, in kritischen Stunden ganz direkt schädigend auf den
Verlauf der militärischen Operationen eingewirkt. Am 5. Juni traf
er vor Satuno wo ein, das inzwischen zum Übergangspunkt aus-
ersehen war. Der gunstige Zeitpunkt zum Überschreiten des
Stromes war aber bereits versäumt und die Donau weit über ihre
Ufer ausgetreten. Auch beherrschten die Kanonen der Festung
Isaktschi und eine Reihe geschickt angelegter kleiner Redouten
und Schanzen den Strom. Man hatte unter Überwindung großer
Schwierigkeiten durch Sumpf und Schilf einen Damm von 7000
Schritt Länge ziehen müssen, um an die Stelle zu gelangen, die
für das Schlagen der Brücke bestimmt war. Der Kaiser hatte
Wittgenstein und Kisselew, die immer noch vor Brailow lagen,
nach Satunowo „eingeladen^, damit sie den Übergang mit „ansehen^
sollten. In Wirklichkeit sind die entscheidenden letzten Vor-
bereitungen jedoch von Kisselew getroffen worden. Die ganze
Unnatur der geltenden militärischen Ordnungen aber wurde noch
dadurch gekrönt, daß am 5. Juni ein Armeebefehl des Kaisers
kund tat, daß trotz seiner Anwesenheit Macht und Verantwortung
des Höchstkommandierenden dem Feldmarschall Wittgenstein ge-
I) Nicolai an Konstantin 16./28. Mai. Odessa.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 247
hören sollten. Trotzdem ist der Übergang über die Donau nach
einer eigenhändig vom Kaiser geschriebenen Disposition und gegen
die bessere Überzeugung seiner Generale geschehen. Es war in
der Tat ein ungeheuer gewagtes unternehmen, das bei einiger
Entschlossenheit und Umsicht der Türken mit der Vernichtung
der russischen Truppen hätte enden müssen, auch den Kaiser per-
sönlich den größten Gefahren aussetzte.
Bevor die Brücke zum Übergang geschlagen werden konnte,
mußte ein türkisches Fort auf dem rechten Donauufer genommen
werden, das die Position beherrschte. Ein glücklicher Zufall half
über diese Schwierigkeit hinweg. Saporogische Kosaken, die seit
den Tagen der Kaiserin Katharina in die türkische Untertanenschaft
übergetreten waren, um der Gewalttätigkeit Potemkins zu entgehen,
hatten, als der russische Zar türkischen Boden betrat, sich ihm in Ismail
wieder unterworfen und waren in Gnaden angenommen worden.
Diesen Leuten, die ihren frischen Patriotismus beweisen wollten,
gelang es, auf dem rechten Ufer der Donau einen Platz ausfindig
zu machen, der geeignet war, unbemerkt vom Feinde Landungs-
truppen aufzunehmen. Die russische Donauflottille ward beauftragt,
diese Stelle vor den türkischen Fahrzeugen zu schützen und mit
ihrem Feuer, wenn nötig, die russischen Batterien des linken Donau-
ufers zu unterstützen. Am 8. Juni früh morgens ist das Aben-
teuer — denn das war es — gewagt worden. Auf 42 Booten der
Saporoger wurde glücklich eine Brigade Jäger hinübergebracht, die
dann ohne jeden Zeitverlust unter Musik und Trommelschlag gegen
die den Übergang beherrschende Befestigung der Türken anstürmte
und sie fast ohne Widerstand nahm. Um 11 Uhr vormittags war
alles entschieden. Der Kaiser hatte nicht die Geduld, den Über-
gang seiner Truppen über die jetzt in aller Eile geschlagene Floß-
brücke abzuwarten, und ließ sich am anderen Morgen von dem
Hetmann der Saporoger, Ossip Miohailowitsch Gladki, auf das
türkische Ufer übersetzen'). Hier erwarteten ihn Wittgenstein
und Kisselew. Er war sehr gnädig und kehrte bald auf das linke
Ufer zurück, wohl ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, daß
er sich einer ungeheuren Gefahr ausgesetzt hatte. In Isaktschi
lagen 10 — 12000 Mann, und unter einem entschlossenen Führer
') Die Biographie Gladkis von seiDem Sohn, Russkaja Starina, XXX,
S. 381, l&ßt den Kaiser bereits am 8. Juni das türkische Ufer betreten und
dort die Kapitulation von Isaktschi entgegennehmen. Das ist Kosakenlegende.
248 Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne Ton 1828.
hätten sie die „Handvoll'^ Russen und mit ihnen den Kaiser leicht
in ihre Gewalt bringen können. Aber es war ein Schrecken über
sie gekommen. Am 11. Juni kapitulierte die Festung, die sofort
von den Russen besetzt wurde; doch durfte auf Befehl des Kaisers die
russische Flagge in Isaktschi nicht gehißt werden, die Stadt sei nur
okkupiert und gehöre ihm nicht. Ebenso verbot er die Errichtung einer
Kapelle auf dem rechten Ufer der Donau. Der Offizier, der den
Vorschlag gemacht hatte, erhielt einen öffentlichen Verweis. Doch
wurden hier die ersten Hospitäler eingerichtet. Man hatte 85 Ge-
schütze und 18 Fahnen erbeutet, aber keine Gefangenen gemacht,
sondern die Besatzung unbehindert abziehen lassen, ein verhängnis-
voller Präzedenzfall, der auf dem europäischen Kriegsschauplatz
zum schweren Nachteil der Russen überall Nachahmung finden
sollte. Der Kaiser glaubte, daß diese „Großmut^ die Türken nach-
giebig stimmen werde, woran natürlich nicht zu denken war; vielmehr
ließ der Sultan den Festungskommandanten und den Pascha, die an
der Kapitulation von Isaktschi teilgenommen hatten, in Konstantinopel
köpfen. Ebenso charakteristisch war es, daß der Kaiser russischen
Kolonisten, den sogenannten Nekrasowzen, die im Jahre 1708
vor den zornigen Augen Peters des Großen in die Dobrudscha
geflüchtet waren und sich ihm gleichfalls unterwerfen wollten, erklärte,
daß sie nur durch Übersiedelung auf russischen Boden seine Unter-
tanen werden könnten, denn er wolle keinen fußbreit türkischen
Landes erobern!
Am 13. Juni setzte die 3. Armee mit dem Hauptquartier sich
in Marsch. Aber gleich anfangs wurden die Verbindungen unter-
brochen, da man vergessen hatte, für Kurierpferde zu sorgen.
Ebenso hatte man vergessen, Salz mitzunehmen und auch an
Fleisch fehlte es bald. So wurde unter Entbehrungen aller Art
über Babadagh am 18. der Trajanswall erreicht und das Haupt-
quartier erst in Karatai, dann in Karain aufgeschlagen, wo es bis
zum 6. Juli blieb. Inzwischen war am 17. Brailow gefallen, nach-
dem die Türken am 15. einen ungeschickt ausgeführten Sturm der
Russen mit großen Verlusten für die Angreifer zurückgeschlagen
hatten. Sie kapitulierten, weil sie, durch die Explosion von Minen
erschreckt, fürchteten, daß die Russen die ganze Festung in die
Luft sprengen könnten, und weil ihnen, nach längeren Verhandlungen,
ihre Forderung, freier Abzug mit Hab und Gut, bewilligt wurde.
Sie sind unter russischem Geleit, nachdem man ihnen zehn Tage
Kapitel VIII. Der Törkenkrieg, Kampagne Ton 1828. 249
Zeit gelassen hatte, sich zum Abmarsch vorzubereiten, nach Silistria
gezogen und haben durch ihren tapferen Widerstand wesentlich
dazu beigetragen, daß diese Festung während der ersten Kampagne
nicht genommen werden konnte. Die Schuld an den großen
russischen Verlusten^) trifft den Großfürsten Michail, und es ist
gewiß kein Zufall, daß der Kaiser ihm während des ganzen
weiteren Verlaufs des Feldzuges kein Kommando mehr anvertraute*).
Am 18. kapitulierte unter gleichen Bedingungen wie Brailow die
kleine Festung Matschin, am 23. Hirsowa, am 24. Küstendje, am
1. JuliTuItscha, und überall haben die türkischen Truppen frei abziehen
können. Silistria, das zu Beginn des Feldzuges in dürftigstem Zu-
stande war, ist so in wenigen Tagen um gegen 17000 Mann verstärkt
worden. Die fremden Diplomaten und Militärs, die im Haupt-
quartier mit ihrer Kritik vorsichtig zurückhielten, gaben ihrem
Erstaunen über diese „Großmut^ des Kaisers in ihren Berichten
recht drastischen Ausdruck. Auch auf eine andere Eigentümlich-
keit des Kaisers machten sie aufmerksam: er wolle möglichst jedes
Blutvergießen vermeiden und instruiere in diesem Sinn seine
Generale. Endlich hielt es der Kaiser für seine Pflicht, mit den
Truppen auch im Felde Parade abzuhalten. In der Zeit vom 21.
bis 27. Juni fanden drei große Paraden statt und am 30. sogar ein
Manöver, in welchem die 1. Division Jäger zu Pferde gegen das
3. Infanteriekorps operieren mußte. Solche Manöver und Paraden
in der glühenden Hitze der Dobrudscha, bei dem schon jetzt
^) Sie verloren gegen 3000 Mann. Die Sturmleitern waren zu kurz, und
der Sturm wurde an falscher Stelle unternommen, statt da, wo die russischen
Geschütze eine Bresche geschlagen hatten.
') Konstantin gegenüber hat Nikolai den Bruder entschuldigt, Brief
Tom 21. Juni: „Je veux vous faire partager mon bonheur des succ^s de
notre eher Michel: Brailow s^est rendu enfin. En cette occasion la bonte
Divine s^est prononcee d'une mani^re visible sur nous par une circonstance
irappante. Avant-hier soir, revenant de Kistendji, j'ai re^u par Dolgorouki,
aide de camp de Michel, la fäcbeuse nouvelle que I'assaut donne k la breche
a manque avec une perte tres considerable et par suite de dispositions tres
bien faites, mais fort mal executees par trop de zele, de bravoure et de
precipitation, Ton a escalad^ sans echelles lä oü il n*y avait pas de breche,
tandis qu'elle existait a cote et que personne n'a pu la distinguer dans la
fumee et la poussiere .... Et hier juste 24 heures apres cette triste nouvelle,
ßibikow m^est arrive porteur de la premiore clef de la ville.^ Er gibt die
Verluste auf „plus de 1600 blesses et 80 officiers tues et blesses" an. Darunter
die Generale Wolflf und Pimrot.
250 Kapitel VIII. Der Turkenkrieg, Kampagne von 1828.
vielfach fühlbaren Mangel an gutem Wasser, bei dem Putzen von
Waffen und Knöpfen und all den kleinen Quälereien, die mit
einer Parade in den Tagen Nikolais verbunden waren, machten
die Truppen mehr müde als der angestrengteste Marschtag. Dieses
Nebeneinander von Krieg und Kriegspielen wurde nachgerade
unerträglich.
Eine glückliche Nachricht brachte der 2. Juli. Anapa war
gefallen^) und damit die Flotte des Schwarzen Meeres frei ge-
worden, so daß sie fortan mit der russischen Invasionsarmee
kooperieren konnte. Anapa war der letzte Stützpunkt der Pforte
an der nordöstlichen Küste des Schwarzen Meeres, und nur von
dort aus stand sie noch in unmittelbarem Verkehr mit den unab-
hängigen und kriegerischen Völkerschaften des westlichen Kaukasus.
Die Türken hatten hier eine Besatzung von 6 — 7000 Mann,
während die Russen unter Perowski nicht über 4500 Mann geboten
und erst nach dem Eintreffen Menschikows durch das schwere Ge-
schütz der Flotte ein Übergewicht erhielten, das dann am 12. Juni
zur Kapitulation der Festung führte. Die Besatzung betrug noch
4000 Mann, und von diesen wurden die verheirateten Offiziere und
Mannschaften in die Berge entlassen, die übrigen kriegsgefangen
in die Krim geführt; die Donquichotterie von Brailow wurde also
nicht in vollem Umfange wiederholt.
Das W^esentliche aber war, daß jetzt ein Angriff gegen Varna
gleichzeitig zu Wasser und zu Lande unternommen werden konnte,
und das ist denn auch die ursprüngliche Absicht der russischen
Heeresleitung gewesen. Vor Mangalia sollte sich die Flotte mit
der Armee in Fühlung setzen. Aber erst am 7. Juli war das
Hauptquartier aus Karain aufgebrochen, um über Bazardschik nach
Varna zu marschieren. Es waren 54 Bataillone, 48 Eskadrons und etwas
über 250 Geschütze. Gleichzeitig marschierte der General Swetschin
mit einer Brigade Infanterie und 6 Eskadrons von Mangalia auf
Varna zu, während der Generaladjutant Benkendorffll detachiert
wurde, um eineStellungzwischenSilistria, dessen Blockierung begonnen
hatte, und dem Hauptquartier einzunehmen. Er sollte das 6. Korps
unter General Roth, das bei Hirsowa seinen Übergang über die
Donau vollzogen hatte, erwarten. Der General Witt aber, der in-
zwischen 60 Bataillone Reserven organisiert hatte, wurde beauftra|2:t,
*) Hansen, G. v.t Zwei Kriegsjabre. Berlin 1881.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 251
die eingenommenen türkischen Festungen zu besetzen und so eine
weitere Division Infanterie für das Hauptquartier freizumachen.
Endlich wurde Generaladjutant Graf Suchtelen Swetschin nach-
geschickt, um ihn mit einer Brigade Infanterie und 6 Eskadrons
(unter General Akinfiew) zu verstärken und den Versuch zu
machen, Varna zu überraschen. Die Flotte war bereits von
Mangalia dahin abgesegelt. Gelang die Überrumpelung nicht, so
sollte die Hauptarmee ihr Werk tun.
Dieser Plan ist jedoch nicht ausgeführt worden. Zunächst
hatte ein Kosakenpikett der Vorhut der in Eilmärschen nahenden
Hauptarmee in der Nähe von Bazardschik ein ungünstiges Gefecht,
das schließlich dank herbeieilender Verstärkungen zwar mit dem
Rückzug der Türken endete, aber doch zeigte, daß man einen
tapferen Feind vor sich habe. Als dann General Rüdiger am
12. Juli in das von den Einwohnern verlassene Kosludji einrückte,
kam es auf der Straße, die nach Jenibazar fährte, zu einem
zweiten Gefecht, das ebenfalls mit dem Rückzuge der Türken
endete,- aber noch empfindlichere Verluste brachte als das erste
Treffen. Das gegen Varna vordringende russische Heer zählte nach
den Detachierungen, die der Kaiser angeordnet hatte ^), nur noch
24000 Mann, davon gegen 2500 Reiter. Das war allerdings sehr
wenig, wenn man bedenkt, daß der Seraskier Hussein Pascha mit
über 30000 Mann und 100 Geschützen in Schumla lag und weitere
Verstärkungen erwartete. Der Kaiser wurde bedenklich und
erinnerte sich eines Vorschlages, den der Großfürst Konstantin
ihm vor Beginn der Kampagne gemacht hatte, die polnischen
Reserven und die Hälfte der polnischen Armee aller Waffen
am Bug aufzustellen, damit dadurch bei den Polen die Vor-
stellung erweckt werde, daß sie bestimmt seien die russische
Armee zu verstärken. Der Kaiser schrieb nun in den Ausdrücken
emphatischer Verehrung, die seine Korrespondenz mit dem Bruder
charakterisiert, daß er sich alle Tage mehr davon überzeuge, daß
Verstärkungen für seine Armee unerläßlich seien. Das 7. Korps
*) Siehe Moltke pag. 110 und 111. Dazu die Relationen Rüsters vom
7., 11. 15. und 22. Juli. Es lagen 11750 Mann in der Walachei, 10750 vor
Silistria, 5500 auf Eskorte, auf der Flotte und auf Etappen rückwärts; 5100
Mann vor Varna, 6000 als Avantgarde in Kosludji, 2000 vor Anapa. Vgl.
auch die Korrespondenz Nikolais mit Konstantin, die Briefe vom 1S„ 21.,
27. Juni 1828. Petersburg. Archiv des Reichsrats.
252 Kapitel VIII. Der Tarkenkrieg, Kampagpie Ton 1828.
habe vor Brailow über 5000 Mann eingebüßt, das Verteidigungs-
system der Türken, die jedes armselige Nest zu behaupten suchten,
habe ihn zu Blockaden und Belagerungen genötigt, durch welche
zwei Brigaden der 7. Division gefesselt würden; mit zwei Brigaden
der 10. Division blockiere er Küstendje und beschütze er die Zufuhr
der über das Meer kommenden Lebensbedürfnisse. In Summa
gebe das einen Ausfall von 10000 Mann und noch habe er Silistria,
Rustschuk, Giurgewo und Varna zu blockieren oder zu belagern.
Schon habe er dem 2. Korps, das auf Friedensfuß stehe, befehlen
müssen, ohne Zeitverlust das 6. Korps in der Moldau, vielleicht
auch in der Walachei zu ersetzen, um wenigstens im August
sechs Divisionen bei der Hauptarmee zu haben. Aber das alles
sei sehr spät, und er bitte ihn daher, ob er ihm nicht je eine
Division Infanterie und Kavallerie schicken könne, die als Feld-
reserve dienen sollten *). Die Antwort, die er von Konstantin
erhielt'), brachte eine bittere Enttäuschung. Der Großfürst erklärte,
er habe seinen Vorschlag nur gemacht, um die polnischen Truppen
zu beschäftigen. Es sei ihm unmöglich, vor Ende September oder
Anfang Oktober zu kommen. Auch könne Rußland unmöglich
seine westliche und südwestliche Grenze entblößen. Jedenfalls
werde er einen direkten Befehl abwarten, auch um die Truppen,
wie er vorgeschlagen, an den Bug zu verlegen. Endlich könne er
die polnischen Truppen doch nur marschieren lassen, wenn er
selbst an ihre Spitze trete, das aber schien ihm ausgeschlossen
zu sein. Einige bittere Bemerkungen über das unnütze Stürmen
leiteten den Brief ein. Damit war auch entschieden, daß die polnische
Armee am Türkenkriege nicht teilnehmen werde. Der Kaiser')
machte, so tief ihn die Antwort verletzen mußte, dem
Großfürsten seine Entschuldigung und sagte ihm seinen Dank
für die Übersendung einiger polnischer Flügeladjutanten und
Offiziere*). Diese Frage sei jetzt für ihn endgültig erledigt. Er
^) Mainteoant c'est ä yous a decider, eher Constantin, si vous croyez
pouvoir nous envoyer une division d^infanterie et ane de cavallerie polonaise
pour former de suite notre reserve de campagne.
3) Aus Warschau« den 27. Juni. Dem Großfürsten erschien sogar die
Haltung Preußens verdächtig!
') Nikolai an Konstantin aus Bazardschik. den 10. Juli 1828.
*) £s waren im ganzen 18 Offiziere die unter Führung des General-
quartiermeisters Obersten Hauke sich Diebitsch zur Verfügung stellten.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 2Ö3
hatte Die vermocht, dem Bruder gegenüber den Kaiser auszuspielen,
und wagte es auch jetzt nicht, obgleich die bittere Ver-
legenheit, in der er sich befand, und das Interesse des Reiches ihn
wohl verpflichtet hätten, es zu tun. Wir wissen, daß der Großfürst
um jene Zeit äußerst gereizt war. Er sprach mit höchster Leiden-
schaft gegen den Türkenkrieg, den er für gefahrbringend und un-
gerecht hielt. Nichts lag ihm ferner, als sich seine schöne polnische
Armee durch ihn verderben zu lassen. „In den letzten 14 Jahren^,
schreibt der deutsche Generalkonsul Schmidt^), „ist keine Epoche
so langen bitteren Grimmes eingetreten. Die Äußerungen über
den Kaiser und über den General Diebitsch sind wahrhaft er-
schreckend.^ Von einer Verschiebung der polnischen Armee näher
zum Kriegsschau platze hin durfte weiter nicht die Rede sein, sie
bezog ihr gewöhnliches Lager in der Nähe von Warschau.
Nun hätte man annehmen sollen, daß diese Absage Konstantins
eine beschleunigte Durchführung der gegen Varna gerichteten Pläne
zur Folge haben mußte, zumal die Festung noch nicht die er-
warteten Verstärkungen erhalten hatte. Aber der General Diebitsch
verstand es, trotz Wittgensteins Widerspruch und obgleich der
Preuße Nostitz und der Herzog von Mortemart auf die Gefahren
des Unternehmens aufmerksam machten, den Kaiser für den Ge*
danken zu gewinnen, den Marsch gegen Varna aufzugeben und
statt dessen mit der Hauptarmee gegen Schumla zu rücken. Sein
Gedanke scheint gewesen zu sein, daß es gelingen werde,
Hussein Pascha zu offener Feldschlacht zu verlocken und ihm eine
vernichtende Niederlage beizubringen. Schumla und Varna, so
konnte man hoffen, würden dann kapitulieren. Aber auch die
Aussichten einer Belagerung ohne vorausgegangene Niederlage der
Türken hielt Diebitsch für günstig, während Wittgenstein meinte,
sie könne ein ganzes Jahr lang dauern. Der Kaiser entschied lür
Diebitsch *). Es blieb dabei, daß sich Suchtelens schwache
Abteilung mit der Beobachtung Varnas begnügen solle, während
Wojenno Utscbenny Arch. Nr. 2597. Nikolai hatte den Bruder bereits am
14. Mai gebeten, ihm einige polnische Offiziere zu schicken.
^) Warschau, den 26. Mai, also bereits einen Monat, bevor der Kaiser
um Unterstützung durch die polnische Armee bat Berlin, Geh. St. A. A. A. I.
Rep. I Nr. 20. Pologne n. 27 I.
^ Die Details bei Schilder und in der Biographie Kisselews gehen auf
den ganz unzuverlässigen Lacroix zurück und verdienen keine Beachtung.
254 Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828.
das Hauptquartier am 15. Juli aus Bazardschik aufbrach und unter
steten Gefechten der von General Rüdiger geführten Vorhut, am 18.
in Jenibazar anlangte, 15 Werst von Schumla, während Benken-
dorf weiter sudlich Pravodi besetzte, ohne auf erheblichen Wider-
stand zu stoßen.
Am 20. erreichte die Armee Schumla. Das Korps Rudzewitsch
mit dem Kaiser und Wittgenstein marschierte auf dem geraden
Wege auf das befestigte Lager von Schumla zu, das Korps Woinow
mit dem General Diebitsch längs dem Gebirge, um der türkischen
Stellung in die Flanke zu kommen. Hier ist es, als die Russen
unter dem persönlichen Kommando des Kaisers die Höhen vor
Schumla besetzten, an den Ufern des Balanlyk zu lebhaften
Kämpfen mit der türkischen Kavallerie gekommen, wobei
die Türken geworfen wurden und sich in die Verschanzungen
von Schumla zurückzogen^). „WMr haben", schrieb der Kaiser
am 30. dem Großfürsten Konstantin, „eine sehr schöne
Affäre mit gegen 10000 Pferden gehabt. Es war nach Disposition
und Ausführung wirklich ein schönes Manöver. Wir haben hier
unsere Position eingenommen und nur 16 Tote und einige 50 Ver-
wundete verloren." Er war in bester Laune. Paskiewitsch hatte
ihm die Einnahme von Kars gemeldet, die russische Flotte war
vor Varna eingetroffen, Ibrahim durch die bei Navarin vereinigten
Truppen genötigt worden, Morea zu räumen'). Hussein Pascha
schien sich ruhig verhalten zu wollen, und die Russen rückten mit
der Anlage ihrer Redouten Schumla immer näher. Aber die Lage
war weniger günstig, als Nikolai glauben wollte. Die Besetzung der
in zu großer Zahl und in zu großer Nähe vom Feinde angelegten
Redouten schwächte den Bestand der Bataillone; die Kavallerie,
deren Pferde bereits schlaff wurden, mußte sich die Furage aus
großer Entfernung holen, jeder Transport erforderte militärische
Deckung, und die ungemein rührige und vorzüglich berittene tür-
kische Kavallerie brachte durch AufTangen der russischen Kuriere,
^) Eine sehr lebendige Schilderung dieser Kämpfe gibt der Herzog von
Mortemart, Relation vom 24. Juli 1828 aus dem Lager vor Schumla. Weniger
ausfahrlicb Käster. Auch: Graf Kisselew und seine Zeit ist heranzuziehen.
Kisselew schlug die Brücken ober den Balanlyk. Der Kaiser verlieh ihm einen
Degen mit Brillanten und der Aufschrift «Für Tapferkeit*. Bd. I, S. 279.
') Eine «m 6. August von Codrington und Mehemed Ali in Kairo abge-
schlossene Konvention regelte die Räumung Moreas.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 2ÖÖ
durch Plünderung der Transporte, Überfälle der an Redouten und
Trancheen arbeitenden Soldaten den Russen die empfindlichsten
Verluste bei. Dazu kam, daß die Krankheiten in immer bedenk-
licherem Maße zunahmen, und die Transportochsen zu Hunderten
fielen, so daß die regelmäßige Verproviantierung des russischen Lagers
in Frage gestellt wurde.
„Mit einem Wort, als wir daran gingen, Schumla zu belagern,
boten wir vielmehr selbst das Bild eines belagerten Platzes.^ So
urteilt Benkendorf ^), der am 2. August den Kaiser begleitete, als
dieser das Lager von Schumla verließ, um nach Varna zu fahren,
wo er den Stand der Belagerung in Augenschein nehmen und die
Flotte besichtigen wollte, die er überhaupt noch nicht gesehen hatte.
Von dort wollte er nach Odessa zur Kaiserin, denn im Grunde war
er des Krieges bereits müde'). Auch den Großfürsten Michail, die
Generaladjutanten Wassiltschikow, Nesselrode und Potockl nahm der
Kaiser mit sich.
Den Convoi bildeten ein wenig vollzähliges Regiment Jäger zu
Pferde, zwei Bataillone Infanterie, eine Batterie reitender Artillerie
und drei Eskadrons Leibkosaken'). Die letzteren ritten als Vor-
hut. Der Kaiser hatte bereits befohlen, daß Infanterie und Artillerie,
die mit seiner vorwärts drängenden Ungeduld nicht Schritt halten
konnten, nach Schumla zurückkehren sollten, als die Kosaken mel-
deten, daß bei Jenibazar türkische Reiterei im Hinterhalt liege.
Wie der Feind sah, daß die Russen sich zum Kampf ordneten, wich
er zwar zurück, aber bei Kosludji erschlug er die Fuhrleute des
Trains und trieb die Zugtiere fort. Mit vieler Mühe wurde Nikolai
bewogen, in Kosludji Halt zu machen, um den General Dellings-
hausen abzuwarten, der dem bei Kovarna gelandeten Fürsten
Menschikow entgegengeschickt war und Befehl hatte, die Verbin-
dung zwischen Kosludji und Varna zu sichern. Schon am 23. verlor
der Kaiser jedoch die Geduld, er hob, ohne Dellingshausen abzuwarten,
das Lager von Kosludji auf und ritt auf Varna zu in den
Wald hinein. Unter nicht geringen Fährlichkeiten wurde das Ufer
des Schwarzen Meeres erreicht. Dellingshausen hatte sich schließ-
lich mit Menschikow vereinigt, nachdem er vorher einen heftigen
^) Tagebücher. Russkaja Starina Juni 1896, S. 488.
^ Relation Küsters vom 12./24. August durch sicheren Kurier.
') In Summa 700 Mann Infanterie und 600 Pferde, dazu ein Train, der
den Reisepro viant fährte.
256 Kapitel VIII. Der Törkenkrieg, Kampagne von 1828.
Kampf mit den Türken bestaDden hatte, die aus Varna ausgefallen
waren. So lief das Abenteuer des Kaisers, denn so ist dieser Ritt zu
beurteilen, noch glücklich ab. Zeugt es von seinem persönlichen Mut,
so doch nicht minder von unbesonnener Unterschätzung wirklicherGe-
fahren. Er schien zu vergessen, daß er in Feindesland sei. Andererseits
aber scheute er vor Unternehmungen zurück, die einen Erfolg ver-
sprachen, sobald ihm die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit großer
Opfer an Menschen vor die Seele trat. Als ihm Menschikow vorschlug,
mit Hilfe der aus Anapa angelangten Truppen, der 1300 Mann,
die den Kaiser begleitet hatten, und unter Assistenz der Flotte
Varna mit Sturm zu nehmen, lehnte er ab. Die Festung werde
in spätestens acht Tagen kapitulieren ^), man solle zu einer regel-
rechten Belagerung schreiten. Dann inspizierte er die Flotte und
segelte') auf der Fregatte „Flora'' nach Odessa ab, wo er nach
dreitägiger glücklicher Fahrt anlangte und bis zum 2. September
blieb. Auch der ganze Stab der Diplomaten, Hofleute, Beamten
und fremden Bevollmächtigten folgte ihm nach. Mit ihnen zogen
die Intrigen der europäischen Politik in Odessa ein. Prinz Philipp
von Hessen war beauftragt, den Kaiser gegen die französische
Politik mißtrauisch zu machen. General Maison hatte unter lautem
Jubel der öffentlichen Meinung Frankreichs am 19. August die
Fahrt angetreten, die seine Truppen, zum Teil auf englischen
Schiffen, nach Morea führen sollte, was Metternich im höchsten
Grade beunruhigte. Aus den Betrachtungen der Pariser Presse
gehe deutlich hervor, daß das Unternehmen gegen Morea von den
revolutionären Parteien in Frankreich als erster Schritt betrachtet
werde, der sie zu dem System zurückführen solle, das 1813 und
1814 von den Mächten erdrückt wurde. Die Befreiung Griechen-
lands werde zu einer französischen Tat gestempelt werden, was
doch umöglich den Russen lieb sein könne'). Ebenso mißtrauisch
waren, obgleich sie der Morea-Expedition schließlich zugestimmt
hatten, Wellington und Aberdeen. Die Franzosen, meinte Aberdeen^),
1) Denkschrift des Fürsten Menschikow. Woj. Utsch. Archiv. Zitiert von
Schilder. Nikolai, Bd. II, Anm. 221.
^) «Um nicht Zeuge einer zweiten erfolglosen Unternehmung sein zu
müssen", sagt Moltke S. 144.
') Privatschreiben des Fürsten Metternich an den Prinzen von Hessen-
Homburg d. d. Woltersdorf, den 14. August 1828 in der Anlage.
^) An Wellington, den 30. August: „The french will surely uever be
happy unless tbey can manufacture divers touchiug paragraphs about the white
Kapitel YIII. Der TärkeDkrieg, Kampagne von 1828. 257
werden gewiß nicht glücklich sein, bevor sie einige rahrsame Artikel
über die weiße Fahne, die auf den Türmen der Akropolis von Athen
weht, schreiben können.
In der Tat trug das französische Kabinett sich mit großen
Plänen und Hoffnungen. „Ich bin sicher," schrieb La Ferronnays
am 30. Juli dem Herzog von Mortemart, „daß Frankreich in weniger
als drei Jahren wieder das erste Land der Welt werden kann').^
Man wünschte in Paris leidenschaftlich die Trennung der griechischen
Frage von der russisch-türkischen, aber gleichzeitig auch die Be-
seitigung des englischen Einflusses aus Morea wie aus Ägypten.
Dazu begannen sich die französischen Blicke auf Algier zu richten,
und nach wie vor wurde der Gedanke einer besonderen französisch-
russischen Allianz gepflegt, an die sich die ausschweifendsten Pläne
knüpften. Seit den Tagen Napoleons hatte der französische Ehrgeiz
keinen höheren Flug genommen. Mortemart war angewiesen, mit allen
Mitteln dem Einfluß Lord Heytesburys entgegenzuarbeiten, der in
Odessa schnell das Vertrauen des Kaisers, oder doch wenigstens
den Schein, eines Vertrauens, zu gewinnen verstand. In Wirklich-
keit hatten nur die geringen Erfolge Rußlands England zeitweilig
beruhigt. Die Sympathien der britischen Politik galten den Türken
und Österreichern'), während Nesselrode — der kleine Minister,
wie ihn Metternich nannte — und der Kaiser sich, je länger je mehr,
in der Überzeugung festigten, daß Österreich der heimliche Ver-
bündete der Türken sei'). Es ist dann ein Moment ernster poli-
flag floating on the towers of tbe Akropolis of Athens.'' Wellington, Des-
patches V.
^) Particuliere.
^ ^Malgre ies dispositions personnelles tres conciliantes de Lord Heytes-
bury, et malgre la nature assez satisfaisante, k certains egards, des explications
transmises par le prince de Lieven, il etait ais^ de pen^trer que la politique
du ministere an^lais . . . se rapprochait de plus en plus de celle de rAutricbe.**
Compte rendu du Ministere des affaires etrangeres pour Ies annees 1827
et 1828. Petersburg. Ministerium des Auswärtigen. Ebendort die Klagen
über die Intrigen Österreichs.
*) Entzifferung der Depesche 28 Küsters d. d. Odessa, 14./26. September
1828. Durch sichere Gelegenheit.
La meüance et l'animosite, qui regnent ici contre rAutriche, ont, pendant
Ies derniers moments du sejour de TEmpereur ä Odessa, augmente ä un degre,
qui, dans d^autres circonstances, donnerait Heu aux plus justes alarmes. Heu-
reusement la positition des deux cours, dont Tune ne parait pas en ^tat de
soutenir actuellement une guerre et dont Tautre sent trop Ies embarras de
Seh lern ann, Geschichte Kußlands. IT. 17
258 Kapitel VIH. Der Türkenkrieg, Kampagne Ton 1828.
tiscber Krisis eingetreten, als Rußland seine Absicht kundtat, den
Bosporus und die Dardanellen zu blockieren; die Verhandlungen,
die damals im englischen Kabinett stattfanden, trugen einen direkt
feindseligen Charakter. Man erwog, ob nicht d«r Vertrag vom
6. Jnli gekündigt werden solle, und sprach es unverblümt aus,
daß die Minderung der russischen Macht das wahre und legitime
Ziel der englischen Politik sei *). Wellington aber gab in der
Celle qui pese sur eile, pour entreprendre une nouTelle sans des motifs pressants,
doit pour le inoment rassurer sur les consequences de cet etat des choses ....
Le cabinet de Vienne a cru que des protestations et quelques demonstrations
d^apparence suffiraient pour lui regagner la confiance de la cour de Russie, ....
mais le gouvernement de Russie pretend aToir acquis la certitude (je crois quMl
a en partie ä cet egard des preuves iirecusables eutre ses mains) que la cour
d*Autriche, peudant qu*elle protestait de sa ferme intention de
maintenir la plus stricte neutralite, a con^u et enroye a Con-
stantinople un plan de campagne, que les Turcs ont suivi jusqu^ici:
que des officiers de genie autrichiens eoactivite de Service et en-
Toy^s ad hoc ontaide de leursconseils Hussein Pascha, et que quel-
ques uns d'entre eux dirigent encore aujourd^hui en personne les travaux entrepris
pres de Daoud Pascha*. . . . Dazu komme die Nachricht von der Verstärkung der
österreichischen Truppen an der Grenze. Man habe dem Kaiser gemeldet,
„qu^une armee autrichienne de 160000 h. sera incessament reunie**, es würden
vier Korps sein und als Generale wurden Ginlay, Hadik und der Prinz von
Hessen-Homburg genannt. Gewiß seien diese Nachrichten falsch. Küster
hat in diesem Sinne auf Nesselrode einzuwirken gesucht.
Diese Gerüchte hätten den Anlaß zur Ungnade des Prinzen
von Hessen gegeben. „Ce prince avait ete, k son arrivee au quartier general,
invite par PEmp. a Taccompagner et ä s'em barquer avec lui lorsque S. M. se
rendait de Schoumla ä Odessa, traversee, pendant laquelle aucun autre etranger
ne se trouvait dans sa suite. Mais au dernier retour du Monarque k Tarmee,
il n'a plus et^ question du Prince et l'Emp. a seul emmene avec lui le
general (Nostitz) que Votre M. a envoye ici. Le Prince n*a pas meme ete
averti du retard mis dans le depart des diplomates et militaires etrangers,
et la communication faite tout recemmeot a ce sujet par le C^ de Ness.
a l'Ambas. de France et au Corps diplomatique ne lui a point ete adressee*. Der
Prinz habe das sehr wohl empfunden, habe sich aber begnügt, Nesselrode zu
schreiben: »qu'il avait ^te envoye au quartier general dans le but d^accompagner
l'Emp. dans la guerre de Turquie et que comme S. M. avait agr^e cette
mission, il esperait qu^on lui permettrait de la remplir. II n'a pas encore
re^u de reponse a cette lettre". . . .
*) „The true and legitimate object of our policy.* Memorandum by Lord
Ellenborough, 14. September 1828. Wellington, Despatches V. Auch gegen
Preußen war die Erbitterung in London groß. Das englische Kabinett besaß
die preußische Chiffre und interzipierte die Depeschen Hernstorffs an Bülow.
Kapitel VIIL Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 259
Londoner Konferenz der Botschafter zu Protokoll, daß, falls die
dem Admiral Ileyden erteilten Befehle nicht suspendiert werden
könnten, der König es als seine Pflicht ansehe, der Pforte, seinen
Untertanen und der Welt zu verkünden, daß das Mittelmeer nicht
mehr neutral sei. Nesselrode meinte, daß nur die guten Dienste
Frankreichs einen völligen Bruch verhindert hätten.
Es ist begreiflich, daß alle diese Dinge den Kaiser erregten.
Ging ihm auch der Tag in Paraden und Revuen und jeder Art
von Besichtigungen, in Gesprächen mit den Diplomaten und Mili-
tärs und in der Arbeit in seinem Kabinett hin, der Abend am
Teetisch der Kaiserin, an dem er Scharpie zupfte *), so verzehrte
ihn doch die Unruhe über den weiteren Verlauf des Feldzuges.
Denn statt der erwarteten Siegesnachrichten traf eine Hiobspost
nach der anderen ein, und die Türken zeigten nicht die geringste
Neigung, die Initiative zu den vom Kaiser heiß ersehnten Friedens-
verhandlungen zu ergreifen. Alle Berichte, die uns aus dieser Zeit
erhalten sind, stimmen darin überein, daß der Wunsch des Kaisers,
möglichst Menschenleben zu schonen, auf den bisherigen Verlauf
des Feldzuges lähmend eingewirkt habe. „Wenn dadurch^ —
schreibt der Baron Küster — „vielleicht auch hier und da ein
kleiner Vorteil unbenutzt geblieben ist, so kann Europa wenigstens
daraus die Beruhigung schöpfen, daß es in dem Kaiser Nikolaus
nie einen Eroberer zu fürchten haben wird')."
Auf dem Kriegsschauplatze hatte inzwischen die Lage sich
folgendermaßen gestaltet.
Zur Ei&schließung von Silistria war General Roth am 21. Juli
geschritten, aber mit unzureichenden Mitteln. Er hatte noch kein
Belagerungsgeschütz und wagte deshalb nicht, in den Bereich der
In Anlaß der entschieden russenfreundlicben Haltung des Berliner Kabinetts,
die sich aus der Einsicht in diese Papiere ergab, schrieb Aberdeen an Wellington:
,1 have always been afraid of expecting anything of Prussia, beeing of opinion
that it is tbe most rascally government in Europe, the most selfish and ra-
pacious. Tbe same reason which induced them to make peace with regicide
France, before any other power, would make them willingly to deliver over
the independence of Europe to Russia, if anything could be obtained by it.
The Short possession of Hanover is not forgotten!*'
0 Rapports du Prince de Hesse-Homburg. Odessa, 2. September 1828.
Wien, Staatsarchiv.
>) Relation Kästers aus Odessa, den 12./ 24. August 1828. Durch den
Major von Dieskau.
IT
260 Kapitel VIIL Der Tärkenkrieg« Kampagne Ton 1838.
türkischeD Kanonen zu kommen. Die durch den Zuzug aas Brailow
und aus den anderen kleinen Festungen wesentlich verstärkte Garnison
von Silistria aber machte einen Ausfall nach dem anderen, und
ihre Reiterei war der russischen entschieden überlegen *). Am 10.
August legte sich die russische Donauflottille vor die Festung'),
aber sie richtete wenig ans und vermochte nicht einmal die elenden
zwölf Donauboote der Türken zu verjagen, auch die Verbindung
der Festung mit Kustschuk und Turtukai konnte nicht verhindert
werden. Den 23000 Mann der Türken standen nur 10000 Russen
gegenüber, zwar wohlverschanzt, aber tatsachlich in der Defensive.
Roth meinte bereits damals, daß die Kampagne schwerlich in einem
Jahre beendigt werden könne, und sprach sich bitter über die
fehlende Einheit der Heeresleitung aus. Die Hoffnung richtete sich
hier, wie in Odessa, auf das Eintreffen der Garden, deren Vorhut
endlich am 30. Juli die Donau erreicht hatte. Man berechnete, daß
sie zwischen dem 12. und 20. August vor Schumla eintreffeu
würden '). Aber man hatte falsch gerechnet. So lagen die Russen
ziemlich untatig bis zum 15. September vor der Festung; an diesem
Tage traf der General Schtscherbatow mit der zweiten Armee ein,
um die Fortfuhrung der Belagerung zu übernehmen, so daß nun
auch die numerische Übermacht auf russischer Seite war. Trotzdem
und in Mißachtung wiederholter Befehle blieb er untatig, »weil er
ohne Grund seine Mittel für unzureichend hielt, z. B. statt 20000
Kugeln, die er hatte, 60000 verlangte'' ^). Als Schtscherbatow bald
1) Paul de Bourgoing an Mortemart. Au camp de Siiistrie 23 juillet
18iS. ^Cette caTalerie etait d^uoe plus l>elie apparenc« quaucune de oelles
qui se soient montrees depuis TouTerture de la campagne. La beaute des
chevaux, IVtat des armes et des costumes couverts d*or et d^argent nous fait
penser qae ce corps est IVlite de la garnison de Siiistrie.' Paris, Depot dea
äff. etraog. Rassie vol. 176 fol. 111. Der Bericht gibt eine sehr eingehende
Schilderung der Kämpfe, die bei der Investierung Ton Silistria durch Roth
stattfanden.
^ 36 Fahrzeuge, darunter 16 mit je drei Geschützen schweren Kalibers.
Moltke 1. 1.
'y Bourgoing an Mortemart, 4. August, kontidentiell. Bourgoing hat sich
um die Anlage der russischen Investieningsarbeiten sehr Terdient gemacht.
^) Relation Scbölers d. d. Petersburg, 28. Januar 1829. Sie enthält eine
sehr t>eacbtenswerte Kritik des Feldzuges Ton 1828. Befördert durch den
Bruder des engliscben Botschafters^ Capitain a Court. Berlin, A. A. I, Rep. I,
Rußland Nr. 9i». Auch Moltke 1. 1. S. 213.
Kapitel YIII. Der Törkenkrieg, Kampagne von 1828. 261
darauf erkrankte, trat General Langeron an seine Stelle, der seit
Beginn der Kampagne mit 13000 Mann die Walachei gegen die
Türken gedeckt hatte, wobei namentlich General Geismar, der mit
etwa 4000 Mann vor Krajowa lag, die wirksamste Hilfe leistete.
Aber bei einiger Initiative hätten die Türken leicht bis nach
Bukarest dringen können. Sie begnügten sich jedoch, ihre Stellung
hinter den Werken der Donaufestungen zu behaupten '). Am be-
drohlichsten erschien ihre Stellung Widdin-Kalafat, aber auch
Rnstschuk und Giurgewo machten Sorge. Das Schlimmste
war, daß Skorbut und Krätze, vor allem aber die Pest in uner-
hörtem Maße unter den russischen Truppen in der Walachei um
sich griffen und von dort aus überallhin verschleppt wurden, wo
russische Truppen standen. So wurde auch die Belagerungsarmee
vor Schumla von diesen Plagen getroffen und ihre ohnehin schwierige
Lage dadurch noch mehr gefährdet.
Der Kaiser hatte, als er am 3. August Schumla verließ, den Prinzen
Eugen zum Chef des VIL Korps und den General Woinow zum Befehls-
haber der gesamten Kavallerie ernannt, während der Oberbefehl nach
wie vor bei Wittgenstein blieb. Aber Diebitsch stand ihm als Berater
zur Seite und war von Nikolai ausdrücklich angewiesen, in Meinungs-
verschiedenheiten mit Wittgenstein rücksichtslos die kaiserliche
Autorität geltend zu machen. Es ist kein Wunder, daß Wittgen-
stein unsicher wurde und schwer an der Verantwortung trug, die
trotz allem auf ihm ruhte. Er hat mehrfach versucht,
den Türken ihre Verbindung mit Konstantinopel abzuschneiden,
ohne daß man dabei zum Ziel gelangte*), aber jedesmal sind be-
trächtliche Verluste damit verbunden gewesen. Das lag zum Teil
an der Überlegenheit der türkischen Gewehre über die russischen.
Die Türken schössen sehr gut und waren mit gezogenen Gewehren,
allerdings verschiedendsten Kalibers, bewaffnet. Die russischen
Flinten, teils neue, teils alte, taugten dagegen alle nichts. Die
0 Der Chevalier Bourgoing, der Ende September mit LaDgeron die
wichtigsten Punkte besichtigte, sagt, daß die Türken: „ont, depuis la demiere
guerre remplace partout dans leurs forteresses d^Europe, les murailles flanquees
de tours par des remparts en terre a bastions bien proportionnes; mais ils
ne fönt encore que peu d'emploi des ouvrages exterieurs et presque toutes
les courtines de leurs fronts sont ä decouvert.^ An Mortemart. Bukarest,
25. September. Moltke S. 218—227.
2) Für das Detail vgl. Moltke 1. i.
262 Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828.
Läufe waren durch das häufige gewaltsame Putzen und Reiben
abgebraucht und verbogen, alle Beschläge, sogar das Bajonett, ab-
sichtlich gelockert, damit beim Exerzieren jedes Tempo und jeder
Griff recht klangvoll hervortrete . . . ., es war ganz unmöglich, mit
diesen Gewehren einen richtigen Schuß abzugeben. Dabei wurde
das Scheibenschießen vernachlässigt. Erst aus der Praxis des
Feldzuges lernten die Soldaten allmählich die Fehler ihrer Gewehre
kennen. Die besten waren noch einige französische Gewehre aus
dem Feldzuge von 1812'). Dazu kam, daß das Mustern und Exerzieren,
nach dem Beispiel, das von allerhöchster Stelle gegeben wurde,
auch im Lager vor Schumla eine wesentliche Beschäftigung der
Truppen bildete. Als am 26. September Hussein Pascha völlig
unerwartet um Mitternacht gleichzeitig die rechte und die linke
Flanke des 7. Korps überfiel*), hatte zwei Tage vorher Eisselew
dem Brigadegeneral Wrede einen scharfen Verweis erteilt, weil die
Flinten nicht rein waren und die Leute durch den Nachtdienst zu
sehr ermüdet würden. Man hatte danach zwei Tage lang die Ge-
wehre geputzt, und als der Überfall stattfand, waren die Gewehre
zwar blank, aber nicht geladen, und sorgfaltig in ihren
Überzügen eingeknöpft, die Leute schliefen mit Ausnahme
der spärlichen Wachtposten. Die Wachen aber wurden durch
Nekrasowzen getäuscht, die russische Soldatenmäntel angelegt
hatten und die Gräben mit Faschinen füllten, um den türkischen
Truppen das Eindringen in die Redoute 5 zu erleichtern. Während
auf dem linken Flügel Hussein Pascha schließlich mit nicht allzu-
großen Opfern abgeschlagen wurde '), führte der Angriff des tapferen
Halil Pascha auf Redoute 5 zu einer schweren Niederlage. Die
Türken machten die ganze Besatzung, ein Bataillon Infanterie, den
General Wrede und alle Stabs- und Oberoffiziere nieder, erbeuteten
') Hansen: Zwei Kriegsjahre. Berlin 1881, S. 56.
^) Es bestand aus den Infanteriedivisionen 18 und 19, aber alle Regi-
menter der Division 19 waren nach Varna detachiert worden. In den von
Hussein angegriffenen Tranchen bei Morasch lagen nur die vier Regimenter
der 18. Division, ein Bataillon Sappeure und zwei Batterien. Vgl. die Auf-
zeichnungen von Dubecki, der bei dieser Affäre Divisionsadjutant der 18.
Infanteriedivision war. Die 120 Nekrasowzen, von denen er erzählt, bildeten
einen Teil jener emigrierten Russen, deren Unterwerfung der Kaiser abgelehnt
hatte !
*) Die Russen verloren 117 Tote und 132 Verwundete und ein leichtes
Geschütz.
Kapitel VIII. Der TürkeDkrieg, Kampagne von 1828. 263
fünf BelageruDgs- und vier Feldgeschütze, scheiterten aber schließlich
unter beiderseitig großen Verlusten bei dem Versuch, noch eine
zweite Redoute zu nehmen. Aber volle 12 Stunden blieben sie
Herren der Redoute 5.
Der Kaiser erhielt die Nachricht von dieser unglücklichen Über-
raschung am 2. September in Odessa, unmittelbar vor seiner Abreise
nach Varna. Er war außer sich und hat seinem Zorn in einem
Briefe an Diebitsch schneidenden Ausdruck gegeben. Ob denn der
Feldmarschall wisse, daß er eine russische Armee kommandiere.
Auch ängstigte ihn ein Bericht des Senators Abakumow, der, wie
wir uns erinnern, an der Spitze des Verpflegungswesens der Armee
stand. „Alles kann noch gut werden, aber was fangen wir an,
wenn wir die Armee nicht ernähren können? Wir werden so
schnell wie möglich nach Hause marschieren müssen, und das gibt
ein schönes Resultat nach all den Opfern, die wir gebracht haben."
Er ordnete an, daß Wittgenstein mit seinem Stabe bei dem in
Jenibazar stehenden Korps bleiben solle, er werde in Varna, wohin
er am Nachmittag fahre, ohne ihn auskommen. Es schloß sich
daran der Befehl für Diebitsch, mit dem Rest des 3. Korps und
den 20. Jägern in Varna zu ihm zu stoßen *). In Varna aber
schienen die Dinge eine nicht minder bedenkliche Wendung nehmen
zu wollen. Das erste Unglück war, daß bei einem Ausfall der
Türken am 21. August der Fürst Menschikow schwer verwundet
wurde. Das Oberkommando übernahm danach interimistisch der
^) Der Brief des Kaisers an Diebitsch ist gedruckt bei Schilder: Nikolai,
Bd. II S. 539. Wir fügen hier aus dem Briefe Wittgensteins (Wojenno
Utschenny Arch. 5322) einen Abschnitt an, der charakteristisch genug ist: „Lager
vor Schumla, den 27. August (8. September) 1828 (russisch). Mit großer
Betrübnis habe ich aus dem Briefe Ew. Kais. Majestät an den Grafen Diebitsch
gesehen, daJß ich das Unglück gehabt habe, die Unzufriedenheit und den Zorn
Ew. Majestät auf mich zu ziehen wegen der Af^ren vom 14. bis 20. dieses
Monats. Ich wage zu meiner Rechtfertigung nichts anzuführen, als daß die
Ursache des Mißerfolges die Nachlässigkeit der in der Redoute befindlichen
Tnippen war. Sie hatten ihre Flinten in den Zelten, und zwar mit Ober-
zügen, denn eine Besichtigung der Flinten war vom Regimentskommandeur
auf den nächsten Tag angesagt, wie Ew. Majestät aus den Akten der Unter-
suchung sehen können, die General von Dellingshausen angestellt hat ....**
Übrigens habe er nichts getan, ohne sich mit Graf Diebitsch zu beraten, wie
dieser bezeugen werde. Der Schluß des Briefes mündete in ein Abschieds-
gesuch aus, das der Kaiser ablehnte.
264 Kapitel VIII. Der Tärkenkrieg, Kampagne Ton 183S.
General Perowski, bis am 27. Graf Woronzow aus Odessa eintraf.
Er fand bereits eine schwierige Lage vor.
Am 5. AagQst hatte Sultan Mahmud dem Großwesir Mehemed
Selim den Befehl erteilt, zum Heere abzugehen. Es wurde sogleich
seine Fahne vor dem Pfortenpalast aufgepflanzt, aber der Aufbruch
nach Adrianopel, wo sich mit seinem Heer, das 10 — 12000 Mann
zählte, eine gleich starkeTruppe unter TschapanOglu vereinigen sollte,
wurde verschoben, um das Ende des UnglucksmonatsSefer abzuwarten.
Da es nicht für schicklich galt, daß der Großwesir an einem nur
defensiven Kriege teilnahm, mußte angenommen werden, daß die
Türken eine Hauptschlacht zu schlagen entschlossen waren. Am
20. erfolgte der Aufbruch nach Adrianopel. Die plötzliche Abreise
des Kaisers nach Odessa sowie die Nachrichten aus Schumla,
Silistria, den Fürstentümern, hatten die Zuversicht der Türken er-
heblich gesteigert. Anfang September waren mehrere Hundert
russische Gefangene, darunter sieben bis acht Offiziere, nach Kon-
stantinopei gebracht worden ; über die französische Expedition nach
Morea schien man sich keine Sorgen zu machen; man hoiTte, des
eigentlichen Feindes, der Russen, Herr zu werden. Seit dem Beginn
des Feldzuges hatten die Streitkräfte der Türken sich zudem etwa ver-
doppelt. Die böse Seuche, welche die russischen Reihen lichtete,
hat sie kaum getroffen. Sie waren den Beschwerden des Klimas
besser gewachsen und wurden besser genährt. Namentlich aber
war ihr Pferdematerial dem russischen weit überlegen. Auch in
Varna machte sich mehr Initiative geltend. In der Nacht auf
den 30. August gelang es den Türken, sich einer Redoute zu be-
mächtigen, und obgleich sie schließlich wieder verdrängt wurden,
blieben sie doch den folgenden Tag vor der Festung liegen, ohne
daß Woronzow es gewagt hätte, sie anzugreifen. Weder das Be-
lagerungsgeschütz noch die heiß ersehnte Verstärkung durch die
Garden war eingetroffen. Auch am 3. und 5. September ist es zum
Kampf Mann gegen Mann gekommen. Im ganzen rückten aber
die russischen Belagerungsarbeiten der Festung immer näher.
Endlich, am 8. September, traf der Kaiser vor Varna ein*). Er
hatte auch diesmal allerlei Fährlichkeiten bestehen müssen. Erst
1) Korrespondenz zwischen dem Kaiser und Diebitsch R. St XXXII.
Es ist nicht ohne Interesse, wie dec Kaiser Diebitsch gegenüber sein Er-
scheinen Yor Varna motiviert. Er sei gekommen, «pour eviter tonte collision^
zwischen Michail und Woronzow: ,c'est moi qui commande ici, et tous
Kapitel VIII. Der T&rkenkrieg, Kampagne von 1828. 265
war es ein furchtbarer Sturm, der die Fregatte, die ihn trug,
nötigte, nach Odessa zurückzufahren, wollte sie nicht an das türkische
Ufer geworfen werden *). Er entschloß sich darauf, zu Lande nach
Varna zu fahren, obgleich er durch unsichere und von der Pest
verseuchte Gegenden mußte. An der Brücke von Satunowo hatte
er über Nacht halten müssen, weil sie zum Teil unter Wasser lag.
Nur zwei Feldjäger dienten als Begleitung. Auch die weiteren
Eindrücke waren schwer. In Babadagh fand er im Hospital fast
alle Ärzte krank, die Sterblichkeit entsetzlich hoch. Tn Eosludji
wo er gleichfalls in der Nacht eintraf, sah es ebenso aus, aber vor
der Stadt stieß er auf das Lager der endlich eingetroffenen, nach
Varna, nicht, wie ursprünglich beabsichtigt war, nach Schumla
marschierenden Garden, denen der Großfürst Michail entgegengereist
war. Natürlich brachte der andere Morgen eine Parade, dann eine
Besichtigung der Hospitäler und Magazine; endlich ging es über
Mangalia und Kowarna, die das gleiche trübe Bild boten, nach
Varna. Am 9. trafen die 2., 3. und 4. Brigade der Gardeinfanterie
mit ihrer Artillerie ein. Das Belagerungsgeschütz langte jedoch
erst am 15. September an. Es ist dann von beiden Seiten mit
außerordentlicher Hartnäckigkeit gekämpft worden '), und die Aus-
sichten, der Festung bald Herr zu werden, schwanden sichtlich,
als die Türken endlich Anstalten machten, Varna zu entsetzen.
Wie vor Silistria und Schumla waren sie auch bald vor Varna in
der Überzahl. Der Großwesir war über Aidos vorgerückt und
hatte aus Schumla Omer Vrione, berüchtigten Andenkens von
Morea her, an sich gezogen, so daß er im ganzen über ungefähr
30000 Mann gebot. Auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers
beauftragte darauf General Golowin, der zum Korps des Prinzen
Eugen gehörte, den Obristen Grafen Zaiuski, einen der polnischen
Offiziere, die Konstantin geschickt hatte, die Stellung Omer Vriones
zu rekognoszieren. Er gab ihm das Regiment Gardejäger, zwei
Kanonen der Artillerie zu Pferde und ein Detachement Infanterie. Der
commandez labas, et tenez tete ä votre vieux Marechal et employezmon
Dom quand on ne vous ob^it pas." Brief vom 27. August abends, ä bord
du Paris.
0 Nikolai an Konstantin 21. Oktober (2. November): „tempete ... qui
a failli nous faire le voyage de Constantinople^.
^ Moltke, Abschnitt 8, der das technische Detail dieser Belagerungs-
kämpfe gibt, deren Darstellung nicht in unsere Aufgabe f&llt.
266 Kapitel YIII. Der TürkeDkrieg, Kampagne von 1828.
General Härtung, dem als älteremOffizier das Kommando gehörte, wurde
dabei übergangen. Ein junger Offizier, der die Affäre mitmachte,
erzählt den weiteren Verlauf folgendermaßen'): „Ohne eine Avant-
garde auf hinreichende Entfernung vorauszasenden, ohne die not-
wendigen Vorsichtsmaßregeln, zog das unglückliche Regiment auf
einem schmalen Wege durch das kupierte, dicht bewaldete
Terrain und stieß, nachdem es zwölf Werst zurückgelegt hatte,
ganz unvorbereitet auf die bedeutend überlegene Vorhut Omer
Vriones, welche auf einer von dichtem Gehölz umgebenen Fläche,
in nächster Entfernung vor dem sorglos heranmarschierenden
Regiment ihr Lager aufgeschlagen und sich bereits verschanzt hatte
Der ebenso sorglos ohne Vorposten lagernde Feind, durch das un-
erwartete Erscheinen unserer Truppen alarmiert, warf sich auf
seine gesattelten Pferde, brach in großen Massen aus seinem Lager
hervor, umfaßte die von Zaluski unbegreiflicherweise aus dem
schützenden Walde in die offene Fläche vorgeschobenen Kolonnen,
die kaum Zeit hatten, Karree zu formieren, brachte sie durch
wiederholte ungestüme Angriffe in Unordnung, und das überraschte,
von allen Seiten bedrängte Regiment, gleich zu Anfang seiner hohen
Offiziere beraubt, trat seinen verhängnisvollen Rückzug an, der bald
unter dem Anstürmen der feindlichen Kavallerie in eine völlige
Auflösung und regellose Flucht einzelner Teile des Regiments aus-
artete. W^as nicht gleich im Kampfe fiel, wurde abgeschnitten und
später niedergemetzelt. Nur einer geringen Schal* gelang es, unter
dem Schutz des bewaldeten Terrains sich der Verfolgung der Türken
zu entziehen. Vollständig erschöpft, zum Teil verwundet und ohne
Waffen, erreichten sie die vor wenigen Stunden verlassene Position.
Als Oberst Zaluski die verzweifelte Lage erkannte, in die er das
Detachement gebracht hatte, das ihm anvertraut war, war er zu
kleinmütig, das Schicksal seiner Truppen zu teilen. Er zog sich,
noch ehe das Regiment vom Feinde angegriffen und umzingelt
war, mit den ihm beigegebenen zwei Geschützen der Donschen
Artillerie und mit zwei Kompagnien zu ihrer Deckung, die er dem
Regiment entnahm, eilig zurück und erreichte mit dieser kleinen
Abteilung, die übrigen ihrem Schicksal überlassend, wohlbehalten
unsere Aufstellung." General Härtung übernahm den Befehl über
das Regiment erst, nachdem Zaluski sich Rettung suchend entfernt
') Bei Hansen, Zwei Kriegsjahre, S. 117 fr.
Kapitel YlII. Der Tärkenkrieg, Kampagne von 1828. 267
hatte. Härtung fiel als einer der Ersten. Außer ihm verlor das
Regiment zwei Obersten, 15 Offiziere und gegen 500 Unteroffiziere
und Mannschaften, auch die Fahne des 2. Bataillons wurde ver-
mißt. Wenn man bedenkt, daß das Regiment Gardejäger eines
der vornehmsten Regimenter war, dessen Offiziere fast ausnahmslos
der russischen Hofaristokratie angehörten, ist das ungeheure Auf-
sehen verständlich, das diese klägliche Niederlage machte. Man
warf dem Obersten Zaluski nicht nur Feigheit, sondern Yerräterei
vor, und der alte Haß zwischen Russen und Polen wurde wieder
lebendig.
Der Zorn des Kaisers richtete sich wie immer gegen Wittgen-
stein, und Diebitsch, der dem Feldmarschall davon Nachricht gab,
kam jetzt endlich zur Einsicht, daß es nicht möglich sein werde,
gleichzeitig gegen Schumla und Varna zu operieren und daß Varna
vor allem genommen werden müsse'). So entmutigend die
Niederlage der Gardejäger auf die Russen wirkte, so sehr hob sie
die Zuversicht der Türken. Die Besatzung von Varna verteidigte sich
trotz des Minenkrieges, der gegen sie geführt wurde, und trotz der
jetzt mit furchtbarer Wirkung spielenden Belagerungsartillerie, mit
bewunderungswürdigem Heldenmut. Der Großwesir aber verstärkte
das Korps Omer Vriones, der sich nach einer Reihe für ihn günstiger
Gefechte schließlich südwestlich von Varna bei Kurtepe, d. h. Wolfs-
berg, in drei Lagern verschanzte. Der Kaiser, der von der Fregatte
„Paris'' aus die Kriegsereignisse verfolgte und zu leiten versuchte,
mußte von Wittgenstein hören, daß seine Stellung vor Schumla
sich nicht mehr behaupten lasse, es fehle an Fourage, Brot und
Fleisch, auch bereite ihm Omer Vrione Sorge, der jetzt sogar in
seiner starken Stellung die Einnahme Varnas zweifelhaft mache.
Die Antwort Nikolais war, daß Wittgenstein sich trotz allem bis
aufs äußerste behaupten solle; der Prinz Eugen aber erhielt den
Befehl, mit den 6000 Mann und 46 Geschützen über die er ver-
fügte, Omer Vrione über den Kamtschyk zurückzuwerfen. Der Prinz,
dem dieser Befehl am 29. September zuging, beschloß, um die nötigen
Vorbereitungen zu treffen, den Angriff an diesem Tage noch nicht
vorzunehmen und bat den Kaiser um Verstärkung durch die in Pra-
vody zurückgebliebene Brigade Madatow, sowie durch die vor
0 Vgl. in der Anlage die Briefe Diebitscbs vom 12. und 13. September 1828
und die Autwort Wittgensteins vom 13. September.
26S Kapitel VIII. Der Törkenkrieg, Kampagae Ton 1828.
Varna stehende 1. Gardebrigade; als er auch verlangte, daß General
Bistram b, mit dem er kooperieren sollte, seinem Oberbefehl unter-
stellt werde, ließ der Kaiser, der schon einmal angefragt hatte,
weshalb seine Befehle nicht sofort erfüllt würden, ihm am 30.
früh durch den General Diebitsch sagen, daß der Angriff „unver-
züglich^ erfolgen solle. Die erbetenen Verstärkungen aber versagte
er, und dem Prinzen, der inzwischen durch eine Rekonoszierung
sich davon überzeugt hatte, daß er es mit 20 — 30000 Türken zu
tun haben werde, blieb nun nichts übrig, als zu gehorchen und
sofort zum Angriff zu schreiten. Auf ausdrückliche Anfrage hatte
er dem Kaiser sagen lassen, daß er um 2 Uhr vor dem Feinde
stehen werde. Seine Operationen hatten bereits begonnen, als ein
Billett des Kaisers eintraf, das nochmals zu kräftigem Angriff auf-
forderte und Unterstützung durch Bistramb versprach. Es unter-
liegt keinem Zweifel, daß Diebitsch und Suchosanet in unerhörter
Weise gegen den Prinzen intrigirt und ihn im Stich gelassen
haben ^). Das Regiment Asow griff eigenmächtig an ungünstiger
Stelle und zu unrechter Zeit das türkische Lager an und wurde
trotz seiner glänzenden Bravour und trotz des Sukkurses, den der
Prinz schickte, unter ungeheueren Verlusten geworfen. Der Versuch,
in die türkischen Verschanzungen einzudringen und des übermäch-
tigen Feindes Herr zu werden, mißglückte, die vom Kaiser ver-
sprochene Unterstützung von Galata aus kam nicht, und schließ-
lich mußte der Prinz, um einer völligen Niederlage zu entgehen,
den Kampf abbrechen, was er mit bewunderungswürdiger Umsicht
ausführte. Er hatte 1400 Mann verloren, darunter den Brigade-
general Dnrnowo und den Obersten des Regiments Asow. Moltke
hat den Angriff auf Kurtepe gewiß mit Recht „eine der glänzendsten
Waffenhandlungen dieser Kampagne" genannt'). Dem Prinzen
Eugen, der selbst durch einen Streifschuß am Arm verwundet
war, brachte sie keinen Dank. Der Stratege an Bord der „Paris"
*) Eine klassische Schilderung der Schlacht findet sich in den Memoiren
des Prinzen. Vgl. auch die Anlage.
^ Moltke 1. 1. S. 196: „wider seinen Willen zu einer Unternehmung ge-
zwungen, deren Erfolg er bezweifeln mußte, fahrte der Prinz, als ihm nur das
blinde Gehorchen übrig blieb, die gegebenen Befehle mit allem Nachdruck
aus. Nur zwei Bataillone blieben in Reserve, alle übrigen bestanden ein
blutiges Gefecht, wobei die Infanterie, der Unterstützung der Kavallerie und
Artillerie fast gänzlich entbehrend und gleichzeitig im Dunkeln tappend, mit
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 269
sah nur das Scheitern seiner Absichten, und das erschien ihm als
Schuld desjenigen, der das Unmögliche nicht möglich gemacht hatte.
Die Lage war nunmehr allerdings von höchster Gefahr für die
Russen. Wäre der Großwesir ein Mann gewesen, so hätte er die
ganze Kampagne zugunsten der Türkei entscheiden können. Omer
Yrione konnte in Varna eindringen, er konnte den Prinzen Eugen,
der auch jetzt vergebens um Verstärkungen gebeten hatte, verfolgen
und erdrücken und dann im Rücken der vor Varna stehenden Be-
lagerungsarmee — die damals kaum lOüOO Mann zählte — auch
ihr das Verderben bringen. Das ganze Kartenhaus des Scheins
russischer Übermacht mußte zusammenbrechen — in Schumla,
Silistria, vielleicht gar in den beiden Fürstentümern, die eben erst
durch die Umsicht des Generals Geismar (am 26. September durch
seinen Sieg bei Bojeleschti über Ibrahim Pascha, den Seraskier von
Widdin^)) von einer Invasion befreit worden waren, welche Bukarest
bedrohte. Aber von alledem geschah nichts. Omer Vrione blieb
in seinem Lager elf Tage lang. Varna ward nicht entsetzt, gegen
Schumla wurde nichts unternommen, und die Russen konnten unge-
achtet ihrer Schwäche die Belagerung von Varna mit aller Energie
fortsetzen. Am 6. Oktober fand auf Befehl des Kaisers ein Sturm
gegen die Festung statt, aber er wurde von der tapferen Besatzung
abgeschlagen, was ihr jedoch schwerlich gelungen wäre, wenn nicht
im kritischen Augenblicke ein allerhöchster Befehl die Einstellung
des Sturmes befohlen hätte. Der Kaiser konnte das viele Blut-
vergießen nicht ansehen. Er bedachte dabei nicht, daß jeder Tag,
den seine Truppen länger vor Varna lagen, die Hospitäler füllte,
und daß die Opfer, die er durch seine langsame und schlecht vor-
bereitete Kriegführung den Dämonen der Pest und ihren Begleitern
wahrem Löwenmute focht. Uöheren Orts scheint man allerdings den Zweck
ohne die Mittel gewollt zu haben." Auch General y. Nostitz, der die 20. Jäger
und einige Schwadronen Ulanen ins Feuer führte, focht mit hoher Aus-
zeichnung.
1) Ober diese nicht unwichtigen, aber nicht entscheidenden Ereignisse
siehe Moltke 1. I. Abschnitt 11 S. 218 if. und die Biographie Geismars, Russ-
kaja Starina 1881 ßd. XXXII S. 736 ff. Eine der Folgen des nächtlichen
Überfalls des türkischen Lagers war der Fall von Kalafat. Ibrahim war vom
Sultan beauftragt, die russischen Truppen in Moldau und Walachei zu schlagen,
alle Garnisonen der Donau festun gen zusammenzuziehen und die Rückzugslinie
der Russen abzuschneiden. Der Kaiser ernannte Geismar zum Generaladju-
tanten.
270 Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828.
Fieber, Dysenterie, Skorbut zuführte, weit zahlreicher waren, als
alles, was Schwert und Geschoß niedergestreckt hatten ^). So schlich
die Belagerung weiter, und die Stimmung des Kaisers, der von seiner
optimistischen Beurteilung der Lage in das entgegengesetzte Extrem
verfiel, wurde immer trüber, denn Omer Vrione lag noch immer
im Walde von Kurtepe und konnte, wenn er nur wollte, jeder-
zeit die belagernde Armee in die äußerste Bedrängnis bringen.
Noch am 8. Oktober lehnte der Kommandant von Varna die ihm
angetragene Kapitulation ab.
Da geschah etwas völlig Unerwartetes. In der Nacht vom^S.
auf den 9. Oktober fand in Varna „eine Art Aufstand^ statt.
Jussuf Pascha, der Kommandant, hatte, wir wissen nicht wie, in
Erfahrung gebracht, daß der Sultan beschlossen habe, ihn abzu-
setzen und seine Guter zu konfiszieren. Eine Intrige des Serail
hatte sich gegen ihn gewandt, und es scheint, daß er Rache nehmen
wollte. Er verlangte mit dem größten Teil der Einwohner, daß
der Kapudan-Pascha, Izzet Mehmed, die Stadt den Russen äbergebe.
Es ist nicht sicher, ob ihm der Kapudan-Pascha die Genehmigung
erteilte, in Kapitulationsverhandlungen mit den Russen zu treten'),
wahrscheinlich ist es nicht. Doch wie dem auch sei, am 10.
abends erschien Jussuf Pascha im Lager Woronzows, um die L^ber-
gäbe der Stadt anzubieten. Man bewilligte ihm einen Stillstand von
sechs Stunden '). Der Kapudan-Pascha weigerte sich aber, die von
Jussuf Pascha angenommenen Kapitulationsbedingungen anzuer-
>) 1828 starben während der Monate September, Oktober, November in
den stehenden Hospitälern von 100 Kranken je 18,9, 22,3, 23,4! Seydlitz 1. 1.
S. 47. Moltke S. 410 kommt zu folgendem Schluß: «Man darf ohne Über-
treibung annehmen, daß die Russen der erste Feldzug fast die Hälfte ihrer
ganzen Effektivstärke an wirklichen Kombattanten kostete.*
^ Nikolai in seinem Brief an Konstantin vom l./ld. Oktober behauptet
es. „Jussuf Pascha est venu lui-meme au nom du Capitaine-Pascha*, aber
dieses Schreiben enthält auch andere Unrichtigkeiten, wie z. B., daß Izzet Pascha
in Kriegsgefangenschaft geraten sei: ,.le capitaine Pascha se rendit prisonnier
de guerre avec tout ce qui lui restait**, was notorisch falsch ist Daß Jussuf
am Abend im russischen Lager erschien, bezeugt außer Nikolai auch Küster.
Relation vom 11. Oktober.
*) Auch das wird vom Kaiser falsch wiedergegeben. Er schreibt 1. 1^ daß
die Feindseligkeiten nicht eingestellt worden wären: „les hostilites durant, ce
qui expressement avait ete stipule.** Gewiß ein merkwürdiges Beispiel dafür,
wie sich ihm die Wirklichkeit schon 48 Stunden nach den Ereignissen ver-
schieben konnte.
Kapitel VIIL Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 271
kennen. Jussuf blieb nun im russischen Lager und ergab sich für
seine Person der Gnade des Kaisers. Seinen Truppen aber ließ
er den Befehl zugeben, ihm zu folgen ; das ist dann auch geschehen,
und eine große Zahl anderer Truppen schloß sich ihnen an. Es
waren in Summa 2 — 3000 Mann. Da Izzet Pascha trotzdem von
einer Kapitulation nichts wissen wollte, wurde die Kanonade gegen
Varna sofort von allen Seiten mit großer Heftigkeit wieder aufge-
nommen, nur ließ der Kaiser auf Bitten Jussufs die schon gefüllten
Minen nicht sprengen. Der Kapudan-Pascha aber schloß sich in
der Zitadelle ein, einem alten Bau aus den Tagen Justinians, den
die Genuesen wieder instand gesetzt hatten, und drohte, sich mit
seinen Leuten und der Stadt in die Luft zu sprengen, wenn ihm
nicht freier Abzug gewährt werde. Das ist ihm dann schließlich
bewilligt worden, und mit BOO seiner Helden zog er, wenngleich
ohne Waffen, dem Großwesir zu. Dann folgte der Einzug der
Russen in die verwüstete Stadt. Sie hatte sich 89 Tage lang be-
hauptet. „Es ist^, schreibt der Baron Bourgoing dem Herzog von
Mortemart am 12. als Augenzeuge, „es ist unmöglich, eine schönere,
längere und unbegreiflichere Belagerung in einem schlechteren Platz
zu bestehen. Man würde ihn bei uns für unhaltbar erklären.'^
Moltke aber urteilt, daß die Verteidigung von Yarna wohl
verdiene, unter den ruhmreichsten genannt zu werden, welche die
Geschichte kenne.
Er hat auch reiches Lob für die Tapferkeit der Russen. Die
höchste Anerkennung, sagt er, gebührt den Generalen Menschikow
und Woronzow, den Ingenieurgeneralen Trousson und Schilder, den
tapferen Soldaten der Marine und des Landheeres.
über die Schuld, die der Kaiser an den Fehlern und Ver-
lusten des Feldzuges hat, geht er leise andeutend hinweg ^). Omer
Vrione verließ am 12. seine Stellung in Kurtepe in höchster Eile,
um nach Burgos zurückzugehen. Die Möglichkeit war damit ge-
geben, über ihn mit den vor Varna freigewordenen Truppen auf
dem Marsch herzufallen. Aber der Kaiser begnügte sich damit.
*) Im Jahre 1845, als Moltkes Russisch-türkischer Feldzng erscbieo, war
es undenkbar, daß in einem Werk, das von einem preußischen Generalstabs-
offizier verfaßt und gezeichnet war, offener Tadel gegen den Kaiser
Nikolaus ausgesprochen wurde. Die Ausgabe von 1877 bringt einige nicht
unwesentliche Änderungen, auf welche Schilder in seiner russischen Ausgabe
1876 — 1883 gelegentlich aufmerksam macht.
272 Kapitel VIII. Der Turkenkrieg, Kampagne yoq 1828.
den Prinzen Eugen zu beauftragen, mit seinem schwachen Korps
Omers Rückzug zu belästigen, und das ist, so weit es möglich war,
geschehen. Es war jedoch eher eine Demonstration als eine wirkliche
Gefährdung der Türken, der Prinz Eugen hatte die Mittel nicht,
um ihnen dauernd an den Fersen zu bleiben; mit verhältnismäßig
kleinen Verlusten brachte der Pascha sein Heer in Sicherheit^).
Es wurde nun ein feierlicher Dankgottesdienst im russischen Lager
abgehalten. Am 13. Oktober ritt der Kaiser in das verwüstete
Varna ein.
Damit hatte die Kampagne von 1828 ihr Ende gefunden. Es'
wurden in aller Eile Anordnungen getroifen, um die russischen
Truppen in ihre Winterquartiere zu bringen. Man beschloß, die
Blockade von Schumla aufzugeben, und die Truppen teils bei
Satunowo über die Brücke, auf der die Russen so voller
Illusionen ihren Einmarsch in die Türkei vollzogen hatten,
teils bei Silistria, das man noch zu nehmen hoffte, bevor
die Donau sich mit Eis bedeckte, in die Fürstentümer
zu führen. Die Garde sollte gleichfalls unter Führung des
Großfürsten Michail die Donau überschreiten und in der Umgegeud
von Tultschin, wo in Friedenszeiten das Hauptquartier der zweiten
Armee war, überwintern, in Varna eine starke Garnison gelegt
und in Bulgarien Pravodi, Basardschik, Küstendsche und die kleinen
Festungen an der Donau besetzt werden. Für das Hauptquaiiier
wurde Bukarest bestimmt, es ist jedoch nach Jassy verlegt worden,
da Bukarest durch die Pest allzusehr verseucht war. Diebitsch
wurde beauftragt, beim Feldmarschall Wittgenstein zu bleiben.
Den Kaiser drängte es, möglichst bald nach Petersburg zurückzu-
reisen. Am 15. Oktober segelte er auf dem Linienschiff „Kaiserin
Maria^ nach Odessa. Wiederum hätte ein furchtbarer Sturm, der
26 Stunden andauerte und die „Kaiserin Maria" 10 Meilen von
ihrem Kurs abführte, ihn beinahe auf das türkische Ufer ge-
0 BourgoiDg besichtigte noch Tor dem 14. Oktober die Lager von
Kurtepe und schreibt darüber: „L'infection de ce camp ne peut se decrire, et
dans la terreur de sa retraite precipitee, Omer avait abandonne toutes
les tetes Russes que j'ai rencontrees en grand nombre dans les bois; on les
reconnaissait ä la chevelure blonde. J^ai trouve aussi des malades turcs
morts ou expirants, ce qui prouve mieux que tout la crainte dont ils ont ete
saisis.^ Er vergrub im russischen wie im türkischen Lager zu ewigem Andenken
Münzen mit dem Bildnis Karls X.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 182a 273
worfen *), aber schließlich erreichte er doch sein Ziel. Am 20. Okto-
ber verließ er Odessa, am 26. endlich traf er in Petersburg ein.
Der Abmarsch der Rassen in ihre Winterquartiere vollzog sich
unter großen Schwierigkeiten. General Rudzewitsch, der bestimmt
war, den Teil der Armee von Schumla, der nach Silistria sollte,
also das 3. Korps, zu decken, wurde von Hussein Pascha an-
gegriffen und erlitt empfindliche Verluste, dagegen gelangten die
Trümmer des 6. und 7. Korps unbehelligt nach Varna, wo sie die
entsetzlichsten Quartiere fanden. Graf Langeron, der den Ober-
befehl über die Belagerungstruppen von Silistria fährte und die
Festung zu Fall bringen sollte, hielt es schon am 2. Oktober für
wahrscheinlich, daß er sich nicht werde behaupten können. Vom
3. bis 5. fielen dann wolkenbruchartige Regengüsse, die den Auf-
enthalt im Lager fast zur Unmöglichkeit machten. Langeron mußte
eine Kanonenschaluppe zu seinem Hauptquartier machen. Als der
Regen aufhörte, folgte ein Schneesturm, danach eisige Kälte. Alles
Schlachtvieh kam um, und die unglücklichen Soldaten mußten sich
von den Kadavern der gefallenen Tiere nähren. Da ordnete Lan-
geron die Aufhebung der Belagerung und den Abmarsch an. Am
7. November überschritten die ersten drei Divisionen die Donau.
Aber in welchem Zustande! Ermattet und entmutigt, fast völlig
abgestumpft; denn es gibt einen Grad von Unglück, bei dem
schließlich Denk- und Empfindungsvermögen versagen. Das
Schlimmste war das Fehlen fast jeder ärztlichen Hilfe und der
unerhörte Zustand der Feldlazarette und Hospitäler. Selbst in
Odessa, wo doch das Auge von Kaiser und Kaiserin hinreichte,
waren die Mißstände in den Hospitälern ganz unerträglich'), aber
der Zustand der dort liegenden Kranken war beneidenswert
*) Fast noch schlimmer erging es der militärischen und diplomatischen
Suite des Kaisers, die auf dem „Panteleimon^ nach Odessa geführt wurde. Der
'Herzog von Mortemart bat darüber einen höchst drastischen Bericht (vom
19. Oktober) nach Paris geschickt, der von der unerhörten Unfähigkeit des
russischen Kapitäns zeugt.
^) „Les fievreux, les blesses, les amputes meme n^ont pas de matelats,
pas de draps, pas de paillasses; ils sont couches sur des lits de camp
immenses sur lesquels le Chirurgien doit grimper pour faire ses pansements,
un tres petit nombre seulement a des couvertures, le linge ä pansement, la
charpie, les medicaments manquent tres souvent etc." Relation Chassage aus
Odessa, den 17. November. Paris Depot des äff. etrang, Russie vol. 176
fol. 250.
Schiemanii, Geschichte Rußlands IL 18
274 Kapitel VIH. Der Türkeokrieg, Kampagne von 1828.
im Vergleich zu dem, was die Kranken in den Hospitälern Bul-
gariens und der Fürstentümer ertragen mußten. Es spottet jeder
Beschreibung. In Jassy^) trafen z .B. Mitte November aus Silistria
500 Kranke und Verwundete ein, die nur von einem Feldscher
geleitet wurden, darunter Soldaten, die vor 14 Tagen amputiert
waren und noch ihren ersten Verband trugen, während andere
überhaupt noch nicht verbunden waren.
Wittgenstein, Kisselew und Diebitsch trafen am 19. November
in Jassy ein; dort blieb Wittgenstein mit der Verantwortung für
die in den Winterquartieren liegenden Truppen zurück, während erst
Kisselew, dann auch Diebitsch nach Petersburg berufen wurden,
wo große Entscheidungen zu treffen waren.
Benkendorff faßt die Resultate der Kampagne folgendermaßen
zusammen. Wir haben gewonnen in der Türkei: „Die Moldau, die
große und kleine Walachei, einen bedeutenden Teil von Bulgarien,
8 Festungen, 957 Kanonen, 180 Fahnen, 9 Paschas und über
22000 Kriegsgefangene').
In der asiatischen Türkei: 6 Festungen, 3 Befestigungen,
313 Kanonen, 195 Fahnen, 8 Paschas und über 8000 Ge-
fangene . . .
Aber Krankheit, Kälte und der Feldzug in einem verwüsteten
Lande haben die Reihen der Truppen stark gelichtet. Die Kavallerie
hat fast alle ihre Pferde verloren. Die Artillerie, die weniger ge-
litten hat, konnte sich gleichfalls nicht mehr im Felde behaupten.
Alle Teile der Armee sind völlig desorganisiert. Zum Glück haben
die Türken es nicht verstanden, unsere traurige Lage auszu-
nutzen."
Die Pforte hatte die Nachricht von der Einnahme Varnas
einige Tage geheim gehalten. Als sie bekannt wurde, war die
Aufregung groß, aber dem Sultan steigerte sie nur den Kriegseifer.
Er schickte den Bostandji-Baschi, den Chef seiner Leibgarde, in
das Lager des Großwesirs, ließ ihm die Reichssiegel abnehmen
und verbannte ihn vorläufig nach Gallipoli*). An seine Stelle
trat der tapfere Izzet Pascha, der in Varna die Ehre der Türken
») Relation Lugan. Jassy, 20. November 1828. Paris 1. 1. fol. 254.
3) Diese unglucklicben türkischen Gefangenen sind zum großen Teil auf
dem Marsch in die ihnen bestimmten Quartiere umgekommen, was gewiß eine
der schmählichsten Tatsachen dieses elenden Krieges war.
') Die Absetzung des Großwesirs wurde am 27* Oktober bekannt gegeben.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne Ton 1828. 275
bis zuletzt behauptet hatte, zum Kapudan-Pascba wurde Ahmed
Bey ernanot. Gleichzeitig wurden große Aushebungen in Asien
befohlen und in Konstantinopel 30000 Rekruten der Bevölkerung
abgezwungen. Sie sollten nach Adrianopel geführt werden. Ein
Regiment Kavallerie und drei Regimenter regulärer Infanterie
wurden in das Lager von Kara Bunar^) geschickt. Der Sultan
selbst dachte sich an die Spitze seiner Truppen zu stellen, wurde
aber durch die Ratschläge ') seiner Minister und der Ulemas zurück-
gehalten. Dieser kriegerische Eifer erlahmte auch bald, man kam
bei der Pforte zur Erkenntnis, daß ein Winterfeldzug nicht möglich
sei. Die schwachen russischen Besatzungen in ihren bösen
Quartieren blieben unbelästigt. Übrigens wurden die Truppen gut
verpflegt. Die Offiziere, denen der Kaiser bei seinem Erscheinen
auf dem Kriegsschauplatz das Kartenspielen verboten hatte, ent-
schädigten sich jetzt nach der langen Entbehrung. Der Divisions-
adjutant Joseph Dubecki, der in Basardschik lag, schreibt darüber:
„Die gewöhnliche Beschäftigung in unserem Kreise war: Karten-
spielen, Mittagessen, Wein; Kartenspielen, Abendessen, W^ein;
Karten überall, Tag und Nacht, Karten und wieder Karten — und
selten, sehr selten hie und da ein Buch oder ein Briefe ^). Es wurde
sehr stark getrunken, noch mehr freilich während des Feldzuges, als die
Karten fehlten. Trunkenheit der Offiziere, sogar der Generale, wird
mehrfach bezeugt. In den Winterlagern in der Moldau und Walachei
wurden mit den galanten Frauen, die in W^agenladungen zugeführt
wurden, wüste Orgien gefeiert. DieAufgabe, Disziplin und Ordnung auf-
recht zuerhalten und die Truppen für den bevorstehenden Feldzug vor-
zubereiten, war unter diesen Umständen ganz außerordentlich
schwierig. Ein wahres Glück, daß die Türken stille hielten. „Aber
— schreibt Dubecki — „die Türken lieben den Winterfeldzug
ebensowenig wie wir sündige Menschen.^ Sie taten nichts, um
die Russen aus ihrem leichtfertigen Treiben aufzurütteln. Die
Türkei schien in Apathie zu verfallen, und nur auf dem Felde
der Diplomatie zeigte sie die alte Entschlossenheit, von ihren An-
sprüchen und Rechten kein Titelchen aufzugeben.
1) An der Maritza südlich von Adrianopel.
2) Tatischtschew an Wittgenstein. Wien, 8./20. November 1828. Wojenno
ü. Arch. 2714.
«) Russkaja, Starina 1895 II S. 100.
18*
276
Kapitel VIII. Der Tarkenkrieg, Kampagne von 1828.
2. Der Feldzug Paskiewitschs in Asien.^)
Während in der europäischen Türkei der Feldzug der Russen
nur dank der Unfähigkeit der Türkei nicht in eine völlige
Katastrophe ausgemündet war, hatte in der asiatischen Türkei Pas-
kiewitsch in der Zeit von 2 7s Monaten eine Reihe glänzender
Erfolge errungen, die durch keinen Fehlgriff getrübt wurden.
^Kutaä
Erovurv
o
^BSERUM
Maßstab 1.3000000.
'^ff I ■ ■ I y
HB»
'; Fürst Schtscherbatow, Generalleutnant im Oeneralstabe: Generalfeld-
marschall Fürst Paskiewitsch, sein Leben und seine Tätigkeit. Nach unge-
druckten Quellen. Bd. III, Petersburg 1891. Russisch. Wir begnügen uns
mit einem raschen Oberblick über die [wesentlichsten Kriegsereignisse. Auf
den Krieg in der europäischen Türkei ist dieser asiatische Feldzug fast ohne
EinfluB gewesen.
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 277
Das Charakteristische des zwischen Russen und Türken in
Asien damals möglichen Kriegsschauplatzes ist, daß alle Straßen,
die aus dem russischen Georgien in das türkische Territorium
führen, in Erzerum zusammentreffen, während umgekehrt alle
Straßen die aus Tärkisch-Asien nach Georgien hineinführen, in
Tiflis zusammentreffen. So mußten Tiflis und Erzerum die Objekte
der beiderseitigen Kriegführung werden. Verbunden waren sie
durch drei Straßen, von denen die nördlichste durch das Tal des
Kur über Achalzych führt, die südliche über Eriwan und Topra
Kaie, die mittlere in zwei Verzweigungen in Kars zusammentraf:
Tiflis — Gumri und Tschalka — Achalkalaki. Diese mittlere Straße,
die Paskewitsch wählte, war auf türkischem Boden durch Kars
und in einer Verzweigung durch Achalkalaki gedeckt, auf russischem
durch das befestigte Dorf Gumri und das Fort Tschalka. Der
einzig mögliche Stützpunkt für eine russische Armee war^ Eriwan,
während die Türken zwei solcher Punkte in Kars und Achalzych
hatten. Bei Beginn des Feldzuges lagen alle strategischen Vorteile
auf Seiten der Türken, und auch an Truppenzahl waren sie den
Russen weit überlegen, da auf den ersten Ruf jederStadtbewohner völlig
bewaffnet in die Reihen der Truppen eintreten mußte. Er wurde
dafür von allen Abgaben befreit. Brach ein Krieg aus, so wurden die
Beys mit der ihnen untergebenen Mannschaft aufgeboten, so daß
das ganze Volk am Kriege teilnehmen mußte. Ein manövrier-
fähiges Heer ergab sich daraus freilich nicht, und das bedingte die
große Überlegenheit der Russen').
Als die russische Kriegserklärung an die Türkei erfolgte,
hatten die Türken in Kars, Achalzych und Erzerum gegen
40000 Mann. Ihre gesamte Kriegsmacht in den vier in Betracht
kommenden Paschaliks Kars, Bagdad, Erzerum, Trapezunt läßt
sich auf zirka 100000 Mann schätzen. Am 18. April rückten
weitere 10000 Mann in Achalzych, 6000 in Kars ein. Der Seras-
kier von Erzerum, Galib Pascha, mehr Administrator als Militär,
sorgte dafür, daß diese Festungen für 6 — 8 Monate verproviantiert
wurden. Den Oberbefehl übertrug er dem tapferen Kios Mahmud
Pascha, der alle zu den nächsten russischen Festungen führenden
Straßen durch seine Kavallerie besetzen ließ.
') Baeyer, Der Feldzug der Russen in Asien 1828/29. Manuskript im
Archiv des preußischen Generalstabs. Ausgeführt ist nur der Abschnitt über
den Feldzug von 1829.
278 Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne yon 1828.
Paskiewitsch, in dessen Absicht es lag, sich zunächst gegen Kars
zu wenden und eine Konzentrierung der Türken zwischen Kars
und Achalzych zu verhindern, war entschlossen seinen Feldzug
nicht vor Anfang Juni zu beginnen. Die aus Persien zurück-
kehrenden Truppen sollten sich erholen und neu ausgerüstet
werden, auch wollte er eine Militärstraße nach Gumri*) fertig-
stellen, wo er seine Proviantmagazine, die Hospitäler und
Artillerieparks konzentrierte. Mitte April war die russische Grenze
gegen Überraschungen gesichert. In Imeretien und Guriel stand
Generalmajor Hesse, in Karthalinien General Popow, der General-
leutnant Fürst Wadbolski, auf der Linie Zulki, Sardarabad, Talyn;
in Eriwan der Fürst Tschawtschawadse. Es wurden außerdem
14000 Mann Infanterie, 2000 Pferde und 42 Geschütze diesseits des
Kaukasus zurückgelassen, weil die Stimmung der mohammedanischen
Bevölkerung Aufstände befürchten ließ. Da in Teheran ein
türkischer Pascha erschienen war und Paskiewitsch englische Intrigen
fürchtete, legte er auch einige Bataillone nach Urmia und Nahi-
tschewan. Damit meinte er allen Überraschungen vorgebeugt zu
haben. Für die aktive Armee blieben ihm freilich nur 14000 Mann. *)
Aber sie lagen in seiner Hand, und er hatte nicht zu befürchten,
daß ihm jemand seine Zirkel stören werde. Am 22. Juni traf er
in Gumri ein, mit Generalmajor Baron Osten-Sacken, einem un-
gewöhnlich tüchtigen Offizier als Stabschef, und am 26. wurde die
Grenze überschritten. Paskiewitsch schlug die Straße gegen Kars
ein. In dieser Festung lagen 6000 Mann Infanterie und 7000 Mann
vorzüglicher Kavallerie, auch wußte Paskiewitsch, daß Kios Mahmud
Pascha mit 15000 Mann im Anmarsch war. Aber er vertraute
seinen Truppen und der Überlegenheit seiner Kriegskunst. 16 Werst
vor Kars hatte er die erste Fühlung mit der Vorhut des Feindes.
Als er darauf eine forzierte Rekognoszierung unternahm, wurde er
von 5 — 6000 Reitern angegriffen; das brachte ihm seinen ersten
wichtigen Erfolg. Paskiewitsch ließ sein Zentrum zurückweichen,
umklammerte darauf den Feind mit beiden Flügeln und warf ihn
schließlich in die Flucht. Die Türken ließen 300 Tote und Ver-
') Hart an der russischen Grenze, östlich von Kars.
^) Die Gesamtstärke der Russen berechnet Major ßaeyer, Hauptmann im
preußischen Generalstabe, in seiner Arbeit die wahrscheinlich gleich nach dem
Kriege entstand folgendermaßen: Infanterie 38250 Mann, Kavallerie 7150
Mann, Artillerie 12 Batterien = 144 Geschütze.
Kapitel VIII. Der Törkenkrieg, Eampagae Ton 1828. 279
ivundete zurück, während die rassischen Verlaste nur ganz gering-
fügig waren. Das geschah am 30. Juni, und die Russen schlagen
nun ihr Lager drei Werst von Kars auf der Straße nach Erzerum
auf. Da diese Festung, die den Orientalen für unüberwindlich galt,
nach Süden nur schwache Befestigungen hatte, beschloß Paskie witsch
seinen Angriff dahin zu richten. Er besetzte am 1. Juli eine
Position gegenüber den die Festung beherrschenden Höhen von
Scharach, ließ Batterien herstellen, und nach längerem Geschütz-
kampf nahm er schließlich die Höhen, auf denen die ganze Garnison
von Kars stand, mit Sturm, ohne daß ein Schuß abgegeben wurde;
auch Karadagh, die äußerste türkische Befestigung auf den Höhen
östlich von Kars, fiel in gleicher Weise in seine Hände. Als nun
die Truppen auch in die Stadt zu dringen begannen, wurde eine
weiße Fahne über der Festung gehißt, und nach zweistündigen
Verhandlungen, in deren Verlauf Paskiewitsch alle seine Geschütze
gegen die Zitadelle richten ließ, kapitulierte die Festung, und der
Kommandant Mahmud Pascha mit der ganzen Garnison gab sich
kriegsgefangen.
Während des Sturmes der Russen hatte Kios Mahmud Pascha
80 Werst von der Festung gestanden. Es war seine Absicht ge-
wesen, die Höhen von Scharach zu besetzen, aber er war 24 Stunden
zu spät aufgebrochen, und Kars blieb den Türken verloren. Auch
traf sie ein anderer empfindlicher Schlag. Schon vorher, am
27. Juni, hatte Generalmajor Hesse die Küstenfestung Poti ohne
jeden Kampf eingenommen und besetzt. Die Garnison wurde in
die Heimatsdörfer entlassen. Schon jetzt war dadurch der türkische
Feldzugsplan unausführbar geworden.
Die Absicht des SeraskiersGalib war ursprünglich mit zwei Heeren
in russisches Gebiet einzudringen: aus Achaizych in Imeretien
und aus Bajazet in das Eriwansche. Aber übertriebene Gerüchte
von der in Gumri konzentrierten russichen Macht hatten ihn ver-
anlaßt sich auf die Verteidigung von Kars zu beschränken, die, wie
wir wissen, ein so klägliches Ende nahm. Aus Erzerum waren 15000
Mann mit 18 Geschützen unter Kios Mahmud und hinter ihm Mustafa
Aga mit 12000 Reitern aufgebrochen. Auf die Nachricht vom Fall
von Kars blieb nun Kios Pascha bei Ardahan stehen, um seine
Vereinigung mit Mustafa zu vollziehen. Das wurde auch glücklich
erreicht, und die Türken nahmen darauf bei Hassan Kaleh 30 Werst
vor Erzerum Stellung.
280 Kapitel VIII. Der Tärkenkrieg, Kampagne Ton 1828.
Paskiewitsch ließ in Kars den General Bergmann mit 1500 Mann
zurück and wollte am 8. Juli gegen Achalkalaki, Achalzych und
Ardahan vorgehen. Da zeigten sich am 7. Pestfälle unter den
gefangenen Türken, am 8. auch unter den Russen. Es wurde nun
sofort eine strenge Quarantäne gegen Kars verordnet, und das
russische Heer bezog ein Lager bei Tykma in der Nähe der Stadt,
das völlig von ihr abgeschieden war. Dort lag es 20 Tage lang. Aber
zum Glück nahm die Seuche bald ab, und endlich erlosch sie ganz.
Den Türken kam dieser gebotene Stillstand zustatten. Kios Pascha
verstärkte sich in Hassan Kaleh auf 20000 Mann, und in Achalzych
konzentrierte sich ein Heer von 10000 Mann. Trotzdem, und ob-
gleich jetzt die Pest im Eriwanschen ausbrach, gab Paskiewitsch
seinen Kriegsplan nicht auf Er beauftragte Bergmann im Fall
eines Angriffs auf Kars, sich auf die Höhen und in die Zitadelle
zurückzuziehen und dort Entsatz abzuwarten, dagegen die Stadt
und die im Tal liegenden Befestigungen nicht zu verteidigen, und
rückte selbst gegen das zirka 100 Werst entfernte Achalkalaki vor.
Dort stieß er anfangs auf entschlossenen Widerstand; als aber
eine Bresche in die Mauer geschossen war und Oberst Borodin
und Baron Osten-Sacken in die Stadt eindrangen, kapitulierte der
Kommandant Forchat Bey mit den noch übrigen 300 Mann. Auch
hier kamen türkische Entsatztruppen zu spät. Am 6. August
mußten sie kehrt machen. Nun wandte sich Paskiewitsch am
13. August gegen Achalzych, unter dessen Mauern Kios und
Mustafa mit 30000 Mann standen, dazu kam noch die
Festnngsgarnison von 10000 Mann. Am 17. August näherten sich
ihnen die Russen. Sie legten sofort ein befestigtes Lager an.
Paskiewitsch wollte den Feind in seinem Lager aufsuchen und
gleichzeitig gegen die Ostseite von Achalzych stark demonstrieren.
Aber dieses nicht unbedenkliche Wagnis blieb ihm erspart. Kios
Pascha hatte beschlossen, seinerseits das russische Lager anzu-
greifen. Er rückte von der Festung ab, verließ sein Lager, und
marschierte direkt auf die russische Position zu. Sobald Paskie-
witsch die Absicht des Feindes erkannte, besetzte er in ungemein
günstiger Stellung ein Hochplateau, dessen eine Seite durch den
Kur gedeckt wurde. Es war der 21. August. Als nun die Türken
anstürmten, wurden sie unter großen Verlusten zurückgeschlagen.
Aber Kios Pascha brachte den Rückzug seiner Leute zum Stehen
und führte sie noch einmal gegen den Feind; sie fochten, wie es
Kapitel VIII. Der Türkenkrieg, Kampagne von 1828. 281
im Kriegsjournal von Paskiewitsch heißt, „mit rasender Tapfer-
keit^, aber das Kreuzfeuer der russischen Artillerie zermalmte
ihre Reihen, und schließlich löste sich alles auf in wilder, regel-
loser Flucht. Paskiewitsch ersparte seinen ermüdeten Truppen zunächst
eine längere Verfolgung. Als er nach einigen Stunden der Er-
holung gegen das türkische Hauptlager vorging, dessen Redouten
von nur 1500 Mann verteidigt wurden, konnte es mit geringer Mühe
genommen werden, ebenso drei andere Lager, zwischen denen die
türkische Reiterei sich zu behaupten versuchte. Die Türken waren
durch die Schnelligkeit des russischen Vorgehens so verwirrt, daß
sie sich in keiner der von ihnen sorgfältig befestigten Positionen
zu geschlossener Verteidigung zusammenzufinden vermochten. Nur
5000 Mann retteten sich in die Festung, unter ihnen auch Kios
Pascha, der am Fuß verwundet war, alles übrige stob auseinander
und wurde jetzt noch 30 Werst weit von der russischen Kavallerie
verfolgt. Es war in der Tat ein glänzender Erfolg. 10 Fahnen,
10 Geschütze, die vier Lager mit all ihrem Bedarf fielen den
Russen zur Beute. Sie hatten den General Koroljkow und 7 Ober-
offiziere an Toten, 22 an Verwundeten verloren. Von der Mann-
schaft waren nur 80 gefallen und 375 verwundet.
Die Lage von Achalzych war trotzdem keineswegs verzweifelt.
Die Festung hatte 70 Geschütze und jetzt 15000 Mann Besatzung,
dazu stand 50 Werst von Achalzvch der Pascha von Meidan mit
einem Heere von 10000 Mann. Paskiewitsch aber hatte nur noch
für sieben Tage Proviant, und es war fast unmöglich, aus Georgien
Zufuhr zu erhalten. Es charakterisiert diesen Mann, daß er unter
solchen Umständen beschloß, die Festung zu stürmen. Noch am
Abend des Schlachttages wurden die ersten Vorbereitungen dazu
getroffen. In der Nacht vom 26. auf den 27. August begann die
Beschießung der Festung, und nachdem eine Bresche geschossen
war, um Mittagszeit ein wilder Sturm. Die Russen drangen in
die Stadt, die von Straße zu Straße in schrecklichem Gemetzel
erobert werden mußte. Aber mit furchtbarer Erbitterung wehrten
sich die Türken. Da ließ um 7 Uhr abends Paskiewitsch die Stadt
in Brand stecken. „Das Feuer nahm bald einen solchen Umfang
an, daß die Verteidiger sich zurückziehen mußten. Die Nacht bot
das schrecklichste Schauspiel. Die Flammen verschlangen den
sudlichen und westlichen Stadtteil, der verzweifelte Feind setzte
das Feuergefecht fort, rettete sich in die Zitadelle oder suchte
282 Kapitel VIII. Der Turkenkrieg, Kampagne Ton 1828.
eine Zuflucht in den Häusern und fand dort den Tod in den
Flammen. Granaten aus den Mörsern und Raketen steigerten das
Entsetzen der Verteidiger von Achalzych. Die Bewohner in großer
Zahl, vornehmlich die Frauen, verließen die Stadt und flohen zum
Lager hin, ein Teil der Garnison ergriff die Flucht". So lautet
die Aufzeichnung in Paskiewitschs Kriegsjournal*). Trotzdem hielt
sich der Feind noch in der östlichen Vorstadt. Sie wurde vom
grusinischen Regiment erobert und unter anderem zwei Einhörner
erbeutet, die vor 18 Jahren General Tormasow hier verloren hatte.
Der Straßenkampf dauerte noch durch die ganze Nacht. Der
Überrest der Garnison hatte sich in die Zitadelle zurückgezogen,
es waren nur noch 4000 Mann. Als sie am Morgen des 22. um
Anknüpfung von Verhandlungen baten, gewährte ihnen Paskiewutsch
freien Abzug, nicht nur aus Anerkennung der tapferen Verteidigung,
auch das eigene Interesse trieb ihn dazu. Er konnte unmöglich
lange vor der Zitadelle liegen, und es ließ sich nicht vorhersehen,
wie lange sie von den Verzweifelten noch gehalten werden
konnte.
Der Erfolg, der moralische wie der materielle, war zudem un-
geheuer. Er erbeutete 52 Fahnen, 70 Geschütze, alle Vorräte an
Kriegsmaterial und Proviant, soweit sie nicht von den Flammen
vernichtet waren. Seine Verluste betrugen 600 Gemeine 40 Ober-
offiziere und 2 Stabsoffiziere.
Da auf diesen Höhen der Winter früh einbricht, ließ sich an
ein Vorgehen gegen Erzerum nicht mehr denken. Paskiewitsch
begnügte sich, Achalzych sorgfältig zu befestigen, um es gegen
einen Überfall zu sichern. Bald danach kapitulierte ohne Kampf
Azkur, danach ergaben sich ebenfalls kampflos auch Bajazet,
Diadin und Topra-Kale dem Fürsten Tschawtschawadse. Der um
Erzerum besorgte Seraskier hatte diese kleinen Festungen fast ohne
Garnison gelassen.
Am 5. Oktober konnte Paskiewitsch dem Kaiser melden: daß
die Fahnen Sr. Majestät von den Höhen des Euphrat wehen.
Die letzte Tat Paskiewitschs war die Vertreibung der Fürstin
Sophie von Gurien, die des Einverständnisses mit dem Pascha von
Trapezunt beschuldigt wurde. Ihr Gebiet wurde dem russischen
Reiche einverleibt.
') Schtscherbatow 1. 1. Ill, 135.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 283
So endete für Asien die Kampagne des Jahres 1828.
Aber mit wieviel größerer Genugtuung konnte Paskiewitsch auf
sein Werk blicken als die unglücklichen russischen Feldherren in
der europäischen Türkei. Auch sie wären wahrscheinlich glück-
licher gewesen, wenn nicht der Kaiser durch sein Erscheinen und
sein stetes Eingreifen jede Einheitlichkeit der Kriegführung zerstört
hätte. Mit dem Prinzen Eugen als Oberbefehlshaber hätte es wohl
einen anderen Ausgang gegeben ! Die Verluste Paskewitschs waren
unvergleichlich geringer, trotz seines steten Stürmens, als die der
europäischen Armee. Fast unversehrt konnte er sein kleines Heer
in die Winterquartiere führen und die Vorbereitungen zu einem
zweiten Feldzuge treffen, der auch hier unzweifelhaft bevorstand.
Sultan Mahmud setzte auf die Nachricht von dem Fall von
Achalzych den Seraskier Gälib Pascha ab und ernannte den Pascha
von Meidan, Saleh, zu seinem Nachfolger. Der richtete all seine
Energie auf die Befestigung von Erzerum und auf die Ausbildung
seiner Truppen. Im Januar 1829 mußte er 50000 Mann bei-
sammen haben.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
Kaiser Nikolaus traf nach sechstägiger beschwerlicher Fahrt
auf den vom Herbstregen fast uufahrbar gewordenen russischen
Wegen am 26. Oktober, frühmorgens, in Zarskoje Sselo ein. Er
hatte noch rechtzeitig zum Geburtstag der Mutter in Petersburg
sein wollen und liebte es, zu überraschen. Es mag noch ein an-
deres Motiv mitgespielt haben. Ihm war der Einblick in die
erbarmungslose Wirklichkeit des Krieges, die alle Illusionen zer-
störte, in denen er sich zu bewegen gewohnt war, schließlich ganz
unerträglich geworden. In Petersburg umgab ihn eine andere
Atmosphäre; nicht Blut, Gestöhne der Verwundeten und Kranken,
nicht die Unordnung, die die Reihen seiner schönsten Regimenter
aufgelöst hatte; die Wirklichkeit widerlegte nicht so rücksichtslos
und so unmittelbar die Zweckmäßigkeit der Verfugungen, durch
die er persönlich in den Gang der Ereignisse eingriff. Der Feld-
zug, der hinter ihm lag, hatte sein Selbstgefühl schwer getroffen.
Ihm war zu Mute, wie Alexander nach der Schlacht bei Austerlitz.
Er konnte sich nicht verhehlen und hat es auch mehrfach aus-
gesprochen, daß seine Anwesenheit nicht günstig gewirkt hatte.
284 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
Erst in Petersburg war er wieder der allmächtige unumschränkte
Herr, hinter dem die gemeinen Sorgen im „wesenlosen Scheine^
lagen und der von hoher Warte aus, ohne seine Prinzipien preis-
geben zu müssen, die Geschicke Rußlands und den Gang der großen
Politik in die Bahnen leiten konnte, die zu seinen Zielen führten.
Er hielt sich in Zarskoje nur so lange auf, als unerläßlich war, um
die Spuren der angestrengten Reise zu beseitigen, dann brach er
nach Petersburg auf. Er wollte die beiden Kaiserinnen bei dem
Morgengottesdienst überraschen, wenn der ganze Hof in all seinem
Glänze sie umgab. Als er sich dem Winterpalais näherte, erkannten
ihn die Soldaten der Chevalier-Garde, die am Ufer der Newa in
zwei Eskadrons aufgestellt standen, um die Trophäen von Varua
zu empfangen und sie im Triumph durch die Straßen der Residenz
z\x führen. Das war doch ein anderes Bild, als das der todmüden
Truppen, die er über Leichen und Trümmer in das verwüstete
Varna gefuhrt hatte. Aber im Winterpalais empfing ihn die Nach-
richt, daß statt der erwarteten Festfeier alles in banger Sorge war
um seine Mutter, die alte Kaiserin Maria Feodorowna.
Sie hatte die Illusionen geteilt, mit denen ganz Rußland den
Beginn des Türkenkrieges begleitete, und war, als schließlich
immer ungünstigere Nachrichten einliefen, in einen Zustand tiefer
Erregung geraten. Die Freude über den Fall von Varua zerrüttete
dann vollends ihr Nervensystem, auch hatte sie sich während des
Dankgottesdienstes, mit dem die Nachricht gefeiert wurde, erkältet.
Drei Tage vor dem Eintreffen des Kaisers erkrankte sie. Es scheint
nun, daß die Ärzte nicht rechtzeitig die Natur ihres Leidens er-
kannten. Es war ein Schlaganfall, und bald konnte kein Zweifel
sein, daß sie an ihrer letzten Krankheit darniederlag. Sie hat noch
einige Tage, teils delirierend, teils in klarem Bewußtsein gekämpft,
schließlich ist sie, nachdem sie sich von den Ihrigen verabschiedet
hatte, am 2. November, 7»^ Uhr nachts, sanft entschlafen. Der
Kaiser, die Kaiserin und ihre Enkelkinder umstanden ihr Lager,
als sie verschied*). Sie hatte eben ihr 69. Lebensjahr vollendet,
*) Die Gräfin Nesselrode an ihren Bruder Nikolai Gurjew. Petersburg,
•»•^ Oktober
~ r — 1828. .J'apprends que dans la soiree du lundi au mardi, S. M. avait
4. November >» ri- t
eu une Irritation inquietante, qu^a 1 1 heures on avait ete forcö de 1a saigner, que la
langue avait ete embarrass^e, son menton etait tomb^, et que le delire s'em-
parait souvent d'Elle. La nuit apres la saignee avait et^ assez calme, cepen-
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 285
immer noch eine schöne Frau. Sie war niemals in ihrem Leben
krank gewesen. Unzweifelhaft war ihr Tod ein Ereignis von tief-
greifender Bedeutung. Hatte sie auch nie in ihrem Leben einen
politischen Einfluß ausgeübt, so war sie doch seit dem Tode Pauls
das Haupt der Familie; sowohl Alexander wie Nikolaus hatten ihr
die Entscheidung in allen Familienangelegenheiten überlassen, und
sie hat, speziell in allen Ehefragen, schließlich den Ausschlag ge-
geben. Wo es sich um wirklich ernste Entscheidungen handelte,
versagte sie jedoch regelmäßig, und beide, Alexander wie Nikolaus,
haben es verstanden, unter den Formen der Ehrerbietung sie von
den Geschäften fernzuhalten. Dagegen war ihre Protektion von
großem Gewicht, und unzweifelhafte Verdienste hatte sie sich um
das Erziehungswesen, vornehmlich der aristokratischen weiblichen
Jugend Rußlands erworben. Die „Institute der Kaiserin Maria^,
Erziehungsanstalten, Hospitäler, Findelhäuser usw. sind dank der
ernsten und gewissenhaften Fürsorge, die sie ihnen seit 1796 ge-
widmet hatte, die besten gewesen, die Rußland aufweisen konnte.
Ihr war die Wohltätigkeit nicht nur treu erfüllte Pflicht, sondern
Herzenssache, und sie kannte nicht nur die Leiter all dieser An-
stalten persönlich, sondern, wenngleich nicht alle, so doch die
meisten Zöglinge. Ihr Testament vom 21. Januar 1827*) gibt da-
dant hier, mardi, Tinquietude allait croissant; oa appliqua beaucoup de remedes,
tardifs, malheureusement .... ä 7 h. du soir on d^clara Tauguste malade
Sans espoir, la paralysie s'etait declaree daos les boyaux et avait gagne la
gorge. . . . L'Empereur jugeant l'etat tres alarmant se decide ä Pentretenir
du devoir de tout chretien, eile voujut le remettre au leodemain pour s'y pre-
parer, mais S. Bl. . . la decida ä le faire a l'instant, ce qu'elle fit dans un
moment tres lucide; apres eile voulut voir les enfants, on les lui amena, ce
qui etait une scene tr^s touchante; comme il etait tres tard, les petits enfants
sur les bras ä moiti^ endormis, eile ne reconnut que l'h^ritier, le benit. . . .
Elle termina son existence toute vertueuse la nuit passee ä 2 Vi h- tranquille-
ment, comme c'est le cas dans les paralysies . . . c'etait bien la femme de
Tevangile; une bonte, une charite plus etendue est sans exemple, sa vie etait
bien necessaire encore pour toute la famille. ... Je suis persuadee, et c'est
Topinion generale que Ruhl . . aura meconnu la maladie. C'est un sort que
notre famille imperiale s'entoure de medecins d^testables et les aiment (siel)
tellement qu'elle n'en vcuille pas d'autres, et ce Ruhl a meconnu la maladie.**
Petersburg. Reichsarchiv III, Nr. 43.
1) Aus dem Nachlaß Storchs veröffentlicht Russ. St. Bd. XXXIV, S. 319
bis 388. Es ist nebenher interessant, als Inventar ihres Schmuckes und der
in ihrem Besitz befindlichen Gemälde. Erwähnt mag werden, daO sie die
286 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
von Zeuguis. Seit dem März 1801 hat nichts sie mehr in Anspruch
genommen, als diese segensreiche Tätigkeit. Nebenher ging dann
eine unglaublich ausgedehnte Korrespondenz, die nicht nur ihre
Kinder und Enkel sowie ihre weite Verwandtschaft betraf, sondern
zahlreiche Privatpersonen, an deren Geschick sie Anteil nahm*).
Sie hat auch Tagebücher geführt, aber sie wurden auf ihre testa-
mentarische Verfügung hin vom Kaiser verbrannt'). Sie war die
Hüterin der Etikette des 18. Jahrhunderts, wie die Kaiserin Katha-
rina sie so imponierend vertreten hatte. Wenn sie in ihrer ver-
goldeten, von acht Pferden gezogenen Equipage ausfuhr, geleitet
von ihren Husaren, hatte das Volk eine Vorstellung von der Er-
habenheit der Inhaber des Thrones über dem Profanum vulgus.
Aber trotz allem war sie nie populär geworden. Sie verließ nur
selten Petersburg und kannte außer Moskau nur wenig von Ruß-
land. Auch hat sie niemals die Sprache ganz beherrschen gelernt.
Sie schrieb französisch und deutsch, und an ihrem Hofe wurde fast
ausschließlich französisch gesprochen.
Mit ihrem Scheiden tritt die Generation der Tage Katharinas
endgültig von der historischen Schaubühne. Man sprach wohl von
der Bourgeoisie-imperiale*) Alexanders und Nikolais. Beiden war
Bibel Alexanders I., in der der Kaiser seine Lieblingsstellen angestrichen
hatte, der Großfürstin Maria Pawlowna vermachte. Diese Bibel muß in Weimar
liegen. 1. 1. S. 329. Die betreffende Stelle lautet: „Je donne a ma chere Fille
la Grande-Duchesse Marie la Bible de feu l'Empereur: Notre Ange y a trace
de sa main les passages qui Tont frappe davantage.**
0 Mir liegt ihre Korrespondenz mit der Familie des Feldmarschalls
Wittgenstein vor, die als typisch gelten kann. Die Kaiserin ist die Vertraute
der intimsten Familienangelegenheiten. Während der Feldzüge von 1812 — 14
schickte ihr Wittgenstein zudem regelmäßig Berichte über seine militärischen
Operationen. Archiv des Fürsten Hohenlohe, früher in Werki.
-) Am 26. Januar 1829 schickte der Kaiser dem Großfürsten Constantin
Papiere der Mutter. Eine Reihe von Bänden, die eine Art Tagebuch von 1770—1800
enthielten, habe er auf Wunsch der Mutter verbrannt. „J'avoue que cela m'a
fait beaucoup de peine.^ Es sei unbegreiflich, wie sie Zeit gefunden habe,
so viel zu schreiben. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß Tagebücher
aus späteren Jahren noch existieren.
2) Brief des Moskauers Bulgakow an seinen Bruder, den Postdirektor in
Petersburg, vom 29. Oktober 1828. Russki Archiv 1901, Bd. 3, S. 191.
Diwow notiert in seinem Tagebuch, einer der [Hofleute habe ihm gesagt,
man werde in Zukunft das Wort „consideration" aus der Hofetikette streichen
müssen.
; Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bi:^ zum Juli 1829. 287
die Etikette lästig, aber Nikolai liebte es, bei besonderen Gelegen-
heiten sich mit all ihrem Prunk zu umgeben, und es läßt sich
verfolgen, daß es seit dem Tode der Mutter häufiger geschah
als vorher.
Es gingen nun sofort Kuriere nach Weimar, Brüssel, Berlin,
Stuttgart, Oldenburg. Am 15. November traf der Großfürst Kon-
stantin in Petersburg ein, am 17. Michail. Am 25. November
endlich fand die Beerdigung statt, mit allem Aufwand, den die Ver-
storbene hätte wünschen können. Der Kaiser hatte ursprünglich
die Absicht, für die Leitung der „Institute der Kaiserin Maria
Feodorowna" ein besonderes Ministerium zu begründen, mit Willa-
mow als Staatssekretär; es wurde jedoch für rationeller befunden,
eine „4. Abteilung der eigenen Kanzlei^ des Kaisers mit dieser
Aufgabe zu betrauen und der Kaiserin Alexandra sowie der Groß-
fürstin Helene die oberste Aufsicht zu übertragen. Das Komitee
vom 1. Dezember 1825 wurde mit der Ausarbeitung der Geschäfts-
ordnung betraut.
Diese Dinge haben mehr äußerlich als innerlich die Auf-
merksamkeit des Kaisers in Anspruch genommen. Es drängte
sich eine Reihe von Entscheidungen von höchster Wichtigkeit an
ihn heran, und die nahenden Feste der Weihnachtszeit und des
Neujahrs ließen bald rauschende Vergnügungen an die Stelle der
stillen Trauer treten. Schon am 30. Oktober hatte der Kaiser sich
vom Senat sein Testament zurückgeben lassen und das Komitee
aufgelöst, dem er die Verwaltung des Reiches übertragen hatte.
Auch machte die Hand des Kaisers sich sofort fühlbar; einige
Gouverneure wurden ihrer Stellung enthoben, andere in Anklage-
stand versetzt. Auch das Militär spürte die Rückkehr des
Herrn, schon im November wurden die täglichen Paraden, ganz
wie vor Ausbruch des Krieges, wieder aufgenommen.
Das Wesentliche aber war die Feststellung des Kriegsplanes
für die nächste Kampagne und damit zusammenhängend die Ent-
scheidung der Frage, ob das Oberkommando bei Wittgenstein bleiben
solle, von dem der Kaiser noch Ende August 1828 geschrieben
hatte: „En general la betise et l'inconsequence du Marechal se
fait voir en tout" und über dessen „ineptie** er nicht genug Worte
finden konnte, oder aber, was danach selbstverständlich schien, ob
ein anderer, und wer, an seine Stelle zu setzen sei. In Petersburg
ging die Meinung dahin, daß die Hauptschuld an dem Mißerfolg
288 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
den Kaiser treffe, der kein Blut sehen könne, und das wurde recht
drastisch ausgedrückt^). Man fürchtete nichts mehr, als daß der
Zar nochmals selbst ins Feld ziehen könnte.
Nun hatte Wittgenstein bereits am 17. Oktober sein Abschieds-
gesuch wiederholt. Wenige Tage danach erhielt der Kaiser einen
von Diebitsch und Kisselew gemeinsam ausgearbeiteten Feldzugs-
plan, der im wesentlichen ausführte, daß die Armee schwach und
erschöpft sei, daß große Mittel und längere Zeit unerläßlich seien,
um sie wieder aktionsfahig zu machen. An eine ernstgemeinte
Invasion jenseit des Balkans sei nicht zu denken, möglich sei da-
gegen zweierlei, entweder längs der Küste bis Burgas vorzudringen,
oder aber die Donau entlang zu ziehen und sich mit den Serben
zu vereinigen. Sie empfahlen das letztere.
Es steht wohl im Zusammenhang damit, daß der Kaiser
Wittgensteins Abschiedsgesuch ablehnte'). Für einen so vorsichtig
gedachten Feldzug schien ihm das Genie des Feldmarschalls aus-
zureichen. Doch machten sich bald andere Einflüsse geltend. Am
1. Dezember, abends, berief der Kaiser auf den ausdrücklichen Antrag
des Generaladjutanten Fürsten Wassiltschikow den Grafen W. P. Kot-
schubej, den Vorsitzenden des Reichsrats, den Kriegsminister Grafen
A. J. Tschernyschew und die Generaladjutanten Baron Toll und
Fürsten Wassiltschikow zu sich, um mit ihnen über die Frage des
Feldzugsplanes zu Rat zu sitzen'). Hier wurde zunächst ein zu-
sammenfassender Bericht über den Verlauf des Feldzuges verlesen,
danach eine Berechnung der an Mannschaft und Material erlittenen
Verluste, ein Anschlag über die zur Verproviantierung der Armee
») Brief der Grafin Nesselrode 1. 1. vom 13. Februar 1829.
„L'on raconte k quel point un blesse faisait efTet sur TEmpereur; il en
pulissait, frissonnait, et ce Vama qui etait tout ebranle, etait pret ä etre
abandonne, rien que parce qu'on perdait du monde, et que Toti n'avait pas
le courage de faire avancer la garde, et de livrer un assaut; c'est ä D. que
Ton doit de s'y etre maintenu; quelle honte si Ton avait fait autrement, j'en
aurais fait une maladie. Je me demande de quo! est petri un homme qui
sacrifie sa gloire plutot que voir couler du sang; vaut-il mieux qu'il reste^
ce serait un malheur que la phantaisie lui vienne de reprendre le quartier
general.'^ Korrespondenz der Gräfin Nesselrode 1. 1.
^ Am 22. November.
•) Memoire sur les discussions du 19 november 1828. Von der Hand
Tschernyschews mit dem Datum 26. November 1828 (9. Dezember). Wojenno
ütschenny Archiv Nr. 44, 45. Das Memoir wurde dem Kaiser eingereicht.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 289
unerläßlichen Hilfsmittel and endlich eine Darlegung der augen-
blicklichen militärischen Lage. Dann ergriiT der Kaiser das Wort
und erinnerte daran, daß weder die Eroberung Konstantinopels
noch der Sturz des Sultans sein Ziel gewesen sei, sondern die Not-
wendigkeit, die Türkei zum Frieden zu zwingen. Deshalb und im
Hinblick auf die politische Lage Europas, glaube er nicht für die
nächste Kampagne mehr als 110 bis 120000 Mann höchstens auf-
wenden zu dürfen. Er stellte dann die direkte Frage, wie dem-
nach das Ziel, das er bei der Kriegserklärung an die Türkei ver-
folgt habe, am besten zu erreichen sei. Die (vielleicht schon vor-
her vereinbarte) Antwort, deren Wortführer Toll war, lautete: daß
weder die Einnahme der Donaufestungen, noch die Erfolge Paskie-
witschs in Asien den Sultan zum Nachgeben zwingen könnten.
Man müßte suchen ihm empfindliche, starke und unerwartete
Schläge beizubringen, die dafür gebrachten Opfer würden durch die
Beendigung des Krieges mehr als aufgewogen werden, während ein
Kampf, der noch mehrere Jahre dauern sollte, das Reich erschöpfen
und es Europa gegenüber in eine schwere Laga versetzen würde.
Man müsse daher für den nächsten Feldzug 200000 oder mindestens
170000 Mann aufbringen. Der Kaiser wandte ein, daß es fast
unmöglich sei, ein so großes Heer jenseits der Donau zu ernähren,
man solle daher die Frage diskutieren, wie ein Heer von 120000
Mann am besten zu verwenden sei. Diese Diskussion ergab dann
das folgende Resultat, dem der Kaiser zusustimmen schien: In den
ersten Tagen des März solle General Roth mit etwa 30000 Mann
Schumla überfallen und einnehmen. Sollte, was unwahrscheinlich
sei, Roth zurückgeschlagen werden, so könne er sich auf seine
jetzigen Positionen: Varna, Bazardjik, Pravody, Hirsowa, Babadagh
zurückziehen. Zweitens müsse während der neuen Kampagne jede
Zersplitterung der Kräfte vermieden werden. Von den elf Divisionen
Infanterie und sechs Divisionen Kavallerie, über die man verfügen
könne, würden zwei Divisionen Infanterie und eine Division Kavallerie
genügen, die große und kleine Walachei zu decken und die Donau
zu beobachten. Mit dem Rest, der möglichst durch Kosaken zu
verstärken sei, solle man auf dem rechten Ufer operieren. Die
Belagerung von Silistria müsse früh unternommen werden, damit sie
vor Eintreten der Hitze beendet werden könne. Seien beide Festungen,
Silistria und Schumla, gefallen, so sollen die russischen Streitkräfte
sich auf einer inneren Linie zwischen Schumla und Varna ver-
Schiemanu, Geschichte Rußlands. II. 1 9
290 Kapitel IX. Diplomatie uod Krieg bis zum Juli 1829.
einigen, so daß sie von der See aus versorgt werden und nach Be-
darf überall hingeworfen werden können, wo die Umstände es er-
heischen. Die Flotte solle vornehmlich der Sicherung russischer
Transporte dienen und nicht zu entfernten asiatischen Expeditionen
verwandt werden, damit sie, wenn es nötig werde, mit der
Armee kooperieren könne. Als letztes Ziel wurde die Einnahme
von Burgas, Abydos und Karnabat hingestellt Seien diese drei
Punkte genommen, so müsse man sich dort festsetzen und nicht
weitergehen *). Der dadurch erregte Schrecken werde in Konstanti-
nopel zur Annahme der russischen Forderungen führen und zugleich
den europäischen Mächten beweisen, daß nur die Hartnäckigkeit
des Sultans, nicht Blutdurst, Rußlands Vorgehen bestimmt habe.
Gebe aber der Sultan nicht nach, so sei eine letzte große An-
strengung zu machen, zu der die für die Besetzung Schumlas be-
stimmten 10000 Mann herangezogen werden könnten.
Auf eine Unterstützung der Serben endlich wurde zunächst
verzichtet, um nicht die Eifersucht Österreichs zu erregen. Sei der
Feldzug von Erfolg gekrönt und die Pforte trotzdem nicht zum
Frieden geneigt, so könne dieses Zwangsmittel benutzt werden,
ohne daß jemand berechtigt wäre, dagegen zu protestieren.
Diese Verhandlung hat eine endgültige Entscheidung nicht
gebracht. Doch gestattete der Kaiser auf Kotschubejs Bitte den
Herren, ihm nochmals schriftlich ihre Meinung dai-zulegen.
So entstand die Denkschrift Wassiltschikows über die Ursachen
des geringen Erfolges der Kampagne von 1828'), die mit großem
Nachdruck darauf hinwies, daß die Gegenwart des Kaisers und
die dadurch bedingte Zwiespältigkeit im Oberkommando an den
Fehlern der Kampagne die Hauptschuld trage. Allerdings formu-
lierte er es so, als liege der Fehler in der Ernennung eines Mar-
schalls, da doch der Kaiser in Person als oberster Kriegsherr zugegen
war. Aber es ist unmöglich, Wassiltschikows eigentlichen Gedanken
zu verkennen. Dazu kritisierte er unbarmherzig die Wahl der
Divisionsgenerale und Stabschefs. Weshalb sei Toll nicht berufen
worden, weshalb habe Pahlen die Kavallerie nicht erhalten? An
tüchtigen Männern habe es nicht gefehlt, aber es sei nur nach der
Anciennität gewählt worden, und das habe einen Kreis von Gene-
*) ,et ne point s'aventurer au dela."
') Apercu sur la campagne de Tannee 1828. Gedruckt bei Schilder
Nikolai, Bd. 11, S. 544—548. Die Denkschrift ist undatiert.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 291
raien ergeben, deren Fähigkeiten sich gleich Null erwiesen ^). Geradezu
vernichtend war sein Urteil über die Unfähigkeit derer, welchen man
die Administration der Armee anvertraut hatte. Der Stabschef
unerfahren, der Generalquartiermeister nicht nur noch unerfahrener,
sondern träge und ohne Überblick; der General vom Dienst unter
mittelmäßig, unordentlich, ohne Eifer und ohne jede Voraussicht;
der Generalintendant unwissend, großer Kombinationen unfähig,
ohne Umsicht und ohne jede Idee vom Kriege. Gewiß hat diese
freimütige Denkschrift auf den Kaiser einen großen Eindruck ge-
macht, zumal Wassiltschikow den schließlichen Fall von Varna
ausschließlich der Energie Nikolais zuschrieb, was, wie wir wissen,
der Wahrheit nicht entsprach, aber den Schein der Wahrheit für
sich hatte. Auch war der Gedanke dem Kaiser nicht unsympathisch,
dem nächsten Feldzuge fern zu bleiben. Damit aber stellte sich
sofort die Frage ein, wer das Oberkommando führen werde, und die
Entscheidung mußte davon abhängen, ob der Krieg zu einer kühnen
Offensive führen oder einen rein defensiven Charakter tragen solle.
In den jetzt allmählich einlaufenden Feldzugsplänen sind beide An-
sichten vertreten gewesen. Kotschubej und der Finanzminister
Caucrin, der merkwürdigerweise auch befragt wurde, erklärten
sich für bloße Defensive (3. Dezember), General Baron Toll')
wiederholte, was er bereits im Komitee ausgeführt hatte. Mit nur
100000 Mann sei ein entscheidender Erfolg nicht möglich, man
müsse mindestens 150000 jenseits der Donau haben. Es bleibe
nach den Beschlüssen des Komitees demnach nichts übrig, als
Schumla und Silistria zu nehmen, den Vorstoß bis Karnabat zu
richten und dann stehen zu bleiben und das W^eitere abzuwarten.
Diebitschs Feldzugsplan (aus Jassy, den 4. Dezember) war der klein-
mütigste von allen. Er erschöpft sich durch den erten Satz, in
dem es heißt: „Unser Ziel ist, uns des mittleren Laufes der Donau
bis Rustschuk und Nikopolis zu bemächtigen. Besonders günstige
Umstände könnten noch zur Einnahme von Schumla führen, un-
günstige dagegen uns auf die Einnahme von Rustschuk und Silistria
beschränken." Das stimmte genau mit den Gedanken, die ihm der
Kaiser kurz vorher brieflich entwickelt hatte. „Dieser Plan**, so er-
läuterte der Kaiser sein eigenes, rein defensives Projekt, „wird der Welt
*) „une reunion d'hommes d'une capacite aussi nuUe.^
3) Siehe die Anlage: St. Petersbourg, le 28 novembre 1828.
19»
292 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
beweisen, daß wir den Krieg nicht als Eroberer führen, sondern
wie kluge und vorsichtige Leute, die einen Plan ver-
folgen, der nicht zu großen Resultaten führen kann.^
Es ist das vielleicht die ungeheuerlichste Ansicht, die je von einem
Feldherm ausgesprochen worden ist.
Aber nach der Beratung im Komitee und nach der Denkschrift
Wassiitschikows war der Kaiser doch an der Weisheit dieser
Doktrin irre geworden. Als Diebitsch^) auf Befehl des Kaisers in
Petersburg eintraf, fand er bereits eine ganz andere Stimmung
vor, der er sich schnell anzupassen verstand. Der Kaiser hatte
den Gedanken, die nächste Kampagne selbst zu leiten, aufgegeben.
Es sei, sagte er, nicht Gottes Wille, daß er sich an der Spitze
seiner Truppen auszeichne. Als er jetzt von Diebitsch einen neuen
Feldzugsplan verlangte, mündete dieser dahin aus, daß man Silistria
nehmen, die Fürstentümer säubern, dann über den Balkan bis
nach Aidos dringen könne, um dort zu überwintern, doch sei es
auch denkbar, daß große Erfolge bis nach Karnabat führen könnten.
E3 liegen noch Pläne von W'assiltschikow (27. Januar) und vom
General Witt vor, die beide für eine kühne Kriegführung eintreten,
aber während Wassiltschikow von der Einnahme von Silistria absah,
dagegen die Eroberung Schumlas für unerläßlich hielt und erst
danach den Balkan überschreiten wollte, riet Witt zu prinzipieller
Aufgabe des Festungskrieges. Man solle vielmehr gleich über den
Balkan ziehen und die Entscheidung in den Ebenen von Rumili
suchen*). Aber bereits hing die Entscheidung über den endgültigen
Feldzugsplan von einer anderen Frage ab. Wurde der Gedanke
eines bloß defensiven Feldzuges aufgegeben und nahm der Kaiser
an der Kampagne nicht teil, und beides stand nunmehr wohl fest,
so lag keinerlei Grund mehr vor, dem Feldmarscball Grafen W' ittgen-
stein, dem Sünden bock des Jahres 1828 das Oberkommando zu lassen,
es bot sich jetzt die Aussicht auf große Erfolge, und Diebitsch, dessen
ganzer Ehrgeiz dahin ging, nunmehr das Kommando zu erhalten, hat
ilm durch eine etwas plumpe Intrige tatsächlich, wie man wohl
sagt, herausgebissen. Von den übrigen in Betracht kommenden
') Er verließ Jassy am 25. Dezember und traf am 4. Januar in Peters-
burg ein.
-) Ich übergehe die Feldzugspläne von Kisselew, d'Auvray, einem An-
onymus und Nesselrode! Der letztere sprach sich für eine Winterkampagne in
Verbindung mit den Serben aus.
Kapitel IX. Diplomatie and Krieg bis zum Juli 1829. 293
Kandidaten wurde an den alten Feldmarschall Sacken zwac die
Anfrage gestellt, ob er bereit sei, das Kommando zu übernehmen,
auf seine bestimmte Zusage aber bald der Verwand gefunden von
ihm abzusehen. Paskiewitsch wollte den Schauplatz seiner Erfolge
nicht verlassen, fürchtete außerdem auf europäischem Boden nicht
gleich selbstherrlich schalten und walten zu können, wie in Asien.
Der General Graf Woronzow war dem Kaiser persönlich unangenehm
und wurde übergangen, obgleich die „russische Partei" alles daran-
setzte, um die Wahl des Kaisers auf ihn zu lenken, vom Grafen
Tolstoi aber wollteNikolai sich nicht trennen, und so istschließlichnur
Diebitsch übrig geblieben. Er wurde, nachdem vorher Toll sich bereit
gefunden hatte, sein Stabschef zu werden und die alten Gegensätze, die
zwischen ihnen bestanden; ruhen zu lassen, am 21. Februar zum
Oberkommandierenden ernannt und gleichzeitig Wittgenstein „wegen
völlig zerrütteter Gesundheit" auf seine Bitte in Gnaden seinerStellung
enthoben^). Kisselewwurdezum Kommandeur de84. Reservekavallerie-
korps ernannt. General Langeron, der im Dienst älter war, nahm seineu
Abschied und wurde durch Pahlen ersetzt. Aus einem Brief
Diebitschs an Kisselew vom 10. Januar 1828 kennen wir die
großen Züge des Feldzugsplanes, der demnach zwischen dem 4. und
10. Januar definitiv festgestellt wurde. Die später eingelaufenen
Entwürfe haben daran nichts geändert. Sie wurden als schätzbares
Material Diebitsch mit auf den Weg gegeben. Der endgültige Beschluß
aber ging dahin, daß die Armee bis Mitte März 20000 Rekruten
an Infanterie und 20 komplette Eskadrons Kavallerie erhalten solle.
Die Ankäufe von Pferden, die außerdem notwendig wären, sollten von
der Armee selbst, nach Anordnung Wittgensteins geschehen. Von
den sechs Gouvernements, die zum Kriegsrayon gehörten, war je
ein fliegendes Lazarett mit Bedarf für 14 Tage zu stellen. Der
Kaiser gestatte unter keinen Umständen die Reservebataillone über
die russischen Grenzen hinauszuführen, dafür sollte jedoch die
11. Infanteriedivision der Armee einverleibt werden, damit sie die
festen Plätze und das eroberte (conquis!) Gebiet besetze. Der Kaiser
ist überzeugt, daß diese Vermehrung der Streitkräfte genügen
werde, um erstens Silistria und danach Ginrgewo zu nehmen,
^) Siehe die Anlage. Wittgensteiu hatte durch Schreiben vom 13./25
Januar 1829 ausdrücklich erklärt, daß er sich gesund und kräftig fühle, aber
da der Feldzug über den Balkan führen solle, um Verstärkung der Armee
bitte. Man fand ihn mit einer Pension von 70000 Rubel ab.
294 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
zweitens Schumla zu beobachten and die Streitkräfte Roths, die,
wenn nötig, durch zwei Divisionen vermehrt werden sollen, über
den Balkan zu fahren, damit sie Burgas, Aidos, Karnabat nehmen.
Die Einnahme von Schumla ist zu versuchen, wenn der Feind sich
solche Blößen' gibt, daß Roth die Festung durch einen Handstreich
nehmen kann, oder wenn sie während des Feldzuges so schwach
besetzt sein sollte, daß gute Aussicht sei, ihrer Herr zu werden.
Es mußte sich nun entscheiden, wieweit die Wirklichkeit
sich diesen Absichten günstig erweisen werde. Diebitsch verließ
Petersburg ohne jeden Zeitverlust und traf am 25. Februar in
Jassy ein.
„Die neuen Vorgesetzten sind eingetroffen '^ , so schreibt ein
Augenzeuge^), „zuerst vor vier Tagen der Chef des Generalstabes,
Baron Toll. Ein stämmiger Mann von mittlerer Größe mit breitem,
vollem Gesicht und klarem, hartem Blick. Man sieht ihm an, daß
er sich nicht beugen lassen und die Augen vor niemandem nieder-
schlagen wird. Der gesamte Stab hatte sich beim General Kisselew
versammelt, um ihm vorgestellt zu werden. .General Kisselew nannte
jeden von uns mit Namen. Als das geschehen war, dachten alle,
daß der neue Chef einige Worte sagen werde. Es kam aber
anders. Er stand am Ende des Saales und sagte mit fester
Stimme: Ja, was soll ich Ihnen sagen? Wir wollen uns kennen
lernen. Adieu.
Gestern war ein Schauspiel anderer Art. Wir gingen zum
Feldmarschall Wittgenstein, uns dem neuen Oberkommandierenden
vorzustellen. Ich habe Dir den Grafen Iwan Iwanowitsch
(Diebitsch) schon beschrieben. Aber ich habe Dir noch nicht
gesagt, daß er zwar aufbrausend, aber voll Gefühl und Herz ist.
Er sprach warm und lange, war aber schwer zu hören. Wir ver-
standen mehr aus seinen Gesten als durch seine Worte, daß er von
seiner Ergebenheit für seinen ruhmvollen Vorgesetzten sprach
(Diebitsch war 1812 Stabschef von Wittgenstein gewesen), wie
schwer es sei, ihn zu ersetzen usw. Darauf küßten sie sich usw.
,Und doch hat er den Alten gründlich geprellt!* sagte jemand
mit leiser Stimme. Das war alles.^
Gewiß war Toll der bedeutendere von beiden, als Mensch wie
als Feldherr, aber der bevorstehende Feldzug sollte Eigenschaften
0 Fonton.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 295
verlangen, in denen Diebitschs besondere Gaben zu glänzender
Geltung kamen; denn nie ist ein Feldzug mehr durch alle Kunst*
griffe einer fein berechnenden, niemals beirrten, aber alle Welt
täuschenden Diplomatie zu glucklichem Ende geführt worden, als
Diebitschs berühmte Kampagne von 1829.
Es ist unerläßlich, den Zusammenhang der diplomatischen
Aktion nachzutragen, die seit dem Herbst 1828 dem Feldzuge der
Russen parallel gegangen war.
Die Besetzung Moreas durch die Franzosen war von den
Türken ziemlich apathisch hingenommen worden. Sie fügten sich
der vollendeten Tatsache, zumal ihre Hoffnung sich immer noch
darauf richtete, daß der Gegensatz der Interessen, denen die
Alliierten nachgingen, Rußland isolieren werde. Nun hatten
schon aniang August die Vertreter Frankreichs und Englands von
ihrem interimistischen Sitz, Porös, aus, die Pforte aufge-
fordert, über ihren Beitritt zum Londoner Vertrag in Verhandlung
zu treten, vorläufig die Mediation der drei Mächte anzuerkennen
und den Griechen einen Stillstand zu gewähren. Der Sultan, der
damals bereits von der bevorstehenden französischen Expedition
wußte, ließ eine ausweichende Antwort erteilen, forderte jedoch
die Botschafter von England und Frankreich auf nach Konstantinopel
zurückzukehren. An einer Verhandlung, von der Rußland nicht
ausgeschlossen sei, könne er aber unter keinen Umständen teil-*
nehmen. Das war in Porös als eine Ablehnung aufgefaßt worden und
unbeantwortet geblieben. Anders faßten die Kabinette von England
und Frankreich, von (Österreich dazu angespornt, die Sach-
lage auf. Die Antwort der Pforte schien ihnen trotz allem
die Möglichkeit einer Verständigung zu bieten. Sie dachten
sich der Pforte zu nähern, zwischen ihr und Rußland zu inter-
venieren und dadurch dem Kriege, der weder in Euglaud noch
in Frankreich populär war, ein Ende zu bereiten. Nachdem General
Maison sich, ohne auf Widerstand zu stoßen, Moreas bemächtigt
hatte, beschloß am 16. November die Londoner Konferenz,
der Pforte in aller Form zu erklären, daß nunmehr Morea und
die Zykladen unter gemeinsamer Garantie der drei Mächte
ständen, und daß sie nochmals aufgefordert werden solle, dem
Vertrage vom 6. Juli 1827 beizutreten. Unmittelbar danach
und ehe noch eine Antwort aus Konstantinopel eingetroffen war,
zeigten England und Frankreich dem russischen Kabinett an.
296 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zam Juli 1829.
daß sie die diplomatischen Beziehungen zur Pforte wieder auf-
nehmen würden. Rußland solle seine Vollmachten ihren Vertretern
delegieren. Zugleich wurde angedeutet, daß eine Intervention der
Mächte den Frieden zwischen Rußland und der Pforte herstellen
könnte. Das gab einen Augenblick ernster Krisis. Man glaubte
im Hauptquartier des Kaisers mit Recht zu erkennen, daß Rußland
von der Regelung der griechischen Frage ausgeschlossen werden
solle, und daß die geplante Mediation sich das Ziel setze, die
Friedensbedingungen, die Rußland der Pforte schon bei der Kriegs-
erklärung kundgetan hatte, nach dem Interesse der anderen
Mächte zu modifizieren. Auch hatte England nicht nur gegen die
im August verkündete Blokierung von Bosporus und Dardanellen
protestiert, sondern dazu verlangt, daß alle von Rußland zur Be-
freiung Kretas getroffenen Maßregeln rückgängig gemacht würden *),
und Mehemet Ali nicht verhindeii; werden solle, dem Sultan Hilfe
zu leisten. Der Kaiser, der den Ausbruch eines europäischen Krieges
fürchtete, wenn er die von England ausgegangenen, von Frankreich und
Osterreich unterstützten Forderungen verwarf, und mit Sicher-
heit nur auf Preußens Unterstützung rechnen konnte, hat von Peters-
burg aus*) mit großem Geschick diesen Angriff abgeschlagen. In
der Frage der Blockade hatte er sich bereits vorher zu einem Kom-
promiß bereit gefunden, indem er das Zugeständnis machte, daß die
Blockade für diejenigen Schiffe unter englischer und französischer
Flagge nicht gelten solle, die vor dem 1./13. resp. vor dem
Lieferungen nach Konstantinopel oder für die türkischen
11. November
Häfen des Mittelmeeres übernommen hätten. Fahrzeugen mit
Kolonialwaren aber solle die Durchfahrt durch die Dardanellen
überhaupt nicht verwehrt werden. Die Blockade von Kandia
wurde aufgehoben*). Was aber die Rückkehr der Botschafter
betraf, so befand sich der Kaiser sowohl bereit ihr zuzustimmen,
^) Wellington an Aberdeen, 2. September 1828. „It was never intended
tbat the Allies sbould conquer a Greece for tbe Greeks *" Am 14. September
schrieb Wellington, daß die Blockade als „a breach of treaty*' angesehen
werden müsse, conf. oben S. 258. Am 23. Oktober schreibt Aberdeen an
Wellington, die Frage von Kandia sei wichtiger als die griechische.
^ Am 22. Dezember 1828.
') Auch für Saros, Enos und Contessa, die ebenfalls von Rußland
blokiert wurden, sind dieselben Erleichterungen zugestanden worden, wie für
die Dardanellen. Mehemet Ali wurde durch ein Abkommen beschwichtigt, das
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 297
als auch seine Vollmachten auf sie zu delegieren. Doch stellte er
die Bedingung, daß man sich vorher über folgende Punkte ver-
ständige: erstens, welche Grenzen Griechenland erhalten solle,
zweitens, welches die künftige Regierungsform und drittens, welches
die künftigen Beziehungen Griechenlands zur Türkei sein sollten.
Habe man sich in der Londoner Konferenz darüber geeinigt, so
sei auch Österreichs und Preußens Zustimmung zu erwirken.
Das war ohne Zweifel außerordentlich geschickt, d^is Gegen-
spiel zu der Politik der Verhandlungen, durch welche Metternich
vier Jahre lang den Kaiser Alexander düpiert hatte. Kußland
wollte Zeit gewinnen, bis es seine neue Kampagne aufgenommen habe.
Kurz vorher hatte der Reis-Efendi sich an den dänischen
Gesandten in Konstantinopel, Baron Hübsch, gewandt und ihm sagen
lassen, daß die Pforte bereit sei, in direkte Verhandlungen mit
Rußland zu treten, daß sie aber vorher wissen müsse, ob die Be-
vollmächtigten, die sie schicken wolle, angenommen werden würden,
und ob der Kaiser während der Verhandlungen alle Feindseligkeiten
einstellen werde. Die schlecht verhüllte Absicht war, ebenfalls Zeit
zu gewinnen, denn in Wirklichkeit dachte Sultan Mahmud weniger
als je an Frieden. Auch hier aber zeigte sich der Kaiser entgegen-
kommend. Er wünsche, ließ er antworten, dem Baron Hübsch besten
Erfolg und sei bereit, vom Eintreffen der Gesandten bis zum Februar alle
militärischen Operationen ruhen zu lassen. Das war dieZeit,in welcher
sich jedes militärische Vorgehen Rußlands von selbst verbot, und
da so beide Teile es auf Täuschung des Gegners abgesehen hatten,
zerging dieser Anfang einer Verhandlung in nichts. Die Pforte
erklärte, sie könne keinen Schritt tun, bevor sie die Basis kenne,
die Rußland den Unterhandlungen zugrunde legen wolle, Rußland,
daß diese Basis seit dem 26. April 1828 durch das Schreiben an
den Großwesir, das die Kriegserklärung begleitete, allbekannt sei.
Von einer Sendung türkischer Bevollmächtigter war danach weiter
keine Rede. Nun hatte inzwischen die Botschafterkonfereuz in Porös
gerade die Fragen im Prinzip beantwortet, die das russische Gegen-
projekt vom 22. Dezember zur Diskussion gestellt hatte: die
Grenzen Griechenlands sollten vom Golf von Arta bis zum Golf
von Volo gehen, Euböa einschließen und alle Kykläden umfassen,
ihm die Rückgabe der von Rußland genommenen SchifTe sicherte und die
Mannschaften sofort freigab. Diese Dinge fallen bereits in das Frühjahr 1829
und können hier nicht näher erörtert werden.
298 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
mit Ausnahme von Samos und Kandia, die jedoch dem besonderen
Wohlwollen der Mächte zu empfehlen seien. Die Zentralgewalt sei
erblich in die Hände eines Mannes zu legen. Die Pforte solle
einen Tribut von IVj Millionen Piaster erhalten, und die türkischen
Grundbesitzer in Griechenland enteignet und entschädigt werden.
Diesen Vorschlägen stimmte Rußland ruckhaltlos zu, und auch die
Londoner Konferenz nahm sie gunstig auf, aber England blieb
feindselig gestimmt, und im Januar erkrankte der Graf La Ferronnays
so ernstlich, daß er sein Amt niederlegen mußte, was in Petersburg
um so lebhafter bedauert wurde, als nun der feindselige Einfluß
Polignacs in London wie in Paris unter dem schwachen, Karl X.
nicht genehmen Kabinett, Martignac sich noch mehr geltend
machte. Am 21. Januar meldete Lieven, daß England und Frank-
reich ihre Botschafter nach Konstantinopel schicken würden, ohne
eine andere Bedingung daran zu knüpfen, als daß der Sultan den
Waffenstillstand mit den Griechen annehme, was nach englischer
Anschauung bereits geschehen war. Lieven glaubte infolgedessen
von seiner Instruktion keinen Gebrauch machen und überhaupt in
den griechischen Angelegenheiten nicht verhandeln zu können^).
Es kam dazu, daß zwischen den Lievens, dem Füraten und zumal der
Fürstin, und dem Herzog von Wellington bittere Feindschaft bestand.
Der Herzog war fest überzeugt, daß die Fürstin mit dem Herzog
von Cumberland zu seinem Sturz verschworen sei, und verfolgte
auch mißtrauisch ihren Verkehr mit dem Könige') und allen
Freunden Cannings, speziell mit Huskisson. So entschloß sich
Nikolai Anfang Januar einen seiner tüchtigsten Diplomaten, den
ersten Sekretär Nesselrodes, Grafen Matusewicz, zur Unterstützung
Lievens nach London zu schicken.
Diese Sendung erwies sich als höchst erfolgreich und
kam zu günstiger Zeit. Schon Ende Januar 1829 stand fest,
daß Wellington eine Katholikenemanzipationsbill einbringen
0 Vergl. für das Detail der Verhandlungen, die hier nicht erschöpft
werden können, Prokesch-Osten 1. 1., Metternicbs nachgelassene Schriften,
Wellington Despatches IV. und Martens Recueil des traitt'S Bd. XI Nr. 436.
Dazu den Compte rendu von Nesselrode für 1829.
^ Der König stand während des Türkenkrieges mit seinen Sympathien auf
russischer Seite und der Kaiser pflegte diese Stimmung durch stete Auf-
merksamkeiten und Geschenke. Vergl. die überaus lehrreiche Korrespondenz
der Fürstin Lieven mit ihrem Bruder Alexander. Robinson; Lettres of
Dorothea Princess Lieven. London 1902.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 299
werde, und vor dieser Frage traten alle übrigen politischen
Probleme zurück^). Die russischen Diplomaten stießen auf einen
erheblich geschwächten Widerstand. Am 30. Januar wurde ihnen
zugestanden, daß die Ruckkehr der Botschafter erst nach einer
Entscheidung der Konferenz erfolgen solle, und daß unter keiner
Voraussetzung die griechische Frage vor vorausgegangener Ver-
ständigung und ohne direkten Anteil Rußlands an den Ver-
handlungen angegriiTen werden solle. Dagegen fand das Programm
von Porös lebhaften Widerspruch, man wollte den Griechen als
Maximum die Grenze bis zum Golf von Korinth gewähren. Auch
Polignac machte seinen Einfluß in diesem Sinne geltend. Dennoch
gelang es nach peinlichen und schleppenden Verhandlungen am
22. März einen Konferenzbeschluß zu Protokoll zu bringen, der in
der Hauptsache dem russischen Interesse entsprach. Die Bot-
schafter von England und Frankreich sollten nunmehr wirklich
nach Konstantinopel zurück und dort im Namen der drei alliierten
Mächte der Pforte das Programm von Porös zur Annahme vorlegen,
dabei aber begründeten Einwendungen der Pforte Rechnung tragen '),
auch solle ihnen freistehen, andere Vorschläge zu vereinbaren. Außer-
dem wurde den Griechen vorgeschrieben, ihre Truppen auf das
Gebiet zurückzuziehen, das das Protokoll vom 11. November ihnen
garantiert hatte, also auf die südlich vom Golf von Korinth liegen-
den Territorien.
Im wesentlichen war damit erreicht, was Rußland wollte. Die
Allianz war trotz der Neigung Wellingtons, sie zu lösen '), bestehen
0 ,Ttls impossible to describe tbe excitement and agitation in London.
Tbere is no longer any thought of Europe, sbe is at tbe bottom of tbe sea,
and for a long spell.^ Lettres of D. Lieven S. 180 (vom 6. Februar 1829).
^ Siebe den Text bei Härtens, Recueil des trait^s, yoI. XI Nr. 466. „II
reste bien entendu toute fois que chacune des Cours alliees se reserve le
droit de peser le merite des objections que ferait la Porte Ottomane aux
propositions qui lui seront communiquees en vertu du present Protocole, et
que, dans le cas oü ces objections s'eleyeraient, il pourrait etre concerte entre
les trois Puissances d'autres propositions fondees sur le desir qui les animera
toujours de terminer promptement la question dont elles s'occupent en ce
moment.^
Polignac lag zur Freude der russischen Unterhändler an den Röteln
krank. Ein Mr. de Roth vertrat ihn. Auch war es günstig, daß nicht
Polignac, sondern Portalis Minister des Auswärtigen geworden war.
') Schon am 13. September hatte Aberdeen diese Frage aufgeworfen.
Well. Desp. V.
300 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis mm Juli 1829.
geblieben, das Recht Rußlands, an den Verhandlangen über das
Schicksal Griechenlands teilzunehmen, war ausdrücklich an-
erkannt worden, und schließlich ließ sich darauf rechnen, daß die
Türkei sich wiederum unnachgiebig zeigen werde. Dann aber
konnte, wenn das Glück günstig war, die letzte Entscheidung den
russischen Waffen zufallen.
So war das Ergebnis der mit großem Geschick und in feiner
psychologischer Beurteilung der für die Entscheidung ins Gewicht
fallenden Persönlichkeiten geführten Verhandlungen, in der Haupt-
sache erreicht. Rußland hatte Zeit gewonnen und brauchte zunächst
nicht zu fürchten, daß seine Alliierten ihm in den Arm fallen
könnten ^), wenn es, wie jetzt geschehen sollte, zum entscheidenden
Schlage gegen die Türkei ausholte. Der Kaiser konnte daran denken,
jetzt eineandere Frageanzufassen, die ihn aufdas lebhafteste beschäftigte
und die durchaus nicht länger ruhen durfte, das war die polnische.
Wir haben sie schon mehrfach streifen müssen und der Unter-
suchung gedacht, welche gegen die Polen eingeleitet wurde, die durch
die Aussagen der Dekabristen kompromittiert waren, auch gesehen,
(laß schließlich der ganze Zusammenhang der Verschwörung auf-
gedeckt worden war. Man hatte diejenigen der Angeklagten, die
russische Untertanen waren, das ist aus den ehemals polnischen Provinzen
Rußlands, nicht aus dem Königreich, stammten, nach Petersburg ge-
schafft, um dort nach russischem Gesetz und nach den Methoden, die
beim Dekabristenprozeß angewandt waren, mit ihnen zu verfahren.
Am 3. Januar 1827 hatte nun die Warachauer Untersuchungs-
kommission ihren Bericht fertiggestellt und nach Petersburg ein-
gesandt. Dort fand man es erforderlich, zur Vervollständigung
der Prozeßakten und bevor ein endgültiges Urteil gefallt werde,
jene russischen Polen nach Warschau zurückzusenden und sie mit
ihren polnischen Leidensgenossen zu konfrontieren. In Warschau
aber sollte das Urteil, wie die Verfassung es für Hochverratsprozesse
verlangte, von dem als haute cour konstituierten Senat gefällt
werden. Der Kaiser, der in diesen Angelegenheiten von seinem
Staatssekretär für Polen, Grabowski, beraten wurde, hatte einen
Vorschlag Konstantins, ein Kriegsgericht fungieren zu lassen, ab-
gelehnt. Er wollte durchaus korrekt und „konstitutionell" vorgehen.
0 Nesselrode an Diebitsch. Petersburg, 9./21. April 1829: „Nous avons
acquis une securite complete pour la campagne qui va s'ouvrir." W. U. A. 5329.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 301
Das Projekt, das Lubecki, der Finanzminister des Königreichs, über
die OrgaDisatioQ dieses Gerichtshofes ausgearbeitet hatte, billigte
Nikolai^). Sämtliche Senatoren, mit Ausnahme derjenigen, die
in naher Verwandtschaft zu den Angeklagten standen, sollten ais
Richter fungieren, Verhör und Verteidigung öffentlich, die Rede-
freiheit unverkürzt sein. Ein himmelweiter Unterschied trennte so
die polnische Praxis von der russischen. In Wai*schau schien der
Absolutismus seine Schranke gefunden zu haben. Als jedoch im
September eine Delegation russischer Senatoren in Warschau eintraf,
um bei der Konfrontation der Angeklagten zugegen zu sein und
im Zusammenhang damit zur Feststellung des Tatbestandes auch
Verhöre anzustellen, bestritt ihnen der inzwischen als Gerichtshof
konstituierte Senat das Recht, die Angeklagten polnischer Unter-
tanenschafc zu vernehmen. Der Vorsitzende der russischen Dele-
gation, Senator Fürst Trubetzkoi, hatte verlangt, daß ihm der
Oberstleutnant Krzyzanowski zur Konfrontation gestellt werde, der
Großfürst Konstantin dementsprechend verfügt und den Präsidenten
des polnischen Gerichtshofes, den alten Woiwoden Bielinski, auf-
gefordert, einen polnischen Senator zu beauftragen, als Zeuge
dieser Konfrontation beizuwohnen. Allein Bielinski lehnte in einer
für den Großfürsten beleidigenden Form die Delegation eines pol-
nischen Senators ab und blieb dabei, obgleich Konstantin ihm dreimal,
und zuletzt in drohender Form, den Befehl wiederholte. Nun wurde
Krzyzanowski trotzdem von Trubetzkoi verhört, aber er verweigerte
jede Antwort, auch als der Großfürst durch Absendung seines
Stabschefs und nächsten Vertrauten, des Generals Grafen Kuruta,
ihn zur Nachgiebigkeit zu bewegen suchte. Erst nachdem Kon-
stantin mit ausdrücklicher Zustimmung des Kaisers den Senatoren
einen Verweis erteilt hatte, erkannten sie, daß sie nachgeben
müßten, und Bielinski machte reuig dem Großfürsten seine Ent-
schuldigung. Mitte November war endlich der Tatbestand fest-
gestellt und die Anklageakte formuliert worden. Sie warf den
Beschuldigten vor, daß sie Kenntnis von einem Komplott gehabt
hätten, das den Umsturz der Reichsverfassung und die Ermordung
des Herrscherhauses zum Ziele nahm. Das sei eine „tentative
eloignee", an diesem Verbrechen teilzunehmen. Der Kaiser, der
über diese gelinde Bezeichnung nicht wenig entrüstet war, sich
') Ende April 1827.
302 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
aber durch KoDstantin beruhigen ließ, hat nun zunächst nicht
weiter in den Lauf des Prozesses eingegriffen. Die „haute cour^
konnte darangehen, ihr Urteil zu sprechen. Nun hatte sich
inzwischen die patriotische Erregung der Polen stetig gesteigert.
Die Angeklagten erschienen gleichsam als die Vertreter der Ge-
sinnungen und der Wünsche der Nation, d. h. der polnischen
Aristokratie, denn sie aliein dachte im Königreich politisch, da.«
Bürgertum, soweit es vorhanden war, und vollends die in dumpfer
Armut vegetierende. polnische Bauernschaft standen allen politischen
Fragen in vollkommener Gleichgültigkeit gegenüber. Mit dem neuen
Jahre 1828 begannen die Sitzungen des hohen Gerichtshofes. Die
Senatoren waren — ein seltener Fall — vollzählig beisammen,
sogar der Fürst Adam Czartoryski war mit Kurierpferden ad hoc
aus Italien nach Warschau zurückgekehrt Im Juni endlich erfolgte
der Spruch. Der Bischof von Sendomir Werzinski hatte als erster
zu stimmen. Mit lauter Stimme, das Kreuz, das ihm über der
Brust hing, hoch emporhebend, rief er: Ich schwöre im Namen des
gekreuzigten Gottes: Sie sind unschuldig. Diesem Votum haben
sich dann alle Senatoren mit Ausnahme Vinzent Krassinskis an-
geschlossen. Mit kaum zu beschreibendem Jubel ist das Urteil in
Warschau aufgenommen worden '). „Alle, selbst Unbekannte, um-
armten einander und beglückwünschten sich, als seien sie von einer
großen Gefahr befreit worden, man konnte die Senatoren nicht
genug rühmen und war einmütig in der Verurteilung Krassinskis.''
Um so größer war die Entrüstung des Großfürsten, und sie wurde
noch gesteigert durch die vom Präsidenten Bielinski ihm über-
reichte Motivierung des Urteils. Hier wurde deutlich ausgesprochen,
daß die Verletzung der Verfassung durch Alexander die ganze
Bewegung hervorgerufen habe, und daß die Treue der Polen zu
ihrem „ Könige '^ in Abhängigkeit stehe von der Aufrechterhaltung
ihrer Charte.
Der Großfürst hat darauf die Publikation des Urteils und die
Freilassung der Angeklagten untersagt. Es sei zunächst die Be-
') Vergl. Kolaczkowski ErinneruDgen. Diese sehr anschaulichen Me-
moiren bedürfen steter Kontrolle. Dem Verfasser haben die Daten und Zu-
sammenhänge sich Tielfach verschoben. Eine sichere chronologische Grundlage
gibt die Korrespondenz des Großfürsten mit dem Kaiser.
Noch im Februar 1829 schreibt Konstantin, daß „ces messieurs du Senat**
triumphieren und durch Bälle und Feste ihrer Freude Ausdruck geben.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Jali 1829. 303
statigung durch den Kaiser abzuwarten. Am 24. Juni schickte er
ihm das Dekret des Senats und die aus dem Polnischen ins
Französische übersetzten Akten des Prozesses. In dem Schreiben,
das diese Sendung begleitete, wies er darauf hin, daß eine Änderung
der polnischen Verfassung unerläßlich sein werde').
Der Kaiser hat mit der Antwort lange gezögert; sie erfolgte
erst am 23. September aus Odessa. Er bestätigte das Urteil nicht,
sondern beauftragte den Warschauer Verwaltungsrat'), zu dem
außer den fünf polnischen Ministern auch der kaiserliche Kommissar
Nowossilzew gehörte, den Prozeß nochmals zu prüfen und fest-
zustellen, ob das Urteil des Senats den geltenden Gesetzen ent-
spreche'). Im Oktober trat dieser Verwaltungsrat an die Durch-
sicht des Prozesses. Aber hier kam es zu den heftigsten Aus-
einandersetzungen zwischen dem Finanzminister Fürsten Lubecki und
Nowossilzew'), und da das schiießliche Ergebnis^) weder den
1) II est de toute urgence que ce pays soit considere non comme inde-
pendant, mais inherent ä la Russie et regi simplement par d^autres institutions
que le souyerain se platt ä accorder, jusqu'ä ce quUl (le pays) n^en abuse pas.
^) Oder Staatsrat, „Conseil d^administration".
^) conf. die Anlage.
^) Nowossilzew benutzte den Anlaß, um die Finanzpolitik Lubeckis leiden-
schaftlich anzugreifen. Merkwürdigerweise schützte der Kaiser Lubecki, er
könne den Mann nicht entbehren und könne niemanden an seine Stelle setzen.
Konstantin dagegen trat für Nowossilzew ein. Auch die literarische Bewegung
begann mitzuspielen. Nowossilzew schickte dem Kaiser einen sehr eingehenden
Bericht über den „Wallenrod*' von Mizkiewicz und bemühte sich nachzuweisen,
daß die Spitze nicht gegen Preußen, wie man in Warschau behaupte, sondern
gegen Rußland gerichtet sei. Aber die Polenfreunde in Petersburg, speziell
der damals noch ganz im polnischen Lager stehende Bulgarin, legten aus-
führlich dar, daß es sich überhaupt um keine Tendenz, sondern um ein
poetisches Problem handle, und der Kaiser hat darauf die weitere Verfolgung
der Sache unterdrückt. In Wirklichkeit richtet sich der «Wallenrod'* ebenso
gegen die Deutschen, wie gegen die Russen, auch ist er in Posen anders aus-
gelegt worden, wie in Warschau. Es war ein zweischneidiges Schwert, be-
stimmt, hier wie dort zu verwunden und die Lehre zu predigen, daß Verrat
und schnödeste Undankbarkeit dort erlaubt seien, wo die Ideale des polnischen
Patriotismus in Frage kommen. Vergleiche die Korrespondenz Nowossilzews
mit Kuruta und den Bericht Konstantins über Mizkiewicz« Russki Archiv,
Jan. 1908, S. 64 ff.
^) Die Resolution sagte: »Daß der Urteilsspruch des Nationalgerichtshofes
zwar nicht völlig der Sache gemäß ausgefallen, der Grund hiervon jedoch
keineswegs in der üblen Gesinnung jenes Gerichtshofes zu finden sei, sondern
304 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
Wünschen des Kaisers noch des Großfürsten entsprach, wurde Mitte
Januar 1829 eine nochmalige Prüfung der Akten in Petersburg durch
ein Komitee vorgenommen, das aus Kotschubej, Tolstoi, Golitzyn,
Wassiltschikow, Speranski, Nesselrode und Diebitsch bestand, und
dem der Staatssekretär Grabowski assistierte. Es war beauftragt,
die Stnafen der Polen möglichst denen gleich zu setzen, welche die
russischen Teilnehmer an der Verschwörung getroffen hatten. Zu-
gleich sollte es den Entwurf eines Verweises für die Mitglieder des
polnischen Gerichts ausarbeiten. Nun hatte das fünfte Departement
des Senats die russischen Polen Anfang März in corpore zu Zwangs-
arbeit verurteilt und der Kaiser im Reichsrat die Strafe auf Degra-
dation und Verbannung herabsetzen lassen. Dieser Entscheidung,
die bestätigt wurde, paßte die Kommission auch das Urteil über
den polnischen Prozeß an'). Am 7. März unterzeichnete Nikolai
alle Papiere des nunmehr glücklich beendigten Prozesses. Jablo-
nowski wurde in Hinblick auf sein ofl^enes Geständnis völlig be-
gnadigt. Er warf sich, als ihm der Freispruch verkündigt wurde,
vor dem Bilde des Kaisers auf die Knie und küßte es inbrünstig.
Dagegen erklärte der gleichfalls begnadigte Sobanski, daß er sein
Recht, keine Gnade haben wolle; der Kaiser, dem er in diesem
Sinne schrieb, erklärte ihn für irrsinnig und schickte ihm einen
Arzt ins Haus. Krzyzanowski und Majewski wurden aus den
Reihen der polnischen Armee gestrichen, und da der erstere aus
Wolhynien, der andere aus Russisch-Galizien stammte, den russi-
schen Polen gleichgestellt; die übrigen Angeklagten erhielten ver-
hältnismäßig leichte Strafen. Diese Entscheidung wurde am
lediglich durch die Unregelmäßigkeit der Arbeiten des früheren Untersuchungs-
komitees und der unzweckmäßigen Abfassung der kaiserlichen Instruktion
für den Nationalgerichtshof erklärt werden müßte.^
Relation Schmidt: Warschau, den 21. Dezember 1828. Berlin, G. St. A
A. A. I. Varsovie correspond. de Mr. Schmidt. Rep. I, Nr. 20.
1) ^La grande afTaire Polonaise est enfin terminee, premierement jugee
au s«.'nat oü eile Ta ete avec haine, injustice. L'empereur pen^tre de cette
Idee, a forme un comite, le meme qui se rassemble pour Forganisation du pays;
il a ajouti'i mon mari, ils se sont rassembles souvent. Apres leur decision on
a portö cette affaire au conseil: comme il a ete d'accord avec le comite^
c'est fini.** Die Gräfin Nesselrode an Nikolai Gurjew. Petersburg, 13./25.
Februar 1829. Archiv des Reichsrats III, Nr. 43.
Die Polen sahen in dem Eingreifen des Kaisers in ihre Angelegenheiten
eine Verletzung der Verfassung. Schmidt 1. 1. 23. Februar 1829.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 305
18. März 1829 in Warschaa publiziert und sofort in Kraft gesetzt.
Gleich danach warde auch der Oberstleutnant Prondzinski, der
vier Jahre lang in einem Karmeliterkloster in Haft gelegen hatte,
freigegeben. Ebenso Soltyk, Sobanski I und Cichowski. Die Sena-
toren erhielten vor versammeltem Staatsrat einen scharfen Verweis,
von dem jedem einzelnen eine beglaubigte Kopie eingehändigt
wurde, dann wurde noch ein Protokoll aufgenommen, und damit
war diese aufregende und peinliche Angelegenheit endgültig erledigt.
Ganz gewiß ist die verhältnismäßig nachsichtige Haltung des
Kaisers mit dadurch bestimmt worden, daß er im BegrUT war nach
Warschau zu reisen und sich dort zum König von Polen krönen
zu lassen. Es haben über die Krönungsfrage langwierige und ein-
gehende Verhandlungen stattgefunden, deren Widerhall sich in der
Korrespondenz des Kaisers mit dem Großfürsten verfolgen läßt.
Im wesentlichen vermochte der Kaiser schließlich seinen Willen
durchzusetzen. Das Resultat war, daß die Krönung vor dem Zu-
sammentritt des damals falligen polnischen Reichstages stattfinden
solle. Nikolai hätte am liebsten dieses Trugbild von Krönung^)
umgangen. Sein Standpunkt war, daß er bei seinem Regierungs-
antritt die polnische Verfassung bereits beschworen habe, und die
Kaiserkrönung in Moskau die Krönung zum Könige von Polen in
sich schließe; auch widerstrebte ihm der Gedanke, das bei der
Krönung schwer zu umgehende katholische Ritual an sich vollziehen
zu lassen. In diesen beiden Punkten kam es zu einem Kompromiß.
Die Krönung sollte stattfinden, aber mit einer in Petersburg
angefertigten neuen Krone, und die Geistlichkeit nicht mehr
hervortreten, als unbedingt notwendig wäre. Auch der Großfürst
liebte die polnische Geistlichkeit keineswegs. Redete er ihr in
dogmatischen Fragen nicht darein, so hatte er um so mehr gegen
die einzelnen Persönlichkeiten einzuwenden. „Ich finde sie" —
schrieb er bald danach — „so interessiert und in betreff der Tem-
poralien so habgierig, daß sie mir keinerlei Vertrauen einflößen."
Er hat sogar gemeint, daß, wenn sie in weltlichen Dingen der
Regierung opponierten, es nützlich sein könnte, wenn man gelegent-
lich einige Bischofssitze vakant ließe oder gar die Zahl der Bischofs-
stühle vermindere. Bei einer Bevölkerung von 37, Millionen Köpfen
1) „Ce simulacre de corouation" lasse sich vielleicht umgehen „en se
seryant du pretexte que la couronne n^existait pas". Nikolai an Konstantin,
den '28. Januar 1829.
Schiemann, Gecbicbtc Kußlands II. 20
306 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
aller Konfessionen gebe es acht Bischöfe, von denen sechs je
50000 Gulden, einer 65000 und einer gar 100000 Gulden beziehe.
Wenn man die russischen Verhältnisse damit vergleiche, ergebe
sich der Schluß, der daraus zu ziehen sei, von selbst.
Aber auf diese Gedanken ging der Kaiser nicht ein. Die
schließliche Verständigung erfolgte dahin, daß Nikolai am 5. Mai
Petersburg verlassen werde, um zur Krönung nach Warschau zu
fahren, mit ihm die Kaiserin und der Großfürst-Thronfolger. Fremde
Diplomaten sollten nicht mitgenommen werden, wohl aber Nessel-
rode mit seinem Stabe an Beamten.
Man wollte dem Auslande keinen Einblick in die Warschauer
Stimmungen gewähren^). Die Krone werde der Kaiser sich selbst
aufs Haupt setzen und dann seiner Gemahlin die Kette des Weißen
Adlerordens um den Hals legen*), das sollte aber nicht, wie der
Großfürst gewünscht hatte, in der katholischen Kathedrale, sondern
im Prunksaale des Senats geschehen und mit einem Tedeum seinen
Abschluß finden. Danach war ein großes Diner und am anderen Tage
ein Ball für die polnischen Damen vorgesehen. Die Reichstagsabge-
ordneten sollten einzeln, nicht als Körperschaft eingeladen werden. So
ist das Programm der Hauptaktion geregelt worden. Im ganzen sollte
der Aufenthalt der kaiserlichen Familie vierzehn Tage dauern, der
Reichstag aber erst vier Monate nach ihrer Abreise, am 1. Oktober,
zusammentreten*). Das Wesentliche war für den Kaiser, einen
0 »Die Entfremdung zwischen Russen und Polen kann hier nicht mehr
wachsen, sie ist größer als 1813. Jede Spur von Geselligkeit ist seit drei
Jahren verschwunden, und es dürfte schwer sein, einen traurigeren Aufent-
haltsort zu finden als Warschau.^ So charakterisiert der preußische General-
konsul Schmidt die Lage in seinem Bericht vom 21. November 1828. Der Groß-
fürst klagte über die jeunesse oiseuse, speziell über die Insolenz der Studenten
seit Erledigung des Prozesses. Der schlimmste Einfluß komme aus Kaiisch
und aus Posen. Konstantin an Nikolai, 21. März 1829. Kolaczkowski
erzählt, daß damals die geheimen Gesellschaften ihre Tätigkeit wieder auf-
genommen hätten. Man dachte daran, die kaiserliche Familie während der
Krönung zu überfallen, die Garde zu entwaffnen und einen Aufstand zu machen.
Konstantin scheint davon gewußt zu haben. 1. 1. S. 554.
^ Auch diese Kette war in Petersburg ad hoc verfertigt worden. Sie
bestand alternierend aus polnischen und russischen Reichsadlern.
^) Detail; 20. Mai: Ankunft. 24. Mai: Krönung. 25. Mai: Bai part*.
27. Mai: Beglückwünschung durch die Herren um 1 Uhr, durch die Damen um
7 Uhr abends. 28. Mai, um l Uhr: Volksfest; abends: Ball der Stadt. 29. Mai:
Ball des Senats, der Nunzien und Deputierten. 30. Mai: Ball des Senats-
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 307
Einblick in diese polnische Welt zu erhalten und sich unter allen
Umständen korrekt und konstitutionell zu zeigen, damit das
moralische Recht auf seiner Seite bleibe. Aber er hatte wohl die
Empfindung, daß er sich auf vulkanischem Boden bewegen werde,
und nichts wäre ihm lieber gewesen, als rücksichtslos, wie er es
in Rußland zu tun pflegte, mit den Schäden aufzuräumen, die er zu
erkennen glaubte.
Alexander Benkendorff, der seine Gedanken kannte wie nur
wenige, meinte, die nächste Notwendigkeit sei, Nowossilzew und
Lubecki zu beseitigen und durch andere geeignete Persönlichkeiten
zu ersetzen, in den polnischen Provinzen des Reiches überall die
für Rußland geltenden Ordnungen einzuführen und endlich dafür
Sorge zu tragen, daß im Königreich Polen ohne willkürliche Er-
schütterung regiert werde *). Aber wie schwer war es, diese au
sich durchaus vernünftigen Absichten durchzuführen? Möglich
war es nur, wenn der Kaiser sich entschloß, mit dem Bruder
zu brechen, und daran war durchaus nicht zu denken. Seit
dem Tode des Vizekönigs Zajonczek hatte der Großfürst den
Umkreis seines Einflusses im Königreich, wie in den sogenannten
polnischen Provinzen, in denen ihm das militärische Oberkommando
gehörte, immer mehr erweitert, so daß sich schließlich kein Zweig
der Verwaltung ihm ganz entziehen konnte. Dabei empfanden die
Polen die Willkür seines Vorgehens, die Russen dagegen fühlten
sich hintangesetzt, so daß beide murrten. Auch in der
Armee wiederholte sich dieselbe Erscheinung, und dem Kaiser
war es durch die Aussagen der Dekabristen wohlbekannt, wie
wesentlich die Polenpolitik Alexanders, die in Konstantin fort-
lebte, dazu beigetragen hatte, die Verschwörung großzuziehen, die
er auf dem Senatsplatz niederschlagen mußte. Er hatte aber seit
seinem Regierungsantritt die stets erneute Erfahrung gemacht, daß
jeder Versuch, an den polnischen Dingen zu rühren, den höchsten
Zorn Konstantins erregte, der in solchen Fällen mehr oder minder
deutlich mit Niederlegung seiner Ämter drohte. Ob die Ausfuhrung
dieser Absicht nicht einen geheimen Wunsch des Kaisers erfüllt
hätte, mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist, daß die Drohung
Präsidenten. «31. Mai: Diner für die Nunzieo und Deputierten. I.Juni: Hof-
ball. 2. Juni: Abreise der Majestäten. Schmidt 1. I.
1) Korrespondenz Benkendorffs mit Diebitscb. Wojenuo Utschenuy Archiv
1048. Der Brief vom 13./25. April 1829.
20»
308 Kapitel IX. Diplomatie uod Krieg bis zum Juli 1829.
fast immer ihren Zweck erreichte und daß der Kaiser dem Bruder
gegenüber nie nachgiebiger gewesen ist, als während der beiden
Kampagnen des Türkenkrieges.
Nun ließ sich der Aasgang, den der Feldzug Diebitschs nehmen
werde, im Mai 1829 noch keineswegs vorhersehen. Der Winter
1829 war ungewöhnlich streng und anhaltend. In den sudrassischen
Steppen, in Bessarabien und in den Fürstentümern gingen durch
furchtbare Schneewehen und orkanartige Stürme die Zugochsen der
Proviantkolonnen und der Viehbestand der Bewohner zugrunde.
Diebitsch erklärte gleich nach seinem Eintreffen, daß es schwer
sein werde, den Feldzug noch im Lauf des April zu eröffnen. Die
Sorge für die Verproviantierung der Armee, die Ordnung der Personal-
fragen, der Kampf mit der wiederausgebrochenen Pest und die
Vorbereitungen für die Belagerung von Silistria nahmen zunächst
seine und seines Stabes Arbeitskraft voll in Anspruch. Zur großen
Freude des Kaisers gestalteten sich die Beziehungen zwischen Toll
und Diebitsch auf das günstigste. Dagegen reichte der General
Langeron sofort nach Diebitschs Ernennung seinen Abschied ein, was
eine Reihe von Verschiebungen in den Spitzen zur Folge hatte.
Der provisorische Oberbefehl in Bukarest wurde dem Grafen Pahlen,
dem Kommandierenden des zweiten Infanteriekorps, übertragen, je-
doch mit der Bestimmung, daß, wenn er zur Belagerung Silistrias
vorgehe, Kisselew, der das Kommando des vierten Reservekorps
erhalten hatte, die Truppen in der großen und kleinen Walachei
übernehmen solle. Obreskow wurde zum General du jour des
Hauptquartiers, Sheltuchin zum Chef der Zivilverwaltung in den
Fürstentümern ernannt. Das siebente Armeekorps wurde dem
Generalleutnant Rüdiger gegeben, von einer nochmaligen Verwendung
des Prinzen Eugen ist überhaupt nicht die Rede gewesen. Der
Kaiser konnte ihm nicht verzeihen, daß die Niederlage bei Kur-
tepe durch seine, des Kaisers, Schuld erfolgt w^ar. Proprium est
humani generis odisse quem laeseris! An die Stelle von Rudze-
witsch erhielt General Krassowski das Kommando des dritten Korps
mit General Berg als Stabschef, während Generalmajor Buturlin
Generalquartiermeister der zweiten Armee wurde. Die Türken, die
unter der Härte des Winters noch mehr litten als die Russen,
hatten sich, wahrscheinlich wegen Futtermangels, an der oberen
Donau konzentriert, wo sie von Österreich her verproviantiert
wurden. Eine wesentliche Besserung bedeutete für Diebitschs
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 309
materielle Lage Anfang März das Eintreffen von sechzig rassischen
Lastschiffen mit 40000 Tschetwert Getreide und 20000 Päd Heu.
Sie waren von Odessa her in den kleinen bulgarischen Häfen gelandet
worden, und General Roth hatte die hocherwünschte Ladung durch
die Pferde seiner Offiziere nach Bazardschik geschafft, das er sonst
hätte aufgeben müssen. Die Einnahme von Sizeboli^) durch den
Admiral Kumani, dem Roth zu diesem Zweck neun schwache Kom-
pagnien überließ, hatte die Fahrt der Transporte gesichert.
Übrigens war Sizeboli schon am 28. Februar gefallen; Diebitsch
erhielt erst am 7. März die Schlüssel der Stadt. Es war der erste
Punkt jenseit des Balkans, der in russische Hände fiel, und Die-
bitsch ließ sofort die Festungswerke erneuern, ein Fort anlegen,
die Besatzung verstärken und die Stadt mit türkischen Geschützen
und mit Munition versehen. Kumani hat dann noch zwei kleine
türkische Fahrzeuge genommen und durch Wegnahme eines großen
Prahms, der über die Bucht von Foros fährte, den Angriff auf
Sizeboli sehr erschwert. Dagegen blieb der Versuch, Achialos
durch ein Bombardement zu nehmen, erfolglos.
Die ungewöhnlich weitgreifende Überschwemmung der Donau
hemmte die Anstalten zur Belagerung Silistrias; auch das gegen-
überliegende Kalarasch war überschwemmt, ebenso Hirsowa, so daß
Diebitsch den von ihm in Sicht genommenen Angriffspunkt gegen
Silistria verlegen mußte. Dazu gab es in den ersten Tagen des
April noch kein Gras. Unter diesen Umständen dachte Diebitsch
sein Hauptquartier nach Galacz zu verlegen. Er ließ, um die
Türken über seinen Operationsplan zu täuschen, das Gerücht aus-
sprengen, daß er nach Bukarest und von dort wahrscheinlich nach
Krajowa, also in die westliche Walachei, ziehen werde'). Als
aber Diebitsch den Kaiser um die Erlaubnis bat, die 11. Division
1) 1090 Albaner, die in der Festung lagen, ergrifTen während des Bom-
bardements die Flucht.
^ Diebitsch an den Kaiser. Jassy, den ^^~ 1829. Die gesamte Kor-
öm April
respondenz Diebitschs mit dem Kaiser ist in der Russkaja Starina Bd. XXX
und folgende veröfTentlicht. Die Briefe Diebitschs leider in russischer Ober-
setzung. Die Korrespondenz ging französisch. Auf diese Quelle ist meine
Darstellung vornehmlich gegründet, dazu benutze ich die noch ungednickte
Korrespondenz Diebitschs mit Nesselrode, BenkendoriT und den russischen
Generalen. Für das technisch -militärische Detail, das übergangen wird, ist
überall Moltkes russisch-türkischer Feldzug zu Rate zu ziehen.
310 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
zur VerstärkuDg der aktiven Armee heranzuziehen, erhielt er einen
ablehnenden Bescheid, und noch weniger war Nikolai bereit zu
gestatten, daß die Reserven schon im Juni in das dann wahr-
scheinlich eroberte Gebiet einrückten.
So ging die Zeit hin. Von wesentlicher Bedeutung war nun,
daß es dem Ingenieur-Oberst Schilder glückte, aus dem Ardzis das
Material für einen Brückenbau an die Donau zu schaffen und ober-
halb Ralarasch in Sicherheit zu bringen, so daß sich darauf rechnen
ließ, daß hier die Brücke zum Übergang über die Donau recht-
zeitig fertig werden könne. Auch war es dem General Wachten,
dem Stabschef des sechsten Korps, gelungen, einen Angriff abzu-
schlagen, den Hussein Pascha von Rustschuk aus gegen Kalarascb
unternommen hatte. Das war alles, was der Kaiser an Tatsachen
kannte, als er am ö. Mai seine Reise nach Warschau antrat. Er
wußte außerdem, daß entscheidende Aktionen bald bevorstanden.
Die provisorische Avantgarde unter General Krassowski und die
Donauflotille waren im Begriff, gegen Silistria vorzugehen, und
Diebitsch dachte, sobald sich sichere Aussicht auf Erfolg bot, das
Gros der Armee mit Roth zu vereinigen, um womöglich den Großw^esir
zu schlagen, wenn dieser eine Schlacht anbiete, anderenfalls aber,
von der Flotte und Landungstruppen unterstützt, den Übergang
über das Gebirge bei Pravody zu forcieren*). Von der Stärke des
Feindes hatte auch Diebitsch damals noch keine sichere Kunde.
Aus Persien aber hatte der Kaiser die schlimme Nachricht erhalten,
daß am 15./27. Februar der außerordentliche russische Gesandte
Gribojedow, der bekannte und mit Recht gefeierte russische Dra-
matiker, in Teheran vom Pöbel erschlagen worden war. Glücklicher^
weise diskulpierte sich die persische Regierung, und da man die
bündigste Ursache hatte gläubig zu scheinen, begnügte sich Pas-
kiewitsch, der die Verhandlungen führte, mit der Forderung, daß
eine Sühnegesandtschaft nach Petersburg abgefertigt werden solle.
Da ein Sohn des Schahs bestimmt war, die Botschaft zu über-
bringen, gewann Rußland dadurch gleichsam eine Geisel für das
Wohlverhalten Persiens. Der Feldzug gegen die Türken in Asien
aber konnte erst Anfang Juni beginnen. Auch hier standen alle
Entscheidungen noch bevor. Es ist daher begreiflich, daß der Kaiser
*) Kaiser Nikolaus an König Friedrich Wilhelm. Petersburg, den ' J^[
1829. Cbarlottenburg, Hausarchiy.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 311
in nervöser Spannung seine Reise antrat. Er wollte damit einen
Besuch in Berlin verbinden, das er seit dem Februar 1825 nicht
wiedergesehen hatte, und bat in seiner faszinierend liebenswürdigen
Art den König, ihn „wie einen alten preußischen Diener^ zu
empfangen. Nebenher verband sich damit der Wunsch, die preu-
ßische Hilfe anzurufen, um einen Druck auf den Sultan auszuüben
und ihn zu baldigem Friedensschluß zu bewegen. Denn nach
Frieden sehnte er sich und ebenso nach einer Stütze in seinen
Beziehungen zu den europäischen Mächten. Hatte er doch, un-
mittelbar vor seiner Abreise, dem französischen Botschafter Grafen
Mortemart Anträge machen lassen, die von diesem als das Angebot
einer russisch-französischen Allianz ausgelegt wurden^), was offenbar
in der Absicht geschah, den König von der immer noch möglichen
Anschließung Frankreichs an die feindselige Politik Englands ab-
zulenken.
Endlich kam zu alledem eine steigende Beunruhigung über die
Entwicklung der inneren Verhältnisse Frankreichs. Nikolai fürchtete
schon damals, daß sie zu gefahrlichen Erschütterungen führen werde,
und war in dieser Überzeugung durch den ihm sympathischen,
kürzlich eingetroffenen neuen österreichischen Botschafter Grafen
Fiquelmont noch bestärkt worden. Dagegen war ihm die Sorge,
daß Österreich etwa zugunsten der Türken eingreifen könne, ge-
schwunden, aber er glaubte an die Fortdauer der politischen
Intrigen Metternichs, und seit Wellington die Emanzipation der
Katholiken durchgesetzt hatte'), ließ sich vorhersehen, daß ihm von
England dabei sekundiert werden würde.
So ist er gleich nach Schluß der Festlichkeiten, welche die
Osterzeit mit sich brachte, und nachdem er am 2. Mai noch eine
große Parade abgenommen hatte, am 5. Mai aus Petersburg auf-
^) Petersburg, den 2. Mai. Chiffre. „Le laugage de TEmpereur et des
personnes influeDtes qui Tentoureut, devient chaque jour plus amical pour
la France. Sa Majeste a discut^ avec moi les avantages et les dangers d^une
alliance avec un Gouvernement representatif, comme une personne qui songerait
a en former une. Enfin le mot: une alliance entre nous, a ete dit par une per-
sonne qui a toute la confiance du souverain.** Relation Mortemart. Russie 177.
Siehe in der Anlage den Brief Nikolais an König Karl X.
^ Am 5. April nach dreitägiger Debatte mit 217 gegen 112 Stimmen.
^Parliament will give him an absnlutely free hand in tbose questions of foreign
policy which he now proposes to take up and push forward vigorously'^ schreibt
die Fürstin Lieven am 7. April aus London.
312 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
gebrochen. Der Oberzeremonienmeister Potocki war ihm voraus-
geeilt, um die neue polnische Königskrone nach Kowno zu bringen,
wo sie vom Zeremonien meister des polnischen Hofes und von
einem Detachement der polnischen Gardejägerkavallerie abgeholt
und nach Warschau gebracht wurde. Die Kaiserin und der Groß-
fürst-Thronfolger reisten gleichfalls über Kowno, der Kaiser über
Dünaburg, Grodno, Wilna, Bialystok. Bei Tykotschin erreichte er
die polnische Grenze, und in Pultusk traf er mit der Kaiserin
wieder zusammen, um mit ihr gemeinsam in Warschau einzuziehen.
Der Kaiser war mit unerhörter Schnelligkeit gereist, eine deutsche
Meile in 20 Minuten, und hatte in allen Städten, die er passierte,
Trnppenbesichtigungen vorgenommen und die öiTentlichen Anstalten
besucht. ,Das heißt^ schreibt Benkendorff, der wie stets mit dem
Kaiser fuhr, ,wir sahen nichts.' Aber es wurde alles gelobt, der
Kaiser wollte nicht sehen, um nicht tadeln zu müssen. Es sollte
ihm ein gutes Gerücht vorhergehen. Am 18. Mai traf er in
Warschau ein. Der Großfürst war ihm mit der Fürstin Lowicz bis
Sablonna, einem Poniatowskischen Besitz zwei Meileu vor War-
schau, entgegengefahren. Mit ungeheuerem Prunk ist dann das
Programm der Festlichkeiten durchgeführt worden. Die Krönung
im Senatssaale fand am 24. Mai statt^), es war alles so angeordnet
worden, daß der polnische Klerus dabei doch eine größere Rolle
spielte, als dem Kaiser lieb war. Trotz allen offiziellen Apparats
zeigte der polnische Adel eine eisige Kälte. Als der Primas nach
vollzogener Krönung sein dreimaliges Vivat Rex in aeternum rief,
stimmten nur die anwesenden Russen in den Ruf ein. Der Primas
und der Hofstaat verloren darüber alle Fassung. Später schien die
Stimmung sich etwas zu heben. Es gefiel den Polen, daß der
Kaiser und die Kaiserin sich so furchtlos ohne Begleitung in den
Straßen derStadt bewegten, auch schmeichelte das sichtliche Bestreben
Nikolais zu gefallen der nationalen Eitelkeit. Aber es wurden
überspannte Erwartungen daran geknüpft. In der Krönung sahen
0 Vergl. die eingehenden Berichte der Vossischen und Spenerschen Zeitung.
Überhaupt verdienen die Beriiner Zeitungen für diese Zeit Beachtung. Sie
dienten, da ihre Berichte schnell einliefen, vielfach in Petersburg zur In-
formation. Auch dem Kaiser. Besonders beachtenswert sind die Korre-
spondenzen der Vossischen vom Kriegsschauplatz und der Spenerschen von der
türkischen Grenze. Beide Blätter hatten Korrespondenten in Petersburg und
Warschan. Die Tendenz allem Russischen gegenüber war panegyrisch.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 313
die Polen eine ihrer Verfassung dargebrachte Huldigung. Sie er-
warteten eine Ära streng konstitutionellen Regiments und hielten
sich nach wie vor berufen, den Kern eines künftigen, selbständigen
Polens zu bilden')* Aber die geflissentliche Zurücksetzung der
Landboten und Deputierten, die von jedem Anteil an der Krönungs-
zeremonie ausgeschlossen und nicht einmal zur Tafel an den Hof ge-
laden wurden, verstimmte sichtlich. Die Ordensverleihungen trafen
lauter mißliebige Persönlichkeiten, und als später durch zahlreiche
neue Verleihungen der Fehler ausgeglichen werden sollte, wußte
man dem Kaiser dafür keinen Dank. Die Amnestie, die verliehen wurde,
erschien höchst dürftig, und der Erlaß der aus den Tagen des
ödtereichischen Besitzes von Westgalizien stammenden Steuerröck-
stände machte niemandem Freude, man hätte sie doch nicht gezahlt.
Ebensowenig dankte man dem Kaiser die Ernennung von elf neuen
Senatoren, weil nach der Verfassung die Ernennung der Senatoren
dem Reichstage vorbehalten war').
Der Großfürst war die ganze Zeit über ernst und konnte seine
Mißstimmung nur wenig verbergen'). Ihn drückte die Gegenwart
1) Memoire des Grafen Raczynski. Anlage zur Instruktion für Küster.
Raczynski schildert die Zustände in Galizien und bemerkt dazu, die Galizier
wurden eine Vereinigung mit dem Königreich gern sehen: La le^on yient
de Varsovie, eile a ete comprise partout, et eile porte Tavis: qu'avant tout
il faut chercher a se reunir pour etre en mesure de profiter des chances
favorables au retablissement d'une Pologne ind^pendante. On ne peut pas
mieux parier dans Tinteret de la Russie. On disäit que le Royaume de Pologne
donne a la Russie le droit d^alluvion. Le nom est la qui etablit le prinicpe
et le droit.
^ Wiener Staatsarchiv. Warschau. Bericht des Generalkonsuls Oechsner
vom 5. Juni 1829. Auch Schmidt, der anfänglich optimistisch urteilt, schreibt
am 13. Juni: Der Enthusiasmus hat sich beträchtlich abgekühlt, indem eigent-
lich keine von den sehnlichst erwünschten Veränderungen eingetreten ist
') Es ist möglich, daß ein kleiner Unfall dazu beigetragen hat Als
beim Einzüge der Kaiser die Brücke, die von Praga nach Warschau führt,
betrat, machte das Pferd des Großfürsten plötzlich kehrt und war trotz aller
Anstrengungen des Reiters nicht zum Gehorsam zu bringen. Der Großfürst
sah sich genötigt, abzusteigen und zu Fuß über die Brücke und durch einen
Teil der Stadt zu gehen. Selbst als ihm ein anderes Pferd vorgeführt wurde,
und er nun die Parade kommandierte, die dem Kaiser die glänzenden und
unvergleichlich gedrillten polnischen Truppen vorführte, konnte er seine
Fassung nicht wiedergewinnen. „Die Züge seines Gesichts hatten sich völlig
verändert, und die an seinen Jähzorn gewöhnten Untergebenen des Großfürsten
314 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
des Bruders, der sichtlich unter diesen Launen litt. Es war nicht
zu verkennen, daß hier zwei grundverschiedene Naturen einander
gegenüberstanden, und daß für beide gleichzeitig in Warschau keine
dauernde Stätte war. Den Kaiser verfolgten zudem seine militärischen
Sorgen. Er hatte schon am 19. Mai einen Brief von Diebitsch erhalten
der vom ^' ^^! aus Tschernowody datiert war, wo Krassowski seine
Truppen konzentriert hatte. Diebitsch klagte über die Zunahme der
Pest und über den kläglichen Zustand der Hospitäler. Die Belagerung
von Silistria sollte mit 25 — 27000 Mann begonnen werden und Pahlen
seine 12 — 13000 Mann ihnen anschließen. Am 13. Mai wollte Diebitsch
selbst marschieren. Das Land bis zur Straße, die nach Schumla
und Rasgrad führe, sei ganz leer, die Garnison von Silistria solle
schon vor zwei Monaten Verstärkung erhalten haben. Die Mehrzahl
der türkischen Truppen, die bei Aidos und Burgas standen, hätte
am Kamtschyk Fuß gefaßt. In Schumla lägen 30 — 50000 Mann,
10 — 12000 zwischen Rasgrad und Tirnowa, ebensoviele in Rust-
schuk, wo Hussein, und in Nikopolis, wo Halil Pascha kommandiere.
In Silistria ständen 15000 unter Achmet Pascha. Die Reserve
bilde sich in Adrianopel, wo der Sultan erwartet werde, auch aus
Bosnien und Albanien rechneten die Türken auf Zuzug, und diese
Truppen seien bestimmt, über Sophia nach Schumla, Rustschuk
und Silistria zu ziehen. In Rumili aber sei alles aufgeboten, was
Waffen tragen könne '). Diebitsch wollte sich für die Zuverlässig-
keit dieser Angaben nicht verbürgen, richtig sei jedoch, daß die
Türken eifrig und erfolgreich rüsteten. General Roth, der mit ihm
die Truppen in Tschernowody besichtigte, habe mit 24 Bataillonen'),
mit der Kavallerie und den meisten Kosaken sein Lager bei Turk-
Arnautlar aufgeschlagen. GeheReschidMehmed Pascha, derneueGroß-
wesir, gegen Silistria vor, so werde Roth die Garnison in Pravody ver-
stärken, und sich über Konary und Aflotar mit dem Hauptheer
vereinigen. Sollte dagegen der W^esir sich gegen ihn wenden, so
werde Roth trotzdem die Garnisonen von Pravody und Varna ver-
stärken und sich in der Richtung auf Konary zurückziehen.
konnten leicht erraten, was ihnen bevorstand.^ So berichtet Renkendorf! in
seinen vom Kaiser durchgesehenen Memoiren. Die Zeitungen und die Berichte
der Ausländer haben den Vorfall verschwiegen.
^) Das gab, Bosnier, Albaner und Rumelioten nicht gerechnet, ino
Minimum 75000, im Maximum 101000 Mann.
^) Die Bataillone waren sehr schwach, 14 bis 24 Reihen.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 315
Diebitsch wollte ihm dann mit der Kavallerie und dem 3. Korps
zu Hilfe eileo und die Türken von Schumla abschneiden.
Also eine Schlacht schien bevorzustehen. Am Mittwoch,
28. Mai, erhielt aber der Kaiser einen zweiten Brief, der
seine Unruhe in ernste Besorgnis verwandelte. Am 17. Mai, als
Diebitsch eben vor Silistria eingetroffen war, hatte Roth bei Eski-
Arnautlar, wo er in Verschanzungen lag, statt wie vereinbart war,
dem Feinde auszuweichen, zwar mehrfache Angriffe des Großwesirs
abgeschlagen, auch bereits die Verfolgung des weichenden Feindes
aufgenommen, aber das Regiment Ochotsk und das 32. Jäger-
regiment unter General Rynden, denen die Verfolgung übertragen
war, gerieten dabei im Felstal von Pravody in eine Art Falle.
Die türkischen Reserven mit 10 Geschützen fielen über sie her.
Die Russen, deren 6 Geschütze gleich zu Anfang ihre Bedienung
verloren, wären ganz vernichtet worden, hätte sie nicht der Oberst
Fiischin durch einen Bajonettangriff der 32. Jäger gerettet. Erst
danach, um 8 Uhr abends, hatte der Großwesir den Rückzug
mit seinem Heere angetreten. Diebitsch schätzte das Heer Reschid
Mehmeds auf 20000 Mann meist regulärer Infanterie, 8000 Reiter
und 10 Geschütze. Aber Roth hatte unverhältnismäßig schwere Ver-
luste erlitten. General Rynden, 14 Offiziere und 480 Unteroffiziere und
Gemeine waren gefallen, 28 Offiziere und gegen 600 Unteroffiziere und
Gemeine meist schwer verwundet, auch waren 4 Geschütze ver-
loren gegangen '). Diebitsch bedauerte, daß Roth nicht dem Kampf
ausgewichen war. Am Tage nach dem Treffen stießen 3 Regimenter
der 18. Infanteriedivision und die 38. Jäger zu ihm. Diebitsch meinte,
es habe Nachlässigkeit beim Vorpostendienst vorgelegen'). Nun
konnte er freilich auch einige günstige Nachrichten geben. Roth
hatte zwei Fahnen erobert, ein Angriff, den der Großwesir gleich-
zeitig mit dem Treffen bei Eski-Arnautlar gegen Pravody hatte
unternehmen lassen, war tapfer abgeschlagen worden. Bei Silistria
war die Brücke über die Donau glücklich fertiggestellt worden, und
in 3 — 4 Tagen sollten die Trancheen eröffnet werden, morgen, den
21., werde die Batterie der falschen Attacke ihr Feuer beginnen.
Seine Vorposten ständen auf den Straßen nach Bazardschik,
') Die etwas abweichenden Angaben bei Mohke geben wohl auf den
offizielleD russischen Bericht zurück.
^) Siehe die Anlage. Das Schreiben Roths an Diebitsch unmittelbar
nach dem Treffen.
316 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
Schumla, Rasgrad, Rustschuk. Vom Feinde sei nichts zu sehen.
General Kreuz (4. Ulanendivision) habe sich am 19. in Jenibazar
mit Roth in Verbindung gesetzt. Der Großwesir setze seinen
Marsch nach Schumla fort. Der Brief schloß mit der Ankündigung,
daß der nächste Kurier erst in acht Tagen abgehen werde.
Der Kaiser war erschreckt und bekümmert, er fürchtete den
Eindruck, den diese Nachrichten im Auslande machen würden *).
und glaubte, daß der Großwesir sich gegen Diebitsch wenden werde.
Die acht Tage, die nun ohne Nachricht vergehen sollten, erschienen
ihm fast unerträglich. Am 30. Mai traf Prinz Wilhelm von Preußen
in Warschau ein. Er brachte die Nachricht, daß der König infolge
leichter Erkrankung nicht, wie vereinbart war, in Sibyllenort mit
dem Kaiser zusammentreffen könne. Die Reise der Kaiserin nach Berlin
wurde dadurch nicht getroifen, sie verließ Warschau am 31. Mai.
Aber auch den Kaiser duldete es bei seiner inneren Unruhe nicht
länger in seiner polnischen Umgebung. Am 2. Juni in aller Frühe
verließ er mit kleinem Gefolge die Stadt. Er wollte den Schwieger-
vater überraschen und dann in Berlin sich frei über die Sorgen
aussprechen die ihn bedrückten. Mehr als je verlangte ihn nach
einem baldigen Frieden. Vielleicht konnte Friedrich Wilhelm helfen.
Am ß. Juni in Frankfurt a. 0. holte der Kaiser seine Gemahlin
ein, die schon zwei Tage vor ihm Warschau verlassen hatte; in
Friedrichsfelde begrüßte sie der durch den Besuch Nikolais völlig
überraschte König'), um 7 7, Uhr abends hielten sie unter dem
Jubel der Bevölkerung ihren Einzug in Berlin. Man kann sich
schwer eine Vorstellung von der schwärmerischen Verehrung
machen, die dem russischen Kaiserpaar in der preußischen Haupt-
stadt entgegengetragen wurde. An der „Prinzessin Charlotte^ hatte
von jeher das Herz der Berliner gehangen. Den Kaiser be-
wunderte alles. Man fand den schönen Mann etwas gealtert und
abgemagert. Die Stirn war höher geworden, die Züge schärfer.
Aber man kannte seine Vorliebe für die Preußen und gab ihm die
1) „Sur nos amis a retranger.** Brief an Diebitsch vom 29. Mai aus
Warschau. Der Brief schließt mit den Worten: ,,Redoublez dVtention et de
vigueur, et que le Christ vous guide."
^) Nikolai an Diebitsch. Berlin („du eher Berlin''), den 7. Juni. »Je
suis venu tellement inattendu, que je me tenais derriere le Roi, qui ne me
Yoyait pas et qui ne s'en doutait pas encore; il est presque tombe ä la
renverse en m'apercevant."
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 317
gleiche Zuneigung wieder. Vor allem galt das vom preußischen
Militär. Der Kaiser hatte sich auch für den Feldzug von 1829
preußische Offiziere für sein Hauptquartier gewünscht und um den
General Grolmann gebeten'). Den hatte der König ihm abge-
schlagen, aber er schickte ihm drei hervorragende Generalstabs-
offiziere, Panzer'), Wildermeth und Staff von Reitzenstein, von
denen die ersteren leider in Adrianopel starben, * Staff dagegen die
ganze Kampagne mitmachte. Panzer notiert in seinem Tagebuche,
das von Abschnitt zu Abschnitt durch Kurier dem Könige zu-
geschickt wurde, über den Empfang, der ihm am 19. Mai zu
Warschau vom Kaiser zuteil wurde, daß er und seine Gefährten
nach der Parade dem Kaiser vorgestellt und von ihm aufs Schloß
beschieden wurden. „Dann kamen wir ins Arbeitszimmer des
Kaisers, der uns merkwürdig empfing: „Dort draußen war ich König
von Polen, hier bin ich nur Kamerad und freue mich herzlich,
Euch zu begrüßen.^ Er gab uns die Hand, fragte nach unserem
National und erzählte uns dann den Hergang der vorigen Kampagne,
wobei er sich des Passus bediente: „Dann machten wir hier bei
Schumla die Dummheiten.^ Von dem bevorstehenden Feldzuge
sagte er uns, daß 140000 Mann dazu bestimmt wären, von denen
nach Abzug der. Kranken und Detachierten jedoch nur 60 — 80000
Mann zur Operation übrig blie'ben, die aber hinreichen würden,
den beabsichtigten Zweck zu erreichen. Ferner meinte er, daß
wir in einigen Monaten den größten Teil der Armee in den
Lazaretten haben und die Kavallerie um ihre Pferde gebracht sein
werde.^ Das zeigt an einem typischen Beispiel die Art, wie der
Kaiser mit den preußischen Offizieren zu verkehren pflegte, und
erklärt den Widerhall enthusiastischer Verehrung, der ihm aus den
Reihen der preußischen Armee entgegen klang. Aber wir finden
hier auch die Sorgen wieder, die ihm die Ruhe raubten und die
ihn nach Berlin geführt hatten. Unter all den Festlichkeiten die
ihm nun während der Pfingstwoche in Berlin bereitet wurden
oder der Vermählung seines Schwagers, des Prinzen Wilhelm,
*) Nesselrode an Diebitsch den 9./21. April 1829.
^ Von Panzer ist ein höchst interessantes Tagebuch erhalten, das vom
14. Mai bis 18. August 1829 reicht. Er starb am 17. November. Sein Tagebuch
ist eine der vornehmsten Quellen Moltkes geworden, speziell in betreff des
Übergangs über den Balkan. Staff reiste in besonderer politischer Mission.
Vergl. die Anlage, die zum erstenmal über diese Dinge Auskunft gibt
318 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
mit der Prinzessin Aagusta von Weimar galten, verlor er sein
Ziel, durch Preußens Hilfe den Sultan zum Abschluß eines
baldigen Friedens zu bewegen^ keinen Augenblick aus den
Augen. So reifte in den vertrauten Unterredungen mit König
Friedrich Wilhelm III. der Gedanke, den Chef des preußischen
Generalstabes, Generalleutnant von Müffling, nach Eonstantinopel
zu senden und durch ihn die Hohe Pforte wissen zu lassen, daß
es weder in den Absichten noch in den Wünschen des Kaisers
liege, Eroberungen zu machen oder gar der Selbständigkeit des
osmanischen Reiches zu nahe zu treten, daß er vielmehr gern
durch einen baldigen Frieden den jetzigen Krieg beenden wolle.
Sei der Sultan anders gesinnt, so werde Rußland dagegen
den Krieg mit aller Kraft bis zum letzten Ende fuhren. Für die
Pforte aber sei der gegenwärtige Augenblick günstig, um den Krieg
„auf eine mit ihrer Ehre und Selbständigkeit bestehende und ihre
wahren Interessen nicht gefährdende Weise zu Ende zu bringen *)**.
Müfflings Sendung bezwecke, dieser Überzeugung, die die des Königs
sei, „bei dem Divan Eingang zu verschaffen und in dem Sinne
derselben die Pforte zu einem annähernden Schritt gegen Rußland
zu bewegen.^ Das Eingreifen Preußens sollte durchaus nicht den
Charakter einer versuchten Mediation tragen, sondern als der Aus-
druck des freundschaftlichen Interesses gelten, das der König
persönlich für die Pforte hege. Nesselrode'), der über die Mission
Müfflings nicht zu Rat gezogen wurde, ist, wie sich aus seiner
Korrespondenz mit Diebitsch ergibt, nachher voll Mißtrauen und
Eifersucht gegen Müffling gewesen. Diebitsch erhielt erst später
Nachricht von der Mission Müfflings.
Der Kaiser war bester Stimmung als er Berlin verließ um nach
Wai*schau zurückzukehren. Er hatte sich, wie er schrieb, nach vier
Sorgenjahren einmal erholt. Den Rückweg, auf dem nur Orlow und
1) Instruktion Müfflings, Konzept ohne Datum, in der Anlage. Sie kann
spätestens am 13. Juni entstanden sein.
') In dem Compte rendu von Nesselrode findet sich über die Mission
Müfflings die folgende Darstellung: „Durant son sejour a Berlin, Votre Majeste
Imperiale avait eu Toccasion d^exposer de nouveau les vues qui seules La
dirigeaieut dans la guerre de Turquie, et le but qu'Elle poursuivait invariable-
ment. La mission du Gent'ral Müffling fut une consequence de ces explications.
II etait specialement cbarge d'attester aupres de la Porte les dispositions
personnelles de Votre Majeste et d^exhorter le sultan ä s^en prevaloir et a
solliciter la paix par des plenipotentiaires envoyes au quartier general russe.^
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 319
Benkendorff ihn begleiteten, nahm er über Schlesien. In Sibyllenort
ward ihm der Genuß einer Parade des Kürassierregiments Kaiser
Nikolaus zuteil. Am 16. Juni um 4 7, Uhr nachmittags traf er
wieder in Warschau ein.
Wahrscheinlich unterwegs war ihm eine Depesche Diebitschs
vom 4. Juni zugegangen, durch welche der General, der vor
Silistria lag, ankündigte, daß er sich Roth nähere und daß dadurch
die Einnahme von Silistria um 8 bis 14 Tage verzögert werden
könne. Sein Vormarsch sei ein Fehler, wenn Roth in seinen Be-
richten über die wahrscheinlichen Absichten des Großwesirs sich
getäuscht haben sollte. Sei es aber, wie Roth sage, und ziehe der
Großwesir wirklich mit ganzer Macht aus Schumla heran, um
ihn anzugreifen, so könnten entscheidende Resultate erreicht werden,
wenn es zur Schlacht komme, und die Aussichten seien zu günstig,
als daß er sie versäumen dürfe. Am 5. werde er nach Kutschuk —
Kainardschi marschieren. General Madatow habe sich mit Roth
vereinigt, und die 3. Brigade der 11. Division sei beauftragt, auf
Bazardschik loszugehen, von wo sie nur 30 W^erst entfernt sei.
Diebitsch meldete zugleich, daß er die Instruktion erhalten habe,
die ihm Xesselrode für den Fall geschickt hatte, daß Friedens-
verhandlungen angeknöpft werden könnten. Es waren drei Ent-
würfe, die das Maximum und Minimum der russischen Forderungen
formulierten. *)
Es stand also, darüber war kaum ein Zweifel möglich, eine
große Entscheidung vor, und aller Wahrscheinlichkeit nach war sie
bereits gefallen. Der Kaiser harrte in Sorgen der Boten, die ihm
Gewißheit bringen mußten und wurde durch den Großfürsten Kon-
stantin noch nervöser gemacht, der „unablässig riet, den Frieden
auf jede nur mögliche Weise herbeizuführen und dabei sogar alle
Rücksichten auf das point d'honneur beiseite zu lassen^*). Die
Spannung war fast unerträglich geworden, da traf am 19. gegen
Mittag ein Adjutant Diebitschs, der Fürst Trubetzkoi, mit einem
Brief Diebitschs ein, der die Siegesnachricht von einer großen am
11. Juni bei Kulewtschi gewonnenen Schlacht enthielt. Dieser
denkwürdige Brief lautete: ,,Lager bei Madara bei Schumla, den
^) Sie waren schon am Tage vor der Abreise des Kaisers aus Petersburg
genehmigt worden. Ich habe nicht feststellen können, woran es liegt, daß sie
80 spät in Diebitschs Hände gelangten.
^ Relation Schmidt. Warschau, den 19. Juni.
320 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
31. Mai (12. Juni). Der Allerhöchste hat gestern die heroischen
Anstrengungen Ew. Majestät siegreichen Truppen gesegnet. Der
Großwesir ist aufs Haupt geschlagen; er hat seine ganze Artillerie
verloren, dazu alle Bagage, und seine vollkommen demoralisierte
Armeer wird ohne Train und Kanonen nur mühsam (wie ich
hofTe) auf Feldwegen Schumla erreichen. Ich gehe noch heute
mit dem Korps von Roth und zwei Kavalleriedivisionen in der
Richtung nach Eski-Stambul vor, um zerstreute Trümmer des
Heeres abzuschneiden. Graf Pahlen ist dem Feinde auf den Fersen
gefolgt, jetzt ist er zurückgekehrt und hat, nachdem er 40 Kanonen
erbeutete, die Fortsetzung (der Verfolgung) dem General Kuprejanow
überlassen. Unser Verlust ist auch groß, obgleich, nach Aussage
aller Gefangenen, er höchstens ein Drittel des Verlustes beträgt,
den der Feind erlitten hat. Er ließ 2000 Tote auf dem Schlachtfelde.
Wir haben über 2000 Mann verloren, davon zwei Drittel an Toten.
So stark hat fast nur die 6. Division gelitten, dazu die Irkutsker
Husaren. Die ersten Bataillone der 12. Jäger und des Muromscheu
Regiments fielen bis auf den letzten Mann, ihre Fahnen verteidigend.
Die Menge türkischer Leichen, die zwischen ihnen liegen, zeugt
flafür, daß sie ihr Leben teuer verkauft haben. Die Fahnen des
12. Jägerregiments wurden dem Feinde in Stücken entrissen, man riß
sie in dem Augenblick von der Stange, als diese in die Hände der
Türken fiel. Die Fahne des Muromschen Regiments ist bisher noch
nicht aufgefunden, aber ich wage E. M. zu bitten, dem zu bildenden
Bataillon eine neue Fahne zu schenken, denn dieses ausgezeichnete
Regiment hat es vollauf verdient. Die Regimenter Newsky und
12. Jäger haben gleichfalls bei der Abwehr der rasenden Angriffe
der Türken die Hälfte ihrer Mannschaft verloren, aber dieser Ver-
lust verteilt sich gleichmäßiger auf die Bataillone. Die 19. reitende
Batterie gab die Entscheidung und war die Veranlassung, daß der
Feind den größten Teil seiner Artillerie verlor. Ich wage für sie
bei E. M. als Auszeichnung (Kiver) Helme und für die Offiziere
Litzen zu erbitten. Wenn ich mir persönlich eine Gnade erbitten
dürfte, wäre es die Erhebung meines ausgezeichneten würdigen
Gehilfen Toll in den Grafenstand, zur Erinnerung an diesen denk-
würdigen Tag; ich weiß, daß es ihn sehr beglücken würde, und
wegen seiner ausgezeichneten Dienste ist er dessen würdig. Ich
wage ferner zu erbitten: das Wladimirband für Pahlen, das Annen-
band für die Generale Arnoldi und Obrutschew nnd den Wladimir
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 321
zweiter Klasse für Buturlin. Es ist Toll selbst, der der ersten Ver-
folgung des Feindes eine so große Energie gab. Graf Pahlen hat
sich während des Kampfes durch die glänzendste Haltung ausge-
zeichnet, den Feind 15 Werst weit getrieben und ihm in den
Defileen des Gebirges den Rest der Artillerie und des Trains ge-
nommen. Mit diesem Briefe und zwei dem Feinde abgenommenen
Fahnen (die eine gehört der regulären Kavallerie, die andere der
regulären Infanterie) schicke ich meinen Adjutanten, den Fürsten
Trubetzkoi. Er dient stets mit größtem Eifer.
Ich erdreiste mich, E. M. zu bitten, mich Ihrer Majestät der
Kaiserin zu Füßen zu legen. ^
Der Eindruck, den auf den Kaiser der plötzliche Übergang
von quälenden Befürchtungen zu höchster Siegesfreude machte, ist
schwer zu beschreiben. Er umarmte und küßte Trubetzkoi.
w*arf sich dann auf die Knie, um Gott zu danken, und gratulierte
darauf Trubetzkoi zu seiner Ernennung zum Flügeladjutanten und
Oberst, dann führte er ihn, ohne einen Augenblick zu verlieren,
in seinem Wagen zum Großfürsten, in dessen Gegenwart Trubetzkoi
den Verlauf der Schlacht ausführlich erzählen mußte.')
Es ist nicht ohne Interesse, aus Diebitschs eigenem Munde
zu hören, welches der Verlauf dieses folgenreichen Schlachttages
gewesen ist'). „Nachdem ich Silistria eingeschlossen und ziemlich
lange unter den Mauern dieser Festung gestanden hatte, erhielt
ich vom General Roth die Meldung, daß die Türken in großen
Massen Schumla verlassen hätten und durch den Balkan gegen ihn
anmarschierten. Ich berechnete die Entfernung zwischen Schumla
und dem Feinde und überzeugte mich, daß durch eine schnelle
Bewegung der Hauptmacht unseres vor Silistria liegenden Heeres
ich auf der kürzesten Linie zum Balkan hin eine Position ein-
nehmen könnte, die den Wesir veranlassen werde sich einer Schlacht
diesseit des Balkans nicht zu entziehen, denn er mußte voraussetzen,
daß er nicht unsere ganze Armee vor sich habe. Auch hielt ich
es für möglich, ihm in den Rücken zu kommen und mich auf der
0 Vergl. die Anlage.
^ Nach den Aufzeichnungen des Generals von Tiesenbausen, den der
Kaiser im März 1830 nach ßurgas zu Diebitscb schickte, dessen nächster Ver-
wandter Tieseuhausen war. Am 13./25. März war Diebitschs Gemahlin in
Petersburg gestorben, und Tiesenbausen sollte Diebitscb trösten und zerstreuen.
Vgl. Russ. Stariua Bd. LXIX, S. 519ff.
Schiemann, Geschichte Rußlands. IL 21
322 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
Straße, die nach Schumla führt, aufzustellen. Iq beiden Fällen
glaubte ich einen Vorteil und, wenn meine strategischen Berech-
nungen von Zeit und Entfernung richtig waren, einen völligen
Erfolg zu erringen. Nachdem ich mich nun überzeugt hatte, daß
diese Rechnung stimmte, befahl ich der Armee ohne den geringsten
Zeitverlust in möglichster Stille aufzubrechen, zugleich aber ließ
ich so viel Truppen vor Silistria zurück, daß die Belagerten den
Abmarsch der übrigen nicht bemerken konnten. Dem General
Roth aber befahl ich, alle nur möglichen Kriegsmittel anzuwenden,
um den Wesir immer mehr auf sich heranzuziehen; wenn es not-
wendig sei, solle er sogar einen für uns ungünstigen Kampf an-
nehmen, damit ich mich inzwischen nähern oder auf der Straße
nach Schumla Stellung nehmen könne. Unsere Tapferen erreichten
in größter Stille in forciertem Marsch, voll Kampfeslust und Hoffnung,
fast ohne Hindernis das ihnen gestellte Ziel. General Buturlin
machte dabei einen unverzeilichen Fehler^), aber der Erfolg der
Schlacht bei Kulewtschi gab mir den angenehmen Vorwand, diesen
Fehler ohne strenge Strafe hingehen' zu lassen.
Unsere Armee umging am Abend vor der Schlacht auf unserem
rechten Flügel die Vorposten des Feindes in solcher Nähe, daß
ich fürchtete, daß sie unseren Abmarsch entdecken könnten. Die
Reihenfolge unserer Kolonnen hatte ich vorher bestimmt. Die
Hauptaufgabe fiel dem Korps des Grafen Peter Fahlen zu: er sollte
auf unserer rechten Flanke stehen und den linken Flügel der feind-
lichen Armee umfassen, um ihren Rückzug auf der Straße nach
Schumla zu verhindern. Durch diesen Auftrag zeigte ich mein
schrankenloses Vertrauen zu seinen militärischen Fähigkeiten. Die
übrigen Kolonnen standen in festbestimmter Entfernung vonein-
ander, jedoch so, daß sie unmittelbar miteinander kommunizieren
konnten. Sie hatten Befehl nach verschiedenen Richtungen so
vorzugehen, daß sie, sobald sie ihre Position erreichten, einen
Halbkreis um den Feind bildeten, der den Diameter oder die Chorde
dieses Halbkreises einnahm.
Die erste Position dieser Kolonnen lag so weit ab, daß der
Feind ihre Annäherung nicht früher bemerken konnte, als bis Graf
Pahlen mit seinem Korps in seine Position einrückte. Um dies zu
erreichen, mußte ich den Feind durch ein Vorpostengefecht
») Vgl. Moltke 1. 1. S. 316.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Jali 1829. 323
beschäftigen und zugleich die Stärke und die Stellung seiner Armee
rekognoszieren, um, sobald die Nachricht vom Eintreffen aller
Kolonnen mich erreichte, den entscheidenden Kampf aufzunehmen.
Die Stellung der feindlichen Armee in ihren Positionen war
in taktischer Hinsicht fast unangreifbar, obgleich die Berge des
Balkan in ihrem Rücken lagen. Aber sie hatte keine geeigneten
Pässe zum Rückzug. Die Schlachtordnung war in einer weiten
Ebene am Abhang oder an den Vorbergen des Balkans aufgestellt.
Vor dem rechten Flügel lagen steile Felsen und tiefe unzugängliche
Abgründe, das Zentrum und ein Teil des rechten Flügels hatte
einen ziemlich abschüssigen Abhang vor sich, .der zu uns ins Tal
führte, das widerum sich an eine umfangreiche amphitheatralische
Terrasse lehnte. Von dieser Terrasse führte ebenfalls ein Abhang
wie der erste ins Tal. Hier war meine Vorhut aufgestellt, und
von hier aus sollte im entscheidenden Augenblick der Angriff
unserer Kolonnen stattfinden. Die linke Flanke des Feindes aber
stützte sich auf einen sehr steilen Abhang, der ins Tal nach der
Richtung der Straße von Schumla abfiel. Auf der Ebene vor
diesem ersten Abhang mußte von der Avantgarde die Schlacht
begonnen und so lange gehalten werden, bis die Ankunft des
Pahlenschen Korps auf seiner Position, im Angesicht des Feindes
das Signal zum allgemeinen Angriff gab. Daß Pahlen auf der
Straße nach Schumla gleichzeitig mit unseren Kolonnen erschien,
sollte, wie ich berechnete, Entsetzen und Verzweiflung beim Feinde
erregen und ihm die Niederlage früher bringen als die tödlichen
Geschosse unserer vortrefflichen Artillerie.
Der schwache Strahl von Hoffnung auf Erfolg bei der er-
warteten Niederlage*) verschwand aus dem Antlitz der mich um-
gebenden Generale meiner Suite, als bei der von der Avantgarde
begonnenen Schlacht neue türkische Scharen sich unaufhörlich, wie
ein Wasserfall, oben von der ungeheuren Ebene hinab ins Tal des
Schlachtfeldes stürzten, die Karrees unserer Infanterie sprengend
und fast vernichtend, wobei wir einige Kanonen verloren. Das
Blut strömte mir zum Herzen, als ich unsere Verluste sah. Durch
eine krampfhafte Bewegung suchte ich meine Gefühle zu verbergen
und mit unbeschreiblicher Ungeduld erwartete ich die Meldung
vom Eintreffen des Grafen Pahlen und ermunterte die kleine Schar
*) se. beim Kampf der Vorhut.
2V
324 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
der weichenden Avantgarde durch Hoffnung auf baldigen Erfolg.
Der Kampf im ersten Tal hörte auf, der Feind zog die Truppen,
die im Kampf gewesen waren, zu sich auf das obere Plateau.
Nach Beendigung der Hauptschlacht erfuhr ich von einigen
Türken, daß der Wesir um diese Zeit einen Kriegsrat versammelt«,
• um darüber zu entscheiden, ob er eine Schlacht mit uns auf-
nehmen solle oder nicht. Denn das Gerücht war zu ihm gedrungen,
daß unsere ganze Armee von Silistria her hier erschienen sei. Aber
er wollte es nicht glauben und entschloß sich deshalb nicht zum
Rückzug, der noch möglich war. Da trafen neue Eilboten bei
ihm ein, welche die Richtigkeit der früheren Meldungen bestätigten,
und schließlich sah er selbst an mehreren Stellen unsere Kolonnen, die
von verschiedenen Richtungen her einem Mittelpunkt zustrebten.
Erstaunen und ein Vorgefühl seines Unglücks bewältigten ihn nun,
wie die gefangenen Offiziere erzählten, vollständig. Er verstummte
einige Augenblicke, dann gab er den Befehl sich zu verteidigen.
Verwirrung und Unordnung übertrugen sich auf das ganze türkische
Heer, das, in dichten Scharen im Zentrum zusammengedrängt,
unseren AngriiT erwartete. Gerade um die Zeit erhielt ich vom
Grafen Pahlen die lange erwartete Nachricht, und da ich sah, daß
meine übrigen Kolonnen sich näherten, gab ich sofort den Befehl das
Feld zu besetzen, auf dem die Avantgarde ihre Schlacht geschlagen
hatte. General Arnoldi bat ihm die Disposition und Wirkung
unserer Artillerie anzuvertrauen.
Durch das Fernrohr ließ sich erkennen, daß unter den Türken
Unentschlossenheit und Verwirrung herrschte; die ersten Granaten,
die General Arnoldi warf, ließen mehrere Pulverkasten mitten im
dichten Haufen der Muselmänner explodieren. Diese glücklichen
Schüsse und die Nachricht, daß ein Korps unserer Truppen die
Straße nach Schumla auf der linken Flanke des Feindes besetzt
habe, führte zu völliger Bestürzung und Verwirrung; weitere gleich
glückliche Kanonenschüsse und Granaten, das laute Hurra unserer
tapferen Truppen, von dem an verschiedenen Stellen des Tales die
Luft erdröhnte, bewirkten, daß jeder Widerstand der Türken
aufhörte. Entsetzen ergriff sie alle. Einige Schüsse, die ohne
Schaden anzurichten g^en uns gerichtet wurden, waren die letzten
Zeichen ihres Widerstandes. Die ganze Armee ergriff ohne jede
Ordnung die Flucht. Das Knattern unseres Gewehrfeuers aus dem
Gebüsch, das die Stellung des Feindes umgab, die Siegesrufe unserer
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 325
Soldaten, das Auftaachen der Massen unserer Kolonnen an den
flachen Abhängen unseres linken Flügels mit fliegenden Fahnen
und Musik um das obere Plateau zu besetzen, verdoppelte die
Eile der Türken aus ihrer Position zu entkommen. Sie ließen
alles zurück: Kanonen, Munitionskasten, Zelte, Waffen aller Art,
den ganzen Train. Die Türken wandten ihre Flucht in die Wälder
des Balkans, die hinter ihnen lagen, in einer halben Stunde war
das obere Plateau von unseren Truppen besetzt, die im Halbdunkel
des Abends die dort zurückgebliebenen Türken niederhieben, bis
endlich die Nacht dem entsetzlichen Blutvergießen ein Ende machte.
So wurde der glänzendste Sieg, dessen ich Zeuge gewesen bin, dank
meiner strategischen Berechnungen gewonnen. Dieser Sieg, der
uns, abgesehen von den Verlusten der Avantgarde, fast kein einziges
Opfer kostete, gewann mir das Vertrauen meiner Generale und
meiner Soldaten zurück . . . ." ^).
Ziehen wir auch in Betracht, daß wir hier nur ein Idealbild
der Schlacht haben, deren strategischen Grundgedanken Diebitsch
0 Vergleiche Moltke S. 321 if., der die hier von Diebitsch dargelegten
strategischen Gedanken seines Schlachtenplanes trefflich kombiniert hat.
Diebitsch gibt gleichsam ein Idealbild. Wie die Schlacht einem Teilnehmer
erschien, zeigt die Anlage, die namentlich die in der Erzählung Diebitschs
übergangenen Verdienste Tolls sehr nachdrücklich hervorhebt. Für die Vor-
geschichte ist der Bericht Staffs in der Anlage zu vergleichen. An der Schlacht
bei Kulewtschi nahmen teil:
Die Avantgarde unter Generalmajor Omtroschtscbenko
3. Brigade der 6. Infanteriedivision 2002 Mann
Irkutsker Ilusarenregiment 550 „
Leichte 3. Kompagnie der 9. Artilleriebrigade 114 „
Reitende 3. Kompagnie mit 4 Geschützen 84 „
Corps de Bataille:
1. und 2. Brigade der 5. Infanteriedivision • • • 4<'759 „
1. Brigade und Koporsches Infanterieregiment der 6. Division . 3,127 „
2. Husarendivision 1,851 „
Batterie Nr. 1 und leichte Nr. 2 Kompagnie der 5. Artilleriebrigade 279 „
Batterie Nr. 1 und leichte Nr. 2 Kompagnie der 9. Artilleriebrigade 235 „
Reitende Batterie Nr. 19 Kompagnie 199 „
4 Geschütze der reitenden Batterie Nr. 3 84 „
Summa 18,767 Mann, 52 Geschütze.
Reserve der Schlachtlinie:
16. und 18. Infanteriedivision mit Artillerie 9,215 Mann
3. Husarendivision mit reitender Artilleriekompagnie Nr. 6 . . 2270 „
Summa 1 1 ,485 Mann.
326 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
mit so UDvergleichlicher Klarheit exponiert, so wird doch auch die
schärfste an der Ausführang geübte Kritik — und allerdings haben
allerlei Menschlichkeiten mitgaspielt — die Bedeutung des Tages von
Kulewtschi nicht herabsetzen können. Es war das entscheidende
Ereignis des Feldzuges, und alles was folgte, eine notwendige Kon-
sequenz, wenn man die besonderen Eigentümlichkeiten der krieg-
führenden Parteien mit in Anschlag bringt. Die Niederlage traf
zumeist den Sultan; sein Stolz und seine Hoffnung, die regulären
Truppen, an deren Heranbildung er so ungeheure Opfer gesetzt
hatte, waren zur Hälfte, wenn auch nicht vernichtet, so doch zer-
sprengt und demoralisiert, und dem gebotenen Fatalismus der
Türken mußte der Gedanke nahe treten, daß vielleicht zur Strafe
der Sünden ihres Herrn, der von dem alten Herkommen abgefallen
war und die vielhundertjährige sicherste Stütze der Türkei, das
Korps der Janitscharen, auf grausame Weise vernichtet hatte, Allah
dem Feinde den Sieg beschieden habe. Dann aber war ja jeder
Widerstand Torheit. Schon am Tage nach der Schlacht brachte
General Roth, der unterwegs nach Marasch war, einer Abteilung
türkischer Kavallerie, die 1500 — 2000 Mann stark war, eine völlige
Niederlage bei, die für die Türken mit dem Verlust von 12 Fahnen
und 16 Geschützen verbunden war, der Großwesir aber, dem
Diebitsch gestattete, die in Kulewtschi Gefallenen zu begraben,
benutzte die Gelegenheit, um durch seinen Sekretär Andeutungen
zu machen, die den Wunsch erkennen ließen, Verhandlungen über
einen möglichen Friedensschluß anzuknüpfen. Aber obgleich Die-
bitsch den Geheimrat Fonton mit einem höchst liebenswürdig ge-
haltenen Brief nach Schumla schickte und die Türken durch Fonton
von den Bedingungen unterrichtet wurden, unter denen Rußland
bereit sei, Frieden zu schließen *), erfolgte weiter keine Antwort.
Offenbar waren aus Konstantinopel Nachrichten über die Stimmung
des Sultans eingelaufen, die den Beginn von Verhandlungen nicht
Nach den Daten des Stabes von Toll.
Ein interessanter summarischer Bericht von der Schlacht bei Kulewtschi
aus der Feder Bolotows, der beim Stabe des Generalquartiermeisters erst bei
Krassowski vor Silistria war, am 11. Juni aber in gleicher Stellung unter
Pahlen stand, findet sich in der Zeitschrift „Altes und neues Rußland'' 1877
Nr. 9. Brief an seine Eltern vom 18. Juni, also unmittelbar nach der Schlacht.
Beim Obergang über den Balkan wurde er zu Roth kommandiert
') Siehe die Anlage.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 327
ratsam erscheinen ließen. Dagegen trafen von General Geismar
günstige Nachrichten ein. Er hatte im Laufe des Winters aus
Walachen und Griechen sieben Bataillone Infaoterie und 350 Mann
Kavallerie formiert und mit ihnen die wichtigsten Punkte an der
Denan besetzt. Am 9. Juni überschritt er auf einer schwimmen-
den Brücke den Strom und umlagerte Rahowa, das er erst beschoß
und dann mit Sturm unter verhältnismäßig geringen Verlusten
nahm. Damit war die Verbindung zw^ischen Widdin und Nikopoli
für die Türken unterbrochen, was von großer Wichtigkeit war.
Silistria hoflfte Diebitsch etwas optimistisch am 22. Juni spätestens
zu Fall zu bringen, und danach wollte er gleich den Übergang über
den Balkan vorbereiten. Die Kapitulation erfolgte jedoch erst am
30., als Krassowski sich anschickte, die Festung zu stürmen.
Mehmed Pascha von Adrianopel, der die eigentliche Seele der
hartnäckigen Verteidigung Silistrias gewesen war, und drei an-
gesehene Bürger der Stadt wurden den Russen bis zum Einzug ihrer
Truppen als Geiseln übergeben. Dieser Einzug fand am 1. Juli
statt. 10000 Gefangene, 220 Geschütze und 80 Fahnen wurden
Krassowski übergeben. Auch dieser bedeutsame Erfolg war der
Schlacht von Kulewtschi zu danken. Am 7. Juli schickte Diebitsch,
der seit dem 21. Juni vor Schumla lag, dem Kaiser die Schlüssel von
Silistria. Das Schreiben, das diese Sendung begleitete, legte auch
den Plan dar, den Diebitsch und Toll für den Übergang über den
Balkan ausgearbeitet hatten. Diebitsch mußte den Beginn des
Ausmarsches etwas verzögern, weil Krassowski erklärte, erst am
10. Juli von Silistria abziehen zu können. Er sollte die Beobach-
tung Schumlas übernehmen und dadurch Diebitsch die Möglichkeit
bieten, unbemerkt vom Großwesir seinen Abmarsch von Schumla
zu vollziehen. Reschid Pascha war nämlich der festen Überzeugung,
daß das nächste Unternehmen des Feindes die Umschließung und
Belagerung von Schumla sein werde, und zog von allen Seiten her
Truppen heran, auch aus Burgas und Aldos, was die Ausführung
des Überganges über den Balkan ungemein erleichtern mußte.
Diebitschs Dispositionen waren nun die folgenden: Sobald die
sehnlichst erwartete 3. Husarendivision eintrifft, marschiert General
Roth mit der 16. Infanteriedivision nach Dewno und zieht dort die
Regimenter der 7. Division an sich. Mit der 4. Division Ulanen
bildet diese Abteilung das 6. Armeekorps und den linken Flügel des
zum Balkanübergang bestimmten Heeres.
328 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
Den rechten Flügel, der aus der 18. Infanteriedivision, den
Jägern der 19. Division und drei Kosakenregimentern zusammen-
gesetzt wird, führt General Rüdiger über Markowitschi nach Pravody.
Beide, Roth und Rüdiger, beginnen ihren Abmarsch in der
Nacht.
Nach der Ankunft Krassowskis (dem er noch eine Husaren-
brigade abgibt) zieht Graf Pahlen, ebenfalls nachts, nach Jenibazar
und bildet dort die Reserve, um jeden gefährdeten Punkt, sobald
die Umstände es verlangen, zu unterstützen. Dieser Reserve schließt
sich der Oberkommandierende zunächst an.
Krassowskis Aufgabe ist, mit fünf Infanteriebrigaden des
3. Korps und mit fünf Brigaden Kavallerie (Husaren und Ulanen)
einen bis zwei Tage vor Schumla zu bleiben, d. b. bis Roth den
Paß von Derwisch Kioi und Rüdiger den Paß von Köprikioi besetzt
haben. Wenn an diesem Tage der Großwesir nichts unternimmt,
soll Pahlen am folgenden Tage nach Dewno, und wenn möglich,
nach Hassansaklar gehen, in derselben Nacht aber Krassowski nach
Jenibazar abmarschieren und dort eine ihm angegebene Position
einnehmen.
Bei Köprikioi läßt Rüdiger die Jäger der 19. Division in ver-
schanzter Stellung zurück und geht selbst über Derwisch Kioi nach
Aiwadschik vor. Roth eilt möglichst rasch der Küste zu und kann
am 20. Juli bei Monastyr Kioi am südlichen Fuß des Balkans
stehen. Dort soll er sich befestigen, oder mit Hilfe der Flotte
Misiwri nehmen.
Sollte wider Erwarten der Großwesir hinter Krassowski her-
ziehen, so eilt Diebitsch mit dem 2. Korps zur Unterstützung heran;
wenn dagegen Reschid Pascha gleichfalls den Balkan überschreitet,
um vor den Russen in Aidos einzutreflfen, so folgt das 2. Korps
ohne Zögerung den Kolonnen von Roth und Rüdiger, so daß sich
jenseit des Balkans 40000 Mann, davon 28000 Infanterie, ver-
einigen. Krassowski aber zieht inzwischen gegen Schumla, um
womöglich dem Großwesir die Straße durch Eski Stambul zu
sperren oder aber ihn zu nötigen, beträchtliche Streitkräfte in
Schumla zurückzulassen.
Das war der sorgfältig durchdachte Plan Diebitschs. Den
Gedanken Truppen in Burgas zu landen hatte er aufgegeben; ein-
mal, weil die bulgarischen Häfen, die man zur Einschiflfung hätte
benutzen müssen, von der Pest verseucht waren, dann aber, weil
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 329
er es für bedeDklich hielt, Greigh von der BeobachtuDg der türki-
schen Flotte abzuziehen 0*
Aber der Aufbrach -der russischen Armee verzögerte sich, weil
Krassowski bis zum 15. Juli in Silistria blieb und dann immer
größere Scharen regulärer Truppen dem Großwesir zuzogen. So
blieb Diebitsch bis zum 18. Juli abends mit Krassowski vor Schumla
liegen, dann aber marschierte er mit dem Pahlenschen Keservekorps
direkt auf Dewno zu, da der starke Zuzug, den der Großwesir aus
dem südöstlichen Bulgarien erhalten hatte, es unwahrscheinlich
machte, daß Roth und Rüdiger auf erheblichen Widerstand stoßen
könnten. Es war, abgesehen von der Verspätung Krassowskis und
von der furchtbar zunehmenden Pest, die aber zunächst die aktive
Armee nicht traf, alles nach Wunsch gegangen. Am 11. Juli hatte
Rüdiger noch ein erfolgreiches Kavalleriegefecht bei Marasch gegen
3000 türkische Reiter bestanden, die erwarteten Reserven trafen
glücklich ein, am 14. war Roth, am 15. in aller Frühe Rüdiger
aufgebrochen, ohne daß in Schumla das geringste geargwöhnt wurde.
Der Großwesir war nach wie vor der Überzeugung, daß er die
russische Hauptarmee vor sich habe. Auch daß Krassowski sich
auf Jenibazar zurückzog, machte ihn nicht irre.
Unter den günstigsten Auspizien wurde so der Übergang über
den Balkan begonnen.
Wir halten hier einen Augenblick inne, um uns über die
wesentlichen Ereignisse zu orientieren, die sich inzwischen auf dem
asiatischen Kriegsschauplatze abgespielt hatten').
Paskiewitsch hatte durch die Erfolge seiner Kampagne gegen
die Perser und durch die Schnelligkeit und Energie, mit der er
den Feldzug des Jahres 1828 gegen die Türken geführt hatte, im
Kaukasus und sogar in den anstoßenden türkischen und peraischen
Gebieten, die von tatsächlich unabhängigen Stämmen bewohnt
wurden, nicht nur großen Ruhm, sondern auch eine gewisse
Popularität erworben. Es war entschieden vorteilhaft, mit dem
„rassischen Serdar" in Freundschaft oder gar in Bündnis zu stehen,
denn Sieg und Beute lockten unter seine Fahnen. Schon am
0 Brief Diebitscbs au den Kaiser aus dem Lager von Schumla, den
l.m^ »829.
^) Schtscherbatow: Geoeralfeldmarschall Graf Paskiewitsch Bd. III, Kap.
4—6, und Baeyer, Hauptmauu im Generalstabe: Feldzug der Russen in Asien,
1828—29. Manuskript. Archiv des Generalstabes in Berlin.
330 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
8. Januar 1829 hatten die letzten russi^ichen Truppen den persischen
Boden geräumt, und es schien, daß von Persien nichts zu furchten
sei, als die Ermordung Gribojedows in Teheran plötzlich eine neue
höchst unbequeme Krisis heraufbeschwor. Es ist gewiß der festen
Haltung Paskiewitschs zu danken, daß, wie wir bereits gesehen
haben, Fet Ali sich bereit fand, die von ihm verlangte Sühne zu
leisten'). Zum Kommandanten der Truppen an der persischen
Linie wurde Generalmajor Fürst Tschawtschawadse ernannt, der
zugleich stellvertretender Gebietsbefehlshaber in Armenien war.
Diese Territorien blieben während des Jahres 1829 friedfertig.
Noch wichtiger aber war es, daß der General der Kavallerie Emanuel
es vermochte, nicht nur die an Anapa grenzenden Stämme zur
Stellung von Geiseln zu bewegen, sondern auch Daghestaner und
Lesghier zur Anerkennung der russischen Oberhoheit, die letzteren
sogar zur Stellung eines kleinen Hilfskorps gegen die Türken zu
veranlassen. Überhaupt hat Paskiewitsch 1829 auch mit musel-
männischen Truppen operieren können'), was sich wohl aus alten
Stammesfeindschaften und daraus erklärt, daß der Sultan seit Ver-
nichtung der Janitscharen als Neuerer verrufen war. Wie im vorigen
Jahre sollte auch diesmal Gumri der Punkt sein, von dem die
russischen Operationen ausgingen. Paskiewitsch schätzte die türki-
schen Truppen, die ihm gegenübertreten würden, auf 80 — 100000
Mann, auch erwartete er, daß ein Versuch zur Wiedereroberung
von Kars erfolgen werde.
Wie es seiner Natur entsprach, war er entschlossen den Türken
zuvorzukommen und durch schnelle und nachdrückliche Schläge
dem Feinde seine Feldzugspläne zunichte zu machen. Dennoch
ist es den Türken gelungen, ihn zu überraschen. In den ersten
Tagen des März erhielt Paskiewitsch die Meldung, daß Achaizych
von türkischen Truppen belagert werde. Achmed Beg von Adschar,
dem für den Erfolg das Paschalik von Achaizych versprochen worden
') Nesselrode war mit der stolzen Haltung des Generals keineswegs ein-
verstanden und fürchtete, daß ein persisch- türkisches Bündnis die Folge sein
werde. Auch haben persisch -türkische Verhandlungen über Abschluß eines
Bündnisses allerdings stattgefunden, aber gerade die Festigkeit des russischen
Feldherrn hat die Verwirklichung dieser Plane unmöglich gemacht Schreiben
Nesselrodes aus Warschau, 11. Mai 1829. Schtscherbatow 1. I. Anlage 2 zu
Kapitel 4.
^) Aus Karabagh wurden vier Reiterregimenter organisiert, in ganz
Guryan eine muselmännische Landwehr, die sich gut bewährte.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 331
war, hatte sich in der Nacht auf den 4. März der Vorstädte der
Festung bemächtigt und auch gleich den Versuch gemacht, die
Zitadelle mit Sturm zu nehmen. Als das dank der tapferen Ver-
teidigung des Fürsten Bebutow mißglückte, begann er eine mit
großer Energie geführte reguläre Belagerung. Nun hatte Paskiewitsch
zwar, sobald er von diesen Dingen erfuhr, den General Murawjew
beauftragt, Bebutow zu entsetzen; es vergingen aber gegen 14 Tage,
ehe er eintreffen konnte. Achmed bedrängte inzwischen die Festung
durch ein starkes Bombardement, versuchte ihr das Wasser abzu-
schneiden und legte drei Minen an, deren Sprengung einem erneuten
Sturm vorhergehen sollte. Am 13. und danach peremptorisch am
14. forderte er die Russen auf, zu kapitulieren, teilte ihnen aber
dabei mit, daß sein Bruder die russischen Entsatztruppen in den
Klüften von Borshom geschlagen habe. Aber gerade das ermutigte
Bebutow, obgleich die Pest in Achalzych ausgebrochen war, zum
Ausharren. Er hatte bisher daran gezweifelt, daß Paskiewitsch
von seiner Not erfahren habe, daß aber russische Truppen vor
Türken zurückweichen könnten, glaubte niemand. So wies er jede
Verhandlung ab, die Türken aber stürmten nicht, und in der Nacht
vom 16. auf den 17. merkte Bebutow, daß sie eilig ihr Lager ab-
brachen. Er richtete sofort alle Geschütze der Festung auf die
Weichenden und machte am 17. in aller Frühe einen Ausfall mit
fünf Kompagnien Infanterie und zwei Kanonen. Doch schon zwei Werst
hinter der Stadt kehrte er um. Er hatte zwei Kanonen erobert
und 75 Gefangene gemacht, war aber zu schwach, um sich weiter
zu wagen. Wenige Stunden später rückte die Vorhut Murawjews
in Achalzych ein. Sie hatte sich unter steten Kämpfen den Weg
durch den tiefen Schnee der Berge bahnen müssen. Auch der
Pascha von Trapezunt hatte an der Wiedereroberung von Achalzych
teilnehmen wollen, aber der General Hesse erstürmte nach heftigem
Kampf sein Lager und überließ die gesamte Beute den Milizen
aus Guriel, die mehr als die Hälfte seines kleinen Heeres bildeten;
als dann Anfang Mai Achmed von Adschar abermals einen Versuch
machte, in das von den Russen okkupierte Gebiet einzudringen,
wurden die 5000 Mann, über die er gebot, von Oberst Burzow
geschlagen und zerstreut. Das war der rühmliche Anfang der
Kampagne von 1829.
Paskiewitsch war um diese Zeit noch in Tiflis; er wollte das
Ende der Frühlingsstürme abwarten und den durch die Schnee-
332 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
schmelze zu reißenden Strömen angeschwollenen Gebirgsbäcben
Zeit lassen^ in ihr gewohntes Bett zurückzukehren. Auch war
er, wie immer, mit größter Sorgfalt bemüht, die Verproviantierung
des Heeres zu sichern. Am 28. Mai war er so weit, seine AngrilTs-
bewegung beginnen zu können. Er traf am 31. Mai aus Tiflis
im Lager der Brigade Murawjew ein und am 3. Juni marschierte
er mit ihr auf Ardahan zu. Als seine Rekognoszierungen ergaben,
daß der Feind in den Adscharischen Bergen ein festes Lager bezogen
hatte, beauftragte er den Generalmajor Burzow, sich dem Feinde
80 zu nähern, daß dieser die verhältnismäßig schwache russische
Abteilung angriflf, die Burzows Vorhut bildete, während inzwischen
General Murawjew den Feind von Ardahan aus umgehen und ihm
in den Rücken fallen sollte. Dieser Plan, der ähnlich fast in allen
Schlachten dieses Feldzuges wiederkehrt, ist dann auch glücklich
ausgeführt worden. Die Türkon stiegen von ihren Höhen ins Tal
hinab und kämpften fünf Stunden lang gegen die drei Kompagnien
und vier Geschütze, die ihnen als Vorhut Burzows beim Engpaß
von Pozchan gegenüberstanden. Als aber gegen Abend Burzow
mit seinem ganzen Detachement in den Kampf eingriff und
Murawjew im Rücken der Türken erschien, zogen sie sich eilig
auf ihr Lager zurück. Aber die Russen ließen ihnen keine Zeit
zu ruhiger Überlegung. Noch in der Nacht vom 14. auf den
15. Juni erstürmten die nunmehr vereinigten Truppen von Burzow
und Murawjew das Lager und sprengten den Feind nach allen
Richtungen auseinander. Er hatte 1200 Verwundete und Tote,
400 Gefangene und das Lager mit vier Geschützen, dem Kamel-
transport und großen Vorräten an Proviant verloren ^).
Dieser Erfolg war um so bedeutsamer, als die Niederlage den
Stabschef des Seraskiers, Kegia Beg getroffen hatte*). Paskiewitsch,
der inzwischen gegen Kars vorrückte, befahl Murawjew und Burzow
sich sofort wieder mit ihm zu vereinigen. Am 23. Juni hatte er
12700 Mann Infanterie, 6000 Reiter und 60 Geschütze beisammen.
Er hatte die Nachricht erhalten, daß der Seraskier von Erzerum
0 Bericht Paskiewitscbs an den Kaiser. 6./18. Juni 1829. Schtscher-
batow III, S. 181.
'0 In dem erbeuteten Lager waren Papiere gefunden worden, welche die
Verhandlungen zwischen Persern und Türken betrafen, und Briefe, die Achmet
Beg des Verrats beschuldigten. Paskiewitsch schickte sie Achmet zu. Schtscher-
batow 1. 1.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 3^3
mit 30000 Mann und 52 Geschützen gegen ihn anrücke. Am 26.
brach nun Paskiewitsch sein Lager ab *), am 28. entdeckten seine
Patrouillen ein großes türkisches Lager. Eine forcierte Rekogno-
szierung, die Oberst Fredericks mit Glück und Geschick ausführte,
zeigte, daß es unmöglich war, das Lager in der Front und auf dem
linken Flügel anzugreifen, und so entschloß sich Paskiewitsch zu
einer überaus beschwerlichen und kühnen Umgehung des Feindes.
Das türkische Lager, in dem Hagki Pascha den Oberbefehl führte,
war 8 Werst von seinen Kommunikationen entfernt, er selbst
aber mußte sich 30 Werst von ihnen entfernen, im ganzen einen
Marsch von 50 Werst zurücklegen und dabei einen Troß von 3000
Wagen mit sich führen, auf schlechtesten Wegen, über zwei Berg-
rücken, die von tiefen Schluchten durchschnitten waren, immer in
der Gefahr, daß Kücken und Flanke ihm vom Feinde bedroht
würden. Aber auch diesmal glückte das Wagestück. Er lenkte
die Aufmerksamkeit Hagki Paschas auf den von General Pankrat-
jew geführten linken Flügel ab, überschritt ohne bemerkt und be-
hindert zu werden, am 1. Juli den Hauptabhang des Bergrückens,
und nachdem gegen Mittag Pankratjew sich wieder mit ihm ver-
einigt hatte, befand sich die ganze Streitmacht Paskiewitschs in dem
welligen Tal von Kain-Li, das sich etwa fünf Werst weit aus-
dehnte und durch eine am Fuß eines Berges abfallende Schlucht
begrenzt wurde. Um 1 Uhr traf Paskiewitsch seine Dispositionen:
Die Verteidigung des Gepäcks wurde General Pankratjew zugewiesen,
der zugleich den Feind beobachten und ihn verhindern sollte, die
linke Flanke der Russen anzugreifen. Zu dem Zweck sollte er den
Generalmajor Burzow mit zwei Bataillonen Infanterie, zwei Regimen-
tern Kavallerie und 12 Geschützen so weit vorschicken, daß er den
linken Flügel der Armee bildete. Im ganzen gebot Pankratjew über
7 Bataillone Infanterie, drei Regimenter Kavallerie und 24 Geschütze.
General Murawjew wurde im Tal aufgestellt mit sechs Ba-
taillonen Infanterie, zwei Regimentern Kosaken und 20 Geschützen.
Zu seiner Unterstützung waren drei Bataillone Jäger, das achte
Pionierbataillon, vier Regimenter Kosaken und 20 Kanonen be-
stimmt ').
>) Eine Schlacht unter dem Schutz der Mauern von Kars anzunehmen
war nicht möglich, weil die Pest in der Stadt wütete. Paskiewitsch hatte sein
Lager bei Kotanli, 25 Werst von Kars, aufgeschlagen.
^) Nach Baeyer. Schtscherbatow berichtet summarisch.
334 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
Als nun Paskiewitsch una 1 Uhr gegen den Feind vorging,
wartete dieser den Angriff nicht ab, sondern stürzte sich auf den
rechten Flügel der Russen, und obgleich einmal durch das furcht-
bare Feuer der russischen Batterien zurückgeworfen, drangen immer
neue Scharen türkischer Reiter vor, so daß sie schließlich einen
Halbkreis um die russische Stellung bildeten und sich besonders
ihrem linken Flügel näherten. Sie suchten den Generalmajor Burzow
zu umgehen und ihm in den Rücken zu fallen. Es wurde von
ihnen mit bewunderungswürdiger Tapferkeit gefochten, und nur müh-
sam konnten die Karrees der russischen Bataillone sie abwehren.
Ihre Stellung begann bereits kritisch zu werden, als Paskiewitsch
durch ein geniales Manöver mit einem Schlage eine neue Wendung
herbeiführte'). Er ließ vier halbe Bataillone Infanterie und acht
Kanonen seines Zentrums eine halbe Schwenkung rechts machen
und durch die so entstandene Öffnung von seiner gesamten Ar-
tillerie ein furchtbares Feuer gegen das türkische Zentrum eröffnen.
Er wollte den Feind gleichsam spalten und die eine Hälfte links
über die steilen Berge und Schluchten nach dem acht Werst weiter
aufwärts liegenden Lager Hagki Paschas treiben, die andern auf
die Höhen rechts jagen. Trotz aller Tapferkeit der Türken mußten
sie schließlich vor dem entsetzlichen Feuer, wie Paskiewitsch wollte,
rechts und links weichen, und nun warf er ihnen in zwei Abtei-
lungen, von denen General Rajewski den linken Flügel, General
Osten -Sacken den rechten angriflf, seine gesamte Kavallerie auf
die Fersen. Dem stark bedrängten Generalmajor Burzow wurden
der General Murawjew und der von Pankratjew detachierte General-
major Ssergejew zu Hilfe geschickt. Ein durchschlagender Erfolg
wurde jedoch nicht erreicht, da Sacken wegen der Moräste und
Schluchten, die er passieren mußte, nicht rechtzeitig eingreifen
konnte, und so begannen die Türken sich wieder zu sammeln. Die
einen kehrten links in ihr Lager zurück, die anderen fanden sich
auf einer Höhe gegenüber dem russischen Zentrum zusammen und
verschanzten sich dort. Um diese Zeit — es war 4 Uhr nach-
mittags — erfuhr Paskiewitsch durch einen gefangenen türkischen
Offizier, daß auf eben dieser Höhe der Seraskier sich befinde; er
sei mit seiner Avantgarde tags zuvor eingetroffen und habe sein
Lager, 12-15000 Mann stark, in der Nähe. Seine übrigen Truppen
*) Baeyer 1. 1.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 335
träfen rasch Dacheioander ein. Auch erwarte er noch eine Ver-
stärkung von 20000 Mann aus Erzerum.
Um die drohende Vereinigung des Seraskiers mit Hagki Pascha
zu verhindern, beschloß Paskiewitsch nun sofort anzugreifen. „Ich
darf", schreibt er in dem von diesem Tage datierten Bericht
dem Kaiser, „nicht zögern. Denn lasse ich einen Tag hingehen,
so stiehlt sich der Seraskier fort, vereinigt sich mit Ilagki Pascha
und ich werde von einer Armee von 50000 Mann in der Front,
von der Flanke her und im Rücken angegriffen" '). Kaum hatte
der Kiaja sein Lager erreicht, so ließ Paskiewitsch die verfolgenden
Truppen zurückrufen und bildete in der Schlucht eine Kolonne
von 8 Bataillonen Infanterie, 8 Regimentern Kavallerie und 40 Ge-
schützen.
Auf den Höhen gegenüber dem Lager ließ er den Generalmajor
Pankratjew mit 6 Bataillonen Infanterie, 2 Kosakenregimentern
und 16 leichten Geschützen zurück. Er war beauftragt, während
des 30. Juni den Feind in der Vorstellung zu erhalten, daß er ihn
angreifen wolle. Paskiewitsch aber marschierte mittlerweile mit der
ganzen Armee auf das Lager des Seraskiers zu. Hagki Pascha
wurde völlig getäuscht, er blieb ohne etwas zu unternehmen in
seinem Lager. In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli verließ
auch Pankratjew seine Stellung. Er hatte, um den Feind zu tauschen,
weithin Lagerfeuer brennen lassen und konnte sich unbehindert am
1. gegen Mittag mit der Hauptarmee vereinigen. In drei Kolonnen
erfolgte nun der Angriff auf das Lager des Seraskiers, der völlig
überrascht wurde und dessen Truppen, sobald sie sich umgangen
sahen, in die Berge zurückzuweichen begannen. Als die Russen
die Höhen erstiegen hattten, war in kurzer Zeit der lahme Wider-
stand des Feindes gebrochen. Paskiewitsch hatte seine Infanterie
selbst unter Trommelschlag zum Sturm geführt. In wilder Flucht
gaben die Türken ihr Lager preis, von der russischen Kavallerie
bis 9 IThr abends, 30 Werst weit, verfolgt. Die Armee des Seras-
kiers war damit zersprengt. 300 Gefangene, 12 Kanonen, 3 Fahnen
fielen in die Hände Paskiewitschs. Es wird ihm stets zum Ruhm
gereichen, daß er sich mit diesem Erfolge nicht begnügte, sondern
die Gunst der Stunde, trotz der ungeheuren Anstrengungen, die er
seinen Truppen zugemutet hatte, zu nützen verstand. Er schlug
') Schtscherbatow I. 1. 187.
336 Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829.
sein Biwak an der Stelle auf, wo die Straßen sich vereinigen, die
vom Lager Hagki Paschas in das Dorf Zewina führten. Dieser
Punkt lag nur 15 Werst vom Lager Hagki Paschas entfernt, und
die Russen standen durch Okkupierung des Tales von Zewina
bereits im Rücken des Feindes. Mit dem ersten Morgengrauen auf-
brechend, erreichte Paskiewitsch am 2. Juli bereits um 9 Uhr früh
die Höhen im Rücken des Lagers von Hagki Pascha. Als dieser
den Feind in Schlachtordnung sah, schien er zunächst entschlossen
den Kampf aufzunehmen. Mit einer Batterie von 3 Kanonen be-
schoß er die russische Stellung. Während nun Paskiewitsch noch
auf das Eintreflfen von Burzow wartete, um seinen Angriff zu be-
ginnen, erfuhr er von einem gefangenen türkischen Offizier, daß
Hagki Pascha noch nichts von der Niederlage des Seraskiers wußte.
Man gab dem Manne die Freiheit, und von ihm erfuhr nun der
Pascha, daß Paskiewitschs ganzes Heer in seinem Rücken stand,
und daß auf Verstärkungen nach der Niederlage des Seraskiers
nicht mehr zu rechnen sei. Das nahm ihm den Mut. Er sah
weder die Möglichkeit zum Rückzuge noch zum Widerstände und
ließ durch denselben Offizier Paskiewitsch erklären, daß er bereit
sei, sich mit seinem Korps zu ergeben. Das wurde ihm bewilligt,
vorausgesetzt, daß alle Truppen ihre Waffen niederlegten und
aus dem Lager ins Tal hinabstiegen. Aber bevor noch diese
Autwort ins türkische Lager gelangte, hatte dort eine Sinnes-
änderung stattgefunden. Die türkischen Geschütze erneuerten ihr
Feuer auf die russische Stellung, und nun rückte Paskiewitsch
ohne Zögern zum Angriff vor, in fünf Kolonnen, wobei er selbst
unter Trommelschlag die Hauptkolonne gegen das feindliche Lager
führte. Pankratjew führte die zweite Kolonne mit dem Auftrage die
linke Flanke des Feindes zu umgehen, um ihm den schon von einigen
Truppenteilen begonnenen Rückzug durch den Wald und die Berge
abzuschneiden; drei andere Kolonnen, unter Sacken, Murawjew und
Leonow, besetzten die Straßen die einen Ausweg bieten konnten,
und drangen von dort in die Verschanzungen der Türken. Pas-
kiewitschs Heerestoil erreichte zuerst das Lager und bemächtigte
sich der noch rauchenden Geschütze. Hagki Pascha mit seinem
ganzen Stabe wurde gefangengenommen*). Die Türken verloren
19 Geschütze, 16 Fahnen, das Lager mit allen Vorräten und sämt-
lichem Kriegsmaterial, gegen 3000 Tote, 1500 Verwundete, der
') Vom Oberstleutuant Werselin.
Kapitel IX. Diplomatie und Krieg bis zum Juli 1829. 337
Rest war in wilder Flucht auseinander gestoben. Es war ein un-
geheurer Erfolg. Binnen 24 Stunden hatte Paskiewitsch bei
Kain Li den Seraskier, bei Millehdusu (russisch Milidjus) Hagki
Pascha geschlagen. Zunächst hatten die Türken ihm keine weitere
Armee entgegenzustellen. Er konnte daran denken, die Fruchte
seiner Siege zu pflücken.
Die bei Hassan Kaleh stehenden Truppen liefen, als Paskiewitsch
sich am 4. Juli der Stadt näherte, auseinander, und der Pascha der
Festung ergriflf mit seinen Schätzen die Flucht in das nahegelegene
Erzerum; Paskiewitsch fand die Tore von Hassan Kaleh offen als
er um 9 Uhr abends dort eintraf. 29 Geschütze, ein Pulvermagazin
und große Vorräte fielen ihm zu. Bei der sofort aufgenommenen
Verfolgung des Paschas wurden ihm noch 50 armenische Familien
und 2000 Stück Vieh abgejagt. Das für uneinnehmbar gehaltene
Erzerum mit seinen 150 Geschützen kapitulierte am 7. Juli nach
kurzem Geschützkampf, als Paskiewitsch Anstalten traf, die
Festung zu stürmen. Der Seraskier und vier Paschas wurden
seine Gefangenen, nur einer Abteilung von 7000 Reitern gelang es,
sich durch die Flucht zu retten.
Es waren in der Tat glänzende Erfolge, und man durfte
sie wohl denen Diebitschs mindestens an die Seite stellen, bei
Abwägung der Leistung des Feldherrn sie wohl noch höher
einschätzen. Paskiewitsch hatte keinen Mißgriff gemacht, keine
Stunde verloren, keine Gunst, die der Augenblick bot, unbe-
nutzt gelassen. Die Schrecknisse des Balkanüberganges waren
Phantome gewesen, die Abgründe und Bergriesen in den Quell-
gebieten des Aras und Euphrat Realitäten, die von der eisernen
Energie Paskiewitschs überwunden wurden. Auch ihm war in
der Pest der gefährlichste aller Feinde erstanden — aber er hatte
durch kluge Vorsichtsmaßregeln seine Truppen ihr fast ganz zu
entziehen verstanden. Vor allem aber, er war auch sein eigener
Stabschef gewesen, soweit das überhaupt möglich ist. Seine Kom-
binationen sind alle sein Eigentum; wir w^erden aber wohl niemals
feststellen können, wie groß der Anteil ist, der Toll an den Er-
folgen Diebitschs zukommt. Trotz alledem treten aber Paskiewitschs
Erfolge an historisch-politischer Bedeutung weit hinter denen
Diebitschs zurück. Die Entscheidung des F^eldzugs lag nicht in
Asien, sondern in Europa, nicht vor Erzerum, sondern vor den
Toren Konstantinopels.
Schiemann, Geschichte Rußlands. II. 22
338 Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan und der Friede
von AdrianopeL
Kurz Dachdein der Kaiser aus Berlin nach Warschau zurück-
gekehrt war, traf auch Major Staflf vonReitzenstein aus dem Hauptquar-
tier Diebitschs dort ein. Er war Träger eines mündlichen Auftrags
des Grafen an den Kaiser, der in der offiziellen Korrespondenz
keinen Ausdruck gefunden hat, aber uns zeigt, wie hoch der Flug
war, den der politische und militärische Ehrgeiz Diebitschs ge-
nommen hatte, und wie unbefangen er, ohne jede Rücksicht auf
alle politischen Tugendprinzipien, mit denen der Türkenkrieg ein-
geleitet worden war, die Gunst der Lage zu benutzen wünschte.
Sein Gedanke war, sich mit Mustafa Pascha von Skodra von Al-
banien^), der mit 30000 Mann in Nissa stand, zu verbinden.
Vereinigte sich Mustafa mit einem Teil der russischen Avantgarde
und half er mit dem Rest seiner Truppen Schumla blockieren,
schloß sich die christliche Bevölkerung in Serbien und Bulgarien,
die nur der Erlaubnis harrte, den Russen au, und wurde Diebitsch
ermächtigt, ihnen eine Garantie gegen die spätere Räche der Türken
zu geben, so könne er „dem Skandal der Türkenherrschaft" endlich
ein Ende machen. Von England sei nichts zu fürchten, die englische
Botschaft in Konstantiuopel sei mit dem allmächtigen Chosrew
Pascha') brouilliert, und England habe bestimmt erklärt, es könne im
Lauf dieses Jahres nichts für die Pforte tun. Canitz und Guilleminot
seien zwar plötzlich türkisch gesinnt geworden, aber Diebitsch
schätzte ihren Einfluß nur gering ein. Major von StafT solle ihm
die Genehmigung des Kaisers bringen, ungehindert zu agieren, dann
wolle er den Balkan überschreiten und StaflT könne ihn noch vor
Adrianopel einholen, um mit ihm in Stambul einzurücken!
Als StaiT mit diesen Aufträgen in Warschau eintraf, war die
Siegesnachricht von Kulewtschi noch nicht bekannt. Der Kaiser
war in Berlin auf die von Frankreich drohenden Gefahren auf-
merksam gemacht worden und zu kühnen Unternehmungen wenig
geneigt. Er wiederholte, daß er selbst im Falle der Vernichtung
des türkischen Reiches nicht eine Spanne breit Landes für sich
') „Ein alter Janitschar und eifriger Gegner der Reform, (er) stand in
naher Verbindung mit den aufrührerischen ßosniaken.*' Moltke 1. I. 372.
Die Mission Staflfs von Reitzenstein ist ihm nicht bekannt geworden. Auch
Panzer und Wildermeth wurden nicht in das Geheimnis eingeweiht.
^) Dem Günstling des Sultans.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 339
habeu wolle, und daß Konstaniinopel eine freie Handelsstadt unter
gemeinsamem Schutze werden solle. Alles übrige solle ein Kongreß
bestimmen, der die früheren Verträge zur Basis behalten könne.
Auf die Frage der Revolutionierung der Slaven und Albaner ging
er nicht ein. Der Großfürst Konstantin aber meinte, Diebitsch
müßte ganz verrückt geworden sein, wenn er den Balkan über-
schreiten wollte. Er freute sich, daß „seine Polen'' dieser Tollheit
nicht zum Opfer gebracht würden. Auch in Berlin haben Diebitschs
Gedanken nur erschreckt, vor allem BernstorfT, der mehr als je
sich im Metternichschen Fahrwasser bewegte. Staff wurde nicht
in das russische Hauptquartier zurückgeschickt, und damit waren
auch Diebitschs Pläne gescheitert'). Es blieb bei der Mission
Müfflings, der doch die kleinmutige Stimmung der ersten Warschauer
und der Berliner Tage zugrunde lag.
Aber, wie Nessolrode dem Grafen Diebitsch schrieb, seit
Kulewtschi und Silistria hatte sich die Gesamtlage geändert, die
Haltung der Mächte, die Gemütsstimmung des Kaisers, der nun-
mehr den kühnsten Plänen zugänglich wurde und zeitweilig die
noch zu überwindenden großen Schwierigkeiten kaum zu beachten
schien, war günstig, auch der ängstliche Nesselrode wurde kühn und
gab Diebitsch völlig freie Hand. Bei ihm liege die Entscheidung').
Der Kaiser aber' reiste nach Tultschin, wo der Großfürst
Michail mit den Garden stand, und hatte die Freude, daß die
Musterung erwies, wie völlig diese Elite- und Paradetruppe sich
von den Beschwerden des letzten Feldzuges erholt hatte. Er war
fest entschlossen, sie nicht zum zweitenmal der demoralisierenden
Wirkung des Krieges auszusetzen, wohl aber sollte Diebitsch an
Reservetruppen erhalten, was sich sonst irgend aufbringen ließ.
In Kiew, Koscelsk, Bobriusk besichtigte er die für die Kampagne
bestimmten Truppen; wie immer unermüdlich tätig, aber ohne sich
^) Staff I. I. „Wie mir befohlen war, meldete ich Diebitsch bloß mit
russischer Kuriergelegenheit, daß die Verhältnisse mir nicht gestatteten zu
ihm zurückzukehren. Ich woßte, daß er daraus lesen maßte, man wolle nichts
für seine Pläne tun. Weiteres zu schreiben hätte aber meine Dienstpflicht
verletzt". Siehe die Anlage.
^ Nesselrode an Diebitsch, 3. August 1829. Wojenno Utschenny Archiv
5329. «Toutes les questions sont entre vos mains, vous resoudrez seul celle
de la Grece, comme vous imposerez ä la Porte les conditions que reclament
nos interets directs .... Depuis la bataille de Eoulevtscha et la prise de
Silistria les choses ont chang4 de tout en tout ....'*
22»
340 Kapitel X. Der_ObergaDg über den Balkan usw.
die Zeit zu gönDen, die für einen Einblick in die ungeschminkte
Wirklichkeit nun einmal unerläßlich ist. In Kiew, wo er sich
(den Abend der Ankunft als vollen Tag angerechnet) drei Tage
aufhielt, musterte er die Reservebataillone und was sonst an
Truppen in der Stadt war, besuchte zweimal das Uöhlenkloster,
die bedeutendsten Kirchen, die städtischen und sonstigen öffent-
lichen Institute, das Arsenal, die Festungsarbeiten, endlich die
türkischen Gefangenen, über deren Verhältnisse er genaue Er-
kundigungen einzog und die er beschenkte. „Für alle diese Be-
sichtigungen", schreibt Benkendorff*), „bei denen doch viele Be-
fehle über Veränderungen und Verbesserungen erteilt wurden, ge-
nügten ihm bei seiner stets gleichen Tätigkeit zwei Tage, obgleich
er die laufenden Geschäfte dabei nicht im geringsten aufhielt.
Die während der Reise des Kaisers täglich aus Petersburg oder
von der Armee eintreflfenden Kuriere wurden in derselben Nacht
wieder abgefertigt. Der Kaiser ging nicht vor 3 Uhr nachts zu
Bett, um alle eingelaufenen Papiere ohne jede Ausnahme erledigen
zu können. So wurden die Berichte des Reichsrats, des iMinister-
komitees, der Ministerien des Auswärtigen, des Krieges und der
Finanzen so pünktlich erledigt, als ob er in Petersburg wäre und
frei über seine Zeit verfügen könne. Außerdem schrieb er täglich
der Kaiserin lange Brieie, las die Bericht^ über die Gesundheit
und über den Unterricht der Kinder, durchblätterte die Zeitungen
und durchflog dazu häufig noch die neu erschienenen Bücher in
russischer und französischer Sprache." Es liegt auf der Hand,
daß dabei ein wirkliches Eindringen in die Fragen, die seiner
Entscheidung vorgelegt wurden, nicht möglich war. Wie schreck-
liche Dinge trotz dieser redlichen Absicht, alles persönlich zum
Rechten zu führen, ohne sein Wissen geschehen konnten, hatte
kurz vorher ein Aufstand in den Tschugujewschen Militärkolouien
gezeigt, der infolge der Unfähigkeit der nächst berufenen Autoritäten
vom Militär blutig niedergeschlagen werden mußte und die in
solchen Fällen üblichen Exekutionen durch Knutenstrafen nach sich
gezogen hatte'). Man verstand es jedoch diese böse Sache so
geheim zu halten, daß in den Berichten der ausländischen Ge-
sandten, die sich dergleichen schwer entgehen ließen, keine Spur
1) Russkaja Starina, 1896 Juliheft S. 19.
^ Siehe deu untertänigen Bericht des Grafen Tscbernyschew an den
Kaiser d. d. Petersb. 9./21. Juni 1829. W. U. A. Nr. 649.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 341
voD ihr zu findea ist. Wir wissen aber'), daß der Kaiser gleich
nach seiner Rückkehr in die Residenz eine Reihe von Maßregeln
traf, um das Schicksal der Militärkolonisten einigermaßen zu er-
leichtern. Zur Aufhebung der Kolonien aber vermochte er sich
nicht zu entschließen, weil das in die Bauten gesteckte Kapital
eine ungeheuere Summe darstellte, auch der Zeitpunkt ihm nicht
geeignet erscheinen mochte; erst spätere und weit schwerere Er-
fahrungen sollten ihn dazu führen. Am 25. Juli kehrte er nach
Petersburg zurück. Er hatte kurz vorher, bei Narva die aus
Berlin heimkehrende Kaiserin überraschen können. Wenige Tage
danach erfuhr er, daß Diebitsch in der Nacht auf den 16. mit
Krassowski von Enshikioi hatte aufbrechen wollen'), dann blieb er
bis zum 16. August ohne alle Nachrichten vom europäischen Kriegs-
schauplatze. Für ihn waren es Tage höchster Sorge und Unruhe;
in kritischen Zeiten pflegte seine Phantasie zu arbeiten und ihm
erschreckende Möglichkeiten vorzuführen, während anderseits der
errungene Erfolg ihn leicht in Überschätzung des Möglichen über
die Grenzen des Erreichbaren hinausführte. In diesen Extremen
hat der Kaiser sich während des ganzen Verlaufs seiner Regierung
bewegt.
Mittlerweile waren auf dem Kriegsschau platze die Operationen
in Angriff genommen worden, welche die Entscheidung bringen
sollten. Wir erinnern uns der Dispositionen, die Graf Diebitsch
getroffen hatte, um den Übergang über den Balkan zu forcieren.
Das erste ernste Hindernis, das überwunden werden mußte, war
der Übergang über den reißenden nur auf seltenen Furten
zu passierenden Kamtschyk. General Rüdiger, der den rechten
Flügel der Vorhut bildete, wurde gegen Kiöprikioi dirigiert, Roth
war beauftragt den unteren Lauf des Flußes zu überschreiten.
Sie waren unbemerkt aufgebrochen, und ihre freigewordenen
Lagerstätten vor Schumla hatten die Krassowskischen Truppen in
aller Stille besetzt. Erst in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli
marschierten auch das Krassowskische Korps und die Reserve Pahlens
nach Jenibazar ab, ohne dabei vom Großwesir belästigt zu werden;
er begnügte sich, die Vorposten der Kosaken im Auge zu behalten.
Roth und Rüdiger erreichten inzwischen den Kamtschyk, dessen
rechtes Ufer die Türken befestigt und mit Geschütz besetzt hatten.
») Benkendorff 1. 1. S. 21 und 22.
^) Es geschah erst am 17.
342 Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw.
Rüdiger umgiDg diese Position bei Tschalamaly, warf eine dort
im Lager liegende türkische Abteilung von 1000 Mann und über-
schritt in der Nacht auf den 18. den Fluß, so daß er am 19. im
Rücken der Hauptposition der Türken, Kiöprikioi, stand. Der
Kommandant Jussuf, Pascha von zwei Roßschweifen, stellte sich
zwar in Schlachtordnung den Russen gegenüber, ergriff aber die
Flucht, als sie unter Trommelschlag ohne einen Schuß abzu-
geben gegen ihn anruckten. Rüdiger verlor nicht einen Mann
und nahm nicht nur das Lager des Feindes ein, sondern gewann
bei der Verfolgung Jussufs noch vier Kanonen. Dann ließ er in
Kiöprikioi eine kleine Besatzung zurück und führte seine Kolonnen
das rechte Ufer des Kamtschyk entlang, um, wenn nötig, Roth zu
unterstützen. Nun hatte der von Roth kommandierte linke Flügel
den Kamtschyk an der Stelle erreicht, wo die Straße von Varna
nach Burgas ihn schneidet. Die Türken hatten, wie vor Kiöprikioi,
ihre Befestigungen am rechten Ufer errichtet. Es kam zu einer
heftigen Kanonade, und Roth entschloß sich, da ein Frontangriff
bedeutende Opfer gekostet hätte, wie Rüdiger es getan hatte,
die Stellung des Feindes zu umgehen. Er ließ einen Teil seiner
Truppen dem Feinde gegenüber auf dem linken Ufer und führte
selbst vierzehn Bataillone etwa eine Meile stromaufwärts nach
Dnlgnew, wo er zwar ebenfalls auf türkische Verschanzungen stieß,
aber ohne Geschütz. Der Übergang über den Fluß konnte wegen
der schlechten Wege und weil vier Brücken über die Arme des
Kamtschyk geschlagen werden mußten, erst am 19. früh erfolgen.
Auch hier ergriff der Feind sofort die Flucht, und Roth ging nun
ohne weiteren Zeitverlust gegen Derwisch Jowan, das Hauptlager
der Türken, vor. Sie rückten ihm zwar entgegen, wurden aber
geworfen und ihre Verschanzungen mit stürmender Hand genommen.
Erst jetzt begann der eigentliche Balkanübergang, während das
Hauptquartier mit der Reservearmee Pahlens über Hassanlar und
Derwisch Jowan nachrückte.
Die Türken waren durch das überraschende Erscheinen der
Russen und durch ihre Niederlagen am Kamtschyk von solcher
Panik ergriffen, daß weder Roth noch Rüdiger in den Bergen auf
Widerstand stießen. Sie haben den Russen nur einmal einen der
Pässe streitig zu machen gesucht. Es war dieser Balkanübergang
ein militärischer Spaziergang durch Eichen- und Ahornwälder auf
meist breiten Straßen; weder durch Engen noch durch Schluchten
Kapitel X. Der Cbergaog über den Balkan usw. 343
oder durch besonders jähe Abgründe behindert, erreichte dielnvasions-
armee den Kamm des Emineh Balkan, und von hier aus sahen die
Küssen die fruchtbaren Ebenen von Rumili vor sich liegen. In der Ferne
das Meer, auf dem die russische Flotte sich wiegte, drei Linienschiffe,
mehrere Fregatten und zahlreiche schwer beladene Transport-
schiffe. Admiral Greigh richtete, wie sich deutlich erkennen ließ,
seine Geschütze gegen Misivri. Auch Sizeboli am Horizont
und näher Burgas und Achiolos waren sichtbar. Das Zusammen-
wirken von Flotte und Armee war damit gesichert und alle Sorge
um eine reguläre Verpflegung beseitigt.
Es ging nun rasch bergab, Rüdiger auf Erketsch, General
Roth auf das Kap Emineh zu, am 21. Juli hatte auch das Haupt-
quartier Aruautlar erreicht. Wir verfolgen den Abstieg nicht
weiter, er ist zu glücklichem Ende geführt worden. Als die Russen
aber die Ebene erreicht hatten, schien ihnen ein ernsterer Kampf
bevorzustehen. Der Seraskier Abdul Rahman, Pascha von drei
Roßschweifen, dessen Truppen unter Ali und Jussuf am Kamtschyk
auseinander gelaufen waren, hatte die Flüchtlinge an sich heran-
gezogen und sich durch die Garnisonen von Misivri, Achiolos
und Burgas, sowie durch das Observationskorps vor Sizeboli ver-
stärkt, etwa 7000 Mann stark am Ufer des Nadir aufgestellt, um
die Russen, wenn sie bei Monastyrkur debouchierten, zurückzu-
werfen. Als aber General Roth sofort zum Angriff überging,
dauerte der Widerstand des Seraskiers nur wenige Augenblicke.
Roth ließ ihn von seinen Kosaken, den Ulanen und der reitenden
Artillerie 10 Werst weit verfolgen und richtete seine Operationen gegen
Misivri, wohin ein Teil der Türken geflohen war, während die
anderen sich, so viel ihrer übrig waren, nach Burgas gerettet hatten.
Misivri kapitulierte^), dann fielen mehrere kleine Ortschaften dem
General Rüdiger mit reichen Vorräten in d ie Hände. Achiolos und Burgas
ereilte ruhmlos das gleiche Schicksal. Am 24. konnte Diebitsch
dem Admiral Greigh auf seinem Flagschiff Paris einen Besuch ab-
statten. Es war dasselbe Linienschiff, von dem aus der Kaiser im
Oktober 1828 den Fall von Varna mit angesehen hatte. Am25.Julischlug
Diebitsch überRumelikioi den Wog nach Aidos ein; hier endlich machte
sich der Großwesir fühlbar. Er hatte vom Übergang der Russen über
') Die Russen erbeuteten dabei eine Korvette von 22 Kanonen, die ganz
fertig auf dem Stapel gelassen war. Panzer 1. 1.
344 Kapitel X. Der Übergaog über den Balkaa usw.
den Kamtschyk erst erfahreo, als er bereits vollzogen war. . Sein
Hochmut hatte ihm vorgespiegelt, daß Diebitsch and Krassowski
ihre beobachtende Stellung vor Schumla aufgegeben hätten, weil
sie daran verzweifelten dieStadt zu nehmen, und daß sie beabsichtigten
zwischen Jenibazar, Pravodi und Varna zu kantonieren. Wie dann
die Wirklichkeit sich nicht mehr verkennen ließ, schickte er Ibrahim
Pascha mit 9 Regimentern regulärer Infanterie und je 1500 Mann
regulärer und irregulärer Kavallerie gegen Kiöprikioi. Als
aber Ibrahim sich davon überzeugen mußte^ daß der Ort gefallen
sei, blieb er erst auf der Straße nach Aidos stehen und ging dann
gegen den kleinen Ort vor. Da traf ihn die neue Hiobspost von
den Niederlagen am Kamtschyk und vom Fall der Festungen am
Golf von Burgas, die der Seraskier Abdurrahman hatte behaupten
sollen. Jede Aussicht auf Verstärkung war ihm damit genommen.
Es war immerhin noch ein Rest von Selbstvertrauen, daß er Aidos
zu retten versuchte. Aber seine 10000 Mann zeigten sich der
weit schwächeren Abteilung Rüdigers nicht gewachsen ^). Eine
Niederlage, die in wilde Flucht ausartete, führte die Trümmer des
türkischen Heeres erst nach Karnabad, dann weiter auf die Straße,
die nach Adrianopel führte. So wurde auch Aidos russisch, und
Diebitsch konnte nunmehr alle Vorbereitungen treffen, um in
Adrianopel, wie er hoffte, den entscheidenden Schlag zu führen.
Die Verproviantierung der Armee war für 45 Tage gesichert. 2000
Kamele folgten dem Heer, ein ungeheurer Troß, dazu Herden von
Hornvieh und Hammeln und die fliegenden Magazine, die durch
W^oronzow aus Odessa versorgt wurden. Häufige Regenfalle
hatten zudem der Kavallerie das Grünfutter gesichert. Schon am
30. Juli war das zweite Korps nach Karnabad aufgebrochen, die
Hauptbewegung war auf Kirkilissa gerichtet. Diebitsch setzte
voraus, daß der Feind sich in Adrianopel befestigen werde, und
glaubte, daß sich dort die Trümmer der geschlagenen türkischen
Heere, vielleicht auch die Garde des Sultans zusammenfinden
würden. Verließ, wie er hoffte, der Feind Adrianopel, um ihm in
Lule-Burgas zuvorzukommen, so wollte er ihn in offener Feldschlacht
vernichten.
') Rüdiger hatte 8 schwache Bataillone mit 20 Geschützen, 2 Brigaden
der 4. Ulanendivision und 2 schwache Kosakenregimenter. Diebitschs Brief
an den Kaiser vom 18./30. Juli. 1. 1.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 345
Die Dinge sind aber doch Dicht so einfach verlaufen. Diebitsch
war in Sorge, weil die letzterwarteten Reserven noch immer nicht
eingetroffen waren, und verzettelte seine kaum 25000 Mann starke
kleine Armee durch Entsendungen. Als er sein Hauptquartier in
Aidos hatte, okkupierte er gleichzeitig die 100 Werst weite Strecke
von Sisepolis bis Jamboli und die fast gleichlange Strecke von
Tschenge bis Faki. Es war ein Glück, daß die Türken nicht
wußten, wie schwach der Feind war, der ihnen gegenübei-stand *).
Sie schätzten Diebitschs Macht auf 80- bis 100000 Mann, und die
geschlagenen Paschas bestärkten den Sultan in dieser Vorstellung,
um ihre Köpfe zu retten. So konstruierten sie selbst das Phantom,
vor dessen eingebildeter Übermacht ihre Truppen die Flucht er-
griffen. Einmal aber hätte die zur Tollkühnheit gesteigerte Ver-
achtung, mit der die Russen ihren türkischen Gegner angriffen,
ohne seiner Zahl zu achten, fast eine Katastrophe herbeigeführt.
Am 31. Juli wurde General Scheremetjew aus dem vom Feinde
besetzten Jamboli hinausgeworfen, er hatte mit 800 Mann ein Korps
von 15000 Türken angegriffen, die von Krassowski unbemerkt aus
Schumla eingetroffen waren. Nur die Nacht entzog ihn einer Ver-
folgung, der er unweigerlich hätte erliegen müssen*). Aber die
Türken gaben, offenbar in der Vorstellung, daß hinter Scheremet-
jew jene russische Übermacht herziehe, die nur in ihrer Vor-
stellung lebte, in eben dieser Nacht Jamboli mit all seinen unge-
heuren Vorräten auf. Die Reiterei jagte nach Schumla zurück,
und die Infanterie schlug die Straße nach Adrianopel ein. Es ist
kein Wunder, daß die Russen von Erfolg zu Erfolg schritten.
Jamboli wurde von Kosaken besetzt, Tschalikawak im Norden und
Kirkilissa östlich von Adrianopel waren von den Türken bereits
geräumt, als Diebitsch diese Orte durch schwache Abteilungen
besetzen ließ. General Krassowski schlug einen Ausfall des Groß-
wesirs aus Schumla siegreich bei Eski Stambul ab, und Diebitsch
dachte nun daran, seine Macht wieder zu konzentrieren. Er zog
^) „Wenn die Türken nicht ungeheure Ochsen wären und nicht von unserer
Stärke eine ganz falsche Vorstellung hätten, so würde unsere jetzige Lage uns
teuer zu stehen kommen.^' Panzers Tagebuch 1. August 1829. Archiv des
Generalstabes.
O Diebitsch hat dem Kaiser den Hergang so dargestellt, daß dieser für
Scheremetjew nur Lob übrig hatte, wie denn die Korrespondenz des Ober-
kommandierenden mehrfach bemüht ist, kleine Mißgriffe zu verdecken.
346 Kapitel X. Der C bergaog über den Balkan usw.
alle Truppen des 6. and 7. Korps sowie die 5. Division und drei
Husarenregimenter unter Pahlen an sich und marschierte am
10. August 4 Uhr morgens von Karnabat auf Sliwno los, wohin,
wie er erfahren hatte, der Sohn des Großwesirs Hussein, Pascha
von drei Koßschweifen, mit einigen tausend Albanern im Anmarsch
war. AVährend seine Truppen nach anstrengendem Marsch ihre
Mittagsrast hielten, traf um 1 Uhr von Krassowski ein Kurier ein,
der einen Brief des Großwesirs brachte. Es war die Antwort auf
den Friedensantrag, den Diebitsch ihm gleich nach der Schlacht
bei Kulewtschi gemacht hatte. Der Inhalt sagte, daß, da die Bot-
schafter von England und Frankreich nach Konstantinopel zurück-
gekehrt, die Frage von „Morea^ fast erledigt und damit der
schwierigste Punkt der russischen Forderungen erfüllt sei, er, der
Großwesir, es für seine Pflicht halte, einen Waffenstillstand vorzu-
schlagen. Zugleich bat er, ihm anzugeben, wohin die Kommissare,
die für die Verhandlung bestimmt seien, sich begeben sollten.
Obgleich nun im russischen Hauptquartier, wo alles des Krieges
herzlich satt war^), die lebhafteste Neigung bestand, dem Groß-
wesir entgegenzukommen, wies Diebitsch doch den Gedanken,
jetzt mit seinem Vormarsch innezuhalten, mit Entschiedenheit
zurück. Es war, wie er wohl wußte, für ihn eine Lebensfrage,
die Türken nicht zu ruhiger Besinnung kommen zu lassen. So
antwortete er denn, daß, da er erst jetzt auf sein Schreiben
eine Antwort erhalte, er sich für das vergossene und vielleicht
noch zu vergießende Blut nicht verantwortlich fühle. Das
Schweigen der Türken habe ihn genötigt, den Balkan zu über-
schreiten; jetzt seien alle Festungen am Meere in seiner Hand, seine
Vorposten ständen vor Adrianopel. Seine Pflicht gestatte ihm
nicht, stehen zu bleiben, bevor er Garantien in Händen habe. Er
werde also seinen Marsch fortsetzen. Doch sei er bereit, in Burgas,
Achiolos oder in einer anderen von seinen Truppen besetzten Stadt
die gewünschten Verhandlungen aufzunehmen.
Diese Antwort wurde durch einen russischen Offizier nach
Sliwno gebracht, und am 13. August in der Frühe brach Diebitsch gegen
diese Stadt auf. Er schnitt dadurch dem Feinde den Weg nach
Kasan ab, während Rüdiger mit der gesamten Kavallerie und 28.
Geschützen der Feldartillerie, gegen Jamboli und Jenisagra vor-
') Panzer 1. I.
Kapitel X. Der Übergang aber den Balkan usw. 347
ging, um so dem Feinde alle Stra&en mit Ausnahme des von un-
zugänglichen Bergen umgebenen Tales von Kasanlyk zu sperren.
Auch hier ist die Niederlage der Türken bald entschieden worden.
Einige Kanonenschüsse Rüdigers warfen die feindliche Kavallerie,
die schnell hinter die verschanzte Infanterie zurückwich. Gegen diese
Verschanzungen richtete sich darauf das Feuer der russischen Feld-
artillerie, während gleichzeitig Diebitsch seine Infanterie <;egen
die Stadt vorgehen ließ. Es waren die 18. Division und die
13. Jäger, die am Tage vorher 50 Werst zurückgelegt und in drei
Tagen zweimal den Hauptkamm des Balkans überschritten hatten.
Jetzt rückten sie im Laufschritt an, und der schon durch das
Geschützfeuer in Unordnung geratene Feind verlor nun allen Halt.
Die Paschas gaben selbst das Signal zur Flucht, und alles drängte
auf die Bergstraße nach Kasanlyk zu, verfolgt von Roths Infanterie,
die ihre Ranzen abgeworfen hatte, sowie von Kosaken und Ulanen
in wilder Jagd. Inzwischen aber stürzte sich die ganze christliche
Bevölkerung von Sliwno, von den Russen nicht gestört, auf das
türkische Lager, um es zu plündern. Diebitsch hat, als er in
Sliwno einrückte, dort einen feierlichen Gottesdienst abgehalten,
der mit einer Weihe des Wassers verbunden wurde, eine Zeremonie,
die, wie die Bulgaren versicherten, seit 400 Jahren bei ihnen nicht
stattgefunden hatte.
So waren im Laufe von wenig über 14 Tagen alle Truppen
geschlagen und auseinandergesprengt worden, die Reschid Mehmed
aufgeboten hatte, um den Vormarsch der Russen gegen Adrianopel
aufzuhalten. Er hatte weiter kein Heer ihnen entgegenzuwerfen ^)
und war in Schumla bis auf weiteres vornehmlich auf die bewaff-
nete Bevölkerung der Stadt angewiesen. Diebitsch konnte jetzt
gegen Adrianopel, diese älteste Residenz der Türken auf europä-
ischem Boden, fast unbehindert vorgehen').
Schon in Sliwno war ihm bekannt geworden, daß Ibrahim und
Halil Pascha den Auftrag erhalten hatten, die Trümmer ihrer
Heeresabteilungen nach Adrianopel zu ziehen. Einige Regimenter
und 12 Feldgeschütze waren bereits dort, und wie es hieß, wurde
•) Vgl. Moltke, S. 361.
') Die Korrespondenz Diebitscbs mit dem Kaiser ist für die Zeit vom
1)./:21. August ab in der Zeitschrift „Altes und neues Rußland" (Nowaja i
drewnaja Rossija) Jabrgang 1879 Dez. iF. abgedruckt Sie ist auch für den
folgenden Abschnitt unsere vornehmste Quelle.
348 Kapitel X. Der Übergang über den Balkan nsw.
•
aD den Befestigaogen der Stadt gearbeitet. Aach wurde Osman
Pascha mit 6—8000 Mann erwartet, und die Einwohner hatten
Befehl, sich zu bewaffnen, was weitere 10000 Mann ergeben konnte.
Das alles drängte zu beschleunigter Aktion. Obgleich von den
Reserven nur die Bataillone der 18. Division den Regimentern
hatten eingereiht werden können, zögerte Diebitsch nicht länger.
Er verließ Jamboli am 16. August und erreichte nach einem Marsch
von 60 Werst auf Wegen, die beschwerlicher waren als die des
Balkan^), Bujuk Derbent. Seit dem 7. August war eine furchtbare
Hitze eingetreten, die zahlreiche Erkrankungen zur Folge hatte,
namentlich aber im Hauptquartier. Am 18. gab es einen Ruhetag,
am 19. endlich standen die Russen vor Adrianopel. Es war nur
eine geringe Macht, die dieses nächste Ziel erreicht hatte, unter
normalen Verhältnissen viel zu schwach für eine Unternehmung,
wie die Notwendigkeit sie Diebitsch jetzt zuwies. Es galt für ihn
nunmehr, entweder die Türken einzuschüchtern und zu einem
Frieden nach dem Willen Rußlands zu bestimmen, oder aber unter-
zugehen. Denn die Machtmittel, den Frieden zu erzwingen, hatte
er nicht mehr. Ein Augenblick klarer Einsicht in Konstantinopel,
und er war verloren. Schon jedes längere Festliegen an einem Ort
mußte ihm verderblich werden, denn von Tag zu Tag lichteten
sich die Reihen seiner Regimenter mehr, die doch schon allzu große
Lücken aufwiesen. Am 19. August zählte das 2. Korps noch
1000 Pferde, 4000 Mann Infanterie und 36 Geschütze, das 6. In-
fanteriekorps 2000 Pferde, 3000 Mann Infanterie und 42 Geschütze,
das 7. Korps 1500 Pferde, 5200 Mann Infanterie und 32 Geschütze.
Das Regiment Kamtschatka hatte als pestverdächtig zurückgelassen
werden müssen. Erwartet wurden noch die 35. Jäger und acht
Geschütze vom Balkan her. Zur Hand hatte Diebitsch nur 4500
Pferde, 12200 Infanteristen und 100 Geschütze, gewiß viel zu
wenig, um eine Stadt von über 800000 Seelen, wie Konstantinopel,
zu Fall zu bringen. Es war unerläßlich, daß durch die Einnahme
von Adrianopel ein neuer noch stärkerer Druck auf die Pforte aus-
geübt werde, damit sie freiwillig zugestand, was nicht erzwungen
werden konnte. Am 19. abends rekognoszierten mit nur kleinem
^} Das bestätigt auch Panzer 1. I. Sein Tagebuch bricht mit dem
18. August, mitten in einem Satz ab — auch er erkrankte und starb in
Adrianopel.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 349
Gefolge Diebitsch und Toll, der sich von den Fieberanfällen, die
ihn quälten, einigermaßen erholt hatte und seit seiner Krankheit
zum erstenmal wieder zu Pferde saß, persönlich die Umgegend von
Adrianopel. Es wurden sofort die Dispositionen zum Angriff ge-
troffen, dann aber schickte Diebitsch einen Parlamentär zum Eaimakam
von Adrianopel, Mehmed Pascha, der in Abwesenheit von Ali Pascha,
dem Stellvertreter des Seraskiers, das Überkommando führte; er
verlangte Übergabe der Stadt und bot dagegen freien Abzug der
Truppen, wenn sie vorher die Waffen niedergelegt hätten. Am
20. um 4 Uhr morgens spätestens müsse er eine bestimmte Antwort
haben. Der Kaimakam suchte eine Gnadenfrist zu erhalten. Er
bat erst um eine Woche, dann um drei Tage Zeit. Er sei über-
zeugt, daß bis dahin der Friede, um den der Großwesir gebeten
habe, abgeschlossen sein werde, auch müsse er auf Befehle aus
Konstantinopel warten. Aber gerade das wollte Diebitsch ver-
hindern. Weil er seine Truppen nicht früher zum Angriff führen
konnte, fand er sich bereit, die Frist bis um 9 Uhr morgens zu
verlängern, danach aber werde er sich nicht eine Minute länger
aufhalten lassen. Schon um ö Uhr setzten die russischen Kolonnen
sich in Bewegung, die Infanterie, von Diebitsch geführt, ging
geradezu auf die Stadt los, die Kavallerie unter Toll zog links
über einen Bergrücken und durch Weinberge nach der Maritza hin-
unter, um die Straße von Konstantinopel nach Kirkilissa zu besetzen
und jede dahin gerichtete Flucht zu verhindern. Da um ö*/^ Uhr
erschienen türkische Parlamentäre! Sie seien bereit, die Bedingungen
Diebitschs anzunehmen, und bäten nur, daß den Paschas und den
vornehmsten Offizieren gestattet werde, ihre Waffen zu behalten.
Das wurde ihnen bewilligt, und sie fanden sich nun bereit, um
8 Uhr die Kasernen zu räumen, die für 8000 Mann Infanterie
bequeme Unterkunft boten, und auch die Schlüssel der Zitadelle
und des alten Serail, des Eski Serai, in dem von den Tagen
Murads I. bis 1453 die türkischen Sultane residiert hatten, auszu-
liefern. Das Schloß lag auf einer Insel der Maritza, zu der zwei
steinerne und eine hölzerne Brücke hinüberführten, unter dem
Schatten uralter Platanen. Hier nahmen später Diebitsch und Toll
ihr Quartier, und an diesem historisch so denkwürdigen Orte sollten
all die entscheidenden Verhandlungen stattfinden, die schließlich
den heiß ersehnten Frieden herbeiführten. Aber bevor Diebitsch
seinen Einzug in die Stadt halten konnte, hat es in Adrianopel
HoO Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw.
noch Aagenblicke des Schwankens gegeben. Um 7 Uhr brachte der
Pascha-Kommandant persönlich') ein Paket, das Schreiben des Bot-
schafters Guillemlnot und Sir Robert Gordons enthielt. Durch ein Be-
gleitschreiben wurde Diebitsch gebeten, zwei Pakete an den eng-
lischen und an den französischen Botschafter in Petersburg zu befördern,
zugleich wurde ihm gemeldet, daß General von Müffling bald in
Konstantinopel eintreffen werde, üa der Kurier den Türken mit-
geteilt hatte, daß Bevollmächtigte des Sultans unterwegs seien, um
mit Diebitsch über den Abschluß eines Friedens zu verhandeln,
glaubten sie, daß die Russen auf die Besetzung der Stadt ver-
zichten würden. Aber Diebitsch gab seiner Infanterie sofort Befehl,
sich auf Flintenschußweite der Stadt zu nähern, und damit hörte
jeder Widerstand auf. Um 10 Uhr erfolgte die Übergabe. Der
Seraskier Halil und Ibrahim, der Pascha von Tultscha, überlieferten
die Waffen von 3 — 4000 Mann regulärer Truppen. Sie versuchten
dann auf der Straße nach Konstantinopel abzumarschieren, fielen
aber in die Hände des Generals Kreutz, der sie ganz entwaffnete,
einige Stunden aufhielt und sie danach nötigte, die südlich nach
Demotika führende Straße einzuschlagen.
Kaum hatte Diebitsch seinen Einzug in Adrianopel gehalten,
so erhielt er durch den Leutnant Clor vom preußischen General-
stabe ein offizielles Schreiben und einen Privatbrief von Müffling,
der inzwischen eingetroffen war, sowie Briefe von Guilleminot und
Sir Robert. Es war ihnen ein Memorandum*) angeschlossen,
welches die Voraussetzungen enthielt, unter denen die Pforte bereit
war, über einen Friedensschluß zu verhandeln. Sie waren, da weder
Abtretungen an Land in Europa und Asien, noch eine Kriegs-
entschädigung in Aussicht genommen wurden, für Diebitsch völlig
unannehmbar, und in diesem Sinne hat er am 23. auch seine
*) So in dem Schreiben Diebitscbs an Nesselrode, wäbrend in dem Be-
richt an den Kaiser nur von einem „Parlamentär*' die Rede ist. Oberhaupt
ist die Korrespondenz Diebitschs mit Nessel rode stets heranzuziehen. Sie
ergänzt und korrigiert vielfach die Korrespondenz Diebitschs mit dem Kaiser,
in der z. ß. die heikle Frage der Erregung eines Aufstandes nur leise an-
deutend gestreift wird, während sie mit dem Vizekanzler ganz unverblümt
diskutiert wurde. Diebitschs Korrespondenz mit Nesselrode ist noch unge-
druckt. Sie liegt im Petersburger Archiv der historischen Abteilung des
GeneralsUbes (W. U. A. Nr. 5329).
^ Vgl. die Anlage.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw. 351
Antwort beiden Botschaftern zugehen lassen^). Weit genehmer
war ihm dagegen, was Müifling ihm in einem vom 17. Augast aus
Pera datierten Schreiben in Vorschlag brachte. Es gäbe, schrieb
MüfTling, für üiebitsch zwei Wege, zum Abschluß des Friedens zu
gelangen. Der eine könne durch endlose Verhandlungen und Un-
annehmlichkeiten zu Zugeständnissen führen, die der Mühe nicht
wert seien und nur um der Ehre willen gefordert würden. Der
andere Weg aber wäre, ihm zu schreiben, daß er, Diebitsch, bereit
sei, Friedenspräliminarien zu unterzeichnen, wenn die Pforte den
fünf von ihr vorgeschlagenen Punkten als sechsten hinzufüge:
Als Entschädigung für die Kriegskosten werden Rußland die festen
Plätze Anapa und Poti abgetreten, dazu sechs Linienschiffe und
Bauholz, um sechs weitere Schiffe ersten Ranges zu bauen.
Sei Diebitsch bereit, darauf einzugehen, so hoffe er alles in
Ordnung zu bringen *), und in wenigen Tagen könnten dann die
Verhandlungen ihren Abschluß finden. Fordere Rußland dagegen
mehr, so könne er weder für Diebitsch verhandeln, noch irgend-
einen Erfolg garantieren.
Die gleichfalls vom 23. August datierte Antwort von Diebitsch
war entgegenkommend, aber nicht ohne Vorbehalt und nicht ver-
pflichtend. Müfflings Vorschlag, schrieb er, gebe eines der Mittel
an, die Sache endgültig zu erledigen, und er werde sein Vertrauen
nicht mißbrauchen.
Es kam jetzt alles darauf an, welche Haltung der Sultan ein-
nehmen werde.
Wir wissen bereits, daß der mächtigste Mann in Konstantinopel
der Vertraute des Sultans, der Seraskier Chosrew Pascha war, ein
Kaukasier wie der Großwesir Reschid und wie Halil, die ebenfalls
einst Sklaven gewesen waren. Was die Pforte bisher an Energie
entwickelt hatte, ist wesentlich sein Werk gewesen. Die Nieder-
lage bei Kulewtschi hatte ihn nicht entmutigt; er glaubte, wie
Reschid, an die Widerstandskraft von Schumla und an den Gegen-
satz der Interessen der europäischen Mächte, der schließlich doch
der Pforte zugute kommen müsse. Auf Slaven und Griechen sah
er mit stolzem Hochmut herab, und das Reformprogramm des
Sultans war von ihm mit aller Energie gestützt und gefördert
^) Vgl. die Anlage
-) „Alors je crois que je serais ä mesure d'arranger Votre affaire.*'
352 Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw.
worden. Aber die Bevölkerung empfand anders. Der Mufti, mit
dem was an Janitscharen der Vernichtung entgangen war, hatte
sich bald nach der Schlacht — das Datum ist nicht festzustellen —
zum Sultan begeben, um ihn für einen Friedensschluß und für die
Abschaffung der verhaßten Neuerungen zu gewinnen. Die Gefahr
einer Revolution schien dadurch so nahe gerückt, daß der Sultan
seinen Sohn zu ermorden beschloß, um dadurch seine Stellung zu
sichern, denn die Erhaltung der Dynastie Osmans war so sehr
eine religiöse und politische Notwendigkeit, daß, wenn sie nur auf
seinen Augen ruhte, kein Moslem gewagt hätte, ihn anzutasten.
Zu diesem Äußersten aber ist es doch nicht gekommen ; der Thron-
folger blieb am Leben, aber es kennzeichnet die Lage, daß Keschid
bereits im Begriff war, Schumla zu verlassen, um seinem Herrn
zu Hilfe zu kommen, als er die Botschaft erhielt, daß die Gefahr
— wir wissen nicht wie — gehoben und der Sultan seiner Feinde
mächtig geworden sei'). Es gärte indessen fort. In der Nacht vom
26. auf den 27. Juni fand eine furchtbare Feuersbrunst in Pera statt,
die wohl auf Brandstiftung zurückging und als Symptom kommender
Gefahren erschreckte. Aber der Sultan blieb bei seinem Programm.
Er ließ am 28. Juli in seiner Gegenwart eine Sitzung des Divau
abhalten, die in eine Reihe kriegerischer Beschlüsse ausmündete.
Mahmud war, dem Drängen der Mächte nachgebend, zwar bereit zu
dulden, daß die Griechen einen Fürsten zum Oberhaupt erhielten,
aber unter keinen Umständen wollte er auf seine Festungen in
Morea verzichten. Der Gedanke an einen Friedensschluß mit
Rußland wurde weit zurückgewiesen. Wer ihn wolle, wolle auch
den völligen Untergang der Türkei').
Aber mit dem weiteren Vordringen der Russen nahm die
Unruhe zu. Man sprach laut davon, daß, wenn das Korps der
Janitscharen noch bestände, die Russen nimmermehr den Balkan
überschritten hätten; der Haß und die Erbitterung schienen sich
gegen alle Fremden wenden zu wollen. Man war in den Kreisen
der Diplomaten froh, daß die Fregatten, die Gordon und Guille-
minot nach Konstautinopel geführt hatten, noch im Goldenen Hörn
vor Anker lagen. Im äußersten Falle boten sie eine Zuflucht.
') Tagebuch von Panzer: Die Nachricht geht auf den russischen Stabs-
kapitän du Ilamel zurück, der in Schumla gefaugen gelegen hatte, und Mitte
August vom Großwesir freigelassen wurde.
^ Berichte des preußischen Gesandten Royer l. 1.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 353
Am 4. August, als die Russen bereits Achiolos bedrohten, fand
wiederum eine Sitzung des Üivan in Therapia statt. Auch jetzt
noch war die Stimmung höchst kriegerisch. Unter dem Einfluß
des Seraskiers wurde ein allgemeines Aufgebot beschlossen. Man
glaubte allein aus Konstantinopel 80000 Mann aufbringen za
können und wollte 4000() von ihnen unter die Waffen rufen.
Chosrew Pascha selbst erbot sich, sie in Kara Burnu, auf der
europäischen Seite des Bosporus, zu organisieren. 10000 wurden
zur Verteidigung Konstantinopels bestimmt, die übrigen dachte
man gegen den Feind zu führen. Diese tapferen Entschlüsse er-
wiesen sich aber bald als unausführbar. Als die Nachricht von
der Einnahme von Adrianopel in der Hauptstadt einlief, ward alles
von blindem Entsetzen ergriffen. Wilde Gerüchte liefen um. Die
Franken, die einen Aufstand fürchteten, ergriffen die Flucht nach
Pera und suchten Schiffe zu mieten, um ihre Familien und ihr
Eigentum zu sichern. Auch Angehörige der fremden Gesandt-
schaften begannen die gleichen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifed,
was die allgemeine Panik noch steigerte. In Bujukdere und in
Pera waren alle christlichen Läden geschlossen. Ein Ausbruch der
Volkswut schien unmittelbar bevorzustehen. Da aber griff der
Sultan ein. Er sah sehr wohl, daß es sich auch um seine per-
sönliche Sicherheit handelte, und zeigte nun dieselbe furchtbare
Energie wie bei Vernichtung der Janitscharen. Der Kommandant
der Schlösser am Bosporus, Achmed Aga, der im Verdacht stand,
die Erregung zu schüren, wurde verhaftet und auf der Flotte des
Kapudan-Pascha hingerichtet. Sein Kopf (la peau de sa tete)
wurde am Serail mit einer bezeichnenden Inschrift ausgestellt.
Dann wurde eine Reihe zweckmäßiger Maßregeln ergriffen, um zu
verhindern, daß die Scharen der fliehenden Truppen in Konstanti-
nopel eindrangen. Alle Asiaten wurden, sobald sie einen Hafen
erreichten, nach Asien hinübergeschafft, die Irregulären bei ihrem
Eintreffen sofort entlassen. Sie waren glücklich, in ihre lleimats-
dörfer zurückzuziehen. Die regulären Truppen aber reorganisierte
man, so gut es eben ging, in den großen Lagern, die bestimmt
waren, Konstantinopel zu decken; durch die Straßen der Stadt
zogen Patrouillen, und reguläre Truppen waren beauftragt, überall
nach Waffen zu fahnden und sie zu vernichten. Es war jetzt
weniger die Rede davon, Konstantinopel gegen die Russen, als
gegen die inneren Feinde, die Janitscharen, zu verteidigen. Dana
Scliiemann, Geschichte KuBlands. II. 23
354 Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw.
folgten masseohafte Hiarichtungen von Verschwörern. „Man kennt
die Zahl der nächtlichen Hinrichtungen nicht, einige schätzen sie
sehr hoch. Aber es ist sicher, daß heute in verschiedenen Stadt-
vierteln sieben Hinrichtungen stattgefunden haben. Man köpfte
die Unruhestifter, wo sie ergriffen wurden, und stellte die Leichen
am Platz der Hinrichtung aus. Das Cafe, in dem die Unzufriedenen
sich zu versammeln pflegten, aber wurde heute morgen dem Erd-
boden gleichgemacht." So berichtet der preußische Gesandte Royer
am 29. August. Wie sollte da von einem allgemeinen Aufgebot
noch die Rede sein. Der Sultan fürchtete seine Soldaten und die
„getreue" Bevölkerung seiner Residenz mehr als den Feind.
Dieser Stimmung kam dann die Aktion der europäischen Di-
plomatie entgegen, und die Festigkeit Diebitschs tat das Übrige. Es
konnte nicht mehr zweifelhaft sein, daß, wie Nesselrode gesagt hatte,
das Schicksal der Türkei in seinen Händen lag.
Als MüfHing am 4. August in Konstantinopel eintraf, fand er
den Boden zwar vorbereitet, aber die Erwartungen, die sich an
seine Mission knüpften, außerordentlich hoch gespannt*). Durch
Guilleminot wußte die Pforte von einem Gespräch, das der
Kaiser in Berlin mit dem französischen Gesandten, Grafen
d'Agont gehabt hatte, wonach die Pforte darauf rechnen könne,
einen Frieden zu erhalten, wenn sie Anapa abtrete. Geldentschä-
digungen werde Rußland nicht fordern, oder doch nur ganz gering-
fügige. Es ist begreiflich, daß der Reis-Efendi sich höchst enttäuscht
zeigte, als Müffling, den er am 6. August empfing, andere Töne
anschlug und auf das russische Kriegsmanifest und die der Pforte
bekannten Forderungen Rußlands hinwies, auch erklären mußte,
daß er keineswegs zum Abschluß eines Friedens bevollmächtigt
sei. Der Reis-Efendi wollte durchaus nicht glauben, daß Müffling
nicht noch geheime Aufträge habe, mit denen er nur vorläufig zu-
rückhalte. Die Bedingungen, an deren Erfüllung Rußland die Ge-
währung eines Friedensschlusses knüpfte, konnte man in Konstan-
tinopel schon durch die Verhandlnugen, die nach der Schlacht bei
Kulewtschi Fonton geführt hatte, und trotz der großen Erfolge, die
') Vergl. die kurze aber vortreffliche Ausführung bei Heinrich von Treitschke:
Deutsche Geschichte, Bd. III S. 743 ff. Nach den Akten des Geheimen Staats-
archivs. Eine wesentliche Ergänzung bietet die Korrespondenz Diebitschs mit
dem Kaiser, Nesselrode und Royer. Die letztere liegt teils im Archiv des Peters-
burger Generalstabes (W. ü. A. 5330), teils im Archiv des Reichsrats Nr. 690.
Kapitel X. Der Cbergang über den Balkan ubw. 355
Kußland seither zugefallen waren, glaubte man, auf Guilleminots
Mitteilungen fußend, noch weitere Zugeständnisse erlangen zu
können. Offenbar bewegte sich die Pforte in Illusionen. So
ging eine Reihe von Tagen nutzlos hin. Aber am 15. Augast
gelang es, die Pforte zur Anerkennung des Londoner Traktats zu
bewegen. Sie trat ihm, wenngleich unter Vorbehalten, formlich bei
und meinte dadurch sich der Unterstützung der Mächte gegen die
russischen Forderungen zu versichern und ihre Mediation zu er*
langen; Müffling mußte ihr erst, unter Beihilfe der englischen,
österreichischen und französischen Botschafter, begreiflich machen,
daß sein Auftrag nur dahin gehe, die Anknüpfung von Verhand-
lungen zu vermitteln, nicht selbst zu verhandeln. Schließlich hat
der Reis-Efendi doch den möglichen Nutzen einleitender Schritte
von Seiten Müfllings erkannt und den Auftrag gebilligt, der den
Leutnant Cler in das russische Hauptquartier führte. Als darauf am
22. August die Nachricht vom Einzug der Russen in Adrianopel
eintraf und die Stimmung in der Hauptstadt die größten Besorg-
nisse erregte, fand eine Versammlung des Divan statt, die zur Folge
hatte, daß der Reis-Efendi Müffling und die Botschafter von Eng-
land und Frankreich einlud, sich bei ihm zu einer Konferenz ein-
zufinden. Diese Konferenz fand am 24. statt, da aber Müffling
erkrankt war, beauftragte er den preußischen Gesandten Küster,
ihn zu vertreten ').
Der Reis-Efendi eröffnete die Sitzung mit der Mitteilung, daß
er Bevollmächtigte zu Diebitsch zu schicken bereit sei, auch be-
reits den Finanzminister Sadik Efendi und den Überrichter von
Konstantinopel und Asien Abdul Kador Bey*) dazu bestimmt habe.
Beide waren zugegen und nahmen mit Genehmigung der Botschafter
und Küsters an der Sitzung teil.
Er habe, fuhr dann der Reis-Efendi fort, Nachricht vom Ein-
rücken der Russen in Adrianopel und wünsche daher, den Ab-
schluß des Friedens, nachdem die ersten Schritte dazu geschehen
seien, nach Möglichkeit zu beschleunigen. Sadik und Kador hätten
den Auftrag, sobald wie irgend möglich die Präliminarien zu unter-
zeichnen. Er bitte die Bevollmächtigten der drei Mächte um ihren
') Relation Küsters an den Grafen Bernstorff d. d. Eski Serai zu Adria-
nopel, den 29. August 1829. Dabei der Vermerk: sorgßiltig zu sekretieren.
') Küster nennt ihn falschlich Gadir.
23*
356 Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw.
weiteren Rat. Es ist wohl das wesentlichste Verdienst Mufflings,
daß er schon vor der Sitzung ein vollkommenes Einverständnis mit
den Vertretern Frankreichs und Englands zu gewinnen vermochte. Sie
hatten, ebenso wie er selbst, keine Vorstellung davon, daß die Russen
des Friedens mindestens ebenso bedürftig waren wie die Türken.
So konnte es geschehen, daß Sir Robert als Wortführer der übrigen
erwiderte, das beste wäre, daß die Pforte bestimmt und klar aus-
spreche, was sie tun wolle, um den Frieden zu erlangen, und als
der Reis-Efendi sich auf die früheren fünf Punkte beziehen wollte,
hinzufugte: es scheine dabei der Punkt zu fehlen, ohne welchen
Rußland voraussichtlich nicht bereit sein werde, den Frieden ab-
zuschließen: die Entschädigung wegen der. Rriegskosten. Der Kaiser
Nikolaus habe allen Mächten die bestimmtesten Versicherungen ge-
geben, nur mäßige Kriegskosten zu fordern, so daß die Pforte wohl
nichts Besseres tun könne, als die Bestimmung darüber der Groß-
mut (magnanimite) des Zaren zu überlassen. Der Reis-Efendi ver-
sprach, seine beiden Bevollmächtigten in diesem Sinne zu instru-
ieren, und bat die drei Gesandten, auch ihrerseits Diebitsch zu be-
schicken, damit der Friede ohne jeden Zeitverlust geschlossen
werden könne. Küster erklärte darauf, daß Müffling einen Offizier
zu Diebitsch senden werde, was sehr dankbar aufgenommen wurde,
aber die Türken baten, daß Küster selbst, als Zeuge und Teil-
nehmer, die Mission auf sich nehme. Die beiden Botschafter be-
gnügten sich, durch kurze Schreiben das Anliegen der türkischen
Bevollmächtigten zu empfehlen, Müffling aber fand sich bereit,
nachdem er über den A^erlauf der Sitzung unterrichtet worden war,
Küster ins russische Hauptquartier zu senden, und gab ihm ein
Beglaubigungsschreiben an den Grafen Diebitsch mit; in der Nacht
vom 24. auf den 25. schiffte sich Küster mit Sadik Efendi und
Kador Bey, einem türkischen Sekretär und dem Pforteodolmetscher
auf einem Dampfer des Sultans nach Rodosto (Tekirdagh) ein. Sir
Robert Gordon hatte ihm außerdem eine englische Kriegsbrigg zur
Verfügung gestellt, um seine Rückehr von Rodosto nach Konstanti-
nopel unter allen Umständen zu sichern. So wenig zuversichtlich
blickte man der Zukunft entgegen.
Am 27. abends traf Küster in Adrianopel ein, etwas früher
als die beiden türkischen Minister, die absichtlich auf der letzten
Station vor Adrianopel zurückgeblieben waren. Sie laugten erst am
anderen Morgen im russischen Hauptquartier an.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 357
Uiebiisch war zunächst von Müfflings Vorgehen keineswegs er-
baut^). Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er sich begnügt hätte, die
Absendung türkischer Bevollmächtigter zu bewirken, ohne auf den
Inhalt der Verhandlungen einzugehen, und ohne ihm einen immer
lästigen Zeugen in das Hauptquartier zu schicken. Er hatte
allen Grund, vor jedermann die tatsächlichen Zustände im Haupt-
quartier wie in der Armee zu verbergen. „Einen wahrhaft trau-
rigen Anblick bot in dieser Zeit unser Hauptquartier,^ — so
schrieb damals einer von Tolls Adjutanten — „außer dem
Grafen Diebitsch und einigen wenigen Personen war alles krank,
vom Bedienten bis zum höchsten Herrn. Wie Geister schlichen
wir umher, täglich wählte sich das Fieber neue Gegenstände seiner
Wut, und so manchen führte es unbarmherzig in eine neue Welt.
Von den 4000 Kranken im Hospital starben täglich vierzig. Zu-
letzt hatte die Artillerie so wenig Leute, daß Infanteristen die
Kanonen bewachten . . .'"). Aber Diebitsch verstand es meister-
haft, das alles zu verbergen; man sah weder die Schwäche seiner
Heeresmacht, noch die Sorgen, die ihn quälten, noch endlich ver-
riet er die Eifersucht, die er gegen Müffling hegte. Er empfing
Küster nicht nur mit Freundlichkeit, sondern auf das herzlichste
und zeigte „die besten Dispositionen^. Als Küster ihm die Lage
in Konstantinopel darlegte und darauf hinwies, daß ein weiteres
Vorrücken der Russen eine Revolution und den Zusammenbruch
des Reiches zur Folge haben könnte, erklärte er sofort, daß es
^) Diebitsch an Nesselrode, den 25. August. y,Je n^arreterai pas Votre
attention sur le desir quMl montre de s'^riger en m^diateur pour la paix.*
Petersburg, Archiv des Ministeriums des Auswärtigen, 12969.
Ganz ähnlich urteilte Nesselrode in seinem Antwortschreiben vom
9. September (W. U. A. 5329). »Je crains bien que Müffling n'ait abus^ des
confidences que l'Empereur a faites au roi, en faisant esp^rer a la Porte des
conditions plus favorables que Celles que nous pouvons et devons lui accorder
Au reste daus ces confideDces S. M. n^est entree dans aucun detail, et il n*a
M au fond question que de Tarticle de Tindemnite snr lesquelles (sie I) le Roi
temoignait de vives inquietudes, et alors PEmpereur a parle d'une somme de
150 millions roubles en papier et de cessions territoriales en Asie quMl serait
pret ä recevoir en compensation, si la Porte etait hors dVtat d'acquitter en
argent la totalite de cette somme. Or c*est lä le pivot sur lequel doit rouler
toute la ni'gociation.^ Dem Kaiser gegenüber wagte Diebitsch nicht, mit
seinem Ärger hervorzutreten. Er hat vielmehr die Verdienste von Müffling
und danach von Royer rühmend heiTorgehoben.
') Aus den Tagebüchern Wildermeths. Bernhardischer Nachlaß.
358 Kapitel X. Der Übergang über den Balkan nsw.
auch seiner Überzeugung nach notwendig sei, dem Kriege schleu-
nigst ein Ende zu machen. Obgleich Graf Orlow und Graf Pahlen,
der Bruder des Generals, die für die Führung der Friedensverhand-
lungen von Petersburg her bestimmt waren und Instruktionen über
einige minder wichtige Punkte bringen sollten, noch nicht ein-
getroffen waren, ernannte er den General Fürsten Gortschakow und
den Staatsrat Anton Fonton zu Unterhändlern. Er versprach, nicht
weiter gegen Konstantinopel vorzurücken, doch sei es zu spät, um
zu verhindern, daß Admiral Greigh, der eben Inada und Samokowo
genommen habe, nicht auch Midia besetze. Als aber Küster der
Hoffnung der Türken Ausdruck gab, daß Rußland in seinen Forde-
rungen mäßig sein werde, antwortete er, daß die Hartnäckigkeit,
mit der die Türken bisher alle Friedensanträge zurückgewiesen
hätten, den Befehl zur Folge gehabt habe, eine höhere Kriegs-
entschädigung zu fordern, als ursprünglich geplant wurde. Die
Friedensbedingungen, die er vertraulich mitteilte, gaben das Maxi-
mum der Nessel rodeschen Instruktion, im übrigen verwies er auf
die Gnade des Kaisers, die vielleicht nachträglich dieses oder jenes
Zugeständnis machen werde. Er war weit entfernt, dem Preußen
mit wirklichem Vertrauen entgegenzukommen, sondern wollte
ihn benutzen, um einen weiteren Druck sowohl auf die Pforte,
wie auf die Botschafter Englands und Frankreichs auszuüben. Das
letztere zeigte sich namentlich in der Art, wie er die griechische
Frage anfaßte. Der Beitritt der Pforte zum Juli -Traktat genüge
nicht, sie müsse auch das Protokoll vom 22. März 1829 anerkennen,
und er werde gerade diesen Punkt als einen integrierenden Teil
des Friedenstraktats ansehen und darauf bestehen, daß die noch
nicht erledigte Grenzfrage dahin entschieden werde, daß die künf-
tige Grenze Griechenlands vom Golf von Volo bis zu dem von
Arta reiche.
Den Befehl zum sofortigen Einstellen der Feindseligkeiten er-
teilte Diebitsch noch am 28. August, auch versprach er, Kuriere
an Paskiewitsch abzufertigen, um in Asien gleichfalls einen Still-
stand herbeizuführen. Am 29. hatten die beiden türkischen Be-
vollmächtigten ihre erste Zusammenkunft mit dem siegreichen
Feldherrn, der bald eine zweite folgte. Die wirklichen Verhand-
lungen begannen erst nach dem Eintreffen von Orlow und Pahlen
am 2. September. In den meisten Fragen zeigten sich die türkischen
Delegierten sofort nachgiebig, auch in betreff der Abtretungen auf
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 359
asiatischem Boden erhoben sie keinerlei Einwendungen. Erst als
die Frage der Kriegsentschädigung zur Verhandlung kam, wurden
sie hartnäckig. Sie dürften, erklärten sie, trotz ihrer Vollmachten
der Türkei nicht Verpflichtungen auflegen, die der Sultan unmög-
lich erfüllen könne. Schließlich baten sie um eine Frist von zehn
Tagen, um nach Konstantinopel, speziell wegen der Kriegsentschädi-
gungen, zu schreiben.
Diebitsch gestand diesen Aufschub zu, erklärte aber mit großer
Bestimmtheit, daß seine Truppen sofort nach Ablauf der Frist,
wenn keine oder eine unbefriedigende Antwort einlaufe, sich
gegen Konstantinopel in Marsch setzen würden und daß dann
keiner der bisher gemachten Vorschläge weiter Geltung haben sollte.
Bis dahin aber würde er natürlich seine Operationen fortsetzen,
jedoch nicht weiter als bis Silivri, das ist bis 70 VS^erst vor Konstan-
tinopel, vorrücken. Auch unterblieb nun die Absendung der Kuriere
an Paskiewitsch. Da der türkische Kurier am 5. abreiste, mußte
die Entscheidung am 13. September fallen.
Es waren auch für Diebitsch Tage der Spannung und Auf-
regung. Er erwog die Möglichkeiten, die sich ihm boten. Konnte
die Pforte in der Tat nicht zahlen, so hätte er am liebsten die
Donaufürstentümer*) an Zahlungsstatt genommen, und allerdings
wäre dies ein Opfer gewesen, das die Pforte verschmerzen konnte.
Man gab in Konstantinopel Moldau und Walachei ohnehin verloren,
wußte auch sehr wohl, daß durch diesen Gewinn Rußland in
dauernden Gegensatz zu Österreich geraten werde. Was in Peters-
burg gegen diese Erwerbung sprach, war das Versprechen des
Kaisers, in Europa keine Eroberungen zu machen; aber es hätte
sich immer ein Ausweg finden lassen, darüber hinwegzukommen.
Wurden die Fürstentümer russisch, so bot sich eine völlig
neue Lage für Rußland, im Orient wie in Europa. Der Traum,
den vor bald 900 Jahren Swjatoslaw geträumt hatte, wäre in Er-
füllung gegangen, und was Alexander I. so heiß ersehnt hatte,
verwirklicht worden. Aber Diebitsch glaubte selbst nicht daran,
daß es möglich sein werde, den Kaiser dafür zu gewinnen; sein
Wort war zu feierlich, zu häufig und zu öffentlich abgegeben
worden. Nach anderer Richtung hin glaubte Diebitsch freiere
^) Korrespondenz zwischen Diebitsch und Nesselrode. Er kommt mehr-
fach auf diesen Gedanken zurück.
360 Kapitel X. Der Obergang über den Balkan osw.
Hand zu haben. Schon im Juni hatte der Kaiser ihm gestattet,
die Bulgaren, wenn es unbemerkt geschehen könne, zu bewaffnen.
Davon hatte er zunächst abgesehen, aber er war durch Milosch von
Serbien in Beziehung zum Pascha von Skodra getreten, und eben
jetzt war ein neuer Brief von Milosch eingelaufen, der ihm meldete,
daß Albanien und Bosnien nur seines Rufes harrten, um sich gegen
den Sultan zu wenden. Von den Grenzen Serbiens bis nach
Philippopel hin werde sich keine Hand für die Rettung Mahmuds
erheben. Mustafa Pascha von Skodra, der gegen Widdin nur
zum Schein demonstriert habe, sei, als Diebitsch in Adrianopel
einzog, mit seinem Heere nach Sofia vorgedrungen, nicht um
Diebitsch zu bedrohen, sondern um ihm näher zu sein und
sich mit ihm darüber zu verständigen, ob er in Sophia bleiben
oder nach Albanien zurückkehren solle.
Für die Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit des Paschas ver-
bürgte sich Milosch. Die 2000 Albaner, die in Widdin zurück-
blieben, seien bestimmt, zu verhindern, daß Ibrahim Pascha diese
Festung und Orsowa den Österreichern übergebe, wenn Diebitsch
in Konstantinopel einziehe. Falle der Thron, so wolle Mustafa
beide Städte (Widdin und Orsowa) den Serben überlassen, dazu
Nissa und Sofia, und sich selbst zum Beherrscher Albaniens
machen. Auch wolle er dann dem Zaren tributpflichtig sein ').
Für Diebitsch waren diese Anerbietungen insofern wichtig, als
er sich völlig klar darüber war, daß seine Streitkräfte nicht hin-
reichten, um Konstantinopel zu nehmen. Lehnte aber die Pforte die
russischen Forderungen ab und mußte er den Frieden erzwingen,
80 war es für ihn ein Gebot der Selbsterhaltung, auch vor diesem
Äußersten nicht zurückzuschrecken. Dann allerdings brach die
Türken herrschaft in Europa zusammen, und der Raum wurde frei
für all die ehrgeizigen Kombinationen, die bereits an diese t-eils
gefürchtete, teils ersehnte Katastrophe sowohl von Rußland wie
von anderen Mächten geknüpft wurden.
So weit aber sollte es nicht kommen. Zwei Tage vor Ablauf
der Frist erhielt Diebitsch ein vom 9. September datiertes Schreiben
der Botschafter von England und Frankreich'). Es war die fast
') Petersburg, Archiv d. M. d. A. 13053. Der Brief von Milosch datiert
vom 20. August r. St. und ist russisch geschrieben.
^ In deutscher Obersetzung veröffentlicht von Rosen: Geschichte der
Türkei I, 114. Der französische Text in der Anlage.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw. 361
fleheode Bitte, nicht gegen Eonstantinopel zu marschieren, da sonst,
wie die Pforte ihnen offiziell erklärt habe, and wie sie bestätigen
müßten, das türkische Reich aufhören werde, zu existieren. Nun
ließ sich annehmen, daß die türkischen Bevollmächtigten auf
jede Forderung eingehen würden, die Diebitsch stellte. Seine
Kampagne, die politische wie die militärische, war damit wirklich
gewonnen.
„Ich bin glücklich, Herr Graf," schrieb Diebitsch dem Vize-
kanzler, „daß ich durch die Festigkeit meiner ersten Antwort den
Herren Botschaftern gezeigt habe, daß sie über eine unwiderruflich
gesetzte Grenze nicht hinausgehen dürfen, und daß sie dadurch in
die Notwendigkeit versetzt worden sind, selbst als Bittende zu er-
scheinen, um von der Güte unseres erhabenen Herrn Gnade und
Kettung für das Osmanische Reich zu erflehen. Dies, Herr Graf,
ist in meinen Augen die größte und wichtigste Errungenschaft
dieser Kampagne, und für mein Herz die schönste und glorreichste
Belohnung.'' ')
Diebitschs Haltung in den Tagen, die bis zum 9. September hin-
gegangen waren, hatte wesentlich dazu beigetragen, den Botschaftern
die Vorstellung zu erwecken, daß er in der Tat entschlossen sei,
im Fall der Ablehnung seiner Forderungen gegen Konstantinopel
vorzugehen. Fahlen war beauftragt worden, Wisa und Sarai zu
besetzen, die von den türkischen Truppen geräumt waren, General
Sievers war mit 1000 Mann Kavallerie und vier Kanonen nach
Enos geschickt worden, um durch Einnahme der Stadt die Ver-
bindung der Armee mit der Mittelmeerflotte zu sichern. Auch
Ipsala und Lule-Burgas sollten besetzt und die Kosaken gegen
Tschurla vorgeschickt werden. Krassowski endlich führte, mit
größerer Energie als bisher, den Bau der Redouten und Trancheen
fort, die sich immer mehr den Befestigungen von Schumla näherten.
0 »Je m'estime heureux, M. le comte, qiie la fermete de ma premiere
reponse aux Ambassadeur^, ait pu leur montrer comme tracee d'one mani^re
irnWocable la ligne de reserve sur laquelle ils devaient se tenir, et que ce
laogage les ait mis dans la necessitö de se präsenter eux-memes en suppliants
aün d'implorer de la clemence de notre Auguste Maitre la gräce et le salut
de PEmpirc Ottoman. Ce r^sultat, M. le comte, est a mes yeux le plus grand,
le plus precieux de la campagne actuelle; il est pour mon coeur la plus belle
et la plus glorieuse des recompenses.**
Im gleichen Sinne schrieb Diebitsch dem Kaiser. Altes und neues Ruß-
land 1. 1. S. 555.
362 Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw.
Man mußte anoehmen, daß er im Begriff sei, einen Sturm auf die
Festung zu unternehmen. Als dann die Türken in der Nacht vom
5. auf den 6. September einen Ausfall machten, wurden sie zwar
zurückgeschlagen, aber die Russen, die bei der Verfolgung zu weit
vorgedrungen waren, erlitten gleichfalls so empfindliche Verluste,
daß die Türken bald danach einen zweiten Ausfall wagten, der
diesmal für sie sehr unglücklich auslief, aber noch keine Entschei-
dung brachte.
Das alles hatte eine weitere- Spannung der Lage zur Folge,
die in Konstantinopel zu beschleunigtem Abschluß drängen mußte.
Es kam hinzu, daß Müffling, der seit dem Eintreffen der türkischen
Bevollmächtigten in Adrianopel seine Mission als beendigt ansah
und am 3. September seine Abschiedsaudienz beim Sultan gehabt
hatte, Konstantinopel verließ, nachdem er kurz vorher noch ärger-
liche Verhandlungen mit den Engländern gehabt hatte, die darüber
erbittert waren, daß er mit Nachdruck die russische Forderung
einer Kriegsentschädigung befürwortete. Damit dem Sultan, den
diese Forderung meist schreckte, ein Schimmer von Hoffnung bleibe,
war dann vom Reis-Efendi beantragt worden^), eine besondere
Gesandtschaft nach Petersburg zu schicken, um dadurch eine Herab-
setzung der geforderten Summen zu erreichen. Der Sultan ging
sofort auf den Gedanken ein, aber die Krisis dauerte noch bis zum
9. September, und die Entscheidung fiel zugunsten rückhaltsloser
Annahme der russischen Forderungen, wahrscheinlich') infolge
neuer Unruhen in Konstantinopel. Royer, der jetzt zugleich als
Vertrauensmann Rußlands wie der Türkei in den Vordergrund tritt,
traf mit den türkischen Bevollmächtigten in Adrianopel ein. Die
Verhandlungen wurden nun sofort aufgenommen und führten am
Abend des 14. September zu glücklichem Abschluß.
„Der Friede von Adrianopel" — schrieb Diebitsch dem Kriegs-
minister Tschernyschew — „ist heute unterzeichnet worden, siebzehn
^) So sagt ausdrücklich Müfflings geheimer 'Bericht vom 5. September
1829. In Petersburg glaubte man, daß Müffling selbst den Gedanken angeregt
habe, und war keineswegs erbaut davon. Auch ist dieser Verdacht wohl nicht
unbegründet, da Royer in einem Schreiben an Diebitsch vom 24. September
▼on dem „conseil du general Müffling relatif ä Tambassade ^ envoyer ä Votre
Auguste Maitre' spricht. Petersburg, W. U. A. Nr. 5330.
^) Schreiben Müfflings an den Grafen Bernstorif d. d. Spezzia, den
9. Oktober 1829. Am 8. September sei in Konstantinopel der große Alarm
erfolgt, der vorauszusehen gewesen. Berlin, A. A. I G. St Russie I, Nr. 44.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw. 363
Jahre nach dem Einzüge der Franzosen in Moskau, und fünf Monate
nach Aufbruch des Hauptquartiers der zweiten Armee aus Jassy.
Das Maximum der Bedingungen, die mir als Grundlage für die
Friedensverhandlungen mitgegeben wurden, ist das Resultat, und
gewiß wird ganz Europa darin ein Übermaß der Großmut unseres
geliebten Herrn erkennen. Denn nichts hätte seine siegreichen
Armeen verhindern können, sich Eonstantinopels und des Bosporus
.zu bemächtigen. Die Pforte aber hat durch den Mund der fremden
Botschafter zugestanden, daß sie aufhören würde zu existieren,
wenn wir unseren Marsch fortsetzten. Die Einzelheiten finden
Sie in meinen Berichten an den Kaiser und an Nesselrode, es ist
mir unmöglich, heute mehr zu schreiben. Die Preußen haben
als wahre und treue Freunde an uns gehandelt. Sie werden
verstehen, wie glücklich mich das macht. ^
Mit der denkwürdigen Urkunde des Friedensinstruments schickte
Diebitsch den Flugeladjutanten Tschewkin nach Petersburg, wo er
am 23. September eintraf.
Der Kaiser empfing die Nachricht vom Friedensschluß mit
aller denkbaren Freude. Er ließ sogleich die Kaiserin rufen, die
mit dem Thronfolger, den jungen Großfürstinnen und sogar mit
dem kleinen Großfürsten Konstantin eiligen Schrittes herbeikam.
Es folgte eine Szene schwer zu beschreibender gegenseitiger Beglück-
wünschungen, Liebkosungen und allseitigen Entzückens. Danach
erst vertiefte sich der Kaiser in das Studium des Friedensinstruments.
Es waren drei an demselben Tage unterzeichnete Verträge^), die
der Ratifikation des Kaisers und des Sultans harrten, von denen
der zweite und dritte als actes separes bezeichnet waren.
Der erste, der die spezifisch russischen Interessen regelte, be-
stand aus 15 Artikeln.
Artikel 1 bestimmte, daß für ewige Zeiten zwischen dem
Kaiser und Padischah aller Reußen und dem Kaiser und Padischah
der Osmanen, ihren Nachfolgern und Staaten Friede und Freund-
schaft bestehen und der gegenwärtige Vertrag gehalten und weder
direkt noch indirekt verletzt werden solle. Artikel 2 gab den
Türken alle Eroberungen wieder zurück, die Rußland auf türkischem
') Gedruckt bei Naradoungbian 1. 1. 11, Nr. 53 und 54. Die dort fehlende
Konvention über die Entschädigungen bei Sturdza, Acte si Documente I,
Nr. 64, und bei Prokesch Osten VI, 116 ff. Die russischen Texte bei Jusefo-
witsch: Verträge Rußlands mit dem Orient.
364 Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw.
Bodeo gemacht hatte: die Fürstentümer Moldau und Walachei und
das Banat Krajowa, ohae jede Mindernng, Bulgarien und das Land
Dobrudscha von der Donau zum Meer, dazu die Städte Silistria,
Hirsowo, Matschin, Isaktschi, Tultscha, Babadagh, Bazardschik,
Varna, Pravody') und die anderen Städte, Ortschaften und Siede-
lungen des Landes, das ganze Gebiet am Kamm des Balkan, \'on
Emine-Burnu bis Kasan und vom Balkan zum Meer, dazu Selimno,
Jamboli, Aidos, Karnabat, Misimbria, Achiolos, Burgas, Sisepol,«
Kirkilissa, Adrianopel, Lule-Burgas, sowie alles, was die russischen
Truppen in Rumelien besetzt hatten.
Artikel 3 konstatierte, daß der Pruth von der Stelle aus, wo
er die Moldau berühre, bis zu seiner Mündung in die Donau der
Grenzfluß beider Reiche bleiben solle. Diese Grenze führte weiter
zum St.-Georgs-Arm der Donau '), wobei alle links davon liegenden
Inseln des Donaudeltas zu Rußland gehören, aber soweit sie
zwischen der Sulina- und der St.-Georgs-Mündung lagen, zwei Meilen
Wegs vom Ufer unbesiedelt bleiben sollten, auch keinerlei Anlagen
und Befestigungen, mit Ausnahme der Quarantänegebäude, errichtet
werden durften. Die Schiffahrt auf der Donau wurde beiden Teilen
freigegeben, doch sollten russische Kriegsschiffe nicht über die
Pruthmündung hinausdringen.
Artikel 4 zog die Grenze der asiatischen Besitzungen beider
Mächte so, daß sie von der alten Grenze Gurions am Schwarzen
Meer bis zur Grenze von Imeretien und von da in möglichst gerader
Linie bis zu dem Punkt führen sollte, wo die Grenzen der Paschaliks
Achalzych und Kars an Grusien stoßen, und zwar so, daß die Stadt
Achalzych und die Festung Achalkalaki nicht mehr als zwei Stunden
nördlich von dieser Linie bleiben.
Alles Land südlich und westlich von dieser Grenzlinie in der
Richtung zu den Paschaliks Kars und Trapezunt mit dem größten
Teil des Paschaliks Trapezunt bleibt für ewige Zeiten bei der
Hohen Pforte; was aber nördlich und östlich davon gegen Grusien,
1) Sie waren, wie schon Napoleon zu tun pflegte, wohl ausdrücklich her-
gezählt worden, um die Großmut Rußlands recht nachdrücklich zu betonen.
*) Das war ein Gewinn. Der Friede von Bukarest hatte die Kiliamündung
als Grenze bestimmt. Vgl. Bd. I S. 278. Durch die Sulinamündung aber ging
der eigentliche Verkehr, der jetzt unter russischer Kontrolle stand, was
namentlich in Osterreich schmerzlich empfunden wurde. Schreiben des Inter-
nuntius an Metternich d. d. 25. September 1829. Prokesch - Osten VI. 147.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 3GÖ
Imeretien uud Gurien liegt, dazu das gaoze Ufer des Schwarzen
Meeres von der Mündung des Kuban bis zum Posten St. Nikolai
inkl. soll zu ewigem Besitz Rußland gehören. Rußland gibt danach
der Pforte den übrigen Teil der Paschaliks Achalzych, Kars, Bajasid
und Erzerum zurück, nebst den gleichnamigen Paschaliks
und dem, was Rußland außerhalb der ihm zugefallenen Zone be-
setzt hat.
Artikel ö sichert den Fürstentumern Moldau und Walachei
alle ihre Privilegien und Freiheiten. In betreff Serbiens bestimmt
Artikel 6, daß die Pforte die zu Akkerman übernommenen Ver-
pflichtungen ohne Zeitverlust ausführen und namentlich den Serben
die ihnen 1813 entrissenen sechs Bezirke wiedergeben werde.
Es folgte ein sehr ausführlich gehaltener Artikel 7 '), der dem
russischen Handel die weiteste Freiheit auf türkischem Boden, die
Durchfahrt durch Bosporus und Dardanellen und die unbehinderte
Fahrt durch das Schwarze Meer sicherte. Die Meerengen wurden
gleichzeitig allen Mächten erschlossen, mit denen die Pforte nicht
im Kriege lag.
Die Entschädigung für die Verluste, die der russische Handel
seit 1806 und namentlich während des letzten Krieges erlitten
hatte, wurde durch Artikel 8 auf IV, Millionen holländischer
Dukaten festgestellt, und sollte in bestimmten Fristen im Lauf von
18 Monaten befriedigt werden.
In Artikel 9 erkennt die Pforte an, daß sie eine den großen
Ausgaben Rußlands entsprechende Kriegsentschädigung zu zahlen
habe, wogegen Rußland sich bereit zeigt, die geringe Landabtretung
in Asien mit in Anrechnung zu bringen. Was die Türkei außer-
dem zu zahlen habe, wird gegenseitiger Vereinbarung vorbehalten.
Artikel 10 brachte die Regelung der griechischen Frage. Die
Pforte verpflichtete sich, dem Londoner Vertrag vom 6. Juli 1827
und dem Protokoll vom 22. März 1829 beizutreten. Sie wird un*
mittelbar nach Ratifikation des Vertrages Bevollmächtigte ernennen,
um mit den Bevollmächtigten von Rußland, England und Frank-
reich sich über die Ausführung der durch Vertrag und Protokoll
gefaßten Beschlüsse zu verständigen.
') „celui de tous qui renferme le plus de matiere ä des chicanes et des
discussioQS*' Otteufels 1. I. Daß die Rechte der Großmächte ohne ihr Zutun
durch diesen Artikel erweitert wurden, empfand man in Östereich wie eine
Beleidigung. Prokesch Osten VI. 149.
36G Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw.
Die folgenden Artikel 11 bis 14 betrafen die alimähliche
Räumung der Türkei und vereinbarten eine Amnestie, sowie Frei-
heit der Auswanderung für die beiderseitigen Untertanen.
Endlich wurden alle früheren russisch-türkischen Verträge im
Schlußartikel (15) ausdrücklich bestätigt.
Von den beiden Nebenverträgen ordnete der erste die Ver-
hältnisse von Moldau und Walachei. Das Wesentlichste war, ab-
gesehen von der in den Hauptvertrag aufgenommenen Bestätigung
der früheren Verträge, die Ernennung der Hospodare auf Lebens-
zeit und die Bestimmung, daß allen Mohammedanern der Aufenthalt
in beiden Fürstentümern endgültig untersagt wurde *), endlich daß
alle Befestigungen auf dem linken Donauufer geschleift und niemals
wieder hergestellt werden sollten. Der zweite Separatvertrag
ordnete die Räumung Giurgewos und die Schleifung seiner Festungs-
werke an und gab die Bestimmungen über den Abmarsch der
türkischen Truppen an. Danach wurde genau fixiert, in welcher
Weise die Zahlung der Entschädigungssumme von 1 500000 hollän-
dischen Dukaten erfolgen solle. Die auf Wunsch der Türken in
den Hauptvertrag nicht aufgenommene Höhe der Kriegsentschädigung
wurde auf 10 Millionen holländische Dukaten festgesetzt, wobei
ausdrücklich bemerkt wurde, daß in betreff des Zahlungsmodus
die Pforte an die Großmut und Hochherzigkeit des Kaisers appelliere.
Auch sei vereinbart worden, daß, um die Schwierigkeit der Zahlung
in Gold zu erleichtern, Rußland sich bereit finden werde, Kompen-
sationen in natura anzunehmen, die dann von der Hauptsnmme in
Abzug gebracht werden könnten. Der Schlußartikel gab die genauen
Bedingungen an, nach welchen die russischen Truppen das türkische
Territorium in Europa und Asien räumen sollten.
Der Kaiser ist mit diesen von ihm sofort in der Hauptsache
als Definitivum anerkannten Verträgen überaus zufrieden gewesen.
Das Wesentliche war ihm die Beendigung des Krieges, dessen Er-
gebnisse doch weit über das hinausgingen, was ihm noch vor
wenigen Monaten bestenfalls erreichbar schien. Später freilich
waren seine Wünsche weiter gegangen. Aber die in Aussicht ge-
') „II est invariablement arrete que .... dans la grande et petite Valacbie
comme aussi en Moldavie, aucun Mohametan ne pourra jamais avoir son domicile."
Wie Rußland diese Zugeständnisse benutzte, um eine völlige Neuordnung der
inneren Verhältnisse der Fürstentümer herbeizuführen, zeigt die Biographie
Kisselews ßd. I.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw. 367
nommenen KompeosatioDen schienen doch noch die Möglichkeit zu
einem weiteren Landerwerb auf asiatischem Boden zu bieten, wobei
er an Batum und Kars dachte'). Alles übrige entsprach seinen
Wünschen. Der Gedanke, den Zusammenbruch der Türkei herbei-
zuführen, war endgiltig von ihm aufgegeben worden. Er hatte in
den Tagen, die der Entscheidung unmittelbar vorausgingen, ein
Komitee eingesetzt, das über die wichtige Frage entscheiden sollte,
ob die Erhaltung oder der Zusammenbruch der Türkei für Rußland
vorteilhafter sei. Der Graf Kotschubej, Fürst Alexander Golitzyn,
Graf Peter Tolstoi, also die Männer, denen der Kaiser während
seiner Abwesenheit die Reichs Verwaltung übertragen hatte, dazu
Nesselrode, Dmitri W. Daschkow und Tschernyschew, der Kriegs-
minister, die Quintessenz des Reichsrats '), waren unter Vorsitz des
Kaisers am 16. September zusammengetreten, um ihm ihre Meinung
vorzutragen. Nesselrode und Daschkow verlasen Denkschriften, die
sie verfaßt hatten und die den Nachweis erbrachten, daß die Er-
haltung des Osmanischen Reiches für Rußland vorteilhafter sei,
als ein Zusammenbruch, dessen Folgen unberechenbare Verwicke-
lungen und Schwierigkeiten bringen könnten'), wenn auch im
Augenblick der Schein eines glorreichen Erfolges sich damit ver-
binde und alle Kabinette zunächst überrascht seien. Dieser An-
schauung schloß sich das Komitee einmütig an, und auch der
Kaiser machte sie sich zu eigen. Aber die Sitzungen des Komitees
dauerten noch fort, als die Nachricht vom Abschluß des Friedens
eintraf; man hatte bis zum letzten Augenblick das Eintreten einer
Katastrophe für möglich gehalten und sich mit der Frage be-
schäftigt, was dann geschehen solle ^). Um so größer war der
Jubel über den Frieden und nicht minder über die politische
Niederlage Englands, Frankreichs und Österreichs. Nesselrode war
namentlich glücklich darüber, daß die letzte Entscheidung in der
0 „ezigez absolument d'abord Batoum, et meme Kars si cela est possible.^
Nicolai an Diebitsch. Alexandria 12./24. September 1829.
') So charakterisiert Nesselrode in einem Brief an Diebitsch das Komitee.
^) «plus on medite Timmense question de la chute de TEmpire Ottoman,
plus on s'enfonce dans un labyrinthe de difficultes et de complications ....**
Nesselrode an Diebitsch 7./19. September 1829.
*) Die Protokolle des Komitees sind mir nicht zugänglich gewesen. Be-
kannt geworden sind zwei Briefe vom 7./19. September, in denen Nesselrode
und Tschernyschew Diebitsch in Kurze über den Verlauf der ersten Sitzung
unterrichten. Gedruckt bei Schilder Nikolai Bd. II. S. 548 und 549.
368 Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw.
griechischeD Grenzfrage nun doch Rußland gedankt werden
mußte ^). Der reellste Vorteil aber lag darin, daß der Artikel, der
dem russischen Handel die ganze Türkei erschloß, in der Tat das
Maximum der russischen Erwartungen erfüllte. Damit, meinte der
Vizekanzler, würden sich die Kriegskosten zehnfach bezahlt machen,
auch freute er sich, daß die Öffnung der Dardanellen für die Fahr-
zeuge alier Nationen den Schein uneigennütziger Großmut trug,
während sie in Wirklichkeit einen ungeheuren Vorteil für den
russischen Exporthandel bedeutete. Aber auf diesen Schein kam
es dem Kaiser sehr wesentlich an. Er wurde nach allen Seiten
hin gewahrt und stellte die russische Politik um so mehr in ein
glänzendes Licht, als sich nicht verkennen ließ, daß die Politik
der Verbündeten vom 6. Juli unsicher, schwankend und von Eifer-
sucht bestimmt gewesen war'). Von dem diplomatischen Spiel
zwischen den Kulissen ahnte die Welt nichts. Daß Paskiewitsch
heimlich die Janitscharen unterstützt und den Armeniern Ver-
heißungen gemacht hatte, die er nicht halten konnte und nicht
halten wollte, daß Diebitsch die Bulgaren bewaffnete und durch
Milosch von Serbien mit dem Pascha von Skodra über dessen Ab-
fall von der Türkei in Verhandlung getreten war, blieb glücklich
verborgen und ebenso die ungeheure Gefahr, in der 3ich Diebitsch
während seines Aufenthalts in Adrianopel befunden hatte. Was
die W^elt sah, war, daß die halbe Türkei dem Sultan großmütig
zurückgegeben wurde, daß Rußland der Versuchung widerstand
den Sultan zu stürzen, und daß es in der Tat, wie der
Kaiser versprochen hatte, in der europäischen Türkei keine Er-
1) ,,]e fameux article X, pour lequel .... je vous baise les pieds et les
mains, malgre ce que pourront en dire les Gordou et les Wellington.'^
Nesselrode an Diebitsch 23. September st v. W. U. A. 5329. Schon in Porös
hatte Ribeaupierre, sehr gegen Wellingtons Absichten, Stratford Canning be-
wogen, auf die Grenze Arta-Volo einzugehen, aber bei der Abneigung des
englischen Kabinetts gegen ein lebensfähiges Griechenland war es zweifelhaft,
ob die Stipulationen von Porös Wirklichkeit werden wurden. Jetzt, da die
Pforte sie als einen integrierenden Teil des Friedens von Adrianopel anerkannt
hatte, ließ sich nicht mehr daran rütteln. So schien es wenigstens.
') „Que la politique de nos allies est mesquine au milieu de ces grands
4venementsl Gordon et Guilleminot qui se contentent d^une promesse si
vague quand ils pouvaient tout obtenir et tout finir. Mais c'est
eucore Dieu qui a voulu que leur pauvre Jalousie fut confondue et que la
Grece düt son salut exciusivement ä un Empereur de Russie.'' Nesselrode
an Diebitsch 12./24. September 1. 1.
Kapitel X. Der Obergang Aber den Balkan usw. 369
oberungen machte. Yod den meDSchenleeren Inseln an den
Donaumündungen, die niemanden zu interessieren schienen, die aber
doch die ganze Mundung des größten europäischen Stromes in
russische Hände spielten, ist vor der Öffentlichkeit weiter keine
Rede gewesen.
Mit der Unterzeichnung des Friedenstraktats waren freilich
noch keineswegs alle Schwierigkeiten beseitigt. Vielmehr hat
Diebitsch noch bis zum Schluß des Jahras unter überaus schwierigen
politischen und militärischen Verhältnissen alle Hilfsmittel seines
zugleich geschmeidigen und energischen Geistes daransetzen müssen,
um die Ausführung der Bestimmungen des Friedens von Adrianopel
von der Pforte zu erlangen. Diese Schwierigkeiten kamen von
verschiedenen Seiten.
Zunächst mußte geraume Zeit vergehen, ehe die im Felde und
in den Festungen liegenden Paschas vom Abschluß des Friedens
Nachricht erhalten konnten. Das aber war um so peinlicher, als
die russischen Truppen, sofern sie nicht um Adrianopel konzentriert
waren, meist in schwachen Abteilungen im Lande verstreut lagen
So ist, um ein Beispiel anzuführen, Ali Pascha, der mit 8000
Mann und 1500 Reitern bei Silivri stand, nur durch das Eingreifen
des preußischen Gesandtschaftssekretärs ßrassier verhindert worden,
über die wenigen hundert Kosaken herzufallen, die bei Tschorln
standen ').
Dazu war ganz Konstantinopel voller Gerächte in Folge der
schließlich eingetroffenen Nachricht über die ersten türkischen Erfolge
vor Schumla. Auch wußte Diebitsch durch Royer, daß die Bot-
schafter von England' und Frankreich für den Fall, daß der Friede
im letzten Augenblick noch scheiterte, ihre Flotten nach Konstanti-
nopel rufen wollten. Die Marineoffiziere, welche den Admiralen
die Befehle überbringen sollten, warteten bereits in Pera auf Ordre.
Wurden diese Schwierigkeiten, nachdem die Nachricht vom Abschluß
des Friedens bekannt geworden war, rasch beseitigt, so brachte
der Entschluß des Sultans Halil Pascha, den Adoptivsohn seines
Günstlings, des Seraskiers Chosrew Pascha, in außerordentlicher
^) Brassier war von Royer mit der Meldung nach Konstantinopel geschickt
worden, daß der Friede eben unterzeichnet sei, und hatte seineu Weg über
Silivri genommen. Er fand den Pascha im Begriff aufzubrechen und brachte
ihn nur dadurch von diesem Entschluß ab, daß er ihm sagte, der Friede
würde in allernächster Zeit unterzeichnet sein.
Schiemann, Geschichte Rußlands. IL 24
370 Kapitel X. Der Cbergang über den Balkan usw.
Gesandtschaft, wie der Reis-Efendi und Müffling geraten hatten,
nach Petersburg zu senden, neue Verlegenheiten. Dem Sultan war
von allen Seiten her so dringend vorgestellt worden, daß er sein
Heil nur in der Gnade des Kaisers finden könne, daß ihm die Ent-
sendung Halils den rettenden Ausweg zu bieten schien, um der
unerschwinglichen Forderung der Kriegsentschädigung zu entgehen,
zu der er sich hatte bekennen müssen, an deren Aufbringung aber
sowohl er, wie seine Staatsmänner verzweifelten. Er rechnete mit
Bestimmtheit darauf, daß der Zar sie erheblich ermäßigen, vielleicht
sogar zum größten Teil erlassen werde, und war daher auf das
äußerste bestürzt, als ihm Diebitsch durch Royer, der auch in
dieser heikelen Angelegeoheit die Vermittelung übernahm, von der
Entsendung Halils abraten ließ. Dem Kaiser sowohl wie Nessel-
rode war der neu angekündigte Besuch nicht genehm. Abgesehen
von den großen Ausgaben, welche notwendig mit dem Empfang
eines Abgesandten des Sultans ^) verbunden waren, war der moralische
Druck unbequem, den ein so ofienkundiges Anrufen der Großmut
des Kaisers in sich schloß. Man hätte es vorgezogen, die ganze
lästige Angelegenheit in Konstantinopel zu erledigen. Der General-
adjutant Graf Orlow, der als außerordentlicher Gesandter nach
Konstantinopel geschickt wurde, um die Pforte davon zu überzeugen,
daß ihr Heil im engsten Anschluß an Rußland liege, sollte auch
diejenigen Ermäßigungen der Bedingungen des Friedenstraktats
überbringen, die der „Großmut^ des Kaisers mit den Interessen
Rußlands vereinbar schienen. Er war bereit, die Räumung der
Donaufürstentümer schon nach 18 Monaten zu vollziehen und sich
mit der Besetzung von Silistria, Kars und Satunowo als Garantien
für die Erfüllung der Friedensbedingungen zufrieden zu geben.
Nach zwei Jahren könne der Tribut der Donaufurstentümer, auf
den die Pforte für diesen Zeitraum hatte verzichten müssen, direkt
an Rußland entrichtet und von der Summe der Kriegsentschädigung
in Abzug gebracht werden. Außerdem wollte der Kaiser zwei
Millionen Dukaten ganz erlassen und für weitere zwei Millionen
Batum, vier Linienschiffe und vier Fregatten entgegennehmen.
Der Rest von sechs Millionen Dukaten sollte in sechs Jahres-
^) Es war das erstemal, daß ein Sultan sich dazu bequemte, Abgesandte
an einen auswärtigen Herrscher zu schicken. Mahmud hatte die Vorstellung,
damit dem Zaren eine ganz ungewöhnliche Ehrung zu erweisen.
Kapitel X. Der Obergang über den Balkan usw. 371
terminen vom 1. April 1832 ab entrichtet werden^). Diese der
Pforte noch nicht bekannten Zugeständnisse gewährten weit weniger,
als sie zn erlangen hoffte, und das Bemühen Diebitschs, die Sendung
Haliis') zu verhindern oder doch aufzuschieben, bis sie durch das
Eintreffen Orlows unnötig geworden sein werde, steigerte das immer
noch lebendige Mißtrauen des Sultans. Er zögerte mit der Rati-
fikation, und es bedurfte eines erneuten starken Druckes von
Diebitsch, um die Unterschrift Mahmuds zu erlangen. In der Nacht
vom 26./27. September wurde die Reinschrift der Ratifikations-
urkunde fertiggestellt und diese Tatsache am 27. vom Reis-Efendi
den fremden Botschaftern mündlich und Royer schriftlich mitgeteilt.
Gleich danach gingen zwei russische Offiziere auf verschiedenen
Wegen mit Briefen von Royer an Paskiewitsch ab, um auch in
Asien die Einstellung der Feindseligkeiten zu veranlassen.
Zwei Tage vorher, am 25. September, hatte jedoch der Reis-Efendi
den Botschaftern von England und Frankreich eine Note übergeben,
die nicht anders als ein Protest gegen den Frieden von Adria-
nopel betrachtet werden konnte. Sie wurde von den Botschaftern
zunächst geheim gehalten, aber sie hatten die Note doch ange-
nommen und übersandten sie später der Londoner Konferenz. Dort
ist sie unter den inzwischen veränderten Verhältnissen als non
avenue betrachtet, das heißt ignoriert worden. Aber es kann nicht
zweifelhaft sein '), daß die von der Pforte entwickelten Anschau-
ungen denen der beiden Kabinette entsprachen. Der Schwerpunkt
des Protestes fiel dahin, daß, während das Protokoll von Porös in
betreff der Grenzen Griechenlands Bestimmungen getroffen hatte,
die noch immer Verhandlungen unterzogen werden konnten, der
Friede von Adrianopel ein Definitivum schuf, durch welches
die Interessen der Pforte wie der Mächte auf das schwerste ge-
schädigt würden. Ebenso standen alle Sympathien des Internunzius
auf Seiten der Pforte. Die bittere Kritik, der er, ebenfalls am
25. September, die Friedensbedingungen unterzog, läßt erkennen.
0 Nesselrode an Diebitsch. Petersburg, den 23. September 1829. W.
U. A. 5329. „Teiles sont ä peu pr^s les idees de l'Empereur^.
>) Die Instruktion Halil Paschas mit den später an ihr vorgenommenen
Änderungen, bei Prokesch-Osten I. 1. VI. S. 154 ff.
3) Ottenfels an Metternich. Prokescb -Osten 1. 1. 150. „II semblerait que
«et Article (X) ne saurait etre considere comme obligatoire pour les deux Cours
alliees."
24»
372 Kapitel X. Der Obergang über den BalkaD usw.
in welchem Sinne er die Pforte beraten hat und wie sehr Österreich
die Niederlage der Türkei als eigene Niederlage empfand^). Dem-
gegenüber war die Hilfe Preußens für Diebitsch von unschätzbarem
Wert, und es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn wir Royer ein
Hauptverdienst an der für Rußland günstigen Wendung zuschreiben,
welche die lange Reihe der schwierigen Verhandlungen nahm, die
sich bis Anfang Dezember hinzogen. Erst danach sind die russisch-
türkischen Beziehungen von Regierung zu Regierung durch den
Generaladjutanten Orlow ohne fremde Yermittelung in normale
Bahnen geleitet worden.
Eine weitere sehr ernste Schwierigkeit bereitete das Ver-
halten des Paschas von Skodra den Russen. Schon vor der
Ratifikation des Friedensinstrumentes hatte Diebitsch sichere Nach-
richt erhalten, daß der Albaner öffentlich angekündigt habe, er
werde seine Winterquartiere in Adrianopel nehmen, und dieser
Entschluß schien um so verdächtiger, als Diebitsch sich sagen
konnte, daß Mustafa sich durch den Abschluß des Friedens
tief enttäuscht fühlen mußte. Die durch Milosch von Serbien
geführten Verhandlungen hatten ihn im Glauben bestärkt, daß er
in den Russen geheime Verbündete habe, und daß seine ehrgeizigen
Pläne nicht in Widerspruch mit ihren Interessen ständen. Durch
sein Verhalten vor Widdin war er in den Augen des Sultans
kompromittiert, und da er sich von Diebitsch im Stich gelassen
sah, bot sich ihm die Möglichkeit, ein großes Verdienst um die
Pforte zu erwerben, wenn er mit seinem intakten Heer den Russen,
über deren Schwäche er wahrscheinlich orientiert war, in den
Rücken fiel'), und so eine Entscheidung zugunsten des Islam
herbeiführte, die, wenn der Erfolg für ihn sprach, mit einem
Schlage alles gut gemacht hätte, was bisher an Ruhm und Ansehen
verloren gegangen war. Reichte der Sultan ihm die Hand, so war
*) Ottenfels an Metternicb 1. 1. 146 — 154. „Dire que ce Traite est le
plus dur, le plus humiliant qui ait jamais ete dicte par le vainqueur a ud eonemi
faible, est une verite qui saute aux yeux k la premiere lecture de ce document . . .
La Russie peut trouver dans ce Traite tout ce qu'elle veut qu'il y soit; si la
destruction de la Porte entre dans ses vues, eile s^en est assure les preteztes
et les moyens.** Hieran schließt sich die bittere Kritik der einzelnen
Artikel.
^ Vgl. die gut orientierte knappe Darstellung dieser Episode in Rosens
Geschichte der Türkei S. 120.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw. 373
der Anschlag keineswegs aussichtslos und im Fall des Erfolges
auch nicht undenkbar, daß dem Sieger der Thron Mahmuds
zufiel. Denn es war bekannt, daß Mustafa und seine Albaner
Anhänger des Alten waren, sie mußten in den immer noch zahl-
reichen Janitscharen der Hauptstadt Freunde und Helfer finden.
Das aber gerade gab Diebitsch einen Ausgangspunkt, um auf den
Sultan einzuwirken. £r ließ durch Pablen und Orlow zwei Noten
an die Pforte richten, durch welche der Sultan in gebietendem Ton
aufgefordert wurde, dem Pascha von Skodra ein weiteres Vor-
rücken zu untersagen, widrigenfalls Diebitsch seine militärischen
Operationen sofort wieder aufnehmen und den Frieden von Adria-
nopel als von der Türkei gebrochen und deshalb als unverbindlich
ansehen werde. Zugleich verlangte er umgehenden Austausch der
Ratifikationen und die Zahlung der ersten Rate von 100000 Du-
katen, eine beglaubigte Abschrift des Firmans, der die Über-
gabe von Giurgewo anordnete, und ebenso eine Abschrift von
Firman und Hat-i-Scherif, durch welche die Ausführung der für
Serbien ausbedungenen Vorteile befohlen wurde. Die Kopien beider
Dokumente mußten vidimiert sein. Geschehe das alles, so werde
er mit der Räumung des türkischen Gebietes noch vor Ablauf des
festgesetzten Termines beginnen ^). An Royer aber schrieb Diebitsch,
daß hinter Mustafa die Janitscharenpartei stecke, die, indem sie
sich der zweiten Hauptstadt der Türkei zu bemächtigen suche,
das osmanische Reich zu Fall bringen und die Trümmer unter
sich verteilen wolle. Er bat ihn zugleich, dieses Schreiben dem
englischen Botschafter vorzulegen und ihn darauf hinzuweisen, daß
es jetzt darauf ankomme, hier im barbarischen Orient dieselbe
revolutionäre Partei zu bekämpfen, die sich in Europa die liberale
nenne, und in der Türkei und in Indien die gleichen Ziele
verfolge wie in Rußland und England. Aus dem „dummen Ge-
schwätz'^ der französischen Zeitungen ließe diese Tendenz sich
leicht erkennen. Er könne nicht glauben, daß Gordon, der Bruder
Lord Aberdeens, in den Tagen eines Ministeriums, das der Herzog von
Wellington leite, nicht als aufrichtiger Royalist die Prinzipien
teile, in denen Kaiser Nikolaus und Friedrich Wilhelm eines
Sinnes seien.
>) Drei Depeschen Diebitschs an Royer vom ^^ ^q^^^^ 1829. W. ü. A.
5330. Die dritte Depesche ist in der Anlage gedruckt.
374 Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw.
Royer hat dann jenen Brief Diebitschs im Original dem eng-
lischen Botschafter vorgelegt, auf den Diebitschs Bekenntnis za
Prinzipien, die mit denen der Torys identisch waren, einen ebenso
tiefen Eindruck machte wie seine Drohungen. Sir Robert stellte sich
ganz auf den Boden der russischen oder, wie er glaubte, der allge-
mein konservativen Interessen und setzte seinen ganzen Einfluß
daran, um den Reis-Efendi zu gewinnen. Er verhandelte ohne
Vermittelung eines Dragomans persönlich mit ihm und berichtete
jedesmal über den Verlauf seiner Verhandlungen an Royer. Die
Rivalitäten im Orient kamen so zeitweilig zur Ruhe, und Royer
konnte nach Adrianopel melden, daß sich von Gordon jetzt nur
Gutes erwarten lasse').
Die Folgen zeigten sich sofort. Die beiden Firmans trafen in
Adrianopel ein, und Diebitsch erhielt die Anzeige, daß 6000 Beutel
(gleich 100000 Dukaten) bereits abgesandt seien*), um die erste
Anzahlung, wie der Friedenstraktat es verlangte, zu entrichten.
Dagegen konnte Diebitsch anzeigen, daß der Kaiser den Vertrag
gebilligt habe und daß die Ratifikation bald eintreffen werde.
Gleich nach Austausch der Ratifikationen werde der Generaladjutant
Alexei Orlow nach Konstantinopel kommen und dort bleiben, bis
der Botschafter Ribeaüpierre wieder seinen Posten antrete. Im
übrigen werde er Adrianopel und Kirklissa nicht verlassen, bevor
er die Anzeige erhalten habe, daß Giurgewo geräumt und in
russische Hände übergegangen sei. In betreff des Pascha von
Skodra, der „das lächerliche Gerücht^ von seinem Marsch gegen
Adrianopel aufrechterhielt, waren Befehle an Geismar und Kisselew
ergangen, ihm den Weg zu verlegen.
Geismar hatte am 10. Oktober von den Absichten Mustafas
erfahren und war sofort aufgebrochen und ihm auf der Straße von
Wratza nach Sophia gefolgt'). Nach einem beschwerlichen Marsch
^) Darin täuschte er sich, gleich nach Beseitigung der ^von Mustafa
drohenden Gefahr trat die feindselige Haltung der englischen Politik wieder
deutlich zutage.
^) Sie trafen am 22. Oktober in Adrianopel ein. Petersburg Reicbs-
rat 690.
') Auszug aus dem Bericht Geismars in einem Briefe Diebitschs an
Royer vom 24. Oktober. Hierher gehört auch der Brief Diebitschs an den
Kaiser vom 15./27. und 16./28. Oktober. R. Starina XXXVII 397. Für die
Vorgeschichte der Aktion Mustafas Sablotzki-Dessjätowski : Graf Kisselew und
seine Zeit. Bd. I Kap. XIII.
Kapitel X. Der Übergang über den Balkan usw. 375
über den Balkan, bei dem von russischen Truppen zum erstenmal
der Schipkapaß besetzt wurde, erreichte er am 16. das Defilee von
Arnaut Kalesi, wo er 1700 Albaner mit drei Geschützen in starker
Stellung fand« Dreimal forderte er sie vergeblich auf, ihm
freien Durchmarsch zu gewähren, aber die Albaner wichen nichts
vielmehr trafen sie Anstalten ihn anzugreifen und begannen die
Vorposten Geismars zu beschießen; da richtete der General das
Feuer seiner sechs Geschütze gegen ihre Redouten und ließ den
Geschützkampf durch die ganze Nacht bis in den Morgen hinein
fortsetzen, während gleichzeitig ein Teil der russischen Truppen die
Stellung der Albaner umging, um ihnen in den Rücken zu fallen.
Diese mit großer Präzision ausgeführte Umgehung brachte dann die
Entscheidung. Die Albaner wurden durch den unerwarteten Angriff
im Rücken ihrer Position so überrascht, daß sie unter Zurücklassung
der Geschütze eilig den Rückzug nach Sophia antraten. Geismar
verbot seinen Truppen, die Flüchtigen zu verfolgen und ließ sogar
den Train der Türken unbehindert nach Sophia abziehen. Noch
großmütiger zeigte sich Diebitsch. Er ließ auch die drei Kanonen den
Türken zurückgeben, hatte aber Kisselew bis Gobrowa vorgehen
lassen, von wo aus er Reschid Pascha, der noch immer in
Schumla lag, und dessen Beziehungen zu Mustafa verdächtig
schienen, die Zufuhr wesentlich erschweren konnte, und General
Rüdiger dem Hauptkorps Mustafas entgegengestellt. Da gleichzeitig
dem Pascha die bündigsten Befehle aus Eonstantinopel zugingen,
alle Feindseligkeiten zu unterlassen, erklärte jetzt Mustafa, daß es
niemals seine Absicht gewesen sei, Diebitsch anzugreifen, und daß
offenbar Mißverständnisse zu falscher Deutung seiner friedlichen
Absichten geführt haben müßten.
Damit war diese ganze sorgenvolle Episode erledigt. Die
Kanonen Geismars haben die letzten Schüsse im russisch-türkischen
Kriege abgegeben. Acht Tage vorher war von Paskiewitsch, fast
einen Monat nach Unterzeichnung des Friedens, ein türkisches
Heer in offener Feldschlacht bei ßeiburt geschlagen worden. Ein
neuer Kampf schien bevorzustehen, als am 11. Oktober der Haupt-
mann des russischen Generalstabes Duhamel die ofßzielle Nach-
richt vom Abschluß des Friedens brachte, und nun auch dort zur
Freude beider Gegner die Waffen endgiltig niedergelegt werden
konnten. Die Nachricht von der Übergabe Giurgewos erhielt
Diebitsch am 4./16. November. Schon vorher hatte der Sultan in
376 . Kapitel X. Der Übergang aber den Balkan usw.
Folge eiaes Beschlusses, der in voller Versammlung des Divaa
gefaßt worden war, trotz des russischen Widerspruches Halil Pascha
nach Odessa abgefertigt, von wo aus dieser seine Fahrt nach Peters-
burg antreten sollte. So stand man einer Tatsache gegenüber, und
es blieb nichts übrig, als sich ihr zu fügen. Diebitsch glaubte zu
wissen, daß Sir Robert die Pforte zu diesem ungewöhnlichen
Schritt bewogen habe'). Er schickte jedoch sofort einen Kurier
an Woronzow, um „diese Herren" unter dem plausiblen Verwände
einer Quarantäne möglichst lange in Odessa aufzuhalten. Der
Abmarsch der russischen Truppen hatte damals bereits begonnen.
Diebitsch lud die türkischen Bevollmächtigten noch zu einem
Manöver vor den Toren Adrianopels. Dann ließ er ein großartiges
Feuerwerk zur Feier des Friedensschlusses abbrennen, das die ver-
schlungenen Nameuszüge des Kaisers und desSultans zeigte, ein Symbol
der Freundschaft, die nunmehr beide Herrscher verband. Es sollte
der Türkei schwer werden, der liebenden Fürsorge zu entrinnen, mit
der der neue Freund alle ihre Schritte zu leiten bemüht war.
Am 20. November verließ Diebitsch Adrianopel. Er hatte auf
Wunsch des Sultans vorher noch eine Proklamation an die christ-
liche Bevölkerung der Türkei erlassen, in der er sie aufforderte,
Frieden zu halten und in Ruhe zu ihren Beschäftigungen zurückzu-
kehren. Orlow traf am 27. November in Bujukdere ein und wurde
am 5. Dezember in feierlicher Audienz empfangen. Sein Auftrug
war, das Detail der Ausführungen des Friedenstraktates festzustellen
und zu überwachen und zugleich alles zu tun, um dem Sultan
Vertrauen zur Person des Kaisers einzuflößen. Er solle, sagte
Orlows Instruktion, dem Sultan die Freundschaft Nikolais antragen.
Am 8. Dezember begannen die offiziellen Verhandlungen, am 18.
wurde in einer Sitzung des Divan die wichtige Frage des Durchzugs
russischer Handelsschiffe durch die Meerengen zu vorläufigem Ab-
Schluß gebracht'). Während die Übereinkunft sich ursprünglich
1) Der Kaiser bemerkte dazu: „L'aimable Sir Arthur agit d'une maniere
plus infame que jamais, dupe par Polignac, sur lequel il comptait, il en est
furieux. Cependant nous avons buit mois devant nous, pendant lesquels il ne
pourra rien entreprendre de serieux, si la fantaisie lui en Tenait, ce que
je ne regarderai pas comme impossible, si les embarras du parlement ne Pen
empechent. Petersburg, 29. Oktober st v. — an Diebitsch. Altes und neues
Rußland 1879 III, S. 582.
'■^) Orlow an Diebitsch 14./26. Dezember 1829. Petersburger Archiv des
M. d. Ausw. 14049.
Kapitel X, Der Obergang über den Balkan usw. 377
Dur auf Getreideschiffe beschränkte, erreichte Orlow, daß die 6e-
nehmiguDg auch auf Schiffe, die andere Waren führten, ausgedehnt
wurde. Wie hier hat aber die Pforte schließlich in allen anderen
strittigen Fragen nachgeben müssen.
Was sie in Wirklichkeit dabei empfand, zeigte eine zweite
Instruktion, die Halil nachgeschickt worden war, und die Orlow
vom Reis-Efendi selbst sich zu verschaffen wußte. Sie atmete Haß
und Erbitterung'). Um so mehr ist die Geschicklichkeit anzu-
erkennen, mit der Orlow es verstand, in Konstantinopel Fuß zu
fassen. Er gewann die mächtige Unterstützung von Chosrew
Pascha, der seit 30 Jahren sich in seiner einflußreichen Stellung
behauptet hatte. Ein listiger Greis und als Gegner des unter
englischem Einfluß stehenden Reis-Efendi durchaus geneigt, die
neue Politik der Pforte in einem Rußland günstigen Sinne zu
orientieren.
Als nun Orlow dem Reis-Efendi jene Instruktionen für Halil
zurückschickte und ihm dabei schriftlich mitteilte, daß, wenn Halil
sich nach, solchen Instruktionen richten sollte, die Pforte seine
Mission als gescheitert betrachten könne, Portew Reis-Efendi aber
phlegmatisch erwiderte: „Die Instruktionen sind abgesandt — die
Padischahs werden sich verständigen'', begann Orlow energisch
auf den Sturz Portews hinzuarbeiten. Er knüpfte Verbindungen
mit Ahmed Bey, einem der Adjutanten des Sultans, an, der als
Vermittler zwischen dem Sultan und den Ministern diente, die von
ihrem Herrn fast niemals empfangen wurden, und teilte ihm den
Eindruck mit, den die Instruktionen Halils auf ihn gemacht hätten.
Nun wurde der Sultan besorgt und schickte seinen vornehmsten
Günstling und Sekretär Mustafa-Efendi ') zu Orlow. In einer ver-
traulichen Zusammenkunft entwickelte ihm dieser die Richtung
0 Siehe in der Anlage den Auszug, den Orlow anfertigen ließ und
Diebitsch zuschickte. Orlow bemerkt hierzu: ,,EIles (die Instruktionen) sont
assuremeut trop absurdes, pour que la Porte elle-meme espere serieusement que
la protestation qu'elle se permet ainsi contre tous les articles du traite
d'Andrinople, ratifi^ apres de longues reflexions par le Sultan, puisse porter
S. M. l'Empereur k proclamer Taneantissement de cette transaction glorieuse,
monument eternel de sa moderation/*
^) »Jeune homme, tire de l'obscurite, et dont le credit croissant eclipsait
tous ses competiteurs.^' Apercu sommaire sur la mission speciale du comte
Orloff a Constantinople. Mai 1830. Pera. Petersburger Archiv des M. d.
Ausw. 327.
378 Kapitel X. Der Cbergaog über den Balkan usw.
der russischen Politik. Rußland, das jetzt der aufrichtigste Freund
der Pforte sei, wolle nur direkt ohne jedes Eingreifen anderer
Mächte mit ihr verhandeln. Am Friedensinstrument aber dürfe
nicht gerüttelt werden. Er gab ihm dann das Konzept zu einem
offiziellen Schreiben an Halil, das den Inhalt der Instruktion des-
avouierte, damit er einen begangenen Mißgriff gutmachen und
die Interessen der Pforte in wirksamer Weise beim kaiserlichen
Hofe vertreten könne. Der Reis-Efendi und seine Freunde setzten
noch durch, daß diese Instruktion nicht abgeschickt wurde. Aber
es war ihr letzter Sieg. Am 12. Januar 1830 verlangte Orlow eine
„Conference ä protocole" die ihm auch gewährt wurde, und hier
kam der Reis-Efendi in die peinliche Lage, ein eigenhändiges
Schreiben des Sultans verlesen zu müssen, das eine fast voll-
ständige Zurücknahme der Instruktionen Halils enthielt und aus-
drücklich erklärte, daß dem Sultan nichts ferner liege, als sich der
Ausführung des Friedens von Adrianopel zu entziehen.
Das Hat-i-Scherif schloß mit dem Ausdrucke größten Vertrauens
für Orlow und rühmte sein Verhalten während der ganzen Daner
seines Aufenthalts in Konstantinopel. Als dann die Konferenz
bestimmte, daß die Verhandlungen in Petersburg zu Ende geführt
werden sollten, gab Orlow der Hoffnung Ausdruck, daß Halil neue
Instruktionen erhalten haben werde und genugende Vollmachten,
um die beiden Fragen zu erledigen, über die allein Rußland ver-
handeln werde: über die Frage der Kriegsentschädigung und über
die der Garantien für die Ausführung des Traktats.
Vier Tage nach dieser Konferenz wurde Portew Reis-Efendi
entlassen und durch Hamid ßey ersetzt, der 1821, als die grolk
Krisis begann, denselben Posten bekleidet hatte. Um diese Zeit, am
9. Februar 1830, wurde dem Sultan ein zweiter Sohn, der Prinz
Abdul Aziz, geboren, der 46 Jahre danach wegen seiner russen-
freundlichen Politik Thron und Leben verlieren sollte. Zur Feier
seiner Geburt hat Orlow die russischen Schiffe im Bosporus flaggen
und Freudensalven schießen lassen. Diebitsch war, während diese
wichtigen Entscheidungen sich vorbereiteten, in Burgas beschäftigt,
den Abmarsch der russischen Truppen zu leiten. Er hat von dort
aus die gesammte an Halil Pascha gerichtete Korrespondenz regel-
mäßig perlustriert und in der Übersetzung nach Petersburg ge-
schickt, so daß man dort über alle Pläne der Pforte früher unter-
richtet war als ihr Abgesandter.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 379
Erst nachdem am 11. /23. März 1830 die Zahlung der zweiten
ßate der Kriegsentschädigung*) erfolgt war, verließ er Burgas.
Der Kaiser hatte ihm in Gnaden gestattet, zu seiner Erholung nach
Schlesien zu reisen.
Von diesem 23. März kann die vorläufige Beendigung der
orientalischen Krisis datiert werden').
Kapitel XL Nach dem Kriege.
Es wäre eine irrtümliche Anschauung, wollte man annehmen, daß
der immerhin glänzende Erfolg des Türkenkrieges in der russischen
Gesellschaft Freude und Begeisterung hervorgerufen hätte. Man
dachte mehr an die Verluste als an den Gewinn, der nur niedrig
eingeschätzt wurde. Weder die „Großmutspolitik^ des Kaisers,
noch die politischen Notwendigkeiten, die sie bedingt hatten, waren
verstanden worden. Ja, wenn Diebitsch die russischen Fahnen über
dem Palais des Sultans gehißt und den Halbmond auf der Hagia
Sofia durch das russische Doppelkreuz ersetzt hätte, wäre die
Stimmung eine andere gewesen'). Statt dessen aber sei vor Kon-
stantinopel haltgemacht worden und in der Tat nichts in russi*
sehen Händen geblieben mit Ausnahme der öden Inseln an den
Mündungen der Donau und der kärglichen Abfindung in Asien.
Besonders schmerzlich wurde die Rückgabe von Kars und Erzerum
empfunden. Man wußte, wie schwer es Paskiewitsch gefallen war,
nach seinen glänzenden Siegen diese Festungen, deren Besitz den
Russen in Kleinasien eine unerschütterliche Übermacht gesichert
hätte^ wieder herauszugeben. Die Weisheit des Komitees vom
4. September wurde keineswegs anerkannt. Dazu kam, daß der
Krieg so vielen Familien schmerzliche Trauer gebracht hatte. Die
') 24800 Beutel gleich 400000 Dukaten.
^) Cber die Mission Orlows, die Gesandtschaft Halils und die Fahrt der
„Blonde** ins Schwarze Meer ist der Bericht Nesselrodes an den Kaiser in der
Anlage zu Tergleichen.
^ Wie unsicher die Stimmung war, zeigt die ungemein charakteristische
Korrespondenz der Brüder Bulgakow. Auf die Nachricht Ton Diebitschs Siege
bei Kulewtschi schreibt der Moskauer am 15. Juni 29, Sakrewski und Men*
schikow hätten gesagt: Gott gebe uns Frieden: il faudrait saisir aux cheveux
Toccasion; am 31. August variiert er das Thema, wie schon es wäre, wenn die
Geschichte einst sagen wollte: Alexander nahm Paris ein, Nikolai Konstan-
tinopel. Russki Archiv 1901.
380 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
Regimenter, die allmählich heimkehrten, hatten nur noch eine Effektiv-
stärke von gegen 300 Mann*), und man wußte sehr wohl, daß
eine wesentliche Schuld an den ungeheueren Verlusten der Armee
die elende Verwaltung der Lazarette und Hospitäler traf, daß die
ärztliche Pflege ganz unzureichend gewesen war, und daß nament-
lich während der ersten Kampagne die Truppen nur zu oft am Not-
wendigsten Mangel gelitten hatten. Es kam aber noch ein anderer
Anlaß zur Unzufriedenheit hinzu. Wir haben bereits des Gegen-
satzes zwischen der russischen und der „deutschen'' Partei am Hof
und im Heere gedacht. Die Ernennung von Diebitsch zum Ober-
kommandierenden wurde fast wie eine Beleidigung des National-
gefühls empfunden*). Sah mau die Reihen seiner Armee durch,
so zeigte sich, daß von 22 Generalen 11 Deutsche waren, von 69
Generalmajoren 26. Deutsche waren außer dem Oberkomman-
dierenden der Chef des Generalstabes, Toll, die Korpskommandeure
Pahlen, Roth, Rüdiger, die Divisionsgenerale Nagel, Geismar, kurz
alle diejenigen, denen die glänzendsten Erfolge zugefallen waren.
Die russischen Generale waren, mit Ausnahme von Krassowski und
Kisselew, in Stellungen 2. und 3. Ranges untergebracht worden
und fühlten sich zurückgesetzt, und wenn in der Armee von Paskie-
witsch die Verhältnisse anders lagen, so zählte man auch dort eine
lange Reihe deutscher Namen. Auch die Ernennung Diebitschs
zum Feldmarschall und die reiche Dotation, die ihm zuteil wurde,
erregte Mißgunst. Daß diese Deutschen russische Untertanen waren
und ein volles Anrecht hatten, die Stellungen einzunehmen, die
sie bekleideten, kam nicht in Erwägung und ebensowenig die
Frage, ob ein gleichwertiger kernrussischer Ersatz zu haben
war. „Ein Geist des Neides und der Eifersucht'' sprach aus den
Kreisen der „Gesellschaft", und als die Nachricht eintraf, daß Roth
bei Prawody 4 Kanonen verloren hatte, gab es ein formliches
Triumphgeschrei'); man prophezeite das völlige Mißlingen des
') Schreiben Nikolais an Friedrich' Wilhelm Tom 11./23. Jan. 1830.
Hausarcbiv.
^ Bei der Truppe wurde Diebitsch erst nach den Erfolgen der zweiten
Kampagne beliebt. Er war leicht aufbrausend, aber seine Gutmütigkeit ver-
söhnte. Die Soldaten nannten ihn Ssamowar Pascha! Michailowski-Dani-
lewski 1. 1.
') Immediatbericht Galens an Konig Friedrich Wilhelm III. vom 5. August
1829. Durch den englischen Botschaftssekretär befordert.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 381
Feldzuges, und als später die Ereignisse den Propheten unrecht
gaben, machte man sich über die Bulletins lustig, die Diebitsch
vom Kriegsschauplatz schickte. Auch die Reise des Kaisers nach
Berlin hatte in diesen Kreisen höchlichst mißfallen und zu lauten
Spöttereien und sonstigem Tadel Anlaß gegeben*). Es ist nicht
denkbar, daß der Kaiser von dieser Stimmung nicht gewußt haben
sollte. Dazu war gerade damals seine Geheimpolizei zu gut be-
dient, aber es ist kein Beispiel bekannt, daß er strafend gegen
die bösen Zungen der Salons eingegriffen hätte. Das Recht zu
medisieren war ein Menschenrecht, an dem in Petersburg nicht
gerüttelt wurde. Weit mehr Sorge machte ihm die liberale Ge-
sinnung der gebildeten Gesellschaft, in der der Geist der Deka-
bristen nach wie vor lebendig war, und wo er Spuren dieses
„Liberalismus'' entdeckte, sorgte er dafür, daß die Träger solcher
Überzeugungen nicht zu einflußreichen Stellungen gelangen
konnten. Daß so ausgezeichnete Militärs wie der General Michai-
lowski-Danilewski *) oder wie der Oberst, Graf Grabbe, nicht zur
Geltung kamen, geht offenbar darauf zurück '). Auch die Hoffnung
Jermolows, der immer noch der nationale Liebling war, Verwen-
dung zu finden, schlug fehl. Für ihn und seine Gesinnungsgenossen
gab es kein Feld der Tätigkeit.
Dagegen konnte es zeitweilig scheinen, als sei der Kaiser
geneigt, den Weg der Reform in Fragen der inneren Verwaltung
wieder aufzunehmen. Das Komitee vom 6. Dezember 1826 tagte
noch immer und als der Kaiser von dem Feldzuge von 1828
nach Petersburg zurückkehrte, hatten die Mitglieder des „ge-
heimen Komitees'', dem die Reichsverwaltung während seiner
Abwesenheit anvertraut worden war*), ihm einen Bericht vor-
^) Verunglimpfungen, „die man sicli nicht entblödete, laut in Gegenwart
fremder Diplomaten zu äußern.^ Galen 1. 1.
^) Er wurde erst Ende August 1829 ins Hauptquartier gerufen, um den
erkrankten General du jour zu ersetzen.
<) Das Tagebuch Grabbes von 1828^1869 wurde von Bartenjew 1888 zu
Moskau ▼eröfTentlicbt. Seine Memoiren im Russki Archiv 1873. Jermolow
der Ende Juli 1830 in Moskau mit dem Großfürsten Michail zusammeutraf,
scheint sich noch damals mit der Hoffnung getragen zu haben, Diebitschs
Nachfolger oder Generalgouverneur von Moskau zu werden. Alexander Bul-
gakow an Konstantin Bulgakow 3 I.Juli 1830.
*) Kotschubej, Tolstoi, Golitzyn.
382 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
gelegt'), der mit Nachdruck darauf hinwies, daß in den Be-
ziehungen zwischen Gutsherrn und Bauern eine Wandlung herbei-
geführt werden müsse, und daß der Verfolgung der Raskolniken
ein Ende zu machen sei. Der Bericht hatte auch die Lage der
Finanzen und die Schäden dargelegt, die am Requisitionswesen
hafteten, und den Gedanken einfließen lassen, daß vom Kaiser eine
Reform im großen Stil erwartet werde'). Es ist aber, obgleich
der Kaiser ebenso wie Alexander sich in der Erwägung solcher
Gedanken gefiel und auch an den Arbeiten des großen Komitees
persönlichen Anteil nahm, zu keinerlei durchgreifenden Maßregeln
gekommen. Wir wissen bereits, daß der Widerapruch des Groß-
fürsten Konstantin die an dieses Komitee geknüpften großen Hoff-
nungen zuschanden machte. Nach scheinbar energischen Anläufen
blieb im wesentlichen alles beim alten. Im Laufe des Winters
1828 wurden allerdings drei sehr wohlgemeinte Ukase über die
Einrichtung von Volks- und Kreisschuleu auf den Krön- und
Apanagegütern erlassen, auch zwei Volksschullehrerseminare be-
gründet'), aber die Ausführung scheiterte an dem Mangel brauch-
barer Lehrer. Zu der geplanten Einführung des gregorianischen
Kalenders aber versagte im letzten Augenblick der Entschluß, weil
man einen weiteren Abfall von der Kirche fürchtete. Schon damals
glaubte man zu bemerken, daß der Kaiser der Reformarbeit müde
geworden sei. Er hatte die Gewalt und die Befugnisse seiner Minister
gestärkt und meinte dadurch in der Hauptsache genug getan zu
haben, während in Wirklichkeit Unordnung und Willkür nur noch
mehr um sich griffen *). Das eigentliche Interesse des Kaisers ge-
hörte der großen Politik und den militärischen Angelegenheiten.
Er plante eine Reorganisation seiner Armee, wie die Erfahrungen
der beiden Kriegsjahre sie als notwendig erwiesen hatten, dann
aber nahm ihn die Erledigung der zahlreichen und verwickelten
') Gedruckt bei Schilder Nikolai, Bd. IL S. 551—555.
^) Jedermann hegt in seinem Herzen die Erwartung . . . daß Sie, Aller-
gnädigster Kaiser, Ihre wohlwollenden Absichten nicht aufgeben und Ihren
hohen Beruf durch Maßregeln von allgemeiner und wesentlicher Be-
deutung erfüllen werden. Im Verhältnis dieser Erwartungen und der empfun-
denen Dankbarkeit ist Ihnen der Segen der Gesamtheit zuteil geworden. 1.1.552.
') Besonders wichtig sind die Ukase vom 5. und 25. Oktober 1828. V. S.
R. G. IL 3, Nr. 2376 und 77.
*) Tagebuch Divows 1829 November I. und 1830 Januar 28. Russkaja
Starina 1897.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 383
Probleme in ÄDspruch, die mit dem Friedensschluß und mit der
durch. den Frieden geschaffenen neuen Weltlage in Zusammenhang
standen. Das erste Anzeichen dafür war, noch im August 1829,
der Empfang von Ghosrew Pascha, der die Unterwerfung Persiens
unter den russischen Einfluß brachte, sehr zum Ärger Englands,
das, wie wir uns erinnern, die persische Politik beherrschte. Dann
kam die Sorge, welche mit der Ernennung Polignacs zum Minister
der auswärtigen Angelegenheiten an Portalis' Stelle (8. August)
und danach zum Ministerpräsidenten (17. November) verbunden
war. Man fürchtete in ihm den Anglomanen und zugleich einen
verhängnisvollen Einfluß auf die inneren Angelegenheiten Frank-
reichs. Durch Pozzo di Borgo vorzüglich unterrichtet, hat der
Kaiser früher als andere vorhergesehen, daß Polignacs Politik zu
einem Staatsstreich führen könne, und ein über das andere Mal
die französischen Staatsmänner gemahnt, nur ja nicht vom Boden
der Charte abzuweichen. Aber nach dieser Richtung hin ist es
ihm nicht gelungen, zu Einfluß zu gelangen. Dagegen war es ihm
eine angenehme Überraschung, daß die auswärtige Politik Frank-
reichs sich merklich der russischen anzupassen bemüht war. Der
von Nikolai selbst angeregte Plan einer eventuellen Teilung des
Territoriums der europäischen Türkei ist seit 1826 von französischer
Seite scharf im Auge behalten worden und hat seine Spuren in
den Instruktionen für die französischen Gesandten in Petersburg
und in deren Relationen hinterlassen. Unter allen Umständen
glaubte man an die Möglichkeit einer französisch-russischen Allianz,
die dann neben der doch nur dem Namen nach fortbestehenden
großen Allianz und im Gegensatz zu der ad-hoc-AlIianz in der
griechischen Frage ein besonderes Einvernehmen zwischen Ost und
West geschaffen hätte *). Als die raschen Erfolge Diebitschs dann
den völligen Zusammenbruch der Türkei wahrscheinlich machten,
hat Polignac es für nötig gefunden, im Conseil des Königs einen
Plan vorzulegen, der dahin ging, die orientalische Krisis zu be-
nutzen, um für Frankreich die Grenzen von 1814 zurückzugewinnen.
Für diesen Plan, der die politische Karte Europas völlig umwan-
delte, sollte der Kaiser gewonnen werden, aber Mortemart wurde
ausdrücklich angewiesen, daß, falls der Friede bereits unter
den vom Kaiser angekündigten Bedingungen geschlossen sei, er
') RelatioD Mortemarts d. d. Petersburg 2. Mai 1829 Chiffre.
384 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
keinerlei Gebrauch von seinen Instruktionen machen solle; und
das ist denn auch geschehen. Der Kaiser hat niemals von diesem
Projekt erfahren. Wohl aber wurde der Gedanke der russisch-
französischen Kombination festgehalten, und der Herzog von Morte-
mart baute ihn dahin aus, daß er für die Zukunft eine Heirats-
allianz zwischen dem russischen Kaiserhause und den Bourbonen
dringend empfahl^). Auch dieser Gedanke ist dem Kaiser nicht
zugetragen worden, aber das sichtliche Bemühen Karls X. um seine
Gunst blieb nicht ohne Erwiderung, und er hat alles, was an ihm
lag, getan, um die auf den Gewinn von Algier gerichteten Pläne
der französischen Politik zu fördern; es war gewissermaßen die
Belohnung für den Dienst, den ihm Frankreich durch die Okkupa-
tion von Morea geleistet hatte. Der Kaiser ging dabei so weit,
daß er der ursprünglichen Absicht des französischen Kabinetts, die
afrikanischen Raubstaaten durch den Vizekönig von Ägypten unter-
drücken zu lassen, zwar nicht widersprach, aber doch darauf hin-
wies, daß es eines Staates von Frankreichs Machtstellung würdiger
sei, sich sein gutes Recht selbst zu holen. Die zwischen dem
Kaiser und dem Könige gewechselten Briefe tragen einen fast
herzlichen Ton, sehr im Gegensatz zu der seltenen und trocken ge-
schäftlichen Korrespondenz, die zwischen Nikolai und Franz Joseph
gewechselt wurde. Aber dank den Bemühungen des österreichi-
0 Privatbrief Mortemarts an Polignac, St. Petersburg, 22. Dezember 29.
Gedruckt in der Anlage, daselbst auch die Instruktion Polignacs für Mortemart
vom 4. September 1829 und die gegen das Votum des Dauphin in dieser
Angelegenheit gerichtete Note.
Man hat die Bedeutung dieses Poiignacschen Projekts überschätzt Es
war an sich unausführbar, selbst wenn die 200000 Mann, über die Polignac
KU verfügen behauptete, wirklich kriegsbereit gewesen wären. Das Teilungs-
projekt hat Stern mit einer instruktiven Einleitung in der historischen Viertel-
jahrsschrift 1900, Heft 1 veröffentlicht Ein österreichischer Teilungsplau bat
allerdings existiert, ist aber von Mettemich verleugnet worden. Polignac deutet
an, daß, wenn Rußland sich ihm versagen sollte, der König genötigt sein
könnte, ,ä recevoir d*une autre part des avances que jusqu'ä present il a mis
tous ses soios ä ecarter de lui (le Roi) et a ne pas apercevoir** ; damit ist
wahrscheinlich ein Anschluß an Österreich gemeint In Preußen wußte man
von den französischen Plänen nichts, aber Schöler war gegen den imperali-
stischen Ehrgeiz Mortemarts fast mißtrauisch.
Vergleiche meine Ausführungen über die Vorgeschichte des Poiignac-
schen Projekte. Uist Zeitschr., Bd. 83, S. 249 ff. Ober das österreichische
Projekt gibt die Depesche Mortemarts vom 5. Dezember 1829 Auskunft
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 385
scheo Botschafters in Petersburg, des Grafen Fiqnelmont, der dem
Kaiser persönlich sympathisch war, fand nach dieser Seite allmählich
eine Wendung zum Besseren statt.
Dagegen blieben die Beziehungen zu England noch lange sehr
gespannt ') Namentlich machte sich das auf der Londoner Konferenz
geltend, die nunmehr vor der Aufgabe stand^ sich mit den Ergebnissen
des Friedens von Adrianopel in Einklang zu setzen und dem jetzt als
politische Selbständigkeit anerkannten Staat einen Souverain zu geben.
Nach langwierigen und peinlichen Verhandlungen, in deren Verlauf
England in nicht mißzuverstehender Weise zu erkennen gab, daß es
ihm lieb wäre, wenn der russische Botschafter Fürst Lieven ab-
gerufen würde, verständigte man sich schließlich dahin, die Linie
von der Mündung des Aspropotamos bis zur Spercheios-Mundung als
Grenze Griechenlands anzuerkennen, was für die Griechen eine
bittere Enttäuschung war, und „den verschmitztesten aller Männer^ *),
den Prinzen Leopold von Koburg, zum Souverän des Landes zu
machen. Am 3. Februar 1830 wurde das Protokoll unterzeichnet,
das endgiltig über das Schicksal Griechenlands bestimmt zu haben
schien'). Der Kaiser Nikolaus hätte am liebsten seinen Schwager,
den Prinzen von Oranien, zum Könige von Griechenland gemacht,
da aber der Widerspruch Frankreichs nicht zu überwinden war,
gelb er sich auch mit der Wahl Leopolds zufrieden. Man wußte
in Petersburg, daß er zu klug sein werde, um Capo d^Istria zu
*) 1d einem Brief an Konstantin Tom 4. November 1829 charakterisiert
der Kaiser seine Beziehungen zu den drei Mächten folgendermaßen: „Je dois
rendre justice au Roi (Carl X.) que Ton ne peut otre ni plus aimable, ni plus
fid^le a la parole en tout ce qui nous regarde. Je dois meme rendre la justice
a Mr. de Polignac, que jusqu'ici il a M parfaitement correct a notre egard
et que ce qu^il dit, il le tient. Dieu veuille que cela dure. Quant ä PAutriche
j^ai une lettre des plus seches de la part de l'Empereur pour nous feliciter
sur la paix et voilä tout. En Angleterre il n* y a en er et, en fait de recri-
minations et de menaces que le mot de guerre qui n'ait pas ete prononce en
toute lettre; esp^rons que ces farces d'Oreste passeront ä Milord Duc depuis
que son Pilate (sie!) a Paris est devenu plus calme, voyant les choses telles,
quelles sont et non que Pimagination les presente a sa grace . . .
^) »The craftiest of men**. Der Ausdruck stammt von der Fürstin Lieven.
Brief an Eari Greigh, 1830 Januar 13.
^) Wir übergehen das in die Geschichte Griechenlands gehörende Detail.
Die lange Reihe der Thronkandidaturen , sowie die Darlegung der Gründe,
die zu ihrer Ablehnung oder zu ihrem Verzicht führten, wird ausführlich in
dem comte rendu Nesselrodes für 1830/31 dargelegt, doch sei beiläufig be-
Schiemann, Geschieht« Kußlands. II. 25
386 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
beseitigen. Als dann nachträglich (am 21. Mai) der Prinz Leopold
seine Zusage wieder rückgängig machte, ist der Kaiser zwar nicht
wenig entrüstet gewesen, aber im Grunde war man in Petersburg
mit dem Provisorium unter Capo d'Istrias Leitung nicht unzufrieden *).
Es bedeutete jedenfalls keine Minderung des russischen Einflusses.
Während diese Verhandlungen in London in Gang waren,
erkrankte Anfang Janur 18B0 der Kaiser schwer an einem Fieber,
das ihn hart an den Rand des Grabes führte. Nach 12 Tagen erst
konnte dank der aufopfernden PHege der Kaiserin die Gefahr als
überwunden gelten, und er kam schnell wieder zu Kräften. Aber
er war furchtbar abgemagert, und seine Züge waren noch schärfer
und härter geworden. Als dann Anfang Februar endlich Halil
Pascha eintraf, war der Kaiser bereits soweit, ihn am 11. in
feierlicher Audienz im Georgssaal empfangen zu können. Man
war sichtlich bemüht, den Türken durch Entfaltung großen Prunkes
und militärischer Schaustellungen zu imponieren, und dieser Zweck
ist auch erreicht worden. Halil Pascha benahm sich dabei mit
Würde und wußte sie auch zu behaupten, als der Kaiser ihn
und seine Begleiter gleich danach zu einer nicht offiziellen Unter-
redung in sein Kabinett lud. Der Kaiser begann damit, seiner
Freude darüber Ausdruck zu geben, daß der Sultan dem Grafen
Orlow gegenüber erklärt habe, daß er sich gewissenhaft an die
Bestimmungen des Friedens von Adrianopel halten wolle. Aber
er wisse auch, daß der Reis-Efendi ihnen gewisse Instruktionen
gegeben habe, die in direktem Gegensatz zu den Versicherungen
des Sultans ständen. Trotzdem hege er, im Hinblick auf das W^ort
des Sultans volles Vertrauen und erkläre sich seinerseits bereit,
gern 'alles zu tun, um ihm angeuehm zu sein, vorausgesetzt, daß
der Friede von Adrianopel die Grundlage der gegenseitigen Be-
ziehungen bleibe. Die Instruktion des Reis-Efendi aber müsse als
merkt, daß unter den Kandidaten auch Prinz Wilhelm von Preußen aufgeführt
wird; auch Wellington Dospatches VI. Nr. 153, S. 458 ff. sind heranzuziehen.
Wie Nesselrode das schließliche Ergebnis beurteilte, zeigt ein Brief an
Diebitsch vom 5. März: . . , Les arrangements . . . sont glorieux pour la
Russie; ils augmentent son influence et garantissent ses interets dans le
Levant, soit en affaiblissant la Monarchie Ottomane, soit en assurant h la
Grece par son independance et par Petendue de son territoire, une prosp^rite
qui se lie essentiellement a celle de nos provinces meridionales . . .
») Relation Mortemart 10. Juli 1830. Chiffre.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 387
nicht existent betrachtet werden, und von ihr dürfe weiter die
Rede nicht sein.
Halil Pascha beteuerte nun seinerseits, daß dem Sultan nichts
ferner läge, als an dem Friedenstraktat zu rütteln. Er sei nach
Rußland geschickt worden, um von der großmütigen Freundschaft
des Kaisers einige Erleichterung zu erhalten, durch die das Friedens-
instrument nicht getroffen werde, und nur mit ausdrücklicher Er-
laubnis Seiner Majestät wolle er die Bitten vorbringen, deren Träger
er sei.
Diese Antwort wurde vom Kaiser sehr gnädig aufgenommen.
Er knüpfte daran eine lange Ausführung der Ursachen, die ihn
schließlich gezwungen hätten, den Krieg gegen die Pfoi*te zu fuhren,
und betonte sehr nachdrücklich, wie er auch während des Krieges
keine Gelegenheit habe vorübergehen lassen, um dem Sultan die
Hand zum Frieden zu bieten. Hussan Pascha, Ejub Pascha von
Isaktschi, der Kapudan-Pascha und Jussuf Pascha könnten es be-
zeugen. Zuletzt habe er noch seinen Schwiegervater, den König
von Preußen veranlaßt, den General MöfHing nach Konstantinopel
zu senden, damit der Sultan erfahre, welches seine, des Kaisers,
wahre Gesinnungen seien. Dann seien die russischen Truppen in
Adrianopel eingezogen und der Friede geschlossen worden.
„Und nun frage ich", fuhr er wörtlich fort „auf welcher Seite
stehen die Freunde und die Feinde? Wer bat die Pforte aus der
Gefahr erretten wollen, die sie bedrohte? Diejenigen etwa, die
durch ihre perfiden Ratschläge und schändlichen Anstachelungen
bemüht waren zum Widerstände zu ermutigen, oder diejenigen, die
durch friedliche Maßregeln und weise Mahnungen nicht ermüdeten
die Gefahr abzuwenden? So habe ich, mitten im Kriege, mich
bemuht zu beweisen^ daß ich nicht der unversöhnliche Feind der
Türkei bin, für den man mich ausgeben wollte. Wo immer meine
Truppen waren, haben sie es unterla^ssen, die Völker gegen den
Sultan aufzuwiegeln. Nirgends haben die unzufriedenen Jani-
tscharen Unterstützung oder Ermutigung gefunden. Wir haben so-
gar die Christen, unsere Glaubensgenossen, stets ermahnt ruhig zu
bleiben und zu gehorchen. Überall, wo meine Truppen jetzt noch
bleiben, kann der Sultan sicher sein, daß seine Autorität gewahrt
bleibt. So mag denn Seine Hoheit (Hautesse!) sich davon über-
zeugen, daß seine Freunde in Petersburg und nur dort sind, und
daß ich sein bester Freund bin. Es soll niemand zwischen uns
25*
388 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
Stehen, weder EDgland, noch Österreich, noch Frankreich, selbst
nicht der Reis-Efendi ^). Gott verhüte, daß es einen zweiten Krieg
zwischen uns gibt, aber wenn die Fremden sich in unsere Angelegen-
heiten einmischen, werden sie ans schließlich verfeinden. Ich will
also keine Vermittler zwischen mir and dem Sultan haben. Nicht
einmal den Reis-Efendi mit seinen Instruktionen.^
Die Gesandten erneuerten nun ihre Versicherungen von dem
guten Willen des Sultans. Mahmud habe volles Vertrauen zum Kaiser,
und eben deshalb habe er sie hergesandt. Es bleibe ihnen nichts
übrig, als Seine Majestät zu bitten, der großmütigen Richtung seiner
Seele freien Lauf zu lassen, der Dank werde ihm nicht fehlen.
„Ich will^, schloß der Kaiser, „der Freund des Sultans sein und
werde alles tun, was möglich ist. Er hat wichtige Reformen und
den Wiederaufbau seiner Macht in Angriff genommen. Er braucht
Zeit und Ruhe, um sein Werk zu Ende zu führen und zu festigen;
wenn, unglücklicherweise, es zu einem neuen Bruch zwischen uns
kommen sollte, würde alles zu Fall kommen, und die Folgen wären
für die Pforte die aller verderblichsten. Mag der Sultan sich und
mir selbst dieses Unglück ersparen. Auf mich kann er rechnen.
Ich wünsche, daß das Osmanische Reich stark und in Ruhe sei.
Aber man darf nicht vergessen, daß jeder Herrscher auch Pflichten
gegen seine Untertanen hat. Ich muß die meinigen erfüllen und
kann nach so vielen Opfern und Verlusten nicht auf alle Vorteile
des Friedens von Adrianopel verzichten.^ Damit schloß die Au-
dienz. Der Kaiser sagte den türkischen Gesandten noch einige
freundliche Worte, entschuldigte sich, sie so lange aufgehalten zu
haben, und entließ sie.
Er hatte keinerlei bindende Versprechungen gemacht, auch
nicht angedeutet, in welcher Weise er seine Großmut betätigen
wolle, und aus seinen freundlichen Worten klang doch recht deut-
lich auch eine Drohung durch, die von den Gesandten gewiß ver-
standen worden ist'). Trotzdem waren die Hoffnungen Halils auf
das höchste gespannt. Um so größer war die Enttäuschung, die
der Verlauf der Verhandlungen brachte. Bis zum Eintreffen der
1) Hierzu die Randglosse von Diebitscbs Iland, namentlich nicht Portew !
') Der Bericht über diese Unterredung ist unmittelbar nach der Audienz
auf Befehl des KaiserSi wahrscheinlich nach seinem Diktat, aufgezeichnet worden.
Schilder: Nikolai Bd. 11 S. 266-272 hat ihn in russischer Obersetzung wieder-
gegeben. In der Anlage wird der franzosische Originaltext geboten.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 389
Nachricht von der Entlassung Portew Efendis and der neuen In-
struktionen für die Gesandten wurde zunächst durch Formalitäten
und unter allerlei anderen Vorwänden die Eröffnung der Konferenzen
hingezogen. Als dann Halil zu erkennen gab, daß er sehr wesent-
liche Zugeständnisse erwarte: Kürzung der militärischen Okku-
pation, Minderung der Abtretungen in Asien, eine gunstigere
Stellung für Aufrechterhaltung der Autorität des Sultans in den
Fürstentümern, Einschränkung der Rechte der anderen Nationen
in betreff des freien Handels im Schwarzen Meer, endlich erhebliche
Herabsetzung der Kriegsentschädigung, mußte er sich bald über-
zeugen, daß davon keine Rede sein könne, daß er überhaupt keine
Vorschläge zu machen, sondern nur mit Dank entgegenzunehmen
habe, was die Gnade des Zaren ihm gewähren wolle. Es dauerte
aber bis zum 14./26. März, ehe Halil erfuhr, was er von der Gnade
des Zaren zu erwarten habe, und das war weit weniger, als er er-
wartet hatte. Von der Kriegskontribution sollten zwei Millionen
Dukaten erlassen werden, eine weitere Million, wenn die Pforte
ohne jede Zögerung die Entscheidungen der Londoner Konferenz
in den griechischen Angelegenheiten anerkenne. Von den acht
Millionen Dukaten sollten zwei sofort bezahlt werden, die übrigen
in jährlichen Raten von je einer Million von Neujahr 1831 ab.
Dagegen erklärte sich Rußland bereit, auf das Recht der Okku-
pation der Donaufürstentümer bis zu völliger Tilgung der Kriegs-
schuld zu verzichten, wobei jedoch der Vorhalt gemacht wurde,
daß, falls die Pforte die von ihr eingegangenen Verpflichtungen
nicht genau (exactement) erfülle, der Wiedereinmarsch der russi-
schen Truppen erfolgen werde.
Diese als äußerstes Zugeständnis bezeichneten russischen Vor-
schläge wurden von den türkischen Bevollmächtigten durch ein
Gegenprojekt beantwortet, das als Maximum vier Millionen Du-
katen bot, wobei in diese Summe auch die Entschädigung der vom
russischen Handel erlittenen Verluste mit einbegriffen werden sollte.
Außerdem aber forderten sie sofortige Räumung aller türkischen
Provinzen. Sie erklärten sich bereit 1600000 Dukaten gleich zu
zahlen, wollten jedoch den Rest in Jahresraten von nur 400000
Dukaten tilgen. Aber schon nach wenigen Tagen mußte sich Halil
davon überzeugen, daß der russische Vorschlag in der Tat ein Ul-
timatum war. Was man bot, die Wahl zwischen einer jährlichen
Zahlung von einer Million oder aber von 500000 Dukaten bei
390 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
fortdauernder Besetzung von Silistria und noch einer anderen tür-
kischen Festung, war im Grunde nur eine kaum versteckte Drohung.
Da der andere Ausweg, durch neue Abtretungen in Asien die Last
der Kriegsentschädigung zu mindern, ebensowenig annehmbar war, so
entschlossen sich die Türken am 26. April den Vertrag zu unter-
zeichnen*). Am 29. Mai wurden die Ratifikationen ausgetauscht.
Rußland erklärte sich bereit, die Donaufürstentiimer zu räumen,
sobald die letzten 500000 Dukaten der Handelsentschädigung ge-
zahlt seien. Als Garantie für die Zahlung der Kriegsentschädigung
blieb Silistria nebst einer militärischen Verbindungsstraße über die
Donau in russischen Händen').
Eine Überlieferung will wissen, daß, als der Kaiser Halil die
Abschiedsaudienz gew^ährte, und der Gesandte die Frage stellte, ob
er nicht auch mündliche Aufträge dem Sultan überbringen solle,
Nikolai ihm gesagt habe: das sicherste Mittel, seiner Herrschaft
und seiner Dynastie d<iuernden Bestand zu geben, wäre für den
Sultan, sich dem Glauben der Mehrzahl seiner Untertanen anzu-
schließen d. h. zum Christentum überzutreten') Wenn das wahr
sein sollte — und wir wissen bestimmt, daß Nikolai im Jahre
1832 den General Murawjew in diesem Sinne instruierte — so
hätten wir hier einen neuen Beleg dafür, wie sehr trotz seines
scharfen politischen Verstandes der Kaiser sich über Fundamental-
fragen der Politik in Wahnvorstellungen bewegen konnte. Ganz
abgesehen davon, daß die christliche Bevölkerung der Türkei nur
einen geringen Bruchteil der Ga<^ammtbevö1kerung des türkischen
Reiches bildete, das doch ein mohammedanisches Staatswesen war,
übersah er, daß ein übertritt des Sultans zum Christentum wahr-
scheinlich seine Ermordung zur Folge gehabt hätte, sicher aber den
Abfall aller seiner asiatischen und afrikanischen Untertanen. Es
0 Nesselrode an Diebitsch. Petersburg 18./30. April 1830. Goss.
Arch. 681.
') Dagegen erklärte sich Rußland bereit, die Zahlung in Piaster nach
dem Kurse anzunehmen. Die Zahlungen waren, sobald das rassische Haupt-
quartier türkischen Boden verlassen hatte, in Silistria zu leisten. Auch ge-
stattete der Kaiser, daß die Türken die Geschütze von Giurgewo zurückerhielten,
womit Diebitsch sehr wenig zufrieden war.
3) Schilder Nikolai Bd. II S. 272, nach „L'Angleterre et la Russie dans
la question d'Orient, par un ancien diplomate. Paris 1877. Im St. Peters-
burger Archiv des Ministeriums des Auswärtigen hat sich, wie es scheint, keine
Spur von dieser Unterredung erhalten.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 391
ist nicht daran zu denken, daß Halil es wagen konnte, einen solchen
Auftrag zu überbringen. Er hatte ihn selbst als schwere Beleidi-
gung empfunden.
In Konstantinopel nahm man die gefallene Entscheidung als
den vorbestimmten Willen Allahs mit Ergebung hin. Die Er-
bitterung richtete sich nicht gegen Rußland, von dem Sultan Mahmud
sich jetzt abhängig wußte und an dessen Absicht, die Türkei zu
erhalten wie sie war, er nunmehr glaubte, sondern gegen Frank-
reich und namentlich gegen England, das ihn zum Widerstände
ermuntert und dann im Stich gelassen hatte.
Am 23. April 1830 fand im Palais des Reis-Efendi die letzte
Konferenz mit den Vertretern der drei „alliierten" Mächte England,
Frankreich, Rußland statt. Auch der Amedgi-Eiendi (der Vize-
kanzler) war zugegen.
Der Reis-Efendi begann mit der Erklärung, daß die Pforte
die in der griechischen Angelegenheit gefallene Entscheidung ent-
gegengenommen habe. Der Divan könne nicht verbergen, welchen
Schmerz er darüber empfinde. Er frage die Botschafter, ob sie
nicht zugeben müßten, daß die Rechte der Pforte geopfert worden
seien? Danach übernahm der Vizekanzler selbst die Leitung der
Konferenz und fragte nachdrücklich, welche Garantien die Pforte
dafür habe, daß nicht neue Opfer von ihr gefordert werden würden;
wer bürge ihr dafür, daß die europäischen Mächte nicht aufs neue
in ihre inneren Angelegenheiten eingreifen würden, und daß aus
der Zustimmung zu den jetzt getroffenen Maßregeln nicht ein
Präzedenzfall gemacht werde, um ihr neue Zugeständnisse abzu-
nötigen?
Die Botschafter antworteten: die Entscheidung ihrer Höfe sei
in klaren Ausdrücken gefaßt; die Pforte sei berechtigt ihre Au-
torität in allen Fragen zur Geltung zu bringen, die nicht von
dieser Entscheidung berührt würden. Die Zustimmung zu den ge-
troffenen Vereinbarungen werde von ihr neue Opfer nicht verlangen,
Sondern vielmehr die Achtung und Freundschaft ihrer Alliierten
steigern.
Es schlössen sich hieran Erläuterungen einzelner Ausdrücke,
über die geraume Zeit disputiert wurde, dann verlas der Dragoman
der Pforte den Entwurf der Antwort des Divans auf die Dekla-
ration der Mächte. Es war, wie es nicht anders sein konnte, eine
rückhaltlose Zustimmung. Am folgenden Morgen sollten die Dra-
392 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
gomans der drei Mächte sich unter den üblichen Formalitäten die
offizielle Antwort holen ^). So lantet die verblaßte Form des Pro-
tokolls, das von den Dragomans der „Alliierten^ fertiggestellt
wurde. Wir wissen aber, daß die Verhandlung überaus stürmisch
war. Die türkischen Minister sagten, es sei von den beiden
Mächten (England und Frankreich) eine Missetat an der Türkei
begangen worden. Sie hätten stets versichert Freunde der Pforte
zu sein, in Wirklichkeit aber alles gefördert, was zu ihrem Ver-
derben führte. So oft der französische Dragoman Chabert die Hal-
tung seiner Regierung rechtfertigen wollte, unterbrach ihn der
Seraskier und gebot ihm Schweigen. Er wisse bereits alles, was
gesagt werden könne, und jedes beschönigende Wort sei eine neue
Beleidigung. Sowohl Guilleminot wie Gordon empfanden das Pein-
liche ihrer Lage schwer. Metternich aber, dem wir Glossen zu
dem Bericht des Dragomans danken, bemerkte höhnisch: wer sich
zum Diplomaten ausbilden wolle, werde wohl nicht in London oder
Paris Belehrung suchen. Er triumphierte nachträglich über seinen
nun im Grabe ruhenden alten Gegner George Canning'). Ob er
empfunden hat, daß auch Osterreich eine schwere Niederlage er-
litten hatte? Man wird auf diese Frage mit einem bestimmten
„nein^ antworten müssen. Was geschehen war, erschien ihm als
logische Konsequenz des Protokolls vom 4. April 1826 und des
Julivertrages von 1827. An beiden hatte er keinen Teil. Wenn
fortan der russische Einfluß der entscheidende in Konstantinopel
wurde, so stand sein Entschluß fest, jetzt, da die Krisis überwunden
war, an Rußlands Seite zu rücken und die Prinzipien des Siegers
seinen Zielen und seinen Prinzipien dienstbar zu machen. Aber
im Orient hatte auch Osterreich bis auf weiteres ausgespielt.
Die russische Diplomatie ist mit großem Eifer und vielem
Geschick daran gegangen, die Vorteile der Lage auszunutzen. Sie
begann damit einen Konsul in Sliwno einzusetzen, der den Auftrag
hatte, die Entwicklung der inneren türkischen Angelegenheiten scharf
im Auge zu behalten und die Bulgaren, die gleich nach Abschluß des
*) Wiener Archiv. Rußland. Weisungen, Anlage zur Ordre an Fiquel-
mont vom 25. Mai 1830
^ „Tel n'a certes ete le caicul ni de feu Canning ni celui de ses suc-
cesseurs; mais ce resultat est la consoquence rigoureuse des fautes incon-
cevables dont Tun comme les autres se sont rendus coupables, avec toute
Papparence d'un veritable raffinement.^ Weisung an Fiquelmont 22. Mai 1830.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 393
Krieges in Massen nach Rußland auszuwandern begannen^), zu
bewegen, im Lande zu bleiben. Es entsprach dem russischen Vorteil
nicht, daß die slavisch-christliche Bevölkerung in der Türkei ab-
nahm. Ihre Existenz bedeutete eine Stärkung des russischen Ein-
flusses. Einen festen Ilalt fand er namentlich an Serbien, dem
unter dem Schutz des Artikels VI des Friedens von Adrianopel
nunmehr alle Forderungen gewährt wurden, die schon durch die
Konvention von Akkerman ausbedungen waren. Es blieb nur
übrig, durch eine Grenzrichtung die 1813 verlorenen Gebiete dauernd
zu sichern. Türkische und serbische Kommissare haben unter
Leitung des Kapitäns vom russischen Gardegeneralstab von Kotzebue')
diese Aufgabe gelöst. Auch eine Reihe serbischer Emigranten
kehrte damals in die Heimat zurück. Sie waren auf Wunsch
von Milosch Obrenowitsch bisher in Rußland zurückgehalten und
pensioniert worden, jetzt versöhnte man sie mit dem Fürsten, und
das bedeutete für Rußland eine jährliche Ersparnis von 29000
Dukaten.
Der Etat der griechischen Mission wurde am 1. April 1830
bestätigt, in den Dardanellen, in Saloniki und in Ägypten russische
Konsulate begründet, während die früheren Konsulate in Sinope,
Enos und Ohio aufgehoben wurden. Wahrhaft epochemachend aber
war die Tätigkeit, die Kisselew in Moldau und Walachei entfaltete.
Alles, was später geschehen ist, um diese gänzlich verwahrloste
Nation') zu heben, ruht auf dem Fundament der von ihm durch-
geführten Reformen. Er begann damit in allen Kreisen Revisions-
kommissionen^) einzusetzen, die den Auftrag hatten, alle einlaufen-
den Klagen anzunehmen und sofort zu entscheiden. Sie stellten
fest, daß 36000 Familien sich unrechtmäßigerweise den Abgaben
entzogen, und daß zwei Millionen ungesetzlicher Abgaben von den
Bauern erhoben wurden. Der Verkauf der Ämter ward aufgehoben,
alle Binnenzölle wurden beseitigt, dazu die Abgaben für „verirrtes
Vieh" und eine Reihe anderer Chikanen und Ungesetzlichkeiten.
0 Es sollen im ganzen 60—80000 Köpfe gewesen sein.
'^ Es ist ein Sohn von Aagust von Rotzebue.
^) Ober die inneren Zustände der Färstentümer ist der Geheimbericht
Liprandis vom 23. September 1827 aas Skuleni zu vergleichen. Russki Archiv
1877 II S. 470 ff.
^) Aus je drei Bojaren erster Klasse und einem russischen Beamten als
Procureur.
394 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
So war es ein Segen, daß den Juden verboten wurde Bauernland
zu arrondieren, und daß die Frondienste der Bauern abgelöst
wurden. Maßregeln gegen Landstreicher und Räuber, das Verbot
des W äffen tragens, die Organisation einer Landpolizei brachten
eine leidliche Sicherheit und steuerten der kaum glaublichen
Verwilderung, die in dem letzten Jahrzehnt Eingang gefunden hatte.
Es war nur natürlich, wenn die Partei der Bojaren diesen Reformen
entgegenzuwirken suchte. Sie minderten ihren Einfluß und ihre
Einkünfte. Aber seit langer Zeit zum erstenmal begannen die
kleinen Leute freier aufzuatmen.
Nebenher gingen die Arbeiten der Kommission, die mit Aus-
arbeitung eines ^organischen Reglements^, d. h. eines Reglements
für die innere Verwaltung des Landes beauftragt war. Sie wurde
Anfang Mai 1830 mit ihrer Vorlage fertig. Minciaki und die
Bojaren Sturdza und Villori brachten sie nach Petersburg, wo
unter dem Vorsitz des Justizministers Daschkow eine besondere
Kommission eingesetzt wurde, die aus den beiden Bojaren Kantakazi
und Minciaki bestand. Ihre Arbeiten gingen dann an Kisselew
zurück, und dieser legte sie den Revisionsversammlungen vor. Sie
wurden ausdrücklich berechtigt, unter dem Vorsitz Kisselews mit
Stimmenmehrheit Veränderungen vorzunehmen. Der Kaiser wünschte,
daß, wenn das Reglement durchgesehen und die vorgenommenen
Veränderungen bestätigt seien, Maßregeln getroffen würden, um die
neue Ordnung noch vor dem Abzug der russischen Besatzungs-
truppen in Wirksamkeit zu setzten. Der Pforte blieb dann, laut
den Bestimmungen von Adrianopel nichts übrig, als die Reform
durch einen Hat-i-Scherif zu bestätigen.
Wir greifen der chronologischen Folge der Ereignisse voraus,
wenn wir söhon jetzt die weitere Entwicklung dieses wichtigen
rumänischen Problems in aller Kürze verfolgen. Es zeigt uns die
einzige Reform großen Stils, die der Kaiser Nikolaus durchgeführt
hat, und es ist charakteristisch, daß sie sich auf nichtrussischem
Boden vollzog und, wenn auch in bescheidenem Maßstabe, konsti-
tutionellen Prinzipien Rechnung trug. Zum 20. März 1831 in
der Walachei und zum 8. Mai in der Moldau wurden die Stande
berufen, um das inzwischen fertiggestellte Reglement zu prüfen
und, nachdem es angenommen war, die Hospodare zu wählen. Die
„Sobranije^ in Bukarest eröffnete am 22. März Kisselew mit
einer Rede, die mit einer Dankadresse beantwortet wurde; am
Kapitel XI. Nach dem Kriege. -595
11. Mai ist das Reglement, wie nicht anders möglich war, fast ganz
unverändert angenommen worden. In der Moldau, deren Aristo-
kratie mächtiger und unruhiger war, gab es größere Schwierigkeiten
zu überwinden, auch wurden die Sitzungen der Sobranije in Jassy
durch eine furchtbare Choleraepidemie unterbrochen. Schließlich
haben die Bojaren auch dort das Reglement angenommen, und Anfang
1832 waren die neuen Institutionen, oder wie wir wohl sagen dürfen,
die neue Verfassung in beiden Fürstentümern durchgeführt. Die
Absicht aber, die beiden Hospodare durch außerordentliche
Tagungen der Sobranije in Moldau und Walachei wählen zu lassen,
wurde aufgegeben. Die Beziehungen zwischen Rußland und der
Pforte hatten mittlerweile einen so freundschaftlichen Charakter
angenommen, daß man es dem Sultan überließ, nach einer von
Rußland vorgelegten Liste die Hospodare zu ernennen. Im April
1833 wurden Michael Sturdza in der Walachai, der Bojar Ghika
in der Moldau als Hospodare auf Lebenszeit eingesetzt. Beide
galten als zuverlässige Anhänger Rußlands').
So darf man wohl sagen, daß Rußland im europäischen Orient
aus dem Frieden von Adrianopel allen Nutzen gezogen hatte, der
sich irgend erreichen ließ: freundschaftliche Beziehungen zur Türkei,
die ihren politischen Kompaß durch den Petersburger Magneten be.
stimmen ließ, einen alle fremde Konkurrenz fast ausschließenden Ein-
fluß in Rumänien, Serbien, Montenegro*), Griechenland, die dankbare
Rolle, als Fürsprecher aller bedrängten christlichen Untertanen der
Türkei auftreten zu können, das waren die Früchte der Politik des
Kaisers. Es ist kein Wunder, wenn er mit hohem Selbstgefühl
auf sein Werk blickte.
Auch in Asien führten die moralischen und kriegerischen Er-
folge Rußlands zu einer weiteren Ausdehnung seines Einflusses.
In Persien festigte sich die Kadscharische Dynastie immer mehr
1) Im wesentlichen nach Sablozki-Dessjätowski. Graf Kisselew und seine
Zeit. Bd. I Kap. 15—31. Für eine eingebende Darstellung sind die groß-
artigen Quellenpublikationen der Bukarester Akademie der Wissenschaften,
speziell die Arbeiten von Jorga heranzuziehen.
^) Anfang 1830 traf der monteneg^nische Wojewode Wutschewitsch in
Petersburg ein, um Gesuche des Metropoliten Negosch beim Zaren zu ver-
treten. Als Negosch im November 1830 starb, folgte ihm auf Grund des
väterlichen Testaments sein Neffe Rodiwoi Petrowitsch, den Rußland sofort
anerkannte. Es war eine Art freiwilligen Vasallitätsverhältnisses, in dem dieser
kleine Staat zu Rußland stand.
396 Kapitel XI. Nach dem Knege.
in der Überzeugung, daß sie nur in der Anlehnung an Rußland
sich behaupten könne. Der Kaiser schickte den General ad jntanten
Nikolai Andrejewitsch Dolgorukow nach Teheran, um den Schah
und Abbas Mirza in ihrer Stellung zu festigen. Es gelang Dolgo-
rukow auch nicht nur Abbas Mirza mit seinen Brüdern zu ver-
söhnen, sondern auch zu erreichen, daß ihm zu seiner Provinz
Aderbaidschan noch die Verwaltung anderer Provinzen übertragen
wurde. Die letzten im Frieden von Turkmantschai von Persien
übernommenen Verpflichtungen sind jetzt erfüllt worden. Von den
noch ausstehenden acht Kurur wurde der Rest von 14000 Taman
teils in Gold, teils durch Getreidelieferungen bezahlt. Die weit
ins Innere des Reiches verschleppten russischen Gefangenen kehrten
endlich in die Heimat zurück, und für den Fall, daß der alte
Schah sterben sollte, waren militärische Vorkehrungen getroffen
worden, um die Nachfolge von Abbas Mirza zu sichern. Der
englische Einfluß schien um diese Zeit völlig zurückgedrängt; wie
in Eonstantinopel, gebot auch in Teheran Rußland. Das hatte
eine überaus günstige Wirkung auf die russisch-persischen Handels-
beziehungen. Der Schah bequemte sich dazu, bei den persischen
Zollbehörden den in Rußland üblichen Geschäftsgang einzu-
führen, wodurch ein System von Schikanen beseitigt wurde, das
überaus lästig empfunden worden war. In Enseli^), dem Hafen
von Rescht, wurde ein russisches Konsulat begründet und regel-
mäßig bei Beginn der Schiifahrt ein Handelsagent aus Tabris
hingeschickt, um den russischen Kaufleuten mit Rat und Tat bei-
zustehen. Auch in Nischni-Nowgorod begannen die persischen
Händler sich wieder in größerer Zahl zu zeigen, so daß man bereits
einen Rückschlag dieses gesteigerten Verkehrs auf der Leipziger
Messe zu bemerken glaubte. Die Khanate Kokan und Buchara
schickten ersteres 1829, letzteres 1830, Gesandtschaften nach Peters-
burg, die gnädig empfangen und reich beschenkt entlassen wurden.
Kokan, das durch seine Lage zwischen dem chinesischen Ost-
turkestan und Buchara wichtig war und von beiden Nachbarn zu
fürchten hatte, suchte und fand Schutz bei Rußland, was dessen
Handelskarawanen zugut kam; in Buchara aber hatte damals
Nasr Ulla Khan sich nach Beseitigung seines Bruders zum Herrn
des ganzen Khanats gemacht. Die Möglichkeit, daß Rußland sich
^) Der compte rendu, schreibt Sinsiii, was wohl aaf einen Lesefehler
zurückgebt.
Kapitel XI. Nach dem Kriege. 397
der uDzufriedenea Elemente annehmeD könnte, ließ auch hier gute
Beziehungen zum Zarenreich höchst wünschenswert erscheinen.
Ein Mitglied der bucharischen Gesandtschaft fand sich sogar bereit,
den Versuch einer Vermittelung zwischen Rußland und dem ihm
feindseligen Emirat Chiva zu übernehmen. Mit Chiva wurden seit
geraumer Zeit keine politischen Beziehungen mehr unterhalten,
weil die Chivesen eine russische Karawane überfallen und geplündert
hatten. Der Handel mit Chiva aber dauerte fort, wenn auch unter
Behinderungen. Wie lebhaft trotz allem die Beziehungen gewesen
sein müssen, ergibt sich aus der Tatsache, daß 1830 gegen 20000
Russen in bucharischer Gefangenschaft Sklavendienste leisteten.
Um deren Freigebuug, die bereits einmal vom Emir zugesagt
worden war, sollten die Bucharen sich bemühen. Von den vier
Kirgisenhorden, der großen, mittleren, kleinen und inneren, stand
die mittlere unter Verwaltung Rußlands. Sie war in Kreise geteilt,
an deren Spitze Sultane gesetzt waren, deren Rivalität die russische
Oberhoheit sicherte. Die große Horde gehörte zu China, die innere
war ganz unabhängig, hatte aber lebhaften und friedlichen Handel
mit Rußland. Am meisten zu schaffen machte die sogenannte
kleine Horde, in Wirklichkeit die zahlreichste und zugleich die
unruhigste. Aber ihre unermeßlichen Herden boten reichen Handels-
gewinn, und Rußland hatte auch hier die ursprüngliche Einheit zu
sprengen verstanden, so daß diese mittlere Horde in drei Herr-
schaften zerfallen war, an deren Spitze von Rußland besoldete
Sultane standen. Doch gab es auch noch unabhängige Aule. Aus
der mittleren Horde waren in den letzten Jahren zwei ungeheure
Karawanen von 3000 und 1600 Kamelen nach Nishni Nowgorod
gekommen, dem Sammelpunkt dieses asiatischen Handels.
So reichten der russische Handel und die russische Politik tief
nach Asien hinein. Der Kaiser, der diesen asiatischen Problemen
sein lebhaftes Interesse schenkte, hatte außerdem schon 1829 die
Vorkehrungen für eine Gesandtschaft nach China treffen lassen,
die am 11./23. Januar 1830 ihre Reise antrat. Sie trug den
Charakter einer geistlichen Mission^ und bestand unter Leitung des
Erzpriesters (Hieromonach) Wenjamin Moratsche witsch') aus neun
0 ducbownaja pekinskaja missia, d. h. geistliche Pekinger Mission.
^ Er kannte China gut und war Lehrer des Russischen an einer
chinesischen Staatsschule gewesen. Nikolai hatte ihm auf ausdrückliche Vor-
stellung der chinesischen Regierung (ein unerhörtes Ereignis!) ein goldenes
398 Kapitel XI. Nach dem Kriege.
Personen, den besten Zöglingen der geistlichen Akademien^ die
bestimmt waren, an der russischen Kirche in Peking zu amtieren
und sich die chinesische Sprache vollkommen zueigen zu machen.
Der Hauptzweck der Mission war jedoch ein anderer. Eine ge-
heime Instruktion beauftragte Moratschewitsch nicht nur alles
daran zu setzen, um die bisherigen Handelsbeziehungen aufrechtzu-
erhalten und zu kräftigen'), sondern auch die Genehmigung zur
Eröffnung eines neuen Handelsmarktes an der sibirischen Grenze
bei der Festung Buchtarminsk zu erlangen, die 2000 Werst näher
von Moskau lag als der alte Handelsplatz Kiachta. Der Erzpriester
sollte sich außerdem bemühen, den russischen Kaufleuten die
Schiffahrt auf dem Amur zu öffnen, damit so eine bequemere
Verbindung mit den russisch-amerikanischen Besitzungen gewonnen
werde, als ihn die alte Straße über Jakutsk bot. Auch neue
Kontrakte über die Ausfuhr von Rhabarber sollten abgeschlossen
werden. Dieser Mission waren jedoch zwei Laien angeschlossen,
der Major Ladyshenski, der beauftragt war, topographische Auf-
nahmen zu machen^ und der Estländer Baron Schilling, dem ein
Brustkreuz mit RrillaDten verliehen. Jahresbericht des asiatischen Departe-
ments zum Jahre 1830. Petersburger Archiv des Minist, des Ausw.
*) Der letztabgeschlossene russisch-chinesische Vertrag datiert Ton
Kiachta, den 21. Oktober 1727. Jusefowitsch : Verträge Rußlands mit dem
Orient S. 239 — 247. Durch ihn wurde Kiachta als Handelsplatz freigegeben.
Der für unsere Zwecke in Betracht kommende Punkt 5 des Vertrages
lautet: „Das Haus, das jetzt für die Russen in Peking erworben wird, soll
auch ferner den Russen verbleiben, und die Ankommenden sollen in diesem
Hause wohnen. Was aber der Gesandte Sawara Wladislawitsch vorgestellt
hat vom Bau einer Kirche, die in diesem Hause durch Unterstützung vor-
nehmer Männer angelegt wurde, denen die Aufsicht über die russischen An-
gelegenheiten zusteht: so werden in diesem Hause wohnen ein Lama (sc.
nissischer Prieser) und drei andere Lamas (Priester), die, wie beschlossen ist,
eintreffen sollen. Wenn sie eintreffen, wird man ihnen Unterhalt geben
wie ihn der erhält, der vorher eingetroffen ist, und sie werden an dieser
Kirche angestellt werden. Den Russen wird nicht verwehrt sein, zu beten und
ihren Gott zu verehren nach ihrem Brauch; außerdem werden in diesem Hause
leben vier Knaben als Schüler und zwei Ältere, die Russisch und Lateinisch ver-
stehen, und die der Gesandte .... in Peking zum Erlernen der Sprachen
zurücklassen will. Unterhalt werden sie auf Kosten des Zaren erhalten, und
wenn sie ausgelernt haben und es ihr Wille ist, wird man sie zurücknehmen.'
Der nächste russisch-chinesische Vertrag wurde am 25. Juli 1851 in
Kuldscha abgeschlossen. Jusefowitsch 1. 1. S. 247 ff.
Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter. 399
reicher wisseuschaftlicher Apparat zur Verfügung gestellt wurde,
um botanische, zoologische und mineralogische Studien zu verfolgen.
Er sollte aber nicht mit nach Peking, um nicht das Mißtrauen der
Chinesen zu erregen, sondern in Ostsibirien bleiben und speziell
den Handel in Kiachta studieren, auch genauere Auskunft über
die Beziehungen der lamaitischen Buräten zum Dalai-Lama in
Tibet heimbringen und die literarischen Schätze der buddhistischen
Klöster durchforschen. Die Berichte Schillings haben nach all
diesen Richtungen die wertvollsten Auskünfte gebracht.
Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter.
Es kann kaum wunder nehmen, daß die reichen Früchte der
Sorgenjahre 1828 und 1829 das Selbstgefühl des Kaisers festigten
und die herrische Anlage in ihm noch mehr in den Vordergrund
treten ließen, als bisher geschehen war. Die Willkür seiner spontanen
Entscheidungen machte sich unbequem fühlbar. Immer häufiger
wurden Zivilisten wegen geringer Vergehungen auf die Hauptwache
geschickt, um dort einige Tage darüber nachzudenken, wie der Kaiser
den Begriff der „Ordnung" verstanden wissen wollte. Auch nahm
Nikolai keinen Anstoß daran, gelegentlich über Offiziere Strafen
zu verhängen, die nur für Soldaten bestimmt waren*). Er zog
seine Minister sehr selten zu Rate und befragte nur zuweilen den
Grafen Kotschubej und den Fürsten Golitzyn, die sich vorsichtig
ihre Autorität zu bewahren verstanden. Sogar Benkendorff, der
ihm persönlich am nächsten stand, mußte sich gelegentlich strenge
Zurechtweisungen gefallen lassen, wenn er die Grenzen der von
Nikolai geforderten höfischen Zurückhaltung überschritt, und selbst
der geschmeidigste seiner Staatsmänner, Graf Nesselrode, ist damals
nahe daran gewesen, in Ungnade zu fallen, weil er eine durch die
Ereignisse überholte Depesche dem Kaiser nicht vorgelegt hatte').
Besonders peinliches Aufsehen erregte die folgende Angelegenheit').
1) Tagebuch Diwows I. I. Juli 1830.
^ Graf Nesselrode ging am 27. April st. v. auf Urlaub und wurde erst
durch Diwow, später durch Liefen vertreten, der am 28. Juni in Petersburg
eintraf und in dem man bereits den Nachfolger Nesselrodes sah. Aber der
Vizekanzler behauptete seine Stellung.
') Bericht des Generalkonsuls Schmidt aus Warschau, den 2. Mai 1830
„Aus durchaus sicherer Quellens ^Il^r Wahrscheinlichkeit nach ist diese Quelle
der Großfürst Konstantin Pawlowitsch.
400 Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter.
Auf einem Ball, den der preußische Gesandte General von Schöler
veranstaltet hatte^ erhielt der Kaiser einen Bericht der Moskauer
Geheimpolizei über lärmende Demonstrationen, die im dortigen
französischen Theater stattgefunden hatten. Sie iBvaren von jungen
Leuten des Moskauer Adels ausgegangen und an sich wenig er-
heblich. Der Kaiser ließ nun sofort den gerade in Petersburg
anwesenden Generalgouverneur von Moskau, Fürsten Golitzyn, rufen
und befahl ihm, die Personen, die den Lärm verursacht hatten,
in das Zuchthaus zu stecken. Auf die Vorstellung Golitzyns, daß
durch diese Strafe Mitglieder der ersten russischen Familien, unter
anderen zwei Grafen Potemkin, nach den geltenden Gesetzen ihrer
Ehre verlustig gehen würden, antwortete der Kaiser kurz und
heftig: Vollziehen Sie meine Befehle! Der Eindruck, den diese
Entscheidung in Moskau machte, war unbeschreiblich. Der
ganze Adel eilte, die so Bestraften zu besuchen, Reihen von Equi-
pagen hielten Tag und Nacht vor dem Zuchthause, und als ein
Senator in seiner Eigenschaft als Direktor des adligen Klubs den
Antrag stellte, jene Personen auszuschließen, wurde er ausgezischt
und gröblich beleidigt. Die Gesellschaft aber beschloß, den Ver-
hafteten gleich nach ihrer Entlassung — die wahrscheinlich sehr
bald erfolgte — ein großes Fest zu geben.
Es scheint nun, daß dem Kaiser bald klar wurde, daß er
übereilt gehandelt hatte. Am 3./15. März 0 verließ er Petersburg,
um mit dem Prinzen Albrecht von Preußen die Nowgoroder
Militärkolonien zu besuchen. Nach geschehener Besichtigung ließ
er nicht den Rückweg nach Petersburg einschlagen, wie allgemein
erwartet wurde, sondern in die Moskauer Straße einlenken. Er
traf am 7. (19.) März um 2 Uhr nachts in der alten Residenz ein,
blieb sechs Tage dort und machte unter anderem einen Ball in eben
jenem adligen Klub mit, der kurz vorher die freigegebenen Grafen
Potemkin gefeiert hatte. Er war nie liebenswürdiger gewesen als
in jenen Tagen, und in Moskau war bald nur noch davon, nicht von
') Das von Benlcendorfir in seinen Memoiren Russ. St. 1896 Oktober
S. 66 angegebene Datum 1. März ist nach den unbedingt zuverlässigen An-
gaben des Journals der Kammerfouriere falsch, wie denn bei dieser (telegen-
heit darauf hingewiesen sei, daß seine Memoiren mit Vorsicht zu benutzen
sind. Ihre Tendenz zeigt sich im Verschweigen, und die Chronologie ist sehr
häufig zurecht zu stellen. Ich habe ein Exemplar benutzen können, das
Korrekturen von der Iland der Kaiser Nikolai und Alexander 11. enthält.
Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter. 401
der vorausgegangenen Erregung die Rede. So rasch wechselten
auf diesem Boden die Stimmungen. Vielleicht ist die große Reiz-
barkeit des Kaisers auch dadurch zu erklären, daß er von zwei
Angelegenheiten in Anspruch genommen wurde, die ihn fast ohne
Unterbrechung beschäftigten und irritierten: die bevorstehende Er-
öffnung seines ersten Reichstages in Polen und die Entwicklung,
welche die Verhältnisse in Frankreich nahmen.
Der Großfürst Konstantin, der Mitte August 1829 nach Ems
gereist war, um sich einer Kur zu unterziehen und danach längere
Zeit in Brüssel verweilte, wo er vergeblich bemüht war, die häßlichen
Ehehändel der Großfürstin Anna mit ihrem Gemahl, dem Prinzen
Wilhelm von Uranien, auszugleichen, war Anfang Dezember nach
Warschau zurückgekehrt. Er hatte dort den heftigsten Gegensatz
zwischen dem polnischen Finanzminister Lübeck! und Nowossilzew
vorgefunden und trotz seiner persönlichen Abneigung gegen den
letzteren für ihn Partei ergreifen müssen, da Lubecki sich nicht
nur in seiner Leidenschaftlichkeit gehen ließ, sondern auch grobe
sachliche Verstöße in seiner Geschäftsführung begangen hatte, die
der immer kühle und exakte aber intrigante Nowossilzew^) ihm
in seiner Eigenschaft als Vertreter der russischen Interessen nicht
durchgehen ließ. Auch die literarische Bewegung der Zeit spielte mit,
speziell der schon erwähnte Kampf um den Wallenrod von Mizkie-
wicz, den BenkendorfT und Lieven unter dem Einfluß von Bulgarin
zu diskulpieren verstanden hatten. Der Großfürst, der durch das
Treiben Bulgarins und seiner littauischen Landsleute auf das äußerste
erbittert') war, fährte beim Kaiser Klage über Benkendorff und
drohte mit seinem Rücktritt. Er fühlte sich zudem dadurch ver-
letzt, daß Nesselrode ihm während der letzten acht Monate keine
politischen Berichte zugeschickt hatte, was wohl durch seinen
Aufenthalt im Auslande zu erklären ist, vielleicht auch einer Ab-
sicht des Kaisers entsprach, der ein Lob seiner Politik, nicht die
') „Avec son exacte et taquine maniere de traiter les affaires." Kon-
stantin an Nikolai den 2. Januar 1830.
^) Konstantin an Opotscbinin Ende Januar 1830. „Si je n^obtiens pas
justice je quitte decidement mon service .... J^en suis las et puis je ne
saurai me faire ä mon äge et mes pres de 35 ans de Service a ce nouvel
etat de choses qui peut etre sublime mais auquel je n'entends rien .... l'ou
me fait des chicanes et des emboucbures pour me mettre hors de moi et me
chasser si l'on pouvait, ils croient qu'ils triompberont une fois que je n*y
suis plus."
Schiemaon, Geschichte Kußlands. II. 26
402 Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter.
oft verletzende Kritik des Bruders zo hören wünschte. Konstantin
war mit keiner der von Petersburg ausgehenden Regierungsmaß-
regeln zufrieden. Er meinte, die neue Regierungsmetbode möge ja
erhaben sein, aber verstehen könne er sie nicht. Über diesen Punkt
war natürlich eine Verständigung zwischen ihm und dem Kaiser
nicht möglich. Aber Nikolai verstand es doch, ihn zu besänftigen und
in den polnischen Angelegenheiten, speziell soweit Lubecki in Frage
kam, gab er Konstantin seine volle Zustimmung. Er hat sich darüber
in nicht mißverständlicher Weise ausgesprochen. Als Lubecki in
Petersburg gegen den Staatssekretär für polnische Angelegenheiten,
den Grafen Grabowski, intrigierte, wies ihn der Kaiser auf das
schärfste zurück, aber er hielt es doch für notwendig, den Mann
nicht fallen zu lassen. Konstantin dagegen urteilte über die Lage im
Königreich folgendermaßen*): Meine 15 jährige Erfahrung in diesem
Lande hat mir zu deutlich bewiesen, daß diese Herren jeglicher
Kategorie, wenn sie eine Art Russomanie affektieren, nur persön-
lichen Interessen nachgehen, und daß hinter all den schönen Worten
von ihrer Hingebung geheime Absichten stecken. Trotz meiner
Warnungen haben sich hier viele dadurch täuschen lassen. Ich
aber, der ich sie genau beobachtet habe, wußte, woran ich war,
und die Tatsachen haben mein Urteil bestätigt. Das gilt auch
vom Fürsten Lubecki: in Petersburg ist er Russe und in Warschau
Pole ä outrance. Hier sucht er alle Parteien der Liberalen durch
Schmeicheleien zu gewinnen, um ihr Haupt zu werden und seine
Finanzmaßregeln auf dem Reichstage durchzusetzen .... Er ist
der beständige Beschützer aller Litauer, man findet sie zahlreich
in seiner Umgebung, und zwar namentlich solche, die sich in Polen
kompromittiert haben. ^ Auch über die polnische Geistlichkeit war
der Großfürst ungehalten. Auf Ehre, Seele und Gewissen sei er nicht
imstande, auch nur einen von den sieben polnischen Bischöfen zum
Nachfolger des eben gestorbenen Erzbischofs zu empfehlen. Er dachte
an Verminderung der Zahl der Bischofssitze. Ein dahin zielender
Antrag werde im Reichstage gewiß durchgehen, weil er eine
Änderung der Konstitution involviere').
Es scheint, daß dieser Gedanke auf Lubecki zurückgeht, der
seinem Budget die Ersparnisse zuführen wollte, die sich bei Aus-
0 Konstantin an Nikolai 12. Januar 1830.
') d. b. die Polen hätten darin eine Anerkennung ihres Anspruches
gesehen, bei Verfassungsänderungen befragt zu werden.
Kapitel XIT. Aufsteigende Gewitter. '403
führung des Planes gewinnen ließen. Aber der Kaiser wollte nichts
davon wissen, und ohne Zweifel hatte er recht. Aach wenn der
Reichstag zustimmte, wäre ihm das Odium geblieben, die religiösen
Freiheiten der Polen gemindert zu haben; die Änderung der Ver-
fassung aber, an deren Charakter als bedingtes Gnadengeschenk
er ebenso fest hielt wie Alexander, hätte einen Präzedenzfall ge-
schaffen, der eine Steigerung der Befugnisse des Reichstags und
eine Minderung seiner kaiserlichen Rechte zur Folge haben mußte.
Nichts aber lag dem Kaiser ferner als in solche Bahnen einzulenken.
Den Eid, den er auf die Verfassung geleistet hatte, wollte er
halten, daran kann nicht der geringste Zweifel sein, aber darüber
hinaus das ihm verhaßte konstitutionelle Wesen zu stärken, wider-
sprach seinen Überzeugungen. Auch sonst machten die polnischen
Angelegenheiten ihm Verdruß. Cancrin klagte über die ungeheuren
Ausgaben, die der hohe Sold der in Polen stehenden russischen
Truppen verschlang, zu deren Unterhält das „Königreich^ keinerlei
Beiträge leistete. Er forderte die Erstattung aller Summen, welche
von 1814 bis 1817 nach Polen geschickt worden waren, um die
polnischen Truppen zu organisieren und zu unterhalten. Wie
Cancrin berechnete, handelte es sich mit den Zinsen im ganzen um
140 Millionen Gulden, die Rußland zu fordern hatte, er mußte sich
itber nach langen und peinlichen Verhandlungen mit Lubecki zu-
frieden geben, als die Polen schließlich eine Schuld von 30 Millionen
Gulden anerkannten.
Dann kam die Notwendigkeit, den polnischen Reichstag jetzt
-endlich zu berufen, nachdem über vier Jahre seit Beginn der
Tagung des letzten Reichstages hingegangen waren. Der Kaiser
hatte sich dazu schon im November 1829 entschlossen und den
Mai 1830 als Termin in Aussicht genommen. Die Wahlen begannen
^bereits im Februar. Aber die von der Warschauer Regierung in
Vorschlag gebrachten Regierungsvorlagen befriedigten den Kaiser
nicht. Sie betrafen ein Alexander I. in Warschau zu errichtendes
Monument, ein neues Gesetz, das die Ehescheidungen erschweren
sollte, die Fortsetzung des Zivilgesetzbuches und die Reform der
Kriminalprozedur. Nicht mit Unrecht fand der Kaiser dieses
Arbeitsprogramm höchst dürftig, er wünschte neue, umfassendere
Vorlagen und wollte deshalb die Eröffnung des Reichstages auf den
Oktober verschieben. Aber ein Bericht des Warschauer Administra-
tionsrats machte ihn anderen Sinnes. Man könne dem Kaiser in
26*
404 Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter.
kürzester Frist neue bedeutendere Gesetzentwürfe vorlegen^ hätte
sich aber auf jene vier Anträge beschränkt, weil man dem ersten
Reichstage, den der Kaiser versammele, jede Veranlassung zu
leidenschaftlichen oder gar gehässigen Äußerungen entziehen wollte.
Jetzt seien die Wahlen fast beendet, und sie hätten gezeigt, daß
die Stimmung keineswegs der Regierung freundlich sei. In der
Wojewodschaft Kaiisch sei auf einer Wahlversammlung in Warta
der Trinkspruch ausgebracht worden : „Tod einem jeden, der unsere
Verfassung zu verletzen wagt^^). In einem ausfuhrlichen Bericht
der Minister des Königreichs wurde dann darauf hingewiesen, daß
ein Reichstag unter den gegenwärtigen Verhältnissen vornehmlich
den Zweck haben mußte, den durch die Verfassung gegebenen Zu-
sagen nachzukommen und der Regierung die Möglichkeit zu geben,
aus den von der Verfassung vorgesehenen Petitionen des Reichs-
tages die Wünsche der Nation kenuen zu lernen. Da die Sitzungen
nur 30 Tage dauerten, blieben nur 16 Tage für die eigentlichen
Beratungen übrig, was die Durchberatung eines umfassenden
Arbeitsprogramms fast unmöglich mache.
Daraufhin entschloß sich Nikolai, den Reichstag auf den 28. Mai
einzuberufen. In welcher Stimmung es geschah, zeigt ein Brief,
den er am 8./20. April an König Friedrich Wilhelm III. richtete:
„Wir bereiten uns jetzt zur Abreise nach Warschau vor .... Sie
kennen, Sire, meine Leidenschaft für konstitutionelle Formen und
werden sich sagen, welche Freude es für mich ist, auf einem Reichs-
tage Figur zu machen. Da ich aber einmal diese Institutionen
geerbt und geschworen habe, sie aufrecht zu halten, gehe ich ehrlich
ans Werk*). Ich bitte Gott, mich zu leiten und diejenigen vor
Dummheiten zu bewahren, die berufen sind, für das Glück eines
Landes zu arbeiten, das alle Voraussetzungen dazu besitzt.^ Er
hatte sich alle von Alexander in Warschau gehaltenen Reden vorlegen
lassen und von der Rede, mit der der Kaiser am 27. März 1818 den
ersten polnischen Reichstag eröffnete'), gesagt: „Dies hier ist eine
der vornehmsten Ursachen der Ereignisse des 14. Dezember** *).
1) Relationen Schmidts, Warschau, den 12. und 31. März, 14. April und
2. Mai 1830.
2) „J'y vais de bonne foi."
*) Geschichte Rußlands unter Kaiser Nikolaus i. Bd. 1 S. 137 ff.
^) „Voilä une des premieres causes des evenements du 14 De-
cembre."
Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter. 405
Das Einberufungsmanifest datierte vom ^^^" aus Peters-
burg und lautete:
„Senatoren, Landboten und Deputierte! Zwölf Jahre sind be-
reits verflossen, seit der unsterbliche Wiederhersteller Eures
Vaterlandes Euch zum ersten Male um seinen Thron versammelte
um Euch in den Genuß des teuersten der Euch verliehenen Vorrechte
zu setzen. Da mit seinem Zepter auch seine Gefühle für Euch
auf Uns übergegangen sind, so werdet Ihr ebenfalls von Uns in
dieser Absicht berufen.
Durch drei abgehaltene Reichstage habt Ihr sowohl den Zweck
Eurer Bemühungen als dasjenige kennen gelernt, was Ihr zu ver-
meiden habt. Die Erfahrung hat die Vorteile ruhiger Beratungen
sowie die nachteiligen Folgen der Uneinigkeit gezeigt. Diese Er-
fahrungen werdet Ihr nicht unbenutzt lassen.
Wir zweifeln demnach nicht daran, daß Ihr bei Euren Bera-
tungen das öffentliche Wohl mit eben dem Eifer beachten werdet,
der Euch stets beseelt, und zwar mit demselben Geiste der Ord-
nung und Eintracht, welchen die Arbeiten Eurer letzten Sitzung
bezeugt haben.
Wir versichern Euch im übrigen Unserer Königlichen Ge-
wogenheit und empfehlen Euch dem göttlichen Schutze.^
Dieses Manifest gefiel keineswegs. Es enthielt keines der zün-
denden Worte, die Alexander so geschickt hinzuwerfen verstand.
Weder in Petersburg noch in Warschau sah man dem Reichstage
hoffnungsvoll entgegen. Man rechnete bestenfalls darauf, ohne offenes
Ärgernis wieder auseinanderzugehen.
Am 20. Mai um 10 Uhr vormittags traf der Kaiser mit dem
Großfürsten Michail in Warschau ein, etwas früher, als er erwartet
wurde. Die Kaiserin, deren Fahrten nicht das rasend schnelle
Tempo einschlagen konnten, das Nikolai liebte, folgte am 22.
abends.
Wie immer, machte die äußere Erscheinung des Kaisers einen
großen Eindruck. Ein Pole, der ihn bald danach in Skodno sah ^),
schildert ihn uns folgendermaßen: „Ich muß gestehen, daß kein
Mensch in der Welt je auf mich einen größeren Eindruck gemacht
hat als der Kaiser Nikolaus. Er war damals in der vollen Blüte
seiner Schönheit und kaiserlichen Majestät. Wuchs, Haltung und
0 Michael Czajkowski. R. St. 1896 II S. 172. Der spätere Sadyk Pascha.
4<J6 Empitel Xn. Ansteigende Gewitter.
Gesicht ließen ihn wie einen Herrn der Welt erscheinen. Sein
Gesicht war verbrannt, nur die vom Schirm des Helms geschützte
Stirn war bleich. Ich kann mir den Grand nicht erklären, aber
mein Herz flog ihm sofort zn. Ich konnte ihm nicht ins Cresicht
sehen, so überwältigend majestätisch sah er aos.^ Von der Kaiserin
sagt er, sie habe die Mazorka so schön getimzt, daß keine Polin
sich ihr vergleichen konnte. Diesem äußeren Eindruck haben sich
wohl nor wenige entziehen können. Die politische Stimmnng aber
blieb gereizt, sowohl bei den Polen, wie beim Großfürsten. Kon-
stantin fühlte unzweifelhaft, daß der Boden, auf dem er stand,
unterhöhlt war, aber er wollte sich nicht zugestehen, daß wirklich
die Arbeit seines Lebens vergeblich gewesen sei, und daß er nicht
eine Annäherung, sondern eine Entfremdung zwischen Russen und
Polen herbeigeführt hatte. Er gab einzelnen unruhigen Köpfen am
allem schuld, und wenn er einmal gesagt hat, ich weiß wohl, daß
ich von Mördern umgeben bin, versäumte er nicht, bei jeder Ge-
legenheit auf das nachdrücklichste hervorzuheben, wie unbedingt
er der Treue seiner Armee und der Ehrenhaftigkeit des polnischen
Offizierskorps vertraue. Die wurden ihn nie in Stich lassen. Aber
mit den polnischen Ministem lag er, wie wir gesehen haben, in
stetem Hader, und ebenso reizte es ihn unaufhörlich, seinen Gegen-
satz zu den Regierungsmaßregeln Nikolais vor seiner Umgebung
ruckhaltlos zum Ausdruck zu bringen. Er war völlig unfähig, Wider-
spruch zu ertragen, und es schien sich in ihm jene Geistesrichtung
vorzubereiten, an welcher sein unglücklicher Vater zugrunde ge-
gangen war. In seiner Korrespondenz mit dem Kaiser tritt diese
Gemütsverfassung gelegentlich, wenn auch in halb verhüllter Form
hervor, in den Briefen an seinen Freund den General Opotschinin
ohne jede Maske. Niemals aber ließen diese Gegensätze sich in dem
persönlichen Verkehr der Brüder erkennen, obgleich auch Nikolai mit-
unter im Kreise seiner Vertrauten recht ungeduldig über den Groß-
fürsten sprach. In jenen Maitagen, da die Brüder sich zum
letzten Male gesehen haben, hätte selbst das schärfste Auge kein
Anzeichen verborgener Mißstimmungen entdecken können. Sie
wußten beide meisterhaft aus ihrem Verkehr die Fragen auszu-
schalten, über die es zwischen ihnen eine Verständigung nicht geben
konnte; militärische Schaustellungen, Feste und andere offizielle
Veranstaltungen halfen dazu, eingehende Zwiegespräche so gut wie
unmöglich zu machen.
Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter. 407
Am 28. Mai wurde unter peinlicher Beachtung aller konsti-
tutionellen Formen der Reichstag feierlich eröffnet. Die Kammer der
Landboten wählte eine Deputation, die mit den Abgeordneten des
Senats den „Könige begriÜ3te und ihm mitteilte, daß beide Häuser
bereit seien, ihn zu hören. Unter diesen Deputierten befand sich auch
Konstantin Pawlowitsch, der Landbote für Praga, der Warschauer
Festung, um die bald so viel russisches und polnisches Blut fließen
sollte.
Vor den versammelten Vertretern der polnischen Nation hat
dann der König Nikolaus I. von Polen seine erste und letzte kon-
stitutionelle Rede gehalten, in französischer Sprache, wie Alexander
zu tun pflegte. Auch die dem Reichstage zugegangenen Vorlagen
der Regierung waren französisch, nicht polnisch abgefaßt.
„Fünf Jahre sind verflossen — so sagte Nikolai — seit Ihr
zuletzt beisammen wart. Ursachen, die nicht in Abhängigkeit von
meinem Willen standen, verhinderten mich. Euch früher einzu-
berufen. Aber die Gründe, die diese Verspätung veranlaßt haben,
bestehen zum Glück nicht mehr, und heute sehe ich mich, mit
nicht erkünstelter Freude, zum ersten Male von den Vertretern
des Volkes umgeben.
In der Zwischenzeit hat es der göttlichen Vorsehung gefallen,
den Wiederhersteller Eures Vaterlandes zu sich zu rufen. Ihr alle
habt die große Bedeutung dieses Verlustes empfunden und darum
tiefes Leid getragen. Der Senat, der Eure Gefühle zum Ausdruck
bringt, hat mir Euren Wunsch vorgetragen, das Andenken an diese
edlen Wohltaten und an Eure Dankbarkeit zu verewigen. Alle
Polen sind berufen, an der Errichtung des Denkmals mitzuwirken,
dessen Entwurf Euch vorgelegt werden soll.
Der Allmächtige hat in zwei Kriegen, die wir führen mußten,
unsere Waffen gesegnet. Polen hat die Lasten nicht getragen,
aber es durfte sich der Vorteile mit erfreuen, dank der Brüder-
schaft in Ruhm und Interessen, die Polen fortan in unzerstörbarer
Einigung mit Rußland verbinden werden. Die polnische Armee
hat sich nicht aktiv am Kriege beteiligt. Mein Vertrauen hatte
ihr einen anderen Posten zugewiesen, der nicht minder wichtig
war: sie bildete die Vorhut und war bestimmt, die Sicherheit des
Reiches zu verteidigen . . ."
Es schloß sich hieran der Hinweis auf die übrigen Vorlagen,
unter welchen der Kaiser den Hauptnachdruck auf das neue Ehe-
408 Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter.
scheiduDgsgesetz legte, das den frivolen Scheidungen, die in Polen
mit kaum glaublicher Leichtfertigkeit vollzogen wurden, gesetzliche
Schranken setzen sollte. Dann schloß er wörtlich: „Vertreter des
polnischen Volkes! Indem ich in vollem Umfange den § 45 der
Verfassung erfüllte, habe ich Euch eine Bürgschaft meiner Absichten
gegeben. Jetzt ist es an Euch, das Werk des Schöpfers Eures
Vaterlandes zu festigen, indem Ihr maßvollen und weisen Gebrauch
macht von den Rechten, die er Euch verliehen hat. Mögen Rnhe
und Einhelligkeit Eure Arbeiten begleiten! Die Verbesserungen,
die Ihr an den Gesetzesvorlagen vornehmt, die man Euch unter-
breiten wird, werden eine wohlwollende Aufnahme finden, und ich
trage mich mit der Hoffnung, daß der Himmel ein Werk segnen
wird, das unter so günstigen Vorzeichen beginnt."
Die Vorzeichen waren weniger günstig, als der Kaiser zu
glauben vorgab. Auch erregte die Thronrede keinerlei Enthusias-
mus. Man hatte es günstig aufgenommen, daß zum ersten Male
das Feld der auswärtigen Politik mit berührt wurde, aber der Satz
von der unzerstörbaren Einigung mit Rußland berührte unaugenehm.
In diesem Punkte dachte jeder Pole anders, und zudem ließ sich
nicht übersehen, daß es kein Zufall sein konnte wenn von den ehe-
mals polnischen Provinzen, namentlich aber von Litauen, mit keiner
Andeutung die Rede gewesen war. Endlich zeigte sich keinerlei
Neigung auf die bequeme Dehnbarkeit der geltenden Ehegesetze
zu verzichten; das gehörte zu den polnischen Sitten, die man nicht
verkümmern lassen wollte.
So erhob sich bald eine lebhafte Opposition, die vor allem das
Ehegesetz traf, das der Senat zwar annahm, die Deputiertenkammer
aber ablehnte.
Während die Verhandlungen in dem polnischen Parlament in
lebhafter Erregung ihren Verlauf nahmen, hatte der Kaiser eine
Inspektionsreise nach Südrußland unternommen, um die aus der
Türkei heimkehrenden Truppen zu besichtigen^) und auf dem Rück-
wege in Brest-Litowsk die 2. Division des litauischen Korps nebst
der dazu gehörenden Grenadierbrigade paradieren zu lassen. Es
fiel ihm dabei unangenehm auf, daß die Soldaten, die übrigens muster-
haft ausgebildet waren, ausschließlich aus den ehemals polnischen
0 Die Route war: Jelisawetgrad 5. Juni, Adshalki, Petrikow, Krement-
schug, Koseletz 8. Juni/ Kiew 12. Juni, Kodni 14., Brest-Litowsk 17., Warschau
18. Juni. Die Daten bei Benkendorff sind falsch.
Kapitel Xn. Aufsteigende Gewitter. 409
Provinzen stammten^ zahlreiche Stabs- und Oberofßziere aber Polen
aus dem Königreich waren. Wir erinnern uns, daß er vergeblich
bemüht gewesen war, den Großfürsten zu bewegen, die litauischen
Truppen in das nördliche Rußland zu ziehen und in Litauen kern-
russische Regimenter unterzubringen. Er hatte nachgeben müssen,
war aber durch Nowossilzew über den schlechten Geist, der in
Litauen herrschte, wohl unterrichtet und sah diese Regimenter
nicht ohne Sorge.
Als er am 18. Juni in Warschau wieder eintraf, verstimmte ihn
die Ablehnung des Ehegesetzes aufs tiefste. Er hatte großen Wert
auf die Annahme gelegt, und die Fürstin Lowicz war bemüht ge-
wesen, sein gegen die polnische Geistlichkeit gerichtetes Vorurteil zu
überwinden. Nun war die Ablehnung gerade unter dem Druck geist-
licher Einflüsse erfolgt. Er glaubte die Neigung zu einer Opposition
ä tout prix zu erkennen, und all die Gnaden, die er bei der Krönung
verliehen hatte, schienen ihm verschwendet. Als er jedoch nach-
träglich den Gesetzentwurf einer nochmaligen Prüfung unterwarf,
überzeugte er sich, daß die Vorlage schlecht gearbeitet war. Er
erteilte darauf dem gesamten Ministerium einen scharfen münd-
lichen Verweis und ließ auf den Rat des Fürsten Lubecki durch
ein Dekret die ihm notwendig erscheinenden Verfügungen trefien.
Die Kammern aber entließ er recht glimpflich. Der Vizekanzler
Graf Nesselrode hatte ihm vorgestellt, daß, wenn er seine Unzu-
friedenheit öffentlich ausspräche, der Eindruck im Auslande ein
ungünstiger sein werde.
So hat er seine Schlußrede, die nach dem ursprünglichen
Entwurf nicht ohne Härten war, erheblich gemildert. Seine letzten
Worte waren: „Wenn auch fern von hier, werde ich doch stets
über Euer wahres Glück wachen."
Aber der Kaiser und die Polen verbanden mit dem Begriff
„wahres Glück** Vorstellungen, die einander ausschlössen. Nikolai
dachte an das endliche Aufgehen der Polen in die große russische
Völkerfamilie, sie aber ersehnten die endgültige Trennung von ihr
und glaubten an die Verwirklichung der Hoffnungen, die sie
während der Prozeßverhandlungen der letzten Jahre zwar geleugnet,
aber niemals aufgegeben hatten.
Kurz vor seiner Abreise aus Warschau erhielt der Kaiser die
Nachricht, daß in Sewastopol eine Meuterei ausgebrochen und der
Festungskommandant General L. Stolypin ermordet worden sei.
410 Kapitel XII. Aufsteigende Gewitter.
Der GeneralgouverDeur Graf Woronzow habe Trappen heranziehen
müssen, um die rasenden Matrosen zur Vernunft zu bringen. Das
alles bestätigte sich, aber es war nur ein geringer Teil der schreck-
lichen Wahrheit. Wie so häufig, hatte die Unvernunft und Brutali-
tät der Beamtenschaft eine ursprünglich friedfertige und loyale,
aber leichtgläubige und abergläubische Masse zur Verzweiflung ge-
trieben. Es handelte sich um Quarantänemaßregeln gegen die aus
der Türkei eingeschleppte Pest. Sewastopol war schon seit einem
Jahre von einem Quarantänegürtel umgeben, der die Bevölkerung
der Vorstädte der Möglichkeit beraubte, ihren Verdienst außerhalb
zu suchen, so daß bald Not und Hunger überhand nahmen. Da die
später so berühmt gewordene Vorstadt Karabelnaja für meist ver-
seucht galt, hatte General L. Stolypin Ende Mai den dort garni-
sonierenden Matrosen und der gesamten Einwohnerschaft den Befehl
gegeben, die Slobode (Vorstadt) zu verlassen und ein Lager zu
beziehen, in dem sie einer neuen Quarantäne unterworfen werden
sollten. Inzwischen wollte man ihre Häuser nach den damals
üblichen Methoden ausräuchern. Man schickte den Leuten einen
Priester *), um sie zur Übersiedelung zu bewegen. Die Bewohner der
Slobode, Zivil wie Militär, aber gehorchten nicht. Sie fielen vor dem
Priester auf die Knie und baten, sie nicht länger zu quälen. Sie seien
alle gesund und ihre Häuser bereits einmal durchräuchert, Kleider und
Vieh hätten sie verkauft, um Brot zu erhalten, kurz^ sie könnten es
nicht länger ertragen. Auch behaupteten sie, einer der Quarantäne-
beamten habe gedroht, daß man sie im Lager kräftig züchtigen, was
sie besitzen verbrennen und sie selbst an Stricken im Meere baden
werde. Es gingen nun zwei Tage in Verhandlungen hin. Am 3. Juni
brach der Aufstand aus. Erst zwangen die völlig verzweifelten
Vorstädtler, Matrosen und Volk, jenen Priester, ihnen einen Gottes-
dienst zu halten und ihnen eine Urkunde auszustellen, daß bei
ihnen keine Pest sei und auch nicht gewesen sei, dann stürzten sie
sich auf den Kommandanten und erschlugen ihn, dazu den Obersten
Worobjew und einen Beamten; mit Mühe konnten andere sich auf
ein im Hafen liegendes Schiff retten. Erst als Woronzow, dem, wie
es scheint, schon am 31. Nachricht geschickt war, anrückte, gelang
^) Diesem Priester, SsofroDi Gawrilow, danken wir eine unverdächtige
gleichzeitige Darstellung des Herganges. Russki Archiv S. 1867, 1375 ff. Ein
offizieller Bericht erschien im Journal de St Petersbourg. Auch Benkeudorff
berichtet über den Hergang in seiner glatten Art.
Kapitel xn. Aufsteigende Gewitter. 411
es, das Volk und die Matrosen zu umzingeln und festzunehmen.
Sie wurden alle geknutet oder mit Ruten gestraft, danach hat man
sie in Bobriusk und in andere Festungen gesteckt, die Matrosen,
die an dem Aufstande teilgenommen hatten, wurden nach verbüßter
Strafe nach Archangel oder Kronstadt übergeführt und durch Mann-
schaften aus diesen Häfen ersetzt. Sieben, die als Rädelsführer
galten, wurden erschossen. Es war ein würdiges Gegenstück zu
der Tragödie von Tschugujew ^) , wo einst Araktschejew die
„Ordnung^ herzustellen verstanden hatte. Der Kaiser, der Woronzow
seinen Dank für die energische und erfolgreiche Unterdrückung
der Meuterei sagen ließ, erfuhr bald darauf, daß im orenburgschen
Kreise die Cholera ausgebrochen sei. Eine furchtbare Krankheit,
der man noch wehrloser gegenüberstand als der Pest, und die
damals zuerst ihren Einzug in Europa hielt. Nichts erschien wahr-
scheinlicher, als daß die blutigen Szenen, die sich in Sewastopol
abgespielt hatten, bei weiterem Vorrücken der Krankheit an anderen
Orten des Reiches, namentlich aber in den Hauptstädten, ihre
Wiederholung finden würden. Es war unzweifelhaft eine ernste
Sorge, die hier für eine nahe Zukunft auftauchte.
Aber das alles trat in den Hintergrund, als am 27. Juli die
Nachricht vom Staatsstreich Karls X. eintraf. In der Nacht vom
29. auf den 30. folgte die weitere Meldung, daß in Paris eine
Revolution ausgebrochen sei, und am 2./14. August brachte ein
Kurier Pozzo di Borges einen ausführlichen Bericht über die
„glorreichen Tage^ der Pariser. Der Kaiser hatte die Empfindung,
daß ein ungeheuerer Wandel in der Politik Europas sich damit
vollzogen habe. Er war fest entschlossen, nicht untätig beiseite
zu stehen. Seine Gedanken richteten sich auf die Vergangenheit
und er sah sich im Geiste bereits, wie einst Alexander, an der
Spitze einer Koalition stehen, deren Ziel es sein sollte, das euro-
päische Recht, das in der Juli-Revolution zusammengebrochen war,
wieder aufzurichten und zu Ehren zu bringen. So verlangten es
seine Prinzipien! Sie standen wie stets mit seinem Ehrgeiz in
vollem Einklang.
») Bd. I S. 465 ff.
ANLAGEN.
Die urkundlichen Belege zu Kapitel I und II finden sich in meinem Buch:
Die Thronbesteigung Nikolaus I. Berlin 1902. Verlag von Georg Reimer.
Kapitel III.
Rapport snr les Colonies militaires en Rnssie.
Paris. Dep. d. Äff. Etrang. Russie.
St. Petersburg, 22 Avril 1827.
Monsieur le Baron!
L*ambassade du Roi ne s^etait encore procura jusqu'ici et n'avait pu
transmettre au Ministere que les trois parties du ^reglement pour la colonisation
de rinfanterie en Russie et la U^ partie du meme reglement pour la Cavalerie;
je crois donc utile de completer ce trayail en vous • adressant aujourd^hui trois
cahiers contenant en traduction;
lo la 2« partie du reglement pour la Gavalerie,
2^ la 3® partie de ce meme reglement,
3° enfin un recueil de formules et modMes devant servir pour les diverses
parties de la correspondance et du contentieux de Padministration des haras;
avec un reglement particulier pour Tadministration des magasins ä bl^ sur
les colonies militaires.
J'ai deja eu l'honneur, dans ma depeche No 88, en date du 6 d^cembre
dernier, de soumettre a Yotre Excellene quelques observations sur un Ukase
rendu le-gQ^^^^^^^ concemant le projet de colonisation militaire en Russie et
j'annon^ais en meme temps le prochain envoi d^un nouveau reglement d' Organi-
sation ou plutot de certaines modifications apportees a Pancien reglement et
confirmees par TEmpereur, le 19 novembre n. st. 1826. Je m^empresse,
M. le Baron, de vous adresser ci-joint, en un 4« cahier, la traduction de ce
projet, et je vais m'appliquer k en faire ressortir les dispositions les plus
remarquables, en y joignant quelques reflexions auxqueUes la marcbe et la
tendance de ce Systeme semblent devoir donner Heu.
Le projet de colonisation militaire en Russie n^y avait jamais acquis de
popularite. La noblesse, quMl exposait ä un impot pecuniaire en remplacement
du recrutement parmi ses serfs et k laquelle il otait par lä le moyen de se
defaire de ceux des paysans que leur conduite rendait plus nuisibles qu utiles
sur les terres, voyait ce Systeme d^un roauvais oeil; — les officiers de Tarmee,
reduits k la vie d'agriculteurs ou plutot ä celle d'inspecteurs de travaux et
condamnes, sans obtenir aucun interet personnel, k Texistence la plus monotone,
s'en trouvaient humilies; — Le soldat, qui ne considere guere que les avan-
tages du moment, revenant d'une guerre oü il avait acquis tant de gloire et
plein encore du souvenir des helles contrees qu'il venait de parcourir, avait
«gatement mal accueilli un Systeme qui Tabaissait k ses propres yeux, qui
416 Anlagen zu Kapitel III.
doublait ses peines puisqu'il le for^ait d^etre ä la fois soldat et laboureur, et
lui destinait sous un ciel dont il counaissait toute la rig:ueur, des travaux
dont il ne pouyait guere esperer de recueillir lui-meme les fniits; enfin, la
classe tout entiere des paysans de la Couronne sur lesquels ce projet faisait
peser tant et de si penibles vexations; presque tout le monde en un mot et
plusieurs des ministres memes de PEmpereur improuvaient ce Systeme, per-
sonne ne s'en dissimulait les inconvenients: — les fmances souffraient sur-
tout des depenses enormes qu'il occasionnait, et il suffisait d^ailleurs pour la
plupart que ce projet fut Touyrage du Comte Aracktscbeieff, pour qu*il se
ressentit de la Jalousie et de la baine presque generales que Pon portait a
cet officier. — Cependant l'influence dont jouissait celui-ci et surtout la
crainte qu'il inspirait, contenaient les plaintes; et tant que vecut TEmpereur
Alexandre, la plupart des faits qui auraient pu arreter Texecution de cette
entreprise, ne purent arriyer a la connaissance du Souverain, auquel au contraire
on ne cessait de faire les rapports les plus flatteurs, ainsi que le prouye bien
Tukase rendu le I4 feyrier 1823, qui en parlant de la reussite extraordinaire
du projet et des econoroies deja obtenues dans les Colonies de Cayalerie, accorde
des recompenses considerables ä plusieurs des officiers qui y ont ete
employes. Mais Tinfluence du Comte AracktscheiefT n'etant plus la meme
depuis la mort d'Alexandre, le projet de la Colonisation militaire fut Tun des
Premiers objets sur lesquels se porta Pactive sollicitude du nouvel Empereur,
et aidee des lumieres de tout ce que cette entreprise avait d'adyersaires,
S. M. ne tarda pas k decouyrir ses inconvenients et tout ce qui lui manquait
encore pour en assurer la reussite.
Ainsi, bien qu'au mois de juin 1824, les ordres generaux de Farmee,
comme Votre Excellence a pu le voir par la depecbe en date du 18 noyembre
suivant, aient annonce la prochaine colonisation de 68 regiments nouvaux et
elevaient deja le nombre des troupes dont la colonisation etait arretee et
entreprise, k plus de 300000 hommes, en confirmant en outre Tintention
d'atteindre avec le temps tout le reste de Tarmee, ä Texception des corps
speciaux, et bien que Ton eüt deja compte par millions les pretendues economies
operees, TUkase du IS./l^i* novembre 1826 est yenu suspendre Texecutlon du
projet en le bomant, du moins pour le moment, aux travaux acheves ou pres
de Petre et en le limitant ä une masse d'bommes qui n^exede guere 70000 0.
— Ce meme Ukase, changeant la base de ce Systeme qui jusqu'ici avait forme
une administration entierement independante, conti ee k un seul homme exer^ant
une autorite presqu'illimitee et qui ne prenait ses ordres que de l'Bmpereur,
I) On ne croit pas necessaire d'adresser cette fois au Minist^re l'etat
des troupes actuellemant colonisees, parcequ'il differe en fort peu de chosea
de celui qui a ete transmis le 18 novembre 1824 et que TUkase du mois de
novembre deruier suspend, d^ailleurs, jusqu*& nouvel ordre les travaux
commences par la colouisation des nouveaux corps mentionnes dans ce meme
Etat. La seule cbose digne de remarque que fournirait cette nouvelle liste et
qui vient bien a Pappui de tout ce qui sera dit ici, est que depuis cette epoque,
(en pres de trois ans de temps) le seul accroissement qu'ait pu recevoir
le Systeme de colonisation consiste en ce que la 2'i^oie Division de grenadiers
Anlagen zu Kapitel III. 417
le redoit aujourd^bui a n'etre plus qu-une brauche de radministration mili-
taire soumise an Chef de Tfitat-major geueral de Tarmee et recevaut de lui
toutes ses directions.
Afin de faire mieux ressortir, d*une part les principaux incooTenieuU du
syeteme de colonisatlon, tel quMl avait d^abord ^te con^u par le geueral
Aracktscheieff et les poiuts sur lesquels il s'est trouve etre le plus defeetueuxy
de Pautre, Tutilite des mesures qui vienneut d'etre ordonuees, il u'est peut-
etre pas inutile de rappeler eu peu de mots les fius priucipales que Ton s^etait
proposees eu adoptant ce projet gigautesque.
Le desir de conserver sur le meme pied une armee formidable qui avait
acr^uis tant de gloire et assure taut d'iufluence a la Russie, mais dont les
depeuses sout tout ä fait hors de proportion avec les reveuus de r£tat ; —
Le besoiu d^augmeuter la populatlou et d*eteudre la civilisation avec Tagri-
culture, la uecessite d^ameliorer le sort du soldat pour lequel neu n'avait
eucore ete fait, et de pourvoir ä son avenir; — L'avautage de reudre le
recrutement de Tarmee iudependaut de la uoblesse, principale classe k m^nager
et dont la plupart des fortuues sout deja tellemeut eu soufTrauce; celui de
faciliter ce recrutement eu le centralisant et en Petablissant daus le sein de
Tarmee meme; — L'utilite politique d'avoir sur la frontiere de TEmpire une
armee toujours prete a agir et eutouree de toutes ses ressources: — toutes
ces consideratious fireut adopter un projet qui 4tait aunoncö comme devant
atteindre les principaux buts suivants:
l^ L'armee pourrait etre conservee sar le meme pied, & l'aide de
TaccroissemeDt de la popuIation et des economies immenses que cette eutreprise
devait produire, les Colons militaires ne cessant pas d'ailleurs d'etre soldatä.
2« L'extension donuee ä Tagriculture sur les coDtrees jusquMci restees
iucultes et destin^es k la colonisation, devait en meme temps faire naitre les
ressources süffisantes pour subvenir k tout Tentretieu de cette armee.
3^^ L*accroissemeut de la populatiou et la propagatiou des lumieres
devaient surtout etre singulierement favorises par ce Systeme qui appelait toute
r armee a y contribuer et ä y prendre part sur ses districts de Colonisation,
et qui, en bornant ä ces districts memes tout le recrutement de Tarmee,
exemptait entieremeut de cette Charge les autres parties de Tfimpire.
A^ Le soldat, qui le jour quMl est appel^ sous les drapeaux pour y
servir 25 annees, perd, avec la condition d^esclave, tout droit a la protection
de son ancien maitre, devieut etranger a sa famille, ne retrouve a son retour
daus son pays, si toutefois il teute d'y reparaitre, ni moyens d'existence ni
meme une habitatiou, devait par l'effet de ce Systeme acquerir une propriet^
et se voir une retraite assuree pour ses vioux jours, saus qu'il en coutät
rien a TEtat.
et la 2^ division de Cuirassiers, dont les bataillons et escadrons de coIons se
trouvaient eu 1824 sur les districts de Colonisation, y sout maiutenaut
etablies elles-memes en entier et que le district destiue k la troisi^me
division de grenadiers y est annouce comme ^galement pret k recevoir
les bataillons actifs de cette division; mais Ton sait que TUkase du mois de
novembre dernier eu a egalement suspendu T^tablissement d^fiuitif.
Schiemann, Geschichte RoBkods. IL 27
418 Anlagen zu Kapitel III.
5° Enfin, par le moyen des echauges que Ton se- proposait de faire entre
i;ertaines possessions de particuliers et des terres de la couronne situees sur
des points plus eloignes, i*armee entiere de la Russie, etablie chez les six
millions de paysans de la couronne, aurait occupe une zone s*etendant du
Nord au Midi et formant presque sans interruption, la frontiere occideotale
de PEmpire^).
Aucun de ces buts n*a ete atteint et Pexperience de dix annees^) semble
au contraire avoir demontre que loin que le terme de 15 ans, d'abord demande
pour completer toute la colonisation, put etre süffisant, on n^arriverait
probablement jamais ä aucun resultat utile, si de grandes modifications n'etaient
apportees au Systeme suivi jusqu^ä ce jour.
£n effet on a Heu de s^etonner que Ton n*ait pas, au premier abord,
observe qu'au Heu de conserver Tarrnee sur son anciea pied, le projet
primitif la reduisait, par le fait, d^un tiers en retirant du Service actif
les bataiUons et escadrons de Colons et les destinant k la culture des terres,
quelque soin que Ton pul prendre d'ailleurs pour entretenir ce corps dans
leurs anciennes habitudes militaires. Mais la fin principale qu'on se proposait,
celle du succes de laquelle devaient dependre toutes les autres, n'a pu encore
etre atteinte dans aucun district d'infanterie. — Nulle part (excepte dans
quelques Colonies de Cavalerie au Midi de la Russie) les produits du sol
assigne aux Colonies, n^ont pu fournir a la consommation; les districts les
plus fertiles et les plus favorises ont ä peine produit les approvisionnements
necessaires; partout la Couronne a du continuer d^y subvenir et de solder meme
les Corps colonises. On a reconnu que les charges imposees aux Colons
^taient beaucoup trop fortes, tandis que leur nombre et la quantite
de terrain qui leur etait accordee etaient de beaucoup trop faibles;
i)u du moins, qu^ou avait commis une grande erreur en leur donnant des les
premieres annees de leur etablissement, des defrichements a operer. — C^es
terres, denuees de betail et qui consistaient en grande partie en forets a abattre
ou en marais ä defricber, necessitaient de grands travaux et, faute d'engrais
suffisans, devaient rester longtemps steriles. On a reconnu ögalement qu'en
supposant meme toutes les terres en etat de rapport, jamais les Colons ne
pourraient conveuablement les faire valoir, sUls continuaient a etre sans cesse
') Cette idee peut avoir pris naissance dans celle attribuee par plusieurs
auteurs a Pierre l^i*, qui, avaut de bien connaitre toutes les ressources de son
immense Empire, plus embarrasse que Her de Tetendue de ses frontieres et
dirigeant toute sa politique vers l'Europe et vers les moyens d'y acquerir de
rinfiuence, aurait, dit-on, pense ä refouler toute la popuIation de ses Etats
dans les contrees situees entre Petersbourg, Moscou, et TUkraine; laissant
ainsi entre lui et les Turcs, les Persans et les Tatares, un vaste desert qui
leur aurait servi de barriere süffisante.
^) C'est en 18 IC que fut fait le premier essai de Colonisation militaire,
d'apres le plan du general AracktscheiefT, avec un bataillon de son propre
Regiment de Grenadiers. Cependant, des Tannee 1810, on avait eu Tidee de
coloniser Tarmee sur les immenses domaines de la Couronne et cette idee
re<;ut meme un commencement d'ex^cution; mais la guerre survenant, il n'y
fut pas donne suite.
Anlagen zu Kapitel III. 419
distraits de leurs travaux par les exercices, les re^ues, les insp^tions e^ig^s
d'eux, s'ils etaient toujours genes dans leur tenue, dans les habitudes de la
vie et josque dans la maniere de cultiver leurs champs (ear la r^gularit^ et
la sym^trie militaires avaient etä introduites dans le labourage meme et ont
ete obsenrees pendant plusieurs ann^es avec une pedanterie difficile k concevoir).
— Ges vexations etaient dejä bien penibles pour les soldats devenus culti-
vateurs, mais on a du reconnailre combien elles Tetaient d'avantag^e encore
pour rhabitant primitif que Ton arrachait ainsi a toutes ses habitudes
et dont il fallait, pour ainsi dire, former un homme nouveau. On s'est assuie
en outre de la faussete du calcul fait pour le recrutement des Corps colonises
aussi longtemps que le nombre de Colons ne serait pas augmente et leur sort
amelior^, car fort peu de mariages avaient encore eu Heu dans les
bataillons actifs, les Colons ayant peine a se suffire k eux-memes, ne
faisaient rien pour encourager ces unions; et le nombre des naissances sur
les etablissements des bataillons colonises aurait k peine suffi pour alimenter la
Colonie, loin de pouvoir foumir un jour en aucune maniere au recrutement.
Enfin, il n'etait que trop prouve que si les charges actuelles imposees aux
Colons etaient dejä trop onereuses, il leur serait tout k fait impossible
de subvenir en outre ä l'entretien des invalides qui devaient avec
le temps revenir sur les Colonies et y augmenter le nombre des bouches
inutiles ^).
L'Empereur Nicolas voulant remedier autant que possible a tous
ces inconvenients, sans cependant abandonner enti^rement cette entreprise et
le fruit de tant de millions dejä absorb^s, a commence par en arreter
Textension. — Suivant ensuite des vues aussi humaines que säges, S. M. I.
s'est empressee d*ordonner les modificatlons importantes que contient
le nouveau reglement, et si leur resultat n^est pas encore de mettre
bientot a meme de donner plus d'^tendue ä ce Systeme, du moins elles le
rendront sürement moins impopulaire et feront atteindre en parlie, dans les
Colonies d^jä etablies, le but que Ton s'etait d'abord propose.
Le nouveau reglement ajoute donc un bataillon ou des escadrons dits
de r^serye, ä chaque regiment d'infanterie ou de Cavalerie colonise. — Ces
bataillons composes des premieres classes d'eleves dits Cantounistes, et
d'anciens sous - officiers et soldats non-colons destines specialement k
Tinstruction des Cantonnistes et des recrues, demeureront sur la Colonie et
remplaceront les bataillons de Colons dans toutes les branches du service
militaire dont ils etaient restes charges. Mais tous les hommes qui les
composent et qui ne sont ni Colons ni Cantonnistes, seront loges, vetus
entretenus et soldes aux frais de la Couronne. Ces bataillons de reserve
*) On assure que le general Aracktscheieff lui-meme n'avait pas tarde a
s^apercevoir de toutes ces d^fectuosites, mais que, peu dispos^ k s'^mouvoir
k la vue des difficultes et des soufTrances, doue d^une äme farouche et
despote, accoutume non ä surmonter mais a remuer les obstacles, il esp^rait
y remedier avec le temps et n'avait, d*ailleurs, jamais pu se d^cider k dedarer
les defauts d'un Systeme sugger^ par lui et dont la direction lui donnait tant
de moyens d'acces et dUnfluence pres de son maitre.
27»
420 Anlagen zu Kapitel IIL
fourniront tont le recrutement de lenre Corps respectifo, ils ne se completteront
en temps de paix qu^au für et k mesure par les Kleves ou cantonnistes
devenant en iiaX de porter les armes et existant en sus du nombre de sujets
necessaires pour tenir au complet les bataillons de Colons. — £n temps de
guerre, lorsque la classe des Cantonnistes n^aura pas suffi an recrutement,
on continuera de faire des lev^es seien l'ancien usage et les recrues seroot
enToyees ä cette moitie du bataillon de reserve qui restera sur les Colonies et
qui sera cbargee de les former, tandis que l'autre moitie suivra les bataillous
actifs en campagne. Par ce moyen, l'armee sera tenue a peu pres sur le
meme pied oü eile est, sans quHl seit necessaire de diminuer le nombre
des agriculteurs ni de les distraire de leurs occupations.
D^un autre cote, pour mettre les Colonies a meme de subvenir aux
charges qui leur sont imposees, le nombre des Colons militaires ainsi que la
quantit^ de terrain assigne ä chaque district, sont doubles; et ce ne
sont plus cette fois des pays incultes qu'on leur donne, mais des terres
depuis longtemps en rapport, chargees de betail et süffisant ä Texistence de
leurs habitants*). Ce ne sont plus des soldats sans aucune connaissance
de Pagriculture qu'on ajoute au bataillon de Colons, mais des paysans vivant
depuis plusieurs gen^rations sur leurs terres et qui en connaissent deja toutes
les ressources. Par ce moyen, les gens des bataillons actifs et toutes
les bouches inutiles, ä la Charge de la Colonie, se trouvent
repartis sur ua nombre d'etablissements double de ce quUl etait
autrefois: c''est-ä dire que le Colon militaire n'aura plus qu^un soldat ä
entretenir au Heu de deux.
Les Colons, deja affranchis de tout impot et des corvees si penibles
pour les habitants des campagnes, seront a Pavenir exempts de tout Service,
de tout exercice et inspections militaires, ils pourront d^sormais vaquer uni-
quement ä leurs travaux d 'agriculteurs, leur tenue sera appropriee ä leur
vocation; leurs enfants, formant les diverses classes de Cantonnistes, ceux-
memes destines au recrntement de Tarmee, leur seront laisses, tandis qu*au
moment oü ils pouvaient devenir utiles ä leurs familles, on les envoyait au
quartier gen^ral de la Colonie oü ils ^taient casernes. Ils pourront maintenant
continuer de vivre chez leurs parents et meme les aider dans leurs travaux,
pendant le temps qui ne sera pas employe aux exercices militaires, aux etudes
et aux roetiers que Ton continuera de leur enseigner dans les ecoles desormais
etablies pres de chaque Compagnie de Colons.
Ceux-ci n'auront meme plus le sein ni la responsabilite d'un armement
qui ne sera laisse qu^ä une tres petite partie des gens du bataillon de reserve
pour servir ä Tinstruction des recrues.
11 est vrai que les Colons militaires ne recevront plus de solde, et que la
mesure ordonnce par TEmpereur en faveur des bataillons colonises de la
Ire Division de Grenadiers et des Regiments d'Infanterie de Polotzk et de
Jeletzk, est tout a fait exceptionnelle et temporaire; mais delivres ainsi de la
plus grande partie de leurs charges, cette perte est amplement compensee.
0 Ce n^est que plus tard que Ton y joindra des d^frichementa a faire.
Jkülägeii zii Kapitel HL 421
Jouissant d^ormais des toos 1«8 aväntages de la propri^tä, acqu^rant
la faculte de tenir et de choisir lenrs 8acceflsear«v le8 Colons craindront moins
d'augmenter lenrs familles et seront plns dtaposea i former des mariages entre
leurs filles et les gena des bataillona actifs. La couronne se propbse d^ailleurs
de favoriser ces unions plus qa'EUe n'avait cru pouvoir le , faire aussi lo&g-
temps qu'elle reconnaissait que le Colon ne pouvait suffire a son propre
entretieo.
En outre de ces demieres dispositions TEmpereur a encore ordonne
plusieurs autres mesures qui tendent ä rendre ce Systeme moins impopulaire.
Le paysan habitant primitif des districts, ne sera plus geni daus sa
mise ni dans sa tenue, il pourra meme continuer de laisser croitre sa barbe.
Le temps du senrice effectif des hommes servant dans les corps colonises
est abrege de cinq ans et par consequent reduit a 20 annees a compter de
son entree dans les bataillons actifs. Sur ces 20 ans, quinze doivent etre
passes dans les bataillons actifs, et cinq ans dans ceux dits de r^serve.
La solde des officiers des bataillons colonises et de r^serve est augmentee
de moitiö; celle des soldats qui continueront volontairement 0 & servir apres
leurs vingt annees de Service sera triplee.
On a vu aussi que le quartier general des Colonies d*Infanterie
est transportä de Staro-Rouss a Novogx>rod oü il genfsra bien moins les
habitants, vu la grandeur et les ressources de cette demiere.viUe; tandis qu'a
Staro-Rouss, ville tres commer^ante, mais de pen d'etendue, cet etablissement
etait une cbarge pour les habitants, presque tous de la caate des Rascolnics,
entravait quelquefois leurs Operations et y etait vu d'un tr^s mauvais oeil.
Tant il est vrai, Monsieur le Baron, que ces nouvelles ordonnances de
TEinpereur ont ete accueilües ay^c joie par tout le monde et que partout
eiles ont excite les louanges. — Mais il est peut-etre aussi permis de se
demander si, dans les hautes classes, ces demonstrations proviennent bien
d*un sentiment d'humanit^, ou si elle^ ne sont pas plutot dictees par la haine
generale que l'on portait au Comte Aracktscheieff dont ces changements ont
Signale la chute, ou bien encore par la probabilit4 que ces.modifications elles-
memes fönt naitre, que ce Systeme juge si vexatoire et si dangereux par la
Majorite, sera bientut tout a fait abandonne; ou que, du moins, il ne recevra
pas de longtemps une plus grande extension.
II ne faut pas en effet perdre de vue que si ce nouvean reglement
allege considerablement le sort du Colon militaire, il change entierement
le but i'conomique du Systeme en laissant au gouvernement presque
toutes ses anciennes charges^), tandis qu'il emploie deux fois plus de terrain
^) II y a encore dans Tarmee russe des delits qui entrainent avec eux
comme punitions des prolongations de Service plus ou moins considerables
jusqu'ä la duree illimitee, suivant la gravit^ des faütes.
3) La solde des corps colonis4s, bien qn'elle ne sera plns per^e par
les Colons militaires, continuera n^anmoins jusqu'ä nouvel ordre et probable-
ment encore longtemps d^etre portee au Budget et versee en entier dans la
caisse des Colonies militaires pour entretenir le capital destine ä couvrir les
autres depenses de cette administration.
422 Anlägen zu Kapitel IlL
et de paysans.qui — cesseot d'etre d'aucuo reyenu pour la CoatOBUe, da
moment qu'ils se trouyent compris dans cette entreprise.
On peut, d'ailleurs, obser? er ^galement que ces modifications apportees ä
Tancien projet, sont bien plutot en faveur de Tancien militaire devenu Colon,
qu'elles ne rem^dient eneore aux inconvenients et aux vexations auxquels le
paysan demeure expose par ce Systeme et qui Tont si souvent porte a
la r^ volle avant de s*y soumettre. — C*est toujours pour lui une veritable
spoliation que cette mesure qui associe un etranger ä tous ses interets, k
ses affaires de famille et memo k la propri^te d'une terre qu'il a recue de
ses peres et fertilisee de ses sueurs.
Son aversion pour T^tat militaire restant la meme, 11 continue de voir
avec douleur sa posterite convertie en une pepiniere de soldats toujours
renaissante, et son village en place d'armes. — II cesse d^etre administre par
les anciens de sa classe, pour etre soumis ä une legislation toute militaire,
il perd enfin toute son independance domestique et s'expose, s'il se plaint, a
des vexations d^autant plus cruelles qu*elles le sui?ent jusque dans son
interieur et peuvent se rep^ter k chaque instant du jour.
S'il fallait donc entreprendre de nouvelles creations, on pourrait prevoir de
nouvelles resistances, et la main de fer qui jusquHci les avait renversees ne
se retrouvera plus. Oes acte» de rigueur deviendraient, d'ailleurs, ceux du
Gouvernement, depuis que ce n^est plus un seul homme qui dirige cette
entreprise et qu^elle dopend de TEtat-major genöral de TEmpereur. — L'on
peut donc croire qu^il repugnerait au Souverain de renouveler de pareils actes —
Ne peut-on pas aussi supposer que ce Souverain, instruit par les derniers
evenements survenus dans son armee, averti par la difference de caractere et
de dispositionts dejä observee cbez les jeunes Colons qu'une certaine education
porte au mepris de Tignorance dans laquelle ont vecu leurs peres, ainsi qu'ä
un esprit de mutinerie tendant ä substituer ä cette ancienne obeissance et a
cette intr^pidit^ si passives, un courage plus eclaire, mais moins propre ä se
laisser diriger, ne peut-on, dis-je, supposer que TEmpereur craigne de changer
eneore davantage et trop promptement Tesprit de ses soldats, -et qu'il ne desire
avoir recours a des mesures intermediaires, avant d'etablir au sein d'une nation
aussi retardee que la sienne, une population a la fois eclairee et munie de
tous les moyens d'entreprise ?
En r^sum^, Monsieur le Baron, Popinion generale sur les mesures
que vient d^ordonner TEmpereur, est qu^elles indiquent le
procbain abandon du Systeme de la colonisation militaire tel quMl
avait d'abord ete con^u pour toute Tarmee Russe, et que l'Empereur se bomant
a completer Torganisation des corps dont la colonisation est dejä commencee
ättendra au moins les resultats de cette experience, avant de songer k
entreprendre de nouveauz Etablissements.
Agreez, je vous prie, Monsieur le Baron, les assurances de ma haute
consid^ration.
Comte de la Ferronnays.
Anlagen zu Kapitel IV.. 428
Kapitel IV.
KonigFriedrich Willielm an Kaiser Nikolaus, wohlJaii;18.1826.
(Ancillon hatte ein Konzept des Königs erhalten und durchgelesen. Er
spricht seine Bewunderung aus und verfaßt darauf zwei Konzepte, von welchen
das folgende Korrekturen von der Hand des Königs trägt.)
Si ce que j'ai ecrit ä Votre chere femme a trouve le chemin de votre
c<rur, c*est que cela est parti du cccur, et que lui seul Pavait dicte. Votre lettre
est l'expression d^une douleur si profonde et si vraie, qu'elle a renouvele toute
la mienne et j'ai mele mes larmes aux votres.
Vous avez ete appel4 ä faire des le d^but de votre regne de cruelles
experiences. Plus Votre äme etait dans ce moment solennel pleine de Pamour
de Dieu et de vos devoirs, et plus il a ete triste pour vons de rencontrer
IVgarement et le crime.
Mais le ciel a voulu que des le debut de Votre regne Vous fussiez appele
a connaitre la fidelite de la grande maase de Votre peuple et donner ä la
Russie et ä PEurope des gages et des garants de Votre avenir. Celui que
vous appelez & si juste titre Votre ange doit avoir applaujdi k Votre courage
cahne et fenne, comme k votre noble delicatesse. Pour ma part, j*en ai
eprouve une joie et une satisfaction toute patemelles.
Dieu qui Vous a si visiblement prot^gä, Vous soutiendra dans Votre
penible täche. Vous etes sans doute place dans des circonstances difficiles,
mais les bonnes et grandes pens^es viennent du ca^ur, et le votre vous
inspirera toujours bien. Les dangers auxquels vous avez echappe en les
conjurant doivent vous attacher fortement ä Talliance et aux principes cou*
servateurs que feu TEmpereur d*immortelIe memoire regardait avec raison comme
Tancre du salut commun. Ost dfiniB Tinteret de vos peuples, bien plus que
dans le notre, que nous devons defendre les droits du trone afin de pouvoir
remplir les devoirs.
Vous me demandez des conseils et je vous exprime des voeux et des
esperances qui ne seront pas deines. Je n'ai pas besoin de Vous dire que mon
coQur vous sera toujours ouvert, et que je repondrai toujours avec empresse»
ment aux marques de confiance que Vous voudrez bien me donner.
J'ai appris avec une vive satisfaction que ma fille cherie avait dans ces
jours de deuil e| d'angoisse et4 digne d'elle meme et du rang auquel la
providence Ta elevee. Puisse-t-elle dans toutes les circonstances de la vie
etre pour vous ce que la mere a ete pour moi.
Vous m^avez fait un triste mais pr^cieux present en m'envoyant
Tuniforme de Tempereur. Ce sera pour moi un touchant souvenir, une sainte
relique et un signe d'honneur pour l'armee prussienne et en particulier pour
le Regiment de Grenadiers qui porte le nom Alexandre.
Puissent les benedections du Tr^s-Haut reposer sur vous et sur tout ce
qui vous est eher. • . .
424 Anlagen zu Ka^ntel IV.
Müffling an Diebitsch. Original in Petersb. Wojenno
Utsch. A. 964.
Berlin, den 6. Februar 1826.
E.Ex. erlaube ich mir durch einesichere Hand ein Wort der innigen Teilnahme
zu sagen und daran zu knüpfen, wie oft ich in dieser Zeit an Sie gedacht und
das Leiden mitgefühlt habe, was Sie bei dem Verlust des herrlichen Kaisers
(der uns allen zu früh entrissen worden ist) empfunden haben. Ich leugne
es nicht, daß ich zu denen gehorte, welche, bekannt mit der Ab-
sicht des Großfürsten Konstantin, sich sagten: Welch schwere Auf-
gabe, als Nachfolger eines so hochverehrten, ganz Europa bekannten Monarchen
als Kaiser Alexander aufzutreten. Doppelt schwer für den Kaiser Nikolaus
dadurch, daß Mangel an Gelegenheit ihn weder als Staatsmann noch als
Militär besonders bekannt gemacht hat. Welch lange Zeit wird dazu ge-
hören, ihm das Vertrauen Yon Europa zu gewinnen?
Das Schicksal hat es anders gewollt! Der neue Kaiser hat in einem
wichtigen Augenblick Mut, Besonnenheit, Kraft und Milde gezeigt; er hat ein
Vertrauen, eine Zuneigung gewonnen, wozu es nach dem Lauf der Zeiten
Jahre bedurft hätte! Gott sei gelobt dafür und segne sein edles Bestreben
und Handeln.
Wenn uuser König, wenn wir alle dem Kaiser aufs tiefste ergeben sind,
von hier aus seine Schritte mit dem höchsten Interesse, aber nicht ohne Be-
sorgnis für die Zukunft verfolgen, so werden Sie dies weder tadeln, noch
befremdend finden, und unser Teilnehmen und Ihre alte mir bewiesene Freund-
schaft führen mich noch weiter. Der Beschluß, den der Kaiser jetzt faßt, ist
für die Zukunft von der höchsten Wichtigkeit. Wir waren nach dem Kriege
von 1815 in einer viel schlimmeren Lage als Rußland. Unser ganzes Volk
hatte Krieg gemacht, wenigstens alles, was tüchtig war. Der Rückschritt zum
Zivilstand hatte für viele seine Unbequemlichkeit, manche verderbliche Flammen
loderten da auf, und viel verderblicher Zunder lag in der Armee. Das System,
das man damals ergriff, wird noch heute unerschütterlich befolgt, und die
zehnjährige Erfahrung hat es bewährt. Wir zerlegten die Armee in zwei
Elemente, in das physische und das geistige. Das physische, durch den ge-
roeinen Mann repräsentiert, mußte physisch befriedigt werden durch einen
erträglichen Zustand, der aber keineswegs in Luxus ausartete. Die Nahrung,
die Kleidung und Wohnung des Soldaten mußte so sein, daß er sich wohl
befand, d. h. besser als die des gemeinen Tagelöhners. Das geistige Element,
durch die Offiziere repräsentiert, mußte durch eine ewige Beschäftigung eine
Ableitung von Verirmngen erhalten, allein eine Beschäftigung welche nicht
entwürdigt, nicht bloß die gemeinsten Kräfte, sondern auch die besseren,
den Verstand, die Vernunft, in Anspruch nimmt. Diese Beschäftigung- haben
wir in der Ausbildung des Soldaten zum wahren Zwecke des Krieges gefunden,
in einer höheren Ausbildung seiner Vernunft und seines Urteils, indem diese
Quelle unerschöpflich ist, so ist auch die Uhr ewig angezogen und bedarf nur
von Zeit zu Zeit einiger Tropfen Öl. Die Offiziere schrien über zu große
Anstrengung — wir zucken die Achseln und schieben die Notwendigkeit vor,
Anlagen zu Kapitel IV. 425
denn wir wissen, wann das Jahr um ist, tind sie auf das zurückblicken, was
sie geleistet haben, so freuen sie sieb ihrer Werke und gehen mit ihrer Er-
fahrung und Tätigkeit im nächsten J«ihre noch weiter. Ich habe mir die
Pflicht auferlegt, mit großer Aufmerksamkeit den Zustand der geistigen Be-
schäftigung ZQ verfolgen, dafür zu sorgen, daß die Sache nicht zu weit geht
und das Handwerksmäßige darüber vernachlässigt wird, aber auch dafür, daß
der Verstand und die Vernunft immer ihre gehörige Beschäftigung behält. Wenn
iu dem maschinenmäßigen Treiben eine Ermüdung eintritt, so werden die
Geister durch höhere Aufgaben des Krieges wieder geweckt, ihre Urteilskraft
geübt, und gezeigt, wie vieles noch mangelt, wie vieles noch besser sein konnte.
Fern sei es von mir, zu sagen, daß die Armee auf dem hoben Standpunkt
steht, [auf den sie kommen kann, aber daß sie treu ihrem König und ihrer
Pflicht ist, und daß ein Ausbruch ungesetzlicher Handlungen, woran die große
Masse teilnehme, unmöglich ist, das ist meine innige Überzeugung. Ebenso
bestimmt aber habe ich auch die Oberzeugung, daß ein Verlassen dieser
G rundsätze leicht zu al len den Greueln führen könnte, welche wir in Neapel, Sardinien
und Spanien gesehen haben. Was ich Ihnen hier als einem verehrten Freunde
in allem Vertrauen gesagt habe, werden Sie nicht mißdeuten. Ich sehe Ruß-
lands Macht und Größe als die unsrige an, ich glaube, daß unsere Suveräne
nach ihren Grundsätzen immer gemeinschaftlich handeln werden, und so darf
ich wohl auch die Meinung aussprechen, daß eine treue und zufriedene russische
Armee die höchste militärische Macht ist und es dabei auf 1000 Mann mehr
oder weniger gar nicht ankommt. Nach der heutigen Stellung von Europa kann
ich den Grundsatz, daß eine Armee sich immer nach Krieg sehnen müsse,
nicht billigen. Sehnt sie sich nach Krieg, um einen unerträglichen Zustand
abzuschütteln, so ist sie auch allen Verirmngen des Geistes der Zeit ausgesezt.
Leben Sie wohl, verehrter Herr General, und erhalten Sie mir ein freund-
schaftliches Wohlwollen, auf welches ich einen so großen Wert lege.
Müffling.
. An 8e. Majestät den Kaiser und König.
St. Petersburg, den 5. Februar 1826.
Eure Majestät!
Vorgestern den 3. war hier die Nachricht von der Sendung des Grafen
Bombelles nach Warschau angelangt, der Kaiser erwähnte derselben nur mit
einigen Worten gegen mich. Gestern den 4. aber, als der Kaiser Seiner Ge-
wohnheit nach durch meine Zimmer kam, um mich zur Kaiserin-Mutter ab-
zuholen, ging er mit den Worten auf mich zu: „Mon Frere Constantin a ete
tres flatt4 de Tattention que Lui a fait TEmpereur en Lui envoyant Bom-
belles*" und indem er mir einen offenen Brief gab, setzte er hinzu: „Mais vous
allez voir ce que Constantin m*ecrit au sujet de cette mission, je veux avec
cette confiance qui doit regner entre nous que vous le lisiez.^ Ich las nun
den mir mitgeteilten Brief, eine Piece von mehreren Folioseiten — so auf-
merksam, als es mit der Unmöglichkeit vereinbar war, den Kaiser lange wartend
stehen zu lassen. Der Großfürst. Konstantin meldet Seinem Kaiserlichen Bruder,
426 Anlagen zu Kapitel IV.
daß die Mission des Grafen Bombelles nicht' bloß eine peraönlicbe Auf-
merksamkeit Eurer Majestät, sondern auch von der Absicht begleitet gewesen
sey, Ihn, den Großfürsten — dahin tu vermögen, daß Er Seinen Einfloß auf
den Kaiser für die Erhaltung des Friedens im Orient geltend machen möge.
Der Großfürst beschreibt hierauf wie Er Sich, um diese Aufforderung von sich
abzulehnen, in Sein Verhältnis als Soldat, als Chef eines von dem möglichen
Schauplatz weit entfernten Armeecorps, als Gouverneur von Provinzen, die die
westliche Grenze des Russischen Reichs bilden, verschießen; und wie Er gegen
den Grafen Bombelles nebst Seiner innigen Überzeugung von den friedliebenden
Gesinnungen des Kaisers, Seines Bruders und Herrn, zugleich die Versicherung
ausgesprochen habe, daß er die politischen Beschlöße desselben weder zu
influencieren noch voraus zu sehen berufen sey. — Während der Lesung des
Briefs hatte sich der Kaiser neben mich gestellt, und als er mich an eine
Steile gekommen glaubte, wo der Großfürst vom Orient spricht, sagte der
Kaiser auf das Wort „la Grece** mit dem Finger hindeutend: «Eh bien> vous
voyez de quoi il etait question.'' In dem ganzen Benehmen des Kaisers
schien der Ausdruck eines gewißen Befremdens zu liegen, daß ich Seinem
Vertrauen und seinen Aufforderungen zum Vertrauen nicht durch Berührung
eines Gegenstandes entgegengekommen sey, über welchen er doch durch den
Canal eines an seinen Bruder abgefertigten Abgeordneten Mitteilungen erhielt
und also umsomehr von mir welche erwarten zu können glaubte. Um also
die Idee, als ob ich Sein Vertrauen durch Reticenzen erwiedere, oder als ob
in dem bei Gonstantin getbanen Schritt ein Mißtrauen gegen ihn läge, zu be«
gegnen, und um zugleich nach dem vom Fürsten Metternich aufgestellten
Grundsatz, den diplomatischen Verhandlungen in der orientalischen Frage auf
keine Weise vorzugreifen, sagte ich dem Kaiser auf die oben angeführten
Worte: Eh bien, vous voyez de quoi il etait question — : „Oui Sire; ceci est
une affaire de diplomatie; l'Empereur auquel j*en ai parle avant mon depart
comme d'une affaire dans laquelle j^ai mon opinion comme militaire saus Pavoir
suivie dans ces rapports politiques, m'a dit que cette question continuait a
etre Tobjet de transactions diplomatiques entre les cours; eile ne fait donc
pas Tobjet de ma mission essentiellement amicale, et si Votre Majeste me
fait Thonneur de m'en parier, ce sera comme militaire, que j^exposerai avec
franchise mon opinion ä cet egard.^ Der Kaiser gab diesem Gespräche keine
Folge, und so mußte ich denn, um Ihn nicht warten zu lassen, zu der Lesung
des Briefes zurückkehren.
Nachdem ich ihn beendet und dem Kaiser Zurückgestellt hatte, sagte er
mir — in isolierter Beziehung auf jenen Teil des Briefes, wo der Großfürst
seine Überzeugung von des Kaisers friedliebenden Gesinnungen an den Tag
legt — : ,Eh bien, vous voyez, que cela s*accorde parfaitement avec ce que
je vous disais hier. Je ne veux point la guerre; Constantin me juge de
meme, et certainement, il est impossible que nous ayons pu nous entendre
r^ciproquement sur ce que nous disions^ Lui ä Bombelles, et moi, en m*abouchant
avec vous.** Ich antwortete durch Wiederholung von Versicherungen, wie
glücklich ich mich schätze, die Gesinnungen des Kaisers mit den Erwartungen
und den W^ünschen Eurer Majestät so ganz im Einklang tu finden. Der
Anlagen zu Kapitel IV; 427
Kaiser nahm mich bei der Hand und mit den Worten: »Allons, il faut aller
chez ma mere^ brach er das Oesprach ab. — Ich glaube aber nicht bezweifeln
zu mäßen, daß der Kaiser auf diesen Gegenstand noch zurückkommen wird,
und im entgegengesetzten Falle hoffe ich Gelegenheit zu finden, Ihn, ohne
Absichtlichkeit zu verrathen, auf denselben zurückzuführen.
Heute bei der Parade sagte mir der Kaiser, daß Er den Herzog von
Wellington hier erwarte.
Eurer Majestät
unterth&nigst gehorsamster Diener und Vetter
Eh. Ferdinand,
m. p.
In dorso: „Nr. 4 B. St Petersburg, den 5. Februar 1826. Äußerungen
des Kaisers über die Sendung des Grafen Bombelles nach Warschau.*'
Wien. K. u. K. Staatsarchiv. Instructions et d^peches ä TArchidue
Ferdinand.
Original mit eigenh. Unterschrift.
Lettre de 8. M. l'Emp. d'Autriche k S. Alt. Imp. le granü
Duc Constantin de Bussle.
Vienne, le 19 janv. 1826.
Monsieur Mon Frere et tres-cher Neveu. J'ai du, aussi longtemps qu^a
dure l'honorable lutte de generosite dont Thistorie ne nous avait pas jusqu'a
present offert d'exemple, differer d^exprimer ä V. Alt Imperiale les sentimentä
que M' a fait eprouver la perte de notre frere et ami commun. Personne n'a
mieux connu que V. Alt Imp. les rapports si intimes de confiance qui ont
exist^ entre Moi et le Monarque que Je ne cesserai de pleurer. Ce n^est pas
ä Elle que Je Me sens le besoin de dire ce que ce cruel ^venement M*a fait
ressentir de peine et d'affliction. Je connais d*un autre cote les liens de
coßur qui attachaient si ^troitement V. Alt Imp. a Son auguste frere. Elle
sait de memo Tancienne amitie que Je lui porte. II Lui suffira de cette
double conviction pour evaluer k sa veritable hauteur la part que J'ai prise
en tous points a sa propre douleur, eile est aussi sincere que profonde. Mon
Chambellan le Comte de Bombelles est Charge de remettre a V. Alt Imp. la
presente lettre. II a deja Thonneur de lui etre connu personneliement, et Je Me
flatte qu'Elle voudra bien ajouter foi ä tout ce qu*ie s^empressera de Lui dire
des sentiments d'attachement et d'amitie inyiolable ayec lesquels je suis
Monsieur Mon frere et tres eher Neveu de V. Alt. Imp.
Le bon Frere et Oncle.
Kapitel Y.
Extralt d'nne lettre du g^n^ral aide de camp Benkendorff
5/17 Noyembre 1827.
J'ai vu hier Abbas Mirza, et j*ai ete le' premier qui devais iui montrer
des troupes russes en parade. : La rencontre se fit & quelques verstes au. del»
iie Schehiste, sur une raste pjaine, non loin des bords du lac Oürmia; pr^venu
4^8 Anlagen zu Kapitel V.
4e ma marche, le prince vint a ma rencontre, accompagn^ seulement par Fet-
Ali-kan de Tauris (venu aussi a sa rencontre de cette Capitale) de deuz offi-
ciers anglais de la L^gation a Tauris, et de deux valets teneurs d'etrillers
marchant a ses c6t4s.
Je m^etais fait preceder par la division des Dragons, qui, soiis les ordres
du Comte Tolstoy, devait former son escorte; il passa devant ses raogs disant
bon jour aux soldats, a notre maniere; puis me voyant arriver, il me dit aussi-
tot: „Je suis bien aise de voir que le premier, qui a tir4 Tepee contre moi
cette ann^e, soit le premier aussi qui me rencontre ä la yeille de la paix*' ; puis
il igouta avec une dignite et une contenance remarquables: ,Chaque peuple a
besoin de temps pour se discipliner a la guerre; nous ne faisons que com-
mencer; tous ayez aussi eu vos temps d'epreuve avant de devenir ce que vous
etes, quoi qu'il en soit, „ajouta-t-il'', nous allons de nouveau yivre en*paix; en
attendant il est assez etrange que ce soit moi qui sois votre convie dans ce
pays.*' II me pria ensuite de lui montrer la troupe. Elle etait rangee en
ligne a une demie yerste du Heu de notre rencontre, le long de la route:
avant tout, Abbas Mirza me pria de lui presenter et de lui nommer toutes
les personnes de ma suite.
Les Cosaques, places en ayant-garde, furent les premiers que nous appro-
cbämes. 11 youlut faire la connaissance de leur cbef le Colonel SchaebmatofiT,
me disant tres baut, et le saluant ainsi que sa troupe: ce doit etre yotre
meilleure cavalerie.
La tenue de Tinfanterie le frappa beaucoup; en voyant les bavresacs,
il branla la tete, et s'ecria: „comment marche-t-on sous un pareil fardean?
C^est la Charge de nos chevaux."
L'artillerie attira particulierement sa curiosite; il alla derri^re le front
pour mieux Pöxaminer, en saluant toujours la troupe qui, de son cöt^, lui re-
pondait bravement: „Je te soubaite de la sante", comme ä un de ses inspec-
teurs. Le peuple des villages voisins courait derri^re les rangs de uon de-
tacbement, pendant que 300 «heVaux Persans, composant la suite du Prince,
bordaient le cote oppos^ de la route, sous les ordres de son fils aine, äge de
15 ans et beau comme les amours. Cette troupe avait Tair morne, et on li-
sait sur ses traits combien eile se trouvait humili^e. Le Prince conserva une
mine riante jusqu^a la fin. II me pria de faire defiler devant lui un des ba-
taillons; et avant de me quitter, il m'ezprima son ardent d^sir de voir PEm-
pereur et toute sa famille, il me dit qu'il espi'rait que la paix se ferait bientot
et qu'il esperait me rencontrer un jour en Russie. Puis, apres avoir pris
conge de moi, avec les plus grandes marques d^affection, il me renvoya Feth-
Ali-Kan pour me demander la liste des personnes a ma suite, et pour me
renouveier ses t^moignages d'amitie. Je vous transmets ses paroles litterale-
ment, mais ce dont il me serait plus difficile de vous donner une idee exacte,
c^est sa tournure noble, aisee, cet air de politesse et de reconnaissance avec
ce ton de souverain, cet coil penetrant et ce sourire constant et non force, au
milieu de traits annon^ant le cbagrin et le depit. Sa pbysionomie meridionale
est remarqoable par la regularite de ses traits; ses yeux sont grands, vifs et
son regard penetrant, sa denture est süperbe, son teint basane et p&ie, sa
Anlagen zu Kapitel VL 429
lon^e barbe noire comme da jais, sa taille baute et elancee ; son costume tres
simple, a son poignard pres enrichi de pierreries. II a l'air d^ayoir 40 a 5(>
ans. Le cheral qaMl montait est un des plus beaux que j'aie tu; tont blanc,
richement capara^onne et orn4 de piaques eu or massif. En un mot, rapparition
de ce priace fut eropreinte de tont le cbarme du pittoresque oriental. li est
bien a regretter quMl seit entoure de gens si peu k la hauteur de son esprit,
et je dirais meme aux elans de son coeur, auquel las Strängen ici rendent
surtout un hommage g^n^ral. Son plus ardent desir est de se ciyiliser et de
citiliser sa nation; mais ce qui lui manque essentiellement poor cela, c^est
I'energie, et ce qui manque ä son peuple, c'est 1a religion chretienne. Le
peuple persan coupera encore longtemps les tetes d^ennemis prisonniers,
comme les successeure d'Abbas Mirza creveront encore longtemps les yeux d'un
favori <lisgracie.
Je vous ecris par un temps des dieux, ma tente est sur le bord d'un lac
qui fait l'efTet de la mer. II a plus de 150 verstes de longueur sur 80 de
largeur; il est couvert d^iles montagneuses, et Ton aper^oit au loin, sur Tautre
bord, la chaine des montagnes du Courdistan.
Paris, Depot des äff. etraug. Russie Vol. 173 fol. 75.
Kapitel YI.
Lieven ä Nesselrode. Particnlifere.
Londres ler/13 Juillet 27.
Je viens de passer trois semaines, mon cber Ct«, dans les alternatives
les plus penibles de decouragement, de degont et de craintes; luttant contre
des poltronneries d'un cote, des fourberies de Tautre, et voyant avec un yeritable
chagrin que ces deux mobiles diiTirents amenaient un resultat uniforme — celui
de la perte d'un temps bien precieux. J'ai fait, pour menager les jours et
meme les heures, tous les efforts imaginables; et je vous en donne pour preuve,
que ce n'est que cette nuit ä 2^^ que nous avons signe au Foreign-office les
pieces qui servent de complement et d*ex^cution au Traite.
Si cette dernicre phase de notre negoeiation a fait subir des change-
ments aux formes de nos engagements, au-moins tout a-t-il ete obtenu pour le
fond. Ce qui avait ete primitivement arrete dans le projet de Traite, se trouve
scrupuleusement reproduit et fixe dans Temsemble des pieces dont nous venons
de convenir. Apres tant de tribulations, je puis cependant me feliciter dVtre
parvenu ä abr^ger les intervalles exigees par les formes habituelles et fix^es
par les premieres stipulations; car, si la demiere proposition que j^ai faite et
qui a ete agree par le Cabinet anglais, rencontre egalement Passentiment de
la France, les mesures d^execution statuees dans Tart. secret peuveüt avoir
leur effet quinze jours apres que M. de Ribeaupierre aura ete muni des ins«
tructions de notre cour. C^est dans ce but que je me h&te de Vous expedier
mon eher Gomte, Tensemble des donnees necessaires pour que ces instructions
soient au complet, et que Texecution immediate puisse s'en suivre.
Notre Escadre n'est point arrivee encore en Angleterre, et il ent ete tres
important qu'elle se troctvät deja dans la Mediterrann^e. Je ferai tout pour
430 Anlagen zu KApitel VI.
que les Vaisseaux qui doivent en etre detaches se rendent au plus tot a lear
destination.
Qu'allez-vous dire, mon eher Comte, de la publication ci-jqinte dans le
Times! Le -fait est si insolite dans les fastes de la Diplomatie, que je suis
a peine revenu de la surprise qu'il m'a causee. — Vous cooceyez si j'ai parle
si j^ai Proteste! Canning joue la surprise et la colere. Le Courrier que je
Vous envoie aussi porte egalement la parole dans le seps du Ministejre. Tout
cela ne me detoume point de la conviction oü je suis, que Canning est Tauteur
de la pretendue trahison, parce que le fait est trop fort pour pe pas ?enir
d'autorite.
Jamais on n'a bless^ les convenances diplomatiques d'une fa^on plus
outrageante. Mais apres avoir dit cela, j*examine ses motifs; et autant que
j'ai eu le temps d^y penser encore, les voici, tels que je me les figure. — Le
bruit d'un Traite signe est repandu; le fait de Tenvoi d'une Escadre ne peut
tarder a etre public; les commentaires seront de toutes les couleurs; on y
▼erra bien au dela de la realite; le public en sera inquiete, surtout la classe
marchande; Topposition semera tous les soup^ons; I'arene du Parlement n*est
plus ouYerte pour des explications: Canning lache tout, Traite, article secret;
on y trouve moins qu'on a craint et apres quelques jours de bavardage, Tint^ret
cesse avec les inquietudes et le Ministre n^st plus tourmente.
J'en viens aux consequences. La publicite donnee au Traite, engage
TAngleterre dans une route dont eile ne peut plus revenir. L^independance
de la Grece est prononcee, et il est loisible au Gouvt. anglais de prendre des-
ormais dans ce |but teile mesure qu^il lui eüt ete impossible d'adopter en
face d'un public soup^^onneux.
Enfin, mon eher Comte, et pour terminer cette lettre, si TEmpereur approuve
ce qui vient d^etre fait, un grand avenir s^ouvre pour TEurope civilisee; et
ayec Taide de la Providence, tout marchera a bien. — La resolution du Pacha
d^Egypte est dVne augure favorable pour nos succ^s.
Je Vous renouvelle, mon eher Comte, Tassurance de tous les sentiments
bien sinceres que Vous me connaissez pour Vous.
Lieven.
Petersburg. Minist des Auswärtigen.
Kapitel Ylf.
Aus einem Privatbrief Laferronnays' an den Herzog von
Mortemart.
Paris, 7 juillet 1828.
„II est donc etabli parmi tous ceux qui le desirent, d^abord: qu'il existe
dans Parmee russe un tres grand mecontentement et une conspiration perma-
nente. Nul enthusiasme pour la guerre. On cite les.propos tenus par plu«
sieurs officiers superieurs. La guerre actuelle, leur fait-on dire, est faite
uniquement pour detourner Tattention des bons patriotes Russes, qui tous
Sans s'etre entendus, sont d'accord que Fautocratie actuelle n^est bonne qu'a
prolonger l'etat de barbarie sous lequel nous gemissons. On yeut gourerncr
Anlagen zu Kapitel VlI. 431
de la meme maniere 40 nation$ differentes, et Ja patienee de ces 40 nations
est ä bout. . On ne nous paye pas^, et Ton nous envoie egorger des Turcs
et ruiner lea Vajaques. On nous donne pour general un Tieux Qtranger,
courtisan decr^pit, pour intendant le fils de Tassassin d'un de nos £mpereurs
(Pablen). . L'Empereur est gouveme par ane yingtaine. de fr^Iuquets igno-
rants. La Russie est trop vaste. Elle doit etre diyisee en cinq ou six sou-
verainetes adaptees aux besoins des peuples. On dit que les soldats russes
disent aux Valaques et aux Moldayes qu*ils d^testent TEmpereur Nicolas et
que Constantin est leur Y^ritable souverain.'*
Fontenay an den Grafen Laferronnays.
St. Petersbourg, 29 fevrief 1828.
Monsieur le Comte.
Par sa lettre en date du 11 fevrier demier no 126, Votre Excellence
me cbargeait de soiimettre confidentiellement au Cabinet de St. Petersbourg
un nouveau moyen de proceder äTexecution du traitä de Londres,
dans Pespoir quMl sentit plus facilement adopte par la Porte Ottomane et
qu*il obtiendrait le suiTrage du Ministere Britannique.
Je n'ai point perdu de temps pour remplir les intentions de Votre
Excellence.
J'ai donne coonaissance ä M. le Comte de Nesselrode de la
depeche que m'avait apportee le courrier Christophe. S. E., apres en avoir
pris lecture, Ta mlse sous les yeux de PEmpereur, et oe matin, M. le Comte
de Nesselrode m'a fait une reponse que je vais avoir Thonneur de transmettre
actuellement ä Votre Excellence:
^L'Empereur a lu ayec le plus vif interet et un vrai sentiment de
reconnaissance la depeche de M. le Comte de la Ferronnays en date du
11 fevrier.
Le langage que ce Ministre a tenu lui-meme et a fait tenir ä Vienne
et h Londres en reponse aux ouvertures du Cabinet Autricbien remplit tous
les vceux de Sa Majeste Imperiale.
Declarer que le Gouvernement Fran^ais demeure fidele au traite du
6 Juillet, prouver quMl en d^sire sincerement Texecution, temoigner qu'il n*ad-
mettra pas d'arrangement hors des stipulations de cet acte, c^^tait s'expliquer
ayec la loyautä qui distingue la politique de la France, c^etait utilement
seryir la cause commune, en demontrant que les decisions du Ministere de
Sa Majest^ Tres Chretienne porteront toujours le caractere que les circonstances
reclament.
11 etait impossible de mieux concilier la fermete et la franchise
ayec les egards dus aux demarches d*une cour amie et alliee.
Aureste, le Cabinet Autrichien a completement trahi son r^el objet.
PuisquMl n'a pas adresse les memes ouyertures ä la Russie (nous n'en ayons
re^u aucune de sa pari), puisqu'il ne les a pas adressees a PAogteterre, il ne
1) Pas war gewiß falsch.
432 Anlagen zu Kapitel VIL
cherchait visiblement qu'ä entrainer la France dans une nego-
ciation Isolde, ä avoir la mesure de ses dispositions Teritables.
M. le Comte de la Ferronnays Signale, d'autre part, im nouveau moyen
de proceder a Texecution du Traite de Londrea, dans l'espoir . qa*il lera plus
facilement adopte par la Porte Ottomane et qu^il obtiendra le suffrage du
Ministere Britannique.
Les Yoeux qu^exprime, sous ce rapport, le Ministre des Affaires
Etrangeres de Sa Majeste Tres Chretienne, ne pouvaient qu*etre profondement
apprecies par r£mpereur, et les termes dans lesquels cette communication est
con^ue ajoutent k la gratitude de Sa Majeste Imperiale. Les intentions sont
les memes: comme la France, laKussie souhaite ardemment que le
traite de Londres s'accomplisse le plus tot possible.
Comme la France, Elle souhaite quHl s'accomplisse par la Cooperation
unanime des trois Cours qui Tont signe. Ainsi tout ce qui peut faciliter,
soit a la Porte, soit a la Grande-Bretagne, la realisation des clauses de ce
traite, est conforme ä la pensee constante de la politique du Cabinet Russe.
Toutefois dans Texamen de la proposition meme que developpe la
depeche de M. le Cte de la Ferronnays, plusieurs consid^rations
graves ont fixe Tatteution de TEmpereur.
Les unes se rattachent aux moyens de rendre efficace toute expli-
catiou catbegorique ou negociation nouvelle avec le Divan de Constantinople
et de lui donner pour resultat une paix solide. Les autres, au changement
survenu dans Tetat des choses entre la Russie et la Porte par la publication
du dernier manifeste de cette Puissance, et par le redoublement de rigueur
avec lequel eile poursuit aujourd'bui des mesures qui ruinent le commerce
d'une partie des domaines de Sa Majeste, violent les Privileges de son pavillon,
lui ferment le Bosphore, enfreignent les droits de ses sujets et aneantissent
tous ses traites avec l'Empire Ottoman.
En songeant aux moyens d'eviter des hostilites motivees par les
affaires de la Grece, nous avous nous-memes, dans les propositions que con-
tiennent nos depeches au Prince de Lieven en date du 25 Decembre 1827,
fait la part des prejuges et de la repugnance qui empechent la Porte —
d^acceder purement et simplement a la transaction de Londres et d'accepter
une mediation etrangere.
Nous avons pense et nous pensons encore que les Grecs ayant
adbere a cette transaction, ont le droit d^exiger la p leine jouissance de tous
les avantages qu'elle leur promet. La loyaute des Puissances contrac-
tantes et Tobligation morale que leur impose Tadhesion de la
Grece a leurs desirs, nous ote donc le pouvoir de changer lea con-
ditio ns du traite du 6 Juillet. Mais nous avons pense aussi que dans
le cas oü les formes de cet acte et le mot de mediation dussent effaroucber
la Porte, une autre voie directe, prompte et sure, pourrait encore nous con-
duire au meme but sans guerre.
Nous avous propose a cet effet, par nos depeches du 25 de-
cembre, de resumer dans un office, qui serait envoye a la Porte^
les conditions d'existence que le Traite de Londres stipule pour la Grece, et
Anlagen zu Kapitel VII. 433
qui reduites a leur ezpression la plus simple, doiveni lui assurer une
entiere liberte religieuse, administrative, commerciale, et d^offrir
au divan un delai de huit jours, pour nous faire savoir, sMI consent
ä accorder aux Grecs tous ces Privileges.
C'etait lui presenter Tocoasion d^exaucer nos voeux, et lui sauver
Tembarras d'acceder formellement a nos transactions.
Nous avons propose, en outre, de mettre ä profit la crise qui
etait survenue dans les relations des trois Puissances avec la Porte et la
crainte salutaire qu'elle devait eproaver, pourtrancber d^un seul coup
les difficultes qui auraient pu amener une nouvelle rupture, telles que
Tevacuation des forteresses de laMoree parlesTurcs etleslimites
futures de la Grece. C^etait placer dans leur vrai jour nos intentions
pacifiques, c'etait assurer au Divan le moyen d^operer en peu de temps avec
nous et avec les Grecs, une reconciliation d'autant plus utile qu'elle aurait
ete plus complete et plus durable.
Nous avons propose enfin une negociation ult^rieure, pour
arreter les articles reglementaires et mots sujets a discusion de Tarrange-
ment dont les bases auraient ete dejä etablies. C'etait offrir a la Porte la
faculte d*adherer au principe de cette negociation et a la presence des
plenipotentiaires allies sur les lieux oü eile s'ouvrirait, c'est-ä>dire d^admettre
une mediation de fait, sans prononcer le mot qui coüte a son orgueil.
Null doute que la mediation de fait des plenipotentiaires allies dans
ces conferenes ne soit toujours indispensable, car, sans eile, les Turcs et les
Grecs ne parviendraient jamais a s'entendre.
11 nous avait paru egalement necessaire de stipuler la garantie de
la transaction finale qui rendrait la paix k ses malheureuses contrees; car,
Sans cette garantie, on peut etre certain que des infractions reciproques
aux Conventions qui auraient ete conclues, ne tarderaient pas ä rallumer
la guerre.
Nous avions ajoute ä ces propositions celle de borner la duree des
negociations a un espace de deux mois; car, des le 25 Decembre,
nous nous trouvions dans une Situation qui nous condamne ades
sacrifices, que la France et TAngleterre ne partagent pas avec nous, ä
Pentretien d'une armee toujours prete a se mettre en mouvement,
a celui de deux flottes, ä la cessation de notre commerce du Midi, k la
Suspension des avantages que nous offrait la Convention d'Akkerman et a la
cloture du seul debouche qui existe, pour nos provinces meridionales. Nous
etions trop convaincus de la justice de nos allies pour n'etre pas sürs
qu'ils seraient les premiers a reconnaitre qu'une teile position n'est pas
tenable.
Cette marebe difTere bien peu de celle que M. le Comte de la Ferronnays
indique dans sa depeebe du 11 fevrier; mais eile aurait l'avantage de nous
procurer des resultats plus prompts et plus complets. Elle nous semblait
donc la seule quHl fut possible de suivre.
Aujourd'bui la question a cbange de face. Les communicationsque
le Comte Pozzo di Borgo est cbarge de faire au Cabinet des Tuileries, lui
Schiemann, Geschichte Rufilands. II. 28
434 ÄDlagen zu Kapitel VII.
prouveront que des actes hostiles, des provocations quo nous pouvons
envisager comme une declaration de guerre, la resolution bautement annoncee
de rompre des traites solenneis et leur rupture effective par les atteintes
portoes aiix droits du commerce et des sujets Russes, forcent TEmpereur
d^employer de son cote des moyens coercitifs, noQ en vertu du
traite de Londres, ou pour son execution, mais par le redresse-
ment de griefs directs et speciaux, qui autorisent et commandeut meme
Sans retard ces mesures dont la Russie annonce Tadoption immediate.
Cependant, quant a la pacification de la Gerce, c*est encore la marche
rappelee ci-dessus que TErapereur propose aux Cours de France et
d'Angleterre.
Elies eprouvaient des scrupules dont Sa Majeste Imperiale counait et
apprecie les motifs, a fonder sur la transaction du 6 Juillet des d(.Hermi-
nations que noanmoins Taveuglement de la Porte avait rendues peut-etre
int'vitables.
Aujourd'hui ces dcterminations seront prises par d'autres
raisons, qui regardent principalement la Russie. La Rassie seule
en portera donc la responsabilite, mais ce qu^elle demande a ses
Allies, c'est de les utiliser pour le succes de la cause commune.
Nous avons retrace plus haut les propositioos, qui en sauvant meme
Tamour-propre du grand seigneur, termineraient les affaires grecques le jour
oü les Turcs voudraient y souscrire. Soutenues par les Operations mili-
taires, que la violation ouverte de tous nos traites avec TEmpire
Ottoman nous oblige a commencer, elles seraient consenties en meme
teuips que ces traites seraient remis en vigueur, et gräce ä la sagesse des
principales Cours, la crise du moraent servirait encore au retablissement d'une
paix qui mettrait fin, dans peu de semaines, aux seuls troubles dont TEurope
ait ä deplorer Texistence.
L'Empereur espere, en faveur de ces ouvertures, cet accueil bienveillant
auquel nous ont accoutumes les dispositions si amicales du Ministere de
Sa Majest^ Tres Chn* ienne. II espere, d'apres le noble langage du Roi et
les opinions de Son Cabinet, qu^elles seront appuyees par la France aupres
de la Grande Bretagne.
Nous ne saurions terminer le present expose sans exprimer iterativement,
corabien Sa Majeste a eto sensible aux temoignages de confiance que lui offre
la d<*peche de M. de la Ferronnays.
Ce sentiment est celui qne la nature des choses doit faire naitre entre
les deux Etats. L'intimite croissante de leur union est pour eux un besoin,
et nous osons nous en flatter, Tobjet d'un mutuel desir. Toutes les fois
qu'ils ont res^serre ces liens salutaires, tous les obstacles se sont aplanis
devant leurs justes intentions. Dans ce peu de mots est la politique de
TEmpereur a Tegard de la France, et mainteoant, sans nul doute, celle de
la France ä Tegard de la Russie.**
Tel est, Monsieur le Comte, la reponse textuelle que M. le
(•omte de Nesselrode m'a ecrite lui -meme et que je ne perds pas un
instant ä transmettre a Votre Excellence.
Anlagen zu Kapitel VII. 435
J'ai l'honneur d'etre avec un profond respect
De Votre Excellence
le Tres Humble et tres obeissant serviteur
G. de Fontenay.
Paris 1. 1. Russie vol 173, f. 284.
Nikolai an Karl X.
Russie 1828 avril ä juillet. Le Duc de Mortemart ambassadeur^
Vol. 174.
Copie d'une lettre de Cabinet a S. Maj. le Roi de France, en date de St.
Petersbourg le 22 Mars 1828.
Monsieur mon frere. Des evenements que je n*ai pas provoques et
qui portent a mes yeux tous les caracteres des arrets de la diviue
Providence, m'ont place dans une position oa la diguite et le bien-etre
de la Russie ne me permettent pas de rester plus longtemps. J'ai cbarg6
mon Ambassadeur, le Comte Pozzo di Borge, d'exposer au Ministere de V. Mt^ les
motifs imperieux qui me forcent aujourdbui a prendre des mesures dont je
deplore Purgente necessite. Mais arriv^ au moment decisif oü ces mesures
vont exciter une vive alteration et peut-etre des inquietudes injustes et vaines,
quoique difficiles k prevenir, j^eprouve le besoin d^avoir avec V. Mt<^* une
explication plus intime et de lui adresser directement Texpression confiante
de mes desirs, de mes regrets et de mes esperances. Je meconnaitrais la
noble loyaute dont le Gment de V. Mt^ m'a donne tant de gages dans
les affaires du Levant, si j'insistais ici sur le droit que possede la
Russie d^assurer ä son Pavillon le respect qui lui est da, ä son commerce de
la Mer noire la liberte des seules Communications que la Nature lui presente,
a ses traites les garanties d^observation scrupuleuse qu^ils reclament. Quand
des transactions pareilles sont declarees niilles, quand des pertes tous les jours
plus graves menacent d'une complete ruine des Provinces toutes enti^res, et
Phonneur et les plus chers interers de mon Empire me tracent la ligne de
conduite que j^ai a suivre, et certes, ce n'est pas aupres de Votre M^e que
des resolutions fondees sur Pbonneur d^un etat et sur une active sollicitude
pour sa prosperite demandent une apologie. Je devrais m^attendre au
meme suffrage de la part des autres cours, car loin de mediter la
chute d'un gouvernement qu^elles regardent comme utile, je ue desire
moi-meme que Sa conservation; loin de lui imposer de grands sacriüces,
je ne veux que la reparation des dommages qu'il a causos d mes sujets et le
renouvellement des promesses qu'il a faites depuis un demi-siecle, avec la
certitude de les voir desormais fidelement tenues; loin de donner au Traite
de Londres une interpretation au sujet de laquelle il s^eleve des doutes, je
base mes decisions sur des raisons independantes des actes du 6 Juillet, mais
dont la justice me parait incontestable, et neanmoins ces decisions, j'offre de
les faire servir encore ä Pexecution des engagements que j^ai pris avec mes
Alli^s a la face du monde, sans mVcarter des principes de desinteressement
quMls consacrent, sans fermer d'autres va^ux que ceux quMls m^obligent
d'enoncer et de remplir. Je sais que la force des cboses peut amener
28*
436 Anlagen zu Kapitel VII.
un resultat contraire a nos desirs ou ä nos previsions, mais je crois qu'il
sera bien plus probable si Tespoir d'un secours, meme indirect, encourage
la resistance de la Porte, et plus tous les Cabinets la convaincront, en
approuvant mes resolutions, qu'elle compterait vainement sur leur appui,
moins la lutte se prolongera, moins eile menacera de legitimer les apprehen-
sions quMIe occasionne. Enfin, pour le cas meme oü le ciel aurait
marque le terme de TEmpire qui contraint la Russie k lui
declarer la guerre, c'est la moderation dont je crois avoir foumi assez de
temoignages, ce sont les interets bien entendus de mes peuples que je pre-
sente comme garantie de mes vues et de mon empressement ä souscrire aux
combinaisons qui prouveront le mieux que je n'ai jamais admis de pensees
ambitieuses. Avec cette purete d'intentions, avec la bont^ de ma cause,
Tobligation oü je me trouve d'agir, j'agirai sans crainte et je ne me
laisserai arreter par aucun obstacle; mais je vous le confie, Mr. mon
frere, je vois non sans douleur, que roa Politique n'est point appreci^e, que
ma Situation est meconnue, et qu'on me prepare des oppositions qui auront
pour effet d'accelerer ce qu'elles ont pour but de prevenir. Mon Ambassadeur
communiquera a V. M. les observations de mon cabinet sur le memoire,
par lequel le Ministere anglais vient de repondre a mes ouvertures
25 D6c 1827
du 6 Jan 182» ' ^^*®® developpent les motifis qui m'empechent de partager
Topinion du cabinet de St James et j'ose me flotter que V. Mte les accueillera
avec une juste bienveillance. II a ete facile a la Russie de demontrer que les
nouvelles propositions du Minist. Britannique ne conduisent pas a
Paccomplissement du traite de Londres, et qu^au lieu d'etre analogues a Tesprit
de cet acte, elles tendent ä renouveler des negociations qui n'offrent
aucune perspective de succes et dont je ne puis desormais attendre le terme.
Ces propositions toutofois, jointes ä des indices sur lesquels on ne sau-
rait se meprendre, fönt assez connaitre le Systeme que la Grande Bretagne
suivra dans les affaires du Levant, et me forcent a prevoir la possibi-
lit(^ d'une action commune dirigee contre la Russie, action que
naguere encore, je me plaisais ä rejeter dans le domaine des hypotbeses les
moins vraisemblables. C'est sur ce point devenu si essentiel, que
mon Ambassadeur a ordre d'attirer l'attention particuliere de
V. Mt^. II indiquera sans detour les cas divers qu'un prochain avenir peut
vous donner a resoudre; je le cbarge dMnviter V. M^ a me communiquer ses
determinations eventuelles. Je ne lui demanderai jamais de compromettro
des interets de premier ordre, puisque je declare aujourdbui quMl en est que
je ne puis sacrifier moi-meme. Mais il existe une si visible affinit^
de bien entre la Russie et la France; ces deux etats ont eu, depuis
12 ans, le bonheur de se rendre tant de Services reciproques, ils ont Tun et
Tautre tant de motifs de s^entreaider, de se soutenir et de desirer le maintien
de rEquilibre et du repos de PBurope, que je regarde leur union in-
time comme la consequence necessaire de leur position relative
et comme une des plus fortes garanties de la paix generale. Les affaires
d^Espagne ont donne il y a cinq ans une preuve de cette verite constante.
Anlagen zu Kapitel VII. 437
Qu^il me seit permis de croire que Celles de Turquie la renouvelleront.
Dans tous les cas, en me faisant informer de ses intentions avec une entiere
francbise, V. Mt^ ne pourra que m'inspirer une vive gratitude. Je lui dois
dejä le tribut de ce sentiment pour le langage plein d^energie que le Oouv.
fran^ais vient de tenir« ä la suite de mes Communications, et il me serait
difficile d'exprimer a V. M. avec quelle satisfaction j'ai trouve, dans ses
decisions secretes et dans la reconnaissance publique des Droits que je fais
valoir, une nouvelle preuve de son amitie et de sa justice.
C*est toujours avec un vrai plaisir que je saisis Toccasion de Lui reiterer
Tassurance de Tattacbement inviolable et de la baute consideration avec les-
quels je ne cesserai d'etre Monsieur mon frere
de Votre Majeste
(signe) le bon frere et allie
St P^tersbourg, 28 Mars 1828. Nicolas.
Carl X. an Nicolaus I.
Minute de la reponse ä la lettre de l'Emp. de Russie.
30 Avril 1828.
Monsieur mon Frere.
J'ai re^u et lu avec un vif int^ret et la plus sincere reconnaissance la
lettre en date du 22 Mars que Votre Majeste Imperiale m'a fait remettre par
son Ambassadeur. En me faisant connaitre les motifs de la determination
qu^Elle vient de prendre et ses pensees sur les consequences graves qui peu-
vent en resulter, Elle m'a donne une preuve de confiance et d^amitie dont je
sais apprecier toute la valeur. Je lui repondrai avec la sinc^rite dont Elle
me donne le noble exemple. J'ai compris la puissance et la justice des
motifs qui ont determine Votre Majest^ ä prendre une r^solution qui, sous
quelques rapports, pourrait modifier Tetat de cboses fixe par le trait^ que
j*ai signe avec Elle et TAngleterre.
J'ai prevu Tapprebension que ferait naitre dans Tesprit de quelques
Cabinets Pimminence d^une guerre directe entre la Russie pleine de force et
de puissance, et cet Empire Ottoman menace par tant de dangers ä la fois, et
dont Texistence, cependant, parait toujours indispensable ä Tequilibre
et par consequent a la tranquillit^ de TEurope. Connaissant mieux que
personne la moderation et le noble d4sint6ressement de Votre Majeste, la
scrupuleuse fidelit^ qu'Elle apporte k ses engagements, je ne pouvais concevoir
ni partager aucun doute sur ses intentions. Je savais qu'elevee par son
caractere au dessus des seductions de Tambition, Elle etait, dans tous les cas,
incapable d'ecouter les conseils de Tinteret personnel. La con-
duite de la Porte u*a que trop justifie le ressentiment de Votre Majeste et les
mesures qu'Elle a cru devoir adopter. Je me borne ä regretter que des
circonstances imperieuses n'aient pas permis que le traite du 6 Juillet re^üt
prealablement son entiere ex^cution. Votre Majeste Signale elle-meme lobjet
des craintes qui peuvent s'attacher ä la determination qu'Elle a prise, quand
Elle-meme me dit »qu'Elle sait que la force des cboses peut amener un
resultat contraire ä ses desirs et ä ses previsions«. Cette seule supposition
peut, en effet, inquieter TEurope prompte a s'alarmer de tout ce qui peut
438 Anlagen zu Kapitel VII.
menacer 1a paix dont eile jouit et qu'elie doit, en grande partie, ä la gene-
reuse Intervention de la Russie. Pour moi, qiii place une confiance sans
bornes dans la parole de Votre Majeste, je suis persuade que sa sagesse, qui
aura prevu toutes les cbances de la grande entreprise dans laquelle Elle se
trouve engagi'e, saura prevenir ou ecarter toutes Celles qui pourraient devenir
dangereuses pour le repos general. C^est par suite de cette conviction que
j'ai employt' tous mes efforts pour determiner TAngleterre a accepter l'offre
de Votre Majeste de faire concourir ä Pexecution du traite de Londres les
mesures qu'Elle etait forcee de prendre dans Pinteret particulier de son
empire. Je regrette de n'avoir pu faire encore prevaloir cette opinion, et je
ne partage point celle que le Cabinet de Saint-James a exprime en reponse
aux propositions preseutces par ordre de Votre Majeste et en dato du
25 decembre, ä la Conference de Londres. Je n'en mets pas moins tous mes
soins ä maintonir le Cabinet anglais sur la ligne du traite du 6 Juillet, et je
conserve Tespoir d^y reussir. Mais quelle que soit la conduite que des cou-
sideratious particulieres peuvent imposer au Ministere britannique, je me plais
k penser que Votre Majeste etend peut-etre trop loin sa prevoyance quand
Elle calcule la possibilite d'une action commune dirigee contre
eile. J'ai Heu de croire que je pourrais la prevenir. Mais si jamais
une pareille supposition devait se realiser, si, par Teffet de combinaisons
fächeuses, TEurope se trouvait exposoe aux dangers d'une guerre qui Tem-
braserait d'une extremite a Tautre, une politique sage et eclairee prevaudrait
indubitablement dans la plupart des Cabinets, et previendrait un choc dont
les consequences seraient incalculables. J*aime a me flatter d'ailleurs que
les Premiers mouvements des armees de Votre Majeste Imperiale ou, du moins
leurs Premiers succes decideront la Porte a reconuaitre Pinutilite de sa resis-
tance. Le maintien de cet Empire etant pour la France comme
pour PEurope un interet de premier ordre, je ne me crois pas permis
de porter, des ä present, mes regards sur l'bypotbese de sa chute. Mon am-
bassadeur est Charge de developper ä Votre Majeste toute ma pensee sur cette
grave question; mais il lui fera connaitre, en meme temps, ma forme r^solution
de continuer a concerter, comme je Tai fait jusqu'ici, la marche de mon
Cabinet avec la politique de Votre Majeste. Je suis convaincu que notre
intime union est le moyen le plus eflicace d'assurer la tranquillite de PEurope
et qui si, malgre nos efforts, eile venait a etre troubl^e, cette union pourrait
seule la retablir sur des bases solides. En me rappelant les affaires d'Espagne,
Votre Majeste reveille un souvenir que je me k plais conserver. Je serais
heureux dans des circonstances siuon semblables, du moins analogues, de
m'acquitter de Tobligation que mon frere, a cette epoque memorable, avait
contractee envers I'auguste predecesseur de Votre Majeste. J'eprouve une
veritable satisfaction a lui en donner l'assurance et a lui renouveler celle de
l'attachement inviolable et de la haute consideration avec lesquels je suis et
ne cesserai jamais d'etre, Monsieur mon frere,
de Votre Majeste Imperiale, etc.
Paris, AvrU 1828.
Paris 1. 1. Russie vol. 174 f. 150
Anlagen zu Kapitel YIII. 439
Aufzeichnung Diebitschs über eine Teilung der Türkei.
1827 ohne Tagesdaium. Wojenno Utschenny Archiv 177 Abteilung 4, russisch.
Rußland: Moldau und Walachei, Bulgarien und Rumelien, Anapa und
Poti.
Österreich: Serbien, Bosnien, Dalmatien, Albanien, Thessalien Livadia.
Preußen: Österreichisch-Schlesien und einen Teil von West-Galizien.
Frankreich: Cypern.
England: Morea, Candia, Archipel und Rhodos.
Rußland: Walachei und Moldau.
Österreich: Bosnien und Dalmatien.
Preußen : Osterreichisch-Schlesien.
England: Candia und Rhodos.
Frankreich: Cypern.
Unter gemeinsamen Schutz: 1. Serbien, Albanien, Thessalien vornehmlich
unter Österreich. 2. Livadia und Morea, Negroponte und alle Inseln vornehm-
lich unter Frankreich. 3. Bulgarien und Rumelien vornehmlich unter Rußland.
Kapitel VIII.
Sehreiben des Fürsten Metternich an 8e. D. den Prinzen
Philipp von Hessen-Homburg.
Waltersdorf, den 14. August 1828.
Euer Durchlaucht
habe ich in meinem beutigen Schreiben von der französischen Expedition
nach der Morea kurze Erwähnung gethan. —
Hätte ich die Sache in ihrem vollen Werthe beleuchten wollen; so würde
ein Buch über selbe zu schreiben seyn.
In der Anlage finden Sie mehrere französische Zeitungen, der letzten Tage.
Ich bitte Sie, die mit NB. bezeichneten Artikel zu lesen; jeder Commentar
über deren Tendenz ist unnötig. Es liegt deutlich vor, daß das Unter-
nehmen gegen die Morea von den revolutionären Partheien in
Frankreich wie der erste Schritt in einem System betrachtet wird,
welches die Mächte in den Siegesjahren 1813 u. 1814 erdrückten.
Kann ein solches Aufblasen, ein so gefährlicher Aufschwung Frankreichs dem
wahren Sinne des Kaisers Nicolaus angemessen seyn? In der Auflösung dieser
Frage liegt eine ganze Reihe künftiger Ereignisse.
Ich schicke E. D. diese Blätter, damit Sie eines Theils Selbst wissen, wie
die Dinge sich stellen und in Betracht der großen und folgenreichen Wichtigkeit
des Gegenstandes Sich mit voller Kenntniß ausgerüstet dem Kaiser und Seinem
Minister gegenüber stellen können. In dem anliegenden Auszuge einer
Depecbe, welche ich nach Berlin erlassen habe, merken Sie schon, wie ich
die Sache in ihrer Anwendung auf die Welt betrachte. Daß ich mich in dem
Werthe, den ich ihr selber beilege, nicht irre, dafür bürgt mir meine alte
Erfahrung und meine genaue Kenntniß des Ganges der menschlichen Dinge und
besonders jene des Geistes der Franzosen.
440 Anlagen zu Kapitel VIII.
Die Expedition nach der Morea wird — wenn sie auch keine andern
Folgen hat — die Befreiung Griechenlands auf einige Zeit zur französischen
That stempeln. Dieß kann den Russen unmöglich lieb seyn. Sie entfernt statt
sie zu beschleunigen die Beendigung des ganzen Haders, denn jene wirft
eine neue Gomplication in das Meer der bereits bestehenden. Hätte man aus
selber ein Drohungsmittel gegen Ibrahim Pascha gemacht, so hätte ich nichts
gegen selbe einzuwenden gefunden; so wie sie stattfindet wird der wahre
Zweck unter Privatabsichten erdrückt und diese sind höchst geföhr-
licher Art.
Den Unterschied zwischen französischer Prahlerei und wirklicher Irruption
über die Gränzen des Königreichs mache ich allerdings, wie sich gebührt.
Aber kann eine Macht, wie die unsrige solches Zeug geschehen lassent ohne
sich wenigstens in eine Lage zu versetzen, welche ihr Recht und Pflichten
der Selbsterhaltung gebieten? Sicher nicht! Sollten E. D. dennoch von unseren
sogenannten armemens reden hören, so finden Sie in dieser Noth wendigkeit
stets die beste Antwort.
Wenn das Erstere, welches aus dem Gange der kriegerischen Ereignisse
ergeht, nicht auf den Grafen Nesselrode gewirkt hat so wird das was in
Frankreich vorgeht, keinen Eindruck auf ihn machen; er wird mich vielmehr
beschuldigen, mich abermal sehr ungemessener Ängstlichkeit hinzugeben und
durch meinen obskuren Sinn verhindert, das ganz Natürliche und selbst
Kindische in der Sache zu übersehen. Ist dieD der Fall, so bedauere ich
den kleinen Minister und beinebst die Welt, denn ihr schaden
die kleinen Minister gewaltig. Ich bitte E. D. den Offizieren,
welche Ihnen geschickt werden, recht strenge große Discretion
zu empfehlen. Sie dürfen weder bei der russischen Armee noch
bei ihrer Rückkehr nach Hause sprechen.
In dorso: Privat-Schreiben an Prinz Ph. v. HessenHomburg. Waltersdorf
den 14. August 1828. Die französische Expedition nach Morea betr. Wien
k. u. k. Staatsarchiv: Expeditions au Prince de Hesse Homburg 1828.
Brief des Prinzen Engen an Diebitsch nach der Schlacht
bei Kurtepe.
„Monsieur le comte: voilä donc les suites d^un manque de confiance
dans les rapports d'un ancien goneral de Sa Majestel Vous venez d^acheter
une fächeuse conviction par la perte de trois mille braves et de deux des
plus vaillants generaux. Votre Excellence me parlait dans sa lettre de 13-ä
15 000 Turcs. Je vous en avais annonce 40000. Vous me disiez: il faut
preparer Pattaque, les hauteurs favorisant l'emplacement de l'artillerie! Je
connais Temploi des armes; mais je savais aussi que le terrain ne permettait
ni Tusage du canon, ni Papproche r^glee des troupes au milieu du bois.
C'est que je me trouvais alors sur les lieux, et Vous a bord du „Paris".
Je vous observais qu'il me fallait deux jours de temps pour reconnaitre,
et un nombre süffisant de troupes pour combattre. Mon plan etait la, il
garantissait le succes; vous aviez le cboix entre la victoire et le malheur.
Anlagen za Kapitel VIII. 441
Malgre cela, nous aatres, nous avons ete au camp tarc. II ne dependait
que de vous de venir nous y trouver, ainsi que vous en aviez Pordre et
comme vous me l'aviez promis.
Au contraire, vous m'avez abandonnel
Cependant, le general Souchozanet cachait dans sa pocbe un ordre,
signe de votre main, qui lui indiquait de prendre le commandement apres ma
mort Le choix etait bon. Ge general s'etait retire dans le bois durant
Taffaire, et est venu me rejoindre apres le combat, en reconnaissant que son
attente avait ete vaine. Je lui pardonne depuis que je connais le motif de
sa conduite, et je regrette sincerement de lui avoir d'abord impute la lächete.
Vous voyez donc que je suis au fait. Mais quoiqu il en soit, j'aime ä oublier,
je dedaigne la vengeance. Cependant prenez-y gardeJ Le poids du general
et du parent contrebalance le major-g^neral. L*Empereur est surtout honn^te
homme. On pourrait trahir sa confianee, mais jamais son coeur.
Diebitsch an Wittgenstein d. d. Koslon^i, 12 Sept. 1828.
Die Niederlage der Garde Jäger.
Monsieur le Marechal
Je viens de rencontrer entre Jenibazar et Kosloudji mon aide de camp
Kouscheleff: vous verrez par la lettre de Tempereur que je Vous envoie en
original la malbeureuse affaire des chasseurs de la garde et que TEmp.
attend la 15^ division. J'envoie l'ordre au 20 de chasseurs de marcher de
suite et ferai dire a celui d^Ukraine de forcer autant que possible la marcbe.
Comme tout depend de la prise de Varna, je crois qu'on ne peut pas besiter
de faire marcher le prince Eugene avec le reste de la Ib^^ division vers
Devno, en lui soumettant Madatoff et Dellingshausen, mais comme cela ne pourra
etre qu'en rasant les redoutes, cela ne pourra ainsi s'effectuer que demain
la nuit entre le 13 — 14.
Si je trouve chez Dellingshausen quelque chose de plus rassurant, je
Vous enverrai un expres, sinon je ne Vous ecrirai que de Varna. II y a ici los
bataillons de marche de la 8« et 18c Division, celui de la 19^ est parti deja
en partie, je crois quMl faudrait lui donner Vordre de s'arrcter a Jenibazar
et renforcer le poste d*ici de Bazardschik, car il n'y a que 250 hommes.
Kouscheleff vous dira le reste de bouche, car je dois me depecher, on
n^attend (sie! für n'entend) pas tirer du cote de Varna. C*est avec le plus
profond respect que j'ai l'bonneur d'etre
Monsieur le Marechal
Votre tres humble et tres obeissant serviteur J. Diebitsch.
Kosloudji le 12 sept. a lOheures du matin.
Ganz orginal. Werki.
Wittgenstein an Diebitsch.
pres de Choumla, 13 sept. 1828.
Je viensde recevoir Votre lettre, eher ami, qui m^a fait bien de la peine, c'-
est bien malheureux que tous les echecs quenous avons eus proviennent
442 Anlagen zu Kapitel VIII.
toujours des fautcs impardonnabies des chefs ä qui Ton confie
le comro an dement. Comment est-ce que M. Zaiuski a pu abandonner
Pinfanterie a eile seule Sans canons. Cela a du causer du chagrin ä S. M.
l'Emp. voyant perdre mal ä propos une grande partie d^un de ses plus
beaux regiments. Du reste se sout les choses de la guerre, Ton a du boo
et du mauvais, et quoique c'est tres desagreable, cela n'aura aucune influence
sur nos Operations. L'essentiel est qui*l faut accelerer la prise de Varna.
Je suis dans Popinion de tenir la position devant Cboumla comme eile est
dans ce moment. (Das Weitere militärisches Detail.)
Votre tres devoue Comte Wittgenstein.
Wojenno utschenny archiv. 5322.
Diebitsch an Wittgenstein^ a bord dn Paris^ 13 Sept 1828*
Monsieur le comte.
Vous verrez par le contenue de mon office ci-joint, que nos esperances
sur le resultat du mouvement du Prince Eugene ont echoue. Sa Majeste ne
voulant pas risquer d'employer de Tautre cut^ du Liman le reste de la Garde
qui se trouve devant Varna, on ne saurait renouveler pour le moment notre
tentative; et Parrivee ici de la d^ brigade de la Id^ division devient de la plus
vive urgence.
Notre non-reussite contre Omer-Vrione, de meme que la Prolongation
si inattendue du siege de Varna, obligeront probablement a nous contenter
de la prise, avec Taide de Dieu, de cette place et a remettre nos desseins
sur Cboumla.
Mon office Vous exposera les ordres de TEmp., il est surtout a desirer que
les mesures les plus efficaces soient prises pour faire passer prealablement
nos malades, nos parcs et tout notre train, de meme que Tartillerie de reserve
trop faible.
Veuillez, Je Vous prie, nous donner le plus tot et le plus souveot que Vous
pourrez des nouvelles sur vos dispositions, tant pour le mouvement de la
brigade de la 19® Division et posterieurement de tonte la 18® division, que
pour les autres articles. Je ne puis Vous ecrire en detail, car venant de revenir
de notre detacbement de Galata, je suis bien fatigue, et dans une heure il
me faudra y retourner.
Agreez etc.
de Votre Excellence
le tres devoue serviteur
I Diebitsch.
Nur die Unterschrift autograph. Werki.
Nikolai an Constantin.
vom Linienschiff Paris, 1/13 Oct. 1828.
Meldet die Einnahme Varnas. L'effet de la derniere attaque a teile-
ment frappe par son hardiesse la garnison que des le soir meme ils ont
demande ä capituler, et cela s^est passe de la maniere la plus extraordinaire
Anlagen zu Kapitel VIII. 443
possible. L'un des cömmandants, Joussuf Pascha, est venu luimeme au nom
du Capitaine Pascha traiter dans notre camp les hostilites durant, ce qui
expressement avait ete stipule: il se rendit prisonnier de guerre avec tous
les siens et fit communiquer la chose au Capitaine Pascha, qui fit des diffi-
cultes et desavoua son camarade; celui-ci indigne de se voir traite ainsi,
refusa de rentrer dans la place et vint la nuit meme s'ctablir cbez uous, et
envoya Tordre ä ses troupes de sortir immediatement de la place; elles
obeirent avec empressement, et furent suivies de presque la totalite des autres
troupes. Le Capitaine Pascha fut attaquö en attendant par les sollicitations
des habitants qui ne voulaient plus ni se defendre, ni voir la defense finir
par leur entiere destruction; alors il s^enferma dans la citadelle avec ce qui
lui restait de son propre monde. Le matin, quand j^arrivais au camp, je vis
la scene la plus eztraordinaire possible: Joussuf-Pascha avec un tas des siens
etabli dans notre quartier general le plus amicalement du monde; puis plus
loin, un corps de pres de 3000 Turcs armes a pied et a cheval, approchant
tranquillement, escorte par des Hussards de la garde et quelques peletons
d'infanterie, s'arreterent devant la \^^^ brigade de la garde, sous les armes;
puis un officier de Joussouf Pascha, assis sur une caisse de tambour a nous,
faisant approcher un ä un tout ce monde et rendre les armes a un bas
officier Preobrajenskij et cela avec le plus grand calme et Tordre le plus par-
fait. Pendant ce temps, les ]3>ne et 14me chasseurs garnissaient les breches et
le front d'attaque, et les regiments Simbirsk et Nisofskij avec les sapeurs de
la garde et le regiment Ismaiiow entraient par les autres ouvertures et portes!
Enfin apres quelques pourparlers, le Capitaine Pascha se rendit prisonnier
de guerre avec tout ce qui lui restait So sei Varna gefallen; bien plus forte
et plus grande que nous ne le supposions et qui nous eut coüte un monde
prodigieux si meme nous eussions pu reussir ä un assaut reel, ce qui presque
eut ete impossible. 160 Kanonen, dazu 60 Fahnen erbeutet. Je fais hommage
k. Varsovie de 12 pieces comme Souvenir historique remarquable, car il est
particulier que ce fut une armee russe avec un Roi de Pologne qui fut venue
venger la mort d'un autre Roi de Pologne; j'ai cru la chose convenable et
pouvant faire plaisir au public: Gestern tedeum vor dem türkischen Lager, es sind
etwa 5000, ils sont tranquilles et amicals avec nous. lls m'ont dit avoir ete
22 m et ils ont perdu 20 m tues morts et blosses. Der Anblick der Stadt
fait horreur et pitie et Ton ne peut ne pas les admirer, car la defense a ete
süperbe. J'y ai ete a Feglise cathedrale et avec un sentiment difficile k
decrire. II y a 7 eglises grecques.
Hauke, mit dem N. sehr zufrieden ist, wird ihm von den kühnen russi-
schen Belagerungsarbeiten erzählen. Auch alle anderen polnischen Offiziere führen
sich vortrefflich. Notre voisin Omer-Vrione, voisin qui nous a assez inquietes,
est parti hier dans la nuit et a repasse le Kamtschik. Notre campagne parait
finir, du moins nous ne pouvons plus rien entreprendre qu'ä finir le siege
de Silistria, remettre en etat de defense Yarna et retablir les troupes. Je
pars demain pour tacher d'arriver ä Petersbourg pour la fete de ma mere.
Michel reconduit la garde jusqu'au Danube d'oü il va nous arriver. Je vous
renvoie Rudukin avec un tambour des troupes regnlieres du Capitaine
444 Anlagea za Kapitel VIII.
Pascha; il vous amusera un moment . . . Möge Oott nous dispenser d une
seconde campagoe. Freut sich, die Kinder wiederzusehen. Große, Versicherungen.
Nicolas.
intwort Diebitschs auf den Brief des Grafen Wittgenstein
vom 13. Januar 1829.
Pet s. d. nach dem Konzept. Wojenno utschenny arebiv. 5322.
Mr. le Cte.
Des la reception de Vtre lettre du 13 Janvier je me suis empresse de
la soumettre a S. M. l'Emp.
S. M. bien loin d'etre fache de la franchise avec laquelle Vous parlez,
M. le C^, vous en sait d'autant plus gre, quelle Vous l'avait demand^. Mais
S. M., tout en rendant justice a plusieurs raisons deployees dans Votre plan
de Campagne, croit cependant: qu'en reduisant les garnisons des
place s couvertes deja par les mouvements de Tarmee au strict necessaire,
ainsi que le nombre des troupes destin^es pour les Principautes,
qui auront une ligne beaucoup plus courte ä defendre des que Silistrie sera
prise — on pourrait considerablement augmenter les troupes destiuees a agir
au dela du Balkan. Elle ne voit pas non plus le moyen de remplir
dans Tetat actuel des choses Votre desir de completer les forces de l'armee
active par l'envoi de la garde dans les principautes et ne peut pas
abondoDuer le desir de se procurer dans le cours de la campagne un pied
ferme au delä du Balkan.
Gomme donc Votre lettre, M. le Cte, prononce une r^solution
definitive de Votre part de ne pas pouvoir prendre la responsabilite de la
campagne avec les moyens que S. M. ne saurait augmenter actuellement
d'apres Ses vues gcnerales, cette resolution paraissant clairement indiquer
Votre d^sir de se voir decharge du commandement sous de pareilles circon-
stances, S. M. se voit avec peine forcee de penser a organiser un
nouveau commandement de l'armee, tout en rendant pleine justice a Votre
franchise et k la loyaute de Vos sentiments, pour lesquelles Elle m'a or-
donne de Vous exprimer ses sioceres remerciements. Les arrangements neces-
saires a prendre pour un changement aussi iroportaut ne permettent pasä
S. M. de Vous en faire part a present, et je serai vraisemblablement le
porteur de seS resolutions definitives, esperant pouvoir partir dans le cours
de la semaine prochaine.
S. M. est persuädee qu'en attendant tous les pröparatifs pour la cam-
pagne prochaine seront pousses avec la plus grande vigueur et d^sire surtout
que Vos soins particuliers se portent sur les approvisionnements dans les
Principautes, sur les moyens k se rendre maitre de la peste, et sur les mesures
necessaires pour le passage du Danube et le siege de Silistrie.
Esperant en peu de semaines Vous parier sur tout avec plus de
details, je Vous prie, M le Cte, de bien vouloir agr^er les assurances de
l'estime profonde et du devouement sincere etc.
Anlagen xu Kapitel IX. 445
Kapitel IX.
Aufzeichnung Teils. Bemhardlscher Nachlaß.
a St Petersbourg le 28 de Novembre 1828.
Ayaut ete appele par Sa Majeste TEmpereur, lore de son retour de la
2me armee au mois d*Octobre 1828, pour me rendre ä Petersbourg, j^y fus
invite le 19 de Novembre a une Conference qui eut Heu chez S. M. l'Empereur
ä son palais d'Anitzkoff. — En m^y rendant vers les 9 heures du soir, j*y
rencontrais le C^ Ketsch ubey, le C^ Nesselrode, le Ct« Tolstoy, le G^
Wassiltschikoff et le C^^ Gzernyscheff. — Apres une demi-heure de temps,
nuus fümes introduits dans le cabinet de TEropereur. Sa Majest^ en nous
adressant la parole, nous parla du but de noire reunion, et nous recapitula
avec une clarte et une franchise vraiment touchante, la campagne qui venait
de se terminer et Tetat desastreuz de notre armee. Ge noble langage et la
confiance que Sa Majeste mettait en nous, desirant savoir notre opinion sur
les moyens et les mesures a prendre pour la campagne procbaine, nous
imposaient un saint devoir de repondre k son attente. Les discussions qui
s'entamerent la dessus ne furent d'aucun r^sultat decisif. J'avais Tbonneur
d'exposer mes idees, dont le principal sens etait d*employer de grands moyens
pour terminer la guerre dans une, ou tout au plus dans deux campagnes, de
tächer de passer les Balkans et menacer Constantinople. Kotschubey, Nessel-
rode et WassiltschikofT se rangerent de mon cote et soutinrent la meme cbose.
L'Empereur s*opposa ä ces id^es, croyant qu'en s*eloignant au dela des
Balkans, nous nous exposions ä revenir sur nos pas, puisque TAutriche, qui faisait
des preparatifs de guerre, pourait tomber dans la Podolie et la Moldavie, et qu*en
coDsequence, etant oblige d'avoir une forte armee sur les fronti^res d'Autriche,
il serait a son avis beaucoup plus sage de se bomer aux sieges des places du
Danube avec les moyens qui sont k notre disposition. Les comtes Tolstoy et
Czernytscheff parurent goüter ce raisonnement. Nesselrode prit la parole en
exposaot a TEmpereur les suppositions peu fondees sur les armements de
TAutricbe. Je continuais k soutenir le defaut d'une guerre defensive a laqnelle
on se r^duisait en se bomant aux sieges des places du Danube, et citait pour
exemple la deruiere guerre, dans laquelle six campagnes consecutives, le change-
ment de deux souverains, la brillante defaite de Batyu, n'out pu ameuer la paix
sans Pintervention de TAngleterre, et que pour eviter une guerre de ce genre, il
faudra francbir les Balkans et menacer la capitale; seul moyen d'atteindre par une
guerre courte une paix glorieuse. L'Empereur ne voulant pas prendre mes raison-
nements en consideration, soutint qu'avec le peu de moyens on ne pouvait pas
hasarder des exp^ditions si lointaines. — Peu apres tomba la conversation sur les
nouvelles de Parmee d'apres lesquelles Schoumla ne comptait plus que
10,000 h. de garnison, que les maladies dans notre armee augmentaient d'un
jour ä l'autre, et que le total des combattants sous les armes d^passait ä peine
105,000 hommes; que le premier complettement ne pourait arriver avant le
]er de Mars, ce qui ferait monter nos bataillons ä la force de 700 h. et nos
escadrons a 1.50 hommes tout au plus. Eofin le Cte Kotschoubey se reposant
sur les discussions qui eurent lieu, demanda ä S. M. L'Empereur la permission
446 Anlage zu Kapitel IX.
de permettre a cbacun de nous, d'exposer ses idees separement par ecrit, k
quoi Sa Majeste coDsentit. Peu de minutes apres oq se separa et chacun de
nous songea ä faire son memoire pour 1e presenter a^Sa M. L'Empereur.
Trois jours apres, ayant acheve mon travail, accompagne d'une lettre,
j'adressais mon memoire a L'£mpereur, dont voici le contenu.
Sire!
Obeissant aux ordres de Votre Majeste Imperiale, j'ai l'honneur de Lui
soumettre le sommaire de mes idees sur les Operations futures de la guerre.
— J'aurais cru manquer au plus sacre des devoirs si dans des circonstances
aussi graves je ne tenais le langage que je crois etre celui de la verite. Que
Votre Majeste daigne ne l'attribuer qu'ä mon devouement a son Auguste
personne et ä mon zele pour le Service de la patrie. Ces deux sentiments
sont mes seuls guides dans la carriere que le sort m'a reserv^ de parcourir.
Je suis avec veneration, Sire, de Votre Majeste Imperiale le tres humble,
tres soumis, et tres fidele serviteur et sujet H. C. de Toll.
St. Petersbourg le 24 Novembre 1828.
Resume sur les Operations de la campagne procbaine contre
les Turcs.
Ayant eu Thonneur d'etre admis a la Conference que Sa Majeste L'Em-
pereur a juge a propos de reunir pour discuter sur les Operations de la
campagne procbaine contre les Turcs, j'y ai acquis la triste certitude que la
campagne qui vient de se terminer a laisse notre armee dans un delabrement
fäcbeux, tant ä cause des pertes du materiel de Tartillerie et de la cavalerie,
que pour le vide dans les cadres produit par les maladies. 11 ne m'a pas
ete moins penible d'appreudre que le gouvernement ne se croit pas en etat
de mettre sur pied pour Tete procbain une armee de plus de — a — hommes,
et cela uniquement parce que les moyens de faire subsister une plus grande armee
semblent lui manquer entierement. — L'on ne me contestera pas qu'en principe
general ce n'est qu'avec de grands moyens bien diriges que Ton peut se flatter
d'obtenir de grands resultats; les demi-mesures ne menent jamais qu'ä faire des
depenses dWtant plus ruineuses qu' elles se fönt en pure perte; d'ailleurs ä la
longue la somme de ces depenses, si eile ne depasse pas, atteint asseurment Celles
des moyens dont une expedition vigoureuse et decisive necessiterait la mise en
jeu une seule fois. — Nous n'avons que trop d'antecedents pour justifier
cette opinion. — Que Ton songe que dans la derniere guerre meme ni la
perte de toutes les forteresses du Danube (k Texception de Widdin), resultats
de six campagnes cousecutives, ni le changement de deux Souverains, occasione
par des rt'volutions survenues a Constantinople, ni la defaite eclatante de
Hatine, ni la capitulatiou du corps d^armee passe ä Slobodzea, n^ont pu lasser
la constance de la Porte Ottomane a soutenir la lutte; et si eile a consenti
enfin k couclure la paix en 1812, il ne serait pas raisonnable d'en faire bonneur
ä nos succes ci-dessus enouces, mais on doit Tattribuer uniquement ä Tentremise
de TAngleterre, et a fombrage que la puissance colossale de Napoleon donnait
a la Porte eile -meme. Si Ton examine avec attention les causes de la
Prolongation si ruineuse pour nous de cette lutte, l'on reconnaitra qu' elles ne
Anlage zu Kapitel IX. 447
tienuent qu' a la faiblesse des moyens que Ton n'a dcployes que successivement.
Les memes causes produiront encore infaiiliblement les memes resultats. —
Les Turcs envisagent les Balkans comme une barriere invincible contre toute
invasioQ serieuse de notre part. Tant que cette barriere sera intacte, les Turcs
ne songeront certainement pas ä la paix. 11s auront d^autant moins de raison
de le faire que roälheureusement notre declaration ipeme les rassure sur les
consequences fatales que, dans tout autre etat de cboses, leur obstination
aurait pu avoir pour eux. Ainsi toute menace d^une guerre de longue baieine
minerait nos ressources sans offrir aucune cbance de compensation. Ne
serait-il pas plus avantageux de faire quelques eiforts de plus, avec Tespoir
fonde d'en finir promptement et avant que les commerages europeens aient
miiris au point d'amener quelque dangereuse coalition? Or une guerre
conduite avec vigueur et decision exigerait les conditions suivantes: — 1^) un
grand dveloppeement de forces militaires respectables, pour etre ä meme de
porter des coups decisifs.
2^) Un approvisionnement de tout genre bien organise, en raison de ces
forces.
3^) Le cboix d\ine bonue ligne d^operation, et Pemploi des forces princi-
pales sur le point decisif.
Dans la Conference qui a eu lieu, j'ai pu remarquer que le 93°*^ recrute-
ment ne suffira pas pour mettre les bataillons de Parmee de Turquie au grand
complet de 1,000 h. par bataillons, et que Ton n'etait nullement intentionne
de faire renforcer la 2® armee par les 13^0^ I4me et 15n»e divisions du b^^ corps
et par la \2"^^ du 4^^ corps; de sorte que, les bataillons ne pouvant etre au
printemps qu'a 700 hommes et les escadrous a 150, le total des forces ne
repondrait guere ä la premiere condition.
Le second point ä mon avis ne devrait pas souffrir de difficulte, si Ton
se prenait d'avance pour organiser un Systeme d'approvisionnement sur de larges
bases. Les provinces meridionales de la Russie ofTrent d'immenses ressources,
et la mer Noire, oii nous dominous sans partage, nous procure une voie de
communication, qui (ne) pourrait etre que momentanemeut troublee par les
vents contraires. Les points de Varna et de Kistendgi, et plus tard celui de
Bourgas, serviraient de priocipaux entrepots pour alimenter Tarmee. Quoique
cette circonstance mette ä notre disposition la bonne ligne d'operation qui
longo le littoral entre Varna et Bourgas, il serait de la plus grande importance
d'en ouvrir une seconde, de Silistria sur Schoumla. La possession de ces
deux places, sous le rapport strat^gique, deviendrait fort interessante, puisque
non seulement eile nous procureraient une seconde ligne d'operation, mais
eile couvriraient encore tout le pays compris entre Tourtoukay et Varna, et
assureraient parfaitement nos Communications avec notre base du Danube.
En outre, notre garnison de Schoumla, qui serait forte de 10,000 h., tiendrait
en respect tout le pays entre Roustschouk, Ozmanbazar et Kasane, et nous
debarrasserait de la necessit^ d^assieger Roustschouk, place qui d'apres mon
avis sort entierement du cercle des Operations de l'armee agissante au dela
du Danube. Sous le rapport moral, le point de Schoumla est bien plus
important, puisque les Turcs l'envisagent comme le principal boulevard de leur
448 Anlagen zu Kapitel IX.
Empire. II est meme tres probable que la chute de cette place ebranlerait
Tenflezible Mahmout lui-meme et peut-etre nous procurerait-elle la paiz. Si
au contraire il s'obstinait ä poursuivre la guerre, la nouvelle base d'op^ration
qui, s'appuyant sur Varna et Schoumia^ et qui serait bien preferable a celle
du Danube, puisqu'elle s'alimenterait plus facilement du point de Varna, nous
donnerait encore les moyens de faire hiverner une partie de notre armee au
delä des Balkans, entre Bourgas et Karnabat
L'opcration proposee dans la Conference, de prendre a revers la ligne
de defense du Kamtschik, en faisant descendre la flotte avec une division
d'infanterie vers Bourgas, serait d^apr^s mon avis completement infructucuse.
Toute Operation isolee, dirigee sur les derrieres de Tennemi par un faible
Corps Sans communication avec l'armee principale, ne peut etre dangereuse que
pour ce Corps, qui s'expose au peril les plus imminent. Si Bourgas a ete mis en
etat de defense, il est probable quMl s'y trouve une garnison de 4 ä 5 mille
bommes. Supposons meme qu'en operant une descente pr^s de cette ville
Ton s'en rendrait maitre. Le detacbement qui en deboucberait pour prendre
ä revers Pennemi poste sur le Kamtschik aurait encore une distance de pres
de 70 werstes ä parcourir, et pendant cette marche il risquerait d'etre ^crase
par les forces superieures que Tennemi dirigerait contre lui. Si Tetat de la
cote le permettait, il serait plus avantageux d^op^rer le debarquement dans le
voisinage ä 4 ou 5 verstes de Tembouchure de Kamt^cbik afin que Tarmee
principale put agir simultanement avec la division detacbee. Quoique pour
operer avec avantage il ne faudrait pas moins de — bommes au delä du
Danube, malheureusement il parait que pour la campagne procbaine Ton ne
doit compter que sur 120,000 combattants. En d^duisant de ce nombre le
Corps de Langeron compose des 5«»« et 17™« divisions d'iofanterie et la 1«"©
des Dragons avec leur artillerie, Tarmee au delä du Danube serait ä peu pres
de 100,000 bommes. II ne resterait plus alors pour remedier ä la faiblesse
des moyens qui seraient ä notre diposition, que de se tenir constamment bien
ensemble et eviter sur toutes choses la faute grave de la dissemination des
forces, qui a ete l'une des causes les plus iofluentes du mauvais succes de la
campagne qui vient de se terminer. Si les nouvelles que Ton a sur la faiblesse
de la garnison de Schoumla se confirmaient, et que dans les premiers jours de
Mars eile nVtait pas plus de 10,000 bommes, ce point deviendrait le premier
but de nos Operations. A cet effet Ton reunira en toute diligence de — ä —
bommes, et sans atteudre le reste des forces qui doivent composer l'armee,
Ton marchera sur Scboumla, que Ton tächera d'emporter de vive force. Je
crois meme quMl ne serait peut-etre pas impossible d^emporter Schoumla par
surprise pendant Phiver. Les consequence de la reussite d^une teile entreprise
seraient d'une si haute importance pour uous, quUl ne faudrait pas negliger
de la tenter, pour peu que Pon trouve jour ä pouvoir le faire. Ainsi je pense
qu'il serait convenable de faire passer sur-Ie-cbamp des ordres eventuels au
G<^1 Rott pour quMI guette Toccasion favorable d'executer ce coup de main.
Afin de ne pas risquer de laisser echapper le bon moment, il faudrait accorder
une grande latitude ä ce general, qui agirait ou n^agirait pas, comme il le
Anlagen zu Kapitel IX. 449
jugerait ä propos, et sans etre astreint a demander de nouveaux ordres.
Seulement il ne serait pas inuüle de lui rappeler quMl n'est pas question
d'occuper momentane ment Schoumla, mais de s'y etablir solidement, et que
consequ^ment il ne doit pas perdre de vue d'apporvisionner abondamment la
garnison qu'il laisserait ä Schoumla.
Si Schoumla n^etait pas pris pendant Thiver, et qu* ä Touverture de la
campagne larmee qui s'en approcherait y trouverait l'ennemi tellement en
force qu'il serait hasardeux de l'y attaquer, eile qiiitterait les environs de
Schoumla, et se dirigerait vers Silistria qu'elle assiegerait ayec 20,000 h.,
tandis qu'un autre corps de 20,000 h. couvrirait le siege. Les 20,000 restants
se replieront sur Pravody et demeureront en attitude defensive bas^e sur
Varna, en attendant la jonction des 40,000 hommes qui, venant de llirsova,
oü il faudra etablir un pont, devront completer l'armee active. Ces 60,000 h.,
independamment de l'aile droite occupee devant Silistria, laisseront un corps
d'observatiou de 10,000 h. entre les routes de Pravody et de Kosloudgi, et
detacheraient une division sur la flotte pour la descente dont il a ete mentionn^
plus haut Le gros des forces d^boucherait vers le Kamtschik par les deux
routes de Pravody sur Aidos et de Varna sur ßurgas. L'on tächera de
s'emparer le plus promptement possible de ce dernier point, afin d'y etablir
sans delai le grand entrepot destine a alimenter l'armee qui franchirait le
Balkan. La flotte secondera les Operations de cette arm^e, et aura a sa suite
une grande quantite de bätiments de transport, pour verser dans Bourgas tous
les approvisionnements necessaires (tout au rooins pour un mois) pour une
armee de 50,000 hs. — Les evenements subsequents de la campagne dependront
de l'epoque de la reddition de Silistria, qui, d'apres les donnees recueiilies dans
la Conference, ne ])eut avoir Heu avant un mois de tranch^e ouverte.
11 est k supposer qu'au mois de Mai la garnison de Schoumla pourra
etre renforcee jusqu'a '— ä — hommes par les contingents que les differents
Paschas seront a portee d'y envoyer. Assieger cette place avec les faibles
moyens que nous possedons, serait une Operation sans chance de succes
probable. Apres la prise de Silistria, un corps de 25,000 plac^ entre Pravody
et Jeoybazar serait süffisant pour observer Schoumla. Ce corps devra avant
tout choisir un bon camp, qu'il retranchera avec soin. Toutefois il ne devra
pas s'y teoir constamment enferme, mais il manoeuvrera continuellement dans
les environs, atin de conserver une attitude offensive. Le camp retranche lui
servira pour ainsi dire de base d'operation, et il s'y retirera toutes les fois
que les circonstances l'exigeront. Les 10,000 h. laisses a Pravody, aiusi que
l'excedant des corps precedemment employes devant Silistria, rejoindront le
gros de l'armee en marche sur Karnabat, que l'on mettra en etat de defense
ainsi qu' Aidos.
Observation. Comme le succes d'une guerre repose en grande partie sur
un approvisionnement bien orgfanisc, il faudra — P) profiter de Thiver pour
amasser une graude quantite* de vivres en biscuit, ^ruaux et avoine a Odessa
Nikolaieff et Sewastopol et — 2^) Se procurer sur ces trois points pour le
moius GO. batiments de transport, qui seraieut destiues a rameuer k l'armee
Schiern an n, Geschieht« Rußlands. II. 29
450 Anlagen zu Kapitel IX.
)es soldats sortis des hopitaux et a ravitaiiler les magazins etablis ä^Kistenji,
Yarna, et plus tard ä Bourgas. Outre ces mesures, les 2,000 cbameaux que
l'on possede d^ja, avec les voitures bouvi^res, composeront les magazins
ambulants de l'armee.
Les presses hydrauliques ') pour le foin seront ctablies k üirsova et a
Odessa, oü l'on amassera d'avance tout le foin qu'on poura se procurer, afin
que ces presses arrivees sur place, puissent sans delai commencer leur trayail*
D'Odessa on expediera le foin presse ä Varna et plus tard a Bourgas, et de
Hirsoya sur les points de notre principales ligne d'operation basee sur le
Danube.
Dans une guerre contre les Turcs les partisans sont indispensables.
Non-seulement ils assureraient nos propres Communications, mais ils nous
procureraient encore Timmense avantage d'avoir des renseignements sur les
moayements de l'ennemi et nous mettraient ä mcme de le prevenir partout
en conservant Toffensive sur lui. On n'a qu'a conüer le commaodement des
partis k des officiers experimentes et entreprenants. Ces partis seront
compos^s de 1,000 ä 2,000 chevaux avec quelques pieces d'artillerie a cheval
et quelques fantassins montes sur des chevaux du pays ou pris sur l'ennemi.
— N'oublions pas les beaux faits d'armes de Seslavin, Davidoff, Madatoff et
de tant d^autres, auxquels notre armee dans la guerre europeenne a du une
partie de ses succes.
Gonclusion. Puisque 1' Antriebe ne cesse de nous inquioter par les
armements qu'eile continue a faire, je pense qu'il est de la dignite comme de
la suret^ de la Russie de lui prouver que nous sommes preis partout de
repousser la force par la force. A cet effet l'armee polonaise ne bougera pas
de ses cantonnements actuels. Le corps de Lithuanie se concentrera en
Volhynie. Le l^^ corps dans le gouvernement de Grodno. Les 2^^ et 3™<^
divisions des grenadiers, la U^ des cuirassiers, dans les environs de Vilna et
de Minsk. Les 2°>o et 5°^^ corps de cavalerie de reserve dans les environs
de Jitomir et de Berdytcheff. Les 13™«, 14™« et 15™« d'infanterie du 5™«
Corps d'armee et la 12™« du 4™« corps avec leur artillerie fourniraient la
reserve de cette armee, qui monterait a une masse de 200,000 combattants.
Les bataillons de reserve du l«r et 2™« corps, formant un total de 36
bataiilons (ä 600 hommes) d'une force de 21,600 h., et la 1er« division des
lanciers renforceraient en partie le corps de Finlande, et occuperaient Reval,
Riga et les autres points de la cote. Aux deux regiroents de cosaques qui se
trouvent maintenant en Finlande on pourrait joindre encore deux regiments.
Les Operations de l'armee victorieuse du Caucase sous les ordres du
C^ Pask^vitsch d'Erivan, bien qu'accessoires dans la grande lutte oü nous
nous sommes engages contre la Porte Ottomane, doivent neanmoins conserver le
caractere offensif. 11 faudra donc mettre cette armee au grand complet, afin
que non - seulement eile puisse garder ses conquctes, mais qu'eile ne cesse pas
meme de se montrer mena^ante en Asie.
*) conf. ßlaramberg: Erinnerungen. Berlin 1872. Bd. 1.
n
9
Anlagen zu Kapitel IX. 451
D'apres ud calcul aproximatif, en comptant les bataillons a 700 bommes,
les regicnents de cavalerie a 4 escadrons de 150 b., les compagnies d'artillerie
h 8 pieces de 100 ä 150 b., la force de l'armee sera:
2me Corps d'armee
2me de Uussards 2,400 hommes
4nie d'Infanterie 8,400 „
Gme idem 8,400 ,
4me et 6me brigades d'artillerie ä pied 720 ,,
une brigade d'artillerie ä cheval 320 „
total 20,240 bommes
3me Corps d'armee
3mo di Vision de Uussards 2,400 bommes
7nie d'Infanterie 8,400
8n»e idem 8,400
9me idem 8,400
7me, 8me 9me brigade d'artillerie a pied 1,080
une brigade d'artillerie ä cbeval 320 „
total 29,000 bomoöes
4ine Corps d'armee
Ire di Vision de cbasseurs a cbeval 2,400 bommes
lOme division d'Infanterie 8,400
llme idem 10,800
lOme et llme brigades d'artillerie ä pied 720
une brigade d'artillerie a cbeval 320
total 22,640 bommes
6me Corps d'armee
4me division des Lanciers 2,400 bommes
16me division d'Infanterie 8,400
16me brigade d'artillerie ä pied 3C0
une brigade d'artillerie ä cbeval 320
total 11J480 hommes
7me Corps d'armee
division des Lanciers du Boug 2,400 bommes
18»e division d'Infanterie 8,400
19me division d'Infanterie 8,400
18nie et 19nie brigades d'artillerie a pied 720
une brigade d'artillerie a cbeval 320
total 20,240 hommes
Corps du C^ de Langeron
Ire division des Dragons 2,400 bommes
5me division d'Infanterie 8,400 „
17nie division d'Infanterie 8,400 „
5me et 17me brigades d'artillerie a pied 720 „
une brigade d'artillerie k cbeval 320 „
Oosaques du Don, 4 regiments 1,600 „
total 21,840 bommes
29*
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n
n
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tl
452 Anldgen zu Kapitel IX.
Equipages de pontons, sappeurs et pionniers 5 bataillons . 4,50() hommes
20 regiments de Cosaques 8,000 ^
total 12,500 bommes
R^capitulation
2ine Corps d'arm^e 20,240 bommes
3me idem 29,000 „
6me idem 22,640 „
7ine idem 11,480
Corps de Langeron 20,240 „
pontons, sappeurs pioniers 4,500
Cosaques 8,000
total 137,940 bommes
En deduisant la T^e partie pour les malades .... 19,705 „
il en reste 118,235 bommes
Wiener Archi?. Rußland. Weisnngen. 1829.
(Hanpt-Instrnktlon) 1829. 17 Janrier.
Supplement zur Haupt-Instruktion für den Grafen
Fiquelmont vom 17. Januar 1829.
Seconde Note supplcmentaire aux Instructions pour S. E. M.
le comte de Fiquelmont.
Je crois devoir vous signaler encore deux difficultes ä une procbaine
paix eutre les puissances belligeraotes; Tuoe reutre dans le domaine de la
politique, — Pautre dans celui des amours-propres; ceux-ci ont joue un trop
grand role dans les evenements des dernieres annees pour que nous puissions
les ^Carter de nos calculs.
La premiere difficulte tient h la pretention du Divan, instruit par Tex-
perience d'un siede, de ne conclure desormais de trait4 avec la Russie que
sous une espece de garantie generale de PEurope; c'est-a-dire un traite oü
les comptes des deux cotes se trouveraient detinitivement soldes, oü il n'en
restät point ä re viser par d'ult^rieures n^gociatious, oü la Turquie n^eüt pas
ä redouter de querelle ou de nouveaux empietements de la part de la Russie.
Cr, Tempire de la necessit^, exercera-t-il un tel ascendant sur les conseils du
Cabinet de Saint- Pete rsbourg quMl se prete ä une deviation de son Systeme
ancien et inyet^r^, — d'un Systeme qui lui a valu d'innombrables avantages, —
d^un Systeme dont la conservation est peut-etre le seul et yeritable but de U
guerre; qu'il se prete enfin a conclure une paix finale et ä associer les
gouvernements europ^ens k des int^Tets et a des transactions qu^il a ^te aussi
jaloux jusqMci ä derober meme a leur connaissance? II faudrait mienx con-
naitre que nous ne le faisons, jusqu'ä quel degre dVtendue et d^urgence
s'elevent ces necessites, pour juger si leur ?oix predominerait sur une autre
marcbe, — sur une marche injuste et vicieuse saus tloute, mais a laquelle la
sanction de pres d'un siecle a imprime aux yeux d^une grande majorit^ des
Kusses un certain caractere de legalite, dont cependant tout esprit dn»it con-
teste l'existence.
Anlagen zu Kapitel IX. 453
La seconde difficulte, qui porte sur les amours-propres, tiendrait a Tini-
tiativo que devrait prendre une des deux puissances pour se rapprocher de
Tautre. — Esperer une premi^re demarche du cote de la Porte, serait, je le
crains, caresser une Illusion; l'espörer du cote de la Russie, serait viser
a rimpossibilite; car ce serait une tacbe que Torgueil national pardonnerait
moins que la perte d^une province et qu'il chercherait bientut a effacer. Et
cependant jusqu'ici la Russie d^clare ne point youloir d'intervention etrangere.
Si cependant eile etait serieusement decidee ä la repousser, s^ouvrirait — eile
comme eile le fait, enyers la France sur les conditions d'une paix? II sW-
suit, ou bien qu'elle ne se refuserait pas ä une Intervention de fait, pourvu
qu'elle ne fut pas nominale, et qu'elle la desire meme; — ou bien que ces
demonstrations pacifiques n'ont d'autre but que d'apaiser les inqui^tudes de
TAngleterre et de la France sur une seconde campagne, jusqu'a ce que la
Russie ait gagne les six mois dont eile a besoin pour se refaire de ses pertes,
et de se menager a la fois la r^putation de generosite, qui est si ^minemment
utile pour voller ses veritables vues.
Wiener Archi?. Bnßland. Weisungen. 1839. 20 Ferner.
AnDexe a la depeche secrete an Fiquelmont in Petersburg
vom 28. März 1829.
L. Heytesbury to lord Cowley in Vienna.
Private and confidential.
St. Petersburg, 20. Februay 1829.
By the Chancery of State.
I have to acknowledge and thank you for two letters; the one forwarded
by Fiquelmont, the other by an austrian Courier.
To begin with the first, and first with the Memoire. It is very
possible, that we may have been technically wrong in the denomination of the
paper; but 1 presume, it will hardly be denied at Vienna, that two severe
attempts were made, to lead the greater courts to a general Intervention betweeu
Russia and the Porte. I do not mean an armed intervention, nor was the
Word armed ever made use of in any complaint from hence, but such an
intervention, as would enable Austria, to play a part in the negociation, and
exactly that part, which Russia will, with difficulty, grant her.
The exhibition of official correspondence is never conclusive. You and
1 have been too long in the trade to be Ignorant of this. I have no doubt
but that every thing was, as it ought to be, in the letters to and from the
Intemuncio, which were communicated to you; but can you be sure, that
every letter was communicated? 1 pray you however not to run away
with the idea, that this government suspects Austria of wishing to
proloug the war. On the contrary it is persuaded, that no government has a
greater interest in the restablishmeot of peace, or a greater desire to procure
it. What it does suspect is, that Austria wishes a peace after her own
454 Anlagen zu Kapitel IX.
fashion, and above all to be first in tbe negociation. Is this a ^ery unna-
tural supposition?
I can hardly belieye you serious, wben you talk of tbe force of public
opinion in Austria, and its influence upon tbe public Journals; and wben
you compare tbe articles pubiisbed at Vienna witb tbose publisbed at London
and Paris. In London and Paris tbe press is independent of tbe goyemment,
and its production carry no weigbt, but in as mucb as tbey may be
supposed to ezpress tbe opinions of tbe many. At Vienna not acomma
is inserted in a gazette witbout tbepreyious approbation ofHess.
Qentz, Lebzeltern and Pilate, and consequently all articles, publisbed
tbere assume quite a different cbaracter. You say tbe Anti-russian feeling
is beyond tbe control of tbe government? It may be so, and equally so is
tbe Anti-austrian feeling bere. But surely tbat would not be beld to justify
tbe publication of articles tending to tbrow discredit on tbe austrian arros, or
on tbe goyemment of its italian proyinces, or on any otber subject, wbere a
yulnerable or sore side is offered?
As to tbe armaments of Austria a great deal more bas been said by
tbe russian agents tban by tbe govemment itself. Tbey baye neyer caused
any real alarm bere.
Your second letter is of tbe bigbest interest. Tbe Gonstantinople news,
wbicb it contains, is yery curions, but tbe Reis-Effendi bas entirely misrepre-
sented tbe late attempt to negociate. Tbe first oyertures came from
Constantinopel. Tbe danisb minister was formally instructed
by tbe Reis-Effendi, to ask: 1) Wbetber plenipotentiaries would be well
receiyed? 2) To wbat place tbey sbould be sent? 3) Wbetber an armistice
wonld be granted duriog tbe progress of tbe negociation?
Tbe flag of truce was dispatcbed witb tbe answer to tbese queries —
an answer of tbe most fayorable nature; and so persuaded was tbis goyem-
ment of tbe sincerity of tbe Turcs, tbat it bad actually named two
plenipotentiaries, to proceed to Akerman. Tbe Instructions of
tbese gentlemen were already signed by tbe Emperor, and tbey were
drawn up in so liberal, so moderade a sense, tbat in all probability tbe Turks
would not baye besitated an bour in subscribing to tbe conditions tbey
contained.
All tbe bopes, we entertained, feil to tbe ground from a yery unaccount-
able change in tbe ottoman Councils; but tbe negociation was not taken off
as tbe Reis-Effendi seems to baye insinuated to Mr. Hussar, for tbe want of
sufficient guaranties; nor was tbe sligbtest objection started to Ackerman as
tbe place of meeting Tbe Porte merely declared, tbat its plenipotentiaries
could not proceed to Ackerman 'tili tbe Emperor of Russia bad fully ez-
plained tbe conditions, upon whicb he was prepared to make peace — in
otber words, tbat tbe peace must be roade before tbe plenipotentiaries started.
Tbe britisb govemment was fully a wäre of all tbat was going on. Tbe
days of jealousy are gone by. I am yery mucb obliged to you for
requesting Prince Metternicb to instruct Fiquelmont, to sbow me Mr. Hussar's
report, whicb is extremely interesting and curious; and I beg you, to be so
Anlagen zu Kapitel IX. 455
kind as to tbank Bis' Highness for the communication. We roust now wait
to see, whetber Mr. Jaubart's own account of his Conference tallies with that
given by the Reis-Effendi to Mr. Husaar. I suspect, that it will be found to
▼ary from it very considerably. But the Turcs must be very much altered
since I had any thing to do with them, if they indulge in such long speaches,
as that put into the mouth of the Reis-EiTendi. Three or four pithy sentences
generaily formed the wole of a turkish harangue. I suspect, that Mr. Hussar
arranges his dish to suit the plate öf tbose, who are to feed^) on it. There
is notbing very turkish in it. It is more of a saut^ than^ a pilau').
It is remarkable with wbat pertinacity Mr. Hussar sticks to his text,
that the Porte will never consent to the intervention of Russia
in the affairs of Greece. It will not have escaped you, that this is in
direct contradiction to wbat you lately stated, to be the result of the prussian
ministers interview with the Reis-EfFendi.
Prince Mettemich will probably have told you, that the progress of
liberal principles in France and in other countries has excited a certain degree
of attention, not to say alarm, here. He will bowever, I think, deceive
himself, if be expects, to found upon this an influence over the Councils of
this country of the nature of that which he possessed in tbe time of the
Emperor Alexander. Tbere is a great wish here, to be well with
Austria, but none wbatever to go further. A more intimate cönnexion with
US is the general desire, both uf the nation and the govemment. This will
not be believed at Vienna Hill proofs be given.
A number of military echange» have taken place. Diebitsch has been
appointed to the command of the army with Toll, as chief of the staff, and
Boutourlin quartermaster general. The several corps are to be commanded
by Pahlen, Rudiger, Roth, Geismar, Rudzewity^) and Kischelew. Wittgenstein
and all the cid twaddlers are put upon tbe shelf.
Tbe Emperor is going for a few days to Finnland. A joumey to War-
saw for the purpose of holding a Diet, and taking the baths, is contemplated
in the spring. 1 hope, to profit of the moment to run home for a few weeks
for my family. Matuszewic is dellghted with the manner, in which he has
been received.
Believe me p. p.
Konstantin an Nikolai.
Warschau, den 2Si^P!fE^ 1827.
' 5. Oktober
Dank für den Brief vom 15./27. Schickt offiziellen Bericht über die
Prozeßangelegenbeit: „vous verrez la conduite ind^cente, pour ne pas dire
seditieuse, de la delegation du Senat d'ici et du President de la Haute Cour
I) Vorlage: feel, mit Blei in feed geändert
^ Vorlage: sante und pillace.
') oder pilow = turk. Reisbrei.
*) Sic!
456 Anlagen zu Kapitel IX.
nationale; je vous ai dej4 fait mon rapport anteriearement de ce que la dite
delegation trouvait inutile l'envoi de la dolegation de notre senat et de nos
prisonniers d'etat pour les confrontations, pretendant que Ton pouYait s'en
passer. Des que ia dite delegation est arrivce ici, la delegation de ce pays-ci,
s'est sentie comme de raison controlee par la notre, et la voyant entrer tout de
suite en besogne activement et avec energie, a chercbe tous les moyeus pour
ralentir sa marche, et trainer l'enquete au long, d'apres ce qu'elle fait depuis
4 mois, les documents leur ayant ete repris et rendus ä la notre, celle-ci a
pousse son travail de teile sorte qu'elle est ä la veille d'achever. II fallait des
confrontations, le Pce Troubetskoi requit de moi le L. Col. Kryjanowski: je
fais un papier a son sujet au president de la haute Cour, et en l'invitant de
nommer un senateur pour l'assister et etre temoin des interrogations qu'on
lui ferait subir. Au Heu de cela le President me repond d'une maniere tres
peu respectueuse et me dit entre autre, qu'ayant prete serment il ne pouvait
l'enfreindre sans etre coupable, comme si moi je pouvais chercher ä le lui
faire, et plus bas, il s'exprime avec un ton de möpris sur le compte de notre
delegation qui eut et^ de meme inconvenant envers le plus petit tribunal. Lui
ayant fait faire par le G. Kourouta, ä trois reprises, des remontrances des plus
serieuses, cette vieille ganache n'a pas demordu de son opiniätret^ meme lorsque
je Tai averti qu'il peose aux suites et que j'en ferai mon rapport. En attendant
j'ai dit au Pc« Troubetzkoi de passer outre, et de faire comparaitre Kryja-
nowski, ce qui fut fait. Ce meebant drole repondit qu'il ne repondrait pas,
ne se reconnaissant pas justiciable par un autre tribunal que la haute cour
de ce pays et surtout n'etant pas accompagne par un senateur. Aujourd'bui
je Tai fait interroger par le Gl. Kourouta, il a donne la meme reponse et le
President a donne une semblable au dit gem'ral. II en resulte que les
Senateurs ne veulent pas venir et que le prevenu ne v^eut pas
repondre sans le senateur.
Notre delegation est ici d'ordre et poursuit sa marche d'apres vos in-
structions: le senat dMci ne la reconnait pas et commeuce par vous manquer
et n'obeit pas k Vos volontes, de plus manque d'egard a un s^nat Imperial
d'un pays auquel celui-ci est Joint et, en un mot, desobeit et montre l'exemple
d'un etat de choses qu'il ne faut pas laisser impuni ou meprise; de plus, la
vieille ganache de President m'a manque d'i'gards d'une facon trop
evidente. La delegation du senat d'ici travaille scule et interroge les accuses
a huit-clos et sans meme que le procureur s'y trouve, et Ton voit par les faits
que ces messieurs sont de connivence, puisque les reponses des senateurs et
des accuses sont les memes. Veuillez vous ressouvenir de ce que je vous ai dit
ä mon depart de Petersbourg et de ce qui arriverait, les faits vous le prouvent
maintenant que trop evidemment; c'est un parti pris chez eux et puis le sot
patriotisme, la popularite et l'opinion publique d'apres leur entente fönt
le reste. Michel Radziwil, le president de la delegation, est le beau fils de
K(niazewicz) Tischewicz (sie!) et plus ou moins parent avec tout le gouveme-
ment de Grodno et proprietaire de Swislocz ou il y a un gymnase, dont les
eleves ont eu plusieurs des societes secretes entr'eux. Ces deux sont de nos
provinces et d'un tres mauvais esprit; les 3 autres membres, je ne les counais
•J
Anlagen zu Kapitel IX. 457
pas meme de Yue, dont Tun Rembilinski passe pour un drole. II faut un
exerople et un des plus s^veres; je vous en offre un projet dans mon
rapport d'office et je vous assure que la radiation de Kryjanowski de
l'armee polonaise, ainsi que de Majewski ne serait que trop salutaire
puisqu'etant des gouveroements de Kiew et de Volhynie, ils ne seraient plus
justiciables par la Haute cour de ce pays, mais par notre senat. Je yous en
conjure de donner ces ordres. De plus, si la mercuriale que je Vous propose
de faire donner au S^nat par mon organe serait agreee par Vous je leur ressou-
Yiendrai que c'est eux qui sont joints a nous et non nous k eux; de jour en
jour les insolences deYiennent plus fortes et il faut y mettre le hola. J'attends
Yos ordres sur tous ces points, daignez ne pas me les faire attendre ....
Instrnktion Sultan Mahnmds an den Seraskier.
Wenn (sie!) der Sultan Mahmud am 27. März (1828), als er es erfuhr,
daß er unvermeidlich einen Krieg mit Rußland zu bestehen hat, folgende
Instniktion an seine Seraskier gab:
Ich habe die Gesandten der drei Mächte benachrichtigt, daß ich ihre Vor-
schläge zur Pazifikation von Griechenland angenommen habe, ihnen Waffen-
stillstand bewillige, und alle Truppen aus Griechenland ziehe. Du hast nun
die Armee folgendermaßen zu beordren:
1. Heschid Pascha formiert aus 10000 Mann Linientruppen und 20000
Albanesem des 1. Armeekorps bei Salonichi und rückt damit nach Adrianopel.
2. Infolge unserer sehr freundschaftlichen Verhältnisse mit Osterreich
wird aus den serbischen, bosnischen und rumelischen Kontingenten nebst
asiatischer Kavallerie das 2. Armeekorps in Philippopolis aus 30000 Mann
gebildet.
3. Das 3. und 4. Armeekorps aus den Zaims und Timaristen, jedes aus
30000 Mann bestehend, ist zum Teil bei Adrianopel, zum Teil auf dem
Marsch dahin.
4. Das 5. Armeekorps aus asiatischer Kavallerie und 18000 Mann Linien-
truppen steht in Konstantinopel.
5. Das 6. Armeekorps aus asiatischen Truppen ist im Marsch auf seinem
Versammlungspunkt Skutari.
6. Die Donaufestungen von Widdin bis zum Ausfluß der Donau sind
durch die Granitzer besetzt und vollständig ravitailliert.
7. Die Donauflottille liegt bei Ruschtschuk.
8. Die schleunige Vertigstellung der Festung Konstantinopel ist mit
10000 Arbeitern begonnen.
9. Der Kapudan-Pascha ist zum Auslaufen bereit, um eine feste Stellung
am Eingang des Bosporus gegen das Schwarze Meer zu nehmen. Seine Flotte
wird auf 70 Kriegsfahrzeuge gebracht.
10. Die gesamte Kavallerie ist nach den Ufern der Donau beordert.
Hier hast du die vorläufige Aufstellung der Armee. Betrachte nun die
möglichen Operationen unserer Feinde. Sie können vernünftigerweise nach
ihrem Obergang über die Donau ihren rechten Flügel nicht über Tirnova aus-
dehnen. Ihr linker Flügel wird an der See bleiben, und dann haben sie eine
458 Anlagen zu Kapitel IX.
Ausdehnung von 80 Meilen. Rücken sie weiter vor, so kann ihr rechter Flügel
sich nicht über Adrianopel ausdehnen. Dann ist ihre Front bis zur See nur
15 Meilen lang. Wenn sie noch weiter vordringen, in der Absicht, meine
europäischen Streitkräfte nach Asien zu drängen, so kann dies nur in zwei
Spitzen geschehen, einzeln, oder zugleich, nach Konstantinopel oder Gallipolis.
Abschnitte der russischen Operationen.
Die Operationen der russischen Armee zerfallen daher in drei Abschnitte:
a) Vorrucken bis in die Linie Tirnova— Vama.
b) Vorrücken bis in die Linie Adrianopel — Midia.
c) Vorrücken bis an den Bosporus.
Ich werde dir nun genau vorschreiben, was du in jedem der drei ver-
schiedenen Abschnitte zu tun hast.
Benehmen der türkischen Armee während des ersten Abschnittes.
ad a. Während dieses Abschnittes sind alle entscheidenden Gefechte zu
vermeiden ; die Kavallerie wird den Marsch des Feindes beobachten» um Nach-
richten über die Richtung und Stärke der Kolonnen zu verschaffen. Sie wird
sich aber nicht auf die Infanteriekorps, sondern in die Linie Nikopolis —
Gabrova, als eine Verlängerung unseres linken Flügels bis an die Donau zu-
rückziehen.
Auf die erste Nachricht von dem Obergange der feindlichen Armee über
die Donau rückt:
das 2. Korps nach Eski-Sagra,
das 3. , „ Karnabat,
das 5. „ , Nadir-Derbend,
das G. „ „ Araba (auch Tschatal) Burgas,
so daD drei Armeekorps an den Gebirgspässen des Balkan und drei Armee-
korps als Reserve dahinter bei Adrianopel und Araba- Burgas stehen.
Die erste Linie verdirbt alle Wege in den Gebirgspässen und schickt
sich zu ihrer Verteidigung an, während die Einwohner in dem ganzen Land-
strich zwischen der StraDe von Schumla nach Adrianopel und der Küste des
Schwarzen Meeres von Varna bis Midia mit ihrem Vieh und Lebensmitteln
nach Asien getrieben und ihre Wohnungen abgebrannt werden.
Während des zweiten Abschnittes.
ad b. Es ist wahrscheinlich, daß die russischen Armeekorps des linken
Flügels vorzüglich mit aller Anstrengung über Paravady vordringen, um die
Verfeindung mit dem Schwarzen Meere zu gewinnen.
Das 5. Armeekorps wird die Defileen zwischen Nadir Derbend und
Paravady hartnäckig verteidigen, sich aber dabei immer an das 8. Armeekorps
und nicht an das Schwarze Meer halten. Im Falle es bis Karabunar zurück-
gedrängt werden sollte, wird es sich auf die Straße von Schumla nach Adria-
nopel nach Papasken zurückziehen.
Das 3. Armeekorps verteidigt ebenso die Pässe zwischen Dobroly
und Karnabat hartnäckig und zieht sich nur notgedrungen nach Papasken
zurück.
Anlagen zu Kapitel IX. 459
Das 2. Armeekorps wird schwerlich ernsthaft und mit Obermacht an-
gegriffen werden, in welchem Fall es sieb jedoch, insofern eine Unterstützung
von Adrianopel noch nicht über Czirpan angekommen sein sollte, gegen Phi-
lippopolis zurückzieht
Wird es jedoch nicht angegriffen und rückt keine bedeutende feind-
liche Macht von der Donau über Tirnova vor, so ergreift dieses Korps die
Offensive, es sei über Selimno und Starka oder über Selimno und Kazan, um
den Feind in den Rücken zu gehen. Die sämtliche Kavallerie des linken
Flügels schließt sich an diese Offensive zwischen dem Balkan und der Donau
an. Das 2. Korps behält für diesen Fall immer eine doppelte Basis: auf
Philippopolis oder die oberen Donaufestungen. Denn in diesem Falle wird
immer ein Korps von Adrianopel bis Eski Sagra nachrucken. Cbrigens liegt
in diesem feindlichen Operationsabschnitt folgende Absicht der türkischen
Armeen zugrunde:
Dem feindlichen linken Flügel den geringsten Widerstand entgegenzu-
setzen und ihn, wenn er die Schwierigkeiten und Verluste beim Cbergang
über den Balkan überwunden hat, ruhig eindringen zu lassen; dagegen den
feindlichen rechten Flügel aufzuhalten und nach Umständen noch ein Korps
der beiden bei Adrianopel stehenden zu verwenden, um ihn zu schlagen und
der feindlichen Armee durch eine Umgehung zwischen dem Balkan und der
Donau alle Kommunikation mit der Donau abzuschneiden.
Der Entsatz etwa belagerter Donaufestungen ist die natürliche Folge
dieser Bewegung.
Wenn diese Operation gelingt, so treten für den Feind drei Fälle ein:
1. er muß rückwärts gegen die Donau detachieren, um sich die Kom-
munikationen wieder zu eroffnen und überhaupt mit der ganzen Armee sich
den Punkten wieder nähern, von welchen er sich verpflegen kann, oder
2. er muß die Kommunikation mit der Donau ganz aufgeben und sich
von der See her verpflegen, oder
3. er muß bis über die Linie hinaus vorrücken, welche wir verwüstet haben.
Dieses letzte wäre bereits als ein Schritt der höchsten Verzweiflung an-
zusehen und wurde mit dem völligen Untergang der feindlichen Armee endigen.
Im zweiten Falle würde die türkische Flotte einzutreten haben und ent-
weder in einer Seeschlacht die russische Flotte des Schwarzen Meeres schlagen
oder das Landen von russischen Verpflegungsschiffen längs der Küste von
Vama bis Midia verhindern.
Im ersten Falle würde die Kampagne ziemlich entschieden sein, und
wenn der Feind gegen die Donau zurückgeht, durch lebhaftes Verfolgen und
rastlose Angriffe noch entscheidender gemacht werden können.
Wenn jedoch diese Hauptidee der Umgehung des Feindes während des
zweiten Abschnittes mißlingen sollte, wenn der Feind bis in die Linie von
Adrianopel — Midia vordringen sollte, so würden:
während des dritten Abschnittes
ad c. das 6. Korps, zur Verteidigung von Konstantinopel bestimmt
alle ernsten Gefechte vermeidend, sich vor dem drängenden Feinde von Araba-
(Tschatal-) Burgas zurückziehen;
460 Anlagen za Kapitel IX.
die übrigen 5 Armeekorps, insofern nicht bereits ein Teil dieser Macht
sich zwischen der Tundja und Maritza befände, bei Adrianopel an das rechte
Ufer der Maritza gehen, um eine feste Stellung mit zwei Rückzugslinien nach
PhilippopoHs und nach Salonichi zu nehmen.
Würde der Feind gegen diese Stellung vorrücken, uro sie anzugreifen,
so würde die Armee ihm bis Philippopolis ausweichen, um dem 6. Armeekorps
Zeit zu geben, Adrianopel im Rücken des Feindes zu erreichen. Dann käme
es also 7 Märsche von Adrianopel in der Gegend von Philippopolis zur
Schlacht.
Ginge der Feind mit einem Teil oder mit allem, was er hätte, auf Kon-
stantinopel, so würde die türkische Armee von Adrianopel aus die Offensive
in dem Rücken des Feindes ergreifen.
Bliebe der Feind der türkischen Armee gegenüber vor Adrianopel stehen,
80 würden die Detachierungen um seinen rechten Flügel herum (nach Um-
ständen von 1 bis 2 Korps) bis auf die Straßen von Paravady nach Kirklissa
und von Schumla nach Adrianopel sogleich eingeleitet und dieselbe Operations-
idee wie im zweiten Abschnitt angenommen.
Zentralpunkt während des Krieges.
Aus diesem Operatiousplan ergibt sich, daß Philippopolis der Zentral-
punkt des ganzen Krieges, aller Magazine und der Sitz der Regierung
werden muß.
Ich werde mich daher an diesen Ort begeben, sobald der Feind den
Balkan überschreitet.
Berlin, den 25. Mai 1828, von Witzleben dem Generalstabschef Müffling
zur Obersendung an Diebitsch zugeschickt. Müfflingsches Familienarchiv.
Nicolai an Constantin.
Odessa, 11/23 Septembre 1828.
Hat nicht früher antworten können. Die Prozeßangelegenheit Je partage
la chose en deux: 1) la sentence avec tout ce qui l'a pr^cedee; 2) le rapport
du President.
Parti d'un faux principe, d'un faux point de vue, le r^sultat ne pouvait
etre autre et, avec plus ou moins de sottises, devait terminer par un resum»
et des conclusions pareilles; voila qui est pour la sentence.
Le rapport du President est tout nutre chose — c'est l'apologie des
sottises de la haute cour, apologie oü l'on a reüni
Iment des offenses envers la memoire du bienfaiteur du pays;
2inent des indices d'intentions coupables de changer une fois l'etat
politique du pays par des empietements sur ce qui appartient aux allies du
sou verain et sur ce qui est la propriete de l'Empire;
3mont enfin, oifense personnelle contre le souveraln, en faisant croire
qu'il pouvait desirer plus de severite ou plus d'indulgence, en un mot
influencer la libre opinion des jugesi et pour couronner le tout, une espece
d'avertissement que ce n'otait que l'observation de la Charte, qui etait le gage
ou le lien de fidelite entre ies Polonais et leur Roi.
Anlagen zu Kapitel IX. 461
J'en conclus que le pr^sident par ce rapport a manqu^ ä ses devoirs
envers son Roi, envers sa Patrie, et qu'il doit etre accuso de crime d'etat.
Mais comment le juger? Er kommt zam Schluß, es maßte durch die haute cour
geschehen. Wenn sie sich weigere es zu tun, stehe sie in offener Rebellion,
si eile a de l'esprit, eile sentira qu'elle doit partager la honte de Bielinski et
devra faire d*abord amende honorable et puis commencer a juger. Er will C's
Urteil darüber. Quant ä la senteuce, je ne la con firme pas, tout peut
rester in statu quo, l'affaire a Petersbourg va son train et quand il en sera
temps, nous y ferons traduire les autres, mais il me faut une epreuve,
c'est Celle de la cour d'administration. II est curieux de savoir
quelle sera son opinion sur toute l'affaire, et je vais lui renvoyer tout sans
aucune Observation; ils n'ont qu'ä dire ce qu'ils veulent; apres qu'ils auront
repondu, nous passerons aux determinations.
Grace a cet incroyable rapport de Bielinski l'affaire devieut toute simple,
Selon moi, et peut tourner a bien, mettant fin a jamais aux fausses inter-
pretations, aux fausses esperances et au faux patriotisme ....
Kaiser Nicolans an König Karl X. Original.
Petersbourg, 1. Mai 1829.
Monsieur mon Frere, J'ai a m'acquitter d'un devoir bien doux a remplir,
en exprimant a Votre Majeste ma sincere reconnaissance pour la lettre
qu'Elle a bien voulu m'adresser par le Duc de Mortemart. Si quelque chose
pouvait ajouter au prix que j'attache aux seutiments qui l'ont dictee, c'est assu-
roment la voie par laquelle j'en ai re^u ce nouveau temoignage. Uonore de
toute la confieuce de Votre Majeste, si bien fait pour la reprosenter, par la
noble loyaute de son caractere, le Duc de Mortemart a pu juger des son
retour, combien je me plais ä le voir appele a resserrer les liens de l'amitie
qui nous unit, Monsieur mon Frere, comme a cimenter Theureuse alliance de
la France et de la Russie. Mes entretiens avec cet Ambasasdeur et les
Communications qu'il a adressees ä mon ministere, m'ont fourni de nouveaux
motifs de me feliciter de cette union, dont les salutaires effets viennent de
se manifester encore dans une occasion recente. Consacrees ä l'ex^cution
d'engagements solennels et a un but de sollieitude commune, les negociations
de Londres n'en ont pas moins ete environuees de difficultes de plus d'une
espece. C'est ä la haute sagesse de Votre Majeste, qu'appartient essentielle-
ment le merite de les avoir en grande partie apianies et d'avoir amene des
resultats tres satifai^ants ä plusieurs egards. Votre Majeste puisera, j'en ai
la convictiou, dans la magnanimito de Ses intentions, le besoin de continuer
la puissante protection a une cause a laquelle eile a rendu de si grands Services,
et d'y consacrer la bienfaisante et euertrique influence de sa politique. Porte
a m'y associer par mes sentiroents autant que par mes principes, je reconnais
plus que j'amais la baute importance de notre ^troite union dans un moment
oü de nouvelles difficultes semblent s'^lever a mesure que la crise des affaires
de Orece approche ä son dc'nouement et oü nos intentions pures et loyales
devraient ä si juste titre etre partout appreciees comme elles meritent de l'etre.
462 Anlagen zu Kapitel IX.
Le et« Pozzo di Borgo est specialement Charge d'avoir Tbonneur de faire
connaitre ä Votre Majeste la nature de mes apprehensions, ainsi que mes
vceiix et mon opinion sur ies moyens que je croirais les plus propres a
ecarter les obstacles qui pourraient retarder ou entraver raccomplissement du but
de la triple alliance. 11 m'est permis d^esperer que Votre Majest^ honorera
cette opinion de Son suffrage et qu'Elle y retrouvera l'impulsion de Ses propres
dispositions.
En appreciant, comme Votre Majest^ a bien voulu le faire dans Sa lettre,
les vues qui President ä la conduite de la guerre que j'ai ä poursuiTre, Elle
m'a rendu justice et m'a fait ^prouver la satisfaction la plus Tive. Force
d'entreprendre contre la Porte Ottomane une nouvelle campagne, mon yoeu le
plus eher est de la voir servir & accelerer To^uvre d'une paix solide, equitable
et conforme au prix que je mettrai toujours, a offrir a mes Alli^s un gage de
plus des intentions conciliantes et moderees dela Russie. Ce n'est pas aupres de
Votre Majest^ que j'ai besoin de les faire valoir. Je c^de, en me liyrant a
cet epanchement, a l'appel de cette amitie sincere et de cette confiance reci-
proque que je suis heureux de voir presider a nos rapports.
C'est avec empressement que je profite de cette occasion, pour joindre
k des assurances si vivement senties, Celles de la haute consideration et de
l'inalterable amitie avec lesquelles je suis
Monsieur mon Frere
de Votre Majeste
le bon frere et ami
Nicolaj.
St Petersbourg le 19 Avril/l Mai 1829.
N. an Fr. W. IIT autogr.
Petersb. ^^^" 1829.
4 April
Der Konig werde schon durch Alexandra (die Kaiserin) den Termin der An-
kunft in Warschau kennen, und daß sie auf einige Zeit nach Berlin kommen
würde. Je suis heureux de pouvoir lui procurer ce grand bonheur et j*aurai ete
heureux de pouvoir comme par le passe l'y suivre et me retrouver pres de Vous,
Sire, dans ce lieu oü tous mes Souvenirs les plus chers m'attachent a Jamals et oü
j^appris par vos bontes que Ton pouvait etre heureux hors de sa patrie. Helas,
ces heureux temps pour moi ne sont plus; V. Maj. m^en voudrait-elle donc
si j'ose lui emettre le voeu d^avoir le bonheur de Tentrevoir, ne
füt-ce que pour un ou2jours sur tel point de la frontiere ou pres
de la frontiere qu'elle d^signerait et de pouvoir lui presenter moi
meme mon fils ainel Ce serait, Sire, un vrai instant de felicit^ pour moi,
que de Tapprocher apres tant de malheurs et d'epreuves de tout genre.
Si V. M. daigne y consentir, oserai-je la supplier de me donner ses ordres
au plus tot et vouloir bien me promettre de me traiter en vieil enfant adop-
tif de sa famille und wie einen alten Preußischen Diener; ce seront
de courtes illusions du passe. — Me ber^ant dans Tespoir que V. M. ue me
refusera ce bonheur, permettez etc.
Charlottenburg, llausarchiv.
Anlftgen zu Kapitel IX. 463
N. an Fr. W. III. antogr.
Varsovie, 13/25 Mai 1829.
Dank für den durch Rauch überbrachten Brief. Hofft, daß die Zu-
sammenkunft genau so erfolgen werde wie geplant. Hier, le couronnement a
eu Heu et tout s^est passe le mieux du monde et il parait ä la satisfaction
commune; je me reserve d'en entretenir de bouche V. M. et de la mettre au
fait de tout ce qui Ta motive et precede. J^ai ressu (sie!) hier matin le rapport
du comte Diebitsch pour m^annoncer la reussite complette de Pinvestissement
de Silistrie; malgre Tenorme crue des eaux et la marche penible que Tarmee
a du faire, l'on a reussi h enlever ä la bayonnete tous les ouvrages de l'annce
derniere, de fa^on que 12 heures apres l'arrivee des troupes devant la place,
Ton s'est trouve maitre non seulement de toutes ;Ies hauteurs qui entoureut
Silistrie, mes aussi de tous les ouvrages de Tan demier, et le soir nos tirailleurs
gamissaient dejä les logements des Turcs a 300 toises de la place; en meme
temps la flotille complette Tinvestissement, et la nuit un courrier euToye par
le commandant au Vezir fut pris et ses depeches nous ont decouvert la detresse
oü les chefs se trouvent. Un pont sur le Danube etait d^ja presque termine
pres du camp, et avec cclui de Giurjewo et de Sotounovo fait le troisieme que
nous possedons sur ce fleuve. Erwartet ungeduldig Nachrichten vom Admiral
Greigh, qui a fait voile pour chercher ä combattre la Flotte turque effective-
ment entrce dans la mer Noire. Wartet mit Ungeduld auf den Augen-
blick de pouvoir me jeter dans vos bras, Sire, et de pouvoir vous reiterer alors
moi-meme les seutiments etc. Cbarlottenburg. Uausarchiv.
N. an Fr. W. III antogr.
Kaiisch 3/15 Juin 1829.
Je ne puis m'eloigner des etäts de V. M. sans vous exprimer encore une
fois, Sire, le bonbeur que j'ai eprouve de vous revoir et de vous approcher
pendant de courts instants; c^est une heureuse epoque de ma vie qui ue peut
jamais s'elTacer de mon c(pur. Recevez aussi avec bonte toute ma reconnaissauce
pour Taccueil que vous avez bien voulu me faire et toutes les bontes dont vous
avez daigne me combler. J'ai ete bien charme de revoir le 6d>o de Guirassiers
que j'ai trouve dans le plus bei etat. Le Comte Nostitz aura Fbonneur de
vous rendre compte, Sire, de Texercice qui a parfaitement reussi. Je prends la
liberte d'offrir au regiment une remonte de cent chevaux, si vous deignez le
permettre, Sire. Gute Nachricht v. d. Armee. Dans un engagement assez sorieux
pres de Tourtoukay avec un corps envoye pour insurger le pays, le gen. Kreutz
a enleve un Drapeau, une centaine de prisonniers et tue 250. Le Vezir est
de nouveau sorti avec a peu pres 30/m hommes et s'est place pres de Essitepe,
que V. M. trouvera sur la carte au coufluent des routes de Cboumla, Pravady
et Kaliandgy; dans un engagement avec son avant-garde nos hulans du Boug
ont pris un drapeau. La troisieme parallele etait dejä commencee pres de
Silistrie. Le Gen. Diebitsch etait parti avec le 2 Corps d'armee pour tächer
de tomber dans le flanc du V^zir, mais je doute fort quMI puisse y reussir, les
Turcs probablement rentreront dans la place ä la premiere nouvelle de sa
464 Anlagen zu Kapitel IX.
marche. Nous avons eu le malhear de perdre une fregatte prise par les Turc^
pendant un calme plat au milieu de leur flotte. Par contre un de nos brigs
s^est battu contre 2.vaisseaux amiraux et s^en est tire d'une maniere beroique.
Le fils d'Abbas Mirza vient enfin d^arriver dans nos frontieres, ce qui vous ras-
Sure beaucoup sur les intentions des Persans.
Charlotten bürg. Hausarchiv. Gruß u P S.
N. an Fr. W. III autogr.
Varsovie 7/19 Juin 1829.
Que Dieu seit mille fois beni, Sire! Le Vezir est completement
battu. 56 pieces de canon au depart du courrier et 1500 prisonniers sont
le fruit d'une victoire due ä la manoeuvre habile du brave Dibitsch et des
beros qu^il a conduits; V. Maj. verra que Paifaire a ete des plus cbaudes, et nous
avons perdu deux bat. en entier, les l^rs de MypOMl> et du 12 chasseurs.
Je n'ai pas besoin de vous dire, Sire, et mon bonheur et ma reconnaissance
au bon Dieu auteur de tout ce qui nons arrive d^beureux ici bas! — Ne m*en
Youlez pas Sire, si j'ose vous faire part de cettegrande nouvelle pour moi par
un de mes aides de camp. Le Comte KymeJieB'b aura Thonneur de lui re-
mettre la presente et je le recommande a vos bontes s'il en est digne. Puisse
cet heureux evenement nous en faire prevoir et obteuir d'autres, a la tele des-
quels je mets celui que j'attends de Vous, Sire!
Devouement, fidelite et reconnaissance Vous sont voues k jamais par
votre beau-fils
Charlottenburg. Hausarchiv. Nicolas.
Roth an Diebitsch.
Lager von Eski Arnautlar, 6. Mai 1829.
Eingetroffen 9. Mai (Toll).
M. le Comte.
Par le rapport que mon aide de camp Ooubaroff aura Thonneur de
remettre a V. E. avec deux drapeaux pris sur Tennemi, eile verra que nous
avons perdu hier 4 pieces de canon, malgre que Tennemi a ete repousse.
Cette perte m'est plus sensible que tout ce qui aurait pu m'arriver de fäcbeux;
quoique je croie lui etre en grande partie redevable que le graud Vezir, vu
Topioiätrete des combats livres hier, tres sensibles pour lui par la grande
perte d'hommes qu'il y a faite, vraisemblablement n'a plus voulu sVxposer a
renouveler aujourd'hui ses attaques, et s'est decide ä la retraite, n^ayant pu
gagner un pouce de terrain sur nous, malgre son enorme superiorite en
nombre.
Si nous nous etions retires dans notre position, a quoi je me serais peut-
etre decide si les chevaux d^artillerie en grande partie u^avaient pas ete tues,
nous aurions immanquablemeot ete pris en dos par des masses d^ufanterie,
ce qui avait deja ete execute par uue masse de cavalerie, mais sans succes,
qui nous aurait force d'evacuer la position, et en ce cas il aurait ete difticile
de caiculer les suites qui en seraient resultees.
Anlagen zu Kapitel IX. 465
Quoique je regarde cette perte comrae un malheur pour moi, j'ose cepen-
dant assurer Y. E. que la journee d^hier fait infiniment d*bonneur aux troupes
qul y ont combattu, vu que Tennemi ayant eto six fois plus fort que nous,
a ete repoussc avec une perte tres considerable, et que par cela meme il a
echoue dans son entreprise. Sa position serait defenue plus difficile, si de
Pravody on sV'tait decide de Tattaquer ä revers, de concert avec moi.
Daignez agreer etc.
Louis de Roth. Woj. Utscb. Arch. 2708 A.
Konzept der undatierten Instruktion Bemstorffis f&r Muffling,
Ton Mflffllngs eigener Hand.
1. Seine Majestät der König haben in den mit Sr. Majestät dem Kaiser
von Rußland bei höchstdero Anwesenheit in Berlin gehabten Unterredungen
die volle Bestätigung der schon längst von Ihnen gehegten Überzeugung er-
halten, daß der Kaiser nur ungern sich in einen Krieg mit der Pforte ver-
wickelt gesehen hat, daß es weder in den Absiebten noch Wünschen desselben
liegt, Eroberungen zu machen oder gar der Selbstständigkeit des Osmaniscben
Reiches zu nahe zu treten, daß dieser Monarch vielmehr gern durch einen
baldigen Frieden den jetzigen Krieg beendigen wird. Seine Majestät haben
in diesen Unterredungen ebenso sehr die feste Ansicht gewonnen, daß, falls
von Seiten des Sultans keine Neigung, die Feindseligkeiten beizulegen, ge-
äußert wird, Rußland dieselben mit aller Kraft und allem Nachdruck bis zum
letzten Ziele fortführen werde, als daß die Pforte, wenn sie dem Russischen
Ilofe entgegengeht und sich unmittelbar an denselben wendet, in dem gegen«
wärtigen Augenblick den Krieg auf eine mit ihrer Ehre und Selbstständigkeit
bestehende und ihre wahren Interessen nicht geföhrdende Weise zu Ende
bringen kann.
2. In dem Wunsche, möglichst zur Wiederherstellung des Friedens mit-
zuwirken, glauben Seine Majestät diese von Ihnen gewonnene Ansicht und
Überzeugung der hohen Pforte offen mitzuteilen und, wenn, wie zu erwarten
ist, ein solcher Beweis von Vertrauen und Theilnahme Ruckäußerungen von
Seiten der letzteren herbeiführt, diese Gelegenheit benutzen lassen zu müssen,
um derselben nochmals dringend vorzustellen, wie sehr es ihr eigenes Interesse
erheischt, nicht länger zu säumen, sich Rußland zu nähern. Somit ist es der
Zweck der außerordentlichen Sendung des General Lieutenants Frh. von Müflling
nach Constantinopel, jener von Seiner Majestät dem Könige gehegten Über-
zeugung bei dem Diwan Eingang zu verschaffen und in dem Sinne derselben
die Pforte zu einem annähernden Schritt gegen Rußland zu bewegen.
3. Vielleicht wird die Pforte, ehe sie sich zu einem solchen Schritte
bereit erklärt, näher zu erfahren wünschen und suchen, unter welchen Be-
dingungen sie den Frieden von Rußland zu erhalten hoffen darf. Preußen
kann aber derselben, ohne dem Zwecke selbst, den es verfolgt, zu schaden,
keine speziellen Angaben darüber mittheilen, noch weniger aber die Erlangung
dieser oder jener Bedingung verbürgen; es muß sich im allgemeinen darauf
beschränken, auf die in dem Manifeste des Russischen Hofes aufgestellten
Forderungen hinzuweisen. Sollte die Pforte jedoch die Besorgnis äußern, daß
Scbiemann, Geschichte RnlUan48. II. 30
466 Anlagen zu Kapitel IX.
unter diesen Forderungen Zumutungen versteckt seien, deren Gewährung mit
der Ehre und der Unabhängigkeit des Türkischen Reiches unverträglich sein
würde, oder sollte dieselbe in Bezug auf einen einzelnen Gegenstand der
künftigen Friedensunterhandlungen eine übermäßige und durch die Absichten
Rußlands nicht gerechtfertigte Besorgniß aussprechen, so wird es angemessen
sein, ihr eine solche Besorgniß durch allgemeinere, nicht weiter bindende Ver-
sicherungen und ohne in nähere Details einzugehen, zu benehmen. In dieser
Beziehung wird also im Ganzen ein mehr negatives Verfahren beobachtet
werden müssen, in der Art, daß der Pforte nicht entgegengegangen wird,
sondern nur dann, wenn eine bestimmte Äußerung derselben es nötig macht,
ihre Ansichten in dem eben angeführten Maaße berichtigt werden; es kann
jedoch im Verlauf der Besprechungen vielleicht nützlich werden, hinsichtlich
der von Rußland gestellten Forderungen einer Entschädigung für die auf-
gewandten Kriegskosten, die Pforte gelegentlich darauf aufmerksam zu machen,
daß, je länger der Krieg dauert, desto größer der Kostenaufwand für Ruß-
land und desto größer also auch dessen Ansprüche auf Ersatz sein müssen
und werden.
4. Alles muß vermieden werden, was besonders bei den Gesandten der
anderen Mächte in Constantinopel den Glauben entstehen lassen könnte, als
suche oder beabsichtige Preußen, eine Vermittelung zwischen den beiden
Krieg führenden Mächten zu übernehmen; nichts destoweniger kann, wenn
die Pforte zu einem, Behufs der Annäherung an Rußland, bei dieser Macht zu
thuenden Schritte die Mitwirkung des General Lts. von Müffling in Anspruch
nimmt, einem derartigen Antrage unbedenklich entsprochen werden. — Ohne
eine direkte Einladung von Seiten der Pforte wird der preußische Abgesandte
sich nicht in Verbindung mit dem Russischen Hauptquartier setzen können;
erfolgt eine solche, so bleibt es demselben lediglich überlassen, auf welche
Weise er diese Verbindung zu bewirken für angemessen erachtet.
5. Die dem General Lieutenant von Müffling anvertraute Sendung ist an
sich eine selbstständige und muß es, zur Sicherung ihres Erfolges, auch in
der Ausführung bleiben. Es kann daher weder von Verabredungen und von
einem gemeinschaftlichen Handeln mit den andern in Constantinopel an-
wesenden Diplomaten die Rede sein, noch kommt es darauf an, die Unter-
stützung und Mitwirkung derselben für den Zweck der Sendung in« Anspruch
zu nehmen. Höchst wichtig aber ist es, daß diesen Gesandten die Oberzeu-
gung beigebracht werde, daß Preußen keinen Zweck verfolgt, der nicht mit
den Wünschen ihrer eigenen Höfe übereinstimmt, keinen sogar, der nicht der
ausgesprochene Wunsch aller Europäischen Mächte ist. Die Gesandten in
Constantinopel müssen daher erfahren, daß ihre Höfe von der Sendung des
Gen. Lts. von Müffling und ihrem Zwecke vollständig in Kenntniß gesetzt
worden sind, und es muß ihnen mit aller der Offenheit und dem Vertrauen
entgegengegangen werden, welche erforderlich sind, um bei ihnen die erwähnte
Überzeugung hervorzubringen. Die Offenheit und dieses Vertrauen finden ihre
Gränze nur da, wo das besondere Zutrauen, welches der Russische Hof dem
Preußischen geschenkt hat, verletzt, oder dem Zweck der Sendung geschadet
würde, es darf daher namentlich zu einem jeden einzelnen von den Gesandten
Anlagen zu Kapitel IX. 467
in Constantinopel über die Bpeciellen von Rußland verlangten Friedensbedin-
gungen nur in solchem allgemeineren Sinne gesprochen werden, als bekannt
ist, daß Rußland selbst sich darüber gegen die eigenen Hofe jener Gesandten
geäußert hat.
6. Die Einhaltung des besten Einverständnisses mit den Königlichen
Gesandten, Kammerherrn von Royer ist, wie es kaum der Erwähnung bedarf,
vorzüglich zu empfehlen. Grf. v. Royer ist schon vor seinem Abgang von
hier auf die Möglichkeit vorbereitet worden, daß Seine Majestät der Konig in
Beziehung auf die jetzigen Verwickelungen im Orient eine außerordentliche
Sendung nach Constantinopel anbefehlen konnten; er wird noch besonders an-
gewiesen werden, alles zu thun, um dem General Lieutenant von MüfTling zur
Ausführung des ihm ertheilten Auftrages behülf lieh zu sein, dagegen wird dem-
selben auch in Hinsicht auf diesen Auftrag das volleste Vertrauen bewiesen
werden können und müssen.
Müfflingsches Familienarehiv.
Fflrst Trubetzkoi an Diebitscb.
Warschau, 9. Juni 1829.
... Je suis arrive le 7 de ce mois entre 1 1 h et midi, le 7™* jour de
mon depart du quartier general. II serait difficile de depeindre a V. E. la
Sensation que la nouvelle dont Vous avez bien voulu me faire le porteur a pro-
duite sur PEmp. Au comble de la joie ou plutöt du bonheur, il m'a couvert
de baisers, s'est jete a genoux pour rendre gruce a Dieu et m'a tout de suite
felicite comme son Aide de camp et Colonel, deux gräces auxquelles je ne
m'attendais nullement ä la fois; puls sans me laisser le temps de me recon-
naitre, m'a enleve pour ainsi dire dans son drocbky, pour aller communiquer
cette agreable nouvelle au Gr. Duc Constantin; j*ai ajoute de vive voix tout
ce que je savais en fait de dotails sur la journee, ainsi que sur tout le temps
de notre marche de Silistrie. L^Emp. ne se lassait pas dVcouter et de te-
moigner son extreme satisfaction sur tout ce qui sVtait pass«^, Tartillerie du
Vezir surtout entre nos mains le rendait heureux. II n'a pas manque cepen-
dant de faire Fobservation que V. E. avait prevue par rapport a la petite
quantite de drapeaux que nous avions pris, sur quoi j'ai rt'pondu que Tennemi
ayant ete poste dans une position boisee et entrecoupce de d(^files, de ravins,
les avait vite enleves dans des endroits foures et inaccessibles, des qu'il avait
vu que les affaires allaient mal pour lui; que du reste les 50 canons que nous
avions entre nos mains, etaient a ce qui me semble de meilleures trophees que
des drapeaux turcs que Ton obtient quelquefois a si bon marche, sur quoi
TEmp. a ete tout a fait de mon avis.
Abends lud der Kaiser ihn zum Thee und fragte ihn 2 Stunden lang
aus, namentlich über die rapports existänts entre les differents membres du
quartier general. Schien befriedigt und beruhigt. Nach Preußen ist Gen. Kou-
cheleff mit der Siegesbotschaft geschickt.
30»
468 Anlagen zu Kapitel IX.
Diebitsch an Nesselrode.
8. Juni. Im Lager Ton Jendji-Kieni bei Scbumla
Auszug.
Er habe nach dem glänzenden Siege vom 30. Mai die Gelegenheit benutzt,
welche die Rücksendung Ton Frauen und Kindern und die Beerdigung der
in den eroberten Redouten liegenden Türken bot, um Ponton mit einem Brief
au den Oroßvezir zu schicken; dessen Antwort habe dann eine zweite Sendung
Fontons zur Folge gehabt. Das Schreiben an den Vezir war Yom 2. Juni
und teilt mit, daß er Fonton schicke, um laut seinen Vollmachten faire cesser
les maux de la guerre. Rapport Fontons vom 7. Juni: der Brief wurde ent-
gegengenommen und nach zwei Stunden ein Offizier, der sich Nouri EflTendi
nannte, geschickt: der Vezir wünsche zu wissen, auf welcher Basis Verhand-
lungen stattfinden könnten.
Auf Fontons Gegenfrage, ob der Vezir ausdrucklich Vollmachten zu Ver-
handlungen habe, kam nach einigem Zögern die Antwort: ad hoc, pour la
paix nicht; dann erklärte er, daß er dem Großvezir berichten und am anderen
Tage schriftliche Antwort senden werde. Darauf trennten sie sich. Die Antwort
forderte auf, Fonton nochmals zu -schicken, was am 6. geschah. Er fand bei
den türkischen Vorposten ein Zelt zu seiner Aufnahme und einen Offizier,
um ihn zu empfangen; dann meldete man ihm, daß der Tchaouche-Bachi
kommen werde. Er hieß Nachid Bey und war eine Art Kanzler (Nichandji)
und stelWertretender Tchaouche - Bachi (Groß -Marsch all), er war Fonton aus
Constantinopel her bekannt, mit ihm Nouri Effendi. Nach Cafe, Pfeife und
Höflichkeiten erklärte der Tchaouche-Bachi, auch der Großvezir sei friedlich
gesinnt, er wünsche den point de depart seiner Unterhandlung kennen zu
lernen, danach werde sich des Vezirs späteres Verhalten richten.
Fonton wies noch einmal auf die Unerläßlichkeit von Vollmachten hiu
und fügte hinzu, daß der Kaiser, als er, um seine bedrohten Rechte zu wahren,
zu den Waffen griff, am 14. April 1828 eine Deklaration erlassen habe, welche
im Voraus die Bedingungen ankündigte, die allein den Krieg beendigen
könnten. Darin habe sich nichts geändert, man möge also die Declaration
lesen.
Nachid-Bey erklärte, ihm sei die Declaration nicht genau in Erinnerung,
der Großvezir neu in den Geschäften, er wisse nicht, ob die Declaration sich
im Lager- Archiv befinde. Bitte um Angabe. Fonton, der im Voraus
dazu autorisiert war, that, als ob er dem Nachid eine besondere Gefälligkeit
erweise, und formulierte die Bedingungen so wie die Instruktion des Kaiser-
lichen Cabinets an Diebitsch vom 23. April 1829 es thut.
1. Beachtung und Wirksamkeit der Verträge, speziell des Vertrages von
Akkerman.
2. Entschädigung für die Verluste russischer Unterthanen und Kriegs-
kosten.
3. Handelsfreiheit im Schwarzen Meer und Bosporus.
4. Beitritt der Pforte zum Vertrage vom 6. Juli 29.
Das wurde schriftlich aufgesetzt. Die türkischen Unterhändler schienen
angenehm erstaunt. Daran knüpfte sich ein Gespräch über die Leiden des
Anlagen zu Kapitel IX. 4(]g
Krieges, das einen intimen Charakter annahm, worauf Fonton sagte, er wolle
auf Grund ihrer alten Freundschaft ihm noch einige nützliche Wahrheiten sagen.
Nachid Bey bat darum mit lebhaften Versicherungen.
„Eh bien", ai-je continue, ,nous savons parfaitement que la guerre actuelle
a donne lieu chez vous a un dechainement haineuz, a une ezplosion Tiolente
des sentiments les plus exageres contre nous. On a crie et täche de per*
suader tont le monde que la Russie en voulait ä Texistence de la puissance
Ottomane, qu'elle ne cberchait que Foccasion et les moyens pour la detruire
etc. Neid, Intrigue etc. habe diese odieuses et infames inculpations gegen
Rußland gehäuft. „Elles creusent un abime qui peut s'ecrooler sous vos pieds
et vous engloutir. Eh bien, croyez * en a ma parole, je vous le jure sur mon
Dieu: il n^y a pas un mot de vrai dans tout ce qu*on impute ä la Russie.
La guerre actuelle n'a ete pour cette puissance que le produit d'une imperieuse
necessite!*" Ob er das leugnen könne? Rußland führe Krieg, aber um zu
einem festen und sicheren Frieden zu gelangen, teile que l'exigent les interets
politiques et commerciaux de ses sujets. Vous venez d'en recevoir aujourd'hui
une preuve irrefragable.
Voila ce que j^avais a vous dire, faites - en votre profit, et rappelez - vous
quelque jour ce que vous a dit un ami^. Nachid Bey drückte ihm stark die
Hände und dankte gerührt: „Je vous comprends tres bien, ce n'est que trop
Trai, l'intrigue et la passion ont jete leur venin. Vos paroles me sont preci-
euses, je tächerai de les faire utiliser. Que Dieu couronne vos efforts! Darauf
cherbet (boisson de conge dans les visites de c^remonie) und sie schieden.
Nachid Bey sagte, wie sich aus einer Depeche Diebitschs an Nesselrode
ergiebt, beim Abschied: er hoffe ihn bientot, longuement et agr^ablement
wiederzusehen.
Der Marsch gen Schnmla-Knlewtscha«
Der Vizir war durch einen Erfolg am 5ten May über den General Roth,
bethört, aus Schumla gen Pravodi gezogen, welches er belagerte. Da
faßten die beiden Chefs den merkwürdigen Entschluß mit dem größten Theil
der Truppen auf zu brechen, ihn zu umgehen, und sich zwischen Uly M.ia und
Pravodi aufstellend, zu einer entscheidenden Schlacht zu zwingen. Ganz
gegen diesen Plan stimmte der General Buturlin. Im Hauptquartier waren
die Meinungen getheilt, doch die meisten, unter denen auch ich, glaubten nur
an eine militärische Promenade, da bei unserer Annäherung der Vizir sich
zurück ziehen und in seinem Schlupfwinkel Schumla sich verbergen werde. Der
Befehl zum Aufbruch erging, — und wieder der unglücklichen Brücke
wegen zwei Tage später, indem beinahe noch die Hälfte des zweiten
Corps am jenseitigen Donauufer sich befand. Die Armee marschierte
in zwei Colonnen aus. Die linke unter Gen. Kreutz den 23ten, die rechte
unter dem Befehl des Grafen Diebitsch selbst, den 24ten May. Die Nacht
vor unserem Ausmarsch, durch ein regnichtes und stürmisches Wetter begünstigt
thaten die Belagerten einen hartnäckigen Ausfall auf dem linken Flügel, der
ihnen aber so schlecht bekam daß sie nie wieder einen ähnlichen versuchten.
470 Anlagen lu Kapitel IX.
Zerrissene Wolken ihre Wasser mit Ungestüm berabgießend, flogen über den
düsteren Horizont und drohten uns mit einem beschwerlichen Marsche. Doch
beim ersten Trommelwirbel, wie durch einen Zauber schwanden die Nebel und
eine freundliche Sonne blickte auf uns. Mit dem steigenden Tage stieg auch
die Hitze, die wir aber nicht sehr empfanden, da unser Marsch mehrentheils
durch waldigte Gegenden ging, die seit der Halbmond in Europa, zum ersten-
mal russische Truppen betreten. Die Wege waren schlecht, oft nur enge Fuß-
steige und mußten mit vieler Mühe in Stand gesetzt und mit Brücken yersehen
werden. Auf diesem Marsche haben sich die Pioniere des 6^n Bataillons be-
sonders ausgezeichnet. Am schwersten hatte es die Artillerie, die, wie der
ganze Train, nie anders als ä la file passiren konnte, und alle Augenblicke
anhielt, bis die vordem entweder einen hohen Berg hinauf oder herab, oder
auch über eine gebrechliche Brücke gekommen waren. Dieses war Ursache
daß unsere Obose, die hinter den Truppen folgte, spät des Abends, und am
Tage des Ausmarsches von Silistria erst am anderen Morgen ankam, wir also
weder Bediente, Tbee, Betten, noch andere Bequemlichkeiten hatten, und glücklich
waren ein Obdach unter des Generalen Zelt zu finden»
Den 26ten mangelte es an Wasser bei der Mittagsrast; die Hitze wurde
drückender und die Truppen waren diesen Tag sehr angegriffen. Hieran war
der General-Quartiermeister Buturlin schuld, denn als wir weiter marschirten,
fanden wir anderthalb Werst vom Lag')rplatz ein Dorf mit den schönsten
Fontainen. (Oberhaupt hat gerade in dieser Zeit Buturlin bewiesen daß er
das Praktische seines Amtes nicht verstand, wie er denn 15 Werst vor
Kaurgu den Standpunkt der Armee auf der Karte nicht anzugeben wußte,
und man sich fast verirrt glaubte. Wenigstens machten wir zwischen Silistria
und Kaurgu einen Umweg von 15 Werst.)
Einen Tagemarsch hinter Kaurgu, de. 28ten^ blieben die Equipagen mit
der ganzen Obose zurück. Alle unsere Bedürfnisse, ein Soldaten Zelt, selbst
Hafer auf ungefähr 5 Tage, mußten wir auf unsere Reit- und Handpferde
packen. Um Mittag hatten wir eine lange Rast; in der Ferne horte man
dumpfe Kanonenschüsse, die allgemeine Freude verursachten; der Vizir stand
noch vorPravodi; jetzt eine der feierlichsten Sceneu. Von allen Regimentern
und Compagnien versammelten sich die Truppen zum Te Deum, und stellten sieb
vors Hauptquartier in ein großes Quarree auf. In der Mitte die Geistlichkeit,
die Chefs und übrigen Offiziere. Tiefe Stille in welcher sich nur das laute
(iebet des Ober-Priesters erhob. Es war ein herzerhebender Anblick den
ergrauten wie den jungen Krieger dem Sieg oder dem Tode sich weihen, sein
letztes Gebet mit entblößtem Haupt verrichten zu sehn. Nach Besprengung
mit dem geweihten Wasser, und dem Seegen des Kreutzes, erscholl wieder das
Commando, der Graf Diebitsch trat in die Mitte des Quarrees, theilte in
einigen Worten den Truppen seinen Plan, seine gewissen Hoffnungen mit,
und ein dreimaliges fröhliches Hurrah I erfüllte die Luft.
Gegen Abend in starker Dämmerung rückte auch das Detaschement des
G. Kreutz in die Hauptdirection des Marsches und formirte die Avantgarde.
Erst um Mittemacht lagerte die Armee hinter Arnautlar und vor dem Eingang
ins Thal von Newscba. Ob es wirklich Absicht war durch dieses den Feind
Anlagen zu Kapitel IX. 471
zu umgehen, ist mir unbekannt, eben so wer für oder gegen den Plan war,
dal) er aber nicht ausgeführt wurde, wenn er existirte, glaube ich aufs aller ein-
fachste und naturlichste aus folgendem erklären zu können: der General Dellings-
bausen nemlich war am Morgen des28ten ms Hauptquartier gekommen, und hatte
da erklärt daß das deboucbe des Thals von Newscha für die Infanterie nicht
anders als a la file, und für die Artillerie gar nicht passirbar sei. Hierin
scheint mir der Schlüssel zu unseren weiteren Operationen zu liegen. —
Übrigens bey der Nacht war auf unserer Position eine ziemliche Unordnung;
die Truppen standen unter einander, überall drängten sich die Trainpferde,
keiner wußte recht wohin. Mit vieler Mühe ordnete sich endlich alles in so
weit, daß die Regimenter sich absonderten und die verschiedenen Abteilungen
ihre Plätze einnahmen. Feuer durfte nicht angemacht werden; um so schwerer
war es beim schwachen Mondlicht sich zu finden. Wie Geister erschienen
jetzt in ihren weiDen Kitteln die Kavaleristen die mit blanker Sense das
Gras im Thale mähten. Bald lag alles im tiefen Schlaf; man hörte nur das
Fressen und Schnauben der Pferde, man sah von den 20. tausend Mann nichts
als die dann und wann im Mondschein funkelnden Bajonette der Schildwachen.
Nicht sobald überließ man sich der Ruhe im Hauptquartier; gegen 2. erst
waren die Dispositionen für den folgenden Tag angefertigt, und um 4. Uhr
Morgens rückten wir gen Jenibazar.
Bis hierher hatten wir die Dörfer zwar verlassen, aber unversehrt ge-
funden; in einigen waren die Einwohner wenige Tage vor uns weg gezogen,
und mit solcher Eile daß auf den frisch geackerten Feldern die Pflüge ausge-
spannt standen, und vor den Häusern Hunde bellend uns empfingen. Von
Arnautlar an aber zeigten nur Steinhaufen und einzelne Schorsteine die Stellen
det früheren Dörfer, und unzählige Ochsengerippe den Weg unserer Armee im
vorigen Jahre. In Jenibazar stieß unsere Avantgarde -auf den Feind, denr
wir unerwartet wie ein Donnerwetter am klaren Horizont erschienen. Mit der
größten Bestürzung stäubten die Türken auseinander, und wurden wie Haasen
von unseren Kosacken gehetzt und gerennet. Nachdem die Truppen einige
Stunden ausgeruht, zog sich die Infanterie mehr links nach Madera, während
die 1^ Brigade der 4^®« Uhlanen-Division in gerader Richtung nach IIIyM.ia
die Fliehenden verfolgte. Mit Leichen, Körben, Kleidern, Wagen in denen
flüchtige Landleute mit ihren Weibern und Kindern sich befanden,' war der Weg
bedeckt. Diese letzteren fielen alle unseren Kosacken in die Hände; eine
Menge halbreifer Kirschen mit denen die Wagen größtentheils beladen waren,
theilten die unglücklichen Familien scheinbar gerne unter die Soldaten aus,
und waren sehr erstaunt von den Offizieren dafür mit Geld beschenkt zu werden.
Schwer zu beschreiben war ihre Freude als sie bald darauf mit allem Hab
und Gut nach Schumi a geschickt wurden. Gleich hinter Jenibazar er-
blickten wir in der Ferne die blauen Balcan Berge, und den Rand von Schumla's
Kessel; etwas weiter zwei halbverfallene Redouten aus der vorigen Campagne.
Nichts freundliches lag in der Gegend, obgleich der Frühling eben erst seinen
Teppich über sie ausgebreitet hatte; oder war es vielleicht ein lange genährtes
Vorurtheil gegen Schumla? — Um 4. Uhr ungeföhr nahmen wir die Position
hei Madera (Maderda) ein. Unterdessen scharmützelten die Uhlanen am
472 Anlagen zu Kapitel IX.
Bulanik mit der Garnison die ihnen entgegen gerückt war, die sich aber
schleunigst zurück zog als die Artillerie auffuhr und die 2t« Hasmren Difision
ihr in die Flanke zu kommen drohte. Als der Tag* sich neigte standen alle
Truppen an den bestimmten Plätzen; die äußerste Rechte bildete das Elisabeth-
gradsche Husaren Regiment, dessen Patrullen bis über M arasch hinaus das
Land durchspäten. Die Waffen ruhten; von Schumla her kamen die Kosacken
mit ihrer Beute, mit Gewehren, Pferden und Mauleseln, die sie feil boten. Im
Lager herrschte ein unglaublicher Jubel und Frohsinn vom Oberbefehlshaber bis
zum letzten Soldaten. Das schönste Manoeuvre war gelungen, der Vizir in
der Falle, von seiner Basis abgeschnitten und gezwungen entweder die Waffen
zu strecken oder sich durch zu schlagen. Das war der einzige Lohn den wir
für unsere Mühen, für den beschwerlichen Marsch verlangten; an den Erfolg
der Schlacht dachte niemand, denn jeder trug die Zuversicht des Sieges in
seiner Brust! —
Noch am Morgen des 29^^ hatte der Vizir nicht die geringste Kenntniß
von unserem Marsch, welches in einem Lande wo alles, sogar die Weiber
unsere Feinde waren, beinahe unbegreiflich, and nur durch militairische Un-
wissenheit der Torken und ihre Sorglosigkeit erklärbar ist. Noch an eben dem
Tage hatte er sich aus IIIyM.la Munitions-Vorräthe kommen lassen, von
denen selbst einige Kisten bei unserer Ankunft von den Kosacken genommen
wurden. —
Das Hauptquartier stand auf einer Anhohe die von der Fronte in einer
sanften Abdachung bis zu einem sumpfigen Flüßchen sich erstreckte. Links
ebenfalls von einem Flüßchen durchschnitten, lag das zerstörte Dorf Madera
(Maderda) über welches sich in Gestalt eines Vorgebirges ein hober steiler
Felsen fast perpendiculair erhob; von diesem Felsen zog sich die Bergkette
bis zum Kamtschik herunter, zerrissen von jähen Ravins und mit undurchdring-
lichem Wald bewachsen. Auf dieser Bergkette, drei Werst von Madera, wo
die letzten Spitzen des Felsens mit Erde sich bedecken stand Kulewtscha
längst welchem aus einem engen Defilee sich ziehend, die grade Communi-
cations Straße von Pravodi, über mehrere Bergstufen, und unter denselben
über das erwähnte Flüßchen, nach Schumla hinunter ging. Zwischen Madera
und Kulewtscha war also an gar keinen Durchgang zu denken, indem die
natürliche Felsmauer mit Mühe höchstens von einem einzelnen Mann über-
stiegen werden konnte. Rechts vom Lager auf 6—8 Werst sah man in den
Balcanen Schumla^s Werke. Zwischen diesen und den Pravodischen Bergen
war das Terrain voll leichter Anhöhen die sich mehr erhoben je näher sie an
letztere sich anschlössen, in verschiedenen Richtungen sich schlängelnde, meist
moorige Flüßchen, unter diesen als Haupt der Bulanlik, und einzeln stehende
Bäume und dornichte Sträuche coupirten dieselben. — Uns im Rücken war die
Gegend frei und eben. Um vom Lager nach Kulewtscha zu kommen mußte
man durch Madera, des sumpfigen Flusses wegen, — über den zur Eröffnung
einer geraden Communikation mehrere Brücken geschlagen wurden.
Denselben Abend noch, nach Sonnenuntergang, ritt Toll mit uns auf
die Position von Kulewtscha, um sie zu recognosciren. Bei den Anordnungen
die der General traf war ich nicht zugegen, indem ich nach der 3t«u leichten
Anlagen zu Kapitel IX. 473
Oompagnie der Tten Artillarie Brigade geschickt wurde, welche aber auf dem
halben Wege vom Oberbefehlshaber Contre-ordre erhielt und umkehrte. Ich
kam also beinahe in TöUiger Dunkelheit zum General zurück, und habe nichts
von der damaligen Stellung der Truppen gesehn.
Im heiteren Glanz erhob sich die Sonne des 30^^" Mai am unbewölkten
Horizont. Die Nachricht vom Aufbruch des Yizir war eingegangen, doch mit
ihr keine Gewißheit über die Direction seiner Bewegungen. Auf dem Felsen
über Madera sah man einige bewaffnete Gestalten die mit Aufmerksamkeit
iinser Lager zu betrachten schienen. Es ist nicht unwahrscheinlich daß
gerade das Hauptquartier mit seinen Zelten dazu beigetragen hat den Türken
unsere Armee als sehr klein zu zeigen, weil diese ganz frei campirte, folglich
nicht so bemerkbar war. Von den Piquets vor Kulewtscha, des Obersten
Richter wurde raportirt man werde feindliche Oolonnen und Haufen von ungefähr
4000. Mann gewahr, die auf dieses Dorf heran rückten. Zwei in Madera
Gefangene sagten indeß aus der Vizir ziehe sich nach M arasch, und beab-
sichtige auf Kulewtscha bloß eine Diversion; diese Leute aber schienen
Terdächtig, konnten Spione, oder mit dieser Aussage abgeschickt worden sein.
Um sich genauer davon zu überzeugen, rückte der Graf Diebitsch mit dem
General Toll und dem übrigen Gefolge bis zum debouche aus d«n Pravodischen
Bergen nach Marasch, wo das Elisabethgradsche Husaren Regiment stand.
Allein hier ließ sich kein Feind blicken. Bey unserer Zurückkunft war noch
immer nichts gewisses über denselben; man glaubte selbst ob nicht etwa der
Vizir über Kiuprikioi in den Balcan sich zurück gezogen habe. Eine halbe
Stunde darauf begaben sich die Generale Diebitsch und Toll nur von den
<Jejourirenden Adjutanten begleitet, auf die Position von Kulewtscha. Ich
muß es erstaunend bedauern, auch dieses Mal bei den ausführlichen An-
ordnungen nicht zugegen gewesen zu sein. Über manches hätte ich ein
größeres Licht. Kaum aber waren wir in die Nähe des Dorfes Kulewtscha
gekommen, so wurde ich in die 6^« Infanterie Division geschickt, ihr den
Befehl zu bringen Ranzen und Mäntel abzulegen, die Feldflaschen mit Wasser
zu füllen, und dann ihre Stellung auf einer Anhöhe neben und rechts von der
Kulewtschaer Position ein zu nehmen. Nach Vollstreckung dieses Befehls
fand ich die beiden Generale schon auf dem Rückwege. Die Avantgarde bey
Kulewtscha erhielt Ordre anzugreifen; man wollte sich überzeugen ob die
vor dem debouche des Defilees sich sammelnden Truppen nur zur Diversion
bestimmt wären, oder ob sie wirklich die ganze Armee des Vizir's masquirten.
Gegen 10. zeigte an den Bergen sich rollender Pulverdampf, daß
<das^Gefecht bereits begonnen, und zugleich, da immer mehr einzelne Rauch-
wolken sich erhoben, daß die Türken ihre Massen entwickelten und die
unsrigen zurück drängten. Bald gingen auch Nachrichten ein die dieses be-
stätigten und um Secours baten. Da erhielt der General Arnold! den Befehl
mit der 19^^^ reitenden Batterie Compagnie (aus lauter Einhörnern bestehend)
dahin auf zu brechen, und ich, weil er die Gegend und den Weg nicht kannte,
ihn auf den mir bezeichneten Punkt der Position zu fähren. Bis hinter
Madera marschirten wir Schritt; als wir aber in der Ferne ängstliche Be-
wegung, ja flüchtige Packpferde und Troßknechte sahen, und auf den Gesichtern
474 Anlagen zu Kapitel IX.
Niedergeschlagenheit und Bewegung, da hieß es Trab! und im vollen Trabe
rasselten die Geschütze. Je näher wir dem Schlachtfelde kamen, desto blutiger
der Anblick; venrundete Soldaten von denen viele sterbend am Wege lagen,
Pferde, theils angeschossen, theils ohne Reiter wild herum irrend, Lazareth-
wagen im Gedränge auf und ab fahrend, alles zeigte daß es heiß her ging.
Gerade in die Position auf die bezeichnete Anhöhe führte ich glücklich die
Compagnie, ohne mich auf eine Linie zu irren. Ich weiß nicht ob ich dieses
meinem mich nicht leicht trügenden Auge oder dem Glück zuschreiben soll;
die reinste Freude aber empfand ich den richtigen Punkt im Augenblick ge-
troffen zu haben. War es Absicht den Feind durchaus innerhalb der Position
von Eulewtscha zu halten, und überhaupt nothwendig unsere Avantgarde zu
degagiren, so durfte unsere Ankunft um keinen Augenblick verzögert werden
ohne dem Gefecht vielleicht einen ganz anderen Ausgang zu geben. Wie wir
die bestimmte Anhöhe hinanfuhren sahen wir auch in der Niederung vor
derselben unsere zusammengeschmolzenen Truppen zurückziehend mit Mühe
nur gegen die auf sie eindringenden Türken sich halten. Diese, in zahlreichen
Haufen, ströhmten von den Bergen herab; das Dorf Kulewtscha war schon
in ihren Händen und unser Centrum, die 6to Infanterie-Division engagirt. Im
ganzen feindlichen Treffen waren ungefähr 15—20 Colonnen aufgeführt, von
denen die Hälfte, so wie sie uns gewahr wurde, ihre Mündungen gegen uns
richteten. In einem Nu waren unsere Einhörner abgeprotzt, nepean! und Tod
und Schrecken säend flogen die Kartätschen in die feindlichen Schaaren. Zu
gleicher Zeit zeigten sich hinten die heran rückenden Reserven. (Die 3^^ Bri-
gade der Uten Division??!!) — Beim vierten Kartätschen-Schuß bemerkte
man wie gleich Wogen des Meeres die Türken zurück prallten. Auch wir
befanden uns in einem starken Feuer, doch thaten uns die Granaten mit
welchen wir beschüttet wurden nur wenig Schaden. Mit der Nachricht daß
der Feind nicht weiter vordringe, sondern auf den genommenen Höhen sich
fest setzte, ritt ich zurück. Bald nach Abstattung dieses Rapports zeigten
die immer seltener werdenden Schüße daß das Gefecht aufhöre, und gegen
zwölf trat eine völlige Ruhe ein. Unterdessen zogen sich das 6te u 7te Corps,
die in der Nacht zu uns gestoßen und hinter dem Hauptquartier aufgestellt
waren, nach unserer rechten Flanke, das 7te Corps voraus.
Um 2. Uhr nach Mittag begab sich der Graf Diebitsch mit seinem Stabe
zu den Truppen des 6^^^ Corps die in Colonnen gegen den Feind geführt
wurden, von dem sie aber wenigstens noch 3 Werst sich befanden. Rothe
Linien, terassenartig eine über die andere, säumten von Kulewtscha an die
Höhen der vor uns liegenden Berge. Hie und da stieg aus dem Gebüsche
Rauch empohr; die Türken im Siegeswahn bereiteten ruhig ihren Mittag. Nun
war es klar daß die ganze Armee des Vizir's vor uns stand. Unsere Bewe-
gungen waren durch das coupirte Terrain beinahe ganz cachirt. Gegen 4
endlich fingen unsere Truppen an die dem Feinde gerade über liegende untere
Anhöhe zu erreichen, während die 5t*) Infanterie Division die am Morgen er-
müdete 6t« ersetzte. Bis dahin müssen die Türken der Meinung gewesen sein,
nur die aus Pravodi in der Nacht ihnen im Rücken gekommenen Truppen
des ßteu Corps gegen sich zu haben. Als sie aber plötzlich in imposanter
Anlagen zu Kapitel IX. 475
Gestalt unsere Truppen vor sich erblickten, und dadurch die Aussage der Ge-
fangenen daß die ganze Armee hier sey, bestätigt fanden, da bemerkte man
daß sie eiligst zu den Waffen griffen, und nicht recht wußten ob sie bleiben
oder fliehen sollten. Inzwischen hatten wir uns zur 6tcn Division begeben.
Hier sah ich meinen jüngsten Bruder mit der Freude wieder die man empfindet
wenn man eines geliebten Wesens wegen aus drückender Ungewißheit gezogen
wird, das Pawlogradsche Husarenregiment hatte den ganzen Morgen mitge-
fochten. Nach einer Unterredung mit dem Grafen Diebitscb gab der General
Toll der 5*«»^ Infant. Div. — die 2^^ Brigade cn tete — den Befehl vor zu
rücken, und führte sie gerade gegen den Feind, der hinter Kulewtscha, das
unbesetzt war, in starken Massen stand, vom Vizir selbst befehligt. ^- Während
die Infanterie den Berg hinauf marschirte, sprengte der Gen. Toll zur
lOtcn Artillerie Compagnie die unter der Bedeckung des Irkutzkischen Husaren-
Regiments ihre anfönglicbe Stellung nicht verändert hatte.
Auf den Zügen des Gen. Toll laß man den Sieg; die Ruhe und Bestimmt-
heit mit welcher er seine Befehle gab, und doch das Feuer in seinem ganzen
Wesen flößte Vertrauen und Begeisterung ein. In dieser Stunde war er gant
der Held, er dachte an nichts irdischem weiter als seinem Kaiser und Vaterland
den Sieg zu erringen. Immer an der Spitze, keine Gefahr scheuend, trotzte
er dem Tod der vor ihm zu fliehen schien.
Ein Granat-Schuß der braven 19teu Compagnie erneuerte die Schlacht;
der General Toll selbst bezeichnete einem jeden Geschütz seine Richtung.
Die feindlichen Kanonen antworteten, und noch schien es als ob die Türken
entschlossen wären sich standhaft zu vertheidigen. Alle feindlichen Kugeln
aber gingen über uns weg und schlugen hinter dem Irkutzkischen Regiment in
die Erde. Bey der Gten Granate die wir warfen erhob sich in der Mitte der
feindlichen Position ein dicker weißer Rauch und mit einer furchtbaren Explosion
flogen zwey türkische Pulverwagen in die Luft. Jetzt überfiel ein panischer
Schrecken den Feind; man sah wie seine Linien sich lösten und alllessich zu
flüchten suchte. Noch ein paar Kanonenschüsse wurden auf uns gemacht, als
wir aber immer näher vorrückten und unsere Granaten immer verwühstender in
die zusammen gerotteten Haufen fielen, als der dritte Pulverkasten aufflog und
als der General die Infanterie mit gefölltem Bayonet unter lautem Hurrah I
vorführte, da dachte kein Türke mehr sich zu vertheidigen, die Flucht war
allgemein. Auf der ersten feindlichen Stellung fanden wir 6. Kanonen, wie
wir aber auf der Spitze des Berges vor dem debouche des Defiles kamen,
kaum glaubten wir unseren Augen, die ganze feindliche Artillerie lag verlassen
vor uns, und mit ihr zwei Kanonen die wir den Morgen verlohren hatten. Mit
dieser Nachricht und dem Glückwunsch zum Siege wurde ich an den Ober-
befehlshaber geschickt. Schwer ist der Jubel zu beschreiben der jetzt ertonte,
der schönste, köstlichste Augenblick für den Krieger ist der Augenblick des
Sieges. Es wäre wohl überflüssig den Empfang zu schildern mit welchem
man dem General Toll entgegen kam; zwey ausgezeichnete Männer wurden
einander Schuldner; Schuldner der Freundschaft auf dem Felde von Kulewtscha.
Die weitere Verfolgung des Feindes wurde dem Grafen Pahlen über-
lassen, zu welchem außer der 5t<^u Division das Pawlogradsche und Ferdinandsche
476 Anlagen zu Kapitel IX.
Husaren-Regiment stießen; letzteres war ganz frisch und hatte den Feind nur
von weitem gesehen. — Während dieses bei Kulewtscha vorging war die
Garnison Schumla's ausgerückt, konnte aber bei ihrer Schwäche, und durch den
General Kreutz in Zaum gehalten, nichts unternehmen und mußten unter den
Kanonen der Festung bleiben.
Ermüdet kamen wir mit dem Abendroth zu unseren Zelten; mein sonst
so rüstiger Tscherkesse konnte kaum traben. Es ist mir unmöglich hier der
Scene nicht zu gedenken die mich in diesem Augenblick erwartete und die nie
aus meinem Gedächtniß schwinden wird. Wir waren eben von den Pferden
gestiegen und sprachen in verschiedenen Gruppen stehend über die frohen
Tagesereignisse. Da trat zu mir der brave General Arnoldi, nahm mich bei
der Eand und dankte mir in herzlichen Worten, ihn mit der ]9tcu Compagnie
so richtig geführt und ihm aufrichtig das Glück gewünscht zu haben das ihn
begünstigt hatte. — Diese öfTentlicbe Auszeichnung meines Dienstes über-
raschte und erfreute mich um so mehr da ich gar nicht daran dachte; ich hatte
meine Pflicht erfüllt und war nur froh im Bewußtsein an diesem merkwürdigen
Tage gut gedient zu haben, und von meinen Generalen mehr gebraucht worden
zu sein als die meisten meiner Cameradeu.
In unsere Mäntel gehüllt hatten wir uns auf die Erde niedergelegt um
frische Kräfte zum folgenden Tage zu sammeln; doch ich sollte noch nicht
an Ruhe denken. Kaum hatte ich die Augen geschlossen so ließ der General
mich kommen und beauftragte mich mit Befehlen zu Grafen Fahlen zu reiten,
der nach einem eben angekommenen Bericht 15 Werst, den Feind verfolgend,
vom Hauptquartier stand. Mit 5 Kosacken und eben so viel Pawlogradschen
Husaren machte ich mich auf den Weg. Die Nacht war schön, ein beller
Mondschein, nur dann und wann von einzelnen vorbeistreifenden Wolken ver-
dunkelt, begleitete mich. Die friedliche Ruhe der ganzen Natur lag auch auf
dem blutgetränkten Felde von Kulewtscha; schnaubend gingen die Pferde an
den Leichen vorüber die rechts und links vom Wege lagen. Wie wir auf der
Höhe von Kulewtscha und vor dem Eingange ins Pravodische Defile kamen,
theilte ich meine Eskorte in mehrere Abtheilungen, ließ die Säbel unter das
linke Bein nehmen, und befahl an den engen und buscbigten dunklen Stellen im
vollen Trabe zu gehen, beim ersten Schuß aber rechts und links aus Pistolen zu
feuern. Diese V^orsicht war um so nöthiger da bey der Debandade der
türkischen Armee wahrscheinlich eine Menge Traineurs in den Schluchten und
Wäldern sich verborgen hielten, um über einzelne kleine Detaschements,
Fourageurs, Couriere u. s. w. herzufallen, was in der vorigen Campagne
so häufig der Fall war, in der jetzigen aber nicht gelang, weil zahlreiche
Partheien von Cavalerie und Infanterie das Land zwischen unserer Basis und den
von ihr ausgehenden Linien und Punkten beständig durchstrichen und säuberten«
Daß aber meine Vermuthung damals nicht falsch war, bewiesen die einige
Tage später eingebrachten Gefangenen. Indeß kaum war es möglich das
Detile im Trabe zu passiren. Alles was die türkische Armee an und mit sich
hatte, lag in demselben. Zelte, Proviant- Munitions und Lazareth Wagen,
Flinten, Säbel, Patronen, Kugeln, Uniformen, Muntel, Schuhe, Teppiche, Lebens-
mittel jeder Art, alles lag bunt durcheinander. Ein panischer Schreck in der
Anlagen zu Kapitel IX. 477
höchsten Potenz hatte die Türken ergriffen, unglaublich, unbegreiflich für den,
der nicht Augenzeuge gewesen. Nachdem wir 6. Werst durch das Defile ge-
ritten, kamen wir auf eine freie Ebene über welche links der Weg nach
Pravodi geht. Zwischen diesem Wege und dem Saum der Gebüsche die sieb
rechts am Rande der Berge fortzogen, gegen 2. Werst vor dem Defile standen
die Truppen des Grafen Pahlen an Feuer gelagert. In der Ferne, etwas
rechts, sah man deutlich in den waldbewachsenen Bergen nach Marasch zu
ebenfalls acht bis zehn Wachtfeuer. Auf diese, nach Überreichung der De-
peschen, machte ich den Grafen Pahlen aufmerksam. „11 faut croire que ce
sont les feux de KouprianofT, antwortete er mir, j*y avais envoye un officier
qui, arrete par un ravin trop escarpe, a entendu ehanter au dela des chansons
russes.** — „Permettez, Monsieur le Comte, que j'ose en douter; je serais
plutot persuade que ce soient (sont) les debris de Parmee du Vizir que nous
Yoyons et qu*en leur donnant la chasse dans le moment meme, leur ruine
serait complete.*' — Dieser Meinung jedoch wollte der Graf Pahlen nicht
ganz beistimmen; die Truppen wären zu müde um auch nur einen Schritt
weiter zu gehn. Dann wolle er die Offiziere abwarten, die ausgeschickt waren
um Kundschaft ein zu ziehen. Die Truppen blieben also ruhig um ihre
Feuer. — Unterdessen war der Mond untergegangen, die Nacht dunkel und ich
zu erschöpft um auf der Stelle ohne dringende Noth um zu kehren. Ich legte
mich mit meinen Kosacken unter einen Baum, ließ die Pferde weiden und nach
einer kurzen wohlthätigen Ruhe eilte ich, wie es in Osten sich färbte, ins
Hauptquartier zurück. Jetzt zeigte mir der Tag deutlich was ich in der
Nacht nur verworren gesehen, die Trümmer einer Armee von 40. T. Mann!
An mehreren Stellen lagen schwer verwundete türkische Soldaten, an die ich
gefühllos vorüber ritt, beinahe ihres Wimmems mich freuend, denn verstümmelt^
ohne Nase und Ohren hatten die Unmenschen unsere gefangenen Jäger auf
ihrer Flucht niedergemetzelt. Schrecklich war nun der Anblick des Schlacht-*
feldes selbst; am widerlichsten die schwarzen blutigen Korper der türkischen
Neger. Viele ihrer Leichen hatten die Türken mit sich geschleppt oder am
Morgen verscharrt; an den weit aufklaffenden Säbel wunden, an den tiefen
ßayonetstichen der Gebliebenen, aber sah man die Erbitterung mit welcher
unsere Truppen gefochten, und an den zerstreut liegenden Haufen dafi unsere
Kartätschen ihr Ziel nie gefehlt hatten. Nicht ohne tief ergriffen zu sein rief
ich unseren vor und in Kulewtscha im Heldentod gefallenen Jägern ein letztes
Lebewohl zu. Schon übergab man ihre entseelten Körper der Erde! — Es
waren die Jäger, die ich vor Silistria kennen gelernt! —
Ehe ich zu den weiteren Begebenheitnn übergehe werfe ich noch einmal
einen Blick auf den dO^^ten May. Ich will es wagen meine Meinung über diesen
Tag nieder zu schreiben, nicht weil ich sie für richtig halte, sondern weil ich
einst zu sehen wünsche in wiefern ich richtig oder falsch geurtheilt habe.
Was ich also sagen werde gehurt nur mir an, und ist in mir schon damals
entstanden; ich mag nun Recht oder Unrecht haben, beides fallt auf mich
allein. — Bis zu dem Augenblick da unsere Avantgarde den Befehl erhielt
eine forcirte Reconaissance zu machen, erscheinen alle unsere Bewegungen als
die größte Vollkommenheit militairischer Combinationen. Eine forcirte Re*
478 Anlagen zu Kapitel IX.
conaissance war nothwendig um über die wahren Absiebten des Vizirs Licht
zu erbalten. Wollte man dagegen einwenden daß, um dahin zu gelangen,
man schon in der Nacht, oder wenigstens mit den ersten Strahlen des Morgens
Cavalerie-Patrouillen unter erfahrenen Offizieren des General-Stabs hätte aus-
schicken müssen, die der feindlichen Armee sich möglichst nähernd dieselbe
beobachten, uud über ihre Bewegungen genaue Nachrichten hätten geben können,
so war dieses wenn nicht unmöglich, so doch sehr unverlässig^ da bei dem so
äußerst coupirten Terrain, das uns dabei noch gänzlich unbekannt war, unsere
zu weit vorgeschobenen Posten leicht in feindliche Hände fallen, und statt des
gehöhten Vortheils, durch Ungewißheit und Aufdeckung unseres Plans dem
Feinde, den größten Nachtheil uns bringen konnten. Gesetzt also daß die
Attaque unserer Avantgarde auf die vor dem debouche des Defile^s sich
zeigenden Truppen unumgänglich war, so bleibt es unerklärbar warum sie
sich mit der äußersten Hartnäckigkeit gegen einen ihr 20. Mal überlegenen
Feind hielt, besonders da der General Otroschtschenko aus der immer
wachsenden, ihn zurückdrängenden Überzahl eiisehen mußte, er habe es mit
der ganzen Armee des Vizirs zu thun; unerklärbar, warum das Dorf Kulew-
tscha mit dem Aufgebot aller Kräfte vertheidigt wurde, da die Behauptung
desselben uns durchaus von keinem Nutzen sein konnte, indem das Dorf
sowohl als die dabei liegende Position von den oberen Anhöhen völlig dominirt
wurde; Zeit zu gewinnen aber keine Nothwendigkeit vorhanden war, weil
unsere Truppen schon seit unserer Ankunft in bester Ordnung ihre Stellungen
eingenommen hatten. Auch kann dieser Widerstand unmöglich im Plane des
Commandirenden, sondern nur an der Schuld des Generalen Otroschtschenko
gelegen haben, denn sonst wäre die Avantgarde wenigstens von einem be-
deutenden Tbeil der Armee unterhalten und nicht wie geschah, durch ihre
Schwäche einer beinahe gänzlichen Aufreibung ausgesetzt gewesen. War das
Ziel unseres unvergleichlichen Manoouvres den Vizir von seiner Basis ab zu
schneiden und seine Armee in einer Generalschlacht mit allen unseren Kräften
zu vernichten, so mußte es auch wünschenswerth scheinen diese Armee ganz
vor sich zu haben, um über sie mit unserer ganzen Macht her zu fallen und
sie zu erdrücken. Der erste Punkt des Plans war meisterhaft erreicht; unsere
Truppen standen perpendiculair auf der feindlichen Communications-Linie.
Wie sollte aber das zweite Resultat vollkommen erlangt werden, als man dem
Feinde nicht erlaubte sich zu entwickeln, sondern ihn vor einem Defile in
«iner solchen Position hielt, in welcher wir gegen ihn nicht einmal mit 10 T.
Mann mana?uvriren und Cavalerie gar nicht gebrauchen konnten, und dabei von
der Gegend völlig dominirt wurden? — Hätte sich die türkische Armee gleich
damals in guter Ordnung nach dem Kamtschik, selbst auf Umwegen, hinunter
gezogen, so wären wir wahrscheinlich des größten Theils der durch unseren
Marsch erlangten Vortheile verlustig gegangen. \Venn aber die Avantgarde,
nachdem sie sich von dem wirklichen Dasein des Vizirs überzeugt, mit ge-
hörigen Soutiens sich leicht vertheidigend, die Armee des Vizirs durch eine
falsche Retirade von den Anhöhen gelockt, und sie zwischen Madera und unseren
rechten Flügel, auf unsere fast in einer Ebene stehenden Truppen geführt
hätte, die durch das Terrain masquirt waren, so ist es nicht unwahrscheinlich
Anlagen zu Kapitel JX. 479
daß der Vizir selbst mit seiner ganzen Armee uns in die ITände gefallen wäre,
indem ihm zu gleicher Zeit der General Kuprianoff aus Pravodi kommend,
auf den Yon ihm verlassenen Bergen im Rücken erscheinen, und jede Möglichkeit
zur Flucht benehmen mußte.. — Daß dieser am Morgen einen Echec erleiden,
und dem von Pravodi abziehenden Vizir zu eilig nachfolgen wurde, war natürlich
nicht voraus zu sehen und ein unverzeihlicher Fehler. Il&tte man ihm aber
nicht ein stärkeres Detaschement geben. sollen? — So bleibt mir das Vor-
mittags-Gefecht völlig dunkel; unsere Fronte wurde um 2 T. Mann schwächer
die wir durchaus nicht verlieren mußten ohne dafür auch die geringste Ent-
schädigung zu haben. Denn gewiß nicht durch den Verlust der 2,000 Mann
ward der Sieg des Nachmittags erkauft. Daß bei dem was geschah der
General Toll einen anderen Plan gehabt, beweiset die am Abend vorher von
ihm bestimmte, aber nicht ausgeführte Commandirung der dt«u leichten
Compagnie der 7tcn Art. Brigade. — Um nach diesen Ereignissen den Sieg
doch noch zu erlangen, war das einzige Mittel den Vizir trotz seiner vortheil-
haften Stellung mit allen Kräften an zu greifen. Wem allein hier der Ruhm
gebührt, wer die Siegesfahne auf den Bergen von Kulewtscha gepflanzt hat,
ist bereits gesagt. -^ Nach Entscheidung der Schlacht hat Graf Pablen den
Feind durchaus ohne Energie verfolgt, da er ihm nur einige Gefangene machte,
ihn einen Vorsprung von 10. Werst nehmen ließ, und zuletzt nicht einmal genau
die Direction seiner Flucht wußte, obgleich er außer dem Pawlogradschen
Husaren Regiment gaüz frische Truppen hatte, welche aber statt der Ver-
folgung des Feindes mehr mit der Plündernng seines verlassenen Lagers sich
abgaben. Wo ist da der gepriesene General ! — Selbst dem angeächtet wäre
der Vizir mit seiner zertrümmerten Armee schwerlich nach Schumla gekommen,
wenn, als der Sieg schon nicht mehr zweifelhaft war, der General Rüdiger
mit dem 7t«n Corps in möglichster Schnelle nach Marasch zu aufgebrochen
wäre, und vor dem Kamtschik sich aufstellend, dem Feind die letzte Rietraite
abgeschnitten hätte. Freilich geschah dieses, aber spät, und dann muß G.
Rüdiger ebenfalls Fehler begangen und nicht entschlossen genug verfahren
haben, denn sonst hätte der Feind nicht durchschlüpfen können. — Wer
wollte nach diesem bezweiflen daß das Resultat unseres gelungenen Marsches
und der Schlacht von Kulewtscha ungleich wichtiger hätte sein müssen! —
Unsere Trophäen waren 50 Canonen, 3 Mörser, eine Menge Artillerie-Munition
und Flinten, das ganze Lager mit der Bagage, und selbst die Equipagen des
Vizirs; am ehrenvollsten aber gewiß die am Morgen verlohrenen und Nach-
mittags zurückeroberten 4 Canonen und 1 Fahne. Gefangene hatten wir kaum
.^00. Mann. — Demungeachtet war die Schlacht von Kulewtscha von dem
größten Gewicht; sie erhob die Bravour unserer Soldaten bis zum Enthusias-
mus, flößte ihnen das festeste Vertrauen zu den oberen Chefs ein, und vertilgte
die üblen Eindrücke der vorigen Campagne; sie gab Rußland eine russische
Armee wieder. — Die Türken verlohren ihre ganze Feldartillerie, ihre Armee,
die einzige Stütze des Sultans hörte auf zu sein, nach allen Seiten hin zer-
streuten sich die Flüchtigen, in der entlegendsten Hütte den Schrecken des
russischen Namens verbreitend. Kaum die Hälfte erreichte Schumla, und zwar
in einer solchen Demoralisation daB die Türken es nie wieder wagten sich
480 Anlagen zu Kapitel IX.
uns entgegen zu stellen. Hei Kulewtscha ward das türkische Reich in
seinen Grundfesten erschüttert.
Aus dem Bernbardischen Nachlaß, Ton einem Anonymus, wahrscheinlich
vom Baron v. d. Hoven, vom Generalstabe ToUs.
Die Mission des H^'or Ton StafT genannt ron Beitzenstein
in das Hauptquartier des russischen General en chef Grafen
Diebitsch. April — Juli 1829.
Sonnabend, den 11. April 1829 erhielt ich abends ein Billet folgenden
Inhalts:
Wenn pp. morgen zur Parade bei mir vorbeigehn, bitte ich vorher zu
mir heraufzukommen.
Müffling.
Das war öfters geschehen. — Wie überraschte es mich also am 12. April
früh zu hören, daß ich bestimmt sei, mit einem selbständigen, sorgfldtigst ge-
heim zu haltenden Auftrag in das Hauptquartier der russischen Armee nach
der Türkei abzugehn.
Auf mein Erwidern, daß es doch übel sei, daß ich hiezu so ganz und
gar nicht vorbereitet sei, entgegnete Müffling „Dies müsse er widerstreiten —
ob ich denn die Lektion vergessen hätte, welche er mir bei Einführung des
Kriegsspiels gegeben habe? — Wenn nur der Mann in sich vorbereitet wäre,
so werde er die Sache, um die es sich speziell handele, um so besser nur auf-
fassen, je weniger vorgefaßte Meinung darüber er in sich aufgenommen und
erst wieder zu bekämpfen habe. Getrost solle ich nur auf mich selbst bauen,
das werde mich nicht im Stich lassen. Nun möchte ich Nachmittags nach
Cbarlottenburg zu Gl. W(itzleben) fahren, da werde ich das Weitere hören, wa»
er, Müffling, selbst nicht könne und villeicht auch ihm geheim bleiben werde. —
Was er wisse, sei folgendes: Es sei festgestellt vom Kaiser, daß kein
Fremder diesmal bei der Armee sein solle. Vielen sei die Teilnahme abge-
schlagen. Die Form von 1828, nach welcher der Krieg offen vor den Augen
von ganz Europa und im Interesse von ganz Europa geführt werde, sei auf-
gegeben. Dies errege sehr verschiedenartige Ansichten. Einige Kabinette
meinten, Rußland wolle seine Schwäche nicht sehen lassen, andere meinten,
es wolle nur seine^habsüchtigen Absichten so lange verbergen, als es möglich
und nötig sei. — Nur dem König v. Pr. wolle der Kaiser offene Einsicht in
Alles gewähren. Deshalb solle, nach des Kaisers Wunsch, ein Stabsoffizier
des Generalstabs mit noch ein oder zwei Offizieren ganz insgeheim und nur
wie um wissenschaftlichen Zweckes wegen, dem Hauptquartier folgen. Diesem
Offizier solle aber auch noch ein bestimmter Auftrag zu teil werden, welchen
er, M., eben nicht kenne. Doch glaube er, daß sich dieser Auftrag darauf be-
ziehen würde, Herbeiführung eines baldigen Friedens zu befördern. Dies
schließe er auch daraus mit, daß S. M. der König geäußert hätten, meine Ab-
wesenheit werde nicht von langer Dauer sein und die Beendigung meines
Auftrags nächst den Ereignissen müßte mit in meiner Hand liegen. -^
Anlagen zu Kapitel IX. 481
General Witzleben, der allseitige Vertraute des Königs, war schon
krank und halb aufgegeben. Von mächtigen Gegnern angefeindet* Er äußerte
Folgendes:
Witzleben. Das wahrhafte Resultat des Feldzugs Yon 1828 sei un*
klar. Die Gesandten und Offiziere, die in so sehr großer Menge den Feldzug
von 1828 mitgemacht hätten, schilderten die ganze Unternehmung als ge*
scheitert und die Türken im Besitz aller Vorteile für den Wiederbeginn der
Feindseligkeiten.
Bei den Russen handle es sich nach ihnen nur darum, wie man mit
Ehren wieder aus der Patsche herauskommen könne. —
Ganz anders lauteten aber die russischen Mitteilungen und Schilderungen*
Nach ihnen sollte der Frieden jenseits den Balkan diktiert werden. Sowohl
an diese Ansicht als wie an jene knüpften sich Besorgnisse, dafi der Frieden
von Europa gestört werden wurde. An das Resultat des Feldzugs von 1828^
wie es durch die Gesandten u. s. w. aufgefaßt werde, knüpfte sich eine
nachteilige Geringschätzung Rußlands. Ein Teil sehe Rußland überhaupt ala
zu schwach an, ein anderer Teil halte es für stark u. eroberungslustig.
Es komme dem König darauf an, zu wissen, wie der faktische
Zustand der Verhältnisse
1) an Ort und Stelle sei? — Danach erst ließe sich das Weitere er-
wägen, ob der Friede von Europa, der jedenfalls erhalten werden müsse;
2) erheische, daß möglichst schnell Friede zwischen Rußland und
der Pforte vermittelt werde oder ob die Lage der Dinge
3) gestatte, daß ein für Rußland möglichst glanzvoller, das Dberge*
wicht gegen die Pforte klar und offenbar herausstellender Friede abgewartet
und sich preußischerseits für dies Gewährenlassen bei den anderen Mächtea
(namentlich England und Österreich) verwendet werden könne? —
Dies Dreierlei bilde den Umfang meiner Aufgabe:
Das Erste sei durchweg das zunächst Wichtigste, dasjenige, worin S. M«
auf meinen ganz unbefangen freien Blick vertrauten und zuversichtlich volle,
ganz offne Mitteilung meiner individuellen Ansicht und meines Urteils über
die Sache erwarteten. Direkt an S. M. solle ich berichten. Dahin nur die
<^uintessens, das Resultat und kurz angedeutet das Warum. Ein Tagebuch
solle außerdem an ihn, Gl. Witzleben oder falls er behindert sein solle, an
Gl. Müffling geschickt werden. Das solle die Belege zu meinen Ansichten
enthalten. Mit niemand weiter dürfe korrespondiert werden über die Ereignisse
und über das Politische.
Nach der eignen Ansicht, die ich mitteilen würde, sollte ich auch selbst
stets so lange handeln, als bis mir nicht etwa das Gegenteil bestimmt auf-
gegeben würde. Demnach also stünde es mir im Falle ad 2) völlig frei, Friedens-
vermittlungeu bei Diebitsch anzubieten, bei ihm Eingang zu verschaffen und
mir seine Genehmigung dazu zu verschaffen, daß ich als neutraler OiHzier und
lieisender vermittelnd zwischen beiden Parteien aufträte. Deshalb solle, mit
Wissen der Russen, meine Anwesenheit den Türken bekannt gemacht und auch
ihnen anempfohlen werden, sich in allen Dingen friedlicher Natur an mich« in-
direkt oder direkt, zu wenden« Verkehr mit der preußischen Gesandtschaft m
Schiern auD, Geschichte KuOlandä. II. 31
482 Aulagen zu Kapitel IX.
Pera sei mir von den Russen offen einger&umt, doch hätte ich alles vertraiilicb
mit Diebitsch selbst zu beraten und ihm offen vorzulegen. Auch in dem Falle,
daß ich anders zu handeln und mich auszusprechen verpflichtet fühle, als es
nach der Ansicht und den Plänen von Diebitsch sein möchte.
Wenn aber nach meiner Überzeugung Alles dahin sich gestalte, daß 3)
Stattfindung eines glänzenden Ausgangs für den Waffenruhm
Rußlands sich absehen ließe, ohne daß dadurch sofortiger Ausbruch eines
Krieges mit England zur See oder mit Österreich zu Lande entstünde, so sollte
ich nicht störend einwirken, sondern ruhig gewähren lassen. In diesem Falle
wären aber die entscheidendsten Beweise, die nur zu geben möglich wären,
als Belege meiner Ansichten einzusenden.
Dieser mein im Vorstehenden angegebene Auftrag sei ein Direktiv S. M.
des Königs. Da aber die Kenntnis der sämtlichen diplomatischen Verhältnisse
Preußens mit den Cabineten Englands, Frankreichs und Ostreichs sowie
Rußlands mir dabei notwendig sei, so habe S. M. dem Minister der auswärtigen
Angelegenheiten Grafen Bernstorf befohlen, mir einen Abriß davon zu geben.
Ich solle also den Grafen gleich morgen früh schriftlich anfragen, wann er
mich sprechen wolle.
Auch der Graf Bernstorf war krank und verlebt Nach ihm
wäre der Feldzug 1828 für die Ruhmsucht und das Eroberungsstreben des
Kaisers Nikolaus eine wohlthätige Abkühlung gewesen. Das was der Kaiser,
wie die übrigen Mächte, für den Handel im Schwarzen Meere von der Pforte
zu fordern hätten, sei auch ohne Krieg abzumachen gewesen. Da der Kaiser
dies wohl gefühlt haben möchte, hätte er den Krieg von 1828, als im Interesse
aller Großmächte als einen europäischen Feldzug dargestellt Alle Gesandten,
Offiziere aller Nationen hatten daran teilgenommen. Diese hätten kein im
ganzen rühmliches Resultat gesehen. Den Kaiser habe dieser Feldzug vom
Kriegführen degoutiert. Jetzt solle nun ein einziger von den Generalen,
Diebitsch, mit diplomatischer wie militärischer Generalvollmacht, diesen von
Rußland begonnenen Krieg weiterführen. Die Maske falle; es sei ein rein
russisches Unternehmen. Dabei brauche man keinen Zuschauer. Man wolle
sich nicht vor und während dem Spiele in die Karten sehen lassen. An die
Stelle der kaiserlichen Ruhmsucht sei der Ehrgeiz und die Eitelkeit der Deutschen
in der russischen Armee getreten. Ihr Chef, Diebitsch, träume sich schon
der Vemichter des türkischen Reichs, der Verdränger des Halbmonds zu
werden. — Solche thörichte Ideen und chimärische Träume setzten aber den
Frieden von ganz Europa auf das Spiel. Sie bedrohten die Verträge zu zer-
reißen auf welchen Europas Frieden beruhe. Rußland verletzte Ostreichs
und Englands Interesse und setze Preußen in die peinlichste Lage. Preußen
laufe Gefahr, in einen Krieg mit Frankreich verwickelt zu werden. Bourgoing
predige die Schwäche Rußlands, das Kommen der gelegenen Zeit, nun zu
vervollständigen, was der Westfälische Friede begonnen habe. Nämlich
Frankreich seine Naturgrenze bis zum Rhein zu verschaffen. Weder
England noch Österreich noch der Deutsche Bund würden 1830 Preußen bei-
stehen, wenn es verblendet in Vorliebe für Rußland die Hand zu dessen
Krafterweiterung auf Kosten des Interesses von Ostreich und England biete.
Anlagen lu Kapitel IX. 483
Preußen habe das gewichtigste und direkteste Interesse auf Frieden
in der Türkei zu dringen. Dazu müsse meine Mission benutzt werden. Schon
sei die Spannung zwischen Rußland einerseits und Ostreich und England
andererseits sehr groß. Meine Sendung könne benutzt werden, vertraulich den
letzteren Mächten mitgeteilt u« so Preußens Absicht und Stellung zur Sache
Kund zu geben. Aber deu Frieden auch so bald als nur möglich zu vermitteln,
das einzig und allein sei Preußens Pflicht und Rolle bei der Sache.
Als Repräsentant Preußens bei Diebifscb sei Anmahnung zum Frieden
mein Hauptwerk. Ein neutrales Element für beide Krieg führende Mächte,
welche des Friedens bedürftig wären und ihn, offiziell ausgesprochen,
wünschten, müsse ich bilden. Jede Gelegenheit ergreifen, Friedensverhand-
lungen anzuknüpfen. Ein Militär sei nur gewählt, um einen Vorwand des
Auftretens und die Eigenmächtigkeit, welche im Orient wohl vorkomme zu
mehrerer Freiheit her der Sache zu benutzen. Dann sei es auch Diebitsch's
Wunsch, nur mit einem Militär zu tun haben zu wollen.
Die Differenz zwischen dem, was mir der General Witzleben gesagt
und dem was Graf Bernstorf wolle, stand mir klar vor Augen. Ersterer
wollte erst sehen und danach zwei Fälle des Benehmens ableiten. Letzterer
glaubt schon alles Notige zu wissen und nur einen einzigen: FaH als schon
völlig konststirt erkennen zu müssen.
Ein Versuch, diese Differenz gänzlich zu heben, mißlang.
Auf wesentliche Erläuterung wurde sich nicht weiter eingelassen, als daß
mir S. Majestät der König tor Tafel in Charlottenburg sagte: Was Ihnen
Wif ziehen gesagt hat, ist meine Metnnng. Was Ihnen Graf Bemstorf gesagt
hat, verdient Berücksichtigung. Sie werden noch formell mit dem Erforder-
lichen versehen werden. Zu Ihrer Umsicht und zu Ihrem richtigen Takt habe
ich volles Vertrauen und so reisen Sie mit Gott, um bald wieder zu kommen,
denn lauge kann wohl die Sache nicht dauern.
Das Formelle, wovon der König sprach, bestand darin, daß
1) Graf Bemstorf ganz außer Verhältnis zu mir gestellt wurde,
2) daß ich eine unter Umständen ostensible Information schriftlich auf
Befehl des Königs durch den Kriegs minister erhielt und
3) daß mir die Briefe an Seine Majestät den Kaiser von Rußland, Minister
und Excellenz Gf. Nesselrode und an Diebitsch, welche ich mitbekam oder
sonst wegen mir ergangen wären, dem Wesentlichsten nach mitgeteilt erhielt.
In Warschau eröffnete der Kaiser N, dem General Ranch Prinzen
und mir
Es sei ein schauderhafter Krieg wegen der Beschaffenheit und Leere des
Landes, der Krankheiten mit Einschluß der Pest, die Diebitsch zu verheim-
lichen suche und sich nicht an sie kehren könne, so wie wegen der vielen
festen Punkte und der vielen Hindernisse des Terrains. Friede, aber nur ein
Rußlands würdiger d. h. einer der Alles das gewähre, um weshalb den Krieg
zu beginnen Rußland von der Pforte gezwungen worden sei — wäre der
Zweck dieses Krieges. Inwieweit aber Garantieen für die Dauer des zu er-
ringenden Friedens gefunden und vermittelt werden könnten, das sei freilich
31»
484 Anlagen zu Kapitel IX.
vom Gange der Ereignisse abhängig, — Constantin sagte: M. faites la paix
ou allez vout faire foutre. Dieu vous preserve de la peste. —
Wir reisten, am Tage yof der Krönung des K. als König von Polen, ab.
Am Pruth fanden wir dje Pest — die Pestilenz aller Art in Kalarasch seit-
witrts, (iiurgiewo, Silistria, schräg gegenüber am linken Ufer der Donau. Die
hier IVs d. M. breite Donau-Niederung war überschwemmt Ein Gewitter
hatte das Wasser unruhig gemacht; niemand wollte übersetzen. Alle Welt
aber sagte unst morgen früh breche Diebitsch nach Schumla auf. Nachzu-
reisen erlaube die Unsicherheit nicht. Für hohen Preis wurden wir beide
und einer unserer drei Diener auf einem kleinen Kahn nicht ohne Gefahr vor
dem Sturm und vor den wallachiscben Schiffern übergesetzt (am 4. Juni).
Mit der ersten Frühstückszeit hielten wir in voller Uniform unsern glorreichen
Einzug zu Fuß. — Noch stand das ganze Lager. Doch um 10 Uhr hieß es»
CS werde abmarschiert. Dem war nicht so. Nur zum Schein war die Nach-
richt verbreitet worden. Auf Nachmittag hieß es, es sei der Abmarsch ver-
schoben; auch das war nur Schein. Zum Schein rückten die Truppen aus
um von Diebitsch besichtigt zu werden. Sie marschierten dazu brigadeweise
ab und zogen aber still wieder gegen Abend in das Lager ein. Die
List glückte. Der Ausfall, welcher erkundschaftet war für den Fall des Ab-
zuges, um die Armee znm Verbleiben zu bewegen, wurde Abends erst weit
herausgelassen, dann kräftig angehalten. Viele Gefangene gemacht Die
Nacht hindurch hatten wir das Jammergeschrei im Zelte nebenan zu hören. —
Wir wurden an diesem Tage noch vom Sachstand informiert, offen und
wahr. Wir berichteten mit einem andern Jtigs nach Warschau abgehenden
Courier, an den dortigen Preußischen Konsul Schmidt zur Staffetten-Expedition
der Feldpost.
Resultat des Feldzuges 1828. Die Dobrutscha das Land zwischen
Meer und Donau bis zum Wall des Trajan und alles Land links der Donau
war völlig in Rußlands Gewalt gebracht
Vom Trajanswall bis Warna waren die Russen Herren der Küste.
Warna und Prawodi waren die Endpunkte einer verschanzten Postenlinie
längs dem Terrainabschnitt der Dewna und Nebenflüsse. Wie links an der
Küste, so sollten rechts noch Verschanzungen bei Eskl-Amautlar, Dewna, Kos-
ludschi, Jenikioi, Tschamurla und Bazardschik Deckung geben. Diese Punkte
waren unter Ol. Roth den Winter über schwach besetzt (der Verpflegoiig
wegen) behauptet worden.
Die Armee war den Winter über in der Wallache! und Moldau organi-
siert worden, kriegsmäßig auf das Bestmöglichste. Gl. Kiseleff organisierte die
Wallachei. Serbien und alle Slaven bis zur Adria standen zu Gebote.
.\nfangs Mai waren 401XX) Mann Operationstruppen 2. und 3. Armeekorps iu
der Dobrutscha bei Tschornivoda versammelt worden. Kosacken hatten
unteniessen schon das ganze I^ind von Prawodi über Jenibazar zur Beo^Mcb-
tung von Schumla Rasgrad bis Rustschuk besetzt und Silistria schon anfangs
Mai jTAuz umschlossen gehabt.
Von der v^^ee her war sich des Golfs von Burgas bemeistert worden
Zuerst SizeboH schon im März^ dann Emineb, Misivri, Burgas kamen nach
Anlagen zu Kapitel IX. 485
und nach in russische Hände. Dadurch wurden \on den drei Verbindungs-
«traßen zwischen Konstantinopel und Schumla, die eine über Burgas gesperrt,
die beiden andern aber über Aidos und Carnabat sehr bedroht. Zur Deckung
dieser Straßen hatte der neue Oroßvezier Reschid -Pascha den Hussein-Pascha
von Rustschuk (Aga der Cavallerie) mit 10000 Mann zurückgelassen. Die
Bevölkerung der Orte war empört gegen die Türken, welche unter Izzet
Mehmet-Pascha dem bisherigen Großvezier und vormaligen Capudan-Pascba hier
schrecklich gewirtschaftet hatten. -^ Die Empörung in seinen Truppen, Ge-
fechte zwischen Reguliren, Asiaten und Albanesen, Auseinanderlaufen der
Banden, Fehlschlagen der Absicht, in einem Winterfeld zug sich der Debouches
aus dem Balkan auch außer Schumla zu bemeistern, hatten Izzet's Absetzung
herbeigeführt. Doch war er Pascha von Rumili in Adrianopel geworden.
Der neue GroDvezier Reschid-Pascba hatte in Griechenland Ruf erworben.
£r war seit dem 21. März in Schumla bemüht, die neue Armee zu sammeln,
nur mit ungewöhnlichen Mitteln der Versprechung und durch Bewaffnung aller
Rajas, die nur wollten, gelang dies. Reschid hatte in Bosnien und Albanien
einigen Anhang. Seinem Sohne Vali Pascha wurde der 3. Roßschweif ver-
sprochen, wenn er viele Völker versammle. Reschid bot alles Mögliche auf.
Die gänzliche Nahrungslosigkeit im Lande, andrerseits Handgeld, Nahrung und
Aussicht auf Beute machten, dal^ das Volk zuströmte. Hätte Rußland Geld geboten,
so hätte es leicht eine Armee von 50000 Rajahs sammeln können — 30000 Servier
und 15000 Wallachen, 5000 Moldauer desgleichen. Was Izzet-Mehmet im
•Winter nicht hatte zustande bringen können, das hätte Reschid
gleich im Frühjahr, sobald als nur irgend fortzukommen war,
auszuführen gedacht. — Ehe noch Diebitsch die Donau überschreiten
könne, die ihr Thal im Frühjahr überschwemmt, glaubte Reschid schon am
Hange der Höhen die schwachen Postierungen an der Dewna, Prawody und
Varna nehmen zu können.
Aber die Debarkation im Golf von Burgas, welche den Geist des Auf-
standes nach Rumelien brachte, setzte den Sultan in Sorge. Die türkische
Flotte bewirkte nichts. Vergeblich hatte Hussein am 9. April Sizebol an-
gegriffen. Um seinen Kopf zu retten, schilderte er die russische Macht hier
als enorm. Er wurde nach Hause geschickt, um Rustschuk zu verteidigen.
Man glaubte in Gonstantinopel und Schumla, daß ein starkes russisches Korps
hier gleich landen und der Aufstand dieser bevölkerten Gegenden allgemein
werden würde. Zu einem solchen Unternehmen waren aber die russischen
Marinemittel nicht ausreichend. Als Reschid erfuhr, daß die russische Haupt-
armee sich in den ersten Tagen des Mai bei Tschemawoda sammelte, daß ein
anderes russisches Corps bei Ralarasch eine Schiffsbrücke bauen wolle, gab
er die Besorgnisse für Carnabat und die Bereithaltung seiner Armee zu einem
Rückmarsch über den Balkan auf.
Die Kosaken hatten einen Tartaren und seine Begleitung gefangen. Er
war vom Großvezier aus Schumla an Hussein nach Rustschuk bestimmt. Der
Großvezier wollte mit 40000 Mann die Russen unter Gl. Roth aufrollen.
Unterdessen sollte Hussein mit wohl 10000 Mann bis in die Gegend von
Turtukai scheinbar zum Entsatz von Silistria vorrücken und die Aufmerksamkeit
486 Anlagen zu Kapitel IX.
des General Diebitsch fesseln. Achmet Pascha in Silistria solle die Russen durch
Ausfälle festhalten, wozu seine über 10000 Mann starke Garnison stark genug
sei. Diese 20000 Mann und die den Russen nötige Festung Silistria sollte
selbige an der Donau fesseln, bis vor Mitte Juni Reschid heranrücken und
Diebitsch über die Donau jagen werde. Daß der Großyezier die Ausführung
dieses Planes begonnen habe, unterlag keinem Zweifel. Diebitsch hatte am
18. Mai 1829 Silistria berannt. Unterdessen hatte Reschid am 17. Mai gleich-
zeitig das Lager von Eski Amautlar und den befestigten Ort Prawody mit
seiner ganzen Macht in zwei getrennten, in sich wieder zerteilten Colonnen,
angegriffen. Gl. Roth hatte mit 3000 Mann im Lager gegen 15000 Mann zu
fechten, bis ihn Gl. M. v. Wachten mit 2000 Mann Infanterie, einer Batterie
und Gavallerie von Dewna aus entsetzte. Prawodi war durch Gl. Kuprianow
mit wenig über 2000 Mann gegen andere 16000 Mann gebalten worden. Noch
ein starker türkischer Reservetrupp (circa 10000 Mann) hatte bei Kirimna zur
Verbindung gestanden. Auf 40000 Mann mindestens, ohne die Garnison von
Schumla, ließ sich die Armee des(Großveziers) Reschid berechnen. — Ungewöhnliche
Ordnung hatte bei den Türken stattgefunden. Verfolgt als sie abzogen, waren
sie umgekehrt, und Gl. Rinden war mit 1500 Mann auf dem Platze geblieben.
Seitdem belagerte Reschid das Nest Prawodi seit über 14 Tagen. — Nach-
richten hatten Russen und Türken durch Bulgaren gegen Geld zur Genüge
und mit Genauigkeit. Eine verschanzte Position bei Kaorgu war durch GL
Madatow auf selbem Weg zwischen dem Lager von Silistria und des Gl. Roth
Truppen bei Kosludschi besetzt. Kavallerie-Postierungen und Relais machten
die Zwischenverbindung.
Zur Belagerung von Silistria war das 3. Armeekorps unter GL
Krassowski (15000 Mann Infanterie, 2(XX) Mann Gavallerie, 1(XX) Mann Artillerie,
zusammen 18000 Mann). Es bestand aus 30 Bataillonen und 16 Eskadronen
Husaren, circa (per Bat. 500 Mann, per Gavallerie- Regiment desgl. 500 Mann)
2000 Mann Infanterie verstärkten das 2. Corps unter Pahlen.
Mit dem 2. Armeekorps unter Gl. Lt. Gf. Pahlen, circa 22000 Mann
stark, werde Diebitsch am 6. Juni aus dem Lager vor Silistria abmarschieren,
um eine Schlacht zu suchen oder falls ihm ausgewichen werde, weiteres nach
den Umständen beschließen.
Die 40000 Mann, welche wir am 4. Juni teils in den Transcheen, teils
ausgerückt und abends im Gefecht gesehen hatten, waren im hasten Zustand
von der Welt, pie Organisation aller Dienstxweige zeigte sich ganz vor^
trefflich. Enthusiasmus für Diebitsch war allgemein. Nur der Gl. Quartier-
meister Toll brummte und grollte. Gl. Butturlin sprach klug und lobte auf
das Üppigste. Er stand an der Spitze der russischen Intelligenten, Toll an
der der inländischen Deutschen und Beamten. Diebitäcb, Roth, Rüdiger und
die Chefs der (leneralstäbe der Corps, Generäle Uerrmann, Wachten, Dellings-
hausen, Generalstab und Adjutanten waren ganz für Diebitsch. Weniger Pahlen. —
Das Diplomatische Corps dirigierte der Staatsrat Ponton, ein Penrot'). Er
sprach sich entschieden aus, daß erst ein kriegerischer Schlag geschehen
>) D. h. aus Pera.
Anlagen zu Kapitel IX. 487
müsse, ehe man an irgend Weiteres anders als Materialien sammelnd denken
könne.
Die große Frage sei, ob man pure Frieden schließen solle oder ob denn
gar nichts für die Bulgaren, die es kaum verdienten, oder für die Rumelioten,
für alle Slaven und Griechen jenseits des Balkan — die es gar sehr ver-
dienten — zur Besserung ihrer Lage geschehen könne und müsse. In einem
Werke der Humanität und Christenpflicht läge zugleich die beste Garantie
gegen jedes fernerweite übergreifen der Pforte. Die große Frage sei, ob man
die Streitkräfte der Moldau, Serviens, Montenegros, der Bulgaren, Rumelioten,
mit einem Worte aller Slaven aufbieten wolle oder nicht. Das wichtigste
Verhältnis dabei sei das zu dem Pascha Mustapha in Scodra. Er, dann der
Pascha von Bagdad und Ali in Ägypten wären die drei mächtigsten Ver-
bündeten Rußlands — nicht gegen Mahmud den Säufer, sondern gegen den
eigentlichen Herrscher in Gonstantinopel, gegen den Kaukasier Chosrew mit
seinen Landsleuten und ehemaligen Sklaven Reschid, Hallil usw. Ihm
dienten alle Personalitäten von Bedeutung. Er sei die Seele, welche noch
dem morschen W^esen, welches nur nominel Türkei heiße, Halt gäbe. Diese
Kaukasier wären durch die Behauptung ihrer Macht die achtbaren Feinde aller
Slaven wie aller Griechen. Ihre bedeutenden Persönlichkeiten überwältigten die
entnervten Türken und herrschten dadurch über sie. Sie wären ein edles Ele-
ment, aber eine große Erschwerung der Entwicklung der Interessen sowohl
der Griechen als Slaven. Wäre die Vielweiberei mit dem Christentum
zu verbinden, so wären längst keine Türken mehr, auch nur dem
Namen nach, regierend. Kaukasischer Herrschaftssinn oder Freiheit und
Vielweiberei hielten im Innern noch vor, während Diplomatie von außen ein-
reiße. Für ihre Sitten dem alten Wesen noch Halt zu verschaffen, das sei
fast das einzige Interesse aller dieser Machthaber. Ali und der Pascha von
Bagdad kommen hier zunächst nur maritim und abziehend in Betracht Ihr
Gold aber wirke zu Durazzo wie zu Gonstantinopel und selbst in Schumla.
Dies Gold sei Rußlands Alliierter. Mustapha sei der Erste, der in Europa
einen muhamedanischen neuen Staat zu gründen hoffe. Dies fände vielen
Anstand. Slaven und Griechen wären bigotte Christen. Ihnen erscheine der
Islam nur als eine gräuliche Verwilderung. Dieser könne Rußland nicht wohl
die Hand bieten. Mustapha und seine islamitischen Anhänger würden gleich
Christen werden, wenn sie nur ihre Weiber behalten könnten. Dies würde
sich wohl auch arrangieren. Aber die Entstehung eines neuen lebensfrischen vor-
herrschend slavischen Staates in den ausgedehnten Ländern zwischen Servien,
Montenegro, Griechenland, Bulgarien und dem dereinstigen griechischen Frei-
staat von Gonstantinopel sei der Gegenstand, welcher Mettemichs ganze Ab-
geneigtheit errege. Man fürchte, daß ein allgemeiner Föderalismus aller sla-
vischen Nationalitäten mit Rußland an der Spitze auch tief in das incohärente
Wesen des österreichischen Kaiserstaates eingreifen werde. Den Pascha Ali
von Janina habe man zwar mit ähnlichem Versuche früher gewähren lassen,
sich aber damit getröstet, daß er ein Rebell sei, mit dem wohl zu rechter
Zeit die Pforte wieder fertig werden würde. — Anders sei das jetzt. Mustapha
sei ein verständiger, worthaltiger, achtbarer, mächtiger und energischer Mann.
^HH Anlagen zu Kapitel IX.
I^itlrlit wnrde or 'M) bi» 40000 Mann aufbringen, die ihm weit wehr er-
KiitMiii wiren, uIn die Truppen des QroBveziers Reschid, welche nur aus Mangel
All Nahrung, Oewalt und durch leere Vorspiegelungen zusammengebracht und
gtihültnn würden. Mustapba sei schon seit dem Winter mit Rufiland in
liniorhaiidlung. P> vorlango nichts als des Kaisers von Rußland einfaches
Wort, ihm Nolnen jetzigen Machtbezirk erblich zu belassen bei dem Falle des
iiirklMohon Uniohos oder auch nur bei dem Frieden zwischen Rußland und
il0r Pforto. Mit einem jeden Staat, welcher sonst noch entstehe, etwa in
lluluarton und Itumelien, sowie mit Montenegro und Servien, werde er unter
HuUlnndN Vormittlung Frieden beschworen. Bis jetzt habe Mustapha kein
NoIoh^N Wort dos Kaisers, er begnüge sich mit den bloßen Schilderungen des
ltl«»(ohon Interesses, welches er und die russische Kriegsmacht hätten. Auch
dln llotrachtung, daß er doch schon kompromittiert sei und keine Macht mehr
htihi«, möchte ihn wohl für Rußland geneigt halten. Persönliche Feindschaft
mit Hussein Pascha in Rustschuk, der sowohl für den Groß vezier Reschid wie
für Mustapha Lebensmittel, Geld usw. schaffen solle und selbst nichts kenne
«Im Habsucht, käme dazu. — Wenn man aber über den Balkan wolle,
N(i müsse die Sache mit Mustapha und mit dem, was man mit der
christlichen Bevölkerung jenseits dem Balkan anfangen wolle,
wohl überlegt und im Voraus diplomatisch festgestellt werden. Sei nun dies
der Fall, so wäre es militärisch ein Leichtes, der Macht Ghosrews ein Ende
zu machen. Dieser schlaue Alte sehe dies Alles wohl ein. Während er in
Pera allen andern europäischen Gesandten vorerzähle, wie Rußlands Herrsch-
sucht und Einfluß auf alle Slaven und Griechen das Gleichgewicht von Europa
und alle Verträge zerreiße, unterhandle er stets im Geheimen mit Rußland
und lasse anbieten, daß wenn man nur einen Frieden mache, in welchem
die Pforte fortbestehe, er ja doch nur deren Regierung unter russischem Ein-
fluß fortsetze, weil er es ja müsse und nicht anders könne. — Denn jetzt sehe
auch jeder Türke ein, daß Rußland die einzige Macht wäre, welche ihrem
Reiche ein Ende machen könne und werde, wenn man türkischerseits nicht
die nötige Rücksicht für Rußland habe. — Es fehle nicht an mächtigen Zu-
stimmungen hierfür bei dem Kaiser Nikolaus selbst, und kein Zweifel sei, daß,
wenn es zu einem (paix a demi) Halbfrieden komme, so werde bei der ganzen
Sache nur Rußland allein, nicht aber, wie der Kaiser wohl gewollt und wie
sich jetzt die schönste Gelegenheit ergebe, ganz Europa und die allgemeine
Weltsache der Humanität und Civilisatiou für immer entschieden gewinnen.
Man fürchte in Europa Krieg und dadurch Wiedererwachung des kaum ge-
bannten und durch den Fürstenbund der Verträge niedergehaltenen Geistes
der Revolution. Diese Hydra eben könne man aber nicht besser vernichten,
als wenn man wahrhaft human und nicht blos engherzig diplomatisch
handele. Man möge nur dem civilisationsübervollen Europa die Türkei
und mit ihr Asien und Afrika zum Tummelplatz der Interessen aller
Art eröffnen. Dadurch würde aller Revolutionsstoff im Innern der
Länder einen wohlthätigen Abfluß und Beschäftigung erhalten. Dies
weite Feld sei völlig zur Emp^inglichkeit vorbereitet, die hier nur nut;Ben
könne.
Anlagen zu Kapitel IX. 489
Dies Vorstehende alles wurde, so frisch wie es sich mir erschloß, nach
Berlin berichtet. Nach einem Dejeuner ä la fourchette bei Diebitsch wurde
den 5. Juni Mittags aufgebrochen; der Marsch war nur kurz bis nach Kut-
schuk Kainardschi.
Den 6. Biwak bei den 3 Quellen nach 30 Werst Marsch.
Den 7. über Kaorgu ins Biwak??? — r>en 8. wird 18 Werst marschiert:
dann Mittags Halt.
Entsehlnß: — Gl. Wachten kommt an und schildert das Spezielle der
Stellung des General Roth und des Veziers, schlägt Yor, demselben von der
Seite von Schumla her in den Rucken zu gehen, sodaß man dazwischen stehe.
Das Terrain sei dazu gut und schon bekannt. Butturlin opponiert,will,daß man den
Yezier maskieren und gleich entschieden Schumla erstürmen solle. Schumla sei
nun einmal der moralische und strategische Schlüssel des ganzen Feldzugs. Ich
erkenne Letzteres an, erkläre aber mit Wachten, daß dies noch nicht der Moment
^ci> gegen Schumla zu operieren. Intime Freundschaft (mit Wachten) als Gleich-
stehender. Diebitsch entscheidet, daß sich zwischen den Vezier uud Schumla
geschoben und die Schlacht gesucht werden solle. — Wachten weiß gewiß,
daß bis zum 7. Nachmittags 3 Uhr der Yezier keine Ahnung des Anmarsches
hatte. Nach Schumla sind 6000 Albanesen zurückgegangen, 1000 Einwohner
und Landleute sind darin und zum Garnisondienst organisiert. Bei Kysly-
tschilar ins Biwak.
Den 9. Bis Alexkaie, Mittagsruhe. General Dellingshausen, Chef des
Oeneralstabs von General Rüdiger (der in Sizibol ist) berichtet von der Zeit
von vorgestern 3 Uhr bis zu seinem Wegritt. Nichts Neues; detaillierte
Stellungsangabe. Ordre an Roth zur Vereinigung in der Nacht bei Tausch
Kosludschi unweit Januskioi. Schöner 3Ioment. Biwak ohne Feuer und in
größter Stille.
Zweite Beratschlagung. Diebitsch, Toll, ßutturlin. Wachten und ich,
Toll will den Tag und weitere Nachrichten abwarten. Man werde
villeicht zwischen dem Vezier und Schumla eine feste Stellung nehmen
müssen. —
Butturlin: Entweder man überfalle die GOOO Albanesen in Schumla
und verspreche den Christen Freiheit, damit sie nicht stritten, oder man solle
so abmarschieren, daß man mit Tagesanbruch mit einer Reserve bei Markowtscba,
mit dem Gros zwischen Kusowtschi und Rowno auf dem buschigen Terrain
des Plateaus zum Angriff bereit stehe. Die Verfolgung des Sieges müsse zu
dem entscheidensten Resultate führen, denn die Wege nach Schumla und
Karnabat würden alle abgeschnitten. Von denen nach Aidos führenden
Wegen wären die im Prawodi-Bach-Tal gar nicht einzuschlagen, ohne sofortige
Vernichtung, die Bahn nach Komarowna zu sei aber von Markowtscha und
Kusowtschi her sehr leicht zu flankieren. — Das Projekt hatte etwas Kühnes
und Geniales. Toll verwarf es aber mit Härte als unreif und vorschnell.
Diebitsch fühlte sich hierdurch für Butturlin angeregt und verletzt, gab dies
nicht zu, opponierte mit Animosität gegen Tolls ewiges Abwarten. Der
Moment sofortigen Entschlusses sei da. Es solle nicht gezaudert werden. —
Diebitsch war zu aufgeregt, als daß es durch offnes Widersprechen thunlich er-'
490 Anlagen zu Kapitel IX.
schien, ihn auf andere Meinung zu bringen. — Wachten fragte mich halb
leise: „was ist denn Ihre Meinung?" «Die des Entschlusses (yom Preval am 8.)
von gestern, der Karte nach bei Maderda.'' „Ja Maderda ist der Punkt,''
sagte Wachten mehr als halblaut. „Was sprecht Ihr Herren von Maderda?*
fragte uns Diebitscb. — Wachten schwieg. Ich mußte das Wort nehmen. —
„Euer Exzellenz bestimmten gestern auf dem Preyal das Zwischenschieben.
Auf dem Weitermarsch hatten Sie die Gnade« mir auseinanderzusetzen, daB
man wohl eine drei bis vierfach stärkere Macht Türken ohne alle Gefahr
angreifen könne, wenn man nur entwickelt sei; daß man aber in Marsch-
kolonne und getrennten Teilen von ihrer ersten Impetuosität Alles zu ris-
kieren hätte. Dem eingedenk habe ich mir gedacht, daß das Rendezvous der
Armee hinter der Kuppe bei Maderda in der Gabel des Bulanlykbaches sein
würde. ** — Da haben Sie recht; man kann das Newschathai nur in vielen Fron-
talkolonnen passieren. Ebenso nur die Linksschwenkung machen. Bei Dunkel-
heit, Gebüsch, Zerrissenheit des Terrains bedarf es anderer Detailleführer als
wir sie haben, und langsamere Gegner als die Türken. Fallen sie auch nur
uuf einzelne Kolonnen, so ist schon die ganze Sache verpfuscht, dem Zufall
preisgegeben. „Das, Euer Erlaucht, ist auch meine Meinung, fügte Toll hin-
zu.'' — »Nun gut! In Zeit von IV2 Stunden wird der Marsch der Tete des
2. Armee-Corps nach dem Rendezvous-Plateau von Maderda angetreten. So viel
Parallelkolonnen wie möglich nebeneinander. So kurz wie möglich und alles
dicht auf. Das Hauptquartier bricht mit der Tete auf. General Kreutz wird
die Avantgarde, aus Kavallerie bestehend, kommandieren. General Otroschenko
soll mit seiner Jägerbrigade durch noch 2 Bataillon, 2 Eskadrons, 4 reitende
Geschütze verstärkt als Infanteneavantgarde folgen, ihnen beiden werde ich
jenseits Jenibazar weitere Befehle erteilen. Die Truppen der 6. und
7. Armee-Corps folgen den Bewegungen des Zweiten. General Kuprianow
muß von Allem benachrichtigt werden. Er soll sich dem Vezier zeigen»
wenn er abzieht. Auf Wiedersehn, meine Herren* — Toll und Wachten
traten zu mir und gaben mir die Hand. Butturlin schnitt mir eine
Grimasse. —
Der Marsch wurde so ausgeführt Es ergab sich, daß die Türken be-
deutend viel Cavallerie vor Schumla heraushatten. Eine Rekognoscierung der
Türken aus dem Newtschathale veranlaßte das Stehenbleiben des 6. und 7.
Corps, welches noch mit Prawodi in Verbindung blieb, und sogar einen tür-
kischen Wagenzug über Rowno im Thale gegen Prawodi Abteilungen in die
Flanke schickte.
Am 11. Juni 1829 kam es in dem Terrainwinkel von Kulewcza zur
Schlacht und gänzlichen Zersprengung der türkischen Armee. — Der Vezier
mit einem kleinen Trupp Reiter hatte sich auf einem Umwege über Maraach
nach Schumla geflüchtet. Abends geht der Courier.
Am 12. Juni geht General Roth bis Marasch, General Rüdiger aber bis Eski-
Stambul. Redouten im vorjährigen großen Lager der Türken, hinter Schumla,
werden genommen.
Dritte Beratung (NB. ohne Zusammenkunft): Butturlin dringt auf
sofortigen Sturm von Schumla. Diesmal vereinige ich mich mit ihm.
Anlagen zu Kapitel IX. 491
Umsonst — Toll ist nicht ganz dagegen, aber auch nicht dafür. Diebitsch
behauptet, das sei ein unnützes Blutvergießen. Er werde über den Balkan
gehen und Schumla liegen lassen. Auch Silistria nun loslassen.
Jetzt würden die Truppen von Achmet auch das Hasenpanier er-
greifen, so wie sie dazu nur trei Feld erhielten. Ich bitte Diebitsch
um ungestörtes Gehör zu Gunsten meiner Instruktion. Daß ich dies tun
soll nach einer Schlacht oder Eroberung einer bedeutenden Festung steht
darin ausdrücklich; ich soll dann selbst Auskunft geben. Dies faßt Diebitsch
mit Lebhaftigkeit auf. Er sagt mir: „so ist es recht. Oberzeugen Sie zu-
nächst den Kaiser, daß mich nichts Militärisches hindert, über den Balkan
und bis ins Lager von Daud Pascha auf den Höben von Constantinopel zu
gehen. Nur die politischen Hindemisse müssen von mir genommen werden.
Ich muß dem Mustapha, der mit 30000 Mann bei Nissa steht, bestimmte Er-
klärungen geben dürfen, die ihn zu meinem Alliierten machen. Er muß mit
einem Teile meine Avantgarde werden, mit einem andern Schumla mit blo-
kieren. Eigene Corps der christlichen Bevölkerung müßten sich unsem Truppen
anschließen. Dazu aber muß ich ermächtigt sein, ihre Zukunft vor der Rache
der Türken sichern zu können. Mit England stehen wir gut. Ali Pascha
und Mustapha sowie der Pascha von Bagdad haben Gehör bei den Engländern
gefunden. Ich werde einen Flottenkapitän zu unserer und zur englischen
Flotte schicken. Die englische Gesandtschaft in Pera ist mit Chosrew brou-
illiert. England hat bestimmt erklärt, daß es im Laufe dieses Jahres nichts
für die Pforte tun werde. Nach Wien werde ich Budberg schicken. Unsere
dortige Gesandtschaft soll ihn unterstützen. Metternich wird doch einsehen,
daß der Friede von Europa nur gesichert nicht geföhrdet wird, wenn dem
Skandal dieser Turkenmacht endlich ein Ende gemacht wird. — Sie werden
in Berlin nur bei dem König und bei Witzleben einigen Anklang finden, bei
Müffling villeicht Alle andern dort einflußreichen Leute sind im Schlepptau
von Metternich. Canitz in Pera hat sich an Guillemiuot angeschlossen, welcher
Gott weiß warum auf einmal sehr türkisch gesiunt geworden ist und sich ein-
bildet, die Türkei bleibend für Frankreich zu gewinnen, sie zu vergrößern
und Gott weiß, was er sich denkt. Canitz soll von ßernsdorf angewiesen
sein, gutes V'ernehmen mit Guilleminot zu erhalten und mit ihm Hand in
Hand zu geben und die Pforte zum Frieden zu stimmen. Auch meine
offiziellen Instruktionen schreiben vor, daß ich in dem Fall, wie er jetzt ist,
Friedensschritte thun muß. Sie könnten jetzt vermitteln, wenn Ihre Instruktion
nicht nun grade mir nach Wunsche Ihre Rückreise zur Vermittlung des Gewähren-
lassens vorschriebe. Ich werde nun direkt an den Vezier schreiben, allen
(iesandten in Pera Abschriften zugehen lassen. — So wie der Kaiser mir nur,
nach Ihrer Ankunft in Warschau, ein Wort darüber sagt, daß ich ungehindert
agieren darf, gehe ich über den Balkan, dachen Sie, daß Sie mich vor drei
Wochen noch eher einholen als ich Adrianopel erreiche. Wir wollen zusammen
vor Stambul rücken. Warten Sie morgen noch den Entschluß von Toll ab, ob
er in Folge einer Rekognoscierung, die er vornimmt, und der Nachrichten die
wir heute aus Schumla erwarten. Gründe von Gewicht für einen brüsken Angriff
findet. Ich halte ihn nicht für nötig — für ein nutzloses Wagnis. Glückts, so
492 Aulagen zu Kapitel IX.
hilfts wenig und macht wohl nicht einmal moralischen Effekt. Mißlingtii, so
thuts in vieler Hinsicht Schaden. ^
Am 13. Juni kehrte Toll Mittags zurück ; er war nicht abgeneigt, für die
Unternehmung eines gewaltsamen Angriffs zu stimmen, doch müssen noch
erst einige Erörterungen vorgenommen werden. Diebitseb äußerte, daß
wenn der Kaiser den Sturm nicht beföhle, was er nicht glaube, werde
er nicht umsonst Hlut vergießen. Schumla ohne Armee, dabei im
verschanzten Lager, sei zu umgehen. Es frage sich nur, ob von Silistria
ohne weiteres weg zu ziehen sei oder wie sonst Alles an der Donau zu
ordnen sein dürfte. Dies mußte sich binnen wenigen Tagen übersehen lassen.
Nachmittags ritten wir drei Abgeschickten über das Schlachtfeld nach Prawodi
^nd von da nach Varua, wo die Pest fürchterlich hauste. In Warschau ange-
kommen eröffnete mir der Kaiser, daß als er vor kurzem in Berlin gewesen
sei u. ersehen habe, wie sorglich, in Beziehung auf Frankreich, man die Sache
ansehe u. wie sie den König beunruhige, er offeriert habe, daß Preußen direkt
in Konstantinopel Frieden vermittelnd auftreten möge. Zu dem Ende sei
Gl. Müffling abgereist. Ob der König nun noch darauf eingehen werde, sich
für (rewährenlasseu zu interessieren u. dies bei Ostreich zu befürworten, stehe
dahin? — Witzlebens Abwesenheit sei hierbei ungünstig. Mit mehr Erfolg
noch sei jetzt vielleicht in Wien als in Berlin auf diesen jetzt wünschenswert
gewordenen Zweck hinzuwirken. Den Frieden von Europa wolle der (sc d.
Kaiser) nicht zu brechen Veranlassung geben. Wolle man aber Rußland
gewähren lassen, so sei es zu jeder nur irgend thunlichen Garantie darüber bereit,
daß selbst im Falle der Vernichtung des türkischen Reichs Ruß-
land für sich nicht eine Spanne breit Land haben wolle, und daß
Konstantinopel eine freie Handelsstadt unter gemeinschaftlichem
Schutze werden solle. Alles übrige möge ein Congreß bestimmen,
welcher die früheren Verträge zur Basis behalten könne.
In Berlin herrschte lediglich noch die Ansicht Mettemichs und nach ihm
die des Grafen Bernstorf. Seit Müfflings Abreise hatte man die Sache bereits
als abgemacht angesehen. Man war verdrießlich über neue Behelligung damit.
Meinen Mitteilungen über die Haltlosigkeit des ganzen türkischen Wesens, die
ich sehr speziell ausführte u. auf genaue Fakta basierte, standen die Guille-
minot-Canitzschen wie die östreichischen Berichte aus Pera entgegen.
Die uralte Meinung, als habe die Pforte eine kriegerische Macht, stand
noch zu fest. Daß es sich blos darum handelte, Gesindel zusammen zu bringen,
welches nur auf den Moment harre wieder aus einander zu laufen, war noch
nicht bekannt genug. Die Absicht von Diebitsch über den Balkan zu gehen,
wurde als eine Tollheit betrachtet.
Großfürst ConstantiD hatte mir gesagt: Diebitsch ist nun ganz
verrückt geworden. Seien Sie froh, nicht mehr bei ihm zu sein u. s. w.
ich freue mich nur, daß er meine Polen nicht zu verschwenden hat. —
Graf Bernsdorf sagte:
Diebitsch ist durch seine Eitelkeit im Begriffe, alles zu zertrümmern,
was zum Frieden und Wohle Europas seit 15 Jahren mit Mühe u. Not erlangt
worden ist. —
Aulagen zu Kapitel IX« 49):)
Sr. Majestät dem Köuig hatte ich 2 Mal die Ehre, uDgesturten Vortrag
machen zu dürfen. Hier blieben meine Schilderungen nicht ohne Erfolg.
Nach dem 1. Vortrage stellte sich als wahrscheinlich heraus, daß ich über
Neapel und Griechenland dem Gl. MüfÜing nachgesendet werden würde, um
ihn zu minderer Eile zu veranlassen u. Ton den Türken zu den Russen als
Vorläufer Müfflings zu gehen.
Dies wurde aufgegeben. Mein Friedensvermitteluugsauftrag wurde ent-
schieden durch den weit kräftigeren des Gl. M. als aufgelost erklärt. Minister
Gf. Bernsdorf sab in mir nur den Soldaten, der zur Fahne des Diebitsch aus
Passion geschworen habe u. entfernt werden müsse. Er eröffnete mir, man
brauche nur einen Berichterstatter bei Diebitsch. Alles das aber, was ich
nun wisse
1) Sendung des Gl. Muff fing,
2) Standpunkt des Wollens des Kaisers, der Geneigtheit des Königs
hierzu u. s. w.
müsse für Diebitsch so lange ein Geheimnis seiu, bis Müffling dies Geheimnis
zu brechen an der Zeit finden würde. — Es sei an mir, zu erwägen, ob ich
mit diesem momentanen Geheimnis zu Diebitsch zurück gehen wolle? — Meine
Antwort war entschieden, daß ich nur dann zu Diebitsch zurück
kehren könne, wenn ich völlig offen gegen ihn bleiben dürfe, daß
ich ihn aber bestimmt dazu bewegen würde, nur auf den Höhen
vor Konstantinopel Frieden anzunehmen.
Der Minister erwiderte, daß er dies von mir erwartet habe und nach
Diebitsch Briefen kein Zweifel sei, daß meine Rückkehr nur für Diebitsch
der Schlüssel zu gewagterer Unternehmung sein werde. Nach Anhörung
meines Berichts u. nach den Mitteilungen des Kaisers in den Depeschen, die
ich mitgebracht hätte, sei der Entschluß S. M. des Königs nun dahin gefaßt,
mit dem Kaiser darin übereinzustimmen, 'daß man die Ereignisse ihren Gang
geben lassen wolle. Dergestalt ist sowohl Diebitsch für Fortsetzung des
Krieges, als Müffling für dessen Beendigung nach den Umständen zu handeln
ganz freie Hand gelassen worden.
Unter diesen Umständen sei es am Besten, wenn ich gar nicht wieder
auf diesen Schauplatz ginge, auf dem sich keine für mich passende Rolle
fände. Denn als Teilnehmer u. Berater von Diebitsch verlange Preußens
Politik, daß ich nicht erscheinen dürfe. Und deshalb sei auch der König ver-
hindert, mir den Orden pour le m^rite zu geben u. habe mir den Johanniter-
Orden mit der Äußerung erteilt, daß mir der Grund gesagt u. mir bemerkt
werden solle, es werde mich interessieren, daß ich doch wohl der Letzte sein
würde, welcher den S. J. 0. seiner eigentlichen Bestimmung nach im Kampfe ,
gegen die Ungläubigen erhalten habe.
Demnach ging ich zur Erholung nach Ems und Major Wildermeth reiste
mit der Weisung zu Diebitsch, daß er und Rittmeister Panzer fortan sich auf
nichts mehr als auf Berichterstattung einzulassen hätten.
Wie mir befohlen war, meldete ich an Diebitsch blos mit russischer
Couriergelegenheit, daß die Verhältnisse mir nicht gestatteten zu ihm zurück
494 Anlagen zu Kapitel IX.
zu kehren. Ich wußte, daß er daraus lesen mußte, raan wolle nichts für seine
Pläne thun. Weiteres zu schreiben hätte aber meine Dienstpflicht verletzt. —
Außer blindem Glück giebt es ein auch einsehendes.
Das Glück ist meist nichts anderes als Benutzung des Gegebenen zur
Herbeiführung oder Ersehen einer günstigen Situation, in der man den rechten
Moment erfaßt u. die geeigneten Mittel auf die richtige Weise in Anwendung
bringt. Solch Glück hatte Diebitsch durch die Schlacht von Kulewtschi
gehabt. Was eine Schlacht u. was eine Festung bedeute? Das trat nun
interessanter Weise auf die Spitze gestellt ernstlich heraus.
Alle Diplomaten und Juden fragten nur, ob Diebitsch Schumla ge-
nommen habe. Militärs hielten die Schlacht, die Vernichtung der türkischen
Armee für das Wesentliche. Wohl war sie es auch — aber nur als ein
Schlüssel, nur als der Beginn zu einem Weiteren. Aber wie nach der Schlacht
von Cannae nur die Phantasie der erschrockenen Romer «Hannibal ante portas*"
sah, so nur sehen auch die erschrockenen Bewohner des Serai und deren
Erhalter in Pera „Diebitsch vor ConstantinopeP. Kr wurde nur Sabalkansky
nicht Gonstantioopolsky. Daß er letzteres nicht wurde, brach den innersten
Lebenskeim dieses großartigen Geistes u. edeln Charakters, dem körperliche
Unform viel Erschwerendes in den Weg gelegt hatte.
Fünf Wochen war Diebitsch vor Schumla stehn geblieben. (11. Juni bis
16. Juli.) Nun erst, nachdem Silistria genommen, brach er in der heißesten
Jahreszeit auf, um über den Balkan zu gehen. Dies war nun nicht mehr
ohne große Schwierigkeiten. Ihre Beseitigung und Cberwindung kostete große
Sorge, Anstrengung und Verluste. Das Detail dieser Operationen bis Adria-
nopel und das Vorschieben der Kosaken bis IV2 Meilen über Araba Burgas
bietet des Interessanten und Lehrreichen die Menge. Verderblich wäre ein
Aufenthalt von mehreren Tagen bei Aldos geworden, wo ungesunde Luft das
böse Fieber in die Armee brachte, dem auch unsere beiden Kameraden Wilder-
meth und Panzer in Adrianopel erlagen. Sie ruhen neben einander, auf
christlichem Kirchhofe; einen Stein mit Einschrift ließ ihnen Diebitsch setzen
und schickte die lithograüscbe Abbildung in vielen Exemplaren nach Berlin
zur Verteilung.
Concept des Major von Staff, genannt von Reitzenstein.
Kriegsarchiv des großen Generalstabes V A. Nr. 7.
Kapitel X.
Die Truppen der aktiren Armee am 2./U. Juli 1829.
Aufstellung des Grafen Toll.
Generalstab der Armee:
Stabschef Generaladjutant Graf Toll.
Chef des Ingenieurwesens Generalmajor Lechner.
Chef der Artillerie General der ArtiTlerie Baron Löwenstem.
Hauptverwaltung des Proviantwesens Senator 3. Klasse Obakumow.
General -Intendant G. M. Kometadius.
General-Quartierraeister Generalmajor Buturlin.
Anlagen zu Kapitel X. 495
General du jour Generalmajor Obrutschew.
Chef der Belagerangsartillerie Generalmajor Arnoldi (steht beim Chef
der Artillerie und Oberst Eriks II besorgt seine Geschäfte).
Chef des Parks Oberst Ladysbinski.
Kriegs- Generalpolizeimeister Oberst Dobrowoijski.
Kommandant des Hauptquartiers Major des Gendarmerie-Regiments
Sajatschnewski.
General -Wagenmeister Oberst Melnikow.
Direktor der Hospitäler Staatsrat Kurik.
Feld-Generalstabsarzt wirkt. Staatsrat Witt.
Feld-Postdirektor der Beamte 5. Klasse Pohl.
Feld-Obergeistlicher Protohierej Janowitzki.
Vorsitzender des Feld-Auditariats Generalmajor Wolkow.
Verwalter der von der Armee besetzten Stellen:
In Moldau und Walachei: Bevollmächtigter Vorsitzender der Divans
Generalleutnant Sheltuchin (später abgelöst).
In Bulgarien Kriegs-Generalgouvemeur Generaladjutant Golowin (ab-
gelöst).
Im Gebiet Bazardschik Tschukmatscbew, Direktor der Kanzlei des
Oberkommandierenden.
Zum Konvoi des Hauptquartiers gehören: Die 3. und 6. Eskadron des
Gendarmerie-Regiments.
Das Doltina-Kosaken-Regiment, eine halbe Kompagnie der mobilen
Invalidenkompagnie Nr. 62.
Das 2. Infanterie-Korps.
Korpskommandeur Generaladjutant Graf Pahlen.
Korpsstab: Chef des Stabes Hermann (abgelost).
Chef der Artillerie Generalmajor Polosow.
Oberquartiermeister Oberst Rennenkampf I.
Dnjourierender Stabsoffizier Mjässojedow vom Leib-Garde-Dragoner-
Regiment.
4. Infanterie-Division Generalmajor Stegmann. Divisions-Qoartiermeister
vom Generalstabe Martinau.
1. Brigade Generalmajor lefimow.
Wologdasche j "
2. Brigade Generalmajor Michailowski-Danilewski.
Kostromasche \
Galitzsche j ^^J*'
3. Brigade Generalmajor Schalaschnikow.
7. Jäger S. Petri bei Daja.
8. Jäger 6. Komp. bei S. Petri, 2. bei Altiniza und Karnodschi.
4. Artillerie-Brigade.
Batterie Komp. Nr. 1 5 Geschütze bei Petri, 3 bei Banjas.
Leichte Batterie Nr. 2 Daja.
Archangelgrodsche , ^
in Garnison in Silistria.
496
Anlagen zu Kapitel X,
in Reserve unter Kommando des
Grafen Pablen.
Nr. 3 6 Geschütze bei Petri, 2 bei der Batteri»
an der Mündung des Ardschis.
i). Infanterie-Division. Generalleutnant Ssumima. Quartiermeister der
Division Uschakow, Hauptmann im Generalstabe.
1. BrijQ^ade Generalmajor Lutkowski.
ßieloserski )
Olonetzki 1 *" Reserve unter Kommando des Grafen Fahlen.
2. Brigade Generalmajor Malinowski (beim Regiment Ladoga).
.Schlüsselburg — zur Zeit in Silistria.
Ladoga.
3. Brigade Generalmajor Frolow.
9. Jäger
10. Jäger
5. Artilleriebrigade
Batterie Kompagnie Nr. 1
leichte Nr. 2
Nr. 3
0. Infanterie-Division. Generalmajor Fürst Lubomirski. Beim Chef der
Division Generalmajor Parensow, Divisionsquartiermeister Hauptmann Spore
vom Generalstab.
1. Brigade Generalmajor Warpochowski
Newski
Sofiiski
2. Brigade Generalmajor Kasnakow
Narwski
Koporski
3. Brigade Generalmajor Otroschtschenko
11. und 12. Jäger
6. Artilleriebrigade
in Reserve unter Kommando
des Grafen Pahlen.
in Reserve unter Kommando des
Grafen Pahlen.
Batterie Kompagnie Nr. 1
leichte Nr. 2
Nr. 3
2. Husaren- Division bleibt auf Befehl in Dewno. Generalleutnant Baron
Budberg. Zu ihm kommandiert Generalmajor Petresehtscbew, Quartiermeister-
Hauptmann im Generalstabe Ssobolewski.
1. Brigade (leneralmajor Soldau (abgelost, vakant).
Erzherzog Ferdinand, Pawlograd in Reserve unter Kommando de»
(irafen Pahlen.
2. Brigade Generalmajor (ila^>nap.
Jelisawetzgrader, Irkutzker im Beobachtungskorps Generalleutnant
Krassowskis. ,
Brigade Artillerie zu Pferde.
Keitende Kompagnie Nr. 3 in Reserve beim Grafen Pahlen.
Reitende Kompagnie Nr. 4 im kleinen Beobachtungskorps General-
leutnant Krassowskis.
5. Vorstadtsche (Furschtadskaja) Brigade, 4 Bataillone.
Anlagen zu Kapitel X. 497
8. Infanterie-Korps.
Kommandiert vom Generalleutnant Krassowski.
Korpsstab: Stabschef Generalmajor Forst Gortschakow.
Chef der Artillerie Generalmajor Essaulow.
Oberquartiermeister Hauptmann Stich vom Generalstabe.
Dujourierender Stabsoffizier Oberst Chandakow vom 4. Ukrainschen
Ulanenregiment.
7. Infanterie-Division. Generalleutnant Juschkow, Divisionsquartiermeister
Hauptmann Ladysbinski vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Kolen (krank in Kalarasch).
Muromer, Niscbegoroder in der linken Kolonne.
2. Brigade Generalmajor Laschkewitsch.
Nisowsche Regiment in Varna.
Simbirskische in der linken Kolonne.
3. Brigade. 13. und 14. J&ger in der linken Kolonne.
7. Artilleriebrigade.
Batterie Kompagnie Nr. 1 in der linken Kolonne.
Batterie leichte Nr. 2 in Dewno.
Batterie leichte Nr. 3 wird bei der Bergartillerie Nr. 2 gebraucht
werden.
8. Infanterie-Division. Generalleutnant Sass II, zu ihm kommandiert:
Generalmajor Ssafianow; er kommandiert die Reservebrigade dieser Division
Divisionsquartiermeister Hauptmann Hastfer vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Löwenhof (krank, es kommandiert der Oberst
des Pensascben Regiments Ssawostjanow.
Troitzker, Pensaer
2. Brigade Generalmajor Shilenkow
Tambower, Ssaratower
3. Brigade Generalmajor GersdoriT.
15. und 16. Jäger in Garnison in Silistria.
9. Infanterie-Division. Generalleutnant Bartholome. Divisionsquartier-
meister vakant.
1. Brigade Generalmajor Tschebyschew
Tschcrnigower, Poltawaer
2. Brigade Generalmajor Helwig
Alexopolsker, Krementschuger
3. Brigade Generalmajor Melgunow
17. und 18. Jäger (3. Bataillon)
Das Bataillon der 18. Jäger, das in Fokschani liegt, hat Befehl erhalten,
sich dem Regiment anzuschließen.
9. Artillerie-Brigade Batterie Kompagnie Nr. 1 1 im Beobachtungskorps
leichte Nr. 2 und 3 f Generalleutn. Krassowski.
3. Husaren-Division. Generalleutnant Fürst Madatow. Zu ihm komman-
diert Generalmajor Montresor (zur Zeit bei General Woinow), Divisions-
<iuartiermeister Hauptmann Jakowlew vom Generalstab der Garde.
Schiemann, Geschichte Rußlands. IL 32
im Beobaehtongskorps General-
leutnant KrasBowskis.
im Beobachtungskorps
Generalleutnant Krassowskis.
498 Anlagen zu Kapitel X.
im BeobacbtuDgskorps
Generalleutnant Krassowskia.
1. Brigade Generalmajor Murawjew
Achtyrsche und Alexandrisker
2. Brigade Generalmajor Brinken
Regiment Feldmarscball Wittgen-
stein, Prinz von Oranien
Brigade der Artillerie zu Pferde.
Reitende Kompagnie Nr. 4 befindet sich beim Gardekorps.
Nr. 6 beim Beobachtungskorps General-
leutnant Krassowski.
3. Vorstadtbrigade (Furschtadskaja), 4 Bataillone.
Truppen des 4. Infanterie-Korps, die bei der 2. Armee stehen.
10. Infanterie-Division. Generalleutnant Nagel. Divisionsquartiermeister
Oberstleutnant Dluski vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Ssemischin.
Rgt. G.-Feld-M. Herzog Wellington, Mohilewer in Vama.
2. Brigade Generalmajor Kuprianow.
Witebsker in Vama, Polozker in Prawodi.
3. Brigade Generalmajor Rall.
19. und 20. Jäger in Prawodi.
10. Artillerie-Brigade.
Batterie Kompagnie Nr. 1 in Vama.
leichte Nr. 2 in Prawodi.
Nr. 3 in Vama.
11. Infanterie-Division. Generalmajor Kusmin. Divisionsquartiermeister
Hauptmann Bergenheim vom General Stabe.
1. Brigade Generalmajor Andrashekowitsch (abgelost).
Eletzker, Sewsker — bei Bukarest
2. Brigade Vakanz.
Brjansker. 1 Bataillon auf der Flotte und je eine Kompagnie
in Brailow, Babadagh, Hirsowa und Tschemowodi.
Orlower. 1 Bataillon in Kästendschi, 8 Kompagnien in Kowaraa
und 1 in Mangalia.
3. Brigade Generalmajor Swjetschin.
21. und 22. Jäger in der Reserve des Beobachtungskorps (zur
Zeit zum Heumachen verwendet).
11. Artilleriebrigade.
Batterie Kompagnie Nr. 1. Ssemteschti in der großen Walachai.
leichte Nr. 2 in Silistria.
Nr. 3 auf dem Marsch nach Kosludschi, um sich
der Jägerbrigade der 11. Infanteriedivision anzuschließen.
0. InfSanterie-Korps.
Kommandierender General der Infanterie Roth.
Korpsstab: Stabschef Generalmajor Wachten.
Chef der Artillerie Generalmajor Diterich.
Oberquartiermeister Oberst Vietinghof vom Generalstabe.
Dujourierender Stabsoffizier Oberstleutnant Woronkowski.
Anlagen zu Kapitel X. 499
16. Infanterie-Division. Generalmajor Weljaminow. Oberquartiermeister
Oberstleutnant Nioberg vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Herken (unter Gericht).
Selinginsker, Jakutzker, in der linken Kolonne.
2. Brigade Generalmajor Gabbe (fungiert als Stabschef bei General-
adjutant Kisselewy die Brigade kommandiert Oberst Bjelogushew vom
Ochotzker Regiment.
Ochotzker, Kamtschatkaer — in der linken Kolonne.
3. Brigade Generalmajor Kladyschtschew.
31. und 32. Jäger — in der linken Kolonne.
16. Artilleriebrigade.
Batterie Kompagnie Nr. 1, leichte No. 2 in der linken Kolonne,
No. 3 in Dewno.
17. Infanterie-Division. Generalmajor Prigara, Divisionsquartiermeister
Stabskapit. Baron Rehbinder vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Schirmann.
Jekaterinenburger — Kaie und Turno.
Tobolsker — bei Krajowa.
2. Brigade Generalmajor Eismont.
Tomsker — bei Tschars
Kolywaner — 1. Bataillon in Kalafat, das 2. an der Donau von
S. Rasti bis zur Mündung der Olta.
3. Brigade Generalmajor Kusmin.
33. Jäger — 3. Kompagnien in Poljana und 2 beim Wall Alenilar,
und je eine in Ssaltscba und Dessa.
34. Jäger ~ 1 Bataillon in der Festung Rahowa und 2 Komp.
in Tschernitza und Tscherescbti.
17. Artilleriebrigade.
Batterie Kompagnie Nr. 1 bei Krajowa.
leichte Nr. 2 6 Geschütze bei Tscharoja, 4 bei
Kalafat und 2 am Wall Alenilar, je 2 in Tscherescbti und in
der Festung Rahowa.
4. Ulanen-Division. Generalleutnant Baron Kreutz, kommandiert zu ihm
Generalmajor Graf Suchtelen, Divisionsquartiermeister Hauptmann des General-
stabes Bielokurski.
1. Brigade Generalmajor Nabel
St. Petersburger, — Charkower
2. Brigade Generalmajor Scheremetjew
Smolensker, Kurländer
Reitende Artillerie Kompagnie Nr. 28 ^
^ linke Kolonne.
7. Infanterie-Korps.
Generalleutnant Rüdiger.
Korpsstab: Stabschef Generalmajor Baron Dellingshausen.
Chef der Artillerie Generalmajor Tschereroissinow.
Oberquartiermeister Oberst Richter.
32»
in der rechten Kolonne.
500 Anlagen zu Kapitel X.
Dejourierender Stabsoffizier Oberst Paulan von den Leib-Garde-
Grenadieren.
18. Infanterie-Division. Generalmajor Gortscbakow II, Divisionsquartier-
meister Hauptmann Jemolow vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Ssobolewski (ist nicht eingetroffen).
Kasaner in Garnison in Bazardschik.
Regiment Wjatka
2. Brigade Generalmajor Lappa
üfimer, Permer
3. Brigade Timann.
35. und 36. Jäger.
18. ArtiUeriebrigade.
Batterie Kompagnie Nr. 1 rechte Kolonne.
leichte Nr. 2 4 Geschütze in Bazardschik, 4 in
Prawodi.
„ Nr. 3 rechte Kolonne.
19. Infanterie-Division. Generalad^utant Golowin (Kriegsgouvemeur in
den Gebieten von Babadagh und Bazardschik.) Die Division kommandiert
Generalmajor Rogowski. Divisionsquartiermeister Hauptmann des General-
stabes Ehrenkron.
1. Brigade Generalmajor Forst Unissow.
Asower, Dniepr — in Ssisopol«
2. Brigade Generalmajor Swobodski.
Ukrainer — in Ssisopol.
Odessaer — zur Zeit in Gibedsbi und Kosludschi. Schließt sich in
Dewno an, um die Wagenburg zu decken.
3. Brigade Generalmajor Rogowski, kommandiert die Division, die
Brigade kommandiert Oberst Lüders von den 37. J&gem.
37. und 38. Jäger — in der rechten Kolonne.
19. ArtiUeriebrigade^
Batterie Kompagnie No. 1 und leichte No. 2, je Vs Kompagnie
in der rechten Kolonne und in Ssisopol (die Pferde sollen auf
vollen Bestand gebracht werden), leichte No. 3 in der Befestigung
bei Koprikioi.
Bugsche Ulanen-Division. Generalmajor Reutern. Divisionsquartier-
meister Hauptmann des Generalstabes Luginin.
1. Brigade Generalmajor Akinfiew (krank, Ersatz Generalmajor Paachkow.
1. und 2. Bugsche ^
2. Brigade Generalmajor Sievers | beim Beobachtungskorps Krassowskis.
3. und 4. Bugsche J
Reitende Kompagnie Nr. 27 beim Beobachtungskorps Krassowskis.
4. ReserTe-KaTallerie-Korps.
Korpskommandeur Generaladjutant Borosdin.
Das Kor)»s kommandiert General adjutant Kisselew (unter dem Kommando
stehen alle Truppen auf der linken Seite der Donau und die Festung Silistria,
als Stabschef steht bei ihm Generalmajor Gabbe).
Anlagen zu Kapitel X. 501
Korpsstab: Kommandeur der Artillerie Generalmajor Glinka.
Oberquartiermeister Stabskapit&n Weimam vom Generalstabe.
Dujourierender Stabsoffizier Oberstleutnant Olenitsch-Gnenenko.
1. Dragoner- Di Vision. Generaladjutant Baron Geismar; unter seinem
Kommando stehen die Truppen in der kleinen Walachei, als Stabschef fungiert
Generalmajor Grabbe, dujourierender Stabsoffizier Stabskapitän Muchanow von
der Garde, Divisionsquartiermeister Stabskapit&n Baron Korff vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Plochow.
Moskauer bei Studeni.
Kargopoler bei Tscharoja.
2. Brigade Generalmajor Kwitnitzki.
Kinbumer, Noworossiisker 1 • r •
Reitende Artillerie Kompagnie Nr. 3 J *^®* Krajowa.
l. Division Jäger zu Pferde. Generalmajor Laschkarew II, zu ihm
kommandiert Generalmajor Gordejew, Divisionsquartiermeister Stabskapitän
Weimam vom Generalstabe.
1. Brigade Generalmajor Lobko (abgelost, Vakanz).
Sewersker — Tschemigower bei Banjasa.
2. Brigade Generalmajor Saborinski
Neshnisker, Division bei Katzawan,
Dorpater, Division bei Simnitza in Daja.
Reitende Artillerie Kompagnie No. 22 je eine halbe Kompagnie
bei Daja und Banjasa.
Kosaken -Regimenter. Kriegs-IIetmann Generalleutnant Ssissojew.
Generalmajor Begidow ^
Oberstleutnant Popow II ! zu Generaladjutant Geismar gehörig.
Oberst Solotarew i
Oberstleutnant Rykowyk l\ ^ ,,. ^., ,..
Oberstleutnant Platow 1 ^"^ Generaladjutant Kisselew gehörig.
Alexandrin 3 Sotnen in Prawodi, 1 in Dewna, 1 in Gebedshi.
Kargin in Silistria, Dmitrow auf der Kriegsstraße.
9. Orenburger bei Krassowski.
Solotarew 2 rechte Kolonne.
Karpow 4 auf der Kriegsstraße von Kaurga nach Silistria.
Iljin auf der rechten Kolonne.
5. Tsehemomorisehel . „ ^ rr j t> li
I in Reserve unter Kommando Pahlens.
b. » »» i
4. Uralsche bei Krassowski.
Borissow 1. beim Beobachtungskorps Generalleutnant Krassowskis.
Grekow 2 \ . ^.,. ^ .
_- o Mn Silistria
Karpow 3|
Baklanow in der linken Flanke.
Kuteinikow in Varna.
Jeschow linke Kolonne.
Amanski, Kordonstation am Djnepr.
Dolotin beim Hauptquartier.
' im Reservekorps des Grafen Witt.
502 Anlagen zu Kapitel X.
Tschernuscbkin in der rechten Kolonne.
Andrijanow, 2 Sotnen in Prawodi, die anderen beim Heu machen.
Ssekreti
Stupatschewski
8. Orenburger
1. Baschkiren
2.
Ingenieur-Ressort Stellvertretender Chef-Ingenieur Generalmajor Lechner.
Die Pionierbrigade und die militärische Arbeiterkompagnie unter Führung^
des Generalmajor Rupert.
2. Pionierbrigude Generalmajor Kruse.
Sapeurbataillon, 3. Pionierbataillon — in Silistria. Die zugehörige
Pontonabteilung in Galacz.
3. Pionierbrigade Generalmajor Oldenberg
4, Pionierbataillon — in Varna.
6. Pionierbataillon — V4 bo> ^^r linken Kolonne, V4 ^^i der
Reserve Pahlens, die Pontonabteilung in Silistria.
7. Pionierbataillon — V4 ^^i ^^^ rechten Kolonne, V4 i^ Prawodi.
Von der zugehörigen Pontonabteilung 28 Pontons bei der linken,
14 bei der rechten Kolonne.
Militär- Arbeiterkompagnie Nr. 27 in Bazardschik, Nr. 30 in
Vama, Nr. 31 in Köstendschi, Nr. 49 in Kowama, Nr. 50 in
Varna, Nr. 51 in Küstendschi.
Belagerungs-Ingenieur- Parks.
Abteil. 1 in Küstendschi, Abteil. 2 in Silistria, Abteil. 3 in Silistria,
Abteil. 4 in Varna. Pionier-Eskadron zu Pferde bei Krajowa»
Artillerie-Ressort. Chef der Belagerungsartillerie Generalmajor Amoldi
(befindet sich beim Chef der Artillerie, sein Stellvertreter Oberst Erik.)
Belagerungskompaguie Abteilung 1 in Silistria.
Belagerungskompagnie Abteilung 2 in Varna.
Belagerungskompagnie Abteilung 31 . .
Belagerungskompagnie Abteilung 4 j
Fliegender Artilleriepark. Oberst Ladyshenski.
No. 4 bei Bukarest. No. 11 bei Babadagh, soll nach Varna.
No. 7 bei Janibazar. No. 12 bei Krajowa.
No. 8 auf dem Marsch nach Schumla. No. 17 bei Kalarasch.
No. ^1 L • rp. , No. 18 bei Janibazar.
No. 10/ ^ ' No. 19 auf dem Marsch nach Schumla.
Laboranten Halbkompagnie bei Tiraspol.
Raketenkompagnie auf dem Marsch nach Schumla.
Fliegendes Arsenal No. 8 bei Silistria.
Bergartillerie.
Abteilung l aus 12 Einhornern bei der linken Kolonne.
Abteilung 2 aus 12 Kanonen bei der rechten Kolonne.
Schlachtartillerie-Reserve der Armee.
Reitende Batterie No. 19 beim Beobachtungskorps Krassowskis.
Anlagen zu Kapitel X. 503
Donsche reitende Artillerie Kompagnie Nr. 1 in der Reserve Pahlens.
Nr. 2 in Giurgewo.
Donauflottille. Chef Kontreadmiral Patanioti.
3 Geschwader unter Kommando 1) des Kapitän 2. Ranges Resanow.
2) des Kapitänleutnant Niemtschenow.
3) Kapitänleutnant Gamaleja.
Jedes besteht aus 8 Kanonenbooten und 6 Jollen — 14 Fahrzeuge; in
Summa stehen also 42 Fahrzeuge bei Silistria und kreuzen zwischen
Silistria und Turtukai.
Transport flotte. Die Flotte soll bestehen aus 32 Schiffen und 16 Kirlaschen.
Davon sind bestimmt zum Transport des Proviants 24 Schiffe, der Artillerie-
Munition 8 Schiffe, der Kranken 16 Kirlaschen. Zur Zeit sind vorhanden
18 Schiffe, 16 Kirlaschen.
Zum Ersatz der fehlenden Schiffe werden aus Sewastopol 9 Prisen-
schiffe, aus Odessa ein Prisenschiff erwartet
Zum Bestand dieser Flotte sollen hinzukommen Mitte Juni 2 Dampf boote,
die vom Kaufmann Sserebrenny und Graf Woronzow gekauft werden. Außerdem
ist der Flottenkapitän 2. Ranges Kalamatjano beauftragt 10 Barken zu bauen.
Anm. 1. Die Transportflotte steht unter Kommando des Kapitänleutnants
Balasaglo.
Anm. 2. 4 Schiffe der Transportflotte und 2 Prisenschiffe (Kauffahrer) stehen
zur Verfügung des Chefs der Artillerie.
Diebitsch an Nesselrode.
Memorandum annexe a la depeche de MM. les ambassa-
deurs de France et d'Angl. Constant 15 Aoüt. 1829.
La sublime Porte desirant mettre un terme aux maux de la guerre, et
se confiant dans les vues pacifiques de l'Emp. de Russie, est prete ä traiter
de la paix aux conditions suivantes:
1<>) Integrite de TEmpire Ottoman dans les frontieres de l'Europe et de
TAsie Sans exceptiun.
2*>) La sublime Porte prend sur eile d'excuter completement les anciens
traites et specialement celui d'Ackerman.
3°) Adhäsion au traite de Londres, avec negociation sur les bases du meme
trait^.
4«) Libre navigation de la mer noire pour les bätiments marchands Russes
garantie de la maniere la plus solenneile, sans cependant porter atteinte
H l'independance territoriale de l'Empire Ottoman.
5°) Les interets des negociants des deux nations, ainsi que les autres demandes
qui de part et d'autre seraient reconnues fondees, seront reglees ä Gonst.
d'un commun accord.
Conclusion. Pour venir a Taccumplissement de la Paix, d^apres les
cinq articles qui precedent, il sera adresse des pouvoirs et des Instructions
au Grand Yezir, et a cette fin S. A. se mettra irom^diatement en communi-
cation avec le Feld-Marschall de Russie.
504 Anlagen zu Kapitel X.
Traduit pour la France par U^ Amedee Joabert, poor FAngleterre par
Ifr Francois Cbabert.
ÄDtwort Dfebitscltö.
Andrinople, ll/i3. Aoüt. 1829.
J'ai eu l'honnear de recevoir la depecbe qae Vos Exc*«^ ont bien touIu
m'adresser sous la date du 17 Aoüt n. st^ et a laquelle etait jöint le Memo-
randum enonciatif des conditions quelaPorte se montre aujourd-
hui disposee d^admettre comme bases de la paix. EnVousexprimant tonte
ma sensibilite pour la forme obligeante que Voos atez mise dans cette communi-
cation, je me crois en deToir de presenter quelques obserrationa qoi me
semblent indispensables pour eclaircir et preciser la Situation respectiTe des
deux Empires belligerants.
Au moment ou la guerre a eclate entre la Russie et la Portet S. II.
TEmp. a par sa declaration du 14 Avril 1828 fait connaitre d^a?ance a toos
]ea cabinets et au Divan lui-meme, les conditions auxquelles il serait dispose
k conclure la paix. L'Europe entiere les a trouvees justes et modere««, et a
rendu hommage a la genereuse magnanimite de TEmpereur Nicolas. A chaque
occasion üiTorable le cabinet imperial n*a cesse de &ire entendre a la Porte
des paroles de paix. Nous nous en reportons volontiers au temoignage des
autres pour saroir comment elles ont ete repoussees.
Enfin [aussitot apres la rictoire de Kouleftscba, j'ai juge le
moment propice pour tenter une deroarcbe directe. Le 6/18 Juin j*ai ecrit
au grand Vezir de mon camp devant Choumla et j^ai autorise II. le cons.
d'R. Act. Fonton a entamer des pourparlers toujours d^apres les bases de la
declaration du 14 AYril 1828.
Mes propositions prises ad referendum par le grand Vezir, avec dem an de
d^un delai de 15 ä 20 jours pour en ecrire ä Const. sont pourtant restees
Sans reponse aucune.
Une obstinatiou ainsi opiniätre, un tel oubli dVgards et de conTenances,
Sans exemple dans les rapports entre Puissances, meritaient sans doute une
punition prompte et severe. Le sou verain dispensateur de la justice Celeste
s^est Charge de Tinfliger. Jl n^y a plus d^armee Turque devant nous.
Les troupes victorieuses que j^ai l'bonneur de Commander sont maitresses de
toute Tetendue du pays depuis les Balcans j'usqu'a Andrinople; tandis que le
comte Paskewitsch d'Eriwan a occupe Erzeroum, la premiere ville de la haute
Asie, apres avoir defait et fait prisonnier le Seraskier qui y commandait Cest
apres tant et de si grands desastres que la Porte consent a parier de paix;
mal» je nMmagine pas qu'elle puisse se croire ni en droit, ni en
Position d'en dicter les conditions. Elle compte sur la g^nerosite
magnanime de l'Emp. Nicolas et eile ne sera pas trompee dans son attente,
pourvu qu^elle s'y livre avec confiance. S. M. L dont les sentimenta et les
dispositions restent toujours les memes, veut une paix forte et solide, qui
porte avec eile la garantie de sa duree. Elle tendra une main amicale au
Sultan Mahmoud en retablissant entre les deux Empires tous les rapports de
bon voisinage et de parfaite harmonie.
Anlagen zu Kapitel X. 505
Juatement penetre de ces bautes intentions de mon Auguste Maitre,
«t conformement aux Instructions dont je suis muni, je m'empresserai de mon
cote d'entrer en negociatioas avec les Plenipotentiaires Turcs des qu'ils
se presenteront a mes avant-postes autorises en bonne et due forme, et je mets
ma confiance en Dieu qui daignera benir nos efforts pour faire cesser les maux
de la guerre.
J'ai une trop haute idee de la justice de Vos Excellences et de la noblesse
de Votre caractere pour ne pas etre convaincu que Vous saurez apprecier a sa
juste valeur le langage contenu dans la presente depecbe.
Je Vous prie MM. les Ambassadeurs de Youloir bien aggr^er etc.
Die Depesche Gordons und Guilleminots vom 9.September lautet.
Dans les circonstances actuelles, 11 est un devoir imperieux que nous ne
saurions nous dispenser de remplir, c'est d'informer V. E. des consequences
infaillibles qu^entraineräit la marche des armees imperiales sur Constantinople.
La sublime Porte nous a formellement declare, et nous n'hesitons point ä
attester la v^rite de sa declarätion, que dans ce cas Elle cessera d^ex ister et
que la plus terrible anarcbie, en aneantissant son pouvoir, livrera indistincte-
ment sans defense aux chances les plus deplorables Texistence des popula-
tions chretiennes et musulmanes de TEmpire.
En Yous täisant cet etat des choses, Mr. le Comte, nous eussions assume
sur nous vis a vis de nos Cours, de Sa Maj. Imperiale Elle-meme, en un
mot, de TEurope entiere, une responsabilito que nous deTons repousser avec
toute r^nergie dont nous sommes capables: ce devoir, nous le remplissons
aujourd^hui, en vous adressant la presente lettre. Nous n'avons plus desor-
mais qu'a nous occuper des moyens qui pourraient encore dependre de nous,
pour chercber ä preserver autant que possible, les chretiens de cette capitale
du desastre imminent, qui plane en ce moment sur leurs tetes.
Nous avons Thonneur de renouveler a V. E., Mr. le Cömte, Tassurance
de notre haute consideration. R. Gordon.
Comte Guilleminot.
Kaiser Nikolaus yon RuBland an König Friedrich Wilhelm III.
von PrenBen.
Eigenhändige Ausfertigung.
Königliches Hausarcbiv. Rep. XLIX. J.
Alexandrie le 11/23. Septembre 1829.
Au moment oü il parait que la divine Providence nous fait entrevoir
d^une maniere presque certaine la conclusion d^une paix si longtemps et si
sincerement desiree, il m'est bien doux de penser que je le dois en partie
au Service minent que je tiens de votre amitie Sire; Tenvois du General
Muffling a parfaitement repondu ä vos nobles intentions, et le succes le plus
complet couronne les peines de ce digne et respectable officier. Que ne dois-
je pas d^actions de grace ä Votre Majeste, pour ce Service si r^el, si digne
d^Elle, qu'Elle a daigne rendre ä la Russie, je puis dire a TEurope,
car sans cette demarche. Von peut ce Tavouer, les suittes d*une Prolongation
de la guerre, eussent ete incalculables.
500 Anlagen zu Kapitel X.
Encore une fois Sire, veuiilez pemettre que je vous en offre toute ma
vive et sincere reconnaissance.
Ce luatin meme un Courier parti d'Andrinoples le H g^pt. ^o'^ porte la
nouvelle de l'arrivee au quartier general de Mr. de Royer, avec une notte
favoräble de la porte, quelle le chargeait de nous annoncer qu'elle consentait
a tout. — Mr. de Royer a Tinsfar de ses collegues confirme Tetat desespere
011 se trouve la Porte, et ses craintes de Toir tout crooler a notre apparition
sous les murs de Constantinople. — Gomme il n'a jamais ete de notre
intention de faire crouler cet Empire le Comte Sabalkansky a arrete ou pour
mieux dire arrete son mouvement autant q^uil est possible de le faire militaire-
ment, dans Tespoir que le terme fixe par lui echn, les preliminaires seront
signes. — Votre Majeste connait deja Tinprudente Ouvertüre faitte par Hr.
de Guilleminot: il parait qu'elle a complettement abuse la Porte sur les con-
ditions les plus raisonnables et proclames df^s le debut de la guerre; cependant
il parait que la necessite la fait ceder. — Je tacberais le plus tot possible
de faire rentrer nos trouppes dans nos frontieres: mais ce ne poura etre de
si tot que je le desirerais, tant a cause de Karriere saison que de la peste. —
En attendant je fais revenir les gardes et rapprocher le reste des trouppes de
leurs quartiers permanents. — Sous peu je soumettrais ä Votre Majeste la
nouvelle Organisation que Tarmee Ta subir dans le partage des trouppes eile
est nxaivee tant sur Teconomie que sur le manque de Chef de Corps, qui
reponde bien a ce nom.
Depuis nos demiers succes nos rapports avec PAngleterre sont de?enas
plus a l'eau de rose que par le passe, et le Duc de Wellington parait
vouloir cbercber a etre le plus amicalement que possible avec nous; il en est
jusqu'a present de meme de Mr. de Polignac, quoique je TaTOue franchement
a Votre Majeste, je ne lui ajoute pas beaucoup de foi. — Je n'entends plus rien
de TAutricbe, car je crois qu'elle n'a plus rien a dire. En resnme je tache
dVtre bien avec tous, et avec laide de I>ieu et votre amitie si constante, si
efficace Sire, je ne crains plus rien.
Ma femme vous aura deja annonc Sire, qu'il parait que le t>on Dieu
nous a accorde un huitieme enfant: jusquMci tout va bien, mais j'oses tous
supplier Sire d'exiger de ma femme qu^elle se soigne bien et plus qu'elle n'en
a l'habitude, car cela lui est essentiel.
J'ais encore mille grace a rendre a Votre Majeste pour Tenvois de
TEveque de Pomeranie: je me tiatte qu'avec son assistance sous la direction
que vous daignerez lui douner, nous panriendrons ä remettre l'ordre dans
Teglise Protestante en Russie, dont TCtat actuel et presque scandaleox.
Veuillez Sire me continuer votre indulgence, vos bontes et votre amitie
et croire au devouement inviolable et k la reconnaissance sincere de celui
qui est pour la vie Sire!
de Votre Majeste
le tfUt deToue et fidele
beau-fils
Nicolas.
Anlagen zu Kapitel X. 507
Joses prier Votre Majeste de me mettre aux pieds de Madame la Prin-
cesse de Liegnitz.
Ayant appris que Madame la Princesse desirait un scbawl bleu, j^ose
en mettre un a ses pieds.
Cbarlottenburg. Hausarcbiv Orthographie des Originals.
Auszng ans der 2. Instrnktion Halil Paschas.
Le Caimacam accuse reception des lettres de Ualil chiffrees et non
chiffrees, accompagnees de quelques traductions que le Comte lui a reroises'.
Dans ces lettres Halil annonce qu'il a ete tres bien accneilli en Russie et
demande qu*on l'instruise dos evenements actueis et des troubles d^Aidin et du
Systeme et des relations anterieures, suivies par la cour de Russie envers la Porte.
II lui donne tous les details de Taudience du Comte Orloff avec le
Grand Seigneur, en citant ce que le sultan lui a dit II lui parle de la reception
de BouteniefT ä la Porte, et de la nomioation dW Bintachi-Arif Bey, Charge
d'aller au devant de Ribeaupierre, auquel on a accorde, dit-il, la faveur
d'entrer a Gonstantinople avec une fregatte et une conrette.
U dit que le comte Orloff n'est encore entre dans aucune discussion
relative a sa mission; que son langage est caressant pour le moment, mais
qu'il parait, d'apres ce qu'il dit aux autres ministres, attendre des Instructions
de TEmpereur, a cause du depart de Halil pour Petersbourg, et ne s^occuper
pour le moment que des affaires de bagatelle. Qu'on n'a pas encore re^u
de Londres une reponse sur Taffaire secrete. Quant aux relations de la Russie
avec la Porte, il dit qiie pour ce qui regarde le Systeme actuel et les circon-
stances presentes, ses Instructions pourraient suffire pour le guider; mais afin
de donner aussi une idee exacte du passe, il lui envoie copie du manifeste
publie dans le temps par la Porte, en reponse ä celui de la Cour de Russie
et au langage qu'elle a tenu sur les causes de la guerre, en ajoutant que les
mauvais procedes de la Russie envers la Porte sont incalculables, et tandis
que c'est eile qui a donne toujours Heu a la roeiiance entre les deux Cours,
eile n'a cesse d'en attribuer la cause :i la Porte, ce qui est un mensonge evi-
dent; que Torigine de la mefiance de la Russie a pour motif les nouveaux
reglements militaires et administratifs, adoptes par la Porte ce que n^osant
pas avouer, eile a recours a des subterfuges. II lui enjoint de conformer son
langage quant au passe au contenu de ce manifeste en Tadaptant äux circon-
stances presentes et ä la nature des discussions qu'il pourrait avoir et en
donnant autant que possible du relief k ses discours; mais il ne pourrait pas,
dit-il, lui preciser ce qu^il doit repondre, ne sachant pifts ce que son adversaire
avancerait et quel pourrait etre son langage; quMI doit pourtant dans ses
rcponses ne jamais oublier la dignitä, la force et la loyaute de la Porte, et
les faire valoir en temps et Heu.
II lui communique que le Dragoman de (fehlt) s^est present^ derniere-
ment ä la Porte, et partant de Tentretien, que son ministre a eu avec Orloff,
il a mis en avant la question de faire cesser la mefiance entre les deux cours.
Le Reis Effendi lui a repondu: faut-il donc que ce seit toujours la Porte qui
tache de tranquilliser la Russie? Cette puissance aussi ne doit-elle pas tucher
508 Anlagen zu Kapitel X.
de faire de meme de son cote? Que la Russie modifie les articles du traite
de paix au point que la Porte puisse les accepter et les executer, et Ik con-
üance s^atablit ensuite naturellement. Das solle Halil als Instruktion dienen.
Die Unruhen in Aidin und Ancora seien erledigt, henrorgerufen durch das
Gerücht von den Zahlungen an Rußland und die Furcht der Einwohneri noch
mehr belastet zu werden, que si, Dieu preserve, il y a de nouveau une guerre,
peut etre contribuerait-elle ä apaiser les troubles et calmer les esprits.
II Ini enjoint de tenir dans les Conferences un langage doux, roais propre a
fuire de l'effet et a convaincre Tadversaire et h sa mission d'adopter le Systeme
qu'il jugerait a propos sur les lieux pour obtenir le plus d'avantages possible.
II lui donne des details sur la demande du Comte Orloff des instructions de
Halil, communiquees aux Ministres des quatre PuiaslEinces et de Tentretien que
Frankini a eu la dessus avec le Reis EflTendi, a la fin duquel ce demier a dit
que les affaires en question doivent etre traitees entre les deux Souverains.
et que par consequent eux ne doivent pas s'en meler . . .
Frankini habe das lächelnd zugegeben.
Ans dem Bericht des Grafen Nesselrode Aber die auswärtige
Politik Rnfilands im Jahre 1829.
Petersburg. Archiv des Ministeriums des Auswärtigen.
Mission du Comte Orloff.
Independamment des assurances amicales dont le Comte Orloff devait
etre Porgane de la part de Votre Majeste, sa mission avait plus particuliere-
roent pour objet de surveiller de pres Texecution du traite d'Andrinople, de
regier, si la Porte lui en offrait Toccasion, — les termes de payement ainsi
que le mode de garantie des indemnites pour les frais de la guerre, enfin de
faciliter par son entremise les relations du Gouvernement Ottoman avec nos
autorites militaires.
Des la signature de la paix, Votre Majeste Imperiale avait fait lever le
blocus des Dardanelles, et ses Plenipotentiaires avaient demande et obtenu
Touverture du Bosphore a nos bätiments marchands. 140 commerce d'Odessa,
malgre la saison avancee et la gene qu'amenait Tetat sanitaire de cette Tille,
ne tarda pas a profiter des facilites qui lui etaient offertes. Les arrangements
de detail relativement aux Privileges du pavillon Russe, furent arretes presque
Sans discussion.
D'autres points, tels que le libre passage accorde aux pavillons de toutes
les nations aroies, les affaires serviennes, la reddition de Giurgevo, furent
regles successivement; s'ils eprouverent quelques delais, auxquels la coinci-
dence des mouvements hostiles du Pacha de Scutarl devait naturellement
donner un caractere equivoque, il fallait moins s'en prendre ä une Intention
arretee de la Porte de se soustraire ä une clause quelconque d'un Traite
auquel eile devait son salut, qu^aux lenteurs, aux prejuges et en general aux
vices incurables de son administration. Aussi les demarches pressantes qui
eurent Heu a cet egard a Constantinople, n'avaient-elles d'autre but, que celui
de garantir le Gouvernement Türe de ses propres inconsequences.
Aulagen zu Kapitel X. 501)
Quant a rindemoite de guerre, un acte separe du Traitu d'AndrinopIe
avait reserve a Votre Majeste le droit d'en regier le mode de payement sur
le recours que la Porte ferait a sa generosite. Le meme acte stipulait que
les troupes Russes garderaient les Principautes de Moldavie et de Valachie
en depot jusqu'a Tentier acqulttemeat de cette dette.
Mais Votre Majeste reconnut tous les incooTenients qu^une occupation
si longtenps prolongee deTait necessairement faire naitre. Prejudiciable h
ces provinces meme, sans nous ofTrir aucune garantie veritablement utile, eile
aurait ete cousideree comme un acheuinement a une incorporation definitive
et n^aurait pas manque de foumir a la malveUlanee et a la Jalousie une am-
ple matiere anx plus fausses interpretations. Votre Migtste prefera donc de
renoDcer a Texercice du droit que Lui reservait l'acte separe, et Elle decida
que I'occupation des Principautes cesserait apres l'acquittement de l'indem-
nite commerciale, le terme de dix-huit mois fixe a cet egard, ^tant suffisaut
pour rintroduction du nouvel ordre de choscs que Votre Majeste se proposait
d'y etablir.
U s'agissait donc de regier tout a la fois les garanties qui detaient etre
substituees a Toccupaiion des Principautes, et le mode d'acquittement des
sommes a payer par la Porte apres les remises que Votre Migeste avait Tin-
tentioD de lui accorder. Le Comte Diebitscb-Zabalkansky füt muni ä cet ^gard
des instructions necessaires. Plus d'un motif nous faisait desirer de voir cette
affaire terminee soit a son Quartier-General^ soit a Constautinople, sous ses
auspices immediats. Mais dirige par les conseils de la diplomatie de Pera,
le Grand-seigneur avait resolu d'envoyer une Ambassade a St Petersbourg.
II se promettait des resultats si marquants de cette demarche, il 7 attachait
tant d'importaoee, qu'aucune representation ne put L'y faire renoncer ni meme
l'engager a la retarder jusqu'a une saison oü le voyage de ses Envoyes ren-
contrerait moins de difficult^s en Russie. Tout ce que Ton put obtenir, ce
fut que les personnes designees pour cette Missioti, arriveraient ici sans le
caractere d' Ambassadeurs. Tontefois, le Ministere Imperial acquit bieotot la
certitude que c'etait a St Petersbourg que le Sultan voulait faire regier
TafTaire des indemnites. C'est ainsi que cedant avec trop de complaisance
aux suggestions des Ministres etraugers, il recula lui-meme Taccomplisseme-
ment des coDcessions qu'il esperait de la generosite de Votre Majeste Impe-
riale, et qu'il etait si impatient d'obtenir.
L'influence de Sir Robert-Gordon ne fut que trop visible dans la precipi-
tation du depart de Halil-Pascha. Elle ne se manifesta pas moins par d'autres
iudices. Les instructions dont l'Envoy^ Türe fut muni, etaient une veritable
protestation contre chaque articie du Traite d'Andrinople, tant la Porte s'aveu-
glait encore sur sa Situation, tant il lui etait difficile de renoncer a des erre-
ments, qui l'avaient mise ä deux doigts de sa perte. Ces instructions ayant
<''te communiquees aux Ambassadeurs de France et d'Angleterre, ainsi qu'ä
rintemonce d' Antriebe, dans Tespoir, sans doute, que leurs cours appuyeraient
h St Petersbourg des demarches que desävouait le plus simple raisonnement,
le Comte Orloff re^ut l'injonction de demander a en prendre connaissance
a son tour. La communication qui lui en fut faite, lui fournit l'occasion de
510 Anlagen zu Kapitel X.
declarer qu'aucune demarcbe tendant a invalider une claiise quelconque du
traite d'Andrinople, ne serait admise par Votre Majeste Imperiale, qu'EUe ne
souffrirait non plus les bons offices ou la mediation d'une Puissance tierce
entre la Russie et la Porte, enfin que c'etait de la ^enerosite seule de Votre
Majeste et non d'une intervention etrangere que le Sultan devait esperer des
adoucissements aux charges que lui impose le Traite. Des sa premiere au-
dience, Halil-Pascha recueillit ces memes declarations de la beuche de Votre
Majeste Imperiale. Elles ont eu pour effet d'ecarter h jamais les Instructions
8ur lesquelles cet EuToye avait ordre de regier ici sa conduite et son lan-
gage, de couper court a tonte reclamation qui aurait eu pour but de revenir
sur le Trait4 du 2/14 septembre, enfin de placer les rapports du Cabinet
Imperial avec le Sultan sur le seul terräin oü il Vous fut permis, Sire, de
lui accorder quelques allegements.
La Porte s'etait prevalue dans cette conjoncture de la connivence des
repr^sentants etrangers qui avaient accepte la communication des instructions
de Ilalil-Pacha, et, par leur silence, en avaient pour le moins approuve la
teneur. Mais eile a du se convaincre que loiu de lui indlquer les vrais
Dioyens de consolider ses relations avec la Russie, les conseils et les allures
de ces representants ne lui attiraient que des mecomptes et des embarras.
D'autres circonstances encore ont du ajouter a cette conviction.
Affaire de la Blonde.
IIuDiilie du role auquel les demiers evenements de la guerre l'avaient
condamne, et impatient de donner une preuve publique de son credit, Sir
Robert Gordon avait obtenu pour la fregate Anglaise« la Blonde, la permission
de la Porte de faire une course dans la mer noire. Cette demarche impr^-
voyante, outre qu'elle fut bautement desapprouvee par le Gouvernement Anglais,
fournit de justes motifs de regret a la Porte elle-meme. Car pour s'etre
c'cartee des principes constaroment suivis par eile, en autorisant le passage de
la Blonde par le Canal de Constantinople, eile subit la n^cessite d'y laisser
entrer un vaisseau de ligne de la flotte de la mer noire, tandis que deux
batiments de notre escardre dans la M^diterranee venaient le rejoindre sous
les murs du Serail.
Par les directions donnees a Halil-Pascha, la Porte avait essaye de
mettre au n^ant le Traite qui la liait a la Russie. Par une note remise aux
Ambassadeurs de France et d'Angleterre, eile essaya de meme de protester
contre le Protocole du 22 mars, que lui imposait l'Art 10 du Traite d'An-
drinople. Cette tentative accueillie comme la premiere par les deux Arobassa-
deurs, n'eut pas plus de succes. La Conference de Londres la considora
comme non avenue. et Votre Majeste Imperiale daigna consentir a ne pas y
donner suite pour le moment.
Au reste, la ratification inconditionnelle et definitive dont le Sultan s'etait
bäte de revetir le Traite d'Andrinople, l'accueil distingue qu'il fit aux Repr^en-
tants de Votre Majeste Imperiale, les assurances qu'il leur prodigua de son
desir de cultiver dosormais des relations de paix et d'amiti^ avec la Russie, —
son empressement meme a en foumir des temoignages par Tenvoi de Halil-
Pascha et l'eclat dont il environnait sa mission, les honneurs rendus a notre
Anlagen zu Kapitel X. 511
pavillon de guerre par les forls des Dardanelles, — et plus que ces demon-
strations exterieures, la disgräce du Reis-EfTendi, qui, ayant toujours temoigno
de la malveillance pour la Russie, pouvait etre considere comme un des
principaux instigateurs de la derniere guerre, — l'exactitude avec laquelle a
ete paye le premier tiers de l'indemnite commerciale, — eniin le ürman
d'amnistie accorde aux sujets Chretiens de la Porte, en vertu du Traite d'anr
drinople, et la maniere dont cette amnistie est observee, — semblent etre autant
de preuves, si non de la bonne foi du Gouvernement Türe et de la sincerite
de ses intentions pacifiques, au moins de la conviction oii il est que, pour
le moment, il ne lui reste pas d'autre voie de salut qu'une soumission entiere
aux lois d'ane imperieuse necessite, seules lois que sa politique a jusqu'ä
present considerces comme inviolables.
Premiere lettre chUfr^e du Serasqnier a Halil-Pacha
da 5 «TT. 1830.
Parmi les lettres que vous m'avez adressees par votre tartare Osman,
il y en a une dans laquelle vous faites allusion a des changements. Cette
lettre a ete soumise a S. H. Personne autre n'en a eu connaissance. Le fruit
de ce que Vous avez ecrit daxfs cette lettre, a ete la deposition de Reis Pertew
Effendi, qui a eu pour successeur Hamid Bey, ceiui-ci a ete remplace aupres
du Grand Vezir par Hadi Effendi. Hamid Bey arrivera dans quelques jours
et Hadi Effendi se mettra alors en route pour Andrinople. Voilä mon üls,
mon bien aime. tächez de ne pas me confondre aupres de notre Souverain.
Vous avez un champ libre ä present; consultez- vous tete a tete avec Nedgib
Effendi et faites tout ce que Vous jugerez convenable et utile ä l'affaire.
Petersb. Archiv d. M. d. A. 14475
Kapitel XI.
Le Prince de Polignac an Dne de Morteniart^ Confldentielle.
Paris, 4. 7. 1829.
Russie 178.
Les progres des armees Russes produisent en Europe une vive Sensation :
quelques puissances ont paru s*en alarmer; mais le Roi, plein de confiance
dans les promesses et la loyaute de TEmp. Nicolas, n^y a vu que le develop-
pement du seul moyen qui put vaincre la resistance du Sultan et le decider
enfin k accepter une paix qui etablisse sur des bases solides la tranquillite
de rOrient. Le Roi aime a se rappeler les intentions que TEmp. a manifestees
a cet egard ä Berlin: ces intentions sont entierement conformes au voou de
S. M. qui ne d^sire que le maintien de tout ce que les traites anterieurs ont
etabli, et qui craindrait que les acquisitions que la Russie pourrait faire dans
8on arrangement avec le Sultan, ne laissassent dans plusieurs cabinets des
germes de mecontentement qui comprometteraient plustard le repos de PEurope.
Cependant, M. le Duc, le Roi ne s^est pas dissimule que de
circonstances independantes de la volonte de TEmp. Nicolas
512 Anlagen zu Kapitel XI.
peuvent mettre obstacle ä raccomplissement des vues moderees
de ce Prince; telles ser&ient Tobstination aveugle da Sultan ä se refuser
a tout arrangement raisonnable, une insurrection a Constantinople» la
prise de cette capitale par les Russes: c'est dans la preTision de
semblables evenemens que S. M. a desire qua Vous fussiez instruit de sea
intentions.
L'Empiie Türe une foia detruit en Europe, il ne peut entrer
dans la pensee d'aucun cabinet de le retablir. Un etat de choaes tel
que celui qui existe en Turquie a bien pu se conserver josqu' ä present par
la force des traditions et des babitudes, mais s'il tenait a etre brise violemment
pai la conquete, il ne serait plus possible d*en reunir les elemens disperses.
Onnesait quelles sont les dispositions de la population de la Turquie d'Europe^
sa resistance aux innoYations introduites par le sultan, les passions qui
l^agitent, la diflerence de langue, de religion^ d'interSts qui la diTisent On
en Yoit dejä une partie combattre les armes ä la main contre la Porte;
d'autres n'obeissent plus qu^ä un prix d'argent, d^autres se sont assure une ind^
pendance presque complete. Comment une teile population, laissee ä eile
meme, se formerait-elle en un etat regulier? Comment une fois le joug bris4,
des Sujets, quatre fois plus nombreux que leurs maitres, rentreraient-ils sous un»
domination dont une guerre malbeureuse aurait detruit le prestige? Comment
avec de tels elemens 1* Empire turc reprendrait-il en Europe la consistanee
(|u'il doit y avoir pour que requilibre entre les differents etats ne se trouTe
pas entieremeut rompu?
La dissolution de PEmpire Ottoman amenerait la necessite d'un autre ordr»
de choses; il faudrait ou que la Russie en gardät les d^bris comme sa conquete^
ou que toutes les Puissances sVcordassent pour y former un nouveau etat
chretien.
Le Premier de ces partis est evidemment inadmissible: la Russie ne
peutsonger äs'approprier Constantinople sans s*attirer une guerre
avec presque toutes les puissances Europeennes; et eile considerera
d^ailleurs que cette acquisition, si eloign^e du centrt de sa puissance, aurait
l'inconvenient d*inquieter les autres etats, sans avoir Pavantage d'ajouter
Yi'Titablement a sa force.
Ce parti etant ecarte, il ne reste plus que la formation d'ua
i'tat chretien, concerto entre les puissances et avec des disposi-
tions propres acalmer les inquietudes et a satisfaire aux intereta
et anx pretentions des diverses Cours.
Dans cette entente, la Russie doit avoir evidemment Pinitiative^
et la France est de tous les allies de cette puissance celui auquel eile peut
s'adresser avec le plus de confiance pour lui faire part de ses vues;.
les intert'ts des cabinets de Paris et St. Petersbourg 6tant pour ainsi dire
identiques dans la <]uestion actuelle.
Vous devez donc, Mr. le Duc, commencer par reconnaitre quelle»
sont les dispositions de FEmp. et par les sonder avec adresse et menage-
ment. Vous vous efTorcerez d'amener de sa part des ouvertures de maniere
a ce que les explications qui pourront s'en suivre paraissent etre plutot une
Anlagen zu Kapitel XI. 513
reponse aux avances et aux confidences de ce Prince, qae des propositions
faites par nous et qui ponrraient nons compromettre avee nos aatres alliea.
Inyite par Tfimp. ä lui faire connaltre les arrangemena qoi entrtraient
dans les vues de la France, Vous pourrez, M. le Duc, indiquer les
dispositions suitantes. Elles reposent sur Tidee priaeipalt d*etablir uae
Organisation qni ne soit dirigee par un es]>rit hostile k persoona et dans la-
quelle chacon tronve, autant que possible, la satisfaetiM des pretentiona qu'il
peut raisonnablement former.
Dans une reorganisation combine« par siüte du d^oMabra ment de 1' Em-
pire Ottoman, la France desire avoir paar sa part les proYinces
beiges telles qne la Hollande les possede jnsqu'ä la ligae de la
Meuse et du Rhin, et recouvrer en Alsace la ligne de frontier
qu'on lui a enlevee en 1815. La Russie ne peat qv'etre inleress^ k ce
qne nous fassions une acquisition qui nous donnera de nouYeauz moyeDs de
resister a I'ascendant d'une preponderance voisine qui ne lui est pas moins
k Charge qu'a nous memes.
Si la Saxe est abandonnee a la Prasse, la conaenratios des prio'
cipes de la legitimite, l'espece de solidarite qui eziate tntre les Baisona re
gnantes, la dignite du Roi, demandent que le prince qui regne a
Dresde retrouve ailleurs nne compensation: les provinees Prasaieaaes
situees entre le Rhin et la Heuse, erigees en Royaume, pourraieat
la lui fourair. On detaeberait toutefois en fa?eur de la Bati^ro qaelque per-
tion de ce territoire qui est plus etendu et plus people que ne Test celui de
la Saxe.
La Prusse trouverait un riebe dedommagement a cette ceasion en obte-
nant eile- meme les proTinces hollaadaises depuisla merdiNord
jusqu'au Rhin: cette acquisition en ferait une poiaaaace nahtime, ce qui
doit repondre egalement aux Yues de la France et de la Rasaie.
Les Colon ies hollandaises pourraient dans cet arrangament 4tre
assignees ä l'Angleterre, en partie du moins pour son lot. Le roi des
Pays-Bas irait r^gner a Constantinople: son empire serait forme das
possessions de la Turquie d'£urope; on en detacherait la cession ä faire k la
Russie, de meme que la SerYie et la Bosnie qui seraient donnees k rAutriehe
pour senrir de «ontrepoids a l'acquisition nouvelle de son puissant Yoisiii.
Les acquisitions delaRussie pourraient consister, enEurope, dansla
Valachie et la Moldavie. Cette puissance augmenterait aussi soa territoire
en Asie: c'est surtout de ce cote plutot qu'en Europe, qu'il serait important
de I'inYiter a s'agrandir.
Sans pretendre que ces bases d'arrangement soient exactement celles
qui dussent etre adoptees, le Roi Yerrait avec plaisir, M. le Duc, qu'on
tendit le plus possible ä s'en rapprocber. Je joins iciun memoire
qui a re^u l'approbation de S. M. et de son Gonseil et qui indiqne
le point de Yue general sous lequel le Roi considererait une nouYelle Organi-
sation de l'Europe, et les principales dispositions que nous devrions chercher
ä y introduire dans Tiuteret de la France. Vous n'aurez aucun usage k
en faire, mais Vous pourrez le consulter ayec fruit pour arrSter yos propres
S chie man n». Geschichte Bußlands. II. 33 <
514 Anlagen zu Kapitel XI.
idees, et pour Vous-en servir de document et de direction dans les conversations
que Yous aarez a ce sujet avec TEmpereur et avec ses Ministres.
Si la Russie donnait a entendre qu'un congres deviendrait
nece ssair pour sanctionner des combinaisons de la nature de Celles que je
-viens de Vous indiquer, le Roi consentirait a acceder aoeu vu de son
allie; mais ce ne serait qu'apres qu'une entente prealable aurait eu
lieu entre les deux cabinets relativement ä la cession future de la Belgique
ä la France.
Je dois cep^ndant, M. le Duo, Yous faire obsenrer a ce sujet que les
dispositions generales de Torganisation dont je Yous ai expose la base etant
plus favorables a la France, a la Russie et ä la Prusse, qu'elles ne le sont a
TAngleterre et a l'Autriche, nous devrions prevoir bien des difficultes a la
realiser au moyen des discussions d'un congres: ces discussions se prolonge-
raient necessairement tr^s longtemps, et peut-etre auraient- elles pour r^sultat
d'aigrir les esprits, de laisser ä chacun le temps de se pr4parer ä la guerre,
de former dans les differents pays une opinion passionnee qui dominerait la
sagesse des cabinets, et d 'amener enfin une rupture entre les puissances.
L'Empereur jugera probablement que le moyen le plus efficace de prevenir
rette rupture et en meme temps de realiser un plan qui reponde
aux interets et aux voeux des deux conrs serait un accord seeret et
epare entre elles deux, dans lequel elles entraineraient ensuite la
Prusse et la Baviere. L' Antriebe alors press^e entre la France, la Russie
et l'Allemagne, s'estimerait heureuse de sortir d'une teile Situation en accep-
tant le lot que les cours alliees auraient jug^ convenable de lui attribuer, et
r Anglet., abandonnee de tout le continent, n'oserait pas entreprendre seule
lä guerre pour s'opposer ä une combinaison dans laquelle, d'ailleurs, on lui
assignerait aussi une part convenable.
Apres etre tombe d'accord avec l'Empereur, yous concerterez aussi avec
Lui les moyens qu'il y aura k empioyer pour en faire part aux cabinets
de Berlin et de Munich, et pour s'assurer de leur prompte adh^sion. II
sera necessaire aussi de conyenir du genre de communication que nous devons
faire a ce sujet a l'Autriche et a I'Anglet. Yous pourrez enfin regier imme-
diatement quel sera le nombre des troupes que chaque Puissance devra
mettre sur pied de guerre pour appuyer les arrangements arrStes. Le Roi,
M. le Duo, s'en remet entierement pour les moyens d'execution ä Yotre habilite
et a Yotre pnidence, ainsi qu'a Tamitie et a la baute sagesse de son Allie:
en les reglant il importe que vous ne perdiez pas de vue que la promptitude
et le seeret peuvent seuls en assurer le succes et que le concourt de la Prusse
nous est indispensable et celui de la Baviere necessaire. Le Roi porte cette
conviction si loin, qu'il ne vous autorise k rien conclure que dans la suppo-
sition de Tadbesion de la Prusse. Ce n'est qu'en presentant inopinement a
TEurope une alliance compacte et toute formee, et une reunion de forces, a
laquelle les autres puissances n'auront rien d'^gal ä opposer, que nous previen-
drons une guerre generale et ferons adopter ä toutes les cours une combinai-
suu que les circonstances forcent ä former et ä realiser en pen de
moments.
Anlagen zu Kapitel XL 515
Je dois ajouter un mot sur la part qui est attribuee k la France dans
la supposition d'un partage: il se peiit qu'elle paraisse considerable au cabinet
de St. Pet. Si Vous observiez, M. I. D., qu^elle produisit cette Impression, Vous
pourriez faire valoir les titres que nous avons h etre traitcs avec
quelque fateur, Vous rappellerez les sacrifices que nous ayons faits dans
Tafifaire de la Gr^ce, notre expedition de Moree, les subsides et les secours de
tout genre que nous avons donnes aux Grecs. Lorsqu un arrangement definitif
termine les affaires d'Orient, il est juste que les 2 puissances qui ont fait
les plus grands sacrifices, s^y trouTent plus ayantageusement trait^es que les
autres. Vous feriez aussi observer qu'etant les seuls qui n'ayons re^u aucune
augmentation de territoire en 1815, nous nous trouvons dans une Situation
comparatiTement tres inferieure a ce que nous etions avant la ruTolution.
Vous ajouteriez enfin que la France et la Russie sont placees de maniere a
ce que tous les avantages politiques que nous pouvons recevoir se trouvent
devenir utiles ä la Russie, et ont pour effet d'augmenter sa force federative
en Europe.
Dans aacun cas la France ne pourrait soufTrir que PAngl., la Prusse ou
TAutriche s'agrandissent, si elle-meme n'augmentait sa puissance territoriale;
Sans cela eile regarderait comme entierement rompu requilibre politique, d^ja
tellement affaibli ä son desayantage au Congres de Vienne; ce serait la faire
descendre du rang que non-seulement la dignite du trone et Fbonneur national
mais Tinteret meme de la conservation lui commandent de maintenir. S. M.
ne veut d'aucune augmentation du coto de Tltalie: ce ne pourrait
etre qu^aux depens du Roi de Sardaigne son beau-frere; et ce serait seulement
nous faire acheter une guerre contre TAutricbe. Ce ne sont pas, M. 1. D, des
vues d'ambition qui dirigent la politique du Roi: S. M. ne rechercbe, dans
les acqiiisitions sur lesquelles eile a jete les yeux, qu'un simple int^ret de
preservation : eile ne fait que satisfaire a la necessite et au devoir qui lui est
impose de pourvoir, autant que les circonstances le lui permettent, a la sürete
de son peuple, de sa capitale, de son trone. Lorsque la guerre se faisait par de
lentes combinaisons et que la rigueur des Saisons en suspendait cbaque' annee la
poursuite, le Roi poutait voir sans inquietude entre les mains d'une puissance
etrangere une province teile que la Belgique aussi rapproch^e de sa capitale, mais
qui etait alors ouverte, sans defense, separee par de longs intervalles du centre de
'Empire dont eile dependait; aujourd'hui tout est change: la guerre se fait
par des invasions subites et impetueuses, dirigöes contre les capitales.
A la place d'une province detachee de TAutriche se trouve un royaume com-
pact, guerrier, defendu pour tous les travaux de Tart militaire. La Belgique,
l'Allemagne, le Piemont se sont couverts de fortresses qui augmentent la con-
fiance d'une armee envahissante en lui ofTrant des refuges en cas de revers:
une armee Prussienne campe a 70 lieues de Paris: une armee Beige, qui
peut en quelques instans devenir une armee anglaise, n'en est que 60
lieues.
Dans cet etat des cboses le Roi ne saurait penser a des conquetes
uloignees. S. M. ne peut vouloir et ne veut que sortir de la Situation tres
defavorable oü le congres de Vienne nous a pldces.
516 Anlagen zu Kapitel XI.
Ce sont des consid^rations, M. I. D., que tous aurez ä faire valoir aupres
d« ]'£m p. Vous pourrez d'ailleurs faire connaitre a ce Prince que le deaavan-
tage meme de notre position nous a fait sentir plus vivement la necessite
de noas menager des meyens de defense: le Roi aura, avant 3 mois, s'ii est
necessaire, nne arm^ de plus de 200000 h. de disponible pour faire valoir
ses droits ou garantier l'execution des anangemens consentis par luL
11 n'est pas besoin M. I. D.^ de tous faire observer que cette depeche
est de la nature la plus confidentielle. 11 sera bien que vous vous en
reserviez la connaissance pour vous seul, et ne la classiez pas
dans leg archives de TAmbassade, afin qu'il n'en reste pas de
trace en Russie et que vous puissiez me la rapporter vous-meme
lors de votre retour en France. Comme vous n'aurez a en ftdre usage
qu'eventuellement, dans le cas d'uu demembrement de la Turquie, et si vous
trouviez les intentions de la Russie favorables, je n'ai pas cru devoir en
donner connaissance ä M. le O^ Pozzo di Borgo. La negociation que
vous etes Charge d'ouvrir n'admet, d'ailleurs, que des Communi-
cations verbales, et eile ne permettra de dresser aucune note
ecrite qu'apres q'un engagement d'honneur aura ete pris prealable-
ment. II est bien entendu que, dans le cas oü vous apprendriez
que la paiz est signee sur les bases annonci'es parTEmp. Nico-
las, vous n'auriez aucuu usage a faire de tout ce que je vous ecris
aujourd'bui, et le regarderiez comme non avenu.
Teute cette negociation, M. 1. D, demande de vortre part un langage plein
dlntimito et de confiance et qui reponde aux sentimens qui uniseent si inti-
mement le Hol ä son noble allie; vous pourrez toutefois, si vous en voyez la
necessite, faire sentir a ce Prince qu'en se rapprocbant ainsi de lui d'ane
maniere plus particuliere, le Roi obc'it autant a un sentiment d'amitie qu'ä
des considerations tir^es de Tintervt de ses peuples, et que nous repoussons
pour ceJa d'autres combinaisons oü nos interets trouveraient egalement a se
satitfaire. Le Roi regretterait vivement que des exigeances tout a
fait inattendues de la part de son allie le for^assent a recevoir
d'une autre part des avances que jusqu'a present iJ a mis tous
ses soiAB ii ecarter de lui et ä ne pas apercevoir.
En vous remettant entre les mains une negociation aussi importante, le
Roi« M. le D., aime k vous donner la preuve la plus eclatante que vous puistiez
recevoir de la confiance qu'il met en vous et de l'estime qu'il fait de vos talents
et de votre caractere: S. M. verra avec plaisir votre nom attacbe a une
traasaction qui remettra ia France au rang qu'elle a si longtemps
tenu et qu'elie doit recouvrir en Europe.
Je chai^e, avec Tapprobation du Roi, M de vöus porter cette
ez^dition. Je lui en ai Jaiss^ prendre lecture avant de ia Jui remettre. Je
r«i parfaitement mis au courant des intentions de S. M. et des vues de soa
gouvernement, et les renseignemens qu'il vous foumira pourront servir de
developpement a mes instructions. II sera entierement a vos ordres, et vous
pMirrei le oonsiderer comme votre secretaire pour ime importante negociaAion.
Je desire, M. le Duc, ((u'il vous soit utile et Je ne doute pas qu'il ne josti^«.
Anlagen zu Kapitel XI. 517
ä tous egards la confiance que je vous prie de lui accorder. Vous pourrez me
le reexpedier quand cette affaire sera termiuee; les renseignemens que j'en recevrai
a mon tour, completeront ceux (|iie vous me donnerez par ecrit dans votre
correspondance. Je desire que pour tout ce que vons aurez a m'adresser a
ce sujet, vous ne fassiez pas usage du chiffre, afin de ne pas etre force de
mettre un trop grand nombre de personnes dans la confidence. Vous aurez
pour m'ecrire Toccasion que vous ofTrira le retour de Mr et vous
pourrez ensuite coufier vos dvpecbes aux personnes qui vous paraitront ofTrir
le |>lus de garanties et de siirete par leur caractere et leur existence.
Ohne Unterschrift.
Note.
Cette note a ete redigee pour combattre Topinion du dauphin, qui
voulait attribuer a la France les provinces Rhenanes Pnxssiennes au Heu de
la Belgi<iue. Elle a revu Tapprobation de S. A. R.
Septembre 1829.
Les provinces Beiges jusque a la Meuse ont une etendue de 760 mille
carres d^AlIemagne, une population de 3 700000 umes. Chaque habitant y
apporte a TEtat 26 frs. C'est un des pays de TEurope les plus ricbes et
les plus peuples. I^s mceurs et le langage y sont fran^ais. Les provinces
entre la fronti^re Beige et le Rhin ont une etendue de 500 milles carres, une
population de 2 millions d^Hmes; chaque habitant y rapporte a I'etat 20 fr.
elles sont riches et florissantes, mais moins que la Belgique. Les mocurs, les
Souvenirs, le langage, tout y est allemand. Si les provinces Beiges ^taient
reunies ix la France, elles augmenteraient notre force defensive, elles mettraient
;i couvert notre capitale: en rendant la monarchie plus compacte, elles en
fortifieraient a la fois toutes les parties. Elles ajouteraient aussi beaucoup
u notre force maritime, en nous donnant un port sur la mer du Nord: ce
port rendrait la sürete a uos cotes, qui actuellement restent tres expos^es
depuis Cherbourg jusqu'a la Hollande, faute d^offrir un abri a nos vaisseaux.
Les provinces du Rhin augmenteraient plutot notre force agressive:
elles porteraient nos armees au ca*ur de l'Allemagne; Majence serait entre
nos mains un vaste camp retranche d'oü nous pourrions envahir a notre gre
teile partie de l'Allemagne oii nous voudrions porter nos armes. Mais pendant
ce temps, notre capitale resterait u decouvert, et Ton prendrait Paris pendant que
nous marcherions sur Berlin. Les provinces Beiges, en nous donnant une
frontiere plus forte, nous permettraient de diminuer le nombre de nos
troupes, ce qui nous procurerait une grande economic. Les provinces Rhenanes«
isolees du reste de la monarchie, se trouveraient pressees entre les armees
prussiennes et les armees Beiges: nous devrions donc entretenir un nombre
de troupes considerable, et cependant nous ne pourrions pas diminuer la
force de Celles que nous ienons en Flandre.
11 en est de memo pour Tadministration: Pacquisition des provinces
beiges n'eiendrait que peu la ligne des frontieres. Gelle des provinces
518 Anlagen zu Kapitel XL
Rhenanes les prolonger&it comparativement beaucoup plus envers rAllemagne
d'un cote et la Belgique de l'autre: aussi seraient-elles plus difficiles ä
garder, et plus dispendieuses ä administrer.
L'acquisition de la Belgique, en tournant nos forces vers la mer et
contre FAngleterre, rassurerait l'Europe centrale plutot qu'elle n« reffacerait.
Quand nous nous montrons a TEurope comme puissance continentale et
envahissante, les souTenirs, encore si recents, de nos dernieres guerres se
reveillent; tout le monde s'inquiete, et Ton est encore pret ä s'unir contre
nous. Quand au contraire nous nous presentons comme puissance maritime,
comme la seule puissance qui puisse un jour se mettre ä la tete d'une grande
ligue Europeenne formee pour affranchir les mers, alors toutes les puissances
voient en nous une force amie et conservatrice. Elles se sont toutes liguees
avec nous pour briser le joug que les Anglais fönt peser sur les mers.
ü'est une perspective que nous devons, de tems en tems leur laisser entrevoir,
et qui, si nous savons la menager, nous reportera invinciblement, sans qu'on
le remarque, sans qu'on nous jalouse, a la tete de l'Europe.
L'acquisition des provinces rhenanes produirait un tout autre effet: eile
nous donnerait une position toute mena^ante et agressive enyers TAUemagne;
l'Allemagne sentirait sa liberte et son ind^pendance menac^es, et nous reuni-
rions de nouveau contre nous la Prusse, l'Autriche et toutes les puissances
Sdcondaires, qui pendant pres de 2 siecles, avant les jours sanglans de la
revolution, etaient accoutumees k Toir dans la France une puissante protec-
trice, gardienne de leur independance et de leur liberte: ce sentiment com-
mence u renaitre cbez la plupert d'entre-elles, et nous ne saurions trop le
menager.
Si donc nous demandons la Belgque, nous pouvons avoir favorables a
nos voDux la Russie, la Prusse et toutie l'Allemagne. Si nous demandons les
provinces Rhenanes, nous rencontrons une Opposition inviacible dans la
Prusse, dans PAllemagne entiere, dans l'Autriche et dans la Russie eile - meme,
qui ne se trouve plus int^ressee ü soutenir nos pretentions; car ce n'est que
contre l'Angleterre que la Russie desire nous voir nous renforcer. On ne
parle pas de l'idee d'appuyer Pacquisition des provinces Rhenanes sur la voix
de l'Angleterre: si eile nous l'accordait, c*est qu'elle aurait acquis une con-
viction bien profonde que cette acquisition n'aurait d'effet que de nous mettre
en hostilite permanente avec le reste de l'Europe. Nous terminons cet
examen par une considoration: Si nous demandons la Belgique, la Russie et
la Prusse y voient l'indice d'une resolution forme et arretee de faire la
guerre k l'Angleterre dans le cas oü cette demande entrainerait la guerre; cea
puissances nous accordent alors la confiance qui a toujours ^te accordee ä
ceux en qui l'on croit reconnaitre de la volonte et de l'^nergie, et elles ne
craignent pas de se cumpromettre en se liant avec nous.
Si nous demandons les provinces Rhenanes, comme chacun en Europe
a la conviction que c'est la Belgi(jue que nous d^sirons et qui nous convient
veritablement, on ne verra dans uotre demande que la preuve d'une timidit^
extreme envers l'Angleterre, et de notre crainte de nous engager avec eile dans
une guerre. Une fois que l'on nous croira dominus par ce sentiment, qui